und Verschönerung.
beyGeorg Joachim Göschen. 1798.
Vorbericht und Zueignung.
Ich wünschte Einiges zu sagen über die Natur der Liebe, besonders zum Geschlecht, und über die Art, wie sie ausgebildet werden könne, ohne ihrem Wesen zu nahe zu treten. Ich wünschte zugleich Gehör zu finden für einige Bemerkungen über die Begriffe, die man in verschiedenen Zeitaltern von der Liebe gehabt hat, und über die Bemühungen, sie zu veredeln und zu verschönern.
Die Veranlassung zu diesem Werke habe ich in der Unbestimmtheit der Urtheile über die Liebe und über die geselligen Verhältnisse, die ihr zugeschrieben werden, gefunden: die Berechtigung es zu schreiben, in meinem Herzen und in meinen Erfahrungen.
[4]Das allgemeinste, das wirksamste aller Gefühle gibt den Stoff zu meinem Buche her: er muß die Aufmerksamkeit des Publikums an sich ziehen. Aber bey der Behandlung ist auf das Interesse seines größeren Haufens nicht gerechnet.
Ich habe nicht für eine vorübergehende Unterhaltung geschrieben. Ich habe nicht das Herz durch dunkle Rührungen reitzen, oder die Einbildungskraft durch Bilder des Außerordentlichen entflammen wollen. Ich habe gesucht, Ideen und Ausdrücke, die in der Philosophie des gemeinen Lebens im Umlaufe sind, näher zu bestimmen; den Genuß des geselligen Lebens durch Aussichten auf Veredlung und Verschönerung der Liebe zu erhöhen, aber ihn zugleich durch weise Beschränkung unserer Ansprüche auf dasjenige, was unsere wirklichen Verhältnisse zulassen, dauernder zu erhalten.
Dieses ernsteren Charakters meines Werks ungeachtet werde ich zuweilen mit Wärme reden. Wer [5] redet immer kalt von Liebe? – Daß Schwärmerey von meinem Herzen fern bleibe!
Ein bescheidener, gesenkter Blick auf die Dürre meiner Untersuchungen wird mich zuweilen nach einem schmückenden Gewande greifen lassen; – daß seine Falten nicht die Formen verstecken, die es nur bekleiden soll!
Eine gründliche Erörterung nicht ohne Reitz der Einkleidung zu liefern, ist die Aufgabe, die ich mir bey Ausarbeitung dieser Schrift vor Augen gestellt habe. Ich habe dabey auf die Beurtheilung einer Classe von Lesern gerechnet, die ihren Geschmack so wie ihr Herz gebildet, und ihren Geist zum Nachdenken über moralische Verhältnisse gewöhnt hat.
Sollte dieß engere Publikum mir seinen Beyfall versagen; – O Venus Urania! so laß mir den Trost, daß die Wenigen, die mein Herz ganz kennen, die vollendete Lesung dieses Buchs mit einem [6] innigern Drucke meiner Hand und mit dem Ausrufe krönen: Du sprichst, wie du fühlst!
Und Euch, ihr Wenigen! Euch gebe ich wieder, was Ihr mir gabt! Euch besonders sey dieses Werk geweihet!
Erstes Buch.
Liebe
als einzelne, vorübergehende Aufwallung,
oder als Affekt betrachtet. *)
Erstes Kapitel.
Einleitung.
Wie! Ich liebe Vergnügen und Leben, und dennoch zuweilen Schmerz und Tod! – Ich liebe das Wohl des Menschen, und liebe den Genuß der Nahrungsmittel, die Ergetzung des Auges an leblosen Gegenständen! – Ich liebe mich selbst, und wieder [10] meine Feinde! – Ich liebe meinen Herrn, der hoch über mir steht, und liebe meinen Untergebenen, und liebe die mir gleich sind, Freunde, Gatten! – Ich liebe eine Undankbare, zu meiner Marter lieb’ ich sie; und ach! der Wonne, der unaussprechlichen Seligkeit! Ich liebe die mich liebt, das Du meines Ich’s, das Ich meines Du’s! – Welche Unbestimmtheit in den Begriffen, welche ganz verschiedene Verhältnisse und Empfindungen unter einem Nahmen!
O Liebe! alle Menschen ahnden deine Nähe, und huldigen deiner Macht! Aber von jeher hat es nur wenige gegeben, die dein Wesen begriffen haben! Bald wirst du mit jeder Art der Lust und des Verlangens verwechselt: bald mit jedem Bande der Anhänglichkeit: bald mit jedem leidenschaftlichen Streben nach Besitz und Genuß! Wie hat man, um dich zu erkennen, immer mehr auf die äußern Wirkungen gesehen, die du hervorbringst, als auf den Gehalt der innern Gesinnung, die allein dein Daseyn begründet! Wie hat man jeden Akt von Wohlwollen, von Wohlthätigkeit, von Aufopferung so freygebig auf deine Rechnung gesetzt, unbekümmert darum, ob Begeisterung für Vollkommenheit und Schönheit, kluge Besorgung des eigenen Vortheils, Achtung für Pflicht und Selbstwürde, Aneignung des fremden Zustandes, und so manches andere bloß eigennützige oder beschauende Gefühl, nicht den näheren Anspruch auf jene Aeußerungen hatten! Ja! Ja! Hat man nicht sogar die Wirksamkeit körperlicher Triebe, deren vollständige Befriedigung den Mitgenuß Anderer als nothwendig voraussetzt, mit dir, o Liebe! verwechseln mögen?
[11]So bist du gesucht und gefunden worden an Orten, wo du nicht warst! Aber du bist auch da verkannt worden, wo du wirklich erschienest! Man hat nicht gefühlt, daß jedes wonnevolle Bestreben, den Menschen, den wir als Person neben uns erkennen, um seinetwillen zu beglücken, dir gehört, und daß alle Anhänglichkeit, alle Leidenschaft, nur in so fern deinem Einflusse zugeschrieben werden kann, als jene Empfindung in diesen Verhältnissen die herrschende ist.
Ich fasse jetzt mit behutsamer aber fester Hand die ersten Fäden auf, aus denen die Liebe in allen ihren Modificationen gewebt wird. Ich sondere die schwache Willensregung vom Affekt; die Lust des Verlangens von der des gegenwärtigen Genusses; das Genügen des Bedürfnisses und die Zufriedenheit von der Wollust und Wonne; den Beschauungshang, die Selbstheit, von der Sympathie ab; und nehme aus dieser letztern dasjenige heraus, was die Liebe in dem schwächsten Grade ihrer Erscheinung, als einzelne Aufwallung des thätigen und uneigennützigen Wohlwollens, darstellt.
Zweytes Kapitel.
Herz und Liebe in der weitläuftigsten Bedeutung; Reitzbarkeit unsers Wesens zu Affekten; Zustand affektvoller Lust.
Nie hegen wir die Vorstellung der Liebe, – nie reden wir davon, ohne zugleich an ein Etwas zu denken, welches wir Herz nennen. Er hat kein Herz, er kann nicht lieben! Mein Herz macht mein Glück, mein [12] Unglück, meinen Stolz, meine Erniedrigung! – Gewöhnlicher Ausruf von Eltern, Freunden, Geschwistern, Liebenden aller Art, die sich und Andere anklagen, lobpreisen, entschuldigen!
Dieser Ausdruck wird zu gleicher Zeit bald Gegenstand des Spottes, bald unverständiger Schmeicheley, und durchaus viel häufiger gebraucht als verstanden. Was ist das Herz bey den Weibern? fragen scherzende Dichter; und der Leichtsinn des Wüstlings, die verbrannte Phantasie des Schwärmers, prangen oft mit diesem ehrenvollen Nahmen.
Es ist interessant, es ist nothwendig, so wie ich in meinen Untersuchungen über die Natur des Zustandes, den wir Liebe nennen, vorwärts rücke, allemahl zugleich das Vermögen zu diesem Zustande, den Theil unsers Wesens, durch den er möglich wird, das Herz, näher zu entwickeln.
Aber wie schwer ist es, die Natur dieses Herzens unter bestimmte Begriffe zu bringen, und es in seiner ersten ursprünglichen Bedeutung von allen andern Fähigkeiten und Kräften unsers Wesens zu unterscheiden! Daß ich Symbole fände, welche die Sache anschaulich machen könnten!
Denkt an jenes interessante Kraut, das bey gewissen Berührungen seiner Blätter schnell an seinem ganzen Stamm erzittert und zusammen schrumpft; und vergleicht diese Reitzbarkeit mit der bloßen Beweglichkeit anderer Gewächse! –
Denkt an jene geistigen Getränke, welche durch äußere Erschütterungen, oder durch ein inneres Treiben ihrer Bestandtheile aufwallen, gähren; und vergleicht dieß Aufwallungs- dieß Gährungsvermögen[13] mit der bloßen Flüssigkeit anderer feuchten Körper! –
Ja! auch unserm Wesen ist eine ähnliche Reitzbarkeit, ein ähnliches Aufwallungsvermögen eigen. Ein jeder Mensch hat ein gewisses Etwas, eine gewisse Seite an sich, an der er berührt, in Reitzung, in Aufwallung geräth. Das Herz, in seiner weitläuftigsten Bedeutung, ist die Reitzbarkeit, das Aufwallungsvermögen lebendiger Creaturen, und besonders des Menschen.
Es ist zweifelhaft, ob wir in irgend einem Augenblicke unsers Lebens ohne Reitzung sind; ob wir irgend etwas wahrnehmen oder uns vorstellen können, was uns nicht zur Lust oder Unlust *) auffordere; mithin, ob es einen Zustand von Ruhe oder völliger Gleichgültigkeit für uns gebe. Inzwischen unterscheidet sich die eine Reitzung von der andern durch ihre Stärke und Lebhaftigkeit. Bald verschwindet sie ganz im Bewußtseyn, bald bestimmt sie uns nur schwach in unserm Willen, bald aber bringt sie ein auffallendes Gefühl von Lust oder Unlust hervor. Und so sind wir wohl berechtigt, eine Ruhe, eine schwache Willensregung, und eine stark afficirte Lage unserer Reitzbarkeit anzunehmen.
Die stärkere Afficirung unserer Reitzbarkeit macht bald einen kürzern, bald einen längern Abschnitt in unserm Leben aus. Ist sie vorübergehend, so nenne [14] ich den Zustand Affekt, Aufwallung im eigentlichsten Sinne. Ist er von längerer Dauer, so nenne ich den Zustand anhaltende affektvolle Stimmung, oder auch unter gewissen Bedingungen Leidenschaft. Der Affekt verhalt sich zur schwachen Willensregung wie die meßbare Linie zum unmeßbaren Punkte; zur anhaltenden affektvollen Stimmung aber, oder gar zur Leidenschaft, wie die Linie zur Figur.
Das Herz, in der weitläuftigsten Bedeutung, die ich kenne und annehmen mag, ist das Aufwallungsvermögen, oder die Anlage unsers Wesens, in stärkerer Maße mit Lust oder Unlust seinen gegenwärtigen Zustand zu fühlen, oder nach einem andern zu streben. So sagt man denn: ich sehne mich, oder ich genieße gegenwärtig mit ganzem Herzen, ich bin von Herzen meiner Lage müde! und wieder: das trifft aufs Herz! Das thut herzlich wohl oder weh! Was heißt dieß anders, als: wir sind nicht im Zustande der Gleichgültigkeit oder der schwachen Willensregung; wir sind stark afficirt!
Liebe, in der weitläuftigsten Bedeutung, die ich kenne, ist die aktuelle Wirksamkeit des Herzens, in so fern dieß für Reitzbarkeit zu Affekten der Lust genommen wird. Ihr Nahme bezeichnet den Zustand affektvoller Lust: es mag diese während des begünstigten Verlangens, oder des gegenwärtigen Genusses empfunden werden. Ich liebe Leben und Vergnügen, ruft der Wollüstling, der an einer gutbesetzten Tafel schwelgt! Ich liebe den Tod, ruft der beraubte Gatte; das Leben ist mir zur Last! Ich liebe diesen Schmerz, ruft der Gebrechliche unter den Händen des Wundarztes; seine Folge ist Genesung! – [15] In diesem Sinne unterscheidet sich Liebe nur von der Unlust und von derjenigen Lust, welche die Begünstigung einer schwachen Willensregung mit sich führt.
Drittes Kapitel.
Liebe und Herz in etwas eingeschränkterer Bedeutung; affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses; affektvolle Zufriedenheit des gestillten; Ausdauern bey dem Genusse überhaupt.
Diese affektvolle Lust kann aber aus sehr verschiedenen Ursachen herrühren, und die Symptome des Zustandes, in den wir dadurch gerathen, können sich sehr auffallend von einander unterscheiden. Der unheilbare Kranke kann mit affektvoller Lust die Vorstellung des Todes hegen, der ihn, wenn auch noch so spät, von seinen Qualen befreyen wird. Diese Lust ist wahrlich sehr verschieden von derjenigen, mit der der Kranke die ersten Spuren seiner Besserung bemerkt! Jener findet seine gegenwärtige Lage ganz unerträglich; er hat auch keine Aussicht auf Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens. Er hofft bloß auf Erleichterung seines gegenwärtigen peinlichen Zustandes durch ein geringeres Uebel. Dieser hingegen genießt gegenwärtig, indem er sich in seinen Bedürfnissen vor jetzt schon erleichtert, und die Hoffnung, daß ihnen ganz abgeholfen werde, begünstigt fühlt.
Bares Verlangen nach einem geringeren Uebel, das unsern gegenwärtigen Zustand bloß erleichtern wird, bringt keine solche Lust hervor, die wir Liebe nennen. Niemand wird sagen, daß derjenige liebt, der in dem Augenblicke einer unumgänglichen Wahl zwischen zwey [16] Uebeln nach dem geringeren mit affektvoller Lust strebt. Liebe setzt offenbar den Zustand des Genusses des Gegenwärtigen voraus.
Darum wird die Lust, die wir an einer wirklich eingetretenen Verbesserung unserer peinlichen Lage nehmen, sehr oft Liebe genannt, wenn uns gleich noch vieles an der Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens fehlt. Aber wir genießen die Erleichterung und fühlen den gestärkten Muth, das fortwährende Bedürfniß zu tragen, und die belebte Hoffnung, daß ihm gänzlich abgeholfen werde. So liebt, wie gesagt, der Kranke die erste Spur seiner Genesung; so liebt der unglückliche Ehrgeitzige den Schlupfwinkel, der ihn wenigstens dem Triumphe seiner Feinde entzieht. Ich nenne eine solche Lust: affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses.
Höheren Anspruch auf den Nahmen der Liebe hat aber derjenige Genuß, den uns das Gefühl eines völlig gestillten Verlangens nach Rückkehr in den vorigen Ruhestand des Lebens zuführt. So liebt der Mensch, der sich von einer augenscheinlichen Todesgefahr gerettet, und in Sicherheit sieht. So liebt derjenige, der die Qualen des Hungers durch Sättigung endigt. So liebt der ohnmächtige Ehrgeitzige, der sein Ziel verfehlt hat, wenn die Bilder von Macht und Ehre, deren Versagung sonst das Unglück seines Lebens ausmachten, ihre Lebhaftigkeit verlieren, und er nun die Fortdauer seiner ruhigen Einsamkeit, nach angestellter Vergleichung mit seiner vorigen Unruhe, eifrig wünscht. Ich nenne diese Lust an der Stillung eines Bedürfnisses, wodurch wir in den gewöhnlichen [17] Ruhestand des Lebens zurückgekehrt sind, wenn sie anders in auffallender Maße empfunden wird, affektvolle Zufriedenheit.
Jenes affektvolle Genügen des fortwährenden Bedürfnisses, diese affektvolle Zufriedenheit des gestillten, werden in so fern Liebe genannt, als wir sie mit dem baren Verlangen nach Beendigung eines peinlichen Zustandes durch den Uebergang in ein geringeres Uebel vergleichen.
Der Charakter der Lust an dem gegenwärtigen Genusse, den ich mit in die Liebe aufgenommen habe, führt zugleich den eines gewissen Ausdauerns, oder Verweilens bey der Lust; eines gewissen Ruhens über derselben; endlich weiterhin, einer gewissen fortschreitenden Ausbildung unsers Genusses, mit sich, von dem ich in der Folge zur Bezeichnung der Liebe noch weitern Gebrauch machen werde.
Das Herz ist nun wieder die Fähigkeit, zu dieser besondern Art von Affekten gereitzt zu werden.
Viertes Kapitel.
Liebe und Herz in noch engerer Bedeutung. Wollust, Wonne, Sinnlichkeit des Körpers und der Seele.
Also: sich gern genügen lassen, weil man schon etwas Gutes genießt und das Bessere voraussieht; gern zufrieden seyn, weil man so viel hat, als man nothdürftig zu dem Ruhestande des Lebens braucht, heißt bereits lieben, in so fern man die affektvolle Lust [18] dieser Art mit der Lust an der Begünstigung einer schwachen Willensregung, oder eines baren Verlangens nach einem geringeren Uebel vergleicht.
Aber legt einmahl den Menschen, die sich in einem solchen Zustande des affektvollen Genügens oder der affektvollen Zufriedenheit befinden, die freye Wahl unter den Verhältnissen vor, worunter sie ihr Leben genießen möchten; glaubt ihr, daß ein einziger den Zustand wählen würde, den er jetzt, gezwungen durch Bedürfniß, aufgefordert durch Ueberlegung, mit Affekt genießt? Glaubt ihr, daß der Kranke, der erst zur Hoffnung der Genesung durch merkliche Erleichterung übergeht, nicht lieber seinem Lager sogleich entspringen, und sich in den ganzen Gebrauch seiner Lebenskraft mit einem Mahle wieder eingesetzt fühlen möchte? Glaubt ihr, daß der Mann, der sich aus einer augenscheinlichen Lebensgefahr gerettet sieht, dieß heroische Mittel, um zu dem völligen Gefühle seines Ruhestandes zu kommen, jenem Zustande animalischer Ausgelassenheit vorziehen würde, den ihm eine unterhaltende Leibesübung gewähren könnte? Glaubt ihr, daß derjenige, der aus Hunger die widerlichsten Speisen gierig niederschlingt, nicht lieber der Qual des Bedürfnisses entübrigt seyn, und bey freywirkendem Appetite seinen Gaumen mit schmackhafter Speise kitzeln möchte? Glaubt ihr endlich, daß jener Ehrgeitzige, der den Genuß der glanzlosen Einsamkeit bloß darum liebt, weil die Versagung seiner Ansprüche auf Macht und Ehre so manche Bitterkeit über sein Leben ausgegossen hat, jetzt, wenn die Mittel zur Befriedigung seiner herrschenden Leidenschaft, bey völliger Sicherheit ihres leichten Erwerbes und ungestörten Besitzes, [19] ihm dargebothen würden, nicht begierig darnach greifen sollte?
Gewiß nicht! und bey der geringsten Aufmerksamkeit auf die Wahl unserer Ausdrücke werden wir nicht sagen, daß derjenige liebt, der bloß die affektvolle Lust eines erleichterten oder völlig gestillten Bedürfnisses genießt. Nein! der Wilde, der seinem Fetisch, es sey die giftige Schlange oder das verderbliche Meer, seine schmackhafteste Jagdbeute mit Vergnügen zum Opfer darbringt, weil er wenigstens den Rest in Ruhe zu genießen hofft: das Weib, das den kranken widerlichen Gatten mit Vergnügen wartet, weil es nach dessen Tode dem Verlust der Mittel zu seiner Unterhaltung entgegen sieht; der Religiose, der sich mit Vergnügen kasteyet, weil die Aussicht auf ewige Straflosigkeit es gebiethet; der Gewissenhafte, der mit Vergnügen ein zweydeutig erworbenes Vermögen aufopfert, um der Pflicht zu gehorchen, und zu innerer Ruhe zurückzukehren; – die lieben nicht; die dulden, harren willig, und ihre Lust ist die an einer erleichterten oder abgeholfenen Nothwendigkeit. Ja! wenn diese Nothwendigkeit uns auch bloß von der Klugheit aufgelegt wäre, durch eine gegenwärtige Entbehrung den künftigen Genuß zu erhöhen, oder durch gegenwärtigen Zwang das glücklichste Schicksal vorzubereiten; so wäre die Lust an diesem Mittelzustande noch keine Liebe. Werden wir sagen, daß der vorsichtige Wollüstling liebt, der heute des Genusses entbehrt, um morgen desto besser zu schwelgen; daß der ehrgeitzige Knabe liebt, der sich in den Freystunden zum Lernen anstrengt, um sich eine Auszeichnung in der Zukunft zu bereiten? Vergleicht den vorsichtigen Wollüstling mit sich selbst, wenn er [20] seinem Appetite mit völliger Ausgelassenheit folgen zu können glaubt; vergleicht den ehrgeitzigen Knaben mit dem Manne, der den Affekt des Wissens und Erkennens unmittelbar empfindet, um den Unterschied zwischen der Lust an kluger Beförderung eines zukünftigen Guts und Liebe zu empfinden.
Lieben heißt: den gegenwärtigen Zustand mit [affektvoller] Lust genießen, weil wir unsere herrschenden Triebe unmittelbar, ohne Erseufzen anderer unterjochter Triebe, ungewöhnlich begünstigt fühlen. Lieben heißt: dem empfangenen Reitze gewisser sinnlichen Eindrücke und Vorstellungen der Seele folgen, ohne auffordernde Ueberlegung, ohne anstrengenden Antrieb, ohne Zusammenhaltung eines gegenwärtigen Zustandes mit einem vergangenen oder zukünftigen. Es bedarf dabey keiner Motive, keines abstoßenden Grundes, keines anziehenden Zwecks, um den gegenwärtigen Augenblick des Lebens zu genießen.
Herz ist hier die Summe unserer herrschenden Triebe, und der immer rege Hang, sie ungewöhnlich begünstigt zu fühlen. Dasjenige, was wir empfinden, wenn dieser Hang unmittelbar und ungewöhnlich gereitzt und befriedigt wird; der wohlbehagende Zustand, in den wir ohne Zwang, und dennoch unwillkührlich gerathen; dieß ist mehr als Lust des Genügens, mehr als Zufriedenheit: ist Genuß der Ausgelassenheit des Lebens; ist Wollust, Wonne, ist – Liebe.
Das Herz in dieser Bedeutung nenne ich mit einem bestimmteren Nahmen: Sinnlichkeit, und da wir sowohl herrschende, oder Lieblingstriebe des Körpers [21] als der Seele haben, so nehme ich eine doppelte Sinnlichkeit für beyde an. Diese Sinnlichkeit setze ich als Anlage, den Zustand von Ausgelassenheit des Lebens zu wollen, der Anlage, nach dem bloßen Ruhestande des Lebens zu streben, entgegen. *)[22]Wollust bezeichnet dann genauer den unerzwungenen und dennoch unwillkührlichen Affekt von Lust, welcher die ungewöhnliche Begünstigung der herrschenden Triebe unsers Körpers mit sich führt.
Wonne nenne ich die Lust der nehmlichen Art, welche die ungewöhnliche Begünstigung der herrschenden Triebe der Seele erweckt.
Wollüstig ergetzt sich das Kind an dem Strahle des Sterns, und an den bunten Farben des Schmetterlings. Wollüstig schlürft der Jüngling den kostbaren Nektar aus Hebe’s Becher, oder den Kuß von ihren Lippen, mit halbgeöffnetem Munde und gebrochenem Auge ein. Mit Wonne wühlt der Reiche in den Mitteln seines Ueberflusses; mit Wonne genießt der Liebhaber des Schönen den Anblick eines Meisterstücks der Kunst; mit Wonne verliert sich der Schüler des Plato im Anschauen der Vollkommenheit und ewiger Harmonie; mit Wonne überläßt sich der Freund, der Gatte, dem Gefühl der Vereinigung mit der Hälfte seines Wesens; und Alles dieß – ist im Zustande des Liebens!
Fünftes Kapitel.
Herz in bestimmterer Bedeutung heißt Sympathie; Liebe heißt Wollust und Wonne der Sympathie.
Aber wie! Liebt denn der Geitzhals, den der Fund eines Schatzes erfreuet, oder der unnütze Verschlinger der Früchte dieser Erde, der seinen Gaumen mit Leckereyen kitzelt, oder der unthätige Beschauer, der seine Augen an einer Farbe oder an einem Lichtstrahle weidet?
Allerdings! Ja es liebt sogar derjenige, der mit Wonne seine Rachsucht stillt, und sich an der Marter des Feindes labt. Es giebt eine Liebe zum Hassen, zum Hadern, zum Zerstören. – Allein dieser Ausdruck ist nur in so fern richtig, als wir die verschiedenen Arten unserer Lust, in Beziehung auf die mehrere oder mindere Begünstigung unsers Grundtriebes nach Wohlbestehen unsers Wesens überhaupt, in Betracht ziehen. Jede Lust, welche das Bewußtseyn einer ungewöhnlichen Begünstigung unsers Grundtriebes, einer Ausgelassenheit des Lebens, mit sich führt, ist Wollust, ist Wonne; und in Vergleichung mit der bloßen Lust an der Stillung eines Bedürfnisses, oder einer schwachen Willensregung, Liebe. Warum? Weil wir uns dem Zustande unsers Wesens willig überlassen, begierig entgegenbiethen; mit einem Worte, diesen Zustand gern mögen.
Da wir aber besonders denjenigen Zustand gern mögen, worin wir bereits genießen, und zugleich nach weiterer Ausbildung des Genusses glücklich streben; so heißt lieben vorzüglich: den Zustand des verweilenden Bestrebens mit Wollust und Wonne empfinden.
[24]Dieser Begriff, dieser Sprachgebrauch, beydes läßt sich als wahr und zweckmäßig vertheidigen, in so fern es nur dazu dienen soll, den Grund der Angemessenheit meines Zustandes zur Begünstigung meines Grundtriebes nach Wohlbestehen, den Grad der Lust meines Wesens, gleichviel woran, zu bestimmen und zu bezeichnen. Nehmen wir aber zugleich Rücksicht auf das Verhältniß, in welches unser zur Wollust und Wonne gereitztes Wesen gegen äußere Gegenstände geräth; so ist jene Bestimmung keinesweges zureichend. Wir verlangen sodann zur Begründung des Begriffs der Liebe nicht bloß eine Zuneigung zu unserm selbsteigenen Zustande, sondern auch zu den äußern Gegenständen, mit denen wir dabey ins Verhältniß kommen. Wir müssen uns diesen bey dem Gefühle der Wollust und Wonne gern annähern. Diejenige Lust, die wir bey gelingender Flucht oder Abstoßung äußerer Gegenstände empfinden, wird nicht Liebe genannt werden dürfen, wenn wir bestimmt reden wollen. Der Grund liegt am Tage; sie ähnelt zu sehr dem Genügen des fortwährenden oder gestillten Bedürfnisses.
Aber auch nicht jede Wollust und Wonne, die bey der Annäherung an äußere Gegenstände empfunden wird, kann in bestimmterer Bedeutung Liebe genannt werden. Wir nähern uns oft mit Wollust und Wonne demjenigen, was uns umgiebt, in der Absicht zu zerstören, herabzuwürdigen, in Besitz zu nehmen, oder unthätig zu beschauen. Allein nur diejenige Begünstigung unserer Sinnlichkeit ist Liebe, die mit unserer Seelensympathie verbunden ist; mit dem Inbegriffe unserer Triebe, vermöge deren wir ein gemeinschaftliches [25] Wohl mit Wesen begehren, die eines Bewußtseyns ihres Zustandes fähig sind. Nur die Wonne dieser Sympathie ist Liebe: nicht die Wonne der Selbstheit, oder des Beschauungshanges.
Es ist äußerst wichtig, die dreyfachen Modificationen unserer Sinnlichkeit, zur Selbstheit, zur Sympathie und zum Beschauungshange näher kennen zu lernen. Auf ihrer genaueren Kenntniß beruhet das ganze Gebäude dieses Werks. *)
Sechstes Kapitel.
Fortsetzung. Dreyfache Modificationen der körperlichen Sinnlichkeit zum Hang nach Ergetzung, nach wohlbehagendem Anschmiegen und nach gierigem Verzehren.
Unser Körper kommt auf eine dreyfache Art mit andern Körpern in ein engeres Verhältniß; entweder, indem er sich ihnen aus der Ferne nähert, oder sie berührt, oder sie in sich einzieht. Jeder Sinn ist dieser dreyfachen Wirksamkeit fähig, und mit jeder ist wieder eine besondere Wollust und ein besonderer Hang, diese aufzusuchen, verbunden. Inzwischen ist das Auge dasjenige Organ, das die auffallendste Fähigkeit zur fernen Annäherung, und den größten Hang zur bloßen Ergetzung hat. Die Tastungsorgane dienen hauptsächlich zur unmittelbaren Berührung, und [26] streben nach dem Wohlbehagen des Anschmiegens. Der Gaumen endlich zieht die äußern Körper ganz in sich über, und huldigt vorzüglich dem Appetit oder dem Hange nach gierigem Verzehren.
Ich will daher vorerst die Eigenthümlichkeiten dieser drey Sinne, des Auges, der Tastungsorgane und des Gaumens, in Rücksicht auf die Art, wie unser Körper durch sie mit andern Körpern ins Verhältniß kommt und genießt, etwas näher entwickeln.
I.
Das Auge kann nichts erblicken, kann noch weniger durch den Anblick ergetzt werden, wenn seine Oberfläche unmittelbar von dem äußeren Körper berührt wird. Um einen Gegenstand als sichtbar wahrzunehmen, müssen wir unsern Körper nothwendig in einiger Entfernung von ihm halten. Das Auge, in so fern es Werkzeug des Sehens ist, liegt gleichsam außer unserm Körper. Seine Wirksamkeit und seine Reitzbarkeit reichen weit über unsere Atmosphäre hinaus. Die Reitzung der Augennerven, die Bewegung der Augenmuskeln wird so wenig bemerkt, daß der Eindruck, den der Anblick auf uns macht, beynahe ganz der Seele zu gehören scheint. Kaum daß wir eine Veränderung an unserm Physischen bemerken, wenn wir unsere Augen an einer schönen Farbe oder einem reitzenden Lichte weiden. Noch weniger mögen wir durch den bloßen Anblick die Lage des angeblickten Körpers verändern. – Nichts erweckt folglich während der Ergetzung des Auges das Gefühl einer besondern Thätigkeit, und noch weniger das eines strebenden Zustandes in unserm [27] Physischen. Und dieß ist der erste Charakter eines wollüstigen Genusses für das Auge; unser Körper wird in keinen thätigen oder strebenden Zustand dabey versetzt, er genießt mit Ruhe.
Ein zweyter Charakter dieser wollüstigen Empfindung für das Auge ist darin zu suchen, daß der Körper, dessen Farbe oder Licht oder Umriß uns gefallen soll, als etwas Abstechendes und Auffallendes wahrgenommen werden, und daß er sich daher durch gewisse Grenzen von unserm eigenen Körper, und von allen andern Körpern die ihn umringen, trennen muß. Trete ich so nahe hinan, daß mein Auge nichts neben ihm wahrnehmen kann, wovon er absticht, so ergetzt er mich nicht; entferne ich mich so weit, daß die Grenzen der Körper, die ihn umringen, mit den seinigen dergestalt zusammenfließen, daß ich ihn nicht bestimmt unterscheiden kann; so ist wieder die Wollust des Anblicks dahin! Farben, die unter sich zu wenig von einander abweichen, Lichter, die zu matt und schmutzig erscheinen, Linien, die sich zu unbestimmt vom Grunde abziehen, beleidigen das Auge oder lassen es ungerührt, sowohl in der Natur als im Gemählde.
Hierdurch wird der Begriff eines Verhältnisses zwischen meinem Körper und andern Körpern außer mir gegründet, das bey anscheinender Ruhe meines Physischen aus der Ferne auf mich wirkt, und das, wenn es wollüstig von mir empfunden werden soll, die nothwendige Bedingung voraussetzt, daß ich den Körper außer mir von meinem eigenen und andern ihn umringenden Körpern auffallend getrennt und abstechend wahrnehmen muß.
II.
Ich vergleiche mit diesem Verhältnisse dasjenige, welches der Gaumen aufsucht. Er zieht den Körper, der ihm wohlschmecken soll, völlig in sich ein. Und mit welcher Thätigkeit, mit welcher Begierde! Nichts reitzt die Nerven so auffallend, als der Genuß der Nahrungsmittel; nichts bringt die Muskeln in eine auffallendere Bewegung, als das Verzehren. Kein körperlicher Trieb wirkt so anhaltend stark, und mit deutlichern Symptomen des Bestrebens, als die Gierigkeit. Der Gaumen eilt, so bald als möglich das Verlangen zu stillen, das mit einer Art von Bedürfniß auf meinen Körper wirkt.
Dieß ist also der erste Charakter des Wohlgeschmacks und der Wollust die er erweckt; mein Körper fühlt sich dabey immer höchst thätig und strebend nach Stillung eines gierigen Verlangens, und der Genuß ist der einer endenden Begierde. Der zweyte ist darin zu suchen, daß der Körper, der dieses Bestreben erweckt, dem meinigen ganz zugeeignet werden muß, wenn er mein Verlangen stillen soll. Er verschwindet für alle meine übrigen Sinne; er wird übergenommen, zermalmt, zerstört, und ein nie wieder zu trennender Theil meines Innern. Davon hängt das Gelingen meiner Begierde, davon hängt meine Wollust ab. Das unversehrte Bestehen des Körpers, der meinen Appetit reitzt, ist unvereinbar mit dessen Befriedigung.
Hier also ein zweytes Verhältniß zwischen meinem Körper und dem Körper außer mir; jener wird während des Wohlgeschmacks im Zustande der endenden Begierde wahrgenommen, dieser verschwindet, und [29] dient nur, den meinigen zu verbessern und zu vermehren.
III.
Endlich, daß meine Hand wollüstig über den sammetnen Ueberzug jenes wohlgefüllten Polsters hinfahre, welch ein ganz verschiedenes Verhältniß von den beyden vorigen!
Mein Körper berührt den Körper außer mir leibhaftig: aber es sind nur ihre Oberflächen, die sich berühren; sie treten sich einander nicht ans Innerste, ans Leben. Die Nerven meiner Haut kommen in merkliche Reitzung, meine Tastungsmuskeln streben auffallend nach außen hin; ich fühle, wie ich dadurch auf den Körper außer mir einwirke. Denn das feine Haar seiner Oberfläche schmiegt sich sanft sträubend der Richtung meines Streichelns nach, und die elastische Füllung des Polsters hebt sich den Eindrücken der anschmiegenden Hand entgegen. Dieß Gefühl ist mit einem Bestreben verknüpft, nicht sowohl ein Verlangen zu stillen, als vielmehr einen gegenwärtigen Genuß fortdauernd zu erhalten, und immer weiter auszubilden. Denn die Bewegung meiner Hand schreitet allmählig weiter fort, und dehnt sich den Eindrücken nach. Dieß ist der erste Charakter der wollüstigen Berührung; mein Körper strebt, aber weit mehr nach Fortdauer und Ausbildung des gegenwärtigen Genusses, als nach Stillung eines Verlangens. Der zweyte ist dieser: mein Körper kommt in unmittelbare Verbindung mit dem Körper außer ihm, aber ohne ihn in sich überzunehmen, ohne die Wahrnehmung seiner Fortdauer und [30] seines unversehrten Bestehens für sich, zu verlieren. Ich fühle, daß dieser Körper dem meinigen anliegt, nicht aber dergestalt an ihn angeschlossen ist, daß nicht die Trennung mit jedem Augenblicke möglich wäre, und daß wir dann Beyde wieder in unsere vorige Lage zurücktreten würden. Ja! ich muß sogar während der Berührung das Gefühl eines Widerstandes behalten, den ein nicht durchdrungener Körper leistet, wenn anders das Gefühl wollüstig bleiben soll. Schlaffheit, Gefühl des Versinkens in den betasteten Körper ist widerlich; zerstörendes Angreifen zerstört zugleich mein Vergnügen.
Und o sonderbar! Gerade die Eigenthümlichkeit, die ich an dem Körper außer mir während der Berührung wahrnehme, die geht in die Reitzung über, welche er in mir erweckt. Die Wirkung, welche ich auf ihn hervorzubringen suche, die wirkt er auf mich zurück. Er steckt mich an mit seinen Eigenheiten; er zieht mich in die Lage hinüber, worein ich ihn versetze! Seine Sanftheit reitzt mich sanft; seine Elasticität macht mich elastisch; seine Härte giebt mir eine harte Empfindung; schonende, allmählige Behandlung bringt eine allmählige Reitzung meiner Nerven hervor; ein anprallender Schlag prallt auf mich zurück.
Wie viel auffallender ist dieß noch bey der Berührung solcher Körper, die eines Dunstkreises fähig sind, und ihre Temperatur so leicht in uns ausströmen lassen. Ihre Wärme, ihre Kälte geht in uns über, und wir theilen ihnen unsere Wärme oder Kälte mit. Wie am allerauffallendsten ist dieß bey animalischen Körpern! Daß ich die weiche, sammetne Hand meiner Freundin ergreife! daß ich sie an mich ziehe, [31] streichle, drücke! Ohne diese unmittelbare Verbindung unserer Körper können meine Berührungsorgane nicht wollüstig gereitzt werden. Ich strebe also, auf diese Hand einzuwirken; ich strebe, von ihr einzunehmen. Aber wie? Schonend, und sogar mittheilend! Ich nehme von ihr, aber ich entziehe ihr nichts von ihren Eigenthümlichkeiten, von ihrem Wohl. Der Sammet dieser Haut wird dadurch nicht verdorben; die Pflaumenweiche dieses Fleisches wird dadurch nicht verhärtet! Und wenn ich sie stoßen oder hart angreifen wollte, so verlöre sich für mich selbst die sanfte Lust! Nein! ich fühle vielmehr, indem die Muskeln der fremden Hand sich den Bewegungen der meinigen anschmiegen, indem die Wärme ihrer Haut zugleich mit der meinigen zunimmt, daß der Körper außer mir meinen Zustand und mein Wohlbehagen theilt, und dieß Gefühl des äußern Daseyns und Wohls neben dem meinigen ist unerlaßliche Bedingung zu meiner höheren Lust. –
Hier sondert sich der Begriff eines dritten Verhältnisses zwischen meinem und fremden Körpern ab; jener wird im Zustande des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Verbindung und Ausbildung des wollüstigen Genusses wahrgenommen: diese dauern unversehrt fort, ungeachtet ihrer Verbindung mit jenem, und ihr Bestehen für sich, ihr Wohlbestehen, theilt sich dem Körper mit, der sie mit Schonung behandelt.
Nimmt man hinzu, daß der wollüstige Genuß des Auges zum Ruhestande des Lebens im Grunde der entbehrlichste ist: daß die wollüstige Berührung unsere [32] Lebenskraft zwar erhöhet, indem wir uns dadurch behaglicher und bequemer fühlen, aber daß wir dieses Genusses zu dem Ruhestande des Lebens allenfalls entbehren können; daß hingegen die wollüstige Stillung des Appetits für die Bedürfnisse unserer Animalität beynahe unentbehrlich scheint; so wird man den Unterschied zwischen den wollüstigen Gefühlen, die das Auge, die Tastungsorgane und der Gaumen einnehmen, noch auffallender finden.
Es bleibt mir hier noch übrig, zu sagen, wie die drey eben angegebenen Verhältnisse, in welche mein Körper zu andern Körpern kommen kann, nicht bloß durch das Mittel der Augen, der Tastungsorgane und des Gaumens entstehen. Nein! alle unsre Sinne nähern sich bald mehr, bald weniger, den angezeigten, und jedes Organ kann zur Annäherung aus der Ferne, zur Berührung und zum Einziehen äußerer Körper, auf gewisse Weise genutzt werden, dadurch drey verschiedene Modificationen unserer Sinnlichkeit erwecken, und sie durch die dreyfachen Wollustgefühle der Ergetzung, des wohlbehagenden Anschmiegens, und des gierigen Verzehrens befriedigen. Das Organ des Geschmacks kann kosten, schlürfen, schlingen; – die Tastungsorgane können austasten, streicheln, einfassen; – das Auge kann anblicken, blinzeln, gieren. – Und eben so können alle übrigen Organe nach der Art, wie sie sich mit den Körpern außer ihnen ins Verhältniß setzen, verschieden afficirt werden.
Siebentes Kapitel.
Dreyfache Modification der Sinnlichkeit der Seele zum Hange nach der Wonne der Beschauung, der Geselligkeit und des Eigennutzes.
Unsre Seele hat unstreitig so wie der Körper die Fähigkeit, sich gegen die Gegenstände, die sie sich vorstellt, in ein dreyfaches Verhältniß zu setzen. Sie erkennt entweder ihr Wesen aus der Ferne an, und betrachtet was sie sind, sie beschauet sie; oder sie versetzt sich in ihren Zustand hinein, und fühlt, was sie fühlen, sie assimilirt sich ihnen; oder sie betrachtet sie als Mittel, ihr in ihren Trieben zu helfen, und sich durch sie zu verbessern, sie eignet sich dieselben zu.
Mit jeder dieser Arten von Verhältnissen ist eine besondere Sinnlichkeit, eine besondere Wonne verbunden. Das Entzücken über den edeln und schönen Gegenstand, der ganz von meiner Person und meiner mir eigenthümlichen Lage getrennt ist; über die Geistesstärke eines verstorbenen Helden, über die Formen einer Statue, über das Ideal eines fehlerlosen Charakters, – ist offenbar verschieden von dem wohlbehagenden Gefühle eines traulichen Umgangs mit einem Zeitgenossen, der um und neben mir ist, und an dessen Daseyn und Wohl ich mich labe. Beyde Wonnegefühle unterscheiden sich aber wieder deutlich von demjenigen, welches mir der Anfall einer Erbschaft, der Fund eines Wechsels, der Gewinn eines Sclaven oder Gönners erweckt, die ich zu meinem Vortheil brauchen will, unbekümmert um ihr Daseyn und Wohl, sobald nur mein Zweck erreicht ist.
[34]Diese drey Wonnegefühle setzen einen ganz verschiedenen Zustand während der Reitzung, und ganz verschiedene Entstehungsgründe zum Voraus. Sie wirken auch ganz verschieden auf die Gegenstände, denen wir ihre Erweckung verdanken.
I.
Es ist ganz offenbar, daß unsere Seele eine Fähigkeit besitzt, die mit dem Organe des Auges die größte Analogie hat; Einen Anschauungssinn, vermöge dessen sie die Bilder, welche die Imagination ihr zuführt, erkennt und beschauet. Diesem Anschauungssinne ist eine Reitzbarkeit und eine Sinnlichkeit eigen, vermöge deren die Seele bald zur Lust oder Unlust, bald zur bloßen Zufriedenheit, bald zur Wonne aufgefordert werden kann. Was bey dieser Wonne zum Grunde liegt, braucht hier nicht entwickelt zu werden. Genug! daß unser innerer Anschauungssinn einen herrschenden Hang nach lebhaften und leicht zu fassenden Bildern hat; daß er Bilder liebt, die dunkle Rührungen, Erinnerungen an vergangene Gefühle von Lust, Vorahndungen künftiger Freuden erwecken; und daß er sogar an Bildern der obersten und allgemeinsten Begriffe der Vernunft und ihrer Gesetze, der Wahrheit, Zweckmäßigkeit und Vollkommenheit eine unmittelbare Wonne empfindet. *)
Es beruht auf ausgemachter Erfahrung, daß das Entzücken oder die Wonne des innern Anschauungssinnes mit einer merklichen Bestrebung und Anstrengung unserer erkennenden Kräfte nicht besteht, und ohne Hülfe [35] lebhafter Bilder nicht vorhanden seyn mag. Wenn wir Begriffe mühsam zusammensetzen sollen, und erst durch Vergleichungsschlüsse und Urtheile der Vernunft das Außerordentliche, Schöne, Vollkommene auffinden müssen; so wird die Wonne der Beschauung nicht erwachen. Das reitzende Bild muß eben so leicht als auffallend in unserer Seele entstehen, und instinktartig erkannt werden. Wo dieß nicht der Fall ist, da wird zwar wohl eine lebhafte Zufriedenheit über die gelungene Untersuchung, oder über die Vermehrung unserer Kenntnisse, nicht aber unmittelbare Wonne an der Beschauung erweckt werden.
Man denke sich diejenige Wonne, mit der uns das Bild der Gottheit in den auffallendsten Naturkräften rührt, und vergleiche diese mit der Zufriedenheit, die wir nach Beendigung einer metaphysischen Speculation empfinden. Man vergleiche den Eindruck, den die Darstellung der Geschichte des Regulus, als das auffallendste Bild der Aufopferung für Pflicht und Gesetzmäßigkeit, auf uns macht, mit der Beruhigung, die wir der Festsetzung des obersten Grundsatzes der Moral verdanken; – Gewiß! die mühsamen Untersuchungen, die einzelnen zusammengesetzten Begriffe, die uns keine lebhafte Anschauungen darbieten, sind nicht im Stande, uns zur Beschauungswonne zu reitzen. Sie erwecken freylich Lust, und bereiten uns Zufriedenheit, wohl gar Wonne; aber es ist eine Lust, die wir der Ueberlegung der wichtigen Folgen unsers Geschäfts verdanken; es ist die Zufriedenheit nach der Stillung eines Bedürfnisses der Erkenntniß; es ist die Wonne über die Stärke unserer Geisteskräfte, die so viel Schwierigkeiten überwunden, [36] und der Seele einen Vorrath an Wissenschaft erworben hat, auf den sie stolz seyn kann. –
Weiter: um Beschauungswonne zu empfinden, brauche ich mich nicht zu fragen: was hilft dieser Gegenstand meinen Trieben, meiner Person in meiner Lage? wozu ist er mir nütze? Ich brauche mich auch nicht in seinen Zustand hinein zu versetzen, und mich zu fragen, empfinde ich so wie er, möchte ich an seiner Stelle seyn? Alles das beachte ich nicht; ich denke nicht an mich und meine Lage zu ihm. Dieser Umstand, verbunden mit der Leichtigkeit womit ich die lebhafte Anschauung aufnehme, gründet den Charakter eines unthätigen, von allem merklichen Bestreben freyen Zustandes in meiner Seele, der zugleich den ersten Charakter der Beschauungswonne ausmacht.
Der zweyte liegt darin, daß ich das Wesen und den Zustand des angeschauten Gegenstandes nicht allein von meinem Wesen und meinem Zustande, sondern auch von dem, was andere Gegenstände darunter zeigen, auffallend unterschieden fühlen muß. Das Außerordentliche, das Ausgezeichnete in dem angeschaueten Gegenstande ist nothwendige Bedingung zu meiner Beschauungswonne, und eben darum darf ich ihn weder auf mich und meine Lage, noch auf das Wesen und den Zustand anderer Gegenstände, die ich neben ihm mir vorstelle, zu sehr zurückführen, ohne sogleich diese Art von Wonne zerstört zu sehen.
Denkt an das Entzücken, mit dem wir die Handlung einer Arria beschauen, jenes edeln Weibes, das den Dolch aus der durchbohrten Brust zog, und ihn dem Gatten, der bey der Wahl zwischen Tod und Leben anstand, [37] mit den Worten: Pätus es schmerzt nicht! überreichte!
Gesetzt, der Selbstmord wäre eine gewöhnliche Sitte unter einem Volke; gesetzt, die Geistesstärke, welche die Arria zeigte, wäre Folge einer Lage, die wir allgemein, eben so wie sie fühlten; würden wir dieser Handlung noch unsere wonnevolle Bewunderung schenken? Würde sie uns nicht bloß zum Mitleiden oder zum schwachen Beyfall auffordern? Aber auch so wie wir zu ihr stehen; dürfen wir ihre That wohl nach Rücksichten des Nutzens für uns oder für die Gesellschaft, in der wir leben, oder gar nach den Gesetzen der Moral, denen wir alle unterworfen sind, prüfen, und sie dadurch mit uns in eine gemeinschaftliche Lage setzen, ohne unsere Wonne sogleich zerstört zu fühlen? Wenn ich frage: was hilft mir ihre Geistesstärke? was würde aus der bürgerlichen Gesellschaft werden, wenn alle Weiber statt ihre Leiden zu dulden, ihnen durch den Tod ein Ende machen wollten? ist es überhaupt dem Menschen gestattet, über sein Leben zu gebieten? Bey solchen und ähnlichen Fragen, wobey ich die angeschauete Person und ihre Handlung auf die Verhältnisse aller Menschen und meine eigene beziehe, zerstöre ich den Genuß, den die Anschauung unmittelbar mit sich führt, und nur in wenigen Fällen bleibt entweder bloß die Zufriedenheit übrig, welche die praktische Vernunft empfindet, wenn sie ihre Gesetze nothdürftig beobachtet sieht, oder eine Wonne, die von ganz anderer Natur als die der bloßen Beschauung ist. Eine Zufriedenheit, eine Wonne, auf welche dann die gewöhnlichste Tugend mehr Anspruch haben kann, als die Handlung der Arria. Denn gewiß wird der Moralist die Duldung einer Hausfrau, [38] die unter den beschwerlichsten Lagen ihre stillen Pflichten treu erfüllet, mit mehr Zufriedenheit betrachten, als die einzelne glänzende That der Römerin. Und der Gatte, der die Folgen dieser Gefälligkeit seines Weibes unmittelbar empfindet, wird die Wonne, die ihm sein Umgang einflößt, für die Wonne, die verstorbene Heldin zu bewundern, keinesweges aufopfern wollen.
Aber nicht genug, daß ich den Gegenstand, der mich zur Beschauungswonne reitzt, weder nach Rücksichten desjenigen prüfen darf, was für mich besonders, noch was für alle Menschen mit mir nützlich und nothwendig ist; ich darf mich nicht einmahl in seine Lage und in seine Nähe hinein versetzen, ohne jene Wonne gestört zu sehen. Wenn ich mir denke, ich muß mich wie eine Arria durch einen freywilligen Tod den Bedrückungen der Tyranney entziehen; oder diese Arria ersticht sich an meiner Seite; gewiß! die Wonne macht den Empfindungen einer traurigen Nothwendigkeit und des Mitleidens Platz.
So muß ich also das Bild, das ich mit Wonne beschauen soll, nothwendig in demjenigen Grade von Entfernung betrachten, der hinreichend ist, das Außerordentliche, welches dieß Bild von andern Vorstellungen unterscheidet, zu erkennen, und nicht stark genug, um dieß Bild auf meinen eigenen wahren Zustand zu beziehen, oder auch mich in den Zustand des Gegenstandes dieses Bildes ganz hinein zu versetzen. Mit einem Worte: ich muß den Gegenstand seinem Wesen und seiner Lage nach von mir selbst und von andern Gegenständen, die ihm zunächst erscheinen, in meinem Kopfe isolieren.
[39]Folglich läßt sich der Charakter der Beschauungswonne dem der Ergetzungswollust für das leibliche Auge gleich setzen. In beyden fühle ich mich nicht strebend, obgleich zur unmittelbaren sinnlichen Lust gereitzt; in beyden wird als nothwendige Bedingung vorausgesetzt, daß der Gegenstand von mir und andern Gegenständen, die ich mit ihm wahrnehmen kann, durch etwas ihm Eigenthümliches auffallend unterschieden und abgesondert werde.
II.
Die Seele hat eine andere Fähigkeit, die mit dem Organ des Geschmacks an unserm Physischen Aehnlichkeit hat: eine Fähigkeit, die Gegenstände, mit denen sie sich ins Verhältniß setzt, sich zuzueignen, um durch deren Besitz ihren Zustand zu verbessern. Sie beachtet dann nicht die Eigenthümlichkeiten und den Zustand der Dinge außer sich, als in so fern sie ihr persönliches Wohl erhöhen, und ihr in ihren Trieben, Absichten, Wünschen zu Hülfe kommen können.
Diese Fähigkeit der Seele ist mit einer eigenen Reitzbarkeit und Sinnlichkeit versehen, die bald beleidigt, bald begünstigt, bald zur bloßen Zufriedenheit, bald zur Wonne aufgefordert werden kann, und nicht unpassend der Eigennutz genannt wird. Das auffallendste Beyspiel einer Wonne des Eigennutzes giebt die Befriedigung des Geitzes. Wir wollen ihre unterscheidenden Merkmahle aufsuchen.
Wir finden einen Wechsel, eine Obligation, und dieser Fund erfüllt uns mit der lebhaftesten Freude. Aber warum, und wie? Erfreuet uns die Vorstellung, daß [40] dieser Wechsel überhaupt vorhanden ist, ohne daß wir an den Gebrauch denken, den wir davon machen können? Oder jene andere, daß wir wenigstens mit und neben ihm existieren, und einen Zustand mit ihm theilen? Gewiß! keines von beyden! Das Daseyn des Wechsels hat an sich keinen Werth für uns: sein Zustand hat nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem unsrigen. Bloß die Vorstellung, daß er gebraucht werden könne, um sich das repräsentative Zeichen aller Erwerbmittel, das bare Geld, und durch dieß eine Menge von unbestimmten Genüssen zu verschaffen, giebt ihm einigen Werth in unsern Augen. Denn sollte es sich ausweisen, daß kein Geld dafür ausgezahlt zu erhalten wäre; so würden wir seiner Vernichtung mit Gleichgültigkeit zusehen. Wir beziehen ihn also deutlich auf einen bestimmten Trieb in uns, und zwar als ein bloßes Mittel, diesen Trieb zu befördern.
Aber wie? Wird der Geitzige wohl zur Wonne gereitzt werden können, wenn er diesen gefundenen Wechsel sogleich an seinen wahren Eigenthümer abgeben muß? Unstreitig nicht. Er wird nur durch die Vorstellung, daß dieser Gegenstand ein Mittel sey, ihm in seinen persönlichen Zwecken zu helfen, zur lebhaften Freude aufgefordert werden. Nur die Idee des Besitzes, des Gebrauchs für sich selbst, der Zueignung, kann ihn beglücken.
Also liegt der erste Charakter der Wonne des Eigennutzes darin, daß das Verhältniß, worin wir uns mit einem Gegenstande außer uns setzen, nur in so fern angenehm seyn kann, als wir uns in seinem Besitze als in dem eines Mittels fühlen, unsere anderweiten persönlichen Bestrebungen und Zwecke zu befördern. Das [41] Daseyn und der Zustand dieses äußern Gegenstandes läßt uns unbekümmert, wenn wir nur unsern Zustand durch die Vereinigung mit ihm vermehrt und gebessert fühlen. Wir geben den Wechsel weg, sobald wir ihn vortheilhaft umsetzen können, wir vernichten ihn, sobald er getilgt ist.
Ein zweyter Charakter der Wonne des Eigennutzes liegt darin: das Bestreben nach Vereinigung mit dem äußeren Gegenstande hört mit dem Gebrauche desselben auf; und doch ist es nur dieser Gebrauch selbst, oder dessen lebhaftes Bild, die uns reitzen und befriedigen. Der Geitzige kann an seinem Wechsel keine Freude nehmen, auf dessen Besitz keinen Werth legen, wenn er nicht daran denkt wie er ihn versilbern, oder auf andre Art durch ihn gewinnen wird. Nun gebraucht er ihn: und vorüber ist seine Freude an der Verbindung mit ihm; hin der Werth den er auf seinen Besitz legt! Also ist die Wonne des Eigennutzes allemahl die einer endenden Begierde, Folge eines gestillten Verlangens nach Vereinigung mit dem äußern Gegenstande, der nun nichts darbietet was uns weiter reitzen kann!
Seht doch, wie ähnlich dem Genusse der Wollust des Appetits! Dieser Bissen reitzt uns: warum? um ihn überzunehmen, und dadurch unsern Gaumen, unbekümmert um sein ferneres unversehrtes Bestehen, zu kitzeln. Wir haben ihn, und die Wollust endigt mit der gestillten Begierde nach der Vereinigung mit ihm; wir gieren nun nach andern, oder wir sind vor der Hand gesättigt.
Wonne des Eigennutzes beachtet also nicht die Eigenthümlichkeit und den Zustand des Gegenstandes, den sie nur als ein Mittel ansieht, ihren persönlichen Zustand zu vermehren und zu verbessern. Mit der Wonne des [42] Eigennutzes hört sogleich das Bestreben nach weiterer Vereinigung mit dem begehrten Gegenstande auf!
Es giebt unendlich viele Grade des Eigennutzes: es giebt einen gröberen und einen feineren. Sogar die Tugend kann eigennützig begehrt werden. Aber der angegebene Charakter bleibt unveränderlich. Jedesmahl, wenn ich mehr auf die Verbesserung meines persönlichen Zustandes als auf die Eigenthümlichkeit und den Zustand des Gegenstandes außer mir achte: jedesmahl, wenn die Vorstellung des gemachten Gebrauchs mein Bestreben nach weiterer Vereinigung mit ihm und nach Ausbildung des Genusses endigt; dann empfinde ich die Wonne des Eigennutzes und nicht die des Beschauungshanges, oder jener dritten Art von Sinnlichkeit, die ich nun noch zu entwickeln habe.
III.
Ich komme auf eine dritte Fähigkeit der Seele, die mit dem Tastungsorgane des Körpers die größte Aehnlichkeit hat. Vermöge dieser nähern wir uns den Gegenständen, mit denen wir ins Verhältniß kommen, achten mehr auf ihren Zustand als auf den unsrigen, aber setzen uns in diesen hinein, und legen ihn uns bey. Mit dieser Fähigkeit ist offenbar eine Reitzbarkeit und eine Sinnlichkeit verbunden: folglich auch ein Vermögen, bald zur Unlust, bald zur Lust, bald zur bloßen Zufriedenheit, bald zur Wonne aufgefordert zu werden.
Diese Sinnlichkeit darf ich die Geselligkeit nennen. Ihre auffallendsten Beyspiele liefert der Hang des Menschen mit andern Menschen zusammen zu seyn, und sich an der Vorstellung ihres Wohls zu erfreuen. [43] Allein auch unvernünftige Wesen, unbelebte sogar, können ähnliche Triebe erwecken und befriedigen.
Die Wonne, welche die Begünstigung dieser Sinnlichkeit mit sich führt, setzt zum Voraus, daß ich dem Gegenstande, mit dem ich ins Verhältniß komme, das Gefühl seines Zustandes beylege, es sey durch eine Operation der Einbildungskraft, oder durch Ueberzeugung meiner Vernunft. Sie setzt ferner zum Voraus, daß ich in dem Gefühle, das ich dem Gegenstande von seinem Wohl beylege, den Grund meiner Lust suche, indem ich mich in seinen Zustand hineinzuversetzen und seine Gefühle zu theilen strebe. Denkt an die Erheiterung, die ihr in der Gesellschaft froher Unbekannten aufsucht; denkt an die Vorbereitung, die ihr zu einem Feste macht, das eure Hausgenossen erfreuen soll; denkt an die Ueberzeugung, die ihr dem Freunde von eurer ihn beglückenden Liebe zu geben sucht; – in diesen und ähnlichen Fällen begnügt ihr euch nicht, ihre Eigenthümlichkeiten ruhig anzuschauen; sondern ihr strebt, und wornach? sie glücklich zu wissen, und ihr Wohl zu theilen. Aber euer Streben geht nicht auf den Besitz ihres Zustandes aus, um nur euch froh zu fühlen; und wenn ihr auch ihren Zustand theilt, so hört damit das Bestreben nach weiterer Verbindung mit jenen Menschen nicht auf. Ihr genießt in ihrer Gegenwart, aber ihr strebt zugleich, diesen Genuß durch fortschreitende Annäherung an ihre Person, und Beförderung ihres Wohls immer weiter auszubilden.
Schon hier sondert sich die Wonne der Geselligkeit sehr bestimmt von der Wonne der ruhig und unthätig genießenden Beschauung und des Eigennutzes ab, der nur durch Rücksicht auf einen Gebrauch genießt, der sein [44] Bestreben nach Vereinigung sogleich endigen wird. Die Geselligkeit genießt während des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Vereinigung mit dem Gegenstande, und nach Ausbildung des Genusses. Aber dieser Charakter wird noch viel bestimmter bezeichnet, wenn wir zugleich auf die Wirkung Rücksicht nehmen, die dieser Genuß auf den Gegenstand hat, der ihn uns gewährt.
Ich theile meine Aufmerksamkeit zwischen meinem Zustande und dem meiner Genossen. Ich will mit ihnen gemeinschaftlich da, gemeinschaftlich wohl seyn. Ich begnüge mich daher nicht, wie bey der Beschauungswonne, ihr Wesen, gleichsam wie eine Gestalt, ohne auf ihr Wohl zu achten, aus der Ferne zu erkennen, und mich selbst dabey zu vergessen. Nein! ich nähere mich ihnen, ich achte auf ihren Zustand, ich urtheile über ihr Wohl, und eigne mir dieses zu. Aber, was ich mir nun von ihnen zueigne, das nimmt ihnen nichts: was ich von ihnen brauche, das verbraucht sie nicht; der Vortheil, den ich von ihnen ziehe, macht sie nicht ärmer. Nein! gerade was sie mir geben, das ist dasjenige, was ich ihnen zu geben wünsche: ihr Wohl! Ich suche mich ihnen gleich zu stellen, aber nicht sie zu besitzen, noch weniger sie zu verderben oder sie zu zerstören.
Und so hat denn die Wonne der Geselligkeit die größte Aehnlichkeit mit der Wollust, die wir durch die Berührung der Oberfläche eines Körpers einnehmen. So wie bey dieser die Tastungsorgane sich an den äußern Körper anschmiegen, sich allmählig dehnen, nach engerer Verbindung und nach Ausbildung des gegenwärtigen Genusses streben; so neigt sich auch die Seele an die Gegenstände an, die sie als ihre Genossen betrachtet, und ruht gleichsam streichelnd an ihrer Seite. So wie durch [45] die unmittelbare Berührung der Körper die Weichheit, die Härte, die Wärme, die Kälte, kurz, die Beschaffenheit und der innere physische Zustand mitgetheilt wird, ohne wechselseitigen Verderb, ohne wechselseitige Zerstörung; so kann unser Geist sich seinem Genossen nähern, und mit ihm Gesinnungen, Bestrebungen, Lust und Unlust theilen, ohne die Vorstellung der Selbstständigkeit des andern zu verlieren.
Vergleicht man nun weiter diese verschiedenen Arten der Wonne unter einander in Rücksicht auf ihre Entbehrlichkeit zum gewöhnlichen Ruhestande des Lebens; so scheint die Wonne des Eigennutzes diesem am nächsten zu liegen, und am allgemeinsten empfunden zu werden; die Wonne der Geselligkeit nach jener am ungernsten aufgeopfert, und am allgemeinsten empfunden zu werden; hingegen die Wonne der Beschauung den meisten Menschen die entbehrlichste und von ihnen am seltensten gefühlte zu seyn.
Achtes Kapitel.
Fortsetzung. Begriff der Sympathie, der Selbstheit und des Beschauungshanges. Gründe, warum die Wollust und Wonne der Sympathie vorzugsweise Liebe genannt wird.
Aus diesen einzelnen Bemerkungen über die Art, wie unser Körper und unsere Seele zur Wollust und Wonne gereitzt werden, lassen sich drey allgemeinere Bestimmungen [46] unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit entwickeln, deren auffallende Verschiedenheit niemand verkennen wird. Wir können bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, und ohne Beachtung unsers eigenen Zustandes, bloß durch das Auffallende der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, den wir aus der Ferne wahrnehmen oder erkennen, zur Wollust und Wonne gereitzt werden. Der Hang, der dadurch begünstigt wird, gehört dem äußern und innern Anschauungssinn, und die Anlage zu dieser Ausgelassenheit des Lebens wird daher von mir, die Sinnlichkeit des Beschauungshanges genannt.
Wir können ferner in ein heftiges Verlangen nach dem Zustande der Vereinigung mit einem andern Gegenstande gerathen, den wir als ein Mittel zur Beförderung unserer Neigungen betrachten, und über die vollkommenste Stillung dieses Verlangens, durch den Gebrauch den wir entweder wirklich von ihm machen oder machen können, Wollust und Wonne empfinden. Die Anlage zu dieser Art der Ausgelassenheit des Lebens, die sich sowohl an unserm Körper als an unserer Seele äußert, nenne ich die Sinnlichkeit der Selbstheit. *)
Wir können endlich in ein verweilendes Bestreben gerathen, den Genuß eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit einem uns angenäherten, aber von uns noch verschiedenen Gegenstande, fortschreitend auszubilden, und die Begünstigung dieses Bestrebens kann uns mit Wollust und Wonne erfüllen. Die Anlage zu dieser Art der Ausgelassenheit des Lebens, die sowohl dem Körper [47] als der Seele eigen seyn kann, nenne ich die Sinnlichkeit der Sympathie. *)
Der Grund dieser drey Benennungen ist nicht schwer anzugeben. Der Beschauungshang ist nach der Art benannt, wie das Auge unmittelbar seine Ergetzung einnimmt. Die Selbstheit hat ihren Nahmen daher, weil wir während des Verlangens und seiner Stillung einzig oder hauptsächlich mit unserm selbsteigenen Zustande beschäftigt sind. Sympathie heißt eigentlich das Zusammenleiden, das Zusammen afficiert werden, es mag auf eine angenehme oder unangenehme Art für uns geschehen, wir mögen die Reitzung fliehen, oder uns ihr entgegenbieten. Es scheint mir aber nicht unpassend, denjenigen Hang damit zu bezeichnen, vermöge dessen wir darnach streben, uns in einen Zustand zu versetzen, den wir an andern Wesen wahrnehmen, und auf solche Art mit ihnen zu theilen. **)
Liebe heißt nun, wie schon gesagt: Wollust und Wonne der Sympathie. Wirklich wird man selbst bey dem unbestimmtesten Gebrauche dieses Worts einige Charaktere des angegebenen Begriffes aufspüren, die zu dieser Benennung Anlaß gegeben haben. Diejenigen, welche jede Begierde Liebe nennen, haben in so fern Recht, als die sympathetische Wollust oder Wonne allemahl einen strebenden Zustand voraussetzt. Diejenigen, welche Liebe Begierde nach irgend einem Gute[48] genannt haben, haben Recht, in so fern die begünstigte Sinnlichkeit der Sympathie die Beachtung unsers verbesserten Zustandes mit in sich faßt. Diejenigen, welche unter Liebe Genuß des Guten verstehen, haben gleichfalls Recht; denn die sympathetische Wonne setzt wirklich eingetretene Begünstigung unserer Lieblingstriebe nach Vereinigung zum Voraus. Diejenigen, welche die Liebe mit dem Genuß der Vollkommenheit verwechselt haben, sind wieder zu entschuldigen, weil die Sympathie die Selbstständigkeit des Gegenstandes, der sie reitzt, anerkennt, und dessen Eigenthümlichkeiten beachtet und schont. Noch erklärbarer aber wird es nun, wie Sokrates beym Plato die Liebe ein Verlangen, das Gute immer zu besitzen, nennen kann; denn es ist das Eigene dieser Wollust und Wonne, daß sie nach fortschreitender Vereinigung und Ausbildung des Genusses strebt. Man begreift nun auch, wie man um der Annäherung, Verträglichkeit und der Theilnehmung willen alle geselligen Triebe habe Liebe nennen können; wie man diesen Nahmen sogar auf den Zug nach Vereinigung zwischen leblosen Körpern, und besonders auf den Geschlechtstrieb zwischen belebten habe anwenden mögen; denn es ist auffallend, daß dieser Genuß das Angenäherte nicht verdirbt, nicht auflößt, nicht zerstört, nicht ausschließt, und nicht herabwürdigt, sondern vielmehr eine Theilung des Daseyns und Wohls zuläßt. Endlich läßt sich nun auch der Grund angeben, warum der Ausdruck: mit Liebe arbeiten, den schon die Griechen kannten, beynahe in alle Sprachen übergegangen ist; er bezeichnet den wonnevollen Genuß, den das verweilende Bestreben mit sich führt, das Werk [49] oder das Geschäft zu möglichster Vollkommenheit zu bringen, und es gleichsam als ein selbstständiges Wesen zu betrachten, dessen Wohl mit dem unsrigen genau verbunden ist.
Neuntes Kapitel.
Stufenartige Verfolgung des Begriffs der Sympathie bis zu ihrer auffallendsten Erscheinung, worin sie Liebe im engsten Sinne heißt.
Bey einiger Aufmerksamkeit auf unsere Ausdrücke werden wir inzwischen den Zug unbelebter Körper zu einander nie Liebe nennen; denn diese sind keiner Empfindung fähig. Eben so wenig wird überhaupt die Wollust der körperlichen Sympathie für Liebe genommen werden. Sie ähnelt zu sehr der Wollust der Selbstheit. Wir betrachten den Zustand des Körpers, der bey der Annäherung an die Oberfläche des unsrigen in diesen übergeht, zu sehr als Mittel zur Verbesserung unsers physischen Zustandes, und sein Wohlbestehen verschwindet zu sehr in unserm Bewußtseyn, als daß die Wollust der körperlichen Sympathie anders als in der Vergleichung mit den wollüstigen Gefühlen des Auges und des Gaumens zur Sympathie gerechnet werden könnte.
Auch die Wonne der Geselligkeit, die Thiere gegen andere Individuen ihrer Gattung und gegen Menschen äußern, wird man bey näherer Ueberlegung, nicht anders Liebe nennen, als wenn man diese Art von Sinnlichkeit mit der gröberen der Gefräßigkeit, des Triebes nach Bequemlichkeit und nach Begattung vergleicht. Hält man sie mit der Wonne der Sympathie, deren der Mensch fähig ist, zusammen; so erscheint sie selbstisch, das heißt: [50] das Thier ist außer Stande, den Zustand des selbstständigen Wesens anzuerkennen: es nimmt nur die Verbesserung seines eigenen durch das Mittel der Gesellschaft wahr.
Der Mensch, der allein den Zustand eines selbstständigen Wesens anerkennt, ihn auf den seinigen zurückführen, und sich in die Lage des andern hinein versetzen kann, der Mensch ist allein der Wonne der Sympathie, auf eine von der Selbstheit und dem Beschauungshange sich deutlich unterscheidende Art, fähig. Er fühlt allein Liebe, oder wonnevolles Streben nach fortschreitender Vereinigung und Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit einem selbstständigen Wesen.
Aber damit diese Wonne als zur Sympathie gehörig von andern Gefühlen unterschieden werden könne, ist es nothwendig, daß der Mensch den Gegenständen, an deren Zustande er durch Verwechselung mit dem seinigen Theil nimmt, die Empfindung dieses ihres Zustandes beylege. Wo dieß nicht der Fall ist, da nähert sich die Wonne der Sympathie wieder zu sehr derjenigen, die der Selbstheit und dem Beschauungshange eigen ist. Vergleichen wir den Antheil, den wir an dem unversehrten Bestehen eines alten Gebäudes, eines langerhaltenen Kunstwerks, oder an einem mit der Erschaffung der Welt zugleich entstandenen Felsen nehmen, mit demjenigen, den uns die bloße Gestalt eines schnell erscheinenden Feuerwerks, oder der Besitz eines Wechsels, eines Handwerkszeuges, eines Nahrungsmittels einflößt; dann erscheint freylich jener sympathetisch. Aber vergleichen wir ihn nur mit dem Antheile, den uns das Gedeihen [51] einer Pflanze, die Munterkeit des geringsten Insekts einflößt; so wird der erste sich entweder in unthätige Beschauungswonne oder in Wonne der Selbstheit auflösen. Wir werden das Wohlbestehen des unbelebten Wesens entweder gar nicht auf unsern Zustand zurückführen, es als eine auffallende Eigenthümlichkeit, als etwas Außerordentliches in seinem Wesen aus der Ferne anschauen, oder zu sehr daran denken, was wir dabey gewinnen, es noch ferner als ein Mittel der Belustigung oder des Nutzens uns zueignen zu können.
Es ist wahr, ich habe Hausfrauen, ich habe Gallerieinspektoren gekannt, die mit dem wahren Gefühle, als ob ihr Hausgeräthe, ihre Gemählde Empfindung hätten, diesen durch Reinigung, durch sorgfältige Aufstellung Gutes zu thun, ihr Wohl zu befördern strebten, und wahrhaft mit ihnen sympathisierten. Allein dieß beruhte auf Täuschung der Phantasie, welche diesen Gegenständen ein Gefühl ihres Zustandes beylegte.
Nach dieser Bestimmung ist Liebe eigentlich nur Wonne der Sympathie mit Wesen, denen wir Empfindung beylegen. Aber dieß ist noch nicht genug: wir müssen ihnen auch ein Bewußtseyn ihres Zustandes zutrauen. Das Gewächs, das Thier, der Säugling haben dieses nicht; wenn wir uns daher in ihren Zustand hineinversetzen, so können wir ihn doch nicht wirklich theilen; wir fühlen die Entfernung zu sehr, wir müssen uns zu stark herablassen, um Wonne an der Fortdauer eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls zu empfinden. Vergleicht man die Empfindung, die uns das Gedeihen und die Munterkeit einer Pflanze, eines Thiers, eines Säuglings, einflößt, mit derjenigen, die ihre schöne Gestalt erweckt, oder mit [52] derjenigen, die von der Betrachtung ihres Nutzens abhängt; so erscheint freylich die erste als sympathetisch. Aber vergleichen wir sie mit der Wonne, die uns der Anblick glücklicher Menschen gewährt, denen wir uns völlig gleich stellen können, so nähert sie sich der Wonne der Beschauung oder der Selbstheit. Wir denken entweder gar nicht an unsern Zustand, rechnen ihr Gedeihen und ihre Munterkeit bloß zu den auffallenden Eigenthümlichkeiten ihres Wesens, das wir aus der Ferne betrachten; oder wir denken auch ganz besonders daran, wie ihr Gedeihen, ihre Munterkeit uns erheitert und erfreut; wir beziehen sie als ein Mittel auf die Verbesserung unsers Zustandes.
Aber können wir mit höheren Wesen wonnevoll sympathisieren, mit Gott, mit Engeln, denen wir ein Bewußtseyn ihrer Seligkeit beylegen? Genau genommen: Nein! Sie sind uns zu fern, als daß wir uns in ihren Zustand hineinversetzen, und durch Beförderung ihres Wohls das unsrige zu erhöhen suchen könnten. Wir können uns nicht so hoch zu ihnen hinauf heben, um sie anders als ferne Wesen zu betrachten, deren Seligkeit einen Theil ihrer auffallenden Eigenthümlichkeiten ausmacht, oder als bloße Mittel, unsern Zustand durch ihre Wohlgewogenheit zu verbessern. Die Schwärmer, die sich von einer nähern Verbindung mit höhern Wesen überzeugt halten, sympathisieren nicht mit ihnen, sondern mit einem Bilde, dem sie menschliche Eigenschaften und einen menschlichen Zustand beylegen; und diese Art der Sympathie trägt demohngeachtet alle Symptomen der Beschauungswonne und der Selbstheit an sich. Sie verlieren sich entweder in exstatischer Entzückung, wobey alles Bestreben nach fortschreitender Vereinigung und [53] Ausbildung des Genusses aufhört, oder sie überlassen sich einem thörichten Uebermuthe, und einem geistigen Stolze, vermöge dessen sie die geträumte Verbindung als ein Mittel ansehen, ihre Kräfte zu verstärken, und sich über ihre eigene niedrigere Bestimmung, und über andere Menschen zu erheben.
Wenn höhere Wesen zu fern von uns liegen, als daß wir mit ihrem Zustande sympathisieren könnten, so liegt dagegen unser eigenes Selbst uns zu nahe, als daß wir auf dieses jenen Begriff eines fremden, durch bloße Versetzung uns angeeigneten Zustandes, anwenden möchten. Man kann sich unstreitig von einigen Vorstellungen und Bildern, die wir von unserm Selbst aufnehmen, mit Hülfe der Einbildungskraft trennen, man kann dieß abgesonderte Selbst beschauen, und an der Ausbildung seiner Kräfte, so wie an seinem glücklichen Zustande, gleichsam als an dem einer selbstständigen Person Antheil nehmen. Allein es fällt sogleich in die Augen, daß die Sympathie sich hier dem Beschauungshange und der Selbstheit zu sehr nähert, um sie bestimmt von beyden zu unterscheiden.
Liebe ist wonnevolles Streben nach Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit andern Menschen, und zwar mit solchen, die wir als wirklich lebende Personen bey und neben uns erkennen.
Liebe in diesem Sinne hat zwey sehr auffallende Merkmahle, wodurch sie sich als Sympathie ankündigt, und zugleich von allen andern sympathetischen Wonnegefühlen, mit denen uns leblose Geschöpfe, Thiere, höhere Wesen, unser eigenes Selbst und todte Menschen afficieren, [54] deutlich unterscheidet. Einmahl kann ich mir nicht verläugnen, daß der Mensch, in dessen Gesellschaft mir wohl ist, nicht bloß um meinetwillen vorhanden sey: folglich fällt mir seine Selbstständigkeit nothwendig auf; zweytens hat der Mensch unter allen Gegenständen meiner Erkenntniß die größte Aehnlichkeit mit mir, ich stehe ihm am nächsten, ich kann mich am leichtesten in seinen Zustand hineinversetzen; mithin laufe ich nicht so viel Gefahr, ihn als ein fremdes Wesen aus der Ferne zu betrachten. Die Wonne, welche mir das gemeinschaftliche Daseyn und Wohl mit dem Menschen einflößt, entfernt sich daher mehr von der Selbstheit und dem Beschauungshange, als die Wonne, womit mich die Verbindung mit jedem andern Gegenstande erfüllt.
Dieß ist die Ursach, warum die Geselligkeit gegen Menschen ziemlich allgemein mit Liebe verwechselt wird. Wer sich gut mit andern Menschen verträgt, wer gern mit ihnen zusammen ist, wer Jedermann gern munter und fröhlich sieht, wer den Vorzügen eines jeden Gerechtigkeit widerfahren läßt, wer andern Gutes thut, wem kein Vergnügen schmecken will, das er nicht mit andern theilen kann; – der heißt ziemlich allgemein ein liebender Mensch. Und das ist er auch allerdings in Vergleichung mit demjenigen, der sich im Anschauen der Gottheit verliert, oder unbekümmert um andere des Gefühls seiner eigenen Würde genießt, oder Thieren, Pflanzen, Kunstwerken, seine ganze Neigung und seine ganze Sorgfalt schenkt. Denn jener sympathisiert mit den Gegenständen, mit denen er sich ins Verhältniß setzt, da hingegen diese sie nur beschauen, oder auf ihr Selbst beziehen.
[55]Aber vergleicht man diese sympathetischen Wonnegefühle mit dem lebenden Menschen nun wieder unter sich, so nähern sich einige mehr dem Beschauungshange, andere mehr der Selbstheit, und nur eine Art derselben bleibt als reine Sympathie stehen, die wir denn auch Liebe im engsten Sinne nennen.
Gesetzt ich höre die Nachricht von den glänzendsten Fortschritten, die ein Held, der mein Zeitgenosse ist, seinen Talenten und einer außerordentlichen Verkettung der Umstände verdankt. Ich sympathisiere dergestalt mit ihm, daß jeder neue Triumph, der ihm zu Theil wird, mich mit Wonne erfüllt, und die Niederlage, die er nachher erfährt, mich in eine Art von Verzweiflung stürzt; Liebe ich? Wir wollen sehen. Der Held ist der Gefahr des Todes entkommen; er hat sich an einen sichern Zufluchtsort begeben, wo er unbekannt bloß für’s gesellige Vergnügen lebt, und seine Muße so lieb gewonnen hat, daß der Geschmack und die Kraft, etwas Großes zu unternehmen, auf gleiche Weise bey ihm verschwunden sind. Er ist in die Reihe gewöhnlicher Menschen zurückgetreten, fühlt sich aber dabey glücklicher als vorher. Dieß sagt man mir, und verfinstert dadurch das Bild des Außerordentlichen, das ich mir von meinem Helden gemacht hatte. Unwillig rufe ich aus! ich wollte, er wäre gestorben. Er hat sich überlebt!
Wie! War nun die Empfindung, die er mir eingeflößt hatte, Liebe? Wahrlich nicht mehr, als die Empfindung, die mir die poetische Darstellung von einem verstorbenen Helden einflößt, in dessen Bild ich sein außerordentliches Glück als eine auffallende Eigenthümlichkeit mit aufnehme, um sie aus der Ferne zu beschauen, [56] unbekümmert darum, ob er sich selbst glücklich gefühlt habe oder nicht.
Aber ich will wirklich, daß die Menschen um mich herum gesund, zufrieden, fröhlich seyn sollen. Traurige, mißmuthige Menschen sind mir zuwider. Ha! da sehe ich eine ganze Gesellschaft vor mir, froh bis zur Ausgelassenheit. Sie lachen, ich lache mit! Nun sympathisiere ich doch wohl mit ihnen, nun freue ich mich doch wohl des gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls? – Diese Gesellschaft, sagt mir ein dienstfertiger Nachbar, besteht aus Schauspielern, die eine angenommene Rolle spielen: ihr Frohsinn ist Schein, nicht Ausdruck wahrer Gesinnungen! – Was kümmert mich das! Stört mir nicht mein Vergnügen! Genug! ich eigne mir ihre Freude an! – O des selbstischen Menschen, der das Wohl anderer nur auf seinen Zustand als ein Mittel bezieht, um sich zu erheitern!
Weiter: ich reise durch ein fremdes Land, das von rohen Menschen bewohnt wird. Die Jagd ist gerade glücklich für sie ausgefallen, und ich treffe sie bey einem Feste an, das bestimmt ist, den zusammengebrachten Vorrath zu verzehren. Der Ausdruck ihrer Fröhlichkeit ist ungeheuchelt; ich theile ihn, ich eigne ihn mir an: und mit welcher Wonne! So glücklich sieht man doch keine Menschen in civilisierten Staaten! – Arme Menschen, ruft mir mein Genius zu: Morgen habt ihr nichts; Morgen werdet ihr Noth leiden! – Fort mit der Idee, ich reise in einem Augenblicke weiter: genug daß ich für diesen hier mit ihnen sympathisiere! – Nein! du sympathisierst nicht mit ihnen, du strebst nicht nach fortschreitender Vereinigung, nach Ausbildung [57] des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls; du genießest unthätig, ruhend, beschauend!
Ich fühle die Wahrheit dieser Erinnerungen, und beschließe, diese Menschen über ihren wahren Vortheil zu belehren, ihnen Kenntnisse beyzubringen, durch deren Besitz sie ihrer Bestimmung, dauernd glücklich zu seyn, näher rücken können. Das Schicksal unterstützt meine Wünsche; ich werde Fürst dieser rohen Nation. Sogleich setze ich allgemeine Begriffe von dem höchsten Zwecke der Menschheit fest, und entwerfe den Plan, wie meine Unterthanen am nächsten dahin zu führen sind. Ueberzeugung scheint mir auf diese rohen Menschen keine Wirkung haben zu können; ich brauche daher Gewalt, um sie aufzuklären. Sogleich verlieren sich für dieses Volk die wenigen glücklichen Tage, in deren Erwartung es die freye Armuth willig ertrug. Es verkennt meine guten Absichten; es entflieht in die Schlupfwinkel wilder Thiere, und verabscheuet mich als einen ärgern Feind der Menschen. Wen? mich, der ich mit ihm sympathisiere, der ich so eifrig strebe, es zu beglücken? – Nein! du sympathisierst nicht mit diesen Menschen, ruft mir mein weiserer Rathgeber zu, du strebst nicht nach gemeinschaftlichem Daseyn und Wohl mit selbstständigen Wesen! Du betrachtest sie als ein Mittel, das Interesse, das du an der Menschheit nimmst, zu befördern, deine Begriffe realisiert, deine Plane durchgeführt zu sehen. Und wenn du eine Wonne an ihrem Gelingen empfändest, so wäre es die Wonne der Selbstheit.
Unmuthig über diesen Selbstbetrug verlaß’ ich den Thron, übergebe ihn dem weiseren Rathgeber, und behalte mir nur vor, im Verborgenen zu der Aufklärung seines Volkes mitzuwirken. Dieß wird jetzt nach einem [58] ganz andern Plane behandelt. Wir suchen es nach und nach zu dem Genusse der Wohlthaten, die wir ihm zugedacht haben, vorzubereiten; wir suchen ihm den Geschmack an einer höheren Bestimmung einzuflößen. Es gelingt. Diese Menschen fühlen sich jetzt glücklich. Ich empfinde die höchste Wonne darüber, ob ich gleich nichts davon habe, als das Gelingen des Bestrebens nach der Ueberzeugung, daß sie sich glücklich fühlen. – Ich sympathisiere; ich liebe!
Und während daß ich so an dem Glücke des Volks, unter dem ich lebe, Antheil nehme, findet jeder Unbekannte in meiner einsamen Wohnung eine gastfreundschaftliche Aufnahme. Ich empfinde ein wonnevolles Bestreben, dem Wanderer einen schattigen Ruheplatz vor meiner Wohnung zu bereiten, und ihn gelabt mit Speise und Trank den Stab weiter setzen zu sehen. Unter ihnen kommt auch der große Mann zu mir, den ich ehmahls bewundert, und dem ich nach seinen Unfällen den Tod gewünscht hatte, damit ich durch sein längeres ruhmloses Leben nicht in der Beschauungswonne seines Glücks gestört würde. Er kommt zu mir auf der Flucht vor seinen Verfolgern; er sucht bey mir einen Schutzort. Sein Unglück hat ihn um allen den Glanz gebracht, mit dem er mir ehmahls erschienen war. Ich sehe nur in ihm den Menschen, den ich durch eine Freystatt beglücken kann. So gefährlich es ist, ihm diese zu geben, so thu ich es dennoch mit Wonne, um der bloßen Ueberzeugung willen, daß er sich glücklich fühlt. – Ich sympathisiere, ich liebe!
Zehntes Kapitel.
Endlicher Begriff der Liebe des Herzens und der Sympathie.
Ja! Liebe ist wonnevolles Bestreben nach Beförderung des Glücks eines Menschen um der Ueberzeugung willen, daß er sich selbst glücklich fühle.
Liebe ist solchemnach immer Wirksamkeit der Seele: es giebt keine Liebe des Körpers.
Liebe ist Begünstigung der Sinnlichkeit der Seele: es giebt keine Liebe aus Vernunft.
Liebe ist Wonne; Zufriedenheit der Sympathie, gestilltes Bedürfniß des Mitleidens, der Erbarmung, ist keine Liebe.
Liebe ist Bestreben; unthätiger Genuß des Frohsinns anderer ist nicht Liebe.
Liebe ist Genuß des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Vereinigung und Ausbildung der Lust: Genuß des endenden Verlangens durch den Besitz ist nicht Liebe.
Liebe ist wonnevolles Bestreben der Sympathie; Beschauungswonne am Vollkommenen, Schönen, Außerordentlichen, ist eben so wenig Liebe, als Wonne am Gelingen unserer selbsteigenen Absichten, und sollten diese auch das allgemeine Beste und die Würde aller vernünftigen Creaturen zum Zweck haben.
Liebe ist die reinste sympathetische Wonne am Glück des Menschen, den ich als Person erkenne; Liebe zur Menschheit ist feinere Selbstheit.
Liebe endlich kennt keinen andern Zweck, keine andere Belohnung, als die Ueberzeugung, daß die Person, [60] die sie zu beglücken strebt, sich selbst glücklich fühle; Trieb nach Gesellschaft, nach gemeinschaftlicher Erheiterung, nach Wohlthun, ohne Rücksicht darauf, was die Person außer mir empfindet, ist nicht Liebe.
Die Fähigkeit, diese Liebe zu empfinden, wird nun besonders das Herz genannt. Im Grunde ist dieß weiter nichts, als die Sinnlichkeit der Sympathie in ihrer höchsten Reinheit. Weil inzwischen die Sympathie sich auch auf ihren untern Stufen, da wo sie sich als körperlicher Trieb und als Hang zur Geselligkeit äußert, noch immer von der Selbstheit und dem Beschauungshange unterscheidet; so werde ich diejenige Sinnlichkeit, vermöge deren wir nach einem gemeinschaftlichen Daseyn und Wohl mit andern Gegenständen streben, fernerhin Sympathie, die Fähigkeit zur eigentlichen Liebe aber Herz nennen.
Diese Liebe ist nach meiner vorigen Ausführung weder ein bestimmter geselliger Trieb, noch ein bestimmter Akt von Wohlthätigkeit. Sie ist eine allgemeine Modification unserer wohlwollenden Gesinnungen und wohlthätigen Handlungen zu jener Thätigkeit der Seele, welche der Wonne an der Ueberzeugung, daß eine andere Person sich glücklich fühle, unmittelbar nachstrebt. Die äußern Merkmahle, die Wohlwollen verrathen, und selbst die wohlthätigen Wirkungen einer Handlung für andere Menschen, beweisen daher nichts für das Daseyn der Liebe. Freylich läßt sich diese gar nicht anders denken, als unter der Form eines thätigen Bestrebens, wohlzuthun: eines Bestrebens, daß allemahl wirksam seyn, und wohlthätige Handlungen als Folge nach sich ziehen wird, wenn die äußeren Verhältnisse es nicht hindern. Aber diese Form ist nicht so charakteristisch für [61] die Liebe, daß ein dritter Beobachter ein vollgültiges Urtheil darüber sollte fällen können, ob nicht feinere Selbstheit oder Beschauungshang dabey zum Grunde liegen. Ueber das Daseyn der Liebe entscheidet folglich hauptsächlich der Mensch, der sie hegt. Inzwischen kann auch der fremde Beobachter in sehr vielen Fällen sehr gut unterscheiden, was für eine Gesinnung beym Wohlwollen und bey der Wohlthätigkeit zum Grunde liegt. Er schließt dieß theils aus dem Charakter des Menschen im Ganzen, theils aus dem jedesmahligen Verhältnisse worunter er strebt und handelt, theils endlich aus seinem Betragen bey der Collision des Wohls anderer mit seinem eigenen. Doch! darüber mehr in der Folge.
Anhang zum ersten Buche.
Erster Excurs.
Ueber die Selbstheit und Uneigennützigkeit in der Liebe.
Ich habe in dem Texte die Untersuchung der Frage: ob alle Liebe nicht auf Selbstheit beruhe, füglich übergehen können, da nach der Art, wie ich den Begriff der Selbstheit aufstelle, die Beantwortung beynahe unnütz zu seyn scheint. Damit man mir inzwischen nicht den Vorwurf der Unvollständigkeit mache, will ich hier das Verhältniß der Selbstheit zur Uneigennützigkeit in der Liebe etwas näher entwickeln, und zugleich den Begriff des Selbstes näher festzusetzen suchen. –
So viel ist klar, die gröbste Selbstheit und die reinste Liebe, – beyde setzen das Bewußtseyn der Angemessenheit meines Zustandes zu meinem Wesen, mithin auch das Gefühl zum Voraus: ich bin es, der wohl besteht.
Ein Howard, der sich unbemerkt in die widerlichsten Behälter des Elends einschleicht, um mit Gefahr des Lebens, mit Aufopferung aller Verhältnisse, welche es den mehrsten Menschen allein schätzbar zu machen scheinen, seine hülfsbedürftigen Mitbürger zu unterstützen, ist dem gröbsten Verschlinger der Früchte dieser Erde in einem Stück völlig gleich: beyde, indem sie bey ihren Handlungen und Gesinnungen Wonne und Wollust empfinden, müssen nothwendig ihr Ich in einem ihnen wohlgefälligen Zustande fühlen.
[63]In so fern sind also alle mit Vergnügen verbundene Handlungen und Gesinnungen selbstisch, das ist nicht zu läugnen. Aber demohngeachtet wird nur der Vernünftler den Unterschied zwischen Selbstheit und Uneigennützigkeit verkennen. Das gesunde Auge des unbefangenen Beobachters betrügt sich darunter nie; es verfolgt die Aeußerungen der Selbstheit bis in ihre feinsten Schattierungen, und selten wird es, wenn es anders die Denkungsart des Menschen im Ganzen, oder auch nur seine einzelne Handlung von Anfang bis zu Ende gegenwärtig beobachten kann, darüber zweifelhaft bleiben, ob Selbstheit oder Uneigennützigkeit die Quelle sey, woraus sie geflossen ist.
Laßt einen Epaminondas, belohnt durch den Ruhm eines Sieges, den er als Feldherr erfochten hat, sich willig durch den Tod von seinen Mitbürgern trennen, und haltet ihn mit jenem gemeinen Soldaten zusammen, der gleichfalls verwundet in einer nicht entschiedenen Schlacht, sich nicht eher dem Verbande zur Rettung seines Lebens unterwerfen will, als bis er des Triumphs seiner Mitbürger gewiß, noch ferner mit ihnen fortzudauern hoffen kann. –
Seht jenen Diogenes, der sich zur freywilligen Armuth verdammt, allen Bequemlichkeiten des Lebens entsagt, um sich den Genuß der vollkommensten Unabhängigkeit zu sichern; – und betrachtet dagegen jenen Aristides, der verbannt aus seinem Vaterlande den Himmel anfleht, daß die ungerechten Athenienser nie genöthigt werden mögen, sich nach seiner Wiederkunft zu sehnen. –
Erinnert euch des Mannes mit der feurigen Einbildungskraft, der sich nach der bloßen Beschreibung [64] von einem Weibe heftig in dasselbe verliebt, Jahre lang um die entfernte Geliebte trauert, und nun nach endlich gelungener Vereinigung sich wieder von ihr zu trennen sucht, um sich an dem Bilde seines Gehirns zu freuen; – und vergleicht mit ihm das liebende Mädchen, das in dem Bilde seiner glücklichen Nebenbuhlerin nur die Wohlthäterin des Geliebten erblickt. – Wird ein unbefangener Beobachter in diesen Beyspielen den Unterschied zwischen Selbstheit und Uneigennützigkeit verkennen?
Unstreitig haben jener Epaminondas und dieser gemeine Soldat, jener Diogenes und dieser Aristides, jener Begeisterte und dieses wirklich liebende Mädchen das Bewußtseyn eines Ich’s gehabt, das einen Zustand von Lust oder Unlust an sich wahrgenommen hat. Unstreitig haben alle diese Personen Triebe gehegt, deren Beleidigung oder Begünstigung sie in ihrem Willen bestimmte: die gleichsam die Trompen oder Fühlhörner ausmachten, woran sie den Reitz zur Lust oder Unlust empfingen, und die zwischen ihrem Ich und den Gegenständen, die sie reitzten, in der Mitte lagen. Diese Triebe machten ihr Selbst aus.
Aber fühlt ihr nicht, daß es ganz etwas anders sey, ein solches Selbst annehmen zu müssen, es nach geendigter Reitzung und Bestimmung unsers Willens ausfinden zu können; oder es während des Affekts deutlich zu beachten, erst durch Beziehung des begünstigten Triebes auf den Zustand und das Wohl unserer Person, zum Wollen oder Nichtwollen bestimmt zu werden? Epaminondas findet seine Ruhmbegierde befriedigt, und dadurch seinen persönlichen Zustand verbessert; – nun verläßt er gern sein Vaterland und seine Freunde, die ihm nur zu Mitteln dienten, seine Hauptleidenschaft zu begünstigen. [65] Der gemeine Soldat sieht seinen Ruhm und sein Wohl nur in dem seiner Landesleute. Sind sie unglücklich, so ist ihm sein Daseyn nichts mehr werth; sind sie glücklich, so will er sich mit ihnen erhalten. Wie verliert sich hier die Beachtung des persönlichen Zustandes so ganz unter der Aufmerksamkeit auf den Zustand der fremden Personen, die ihm zunächst stehen?
Diogenes opfert seinem geistigen Stolze alle Achtung auf, die er seinen Mitbürgern schuldig ist; er nutzt vielmehr ihr Mißfallen an ihm, das Gefühl seiner Unabhängigkeit zu erhöhen. Bezieht er nicht offenbar die Begünstigung seiner herrschenden Leidenschaft auf das Wohl seiner Person, und vernachläßigt dagegen das Wohl seiner Nebenmenschen? Aristides hingegen achtet nur auf dieß: er vergißt was das Wohl seiner eigenen Person erheischt. Zwar kann man auch hier einen geistigen Stolz hervorsuchen, aber aller Aufwand von Witz wird uns nicht überreden, daß der Edle in dem Augenblicke der Aufopferung für sein Vaterland mehr an die Begünstigung dieses Stolzes, als an das Wohl seiner Mitbürger gedacht habe.
Einen ähnlichen Unterschied wird man zwischen dem liebenden Mädchen und dem begeisterten Liebhaber finden. Dieser nutzt offenbar das lebende Original als ein bloßes Mittel, seine Phantasie mit einem Bilde zu füllen, und bezieht die Begünstigung dieses Triebes auf die Verbesserung seines Zustandes durch Spannung seines Kopfs. Der Zustand der Person, die den Stoff zu dem Bilde hergegeben hat, kümmert ihn nicht. Das liebende Mädchen hingegen, das sogar in seiner Nebenbuhlerin diejenige sieht, die seinen Geliebten beglückt, verliert sich [66] ganz in seinem Wohl, empfindet noch Wonne, da wo es sich selbst zertrümmert.
Diese Zergliederung, dünkt mich, offenbart sogleich den Begriff des Selbstes und der Selbstheit.
Das Selbst heißt so viel, als dasjenige Ich, das durch Trennung von andern Gegenständen außer mir, besonders von vernünftigen Wesen, und durch Entgegenstellung gegen diese, wahrgenommen wird, und als etwas für sich bestehendes meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das Selbst heißt also nicht so viel als, das Ich, dessen ich mir bewußt bin, sondern so viel als, das Ich, das ich beachte.
Das bloße Bewußtseyn: ich bestehe, ich lebe: das bloße Bewußtseyn, daß mein Grundtrieb nach Wohlbestehen meines Wesens überhaupt begünstigt oder gehemmt wird, folglich daß ich mich im Zustande der Lust oder Unlust befinde; beydes gehört zu den völlig unerklärbaren, keiner Operation meiner wahrnehmenden und erkennenden Kräfte bedürfenden Ichgefühle, das auf keine Weise von irgend einem Momente meines Lebens, oder von irgend einer Bestimmung meines Willens getrennt werden mag. Es begleitet die schwächste Willensregung, so wie die stärkste Begierde; es findet sich in der uneigennützigsten Beschauungswonne, so wie in der Wollust des gröbsten Eigennutzes: es verläßt uns nicht im Schlafe, vielleicht nicht im Tode, vielleicht nicht beym Verlust unserer Individualität, und endigt erst mit dem Begriffe unserer Existenz.
Ganz anders verhält es sich mit dem Selbstgefühle. Dieß setzt allemahl eine deutliche Wirksamkeit der, die Erscheinungen an meinem Wesen unterscheidenden, wahrnehmenden und erkennenden Kräfte zum [67] Voraus: eine Beachtung, eine Aufmerksamkeit auf ein Etwas an meinem Ich, wodurch ich mich von andern Gegenständen, die nicht zu meinem Ich gehören, als etwas besonderes, für sich bestehendes konstituire. Diese Beachtung, diese Gründung meines besondern Ich’s, kann nicht Statt finden, wenn ich dieß Ich nicht in irgend einer meiner Eigenschaften und Zubehörungen, oder in ihrem ganzen Inbegriffe aufnehme, und mich damit einem Dinge entgegenstelle, das zu jenen Adhärenzen, einzeln oder im Ganzen betrachtet, nicht gehört. Das Ich wird erst dann etwas bemerkbares, wenn es in eine Empfindung meines Körpers, oder in ein Bild einer Eigenschaft meiner Seele, oder eine Beschaffenheit meiner Verhältnisse, oder gar in das Bild eines Inbegriffs aller dieser Dinge zusammen eingekleidet, und so den wahrnehmenden und erkennenden Kräften zur Bemerkung vorgestellt wird. Sonst bleibt das Ich ein mir zwar nicht unbewußtes, aber doch unbeachtetes Etwas.
Beyspiele werden die Sache deutlicher machen.
Ich weiß ununterbrochen, daß ich einen Körper habe der nicht einer der Körper ist, die mich umgeben. Aber erst bey einer auffallenderen Berührung bringe ich den Unterschied zwischen meinem Leibe und den Körpern außer mir in Anschlag, und beachte mein Selbst, indem ich fühle: mein Ich berührt.
Ich weiß ferner ununterbrochen, daß ich neben dem Körper eine Seele besitze, und daß diese ein höheres und ein niederes Wesen, einen Geist und einen Instinkt in sich birgt. Aber wann bringe ich die in Anschlag? Nur dann, wenn ich aufgefordert werde, diese Dinge an mir unter sich einander entgegen zu stellen, und mein Ich[68] unter dem Bilde des einen oder des andern zu denken. So sag’ ich mir, mein Körper ist nicht mein Selbst, mein Instinkt ist nicht mein Selbst, mein Geist ist mein wahres Selbst, das bin Ich.
Ich weiß ferner ununterbrochen, daß ich unter gewissen Verhältnissen lebe, die keinesweges die nehmlichen mit denen anderer Menschen sind, die neben mir existieren. Aber ich achte nicht beständig darauf, sondern nur dann, wenn diese äußern Verhältnisse mit meinen mir enger anklebenden Eigenthümlichkeiten, oder mit den Verhältnissen anderer Wesen verglichen werden. Dann denke ich erst: mein Ruhm, mein Vermögen ist noch nicht mein Selbst: oder auch, beydes gehört mir selbst, nicht andern.
Endlich weiß ich ununterbrochen, daß der Inbegriff aller meiner Eigenschaften und Beschaffenheiten, wodurch ich mich als ein einzelnes Individuum von allen andern Wesen meiner Art, folglich noch mehr von allen andern Wesen, die nicht einmahl der Art nach zu mir gehören, unterscheide, ich weiß, sage ich, daß dieser Inbegriff meine Person ausmacht. Aber wann denke ich daran? Nicht eher, als bis ich diese meine Person andern Personen entgegenstelle, und mir sage: ich bin es selbst, nicht er.
Also: Alles, was ich als meinem Ich (mir) zugehörend, und mein Ich (mich) von andern Gegenständen trennend, beachte, das macht mein Selbst aus.
Dieß Selbst ist bald gröber, bald feiner. Je entfernter das Attribut, worin ich mein Ich betrachte, meinem Geiste, als der letzten Adhärenz und dem weitumfassendsten Theile meines Wesens liegt; um desto materieller, gröber, wird mein Selbst, um desto enger [69] und unzusammenhängender mit der übrigen Welt wird das Ich, das durch Beziehung der äußern Gegenstände auf sein Wohl oder Weh gereitzt werden kann: um desto größer wird die Zahl der Wesen, die ich als mir entgegenstehend betrachten muß. Je näher es hingegen meinem Geiste liegt, um desto feiner wird das Selbst, um desto mehr gewinnt es an Umfang desto kleiner wird die Zahl der entgegenstehenden Wesen.
Aber dieß Selbst mag nun so grob oder so fein seyn, als es will, so ist es eines Zustandes von Wohl und von Weh, von Verbesserung und Verschlimmerung, von Vermehrung und Verminderung fähig. So bald ich nun zur Bestimmung meines Willens den Gewinn und den Verlust meines Selbstes vorgängig in Anschlag bringe, so empfinde ich Selbstheit. Besonders aber wird diese da erkannt, wo ich den Zustand meines Selbstes dem Zustande anderer vernünftigen Wesen entgegenstelle, den meinigen von dem ihrigen trenne, und, mit Vernachlässigung ihres Wohls, sie nur als Mittel betrachte, das meinige zu befördern.
Selbstheit ist daher die Neigung, unser Ich getrennt von andern Wesen zu beachten, und sich durch vorgängige Ueberschlagung unsers individuellen Wohls oder Weh’s in unserm Willen bestimmen zu lassen. In so fern wir unser Ich besonders vernünftigen Wesen entgegensetzen, ist Selbstheit die Neigung, diese, mit Vernachlässigung ihres Zustandes, auf das Wohl des unsrigen, wie Mittel zum Zweck zu beziehen.
Die Aufmerksamkeit, welche wir auf unsere Individualität und ihren Zustand, mit Vernachlässigung der Individualität und des Zustandes anderer Wesen, wenden, [70] ehe wir uns in unserm Willen bestimmen, diese macht das Wesen der Selbstheit aus.
Die gröbste Selbstheit zeigt der Geldgeitzige, derjenige, der sein Ich in seinem Schatze beachtet, und diesen sein Selbst nennt. Denn dieß Selbst liegt von dem Geiste des Menschen entfernter als alle seine andern Attribute, und hängt am unsichersten und zufälligsten mit seinem Wesen zusammen. Dieß Selbst ist ferner äußerst eng, weil nur wenige Gegenstände in der Welt es reitzen können, und ihm beynahe Alles für sein individuelles Wohl gleichgültig erscheinen muß, was nicht den Geldhaufen vermehrt. Es ist aber zugleich einer Menge von Wesen entgegenstehend; weil der Reichthum ohne Ausschließung anderer Individuen vom Mitbesitz nicht gedacht werden mag,
Beynahe eben so grob ist die Selbstheit dessen, der nur für seinen Gaumen Sinn hat. Dieß Selbst liegt dem Geiste gleich fern, ist eben so eingeschränkt und eben so ausschließend. Etwas feiner ist die Selbstheit desjenigen, der in den Freuden der körperlichen Geschlechtssympathie, der augenblicklichen Unterhaltung seines Gemüths, kurz, in demjenigen, was man gewöhnlich Sinnlichkeit nennt, sein Ich erkennt. Noch feiner ist die Selbstheit dessen, der geistigen Trieben nach Wissen, Erkennen, Nachruhm, Erhebung über andere Geister u. s. w. huldigt. Am allerfeinsten aber zeigt sich die Selbstheit da, wo wir in den Trieben des Beschauungshanges und der Sympathie unser Ich beachten, und uns durch Ueberschlagung des Gewinns für diese Triebe in unserm Willen bestimmen lassen. Der Mensch, der sich nicht anders als im Zustande der Contemplation und der Begeisterung wohl fühlt, und darum Bilder [71] des Außerordentlichen, Edeln und Schönen aufsucht; der Mensch, der darum gern das Glück anderer Menschen befördert, weil er gern frohe Gesichter um sich her sehen mag, und traurige flieht; beyde huldigen der feinsten Selbstheit. Sie sind noch sehr von denjenigen verschieden, die, ohne ihr Ich in ihrer gespannten Einbildungskraft, oder in ihrem sympathetisch interessierten Herzen zu beachten, ohne die Gegenstände nach ihrer Fähigkeit, zu begeistern und zu rühren, in Anschlag zu bringen, unmittelbar den Gefühlen des Schönen und Edeln, und denen der Liebe huldigen.
Nach dieser Erklärung von der Selbstheit läßt sich nun der Begriff der Uneigennützigkeit, als einer ihr entgegengesetzten Anlage unserer Reitzbarkeit, sehr leicht festsetzen. Es kann darunter durchaus nicht die Fähigkeit verstanden werden, ohne Empfindung von Lust oder Unlust, ohne Bewußtseyn des Wohlbestehens unsers Wesens, unsern Willen bestimmt zu fühlen. Denn sonst würden wir uns den Empfindungen, die wir erhalten, nicht überlassen, sondern ihnen aus allen Kräften entgegen arbeiten. Die stärkste Aufopferung setzt dennoch das Gefühl des Wohlbestehens unsers Wesens in diesem Zustande zum Voraus. Wie wär’ es sonst möglich sich der Aufopferung entgegen zu bieten, oder sie zu wollen? Nur dadurch unterscheidet sich die Selbstheit von der Uneigennützigkeit, daß wir bey dieser unser Wesen nicht erst von andern Wesen trennen, es als etwas Besonderes beachten, und den Zustand, dem wir uns entgegenbieten, nach Gewinn und Verlust für die beachtete Individualität berechnen. Da wo unsere Aufmerksamkeit von unserm Selbst und seinem individuellen Wohl ab, hingegen auf die Selbstständigkeit des äußern [72] Wesens und auf dessen Wohl bey der Bestimmung unsers Willens hingeleitet wird, da ist Uneigennützigkeit vorhanden.
So wie die Selbstheit besonders in der Habsucht erkannt wird, so wird die Uneigennützigkeit besonders in dem Beschauungshange erkannt. Denn während seiner Wirksamkeit werden wir bey dem Mangel seiner Bestrebung, die sich den Besitz eines Gegenstandes zueignen, oder sich in seinen Zustand hineinversetzen möchte, gar nicht auf unsere Triebe, mithin auch nicht auf unser Ich aufmerksam gemacht. Wir achten bloß auf die Eigenthümlichkeiten des beschaueten Gegenstandes. Inzwischen wird die Liebe in dem Sinne, worin ich sie genommen habe, doch für den uneigennützigsten aller Affekte gehalten. Denn wenn wir gleich dabey gewinnen, die Ueberzeugung von dem Glück einer andern Person zu erhalten, mithin offenbar das Bild eines begünstigten Strebens, folglich auch eines verbesserten Selbstes in uns entsteht; so verliert sich doch dieser Gewinn [in Vergleichung] mit der Aufopferung, die wir durch das thätige Bestreben, die fremde Person zu beglücken, von manchem eigennützigen Triebe bringen. Vergleichen wir den Menschen, der sich an dem Anblick eines todten Kunstwerks, oder an der Anschauung eines Bildes seiner Phantasie ergetzt, mit demjenigen, der nach Vermögen, nach Ehre, oder auch nur nach Erheiterung durch den Anblick des Frohsinnes strebt: so erscheint jener als der Uneigennützigste, weil er seine Aufmerksamkeit am meisten auf die Gegenstände außer sich, und am wenigsten auf den Gewinn für sein eigenes Selbst richtet. Vergleichen wir ihn aber mit dem Menschen, der das Wohl anderer Personen zu befördern strebt, um der bloßen Ueberzeugung willen, daß sie sich glücklich [73] fühlen; so wird er diesem nachstehen müssen. Denn ob der Liebende gleich ein Bild von seinem Ich beachtet, so fühlt er doch zugleich, daß sich dieß Selbst in dem des glücklichen Menschen verliert; und dennoch empfindet er Wonne bey seinem Verluste. Der Beschauer vergißt bloß sein Ich, der Liebende beachtet es, aber opfert es wissentlich auf.
Zweyter Excurs.
Warum das Herz oft für Selbstheit und Sympathie im Gegensatze des Beschauungshanges; oft für diesen und Sympathie im Gegensatze der Selbstheit; dann wieder nur für Sympathie mit dem Menschen, und im engsten Sinne für Fähigkeit zur Liebe genommen wird.
Wir haben gesehen, daß einige Arten von Wonne mit einem Bestreben verknüpft sind, andere nicht. Dieß setzt eine doppelte Anlage in uns zum Voraus, von denen die eine das Bestrebungsvermögen, die andere das Gefühlvermögen genannt wird.
Die Wirksamkeit des Bestrebungsvermögens wird viel stärker empfunden, als die des Gefühlvermögens, und daher ist die Wonne, welche mit Bestrebung oder Begierde verknüpft ist, viel auffallender und merklicher, als diejenige, welche dieß Bewußtseyn nicht mit sich führt.
Diejenige Anlage also, welche wir für Bestrebung und Begierde haben, verdient besonders unsere Reitzbarkeit, unsere Sinnlichkeit, mithin auch unser Herz genannt zu werden. Daher geschieht es denn, [74] daß das Herz mit unserm Bestrebungsvermögen sehr oft in einem Sinne genommen wird.
So oft wir nun die verschiedenen Grade der Reitzbarkeit unter einander vergleichen, und dabey bloß auf die Lebhaftigkeit, mit der wir gereitzt werden, Rücksicht nehmen, nennen wir nur unsere Anlage zur Wollust und Wonne der Selbstheit und der Sympathie, das Herz.
Die Wonne des Beschauungshanges wirkt nicht auf dieß Herz, weil sie nur unser Gefühlvermögen, und nicht unser Bestrebungsvermögen reitzt, mithin uns minder lebhaft afficiert. Das Außerordentliche, das Vollkommene, das Edle und Schöne, bringt an sich nur einen unthätigen Affekt bey uns hervor. Wir überlassen uns ihm, aber wir streben nicht ihn auszubilden, indem wir uns dem Gegenstande mehr nähern, auf ihn einwirken, und ihn auf unsere Verhältnisse beziehen. Er interessiert also nicht unser Selbst. Dagegen interessiert die Wonne der Selbstheit und der Sympathie unser Selbst. Das Nützliche, das Schätzungswerthe, Achtungswürdige, das gesellige Erheiternde und Liebenswürdige, alles dieß versetzt uns in den Zustand des Strebens und des Begehrens. Darum wird die Fähigkeit, uns lebhaft für etwas zu interessieren, und vermöge dieses Interesses Wonne zu empfinden, im Gegensatz gegen die Fähigkeit, ohne Interesse Wonne an der bloßen Beschauung zu haben, das Herz genannt.
So sagen wir von schönen Kunstwerken, daß sie nicht allein etwas für den Sinn des Schönen, (eine Modification des Beschauungshanges,) sondern auch etwas für das Herz liefern müssen; und wieder: daß es nicht genug sey, wenn der Künstler unser Herz zu interessieren [75] im Stande sey, sondern daß er auch unsern Sinn des Schönen befriedigen müsse. Und die Reitzung dieses Herzens wird um so auffallender wahrgenommen, je näher der Künstler seine Darstellungen unserer individuellen Lage bringt, je mehr er sich in unsere Plane, Absichten, Zwecke u. s. w. hineinzudenken weiß. Ja! der Redner, der uns zum thätigen Bestreben, zum Handeln bringen will, geht auf unser Herz los, wenn er unsern herrschenden Begierden schmeichelt, und eine Angelegenheit, die er hat, zu der unsrigen zu machen weiß.
Um hier das Herz von unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit zu Affekten des Beschauungshanges zu unterscheiden, pflegt man die letztern den Kopf zu nennen; eben weil die Thätigkeit des Wahrnehmens und Erkennens die einzige ist, deren wir uns während solcher Affekte bewußt sind, und die Sehkraft und das Erkenntnißvermögen ihren Sitz an und im Kopfe haben.
So modificiert sich der Begriff des Herzens bey einer bloßen Vergleichung der verschiedenen Zustände unserer gereitzten Sinnlichkeit. Sobald wir aber unsere verschiedenen Verbindungsarten mit den Gegenständen außer uns in Rücksicht nehmen, so erhält der Ausdruck Herz eine ganz verschiedene Bedeutung. Dort war es der höhere Grad intensiver Stärke unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit, ihre größere Lebhaftigkeit, welche den Nahmen vorzugsweise auf sich zog: hier ist es der höhere Grad der Ausdehnung, der Feinheit unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit, welche ihn vorzüglich zu verdienen scheint. Nun ist gewiß die Reitzbarkeit desjenigen Menschen, der sich durch den bloßen Beschauungshang und durch Sympathie zur Wonne einladen läßt, viel ausgebreiteter und feiner, als diejenige des Menschen, [76] der nur für Wollust und Wonne der groben Selbstheit Sinn hat. So werden wir denn nie sagen, daß der Wohlgeschmack, der Genuß des befriedigten Geldgeitzes oder der Ehrbegierde u. s. w. Affekte des Herzens sind. Wir schreiben demjenigen kein Herz zu, der gegen die Vollkommenheit und Schönheit der Natur und der Kunst, gegen das Wohl und Weh seiner Mitmenschen unempfindlich ist. Hingegen leihen wir demjenigen ein Herz, der Beschauungshang und Sympathie äußert.
Nun aber kommen wir stufenweise zu der engsten Bedeutung des Herzens, indem wir die verschiedenen Grade unserer Reitzbarkeit in unsern Verhältnissen zum Menschen betrachten. Derjenige, der sich nur lebhaft für die Menschen interessiert, wenn er sie als Mittel zur Begünstigung seiner gröberen Selbstheit betrachten kann; derjenige, der nur dadurch Anspruch auf eine feinere Reitzbarkeit machen kann, daß er sie unthätig beschauet; die haben beyde kein Herz.
Eher schon derjenige, welcher die Menschen als Mittel, seine geselligen Triebe zu befriedigen, mit feinerer Selbstheit genießt. Aber gewiß am allerunzweydeutigsten derjenige, der bloß um der Ueberzeugung willen, daß der Mensch außer ihm zufrieden mit seinem Schicksale sey, Wonne an der thätigen Bestrebung fühlt, zu dessen Glücke etwas beyzutragen. Ein solcher Mensch hat den höchsten Grad von lebhafter und feiner Reitzbarkeit zu gleicher Zeit: der hat wirklich ein Herz, wenn je einer eines haben kann.
Zweytes Buch.
Wesen der Liebe, als dauernde Anhänglichkeit betrachtet. *)
Erstes Kapitel.
Einleitung.
Gespielen meiner Jugend! Ihr, von denen ein Theil mir noch gegenwärtig die ungemischtesten Freuden des Lebens bereitet; ein anderer, durch Tod und weite Entfernung von mir getrennt, mein Herz mit wehmüthigen und dennoch süßen Erinnerungen erfüllt! – Brüder, edle Brüder! ihr, mit denen ich lange die Pflichten und die Freuden des Hausgenossen theilte, Hand in Hand die Bahn verfolgte, welche die Würde, einem Stamme guter Bürger anzugehören, vorschrieb, und denen ich jetzt bey der ehrenvollen Bestimmung, fürs Vaterland zu kämpfen, nur mit meinen Bekümmernissen und meinem Zurufe folgen kann! – Vor allen aber du, [78] mir selbst gewählter Vater, erster meiner Freunde, Führer, Leiter meiner Jugend, Stütze meines reifern Alters! Euer Andenken soll besonders in meiner Seele herrschend seyn, während daß ich liebende Anhänglichkeit von der bloß liebenden Aufwallung unterscheide.
Zuneigung ist das Werk eines Augenblicks, aber Anhänglichkeit setzt Angewöhnung zum Voraus, unsere Zuneigung auf eine bestimmte Person zu richten.
Schon Thiere machen uns aufmerksam auf diesen Unterschied. Seht das freundliche Windspiel an, wie es durch Anschmiegen und reitzende Wendungen hüpfender Spiele jedem Vorübergehenden zu schmeicheln, und Freude um sich her zu verbreiten sucht! Dagegen beißt der mürrische Hund des Hirten jeden Fremden von sich ab, nimmt Speise und Liebkosung nur von der Hand des angewöhnten Herrn, begehrt wehklagend nach dessen Gegenwart bey der kleinsten Trennung, und wird selbst durch die härteste Begegnung nicht von ihm zurückgewiesen. Ja! man erzählt, was unser Herz so geneigt ist zu glauben, daß Thiere dieser Art, gleich trostlosen Geliebten, ihr Leben auf dem Grabe des geraubten Freundes geendigt haben. *) Eine gleiche Verschiedenheit [79] zeigt die Natur gewisser Geflügel. Der Haushahn ist unstreitig einiger sympathetischen Gefühle, die liebenden Aufwallungen ähneln, gegen die ihm zugelaufenen Weibchen fähig. Er kratzt für sie das Körnchen auf, dessen Genuß er selbst entbehrt, und zu dem er sie herbeylockt. Aber jedes neue Weibchen kann das verlorne ersetzen, wenn der mörderische Stahl die angewöhnte Gattin von seiner Seite gerafft hat.
Wie ähnlich ist die Verschiedenheit der Charakter der Menschen, diesen verschiedenen Anlagen der Thiere! Wie viele giebt es unter ihnen, denen die Natur viel Sympathie, viel allgemeines Wohlwollen ins Herz gelegt hat, und die bey dem stets regen Wunsche, daß Alles froh und zufrieden um sie her sey, sich an keine einzelne bestimmte Person hängen können! Wie viele, die eben so unfähig sind, die stärkeren Pflichten zu erfüllen, welche engere Verbindungen auflegen, als ihre höhern Süßigkeiten zu genießen! Wie wenig beweiset auf der andern Seite die stärkste Anhänglichkeit an eine bestimmte Person für allgemeine Menschenliebe! Man pflegt zu sagen; Allmanns Freund Niemands Freund! Laßt uns mit eben dem Rechte sprechen: Freund der Person, fremd der Art! So selten geht beydes neben einander.
Zweytes Kapitel.
Begriff der Anhänglichkeit; nicht jede ist liebend.
Anhänglichkeit überhaupt heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, von der Vorstellung unsers Verhältnisses zu einer bestimmten Person zu Gefühlen von Lust gereitzt zu werden.
Sie kann höchst eigennützig seyn, diese Anhänglichkeit; oft kann Wonne der Selbstheit, oft Wonne des Beschauungshanges hauptsächlich bey ihr zum Grunde liegen. In beyden Fällen ist sie nicht liebend. Auch Handlungsgenossen können an einander hängen, weil sie sich angewöhnt haben, auf die Kenntniß ihrer wechselseitigen persönlichen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit die Hoffnung eines Antheils am gemeinschaftlichen Gewinnste zu gründen. Es giebt Anhänglichkeiten, die auf einem feineren Eigennutze beruhen. So hängt oft der anschreitende Ehrgeitzige dem Manne von gegründetem Rufe an, um durch ihn in die Laufbahn des Ruhmes eingeführt zu werden. So der Helfer an dem Hülfsbedürftigen, weil er es selbst ist, der hilft. Ja! man hängt sich oft an, um sich durch Anhänglichkeit auszuzeichnen! Was sagen wir von den Anhängern gewisser Häupter von Religionssekten, von politischen Parteyen, von Schulen in der Philosophie? Liegt nicht oft bloße Bewunderung des Außerordentlichen ihrer Lehrsätze und ihrer Handlungsweise dabey zum Grunde? Haben nicht zuweilen selbst die blutdürstigsten Tyrannen bloß darum Anhänger gefunden, weil sie ausgezeichnet hassenswerth und von seltener Abscheulichkeit waren?
[81]Es giebt also viele Anhänglichkeiten, die nicht liebend sind. Es giebt aber andere, die es sind; und dieser Natur will ich jetzt entwickeln.
Drittes Kapitel.
Jede Anhänglichkeit, selbst die liebende, ist ein Gewebe der allerungleichartigsten Affekte.
Es ist zweifelhaft, ob es irgend einen Akt von Wohlthätigkeit, wozu uns der Affekt der Liebe unmittelbar auffordert, geben könne, der nicht bereits eine Mischung von Reitzungen der Selbstheit und des Beschauungshanges in sich fasse. Es ist zweifelhaft, ob während der Dauer, welche alle Mahl vorauszusetzen ist, wenn wir das wonnevolle Bestreben, einen andern zu beglücken, durch Handlungen äußern, nicht unvermerkt der Eigennutz und der Sinn des Edeln und Schönen mit ins Spiel kommen.
Wer wagt es zu entscheiden, ob während der Zeit, worin ich den Wanderer mit Liebe in meinem Hause bewirthe, oder die muntern Spiele mir unbekannter Schnitter mit Liebe zu befördern suche, ob, sage ich, nicht zugleich die Vorstellung in mir entsteht, in ähnlichen Fällen hast du auf gleiche Wohlthaten zu rechnen; ob nicht die Form frohgesinnter Menschen unmittelbar als Bild auf Sinne und Einbildungskraft wirken? Wer, frage ich, will dieß entscheiden? Genug, daß die Wonne der Liebe dergestalt in diesem Zeitraume hervorsticht, daß die Reitzungen des Eigennutzes und des Beschauungshanges darunter verschwinden.
[82]Aber während der Anhänglichkeit an einer bestimmten Person, welche schlechterdings eine Stimmung von längerer Dauer voraussetzt, ist es nicht mehr zweifelhaft, sondern gewiß, und sogar nothwendig, daß neben den Affekten der Liebe auch Affekte des Eigennutzes und der Beschauung ihre Wirksamkeit deutlich an unserm Wesen äußern. Jede Anhänglichkeit überhaupt ist ein Gewebe der ungleichartigsten Triebe, welche ihre Richtung auf eine bestimmte Person genommen haben, und von dieser gereitzt und begünstigt werden.
Denkt euch, meine Freunde, die engere Genossenschaft zweyer Spitzbuben, die sich um ihres wechselseitigen Beystandes willen zum gemeinschaftlichen Raube mit einander auf längere Zeit verbinden; glaubt ihr, daß während der Dauer dieser Verbindung bloße Affekte des Eigennutzes sie an einander halten? Gewiß nicht! sie werden in die Anlagen, in die Ausführung ihrer verderblichen Plane eine gewisse Feinheit und Gewandheit legen, welche ihnen wechselseitig das Gefühl des Schönen einflößt; jeder wird für sich eine gewisse Festigkeit des Charakters, eine gewisse Consequenz von Gesinnungen und Handlungen zeigen, welche wechselseitig das Gefühl der Vollkommenheit bey ihnen erweckt: selbst das Ausgezeichnete der Bosheit des einen kann dem andern die Wonne der Beschauung des Seltenen und Außerordentlichen gewähren. Und sympathetische Wonne, Wonne der Liebe wird hinzutreten. Die Thräne, welche Angelo um seinen erschossenen Gesellen vergoß, ward halb dem verlornen Beystande, und halb dem bewunderten und geliebten Mitbruder gezollt.
Jener Liebhaber des Schönen, welcher dem Apollo im Belvedere, oder dem Gemählde des Raphaels schwärmerisch [83] anhängt, wird nicht durch bloße Affekte des Beschauungshanges belebt. Er ist es, er selbst, der diese Werke so vollkommen fühlt als kein anderer, er selbst, der sie so lange studiert hat, er selbst, der ganz in ihren Geist eingedrungen ist. Und seine Phantasie belebt diese todten, in sein persönliches Interesse verwickelten Kunstschönheiten. Ihre Existenz, ihr Schicksal, ihr Wohlbestehen wird ihm theuer; das bessere Licht, in welches man sie stellt, die Sorge, welche man für ihre Erhaltung trägt, erfüllen ihn mit einer Wonne, welche derjenigen gleich kommt, mit der ein anderer das Wohlbefinden seines Freundes erfahren würde; ihr Leiden rührt ihn sympathetisch mit, und vielleicht würde er ihre Zertrümmerung nicht überleben.
Eben so verhält es sich mit der wirklich liebenden Anhänglichkeit! Der Gatte, der mit der größten Aufopferung das geliebte Weib zu beglücken sucht, macht doch zuweilen einen Halt in seinem liebenden Bestreben, um sich der Wonne zu überlassen, von andern so geehrt zu seyn in seiner Wahl, von ihr, der Geliebten, als Wohlthäter anerkannt zu werden. Er wird beym Schweigen der Begierden sich zuweilen in Beschauung derjenigen Vorzüge seiner Gattin verlieren, die er, unabhängig von aller Beziehung auf sein Verhältniß zu ihrer Person, an dem Bilde einer völlig Unbekannten bewundern würde.
Edler, verfeinerter, sittlicher Eigennutz; unsträfliche Wonne der Beschauung; mit der Liebe bestehend, Liebe verstärkend; aber doch von Liebe noch verschieden!
Ich sage mehr! Es sind nicht bloß Wonnegefühle, welche uns an die Person eines andern Menschen ketten. Oft trägt die Lust des Genügens am befriedigten Bedürfnisse dazu bey, die Bande zu verstärken; oft [84] Furcht, Zwang, kluge Ueberlegung! Es beruht auf ausgemachter Erfahrung, daß Personen, die wir anfänglich bloß als Mittel betrachtet haben, um einen gewissen Zweck zu erreichen, uns mit der Zeit um ihrer persönlichen Individualität willen theuer geworden sind. So ist es möglich, daß ein Mensch, dessen Gesellschaft uns lange gleichgültig gewesen ist, bloß dadurch, daß wir durch die Trennung von ihm in unserer gewöhnlichen Lage gestört werden, ein Bedürfniß nach seiner Gegenwart erwecke, unserm Herzen näher trete, und die Verbindung mit seiner Person uns schätzbar mache. So können wir anfänglich bloß aus Eitelkeit liebende Affekte heucheln, und der Mensch, den wir zufällig zum Gegenstande dieses Eigennutzes wählten, kann uns wirklich an eine liebende Stimmung gegen seine Person gewöhnen. Die Erfahrung lehrt es, daß wir strengen Vorgesetzten oft stärker anhängen, als nachgiebigen um unser Wohl bekümmerten Liebhabern. Nicht als ob eine üble Behandlung unmittelbar anzöge; sondern weil durch den Zwang unsere Triebe sich allmählig zu einer gewissen Richtung nach einer bestimmten Person hingewöhnen, und Wonnegefühle der Liebe, der Beschauung und des Eigennutzes sich anschließen.
So entsteht bey dem schwächeren Menschen, der von dem Manne von strengem Charakter beherrscht wird, leicht Achtung für Gerechtigkeit und Festigkeit. So versetzt uns die Aufmerksamkeit auf uns selbst in Gegenwart von Personen, deren Beyfall schwer errungen wird, in eine angenehme Spannung, und die Vorstellung des Schutzes gegen Beleidigungen, und des Anspruchs auf Ansehn, deren wir bey dem Mächtigen genießen, dient dazu, die Bande zu verstärken. Bald [85] vergessen wir, warum wir anhängen: wir fühlen nicht mehr die einzelnen Glieder, aus denen unsere Kette zusammengesetzt ist; ja! wir fühlen sie nicht mehr als Kette, es sind Rosenbande, mit denen wir umschlungen werden. Wonne der Liebe mischt sich zur Wonne von anderer Art; wir hängen der Person an und streben für ihr Wohl. Aber nun treten Augenblicke ein, in denen wir kälter fühlen, in denen Selbstheit und Beschauungshang mit dem Herzen streiten. Hier tritt wieder Furcht, und Zwang, und Bedürfniß und Pflicht hinzu; wir fühlen die Kette, aber sie hält uns, und weil sie uns hält, so gewöhnen wir uns wieder daran, und empfinden bald wieder Anhänglichkeit an der Person, fühlen Liebe!
So verwickelt, aus so mannichfaltigen, oft so widerstreitenden Bestandtheilen ist das Gewebe zusammengesetzt, das uns umstrickt! Alles kommt darauf an, daß unsere Triebe nach Zusammenseyn, gleichviel von welcher Art sie sind, eine gewisse Bewegfertigkeit erhalten, sich nach einer gewissen Person hinzurichten; daß diese Angewöhnung von einigen Wonnegefühlen begleitet werde, und daß wir zuletzt in die Lage kommen, ohne Nachdenken, ohne Ueberlegung, folglich instinktartig, au dieser Person hängen zu können.
Aus dem Ganzen dieser sich unter einander verstärkenden, in einander verwebten Triebe entsteht natürlicher Weise das gewisse Etwas, das je ne sçais quoi, welches der große Haufe Liebe, und welches ich überhaupt Anhänglichkeit an der individuellen Person nenne. Es scheint sogar nothwendig, wenn die Anhänglichkeit nun liebend wird und anhaltend und stark seyn soll, daß der Liebende während der Dauer der Verbindung zuweilen deutlich daran erinnert werde, daß sein Selbst dabey [86] gewinnt, und daß der Gegenstand seiner Liebe auch bey der bloßen fernen Beschauung ihm Wonnegefühle einflößen könne. Ich sage: das Bewußtseyn des begünstigten Beschauungshanges und der befriedigten Selbstheit muß in einem gewissen abgemessenen Verhältnisse mit dem Bewußtseyn des interessierten Herzens stehen: es ist nicht genug, daß sich jene Gefühle ihm unwissend mit einschleichen.
Das Wesen der Sympathie ist wonnevolles Streben nach gemeinschaftlichem Daseyn und Wohl mit einem für sich bestehenden Wesen. Während des einzelnen Affekts, während des einzelnen Akts von Wohlthätigkeit kann es hinreichen, daß wir das Gefühl unsers eigenen Daseyns und Wohls bloß durch das Bewußtseyn erhalten; ich bin froh, weil es mir gelingt, mein anderes Selbst, mein Du, froh zu wissen. Das Bewußtseyn enthält zugleich die doppelte Vorstellung von meinem Selbst und seinem Selbst, von meinem Daseyn und Wohl und von dem seinigen.
In der Höhe der Leidenschaft, worin man sich völlig in den geliebten Gegenstand zu verwandeln strebt, ist es gleichfalls möglich, daß der Liebhaber sich für alle Aufopferung seines eigenen Daseyns und Wohls bloß durch die Vorstellung, der Geliebte sey beglückt, auf eine längere Zeit schadlos halte. Aber in der liebenden Anhänglichkeit, in der bloß zärtlichen Verbindung, ist diese Voraussetzung Chimäre, welche dem Wesen der Liebe sogar gefährlich werden könnte. Wenn wir nicht zuweilen durch das Bewußtseyn: der Geliebte begünstigt meinen Eigennutz, an unser Selbst erinnert werden, so läuft die Verbindung Gefahr, in eine bloße Beschauungsanhänglichkeit, oder gar in ein schwaches [87] Wohlwollen überzugehen; wenigstens artet sie dann in eine bloße Anhänglichkeit an die Gattung aus, und die individuelle Person wird uns gleichgültig.
Gesetzt, ich habe gar nichts von einem abwesenden Helden oder Staatsmanne als dieß, daß ich ein wonnevolles Bestreben fühle, ihn glücklich zu wissen. Seine Siege, das Gelingen seiner Plane, sein zunehmendes Ansehn erfreuen mich, aber das ist auch der ganze Vortheil, den ich aus meiner Verbindung mit ihm ziehe; so isoliere ich ihn nach und nach völlig von mir, und sehe ihn nur als einen Gegenstand aus der Ferne an, dessen Glück meine Aufmerksamkeit als etwas Schönes, Vollkommenes oder Seltenes hervorstechend auf sich zieht, und wobey ich mein Daseyn und Wohl völlig vergesse. Ich hänge ihm folglich an, aber ich liebe ihn nicht, weil ich nicht an ein gemeinschaftliches Daseyn und Wohl auffallend genug erinnert werde.
Gesetzt, ich lebe in der Gesellschaft eines Menschen, der so glücklich organisiert ist, daß er sich über nichts ärgert, über nichts trauert, stets in einer gewissen Gleichmüthigkeit lebt, die ihn für sein Individuum höchst zufrieden mit seinem Zustande macht; ich empfinde Wonne über sein Glück, aber übrigens ist mir der Mensch durchaus in meinen persönlichen Verhältnissen zu nichts nützlich; wird hier das wonnevolle Bestreben, ihn in seinem glücklichen Zustande zu erhalten, auf die Länge wohl ein engeres Band zwischen uns knüpfen? Gewiß nicht! Jene Ordensbrüder und Ordensschwestern, welche vermöge ihrer Bestimmung das Schicksal der Nothleidenden erleichtern, und unter denen es viele giebt, für die es wahre Wonne ist, einem ihrer Mitmenschen in vollem Gefühle der wiedergekehrten Gesundheit das Hospital [88] verlassen zu sehen, hängen gewiß nicht an der Person. Sie hängen an der Gattung. Jeder gerettete Kranke gehört ihnen auf gleiche Art an.
Auf der andern Seite ist es auch nicht genug, wenn das Bewußtseyn der befriedigten Selbstheit neben liebenden Affekten erweckt wird; man muß auch den Beschauungshang begünstigt fühlen, wenn die Anhänglichkeit an der Person wirklich liebend seyn soll. Ich muß fühlen, daß derjenige, an dem ich hänge, etwas an sich trage, das ihn als schön, als edel, als vollkommen, wenigstens als selten auszeichnet, und welches ich, wenn der Mensch mir bloß im Bilde erschiene, mit Wonne oder wenigstens mit Genügen anschauen möchte. Kurz, es muß etwas vorhanden seyn, das meine Aufmerksamkeit zuweilen darauf zurückführe: der Mensch, dessen Daseyn und Wohl dich mit Wonne erfüllt, ist nicht dein Selbst, ist nicht ein Mittel zur Verbesserung desselben. Es giebt Menschen genug, die sich wirklich stark an diejenigen anhängen, denen sie Gutes thun. Aber wenn diese letzten nichts als Gegenstände ihrer Wohlthätigkeit sind, wozu jeder andere Mensch eben so gut dienen könnte; so wird sehr bald das ganze eigennützige Bewußtseyn herrschend werden, daß die Person nur ein Mittel sey, unsere sympathetischen Triebe zu befriedigen, und Selbstheit wird auf Liebe geimpft werden.
Diese Bemerkungen liegen bey den Behauptungen zum Grunde, welche man sehr oft im gemeinen Leben hört: ohne Gegenliebe sey keine dauernde Liebe, ohne Achtung sey keine Liebe. Sie lassen sich schwerlich in der Maße rechtfertigen, wie sie da aufgestellt sind. Aber diese Wahrheit liegt unstreitig darin: daß ohne ein gewisses abgemessenes Verhältniß von befriedigter Selbstheit [89] und begünstigtem Beschauungshange keine dauernde Anhänglichkeit an der Person Statt finden könne.
Viertes Kapitel.
Liebend ist nur diejenige Anhänglichkeit, worin liebende Affekte prädominiren.
Nach diesen Voraussetzungen darf man freylich vom großen Haufen nicht erwarten, daß er bey Beurtheilung der Verbindungen, deren Aeußerungen er im gemeinen Leben wahrnimmt, die liebenden Anhänglichkeiten von den eigennützigen und beschauenden unterscheiden werde. Er nennt jede engere Verbindung Liebe, worin das Wohl des Geliebten sich mit dem des Angehängten verträgt, besonders wenn er sieht, daß dieser letzte sogar thätig zu dem Wohl des ersten beyträgt. Darüber ist ihm auch gar kein Vorwurf zu machen. Denn wie gesagt, Selbstheit und Beschauungshang und Herz müssen in einem gewissen abgemessenen Verhältnisse zu einander stehen, wenn der Begriff der liebenden Anhänglichkeit gegründet werden soll. Und wie kann man von dem gewöhnlichen Beobachter erwarten, daß er ein sicheres Urtheil darüber fällen werde, ob das Herz hier oder dort den überwiegenden Antheil an dem Wohl des Verbündeten nehme?
Demohngeachtet wird jeder einzelne, aufs Gerathewohl aus diesem großen Haufen herausgewählt, wenn er nur seine eigene Lage zu demjenigen, mit welchem er zusammenhängt, unbefangen prüft, und anders nur ein Herz, und die Fähigkeit zum Nachdenken überhaupt hat, gar leicht gewahr werden, ob er geliebt werde und wieder liebe.
[90]Wir dürfen nur die Summe der Gefühle, welche uns eingeflößt werden, und die wir einflößen, reflektierend aufnehmen, und die Menge und die Stärke ihrer verschiedenen Arten gegen einander in Anschlag bringen, um das Resultat über die wahre Natur unserer Anhänglichkeit zu finden.
Allerwärts wo die Summe schwacher Willensregungen, daß es dem andern wohl gehen möge, über die Summe der stärkeren Gefühle, womit uns sein Wohl und sein Uebel afficiert, die Oberhand gewinnt; – da ist gewiß keine Liebe vorhanden, sondern nur ein Wohlvertragen. (Wir vertragen es wohl, daß es dem Andern gut geht.) Unter diesen Begriff passen die meisten Verbindungen, welche in der großen Welt für gute Freundschaften gelten, in den Zirkeln der örtlichen Gesellschaft gestiftet werden, und stark genug sind, um den wechselseitigen Wunsch zu erregen, lieber die alten Gesichter als neue, und die ersten lieber froh als traurig an den Eß- und Spieltischen wieder zu finden.
Allerwärts wo die Summe der Affekte des Genügens am Daseyn und Wohl des andern stärker ist, als die Wonnegefühle über eben diese Vorstellung, – da ist keine Liebe vorhanden, sondern nur ein Gernleiden. (Wir leiden es gern, daß der andere mit uns wohl sey; es macht uns Vergnügen, weil Bedürfniß, Klugheit, Pflicht, u. s. w. uns dazu auffordern.) Unter diesen Begriff passen die mehrsten Verbindungen unter Gatten, welche auf wechselseitiger Convenienz beruhen, und in der Welt für gute Ehen gehalten werden, weil die Verbündeten fühlen, daß sie bey ihrem gemeinschaftlichen Daseyn und Wohl ihren Zustand erträglicher fühlen, als [91] bey der Trennung von einander, oder bey wechselseitigem Leiden.
Allerwärts, wo die Summe der Wonneaffekte der Selbstheit oder des Beschauungshanges an Menge und an Stärke größer ist, als die des Herzens, – da ist keine liebende Anhänglichkeit, sondern nur eine eigennützige oder beschauende vorhanden. Dieser Unterschied ist freylich in manchen Fällen fein und schwer zu fassen, aber nie Subtilität. Wenn Rousseau sich für ein Ideal begeistert, und den Gegenstand in der Natur, unbekümmert um sein individuelles Wohl, vernachlässigt, sich bloß an dem Bilde in seinem Kopfe labet; – – so ist dieß keine Liebe, sondern nur eine beschauende Anhänglichkeit. Wenn der eitle Floricourt im tout ou rien von Marmontel dem Vogel, der seine Geliebte erfreuete, erdrücken wollte, weil er ihr jedes Vergnügen mißgönnte, welches ihm nicht das Bewußtseyn gab, daß er selbst es sey, der sie beglückte; – so ist dieß keine Liebe, sondern nur verfeinerter Eigennutz.
Also nur diejenige Anhänglichkeit ist Liebe, worin ich ohne Rücksicht darauf, ob der Mensch meinen Beschauungshang oder meine Selbstheit befriedigt, in den meisten Augenblicken des verbündeten Lebens wonnevoll nach der Ueberzeugung strebe, daß er sich glücklich fühle; – worin ich selbst in Fällen, wo verschiedene Triebe mit einander in Streit gerathen könnten, den liebenden wonnevoll huldige; – worin die angewöhnte Fertigkeit zu liebenden Affekten gegen eine bestimmte Person bey weitem die herrschende ist, und der Stimmung im Ganzen den Ton, den Charakter des einzelnen liebenden Affekts giebt.
[92]O! Freund meiner Seele, daß deine Bescheidenheit mir nicht in den Weg trete, indem ich die Natur der wahren liebenden Anhänglichkeit durch einen Rückblick auf unsere Verbindung zu entwickeln suche! Ich fühle alles, was ich durch die Vereinigung mit dir gewonnen habe und noch täglich gewinne! die Veredlung meines Charakters, die Erhöhung über mein niedriges Ich; – den Stolz, Dir vor den Augen der Edlen anzugehören, von Dir geachtet, von Dir gebilligt und geliebt zu werden; – sogar die Freude, daß ich es bin, der Dir Freude machen kann; – kurz, eine Menge eigennütziger Wonnegefühle und Begünstigungen meiner Selbstheit, deren ich mir wohl bewußt bin, an die ich oft erinnert werde, ketten mich an Dich. Aber in andern Augenblicken fühle ich auch deutlich, daß die Vorstellung von Deiner Menschenkenntniß, von Deinem unaufhaltsamen Streben nach Wissen und Erkennen, von Deiner Thätigkeit, von Deiner Aufopferung für die Ausbreitung der Wahrheit, für die Bildung des Menschengeschlechts, – von Deinem lichtvollen treffenden Blick, von Deiner Aneignungskraft der entferntesten Verhältnisse, womit Du verschiedene Zeitumstände der Geschichte, so wie die Lage der Dinge um Dich her, gleich treffend hervorzauberst, gleich richtig beurtheilst; – endlich von jener moralischen Strenge gegen Dich selbst und von Deiner liebevollen Beurtheilung anderer; – ich fühle, sage ich, daß alle diese verschiedenen Vorstellungen von Dir mich oft mit Affekten des Schönen und des Edeln erfüllen. Ich fühle, daß sie mich auch dann damit erfüllen würden, wenn Du mir nicht bekannt wärest, wenn eine bloße Darstellung der Geschichte Dich mir im Bilde eines längst verstorbenen Menschen aus der Ferne zeigte. [93] Das weiß ich, aber ich weiß auch, daß in den meisten Augenblicken des zwanzigjährigen Zeitraums, worin ich an Dir hänge, diese Affekte des Eigennutzes und der Beschauuug unter denjenigen, welche Du mir eingeflößt hast, bey weitem die geringste Summe ausgemacht haben! Ich bin mir bewußt, daß in den Augenblicken, worin Du mir minder liebend, minder vollkommen scheinst, mein wonnevolles Streben für Dein Daseyn und Dein Wohl nicht abgenommen hat. Ich bin mir bewußt, daß ich Deinen Schmerz mit Dir theilen kann, daß das Glück, was Dir widerfährt, mich entzückt, wenn ich es auch nicht mit Dir theile, und wenn es auch nicht von mir herrührt! Bist Du ein größerer Mann dadurch geworden, weil bey minderer Anstrengung Deine Gesundheit sich gestärkt hat? Habe ich mehr von Deiner Liebe, weil Du an Weib und Kindern hängst? Und dennoch, wie habe ich mich gefreuet, als ich Dich neulich so ruhig, so ausgefüllt im Schoße Deiner Familie fand! Ja! mein Freund, ich fühle es, ich sage es mit innerer Ueberzeugung: könnte die Welt Dich verkennen, könnte Krankheit der Seele und des Körpers Dich in die Klasse gewöhnlicher Menschen zurückschieben; könntest Du sogar – mit Schaudern denke ich daran, – könntest Du mich verkennen und mich von Dir stoßen; meine Thränen würden hauptsächlich die Trauer andeuten, daß Du durch Ungerechtigkeit Dir Reue und Unzufriedenheit mit Dir selbst bereiten würdest. So denke ich heute; so bin ich sicher bis ans Ende zu denken. Auf meinem Todtenlager, wenn ich Dich nicht mehr bewundern kann, beym Uebergange in die Zeit, worin Du mir nicht mehr nützlich seyn wirst, wird dennoch mein Herz von dem warmen Wunsche nach Deinem Glücke überfließen!
[94]Und das sind Gefühle, welche auch der Gatte, der Waffenbruder unter den Wilden haben kann und hat, wenn gleich seine Vorstellungen über Nutzen, Vollkommenheit und die Form der Handlungen, womit er seine Liebe äußert, verschieden seyn sollten.
Fünftes Kapitel.
Endlicher Begriff der liebenden Anhänglichkeit und des Herzens.
Das Wesentliche, das Charakteristische der liebenden Anhänglichkeit kann nicht in der Stärke des Bandes gesetzt werden, welches uns an eine andere Person anknüpft. Die Handlungen von Wohlthätigkeit, welche wir gegen sie äußern, beweisen nichts für ihr Daseyn. Bedürfniß, Pflicht, Zwang, Wonne des feineren und gröberen Eigennutzes können eben diese Wirkungen hervorbringen. Bloß die Oberherrschaft, welche die Affekte des Herzens, die liebenden Gefühle über alle anderen nehmen und behaupten, welche der verbündete Gegenstand zugleich erwecken kann, und deren Mitwirkung sogar zur Verstärkung des Bandes nöthig scheint; diese allein begründet den Begriff der Liebe als Anhänglichkeit betrachtet.
Es kommt auch bey der Festsetzung dieses Begriffs auf die Entstehungsart, auf die nothwendigen Bedingungen zum Daseyn der Sache selbst gar nicht an. Ob also gleich neben jenen liebenden Affekten die selbstischen und anschauenden allerdings als mitwirkend vorausgesetzt werden müssen, wenn wir eine liebende Anhänglichkeit als vorhanden annehmen sollen; so können wir [95] diese doch keinesweges mit in den Begriff aufnehmen, eben weil ihre untergeordnete Mitwirkung nur die liebenden Affekte unterstützt.
Liebende Anhänglichkeit ist folglich angewöhnte Stimmung unsers Wesens, nach der Beglückung einer bestimmten Person außer uns wonnevoll zu streben, um der Ueberzeugung willen, daß diese sich selbst glücklich fühle.
Das Wort Herz nimmt nun auch hier eine weitere, mit dem Begriffe dieser Liebe correspondierende Bedeutung an. Es heißt so viel, als die Fähigkeit, in der Liebe zu einer bestimmten Person, Fertigkeit zu erlangen. Es ist ein Talent von eigener Art, das nicht allen Menschen gegeben ist. Das menschenfreundliche Herz, die Fähigkeit, sich vorübergehend für das Wohl der Gattung ohne alle weitere Rücksicht zu interessieren, gehört, zum Besten der Moral, viel häufiger zum Gemeinsinn.
Sechstes Kapitel.
Uebergang zur Absonderung der liebenden Anhänglichkeit überhaupt von der Zärtlichkeit.
Wenn wir die verschiedenen Arten betrachten, wie leblose Körper mit einander verbunden werden können, so werden wir finden, daß einige sich bloß an einander schließen, ohne sich unter einander zu vereinigen. Die Schale, in welcher die Perle oder das Wasserthier hauset, der Granit, welcher den Porphyr in sich birgt, das unedlere Metall, welches das Gold umfaßt, [96] liefern Beyspiele einer solchen Verbindung durch Anschließung. (Adjunctio.) Dagegen giebt es auch eine Vereinigung lebloser Körper, (conjunctio,) entweder durch Vermengung; wenn ein Körper durch Zuwachs anderer Körper seiner Art vermehrt wird, an Menge seiner Bestandtheile zunimmt, ohne seine ursprüngliche Natur zu verlieren; oder durch Vermischung, wodurch zwey Körper bey ihrer Vereinigung einen neuen Körper von ganz anderer Art, jedoch von der nehmlichen Gattung, hervorbringen. Beyspiele von der Vereinigung durch Vermengung liefert der Anwachs von Land, der sich ans Ufer setzt, das zusammenwachsende Holz, u. s. w. Beyspiele von der Vereinigung durch Vermischung liefern die sauern und alcalischen Salzarten, welche durch ihre Verbindung einen neuen Körper hervorbringen, der ganz andere Eigenschaften erhält, als die vermischten Salze einzeln an sich tragen.
So auffallend es im Anfange klingen mag, so gewiß ist es doch, daß unter den Verbindungen, welche Menschen mit einander eingehen können, sich eine ähnliche Verschiedenheit antreffen lasse, und daß jeder von uns, der eine mehr, der andere weniger, Anlagen zu dieser oder jener Verbindungsart an sich trägt.
Als da giebt es unstreitig bloße Adjunctionen, Anschließungen des Persönlichen an die Person, wie bey den wechselseitigen engeren Verhältnissen zwischen Obern und Untergebenen; es giebt aber auch Conjunctionen, Vereinigungen der Naturen. Unter diesen letzten trifft man wieder Vermengungen gleichartiger Naturen an zur Vervollständigung eines Wesens, einer Art, die schon in jedem der vereinigten [97] Menschen isoliert existierte; Paarung Geschlechtsähnlicher Naturen. Es giebt aber auch Vermischungen ungleichartiger Naturen zur Hervorbringung eines vollkommenen Wesens, das im isolierten Menschen noch nicht existierte; Vermählung Geschlechtsverschiedener Naturen.
Ich werde zuerst den Unterschied zwischen der Anschließung des Persönlichen an die Person und der Vereinigung der Naturen auseinander zu setzen haben. Ehe ich aber weiter gehe, muß ich erst den Unterschied zwischen dem Persönlichen des Menschen und seiner Natur festzusetzen suchen.
Siebentes Kapitel.
Von dem Persönlichen des Menschen überhaupt, und von seiner Natur, seiner engsten Sinnlichkeit insbesondere.
Die Person des Menschen, sein Persönliches überhaupt, ist dasjenige, was den Begriff seines Individuums begründet, was ihn als einzelnen Menschen von allen andern Menschen unterscheidet. Hierbey wird die doppelte Vorstellung in Rücksicht genommen, theils wie andere ihn betrachten, theils wie er sich selbst ansieht. Beydes zusammen macht den Inbegriff seiner Eigenthümlichkeiten, seines Charakters, der Triebe seines Körpers und seines Gemüths, seiner Beschaffenheit, Lagen und Verhältnisse aus. Wie steht er in einem Augenblicke seines Lebens, gegen alle übrige die schon vorausgegangen sind, und die er noch als kommend voraussieht? Wie steht er mit seinem Ganzen gegen die Gegenstände [98] um ihn her? Das alles nimmt er zusammen, das alles schlägt er an, wenn er sich sagt: das ist meine Person, das ist mir persönlich. Ein sehr complicierter Begriff, den die Vernunft nie ganz entwickelt, nie ganz zusammen faßt, den aber das Selbstgefühl eines jeden Menschen sehr leicht verstehen wird!
Unter diesem Persönlichen giebt es aber nun Einiges, was dem Menschen so eng anzugehören scheint, daß er überzeugt ist, es nicht verlieren zu können, ohne daß seine Existenz zugleich mit verloren ginge. Dieß ist eigentlich seine Natur, die engste Sinnlichkeit seines Körpers und seiner Seele!
Freunde! verzeiht auch hier der Armuth der Sprache und der Unzulänglichkeit des Verstandes, wenn das Bewußtseyn von demjenigen, was zu unserer Natur gehört, mit keinem bestimmten Nahmen genannt, unter keinen allgemeinen Begriff gefaßt werden kann. Ich will nur einige Züge ausheben, woran ein jeder das Wesen seiner Natur an sich selbst wird erkennen können.
Der Inbegriff aller körperlichen Triebe, bey deren Kränkung oder Begünstigung der Mensch bis ins Innerste, oder, wie der gemeine Mann zu sagen pflegt, bis ins Mark angegriffen wird; wobey er durch Schmerz oder Wollust aus seinem Daseyn herausgehoben zu werden fürchtet, – dieser Inbegriff macht zuerst einen Theil unserer Natur, unserer engsten Sinnlichkeit des Körpers aus. In so fern die Vereinigung der Naturen in Rücksicht gezogen wird, gehört besonders hierher die körperliche Geschlechtssympathie.
Ferner gehört zu unsrer Natur der Inbegriff gewisser Triebe der Seele, deren Kränkung und Begünstigung uns wieder bis ins Innerste angreift. Sie hängen mit den [99] ersten Grundzügen unsers Charakters, mit dem primitiven Stoff unsers Gemüths zusammen. Diese Natur macht dasjenige aus, was mit dem Menschen geboren zu seyn scheint, (was ihm vielleicht schon vor der Zeit der Selbsterkenntniß eigen war,) und was sich mit den stärksten Zwangsmitteln nicht völlig wieder austreiben läßt. *) Sie ist jene Nacktheit meiner Seele, wie ich sie entblößt von allen erworbenen Fertigkeiten, von aller Bekleidung, womit Klugheit, Anstand, oft auch Pflicht sie im gemeinen Leben umhüllet, betrachte. Sie ist jenes Selbst, mit allen seinen Erbärmlichkeiten und elenden Neigungen, womit ich es im Augenblicke des Mißmuths erblicke. Sie ist jenes Selbst mit allen seinen Anmaßungen, womit ich es im Augenblicke des Uebermuths als mit eben so viel wirklichen Vorzügen geschmückt, bewundere! Zu ihr, dieser Natur, gehört jene Lage, worin ich mein Selbst zu andern Gegenständen denke, wenn ich im Augenblicke des ausgelassenen Frohsinns mich völlig gehen lasse, und alle Rücksicht auf bürgerliche und häusliche Convenienz vergesse. Kurz, sie ist das Innerste, das Mark meines Wesens, dessen Erschütterung mich vor Schmerz oder vor Wonne aus meinem Daseyn herauszuheben droht. –
Vielleicht läßt sich nun eine allgemeine Bezeichnung der Natur des Menschen geben. Sie ist seine angeeigneteste Reitzbarkeit, seine Sinnlichkeit im engsten Verstande; der Inbegriff derjenigen herrschenden Triebe, über deren Beleidigung hinaus er nur Vernichtung, als das Schlimmere, über deren Begünstigung hinaus er nur Vergötterung, als das Bessere, erkennt. –
[100]Diese Natur des Menschen wird nun auch oft sein Herz genannt, besonders in so fern wir die angeeignetsten Triebe des Gemüths darunter verstehen.
Achtes Kapitel.
Unterschied zwischen liebender persönlicher Ergebenheit oder Anschließung des Persönlichen an die Person, und Zärtlichkeit, oder Vereinigung der Naturen.
Es ist nun ein großer Unterschied, ob ich bey der Verbindung mit einer andern Person bloß etwas Persönliches an diese anzuschließen, oder gar meine Natur mit der ihrigen zu vereinigen strebe.
Der Obere, der seinem Untergebenen, und umgekehrt, der Untergebene der seinem Obern anhängt, beyde verbinden unstreitig sehr viel Persönliches mit einander, besonders wenn diese Anhänglichkeit wirklich den Charakter der Liebe annimmt, und beyde wechselseitig streben sich einander zu beglücken. Aber so lange beyde im Verhältnisse des Obern zum Untergebenen gegen einander bleiben, so lange suchen sie ihre Naturen nicht zu vereinigen, und sich durch diese Vereinigung zu beglücken. Wenigstens wird dieß Bestreben nicht ihre Verbindung charakterisieren.
Beyde, der Herr und der Diener, sorgen wechselseitig für ihren Wohlstand, ihr Ansehn, ihre Bequemlichkeit, die Fortdauer ihres Lebens u. s. w. und opfern dafür selbst vieles von demjenigen auf, was ihre eigene Person beglücken konnte: Ruhe, Vermögen, Leben u. s. w. Aber beyde rechnen weder darauf, sich einander so glücklich zu machen, wie sie es selbst seyn möchten, noch [101] darauf, in diesem Genusse gerade mit einander zusammenzutreffen.
Ihre Verhältnisse und ihr Geschmack sind sich einander nicht gleich. Der Herr, der dem Bedienten mit dem wonnevollen Bestreben, ihn zu erfreuen, ein Trinkgelag nach dessen Geschmack bereitet, für sein Auskommen durch eine einträgliche Bedienung sorgt, u. s. w. versetzt sich gewiß nicht dergestalt an dessen Stelle, daß er den Zustand seines Bedienten zu dem seinigen machen, folglich sich so beglückt sehen möchte, wie sein Bedienter beglückt ist. Umgekehrt, wird der Bediente, der mit dem wonnevollen Bestreben, den Herrn zu erfreuen, dessen Vermögen, dessen Ansehn, dessen Bequemlichkeit durch treue Aufwartung vermehrt, nicht daran denken, daß er die Folgen seiner Wohlthätigkeit mit ihm theilen möchte, daß der Herr gerade so glücklich seyn solle, als er für seine Person es zu seyn wünscht.
Eben dieß wird nun der Fall bey unzähligen Verbindungen seyn, die zwischen Personen von ungleichen Naturen und Verhältnissen Statt finden; zwischen Erziehern und Zöglingen, zwischen Fürsten und Unterthanen, ja, sogar zwischen Gatten, die in solchen Staaten leben, worin dem Manne eine große Präeminenz durch die Sitten eingeräumt wird, und die Ehe sich in Patronat und Clientel auflöset. Hier können einzelne Aufwallungen einer solchen Liebe entstehen, wobey der eine Verbündete mit dem andern wirklich in einem Genusse zusammentreffe, eine und dieselbe Begünstigung ihrer wechselseitigen Naturen zu theilen sucht; aber diese Aufwallungen sind nicht häufig genug, um der Verbindung im Ganzen den Charakter der Vereinigung der Naturen zu geben.
[102]Ich führe nur ein Beyspiel an: der Mann in den republikanischen Staaten der alten Griechen kannte kein höheres Glück, als das, sich vor den Augen seiner Mitbürger durch Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten auszuzeichnen. Dieß gehörte zu seiner Natur, zu seiner engsten Sinnlichkeit. Seine Gattin war ganz von diesem Genusse ausgeschlossen. Der Trieb darnach gehörte folglich nicht zu ihrer Natur. Konnte nun der Mann, wenn er seine Frau zu beglücken strebte, sie gerade in seinen Zustand hineinversetzen, und so den ihrigen theilen wollen? Unstreitig nicht! Er hatte noch andere Triebe, die zu seiner Natur gehörten, den Trieb nach traulicher unbefangener Unterhaltung in seinem Hause, nach Freude an seinen Kindern, nach Vermehrung seines Vermögens u. s. w. In allem diesen konnte er einen Genuß mit der Gattin theilen. Da aber diese Triebe dem Hange nach bürgerlicher Auszeichnung bey den Griechen untergeordnet waren, folglich der Haupttrieb seiner Natur in der Verbindung mit der Gattin keinen Genuß fand; so erhielt diese, wenn sie auch noch so liebend war, nie den Charakter einer gänzlichen Vereinigung der Naturen, die schlechterdings entweder Gleichheit oder Uebereinstimmung des Geschmacks und der Verhältnisse voraussetzt.
In den monarchischen Staaten unsers heutigen Europa, wo der Antheil an der Administration der Länder hauptsächlich um der Auszeichnung willen gesucht wird, die er in geselligen Zirkeln giebt, wo die Folgen derselben, Ansehn, Vermögen, Macht, von der Gattin mehr getheilt werden, wo die Natur beyder Geschlechter vorzüglich durch einen solchen Genuß gereitzt wird, an dem sie beyde ungefähr gleichen Antheil nehmen können, in diesen unsern heutigen monarchischen [103] Staaten ist die Vereinigung der Naturen zwischen Gatten eine viel häufigere Erscheinung.
Genug, der Unterschied zwischen den verschiedenen liebenden Anhänglichkeiten, nehmlich denjenigen, welche auf dem Triebe nach bloßer Anschließung des Persönlichen an die Person, und wieder denjenigen, welche auf jenem nach Vereinigung der Naturen beruhen, ist außer Zweifel. Beyde verdienen durch eigene Nahmen unterschieden zu werden. Ich nenne die erste persönliche Ergebenheit, die andere Zärtlichkeit.
Die persönliche Ergebenheit zeigt zwey Arten. Zuerst findet sie Statt zwischen Personen, die in ihren Verhältnissen und Neigungen sehr weit von einander abstehen, dergestalt, daß der Eine wie der Obere, der Andere wie der Untergeordnete erscheint. Die liebende Gesinnung, die dem Obern eigen ist, heißt treue Gunstgeflissenheit: (beneuolentia et studium, bienveillance) hingegen die liebende Gesinnung, die dem Untergeordneten eigen ist, heißt treue Dienstgeflissenheit oder Zuneigung. (Addictio, Devouement.) Das Verhältniß selbst kann man liebendes Patronat auf der einen, und liebende Clientel auf der andern Seite nennen.
Das liebende Patronat findet Statt zwischen Herrn und Diener, zwischen Fürsten und Unterthan, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Lehrern und Zöglingen, oft auch zwischen Gatten und sogenannten Liebenden und Freunden.
Die andere Art der persönlichen Ergebenheit findet Statt, wo die Verhältnisse gleich sind, zuweilen auch die Neigungen in einzelnen Stücken, nur daß der Vereinigung der Naturen nicht nachgestrebt wird. [104] Sie zeigt sich zwischen Mitgliedern einer Gesellschaft, eines Hauses, eines Staats, einer Familie, und wird daher von mir genannt: liebende Genossenschaft oder Brüderschaft. (Familiaritas, fraternité.) Ihr auffallendstes Beyspiel zeigt sich freylich in der Geschwisterliebe, in so fern diese nicht in Zärtlichkeit übergeht. Aber auch Gatten, sogenannte Liebende und Freunde, können nur treue Genossen seyn.
Von dieser persönlichen und liebenden Ergebenheit sondert sich bestimmt und deutlich ab: die Zärtlichkeit, jenes angewöhnte wonnevolle Bestreben, die Vereinigung der Naturen unserer eigenen und einer andern bestimmten Person, durch sie beglückend, aber auch durch sie beglückt zu theilen.
Die Zärtlichkeit hat dieß mit der einzelnen liebenden Aufwallung und mit der liebenden Anhänglichkeit gemein, daß wir die Person außer uns beglücken wollen: daß wir an diesem Bestreben unmittelbare Wonne empfinden. Sie ähnelt darin besonders der liebenden persönlichen Ergebenheit, daß es uns zur Fertigkeit geworden ist, unsere liebenden Affekte auf eine bestimmte Person zu richten. Aber darin unterscheidet sie sich deutlich von den beyden vorigen, daß der liebende Mensch angewöhnt ist, den Geliebten so beglücken zu wollen, wie er es selbst durch Begünstigung seiner engsten Sinnlichkeit zu seyn wünscht, und daß er dann mit ihm in einem Genusse zusammenzutreffen strebt.
Was wird leichter zur Lust und Unlust gereitzt, was aber auch mehr geschont, sanfter behandelt, eifriger geliebkoset, als unsere engste Sinnlichkeit, unsre Natur? Sie ist das Zärteste, was wir an uns tragen! Und wenn [105] wir dieß zärteste Selbst in einem andern fühlen, und uns in ihm beglücken wollen, wie zart werden wir ihn behandeln! Daher der Nahme der Zärtlichkeit.
Ich kenne drey Hauptarten von dieser Stimmung unsers Herzens, und von Verbindungen, die darauf beruhen: Freundschaft im eigentlichsten Sinn, Geschlechtszärtlichkeit und Aelternzärtlichkeit.
Die letzte liegt ganz außer meinem Plane. Nur zum Ueberfluß bemerke ich hier, daß die liebende Anhänglichkeit der Aeltern an ihren Kindern in den meisten Fällen nur liebende persönliche Ergebenheit, nicht Vereinigung der Naturen ist. Sie sind treue Gunstgeflissene, treue Genossen ihrer Kinder. Sie schützen, sie pflegen diese, sie nehmen sie in ihre Familienverhältnisse auf: kurz, sie verbinden sehr viel Persönliches mit der Person. Ja! die Verbindung kann große Aufopferungen hervorbringen. Demohngeachtet ist sie nicht immer, ja, nur in seltenen Fällen, Vereinigung der Naturen. Wenn sie es aber seyn sollte, dann lößt sie sich beynahe ganz in Freundschaft, und wohl gar in Geschlechtszärtlichkeit auf, und behält nur eine geringe Mischung vom treuen Patronat an sich, die dann dazu dient, der Verbindung einen besondern Charakter zu geben. Alles dieß wird sich in der Folge noch weiter entwickeln, wenn ich den Begriff der Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit näher bestimmt haben werde. Um so weniger brauche ich hier der Aelternzärtlichkeit eine weitere Erörterung zu widmen.
Neuntes Kapitel.
Endliche Bestimmung der Zärtlichkeit und eines zärtlichen Herzens.
Die Alten haben gesagt: Zärtlichkeit sey das Streben nach Vereinigung zweyer Personen zu einer: der zärtlich Geliebte sey unser anderes Selbst. *)
Gewiß! dieser Begriff läßt sich rechtfertigen. Die Natur in jedem Menschen ist dasjenige, was er im engsten Sinne zu seinem Selbst rechnet, was daher seine Person am bestimmtesten von andern unterscheidet. Wenn er seine Natur mit der eines andern zusammenzusetzen strebt, so strebt er, das Wesentlichste seiner Person mit dem Wesentlichsten der Person eines andern zu vereinigen.
Inzwischen umfaßt doch der Begriff der Person bald mehr bald weniger als der der Natur, und dann fehlt bey jenem Begriffe der Zärtlichkeit die Bestimmung, daß die Vereinigung gesucht werden muß, um die andere Hälfte mit der unsrigen zu beglücken.
Verlangen wir eine kürzere Definition als diejenige, die ich schon gegeben habe, so laßt uns sagen: Zärtlichkeit sey das angewöhnte wonnevolle Bestreben nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer, durch Vereinigung der Naturen. Das zärtliche Herz ist die Anlage zu diesem Bestreben; es ist das Herz, das alle Seligkeit des Alleinseyns gern aufopfert, um seine Natur in der vereinigten zu verlieren.
Anhang zum zweyten Buche.
Excurs.
Ueber das Verhältniß der Selbstheit zur Uneigennützigkeit in der Zärtlichkeit.
Die Zärtlichkeit trägt unstreitig etwas an sich, welches sie dem Eigennutze sehr nahe bringt. Wir selbst gewinnen dabey eben so viel, als der zärtlich geliebte Mensch außer uns. Hier ist wahre Theilung eines und des nehmlichen Glücks. Zärtlichkeit setzt folgenden Gang der Gefühle zum Voraus: ich fühle mich mangelhaft in meinem isolierten Zustande, ich kann durch ein Wesen meines Geschlechts, oder nicht meines Geschlechts, aber meiner Gattung, vervollständigt, vervollkommnet werden. Der Mensch außer mir ist ein Wesen meiner Art, er hat gleiche Bedürfnisse, gleiche Ansprüche. Er sucht einen Freund, einen Gatten, wie ich sie suche, und dazu ist uns Beyden nicht jeder Mensch von gleichem Werthe. Nur derjenige, der eine Natur an sich trägt, welche mit der unsrigen im Wohlverhältnisse steht, kann unsern wechselseitigen Hang zur Vervollständigung, zur Vervollkommnung unsers isolierten Wesens befriedigen. Wir bieten uns einander an; die Vereinigung gelingt, und die Vervollständigung, die Vervollkommnung wird von beyden Seiten gefühlt. Wie ist es möglich, daß nicht ein jeder für sich darauf zurückgeführt werde, ich bin es, der beglückt; ich, mit meinem nächsten Selbst, mit meiner engsten Sinnlichkeit, mit meiner Natur! [108] Und nur meine Natur konnte ihn beglücken! Und was ich ihm bin, ist er mir! Ich ergänze, ich verbessere ihn; aber er ergänzt, er verbessert mich gleichfalls!
Dieß sind Gefühle, welche sich bey jeder Zärtlichkeit einfinden; und es ist gewiß, daß, von dieser Seite betrachtet, die Zärtlichkeit mehr Eigennutz enthalte, als die liebende Ergebenheit der Person an die Person.
Dennoch unterscheidet sie sich noch deutlich von der eigennützigen Vereinigung der Naturen, und ist von einer andern Seite betrachtet weniger eigennützig als die liebende Ergebenheit.
Der Mensch, der die Vereinigung der Naturen eigennützig genießt, bezieht alles, was er von dem Vereinigten erhält, nur darauf, wie sein isoliertes Individuum ergänzt und verbessert wird; das Bewußtseyn, daß der andere zugleich dabey gewinnt, ist nur Nebensache, Zufall. Die Vorstellung, daß der andere noch für sich, und isoliert von ihm, einer Zufriedenheit fähig sey, ist ihm sogar widerlich. Er gönnt dem Vereinigten nichts, was er nicht mit ihm theilt, oder was er ihm nicht unmittelbar giebt.
Der zärtlich Liebende hingegen nimmt bey jeder Theilung weit weniger für sich hin, als er dem andern zuzuwenden sucht, und dasjenige, was der andere erhält, erfreuet ihn weit mehr, als was er selbst genießt. Die herrschende Vorstellung bleibt bey ihm immer der Vortheil des Geliebten. Er gönnt dem Vereinigten auch gern jedes Glück, das er einzeln genießen kann; Reichthum, Ehre, Vermögen, Bequemlichkeit, Zerstreuung, Belehrung, Veredlung seines Charakters, kurz, alles, nur die Wollust nicht, welche unmittelbar aus der Vereinigung der körperlichen Naturen entspringt; nur die [109] Wonne nicht, die aus der Vereinigung des Herzens, der Naturen der Seele, fließt. Jene Zufriedenheit, die er einzeln genießen kann, mag ihm geben wer da will; jenes Glück, welches nicht von der Vereinigung der Naturen abhängt, mag er mit allen theilen! Aber diese? Nein! Was diese geben kann, das will er geben, das will er theilen! Und warum? Nur mit ihm kann es vollständig genossen werden! Es wäre selbst für den zärtlich Geliebten nur ein mangelhafter Genuß, wenn er die Vereinigung der Naturen bey einem andern, als bey dem zärtlich liebenden, für ihn ganz geschaffenen Wesen, aufsuchte!
Dieß ist der Eigennutz, dieß ist die Eifersucht der Zärtlichkeit! Welcher Freund wird dem Freunde mißgönnen, daß er sich in größeren Zirkeln von andern unterhalten finde, daß ihm von den Großen der Erde, vom Publico, Ehre bezeugt werde, daß ein Weib seine häuslichen Verhältnisse beglücke! Aber welcher Freund wird es gleichgültig anhören, daß ein dritter gleiche Rechte mit ihm habe, der Vertraute derjenigen geheimsten Gedanken und Empfindungen des Freundes zu seyn, welche der Mann nur dem zärtlich geliebten Manne, das Weib nur dem zärtlich geliebten Weibe anvertrauet! Kann denn ein anderer den Freund eben so verstehen, eben so fühlen? Und wie viel gerechtfertigter steht nicht noch in diesem Punkte der Eigennutz und die Eifersucht der Gatten!
Ach! es ist nur Rausch der Sinne und der Eitelkeit, wenn der zärtlich Geliebte die Umarmungen, die Freuden häuslicher Vertraulichkeit und geselliger Distinktion, bey einem dritten mit dem Gefühle vereinigter Naturen zu genießen glaubt: es ist kein dauerndes Glück! Nur der [110] zärtlich Liebende kann ihm dieß Gefühl, dieses Glück vollständig gewähren! Warum verdirbt er sich seine Freuden?
So denkt, so betrügt sich vielleicht nur die zärtliche Liebe! So stellt sich ihr Eigennutz, ihre Eifersucht vor ihr selbst als uneigennützig dar! Hingegen die wirklich eigennützige Anhänglichkeit ist eifersüchtig auf alles, was dem Vereinigten Gutes widerfährt, sobald sie nicht Antheil daran hat, sobald sie nicht wenigstens das Gefühl erhält: er hat’s von mir!
Die liebende Ergebenheit, welche nicht mit Zärtlichkeit verbunden ist, hat dieß zum Voraus, daß sie überhaupt nicht, oder weniger eifersüchtig ist. Der Diener gönnt dem Herrn jedes Glück, welches ihm nicht durch ihn widerfährt, welches er nicht mit ihm theilt; eben so das Kind seinen Aeltern; umgekehrt der Herr dem Diener, die Aeltern den Kindern, in so fern nehmlich die Anhänglichkeit dieser Personen nicht in Zärtlichkeit übergegangen ist. Dagegen aber opfern diese Personen auch weit weniger von ihrem Persönlichen auf, um den Geliebten zu beglücken; ihr Beytrag zu seiner Zufriedenheit wird nicht so von ihrem Innersten, Engsten, Nächsten genommen, wie bey der Zärtlichkeit. Wie ein mehreres geben der Freund, der Gatte, die zärtlichen Aeltern von ihrem isolierten Wohlstande, von ihrer isolierten Bequemlichkeit, Ruhe, Gesundheit, Vermögen, Erheiterung u. s. w. hin; wie viel näher nehmen sie es von ihrem Selbst weg, um es dem Geliebten zu geben! Gewiß, die Zärtlichkeit ist in diesem Sinne viel uneigennütziger als die liebende Ergebenheit!
Inzwischen nimmt die Zärtlichkeit doch einen besondern Charakter durch die Beymischung des ihr eigenen [111] Eigennutzes an. Sie läßt sich nicht bloß an derjenigen Theilung genügen, wodurch die liebende Ergebenheit die Wonne, den Geliebten glücklich zu wissen, zu ihrem Antheile erhält; nein, sie will zugleich durch Vereinigung der Naturen beglücken, und dabey ein und dasselbe Glück theilen; in einem und demselben Genuß mit dem Geliebten zusammentreffen.
Es ist wahr, die liebende Leidenschaft kann sogar so weit gehen, der Vereinigung der Naturen zu entsagen, nur um der Wonne des Bewußtseyns willen, den leidenschaftlich Geliebten beglückt zu haben. Allein dieser Fall, der den Charakter der Liebe, als wonnevolles Bestreben nach der Ueberzeugung von der Zufriedenheit eines Andern wieder begründet, gehört doch einem ganz andern und höheren Verhältnisse an.
[112]
Drittes Buch.
Von der Geschlechtssympathie *), und der Sympathie mit dem Gleichartigen.
Erstes Kapitel.
Einleitung.
Heiliger Trieb! bestimmt von der Natur zur Erfüllung hoher Zwecke! Holder Trieb! Geber der höchsten sinnlichen Freuden; Geber so vieler andern, die dem innern Menschen gehören! Edler Trieb! Gegengewicht, mildernder Gefährte unserer selbstischen, zerstörenden Triebe! Urstoff der stärksten Bande unter den Menschen! Mittler älterlicher Zärtlichkeit! Beförderer heroischer Freundschaft! Zeuger, Mehrer, Tröster alles dessen, was lebt und webt in der Natur! – Geschlechtstrieb! Warum haben Unverstand und Mißbrauch so oft deine wahren Züge in einem Afterbilde entstellt, [113] und selbst dem Gebrauche deines Nahmens den Vorwurf der Unanständigkeit zugezogen?
Jetzt, da ich tiefer in deine Natur einzudringen suche, zeige dich mir in Begleitung jener deiner Gefährten, Schamhaftigkeit und Anstand, die sich so gern im Menschen zugleich mit dir entwickeln, und nur durch Rohheit oder Ausartung von dir getrennt werden. Und du, Liebe zur Wahrheit! laß mich nie vergessen, daß selbst reine Seelen über die Wahl ihrer Ausdrücke wachen sollen, und daß Unbescheidenheit dir eben so zuwider ist als übertriebene Zartheit! Beyde stehen der Harmonie des sittlichen Charakters, deinem ersten Gesetze und deinem höchsten Triumph im Wege! So werde ich mit jungfräulicher Hand nur den obern Mantel von der Natur abnehmen, und ihr den innern Schleyer nicht entziehen, der ihre Mysterien vor den Augen des Ungeweihten verhüllet, ohne ihre Umrisse dem mehr Erfahrnen zu verstecken! *)
[114]Es ist ein großer Irrthum, – ein Irrthum, der bisher alle unsere Untersuchungen über die Natur des Unterschiedes zwischen dem Erhabenen und Anmuthigen gehemmt hat, – wenn wir die Verschiedenheit der Geschlechter und ihren gegenseitigen Zug zu einander bloß auf dasjenige Verhältniß eingeschränkt haben, worin sich lebendige Creaturen gegenseitig befinden. Vielleicht können schon leblose Körper in diesem Verhältnisse von Geschlechtsverschiedenheit, und mittelst derselben in einer genaueren Verwandschaft mit einander stehen!
Doch, der Beweis dieses Satzes liegt hier außer den Grenzen meines Zwecks. Offenbar aber stehen schon leblose Körper, welche durch sinnliche Eindrücke auf uns wirken, mit der Reitzbarkeit unserer Sinnenorgane in dem doppelten Verhältnisse der Geschlechtsverwandschaft und des Gleichartigen; und dieser Satz wird mir bereits wichtig genug, um den Beweis davon in der Folge zu übernehmen.
Es ist ein großer Irrthum, – ein Irrthum, der bisher der Untersuchung über die Natur des Unterschiedes zwischen Freundschaft und Geschlechtsliebe sehr im Wege gestanden hat, – wenn wir die Geschlechtsverschiedenheit unter den Menschen in dem Verhältnisse derjenigen Personen gegen einander ausschliessend aufgesucht haben, welche durch Körperverbindung zur Fortpflanzung der Gattung beytragen können, und ihrer äußern Bildung nach als geschickt dazu erscheinen. Oft trägt diejenige Person, welche allgemeinen äußern *)[115] Kennzeichen nach zu den Frauenspersonen gerechnet wird, mehr männliche Anlagen an sich, als diejenige, welche man im gemeinen Leben zu den Mannspersonen zählt; und eben diese Verwechselung tritt oft bey unserm Geschlechte ein.
Mehr. Es ist falsch, daß nur die Körper eine Geschlechtsverschiedenheit zeigen, und vermöge derselben nach Verbindung streben! Nein! auch Seelen fühlen den Zug der Geschlechtsverwandschaft zu einander, und diejenige Zärtlichkeit, welche darauf beruht, ist weit verschieden von der Freundschaft zweyer Seelen von ähnlichen Geschlechtsanlagen.
Es ist falsch, es ist nicht wahr, daß der ursprünglichen Bestimmung der Natur nach die Triebe nach Körperverbindung sich nur auf solche Körper richten, welche in der Vereinigung mit einander zur Fortpflanzung geschickt sind. – Es ist nicht wahr, daß die Regsamkeit dieser Triebe allemahl an äußern Erscheinungen am Körper wahrgenommen werde, und daß der Zweck und die Begünstigung derselben in derjenigen Handlung bestehe, welche als die letzte Ursach jener Fortpflanzung der Gattung angesehen wird.
Wie wichtig sind alle diese Behauptungen zur wahren Bestimmung der Geschlechtsliebe und ihrer verschiedenen Modificationen, je nachdem Triebe des Körpers oder der Seele darin prädominieren! Wie wichtig zur Wegräumung so manchen Mißgriffs, der sich in die Erörterungen über Begeisterung und Schwärmerey für Schönheit und Vollkommenheit an todten, lebenden und übersinnlichen Gegenständen eingeschlichen hat!
O! daß bey meinen folgenden Untersuchungen die Unbestimmtheit der Begriffe des großen Haufens, oder [116] die falsche Richtung, welche die Bemühungen seiner Wegweiser genommen haben, die Armuth der Sprache, und die Rücksicht auf die Forderungen des Anstandes mir nicht zu viele Hindernisse in den Weg gelegt hätten! Wie schwer ist mir die Wahl des Ausdrucks geworden! Wie sorgsam habe ich gesucht, mich an bekannte Worte zu halten, welche das wahre Verhältniß der Sache wenigstens im Ganzen bezeichneten, und mir nur die Mühe übrig ließen, allgemeine Wahrnehmungen auf bestimmte Begriffe zurückzuführen! Aber wie selten hat mir dieß gelingen können! Ich habe mich nach langjährigen Bemühungen endlich doch begnügen müssen, eigene Bewegungen für neuentwickelte Begriffe zu erschaffen; zufrieden, nur durch eine gewisse Verwandschaft zwischen bekannten Nahmen und dem wahren Gehalt der Dinge der Aufmerksamkeit und dem Gedächtniß zu Hülfe zu kommen!
Zweytes Kapitel.
Vorläufige Bezeichnung der Geschlechtsverschiedenheit und des Gleichartigen, so wie der Sympathien, die darauf beruhen, um der Aufmerksamkeit bey der ferneren Untersuchung zu Hülfe zu kommen.
Die Begriffe von demjenigen, was Geschlecht, was Verschiedenheit des Geschlechts, was Hang zum Geschlechte heißt, sind, besonders nach allen Mißverständnissen die sich in diese Materie eingeschlichen haben, so schwer zu fassen, daß ich mir jedes Mittel erlauben darf, wodurch ich der Deutlichkeit näher zu treten, und der Aufmerksamkeit meiner Leser eine bestimmtere Richtung zu geben hoffen kann.
[117]Der bequemste Weg, diese mit mir zur Erkenntniß desjenigen, was ich in diesen Stücken für Wahrheit halte, zu führen, scheint mir dieser zu seyn, von dem Einzelnen zu dem Allgemeinen überzugehen; mithin die Erscheinungen des Hanges unsers Wesens nach Verbindung mit andern Gegenständen an den verschiedenen Bestandtheilen unsers Wesens, am Körper und an der Seele, so wie an den Aeußerungen ihrer Hauptvermögen und Kräfte im Einzelnen nachzuspüren: dasjenige, was der Geschlechtssympathie gehört, von demjenigen abzusondern, was der Sympathie mit dem Gleichartigen anzugehören scheint, und so zu einem allgemeinen Begriffe Beyder zu gelangen.
Dadurch hoffe ich dem Bedürfnisse nach Verständigung abzuhelfen. Aber es kommt zugleich darauf an, mir die Aufmerksamkeit meiner Leser zu sichern; und dazu scheint es nothwendig, selbst auf die Gefahr, in Wiederholungen zu fallen, sogleich das Resultat der künftigen Untersuchung hier voranzustellen.
Die Anlagen oder Fähigkeiten des Menschen können sowohl dem Körper als der Seele nach auf zwey Dispositionen zurückgeführt werden, deren eine seine Stärke, die andere seine Zartheit ausmacht. Beyde Dispositionen finden sich in jedem Menschen, er mag seinen äußern Kennzeichen nach zur Classe der Mannspersonen, oder zu der der Frauenspersonen gerechnet werden.
Zur Stärke des Menschen gehört sein Vermögen, hart angreifende Reitzungen für die Sensibilität seiner Sinnenorgane zu leiden, die feurige Wallung der Lebenskraft und Anstrengung der Lebenswerkzeuge zu dulden, sein Gemüth erschüttert, seinen Geist empor gehoben zu fühlen. Es gehört aber auch dahin seine [118] Kraft, sich gegen andre Gegenstände hart angreifend zu bewegen, ihnen die Wallung seiner Lebenskraft, die Anstrengung seiner Lebenswerkzeuge mitzutheilen, ihr Gemüth zu erschüttern, und ihren Geist emporzuheben. Mithin hat jeder Mensch ein leidendes Vermögen und eine thätige Kraft in sich, die sich unter dem Charakter der Stärke als eine besondere Disposition seiner Anlagen überhaupt ankündigen. Der Zustand, in den er durch die Wirksamkeit dieser Stärke geräth, ist der einer leidenden oder thätigen Spannung.
Zur Zartheit des Menschen gehört dagegen sein Vermögen, sanfte Reitzungen für die Sensibilität seiner äußeren Sinnenorgane zu leiden, die Allmählichkeit und Auflösung der Lebenskraft und Lebenswerkzeuge zu dulden, sein Gemüth erweicht, seinen Geist in leichter Spannung zu fühlen. Es gehört aber auch dahin die Kraft, auf andere Gegenstände sanft einzuwirken, und ihnen unsre Allmählichkeit, Auflösung, Weichheit und leichte Schwingung mitzutheilen. Mithin birgt jeder Mensch ein leidendes Vermögen und eine thätige Kraft in sich, die sich unter dem Charakter der Zartheit als eine besondere Disposition seiner Anlagen überhaupt ankündigen. Der Zustand, in den er durch Wirksamkeit seiner Zartheit geräth, ist der einer leidenden oder thätigen Zärtelung.
Jeder Mensch birgt, wie gesagt, diese doppelte Disposition seiner Vermögen und Kräfte in sich, die in Rücksicht auf die ganze Gattung seiner Anlagen als zwey Geschlechter derselben anzusehen sind. In so fern aber die Menschen mit dem ganzen Inbegriffe ihrer Anlagen, der sich in jedem Einzelnen von ihnen findet, unter sich, und in Rücksicht auf die ganze Gattung der [119] Individuen betrachtet werden, findet sich bey dem Einen die Disposition zur Stärke hervorstechend vor der Zartheit, bey dem andern aber die Zartheit im Uebergewichte über die Stärke. Dieß begründet dann die Eintheilung der menschlichen Gattung in zwey Geschlechter. Der Mensch, bey dem die Stärke die Zartheit überwiegt, ist Mann: der Mensch, bey dem die Zartheit über die Stärke hervorragt, ist Weib.
Wenn der Mensch, der sich stark fühlt, sich dem starken Menschen nähert, um in der Verbindung mit ihm seine Stärke zu ergänzen; – so empfindet er Sympathie mit dem gleichartigen Starken, oder mit dem ähnlichen Geschlechte in andern, und sein Zustand wird der der reinen aber erhöheten Spannung.
Wenn auf der andern Seite der Mensch, der sich zart fühlt, sich dem zarten Menschen nähert, um in der Verbindung mit ihm seine Zartheit zu ergänzen; – so empfindet er Sympathie mit dem gleichartigen Zarten, oder mit dem ihm ähnlichen Geschlechte in andern, und sein Zustand ist der einer reinen aber erhöheten Zärtelung.
Zuweilen gerathen die beyden Dispositionen im Menschen in Aufruhr, und er strebt nach der vollkommensten Wirksamkeit seiner Anlagen durch gleichzeitige Spannung und Zärtelung. Dann nähert er sich einem andern Menschen, dem er eine verschiedene Mischung der Dispositionen von der seinigen, das heißt ein verschiedenes Geschlecht zutrauet, um in der Verbindung mit ihm nicht bloß die eine oder die andere Disposition seiner Anlagen, sondern ihre Gattung im Ganzen zu verbessern. Er empfindet alsdann Sympathie mit dem [120] Geschlechtsverschiedenen: Geschlechtssympathie, oder, wie man es billig nennen sollte, Gattungssympathie. Der Zustand, dem er nachstrebt, ist der einer gezärtelten Spannung; ein Zustand von überschwenglicher Wollust und Wonne wegen der erhöheten und ausgebreiteten Wirksamkeit beyder Dispositionen unserer Vermögen und Kräfte.
Inzwischen werden sich zwey den herrschenden Dispositionen nach ähnliche Menschen eben so wenig unter einander anziehen, als zwey Menschen, die den herrschenden Dispositionen nach verschieden sind, wenn nicht ein gewisses Wohlverhältniß zwischen ihnen Statt findet, das weder in der Aehnlichkeit noch in der Verschiedenheit ihrer Anlagen allein zu suchen ist. Es beruhet vielmehr in dem Gefühle, daß sie durch wechselseitige Mittheilung ihrer ähnlichen oder verschiedenen Dispositionen die Wirksamkeit ihrer Vermögen und Kräfte auf eine Art erhöhen können, die ihnen isoliert zu erreichen unmöglich wäre.
Sympathie mit dem Gleichartigen ist folglich Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsähnliche eines andern Wesens anzuarten. Der Starke will sich in der Verbindung mit dem Starken stärker, der Zarte mit dem Zarten zärter fühlen. Jener strebt dem Zustande der reinen erhöheten Spannung; dieser dem Zustande einer reinen erhöheten Zärtelung nach.
Geschlechtssympathie ist die Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsverschiedene eines andern Wesens anzugatten. Der Starke will sich zugleich zart, der Zarte zugleich stark fühlen. Jener erhält dadurch den Charakter geschmeidiger Stärke; dieser den Charakter [121]hebender Zartheit, und der Zustand, in dem sie beyde zusammentreffen, ist der einer gleichzeitig leidenden und thätigen Spannung und Zärtelung.
Ich will jetzt diese Sätze im Einzelnen näher zu begründen und zugleich zu erläutern suchen. Es wird aber genug seyn, wenn ich die Aeußerungen der Geschlechtssympathie entwickle, die im Ganzen viel auffallender wahrgenommen werden, und diesen die Aeußerungen der Sympathie mit dem Gleichartigen gelegentlich entgegenstelle.
Erster Abschnitt.
Geschlechtssympathie des Körpers.
Drittes Kapitel.
Vorläufige Anzeige der dreyfachen Modificationen der Geschlechtssympathie des Körpers.
So wie wir bereits an leblosen Körpern mehrere Modificationen der Wahlanziehung oder Adfinität wahrnehmen, welche sich bey ihrer Annäherung an einander auf sehr verschiedene Weise ankündigt; so dürfen wir auch bey animalischen Körpern eine dreyfache Modification der Geschlechtssympathie annehmen.
1) Die Anlage zur Ueppigkeit, – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane, [122] und besonders derer der Tastung, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zu der hebenden Zartheit der Oberfläche der Körper, in die sie sich einlagern, in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung gerathen.
2) Die Anlage zur Lüsternheit; – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Lebenskräfte unserer ganzen thierischen Organisation, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zur hebenden Zartheit der Organisation eines angenäherten belebten Körpers in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.
3) Der unnennbare Trieb oder die Anlage zum unnennbaren Genusse; – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Bildungskraft unserer vegetabilischen Organisation, der unstreitig an ähnliche Gesetze wie die beyden vorigen Arten von Gefühlen gebunden ist, und einen ähnlichen Charakter mit sich führt, welches aber um des Anstandes willen nicht weiter ausgeführt werden darf.
Jene Ueppigkeit, jene Lüsternheit, dieser unnennbare Trieb sind Arten der Geschlechtssympathie, die oft stufenweise auf einander folgen, sich oft in umgeworfener Ordnung unter einander erwecken, oft aber auch in gar keinem Verhältnisse von Ursach und Wirkung zu einander stehen. Ueppigkeit ladet zur Lüsternheit, Lüsternheit zum unnennbaren Triebe ein: das ist der gewöhnliche Fall. Aber es ist auch nichts Ungewöhnliches, daß das Andringen der Bildungskraft die thierische Lebenskraft in Aufruhr setze, und diese wieder die Sensibilität auf [123] eine analoge Weise stimmen. Ja, der unnennbare Trieb kann befriedigt werden ohne Lüsternheit und Ueppigkeit, und diese beyden können wieder jede einzeln und getrennt von ihren Gefährten wirken.
Viertes Kapitel.
Von der Ueppigkeit.
Ich bin bey meinen Studien über die ästhetischen Empfindungen sehr oft auf den Unterschied aufmerksam geworden, den die Berührung verschiedener Körper, wenn diese gleich bey allen angenehm war, auf meine Gefühlorgane hervorgebracht hat. Ich berührte harte, kalte Körper; den polierten Marmor oder Stahl; – allerdings ein wollüstiges Gefühl, das mich aber zum Anschmiegen nicht einlud. Ich erhielt die Wahrnehmung einer undurchdringlichen Glätte, wovon das Tastungsorgan abgleitet. Es schien mir, daß meine Hand sich den Eindruck zwar gern gefallen ließe, aber sich seiner Ausbildung nicht entgegen böte. Ich berührte dann das seidene Haar gewisser Thierfelle, den weichen Stoff gewisser Gewänder; – wieder ein wollüstiges Gefühl, aber von ganz verschiedener Art! Meine Hand ließ sich den Eindruck nicht bloß gefallen, sie bot sich ihm auch entgegen, sie suchte ihn auszubilden! Aber anschmiegen, anlagern, konnte sie sich nicht. Sie fiel durch, und der Mangel an Widerstand gab ihr die Wahrnehmung des bloß Sanften. Endlich berührte meine Hand den weichen, aber aufgebläheten, schnellenden Polster mit seinem sammetnen Ueberzuge und seiner Füllung von Federn; – welch eine ganz verschiedene Empfindung, [124] wollüstiger und zugleich bindender als die beyden vorigen! Hier ward meine Hand zum Anschmiegen und Einlagern aufgefordert; hier erhielt sie durch die Weichheit des Ueberzuges eine Reitzung, sich anzuneigen, und durch die Elasticität der Füllung, die sich ihr entgegen hob, eine zurückwirkende Spannung. Ich fand ferner, daß, je nachdem der Polster mir zu viel Widerstand oder zu wenig leistete, je nachdem die Wahrnehmung des rein Glatten, oder des rein Sanften sich vermehrte, das Ueberschwengliche in meinem Wollustgefühle und der Reitz, mich an ihn zu schmiegen, abnahm.
Was schloß ich daraus? Dieß: daß die Sensibilität, welche mit meinen Tastungsorganen verbunden ist, sich zuweilen gern gespannt, zuweilen gern gezärtelt fühlt, daß aber beyde Reitzungsarten, wenn sie bar und rein für sich wirken, weder so wollüstig noch so bindend an die Körper sind, welche sie erwecken, als jene andere Reitzungsart, wodurch meine Sensibilität zugleich gezärtelt und gespannt wird. Ich schloß ferner daraus, daß dieser letzte Zustand gleichzeitiger Spannung und Zärtelung seinen Grund in einem Wohlverhältnisse zwischen meinem Zustande beym Einnehmen der Empfindung und der Beschaffenheit des Körpers beym Geben haben müsse, und daß der Charakter der letzteren in dem Wohlverhältnisse seiner Nachgiebigkeits- und Widerstandsfähigkeit zu suchen sey.
Ich wandte diese Erfahrungen bald auf meine übrigen Sinne an, und es hat mir geschienen, daß bey ähnlichen Ursachen immer ähnliche Wirkungen erfolgt wären. In einem gleichen Grade von Klarheit konnten sie freylich nicht erscheinen, weil die körperliche Sympathie, oder die sinnliche Wahrnehmung eines Zusammenseyns [125] und einer accordierenden Lage fremder Körper mit dem Zustande des unsrigen, bey der Verbindung ihrer Oberflächen durch die tastenden Organe am schärfsten unterschieden wird. Allemahl aber blieben die Erscheinungen doch klar genug, um sie nach charakteristischen Merkmahlen von einander abzusondern. Der volle Glanz kann wollüstig auf mein Auge wirken; aber er strengt an, und der Blick zieht sich seinem Strahle nicht nach. Ganz etwas Aehnliches erfolgt beym Anblick greller Farben. Hingegen das sanfte Himmelblau und das Mondenlicht laden mein Auge ein, bey ihrem Scheine zu weilen. Aber welch ein erhöheter Reitz in jenem Anblick einer hellen Erleuchtung, deren Glanz ein dünner Schleyer mildert, oder der gebrochenen Strahlen der Sonne im Purpur des Morgens und des Abendhimmels! Hier bietet sich mein Auge nicht allein den Eindrücken gern entgegen; es fühlt sich auch durch die Mischung der Strenge mit der Milde des ergetzenden Schauspiels diesem entgegengehoben und entzückt!
Eine symmetrisch angeordnete Fläche spannt das Sehorgan, indem es ihre abgestufte Ausdehnung auf Ein Mahl auffaßt. Dieß Gefühl kann wollüstig seyn, wenn es von qualvoller Anstrengung frey ist. Aber mein Auge verfolgt nicht die Umrisse der regulär geordneten Fläche; es schmiegt sich mit seinen Blicken nicht an sie an; es läßt sich den anstrengenden Eindruck bloß gefallen. Hingegen verfolgt das Organ die geschlängelten Gestalten, welche eine andere Fläche überziehen, und ich fühle deutlich, daß es durch dieß freye Spiel gezärtelt wird. Wie yiel entzückender aber ist nicht der Anblick eines geründeten Körpers, einer Gruppe, wie sie etwa die Form der Weintraube darbietet! [126] Das Auge schlüpft mit Leichtigkeit an ihren Umrissen weg, verliert sich in den Sinuositäten ihrer Ründung, wird aber zugleich durch die Abstufungen ihrer hinter und unter einander geordneten Theile aufgehalten, und zum Zusammenfassen des Ganzen aufgefordert! Hier erst mischen sich sanfte Gefühle mit anstrengenden, und bringen jene nähere, innigere Verbindung des Auges mit der angeschaueten Form hervor.
Findet sich nicht etwas Aehnliches in der Wirkung der Töne auf mein Ohr! Stehen nicht der gezogene Ton der Flöte und der angreifende der Silberglocke in eben dem Verhältnisse zu einander, wie die Berührung des sanften Körpers zu der Berührung der Körper von undurchdringlicher Glätte? Oder wie das gedämpfte Licht der himmelblauen Farbe zu dem Glanze der rothen? Und ist es nicht der Laut der Menschenstimme oder der Harmonika, der beyde Vorzüge des flötenden Tönens und des silberhellen Klanges mit einander verbindet, und uns dadurch am reitzendsten scheint und am stärksten anzieht? Sind es nicht die ausgehaltenen Züge der Nachtigallskehle, die mit schmetternden Wirbeln wechseln, welche das Ohr zugleich dehnen und aufschwingen, und dadurch diesem Organe die höchsten und zugleich bindendsten Wollustgefühle zuführen?
Verhält sich nicht der Geschmack des brennenden Gewürzes zu dem der schmelzenden Pfirsche, wie der durchdringende Klang des einen Instruments zum weichen Tone des andern? Und ist nicht die Ananas darum von so überschwenglichem Wohlgeschmack, weil sie das Anstrengende des einen mit dem Auflösenden des andern verbindet? Eben diese Beobachtungen treffen auf gewisse Wohlgerüche zu, wenn wir den Eindruck, den bloß [127] pikante Salze auf unsre Geruchsorgane machen, mit dem des Rosendufts, und beyde wieder mit dem gewisser wohlriechenden Oehle und Specereyen vergleichen.
Also giebt es unstreitig eine dreyfache Schwingung, in welche die Sensibilität unserer Sinnenorgane versetzt werden, und die dreyfache Wollustgefühle hervorbringen kann: reine Spannung, reine Zärtelung, und eine dritte höhere und bindendere, die aus einer Vermischung oder Vermählung der beyden ersten entsteht. Ich nenne die letzte: üppige Gefühle.
Da ich hier meine Aufmerksamkeit bloß auf diejenige Modification unserer Sinnlichkeit richte, die ich im ersten Buche körperliche Sympathie genannt habe; so will ich mich hier auch bloß auf die nähere Bestimmung derjenigen spannenden, zärtelnden und üppigen Gefühle einlassen, wobey wir ein Zusammenafficiertwerden, entweder eine Theilung des nehmlichen Zustandes mit dem belebten Körper, oder wenigstens eine Uebereinstimmung unsers Zustandes mit der Lage des neben uns bestehenden unbelebten Körpers beachten.
Ich werde jetzt zeigen, daß die rein spannenden und rein zärtelnden Wollustgefühle der Sympathie mit dem Gleichartigen; – die üppigen aber der Geschlechtssympathie angehören.
Die zweyfache Reitzungsart der Sensibilität unserer Organe, *) gespannt und gezärtelt zu werden, setzt nothwendig [128] zwey verschiedene Dispositionen derselben oder Fähigkeiten zum Voraus, durch äußere Eindrücke zur Lust oder Unlust gereitzt zu werden. Es sey mir erlaubt, die eine unsre Straffheit oder unsere leidende Stärke zu nennen, weil wir vermöge derselben fähig sind, den Angriff zu dulden, ihm eine Art von Widerstand zu leisten, und uns von ihm anstrengen, spannen zu lassen. Die andere nenne ich unsere Zartheit oder leidende Geschmeidigkeit, weil wir vermöge derselben fähig sind, uns sanften Eindrücken zu überlassen, und von ihnen gezärtelt zu werden.
Mit diesen beyden empfangenden Fähigkeiten unserer Sensibilität müssen nothwendig Beschaffenheiten in den äußern Körpern correspondieren, uns auf eine zweyfache Art zu reitzen. Diese werden als thätige Kräfte angesehen, und ich darf das Vermögen, uns zu spannen, dreist durch ihre Spannkraft, das, uns zu zärteln, dreist durch ihre Zärtelungskraft bezeichnen.
Wenn nun der kalte glatte Marmor uns wollüstig reitzt, so ist der Grund offenbar nicht darin zu suchen, weil er uns das Gefühl der Auflösung oder Zärtelung unserer Organen giebt, sondern darin, daß er unsere Organe anstrengt und spannt. Seine Spannkraft wirkt daher nicht auf die Zartheit unserer Sensibilität, sondern auf ihre Straffheit oder leidende Stärke, die Widerstand *)[129] zu leisten, und durch Anschauung zur Lust gereitzt zu werden fähig ist.
Wenn dagegen das seidene Haar uns wollüstig reitzt, so ist der Grund wieder nicht darin zu suchen, daß unsre Organe angestrengt, sondern darin, daß sie aufgelößt, gezärtelt werden. Ihre Zärtelungskraft correspondiert daher mit einer Zartheit oder leidenden Geschmeidigkeit in uns, vermöge deren wir uns sanften Eindrücken gern überlassen.
Es beruht aber nun wieder auf ausgemachter Erfahrung, daß nicht jeder Eindruck eines Körpers, der unsre Organe spannt, darum wollüstig sey. Im Gegentheil, manche kalte Glätte, mancher Schlag, manche Klemmung von einem Körper, der sich an den unsrigen anlegt, sind uns widrig. Eben dieß ist der Fall mit mancher Berührung zäher Flüssigkeiten, schlaffer Oberflächen animalischer und vegetabilischer Körper, die uns auf eine ekelhafte Art zärteln. Es giebt Menschen, deren Organe so zart eingerichtet sind, daß jeder spannende Eindruck von andern Körpern ihnen grob vorkommt; es giebt andere, deren Organe so stark geformt sind, daß jeder zärtelnde Eindruck ihnen schlaff scheint.
Zuweilen paßt der Eindruck den wir erhalten, nur nicht in die gegenwärtige Stimmung der Sensibilität unserer Organe, z. B. das Auge umfaßt den Anblick einer ganz geradlinig angeordneten Fläche, und wird dadurch gespannt; auf ein Mahl mischt sich eine Schlangenlinie dazwischen, die es zärtelt; oder umgekehrt, das Auge durchläuft die geschlängelten Linien einer mit Krümmungen überzogenen Fläche; auf ein Mahl mischt sich eine gerade Linie dazwischen; so wird in beyden Fällen die Stimmung, worin gerade die Sensibilität unsers [130] Auges war, auf eine unangenehme Art unterbrochen. Auffallender wird dieß noch, wenn die Tastungsorgane an einem harten Körper hinfahren, und schnell auf Weichheit fallen; oder umgekehrt, wenn sie beym Streicheln eines sanft zu berührenden Körpers den Widerstand der Härte finden. Eben so widrig ist es dem Ohre, wenn ein Mollton in den reinen Duraccord, ein Durton in den reinen Mollaccord eingemischt wird.
Damit also die reitzende Kraft der äußeren Körper unsere Sensibilität zu Gefühlen der Lust auffordere, wird nothwendig ein Wohlverhältniß zwischen beyden zum Voraus gesetzt, vermöge dessen wir nicht anders afficiert werden, als unsere Einrichtung im Ganzen, oder unsre gegenwärtige Stimmung es zuläßt.
Dieß Wohlverhältniß kann von doppelter Art seyn:
Entweder es liegt in der Ergänzung, Vermehrung, Vervollständigung der einen oder der andern reinen Disposition unserer Sensibilität, der reinen Stärke, der reinen Zartheit;
oder es liegt in der Schöpfung einer neuen Disposition, worin Stärke und Zartheit zusammen wirksam sind, ohne sich einander zu stören.
Die Wirkung des ersten Wohlverhältnisses ließe sich mit dem Wohllaut des Einklangs, (Unisons) vergleichen; die des zweyten mit dem Wohllaut des Zusammenklangs, (der Harmonie.) Jene empfinden wir in den rein spannenden und rein zärtelnden Wollustgefühlen, diese in den üppigen.
Zuerst von den rein spannenden und rein zärtelnden Wollustgefühlen.
Wir müssen annehmen, daß wir das Bewußtseyn von einem Vollständigkeitspunkte für unsere Sensibilität [131] und ihre Modificationen haben, der ihr zugleich zum Sättigungspunkte dient. Wir wollen gespannt oder gezärtelt seyn, um unsere Sensibilität in gehöriger Straffheit oder Zartheit zu fühlen. Aber nur bis auf einen gewissen Punkt. So lange dieser noch nicht erreicht ist, fühlen wir einen gewissen Mangel, und nehmen daher gern spannende oder zärtelnde Eindrücke von andern Körpern an. Aber so bald dieser erreicht ist, so sind wir auch gesättigt, und stoßen die ferneren Eindrücke ab.
Gesetzt also, wir kommen mit einem Körper in Verbindung, der uns über den Sättigungspunkt hinaus spannt, so wird der Eindruck übermäßig und widrig; und eben so verhält es sich mit den Körpern, die uns übermäßig zärteln.
Diese Behauptung kann niemand in Zweifel ziehen, der einige Beobachtungen darüber anstellen will, wie uns das Umfassen des kalten, glatten Marmors oder Stahls wollüstig spannt, wie hingegen die Berührung des Eises durch seine übermäßige Kälte uns widrig erschüttert; – wie wir die Berührung des zarten Zobelpelzes lieben, hingegen vor der Berührung der Oberfläche eines schmierigen Körpers mit Ekel zurückschaudern.
Hierauf beruht die Sympathie unserer Organe mit gleichartigen Körpern. Unsere leidende Stärke stößt auf eine ihr wohlgefällige Spannkraft, unsere Zartheit auf eine ihr wohlgefällige Sanftheit. Wir finden zwischen unserm Zustande und der Eigenschaft des äußern Körpers eine Gleichartigkeit, die uns angenehm ist, weil sie durch einen Zusatz von Wirkung auf uns diejenige Modification unserer Sensibilität verbessert, in der wir schon waren, oder in die wir zu gerathen suchen. Nähern wir uns, um gespannt [132] oder gezärtelt zu seyn, Körpern, die uns in den Zustand, dem wir dermahlen nachstreben, nicht versetzen können, so lassen wir sie gleichgültig liegen; wirken sie anders auf uns, als wir es wünschen, oder übertreiben sie die Wirkung, so fliehen wir vor ihnen zurück.
Dieß liegt bey den rein spannenden oder rein zärtelnden Wollustgefühlen zum Grunde, wovon ich oben die Beyspiele angeführt habe.
Ganz verschieden ist hiervon die Ueppigkeit: jener Zustand einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane, und besonders derer der Tastung, wenn diese in gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zu der hebenden Zartheit der Oberfläche anderer Körper, in die sie sich einlagern, gerathen.
Der Zustand der Spannung und der Zärtelung unserer Organe hängt offenbar nicht bloß von ihrer leidenden, bloß einnehmenden Wirksamkeit, sondern auch von ihrer thätigen, auf die äußern Körper einwirkenden Kraft ab. Es ist offenbar, daß meine Hand nicht bloß den Angriff des reitzenden Körpers aushalten, und sich dadurch spannen lassen, sondern daß eben diese Hand auch ihn angreifen, in ihn eindrücken, und dabey sich selbst spannen könne. Eben so unläugbar ist es, daß meine Hand sich nicht bloß der sanften Berührung des reitzenden Körpers hingebe, und sich dadurch zärteln lasse, sondern daß sie auch ihn sanft behandeln, und sich dabey zärtlich fühlen könne. Ich nenne diese beyden Dispositionen unserer Sensibilität zur thätigen Spannung und thätigen Zärtelung ihre thätige Stärke und ihre thätige Geschmeidigkeit.
[133]Nun kann es leicht geschehen, daß unsere Organe in den Zustand der gleichzeitigen leidenden und thätigen Spannung gerathen, und dieser Zustand ist unter allen, die wir für die Sensibilität unserer Organe kennen, der vollkommenste. Denn er giebt uns zu gleicher Zeit den Genuß der leidenden und thätigen Wirksamkeit, der Anstrengung und der Auflösung unserer Organe. Das Leidende in diesem Zustande darf man dann sehr wohl mit dem Nahmen der gezärtelten Spannung; das Thätige darin aber mit dem Nahmen der geschmeidigen Stärke bezeichnen. Dieß Thätige nimmt alsdann den Charakter einer inhärierenden Eigenschaft, jenes Leidende aber den Charakter einer Lage, einer Erscheinung an. Die äußere Wirkung ist die engste Verbindung mit dem Körper, das wirkliche oder wenigstens so gefühlte Einlagern in denselben.
Ein harter Körper, mit dem wir uns in Verbindung fühlen, kann diesen Zustand nicht erwecken, oder wenigstens nicht zur Vollständigkeit bringen. Das Umfassen des kalten, undurchdringlichen Marmors hemmt alles Bestreben unserer Muskeln in ihn einzugreifen. Der Eindruck, den er auf uns macht, wird als bloß leidend und als rein spannend beurtheilt, und wenn wir ihn wirklich so streicheln, als ob wir auf ihn einwirken und von ihm gezärtelt werden könnten, so gehört diese Empfindung einer erkünstelten Stimmung, und nicht der unmittelbaren Sensibilität des Tastungsorgans.
Hingegen weiche Körper, die sich leicht eindrücken lassen und uns zärteln, geben unsern Muskeln einen freyeren Schwung nach Außen hin, und fordern diese zum Eingreifen auf. Man darf nur an die unwillkührliche Bewegung, an das Spiel denken, in welches unsre [134] Finger gerathen, wenn wir seidne Haarlocken berühren. Inzwischen wird diese Irritation unserer Muskeln zum Eingreifen sich sehr bald in den bloßen Unison der reinen Zärtelung, und dadurch in den Zustand des ruhigen Einnehmens verlieren, oder wohl gar widerlich werden, wenn der Körper, auf den wir wirken, neben seiner Weichheit nicht zugleich eine Widerstandsfähigkeit, etwas Schnellendes und Hebendes wahrnehmen läßt, das bey uns das Gefühl eines duldenden Entgegenlegens und zärtlichen Zurückwirkens von seiner, und einer allmähligen Anstrengung und eines geschmeidigen Ueberwindens von unserer Seite hervorbringt. Hierdurch entsteht erst die Wahrnehmung einer leidenden Lage in ihm, die mit unserm leidenden Zustande gleichartig ist, nehmlich gezärtelte Spannung; und einer thätigen Eigenschaft in ihm, die von unserer thätigen Eigenschaft verschieden, aber doch mit dieser verwandt ist. Wir legen ihm ein Vermögen bey, zurückzuwirken, das wir sein Hebendes nennen: und eine Fähigkeit, unsre Angriffe zu leiden, die wir seine Zartheit nennen, und finden nun diese hebende Zartheit im Wohlverhältnisse zu unserer geschmeidigen Stärke.
Man darf nur die geringste Aufmerksamkeit auf die Verschiedenheit der wollüstigen Empfindungen wenden, mit denen uns eine straff aufgeblähte Blase, die keinen Eindruck leidet, oder ein schlaffer Schlauch, der keinen Widerstand leistet, oder endlich ein weicher aber schnellender Polster bey der Berührung afficieren, um die Richtigkeit der obigen Bemerkungen zu fühlen. Nur dieser letzte giebt uns eine wirklich üppige Empfindung, und welchen Charakter hat sie? Offenbar den der Beziehung einer Eigenschaft dieses Körpers auf eine [135] Eigenschaft des unsrigen, die mit dieser in Verwandschaft steht, aber ihr nicht gleich ist, der hebenden Zartheit auf die geschmeidige Stärke, die beyde in der übereinstimmenden Lage einer gezärtelten Spannung, die wir empfinden, und dem unbelebten Körper durch Assimilation beylegen, zusammentreffen. Die äußere Wirkung ist das Einlagern in den Polster: die engste Verbindung mit ihm.
Hieraus folgt, daß Ueppigkeit, besonders der Tastungsorgane, den wahren Charakter einer Wollust der Geschlechtssympathie an sich trägt, denn wir vermählen hier in uns Gefühle, die der Art nach verschieden, der Gattung nach aber gleich sind. Sie gehören beyde zu unserer Sensibilität, aber zu ihren verschiedenen Dispositionen. Wir legen dem angenäherten Körper Eigenschaften bey, die wir an unsern Organen finden: Fähigkeit zu empfangen und Kraft zu wirken; leidende und thätige Stärke, die wir sein Hebendes nennen; leidende und thätige Geschmeidigkeit, die wir seine Zartheit nennen. Wir finden aber diese Eigenschaften bey ihm in einer ganz andern Mischung, folglich auch von anderer Beschaffenheit als bey uns. Bey ihm praedominiert die Zartheit, bey uns die Stärke; aber er hat doch Stärke genug, sich uns entgegen zu heben; wir haben Geschmeidigkeit genug, seiner Zurückwirkung nachzugeben. Hierdurch entsteht das Gefühl: wir sind von einer Gattung, aber nicht von einem Geschlecht. Demohngeachtet strebe ich nach Verbindung. Warum? Weil ich meinen Zustand durch Aneignung seiner Eigenschaften und Versetzung in seine Lage verbessern, und indem ich die Vorzüge beyder Arten in mir vereinige, meine Sensibilität zu einer Stufe von vollkommener Wirksamkeit [136] bringen will, die nur der Gattung, nicht dem einzelnen Geschlechte von Empfindungen angehören kann.
Man kann noch folgende Charaktere der Ueppigkeit festsetzen. Sie zieht immer mit einer größern Lebhaftigkeit, mit einem gewissen Grade von Unruhe zu den Körpern hin, die sie erwecken. Das rein Zarte, rein Starke führt diese Unruhe nicht mit sich. Die Wollustgefühle, welche diese in uns erregen, sind viel gemäßigter. Wir bleiben, was wir waren, wir vervollständigen nur unsere Stimmung, und zwar durch leidendes, duldendes Empfangen. Hingegen bey der Ueppigkeit wird die Stimmung unserer Sensibilität zur Stärke oder Zartheit die wir haben, aufgelößt: sie geht in eine andere über, die von beyden etwas an sich trägt: und wir streben, wir wirken ein.
Ueppigkeit ist bindender an die Gegenstände die sie erwecken, als der rein gespannte oder gezärtelte Zustand. Sie strebt stärker nach Dauer der Verbindung und Ausbildung ihres Genusses: Sie lagert sich ein!
Ueppigkeit kommt allen unsern Organen zu, aber dem der Tastung liegt sie am nächsten.
Solchemnach würde es eine völlig unrichtige Vorstellung seyn, wenn wir das Gefühl der körperlichen Ueppigkeit für eine Wirkung der Ideenassociation mit dem unnennbaren Triebe halten, und annehmen wollten, daß der Polster, die Weintraubengruppe, der Ton der Harmonika, u. s. w. uns an die Mittel zur Befriedigung jenes Triebes, oder an die Stimmung, welche wir während desselben empfinden, erinnerten.
Freylich zeigt sich die Ueppigkeit nie auffallender, als in dem Verhältnisse, worin der Mann, der als fähig zum Gatten anerkannt wird, zum Weibe, der Gattin, [137] steht. Aber woran liegt dieß? Bloß daran, daß der Reitz des weiblichen Körpers gerade durch hebende Zartheit, so wie die Sensibilität der Organe des Mannes durch Anlage zur geschmeidigen Stärke charakterisiert wird. Die Temperatur des letzten ist gewöhnlich stark, und der Hang nach Spannung ist ihm vorzüglich eigen. Aber er hat auch eine Zartheit an sich, und der Zustand der Zärtelung, wodurch seine Stärke geschmeidig wird, ist ihm äußerst angemessen. Den Trieb darnach befriedigt nichts so sehr, als der Eindruck des üppigen Reitzes am weiblichen Körper.
Das männliche Auge dehnt sich den geschlängelten Linien der Umrisse des weiblichen Körpers nach, wiegt sich in die sanften Uebergänge seiner Carnation ein, während daß die Windungen der Ründung, die Lebhaftigkeit des Augenglanzes, des Wangenroths und der Haarfarbe, die Sehkraft in steter Regsamkeit erhalten. – Das Organ des Gehörs bey dem Manne zieht sich dem flötenden Tone der weiblichen Stimme nach, deren Silberklang eben dieß Organ zugleich zu stärkeren Schwingungen weckt. – Endlich laden die rundliche Völligkeit des weiblichen Baues, der Sammet der zarten Haut, zum Anschmiegen und Streicheln ein, indem die Muskeln sich zugleich elastisch dem Eindruck entgegen heben.
So hat die liebende Natur, welche die Körperwelt überhaupt an die empfindende Creatur, aber besonders das Weib an den Mann durch Ueppigkeit binden wollte, die hebende Zartheit vorzüglich über den Körper des Weibes ausgegossen, und dem Nervensystem des Mannes in hervorstechender Maße die Anlage zur geschmeidigen Stärke verliehen. Aber der üppige Reitz ist nicht allein [138] dem Weibe eigen, und das Vermögen, dadurch angezogen zu werden, nicht dem Manne allein. Mann und Weib, Greise und Kinder, alle mit Sensibilität begabte Körper huldigen der Ueppigkeit. Seht! wie das Mädchen, noch weit unter der Stufe der Pubertät, unbekannt mit dem unnennbaren Triebe, das aufgeblähte, weiße und zarte Fleisch kleiner Kinder von beyderley Geschlecht zu streicheln, und die Hand mit zärtelnder Spannung in dasselbe einzulagern liebt! Seht! wie Weiber auf jeder Stufe des Alters für die Gestalt einer zartgebaueten Schönheit, es sey in der Natur oder im Bilde, immer mehr Vorliebe empfinden, als für die ernstere des ausgewachsenen Mannes, wenn anders nicht die Lüsternheit erwacht, oder moralische Vorstellungen im Wege stehen. Wo sie sich auf bloße Anschauung der äußern Formen beschränken, da wird der weibliche, üppige Bau des Körpers, Völligkeit der Ründung, Zierlichkeit der Umrisse, lebhafte und zugleich sanfte Carnation, selbst am männlichen Körper, immer das Anziehendste für sie seyn. Die Statue des Apollo von Belvedere rührt sie nicht so stark, als die Statue des Ganymeds und das Mädchen, das als Mann verkleidet ist, erscheint ihnen reitzender als der schönste Jüngling. Was wir Männer weibisch, zu zart, weichlich nennen würden, giebt den Weibern das Gefühl der Ueppigkeit, in Formen, Tönen, Gerüchen, Nahrungsmitteln, u. s. w: und wo dieß nicht der Fall seyn sollte, wo sie etwas schal, abgestanden finden; da ist gewiß entweder das gehörige Verhältniß zwischen der geschmeidigen Stärke ihrer Sensibilität und der hebenden Zartheit des einwirkenden Körpers nicht vorhanden; oder es mischt sich etwas Fremdes ein, was zur Ueppigkeit des Körpers nicht gehört, sondern schon [139] einen Fortsatz der Geschlechtssympathie, Lüsternheit, oder gar den unnennbaren Trieb ahnden läßt.
Und so können uns alle todte und lebendige, belebte und unbelebte Körper in den Zustand der Ueppigkeit versetzen. Denket an die Korinthische Säulenordnung, die Pracht und Weichlichkeit vereinigt, zarter wie die Dorische, pikanter wie die Ionische! Denket an die Lydische Tonart, die Plato aus seiner Republik verwies, weil sie bey ihrer Lebhaftigkeit zugleich zu viel Weichliches an sich trug.
Doch hier kann die Empfindung des Urhebers, welche diese Werke beseelte, vielleicht ähnliche in unserer Seele erwecken, und so auf den Körper zurückwirken. Aber ist dieß der Fall mit der leblosen Natur? Ach! üppig fühlen wir schon das schattige Obdach des Baumes, dessen Gipfel die Sonne beleuchtet, und dessen Fuß einen aufgeblähten Moosteppich zum Lager darbietet! Ueppig fühlen wir so manchen Ton der Bewohner der Lüfte, so manche Temperatur der Luft, so manches Wallen der Gestalten!
O ihr leblosen und belebten Körper unter einander alle! hebende Zartheit, geschmeidige Stärke, sind eure anziehenden Pole! Die Sympathie mit dem gleichartigen Starken oder Zarten ist schwach, ist wenig bindend für alle unsere Sinne. Vielleicht sind sie alle, außer dem der Tastung, dieser sympathetischen Gefühle mit dem Gleichartigen nicht einmahl fähig; sie kennen nur Geschlechtssympathie! Nur durch Ueppigkeit werden ihre Organe zum Zusammenruhen und Anschmiegen eingeladen. Ueppigkeit allein ist der Magnetismus, der Auge, Ohr, Geruchorgan, und selbst den Gaumen an leblose Körper mit lebhafterer Thätigkeit anzieht, und [140] sie noch eine andere Verbindung kennen lehrt, als diejenige, welche gieriges Verzehren oder Ergetzen aus der Ferne mit sich führen. Sogar die Zunge weilt länger bey dem Auskosten der Speise, die mit pikantem Reitze allmählig auf ihr zerschmilzt! Und diese Ueppigkeit! – Ja! sie ist die erste Stufe der Geschlechtssympathie zwischen den Menschen; sie ist eine mit der Lüsternheit verwandte Kraft.
Fünftes Kapitel.
Lüsternheit des Körpers. *)
Ich wiederhole hier was ich schon gesagt habe: Lüsternheit ist jener Zustand einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Lebenskraft unserer ganzen thierischen Organisation, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zur hebenden Zartheit der Organisation eines angenäherten belebten Körpers in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.
Es ist also hier nicht bloß von der Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane die Rede, sondern von der Lebenskraft der ganzen thierischen Organisation. Diese geräth bey der Lüsternheit in Aufruhr. Wir streben [141] auch hier nicht mehr nach Verbindung mit leblosen, sondern mit belebten Körpern, denen, so wie uns, eine thierische Organisation, nur von verschiedener Beschaffenheit, eigen ist.
Die Lüsternheit zeigt sich gemeiniglich, aber nicht unbedingt, als Folge der Ueppigkeit, und als Vorläuferin des Triebes nach derjenigen engsten Verbindung der Körper, woran die Natur die Fortpflanzung ihrer Geschöpfe gebunden hat. Sie begleitet oft diesen Trieb bis zu dem Augenblicke, worin er vollständig befriedigt wird. Eine Anstrengung aller Werkzeuge des Lebens, die mit ihrer üppigen Ausdehnung wechselt, ein stärkeres Einziehen und Verhalten des Athems, ein schnelleres Kreisen des Bluts durch beengte Gefäße, und überhaupt eine gleichzeitige Hemmung und Unruhe unsers ganzen organischen Wesens, bezeichnen das Erwachen der Lüsternheit. Ein fieberhafter aber überschwenglich wollüstiger Schauer charakterisiert ihren Genuß, wenn sie den Körper, mit dem sie sich in Verbindung zu setzen wünscht, berührt, und das Erwachen eines ähnlichen Zustandes in ihm gewahr wird.
Diese Lüsternheit gehört, wie gesagt, zur Geschlechtssympathie; sie ist an ähnliche Gesetze mit der Ueppigkeit gebunden.
Unsere Lebenskraft, oder die Irritabilität unserer ganzen thierischen Organisation, *) setzt eine doppelte [142] Anlage zur leidenden und thätigen Spannung, und zur leidenden und thätigen Zärtelung zum Voraus. Die erste möchte ich die stärkere, die andere die zärtere Disposition unserer Lebenskraft nennen.
Der Beweis dieser doppelten Disposition unserer Lebenskraft läßt sich nicht anders als aus der Verschiedenheit ihrer Wirkungen erkennen; die Kraft selbst entgeht unsern Wahrnehmungen. Aber wer hat es nicht bemerkt, daß wir so gut das Gefühl einer wollüstigen Wallung als das einer wollüstigen Allmähligkeit, so gut einer wohlbehagenden Anstrengung als Auflösung der Lebenskraft und ihrer Werkzeuge fähig sind! Denkt euch in dem Augenblicke nach dem Genusse stärkender Nahrungsmittel, geistiger Getränke, mäßiger Bewegung, – mit welcher Schnelligkeit strömt euer Blut, wie findet ihr alle eure Fibern und Gefäße so schlank, und wie angenehm ist euch dieser Zustand! Denkt euch dagegen in dem Augenblicke des Erwachens nach einem erquickenden Schlafe, oder des Dehnens auf einem sanften Lager, – wie fühlt ihr euer Blut so allmählig fließen und eure Fibern und Gefäße so geschmeidig, so weich! Und auch dieser Zustand ist wohlbehagend! Vergleicht die Wirkung, die ein kaltes und wieder ein warmes Bad, ein schnell erschütterndes, ein sanft allmähliges Reiben, auf den innern Bau euers Körpers machen! Können nicht beyde höchst wollüstig für euch seyn?
So im gesunden Zustande! Aber selbst im kranken, der aus einem Uebermaße von Irritabilität entsteht, giebt *)[143] es eine Ausgelassenheit, die angespannt, und eine andere, die aufgelößt und schmelzend ist. *)
Laßt uns folglich auch hier den zweyfachen Zustand einer Spannung und Zärtelung unserer Lebenskraft annehmen.
Es ist unläugbar, daß jeder dieser beyden Zustände in unserm Körper durch Annäherung an andere belebte Körper, bey denen sich die eine oder die andere Disposition in Wirksamkeit befindet, erweckt und erhöhet werden könne. Aber eben so gewiß ist es auch, daß wir den Zustand, in dem sich unsere Lebenskraft befindet, in andre übergehen lassen können. Wärme und Kälte, Bewegung und Ruhe theilen sich mit. Seht die Mutter, deren Wange die erhitzte Wange des schlafenden Säuglings berührt, deren Busen das Klopfen seines Herzens fühlt; bald sticht sie eine ähnliche Wallung an, bald fühlt sie ihr Herz dem seinigen mit ähnlichem Aufschlag sich entgegenheben. So nimmt sie leidend seinen Zustand an. Aber sie kann ihm auch den ihrigen mittheilen. Der wallende oder allmählige Zustand ihres Bluts, die heftigere oder mildere Bewegung ihrer Fibern, wird die Lebensgeister des Säuglings bald erhöhen, bald besänftigen. Nicht das allein! Indem sie auf ihn einwirkt, kann sie die eine oder die andere Disposition ihrer eigenen Lebenskraft verstärken, verbessern; sie kann sich feuriger, angestrengter fühlen, indem sie ihn stärker an ihren Busen drückt; sie kann sich milder, ruhiger fühlen, indem sie ihn auf ihrem Schooße einwiegt. So gewinnt sie, indem sie thätig mittheilt. Ja! Oft kann durch die Verbindung der [144] Körper eine Naturalisation der Wirksamkeit der Dispositionen, eine neue Temperatur in jedem Körper für sich entstehen, in der sich Stärke und Zartheit mit einander vermählen.
Jeder Mensch birgt in sich doppelte Disposition zur Stärke und zur Zartheit der Lebenskraft; aber nicht jeder besitzt sie in einem gleichen Verhältnisse zusammen gemischt. Bey dem einen steht die starke Disposition weit über der zarten, bey dem andern die zarte über der starken.
Unstreitig kündigt sich die herrschende Disposition der Lebenskraft, die eine analoge Beschaffenheit der innern Werkzeuge des Lebens voraussetzt, bereits den Sinnen durch die Formen der äußern Hülle an. Da wo die stärkere prädominiert, werden Zellgewebe, Knochen, Haut fester; da wo die zärtere prädominiert, lockerer erscheinen: und es ist höchst wahrscheinlich, daß eine ähnliche Verschiedenheit auch in die Atmosphäre übergeht, die einen jeden Körper umgiebt.
Der Körper, der Stärke und Festigkeit im Uebergewicht über Zartheit und lockerer Beschaffenheit besitzt, wird sich den Sinnen und dem Gemüth bey dem Eindruck und der Vorstellung, die er hervorbringt, als geschmeidige Stärke ankündigen. Der Körper, der im umgekehrten Verhältnisse steht, als hebende Zartheit. Dennoch muß das Verhältniß, worin beyde Dispositionen in jedem Körper für sich stehen, ein Wohlverhältniß seyn, wodurch das Gefühl der freywirkenden Lebenskraft allein erhalten werden kann. Jeder Körper flieht den Zustand eines Mangels an einem gehörigen Zusatze von Zartheit zu seiner herrschenden Stärke, wodurch er sich überspannt fühlen würde; jeder Körper [145] flieht den Zustand eines Mangels an gehörigem Zusatze von Stärke zu seiner Zartheit, wodurch er sich erschlafft fühlen würde. Tritt dieß Gefühl ein, so suchen wir Mittel auf, uns im Zustande der Elasticität unserer Lebenskraft, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu erhalten. Seht, wie dem rohen Südländer, der so geneigt zur Auflösung seiner Lebenskraft ist, der Genuß erhitzender Nahrungsmittel zum Bedürfniß wird. Seht, wie der rohe Nordländer, der so geneigt zur Anstrengung seiner Lebenskraft ist, ihre Auflösung in heißen Bädern nachsucht.
Wir lassen uns aber nicht bloß daran genügen, das gewöhnte Wohlverhältniß der beyden Dispositionen unserer Lebenskraft, worauf ihre ungehemmte Wirksamkeit beruht, zu bewahren; nein! wir werden zuweilen übermüthig in dem Gefühle unserer Animalität, und ahnden einen Zustand ihrer vollkommensten Wirksamkeit. Wir wollen zu gleicher Zeit gespannt und gezärtelt, empfangend und thätig, und alles dieß im höchsten Grade seyn. Wenn die thierische Ahndung eines solchen überschwenglichen Wohlseyns erwacht, so geräth unsre Lebenskraft in Aufruhr!
Die Gründe der Entstehung dieses Aufruhrs sind vielfach. Wenn er aber durch die Annäherung an lebendige Körper erweckt wird, so ist er gemeiniglich Folge der Ueppigkeit. Da diese bereits in einer gleichzeitig thätigen Spannung und Zärtelung der Sinnenorgane besteht; so ist nichts natürlicher, als daß das Streben nach einem analogen Zustande sich bald unserer ganzen thierischen Organisation mittheile.
Aus was für Ursachen dieser Aufruhr aber auch immer entstehen mag; der Körper, der ihn erfährt, [146] wird ihn durch Befriedigung seiner Triebe zu stillen suchen. Als Mittel braucht er die Annäherung an andere Körper, von denen er annehme, was ihm zur Gleichmaße und zur Erhöhung der Wirksamkeit beyder Dispositionen, an der einen oder der andern fehlt; an die er abgebe was er zu viel hat, von der einen oder der andern; die ihm das Gefühl einflößen, daß er zugleich leidend und thätig, angespannt und spannend, gezärtelt und zärtelnd sey. Welche Körper aber können ihm das geben? Solche, die gar nichts Aehnliches mit ihm haben? Unbelebte oder belebte, die keine Eigenschaften an sich tragen die er sich aneignen könnte, die keines Zustandes fähig sind, in den er sich mit ihnen zugleich hineinversetzen könnte? Nein! Das ganz Verschiedene, dasjenige, was nicht einmahl zu seiner Gattung gehört, stößt er ab, oder läßt er gleichgültig liegen. Aber sucht er denn gleichartige Körper auf? Auch diese nicht. Was kann er von diesen annehmen, was er nicht schon in gleicher Maße mit ihnen gemein hätte! Was kann er an sie abgeben, dessen sie bedürfen? Und wenn er durch sein Nehmen und Geben ihre Lebenskraft nicht gleichfalls in Aufruhr zu versetzen, und ihr Zurückwirken zu empfinden ahndet, wie wird er seinen Einfluß auf sie, und ihren Einfluß auf sich selbst wahrzunehmen, und so durch Theilung eines Zustandes zu dem vollkommensten Grade der Wirksamkeit seiner gleichzeitig leidenden und thätigen Stärke und Zartheit zu gelangen hoffen dürfen?
Er sucht also Körper auf, die ihm der Gattung nach gleich, dem Geschlechte nach aber verschieden von ihm sind. Der Körper, der sich geschmeidig stark fühlt, wird von dem Körper angezogen, den er gegen sich als hebend [147] zart beurtheilt. Bald strebt er nach unmittelbarer Verbindung mit ihm durch Berührung, und wenn ihm diese gelingt, so nimmt er leidend von derjenigen Disposition in sich auf, die in dem angenäherten Körper prädominiert, und woran er einen Mangel empfindet. Ist er geschmeidig stark, so nimmt er von der hebenden Zartheit des andern einen Zusatz von Zartheit an; er wird gezärtelt, mithin fühlt er sich zärter; ist er hebend zart, so nimmt er von der geschmeidigen Stärke des andern einen Zusatz von Stärke an; er wird gespannt, mithin fühlt er sich stärker. Er greift aber auch an, indem er dem andern Körper nach der verschiedenen Beschaffenheit seiner Organisation bald von dem Ueberflusse seiner Stärke oder seiner Zartheit, etwas abgiebt, und sich so stärker oder zärter fühlt, weil er spannen und zärteln will.
Dieß ist die ursprüngliche, angreifende Lüsternheit, und der Körper der ihr huldigt, ist Erwecker der Lüsternheit. Der Genuß, den sie giebt, ist noch unvollkommen. Aber er steigt zu seiner größten Höhe, wenn der angenäherte Körper nun gleichfalls in Aufruhr geräth. Dieser bietet sich jetzt dem Angriffe entgegen und wirkt sogar thätig zurück. Er, der vorher Leiter, leidender Empfänger war, wird nun Erwecker von seiner Seite, und verstärkt die Empfindungen des andern durch ähnliche mit denen, die dieser schon hatte, und durch solche, die er frisch bekommt und nur in dem andern ahndete. Dieß ist die fremde, zurückwirkende Lüsternheit. Durch die beständige Repercussion der Gefühle werden bald Eigenschaften und Lage völlig unter ihnen gemein, und als einem einzelnen Wesen eigen gefühlt. – [148] Stärke und Zartheit, beyde im höchsten Grade ihrer Wirksamkeit empfunden, mischen sich in vollkommenster Gleichmaße zu einem neubelebten Ganzen zusammen. – Höchste Spannung und Zärtelung empfangend und gebend, wird der Zustand dieses neuerwachten Geschöpfes! – Ein überschwenglich wollüstiger aber fieberhafter Schauer kündigt das freudige aber gewaltsame Zusammentreten in ein neues Daseyn, und das Verlassen des alten isolierten an; – Letzte Stufe, letzter Zweck der Lüsternheit! – Ach! daß nun nichts Fremdartiges dazwischen trete, oder der Funke des Lebens sprüht, und der Zustand seiner überschwenglichen Kraft ist dahin! – Doch! oft erscheint bey der Bewegung, welche das ganze Wesen erfährt, auch die Wirksamkeit seiner vegetabilischen Kraft! Ein Zusatz bebender Ermattung, der nicht mehr der Lüsternheit gehört, vollendet die Summe physischer Entzückungsarten, und der Zauber vereinter Animalität verschwindet.
Die Lüsternheit wird, besonders in den policierten Staaten von Europa, am auffallendsten bey der Annäherung solcher Körper bemerkt, welche ihren äußern Kennzeichen nach in dem Verhältnisse männlicher Körper gegen weibliche stehen, und fähig scheinen, durch vollständige Befriedigung des unnennbaren Triebes die Zwecke der immer fortbildenden Natur zu erfüllen. – Allein man würde sehr Unrecht haben, diese Erscheinung dahin zu deuten, als ob der Mann als Mannsperson, das Weib als Frauensperson, jener bestimmt zum Vater, dieses bestimmt zur Mutter, bloß um diese Bestimmung auszufüllen, der Lüsternheit gegenseitig [149] unterworfen wären. Denn warum würden sonst nicht alle Körper, welche zur vollständigen Befriedigung des unnennbaren Triebes, und dadurch zur Erfüllung der Zwecke der fortbildenden Natur geschickt sind, sich einander anziehen? Warum würden selbst unter den Körpern, welche die Lüsternheit erregen, einige so viel stärker als andere diesen Zustand hervorbringen?
Prüft man die Eigenthümlichkeiten der Organisationen der Manns- und Frauenspersonen, und der davon abhängenden Verschiedenheit ihrer äußern Hüllen genauer nach meinen Bestimmungen, so wird der wahre Grund sich offenbaren. Hebende Zartheit zeichnet die Formen des Frauenzimmers aus, und erweckt den Zustand der Ueppigkeit in der Mannsperson schon bey der fernen Annäherung. Die reife Mannsperson hat der Regel nach nicht das Vermögen, weder auf den Mann noch auf das Weib durch seine todte Form üppig zu wirken. Durch die Ueppigkeit wird die Lebenskraft, wie ich oben gezeigt habe, leicht in Aufruhr gebracht und die Lüsternheit erweckt. Ganz begreiflich also, daß der Mann gemeiniglich der Erwecker der Lüsternheit ist. Er, der sich der Regel nach durch stärkere Organisation auszeichnet, sucht dann nicht die Mannsperson, die eine gleich starke Organisation mit ihm hat, sondern die Frauensperson, welcher, der Regel nach, die zärtere eigen ist, auf. Indem Er, der Regel nach, Erwecker der Lüsternheit wird, wird Sie, der Regel nach, Leiter der seinigen. Da Sie aber eben so wie Er Anlage zu dem nehmlichen Zustande hat, so bietet Sie sich demselben entgegen, und wirkt bald verstärkend eben die Empfindungen auf Ihn[150] zurück, welche Sie kurz vorher von Ihm empfangen hatte.
Es ist folglich das richtige Verhältniß der hebenden Zartheit zur geschmeidigen Stärke, es ist die darauf beruhende Ahndung einer in jedem der beyden Körper hervorzubringenden Gleichmaße der aufs höchste getriebenen thätigen und leidenden Spannung und Zärtelung; es ist das Bestreben nach dem Gefühle einer überschwenglichen Lebenskraft, welche bey der Lüsternheit der Manns- und Frauensperson zum Grunde liegen, und ihre Körper unter sich mehr als zu andern, wiewohl keinesweges ausschließend, anziehen.
Dieß ist so wahr, daß Menschen von roher Sinnlichkeit in der Blüthe des Lebens wechselseitig durch solche Eigenschaften des Körperbaues angezogen werden, woraus sich auf ein Wohlverhältniß der stärkeren Organisation zur zärteren schließen läßt. Männer unter allen roheren Nationen und Ständen fühlen die stärkste Lüsternheit nach Weibern, deren völliger Bau und sanfte Haut ein Uebergewicht der zärteren Disposition der Lebenskraft, und lockere Werkzeuge derselben andeuten; während daß die Weiber unter eben diesen Nationen und Ständen durch die Größe und schlanke Festigkeit der äußern Hülle des Mannes, welche auf ein Uebergewicht der stärkeren Disposition der Lebenskraft und festern Werkzeuge derselben schließen lassen, am leichtesten in den Zustand der Lüsternheit versetzt werden. Daher der Geschmack der Orientaler und so vieler unverfeinerten Männer unter uns an wohlgenäherten Schönen; daher der Geschmack gewöhnlicher Buhlerinnen an Athleten-Figuren.
[151]Dieser Geschmack verändert sich aber, so wie der Mann bey geschwächter Organisation sich nicht mehr so geschmeidig stark fühlt, und das reife Weib nicht mehr so zart gegen sich beurtheilt. Je älter er wird, um desto anziehenden wird für ihn der jugendliche zarte Bau der aufkeimender Rose unter den Mädchen, oft noch unter der Stufe der Pubertät. Hier ahndet er noch eine Organisation gleicher Gattung, die zärter ist, als er, und durch seine Stärke in Aufruhr der Lebenskraft gerathen kann. Die älternde Frau, deren Lebensstoff oft etwas Scharfes, deren Lebenswerkzeuge oft etwas Verhärtetes annehmen, fühlt sich oft mehr stark als zart, und den reifen Mann in einem zu ähnlichen Verhältnisse gegen sich, um bey der Verbindung auf einen verbessernden Zusatz ihrer Dispositionen, und auf den höchsten Grad der Wirksamkeit ihrer Lebenskraft rechnen zu können. Sie zieht daher oft den werdenden Jüngling vor, den sie als hebend zart gegen ihre geschmeidige Stärke beurtheilt. Die weibliche Anlage zur Lüsternheit wird unter diesen Wohlverhältnissen oft erweckend, angreifend. Der Knabe zieht aus einer entgegengesetzten Ursach eine Ceres einer Hebe vor, und das werdende Mädchen einen Mars einem Adonis. Ja! es giebt Mannspersonen, welche vermöge einer ursprünglichen zärteren Organisation ihr ganzes Leben hindurch den Geschmack jener Knaben theilen, und von den männlichen Formen überreifer Landdirnen mehr als von den zarten des sorgsamer erzogenen Frauenzimmers angelockt werden; es giebt Matronen, welche den Geschmack einer Glycera an milchbärtigen Jünglingen nur so lange theilen, bis eine Colossalische Gestalt sie wieder zu ihrem [152] ursprünglichen Geschlechtscharakter, zu dem Gefühle ihrer zärteren Organisation, zurückführt.
Wir würden diese Erfahrungen mit mehrerer Sicherheit und viel allgemeiner machen, wenn nicht in unsern policierten Staaten die Cultur der Seele einen so großen Einfluß auf unsere ursprüngliche physische Organisation hätte. Denn vermöge dieser theilt sich die moralische Stärke oft der physischen Schwäche mit. Auch modificieren die Begriffe des Schönen oft die Ueppigkeit und die Lüsternheit. Inzwischen finden wir doch noch oft den moralischen Helden von riesenmäßiger Natur an dem Mädchen hängen, dessen Reitze nur in Zierlichkeit und Jugend bestehen, finden oft die nervenkranke Dame von starkem Geiste an dem Manne hängen, der eine Messalina bezaubert haben würde.
Am deutlichsten aber zeigt sich die Wahrheit meiner Bemerkungen bey den Aeußerungen der Lüsternheit, welche die Sitten verdammen, indem sie der Schamhaftigkeit und der Bevölkerung so leicht nachtheilig werden können. Denn die Unglücklichen, welche der Lüsternheit auf diese unerlaubte Art huldigen, werden, so lange sie im Gefühl der Stärke ihrer Organisation sind, von zarten Körpern ihres Geschlechts gereitzt, und so wie sie durch Ausschweifungen sich entnervt fühlen, macht das reifere Alter denselben bedauernswürdigen Eindruck auf ihre Weichlichkeit.
Der Anstand verbietet mir mehr hierüber hinzusetzen. *)
Sechstes Kapitel.
Vom unnennbaren Triebe und Genusse.
Der unnennbare Trieb ist die Anlage zum unnennbaren Genusse; – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Bildungskraft unserer vegetabilischen Organisation, *) der unstreitig an ähnliche Gesetze wie das Streben und der Genuß der Ueppigkeit und der Lüsternheit gebunden ist, und einen ähnlichen Charakter mit sich führt, welches aber hier um des Anstandes willen mehr angedeutet werden muß, als ausgeführt werden darf.
Wenn bey der Ueppigkeit die Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane, wenn bey der Lüsternheit die Lebenskraft unserer ganzen thierischen Organisation in Wirksamkeit geräth; so fühlen wir besonders während des unnennbaren Triebes jene Bildungskraft wirkend, die wir mit allen organischen Wesen ohne Unterschied, folglich auch mit den Pflanzen, gemein haben.
Dieser Bildungskraft verdanken wir das Entstehen, die Erhaltung, die Wiederhervorbringung der organischen aber vegetierenden Masse in uns, die sich nach und nach zur Animalität, zur Sensibilität, und wer weiß zu welchen höheren Zwecken weiter hinauf, entwickelt und veredelt.
Nicht immer wird die Wirksamkeit dieser Kraft bemerkt. Aber zuweilen fühlen wir ihr Andringen, und werden auf ihr Daseyn durch Symptome aufmerksam [154] gemacht, die sogar unmittelbar in die äußern Sinne fremder Beobachter fallen.
Dieß ist besonders da der Fall, wo der Trieb nach dem unnennbaren Genuß erwacht, nach jener Vereinigung der Körper, an welche die Natur die Reprodukzion der Individuen einer Gattung, als an eine nothwendige Ursach, gebunden hat. Dieser Zweck kann nicht erreicht werden ohne Befriedigung des unnennbaren Triebes, und ohne daß wir die Wirksamkeit der Bildungskraft in ihrer deutlichsten Erscheinung und in ihrer höchsten Vollkommenheit finden.
Die Erfahrung die man über dieß auffallendste Beyspiel der Befriedigung des unnennbaren Triebes macht, wird durch andere über die Art, wie er den Zwecken der Natur zuwider durch namenlose Mißbräuche befriedigt wird, unterstützt. Allerwärts wo dem Gefühle der vollkommensten Wirksamkeit der Bildungskraft nachgestrebt wird, wird die geschmeidige Stärke oder die hebende Zartheit ihrer Agenten mit Körpern von verschiedenen aber übereinstimmenden Eigenschaften ins Verhältniß gesetzt, und der Zustand ist gleichzeitig leidende und empfangende Zärtelung und Spannung.
Der unnennbare Trieb gehört folglich zur körperlichen Geschlechtssympathie, und seine Befriedigung zu den wollüstigen Gefühlen dieser Geschlechtssympathie.
Sehr mit Unrecht würde man die Wirksamkeit dieses Triebes einem materiellen Bestreben nach Bildung oder Fortpflanzung zuschreiben. Es hat dieser Irrthum zwar zu sehr reitzenden Bildern von dem Zusammenhange eines instinktartigen Triebes nach Reprodukzion mit einer Neigung [155] nach Fortleben, Unsterblichkeit, u. s. w. Gelegenheit gegeben; allein bey genauerer Prüfung bleibt ein thierischer Zeugungstrieb eine Chimäre oder bloße Bezeichnung einer Begierde, wobey man die zufällige Wirkung mit dem Zweck verwechselt hat. Die Befriedigung des unnennbaren Triebes, und der Zweck seines Strebens besteht nicht im Gefühle der Zeugung, sondern in dem Gefühle der vollkommensten Wirksamkeit derjenigen Kraft, deren sich freylich die Natur zu ihren Zwecken mit bedient. Aber selbst das Bestreben vernünftiger Creaturen in ihrer Nachkommenschaft fortzudauern, hängt von besondern Verhältnissen ab, die nie als nächster Reitzungsgrund des unnennbaren Triebes betrachtet werden können.
Ein anderer Irrthum ist es, die Wirksamkeit der Bildungskraft und ihre auffallenden Symptome allemahl dem unnennbaren Triebe und einer Vorahndung seiner vollständigen Befriedigung durch Körperverbindung beyzulegen. Dieß ist offenbar falsch. Die Wirksamkeit der Bildungskraft und ihre auffallendsten Symptome sind oft Folgen einer bloßen Anstrengung oder auch Auflösung des Körpers, und sogar der Seele. Sie äußern sich oft da, wo an die Vorahndung einer Körperverbindung nicht zu denken ist. Missethäter auf der Tortur, Menschen von reitzbaren Nerven beym Anblick schauderhafter Auftritte, ermattete Wanderer, Personen, die vom Nachdenken ermüdet waren, haben sie gezeigt. Sie sind oft Folgen einer besonders beförderten Vegetation. Man sieht hieraus, wie lächerlich es ist, aus dem Reitze, den die Agenten der Bildungskraft bey der Schwärmerey für unsinnliche Gegenstände oft erfahren, unbedingt auf einen [156] Vereinigungstrieb der Körper, und sogar der Seele, zu schließen.
Eben so falsch ist es, den unnennbaren Trieb als einen unbedingten Fortsatz, als einen unzertrennlichen Begleiter der Lüsternheit anzusehen. Dieser Irrthum hat besonders unsere Begriffe über den Einfluß des Körpers auf die Geschlechtsliebe in Verwirrung gebracht. Beyde unterscheiden sich gleich in ihren Symptomen. Die Lüsternheit zeigt keine solchen, die unmittelbar besonders bey einem dritten in die Sinne fielen, und bestimmt auf ihre wahre Natur hindeuteten. Sie wird zu leicht von Fremden, und sogar von uns selbst andern Gründen zugeschrieben, die theils in der Seele, theils in unserm Körper gesucht werden, und sich ungefähr in unserm Physischen auf die nehmliche Art ankündigen. Aber die Symptome des unnennbaren Triebes, wenn er erwacht ist, sind für uns und jeden Dritten, der Gelegenheit hat, sie zu beobachten, viel unverkennbarer, und sein Streben und seine Beruhigung sind mit sehr auffallenden Erscheinungen verknüpft.
Begreiflich ist es allerdings, daß jenes Andringen des unnennbaren Triebes und der Kraft, die bey ihm zum Grunde liegt, auf die Irritabilität der Muskeln Einfluß haben, und die Lüsternheit erwecken könne; begreiflich ist es, daß bey dem Aufruhre, in dem die ganze Organisation durch die Lüsternheit geräth, die Bildungskraft zugleich in Bewegung komme, und dadurch den unnennbaren Trieb erwecken könne. Aber dieser häufigen Vereinigung und gleichzeitigen Wirksamkeit ungeachtet sind sie nicht von einander [unzertrennlich].
Die Lüsternheit erwacht lange vorher ehe die Bildungskraft bey uns zur Reife gekommen ist. Die [157] Lüsternheit dauert fort, lange nach dem Verlust jener Reife. Die kleinsten Kinder an der Mutter Brust, Greise, ja die Opfer orientalischer Eifersucht und italiänischer Kunstliebe sind fähig, sie zu empfinden und sogar sie zu erwecken. Wie oft findet sich dagegen der unnennbare Trieb ohne Lüsternheit gereitzt und befriedigt. Ohne Unanständigkeit kann ich kaum an die traurigen Gewohnheiten gewisser Weichlinge, und an die Ausgelassenheit gewisser Wüstlinge erinnern, welche die Befriedigung des unnennbaren Triebes als ein bloßes Bedürfniß betrachten. Und wie viele Männer könnten nicht als Zeugen für die Wahrheit meiner Behauptung auftreten, die so wie der Ritter in Voltairs Erzählung ce qui plait aux Dames, nur in ihrer Jugend die Mittel finden, gewisse Pflichten einer an Jahren ungleichen, an Glücksgütern aber vortheilhaften Ehe ein Genüge zu leisten. Wie viele Weiber, die oft die gefährlichen und lästigen Folgen der Umarmungen widerlicher oder gleichgültiger Gatten tragen, ohne das Vergnügen der Ursach getheilt zu haben.
Wie oft hemmt dagegen nicht bey beyden Geschlechtern die Stärke der Lüsternheit die Wirksamkeit des unnennbaren Triebes. Wie oft wird die erste gerade im Alter der Unvermögsamkeit am stärksten empfunden. Wie oft haben nicht endlich Wollüstlinge durch übertrieben verfeinerte Ideen über die größte Höhe des Vergnügens die Gewalt über sich erhalten, der Lüsternheit ohne Befriedigung des unnennbaren Triebes zu fröhnen.
Wenn daher beyde oft zusammengehen, so stehen sie doch keinesweges im Verhältnisse von Ursach und Wirkung zu einander, d. h. der unnennbare Trieb ist nicht die unablässige Bedingung, damit die Lüsternheit wirke, [158] und die Wirksamkeit dieser letzten ist nicht unbedingte Ursach zu jenem. Eine heftige Reitzung unsers Physischen ist freylich zu beyden erforderlich, und die Natur scheint diejenige, welche der Lüsternheit eigen ist, mit derjenigen, welche der unnennbare Trieb erfordert, darum in genaue Verwandschaft gesetzt zu haben, damit ihre fortbildenden Zwecke desto eher erfüllt werden möchten. Aber so wie der Wohlgeschmack dem Hunger zugegeben ist, um den Trieb zur Selbsterhaltung desto eher zu befördern; so ist die Wollust der Lüsternheit dem unnennbaren Triebe beygegeben, damit einem allgemeinen Bedürfnisse der Natur desto sicherer abgeholfen würde.
Zweyter Abschnitt.
Geschlechtssympathie der Seele *)
Siebentes Kapitel.
Von der Ueppigkeit der Seele.
Unser Gemüth ist so gut wie die Sensibilität unsrer äußeren Sinnenorgane, einer zweyfachen Reitzungsart fähig. Es hat so wohl eine Disposition [159] zur Stärke als zur Zartheit, und beyde sind leidend und thätig, d. h. das Gemüth kann sich gespannt und spannend, gezärtelt und zärtelnd fühlen.
[160]Denkt an die Emotionen, welche Bilder unserer Abhängigkeit von Gott, Welt, Menschheit, Schicksal, Staat, Pflicht und Bedürfniß hervorbringen; denkt an diejenigen, welche Freyheit und Ruhe in euch erwecken, um Beyspiele spannender und zärtelnder Gefühle zu finden.
Beyde Reitzungsarten können wonnevoll für uns seyn; aber sie sind es nicht unbedingt. Mancher Gegenstand, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern, kann uns durch zu starke Spannung widrig reitzen, mancher andere durch übertriebene Zärtelung.
Oft liegt es an der ganzen Einrichtung unsers Gemüths, wenn ein gewisser Grad von Spannung oder Zärtelung uns widrig afficiert. Es giebt Menschen, die von jeder Sterbescene in einem Trauerspiele auf eine unangenehme Art erschüttert werden; es giebt andere, die den Anblick schauderhafter Hinrichtungen auf Richtplätzen aufsuchen, um in eine wonnevolle Spannung zu gerathen. Manche finden die Darstellung des *)[161] reitzendsten Hirtenlebens in Geßners Idyllen abgeschmackt, während andere das träumende Nichtsthun der Südländer für die Seligkeit der Unsterblichen halten.
Oft liegt es nur an einer vorübergehenden Stimmung des Gemüths, wenn eine gewisse Spannung oder Zärtelung, die wir sonst wohl vertragen haben würden, uns widerlich wird. Wir suchen eine leichte Unterhaltung, und der Gesellschafter will uns in eine gründliche Erörterung verwickeln; die wird quälend: wir suchen ernste Prüfung, und man will uns zum Lächeln zwingen; das wird fade.
Also muß der Gegenstand, dessen Bild unser Gemüth wonnevoll spannen soll, mit der Einrichtung desselben im Ganzen, oder mit dessen jedesmahliger Stimmung im Wohlverhältnisse stehen. Das Gemüth muß sich in der Disposition der Stärke befinden, diese erhöhet zu fühlen wünschen, und der Gegenstand, der sich ihm spannend nähert, muß den Sättigungspunkt nicht überschreiten. Eben so verhält es sich mit der Zärtelung, wenn diese uns wonnevoll reitzen soll.
Hierauf beruht die Neigung der Seele zu gleichartigen Gegenständen, die sich so wohl bey der Selbstheit als beym Beschauungshange so wie endlich auch bey der Sympathie äußert. Mit dieser letzten habe ich mich hier allein zu beschäftigen. Sie zeigt sich da, wo wir dem Gegenstande, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern, etwas Selbstständiges und einen Zustand beylegen, uns seine Eigenschaften aneignen, und uns in seine Lage hineinversetzen. Unser Gemüth stößt dann auf eine Person, durch deren Bild es wonnevoll gespannt wird, weil es sich stark fühlt und noch mehr gespannt seyn will; – so sympathisieren wir mit dem Starken. Oder unser [162] Gemüth stößt auf eine Person, durch deren Vorstellung es wonnevoll gezärtelt wird, weil es sich zart fühlt, und mehr gezärtelt seyn will; – wir sympathisieren mit ihrer Zartheit.
Beyspiele einer solchen Sympathie der Seele mit dem Gleichartigen wird das folgende Buch in Menge aufweisen. Allerwärts wo der Mensch, der sich vermöge seiner innern Einrichtung, oder seiner dermahligen Stimmung aufgelegt zur Stärke fühlt, um noch stärker zu werden, die Annäherung von Personen wünscht, in deren Charakteren und Verhältnissen Ernst, Gründlichkeit, Festigkeit, vordringende Thätigkeit, Macht, Großheit, Unruhe, Mannigfaltigkeit, u. s. w. Hauptzüge ausmachen, – und durch Aneignung ihrer Eigenschaften, durch Versetzung in ihren Zustand seine Spannung erhöhet; – in allen diesen Fällen huldigt der Mensch der Sympathie mit dem gleichartigen Starken.
Hingegen in allen Fällen, worin der Mensch, der sich seiner ganzen Einrichtung oder seiner dermahligen Stimmung nach zart fühlt, um noch zärter zu werden die Annäherung von Personen wünscht, in deren Charakter und Verhältnissen Biegsamkeit, Gefälligkeit, Feinheit, Emsigkeit, Niedlichkeit, Ruhe, Einfachheit, u. s. w. Hauptzüge ausmachen, – und durch Aneignung ihrer Eigenschaften, durch Versetzung in ihren Zustand seine Zärtelung erhöhet; – in allen diesen Fällen huldigt der Mensch der Sympathie mit dem gleichartigen Zarten.
Hiervon ist die Ueppigkeit der Seele verschieden.
Unser Gemüth kann sich den spannenden oder zärtelnden Gefühlen bloß überlassen, mit denen es von dem Bilde eines Wesens angegriffen wird; es kann sich aber auch seinen Angriffen entgegen bieten, auf das Wesen [163] selbst einzuwirken glauben, und sich bey dieser thätigen Bewegung selbst spannen und selbst zärteln.
Indem wir unser Gemüth den Angriffen eines Wesens gern entgegen bieten, so erkennen wir mit Vergnügen unsre Gewalt über dieß äußere Wesen an. Jener erste Zustand wird Hingebung genannt; dieser letzte Beherrschung.
Der reitzendste Zustand für das Gemüth ist der, wenn es sich zugleich überlassend und thätig, zugleich hingebend und beherrschend, und dadurch zugleich gespannt und gezärtelt, spannend und zärtelnd fühlt. Dadurch kommen wir in eine so enge Vereinigung mit dem Wesen, dem wir uns unter diesen Empfindungen nähern, daß wir Besitz von ihm nehmen, und uns mit ihm von der übrigen Gesellschaft der Menschen als ein einzelnes zusammengesetztes Wesen absondern. Ich nenne diese engere Vereinigung das Einlagern des Gemüths.
Er wird aber nicht entstehen, dieser Zustand, wenn das Wesen, dem wir uns nähern, uns mit einer Spannkraft angreift. Alsdann fühlen wir uns in einer bloß überlassenden Lage. Die Kräfte unserer Seele, welche dazu dienen, uns in näherer Verbindung mit dem Wesen zu denken, es ganz in unsere Verhältnisse herüber zu ziehen, es zu besitzen, uns mit ihm von andern Wesen zur Vertraulichkeit abzusondern; – diese Kräfte finden sich in ihrer freyen Wirksamkeit gehemmt. Wir isolieren uns vielmehr von ihm, wir stämmen uns gegen dasselbe an, wir wehren es ab, und die Wonne, welche die reine Spannung mit sich führt, hat allein ihren Grund in der starken Erschütterung des Gemüths, oder in dem [164] Bewußtseyn des Widerstandes, den unser Geist ihm zu leisten im Stande ist.
Es ist unstreitig, daß das Bild des Unermeßlichen, der Ewigkeit, der Allgewalt des Schicksals, der unbedingten Verbindlichkeit, sich für den Staat, für seine eigene Würde, für das bloße Bewußtseyn der bewahrten Pflicht aufzuopfern, unser Gemüth mit Wonne erfüllen könne. Aber wir fühlen sogleich alle seine Kräfte, die sonst dazu dienen, das Wesen in ein anschauliches Bild neben uns zu stellen, und uns in abgesonderter Vereinigung mit ihm zu denken, theils ohnmächtig, theils ruhend. Wir fühlen die Unmöglichkeit des Einlagerns unsers Gemüths, und ziehen uns mit unserm Geiste in Ehrfurcht zurück. Wir sagen uns allenfalls: es wohnt ein Wesen in mir, das Dinge denkt, welche Sinne und Einbildungskraft nicht erreichen: es wohnt ein Wesen in mir, welches zu einem höheren Reiche vernünftiger Geschöpfe gehört, und über das Schicksal dieser Welt und über die Freuden der Sinnlichkeit erhöhet ist. Aber diese Vorstellungen sind nicht auf Verbindung des Gegenstandes mit meinem Gemüthe, sondern auf eine Trennung meines Geistes von dem Eindrucke, den er auf mein Gemüth macht, gerichtet. Ich freue mich mit meinem Geiste von der Vorstellung der Allgewalt des Schicksals und der Aufopferung für Pflicht, nebst allen den widrigen Reitzungen, die sie auf mein Gemüth machen, absondern zu können. Für meinen Geist, sag’ ich mir, ist das Schicksal nicht allgewaltig; mein Geist opfert nichts auf.
Selbst da, wo starke, spannende Gegenstände ästhetisch behandelt werden: wo die Phantasie des Dichters, des Redners, des bildenden Künstlers mir anschauliche [165] Bilder des Großen, Starken, Ungewöhnlichen, Unermeßlichen verschafft; – und durch so manchen Nebenzug auf die Sinnlichkeit meines Körpers und meiner Seele wirkt, – selbst da, sage ich, werde ich bey der Zusammenhaltung dieser Darstellungen mit denen von zärterer Art die verschiedene Wirkung auf mein Gemüth deutlich fühlen.
Ein reguläres Prachtgebäude, – ein Kopf der Juno in der Villa Ludovisi, (das Ideal der Großheit der Formen,) eine Darstellung Gottes vom Psalmisten, oder von Michael Angelo, das Chaos oder der Teufel von Milton, der Heldenvater von Corneille, – wirken auf mich ein Anstaunen. Meine Einbildungskraft kann nicht weiter! Ich überlasse mich in einer Art von Ohnmacht der außer sich wirkenden Kräfte meines Gemüths, der Erhöhung meines Geistes. Und doch liegt in jeder ästhetischen Darstellung spannender Gegenstände noch so manches, wodurch meiner Zartheit geschmeichelt wird.
Jedes rein spannende Bild, das mich wonnevoll reitzen soll, setzt daher, wie schon bemerkt ist, immer die Bedingung zum Voraus, daß entweder unser Charakter im Ganzen, oder eine gewisse Stimmung unsers Gemüths gerade eine Vervollständigung unserer leidenden Stärke erwarte. Wir müssen darauf vorbereitet seyn, Seelenerhöhung zu mögen. Darum haben so wenig Menschen dafür Sinn; – darum ist der Mann hauptsächlich dafür empfänglich; darum sind nur diejenigen unter den Menschen überhaupt dafür gemacht, welche durch Rohheit oder durch Leidenschaft oder durch Ausbildung an Anstrengung gewohnt sind, oder auch zur eigentlichen Begeisterung Anlagen haben; – darum darf man endlich im Gemählde diejenigen Schreckenscenen [166] nicht darstellen, auf die wir im Trauerspiele durch eine abgestufte Tonfolge vorbereitet werden.
Rein spannende Gefühle, wenn sie nicht in Begeisterung übergehen, und dadurch ihre Natur ganz verändern, sind daher nicht einladend zur engeren Verbindung und zur thätigen nach Außen hin wirkenden Lage unsers Gemüths. Dagegen sind Gegenstände, welche uns zärteln, viel einladender und anziehender zur näheren Verbindung und zur thätigen Wirksamkeit unserer Kräfte nach Außen hin. Man denke an Muße, ans süße Nichtsthun, an Unbefangenheit, Gleichheit, Zwanglosigkeit! – Wie die Phantasie das alles sogleich in Bilder zu fassen sucht, und unsre Person mit ihnen in abgesonderte Verbindung setzt! Sogar in der ästhetischen Darstellung bleiben zarte Gegenstände immer die anziehendsten. Unser inneres und äußeres Auge schweift lieber über einen Englischen Garten mit Irrgängen hin, als es die symmetrische Anordnung einer liegenden oder aufgerichteten Fläche mit einem Mahle auffaßt. Ein Madonnengesicht von Fiammingo, eine Nymphe von Boucher reitzt mehr zur Annäherung als die Idealgestalt einer Juno Ludovisi, worin die Uebereinstimmung der Formen mit den Gesetzen der Vernunft in ihrer höchsten Reinheit erscheint. Die dichterische Darstellung des Hirtenlebens im goldenen Zeitalter ist einladender als das Heldengedicht, und die sanften Melodien eines Pergolesi ziehen uns mehr an, als die erhabenen Fugen eines Händel.
Damit unser Gemüth zur Ueppigkeit eingeladen werde, wird Zärtelungskraft in dem Wesen erfordert, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern. Der Charakter unsers Zustandes gehört mehr zur Zartheit als zur Stärke. [167] Aber reine Zartheit ist nicht hinreichend, jene engere Verbindung zu gründen, die ich das Einlagern des Gemüths genannt habe, und mit der überschwenglichen Wonne der Seelenüppigkeit verbunden ist. Wir müssen neben der Biegsamkeit eine Fähigkeit zu widerstehen in dem angenäherten Wesen finden. Sein Charakter muß elastisch seyn, nicht weich. Ist aber die Widerstandsfähigkeit zu stark, im Verhältnisse zu unserer Stärke und zu unserer Neigung, gezärtelt zu werden; so entsteht das Gefühl einer qualvollen Anstrengung, die uns unangenehm ist, weil wir nicht in der Stimmung sind, rein gespannt werden zu wollen. Wir wollen in Ruhe aufgelößt werden, und finden das Gegentheil. Ist auf der andern Seite die Biegsamkeit übermäßig, im Verhältnisse zu unserer Zartheit, und unfähig, uns das Bewußtseyn unserer Stärke durch Ueberwindung einigen Widerstandes zu geben; so wird die Vermählung der Gefühle von verschiedener Art in uns gehindert, und es entsteht bald Gleichgültigkeit bald Langeweile. Es muß daher ein solches Wohlverhältniß von Stärke und Zartheit in dem angenäherten Wesen angetroffen werden, woraus eine Mischung von Dispositionen in ihm entsteht, die wieder mit der Mischung der Dispositionen in uns ins Wohlverhältniß gebracht werden können. Sein Charakter muß dergestalt stark und zart zu gleicher Zeit seyn, daß unser Gemüth bey der Verbindung sich gleichzeitig gespannt und gezärtelt, spannend und zärtelnd fühlen könne. Dann erst entsteht eine wonnevolle Vermählung von Gefühlen in unserm Gemüthe durch gleichzeitige Wirksamkeit seiner zweyfachen Disposition. Dann erst wird das Gemüth zum Besitznehmen, zur Vertraulichkeit, zum Einlagern aufgefordert.
[168]Eine gleiche Mischung beyder Dispositionen in jedem der beyden Gemüther ist völlig unzulänglich, diese Wirkung hervorzubringen. Steht bey beyden die Stärke über der Zartheit, so beurtheilen wir uns beyde als stark, stoßen uns gegenseitig ab, oder verbinden uns nur durch Sympathie mit dem Gleichartigen. Steht bey beyden die Zartheit über der Stärke, so tritt die nehmliche Wirkung ein. Nein! Wir müssen uns geschmeidig stark gegen ein Wesen fühlen, das sich uns zart entgegen hebt; oder umgekehrt: wir müssen uns hebend zart gegen ein Wesen fühlen, das uns geschmeidig stark angreift. Dann treffen wir Eigenschaften in dem Angenäherten an, die mit den unsrigen zusammenpassen, ob sie gleich von den unsrigen verschieden sind; dann theilen wir eine Lage mit einander, deren Reitz durch Mannigfaltigkeit des Beytrags erhöhet wird.
Ueppigkeit der Seele hat folglich die größte Aehnlichkeit mit der Ueppigkeit des Körpers: sie beruht auf den nehmlichen innern Gesetzen, und bringt äußere Wirkungen hervor, die sich jenen sehr nähern.
Ueppigkeit der Seele ist der Zustand einer überschwenglich wonnevollen Wirksamkeit des Gemüths, wenn dieß durch das Wohlverhältniß seiner geschmeidigen Stärke gegen die hebende Zartheit eines andern Wesens, in das es sich einlagert, in gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.
Sie zieht immer mit größerer Lebhaftigkeit an, als die rein spannenden und rein zärtelnden Gefühle; sie ist weit bindender als diese. Sie ist weder dem Beschauungshange noch der Selbstheit fremd; aber der Sympathie, (der Geselligkeit) liegt sie am nächsten.
[169]Diese Ueppigkeit ist nun offenbar ein Geschlechtstrieb, denn sie vermählt in unserer Seele Gefühle, die beyde zu einer Gattung gehören; unser Gemüth ist so wohl der spannenden und gespannten, als der zärtelnden und gezärtelten Empfindungen fähig. Aber diese Gefühle gehören nicht einer und der nehmlichen Disposition, nicht einer ihrer Mischungen im isolierten Zustande an; nicht der reinen Stärke, nicht der reinen Zartheit, nicht der einsamen geschmeidigen Stärke, oder der einsamen hebenden Zartheit. Wir müssen uns einem andern Wesen von verschiedenem Charakter nähern, und dieser Charakter muß der Gattung nach dem unsrigen gleich, dem Geschlechte nach aber von dem unsrigen verschieden seyn.
Ich will mich hier nicht dabey aufhalten, zu zeigen, wie Wesen, die nicht Menschen sind, diese Ueppigkeit in uns erwecken können. Ich wende mich zu ihren Hauptarten im geselligen Umgange mit Menschen.
Achtes Kapitel.
Von einigen hervorstechenden Arten der Seelenüppigkeit.
I.
Unter allen Bildern, welche die Seele zur Ueppigkeit einladen, ist keines hervorstechender als das der Häuslichkeit. (Domesticité) – Ich verstehe darunter jenes Verhältniß, worein uns die Absonderung von der größeren Gesellschaft zur Gründung einer engeren mit wenigen Menschen versetzt, die zusammen gegen jene als eine einzige Person betrachtet werden. Die Vorstellung dieses [170] traulichen Zusammenlebens und Zurückziehens von andern, von denen wir uns doch nicht ganz zu trennen im Stande sind; der Begriff dieser Bildung einer Familie, eines Hauses im Staate, zeichnet sich durch eine solche Mischung von Abhängigkeit und Freyheit, von Anstrengung und Muße, von leidendem Empfangen und thätigem Geben, von Spannung und Zärtelung aus, daß unser Gemüth bloß durch das Auffassen dieses Bildes in den Zustand der Ueppigkeit gerathen kann.
Schon dadurch erhält der Trieb zur Häuslichkeit den Charakter eines Geschlechtstriebes; denn die Wonne, welche uns durch dieß Bild zugeführt wird, beruht auf einer Harmonie von Gefühlen, deren Tonarten von zärterer und stärkerer Beschaffenheit sind, mithin nicht einem besondern Geschlechte von Reitzungen des Gemüths, sondern der Gattung im Ganzen angehören. Man kann sie auch nicht hegen, ohne sich eine Verbindung zwischen Menschen zu denken, die der Gattung nach gleich, dem Geschlechte nach verschieden sind, indem ihre Charaktere im Wohlverhältnisse geschmeidiger Stärke zur hebenden Zartheit stehen.
Aber wie viel auffallender wird dieß noch, wenn wir nicht bloß ein Bild der Häuslichkeit in unserer Seele aufsteigen sehen, sondern das häusliche Glück wirklich genießen oder ihm nachstreben.
In jeder Verbindung, die in dieser Absicht eingegangen wird, und worin die Verbündeten den Trieb darnach wirklich begünstigt fühlen, wird der eine sich allemahl durch Eigenschaften auszeichnen, die den Begriff geschmeidiger Stärke, der andere durch solche, die den Begriff hebender Zartheit erwecken. Und sollte dieser Begriff auch nicht vollständig bey fremden Zuschauern [171] entstehen; so werden sich die Verbündeten gewiß in diesem Verhältnisse gegen einander fühlen und beurtheilen.
In jeder Verbindung dieser Art, sie mag unter Personen eingegangen werden, welche ihren physischen Kennzeichen und ihrer bürgerlichen Lage nach zu einerley Geschlechte gerechnet werden, oder unter solchen, die für Personen von verschiedenem Geschlechte gelten; es mögen Mannspersonen mit Mannspersonen, Frauenspersonen mit Frauenspersonen oder endlich Mannspersonen mit Frauenspersonen in Häuslichkeit glücklich zusammen leben; – in jeder Verbindung dieser Art ist einer immer der leitende, herrschende, Wort und That führende, der andere immer der nachgebende aber abgewinnende Theil: einer immer der beschirmende, der andere der pflegende, einer der ernstere, der andere der muntere, einer der schonende, der andre der verzärtelnde, einer der liebkosende, der andre der bewundernde Theil! Der eine fühlt sich folglich immer stark, obwohl geschmeidig gegen den andern; dieser fühlt sich immer zart, obwohl dem andern entgegenhebend! Und welches ist ihr gemeinschaftlicher Zustand? Sanfte Erhöhung, gezärtelte Spannung der Gemüther. Sie geben sich wechselseitig hin, wechselseitig beherrschen sie einander; sie sondern sich zur engern Gesellschaft von der größern ab, sie nehmen Besitz von einander, ihre Gemüther lagern sich in einander ein! So setzen sie eine neue Person aus ihren beyden einzelnen zusammen, und gemeiniglich wird diese nicht allein von ihnen selbst, sondern auch von Fremden dafür anerkannt.
Zwey gleich starke Personen werden schwerlich geschmeidig genug gegen einander seyn, um sich zum häuslichen Zusammenleben glücklich mit einander zu verbinden. [172] Sie können sich einander in weiteren Verhältnissen viel Wonne geben, aber es ist die Wonne des Unisonus, des Einklangs. Rücken sie zu nahe zusammen, so wird der Ton zu rauh. Zwey gleich zarte Personen finden sich in den näheren Verhältnissen der Häuslichkeit gleichfalls nicht glücklich. Der Ton ist zu matt. Auch die Person, deren Begriff Stärke erweckt, die sich selbst stark fühlt, wird mit einer bloß zarten nicht zur Häuslichkeit passen. Ihr Charakter, ihre Stimmung, die gewöhnliche Tonfolge ihrer Gefühle, finden zu starke Disparaten, wenn sie auf einen zu biegsamen Charakter stoßen. Eben dieß ist der Fall mit der bloß zarten Person, in ihren häuslichen Verhältnissen zur blos starken.
Das Wort eines unglücklichen Königs ist bekannt, der zu seiner stets nachgiebigen Gemahlin sagte: haben Sie doch Ein Mahl einen Willen für sich; und eben so bekannt sind die Klagen der sittlichen Weiber des Mittelalters über den störrigen, wilden Charakter der Ritter, ihrer Ehegenossen. Es muß ein Wohlverhältniß von Stärke zur Zartheit seyn, welches das Glück häuslicher Verbindung gründet.
Dreist berufe ich mich darauf, daß selbst da, wo Brüder, Schwestern, Hausgesellschafter von einerley äußerlich anerkanntem Geschlechte, glücklich bey einander wohnen, der eine alle Mahl eine Art von Gattin gegen den Gatten, im moralischen und psychologischen Verstande, vorstellen müsse.
Dieß führt mich dann auf die wahren Gründe der Erscheinung, daß der Trieb zur Häuslichkeit hauptsächlich unter solchen Personen Statt findet, welche nach allen ihren äußern und innern Kennzeichen und nach allen ihren bürgerlichen Verhältnissen in einem verschiedenen [173] Geschlechtscharakter zu einander stehen. Die Mannsperson und die Frauensperson suchen sich zur Befriedigung des Häuslichkeitstriebes wechselseitig vor allen andern auf, und finden wechselseitig diesen Trieb durch ihre Verbindung, vorzüglich vor der mit jedem andern, befriedigt.
Der erwachsene Mann, – der nicht aus seinem Charakter herausgeht, – trägt seinen Anlagen und seinen Verhältnissen nach durchaus mehr von der stärkeren Person an sich, so wohl nach seinem eigenen Selbstbewußtseyn, als nach der Vorstellung, die er bey andern erweckt. Er liebt das Gefühl der Spannung, wozu ihn die Stärke seines Herzens geschickt macht. Er liebt das Gefühl der vordringenden Thätigkeit, die Folge seiner stärkeren außer sich wirkenden Seelenkräfte. Sein Körper trägt den nehmlichen Charakter an sich, in Rücksicht seiner Sensibilität und Lebenskraft, der sich sogar an der äußern Hülle ankündigt. So erscheint seine Person ihm selbst und andern unter dem Bilde und dem Begriff von Stärke, und dieses Bild, dieser Begriff, ist mit einer starken, spannenden Reitzung für alle diejenigen verbunden, welche ihn fassen. Alle seine Verhältnisse gegen die bürgerliche und örtliche Gesellschaft erwecken die nehmliche Vorstellung und die nehmliche Reitzung bey ihm und andern. Seine Pflichten, seine Vorzüge spannen die Seele, und werden schon darum männlich genannt. Vaterlandsliebe, Treue gegen Waffenbrüder, Geschäftsgenossen, Vorgesetzte, fordern manche Aufopferungen von ihm, und setzen Kraft, Hoheit, Gründlichkeit, Adel der Seele und unermüdete Thätigkeit zum Voraus. Das Vollkommene, Außerordentliche, Ungewöhnliche, Unermeßliche, sind Ideen, mit denen er sich [174] vertraut zu machen, und die er bey andern zu erwecken sucht.
Die Frau hingegen, – in so fern sie nicht aus ihrem Charakter herausgeht, – liebt Zärtelung; Folge ihres zärteren Körpers und Gemüths: sie liebt mehr eine besorgende, wachsame, als vordringende Thätigkeit; Folge ihrer schwächeren, mehr im engeren Kreise wirkenden Kräfte. So erscheint die Person der Frau ihr selbst und andern unter dem Bilde und dem Begriff der Zartheit, und diese sind für diejenigen, welche sie fassen, mit zärtelnder Reitzung verbunden.
Die Frau hat Pflichten gegen häusliche Verhältnisse, und gegen denjenigen Theil unserer Person, der geschont und mit Nachsicht behandelt werden muß. Ihre Tugenden, ihre Vorzüge, zärteln die Seele bey der bloßen Vorstellung, und werden daher weiblich genannt; z. B. ausdauernde Geduld, Demuth, Schamhaftigkeit, Sanftmuth, Feinheit, Liebenswürdigkeit, Emsigkeit u. s. w.
Ohngeachtet nun der Mann durch seine Person und seine Verhältnisse den Begriff der Stärke, die Frau in eben diesen Rücksichten den Begriff der Zartheit erweckt; so haben doch beyde zugleich vieles an sich, was den entgegengesetzten Begriff begründen kann. Der Mann ist vieler weiblichen Vorzüge und Tugenden fähig, die Frau vieler männlichen. Der Mann liebt zuweilen eine zärtere Reitzung, die Frau zuweilen eine stärkere. Der Mann kann sich über die Verhältnisse des häuslichen Lebens nicht hinaussetzen; die Frau kann sich von ihrem Zusammenhange mit der größeren bürgerlichen Gesellschaft nicht völlig los machen.
Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, erweckt der Mann den Begriff der Stärke, welche zugleich geschmeidig [175] seyn kann; die Frau den der Zartheit, welche sich heben mag. Nun steht Lieblichkeit der Großheit, Sanftmuth der Festigkeit, Feinheit dem Gründlichen und Vielumfassenden zur Seite! Nun bieten sich Hoheit und Reitz, Stützen und Anschmiegen, Leiten und Abgewinnen, Arbeitsamkeit und Emsigkeit, wohlthuender Ernst und liebkosende Gefälligkeit, vordringende Kraft und ausdauernde Geduld, brüderlich und schwesterlich die Hände. Aus dem allen aber formt sich für beyde und für jeden dritten ein Bild, welches die Seele mit einer Ueppigkeit erfüllt, die so wohl bey der Bestrebung, als bey der wirklichen Befriedigung des Häuslichkeitstriebes zum Grunde liegt.
Ohne allen Zweifel macht der Trieb nach dieser Art von Seelenwonne, nach diesem pikanten Reitze der häuslichen Vereinigung einen wesentlichen Theil der Geschlechtssympathie aus. Der Mensch ist unstreitig in so fern er zum Thiergeschlecht gerechnet werden mag, von Biberart. Er richtet sich mit mehreren Geschöpfen seiner Gattung zu einem Staate ein, und mit einem oder mehreren Geschöpfen von verschiedenem Geschlechte zu einem Hause, zu einer Familie.
Ich bin überzeugt, daß wenn auch ein Gesetz die völlig freye Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie mit allen Individuen von verschiedenem Geschlechte ohne Unterschied erlaubte; daß dennoch die größte Zahl der Menschen dieser Vergünstigung entsagen, und mit einzelnen Personen von verschiedenem Geschlechte sich zum Zusammenleben, wenigstens auf einige Zeit einrichten würde. Dieß ist so gewiß, daß Wollüstlingen, die nur irgend auf Vollständigkeit des Vergnügens aufmerksam sind, vor bloß körperlichen Freuden ekelt, und [176] daß sie schlechterdings etwas Genuß für die Seele haben wollen. Und worin besteht dieser? Wollen sie sich die Zeit vertreiben, wie man sie auch im größern Zirkel der örtlichen Gesellschaft hinbringt; nur fröhlich seyn? Nein! sie wollen das Bild des häuslichen Lebens, wäre es nur auf einen Abend, dargestellt sehen, und sie fühlen sich nicht glücklicher, als wenn sie sich recht heimisch, recht wöhnlich bey der Person fühlen, welche vielleicht am folgenden Abend die Gattin eines andern spielt. Es ist auch so gewiß, daß der Reitz einer solchen Seelenwonne in unsern häuslichen Verhältnissen von dem physischen Reitz der Körperverbindung noch verschieden sey; daß selbst Greise, Väter, Brüder, ja selbst die kleinsten Kinder den höheren Genuß fühlen, den das Zusammenleben, die Häuslichkeit mit Personen von verschiedenem Geschlechte vor dem Zusammenleben mit einer Person von gleichem Geschlechte zum Voraus hat. Der Fürst im Julius von Tarent empfand dieß, wenn er sagte: „zu den häuslichen Freuden des Greises gehören durchaus Weiber!“
II.
Als eine besondere Modification unserer Ueppigkeit sehe ich das Wonnegefühl des Heimischen an, das wir in Gesellschaft mit Personen von verschiedenem Geschlechte, besonders mit solchen, die für Manns- oder Frauenspersonen äußern Kennzeichen nach gelten, alsdann empfinden, wenn wir bey ihnen allein sind, und uns überzeugt halten, daß unsre einsame Gegenwart ihnen eben so viel Vergnügen macht, als uns die [177] ihrige. Woher der unerklärbare Reitz, den das Schwatzen, Kosen, Tändeln und oft selbst das trauliche stumme Beyeinanderseyn zwischen dem Manne und dem Weibe mit sich führt, wenn diese sich einander selbst überlassen und gewogen sind? Man wird sagen: es gehört der körperlichen Lüsternheit! Nein! Sie hat in manchen Fällen Antheil daran: in keinem macht sie diese Art der Wonne allein aus. Das Gemüth nimmt immer seinen Theil davon hin. Sogar unter Männern, die im Verhältnisse des stärkeren Gemüths zum zärteren stehen, findet das Gefühl des Heimischen Statt; es findet Statt bey Weibern, deren Formen, deren kränklicher Zustand alle körperliche Lüsternheit niederschlägt. Ach! es liegt dem Gemüthe viel näher! Es liegt darin, daß dieß in Unbefangenheit und Hingebung aufgelöst, und durch das Bewußtseyn, daß man gefällt, daß man beherrscht, sanft angestrengt wird. Welch eine süße Gewalt, die man in diesen Zusammenkünften, frey von aller fremden Beobachtung, leidet und ausübt! Welch ein angenehmes Ueberlassen und wonnevolles Zurückwirken! Welch ein üppiger Reitz in einer Empfindung, in einem Gedanken zusammen zu treffen, den der eine mit dem ganzen Charakter der geschmeidigen Stärke, der andere mit dem der hebenden Zartheit hegt und ausdrückt! Welch ein üppiger Reitz, Richtigkeit mit Feinheit, Vernunft mit Witz, Feuer mit Sanftheit empfangend und mittheilend zu paaren! Sich auszuahnden, aufs halbe Wort zu verstehen, mit bloßen Blicken verständlich zu machen, sich zu bewundern, und sich auf Schwächen zu ertappen, und zu rufen: Also auch du? und pantomimisch zu antworten: Ja! Auch ich! Und nun mit einander zu trauern oder zu lachen über den Menschen, der sich [178] in beyden Personen in seiner Blöße zeigt! Und so mit den Gemüthern in einander greifen, sich absondern zusammen von der übrigen Welt, und sich besitzen, und sich wechselseitig einlagern! Nein! Nein! Die geistreichste Unterhaltung mit dem Manne kommt der Wonne nicht gleich, welche das Geschwätz mit dem verständigen Weibe giebt, das uns wohl will und uns zart behandelt.
III.
Es ist ein wonnevolles Gefühl für den Mann, wenn er bey dem Bewußtseyn der Oberaufsicht, die er über seine Gattin führt, diese dazu nutzen kann, sie durch die nachgiebigste Gefälligkeit gegen ihre Launen und Eigenheiten, und durch die aufmerksamste Zuvorkommung ihrer vorübergehenden Wünsche zur Dankbarkeit zu verpflichten: nicht anders wie zu zärtliche Eltern oder zu gütige Patronen ihre Kinder und Clienten verziehen. Es ist aber auch ein wonnevolles Gefühl für das Weib, bey Anerkennung der Superiorität des Mannes diesem durch die sorgsamste Pflege und eine oft übertriebene Aufmerksamkeit auf jedes seiner kleinsten Bedürfnisse seine Dankbarkeit ganz zu erkennen zu geben, und ihm fühlen zu lassen, daß es ihm gleichfalls etwas werth sey: nicht anders wie gutgesinnte Kinder und Clienten ihre Eltern und Patronen oft verzärteln.
Hierauf beruht ein Verhältniß, das oft mit allen Charakteren der Ueppigkeit und der Geschlechtssympathie gefühlt wird. Der Mann überläßt sich gern der verzärtelnden Pflege der Gattin, und findet sich dadurch und durch das Gefühl seiner hingebenden Geschmeidigkeit in [179] einem Zustande wohlbehagender Auflösung. Auf der andern Seite spornt ihn zugleich das Gefühl, daß ihm als Herrn geschmeichelt wird, daß er sich als Herr herabläßt. Sie, die Gattin, fühlt sich durch das Streben und das Gelingen des Wunsches, den Beyfall des Obern zu erlangen, und ihm die Herrschaft unvermerkt abzugewinnen, angenehm gespannt: sie wird aber zugleich durch die geschmeidige Zuvorkommung des stärkeren Mannes angenehm gezärtelt.
Es ist gewiß, daß der große Haufe der Männer und Weiber in dem wechselseitigen Verhältnisse verzärtelter Eltern gegen verzogene Kinder zu stehen lieben. Aber selbst in den edelsten Verhältnissen zwischen Personen von verschiedenem Geschlecht erlauben sich diese Vieles in ihrer wechselseitigen Behandlung, was sie sich in engeren Verbindungen mit Personen des ihrigen nicht gestatten würden, ohne die gegenseitige Achtung und das Gefühl ihrer Selbstwürde zu beleidigen. Der Liebende huldigt der Geliebten oft auf eine Art, die gegen den Freund herabsetzend für diesen und für ihn selbst seyn würde; die Geliebte sorgt oft für den Liebenden auf eine Art, die gegen die Freundin ins Kindische und Wegwerfende fallen würde. Nun! in der Geschlechtsliebe, selbst in der edleren, giebt das keinen Anstoß, wenn es nicht übertrieben wird und zu häufig wieder kommt.
IV.
Eben hierher gehört auch der Zug nach geselliger Auszeichnung unter beyden Geschlechtern, die ich üppige Eitelkeit (Coquetterie) nennen möchte: das Bewußtseyn, [180] einer Person von verschiedenem Geschlechte in der Gesellschaft durch Vorzüge, welche das Geschlecht charakterisieren, ausschließend zu gefallen. Er führt etwas Ueppiges mit sich, welches der Ehrgeitz und selbst die Eitelkeit, den Beyfall einer Person von dem nehmlichen Geschlechte zu erhalten, nicht an sich trägt. Eitelkeit gehört überhaupt, in seinem Verhältnisse zum Ehrgeitze betrachtet, zu unserer Zartheit. Wir fühlen uns an unserer zärteren Seite gereitzt, und die Wonne, welche dieß Bewußtseyn begleitet, ist ihrem Charakter nach auflösend. Aber diejenige Eitelkeit, welche durch den Beyfall einer Person von anerkannter Geschlechtsverschiedenheit befriedigt wird, trägt den Charakter des Hanges zum Geschlechtsverschiedenen an sich. Was dem Weibe an dem Manne gefällt, ist nicht seine reine Stärke, seine reine Festigkeit, sondern beydes zur Geschmeidigkeit modificiert: die Annehmlichkeit seines festen Charakters. Die Vorstellung dieser gefallenden Eigenschaft führt jene Mischung von Hingebung und Beherrschung mit sich, welche die Seele zu gleicher Zeit spannt und zärtelt. Wenn das Weib die Macht seiner sanften Reitze über die Stärke des Mannes erprobt, so fühlt es sich mittelst seiner Zartheit stark und dem Manne sich entgegenhebend. Wieder ein üppiges Gefühl, wieder eine Mischung von Stärke und Zartheit, von Hingebung und Beherrschung! Beyde Gemüther lagern sich in einander ein!
Es ist überhaupt sehr merkwürdig, daß der Trieb nach geselliger Auszeichnung vom andern Geschlechte, diese üppige Eitelkeit der Seele, mit der Ueppigkeit und der Lüsternheit des Körpers in so genauem Verhältnisse steht.
[181]Es ist für gewisse Weiber kein gefährlicherer Moment, um in körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit zu gerathen, als derjenige, wenn ihre Eitelkeit auf eine außerordentliche, ungewöhnliche Art geschmeichelt wird. Bildnißmahler haben die Bemerkung gemacht, daß die Damen in dem Augenblicke, worin ihr Portrait einen großen Zusatz von weiblichen Reitzen bekam, etwa beym Auflegen des Wangenroths, in einen sehr gefährlichen Zustand von körperlicher Erweichung geriethen. Ich habe einen Liebhaber gekannt, der bey seiner Geliebten kein Gehör zur Ausübung gewisser Rechte finden konnte; Dienstleistungen, Geschenke, unbedingte Gefälligkeit, kurz, alles vergebens versuchte; bis eine Schmeicheley von ungewöhnlicher Feinheit und Stärke die Spröde auf einmahl besiegte.
Wenn die Bemühung, zu gefallen, nicht bloß eine vorübergehende Befriedigung der Eitelkeit zum Zweck hat, wenn man auf ihren längern Genuß in dauernder Verbindung rechnet; so tritt auch oft die Idee hinzu, daß die Person vom andern Geschlecht uns diejenigen Verdienste beylege, welche den Gesellschafter in gemischten geselligen Zirkeln und in häuslicher Verbindung auszeichnen. Man setzt seine Eitelkeit darin als eine Person gebilligt und gewählt zu werden, mit der die andern ihre persönlichsten Verhältnisse theilen, und mit der sie künftighin als eine zusammengesetzte Person von andern betrachtet werden will. Eine solche Paarung der Verhältnisse, wie Gatte und Gattin mit einander eingehen, bringt die engste Verbindung zwischen Personen des nehmlichen Geschlechts in der bürgerlichen Gesellschaft nicht hervor, und es ist keine [182] geringe Begünstigung für die Eitelkeit, dazu vor allen andern würdig gefunden zu werden.
V.
Dieß führt mich auf die merkwürdige Habsucht in dem Bestreben, eine Person von verschiedenem Geschlechte zu gewinnen, und auf den eben so merkwürdigen Stolz auf den Besitz dieser Person bey dem Gelingen jenes Bestrebens. Das Gefühl: ich habe die Person, sie ist mein! wird weder als Zweck noch als Genuß bey der Bestrebung, die Zuneigung von Personen unsers Geschlechts zu gewinnen, angetroffen, wenn diese nicht in Leidenschaft ausartet. Hier begnügen wir uns mit dem Bewußtseyn eines vorzüglichen Anspruchs auf das Herz oder die Vereinigung der Naturen! Was heißt hingegen jenes Bestreben, eine Person vom andern Geschlechte ganz zu gewinnen, sich ganz anzueignen, anders, als das Bestreben nach dem Bewußtseyn, daß sie uns eine Zuneigung schenkt, die ihrer Natur nach mit keiner andern Person getheilt werden kann, die folglich den Begriff des ausschließenden Besitzes, und dadurch sogar gewisse Ideen von Rechten über ihr Physisches und Moralisches, und von Eigenthum mit sich führt. Wir entziehen dadurch die Person allen Ansprüchen, die andere in eben der Rücksicht auf sie machen könnten; wir sondern sie zu einer engeren Gesellschaft mit uns von der größeren ab. Es läßt sich nicht läugnen, daß, so viel auch unsere policierteren Sitten die Idee der Dienstbarkeit, in welche sich das zärtere Geschlecht durch Verschenkung seines Herzens gegen das [183] stärkere begiebt, gemildert haben, dennoch Spuren dieses tief in der Natur des Verhältnisses gegründeten Begriffs von Absonderung, Ausschließung und Eigenthum, in jener Habsucht und in jenem Stolze auf den Besitz der Person angetroffen werden, die besonders unserm Geschlechte eigen sind.
Der Charakter der Bestrebung, das Herz einer Person vom andern Geschlechte ganz zu gewinnen, ist an sich höchst eigennützig und interessiert. Eben dadurch wird das Bewußtseyn unserer Abhängigkeit und unserer Erniedrigung begründet, der den Zustand der Gewinnsucht begleitet. Auf der andern Seite zeigt sich aber auch die Aussicht auf Sieg und auf den Zeitpunkt, wo der Stolz des Besitzes die gegenwärtige Sehnsucht krönen wird. Diese Mischung von Affekten begründet die süße Schwermuth, den Zustand der Zärtelung und Spannung unsers Geistes während der regen Bestrebung. Der Moment aber, der das Gefühl ihres wirklichen Gelingens gewährt, der Moment, in dem wir zu der Ueberzeugung gelangen, daß die Person unser sey; dieser Moment führt eine Wonne mit sich, die durch die Vermählung zarter und spannender Affekte, die sich hier in gleichzeitiger und gleichmäßiger Wirksamkeit äußern, der Wollust befriedigter körperlicher Lüsternheit in manchen Punkten ähnelt, und die Wage hält. Auch darf man dreist behaupten, daß in dem Bestreben und in der Befriedigung des Stolzes auf den Besitz der Person bereits eine wahre Lüsternheit der Seele, wiewohl in ihrem untersten Grade, wo sie sich der Ueppigkeit noch sehr nähert, angetroffen werde.
Und glaubt es mir zu: dieß ist nicht bloß Folge unserer geselligen Conventionen, die mit dem Ansehn, [184] das sie dem zärteren Geschlechte in Europa beygelegt haben, auch den Werth ihres auszeichnenden Beyfalls und des Besitzes ihrer Zuneigung erhöhen mußten! Geht in Erziehungsanstalten von Kindern einerley Geschlechts, und ihr werdet sehen, wie die Individuen von zartgebaueten Körpern den auffallenden Trieb bey den übrigen erregen, von ihnen vorgezogen und zur ausschließenden Verbindung abgesondert zu werden. So meldet sich schon dort mit dem ersten Keime zur Ueppigkeit und Lüsternheit des Körpers der Keim zur Ueppigkeit und Lüsternheit der Seele!
Alle diese eben bezeichneten Triebe liegen bey der Eifersucht zum Grunde, welche die Verbindungen zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte der Regel nach begleitet, und wenigstens in gleich starker Maße nicht bey Verbindungen zwischen Personen des nehmlichen Geschlechts angetroffen wird. Sie mag Mißgunst seyn, diese Eifersucht, aber sie ist eine Mißgunst, die mit der Geschlechtssympathie des Menschen unmittelbar verbunden ist, und nur durch mehr als thierische Rohheit oder Ausartung davon getrennt werden kann. Aus der bloßen körperlichen Lüsternheit, oder aus dem bloßen unnennbaren Triebe würde sich die Eifersucht allein nicht erklären lassen; denn die Begierden, welche diese körperlichen Gefühle voraussetzen, sind nicht permanent, und es ist nicht in der Natur, dasjenige zu mißgönnen, was wir selbst nicht begehren. Aber die Triebe nach häuslicher Absonderung, nach dem Heimischen, nach dem Clientelarverhältnisse, nach geselliger Auszeichnung, nach dem Stolze auf den Besitz der Person, stehen mit jenem [185] körperlichen Begierden in natürlicher Verbindung, und diese Triebe sind ihrer Natur nach fortdauernd und ununterbrochen fortwährend.
Wenn also einige Philosophen behauptet haben, daß wir im Stande der unausgebildeten Natur, ehe die Begriffe der körperlichen Schönheit und geselliger Auszeichnung sich entwickelt hätten, keine Eifersucht kennen würden; so läßt sich diese Behauptung gewiß nicht rechtfertigen. Die ohnehin unzuverlässigen Nachrichten, welche wir über die abweichende Empfindungsart gewisser roher Völker von der viel allgemeineren Stimmung der übrigen haben, *) beweisen weiter nichts, als daß unsere Instinkte auf einer Stufe von Rohheit stehen können, welche noch unter derjenigen ist, die wir an Thieren wahrnehmen. Denn schon unter diesen machen einige einen Unterschied unter ihren Gatten, und halten sich vorzüglich an diejenigen, die ihnen am besten gefallen. Selbst diejenigen, welche ihren Trieben ganz ungebunden huldigen, leben mit den Weibchen in der Zeit, welche die Natur zur Fortpflanzung der Gattung bestimmt hat, zusammen. Sie kämpfen bis aufs Leben für den alleinigen Besitz, und leiden nicht, daß sich die Weibchen von ihnen entfernen. Andere aber, welche ihr Instinkt so wie den Menschen auf gebundene Verhältnisse mit einzelnen Weibchen führt, leiden durchaus nur einen Mann, und verlangen ein ununterbrochenes, abgesondertes Zusammenseyn. Das Geflügel und das Bibergeschlecht, welche sich in größern Gesellschaften zu einzelnen Nestern und Häusern paaren, geben den Beweis. [186] Bienen hingegen bilden bloß einen Staat und Zellen nur für einen; bey ihnen hat ein ganzer Stock nur eine Gattin.
Neuntes Kapitel.
Von der Lüsternheit der Seele und ihrer Folge der Besessenheit.
Ich habe vorhin schon das Streben nach dem Stolz auf den Besitz der Person für eine Lüsternheit der Seele ausgegeben. Ein noch mehr auffallender und merklicher Grad derselben zeigt sich aber in demjenigen Zustande, den ich jetzt darstellen und entwickeln will.
Das Streben der Seele, sich den Geist eines andern Wesens ganz anzueignen; die schmelzende und zugleich starrende Lage, in welche alsdann alle Kräfte unsers Gemüths gerathen; die Aehnlichkeit dieses Zustandes mit der Lüsternheit des Körpers, und ihr genauer Zusammenhang unter einander; alles dieß ist aufmerksamen Beobachtern nie entgangen. Die Franzosen haben seit langer Zeit ein doppeltes Temperament des Kopfes und der Sinne angenommen, und das erste in der Eroberungssucht der Herzen, verbunden mit dem Triebe nach dem Außerordentlichen und Neuen, gesetzt. Hemsterhuys und einige andere haben die Aehnlichkeit zwischen dem schwärmerischen Triebe der Seele, sich das Geistige anzueignen, mit der körperlichen Lüsternheit so auffallend gefunden, daß sie sogar einen und denselben Trieb in beyden Fällen als wirksam angenommen haben.
[187]So gewagt, so unbestimmt mir diese Behauptungen zu seyn scheinen, *) so erscheint doch daraus die allgemeine Bemerkung, daß unsere Seele eines schwärmerischen, begeisterten Aneignungstriebes fähig ist, der seiner großen Aehnlichkeit mit der Lüsternheit des Körpers wegen ihre Lüsternheit genannt zu werden verdient. Hier ist vorläufig meine Erklärung dieser Erscheinung.
Die Lüsternheit der Seele, ihr schwärmerischer Trieb, sich den Geist eines andern Wesens anzueignen, ist allemahl ein Zustand von Begeisterung. Dieß Wort wird aber in sehr verschiedener Bedeutung genommen, so wie das Wort Geist unendliche Bedeutungen hat, von derjenigen an, worin es für jede flüchtige körperliche Materie genommen wird, bis zu derjenigen hin, worin es das Ich im Menschen, und sogar die Weltseele heißt.
Im allgemeinsten Sinne nennt man Begeisterung jede außerordentliche Erhöhung der Wirksamkeit unsers Gemüths: Lebendigkeit unserer Seelenkräfte. In einem etwas engeren Verstande heißt Begeisterung so viel als diejenige Wirksamkeit unsers Gemüths, die wir einer besondern Erhöhung unserer Einbildungskraft zuschreiben, wenn diese die Vorstellungen unsinnlicher Gegenstände, (wohin ich auch das Sinnliche aber Abwesende rechne,) zu anschaulichen Bildern hebt, und sie dadurch den anerkennenden Kräften äußerst nahe bringt. Hier bezeichnet folglich der Ausdruck Begeisterung einen Zustand der Erhebung über die Körperwelt zur sinnlichen Einführung in das Reich des Unkörperlichen, oder der Geister: einen Zustand, der an sich schon mit [188] wonnevollen Reitzungen verknüpft ist, theils wegen des Gefühls jener Lebendigkeit unserer Seelenkräfte überhaupt; theils wegen jener associierten Vorstellungen des Emporstrebens zu dem Uebersinnlichen. Je mehr unsre Phantasie, oder die schaffende zusammensetzende Einbildungskraft dabey geschäftig wird, um desto größer ist unsre Wonne. Wir eignen uns alsdann zugleich das Verdienst des Hervorbringens zu, und damit verbindet sich die Eitelkeit, das Abwesende und Unsinnliche so ungewöhnlich anzuschauen, und so tief in seine Eigenthümlichkeiten einzudringen. Diese Begeisterung ist besonders dem Dichter, dem Künstler und dem Phantasiereichen Philosophen eigen, so lange sie noch nicht daran denken, sich durch ihre Produkte vor andern Menschen auszuzeichnen.
Allein die genauere Vereinigung mit den Bildern der Phantasie und ein höherer Grad der Begeisterung entsteht erst da, wo wir das Bild zugleich in genauerer Beziehung mit einem der herrschenden Triebe unserer Natur oder unserer engsten Sinnlichkeit denken, und es als ein Mittel betrachten, diese dadurch befriedigt zu sehen. Alsdann fängt es erst an, unser Gemüth zu beherrschen, d. h. sich gewöhnlich mit Lebhaftigkeit darin darzustellen, und uns durch seine Erscheinung unmittelbar zur Wonne zu reitzen. Beyspiele davon liefert der geistige Stolz aller Schwärmer, welche durch die Hoffnung geschmeichelt werden, sich einige der Eigenschaften des geistigen Wesens, dem sie sich mittelst einer anschaulichen Erkenntniß nähern, anzueignen, seinen Zustand zu theilen, und sich dadurch über andre Menschen zu erheben. Noch auffallender sind die Beyspiele, wo das Bild des unsinnlichen Wesens auf Beförderung unsers [189] Ehrgeitzes, des leidenschaftlichen Strebens nach dem Besitz einer Person vom andern Geschlechte, der Gefallsucht und anderer noch niedrigeren Triebe bezogen wird. So begeistert man sich sehr leicht für berühmte und vornehme Männer, wenn man glaubt, daß die genauere Kenntniß von ihrem Charakter, und oft nur von ihren äußeren Verhältnissen uns bey der Menge auszeichnen wird. Das Bild ihrer Person und ihrer Vorzüge erfüllt dann unsre Seele, wenn sie auch längst verstorben oder abwesend von uns seyn sollten. Eben diese Erscheinung zeigt sich bey demjenigen, der ein Herz zu erobern, die Aufmerksamkeit einer angebeteten Schönen ausschließend auf sich zu ziehen sucht. Ihr lebhaftes Bild wird unser vertrauter Begleiter, mit dem wir in häuslicher Absonderung zusammen leben, das wir immer mit uns herum tragen. Aehnliche Erfahrungen macht der Alchymist und der Geisterbanner, der Schätze zu heben hofft. Er bezieht das Bild der heiligen Zahl oder des Salomonischen Siegels, oder des mächtigen Kobolds als Mittel auf den Zweck seiner Gewinnsucht, und die Folge ist, daß er sich aufs genaueste mit ihm vereinigt, oder, was einerley ist, daß es herrschend in seiner Seele wird. So wird der Erfinder von dem Bilde seines Produkts begeistert, so die Person von warmen Blute von Bildern, die stark auf die Lüsternheit des Körpers wirken, u. s. w.
Von der Begeisterung in allen diesen Fällen trägt die Lüsternheit der Seele, oder die Besessenheit, wie ich sie nenne, etwas an sich, und beruht gemeiniglich auf ihr. Sie geht aber weiter. Sie vergißt, daß es nur ein Bild ist das sie so anschaulich erkennt; sie vergißt, daß sie sich nur mittelst einer Erhöhung der Phantasie so [190] eng mit ihm vereinigt; sie vergißt die Beziehung, worin das Bild als Mittel zu dem Zwecke, herrschende Triebe zu befriedigen, steht; – und sucht den Geist, für die engste Adhärenz des Ich’s einer andern Person genommen, in sich aufzunehmen, oder, was einerley ist, ihr Ich, ohne allen weitern Zweck und ohne alle weitere Beziehung, unter dem Bilde eines andern Geistes zu denken.
Wenn die Phantasie uns mit dem Gelingen dieser Bestrebung täuscht, so erkennen wir gar keine Trennung zwischen unserm Geiste und dem Bilde des Geistes einer andern Person an: wir verlieren beyde unsre Selbstständigkeit. Unser Gemüth und sein Gemüth, sein Körper und unser Körper, werden als Agenten betrachtet, die ein und der nehmliche Geist beseelt, und weil das Ich nur unter dem Bilde seiner engsten Adhärenz, des Geistes, gedacht werden kann, so theilen wir nur ein Ich. Du bist Ich, Ich bin Du: das ist die Empfindung der Besessenheit.
Diese Schwärmerey ist wahre Lüsternheit der Seele, und zeichnet sich durch Symptome aus, welche der Lüsternheit des Körpers äußerst analog, und wahrscheinlich an ähnliche Gründe gebunden sind, ob sie gleich nicht eine und eben dieselbe Kraft oder Anlage zum Voraus setzen. Den Zustand, in den wir durch Begünstigung dieses Triebes gerathen, habe ich Besessenheit genannt. Ein neues Wort, ich gestehe es, für dessen Bildung mich aber die Armuth der Sprache entschuldigt, und das sich wenigstens auf die Benennung des Aberglaubens stützet, vermöge dessen ein böser Geist uns besitzen kann.
Gehen wir zuerst auf die Untersuchung aus, welchen Personen solche Lüsternheit der Seele eigen zu seyn pflegt; [191] so finden wir, daß es gemeiniglich, so wohl unter Männern als Weibern, diejenigen sind, welche sich durch einen Mangel solcher Seelenkräfte, die wir zur Stärke rechnen, und durch solche Vorzüge der Seele, welche zum Begriff der Zartheit gehören, auszeichnen. Menschen von sehr gesunder Beurtheilungskraft sind zu dieser Lüsternheit der Seele nicht aufgelegt. Der Zustand der Leidenschaft zum Geschlecht macht freylich darunter eine Ausnahme: allein sie bestätigt nur den aufgestellten Grundsatz, weil durch sie die stärksten Menschen auf eine Zeitlang in den Zustand der Zartheit versetzt werden. Dagegen sind solche, welche ein weiches Herz, einen feinen Verstand, und vorzüglich viel Phantasie besitzen, sehr fähig zu diesem Zustande. Gehen wir auf die Wesen zurück, deren Bilder diese Lüsternheit am meisten befördern, so sind sie von Gegenständen hergenommen, welche durch den Begriff der Stärke Bewunderung erregen: das höchste Wesen, Sätze der Moral, erhabene Gegenstände der Natur und der Kunst, außerordentliche Menschen, ungewöhnliche Begebenheiten. Allemahl müssen wir den Gegenständen etwas Geistiges beylegen können, und der Charakter dieses Geistes muß im Verhältnisse der Stärke zu unserer Zartheit stehen. Nie sind wir zu dieser Lüsternheit der Seele aufgelegter, als in der Zeit, worin wir einer starken Leidenschaft zum andern Geschlecht huldigen. Hier nimmt der Gegenstand unserer Leidenschaft, wenn er auch noch so gewöhnlich ist, den Charakter der Stärke vermöge der Abhängigkeit an, worin er uns hält, und wir, wir fühlen uns schwach und zart gegen ihn.
Superiorität, sie mag auf dem bloßen Gefühle unserer Abhängigkeit, oder auf dem des Ungewöhnlichen, [192] Außerordentlichen, Vollkommenen beruhen, wird alle Mahl in dem Gegenstande vorausgesetzt, mit dessen Geiste wir nach Vereinigung in dieser Maße streben. Inferiorität von unserer Seite ist davon unzertrennbare Folge. Aber das Gefühl des Verhältnisses der reinen Superiorität gegen unsere Inferiorität; der baren Stärke gegen unsere bare Zartheit, wird nie ein Streben nach Vereinigung der Geister hervorbringen. Das bloß Männliche, bloß Anstrengende, zieht mich nicht zu sich hin; der unerschütterliche Starrsinn, die unbarmherzige Geistesstärke eines Sylla oder Robespierre, die bloß verderbliche Naturkraft, das höhere, aber nur zum Unheil geartete Wesen, das Geschöpf unserer Imagination, der Teufel, können mich zwar in den oben angeführten Bedeutungen begeistern, d. h. ihr Bild kann immer sehr lebhaft bey mir seyn, und in so fern es mir nützlich scheint, mich beherrschen; aber ich werde mich nicht von ihm besitzen lassen, d. h. meinen Geist unter dem Bilde sehen wollen, welches meine Phantasie mir von ihnen darstellt. – Eben so wenig als ich auf der andern Seite die Bilder des bloß freundlichen Charakters, der flachen bloß heitern Gegend, der Ruhe des Alltagslebens, zu solchen unzertrennbaren Gefährten, zu solchen Formen meines eigenen Geistes machen möchte.
Es muß folglich ein Wohlverhältniß der Superiorität des Geistes außer mir und der Inferiorität des meinigen, seiner Stärke zu meiner Zartheit, vorhanden seyn; ein Wohlverhältniß, wodurch ich mich ihm entgegen, zu ihm hinaufzuheben, ihn zu mir sich herabneigen zu sehen hoffen darf, um dadurch ein neues Wesen in der engsten Vereinigung mit ihm hervorzubringen.
[193]So erscheint uns ein Gott, dem wir neben einer unbegreiflichen Allmacht ein liebendes Herz, wie das unsrige, zuschreiben; so erscheint das moralische Gesetz, das uns neben dem Gefühle der Abhängigkeit unserer Sinnlichkeit von seiner Strenge das Bild einer intellektuellen Freyheit, Würde, Selbstgenügsamkeit, und des Emporschwingens zu einem höheren Reiche von Geistern, darbietet: so erscheint der Glanz der Großen dieser Erde, deren Annäherung Zwang, deren Vertraulichkeit aber Auszeichnung vor allen Mitbürgern verkündigt; so erscheint endlich das bewunderte Wesen an dem leidenschaftlich geliebten Weibe oder Manne, oft nur darum bewundert, weil es schwer [zu gewinnen] ist, aber das doch endlich gewonnen ausschließlich mit uns vereinigt werden kann! – Diese und ähnliche Gegenstände sind es, welche uns gewaltsam zu sich hinreißen, und uns zum sehnsuchtsvollen Streben nach Vereinigung der Geister einladen, kurz, uns in den Zustand der Besessenheit versetzen.
Richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf die Eigenheiten dieses Zustandes! Unsere erste Empfindung bey der Vorstellung eines Wesens, dem wir eine geistige Größe beylegen, ist ein Staunen, eine Bewunderung seiner Superiorität, seiner Stärke, und diese bringt in uns eine Anstrengung hervor, die sehr richtig mit den Worten: Anstarren, Starren unsers Geistes, ausgedruckt wird. Die Folge davon ist Zurückziehen in uns selbst; Gefühl unserer Inferiorität, Schwermuth. Bald aber fühlen wir die Möglichkeit, die Hoffnung, uns ihm entgegen zu heben, einen Punkt zu treffen, worin der bewunderte Geist mit uns vereinigt werden kann. Wir bemerken, daß er ein Herz, daß er zarte Seiten neben den starken hat. An diese wollen wir uns halten; Nachsicht, [194] Dankbarkeit, Achtung für unsre unbedingte Gefälligkeit, für unser Streben ihm ähnlich zu werden, endlich sogar für gewisse zarte Vorzüge an uns, welche ihm fehlen, werden das Band auch von unserer Seite anziehen; wir beyde werden uns zusammen absondern von allen Uebrigen, wir werden ein Wesen ausmachen, wir werden uns gar nicht mehr getrennt von einander denken. Es wird ein neues Wesen entstehen, worin seine und meine Vorzüge zusammengeschmolzen einen höhern Anspruch auf Vollkommenheit haben werden, als wenn wir einzeln gedacht, und einzeln im Bilde dargestellt würden. So entsteht ein sehnsuchtsvolles Streben, eine süße Schwermuth, und das Bewußtseyn, daß die Vereinigung gelingt, es sey durch ein wahres Gefühl, daß wir uns wechselseitig unsre Vorzüge mittheilen, oder daß wir von dem Wesen das uns begeistert, ausgezeichnet werden, oder daß wir uns wenigstens würdig fühlen, ihm vorzüglich anzugehören; – dieß Bewußtseyn überströmt uns mit einem üppigen Schauer, der demjenigen sehr ähnlich ist, welchen die Körper bey der Vereinigung der Organisationen empfinden.
Es scheint mir mehr als wahrscheinlich, daß bey dieser Lüsternheit der Seele das Bestreben des letzten belebenden Princips im Gemüthe, sich in einer überschwenglich wonnevollen Wirksamkeit zu fühlen, zum Grunde liege. So wie die körperliche Lüsternheit ein Uebermuth, eine Ausgelassenheit unserer Lebenskraft ist, so ist die Lüsternheit der Seele ein Uebermuth, eine Ausgelassenheit des geistigen Wesens in uns, das nach dem höchsten Grade gleichzeitiger Spannung und Zärtelung strebt. Wenn unser Geist in diesem Aufruhr ist, so strebt er nach Vereinigung mit einem andern [195] Geiste, von dem er dasjenige nehmen möge, was ihm zu jenem Vollkommenheitszustande abgeht, in den er dasjenige ausströmen lassen könne, was er zu jenem Vollkommenheitszustande zu viel oder überflüssig hat. Daher der Muth und die Weichheit, daher die Kraft und die Ermattung während der Bestrebung; daher der üppige Schauer bey dem Gelingen!
Dieser schwärmerische Aneignungstrieb der Seele äußert sich nun auf sehr verschiedene Art. Oft steckt die Lüsternheit der Seele den Körper mit ähnlichen Empfindungen an, und dieser modificiert sie auf seine eigene Weise zu einer wahren Lüsternheit nach Körperverbindung. Oft aber bleibt es auch bey einer bloßen consensualischen Reitzung der Nerven, ohne eine Bestrebung dieser Art. Doch von allem diesen mehr in der Folge. Ich will hier nur einige der auffallendsten Beyspiele des schwärmerischen Aneignungstriebes der Seele in der Absicht anführen, um zu zeigen, daß nicht bloß Personen, welche für Männer und Weiber anerkannt werden, diesem Zustande unter einander nachstreben, sondern daß er überall angetroffen wird, wo sich ein Wohlverhältniß stärkerer und zärterer Geister zu dem Berührungspunkte einer gezärtelten Spannung unter Mitwirkung der Phantasie voraussetzen läßt.
Junge Künstler werden für große Meister in der Kunst, deren Talent sie zu erlernen hoffen; Schüler für ihre Lehrer in den Wissenschaften; Personen, welche bey vieler Sinnlichkeit zugleich den Trieb nach sittlicher Vollkommenheit in sich fühlen, für Personen, welche auf einer hohen Stufe der Tugend stehen, und sich durch Strenge gegen sich selbst und Nachsicht gegen andere auszeichnen, diesen Aneignungstrieb der Geister empfinden. [196] Er wird sich noch sehr von jenem wackern Enthusiasmus, der rüstig zur Ueberwindung großer Schwierigkeiten durch ein wahres Gefühl der Vollkommenheit im Verhältnisse zu unsern Kräften macht, unterscheiden. Denn der erste ist schmelzend, und eignet sich nicht bloß die Vorzüge des bewunderten Wesens als eine Beschaffenheit des Gemüths an, welche sich von dem Persönlichen des Geistes trennen, und einem andern Geiste mit völliger Bewahrung seiner Eigenthümlichkeit beylegen läßt; sondern er strebt, das ganze Persönliche des Geistes in sich einzunehmen, und sich alle seine Eigenheiten, sogar die Fehler und Hindernisse zu den Vorzügen, denen wir nachstreben, mit der schwärmerischen Ueberzeugung anzudichten, daß wir diesen Geist häuslich, heimisch mit uns herumtrügen, davon besessen würden, und uns in ihn verwandelt hätten. Sehr merkwürdige Beyspiele von diesem Zustande liefern auch junge Personen, die zuerst in der Welt auftreten, und durch den freyen, einnehmenden Anstand gebildeter Gesellschaften hingerissen werden. Sie nehmen, ohne es zu wissen, ohne an Nachahmung zu denken, ihren Ton, ihre Manieren an, und glauben wirklich, ihren Geist in sich übertragen zu haben.
Darauf beruht die schwärmerische Begeisterung der Weiber für Heldentugend, der Männer für makellose Unschuld, der Unterthanen für ihren König, u. s. w. welche wahre Symptome eines Wahnsinns an sich trägt, indem der Anhängende sich das Bild eines Wesens, dessen Verhältnisse er nie zu den seinigen machen kann, dennoch zu einer Art von häuslicher Vertraulichkeit, von Umwandlung zu einem neuen Wesen mit dem Bilde, das er sich von seinem Geiste entwirft, anzueignen sucht.
[197]Wo es nicht Menschen, sondern ein höheres und unsichtbares Wesen ist, welches wir uns zuzueignen suchen, da entsteht die begeisterte Aneignung noch viel leichter, weil sie ganz Werk der Phantasie ist, und kein in die Sinne fallender Umstand die Illusion stört. Das Bild der Tugend, der Vaterlandsliebe, der Freyheit, des höchsten Abstrakts von Vollkommenheit erscheint uns unter einer starken, aber zugleich geschmeidigen Form, der wir die zarten aber hebenden Formen des Bildes von unserm Geiste anzupassen und beyde mit einander zu vereinigen hoffen. Wir gefallen uns in dieser Umwandlung des Bildes von unserm Geiste zu einem neuen Bilde, und das Bewußtseyn des begünstigten oder gar gelungenen Strebens nach jener Vereinigung überströmt unsre Seele mit üppigen Schauern.
Nehmen wir diese Bemerkungen zusammen, so werden wir den Charakter einer Geschlechtssympathie in dem schwärmerischen Aneignungstriebe der Seele nicht verkennen. Denn es liegt offenbar das Streben nach dem harmonischen Wohlverhältnisse geschmeidiger Stärke zur hebenden Zartheit in dem Berührungspunkte einer gezärtelten Spannung, dabey zum Grunde. Wir wollen nicht unsern Geist vermehren, verbessern, ergänzen, wir wollen ein neues Wesen aus ihm schaffen, wir wollen uns ihn unter Formen denken, welche das Bild unsers isolierten Geistes, selbst in seiner höchsten Vollständigkeit nicht darbietet. Die Weiblichkeit unsers Geistes, wenn ich so sagen darf, will sich mit der Männlichkeit eines andern vermählen; unser liebend einnehmender, aber zugleich emporstrebender Charakter, will sich mit dem strengeren, vordringenden, aber zugleich gütig annähernden und nachsichtigen, zu einem neuen [198] Charakter umschaffen, in dem beyde Naturen in der genauesten Gleichmaße des höchsten Grades ihrer Wirksamkeit zusammentreffen.
Die Lüsternheit der Seele findet man am häufigsten bey Personen, deren Geschlechtsverschiedenheit allgemein anerkannt wird; in den Verhältnissen zwischen Männern und Weibern. Diese Erfahrung beweiset die angeführte Entstehungsart: sie kann aber nicht dahin gedeutet werden, als wenn der unnennbare körperliche Trieb und das Verhältniß des Mannes zum Weibe, als solcher Personen, welche ihn am vollständigsten befriedigen könnten, dabey zum Grunde läge. Nein! die beyden anerkannten Geschlechter sind darum so geschickt, den schwärmerischen Aneignungstrieb der Seele zu erwecken, weil der Geist des einen gemeiniglich von stärkerer, der des andern gemeiniglich von zärterer Natur ist, und ihre Verhältnisse in der bürgerlichen Welt den Berührungspunkt beyder in gezärtelter Spannung so sehr befördern. *)
Der reine Enthusiasmus, vermöge dessen wir mit dem völligen Bewußtseyn unsers isolierten Geistes uns nur gewisse Beschaffenheiten des bewunderten Gegenstandes anzupassen suchen, er mag von der wackern oder schmelzenden Art seyn, wird gegen jene Schwärmerey, wie die Sympathie mit dem Gleichartigen gegen die Geschlechtssympathie stehen.
Der begeisterte Muth, wenn Bilder großer Menschen und großer Thaten uns zu ähnlichen entflammen, weil wir fühlen, unser Geist habe ähnliche Kräfte, welche nur durch das Bild verstärkt werden, ist der Begeisterung von dem Geschlechtsähnlichen Starken zuzuschreiben.
[199]Die begeisterte Empfindsamkeit, vermöge deren uns weinerliche Begebenheiten, zärtliche Charakter zur lebhaftesten Mitempfindung einladen, weil wir selbst uns in ähnlichen Situationen, in ähnlicher Charakterstimmung erblicken, jedoch mit dem völligen Bewußtseyn, daß jene Bilder nur das Bild unsers Selbstbewußtseyns, als etwas Getrenntes von ihnen verstärken, – gehört der Begeisterung von dem Geschlechtsähnlichen Zarten. Wenn aber wirklich die Sehnsucht in uns entstehen sollte, uns unter den Formen eines Cäsar oder Petrarca zu denken, und von ihrem Geiste in unsern Gesinnungen und Handlungen inspiriert zu seyn; und wir glaubten wirklich, daß uns dieß gelänge, – dann wäre gewiß die Begeisterung der Geschlechtssympathie zuzuschreiben; wir würden unsern Geist mit dem ihrigen vermählt fühlen; – wir wären dann gewiß im Zustande der Lüsternheit der Seele, oder ihrer Besessenheit. *)
Zehntes Kapitel.
Endliche Bestimmung der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen.
Aus meinen bisherigen Bemerkungen folgt, daß weder das Aehnliche noch das Verschiedene sich unbedingt anziehe: daß allemahl ein gewisses Wohlverhältniß vorausgesetzt werden müsse zwischen den Körpern unter einander und den Seelen unter einander, die ähnlich oder verschieden sind, vermöge dessen sie in einem gemeinschaftlichen Berührungs- oder Bindungspunkte zusammentreffen können. Dieß Wohlverhältniß beruht bey dem Aehnlichen auf dem Gefühle der Ergänzung, der Vermehrung der ursprünglichen Anlagen durch einen Zusatz des Aehnlichen bis zu dem Punkte, wo das Individuum sich der Art nach, zu der es gehört, vollständig fühlt. Dieß Verhältniß beruht bey dem Verschiedenen auf dem Gefühle der Umwandlung zweyer verschiedener Anlagen zu einem vollkommneren individuellen Wesen der Gattung nach. In beyden Fällen muß der Zustand gleich entfernt vom Mangel und vom Uebermaße seyn.
Der Trieb, sich mit dem Aehnlichen zu vereinigen, in so weit es zur Vervollständigung der Art dienen kann, heißt Hang zum Gleichartigen. Der Trieb, sich mit dem Verschiedenen zu vereinigen, in so fern es zur Vervollkommnung der Gattung dienen kann, heißt Hang zum Geschlechtsverschiedenen.
[201]Ich weiß nicht ob es bloße Bilder sind, was ich von einem ähnlichen Hange zum Gleichartigen, von einem ähnlichen Hange zum Geschlechtsverschiedenen bereits in den Erscheinungen an unbelebten Körpern antreffe.
Hier finde ich schon eine Anziehungskraft zwischen gleichartigen Körpern, welche die Lehrer in der Chemie der zusammenhäufenden Verwandschaft zuschreiben, und wobey beyde nach der Vereinigung ein eben so gleichartiges Ganzes bilden, als einer der beyden vor derselben war. Hier finde ich eine Anziehungskraft zwischen Körpern von verschiedener Art, wobey diese vermöge der zusammengesetzten Verwandschaft ein Ganzes bilden, welches neue Eigenschaften besitzt, die von den Eigenschaften, welche jedem dieser Körper vor der Verbindung zukamen, völlig verschieden sind. Ich finde bey beyden Verwandschaften einen gewissen Sättigungspunkt, so daß wenn die Körper an gewissen Theilen bereits einen Ueberfluß haben, sie keine gleichartige, keine verschiedene weiter annehmen: nicht dasjenige annehmen, was sie weder der Art noch der Gattung nach verstärken kann. *)
Ich finde ferner einen großen Unterschied zwischen der Mittheilung der Elektricität von Körpern die elektrisch sind, an solche, die es nicht sind, aber doch die Capacität haben, diese Materie in sich aufzunehmen, und jener Wahlanziehung, womit zwey bereits elektrische Körper ihre entgegengesetzten Elektricitäten mit einander verbinden; und ich bin sehr geneigt, in jener Mittheilung den Trieb zur Vermengung des Aehnlichen; in [202] dieser Wahlanziehung den Trieb zur Vermischung des Verschiedenen zu suchen.
Die Mittheilung der magnetischen Kraft an Körper, die noch nicht magnetisch sind, scheint mir eben so wohl auf einem Triebe nach Vermengung, Zusammenfluß des Aehnlichen zu beruhen; dagegen die Neigung entgegengesetzter Pole zweyer Körper, die beyde magnetisch sind, sich mit einander zu verbinden, auf einem Triebe zur Vermischung des Verschiedenen. Und so wohl die elektrischen als magnetischen Körper haben einen Punkt des Bedürfnisses, der Sättigung und des Uebermaßes; sie sind einem Verhältnisse gegen andere Körper unterworfen, indem sie bald dasjenige gleichgültig liegen lassen, was ihre Kräfte nicht verstärkt; bald das Aehnliche und Verschiedene begierig anziehen um ihre Kraft zu verstärken; bald, wenn sie zur Vollständigkeit oder Vollkommenheit gelangt sind, das Uebermäßige abstoßen.
Und, o Tonkunst! nächstes Bild unserer reitzbaren Einrichtung; wie auffallend finde ich in den beyden Leitern deiner Töne den Hang zum Gleichartigen und zum Geschlecht! Schlagt einen Durton an auf einer reingestimmten Saite; er ruft alle seine Brüder, alle seine Freunde auf der Leiter der Durtöne auf, um seine Schwingung zu verbessern. Und welche sind es, die er ausläßt, die er übergeht, und die, wenn sie sich mit einmischen, den sichersten Beweis einer Unvollständigkeit der Saite abgeben, die den Grundton angiebt? Es sind gerade die Töne, die entweder zu entfernt von ihm liegen, um seine Schwingung verstärken zu können, oder diejenigen, welche durch ihre Nähe ein Uebermaß herbeyführen würden. Und doch giebt es Ausweichungen in der Musik, Auflösungen, Uebergänge, wo die Einmischung [203] eines Molltons in den Grunddurton einen Wohlklang hervorbringt, der nicht mehr die Melodie der vorigen Art vervollständigt, aber die Gattung des Gesanges durch Harmonie vervollständigt. Allein auch hier wird die Beobachtung gehöriger Verhältnisse zwischen den Tönen verschiedener Leitern vorausgesetzt, und durch diese entsteht eine Vermählung stärkerer und zärterer Gatten, die in erhöheter Sanftheit zusammentreffen.
Doch! ich will mir nicht den Vorwurf der Schwärmerey zuziehen, indem ich die Neigungen des Menschen den Gesetzen, denen das Unbelebte huldigt, wirklich unterwerfe! Ich habe zu wenig praktische Kenntnisse in der Chemie und in der Physik, ich bin zu wenig in die höhere Theorie der Musik eingeleitet, um wahre Gleichheit zwischen ihren Grundsätzen und denen, welche bey Entwickelung der Natur des Menschen angenommen werden können, zu finden. Ich stelle also das Gesagte so lange als bloße Bilder auf, bis vielleicht Männer, die in jenen Wissenschaften gründliche Kenntniß mit Genie verbinden, in meinen Ahndungen Spuren der Wahrheit finden mögen.
Aber so viel glaube ich mit Zuverlässigkeit annehmen zu können: jeder Mensch vereinigt in sich die doppelte Disposition zur Stärke und zur Zartheit. Nur in so fern in seinem Wesen Stärke über Zartheit prädominiert, ist er positiver Art, männlichen Geschlechts: nur in so fern die Zartheit über die Stärke prädominiert, ist er negativer Art, weiblichen Geschlechts.
Wo der Mensch, (er mag männlichen oder weiblichen Geschlechts seyn,) seine Kräfte von der stärkern Disposition in höhere Wirksamkeit zu versetzen sucht, indem er stärkeren Eindrücken von andern Körpern, stärkeren [204] Vorstellungen und Bildern der Seele nachstrebt, da empfindet er den Hang zum gleichartigen Starken; wo er hingegen seine Kräfte von der zärteren Disposition in höhere Wirksamkeit zu versetzen sucht, indem er zärteren Eindrücken und Vorstellungen nachstrebt, da empfindet er den Hang zum gleichartigen Zarten.
Wo aber der Mensch seine Kräfte überhaupt durch gleichzeitige Wirksamkeit seiner stärkeren und zärteren Dispositionen zu erhöhen, mithin sich selbst als Wesen einer Gattung zu vervollkommnen sucht, indem er Eindrücken und Vorstellungen nachstrebt, die zugleich stark und zart sind, da fühlt er den Hang zum Geschlechtsverschiedenen.
So wohl der Hang zum Gleichartigen als der Hang zum Geschlechtsverschiedenen ist eines Vollständigkeitszustandes, eines Zustandes der Uebermaße und des Bedürfnisses unterworfen. Was uns stärker oder zärter machen will als wir seyn können, was in uns, wenn wir stark oder zart seyn wollen, diese Stimmung nicht vermehren kann, das ist uns widerlich oder gleichgültig. Was die gleichzeitige Wirksamkeit unserer doppelten Disposition nicht befördert, wo wir sie erwarten, das ist uns widerlich oder gleichgültig.
Der Hang zum Gleichartigen setzt also ein Wohlverhältniß unserer reinen Stärke, oder unserer reinen Zartheit zu den Gegenständen zum Voraus, die uns rein spannen oder rein zärteln. Dieß Wohlverhältniß erkennen wir aus dem wollüstigen oder wonnevollen Gefühle einer erhöheten Wirksamkeit der einen oder der andern unserer Dispositionen bey der Verbindung mit äußern Gegenständen.
[205]Der Hang zum Geschlechtsverschiedenen setzt ein Wohlverhältniß unserer gemischten Zartheit und Stärke zu den Gegenständen zum Voraus, die uns gleichzeitig spannen und zärteln. Dieß Wohlverhältniß erkennen wir aus dem überschwenglich wollüstigen Gefühle einer gleichzeitigen Wirksamkeit unsrer beyden Dispositionen zur leidenden und thätigen Zartheit und Stärke bey der Verbindung mit äußern Gegenständen. Wir fühlen uns geschmeidig stark gegen ihre hebende Zartheit; oder wir fühlen uns hebend zart gegen ihre geschmeidige Stärke, und unser Zustand ist: gezärtelte Spannung.
Wenn wir in den äußern Gegenständen, die uns durch den Hang zum Gleichartigen, oder durch den zum Geschlechtsverschiedenen an sich ziehen, fortdauernde Eigenthümlichkeiten und einen besondern Zustand beachten, und darin den Grund unserer Lust setzen, daß wir mit ihnen Eigenschaften und Zustand theilen; – so modificiert sich der Hang zur Sympathie. Und so giebt es denn eine Sympathie mit dem Gleichartigen und eine Geschlechtssympathie, die besonders in unsern Verhältnissen zu andern Menschen wahrgenommen wird.
Auf diese treffen die nehmlichen Grundsätze zu, die oben aufgestellt sind. Die männliche Person, diejenige, die von positiver Art ist, weil die Disposition zur Stärke in ihren Anlagen prädominiert, vereinigt sich mit der männlichen Person, oder mit derjenigen, bey der die [nehmliche] Modification der Anlagen Statt findet, wenn sie ihre Kräfte dadurch in Gemäßheit ihrer Art in erhöhete Wirksamkeit versetzt fühlt: sie eignet sich gleichartige Eigenschaften von der Person außer ihr an, trifft mit ihr in einem reinspannenden Zustande zusammen, und bringt dadurch ihr Individuum, als zu einer gewissen [206] Art gehörig, zur Vollständigkeit. Sie huldigt der Sympathie mit dem Gleichartigen. Eben so die weibliche Person, die von negativer Art ist, weil in ihren Anlagen die Zartheit prädominiert, wenn sie sich mit der zartgeformten weiblichen Person vereinigt.
Hingegen vereinigt sich mittelst der Geschlechtssympathie die männliche Person mit der weiblichen, um sich als ein Individuum der Gattung nach zur Vollkommenheit zu bringen, indem beyde durch Vermischung starker und zarter Gefühle, die sie wechselseitig in einander erwecken, sich ungleichartige Eigenschaften aneignen, in einem Zustande von gezärtelter Spannung zusammentreffen, und dadurch ihre Kräfte in Gemäßheit der Gattung zu einer vollkommenen Wirksamkeit heben. Dasjenige, was sie mit einander wirken, kann die Vereinigung des Mannes mit dem Manne, des Weibes mit dem Weibe, nicht ausrichten.
Solchemnach ist Sympathie mit dem Gleichartigen die Neigung des Menschen, seine Stärke mit der Stärke – oder auch seine Zartheit mit der Zartheit – eines andern Menschen zu vereinigen, um sich durch ihre Vermengung in Gemäßheit seines Geschlechts zu ergänzen, und sich als Person seiner Art vollständiger zu fühlen.
Solchemnach ist Geschlechtssympathie Neigung des Menschen, seine geschmeidige Stärke – oder auch seine hebende Zartheit – mit der hebenden Zartheit – oder auch mit der geschmeidigen Stärke – eines andern Menschen zu vereinigen, um durch ihre Vermischung in Gemäßheit seiner Gattung sich als Person dieser Gattung vollkommener zu fühlen.
[207]Kürzer, Sympathie mit dem Gleichartigen ist die Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsähnliche eines andern Menschen anzuarten.
Geschlechtssympathie ist Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsverschiedene eines andern anzugatten.
[208]
Viertes Buch.
Von der Freundschaft und von der Geschlechtszärtlichkeit. *)
Erstes Kapitel.
Einleitung.
Ich darf es ohne Anmaßung behaupten: es hat uns niemand bis jetzt eine Erklärung von der Freundschaft gegeben, die dem Fehler der Unbestimmtheit auswiche, oder den Launen der Sprache des gemeinen Lebens begegnete, welche bald jede Einträchtigkeit bey vorübergehender Bekanntschaft, bald nur leidenschaftliche Aufopferung mit diesem Nahmen bezeichnet. Wenigstens hat man bis jetzt Freundschaft von Geschlechtszärtlichkeit nicht gehörig unterschieden. Man hat gesagt: Freundschaft sey ein schwächerer Grad der Liebe! Aber was heißt hier Liebe? und worin besteht ihre Stärke? Hat man nicht das Wort eines Freundes, der zu dem andern sprach: deine Liebe war mir mehr als Frauenliebe!
[209]Man hat gesagt: Freundschaft sey Gutthätigkeit gegen Personen, die wir uns verbinden wollen. Aber Freundschaft ist angewöhnte Stimmung, nicht ein einzelner Akt; Freundschaft ist nicht selbstisch, sie beglückt nicht um verbindlich zu machen. Wie! der Wollüstling, der das unerfahrne Mädchen, das künftige Opfer seiner Lüste durch Geschenke zu gewinnen sucht: der enthusiastische Liebhaber des Schönen, der den Virtuosen liebkoset; handeln die als Freunde?
Man hat gesagt: Freundschaft sey die Knüpfung zweyer Herzen zu einem gemeinschaftlichen Zweck; eine Verschränkung der Herzen und Hände in Leid und Freude, selbst unter Gefahren. – Schönes Bild einer angewöhnten oft liebenden, oft aber auch fein selbstischen Genossenschaft! Unterscheidest du den Gemeingeist der Sekten, der Parteyen, der Familien, der Mitbürger eines Staats, ja, sogar der Theilnehmer einer Lage, von der Freundschaft?
Man hat gesagt: Freundschaft sey Anhänglichkeit an Menschen, die durch ihre innere Vortrefflichkeit uns selbst Nutzen und Vergnügen zuführen, und den Wunsch in uns hervorbringen, sie wieder zu beglücken. Aber diese Anhänglichkeit, wenn sie auch der Liebe und nicht der Pflicht, nicht dem Beschauungshange und der feineren Selbstheit gehören sollte, unterscheidet Freundschaft weder von dem liebenden Patronat, noch von der liebenden Genossenschaft. Ja, es giebt unstreitig auch Freundschaften unter schlechten Menschen.
Man hat gesagt: Freundschaft sey die Zusammensetzung zweyer Personen zu einer. Richtig! Aber unterscheidet sie sich dadurch von Geschlechtszärtlichkeit?
[210]Endlich hat man gesagt: Freundschaft sey Liebe zwischen Personen von dem nehmlichen Geschlechte. Wahr! Aber wie vieldeutig sind die Worte: Liebe und Geschlecht, in dem Munde des großen Haufens!
Wir haben beydes bisher zu erklären gesucht, und ich hoffe, es wird uns nicht schwer werden, diesem letzten, an sich richtigen Begriffe die nähere Bestimmung zu geben.
Zweytes Kapitel.
Freundschaft ist eine Art von Zärtlichkeit.
Freundschaft ist keine vorübergehende Aufwallung; sie ist dauernde, angewöhnte Stimmung unsers Wesens zur Zuneigung gegen eine bestimmte Person. Wir lachen über das Kind, und über den kindisch gesinnten Menschen, die in einer Stunde, in einer Woche vielleicht, Freundschaften gestiftet zu haben glauben, die in der Stunde, in der Woche darauf, vergessen werden.
Freundschaft ist eine liebende Anhänglichkeit. Das wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung, daß der Verbündete sich selbst glücklich fühle, muß unter den Affekten, welche er uns einflößt, die Oberhand behalten. Wir würden wieder über denjenigen lachen, der uns versichern wollte, er sey der Freund des verstorbenen Helden, dessen Vorzüge ihn begeistern; und wir würden denjenigen zugleich verachten, der sich den Freund des Reichen nennen wollte, dessen Schwächen er um seines Vortheils willen schmeichelt.
Freundschaft ist zärtliche Anhänglichkeit, angewöhntes Streben nach der Ueberzeugung, daß man sich durch Vereinigung der Naturen wechselseitig beglücke. Der [211] wohlwollendste Fürst, der von seinen Unterthanen angebetet wird, hat dennoch Mühe, einen Freund unter ihnen zu finden. Es wird zur Freundschaft nothwendig eine solche Uebereinstimmung des Geschmacks und der Verhältnisse vorausgesetzt, daß wir das Ganze der Person des Verbündeten auf die Art glücklich zu sehen wünschen, wie wir mit unserer Person im Ganzen es seyn möchten, und daß wir ihm eine ähnliche Gesinnung von seiner Seite zutrauen. Freunde müssen in ihrer Natur, in ihrer engsten Sinnlichkeit, in ihren herrschenden Trieben Aehnlichkeit mit einander haben, und in einerley Genuß zusammentreffen können. Wo dem anders ist, da bleiben die sogenannten Freunde nur treue Genossen.
Auch von der Zärtlichkeit der Kinder zu ihren Eltern, und dieser zu jenen, sondert sich Freundschaft ab. Ich verlor einen Freund an meinem Sohne! sagte der Vater, dem der Jüngling entrissen wurde, um den Genuß zu bestimmen, den er bereits von seinem Umgange hatte. Mein Vater war zugleich mein Freund! sagt die beraubte Waise, um die Art des Antheils zu bestimmen, den sie an dem Erzeuger nahm. Und diese Zeugnisse sind leider nur Ausnahmen.
Aber hier steh ich nun an der Grenze, welche Freundschaft von der Geschlechtszärtlichkeit absondert. O Freund! o traute selbstgewählte Schwester! daß das Bild des verschiedenen Antheils, den ich an euch nehme, in einem ruhigen Momente wie ein fernes Andenken vor meine Seele trete, damit mein Verstand die Gefühle entwickeln könne, die mein Herz gewöhnlich zu lebhaft empfindet, als daß ich ihre Eigenheiten nach deutlichen Merkmahlen unterscheiden könnte!
Drittes Kapitel.
Freundschaft beruht auf Sympathie mit dem Gleichartigen; Geschlechtszärtlichkeit auf Geschlechtssympathie.
Der wahre Unterschied zwischen Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit liegt meiner Ueberzeugung nach darin, daß jene die Sympathie mit dem Gleichartigen hauptsächlich zur Befriedigung liebender Affekte und einer zärtlichen Anhänglichkeit nutzt; diese hingegen die Geschlechtssympathie.
Wenn ein Mensch, in dessen Wesen Stärke prädominiert, mit einem Menschen von gleichem Wesen, d. h. Mann mit Mann, ihre männlichen Naturen vereinigen, um sich durch den gemeinschaftlichen Genuß der erhöheten Wirksamkeit ihres stärkeren männlichen Wesens wechselseitig zu beglücken; – so bilden sie ein Paar, das in Vergleichung mit allen einzelnen Individuen ihres Geschlechts als eine vollständigere Person der nehmlichen männlichen Art erscheint; und dieß ist – Freundschaft.
Wenn der Mensch, in dessen Wesen Zartheit prädominiert, mit dem Menschen von gleichem Wesen, Weib mit Weib, ihre weiblichen Naturen vereinigen, um sich im gemeinschaftlichen Genuß der erhöheten Wirksamkeit ihres zärteren weiblichen Wesens wechselseitig zu beglücken; – so bilden sie ein Paar, das in Vergleichung mit allen einzelnen Individuen ihres Geschlechts als eine vollständigere Person der nehmlichen weiblichen Art erscheint; und dieß ist wieder – Freundschaft.
Wenn hingegen der Mensch von stärkerem Wesen, der Mann, sich gegen einen Menschen von zärterem Wesen, das Weib, im Verhältnisse geschmeidiger Stärke [213] gegen hebende Zartheit fühlt, und beyde ihre so modificierten Naturen vereinigen, um sich durch den gemeinschaftlichen Genuß einer gespannten Zärtelung wechselseitig zu beglücken; – so bilden sie zusammen ein Paar, das in Vergleichung mit allen einzelnen Individuen eines jeden der beyden Geschlechter, und der gepaarten Personen von einerley Geschlecht, als eine vollkommnere Person der Gattung nach erscheint. Sie vereinigen Vorzüge, welche jene nicht an sich tragen, und welche doch einzeln bey den Individuen der beyden Geschlechter angetroffen werden. Diese, beyde beglückende Vereinigung ist – Geschlechtszärtlichkeit.
Geschlechtszärtlichkeit wird oft Freundschaft zu Personen vom andern Geschlechte genannt; ich würde sie selbst so nennen, wenn ich nicht Mißverständnisse befürchtete. Denn unstreitig hat diese Geschlechtszärtlichkeit alles mit der Freundschaft gemein, bis auf die Art der Sympathie, welche die Verbündeten hauptsächlich an einander zieht.
Auch hier wird eine gewisse Uebereinstimmung des Geschmacks und der äußeren Verhältnisse vorausgesetzt; damit die Verbündeten sich fühlen, sich verstehen, in einem Genuß des Lebens zusammentreffen können. Ich habe es bereits im zweyten Buche gesagt: Freundschaft unter Personen von verschiedenem Geschlechte, Geschlechtszärtlichkeit, kann nicht entstehen, wenn nicht der Mann die Frau so weit zu sich herauf hebt, und sie ihn so weit zu sich herabzieht, daß sie beyde wechselseitig an der Begünstigung ihrer herrschenden Triebe unmittelbar Theil nehmen können. Und zwar nicht bloß in einem oder dem andern Punkte, sondern in solcher Ausbreitung und [214] Allgemeinheit, daß bey beyden das Bewußtseyn entstehe, sie verbinden ihre Personen, ihr Ganzes.
Der Orientaler kann der Regel nach keine Geschlechtszärtlichkeit für seine Gattin empfinden. Er kann sie leidenschaftlich lieben, aber er kann sie nicht als die traute, selbst gewählte Schwester oder Freundin betrachten. Warum? Sie ist eingekerkert; sie theilt nicht die Befriedigung seiner herrschenden Triebe, die auf Macht, Ansehn, Vermögen und gesellige Unterhaltung gehen. Er theilt nicht ihre einsamen oder geselligen Vergnügungen. Zuweilen, aber nur selten, treffen sie im Genuß häuslicher Freuden zusammen. Aber diese Vereinigung geschieht zu einzeln, und das Vergnügen, das sie ihm giebt, ist bey ihm andern Wonnearten zu sehr untergeordnet, als daß das Bild einer Vereinigung im Ganzen daraus entstehen könnte. Der Mann im Orient schämt sich vielmehr eines zu häufigen und anhaltenden Aufenthalts in seinem Harem, und wenn er darin ist, so behandelt er seine Weiber und die Mutter seiner Kinder mit einem Stolze und einem Uebermuthe, die deutlich zeigen, daß er sie nur als Mittel betrachtet, ihm jene häuslichen Freuden zuzuführen. Dieß Verhältniß ist keine Vereinigung der Naturen, keine wahre Zusammensetzung der Personen; es ist eine bloße Anschließung des Persönlichen an die Person, höchstens ein liebendes Patronat auf der einen, und liebende Clientel auf der andern Seite; ein Verhältniß, das gleichfalls zwischen dem Herrn und seinem Sklaven Statt finden [kann].
Der Republikaner in den ältern griechischen Staaten ging vielleicht nur um einen Schritt weiter als jener Orientaler. Er war, wenn er seine Gattin liebte, der [215] Regel nach nur ihr treuer, liebender Genosse im Hause. Seine herrschenden Triebe gingen nach Bürgerruhm, nach öffentlicher Thätigkeit, nach geselliger Unterhaltung mit Männern. Freuden, die er in der Familie und in größeren gemischten Zirkeln einnehmen konnte, waren diesen theils untergeordnet, theils waren sie ihm unbekannt. Die Matrone nahm freylich an dem Ansehn, dessen der Mann bey seinen Mitbürgern genoß, Antheil. Sie legte Werth auf die Achtung, die ihr für ihre Person von dem Publiko bezeugt wurde; aber der Gelegenheiten waren wenige, worin sie diesen Genuß unmittelbar mit dem Manne hätte theilen können. Sie war beynahe ganz auf das Innere des Hauses beschränkt, dessen Führung ihr anvertrauet war. Der Gatte traf freylich hier in einem Genuß mit ihr zusammen; er freute sich mit ihr des Fortkommens ihrer gemeinschaftlichen Wirthschaft, der Fortschritte ihrer gemeinschaftlichen Kinder, und nahm mit ihr gleichen Antheil an sinnlichen Freuden. Aber alles dieß war doch nur Verbindung in einzelnen Punkten, die der Regel nach nicht hinreichte, das Bild einer Vereinigung im Ganzen bey dem griechischen Manne und seiner Gattin zu erwecken. Die Personen setzten sich nicht zusammen durch Vereinigung der Naturen.
In unsern heutigen moralischen Staaten findet Freundschaft unter beyden Geschlechtern, Geschlechtszärtlichkeit, viel eher Statt. Die Frau lebt mehr außer Hause; sie nimmt einen unmittelbareren und häufigern Antheil an den Auszeichnungen, die ihrem Manne widerfahren. Sie theilt seinen Rang, sein Ansehn im Staate. Sie theilt die Folgen, die dieß für ihn in den geselligen Zirkeln der örtlichen Gesellschaft hat, und sogar [216] die Wirkung, die seine persönliche Liebenswürdigkeit auf diese Zirkel zu seinem Vortheile hervorbringt. Der Mann glänzt dagegen oft durch seine Gattin: wird oft um ihretwillen gelitten und durch sie getragen. Bey vermindertem Reitze der öffentlichen Thätigkeit und des Bürgerruhms, wird höherer Werth auf allgemeine Sittlichkeit, geselligen Anstand, häusliche Tugend und Familienglück gesetzt, und beyde Geschlechter machen ungefähr gleichen Anspruch daran. Beyde Verbündete nehmen häufiger an einerley Unterhaltung Antheil. Kenntnisse, Künste, Gegenstände der Beobachtung, des Nachdenkens, der Beurtheilung, werden gemeinschaftlicher unter ihnen; kurz, die Verbindungspunkte vermehren sich durch eine größere Uebereinstimmung in den herrschenden Trieben beyder Geschlechter, und durch das Zusammentreffen in einerley Genuß ihrer Begünstigung. Der Mann schließt nunmehr nicht bloß Einiges von seinem Persönlichen an die Person des Weibes an: nein, er setzt seine Person mit der der Gattin zusammen, er vereinigt seine Natur mit der ihrigen, und empfindet für sie Freundschaft, oder besser, Geschlechtszärtlichkeit.
Aber wie gesagt, die Natur, die er mit der des Weibes vereinigt, ist nicht die Natur, die er mit der des Freundes verbindet. Die Person die er mit ihr zusammensetzt, erweckt nicht den nehmlichen Begriff, den die Person zweyer Freunde begründet. Hier ist es ein Paar, das sich zusammen durch die erhöhete Wirksamkeit seiner Stärke, – oder wenn es Weiber sind, seiner Zartheit – so glücklich fühlt, wie es kein einzelnes Individuum der nehmlichen Art seyn würde; dort ist es das Paar, das sich durch die gleichzeitige Wirksamkeit seiner Stärke und Zartheit so glücklich fühlt, wie es die einzelne Person der [217] Gattung, oder die aus zwey Wesen gleicher Art gepaarte Person nie seyn könnte.
Viertes Kapitel.
Beweis.
Ich glaube den angegebenen Unterschied nicht besser rechtfertigen zu können, als wenn ich zu den Klassen von Menschen, bey denen sich die Begriffe über ihre geselligen Verhältnisse als bloße Ahndungen darstellen, herab, und dann zu den gebildeteren Klassen wieder hinaufsteige, bey denen mehr geläuterte Vorstellungen vorausgesetzt werden können. Finde ich bey allen die Idee, daß der Freund ein Mensch ist, der die herrschenden Triebe der prädominierenden Disposition zur Stärke oder zur Zartheit in ihrer Natur erhöhet, und daß sie dieß Verhältniß noch genau von demjenigen unterscheiden, worin sich ihre geschmeidige Stärke gegen die hebende Zartheit eines andern Menschen bey der genauesten Verbindung befindet, so wird wohl das Wahre meiner aufgestellten Sätze nicht bezweifelt werden können.
Was gehört zur engsten Sinnlichkeit des Mannes unter den Wilden, in so fern er sich von den Weibern seines Volks in dieser Rücksicht unterscheidet? Er strebt nach dem Bewußtseyn seiner physischen Kraft und nach gewaltsamer Spannung seines Gemüths, im Kriege, auf der Jagd, bey gefährlichen Unternehmungen jeder Art, bey lärmenden Gelagen, wo erhitzende Getränke und erschütternde Auftritte sein Blut in Wallung und seine Einbildungskraft in rege Schwingung versetzen. Das sind seine herrschenden Triebe von der stärkeren Art; das ist seine männliche Natur. Und wer [218] ist nun sein Freund? Derjenige, der ihm zur Seite ficht in der Schlacht und beym Angriff wilder Thiere: derjenige, der an seiner Seite den Schädel des erschlagenen Feindes am häufigsten ausleert und die stärkste Lache neben der seinigen aufschlägt; kurz, der Waffenbruder, der Genosse seiner Gefahren und Belustigungen.
Das Weib unter eben diesen rohen Völkern liebt dagegen das Gefühl physischer und geistiger Allmähligkeit; abwechselnde Beschäftigungen, Emsigkeit ohne Anstrengung. Daher der Geschmack dieses Geschlechts an Besorgung des wirthschaftlichen Details und des Putzes; daher sein Tändeln und Geschwätz bey geselligen Zusammenkünften zur Erheiterung. Daher auch zum Theil die Neigung der Weiber zur Wartung kleiner Kinder, und zum Kosen mit ihnen. Das ist ihre Natur, die engste Sinnlichkeit ihres Geschlechts. Und wen nennt nun die Frau unter den Wilden ihre Freundin? Diejenige, die eben so gefällig als gewandt ihr die häusliche Arbeit mit angreifend erleichtert, beym Geschwätz ihr das willigste Ohr und die geläufigste Zunge leihet, und bey ihren mütterlichen Sorgen und Freuden ihr ein theilnehmendes Herz darbietet.
Was liegt aber bey diesen Freundschaften zum Grunde? Offenbar dieß, daß die Vereinigten, wenn es Männer sind, wechselseitig fühlen, wie das Beyspiel eines ähnlich starken, abgehärteten, ausdauernden Wesens sie selbst stärker, abgehärteter, ausdauernder macht; wie der wilde Ausbruch der Freude des einen die Freude des andern verstärkt; und wie sie beyde bey ihren Vertraulichkeiten darauf rechnen können, daß der andere die Begünstigungen und Versagungen ihrer Lieblingstriebe ganz fühlen und verstehen werde, weil sie vermöge der [219] Gleichheit des Geschlechts auch die seinigen sind. Diese Waffenbrüder, diese Jagdgenossen, machen unstreitig eine vollständigere Person ihres Geschlechts mittelst ihrer Vereinigung aus, als jedes einzelne Mitglied des nehmlichen Volks und Geschlechts. Ihre zusammengesetzte Person vertheidigt sich gegen alle fremde Angriffe wie ein einzelner Mann, greift an wie ein einzelner Mann; aber beydes mit verstärkten Kräften, und wenn der eine fällt, so muß der andere ihn rächen oder sterben.
Unter Modificationen, die ein jeder selbst mit leichter Mühe hinzufügen wird, liegt bey den Freundschaften der Weiber unter den wilden Völkern das nehmliche Bewußtseyn zum Grunde: ein Paar von Weibern, zu einer Person zusammengesetzt, ist mehr und besser daran, als ein einzelnes Weib.
Völker auf dieser untersten Stufe der Cultur behandeln ihre Weiber gemeiniglich wie Sklavinnen. Sie kennen keine wahre Geschlechtszärtlichkeit. Aber einer sehr genauen Verbindung, einer liebenden Ergebenheit, sind sie gegen ihre Gattinnen hin und wieder fähig, und diese wird dann deutlich von der Freundschaft unterschieden. Der Mann vereinigt sich mit der Frau, und diese mit ihm, theils um körperlicher Freuden willen, die beyde der Geschlechtsverschiedenheit ihrer Naturen verdanken, theils zur Gründung einer Familie. Hier bringen sie ihr Eigenthum zusammen; hier erwirbt der Mann außer Hause, während das Weib daheim zusammenhält; hier findet er bessere Pflege und Fürsorge für seine Bequemlichkeit, sie sicherern Schutz und Schirm für sich und ihre Kinder, als jeder von ihnen es in Gesellschaft mit einer Person von seinem Geschlechte finden würde. Zuweilen treffen sie in gemeinschaftlichen [220] Belustigungen beym Tanze, bey Wechselgesängen, bey Mährchenerzählungen zusammen, und diese Unterhaltungen nehmen sogleich einen üppigeren Charakter an, als diejenigen haben, welche der Umgang mit Personen von einerley Geschlechte gewährt. Der Mann findet sie milder und geordneter, das Weib rascher und pikanter. So fühlt jedes Geschlecht, daß es dem Geschlechte des andern bey der Verbindung etwas schuldig ist, was es bey der Vereinigung mit seinem eigenen nicht erwarten kann: nehmlich gleichzeitige Wirksamkeit von Stärke und Zartheit; und diese giebt ihren engeren Verhältnissen einen ganz verschiedenen und bestimmten Charakter.
Geht zu der Klasse unserer Ackersleute über, ihr findet die nehmliche Vorstellungsart aus den nehmlichen Gründen! Der Freund des Bauern ist derjenige, der am Werkeltage ihm am besten in die Hand arbeitet, und am Feyertage am besten den Humpen mit ihm leert und lärmt. Die Freundin der Bäuerin ist diejenige Nachbarin, die ihr am behülflichsten bey ihren wirthschaftlichen Sorgen ist und am besten mit ihr trätscht. Beyde Geschlechter unterscheiden aber diese Art von Verbindungen sehr genau von den engeren Verhältnissen, welche zwischen ihnen und dem andern Geschlechte Statt finden, wenn diese sich entweder zur Ehe, oder zu vorübergehenden Liebesverständnissen vereinigen. Ja, man findet zuweilen eine wahre Geschlechtszärtlichkeit unter dieser Klasse von Menschen, wenn die Aehnlichkeit der Geschäfte und der Lagen eine Uebereinstimmung der herrschenden Triebe befördert, und dennoch in der Art, wie sie befriedigt werden, sich Stärke zur Zartheit mischt. Mancher Bauer findet in seiner Gattin eine Rathgeberin in seinen Unternehmungen, eine Gehülfin bey seinen Arbeiten, [221] eine Gesellschafterin bey seinen Unterhaltungen auf eine Art, die ihm das Gefühl einflößt: sie sey die andere Hälfte seines Wesens. Und dennoch fühlt er, daß ein Freund von seinem Geschlechte neben jener Freundin bestehe; daß diese feiner, jener aber richtiger urtheile; daß diese emsiger, jener aber stärker ihm in die Hand arbeite, und daß die Unterhaltung des traulichen Kosens von der lärmender Gelage noch verschieden sey.
Merkwürdig, höchst merkwürdig ist es, wie schon Kinder die Nahmen des Freundes oder der Freundin denjenigen Gespielen beylegen, die ihnen bey der Befriedigung der Lieblingsneigungen ihres Geschlechts durch solche Kräfte und Neigungen wichtig werden, welche durch Gleichheit die ihrigen verstärken und unterstützen; daß sie hingegen den Unterschied der Empfindungen gar wohl fühlen, den das Kind von verschiedenem Geschlechte ihnen einflößt, wenn sie sich besonders an dasselbe hängen.
Die Lieblingsneigungen, (die Natur) des Knaben, sind rauschende, lärmende Spiele; Krieg, Jagd, Reiten, u. s. w. Wenn er die Wahl unter Knaben und Mädchen hat, wird er gewiß nicht eine der letztern zur Genossin jener Spiele nehmen. Er wählt dazu einen Knaben; dieser muß ihm helfen, diesem vertraut er seine kleinen Plane, Begünstigungen und Versagungen an, und derjenige, den er angewöhnt ist am liebsten zum Gespielen und zum Vertrauten bey seinen lärmenden Vergnügungen zu haben, weil er ungefähr gleiche Kräfte und einen gleichen Geschmack mit ihm theilt, der ist sein Freund.
Das junge Mädchen wählt ein junges Mädchen, um den Putz der Puppe und seinen eigenen mit ihm zu besorgen: um die kleinen Gewährungen und Beleidigungen [222] seiner Eitelkeit ihm mitzutheilen, und Plane auf Neckereyen und muntere Zerstreuung mit ihm zu entwerfen und auszuführen. Seine Freundin ist diejenige, bey der es diesen Genuß am liebsten aufsucht, weil sie ungefähr die nehmlichen Anlagen und den nehmlichen Geschmack mit ihm hat, und weil es an ihren Umgang gewöhnt ist.
Man wird den Hang zum Gleichartigen sehr deutlich bemerken, wenn Kinder von dem einen oder dem andern Geschlechte sich bey öffentlichen Gelegenheiten oder bey Spielen in Paare theilen sollen. Der Knabe sucht sich gewiß an den größten, stärksten, gewandtesten zu drängen, um mit ihm zugleich gesehen, und als gleichartig mit ihm beurtheilt zu werden. Das Mädchen sucht dagegen aus eben dieser Ursach sich neben der zierlichsten unter ihren Gespielinnen zu stellen.
Wenn aber die Kinder von zweyerley Geschlecht in gemischten Zirkeln zum Tanz oder zum Spielen des Witzes zusammenkommen; so lassen sich diese kleinen Menschen wohl einfallen, Liebhaber und Geliebte zu haben, und Symptome solcher Anhänglichkeiten, die auf Geschlechtssympathie beruhen, fangen an sich zu äußern. Und welches sind die Subjekte, die sich hier einander wählen? Diejenigen, welche fühlen, daß die Zartheit des andern mit ihrer Stärke, und umgekehrt, daß diese mit jener ins Wohlverhältniß zusammenkommen, und sich vereinigt wohlgefällig darstellen. Der rascheste Tänzer zeigt sich am liebsten an der Seite der Tänzerin, die sich am zierlichsten bewegt; der unternehmendste, lebhafteste Bube neben dem verschmitztesten Mädchen. Beyde fühlen, daß sie etwas von einander erhalten, was ihnen das Kind ihres Geschlechts nicht zu geben vermag. Dieß geht [223] hoch in die Jünglingsjahre hinauf, und mir sind mehrere sogenannte Freundschaften und Geschlechtszärtlichkeiten unter jungen Leuten bekannt, die auf dem einzigen Bande beruhen, daß der Springinsfeld am liebsten mit dem sogenannten Freunde reitet, und mit der sogenannten Geliebten tanzt; mit jenem, weil er ungefähr einen gleichen Geschmack und gleiche körperliche Gewandheit mit ihm theilt; mit dieser, weil ihre Zierlichkeit mit seinem raschen Wesen im Wohlverhältnisse steht, und beyde ein schönes Paar mit einander auszumachen glauben.
Wenden wir die Augen jetzt zu gebildeteren Völkern, Ständen und Stufen des Alters! Der Begriff ihrer Natur, ihrer engsten Sinnlichkeit nimmt unendliche Modificationen nach Verschiedenheit der Jahre, der bürgerlichen Bestimmungen, der Charaktere und Lagen an. Aber allemahl ist es die Summe der angeeignetesten Kräfte und Neigungen, welche der Staatsmann, der Krieger, der Gelehrte, die aufgeklärte Hausmutter, die gebildete Weltfrau, u. s. w. im zärtlicheren Verhältnisse mit Personen von dem einen oder dem andern Geschlechte vereinigen.
Und in welchen Fällen sucht nun unter allen diesen Verhältnissen der Mann den Mann, das Weib das Weib auf: in welchen andern suchen sich Personen von verschiedenem Geschlechte auf, wenn sie sich zärtlich lieben? Welche Natur vereinigen jene mit einander, welche diese?
Laßt uns vorerst alle Begierden nach Vereinigung der Körper bey Seite setzen: laßt uns an jene Verhältnisse zwischen Brüdern und Schwestern, an jene Freundschaften zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte denken, die sich unter den gebildeteren Ständen häufiger [224] antreffen lassen, und die wir zur Vermeidung aller Mißverständnisse: die Vereinigung des selbstgewählten Bruders mit der selbstgewählten Schwester nennen wollen. – Gesetzt nun, wir haben einen Freund, einen zärtlich Geliebten von einerley Geschlechte mit dem unsrigen, wir sind aber auch mit einer zärtlich Geliebten von verschiedenem Geschlechte, mit einer Schwester unserer Wahl verbunden, welche keine körperlichen Begierden deutlich in uns aufregt; wie? werden wir die Natur, die engste Sinnlichkeit unsrer Seele, in den nehmlichen Fällen mit dem Freunde und mit der Schwester zu vereinigen suchen? Wird es uns einerley seyn, ob diese oder jener uns den Genuß der Mitfreude, des Mitleidens, der Mittheilung, des Raths, der Hülfe, u. s. w. bereite? Ich sage: keinesweges!
Ist es eine Vereitelung ehrgeitziger Plane, wie nur Männer sie bilden, welche uns Männer niederdrückt; so hoffen wir eher von dem Manne verstanden zu werden, und wenden uns an den Freund. Ist es Versagung kleiner häuslichen Vortheile, geselliger Auszeichnungen, so suchen wir eher Trost bey der Schwester. Der Freund würde sie weniger achten. Verlangen wir Aufforderung zur Stärke von der vordringenden Art, so giebt sie uns das Beyspiel und der Zuspruch des Freundes: Ermunterung zur Geduld giebt das Wort und das Beyspiel der Schwester. Fühlen wir den Uebermuth des geistigen Stolzes, so rechnen wir auf die Theilnahme des Freundes, und auf die Milderung desselben durch den Zuspruch der Schwester. Ist es Niederwürfigkeit die wir im schmelzenden Enthusiasmus fühlen; so rechnen wir auf die Theilnahme der Schwester, und suchen Aufrichtung bey dem Freunde. Erröthen wir vor Fehlern, zu denen [225] Stärke verführt, so hüllen wir uns an der Brust des Freundes vor uns selbst ein: sind es aber Schwächen, zu denen Zartheit einladet; so suchen wir unser Antlitz im Schooße der Schwester zu verbergen. Wer mag dem Freunde die Verirrungen der Eitelkeit gestehen, wer der Schwester die Folgen der Unmäßigkeit und Hitze?
Wie sehr lassen sich noch die Beyspiele der Fälle häufen, in denen sich die Seelen der Freunde, und wieder die der Trauten von verschiedenem Geschlechte vereinigen! Wenn unser Herz angefüllt wird mit Freude über das Gelingen solcher Plane, wogegen sich der Eigennutz des großen Haufens auflehnt, so hat der Freund den ersten Anspruch auf unsre Mittheilung; ist unser Glück nur gemacht, den Neid der Nachbarn und des geselligen Zirkels zu erwecken, so wird unser Frohsinn gegen die Schwester geschwätzig. Verlangen wir eine Unterhaltung, welche die Erörterung der Wahrheit eines wissenschaftlichen Gegenstandes, eines gründlichen Geschmacksurtheils mit sich führt; so wenden wir uns an den Freund. Von der Schwester erwarten wir dagegen gefällige Behandlung alles dessen, was zur Philosophie des geselligen und häuslichen Lebens gehört: Feinheit in den Bemerkungen über die Begebenheiten des Tages, über die Charaktere der Personen mit denen wir umgehen, u. s. w. Wir suchen hier üppige Unterhaltung der Seele, nicht Gewinn an allgemein nützlichen Kenntnissen auf!
Eben so wird das gebildete Weib den Unterschied zwischen Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit fühlen. Wie behutsam ist es, dem trauten Bruder seine Weiblichkeiten, die übertriebenen Aeußerungen seiner Zartheit zu gestehen! Es verbirgt sich vor ihm, wenn es vor einer [226] fernen Gefahr für das geliebte Kind zittert, von deren Unwahrscheinlichkeit sein Verstand überführt ist, ohne sein Herz beruhigen zu können! Wie viel lieber schwatzt es darüber mit der Freundin aus! Wie viel lieber schüttet es in den Busen dieser letzten seinen Schmerz über mißlungene häusliche oder gesellige Einrichtungen, und sucht bey ihr Hülfe und Rath! Wie ungern gesteht es dem trauten Bruder seine Schwäche für Putz und Schmeicheley der Kinder und Dienstbothen, und wie gern zeigt es sich vor ihm in der Gestalt einer strengen Hausfrau und gerechten Mutter! So hebt sich die Zartheit der Frau der Stärke des Mannes entgegen, während sie sich ganz zur Zartheit im Mitgefühl ähnlicher Anlagen, bey der Freundin hingiebt. Wo sie aber Hülfe, Rath, Trost in ihren Verhältnissen zur größern bürgerlichen Gesellschaft braucht, wo sie Anspruch auf Kenntnisse und gründliche Ausbildung des Geschmacks macht; wo sie überhaupt Wahrheit, Richtigkeit mit Schönheit und gefälliger Behandlung zu paaren sucht; da ist der Beystand, der Beyfall, die Mittheilung des trauten Bruders von einem Werthe, den ihr die Freundin nicht ersetzen kann.
So geben wir denn der zärtlich geliebten Person von verschiedenem Geschlechte, auch ohne Rücksicht auf den Körper zu nehmen, von der Natur unserer Seele ganz etwas anders hin, als der zärtlich geliebten Person von dem nehmlichen. So empfängt das Weib ganz etwas anders von der Natur der Seele des trauten Bruders; der Mann ganz etwas anders von der Natur der Seele der trauten Schwester, als dieser von der des Freundes und jenes von der der Freundin!
[227]Die männliche Seele sucht in der Vereinigung mit der männlichen Vervollständigung ihrer gemeinschaftlichen Männlichkeit: die weibliche in der Vereinigung mit der weiblichen Vervollständigung ihrer gemeinschaftlichen Weiblichkeit. Dagegen sucht die männliche Seele in der Vereinigung mit der weiblichen, und umgekehrt, diese in der Vereinigung mit jener, das Bewußtseyn eines vollkommneren, aus beyden zusammengesetzten Wesens, das noch der Gattung, nicht aber dem Geschlechte weiter angehört.
Beyde, Mann und Weib, suchen beydes Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit, unter ganz verschiedenen Verhältnissen auf; sie nehmen ihre Personen wechselseitig in ganz verschiedene persönliche Lagen ein. An den Neigungen, Beschäftigungen, Planen des Mannes, welche unmittelbare Beziehung auf das Gefühl körperlicher und geistiger Stärke haben, kann und soll die weibliche Seele der Regel nach, weder durch Mitgefühl, noch durch Mithandeln, unmittelbaren Antheil nehmen. Umgekehrt, nicht der Mann an solchen Neigungen, Planen und Beschäftigungen, welche mit der Zartheit des Weibes in unmittelbarer Beziehung stehen. In den stärkeren Verhältnissen sucht daher die männliche Seele Freundschaft bey dem Manne; in den zärteren die weibliche bey dem Weibe. Wo aber stärkere und zärtere Verhältnisse zusammentreffen, und den Begriff einer erhöheten Sanftheit bilden; da binden sich die Seelen von verschiedenen Geschlechtsanlagen zur Geschlechtszärtlichkeit zusammen.
Fünftes Kapitel.
Endlicher Begriff der Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit.
Freundschaft ist angewöhntes, wonnevolles Streben nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer, durch Vermengung gleichartiger Naturen.
Geschlechtszärtlichkeit ist angewöhntes, wonnevolles Streben nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer durch Vermählung geschlechtsverschiedener Naturen.
Sechstes Kapitel.
Weder die Geschlechtszärtlichkeit noch die Freundschaft bestehen aus lauter Affekten einerley Art. Die prädominierenden allein geben dem Verhältnisse im Ganzen den Charakter.
Alle Anhänglichkeit besteht aus Affekten von sehr verschiedener Art. Dieß ist schon gesagt worden, es kann aber nicht genug wiederholt werden. Auch die liebende besteht nicht aus lauter Liebe. Gefühle des Beschauungshanges und der Selbstheit, der Wonne und des Bedürfnisses, mischen sich immer mit ein. Die Geschlechtszärtlichkeit beruht nicht auf bloßer Geschlechtssympathie; die Freundschaft nicht auf bloßer Sympathie mit dem Gleichartigen. Der Freund erhält manches von dem Freunde, was ihm die Geliebte gleichfalls geben könnte: der Liebhaber von der Geliebten manches, was [229] er auch von dem Freunde nehmen möchte. Aber diejenige Art von Affekten, welche hervorsticht und herrscht, giebt dem Verhältnisse im Ganzen den Charakter von Freundschaft oder Geschlechtszärtlichkeit.
Siebentes Kapitel.
Semiotik, Zeichenlehre, zur Unterscheidung der Freundschaft von der Geschlechtszärtlichkeit.
Ein zweydeutiges Zeichen, um Freundschaft von der Geschlechtszärtlichkeit abzusondern, ist der Umstand, daß die Personen, welche zärtlich an einander hängen, den äußern Kennzeichen nach nicht zu verschiedenen Geschlechtern gezählt werden, und den unnennbaren Trieb nicht vollständig mit einander würden befriedigen können. Dieß beweiset nicht einmahl etwas für die Abwesenheit der körperlichen Ueppigkeit und Lüsternheit, viel weniger für den Mangel an Mitwirkung der Geschlechtssympathie der Seele.
Es ist freylich gewöhnlicher, daß Personen, die ihren äußern Formen und Verhältnissen nach zu einerley Geschlecht gerechnet werden, Freundschaft als Geschlechtszärtlichkeit für einander empfinden. Denn diese Formen und Verhältnisse wirken sehr viel auf die innere Organisation, und die Seele der Person, die sie an sich trägt, zurück; härten beyde ab, wenn sie stärkerer Art sind, und erweichen, wenn sie von zärterer Art sind. Trifft eine Person, die sich selbst als stark, oder als zart fühlt, weil ihre Formen und Verhältnisse ihr diesen Begriff [230] von sich selbst erwecken, auf eine Person mit ähnlichen Formen unter ähnlichen Verhältnissen; so ist es natürlich, daß die Sympathie mit dem Gleichartigen eher bey ihr entstehe, als die Geschlechtssympathie.
Allein sehr oft ist die innere Organisation des Körpers, und der Charakter der Seele verschieden von den äußern Formen, und im Streite mit den äußern Verhältnissen: oft überwiegt das Innere das Aeußere. Die Beyspiele von Mannspersonen, deren körperliche Konstitution eben so weichlich, als ihre Seele weibisch ist, sind häufig genug. Frauenspersonen von abgehärteten Konstitutionen, vordringenden starken Seelen, werden gleichfalls oft gefunden. Dieß hat freylich auf die äußern Formen einigen Einfluß, aber er entgeht gewöhnlichen Beobachtern, und ist nicht hinreichend, um darnach die Classification der beyden Geschlechter in ihren bürgerlichen Verhältnissen gegen einander für den großen Haufen zu bestimmen. Dazu werden auffallendere äußere Unterscheidungszeichen verlangt, die aber, wie gesagt, oft mit dem Innern im Widerspruche sind. Eben so wenig entscheiden die äußern Verhältnisse, welche nicht immer von der Wahl der Personen abhängen. Selbst die Zeugungskräfte werden nicht unbedingt durch den Mangel der innern positiven oder negativen Natur gehindert. So kann es denn geschehen, daß Personen, die ihrem Aeußern nach völlig zu verschiedenen Geschlechtern zu gehören scheinen, ja, als Gatte und Gattin, als Zeuger und Zeugerin zu einander stehen, dennoch nur Freunde sind, und keine Geschlechtszärtlichkeit für einander empfinden. Es giebt der Fälle genug, worin der Ehemann mit seiner Frau häuslich emsig, d. h. weiblich, oder sie mit ihm öffentlich thätig, d. h. männlich wird. Ich [231] habe Ehen gekannt, worin beyde Gatten Putz, Küche und Hausreinigung zum einzigen Zweck ihres Zusammenseyns machten. Mehrere Gelehrte haben mit ihren Weibern Bücher geschrieben, mehrere Staatsmänner haben mit ihren Weibern regiert. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben diese Personen mehr Freundschaft als Geschlechtszärtlichkeit für einander empfunden, wenn anders eine wahre Vereinigung der Naturen unter ihnen Statt gefunden hat. Wenn auch zuweilen Anfälle von Geschlechtssympathie, besonders der körperlichen, bey solchen Verbindungen mit unterlaufen, wenn der unnennbare Trieb zuweilen erwacht, und dessen vollständige Befriedigung die gewöhnlichen Zwecke der Ehe erfüllt; so sind doch diese Aufwallungen zu selten, um der Verbindung im Ganzen den Charakter einer auf Geschlechtssympathie gegründeten Verbindung zu geben. Die Sympathie mit dem Gleichartigen wird darin prädominieren.
Auf der andern Seite giebt es Fälle genug, worin sogenannte Freunde und Freundinnen wahre Geschlechtszärtlichkeit für einander empfinden. Und daran braucht der Körper keinen merklichen Antheil zu nehmen. Aber die Symptome der Ueppigkeit und Lüsternheit der Seele sind hinreichend, die wahre Gattung von Empfindungen zu charakterisieren, welche bey ihrer Vereinigung zum Grunde liegt. Inzwischen nimmt auch sehr oft der Körper einen großen Antheil an dieser Geschlechtszärtlichkeit unter Personen, welche äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlechte gehören. Doch darüber mehr im achten Buche dieses Werks.
Ein noch zweydeutigeres Merkmahl von dem Daseyn der bloßen Freundschaft und [232] von der Abwesenheit der Geschlechtszärtlichkeit, wird von dem Schweigen der Begierden des unnennbaren Triebes hergenommen. Dieß trügliche Kennzeichen ist zugleich äußerst gefährlich, und es verdient daher dessen Unzulänglichkeit besonders dargethan zu werden. Ich verspare aber die Ausführung dieser Materie auf das achte Buch dieses Werks, und führe hier nur an, daß selbst leidenschaftliche Geschlechtsliebe, und noch häufiger körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit vorhanden seyn können, ohne daß der unnennbare Trieb sich mittelst deutlicher Begierden und in die Sinne fallender Symptome äußert.
Freylich, wo dieser unnennbare Trieb während der Dauer der Verbindung eine merkliche Rolle mitspielt, da wird an dem Daseyn der Geschlechtssympathie, und wenn diese mit liebender Anhänglichkeit zusammengeht, an dem Daseyn der Geschlechtszärtlichkeit nicht gezweifelt werden dürfen. Denn so viel ist gewiß, daß in der Freundschaft der Zug der Körper zu einander zu schwach ist, um ein körperliches Selbstgefühl eines veränderten physischen Zustandes in uns hervorzubringen. Wir nennen dieß: die Körper ruhen.
Allein, die Körper können in starker Bewegung seyn und der körperlichen Geschlechtssympathie huldigen, ohne gerade ihre Unruhe mittelst des unnennbaren Triebes anzukündigen. –
Das Daseyn und die Abwesenheit der Begeisterung sind eben so zweydeutige Unterscheidungszeichen der Freundschaft von der Geschlechtszärtlichkeit. Der wackere, rüstige Enthusiasmus besteht sehr wohl mit der männlichen, [233] der schmelzende sehr wohl mit der weiblichen Freundschaft. Die Wirksamkeit des schwärmerischen Aneignungstriebes, welche ich Besessenheit genannt habe, gehört freylich der Geschlechtssympathie an: allein er findet sich nicht immer in Gesellschaft der Geschlechtszärtlichkeit, und verwandelt diese bereits in Leidenschaft.
Man sieht hieraus, wie schwer der Unterschied zwischen Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit nach äußeren Merkmahlen zu bestimmen ist. Demohngeachtet bin ich überzeugt, daß weder die Vereinigten selbst, die sich ehrlich prüfen wollen, noch Fremde, welche das Band länger zu beobachten Gelegenheit finden, sich über die wahre Natur des Verhältnisses betriegen werden. Folgende Bestimmungen dienen ihnen vielleicht zu näheren Wegweisern.
Die Geschlechtszärtlichkeit zeichnet sich durch Ueppigkeit aus: durch das Gefühl einer gezärtelten Spannung des Körpers, einer sanften Erhöhung des Geistes, welche die Freundschaft nicht mit sich führt. Ein unruhiges Sehnen nach körperlicher Annäherung, ein beklemmtes Herz in der Abwesenheit des Verbündeten, ein ungeduldiges Erwarten seiner Ankunft, ein extatisches Entzücken über seine Erscheinung, die sich sogar durch Veränderung der Gesichtsfarbe nach kurzen Trennungen ankündigt; ein schmachtender Blick, verbunden mit lebhaftem Glanze des Auges, ein schmelzender, üppiger Ausdruck des Wunsches, zu gefallen, der sich im Ton und Geberden und Reden äußert; das unverwandte Hängen an der Form und den Worten des Geliebten, die stets rege Begierde, abgesondert von andern mit ihm zusammen zu wohnen und immer ungetrennt von ihm zu bleiben; üppige Eitelkeit, Stolz auf [234] den Besitz der angeeigneten Person, ängstliche Eifersucht; dieß sind, meinen Erfahrungen nach, Symptome, die mehr oder weniger in jeder noch so geistigen Geschlechtszärtlichkeit angetroffen werden, und gewiß in sehr grobe Erscheinungen übergehen werden, sobald die Vereinigten sich auf eine unbehutsame Art ihrer Bestrebung nach Vereinigung überlassen, oder auf eine eben so unbehutsame Art darin gehemmet werden.
Der Freund begehrt allerdings die Gegenwart des Freundes, aber nicht so anhaltend, nicht mit so vieler Unruhe: seine An- und Abwesenheit haben keinen so unmittelbaren Einfluß auf seinen physischen Zustand. In der Freundschaft findet kein Herzklopfen, finden keine gepreßten Seufzer, keine Wallung des Bluts, kein Wechsel der Farbe Statt. Das Bild des Freundes und des ununterbrochenen Zusammenlebens mit ihm ist nicht unser unzertrennlicher Gefährte. Gesetzt aber, diese Symptome gehörten bereits der Leidenschaft, so zeichnet sich doch die ruhigste Geschlechtszärtlichkeit durch die sanfte Erhöhung aus, worein wir unsere eigene Seele bey der Vorstellung der Person der gewählten Schwester, und unserer traulichen Verbindung mit ihr, versetzt fühlen, und worein wir sie durch die Aeußerungen unserer Zärtlichkeit zu versetzen suchen. Unsre Vertraulichkeiten, unsre Liebkosungen, unsre Aufmerksamkeiten, unsre zarten Behandlungen haben einen schmelzenden und zugleich pikanten Reitz, den die bloße Freundschaft nicht mit sich führt. Eben so empfindet das Weib für den gewählten Bruder.
Kurz, üppige Gefühle, üppige Aeußerungen, unterscheiden die Geschlechtszärtlichkeit von der Freundschaft, wenn diese auch nicht bis zur Lüsternheit, oder bis zu [235] den Begierden des unnennbaren Triebes, nicht bis zur Leidenschaft fortschreitet.
Mehrere Beobachter haben diesen Charakter gefühlt, ohne ihn bestimmt genug anzugeben.
Madame de Lambert sagt in ihrem Aufsatze über die Freundschaft. In der Freundschaft zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte bemerkt man einen Grad von Lebhaftigkeit, der unter Personen von dem nehmlichen nicht angetroffen wird. *)
Ich kenne, sagt Rousseau, eine Empfindung, die süßer als die Liebe ist. Sie ist nicht so ungestüm als diese, aber tausendmahl köstlicher. Sie verbindet sich oft mit der Liebe, oft ist sie von ihr getrennt. Diese Empfindung ist auch nicht bloße Freundschaft, sie hat etwas wollüstigeres, zärtlicheres an sich, und ich zweifle, daß eine Person vom nehmlichen Geschlechte sie in uns aufregen werde. *)
Man sieht deutlich, daß in beyden Stellen von der Geschlechtszärtlichkeit die Rede ist, und daß diese der Freundschaft so wohl als der Leidenschaft, ja, vielleicht auch der Zärtlichkeit im Bande mit Symptomen körperlicher [236] Begierde entgegen gesetzt wird. Die Lebhaftigkeit, die süße wollüstige Zärtlichkeit, worin der unterscheidende Charakter der sogenannten Freundschaft unter Personen von verschiedenem Geschlechte hier gesucht wird, ist weiter nichts als die Ueppigkeit des Körpers und der Seele; die feinere Geschlechtssympathie, welche mit ins Spiel kommt. *)
Achtes Kapitel.
Unter welchen Personen Geschlechtszärtlichkeit und Freundschaft Statt finde.
Geschlechtszärtlichkeit findet Statt zwischen Vater und Tochter, zwischen Sohn und Mutter, zwischen Bruder und Schwester; und dabey brauchen der unnennbare Trieb oder die Lüsternheit des Körpers sich nicht deutlich zu melden. Die Empfindungen, die Aeußerungen der Zärtlichkeit zwischen diesen Personen, sind demohngeachtet sehr verschieden von der Zärtlichkeit zwischen Vater und Sohn, Mutter und Tochter, Bruder und Bruder, Schwester und Schwester.
Geschlechtszärtlichkeit findet Statt zwischen Ehegatten, die nicht mehr leidenschaftlich lieben; zwischen allen Personen, welche die völlige Befriedigung der Geschlechtssympathie zärtlich, aber ohne Gefühl der Unentbehrlichkeit genießen.
[237]Geschlechtszärtlichkeit findet endlich Statt zwischen Personen, die im gemeinen Leben beyde für Männer oder beyde für Weiber gelten, wenn Geschlechtssympathie, oft gröber oder feiner, der prädominierende Trieb ist, der sie an einander kettet.
Unter jungen Leuten giebt es viele sogenannte Freundschaften, welche eher verdienten zur Geschlechtszärtlichkeit gerechnet zu werden, so unschuldig und edel auch die schmelzende Lebhaftigkeit ist, mit der sie an einander hängen.
Freundschaft kann dagegen auch Statt finden unter Personen, die zu verschiedenem Geschlechte äußern Kennzeichen nach gerechnet werden, wenn ihre innern Dispositionen dem Geschlechte nach ähnlich sind, und Sympathie mit dem Gleichartigen in ihrer Verbindung prädominiert. Doch darüber mehr im achten Buche.
Neuntes Kapitel.
Absonderung der Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit von andern liebenden und nicht liebenden Verhältnissen, mittelst Hinweisung auf die folgenden Bücher.
Die einzelne Aufwallung der Sympathie mit dem Gleichartigen oder der Geschlechtssympathie, begründen weder Liebe noch Anhänglichkeit. Nicht jede Anhänglichkeit, welche die eine oder die andere Sympathie zum Grunde hat, ist liebend. Nicht jede liebende Anhänglichkeit ist Vereinigung gleichartiger, oder Vermählung geschlechtsverschiedener Naturen. Endlich hat die Zärtlichkeit mehrere Grade von Wärme und Kälte, aber sie [238] bleibt immer noch von Leidenschaft unterschieden. – Alles dieß ist theils schon deutlich durch dasjenige, was vorangegangen ist; theils wird es durch die folgenden Bücher mehr erklärt werden.
Zehntes Kapitel.
Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit setzen immer einen strebenden Zustand zum Voraus, wenn gleich die Verbündeten sich wechselseitig vereinigt glauben.
Ich habe vorhin Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit für ein Streben erklärt, gleichartige oder verschiedene Naturen zu vereinigen. Inzwischen werden oft beyde Nahmen von denjenigen Verbindungen gebraucht, worin die Liebenden von ihrer wechselseitigen Zärtlichkeit überzeugt sind, sich selbst als wirklich vereinigt ansehen, und in dieser Vereinigung auch von andern als eine zusammengesetzte Person betrachtet werden.
Der Zustand und die Verhältnisse einer solchen wirklich gelungenen Vereinigung verdienen noch eine besondre Bemerkung, theils um meine vorhin angegebene Erklärung zu rechtfertigen, theils um die Eigenheiten dieser Lage der beyden Liebenden unter einander, und gegen jeden dritten, etwas näher zu bestimmen.
Es scheint schon den Plato in Verlegenheit gesetzt zu haben, wie die Liebe den Charakter der Bestrebung beybehalten, und doch den Gegenstand derselben besitzen [239] könne. Dem ersten Anblick nach sollte man auch wirklich glauben, daß der Charakter des Strebens bey dem erwachenden Gefühle der gelungenen Vereinigung wegfallen müsse, und daß daher die von mir gegebene Erklärung der Zärtlichkeit unrichtig sey, oder wenigstens nur so lange zutreffe, als der Liebende das Herz des Geliebten noch nicht gewonnen hat.
Allein der Charakter der geselligen Gefühle überhaupt besteht bereits in dem verweilenden Bestreben nach fortschreitender Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit einem uns angenäherten, aber von uns noch getrennten Wesen. In der Zärtlichkeit tritt die Ungenügsamkeit der Selbstheit hinzu. Das Streben nach immer engerer Vereinigung der Personen wird eben so wenig gesättigt, als das Streben nach immer wachsender Glückseligkeit unserer einzelnen Personen. Die Idee, daß der Gegenstand unserer Zärtlichkeit diese ganz theilt, daß unsere Schicksale aufs genaueste verkettet sind, daß wir in einem Genuß des Glücks zusammentreffen; diese Idee, sage ich, mag unser Bestreben nach Zusammensetzung der Personen noch so sehr begünstigen; – es kann nie völlig befriedigt werden, weil der Zweck, den wir vor Augen haben, keine Grenzen hat, und so weit ausgedehnt werden kann, als die Verhältnisse reichen, unter denen zwey Personen sich vereinigt und glücklich denken können. Die zusammengesetzte Person, das Paar der beyden zärtlich Verbündeten, hat eben den Umfang von Wünschen, eben die Ungenügsamkeit, wie der einzelne Mensch. Wann sagt sich dieser: ich wünsche nichts mehr? wie selten sagt er sich nur: mein Zustand genügt mir!
[240]Es bleibt daher die von mir gegebene Erklärung der Zärtlichkeit auch dann stehen, wenn wir sie auf den Zustand und die Verhältnisse wirklich durch Zärtlichkeit vereinter Menschen, der zusammengesetzten Person, des Paars der Freunde, und der des Liebhabers mit der Geliebten, anwenden. Dieser Zustand ist immer Bestrebung, theils das erworbene Bewußtseyn ihrer vereinigten und wechselseitig beglückten Naturen zu bewahren; theils eine immer wachsende Ueberzeugung ihrer Vereinigung und ihres Glücks zu erhalten.
In so fern wir jedoch auf den Genuß, die Rechte und Pflichten der zärtlichen Liebe, so wie auf ihre Veredlung und Verschönerung Rücksicht nehmen, muß der Zustand und die Lage der einseitig zärtlichen, und der durch wechselseitige Zärtlichkeit zusammengesetzten Person, wohl unterschieden werden. Eine nähere Verkettung persönlicher Verhältnisse, ein ruhigerer Genuß von Wonne charakterisieren die begünstigte Zärtlichkeit, und die beyden Liebenden werden nun auch von jedem Dritten in manchen Rücksichten als eine Person angesehen, als ein Paar, das sich von allen Mitgesellschaftern und Mitbürgern absondert. Die Folgen, welche dieß nach sich zieht, werden im zweyten Theile dieses Werks näher entwickelt werden.
[241]
Fünftes Buch.
Von der Leidenschaft der Geschlechtsliebe. *)
Erstes Kapitel.
Einleitung.
Wenn wir von Kindheit auf das Bedürfniß fühlen, uns an ein gefühlvolles Wesen ganz und ausschließlich zu ketten; wenn die dunkle Ahndung einer mit uns für uns geschaffenen Hälfte, unsre einsamen Tage, einsam mitten im Getümmel der Welt, zu Jahren mißt; wenn bey dem ersten Strahl ihres endlichen Anblicks das Leben einer neuen Schöpfung für uns aufgeht; wenn die Unruhe des unbestimmten Sehnens sich in das deutliche Bewußtseyn der Unentbehrlichkeit des angebeteten Gegenstandes verwandelt; wenn wir ängstlich nach der Wonne der Vereinigung streben, alles aufopfern, selbst das Leben, für die Gewißheit, geliebt zu seyn; – und wenn wir sie nun haben, diese Gewißheit, unser Leben hingeben möchten, um sie immer und immer stärker zu empfinden; hingeben möchten, dieses Leben [242] eher als die Ueberzeugung zu verlieren, an der allein der Werth unserer Fortdauer liegt; getrennt von dem Geliebten keine Wonne, kein Genügen, kein Dulden und kein Daseyn kennen; darum aufsuchen, darum gern genießen jede Freude mit ihm – darum gern entbehren, darum schmacklos finden jede Freude ohne ihn; – sinnen, träumen durch ihn; – weben, leben in ihm; – Ja! dann haben wir ein Herz für Leidenschaft; ja! dann fühlen wir im engsten Sinne Liebe!
Ha l’amore! sagt der Italiener mit der Rührung des Mitleidens. Ha l’amore! der Arme ist krank an Liebe! Mit stolzem Erbarmen sagt der Deutsche: Er ist verliebt; der Thor geht irre durch Liebe! Ach! und wohl ist Leidenschaft der Liebe Krankheit! Krankheit der Seele und des Körpers! Wohl ist sie eine Art von Wahnsinn! Ein fieberhafter Wechsel von Ueberspannung und Ermattung aller Lebensgeister, von finstrer Wuth und extatischer Entzückung! Mit einem Worte: ein Wechsel von Hölle und von Seligkeit! *)
Zweytes Kapitel.
Semiotik, Zeichenlehre der Leidenschaft der Liebe. Erstes Merkmahl. Unbegreiflicher Werth, den wir auf den geliebten Gegenstand setzen.
Das erste Merkmahl der Leidenschaft der Liebe ist die unerklärbare Vorstellung, die wir uns von der Person des geliebten Wesens machen; der unbegreifliche Werth, [243] den wir auf ein eben so unbegreifliches Etwas an ihm legen.
Man sagt: die Liebe sey blind! Und wahr ist es; sie sieht nur in gewissen Augenblicken, die bald vorüber gehen. Wir können nicht nachdenken über die Fehler des geliebten Gegenstandes, wir können seine Vorzüge nicht vergleichen, nicht erwägen, nicht anschlagen. Alles löset sich in die Empfindung auf: er ist für mich geschaffen! Laß einen Apoll, laß eine Venus vom Himmel kommen, und stelle sie bey dem Geliebten hin; der Gott ist ein Abstrakt von Talenten, so wie die Göttinn ein Abstrakt von Schönheit; sie haben unsere Bewunderung, aber unser Herz gehört dem Wesen, das mehr als Göttlichkeit, mehr als Talente und Schönheit, das jenes Etwas hat, das wir lieben.
Wer hat je leidenschaftlich geliebt, und nicht gefühlt, was es heißt, um sein selbst willen geliebt seyn wollen! Gefühl, das sich schlechterdings in keinen Begriff fassen, kaum einmahl andeuten läßt! Nicht um unsers Ruhms, nicht um unserer Tugend, nicht um unserer Schönheit willen geliebt seyn wollen; ja! nicht einmahl um unserer Zärtlichkeit und Treue, kurz, um der persönlichen Eigenschaften willen; was heißt es anders, als um etwas geliebt seyn wollen, das ohne allen Begriff, ohne alle Beziehung gefällt! Und so wie wir gefallen wollen, so gefällt uns der Geliebte!
Ach! so lange wir noch im Stande sind, ein Bild des Geliebten von seinem Selbst abzusondern, und unserm Selbst vorzustellen; so lange bleibt dem Liebenden die Besorgniß, daß ein anderer Gegenstand eben dieß Bild erwecken, vollständiger darstellen möge, und mit ihm ausgetauschet werden könne. Aber für den, der [244] leidenschaftlich liebt, giebt es keine Schadloshaltung für den Verlust des Geliebten. Und wenn Gottes allmächtige Rechte an des Verlohrnen Statt ein vollkommen ähnliches Wesen schaffte, es wäre für den Weinenden immer nur ein Bildniß!
Drittes Kapitel.
Zweytes Merkmahl der Leidenschaft der Liebe; unbegreiflicher Unwerth, den wir auf unser abgesondertes Selbst setzen.
Eben so unbegreiflich als der Werth, den wir auf den geliebten Gegenstand setzen, ist der Unwerth, den wir auf unser abgesondertes Selbst legen.
Es scheint uns, wir müßten vergehen, wenn wir das Bewußtseyn des Daseyns und des Wohls des Geliebten verlören. Wir fühlen unser Daseyn, unser Wohl nur in ihm. Er wird das Haupt, er wird die Seele unsers Wesens: wir dienen ihm als untergeordnete Glieder, als Agenten seines Geistes. So wie Freud und Leid der Seele auf den Körper, als ihr niedrigeres Organ, zurückwirkt, so wirkt Freud und Leid, das der Geliebte empfindet, auf den Liebhaber zurück. Wo die Seele sich in Wonne fühlt, vergißt nicht da der Körper seine besondern Schmerzen; wo sie, die Seele, in Trauer versinkt, kann da der Körper auf sein Wohlbefinden achten? Wozu ist er da, als um ihr Genuß zu bereiten! Was sind seine Wollustgefühle, wenn die Seele diese nicht durch theilnehmende Wonne veredelt und erhöhet! Darum mag der Liebhaber keinen Genuß, den er nicht mit dem Geliebten theilt; darum rührt ihn unter den getheilten Freuden [245] diejenige allein, welche der Geliebte davon hinnimmt! Ja, wenn das Glück des Geliebten mit dem gemeinschaftlichen Genusse nicht bestehen sollte, so entsagt ihm der Liebhaber, und lebt in der Empfindung fort, daß es dem besseren Theile seines Selbstes, seiner Seele wohl gehe!
Das heißt einen andern mehr lieben als sich selbst! Das ist es, was das Herz des Zuschauers, der sich ähnlicher leidenschaftlichen Aufopferungen fähig hält, unfehlbar zur Mitempfindung hinreißt; das ist es, worauf das Interesse aller Romane und Schauspiele von der zärteren Art beruht; das ist es endlich, was wir auch da bewundern, wo wir die Aeußerungen eines solchen Herzens, einer solchen Liebe, im kälteren Zustande kaum begreifen und kaum billigen mögen.
Darum lieben wir dich, St. Preux, wenn du dem Glück deines Lebens entsagt, um Julien die ruhige Selbstgenügsamkeit, welche Folge eines pflichtmäßigen Betragens ist, zu bereiten! Darum bist du unserm Herzen so theuer, edles Mädchen, wenn du, überzeugt den Geliebten an deiner Hand nicht glücklich machen zu können, die seinige mit einer andern verbindest! Darum bist du uns so heilig, halbwahnsinniges Weib, wenn du in dem Bildnisse der glücklichern Nebenbuhlerinn noch diejenige mit Vergnügen betrachtest, die deinen Geliebten auf Kosten deiner beglücket.
Wie ihr euch selbst zertrümmert, damit aus euerm modernden Schutte das Glück des Geliebten aufsprosse! Wie ihr liebt; was ihr für ein Herz habt!
Viertes Kapitel.
Drittes Merkmahl der Leidenschaft der Liebe; das Unbegreifliche des Zwecks, wornach wir streben.
Alle Anhänglichkeit hat einen Zweck, aber die Leidenschaft hat keinen. Was leidenschaftlich Liebende von einander wollen, das wissen sie nicht; was sie durch einander beglückt, das ist ihnen unbegreiflich! Sie wollen bey einander seyn unaufhörlich; auf einander einwirken in grenzenloser Ausdehnung und mit unermeßlicher Stärke. Das fühlen sie. Aber warum? Wozu? Darum fragen sie sich nicht, und wenn sie sich darum fragen, so beantworten sie es nicht.
Leidenschaft der Liebe strebt nach allem, worin Körper und Seele nur immer vereinigt gedacht werden mögen, ohne allen andern weitern Genuß, ohne allen weitern Vortheil; bloß um des Bewußtseyns willen, daß zwey Wesen eins sind.
O Geliebte! welche geheime Kraft entfärbt mein Antlitz, wenn ich dich nur von fern erblicke; welcher Zauber läßt mich deine Gegenwart ahnden, ohne dich zu sehen und zu hören, und treibt mein Blut mit Ungestüm aus meinen Adern dir entgegen. Fühlt denn mein Körper den Zusammenhang mit dir ganz unabhängig von der Mitwirkung der Seele? Und wenn sie, die Seele, es ist, welche die Vorstellung der Nähe allein mit Wonne erfüllt, wie unerklärbar ist auch ihr Zusammenhang mit deinem Wesen! Was hat denn meine Seele davon, daß ich so gern die Luft einathme, die unser beyder Körper im gemeinschaftlichen Raume umfließt? Warum entzückt mich das bloße Geräusch deiner Tritte, die sich nicht zu mir wenden, der Ton deiner Stimme, [247] die nicht zu mir redet; ja, das bloße Licht, das dich umscheint, und aus fernen Fenstern mir entgegen strahlt! Warum ist die Welt für mich in zwey Theile getheilt, deren einer ausgefüllt ist mit deiner Gegenwart, der andere sich in ewiger Leere vor meinen Blicken verliert? Warum fährt mitten im Bewußtseyn, daß ich bey dir bin, dennoch meine Hand konvulsivisch auf, den Saum deines Gewandes zu zupfen? Warum ermüde ich nie, voll von der Ueberzeugung, von dir geliebt zu seyn, die stete Versicherung deiner Liebe zu hören? Warum befriedigt die engste Vereinigung, die sich zwischen Körpern und Seelen denken läßt, nie die unaufhörliche, grenzenlose Sehnsucht nach immer engerer Vereinigung?
Ach! derjenige, der leidenschaftlich liebt, hat eine unbestimmte Unruhe, eine dunkle Ahndung von tausend nie zu befriedigenden Wünschen, die sich alle in das zwecklose Streben nach steter Vereinigung und nach steter Einwirkung auf den geliebten Gegenstand auflösen. Er fühlt vielleicht, er geht dabey zu Grunde; er fühlt zuweilen, seine edelsten Kräfte, seine rühmlichsten Bestrebungen schwinden dahin; der schönste Genuß der Freundschaft und ruhiger Zärtlichkeit, die lockendsten Plane auf Ruhm, Vermögen und häusliches Glück, gehen verloren. Und das alles opfert er auf für die Vorstellung: Eins zu werden; für ein Hirngespinnst, das der Liebende selbst dafür erkennt, das er sogar mit Hülfe der Phantasie nicht einmahl als ein klares Bild fassen kann. An diese Chimäre ist er angezaubert, in diesen Kreis von Begünstigungen, die allemahl wieder zu neuen Reitzen werden, ist er gebannt. So muß er zugleich was er will! Nicht äußere Verhältnisse zwingen ihn, [248] aber die Herrschaft eines Lieblingstriebes, der über alle andere unumschränkt regiert.
Fünftes Kapitel.
Absonderung der leidenschaftlichen Aufwallung von der Leidenschaft selbst.
Leidenschaft setzt einen Zustand heftiger Bewegung unserer Reitzbarkeit zum Voraus. Darin ist man allgemein einverstanden. Aber wenn wir nicht alle Begriffe verwirren, und ganz verschiedene Zustände unsers Wesens mit einerley Nahmen bezeichnen wollen; so müssen wir nothwendig den einzelnen leidenschaftlichen Moment von der Leidenschaft, und in dieser wieder die Zeit ihres Strebens von der ihrer Beendigung durch völlige Ausführung oder Verzweiflung unterscheiden.
Lauter verschiedene Bewegungen unsers Wesens! – Jeder heftige Ausbruch einer Begierde ist ein leidenschaftlicher Moment, aber er ist darum keine Leidenschaft. Und selbst während dieser letzten sind die beyden Perioden, worin wir zugleich fürchten und hoffen – und nichts mehr zu fürchten und zu hoffen haben: das Streben der Sehnsucht, und wieder ihre Stillung durch Sättigung des Genusses, oder Ermüdung des vergeblichen Nachstrebens, ganz verschieden in ihren Wesen und in ihren Wirkungen.
Leidenschaft setzt einen Zustand heftiger aber anhaltender Sehnsucht zum Voraus, die sich durch ihre Dauer noch verstärkt, und in ihrer Höhe alle Kräfte unsers Wesens nach Erlangung eines Gegenstandes hinspannt.
[249]Man hat längst bemerkt, daß in jeder Leidenschaft etwas von Wahnsinn liege, und daß sich die Ideen und Gefühle bey uns figieren. Leidenschaft setzt die Wirksamkeit solcher Triebe in uns zum Voraus, deren Befriedigung uns mit Wonne erfüllt; der Gegenstand muß von der Art seyn, daß wir ihn wollen, daß wir darnach streben würden, wenn wir durch keinen äußern Beweggrund getrieben würden. Wer bloß durch physische oder moralische Nothwendigkeit gespornt wird, nach einem gewissen Zustande zu streben, der ihm außerdem gleichgültig oder unangenehm seyn würde; wer sich aus Hunger, nach unschmackhaften Speisen; aus Furcht, nach einem sichern aber höchst unangenehmen Aufenthalte; aus Zwang, nach qualvoller Beendigung einer Arbeit sehnt; der handelt zwar leidenschaftlich, d. h. seine Aeußerungen ähneln den Wirkungen der Leidenschaft; aber er fühlt nicht, was Menschen im Stande der Leidenschaft fühlen: er handelt nicht aus Leidenschaft.
Demohngeachtet deutet schon der Nahme auf Leiden, auf Bedürfniß hin. Und so ist es in der That! Wir fühlen in der Leidenschaft die Unentbehrlichkeit einer gewissen Wonne. Der innere Reitz des Zustandes, in den wir zu gelangen streben, hat uns überwältigt. Wir wollen nicht mehr dasjenige, was wir auch frey wählen würden, wir müssen wollen, was wir vermöge der Herrschaft unserer Triebe nicht anders können.
Also ist Leidenschaft die figierte Sehnsucht nach einer gewissen Wonne, die wir zu unserm Daseyn und Wohl unentbehrlich fühlen.
Alle diejenigen Begierden, deren Befriedigung Wonne gewährt, sie mögen höchst selbstisch oder liebend [250] seyn, können zur Leidenschaft werden. Darum giebt es eine Leidenschaft des Hasses, – die eigennützigste unter allen, indem wir nach der Wonne streben, uns an dem Verderben, an der Erniedrigung, an der Ausschließung anderer zu weiden; – des Hasses mit allen seinen Modificationen, des Neides, der Eifersucht, u. s. w. Es giebt eine Menge selbstischer Leidenschaften: des Geitzes, der Ruhmbegierde, nach sinnlichen Vergnügen, nach geistiger Unterhaltung, nach Erkennen, Wissen, Wirken. – Aber es giebt auch liebende Leidenschaften: der Menschenliebe, der Vaterlandsliebe, der Dienertreue, der Herrengüte, der Freundschaft, der Aeltern- und der Geschlechtsliebe.
Verschieden von dem Begriffe der Leidenschaft, so wohl der liebenden als der hassenden, in dem eben angegebenen Sinne, ist, wie gesagt, die einzelne leidenschaftliche Aufwallung, der einzelne leidenschaftliche Akt, dergleichen der Zorn und das Mitleiden häufig darbieten. Alexander, der seinen Freund im Zorn erstach, handelte leidenschaftlich; aber die Begierde, ihm zu schaden, die Wonne, ihn vertilgt zu sehen, war bey ihm keine figierte Stimmung, ohne welche er nicht bestehen zu können geglaubt hätte. Der Herzog Leopold, der aus Mitleid sein Leben den Fluthen opferte, um einige Unglückliche aus der Gefahr des Ertrinkens zu retten, handelte leidenschaftlich; aber es war keine Leidenschaft, die ihn dazu antrieb. Es würde ihn geschmerzt haben, sie verloren zu wissen; aber es ist höchst glaublich, daß er ihren Verlust bald verschmerzt haben würde, wenn er selbst den Fluthen entkommen wäre. Man setze an die Stelle der unbekannten Unglücklichen, die er retten [251] wollte, die Herzensgeliebte des Herzogs, um den Unterschied zu fühlen!
Aber selbst in der Leidenschaft unterscheide ich den Zustand der dauernden Ausfüllung und Entzückung, worin wir, ohne weiter etwas zu wünschen oder zu fürchten, nur genießen, und den Zustand der dauernden Verzweiflung, worin wir, ohne weitere Hoffnung leiden, – von dem Zustande des hoffenden Strebens und des Gelingens, der mit weitern Wünschen und mit Besorgnissen des Verlustes verknüpft ist. Dieser letzte Zustand ist eigentlich Leidenschaft: hier erhöht die Mischung des Gefühls der Unentbehrlichkeit mit den Gefühlen der Wollust oder Wonne unsere Begierden: hier ist Bedürfniß mit Genuß, Qual mit Vergnügen verbunden.
So wie ich also hier Leidenschaft betrachte, ist sie ein anhaltender Zustand des Strebens und des Ueberwindens; des Hoffens auf eine künftige Befriedigung, der Besorgniß, daß das Erlangte verloren gehen möge, und des Sehnens nach einer fortschreitenden Ausbildung des Genusses.
Sechstes Kapitel.
Anwendung dieses Begriffs der Leidenschaft auf die Liebe, besonders auf die Geschlechtsliebe.
Die Leidenschaft ist liebend, wenn der Begriff einer wonnevollen Bestrebung nach der Ueberzeugung von dem Glück eines andern Menschen außer uns auf sie zutrifft. Dieß geschieht unstreitig dann, wenn wir ganz aus unserm Selbst heraus in den andern überzugehen wünschen, und unser Schicksal durch das seinige bestimmen [252] lassen. Niemand wird für sich selbst Unzufriedenheit und Unglück begehren, folglich auch nicht für denjenigen, in den er sich ganz zu verwandeln, dessen Eigenschaften und Beschaffenheiten er sich ganz anzueignen strebt.
Die liebende Leidenschaft unterscheidet sich also von dem einzelnen liebenden Affekte und der liebenden Anhänglichkeit nur durch den Charakter der Leidenschaft, durch das Gefühl der Unentbehrlichkeit der Wonne, den Geliebten glücklich zu wissen, zu unserm Daseyn und Wohl. Das Gefühl des Bedürfnisses, der Nothwendigkeit, gesellt sich zu dem Wonnegefühle der Ueberzeugung, daß es dem andern wohl geht.
So macht denn das unwillkührliche, von allem äußern Zwange und aller Ueberlegung unabhängige Streben nach der Ueberzeugung, daß ein anderer Mensch sich glücklich fühle, das Wesen der Liebe in allen ihren verschiedenen Verhältnissen aus. Aber freylich, bey der Leidenschaft ist es nicht Zweck, es ist Folge des Strebens nach gänzlicher Verwebung unsers Wesens mit dem Wesen eines andern Menschen. Wo hingegen die Vereinigung mit der Person als ein Mittel aufgesucht wird, Triebe des Hasses, der Furcht, der Mißgunst, kurz, des Eigennutzes überhaupt zu befriedigen; da ist keine Liebe vorhanden. Man darf nur an die Wirkung derjenigen Eifersucht denken, welche auf bloßer Eitelkeit beruht, und eben so wohl zur steten Annäherung, ja, zur äußersten Aufopferung gegen Gattinnen zwingt, die nach vorübergegangener Gefahr, daß sie einem fremden Liebhaber zu Theil werden könnten, Gegenstände der Gleichgültigkeit oder des Hasses für den selbstischen Gatten werden. Seine Leidenschaft beruht auf dem bloßen Bedürfnisse der Mißgunst. [253] Aehnliche Beyspiele höchstselbstischer Leidenschaften, welche den Anschein der liebenden haben, wird das künftige Buch aufstellen und entwickeln. Das deutlichste Merkmahl, daß wir einer liebenden Leidenschaft huldigen, ist dieß: wenn wir die geliebte Person nicht so wohl in unsere Persönlichkeit ganz aufzunehmen, als die unsrige in ihre Person zu übertragen streben, und noch Wonne an ihrem Wohl empfinden, wo das erste uns mißlingt.
Ich habe es schon gesagt, und ich muß es hier wiederholen: jede Art von Trieben kann sich zuweilen leidenschaftlich äußern: die Zärtlichkeit der Freunde und der Gatten und der Eltern für ihre Kinder kann zuweilen leidenschaftliche Aufwallungen darbieten, obgleich die Verbindung, nach der größern Summe der Momente während ihrer Dauer berechnet, gar nicht zur Leidenschaft gezählt werden darf. Wir finden sogar leidenschaftliche Aufwallungen zwischen Personen, die gewöhnlich gleichgültig gegen einander sind. Z. B. bey einer Mutter, die vielleicht Jahre lang des Anblicks ihres Kindes ungerührt entbehrt, und in dem Augenblicke der Gefahr sich dem Tode muthig entgegen wirft, um es zu retten. Dergleichen Aufwallungen beweisen nichts für das Daseyn einer liebenden Leidenschaft: sie beweisen nicht einmahl etwas für das Daseyn der Liebe. Es muß eine anhaltende Stimmung zur Aufopferung des abgesonderten Daseyns seyn, welche keiner besondern Veranlassung bedarf, um sich wirksam anzukündigen, wodurch das Wesen der liebenden Leidenschaft begründet wird.
Freylich ist es unmöglich, daß der Mensch lauter leidenschaftliche und liebende Affekte während der ganzen Dauer des Verhältnisses hege. Aber die Summe der [254] prädominierenden Momente giebt der Periode seines Lebens im Ganzen den Charakter.
Jede zärtliche Anhänglichkeit kann zur liebenden Leidenschaft werden, so wie überhaupt jede dauernde Neigung zu einem bestimmten Gegenstande. Inzwischen scheint die Zärtlichkeit fürs andere Geschlecht, wenn sie zur Leidenschaft wird, doch etwas Eigenes und Ausgezeichnetes zu haben. Keine kann sich mit ihr an Umfang der Wirksamkeit, womit sie unsere ganze aus Körper und Seele und äußern Verhältnissen bestehende Person umfaßt, vergleichen. Bey keiner ist die Stärke der Wirksamkeit, womit sie uns zu Aufopferungen auffordert, so gewöhnlich. Das leidenschaftliche Streben in der Geschlechtsliebe ragt daher unter allen leidenschaftlichen Stimmungen als das Höchste und Gewöhnlichste hervor, und nach ihm wird alles ähnliche Streben berechnet. Da auch die Rührung des Herzens und die liebenden Affekte auf dieser Stufe am deutlichsten nach außen wirken, und die häufigsten und stärksten Aufopferungen unserer niedrigen Selbstheit zeigen; so wird die Fähigkeit zum leidenschaftlichen Streben nach zärtlicher Verbindung mit dem andern Geschlechte vorzugsweise das Herz, so wie der Zustand, den dieß Streben hervorbringt, vorzugsweise Liebe genannt.
Siebentes Kapitel.
Endlicher Begriff der Leidenschaft der Liebe.
Leidenschaft der Liebe, oder Liebe in der höchsten Bedeutung des Worts ist: figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, das Bewußtseyn [255] meines Selbstes, unter dem Bilde des Selbstes eines andern Menschen zu erhalten.
Hier ist also mehr als Zusammensetzung der Personen durch Vermengung oder Vermählung der Naturen; hier ist Uebertragung unsers ganzen Wesens in das Wesen eines andern endlicher Zweck der Bestrebung. Wir sehnen uns, aus Bedürfniß und mit Wonne das Bewußtseyn unserer abgesonderten Persönlichkeit zu verlieren, und uns als unzertrennliche Adhärenz der Person eines andern zu fühlen. Wir wollen und wir müssen der Körper seyn, den der geliebte Mensch als Seele belebt: oder wir wollen, wir müssen gar sein Gemüth, sein Geist seyn, in dem er als das letzte Ich hauset; kurz, wir wollen, wir müssen seine Person seyn: seine Seele, sein Körper, seine Verhältnisse, sein ganzes Selbst.
Achtes Kapitel.
Davon ist liebende Anhänglichkeit, mit leidenschaftlichen Aufwallungen verknüpft, verschieden.
Von dieser Leidenschaft der Liebe ist diejenige liebende Anhänglichkeit verschieden, in der sich mehr oder weniger leidenschaftliche Aufwallungen einfinden. Je häufiger diese eintreten, und je anhaltender sie wirken, um desto mehr nähert sich freylich dieser Zustand der Leidenschaft; je seltener und je vorübergehender sie sind, um desto mehr nähert sich die Stimmung unsers Wesens der ruhigen Zärtlichkeit. Aber immer unterscheidet sich doch die eigentliche Leidenschaft der Liebe von der Zärtlichkeit, die oft leidenschaftlich wirkt, wie der Zustand einer förmlichen Krankheit von dem Zustande einer bloß schwankenden Gesundheit. Denn wahr ist es und bleibt wahr: Leidenschaft [256] ist allemahl Krankheit unsers Wesens, so wie leidenschaftliche Aufwallung Unpäßlichkeit. Jene wird nicht leicht entstehen oder fortdauern, wo die Liebenden durch ihre wechselseitige Neigung und durch äußere Verhältnisse in ihrem Streben nach Vereinigung begünstigt werden. Die leidenschaftlichen Aufwallungen können auch in der glücklichsten Verbindung ihre Macht äußern.
Anhang zum fünften Buche.
Erster Excurs.
Ueber die Entstehungsart der Leidenschaft der Liebe.
Billig fragt man: wie entsteht die Leidenschaft der Liebe? Die Beantwortung dieser Frage ist um so wichtiger, da von ihr die Beantwortung jener andern abzuhängen scheint: ob es in unserer Gewalt stehe, uns zu verlieben, ob diese Leidenschaft plötzlich erwachen könne, und wie sie endige?
Aus der Darstellung, die ich von der Liebe als Leidenschaft gegeben habe, erhellet, daß eine doppelte Anlage dabey vorausgesetzt werden müsse. Wir müssen das Bewußtseyn unserer Person unter dem Bilde einer andern Person aufnehmen können; und das Streben nach dieser Art des Bewußtseyns von unserer Person muß bey uns stets herrschend werden können.
Von diesen beyden Anlagen nenne ich die eine die Selbstverwandlungskraft, die [andere] die Figierungskraft.
Es ist oben von der Aneignungskraft der Geister, und dem Zustande ihrer gelingenden Wirksamkeit, den ich Besessenheit genannt habe, weitläuftig gesprochen. Selbstverwandlungskraft ist ein höherer Grad derselben. Sie zeigt sich bey gewissen Krankheiten und beym Wahnsinn am auffallendsten, und beruht auf einer Verirrung desjenigen Vermögens in uns, welches wir [258] anwenden, um das Bewußtseyn unsers Selbstes zu erhalten.
Die Selbstverwandlungskraft äußert sich, wenn wir die Verhältnisse, worin die sinnlichen Eindrücke der Körper, und die Bilder der Seele zu unserm Selbst stehen, dergestalt vergessen, daß wir die Trennung zwischen diesem unserm Selbst und jenen Eindrücken und Bildern nicht weiter anerkennen. Wir erhalten das Bewußtseyn unserer Existenz und unsers Wohls mit derjenigen Modification, welche ihm die Eigenheiten der Gegenstände geben, die auf uns eingewirkt haben, und glauben dasjenige zu seyn, was von außen auf unsern Körper wirkt, oder als ein Bild, zwar in unserm Kopfe, aber doch noch getrennt von unserm Selbst, erscheinen sollte.
Die Beyspiele von Menschen, welche sich in Glas, Steine, Strohhalme, kurz, in solche Körper, welche am wenigsten mit dem unsrigen verwechselt werden können, verwandelt glaubten, sind eben so häufig, als die solcher Menschen, welche sich in Könige, Götter, kurz, in Bilder von Personen verwandelt haben, deren Verhältnisse in der auffallendsten Verschiedenheit von den ihrigen standen.
Dieser Zustand ist unstreitig Wahnsinn, wenn er in seiner größten Vollständigkeit anhaltend empfunden wird; inzwischen dürften wenig Menschen seyn, die nicht auf Augenblicke diesen Zustand in ihrem Leben vollkommener oder unvollkommener erfahren haben sollten. Gewisse Aeußerungen des Genies lassen sich ohne diese Selbstverwandlungskraft nicht denken, und vielleicht dürften wenig Meisterstücke der schönen Künste ohne ihre Mitwirkung verfertigt seyn.
[259]Demungeachtet ist sie mit der bloßen Begeisterung, mit dem Enthusiasmus, mit der Verblendung der Phantasie, mit der pathetischen Illusion, und endlich sogar mit der schwärmerischen Aneignung der Geister oder Besessenheit noch keinesweges einerley. Sie scheint nur mit ihnen verwandt, und der höchste Grad von Stärke desjenigen Vermögens zu seyn, welches bey allen diesen Zuständen zum Grunde liegt.
Begeisterung, ich habe es bereits gesagt, ist die Erhöhung der Phantasie, welche die vorgestellten Gegenstände außer uns durch ungewöhnlich lebhafte Bilder unserm Gemüth äußerst nahe bringt. Enthusiasmus, Schwärmerey entsteht aber, wenn eben diese Bilder zugleich unserm Herzen, der Summe herrschender Triebe in uns, auf eine ungewöhnliche Art nahe gebracht werden. In beyden Fällen nehmen wir gern etwas Geistiges von den Bildern an: ihre Lebhaftigkeit, ihr Feuer, oder eine oder die andere Eigenheit, welche sie auszeichnet, und wodurch wir uns wieder auszuzeichnen hoffen. Aber nicht leicht wird die Trennung des begeisternden und enthusiasmierenden Gegenstandes von unserm Selbst vergessen. So begeistert uns zwar die Vollkommenheit einer Statue, eines Gedichts; so enthusiasmieren wir uns, so schwärmen wir zwar für diese Vollkommenheit, wenn sie zugleich einen gewissen ästhetischen Grundsatz, der von unserer Erfindung ist, bestätigt, oder uns das Bild einer Geliebten, einer Situation, welche den Gegenstand unserer Wünsche in der Wirklichkeit ausmacht, ungewöhnlich auffallend darstellt; aber der begeisterte oder enthusiasmierte Beschauer sagt sich nicht: der Körper dieser Statue ist der meinige; ich bin der dargestellte Held in dieser Situation.
[260]Die Verblendung der Phantasie, vermöge deren wir Bilder, die in unserm Kopfe existieren, für wirklich äußere Gegenstände halten, ist gleichfalls mit der Selbstverwandlung keinesweges einerley. Wer eine Erscheinung, ein Gespenst zu sehen glaubt, betrachtet das Bild seines Gehirns als etwas körperliches, das sich von andern Körpern und von seinem Kopfe absondert, und ein für sich bestehendes Wesen annimmt. Er verwechselt die Verhältnisse, worin Körper und bloße Bilder seines Kopfes zu einander, und zu seinem Selbst stehen. Aber wer sich in Glas und Stroh, in einen Gott, in einen Helden verwandelt glaubt, der erkennt keine Trennung, keine Absonderung an, der sieht sich selbst in einer veränderten Gestalt.
So ist auch die pathetische Illusion von der Selbstverwandlung verschieden. Wir können bey der Vorstellung eines Trauerspiels, und noch mehr im gemeinen Leben, dergestalt durch das Leiden oder durch die Freude anderer gerührt werden, daß wir unsere Lage mit der ihrigen verwechseln, und wirklich glauben, wir hätten Ursach, unmittelbar zu trauern, oder uns unmittelbar zu freuen. Allein so geschickt diese pathetische Illusion auch seyn kann, die Selbstverwandlung zu befördern; so ist sie doch keinesweges ein und derselbe Zustand. Wir eignen uns nur ähnliche äußere Verhältnisse mit der Person, an der wir Antheil nehmen, an: nicht ihre Person, nicht ihren Geist, nicht ihren Körper, nicht ihr engeres Selbst.
Dagegen hat die Selbstverwandlung mit der Besessenheit, oder schwärmerischen Aneignung der Geister, eine größere Aehnlichkeit. Sie unterscheiden sich nur dadurch von einander, daß der Besessene den Geist des [261] Gegenstandes, der ihn begeistert, in sich aufnimmt, und sich von diesem beseelt glaubt; der Selbstverwandler nimmt aber auch den Körper und alle Verhältnisse des begeisternden Gegenstandes in sich auf; er sieht sich an, als ob er sein ganzes persönliches Wesen verlassen hätte, um sich in der Persönlichkeit des andern zu verlieren.
Die Besessenheit empfindet oft der Künstler, der einen Helden auf dem Theater darzustellen hat. Die Idee des Außerordentlichen, des Ungewöhnlichen, verbunden mit der Eitelkeit, so zu scheinen, kann wirklich seine Natur auf eine Zeitlang verändern, und ihn überzeugen, daß er von Cäsars oder Richards Geist beseelt werde. Allein so weit schreitet dieser Zustand doch selten vorwärts, daß die Akteurs wirklich römische Dictatoren, oder Englands Könige mit ihrem Körper und mit allen ihren Verhältnissen zu seyn wähnen.
Beyde, die Besessenheit und die Selbstverwandlung, können auch aus ganz verschiedenen Ursachen entstehen. Die erste wird nur da erweckt, wo wir ein Wohlverhältniß zwischen der Inferiorität unsers Geistes und der Superiorität eines andern fühlen, zu dem wir uns hinaufzuheben hoffen. Aber der Selbstverwandlungstrieb entsteht sehr häufig aus ganz zufälligen Ursachen. Sehr oft halten wir uns in dasjenige verwandelt, was gerade der Gegenstand unsers Widerwillens und unsers Abscheues gewesen ist. Ein heftiger Schrecken, der einen Candidaten überfiel, als ihn sein Examinator, ein furchtbarer Orthodox, der Heteroxie beschuldigte, hatte die Wirkung, daß der Erschrockene sich gerade in seinen Feind verwandelt glaubte, und fortan wie dieser dachte, sprach und handelte. Die gleichgültigsten Dinge, welche gerade das letzte Bild in der Seele erweckt, den letzten sinnlichen [262] Eindruck auf uns gemacht haben, als eine heftige Erschütterung in unserm Wesen erfolgte, modificieren forthin das Bewußtseyn, das wir von unserm Selbst aufnehmen. Wir werden zum Strohhalme, zum Glase, halten uns zerbrechlich wie diese, weil wir gerade, als der Donnerschlag zu unserer Seite niederfiel, einen Strohhalm zermalmt, ein Glas zerschmettert erblickten, und dieß das letzte Bild, der letzte sinnliche Eindruck war, der mit in unsere zerrüttete Maschine überging.
Viel häufiger ist inzwischen der Fall, daß wir uns in dasjenige verwandelt glauben, was wir mit körperlicher Lüsternheit oder Lüsternheit der Seele begehren. Daher die so häufige Erfahrung, daß ehrgeitzige Menschen, wenn sie verrückt werden, in Könige, Minister, Personen der Gottheit; daß Menschen von heißem Blute in den Gegenstand ihrer Begierden verwandelt zu seyn glauben. – Beyde, die gewaltsame Erschütterung und die Lüsternheit, können aber auch zusammen wirken. Der Gegenstand unserer Begierde kann zugleich die Veranlassung einer Ueberspannung unserer Organisation und starker Leiden des Gemüths seyn, und sein Bild kann dann aus diesem doppelten Grunde so lebhaft in unserer Seele werden, daß wir die gehörige Beurtheilung des wahren Verhältnisses, worin es zu unserer Seele steht, verlieren, und uns mit ihm verwechseln.
Selbstverwandlung ist also von Begeisterung, Schwärmerey, Verblendung der Phantasie, pathetischer Illusion und Besessenheit, dem Grade der Wirksamkeit unserer Phantasie und Versetzungskraft nach, verschieden. Wo sie vollständig ist, und dauernd wird, da ist völlige Verwirrung des Gemüths, vollständiger Wahnsinn vorhanden. Alsdann hört auch alle Leidenschaft auf; unsere [263] Sehnsucht nach Vereinigung wird durch Ausfüllung gestillt.
Es giebt aber einen Mittelzustand zwischen dem Gebrauch unserer Vernunft und dem Zustande des Wahnsinns. Wir können nur nach jenem Zustande der Selbstverwandlung streben, und es kann uns nur auf Augenblicke und in einem gewissen Grade gelingen, darein zu gerathen. Dieß ist denn der Fall in der Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht, aus Gründen, die sogleich angeführt werden sollen, wenn ich vorher die Eigenheiten der Figierungskraft entwickelt haben werde.
Daß unsere Kräfte überhaupt, so wohl die des Körpers, als die der Seele, einer gewissen Ueberspannung fähig sind, so daß sie die Richtung, welche sie eine Zeitlang, oder durch eine starke Anstrengung auf einmahl erhalten haben, lange und so dauernd behalten, daß sie sobald nicht wieder in ihre vorige Lage zurückkommen können, bedarf kaum eines Beweises.
Wer lange in die Sonne gesehen hat, behält, nachdem die Ursach gehoben ist, die Empfindung des Strahls bey, und glaubt noch in die Sonne zu sehen, ob er es sich gleich wohl bewußt ist, die Augen weggewandt zu haben. Ist der Eindruck des Scheins sehr heftig gewesen, so mag er sein ganzes Leben hindurch das Flimmern vor den Augen fühlen. Mit dem Gehöre verhält es sich eben so. Man höre lange eine Tanzmusik an; man gehe nach Hause, die Musik summset noch lange nachher in den Ohren. Durch eine heftige Erschütterung des Trommelfells kann man das ganze Leben hindurch ein Brausen in den Ohren behalten. Wer sich lange eingepreßt gefühlt, oder lange etwas in der Hand [264] gehalten hat, glaubt eine Weile nachher noch die Pressung zu empfinden. Den Antheil den die Phantasie daran hat, will ich hier nicht bestreiten. Inzwischen ist es gewiß, daß die bloße Afficierung der Nerven gleichfalls den Betrug unserer Sinne bewirken könne. So erscheint in unsern Augen der Schein des Lichts, wenn unsere Zunge durch Belegung mit gewissen elektrischen Körpern gereitzt wird, oder wenn ein unmittelbarer Druck auf unser Gehirn erfolgt. Mithin wird an der Figierung sinnlicher Eindrücke wahrscheinlich der Körper eben so viel Antheil haben als die Phantasie.
Die Figierung unserer Ideen, so daß ein gewisses Bild auch ohne besondere Veranlassung häufig und anhaltend in unserm Geiste aufsteigt, und mit Lebhaftigkeit auf den Verstand und das Herz wirkt, ist die bekannteste aller Erfahrungen. Daß aber auch gewisse Reitzungen unsers Herzens bey uns figiert werden mögen, häufig als Rührungen wiederkommen, und diejenigen Vorstellungen und Bilder, mit denen wir sie zuerst gehabt haben, jedesmahl wieder erwecken, dürfte eher bezweifelt werden. Es ist inzwischen nichts gewisser. Wir fühlen uns oft traurig, mißvergnügt, oder heiter, fröhlich; und mit dem Tone unserer Reitzbarkeit, welcher uns gewöhnlich geworden ist, steigen die Bilder, welche diesen Zustand oft oder stark erweckt haben, wieder in uns auf. Der Hypochondrist giebt davon den unläugbarsten Beweis. Sein Physisches wirkt auf die Reitzbarkeit seiner Seele; er ist gewöhnlich zur Traurigkeit gestimmt, und diese macht, daß er diejenigen Vorstellungen nicht los werden kann, welche er zufällig während der körperlichen Schmerzen gehabt hat, und sehr oft mit seiner Traurigkeit in keiner weitern Beziehung stehen. Oft [265] erhält er sogleich mit der Erleichterung seines Physischen Vorstellungen von ganz verschiedener Art, so daß er selbst über den Antheil lachen muß, den er an den vorigen genommen hat. Eben so können vermöge einer gewissen Stimmung der Seele zur Traurigkeit oder zur Heiterkeit, lauter analoge Bilder in uns aufsteigen. Darum sieht der Arme, der Bedrängte, alles, was auch in keiner genauen Beziehung mit seinem Zustande steht, im schwarzen; der Heitere hingegen alles im Rosenlichte.
Folglich können unsere physischen und Seelenkräfte eine solche Richtung erhalten, daß sie zu gewissen physischen Gefühlen und Bestrebungen, zu gewissen Bildern und Vorstellungen und davon abhängenden Reitzungen unsers Herzens, ja, zu gewissen anhaltenden Stimmungen des Gemüths ohne vorgängige besondere Vorstellung, oder ohne vorgängigen besondern sinnlichen Eindruck, eine solche Fertigkeit bekommen, daß wir selten das Bewußtseyn unsers Selbstes erhalten, ohne uns jener physischen Gefühle und Bestrebungen, jener Ideen und Aufwallungen des Herzens mit bewußt zu werden.
Dieß ist die Wirksamkeit der Figierungskraft. Sie so wohl, als die Verwandlungskraft, werden beyde auf eine doppelte Art in Bewegung gesetzt. Entweder, indem unsere physischen und Seelenkräfte auf Ein Mahl überspannt werden; oder, indem wir nach und nach ihnen eine nicht leicht wieder abzulegende Richtung geben. Nicht anders, wie wirkliche Schnellfedern entweder auf Ein Mahl überspannt, oder nach und nach zu einer gewissen dauernden Richtung hingebeuget werden können. Eine heftige Betrübniß, ein gewaltsamer Unmuth, können den Menschen eben so gut für beständig traurig und menschenfeindlich machen, als häufige kleine Versagungen [266] und geringer, aber anhaltender Verdruß. Eben so können Menschen durch Schrecken nicht minder in die Lage kommen, sich in Gegenstände außer sich verwandelt zu glauben, als durch häufiges Sinnen und Nachdenken über den nehmlichen Gegenstand. Liegt der Fehler gar in der innern Konstitution, so kann der Krankheitsstoff sich eben so wohl plötzlich als nach und nach entwickeln, und unser Wesen auf einige Zeit, oder auf immer verrücken.
Wenn die Verwandlungs- und Figierungskraft, beyde in ihrer völligen, stärksten, ausgebreitetsten Wirksamkeit zusammentreffen; wenn der Mensch sich ganz in den Gegenstand außer sich, und zwar jedesmahl, wenn er das Bild von seinem Selbst aufnimmt, verwandelt wähnt, so ist vollkommener Wahnsinn vorhanden. Allein dieser Fall ist äußerst selten, und so giebt es der Grade des Wahnsinns unendlich viele. Man kennt Menschen, welche im Durchschnitt ihres Lebens vernünftig sind, und nur unter gewissen seltenen Verhältnissen an solche mit ihnen vorgegangene Verwandlungen glauben. Wieder giebt es Menschen, die nur gewisse Eigenheiten von andern Gegenständen außer sich in das Bild von ihrem Selbst aufnehmen. Wieder andere, die gar nichts von Verwandlung wissen, und bey denen nur gewisse Ideen und Bestrebungen figiert sind, so daß sie entweder beständig an einem Bilde hängen, oder nur zu gewissen Zeiten durch alle Gründe der Vernunft nicht davon abzubringen sind. Kurz, es giebt der Modificationen der Wirksamkeit dieser beyden Kräfte so viele, daß sie sich unmöglich aufzählen lassen.
In der Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht wird nun nicht so wohl das Gefühl der Selbstverwandlung, [267] als vielmehr das Streben darnach zum fixen Gefühle. Wir nehmen unser Selbstbewußtseyn beynahe immer mit der Vorstellung auf, daß wir mit der ganzen Person des Geliebten eins geworden zu seyn wünschen; und man kann wohl sagen, daß die Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht weiter nichts sey, als das figierte Streben, uns in den Gegenstand unserer Wünsche verwandelt zu sehen. Die Art, wie dieß zugeht, läßt sich leicht begreifen. Schon die bloße Geschlechtssympathie, wenn sie auch nicht liebend wirkt, führt uns auf die Wahrnehmung, daß wir manches von dem angenäherten Wesen uns aneignen, so wohl von dem was zum Körper, als von dem, was zur Seele gehört. Der Mann fühlt sich physisch und moralisch zärter; das Weib fühlt sich physisch und moralisch stärker, indem sie sich einander zur Körperverbindung und zur Häuslichkeit nähern. Treten liebende Triebe hinzu, so eignen sich beyde viel von ihren gegenseitigen Verhältnissen an. Wird die liebende Geschlechtssympathie zur zärtlichen Anhänglichkeit, so verstärken sich die Bande durch eine Menge von Trieben, welche theils dem Sinn des Schönen, theils der Selbstheit gehören. Alles dieß muß die Selbstverwandlungskraft sehr leicht aufregen, und die Figierungskraft nicht minder. Die körperlichen Fibern bleiben, wenn sie überspannt werden, in der üppigen oder lüsternen Lage, worein sie der starke Eindruck der Annäherung an den Körper von verschiedenen Geschlechtsanlagen gesetzt hat. Der Liebende fühlt seinen Körper beynahe beständig in diesem Zustande. Die Kräfte der Seele, wenn sie überspannt werden, bleiben gleichfalls in einer ähnlichen Stimmung. Dieser zart gespannte Zustand des [268] Körpers und der Seele, was ist er aber anders, als die Folge der Mischung weiblicher und männlicher Anlagen? Indem wir ihn fühlen, was ist natürlicher, als uns zu tauschen, daß wir die Person von verschiedenem Geschlechte in uns aufgenommen haben? Die schwärmerische Aneignung des Geistes tritt nun hinzu: die Eitelkeit, der Trieb nach ausschließendem Besitze, erwachen. – Die Täuschung, wir sind eins, wird durch so manches sinnliche und moralische Symbol bey der Körperverbindung, bey dem Zusammentreffen in einem Gefühle, unterstützt; Hindernisse, welche der Geliebte selbst, oder welche die äußern Umstände in den Weg legen, erschüttern unser Herz so gewaltig. – In der That! Es nimmt mich minder Wunder, daß wir zuweilen die Illusion einer gänzlichen Umschaffung unserer Person in eine andere erhalten, als daß wir nicht an eine völlige Verwandlung glauben und gänzlich wahnsinnig werden.
Zum Glück für unsern Verstand, zum Unglück vielleicht für unser Herz, ist der geliebte Gegenstand eine Person, wie wir, aus Körper und Seele, und unter Verhältnissen bestehend, welche die Illusion der völligen Vereinigung beständig stören. Wir mögen noch so gern uns in diese Täuschung versetzen wollen; die Symbole mögen noch so sinnlich seyn; – kein Liebender, wenn er nicht völlig wahnsinnig geworden ist, wird jemahls glauben, daß sein Körper der Körper seiner Geliebten, seine Seele, seine Verhältnisse völlig die ihrigen sind. –
Die Vorstellung der Selbstverwandlung kann folglich nie zur figierten Idee bey uns werden; aber sie bleibt der geheime Zweck unsers Strebens! Ja, deiner kurzen Dauer und deiner Unvollständigkeit ungeachtet bleibst du [269] uns doch ewig theuer, süßestes, höchstes unter allen Wonnegefühlen, Gefühl der Vereinigung der Wesen! Vorgeschmack jenes seligen Moments, wo die Seele sich wieder in ihren Urquell ergießen wird. Wir streben dir unaufhörlich nach, und dieß Streben wird zum fixen Zustande in uns! Unsere begehrenden Kräfte behalten fortdauernd die Richtung nach diesem Ziele. Indem wir das Bild von unserm Selbst aufnehmen, so erhalten wir es immer mit der Modification eines nach Verwandlung strebenden Selbstes.
Daher nun auch unsere Sehnsucht nach steter Gegenwart und unbestimmter Einwirkung auf den geliebten Gegenstand, daher die ängstlichen Bekümmernisse, und die aufopfernde Sorgfalt für sein Daseyn und sein Wohl. Das Bestreben, unsre Person in die seinige zu übertragen, wäre auf immer vereitelt, wenn er verginge: unser Wohl würde unmittelbar gekränkt, wenn das Wesen litte, an das wir unser Selbst abzugeben wünschen.
Leidenschaft, bey der der Trieb nach Selbstverwandlung figiert wird, ist immer liebend. Aber Leidenschaft die auf Begeisterung, auf Schwärmerey, auf Verblendung der Phantasie beruhet, oder bey der die Lüsternheit der Seele wirksam ist, ist es nicht immer. In diesem Zustande trennen wir oft das Bild von unserm Selbst, und beziehen jenes ganz eigennützig auf einen unserer herrschenden Triebe. Doch, darüber mehr in der Folge!
Die Leidenschaft zum andern Geschlecht ist, aus den bereits angeführten Gründen, am mehrsten geschickt, die Figierung des Selbstverwandlungstriebes zu befördern: sie strebt am leichtesten nach Vereinigung der Wesen; [270] sie ist daher auch am gewöhnlichsten liebend. Oft aber beruht sie auch auf einer andern Art der vereinten Wirksamkeit der Phantasie und des Versetzungsvermögens, und dann hat sie nicht eben den Anspruch auf den Nahmen der Liebe.
Zweyter Excurs.
Beantwortung der Frage: ob es in unserer Gewalt stehe, uns zu verlieben? – ob die Leidenschaft plötzlich entstehe? – wie und wann sie endige?
Vielleicht läßt sich nun die Frage beantworten: ob es in unserer Gewalt stehe, die Leidenschaft der Liebe bey uns selbst zu erwecken? oder uns zu verlieben?
Dreist kann man hierauf antworten: nein! Aber wenn man die Frage so aufstellt: können wir die Disposition, die wir in uns zur Leidenschaft verspüren, befördern? so hat die Frage keinen Zweifel, und sie mag dreist mit ja beantwortet werden. Wer ein leidenschaftliches Herz hat, und auf einen Gegenstand trifft, von dem er ahndet, daß er ihm unter günstigen Umständen eine Leidenschaft einflößen könne, mag allerdings dazu beytragen, diese Umstände herbey zu führen. Aber gegen einen völlig indifferenten oder gar widerlichen Gegenstand Leidenschaft zu hegen, und noch dazu liebende Leidenschaft, – das ist eben so unmöglich, als unserm Nervensysteme, unserer Phantasie und unserm Herzen unbedingte Gesetze vorzuschreiben, oder unserer Sinnlichkeit Wollust und Wonne zu gebieten.
[271]Möglich ist es, daß wir angezogen durch Eitelkeit, durch Habsucht und durch eine Menge von eigennützigen Trieben, die Person vom andern Geschlechte als ein Mittel ansehen, jene Triebe zu befriedigen, und daß wir bey dem Streben nach ihrer selbstischen Befriedigung unvermerkt in liebende Leidenschaft gerathen. Aber dann haben wir nicht die Person, sondern uns selbst leidenschaftlich lieb; und verwechseln wir am Ende beydes mit einander, so ist die Leidenschaft der Liebe nicht Folge unserer Absicht.
Kann die Leidenschaft der Liebe plötzlich entstehen? Dieß leidet bey mir keinen Zweifel. Unsere Kräfte können durch einen Eindruck so stark afficiert werden, daß sie sogleich überspannt werden, der Verwandlungstrieb sogleich erwacht, und das Streben nach dem täuschenden Zustande der völligen Vereinigung der Wesen sogleich figiert wird. Nur darf man keine unerklärbare Ursache dazu aufsuchen. Bey Männern von gesetzten Jahren und gesunder Beschaffenheit des Körpers und der Seele wird dieß nicht leicht der Fall seyn. Aber bey jungen Leuten, welche viel Anlage zur Lüsternheit des Körpers und der Seele haben, sehr eingezogen leben, voll von romanhaften Ideen sind, läßt sich der Fall sehr wohl denken, daß sie unter Umständen, welche stark auf beyde Anlagen ihres Wesens wirken, so gewaltsam angegriffen werden, daß ihre körperlichen und Seelenkräfte sogleich überspannt werden. Aber auch ältere Menschen können durch zufällige physische und moralische Ursachen in eine Disposition kommen, worin sie der plötzlichen Ueberspannung sehr ausgesetzt sind.
Gewöhnlich entsteht aber die Leidenschaft nach und nach, und zwar durch abwechselndes Hoffen und Fürchten, [272] daß die Vereinigung gelinge oder nicht gelinge. Hoffnung und Furcht sind unumgängliche Ingredienzen jeder Leidenschaft, und am mehresten der liebenden. Wo der Mensch nichts mehr hofft oder fürchtet, da hat entweder die Leidenschaft nachgelassen, oder der Mensch ist wahnsinnig geworden.
Die Leidenschaft der Liebe endigt, so bald das Gefühl der gelungenen Vereinigung der Wesen entsteht. Dieß Gefühl kann nun zwar nie völlig vorhanden seyn, so lange der Mensch seinen Verstand behält. Denn wenn er auch noch so genau mit einer andern Person zusammenhängt; so kann er sich doch weiter nichts sagen als dieß; es sind mir viele Symbole der Selbstverwandlung zu Theil geworden; ich hänge in vielen Stücken sinnlich und moralisch mit einem andern Wesen zusammen. Aber zu dem ununterbrochenen Bewußtseyn der gelungenen Wesenvereinigung kann er ohne Verrückung nie kommen. Inzwischen wenn er nur sich dem eben beschriebenen Gefühle nähert, wenn er nur ganz sicher ist, wieder geliebt zu werden, und täglich und stündlich jedes Symbol der Wesenvereinigung genießen kann, so hört die Leidenschaft auf. Hindernisse, Trennung, Entbehrung gewisser Vereinigungsarten werden nothwendig erfordert, wenn die Leidenschaft der Liebe nicht in Zärtlichkeit ausarten soll, die nur mit einzelnen leidenschaftlichen Aufwallungen verknüpft ist.
So endigt die Leidenschaft durch eine Begünstigung unsers Bedürfnisses, die sich der Ausfüllung nähert. Sie endigt aber auch durch Verzweiflung, wenn Unmuth über lange Versagung, oder Betrug das Bedürfniß in unausstehliche Qual auflöst, und wir dadurch zu dem [273] Gefühle unserer Selbstheit zurückkehren. Endlich verliert sich die Leidenschaft allmählig unter Zerstreuungen und in der Entfernung, wenn das Bild der geliebten Person durch Mangel an sinnlicher Unterstützung, oder durch den Wechsel mit andern sinnlichen Bildern geschwächt wird. Es ist nicht zu läugnen, daß wir viel über uns vermögen, diese Mittel zum Triumph über die Leidenschaft mit Vortheil anzuwenden.
[274]
Sechstes Buch.
Von dem Entgegengesetzten und dem Aehnlichen der Liebe.
Erstes Kapitel.
Einleitung.
Der allgemeine Charakter der Liebe ist festgesetzt: wir haben ihn in seinen verschiedenen Modificationen verfolgt. Wir haben gesehen, daß überall ein wonnevolles Streben, den Menschen neben uns zu beglücken, um der Ueberzeugung willen, daß dieser sich selbst glücklich fühle, jenen Charakter begründet: daß bey dem einzelnen liebenden Affekte die Wonne am uneigennützigen Wohlthun sich am unvermischtesten zeige: daß bey der liebenden Anhänglichkeit, und besonders bey der Zärtlichkeit, eben diese unmittelbare Wonne an der Beglückung des Verbündeten die herrschende Empfindung ausmachen müsse: und daß endlich in der Leidenschaft der Liebe, dieß wonnevolle Bestreben, das Wohl des andern ohne weitere Rücksicht zu befördern, schon aus der Art fließe, wie sie wirkt, indem wir unser Selbst, unsre Person, völlig an eine andere abzugeben, und uns in dieser zu verlieren suchen.
[275]So unterscheidet sich dann der einzelne liebende Affekt von der liebenden Anhänglichkeit und von der Leidenschaft der Liebe, bloß durch den Zusatz der angewöhnten Richtung jener liebenden Affekte auf eine bestimmte Person, die in einigen Fällen bis zum Gefühl der Unentbehrlichkeit fortschreiten kann.
Zur deutlichern Erkenntniß der Natur der Liebe scheint es inzwischen nothwendig, sie durch den Kontrast zu heben, und dasjenige zu entwickeln, was ihr geradezu entgegensteht. Noch nothwendiger aber ist es, dasjenige von ihr abzusondern, was ihr bloß ähnlich ist, und so leicht mit ihr verwechselt werden mag.
Man wird sich aber in unauflösliche Schwierigkeiten verwickelt finden, wenn man dasjenige, was sich der einzelnen liebenden Aufwallung entgegenstellt, auch der liebenden Anhänglichkeit und der Leidenschaft der Liebe entgegensetzt. Widerwillen und Uebelwollen stehen der einzelnen liebenden Aufwallung; Feindschaft der liebenden Anhänglichkeit; Haß der Leidenschaft der Liebe entgegen. Nicht jeder, der vorübergehend einen Widerwillen oder ein Uebelwollen gegen den Freund empfindet, ist darum sein Feind, oder wird ihn darum hassen. Nicht jeder, der den andern haßt, ist darum unfähig, eine einzelne Aufwallung von Liebe gegen ihn zu empfinden.
Wieder muß bey der Absonderung verschiedener Empfindungen von einander wohl beobachtet werden, in welcher Beziehung wir sie neben einander stellen, und unter sich vergleichen. Ob in Beziehung auf unsern allgemeinen Grundtrieb nach Wohlbestehen unsers Wesens überhaupt: oder in Vergleichung mehrerer Triebe unter einander, die alle den allgemeinen Grundtrieb befördern. [276] Denn die Wonne an Befriedigung des Uebelwollens ist in Beziehung auf den Grundtrieb allerdings der Wonne an Befriedigung des Wohlwollens ähnlich. Beyde geben einen hohen Lebensgenuß. Aber bey ihrer Vergleichung unter einander sind sie sehr von einander verschieden.
Ferner müssen diejenigen Gesinnungen, die als unmittelbare Gegenfüßler der Liebe anzusehen sind, von denjenigen unterschieden werden, die unmittelbarer Weise die Liebe hindern oder zerstören. Der Widerwille der Antipathie steht der Liebe geradezu entgegen. Die selbstischen Neigungen sind ihr nur mittelbarer Weise zuwider, indem sie leicht ein Uebelwollen herbeyführen.
Endlich aber muß diejenige Gesinnung, die der Liebe in ihren Folgen für andre Menschen noch so ähnlich ist, von derjenigen abgesondert werden, die, ihrem innern Gehalt nach, unmittelbare Wonne an Beglückung mit sich führt. Wohlthätigkeit der feinsten Selbstheit ist noch nicht Liebe.
Nach diesen Bemerkungen werde ich dieses Buch in drey Abschnitte theilen: in dem ersten dasjenige entwickeln, was der Liebe, als einzelnen Aufwallung, entgegensteht, und ihr bloß ähnlich ist. Im zweyten, was von ihr, als Anhänglichkeit betrachtet, abgesondert werden muß; und im dritten, was sich von ihr, unter den Begriff der Leidenschaft gebracht, unterscheidet.
Erster Abschnitt.
Von dem Entgegengesetzten und dem Aehnlichen der Liebe, als einzelnen Affekt betrachtet.
Zweytes Kapitel.
Was sich der Liebe in Beziehung auf den allgemeinen Grundtrieb unsers Wesens nach Wohlbestehen entgegenstellt.
Unser Wesen fühlt den allgemeinen Hang nach Wohlbestehen oder nach dem Bewußtseyn, daß sein Zustand seiner Einrichtung angemessen sey. Man nennt diesen Hang oft den Grundtrieb unsers Wesens, weil alle unsre einzelnen Triebe sich endlich dahin zurückführen lassen, daß wir auf eine Art fortdauern wollen, die der Einrichtung unsers Wesens angemessen ist. Kürzer: daß wir mit Lust existieren wollen.
Einige Reitzungen die wir erhalten, begünstigen diesen Grundtrieb auf eine ungewöhnliche Weise, andere in schwächerer Maße, andere lassen ihn nur in Ruhe, andere beleidigen ihn durch Hinderung, andere scheinen seinen Zweck geradezu zu zerstören.
Alles was den Grundtrieb beleidigt oder seinen Zweck zu zerstören scheint, giebt uns das Bewußtseyn eines Zustandes von Unlust, und ist der Liebe entgegengesetzt, in so fern diese für das Bewußtseyn eines Zustandes von Lust genommen wird. Wenn sich jedoch mit dieser Empfindung die Hoffnung auf Beendigung des peinlichen Zustandes vereinigt; so entsteht daraus das [278] Bewußtseyn eines Zustandes von höherer Lust, als diejenige ist, welche bloße Gleichgültigkeit oder schwache Willensregung gewähren mag. Daher ist jedes mit Hoffnung verknüpfte Verlangen, oder jede Lust des baren Harrens, Liebe. Ihr steht in dieser Bedeutung Unlust, Abscheu, Gleichgültigkeit, schwache Willensregung, noch mehr aber Furcht und Verzweiflung rückwärts von der Begünstigung des Grundtriebes entgegen; vorwärts aber der aktuelle Genuß einer bereits eingetretenen Erleichterung unsers peinlichen Zustandes.
Das affektvolle Genügen des fortwährenden Bedürfnisses bey eingetretener Erleichterung der Qual, und bey mehr gegründeter Hoffnung auf Rückkehr in den Ruhestand des Lebens, ist wieder Liebe. Rückwärts steht ihr in dieser Bedeutung die Lust des baren Harrens entgegen, vorwärts die affektvolle Zufriedenheit.
Diese ist das Bewußtseyn eines geendigten Bedürfnisses und der völligen Rückkehr in den Ruhestand des Lebens. Sie ist Liebe in etwas bestimmterer Bedeutung, und so steht ihr rückwärts das affektvolle Genügen des fortwährenden Bedürfnisses, vorwärts Wollust und Wonne entgegen.
Wollust und Wonne ist Liebe in bestimmterer Bedeutung. Unmittelbares Gefühl einer ungewöhnlichen Angemessenheit meines Zustandes zu meiner Einrichtung, ohne auffordernde Ueberlegung, ohne anstrengenden Antrieb, ohne Zusammenhaltung des Gegenwärtigen mit dem Vergangenen und Zukünftigen. Kürzer: Bewußtseyn der Ausgelassenheit des Lebens. Dieser Liebe ist rückwärts entgegengesetzt: Zwang und [279]Geduld. Vorwärts steht ihr entgegen die Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens.
Ruhe ist unserer Natur weit weniger angemessen als Thätigkeit und Bestrebung. Wir lieben das Bewußtseyn der Wirksamkeit unserer Kräfte. Sie allein macht schon eine Art von Genuß für uns aus. Die Wollust oder Wonne der unthätigen Beschauung ist also minder reitzend für uns, als diejenige, die wir im Zustande des Strebens empfinden. Aus eben diesem Grunde übertrifft der Genuß des verweilenden Bestrebens den der endenden Begierde. Das Bewußtseyn, daß wir uns bereits in einem Zustande von Ausgelassenheit des Lebens befinden, verbunden mit der Vorahndung, daß dieser Zustand in seiner Dauer noch immer weiter ausgebildet werden könne, ist angenehmer als dasjenige Bewußtseyn, mit dem wir uns zwar im völligen Besitze eines Zustandes von Ausgelassenheit des Lebens befinden, nach dem wir heftig gestrebt haben, der aber weiter keinen Zusatz leidet. Denn mit diesem letzten Bewußtseyn ist die Vorahndung einer Rückkehr in den Ruhestand des Lebens verknüpft, welche das Gefühl und die Vorstellung des Sinkens und Abnehmens unsers Vergnügens herbeyführt.
Liebe ist daher in Beziehung auf den Grundtrieb unsers Wesens im bestimmtesten Sinne: Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens, und in dieser Bedeutung steht ihr vorwärts nichts entgegen; rückwärts aber jede Wollust und Wonne anderer Art.
Drittes Kapitel.
Was der Liebe, für Zuneigung der Sympathie genommen, in Beziehung auf Abneigung der nehmlichen Art, unmittelbar entgegensteht. Widerwille der Antipathie.
Man setzt der Liebe gemeiniglich Selbstheit entgegen. Dieß hat seine Richtigkeit, in so fern die Selbstheit die Liebe mittelbarer Weise hindert und zerstört. Aber die unmittelbare Gegenfüßlerin der Liebe ist nicht Selbstheit, sondern Antipathie.
Alle einzelnen Triebe sind Ausflüsse des allgemeinen Grundtriebes nach Wohlbestehen unsers Wesens, der sich nach Verschiedenheit der Verhältnisse, die auf ihn einwirken, verschieden äußert. Die allgemeinste Eintheilung, die man von diesen Trieben machen kann, ist die in abneigende und zuneigende. Wir suchen entweder unsre Reitzbarkeit zu hemmen, und dem Eindrucke, den wir von den Verhältnissen erfahren, entgegen zu arbeiten; – oder wir suchen die Wirksamkeit unsrer Reitzbarkeit zu befördern, überlassen uns den Eindrücken, oder bieten uns ihnen gar entgegen.
Nun habe ich im ersten Buche dieses Werks weitläufiger gezeigt, daß wir drey Seiten haben, mittelst welcher wir mit andern Gegenständen ins Verhältniß kommen, und woran wir von ihnen gereitzt werden können. Wir besitzen nehmlich die Fähigkeit, uns andern Gegenständen aus der Ferne mittelst des Auges und des innern Anschauungsvermögens zu nähern, und so von ihnen gereitzt zu werden. Wir besitzen ferner die Fähigkeit, andere Gegenstände mittelst des Tastungsorganes unmittelbar zu berühren, und mittelst des innern [281] Versetzungsvermögens die Eigenthümlichkeiten ihres Wesens und ihrer Lage den unsrigen zu assimilieren. Es ist uns endlich die Fähigkeit eigen, mittelst des Gaumens und mittelst des innern Zueignungsvermögens die äußern Gegenstände völlig in uns über und in Besitz zu nehmen.
Ich habe diese drey Fähigkeiten, in so fern wir dadurch zur Zuneigung gereitzt werden, Beschauungshang, Sympathie und Selbstheit genannt.
Es ist aber offenbar, daß jede dieser drey Fähigkeiten mit Trieben verbunden ist, welche ganz besonders dazu dienen, die Wirksamkeit einer jeden reitzbaren Seite im Einzelnen zu hemmen, und der Einwirkung der Verhältnisse, die gerade auf diese Seite gerichtet ist, entgegen zu arbeiten.
Denn wenn der Beschauungshang unser Anschauungsvermögen dem Außerordentlichen, Vollkommnen, Schönen zuneigt; so zieht eine eigene Beschauungsscheue eben dieß Vermögen von dem Gemeinen, Mangelhaften und Häßlichen ab.
Wenn die Sympathie unsere Tastungsorgane und unser Versetzungsvermögen zur Berührung gewisser Gegenstände, und zur Assimilation mit ihnen auffordert; so zieht die Antipathie uns von der Berührung und von der Assimilation zurück.
Wenn endlich die Selbstheit unsern Gaumen und unser Zueignungsvermögen dem Nahrhaften und Nützlichen zuneigt, so treibt uns ein eigener mit der Selbstheit correspondierender Ekel, eine eigene mit ihr correspondierende Scheue, uns von dem Abschmeckenden und Schädlichen abzuwenden.
Liebe ist nun in bestimmterer Bedeutung allemahl eine Zuneigung der Sympathie; eine Folge [282] derjenigen Reitzung, welche wir durch die Fähigkeit, andere Gegenstände unmittelbar zu berühren und uns ihnen zu assimilieren, mittelst der Tastungsorgane und des Versetzungsvermögens erhalten. Was steht ihr zunächst entgegen? Unstreitig die Antipathie. Diese ist ihre unmittelbare Gegenfüßlerin.
Antipathie ist der Inbegriff derjenigen Triebe, die uns unmittelbar von der Berührung anderer Gegenstände und von der Assimilation mit ihnen abneigen. Sie ist keinesweges einerley mit der abneigenden Wirksamkeit des Beschauungs- und des Zueignungsvermögens. Die Antipathie setzt zum Voraus, daß die Kräfte, mit denen wir andere Körper betasten, und uns in ihren Zustand hineinversetzen, in eine abstoßende Wirksamkeit kommen, und daß wir alle Mittel anwenden, uns der Sympathie mit jenen Körpern und Wesen zu erwehren, die sich den Tastungsorganen und dem Versetzungsvermögen auf eine widrige Art aufdringen.
Körper, vor deren Berührung wir zurückschaudern, wenn sie uns gleich nicht schaden können; colorierte Wachsfiguren, die den Schein des Lebens zeigen, erwecken Antipathie. Antipathie empfinden wir gegen Affen, die mit dem Menschen in ihren Neigungen und Gewohnheiten Aehnlichkeit genug haben, um uns zur Assimilation mit ihrem Wesen und Zustande aufzufordern. Aber es geschieht auf eine so widrige Art, daß wir der sympathetischen Empfindung gegen sie aus allen Kräften entgegenarbeiten,
Antipathie empfinden wir gegen Menschen, die Affen darin ähnlich sind, daß wir mit ihnen nichts gemein haben mögen. Wir empfinden sie auch gegen solche, die, wenn wir ihrer müde geworden sind, uns dennoch [283] zur Mitempfindung ihrer Zärtlichkeit einladen wollen. Sie dringen sich unserer Sympathie auf eine ekelhafte Art auf.
Antipathie empfinden wir endlich gegen gewisse Arten von Leiden, denen wir andre Menschen ausgesetzt sehen, besonders gegen solche, die mit Schmutz, Niedrigkeit, u. s. w. verknüpft sind. Wir suchen uns auf alle Art der Mitempfindung ihres Zustandes zu erwehren, ob wir gleich weder eine wahre Ansteckung noch eine Verwickelung in das fremde Schicksal zu befürchten brauchen.
Der Widerwille der Antipathie ist mit dem Gefühle des Mangelhaften und Häßlichen, mit dem Uebelwollen, mit der Verachtung, dem Neide, der Eifersucht, dem Unwillen und Zorne keinesweges einerley, ob wohl er sich leicht mit diesen Empfindungen vermischt. Wir haben oft eine Antipathie gegen dasjenige, was uns weder durch seine innern Mängel, noch durch seine Häßlichkeit beleidigt. Mancher Ehemann ist seiner schönen und vortrefflichen Frau nur darum müde, weil sie ihn zur Sympathie mit ihrer Liebe auffordert, und sich ihm aufdringt. Wir wünschen dem Narren, der uns mit seinen Andringlichkeiten verfolgt, kein Unglück; wir mißgönnen ihm keine Vorzüge; wir fürchten keine Concurrenz zur Erlangung einerley Zwecks mit ihm; wir zürnen nicht so wohl auf ihn, als wir über ihn lachen; aber wir finden ihn unerträglich, und freuen uns herzlich, wenn wir seiner Gegenwart und der Vorstellung der Aehnlichkeit seines Wesens und seines Zustandes mit dem unsrigen los sind.
Viertes Kapitel.
Was der Liebe für Wollust und Wonne der Sympathie genommen, in Beziehung auf das fortwährende und gestillte Bedürfniß dieser Sympathie entgegensteht. Mitleiden.
Liebe ist Wollust und Wonne der Sympathie. Mitleiden kann folglich nie Liebe seyn. Es setzt eine Unlust zum Voraus, die wir dadurch empfinden, daß wir uns in den unangenehmen Zustand eines andern hineinversetzt haben.
Leiden wir auf eine uns widerliche Art mit; werden wir dadurch aufgefordert, auf alle mögliche Weise uns der Sympathie zu erwehren; so gehört die Unlust des Mitleidens der Antipathie, und das Gefühl, daß uns die Erwehrung gelungen ist, daß wir wieder ruhig sind, ist die Zufriedenheit der antipathetischen Triebe.
Ueberlassen wir uns aber der Wirksamkeit unsers Versetzungsvermögens, ob wir gleich zur Unlust dadurch gereitzt werden, so gehört die Empfindung allerdings der Sympathie; aber sie ist eine Versagung ihres Hanges, mithin keine Lust und auch keine Liebe. Wir empfinden nur das Bedürfniß, mit dem andern in den Ruhestand des Lebens zurückzukehren.
Zeigt sich Hoffnung für das fremde, uns assimilierte Wesen; oder tritt eine wahre Erleichterung seines Zustandes ein; so empfinden wir die Lust des bloßen Harrens, oder das Genügen des Bedürfnisses sympathetisch mit: ja, kehrt der andere völlig in den Ruhestand des Lebens zurück; so fühlen wir sogar die Zufriedenheit der Sympathie. Aber noch immer keine Liebe. Diese tritt erst dann ein, wenn wir in den Zustand der Ausgelassenheit [285] des Lebens gerathen, weil wir diese an dem andern wahrnehmen.
Mitleiden, für Mitempfindung eines fremden Bedürfnisses genommen, ist daher nie Liebe: und selbst die Mitempfindung der Stillung eines fremdem Bedürfnisses, die nur zugleich das Bedürfniß unserer Sympathie stillt, ist nicht Liebe.
Fünftes Kapitel.
Was sich der Liebe als Inbegriff der annähernden und erhaltenden Triebe, in Beziehung auf die abstoßenden und zerstörenden entgegenstellt. Ungeselligkeit und Uebelwollen:
Unter unsern Trieben giebt es einige, die uns zur Annäherung an die Gegenstände, mit denen wir ins Verhältniß kommen, auffordern: andere, welche uns reitzen, diese Gegenstände abzustoßen. Aber selbst unter den annähernden giebt es einige, die uns nur darum mit den Gegenständen in nähere Verbindung bringen, um sie zu zerstören, oder wenigstens herabzuwürdigen.
Liebe ist Wonne der Geselligkeit, mithin Wonne eines Hanges nach Annäherung an die Gegenstände, mit denen wir ins Verhältniß kommen. Sie setzt außerdem Erhaltung dieser Gegenstände als nothwendige Bedingung zum Voraus. Alle Ungeselligkeit, alles Zurückziehen, alles eigennützige Besitznehmen mit Vernachlässigung der Selbstständigkeit des fremden Wesens, noch mehr aber alles Uebelwollen, ist der Liebe in dieser Bedeutung entgegengesetzt. Dahin gehört Rachgier, Neid, Eifersucht, Schadenfreude, Unwille, Zorn; es gehört aber auch [286] dahin der grobe Eigennutz, der Trieb nach Alleinseyn und die Menschenscheue.
Sechstes Kapitel.
Was sich der Liebe, als wonnevollem Streben nach der Beglückung anderer Menschen um ihrer selbst willen, entgegenstellt. Wonne des Beschauungshanges, der feineren Selbstheit und der gröberen Sympathie.
Bis jetzt habe ich diejenigen Empfindungen kurz berührt, die der Liebe dergestalt entgegen stehen, daß eine Verwechselung mit ihr nicht leicht zu erwarten ist. Aber ich komme nun zu einigen andern, die viel schwerer von ihr abgesondert werden. Dieß sind die Wonnegefühle des Beschauungshanges, der feinern Selbstheit und der gröbern Sympathie.
Ich will diese Empfindungen im Einzelnen etwas näher angeben und prüfen.
Siebentes Kapitel.
Absonderung des liebenden Affekts von feinerer Selbstheit; vom Wohlwollen und von der Wohlthätigkeit aus Hoffnung auf Vergeltung, aus Pflicht und Dankbarkeit.
Wer wirklich andern Menschen wohl will und ihnen wohlthut, handelt darum nicht unbedingt aus Liebe. Ohne von jenem grob Eigennützigen zu reden, der wohlthut, um dafür Wiedervergeltung, es sey durch Gegendienste oder bare Bezahlung, zu erhalten: oder von jenem [287] andern, der seiner Wohlthätigkeit wegen bewundert, geliebkoset seyn will; so giebt es Menschen, die ein unmittelbares Vergnügen an dem Gefühle ihrer eigenen Thätigkeit haben, nur darum gern hegen, pflegen, rathen, trösten und aufrichten, mithin die Belohnung ihrer Wohlthätigkeit in dem Gefühle der erhöheten Wirksamkeit ihrer Kräfte finden. Wie sollten Menschen dieser Art lieben? Sie sehen ihre Mitmenschen lieber krank als gesund, lieber traurig als froh, und empfinden Wonne nach der Maße, worin die Lagen und Verhältnisse derjenigen, für welche sie sich interessieren, verwickelt sind, und ihnen mehr Hindernisse zu überwinden, mehr Schwierigkeiten zu heben darbieten. Sie gleichen den Wundärzten, die sich über einen schlimmen Schaden an dem Körper ihres Patienten freuen, weil er ihre Aufmerksamkeit mehr spannt, und ihnen ein erhöhetes Gefühl ihrer Geschicklichkeit bey Ueberwindung großer Hindernisse einflößt.
Wer so handelt, der treibt Tausch mit Thaten, die nur in ihren Folgen mit den Wirkungen der Liebe Aehnlichkeit haben, gegen selbstische Wonnegefühle. Und sollte Jemand wohlthun, weil er in einem künftigen Leben erst Wiedervergeltung seiner Wohlthätigkeit erwartet; der liebt nicht, der empfindet keine unmittelbare Wonne am Wohl seiner Nebenmenschen.
Oft versteckt sich die Selbstheit noch feiner. Mancher trägt, indem er wohlthut, dem einzelnen Mitgliede der Gesellschaft die Schuld ab, die er gegen die Gesellschaft im Ganzen auf sich geladen hat. Sie ernährt, sie beschützt ihn; ihr verdankt er es, mit Sicherheit und Bequemlichkeit froh seyn zu können. Was ist gerechter und billiger, als daß er andere wieder froh und zufrieden mache? Vortrefflich! Höchst verdienstlich! Aber das [288] Wohlwollen, wozu ich mich durch solche Betrachtungen erst auffordern lasse, ist, so verdienstlich es an sich seyn mag, keine Liebe. Das Allmosen, welches ich monatlich in die Armenbüchse werfe, weil ich mir sage: du bist Mitbürger! kommt nicht aus dem Herzen, das mit Heinrich dem Vierten über den Bauern Wonne empfindet, der alle Sonntage sein Huhn in der Suppe haben kann.
Und wenn es auch Achtung für die Harmonie meines Charakters, oder für mein eigenes sittliches Gesetz ist, die mich zwingt, wohlzuwollen und wohlzuthun; wenn ich, ohne natürliche Anlage zur Wonne an dem Glück meiner Mitgeschöpfe, sie dennoch gern froh und zufrieden wüßte, und gern dazu beytrüge, weil ich mir sagte: es ist Recht! – es wäre sehr verdienstlich, verdienstlicher vielleicht, als wenn es unaufgefordert geschähe; aber Liebe wäre es doch nicht.
Strebe ich nun gar nach Wohlthätigkeit, um mir sagen zu können: ich that’s, das konnte ich, ich bin doch eine liebende Seele! – so habe ich so wenig Anspruch auf Liebe als auf moralische Würde.
Auch Dankbarkeit ist nicht Liebe, sobald ich durch die Rücksicht auf mich, der ich empfangen habe, wohlwill und wohlthue. Oft ist sie Folge des Gefühls der Bürde, welche mir die Wohlthat auflegt, oft des Gefühls von Pflicht, von Gerechtigkeit, von Achtung für uns selbst und andere. Mehrerer gröberer und feinerer Entstehungsarten zu geschweigen! Liebe setzt unaufgeforderte Wonne am Wohlwollen und Wohlthun zum Voraus.
Achtes Kapitel.
Absonderung des liebenden Affekts von den Aeußerungen der unthätigen Unschädlichkeit und Wohlerzogenheit.
Wenn ich nicht zerstöre, nicht herabwürdige, die Menschen neben mir gehen lasse wie sie sind, so kann dieß Betragen der Liebe nicht angehören. Ich empfinde kein affektvolles Streben, ihnen wohlzuthun, in meiner Seele. Die unthätige Unschädlichkeit ist nicht Liebe.
Wenn ich aber auch gefällig, dienstfertig, zuvorkommend in meinem geselligen Betragen bin, aber bloß aus Angewöhnung, Folge einer guten Erziehung; so ist dieß nicht Liebe. Das Herz nimmt keinen Antheil daran; kaum daß die Seele etwas dabey denkt.
Gemeiniglich scheinen diese unschuldigen, äußerlich verbindlichen Menschen bloß darum liebend, weil ihre Neigungen sich in einem Kreise herumdrehen, den wenig andere durchkreuzen! Aber wehe demjenigen, der wirklich mit ihrem Eigennutze in Collision kommt! Er wird bald die Wirkungen ihres Neides und kleinlichen Hasses fühlen!
Neuntes Kapitel.
Absonderung des Vollkommenheits- und Schönheitsgefühls von der Liebe.
Die Aufwallungen des Beschauungshanges sind bereits im ersten Buche dieses Werks von der Liebe abgesondert worden. Man darf hier nur daran erinnern. Alle Wonne am Vortrefflichen, Vollständigen, [290] Vollkommnen, Seltenen, u. s. w. ist unthätig; begnügt sich zu wissen, daß der Gegenstand die ihm eigenthümlichen Vorzüge besitze, sucht aber nicht, sich ihm weiter zu nähern, oder gar zu seiner Selbstzufriedenheit beyzutragen. Liebe hingegen setzt unmittelbare Verbindung mit dem Gegenstande, der sie erweckt, voraus, und zwar durch thätiges Bestreben, seine Selbstzufriedenheit zu vermehren.
Das Unbeseelte, längst Verstorbene, unsern persönlichen Verhältnissen weit Entrückte, kann Beschauungswonne erwecken. Liebe hegen wir nur für den Menschen, den Zeit und Raum mit uns so nahe verbinden, daß wir etwas zu seinem Wohl beytragen zu können glauben mögen.
Zehntes Kapitel.
In wie fern Achtung ein liebender Affekt sey?
Die Vielbedeutung des Worts Achtung hat schon zu vielen Mißverständnissen Anlaß gegeben; es ist wohl der Mühe werth, den Sinn näher zu entwickeln.
Nothwendig muß man verschiedene Arten von Gesinnungen, welche um ähnlicher Aeußerungen willen mit einerley Nahmen belegt werden, von einander [unterscheiden]. Man beträgt sich oft, als ob man aus Achtung handelte, und achtet darum doch nicht.
Unterwürfigkeit, Unterwerfung, (Soumission) ist weder Achtung noch Liebe. Sie wirkt nur Achtsamkeit, Obacht. Ich unterwerfe mich demjenigen, was durch seine Kraft mir zu schaden mich unterjocht, und die Wirksamkeit meiner innern Triebe, [291] mich zu widersetzen, zu beleidigen, mich unbefangen gehen zu lassen, zurückhält. So unterwerfe ich mich den gefährlichen Naturkräften, dem schädlichen aber mächtigen Bösewicht, und dem Strafgesetze. Diese Unterwerfung läßt sich ohne Abbruch für unsere Selbstliebe nicht denken. Sie verlangt durchaus die Unterdrückung der freyen Wirksamkeit vieler Lieblingstriebe, und besonders desjenigen, sich unabhängig zu fühlen. – Nach dieser Erklärung wird wohl kein Zweifel übrig bleiben, daß eine solche reine Unterwürfigkeit weder Achtung noch Liebe sey. Sie beruht auf Zwang, und das Vergnügen, welches damit verbunden seyn kann, die Gunst des gefährlichen Obern gewonnen zu haben, ist allemahl nur eine genügende Lust am gestillten Bedürfnisse, mithin nicht einmahl Wonne. Könnten wir den Gönner dieser Art entbehren, wir würden uns keinen Augenblick bedenken, uns seinem Ansehn über uns zu entziehen. Der Wilde, der seinen Gott als ein bösartiges Wesen anbetet, hat folglich für ihn so wenig Achtung als Liebe.
Von Werth halten, fühlen, daß Jemand uns etwas oder viel werth sey, aber nur uns, andern wenig oder nichts; – heißt gleichfalls weder lieben noch achten. Diese Gesinnung habe ich für das bloß Nützliche, für dasjenige, was mir als Mittel zur Ausführung meiner persönlichen Plane und Absichten dienen kann. Der Gegenstand, welcher diesen Werth für mich hat, befriedigt entweder bloße Bedürfnisse der Selbstheit, oder giebt doch nur eigennützige Wonne. Der Tyrann, der den Meuchelmörder etwas oder viel werth hält, weil er dazu dient, ihm den ungestörten Besitz seiner Gewalt zu sichern, hegt gewiß keine Liebe und keine Achtung für ihn.
[292]Von diesen beyden Gesinnungen sind diejenigen, welche das allgemein Schätzungswerthe, und noch mehr das Verehrungswürdige einflößen, Schätzung und Verehrung, sehr verschieden.
Schätzen, achten, heißt im allgemeinen so viel, als: anschlagen, welchen Werth ein Gegenstand nicht für mich allein, sondern für die ganze Gesellschaft, zu der ich gehöre, in sicherer, dauernder, ausgebreiteter Maße haben kann. Es heißt so viel, als: einen gangbaren Preis auf eine Sache setzen, diesen Preis für etwas bestimmen. In dieser Bedeutung nimmt man Achtsleute, Wardierer, (Aestumatores, Taxatores,) und ihre Bestimmung nennt man schätzen, wardieren, werthachten.
Um dieß mit irgend einiger Zuverlässigkeit thun zu können, muß auf zweyerley Rücksicht genommen werden: auf die innere Bonität, den Gehalt der Dinge, ihre Nutzbarkeit, – und auf die mehr zufällige, aber doch immer einer gewissen Dauer fähige Anwendung ihrer Nutzbarkeit zum aktuellen Gebrauche auf ihr Nützlichseyn oder ihre Nützlichkeit. – Dieß paßt auf Münzen, Früchte, Grundstücke, Mobilien, u. s. w. Ein Gegenstand, dem man keinen innern Gehalt beylegen kann, und bey der Anwendung stündlich abwechselnde Verhältnisse beylegen muß, ist gar keiner Schätzung fähig, und hat keinen gangbaren Preis.
Schon hier zeigt sich der rohe Begriff des Unterschiedes zwischen innerer und äußerer Zweckmäßigkeit, indem die erste, der innere Gehalt, die Sache nur überhaupt fähig macht nützlich zu seyn; die letzte, die Beschaffenheit der äußern Verhältnisse, diese Fähigkeit zur aktuellen Wirksamkeit, oder zur [293] Anwendung des Nützlichseyns bringt. So kann z. B. ein Grundstück vermöge der Güte seiner Erdart fähig seyn, die besten Früchte in großer Quantität hervorzubringen, es ist folglich sehr nutzbar; weil aber weder die Consumption, noch der Verkehr in der Gegend seiner Lage groß ist, so werden die Früchte in keinem hohen Preise stehen, und nicht vortheilhaft gebraucht werden können; mithin wird auch das Grundstück nicht sehr nützlich seyn.
Indem der Mensch einer Schätzung unterworfen wird, kann er eben so wie das Grundstück, ohne alle Rücksicht auf seine sich selbst bestimmende Vernunft, bloß als ein Werk der Natur betrachtet werden. Man kann alsdann bey Bestimmung des gangbaren Preises, den man ihm beylegt, auf die Vollständigkeit und Vortrefflichkeit seiner Anlagen, auf seine Nutzbarkeit, und auf die aktuellen Folgen seiner Wirksamkeit zum Nutzen des menschlichen Geschlechts, auf sein Nützlichseyn, seine Nützlichkeit, zu gleicher Zeit Rücksicht nehmen, und ihm einen schätzbaren Werth beylegen, ohne ihn deswegen zu einem Gegenstande der Verehrung, zu einem achtungswürdigen Gegenstande zu machen.
Diese letzte Gesinnung, die Achtung, hängt davon ab, daß wir sehen, der Mensch hat als ein vernünftiges Wesen sich zur innern Vollständigkeit und Vortrefflichkeit, (zu seiner Nutzbarkeit für alle vernünftige Wesen,) und zur fertigen und zweckmäßigen Anwendung seiner Anlagen, (zum wirklichen Nützlichseyn für alle vernünftige Wesen,) selbst bestimmt und ausgebildet.
Laßt uns zuerst von der Schätzung des Menschen, von dem Gefühle: er hat einen schätzbaren Werth, reden. Ich schätze den Menschen, der bey [294] den gehörigen Anlagen, der Gesellschaft nützlich zu seyn, ihr wirklich nützlich wird, indem er irgend einem physischen oder geistigen Bedürfnisse (sollte es auch nur das seyn, den Menschen vollständig und zweckmäßig zu finden,) abhilft; oder irgend einen physischen und geistigen Trieb, (sollte es auch nur der nach Vollkommenheit, nach dem Außerordentlichen und Seltenen seyn,) in ungewöhnlicher Maße begünstigt. Ob er davon Verdienst habe, ob er dadurch an moralischer Würde gewinne, darauf nehme ich bey der bloßen Schätzung keine Rücksicht. Genug, daß die Gattung, daß die Gesellschaft davon dauernden, sichern Vortheil hat. So ist denn der Mensch mit einem ausgezeichnet schönen Körper, mit einer ausgezeichnet fähigen Seele, ob er gleich zur Ausbildung beyder nichts beygetragen hat, zwar nicht achtungswürdig, aber er hat doch einen schätzbaren Werth, weil die ganze Gattung sich dauernd an ihm vergnügt oder ergetzt. So haben der brave Soldat, der fleißige Richter, die emsige Hausfrau einen schätzbaren Werth, wenn sie sich gleich nicht viel über das Gewöhnliche erheben, bloß den Trieben ihrer Natur folgen, und sich durch keine Selbstbestimmung zur Nutzbarkeit gefertigt, oder der Nützlichkeit gewidmet haben.
Dieß Gefühl, daß ein Wesen einen schätzbaren Werth habe, wird dann auch auf leblose Geschöpfe, auf Naturerscheinungen, auf Anstalten, Maschinen, Kunstwerke, u. s. w. übertragen, ja, auf allgemeine Maximen, Anleitungen, Recepte, u. s. w. Alle diese Dinge haben kein Verdienst und keine Würde. Aber sie haben einen schätzbaren Werth. Sie sind einer innern Bonität, eines innern Gehalts, einer Nutzbarkeit, einer dauernden Bestimmung ihrer Anwendung zum wirklichen Gebrauch, [295] einer äußern Nützlichkeit fähig; und nach beyden wird die Prüfung angestellt, ob sie für die Gesellschaft im Ganzen dauernd nutzbar und nützlich seyn können. Wo dieß der Fall ist, da entsteht das Gefühl der Schätzung.
Bleiben wir hier zuerst stehen! In wie fern ist diese Schätzung Liebe? In so fern ich wonnevoll strebe, daß das schätzbare Wesen sich durch den schätzbaren Werth, den es vor den Augen anderer hat, glücklich fühle! Diese Empfindung kann mir also bloß der Mensch einflößen; denn alles Uebrige hat kein Bewußtseyn seiner Selbstzufriedenheit; mithin gehört die Schätzung, welche ich der Maschine, dem Kunstwerke, der Naturerscheinung widme, schlechterdings entweder dem Beschauungshange oder der Selbstheit.
Aber nicht jede Schätzung, welche mir auch der Mensch einflößt, gehört darum der Liebe. Die Selbstheit, der Beschauungshang, können sich dieser Gesinnung eben so wohl bemeistern, als das Herz. Oft ist die Schätzung des Menschen auch gar keine Wonne, sondern eine bloß genügende Lust am befriedigten Bedürfnisse. Es giebt mehrere Bestimmungen in der Welt, welche ich äußerst nützlich finde, und deren Ausfüllung mich doch bey der Vorstellung des Menschen, der sie übernommen hat, gar nicht mit Wonne rührt. Der Richter z. B. der seine Zeit der Untersuchung von Privatstreitigkeiten widmet, wird sehr geschätzt werden können, ohne uns ein Wonnegefühl bey dieser Gesinnung einzuflößen, weil seine Bestimmung zu wenig Reitz für die Phantasie hat, und das Vergnügen bloß von der Ueberlegung abhängt, daß seine Arbeit die Sicherheit des Lebens und des Eigenthums in der Gesellschaft gründet. Sehr oft müssen bey dieser Schätzung sogar mehrere unserer Lieblingsneigungen [296] vorher unterjocht, sie muß uns oft abgezwungen werden. So schätzt der Schüler Leibnitzens einen Kant, der Oestreicher einen Friederich, der eifrige Catholik einen Luther, ein Hofcavalier einen arbeitsamen Bauern, u. s. w.
Wenn wir aber auch die Schätzung mit Wonne empfinden, so kann diese Wonne zuweilen ganz eigennützig seyn, indem wir nehmlich die Folgen derselben ganz besonders auf unsere Person beziehen, und unsern gröberen oder feineren Eigennutz dadurch geschmeichelt fühlen. Die Bewohner eines Landes, welche den geschätzten Mann unter sich besitzen, seine Thätigkeit und seinen Ruf zur Erleichterung ihrer Bedürfnisse, oder zur Begünstigung ihrer Lieblingsneigungen zunächst in ihren wohlthätigen Folgen empfinden, werden gemeiniglich in dieser Lage seyn. Solche eigennützige Wonne empfindet der Preuße bey der Schätzung, die er seinem Friedrich, der Amerikaner bey derjenigen, welche er seinem Franklin zollt. Die ersten Schüler der Stifter von Religions- und wissenschaftlichen Sekten hegen eine gleich eigennützige Schätzung für den Lehrer, mit dem sie sich durch ein engeres Band von der übrigen Menge zugleich auszeichnen.
Eben so kann die Schätzung eine bloße Beschauungswonne enthalten, indem wir uns von dem Menschen, der seinen innern Anlagen und seiner äußern Wirksamkeit nach allgemein nutzbar und nützlich erscheint, isolieren, und ihn aus der Ferne, ohne alle deutliche Beziehung auf uns, bewundern. So schauet der Deist den Werth eines Luthers, der heutige Deutsche den eines Cäsars, der Geschäftsmann den eines Methaphysikers an. Was sind sie ihnen? Nichts, als sehr vollständig, sehr [297] vortrefflich geschaffene Menschen in ihrer Art, die auf das menschliche Geschlecht einen sehr ausgebreiteten nützlichen Einfluß haben mußten und gehabt haben. Das rührt sie mit der Wonne der Beschauung.
Aber auch die Liebe bemeistert sich, wie gesagt, der Schätzung, als eines Akts von Wohlwollen und Wohlthätigkeit, worin sie sich hervorstechend äußert. Wenn wir streben, den Menschen schätzen zu können, weil dieß seine Zufriedenheit mehren muß; wenn wir wirklich bey der Schätzung weniger an das Außerordentliche, Ungewöhnliche, Vollkommene für unsere Phantasie, weniger an eine Zueignung der Vortheile seines Rufs und seiner Wirksamkeit, als an das Glück denken, welches derjenige empfinden muß, der sich schätzbar und geschätzt fühlt; – ja, dann empfinden wir die Wonne der Liebe.
Solche Wonne flößte ein Alexander seinem Parmenio, ein Friederich seinem d’Argens ein. So findet ein berühmter Mann zuweilen, wiewohl selten, eine Geliebte, einen Freund, welche unbekümmert um den Vortheil, den sein Ruf und seine Talente für ihre eigene Person haben können, darin bloß ein Mittel zu der größern Zufriedenheit des Verbündeten sehen.
Nun zur Verehrung, Hochachtung, Achtung im engsten Verstande! Sie setzt mehr wie Schätzung zum Voraus. Diese kann allenfalls das bloße Werk angeborner Anlagen, zufälliger Umstände seyn; aber Verehrung wird allein das vernünftige Wesen einflößen, das sich aus freyem Willen zu einer nutzbaren und nützlichen Kraft für alle vernünftige Wesen bestimmt und gefertigt hat.
[298]Es ist also die überlegte Fertigkeit, allen vernünftigen Wesen nützlich zu seyn; es ist der tugendhafte Charakter, welcher allein einer Würde fähig, und durch diese auf Verehrung berechtigt ist. Die liebenswürdige Schwäche, zu der sich die Gottheiten Griechenlands und der sinnliche Mensch gehen lassen, flößt keine Hochachtung ein, so nutzbar an sich selbst, und so nützlich durch ihre Wirkungen sie auch immer seyn kann. Auch die wohlverstandene Klugheit, mit der ein jeder darum nutzbar und nützlich zu seyn strebt, damit sein Glück von andern befördert werde, ist kein Gegenstand meiner Verehrung. Ich schätze den Instinkt, der sie blindlings zur Ausfüllung ihrer Bestimmung führt; ich schätze die Vernunft, die sich zu ihrem eigenen Nutzen auf eine so glückliche Art für andere bestimmt: aber die Vernunft, welche sich zur Nutzbarkeit und wirklichen Nützlichkeit für alle vernünftige Wesen bestimmt und fertigt, kann ich nicht in ihnen hochachten. Eben diese Empfindung flößen mir diejenigen Menschen ein, welche bloß einer innern Harmonie ihres Charakters nachstreben, und, unbekümmert um ihre gegenwärtigen Verhältnisse, in dem Reiche der Sinnlichkeit, nach Art ägyptischer Mönche, ihr Leben in unthätiger Beschauung zubringen; denn diese Schwärmer streben nur einem Theile der Nutzbarkeit nach, nehmlich der innern Vollkommenheit, welche aus der Uebereinstimmung und Stetigkeit der Gesinnungen fließt, nicht aber der Nutzbarkeit im Ganzen, und ihrer wirklichen Anwendung, dem Nützlichseyn.
Auch derjenige, welcher nützlich seyn will, und nicht die rechten Mittel dazu wählt, ist meiner Hochachtung nicht würdig. Daher kann derjenige Eigensinn, oder derjenige Unverstand, der, unbekümmert um [299] die Folgen, seine allgemeinen Maximen, wenn sie auch ursprünglich auf das Wohl aller vernünftigen Wesen berechnet sind, unbedingt folgt, und dadurch Unheil anrichtet, mir diese Gesinnung nicht einflößen. Der Unmensch, oder der Thor, der, um die Wahrheit zu sprechen, dem zornigen Verfolger den Aufenthalt des fliehenden Mitbruders verräth, ist ein Gegenstand meiner Verachtung oder meines Unmuths.
Aber ich verehre, ich achte denjenigen hoch, der seine Bestimmung, allen vernünftigen Wesen, so weit er sie ahndet, mithin dem höchsten Wesen, sich selbst und seinen Mitmenschen nützlich zu seyn, anerkennt, seinen Charakter im Ganzen die gehörige Richtung dazu zu geben sucht, sich mithin nutzbar macht, und zu gleicher Zeit, bey der Anwendung seiner Fähigkeiten zum Nutzen für das Reich vernünftiger Wesen, die gehörige Aufmerksamkeit auf alle äußere Verhältnisse anwendet, um wirklich nützlich zu seyn. Ein jeder Mensch, er mag von der Natur Anlagen zu dieser Nutzbarkeit und Nützlichkeit haben oder nicht; seine Verhältnisse mögen sie befördern oder nicht; bedarf einer Kenntniß seiner Bestimmung, einer Ausbildung seiner Fähigkeiten, einer anhaltenden Bestrebung zur Wegräumung äußerer Hindernisse. Ein tugendhafter Charakter wird eben so wenig vollständig geboren als ein großer Künstler. Beyde bedürfen einer Kenntniß von dem Zwecke ihrer Kunst, einer überlegten Fertigkeit, einer anhaltenden Sorgsamkeit. Diese ursprüngliche Kenntniß unserer Bestimmung, zur Beförderung des Wohls aller vernünftigen Wesen beyzutragen, diese überlegte Fertigkeit, dieß stete Bestreben, ihnen wirklich nützlich zu seyn, verbunden mit dem wirklichen Gelingen, welches für [300] denjenigen, der es ernsthaft meint, nie ganz ausbleibt; – die sind es, welche den Begriff der Tugend gründen; und Tugend allein hat Anspruch auf Verehrung, auf Hochachtung, auf Achtung im engsten Verstande.
Ach! wie begreiflich ist es, daß Tugend Achtung im engsten Verstande einflößt! was ist so sicher, so ausgebreitet nutzbar und nützlich als sie? Sie allein behält einen immer dauernden Werth!
Diese Achtung flößt nur der tugendhafte Charakter ein, und nur diejenige Gesinnung und Handlung, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit auf diesen Charakter schließen lassen.
Die höchsten Aufopferungen, welche nur auf eine vorübergehende Aufwallung von tugendhaften Gefühlen schließen lassen, können bloß Schätzung einflößen.
Hochachtung, Verehrung, Achtung im engsten Sinne, kann nun ebenfalls bald der Selbstheit, bald dem Herzen, bald dem Beschauungshange gehören, bald mit dem Genügen des befriedigten Bedürfnisses, bald mit Wonne empfunden werden. Zeigt sich ein tugendhafter Charakter in gewöhnlichen Lagen, so wird er selten eine so starke Wirkung auf meine Einbildungskraft machen, daß eine lebhaftere Reitzung zum Vergnügen mit einem lebhafteren Bilde bey mir erweckt werden sollte. Ich lasse es mir bloß gefallen, den Trieb, den ich hege, den Menschen seiner Bestimmung zur allgemeinen Nützlichkeit für alle vernünftige Wesen eingedenk zu finden, nothdürftig begünstigt, und nicht beleidigt zu fühlen. Ja, ich kann mich zuweilen, wenn die Tugend meinen Lieblingsneigungen entgegen ist, erst durch Ueberlegung ihrer guten Folgen für das Ganze der Gesellschaft zur Hochachtung zwingen müssen. Liegt [301] aber in meinem Herzen kein Hinderniß, die Schönheit des tugendhaften Charakters anzuerkennen, und erscheint er mir dann in einer ungewöhnlichen Lage; bemerke ich an dem Menschen eine große Ueberwindung seiner Sinnlichkeit, eine außerordentliche Thätigkeit und Haltsamkeit im Guten; so entsteht bey mir ein lebhafteres Bild seines verehrungswürdigen Charakters, und die angenehme Reitzung, welche es begleitet, wird zur Wonne.
Diese Wonne kann ihren Grund darin haben, daß ich den tugendhaften Charakter in seiner Beziehung auf mein vernünftiges Wesen besonders betrachte. – Mich hat er gebildet, mir hat er Vertrauen zur Tugend und zu meinen Kräften eingeflößt, mich hat er angenehm erschüttert, mich und meine Mitgeschöpfe hat er mit weisen Lehren und Anstalten versehen; – alsdann ist die Verehrung eigennützig, und so kann sie ein Zögling, ein Unterthan, ein Sohn, ein Sektierer, für einen Fenelon, für einen Rochow, für einen Heinrich, für einen Alworthy, für einen Frank oder Spener empfinden!
Erhalte ich aber die Verehrung mit dem Zusatze der Wonne, den Menschen, der sie verdient, dadurch so glücklich zu wissen; suche ich ihn verehrungswürdig zu machen, um sein Glück zu vermehren; so ist Verehrung Wonne der Liebe. Und so verehrte liebend ein Johannes seinen außerordentlichen Lehrer, ein Agathon seinen Sokrates!
Begnüge ich mich endlich, den verehrungswürdigen Menschen aus der Ferne anzustaunen; – ist der Antheil, den ich an der Ruhe und Zufriedenheit nehme, welche er durch seine Tugend genießt, keine herrschende Empfindung in meiner Seele; fühle ich kein Bestreben, mich ihm zu nähern und mitzuwirken, damit er den Genuß [302] seiner Würdigkeit in voller Maße einernte; so empfinde ich die Wonne der Verehrung wie eine bloße Beschauung. So staunen die meisten Menschen einen Cato oder Regulus an!
Hieraus ergiebt sich nun, in wie fern Achtung mit Liebe zusammengehe, und in wie fern nicht.
Unterwürfigkeit ist nie Liebe: das Werth für sich halten, ist nie Liebe: hingegen können Schätzung und Verehrung alsdann Liebe seyn, wenn wir sie mit dem wonnevollen Bestreben einnehmen, daß der Mensch durch den allgemeinen schätzbaren Werth, den er an sich trägt, und durch seine innere Würde glücklich und zufrieden mit sich selbst sey.
Eilftes Kapitel.
Absonderung der bloßen sympathetischen Aneignung und Mitempfindung, so wie der wonnevollen Beschauung des fremden Glücks, von dem liebenden Affekte.
Liebe setzt nothwendig die Ueberzeugung von der Selbstzufriedenheit eines andern Menschen, als endlichen Grund unsers wonnevollen Strebens nach der Beförderung seines Glücks zum Voraus. Wer also muntere, heitere, selbstzufriedene Menschen in der Absicht aufsucht, von ihrer Freude angesteckt zu werden, sich durch die Form des Frohsinns zur Freude einladen zu lassen; der betrachtet andere Menschen bloß als Mittel, als Instrumente, als Gaukler; der handelt ganz eigennützig. Dieß ist schon im ersten Buche bemerkt worden.
Wer aber auch diese Absicht, sich fremde Wonne zuzueignen, nicht hegt, aber ihren Frohsinn, ihre Selbstgenügsamkeit, [303] ihre Glückseligkeit, als bloße Bestandtheile ihrer Vollkommenheit oder ihrer Schönheit mit Lust, aber unthätig anstaunt, liebt nicht, sondern empfindet Anschauungswonne. Die Seligkeit der Götter, wie sie von den Griechen gedacht und empfunden wurde, flößte diesen nicht Liebe, sondern ein unthätiges Vollkommenheits- und Schönheitsgefühl ein.
Endlich ist auch diejenige Theilnahme an anderer Selbstzufriedenheit nicht Liebe, welche ihre Aeußerungen gleichsam physisch sympathetisch in unserer Seele erwecken. Die Selbstzufriedenheit anderer muß uns nicht mittelst dunkler Rührungen, sondern mittelst klarer, wenn gleich nicht deutlicher Vorstellungen, die allein Ueberzeugung wirken können, zur Theilnahme einladen. Wir müssen wissen, was ihnen wohl thut, wie ihrem Glücke nachgeholfen werden könne, welche Gefahren ihm drohen. Nur dann können wir thätig und mit Wonne streben, es zu vermehren und zu bewahren.
Ich kenne Menschen, die sich sehr lebhaft für anderer Wohl zu interessieren scheinen. Aber ihr Interesse gehört ganz ihren Sinnen und nicht dem Herzen. Sie fühlen das fremde Glück ungefähr auf eben die Art, wie ihr Körper die physische Wollust empfindet, welche ihnen durch das Einströmen der Wärme des angenäherten Körpers zugeführt wird. Worte und Mienen des glücklichen Menschen, bloß die Formen der Selbstzufriedenheit, machen sie glücklich, nicht die Ueberzeugung von seiner innern Empfindung. Wir schlagen die Lache der Verzweiflung auf, und sie lachen mit aus Freude. Wir vergießen vor Freude Thränen, und sie weinen mit vor Betrübniß. Sie errathen nicht unsere Wünsche, als bis wir sie ihnen sagen; sie arbeiten [304] nicht für uns, als bis und so lange sie uns streben sehen. Ich habe einen Richter gekannt, der die Menschen mit dem kältesten Blute zum Tode verdammte, wenn der Advocat die Gründe ihrer Unschuld kalt vorgetragen hatte, und der sie absolvierte, wenn die Vertheidigungsschrift des offenbar Schuldigen beweglich lautete. Menschen dieser Art können bey dieser Weichheit die allergröbsten Egoisten seyn. Denn sobald ihr Eigennutz zur deutlichen Vorstellung wird, – welches der häufigere Fall ist, – so unterdrückt er leicht jene schwächeren Rührungen einer beynahe physisch empfundenen Seelensympathie.
Liebe ist also mehr als bloße Weichheit. Sie ist freylich Wonne, Begünstigung der Sinnlichkeit der Seele, unwillkührlicher, unerzwungener Affekt, und darin ähnelt sie der bloßen Weichheit. Aber sie unterscheidet sich dadurch von dieser, daß sie Ueberzeugung von dem Glück anderer Menschen voraussetzt, nicht bloße dunkle Rührungen, Folge der wahrgenommenen Formen, der Selbstzufriedenheit. Das bloße Mitlachen, weil andere lachen, kann auch darum nicht für Liebe gelten, weil es so leicht in ein bloßes unthätiges Anschauen, oder in eine eigennützige Zueignung fremder Wonne übergeht. Der Mensch, als selbstbestehendes Wesen, wird dabey nicht geachtet, sondern nur das Bild der Freude, das seine Aeußerungen darbieten.
Inzwischen ist diese Weichheit immer eine gute Grundlage zu einem Herzen, welches durch Ausbildung wirklich liebend werden kann.
Zwölftes Kapitel.
Absonderung der Aufwallung der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen von dem liebenden Affekte.
Wer ist so verworfen, die vorübergehende Ueppigkeit oder Lüsternheit, welche ihm ein weiblicher Körper einflößt, für Liebe zu halten! Wer so ausgeartet, daß er behaupte: es liebe der Trunkenbold, der am Ende seiner Schwelgerey den unnennbaren Trieb bey der Tochter der Nacht befriedigt, die sein Auge nie sah, nie wieder sehen wird! Ha! so behauptet auch, es liebe jenes Thier, das man an Gestalt und Neigungen so gern zum Menschen herauf heben möchte, um sich selbst seiner Niedrigkeit weniger zu schämen; jene Affenart, welche, der Sage nach, unglückliche Mädchen hascht, sie zu ekelhaften Umarmungen zwingt, und dann mit mörderischem Zahne zerfleischt!
Aber auch die üppige Aufwallung der Seele, welche sie empfindet, wenn der Trieb nach Häuslichkeit bey ihr aufgeregt wird, wenn sie weich und zuvorkommend um den geselligen Beyfall des andern Geschlechts buhlt, nach dem Stolze des Besitzes der Person ringt; ja, selbst die Begeisterung für die Vorzüge einer Person vom andern Geschlechte, sind von der Liebe sehr verschieden. Verschieden ist gleichfalls von ihr die Aufwallung der Sympathie mit dem Gleichartigen.
Wer nur darum seinem Wesen das Geschlechtsähnliche eines andern anarten will, um sich stärker oder zärter zu fühlen; wer sich nur darum das Geschlechtsverschiedene eines andern Wesens angatten will, um sich [306] im Zustande gezärtelter Spannung zu fühlen, unbekümmert um des Andern Zufriedenheit und Wohl; – der liebt nicht, der handelt ganz selbstisch. Wie mag der Stutzer, wie mag das gefallsüchtige Mädchen, die nur auf Befriedigung ihrer üppigen Eitelkeit ausgehen; wie mag der verzärtelte Alte, dem nur unter dem Geschwätz tändelnder Weiber wohl ist; wie mag der leichtsinnige Phantast, der in jeder Schönen eine Göttin anbetet; wie mögen alle diese ihren Aufwallungen von Geschlechtssympathie den Nahmen der Liebe beylegen? Wenn der Jagdliebhaber in dem Fremdlinge den rüstigen Jagdgefährten; der Gelehrte, der Kunstliebhaber, in dem Durchreisenden den Mann von gleichen Kenntnissen und Geschmack; das geschwätzige Weib in der neuen Bekanntin das willige Ohr und die geläufige Zunge gern haben, und sich zu diesen Personen hingezogen fühlen; wird man diese Aufwallungen der Sympathie mit dem Gleichartigen Liebe nennen wollen? Nein! damit die Wirksamkeit der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen für Liebe gelten könne, muß das Streben hinzutreten, den Mitmenschen durch Befriedigung dieser Triebe, die wir bey ihm so wohl, als bey uns voraussetzen, zu beglücken. Inzwischen so viel ist gewiß: beyde Anlagen unsers Wesens sind äußerst geschickt, liebende Affekte hervorzurufen. Denn da die Erweckung der Geschlechtssympathie so wohl als der Sympathie mit dem Gleichartigen auf dem Gefühle eines Wohlverhältnisses unserer Naturen beruhet; so rechnen wir darauf, daß der Mensch, von dem wir die Befriedigung derselben erwarten, sich in einer gleichen Lage gegen uns befinden werde; und da diese Befriedigung nie vollständiger ist, als wenn die Wonne, welche wir erwecken, in uns zurückströmt; [307] so ist es schon der kluge Wunsch unsers Eigennutzes, daß das Wesen, mit dem wir uns in Verbindung setzen, unsere Zufriedenheit theile. Dazu gesellt sich die Eitelkeit, zu wissen, daß wir es sind, die so unmittelbar beglücken. Daher ist die Aeußerung der Sympathie mit dem Gleichartigen, und besonders der Geschlechtssympathie des Körpers und der Seele, ohne an und für sich Liebe zu seyn, der Regel nach mit Liebe verknüpft. Und dieß giebt wahrscheinlich zu der häufigen Verwechselung beyder mit einander Veranlassung.
Dreyzehntes Kapitel.
Harte Behandlung zur Beförderung des Glücks eines andern ist, als einzelner Akt betrachtet, nicht Liebe.
Gewisse Handlungen thun dem Menschen weh, gegen den sie unternommen werden, bezielen aber sein Glück in der Folge. Ein solcher Akt kann, als Form eines einzelnen Affekts, nie für Liebe genommen werden. Denn in dem Augenblicke, worin wir den andern quälen, um ihn dereinst zu beglücken, werden wir gewiß keine Wonne empfinden. Es geschieht vielmehr aus Bedürfniß, aus Ueberlegung, und die Handlung kann folglich nur der Vernunft, nicht dem Herzen unmittelbar angehören. Sie kann in die liebende Anhänglichkeit passen, und ein Ingredienz der Liebe in dieser Bedeutung seyn; aber eine einzelne liebende Aufwallung kann nicht dabey zum Grunde liegen. Allein auch in so fern die Härte mit der anhaltenden liebenden Stimmung in Beziehung auf eine bestimmte Person harmonieren soll, kommt alles darauf an: ob wirklich unsre Absicht dahin geht, daß der [308] Mensch mit der Zeit sich selbst glücklich fühlen solle. Nie wird es mit der Liebe übereinstimmen, wenn wir ohne Rücksicht darauf, ob der Mensch in einiger Zeit das ihm bereitete Glück zu fühlen im Stande seyn werde oder nicht, ihn nach unsern Begriffen beseligen, und nach den seinigen quälen wollen. Wir müssen bey einem anscheinend übelwollenden Betragen sichere Rechnung darauf machen können, daß er, so wie wir ihn für eine selbstständige Person erkennen, die Folgen unserer gegenwärtigen Härte bald wohlthätig für sich selbst empfinden werde. Wer sein Kind für Unarten straft, kann darauf rechnen, daß es ihm als erwachsener Mensch dafür danken werde, und diese harte Behandlung, wenn sie gleich an sich nicht die Form einer einzelnen liebenden Aufwallung ist, gehört doch zur liebenden Anhänglichkeit. Wer aber sein Kind verstümmelt, um es vor Versuchungen des Lasters zu bewahren, kann auf seinen Dank, als Mensch, nicht rechnen. Wer ein Volk durch Aberglauben und Abgaben niederdrückt, um es vor den Gefahren einer falschen Aufklärung, oder eines übertriebenen Luxus zu bewahren, liebt es eben so wenig, als derjenige, der ohne Rücksicht auf die Sinnlichkeit und Rohheit der Menschen diese nach Gesetzen regiert wissen will, die nur im Reiche vollkommener Geister gelten können. In diesen und ähnlichen Fällen liebt man nicht die selbstständigen Personen, sondern man begehrt nur den Begriff vom höchsten Gut in Anwendung gebracht zu sehen. Vielleicht fällt die Inculpation des Unrechts bey einer solchen Verfahrungsweise weg: aber für liebend kann sie nicht gehalten werden.
Zweyter Abschnitt.
Von dem Entgegengesetzten und dem Aehnlichen der liebenden Anhänglichkeit.
Vierzehntes Kapitel.
Was der Liebe, als Anhänglichkeit betrachtet, in Beziehung auf andre dauernde Verhältnisse unmittelbar entgegen steht: Feindschaft.
Der Liebe, für dauernde angewöhnte Stimmung genommen, steht nicht die einzelne Aufwallung der Unlust, der Gleichgültigkeit, des antipathetischen Widerwillens, der Ungeselligkeit, des Uebelwollens, des Mitleidens, der Wonne der Selbstheit und des Beschauungshanges, kurz, nichts von demjenigen entgegen, was sich der einzelnen liebenden Anhänglichkeit entgegensetzt. Alles dieß, wenn es selten und vorübergehend wirkt, besteht mit der liebenden Anhänglichkeit.
Aber ihre Gegenfüßlerin ist Feindschaft: jene dauernde angewöhnte Stimmung unsers Wesens, übelwollende Affekte gegen eine bestimmte Person zu richten.
In diesem dauernden Verhältnisse prädominieren abneigende, zurückstoßende, herabwürdigende und zerstörende Triebe.
Funfzehntes Kapitel.
Was der liebenden Anhänglichkeit in Beziehung auf andere Anhänglichkeiten entgegen steht; Verbindungen, in denen Eigennutz und Beschauungshang prädominieren.
Es ist im zweyten Buche dieses Werks bereits hinreichend ausgeführt worden, daß Verbindungen, in denen der Eigennutz prädominiert, (z. B. diejenige, die unter Handlungsgenossen Statt findet,) daß andere, in denen der Beschauungshang prädominiert, (z. B. diejenige, die wir etwa für einen Helden des Alterthums empfinden,) nicht liebend sind. Aber viel schwerer ist es, diejenigen Anhänglichkeiten von der Liebe abzusondern, die wirklich Wohlwollen und Wohlthätigkeit zeigen, und den Verbündeten beglücken, ob sie gleich auf feinerer Selbstheit und einem versteckten Beschauungshange beruhen.
Eine Anhänglichkeit, die aus lauter liebenden Affekten besteht, ist ein Unding. Das Uebergewicht dieser letzten über die des Eigennutzes und des Beschauungssinnes bestimmt allein den liebenden Charakter der Verbindung im Ganzen.
Hier ist es nun für den fremden Zuschauer mißlich, die richtige Rechnung zu ziehen, und selbst die verbundenen Personen sind oft zweifelhaft: ob die Verbindung dem Herzen gehöre oder nicht? Das sicherste Merkmahl, daß ihr liebt und geliebt werdet, ist dieß, wenn ihr in Collisionsfällen den Eigennutz und Beschauungshang der Liebe weichen, und euch in den meisten Augenblicken der Dauer eurer Verbindung weniger [311] bewundernd, weniger zueignend und anmaßend, als liebend findet.
Könnt ihr Wonne darüber fühlen, daß euer Freund, eure Geliebte, Ehre und Glücksgüter erlangen, zu denen ihr nichts beytruget, und die ihr nicht theilt; so seyd sicher, daß ihr liebt. Könnt ihr mit eurem Freunde, mit eurer Geliebten Trauer wie Freude tragen, eure Thränen mit den ihrigen mischen; möchtet ihr ihnen eure Leiden entziehen, lieber ihres Trostes entbehren, als sie betrüben; so seyd sicher, daß ihr liebt!
Könnt ihr zurückgestoßen, vergessen, nicht geachtet, getrennt von dem geliebten Gegenstande, und nach dem Verluste seiner Schönheit und seiner Unterhaltung, mit Wonne für sein Wohl streben; – ja, könnt ihr selbst dann, wenn ihr in die traurige Nothwendigkeit versetzt seyd, ihn als treulos zu verachten, dennoch ungesehen und unwillkührlich bey einer Gefahr, die ihm drohet, zittern, und Wonne fühlen, ihm wohl zu thun, ohne ihn zu beschämen; dann seyd sicher, ihr liebt! Ihr gebt nicht Liebe um Liebe; ihr gebt Liebe aus Liebe!
Sechzehntes Kapitel.
Beyspiele einiger Anhänglichkeiten, die nicht liebend sind, ob sie gleich dafür gehalten werden.
Ich will einige der Hauptarten von Anhänglichkeiten angeben, die von den liebenden überhaupt, und besonders von den zärtlichen abgesondert werden müssen.
Wie manches gefallsüchtige Weib hängt sich hauptsächlich darum an ein gutherziges Geschöpf von einem Manne, um an seiner unbedingten Willfahrung aller [312] seiner Launen die Macht seiner Reitze zu erproben? Wie mancher Tyrann verbindet sich nicht mit einer Gattin, hauptsächlich um des wollüstigen Genusses willen, angebetet zu werden? Herrschsucht ist nicht Liebe!
Wie oft äußert sich nicht Zärtlichkeit und Sehnsucht, nur so lange die Gefahr dauert, den verbundenen Gegenstand zu verlieren? Stolz auf den alleinigen Besitz ist nicht Liebe.
Wie oft hängt sich nicht der gebildetere Theil an den roheren, bloß um ihn zu leiten, zu führen, zu erziehen? Bildungsbelustigung ist nicht Liebe!
Wie oft haben Weiber nicht bloß darum einen Liebhaber, weil es merkwürdig macht, einen zu haben; weil der Gatte sie nun verfolgen, die Menge sie nun bedauern wird! Ach! Begierde, interessant zu seyn, ist nicht Liebe!
Wie oft liebt man bloß darum, damit man etwas um die Hand habe, damit man eine Intrigue führen, Hindernisse überwinden könne! Beschäftigungstrieb ist nicht Liebe! –
Wo solche Triebe hervorstechend wirken, da ist keine Liebe vorhanden, sondern Selbstheit! Es ist unbegreiflich, wie fein sich diese auf unsere geselligen Triebe zu impfen, und in ihrem Boden zu parasieren weiß!
Ich habe Weiber gekannt, die den größten Genuß ihrer Verbindung mit Männern darin setzten, daß diese Gesundheit und Munterkeit des Geistes verloren, um sich sagen zu können: er martert sich aus Liebe zu mir zu Tode.
Auch Männern ist es eigen, daß sie nur Hülfsbedürftige lieben, denen sie helfen können, und diesen jeden Vortheil mißgönnen, den ihnen das Schicksal ohne [313] ihr Zuthun gewährt. Sie wollen nicht die Zufriedenheit der Gattin, sie wollen die Aeußerungen ihrer Dankbarkeit, ihrer Abhängigkeit von ihnen: sie wollen den Stolz, sich sagen zu können: ich that’s! Dagegen habe ich einen andern Gatten gekannt, dem nichts schmerzhafter war, als seine Frau nicht immer heiter und froh zu sehen. Er that alles was er konnte, um sie stets zufrieden zu erhalten. Warum? Weil er, selbst zum Mißmuth sehr geneigt, kein anderes Mittel dagegen kannte, als seine tägliche Gesellschafterin immer lachend und gleich heiter zu sehen. Traf sie ein Unfall, verlor sie eine Freundin, einen nahen Anverwandten, so floh er sie. Das Bedürfniß, welches sie empfinden konnte, gerechte Thränen mit den seinigen zu mischen, das kannte er nicht.
Wie viele seines Gleichen hat dieser Mann! wie gewöhnlich ist jetzt der Grundsatz: alles Unangenehme von sich zu entfernen, um des Lebens besser zu genießen! Er schleicht sich sogar in häusliche und Familienverhältnisse ein, und manches Kind wird unwiederbringlich verdorben, weil der Vater die ersten Nachrichten, die ihm von seinen ersten Ausschweifungen gebracht werden, von sich stößt, um unangenehmen Empfindungen auszuweichen. Geht zu solchen Menschen, die ihr Freunde nennt, und klagt ihnen ein Unglück: theilt ihnen eine Besorgniß mit; ihr werdet es sichtlich bemerken, wie unangenehm ihnen die Stimmung ist, welche ihr ihnen mittheilt, wie sehr sie dieser auszuweichen, sie von sich zu entfernen streben. Sie werden euch sagen, daß ihr die Sache übertreibt, daß ihr zu viel Gewicht auf den Grund eures Kummers legt; und wenn ihr aus Bescheidenheit und Unmuth schweigt, so sind sie schon zufrieden. [314] Genug, daß sie nicht mehr davon reden hören!
Giebt es aber nicht wieder andere Menschen, die sich gern unglücklich, krank, traurig fühlen? Allerdings! und zwar theils um gern gehabt, geliebkoset, verzärtelt, gehegt und gepflegt zu werden, theils aber auch um der bloßen üppigen Spannung willen, womit sie die Vorstellung ihres ausgezeichneten Leidens erfüllt. Solche Menschen denken nicht daran, daß der kränkelnde, winselnde Zustand, in dem sie sich befinden, ihren Gatten und Hausgenossen lästig werde. Sie setzen den Genuß der Liebe allein in dem Gefühle, andern viel werth zu seyn, und das Bedürfniß darnach ist so stark bey ihnen, daß sie alle andern Ansprüche ihrer Selbstheit aufopfern, um diesen einzigen zu befriedigen. Sie sind äußerst gefällig, sanft aufmerksam auf alles, was verbinden kann; aber – sie müssen verzogen werden. Oft ziehen sie gar den Zustand einer unglücklichen und unruhigen Liebe dem einer glücklichen und heitern vor. Jene spannt sie, weckt ihre Lebensgeister, erhebt sie vor ihren eigenen Augen, und gewährt ihnen den Reitz, den Verbündeten über sich weinen zu sehen, und sich dann mit ihm zu versöhnen!
Diese Beyspiele mögen hinreichen, die Schlupfwinkel der Selbstheit aufzudecken. Ich setze noch hinzu, was bereits aus meinen Vordersätzen fließt: daß ein Band, welches bloß oder größten Theils auf Achtung, Mitleiden, Dankbarkeit, ja, selbst auf Angewöhnung beruht, noch keine liebende oder gar zärtliche Anhänglichkeit genannt zu werden verdiene.
Die beschauende, eigennützige Schätzung und Verehrung ist allerdings ein Ingredienz jeder zärtlichen [315] Anhänglichkeit. Ich habe es bereits gesagt; ich werde es in der Folge noch weiter darthun. Aber eine Verbindung, worin sie hervorsticht, bringt die Menschen nie sehr eng zusammen. Sehr leicht verwandelt sie sich in Furcht, und beleidigt die Selbstliebe. Sie legt uns die Pflicht auf, uns beständig zu bewachen, um vor dem geschätzten und verehrten Wesen nicht klein und verächtlich zu erscheinen. Dieß hemmt den freyen Lauf unserer Sinnlichkeit, unserer herrschenden Triebe; dieß hindert die Vereinigung der Naturen. Es wird im Ganzen ein zwangvoller Zustand.
Mitleiden ist äußerst geschickt, unser Herz für die Eindrücke der Zärtlichkeit zu erweichen. In Spanien geißelt man sich bey feyerlichen Processionen vor den Augen der Damen, deren Herz man zu gewinnen sucht. Krankheit, Leiden des Körpers und der Seele, werden oft bey uns aus eben dieser Ursach erlogen. Aber so lange man sich noch daran erinnern muß, daß jemand unglücklich sey, um ihm wohl zu wünschen; – so lange empfinden wir keine Anhänglichkeit an seiner Person; wir hängen nur an seiner vorübergehenden Lage.
Dankbarkeit fesselt oft das Herz. Durch Dankbarkeit für unzählige kleine Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten sucht der feinere, durch Dankbarkeit für Befriedigung des gröberen Eigennutzes sucht der rohere Wollüstling die Herzen der Weiber zu gewinnen. Aber welch ein schwaches Band, so lange wir in demjenigen, der uns interessieren will, nur den Ausspender von Wohlthaten sehen! Wir verbinden uns nur mit seiner einzelnen Eigenschaft, nicht mit seiner Person.
Gewohnheit, Angewöhnung, ist ein nothwendiger Bestandtheil zu jeder Anhänglichkeit, und besonders zu [316] der zärtlichen: eines der größten Beförderungsmittel der Liebe. Durch Gewohnheit habe ich Gegenstände, die Anfangs noch so unerträglich waren, angenehm werden sehen. Gewohntes Beysammenseyn giebt eine Menge von kleinen Vereinigungshaken, in welche das Herz am Ende einfaßt.
Der Italiäner nennt süße Gewohnheit eine strenge Nothwendigkeit. Für Menschen, die der Regel nach höchst selbstsüchtig sind, für Alte und Fürsten, ist Gewohnheit noch das stärkste Band, das sie an andere fesselt. Doch! wenn sie nur allein wirkt, wenn sie von keiner andern liebenden Empfindung unterstützt wird; so ist sie eine schwache, höchst zerstörliche, und noch dazu eigennützige Empfindung, welche eine merkliche Collision mit der gröberen Selbstheit, eine Entbehrung, lang genug, um sich an diese zu gewöhnen, endigt und aufhebt. Wir finden am Ende, daß wir nur unsere Bequemlichkeit, und unsere Neigung zu dem Hergebrachten und einmahl Geordneten in unserer Lebensweise, geliebt haben: also, die Beschaffenheit der Person, die Einrichtung mit ihr, nicht einmahl eine persönliche Eigenschaft an ihr; am wenigsten die Person!
Inzwischen sind bloß liebende Affekte gleichfalls nicht hinreichend, zärtliche Anhänglichkeit zu erwecken. Unsere Selbstheit, unser Beschauungshang, müssen nothwendig zugleich Nahrung und Befriedigung finden. Dieß ist im zweyten Buche dieses Werks weitläufig ausgeführt worden, und bedarf hier nur einer Erinnerung. Wer wird behaupten, daß die uninteressierte Wonne, die ich daran finde, einen Unbekannten froh zu machen, daß die liebende Gastfreundschaft eine liebende Anhänglichkeit sey?
Siebzehntes Kapitel.
Absonderung der einzelnen liebenden Aufwallung der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen von den liebenden Anhänglichkeiten, welche aus diesen Trieben fließen.
Eben so ist die Geschlechtszärtlichkeit und die Freundschaft nach meinen vorigen Bestimmungen von dem einzelnen liebenden Affekte zu einer Person von verschiedenem oder ähnlichem Geschlechte zu unterscheiden. Sie setzen Angewöhnung unsers Wesens zu liebenden Affekten dieser Art gegen eine bestimmte Person zum Voraus.
Der Mann, der zufällig ein liebenswürdiges Weib in einer Gesellschaft antrifft, seine Ueppigkeit, seine Lüsternheit der Seele und des Körpers in Aufruhr gesetzt fühlt, mithin den Affekt der Geschlechtssympathie empfindet, kann wahrhaft wünschen, ihr diesen Zustand mitzutheilen, und sie dadurch eben so zu beglücken, als er sich dadurch beglückt fühlt. Er kann von ihr am folgenden Tage zur engsten Vertraulichkeit zugelassen werden, und vielleicht Wochen lang den vollständigen Reitz der Häuslichkeit genießen. Sein Wunsch wird in dieser Zeit dahin gehen können, sie glücklich durch dieß vorübergehende Verhältniß zu wissen, und unstreitig wird dieser Akt in seinem Leben zu den liebenden gehören. Aber gesetzt, er muß weiter reisen; er verläßt das Londoner Mädchen für das Pariser; vergißt in seinen Armen das vorige, und setzt dieß in mehreren Hauptstädten von Europa fort; es wird ihm beynahe zum Bedürfniß, sich in solchen liebenden Rollen zu fühlen; wird, frage ich, der Mann darum zärtliche Anhänglichkeit zu irgend einem von diesen Weibern fühlen? Im geringsten nicht: sein [318] Wesen ist nicht zur Zärtlichkeit für eine bestimmte Person angewöhnt. Er unterscheidet sich von demjenigen, der Empfindungen der allgemeinen Menschenliebe Raum giebt, nur darin, daß dieser die ganze Gattung, er aber die Art, das Geschlecht, liebt. Er möchte alle Schönen beglücken.
Mit der Freundschaft verhält es sich eben so. Wer sie nur empfindet, so lange er den Freund sieht, und ihn leicht mit einem andern vertauscht, der kann auf Zärtlichkeit keinen Anspruch machen.
Achtzehntes Kapitel.
Absonderung der liebenden Anhänglichkeit vom Partheygeiste.
Es ist ein feiner aber höchst wahrer Unterschied zwischen der Liebe in der engsten Bedeutung und dem Partheygeiste, oder der Liebe zum collektiven Ich, welche oft grobe Selbstheit, oft feinere zu seyn scheint.
Jene herrschsüchtigen, heftigen Bonzen an der Spitze einer Sekte; jene kalt intriguanten Häupter einer geheimen Verbindung; jene verzärtelten Abgötter einer schwachköpfigen Familie; jene Koquetten, angebetet von einem Haufen eitler Müssiggänger; sagt! sollten die wohl lieben? Ach! laßt euch nicht durch ihre süßen Worte, durch die Herzlichkeit ihrer Geberden, durch die aufopfernde Wuth, mit der sie ihr Häuflein schützen, hintergehen! Ihr Anhang ist Theil ihres Ich’s: ein collektives, vermehrtes Ich: sie fühlen nur sich selbst in dieser Mehrheit. Herrschen wollen sie, ihre einzelne Unbedeutung durch Anreihung an einen größern Haufen heben; geliebkoset, [319] bewundert, geschmeichelt wollen sie seyn. Kalte, gefallsüchtige Menschen! Die Person ist euch nicht theuer; ihr seht nur in ihr ein Mitglied eurer Heerde! Diese mag ganz aussterben; wenn nur andere schaafartige Individuen sie ersetzen, so werden eure Thränen versiegen.
Partheysüchtige Menschen sind mit ihrem Haufen nur in so fern vereinigt, als sie sich mit diesem allen andern Menschen entgegen stellen. Aber in ihren Verhältnissen unter sich verbinden sie ihre Person nie mit der Person der einzelnen Mitglieder, um diese zu beglücken, sondern um sich durch sie in ihren Neigungen und Zwecken begünstigt zu sehen.
Dritter Abschnitt.
Von dem Entgegengesetzten und dem Aehnlichen der Leidenschaft der Liebe.
Neunzehntes Kapitel.
Von demjenigen, was der Leidenschaft der Liebe in Beziehung auf andre leidenschaftliche Verhältnisse unmittelbar entgegen steht; Leidenschaft des Hasses.
Der Leidenschaft der Liebe, jener figierten Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, mit unserer Person in die Person eines andern Menschen überzugehen, ist der Haß entgegengesetzt; jene figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, die Person eines andern Menschen durch die unsrige vertilgt zu fühlen.
[320]Der Hassende strebt dem Gehaßten das Leben zu nehmen, oder er fristet ihm dieß, um ihn länger zu quälen, oder er raubt es ihm nach vorgängiger Entsagung auf alles Glück in der Zukunft; oder er stürzt sich mit ihm ins Verderben, um des Bewußtseyns willen, ihn unglücklich gemacht zu haben. In allen diesen Fällen sehnen wir uns nach der unentbehrlichen Wonne, den andern entweder ganz zu vertilgen, oder ihm wenigstens alles zu entziehen, was das Gefühl des Bestehens angenehm machen kann.
Beyde, die Leidenschaft der Liebe und des Hasses, kommen darin überein, daß sie eine figierte Wirksamkeit der Phantasie voraussetzen. Dort werden wir von dem Bilde des Ueberganges unsrer Person in eine andere, hier von dem Bilde des Vertilgens einer andern Person durch die unsrige besessen.
Zwanzigstes Kapitel.
Absonderung der Leidenschaft der Liebe von den leidenschaftlichen Bestrebungen der Lüsternheit des Körpers und der Seele.
Wenn es schwer ist, die liebende Anhänglichkeit von der nicht liebenden, aber wohlwollenden und wohlthuenden, abzusondern, so ist es noch schwerer, die Leidenschaft der Liebe von derjenigen, die auf Selbstheit und bloßer Geschlechtssympathie beruht, zu unterscheiden, wenn diese letzten mit Aufopferungen verknüpft sind.
Jede Leidenschaft, selbst die allerniedrigste der allergröbsten Selbstheit, setzt eine Aufopferung vieler Neigungen zum Voraus, welche dem Menschen, dessen Herz [321] in Ruhe ist, zu seinem beynahe unentbehrlichen Wohlseyn zu gehören scheinen. So erträgt der Geitzige Hunger und Frost, und Nachtwachen und Schande, – nur um einen herrschenden Trieb, nehmlich den der Geldsucht, zu befriedigen. So opfert der Eitle oft allen Genuß des Gaumens und häuslicher Bequemlichkeit auf, nur um in glänzender Kleidung vor seinen Miteinwohnern zu erscheinen. So tauscht der leidenschaftliche Schwelger für die Versagung aller übrigen Triebe die Befriedigung des herrschenden, seiner Gierigkeit, ein.
Diesen ähnlich, nur feiner und edler, handeln der Ehrsüchtige, der das Lob seiner Mitbürger und seiner Nachkommen, und der geistige Stolze, welcher Selbstschätzung in jedem Zeitpunkte seines Lebens, für das höchste Gut halten, dessen Erreichung nicht theuer genug erkauft werden kann. Auf das Verdienstliche, auf das Sittliche der Leidenschaft, kommt es hier nicht an; es gilt nur, den Unterschied der Leidenschaft des Herzens von der der Selbstheit festzusetzen.
Nun ist aber nichts natürlicher, als daß die Leidenschaft, welche jedes Mittel braucht, um zu ihrem Zweck zu gelangen, auch die Handlungen der Liebe nutzt, um sich entweder Glücksgüter, oder Ehre, oder Unterhaltung, – denn es giebt auch einen leidenschaftlichen Trieb nach Belustigung, – zu verschaffen, und dem Stolze Nahrung zu bereiten. Ja, sie betrügt sich alsdann oft selbst, verwechselt das Mittel mit dem Zweck, glaubt aus Liebe zu lieben, da sie doch nur aus Leidenschaft der Selbstheit Handlungen hervorbringt, die in ihren Wirkungen der Liebe ähneln.
Besonders sind Weiber dem Irrthum ausgesetzt, jede leidenschaftliche Aeußerung, jede Aufopferung gewöhnlicher [322] Neigungen für den Wunsch, ihnen zu gefallen, auf Rechnung einer liebenden Leidenschaft zu setzen. Und dennoch ist nichts zweydeutiger als dieser Beweis.
Ein Wollüstling, der ein unschuldiges Mädchen zum Opfer seiner Lüste bestimmt, alles aufbietet, um es zu gewinnen, sein Vermögen, alle Kräfte seines Körpers und seiner Seele aufopfert, um zu seinem Besitz zu gelangen, kann gewiß darum nicht für liebend gehalten werden. Wie oft hat ein solcher Unhold beym Mißlingen seiner Plane der Unglücklichen den Dolch in die Brust gestoßen, oder seine Lust an der widerstrebenden Ohnmacht gebüßt! Seine Leidenschaft begehrt offenbar die Befriedigung seiner Lust, nicht das Glück der Person: er betrachtet diese als ein Werkzeug, als ein nothwendiges Mittel, um zu einem einseitigen Genuß zu gelangen, in den er nur zufällig jene andere Person mit aufnimmt.
Aber ein stolzer Ritter oder Dichter des Mittelalters, die es zum höchsten Ziele ihres Strebens machten, von einer Prinzessin den Sold der Minne durch das Geschenk eines Bandes oder einer Schleife zu erhalten, sich bey der Anrufung ihres Nahmens mitten in die Haufen der Feinde stürzten, oder Jahre lang für sie hinschmachteten, und ihr Leiden in Versen und Prose ausschütteten; – kann man von diesen unbedingt behaupten, daß sie geliebt haben? Ich sage: keinesweges! Die geliebte Person konnte den Glanz, der sie umgab, verlieren, sie konnte in die Reihe gewöhnlicher Weiber treten; ja, sie konnte nur in eine völlig ruhige Lage zu dem Abenteurer kommen, in eine Lage, worin nun kein Ruhm vor ihren Augen einzuernten, kein Stolz auf den Besitz ihres Herzens zu nähren war; – schnell verschwand die Leidenschaft, [323] und Langeweile trat an ihre Stelle. Wunsch nach Annäherung zum häuslichen Beysammenseyn, Wonne an dem Glück der Geliebten in einer ihr angemessenen Lage, war nicht der Zustand dieser höchst selbstischen Verbindung.
Wir haben keine Ritter und Troubadours mehr. Aber wir haben müssige Intriguanten und empfindsame Knaben, die interessant seyn wollen, in Menge. Eitelkeit ist an die Stelle der Ruhmsucht getreten, und empfindelnder Stolz hat immer seine Rechte beybehalten. Es giebt noch Männer und Weiber genug, welche den höchsten Reitz der Liebe darin setzen, andern und sich sagen zu können, daß sie so liebend sind, daß sie nach dem Besitz eines Herzens streben, daß sie ausgezeichnet glücklich oder unglücklich sind. Es giebt, sage ich, Menschen, welche die üppige Spannung der Empfindeley, welche die Führung einer Intrigue, und über alles den Stolz und den Ruhm lieben, als Martyrer der Liebe, oder als unwiderstehliche Herzensbezwinger sich und andern zu erscheinen. Diese Menschen streben nicht nach dem Glück der Geliebten, fühlen nicht die Unentbehrlichkeit seines Wohls zum Bewußtseyn ihrer glücklichen Persönlichkeit. Sie lieben bloß das Verhältniß, als unentbehrlich zu dem Zustande, in den sie sich selbst versetzen wollen.
Ein und zwanzigstes Kapitel.
Absonderung der Leidenschaft der Liebe von der Leidenschaft nach Vereinigung mit der Person, und nach ihrem ausschließenden Besitze.
Dieß sind Beyspiele von leidenschaftlichen Bestrebungen nach einzelnen Verhältnissen mit einer Person von verschiedenem Geschlechte; Verhältnissen, die zur Befriedigung einzelner Triebe der körperlichen Lüsternheit oder Seelenlüsternheit leidenschaftlich, d. h. mit Aufopferungen vieler Neigungen, begehrt werden, die für den kalten Menschen zum unentbehrlichen Wohlbestehen zu gehören scheinen.
Diese unterscheiden sich noch von der Leidenschaft nach dem Besitze der Person selbst.
Wenn wir bloß mit Leidenschaft streben, unsere körperliche Lüsternheit oder unsere Eitelkeit durch eine Person vom andern Geschlechte befriedigt zu sehen; so erscheint uns nicht die Person im Ganzen, sondern sie erscheint uns nur in dem besondern Verhältnisse, worin wir Genuß von ihr erwarten, oder bereits erhalten haben. Wir tragen das Bild einer Umarmung oder einer Auszeichnung mit uns herum. Von diesem Bilde werden wir besessen, und seiner Realisierung opfern wir so vieles auf.
Wir können aber auch den ausschließenden Besitz der Person selbst leidenschaftlich begehren, und dann verfolgt uns das Bild der gänzlichen Zueignung, des völligen, vollkommensten Angehörens. Es ist nicht mehr ein particuläres Verhältniß, in welches wir mit der Person zu kommen suchen; ihr ganzes Wesen macht den Gegenstand unserer Sehnsucht aus.
[325]Dieß ist doch Liebe? Im geringsten nicht. Wir werden bey den Alten eine Menge von Beyspielen finden, worin Männer und Weiber den größten Gefahren getrotzt haben, um mit dem geliebten Gegenstande zusammen zu seyn, und sich sagen zu können: er gehört mein! Andere, in denen sich Männer und Weiber das Leben genommen haben, weil ihnen dieß nach dem Verlust des Geliebten von keinem Werthe weiter geschienen hat. Aber höchst selten findet man Beyspiele, in denen besonders Männer der damahligen Zeit ihr Leben auch dann daran gewagt hätten, wenn es darauf angekommen wäre, eine Geliebte, die sie sich nicht zueignen konnten, weil sie mit einem andern verbunden war, oder ihre Liebe nicht erwiederte, von einer Gefahr zu befreyen; die ihre Begierden aufgeopfert hätten, um die Gewissensruhe des geliebten Weibes zu schonen; die endlich selbst die Leidenschaft, den Besitz der Geliebten zu erlangen, dem Wohl dieser Geliebten, als eines selbstständigen Wesens, untergeordnet hätten.
Auffallend ist es aber, daß derjenige, der sich nur in so fern für einen andern aufopfert, als er mit ihm glücklich und vereinigt seyn, oder ihn sich ausschließend zueignen kann, daß dieser leidenschaftliche Mensch demjenigen ziemlich gleich ist, der sich für den Besitz eines Schatzes oder eines Sklaven aufopfert. Denn auch Geitzige haben oft mit Gefahr des Lebens für die Erhaltung ihrer Reichthümer gekämpft, und ihren Verlust nicht überlebt.
So gehört also zur Selbstheit jede Leidenschaft zu andern Personen, in der das Glück des Geliebten nicht unserm eigenen, und sogar demjenigen, daß wir in der Vereinigung mit ihm aufsuchen, vorgezogen wird. So gehört zur Selbstheit, oder zur bloßen Geschlechtssympathie, [326] jede Leidenschaft, welche den Geliebten nur nach Art und Weise des Liebenden glücklich wissen, ihm nicht gönnen will, es in Gemäßheit seiner Geschlechtsanlagen und Verhältnisse zu seyn. Derjenige liebt nicht, der verlangt, der geliebte Gegenstand solle nur so glücklich seyn, als er es mit ihm zugleich seyn kann. Eine Geliebte, die von dem Manne fordert, daß er als ein Feiger aus der Schlacht fliehen solle, um sich für sie zu erhalten; oder daß er als Geschäftsmann seinen Beruf vernachlässigen solle, um ihr ganz anzugehören; ein Mann, der von der Liebenden die Aufopferung aller Schamhaftigkeit, alles Anstandes, die Vernachlässigung aller Pflichten der Tochter, der Mutter, der Hausfrau verlangt, um ihm das Gefühl zu geben, sie ist ganz mein; beyde lieben, aller Heftigkeit der Leidenschaft ungeachtet, nicht die selbstständige Person, sondern ihr Selbst.
Zwey und zwanzigstes Kapitel.
Gefahren der Begeisterung für wahre Liebe.
Keine Leidenschaft ist ohne Begeisterung: keine, worin nicht die Bilder des begehrten Gegenstandes äußerst lebhaft und anhaltend vor unserer Seele schwebten, auf Lieblingsneigungen träfen, und unsere Kräfte in ungewöhnlicher Maße nach Erlangung des Gegenstandes unserer Begierden hinspannen sollten. Einige Arten der Leidenschaften, vorzüglich diejenige, welche auf Geschlechtssympathie beruht, sind gemeiniglich mit Besessenheit und dem figierten Streben nach Selbstverwandlung gepaart.
Das Bild, welches uns in einem von diesen verschiedenen Zuständen der Begeisterung beherrscht, ist nun niemahls [demjenigen] Menschen völlig ähnlich, mit dem wir vereinigt zu werden streben. Allein die Grade der Untreue in der Darstellung sind sehr [verschieden]. Sehr oft ist es ein verschönertes, aber doch wieder zu erkennendes Bildniß; sehr oft aber ist es auch ein Ideal, das nicht die geringste Aehnlichkeit mit der Person hat, deren Vorzüge nur eine sehr entfernte Veranlassung gegeben haben, das Bild, welches uns begeistert, zusammenzusetzen. Diese Person wird bloß das Symbol des idealischen Gegenstandes, den wir anbeten, und dient dem schwärmerischen Verehrer einer unsichtbaren Gottheit zur Versinnlichung des geistigen Wesens.
Hier entdecken sich sogleich die Gefahren, welche der Liebe, die sich ohne Vereinigung mit einer neben uns existierenden bestimmten Person nicht denken läßt, aus [328] der Begeisterung drohen, die durch ein bloßes Bild der Phantasie erweckt wird. Unbekümmert um das wahre Wohl der Person, welche nur den Stoff zu diesem Bilde hergegeben hat, müssen wir darnach streben, ihr nie so nahe zu kommen, um unser Ideal vermöge der Vergleichung zertrümmert, und die Spannung unserer Einbildungskraft geendigt zu sehen.
Der Ton einer Flöte, den ein junges Mädchen zum ersten Mahle bey Nachtzeit hörte, beflügelte seine Phantasie, sich den Spieler als den außerordentlichsten, liebenswürdigsten Sterblichen zu denken. In dieß Bild verliebte es sich, und blieb verliebt – bis es ihn sah.
Das Hinderniß, welches hier dem verliebten Mädchen auf eine Zeitlang physisch im Wege stand, sein Ideal mit dem Geliebten zu vergleichen, das empfinden viele andere geistig. Es liegt in unserer Eitelkeit, in unserm Hange zum Außerordentlichen, und sehr oft auch daran, daß wir den gespannten Zustand um der Spannung selbst willen lieb haben, und uns darin gefallen.
Das glänzende Aeußere, die Gewandheit, die Zuverlässigkeit gebildeter Weltleute pflegen gemeiniglich sehr stark auf die Phantasie des Neulings zu wirken, der zuerst in den geselligen Zirkeln auftritt. Die erste Empfindung ist peinlich; sie stellt den jungen Menschen in ein unvortheilhaftes Licht bey der Vergleichung, welche er zwischen seiner Lage und der des bewunderten Gesellschafters anstellt. Bezeigt ihm aber dieser die geringste Aufmerksamkeit, so trifft das Bild des Außerordentlichen auf seine Eitelkeit, und sogleich erscheint in seiner [329] Seele ein Ideal von Vollkommenheit, mit dem er sich aufs innigste zu vereinigen, dessen Vorzüge und Lage er sich ganz anzueignen strebt. Er erhält inzwischen mehr Kenntniß von der Welt, und den seichten Eigenschaften, welche erfordert werden, um darin zu glänzen, und seine Bewunderung wechselt mit Verachtung.
Noch einladender zur Begeisterung ist bey jungen Menschen erregte körperliche Lüsternheit, die mit Hindernissen zu kämpfen hat. Die ärgsten Buhlerinnen sind oft am allergeschicktesten, jungen Männern zu Symbolen verkörperter Tugend zu dienen, wenn entweder äußere Lagen sich der Befriedigung ihrer Begierden entgegen setzen, oder wenn die gewinnsüchtige Person ihre lang hinausgesetzte Gunst durch manche Opfer vorher erkaufen lassen will.
Ueberhaupt sind Hindernisse, welche sich der Annäherung an die Person, und besonders bis zur körperlichen Gegenwart und Vereinigung entgegen setzen, wichtige Beförderungsmittel der Begeisterung in allen ihren Graden. Sie veranlassen Bilder von einem geistigen und außerordentlichen Verhältnisse, welches bald auf die entfernten Gegenstände unserer Annäherungstriebe übertragen wird. Sie stören nicht die Phantasie durch Vorstellungen des Mangelhaften und Gewöhnlichen. Darum werden diejenigen Personen, welche sich mit Gott, Geistern und Personen weit über ihrem Stande zu vereinigen streben, am leichtesten in Schwärmerey gerathen. Sie finden aber auch am ersten Befriedigung, weil nichts ihre Illusion stört. Eben darum gerathen [330] sie auch so leicht in den wahnsinnigen Zustand einer wirklichen Selbstverwandlung.
Sehr oft wird die heftigste Leidenschaft, die auf Schwärmerey beruht, bloß dadurch geendigt, daß sich die Personen, welche sie für einander empfinden, bis zur nähern persönlichen Bekanntschaft einander nahe kommen. Die Geschichte eines schönen Geistes unsrer Zeit, der mit einer Dame von großem Verstande und vieler geselligen Liebenswürdigkeit in Verbindung stand, ist oft erzählt. Sie glaubten sich einander zu lieben, ihre Verhältnisse aber gestatteten ihnen nicht, sich ohne lästige Zeugen zu sehen und zu sprechen. Das einzige Mittel, welches ihnen zum Austausch ihrer Gefühle übrig blieb, war der Briefwechsel. Wie oft war dieser mit Wünschen angefüllt, sich endlich einmahl einander ganz so darstellen zu können, wie sie wären, und der Last einer langsamen Ueberlieferung ihrer Empfindungen durch Schrift entledigt, durch Geberde und mündliche Unterredung ihre Herzen gegen einander zu ergießen. Er erschien, der längstgewünschte Tag! aber noch ehe er verstrichen war, fanden sich die Geliebten genöthigt, einen Schirm zwischen sich zu stellen, und an einander zu schreiben.
Welch einen Contrast macht diese Geschichte mit der zweyer Liebenden aus dem vorigen Jahrhunderte! Auf gleiche Weise durch Verhältnisse und Lagen vor den Augen der Welt getrennt, hatten sie heimlich in einem Gartenhause ein ganzes Jahr hindurch ihre Zusammenkünfte häufig wiederholt. Am Ende des Jahrs bemerkt der eine, daß die Aussicht schön sey. „Ich bin verloren, ruft der andere, du siehst etwas außer mir!“
[331]Noch weniger mit der Liebe harmonierend ist nun gar das absichtliche Streben, die Phantasie mit einem selbstgeschaffnen Ideale zu täuschen, entweder um im Zustande der Begeisterung und der Spannung der edelsten Kräfte unsers Wesens zu schwelgen, oder den Stolz, daß man das Außerordentliche so außerordentlich begehrt, zu nähren.
Dieser Fall tritt sehr häufig ein bey Dichtern, Künstlern, und überhaupt bey allen Personen, welche durch ihre beschränkten Umstände vom Umgange mit Menschen abgeschnitten leben, aber vermöge ihrer Beschäftigungen und Anlagen eben so sehr zu Träumereyen als zur Eitelkeit und zum geistigen Stolze aufgefordert werden. Unter den Charakteren dieser Art giebt es besonders zwey Arten. Die eine ist von Natur heiter, gesellig, eitel; kurz, sanguinisch, aber durch Umstände melancholisch geworden, und an Zurückgezogenheit gewöhnt. Personen dieser Art suchen Unterhaltung ihrer Einsamkeit in der Nährung von Bildern, welche zu gleicher Zeit ihrer Eitelkeit schmeicheln. Dahin gehören eine Menge von Religiosen, Nönnchen, Mädchen aus dem Mittelstande, junger Leute aus allen Ständen, die unter strenger Aufsicht stehen, u. s. w. Petrarca gehört gleichfalls hieher, wie im dritten Theile dieses Werks näher gezeigt werden wird.
Die andere Art ist von Natur finster, stolz und cholerisch melancholisch. Diese Personen zünden ein Feuer in sich an, das sie selbst, und den unglücklichen Gegenstand, der ihnen Gegenliebe schenkt, mit ihnen verzehrt. Sie suchen nur das Ungewöhnliche in dem Gegenstande [332] ihrer Leidenschaft, in der Art, wie sie lieben und geliebt seyn wollen. Ihr Zustand ist eine Art von Raserey und finsterer Wuth, die aber für sie den Reitz der außerordentlichen Erhöhung ihrer Lebensgeister hat, die ihnen eben so zum Bedürfniß geworden ist, wie dem Orientaler das Opiat. Es giebt dieser Menschen zum Glück nicht viele. Aber eines jeden Erfahrung wird doch leicht ein Paar Beyspiele liefern. Rousseau hatte viel von diesem Charakter.
Beyde kommen darin überein, daß sie das Bild viel mehr als den Gegenstand, der es hergiebt, lieben. Dieser ist wirklich nur ein Mittel, das Bild desto lebhafter in ihrer Seele zu erhalten, indem sie es auf etwas Wirkliches beziehen. Die Person ist ihnen ungefähr das, was dem minder delicaten Weibe der Gatte ist, in dessen Umarmungen es an das Bild des abwesenden Buhlen denkt. Auch suchen sie sich nie dem Gegenstand so sehr zu nähern, daß dieß Gefühl der Individualität ihr Traumbild zerstören könnte. Sie thun wohl gar freywillig auf Gegenliebe Verzicht; verlangen nur, daß die Person sich lieben lasse, d. h. den Stoff zu dem Bilde hergebe, das sie begeistert. Auch sind sie in der Trennung von dem geliebten Gegenstande, worin sie ihn vollkommener ausmahlen können, nicht unglücklich. Ja! diese Trennung wird ihnen wohl gar angenehm, weil sie das Verhältniß um so reitzender finden, je qualvoller es ist. Sie häufen daher oft selbst die Schwierigkeiten, welche sich der gänzlichen Vereinigung entgegensetzen. Ueberzeugt, daß sie sich der Person, ohne Gefahr eines Verlusts der Spannung ihrer Phantasie, nicht weiter als bis auf diejenige Entfernung [333] nähern dürfen, wo ihre Eigenschaften in einem günstigen Halbdunkel erscheinen, suchen sie nur einen solchen Standpunkt auf, worin sie ihn auf diese Art erblicken. Darum werden sie auch beynahe immer das Mittelmäßige dem Hervorstechenden vorziehen, weil jenes ihre Phantasie mehr auffordert, das Mangelhafte zu ersetzen. – Gemeiniglich sind sie das Spiel schlauer Coquetten, oder solcher Männer, die ihre Schwächen zu nutzen wissen.
Drey und zwanzigstes Kapitel.
Absonderung der Leidenschaft der Liebe von der liebenden Anhänglichkeit, die mit einzelnen leidenschaftlichen Aufwallungen verknüpft ist.
Leidenschaft ist figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, unsere Person an die Person eines andern Menschen abzugeben, und sich in ihm zu verlieren. Ich habe es schon gesagt, daß dieser Zustand sich bey glücklicher Liebe nicht leicht finden wird; daß er allemahl Hindernisse, Versagungen, Trennungen voraussetzt. Demungeachtet kann die glücklichste Verbindung im ruhigsten Genusse der [Vereinigung] sehr wohl mit einzelnen leidenschaftlichen Aufwallungen verknüpft seyn, welche vorübergehende Lagen, eine Anwandlung von Eifersucht, eine kurze Trennung, eine kleine Verunwilligung zwischen dem Geliebten, ein heftigeres Andringen [334] der Geschlechtssympathie, u. s. w. hervorbringen. Diese leidenschaftlichen Aufwallungen geben aber der Zärtlichkeit, oder auch der bloßen liebenden Anhänglichkeit noch keinesweges den Charakter der Leidenschaft der Liebe, so wie sie überhaupt für Liebe nichts beweisen.
Ende des ersten Theils.
Kurze Uebersicht
des Inhalts des ersten Theils.
Dieser Theil ist der Naturkunde der Liebe gewidmet.
Die Liebe wird bald für eine einzelne Aufwallung, bald für eine dauernde Anhänglichkeit, bald für Leidenschaft genommen.
In so fern wir mit dem Worte „Liebe“ eine einzelne Aufwallung bezeichnen, sehen wir bey dem Begriffe, den wir damit verbinden, entweder bloß auf die Willigkeit, mit der wir uns einem gewissen Zustande überlassen und entgegenbieten, oder zugleich auf die Art, wie wir uns während dieses Zustandes äußern Gegenständen, besonders vernünftigen Wesen, annähern, und für ihr Wohlbestehen Sorge tragen.
In der ersten Rücksicht heißt Liebe so viel als: jeder Zustand affektvoller Lust; gleichviel, woran und wozu? Sogar die Lust am baren Harren; die Lust am mindern Uebel bey der Wahl unter mehreren unangenehmen Zuständen wird mit diesem Nahmen belegt. Vergleichen wir aber mehrere Gefühle von Lust unter einander, so heißt allemahl der Zustand der höchsten Lust, derjenige, dem wir uns am willigsten überlassen und entgegenbieten, vorzüglich Liebe. Daher ist Liebe – Lust am gegenwärtigen Genusse; und zwar nicht des bloßen Genügens, der bloßen Zufriedenheit mit dem Ruhestande des Lebens; – Nein, Lust an der Ausgelassenheit des Lebens; Wollust und Wonne. – Vor allem aber [336]Wollust und Wonne an fortschreitender Ausbildung des gegenwärtigen Genusses.
Nehmen wir aber zweytens, bey der Bezeichnung dieser angenehmen Zustände unsers Wesens zugleich auf das Verhältniß Rücksicht, in welches wir dadurch zu andern Wesen zu stehen kommen; so erhält der Begriff eine bestimmtere Bedeutung. Liebe heißt dann: wonnevolles Bestreben nach Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit einem uns angenäherten, aber von uns noch verschiedenen Gegenstande. Kürzer: Wonne der Sympathie.
Bey der Vergleichung mehrerer Wonnegefühle der Sympathie unter einander ist dasjenige das reinste, unverdächtigste und höchste, welches uns der Mensch einflößt. Wonne der Sympathie mit dem Menschen heißt daher vorzüglich Liebe. Dieß Gefühl setzt zum Voraus, daß wir die Selbstständigkeit und das Wohl des andern unmittelbar als den Grund unserer Wonne ansehen, und zugleich durch das begünstigte Bestreben sein Glück zu befördern, aufmerksam darauf werden, daß wir den Genuß eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls fortschreitend ausbilden. Liebe, in der engsten Bedeutung, (als einzelne Aufwallung betrachtet,) ist daher wonnevolles Bestreben nach Beförderung des Glücks eines andern Menschen um der Ueberzeugung willen, daß dieser sich selbst glücklich fühle.
Herz ist alle Mahl die Fähigkeit, Liebe zu empfinden.
Der Liebe steht Gleichgültigkeit und schwache Willensregung entgegen, in so fern wir bloß auf die Stärke einer gewissen Reitzung überhaupt, es sey zur Lust oder Unlust, Rücksicht nehmen. Verstehen wir unter Liebe eine stärkere Reitzung zur Lust; so setzt sich ihr Abneigung und [337] Scheu vor einem gewissen Zustande entgegen. Bedeutet Liebe so viel als Wollust und Wonne; so ist ihr bares Harren, Genügen des fortwährenden Bedürfnisses, bloße Zufriedenheit mit dem Ruhestande des Lebens entgegenzustellen. Endlich steht ihr, in so fern Wollust und Wonne an fortschreitender Ausbildung des gegenwärtigen Genusses darunter verstanden wird, der Zustand des bestrebungslosen Vergnügens und der endenden Begierde entgegen.
Der Liebe, für Lust zur Annäherung an äußere Gegenstände und Sorge für ihre Erhaltung genommen, ist Ungeselligkeit und Uebelwollen zuwider. Für sympathetische Lust genommen steht ihr der Widerwille der Antipathie entgegen. Dem wonnevollen Bestreben nach der Beförderung des Glücks eines andern Menschen, um der Ueberzeugung willen, daß er sich selbst glücklich fühle: der Liebe im engsten Sinne, steht das bloße Genügen des gestillten oder auch begünstigten Mitleidens entgegen.
Nicht so wohl der Liebe unbedingt entgegengesetzt, als vielmehr nur von ihr verschieden, erscheint die Wonne der Selbstheit und des Beschauungshanges. Wonne der Selbstheit ist diejenige Lust an der Ausgelassenheit des Lebens, die nach Ueberschlagung unsers persönlichen Vortheils bey uns entsteht, und, in so fern wir dabey auf die Art der Annäherung an andere Menschen Rücksicht nehmen, diejenige Wonne, die erst nach vorgängiger Beziehung des angenäherten Menschen auf unser persönliches Wohl, wie Mittel zum Zweck, in uns erweckt wird. – Wonne des Beschauungshanges ist diejenige Wonne, die bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, und ohne Beachtung unsers eigenen Zustandes, bloß durch die Bemerkung [338] des Auffallenden der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, dem wir uns von ferne nähern, in uns erweckt wird.
Die nähere Ausführung und Bestimmung dieser Begriffe liefern das erste Buch und der erste Abschnitt des sechsten.
Liebe, als Anhänglichkeit betrachtet, heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, nach Beglückung einer bestimmten Person wonnevoll zu streben, um der Ueberzeugung willen, daß sich diese selbst glücklich fühle.
Liebe in diesem Sinne setzt nicht bloß liebende Affekte, sondern ein Gewebe von Affekten zum Voraus, die Wirkungen der ungleichartigsten Triebe seyn können. Alle Triebe, welche ohne Annäherung an andere Menschen und ihre Erhaltung nicht befriedigt werden können; alle Triebe, die nur um ihrer Folgen willen gesellig genannt zu werden verdienen, dürfen hier mit ins Spiel kommen. Genug, wenn sie eine angewöhnte Richtung zu einer bestimmten Person hin genommen haben, und wenn die Wonne der Sympathie mit dem Menschen, (die eigentliche Liebe,) die Oberhand behält. Daher kann sich bey der liebenden Anhänglichkeit ein gewisser Grad von Zwang mit einmischen, es kann die Selbstheit, es kann der Beschauungshang mit wirksam seyn; ja es scheint, daß beyde mitwirken müssen, wenn die Verbindung enger und dauernder seyn soll.
Es giebt aber mehrere Arten von liebender Anhänglichkeit.
Wir schließen entweder nur etwas Persönliches an die Person des andern Menschen an; oder wir vereinigen gar unsere Natur mit der seinigen.
[339] Die erste Art der Verbindung nenne ich persönliche Ergebenheit; und diese theilt sich wieder in liebendes Patronat gegen liebende Clientel, und liebende Genossenschaft oder Brüderschaft.
Liebendes Patronat gegen liebende Clientel findet Statt unter Personen, die in ihren Verhältnissen gegen einander wie Obere zu Untergebenen stehen. Liebende Genossenschaft findet Statt unter Personen, die sich unter gleichen Verhältnissen verbinden, ob sie gleich ihre Naturen nicht vereinigen.
Die Vereinigung der Naturen setzt zum Voraus, daß der Mensch angewöhnt sey, den Verbündeten so beglücken zu wollen, wie er es selbst in der Ausgelassenheit seines Lebens zu seyn wünscht, und daß er dann in einem Genusse mit ihm zusammen zu treffen strebe. Natur heißt hier die engste Sinnlichkeit. Die angewöhnte Stimmung unsers Wesens, einen andern Menschen in unsre engste Sinnlichkeit mit aufzunehmen, um sich dadurch wechselseitig zu beglücken, heißt Zärtlichkeit. Mit andern Worten: Zärtlichkeit ist das angewöhnte wonnevolle Bestreben nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer, durch Vereinigung der Naturen.
Herz heißt auch hier wieder die Fähigkeit, sich liebend anzuhängen.
Die Gegenfüßlerin der liebenden Anhänglichkeit ist Feindschaft: jene angewöhnte Stimmung unsers Wesens, übelwollende Affekte gegen eine bestimmte Person zu richten.
Verschieden von der liebenden Anhänglichkeit sind alle engeren Verbindungen, in denen Selbstheit oder Beschauungshang die Oberhand gewinnen.
[340]Die Ausführung und nähere Bestimmung dieser Begriffe liefern das zweyte Buch und der zweyte Abschnitt im sechsten.
Die Zärtlichkeit theilt sich in Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit ab. Um den Begriff von beyden zu fassen müssen die Begriffe der Sympathie mit dem Gleichartigen und der Geschlechtssympathie vorläufig entwickelt werden.
Die Anlagen oder Fähigkeiten des Menschen können so wohl dem Körper als der Seele nach auf zwey Dispositionen zurückgeführt werden, deren eine seine Stärke, die andere seine Zartheit ausmacht. Beyde Dispositionen finden sich in jedem Menschen, er mag seinen äußern Kennzeichen nach zur Classe der Mannspersonen oder zu der der Frauenspersonen gerechnet werden.
Zur Stärke des Menschen gehört sein Vermögen, hart angreifende Reitzungen für die Sensibilität seiner Sinnenorgane zu leiden, die feurigere Wallung der Lebenskraft, und die Anstrengung der Lebenswerkzeuge zu dulden: sein Gemüth erschüttert, seinen Geist emporgehoben zu fühlen. Es gehört aber auch dahin seine Kraft, sich gegen andere Gegenstände hart angreifend zu bewegen, ihnen die Wallung seiner Lebenskraft, die Anstrengung seiner Lebenswerkzeuge mitzutheilen: ihr Gemüth zu erschüttern, ihren Geist emporzuheben. Mithin hat jeder Mensch ein leidendes Vermögen und eine thätige Kraft an sich, die sich unter dem Charakter der Stärke als eine besondere Disposition seiner Anlagen überhaupt ankündigen. Der Zustand, in den er durch die Wirksamkeit dieser Stärke geräth, ist der einer leidenden oder thätigen Spannung.
[341] Zur Zartheit des Menschen gehört dagegen sein Vermögen, sanfte Reitzungen für die Sensibilität seiner äußern Sinnenorgane zu leiden: die Allmähligkeit und Auflösung der Lebenskraft und Lebenswerkzeuge zu dulden: sein Gemüth erweicht, seinen Geist in leichter Schwingung zu fühlen. Es gehört aber auch dahin die Kraft, auf andere Gegenstände sanft einzuwirken, und ihnen unsre Allmähligkeit, Auflösung, Weichheit und leichte Schwingung mitzutheilen. Folglich birgt jeder Mensch ein leidendes Vermögen und eine thätige Kraft in sich, die sich unter dem Charakter der Zartheit, als eine besondere Disposition seiner Anlagen überhaupt, ankündigen. Der Zustand, in den er durch die Wirksamkeit seiner Zartheit geräth, ist der einer leidenden oder thätigen Zärtelung.
Jeder Mensch ist, wie gesagt, mit dieser doppelten Disposition seiner Vermögen und Kräfte ausgerüstet, die, in Rücksicht auf die ganze Gattung seiner Anlagen, als zwey Geschlechter derselben anzusehen sind. In so fern aber die Menschen mit dem ganzen Inbegriff ihrer Anlagen, der sich in jedem Einzelnen von ihnen findet, unter sich, und in Rücksicht auf die ganze Gattung der Individuen betrachtet werden, findet sich bey dem einen die Disposition zur Stärke hervorstechend vor der zur Zartheit: bey dem andern aber die Zartheit im Uebergewicht über die Stärke. Dieß begründet die Eintheilung der menschlichen Gattung in zwey Geschlechter. Der Mensch, bey dem die Stärke die Zartheit überwiegt, ist Mann: der Mensch, bey dem die Zartheit über die Stärke hervorragt, ist Weib.
Wenn der Mensch, der sich stark fühlt, sich dem starken Menschen nähert, um in der Verbindung mit ihm seine Stärke zu ergänzen; – so empfindet er Sympathie mit dem gleichartigen Starken, oder mit dem ähnlichen Geschlechte [342] in andern, und sein Zustand wird der der reinen aber erhöheten Spannung.
Wenn der Mensch, der sich zart fühlt, sich dem zarten Menschen nähert, um in der Verbindung mit ihm seine Zartheit zu ergänzen; – so empfindet er Sympathie mit dem gleichartigen Zarten, oder mit dem ähnlichen Geschlechte in andern, und sein Zustand ist der der reinen aber erhöheten Zärtelung.
Zuweilen gerathen die beyden Dispositionen im Menschen in Aufruhr, und er strebt nach der vollkommensten Wirksamkeit seiner Anlagen durch gleichzeitige Spannung und Zärtelung. Dann nähert er sich einem andern Menschen, dem er eine verschiedene Mischung der Dispositionen von der seinigen, d. h. ein verschiedenes Geschlecht zutrauet, um in der Verbindung mit ihm nicht bloß die eine oder die andere Disposition seiner Anlagen, sondern ihre Gattung im Ganzen zu verbessern. Er empfindet alsdann Sympathie mit dem Geschlechtsverschiedenen: Geschlechts, oder wie man es billig nennen sollte, Gattungssympathie. Der Zustand, dem er nachstrebt, ist der einer gezärtelten Spannung. Ein Zustand von überschwenglicher Wollust und Wonne, wegen der ausgebreiteten und erhöheten Wirksamkeit beyder Dispositionen unserer Vermögen und Kräfte.
Inzwischen werden sich zwey, den herrschenden Dispositionen nach ähnliche Menschen eben so wenig unter einander anziehen, als zwey Menschen, die den herrschenden Dispositionen nach verschieden sind, wenn nicht ein gewisses Wohlverhältniß zwischen ihnen Statt findet, das in der Aehnlichkeit, oder in der Verschiedenheit ihrer Anlagen allein nicht zu suchen ist. Dieß Wohlverhältniß beruht bey der Verbindung zwischen den ähnlichen Wesen in dem Gefühle, daß sie durch wechselseitige [343] Mittheilung ihrer ähnlichen Dispositionen die Wirksamkeit der Vermögen und Kräfte einer Art erhöhen können. In der Verbindung zwischen den verschiedenen Wesen beruht es aber in dem Gefühle, daß sie durch wechselseitige Mittheilung ihrer verschiedenen Dispositionen ihre Vermögen und Kräfte, der ganzen Gattung nach, in vollkommnerer Wirksamkeit fühlen können.
Sympathie mit dem Gleichartigen ist folglich Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsähnliche eines andern Wesens anzuarten. Der Starke will sich in der Verbindung mit dem Starken stärker: der Zarte in der Verbindung mit dem Zarten zärter fühlen: jener strebt dem Zustande der reinen erhöheten Spannung, dieser dem Zustande der reinen erhöheten Zärtelung nach.
Geschlechtssympathie ist die Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsverschiedene eines andern Wesens anzugatten. Der Starke will sich zugleich zart, der Zarte zugleich stark fühlen. Jener erhält dadurch den Charakter geschmeidiger Stärke, dieser den Charakter hebender Zartheit; und der Zustand, in dem sie beyde zusammentreffen, ist der einer gleichzeitig leidenden und thätigen Spannung und Zärtelung.
Die Geschlechtssympathie äußert sich so wohl am Körper als an der Seele.
Die körperliche wird eingetheilt in Ueppigkeit, Lüsternheit, und den unnennbaren Trieb.
Die körperliche Ueppigkeit ist die Anlage zu jener überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Sensibilität unserer äußern Sinnenorgane, und besonders derer der Tastung, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen [344] Stärke zur hebenden Zartheit der Oberfläche der Körper, in die sie sich einlagern, in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung gerathen.
Die körperliche Lüsternheit ist die Anlage zu jener überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Lebenskraft unserer ganzen thierischen Organisation, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zur hebenden Zartheit der Organisation eines angenäherten belebten Körpers, in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.
Der unnennbare Trieb ist die Anlage zum unnennbaren Genusse, – zu jener überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit unserer vegetabilischen Organisation, der unstreitig an ähnliche Gesetze wie die beyden vorigen Arten von Gefühlen gebunden ist, und einen ähnlichen Charakter mit sich führt, welches aber um des Anstandes willen nicht weiter ausgeführt werden darf.
Die Geschlechtssympathie der Seele wird theils am Gemüthe, (an dem niedern Seelenwesen,) theils am Geiste, (an dem obern Seelenwesen,) empfunden.
Die Geschlechtssympathie des Gemüths wird ihre Ueppigkeit genannt. Sie entsteht, wenn wir unser Gemüth in seinen Verhältnissen zu andern Gemüthern zugleich leidend und thätig, hingebend und beherrschend, mithin geschmeidig stark gegen hebende Zartheit fühlen. Dadurch kommen wir in eine so enge Verbindung mit dem Gemüthe außer uns, daß wir Besitz davon nehmen, und uns mit ihm von der übrigen Gesellschaft der Menschen als ein einzelnes Paar absondern: oder was einerley ist, unser Gemüth in das Gemüth des andern einlagern. Der Zustand ist auch hier gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung, und eben dadurch der einer überschwenglichen Wonne.
[345] Haupterscheinungen der Ueppigkeit der Seele zeigen sich in dem Triebe nach Häuslichkeit, nach geselliger Auszeichnung vom andern Geschlechte, im Stolze auf den Besitz der Person: u. s. w.
Der Geist ist gleichfalls einer Geschlechtssympathie unterworfen, die mit der Lüsternheit des Körpers große Aehnlichkeit hat. Er strebt zuweilen darnach, von einem andern Geiste völlig besessen zu werden. In diesem Zustande fühlt sich unser Geist einem höhern Geiste unterworfen, hebt sich aber diesem zart entgegen, und fühlt zugleich dessen Stärke geschmeidig genug, um sich in der engsten Verbindung mit ihm zu denken. Der Zustand während einer solchen Besessenheit ist wieder der einer gleichzeitig leidenden und thätigen Spannung und Zärtelung, und vielleicht unter allen, die dem Menschen zu Theil werden können, der wonnevollste.
Diese verschiedenen Erscheinungen der Geschlechtssympathie können sich alle vereinigt zeigen; sie können sich aber auch einzeln offenbaren. Sie sind Ausflüsse eines allgemeinen Hanges unserer Natur nach Vervollkommnung der Wirksamkeit unserer Vermögen und Kräfte. Sie sind aber gar nicht unzertrennlich mit einander verbunden. Die Ueppigkeit des Körpers kann ohne Erregung der Lüsternheit desselben, diese ohne Erweckung des unnennbaren Triebes geschäftig seyn. Die Seele kann der Geschlechtssympathie huldigen, ohne den Körper in einen ähnlichen Aufruhr zu versetzen: umgekehrt kann der Körper in Aufruhr gerathen, ohne die Seele anzustecken. Inzwischen ist es begreiflich, daß wegen des genauen Zusammenhangs des Körpers mit der Seele, und ihrer verschiedenen Vermögen und Kräfte unter einander, der Aufruhr in dem einen Theile unsers Wesens sehr leicht in die übrigen übergehe.
[346] Die Geschlechtssympathie äußert sich am deutlichsten und vollständigsten in den Verhältnissen zwischen solchen Personen, die ihren äußern Kennzeichen nach für Mann und Weib gehalten werden. Aber auch Personen, die äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht zu gehören scheinen, können die Geschlechtssympathie in einander erwecken.
Aus Allem, was zu Bezeichnung der Geschlechtssympathie gesagt ist, erhellet, daß diese bald deutlicher bald versteckter wirke.
Die nähere Ausführung dieser Sätze liefert das dritte Buch.
Nachdem der Begriff der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen festgesetzt ist, so lassen sich nun auch die der Freundschaft und der Geschlechtszärtlichkeit leicht angeben.
Beyde haben dieß mit einander gemein, daß sie angewöhnte Stimmungen sind, nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer, durch Vereinigung der Naturen zu streben. Beyde sind folglich Arten der Zärtlichkeit. Allein darin unterscheiden sie sich von einander, daß die Freundschaft auf Sympathie mit dem Gleichartigen beruht, folglich gleichartige Naturen zu vermengen strebt: daß hingegen Geschlechtszärtlichkeit auf Geschlechtssympathie beruht, und geschlechtsverschiedene Naturen zu vermählen strebt.
Die Zeichen, woran man beyde in der wirklichen Welt von einander auskennen soll, sind sehr schwer anzugeben. Doch darf man sicher da auf Geschlechtszärtlichkeit rechnen, wo Symptome der Ueppigkeit des Körpers und der Seele bey den Empfindungen und Aeußerungen [347] der Verbindung herrschend angetroffen werden. Es ist aber keinesweges nothwendig, daß grobe Symptome der Geschlechtssympathie, besonders des Körpers, dabey erscheinen. Ihre Abwesenheit beweiset folglich nichts für das Daseyn der bloßen Freundschaft.
Nach diesen Bemerkungen kann Freundschaft unter Personen Statt finden, die äußern Kennzeichen nach zu verschiedenen Geschlechtern gehören; und Geschlechtszärtlichkeit unter Personen, die zu dem nehmlichen nach jenen bloß äußern Kennzeichen gehören. Denn da die Geschlechtssympathie mehrere Modifikationen annimmt, und sich sowohl an der Seele als am Körper äußert; so können Personen, welche die letzte gar nicht, oder höchst dunkel bey einander aufregen, dennoch wegen der Geschlechtsverschiedenheit ihrer Seelen in das Verhältniß der Geschlechtszärtlichkeit mit einander treten.
Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit setzen allemahl einen strebenden Zustand zum Voraus, wenn gleich die Verbündeten sich wechselseitig vereinigt glauben. Denn sie suchen die Ueberzeugung ihrer Vereinigung immer zu erhöhen, und die Beweise, die sie sich darüber geben, beständig zu vervielfältigen. Inzwischen unterscheidet sich der Zustand, worin sie durch das Bewußtseyn gerathen, daß ihnen die Vereinigung in vielen Stücken gelungen ist, von demjenigen, worin sie dieß Bewußtseyn noch nicht haben, durch einen höhern Grad von Wonne, und eine engere Verkettung ihrer Schicksale.
Das vierte Buch liefert die nähere Ausführung dieser Sätze.
[348] Die letzte und engste Bedeutung des Worts „Liebe“ ist diejenige, worin es für Leidenschaft der Liebe zum Geschlecht genommen wird.
Leidenschaft überhaupt heißt figierte Sehnsucht nach einer gewissen Wonne, die wir zu unserm Daseyn und Wohl unentbehrlich halten. Das Bedürfniß gesellt sich folglich zur Wonne und die Sehnsucht, welche auf beyden beruht, wird zur herrschenden und anhaltenden Stimmung unsers Wesens.
Die Leidenschaft ist liebend, wenn der Begriff einer figierten Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne an der Beförderung des Glücks eines andern Menschen auf sie zutrifft. Die Leidenschaft der Geschlechtsliebe übertrifft alle andre an Umfang und Stärke. Hier sehnen wir uns, das Bewußtseyn unserer Persönlichkeit zu verlieren, und uns unter dem Bilde einer andern Person wiederzufinden. Wer sich in diesem Zustande befindet, muß nothwendig das Wohl des Menschen, mit dem er sich auf solche Art zu vereinigen sucht, seinem eigenen vorziehen, weil er seine Existenz und sein Wohl nur in ihm erkennt. Das Bestreben, den andern glücklich zu wissen, der Charackter der Liebe, liegt also bereits in der gänzlichen Aufopferung unserer Persönlichkeit. Man darf sagen: Leidenschaft der Geschlechtsliebe sey figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, das Bewußtseyn unsers Selbstes unter dem Bilde des Selbstes eines andern Menschen zu erhalten.
Dieser gewaltsame Zustand setzt die Wirksamkeit zweyer Anlagen in uns zum Voraus, der Selbstverwandlungs- und der Figierungskraft. Vermöge der ersten verirren wir uns bey unserm Selbstbewußtseyn, indem wir die Eigenheiten eines Gegenstandes, der von uns getrennt ist, zu unsern eigenen machen: [349] vermöge der zweyten wird ein gewisser sinnlicher Eindruck, oder eine gewisse Vorstellung der Seele in uns herrschend und dauernd.
Wenn die Selbstverwandlung bey uns bis zur Vollkommenheit steigt, und figiert wird, so geht der Mensch zum völligen Wahnsinn über. Wenn aber die Selbstverwandlung nur unvollkommen und zuweilen geräth, und bloß das Streben nach dem Zustande, worin wir mit einer andern Person eins geworden zu seyn wähnen, bey uns figiert wird; dann entsteht die Leidenschaft der Liebe. Die Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht hat dieß zum Voraus, daß in ihr unendlich mehr Veranlassungen liegen, die Möglichkeit einer Selbstverwandlung zu ahnden, als in jeder andern.
Der Grund der Wirksamkeit der Selbstverwandlungs- und Figierungskraft liegt in einer Ueberspannung der Kräfte des Körpers und der Seele. Diese hängt nicht von unserer Willkühr ab; mithin steht es nicht in unserer Macht, in Leidenschaft zu gerathen, wenn wir wollen. Aber wir können unsere Anlage dazu sehr befördern. Wir können uns absichtlich spannen, und uns dadurch zur Ueberspannung fähiger machen.
Die Leidenschaft kann aus eben diesem Grunde sehr wohl plötzlich entstehen, weil die Ueberspannung unsrer Kräfte eben so wohl von einer schnellen Erschütterung, als von einer anhaltenden Anstrengung herrühren mag.
Die Leidenschaft hört auf, sobald das Streben nach der unentbehrlichen Wonne aufhört, mit der geliebten Person ein Wesen auszumachen.
[350] Leidenschaft unterscheidet sich noch von der einzelnen leidenschaftlichen Aufwallung und von der Beendigung des leidenschaftlichen Strebens durch völlige Ausfüllung unsrer Wünsche, oder durch verzweifelndes Aufgeben derselben. Liebende Anhänglichkeit, in der sich mehr oder weniger leidenschaftliche Aufwallungen einfinden, ist daher noch von der Leidenschaft der Liebe verschieden, und noch mehr sondert sich von ihr ab jener dumpfe Zustand, der mit der Ueberzeugung von einer gänzlich zerrissenen Verbindung verknüpft zu seyn pflegt.
Der Leidenschaft der Liebe steht unmittelbar entgegen die Leidenschaft des Hasses: jene figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, die Person eines andern Menschen durch die unsrige vertilgt zu sehen.
Verschieden von der Leidenschaft der Liebe, aber ihr oft ähnlich, sind diejenigen Leidenschaften, die auf Selbstheit, ja auf bloßer Geschlechtssympathie beruhen. Die Verwechselung ist um so leichter, da jede Leidenschaft eine Aufopferung vieler Neigungen für eine herrschende voraussetzt, die so leicht für völlige Selbstverläugnung um andrer Menschen willen gehalten wird. Allein wir streben dabey entweder gar nicht nach Verbindung mit einer andern Person, und nach ihrem Wohl, oder dieß kommt nur in so fern in Betracht, als wir desselben als eines Mittels bedürfen, um uns zu beglücken
Die Leidenschaft, mit der wir der Befriedigung körperlicher Triebe bey einer Person vom andern Geschlechte nachstreben; – diejenige, mit der wir ihre Schätzung, ihren Beyfall, ihre Auszeichnung zu erwerben, und dadurch unserer Ruhmsucht, oder unserer Eitelkeit Nahrung zu verschaffen suchen, können [351] ungeachtet aller Aufopferungen, die wir an Gütern, Ruhe, Gesundheit und Leben darbringen, nie für liebend gehalten werden. Selbst diejenige Leidenschaft, die Alles hingiebt, um ihren Gegenstand ganz zu besitzen, und durch die Vereinigung mit ihm sich glücklich zu fühlen, ist nicht Liebe, ist Eigennutz, wenn nicht die Sehnsucht nach dem ausschließenden Besitze der Person dem Wohl derselben, als eines selbständigen Wesens, untergeordnet ist, und den Zweck des Strebens ausmacht.
Endlich wird die Begeisterung für das Bild eines andern Menschen, welches unsre Phantasie zu einem Ideale von Vollkommenheit hebt, und worüber unser Herz die Bedürfnisse des Originals vergißt, nur für verfeinerte Selbstheit gelten können, wenn dieser Zustand der Erhöhung über unser niedriges Selbst gleich noch so vortheilhaft für die Veredlung unsers Wesens seyn sollte.
Die Ausführung dieser Sätze enthält das fünfte Buch, und der dritte Abschnitt des sechsten.
[352][353]
Verbesserungen im ersten Band.
| Seite | 10 | Zeile | 4 | von unten: | Ja! für Ja! Ja! |
| 〃 | 27 | 〃 | 11 | 〃 〃 | abzeichnen für abziehen. |
| 〃 | 72 | 〃 | 7 | von oben: | einer Bestrebung für seiner Bestrebung. |
| 〃 | 91 | 〃 | 15 | 〃 〃 | den Vogel für dem Vogel. |
| 〃 | 101 | 〃 | 6 | von unten: | zusammenzutreffen für zusammentreffen. |
| 〃 | 129 | 〃 | 1 | von oben: | Anspannung für Anschauung. |
| 〃 | 138 | 〃 | 12 | von unten: | hinter Ganymeds ein (,) |
| 〃 | 152 | 〃 | 11 | von oben: | Statur für Natur. |
| 〃 | 163 | 〃 | 3 | 〃 〃 | Indem wir unser Gemüth den Angriffen eines Wesens gern entgegen bieten, so erkennen wir mit Vergnügen seine Gewalt über uns an: Indem wir gern auf dasselbe einwirken, erkennen wir mit Vergnügen unsre Gewalt über dieß äußere Wesen an. Jener erste Zustand wird Hingebung genannt; dieser letzte Beherrschung. |
| 〃 | 163 | 〃 | 12 | von unten: | reiner für einer. |
| 〃 | 172 | 〃 | 15 | 〃 〃 | sittigen für sittlichen. |
| 〃 | 215 | 〃 | 8 | 〃 〃 | monarchischen für moralischen. |
| 〃 | 243 | 〃 | 10 | 〃 〃 | persönlichsten für persönlichen. |
| 〃 | 245 | 〃 | 12 | 〃 〃 | entsagst für entsagt. |
| 〃 | 258 | 〃 | 12 | 〃 〃 | hielten für haben. |
Unter mehrern Beyspielen solcher Anhänglichkeiten von Hunden an ihren Herrn, welche mehr oder weniger glaubwürdig sind, führe ich eins an, das mir von einem Augenzeugen erzählt ist, in dessen Wahrheitsliebe ich nicht den geringsten Zweifel setzen kann.
In Landau lag ein Officier in Garnison, der einen häßlichen aber sehr treuen Hund hatte. Der Herr ward erstochen und heimlich verscharret. Der Hund fand den Ort aus und gab ihn durch sein Geheul und sein Kratzen denen zu erkennen, welche nach ihm suchten. Da der Officier im Duell erstochen war, so
konnte er kein ehrliches Begräbniß erhalten. Man begnügte sich also, ihn an dem Orte, wo er zuerst verscharret gewesen war, tiefer unter die Erde zu bringen. Der Hund war demohngeachtet nicht zu bewegen, die Stelle zu verlassen. Die Einwohner der Stadt wurden durch diese Treue gerührt. Man baute dem Thiere eine kleine Hütte, und brachte ihm täglich seine Nahrung. Der Hund blieb bis an seinen Tod auf der Stelle, welche die theuren Reste seines Herrn in sich faßte.
der verschiedenen Adhärenzen unsers Ich’s festzusetzen, die zum praktischen Gebrauche, und besonders zur Unterscheidung verschiedener Gefühle wichtig seyn können.
Ich habe in den vorigen Kapiteln ein sensitives, ein thierisch lebendiges, ein vegetierendes Wesen als Adhärenzen unsers Ich’s, angenommen. Nicht, weil ich sie für wirklich verschiedene Wesen halte: denn das kann ich nicht beurtheilen; sondern weil ich an meinen Organen, an meiner innern Organisation, und endlich an dem gröbern Stoffe, den ich an mir trage, solche verschiedene Wirkungen wahrnehme, die ich mir unter dem Bilde verschiedener mit Kräften und Reitzbarkeit versehener Wesen, deren Veränderungen das Ich mittelst des Bewußtseyns unmittelbar aufnimmt und vereinigt, am deutlichsten denken kann.
In eben dem Sinne und in eben der Absicht, um nur Merkmahle von den verschiedenen Veränderungen zu haben, die ich an mir bemerke, theile ich nun wieder die Seele, als Adhärenz meines Ich’s, in zwey Wesen ein, die beyde mit Kräften und Reitzbarkeit versehen sind: in das Gemüth und in den Geist. Unter Gemüth verstehe ich dasjenige Wesen meiner Seele, das der Sensibilität der äußeren Organen meines Körpers durch die Art, wie es Eindrücke von Bildern und Vorstellungen einnimmt, sich mit diesen ins Verhältniß setzt, und von ihnen zur Lust oder Unlust gereitzt wird, so ähnlich ist. Es ist der Inbegriff aller Kräfte und aller Vermögen an mir, die ich nur nicht unmittelbar am Körper wirksam fühle, und die ich nicht zu meinem Geiste rechne: Mit einem Worte: das niedere Seelenwesen. Unter Geist verstehe ich hingegen die engste Adhärenz meines Ich’s, das letzte belebende Princip im Gemüthe, mit dem mein Ich gedacht wird, wenn ich im Bewußtseyn ein vermögendes und reitzbares Wesen in mir noch von den Kräften und der Reitzbarkeit meines Gemüths unterscheide: Mit einem Worte: das höhere Seelenwesen. Ich bin mir bewußt,
daß mein Geist noch ungeschwächt und heiter ist, wenn gleich mein Gemüth viele seiner Kräfte verloren hat, durch unangenehme Vorstellungen verfinstert wird, Krankheit meine Lebenskraft erschlafft, Blindheit und Taubheit die Sensibilität der wichtigsten Organe zerstört, und das Alter meine Bildungskraft gehemmt hat. Ich bin mir bewußt, daß mein Geist bey der Betrachtung dessen, was mein Gemüth und mein Körper waren und wieder werden können, sich erhebt, sich froh fühlt, u. s. w. Man dürfte vielleicht sagen: der Geist sey das innerste Wesen im Gemüthe und verhalte sich zu diesem in der Seele, wie die Lebenskraft zur Sensibilität im Körper. Ich bitte aber nicht zu vergessen, daß ich diese Dinge bloß so darstelle, wie sie sich im Bewußtseyn gegen einander zu verhalten scheinen.
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von. Venus Urania. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bpdq.0