[][][][][][][[I]]
Handbuch
der

Geſchichte
des Europaͤiſchen
Staatenſyſtems
und
ſeiner Colonien

von der Entdeckung beyder Indien bis zur Errichtung
des Franzoͤſiſchen Kayſerthrons.


Und die Grenzen aller Laͤnder wanken,
Und die alten Formen ſtuͤrzen ein!


(Schiller.)

Goͤttingen: ,
beyJohann Friedrich Roͤwer.
1809.

[[II]][[III]]

Vorrede.


Unter den großen Erſcheinungen, welche uns
die Weltgeſchichte aufſtellt, iſt die des Europaͤi-
ſchen Staatenſyſtems oder Staatenvereins in den
letzten drey Jahrhunderten bisher die groͤßte, und
zugleich fuͤr uns die wichtigſte. Die Staatenſyſte-
me, welche ſich in Griechenland im Alterthum,
in Italien im Mittelalter bildeten, ſtehen an
Macht und Umfang hinter dieſem zu weit zu-
ruͤck; und wenn das aus der Theilung von Ale-
xander's Weltmonarchie hervorgegangene Macedo-
niſche in dieſer und in anderen Ruͤckſichten viel-
leicht damit verglichen werden kann; ſo gelangte
es doch nicht zu einem gleichen Grade von Reife
* 2und
[IV]Vorrede.
und Ausbildung. Es iſt aber auch zugleich fuͤr
uns das wichtigſte; nicht nur wegen unſerer per-
ſoͤnlichen Beziehungen; ſondern auch weil wir bey
weitem auf das genaueſte von ſeiner Bildung, ſei-
nen Veraͤnderungen und Schickſalen, unterrichtet
ſind.


Wer es unternimmt die Geſchichte eines
Staatenſyſtems (worunter wir einen Verein ſich
begrenzender, durch Sitten, Religion und Cultur
ſich aͤhnlicher, und unter einander durch wechſel-
ſeitiges Intereſſe verflochtener, Staaten verſtehen;)
darſtellen zu wollen, wird vor allem den allgemei-
nen Character desſelben richtig auffaſſen muͤſſen.
Bey dem von Europa zeigt es ſich leicht, daß
dieſer in ſeiner inneren Freyheit, oder der wech-
ſelſeitigen Unabhaͤngigkeit ſeiner Glieder, wie un-
gleich ſich auch dieſe an Macht ſeyn mochten, zu
ſuchen ſey. Dadurch unterſchied es ſich von der
entgegengeſetzten Claſſe von Staatenſyſtemen, der-
jenigen mit einem anerkannten Principat. Daß
einzelne, mit groͤßerm oder geringerem Erfolge,
gemachte Verſuche, jene Unabhaͤngigkeit theilweiſe
aufzuheben, nicht ſofort den allgemeinen Charac-
ter veraͤndern, bedarf keines Beweiſes. Der Ge-
ſchicht-
[V]Vorrede.
ſchichtforſcher, der den Wechſel der Verhaͤltniſſe
zwiſchen dieſen Staaten darſtellen will, wird ſie
alſo als eine Geſellſchaft unabhaͤngiger Perſonen
anſehen muͤſſen, die unter einander in vielfacher
Beziehung ſtehen. Ein neuerer Sprachgebrauch
will zwar, daß man die Staaten nicht als ſolche,
ſondern als Maſchinen betrachten ſoll; wenn es
aber nicht mal moͤglich iſt ein Heer zu einer blo-
ßen Maſchine zu machen, (ſonſt wuͤrde keines flie-
hen); wie waͤre es mit der buͤrgerlichen Geſell-
ſchaft moͤglich? Daß dieſe Vorſtellungsart aber
am wenigſten auf die Europaͤiſchen Staaten paſ-
ſen wuͤrde, zeigt ſchon allein die große Verſchie-
denheit ihrer Verfaſſungen.


Indem der Verfaſſer von dieſen Grundideen
ausging, mußte ſich ihm das Feld ſeiner Unter-
ſuchungen nothwendig ſehr erweitern. Er durfte
ſich nicht blos auf das aͤußere Spiel der Ver-
haͤltniſſe beſchraͤnken; ſondern mußte ſuchen in ihr
Inneres zu dringen; und die Triebfedern aufzu-
ſpuͤren, wodurch es in Bewegung geſetzt und er-
halten wurde. In jeder Geſellſchaft moraliſcher
Perſonen werden aber erſtlich nothwendig gewiſſe
allgemeine Ideen herrſchen, aus denen im Gan-
* 3zen
[VI]Vorrede.
zen die Maximen des Handelns hervorgehn; ohne
daß man dabey an irgend ein angenommenes Sy-
ſtem zu denken braucht. Dieſe Ideen koͤnnen
aber unmoͤglich ihrer Natur nach unveraͤnderlich
ſeyn, ſchon deshalb nicht, weil die Koͤpfe nicht
dieſelben bleiben. Eben darum iſt es thoͤricht zu
verlangen, daß Cabinette nach einem ſtets glei-
chen Syſteme handeln ſollen, wenn gleich jede
vernuͤnftige Regierung nach gewiſſen Maximen
handeln muß. Jene, das jedesmalige Zeitalter
leitenden, Ideen richtig aufzufaſſen, und die dar-
aus geſchoͤpften Maximen darzuſtellen, wird alſo
die erſte Aufgabe ſeyn. Allein auch die einzelnen
Glieder eines ſolchen Vereins haben jedes ſeinen
Character, ſeine Art zu ſeyn und zu handeln.
Auch dieſe aber ſind der Veraͤnderung unterwor-
fen; und wie ließe ſich die Geſchichte des Ver-
eins im Ganzen richtig durchfuͤhren, wenn dieſe
Veraͤnderungen nicht auch bey den einzelnen Haupt-
gliedern wenigſtens angedeutet wuͤrden?


In dieſen Bemerkungen muß die Rechtferti-
gung von dem Plan des Verfaſſers liegen. Er
wollte nicht blos einen Abriß des Wechſels der
Verhaͤltniſſe, und der daraus hervorgehenden Be-
geben-
[VII]Vorrede.
gebenheiten geben, wenn gleich dieß allerdings ei-
nen Haupttheil ſeiner Arbeit ausmachen mußte.
Er wollte zugleich ihren Grund in den herrſchen-
den Ideen des jedesmaligen Zeitalters, ſo wie
bey den einzelnen Hauptſtaaten als handelnden
Hauptperſonen in dieſem Verein, die Fortbil-
dung ihrer Charactere und der daraus hervorge-
henden Handelsweiſe darſtellen. Darauf bezie-
hen ſich die, wo er es noͤthig fand, eingeſchalte-
ten Abſchnitte uͤber die einzelnen Staaten. Man
wuͤrde ihn gaͤnzlich mißverſtehen, wenn man dieſe
fuͤr einen Verſuch anſehen wollte, neben der all-
gemeinen Geſchichte auch die Special-Geſchichte
von dieſen durchzufuͤhren. Er hatte vielmehr je-
nen ſehr beſtimmten Zweck dabey vor Augen.
Daß er aber auch die Colonien, ihre Fortbildung,
und ihren Einfluß auf Europa ſelber mit hinein-
ziehen mußte, liegt am Tage. Sie gehoͤren dem
Staatenſyſtem von Europa an; an ſie knuͤpfte
ſich der Gang des Welthandels, und ſein ganzer
unermeßlicher Einfluß auf die Politik; wie be-
ſchraͤnkt wuͤrde alſo ohne ſie die Anſicht geblieben
ſeyn! Die auf ſie ſich beziehenden Abſchnitte
duͤrfen aber um ſo mehr eine guͤnſtige Aufnahme
erwarten, je weniger dieſer Gegenſtand bisher in
* 4unſere
[VIII]Vorrede.
unſere Lehrbuͤcher der Geſchichte aufgenommen
worden iſt.


Schon hieraus wird hervorgehen, daß der
Vf. ſich ſein Geſchaͤft nicht zu leicht gemacht ha-
be; die naͤhere Anſicht jedes einzelnen Abſchnittes
wird dieſes hoffentlich deutlicher zeigen. Es war
ſein Bemuͤhen jeden einzelnen Gegenſtand in dem
Licht darzuſtellen, in welchem er ihm nach ſorg-
faͤltigem Studium erſchien; denn, was er ſelber
uͤber jeden derſelben gedacht hatte, in derjenigen
Kuͤrze darzulegen, welche die Form ſeiner Arbeit
erforderte, und ſo den Freunden der Geſchichte
die leitenden Hauptideen zu geben, war ſein
Wunſch. Daß dieſes bey der großen Menge
nicht nur, ſondern auch der großen Mannichfal-
tigkeit der Gegenſtaͤnde lange und vielfache Vor-
arbeiten erforderte, (wer kann ohne vertraute Be-
kanntſchaft mit dem ganzen Kreiſe der Staats-
wiſſenſchaften neuere Geſchichte Europas behan-
deln?) glaubt er ſagen zu duͤrfen. Was man
dem bloßen Gelehrten bey der Beurtheilung der
Cabinetspolitik vorzuwerfen pflegt, iſt ihm nicht
unbekannt; er hat ſelber das Beduͤrfniß gefuͤhlt,
ſich durch gaͤnzliche Entfernung von allem Syſte-
mati-
[IX]Vorrede.
matiſiren den Sinn fuͤr practiſche Politik leben-
dig zu erhalten *); und wenn er gleich die an-
ſtaͤndige Freymuͤthigkeit, welche die Beurtheilung
des Vergangenen erlaubt, nicht verleugnet hat;
ſo glaubt er doch nie die Achtung verleugnet zu
haben, die man auch noch dem Schatten der
Maͤnner ſchuldig iſt, welche in großen Wirkungs-
kreiſen ſtanden. Bedarf es uͤbrigens noch der
Erinnerung, daß er das, was er ſagte, ſtets in
Beziehung auf die Zeit ſagte, wovon er ſprach?
Nur argliſtige Verdrehung wuͤrde es auch auf
andere Zeiten anwenden wollen.


Ueber menſchliche Verhaͤltniſſe menſchlich zu
urtheilen war alſo das Streben des Verfaſſers.
Zu
* 5
[X]Vorrede.
Zu jenem hoͤheren Standpunct aber ſich zu erhe-
ben, von dem herunter unſre ſpeculativen Hiſtori-
ker, das Europaͤiſche Staatenſyſtem nur als ein
Glied in der Kette der Erſcheinungen betrachtend,
die Fortſchritte der Menſchheit zu meſſen behaup-
ten, lag nicht in ſeinem Plan. Maͤnner die da
oben waren haben ihn verſichert, man ſaͤhe dort
nicht weiter als hier unten; die Ausſicht nach der
einen Seite, der der Vergangenheit, ſey beſchraͤnkt
ſo wie hier; nach der andern, der der Zukunft,
erblicke man nur Nebel, in denen man kaum ei-
nige zweifelhafte Geſtalten zu erkennen glaube.
Es ſey, meinten ſie, der Platz um Halbromane
zu ſchreiben. Wenn alſo auch der Vf. zu be-
merken glaubte, daß das Europaͤiſche Staatenſy-
ſtem weder in die Periode der Unſchuld, noch
der vollendeten Rechtfertigung falle, ſo bekennt er
doch auch nicht zu wiſſen, ob es in die der an-
hebenden oder vollendeten Suͤndhaftigkeit gehoͤre.
Eben ſo wenig hat er auf die ſeynſollenden feſten
Principien Ruͤckſicht nehmen koͤnnen, nach denen
einige politiſche Sophiſten jetzt die Maßregeln
der Cabinette beſtimmen wollen. Von ihrer neu
ausgepraͤgten Phraſeologie und Terminologie iſt
alſo gar kein Gebrauch gemacht. In der That
ſie
[XI]Vorrede.
ſie moͤgen vielleicht Recht haben, daß ein Huhn
richtiger eine Hahnin heißen ſolle; er aber nennt
es dennoch ein Huhn. — Es iſt beſſer ſich uͤber
dieſe Dinge im voraus zu verſtaͤndigen, damit
jeder wiſſe, was er zu ſuchen habe.


Waͤhrend der Vf. die Geſchichte des Europaͤi-
ſchen Staatenſyſtems bearbeitete, ſah er dasſelbe
in mehreren ſeiner weſentlichſten Theile zuſammen-
ſtuͤrzen. Nie iſt daher wohl eine aͤhnliche Arbeit
unter aͤhnlichen Umſtaͤnden ausgefuͤhrt. Indem er
jedoch ſeinen Kreis ſo beſchraͤnkte, daß die naͤch-
ſte Vergangenheit, noch nicht reif fuͤr die Ge-
ſchichte, davon ausgeſchloſſen blieb; hofft er ſich
eine freye Anſicht des Ganzen erhalten zu haben.
Seine Achtung fuͤr die Nation der er angehoͤrt,
hat er nicht verleugnet; uͤbrigens, nie Buͤrger ei-
nes der Hauptſtaaten Europas, konnte er auch
fuͤr keinen derſelben Parteylichkeit haben.


Eine zahlreiche Geſellſchaft von Staaten, in
langen und vielfachen Verflechtungen, cultivirt
und verdirbt ſich wie unter gleichen Umſtaͤnden
eine große Menſchenmaſſe. Die Uebel, welche den
Fall des Europaͤiſchen Staatenſyſtems herbeyfuͤhr-
ten,
[XII]Vorrede.
ten, giengen alſo ſo wie ſein Gutes meiſt eben
daraus hervor, daß es ein Syſtem war. Die
Urſachen, welche die Cataſtrophe vorbereiteten,
darzulegen, mußte alſo allerdings in dem Plan
des Vf. liegen; er bleibt aber darum noch ſehr
weit von der Anmaßung entfernt gezeigt haben
zu wollen, daß es gerade ſo habe kommen muͤſ-
ſen
. Wer an der Hoffnung haͤngt, daß das Al-
te wiederkehren werde, dem will er ſie nicht rau-
ben; wer ihr entſagt, wird in der hier dargeſtell-
ten Vergangenheit vielleicht die Ausſicht zu einer
groͤßern und herrlichern Zukunft entdecken, wenn
er, ſtatt des beſchraͤnkten Europaͤiſchen Staaten-
ſyſtems der verfloſſenen Jahrhunderte, durch die
Verbreitung Europaͤiſcher Cultur uͤber ferne Welt-
theile und die aufbluͤhenden Anpflanzungen der
Europaͤer jenſeit des Oceans, die Elemente zu
einem freyern und groͤßern, ſich bereits mit Macht
erhebenden, Weltſtaatenſyſtem erblickt; der
Stoff fuͤr den Geſchichtſchreiber kommender Jahr-
hunderte!


Goͤttingen den 5. Febr.


1809.


Inhalt.
[XIII]

Inhalt.


  • EinleitungS. 1.
  • Neuere Geſchichte im Verhaͤltniß gegen mittlere und aͤl-
    tere §. 1. Gegen die außereuropaͤiſche 2. Europaͤiſches
    Staatenſyſtem 3. Sein monarchiſcher Character 4. Je-
    doch innere Mannichfaltigkeit 5. Seine Stuͤtzen; Voͤlker-
    recht 6. 7. Politiſches Gleichgewicht 8. Seemaͤchte 9. Fami-
    lienverbindungen 10. Verfaſſung der Staaten 11. Fuͤrſten-
    macht 12. Colonien 13. Perioden und Eintheilung 14. 15.
    Erſte Periode. Vom Ende des funfzehn-
    ten Jahrhunderts bis an das Zeitalter
    von Ludwig XIV. 1492--1661.
    S. 16.
  • I.Erſter Theil. Geſchichte des ſuͤdlichen Eu-
    ropaͤiſchen Staatenſyſtems.

    Allgemeine VorerinnerungenS. 16.
  • Inhalt.
    Character beſtimmt durch die Reformation §. 1. Anſicht
    der einzelnen Hauptſtaaten, Spanien, Frankreich, England,
    Oeſtreich, das deutſche Reich, der Pabſt, die Pforte 2.
    A.Erſter Zeitraum 1492-1515.S. 20.
  • 1. Geſchichte der Haͤndel und Streitigkeiten uͤber
    Italien.

    Politiſcher Zuſtand Italiens §. 3. 4. Eroberungszug von
    Carl VIII. 5. 6. Deſſen Folgen 7. Unter Ludwig XII. 8.
    9. Feſtſetzung Frankreichs und Spaniens in Italien 10.
    Pabſt Julius II. 11. Ligue zu Cambrai 12. 13. Entſte-
    hung der heil. Ligue 14. 15. Ihre Aufloͤſung 16. Cha-
    racter der Politik 17. der Staatswirthſchaft 18. der
    Kriegskunſt 19.
    2. Geſchichte der Entſtehung des Colonialweſens
    von
    1492-1515. S. 32.
  • Begriff und Claſſen von Colonien §. 1. Verhaͤltniß zu
    den Mutterlaͤndern 2. Ihre Folgen 3. Erſte Entdeckun-
    gen und Eroberungen der Spanier in America 4. der
    Portugiſen in Oſtindien 5. Umfang und Einrichtung
    ihrer Herrſchaft 6. ihres Handels 7. Braſilien 8.
    B.Zweyter Zeitraum von 1515-1556.S. 39.
  • Allgemeine Ideen §. 1.
    1. Geſchichte der Rivalitaͤt zwiſchen Frankreich
    und Spanien in dieſem Zeitraum
    S. 40.
    Character jener Rivalitaͤt §. 2. Entſtehung. Tractat zu
    Noyon. Wechſelſeitige Macht 3-5. Erſter Krieg 6. Ver-
    gleich zu Madrit 7. Zweyter Krieg; Frieden zu Cambrai
    8. Folgen fuͤr Italien 9. Verbindung der Pforte mit
    Frankreich 10. Ihre Seemacht. Malta. Gruͤndung der See-
    raͤuberſtaaten 11. Dritter Krieg 12. Waffenſtillſtand zu
    Nizza 13. Folgen 14. Vierter Krieg; Frieden zu Crespy
    15. 16. Folgen 17.
  • Inhalt.
    2. Geſchichte der Reformation in politiſcher Ruͤck-
    ſicht von ihrem Anfange bis zum Religions-
    frieden
    von 1517-1555 S. 54.
  • Allgemeiner Character der Reformation §. 1. Zuſtand
    von Deutſchland und der einzelnen Haͤuſer 2. Sie wird
    Staatsſache durch den Reichstag zu Worms 3. Den Bau-
    ernkrieg 4. Die Saͤculariſation von Preußen 5. Erſte Ver-
    bindung von Staͤnden zu Deſſau und Torgau 6. zu
    Schmalkalden 7. Urſachen des verzoͤgerten Ausbruchs des
    Kriegs; Concilien-Plaͤne 8. 9. Was der Kayſer wollte?
    10. Ausbruch des Krieges 11. Vernichtung des Schmal-
    kalder Bundes 12. Moriz. Paſſauer Vertrag 13. Krieg
    mit Frankreich. Waffenſtillſtand zu Vaucelles 14. Reli-
    gionsfrieden zu Augsburg 15. Carl's Abdankung 16. Um-
    fang und Folgen der Reformation 17. Fuͤr Deutſchland
    18. Fuͤr andre Laͤnder 19. Geſellſchaft der Jeſniten 20.
    Allgemeiner Character der Politik 21. der Staatswirth-
    ſchaft 22. der Kriegskunſt 23.
    3. Geſchichte der Fortſchritte des Colonialweſens
    von 1517-1555. S. 78.
  • Allgemeine Anſicht §. 1. Spaniſche Continentalcolonien
    in America 2. Verfaſſung 3. Kirchlicher Zuſtand 5. Ge-
    ſellſchaftlicher Zuſtand 6. Benutzung 7. Sclaverey und
    Neger. Formen des Handels 8. Herrſchaft der Portugie-
    ſen
    in Oſtindien 9. Erweiterung 10. 11. Braſilien und
    Africa 12. Erſte Erdumſchiffung 13.
    C.Dritter Zeitraum von 1556-1618.S. 91.
    Allgemeine Anſicht. Religion §. 1. 2. Rivalitaͤt Spani-
    ens und Englands 3. Trennung der Spaniſchen und Kap-
    ſerkrone 4. Centralpunct der Politik, Niederlaͤndiſche Re-
    volution 5.
  • 1. Geſchichte der Entſtehung der Republik der
    vereinigten Niederlande und ihrer naͤchſten

    Fol-
    [XVI]Inhalt.
    Folgen fuͤr Europa, bis zum 12 jaͤhrigen Waf-
    fenſtillſtande
    1609 S. 95.
  • Vorlaͤufige Notizen §. 1-4. Lage beym Antritt Phi-
    lipp's II. 5. Klagen der Niederlaͤnder 6. Philipp's Anſich-
    ten 7. Compromiß 8. Alba's Herrſchaft 9. Wilhelm von
    Oranien und ſeine Entwuͤrfe. Einnahme von Briel und
    Inſurrection 10-12. Fortgang waͤhrend der Statthalter-
    ſchaft von Zuniga 13. von D. Juan 14. von Alexander
    von Parma 15. Ermordung Wilhelm's und ihre Folgen
    16. Theilnahme Eliſabeth's 17. Heinrich's IV. Frieden
    zu Vervins; 12 jaͤhriger Waffenſtillſtand 18. Folgen der
    Republik fuͤr Europa 19. 20.
  • 2. Ueberſicht der gleichzeitigen Veraͤnderungen in
    den uͤbrigen Hauptſtaaten des weſtlichen Eu-
    ropas, und ihrer Reſultate
    S. 112.
  • Allgemeine Anſichten §. 1. 2. Frankreich. Religions-
    kriege 3-6. Folgen fuͤr den Staatscharacter 7. fuͤr die
    auswaͤrtige Politik 8. Heinrich IV. und ſeine Europaͤiſche
    Republik 9. 10. Spanien. Bildung des Staatscharacters
    unter Philipp II. und III. 11. 12. 13. England. Bil-
    dung des Staatscharacters unter Eliſabeth. Proteſtantis-
    mus 14. Continentalverhaͤltniſſe 15. Das Deutſche
    Reich
    . Innere Gaͤhrung 16. 17. Verhaͤltniſſe des Oſtens
    in Ungarn und Siebenbuͤrgen 18. Allgemeiner Character
    der Politik 19. der Staatswirthſchaft: Sully; Holland 20.
    der Kriegskunſt 21.
  • 3. Geſchichte der Fortſchritte des Colonialweſens
    von
    1558-1618. S. 129.
    Allgemeine Anſichten §. 1. 2. Portugiſen. Sinken ih-
    rer Herrſchaft in Oſtindien 2. 3. Beſitzungen in Braſilien
    und Africa 4. Spanier. Philippinen 5. Hollaͤnder.
    Erſte Fahrt nach Indien 6. Hollaͤndiſche Oſtindiſche Com-
    pagnie. Ihre Organiſation 7. Maximen 8. 9. Folgen 10.
    Englaͤnder. Anfang des Handels nach Aſien 12. Oſtindi-
    diſche
    [XVII]Inhalt.
    diſche Compagnie 12. Erſte Verſuche in Nordamerica 13.
    Freyheit der Meere 14. Franzoſen. Erſte Verſuche in
    Canada 15.
  • D.Vierter Zeitraum von 1618-1660.S. 140.
  • Allgemeine Anſichten §. 1. 2.
    1. Geſchichte des dreißigjaͤhrigen Krieges und ſei-
    ner Folgen, bis zum Weſtphaͤliſchen und Py-
    renaͤiſchen Frieden
    S. 142.
  • Allgemeiner Character des 30jaͤhrigen Krieges §. 3. Sein
    Urſprung und Ausbruch 4. Verbreitung 5. 6. Wallenſtein
    7. 8. Verlaͤngerung durch das Reſtitutionsedict 9. Einmi-
    ſchung Richelieu's 10. Guſtav Adolph 11. Seine Rolle
    in Deutſchland 12. 13. Wallenſtein's Fall 14. Veraͤnder-
    ter Character 15. Frankreichs thaͤtige Theilnahme und
    Folgen 16. 17. Friedensausſichten 18. Weſtphaͤliſcher
    Friede 19. 20. 21. 22. Folgen 23. Fuͤr Deutſchland 24.
    Fuͤr das Europaͤiſche Staatenſyſtem 25. Franzoͤſiſch-Spa-
    niſcher Krieg und Pyrenaͤiſcher Frieden 26.
    2. Ueberſicht der gleichzeitigen Veraͤnderungen in
    den uͤbrigen Hauptſtaaten des weſtlichen Eu-
    ropas, und ihre Reſultate
    S. 163.
    Spanien und Portugal §. 1. Frankreich: Riche-
    lieu 2. Mazarin; die Fronde 3. England: Die Stu-
    arts. Ihr Zwiſt mit der Nation 4. Folgen unter Carl I.
    und Cromwell. Seine Politik. Navigationsacte 5. 6. Re-
    ſtauration 7. Die vereinigten Niederlande: Er-
    neuerter Krieg mit Spanien. Folgen 8. Oeſtreich: Ver-
    haͤltniſſe mit Ungarn 9. Die Tuͤrken 10. Allgemeiner
    Character der Politik 11. Politiſche Grundſaͤtze in England
    und ihre Folgen 12. Der Staatswirthſchaft 13. Der
    Kriegskunſt 14.
  • 3. Geſchichte des Europaͤiſchen Colonialweſens von
    1618 bis 1660 S. 176.
  • Allgemeine Anſichten §. 1. Hollaͤnder 2. In Oſtin-
    dien 3. Batavia. Portugieſiſche Eroberungen 4. Capcolo-
    nie 5. Weſtindiſche Compagnie 6. Fiſchereyen 7. Andere
    Handelszweige 8. Englaͤnder. Rivalitaͤt und Monopole
    9. Oſtindiſcher Handel 10. Anſiedelungen in Weſtindien
    11. In Nordamerica 12. Franzoſen. Verſuche in Weſt-
    indien 13. Spanier und Portugieſen 14.
    II.Zweyter Theil der erſten Periode.
    Geſchichte des noͤrdlichen Staatenſyſtems,
    von der Aufloͤſung der Calmariſchen Union
    bis zu den Frieden von Oliva und Copen-
    hagen 1523 -- 1660.
    S. 186.
  • Allgemeine Anſichten §. 1. Einfluß der Reformation auf
    den Norden 2. 3. Ueberſicht der einzelnen nordiſchen Staa-
    ten; Daͤnemark, Schweden, Polen, Preußen und Rußland
    4.
    1. Geſchichte der Haͤndel und Kriege uͤber Lief-
    land bis auf den Anfang des Schwediſch-Pol-
    niſchen Succeſſionsſtreits.
    1553-1600. S. 190.
  • Verhaͤltniſſe Lieflands §. 5. Angriff von Iwan Baſile-
    witz II., und Folgen 6. Erloͤſchung der Ruriks in Ruß-
    land und der Jagellonen in Polen; und Folgen fuͤr den Nor-
    den und Europa 7.
    2. Geſchichte des Schwediſch-Polniſchen Succeſ-
    ſionsſtreits und ſeine Folgen bis zu den Frieden
    von Oliva u. Copenhagen,
    1600-1660. S. 193.
  • Urſprung des Succeſſionsſtreits §. 1. Folgen 2. Anar-
    chie und Kriege in Rußland bis zur Erhebung des Hauſes
    Roma-
    [XIX]Inhalt.
    Romanow 3. Guſtav Adolph in Liefland 4. Entſtehung der
    Eiferſucht zwiſchen Daͤnemark und Schweden im 30 jaͤhrigen
    Kriege und Folgen bis zum Frieden von Broͤmſebroe 5.
    Carl Guſtav und ſeine Plaͤne 6. 7. Frieden zu Copenhagen
    und Oliva 8. Folgen fuͤr Preußen 9. Fuͤr Daͤnemark;
    Einfuͤhrung der Souverainitaͤt 10.
  • Zweyte Periode. Von dem Anfang des
    Zeitalters Ludwig's XIV. bis auf den Tod
    Friedrich's des Großen, und den Anfang
    des revolutionairen Zeitalters, von 1661
    bis 1786
    S. 203.
  • Allgemeiner Character. Ausbildung des Mercantilſyſtems,
    und ſeine Grundſaͤtze §. 1 — 6. Seine Folgen fuͤr die Po-
    litik 7. Stehende Heere 8. Politiſches Gleichgewicht 9.
    Geſandſchaftsweſen und ſeine Folgen 10.
  • A.Erſter Zeitraum von 1661-1700.
  • I. Geſchichte des ſuͤdlichen Europaͤiſchen Staatenſy-
    ſtems in dieſem Zeitraum
    S. 211.
  • Allgemeine Anſichten; von Frankreich §. 1. von den uͤbri-
    gen Staaten, Spanien, England, Oeſtreich und dem deut-
    ſchen Reich 2.
  • 1. Staatshaͤndel in Europa von 1661-1700 S. 214.
    Einwirkung des Mercantilſyſtems auf Frankreich §. 1.
    Auf England und Holland 2. Entwuͤrfe Ludwig's XIV. 3.
    Krieg zwiſchen England und der Republik. — Frieden zu
    Breda 4. Angriff Ludwig's auf die Spaniſchen Niederlan-
    de. Tripleallianz. Frieden zu Aachen 5. Folgen und neue
    Entwuͤrfe 6-9. Angriff auf die Republik in Verbindung
    mit England 10. Ausbreitung und Gang des Krieges. —
    Wilhelm III. 11. Nimweger Frieden 12. Folgen der auf-
    * * 2geloͤß-
    [XX]Inhalt.
    geloͤßten Verbindungen 13. Geſammelter Stoff zu einem
    neuen Hauptkriege 14-20. Krieg von 1688 und ſein Gang
    21. 22. Ryswiker Frieden 23. Folgen fuͤr die Erhaltung
    des politiſchen Gleichgewichts 24. Fuͤr die Gruͤndung der
    Brittiſchen Continentalpolitik durch Wilhelm III. 25. —
    Gleichzeitige Tuͤrkenkriege beſonders durch Siebenbuͤrgen
    veranlaßt. Der erſte 1661-1664. 26. Der zweyte 1682-
    1699. Carlowitzer Frieden 27.
  • 2. Ueberſicht der gleichzeitigen Hauptveraͤnderun-
    gen in den einzelnen Hauptſtaaten des ſuͤd-
    lichen Europas und ihre Reſultate
    1661 bis
    1700 S. 238.
  • Spanien und Portugal §. 1. Frankreich 2. In-
    nere Veraͤnderung des Staatscharacters. Urſprung des Jan-
    ſenismus 3. England. Revolution. Bildung des Staats-
    characters 4-7. Die V. Niederlande. Erbſtatthalter-
    ſchaft. Ihr Einfluß 8. Das Deutſche Reich. Beſtaͤn-
    diger Reichstag 9. Veraͤndertes Fuͤrſtenleben 10. 11. Oe-
    ſtreich
    . Verhaͤltniſſe mit Ungarn 12. 13. und Siebenbuͤr-
    gen 14. Die Pforte 15. Veraͤnderung der Politik 16.
    Mercantilſyſtem. Handelsbilanz 17. Formen der Staats-
    verwaltung. Departements 18. Staatswirthſchaft. Colbert
    19. Brittiſches Fundirungsſyſtem 20. Idee von ſinkenden
    Fonds 21. Kriegskunſt 22. Marine 23.
  • 3. Geſchichte der Fortſchritte des Colonialweſens
    von
    1661-1700 S. 252.
    Theilnahme Frankreichs daran §. 1. Character und
    Maximen von Colbert's Colonialpolitik 2-4. Weſtindien 5.
    St Domingo. Flibuſtiers 6. Franzoͤſiſch-Weſtindiſche Com-
    pagnie 7. Canada 8. Franzoͤſiſch-Oſtindiſche Handelscom-
    pagnie 9. Englaͤnder. Weſtindien. Jamaica 10. Colo-
    nien von Nordamerica 11. Hudſonsbay 12. Oſtindiſche
    Compagnie und ihr Handel 13. Hollaͤnder. Ihre Oſtin-
    diſche Compagnie 14. In Weſtindien Surinam 15. Spa-
    niſche
    [XXI]Inhalt.
    niſche Colonien 16. Portugieſen. Braſilien; St. Sa-
    gramento 17. Daͤniſches Oſtindien 18. 19.
  • II. Geſchichte des noͤrdlichen Europaͤiſchen Staaten-
    ſyſtems 1661-1700
    S. 265.
  • Allgemeine Anſichten §. 1. 2. Schweden 3. Preuſ-
    ſen
    4. Rußland 5. Daͤnemark. Familienſtreit mit
    Holſtein-Gottorp 6. Coſackenunrnhen 7. Unruhen in Po-
    len und Tuͤrkenkrieg 8. Johann Sobiesky 9. Schwedens
    Theilnahme am Deutſchen Kriege. Character ſeiner aus-
    waͤrtigen Politik 10. Verbindung Polens und Rußlands
    mit Oeſtreich im Tuͤrkenkriege 11. 12.
  • B.Zweyter Zeitraum von 1700--1740.
  • I. Geſchichte des ſuͤdlichen Europaͤiſchen Staaten-
    ſyſtems
    S. 275.
    Allgemeine Anſichten §. 1. Einfluß der Colonialproducte
    2. des Papiergeldes 3.
  • 1. Geſchichte der Staatshaͤndel in Europa von
    1700-1740. S. 277.
    Spaniſche Succeſſion §. 4. Unterhandlungen daruͤber 5-
    9. Philipp's V. Thronbeſteigung 10. Entſtehung und Gang
    des Krieges 11-17. Trennung der Verbindung und Con-
    greß und Frieden zu Utrecht 18. zu Raſtadt und Baden
    19. 20. Unvollkommene Beendigung des Streits 20. Fol-
    gen: fuͤr das Gleichgewicht 21. Trennung der Spaniſchen
    Nebenlaͤnder in Europa 22. Vergroͤßerter Einfluß Eng-
    lands auf den Continent 23. Mercantilintereſſe 24. Ver-
    aͤnderungen in der Lage der einzelnen Staaten. Spaniens
    25. Portugals 26. Frankreichs 27. Englands, beym An-
    tritt des Hauſes Hannover 28. der Republik; Barriere-
    tractat 29. der durch Nebenlaͤnder vergroͤßerten Oeſtreichi-
    ſchen Monarchie 30. des Deutſchen Reichs 31. Zwey neue
    Koͤnigsthrone in Preußen und Savoyen 32. Streben Eng-
    * * 3lands
    [XXII]Inhalt.
    lands zur Erhaltung des Utrechter Friedens 33. 34. Ent-
    gegengeſetzte Abſichten in Spanien. Eliſabeth. Alberoni 35.
    Entwuͤrfe gegen Oeſtreich; erleichtert durch den Tuͤrkenkrieg
    bis zum Paſſarowitzer Frieden 36. Waͤhrend desſelben Weg-
    nahme Sardiniens und Siciliens 37. Quadrupleallianz 38.
    Fall von Alberoni und Frieden 39. Robert Walpole. Sei-
    ne Politik 40. Pragmatiſche Sanction 41. Oſtendiſche
    Handelscompagnie 42. Vergeblicher Congreß zu Cambrais
    43. Unerwartete Ausſoͤhnung Oeſtreichs und Spaniens
    durch Riperda 44. Herrenhaͤuſer Gegenbuͤndniß 45. Cardi-
    nal Fleury. Seine Politik 46. Krieg uͤber die Polniſche Koͤ-
    nigswahl. Einfluß auf Frankreich und Spanien. Wiener
    Friedenspraͤliminarien 47. Koͤnigreich beyder Sicilien 48.
  • 2. Ueberſicht der gleichzeitigen Veraͤnderungen in
    den einzelnen Hauptſtaaten des weſtlichen Eu-
    ropas und ihre Reſultate
    1700-1740 S. 315.
    Allgemeine Bemerkungen §. 1. Spanien 2. Frank-
    reich
    . Bulle Unigenitus 3. Syſtem von Law 4. Eng-
    land
    . Seine hohe Achtung in Europa 5. Suͤdſeecompagnie
    6. Republik der vereinigten Niederlande 7.
    Oeſtreich unter Carl VI. 8. Das Deutſche Reich 9.
    Allgemeiner Character der Politik. Ausbildung der Cabi-
    netspolitik 10. der Staatswirthſchaft 11. der Kriegskunſt
    12.
  • 3. Geſchichte der Fortſchritte des Colonialweſens
    von
    1700-1740 S. 322.
    Wachſende Wichtigkeit der Colonien §. 1. 2. Zunehmende
    geographiſche Verflechtung 3. Englaͤnder 4. In Weſtin-
    dien 5. In Nordamerika 6. Wachsthum beſonders der ſuͤdli-
    chen Provinzen 7. In Neuſchottland 8. Brittiſch-Oſtindi-
    ſche Compagnie 9. Veraͤnderung der Brittiſchen Handels-
    politik unter dem Hauſe Hannover 10. Franzoſen 11.
    In Weſtindien 12. In Canada 13. In Oſtindien 14. Pon-
    dichery. Isle de France und Isle Bourbon 15. Hollaͤn-
    der
    [XXIII]Inhalt.
    der in Oſt- und Weſtindien 16. Spaniſche Colonien 17.
    Aſſiento, Veranlaſſung zum Kriege mit England 18. Por-
    tugal
    . Erhoͤhte Wichtigkeit Braſiliens durch Gold und Dia-
    manten, 19. Daͤniſche Colonien und Miſſionen; und
    Schwediſch-Oſtindiſche Compagnie 20.
  • II. Geſchichte des noͤrdlichen Europaͤiſchen Staaten-
    ſyſtems von 1700-1740.
    S. 335.
    Allgemeine Anſicht. Carl XII. Peter I. §. 1. Anſicht der
    einzelnen Staaten; Rußlands, Schwedens, Polens, Preu-
    ßens, Daͤnemarks 2. Urſprung des Nordiſchen Krieges 3.
    Ausbruch. Travendaler Frieden mit Daͤnemark 4. Kampf
    in Liefland 5. 6. in Polen. Frieden zu Altrannſtaͤdt 7. Er-
    oberung Petersburgs 8. Carl's Zug gegen Peter 9. 10.
    Folgen der Niederlage bey Pultawa 11-13. Tuͤrkenkrieg.
    Frieden am Pruth 14. 15. Theilnahme Preußens 16. Han-
    novers und Englands 17. Allianz der Gegner Schwedens
    18. Freyherr v. Goͤrz 19. Fall von Carl XII. und Fol-
    gen. Friedensſchluͤſſe 20. Frieden mit Rußland zu N[y]ſ[t]adt
    21. Zuſtand des Nordeus nach dem Kriege 22. Rußlands
    23. 24. Schwedens 25. Polens 26. Preußens. Bildung
    dieſer Monarchie durch Friedrich Wilhelm I. Character 27-
    31. Daͤnemark 32. Iſolirung Rußlands [n]ach Peter I. 33.
    Veraͤnderte Politik unter Anna 34. Curland 35. Polni-
    ſcher Krieg nach dem Tode Auguſt II. 36. Polen unter den
    Saͤchſiſchen Koͤnigen 37. Tuͤrkenkrieg. Muͤnich 38. Theil-
    nahme Oeſtreichs. Belgrader Frieden 39. 40.
  • C.Dritter Zeitraum von 1740 -- 1786.
  • I. Geſchichte des ſuͤdlichen Europaͤiſchen Staaten-
    ſyſtems
    S. 366.
    Allgemeine Anſichten §. 1. Vielſeitigkeit der Cultur 2.
    Anſehen von Schriftſtellern 3. 4. Einfluß auf die Politik 5.
    Character und Eigenthuͤmlichkeit 6. 7.
  • 1. Staatshaͤndel in Europa von 1740-1786 S. 370.
  • a. Bis zu der Verbindung zwiſchen Oeſtreich und Frank-
    reich 1756.
    Ausſterben des Habsburgiſchen Hauſes §. 8. Friedrich II.
    Erſter Schleſiſcher Krieg 9. Oeſtreichiſcher Succeſſionskrieg.
    Urſachen 10-13. Gang des Kriegs. Ruͤcktritt Friedrich's.
    Breslauer Friede 14-17. Theilnahme Englands 18. 19.
    Friedrich's zweyter Schleſiſcher Krieg 20. Bayerſcher Frie-
    de zu Fuͤſſen 21. Weiterer Gang des Krieges 22-25. Con-
    greß und Friede zu Aachen 26. Folgen 27-29. Brittiſcher
    Einfluß 30. Rußlands 31. Preußens Eintritt in die Rei-
    he der erſten Maͤchte 32-34. Folgen der Eroberung Schle-
    ſiens 35. Oeſtreichs Verbindungen gegen Preußen 36. 37.
    Kaunitz 38. Einleitung der Verbindung mit Frankreich
    39-41.
  • b. Von der Verbindung Oeſtreichs und Frankreichs bis
    zu den Frieden zu Paris und Hubertsburg 1756 bis
    1763 S. 394.
  • Urſprung des ſiebenjaͤhrigen Kriegs §. 42. 43. Anfang
    des Franzoͤſiſch-Engliſchen Krieges 44. Allianz Preußens
    und Englands 45. 46. Ausbruch und Verbreitung des Krie-
    ges 47. 48. Hannoͤverſcher Krieg 49. Preußiſcher Krieg
    50. 51. Seekrieg. 52. Frieden zwiſchen Preußen und
    Rußland; und Preußen und Schweden 53. Folgen 54.
    Hereinziehung Spaniens und Portugals; Familienpact 55.
    Trennung der Verbindung. Pariſer Frieden 56. Huberts-
    burger Frieden 57. Folgen. Conſolidirung des Syſtems
    von Friedrich 58. Bourboniſche Familienverbindung 59.
    Kaltſinn zwiſchen England und Preußen 60. Aufhoͤren des
    Brittiſchen Einfluſſes 61. Folgen der Brittiſchen Seeherr-
    ſchaft. Anfang der Bedruͤckungen der Neutralen. Brittiſches
    Seerecht 62.
  • c. Vom Pariſer und Hubertsburger Frieden bis auf den
    Tod Friedrich's des Großen 1763-1786 S. 410.
    Allge-
    [XXV]Inhalt.
    Allgemeine Bemerkungen 62. Große und vielſeitige Thaͤ-
    tigkeit der Regierungen 63. Der Staat will Alles ſeyn 64.
    Daher maſchinenmaͤßige Verwaltung 65. Daraus hervorge-
    hende Arrondirungspolitik 66. Uebertriebener Werth der
    materiellen Staatskraͤfte 67. Sucht nach Theorien 68.
    der Staatsverfaſſung. Montesquieu. Rouſſeau 69. Der
    Staatsverwaltung. Phyſiocraten. Ad. Smith 70. Herr-
    ſchend werdende Philoſophie 71. Großer Einfluß der Schrift-
    ſteller und der oͤffentlichen Meinung 72. Fall der Jeſuiten
    73-75. Folgen 76. Wachſende Arrondirungsſucht Frie-
    drich's 77. Joſeph II. 78. Project gegen Bayern 79-81.
    Bayerſcher Krieg. Teſchner Friede 82. Joſeph's Projecte
    83. 84. Erneuertes Bayerſches Tauſchproject 85. Verei-
    telt durch Friedrich. Fuͤrſtenbund 86.
  • 2. Ueberſicht der gleichzeitigen inneren Veraͤnderun-
    gen der Hauptſtaaten des weſtlichen Europas
    und ihre Reſultate
    1740-1786 S. 430.
  • Allgemeine Anſicht §. 1. Portugal. Pombal 2. Spa-
    nien
    . Aranda ꝛc. 3. Frankreich. Innere Zerruͤttung.
    Sinkendes Anſehen 4-8. England. Wachsthum der Macht
    der Krone 9-12. Creditſyſtem 13. Daraus entſtehende
    innere Feſtigkeit 14. Die vereinigten Niederlan-
    de
    . Erneuerte Erbſtatthalterſchaft. Haus Oranien. Folgen
    15-18. Das Deutſche Reich 19. Politiſche Trennung
    20. Aber doch bluͤhende innere Periode, und ihre Urſachen
    21-23. Deutſche Cultur 24. 25. Preußen. Characteri-
    ſtik dieſes Staats unter Friedrich II. 26-33. Oeſtreich.
    Characteriſtik unter Maria Thereſia 34-38. Die Pfor-
    te
    39. — Allgemeiner Character der Politik 40. 41. Der
    practiſchen Staatswirthſchaft 42. Des Mercantilſyſtems
    und der Handelsvertraͤge 43. Der Kriegskunſt 44. 45.
  • 3. Geſchichte der Fortſchritte des Colonialweſens
    von 1740-1786 S. 456.
    Allgemeine Anſicht §. 1. Brittiſches Colonialweſen 2.
    Nordamerica 3. 4. Entſtehender Zwiſt 5-7. Aufſtand
    * * 58.
    [XXVI]Inhalt.
    8. Ausbruch des Kriegs 9-11. Waſhington 12. Unab-
    haͤngigkeitserklaͤrung 13. Beytritt Frankreichs 14. und
    Verbreitung des Krieges 15. Beendigung 16. Verſailler
    Friedensſchluͤſſe 17. Folgen fuͤr America. Unionsverfaſſung
    18. Fuͤr den Handel und fuͤr England 19. 20. Bewaffne-
    te Neutralitaͤt 21. Noch uͤbriges Brittiſches Nordamerica
    in Canada und Neu-Schottland 22. Brittiſches Weſtindien
    23. Africaniſche Beſitzungen 24. Brittiſches Oſtindien,
    und dort gegruͤndete Herrſchaft 25. Vorbereitung dazu 26.
    Rivalitaͤt mit Frankreich, und Behauptung auf Coromandel
    27-29. Einnahme Bengalens 30. 31. Verkehrte Admini-
    ſtration 32. 33. Erſte Veraͤnderung der innern Organiſation
    der Compagnie. Act of regulation 34. Marattenkriege und
    mit Hyder Ali 35. Zweyte Veraͤnderung durch Pitt's Oſtin-
    diſche Bill 36. Folgen 37. 38. Erweiterung der Brittiſchen
    Schiffahrt ſeit Cook; und Niederlaſſung in Neuholland 39.
    Franzoͤſiſches Colonialweſen 40. In Oſtindien 41. 42.
    In Weſtindien. Domingo 43. Guiana und Louiſiana 44.
    Hollaͤndiſches Colonialweſen 45. In Oſtindien 46. In
    Weſtindien 47. Spaniſche Colonien 48. Veraͤnderte
    Eintheilung 49. und Handelseinrichtungen 50. Philippi-
    nen. Philippiniſche Compagnie. 51. 52. Portugieſiſche
    Colonien. Pombal's Einrichtungen 53. In Braſilien 54.
    Daͤniſche Colonien; in Weſtindien 55. In Oſtindien 56.
    Schwediſche Oſtindiſche Compagnie 57. Rußlands
    Handel nach N. W. America und China 58. Allgemeine Be-
    trachtungen 59.
  • II. Geſchichte des noͤrdlichen Europaͤiſchen Staaten-
    ſyſtems von 1740-1786
    S. 499.
    Allgemeine Anſichten §. 1. 2.
  • 1. Von 1740 bis auf CatharinaII. 1740-1762 S. 500.
    Anſicht der einzelnen Staaten. Rußlands, Schwedens, Po-
    lens, Daͤnemarks §. 3. Schwediſch-Ruſſiſcher Krieg. Frie-
    den
    [XXVII]Inhalt.
    den zu Abo 4. Verhaͤltniſſe Rußlands unter Eliſabeth 5-8.
    unter Peter III. 9.
  • 2. Von der Thronbeſteigung Catharina'sII.bis auf
    d. Verbindung mit Joſeph
    II. 1762-1787 S. 507.
    Politik Catharina's §. 10. 11. 12. Sie giebt Polen einen
    Koͤnig 13. 14. Benehmen Friedrich's. Seine Allianz mit
    Rußland 15. Folgen fuͤr Polen. Diſſidentenſtreit 16. Ge-
    neralconfoͤderation und neue Geſetze 17. Gegenconfoͤdera-
    tion zu Bar 18. Erſter Tuͤrkenkrieg 19. Gang desſelben
    20-22. Schwediſche Revolution. Guſtav III. 23. 24. Fol-
    gen 25. Erſte Polniſche Theilung 26-28. Folgen fuͤr Eu-
    ropa 29. Friede mit den Tuͤrken zu Kainardge 30. Folgen
    31. Potemkin 32. Griechiſches Project 33. Folgen 34.
    Erſchlaffung der Verbindung mit Preußen 35. Einnahme
    der Krimm 36. Anlage einer Seemacht auf dem ſchwarzen
    Meere 37. Handelstractate 38. Reiſe nach Taurien 39.
    Verbindung mit Joſeph II. 40. 41.
  • Dritte Periode. Von dem Tode Frie-
    drich's des Großen, und dem Anfange
    des revolutionairen Zeitalters bis zur Er-
    richtung des Franzoͤſiſchen Kayſerthrons
    von 1786--1804
    S. 529.
    Allgemeine Anſichten §. 1. Anſcheinende Feſtigkeit, und
    doch innere Schwaͤche des Europaͤiſchen Staatenſyſtems 2.
    Wegen ſchlechter Verfaſſung der Hauptſtaaten 3. Uebertrei-
    bung der ſtehenden Heere 4. Mißverhaͤltniß der Geldkraͤfte
    5. und Mangel der Moral in der Politik 6. 7. In den herr-
    ſchenden Volksideen 8. 9. Eintheilung und ihre Gruͤnde 10.
  • A.Erſter Zeitraum. Von 1786 bis auf den
    Frieden zu Campo Formio 1797.
  • I. Geſchichte des ſuͤdlichen Europaͤiſchen Staaten-
    ſyſtems
    S. 535.
  • 1. Staatshaͤndel in Europa.
    Folgen von dem Tode Friedrich's §. 11. Hollaͤndiſche Re-
    volution 12. Folgen fuͤr Europa 13. Niederlaͤndiſche Unru-
    hen 14. Revolutionen in Luͤttich, Aachen, Genf 15. Fran-
    zoͤſiſche Revolution 16. Ihr allgemeiner Character 17.
    Ruͤckwirkung auf Europa 18. Auf das Deutſche Reich 19.
    Emigrirte. Vertrag zu Pilnitz 20. Scheinbar abgewandte
    Gefahr durch die neue Conſtitution 21. Benehmen der Ca-
    binette 22. 23. Verbindung Oeſtreichs und Preußens, und
    Zug nach Champagne 24. Eroberung der Oeſtreichiſchen
    Niederlande und ihre Folgen 25. Hinrichtung Ludwig's
    XVI. und ihre Folgen 26. Entſtehung der erſten Coalition.
    Urſachen ihrer inneren Schwaͤche 27-31. William Pitt 32.
    Ausbruch und Gang des Krieges 33. 34. Fall des Syſtems
    der ſtehenden Heere in Frankreich und Folgen 35. Erobe-
    rung Hollands 36. Und Folgen 37. Beſonders fuͤr Eng-
    land 38. Anfangende Aufloͤſung der Coalition 39. 40.
    Ruͤcktritt Preußens und Baſeler Frieden 41. Folgen. Ge-
    heimer Vertrag 42. Ruͤcktritt Spaniens und Frieden 43.
    Politik Englands und Folgen des Krieges fuͤr dasſelbe 44.
    45. Seekrieg 46. Tripleallianz mit Oeſtreich und Rußland
    47. 48. Directorialconſtitution 49. Bekriegung Oeſtreichs
    von drey Seiten; Mißlingen in Deutſchland 50. Italien
    Hauptſchauplatz unter Bonaparte 51. 52. Belagerung Man-
    tuas 53. Vordringen in Oeſtreich 54. Fall Venedigs 55.
    Praͤliminarien zu Leoben 56. Theilung Venedigs 57. Lage
    Italiens 58. Verbindung Spaniens mit Frankreich. Prin-
    cipe de la paz
    59. Vergebliche Unterhandlungen mit Eng-
    land 60. Frieden zu Campo Formio 61. Folgen fuͤr Ve-
    nedig 62.
  • 2. Geſchichte der Fortſchritte des Colonialweſens
    von
    1786-1804 S. 573.
    Allge-
    [XXIX]Inhalt.
    Allgemeine Anſicht §. 1. Freyes Nordamerica. Sein
    Handel. Handelsvertraͤge 2. Streitigkeiten mit England
    und ihre Urſachen 3. Ankauf von Louiſiana 4. Weſtindien.
    Abſchaffung des Sclavenhandels in Daͤnemark und England
    5. Franzoͤſiſches Weſtindien. Negerkriege. Fall von
    Domingo 6. Staat von Hayti 7. Sinken Weſtindiens 8.
    Spaniſche Colonien; ihr Aufbluͤhen 9. Braſilien 10.
    Africa und Africaniſche Colonien 11. Oſtindien; Britti-
    ſche
    Herrſchaft 12. Neuer Krieg mit Tippo Saib 13.
    Letzter Krieg und Fall des Reichs 14. Folgen fuͤr die Brit-
    tiſche Politik 15. Neuer Krieg und Frieden von 1803 16.
    Folgen fuͤr das Gebiet 17. Die Territorialeinkuͤnfte 18.
    Den Handel 19. Hollaͤndiſche Oſtindiſche Compagnie.
    Ihr Aufhoͤren 20. Franzoͤſiſches Oſtindien. Isle de
    France und Bourbon 21. Niederlaſſung in Neuholland und
    auf dem großen Ocean 22. Allgemeine Entwickelung der
    Colonien 23.
  • II. Geſchichte des noͤrdlichen Europaͤiſchen Staaten-
    ſyſtems von 1787-1797
    S. 593.
    Allgemeine Anſicht §. 1. Ruſſiſch-Tuͤrkiſcher Krieg 2.
    Schwediſcher Krieg 3. Congreß zu Reichenbach 4. Frieden
    Oeſtreichs zu Sziſtové 5. Verhandlungen mit Rußland.
    Frieden zu Jaſſi 6. Folgen 7. Rußlands befeſtigte Herr-
    ſchaft in der Krimm und auf dem ſchwarzen Meere 8. Bil-
    dung von Feldherren. Coburg und Suwarow 9. Folgen fuͤr
    Schweden. Selbſtaͤndigkeit. Allianz mit Rußland. Ermor-
    dung Guſtav's III. 10. Fuͤr Polen 11. Antiruſſiſche Par-
    tei, Preuſſiſche Allianz 12. Conſtitution vom 3. Mai 13.
    14. Targowitzer Confoͤderation 15. Preußens Ruͤcktritt 16.
    Zweyte Theilung Polens 17. Druck Rußlands 18. Inſur-
    rection unter Koſciusko 18. 19. Dritte und gaͤnzliche Thei-
    lung 20. 21.
  • B.Zweyter Zeitraum. Von dem Frieden zu
    Campo Formio bis zu der Errichtung d. Fran-
    zoͤſiſchen Kayſerthrons 1797--1804 S. 609.

    Lage der Hauptmaͤchte §. 1. Zweifelhafter Friedenszu-
    ſtand 2. Congreß zu Raſtadt 3. Revolutionen in Italien 4.
    In der Schweiz 5. Aegyptiſche Expedition 6. 7. Bruch
    mit der Pforte 8. Zweyte Coalition 9. 10. 11. Losbrechen
    Neapels 12. Feldzug von 1799 13. 14. Ruͤckkunft Bona-
    parte's und Revolution vom 18. Bruͤmaire 15. Feldzug von
    1800 16. Frieden zu Luͤneville mit Oeſtreich; zu Florenz
    mit Neapel 17. Seekrieg 18. Eroberung Maltas. Republik
    der ſieben Inſeln 19. Erneuerung der bewaffneten Neutra-
    litaͤt durch Paul I. und Folgen fuͤr den Norden 20. Raͤu-
    mung Aegyptens 21. Frieden zu Amiens 22. Entſchaͤdi-
    gungsſache in Deutſchland 23. Wiederausbruch des Krieges
    24. Errichtung des Franzoͤſiſchen Kayſerthrons 25.

Hand-
[]

Handbuch der Geſchichte
des
Europaͤiſchen Staatenſyſtems

und ſeiner
Colonien.


[][[1]]

Einleitung.


I.Litteratur der Quellen: de Martens Guide
diplomatique, ou Repertoire des principaux Loix, des Traités
et autres Actes publics jusqu' à la fin du 18me ſiécle. à Berlin.
1801
. T. I. II.
Ein kritiſches Verzeichniß der Staats-Urkunden,
mit ſteter Nachweiſung der Sammlungen, wo ſie ſtehen. Es
ſind die zwey erſten Theile des Cours diplomatique; ein unent-
behrliches Handbuch fuͤr den Geſchichtforſcher.


II.Sammlungen der Quellen: A. Staatsſchrif-
ten
.


Eine kritiſche Ueberſicht der Sammlungen der-
ſelben
giebt: de Martens Discours ſur les recueils de traités
vor dem: Supplement au Recueil des traités. Vol. I. — Die
wichtigſten hieher gehoͤrenden allgemeinen Sammlungen ſind:


Recueil des traités de paix, de trêve, de neutralité, d'allian-
ce, de commerce
etc. depuis la naiſſance de J. C. jusqu' à preſent,
à Amſterdam et à la Haye. 1700. T. I-IV. Fol.
Gewoͤhnlich
nach Einem der Buchhaͤndler, die ſie unternahmen, die Samm-
lung von Moetjens genannt.


Corps univerſel diplomatique de droit des gens, contenant
un Recueil des traités d' alliance, de paix, de trêve, de commer-
ce
etc. depuis le regne de l' Empereur Charle-Magne jusqu' à
préſent
, par J. du Mont. à Amſterdam et la Haye 1726-1731.
VIII Voll. Fol.
Die Hauptſammlung! Sie enthaͤlt die Staats-
ſchriften von 800-1731. Die fuͤr die letzten drei Jahrhunderte
ſeit 1501. fangen an mit dem IV. Bde. Als Nachtraͤge und
AFort-
[2]Einleitung.
Fortſetzung des Werks erſchienen: Supplements au Corps univer-
ſel diplomatique avec le Cérémonial diplomatique par Mſr. Rous-
ſet
. à Amſterdam. T. I. V. 1739.,
ſo daß das ganze Werk 13
Baͤnde ausmacht. Die Supplemente enthalten in den drei er-
ſten Baͤnden theils Nachholung der aͤltern Staatsurkunden vor
800; theils eigentliche Supplemente; theils eine Fortſetzung bis
1738. Die beiden letzten Baͤnde enthalten: Le Cérémonial poli-
tique des Cours de l' Europe,
mit den dahin gehoͤrigen Urkunden.


Eine brauchbare Handſammlung liefert Schmauss cor-
pus juris gentium academicum
. Lipſ. 1730. II Voll.
4. Die
Sammlung umfaßt den Zeitraum von 1100–1730.


Als Fortſetzung jener Sammlungen kann man anſehen:
Ferd. Aug. Wilh. Wenkii Codex juris gentium recentiſſimi,
e tabulariorum exemplariumque ſide dignorum monumentis com-
poſitus
. Lipſiae. T. I. 1781. T. II. 1788. T. III.
1795. 8. Die
Sammlung umfaßt den Zeitraum von 1735–1772.


Die Sammlungen fuͤr die neueſten Zeiten verdankt die Ge-
ſchichte dem Herrn Hofrath von Martens. Es gehoͤrt hieher:


Recueil des principaux traités d' Alliance, de paix, de trêve,
de Neutralité, de commerce etc. conclus par les puiſſances de
l' Europe tant entre elles qu' avec les puiſſances et les états dans
d' autres parties du Monde depuis 1761. jusqu' à préſent par Mr.
de Martens
. à Goettingue 1791–1802. VII Voll.
in 8.


Die Sammlung geht von 1761. bis auf den Frieden zu Luͤ-
neville 1801. Dann erſchienen noch:


Supplement au Recueil de principaux traités depuis 1761.
jusqu' à préſent, precedé de traités du 18me ſiécle anterieurs à cet-
te époque, et qui ne ſe trouvent pas dans le Corps univerſel di-
plomatique de Mr. Dumont et Rouſſet et autres Recueils généraux
de traités
par Mr. de Martens. Vol. I. II. 8. Goettingue
1802. Vol. III. IV. et dernier 1808.
Außer den Supplementen
iſt die Sammlung zugleich fortgeſetzt bis auf das Ende des
Jahrs 1807.


B. Mémoires. Die eignen Berichte von Staatsmaͤnnern und
Feldherren uͤber Begebenheiten, woran ſie ſelbſt Antheil hatten,
gehoͤren unſtreitig zu den wichtigſten hiſtoriſchen Quellen, und
es
[3]Einleitung.
es iſt ein weſentlicher Vorzug der neuern Geſchichte durch die,
beſonders in Frankreich ſeit Philippe de Comines, der eigent-
lich die Reihe eroͤffnet (ſeine Memoires gehen von 1464 bis
1498.), in gewiſſen Perioden herrſchend gewordene Sitte bey
Maͤnnern und Frauen, dergleichen zu ſchreiben, daran ſo reich
zu ſeyn. Sie enthuͤllen den verborgenen pſychologiſchen Zuſam-
menhang der Begebenheiten, und ſind zugleich die wahre Schu-
le fuͤr den ſich bildenden Staatsmann. Aber der kritiſche For-
ſcher wird bey ihrem Gebrauche nie vergeſſen, daß ihre Verfaſſer
ſtets ihre Anſichten, nicht ſelten ihre Leidenſchaften
mit dazu brachten; und nur zu oft mit ſich ſelber — ver-
ſtecken ſpielten
. Die Haupt-Sammlungen derſelben ſind:


Collection univerſelle des Memoires particuliers relatifs à
l' hiſtoire de France
. à Londre et ſe trouve à Paris, Vol.
1–
65. 1785–1791. Und die Fortſetzung: Vol. 66–68. Paris 1806.
— Sie geht aber erſt bis an's Ende des 16. Jahrhunderts. —


Allgemeine Sammlung hiſtoriſcher Memoirs
vom 12. Jahrhundert bis auf die neueſten Zeiten, durch meh-
rere Verfaſſer uͤberſetzt
, mit den noͤthigen Anmerkungen
und jedesmal mit einer Univerſal-hiſtoriſchen Ueberſicht verſe-
hen von Fr. Schiller. I. Abth. B. 1–4. II. Abth. B. 1–26.
Jena 1790–1803. Die Sammlung enthaͤlt eine Auswahl der
wichtigern Memoirs, bis herunter in die Zeiten des H. Regen-
ten von Orleans.


III.Bearbeitungen der allgemeinen Geſchichte des
neuern Europas.


J. J. SchmaußEinleitung zu der Staatswiſſen-
ſchaft
. I. II. Theil. Leipzig 1741. und 1747. Der erſte Theil
enthaͤlt: “Die Hiſtorie der Balance von Europa,” (oder die
Staatshaͤndel des weſtlichen Europas,) von 1484 bis 1740. Der
zweyte: “Die Hiſtorie aller zwiſchen den Nordiſchen Potenzen,
Daͤnemark, Schweden, Rußland, Polen und Preußen geſchloſſe-
nen Tractaten.” — Ein mit Plan und Sorgfalt gearbeitetes
Werk, das ſeine Brauchbarkeit nie verlieren kann.


Le droit public de l' Europe, fondé ſur les traités; precedé
de principes des négociations pour ſervir d'introduction par Mr.

A 2l' Abbé
[4]Einleitung.
l' Abbé de Mably. Nouvelle édition continuée jusqu'à la
paix de 1763; avec des Remarques hiſtoriques, politiques et
critiques par Mr. Rousset; à Amſterdam et Leipſic 1773.
III Vol.
in 8. Man hoͤrt den geiſtvollen Verfaſſer immer gern
uͤber Geſchichte ſprechen, wenn man auch nicht immer ſeiner Mei-
nung iſt.


Abregé de l' Hiſtoire des traités de paix entre les puiſſances
de l' Europe depuis la paix de Weſtphalie
par Mr. Koch. II.
Vol.
1796. 8. Das Werk umfaßt nur das weſtliche und ſuͤdliche
Europa, und geht von 1648 bis 1785.


Tableau des Relations exterieurs des puiſſances de l' Europe
tant d' entre elles qu' avec d' autres états dans les diverſes parties
du globe
par G. F.r. de Martens. à Berlin
1801. — Der
dritte Theil des Cours diplomatique. — Schon die ſtete Ruͤck-
ſicht, welche hier auf Handel und Colonien genommen iſt, wuͤr-
de hinreichen, ihm einen ausgezeichneten Werth zuzuſichern.


Grundriß einer Geſchichte der merkwuͤrdigſten
Welthaͤndel neuerer Zeit in einem erzaͤhlenden
Vortrage
von Joh. G. Buͤſch. Dritte Ausgabe. Hamburg
1796. 8. — Die Geſchichte faͤngt an mit 1440. und gebt in der
letzten Ausgabe bis 1795. — Keine fortlaufende Erzaͤhlung;
aber brauchbar fuͤr Anfaͤnger, um ſich mit den Materialien
der neuern Geſchichte bekannt zu machen.


Geſchichte der drey letzten Jahrhunderte von
Joh. Gottfr. Eichhorn. Goͤttingen 1803. VI. Th. 8. Es ge-
hoͤren hierher beſonders der erſte Theil, der eine Ueberſicht
der allgemeinen Geſchichte, und die beiden letzten, in ſo
fern ſie die Geſchichte der Colonien enthalten.


Tableau des revolutions du ſyſtême politique de l' Europe;
depuis la ſin du quinzième ſiècle
par Mr. Ancillon. à Berlin
Vol. I II. 1803. Vol. III. IV.
1805. — (Deutſch uͤberſetzt
durch Fr. Mann.) Eins der ſchaͤtzbarſten Werke, wenn es [voll-
endet]
ſeyn wird. Der 4te Theil geht herunter bis auf den
Utrechter Frieden.


Geiſt des 18. Jahrhunderts von Jeniſch. Berlin
1801. Weder die Arbeit eines eigentlichen Geſchichtforſchers,
noch
[5]Einleitung.
noch Diplomatikers; aber eines Mannes von Geiſt; und nicht
blos fuͤr das 18. Jahrhundert wichtig.


Unter den Compendien hat Achenwall'sEntwurf der
allgemeinen Europaͤiſchen Staatshaͤndel des 17ten
und 18ten Jahrhunderts
, Goͤttingen 1756. (und nachher
mehrmals), den verdienten Beyfall erhalten. Es umfaßt indeß
nur den Zeitraum von 1600 bis 1748.


Grundriß einer diplomatiſchen Geſchichte der Europaͤiſchen
Staatshaͤndel und Friedensſchluͤſſe, ſeit dem Ende des 15. Jahr-
hunderts bis zum Frieden von Amiens. Zum Gebrauch acade-
miſcher Vorleſungen von G. Fr. von Martens. Berlin 1807.


1. Die Geſchichte der drey letzten Jahrhunderte
heißt die neuere, im Gegenſatz gegen die mittlere
und aͤltere. Wenn gleich keine einzelne, allgemein
Epoche machende, Begebenheit, wie zwiſchen der
aͤltern und mittlern, hier die Grenzſcheidung macht,
ſo ward doch durch einen Zuſammenfluß meh-
rerer großer Begebenheiten eine ſolche Veraͤnderung
vorbereitet, daß jene Abtheilung hinreichend dadurch
gerechtfertigt wird.


Dieſe Begebenheiten ſind: 1. Die Eroberung von
Conſtantinopel und Gruͤndung des Tuͤrkiſchen Reichs in
Europa 1453. 2. Entdeckung von Amerika durch Chriſt.
Columbus 1492. 3. Entdeckung der Schiffahrt nach Oſtin-
dien durch Vaſco de Gama 1497., und durch beide ver-
aͤnderter Gang des Welthandels. 4. Die durch den Ge-
brauch des Schießgewehrs veraͤnderte Kriegskunſt. Zu zei-
gen, wie ſie auf Europa politiſch gewirkt haben, iſt die
Hauptaufgabe fuͤr das gegenwaͤrtige Buch.


A 32.
[6]Einleitung.

2. Europa enthaͤlt in dieſem Zeitraum eine uni-
verſalhiſtoriſche Wichtigkeit, wie es dieſelbe noch
nie vorher gehabt hatte. Africa und America ent-
hielten (letzteres bis auf die Freywerdung der Co-
lonien), keinen einzigen einheimiſchen Staat von
allgemeiner Wichtigkeit; und von den drey großen
Reichen Aſiens, dem Perſiſchen unter den So-
phis, dem Indiſchen unter den Moguls, und
dem Chineſiſchen erhielt ſich nur das letztere,
wiewohl auch nur unter einer fremden Dynaſtie.
Dafuͤr aber gruͤnden die Europaͤer ihre Herrſchaft
in den fremden Welttheilen, und mehr als halb
Aſien und America ward dieſer unterworfen.


Das Perſiſche Reich der Sofis ward gegruͤndet
durch Iſmael Sofi ſeit 1500. Es ward am maͤchtig-
ſten unter Schach Abbas (1585–1628), ward geſtuͤrzt
durch die Afgahnen 1722, und verfiel ſeit der Ermordung
des darauf folgenden Tyrannen, Kuli Chan oder Na-
dir
Schach, 1747 in Anarchie. — Das Mogoliſche
Reich in Indien ward geſtiftet durch Sultan Babur, ei-
nen Nachkommen Timur's, ſeit 1526. Es umfaßte all-
maͤhlig die Laͤnder am Indus und Ganges und die dies-
ſeitige Halbinſel; war am maͤchtigſten ſeit der Regierung
von Acbar dem Großen 1556–1605, bis auf den
Tod von Aureng Zeb † 1707, nach welchem es bald
in ſich ſelbſt zerfiel, und durch die Eroberung von Nadir
Schach 1739, und durch die Politik der Europaͤer, meiſt
aufgeloͤſt ward. — Die Revolution in China, durch die
Eroberung der Mantſchu Tartaren, deren Herrſchaft
noch dauert, geſchah 1644.


3.
[7]Einleitung.

3. In Europa ſelbſt blieben zwar meiſt die
alten Staaten; aber es bildeten ſich unter ihnen ge-
nauere und mannichfaltigere Verhaͤltniſſe, als vor-
her ſtatt gefunden hatten; und in dieſem Sinne
kann man Europa als ein Staatenſyſtem be-
trachten, deſſen Geſchichte als ein Ganzes ſich fort-
fuͤhren laͤßt.


Jene engeren Verhaͤltniſſe waren zwar im Ganzen eine
Folge der fortſchreitenden Cultur, die zwiſchen benachbar-
ten Staaten immer mehrere Beruͤhrungspuncte erzeugen
wird; jedoch ſetzten ſie gewiſſe Centralpunkte eines gemein-
ſchaftlichen Intereſſe voraus. Dieſe fanden ſich: a. In
den Religionshaͤndeln ſeit der Reformation; b. in dem
Beduͤrfniß der Vertheidigung gegen die Tuͤrken; c. in
dem allmaͤhlig immer wichtiger werdenden Handel mit den
Colonien und dem daraus hervorgehenden mercantiliſchen
Intereſſe uͤberhaupt. — Da auch zu dem Allen d. die ſo
ſehr erleichterte Communication durch Buch-
druckerey
und Poſten kam, bildeten ſich die Voͤlker
des chriſtlichen Europas gleichſam moraliſch zu Einer Na-
tion, die nur politiſch getrennt war.


4. Das Europaͤiſche Staatenſyſtem war ungeach-
tet ſeiner innern Verſchiedenheit bis auf die letzte
Periode herunter doch ein Syſtem herrſchender
Monarchien
, worin die Republiken, ſelbſt die
der vereinigten Niederlande kaum ausgenommen, die
ſich allein zu einem betraͤchtlichen Grade von Macht
erhob, gleichſam nur tolerirt wurden. Dieß herr-
ſchende Uebergewicht der Monarchien beſtimmte am
meiſten den Geiſt der Politik. Es hatte die
A 4Fol-
[8]Einleitung.
Folge, daß a. die Nationen ſelber wenigern Antheil
an den oͤffentlichen Angelegenheiten nahmen. Maͤch-
tige Volkspartien, und die durch ſie erregten Stuͤr-
me, wie man ſie in den großen Republiken des Al-
terthums ſieht, wuͤrden gaͤnzlich fremd geblieben ſeyn,
wenn nicht die Religion ihnen aͤhnliche Erſchei-
nungen erzeugt haͤtte. b. Dagegen concentrirte ſich
die Leitung der Staatsangelegenheiten immer mehr in
den Haͤnden der Fuͤrſten und ihrer Miniſter; und ſo
bildete ſich jene Cabinetspolitik aus, welche das
Europaͤiſche Staatenſyſtem beſonders charakteriſirt.


5. Bey dieſer unleugbaren Einfoͤrmigkeit,
wodurch die neue Geſchichte der des Alterthums ſo
ungleich wird, zeigt ſich doch aber zugleich eine ſolche
Mannigfaltigkeit, als irgend damit beſtehen
konnte. Alle Formen der Monarchie, des Erb-
reichs wie des Wahlreichs, der unumſchraͤnkten,
der conſtitutionellen, und ſelbſt der Schattengewalt
der Koͤnige ſah man in Europa realiſirt. Sogar
in den wenigen Republiken, die es enthielt, welche
Abſtufung von der reinen Ariſtocratie Venedigs, bis
zur reinen Democratie eines Hirten-Cantons? Gewiß
war es dieſe Verſchiedenheit, die einen groͤßern
Kreis politiſcher Ideen praktiſch im Umlaufe erhielt,
der Europa ſeine politiſche, und mit ihr zugleich
einen großen Theil ſeiner uͤbrigen Cultur verdankt.


6.
[9]Einleitung.

6. Die Stuͤtzen, welche dieſes Syſtem auf-
recht erhalten konnten und erhielten, und dem Schwa-
chen ſeine Sicherheit und Selbſtſtaͤndigkeit vor dem
Maͤchtigen ſicherten, waren von verſchiedener Art.
Zwar fehlte ſehr viel daran, daß unter den ver-
ſchiedenen Staaten dieſes Syſtems ein rechtlicher
Zuſtand, wie er ſich in der Theorie entwerfen laͤßt,
jemals foͤrmlich gegruͤndet waͤre, aber doch erzeugte
ſich allmaͤhlig, als Frucht der fortſchreitenden Cul-
tur, ein Voͤlkerrecht, das nicht bloß auf ausdruͤck-
lichen Vertraͤgen, ſondern auch auf ſtillſchweigenden
Conventionen beruhend, die Beobachtung gewiſ-
ſer Maximen, ſowohl im Frieden als auch be-
ſonders im Kriege, zur Pflicht machte, und, wenn
auch oft verletzt, doch hoͤchſt wohlthaͤtig wurde.
Selbſt das ſtrenge, zuweilen uͤbertriebene, Cere-
moniel
, das die Staaten wechſelſeitig gegen einan-
der beobachteten, war nichts weniger als gleichguͤltig,
wollte man es auch nur als wechſelſeitige Anerkennung
der Unabhaͤngigkeit, oft bey den durch Macht und
Verfaſſung ungleichartigſten, Staaten betrachten.


  • Sam. Pufendorf Jus naturae et gentium. Lugd. 1672.
  • Bourlamaquy droit de la nature et des gens. à Iverd. 1766.
  • de Vattel le droit des gens ou principes de la loi natu-
    relle appliqués à la conduite et aux affaires des nations
    et des ſouverains. Londr. 1758. 4. à Bâle 1777. 3 Voll.
    8.
  • Précis du droit des gens par Mr. de Martens, à Goettin-
    gue
    2te Ausgabe. 1801.

A 57.
[10]Einleitung.

7. Die erſte und wichtigſte Frucht dieſes Voͤl-
kerrechts, und zugleich die Hauptſtuͤtze des ganzen
Syſtems, war die Heiligkeit des anerkannt
rechtmaͤßigen Beſitzſtandes
, ohne welche
uͤberhaupt kein ſolches Syſtem beſtehen kann. Viel
trug zu deſſen Aufrechthaltung bey, daß die mei-
ſten Staaten Erbſtaaten waren. Auch war es ein
Wahlreich, durch deſſen widerrechtliche Theilung
zuerſt jener Grundſatz praktiſch zerſtoͤrt ward. Fruͤ-
here Eingriffe von Einzelnen dienten nur, ihn mehr
zu befeſtigen.


8. Die zweite Stuͤtze war der Grundſatz der
Erhaltung des ſogenannten politiſchen Gleich-
gewichts
; d. i. der wechſelſeitigen Erhaltung der
Freyheit und Unabhaͤngigkeit, durch Verhuͤtung der
Uebermacht und Anmaßungen eines Einzelnen. Be-
darf es mehr als dieſer Erklaͤrung um ſeinen wah-
ren Werth zu zeigen? Weder vor Mißbrauch noch
Umſturz geſichert, gewaͤhrt es zwar keine vollkom-
mene, aber die moͤglichſte Sicherheit; weil es
fuͤr menſchliche Inſtitute uͤberhaupt keine vollkom-
mene giebt. Was aber ſeine Behauptung erfor-
dert, iſt die jedesmalige Aufgabe fuͤr die hoͤhere
Politik; nur die kurzſichtige Beſchraͤnktheit kann es
blos in der gleichen Vertheilung materieller Staats-
kraͤfte ſuchen. Seine Aufrechthaltung hatte zugleich
zur
[11]Einleitung.
zur Folge: a. eine ſtets rege Aufmerkſamkeit der
Staaten auf einander, und daraus entſpringende
mannigfaltige Verbindungen durch Buͤndniſſe und
Gegenbuͤndniſſe, beſonders der entferntern Staa-
ten. b. Groͤßere Wichtigkeit der Staaten vom
zweyten und dritten Range im politiſchen Syſtem.
c. Ueberhaupt die Erhaltung des Gefuͤhls vom
Werth der Selbſtſtaͤndigkeit; und Erhebung der
Politik uͤber den platten Egoiſmus.


Die Idee des politiſchen Gleichgewichts bildete ſich in je-
dem freyen Syſtem cultivirter Staaten — in Griechen-
land wie in Italien — bis auf einen gewiſſen Grad aus,
weil ſie in dem Innern ſeiner Natur liegt. Es war alſo
die natuͤrliche Frucht der politiſchen Cultur; und ſeine
Aufloͤſung fuͤhrt von ſelber zu der Vertilgung oder Abhaͤn-
gigkeit der Schwaͤchern.


9. Eine dritte Stuͤtze fand das Europaͤiſche
Staatenſyſtem in der Entſtehung von Seemaͤchten;
die beſonders zu der Aufrechthaltung des politiſchen
Gleichgewichts am meiſten beigetragen haben. Die
Entſtehung von Seemaͤchten, und das Gewicht, das
ſie auf eine ganz eigene Art in die politiſche Wag-
ſchaale von Europa warfen, verhinderte, daß die
bloße Landmacht, die ſich immer am leichteſten bildet,
weil ſie faſt bloß von der Volksmenge abhaͤngt, nicht
Alles allein entſcheiden konnte.


10.
[12]Einleitung.

10. In einem Staatenſyſtem, das meiſt aus
Erbſtaaten beſtand, mußten die Familienver-
bindungen
der herrſchenden Haͤuſer eine Wichtig-
keit erhalten, die bald groͤßer bald geringer werden,
aber nie gaͤnzlich aufhoͤren konnte. Der allgemein ge-
wordene Grundſatz, daß Fuͤrſten nur Fuͤrſtentoͤch-
ter heyrathen, ſicherte vor den Uebeln, die von Ver-
maͤhlungen mit Unterthaninnen unzertrennlich ſind;
allein den nicht geringern Gefahren, zu welchen die
Verbindungen ſehr maͤchtiger Herrſcher-Familien fuͤh-
ren, entgieng Europa nur durch den gluͤcklichen Um-
ſtand, daß Deutſchland kleine Fuͤrſtenhaͤuſer enthielt,
die den meiſten ſeiner Thronen Koͤniginnen gaben.
So konnte ſich eine Verwandtſchaft der mehrſten regie-
renden Haͤuſer bilden, die weder zu nahe war, um
die Politik unmittelbar zu beſtimmen, noch zu ent-
fernt, um nicht dennoch ein wichtiges Band zu werden,
das ſelbſt da von unverkennbarer Wichtigkeit blieb,
als faſt alle andere Bande ſich aufzuloͤſen ſchienen.


11. Die Verfaſſung der meiſten Reiche Eu-
ropas, wenigſtens aller, die Deutſchen Urſprungs
waren, hatte ſich aus dem Feudalweſen entwik-
kelt; und mußte ſich daher in gewiſſen Hauptzuͤgen
aͤhnlich ſeyn. Neben den Fuͤrſten ſtand zu Anfang
dieſer Periode allenthalben ein Adel, der ſich meiſt
wieder in einen hoͤhern und niedern theilte, und
den
[13]Einleitung.
den Fuͤrſten bisher nicht viel weiter gehorcht hatte, als
Zeitumſtaͤnde und perſoͤnliche Verhaͤltniſſe es mit ſich
brachten. Mit ihm hatte durchgehends die Geiſt-
lichkeit
einen wichtigen Einfluß auf die Staatsan-
gelegenheiten, und beyde bildeten die hoͤhern oder pri-
vilegirten
Staͤnde, weil ſie in Ruͤckſicht der Ab-
gaben ſo große Vorrechte genoſſen, und auf den ſtaͤn-
diſchen Verſammlungen die erſten Plaͤtze einnahmen.
Aber in eben dieſen Staaten hatte ſich ein, der ſtren-
gen Feudalverfaſſung gaͤnzlich fremder, Beſtandtheil
gebildet, ein freyer Buͤrgerſtand; eine Frucht
der, durch Handel aufgebluͤheten, Staͤdte. Auch
ſeine Deputirten wurden zu den Verſammlungen ge-
rufen, eigentlich um ſich von ihnen Steuern bewilligen
zu laſſen, deren Laſt am meiſten auf ihn gewaͤlzt
wurde. Die große Maſſe des Landvolks, groͤß-
tentheils noch im Zuſtande der voͤlligen oder halben
Leibeigenſchaft, wenn gleich ſehr verſchieden modifi-
cirt, bildete nirgends politiſch einen Beſtandtheil der
Nation. In den Verhaͤltniſſen der beiden letzten
Staͤnde zu den erſten ſchien ein Keim zu nothwen-
digen, ploͤtzlichen oder allmaͤhligen, Umformungen
zu liegen; wovon freylich keiner zu berechnen ver-
mochte, wann und wie er ſich entwickeln wuͤrde.


12. Fuͤrſtengewalt war daher in dieſen
Reichen noch durchgehends ſehr beſchraͤnkt. Ohne
Huͤlfe
[14]Einleitung.
Huͤlfe des Adels konnte kein bedeutender Krieg ge-
fuͤhrt; ohne Einwilligung der Staͤdte keine Steuern
erhoben werden. Ohne ſtehende Armeen, (einen ge-
ringen Anfang abgerechnet); ohne Staatswirthſchaft,
(man kannte nur die Kunſt, Geld aufzubringen;)
gab es damals noch keine Maͤchte, im jetzigen Sinne
des Worts. Aber faſt allenthalben war Fuͤrſtenge-
walt im Wachſen; Ferdinand Catholicus,
Ludwig
XI. und HeinrichVII. verſtanden die
Kunſt, ſie zu gruͤnden.


13. Bey dem ſtets wachſenden Einfluſſe, den die
Colonien auf die Politik erhalten, macht ihre Ge-
ſchichte einen nothwendigen Beſtandtheil der des neuern
Europas aus. Nicht nur der Europaͤiſche Welthandel,
ſondern auch die Europaͤiſche Staatswirthſchaft ſind,
der erſte ganz, die andere großentheils, an ſie ge-
knuͤpft. Wenn aber beyde immer mehr die Politik
Europas beſtimmten, wie ließe ſich, ohne ſtete Ruͤck-
ſicht auf ſie, Licht in die politiſche Geſchichte bringen?


14. Die Geſchichte des neuern Europas zerfaͤllt
von ſelbſt in drey Perioden, von denen die zwey er-
ſten, dem Zeitraume nach, ſich aͤhnlich ſind; bey
der dritten ſtehen wir erſt im Anfange. Die erſte
geht vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Anfang
der Selbſtregierung Ludwig'sXIV.; 1492–1661.
Die zweyte von da bis zu dem Tode Friedrich's
des
[15]Einleitung.
des Großen; 1661–1786. Die dritte von da
bis auf unſere Zeiten. Der Grund dieſer Einthei-
lung liegt in der Verſchiedenheit des Charak-
ters der praktiſchen Politik
in jeder Periode;
der zufolge man die erſte die politiſch-religioͤſe;
die zweyte die merkantiliſch-militaͤriſche; und
die letzte die revolutionaͤre nennen kann. Die
erſte war zugleich die Periode der Entſtehung, die
zweyte die der Befeſtigung, und die dritte die der
Aufloͤſung des politiſchen Gleichgewichts.


15. Die Natur der Dinge erfordert es, in den
beiden erſten, und dem erſten Theile der letzten Pe-
riode die Geſchichte des noͤrdlichen Europaͤiſchen
Staatenſyſtems von der des ſuͤdlichen zu trennen.
Das erſte umfaßt die Reiche von Rußland, Schwe-
den, Polen und Daͤnemark; das andere die uͤbrigen.
Die Preußiſche Monarchie, ſeit ihrer Groͤße das
Vereinigungsglied der Kette beider Syſteme, gehoͤrt
auch beiden an. Fand auch ſchon fruͤher in einzel-
nen Zeitpunkten eine thaͤtige Theilnahme des Nor-
dens an den Haͤndeln des Suͤdens ſtatt; ſo war
doch dieſe, bis auf das Verſchwinden Polens, ſtets
nur voruͤbergehend; daß aber darum der fort-
dauernde wechſelſeitige Einfluß beider auf einander
nicht uͤberſehen werden darf, verſteht ſich von ſelbſt.


Erſte
[16]I. Periode. I. Theil.

Erſte Periode.
Vom Ende des funfzehnten Jahrhunderts bis an
das Zeitalter von Ludwig XIV. 1492–1661.


Erſter Theil.
Geſchichte des ſuͤdlichen Europaͤiſchen Staatenſyſtems.


1. Den eigenthuͤmlichen Charakter dieſer Periode
beſtimmt die, bald nach ihrem Anfange ausbrechende,
Reformation. Indem das durch ſie aufgeregte
religioͤſe Intereſſe auch in der Politik das herrſchende
wird, werden Religionshaͤndel zugleich politiſche Haͤn-
del; und Religionsparteien zugleich politiſche Par-
teien. War auch dieſe Verbindung bald mehr bald
weniger eng; ſo blieb ſie es doch, die dem Geiſt
des Zeitalters ſeine Richtung gab.


2. Wenn gleich das ſuͤdliche Staatenſyſtem die
ſaͤmmtlichen Staaten des ſuͤdlichen Europas umfaßt,
ſo ſind doch Spanien, Frankreich, England,
Oeſtreich
, das deutſche Reich, der Pabſt
und die Pforte, die Hauptglieder desſelben. Durch
ſie wurden die politiſchen Verhaͤltniſſe beſtimmt; und
man
[17]Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. 1492--1661.
und man koͤnnte ſie vergleichungsweiſe gegen die uͤbri-
gen, die paſſiv waren oder doch bald wurden, die
activen Mitglieder nennen.


Spanien hatte unter Ferdinand und Iſabella
unter jenen Reichen die glaͤnzendſte Zukunft vor ſich. Die
vorbereitete Vereinigung Aragons, (wozu auch Sicilien und
Sardinien gehoͤrte;) und Caſtiliens durch ihre Heyrath 1469
legte den Grund zu ſeiner innern Staͤrke; und die Ent-
deckung Americas eroͤffnete ihm [unermeßliche] Ausſichten.
Doch war es eigentlich die Eroberung Granadas 1492,
welche den Nationalgeiſt weckte; aber auch den Koͤni-
gen, hauptſaͤchlich durch ihre Inquiſition, den Weg zu
der Allgewalt bahnte, ohne daß eben deßhalb die Form
der ſtaͤndiſchen Verfaſſung (Cortes) ſo bald veraͤndert waͤre.


Nicht geringere Vortheile, (die Entdeckungen abgerech-
net), genoß Frankreich. Wenn gleich damals noch um
vieles beſchraͤnkter an Umfang, doch durch die Acquiſition
von Bretagne durch die Heyrath Carl's VIII. 1491 arron-
dirt, war durch die Politik Ludwig's XI., und den Fall
des letzten uͤbermaͤchtigen Vaſallen Carl's des Kuͤhnen von
Burgund 1477, die koͤnigliche Macht ſo feſt wie irgendwo
gegruͤndet, und die Macht der Staͤnde (Etats généraux)
bereits ſichtbar im Sinken. Aber welche Vortheile hatte
Frankreich, als Hauptglied eines Staatenſyſtems betrachtet,
nicht auch ſchon durch ſeine geographiſche Lage vor den uͤbri-
gen voraus?


Auch in England hob ſich die koͤnigliche Macht unter
Heinrich VII. 1483–1509. nach Beendigung der Kriege
mit der weißen und rothen Roſe, planmaͤßig auf aͤhnliche
Weiſe. War gleich das Parlament nach ſeinen Hauptfor-
men gebildet, ſo war es und blieb es noch lange ein Koͤr-
per ohne Geiſt; aber durch ſeine Organiſation mehr als
andre ſtaͤndiſche Verſammlungen des Lebens faͤhig. Noch
getrennt von Schottland, mit ſchwankender Herrſchaft in
Irrland, und ohne eine Kriegsflotte wuͤrde England an den

BConti-
[18]I. Periode. I. Theil.
Continentalhaͤndeln kaum Antheil haben nehmen koͤnnen,
haͤtte ihm nicht der noch uͤbrige Beſitz von Calais gleichſam
das Thor von Frankreich eroͤffnet; jedoch ein Thor, durch
welches ſich nicht mehr weit vordringen ließ.


Die Oeſtreichiſche Monarchie war erſt im Wer-
den; da die meiſten Beſitzungen nicht weniger zerſtreut als
ungewiß waren. Zu dem alten Beſitze von Oeſtreich
(ſeit 1276) kamen ſeit 1477 durch die Heyrath Maximi-
lian's mit Maria von Burgund die Niederlande, und als
auch die Anſpruͤche der Habsburger auf Ungarn und Boͤh-
men
ſeit 1527 einen dauernden Beſitz herbeyfuͤhrten, ward
dieſer nicht nur durch die Wahlreichen eignen Factionen,
ſondern auch beſonders in Ungarn durch die Tuͤrkenkriege
beſchraͤnkt. Auch die Kayſerkrone gab wenig Kraft bey
vielem Glanze. Ohne die eroͤffnete Ausſicht auf den Spa-
niſchen
Thron (ſ. unten) waͤre die Macht Oeſtreichs
ſehr beſchraͤnkt geblieben.


Das deutſche Reich, voll Leben in ſeinen einzelnen
Theilen, blieb dennoch ohnmaͤchtig als Ganzes, bis die Re-
formation ſeine Kraͤfte aufregte, aber meiſt nur zum innern
Zwiſt. Von allen Uebeln der innern Zerſtuͤckelung, und der
Uebermacht der Nachbarn gedruͤckt, behauptete ſich doch die-
ſer wunderbare Staat theils durch eigne Macht, theils
durch einzelne gluͤckliche Verhaͤltniſſe, theils aber, und vor-
zuͤglich, durch die bald allgemein werdende Ueberzeugung,
daß an ſeine Erhaltung und Freyheit die des ganzen S[t]aa-
tenſyſtems von Europa geknuͤpft ſey. Wie haͤtte auch ohne
einen ſolchen Centralſtaat, Niemanden furchtbar, aber
Allen wichtig, ein ſolches Syſtem ſich nur ausbilden moͤ-
gen? War nicht auch an dieſe Form die Cultur deutſcher
Nation, und mit ihr ein weſentlicher Theil der Cultur
Europas geknuͤpft? Die endliche Aufloͤſung eines Staats
giebt nicht den Maaßſtab ſeines Werths, und doch wird
vielleicht gerade hier der Untergang dieſen fuͤr Europa erſt
recht fuͤhlbar machen.


Die
[19]Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. 1492--1661.

Die Paͤbſte erſchienen in der doppelten Geſtalt, als
Beherrſcher des Kirchenſtaats (ſ. unten), und als Ober-
haͤupter der Chriſtenheit. Das Intereſſe des Einen war
nicht daſſelbe mit dem Intereſſe des Andern. Aber auch
abgeſehen von dieſen Colliſionen, wie ſchwer blieb nicht
durch ihre politiſchen Beziehungen die letztre Rolle? Voll
hoher Anſpruͤche, und doch ohne Waffen; nur geſtuͤtzt auf
die oͤffentliche Meinung, und doch mit der oͤffentlichen Mei-
nung in ſtetem und ſtets wachſendem Kampfe, behauptete
ſich dieſe Macht, ohne etwas aufzugeben, auch wenn ſie es
verloht — durch Conſequenz; wohl wiſſend, daß man ihrer
am Ende — doch nicht entbehren koͤnne.


Die Pforte, damals weſentlich erobernde Macht, er-
reichte den Gipfel ihrer Groͤße unter SolimanII. 1520
—1566). Furchtbar durch ihr regelmaͤßiges Fußvolk, die
Janitſcharen, drohte ſie es nicht weniger durch ihre See-
macht
zu werden, die mit der Herrſchaft des Mittelmeers
zugleich die der Kuͤſtenlaͤnder ihr haͤtte ſichern koͤnnen.
Dem chriſtlichen Europa feindlich gegenuͤber ſtehend, war
ſie dieſem fremd; und nach dem Wunſche der Paͤbſte ſollte
lange die Tuͤrkengefahr die Vereinigung der Chriſten-
heit bewirken; aber ihre bald mit Frankreich angeknuͤpfte
Verbindung vereitelte dieſe Hoffnung; und machte ſie zu
einem — wenn gleich immer fremdartigen — Gliede des
Europaͤiſchen Staatenſyſtems.


Von den uͤbrigen Staaten des ſuͤdlichen Europas war
Portugal nur mit ſeinen Entdeckungen und Eroberungen
beſchaͤftigt (ſ. unten); die Schweiz, anfangs furchtbar
durch ihre Soͤldner, zog ſich bald in eine gluͤckliche Unthaͤ-
tigkeit zuruͤck; und auch Venedig glich allmaͤhlig einem
reichen Handelshauſe, das die meiſten ſeiner Geſchaͤfte auf-
giebt, um ſich in Ruhe zu ſetzen.


B 2Erſter
[26[20]]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Erſter Zeitraum.

I. Geſchichte der Haͤndel und Streitigkeiten uͤber Italien.
von 1494 bis 1515.

  • Iſtoria d'Italia di Francesco Guicciardini. II Vol. fol.
    Venezia
    1738. Das Hauptwerk, da der Verfaſſer zugleich
    Zeitgenoſſe, Theilnehmer und unpartheyiſcher Erzaͤhler und
    Beurtheiler der Begebenheiten iſt. Das Werk geht von
    1490 bis 1532.
  • Mémoires de Philippe de Comines. Vol. III. Sie endigen
    ſchon mit 1498.
  • Die Werke ſowohl uͤber allgemeine franzoͤſiſche Geſchichte, von
    Mezeray, Daniel,Meuſel u. a., als auch die Special-
    geſchichten von Carl VIII. (in Godefroi Hiſtoire de Char-
    les VIII.
    Paris
    1684.) und Ludwig XII. Hiſtoire de Louis
    XII. par Varillas
    . Paris
    1688. und die vom D. Gode-
    froy
    herausgegebenen Vies dé Louis XII. Paris 1615.
    1620. enthalten auch die Erzaͤhlung dieſer Begebenheiten;
    jedoch natuͤrlich nur mit Ruͤckſicht auf Frankreich.

3. Italien ward gegen das Ende des 15.
Jahrhunderts das Ziel der Eroberungen, und dadurch
der Mittelpunct der Europaͤiſchen Politik. Wenn
der innere Zuſtand dieſes Landes dazu geſchickt war,
die Eroberer zu reizen; ſo war er es nicht weniger,
die einmal angefangenen Haͤndel zu unterhalten. In
einem ſo zertheilten Lande fehlte es nicht an Stoff zu
innerm Streit: und wie konnte dieſer den Fremden es
an Gelegenheit zur Einmiſchung fehlen laſſen, ſeit-
dem
[21]A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494--1515.
dem ſie einmal Theil genommen hatten? Wie unbe-
deutend daher auch oft die Haͤndel der Italiaͤniſchen
Staaten fuͤr das Ganze ſcheinen moͤgen, ſo ſind ſie es
doch keinesweges. Dieſe kleinen Raͤder waren es,
die das große Triebwerk der Europaͤiſchen Politik da-
mals am meiſten in Bewegung ſetzten und erhielten.


4. Schilderung des politiſchen Zuſtandes des
durch Wiſſenſchaft und Kunſt herrlich aufbluͤhenden
Italiens um dieſe Zeit. Schon ſeit mehr als Einem
Jahrhundert war es gleichſam eine Welt fuͤr ſich, ſo-
wohl in Ruͤckſicht ſeiner Politik als ſeiner Cultur.
Im Genuß der Unabhaͤngigkeit bildeten ſeine Staaten
ein Syſtem, in welchem ſich mit dem Streben zur
Aufrechthaltung des Gleichgewichts auch eine verfei-
nerte Politik ausgebildet hatte, die aber, beſonders
ſeit dem Tode des großen Lorenzo von Medicis1492
immer mehr in einen bloß argliſtigen Egoiſmus aus-
artend, bald ſich ſelber ſtuͤrzte. Die Hauptglieder
dieſes Syſtems waren das Herzogthum Mayland
und die Republik Venedig im Norden; die Repu-
blik Florenz und der Kirchenſtaat in der Mitte;
und das Koͤnigreich Neapel im Suͤden.


1. Das Herzogthum Mayland, zu dem damahls auch
nicht nur Parma und Piacenza, ſondern auch Genua
gehoͤrte, war deutſches Reichslehen; aber ſeit dem
Ausſterben des Mannsſtamms des Hauſes Viſconti 1450
im Beſitz des Hauſes Sforza, aus dem nach dem Tode
des Stifters Franz Sforza 1466, und der Ermordung

B 3ſeines
[22]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſeines Sohns Galeazzo Maria 1476, deſſen Sohn, der
ſchwache Johann Galeazzo, unter der Aufſicht ſeines
herrſchſuͤchtigen Oheims Ludwig Morus regierte, der
ihn endlich 1494 verdraͤngte.


2. Die Republik Venedig hatte auf dem Continent
von Italien bereits alle ihre nachmaligen Beſitzungen acqui-
rirt, ohne der Hoffnung zu entſagen, noch mehr zu erlan-
gen. Ihre erblichen Vergroͤßerungsplaͤne waren gegen
Romagna (das ſie meiſt inne hatte) und Mayland gerich-
tet. Bis zum vollen Beſitze des letztern reichten kaum ſelbſt
die kuͤhnſten Wuͤnſche des Senats; aber die einmal feſt ge-
wurzelten Projecte wurden mit aller der Schlauheit und
Beharrlichkeit verfolgt, deren nur eine ſolche Ariſtocraten-
Politik faͤhig iſt. Wo galt damals nicht Venedig fuͤr den
Meiſter in der Staatskunſt?


3. Das paͤbſtliche Gebiet war nicht nur im Norden
noch ſehr unbeſtimmt, ſondern auch die, noch wenig ge-
brochne, Macht der großen Familien in mehreren Staͤdten
machte dieſe Herrſchaft noch ſchwankender. Die Paͤbſte ſelbſt
ſtanden nicht ſelten ihrer Vergroͤßerung durch den Nepotis-
mus entgegen, der ſie bewog, das Intereſſe ihrer Familien
dem des R. Stuhls vorzuziehen; worin der damalige Pabſt
AlexanderVI. (1491–1503) nicht leicht von einem ſei-
ner Vorgaͤnger oder Nachfolger uͤbertroffen wurde.


4. Die Florentiniſche Republik ſtand bey ihrer
democratiſchen Form dennoch ſeit faſt Einem Jahrhundert
unter dem Principat des Hauſes Medici, deſſen Chef ſeit
dem Tode des großen Lorenzo ſein ihm ungleicher Sohn Pie-
tro
war. War gleich ſeit der Unterjochung Piſa's 1407
ihr Gebiet erweitert, ſo war doch noch der Geiſt der Piſa-
ner nicht unterjocht. Sowohl darin, als in der Art des
Principats der Mediceer, der, nur auf uͤberlegne Talente
gebaut, wanken mußte, ſobald dieſe fehlten, lagen Keime
zu Revolutionen, die nur zu reichliche Fruͤchte trugen.


5. Das Koͤnigreich Neapel (von Sicilien, das zu Ara-
gon gehoͤrte, getrennt;) ſtand unter einer Nebenlinie dieſes

Hau-
[23]A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494--1515.
Hauſes. AlfonsV. (I.) von Aragon († 1458) hatte es
ſeinem unaͤchten Sohn FerdinandI. vermacht, dem zwar
1494 ſein aͤlterer Sohn AlfonsII. folgte, der jedoch be-
reits 1495 die Krone ſeinem Sohn FerdinandII. uͤber-
gab; welcher, da er bereits 1496 ſtarb, ſeinen Oheim
Friedrich zum Nachfolger hatte, der 1501 ſein Reich an
Ferdinand Catholicus verlohr. Der groͤßte Staat Italiens
war dennoch der ſchwaͤchſte, weil die Koͤnige gehaßt,
und die Nation ohne Charakter war.


5. Eroberungszug von CarlVIII.von1494
Frankreich gegen Neapel, um die ſchon von ſeinem
Vater ererbten Anſpruͤche des juͤngern Hauſes Anjou
auf dieſes Reich geltend zu machen. Die Aufhetzun-
gen mißvergnuͤgter Emigranten, und die Einladung
von Ludwig Morus, um ſich in Mayland zu behaup-
ten, gaben den Ausſchlag; an die Eroberung Nea-
pels knuͤpfte man aber ſelbſt ein noch groͤßeres Project,
das Tuͤrkiſche Reich zu ſtuͤrzen. Weitausſehende
Plaͤne gehoͤren fuͤr die Kindheit der Politik; die es
noch nicht verſteht, die Mittel zur Ausfuͤhrung und
die Schwierigkeiten zu meſſen.


Leichte und unblutige Einnahme Italiens und Neapels
1494. Sept. bis May 1495., indem Koͤnig FerdinandII. nach
Iſchia fluͤchtet, und ſowohl Florenz als Rom Carl'n die Thore
geoͤffnet hatten. Bereits am 22. Febr. hielt Carl VIII. ſei-
nen Einzug in Neapel; worauf die Unterwerfung des Lan-
des folgte. Ein Heer von 30000 Mann mit 140 Stuͤcken
Geſchuͤtz reichte hin, Italien zu betaͤuben und einzunehmen,
aber nicht es zu behaupten.


B 46.
[24]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

6. Allein ſchon waͤhrend des Zuges begannen die
Unterhandlungen zu einem Buͤndniß, die Fremden
aus Italien wieder zu vertreiben, deſſen Seele Ve-
nedig
wurde. Der Pabſt und ſelbſt Ludwig Morus
verbanden ſich mit ihm; Ferdinand von Spanien und
Maximilian waren zum Beytritte geneigt; und ſogar
mit dem Erbfeind der Chriſtenheit trat man in aller
Stille in Unterhandlungen. Schon im May mußte
Carl VIII. Neapel wieder raͤumen, und ſich durch-
ſchlagen, um wieder nach Hauſe zu kommen.


Abzug des Koͤnigs mit der halben Armee aus Neapel
20. May 1495. Treffen und Sieg bey Fornua uͤber die Ve-
nezianer und ihre Verbuͤndeten 6. Jul. Die zuruͤckgebliebe-
ne Haͤlfte in Neapel mußte capituliren, und Ferdinand II.
gelangte wieder zum Beſitz ſeines Reichs.


7. Aber auch der mißlungene Verſuch war nicht
ohne Folgen fuͤr Europa. Den Eroberungsplaͤnen
war in Italien ein Ziel vorgeſteckt; ein Geiſt des
Unterhandelns war aufgelebt; und — was mehr
als alles dieſes wirkte — die Leidenſchaften waren
aufgeregt; denn Carl VIII. wollte ſich raͤchen. Der
aufgeregte Kampf zwiſchen Piſa und Florenz erhielt
die Gaͤhrung in Italien, weil ſowohl Mayland als
Venedig dabey zu gewinnen hofften; und erleichterte
es den Auslaͤndern, hier Verbuͤndete zu finden.
1408
7.
Apr.
Doch erlebte es Carl VIII. nicht mehr, ſich raͤchen
zu koͤnnen, da ein ploͤtzlicher Tod ihn wegraffte.


8. Er-
[25]A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494--1515.

8. Erweiterung der Eroberungsplaͤne unter ſei-
nem Nachfolger LudwigXII.; der außer den alten
Anſpruͤchen auf Neapel, auch noch eigne auf May-
land
, von ſeiner Großmutter Valentina, aus dem
Hauſe Viſconti, auf den Thron brachte. Venedig
und dem Pabſt ward ein Theil von der Beute verſpro-
chen; und waͤhrend man noch mit den fremden Maͤch-
ten unterhandelte, war die leichte Eroberung ſchon
gemacht.


Einnahme Maylands Aug. 1499. Flucht von Ludwig
Morus, und, nach vereiteltem Verſuch zur Wiedereinnah-
me, Gefangenſchaft, 10. Apr. 1500, worin er ſein Leben
endigen mußte. Venedig erhaͤlt Cremona und Ghirar d'Ad-
da; und fuͤr Alexander VI. ſchien endlich ſein Wunſch der
Erfuͤllung nahe zu ſeyn, ſeinem Sohne Ceſar Borgia in
Romagna ein unabhaͤngiges Fuͤrſtenthum zu verſchaffen.


9. Die Einnahme Maylands wuͤrde zu einem
Angriff auf Neapel ſogleich den Weg gebahnt haben;
wenn ohne eine vorlaͤufige Uebereinkunft mit Spanien
dieſes moͤglich geweſen waͤre. Ferdinand Catholicus
ſchloß im Geheim einen Vergleich, um an ſeinem
Vetter Friedrich von Neapel, und demnaͤchſt an
LudwigXII. ſelber, zum Verraͤther zu werden; und
der Pabſt verſprach die Inveſtitur.


Geheimer Theilungstractat zwiſchen Ferdinand und Lud-
wig XII., 11. Nov. 1503. Leichte Ueberwaͤltigung des be-
trogenen Koͤnigs Friedrich, (der in Frankreich in der Ge-
fangenſchaft ſtarb;) und Einnahme des Reichs im Jul. 1501.


B 510.
[36[26]]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

10. Entſtehender Zank, und demnaͤchſt Krieg
uͤber die Theilung, weil jeder das Ganze haben
wollte. Groͤßere Verbindungen im Innern, Hinter-
liſt, und ein Feldherr wie Gonſalvo von Cordua,
gaben Ferdinand das Uebergewicht; und bald bleibt
Spanien im alleinigen Beſitz; der durch eine Heyrath
ihm geſichert wird. So hatten ſich alſo zwey fremde
Maͤchte in Italien feſtgeſetzt; Frankreich in May-
land, und Spanien in Neapel.


Niederlage der Franzoſen bey Seminara am 21.
April, und am Garigliano 27. Dec. 1503. Auf den ge-
ſchloſſenen Waffenſtillſtand, 31. Maͤrz 1504, folgt die gaͤnz-
liche Beylegung des Streits durch die Heyrath Ferdinand's
mit Germaine de Foix, der Nichte Ludwig's XII., der er
ſeine Anſpruͤche auf Neapel als Mitgift mitgab. 12. Oct.
1505.


11. Indem Italien ſo das gemeinſchaftliche Ziel
der Politik blieb, wurden die Verhaͤltniſſe durch eine
neue Pabſtwahl noch verwickelter; als JuliusII.
1503den erkauften paͤbſtlichen Stuhl beſtieg. Mit kuͤhner,
aber laͤngſt geuͤbter, Hand griff er in das Triebwerk
der Europaͤiſchen Politik, und wußte es ein Decen-
nium hindurch meiſt nach ſeinem Willen zu lenken.
Selten hat wohl ein Schwaͤcherer das gefaͤhrliche
Spiel mit den Maͤchtigern ſo dreiſt, ſo ſchlau und ſo
gluͤcklich geſpielt! Freylich aber konnte kein Friede
werden, ſo lange ein ſolcher Pabſt die Chriſtenheit
regierte.


Erſtes
[27]A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494--1515.

Erſtes Project von JuliusII., den ſeit Alexan-
der's VI. Tode von ſelbſt zerfallenden Staat des Ceſar
Borgia, Romagna, Bologna und Ferrara, deſſen ſich aber
meiſt die Venezianer bemaͤchtigt hatten, an den Roͤmiſchen
Stuhl zu bringen. Die daraus entſtandenen Kriege fuͤhr-
ten zu dem zweyten und groͤßeren Project der Vertreibung
der Fremden, beſonders der Franzoſen, aus Italien.


12. Haͤndel mit Venedig uͤber Romagna, die
zu dem Plan einer großen Allianz fuͤhren, die jedoch,
beſonders wegen der innern Vorfaͤlle in Spanien nach
dem Tode der Iſabella, nur langſam reifen konn-1504
ten. Die Frucht davon war die Ligue zu Cam-1508
brai, als [geheime] Verbindung gegen Venedig
zwiſchen Ludwig XII., Maximilian, Ferdinand Ca-
tholicus und dem Pabſt geſchloſſen. Die Verbin-
dung war ſo leicht zu Stande gebracht, da ſie den Lei-
denſchaften und dem Intereſſe von allen ſchmeichelte,
daß es faſt dem Pabſt gereute, da er nicht den Fa-
den in der Hand behalten konnte. Es war wenigſtens
nicht ſeine Schuld, wenn die Venezianer ſich nicht
warnen ließen. Die ſtolzen Republikaner ſchienen es
nicht zu wiſſen, daß Koͤnige ſelten Freunde von Re-
publiken ſind.


Abſchluß der Ligue zwiſchen Ludwig XII. und Maximi-
lian I. 10. Dec. 1508. Die andern traten demnaͤchſt bey.
Ihr Zweck: Demuͤthigung der Republik, und Wegnahme
ihres Continentalgebiets, das ſchon vorlaͤufig getheilt war.


13. Doch war es weit mehr die leidenſchaftliche
Raſchheit des maͤchtigſten der Verbuͤndeten, als die
Groͤße
[28]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Groͤße der Verbindung, welche der Republik den Un-
tergang drohte; und den Angriff von Ludwig XII. haͤt-
te ſelbſt die Trennung der Ligue wohl nicht abgehalten.
Nicht ihre Waffen, aber ihre Politik rettete die Re-
publik. Es war nicht ſchwer, eine Verbindung auf-
zuloͤſen, die ſo wenig in ſich ſelber zuſammenhieng.


Niederlage der Venezianer bey Agnadello 15.
Apr. 1509, und Verluſt des feſten Landes, da auch der
Pabſt Romagna wegnimmt, und ſie mit dem Bann belegt.
Anfang des Zwiſts zwiſchen Ludwig und Maximilian, und
nach der Wiedereinnahme Padua's angeknuͤpfte Unterhand-
lung und Ausſoͤhnung der Republik mit dem Pabſt, dem
die Staͤdte in Romagna bleiben (25. Febr. 1510); ſo wie
Ferdinand die Haͤfen in Apulien.


14. Aus der aufgeloͤſten Verbindung geht aber
durch JuliusII., der wohl wußte, daß geweſene
Freunde die erbittertſten Feinde werden, eine zwey-
1511te, noch groͤßere, gegen Frankreich hervor.
Zum Schutz des Roͤmiſchen Stuhls gegen die An-
maßungen Frankreichs beſtimmt, hieß ſie die heilige
Ligue
; gaͤnzliche Vertreibung der Franzoſen aus
Italien war dabey der Wunſch des Pabſtes und der
Venezianer; die Eroberung des Spaniſchen Na-
varra's der von Ferdinand; und durch dieſen ward
HeinrichVIII. von England gewonnen. Auch
MaximilianI. ward wenigſtens durch einen Waf-
fenſtillſtand mit Venedig unthaͤtig gemacht; aber das
Meiſterſtuͤck der paͤbſtlichen Politik war es, die
Schwei-
[29]A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494--1515.
Schweizer zu gewinnen; denn nur durch ſie konnte
Mayland Frankreich entriſſen werden.


Schließung der heil. Ligue 5. Oct. 1511. zwiſchen
dem Pabſt, Ferdinand Cathol[icu]s und Venedig; dem Kay-
ſer und Heinrich VIII. wird der Beytritt freygeſtellt. Ge-
winnung der Schweizer ſeit 1510.


15. Der jetzt folgende Kampf, der durch den
mißlungenen Verſuch Ludwig's zu einem Conci-
lium zu Piſa
, zur Abſetzung des Pabſtes, jetzt1511
ein wahrer Kampf gegen die Hierarchie ward,
waͤre vielleicht gluͤcklich von Frankreich beſtanden, haͤtte
nicht der junge Gaſton von Foix in der Schlacht bey
Ravenna ſeine Heldenlaufbahn geendigt. Von allen
Seiten angegriffen, aus Mayland durch die Schweizer
vertrieben, von dem Pabſt in den Bann gethan,
wuͤrde ſich Ludwig XII. kaum aus ſeiner Verlegenheit
haben ziehen koͤnnen, waͤre ihm nicht der Tod des
Pabſtes
zu Huͤlfe gekommen.


Uebergewicht Frankreichs unter Guſtav von Foix bis
auf ſeinen Tod in der Schlacht bey Ravenna, Nov.
1511. — 11. April 1512. — Einfall der Schweizer in May-
land, May 1512; das von ihnen an Maximilian Sforza,
aͤlterem Sohn von Ludwig Morus, gegeben wird. — Er-
neuerter Verſuch Ludwig's XII. zur Wiedereroberung verei-
telt durch die Schlacht bey Novara 6. Jun. 1513. Folge
dieſer Vertreibung der Franzoſen aus Italien war die Ruͤck-
kehr der
1495 vertriebenen Mediceer nach Flo-
renz
, durch Huͤlfe der Ligue und einer Inſurrection, 31. Aug.
1512, mit einer Gewalt, die nur den Nahmen der Republik hier
uͤbrig ließ. Florenz trat nun foͤrmlich der heiligen Ligue bey. —

Um
[30]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Um eben die Zeit Eroberung des Spaniſchen Na-
varras
, als verbuͤndeten Staats von Frankreich durch
Ferdinand Catholicus 1512. Einfall Heinrich's VIII. in Ar-
tois, und der Schweizer in Burgund, Aug. 1513. Unter-
deſſen Tod des Pabſt[es]JuliusII. 21. Febr. 1513, dem
LeoX. aus dem Hauſe Medici folgt.


16. Aufloͤſung der Ligue, da der neue Pabſt
ſich mit Frankreich ausſoͤhnt, ſobald nur Ludwig XII.
das Concilium zu Piſa verwarf. Mit Ferdinand
wurde leicht Friede, als man ihm ſeine Beute —
Navarra — ließ. Heinrich VIII., der als Schwie-
gerſohn von ihm abhieng, ward durch Geld und eine
Heyrath gewonnen, und die Schweizer — betrog
man. So blieben Frankreich, nach allen ſeinen Er-
oberungen, nichts als ſeine Anſpruͤche; die viel-
leicht Ludwig XII. noch mal wieder durchzuſetzen ver-
1515ſucht haͤtte, waͤre ihm nicht der Tod zuvorgekommen.


Vertrag mit Ludwig XII. 6. Oct. 1513. — Mit Ferdi-
nand von Aragon 1. Dec. 1513. Mit den Schweizern, in-
dem man ſie durch falſche Geißeln hintergieng, ein Still-
ſtand 13. Sept. 1513. — Auch mit Maximilian 1. ein
Stillſtand wegen Mayland, deſſen neuer Herzog von ihm
war beſtaͤtigt worden. — Der erkaufte Frieden mit Eng-
land wird durch eine Heyrath Ludwig's XII. mit der Schwe-
ſter Heinrich's VIII., Maria, befeſtigt 7. Aug. 1514. —
Aber ſchon am 1. Jan. 1515. ſtarb Ludwig XII.


17. Bey aller Thaͤtigkeit erſcheint die Politik
dieſes Zeitraums doch in ihrer Kindheit. Die Ver-
ſchlingung ihrer Faͤden wird faſt zum Gewirr. Kein
gro-
[31]A. 1. Haͤnd. u. Streit. uͤb. Ital. 1494--1515.
großes Intereſſe, nicht das bleibende der Voͤlker,
ſondern nur das augenblickliche der Herrſcher ſetzte ſie
in Bewegung. Eben daher auch keine feſte Verbin-
dungen, ſondern ewiger Wechſel! Wie konnten auch
dergleichen entſtehen; wo man es kaum Hehl hatte,
daß man ſich einander nur zu betriegen ſuchte?


18. Die Staatswirthſchaft ſchien zwar
durch das gute Beyſpiel, das LudwigXII. und
ſein Miniſter, Cardinal Amboiſe, gaben, zu ge-
winnen. Aber neue und große Ideen daruͤber wach-
ten ſelbſt in Frankreich noch nicht auf; und das gute
Beyſpiel blieb ohne Nachahmer. Geld zu den Kriegen
zu haben, — nur unter Ludwig XII. mit moͤglichſter
Schonung der Unterthanen, (und auch das war viel
werth!) — blieb noch immer ihr einziges Ziel; und
ſelbſt die Entdeckung der neuen Welt und die dadurch
erregten Hoffnungen beſchraͤnkten den Geſichtskreis
noch mehr darauf, als daß ſie ihn erweitert haͤtten.


19. Auch die Kriegskunſt machte weniger
Fortſchritte, als man haͤtte erwarten moͤgen; und
konnte ſie auch nicht wohl machen, ſo lange ein gutes
Fußvolk
nur bey den Schweizern zu miethen
war, oder man ſich mit deutſchen Lanzknechten
half. Auch war unter den Fuͤrſten des Zeitalters kei-
ner, der als großes militaͤriſches Genie geglaͤnzt haͤtte.


II. Ge-
[32]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
II. Geſchichte der Entſtehung des Colonialweſens.
von 1492 bis 1515.

  • Hiſtoire des Etabliſſements des Europeens dans les deux In-
    des; par Mr. l'abbé Raynal
    . à Geneve 1781. 10 Voll.

    Ein Werk, gleich reich an ſophiſtiſchen Declamationen, lehr-
    reichen Entwickelungen, und hoͤchſt wichtigen ſtatiſtiſchen
    Nachrichten.
  • Les trois ages des Colonies, ou de leur état paſſé, préſent
    st à venir; par Mr. de Pradt
    . 1801. 3 Voll.
    Der Verf.
    iſt Vertheidiger der Freyheit der Colonien; aber auch poli-
    tiſcher Projectmacher.
  • An Inquiry into the colonial policy of the European po-
    wers, in two volumes. By Henry Brougham
    . Edim-
    burg
    1803. Viel Studium des Gegenſtandes: aber nur zu
    wenig praktiſche Kenntniß.
  • Den Theil der Colonialgeſchichte, der Oſtindien betrifft,
    enthaͤlt bis auf die Mitte des 18. Jahrhunderts ausfuͤhr-
    lich: Geſchichte der oſtindiſchen Handelsgeſell-
    ſchaften, in der Halliſchen Allgemeinen Weltge-
    ſchichte
    , B. 25. 26. 1763.
  • Die vorzuͤglichſte allgemeine hiſtoriſche Ueberſicht
    der Colonien der einzelnen Voͤlker giebt Eichhorn'sGe-
    ſchichte des neuern Europas
    , B. 5., der Aſien,
    und B. 6., der Africa und America umfaßt.

1. Unter dem Nahmen der Colonien begreift
man alle Beſitzungen und Niederlaſſungen der Euro-
paͤer in fremden Welttheilen. Sie zerfallen aber nach
ihrem Zweck und ihrer Einrichtung in vier verſchie-
dene Claſſen. Dieſe ſind 1. Ackerbau-Colo-
nien
. Ihr Zweck iſt Landwirthſchaft; die Coloni-
ſten werden Landeigenthuͤmer und foͤrmlich einheimiſch;
und
[33]A. 2. Geſch. d. Entſt. d. Colon. 1492--1515.
und erwachſen bey dem Fortgange zu einer wahren
Nation. 2. Pflanzungs-Colonien. Ihr
Zweck iſt Erzeugung beſtimmter Naturproducte in
Plantagen fuͤr Europa. Die Coloniſten, wenn gleich
Landbeſitzer, werden doch weniger einheimiſch, und
ihre Zahl bleibt auch meiſt zu gering, als daß ſie zu
einer Nation erwachſen koͤnnten. In ihnen iſt Scla-
verey
vorzugsweiſe zu Hauſe. 3. Bergbau-Co-
lonien
. Ihr Zweck iſt die Gewinnung der Metalle.
Die Coloniſten werden in ihnen einheimiſch. Sie
koͤnnen ſehr ausgedehnt, aber als bloße Bergbau-Co-
lonien nicht ſehr volkreich werden. 4. Handels-
Colonien
. Ihr Zweck iſt Handel mit den Natur-
producten des Landes oder des Meers, (Fiſche-
reyen), und den Kunſtproducten der einheimiſchen
Voͤlker. Sie beſtanden anfangs nur aus Niederlaſ-
ſungen zu Stapelplaͤtzen des Handels; aber durch Ge-
walt und Liſt erweiterten ſich dieſe zu Eroberungen,
ohne daß doch der Hauptzweck ſich aͤnderte. Die
Fremden, wenn gleich Herren, werden doch in ihnen
zu wenig Landbeſitzer, um einheimiſch zu werden. —
Wenn gleich mehrere dieſer Zwecke ſich bey denſelben
Colonien vereinigen laſſen, ſo wird doch Einer derſel-
ben immer Hauptzweck ſeyn; und nach dieſem der
ganze Charakter der Colonie ſich beſtimmen.


2. Was Colonien jeder Art fuͤr den Mutter-
ſtaat
ſeyn koͤnnen, mußte erſt eine langſame Erfah-
Crung
[34]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
rung lehren. Ohne ihren wahren Werth zu kennen,
ging man aus von der Idee des abſoluten Beſitzes,
und der Ausſchließung aller Fremden. Ob dieß Ver-
fahren rechtlich ſey, ob es auch nur rathſam ſey?
fiel Niemanden ein zu fragen. Wo haͤtte man auch
andere Ideen ſchoͤpfen ſollen? Leider! aber wurde
dadurch gleich anfangs dem Colonialweſen der Euro-
paͤer eine Richtung gegeben, die zum Ungluͤck der
Mutterlaͤnder, und noch mehr der Colonien, unver-
aͤnderlich war. Doch entwickelte ſich gleich anfangs
durch die verſchiedene Natur der Laͤnder und ihrer
Bewohner eine weſentliche Verſchiedenheit der Colo-
nien des weſtlichen und des oͤſtlichen Indiens in Anſe-
hung der Benutzung.


3. Wie beſchraͤnkt aber auch immer der Ge-
ſichtskreis blieb, ſo waren doch die Folgen uner-
meßlich. Indem a. der ganze Gang, wie die ganze
Einrichtung des Welthandels ſich aͤnderte, weil er
aus Landhandel (was er bis dahin, ſeinem weſent-
lichen Charakter nach, ſtets hatte bleiben muͤſſen,)
in Seehandel umgeſchaffen ward. Ebendaher aber
b. die geographiſche Lage der Laͤnder ihre Wichtigkeit
oder Unwichtigkeit fuͤr den Handel nach einem ganz
andern Maaßſtabe beſtimmte; da es in der Natur die-
ſer Veraͤnderung lag, daß in Europa jetzt die weſt-
lichen
Laͤnder ſtatt derer am Mittelmeer die Sitze
des
[35]A. 2. Geſch. d. Entſt. d. Colon. 1492--1515.
des Welthandels wurden. Auch waren es zuerſt die
beyden weſtlichſten Voͤlker, Spanier und Portu-
gieſen
, welche daran Antheil nahmen. Doch leg-
ten in dieſem Zeitraum die Spanier nur erſt den
Grund zu dem Gebaͤude ihres Colonialſyſtems; die
Portugieſen hingegen fuͤhrten das ihrige ſchon faſt
gaͤnzlich auf. Beyde aber gruͤndeten ihre Anſpruͤche
auf die Schenkungen des Pabſtes, als allge-
meinen Oberherrn, zur Bekehrung der Heiden.


Bulle des Pabſtes AlexanderVI. 1493; wodurch ein
Meridian, 100 Meilen weſtlich von den Azoren, als Schei-
dungslinie beſtimmt wurde; die jedoch, bereits 1494 durch
den Tractat von Tordeſillas, durch eine Bulle 1506 beſtaͤ-
tigt, bis auf 375 Meilen von jenen Inſeln hinausgeruͤckt
ward.


4. Entdeckungen und Eroberungen der Spa-
nier
in dieſem Zeitraum. Die letzteren beſchraͤnkten
ſich nur auf die Inſeln des Golfs von Mexico, unter
denen jedoch Hiſpaniola (St. Domingo) durch die
Goldgruben in dem Cibao-Gebirge bey weiten die
wichtigſte wurde. Da die neue Welt nicht ſogleich
andre wichtige Producte darbot, ſo wurde das Auf-
ſuchen von Gold und Silber, zum Ungluͤck der Einge-
bohrnen, hier das einzige Ziel.


Entdeckung Americas, zuerſt der Inſel St. Salva-
dor
(Guanahaini), durch Chriſt. Colomb, indem er den
Weg nach Oſtindien ſucht, den II. Oct. 1492. Auf ſeinen
drey folgenden Reiſen entdeckte er nicht nur die weſtindi-

C 2ſche
[36]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſche Inſelwelt, ſondern auch einen Theil der Kuͤſten des
Continents. Außer Hiſpaniola, der Hauptniederlaſſung,
wurden noch auf Cuba, Portorico und Jamaica
1508—1510 von den Spaniern Anſiedelungen verſucht: der
kleinern Inſeln achtete man nicht weiter, als um die Ein-
wohner zu rauben. Entdeckung und Beſitznehmung des gro-
ßen Oceans, und Nachrichten von Peru, durch Bilboa
1513. — Der Gewinn, den die Spaniſche Regierung
aus Weſtindien zog, blieb noch ſehr unbetraͤchtlich; ſo wie
die Grundſaͤtze ihrer Colonialverwaltung noch unentwickelt.


  • Hiſtory of America by Robertson, London 1771. 2 Vol. 4.

5. Entdeckungen und Niederlaſſungen der Por-
tugieſen
in Oſtindien. Die Art des Entdeckens
und die Beſchaffenheit der entdeckten Laͤnder erzeugte
gleich den weſentlichſten Unterſchied zwiſchen dem Por-
tugieſiſchen und Spaniſchen Colonialweſen. Das all-
maͤhlige, planmaͤßige Fortſchreiten, das endlich nach
Indien fuͤhrte, hatte ſchon manche Ideen durch die
Erfahrung zur Reife gebracht; und die Beſchaffenheit
Indiens ließ hier an keine Bergwerks-, ſondern nur
an Handels-Colonien denken. Eben daher,
bey aller Eroberungsluſt und Tyranney, doch keine
große Laͤnderbeſitzungen, ſondern Feſtſetzung auf ein-
zelnen Hauptpuncten, um den Handel ſich zuzueignen.


Anfang der Portugieſiſchen Schifffarthen, (erzeugt durch
die Kriege mit den Mauren in Afrika, und geleitet durch
Prinz Heinrich Navigator † 1463) ſeit 1410. Entdeckung
von Madeira 1419. Umſchiffung von Cap Bajador 1439
und des Cap Verde 1446. Entdeckung der Azoren 1448,
der Inſeln des Cap Verde 1449, von St. Thomas nnd

Anno-
[37]A. 2. Geſch. d. Entſt. d. Colon. 1492--1515.
Annobon 1471, von Congo 1484; wovon die Entdeckungs-
reiſe uͤber Land nach Indien und Aethiopien von Covillan
eine Folge war. Erreichung des Vorgebirgs der guten Hoff-
nung durch Barth. Diaz 1486; und endliche Umſchiffung und
Gelangung nach Indien uͤber Mozambique durch Vaſco de
Gama 1498, unter Emanuel dem Großen. Landung
in Calicut, und erſte Feſtſetzung in Cochin. — Bereits
1481 waren durch eine Bulle von SirtIV. alle jenſeit
Cap Bojador im Namen der Portugieſen gemachte Entdek-
kungen der Krone Portugal geſchenkt.


6. Umfang und Einrichtung der Portugieſiſchen
Herrſchaft in Indien, von der Oſtkuͤſte von Afrika
bis zu der Halbinſel Malacca und den Molucken, —
durch eine Kette von feſten Plaͤtzen und Factoreyen;
ſo ſehr beguͤnſtigt durch die damalige Zerſtuͤckelung je-
ner Laͤnder in viele kleine Staaten, leicht in Abhaͤn-
gigkeit zu erhalten, und gegen einander aufzuhetzen.
Der hohe Geiſt der erſten Vicekoͤnige, und ihre
große Gewalt, als hoͤchſte Civil- und Militair-
chefs, denen alle uͤbrige Gouverneurs untergeordnet wa-
ren, eines Almeida (1505—1509), und vorzuͤg-
lich des großen Albuquerque († 1515) war es aber
eigentlich, der die Gruͤndung einer ſolchen Herrſchaft
moͤglich machte.


Mittelpunct ihrer Herrſchaft Goa, ſeit 1508; Sitz des
Vicekoͤnigs. Die andern Hauptplaͤtze; Mozambique, Sofala
und Melinda an der Kuͤſte von Afrika; Maſcate und Ormus
im Perſiſchen Meerbuſen; Diu und Daman auf Malabar;
welche Kuͤſte ganz von ihnen abhaͤngig war; Negapatam und
Meliapur auf Coromandel; und Malacca ſeit 1511 auf der

C 3Halb-
[38]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Halbinſel gleiches Nahmens. In eben dem Jahr Entdeckung
der Gewuͤrzinſeln; und ſeitdem Feſtſetzung auf Ternate und
Tidor.


7. Der Handel mit Indien ward zwar bey den
Portugieſen kein Monopol einer Compagnie, blieb
aber mittelbarer Weiſe ein Monopol der Krone.
Stand er gleich allen Portugieſen frey; ſo bedurften
doch die Kaufleute der Erlaubniß der Regierung:
und ſie hatte die Direction ſo wie den Schutz der
Schifffahrt; auch behielt ſie einzelne Zweige des
Handels ſich allein vor. In dieſen Formen lag ein
Keim des Verderbens, der ſich bald entwickeln muß-
te; aber ſo lange man Liſſabon zum alleinigen Haupt-
markt der Indiſchen Waaren fuͤr Europa machen konn-
te, war der Handel doch nicht weniger gewinnreich.


Der Portugieſiſche Oſtindiſche Handel begriff 1. den Zwi-
ſchenhandel in Indien. Anknuͤpfung an einzelne Haupt-
marktplaͤtze; Malacca fuͤr das jenſeitige Indien; Aden
fuͤr Arabien und Aegypten; Ormus fuͤr das Continent
von Aſien. Wichtigkeit des Verkehrs zwiſchen den Goldlaͤn-
dern Afrikas, und den Productenlaͤndern Indiens. Mono-
poliſirender Handel der Befehlshaber in Indien. 2. Den
Handel zwiſchen Europa und Indien. Einrichtung der Schif-
farth. Nur durch Flotten von der Regierung geſchickt.
Hauptgegenſtaͤnde: Gewuͤrze, baumwollene und ſeidene Zeu-
ge, Perlen und andre leichte und verarbeitete Waaren.
Form des Handels in Portugal. Keine Verfuͤhrung der
Waaren durch Europa auf eignen Schiffen: die Fremden
mußten ſie in Liſſabon ſich holen. Nachtheilige Folge da-
von fuͤr die Portugieſiſche Schifffarth; und die Erweckung
der Concurrenz.


In
[39]A. 2. Geſch. d. Entſt. d. Colon. 1492--1515.

In der Aſia de Joao de Barros und ſeinen Fortſetzern,
Lisboa, 1552; in der Hiſtoire des conquêtes des Portugais
par Lafitau
, Paris
1732. u. a. ſind die Eroberungen
der Portugieſen in Indien ausfuͤhrlich beſchrieben; allein die
Geſchichte ihres Indiſchen Handels iſt auch nach dem,
was Kaynal und die Verfaſſer der allgemeinen Welt-
hiſtorie
B. 25. daruͤber gegeben haben, noch beynahe eine
gaͤnzliche Luͤcke.


8. Oſtindien blieb zwar nicht das einzige, aber
doch das wichtigſte Colonialland der Portugieſen.
Ihre Beſitzungen an der Weſt-Kuͤſte von Afrika, wie
Congo ꝛc. wurde erſt ſpaͤterhin durch den Sclaven-
handel bedeutend: und wenn gleich die Kuͤſte von
Braſilien durch Cabral bereits entdeckt und occupirt1500
ward, ſo wurde doch durch deportirte Juden und
Verbrecher kaum ein ſchwacher Anfang daſelbſt zum
Anbau gemacht.


Zweyter Zeitraum.
von 1515 bis 1556.

1. Der folgende Zeitraum glaͤnzt nicht nur durch
groͤßere, ſondern auch durch folgenreichere Begebenhei-
ten. Indem die Verhaͤltniſſe der Hauptſtaaten gegen
einander ſich in demſelben feſter beſtimmen, erhaͤlt die
C 4prakti-
[40]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
praktiſche Politik dadurch ſicherere Formen. Es geſchah
dieß 1. durch die Rivalitaͤt zwiſchen Frankreich und
Spanien unter FranzI. und CarlV. 2. Durch die
Reformation; wegen ihrer politiſchen Tendenz.
Die durch beyde verurſachten Haͤndel bleiben, wenn
auch gleichzeitig, dennoch ſo gut wie gaͤnzlich getrennt;
weil Franz I. nicht weniger als Carl V. Gegner der
Reformation blieb; und muͤſſen daher auch abgeſon-
dert behandelt werden.


I. Geſchichte der Rivalitaͤt zwiſchen Frankreich und Spa-
nien in dieſem Zeitraum.

  • Hiſtory of the Emperor Charles V. by Robertson. Lon-
    don 1769. 3 Vol.
    In der deutſchen Ueberſetzung von
    Remer, Braunſchweig 1792, iſt der erſte Theil, oder die
    Einleitung, gaͤnzlich umgearbeitet; und der Werth dieſes,
    in jeder Ruͤckſicht claſſiſchen, Werks dadurch noch erhoͤht
    worden.
  • Hiſtoire de François Premier, Roi de France par M. Gail-
    lard
    . Paris 1769. 7 Vol.
  • Mémoires de Mart. et Guill. Bellay Langey, mis en
    nouveau Style etc. par Mr. l'Abbé Lambert
    . Paris 1753.
    7 Voll.
    Sie gehen von 1513—1547. Die Ausgabe im
    Original-Stil iſt Paris 1569. fol.
  • Die Iſtoria d'Italia von Guicciardini vom 15ten Buche an.

2. Die Rivalitaͤt zwiſchen Frankreich und Spa-
nien ging keinesweges zunaͤchſt aus einer feſten Politik,
ſon-
[41]B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515--1556.
ſondern aus Zeitumſtaͤnden und Leidenſchaften hervor;
allein ſie fuͤhrte dennoch zu politiſchen Grundſaͤtzen,
indem das practiſch angenommene Syſtem des Gleich-
gewichts aus ihr ſich entwickelte, und durch ſie ſeine
Hauptbeſtimmungen erhielt. — Es war zunaͤchſt
eine Fortſetzung der Italiaͤniſchen Haͤndel; weil an
den Principat in dieſem Lande immer mehr die Idee
des wechſelſeitigen Uebergewichts geknuͤpft ward. Der
von FranzI. mit Gluͤck ausgefuͤhrte Verſuch,
Mayland den Schweizern und Maximilian Sforza
zu entreißen, legte dazu — ſchon vor dem Regie-
rungsantritt von Carl V. — den Grund.


Einfall von Franz I. in Mayland, nach vorher errichte-
ter Verbindung mit Venedig, und entſcheidende Schlacht
bey Marignano 13. Sept. 1515. H. Maximilian tritt
ſein Land gegen ein Jahrgeld ab. — Der bald darauf
geſchloſſene Vergleich mit den Schweizern 1516 (die Grund-
lage des nachmaligen ewigen Friedens 7. May 1521)
ſchien den Beſitz Maylands zu ſichern, und uͤberhaupt den
franzoͤſiſchen Einfluß in Italien voͤllig zu befeſtigen.


3. Große Veraͤnderung der Lage Europas durch
den Tod Ferdinand'sI. Mit ſeinem aͤlteſten1516
23.
Jan.

Enkel CarlV. (I.), dem Herrn der reichen Nieder-
lande und kuͤnftigen Miterben Oeſtreichs, gelangte
das Habsburgiſche Haus zum Beſitz der ganzen
Spaniſchen Monarchie. So lag das Schick-
ſal Europas in den Haͤnden zweyer Juͤnglinge, von
denen der eine ſchon gluͤcklicher Eroberer war; der an-
C 5dere
[42]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
dere faſt noch mehr durch Politik als durch Waffen
es zu werden hoffte. Doch erhielt der Tractat zu
Noyon noch den Frieden; bis eine neue Colliſion
des beyderſeitigen Intereſſe entſtand.


Tractat zu Noyon 17. Aug. 1516. Es war ein Auf-
ſchub, der durch die Beſtimmungen uͤber Navarra und Nea-
pel den Krieg deſto ſicherer herbeyfuͤhren mußte.


1519
12.
Jan.

4. Bewerbung beyder Fuͤrſten um die Kayſer-
krone
nach dem Tode Maximilian's I. Als CarlV.
ſie erhielt, war die damit verbundene Oberhoheit uͤber
die Italieniſchen Reichs-Lehen, zu denen May-
land gehoͤrte, recht dazu geſchickt, dem aufkeimenden
Saamen der Eiferſucht und des Haſſes zwiſchen beyden
fortdauernde Nahrung zu geben.


Wuͤrdigung des damaligen wahren Werths der Kayſer-
krone. Sie war ſehr viel und ſehr wenig, je nachdem der-
jenige, der ſie trug, ſie zu nutzen wußte; denn was ließ ſich
nicht in einem Zeitalter, wo Streben nach Machtvergroͤße-
rung, wenn auch nicht immer planmaͤßig, doch in der allge-
meinen Tendenz der Politik lag, in einem Staate wie
Deutſchland, an den Titel knuͤpfen? Wer mochte denn ſa-
gen, was zwiſchen dem Kayſer und den Staͤnden, die Be-
ſtimmungen der goldnen Bulle und der neuen Wahlkapitula-
tion abgerechnet, eigentlich Rechtens war?


5. Die Verbindung der Kayſerkrone und der
Krone von Spanien auf demſelben Haupte mußte
nicht bloß wegen des Umfangs, ſondern auch beſon-
ders wegen der geographiſchen Lage der Laͤnder
bedenk-
[43]B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515--1556.
bedenklich werden. An welchen Staatshaͤndeln
mußte Carl bey ſo vielen Beruͤhrungspuncten nicht
Antheil nehmen? Und wohin konnte dieſe Theilnahme
bey einer ſolchen Macht nicht fuͤhren? Die den
Habsburgern beygelegte Idee einer ſogenannten Uni-
verſalmonarchie
, war, in ſo fern man darunter
nicht eine unmittelbare Herrſchaft, ſondern nur den
Principat in Europa verſteht, ſo wenig ein lee-
res Phantom, daß ſie vielmehr von ſelbſt aus der
Lage jenes Hauſes hervorging; und der Kampf von
FranzI., wenn auch im Einzelnen durch Leiden-
ſchaft und kleinliche Urſachen erzeugt, und zunaͤchſt
nur auf den Principat in Italien gerichtet, war doch,
aus einem hoͤhern Geſichtspunkt betrachtet, ein Kampf
fuͤr Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhaͤngigkeit.


Schaͤtzung der wahren Macht der beyden Fuͤrſten. Die
Macht von Carl V. verlor 1. durch die Verſchiedenheit ſeiner
Verhaͤltniſſe in ſeinen verſchiedenen Staaten: er war nir-
gends, ſelbſt nicht in Spanien, unumſchraͤnkt. 2. Durch die
beſtaͤndigen Finanzverlegenheiten, und die nie regelmaͤßig
bezahlten Truppen, die oft deßhalb kaum ſeine Truppen
heißen konnten. Dagegen die ſo ſehr concentrirte Macht
Frankreichs nicht nur 1. dem Koͤnige faſt unumſchraͤnkt zu Ge-
bote ſtand; ſondern auch 2. durch die Errichtung einer eignen
National-Infanterie ſtatt der Miethtruppen erſt furchtbar
wurde. Aber doch 3. ſehr dadurch ſich beſchraͤnkte, daß
Franz I. nicht die Staatswirthſchaft ſeines Vorgaͤngers befolgte.


6. Erſter Krieg zwiſchen Franz I. und Carl V.,1521
bis
1526

angefangen von Franz I., und nach oͤfterm Wechſel
durch
[44]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
durch die Niederlage bey Pavia, und die Gefangen-
nehmung des Koͤnigs zwar ſehr ungluͤcklich fuͤr ihn ent-
ſchieden; doch konnte Carl V. ſeinen Lieblingsplan
einer Zerſtuͤckelung Frankreichs ſo wenig durch
das Complot von Carl von Bourbon, als durch ſeine
Anſpruͤche auf Burgund erreichen.


Beyderſeitige Vorwaͤnde zum Kriege: 1. Franz ver-
langt die Ruͤckgabe des Spaniſchen Navarra. 2. Erneuert die
Anſpruͤche auf Neapel. 3. Nimmt ſich ſeines Vaſallen Rob.
von der Mark in einem Lehnſtreit an. — Von Seiten Carl's:
1. Anſpruͤche auf Mayland als deutſches Reichslehn. 2. Auf
das von Ludwig XI. eingezogene Herzogthum Burgund. —
Beyderſeitige Verbuͤndete: Carl zieht HeinrichVIII.
von England und den Pabſt in ſein Intereſſe. Franz I.,
im Bunde mit Venedig, erneut den Tractat mit den
Schweizern (7. Maͤrz 1521). — Schlacht bey Bicocca
22. Apr. 1522. und gaͤnzliche Vertreibung der Franzoſen aus
Italien unter Lautrec, und dem Guͤnſtling Bonnivet 1523.
Mayland wird als Reichslehen von Carl an Franz Sforza,
juͤngern Sohn von Ludwig Morus, († 1531), wenigſtens
dem Nahmen nach, gegeben. — Ungluͤcklicher Einfall der
Kayſerlichen in Provence (Jul. — Sept. 1524.) Franz I.
geht ſelbſt uͤber die Alpen. Belagerung und Schlacht von
Pavia
25. Febr. 1525. Niederlage und Gefangenſchaft
des Koͤnigs, der nach Madrit gebracht wird.


7. Der Sieg bey Pavia ſchien Carl zum Herrn
von Italien und zum Schiedsrichter von Europa zu
machen; und doch wurde er nicht mal das erſte. Die
innern Verhaͤltniſſe ſeiner Armee, weit mehr als die
erwachte Eiferſucht von England und den Italieni-
ſchen
[45]B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515--1556.
ſchen Staaten, verhinderten die Ausfuͤhrung aller gro-
ßen Plaͤne; und in dem Friedenstractat zu Ma-
drid
erpreßte er von Franz I. nur Verſprechungen;
gegen welche dieſer ſelbſt ſchon im voraus im Geheim
proteſtirt hatte.


Vergleich zu Madrit 14. Jan. 1526. Bedingun-
gen: 1. Franz entſagt allen Anſpruͤche auf Italien. So wie
2. der Souverainitaͤt von Flandern und Artois. 3. Tritt das
Herzogthum Burgund an Carl ab. 4. Giebt ſeine beyden
aͤlteſten Soͤhne als Geißel; und heyrathet Eleonoren, die
Schweſter des Kayſers.


8. Der zweyte Krieg zwiſchen beyden Fuͤr-1527
bis
1529

ſten war daher unvermeidlich. Auch von ihm war
der Hauptſchauplatz in Italien; jedoch beſonders in
Neapel. Aber auch er ging ungluͤcklich fuͤr Franz;
trotz ſeiner Verbindungen mit England, und in Italien;
da er im Frieden zu Cambrais bey dem gaͤnzlichen
Verluſt Italiens, und der Treuloſigkeit gegen ſeine
dortigen Bundesgenoſſen, ſich damit begnuͤgen mußte,
daß Carl nur vor jetzt ſeine Anſpruͤche auf Burgund
nicht geltend zu machen verſprach.


Buͤndniß zu Cognac 22. May 1526 zwiſchen Franz I.,
dem Pabſt, Venedig und dem Herzog von Mayland, im Ge-
heim geſchloſſen. Durch große Verſprechungen zog man auch
HeinrichVIII. mit herein. — Fehde des Kaiſers mit dem
Pabſt; Ueberfall und ſchreckliche Pluͤnderung Roms, ohne Vor-
wiſſen des Kayſers, zum Aerger der chriſtlichen Welt, durch ſei-
ne Armee unter Carl von Bourbon, 6. Mai 1527; Belagerung
des Pabſtes in der Engelsburg und Capitulation. Die Be-

fryung
[46]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
freyung des Pabſtes gab nicht nur den Vorwand, die
Verbuͤndeten enger zu vereinigen, ſondern auch eine franzoͤſi-
ſche Armee unter Lautrec nach Italien zu ſchicken, um die
Anſpruͤche Frankreichs auf Neapel auszufuͤhren. Ungluͤck-
liche Belagerung von Neapel, durch die Peſt und Dorias
Abfall vereitelt; April bis Aug. 1528. Unterhandlungen und
Friede zu Cambrai 5. Aug. 1529. (dem auch Heinrich VIII.
beytrat, nachdem Clemens VII. ſich ſchon vorher den 20.
Jun. durch einen Separatfrieden geſichert hatte); bis auf
Burgund und die bewilligte Ausloͤſung der franzoͤſiſchen Prin-
zen unter gleichen Bedingungen wie im Madriter Vertrage.


9. Wenn durch dieſen zweyten Krieg die Macht
des Kayſers in Italien erweitert war, welche ſeine
Zuſammenkunft mit dem Pabſt und ſeine Kroͤnung zu
1530
24.
Fbr.
Bologna noch mehr befeſtigte; ſo hatte er fuͤr dieſes
Land noch die doppelte Folge, daß a.Florenz in ein
erbliches Herzogthum verwandelt ward; und b.Ge-
nua
ſeine nachmalige Verfaſſung erhielt.


Die Veraͤnderung in Florenz war eine Folge des Ver-
trags zwiſchen dem Kayſer und Pabſt, durch welchen die,
bey dem Kriege gegen Rom 1527 durch eine Inſurrection
vertriebenen, Mediceer wieder reſtituirt, und Alexander
von Medici
, der Blutsverwandte des Pabſtes, zum erſten
erblichen Herzog erklaͤrt ward. — Die Revolution in
Genua
1528 war das Werk des Andreas Doria, der
von Franzoͤſiſcher auf Kaiſerliche Seite uͤbertrat; und der
Selbſtſtaͤndigkeit und neugegruͤndeten Verfaſſung durch die
Einfuͤhrung einer ſtrengen Familienariſtokratie eine groͤßere
Feſtigkeit gab.


10. Waͤhrend aber im Weſten des ſuͤdlichen Eu-
ropas die beyden Hauptmaͤchte mit einander rangen,
ward
[47]B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515--1556.
ward auch der Oſten in dieſen Kampf mit hereinge-
zogen; da die wilden Eroberungsprojecte von Soly-
man
II., welche zuerſt die ganze Chriſtenheit be-
drohten, ſich zuletzt in eine Allianz mit Frankreich
aufloͤſeten; die fuͤr dieſes Reich um ſo vortheilhafter
ſchien, da das Habsburgiſche Haus nach der Nieder-
lage und dem Tode des Koͤnigs Ludwig II. von Un-
garn bey Mohatſch ſeine Anſpruͤche auf Ungarn und
Boͤhmen geltend machte.


Veraͤnderung des Tuͤrkiſchen Eroberungsſyſtems unter
SolymanII. ſeit 1519; das unter ſeinem Vorgaͤnger Se-
lim
I. gegen Perſien und Aegypten gerichtet geweſen war. Nach
der Eroberung von Belgrad 1521 Hauptſturm gegen Ungarn;
Niederlage und Tod K. Ludwig'sII. bey Mohatſch 29.
Aug. 1526. Die ſtreitige Koͤnigswahl zwiſchen Ferdinand
und Joh. von Zapolya erleichterte Solyman ſeine Fort-
ſchritte, da der letztre ſich in ſeinen Schutz begab. Einnahme
Ungarns und vergebliche Belagerung Wiens 1529; dagegen aber
Unterwerfung der Moldau. — Die jetzt ſich leiſe anknuͤpfen-
de Verbindung mit Frankreich giebt den Beweis einer dorti-
gen freyeren Anſicht in der Politik; wie gegruͤndete Bedenk-
lichkeiten auch dieß Skandal in der Chriſtenheit da-
mals erregen mußte.


11. Aber die Seemacht der Pforte drohte
dem weſtlichen Europa faſt noch gefaͤhrlicher zu wer-
den, als ihre Landmacht. Als mit der Eroberung
von Rhodus die Herrſchaft des Mittelmeers ihr zu
Theil ward, ſchien kaum noch Sicherheit fuͤr die Kuͤ-
ſten von Italien und Spanien zu ſeyn. Die, unter
dem
[48]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
dem Schutze der Pforte ſich jetzt an der Afrikani-
ſchen Kuͤſte
bildenden Raubſtaaten, wogegen das
den Rhodiſern gegebene Malta nur eine ſchwache
Vormauer ward, drohten dieſe voͤllig zu vernichten.


Eroberung der, den Johannitern gehoͤrigen, Inſel Rho-
dus durch die Tuͤrken nach einer hartnaͤckigen Gegenwehr 1522.
Der Orden erhaͤlt 1530 von Carl V. die zu Neapel gehoͤrige
Felſeninſel Maltha als Lehen dieſes Reichs, mit der Ver-
pflichtung des Kriegs gegen die Unglaͤubigen. — Gruͤndung
der Herrſchaft der Pforte an der Nordkuͤſte von Afrika,
(bis dahin theils unter Arabiſcher, theils Spaniſcher Herr-
ſchaft), durch die Eroberungen der Seeraͤuber Horuc und
Hayradin, (der Barbaroſſas). Der erſte bemaͤchtigt ſich
Algiers 1517, und hat 1518 ſeinen Bruder Hayradin zum
Nachfolger, der ſich der Pforte freywillig unterwirft; Ober-
befehlshaber ihrer Seemacht
wird, und ſich 1531
Tunis bemaͤchtigt. Wenn ihm letzteres gleich durch den
Zug von CarlV. 1535 wieder entriſſen ward, ſo ward
damit doch die Macht der Seeraͤuber keinesweges vernichtet,
oder auch nur betraͤchtlich geſchwaͤcht; zumal da auch Tripo-
lis
1551 von einem andern Seeraͤuber Dragut erobert, und
auch Tunis wieder eingenommen ward. — Da auch Aegyp-
ten
ſeit 1517 bezwungen war, ſo war der Pforte faſt die
ganze Kuͤſte von Nordafrika unterworfen.


1535
bis
1538

12. Urſachen zum dritten Kriege zwiſchen Carl
und Franz. Sie lagen ſchon in den Bedingungen des
Friedens zu Cambrais; da Franz Italien und beſon-
ders Mayland nicht verſchmerzen konnte. Wenn gleich
ſeine Bemuͤhungen, ſich Verbindungen zu verſchaffen,
meiſt mißlangen, ſo war doch der Krieg bey ihm be-
ſchloſſen; die Hinrichtung des Maraviglia in Mayland
gab
[49]B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515--1556.
gab nur den Vorwand dazu; und das bald darauf er-
folgte Ausſterben des Hauſes Sforza neue Anſpruͤche
und Hoffnungen.


Vergebliche Bemuͤhungen des Koͤnigs, Heinrich VIII.
und die Proteſtanten in Deutſchland zu gewinnen. Verbin-
dung mit Clemens VII. durch die Vermaͤhlung ſeiner Nich-
te, Catharina von Medicis, mit dem zweyten Sohne
des Koͤnigs Heinrich, Herzog von Orleans. Allein durch
den bald erfolgenden Tod von Clemens VII. (24. Sept.
1534) wurden die erwarteten Folgen dieſer, dennoch ſo ver-
haͤngnißvollen, Heyrath vereitelt. Aber die Verbin-
dung mit der Pforte
, durch Laforeſt 1535 zur Reife
gebracht, ward jetzt oͤffentlich.


13. Der Schauplatz dieſes Krieges war zwar
wiederum vorzugsweiſe, aber doch nicht ausſchließend,
Italien. Die Wegnahme Savoyens und Piemonts
durch Franz verhinderte Carl nicht, einen Einfall in
das ſuͤdliche Frankreich zu machen, den aber Franz
durch ſeine klugen Maaßregeln vereitelte. Weder der
nachfolgende Kampf in Piemont, noch in der Picar-
die waren entſcheidend; allein das furchtbare Vor-
dringen Solyman's in Ungern beſchleunigte den, durch
PaulIII. vermittelten Waffenſtillſtand zu Niz-
za
; jedoch ohne Vorwiſſen und Theilnahme So-
lyman's.


Die Eroberung Savoyens 1535 (als eben Carl als Sieger
von Tunis zuruͤckkam) mußte den Kayſer doppelt erbittern,
da deſſen Herzog CarlIII. ſein Schwager und Verbuͤndeter
war. — Tod von Franz Sforza, letztem Herzog aus

Ddieſem
[50]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
dieſem Hauſe, 24. Oct. 1535, wodurch alſo Mailand wie-
der eroͤffnetes Reichslehen ward. Einfall des Kayſers in
Provence, Aug. 1536, durch den Defenſiv-Krieg unter
Franz und Montmorency vereitelt. — Einfall Soliman's
in Ungern und Sieg bey Eſſek 1537, waͤhrend ſeine Flotte
die Kuͤſten Italiens pluͤndert. — Zuſammenkunft des Kay-
ſers, des Koͤnigs und des Pabſts bey Nizza, und Ab-
ſchluß eines 10jaͤhrigen Waffenſtillſtandes den 18.
Jun. 1538. Bedingungen: Jeder behaͤlt, was er hat;
(Franz faſt ganz Piemont und Savoyen;) und die beider-
ſeitigen Anſpruͤche ſoll der Pabſt weiter unterſuchen. —
Alſo auch die Belehnung mit Mayland blieb noch unentſchie-
den, wenn auch dem Koͤnig fuͤr ſeinen juͤngſten Sohn eini-
ge Hoffnung dazu erregt war.


14. Kein Wunder alſo, wenn trotz der an-
ſcheinenden Vertraulichkeit beyder Monarchen der
10jaͤhrige Stillſtand doch nur ein 4jaͤhriger ward.
Der eigentliche Zunder glimmte fort; und der
Haß wurde noch deſto bitterer durch die Art, wie
Franz, lange hingehalten, doch endlich ſich in ſeinen
Erwartungen getaͤuſcht ſah. Seine Verbindungen
indeß ſowohl mit England als mit der Pforte waren
aufgeloͤſet; und Carl von ſeiner Seite war ſowohl
durch die Religionshaͤndel (ſ. unten) als die Tuͤr-
kenkriege genug beſchaͤftigt, um einige Jahre einen
Stillſtand zu behaupten, wozu ihn ohnedem ſeine Fi-
nanzen noͤthigten.


Die Streitigkeiten mit den Tuͤrken betrafen 1. Ungern.
Zufolge des Vergleichs zwiſchen Ferdinand und dem kinder-
loſen Johann von Zapolya, 24. Febr. 1538, ſollte erſterer
von letzterem ſeine Haͤlfte von Ungern ererben. Allein we-

nige
[51]B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515--1556.
nige Tage vor ſeinem Tode (27. Jul. 1540) erhielt Zapolya
noch einen Sohn, den er zum Erben ernannte; deſſen ſich
Solyman als Schutzherr, und, nach einem Siege uͤber die Deut-
ſchen, der Hauptſtadt Ofen und faſt ganz Ungerns bemaͤch-
tigte. 2. Die Afrikaniſchen Raubſtaaten, beſonders Algier.
Zweyter Afrikaniſcher Zug des Kayſers 1541, durch
einen furchtbaren Sturm kurz nach der Landung gaͤnzlich
vereitelt.


15. Die verweigerte Belehnung mit Mailand
bringt den Koͤnig zum Entſchluß eines vierten1542
bis
1544

Kriegs, den die Ermordung ſeiner Geſandten in
Mayland zum Ausbruch bringt. Er ward von groͤße-
rem Umfang, als einer der vorhergehenden; da es
dem Koͤnig nicht nur gelang, die Verbindungen mit
dem Sultan und mit Venedig wieder anzuknuͤpfen;
ſondern auch den Herzog von Cleve, Daͤnemark und
ſelbſt Schweden (wiewohl letztere beyde ohne Folgen),
mit hereinzuziehen; ſo wie dagegen der Kayſer den
Koͤnig von England zu einem Buͤndniß und gemein-
ſchaftlich mit ihm zu einem Einfall in Frankreich be-
wegte; ohne daß doch, als der Friede zu Creſpy
ihn endigte, Einer von Allen die Zwecke durch den
Krieg erreichte, die er ſich vorgeſetzt hatte.


Ermordung der beyden Bevollmaͤchtigten von Franz I. an
Venedig und die Pforte im Maylaͤndiſchen am 3. Jul. 1541.
Veraͤnderung des franzoͤſiſchen Kriegsplans zur Vertheidigung
in Italien, und zum Angriff in den Niederlanden und in Rouſſil-
lon, mit mehreren Armeen 1542 und 1543, ohne bleibende Fort-
ſchritte. Buͤndniß zwiſchen Carl und Heinrich VIII., (der durch
die angeknuͤpfte Familienverbindung zwiſchen Frankreich und

D 2Schott-
[52]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Schottland beleidigt war,) 11. Febr. 1543, zu einem Einfall
in Frankreich und Theilung dieſes Reichs, indem der Her-
zog von Cleve zur Unterwerfung gezwungen wird. — Er-
neuertes Buͤndniß Franz'ens mit Solyman 1543; Erobe-
rung des uͤbrigen Ungerns und Einfall in Oeſtreich; waͤh-
rend die Tuͤrkiſche Flotte, mit der Franzoͤſiſchen vereinigt,
Nizza beſchießt. Gleichzeitiger Einfall des Kaiſers in Frank-
reich, (ungeachtet des Siegs der Franzoſen bei Ceriſoles
11. April 1544.) uͤber Lothringen, und des Koͤnigs von
England uͤber Calais (Juni bis Sept. 1544); aber Verei-
telung des ganzen Plans durch den zwiſchen beyden entſtan-
denen Zwiſt; der geſchickten Stellung des Franzoͤſiſchen Heers;
die Intriguen am Hofe; und die Verhaͤltniſſe des Kaiſers in
Deutſchland, wovon der Separatfriede mit dem Kaiſer
zu Creſpy am 18. Sept. 1544 die Folge war; unter den
Bedingungen; daß 1. der Herzog von Orleans, indem er
eine kayſerliche Prinzeſſin heyrathet, Mayland erhaͤlt; (der
baldige Tod des jungen Herzogs am 8. Sept. 1545 verei-
telte die Erfuͤllung; worauf Carl V. ſeinen eignen Sohn
Philipp damit belehnte.) 2. Franz auf Neapel, und die
Lehnshoheit uͤber Flandern und Artois, Carl dagegen auf
Burgund Verzicht leiſtet. Der Krieg mit dem erbitterten
Heinrich VIII. dauerte, nach der Eroberung von Bologna
1544, ohne große Vorfaͤlle noch bis 1546.


16. Der Friede von Creſpy endigte die Reihe
von Kriegen zwiſchen beyden Nebenbuhlern; weil
Carl V. gleich darauf zu ſehr mit ſeinen ehrgeizigen
Plaͤnen in Deutſchland beſchaͤftigt war: und den Ent-
wuͤrfen von Franz I. faſt zugleich mit Heinrich VIII.
bald der Tod ein Ziel ſetzte. Unter ſeinem Sohn
und Nachfolger HeinrichII., wo manches anders
in Frankreich wurde, dauerte zwar die Spannung mit
dem
[53]B. 1. Riv. zw. Frankr. u. Span. 1515--1556.
dem Kayſer fort; allein der Krieg, den er noch mit
Carl V. fuͤhrte, ging aus den deutſchen Haͤndeln her-
vor; und gehoͤrt daher in den folgenden Abſchnitt.


Tod von Heinrich VIII. 28. Jan.; und von Franz I.
31. Maͤrz 1547.


17. Die Folgen jenes Kampfs waren ſowohl
fuͤr Frankreich ſelber, als fuͤr das Europaͤiſche Staaten-
ſyſtem uͤberhaupt, gleich wichtig. Es war dadurch
a. das Syſtem des politiſchen Gleichgewichts nach
ſeinen Hauptprincipen praktiſch begruͤndet: da die
beyden Hauptmaͤchte des Continents jetzt die Gegen-
gewichte ausmachten. b. Durch die Allianz Frank-
reichs mit der Pforte, die Verhaͤltniſſe in Ungern,
und die, wenn gleich in ihrem Erfolge nie ſehr wich-
tige, Theilnahme Englands an jenen Kriegen, war
das ganze ſuͤdliche Europa in viel engere Verbindun-
gen, als je vorher, geſetzt worden. c. Wenn gleich
Frankreich ſeinen Zweck der Herrſchaft in Italien ver-
fehlte, ſo verhinderte es dagegen ſeine Zerſtuͤckelung,
und behauptete ſeine Selbſtſtaͤndigkeit. Ebendaher
d. blieben die Entwuͤrfe von Carl V. nur halb erfuͤllt,
indem er zwar den Principat in Italien und den in
Deutſchland, aber nie den uͤber Frankreich errang.


War der Verluſt des Principats in Italien fuͤr Frank-
reich wahrer Verluſt? Allerdings bedurfte es dort eines ge-
wiſſen Einfluſſes a. wegen der hierarchiſchen Verhaͤltniſſe
auf den Pabſt. b Wegen der Sicherung ſeiner S. O. Gren-
zen, auf den Herzog von Savoyen. Aber waren dazu Laͤn-

D 3derbe-
[54]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
derbeſitzungen, war dazu Herrſchaft noͤthig? Ha-
ben uͤberhaupt dabey die fremden Nationen gewonnen, die
dieſe hatten; wenn auch vielleicht die Herrſcher gewannen?


II. Geſchichte der Reformation in politiſcher Ruͤckſicht;
von ihrem Anfange bis zum Religionsfrieden.
Von 1517 bis 1555.

  • Joannis Sleidani de ſtatu Religionis et Reipublicae Caro-
    lo V. Caeſare commentarii
    1555, Die neueſte mit An-
    merkungen bereicherte Ausgabe dieſes in Form und Mate-
    rie gleich claſſiſchen Werks iſt von am Ende, Frankfurt
    1785. 3 Voll. 8.
  • Geſchichte des proteſtantiſchen Lehrbegriffs von
    D.G. J. Planck. Leipzig 1789. Es gehoͤren hieher die
    drey erſten Baͤnde, welche auch zugleich die politiſche
    Geſchichte bis zum Religionsfrieden umfaſſen.
  • Chriſtliche Kirchengeſchichte ſeit der Reforma-
    tion
    von J. M. Schroͤckh. 1804. Bisher 4 Theile. Fuͤr
    die politiſche Geſchichte gehoren beſonders die beyden erſten
    Theile, von denen der erſte die Geſchichte der deutſchen
    Reformation bis zum Religionsfrieden, der zweyte die
    der andern Laͤnder umfaßt.
  • Geſchichte der Reformation von C. L. Woltmann. 2
    Th. 8. 1801. Die Geſchichte iſt nur bis 1546 fortgefuͤhrt.
  • Eſſai ſur l'Eſprit, et l' Influence de la réformation de Lu-
    ther
    par Ch. Villers. 2. Ed. Paris
    1806. Die beredteſte
    und vielſeitigſte Auseinanderſetzung des wichtigen Gegen-
    ſtandes!
  • Entwickelung der politiſchen Folgen der Refor-
    mation fuͤr Europa
    in meinen kleinen hiſtoriſchen
    Schriften B. I. 1803.

1. Die
[55]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1515--1555.

1. Die Reformation erhielt ihren unermeßlichen
Wirkungskreis im Allgemeinen dadurch, daß ſie
ein Intereſſe aufregte, das nicht blos das der Regen-
ten, ſondern der Voͤlker ſelber war. Nie haͤtten ohne
dieſes ihre Stuͤrme zugleich ſo allgemein und ſo
dauernd werden koͤnnen. Die Verflechtung der
Religion und der Politik war aber dabey unvermeid-
lich, weil die Angriffe ihrer Urheber nicht blos gegen
Lehren, ſondern gegen eine Hierarchie gerichtet waren,
die auf das tiefſte in die beſtehenden Staatsverwal-
tungen und Staatsverfaſſungen eingriff.


Die Reformation, als unmittelbarer Angriff auf die
Herrſchaft des Pabſtes, war zwar gegen ein ſchon
erſchuͤttertes und untergrabenes, aber doch noch immer da
ſtehendes Gebaͤude gerichtet. Untergraben, weil die Stuͤtze,
worauf es eigentlich ruhte, die oͤffentliche Meinung ſich aͤn-
derte, erſchuͤttert durch die letzten Italieniſchen Haͤndel,
ſo wie ſchon fruͤher durch die feſtgeſtellte hoͤchſte Autoritaͤt der
Concilien. Die Frage: Ob ohne Reformation paͤbſtliche
Antoritaͤt gefallen ſeyn wuͤrde? — liegt außerhalb dem Ge-
biet der Geſchichte; geſetzt aber auch, ſie waͤre gefallen,
ſo haͤtte doch ohne ſie der menſchliche Geiſt nicht den maͤch-
tigen Umſchwung erhalten, den er durch ſie erhielt; und
daraus entwickelten ſich ihre groͤßten, und gerade ihre
wohlthaͤtigſten Folgen.


2. So wie die Reformation uͤberhaupt zuerſt in
Deutſchland entſtand und ſich verbreitete, ſo nahm
ſie auch hier zuerſt einen politiſchen Charakter an,
indem deutſche Fuͤrſten und Regierungen ſich ihrer an-
nahmen. Die Puncte, auf welche es bey einer poli-
D 4tiſchen
[56]I. Per. I Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
tiſchen Geſchichte der Reformation ankommt, ſind
daher folgende: a. wie und warum thaten dieß die
Fuͤrſten, und welche? b. Wie und in wie fern ver-
banden ſich dieſe zu einer Parthey, die Gegenparthey
des Kayſers ward? c. Welches waren die Abſichten
des Kayſers, indem er ihnen entgegenarbeitete, und
welches ſeine Schritte? Endlich d. wie kam es zu-
letzt zum foͤrmlichen Bruche zwiſchen beyden, und wie
ward die endliche Entwickelung herheygefuͤhrt? — Es
liegt am Tage, daß dieſe Fragen ſich nicht ohne eine
anſchauliche Kenntniß des damaligen politiſchen
Zuſtandes von Deutſchland
beantworten laſſen.


Die groͤßte innere Verſchiedenheit des damaligen
von dem ſpaͤtern lag in dem ſo ganz andern Verhaͤltniß
der Macht der Staͤdte gegen die Macht der Fuͤr-
ſten;
indem a. die Zahl ſowohl der ganz als halb freyen
Staͤdte in Suͤd- und Nord-Deutſchland um ſo viel groͤ-
ßer; b. ihr innerer Reichthum und durch dieſen ihr politiſcher
Einfluß um ſo viel betraͤchtlicher war. c. Dieſer letztere
aber noch mehr durch ihre Buͤndniſſe, nicht nur der Han-
ſe
im Norden, ſondern auch beſonders des Schwaͤbiſchen
Bundes
im Suͤden gewachſen war. Und d. ihre Buͤrger-
miliz und Soͤldner von hoher Bedeutung ſeyn konnten, ſo lange
es noch faſt gar keine ſtehende Truppen gab. Dagegen war nicht
nur eben deßhalb die Macht der Fuͤrſten geringer, ſondern
drohte auch durch die, noch immer Sitte bleibenden, Theilun-
gen
, weiter abzunehmen. Die wichtigſten Churfuͤrſtli-
chen
und Fuͤrſtlichen Haͤuſer beym Anfange der Re-
formation waren:


a.Das Saͤchſiſche. Getheilt in die aͤltere Chur-
fuͤrſtliche oder Erneſtiniſche, und die juͤngere herzogliche
oder Albertiniſche Linie. Die erſte, unter Churfuͤrſt Frie-

derich
[57]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.
derich dem Weiſen († 1525), beſaß den Churkreis
mit der Reſidenz Wittenberg; faſt die ganze Landgrafſchaft
Thuͤringen, und einige andere Stuͤcke. Die zweyte, unter
Herzog Georg († 1539), dem Gegner von Luther, die
Landgrafſchaft Meiſſen, nebſt etwas von Thuͤringen.


b.Das Brandenburgiſche. Die Churlinie unter
Churfuͤrſt JoachimI. († 1535) beſaß die Mark Bran-
denburg, (Churmark und Neumark), und einige kleinere Herr-
ſchaften. Die Markgraͤfliche Linie in Franken theilte ſich
wieder in die von Culmbach und Anſpach.


c. Das Pfaͤlziſche; (oder die aͤltere Wittelsbachiſche
Linie). Es theilte ſich in die Churfuͤrſtliche Linie, unter
LudewigV. († 1544), dem die Chur am Rhein gehoͤrte,
und die Simmerſche, die wieder in die Simmerſche und
Zweybruͤckiſche, und die letztere wieder in die von Zwey-
bruͤck und von Veldenz zerfiel.


d. Das Bayerſche; (oder die juͤngere Wittelsbachi-
ſche Linie.) Bayern war zwar, ungeachtet der 1508 einge-
fuͤhrten Primogenitur-Ordnung, zwiſchen Herzog Wil-
helm
IV. († 1550) und deſſen Bruder Ludewig getheilt;
wurde aber nach des letztern Tode 1545 wieder vereinigt;
und blieb es ſeitdem.


e. Das Braunſchweigiſche; zerfiel damals in die
zwey Hauptlinien: die (mittlere) Luͤneburgiſche, die Luͤne-
burg und Celle beſaß; ſeit 1520 unter Herzog Ernſt
(Stammvater der beyden neuen Linien; † 1546); mit den
Nebenlinien Harburg und Gifhorn; und die (mittlere)
Braunſchweigiſche oder Wolfenbuͤttelſche; in zwey Linien ge-
theilt, deren einer unter Herzog Heinrich dem Juͤn-
gern
, dem Gegner der Reformation († 1568), Wolfen-
buͤttel, der anderen, unter Herzog ErichI. († 1540),
Calenberg nebſt Goͤttingen gehoͤrte. Außerdem dauerte
noch in Grubenhagen ein Zweig des aͤlteren Braunſchweigi-
ſchen Hauſes fort.


D 5Das
[58]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Das Heſſiſche. Unter Philipp Magnanimus
(† 1567) gaͤnzlich ungetheilt; und darum eins der maͤch-
tigſten Haͤuſer.


Das Meklenburgiſche; unter Heinrich dem
Friedlichen
† 1552, gleichfalls, ungetheilt.


Das Wirtembergiſche; erſt ſeit 1495 aus einem
graͤflichen zum herzoglichen Hauſe erhoben. Zwar ungetheilt;
aber der unruhige Herzog Ulrich, von dem ſchwaͤbiſchen
Bunde 1519 aus ſeinem Lande gejagt, ward erſt 1534 durch
den Vergleich zu Cadan reſtituirt.


Das Badenſche, unter Markgraf Chriſtoph noch
ungetheilt, zerfiel erſt 1527 in die Linien Baden und
Durlach.


Zu den wichtigern, ſeitdem gaͤnzlich erloſchenen, Haͤu-
ſern gehoͤrten: das Herzoglich-Pommerſche; unter
Bogislaus M. ungetheilt, bis es 1523 in Wolgaſt und
Stettin zerfiel. Das Haus Cleve, dem ſeit 1516 auch
Juͤlich, Berg und Ravensberg gehoͤrte, unter Johann
III. († 1539) ungetheilt. Aber auch in den ungetheilten
hieng gewoͤhnlich viel davon ab, ob Bruͤder oder nahe
Vettern da waren; deren Verhaͤltniß zu den regierenden
Herrn ſich damahls noch gar nicht ſo feſt beſtimmt hatte,
wie in den ſpaͤtern Zeiten.


3. Durch Luther's Vorforderung vor den Reichstag
1521
18.
Apr.
zu Worms und ſeine Erſcheinung ward ſeine Sache
aus einer Kirchenſache zuerſt zur Staatsſache ge-
macht, da ſie ſchon vorher zu einer Sache des Volks
geworden war. Auch war es hier, wo bereits durch
ſeine Achtserklaͤrung von Seiten des Kayſers, und
den unverholenen Beyfall ſeines Landesherrn und an-
derer Fuͤrſten der Keim zu einer kuͤnftigen Spaltung
im Reich gelegt wurde.


Die
[59]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.

Die Urſachen, warum der Kayſer ſich gegen Luther
erklaͤrte, waren gewiß mehr politiſch als religioͤs. Sie la-
gen nicht in weitausſehenden Plaͤnen, ſondern in ſeinem
Verhaͤltniß als Schutzherr der Kirche, und dem damaligen
Beduͤrfniß der [Freundſchaft] des Pabſtes. Auch blieb von
ihrem Urſprunge an die politiſche Seite der Reformation
fuͤr ihn die wichtigſte; wenn ſich auch die Ideen zu ihrer
Benutzung erſt allmaͤhlig entwickelten; um ſo mehr, da
die beyden erſten gleich darauf folgenden Kriege mit Frankreich
ihn daran verhinderten. — Achtserklaͤrung Luther's und ſei-
ner Anhaͤnger durch das Wormſer Edict, 26. May;
wodurch ſich der Kayſer ſelber fuͤr die Zukunft die Haͤnde
band.


4. Indem aber in den naͤchſtfolgenden Jahren die
neue Lehre ſich ſchnell verbreitend, und in mehreren
deutſchen Laͤndern, beſonders Sachſen und Heſſen,1526
entſcheidend ſiegend, eine noch nie geſehene, jetzt durch
Huͤlfe der Buchdruckerey unterhaltene, Ideengaͤhrung
erzeugte, waren es beſonders zwey Vorfaͤlle, die
in den Augen der Regierungen ihre politiſche Wichtig-
keit beſtimmten, der Bauernkrieg und die Se-
culariſirung von Preußen
.


Urſprung und Verbreitung des Bauernkriegs von Schwa-
ben 1524 bis Thuͤringen, wo er durch Thomas Muͤnzer ent-
flammt, aber durch die Schlacht bey Frankenhauſen geen-
digt ward, 15. May 1525. — Die Frage: wie viel die Re-
formation zu dieſem Aufſtande wirklich beytrug? iſt fuͤr
die allgemeine Geſchichte lange nicht ſo wichtig, als die:
wie viel ſie dazu beyzutragen ſchien? weil ſich nach dieſem
Schein die Folgen beſtimmten; und wie haͤtte man dieſen
vermeiden koͤnnen?


Ver-
[60]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Verſuch einer Geſchichte des deutſchen Bauern-
kriegs
, von G. Sartorius. Berlin 1795.


5. Die Seculariſation von Preußen,
das dem deutſchen Orden gehoͤrte, gab ein Beyſpiel,
das auch andre geiſtliche Fuͤrſten nachahmen konnten.
Wenn ſchon uͤberhaupt die Beſorgniſſe ſo groß waren,
welche die Einziehung der geiſtlichen Guͤter
— von den deutſchen Fuͤrſten faſt durchgehends mit
Uneigennuͤtzigkeit zu edlen Zwecken verwendet —
erregten, wie viel groͤßer mußten die ſeyn, welche der
Verluſt eines ganzen Landes in Rom erweckte?


Der Hochmeiſter Albrecht von Brandenburg
macht ſich zum erblichen Herzog von Preußen, je-
doch als Vaſall von Polen; 1525.


6. Dieſe Vorfaͤlle, nebſt den harten Aeußerun-
gen des ſeit dem Siege von Pavia ſo uͤbermaͤchtigen
Kayſers fuͤhrten zu den erſten Verbindungen von
beyden Seiten, mehrerer catholiſcher Staͤnde zu
Deſſau, und der maͤchtigſten proteſtantiſchen zu Tor-
gau
. Freylich ſollten die Buͤndniſſe nach dem Sinne
der Stifter immer nur Schutzbuͤndniſſe ſeyn, nicht
aber einen Angriff zur Folge haben. Schwerlich haͤt-
te aber doch, trotz aller Zwiſchenvorfaͤlle, die den
Frieden erhielten, dieſer dauern koͤnnen, haͤtte man
nicht in der Idee eines allgemeinen Concilii
zur Beylegung des Streits ein Mittel gefunden,
das
[61]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1515--1555.
das zwar nicht mehr als ein Palliativ, aber auch als
ſolches ein hoͤchſt wohlthaͤtiges Mittel war.


Das Beſtehen des Kayſers auf die Ausfuͤhrung des
Wormſer Edicts mußte fortdauernd die Spannung erhalten.
Verbindung zu Deſſau im May 1525; zwiſchen Chur-
Maynz, Brandenburg ꝛc. der Evangeliſchen zu Torgau
den 12. Mai 1526; zuerſt zwiſchen Heſſen und Churſachſen;
der andere Staͤnde beytraten. — Daß dieſe Verbindungen
eigentlich nicht mehr als ſchwankende Verabredungen waren,
wird Niemand wundern, der den Gang menſchlicher Dinge
kennt; wenn gleich die der neuen Parthey durch den raſchen
Philipp von Heſſen mehr Leben erhielt; und ſelbſt
durch einen, durch den Kanzler des Herzogs Georg von
Sachſen, Dr. Pack, erregten, vielleicht blinden, Laͤrm auf-
geſchreckt, bereits 1528 einen Beweis gab, daß ſie han-
deln
konnte. Aber wie waͤre man auf den Reichstagen
mit dem Kayſer auseinandergekommen, haͤtte man nicht
ſeit dem Reichstage zu Speyer 1526 an dem freyen
Concilio
einen Spielball gehabt?


7. Dieſer Aufſchub der Entſcheidung fuͤhrte
ſelbſt, nach den beyden naͤchſten Reichstaͤgen, dem zu
Speyer, der der neuen Parthey ihren Nahmen,
und zu Augsburg, der ihr, nach Darlegung ihres
Glaubensbekenntniſſes, den Beweis gab, daß durch
Verſtaͤndigung keine Uebereinkunft der Lehren moͤglich
ſey, trotz der Drohungen des Kayſers, und trotz der
neuen Verbindung der Proteſtanten zu
Schmalkalden
, aber wiederholt unterſtuͤtzt durch
die drohende Tuͤrkengefahr, — einen Frie-
den
zwiſchen beyden Partheyen herbey, der bis zu
einem
[62]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
einem Concilium den damaligen Stand ihnen ſichern
ſollte.


Reichstag zu Speyer 1529, gegen deſſen Beſchluß,
der der neuen Lehre die weitere Verbreitung — dem an-
wachſenden Strome das weitere Austreten — verbot, die
Evangeliſchen proteſtirten, 19. Apr., und nachmals Pro-
teſtanten
hießen. — Reichstag zu Augsburg und
Uebergabe der Augsburgiſchen Confeſſion den 25.
Jun. 1530. — Der ihnen vom Kayſer geſetzte Termin
konnte wohl keine andere Folge haben, als eine Verbindung
wie die zu Schmalkalden vom 27. Febr. 1531; wozu die
Wahl Ferdinand's zum R. Koͤnig ein neues Motiv war.
Aber dennoch Erneuerung der Unterhandlungen und Abſchluß
des Nuͤrnberger Interims-Frieden, 23. Jul.
1532. Nur den damaligen Schmalkaldiſchen Bundesver-
wandten ward bis zum Concilio darin die Ruhe geſichert.


8. Ungeachtet dieſes Friedens wuͤrde doch das
Schwerdt wahrſcheinlich ſchon bald gezogen ſeyn,
wenn nicht theils die innern Verhaͤltniſſe der Parthien,
theils eine Reihe Zwiſchenvorfaͤlle es verhindert haͤtten.
Lag nicht ſchon in dem Frieden reichlicher Keim zum
kuͤnftigen Kriege? Aber wer ſollte die Verbuͤndeten
angreifen, der Kayſer? oder die catholiſchen Staͤn-
de? Oder beyde? — Nach abgewandter Tuͤrken-
gefahr (ſ. oben S. 50.) gaben die Wiedereinſetzung
des Herzogs Ulrich von Wirtemberg, der Wiedertaͤu-
fer-Krieg in Muͤnſter, und die Unternehmung des
Kayſers gegen Tunis (ſ. oben S. 48.) der Ableiter
1535
bis
1538
vor's erſte genug; bis der dritte Krieg mit Franz I.,
der vergebens geſucht hatte, die Schmalkaldiſchen
Ver-
[63]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.
Verbuͤndeten in ſein Intereſſe zu ziehen, aber eben
dadurch auch Carl'n noͤthigte, dieſe zu ſchonen, einen
neuen Aufſchub zur natuͤrlichen Folge hatte.


Wenn die Wiedereinſetzung des Herzogs Ulrich von Wir-
temberg mit gewaffneter Hand durch Philipp von Heſſen 1534
die Erbitterung vermehrte, ſo verſtaͤrkte ſie dagegen nicht
nur die proteſtantiſche Parthie, der Ulrich anhieng, ſondern
gab ihr auch Anſehen. Reich der Wiedertaͤufer in
Muͤnſter 1534, unter Joh. von Leiden, bis zur Er-
oberung der Stadt den 24. Juni 1535, eine nicht weniger
merkwuͤrdige pſychologiſche als politiſche Erſcheinung. — Er-
neuerung und Vergroͤßerung des Schmalkalder Bundes auf
10 Jahre, 10. Jul. 1536; erſt jetzt erhielt er durch die Be-
ſtimmung der Truppen-Contingente eine feſtere Form, aber
auch ein drohenderes Anſehen.


9. Auch nach dem wiederhergeſtellten Frieden
mit Frankreich erklaͤren es die mancherley Verlegenhei-1538
ten und andere Entwuͤrfe des Kayſers zur Gnuͤge,
weshalb Er nicht losſchlagen konnte, waͤre es auch
ſein Wunſch geweſen; vielweniger aber noch die Ver-
buͤndeten, die nie anders als defenſiv verfahren woll-
ten. Aber wachſen mußte die Spannung nicht nur
durch mehrere kleine Zwiſchenvorfaͤlle: ſondern auch
weil durch die wirklichen Verſuche zur Zuſammenberu-
fung eines Concilii, das aber nicht mal dem Kayſer,
vielweniger den Proteſtanten Genuͤge thun konnte, das
bisherige Palliativ-Mittel des Friedens mißlicher
wurde; und die beſtaͤndigen Beſchwerden der prote-
ſtantiſchen Staͤnde uͤber die Partheylichkeit des R.
Kam-
[64]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Kammergerichts gegen ſie eine nie verſiegende Quelle
des Grolls bildeten.


Verſuche des Pabſtes PaulIII. ſeit 1536, ein Conci-
lium nach ſeinem Sinne in einer Stadt Italiens zu verſam-
meln. Durch ſie ward in dem Geſandten der Kayſers, Vi-
cekanzler Held, dem Urheber des heiligen Bundes zu
Nuͤrnberg, 10. Jun. 1538, der Mann nach Deutſchland ge-
fuͤhrt, der redlich dazu half, das Feuer anzublaſen. — Ein-
zelne Vorfaͤlle: Befehdung des Herzogs Heinrich von
Braunſchweig
durch die Verbuͤndeten 1540, und Ver-
treibung aus ſeinem Lande 1542. — Verſuch des Churfuͤr-
ſten Herrmann zu Coͤln zur Einfuͤhrung der Reformation,
der jedoch mit ſeiner Abſetzung endigte 1543.


10. So war es alſo ein Zuſammenfluß von Ur-
ſachen, durch welche auf beyden Seiten die Spannung
erhalten, und doch, trotz einzelner Ausbruͤche, ein
allgemeiner Krieg verhindert ward. Die ſchwerſte
aller Fragen: welche politiſche Projecte in der Bruſt
von Carl'n bey dieſen Religionshaͤndeln reiften,
und wie ſie reiften? iſt von den groͤßten Hiſtorikern
ſo verſchieden beantwortet worden, daß man den Kay-
ſer entweder fuͤr den tiefſten Politiker aller Zeiten er-
klaͤren; oder auch dieſes Ungewiſſe in dem Mangel ei-
nes feſten Plans bey ihm ſelber ſuchen muß; und dieſe
letztere Meinung moͤchte wohl die wahrſcheinlichſte
ſeyn. Carl'sV.deutſche Politik ging aus ſeinen
Begriffen von der Kayſermacht hervor. Eben weil
dieſe unbeſtimmt waren, mußten es auch ſeine Plaͤne
ſeyn; und am unrichtigſten urtheilt man, wenn man
einzel-
[65]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.
einzelne Aeußerungen, die ihm zuweilen, ſelbſt auch
wohl officiel, entfuhren, als Beweiſe feſter Ent-
wuͤrfe anſieht. Erſt ſeitdem in den Schmalkalder
Verbuͤndeten
eine bewafnete Oppoſition
ihm gegenuͤber ſtand, hatten ſeine Ideen eine feſtere
Haltung; denn dieß erſchien ihm als Rebellion. Aber
wie lange dauerte es nicht wieder, ehe die Verbuͤnde-
ten eigentlich eine ſolche Oppoſition bildeten? —
Ein gaͤnzlicher Umſturz der deutſchen Verfaſſung war
aber eine, dem ganzen Zeitalter ſo fremde, Idee, daß
ſie ſchwerlich beſtimmt gefaßt werden konnte; — der-
gleichen reifen nur in den Zeiten der geſchriebenen Con-
ſtitutionen. Und waͤre ſie gefaßt, wie waͤre ſie aus-
gefuͤhrt? Wo waren die Mittel? Nie war wohl die
deutſche Nation weniger zur Unterjochung reif; es
waren noch die Zeiten, wo auch der Buͤrger das
Schwerdt trug; und ſtehende Heere keine Feſſeln
anlegen konnten.


Neue Zwiſchenvorfaͤlle durch den Kriegszug Carl's gegen
Algier 1541; und den darauf folgenden vierten Krieg gegen
Franz I. 1542—1544; nachdem der Reichsabſchied zu
Regensburg
, 29. Jul. 1541, und nicht weniger die aufs
neue drohende Tuͤrkengefahr noch den Frieden erhielten.


11. Endlicher Ausbruch des Kriegs, da durch
den Frieden zu Creſpy die Verbuͤndeten iſolirt wa-
ren; und die verweigerte Anerkennung des zu Tri-
dent
eroͤffneten Conciliums keinen Ausweg mehr uͤbrig
Eließ.
[66]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ließ. Nicht aber der ketzeriſchen Secte, — wie gern
der Pabſt es auch ſo gewandt haͤtte, und im Vertrage
mit Carl ſo gewandt zu haben glaubte; — ſondern
den Schmalkaldiſchen Verbuͤndeten, als Frevlern ge-
gen kayſerliche Autoritaͤt, galt der Krieg. Leider!
kraͤnkelte aber dieſer Bund an allen den Uebeln, woran
nur ein Bund kraͤnkeln kann; und ehe noch die
Muͤhlberger Schlacht den einen, und die Treu-
loſigkeit zu Halle
den andern Chef desſelben in
die Gefangenſchaft ſtuͤrzten, ließ ſich die Zertruͤmme-
rung des Bundes mit großer Wahrſcheinlichkeit vor-
ausſehen.


Endliche Eroͤffnung des ſchon ſeit 1542 nach Trident
ausgeſchriebenen Concilii am 13. Dec. 1545, deſſen Form
und erſte Beſchluͤſſe ſchon die Annahme von Seiten der Pro-
teſtanten unmoͤglich machten. — Ausbruch des Kriegs ſeit
dem Regensburger Reichstage, Juli 1546. Achtserklaͤrung
der beyden Haͤupter am 20. Juli. Planloſe Fuͤhrung des
Kriegs in dieſem Jahr; Trennung der Verbuͤndeten. —
Schlacht bey Muͤhlberg, und Gefangenſchaft des Churfuͤrſten
Johaun Friedrich den 24. April 1547. — Uebertra-
gung der Chur an den Herzog Moritz von Sach-
ſen
. — Argliſtige Gefangennehmung des Landgrafen Phi-
lipp von Heſſen
zu Halle den 19. Jun.


12. Nach dieſer gaͤnzlichen Zertruͤmmerung des
Bundes ſtand es ganz im Belieben des Kaiſers, wel-
chen Gebrauch er davon machen wollte. Aber auch
jetzt waren es nicht Eroberungs-, ſondern Vereini-
gungs- — d. i. nach dem Geiſte jener Zeit — Con-
cilien-
[67]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1515--1555.
cilienentwuͤrfe, die ihn beſchaͤftigten; und war nicht
das Interim, womit ihm die Theologen die Sache
verdarben, an und fuͤr ſich eine nothwendige Maaß-
regel? Nur Ein Entwurf — eine Frucht des heran-
nahenden Alters — ſcheint jetzt erſt in ihm aufge-
keimt zu ſeyn; die beyden Kronen, die er trug, auf
ſeinen Sohn uͤbergehn zu ſehen. Erblichkeit der
Kaiſerkrone blieb dabey eine ſo entfernte Ausſicht,
daß ſie kaum das naͤchſte Motiv ſeyn konnte; wahr-
ſcheinlich war es die Ueberzeugung, daß in dieſer
Vereinigung die Macht des Hauſes liege. Ein gluͤck-
liches Geſchick — was waͤre unter Philipp II. aus
Deutſchland geworden? — vereitelte das unpolitiſche
Project: aber fuͤr keinen Fehlgriff hat Carl haͤrter ge-
buͤßt, da er die furchtbarſte Criſis ſeiner ganzen
Regierung beſchleunigte.


Reichstag zu Augsburg, und Publicirung des In-
terim
, als Norm bis zur kuͤnftigen Entſcheidung des
Concilii, am 15. May 1548; und große daruͤber entſtan-
dene Bewegungen; die vielleicht mehr als alle andere
den maͤnnlichen Geiſt der Nation beweiſen. Noch waren die
Zeiten, wo eine einzelne Stadt wie Magdeburg der gan-
zen Macht des Kaiſers trotzen konnte.


13. Wie wenig aber auch Carl eine Vernich-
tung der deutſchen Verfaſſung wollte, ſo verſtanden
doch freylich die Staͤnde unter kayſerlicher Autoritaͤt
nicht gerade Alles das, was Er darunter verſtand.
Und doch haͤtten ſie ſich wohl darein gefuͤgt, waͤre
E 2nicht
[68]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
nicht Einer unter ihnen geweſen, den Carl nach
langer Bekanntſchaft doch zu wenig kannte, weil er
wohl zu berechnen wußte, was Politik, aber nicht
was Charakter vermag. Der kuͤhne Entwurf von
Moriz, erzeugt durch die Auftritte zu Halle, ging
zunaͤchſt aus dieſem hervor; aber wenn ihn auch das
Herz gebahr, ſo leitete ihn doch der Kopf. Die
ganze Ausfuͤhrung, vorzuͤglich aber die Verbin-
dung mit Frankreich
, gab den Beweis davon.
Waͤre auch das Reſultat weniger glaͤnzend geweſen,
nie koͤnnte doch die Geſchichte in ihm den Mann ver-
kennen, der ſich uͤber ſein Zeitalter erhob. Sein
Schwerdt verſchaffte Deutſchland mit Einem Streich,
was alle Concilien ihm nicht haͤtten verſchaffen koͤnnen.


Entwurf des Churfuͤrſten, durch einen Ueberfall den
Kayſer zur Sicherung des Religionszuſtandes und zur Be-
freyung ſeines Schwiegervaters Philipp zu noͤthigen; vorbe-
reitet durch die ihm uͤbertragene Ausfuͤhrung der Acht gegen
das ſtolze Magdeburg. Belagerung und Capitulation der
Stadt, 5. Nov. 1551. — Geheime Verbindung mit Hein-
rich
II. von Frankreich zu Friedewalde den 5. Oct.
1551. Ausbruch und raſcher Gang des Kriegs, Maͤrz bis
Juli 1552, wodurch zugleich das Concilium zerſprengt wird.
Der Kayſer ſieht ſich zum Paſſauer Vertrage genoͤthigt,
2. Aug. 1552. Bedingungen: 1. Befreyung der gefangenen
Fuͤrſten, und Reſtitution Philipp's von Heſſen. 2. Voͤllige
Religionsfreiheit der Proteſtanten, ſowohl von Seiten des
Kayſers als der katholiſchen Staͤnde. 3. Kuͤnftige Beſtaͤti-
gung auf einem binnen ſechs Monathen zu haltenden Reichs-
tage, jedoch ohne daß ihm etwas derogirt werden duͤrfe.
Enthielt alſo der Paſſauer Vertrag auch nur die Praͤlimi-

narien
[69]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.
narien, ſo war doch der Definitivfrieden dadurch ſchon im
voraus geſichert; doch ſollte ſein Urheber ihn nicht mehr er-
leben; der ſchon im naͤchſten Jahre, im Kampf mit dem
Friedensſtoͤrer Markgraf Albrecht von Culmbach, bey
Sievershauſen den 9. Jul. 1553 ſeinen Tod fand.


14. Indem aber Moriz den Paſſauer Vertrag
ohne ſeinen Verbuͤndeten HeinrichII. geſchloſſen
hatte, der unterdeß in Lothringen eingefallen war,
dauerte der Krieg mit Frankreich fort; und en-
digte, da Carl mehr ſeinen Haß als die Klugheit zu
Rathe zog, nicht ohne Verluſt fuͤr ihn und das deut-
ſche Reich.


Einbruch Heinrich'sII. in Lothringen, und Wegnahme
von Metz, Toul und Verdun im April 1552; Feldzug von
Carl im Herbſt 1552, und vergebliche Belagerung von
Metz
, das Franz von Guiſe gluͤcklich vertheidigt. Der
Krieg dauerte in den beyden naͤchſten Jahren ſowohl an den
Grenzen der Niederlande, als in Italien fort, (wo ſich Sie-
na in franzoͤſiſchen Schutz begeben hatte, zuletzt ſich aber
den 21. April 1553 dem Kaiſer ergeben mußte;) doch ohne
große Schlachten, wiewohl im Ganzen gluͤcklich fuͤr Frankreich,
bis der 5jaͤhrige Waffenſtillſtand zu Vaucelles den
5. Febr. 1556 Frankreich im Beſitze ſowohl der in Lothringen
als in Piemont eingenommenen Plaͤtze ließ.


15. Sowohl dieſer Krieg als andere Hinderniſſe
hatten die Haltung des Reichstags zum Abſchluß des
Religionsfriedens aufgeſchoben, der endlich zu Augs-
burg
ſich verſammelte. Erſt nach einer Verhand-
lung von 6 Monathen — man empfand es, daß
E 3Moriz
[70]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Moriz nicht mehr lebte — kam der endliche Reli-
1555
21.
Spt.
gionsfriede zu Stande, der zwar beyden Par-
theyen den Ruheſtand ſicherte, und die bis zum
Paſſauer Vertrage eingezogenen geiſtlichen Guͤter ih-
ren Beſitzern ließ; aber auch in der Beſchraͤnkung auf
die A. C. Verwandten, und in dem Reſervato
eccleſiaſtico,
einen doppelten Keim zu kuͤnftigem
Streit legte.


Das Reſervatum eccleſiaſticum betraf die Frage: ob die
kuͤnftige Freyſtellung der Religion ſich nur auf die weltli-
chen, oder auch auf die geiſtlichen Staͤnde ausdehnen ſollte?
welches letztere die Proteſtanten durchaus verlangten; aber
die Catholiken weder zugeben wollten, noch auch konnten.


16. Nach dieſem Frieden fuͤhrte CarlV. den
Entſchluß aus, den Unbeſtaͤndigkeit des Gluͤcks und
ſchwaͤchliche Geſundheit erzeugt hatten, ſeine Kronen
niederzulegen
. Sie wurden von jetzt an ge-
theilt
, da die Spaniſche mit der Herrſchaft der
Niederlande ſeinem einzigen Sohne PhilippII. zu
Theil wurde; auf dem Kayſerthron ihm aber ſein
Bruder, der Roͤmiſche Koͤnig FerdinandI., folgte.


Uebergabe der Niederlande und Spaniſchen Monarchie
an Philipp II. zu Bruͤſſel; jener den 25. Oct. 1555; der Spa-
niſchen Monarchie den 16. Jan 1556. Die Niederlegung der
Kaiſerkrone erfolgte erſt am 27. Aug. 1556. — Carl ſtarb zu
St. Juſt in Valladolid, wohin er ſich zuruͤckzog, bereits den
21. Sept. 1558.


17. Am
[71]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1515--1555.

17. Am Ende dieſes Zeitraums hatte die Re-
formation ſchon im Ganzen den Umfang erreicht, den
ſie nachmals behalten ſollte. Die neue Lehre, nicht
eine Religion der Phantaſie, ſondern des Verſtandes,
mußte viel leichter Eingang finden unter den Voͤlkern
des Norden, als denen des Suͤden; denn weit
mehr als die Maaßregeln der Regierungen entſchied
hier der Charakter der Nationen. Auch ihre poli-
tiſchen Folgen
beſchraͤnkten ſich daher nicht mehr
blos auf Deutſchland, ſondern verbreiteten ſich uͤber
einen großen Theil von Europa. Aber wie wichtig
ſie auch fuͤr den innern Zuſtand jedes dieſer Laͤnder
fuͤr Gegenwart und Zukunft ward, ſo konnte ſie doch
noch nicht ſogleich die Triebfeder der allgemeinen Po-
litik ſeyn, da die beyden rivaliſirenden Hauptmaͤchte
des Continents darin uͤbereinkamen, ſie zu verwerfen.
Nur die Wirkungen mußten ſich aber von ſelber ent-
wickeln, daß a. in proteſtantiſchen wie in katholiſchen
Staaten Religion weit mehr die Baſis der Verfaſſung
ward, als ſie es bisher geweſen war; und daß b. in
den proteſtantiſchen Staaten durch die Aufhebung des
Nexus mit Rom, — auch in einigen durch Einzie-
hung der Kirchenguͤter — die Macht der Fuͤrſten Zu-
wachs erhielt. — Aber was war dieß gegen die noch
nicht zu berechnenden entfernteren Folgen, welche
der neue Umſchwung erwarten ließ, den ſie dem
menſchlichen Geiſte gegeben hatte?


E 418. Fuͤr
[72]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

18. Fuͤr das deutſche Reich war ſie bereits
und blieb ſie freylich das Princip der Spaltung; aber
auch das des politiſchen Lebens. Sie hatte
zwar in demſelben keine eigentliche politiſche Revolu-
tion bewuͤrkt; — ſo lange die religioͤſen Ideen ſtets
im Vorgrunde, die politiſchen nur im Hintergrunde
ſtanden, war dieß nicht zu fuͤrchten; — aber ſie hat-
te die Fuͤrſten zu Anſtrengungen genoͤthigt, wodurch
ſie ſich erſt als Fuͤrſten fuͤhlten; und die einmal auf-
geregte Kraft konnte bey der dauernden Spaltung nicht
wieder erſterben. Ließ ſich auch in einem ſolchen
Staatskoͤrper unter einem Princip des Lebens leicht
etwas anders als ein Princip der Trennung denken?


Am Ende dieſes Zeitraums herrſchte die proteſtantiſche
Lehre in den ſaͤmmtlichen Saͤchſiſchen, Brandenburgiſchen,
Braunſchweigiſchen, Heſſiſchen, Mecklenburgiſchen, Holſteini-
ſchen und einigen kleinern Staaten im Norden; im Suͤden in der
Pfalz, Baden und Wuͤrtemberg; ſo wie in den meiſten bedeuten-
den Reichsſtaͤdten. — Die ſchon ſeit 1525 durch den Abend-
mahlsſtreit entſtandene traurige Spaltung zwiſchen den Pro-
teſtanten ſelber konnte noch von keinen bedeutenden politi-
ſchen
Folgen ſeyn, ſo lange ſich noch keiner der maͤchtigen
Reichsſtaͤnde zu der reformirten Lehre bekannte.


19. Außer Deutſchland war in den Nor-
diſchen
Reichen (ſ. unten) ſo wie in dem groͤßern
Theile der Schweiz und in Genf, die neue Lehre
bereits herrſchend geworden; in England lag ſie noch
im Kampfe; in Frankreich und den Niederlanden,
ſo wie in Boͤhmen, Ungarn und Polen fand ſie Ein-
gang,
[73]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.
gang, ohne daß ihre kuͤnftigen Folgen ſich noch be-
rechnen ließen. Wo ſie aber herrſchend wurde, ge-
ſchah es nicht ohne wichtige Modiſikationen nicht nur in
den Lehren, ſondern auch in den aͤußern Formen der
Kirche.


In England Trennung vom Roͤmiſchen Stuhl, aber
nicht von der alten Lehre, unter HeinrichVIII.; der Su-
premat der Kirche
wird durch eine Parlamentsacte im
Nov. 1534 auf den Koͤnig uͤbertragen. Unter EduardVI.
1547—1553 Einfuͤhrung der proteſtantiſchen Lehre, jedoch
mit Beybehaltung der biſchoͤflichen Hierarchie, als
vom Koͤnig abhaͤngig. Die Wiederherſtellung der paͤbſtli-
chen
Herrſchaft unter Maria 1553—1558, ward bald durch
Eliſabeth vereitelt.


In Schottland Verbreitung der reformirten Lehre,
ſchon ſeit 1525, beſonders nachmals durch Joh. Knor,
den Schuͤler Calvin's; aber noch im Kampfe mit der Re-
gierung und der Roͤmiſchen Hierarchie.


In der Schweiz Entſtehung der Reformation, unab-
haͤngig von Luther, ſchon 1518 durch Zwingli († 11. Oct.
1531 bey Cappel im Treffen gegen die Katholiken,) in Zuͤ-
rich. Schnelle Verbreitung; bereits 1528 hatten die Cantons
Zuͤrich, Bern, Baſel, Appenzell, Glarus und Schafhauſen
ſie ganz oder groͤßtentheils angenommen. Durch den un-
gluͤcklichen Abendmahlsſtreit, ſeit 1525, Trennung von den
A. C. Verwandten, und Entſtehung der reformirten
Parthie; die aber doch ihre volle Ausbildung erſt:


In Genf durch Calvin 1535—1564 erhielt. Große,
ſtets fortdauernde und ſelbſt wachſende Wichtigkeit dieſer
Stadt fuͤr Europa, als eines Centralpuncts religioͤſer, poli-
tiſcher und wiſſenſchaftlicher Ideen; und zugleich ſeit ihrer
Befreyung von Savoyen, und der Verjagung ihres Biſchofs
1533, des praktiſchen Republicaniſmus. Ausbildung der refor-
mirten Kirchenform und Kirchendiſciplin. — Durch die auf
Cakvin's Betrieb 1559 geſtiftete Univerſitaͤt wird Genf durch

E 5ihn
[74]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ihn und Beza fuͤr dieſe Confeſſion die erſte hohe Schule der
Theologie, und die einzige, wo franzoͤſiſche Sprache herrſchte.


20. Zu den Folgen der Reformation gehoͤrt —
wenn auch nicht zunaͤchſt ihrem Urſprunge, doch ihrer
praktiſchen Wirkſamkeit nach, — die waͤhrend derſel-
ben ſich bildende Geſellſchaft Jeſu. Der Zweck
dieſer Geſellſchaft war und blieb Herrſchaft uͤber die
oͤffentliche Meinung; um als Stuͤtze des Pabſtthums
(d. i. der hoͤchſten paͤbſtlichen Autoritaͤt) dem Prote-
ſtantiſmus (d. i. der Freyheit der Vernunft) entge-
genzuwirken. Ohne Zweifel war dieſes am erſten durch
eine weit umfaſſende geſellſchaftliche Verbindung moͤg-
lich. Alle Mittel mochten ihr vielleicht dazu recht
ſeyn; aber welche Mittel anwendbar waren, muß-
ten die Zeitumſtaͤnde beſtimmen. In ſo fern mußte
alſo die Geſellſchaft mit dem Zeitalter fortgehen,
und ſich ausbilden und umbilden; aber, von ihrem
Hauptzweck gefeſſelt, konnte ſie es nur bis auf einen
gewiſſen Punct. Es lag in ihrer Natur, daß ſie
einſt entweder allmaͤchtig werden, oder vernich-
tet
werden mußte; das Erſte, wenn ſie den Pro-
teſtantiſmus vernichtete; das Andere, wenn der
Proteſtantiſmus (im obigen Sinn) den Sieg errang;
denn kein Friede oder auch nur Waffenſtillſtand war
hier gedenkbar. Aber ehe ſie zu Einem jener Ziele
kam, hatte ſie eine große Laufbahn zuruͤckzulegen.
Darf alſo die Laͤnge und der Umfang ihrer Thaͤtigkeit
befrem-
[75]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.
befremden? Auch ihre Einmiſchung in die Po-
litik
war an ſich nur Mittel zu jenem Zweck; ein
zwar nothwendiges, aber fuͤr ſie ſelbſt gefaͤhrliches
Mittel, weil Conflicte mit den Regierungen unver-
meidlich waren, ſobald ſie die Herrſchaft uͤber die
Meinung verlohr, der auch die Fuͤrſten unterworfen
ſind. Durch alle chriſtlichen Laͤnder, theils ſichtbar,
theils unſichtbar verbreitet, ward ſie ein Band, das
das Ganze des Europaͤiſchen Staatenſyſtems um-
ſchlang; wirkſam nicht bloß fuͤr das Einzelne, ſon-
dern fuͤr das Ganze. Was ſie, und wie viel ſie
jedesmal wirkte, iſt ſchwer, oft unmoͤglich zu be-
ſtimmen; aber wie ſie wirkte, ergiebt ſich der Haupt-
ſache nach aus ihrer Organiſation.


Stiftung der Geſellſchaft durch den ſtandhaften Schwaͤr-
mer Ignatius Loyola, zuerſt als Privatverbindung 1534;
vom Pabſt Paul III. beſtaͤtigt 1540; und ſehr erweitert 1543
und 1549. Schnelles Aufbluͤhen, beguͤnſtigt durch den Geiſt
des Zeitalters, trotz mannichfaltigen Widerſtandes. Schon
beym Tode des Stifters 1556 umfaßte ſie das weſtliche Europa
in 9 Provinzen; (1 in Portugal, 3 in Spanien, 1 in Frank-
reich, 2 in Deutſchland und den Niederlanden, und 2 in
Italien;) ſo wie durch die Miſſionen die andern Welttheile
in 3 Provinzen, (Braſilien, Aethiopien und Indien). —
Eigenthuͤmliche aͤußere Formen: nicht als Orden von der
Welt getrennt, ſondern als Geſellſchaft ſich ihr anſchlie-
ßend, ja ſelbſt zum Theil mit ihr verſchmolzen, ohne doch
je ſich in ihr verlieren zu koͤnnen. Collegien und Semi-
narien, aber keine Kloͤſter; Ordenskleidung, aber keine
Moͤnchskleidung. Innere Organiſation; in Anſehung
a. der Regierung. Princip des abſoluteſten Deſpotismus,

und
[76]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
und des durchaus blinden Gehorſams; unmittelbar fließend
aus dem Zweck des Inſtituts. Chef der Geſellſchaft der Ge-
neral
(praepoſitus generalis), von Niemand abhaͤngig als
vom Pabſt; ſeine Reſidenz in Rom. Schon ſeit Lainez
(1558—1564) unumſchraͤnkteſter Gebieter, im alleinigen Be-
ſitz der ganzen ausuͤbenden, und bald auch — ungeachtet
der General- und Provincialcongregationen — der geſetzge-
benden Macht, von dem Alles und an den Alles kommt.
Aſſiſtenten — Provinciale — Rectoren; (Miniſter, Gouver-
neurs und Untergouverneurs). Selbſt die Abhaͤngigkeit vom
Pabſt konnte nicht druͤckend ſeyn, da Beyder Intereſſe Eins
war; und die Art, wie zu wuͤrken war, ſtets dem General
uͤberlaſſen blieb. b. In Anſehung der Claſſen der Mitglieder;
Novizen — Scholaſtiker — Coadjutoren — Pro-
feſſen
. Art der Recrutirung und Grundſaͤtze; beſonders in
der großen Beſchraͤnkung der Zahl der Profeſſen, oder eigent-
lichen Jeſuiten. — Aber außer dieſen noch eine Claſſe der
Affiliirten, oder geheimen Jeſuiten ohne Uniform; aber
nicht ſelten mit Sternen oder Biſchofsmuͤtzen. c. Hauptmit-
tel ihrer Wirkſamkeit. Miſſionen — Beichtſtuͤhle,
beſonders an Hoͤfen; — Jugendunterricht in niedern
und hoͤhern Lehranſtalten. So umfaßte ſie mit der gegen-
waͤrtigen zugleich ſtets die kuͤnftige Generation. — Ein In-
ſtitut, deſſen Zweck Unterdruͤckung aller freyen Geiſtesent-
wickelung iſt, iſt an ſich boͤſe. Das Gute, was es fuͤr
Verbreitung der Religion und einzelne Wiſſenſchaften gethan
hat, wird deßhalb nicht verkannt; allein der politiſche Hiſto-
riker hat des Guten leider! am wenigſten zu ruͤhmen.


Die Geſchichte des Ordens, wie ſie ſeyn ſollte, d. i.
aus ſeinem Standpuncte gefaßt, bleibt noch immer ein
Stoff fuͤr einen kuͤnftigen Hiſtoriker. Treffliche Vorerinne-
rungen dazu in dem Artikel: Jeſuiten, Allg. Deutſche
Encyclopaͤdie B. XVII. im Anhang (von Spittler.) Un-
ter den groͤßern Werken verdient Erwaͤhnung: Allgemeine
Geſchichte der Jeſuiten von dem Urſprunge
ihres Ordens bis auf gegenwaͤrtige Zeit
; von

p.
[77]B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.
P. Ph. Wolff. 4 B. 8. 2te Ausgabe. Leipz. 1803. Außer-
dem: Schroͤckh Kirchengeſchichte ſeit der Reformation. B. III.
der letzte Abſchnitt. Critiſch und unpartheyiſch.


21. Die Politik erhielt in dieſem Zeitraum im
Ganzen ein edleres Anſehen, wie klein ſie auch
manchmal im Einzelnen erſcheint. Es waren groͤßere
und feſtere Zwecke, die man verfolgte; es waren ed-
lere Motive, die dazu trieben; es bildeten ſich, wenn
auch vielleicht nicht groͤßere Koͤpfe als vorher, doch
groͤßere Charaktere. Der Einfluß der Theolo-
gen, bey den Proteſtanten faſt noch groͤßer als bey
den Catholiken, war oft ein Uebel; allein nie trug
er damals dazu bey, das Kriegsfeuer anzublaſen;
oͤftrer aber die ſchon auflodernde Flamme zu daͤmpfen.


22. Die Staatswirthſchaft machte, unge-
achtet der groͤßeren Beduͤrfniſſe, doch keine weſentlichen
Fortſchritte. Neue Auflagen, nicht ohne Wider-
ſpruch der Staͤnde, und koſtbare Anleihen in den rei-
chen Handelsſtaͤdten blieben die Mittel, jene zu ſtillen.
Keiner der Fuͤrſten, keiner ihrer Raͤthe widmete ihr
weitere Aufmerkſamkeit, als gerade der Augenblick
erforderte. Wie ließ ſich auch dergleichen erwarten,
in einem Zeitpuncte, wo die Religion die allgemeine
Aufmerkſamkeit auf ſich zog? Aber die, jetzt aus
Amerika nach Spanien ſtroͤmenden Schaͤtze befeſtigten
den Wahn, daß der Reichthum eines Landes von der
Maſſe
[78]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Maſſe ſeines Goldes oder Silbers abhange. Und
doch ward Spanien nicht reich; und CarlV. blieb
arm, wenn derjenige ſo heißt, der faſt immer weni-
ger hat, als er braucht.


23. Etwas groͤßere Fortſchritte machte die
Kriegskunſt. Der ſtets erneuerte Kampf zwiſchen
Carl und Franz, wenn auch keiner von beyden eigent-
lich großer Feldherr war, mußte doch nothwendig zu
neuen Einrichtungen fuͤhren. Unter dieſen ſteht die
Errichtung eines regelmaͤßigen Fußvolks,
das wahre Fundament aller Kriegskunſt, oben an.
Aber die Legions von Franz waren doch mehr eine
Miliz als ſtehende Truppen; und auch das furchtbare
kayſerliche Fußvolk beſtand aus Banden von Soͤld-
nern, auf unbeſtimmte Zeit gedungen. Wie ver-
ſchieden waren beyde nicht auch in Ruͤſtung und Di-
ſciplin von der ſpaͤteren Infanterie? An hoͤhere Tak-
tik konnte aber nicht zu denken ſeyn, ſo lange bey
den tiefen Stellungen alle leichtere Bewegungen
unmoͤglich blieben.


III. Geſchichte des Colonialweſens in dieſem Zeitraum.

  • Zu den oben S. 32. u. 36. angefuͤhrten Schriften kommen
    hier noch beſonders fuͤr das Spaniſche Amerika:

Anton
[79]B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517--1555.
  • Anton de Herrfra, Decadas o hiſtoria general de los he-
    chos de los Caſtellanos en las Islas y tierra firma nel
    mar Oceano, en quatro decadas deſde el anno 1492. ha-
    ſta el de 1531. Madrit
    1601. — Die beſte Ausgabe mit
    Fortſetzungen 1729. 5 Vol. fol.
  • Hiſtoria del nuevo Mundo da Juan Battista Muñoz. en
    Madrid
    1793. 4. Nur der erſte Band iſt erſchienen.
  • Saggio di ſtoria Americana naturale, civile e ſacra de' Re-
    gni e delle provincie Spagnole di terra firma nella
    America meridionale, dell' Abbate Filippo Salvador
    Gilii
    . Roma 1780. 4 Voll.
    8. — Der politiſche Abſchnitt
    genuͤgt am wenigſten.
  • Antonio da Ulloa relacion hiſtorica del Viage a la Ame-
    rica meridional 1748. 2 Voll.
    4. Franzoͤſiſch 1751. Die
    beſte Beſchreibung jener Laͤnder.

1. Spanier und Portugieſen bleiben auch in
dieſem Zeitraum die einzigen, welche jenſeits des
Oceans herrſchen; und da ſie ſo lange ohne Ne-
benbuhler blieben, befeſtigte ſich eben dadurch am
meiſten der Anſpruch auf ausſchließenden Beſitz
der entdeckten Laͤnder ſowohl als Meere. Aber die
Fortſchritte von beyden ſind ſich ſehr ungleich. Wenn
das Portugieſiſche Colonialſyſtem ſchon am Ende des
vorigen Zeitraums faſt vollendet daſtand, ſo wurde
dagegen das unermeßliche Gebaͤude des Spaniſchen
erſt in dem gegenwaͤrtigen aufgerichtet und eingerichtet.


2. Umfang der Spaniſchen Beſitzungen auf dem
Continent von Amerika, durch die Eroberung von
Merico, (Neu Spanien), Peru, der Tierra
firma
[80]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
firma und Neu Granada. Aber zwiſchen dem,
was Spaniſche Beſitzung hieß, und Spaniſche Be-
ſitzung war, blieb noch ein großer Unterſchied. Die
ſchon gebildeten, in Staͤdten und Flecken angeſeſſenen
Mexicaner und Peruaner konnte man bald zu Unter-
thanen machen; aber welche Herrſchaft ließ ſich uͤber
die zahlloſen Voͤlkerſchaften ausuͤben, die als Jaͤger
in den ungeheuern Waͤldern und Ebenen umherirrten,
wenn man ſie nicht civiliſirte, d. i. ſie bekehrte?
So ward alſo von ſelbſt in dem Innern jener Laͤn-
der Spaniſche Obergewalt an die Miſſionen ge-
knuͤpft; und das Kreuz drang hier doch endlich weiter
vor, als das Schwerdt, konnte es auch gleich nicht ſo
raſch
vordringen.


Eroberung von Mexico 1519—1521. durch Franz
Cortes
, bis zu der Einnahme der Hauptſtadt nicht ohne
heftigen Kampf. — Eroberung von Pern, Quito und
Chili, verſucht ſeit 1525, ausgefuͤhrt 1529—1535 durch
Franz Pizarro und ſeine Gefaͤhrten und Bruͤder. Erobe-
rung von Tierra firma, beſonders ſeit 1532, und von
Neu Granada ſeit 1536. Mehrere andere Laͤnder wurden
in dieſem Zeitraum zwar ſchon entdeckt, aber noch nicht ein-
genommen.


3. Dieſe eroberten Laͤnder wurden Provinzen
des Mutterlandes
, und blieben es. Viel
trug dazu allerdings die Verfaſſung bey, die man
ihnen gab; — und ſelten hatte wohl die Politik eine
ſchwerere Aufgabe zu loͤſen; — aber haͤtte nicht der
Natio-
[81]B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517--1555.
Nationalgeiſt ſie unterſtuͤtzt, es moͤchte doch wohl
Alles vergeblich geweſen ſeyn. Ihre Verfaſſung
bildete ſich zwar erſt allmaͤhlig, aber doch nach ihrer
ganzen Grundlage ſchon in dieſem Zeitraum aus.
Wie gewoͤhnlich copirte man, ſo weit es angieng, die
Verfaſſung des Mutterſtaats; aber freylich konnte
jenſeit des Oceans nicht Alles werden, wie es zu
Hauſe war. Hier ward die ganze Verwaltung
einem hoͤchſten blos vom Koͤnige abhaͤngigen Colle-
gio
, dem Rath von Indien(Conſejo Real
y ſupremo de Indias
),
uͤbertragen, (dem in
Handelsſachen ein Handlungs- und Gerichts-
hof
(Audienzia real de la Contratacion)
untergeordnet ward); und eben dadurch eine feſte-
re
Colonialpolitik, wie bey irgend einer andern Na-
tion, gegruͤndet. Dort wurden Vicekoͤnige
(Virreyes) als Stellvertreter des Monarchen er-
nannt; fuͤr die Juſtiz aber wurden die Audiencias
als hoͤchſte inlaͤndiſche Tribunaͤle, und zugleich
zum Rath fuͤr die Vicekoͤnige, errichtet; die Staͤdte
waͤhlten ſich ihre Cabildos, oder Municipalitaͤten.


Hauptgrundlagen der ganzen Verfaſſung, die Verord-
nungen von Carl V. vom Jahr 1542. Errichtung des
Raths von Indien ſchon 1511; allein ſeine volle Aus-
bildung erhielt er erſt 1542. Ernennung zweyer Vicekoͤ-
nige, zuerſt in Mexico 1540, und in Peru 1542; als
Chefs der ganzen Civil- und Militair-Verwaltung: denen
allmaͤhlig mehrere Gobernadores und Capitanes un-
tergeordnet wurden. Errichtung zweyer Audiencias zu

FMexi-
[82]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Mexico und Lima 1542, deren Zahl nachmals auf 10, ſo
wie die der Vicekoͤnige auf 4 vermehrt iſt. Von den Audien-
cias findet noch die Appellation an den Rath von Indien
ſtatt.


4. Dieſe politiſchen Einrichtungen ſetzten auch die
Anlagen von Staͤdten voraus. Zwar fand man
deren ſchon in dem eigentlichen Mexico und Peru;
nicht aber in den anderen Laͤndern; und auch ſelbſt
dort nicht immer da, wo die neuen Herrſcher ihrer
bedurften. Die zuerſt angelegten Plaͤtze waren Haͤ-
fen und Kuͤſtenſtaͤdte an den Ufern des Golfs von
Mexico; und auch bald an denen des ſtillen Oceans.
Erſt ſpaͤter und allmaͤhlig entſtanden die Orte im
Innern.


Die Staͤdte an den Kuͤſten, — anfangs gewoͤhnlich aus
einer Kirche und einigen Haͤuſern beſtehend — waren zu-
gleich Haͤfen und Beſatzungsplaͤtze. Die erſte war Cumana,
geſtiftet 1520, auf welche die wichtigen Haͤfen Porto Bello
und Carthagena ſeit 1532, Valencia 1555, Caraccas 1567,
und fruͤher ſchon Vera Crux, die erſte Niederlaſſung in Me-
xico, folgten. An der Kuͤſte des ſtillen Oceans in Mexico
Acapulco, in Darien Panama; in Peru Lima 1535, und in
Chili Conception 1550; auch der erſte, wiewohl mißlunge-
ne, Verſuch zur Anlage von Buenos Apres am Plata-
Strom bereits 1535. Die Staͤdte im Junern bilde-
ten ſich meiſtens da, wo vorher Bergwerke angelegt waren.
— Die ſpaͤter ſich bildenden Miſſionen beſtehen in klei-
nen Ortſchaften, laͤngs den Ufern der Haupt- und Neben-
ſtroͤme, in den unermeßlichen Ebenen des Innern, aus be-
kehrten Indianern unter der Aufſicht von Geiſtlichen errichtet.


5. Aber
[83]B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517--1555.

5. Aber noch feſter als die politiſchen Bande
waren die, welche die Religion zwiſchen dem Mutter-
lande und den Colonien hier knuͤpfte. Indem das
Chriſtenthum mit ſeinem ganzen aͤußern Apparat,
der Hierarchie, den Kloͤſtern, und bald auch der In-
quiſition, — aber auch mit der daran geknuͤpften
wiſſenſchaftlichen Cultur und den dazu gehoͤrigen In-
ſtituten — dahin uͤbertragen ward, bildete ſich hier
mit dem politiſchen zugleich ein kirchlicher Staat,
der ganz den Koͤnigen, nicht den Paͤbſten, untergeord-
net ward; und den Untergang der Cultur, und mit
ihr des Nationalgeiſtes der einheimiſchen Voͤlker zur
natuͤrlichen Folge hatte.


Beſchraͤnkung der paͤbſtlichen Macht auf die bloße Be-
ſtaͤtigung der k. Ernennungen zu den geiſtlichen Stellen;
durch die von Alexander VI. und Julius II. gegebenen Privile-
gien. — Errichtung der Erzbisthuͤmer, zuerſt zu Me-
xico
und Lima, (zu denen noch nachmals die zu Caraccas,
Santa Fé die Bogota und Guatimala kamen); und Bisthuͤ-
mer
, ſaͤmmtlich mit ihren Capiteln. — Abthei-
lung der niedern Geiſtlichkeit oder Pfarrer in Cu-
ras
, in den Spaniſchen, Doctrineras in den Indiſchen
Orten, und Miſſioneras bey den Wilden. — Die Er-
richtung der Kloͤſter lag ſchon in dem urſpruͤnglichen Zweck
der Bekehrung der Indianer, da dieſe zuerſt den Bettelor-
den
, (erſt ſpaͤter auch den Jeſuiten), uͤberlaſſen ward.
Wie mußten nicht dieſe, dadurch unentbehrliche, Inſtitute in
ſo reichen Laͤndern gedeihen, wo die, (ſeit 1570 einge-
fuͤhrte,) Inquiſition eine viel ſtrengere Ideenſperre er-
halten konnte, als dieſſeit des Oceans?


F 26. So
[84]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

6. So bildeten ſich alſo voͤllig in jenen Laͤndern
die Formen Europaͤiſcher Staaten. Aber die Maſſe
des Volks
konnte ſich, wegen der Verſchiedenheit
der Abſtammung, doch nie zu Einer Nation bilden:
und an dieſen phyſiſchen Unterſchied knuͤpften ſich von
ſelbſt ſehr wichtige politiſche Verſchiedenheiten.
Da die Weißen herrſchten, ſo erſchien alles, was
farbigt war, gegen ſie in einem tiefen Abſtande;
nicht nur die Indianer ſelbſt, wie ſehr auch die
Geſetze ſich ihrer angenommen, und ihre perſoͤnliche
Freyheit ihnen geſichert hatten; ſondern auch die Mit-
telarten, die aus der Miſchung mit ihnen entſtanden
waren, (Meſtizen, Terzerones und Quatero-
nes
;) wozu durch den Afrikaniſchen Sclavenhandel
die Neger kamen; aus deren Miſchung mit den Eu-
ropaͤern wieder eine andere zahlreiche Zwiſchenart, die
der Mulatten, entſtand. Dieſe verſchiedenen Claſſen
trieben auch faſt ausſchließend verſchiedene Beſchaͤfti-
gungen; und ſo bildete ſich hier eine wahre Caſten-
eintheilung
; bey der man die Weißen als eine Art
Adel betrachten konnte, der aber wieder in die einhei-
miſchen Familien (Creolen,) und die neuen An-
koͤmmlinge (Chapetons) — faſt immer im Be-
ſitz der wichtigen Stellen, — ſich theilte. Gluͤckli-
cherweiſe empfand Spanien bald das Beduͤrfniß, die
Einwanderungen aus dem Mutterlande
(denn andere blieben gaͤnzlich verboten,) unter eine
ſtrenge
[85]B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517--1555.
ſtrenge Policey zu ſtellen, der es die Erhaltung
der Abhaͤngigkeit ſeiner Colonien nicht am wenigſten
zu verdanken haben mag.


Wiederholte Verordnungen der Spaniſchen Regierung
zum Beſten der Indianer, (die jedoch der Unmenſchlichkeit
der erſten Eroberer wenig Einhalt thun konnten;) be-
ſonders die vom Jahr 1542, wodurch das ſchon vorher ein-
gefuͤhrte Syſtem der Lehen (Encomiendas, Reparti-
mientos
,) mehr beſchraͤnkt wurde. Sicherheit der per-
ſoͤnlichen Freyheit der Indianer; Beſtimmung der Lehndien-
ſte (Mitas) und Tribute; Wohnungen in eigenen Ort-
ſchaften unter eigenen Beamten (Caciquen) aus ihrer Mitte.


B. de las Casas Relacion de la Deſtruycion de las
Indias
1552
. Die beruͤhmte Schilderung der Grauſamkeiten
der erſten Eroberer.


7. Die Benutzung dieſer Laͤnder blieb aller-
dings faſt blos auf das Aufſuchen von edlen Metallen
beſchraͤnkt, wovon der Reichthum, beſonders an
Silber, alle Erwartung uͤberſtieg. Zwar waren ſie
nicht minder reich an andern Producten, aber ſo lan-
ge der Gebrauch der Cochenille und des Indigo zum
Faͤrben, des Cacao, des Tabacks, und der China-
rinde, in Europa entweder noch nicht bekannt,
oder doch wenig eingefuͤhrt war, konnten ſie keine wich-
tige Gegenſtaͤnde des Handels ſeyn. Das Aufſuchen
von jenen ward Privatperſonen uͤberlaſſen, gegen eine
der Krone zu entrichtende Abgabe, wodurch die vie-
len Anſiedeleyen im Innern entſtanden; aber die Ein-
F 3fuͤhrung
[86]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
fuͤhrung eines kunſtmaͤßigen Bergbaues geſchah erſt
ſehr langſam.


Entdeckung der reichen Gruben von Zacotecas in Mexico
1532, und Potoſi in Peru 1545; ſeit welcher man im Durch-
ſchnitt eine jaͤhrliche allgemeine Ausbeute von 20 Millionen
Piaſter rechnet, wovon etwa die Haͤlfte nach Europa geht.
Die dem Koͤnige beſtimmte Abgabe mußte von 20 p. C. all-
maͤhlig auf 5 p. C. herabgeſetzt werden; und dennoch blieb
in den reichſten Laͤndern der Erde die Anlage von Vergwer-
ken ein ſolches Gluͤcksſpiel, daß bey weitem die meiſten da-
bey zu Grunde giengen.


8. Dieſe Arbeiten in den Bergwerken und den
wenigen angelegten Pflanzungen waren es, die, zur
Schonung der dazu unfaͤhigen Indianer, zur Einfuͤh-
rung der Neger aus Afrika fuͤhrten, und dem greuelvol-
len Sclavenhandel — hauptſaͤchlich auf den Vor-
ſchlag von las Caſas — ſein Daſeyn gaben. Zwar
trieben die Spanier ihn nie ſelbſt; aber die Regie-
rung ſchloß einen Pacht-Contract (Aſſiento) zu
der Einfuͤhrung einer beſtimmten Anzahl von Sclaven
mit Fremden, welche der Gewinn dazu reizte.


Der Sclavenhandel der Europaͤer ging hervor aus den
Entdeckungen und Eroberungen der Portugieſen an der
Kuͤſte von Afrika, und ward von ihnen ſchon vor der Ent-
deckung Amerikas getrieben. Auch kamen ſchon vor las Ca-
ſas Vorſchlage Neger nach Weſtindien: allein ihm zu Folge
ward 1517 dieſer Handel regelmaͤßig eingerichtet; indem
Carl V. ſeinem Guͤnſtling la Breſa das Monopol zu jaͤhrlich
4000 Sclaven ertheilte, das dieſer an die Genueſer verkauf-
te. Dieſe erhielten ſie aber von den Portugieſen, in deren

Haͤnden
[87]B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517--1555.
Haͤnden eigentlich der Handel war, wiewohl gegen das
Ende dieſes Zeitraums ſich auch ſchon Englaͤnder dazu
draͤngten.


Sprengel vom Urſprunge des Sclavenhandels. 1779. 4.


7. Indem die Spaniſchen Colonien auf dieſe
Art vorzugsweiſe Bergwerkscolonien wurden,
lag ſchon darin die Veranlaſſung zu dem Handels-
zwange
, den man ihnen auflegte. Wie haͤtte man,
ohne inconſequent zu ſeyn, Fremden hier den freyen
Verkehr verſtatten koͤnnen? Kamen auch die eigent-
lichen Handelsvortheile mit in Betrachtung, ſo blieben
ſie doch etwas ſehr Untergeordnetes; der Hauptzweck
war die baaren Schaͤtze jener Laͤnder nach Spanien,
und nur dahin, zu bringen. Auch in Spanien
mochte man es wohl einſehen, daß das Aufbluͤhen
der Colonien dadurch keineswegs gefoͤrdert ward; aber
Aufbluͤhen der Colonien, im gewoͤhnlichen Sinne,
ſoll auch gar nicht der Zweck ſeyn. — So wie
aber die Colonien ihre Schaͤtze allein Spanien liefern
ſollten, ſo wollte Spanien ihnen auch allein ihre Eu-
ropaͤiſchen Beduͤrfniſſe liefern.


Einrichtung des Handels. Beſchraͤnkung in Spa-
nien auf den einzigen Hafen Sevilla. Jaͤhrliches Aus-
laufen zweyer Geſchwader, der Galeonen von etwa 12 [...]
der Flotte von etwa 15 großen Schiffen. Jene, beſtimmt
fuͤr Suͤdamerika, giengen nach Portobello; dieſe, be-
ſtimmt fuͤr Mexiko, nach Vera Crux. Große Meſſen
in jenen Staͤdten. Spanien uͤberließ ſeinen Colonialhandel

F 4zwar
[88]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
zwar keiner Geſellſchaft; aber mußte er bey dieſen Beſchraͤn-
kungen nicht dennoch von ſelbſt das Monopol weniger reicher
Haͤuſer werden?


9. Die Herrſchaft der Portugieſen in Oſtin-
dien dauerte in dieſem Zeitraum unter den beyden Koͤ-
nigen Emanuel dem Großen († 1521) und Jo-
hann III. († 1557) nicht nur fort, ſondern ward noch
vergroͤßert; noch mehr aber der Umfang ihres Han-
dels. Es war die Politik dieſer Fuͤrſten, die Vice-
koͤnige wenigſtens alle drey Jahre zu veraͤndern; ob
zum Vortheil oder Schaden ihrer Beſitzungen, iſt
ſchwer zu entſcheiden. Haͤtte nur in Indien ſelber
jemals Friede werden koͤnnen! Aber dieß war un-
moͤglich; da die Mongolen (Mohren, Muhame-
daner) ſich aus dem Beſitz des Indiſchen Zwiſchen-
handels durchaus nicht verdraͤngen laſſen wollten.


Feſtſetzung der Portugieſen auf Ceylon ſeit 1520, be-
ſonders zu Columbo und Point Gales. Monopol des Zimmt-
handels. — Nur die Kuͤſten der Inſel gehoͤrten ihnen aber
wirklich. Einnahme von Diu 1529; Feſtſetzung in Cam-
boja
; und, von den Molucken aus, Verbreitung nach Su-
matra, Java, Celebes
und Borneo. Waren auch
nicht allenthalben feſte Niederlaſſungen, ſo beſuchten ſie doch
die dortigen Maͤrkte.


10. Vorzuͤglich waren es jedoch die bereits an-
geknuͤpfte Verbindung mit China, und der eroͤffnete
Zutritt in Japan, die den Umfang ihres Handels
vergroͤßerten. Weſentlich trugen dazu die von den Je-
ſuiten
[89]B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517--1555.
ſuiten gleich bey ihrer Stiftung, ſobald Johann III. ſie
in ſein Reich aufnahm, uͤbernommenen Miſſionen
nach Aſien bey; und der Name von Xaver, dem
Apoſtel von Indien, darf auch in einer allgemeinen
Geſchichte nicht unerwaͤhnt bleiben.


Erſte Verſuche zu einer Anknuͤpfung einer Verbindung
mit China durch den Geſandren Th. Perera bereits 1517.
Wahrſcheinliche Niederlaſſung zu Liampo. — Bekannt-
ſchaft mit Japan ſeit 1542; Miſſion von Xaver mit großem
Erfolge verbunden; Einrichtung eines regelmaͤßigen und hoͤchſt
gewinnreichen Handels fuͤr Portugal.


11. Das ſtolze Gebaͤude der portugieſiſchen
Herrſchaft in Indien ſtand alſo in dieſem Zeitraume
ganz vollendet da. Wenige kuͤhne und genialiſche
Menſchen hatten es geſchaffen; nicht bloße Gewalt,
ſondern moraliſche Stuͤtzen, Heldengeiſt und Pa-
triotiſmus, mußten es halten. Da dieſe nicht ploͤtz-
lich verſchwinden konnten, war auch kein ploͤtzlicher
Sturz von jenem zu erwarten; aber das allmaͤhlige
Verſchwinden bereitete auch dieſen Sturz deſto ſicherer
vor; den alsdann die folgende Periode, ſobald
aͤußere Stuͤrme hinzukamen, ſo furchtbar beſchleu-
nigte.


12. Auch in Braſilien erweiterten ſich in die-
ſem Zeitraum die Beſitzungen der Portugieſen. Ein
guͤnſtiges Geſchick verhinderte es, daß man hier noch
keine Schaͤtze von Gold und Edelſteinen entdeckte;
F 5und
[90]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
und eben deshalb ſeine Aufmerkſamkeit auf eigent-
lichen Anbau richtete. Die veraͤnderte Einrichtung
der Krone erweiterte dieſen in einem gewiſſen Grade,
wenn er gleich noch immer nur auf einen Theil der
Kuͤſte beſchraͤnkt blieb. Die Fortſchritte, die man
hier machte, wirkten aber auch nothwendig auf die
Niederlaſſungen an der Kuͤſte von Afrika, in Congo
und Guinea, zuruͤck, da das Beduͤrfniß der Ne-
gerſclaven in gleichem Verhaͤltniſſe wachſen mußte;
weil die Braſilianer, — wenn auch noch nicht fuͤr
frey erklaͤrt, — doch ſchwer zur Arbeit zu gebrauchen
waren.


Seit 1525 Einfuͤhrung eines neuen Syſtems, indem
große Striche Landes einzelnen Familien oder Perſonen von
der Krone zu Lehen gegeben wurden, welche dieſe durch
Paͤchter demnaͤchſt cultiviren ließen. Außer den einheimi-
ſchen Producten ward ſchon damals das von Madeira dahin
verpflanzte Zuckerrohr gebaut. — Anlage von Staͤd-
ten
, Fernambucco — St. Salvador — Rio Janeiro u. a.
Auf gleiche Weiſe wie Spanien behielt ſich auch Portugal den
Alleinhandel vor, der durch eine, jaͤhrlich im Maͤrz
abgeſandte, Flotte betrieben ward.


13. Wenn gleich Spanier und Portugieſen noch
keine andere maͤchtige Rivale in Europa fanden, —
denn einzelne Entdeckungsverſuche von Britten und
Franzoſen blieben noch ohne Folgen; — ſo entſtand
doch ein Zwiſt unter ihnen ſelber uͤber die ſo wichtigen
Molucken, deren Lage, im Verhaͤltniß gegen die
paͤbſt-
[91]B. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1517--1555.
paͤbſtliche Demarcationslinie, ungewiß war. Er
fuͤhrte zu der erſten Umſchiffung der Erde,
die zwar nicht den Streit uͤber die Molucken beendigte,
aber durch ihre Folgen fuͤr Geographie und Schifffahrt
hoͤchſt wichtig wurde.


Reiſe des Portugieſen Ferd. Magelhaens, der,
beleidigt, in Spaniſche Dienſte trat; 1519—1522. Entdek-
kung der nach ihm genannten Durch fahrt ins Suͤd-
meer
, und alſo eines neuen Weges nach Oſtindien. Ent-
deckung der Philippinen, wo Magelhaens ſelber erſchla-
gen ward 1521. Aber ſein Hauptſchiff (die Vittoria)
kam nach Sevilla zuruͤck. — Beylegung des Streits uͤber
die Molucken durch einen Vergleich 1529. Carl V.ver-
kaufte
ſeine Anſpruͤche an Portugal fuͤr 350000 Ducaten.


Pigafetta (eines Begleiters von Magelhaens) Primo
viaggio intorno al globo terracqueo
.
Zuerſt vollſtaͤndig
herausgegeben von C. Amoretti. Milano 1800.


Dritter Zeitraum.
von 1556 bis 1618.

Allgemeine Hauptwerke:


  • J. A. Thuani hiſtoriarum ſui temporis L. CXXXVIII. ab
    a. D. 1543. usque ad a.
    1607. — Die beſte Ausgabe Lon-
    dini 1703. 7 Voll. fol.
    — Als allgemeine Geſchichte
    kuͤndigt der Verfaſſer ſein Meiſterwerk gleich anfangs ſelber
    ausdruͤcklich an.
  • Fr. Ch. Khevenhuͤller Annales Ferdinandei, von 1578
    bis 1637. Leipzig 1716—1726. 12 Voll. fol. — Zwar ohne
    alle
    [92]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
    alle kuͤnſtliche Form, aber durch den Reichthum der Mate-
    rialien, und den Poſten des Verf., der k. Geſandte zu Ma-
    drid war, gleich wichtig. — Auszug daraus von Hrn. Hof-
    rath Kunde; Leipzig 1778. 4 Th. 8. Er geht bis 1594.

1. Der Zeitraum von Eliſabeth und Phi-
lipp
, von Wilhelm von Oranien und Hein-
rich
IV. weckt ſchon durch dieſe Nahmen Erinne-
rungen, die zugleich im voraus ſeinen Charakter im
Allgemeinen beſtimmen; als desjenigen, wo die Re-
formation die Haupttriebfeder der Europaͤiſchen Poli-
tik wurde. Was ließ ſich auch anders erwarten,
als gerade in dem Zeitpunkt, da ihr Sieg immer ent-
ſcheidender wurde, Philipp gegen ſie in offner
Fehde die Inquiſition, die Jeſuiten in gehei-
mer gegen ſie die Cabinette bewaffneten? Mit der
baldigen Aufloͤſung des Tridentiniſchen Concilii
mußten alle die alten Traͤume von einer Vereinigung
auf dieſem Wege, und die darauf gebauten Hoffnun-
gen, ohnehin verſchwinden.


Der große Einfluß der Jeſuiten auf die Cabi-
nette, beſonders als Beichtvaͤter, verbreitete ſich bereits in
dieſem Zeitraum uͤber die meiſten Laͤnder von Europa; da
ſie in Portugall unter Sebaſtian herrſchten; in Spanien an
Philipp II., in Frankreich nach langem und heftigem Wider-
ſtande an Catharina von Medicis und den Guiſen, in
Deutſchland an Albrecht V. von Bayern u. a. maͤchtige Be-
ſchuͤtzer fanden; und nicht weniger im Norden (ſ. unten)
thaͤtig waren.


Gaͤnzliche Aufloͤſung des Tridentiniſchen
Concilii
, das, nach ſeiner Zerſprengung, ſich Jan. 1562

wie-
[93]C. Von 1556 bis 1618.
wieder verſammelt hatte, 4. Dec. 1563. Alle Gefahr davon
fuͤr ſich ſchien der Noͤmiſche Hof abgeleitet zu haben; als ihm
ein Moͤnch durch die Geſchichte desſelben, lange nach
ſeiner Beendigung, eine der tiefſten Wunden ſchlug.


Hiſtoria del Concilio Tridentino di Pietro Soave,
Polano. (Paolo Sarpi)
1619. 4. und ſeitdem oͤftrer.


2. Aus dem Gange aber, den die Reformation
genommen hatte, entwickelte ſich leider! eine Haupt-
idee, die als Grundlage der practiſchen Politik von
hoͤchſter Wichtigkeit wurde. Ihre Gegner ſahen
in ihren Anhaͤngern Feinde des Staats: und Ketzer
und Rebellen wurden ihnen gleichbedeutende
Worte; ihre Freunde ſahen in ihren Gegnern Ver-
theidiger der Tyranney; und ſo bildete ſich der Glau-
be: “daß die alte Religion das Bollwerk der unum-
„ſchraͤnkten Fuͤrſtenmacht, die neue Lehre das Panier
„der Freyheit ſey.” Ein eitler Wahn, in ſo fern
von der Lehre als ſolcher die Rede war, und durch
ſpaͤtere Erfahrungen uͤberfluͤſſig widerlegt; aber nicht
ohne Grund, ſo lange religioͤſe Partheyen noch ge-
zwungen wurden, auch politiſche Partheyen zu wer-
den. Aber wer war es, der ſie dazu zwang, und
warum zwang man ſie dazu?


3. Dieſe Ideen bildeten und befeſtigten ſich am
meiſten dadurch, daß in dieſem Zeitraum nicht wie
in dem vorigen Spanien und Frankreich, (welches
letztere durch ſeine inneren Unruhen und Stuͤrme zu
ſehr
[94]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſehr mit ſich ſelber beſchaͤftigt war,) ſondern
Spanien und England die rivaliſirenden Haupt-
ſtaaten wurden, zwey Maͤchte, nicht blos etwa ver-
ſchiedener Religion, ſondern, — jenes recht eigentlich
Vertheidiger des Catholiciſmus, ſo wie dieſes des
Proteſtantiſmus; — beyde ihre politiſche Exiſtenz
auf Religion gruͤndend.


4. Eine andere wichtige Verſchiedenheit des ge-
genwaͤrtigen Zeitraums von dem vorigen liegt in der
Trennung der Spaniſchen und der Deutſchen Kayſer-
krone. Die Kraft des Habsburgiſchen Hauſes wurde
ſchon an ſich dadurch geſchwaͤcht; ſie wirkte aber um
ſo viel mehr, da der perſoͤnliche Charakter der Regen-
ten der oͤſtreichiſchen Linie ſie eine andere Politik als
die von Philipp II. ergreifen machte; und mit der
Erhaltung der Ruhe in Deutſchland auch den Aus-
bruch eines allgemeinen Kriegs verhinderte.


Innere Verhaͤltniſſe des Oeſtreichiſchen Hauſes zu der
Spaniſchen Linie; ſeit dem Tode Ferdinand's 1564 noch durch
eine Theilung geſchwaͤcht. Entſtehung der Oeſtreichiſchen
und Steyermaͤrkiſchen Linie.


5. Eigentlicher Centralpunkt der practiſchen
Politik wurde aber die in den Niederlanden
ausgebrochene Revolution, da außer Spanien
auch allmaͤhlig England und Frankreich durch ſie be-
ſchaͤftigt wurden. Außer ihr erfordern es aber auch
die
[95]C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609.
die großen inneren, durch die Reformation in dieſer
Periode in den meiſten uͤbrigen Laͤndern Europas be-
wirkten Gaͤhrungen, und ihre Reſultate, wel-
che die kuͤnftige Geſtalt der Hauptſtaaten Europas
groͤßtentheils beſtimmten, einen Blick auf ſie zu
werfen.


I. Geſchichte der Entſtehung der Republik der vereinigten
Niederlande, und ihrer naͤchſten Folgen fuͤr Europa; von
ihrem Anfange bis zum 12jaͤhrigen Waffenſtill-
ſtande 1609.

Die Geſchichtſchreiber der Revolution der Niederlande
zerfallen in zwey Claſſen: die catholiſchen oder Spaniſch ge-
ſinnten, und die Proteſtanten. Unter denen der erſten ſteht
oben an:


Hiſtoria della guerra di Fiandra, deſcritta del Cardi-
nal Bentivoglio; in tre parti. 4. in Venezia
1670. Noch
immer das erſte Werk uͤber den Gegenſtand. Es geht bis
zum 12jaͤhrigen Waffenſtillſtande.


Fabiani Stradae de bello Belgico decades duae ab
exceſſu Carol. V. usque ad initium praefecturae Alexandri
Farneſ. principis, Francofurti
1651. 4. Faſt bloß Kriegs-
geſchichte.


Unter denen von der andern Seite, außer der allgemei-
nen Geſchichte der Republik der V. N. von Waagenaar,
und deſſen Abkuͤrzung von Totze (Halliſche Allg. Welth. B.
34. 35.) beſonders


Em. Meteren Niederlaͤndiſche Hiſtorien vom Anfang
des Kriegs bis 1611. Arnheim 1611. fol.


Van
[96]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Van der Vvnkt Geſchichte der vereinigten
Niederlande von ihrem Urſprunge im Jahr
1560 an bis zum Weſtphaͤliſchen Frieden
; Zuͤ-
rich 1793. B. I. II. III. 8. Von dem franzoͤſiſchen Ori-
ginale: Troubles de Pays-bas, ſollen nur 6 Exemplare ins
Publikum gekommen ſeyn. Der Verfaſſer, Mitglied des
Staatsraths von Flandern, hatte Zutritt zu den Archiven;
man haͤtte, dieſem zufolge, noch mehr Neues erwarten
duͤrfen; wenn man es ihm auch gern verzeiht, daß er nicht
zu den großen Geſchichtſchreibern gehoͤrt.


Geſchichte des Abfalls der vereinigten Nie-
derlande von der Spaniſchen Regierung, von
Fr. Schiller
. Leipzig 1788. 8. Geht nur bis zu Albas
Ankunft. Große Geiſter fuͤhlen es zuerſt ſelbſt, in welchem
Gebiet ſie einheimiſch ſind.


1. Aus der Staatsumwaͤlzung der Niederlande
ging eine Republik hervor. Aber die ganze An-
ſicht dieſer Begebenheit wuͤrde verruͤckt ſeyn, wenn
man dieſe Folge fuͤr den Zweck anſehen wollte.
Erhaltung ihrer alten Rechte gegen einzufuͤhrende
Neuerungen, war der ganze Zweck der Inſurgenten;
ſie wurden endlich nur Republikaner, — weil ſie kei-
nen fuͤr ſie paſſenden Herrn finden konnten.


2. Wenn man ſich alſo huͤten muß, in jene Be-
gebenheit die Ideen unſrer Zeit hineinzutragen, ſo
ergiebt ſich auch daraus, daß durch ſie gar keine neue
politiſche Idee ſofort in Umlauf geſetzt, am wenigſten
aber eine republikaniſche Gaͤhrung in Europa erzeugt
werden konnte. Eben deshalb alſo konnten auch die
politi-
[97]C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609.
politiſchen Folgen derſelben ſich erſt allmaͤhlig entwik-
keln; wurden aber dafuͤr auch deſto umfaſſender und
dauerhafter.


3. Umfang und Anſicht der damaligen Nieder-
lande; meiſt ſchon von dem herzoglich Burgundiſchen
Hauſe an das Habsburgiſche durch die Heyrath Phi-
lipps von Oeſtreich mit Maria, der Erbtochter Carls1477
des Kuͤhnen, gekommen; jedoch erſt unter CarlV.
ſo arrondirt, daß die ſaͤmmtlichen Belgiſchen ſo-
wohl als Bataviſchen Provinzen, 17 an der Zahl,
ihm gehorchten. Bildeten ſie gleich unter einem ge-
meinſchaftlichen Oberherrn jetzt Einen Staat, ſo war
dieſer doch aus eben ſo vielen einzelnen Staaten, de-
ren jeder ſeine Staͤnde und ſeine Verfaſſung, man-
che auch ihren Statthalter hatten, zuſammengeſetzt.
Doch waren allgemeine Verſammlungen der
Staͤnde
aller Provinzen nicht ungewoͤhnlich; und
bey der Abweſenheit des Fuͤrſten, ſeit dem Beſitz des
Spaniſchen Throns, pflegte ein Oberſtatthalter
deſſen Stelle zu vertreten, dem 3 hohe Collegien, der
Staatsrath, Geheime (Juſtiz) Rath und Fi-
nanzrath
zur Seite ſtanden. Ein allgemeines
Appellationstribunal bildete der hohe Rath zu
Mecheln.


Die 17 Provinzen waren: 4 Herzogthuͤmer, Brabant,
Limburg, Luxemburg, Geldern; 7 Grafſchaften, Flandern,

GArtois,
[98]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Artois, Hainault, Holland, Zeeland, Namur, Zuͤtphen;
1 Markgrafthum Antwerpen; 5 Herrſchaften: Mecheln,
Friesland, Utrecht, Groͤningen, Overyſſel. — Cambray
und Franche Comté wurden als abgeſondert betrachtet.


4. Wenn aber den Fuͤrſten hier die ſtaͤndiſchen
Formen beſchraͤnkten, ſo beſchcaͤnkte ihn noch weit
ſtaͤrker der Geiſt des Volks. In ſeiner Ver-
faſſung ſah es ſein Gluͤck; und darin lag ſeine
Kraft. Das Gefuͤhl des hohen Wohlſtandes und
Reichthums, — die Frucht des alten Handels
der Belgiſchen Staͤdte, — unter dem Schutz jener
Verfaſſung erworben, machte ſie ihm theuer. Es
gab kaum ein Volk leichter zu regieren, wenn man
ſeine Rechte unangetaſtet ließ; aber auch hartnaͤk-
kiger zum Widerſtande, wenn man ſein Heiligthum
angriff.


5. Lage der Provinzen beym Regierungsantritt
Philipp'sII. Den Keim zu den kuͤnftigen Stuͤr-
men hatte hier ſchon lange die Reformation ge-
legt, die in einem Lande, wo es der durch Reich-
thum und Geburt unabhaͤngigen Menſchen ſo viele
gab, jedoch — was fuͤr die Folge entſcheidend
ward — weit mehr in den Bataviſchen als den
Belgiſchen Provinzen, einen großen Eingang ge-
funden hatte. Nur der Wiederausbruch des
Krieges mit Frankreich
, der Philipp's Auf-
enthalt
[99]C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609.
enthalt in den Niederlanden verlaͤngerte, erhielt
wahrſcheinlich hier die Ruhe; allein der Friede
zu Chateau Cambreſis, der ihn endigte, war
auch der Vorbote des Sturms.


Bruch des Waffenſtillſtandes von Vaucelles (ſ.
oben S. 69.) auf Anſtiften des Pabſtes PaulIV., und
Erneuerung des Kriegs, (der durch die Hereinziehung
Englands durch PhilippII. einen noch groͤßern Umfang
erhielt;) aber ſowohl in Italien als an den Grenzen der
Niederlande meiſt ungluͤcklich von Frankreich gefuͤhrt. Nie-
derlage der Franzoſen bey St. Quentin 10. Aug. 1557;
und Verluſt dieſer Feſtung. Dagegen Eroberung von Ca-
lais
durch den Herzog von Guiſe 8. Jan. 1558. Neue
Niederlage bey Grevelingen 13. Jul. 1558. Friede zu
Chateau Cambreſis 3. April 1559. Wechſelſeitige
Herausgabe der eroberten Plaͤtze; (nur blieb Frankreich
vors erſte Calais.) Reſtitution des H. Em. Philibert von
Savoyen (Philipp's ſiegreichen Feldherrn); Doppelheyrath
des Franzoͤſiſchen und des Spaniſchen und Savoyiſchen Hau-
ſes; und geheime Verabredung und Entwuͤrfe
zur Ausrottung der Ketzerey
, durch den Einfluß
der Guiſes in Frankreich und Granvella's in Spanien —
(einzelne Machthabende ſind gewoͤhnlich die Urheber der
großen Stuͤrme) — befoͤrdert.


6. Laute Klagen der Niederlaͤnder noch vor
Philipp's Abreiſe nach Spanien, theils uͤber die
Spaniſchen Beſatzungen, theils uͤber die
Strafedicte (Placate) gegen die Ketzer.
Aber weder die Aeußerungen Philipp's, noch ſeine
Einrichtungen, indem er ſeine Halbſchweſter Mar-
garetha
von Parma, unter dem Beyſtande von
G 2Gran-
[100]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Granvella, zur Oberſtatthalterin erklaͤrte, gaben
Hoffnung zur Abaͤnderung; und die geſchaͤrften
Strafedicte ſeit ſeiner Ruͤckkehr nach Spanien, und
Veraͤnderungen in der Hierarchie, ließen
nebſt dem Falle der ſtaͤndiſchen Verfaſſung zugleich
Einfuͤhrung der Spaniſchen Inquiſition
beſorgen.


Verſammlung der allgemeinen Staͤnde vor ſeiner
Abreiſe (Herbſt 1559). — Ob die gefuͤrchtete Inquiſi-
tion
nur die, von Carl V. zur Vollziehung ſeiner Edicte
eingefuͤhrte, oder foͤrmliche Spaniſche Inquiſition ſeyn
ſollte, mochte wohl bald ziemlich gleichguͤltig werden. Der
Schrecken davor war aber bey den Altglaͤubigen nicht
weniger groß als bey den Neuglaͤubigen; und daher
Verbreitung der Gaͤhrung durch alle Provinzen.


7. Wie gehaͤſſig aber auch die Tyranney Phi-
lipp's erſcheint, ſo darf die unpartheyiſche Ge-
ſchichte doch den Geſichtspunkt nicht vernachlaͤſſigen,
aus dem Er die Sache anſah. In ſeinen Augen
war Einheit des Glaubens das einzige Fundament
der Ruhe des Staats, und zunaͤchſt deshalb ſein
Ziel. Auferzogen in dieſen Ideen glaubte er in der
Geſchichte der Zeit davon allenthalben die Beſtaͤti-
gung zu ſehen. Nur zu der Anſicht konnte ſein ſtets
thaͤtiger, aber beſchraͤnkter Geiſt ſich nicht erheben,
daß die Gegenmittel viel ſchlimmer als die vermeinten
Uebel waren, und doch zuletzt vergeblich ſeyn mußten.


Statt-
[101]C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609.

Statthalterſchaft der Margaretha von Parma 1559
— Sept. 1567. Die Abrufung des verhaßten Granvella
1562 konnte nichts weſentliches aͤndern, da die genomme-
nen Maaßregeln nicht bloß ſeine, ſondern Philipp's waren.


8. Ausbruch der Unruhen, ſobald ſeit der Un-
terzeichnung des Compromiſſes ein Mittelpunkt
ſich bildete. Aber allerdings ſo ſchlecht geleitet, daß
die im Spaniſchen Cabinet im Geheim beſchloſſene
Unterdruͤckung des Aufſtandes durch eine gewaff-
nete Macht
nicht ſehr ſchwer ſcheinen konnte. Wie
leicht waͤre ſie auch geweſen, haͤtte man mit dem
Nachdruck zugleich ein kluges Nachgeben zu verbin-
den gewußt! Aber die Wahl des Anfuͤhrers
entſchied hier Alles; und jede Hoffnung mußte ver-
ſchwinden, ſobald der Herzog von Alba dazu er-
nannt war.


Unterzeichnung des Compromiſſes in Bruͤſſel Nov.
1565, und foͤrmliche Uebergabe an die Statthalterin, 5.
April 1566. Die Geuſen. Maaßregeln Philipp's, die
Spaniſchen Truppen in Italien unter Alba nach den Nie-
derlanden zu ſchicken, der an ihrer Spitze im Auguſt 1567
mit ſolchen Vollmachten dort anlangte, daß die Statthal-
terin ihren Abſchied nahm.


9. Schreckenregierung von Alba. Die1567
bis
1573

Verhaftung der im Lande gebliebenen Haͤupter, be-
ſonders der Grafen Egmond und Hoorne, und
die Errichtung eines Blutgerichts, des Raths der
Unruhen
, ſollte den Aufſtand daͤmpfen, und die
G 3Ketze-
[102]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Ketzerey ausrotten; aber die Tyranney ſchlug, wie
gewoͤhnlich, ſich ſelbſt; bey der ſo erzwungenen Ruhe
blieb die Gefahr, welche die Auswanderung vie-
ler Tauſenden von allen Staͤnden drohte, um ſo mehr
außerhalb ihres Geſichtskreiſes, als die Einziehung
ihrer Guͤter innerhalb desſelben lag.


Allgemeine Achtserklaͤrung der Niederlaͤnder als Ver-
brecher gegen die k. Majeſtaͤt. — Zahlloſe Hinrichtungen,
beſonders die von Egmond und Hoorne, 5. Juni 1568.
— Und doch wirkte die Einfuͤhrung des zehnten Pfen-
nigs 1569 mehr als die Einfuͤhrung des Blutgerichts!


10. So ruhte alſo faſt die ganze Hoffnung der
Befreyung auf einer Schaar Emigranten. Und
was war von dieſer zu hoffen, waͤre nicht Prinz
Wilhelm von Oranien unter ihr geweſen, der einzige
Mann fuͤr die einzige Lage; als Feldherr von vielen,
als Haupt und Fuͤhrer einer Inſurrection von keinem
uͤbertroffen. Wer haͤtte außer ihm es vermocht, zu-
ſammenzuhalten, was ſtets ſich trennen wollte? Wer
richtete ſo viel mit ſo wenigem aus? Und wer ver-
ſtand es ſo wie Er, zugleich redlich fuͤr ſein Vater-
land, und doch auch fuͤr ſich ſelbſt zu arbeiten?
Aber die erſten Verſuche zur Befreyung konnten kaum
gelingen, da im offnen Felde der Kampf zu ungleich
war, und der Mangel an Geld den laͤngern Unter-
halt einer Armee unmoͤglich machte. Die Waſſer-
geuſen
mußten erſt die ſchwache Seite der Spa-
nier
[103]C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609.
nier entdecken; bis die Einnahme von Briel
nicht nur die eigentliche Inſurrection zum Ausbruch
brachte, ſondern auch, indem ſie die noͤrdlichen
Provinzen zu ihrem Hauptſchauplatz machte, im vor-
aus dadurch die Zukunft beſtimmte. Die Staͤnde
von Holland, Zeeland und Utrecht, ernennen
Wilhelm von Oranien zum koͤniglichen Statt-
halter
.


Mißlungene Einfaͤlle des Grafen Ludwig von Naſſau
in Friesland, und ſeines Bruders, des Prinzen, in Bra-
bant, 1568. — Entſtehung und Wachsthum der Waſſergeu-
ſen ſeit 1570, indem der Prinz Kaperbriefe ausgiebt. —
Eroberung von Briel, 1. April 1572; und Ausbruch der
Inſurrectionen in den meiſten Staͤdten von Holland und
Zeeland, die Alba mit ſeinen wenigen Truppen zwar ein-
zeln, aber nicht allenthalben, unterdruͤcken konnte.


11. Wie ſchwach aber auch die Huͤlfsmittel der
Inſurgenten waren, ſo durften ſie doch an fremder
Huͤlfe nicht verzweifeln. Ihre Sache wurde immer
mehr Sache des Proteſtantiſmus, und damit zugleich
der allgemeinen Politik. Die proteſtantiſchen Fuͤrſten
Deutſchlands, die Hugenotten in Frankreich, eben
damals im Kampfe fuͤr ihre Rechte, vor allen aber
Eliſabeth in England, die Rivalin von Philipp,
ſchienen die Sache der Inſurgenten als ihre eigene be-
trachten zu muͤſſen. Aber die erſten mochten nicht
viel helfen, die anderen konnten es nicht, und Eli-
ſabeth — that es nicht umſonſt. Es gehoͤrte die
G 4ganze
[104]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ganze Thaͤtigkeit und Vorſicht des Prinzen dazu, dieſe
Verhaͤltniſſe zu nutzen, waͤhrend er im Innern mit
noch groͤßern Hinderniſſen, die Religions- und Fami-
lien-Eiferſucht erregten, zu kaͤmpfen hatte.


Die Huͤlfe Deutſcher Fuͤrſten und des Deut-
ſchen Reichs
war die erſte, welche der Prinz nachſuchte;
aber wenn auch bey Einzelnen nicht ganz umſonſt, ſo ver-
hinderte die Familienverbindung Oeſtreichs und Spaniens
ſchon eine allgemeine Theilnahme. — Viel wichtiger war
der Einfluß der Hugenotten-Unruhen; ſowohl durch
die Hoffnungen, die ſie unterhielten, als die perſoͤnlichen
Verbindungen des Prinzen in Frankreich. Aber nach der
ſchrecklichen Bartholomaͤusnacht (24. Aug. 1572) wie
konnten ſie Fremden helfen? — Nur Eliſabeth's
Theilnahme, (die von Daͤnemark und Schweden ward
ganz umſonſt nachgeſucht;) fuͤhrte endlich zu großen Re-
ſultaten. Aber man fuͤhlte es bald, vielleicht mehr als
man ſollte, daß der Freund leicht noch gefaͤhrlicher als der
Feind werden konnte. Erſt als es zur offenen Fehde
zwiſchen ihr und Spanien kam (1587), war aufrichtige
Freundſchaft moͤglich. Und waͤre ſie uͤberhaupt wohl moͤg-
lich geweſen, haͤtte Eliſabeth es damahls zu ahnen ver-
mocht, wie die Seemacht und der Seehandel der werden-
den Republik in ein paar Decennien den von England uͤber-
fluͤgeln wuͤrde?


13. Nach Alba's Abgang neue und hoͤhere
Gefahren unter ſeinem Nachfolger Zuniga y Re-
queſens
; durch deſſen groͤßere Maͤßigung, durch
die Niederlage auf der Mooker Haide, und die
Angriffe auf Holland und Zeeland herbeygefuͤhrt.
Aber die Meutereyen der nie bezahlten Spaniſchen
Trup-
[105]C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609.
Truppen, und noch zu rechter Zeit der Tod von Re-
queſens kamen dem Prinzen zu Huͤlfe, als er ſchon
ſelber faſt verzweifelte. Das Project, einen feſtern
Mittelpunct der Inſurrection zu bilden, gelingt zuerſt
durch die engere Vereinigung Hollands und
Zeelands
; allein die entſetzliche Pluͤnderung
von Antwerpen
trug vorzuͤglich dazu bey, daß
in der Vereinigung von Gent 5 der Batavi-
ſchen und 6 der Belgiſchen Provinzen zu der gemein-
ſchaftlichen Vertheidigung, — jedoch noch ohne Phi-
lipp den Gehorſam aufzuſagen — zuſammentraten.


Abgang Alba's im Dec. 1573. — Statthalterſchaft
ſeines Nachfolgers Requeſens bis 5. Maͤrz 1576. — Nie-
derlage und Tod des Grafen Ludwig von Naſſau und ſeines
Bruders Heinrich auf der Mooker Haide bey Nimwegen,
14. April 1574. — Waͤhrend der Zwiſchenherrſchaft des
Staatsraths nach Requeſens Tode Pluͤnderung Antwerpens
durch die Spaniſchen Soldaten, 4. Nov. — Genter
Friede
, 8. Nov. 1576.


14. Allein die Raͤnke des neuen Statthalters
D. Juan, der um jeden Preis den Frieden erkaufen
zu wollen ſchien, da er ſelbſt den Genter Frieden an-
nahm, erforderten die ganze Wachſamkeit des Prin-
zen, und nur die Feſtigkeit, die er Holland und Zee-
land einfloͤßte, vereitelte die Spaniſchen Projecte.
Aber indem der Genter Vertrag von ſelber zerfiel,
befeſtigte ſich zugleich die Ueberzeugung, daß nur
durch eine engere Verbindung der noͤrdlichen Pro-
G 5vinzen,
[106]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
vinzen, und nur durch eine gaͤnzliche Losſagung von
Spanien die Freyheit gerettet werden koͤnne. So
wurde durch den Prinzen der Utrechter Vereini-
gung
vorgearbeitet, der eigentlichen Baſis der kuͤnf-
tigen Republik; wiewohl auch ſelbſt durch ſie eben ſo
wenig eine Republik ohne Fuͤrſten, als eine bloß Ba-
taviſche Republik gegruͤndet ward. Auch von den
ſuͤdlichen Provinzen mochte beytreten, wer wollte,
wenn nur die noͤrdlichen feſt vereinigt waren.


Abſchließung der Utrechter Union, 23. Jan. 1579, zwi-
ſchen Holland, Zeeland, Utrecht, Geldern, und dem Groͤ-
ninger Lande. Beytritt von Friesland und Overyſſel, 11.
Juni; auch Gent, Antwerpen, Breda und andere Belgiſche
Staͤdte traten bey.


15. Und doch ſchien, als nach Don Juan's
Tode der Herzog Alexander von Parma vom
Koͤnig zum Oberſtatthalter ernannt wurde, erſt der
gefaͤhrlichſte Zeitraum zu kommen. Wer verdiente
es mehr wie Er, dem Prinzen gegenuͤber geſtellt zu
werden? Philipp verdankte ihm die Wieder-Un-
terwerfung der Belgiſchen Provinzen
; viel-
leicht war aber eben dieſe gaͤnzliche Trennung das
groͤßte Gluͤck fuͤr die Sache. Das Beduͤrfniß frem-
der Huͤlfe
, woran man noch immer die Idee von
fremder Oberherrſchaft knuͤpfte, war noch nie
ſo dringend; und indem dieſe fremde Huͤlfe wirklich
jetzt bald nachdruͤcklicher geleiſtet wurde, ward eben
dadurch
[107]C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609.
dadurch der politiſche Wirkungskreis der Inſurrection
um vieles erweitert; aber um aus ihr eine Republik
hervorgehen zu machen, mußte erſt ein neuer Schlag
auch neue Beduͤrfniſſe erzeugen.


Statthalterſchaft Alexander's von Parma, 1.
Oct. 1578 bis 2. Dec. 1592. Ruͤckkehr der Walloniſchen
Provinzen unter Spaniſche Herrſchaft durch den Vergleich
vom 21. Mai 1579. — Allmaͤhlige Unterwerfung der uͤbri-
gen durch die Einnahme der Staͤdte, bis zur Eroberung
von Antwerpen
, 17. Aug. 1585. — Dagegen von den
vereinten Provinzeu Uebertragung der conſtitutio-
nellen
Oberherrſchaft an den Herzog Franz von An-
jou
, 1581 — 1583, und nun erſt gaͤnzliche Losſagung von
Spanien, 26. Jul. 1581. Allein nur ein groͤßerer Mann,
als der Prinz von Oranien ſelber war, haͤtte ſich damals
noch neben ihm als Oberherr geltend machen koͤnnen. — Ab-
gang des Herzogs von Anjou, Jun. 1583.


16. Ermordung des Prinzen, als er der
Gelingung ſeines lange vorbereiteten Plans, ſelber
von den Staͤnden zum Grafen (conſtitutionellen Ober-
herrn) von Holland und Zeeland ernannt zu werden,
faſt ſchon gewiß zu ſeyn ſchien. Nur die perſoͤnliche
Autoritaͤt konnte dahin fuͤhren; und wenn gleich ſein
Sohn Moritz in ſeinen Stellen ſein Nachfolger wur-
de, ſo uͤbten doch ſchon die Staaten von Holland
und Zeeland, indem ſie ihn dazu ernannten, einen
Souverainitaͤtsact aus. Aber unter dem Drange der
Umſtaͤnde war man auch jetzt noch gern bereit, ſich
Eliſabeth zu unterwerfen; und was moͤchte, trotz
ihrer
[108]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ihrer Weigerung der Oberherrſchaft geworden ſeyn,
haͤtte ſie die Leitung ihrer Angelegenheiten geſchicktern
Haͤnden, als denen des Grafen Leiceſter, anver-
traut? Indem aber gerade damals in Oldenbar-
neveld
der unerſchrockne Vertheidiger der ſtaͤndi-
ſchen Rechte als Landſyndikus von Holland auf ſeinen
Poſten kam, ward dadurch auch die kuͤnftige Form
der Republik entſchieden.


Nach der Ermordung von WilhelmI., 10. Jul.
1583, wird Moritz als Statthalter von Holland und Zee-
land, nachmals auch von 4 der uͤbrigen Provinzen aner-
kannt, jedoch ein [Staatsrath] ihm an die Seite ge-
ſetzt. — Uebereinkunft mit Eliſabeth, die gegen
Verpfaͤndung dreyer Haͤfen Huͤlfsvoͤlker ſendet; aber
auch dem Grafen einen ſolchen Einfluß ſichert, daß ſie durch
ihn zu herrſchen hofft. — Fehde des Grafen mit den Staa-
ten bis zu ſeinem Abgang, Dec. 1587.


17. Allein bey weitem die wichtigſte Folge jener
Verhaͤltniſſe mit England nicht bloß fuͤr die ſich bil-
dende Republik, ſondern fuͤr Europa, war der offene
Krieg
, in den Eliſabeth dadurch mit Spanien
gerieth, weil ſie darin gerathen wollte. Das ge-
meinſchaftliche Intereſſe beyder Staaten erlaubte ſeit-
dem keine Trennung mehr; und die Niederlage
der unuͤberwindlichen Flotte
gab nicht nur
die beſte Buͤrgſchaft der Unabhaͤngigkeit der Repu-
blik, ſondern eroͤffnete auch durch die Befreyung des
Oceans fuͤr beyde Staaten die unermeßliche Lauf-
bahn
[109]C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609.
bahn, auf der ſie ſeitdem den Gipfel ihrer Groͤße und
ihres Ruhms erreichten.


Urſache des Grolls zwiſchen Philipp II. und Eliſabeth,
durch Religion und Politik theils in den Europaͤiſchen, theils
außereuropaͤiſchen (ſ. unten Geſch. d. Colonien) Verhaͤlt-
niſſen gegruͤndet. Die Beleidigungen durch Capereyen, und
vorher heimliche, jetzt oͤffentliche, Unterſtuͤtzung der Nieder-
laͤnder erzeugen das Project der Eroberung Englands,
gegruͤndet auf Schenkung des Pabſtes, zugleich als ſicheres
Mittel zur Daͤmpfung der Niederlaͤndiſchen Inſurrection,
1587. Zug der unuͤberwindlichen Flotte und ihr Schickſal,
Juli bis Oct. 1588; und Fottſetzung des Spaniſchen
Kriegs von Eliſabeth bis an ihren Tod 1603.


18. Mit dieſer Ueberlegenheit zur See traten
aber zugleich mehrere andere Urſachen ein, welche der
Republik ihre Unabhaͤngigkeit immer mehr ſicherten;
aber dafuͤr ſie auch immer tiefer in die allgemeine Po-
litik verflochten. Die Theilnahme Philipp's an den
Franzoͤſiſchen Haͤndeln zu Gunſten der Ligue gegen
Heinrich IV. bewogen ihn, den Herzog von Parma
mit dem groͤßern Theil ſeiner Truppen nach Frank-
reich zu ſchicken. Der Tod dieſes Feldherrn und die
Thronbeſteigung Heinrich'sIV. waren zwey neue
Grundſteine ihrer Freyheit, da Heinrich es ſelber ge-
rathen fand, ſich mit ihnen zu verbinden, als er
foͤrmlich den Krieg gegen Spanien erklaͤrte. So von
Frankreich und England anerkannt, unter Moritz
ſiegreich im Land- und Belagerungskriege, und Herren
des
[110]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
des Meers, — welche Hoffnung konnte Philipp
noch haben, ſie zu unterjochen? Auch ſchien er ſel-
ber davon uͤberzeugt, als er kurz vor ſeinem Tode
ſeine Niederlande ſeiner Tochter Iſabella Eugenia
zur Mitgift gab. Dennoch dauerte unter ſeinem
Nachfolger PhilippIII. der Kampf noch bis zum
Jahre 1609 fort, als nach dem Frieden Spaniens
mit Frankreich zu Vervins und nach dem Tode
1603Eliſabeth's dem mit Jacob I. die Niederlaͤnder
allein ihn fortſetzen mußten; und ward auch dann
weil ſich Spanien nicht zu viel vergeben wollte, —
nicht durch einen Frieden, ſondern nur einen 12jaͤh-
rigen Waffenſtillſtand
unterbrochen, wodurch
jedoch die Unabhaͤngigkeit der Republik ſchon ſtill-
ſchweigend anerkannt war.


Feldzuͤge des Herzogs von Parma in Frankreich 1590
— 1592. Sein Tod 2. Dec. 1592. — Buͤndniß Heinrich's
IV. mit den Niederlaͤndern, und Kriegserklaͤrung gegen
Spanien, Jan. 1595. — Verluſt und Wiedereroberung
von Amiens 1597. Separatfriede zu Vervins, 2. May
1598. Uebergabe der Spaniſchen Niederlande durch Philipp
II. an ſeine Tochter Clara Iſabella Eugenia, zur
Mitgift bey ihrer Vermaͤhlung mit Erzh. Albrecht von
Oeſtreich 1598. — Tod von PhilippII., 13. Nov. 1598.
— Matte Fortſetzung des Landkriegs unter ſeinem Nachfol-
ger PhilippIII. Aber lebhafter Seekrieg, und gluͤckliche
Expedition unter Jacob Heemskerk gegen die Spaniſche Kuͤ-
ſte 1607. — Erſter Anfang von Unterhandlungen 1607,
aufgehalten durch Heinrich'sIV. Einmiſchung, (der ſeine
Abſichten hatte;) durch den Streit uͤber den Religionszu-
ſtand, und die oſtindiſche Schifffahrt. Abſchluß des

12jaͤh-
[111]C. 1. Entſt. d. Rep. d. verein. Niederl. -- 1609.
12jaͤhrigen Waffenſtillſtandes mit den Erzherzogen
und Spanien 9. April 1609.


19. Auf dieſe Weiſe hatte ſich in der Mitte des
monarchiſchen Staatenſyſtems von Europa eine Re-
publik gebildet, die aber auch ſchon waͤhrend ihrer
Entſtehung ſo innig in die Verhaͤltniſſe dieſes Sy-
ſtems verflochten war, daß ihre thaͤtige Theilnahme
an den Welthaͤndeln nicht unterbleiben konnte. Sie
war ſelber zu einem Ziele gelangt, das ſie ſich nicht
vorgeſteckt gehabt hatte; ihre innere Verfaſſung hatte
ſich daher auch nicht umgebildet, ſondern nur nach
momentanen Beduͤrfniſſen fortgebildet: was Wunder,
daß ſie ſehr unfoͤrmlich blieb? Aber das Ueberge-
gewicht der Provinz Holland ließ die Maͤngel einer
Foͤderation weniger fuͤhlen: die Entſtehung der Gene-
ralſtaaten ſeit 1592 gab einen Mittelpunkt fuͤr die
auswaͤrtigen Angelegenheiten, und ihre innere Feſtig-
keit verdankte ſie dem gluͤcklichen Umſtande, daß
durch die Statthalterwuͤrde und die des Landſyndicus
von Holland es ein paar Plaͤtze gab, in denen große
Maͤnner mit Kraft wirken konnten. Die jetzt folgen-
den Arminianiſchen Haͤndel, die ſogleich den
Kampf der Oraniſchen und Staͤndiſchen Parthey zum
Ausbruch, und Oldenbarneveld aufs Blutgeruͤſt1619
13.
Mai

brachten, zeigten aber auch, daß ſie den Keim ihrer
kuͤnftigen Aufloͤſung ſchon in ſich trug.


20. Wie
[112]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

20. Wie wenig aber auch die Entſtehung einer
ſolchen Republik den Charakter des monarchiſchen
Staatenſyſtems von Europa im Ganzen aͤnderte, ſo
wirkte ſie doch ſehr ſtark darauf ein. Einen ſolchen
Handelsſtaat
, eine ſolche Seemacht hatte
Europa noch nicht geſehen. Es war ein Gewicht
ganz neuer Art, welches dieſer Staat in die politiſche
Waagſchaale warf; und jene Gegenſtaͤnde erhielten
daher einen ganz andern Werth in der praktiſchen
Politik, als ſie bis dahin gehabt hatten. Der Saa-
me von vielem Guten und Boͤſen war aufgekeimt;
allein was gut oder boͤſe ſey, wußte man in der rei-
chen Saat noch wenig zu unterſcheiden. Hat man
es doch auch nachmals ſo wenig unterſcheiden gelernt!


II. Ueberſicht der gleichzeitigen Veraͤnderungen in den
uͤbrigen Hauptſtaaten des weſtlichen Europas, und
ihrer Reſultate.

1. Wenn gleich die Niederlaͤndiſche Revolution
die Theilnahme der Nachbarſtaaten erregte, ſo be-
ſchaͤftigte ſie ſie doch nicht ausſchließend. Auch ſie
ſelber erlitten Veraͤnderungen, wodurch ihre innern
wie ihre aͤußern Verhaͤltniſſe, wodurch alſo ihr poli-
tiſcher Charakter
beſtimmt ward. Wie ließen
ſich
[113]C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr.Hptſt. d. w Eur.--1618.
ſich daher, ohne dieſe Anſicht zu gewinnen, die
Geſchichte des Europaͤiſchen Staatenſyſtems weiter
fortfuͤhren?


2. Dieſe Veraͤnderungen giengen aber ſaͤmmt-
lich, entweder mittelbar oder unmittelbar, aus der
Reformation
hervor. Der durch ſie verbreitete
Gaͤhrungsſtoff wirkte ſehr verſchieden auf die einzel-
nen Staaten. Frankreich, Spanien, England und
Deutſchland ſind es, die hier vorzugsweiſe in Be-
trachtung kommen.


1. Frankreich.

3. Der gegenwaͤrtige Zeitraum war fuͤr Frank-1562
bis
1594

reich zuerſt uͤber 30 Jahre hindurch der Zeitraum
von Religions- und Buͤrgerkriegen, die ſelbſt den
Thron umzuſtuͤrzen drohten; ein großer Regent rette-
te es nicht nur von den Greueln der Anarchie, ſon-
dern erhob es in 15 Jahren zu einem Grade von
Macht, der ihm erlaubte, an eine politiſche Um-
ſchaffung Europa's zu denken; ſein Fall machte es1610
wieder zum Spielball der Factionen, bis Riche-
lieu
nach 14 Jahren mit feſter Hand das Staats-
ruder ergriff. Bey aller Verwirrung und allem1624
Wechſel dreht ſich doch aber die Geſchichte um
wenige Hauptperſonen, die auch hier den Beweis
Hgeben,
[114]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
geben, daß es in Zeitaltern großer Revolutionen
vielmehr die hervorragenden Charaktere als die
ſchlauen Koͤpfe ſind, welche den Gang der Bege-
benheiten beſtimmen.


  • Davila Iſtoria delle guerre civili in Francia. Venezia 1630.
    und nachher oͤfterer. Die beſte Franzoͤſiſche Ueberſet-
    zung
    von Mr. l'Abbé M. (Mallet) Amſterdam 1757. 2
    Voll.
    4. Der Verfaſſer, in Franzoͤſiſchen und Veneziani-
    ſchen Kriegsdienſten, war meiſt Zeitgenoß und ſelbſt Theil-
    nehmer der Begebenheiten.
  • (Anquetil) Eſprit de la ligue, ou hiſtoire politique des
    troubles de France pendant le 16. et 17. Siècle. Paris
    1771. 3 Voll.
    8. Von 1559 bis 1599. Sehr brauchbar fuͤr
    den Selbſtunterricht.

Von gleichzeitigen Memoires gehoͤren hieher beſonders:


  • Mémoires de Michael de Castelnau, ſervans à don-
    ner la vérité de l'hiſtoire des regues de François II.,
    Charles IX. et Henry III.
    (von 1559—1570) par J. G.
    Laboureur. Bruxelles 1731. fol.
    In der Collect. gén.
    T.
    41—46. Die Obſervations von Laboureur haben
    ſie ſo anſchwellen gemacht.
  • Mémoires de Tavannes, dépuis 1530 jusqu' à ſa mort
    1573 dreſſés par ſon fils, à Paris
    1574. 8. In der Col-
    lection gén. T.
    26. 27. — Fuͤr die letzten Jahre wichtig.
  • Mémoires de Brantome, à Leyde 1666. Vol. I—VI. 8. —
    Lebendige Schilderung der Ueppigkeit und Sittenloſigkeit des
    Zeitalters, beſonders in den hoͤhern Staͤnden; aus eigner
    Erfahrung.

4. Allgemeine Anſicht der Franzoͤſiſchen Buͤr-
gerkriege, zwar als Religionskriege, aber auch zu-
gleich als Verſuche der beyderſeitigen Chefs bey
der
[115]C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr.Hptſt. d. w. Eur.--1618.
der Schwaͤche der Koͤnige, ſich der Regierung zu
bemaͤchtigen. Die inneren Verhaͤltniſſe des Hofes
ſind daher eben ſo wichtig, als die Verhaͤltniſſe
der Religionspartheyen; denn die Elemente des
Kriegs lagen anfangs faſt noch mehr in der Eifer-
ſucht der Bourbons als Prinzen von Gebluͤt ge-
gen die maͤchtigen Familien des Hofadels, beſon-
ders der Guiſe, als in dem Religionsdruck.


5. Als aber einmal die Flamme zum Ausbruch
kam, und die Bourbons die Chefs der Hugenot-
ten
wurden, konnte an keine baldige Daͤmpfung
des Feuers zu denken ſeyn, da ſie zugleich durch
den Fanatiſmus und durch die perſoͤnlichen Leiden-
ſchaften der Anfuͤhrer angefacht ward. Auch waren
die drey erſten Religionskriege eigentlich nur Ein
Krieg, durch Waffenſtillſtaͤnde unterbrochen, die
man Frieden nennt, und ohne letztes Reſultat, da
man den Hugenotten ohngefaͤhr immer dasſelbe wie-
der bewilligen mußte, was ihnen das Edict des
edeln Kanzler's L'Hoſpital ſchon vor dem Kriege1562
17.
Jan.

hatte bewilligen ſollen. Aber der Fanatiſmus, der
ſtets ſeine Zeit haben muß auszutoben, blieb im
Steigen, und ſo konnte in einem ſo verwilder-
ten
Zeitalter eine Greuelſcene herbeygefuͤhrt werden,
wie die der Bartholomaͤusnacht, die jede An-1572
24.
Aug.

naͤherung der religioͤſen Partien, auch außerhalb
H 2Frank-
[116]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Frankreich, faſt um ein Jahrhundert zuruͤckwerfen
mußte.


Erſter Krieg Maͤrz 1562, geendigt durch das Edikt von
Amboiſe 19. Maͤrz 1563. — Zweyter Krieg Sept. 1567,
geendigt durch den Frieden zu Longjumean 23. Maͤrz 1568.
— Dritter Krieg Sept. 1568, geendigt durch den Frieden
zu St. Germain en Laye 8. Aug. 1570. Die Bartholo-
maͤusnacht hatte den vierten Krieg zur Folge, der durch
den Frieden von Rochelle endigte 24. Jun. 1573.


6. Bereits dieſe erſten Kriege hatten die Theil-
nahme von Fremden veranlaßt, da ſowohl Eliſabeth
als einige Deutſche Fuͤrſten den Hugenotten Huͤlfe
leiſteten. Indeß wurden fuͤr die allgemeine Politik
dieſe Stuͤrme erſt recht wichtig, als die Schwaͤche
des elenden Heinrich III. bey der Beylegung des
1576
Mai
fuͤnften Religionskrieges die Ligue veranlaßte —
einen Jakobinerbund, der nur die Farbe des Zeital-
ters trug. — Fuͤr einen Chef wie Heinrich von
Guiſe
ward nun der Thron ſelber das Ziel: war-
um ſetzte er ſich auch nicht darauf, da er bey der
1588
Mai
Flucht des Koͤnigs ſo gut wie erledigt vor ihm
ſtand? So fiel er bald als Opfer des Meuchel-
23.
Dec.
mords; aber die Frage uͤber die kuͤnftige Succeſſion
beſchaͤftigte nun, da Heinrich von Bourbon
Hugenot, und durch die Ermordung des letzten Va-
lois bald wirklicher Nachfolger war, nicht bloß
1589
1.
Aug.
Frankreich, ſondern auch das Ausland. Er mußte
ſeinen
[117]C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr.Hptſt. d. w. Eur.--1618.
ſeinen Thron ſich erkaͤmpfen; und fand er auch
einigen Beyſtand bey Eliſabeth, ſo war es doch die
Einmiſchung der Fremden, die den Kampf
ihm am meiſten erſchwerte und verlaͤngerte. Konnte
doch ſelbſt ſeine Abſchwoͤrung weder Philipp
II. noch den Pabſt bewegen, ihre Entwuͤrfe auf-
zugeben! Aber den Bourbons blieb der Thron,
weil ein großer Mann damals an ihrer Spitze ſtand.


Wenn gleich die Ligue bereits 1576 entſtand, und auch
wiederholte Ausbruͤche 1577 und 1579 (6. und 7. Krieg) zur
Folge hatte, ſo begann doch erſt ihre volle Wirkſamkeit, als
ſeit dem Tode des Herzogs Franz von Alençon (An-
jou) 10. Jun. 1584. das Ausſterben der Valois mit Hein-
rich III. gewiß ward. Daher ihre Erneuerung, ihr Cen-
tralpunkt in Paris durch die Sechzehner, und Erzwingung
des Edicts von Nemours gegen die Hugenotten 7. Jul.
1585, wovon der 8te Krieg 1585—1595, der erſt nach der
Einnahme von Paris 22. Maͤrz 1594 erſtarb, die Folge war.


7. Indem Frankreich auf dieſe Weiſe aus der
Anarchie gerettet ward, war aber darum doch die
Quelle dieſer Unruhen nicht verſtopft. Keine der
beyden Partheyen war vernichtet; und die der Hu-
genotten ohne ſichere politiſche Exiſtenz. Aber der
Fanatiſmus hatte ſich in etwas abgekuͤhlt; die Idee
von Toleranz war — Danck den ſeit L'Hoſpital ge-
ſchloſſenen Vertraͤgen — ſelbſt unter den Stuͤrmen
nicht ganz erſtorben: ein Regent, der wie Hein-
rich
IV. des Zutrauens genoß, vermochte viel; und
H 3ſo
[118]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
1598
13.
Apr.
ſo wurde das Edict von Nantes moͤglich, das
den Hugenotten ihre Rechte ſicherte. Gleichwohl
blieben ſie bewaffnete Parthey; und die Erhal-
tung der Rechte hieng unſtreitig weit mehr von der
Perſoͤnlichkeit des Monarchen und den Zeitumſtaͤn-
den, als von dem Edicte ab. Wie wohlthaͤtig
auch daher faſt fuͤr jede Art der Cultur die Hu-
genotten nachmals wirkten, ſo konnte doch die in-
nerliche Verfaſſung ſchwerlich einen feſten Charakter
annehmen, ſo lange die Regierung eine Oppoſition
zu fuͤrchten hatte, die von ehrſuͤchtigen Chefs ſo
leicht gemißbraucht werden konnte.


8. Deſto feſter aber beſtimmten ſich die For-
men der auswaͤrtigen Politik; und der unter-
brochene Einfluß Frankreichs auf das Europaͤiſche
Staatenſyſtem ward ſogleich mit ſeiner Wiederge-
burt fuͤhlbar. Der Haß gegen Spanien, deſſen
Uebermacht ohnehin noch immer das Schreckbild
von Europa blieb, war durch die Raͤnke Philipp's
waͤhrend der Unruhen tiefer wie je gewurzelt. Kaum
war die Ruhe in Frankreich befeſtigt, als auch
Philipp dem II. offener Krieg angekuͤndigt ward,
wovon eine Verbindung mit England und Holland
eine natuͤrliche Folge war. Sich uͤber die Reli-
gionsverhaͤltniſſe zu erheben, war ſtets der Vorzug
der Franzoͤſiſchen Politik.


Krieg
[119]C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr.Hptſt. d. w. Eur.--1618.

Krieg mit Spanien 1595, geendigt durch den Sepa-
ratfrieden zu Vervins 2. May 1598. (S. oben S. 110.)


9. Mit dem Gefuͤhl der durch Suͤlly's Ad-
miniſtration wachſenden Kraͤfte erwachten aber bald
neue Entwuͤrfe, die nicht bloß Frankreich betrafen,
ſondern das ganze Syſtem von Europa veraͤndern
ſollten. Die Idee von einer ſogenannten Europaͤi-
ſchen Republik
, oder einem Staatenverein, deſſen
Glieder ſich aͤhnlich an Macht, wenn gleich ver-
ſchieden in der Form, ihre Streitigkeiten durch ei-
nen Senat ſollten entſcheiden laſſen, war eine lange
gefaßte und tief gewurzelte Idee; ſchon mit Eliſa-
beth war ſie verhandelt. Ein Fuͤrſt, in einer Re-
volution aufgewachſen, die er ſelbſt ſiegreich been-
digte, war leicht auch nachmals fuͤr revolutionaire
Plaͤne empfaͤnglich, und ſein ganzes Zeitalter mit
ihm. Gieng aber das Project nur zunaͤchſt aus
dem Haſſe gegen Spanien und Oeſtreich hervor;
oder war es das Reſultat des Tiefblicks eines uͤber-
legenen Geiſtes, der die Unvermeidlichkeit einer all-
gemeinen Criſe, wie der dreyßigjaͤhrige Krieg ſie
bald herbeyfuͤhrte, ahnte, und ſich bey Zeiten zum
Herrn derſelben, und ſie fuͤr Europa wohlthaͤtig
machen wollte? Wie dem auch ſeyn mag, gewiß
hatte das Herz von Heinrich nicht weniger Antheil
daran, als der Kopf. Menſchen ſeiner Art be-
duͤrfen eines Ziels, das bey dem Aufwande ihrer
H 4Kraft
[120]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Kraft ihnen wohlthaͤtig vorleuchtet. Eben war Al-
les zur Ausfuͤhrung reif, als Ravaillac's Mord-
1610
14.
Mai
meſſer Alles vereitelte.


Wuͤrdigung des Projects und ſeiner Ausfuͤhrbarkeit nach
Suͤlly's Nachrichten. Vorbereitungen dazu in England,
Italien, Deutſchland, den Niederlanden. Der allgemeine
Haß gegen Spanien war die Triebfeder, und die eroͤffnete Juͤ-
lich-Cleviſche Erbſchaft
, 1609, (ſ. unten S. 125.),
da ſie zu Haͤndeln mit Oeſtreich fuͤhrte, ſollte den Vorwand
zum Losbrechen geben. Die 5 Wahlreiche und die Ueber-
laſſung beyder Indien an Spanien mag der neuern Politik
leicht Stoff zu Sarcaſmen darbieten. Aber die Uneigen-
nuͤtzigkeit
Heinrich's giebt dafuͤr eine große Lection! —
Bey allem dem war doch Schwaͤchung des Habsburgiſchen
Hauſes naͤchſter Zweck; das Project ſelber ſtand erſt im
Hintergrunde.


10. Wie traurig auch Heinrich's Ermordung
fuͤr Frankreich war, ſo iſt es doch ſchwer zu
ſagen, in wie fern ſie es fuͤr Europa geweſen ſey.
Sie rettete dasſelbe vor jetzt von einem großen
Kriege, deſſen Ausgang deſto ungewiſſer ſeyn muß-
te, da das Ziel ſo weit hinausgeſteckt war. Aber
Frankreich verlohr mit ihm und Suͤlly's Entfernung
durch das Gewuͤhl der Hoffactionen, die ſelbſt die
1621Buͤrgerkriege wieder entzuͤndeten, unter Ma-
ria's von Medici
Regentſchaft faſt allen aus-
waͤrtigen Einfluß. Was lag dem Auslande daran,
ob ein Marſchall von Ancre, oder ein Luynes
das Staatsruder fuͤhrte? Ein Gluͤck, daß das
Aus-
[121]C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr.Hptſt. d. w. Eur.--1618.
Ausland dieß nicht zu nutzen wußte. Erſt als es
Richelieu mit feſter Hand ergriff, begann auch1624
eine neue kraftvolle Einwirkung auf das neue Eu-
ropaͤiſche Staatenſyſtem.


Hiſtoire de la mère et du fils, c' eſt à dire de Marie
de Medicis femme du grand Henry; et mère de Louis
XIII. par L. F. Mezeray
(oder vielmehr von Richelieu)
à Amſterdam 1730. 2 Voll. 12. Geht bis 1620.


Vie de Marie de Medicis Reine de France et de Na-
varra. à Paris 1774. 3 Voll.
8.


2. Spanien.

11. Noch mehr als Frankreich erhielt Spa-
nien in dieſem Zeitraum durch Philipp II. ſeinen
beſtimmten Charakter. Nirgends wurde ſo wie hier
Catholiciſmus und ſeine Erhaltung die Grundlage
der Politik, und iſt es ſo geblieben. Die Folgen da-
von in Ruͤckſicht der auswaͤrtigen Verhaͤltniſſe wa-
ren Kriege mit halb Europa, Frankreich, den
Niederlanden, England. Konnte es aber fuͤr die
Nation ſelber ein Gluͤck ſeyn, wenn der großen
Ideenrevolution des Zeitalters bey ihr gar kein Zu-
gang verſtattet wurde? War nicht das Entbehren
aller der Vortheile, die ſich bey andern daraus
entwickelten, ein großer Verluſt? War nicht der
Stillſtand ſelber hier ſchon ein Ruͤckſchreiten?


H 512. Die
[122]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

12. Die Schaͤtze aus Amerika ſind daher ge-
wiß nicht die Haupturſache des Sinkens von Spa-
nien, die dem Geiſt angelegten Feſſeln, die An-
ſpruͤche auf Alleinherrſchaft des Meers, die Ver-
wickelung in alle Haͤndel der Nachbaren ohne allen
Gewinn waren es; ja ſelbſt das einzige gelungene
Projekt der Eroberung Portugals wurde ein
Ungluͤck fuͤr Spanien.


Einnahme Portugals und ſeiner Colonien nach dem Aus-
ſterben des dortigen Mannsſtamms, 1580. Wuͤchſen die
[Staatskraͤfte] in gleichem Verhaͤltniſſe mit den Qua-
dratmeilen
und der Seelenzahl, ſo haͤtte die glaͤn-
zende Periode Spaniens jetzt ja wohl anfangen muͤſſen?


  • Luis Cabrera de Cordoua Hiſtoria del Rey D. Phelipe
    II.; en Madrid 1719. fol.
  • The hiſtory of the King Philip II. King of Spain, by
    Rob. Watſon. Lond. 1777. 2 Voll.
    4. Leider! faſt bloße
    Erzaͤhlung der auswaͤrtigen Haͤndel.

13. So war es alſo PhilippII., der Spa-
nien zu dem machte, was es ſeitdem geblieben iſt.
1610Die Vertreibung der Mauriſken gab ihm einen neuen
1598
bis
1621
Hauptſtoß; und die, gleich unter PhilippIII.,
durch die Schwaͤche der Koͤnige zur Maxime wer-
dende Miniſterregierung mußte das Sinken
noch befoͤrdern, da man in der Wahl der dirigi-
renden Miniſter nie ſehr gluͤcklich war.


  • Hiſtory of the reign of Philipp III. by Watſon. London
    1783. 4. Die zwey letzten Buͤcher ſind von dem Herausge-
    ber ſupplirt.

3. Eng-
[123]C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr.Hptſt. d. w. Eur.--1618.
3. England.

14. Nicht weniger erhielt England ſeinen
Charakter als Staat in dieſem Zeitraum; und die-
ſen ihm gegeben zu haben, iſt eigentlich das große
Verdienſt Eliſabeth's. Auch hier ward Religion
die Baſis, aber Proteſtantiſmus; jedoch mit
Beybehaltung der hierarchiſchen Formen, als
Stuͤtze des Thrones, da der Koͤnig ſelber durch ſei-
nen Supremat Chef der Hierarchie war. So
ward Religion hier auf das tiefſte in die Verfaſ-
ſung verflochten; und die Ueberzeugung, daß beyde
zugleich ſtehen und fallen muͤßten, wurzelte immer
feſter bey der Nation.


15. Auch die Continental-Verhaͤltniſſe
beſtimmten ſich nun dadurch von ſelbſt. Eliſabeth
ſtand Philipp II. gegenuͤber, und der Kampf mit Spa-
nien, welcher alle Kraͤfte der Nation aufregte, war es,
der ihre Groͤße gruͤndete, indem er ſie auf die
Meere
trieb. Auf dieſe Weiſe ward der Prote-
ſtantiſmus die Grundlage der Brittiſchen Macht.
Das Intereſſe der Regierung und der Nation war
Eins; und als Eliſabeth's Nachfolger, — wenn
gleich dem Anſchein nach maͤchtiger durch den Be-
ſitz Schottlands
, — es trennen wollten, berei-
teten ſie ſich ſelbſt ihren Sturz.


Außer
[124]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Außer den Abſchnitten in den allgemeinen Geſchichten
von Hume und Rapin, noch beſonders:


Camdeni Annales rerum Anglicarum et Hibernica-
num regnante Eliſabetha; Lond.
1675.


de Keralio Hiſtoire d' Eliſabeth reine d'Angleterre.
Paris 1786. T. V.


4. Deutſchland.

16. Der gegenwaͤrtige Zeitraum iſt zwar in
Deutſchland wenig fruchtbar an einzelnen Begeben-
heiten, die das uͤbrige Europa ſehr intereſſirt haͤtten;
allein ſeitdem die Religion einmal die große Trieb-
feder der Politik geworden war, konnte auch das
Land, das ihre Wiege war, ſeine politiſche Wich-
tigkeit nicht verlieren. Waͤhrend ſich beyde Par-
theyen auch nach dem Frieden hier mißtrauiſch be-
obachteten, und kleine Vorfaͤlle dieß Mißtrauen
vermehrten, empfand man es im Auslande, daß
ein hier ausbrechender Krieg faſt nothwendig ein
allgemeiner Krieg werden mußte. Der perſoͤnliche

1564

1576
Charakter der Kayſer, ſowohl Ferdinand'sI.,
als ſeines milden Sohns MaximilianII. trug
viel dazu bey, den Frieden zu erhalten; auch Ru-

1612
dolphII. ließ gern die Welt in Ruhe, wenn ſie
ihn nur in Ruhe ließ.


17. Aber doch war es der Zeitraum, wo der
große Sturm ſich vorbereitete. Wenn bey den
beſtaͤn-
[125]C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr.Hptſt. d. w. Eur.--1618.
beſtaͤndigen Reibungen es an einzelnen kleinen Ver-
anlaſſungen zum Streit nicht fehlen konnte, ſo tru-
gen die Jeſuiten, ſeit Rudolph II. auch in Oeſt-
reich einheimiſch, redlich dazu bey, den Haß im-
mer mehr zu entflammen. Die Folgen davon wa-
ren Verbindungen auf beyden Seiten, die1608
4.
Mai
1609
30.
Aug.

proteſtantiſche Union unter Churpfalz, und die ca-
tholiſche Ligue unter Bayern. Unter ſolchen Um-
ſtaͤnden konnte die Erledigung eines maͤßigen deut-
ſchen Landes, wie Juͤlich, Cleve und Berg,
nicht nur Deutſchland ſelbſt, ſondern Europa in
die Gefahr eines allgemeinen Krieges ſtuͤrzen, der
nur durch die Ermordung Heinrich's IV. und die
innern Zwiſte im Oeſtreichiſchen Hauſe, da der in-
dolente RudolphII. aus dem Beſitz ſeiner ſaͤmmt-
lichen Laͤnder von ſeinem Bruder Mathias all-
maͤhlig verdraͤngt wurde, unterblieb. Aber die1611
weitere Entwickelung der Verhaͤltniſſe dieſes Hauſes,
da ſchon unter Mathias dem bigotten Ferdinand
von Steyermark
die Succeſſion zugeſichert, und
eine engere Verbindung mit der Spaniſchen Linie
zugleich eingeleitet ward, konnte nichts anders als
die truͤbſten Ausſichten eroͤffnen.


Die Erledigung von Juͤlich, Cleve und Berg im Maͤrz
1609 veranlaßte zunaͤchſt nur einen Streit zwiſchen Sachſen,
Brandenburg und Pfalz-Neuburg, welche beyde letztere ſich
in Beſitz ſetzten, und ſeit ihrem Vergleich zu Xanten 12.
Nov. 1614 auch darin blieben. Allein die Einmiſchung

fremder
[126]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
[f]remder Maͤchte machte den Streit ſo wichtig; da a.
der Kayſer das Land ſequeſtrirte, b. Heinrich IV. ſich da-
gegen mit der Union verband; und nach ſeiner Ermordung
c. auch der zwiſchen den poſſidirenden Fuͤrſten entſtandene
Streit Holland und Spanien hereinzog.


18. Zum Gluͤck fuͤr den Weſten von Europa
wurden in dieſem Zeitraum die Verhaͤltniſſe im
Oſten weniger drohend; wenn auch nicht viel fried-
licher. Der wilde Eroberungsgeiſt der Pforte er-
ſtarb mit Solyman II. Seine Nachfolger, im
Serail erzogen, erſchienen nicht leicht mehr an der
Spitze der Armeen; und die Nation ſelber erlitt
die Veraͤnderung, der kein geweſenes Nomadenvolk
entgeht; ohne daß deshalb eine ploͤtzliche Schwaͤche
davon die Folge waͤre. So gelangte Oeſtreich durch
langſame Fortſchritte doch immer mehr zum voͤlligen
Beſitz von Ungarn; allein das Verhaͤltniß Sie-
benbuͤrgens
, das ſeinen eigenen Fuͤrſten haben
wollte, wurde dagegen eine neue Quelle von Strei-
tigkeiten; und noch groͤßere ließ das Eindringen
der neuen Lehre
vorausſehen, wenn auch bereits
1606 ihren Bekennern freyer Gottesdienſt einge-
raͤumt ward.


Tod Solyman'sII. waͤhrend ſeines Feldzugs in Un-
garn 4. Sept. 1566. — Waffenſtillſtand auf 8 Jahre; wie-
derholt verlaͤngert bis 1593. Den Tuͤrken blieb noch immer
ein großer Theil von Suͤd-Ungarn. — Die große Nie-
derlage ihrer Flotte
, nach der Eroberung von

Cyprus
[127]C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr.Hptſt. d. w. Eur.--1618.
Cyprus, durch die Venezianer und Spanier bey Le-
panto
7. Oct. 1572. raubte ihnen auch das Uebergewicht
zur See. — Erneuerung des Ungarſchen Kriegs 1593 —
1606; die meiſten feſte Plaͤtze gehen an Oeſtreich uͤber;
wiewohl in dem 20jaͤhrigen Waffenſtillſtande 1606. die
Tuͤrken deren doch noch in Ungarn behalten.


19. Die Politik erſcheint in dieſem Zeit-
raum im Ganzen keinesweges in einer veredelten
Geſtalt; vom Fanatiſmus geleitet, erlaubte ſie ſich
Alles, was dieſer gut hieß. Wenn auch einzelne
ausgezeichnete Menſchen, wenn Heinrich, wenn
Oranien und Eliſabeth, ſich uͤber ihr Zeitalter er-
hoben, ſahen ſie ſich nicht ſtets von Complotten
von Meuchelmoͤrdern umgeben, und fielen zum Theil
als ihre Opfer? Der Einfluß der Geiſtlichkeit
wurde groͤßer, als er vorher geweſen war; und die
Jeſuiten waren leider! nicht die einzigen, die
ihn mißbrauchten. Was der Geiſt der Intoleranz
auch bey den Proteſtanten vermag, ſah man auch
in Holland und Sachſen nur zu deutlich!


20. Die Staatswirthſchaft zog in dieſem
Zeitraum weit mehr als vorher die Aufmerkſamkeit
auf ſich, weil die Noth dazu trieb. Sie erhielt
in Frankreich ihren Suͤlly; auch Eliſabeth em-
pfand ihre Wichtigkeit; aber die Einrichtungen der
Hollaͤnder wirkten am meiſten auch auf das Aus-
land zuruͤck.


Was
[128]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Was war Suͤlly's Syſtem? Kein anderes als das
der Ordnung und Sparſamkeit. Er ward dadurch
großer Reformator, weil große Mißbraͤuche herrſchten;
und eine hohe Kraft des Charakters ſeinen richtigen Ge-
ſchaͤftsblick unterſtuͤtzte. Neuere Schulen ſollten ſich nicht
auf ihn berufen; von ihren ſublimen Speculationen wußte
er nichts: nicht allgemeine Saͤtze, was fuͤr Frankreich
paſſe oder nicht, war ſeine Richtſchnur. Ein Gluͤck fuͤr ſei-
nen Ruhm, daß die Direction der Privatthaͤtigkeit damals
bey den Regierungen noch ſo viel weniger Sitte war!


  • Mémoires des royales Oeconomies d'Etat par Max. de Be-
    thune
    , Duc de Sully.
    Erſte Ausgabe 1650—1662. 4
    Voll. fol. Die letzte vollſtaͤndige Londres 1778. 10 Voll. 12.
    (Die Ausgabe par Mr. D. L. D. L. (de l'Ecluſe de Loges)
    Londres 1745. 3 Voll.
    4. iſt nicht bloße Moderniſirung, ſon-
    dern gaͤnzliche Umgießung in eine andere Form.) — Welch
    ein Schatz fuͤr die Nachwelt!
  • Eloge de Sully et des Oeconomies royales par Mirabeau.
    1789. 2 Voll.
    8.

In Holland erhielt das Syſtem der indirekten
Abgaben
zuerſt ſeine Ausbildung. Die Beduͤrfniſſe des
langen Krieges wurden großentheils durch die Acciſe be-
ſtritten, die auch andere Staaten nachmals einfuͤhrten, und
die fuͤr das neuere Europa um ſo viel wichtiger werden
mußte, da ihr Ertrag in gleichem Grade mit dem erhoͤhten
Luxus ſtieg.


21. Auf die Fortſchritte der Kriegskunſt
wirkten viele ihr guͤnſtige Umſtaͤnde ein. Das Sy-
ſtem der ſtehenden Truppen
ward in Frank-
reich
ſowohl als in Holland weiter ausgebildet;
bey HeinrichIV. nicht nur durch ſeine Lage, ſon-
dern auch wegen ſeiner großen Projecte; bey den
Niederlaͤndern durch das Beduͤrfniß waͤhrend des
langen
[129]C. 2. Veraͤnd. d. uͤbr.Hptſt. d. w. Eur.--1618.
langen Krieges. Doch hielt Frankreich im Frieden
nicht uͤber 14000, die Republik hatte nie 20000
Mann. Die Talente ſo großer Feldherren, als
Heinrich, Moritz und Alexander von Parma,
konnten nicht ohne bedeutenden Gewinn fuͤr die
Taktik ſeyn; doch war es beſonders die Belage-
rungskunſt
, die vervollkommnet ward. Aber eine
ganz neue Erſcheinung war die Seemacht von
England und Holland. Die brittiſche koͤnigliche
Marine, von Heinrich VIII. gegruͤndet, ward erſt
unter Eliſabeth wichtig; und die Hollaͤndiſche See-
macht wurde neben der der Staaten auch bald
durch die der großen Handelsgeſellſchaften furchtbar.


III. Geſchichte des Colonialweſens von 1558 bis 1618.

1. Das Colonialweſen der Europaͤer und der
darauf gegruͤndete Welthandel erlitten in dieſem
Zeitraum die weſentlichſten Veraͤnderungen. Sie
giengen hauptſaͤchlich hervor aus den monopoliſiren-
den Anmaßungen der Spanier, die andere Natio-
nen zur Eiferſucht, und von dieſer zu Kriegen
fuͤhrten. Es war der Zeitraum, wo a. das Ge-
baͤude der Portugieſen in Oſtindien bereits
Jzuſam-
[130]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
zuſammenfiel; wo dagegen b. die Hollaͤnder das
ihrige gruͤndeten, und den Welthandel an ſich riſ-
ſen; waͤhrend zugleich c. die Englaͤnder ſchon
mit ihnen zu wetteifern anfiengen. Aber auch d.
durch die Errichtung der großen privilegirten
Handelsgeſellſchaften
nicht nur dem Handel,
ſondern auch der Colonialpolitik eine andere Form
gegeben ward.


2. Der Verfall der Portugieſiſchen Herr-
ſchaft in Oſtindien war durch innere Urſachen ſchon
lange vorbereitet, als aͤußere Urſachen ihn beſchleu-
nigten. Jene lagen im Allgemeinen in der geſun-
kenen Moralitaͤt, mit welcher unter den hoͤhern
Claſſen der Heldengeiſt und Patriotiſmus erſtarben,
und Habſucht und Liederlichkeit, die in Indien
bis zur Schaamloſigkeit gieng, den Portugieſiſchen
Nahmen dort zum Abſcheu machten. Da jeder nur
ſich bereichern wollte, kam es dahin, daß In-
dien dem Koͤnig mehr koſtete, als es einbrachte.
Allerdings lagen aber auch in der Organiſation der
Verwaltung Maͤngel, welche den Verfall beſchleu-
nigten.


Die Hauptmaͤngel der Portugieſiſch-Indiſchen Admini-
ſtration ſcheinen folgende geweſen zu ſeyn. a. Der oͤftere,
wenigſtens dreyjaͤhrige, Wechſel der Vicekoͤnige, womit ge-
woͤhnlich zugleich ein Wechſel der mehrſten Beamten ver-
bunden war. So wurden alſo die Stellen dreyjaͤhrige Pfruͤn-

den.
[131]C. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1555--1618.
den. b. Der den Civil- und Militairbedienten freyſtehende
Handel, der in Monopole ausartete, die oft ſehr druͤckend
waren. c. Die ſchlechte Juſtiz. d. Das Uebergewicht der
Geiſtlichkeit, die durch ihre Reichthuͤmer Alles an ſich
zog; und der Zwang der Inquiſition, die nirgends ſtren-
ger als in Goa war.


  • Obſervações ſobre as principaes cauſas da decadencia dos
    Portuguezes na Aſia, eſcritos por Drogo do Couto, en
    forma de dialogo com o titulo de Soldado pratico, pu-
    blicadas de orden da Academia real das ſciencias de
    Lisboa, par Antonio Caetano do Amaral, Lisboa
    1790. —
    Der Verfaſſer, ſelber Befehlshaber in Indien, ſchrieb ſein
    Werk in der Form von Dialogen zwiſchen einem zuruͤckge-
    kehrten Soldaten und einem ernannten Statthalter, in Goa
    1606. Es blieb aber Handſchrift, bis die Akademie es kauf-
    te und drucken ließ. Fuͤr die genauere Kenntniß der elen-
    den Adminiſtration, die noch bisher ungenutzte Hauptquelle.

3. Zu dieſen inneren Urſachen aber kamen,
ſchon ehe die Hollaͤnder dort auftraten, aͤußere.
Nur mit Muͤhe behauptete man ſich gegen die An-
griffe der einheimiſchen Fuͤrſten; und die Ver-
einigung mit Spanien
wurde fuͤr die dortigen1581
Beſitzungen ſchon an und fuͤr ſich ein Uebel, da
man ſie ſeitdem nicht nur vernachlaͤſſigte, ſondern
ſie nun auch den Angriffen der Feinde Spaniens
ausgeſetzt waren.


4. Die Beſitzungen in Afrika und Braſi-
lien
ſtanden in ſteter Wechſelwirkung, da die erſtern
nur die Sclaven fuͤr die anderen lieferten. Die
J 2dadurch
[132]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
dadurch entſtandenen Feindſeligkeiten fuͤhrten zu der
1578Anlage von St. Paolo di Loanda, und von da
aus zu der Unterjochung von Congo und Angola,
die durch die Miſſionen geſichert werden ſollte.


5. Die Spanier gaben ihrem Colonialſyſtem
nicht bloß durch die Acquiſition der Portugieſi-
ſchen
Beſitzungen, ſondern auch durch die Beſet-
zung der Philippinen in Oſtindien einen wichti-
gen Zuſatz. Was haͤtten, durch die Verbindung
mit Indien und China auf der einen, und die mit
dem reichen Mexiko und Peru auf der andern Seite,
dieſe Inſeln nicht werden koͤnnen, wenn die aͤngſtlich-
ſte Beſchraͤnkung des Handels dieß nicht unmoͤglich
gemacht haͤtte!


Beſitznahme der Philippinen ſeit 1564 zur Stiftung von
Miſſionen. Einnahme der Hauptinſel Luçon ſeit 1572;
nnd Anlage von Manilla. Die Verwaltung wird einem
Vicekoͤnig uͤbertragen; aber die Kloͤſter werden die
Hauptbeſitzer. — Errichtung eines regelmaͤßigen Verkehrs
zwiſchen Acapulco und Manila jaͤhrlich nur durch ein
oder zwey Schiffe, (die Suͤdſeegalleonen), ſeit 1572. —
Große Einbuße der Regierung dabey, und Klagen uͤber das
weggeſchleppte Silber von Mexiko. — Nur die Religion
verhinderte es, daß man die Inſeln nicht gaͤnzlich verließ.


6. Aber indem die Spanier, nun auch Her-
ren der Portugieſiſchen Colonien, die Alleinherr-
ſchaft
beyder Indien und ſeiner Meere ſich an-
maaßten,
[133]C. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1558--1618.
maaßten, traten zwey neue Voͤlker dabey als Con-
currenten auf, Hollaͤnder und Englaͤnder,
und entriſſen ihnen das, was ſeiner Natur nach
nicht zu behaupten iſt. Waͤhrend ihres Kampfs
fuͤr ihre Freyheit, gelang es den Hollaͤndern
ſchon, ſich in den Beſitz des Welthandels zu ſet-
zen; ſie empfanden es bald, daß der Indiſche ſein
Hauptzweig ſey; und Philipp's Verbote beſchleu-
nigten noch die Ausfuͤhrung. Die erſte durch Cor-
nelius Houtmann
gluͤcklich ausgefuͤhrte Reiſe er-1595
regte ſogleich einen allgemeinen Wetteifer, an die-
ſem Handel Antheil zu nehmen, indem mehrere
freye Geſellſchaften ſich dazu bildeten.


Um ſich die Erſcheinung des unter den Waffen aufbluͤ-
henden Hollaͤndiſchen Handels zu erklaͤren, muß man be-
merken, daß a. die Hollaͤndiſchen Staͤdte ſchon lange eine
betraͤchtliche Handelsſchifffahrt ſowohl nach dem Oſten als
Weſten von Europa, und ſehr wichtige Fiſchereyen hatten.
Jetzt aber b. durch die Kapereyen der Waſſergeuſen ein
Geiſt des Aventurirens aufgelebt war, und man die Schwaͤ-
che der Spanier zur See kennen lernte. c. Daß durch
die Sperrung des Hafens von Liſſabon fuͤr die Niederlaͤnder
ſie ſich genoͤthigt ſahen, entweder den Vertrieb der In-
diſchen Waaren ganz aufzugeben, oder ſie ſich ſelber von
Indien zu holen. Endlich noch d. viele Capitaliſten aus
den Belgiſchen ſich in die Bataviſchen Staͤdte zogen.


Außer den oben S. 32. bemerkten Werken:


  • Geſchichte des Hollaͤndiſchen Handels, nach Luzak'sHollands
    Rykdom
    bearbeitet von A. F. Luͤder. Leipzig 1788.

J 37. Ent-
[134]I.Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

7. Entſtehung der Hollaͤndiſch-Oſtindi-
ſchen Compagnie
; und ihre Organiſation.
Es lag zwar in der Natur der Dinge, daß der
Wirkungskreis dieſer maͤchtigen Corporation ſich erſt
allmaͤhlig ausbilden konnte, aber die Hauptzuͤge ih-
rer Verfaſſung wurden doch ſogleich entworfen.
Gleich zu Folge ihres erſten, nachmals ſtets er-
neuerten, Privilegiums, ward ſie nicht bloß ein
merkantiliſcher, ſondern auch ein politiſcher
Koͤrper; in der erſten Ruͤckſicht ganz unabhaͤngig,
in der zweyten nicht viel mehr als dem Nahmen
nach den Generalſtaaten untergeordnet.


Erſtes ihr ertheiltes Privilegium 29. Maͤrz 1602, wo-
durch ſie a. das Monopol des Hollaͤndiſchen Handels jen-
ſeit des Caps und der Straße Magelhaens, b. das Recht
zu allen politiſchen Verhandlungen und zu Niederlaſſungen
in Indien, jedoch im Nahmen der Generalſtaaten, erhielt.
Errichtung des Fonds der Compagnie durch Actien, zu et-
wa 6 1∫2 Million Gulden. Eintheilung in 6 Kammern,
wovon jedoch die zu Amſterdam allein die Haͤlfte, die zu
Zeeland 1∫4 Antheil des Ganzen hatte. Regierung
der Compagnie in Holland durch den Rath der 17 Di-
rectoren oder Bewindhebber, (aus dem groͤßern Rath der 60
gewaͤhlt), der die oberſte Leitung ihrer Angelegenheiten hat-
te. In Indien ſeit 1610 Ernennung eines General-
Gouverneurs
oder oberſten Civil- und Militairchefs,
dem jedoch der Rath von Indien zur Seite ſteht, aus
deſſen Gliedern ſowohl die Gouverneurs als auch die
General-Gouverneurs genommen werden. Die Zahl der
Gouverneurs vermehrte ſich natuͤrlich erſt mit der Erweite-
rung der Eroberungen.


8. Wo-
[135]C. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1558--1618.

8. Wofern zur Fuͤhrung des Indiſchen Han-
dels Niederlaſſungen und Beſitzungen in Indien
ſelber noͤthig waren, ſo ſcheint auch damit die Er-
richtung der Compagnie gerechtfertigt; weder Pri-
vatperſonen noch damals der Staat konnten dieſe er-
richten. Wer kannte auch damals die von Mono-
polen unzertrennlichen Uebel? — Iſt gleich die
Compagnie dieſen auch endlich erlegen, ſo bleibt ſie
doch, — weniger durch den Umfang als durch die
Dauer ihrer Bluͤthe — eine einzige Erſcheinung, nur
bey dem einzigen Volke moͤglich, das reich, ſehr
reich werden konnte, ohne uͤppig zu werden.


9. Die herrſchenden Maximen der Compa-
gnie entwickelten ſich ſehr bald. Strenge Behaup-
tung ihres Monopols, ſtrenge Aufſicht uͤber ihre
Bedienten, gaͤnzliches Verbot alles Handels fuͤr ſie,
Befoͤrderung nach dem Verdienſt, aber nie anders
als von unten auf, puͤnktlichſte Bezahlung, —
waren die Mittel, wodurch ſie ſich bald ſo empor-
ſchwang, daß ein großer Theil ſeiner Reichthuͤmer
Holland durch dieſen Canal zuſtroͤmte. Bey ihren
Niederlaſſungen in Indien wurden gleich anfangs
Inſeln, die Molucken und Sunda-Inſeln, ihr
Ziel, wo jetzt bereits Batavia auf Java zum
Mittelpunkt ihrer Indiſchen Herrſchaft beſtimmt
ward. Indem ſie auch nachmals meiſt ſich auf
J 4Inſeln
[136]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Inſeln beſchraͤnkte, entgieng ſie dadurch den
vielfachen Revolutionen des Continents von Indien,
wo ohnehin eben damals das Mogoliſche Reich
ſo maͤchtig war, daß an Eroberungen daſelbſt nicht
zu denken ſeyn konnte.


Mußten gleich die Hollaͤnder mit den Waffen in der
Hand ſich in Indien feſtſetzen, ſo kam ihnen doch der allge-
meine Haß gegen die Portugieſen ſehr zu ſtatten. — Feſt-
ſetzung auf Amboina und Tidor ſeit 1607. — Eroͤff-
nung des Verkehrs mit Japan ſeit 1611. — Feſtſetzung
auf Java ſeit 1618, und Eroberung und Zerſtoͤrung von
Jacatra daſelbſt, worauf durch Koen an deren Stelle Ba-
tavia
gegruͤndet wird.


10. Das ſchnelle Aufbluͤhen dieſer Compa-
gnie erzeugte aber allerdings eine ſolche Vorliebe
fuͤr dieſe Inſtitute, daß allmaͤhlig mehrere der wich-
tigſten Handelszweige der Republik privilegirten Ge-
ſellſchaften uͤbergeben wurden. Waren auch dieſe
Monopole nachtheilig, ſo konnte man bey der auſ-
ſerordentlichen Mannigfaltigkeit der Gewerbe doch
den Schaden viel weniger empfinden. Das ganze
ſtolze Gebaͤude des Fabriken- Handels- und Colo-
nialſyſtems der Niederlaͤnder erhob ſich ſchon da-
mals faſt in allen ſeinen Theilen; aber vollendet
ſtand es erſt im folgenden Zeitraum da.


11. Auch England trat unter Eliſabeth als
gluͤcklicher Mitbewerber um den Welthandel auf.
Schon
[137]C. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1558--1618.
Schon ſeit Jahrhunderten in einem betraͤchtlichen
Verkehr mit ſeinen Nachbarn, war es natuͤrlich,
daß es jetzt auch den mit entfernten Laͤndern ſuchte.
Der uͤber Rußland mit Perſien eroͤffnete Han-
del erweiterte zuerſt den Geſichtskreis, der ſich bald
bis nach beyden Indien ausdehnte. Allein die An-
maaßungen und der Widerſtand der Spanier und Por-
tugieſen erregten nothwendig in jenen Meeren einen be-
ſtaͤndigen Streit. Doch war es lange (bis zum
Kriege 1588) nur Freybeuterey, gereizt durch die
reichen Ruͤckladungen der Spanier, aber auf allen
Meeren, ja bis zur Umſchiffung der Erde getrieben.


Eroͤffnung des Handels uͤber Archangel mit Rußland
bereits 1553, beguͤnſtigt vom Czar Iwan Baſilewitz; und
uͤber das Caſpiſche Meer nach Perſien, ja ſelbſt ſchon bis
Indien. — Vergebliche Verſuche zur Auffindung einer
Nordoſt- oder Nordweſt-Paſſage, beſonders durch Forbi-
ſher, Davis, Hudſon
ꝛc. von 1576 bis 1610, und ihre
Folgen. Reiſe um die Welt von Drake 1577—1580.
Erſte Engliſche Schifffahrt nach Indien um's Cap 1591.


Außer den oben S. 31. angefuͤhrten Schriften noch be-
ſonders:


  • A. Anderson's hiſtorical and chronological Deduction of
    commerce from the earlieſt accounts to the preſent time.
    Lond. 1789. 4 Voll.
    4. Geht bis 1789. Eine unermeßlich
    reiche chronologiſche Materialienſammlung, jedoch meiſt nur
    fuͤr die Geſchichte des Brittiſchen Handels.

12. Aber mit dem Aufleben des fernen aus-
waͤrtigen Handels lebte auch in England der Geiſt
J 5der
[138]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
der Monopole auf; und Niemand war mit ihrer
Ertheilung leicht freygebiger als Eliſabeth. Die
wichtigſten Zweige des auswaͤrtigen Handels wurden
privilegirten Compagnien uͤbergeben, es bildete ſich
1554die Ruſſiſche, die Afrikaniſche, die Tuͤrkiſche (Le-
1581vante) Compagnie, die der Adventurers fuͤr das
feſte Land u. a. Es war alſo ganz im Geiſt die-
ſes Syſtems, wenn auch der Oſtindiſche Handel
ausſchließend einer Compagnie uͤbergeben ward,
die jedoch, gleich jenen, nur merkantiliſche, nicht
politiſche, Zwecke haben ſollte.


Entſtehung der alten Oſtindiſchen Compagnie 31. Dec.
1600. Sie erhielt — wie kurz darauf die Hollaͤndiſche —
den Alleinhandel jenſeit des Cap und der Magellaniſchen
Straße. — Aber, nur im Beſitz von Faktoreyen, zu
Bantam, Surate u. a., nicht von Forts, konnte ſie die
Konkurrenz mit den Hollaͤndern, beſonders auf den Mo-
lucken, ihrem gemeinſchaftlichen Ziel, nicht aushalten; und
ihre Geſchaͤfte blieben ſehr beſchraͤnkt. — Beſetzung der Inſel
St. Helena durch die Compagnie 1601.


13. Aber auch im Weſten ward in dieſem
Zeitraum von den Britten der Anfang zu Nieder-
laſſungen gemacht, die, wenn ſie gediehen, als
Ackerbau-Colonien einen ganz andern Charakter an-
nehmen mußten als die uͤbrigen, an der Kuͤſte von
Nordamerika. Die großen Hinderniſſe, welche
die Wildheit des Lokals und der Einwohner in den
Weg legten, konnten hier nur durch eine beharrliche
Thaͤtig-
[139]C. 3. Geſch. d. Colonialweſ. 1558--1618.
Thaͤtigkeit uͤberwunden werden; aber iſt es nicht
auch dieſe, welche eben den Grund zu Gebaͤuden
fuͤr Jahrhunderte legt?


Erſte, wiewohl mißlungene, Verſuche, in der Hoff-
nung, goldreiche Laͤnder zu finden, unter Eliſabeth, be-
ſonders durch Raleigh ſeit 1583. Aber erſt unter Ja-
cob
I., ſeit dem Frieden mit Spanien, Entſtehen
privilegirter Geſellſchaften zu dieſem Zweck. Die London-
und die Plymouth-Compagnie, privilegirt 1606; jene
fuͤr die ſuͤdliche Haͤlfte der Kuͤſte (Virginien 34—41°
N. B.), dieſe fuͤr die noͤrdliche (N. England 42—45°).
Anlage von James-town, der erſten Stadt, an der
Cheſapeak Bay 1606. Anbau des Tabacks in Virginien,
ſeit 1616. — Beſetzung der Bermudas-Inſeln durch
die Londoner Geſellſchaft 1612. Auch das Aufbluͤhen der
Fiſchereyen von N. Foundland ſtand mit dieſen Unter-
nehmungen in Verbindung; der Groͤnlaͤndiſche Wallfiſch-
fang wurde bereits ſeit 1600 mit dem groͤßten Erfolge von
den Englaͤndern getrieben.


14. Waren auch manche dieſer Verſuche nur
erſt ein ſchwacher Anfang, ſo mußten ſie, bey den
Anſpruͤchen der Spanier und Portugieſen, doch noth-
wendig zu der Behauptung der Freyheit der
Meere
fuͤhren, die England und Holland mit dem
Schwerdt, ſo wie Grotius mit der Feder, ver-
theidigten. Ein unermeßliches Feld eroͤffnete ſich alſo
hier fuͤr die Zukunft der practiſchen Politik: aber
der unmittelbare Einfluß der Colonien auf dieſe
konnte auch nicht ſo groß ſeyn, weil alle jene Un-
ternehmungen nur Privatunternehmungen waren,
welche
[140]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
welche die Regierungen genehmigten, ohne ſie weiter zu
unterſtuͤtzen. Es dauerte noch geraume Zeit, bis
Freybeutereyen und Feindſeligkeiten in den Colonien
auch Kriege zwiſchen den Mutterſtaaten zur ſichern
Folge hatten.


  • Huc. Grotii Mare liberum, ſive de jure quod Batavis com-
    petit ad Indiae commercia, Diſſertatio. Lugd. Bat.
    1618.

15. Auch Frankreich machte zwar Verſuche
mit Colonialanlagen, aber die wenigen, die nicht
gaͤnzlich mißlangen, waren mehr fuͤr die Zukunft
als fuͤr die Gegenwart wichtig. Sie beſchraͤnkten
ſich auf das noͤrdliche Amerika, wo ſeit dem An-
fange des 15. Jahrhunderts die Niederlaſſungen in
Canada und Acadien (Neu Frankreich) durch die
1608Anlage von Quebek mehr Feſtigkeit erhielten.
Doch war nicht ſowohl Anbau des Landes, als
Pelzhandel und Fiſcherey, der eigentliche Zweck der-
ſelben.


Vierter Zeitraum.
Von 1618 bis 1660.

  • Als allgemeines Hauptwerk bis 1637 Khevenhiller ſ. oben
    S. 91.

1. Das
[141]D. Geſch. d. Zeitraums von 1618--1660.

1. Der Zeitraum ſo großer und allgemein ſich
verbreitender Kriege, als der gegenwaͤrtige war,
verflocht nothwendig das Intereſſe der Europaͤiſchen
Staaten viel enger in einander, als es im vorigen
hatte geſchehen koͤnnen; nur mit Ausnahme Eng-
lands, das durch ſeine inneren Stuͤrme ſich auf
lange Zeit faſt iſolirte. Die Urſachen jener engern
Verſchlingung waren a. in der ſeit Ferdinand's II.
Thronbeſteigung wiederhergeſtellten viel engern Ver-
bindung der Spaniſchen und Oeſtreichiſchen Linie,
die durch den Einfluß der Jeſuiten an beyden Hoͤ-
fen noch mehr befeſtigt ward. b. In der gegen
das Habsburgiſche Haus gerichteten Politik von
Richelieu, und ſeinem weit verbreiteten Einfluß in
Europa. c. In der eben dadurch befoͤrderten Her-
einziehung der noͤrdlichen Maͤchte, beſonders Schwe-
dens, in die Haͤndel des ſuͤdlichen Europas.


2. Religioͤſes und politiſches Intereſſe blieben
auch in dieſem Zeitraum noch eben ſo tief in ein-
ander verflochten; und das erſtere bleibt noch der
Hebel des letztern. Die Stuͤrme desſelben gehen
alſo auch noch groͤßtentheils aus der Reformation
hervor; allein wenn dieſe im vorigen Zeitraum
mehr die einzelnen Laͤnder trafen, ſo erſchuͤtterten
ſie jetzt dagegen das allgemeine Staatenſyſtem von
Europa, und hatten eben deswegen auch allgemei-
nere Folgen.


1. Ge-
[142]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
I. Geſchichte des dreyßigjaͤhrigen Kriegs und ſeiner Folgen
bis zum Weſtphaͤliſchen und Pyrenaͤiſchen Frieden.

Die Geſchichte des dreyßigjaͤhrigen Kriegs macht zwar im-
mer einen Abſchnitt in den Werken uͤber Deutſche Reichsgeſchich-
te aus; aber meiſt nur aus dem publiciſtiſchen Geſichtspunkte
betrachtet. Ihre Behandlung aus einem hoͤhern Geſichts-
punkt, in Beziehung auf Europa und das ganze Zeitalter,
bleibt noch eine Aufgabe fuͤr die Zukunft. Erwaͤhnt zu
werden verdienen:


  • Hiſtoire des guerres et de négociations qui précéderent le
    traité de Weſtphalie compoſée ſur les mémoires du Com-
    te d'Avaux par Guil. Hyacinthe Bougeant. Paris
    1751. 3 Voll.
    4. Der Verfaſſer war Jeſuit. Die beyden
    letzten Theile ſind die Geſchichte des Friedensſchluſſes.
  • J. C. Krauſe Geſchichte des 30jaͤhrigen Krieges und weſtphaͤ-
    liſchen Friedens; Halle 1782. 8.
  • Geſchichte des 30jaͤhrigen Kriegs von Fr. Schiller. Leipzig
    1802. 2 Th.
  • Geſchichte des 30jaͤhrigen Kriegs von Lorenz Weſtenrieder,
    in dem Muͤnchner hiſtoriſchen Calender 1804 bis 1806. Nicht
    ohne eigene Forſchung und Anſichten.

3. Der dreyßigjaͤhrige Krieg machte Deutſch-
land zum Mittelpunkt der Europaͤiſchen Politik.
Indeß war es kein Krieg, der von Anfang bis zu
Ende nach Einem Plane, oder auch nur zu Einem
Zwecke gefuͤhrt waͤre. Wer haͤtte, als er begann,
ſeine Dauer und ſeinen Umfang geahnt? Aber
des brennbaren Stoffs war allenthalben die Menge
verbreitet; es ſchmolz ſelbſt mehr als Ein Krieg in
ihm zuſammen; und die traurige Wahrheit, daß
der
[143]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.
der Krieg ſich ſelbſt ernaͤhrt, beſtaͤtigte ſich nie
mehr als hier!


Die Urſachen der großen Verbreitung und Dauer die-
ſes Kriegs lagen uͤberhaupt a. in der Theilnahme der deut-
ſchen Ligue. b. In der Erneuerung des gleichzeitigen Kriegs
zwiſchen Holland und Spanten ſeit 1[6]21, der ſich zuletzt
mit dem Deutſchen verflocht. c. In dem Hereinziehen der
Nordiſchen Maͤchte, beſonders Schwedens ſeit 1630. d. In
der Theilnahme von Frankreich ſeit 1635. — Doch waren
dies nur die aͤußern Urſachen. Ohne die innern, den
religioͤſen Partheygeiſt, und die auf allen Seiten ſich all-
maͤhlig
entſpinnenden Projecte und Hoffnungen,
haͤtte er nicht ſo lange gedauert.


4. Wenn gleich der zuerſt in Boͤhmen aus-
brechende Krieg nur das Oeſtreichiſche Haus an-161[8]
gieng, ſo erhielt er doch ſogleich, da er uͤber Reli-
gionshaͤndel entſtand, den ihm eigenthuͤmlichen Cha-
rakter als Religionskrieg, und durch die von Sei-
ten der Inſurgenten ſowohl als des Kayſers er-
griffenen Maaßregeln auch einen ſolchen Umfang,
daß er ſelbſt nach der Daͤmpfung der Inſurrection
fortdauern mußte.


Verbreitung der Partie der Proteſtanten (Utraquiſten)
ſowohl durch Boͤhmen, als durch Oeſtreich und Ungarn,
wo Fuͤrſt Gabor Bethlen von Siebenbuͤrgen durch ſie
ſelbſt nach der Krone griff. Crſter Ausbruch der Unruhen
in Prag durch Mißhandlung der k. Statthalter 23. May
1618, und Anfang des Kriegs noch unter Mathias † 20.
Maͤrz 1619. Abfall von ſeinem Nachfolger Ferdinand II.
und Uebertragung der Boͤhmiſchen Krone an Churfuͤrſt

Frie-
[144]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
FriedrichV. von der Pfalz 3. Sept. — Als Haupt
der proteſtantiſchen Union, als Schwiegerſohn von Jacob I.,
und als Verbuͤndeter von Bethlen Gabor, hatte er der
Huͤlfsquellen in und außer Deutſchland genug; haͤtte er ſie nur
zu nutzen gewußt! — Hoͤchſt zweckmaͤßige Gegenanſtalten von
Ferdinand II., indem er, ſchon mit Spanien verbunden,
auch die Ligue durch den Vergleich mit Maximilian von
Bayern (8. Oct.) hereinzieht, ja ſelbſt Sachſen fuͤr ſich ge-
winnt, und die Union unthaͤtig macht. Schon vor der
Niederlage auf dem weißen Berge 8. Nov. 1620.
konnte man das Loos von Friedrich V. als entſchieden anſe-
hen. — Unterjochung von Boͤhmen, Vernichtung ſeiner
Privilegien, und grauſame Rache.


5. So war, wenn gleich der Boͤhmiſche Krieg
geendigt ſcheinen konnte, doch die Flamme ſchon
nach Deutſchland [ſo] wie nach Ungarn verbreitet;
und die Achtserklaͤrung von Churfuͤrſt Friedrich
und ſeinen Anhaͤngern mußte ihr neue Nahrung ge-
ben. Durch ſie erhielt der Krieg zuerſt den revo-
lutionairen
Charakter, der ihm von jetzt an eigen
bleibt; es war ein Schritt, der weiter fuͤhren muß-
te; und neue und kuͤhnere Entwuͤrfe lebten in Wien
wie in Madrid auf, wo man damals den Nieder-
laͤndiſchen
Krieg zu erneuern beſchloß. Unter-
druͤckung des Proteſtantiſmus, und der Sturz Deut-
ſcher und Niederlaͤndiſcher Freyheit, mußten nach
den Verhaͤltniſſen des Zeitalters unzertrennlich ſchei-
nen, und das Gluͤck der kayſerlich-ligiſtiſchen
Waffen, mit denen ſich die Spaniſchen vereinigten,
belebte die Hoffnungen.


Achts-
[145]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.

Achtserklaͤrung des Churfuͤrſten Friedrich, 22. Jan.
1621, und demnaͤchſt Uebertragung der Chur an
Bayern
25. Febr. 1623. — Aufloͤſung der Union, und
Verſetzung des Kriegs nach der Pfalz, den Erblaͤndern Frie-
drich's, mit Hulfe Spaniſcher Truppen unter Spinola
aus den Niederlanden. — Siege des, zuerſt von Ernſt
von Mansfeld
bey Wißbach 29. April 1622 geſchlage-
nen, Tilly uͤber den Markgraf von Baden bey Wimpfen
6. May; und Chriſtian von Braunſchweig bey Hoͤchſt 20.
Juni; und Einnahme der ganzen Pfalz. Doch gaben der
kuͤhne Mansfelder, und Chriſtian nicht Alles verlohren; ſo
lange die Hoffnungen von England dauerten, und Nieder-
deutſchland Unterhalt und Huͤlfe darbot.


6. Die Verbreitung des Krieges nach Nieder-
ſachſen, dem Hauptſitz des Proteſtantiſmus in Deutſch-
land, deſſen Staͤnde ChriſtianIV. als Herzog
von Holſtein zu ihrem Bundeshaupt ernennen, zieht
bereits, wenn gleich mit ſchlechtem Erfolg, den
Norden herein; und verurſacht den Daͤniſchen
Krieg. Aber viel wichtiger fuͤr den ganzen Gang
und Charakter des Kriegs, ward die dadurch veran-
laßte Erhebung Albrecht's von Wallenſtein
zum Herzog von Friedland und zum Kayſerlichen
Obergeneral uͤber ein von ihm ſelber errichtetes Heer.
Von jetzt an mußte der Krieg vollends wahrer Revolu-
tionskrieg werden. Die eigene Lage des Feldherrn,
die Art der Bildung ſowohl als der Erhaltung ſeiner
Armee, mußten ihn dazu machen. War fuͤr ihn und
ſeine Entwuͤrfe, welche ſie auch ſeyn mochten, in
der alten Ordnung der Dinge Platz?


KDer
[146]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Der Daͤniſche Krieg von 1625—1629. — Niederlage
von Chriſtian IV. bey Lutter am Barenberge 27. Aug.
1626; waͤhrend Wallenſtein den Grafen von Mansfeld von
der Elbe bis nach Ungarn treibt, wo er ſtirbt, 30. Nov. —
Fortſetzung des Kriegs gegen Chriſtian IV., hauptſaͤchlich
durch Wallenſtein, der ſich der Oſtſeelaͤnder, bis auf
Stralſund, bemaͤchtigte, 1628. Friede mit Chriſtian
IV. zu Luͤbeck gegen Reſtitution ſeiner Laͤnder, aber Ent-
ſagung aller Theilnahme an den Deutſchen Haͤndeln als
Koͤnig von Daͤnemark, und Aufopferung ſeiner Verbuͤnde-
ten, beſonders der Herzoͤge von Mecklenburg, 12. May
1629.


7. Das ausgezeichnete Gluͤck der Kayſerlichen
Waffen im Norden von Deutſchland enthuͤllte aber
auch unterdeß die kuͤhnen Entwuͤrfe von Wallen-
ſtein. Er trat nicht nur als Eroberer auf, ſon-
dern durch die Belehnung mit Mecklenburg als
Reichsſtand und als regierender Herr. Man ge-
woͤhnte ſich bereits an die Veraͤnderung des recht-
maͤßigen Beſitzſtandes. Daß er auf dieſer Stufe
ſchwerlich ſtehen bleiben konnte, war ſchon an ſich klar;
haͤtte auch der angenommene Titel des Generals der
Oſtſee auf nichts weiteres gedeutet.


Achtserklaͤrung der Herzoͤge von Mecklenburg, 19. Jan.
1628, und demnaͤchſt Belehnung Wallenſtein's mit ihren
Landen. — Auch Pommern hielt er beſetzt. — Die Herr-
ſchaft der Oſtſee, die man durch die Hanſeſtaͤdte zu be-
haupten hoffte, ſollte gegen Daͤnemark und Schweden ge-
richtet ſeyn, und wer mochte beſtimmen, was ſeine weiteren
Entwuͤrfe waren?


8. Allein
[147]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.

8. Allein die Erhebung und Verfahrungsart die-
ſes Neulings erbitterte und druͤckte die Catholiſchen
nicht weniger als die Proteſtantiſchen Staͤnde, beſon-
ders die Ligue und ihren Chef; Alles ſchrie nach Frie-
den und Wallenſtein's Abdankung. So blieb auf dem
Churfuͤrſtentage zu Augsburg dem Kayſer nur die1630
Jul.

Wahl, ihn oder ſeine Verbuͤndeten aufzugeben; er
waͤhlte das erſte, Wallenſtein und der groͤßte Theil
ſeines Heers ward entlaſſen, und Tilly zum allge-
meinen Befehlshaber der Kayſerlichen und Ligiſtiſchen
Macht ernannt.


(A. S. Stumpf) Diplomatiſche Geſchichte der teutſchen
Ligue, im 17ten Jahrhundert. Mit Urkunden. Erfurt
1800. 8. Einer der wichtigſten Beytraͤge zur critiſchen
Geſchichte dieſes Kriegs.


9. Fuͤr die Verlaͤngerung des Kriegs war aber
von Kayſerlicher Seite ſchon außerdem geſorgt. Die
Verweigerung der Reſtitution des ungluͤcklichen Frie-
derich's, und ſelbſt der Verkauf ſeiner Oberpfalz an
Bayern, mußte bey den uͤbrigen Fuͤrſten gerechte Be-
ſorgniſſe erregen. Allein als es endlich den Jeſuiten
gelungen war, das Reſtitutionsedict von dem1629
9.
Mrz

Kayſer nicht nur zu erpreſſen, ſondern auch auf die
empoͤrendſte Weiſe ausfuͤhren zu laſſen, ſahen ſelbſt
die Catholiſchen Staͤnde mit Mißbilligung es ein,
daß kein Friede werden konnte.


K 2Das
[148]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Das Reſtitutionsedict enthielt die zwey Haupt-
puncte: daß 1. zu Folge des Reſervatum Eccleſiaſticum (ſ.
oben S. 70.) die ſeit dem Paſſauer Vertrage eingezogenen
geiſtlichen Guͤter reſtituirt; und 2. der Religionsfriede, (dem
man nicht entgegen zu handeln das Anſehen haben wollte,)
nur auf die Augsburgiſchen Confeſſions-Verwandten —
nicht auf die Reformirten — ausgedehnt ſeyn ſollte. —
Was blieb, kann man fragen, in dieſem Falle noch den
Proteſtanten uͤbrig? Aber die Art der Ausfuͤhrung durch
K. Exſecutionstruppen erbitterte faſt noch mehr als das
Edikt ſelber.


10. Je mehr aber das Gluͤck des Hauſes
Oeſtreich ſtieg, um deſto thaͤtiger wußte die aus-
waͤrtige Politik ihm entgegen zu arbeiten. Von
Anfang an hatte England, wenn gleich meiſt nur
durch fruchtloſe Unterhandlungen, an dem Schick-
ſale Friedrich's V. Antheil genommen. Die Ein-
miſchung Daͤnemarks war hauptſaͤchlich ſein und
1624Hollands Werk geweſen. Aber ſeitdem Richelieu
in Frankreich herrſchte, war ſeine Politik auch gegen
Oeſtreich und Spanien thaͤtig. Er hatte durch die
1626Haͤndel uͤber Veltelin Spanien, und bald dar-
1627
bis
1630
auf durch den Krieg uͤber Mantua zugleich
auch Oeſtreich beſchaͤftigt. Gern haͤtte er die Deut-
ſche Ligue von dem Intereſſe des Kayſers getrennt;
und wenn auch dieß nicht gelang, ſo war doch Wal-
lenſtein's Fall von ihm befoͤrdert.


Einmiſchung Frankreichs in die Haͤndel Spaniens mit
Graubuͤnden uͤber das, durch ſeine Lage wichtige, Veltelin

ſeit
[149]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.
ſeit 1620, beendigt zum Vortheil Frankreichs und Grau-
buͤndens durch den Tractat zu Monçon, 5. Maͤrz 1626. —
Mantuaniſcher Erbfolgekrieg, zu Gunſten des Her-
zogs von Nevers, mit Oeſtreich 1627—1630., der durch
den Tractat von Chieraſco vom 6. April 1631 im Beſitz
bleibt. So war der Spaniſche Principat in Italien gebro-
chen, und Frankreichs Einfluß daſelbſt wieder gegruͤndet,
das auch im Beſitz der Grenzfeſtungen Pignerol und Caſale
zu bleiben wußte.


11. Viel wichtiger indeß wurde Richelieu's
Einfluß auf den Krieg, durch den weſentlichen An-
theil, den er an Guſtav Adolph's thaͤtiger Theil-1630
nahme an demſelben hatte; wie wenig es auch in
ſeinem Plane lag, daß der, den er nur als In-
ſtrument zu gebrauchen dachte, das Verhaͤltniß faſt
umkehren zu wollen ſchien. Wer kannte auch, un-
geachtet ſeiner ſchon 19jaͤhrigen Regierung, und
den faſt eben ſo langen polniſchen Kriegen (ſ. un-
ten
), bey ſeinem Auftritt in Deutſchland den ge-
nialiſchen Helden, bey dem es ſchon klar war, oder
doch bald klar ward, was auf den entſcheidenden
Sieg des Proteſtantiſmus in Deutſchland ſich Alles
fuͤr den Sieger bauen ließ, — nach ſeinem ganzen
Werth?


Guſtav Adolph's Landung in Deutſchland, 24. Jun.
1630., und, faſt erzwungene, Verbindung der Haupt-
ſtaͤnde des Oberſaͤchſiſchen Kreiſes, Pommerns 20. Jul.,
Brandenburgs 4. Mai 1631, und Sachſens, (das vergeblich
durch einen Neutralitaͤtsbund zu Leipzig, Maͤrz 1631,
ſeine Selbſtſtaͤndigkeit zu behaupten ſucht;) aber nicht ohne

K 3Maaß-
[150]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Maaßregeln fuͤr die kuͤnftige Acquiſition von Pommern.
Subſidientractat mit Frankreich 13. Jan. 1631., und ſchon
vorher freywilliges Buͤndniß des Landgrafen Wilhelm von
Heſſen 9. Nov. 1630. — Dennoch bedurfte er, nach dem
ſchrecklichen Schickſal Magdeburgs 10. May 1631.,
eines großen Siegs, um ſeinen Credit aufrecht zu erhalten.


1631

12. Die Schlacht bey Leipzig entſchied
fuͤr Guſtav Adolph und ſeine Parthey faſt uͤber alle
Erwartung. Der Bund der Ligue fiel ausein-
ander
; und er war binnen Kurzem Herr der Laͤn-
der von der Oſtſee bis Bayern, und vom Rhein
bis Boͤhmen. Welche Hoffnungen, welche Plaͤne
mußten bey einem ſolchen Gluͤck nicht blos bey
ihm, ſondern auch bey manchem ſeiner Begleiter
aufleben! Aber Tilly's Unfaͤlle und Tod fuͤhrten
Wallenſtein als unumſchraͤnkten Oberbe-
fehlshaber wieder auf die Schaubuͤhne; nicht ohne
gleiche oder noch groͤßere Entwuͤrfe wie vorher.
In keinem Zeitraum des Kriegs konnte man ſo
großen Umkehrungen der Dinge entgegen ſehen, da
1632beyde Chefs ſie wollten; aber der Sieg bey Luͤt-
zen
, mit Guſtav Adolph's Blut erkauft, berei-
tete auch ſchon den Fall von Wallenſtein vor.


Sieg des Koͤnigs bey Leipzig in Verbindung mit den
Sachſen 7. Sept. 1631. — Einnahme Boͤhmens durch die
Sachſen; Vordringen des Koͤnigs in die Ligiſtiſchen Laͤn-
der, und nach dem Treffen am Lech 5. April 1632, das
Tilly wegraffte, in Bayern bis Muͤnchen 7. May. — Der
Koͤnig und Wallenſtein einander gegen uͤber bey Nuͤrnberg,

Jun.
[151]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.
Jun. — Aug. — Verſetzung des Kriegs nach Sachſen.
Schlacht bey Luͤtzen, und Guſtav Adolph's und Pappenheim's
Tod 6. Nov. 1632.


13. Der Fall von Guſtav Adolph vereitelte
zwar ſeine perſoͤnlichen Plaͤne, nicht die ſeiner An-
haͤnger. Man fuͤhlte es aber bereits in Deutſch-
land, daß auch Schwediſche Herrſchaft druͤcken
koͤnne; und Sachſens Eiferſucht war ſelbſt unter
den Siegen nicht erloſchen. Gieng auch aus Gu-
ſtav's Schule eine Schaar großer Maͤnner im Ca-
binet und im Felde hervor, wie nur ein ſo uͤber-
legener Menſch ſie bilden konnte, ſo ward es doch
ſelbſt einem Oxenſtierna ſchwer, das Schwediſche
Anſehen aufrecht zu erhalten, was ſelbſt durch den
Heilbronner Bund nur zur Haͤlfte geſchah.


Was wollte Guſtav Adolph? — Nothwendig Behaup-
tung
des einmal uͤbernommenen Principats der Pro-
teſtantiſchen Partie
in Deutſchland. Dieß ſchloß wie-
derum in ſich, daß er 1. ſelbſt hier poſſeſſionirt war; daß
er 2. ſeine Freunde und Anhaͤnger belohnte und verſtaͤrkte.
Wohin dieß zuletzt fuͤhren, in einem Zeitpunct fuͤhren konn-
te, wo man an gewaltſame Beſitzveraͤnderungen, und an
das Fuͤrſtenmachen ſchon gewoͤhnt war, — wer mag es ſagen?
Sollte es der Held, aus der Mitte ſeiner Laufbahn wegge-
riſſen, ſelber ſchon beſtimmt ſich gedacht haben? — Ab-
ſchluß des Heilbronner Buͤndniſſes mit den 4 vorde-
ren Kreiſen unter Schwediſcher Direction 13. April 1633;
aber ohne Veytritt Sachſens.


Sam. Pufendorf Commentariorum de rebus Svecicis
libri XXVI.
(von 1630—1654) Francf. 1707. fol.


K 4Hiſtoi-
[152]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Hiſtoire de Guſtave Adolphe par Mr. d. M. (Mau-
villon)
Amſterd.
1764. 4.


14. Wenn die Schwediſche Macht ſich unter
Anfuͤhrung der Zoͤglinge des Koͤnigs, Bernhard
von Weimar
und Guſtav Horn, in den naͤch-
ſten Monathen faſt uͤber ganz Deutſchland wieder ver-
breitete, ſo ſchien Wallenſtein's abſichtliche Un-
thaͤtigkeit in Boͤhmen davon die Urſache zu ſeyn.
Das Mißtrauen gegen ihn wuchs in Wien deſto
mehr, je weniger er ſelber ſich Muͤhe gab, es zu
vermindern; und haͤtte er auch durch ſeinen Fall
nicht die Schuld verbrecheriſcher Entwuͤrfe gebuͤßt,
ſo buͤßte er wenigſtens die eines zweydeutigen
Charakters
. Wahrſcheinlich aber ward dadurch
Deutſchland von einer großen Cataſtrophe gerettet.


Die Haupturkunde zu Wallenſtein's Anklage iſt der Be-
richt
ſeines Unterhaͤndlers Sceſina an den Kayſer 1635;
dem zu Folge er ſchon ſeit 1630 mit Guſtav Adolph gehei-
me Unterhandlungen angeknuͤpft hatte. Aber a. hatte nicht
Sceſina ein Intereſſe, ihn ſchuldig zu machen? b. War
jede leidenſchaftliche Aeußerung von Wallenſtein wirklicher
Plan? — Seine Ermordung zu Eger 25. Febr. 1634.
Die wichtigſten Aufklaͤrungen uͤber ſeine Geſchichte liegen
noch in Archiven vergraben. Materialien dazu enthalten:


Beytraͤge zur Geſchichte des dreyßigjaͤhri-
gen Kri[e]ges
von Chr. Gottl. von Murr. Nuͤrnberg
1790. und:


Die Ermordung Albrecht's Herzogs von
Friedland
, herausgegeben von C. G. v. Murr. Halle
1806. — Das Lateiniſche Original von Sceſina's
Bericht iſt hier zuerſt bekannt gemacht.


15. Gro-
[153]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.

15. Große Veraͤnderung bald nach dem Tode
Wallenſtein's, ſeitdem ein Prinz aus dem Hauſe,
Koͤnig Ferdinand von Ungarn und Boͤhmen, den
Oberbefehl erhaͤlt. Damit war auf dieſer Seite den
Revolutions-Plaͤnen ein Ende gemacht. Allein
noch in eben dem Jahre gab auch die Noͤrdlinger
Schlacht
den Kayſerlichen Waffen ploͤtzlich ein
Uebergewicht, wie ſie es noch nie gehabt hatten. Der
Separatfriede Sachſens mit dem Kayſer zu
Prag, dem bald eine Verbindung folgte, war
davon die Folge; Schweden, bis nach Pommern zu-
ruͤckgedraͤngt, ſchien ſich nicht durch eigene Kraft auf
Deutſchem Boden halten zu koͤnnen.


Niederlage der Schweden bey Noͤrdlingen 6. Sept.
1634. — Durch die Praͤliminarien des Prager Friedens
vom 22. Nov. (beſtaͤtigt 30. May 1635) behielt Sachſen
1. die eingenommene Lauſitz; 2. blieben die eingezogenen
geiſtlichen Guͤter vors erſte auf 40 Jahre in den Haͤnden
ihrer Beſitzer. — Die meiſten uͤbrigen proteſtantiſchen
Staͤnde traten dieſem Frieden halb gezwungen bey.


16. Verlaͤngerung und große Erweiterung des
Kriegs durch Frankreichs thaͤtige Theilnah-1635
me; zuerſt gegen Spanien, und bald auch gegen
Oeſtreich. Seit dieſem Zeitpunkt konnte der Krieg
ſchon wegen den Spaniſchen Nebenlaͤndern in Ita-
lien ſchwerlich auf Deutſchland beſchraͤnkt bleiben;
allein die Verbindung, die Richelieu jetzt mit den
Niederlaͤndern ſchloß, verſchmolz auch den Deutſchen
K 5Krieg
[154]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Krieg gewiſſermaßen mit dem Spaniſch-Niederlaͤn-
diſchen. Außer der Unterſtuͤtzung der Feinde Oeſt-
reichs und Spaniens, lagen aber auch Eroberungen
von Anfang an in den Plaͤnen des Franzoͤſiſchen Mi-
niſters. Wo ließ unter dieſen Umſtaͤnden ſich ein
Ende des Kriegs abſehen?


Der ſeit 1621 wieder erneuerte Krieg zwiſchen den
Spaniern und Niederlaͤndern, war, als Landkrieg, auf die
Spaniſchen Niederlande beſchraͤnkt geblieben; und hatte
hauptſaͤchtich in Belagerungen beſtanden. — Buͤndniß
Richelieu's mit den Niederlaͤndern zu der Eroberung und
Theilung der Spaniſchen Niederlande 8 Febr. 1635, jedoch
ohne gewuͤnſchten Erfolg. Aber das Project jener Ac-
quiſition ſtarb ſeitdem im Franzoͤſiſchen Cabinet nicht aus.
— Die Verbindungen in Italien mit Savoyen, Mantua
und Parma, gegen Spanien 11. Juli 1635 zur Einnahme
Mailands, wurden erſt ſeit 1638 durch den Streit uͤber die
Regentſchaft in Piemont fuͤr Frankreich vortheilhaft, das
ſeine Clientin Chriſtina gegen den Spaniſchen Einfluß
behauptet.


17. Den Deutſchen Krieg fuͤhrte Frankreich ſeit
dem Tractat mit Bernhard von Weimar meiſt,
indem es Deutſche gegen Deutſche bewaffnete. Aber
der Zoͤgling Guſtav Adolph's wollte lieber fuͤr ſich
als fuͤr andere fechten; und ſein fruͤhzeitiger Tod
war Frankreich nicht weniger als Oeſtreich erwuͤnſcht.
Auch das Gluͤck der Schwediſchen Waffen lebte unter
Banner wieder auf; und nach den vergeblichen
Friedensunterhandlungen zu Luͤbeck, vereinigten ſich
beyde
[155]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.
beyde Kronen, weil beyde Eroberungen wollten,
noch durch eine engere Allianz.

1638

Subſidien-Traktat mit Bernhard von Weimar 27. Oct.
1635, der ſich im Elſaß einen Staat zu erobern ſucht.
Einnahme von Breyſach 3. Dec. 1638. Nach ſeinem
ſehr unerwarteten Tode 8. Jul. 1639. bemaͤchtigte ſich
Frankreich ſeiner Armee. — Sieg der Schweden unter
Banner bey Wittſtock uͤber das Kayſerlich-Saͤchſiſche
Heer 24. Sept. 1636.


18. Wenn unter dieſen Umſtaͤnden ſich endlich
ein Schimmer des Friedens zeigte, ſo war es nicht
das Elend Deutſcher Laͤnder, — was kuͤmmerten
ſich die Fremden darum? — ſondern ein Zuſammen-
fluß von Umſtaͤnden, der ihn erzeugte. Die Verbin-
dung Oeſtreichs mit Spanien, das ohnehin die Buͤr-
gerkriege mit Portugal und Catalonien fuͤhren1640
mußte, wurde, ſeitdem Kayſer FerdinandIII. ſei-
nem Vater folgte, weniger eng; die Selbſtſtaͤndigkeit1637
des neuen Churfuͤrſten von Brandenburg Frie-
drich Wilhelm
ließ Oeſtreich wie Schweden weni-1640
ger Hoffnung; und auf dem endlich wieder gehal-
tenen allgemeinen Reichstage bequemte ſich der
Kayſer zu einer — wenigſtens ſo genannten — all-
gemeinen Amneſtie
. Aber als auch ſelbſt auf1641
10.
Oct.

der Zuſammenkunft der Geſandten der Hauptmaͤchte
zu Hamburg die Praͤliminarien unterzeichnet,25.
Dec.

und Zeit und Ort des Friedenscongreſſes beſtimmt
wurden;
[156]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
wurden; ſchob, nach Richelieu's Tode, dem Car-
1642dinal Mazarin folgte, der unterdeß immer fortge-
hende Krieg die Erfuͤllung hinaus, da jeder noch
durch Siege fuͤr ſich zu gewinnen hoffte. Ein neuer
Krieg
mußte ſich ſelbſt noch im Norden zwiſchen
1643
bis
1645
Schweden und Daͤnemark entzuͤnden (ſ. unten);
und als auch endlich der Friedenscongreß zu
1645
Apr.
Muͤnſter und Osnabruͤck eroͤffnet wurde,
dauerten die Unterhandlungen noch uͤber drey Jahre,
in denen das ſuͤdliche Deutſchland, und beſonders
Bayern, durch das wiederholte Eindringen der Fran-
zoſen und Schweden, den Kelch der Leiden bis auf
den Boden ausleeren mußte.


Unternehmungen von Torſtenſohn 1642—1645, ſo-
wohl in Schleſien, Sachſen (Sieg bey Leipzig 23. Oct. 1642),
und Boͤhmen; als in Holſtein 1644, und wiederum in
Boͤhmen 1645; waͤhrend die Franzoͤſiſche Armee bey
Duttlingen 14. Nov. 1643. von den Bayern geſchlagen
ward. Aber ſeitdem Turenne ihr Commando erhielt, und
nach Torſtenſohn's Abgange (Nov. 1645.) ſein Nachfolger
Wrangel in Verbindung mit jenem 1646 in Bayern ein-
drang, ward Maximilian I. zu einem Waffenſtillſtande zu
Ulm 14. Maͤrz 1647. genoͤthigt, deſſen Brechung jedoch
im Sept. 1647. einen neuen vereinten Einfall mit furchtba-
ren Verwuͤſtungen 1648. nach ſich zog; waͤhrend die Schwe-
den in Boͤhmen unter Pfalzgraf Carl Guſtav und Koͤ-
nigsmark
ſelbſt Prag einnahmen, wodurch der Friede nicht
wenig befoͤrdert wurde.


19. Die ſo verwickelten Verhaͤltniſſe mehrerer
Hauptmaͤchte gaben dem Congreß nothwendig einen
Umfang,
[157]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.
Umfang, wodurch er ſchon an und fuͤr ſich eine neue
Erſcheinung in Europa war. Oeſtreich war mit
Schweden und mehreren der proteſtantiſchen Staͤn-
de, Schweden mit Oeſtreich, Bayern und Sach-
ſen, Frankreich mit Oeſtreich und ſeinen Verbuͤnde-
ten ſo wie mit Spanien, Spanien mit Frankreich,
mit Portugall und mit den Niederlanden im Kriege.
Nur der Spaniſch-Niederlaͤndiſche (ſ. un-1648
20.
Jan.

ten) und der Deutſche Krieg wurden durch die-
ſen Congreß beendigt; nicht der Franzoͤſiſch-Spa-
niſche, der erſt nach 11 Jahren (ſ. unten) ſeine
Endſchaft erreichte; auch nicht der zwiſchen Spa-
nien und Portugal. Der Deutſche Friede ward
zu Muͤnſter zwiſchen dem Kayſer und Frankreich,24.
Oct.

zu Osnabruͤck zwiſchen dem Kayſer und Schwe-
den unterhandelt; beyde Friedensſchluͤſſe jedoch,
nach ausdruͤcklicher Uebereinkunft, als Ein Friede,
der den Nahmen des Weſtphaͤliſchen traͤgt, an-
geſehen.


Franzoͤſiſche Geſandte zu Muͤnſter waren Graf d'Avaux,
und Servien; Schwediſche zu Osnabruͤck Oxenſtierna
(Sohn des Kanzlers) und Salvius. Unter den Kayſer-
lichen Geſandten war der wichtigſte Graf von Trautmans-
dorf
; Spanien und die Niederlaͤnder hatten jeder 8 Be-
vollmaͤchtigte geſchickt; ſo wie auch viele andere Staaten
die ihrigen.


Außer dem Werk von Bougeant (ſ. oben S. 142.):


Negociations ſécrètes touchant la paix de Munſter et
d'Osnabruck; à la Haye 1725. 4 Voll. fol.


J.
[158]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

J. Steph. Puͤtter Geiſt des Weſtphaͤliſchen Friedens,
Goͤttingen 1795. 8.


Die vollſtaͤndigſte Sammlung der Actenſtuͤcke:


J. G. von MeyernActa pacis Weſtphalicae, Goͤttin-
gen 1734. Th. I—VI. fol., der auch die correcteſte Aus-
gabe dieſer Friedensſchluͤſſe Goͤttingen 1747. beſorgt hat.


20. Die durch den Weſtphaͤliſchen Frieden re-
gulirten Gegenſtaͤnde betrafen 1. Entſchaͤdigungen ſo-
wohl der Krieg fuͤhrenden auswaͤrtigen Maͤchte, als
einzelner Staͤnde des Reichs. 2. Die innern ſowohl
religioͤſen als politiſchen Verhaͤltniſſe des letztern. 3.
Die Verhaͤltniſſe von zwey andern auswaͤrtigen Staa-
ten zum Deutſchen Reich. — Um die Entſchaͤ-
digungsmaſſe
zu bilden, nahm man ſeine Zu-
flucht zur Seculariſation mehrerer, bereits pro-
teſtantiſch gewordener, geiſtlicher Stifter. Die aus-
waͤrtigen entſchaͤdigten Maͤchte waren Frankreich und
Schweden; die Deutſchen Fuͤrſten aber Branden-
burg, Heſſen-Caſſel, Mecklenburg und Braun-
ſchweig-Luͤneburg.


Frankreich erhielt den Elſaß, ſo weit er Oeſtreich
gehoͤrte; Beſtaͤtigung der Hoheit uͤber Metz, Toul und
Verdun (ſ. oben S. 69.); wie auch uͤber Pignerol, und
das Beſatzungsrecht in Philippsburg. Die abgetretenen
Laͤnder werden Frankreich einverleibt.


Schweden bekam Vorpommern nebſt der Inſel Ruͤgen
und einem Theil von Hinterpommern, Wismar, Bremen und
Verden; alles mit den Rechten der Reichsſtandſchaft
und 5 Millionen Thaler.


Chur-
[159]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.

Churbrandenburg die ſeculariſirten Stifter Mag-
deburg, Halberſtadt, Camin und Minden.


Mecklenburg Schwerin und Ratzeburg.


Heſſen Hirſchfeld und 4 Aemter nebſt 600000 Thaler.


Braunſchweig-Luͤneburg die Alternative in Os-
nabruͤck nebſt einigen Kloͤſtern.


Churſachſen behielt das im Prager Frieden Erhaltene.


21. Die Beſtimmungen der innern Verhaͤlt-
niſſe
des Deutſchen Reichs betrafen nicht ſowohl
neue, als bisher ſtreitige oder ungewiſſe, Gegen-
ſtaͤnde. Indem 1. in Anſehung der Religion nicht nur
der Augsburgiſche Religionsfrieden beſtaͤtigt, ſon-
dern auch ausdruͤcklich auf die Reformirten ausge-
dehnt und voͤllige Gleichheit der Rechte feſtgeſetzt; in
Anſehung der geiſtlichen Guͤter und der Religions-
uͤbung aber der Anfang des Jahrs 1624. als Norm
(Annus normalis) feſtgeſetzt, alſo auch fuͤr die Zu-
kunft das Reſervatum eccleſiaſticum als guͤltig
anerkannt wurde. 2. In Anſehung der politiſchen
Verhaͤltniſſe a. eine allgemeine Amneſtie und Reſtitu-
tion bewilligt; (jedoch bey dem Pfaͤlziſchen Hauſe
mit der Beſchraͤnkung, daß eine neue 8te Chur fuͤr
daſſelbe errichtet ward; und die ihm genommene Chur
nebſt der Oberpfalz bey Bayern blieb). b. Den ſaͤmmt-
lichen Staͤnden im Verhaͤltniß gegen den Kayſer ihre
Hoheitsrechte in ihren Laͤndern, ſo wie ihre Rechte auf
den Reichstaͤgen, geſichert wurden.


22.
[160]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

22. Die Verhaͤltniſſe mit auswaͤrtigen
Staaten wurden bey der Republik der vereinigten
Niederlande und der Schweiz dahin beſtimmt, daß ſie
als voͤllig unabhaͤngig von dem Deutſchen Reiche an-
erkannt wurden.


23. Die durch dieſen ſchrecklichen Krieg verur-
ſachten Reſultate ſcheinen, in Ruͤckſicht des veraͤnder-
ten Laͤnderbeſitzes, viel geringer, als man in mehre-
ren Zeitpuncten deſſelben haͤtte erwarten duͤrfen, und
hoͤchſt wahrſcheinlich erfolgt ſeyn wuͤrden, waͤren nicht
mit der Hinwegraffung Guſtav Adolph's und Wallen-
ſtein's aus der Mitte ihrer Laufbahn auch ihre Ent-
wuͤrfe oder Hoffnungen vereitelt. Aber ſeine Folgen
trafen doch nicht bloß Deutſchland, ſondern auch das
Europaͤiſche Staatenſyſtem uͤberhaupt.


24. Der Deutſche Staatskoͤrper erhielt da-
durch ſeine feſten Formen, die durch den bald
1662nachher zu Regensburg fixirten beſtaͤndigen
Reichstag
noch mehr beſtimmt wurden. Die
Kayſerliche Macht war jetzt geſetzmaͤßig auf das aͤu-
ßerſte beſchraͤnkt; die Fuͤrſten waren im vollen Sinne
Regenten ihrer Laͤnder, das Wohl Deutſchlands war
an die Territorial- nicht an die Reichsregierung ge-
knuͤpft. War dieſe Verfaſſung gut? — Sie ent-
ſprach dem Willen und dem Charakter der Nation,
die
[161]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.
die treu an ihren Fuͤrſten haͤngt. Sie hatte ihre
Maͤngel; wer mag ſie verkennen? Aber in wie
fern dieſe ſchaͤdlich werden ſollten, hieng meiſt von
aͤußeren Verhaͤltniſſen ab, die ſich nicht vorher be-
ſtimmen ließen. Giebt etwa die Vereinigung zu
Einer großen Monarchie — man ſehe Spanien —
die ſichere Buͤrgſchaft zu einer hoͤheren Stufe von
Nationalgluͤck, als Deutſchland ſie erſtiegen hat?


25. In dem Staatenſyſtem von Europa
wurden durch den Weſtphaͤliſchen Frieden keines-
wegs alle wichtige, oder auch ſelbſt nur ſtreitige, Ver-
haͤltniſſe beſtimmt. Aber 1. die Erhaltung Deut-
ſcher Verfaſſung, das Ziel des grauſamen Kampfs
von halb Europa, erhielt in den Augen der practi-
ſchen Politik eine Wichtigkeit, die ſelbſt nachmals
die Feinde des Reichs nicht verkannten. 2. Durch
die Verbindung Frankreichs mit Schweden waren der
Norden und der Weſten von Europa in naͤhere
Verhaͤltniſſe geſetzt. Aber es fehlte dieſer Verbin-
dung an einem fortdauernden gemeinſchaftlichen In-
tereſſe, da ſo bald von Oeſtreich nichts zu fuͤrchten
war; und ſie erſchlaffte um ſo viel mehr, da die Koͤ-
nigin Chriſtina ſie nur dazu nutzen wollte, Sub-
ſidien
von Frankreich zu ziehen. 3. Allerdings
aber hatte ſich Schweden zu dem Range einer der
erſten Landmaͤchte hinaufgeſchwungen, den es uͤber
L50
[162]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
50 Jahre behauptete. 4. Die Unabhaͤngigkeit der
Republik der vereinigten Niederlande war nun allge-
mein anerkannt. 5. Der practiſch angenommene
Grundſatz der Erhaltung Deutſcher Verfaſſung war
unaufloͤslich an den der Erhaltung des Gleichgewichts
der Maͤchte geknuͤpft; der daher auch ſeitdem noch
weit mehr anerkannt und befeſtigt wurde. Nicht alſo
durch die Beſtimmung aller politiſchen Hauptver-
haͤltniſſe, aber wohl der politiſchen Haupt-
grundſaͤtze
, ward der Weſtphaͤliſche Friede die
Grundlage der nachmaligen practiſchen Politik von
Europa.


26. Der Franzoͤſiſch-Spaniſche Krieg
ward durch den Weſtphaͤliſchen Frieden nicht been-
digt, weil beyde Theile, beſonders aber Spanien,
bey deſſen Fortdauer Vortheile fuͤr ſich hofften. Die
Befreyung von dem Niederlaͤndiſchen Kriege, die
Unruhen in Frankreich, naͤhrten dieſe Hoffnungen;
waͤhrend Frankreich auf die Schwaͤche Spaniens,
auf die Inſurrection von Portugal und Catalonien,
die es unterſtuͤtzte, noch groͤßere Entwuͤrfe baute.
Aber ungeachtet einiger Vortheile, welche Spanien
im Anfang erlangte, wandte ſich doch ſein Gluͤck;
1655zumal da auch Cromwell ihm den Krieg anzu-
kuͤndigen fuͤr gut fand, und ſich deshalb mit Frank-
1659reich verband. Der Pyrenaͤiſche Friede, von
den
[163]D. 1. Geſch. d. 30jaͤhr. Kriegs 1618--1648.
den dirigirenden Miniſtern, Cardinal Mazarin
und Graf Haro, geſchloſſen, machte ihm endlich
ein Ende; ward aber auch durch die verabredete Ver-
maͤhlung Ludwig's
XIV. mit der aͤlteſten Spa-
niſchen Infantinn die Quelle kuͤnftiger Kriege.


Sieg des Prinzen Condé bey Lens 20. Aug. 1648.
Der durch die Fronde veranlaßte Uebergang von Turenne
1650—1651 und von Condé 1652 Oct.—1659. half den
Spaniern nur auf einige Zeit. — Bereits 1653 und 1654
Uebergewicht der Franzoſen unter Turenne in den Nieder-
landen. Verbindung Mazarin's mit Cromwell 3. Nov. 1655.
Eroberung von Duͤnkirchen und Beſetzung von den Englaͤn-
dern 23. Jun. 1658. — Cromwell's Tod machte den Krieg
von Seiten Englands von ſelbſt aufhoͤren. — Pyrenaͤi-
ſcher Friede
7. Nov. 1659. Frankreich erhaͤlt: 1. Rouſ-
ſillon. 2. Mehrere Plaͤtze an den Niederlaͤndiſchen Grenzen.
3. Verſpricht Portugal nicht beyzuſtehen. 4. Der Herzog
von Lothringen, Spaniens Verbuͤndeter, wird, zum Theil,
reſtituirt. 5. Regulirung der Handelsverhaͤltniſſe. 6. Be-
ſtimmung der Heyrath zwiſchen Ludewig XIV. und der In-
fantinn Maria Thereſia.


  • Hiſtoire des négociations et du traité de la paix des Pyre-
    nées. Amſterd. 1750. T. I. II.
    12.

II. Ueberſicht der gleichzeitigen Veraͤnderungen in den
uͤbrigen Hauptſtaaten des weſtlichen Europas, und
ihrer Reſultate.

1. Spanien und Portugal.

1. Wenn gleich der politiſche Charakter Spa-
niens jetzt unveraͤndert derſelbe blieb, ſo mußte es
L 2doch
[164]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
doch zu ſeinem großen Nachtheil wichtige Veraͤnde-
1621
bis
1648
rungen erleiden. Der wieder erneuerte, und mit
ſo ſchlechtem Gluͤck gefuͤhrte Krieg mit den Nie-
derlanden
, und die ſchlechte Adminiſtration, hatten
1640
1640
bis
1652
den Abfall Portugals, und den langwierigen Auf-
ſtand
in Catalonien zur Folge, den Frankreich
unterſtuͤtzte. Der wieder aufgerichtete Thron von
Portugal zu Gunſten Johann's von Braganza,
verurſachte einen langwierigen, wenn gleich nur
matt gefuͤhrten Krieg, der mit der Anerkennung
1668der Unabhaͤngigkeit Portugals endigte. Blieb gleich
Portugal nur eine Macht vom zweyten Range; ſo
war es doch durch ſeine geographiſche Lage den
Feinden Spaniens als Verbuͤndeter wichtig. Aber
der alte Glanz des Thrones konnte nicht wieder
hergeſtellt werden; weil Oſtindien meiſt ſchon ver-
lohren war.


2. Frankreich.

2. Das Ruder Frankreichs war faſt dieſen
ganzen Zeitraum in den Haͤnden zweyer Geiſtlichen,
der Cardinaͤle Richelieu und Mazarin. Der
erſte verband mit einem richtigen politiſchen Blick
viele Kraft, wenn gleich wenig Moralitaͤt des Cha-
1624
bis
1642
rakters. Seine 18jaͤhrige Verwaltung ward
daher auch von Anfang bis zu Ende nach denſel-
ben
[165]D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur.--1660.
ben Grundſaͤtzen gefuͤhrt; Vergroͤßerung der koͤnig-
lichen Macht im Innern; Erweiterung des politi-
ſchen Einfluſſes nach außen. Die erſte ſetzte die
Entwaffnung der Hugenotten voraus; wen
hatte er nach der Einnahme von Rochelle noch1629
Oct.

zu fuͤrchten? Die Verſchwoͤrer traf das Beil. Im
Auslande ſtellte er den Franzoͤſiſchen Einfluß in Ita-
lien, in den Niederlanden, in Deutſchland her,
und gruͤndete ihn in Schweden. Gegen Oeſtreich
und Spanien ſtand er faſt immer in den Waffen.
Befoͤrderung der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte verlieh
den noͤthigen Glanz. Wer mag ſeine Verwaltung
im Einzelnen loben? aber im Ganzen traf er
den Charakter der Nation. Der Grund zu dem
Gebaͤude, das Ludwig XIV. auffuͤhren ſollte, war
gelegt.


  • Maximes d'Etat ou teſtament politique du Cardinal de Ri-
    chelieu. Paris 1764. 2 Voll.
    8. Zwar keine Geſchichte, aber
    unverholene Darlegung der politiſchen Grundſaͤtze des Mi-
    niſters.

3. Mazarin, die Stuͤtze der Regentin An-1642
bis
1661

na von Oeſtreich, waͤhrend der Minoritaͤt Lude-
wig's des XIV., ſuchte nur auszufuͤhren, was ſein
Vorgaͤnger begonnen hatte. Aber man entdeckte bald,
daß er nicht deſſen Kraft beſaß; die Minderjaͤhrig-
keit des Koͤnigs gab ohnehin den Großen mehr Spiel-
raum; und die Unruhen der Fronde brachen1648
bis
1652

L 3aus.
[166]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
aus. Ein wahres Nationaldrama in Urſprung, Fort-
gang und Entwickelung, von den Herren und Damen
des Hofes aufgefuͤhrt; aber — wenn gleich nicht ohne
Blutvergießen — dennoch nur aus der Claſſe der
Intriguenſtuͤcke. Der Principalminiſter behauptete
ſich gegen den Demagogen Retz; es blieb alſo bey
dem Alten; aber die Anſpruͤche der Prinzen
von Gebluͤt
waren, zum Vortheil der koͤniglichen
Macht, ſeit Condé's mißlungenem Verſuche, auf
immer in ihre Schranken zuruͤckgewieſen.


Aufang der Unruhen Aug. 1648. — Innerer Krieg un-
ter (dem großen) Condé Oct. 1651. Flucht des verurtheil-
ten Prinzen zu den Spaniern, und Ende der Unruhen Oct.
1652. — Erſt durch den Pyrenaͤiſchen Frieden 1659 ward
Condé reſtituirt.


L'eſprit de la fronde ou Hiſtoire politique et militai-
re des troubles en France pendant la minorité de Louis
XIV. (par M. Mailly) Paris 1772. 5 Voll. 12.


Unter den vielen Memoires vor allen die des Hauptak-
teurs: Mémoires du Cardinal de Rets (1648—1655)
Cologne 1718. 3 Voll.
Der feinſte Beobachter andrer ſpricht
darin nicht immer wahr von ſich. Man vergleiche:


  • Mémoires de Mr. Joly. T. I. II. Amſterd. 1718. als Ge-
    genſtuͤck.

3. England.

4. Fuͤr England war dieſer Zeitraum der der
großen innern Stuͤrme. Auch ſie giengen aus der
Reformation hervor. Aber es war hier der, unter
den
[167]D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur.--1660.
den Proteſtanten ſelbſt, durch die Trennung der
Epiſcopaliſten und Preſbyterianer oder Puritaner,
entſtandene politiſche Partheygeiſt, der ſie vorberei-
tete. Befoͤrdert ward aber ihr Ausbruch durch den
Widerſpruch, der zwiſchen den theoretiſchen Grund-
ſaͤtzen der Stuart's uͤber den Urſprung und Umfang
der koͤniglichen Gewalt, und denen der Puritaner
herrſchte. So kamen die Koͤnige mit der Nation
in Streit, zu eben der Zeit, wo ſie durch ihre,
aus verkehrter Staatswirthſchaft entſtehenden, Geld-
beduͤrfniſſe ſich von ihr abhaͤngig machten. Der
Grund zu dem Allen war ſchon unter JacobI.1603
bis
1625

gelegt. Wir aber ſein Sohn CarlI. durch einen
doppelten vergeblichen Krieg mit Spanien und mit1627
bis
1630

Frankreich ſeine Verlegenheit noch vermehrte,
ward die Spannung zwiſchen ihm und dem Parla-
mente ſchon ſo groß, daß er nur durch wiederholte
Aufhebung desſelben ſich zu helfen wußte; und bald
den Verſuch machte, ohne Parlament zu regieren.1630
bis
1640

Als aber die von ihm ſelbſt herbeygefuͤhrten Schot-
tiſchen Haͤndel ihn wieder zu der Zuſammenrufung
desſelben noͤthigten, maaßte ſich in dem langen1640
Nov
bis
1653
Apr.

Parlament das Unterhaus eine Macht an,
die der des Franzoͤſiſchen Nationalconvents in ſpaͤ-
teren Zeiten aͤhnlich war.


5. Die planmaͤßigen Angriffe des langen Par-
laments auf die koͤniglichen Diener und auf die koͤ-
L 4nigliche
[168]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
nigliche Macht fuͤhrten endlich zu einem Buͤrger-
1642
bis
1646
Mai
kriege, in dem der Koͤnig zuletzt erlag. Aber
waͤhrend dieſes Kriegs hatte ſich bey dem wachſen-
den Fanatiſmus in dem Parlament ſelbſt aus den
wildeſten und — ſchlauſten Fanatikern eine Partie
gebildet, die unter dem Nahmen der Indepen-
denten
— gleich der des Berges in Frankreich —
Freyheit und Gleichheit zu ihrem Ziel machte; nur
daß nach dem herrſchenden Geiſte der Zeit Alles
von der Religion ausgieng. Ihre Chefs — be-
1644
1647
Jun.
1649
29.
Jan.
ſonders Oliver Cromwell — bemaͤchtigten ſich
der Armee, und durch die Armee des gefangenen
Koͤnigs, den Cromwell aufs Blutgetuͤſt ſchickte.
Den Grundſaͤtzen der Partei gemaͤß, ward Eng-
land zur Republik erklaͤrt; und Schottland und
Ireland mußten ſich unterwerfen. Aber die mi-
litairiſche Regierungsform hatte ſchon eine Span-
nung zwiſchen den Chefs der Armee und dem Par-
lament erzeugt, bis Cromwell es fuͤr gut fand,
1653
20.
Apr.
dasſelbe auseinander zu jagen; und ſich von ſeinem
Kriegsrath zum Protector der Republik erklaͤren
zu laſſen.


6. Das Protectorat blieb jedoch auch eine mi-
litairiſche Regierung; trotz der wiederholten Ver-
ſuche, ihm den Anſtrich von parlamentariſcher
Freyheit zu geben; und trug deshalb — dem Na-
tional-
[169]D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur.--1660.
tionalcharakter entgegen — den unvermeidlichen Keim
des Unterganges in ſich. Aber die, faſt gaͤnzlich
getrennten, Continentalverhaͤltniſſe von Eng-
land wurden durch Cromwell wieder angeknuͤpft.
Hatte auch Leidenſchaft daran ihren Antheil, ſo
wurden ſie doch im Ganzen dem Handelsinter-
eſſe untergeordnet
. So entſtand die Navi-1651
gationsacte, ſo die Eroberungsentwuͤrfe
in Weſtindien, wie an den Kuͤſten der Nordſee
und Oſtſee. Jene ward durch den blutigen See-
krieg mit Holland
behauptet; dieſe durch den
Krieg mit Spanien, in Verbindung mit Frank-
reich, zum Theil ausgefuͤhrt.


Die Navigationsacte, gegeben 1651, ernenert durch
CarlII. 1660, ſollte 1. England den Alleinhandel mit
ſeinen Colonien ſichern. 2. Allen Fremden nur die Einfuhr
eigener Produkte auf ihren Schiffen erlauben. Sie war eine
Frucht des beginnenden Strebens der Staaten, ſich im Handel
zu iſoliren; traf aber, nach dem damaligen Zuſtande
der Schifffahrt, faſt blos Holland. Krieg mit Holland
1652. Wiederholte große Seeſchlachten. In dem Frieden
15 April 1654 bleibt England die Ehre der Flagge. — In
dem Kriege mit Spanien 1655—1658 Eroberung
Jamaicas 1655. Einnahme von Duͤnkirchen in Ver-
bindung mit Frankreich, das England gelaſſen werden muß.


7. Nach Cromwell's Tode[folgte] ihm1658
3.
Spt.

zwar ſein Sohn Richard im Protectorat; aber
als er ſelbſt es fuͤr gerathener fand, abzudanken,1659
Apr.

fuͤhrten die Zwiſte unter den Befehlshabern die Re-
L 5ſtaura-
[170]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
1660
Mai
ſtauration herbey, die Monk bewirkte. Sie
war aber mehr das Werk des Partheygeiſtes als
der Vernunft; ohne Maaßregeln fuͤr die Zukunft;
und indem CarlII. die alten Vorurtheile ſeines
Hauſes mit auf den Thron brachte, blieben auch
die Elemente des Streits zwiſchen Koͤnig und Volk;
und die Regierung ohne feſten Charakter.


Außer den Abſchnitten in Rapin und Hume, beſonders:


  • The hiſtory of the Rebellion and civil wars in England
    from 1649 to 1660: by Edw. Hyde of Clarendon. Vol.
    I—III. Oxf. 1667. fol.

4. Die vereinigten Niederlande.

8. Als der Weſtphaͤliſche Friede dieſer Repu-
blik ihre Unabhaͤngigkeit ſicherte, ſtand ſie in ihrer
vollen Bluͤthe da. Der neue 27jaͤhrige Krieg mit
Spanien hatte dieſe nicht abgeſtreift, da der Land-
krieg
jenſeit der Grenzen in den Spaniſchen Pro-
vinzen gefuͤhrt, und der Seekrieg entſchieden
gluͤcklich fuͤr ſie geweſen war. War auch der Staat
nicht ohne Schulden, ſo waren die Buͤrger reich.

1625
Aber der Keim zum inneren Zwiſt, unter Moritz

1647
durch Furcht, und ſeinen Bruder Friedrich
Heinrich
durch Liebe unterdruͤckt, entfaltete ſich
unter ſeinem Sohne WilhelmII.; und nur ſein
1650
Oct.
fruͤher Tod beugte wahrſcheinlich groͤßerem Ungluͤck
vor.
[171]D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur.--1660.
vor. Die Abſchaffung der Statthalter-
wuͤrde
in 5 Provinzen verſchaffte dem Syndicus
(Raths-Penſionair) der Staaten von Holland, Jean
de Witt
, einen ſolchen Einfluß, daß die Leitung1653
bis
1672

der auswaͤrtigen Angelegenheiten ganz in ſeinen Haͤn-
den war.


Erneuerung des Kriegs mit Spanien 1621. Als Land-
krieg durch die Belagerungen von Breda, Herzogen-
buſch
, und viele andere wichtig, bis zu der Verbindung
mit Frankreich 1635. Als Seekrieg theils durch Capereyen,
theils durch Eroberungen in den Colonien, beſonders auf
Koſten Portugals (ſ. unten), theils durch die Seeſiege in
Europa, beſonders 1639, fuͤr die Niederlaͤnder gluͤcklich. —
In dem Frieden 24. Jan. 1648 ward nicht nur 1. die Un-
abhaͤngigkeit der Republik von Spanien anerkannt, ſondern
auch 2. der gegenwaͤrtige Beſitzſtand, ſowohl in Europa,
(wodurch der Republik die Generalitaͤtslande und Maſtricht
blieben;) als auch in den Colonien beſtaͤtigt. 3. In die
Sperrung der Schelde von Spanien gewilligt.


5. Oeſtreich und die oͤſtlichern Laͤnder.

9. Wenn der Einfluß des Oeſtreichiſchen Hauſes
in Deutſchland in ſeine Schranken in dieſem Zeit-
raum zuruͤckgewieſen wurde; ſo wuchs dagegen die
Macht deſſelben ſowohl in Boͤhmen, das, ſeiner
Privilegien beraubt, jetzt von ſelbſt ein Erbreich
ward, als in Ungarn. Eine mehr dauernde Ruhe
haͤtte hier werden koͤnnen, waͤre ſie nicht durch die
Fuͤrſten von Siebenbuͤrgen und durch die Je-
ſuiten
[172]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſuiten geſtoͤrt. Das Streben, Ungarn zu einem
Erbreiche zu machen, ward ſchon damals rege;
wie lebhaft auch die Ungarn jeder Neuerung wider-
ſtanden; und wann ſiegte nicht zuletzt eine beharr-
liche Politik?


Schon die politiſchen Verhaͤltniſſe von Sieben-
buͤrgen, deſſen Wahlfuͤrſten zugleich Vaſallen von der Pforte
und von Ungarn waren, machten eine dauernde Ruhe faſt
unmoͤglich. Haͤtten dieſe Fuͤrſten die Vortheile ihrer Lage
nutzen wollen oder koͤnnen, ſo waͤren ſie leicht Stifter eines
großen Reichs geworden. Den Frieden mit Gabriel Beth-
len
(1613—1629), der ſchon Koͤnig von Ungarn hieß,
mußte Oeſtreich durch Abtretungen erkaufen 1616 und 1621.
Von ſeinen Nachfolgern Georg RakozyI. († 1648) und
II. († 1660) ließ ſich der erſtere 1643 in Verbindung mit
Schweden und Frankreich ein; und ſchloß 24. Aug. einen
fuͤr ihn und die Proteſtanten vortheilhaften Frieden; der
andere war mehr mit Polen als Ungarn beſchaͤftigt. —
Die Religionsverhaͤltniſſe erhielten aber in Ungarn
eine beſtaͤndige Gaͤhrung; da die Jeſuiten ihre Projecte
gegen die Proteſtanten mit denen des Hofes vortrefflich
in Verbindung zu ſetzen wußten.


10. In dem Tuͤrkiſchen Reiche zeigten ſich
ſchon in dieſem Zeitraume die Erſcheinungen, wo-
mit der inne[r]e Verfall der großen Monarchien des
Orients beginnt; unfaͤhige im Serail erzogene Herr-
ſcher; Uebermuth der Janitſcharen, die den Thron
beſetzen; Empoͤrungen uͤbermuͤthiger Statthalter.
Da jedoch die perſoͤnliche Kraft bey einem Barba-
ren-Volk nicht erſtirbt, ſo bedarf es nur eines
Herr-
[173]D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur.--1660.
Herrſchers, wie AmuradIV. es war, um es1622
bis
1640

furchtbar zu machen. Aber auf das Europaͤiſche
Staatenſyſtem ſuchte er, zum Gluͤck fuͤr Oeſtreich
und Deutſchland, keinen Einfluß, denn ſeine Er-
oberungsplaͤne waren gegen Perſien gerichtet. Und
1648

wenn gleich ſein Nachfolger Ibrahim den lang-
wierigen Krieg gegen Candia begann, das erſt ſein
1687

Sohn Mahomed 1668 den Venezianern entriß,
ſo war es doch erſt die Theilnahme an den Sieben-ſeit
1657

buͤrgiſchen Haͤndeln, welche die Tuͤrken wieder in
dem folgenden Zeitraum ihren weſtlichen Nach-
barn gefaͤhrlich machte.


11. Fuͤr die practiſche Politik war dieſer
Zeitraum ſowohl fuͤr ihre Formen, als fuͤr ihre
Grundſaͤtze wichtig. Ihre Formen wurden durch
Richelieu, den Gruͤnder der Cabinetspolitik,
um vieles beſtimmter. Vorzuͤglich war es jedoch
der Weſtphaͤliſche Congreß, der auf ſie zu-
ruͤckwirkte. Nie hatte man noch politiſche Verhand-
lungen von ſolchem Umfange und ſolchem Erfolge
in Europa geſehen! Was glaubte man ſeitdem
nicht auch auf Congreſſen ausrichten zu koͤnnen? —
Gern brauchte man, ſeit Richelieu und Mazarin,
Geiſtliche zu Unterhaͤndlern. Keine gleichguͤltige
Sache, ſo wenig fuͤr das Anſehen des Standes,
als den Gang der Geſchaͤfte.


12. Aber
[174]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

12. Aber auch politiſche Grundſaͤtze hat-
ten ſich entwickelt, deren Folgen nicht abzuſehen
waren. Die Brittiſche Revolution hatte die Frage
uͤber die Rechte des Volks und der Koͤnige zur
Sprache gebracht, die beyde nicht blos mit dem
Schwerdt, ſondern auch mit der Feder vertheidigt
wurden. Wenn auch ein Filmer vergeſſen ward, ſo
ſchrieben doch ein Hobbes und ein Algernoon
Sidney
nicht umſonſt. Die fortdauernde Unver-
nunft der Stuart's belebte nur dieſe Unterſuchungen;
und bereitete die nachmalige Feſtſtellung der Natio-
nalfreyheit vor. Aber auch die, durch die Inde-
pendenten aufgeſtellten, Grundſaͤtze der Frey-
heit und Gleichheit
giengen nicht unter. Fan-
den ſie auch in England keine Anwendung, ſo wur-
den ſie dagegen jenſeits des Oceans in Americas
Boden verpflanzt, um dereinſt, vergiftet, von da
nach Europa zuruͤckgebracht zu werden.


Political diſcourſes of Rob. Filmer. Lond. 1680.
Ein ſchlechter, aber damals bedeutender, Vertheidiger der
koͤniglichen Allgewalt; weit uͤbertroffen durch


Th. Hobbes Leviathan ſive de materia forma et po-
teſtate civitatis. Lond.
1651.


Diſcourſes on government by Algernoon Sidney, erſt
gedruckt Lond. 1698. Der beruͤhmte Vertheidiger und Maͤr-
tyrer des Republicaniſmus. Er ſchrieb zunaͤchſt gegen Filmer.


13. Die Staatswirthſchaft blieb ohne
weſentliche Fortſchritte. Richelieu ſorgte nur —
gleich-
[175]D. 2. Veraͤnd. d. uͤbr. Hptſt. d. w. Eur.--1660.
gleichviel wie? — fuͤr die oͤffentlichen Beduͤrfniſſe
des Augenblicks; Mazarin noch außerdem fuͤr ſich
ſelbſt. Was ließ ſich waͤhrend des verheerenden
Krieges fuͤr ſie in Deutſchland, was waͤhrend der
Revolution in England erwarten? Selbſt in den
Niederlanden wußte man in dem erneuerten Kriege
ſich nur durch Anleihen zu helfen. Aber das Bey-
ſpiel dieſes Staats befeſtigte immer mehr die Ueber-
zeugung, daß Fabriken und auswaͤrtiger Handel die
Hauptquelle des Nationalreichthums uͤberhaupt ſeyen;
aus deſſen verkehrter Anwendung ſo viele ſchaͤdliche
Irrthuͤmer ſich in der Folge entwickeln ſollten.


14. Die Kriegskunſt mußte wohl durch einen
Krieg wie der dreißigjaͤhrige, und der erneuerte Nie-
derlaͤndiſche, große Veraͤnderungen erleiden. Indeſ-
ſen beſtanden dieſe noch nicht in einer Vermehrung
der ſtehenden Heere. Die Feldherren warben und
entließen ihre Truppen; was Mansfeld und Chri-
ſtian von Braunſchweig im Kleinen getrieben hat-
ten, trieb Wallenſtein ins Große. Aber Epoche in
der Kriegskunſt machte nicht Er, ſondern Guſtav
Adolph, deſſen Genie eine neue Taktik ſchuf, die
ſchnelle Bewegung durch weniger tiefere Stellung,
leichtere Waffen, und verbeſſertes Geſchuͤtz zum
Endzweck hatte. Seine Brigaden ſchlugen die
kayſerlichen Regimenter, wie einſt die Roͤmiſchen
Legio-
[176]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Legionen die Macedoniſche Phalanx. — Auch in
der Diſciplin ſtellte er ein großes Muſter auf;
aber das Morden und Rauben ließ doch nicht eher
nach, bis das eigene Beduͤrfniß der Verheerung ei-
nige Grenzen ſetzte.


III. Geſchichte des Europaͤiſchen Colonialweſens von 1618
bis 1660.

1. Der gegenwaͤrtige Zeitraum war fuͤr die
Colonien nicht ſowohl durch große Veraͤnderungen
als durch Fortſchritte wichtig. Die Hollaͤnder, fort-
dauernd das erſte Handelsvolk, hatten bereits in dem
verfloſſenen ihre Einrichtungen getroffen; ſie wurden
erweitert, aber nicht weſentlich veraͤndert. Eben
dieß gilt von den Englaͤndern. Bey Spaniern und
Portugieſen war an freywillige Abaͤnderungen am
wenigſten zu denken.


2. Das ganze Prachtgebaͤude der Hollaͤndi-
ſchen
Handels- und Fabrik-Induſtrie, unter dem
Panier der Freyheit in dieſem Zeitraum vollendet,
gewaͤhrte einen ſo blendenden Anblick, daß der Neid
der Nachbaren bald dadurch erregt ward. Ihre
innere
[177]D. 3. Geſch. d. Eur. Colonialw. 1618--1660.
innere Thaͤtigkeit war freylich ſchon durch die Be-
ſchaffenheit ihres Landes auf Fabriken und Manu-
facturen gerichtet; aber ein ſolches Reſultat konnte
doch nur durch das Zuſammentreffen zweyer Ur-
ſachen erfolgen: der Leichtigkeit der Anlage, wegen
des unermeßlich ſich anhaͤufenden Nationalcapitals;
und der ſteigenden Beduͤrfniſſe Europas und der
Colonien, bey der ſteigenden Vervollkommung des
geſellſchaftlichen Zuſtandes.


Die Seltenheit von Brennmaterial bewirkte natuͤrlich,
daß Manufacturen weit mehr als eigentlich ſogenannte Fa-
briken dort gedeihen konnten. Unter jenen ſtehen die Wol-
len-, Hanf- und Linnenmanufacturen, die Papiermacherey
und der Schiffbau oben an. Wer mag die geringeren auf-
zaͤhlen? — Die bewegenden Kraͤfte fand man in der An-
lage von Muͤhlen mancherley Art. In ihnen uͤbte ſich das
mechaniſche Genie, und machte Nordholland zu dem einzigen
Lande auf der Welt.


3. Wie bey allen großen handelnden Voͤlkern
ſtand auch bey den Hollaͤndern der Colonialhandel
oben an: und der Oſtindiſche blieb der erſte
Zweig deſſelben. Die Compagnie ſtand jetzt, auch
als politiſcher Koͤrper, in ihrer vollen Macht da;
und verdraͤngte, trotz des mit der Engliſchen abge-1619
ſchloſſenen Tractats, ihre Rivalen, durch die
Greuelſcene auf Amboina, endlich voͤllig aus1623
den Molucken. Behauptung des Monopols, auch
auf die gehaͤſſigſte Weiſe, blieb alſo der Haupt-
Mzweck.
[178]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
zweck. Die Gewinnung der Producte aber geſchah
durch die Unterjochung der einheimiſchen Voͤlker
durch Waffen und Tractate. Die Hollaͤnder ſelber
wurden nicht Coloniſten; denn es gab zu Hauſe keine
Urſachen, die große Schaaren von ihnen uͤber das
Meer getrieben haͤtten.


4. Das neuangelegte Batavia blieb der Mit-
telpunct des Hollaͤndiſchen Indiens, als Sitz der
Regierung; wenn es gleich als Stadt ſich erſt all-
maͤhlig hob. Die Verbreitung theils durch Erobe-
rungen, theils durch bloßen Handel, geſchah von
dort aus; jene auf Malabar, Coromandel, Ceylon
und andern Inſeln, dieſe durch ihre Verhaͤltniſſe
mit China und Japan.


Die den Portugieſen entriſſenen Beſitzungen a. auf Co-
romandel
waren Paliacata 1615, ſtatt deſſen ſeit 1658
Negapatam Hauptort wurde. b. Auf Malabar Calicut
1656, Cochin und Cananor 1661; wodurch der ganze dorti-
ge Pfefferhandel in ihre Haͤnde kam. Comtoirs waren auſ-
ſerdem uͤber beyde Kuͤſten bis in Bengalen verbreitet. c. Auf
Ceylon, als Verbuͤndete des Koͤnigs von Candi gegen die
Portugieſen ſeit 1638, Einnahme von Columbo, dem Haupt-
ort 1656. Mannaar und Jaffanapatam 1658. Aber bald
geriethen die Hollaͤnder ſelbſt in Krieg mit Candy, der bald
erſtarb, bald wieder auflebte. d. Im jenſeititigen Indien
Eroberung von Malacca 1640, und Eingang in Pegu und
Siam. e. Weitere Verbreitung auf den Sunda-Inſeln;
indem ſie von Java ganz Meiſter wurden; auf Celebes
1660, Sumatra u. a. theilweiſe, durch Forts und Com-
toirs. f. In Japan gelang es ihnen durch die Revolution

von
[179]D. 3. Geſch. d. Eur. Colonialw. 1618--1660.
von 1639, die Portugieſen zu verdraͤngen; und, wenn gleich
unter den groͤßten Beſchraͤnkungen, den Zutritt ſich zu er-
halten. Der Hollaͤndiſche Handel mit China war, zumal
ſeit der Vertreibung von Formoſa 1661, weniger wichtig.
— Das ganze Gebiet der Compagnie zerfiel in die 5 Gou-
vernements
von Java, Amboina, Ternate, Cey-
lon
und Macaſſar, wozu aber noch mehrere Directo-
rien
und Commanderien kamen. Alles ſtand unter
der Regierung zu Batavia.


5. Die ſicherſte Vormauer ihrer Indiſchen Be-
ſitzungen wurde aber die auf dem Vorgebirge
der guten Hoffnung
geſtiftete Niederlaſſung.1653
Sie wurde ihrem Zweck gemaͤß Ackerbau-Colonie;
und wuͤrde nach ihrer Lage und ſehr paſſenden erſten
Einrichtung noch weit wichtiger geworden ſeyn, haͤtte
die Compagnie ſie nicht zum bloßen Wirthshaus auf
der Reiſe nach Oſtindien beſtimmt, worin ſie ſelber
den Wirth machte. Sie bildete ein eigenes, das
6te Gouvernement.


Kolbe Beſchreibung des Vorgebirges der guten Hoffnung
1719.


Sparrmann Reiſe nach dem Vorgebirge der guten Hoff-
nung. (Aus dem Schwediſchen) Berlin 1784. 8.


Beſchreibung des Vorgebirges der guten Hoffnung von
Mentzel. Glogau 1785. 2 Th.


Barrow travels in Southern Africa. Lond. Vol. I.
1801. II.
1804.


6. Dieß große Aufbluͤhen der Oſtindiſchen Com-
pagnie ward aber auch Urſache, daß man auch den
Weſtindiſchen Handel, gleich nach dem Wie-
M 2deraus-
[180]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
derausbruch des Kriegs mit Spanien, einer privile-
girten Compagnie uͤbergab, die, nach demſelben Mu-
ſter gebildet, Braſilien zum Ziel ihrer Eroberungen
machte; aber auch bald es empfand, daß Caperey
und Krieg auf die Dauer kein eintraͤglicher Erwer-
bungszweig ſind.


Stiftung der Compagnie 3. Jun. 1621. Ihre Privile-
gien umfaßten die Weſt-Kuͤſte von Africa, vom Noͤrdlichen
Wendezirkel bis zum Cap; faſt die ganze Oſt- und Weſt-
Kuͤſte von America, und die Inſeln des großen Oceaus.
Sie ward in 5 Kammern getheilt; und ihr Fond betrug et-
wa 7 Millionen Gulden. — Reiche Caperey der erſten Jah-
re, beſonders durch Eroberung der Silberflotte 1628. —
Eroberungen auf Braſilien 1630-1640, beſonders unter
Graf Johann Moriz von Naſſau ſeit 1636. — Aber bey der
Armuth an Producten war kein großer Handel moͤglich; und
wenn gleich in dem Stillſtande mit dem wieder ſelbſtſtaͤndi-
gen Portugal 1641 ihre dortige Eroberungen den Hollaͤndern
bleiben ſollten, ſo gingen ſie doch in den naͤchſten Jahren
wieder verlohren; und die Compagnie ſank unaufhaltſam. —
Eroberung von St. Georg della Mina an der Africaniſchen
Kuͤſte 1637. — Niederlaſſungen in Weſtindien, auf den
Felſeninſeln St. Euſtace 1632, Curaçao 1634, und auf den
Inſelchen Saba 1640 und St. Martin 1649; nie durch die
Coloniſation, wohl aber durch den Schleichhandel wichtig.


7. Die Fiſchereyen der Republik, ſowohl
die große oder Heringsfiſcherey, als der Wallfiſch-
fang, ſtanden zwar mit den Colonien in keiner Ver-
bindung; wohl aber trugen ſie durch die Streitig-
keiten, die mit England uͤber den Heringsfang an
der
[181]D. 3. Geſch. d. Eur. Colonialw. 1618--1660.
der Schottiſchen Kuͤſte entſtanden, ſowohl zu den
politiſchen Haͤndeln, als zu den Anſpruͤchen Eng-
lands auf die Meerherrſchaft (ſ. unten) bey.


Der Streit uͤber den Heringsfang an der Brittiſchen Kuͤ-
ſte ward zuerſt rege gemacht von Jacob I. 1608; erneuert
von Carl I. 1635; und von Cromwell 1652; jedoch be-
haupteten ſich die Hollaͤnder (bis auf 10 Meilen von der
Kuͤſte) im Beſitz. — Der Wallfiſchfang ward ſeit der Auf-
hebung der Compagnie 1645 allen frey gegeben.


8. Unter den Zweigen des Europaͤiſchen
Handels ward der nach der Oſtſee beſonders politiſch
wichtig, da er die Republik oͤftrer in die Haͤndel des
Nordens verflocht (ſ. unten); wenn auch der
Rheinhandel an Wichtigkeit ihn uͤbertraf. Zu
dieſem kam aber vor allen die unermeßliche Fracht-
ſchifffahrt
; — (es fehlte den uͤbrigen Voͤlkern
noch an Schiffen;) — die jedoch durch die Britti-
ſche Navigationsacte einen Hauptſtoß erhielt.


9. Indem die Republik auf dieſe Weiſe ihren
Handel zu einem Grade erhob, der nahe an ein
Monopol grenzte, wurde es unausbleiblich, daß da-
durch eine Rivalitaͤt mit dem gleichfalls aufſtreben-
den England entſtand. Allerdings trug dieſe Ri-
valitaͤt weſentlich zu den beyden Kriegen unter Crom-
well und Carl II. bey; allein die politiſchen Verhaͤlt-
niſſe verhinderten es nachmals, daß ſie nicht blei-
bend werden konnte; und damals waren die Strei-
M 3tigkeiten
[182]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
tigkeiten der Handelscompagnien noch immer nicht
Streitigkeiten der Staaten. Fuͤr England aber war
dieſer Zeitraum, noch mehr als der vorige, der Zeit-
raum der Monopole, eine Hauptfinanzquelle
waͤhrend der eigenmaͤchtigen Regierung von Carl I.
Die innere Gaͤhrung wurde dadurch erhalten; aber
trotz dieſer Maaßregeln ſtieg dennoch ſelbſt damals der
Handel und der Wohlſtand der Nation, denn dieſe,
nicht die Regierung, war ſeine Schoͤpferinn.


J. Selden mare clauſum ſeu de dominio Maris libri II.
Lond.
1635. Auf Befehl der Regierung geſchrieben. Eine
weitſchweifige hiſtoriſche Induction, die nichts beweiſet. —
Die vier England umgebenden Meere ſeyen ſein Eigen-
thum
: ſchlimm, daß ſie im Norden und Oſten nicht ſo
wie in Suͤden und Weſten Grenzen hatten!


10. Der Oſtindiſche Handel blieb in dieſem
Zeiraum zwar in den Haͤnden der Compagnie, je-
doch nicht ohne Wechſel. Von den Hollaͤndern
von den Gewuͤrzinſeln verdraͤngt, blieben ihr nur
einige Factoreyen an den Kuͤſten Malabar und Co-
romandel; und auch die Acquiſition von Madras
verbeſſerte ihre Lage ſo wenig, daß ſie ſich aufzuloͤ-
1653ſen ſchien, und eine freye Fahrt nach Indien an-
1658fing; bis Cromwell durch Verſtaͤrkung des Fonds
ſie wiederherſtellte, und im Kriege mit Holland ſich
ihrer annahm.


Anlage des Forts St. George bey Madras 1620, mit
Einwilligung des Koͤnigs von Golconda. — Ermordung der

Englaͤn-
[183]D. 3. Geſch. d. Eur. Colonialw. 1618--1660.
Englaͤnder auf Amboina 1623, wofuͤr ihnen zwar im Frieden
1651 die Gewuͤrzinſel Poleron zugeſprochen ward, doch ohne
daß ſie ſich dort behaupten konnten. — Bleibende Beſetzung
der Felſeninſel St. Helena 1651.


11. Anſiedelungen der Englaͤnder in Weſtin-
dien
. Sie geſchahen durch Privatperſonen auf
mehrern der kleinen Antillen, auf die man wenig
Werth legte, da ſchlechter Tabak und Baumwolle
faſt die einzigen Erzeugniſſe waren. Erſt ſeitdem
auf Barbados der Zuckerbau, aus Braſilien da-1641
hin gebracht, anfing zu gedeihen, lernte man ihre
Wichtigkeit kennen; und die Eroberung Jamai-
ca's
legte ſchon in dieſem Zeitraum den Grund zu
der kuͤnftigen Handelsgroͤße der Britten in dieſer
Weltgegend.


Erſte Niederlaſſungen auf Barbados und halb St. Chri-
ſtoph 1625. Auf Berbuda und Nevis 1628. Auf Monſerat
und Antigua 1632. Eroberung von Jamaica 1655 und Ein-
fuͤhrung des Zuckerbaus daſelbſt 1660. Auch auf Surinam
ſetzten ſich die Englaͤnder ſeit 1640 feſt. Einnahme der
unbewohnten Bahama-Inſeln, und Niederlaſſung auf Pro-
vidence 1629, gleichſam dem Schluͤſſel von Weſtindien.


The Hiſtory civil and commercial of the Brittish Co-
lonies in the Weſt-Indies by Bryan Enwards 1793. III
Vol.
4. Fuͤr die allgemeine Geſchichte des Brittiſchen Weſt-
indiens das Hauptwerk. — Der dritte Theil begreift die
Kriege auf Domingo.


12. Doch waren es ganz beſonders die Nord-
Americaniſchen
Colonien, welche in dieſem Zeit-
M 4raum
[184]I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
raum ſo große Fortſchritte machten, daß die Wich-
tigkeit derſelben ſchon von der Nation anerkannt
wurde. Der Druck der Puritaner, und die innern
Stuͤrme Englands waren es, die Schaaren von
Coloniſten uͤber den Ocean trieben. Die einzelnen
Provinzen, anfangs noch unter dem allgemeinen
Nahmen von Virginien und Neu-England begriffen,
(ſ. oben S. 139.), fingen an, ſich abzuſondern, und
1625erhielten ſeit der Aufhebung der London-Compagnie,
1637und dem Zerfall der Plymouth-Geſellſchaft, Ver-
faſſungen, die, wenn ſie auch groͤßere Abhaͤngigkeit
vom Koͤnig zum Zweck hatten, doch mit republicani-
ſchen Formen verbunden waren, welche die dortige
Lage der Dinge meiſt ſelber erzeugte.


Entſtehung von Maſſachuſet ſeit 1621 und Anlage von
Boſton 1627, meiſt durch wahre Fanatiker in Religion und
Politik, die ihre Grundſaͤtze auch jenſeit des Meers geltend
machten. Entſtehung von Rhodeisland ſeit 1630, durch Ver-
triebene aus Maſſachuſet. — Anlage von Maryland durch
Lord Baltimore, und Stiftung der Stadt dieſes Nahmens,
mehrentheils durch Catholiken 1632. — Virginien, als
Suͤd-Haͤlfte der Kuͤſte, blieb noch ungetrennt; ſtieg aber
in gleichem Verhaͤltniſſe mit der Verbreitung des Tabaks.
— Erſte Parlamentsacte, die Nord-Amerikaniſchen Co-
lonien betreffend 1660, als Anerkennung ihrer Wichtigkeit
fuͤr Schifffahrt und Handel von Seiten der Nation.


Fuͤr die aͤltere Geſchichte: J. Oldmixon Britiſh Em-
pire in America. Lond. 1708. 2 Voll.
(fortgeſetzt in der 2ten
Ausgabe bis 1741.)


Beſchreibung des Brittiſchen America von Chriſt. Leiſte.
Wolfenbuͤttel 1778. 8.


13. Auch
[185]D. 3. Geſch. d. Eur. Colonialw. 1618--1660.

13. Auch die Franzoſen, aufmerkſam auf bey-
de Indien, fiengen an, in die Reihe der Colo-
nienbeſitzenden Voͤlker zu treten. Allein die Verſu-
che unter Richelieu zur Theilnahme am Oſtindiſchen
Handel, blieben noch ohne Erfolge; dagegen gedie-
hen aber die Anpflanzungen auf mehrern der Weſt-
indiſchen Inſeln, die jedoch, von Privatperſonen
angelegt, auch nur Eigenthum von dieſen blieben.


Erſte Niederlaſſungen auf St. Chriſtoph zugleich mit den
Englaͤndern 1625. Von da aus auf Gnadaloupe und Marti-
nique 1635, das ſchon gegen das Ende dieſes Zeitraums viel
Zucker producirte. — Um eben die Zeit die erſten Verſuche
zu Niederlaſſungen auf Cayenne; ſo wie auch zu Senegal an
der Kuͤſte von Africa.


Fuͤr die aͤltere Geſchichte: Hiſtoire générale des Antil-
les, habitées par les Français, par le Père du Tertre.
Paris 1667. III Vol.
4.


14. Spanien verlor durch die wiedererrun-
gene Selbſtſtaͤndigkeit Portugals die ſaͤmmtlichen
Colonien desſelben, Ceuta ausgenommen. Aber
wenn ſich gleich Portugal in Braſilien gegen die
Hollaͤnder behauptete, ſo entriſſen ihm dagegen die
Eroberungen derſelben bis auf Goa und Diu
faſt alle ſeine Oſtindiſchen Beſitzungen; ſo wie
Ormus ihm von den Perſern, unter Beyſtand der1622
Englaͤnder, genommen wurde. Nur durch die ſtei-
gende Wichtigkeit von Braſilien konnte es einen
Platz unter den Colonial-Voͤlkern behaupten.


M 5Erſte
[186]I. Periode. II. Theil.

Erſte Periode.


Zweyter Theil.
Geſchichte des Noͤrdlichen Staatenſyſtems, von der Auf-
loͤſung der Calmariſchen Union bis zu den Frieden von
Oliva und Copenhagen, 1523-1660.


  • J. J. Schmauß Einleitung zu der Staatswirthſchaft, zweyter
    Theil; die Hiſtorie aller zwiſchen den Nordiſchen Potenzen,
    Daͤnemark, Schweden, Rußland, Polen und Preußen ge-
    ſchloſſenen Tractaten in ſich haltend. Leipzig 1747. 4. —
    Geht bis 1743. Fuͤr die allgemeine diplomatiſche Geſchichte
    des Nordens bis dahin noch immer das Hauptwerk.

1. Auch fuͤr den Norden von Europa war der
Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts nicht weniger
Epoche machend als fuͤr den Weſten. Die fuͤnf
Hauptſtaaten desſelben, Schweden, Daͤnemark,
Polen, Rußland
, und das damalige Preußen
erlitten ſaͤmmtlich einzeln Veraͤnderungen, die ihre
kuͤnftige Geſtalt und ihren Charakter entweder ſchon
beſtimmten, oder doch vorbereiteten.


2. Dieſe Veraͤnderungen wurden aber durch
zwey Hauptbegebenheiten herbeygefuͤhrt, durch
die Wiederaufrichtung des Schwediſchen
Throns
[187]Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt. 1523--1660.
Throns durch die Aufloͤſung der Calmariſchen
Union; und durch die Reformation. Die
foͤrmliche Aufloͤſung jener Verbindung, welche die
drey Nordiſchen Reiche unter Einen Regenten hatte
ſtellen wollen, ohne je voͤllig ihren Zweck zu errei-
chen, ſchuf eine Reihe unabhaͤngiger Staaten im
Norden, deren Verhaͤltniſſe, ſobald gemeinſchaftli-
che Beruͤhrungspuncte ſich fanden, ſich auch ſehr
eng in einander verſchlangen.


3. Die Reformation wurde fuͤr den Nor-
den von Europa faſt noch politiſch wichtiger, als
fuͤr den Suͤden. Sie fand in drey Hauptlaͤndern,
Daͤnemark, Norwegen und Schweden, einen ſo gro-
ßen Eingang, daß ſie bald hier herrſchend wur-
de; ſie ward in dem letztern ſogleich, in den bey-
den andern nachmals, die Grundlage der Verfaſ-
ſung; ſie beſtimmte die ganzen nachfolgenden Ver-
haͤltniſſe von Preußen; und auch das kuͤnftige
Schickſal Polens ward großentheils durch ſie vor-
bereitet.


4. Die herrſchenden Voͤlker des Nordens wa-
ren von doppelter, theils germaniſcher, theils
ſlaviſcher Abkunft; und dieſe Verſchiedenheit
zeigte ſich auch in den Verfaſſungen. Bey den er-
ſtern
hatte ſich auf eine aͤhnliche Weiſe wie in dem
weſtli-
[188]I. Periode. II. Theil.
weſtlichen Europa das Lehnsweſen ausgebildet; aber
auch in demſelben ein Buͤrgerſtand, wenn gleich
Adel und Geiſtlichkeit ein großes Uebergewicht hat-
ten. In den Slaviſchen Landen, Polen und
Rußland, hatte aber der Adel, ohne eigentliche
Lehnsverhaͤltniſſe, dennoch das Volk zur Leibeigen-
ſchaft herabgedruͤckt; und kein Buͤrgerſtand hatte,
beym Mangel an Handelsſtaͤdten, ſich bilden koͤn-
nen. So unterſchieden ſich beyde ſehr weſentlich
dadurch, daß in den erſtern wenigſtens die Elemen-
te zur Ausbildung einer buͤrgerlichen Verfaſſung
vorhanden waren, in den letztern aber ſo gut wie
gaͤnzlich fehlten.


1. Daͤnemark. Seine Koͤnige, ſeit 1447 aus dem
Hauſe Holſtein-Oldenburg gewaͤhlt, ſollten Unionskoͤnige
der 3 Nordiſchen Reiche ſeyn, waren es aber ſelten; und
als ChriſtianII. die Union umſonſt in Schweden erzwin-
gen wollte, brach in Daͤnemark ſelbſt ein Aufſtand gegen ihn
aus 1523, der ihm den Thron und bald auch die Freyheit ko-
ſtete, 1532. — Unter ſeinem Nachfolger Fridrich 1. An-
fang der Einfuͤhrung der Reformation ſeit 1527 in Daͤnemark,
und allmaͤhlig auch in Norwegen. Vereinigung Daͤnemarks
mit Norwegen zu Einem Reich 1532. Große Beſchraͤn-
kung der Daͤniſchen Wahlkoͤnige durch ihre Capitulation, den
Reichsrath, und die Adminiſtration des Adels.


J. M. Schroͤkh Chriſtliche Kirchengeſchichte ſeit der Re-
formation, zweyter Theil, 1804. Fuͤr die Geſchichte der
Einfuͤhrung der Reformation in den Nordiſchen Reichen.


2. Schweden. Wiederaufrichtung des Thrones von
Schweden 1523 durch Guſtav Waſa († 1560) und Befeſti-
gung desſelben a. durch die veraͤnderten Verhaͤltniſſe mit

Daͤne-
[189]Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt. 1523--1660.
Daͤnemark unter FridrichI., und den Vertrag mit ihm
zu Malmoͤ 1524. b. Durch Huͤlfe der Reformation, und
der damit verbundenen Einziehung der geiſtlichen Guͤter 1527;
und c. durch die Einfuͤhrung der Erblichkeit der Krone fuͤr
ſeinen Mannsſtamm auf dem Reichstage zu Weſteraͤs 1544.
Ein Gluͤck fuͤr Schweden, daß er lange genug regierte, um
ſeinem Hauſe die Nachfolge ſichern zu koͤnnen!


Geſchichte Guſtav's Waſa, Koͤnig von Schweden, von J.
W. von Archenholz
. 1801. 2 Th. Nach Schwediſchen Ge-
ſchichtſchreibern.


3. Polen, mit dem Großherzogthum Litthauen unter
Einem Koͤnige (aber erſt 1569 zu Einem Reiche) verei-
nigt, bis 1572 noch unter den Jagellonen. Ob Wahl-
reich oder Erbreich wußte man ſelbſt in Polen nicht recht;
nirgends war des innern und aͤußern Gaͤhrungsſtoffs ſo viel,
nirgends der Hoffnung zur Beſſerung ſo wenig, als hier. Wer
mochte die Grenzen nach außen gegen Ruſſen, Tartaren und
den Deutſchen Orden, wer vollends die rechtlichen innern
Verhaͤltniſſe beſtimmen? Wie wenig auch das Gluͤck eines
Staats zunaͤchſt an ſeine Formen geknuͤpft iſt, ſo giebt es doch
gewiſſe ſo unfoͤrmliche, jeder Veredelung abſolut widerſtre-
bende, Formen, daß nur die Kraft eines Deſpoten, der ſie
zertruͤmmert, vielleicht retten kann. Aber ein ſolcher
wohlthaͤtiger Deſpot ward leider! Polen nie zu Theil. —
Auch die Reformation, wenn ſie gleich bald in Polen Ein-
gang fand, wirkte wenig auf die Nation, denn Localurſachen
verhinderten es lange, daß die neuen Secten, — zu denen
außer den Evangeliſchen hier auch bald die Socinianer
kamen — keine politiſche Partien wurden.


4. Preuſſen. Weder durch Lage noch durch Umfang
ſchien dieſes Land zu einer großen Rolle in Europa geſchickt;
aber durch eine wunderbare Verſchlingung ſeiner Schickſale
brachte es Einfuͤhrung des Chriſtenthums, und nachmals
Einfuͤhrung der Reformation, dazu. Durch die erſte
ſeit 1230-1283 gegruͤndete Herrſchaft des Deutſchen
Ordens
; Unterjochung der Eingebornen; Entſtehung Deut-

ſcher
[190]I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt.
ſcher Handelscolonien, aber auch ewiger blutiger Kriege mit
Polen und Litthauen; und zuletzt 1520 zwiſchen dem Orden
ſelber, und Land und Staͤdten. Durch die Einfuͤhrung
der Reformation, Seculariſirung
des Landes un-
ter dem Heermeiſter Albrecht von Brandenburg 1525; und
Umwaͤndelung in ein erbliches Herzogthum, aber als
Polniſches Lehen, (ſo weit es nemlich nicht ſchon durch
den Thorner Frieden 1469 Polniſche Provinz (Polniſch
Preuſſen
) geworden war.) Uebergang an die Churlinie
1618, wodurch deſſen weitere Schickſale und hoͤhere politi-
ſche Wichtigkeit vorbereitet wurden.


Rußland. Unter Iwan BaſilewitzI. 1462-1505
ward Rußland durch die Befreyung von der Mogolen Herr-
ſchaft, und die Eroberung Nowgorods, wieder zu Einem
ſelbſtſtaͤndigen Reiche gemacht, das — wenn gleich
meiſt durch den Dnieper und Don begrenzt, — doch ſchon
furchtbar durch ſeine Maſſe und ſeinen Eroberungsgeiſt wur-
de. Aber fuͤr die Ausbildung im Innern fehlte es in einem
Reiche, das gaͤnzlich außerhalb dem Wirkungskreiſe der Re-
formation — der allgemeinen Triebfeder der National-Bil-
dung — lag, an einem bewegenden Princip; und die geſell-
ſchaftliche Organiſation ſchien hier ſo wenig als in Polen zu
verſprechen, haͤtte nicht Regentenkraft hier einen viel
freyern Spielraum als dort gehabt. Schon die Regierung
Iwan BaſilewitzII., des erſten Czars, 1533-1584
— des Vorlaͤufers Peter's des Großen — giebt davon einen
Beweis, wie man ihn in der Polniſchen Geſchichte vergeblich
ſucht.


I. Geſchichte der Haͤndel und Kriege uͤber Liefland bis auf den
Anfang des Schwediſch-Polniſchen Succeſſions-Streits.
1553-1600.

5. Bis auf die Mitte des 16ten Jahrhunderts
fehlte es zwiſchen den Staaten des Nordens an ei-
nem
[191]1. Haͤndel u. Kriege uͤb. Liefl. 1553--1600.
nem gemeinſchaftlichen Beruͤhrungspunct, weil jeder
mehr mit ſich ſelbſt, oder doch nur mit ſeinen naͤch-
ſten Nachbaren beſchaͤftigt war. Zwar hatte ſchon
Iwan Baſilewitz I. ſeine Eroberungen unter andern
auch auf Liefland gerichtet; allein der mit Polen1502
auf 50 Jahre geſchloſſene Waffenſtillſtand ſchob die
Fehden uͤber dieſes Land hinaus, bis Iwan Baſi-
lewitz II. ſie erneuerte, und Liefland ſeitdem fuͤr den
Norden von Europa ungefaͤhr das wurde, was
Mayland fuͤr den Suͤden geworden war.


Politiſche Verhaͤltniſſe von Liefland (mit Curland und
Semgallen;) ſeit 1525 denen von Preuſſen aͤhnlich. Einfuͤh-
rung des Chriſtenthums und Eroberung durch die Schwerdt-
ritter, ſeit 1205, die ſich jedoch 1238 an die Deutſchen Her-
ten anſchloſſen. Aber 1513 kaufte ſich ihr Heermeiſter Wal-
ter von Plettenberg
von dieſer Abhaͤngigkeit los; und
folgte 1525 dem Beyſpiel von Preuſſen, indem er durch An-
nahme der Reformation ſein Land — wiewohl ohne Ein-
fuͤhrung der Erblichkeit — ſeculariſirte. Doch waren die
Heermeiſter nur Herren von der weſtlichen Haͤlfte des Lan-
des, da die Erzbiſchoͤfe von Riga ſich die Herrſchaft
uͤber ihr Erzbisthum anmaßten. Dieſe Theilung ward die
Quelle von Streitigkeiten und Kriegen, die den ganzen Nor-
den umfaßten.


6. Angriff Iwan BaſilewitzII. auf Lief-1558
land; und Tractat des Heermeiſters Gotthard1561
28.
Nov.

Kettler mit Polen, wodurch 1. Curland und
Semgallen ihm als erbliches Herzogthum unter Pol-
niſchem Schutz uͤberlaſſen; dagegen 2. Liefland ſel-
ber
[192]I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt.
ber mit Polen vereinigt wird, wogegen jedoch der
1562Erzbiſchof von Riga ſich an Schweden anſchließt.
So ward Liefland der Zankapfel zwiſchen den
drey Hauptmaͤchten des Nordens; und die Anſpruͤ-
che des Czaars mußten alſo einen allgemeinen Krieg
verurſachen, in den auch Daͤnemark, aus Eifer-
ſucht gegen Schweden, verflochten wurde, bis nach
einem 25jaͤhrigen Kampfe Rußland ſeine Verſuche
aufgeben mußte, und Liefland Polen und Schwe-
den blieb.


Einfall des Czaars in Liefland 1558. Anfang des Kriegs
zwiſchen Rußland und Polen, ſo wie zwiſchen Polen und
Schweden 1562. Schreckliche Verwuͤſtungen Lieflands. Da
auch unter dem Vorwande des ſtreitigen Unionswappens 1563
der Krieg zwiſchen Daͤnemark und Schweden ausbrach, ſo
ward er zugleich Land- und Seekrieg; und wenn gleich gegen
wechſelſeitige Aufgebung aller Anſpruͤche der Friede zwiſchen
den beyden letztern zu Alt-Stettin 13. Dec. 1570 wieder
hergeſtellt ward, ſo dauerte doch der Lieflaͤndiſche Krieg fort,
wo der Czaar vergeblich einen Daͤniſchen Prinzen Magnus
als Koͤnig vorzuſchieben ſuchte, bis 1577 ſich Schweden und
Polen gegen Rußland verbanden, wodurch die Ruſſen in dem
Frieden mit Polen 15. Jan. 1582 und dem Stillſtand mit
Schweden 1583 nicht nur ganz Liefland, ſondern auch an
Schweden Carelien verloren, und von der Oſtſee ganz ab-
geſchnitten blieben. Liefland blieb — jedoch ohne feſte Aus-
gleichung — halb im Beſitz Polens, halb Schwedens.


7. Waͤhrend und gleich nach dieſen Kriegen
ereignete ſich aber in zweyen der Nordiſchen Reiche
die hoͤchſt folgereiche Begebenheit des Ausſter-
bens
[193]1. Haͤndel u. Kriege uͤb. Liefl. 1553--1600.
bens der herrſchenden Haͤuſer. In Rußland
ging mit dem Sohne Iwan Baſilewitz des Zwey-
ten, mit Czaar FeodorI., der Mannsſtamm des1598
Rurikſchen Hauſes zu Grunde; und es koſtete eine
15jaͤhrige Anarchie, die auch dem Norden neue
Kriege bereitete, bis 1613 das Haus Romanow
den Thron erhielt. Aber noch viel wichtiger ward
das ſchon fruͤher erfolgte Ausſterben der Jagel-1572
lonen in Polen. Seitdem dies Reich dadurch
ein foͤrmliches Wahlreich wurde, war auch in
der Mitte Europas ein Vulcan entſtanden, deſſen
Ausbruͤche faſt bey jeder Regierungsveraͤnderung
nicht blos nahe, ſondern oft auch ferne Laͤnder, be-
droheten.


Unter den 11 Polniſchen Wahlen von der von Heinrich
von Valois 1572 bis zu der von Stanislaus Poniatowsky
1764 ſind kaum drey einmuͤthig zu nennen: der fremde
Einfluß und der wilde Factionsgeiſt dauerten von der erſten
bis zur letzten fort.


Geſchichte des Schwediſch-Polniſchen Succeſſionsſtreits
und ſeiner Folgen bis zu den Frieden von Oliva und
Copenhagen, 1600-1660.

  • Außer Schmauß ſ. oben S. 186. iſt auch fuͤr den Norden von
    1578-1637 das Hauptwerk Khevenhiller'sAnnales Ferdi-
    nandei etc.
    S. oben S. 91.

N1. In-
[194]I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt.

1. Indem Liefland zwiſchen den Nordiſchen
Maͤchten ein Zankapfel geworden, und zwiſchen
Schweden und Polen es auch geblieben war, ent-
ſtand zwiſchen dieſen Reichen ein noch viel trauri-
gerer Succeſſionsſtreit, der, zugleich durch
die Religionsverhaͤltniſſe und die auswaͤrtige Politik
genaͤhrt, uͤber 50 Jahre fortdauerte. Eine der er-
ſten Fruͤchte der Polniſchen Wahlfreyheit; indem
1587die Polen den Prinzen Sigismund von Schwe-
den
, kuͤnftigen Erben dieſes Landes, zu ihrem
Koͤnige waͤhlten, und dadurch die Ausſicht zu der
monſtroͤſen Vereinigung Zweyer Reiche unter Einem
Regenten eroͤffneten, die nicht nur durch die geo-
graphiſche Lage, ſondern noch weit mehr durch die
Religionsverſchiedenheit getrennt waren.


Sigismund, der Sohn Johann'sIII. und der Pol-
niſchen Princeſſin Catharina, war, wie die Mutter, eifrig
catholiſch, und in den Haͤnden der Jeſuiten. Durch ihn hoff-
ten ſie das Ziel ihrer Wuͤnſche, dem ſie ſchon unter dem
Vater nahe zu ſeyn ſchienen, Wiederherſtellung des Catho-
licismus in Schweden, zu erreichen.


1592

2. Als daher nach dem Tode JohannIII.
von Schweden ſein Sohn Sigismund auch hier
wirklich ſuccediren ſollte, entwickelten ſich die Fol-
gen ſehr bald. Man traute ſeinen Verſicherungen
in Schweden nicht; und ſein zum Regenten beſtell-
ter Oheim Carl hatte auch mehr Luſt in ſeinem ei-
genen
[195]2. Schw.-Poln. Succeſſionsſtr. 1600--1660.
genen Namen zu regieren. So entſtand bald Zank,
aus dem Zanke Krieg, und die Folge war, daß1598
Sigismund nebſt ſeinen Erben der Krone Schwe-
den verluſtig erklaͤrt; und dieſelbe dem neuen Koͤ-
nig CarlIX. uͤbertragen ward. Zwiſchen dieſen1600
beyden Fuͤrſten und ihren Deſcendenten dauert da-
her der Succeſſionsſtreit fort, bis er in dem Frie-
den von Oliva zu Gunſten der Familie Carl's
IX. entſchieden ward.


3. Indeſſen verhinderte die eben damals in
Rußland herrſchende Anarchie den wirklichen
Krieg, weil beyder Augen auf Rußland gerichtet
waren; und Schweden ſowohl als Polen ſich mit
der Hoffnung ſchmeichelten, einen ihrer Prinzen
auf den Ruſſiſchen Thron zu bringen. Allein die
Erhebung des Hauſes Romanow vereitelte end-1613
lich dieſe Ausſichten, indem ſie die Friedensſchluͤſſe
zu Stolbowa und Moſcau herbeyfuͤhrte.


Nach Feodor's Tode 1598, deſſen Bruder Deme-
trius
1591 war ermordet worden, folgt erſtlich deſſen
Schwager Boris, der aber 1605, durch einen falſchen
Demetrius verdraͤngt, ſich ſelbſt umbrachte. Zwar ward
dieſer durch den von einer Partie zum Czaar ernannten Knaͤs
Schuiskoy erſchlagen, 17. May 1606; allein Polen und
Schweden miſchten ſich nun darein, fuͤr ihre Prinzen, oder
zum Erobern. Ein zweyter falſcher Demetrius wird von den
Polen unterſtuͤtzt, die ſelbſt Moſkau einnahmen, und ihren
Prinzen Wladiſlaw zum Czaar waͤhlen ließen: aber da-

N 2gegen
[196]I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt.
gegen hieng ſich Schuiskoy an Schweden, durch einen
Vertrag zu Wiborg 1609; ward aber dennoch 1610 geſtuͤrzt,
worauf Carl IX. nach Einnahme Nowgorods ſeinen zwey-
ten
Sohn Carl Philipp zum Czaar zu machen ſuchte,
jedoch bereits den 30. Oct. 1611 ſtarb, und ſeinen aͤltern
Sohn Guſtav Adolph zum Nachfolger hatte. Aber die
Ruſſiſche Nation half ſich ſelbſt
, indem durch eine
feyerliche Wahl ein Einheimiſcher, der junge Michael
Feodorowitz
aus dem Hauſe Romanow, ein Verwand-
ter der Ruriks, 12. Febr. 1613, einmuͤthig zum Czaar er-
nannt wurde
. Seitdem Fortgang des Kriegs mit Schwe-
den bis zum Frieden von Stolbowa 27. Febr. 1617,
worin Schweden Ingermannland, Carelien und
Bornholm behielt. Und mit Polen bis zum 14jaͤhri-
gen Stillſtande von Moſcau
, 3. Jan. 1619 (nach-
mals in einen Frieden verwandelt zu Wiaſma 15. Jun.
1634:) wodurch Wladiſlaus ſeinen Anſpruͤchen auf
Rußland entſagte; aber Smolenſk mit ſeinem Gebiet,
Severien und Tſernigow, bey Polen blieb.


4. Indem aber Polen und Schweden auf die-
ſer Seite die Haͤnde ſich frey machten, begann nun
der Krieg unter ihnen ſelbſt. Guſtav Adolph
1620eilte, ihn nach Liefland zu verſetzen, und da die
Polen keine Luſt hatten, die Schwediſchen Anſpruͤ-
che ihres Koͤnigs zu unterſtuͤtzen, fiel bald nicht blos
1625Liefland, ſondern auch ein Theil des Polniſchen
Preußens in die Haͤnde des jungen Schwediſchen
Helden. Haͤtte dieſen nicht der groͤßere Schau-
platz in Deutſchland
gelockt, was moͤchte aus
Sigismund geworden ſeyn? So wurde aber durch
Frankreich hier ein Stillſtand vermittelt, der Gu-
ſtav
[197]2. Schw.-Poln. Succeſſionsſtr. 1600--1660.
ſtav Adolph Zeit ließ, in Deutſchland ſeine Helden-
laufbahn zu beginnen.


Sechsjaͤhriger Waffenſtillſtand zwiſchen Polen und Schwe-
den zu Altmark 26. Sept. 1629; verlaͤngert 12. Sept.
1635 auf 26 Jahre. Schweden blieb dadurch im Beſitz von
faſt ganz Liefland.


5. Die eifrige Theilnahme Schwedens an dem
dreyßigjaͤhrigen Kriege gab jetzt dem Norden etwas
mehr Ruhe; zumal da auch die Tuͤrken damals ge-
gen die Perſer beſchaͤftigt waren (ſ. oben S. 173).
Aber die Eiferſucht Daͤnemarks gegen
Schweden
, die theils in dem perſoͤnlichen Cha-
racter Chriſtian's IV. und Guſtav Adolph's, theils
in dem ſchnellen Wachsthum Schwedens ihren
Grund hatte, verurſachte zwiſchen dieſen Staaten
ein Mißtrauen, das wiederholt in Kriege ausbrach,
ohne daß Daͤnemark es zu hindern vermochte, daß
durch den Weſtphaͤliſchen Frieden das Uebergewicht
Schwedens entſchieden ward.


Bereits 1611 hatte ChriſtianIV. die Verlegenheit
Schwedens durch die Verflechtung in den Polniſch-Ruſſiſchen
Krieg zu einem gluͤcklichen Angriff auf CarlIX. genutzt,
der erſt nach deſſen Tode durch den Frieden zu Sioͤroͤd 20.
Jan. 1613 mit Herausgabe der Daͤniſchen Eroberungen ge-
gen Eine Million Thaler von Schwediſcher Seite, endigte.
Die fuͤr Chriſtian IV. ſo ungluͤckliche Theilnahme an dem
Deutſchen Krieg (ſ. oben S. 145) noͤthigte ihn feit dem
Luͤbecker Frieden 1629 Ruhe zu halten; allein die großen
Ausſichten Schwedens waͤhrend der Weſtyhaͤliſchen Friedens-

N 3unter-
[198]I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt.
unterhandlungen reizten um ſo mehr aufs neue die Eiferſucht
Daͤnemarks, da Oeſtreich ſie aufachte, und hatten den
Krieg von
1643-1645 zur Folge. Ueberfall und Einnah-
me Holſteins und Juͤtlands durch Torſtenſohn, Sept. 1643;
Einfall in das (damals Daͤniſche) Schonen. Auch kam eine
Hollaͤndiſche Flotte der Schwediſchen zu Huͤlfe. Friede zu
Bromſebroͤe
13. Aug. 1645. Schweden erhaͤlt 1. voͤllige
Befreyung von Zoll und Viſitation im Sund und auf der
Elbe bey Gluͤcksſtadt. 2. Auf immer abgetreten von Daͤne-
mark Jempteland, Herjedalen, und die Inſeln Gothland und
Oeſel, und als Unterpfand auf 30 Jahre Halland.


6. Durch dieſen und durch den Weſtphaͤliſchen
Frieden war die Uebermacht Schwedens im Nor-
den allerdings ſo groß, daß es nur von dem per-
ſoͤnlichen Character ſeiner Koͤnige abzuhaͤngen ſchien,
welchen Gebrauch ſie davon machen wollten. Un-
ter der Selbſt-Regierung Chriſtinen's, deren
auswaͤrtiger Einfluß ſeit dem Weſtphaͤliſchen Frie-
den ſich faſt bloß auf fruchtloſe Unterhandlungen
beſchraͤnkte, war keine Gefahr zu beſorgen; allein
1654
bis
1660
als ſie die Regierung ihrem Vetter Carl Guſtav
uͤbergab, aͤnderte ſich die Lage. Schon fruͤher zum
Feldherrn gebildet, und voll Ehrgeiz und unruhiger
Thaͤtigkeit, beſtieg der neue Pyrrhus den Thron
mit Eroberungsentwuͤrfen, die allen Frieden im
Norden, ſo lange er lebte, unmoͤglich machten.


1655

7. Neuer Krieg mit Polen, weil Koͤnig
Johann Caſimir ihn nicht anerkennen, und
ſeine
[199]2. Schw.-Poln. Succeſſionsſtr. 1600--1660.
ſeine Anſpruͤche auf Schweden nicht aufgeben
wollte. Die außerordentlichen Fortſchritte gegen Po-
len, (das auch außerdem mit Rußland wegen der1654
Coſacken in einen ungluͤcklichen Krieg gerathen
war), wodurch das ganze Reich nur eine Schwedi-
ſche Provinz werden zu ſollen ſchien, weckten aber
in gleichem Grade mehr die Theilnahme der Nach-
baren, je groͤßere und kuͤhnere Entwuͤrfe Carl Gu-
ſtav machte, die, zunaͤchſt auf die Vernichtung
Daͤnemarks gerichtet, nichts geringeres als die Er-
richtung einer großen Nordiſchen Univerſal-
monarchie
zum Ziel zu haben ſchienen; aber durch
die Theilnahme von halb Europa erſchwert, und
bald durch den ploͤtzlichen Tod des Koͤnigs vernich-
tet wurden.


Einfall des Koͤnigs in Liefland und Polen 1655, Einnah-
me von Warſchau und Flucht Joh. Caſimir's nach Schleſien.
Aber Polen war leichter einzunehmen als zu behaupten; gro-
ße Inſurrection, und 3taͤgige Schlacht bey Warſchau 18-20.
Jul. 1656 zum Nachtheil der Polen. Große Verbreitung
des Krieges, indem der Czaar Alerei, Kayſer Leopold
I., FriedrichIII. von Daͤnemark (May und Juni 1657),
und bald auch der Churfuͤrſt Friedrich Wilhelm von
Brandenburg (Sept. 1657) ſich gegen Schweden erklaͤren.
Schneller Verluſt von ganz Polen bis auf Polniſch-Preußen,
aber Verſetzung des Kriegsſchauplatzes, da Carl Guſtav auf
die Daͤnen losgeht, nach Daͤnemark. Einnahme Daͤne-
marks, Uebergang uͤber die gefrornen Belte Febr. 1658.,
und Friede zu Roſchild 26. Febr. Bedingungen: 1.
Daͤnemark tritt an Schweden ab auf immer Halland, Scho-
nen, Blekingen, Bahus, Drontheim, und die Inſel Born-

N 4holm.
[200]I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt.
holm. 2. Beſtaͤtigung der Zollfreyheit im Sunde. 3. Auf-
hebung des Lehnsnexus des Herzogs von Holſtein-Gottorp
gegen Daͤnemark. — Allein die Schwaͤche Daͤnemarks hatte
die Eroberungsplaͤne Carl Guſtav's nur erneuert. Daher
ploͤtzlich neuer Einfall von Holſtein aus in Seeland Aug.
1658, um mit der Zerſtoͤrung der Hauptſtadt das Reich
zu zernichten. Aber die Belagerung Cronburgs gab den Daͤ-
nen Zeit zur Beſinnung; und die tapfere Vertheidigung
Copenhagens
ſelbſt den Fremden, Oeſtreichern, Polen,
Brandenburgern und mehrern deutſchen Fuͤrſten, Zeit zu
Lande, vor allen aber den Hollaͤndern, mit einer
Flotte zu Huͤlfe zu kommen. Aufhebung der Belagerung,
und ploͤtzlicher Tod Carl Guſtav's 23. Febr. 1660.


8. Mit Carl Guſtav ſtarben auch ſeine wil-
den Projecte. Allenthalben ward im Norden jetzt
leicht Friede, weil Alles den Frieden wollte; und
dieſe Friedensſchluͤſſe wurden um ſo viel wohlthaͤti-
ger, weil auch die Keime der bisherigen Kriege,
mit Ausnahme der Coſackenunruhen, durch ſie aus-
gerottet wurden.


Friede zwiſchen Schweden und Daͤnemark unter der
Vermittelung Frankreichs und der Seemaͤchte zu Copen-
hagen
27. May 1660. Wiederholung des Friedens zu Ro-
ſchild; jedoch bleibt das wieder eroberte Amt und Stadt
Drontheim bey Daͤnemark.


Friede zwiſchen Schweden und Polen zu Oliva 23.
April 1660. Bedingungen: 1. Joh. Caſimir entſagt fuͤr ſich
und ſeine Nachkommen allen Anſpruͤchen auf Schweden. 2.
Polen tritt an Schweden ab Liefland (mit Ausnahme des
ſuͤdlichen, oder fruͤheren Polniſchen, Theils), Eſthland und
die Inſel Oeſel. 3. Der von den Schweden gefangene Her-
zog von Curland wird freygegeben und reſtituirt.


Friede
[201]2. Schw.-Poln. Succeſſionsſtr. 1600--1660.

Friede zwiſchen Schweden und Rußland zu Car-
dis
21. Juni 1661. Herausgabe der Eroberungen und Wie-
derherſtellung auf den alten Fuß.


Sam. Pufendorfii de rebus geſtis Caroli Guſtavi
L. VII. Norimberg. 1696. fol.
Das Hauptwerk fuͤr die
Geſchichte der Kriege des Koͤnigs.


Mémoires du Chev. de Terlon depuis 1656-1661.
Paris 1681. 2 Voll.
12. — Der Verfaſſer war Franzoͤſiſcher
Geſandter bey Carl Guſtav, und genoß deſſen Vertrauen.


9. Wenn ſich Schweden durch dieſe Frie-
densſchluͤſſe nicht nur den Beſitz Lieflands, ſondern
auch der bisherigen Daͤniſchen Provinzen an ſeiner
Kuͤſte ſicherte, ſo erndteten Preußen und Daͤ-
nemark
daraus andere Fruͤchte. Churfuͤrſt Frie-
drich Wilhelm
, unter dem ſich Brandenburg
ſchon zu einer bedeutenden Macht erhob, nutzte den
Schwediſch-Polniſchen Krieg mit ſeltner Gewandt-
heit dazu, ſich von dem Lehnsverhaͤltniß Preußens
gegen Polen loszumachen. Indem er anfangs auf
Schwediſche Seite treten zu wollen ſchien, erkauf-
te er dieſe Unabhaͤngigkeit von Polen durch den
Tractat zu Welau. Als aber Carl Guſtav ihn1657
19.
Spt.

zu ſeinem Vaſallen machen, als er vollends eine
große Monarchie ſtiften wollte, empfand der Chur-
fuͤrſt ſehr gut das Gefaͤhrliche ſeiner eigenen Lage
dabey; und ward einer ſeiner thaͤtigſten Gegner.
Der Tractat von Oliva beſtaͤtigte ihm die gaͤnz-
liche Unabhaͤngigkeit Preußens, ſowohl von
Schweden als Polen.


N 510. Fuͤr
[202]I. Per. II. Th. Geſch. d. noͤrdl. Staatenſyſt.

10. Fuͤr Daͤnemark ward der uͤberſtandene
Sturm die Veranlaſſung zu einer Staatsveraͤn-
1660
16.
Oc.
derung, wodurch Friedrich III.Erbkoͤnig und un-
umſchraͤnkter Souverain
wurde. Den Keim
zu derſelben hatte freylich ſchon laͤngſt das entſtand-
ne Mißverhaͤltniß der Staͤnde gelegt; doch bedurfte
es eines Zuſammenfluſſes von Umſtaͤnden, wie die
gegenwaͤrtigen, um ihn zur Reife zu bringen. Ein
Koͤnigspaar, wie FriedrichIII. und ſeine Ge-
mahlin
, unterſtuͤtzt durch einen treuen Diener wie
Gabel, vermag viel fuͤr ſich; was vollends, wenn
Maͤnner, wie Biſchof Svane und Buͤrgermeiſter
Nanſen, ihren Wuͤnſchen entgegenkammen? Aber
wer mag einer Revolution ihre Grenzen vorſchrei-
ben? Vernichtung des Wahlreichs und der Adels-
ariſtocratie war der urſpruͤngliche Zweck; gaͤnzliche
Vernichtung der ſtaͤndiſchen Verfaſſung hatte wohl
ſelbſt der Koͤnig nicht erwartet. So aber ward
1661
10.
Jan.
Friedrich III. geſetzlich durch die Souveraini-
taͤtsacte
und das Koͤnigsgeſetz der unum-
ſchraͤnkteſte Monarch in Europa.


Geſchichte der Revolution in Daͤnemark von L. T.
Spittler. Berlin 1796.


Zweyte
[203]

Zweyte Periode.
Von dem Anfang des Zeitalters Ludewig's des XIV.
bis auf den Tod Friedrich's des Großen, und den An-
fang des revolutionairen Zeitalters 1661-1786.


1. Wenn der allgemeine Character der vorigen
Periode durch die Verflechtung der Religion und
der Politik beſtimmt ward, ſo wird es der gegen-
waͤrtige durch die Verflechtung des Geld-In-
tereſſes mit der Politik
. Dieſe immer ſtei-
gende politiſche Wichtigkeit der Finanzen war aller-
dings im Ganzen eine Folge der ſtets ſich weiter
ausbildenden Cultur von Europa, welche die Staa-
ten zu der Auffaſſung mehrerer Zwecke, meiſt ſehr
koſtſpieliger Zwecke, noͤthigte; aber auf gar keine
feſte Principien gegruͤndet, hat ſie zu Irrthuͤmern
gefuͤhrt, ohne deren klare Anſchauung die folgende
Geſchichte Europas nicht uͤberſehen werden kann.
Man empfand es, daß zwiſchen National- und Re-
gierungsvermoͤgen ein Verhaͤltniß ſtatt finden muͤſſe,
und ſtrebte daher Nationalreichthum zu befoͤrdern;
aber die drey großen Fragen, welche ihrer Natur
nach
[204]II. Periode.
nach die Grundlage der Staatswirthſchaft ausma-
chen: 1. Worin beſteht, und woraus entſteht Na-
tionalreichthum? 2. Welchen Einfluß darf ſich eine
Regierung auf die Befoͤrderung des Nationalreich-
thums anmaßen? Und 3. Welches Verhaͤltniß fin-
det zwiſchen den Einkuͤnften der Nation und der
Regierung ſtatt? wurden ſo lange ununterſucht ge-
laſſen, bis ſich eine Routine gebildet hatte, ge-
gen welche ſelbſt beſſere Grundſaͤtze nur wenig ver-
mochten.


Das aus den Maximen, welche ſich durch dieſe Routine
gebildet hatten, abſtrahirte Syſtem iſt es, welches unter
dem Nahmen des Mercantilſyſtems begriffen wird,
und alſo nichts als die auf Regeln gebrachte Praxis iſt.
Man findet es am beſten dargeſtellt in:


Staatswiſſenſchaften von v. Juſti. Goͤttingen
1755. II Th.


2. Wenn jene beſſern Grundſaͤtze das Vermoͤ-
gen einer Nation uͤberhaupt in die groͤßere oder ge-
ringere Maſſe ihrer Guͤter ſetzen, ſo ſetzte es da-
gegen die Praxis immer mehr in die Summe ihres
baaren Geldes. Da man deſſen Vermehrung
allein als reellen Gewinn, deſſen Verminderung al-
lein als reellen Verluſt betrachtete, beſtimmte ſich
dadurch der hoͤchſte Zweck der Staatswirth-
ſchaft
, da ſelbſt alle Befoͤrderung der Induſtrie
nur Gelderwerb zur Abſicht haben ſollte. In-
dem man den ganzen Geſichtskreis der Staatswirth-
ſchaft
[205]Von Ludw. XIV. bis Friedr. d. Gr.--1786.
ſchaft auf eine ſo unglaubliche Weiſe beſchraͤnkte,
floß daraus eine ganze Reihe der verkehrteſten Maaß-
regeln, die deſto druͤckender wurden, da uͤber ihre
Rechtmaͤßigkeit, ja ſelbſt uͤber ihre Klugheit, kaum
ein Zweifel entſtand.


3. So beſchraͤnkt die Anſicht von dem Weſen
des Nationalreichthums blieb, ſo beſchraͤnkt blieb
auch die von den Quellen desſelben. Da man
ein Fabriken- und Seehandel treibendes Volk das
reichſte werden ſah, ſo befeſtigte ſich der Glaube,
daß Fabriken und Seehandel uͤberhaupt die erſte
Quelle des Reichthums — Umſatz und Veredlung
wichtiger als die Production — ſey. Theilnah-
me am Handel, und Anlage von Fabriken ward alſo
nun das große Ziel der innern Politik.


4. Da der Seehandel ſeinen wichtigſten Be-
ſtandtheilen nach Colonialhandel iſt, ſo war wieder
eine natuͤrliche Folge davon, daß die Colonien
eine immer groͤßere Wichtigkeit erhielten, und da-
durch wiederum die Seemaͤchte, da nur ſie Colo-
nien beſitzen und vertheidigen konnten, ein viel groͤ-
ßeres Gewicht in die Wagſchale der Politik werfen
konnten, als unter andern Umſtaͤnden moͤglich ge-
weſen waͤre.


5. Dieſe
[206]II. Periode.

5. Dieſe Ideen wurden aber recht practiſch
wichtig, weil die Regierungen die ganze Lenkung
der Nationalthaͤtigkeit
— alſo vor allem des
Handels und der Kunſt-Induſtrie — aber auch
was ſonſt nicht? — ſich zuzueignen kein Bedenken
trugen. Es geſchah dies theils durch Anlage pri-
vilegirter Fabriken, theils durch Zolltarife, theils
durch gaͤnzliche Verbote von Einfuhr oder Ausfuhr
mancherley Artikel. Man mochte ſchlecht, man
mochte theuer kaufen, wenn nur das Geld im
Lande blieb
; ſelbſt Kenntniſſe und Einſichten ſoll-
ten nur im Lande fabricirt und geholt werden duͤr-
fen! So bildete ſich, indem man die erſten
Grundbegriffe von Geld, von Handel, von Einfluß
der Regierung darauf gaͤnzlich verkannte, indem
man die ganz verſchiedenen Sphaͤren von politiſcher
und mercantiliſcher Unabhaͤngigkeit mit einander ver-
wechſelte, ein Iſolirungsſyſtem, dem zu Folge
jeder Staat ſich moͤglichſt ſelbſt genug ſeyn, nicht
kaufen, ſondern nur verkaufen ſollte. Sonderbare
Inconſequenz! Gerade in dem Zeitalter, wo jede
Regierung Handel haben wollte, arbeiteten alle
dahin, den Handel moͤglichſt zu vernichten!


6. Auf den erſten Blick mag es raͤthſelhaft
ſcheinen, wie dennoch in dieſem Zeitalter ſich der
Handel ſo maͤchtig heben, und eine nie geſehene
Hoͤhe
[207]Von Ludw. XIV. bis Friedr. d. Gr.--1786.
Hoͤhe erreichen konnte. Allein theils bildete jenes
Syſtem ſich nur allmaͤhlig aus, theils war die Na-
tur maͤchtiger als die Regierungen, und wenn end-
lich ſchon ſie dem Syſtem der Autarkie ſeine
Grenzen vorſchrieb, ſo kam noch hinzu, daß meh-
rere Producte ferner Welttheile einen ſolchen Ein-
gang in Europa fanden, daß ſie nicht mehr Gegen-
ſtaͤnde des Luxus, ſondern des Beduͤrfniſſes, und da-
durch unermeßlich wichtig wurden. Nur einzelne
Handelszweige einzelner Voͤlker ſind durch die Ver-
fuͤgungen der Regierungen aufgebluͤht; der Welt-
handel im Ganzen nicht durch ſie, ſondern trotz
ihnen.


7. Die Folgen, welche die Anwendung dieſer
Grundſaͤtze fuͤr die wechſelſeitigen Verhaͤltniſſe der
Staaten hatte, konnten im Frieden und Kriege
nicht anders als hoͤchſt nachtheilig ſeyn. Es wurde
dadurch im Frieden: 1. ein beſtaͤndiges Miß-
trauen
erhalten, da jeder glaubte uͤbervortheilt zu
werden, dem ſelbſt die vielen geſchloſſenen Han-
delsvertraͤge
nur neue Nahrung gaben. 2. Ge-
gen die durch Handel ſich bereichernden Staaten —
da man in ihrem Gewinne nur ſeinen Schaden zu
ſehen glaubte — ein Neid erregt, der in gleichem
Maaße mit dem Wachsthum ihres Handels ſtieg;
und nur zu oft in wilde Kriege ausbrach. — Im
Kriege
[208]II. Periode.
Kriege ſelber aber 1. das Streben, den Han-
del des Feindes zu vernichten, und daher die nichts
entſcheidende Caperey, mit allen ihren Mißbraͤu-
chen. 2. Die Verbreitung der Kriege nach den
Colonien. 3. Beſchraͤnkungen und Bedruͤckungen
des neutralen Handels, ſobald man ſich ſtark
genug dazu hielt. — Die allmaͤhlige Entwickelung
dieſer Keime erzeugte endlich Extreme, wie noch
kein Zeitalter ſie geſehen, und Niemand ſie geahnet
hatte.


8. Aus dem ganzen Zuſtande der Geſellſchaft,
in Verbindung mit den ſteten Spannungen, die das
Mercantilſyſtem erzeugte, ging das der ſtehenden
Heere
hervor, das, ſchon fruͤher gegruͤndet, durch
Ludewig XIV. und Friedrich II. ſeine Ausbildung
erhielt. Es wirkte weder auf die Verminderung der
Kriege, noch auf die Moralitaͤt wohlthaͤtig zuruͤck;
aber es erzeugte die Vortheile a. eines mehr ſichern
Ruheſtandes im Frieden, b. einer vielfachen Mil-
derung der Uebel des Kriegs, c. einer beſſern Ord-
nung in den Finanzen, d. einer Belebung und Er-
haltung des Ehrgefuͤhls, — bey allen Mißbraͤuchen
der Quelle unendlichen Gutes, weil es den Geiſt
der Nationen hob. — So wurde der militairiſche
Character, mit dem mercantiliſchen vereinigt, der
hervorſtechende des ganzen Zeitraums.


9. Wenn
[209]Von Ludw. XIV. bis Friedr. d. Gr.--1786.

9. Wenn gleich in dieſer Periode oͤftere Ver-
ſuche gemacht wurden, durch die Zerſtoͤrung des
politiſchen Gleichgewichts den Principat ei-
ner einzelnen Macht in Europa zu gruͤnden; ſo
wurden dieſe doch immer vereitelt; und ihre Ver-
eitelung trug natuͤrlich dazu bey, dasſelbe deſto
mehr zu befeſtigen. Die Seemaͤchte wirkten dazu
in dieſem Zeitraum noch weit mehr als in dem vo-
rigen; da ihr Intereſſe die Aufrechthaltung desſel-
ben erforderte, und das auf Handel und Colonien
gelegte Gewicht ihren Einfluß entſcheidend machen
konnte. So blieb das Staatenſyſtem von Euro-
pa, bey aller noch ſo großen Ungleichheit ſeiner
Glieder, doch ein Syſtem ſelbſtſtaͤndiger und un-
abhaͤngiger Staaten.


10. Die Verhaͤltniſſe zwiſchen den Staaten
wurden aber in dieſem Zeitraum noch viel enger
durch die Ausbildung, welche das Geſandt-
ſchaftsweſen
erhielt. Die ſeit Richelieu herr-
ſchend gewordene Sitte der großen Hoͤfe, beſtaͤn-
dige
Geſandtſchaften ſelbſt an kleinern zu hal-
ten, ward von dieſen erwiedert, und das Ganze
erhielt dadurch ſeinen Umfang. Wenn das Ge-
webe der politiſchen Verhandlungen dadurch um
vieles dichter werden mußte, ſo war die Verflech-
tung der Perſoͤnlichkeiten in die Politik vielleicht die
Over-
[210]II. Periode. 1661--1786.
verderblichſte Folge, weil die kleinlichen Leiden-
ſchaften der Regenten und ihrer naͤchſten Umgebun-
gen nur zu oft durch unguͤnſtige Geſandtſchaftsbe-
richte aufgeregt wurden, die ſelbſt Kriege herbey-
fuͤhrten und verlaͤngerten. Dagegen beſtimmte das
Geſandtſchaftsweſen am meiſten die Formen der
auswaͤrtigen Politik; und wer in der Beobachtung
dieſer Formen etwas mehr als leeres Ceremoniel
ſieht, wird nicht anſtehen, ſeinen Werth auch dar-
nach zu wuͤrdigen.


Zwar gruͤndete ſchon Ferdinand Catholicus das
Halten ſtehender Geſandtſchaften, aber nur an einzelnen
Hoͤfen. Erſt ſeitdem die Franzoͤſiſche Politik unter Ludwig
XIII. und XIV. faſt ganz Europa umfaßte, erweiterte ſich
auch das Geſandtſchaftsweſen; und mit der Erweiterung
beſtimmte ſich auch das Ceremoniel.


Erſter
[211]

Erſter Zeitraum.
Von 1661 bis 1700
.


Erſter Theil.
Geſchichte des ſuͤdlichen Europaͤiſchen Staatenſyſtems in
dieſem Zeitraum.

1. Der jetzt folgende Zeitraum traͤgt vorzugsweiſe
den Namen des Zeitraums Ludwig's XIV., weil
er die goldne Zeit dieſes Monarchen umfaßt. Schon
dieſe Benennung zeigt, daß Frankreich in demſel-
ben der vorwaltende Staat in Europa war. Aber
wenn gleich dieſer Vorrang zum Theil auf die
Waffen gegruͤndet war, ſo war er es doch noch
weit mehr auf die uͤberwiegende Cultur, die durch
ihren Glanz nicht weniger als ihre Vielſeitigkeit
den Blick des Auslandes feſſelte. Ihr verdankte
die Nation die Herrſchaft ihrer Sprache; und
gruͤndet Herrſchaft der Sprache nicht immer gewiſ-
ſermaßen Herrſchaft des Volks? Die Eroberun-
gen durch die Waffen blieben doch am Ende ſehr
beſchraͤnkt; aber dieſe friedlichen Eroberungen
umfaßten die cultivirte Welt; und waren unvergaͤng-
O 2lich;
[212]II. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
lich; weil ſie nicht auf Zwang, ſondern Freyheit
gegruͤndet waren.


Le ſiécle de Louis XIV. (par Mr. de Voltaire) à
Berlin
1751. Noch immer mehr Skizze als Ausfuͤhrung.


Fuͤr die Geſchichte der ſchoͤnen Litteratur La Harpe Cours
de litterature Vol. IV. etc. Paris
1800.


Aber daneben vor allen F. Bouterwek Geſchichte der
Franzoͤſiſchen Litteratur B. II. Goͤttingen 1807.


2. Allerdings war auch Frankreich nicht nur
durch Bevoͤlkerung, Umfang, Lage, ſondern auch
durch die von Richelieu vergroͤßerte koͤnigliche Ge-
walt der maͤchtigſte Staat von Europa; aber dieſe
Gewalt blieb doch noch weit von reinem Deſpotis-
mus entfernt. Zu dieſem war die Verfaſſung viel
zu verwickelt. Welche Grenzen ſetzten nicht
Adel und Geiſtlichkeit, welche nicht Herkommen
und oͤrtliche Rechte der koͤniglichen Willkuͤhr? Sie
konnte Einzelnen furchtbar werden, nicht der gan-
zen Nation; nicht mal leicht einzelnen maͤchtigen
Corps. So konnte trotz ihr ſich Nationalgeiſt
erhalten, den der Glanz des Zeitalters erhoͤhte.
Aber freylich ſchienen auch die inneren Verhaͤltniſſe
der uͤbrigen Hauptſtaaten des ſuͤdlichen Europas,
Spaniens, Englands, der Niederlande
und Deutſchlands, recht dazu gemacht zu ſeyn,
Frankreich emporzuheben, indem ſie ihm zur Folie
dienten.


1. Spa-
[213]A. Von 1661 bis 1700.

1. Spanien, nach dem Tode Philipp'sIV. (†
1665) unter dem minderjaͤhrigen und nie muͤndigen Carl
II. († 1700), erſcheint, wenn gleich fortdauernd in ſeinen
Niederlanden das Ziel der Franzoͤſiſchen Eroberungen,
doch mehr in einem paſſiven als activen Zuſtande. Aber
wenn die Urſachen der Unmacht Spaniens auch zum Theil
in der Schwaͤche der Regierungen und ihren Fehlgriffen la-
gen (ſ. oben S. 122.), ſo lagen ſie doch noch viel mehr in
der Verfaſſung und in den Sitten. In einem Reiche, wo
die hohen Regierungsſtellen erkaufte 3 bis 5jaͤhrige
Pfruͤnden ſind; wo das Landeigenthum faſt ganz in den
Haͤnden der Geiſtlichkeit und des Adels, und dennoch jede
Sorge fuͤr Oekonomie unanſtaͤndig iſt; wo man bey dem
Mangel der Circulation keine Capitale belegt, und Sil-
bergeſchirr den Reichthum ausmacht — muß endlich allge-
meine Verarmung mitten im Reichthum entſtehen. Wel-
che Stockung vollends, wenn im Kriege die Schaͤtze von
America ausblieben?


  • Lettres de l'Eſpagne (par Md. d'Aulnoi) Paris 1682. und
  • Relation de la Cour d'Eſpagne. Paris 1687. Unſtreitig die
    lebendigſte Schilderung des elenden Zuſtandes!

2. England, unter der Regierung des unwuͤrdigen Carl's
II. und (ſeit Clarendon's Fall 1667) ſeiner feilen Miniſter
dem fremden Einfluſſe Preis gegeben, war ohne beſtimmten
politiſchen Charakter, weil ein fortdauernder Widerſpruch
zwiſchen den Grundſaͤtzen der Stuarts und der Mehrheit
der Nation war, der endlich eine Cataſtrophe herbeyfuͤhren
mußte, wie die der Revolution 1688, welche Jacob
II. vom Thron ſtuͤrzte, und WilhelmIII. darauf erhob.


3. Die Republik der vereinigten Niederlande,
maͤchtig zur See, aber um ſo viel ſchwaͤcher zu Lande, da
das Intereſſe der jetzt herrſchenden ſtaͤndiſchen Partie unter
dem Rathspenſionair von Holland, Jean de Wit 1653-
1672, die Schwaͤchung der Landmacht erforderte. Groß
als Staatsmann, ſo weit man mit Negociationen reichte,

O 3mußte
[214]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
mußte de Wit die Erfahrung machen, daß ſtetes Negocii-
ren eine Cataſtrophe eher herbeyfuͤhrt, als abwendet.


4. Oeſtreich, unter LeopoldI., war zu ſehr durch
die Ungriſchen Haͤndel mit ſich ſelbſt und mit den Tuͤrken
beſchaͤftigt, als daß es ſeine volle Macht je gegen Frank-
reich haͤtte gebrauchen koͤnnen. Aber welche Ungleichheit
erzeugte auch nicht die perſoͤnliche Verſchiedenheit der Mon-
archen? — Welche Ungleichheit die Talente der Miniſter
und Feldherren? Und was ließ ſich nicht durch den gehei-
men Einfluß der Jeſuiten ausrichten, in deren Haͤnden
Leopold war; da Jeſuiten auch die Beichtvaͤter am Franzoͤ-
ſiſchen Hofe waren?


5. Das Deutſche Reich konnte unter den jetzt eintre-
tenden Verhaͤltniſſen ſeine Schwaͤche nicht verbergen; und
die folgende Geſchichte zeigt, daß Ludwig XIV. es nur zu
bald ausgeſpuͤhrt hatte, was Gewalt und Politik hier an-
richten konnte. Allein die neue Reichsmatrikel 1681, wenn
ſie auch nicht die weſentlichen Maͤngel der Reichskriegsver-
faſſung heben konnte, gab doch den Beweis, daß die Na-
tion nicht hinter dem Zeitalter zuruͤckblieb; und das Ge-
wicht, das der große Churfuͤrſt in die Wagſchaale der
Politik warf, zeigte, was auch Einzelne Reichsſtaͤnde ver-
mochten.


I. Staatshaͤndel in Europa von 1661 bis 1700.

Außer den allgemeinen Werken uͤber Franzoͤſiſche und
Niederlaͤndiſche Geſchichte gehoͤrt hieher:


  • Hiſtoire de la vie et du regne de Louis XIV. publiée par
    Mr. Bruzon de la Martiniere, à la Haye 1740. 5
    Voll.
    4. Schaͤtzbar, da ſie nicht im Hofton geſchrieben iſt.
  • Hiſtoire du regne de Louis XIV. par Mr. Reboullet.
    1746. 9 Voll.
    12. Der Verfaſſer war Jeſuit.

Von
[215]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.

Von Memoires, die vor kurzem erſchienenen:


  • Mémoires Hiſtoriques et inſtructions de Louis XIV. pour
    le Dauphin ſon fils
    in den Oeuvres de Louis XIV. Pa-
    ris 1806. 6 Voll.
    Beſonders die beyden erſten Baͤnde.
  • Oeuvres de Louis D. de St. Simon. Paris 1791. 13 Voll.
    S.
    Lebendige Schilderung der Hauptperſonen, aus eigner
    Anſicht.

1. Gleich in dieſen erſten Jahren veraͤnderte
das ſchnelle Emporſteigen Frankreichs die Verhaͤlt-
niſſe des weſtlichen Europas. Das Genie Eines
Mannes verſchaffte dieſem Reiche außer geordneten
Finanzen zugleich Manufacturen, Handel, Colo-
nien, Haͤfen, Canaͤle, eine maͤchtige Marine; dieß
Alles umſtralt von dem Glanz hoher wiſſenſchaftli-
cher, militairiſcher und geſellſchaftlicher Cultur.
Aber die Art und Weiſe, wie Colbert Frank-
reich in die Reihe der erſten Handelsmaͤchte ſtellte,
gruͤndete auch ſofort den kuͤnftigen Einfluß des
Mercantilſyſtems
auf die allgemeine practiſche
Politik.


Neue auswaͤrtige Verhaͤltniſſe, in welche Frankreich
durch ſeine Colonien, ſeine monopoliſirenden Handelsgeſell-
ſchaften, und ſeine Handelsvertraͤge geſetzt ward. Colbert's
Manufacturen gediehen, weil der Zuſtand der Geſellſchaft
fuͤr ſie reif war; ſeine auswaͤrtigen Handelsplaͤne, nach
Hollands Beyſpiel geformt, konnten ſchwerlich gedei-
hen; weil Frankreich kein Holland war, noch werden konnte.


  • Tableau du miniſtére de Colbert, à Amſterdam 1774.
  • Eloge politique de Colbert par Mr. Pelissery; à Lauſan-
    ne
    1775. — Keins von beyden erſchoͤpft den Gegenſtand.

O 44. Die
[216]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

2. Die Einrichtungen der Englaͤnder und Hol-
laͤnder trugen auf der andern Seite nicht weniger
dazu bey, der wechſelſeitigen Handelseiferſucht Nah-
rung zu geben. Die beſtaͤtigte und erweiterte
1660Schiffahrtsacte der erſten, die großen Han-
delscompagnien der letztern; das wechſelſeitige Stre-
ben Aller, ſich zu verdraͤngen, oder ſich den Markt
zu verderben, was haͤtte es fuͤr andere Folgen
haben koͤnnen?


  • Mémoires de J. de Wit, traduits de l'Hollandois. Ra-
    tisbon.
    1709. 12. Lehrreiche Auseinanderſetzung des Inter-
    eſſe der Republik in Ruͤckſicht auf Politik und Handel; und
    der damaligen politiſchen Anſichten uͤberhaupt.

3. Neben dieſer neu erwachenden Handelspoli-
tik wirkten allerdings aber, und noch ſchneller und
ſtaͤrker, Ludwig's XIV. Ruhmſucht und Vergroͤße-
rungsentwuͤrfe, durch Louvois unterhalten. Der
1661Rangſtreit mit Spanien, die Policeyhaͤndel mit
1662Rom, wie unwichtig auch an ſich, ſind doch ſehr
wichtig durch die Anſpruͤche, in Allem der Erſte
ſeyn zu wollen. Ließen ſich dieſe mit den bishe-
rigen Verhaͤltniſſen unter freyen Staaten vereini-
gen? — Die Ausfuͤhrung der Lieblingsidee, ſich
der Spaniſchen Niederlande zu bemaͤchtigen,
verflocht indeß LudwigXIV. in eine Reihe von
Verhandlungen und zugleich in engere Verbindun-
gen mit der Republik der vereinigten Niederlande,
die
[217]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.
die ihm bald laͤſtig wurden, da ſie die ihm wich-
tigeren Verhaͤltniſſe mit England ſtoͤrten, die ihm
ſchon den Erwerb von Duͤnkirchen eingebracht1662
hatten.


Verhandlungen zwiſchen dem Großpenſionair de Wit,
und dem Marquis d'Eſtrades in Haag, um das Pro-
ject
wenigſtens zu modificiren. Allianz-Tractat mit der
Republik 27. April 1662.


  • Lettres, Mémoires et Négociations de Mr. le Comte
    d'Estrades. Londres 1743. T. I-IX.
    Die wahre Schule
    fuͤr den ſich bildenden Diplomatiker!
  • Brieven van de Wit. Amſt. 1725. 6 Voll. Die Haupt-
    quelle fuͤr das Detail der Geſchichte.

4. Ausbruch des Kriegs zwiſchen Eng-
land und der Republik;
zum Theil durch
Handelseiferſucht, zum Theil durch Carl's II. per-
ſoͤnlichen Haß gegen Holland erregt. Wenn gleich
Frankreich und Daͤnemark Alliirte der Hollaͤnder
wurden, ſo ward der Krieg doch nur eigentlich
zwiſchen ihnen und England mit großer Anſtren-
gung gefuͤhrt. Der Friede von Breda, der
ihn endigte, gab keiner der beyden Seemaͤchte ein
entſchiednes Uebergewicht.


Feindſeligkeiten an der Kuͤſte von Guinea ſeit 1664.
Kriegserklaͤrung Jan. 1665. Seetreffen 21. Jun. 1665, 11.
u. 14. Jun., 4. Aug. 1666. Theilnahme Frankreichs 26. Jan.
1666. Die Schwaͤche der Hollaͤndiſchen Landmacht zeigte ſich
ſchon auffallend in dem gleichzeitigen Kriege mit dem Bi-
ſchof von Muͤnſter
1665. Friede zu Breda, (nach-

O 5dem
[218]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
dem Ruyter Jun. 1667. in die Themſe geſegelt war;) 31.
Jul. 1667. 1. Englands mit Frankreich. Ruͤckgabe der In-
ſeln St. Chriſtoph, Antigua, Monſerat an England,
und Acadiens an Frankreich. 2. Englands mit Holland:
nach dem Uti poſſidetis. Dieſem zufolge behaͤlt England
Neu Belgien (Neu York und Neu Yerſey), Hol-
land aber Surinam. Modification der Navigationsacte
zu Gunſten Hollands in Ruͤckſicht der Rheinſchifffahrt.


5. Jedoch ſchon vor dem Abſchluß des Bre-
daer Friedens hatte Ludwig XIV. die Waffen er-
griffen, ſeine vorgeblichen Anſpruͤche auf die Spa-
niſchen Niederlande, vorzuͤglich auf das jus de-
volutionis
gegruͤndet, nach dem Tode ſeines
Schwiegervaters, Koͤnig Philipp'sIV. von Spa-
nien, geltend zu machen. Eine ſolche Verlet-
zung des rechtmaͤßigen Beſitzſtandes war gewiß nicht
blos eine Beleidigung Spaniens, ſondern Europas.
Es gab Staatsmaͤnner, die dieß empfanden; und der
Ritter Temple bildete im Haag die Triple-Al-
lianz
zwiſchen England, Holland und Schweden.
Ludwig XIV. hielt es bald fuͤr gerathen, den Frieden
zu Aachen zu ſchließen. Aber warum vollendeten
die Alliirten ihr Werk nur zur Haͤlfte, und ließen
dem Eroberer einen Theil der Beute? Die Auf-
rechthaltung der Heiligkeit des rechtmaͤßigen Beſit-
zes wird in einem Staatenſyſtem nie zu theuer er-
kauft!


Einfall Ludwig'sXIV. May 1667 in die Spaniſchen
Niederlande, und große Fortſchritte. — Abſchluß der Tri-

pel-
[219]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.
pel-Allianz 23. Jan. 1668. — Friede zu Aachen 2.
May 1668. Frankreich behaͤlt 12 feſte Plaͤtze an der Nie-
derlaͤndiſchen Grenze, worunter Douai, Tournay, und Ryſ-
ſel. Auch der Portugieſiſch-Spaniſche Krieg (ſ.
oben S. 164.) endigte in dieſem Jahre durch den Frieden
mit Spanien; 13. Jan. — Blos Ceuta blieb Spanien.


6. Auch nach dem wiederhergeſtellten Frieden
blieben indeß die politiſchen Verhaͤltniſſe weſentlich
veraͤndert. Durch eine Allianz war, oder ſchien
wenigſtens, der Eroberer beſchraͤnkt. Was erwar-
tete man ſeitdem nicht von Allianzen! Frankreich
dagegen behielt, auch im Frieden geruͤſtet, ſeine
Armee; und welch' eine Armee? Die Ver-
haͤltniſſe mit der Republik waren zerriſſen; ſie ſchie-
nen unter allen am ſchwerſten wieder anzuknuͤpfen;
weil der Stolz des Koͤnigs gekraͤnkt war; und das
wehrloſe Spanien hatte ſeine ganze Schwaͤche ge-
zeigt!


7. Was konnte leicht aus dieſen Mißverhaͤlt-
niſſen, die noch außerdem durch Handelsſtrei-
tigkeiten
vermehrt wurden, anders hervorgehen,
als ein Entwurf zur Rache gegen die Republik;
mit deren Sturz man außerdem — als wenn das
moͤglich waͤre! — auch ihren Handel und ihre In-
duſtrie zu erobern hoffte. Allein je mehr man es
empfand, daß ein ſolcher Verſuch einen großen
Sturm erregen mußte, um deſto thaͤtiger war die
Franzoͤ-
[220]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Franzoͤſiſche Politik, dieſen, wo moͤglich, zu be-
ſchwoͤren.


Die Handelsſtreitigkeiten entſtanden durch die Einfuhr-
verbote, oder hohe Belegung Hollaͤndiſcher Waaren, wel-
che die Hollaͤnder Jan. 1671 durch aͤhnliche erwiederten. —
So gab das ſich erſt entwickelnde Mercantilſyſtem wenig-
ſtens ſchon einen Vorwand zu einem Vernichtungskriege!


1670

8. Trennung der erneuerten Tripelallianz
war das erſte Ziel der Franzoͤſiſchen Politik. Und
wie konnte dieſe leicht fehlen, da dieſe Verbindung
Carl dem II. nie ein rechter Ernſt, und fuͤr
Schweden nur eine Finanzſpeculation auf Spanien
war? — Aber daß ſie ſich nicht nur aufloͤſen,
daß ſie ſich in eine Allianz mit Frankreich ver-
aͤndern wuͤrde, war faſt mehr, als man erwarten
konnte!


Geheime Allianz Englands mit Frankreich, nicht
bloß zum Sturz der Republik, ſondern auch der Brittiſchen
Verfaſſung, von dem Cabal-Miniſterium geſchloſſen 1.
Jun. 1670; und, gegen Subſidien, bald auch ein Buͤnd-
niß mit Schweden 14. April 1672, dem Namen nach nur
zum Schutze.


9. Vorzuͤglich aber waren es die dieſen Krie-
gen vorhergehenden Negociationen, welche den Ein-
fluß Ludwig's auf das Deutſche Reich gruͤnde-
ten. Man unterhandelte einzeln; und wer — den
großen Churfuͤrſten ausgenommen — widerſtand
leicht den Neutralitaͤts-, Subſidien- und Heyraths-
antraͤ-
[221]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.
antraͤgen? Coͤlln und Muͤnſter wurden ſelbſt
Alliirte. Sogar Oeſtreich und Spanien wußte man
zu beſchwichtigen; waͤhrend der Herzog von Lo-
thringen,
als Freund des letztern, aus dem Lan-
de gejagt wurde! Aber darf man ſich wundern,1670
wenn ſelbſt de Wit getaͤuſcht werden konnte? Er
ſah, wie die meiſten Miniſter, ſeinen Staat
durch das Vergroͤßerungsglas!


10. Sorgfaͤltiger wie hier ſchien alſo noch nie
die Politik — wenn auch zu einem ſinnloſen Zwecke
— Alles vorbereitet zu haben. Und doch — wie
hatte ſie ſich verrechnet! Als der Vernichtungs-
Sturm losbrach, fiel nicht die Republik; aber
durch den Fall von de Wit mußte Ludwig ſel-
ber — ſo wollte es die Nemeſis — in Wilhelm
III. den Mann auf ſeinen Poſten bringen, der
ihm ſeitdem, wie der erſte Oranier Philipp dem II.,
gegenuͤberſtand. Aber wenn dieſer nur fuͤr die Frey-
heit ſeines Vaterlandes kaͤmpfte, ſo kaͤmpfte Wil-
helm III. — gleich unermuͤdet, und mit gleich
wechſelndem Erfolge, in dem Cabinet wie auf dem
Schlachtfelde, — fuͤr die Freyheit Europas.


Angriff auf die Republik zu Waſſer und zu Lande May
1672. Seetreffen bey Solbay 7. Jun., und vereitelte
Landung 15. Jul. Allein große Fortſchritte zu Lande in
Verbindung mit Coͤlln und Muͤnſter; und Eroberung
von 4 Provinzen Jun. und Jul. — Rettung Amſterdams
durch Ueberſchwemmung. — Revolution im Haag; Ermor-

dung
[222]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
dung der Bruͤder de Wit 20. Aug. WilhelmIII., Erb-
ſtatthalter
in 5 Provinzen.


  • Hiſtoire de la vie et de la mort des deux illuſtres frères,
    Corneille et Jean de Wit. à Utrecht 1709. 2 Voll.
    12.

11. Außerdem machten aber auch die großen
wirklichen Fortſchritte Frankreichs eine ganz andere
Senſation in Europa, als bloße Unterhandlungen
hatten machen koͤnnen. Der nahe ſcheinende Un-
tergang eines Staats wie die Republik ſchreckte
Alles auf! Sie fand bald Verbuͤndete an Oeſt-
reich, Spanien, Deutſchland, Brandenburg; waͤh-
rend Frankreich die ſeinigen verlohr; und nur mit
Muͤhe Schweden zur thaͤtigen Theilnahme bewog,
um den Churfuͤrſt von Brandenburg und das Reich
zu beſchaͤftigen. So mußten ſchuldloſe Laͤnder lei-
den fuͤr eine fremde Sache; aber die Republik
war gerettet, ſobald der Schauplatz von ihren Gren-
zen entfernt war. Ohne einen Fußbreit ihres Ge-
biets zu verlieren, ſchied ſie endlich zuerſt aus dem
Kampfe; aber die ſchwaͤcheren ihrer Verbuͤndeten
mußten bezahlen; weil die Ueberlegenheit der Fran-
zoͤſiſchen Feldherren den Sieg feſſelte.


Allianz der Republik mit dem Kayſer, Spanien, und
dem Herzog von Lothringen 30. Aug. 1673. Theilnahme
des Deutſchen Reichs 31. Maͤrz 1674. Auch der, vorher
zu Voſſem 6. Jun. 1673 zum Separatfrieden genoͤthigte,
Churfuͤrſt von Brandenburg erneuerte ſeine Verbindung;
worauf auch Daͤnemark ſich anſchloß Jul. 1674. — Be-
reits 1673 Verlegung des Kriegsſchauplatzes in die Rhein-

gegen-
[223]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.
gegenden. Franzoͤſiſche Eroberung von Maſtricht 1. Jul.
Abgeſchlagene Landungen durch 3 Seetreffen 7. und 14.
Jun. 21. Aug. Dagegen 1674 19. Febr. Separatfriede
Englands,
weil die Stimme der Nation ihn forderte.
Seitdem Hauptſchauplatz die Spaniſchen Niederlande und
der Oberrhein. Dort Condé und Oranien. — Blutige,
doch unentſchiedne Schlacht bey Senef 11. Aug. — Hier
Turenne und Bournonville, zuletzt in Verbindung mit
dem Churfuͤrſt von Brandenburg. Treffen bey Sinsheim
16. Jun., bey Enſisheim 4. Oct., und Ueberfall bey
Muͤhlhauſen im Elſaß 29. Dec. Stete Ueberlegenheit
von Turenne. — Einfall der Schweden in Brandenburg
1675; aber Niederlage bey Fehrbellin 28. Jun. Auch
Daͤnemark und das Reich erklaͤren ihnen den Krieg. Tu-
renne und Montecuculi am Oberrhein. Tod des erſtern
bey Sasbach 7. Jul. Aber mit dem Meiſter der hoͤ-
heren Tactik ſtarb ſeine Schule nicht aus! 1676 und 1677
Lurenburg und Oranien in den Niederlanden. Treffen bey
Mont Caſſel 11. April. Die Ueberlegenheit des erſtern
bahnt Ludwig 1678 den Weg bis an die Grenzen von Hol-
land.


12. Waͤhrend des Kriegs hatte man den er-
ſten Zweck, Vernichtung der Republik, alſo gaͤnz-
lich aus den Augen verloren! Aber durch die
Theilnahme ſo vieler Maͤchte war das Intereſſe um
ſo viel mehr verwickelt worden. Nach einem ver-
geblichen Friedensverſuche zu Coͤlln ward endlich1673
Nimwegen zum Verſammlungsorte eines allge-
meinen Congreſſes beſtimmt. Die vielſeitigen An-
ſpruͤche, die Form der Verhandlungen, die Zwi-
ſchenvorfaͤlle des unterdeß fortdauernden Krieges,
und nicht weniger das ſtreitige Ceremoniel,
ließen
[224]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ließen lange, vielleicht vergebliche, Unterhandlun-
gen erwarten; aber giengen alle dieſe Formen, die
Rangſtreitigkeiten nicht ausgenommen, nicht aus dem
Weſen eines freyen Staatenſyſtems hervor, wo je-
der ſeine Unabhaͤngigkeit fuͤhlt; und die bloße Ue-
bermacht keine Geſetze dictiren darf? — Dennoch
gelang endlich die Verhandlung, vorzuͤglich durch
die eifrige Friedensliebe der Staaten von Holland,
und die drohende Stellung, die England annahm,
befoͤrdert. Allein die Franzoͤſiſche Politik trennte
die Verbindung; indem ſie — trotz des Widerſtan-
des des Erbſtatthalters — die Republik zu einem
Separatfrieden zu bringen wußte.


Langſame Verſammlung des Congreſſes zu Nim-
wegen ſeit 1676, und Eroͤffnung 1677. Der Natur der
Dinge nach mußte eine Reihe Friedensſchluͤſſe folgen.


1. Friede zwiſchen Frankreich und der Republik
10. Aug. 1678. Gaͤnzliche Reſtitution, gegen Verſprechung
der Neutralitaͤt. — Faſt noch mehr als der Friedensver-
trag lag den Hollaͤndern der zugleich geſchloſſene Handels-
vertrag am Herzen.


2. Friede zwiſchen Frankreich und Spanien 17.
Sept. 1678. Frankreich behaͤlt a. die Franche Comté. b.
Zwoͤlf feſte Plaͤtze an der Niederlaͤndiſchen Grenze mit ih-
rem Gebiete; darunter Valenciennes, Condé, Cambrais,
Ypern ꝛc.


3. Friede zwiſchen Frankreich und dem Kapſer
und Reich
5. Febr. 1679. a. Frankreich behaͤlt Frey-
burg, gegen das Beſatzungsrecht in Philipsburg (ſ. oben
S. 158.) b. Sehr beſchraͤnkte Reſtitution des Herzogs von
Lothringen, die er ſelber nicht annehmen wollte.


4. Mehr
[225]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.

4. Mehr Schwierigkeiten machten die Frie-
densſchluͤſſe des, ſeiner Nebenlaͤnder beraubten,
Schwedens mit Brandenburg und Daͤnemark; denn
Ludwig machte es zur Ehrenſache, ſeine Verbuͤndete
nicht im Stiche zu laſſen. Friede Frankreichs
und Schwedens mit Brandenburg zu St.
Germain
29. Jun. 1679, mit Daͤnemark 2.
Sept. 1679. In dieſem voͤllige, in jenem faſt
gaͤnzliche Reſtitution. Die Friedensſchluͤſſe Schwe-
dens mit den andern Verbuͤndeten enthalten nichts
Merkwuͤrdiges.


Die vornehmſten Geſandten auf dem Congreß zu Nim-
wegen waren: von Frankreich die Grafen d'Eſtrades, Avaux
(Neffe des Geſandten zu Muͤnſter oben S. 157.) und
Colbert. Von Holland: van Beverning, van Haren, Bo-
reel. Von Oeſtreich: Biſchof von Gurk, Graf Kinsky.
Von Spanien: Marquis de los Balbaſos, Graf Fuente u.
a. Als Vermittler, von England: Temple, Hyde, Jenkins;
vom Pabſt: Bevilacqua.


  • Actes et mémoires des negociations de la paix de Nimegue.
    à Amſterd. 1680. T. I-IV.
    12. — Urkundenſammlung.
  • St. Didier Hiſtoire de la paix de Nimegue, Par. 1697. 8.
    Der Verfaſſer war Geſandtſchafts-Secretair des Grafen
    Avaux.
  • Hiſtoire de traités de paix de Nimegue. 1754. T. I. II.

13. Die Abtretungen, welche Frankreich durch
dieſe Friedensſchluͤſſe erhielt, waren, (wenn ihm
gleich durch die Feſtungen die Thuͤr zum ſteten Ein-
fall in die Niederlande eroͤffnet ward,) doch kei-
Pneswe-
[226]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
nesweges das Gefaͤhrlichſte fuͤr Europa. Die gro-
ßen Gefahren giengen hervor aus der Art und
Weiſe, wie der Friede zu Stande kam. Frank-
reich hatte den Kampf gegen halb Europa nicht
bloß mit Gluͤck beſtanden, ſondern die Verbin-
dung gegen ſich getrennt;
und wann iſt der
Maͤchtige maͤchtiger, als in einem ſolchen Augen-
blick? Die Zerruͤttung der oͤffentlichen Verhaͤlt-
niſſe, die eine erneuerte Verbindung auf lange
unmoͤglich zu machen ſchien, — und kein Einzelner
konnte mehr dem Uebermaͤchtigen die Stirn bieten;
— ließ Ludwig Zeit, alle Vortheile ſeiner Politik
einzuerndten. Mochten die jetzt erſcheinenden Ent-
wuͤrfe eine Folge des Friedens; oder vielmehr der
Friede eine Folge jener Entwuͤrfe ſeyn, noch hatte
Europa keine ſolche Eingriffe in die Heiligkeit des
Eigenthumsrechts geſehen, wie es ſie jetzt erblickte.
— Hatte der Oranier Unrecht, wenn er das Aeu-
ßerſte aufbot, den Abſchluß des Separatfriedens
zu verhindern? War es nur Oraniſches Intereſſe,
oder war es Intereſſe Europas?


14. Gewaltthaͤtigkeiten im Elſaß gleich nach
dem Frieden; ſogenannte Reunionen (als vor-
malige Dependenzen der neuen Abtretungen)
deutſcher Reichslaͤnder; und bald darauf offenbare
Gewaltthaͤtigkeiten gegen die Spaniſchen Niederlan-
de.
[227]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.
de. Es ſchien klar, daß der Oberrhein die Gren-
ze Frankreichs werden ſollte.


Errichtung der Reunionskammern zu Metz, Breyſach,
Tournai und Beſançon 1680. War die Form nicht noch
empoͤrender als die Sache? — Einnahme Strasburgs
und Caſales 30. Sept. 1681, der Schluͤſſel Ober-Deutſchlands
und der Lombardie an Einem Tage! — Einfall in die
Spaniſchen Niederlande 1683. — Eroberung Luxem-
burgs;
und Wegnahme von Trier Jun. 1684. Dabey
blieb Lothringen noch immer von Frankreich beſetzt; und
das mit Spanien befreundete Genua mußte es erfahren,
was bey Ludwig Voͤlkerrecht hieß!


15. Es fehlte nicht an lautem Geſchrey in
Europa; aber die Verhaͤltniſſe faſt aller Hauptſtaa-
ten, die Schwaͤche Spaniens und des Reichs, die
Partheilichkeit Carl's II., die Friedensliebe der
ſtaͤndiſchen Parthey in Holland, die Ludwig durch
ſeine Geſandten lenkte, und vor allem die Noth
Oeſtreichs durch den furchtbaren Tuͤrkenkrieg (ſ.
unten) ſchienen jede Hoffnung zu einem kraͤftigen
Widerſtande zu vernichten. Dennoch brachte die
unermuͤdete Thaͤtigkeit des Oraniers es zu einer Ver-
bindung zwiſchen 4 Hauptmaͤchten. Aber wie ſie
ſich verwahrten, daß es nur zum Schutz ſeyn
ſollte! So fuhr Ludwig fort zu erobern, indem er
immer den Frieden bot; und konnte noch von
Großmuth ſprechen, als er in dem 20jaͤhrigen
Stillſtande
den groͤßten Theil ſeiner Beute be-
hielt!


P 2Schutz-
[228]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Schutzbuͤndniß in Haag 6. Febr. 1683. zwiſchen dem Kay-
ſer, Spanien, Schweden und der Republik, ſchon vorberei-
tet durch Particularvertraͤge, zur Behauptung des Muͤn-
ſterſchen und Nimweger Friedens. Aber es war ja die Er-
klaͤrung
dieſer Frieden, die ſtreitig war! Endlich 20jaͤh-
riger Stillſtand
15. Aug. 1684; theils mit Kayſer und
Reich, mit Behaltung Strasburgs und der Reunionen vor
dem 1. Aug. 1681., theils mit Spanien, mit Behaltung
Luxemburgs und der Wegnahmen bis zum 26. Aug. 1683.


  • Negociations de Mr. le Comte d'Avaux en Hollande de-
    puis 1679-1688. Paris 1751. T. I-VI.
    12. Er war Fran-
    zoͤſiſcher Geſandter in Haag.
  • J. V. Luchesini Hiſtoriarum ſui temporis libri XIV. Ro-
    mae 1779. 3 Voll.
    4.

16. Konnte aber ein ſo erkaufter Stillſtand
den Krieg auch nur auf ſo lange hinausſchieben,
als er geſchloſſen war? War den Verheerungen
des Stroms ein Damm geſetzt? Nur die innere
Erſchoͤpfung, womit der uͤbermaͤchtige Staat ſeine
Uebermacht erkaufte; nur vielleicht der Wechſel ſehr
bedeutender Perſonen, konnte eine Veraͤnderung be-
wirken. Aber die Erſchoͤpfung in einem ſolchen
Staat kann ſchon im Innern ſehr weit gehen, ehe
ſie im Aeußern ſichtbar wird; und wenn gleich
1683Colbert ſtarb, ſo lebte doch Louvois; Er, dem
Kriege Beduͤrfniß waren!


17. Ungeachtet der einſtweiligen Erhaltung des
Friedens ſammlete ſich alſo doch ſehr natuͤrlich der
Stoff zu einem neuen großen Kriege, durch eine
Reihe
[229]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.
Reihe einzelner Vorfaͤlle, die, wie heterogen ſie
auch ſonſt waren, doch alle dazu wirkten, die Er-
bitterung gegen den Uebermaͤchtigen zu vermehren;
aber auch des Zunders ſo viel und auf ſo verſchie-
denen Seiten verbreiteten, daß ein endlich ausbre-
chender Krieg faſt nothwendig ein allgemeiner Krieg
werden mußte. Die neuen Streitigkeiten mit dem
Pabſt; die Pfaͤlziſche Erbſchaftsſache; und der
Zwiſt uͤber die Biſchofswahl zu Coͤlln wirkten alle
dazu. Auch die, ſchon lange organiſirte Hugenot-
tenverfolgung, die durch die Aufhebung des
Edicts von Nantes
mit ihrer Vertreibung en-1685
digte, mußte Ludwig um ſo mehr in eine dauernde
Spannung mit den proteſtantiſchen Maͤchten ſetzen,
da man ſolcher Auftritte in Europa ſchon nicht mehr
gewohnt war. Und zu dieſen kamen noch die ſte-
ten Neckereyen zwiſchen Frankreich und der Repu-
blik durch Zolltarife und Waarenverbote!


Haͤndel mit Pabſt Innocenz XI. uͤber die Regale, ſchon
ſeit 1673, die 1682 zu der Verſammlung eines National-
Conciliums fuͤhrten, das die Verhaͤltniſſe gegen Rom be-
ſtimmte; und 1682 uͤber die widerſinnige Quartierfreyheit.
— Pfaͤlziſcher Erbſchaftsſtreit, indem Ludwig nach dem Aus-
ſterben des Pfalz-Simmerſchen Mannsſtamms mit Chur-
fuͤrſt Carl 1685 die Anſpruͤche deſſen Schweſter, der
Herzogin von Orleans, auf die Allodialverlaſſenſchaft auch
auf einen großen Theil des Landes ausdehnte. — Streit
uͤber die Erzbiſchofswahl zu Coͤln 1688, indem Ludwig ſei-
nen
Clienten, den Biſchof von Fuͤrſtenberg von Stras-
burg, gegen den Prinzen Joh. Clemens von Bayern un-

P 3ter-
[230]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
terſtuͤtzte, der, zwar nur von der Minoritaͤt des Capitels
gewaͤhlt, doch vom Pabſt beſtaͤtigt ward.


18. Indem auf dieſe Weiſe Jeder ſich belei-
digt fuͤhlte, und fuͤrchtete, wurde es dem Oranier
dadurch leichter, eine neue Verbindung — zu der
Aufrechthaltung des Waffenſtillſtandes — zu nego-
ciiren, die zu Augsburg abgeſchloſſen ward.
Indem Ludwig dieſelbe als gegen ſich geſchloſſen
anſah, konnte der baldige Ausbruch eines großen
Krieges wohl kaum mehr zweifelhaft ſcheinen; und
wenn auch Louvois Verlegenheit den Ausbruch be-
ſchleunigte, ſo geſchah doch nur, was ohne dieſes
etwas ſpaͤter haͤtte geſchehen muͤſſen.


Abſchluß des Augsburger Buͤndniſſes 9. Jul. 1686 zwi-
ſchen dem Kayſer, Spanien, Schweden, dem Churfuͤrſten
von Bayern, dem Schwaͤbiſchen, Bayriſchen und Fraͤnki-
ſchen Kreiſe und einigen Deutſchen Fuͤrſten. Indem die
Spannung ſchon ſehr groß war, brachte die Coͤllniſche Chur-
fuͤrſtenwahl (ſ. oben) die Sache zum Ausbruch. Kriegs-
erklaͤrung gegen Kayſer und Reich 24. Sept. 1688.


19. Als aber der Krieg kaum ausgebrochen
war, ereignete ſich eine andere Begebenheit, die
ihn allein wuͤrde unvermeidlich gemacht haben, die
Revolution in England, die WilhelmIII.
1689
Jan.
auf den Thron ſeines Schwiegervaters erhob (ſ.
unten). Indem JacobII. von Ludwig als
Freund und Koͤnig aufgenommen wurde, war
ſchon damit der Krieg ſo gut wie erklaͤrt.


20.
[231]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.

20. So entzuͤndete ſich ein neuer Krieg in
Europa, deſſen Umfang ſo wenig als ſeine Dauer
abzuſehen war. Schon nach wenig Monaten gab
es faſt keinen neutralen Staat im weſtlichen Euro-
pa mehr; und Louvois ſorgte aufs beſte dafuͤr,
daß die Flamme ſich moͤglichſt weit verbreitete.


Auf die Erklaͤrung gegen Kayſer und Reich folgte die
gegen den Pabſt, als weltlichen Fuͤrſten; gegen die Republik
6. Nov., gegen Spanien 15. April 1689. Von England ward
der Krieg Frankreich erklaͤrt 2. May. Große Allianz zu
Wien
12. May 1689; der auch, von Louvois gedraͤngt,
der Herzog von Savoyen beytrat, Jun. 1690. Auch Daͤne-
mark verſprach Huͤlfstruppen an England.


21. Der furchtbare 9jaͤhrige Kampf, (zugleich
durch neue Handelsverbote merkwuͤrdig;) in den
Niederlanden, den Rheingegenden, in Italien,
nebenher in Irland und an den Spaniſchen Gren-
zen, außerdem auf dem Ocean und im Mittelmeer,
ſchien entweder mit der Unterjochung, oder auch
dem entſchiedenſten Triumphe Frankreichs endigen
zu muͤſſen. Und doch geſchah keins von Beyden!
Die Ueberlegenheit der Franzoͤſiſchen Feldherren,
des unbeſiegten Luxemburg, des beſcheidenen Ca-
tinat,
blieb ſich gleich; aber die zunehmende
Erſchoͤpfung im Innern ward auch nach außen zu
merklich! und Colbert hatte keine Zoͤglinge gebildet
wie Turenne!


P 4Die
[232]II. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Die entſetzlichen Verheerungen der Pfalz 1688 und 1689,
womit der Mordbrenner Louvois († 1691) die Grenzen
decken wollte, waren ſie nicht ſchon Beweiſe von dem Ge-
fuͤhl der Schwaͤche im Innern? Auch konnten die Franzo-
ſen nie betraͤchtlich uͤber den Rhein vordringen, zumal ſeit
dem ihnen ſeit 1693 der tapfere Prinz Ludwig von Ba-
den
gegenuͤberſtand. — Hauptſchauplatz in den Niederlan-
den, wo Luxemburg 1. Jul. 1690 den Sieg bey Fleurus; 3.
Aug. 1692 den bey Steenkerken; und 29. Juli 1693 den bey
Neerwinden (Landen), letztere beyde uͤber Wilhelm III.,
erfocht; und Namur und mehrere Feſtungen einnahm. Doch
hielt der Oranier, oft beſiegt, aber nie bezwungen, ihm
Stand; und was Luxemburg nicht vermochte († Jan. 1695),
wie vermochte es ſein Nachfolger Villeroy? — In Ita-
lien:
Kampf zwiſchen Catinat und Victor Amadeus
II. von Savoyen. Sieg Catinat's bey Staffarda 18. Aug.
1690 und Einnahme Savoyens, und 1691 eines Theils von
Piemont. Sieg bey Marſiglia 4. Oct. 1693, worauf ſchon
geheime Unterhandlungen des Herzogs mit Frankreich began-
nen. — Der Krieg an den Grenzen von Catalonien war
lange Nebenſache, endigte aber 1697 mit der Eroberung von
Barcelona. — Der Seekrieg, anfangs durch Tourvil-
le's
Sieg bei Dieppe 10. Jul. 1690. mit Gluͤck von Frank-
reich begonnen, war mit dem Project einer Landung in Eng-
land und Irland zu Gunſten Jacob'sII. verbunden. Die
letztere, zwar von Frankreich ausgefuͤhrt, aber ſchlecht un-
terſtuͤtzt, ward vergeblich durch den Sieg Wilhelm's III. am
Boyne Fluß 11. Jul. 1690; die erſtere ward vereitelt
durch den Seeſieg der Britten bey la Hogue 29. May
1692, der ihnen die Ueberlegenheit fuͤr die Folge ſicherte. —
Auch nach Oſt- und Weſtindien verbreitete ſich der Krieg.
Eroberung von Carthagena in Suͤd-America 5. May 1697. —
Strenge Handelsverbote Englands und Hollands ſeit
Anfang des Kriegs; da nicht nur, wie gewoͤhnlich die Contre-
bande, ſondern aller Verkehr mit Frankreich den Einheimiſchen
und Fremden verboten wurde, 22. Aug. 1689. Aber kaum
fand man Fremde, die neutral waren.


22.
[233]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.

22. Es ließ ſich erwarten, daß Trennung des
großen Buͤndniſſes auch in dieſem Kriege das Ziel
der Franzoͤſiſchen Politik werden wuͤrde. Man
hoffte am meiſten den Herzog von Savoyen zu ge-
winnen; und bereits 1694 ward eine geheime Un-
terhandlung angeknuͤpft, die endlich zu einem Ver-
gleiche fuͤhrte, wodurch Frankreich ſeinen Zweck er-
hielt.


Vergleich zu Turin 29. Aug. 1696. 1. Der Herzog erhaͤlt
alle ſeine Laͤnder zuruͤck, und ſelbſt Pignerol, jedoch geſchleift.
2. Seine Tochter wird an Ludwig's aͤlteſten Enkel, den Duc
de Bourgogne, vermaͤhlt. 3. Er verſpricht die Neutralitaͤt
Italiens bey Spanien und Oeſtreich zu bewirken; welches
auch geſchah durch den Tractat von Vigevano 7. Oct.


23. Wie wichtig auch dieſe Trennung war,
ſo legten die Anerkennung Wilhelm's III., und die
Forderungen Oeſtreichs doch große Schwierigkeiten
dem Frieden in den Weg. Aber die Entwuͤrfe auf
die Spaniſche Monarchie, deren Vorbereitung,
nur im Frieden moͤglich, nicht laͤnger aufgeſchoben
werden durfte, auf Frankreichs, und das Miß-
trauen unter den Verbuͤndeten auf der andern Seite,
befoͤrderten ihn. Ein Congreß, der ſich auf dem
Schloß bey Ryßwik in Holland verſammelte, be-
trieb unter Schwediſcher Vermittelung die Unter-
handlungen; und Ludwig erreichte um ſo eher ſei-
ne Zwecke, da es ihm gelang, neue Trennungen
unter den Verbuͤndeten zu erregen.


P 5Eroͤff-
[234]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Eroͤffnung des Congreſſes zu Ryßwik 9. May 1697.
Vorlaͤufiges Einverſtaͤndniß mit den Seemaͤchten; und nach
Ablauf des dem Kayſer und Reich geſetzten Termins Ab-
ſchluß des Friedens mit ihnen und Spanien 20. Sept.,
worauf auch der Kayſer und das Reich ſich bald dazu ent-
ſchließen mußten 30. Oct.


1. Friede Frankreichs mit England. 1. Aner-
kennung von WilhelmIII. 2. Wechſelſeitige Herausga-
be der Eroberungen.


2. Friede Frankreichs mit Holland. Wechſelſei-
tige Reſtitution.


3. Friede Frankreichs mit Spanien. Zuruͤckgabe
aller Eroberungen und Reunionen in Catalonien und den
Niederlanden bis auf einige Ortſchaften als Grenzberichti-
gung. — Ohne beſondere Abtretung blieb durch den Frie-
den von ſelbſt Frankreich der ſchon fruͤher beſetzte Theil von
St. Domingo. S. unten.


4. Friede mit Kayſer und Reich. 1. Frankreich
behielt alles Reunirte im Elſaß; auch Strasburg. 3. Alles
außer dem Elſaß Reunirte wird zuruͤckgegeben; (doch ſoll
nach eingeſchobener Clauſel die katholiſche Religion in ſtatu
quo
bleiben.) 3. Die Pfaͤlziſche Erbſchaftsſache ſoll durch
Schiedsrichter ausgemacht werden. 4. Volle Reſtitution des
Herzogs von Lothringen.


Die vornehmſten Geſandten waren: von Frankreich: von
Calliéres, von Harlay. Von England: Graf Pembrok, L.
Lexington ꝛc. Von Holland: A. Heinſius, J. Boreel ꝛc.
Von dem Kayſer: Graf Kaunitz, Stratmann, von Sailern.
Von Spanien: D. Quiros. Von Schweden: als Vermittler
Gr. Bonde, von Lilienroth.


  • Actes, memoires et negociations de la paix de Ryswic par
    Ad. Moetjens T. I-V. à la Haye 1707.
  • Memoires politiques pour ſervir à la parfaite intelligence de
    la paix de Ryswic par du Mont 1699. T. I-IV.
    enthalten
    eine diplomatiſche Geſchichte der Staatshaͤndel ſeit dem Weſt-
    phaͤliſchen Frieden, gehen aber nur bis 1676.

24.
[235]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.

24. Wenn gleich durch dieſen langwierigen
Krieg der Wunſch der Alliirten, Zuruͤckfuͤhrung
der Dinge auf den Nimweger, oder wo moͤglich
ſelbſt den Weſtphaͤliſchen und Pyrenaͤiſchen Frieden,
keineswegs voͤllig erreicht ward; ſo ward doch der
Hauptzweck erreicht; die wechſelſeitige Freyheit und
Unabhaͤngigkeit der Staaten war behauptet und ge-
ſichert. Drey Kriege zu dieſem Zwecke gefuͤhrt,
und durch drey ſolche Friedensſchluͤſſe geendigt,
hatten die Wichtigkeit der Erhaltung des politiſchen
Gleichgewichts zu fuͤhlbar gemacht, als daß ſie in
der practiſchen Politik ſich haͤtte leicht verlieren
koͤnnen.


25. Eben damit ſtand als Folge dieſes Kriegs
in einer engen Verbindung die Beſtimmung der
Brittiſchen Continentalpolitik in ihren
Hauptformen. Sie gieng hervor aus der Rivali-
taͤt mit Frankreich; die durch Wilhelm III.dau-
ernd
gegruͤndet ward. Zu ſchwach, um als
Landmacht Frankreich gegenuͤber zu ſtehen, ſchloß
es ſich an die zweyte Landmacht des Continents,
an Oeſtreich, an; und ſo lange auch noch Habs-
burger in Spanien herrſchten, natuͤrlich zugleich an
dieſes. Die enge Verbindung mit den Niederlan-
den war eine Folge der Thronbeſteigung Wilhelm's
III., in Italien lernte man ſchon jetzt die Wich-
tigkeit
[236]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
tigkeit des Herzogs von Savoyen ſchaͤtzen; und in
dem Deutſchen Reich konnte es nicht leicht an ein-
zelnen Verbuͤndeten fehlen.


26. Waͤhrend aber jene Kriege den Weſten
von Europa erſchuͤtterten, tobten nicht geringere
Stuͤrme im Oſten. Die Tuͤrkengefahr war
noch faſt nie ſo drohend fuͤr Deutſchland geworden,
als in dieſem Zeitraum; wo das Schickſal von
Wien auch das ſeinige entſcheiden zu muͤſſen ſchien.
Die Streitigkeiten uͤber Siebenbuͤrgen, die Oeſtrei-
chiſche Tyranney in Ungarn, ließen es hier den
Tuͤrken an Anhaͤngern nicht fehlen; und wenn ſie
gleich in regelmaͤßigen Schlachten der Deutſchen
Tactik unterlagen, ſo fanden ſie doch einzelne An-
fuͤhrer, die es einſahen, was mit großen Maſſen
leichter Truppen, von Nationalſtolz und Religions-
haß belebt, auszurichten ſteht. Auf die Haͤndel
des weſtlichen Europas wirkten dieſe Kriege nicht
wenig ein. Ludwig XIV., in der Politik wie im
Privatleben nie den Anſtand verleugnend, war zwar
nicht foͤrmlicher Verbuͤndeter des Feindes der Chri-
ſtenheit; ſchickte wohl ſelbſt ein Huͤlfscorps gegen
ihn. Aber ſeine Geſandten waren darum nicht
weniger in Conſtantinopel thaͤtig.


Bereits 1661-1664 Krieg durch die ſtreitige Fuͤrſtenwahl
in Siebenbuͤrgen, zwiſchen Kemeny, den Oeſtreich, und
Mich. Abaffi, den die Pforte unterſtuͤtzte, erregt. Ein-

nahme
[237]1. Staatshaͤndel in Europa 1661--1700.
nahme der Feſtungen Großwardein 1661 und Neuhaͤuſel 1663.
Die drohende Gefahr verſchafft endlich dem Kayſer Huͤlfe
von dem Reich: und ſelbſt von Frankreich. Montecuculi's
Sieg uͤber Achmet Kiuprili bey St. Gotthard an der Raab
22. Jul. 1664. Aber in dem 20jaͤhrigen Waffenſtill-
ſtande
2. Aug. blieben die Tuͤrken doch im Beſitz von Neu-
haͤuſel und Großwardein.


27. Viel dauernder und wichtiger aber ward
der zweyte Krieg, der noch vor Ablauf des Waf-
fenſtillſtandes, unter Franzoͤſiſchem Einfluß, begann,
und erſt am Ende des Jahrhunderts durch den
Carlowitzer Frieden endigte. Wie ſehr wurden
durch ihn Ludwig's des XIV. gleichzeitige Unterneh-
mungen beguͤnſtigt! Aber wenn bey ſeinem Anfan-
ge die Belagerung Wiens Deutſchlands Frey-
heit bedrohte, ſo ward doch, da Oeſtreichs Herr-
ſchaft in Ungarn durch ihn befeſtigt wurde, auch
Deutſchland ſeitdem vor den Angriffen der Tuͤrken
auf immer geſichert. Durch die Theilnahme Po-
lens und Rußlands verbreitete ſich der Krieg auch
zugleich nach dem Norden von Europa. (S.
unten.)


Bruch des 20jaͤhrigen Waffenſtillſtandes, durch die Unter-
ſtuͤtzung des Grafen Tekely in Ungarn 1682. Eindringen
in Oeſtreich und Belagerung Wiens 22. Jul. 1683. Gluͤck-
licher Entſatz durch die verbundene Deutſche und Polniſche
Armee unter dem Herzog Carl von Lothringen und Johann
Sobieſky 2 Sept. Seitdem eifrigere Theilnahme der Deut-
ſchen Fuͤrſten; und Beytritt Venedigs 1684. Der Haupt-
ſchauplatz bleibt in Ungarn. Eroberung von Ofen durch die

Deut-
[238]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Deutſchen, 22. Aug. 1686; Niederlage der Tuͤrken bey Mo-
hacz
7. Aug. und Verluſt von Slavonien 1687. Auch Ve-
nedig macht in Dalmatien und Morea Eroberungen. Bald
zeigt der Vezier Kiuprili Muſtapha (ſeit 1690), was
Belebung des Nationalgeiſtes bey einem Barbarenvolke ver-
mag. Einnahme von Niffa, und ſelbſt Belgrad (Oct.).
Aber in der Schlacht von Salankemen 19. Aug. 1691 fiel
der Held, ohne einen ſeiner wuͤrdigen Nachfolger zu finden.
Der Kampf im Felde fieng an zu ermatten, waͤhrend der
Kampf der Brittiſchen und Franzoͤſiſchen Diplomatik in Con-
ſtantinopel deſto lebhafter war. Allein die letztere verhin-
derte den Frieden; und als MuſtaphaII. ſeit 1695 ſich
ſelber an die Spitze ſtellte, war der Krieg deſto lebhafter.
Aber ſeitdem Prinz Eugen 1697 das Commando erhielt,
gab auch bald der Tag bey Zentha (11. Sept.) die Entſchei-
dung. Friede zu Carlowitz 26. Jan. 1699. 1. Mit
Oeſtreich. Es behaͤlt Siebenbuͤrgen; und das Land zwi-
ſchen der Theis und Donau; die Pforte aber Temeswar. 2.
Mit Venedig. Die Republik behaͤlt Morea, nebſt den
Inſeln S. Maura und Egina. Die Frieden mit Polen und
Rußland ſ. unten.


  • de la Croix Guerres des Turcs avec la Pologne, la Mos-
    covie et la Hongrie. à la Haye 1698. 8.

II. Ueberſicht der gleichzeitigen Hauptveraͤnderungen in den
einzelnen Hauptſtaaten des weſtlichen Europas, und ihrer
Reſultate.

1. Spanien und Portugal.

1. Dieſe beyden Reiche, jetzt getrennt, fahren
fort zu exiſtiren, ohne daß die erneuerte Selbſt-
ſtaͤndig-
[239]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1700.
ſtaͤndigkeit des letztern vermoͤgend geweſen waͤre, der
Nation einen neuen Schwung zu geben. Doch
war der Zuſtand hier noch beſſer als in Spanien,
wo alle Keime des innern Verderbniſſes ſich ſo voͤl-
lig entwickelten (ſ. oben S. 213.), daß ſelbſt die
Fortdauer der politiſchen Exiſtenz ſchwer zu erklaͤ-
ren iſt. Aber ein großer Staat kann es lange
treiben, ehe er ſich zu Tode ſuͤndigt!


2. Frankreich.

2. Eine ſo glaͤnzende Regierung wie die von
Ludwig XIV. war zu ſehr im Character der Na-
tion, als daß bey allem Druck doch das Mißver-
gnuͤgen einen Mittelpunct des Widerſtandes haͤtte
finden koͤnnen. Die maͤßigen Vergroͤßerungen wa-
ren ſo theuer erkauft, daß ſie wohl nicht als Ge-
winn angeſehen werden koͤnnen. Aber viel mehr als
Franzoͤſiſche Macht war Franzoͤſiſcher Einfluß ge-
wachſen; und ſelbſt die Vertreibung der Hu-
genotten
, wenn ſie auch den gemißhandelten Voͤl-
kern gewiſſermaßen durch Verbreitung Franzoͤſiſcher
Capitale und Induſtrie Erſatz gab, trug dazu durch
Verbreitung Franzoͤſiſcher Sprache und Sitten bey.


3. Doch entwickelte ſich mitten in der Periode
der koͤniglichen Allgewalt aus Religionshaͤndeln,
wenn gleich langſam, aber deſto unausrottbarer,
ein Keim, der mehrfach fruchtbar wurde. Der
Janſe-
[240]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Janſenismus, als Gegner des Jeſuitismus,
wurde nothwendig die Stuͤtze der Denkfreyheit und
des Unterſuchungsgeiſtes; und erſetzte dadurch eini-
germaaßen den unermeßlichen Schaden, den Frank-
reich durch die Vertreibung der Hugenotten in die-
ſer
Ruͤckſicht erlitt. Der politiſche Einfluß der Je-
ſuiten gab ihm aber auch unvermeidlich, wenn gleich
erſt ſehr langſam, einen politiſchen Character, und
konnte ihn ſpaͤterhin zum Vehikel einer Oppoſi-
tion gegen die Regierung machen.


Urſprung des Janſenismus durch den Streit uͤber das
Buch des Biſchofs Janſenius zu Ypern († 1640) Augnſti-
nus ſ. de gratia
mit den Jeſuiten. Durch die Verdam-
mung der 5 Saͤtze von Pabſt Alexander VIII. 1656, und
die geforderte Eidesformel 1665 ward der Streit unter
dem Clerus ſchon practiſch wichtig; ſeine politiſche Wichtig-
keit erhielt er erſt in dem folgenden Zeitraum.


3. England.

4. Kein Staat erfuhr ſo wichtige innere
Veraͤnderungen als England. Sie beſtimmten voͤl-
lig ſeinen nachmaligen Character als Staat; und
ſeine Rolle als Mitglied des Europaͤiſchen Staa-
tenſyſtems. Indem die ſogenannte Revolution
Wilhelm
III. auf den Thron erhob, den ſein
Schwiegervater verlaſſen hatte, ward dadurch die
durch die Stuarts geſtoͤrte Harmonie zwiſchen der
Nation und der Regierung hergeſtellt; und daraus
floß
[241]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1700.
floß der ganze unermeßliche Gewinn fuͤr die Zukunft.
Herrſchaft des Proteſtantismus und conſtitutionelle
Freyheit waren der Wunſch der Nation; beydes
ſicherte ihr die jetzige Veraͤnderung; und die Bill
of rights
gab ſelbſt die formelle Beſtaͤtigung.


5. Aber nicht dieſe feſtere Beſtimmung von
Formen (ohnedem meiſt alten Formen) war es,
wodurch die brittiſche Conſtitution ſeitdem ihr Leben
erhielt. Dieß gieng hervor aus der Nation ſelber,
aus dem langwierigen Kampfe des Unterhauſes
gegen die Entwuͤrfe der Stuarts; aus dem Geiſte,
der dadurch lebendig geworden war; ſelbſt die Fort-
dauer der Partheyen der Whigs und Torys,
(wie haͤtten auf einmal alle Partheyen verſchwinden
koͤnnen?), waren nur Symptome des Lebens!


6. Die großen Vorzuͤge dieſer Conſtitution la-
gen daher auch keineswegs in einem durch kuͤnſtliche
Formen erreichten Gleichgewichte der Gewalten; ſie
lagen in der erhoͤhten practiſchen Wichtigkeit des
Parlements, beſonders des Unterhauſes; und
des ganz freyen Verkehrs des Monarchen mit
dieſem durch ſeine Organe, die Miniſter. Als
Vermittler zwiſchen Koͤnig und Parlement mußte
ihre Wichtigkeit wachſen; aber ſeitdem man das
Geheimniß ausgeſpuͤrt hatte, daß es nie zu einem
Zwiſt zwiſchen beyden kommen duͤrfe, war die Be-
Qhaup-
[242]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
hauptung der Majoritaͤt im Parlement auch die Be-
dingung ihrer Wirkungskraft. Die offene Oppo-
ſition ſicherte ſie hier vor geheimen Cabalen; nur Ei-
nigkeit unter ihnen ſelber blieb natuͤrliches Erforder-
niß, und dafuͤr ward durch die Art der Errichtung
des Miniſterii geſorgt.


7. So konnte in keinem der Hauptſtaaten Eu-
ropas ſo viel politiſches Leben in der Nation
ſeyn, wie hier; und gewiß nicht mit Unrecht be-
wundert ſtand Großbritannien ein Jahrhundert hin-
durch als Muſter einer conſtitutionellen Monarchie
da! Nur daß man ſehr verkehrt in den Formen
ſuchte, was viel tiefer lag! Daß aber in dieſer
Conſtitution auch Keime des Verderbniſſes
lagen, war unvermeidlich. Gewiß aber weniger in
der mangelhaften Repraͤſentation, als in dem Be-
duͤrfniß der Majoritaͤt im Parlement fuͤr die Mini-
ſter. — Auswaͤrtige Maͤchte aber mochten ſich wohl
vorſehen bey ihren Verbindungen mit England, da
ein Wechſel der Miniſter auch zugleich in der Regel
ein Wechſel der politiſchen Maximen war, und die
Nachfolger ſich wenig an die Verpflichtungen der
Vorgaͤnger gebunden hielten.


  • Delolme ſur la conſtitution d'Angleterre. Geneve 1771. 8.
  • Schmalz Staatsverfaſſung von Groß-Britannien. 1806. 8.
    Beydes ſehr ſchaͤtzbare Werke; aber noch keines den Gegen-
    ſtand erſchoͤpfend.

4.
[243]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1700.
4. Die Vereinigten Niederlande.

8. Die Errichtung der Erbſtatthalterſchaft1672
bis
1702

in 5 Provinzen, das Werk der Noth und das Mit-
tel der Rettung (ſ. oben S. 221.), wuͤrde wahr-
ſcheinlich große Folgen auch fuͤr das Innere gehabt
haben, wenn der neue Erbſtatthalter Erben gehabt
haͤtte. Aber indem ſeine Thaͤtigkeit faſt ganz auf
die auswaͤrtige Politik gerichtet war, beſchraͤnkte ſie
ſich im Innern hauptſaͤchlich darauf, Maͤnner von
ſeinen Grundſaͤtzen in die Staaten und in die Re-
gierungsſtellen zu bringen. Mehr Staatsmann als
Feldherr (wenn gleich auch im Ungluͤck mit Recht
bewunderter Feldherr;), bildete WilhelmIII.
ſich auch mehr eine politiſche als militairiſche Schu-
le; und indem in den Heinſius, Fagels u. a.
ſein Geiſt fortlebte, dauerten die Grundſaͤtze ſeiner
Politik, die Oppoſition gegen Frankreich, und die
Anſchließung an England, noch nach ſeinem Tode
fort.


5. Das Deutſche Reich.

9. Nach der Beſtimmung der ſtreitigen Ver-
haͤltniſſe durch den Weſtphaͤliſchen Frieden durfte
man hier zwar innere Ruhe erwarten, aber an
Stoff zu Verhandlungen und ſelbſt an Streit konn-
te es doch in einem Staatskoͤrper nicht fehlen, deſ-
ſen innere Verhaͤltniſſe nicht nur an ſich ſo unend-
Q 2lich
[244]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
lich verwickelt, ſondern durch das Mißtrauen der
Religionspartien, — (welches die Bildung des
1653Corpus Evangelicorum erzeugte) — noch ſchwie-
riger waren. Aber ſolche Haͤndel waren ſchwerlich
Uebel zu nennen; und indem durch ſie der be-
1663ſtaͤndige Reichstag entſtand, erhielt das Ganze
dadurch eine groͤßere Feſtigkeit. Die Form der al-
ten Reichstaͤge hatte ihr Gutes fuͤr ihre Zeit; bey
den veraͤnderten Hofſitten mußte ſie von ſelbſt ver-
alten. Ein dauernder Congreß entſtand alſo, eben
weil er Beduͤrfniß war; man wußte kaum wie?
Aber eben deshalb dachte auch Niemand daran,
wie er zweckmaͤßig einzurichten ſey.


10. Große Veraͤnderung des Deutſchen Fuͤr-
ſtenlebens durch die Ruͤckwirkung des Franzoͤſiſchen
Hofes; aber auch der Fuͤrſtenmacht, politiſch und
militairiſch. Indem Ludwig XIV. es meiſt ſeinem
Intereſſe gemaͤß fand, die einzelnen Fuͤrſten als
Fuͤrſten zu behandeln; fuͤhlten ſie ſich als kleine
Maͤchte. Ein Churfuͤrſt von Brandenburg warf
ein bedeutendes Gewicht in die Wagſchaale der all-
1692gemeinen Politik; und die Errichtung der 9ten Chur
fuͤr Hannover ſchien nicht viel weniger als eine
Weltbegebenheit. Die einzelnen Glieder des Deut-
ſchen Staatskoͤrpers erhielten eine vermehrte Wich-
tigkeit; und durch ſie das Ganze.


11.
[245]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1700.

11. So erhielt ſich dieſer Staat, von zwey
Seiten durch maͤchtige Eroberer beſtuͤrmt, mit we-
nig geſchmaͤlerter Integritaͤt. Die furchtbaren Tuͤr-
kenkriege, die Schule des Muths fuͤr die Deutſchen,
bildeten die Fuͤrſtenſoͤhne zu Feldherren; und gaben
zugleich einen Vereinigungspunct fuͤr den Kayſer und
die Staͤnde. Auch die Kriege gegen Frankreich
trugen dazu bey; denn ungeachtet des Eingangs,
den die Franzoͤſiſche Politik im Frieden fand, ſiegte
doch noch im Kriege im Ganzen die Anhaͤngigkeit
an das gemeinſchaftliche Vaterland.


6. Oeſtreich und die oͤſtlichen Laͤnder.

12. Große Veraͤnderungen ſollten in dem In-
nern der Oeſtreichiſchen Monarchie gemacht werden.
Politiſche Einheit, beſonders in dem Hauptlande
Ungarn, ſollte erzwungen werden; darin ſah
man die Gruͤndung der Macht! Die Folge davon
war ein faſt ſteter revolutionairer Zuſtand; der,
verbunden mit den furchtbaren Kriegen im Oſten und
Weſten, der Monarchie hoͤchſt gefaͤhrlich werden
konnte. Allein ſchwerlich konnte ſie von dem, wenn
auch uͤbermaͤchtigen, Frankreich etwas Großes zu
fuͤrchten haben, ſo lange noch das Reich ihr unge-
theilt
zur Vormauer diente.


13. Viel gefaͤhrlicher waren allerdings die Un-
ruhen in Ungarn, geweckt durch die Verfolgun-
Q 3gen
[246]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
gen der Proteſtanten, zur Gruͤndung einer erblichen,
und wo moͤglich unumſchraͤnkten, Gewalt; und mit
einer Grauſamkeit betrieben, welche ſelbſt Patrio-
ten zur Inſurrection trieb. Ungarn ward ein Erb-
reich
; doch rettete die Nation im Ganzen ihre
uͤbrige Verfaſſung, und mit ihr ihre Nationalitaͤt.
Ein großer Gewinn, auch bey den Fehlern der
Conſtitution; waͤre nur der Sinn fuͤr nothwendige
Reformen damit nicht zugleich unterdruͤckt!


Große Unruhen waͤhrend des 20jaͤhrigen Waffenſtillſtandes
1664 (ſ. oben S. 237.), geleitet ſelbſt von dem Palatin
Weſſeleny († 1670); Hinrichtungen; und Schreckenstri-
bunal zu Eperies. — Die Regierung ſchien endlich mildere
Maaßregeln ergreifen zu wollen 1681; allein der gefluͤchrete
Tekely brachte es zum Tuͤrkenkriege, deſſen ſiegreiche Pe-
riode man zu der Gruͤndung des Erbreichs nutzte, Oct.
1687. — Auch damit aber ſtarben noch in Wien die wei-
tern Plaͤne nicht aus.


14. Ein ſehr weſentlicher Gewinn aber, den
Oeſtreich aus dieſen Unruhen zog, war die dadurch
herbeygefuͤhrte Vereinigung Siebenbuͤrgens
mit Ungarn; ſeitdem der letzte Fuͤrſt Michael
Apafi
II. in Penſion geſetzt war. Nicht bloß
wichtig durch das Land ſelbſt, ſondern weil dadurch
auch zugleich der gefaͤhrlichſte Keim zu den Tuͤrken-
kriegen erſtickt ward.


Abdankung des Fuͤrſten Michael ApafiII. 1699 in Fol-
ge des Carlowitzer Friedens. — Doch ward auch nachmals
durch den Aufſtand des juͤngern Rakotzi 1703 die Ruhe

wieder
[247]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1700.
wieder geſtoͤrt; und die voͤllige Unterwerfung kam erſt 1711
zu Stande.


15. Das Tuͤrkiſche Reich war in dieſem
Zeitraum zum letztenmal der Schrecken Deutſchlands;
auch in Kriegen war nachmals Ungarn eine feſte
Vormauer. Es kam allmaͤhlig immer mehr dahin,
daß die Anarchie ſein gewoͤhnlicher Zuſtand war;
aber auch ſo hat doch die Erfahrung nachmals wie-
derholt gezeigt, wie ſchwer ein Volk zu uͤberwaͤlti-
gen iſt, das Nationalſtolz und Religionsfanatis-
mus belebt.


16. Die Veraͤnderungen, welche die practi-
ſche Politik
uͤberhaupt erlitt, gehen aus der Ge-
ſchichte ſelber hervor. Ein anderer Geiſt war in
ihr rege geworden. Das Religionsintereſſe hoͤrte
auf, die Triebfeder der allgemeinen Politik zu ſeyn;
auf die Verhaͤltniſſe der Staaten gegen einander
wirkte es wenig mehr ein. Darum verlor es aber
gar nicht ſeinen Einfluß auf die innere Politik,
theils wegen der Raͤnke der Jeſuiten, theils als
Grundlage der Verfaſſung. Wurden die Prote-
ſtanten in Frankreich und Ungarn verfolgt, ſo wur-
den es die Catholiken in Irland nicht weniger.


17. Das Handels- und Geldintereſſe, das,
durch Colbert eingefuͤhrt, an ſeine Stelle trat,
Q 4zeigte
[248]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
zeigte ſogleich ſeinen Einfluß auf die Regierungen
und die Voͤlker; in Neid, Neckerey, und offener
Fehde. Seitdem man vollends glaubte, das Ge-
heimniß der Handelsbilanz der Staaten entdeckt
zu haben (der Gipfel der Thorheit!), war eine un-
verſiegbare Quelle bes National-Haſſes und Neides
geoͤffnet.


Die Unterſuchungen uͤber die Handelsbilanz (oder den Ge-
winn und Verluſt bey dem Austauſch der Voͤlker an baarem
Gelde) entſtanden in England unter CarlII. Sie floſſen
unmittelbar aus dem Wahn, daß das baare Geld das Na-
tionalvermoͤgen beſtimme; und veranlaßten alle jene ungluͤck-
ſchwangern Maaßregeln, es durch Handelszwang zu leiten.
Umſonſt haben Theorie und Erfahrung widerſprochen: ver-
moͤgen ſie den Glauben der Practiker zu erſchuͤttern? — Un-
ter den damaligen Schriftſtellern beſonders:


  • Diſcourſes on trade, by S. Jos. Child, London 1670.

18. Die Formen der Staatsverwal-
tung
wurden beſtimmter. Seitdem es in Frank-
reich keinen Principalminiſter mehr gab, bildete ſich
von ſelbſt die Eintheilung in gewiſſe Departements,
an deren Spitze Miniſter geſtellt wurden. Auch
darin folgten andere Staaten mehr oder weniger
nach; wenn gleich in den meiſten viel daran fehlte,
daß dieſe Trennung der Verwaltungszweige und die
darauf gegruͤndete Organiſation des Miniſterii nach
feſten Principien gemacht ſey. Wie viel auf die
Wahl der Maͤnner ankaͤme, ſah man in Frank-
reich; doch blieb die Zahl der großen Miniſter
ſelbſt
[249]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1700.
ſelbſt in dieſem Zeitraum viel beſchraͤnkter als die
der großen Feldherren.


19. Die Staatswirthſchaft wurde in die-
ſem Zeitraum weit mehr ausgebildet, als in einem
der vorhergehenden. Es war nicht das bloße Be-
duͤrfniß, das darauf leitete; ſie ſtand mit dem gan-
zen Geiſte der neuen Politik in einem zu engen
Verhaͤltniſſe, als daß ſie nicht die Aufmerkſamkeit
vorzugsweiſe auf ſich haͤtte ziehen muͤſſen. Hatte
die Bereicherung der Nationen, die man durch Han-
del, Induſtrie und Colonien wollte, nicht in letzter
Inſtanz Bereicherung der Regierungen zum Zweck?
Auch hier leuchtet Colbert's Beyſpiel voran; wenn
er aber nicht mal in Frankreich wuͤrdige Nachfol-
ger fand, wie war es im Auslande zu erwarten?


In welchem Verhaͤltniß ſtand Colbert als Financier
gegen Sully? Er war ſo gut wie jener großer Reformator;
allein er war außerdem Schoͤpfer. Er war dieß letztere
theils durch die Verbindung, in welche er erhoͤhte und ver-
vielfachte Nationalthaͤtigkeit (wenn gleich nach den beſchraͤnk-
ten Anſichten ſeines Zeitalters) mit den Finanzen ſetzte;
theils durch ſein, auf befeſtigten Credit gegruͤndetes, An-
leiheſyſtem. Die groͤßten Schwierigkeiten, die er zu beſie-
gen hatte, lagen nicht ſowohl in den groͤßern Summen,
die er ſchaffen mußte, als in den wiederholten Stoͤrungen
durch koſtſpielige Kriege, waͤhrend Sully ungeſtoͤrt fortwir-
ken konnte. Das Gebaͤude Beyder fiel aber mit ihnen ſelber
zuſammen, weil es keine Stuͤtzen in der Verfaſſung hatte.


Q 510.
[250]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

20. Ganz anders war es mit dem, gegen das
Ende dieſes Zeitraums entſtehenden, Brittiſchen
Finanzſyſtem, durch Fundirung der Zinſen der An-
leihen, ohne Verpflichtung zur Ruͤckzahlung des, an
jeden Dritten transportablen, Capitals. Wer ahne-
te bey ſeinem Entſtehen ſeine Wichtigkeit und ſeinen
kuͤnftigen Umfang? Aber es fand ſogleich ſeine
Stuͤtze in der Verfaſſung, durch die Garantie des
Parlements; und ſeine allmaͤhlige Ausdehnung
in dem ein Jahrhundert hindurch wachſenden Reich-
thum der Nation. Es war alſo nicht das Werk
Eines Mannes, ſondern eine Frucht des ganzen
geſellſchaftlichen Zuſtandes, wie er durch und nach
der Brittiſchen Revolution ſich formte.


Entſtehung des Fundirungs-Syſtems bey Errichtung der
Bank 1694, als ſie ihr Grundcapital, gegen niedere Zinſen
wie ſonſt, der Regierung vorſchoß; eine Folge des damali-
gen Krieges. Nur unter der Bedingung des dauernden
Wachsthums des Brittiſchen Nationalreichthums wurde alſo
die Erweiterung jenes Anleiheſyſtems moͤglich. Kein Recht
im Inlande oder Auslande ward dadurch verletzt; aber auch
das Gute kann gemißbraucht werden.


21. In andern Staaten empfand man ſchon
die Nothwendigkeit, zu neuen Huͤlfsmitteln zur Be-
zahlung der Schuldenlaſt ſeine Zuflucht zu nehmen,
indem man durch Reduction der Zinſen ſinkende
Fonds
gruͤndete; die jedoch aus Mangel feſter Be-
folgung
[251]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1700.
folgung nicht das leiſteten, was ſie ſollten. Aber die
Idee war da, und lebte fort.


Der erſte Sinking-fond ward errichtet in Holland 1655;
dieß Beyſpiel ward befolgt von Pabſt Innocenz XI. 1685.
Die Reduction war in Holland von 5 zu 4, im Kirchenſtaat
von 4 zu 3 p. C.


22. Die Kriegskunſt nicht nur, ſondern
das ganze Kriegsweſen erhielt in dieſen Zeiten
eine veraͤnderte Geſtalt, ſeitdem in Frankreich die
großen Armeen auch im Frieden, zum Schla-
gen wie zur Parade eingerichtet, fortdauerten. Auch
andre, groͤßere und kleinere Maͤchte (unter jenen be-
ſonders Oeſtreich wegen der Ungriſchen Unruhen)
folgten mehr oder weniger Frankreichs Beyſpiel;
aber England und Holland, wo man fuͤr Natio-
nalfreyheit fuͤrchtete, am langſamſten; und nicht
ohne ſtetes Straͤuben des Parlements und der Staa-
ten. Die Umformung und Vervollkommnung der
Kriegskunſt faſt in allen ihren Theilen mußte aus
dem neuen Syſtem von ſelbſt hervorgehen.


Wenn die neue Kriegskunſt durch Turenne u. a. ausge-
bildet ward, ſo waren die Urheber und Ausbildner des neuen
Militairſyſtems uͤberhaupt le Tellier und ſein Sohn und
Nachfolger Louvois. Statt der 14000 Mann von Hein-
rich IV. hielt Ludwig XIV. ſeit dem Nimweger Frieden
140000 Mann. Welche Veraͤnderungen in dem ganzen Zu-
ſtande der Geſellſchaft ſetzt die bloße Moͤglichkeit davon vor-
aus!


  • Recherches ſur la force de l'armée françoiſe depuis Henri
    IV. jusqu'en 1805. á Paris 1806.

23.
[252]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

23. Mit der Landmacht wuchs aber die Ma-
rine
, — eine natuͤrliche Folge der Ausbildung des
Mercantilſyſtems — im gleichen Verhaͤltniß. In
dem Laufe weniger Jahre trat Frankreich in die Reihe
der erſten Seemaͤchte ein; und wuͤrde vielleicht die
erſte geworden ſeyn, haͤtte nicht gerade hier die
Verbindung der beyden andern ſeit der Niederlage
1692bey la Hogue ein Ziel geſetzt. In keinem Zeit-
punkt iſt Franzoͤſiſche Marine wieder das geworden,
was ſie damals war. Aber der politiſche Einfluß
der Seemaͤchte, als ſolcher, wurde in dieſem Zeit-
raum ſo vollkommen gegruͤndet, daß er ſeitdem nicht
wieder verſchwinden konnte.


III. Geſchichte des Colonialweſens von 1661-1700.

1. Das Colonialweſen der Europaͤer erlitt in
dieſem Zeitraum ſeine Hauptveraͤnderung durch die
Theilnahme Frankreichs; zugleich ward da-
durch auch großentheils ſeine weitere Ausbildung be-
ſtimmt. Es war der Zeitraum, wo zuerſt die
Franzoͤſiſche Regierung anfieng, mit Ernſt an
Colonien zu denken. Die der Britten hoben ſich
merklich, die der uͤbrigen Nationen blieben ſich
meiſt gleich.


2.
[253]3. Geſch. d. Colonialweſens 1661--1700.

2. Frankreich hat ſich uͤberhaupt in drey Ar-
ten von Colonien verſucht, Handels-, Ackerbau-
und Pflanzungscolonien. Aber mit ſehr verſchiede-
nem Erfolge! Fuͤr Handelscolonien paßte der Cha-
racter der Regierung zu wenig, die Alles durch Re-
glements zwingen wollte; fuͤr Ackerbau-Colonien
nicht der National-Character, der lange und ru-
hige Anſtrengung ſcheut. Anders war es mit den
Pflanzungscolonien; wo der Pflanzer nur den Auf-
ſeher macht, und baldiger Gewinn reichlich lohnt.
Nur Colonien dieſer Art ſind den Franzoſen gediehen.


3. Die Maximen der Franzoͤſiſchen Colo-
nialpolitik kamen zwar in Ruͤckſicht des Handels-
zwangs mit denen andrer Voͤlker uͤberein, in andern
waren ſie liberaler. Es wurde Niemanden, auch
Fremden nicht, erſchwert, die Colonien zu beſu-
chen und ſich in ihnen niederzulaſſen. Sie ſtanden
in Frankreich nicht unter einer eigenen Behoͤrde,
ſondern unter dem Marine-Miniſter; und in ihrem
Innern war die Militair- und Civil-Adminiſtration
zwiſchen dem Gouverneur und Intendanten getheilt;
die bey wichtigen Sachen gemeinſchaftlich handelten.


4. Indem aber Colbert dem herrſchenden
Geiſt ſeiner Zeit durch die Colonial-Anlagen hul-
digte, that er es nicht weniger durch die Form, die
er dem Handel gab. Er ward privilegirten
Com-
[254]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Compagnien uͤberlaſſen. Aber wie groß auch
die Vorrechte waren, die man ihnen ertheilte, keine
derſelben iſt beſtanden; nur da gedieh der Handel,
wo man ihn frey ließ.


5. Gruͤndung des Franzoͤſiſchen Colonialſyſtems
in Weſtindien. Auf mehreren der dortigen In-
ſeln waren zwar ſchon fruͤher Franzoͤſiſche Niederlaſ-
ſungen (ſ. oben S. 185.), aber ſie waren Pri-
vateigenthum. Colbert machte ſie durch Kauf zum
Eigenthum der Regierung. Erſt ſeit dieſer Zeit
konnte alſo auch eine feſtere Adminiſtration eintreten.


Die Inſeln Martinique, Guadeloupe, St. Lu-
cie, Grenada
und die Grenadillen; die Inſelchen Marie
Galande, St. Martin, St. Chriſtoph, St. Barthelemy,
St. Croir und Tortue, waren ihren fruͤhern Anbauern von
Einzelnen, die letzten 5 von den Maltheſern 1651, abge-
kauft. Colbert kaufte ſie 1664 von dieſen fuͤr noch nicht 1
Million Livres fuͤr die Regierung. — Auch nach Cayenne
wurden 1664 von einer Geſellſchaft neue Coloniſten geſchickt;
aber mit gleich geringem Erfolge.


  • Raynal Hiſtoire philoſophique et politique des isles Fran-
    çaiſes dans les Indes occidentales. Lauſanne
    1784. —
    Auszuͤge aus dem groͤßern Werke ſ. oben S. 32.

6. Wichtiger als dieſe Beſitzungen zuſammen
ſollte dereinſt fuͤr Frankreich der Theil von St. Do-
mingo
werden, in deſſen Beſitz es ſchon in dieſem
Zeitraum kam. Die Veranlaſſung dazu, ſo wie
uͤberhaupt zu der erſten Beſetzung der andern In-
ſeln,
[255]3. Geſch. d. Colonialweſens 1661--1700.
ſeln, gab die Tyranney der Spanier, die, indem
ſie jeden Fremden als Feind behandelten, einen be-
ſtaͤndigen Krieg in Weſtindien organiſirten, und da-
durch die fremden Anſiedler zu Freybeutern und
Kriegern bildeten. So war der Piraten-Staat der
Flibuſtiers entſtanden, aus dem die Franzoͤſiſchen
Niederlaſſungen auf der weſtlichen Haͤlfte von St.
Domingo hervorgiengen; welche, ohne ausdruͤckli-
chen Vertrag, ſeit dem Ryswiker Frieden, da bald
nachher ein Bourbon den Spaniſchen Thron beſtieg,
Frankreich verblieben. Wer ahnte damals ihre kuͤnf-
tige Wichtigkeit!


Entſtehung der Bucaniers (Jaͤger) und Flibuſtiers
(Freybeuter) ſeit 1630, durch Vertreibung der Franzoſen
und Englaͤnder von St. Chriſtoph. — Einrichtungen ihres
Freybeuterſtaats auf Tortuga, und Anſiedelungen auf der
Weſtkuͤſte von St. Domingo, ſeit 1664 von Frankreich aner-
kannt und unterſtuͤtzt.


  • The Hiſtory of the Boucaniers of America (by Oexme-
    lin
    ). Lond. 1742. 2 Voll.
    — Und darnach zur leichtern
    Ueberſicht bearbeitet in:
  • von Archenholz Geſchichte der Flibuſtiers. 1803. Nur beduͤr-
    fen die Quellen der Erzaͤhlung ihrer Thaten und Grau-
    ſamkeiten noch einer ſchaͤrfern Critik, wenn ſie durch die
    Spanier entſtellt ſeyn ſollten. ſ. Bryan Edwards Hiſto-
    ry of St. Domingo p. 128. Not.

7. Errichtung einer privilegirten Weſtin-1664
diſchen Compagnie
. Allein bereits nach 10
Jahren mußte ſie aufgehoben werden, weil ſie ſich
wegen
[256]II. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
wegen des Schleichhandels nicht halten konnte.
Die Freygebung des Handels an alle Franzoſen
blieb jedoch auch nachher mit ſolchen Beſchraͤnkun-
gen verbunden, daß wenig damit gewonnen war.
So lange aber auch der Verbrauch Weſtindiſcher
Erzeugniſſe in Europa noch nicht ſo wie nachmals
ins Große gieng, konnten auch die Colonien nur
langſam gedeihen. Zucker und Baumwolle blie-
ben noch, vor Einfuͤhrung des Caffeebaus, die
Hauptproducte der Inſeln.


Die 1664 von Colbert geſtiftete Weſtindiſche Compagnie
umfaßte nicht nur alle Americaniſche Beſitzungen von Cana-
da bis zum Amazonen-Fluß, ſondern auch die Kuͤſten von
Africa vom Cap Verd bis zum Cap der guten Hoffnung;
wegen des Negerhandels. — Aufhebung der Compagnie 1674.
Theils die hohen Zoͤlle auf die Weſtindiſchen Producte, theils
die Bindung an wenige Haͤfen hielten die Colonien fort-
dauernd in einem kraͤnkelnden Zuſtande. — Der Africa-
niſche
Handel blieb auch nachmals in den Haͤnden privile-
girter Geſellſchaften. Errichtung der Senegal-Compa-
gnie
1679, zuerſt fuͤr die ganze Weſtkuͤſte von Cap Blan-
co bis zum Cap der guten Hoffnung; wiewohl 1685 bey
der Errichtung der Guinea-Compagnie, privilegirt auf
den Handel von Sierra Leona bis zum Cap, ſie mit dieſer
theilen mußte.


  • J. B. Labat nouveau voyage anx isles d'Amérique. Paris
    1692. 8 Voll.
    Fuͤr die Kenntniß des damaligen Zuſtan-
    des des Franzoͤſiſchen Weſtindiens das Hauptwerk.

8. Canada, durch Acadien vergroͤßert, ge-
hoͤrt zwar in die Claſſe der Ackerbau-Colonien; al-
lein
[257]3. Geſch. d. Colonialweſens 1661--1700.
lein die Cultur des Bodens, nur auf Untercanada
damals beſchraͤnkt, machte dennoch fortdauernd nur
geringe Fortſchritte; da der Pelzhandel und die
Fiſchereyen von Terre-neuve noch immer als
die Hauptſache angeſehen wurden (ſ. oben S.
140.). Die nach der Erforſchung des Miſſiſippi in
Louiſiana verſuchte Niederlaſſung mißlang gaͤnz-
lich.


Nach langem Gezaͤnk mit den Englaͤndern uͤber Acadien
blieb Frankreich endlich ſeit 1661 im ruhigen Beſitz. — Auf
Terreneuve Anlage von Plaiſance; aber auch ſeitdem fort-
dauernde Streitigkeiten uͤber die Fiſchereyen mit England.
— Beſchiffung des Miſſiſippi von la Salle 1680 und mißlun-
gener Verſuch zu einer Niederlaſſung.


  • Déſcription de la Louiſiane par Hennequin. Paris 1683.
    Der Verfaſſer war Miſſionair.

9. Die Theilnahme an dem Oſtindiſchen
Handel mußte fuͤr Frankreich mit noch groͤßeren
Schwierigkeiten verbunden ſeyn, da maͤchtigere Ri-
valen ſie erſchwerten, und man noch gar keine Nie-
derlaſſungen hatte. Gleichwohl ward von Colbert
eine Oſtindiſche Handelscompagnie privile-
girt; ſie blieb aber in einem ſo kraͤnkelnden Zu-
ſtande, daß ſie am Ende dieſes Zeitraum ſchon ih-
rer Aufloͤſung nahe war.


Errichtung der Franzoͤſiſchen Oſtindiſchen Com-
pagnie
1664 mit ausſchließendem Handel auf 15 Jahre,
Eigenthum ihrer Eroberungen (alſo auf Krieg privilegirt!),
und einem Fond von 15 Millionen. Erſter Verſuch zu Nie-

Rderlaſ-
[258]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
derlaſſungen auf Madagaſcar. Eine Handelscolonie
da
, wo weder etwas zu kaufen noch zu verkaufen war! —
Comtoir in Surate auf Malabar 1675. — Aber 1679 An-
lage von Pondichery auf Coromandel, ſeitdem dem
Hauptort. Allein theils die Kriege in Europa, welche auch
in Indien die Eroberungsſucht weckten, theils die Maaßre-
geln der Regierung, zumal ſeit Colbert's Tode, brachten ſie
ſo herunter, daß ſie ihr Monopol nicht behaupten konnte.
Wie konnte es auch anders ſeyn? Das Mercantilſyſtem ge-
rieth mit ſich ſelbſt in Streit. Um die inlaͤndiſchen Fabriken
zu erhalten, verbot man ihr die Einfuhr Indiſcher Fabricate.
Warum war ſie denn geſtiftet?


10. Der Wachsthum der Brittiſchen Co-
lonien war ſicherer, weil er weniger von der Regie-
rung als von der Nation abhieng. Die fortdauern-
de politiſch-religioͤſe Gaͤhrung unter Carl II. und Ja-
cob II. war ihnen guͤnſtig; wie ſtieg auch uͤberhaupt
nicht ſchon damals Handel und Reichthum?
Die friedlichen Verhaͤltniſſe, und ſelbſt Vertraͤge,
mit Spanien beguͤnſtigten die Beſitzungen in Ame-
rica; und Weſtindien fieng beſonders an, durch
die fortſchreitende Cultur von Jamaica, fuͤr die
Britten wichtiger zu werden. Die freyere Verfaſ-
ſung dieſer Colonien, unter einem Gouverneur
und ſeinem Rath, dem aber eine Verſammlung
aus den Deputirten der Kirchſpiele zur Seite ſteht,
befoͤrderte unſtreitig ihre Fortſchritte. Der Handel
dahin war frey; nur der Negerhandel blieb noch
in den Haͤnden einer privilegirten Geſellſchaft.


Vertrag
[259]3. Geſch. d. Colonialweſens 1661--1700.

Vertrag mit Spanien 1670; ausdruͤckliche Anerkennung
der Brittiſchen Souverainitaͤt uͤber ſeine dortigen Beſitzun-
gen; und Gruͤndung eines dauernden Friedenszuſtandes. —
Errichtung der 4ten Africaniſchen Compagnie (die
fruͤheren waren zu Grunde gegangen) 1674; aber auch dieſe
konnte das Monopol nicht lange behaupten. Anlage von
Forts am Gambia (St. James) und Sierra Leona.


11. Weit mehr als die Weſtindiſchen gediehen
in dieſem Zeitraum die Nordamericaniſchen
Beſitzungen der Britten. Auf ſie wirkten beſonders
die Zeitumſtaͤnde vortheilhaft zuruͤck; nicht nur durch
die vermehrten Einwanderungen; ſondern auch durch
die politiſchen Veraͤnderungen im Mutterlande.
Die erſten Hinderniſſe der Coloniſation waren durch
die Beharrlichkeit der Anbauer großentheils beſiegt;
England gelangte zum alleinigen Beſitz des ganzen
Kuͤſtenlandes, von Canada bis Georgien; Neu-
York, Neu-Jerſey, Penſilvanien und Carolina
bildeten ſich zu eignen Provinzen; andere, wie Con-
nectitut und Rhodeisland, erhielten wichtige Frey-
heiten und verbeſſerte Verfaſſungen.


Die politiſchen Veraͤnderungen in den noͤrdlichen Provin-
zen wurden beſonders durch die Verdraͤngung der Hollaͤnder
aus den Delawar-Gegenden (Neubelgien, Neuniederland)
1664 herbeygefuͤhrt; als im Frieden von Breda (ſ. oben
S. 218.) dieſe Beſitzungen England blieben. Dadurch Ent-
ſtehung der Provinzen Neuyork und Neujerſey 1665;
und Neuhampſhire, das ſeit 1691 von Maſſachuſet ge-
trennt wurde. — Entſtehung der Carolinas 1663; in-
dem Carl II. das Land von 31-36° N. B. 8 Lords als Ei-

R 2genthum
[260]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
genthum gab. So getrennt von Virginien (ſ. oben S.
139.) ward es ein eigner Staat (erſt 1729 in Nord- und
Suͤd-Carolina getheilt;), dem Locke eine Conſtitution gab,
— (das ſchlechteſte ſeiner Werke!). — Gruͤndung der Co-
lonie in Penſilvanien durch den Quaker Wilh. Penn,
Sohn des Admirals; 1682. Er erhielt das Land am De-
lawar zwiſchen 40-42° N. B. vom Koͤnig fuͤr eine Schuld-
forderung, als Eigenthuͤmer und erblicher Statthalter. Ab-
findung mit den Indianern. Einfuͤhrung voͤlliger Religions-
freiheit (wofuͤr in Europa kein Platz war;), Anlage von
Philadelphia und Germantown. Eine große Idee
ward durch Penn in einem fernen Winkel der Erde zuerſt
realiſirt; und das Beiſpiel iſt nicht fruchtlos geblieben!


12. Noͤrdlich von den Colonien blieb nicht nur
die Fiſcherey bey New-Foundland (Terreneuve)
ſehr wichtig; ſondern England eignete ſich auch alle
Laͤnder um die Hudſonsbay, und mit ihnen den
Pelzhandel zu, der durch eine privilegirte Compa-
gnie ſeitdem getrieben iſt; ohne je ſehr eintraͤglich
zu werden.


Errichtung der Hudſonsbay-Compagnie 1669 mit
einem gemeinſchaftlichen Fond. — Geographiſche Entdeckun-
gen; aber auch ſtete Streitigkeiten mit den Franzoſen in
Canada.


13. Der Oſtindiſche Handel der Britten
blieb in den Haͤnden der privilegirten Compagnie;
die indeß mehrere Veraͤnderungen erlitt; und zu-
letzt eine zweyte Compagnie neben ſich mußte ent-
ſtehen ſehen. Ihre Beſitzungen erweiterten ſich in
etwas; aber nicht immer in gleichem Maaße ihr
Handel;
[261]3. Geſch. d. Colonialweſens 1661--1700.
Handel; die Hollaͤnder blieben zu maͤchtige Rivalen.
Eine weſentliche Veraͤnderung des Indiſchen Han-
dels ward aber durch den großen Eingang herbeyge-
fuͤhrt, den ſeit 1670 die Indiſchen Muſſeline
und auch Seidenzeuge in England fanden. Das
dadurch erregte Geſchrey trug jedoch nicht wenig
dazu bey, den Haß gegen die Geſellſchaft zu ver-
mehren.


Erneuerung des Freybriefs der Oſtindiſchen Compagnie
durch Carl II. 1661 mit erweiterten politiſchen Privile-
gien. — Erwerbung von Bombay durch die Heyrath des
Koͤnigs 1662. — Nach der Vertreibung aus Bantam, An-
lagen auf Bencoolen 1683 fuͤr den Pfefferhandel. Com-
toirs in Hugly und Calcutta. — Großes Geſchrey ge-
gen die Compagnie ſeit der Einfuͤhrung der Baumwoll-
und Seidenwaaren, theils von Fabrikanten, theils von der
Levantegeſellſchaft. Auch hier ward das Mercantilſyſtem irre
an ſich ſelbſt. Aber die Geſellſchaft gab auch ſelber den Stoff
zu Klagen durch ihre Erpreſſungen in Indien, die ſie ſchon
in einen Krieg mit dem Groß-Mogul Aureng Zeb verwickel-
ten. — Klagen gegen ſie im Parlement ſeit 1692. Doch
erkaufte ſie Erneuerung ihres Freyhriefs 1694. Aber den-
noch bildete ſich eine zweyte Compagnie, welche 1698
durch die der Regierung gemachten Vorſchuͤſſe ihre Privile-
gien erhielt. Erſt in dem folgenden Zeitraum 1702 kam
die Vereinigung beyder Compagnien zu Stande. (S. unten).


14. So blieben alſo dennoch die Hollaͤnder
im Beſitz des Indiſchen Handels; und ihre Com-
pagnie erhielt die Erneuerung ihres Privilegiums;1668
ungeachtet de Wit ſich uͤber die gewoͤhnlichen An-
ſichten ſeines Zeitalters erhob. Sie war jetzt im
R 3aus-
[262]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ausſchließenden Beſitze der Gewuͤrzinſeln. Die fort-
dauernden Feindſeligkeiten mit den Portugieſen ga-
ben ihr zwar auch Gelegenheit, ſich auf den bey-
den Kuͤſten der Halbinſel von Malabar und Coro-
mandel durch die Einnahme von Cochin und Ne-
gapatam
feſtzuſetzen (ſ. oben S. 178.); aber
ihr Reich blieb doch auf den Inſeln; und ihr
Haupthandel Gewuͤrz- und Specereyhandel;
weſentlich verſchieden von dem der Britten und
Franzoſen, der ſich immer mehr auf Fabricate
und rohe Stoffe warf.


Vergleich mit Portugal 1669, wodurch jeder Theil in bey-
den Indien behielt, was er hatte. — Auch in den Gewuͤrz-
inſeln erweiterte die Compagnie ihr Gebiet, durch den 3jaͤh-
rigen Krieg und die Feſtſetzung auf Celebes 1669; und die
Unterwerfung von Bantam 1683. Gegen die Verſuche der
Franzoͤſiſchen Compagnie auf Ceylon, im Kriege von 1672,
behauptete ſich die Hollaͤndiſche mit entſchiedenem Gluͤck.


15. Auch in Weſtindien erweiterte ſich das
Gebiet der Hollaͤnder durch den Beſitz von Suri-
nam
. Es gehoͤrte Zeit und Hollaͤndiſche Beharr-
lichkeit dazu, um aus dieſem ungeſunden Lande eine
der bluͤhendſten Colonien zu ſchaffen.


Die Colonie von Surinam ward zuerſt durch Portugieſen,
beſonders Juden, die der Inquiſition entflohen, ſeit 1642,
geſtiftet. Bald ließen auch Englaͤnder dort ſich nieder; allein
1667 eroberten es die Hollaͤnder, und behielten es in dem
Frieden von Breda. — Verkauf an die Weſtindiſche Com-
pagnie 1679, und Anlage von Paramaribo. Auch die

Planta-
[263]3. Geſch. d. Colonialweſens 1661--1700.
Plantagen von Eſſequebo und Berbice blieben den Hol-
laͤndern.


16. Die Spaniſchen Colonien, jetzt ruhi-
ger durch die Verbindungen des Mutterlandes mit
den Seemaͤchten, erlitten weder in ihrem Umfange
noch in ihrer Einrichtung wichtige Veraͤnderungen.
Wenn auch die Miſſionen der Jeſuiten an
den Ufern des Paraguai und des Maragnon immer
weiter vordrangen, wer erfuhr etwas davon in Eu-
ropa? Der innere Verfall des Mutterlandes ſcheint
wenig auf ſie zuruͤckgewirkt zu haben; was lag ih-
nen daran, wer die Fabricate verfertigt hatte, die
ihnen zugefuͤhrt wurden? Sie bildeten eine Welt
fuͤr ſich, aber eine Spaniſche Welt; und vor Er-
oberungen ſchuͤtzte ſie ihre ungeheure Maſſe. Nur
die Seeſtaͤdte litten oft hart durch die Ueberfaͤlle der
Flibuſtiers.


17. Portugal hatte ſeit ſeiner erneuerten
Selbſtſtaͤndigkeit aus ſeiner Oſtindiſchen Herrſchaft
nur einige Truͤmmer gerettet (ſ. oben S. 185.);
gluͤcklicher war es in Braſilien. Der Tractat
mit Holland gleich zu Anfang dieſes Zeitraums
ſicherte ihm deſſen ruhigen Beſitz. Was haͤtte Bra-
ſilien werden koͤnnen, haͤtte die Regierung gewollt!
Aber die Befoͤrderung des Schleichhandels durch die
Anlage von St. Sagramento hielt man wichti-1681
R 4ger
[264]II. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ger als die der Coloniſation! Dennoch gewann
auch dieſe; und wahrſcheinlich zum Gluͤck fuͤr ſie
wurde der Reichthum an Gold erſt am Ende
dieſes Zeitraums entdeckt. In das Innere drangen
auch hier laͤngſt dem Maragnon die Miſſionen
der Jeſuiten vor; bis ſie endlich mit denen der Spa-
nier zuſammenſtießen.


Durch die Hollaͤnder war zwiſchen 1630-1640 faſt das
ganze Kuͤſtenland erobert worden; in deſſen Beſitz ſie auch
durch den Waffenſtillſtand am 23. Jun. 1641 blieben.
Aber waͤhrend des Friedens der Mutterlaͤnder lebte doch
hier 1645 der Krieg wieder auf; Schwaͤche und Verdraͤn-
gung der Hollaͤnder durch Juan de Viera 1654. Der
Definitiv-Vergleich mit Holland 1661 erhielt den Por-
tugieſen ihr zweytes Vaterland. — Entdeckung des großen
Goldreichthums, zuerſt in Minas Geraes 1696. Und doch
wollte nicht mal der Bergbau gedeihen!


18. Selbſt einer der Nordiſchen Staaten,
Daͤnemark, war in die Reihe der Colonialſtaaten
getreten; und ſuchte durch den Beſitz von Tran-
quebar
ſich einen Antheil an dem Oſtindiſchen Han-
del zu erhalten; wie gering derſelbe auch ſeyn mochte.


Bereits 1618 unter Chriſtian IV. Stiftung einer Daͤniſch-
Oſtindiſchen Compagnie; erſte Verſuche zum Handel, und Er-
werbung von Tranquebar vom Rajah von Tanjore; doch
hoͤrte 1634 die Geſellſchaft auf. Aber 1670 Stiftung einer
zweyten Compagnie, die, wenn gleich in einem ſchwachen
Zuſtande, bis 1729 fortdauerte.


19. So wurde das Colonialſyſtem der Euro-
paͤer in beyden Indien, indem es ſich mehr verbreitete,
auch
[265]3. Geſch. d. Colonialweſens 1661--1700.
auch immer mehr geographiſch verſchlungen.
Schon in dieſem Zeitraum erſtreckten ſich die Krie-
ge der Europaͤer nach ihren Colonien; allein die
Zeiten ſollten kommen, wo auch die Streitigkeiten
in den Colonien Kriege in Europa erregten!


Erſter Zeitraum.
Von 1661 bis 1700
.


Zweyter Theil.
Geſchichte des noͤrdlichen Europaͤiſchen Staatenſyſtems in
dieſem Zeitraum.

  • J. J. Schmauß Einleitung zu der Staatswiſſenſchaft ꝛc. II.
    Th. S. oben S. 186.

1. So wie die politiſchen Verhaͤltniſſe des ſuͤdli-
chen Staatenſyſtems, durch die Friedensſchluͤſſe von
Muͤnſter, Aachen, Nimwegen und Ryswik befe-
ſtigt, auf dieſen ruhten, ſo die des Nordens durch
die Frieden von Oliva, Roſchild, Copenhagen und
Cardis (ſ. oben S. 200.). In den wechſelſeiti-
gen Verhaͤltniſſen der Staaten ſchien daher wenig
Stoff zu Streitigkeiten uͤbrig zu ſeyn; in ſo fern
nicht etwa fremder Einfluß, oder auch Tuͤr-
R 5ken-
[266]II. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
kenkriege, denen keine Politik vorbauen konnte,
die Ruhe ſtoͤrten.


2. Aber in den inneren Verhaͤltniſſen der
einzelnen Staaten lag leider! des Gaͤhrungsſtoffs
ſo viel, daß Erhaltung des Friedens im Norden
kaum jemals zu hoffen ſeyn konnte. Seitdem
Polen ein Wahlreich war; und ſelbſt Unanimitaͤt
1652der Stimmen auf den Reichstagen erfordert ward;
— wie ließ ſich eine ruhige Wahl erwarten, wo
den Fremden die Einmiſchung ſo leicht war?
Wie vollends die auswaͤrtige Politik ſogar ſo weit
gieng, ſelbſt bey Lebzeiten der Koͤnige Nachfolger
beſtimmen laſſen zu wollen, ward dadurch eine Gaͤh-
rung im Innern organiſirt, die in einem ſolchen
Staat jeden Tag ſelbſt Buͤrgerkriege herbeyfuͤhren
konnte.


Eine Polniſche Koͤnigswahl war von jetzt an eine doppelte
Thron-Verſteigerung; theils oͤffentlich zum Beſten des
Staats, theils im Geheim zum Beſten der Stimmgeber.
Doch erhielt ſich polniſche Macht, ſo lange die rohe Sar-
matenkraft noch nicht durch fremde Sitten geſchwaͤcht; und
ihre Kriegskunſt nicht durch die der Nachbaren uͤbertroffen
ward. Im Felde wie im Rath waren Roͤmereharactere
keine Seltenheit; aber mißverſtandener Nationalſtolz ließ
nie richtige politiſche Einſicht aufkommen.


  • Pohlens Staatsveraͤnderungen und letzte Verfaſſung von Fr.
    Joh. Jekel.
    Wien 1803. 3 Th. Sehr ſchaͤtzbar fuͤr die
    Kunde des Innern dieſes Staats.

3.
[267]Von 1661 bis 1700.

3. Schweden, im Beſitz der wichtigen Ne-
benlaͤnder faſt rund um die Oſtſee, glaͤnzte noch als
die erſte Macht des Norden. Aber dieſe Neben-
laͤnder, die Veranlaſſung zu der Theilnahme an
den Kriegen des Oſten und Weſten, waren ein
ſehr zweifelhaftes Gluͤck; und in dem Innern ſchien
waͤhrend der Minderjaͤhrigkeit Carl'sXI. faſt ein
Zuſtand gegruͤndet werden zu ſollen, nicht viel beſſer
als in Polen; haͤtte nicht der Koͤnig noch zur rech-
ten Zeit ſeine Rechte und ſeine Einkuͤnfte vindi-1680
cirt. So wurde aber die koͤnigliche Macht ſo gut
wie unumſchraͤnkt; und die Zeiten ſollten kommen,
wo Schweden auch dieß zu bedauern hatte.


4. Preußen, jetzt ſouverainer Staat,
blieb doch Nebenland von Brandenburg, weil hier
die Reſidenz blieb. Wie viel moͤchte anders gewor-
den ſeyn, waͤre ſie nach Koͤnigsberg verlegt? So
blieb die Theilnahme an den Staatshaͤndeln des
weſtlichen Europas viel groͤßer, als an denen des
noͤrdlichen, außer in ſo fern ſie durch jene herbeyge-
fuͤhrt wurde.


Schon unter Churfuͤrſt Friedrich Wilhelm entſtand
Preußiſche Selbſtſtaͤndigkeit in der auswaͤrtigen Politik, ſo
weit ſie mit den Pflichten des Reichsſtandes vereinbarlich war;
ſo wie in dem Innern durch willkuͤhrliche Abgaben —
der Folge der Kriege — die Autocratie gegruͤndet ward.
Aber die großen Inſtitute, die den Preußiſchen Staatscha-
rakter bildeten, waren doch erſt ſpaͤteren Urſprungs.


5.
[268]II. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.

5. Rußlands Theilnahme an den nordiſchen
Angelegenheiten blieb anfangs wenig entſcheidend;
weil es erſt einer neuen Schoͤpfung im Innern be-
durfte, ehe es nach außen wirken konnte; und die
Familienverhaͤltniſſe des herrſchenden Hauſes dieß
noch erſchwerten. Aber die Einnahme Aſow's
und die Feſtſetzung in der Ukraine zeigte doch ſchon,
was in der Zukunft zu erwarten ſtand.


Unter der Regierung ſowohl von Czar Alexis († 1676)
als ſeinem Sohn Feodor († 1682) beſchraͤnkte ſich der
politiſche Einfluß Rußlands nur auf die Theilnahme an den
Haͤndeln der Nachbaren. Doch wurden durch Geſandt-
ſchaften
einige Verbindungen auch mit den entferntern
Reichen, wie mit Frankreich 1687, angeknuͤpft; mit Eng-
land beſtanden ſie durch Handel. — Das Streben von So-
phie
, im Namen ihres unfaͤhigen Bruders Iwan durch
den Aufſtand der Strelzi 1682 die Herrſchaft an ſich zu
reißen, erzeugte den Zwiſt mit ihrem Halbbruder Peter,
der, 1689 mit ihrem Sturz endigend, Peter zum Herrſcher
Rußlands machte, da Iwan († 1696) nur der leere Titel
blieb.


6. Daͤnemark, ſeit der Einfuͤhrung der Auto-
cratie feſter in ſich ſelber gegruͤndet, litt doch an einem
innern Uebel, das viel ausgebreitetere Folgen hatte,
als davon zu befuͤrchten ſchienen. Der Zwiſt, der zwi-
ſchen den beyden Linien des regierenden Hauſes, der koͤ-
niglichen und der herzoglichen von Holſtein-Got-
torp
, herrſchte, griff fortdauernd in die Verhaͤlt-
niſſe des ganzen Nordens ein; und trug zuletzt we-
ſentlich
[269]Von 1661 bis 1700.
ſentlich zu dem Ausbruch des großen Kriegsfeuers
bey, das den Norden in dem folgenden Zeitraum
in Flammen ſetzte.


Abſtammung des Hauſes Holſtein-Gottorp von Adolph,
juͤngern Sohn Koͤnig Friedrich's I., und Erbtheilung von
1544, wodurch die Herzoglich-Gottorpiſche Linie die Haͤlfte
von Schleswig und Holſtein, jenes als Lehen von Daͤ-
nemark
, dieſes als Lehen des Deutſchen Reichs, erhielt.
Urſache des Zwiſtes, verlangte Aufhebung des Lehensnexus
von Schleswig, erlangt von Herzog Friedrich II. im Roͤ-
ſkilder
Frieden (ſ. oben S. 200.), durch ſeinen Schwie-
gerſohn Carl Guſtav; und beſtaͤtigt im Copenhagener Frie-
den 1660. Aber durch Hinterliſt erzwungene Wiederherſtel-
lung des Lehnsnexus vom Koͤnig Chriſtian V. durch den
Rendsburger Vertrag 10. Jul. 1675; und nach der
Flucht und Proteſtation des Herzogs, Wegnahme Schles-
wigs. Wiederherſtellung durch Franzoͤſiſche Vermittelung
im Frieden zu Fontainebleau 1679. Jedoch bey veraͤnder-
tem Verhaͤltniß mit Frankreich Wiederwegnahme Schleswigs
1684, bis nach vielem Streit, unter Vermittelung des Kay-
ſers, Brandenburgs und Sachſens, durch den Altonaer
Vergleich 20. Juni 1689 der Herzog reſtituirt ward. Aber
welcher Groll erſtirbt ſchwerer als Familiengroll? Engere
Verbindung mit Schweden, durch die Heprath des jungen
Herzogs Friedrich's IV. mit Hedwig Sophie, aͤltern Schwe-
ſter Carl's XII., ſeit 1698; und Folgen davon (ſ. unten).


7. Bey dieſem Zuſtande der nordiſchen Staa-
ten gab es kaum irgend ein Intereſſe, das einen
gemeinſchaftlichen Centralpunct der Politik gegeben
haͤtte; waͤre dieß nicht in einem gewiſſen Grade
durch die Coſackenunruhen geweckt. Dieſe
Streitigkeiten waren theils an ſich von Wichtigkeit,
da
[270]II. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
da ſie uͤber die Herrſchaft der Ukraine und ihrer ſtreit-
baren Bewohner entſchieden; theils ſehr umfaſſend,
da die Lage dieſes Landes die Theilnahme aller
Grenznachbaren, der Ruſſen, Polen, der unter
Tuͤrkiſchem Schutz ſtehenden Tartaren und der Tuͤr-
ken ſelber, faſt unvermeidlich machte. — Fortgang
des durch ſie veranlaßten Kriegs zwiſchen Polen und
Rußland (ſ. oben S. 199.). Der Krieg, meiſt
ungluͤcklich von Polen gefuͤhrt, endigte durch den
Waffenſtillſtand zu Andruſſow, durch den die
Coſacken zwiſchen Ruſſen und Polen getheilt blieben.


Die Coſacken, entſtanden aus der Miſchung freyer Ruſ-
ſen, Polen und Tartaren in Podolien und Volhynien
(Ukraine), zu beyden Seiten des Dniepers, waren ſeit dem
15ten Jahrhundert Polniſche Schutzverwandte. Stephan
Bathori machte ſie 1576 durch eine militairiſche Organiſation
zur trefflichen Vormauer gegen Tuͤrken und Tartaren. Aber
der Druck Polniſcher Magnaten, verſtaͤrkt durch Religions-
haß, brachte ſie zum Aufſtande unter ihrem Hetman Chmel-
nizki
, ſeit 1648, der, wenn gleich geſtillt, doch 1651
erneuert, ſie zur Unterwerfung unter Rußland be-
wog 6. Jun. 1654. Dadurch Verflechtung Polens in den
Krieg mit Rußland, waͤhrend auch der Krieg mit Schwe-
den (S. 199.) noch fortdauerte; und auch bald Gefahr ei-
nes Tuͤrkenkriegs, da ein Theil der Coſacken ſich der Pfor-
te unterwarf
. So ſah ſich Polen zum Stillſtaude zu
Andruſſow genoͤthigt auf 13 Jahre, 30. Jan. 1667; (ſeit-
dem wiederholt erneuert; und endlich beſtaͤtigt auf immer
im Frieden zu Moſcau 1686;), wodurch 1. die Coſacken
an der Oſt- und Weſtſeite des Dniepers zwiſchen Rußland
und Polen getheilt blieben. 2. Rußland im Beſitz von
Smolensk, und den Laͤndern an der Oſtſeite des Dniepers,

Severien
[271]Von 1661 bis 1700.
Severien und Tſernikow blieb. — So raubten dieſe Kriege
Polen ſeine beſten Eroberungen; aber ſie waren auch die
Schule, wo ſich Helden und Feldherren wie Johann So-
bieſky
und ſeines gleichen bildeten.


  • von Muͤller von dem Urſprunge der Coſacken; in Samm-
    lung Ruſſiſcher Geſchichten
    B. IV.

8. Waͤhrend dieſer Begebenheiten dauerte in
Polen eine ſtete Gaͤhrung fort, vorzuͤglich durch das
Streben Frankreichs, einen Franzoͤſiſchen Prinzen
zum Nachfolger Johann Caſimit's beſtimmen zu laſ-
ſen, unterhalten. Als aber dieſer Koͤnig, der Re-
gierung muͤde, endlich abdankte, mißlangen bey der
neuen Wahl die Verſuche der Fremden; und ein
Inlaͤnder Michael Wisnowiecki, der es jedoch
ſelber empfand, wie wenig er fuͤr einen ſolchen
Thron paßte, erhielt ihn. Ein ungluͤcklicher Tuͤr-
kenkrieg, durch die Coſackenhaͤndel entzuͤndet und
durch einen ſchimpflichen Frieden geendigt, ſtoͤrte
wieder die Ruhe von Polen und dem Norden; als
Michael zur rechten Zeit, um nicht abgeſetzt zu wer-
den, Polen die Wohlthat erzeigte, zu ſterben.


Johann Caſimir, durch ſeine Gemahlin Louiſe Marie aus
dem Hauſe Nevers, im Franzoͤſiſchen Intereſſe, wollte dem
Hauſe Conde' zum Polniſchen Thron verhelfen, ſeit 1660.
Daher innere Unruhen unter Lubomirski, die bis zum
Buͤrgerkriege fuͤhrten 1665. Nach dem Tode der Koͤnigin
1667 Abdankung des Koͤnigs 17. Sept. 1668. Sechs Frem-
de bewarben ſich um den Thron, aber einem Piaſten be-
ſtimmt, mußte Michael ihn beſteigen. Neuer Aufſtand der
Coſacken unter Doroſcensko, der ſich an die Tuͤrken

an-
[272]II. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
ſchließt 1672. Daher Vorwand der Tuͤrken zum Kriege,
hoͤchſt ungluͤcklich von den Polen, wenn gleich in Verbin-
dung mit den Ruſſen, gefuͤhrt. Verluſt von Kaminiek,
und Eindringen der Tuͤrken in das Herz von Polen, beguͤn-
ſtigt durch die inneren Unruhen; bis Michael in dem Frie-
den vom 18. Oct. 1672 ſich zur Freylaſſung der Coſacken,
und einem Tribut, verſtand. Einen ſolchen Frieden
zu ertragen vermochte die Nation aber nicht; daher 1673
Erneuerung des Kriegs; Sieg bey Chozim unter Joh.
Sobiesky
11. Nov. und Tod des Koͤnigs 10. Nov.


1674
19.
Mai

9. Die Wahl von Johann Sobiesky
ſchien nicht bloß fuͤr Polen, ſondern fuͤr den gan-
zen Norden wichtig werden zu muͤſſen. Aber fruͤh
geſtaͤhlt zum Krieger und Feldherrn, reifte er doch
nie zum Herrſcher. Er vertilgte den Schimpf des
letzten Friedens; aber durchgreifende innere Verbeſ-
ſerungen lagen nicht in dem Geſichtskreiſe eines Pol-
niſchen Magnaten; und wie groß auch die Theil-
nahme Polens an den Haͤndeln des Nordens wurde,
ſo war doch alles nur voruͤbergehend, weil es blos
perſoͤnlich war.


Beendigung des Tuͤrkenkriegs durch den Separatfrieden
bey Zurawno 16. Oct. 1676, wodurch 1. der Tribut auf-
gehoben wird; 2. Caminiek und ein Drittel der Ukraine den
Tuͤrken bleibt. Aber auch dieſen Theil entriſſen ihnen die
Ruſſen, die den Krieg fortſetzten, und behielten ihn in dem
Waffenſtillſtande zu Radzin 1680.


  • Hiſtoire de Jean Sobiesky, roi de Pologne, par Mr. l'Ab-
    Coyer, à Warſowie 1771. 3 T.
    So treu wie eine ſehr
    geiſtvolle Erzaͤhlung es ſeyn kann.

10.
[273]Von 1661 bis 1700.

10. Waͤhrend auf dieſe Weiſe die Coſacken-
baͤndel Polen und Rußland beſchaͤftigten, hatte ſich
Schweden durch Frankreich zu der Theilnahme an
dem Hollaͤndiſch-Deutſchen Kriege, und zu einer
Diverſion gegen Brandenburg bewegen laſſen; und1675
ward dadurch zugleich in den Krieg mit Daͤnemark
und dem Deutſchen Reiche verwickelt. Es verlor
nicht nur ſeine Nebenlaͤnder, ſondern auch, was
nicht weniger werth war, bey Fehrbelin ſeinen krie-28.
Jun.

geriſchen Ruhm. Jene verſchaffte ihm zwar Frank-
reich durch die Friedensſchluͤſſe zu St. Germain und
Fontainebleau wieder (ſ. oben S. 225.); zu der
Wiederherſtellung von dieſem bedurfte es aber erſt
eines Koͤnigs, der, wie CarlXII., Soldat war.


Die auswaͤrtige Politik von Schweden ward fortdauernd
meiſt durch Subſidien beſtimmt, die es bald von Spa-
nien, bald von Frankreich zog. Konnte eine Regierung eine
feſte Politik haben, die ihren Beiſtand dem Meiſtbietenden
verkaufte?


11. Verbuͤndung Polens, und bald auch Ruß-
lands, mit Oeſtreich bey dem neu ausgebrochenen
Tuͤrkenkriege. Der Entſatz von Wien (ſ. oben
S. 237.) war freylich der glorreichſte Tag in So-
biesky's Leben; aber ſeitdem ſchien das Gluͤck ihn
weniger zu beguͤnſtigen, und die Theilnahme Ruß-
lands mußte durch die Verwandlung des Waffen-
ſtillſtandes von Andruſſow in einen ewigen Frieden
Serkauft
[274]II. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
erkauft werden. Das Ende des Kriegs erlebte So-
biesky nicht mehr; und die Fruͤchte des langen
Kampfs erndtete viel weniger Polen als Rußland.


Vergebliche Verſuche zu der Eroberung von Kaminiek und
der Moldau 1684-1687. Theilnahme Rußlands 1686. Er-
oberungen der Oeſtreicher in Ungarn, wie der Ruſſen in der
Ukraine gegen die Tartaren 1688; aber die innern Verhaͤlt-
niſſe in Rußland hinderten den Fortgang des Kriegs, bis
Peter 1. Alleinherrſcher war. Belagerung und Eroberung
Azows 1695 und 1696. In dem Waffenſtillſtande 25. Dec.
1698 (beſtaͤtigt auf 30 Jahre 1700) behielt Rußland das
befeſtigte Azow mit ſeinen Dependenzen, mit dem freyen
Handel auf dem ſchwarzen Meer. Polen aber durch den
Frieden zu Carlowitz (ſ. oben S. 238.) erhielt Caminiek
und das abgetretene Podolien zuruͤck.


12. So endigten ſich dieſe Kriege, zwar ohne
Entſcheidung des Schickſals des Nordens, jedoch
nicht ohne Vorbereitung dazu. Der Wechſel der
Herrſcher in allen nordiſchen Reichen um dieſe Zeit,
der zwey der außerordentlichſten Maͤnner auf Thro-
nen erhob, fuͤhrte in dem folgenden Zeitraum viel
groͤßere Veraͤnderungen herbey, als alle Coſacken-
Kriege es vermochten.


Zweyter
[375[275]]

Zweyter Zeitraum.
Von 1700 bis 1740
.


Erſter Theil.
Geſchichte des ſuͤdlichen Europaͤiſchen Staatenſyſtems in
dieſem Zeitraum.

1. Der folgende Zeitraum umfaßt zuerſt einen
langwierigen und blutigen Krieg, wiederum hauptſaͤch-
lich — mit Recht oder Unrecht — zur Aufrecht-
haltung des politiſchen Gleichgewichts gefuͤhrt; waͤh-
rend auch im Norden ein nicht weniger blutiger Kampf
gekaͤmpft wurde, der jedoch von dem des Weſten
gaͤnzlich getrennt blieb. Auch als dieſer letzte end-
lich durch die Utrechter und Raſtadter Friedens-
ſchluͤſſe aufhoͤrte, wurden doch keineswegs alle An-
ſpruͤche ausgeglichen; und ſo blieb Europa auch
nachher in einem ſchwankenden Zuſtande, wovon
bald ein neues Auflodern der Kriegsflamme; und
auch als ſie geſtillt ward, ein Gewebe von Unter-
handlungen, von Buͤndniſſen und Gegenbuͤndniſſen,
die Folge war; welches die immer enger werdende
Verflechtung des Staatenſyſtems von Europa auf-
fallend charakteriſirt.


S 22.
[276]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

2. Waͤhrend dieſer Stimmung indeß verlor
das mercantiliſche Intereſſe nichts von ſeinem Ein-
fluß. Es war dieß eine natuͤrliche Folge von der
ſtets wachſenden Wichtigkeit der Colonien; ſeit-
dem ihre Producte, beſonders der Caffee, der Zuk-
ker, der Thee, anfiengen, in einen ſtets groͤßeren
Gebrauch in Europa zu kommen. Der große Ein-
fluß, den dieſe Waaren auf die Politik nicht nur,
ſondern auch auf die Umformung des ganzen geſell-
ſchaftlichen Lebens gehabt haben, iſt nicht leicht zu
berechnen. Auch abgeſehen von dem unermeßlichen
Gewinn der Voͤlker durch Handel, der Regierun-
gen durch Zoͤlle, — wie haben nicht Caffeehaͤu-
ſer
in den Hauptſtaͤdten Europas als Mittelpuncte
der politiſchen, mercantiliſchen und literariſchen, Ver-
handlungen gewirkt? Waͤren uͤberhaupt ohne jene
Erzeugniſſe die Staaten des weſtlichen Europas das
geworden, was ſie geworden ſind?


3. Indeſſen hatten die fruͤhern großen Kriege
die meiſten Staaten bereits in Schulden geſtuͤrzt;
und die neuen Kriege, uͤberhaupt die ſteigenden Be-
duͤrfniſſe, vergroͤßerten ſie. So kam man dahin,
den Gebrauch des Papiergeldes ins Große
zu treiben; aber aus Unkenntniß ſeiner Natur bald
zu dreiſt (indem man das Beduͤrfniß, nicht der Cir-
culation, ſondern der Regierungen, zum Maaßſtab
ſeiner
[277]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
ſeiner Menge machte;), bald zu furchtſam (indem
man blos die Maſſe des baaren Geldes als Hypo-
thek anſah;), mehrmals zum großen Schaden der
Staaten. Aber die Huͤlfsmittel der Regierungen
wurden doch in den meiſten Faͤllen dadurch vermehrt;
und nie waͤren ſie ohne dasſelbe der großen Kraft-
anſtrengungen faͤhig geweſen; ſo wie ſie ſelber zum
Gluͤck es nicht ſobald ahnten, wie weit ſich oͤffent-
licher Credit und Schuldenweſen treiben ließen.


I. Geſchichte der Staatshaͤndel in Europa.

Urkundenſammlung: Außer den allgemeinen (ſ. oben
S. 2.):


  • Rousset recueil d'actes, négociations etc. dépuis la paix
    d'Utrecht. T. I-XXI. 8. à Amſterdam 1728 etc.
    Sie um-
    faßt den Zeitraum von 1713 bis 1748.

Bearbeitungen der Geſchichte:


  • Mémoires pour ſervir à l'hiſtoire du XVIIIme ſiécle, conte-
    nant les négociations, traités etc. concernant les affaires
    d'état par Mr. de Lamberty. à la Haye 1724. T. I-XIV.

    4. Fuͤr den Zeitraum von 1700 bis 1718. das Hauptwerk.
    Ausfuͤhrliche und unpartheyiſche Erzaͤhlung mit den einge-
    ruͤckten Actenſtucken. Der Verf., ſelber lange in der diplo-
    matiſchen Laufbahn, ſchrieb es im Alter in der Zuruͤckgezo-
    genheit.
  • Mémoires de Mr. de Torcy, pour ſervir à l'hiſtoire des
    négociations dépuis le traité de Ryswick, jusqu' à la paix

    S 3d'Utrecht.
    [278]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
    d'Utrecht. T. I-III. 12. Paris 1756. Der Verf. war fran-
    zoͤſiſcher Miniſter und Geſandter.
  • Mémoires et négociations ſecretes de diverſes cours de l'Eu-
    rope par Mr. de la Torre. à la Haye 1721. T. I-V.
    8.
    Gehen von 1698 bis 1714.

Auch die politiſchen Zeitſchriften werden jetzt Quel-
len der Geſchichte; aber natuͤrlich geſchrieben in dem Geiſt
des Landes, wo ſie erſchienen, muͤſſen ſie darnach gewuͤrdigt
werden. Die wichtigſten:


  • Mercure hiſtorique et politique de la Haye. Von 1686 bis
    1782. Vol. 1-187.
  • Die Europaͤiſche Fama Th. 1-360. (von 1702 bis 1734). Die
    neue Europaͤiſche Fama (von 1735 bis 1756). Th. 1-197.
    Stark antifranzoͤſiſch.

Als Abriß:


  • F. G. Haͤberlin's vollſtaͤndiger Entwurf der politiſchen Hiſtorie
    des XVIII. Jahrhunderts Th. I. 1748. Geht von 1700 bis
    1740. Bloße chronologiſche Aufzaͤhlung der Begebenheiten,
    mit Nachweiſung der Quellen.

4. Die große Frage, welche ſeit dem Rys-
wicker Frieden faſt ausſchließend die Cabinette des
Weſtens beſchaͤftigte, und aus der nicht nur ein
langwieriger Krieg, ſondern auch die folgenden
Staatshaͤndel dieſes Zeitraums vorzugsweiſe hervor-
gingen, war die der Spaniſchen Succeſſion
bey dem bevorſtehenden Ausſterben der Spaniſch-
Habsburgiſchen Linie mit CarlII. Man betrach-
tete dieſen, fuͤr das Syſtem von Europa allerdings
hoͤchſt wichtigen Gegenſtand, theils von der Seite
des Rechts, theils von der Seite der Politik.
Aber das Ganze ward eine Sache der Cabinette;
die
[279]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
die Nation — und doch hatte ſie ihre Staͤnde —
ward gar nicht dabey gefragt.


5. Von Seiten des Rechts kamen drey
Hauptcompetenten
, welche auf die ganze Mon-
archie Anſpruch machten, in Betrachtung: Lud-
wig
XIV., als Gemahl von Maria Thereſia, der aͤl-
tern Schweſter Carl's II., fuͤr den Dauphin; Leo-
pold
I., als Gemahl der juͤngern Schweſter Marga-
retha Thereſia; und wegen Teſtaments Philipp's IV.;
fuͤr einen ſeiner Soͤhne zweyter Ehe; und der Chur-
fuͤrſt von Bayern fuͤr ſeinen unmuͤndigen Sohn Joſeph
Ferdinand, als Enkel der Margaretha Thereſia.
Das Recht der naͤchſten Deſcendenz war fuͤr den
Dauphin; allein ihm ſtanden entgegen die feyerlich-
ſten Verzichtleiſtungen ſeiner Mutter auf alle Spa-
niſchen Erbrechte. Nach ihm war naͤchſter maͤnn-
licher Erbe der Churprinz von Bayern; doch haͤtte
es bey Leopold geſtanden, Beyden zuvorzukommen;
haͤtte er den Augenblick zu nutzen gewußt. Der Her-
zog von Savoyen, Victor Amadeus II., verlangte
nur einen Theil.


  • Deductionen des Rechts fuͤr Oeſtreich ſ. in Thucelii Reichs-
    Staats-Acten T. I. II.

Fuͤr Frankreich:


  • La défenſe du droit de Marie Théreſe Reine de France à la
    ſucceſſion d'Eſpagne par Mr. d'Aubusson. Paris
    1699.

S 46.
[280]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

6. Der politiſche Geſichtspunct, aus dem
die Cabinette, beſonders die Seemaͤchte, die ſo
wichtige Frage betrachteten, war die Erhaltung des
politiſchen Gleichgewichts. Konnte dieß anders in
einem Zeitalter ſeyn, wo dieſes die Baſis der
Politik geworden war? Konnte es ihnen gleich-
guͤltig ſeyn, was mit Spanien, beſonders mit den
Spaniſchen Niederlanden, ward? Es wurde als
Grundſatz angeſehen, daß die Vereinigung der gan-
zen
Spaniſchen Monarchie mit Oeſtreich oder Frank-
reich, beſonders aber mit letzterm, dieß Gleichge-
wicht ſtoͤren wuͤrde; vor Allem wenn die Kronen
zweyer großer Monarchien auf Einem Haupt
vereinigt wuͤrden. Um dieſem vorzubeugen, hatte
daher ſchon Ludwig XIV. ſich bereit erklaͤrt, die An-
ſpruͤche des Dauphins auf deſſen juͤngern Sohn, den
Herzog Philipp von Anjou, uͤberzutragen; ſo
wie auch Leopold I. die ſeinigen an ſeinen juͤngern
Sohn zweyter Ehe, den Erzherzog Carl, zu uͤber-
laſſen bereit war.


7. Gang der Verhandlung in Madrid bey Leb-
zeiten des Koͤnigs; wo Graf Harcourt, der Fran-
zoͤſiſche Geſandte, bald ein Uebergewicht uͤber die
Grafen Harrach vom kayſerlichen Hofe erhielt.
Doch wußte Ludwig XIV. wohl, daß man der Ein-
willigung der Seemaͤchte beduͤrfe; und der mit ih-
nen
[281]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
nen verabredete erſte Theilungsvertrag, der1698
11.
Oct.

dem Churprinzen das Hauptland und die Colonien,
und den Mitbewerbern die Nebenlaͤnder in Italien
und den Niederlanden zuſprach, ſchien das Inter-
eſſe der Einzelnen und des ganzen Staatenſyſtems
von Europa auszugleichen; als ein ungluͤckliches Ge-
ſchick den Churprinzen fruͤhzeitig wegraffte!

1699
6.
Fbr.

  • Außer den Obigen: Mémoires et négociations ſécrètes du
    Comte de Harrach par Mr. de la Torre. à la Haye 1720.
    2 Voll.
    8. Gehen von 1695 bis zum erſten Theilungs-
    tractat.

8. Ungeachtet nun ein neuer Theilungstractat
zwiſchen Frankreich und den Seemaͤchten verabredet1700
2.
Mrz

ward, ſo konnte doch wenig Hoffnung zu einer fried-
lichen Ausgleichung bleiben, da nicht nur Oeſtreich
ſeinen Beytritt verſagte, ſondern auch in Spanien
ſelber bey dem Koͤnig wie bey der Nation die Idee
einmal herrſchte, daß jede Theilung ein Ungluͤck
fuͤr die Monarchie ſey. Man ſah in der Abtretung
der Nebenlaͤnder in Europa zugleich Verluſt der
Macht und des Handels. Und doch war ohne dieſe
Theilung ſchwerlich eine Ausgleichung moͤglich. Wie
viel Blut und Geld haͤtte hier mit etwas Vernunft
erſpart werden koͤnnen!


9. Der herannahende Tod und der Cardinal
Portocarrero bringen endlich CarlII. zu einem
S 5Teſta-
[282]II. Per. I. B. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Teſtament, in dem er die ganze Spaniſche Monar-
1700
2.
Oct.
chie, ungetheilt, Philipp von Anjou vermacht;
und im Fall der Nichtannahme ihm den Erzherzog Carl
1.
Nov
ſubſtituirt. Der kurz darauf erfolgende Tod des
Koͤnigs ließ nun LudwigXIV. die Wahl zwiſchen
Annahme oder Verwerfung des ganzen Teſtaments.
Nicht ohne ernſtliches Bedenken — wie gern haͤtte
er jetzt einen Krieg vermieden! — waͤhlte er das
Erſtere. — Wie konnte er auch bey dieſer Al-
ternative fuͤr Frankreich und fuͤr ſein Haus anders
waͤhlen?


10. Anerkennung Philipp'sV. ſowohl in
Spanien als in den ſaͤmmtlichen Colonien und Ne-
benlaͤndern; ſelbſt der Friede mit den Seemaͤchten
ſchien fortdauern zu koͤnnen. Aber LeopoldI.
fuͤhlte ſich deſto tiefer gekraͤnkt, je mehr er es ſich
ſelber ſagen mußte, daß er durch ſeine Schuld die
Spaniſche Monarchie verlohren habe.


11. Vorbereitungen von beyden Seiten und
Streben vor dem Ausbruche des Kriegs, ſich Ver-
buͤndete zu verſchaffen. Durch die Gewinnung des
Herzogs von Savoyen durch eine Heyrath,
und des Herzogs von Mantua durch Geld,
faßte Frankreich im voraus in Italien feſten Fuß.
In den Spaniſchen Niederlanden ward gleich der
erſte Moment zur Beſetzung der feſten Plaͤtze mit
Fran-
[283]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
Franzoͤſiſchen Truppen genutzt; und die wieder in
Ungern unter Rakozi ausgebrochenen Unruhen ka-
men Frankreich trefflich zu Statten. Am bedeu-
tendſten aber ſchien in Deutſchland die Gewinnung
des Churfuͤrſten MaximilianII. von Bayern
(dem auch ſein Bruder, der Churfuͤrſt von Coͤlln,
folgte) werden zu muͤſſen. So konnte man einen
der erſten Deutſchen Fuͤrſten, an der Grenze Oeſt-
reichs, dieſem entgegen ſtellen!


12. Doch konnten alle dieſe Vorbereitungen
ſo wenig die Entſtehung einer maͤchtigen Gegen-
verbindung
hindern, als Frankreich das Ueber-
gewicht erhalten. Oeſtreich fand bald Verbuͤndete
in Deutſchland an dem neuen Koͤnig von Preußen,
an mehrern andern Staͤnden, und bald an dem ganzen
Reich; und die Seemaͤchte, ſchon gereizt durch die
Beſetzung der Spaniſchen Niederlande, waren zum
Kriege gleichſam aufgefordert, als Ludwig XIV. den
Sohn Jacob's II. nach deſſen Tode, gegen den1701
16.
Spt.

Ryswicker Frieden, als Koͤnig anerkannte. Und
wenn gleich durch den Tod von WilhelmIII.1702
19.
Mrz

zugleich der Brittiſche Thron und die Erbſtatthalter-
wuͤrde erledigt ward, ſo blieb doch ſein Syſtem un-
ter ſeiner Nachfolgerin Anna, und in den Nieder-
landen dasſelbe; und eine engere Verbindung Aller
wurde die Folge davon.


Große
[284]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Große Allianz im Haag 7. Sept. 1701 zwiſchen dem
Kayſer, England und Holland; zunaͤchſt zur Eroberung der
Spaniſchen Nebenlaͤnder und Colonien, geſchloſſen; dem-
naͤchſt verſtaͤrkt durch den Beytritt von Preußen 20. Jan.
1702, des Deutſchen Reichs, nach vorhergegangenen Kreis-
aſſociationen, 28. Sept. 1702; Portugals gegen Subſidien
und verſprochene Vergroͤßerung in Spanien und den Colo-
nien 16. May 1703; und ſelbſt endlich des mißvergnuͤgt ge-
wordenen Herzogs von Savoyen 25. Oct. 1703.


13. An ſich betrachtet konnte die neue Verbin-
dung indeß kaum von Feſtigkeit ſcheinen; da die
Plaͤne der Seemaͤchte, die auf Theilung giengen,
wenig mit den Forderungen Oeſtreichs uͤbereinſtimm-
ten, das das Ganze wollte. Aber ſie erhielt eine
Feſtigkeit wie keine andere, da Maͤnner von hohem
Geiſt und ſeltnen Talenten, zugleich durch Grund-
ſaͤtze und Intereſſe verbunden, an ihre Spitze ka-
men. Ein Triumvirat, wie das von Eugen, von
Marlborough und Heinſius, hat die Ge-
ſchichte nicht wieder geſehen; aber nicht bloß ihre
Groͤße, ſondern auch ihre Schwaͤchen machten ihre
Verbindung ſo unaufloͤslich. Waͤre ſie es ohne die
Geld- und Herrſchſucht von Marlborough, ohne
die eigenſinnige Beſchraͤnktheit von Heinſius gewor-
den? Nur der edle Eugen ſteht ohne Flecken da!


Großer Wirkungskreis dieſer Maͤnner nach ihrer perſoͤnli-
chen Lage, bey Eugen als Feldherr und ſeit 1705 Praͤſident
des Kriegsraths; bey Heinſius als Rathspenſionan ohne
Statthalter; bey Marlborough zugleich als Feldberr,
Staatsmann und Parteihaupt. Er herrſchte im Cabinet wie

im
[285]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
im Felde, ſo lange die Partie der Whigs am Ruder blieb.
Der ſchlaue, unzuverlaͤſſige, bezaubernde Held!


14. Wenn daher der Krieg bey ſeinem erſten
Ausbruche ein Krieg zwiſchen Oeſtreich und Frank-
reich war, ſo mußte ſich die Flamme bald uͤber das
ganze weſtliche Europa verbreiten. Indeſſen blieb
das Land, uͤber deſſen Beſitz er eigentlich gefuͤhrt
ward, Nebenſcene; Italien, den Niederlanden,
vor allen aber Deutſchland, fiel auch jetzt wieder
das traurige Loos, zu Hauptſchauplaͤtzen zu werden.


Ausbruch des Kriegs von Oeſtreichiſcher Seite, durch En-
gen's
Einfall in Italien Jul. 1701. und Feſtſetzung in der
Lombardey. Aber erſt nach der Gefangennehmung Ville-
roi's
1. Febr. 1702 fand er an dem Cyniker Vendome
einen ſeiner mehr wuͤrdigen Gegner. Treffen bey Luzzara
16. Aug. Anfang des Kriegs am Ober-Rhein (Eroberung
Landaus 10. Sept.), und in den Niederlanden 1702, wo
Marlborough zuerſt auftrat. Aber erſt 1703 weitere Ver-
breitung theils in Deutſchland, durch die foͤrmliche Verbin-
dung Bayerns mit Frankreich, und den, zuletzt mißlun-
genen, Einfall des Churfuͤrſten in Tyrol, Juni-Sept; theils
in Italien durch den Uebertritt des Herzogs von Savoyen
auf die Seite der Alliirten, wie ſchwer ihn auch anfangs
Frankreich dafuͤr buͤßen ließ; theils in Spanien ſelber, da
ſeit dem Beytritt Portugals zu der großen Allianz durch die
Abſendung des Erzherzogs Carl dahin es moͤglich ward,
auch den Krieg in jenes Land zu verſetzen. Doch wurde erſt
der Feldzug 1704 fuͤr Deutſchland entſcheidend. Großer
Sieg der Alliirten bey Hoͤchſtaͤdt oder Blenheim 13.
Aug. Einnahme Bayerns, und Befreyung Deutſchlands.
Einen ſolchen Tag hatte Ludwig XIV. noch nicht geſehen! —
Anfang des Kriegs in Spanien, zwiſchen Carl und Philipp;

meiſt
[286]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
meiſt unentſchieden, da Carl in Catalonien, Philipp in Ca-
ſtilien, ſeine Hauptſtuͤtze fand. — Der zugleich angefan-
gene Seekrieg, beſonders im Mittelmeer, verſchaffte den
Englaͤndern Gibraltar 4. Aug. — Nach Leopold's I. To-
de 5. May 1705 gleicher Fortgang des Kriegs unter Jo-
ſeph
I. Vergeblicher Plan von Marlborough, und dem Prin-
zen Ludwig von Baden, in das Innere Frankreichs einzudrin-
gen. Aber der Feldzug von 1706 verſchaffte den Alliirten
ſowohl die Niederlande, nach Marlborough's Sieg bey Ra-
millies
23. May (man hatte ihm einen Villeroy entgegen-
geſetzt;), als die Lombardie durch den Entſatz von Tu-
rin
7. Sept., ſobald Eugen keinen Vendome mehr ſich ge-
genuͤber ſah. — Folge davon, gaͤnzliche Raͤumung der Lom-
bardie von den Franzoſen durch eine Convention zu Mayland
13. Maͤrz 1707; Einnahme Neapels faſt ohne Widerſtand
(im May), und ſelbſt Verſuch gegen Toulon, wiewohl ver-
geblich (Jul. und Aug.). Große Anſtrengungen Ludwig's
XIV. zur Wiedereroberung der Niederlande 1708; vereitelt
durch die Niederlage bey Oudenarde 11. Jul., der ſelbſt
die Belagerung und Einnahme der Franzoͤſiſchen Grenzfeſtung
Lille 23. Oct. folgte. Gegen die vereinten Kraͤfte eines
Marlborough und Eugen reichten auch ein Vendome und
Boufflers nicht aus.


15. Solche Niederlagen, mit inneren Unfaͤl-
len gepaart, brachten Frankreich allerdings in eine
Lage, die Ludwig XIV. noch nicht erlebt hatte.
Doch bleibt ihm der Ruhm, das Ungluͤck beſſer er-
tragen zu haben, als ſeine Feinde das Gluͤck. Be-
reit, Alles herauszugeben, was er nicht ſchien be-
haupten zu koͤnnen, blieb er unbeweglich, ſobald
von moraliſcher Herabwuͤrdigung die Rede war.
Die Unterhandlungen von Haag und Gertruyden-
berg
[287]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1770.
berg bleiben die lehrreichſte Schule fuͤr Fuͤrſten im
Ungluͤck. Die Beharrlichkeit ward auch hier be-
lohnt; die Verbuͤndeten verſaͤumten den Zeitpunct,
weil ſie den Frieden nicht wollten; und wenige Jah-
re nachher ſchloß ihn Ludwig auf Bedingungen, die
er damals fuͤr unmoͤglich halten mußte.


Anfang der Unterhandlungen Maͤrz 1709 zwiſchen dem
Praͤſidenten Rouillé und den Hollaͤndiſchen Abgeordneten
Buys und van der Duſſen, zuerſt zu Moerdyk, nachmals
zu Woerden; bis der Miniſter der auswaͤrtigen Angelegen-
heiten ſelber, Torcy, nach dem Haag geſandt (May) im
Vorzimmer des Rathpenſionairs erſchien! — Hauptforde-
rungen der Alliirten uͤberhaupt: Gaͤnzliche Herausgabe der
Spaniſchen Monarchie zu Gunſten Oeſtreichs. Insbeſondere:
der Hollaͤnder: Barriere (Beſetzung der Grenzfeſtungen)
in den Spaniſchen Niederlanden; und Wiederherſtellung des
Handelstarifs von 1664. Der Englaͤnder: Anerkennung der
proteſtantiſchen Sueceſſion und Vergroͤßerung der Colo-
nien. Vom Kayſer und Reich: Wiederherſtellung der
Dinge auf den Fuß des Muͤnſterſchen Friedens. — Das
Alles war bewilligt; (Praͤliminarien entworfen, in 40 Arti-
keln 27. May); und bedurfte es mehr zur Entſchaͤdigung
der Verbuͤndeten; zur Sicherheit Europas? Aber die Ab-
ſetzung Philipp's von Spanien durch ſeine Huͤlfe (Art. 4.
37.) konnte Ludwig XIV. nicht unterſchreiben, ohne ſich zu
entehren. Abbruch der Friedensunterhandlungen.


16. Fortgang des Kriegs; auch jetzt mit ſchlech-
tem Gluͤck fuͤr Frankreich; und doch konnten, auch
nach dem Siege bey Malplaquet, die Alliirten
ſich nicht zum Frieden entſchließen; aber auch eben
ſo wenig in das Innere ſeiner Provinzen dringen!
Waͤh-
[288]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Waͤhrend Bendome in Spanien ſiegte, verthei-
digten Villars und Boufflers mit Nachdruck
die Grenzen des Reichs; und die Reſultate der Sie-
ge im Felde blieben auf die Einnahme einiger Plaͤtze
beſchraͤnkt.


Große Schlacht bey Malplaquet 11. Sept. 1709. Der
Ruͤckzug brachte Villars und Boufflers nicht viel weniger Eh-
re, als Eugen und Marlborough ihr Sieg. Einnahme von
Mons 20. Oct., von Douai und einigen andern Plaͤtzen 1710.
[Ve]reitelung der erhaltenen Vortheile des Erzherzogs Carl
in Spanien, ſelbſt nach Einnahme Madrids 1710, durch Ven-
dome noch vor Ende des Jahrs. — Vergebliche Erneuerung
der Friedensunterhandlungen zu Geertruydenberg durch
d'Huxelles und Polignac mit den Hollaͤndern Maͤrz — Juli.
Selbſt Subſidien wollte Ludwig gegen ſeinen Enkel geben.
Aber er ſelbſt, ja ſogar er allein ſollte ihn abſetzen!


17. Aber die endliche Entſcheidung der großen
Frage ſollte nicht durch das Schwerdt herbeygefuͤhrt
werden. Der Fall des Whig-Miniſterii in Eng-
land, der bald auch der Fall Marlborough's wer-
1711
17.
Apr.
den mußte; und der Tod des Kayſers JoſephI.
aͤnderten alle Verhaͤltniſſe. Die Torys hatten lange
auf die Beendigung eines Kriegs gedrungen, der
England viel koſtete, ohne unmittelbaren Gewinn.
Der Weg zu einem Separatfrieden ſchien alſo ge-
bahnt, ſobald ſie das Ruder erhielten. Und als
nach Joſeph'sI. Tode ſein Bruder und Nach-
folger CarlVI. der einzige Stammhalter des Hau-
ſes Habsburg war, konnte es auch ſchwerlich fuͤr
die
[289]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
die Seemaͤchte rathſam ſcheinen, auf ſeinem Haupte
allein die Kayſerkrone nebſt der von Ungern und
Boͤhmen mit der Spaniſchen zu vereinigen.


Fall des Whig-Miniſteriums durch die Entlaſſung Sun-
derlands
und Godolphins Aug. 1710. Neues Mini-
ſterium der Torys unter Harley, Graf von Oxford; und
St. John, Vicomte von Bolingbroke; und bald An-
knuͤpfung geheimer Unterhandlungen mit Frankreich durch
Gauthier, und nachmals durch Prior. Wie ſorgfaͤltig man
auch den Schein eines Separatfriedens vermied, ſo war
doch jetzt das Vertrauen der Verbuͤndeten dahin; und ſeit
Marlborough's Abſetzung Jan. 1712 (dem Ormond
nur zum Schein folgte;) und Villars Siege bey Denain
24. Jul. ward auch ſelbſt das Kriegsgluͤck Frankreich guͤn-
ſtig. Friedenspraͤliminarien zwiſchen Frankreich und
England 11. Oct. 1711 den Verbuͤndeten zwar nur als Pro-
ject
mitgetheilt; aber der Kriegszuſtand hoͤrte auf.


18. Dieſe Trennung der Verbindung mußte
wohl zu einem Frieden, aber zu einem ganz andern
Frieden fuͤhren, als man noch vor kurzem hatte er-
halten koͤnnen; und bald ward Utrecht, — da
Holland noch immer als der Centralpunct der Poli-
tik betrachtet ward, — zum Congreßorte beſtimmt.
Die Natur der Dinge brachte es jetzt mit ſich, daß
ſtatt eines allgemeinen Friedens eine Reihe Frie-
densſchluͤſſe theils zwiſchen Frankreich, theils zwi-
ſchen Spanien und den einzelnen Alliirten hier zu
Stande kamen, in deren jedem auch jeder ſeine eig-
nen Vortheile beſtimmte. Aber weder uͤber dieſe,
Tnoch
[290]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
noch uͤber die Hauptfrage, die Beſtimmung der
Spaniſchen Monarchie, waren die Alliirten unter
ſich
einverſtanden. Indem Oeſtreich eigenſinnig auf
ſeiner Forderung beſtand, war England, und auch
die uͤbrigen, nicht abgeneigt, den Spaniſchen Thron
dem Hauſe Anjon zu laſſen (jedoch mit Ausnahme
der Nebenlaͤnder in Europa); nur daß keine Verei-
nigung der Kronen Frankreichs und Spaniens auf
Einem Haupt erfolgen duͤrfe. Ja ſelbſt unter den
beyden Seemaͤchten entſtand Mißtrauen; da jede
auf die Handelsvortheile eiferſuͤchtig war, die ſich
die andere ausbedingen wollte. Konnte Frankreich
unter guͤnſtigern Auſpicien eine Unterhandlung be-
ginnen?


Eroͤffnung des Congreſſes zu Utrecht 29. Jan. 1712 zuerſt
nur zwiſchen den Frenzoͤſiſchen, den Engliſchen und Savoyi-
ſchen Geſandten; worauf auch (Febr.) die der uͤbrigen Alliir-
ten anlangten. Die Trennung der Verbindung war ſchon
entſchieden durch den Beſchluß, daß jeder der Alliirten ſeine
Forderungen einzeln uͤbergeben ſolle. — Zunehmender
Zwiſt unter den Alliirten, indem die Negociation faſt ganz
in den Haͤnden von England iſt, und meiſt insgeheim directe
zwiſchen den Cabinetten von St. James und Verſailles ge-
fuͤhrt wird. Die letzten Reſultate waren Separatfrie-
densſchluͤſſe
der uͤbrigen Alliirten, indem ſie Oeſtreich
und das Reich ſich ſelber uͤberließen. Vorlaͤufige Vertraͤge:
a. Wechſelſeitige Verzichtleiſtung des Hauſes Anjou auf
Frankreich; und der Franzoͤſiſchen Prinzen auf Spanien.
Nov. 1712. b. Vertrag zwiſchen Oeſtreich und Frankreich
uͤber die Raͤumung von Catalonien, und die Neutralitaͤt
Italiens 14. Maͤrz 1713 auf Betrieb Englands. Hierauf 11.
April Friedensſchluͤſſe mit Frankreich:


1.
[291]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.

1. Friede zwiſchen Frankreich und England.
a. Anerkennung der proteſtantiſchen Succeſſion in England,
zu Gunſten Hannovers; und Entfernung des Praͤtendenten
aus Frankreich. b. Stete Trennung der Kronen Frankreich
und Spanien. c. Schleifung des Hafens von Duͤnkirchen.
d. Abtretung an England von Terreneuve (jedoch mit
Vorbehalt von Cap Breton und eines Antheils an den Fi-
ſchereyen); von Acadien, nach ſeinen alten Grenzen;
von der Hudſonsbay und den daran liegenden Laͤndern; und
dem Franzoͤſiſchen Antheil an St. Chriſtoph. e. Frankreich
darf keinen weitern Handel nach den Spaniſchen Colonien
treiben, als unter Carl II.; und keine beſondere Privile-
gien dort erhalten. — Vortheilhafter Handelstractat fuͤr
England.


2. Friede zwiſchen Frankreich und den Nieder-
landen.
a. Sicherung einer Barriere gegen Frankreich.
Daher Uebergabe der Spaniſchen Niederlande an die Repu-
blik; um ſie nach Berichtigung eines Barrieretractats mit
Oeſtreich dieſem zu uͤberliefern. b. Wiederherſtellung Frank-
reichs in den Beſitz von Lille; und der uͤbrigen verlohrnen
Grenzplaͤtze. — Zugleich vortheilhafter Handelstractat
fuͤr die Republik.


3. Friede zwiſchen Frankreich und Savoyen.
a. Fuͤr Savoyen vortheilhafte Grenzberichtigung. b. Savo-
yen erhielt die Inſel Sicilien als Koͤnigreich. c. Vorbehalt
der Anſpruͤche auf Spanien nach Erloͤſchung des Hauſes Anjou.


4. Friede zwiſchen Frankreich und Portugal.
Grenzberichtigung in Suͤd-Amerika; wodurch Portugal das
Land zwiſchen dem Maragnon und Oyapoc-Fluß bleibt.


5. Friede zwiſchen Frankreich und Preußen.
a. Frankreich erkennt den Preußiſchen Koͤnigstitel. b. Ueber-
laͤßt Preußen im Namen des Koͤnigs von Spanien das Ober-
quartier von Geldern. c. Erkennt den Koͤnig von Preußen
als Souverain von Neufchatel. d. Preußen uͤberlaͤßt an
Frankreich ſeine ererbten Rechte auf das Fuͤrſtenthum Orange.


Spanien ſchloß zu Utrecht mit England und Savoyen
13. Jul. 1713.


T 21.
[292]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

1. Friede zwiſchen Spanien und England. a.
Spanien tritt an England ab Gibraltar und die Inſel Mi-
norka. b. Spanien uͤberlaͤßt an England (zufolge eines be-
reits am 29. Maͤrz in Madrit abgeſchloſſenen Handelstrac-
tats (Aſſiento) auf 30 Jahre das Recht der Importation
von 4800 Negern in America (das vorher Frankreich gehabt
hatte;), und die Erlaubniß, jaͤhrlich ein Schiff von 500 Ton-
nen nach Porto bello zu ſchicken. c. Es darf weder Frank-
reich, noch einer andern Macht keine Handelsfreyheiten nach
Indien bewilligen; auch keine ſeiner Beſitzungen veraͤußern.


2. Friede zwiſchen Spanien und Savoyen. a.
Ceſſion von Sicilien. b. Wiederholung der mit Frankreich
feſtgeſetzten Bedingungen. So auch nachmals in den Frie-
densſchluͤſſen mit Holland und Portugal 26. Jun. 1714.


Die wichtigſten Geſandten in Utrecht waren: von Frank-
teich der Marſchall d'Huxelles, Abbé (nachmaliger Cardinal)
Polignac u[nd] Hr. Menager. Von England: Graf Straf-
ford. Vo[n] den Niederlanden: Bups und van der Duſſen.
Von dem Kayſer: Graf Sinzendorf. Von Savoyen: Graf
Maſſei ꝛc.


  • Actes, mémoires et autres piéces authentiques concernant
    la paix d'Utrecht. 1714. T. I-VI.
    12. Die vollſtaͤndigſte
    Sammlung der dahin gehoͤrigen Staatsſchriften.
  • Letters and Correſpondence of the R. H. Lord Viſc. Boling-
    broke
    by Gibb. Parke. Lond. 1798. Vol. I-IV.
    8. Ent-
    haͤlt die politiſche Correſpondenz des Miniſters waͤhrend ſei-
    ner Adminiſcration von 1710-1714.
  • Hiſtoire du congrés de la paix d'Utrecht, comme auſſi de
    celle de Raſtadt et Bade. Utrecht
    1716. 12.

19. So blieben bey dem Abſchluß des Frie-
dens der Kayſer und das Reich ſich allein uͤberlaſſen.
Wenn man auch dem erſten die meiſten Nebenlaͤn-
der Spaniens vorbehielt, ſo wurde dagegen dem
letztern
[293]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
letztern nur die Grundlage des Ryswicker Friedens
geboten; und beyden peremtoriſch ein Termin zum
Entſchluß geſetzt, den man nicht annahm. So
dauerte der Kriegszuſtand, beſonders am Rhein,
noch fort; mit wenigem Gluͤcke fuͤr Oeſtreich. Die
Erneuerung der Unterhandlungen zwiſchen beyden be-
reits im naͤchſten Winter zu Raſtadt waren die
Folgen davon; und fuͤhrten hier zu einem Frieden,
der nachmals zu Baden in einen Reichsfrieden ver-
wandelt ward. Oeſtreich bekam ſein Theil; das
Reich dagegen — durch die Separatfriedensſchluͤſſe
ohnehin ſchon nicht mehr mit ſich ſelber einig —
gieng leer aus; und der ſchoͤne Traum der gaͤnzli-
chen Wiederherſtellung auf den Fuß des Muͤnſter-
ſchen Friedens — (welche Lehre waͤre ſie fuͤr die
Eroberungs-Politik geweſen!) — verſchwand.


Fortgang des Kriegs am Rhein; 1713 Einnahme [vo]n Lan-
dan 20. Aug. und Freyburg 16. Nov. durch Villars. Unter-
handlung zwiſchen ihm und Eugen zu Naſtatt Nov. bis
Maͤrz 1714. Endlicher Abſchluß 6. Maͤrz, unter dem Na-
men von Praͤliminarien, die demnaͤchſt dem Reich zur An-
nahme vorgelegt werden. Hauptbedingungen: a. Oeſtreich
darf die Spaniſchen Niederlande in Beſitz nehmen, nach ver-
abredeter Barriere fuͤr Holland. b. Oeſtreich erhaͤlt in Ita-
lien Neapel, Sardinien, Mayland, und die Stati degli pre-
ſidi. c.
Reſtitution der in die Reichsacht erklaͤrten Churfuͤrſten
von Bayern und Coͤlln gegen Anerkennung der Chur von Han-
nover. d. Fuͤr das Reich nur Wiederherſtellung des Zuſtandes
vor dem Kriege; durch Beſtaͤtigung des Muͤnſterſchen, Nim-
wegiſchen und Ryswicker Friedens. — Annahme der dem

T 3Reich
[294]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Reich mitgetheilten Praͤliminarien; und Beſtaͤtigung zu Ba-
den
in der Schweiz 7. Sept.


20. Die Entſcheidung des Streits ward alſo
der Hauptſache nach durch die Abſonderung der Ne-
benlaͤnder in Europa bewirkt, wovon man auch
vor dem Kriege hatte ausgehen wollen. Aber ganz
entſchieden ward der Streit leider! doch nicht, wenn
gleich der Krieg fuͤr jetzt aufhoͤrte. Zwiſchen den
beyden Hauptcompetenten Spanien und Oeſtreich
ward kein foͤrmlicher Friede, weil keiner von ſeinen
Anſpruͤchen ablaſſen wollte. Der ſchwankende Zu-
ſtand, in dem das Europaͤiſche Staatenſyſtem ein
Decennium hindurch bleibt, war daher unvermeid-
lich; und Erhaltung des Utrechter Friedens ward
eine der ſchwerſten Aufgaben fuͤr die Politik.


21. Die Folgen, welche dieſer Krieg und die
Friedensſchluͤſſe, die ihn beendigten, fuͤr das Staa-
tenſyſtem Europas hatten, waren gleich mannichfal-
tig und wichtig. Indem die Spaniſche Monarchie
einem Zweige der Bourbons blieb, fiel jene alte Ri-
valitaͤt zwiſchen Frankreich und Spanien, die Eu-
ropa ſo viel gekoſtet hatte, weg. Aber die Folge
zeigte auch bald, daß die Bande der Verwandt-
ſchaft keinesweges eben ſo feſte Bande fuͤr die Po-
litik ſind. Die gefuͤrchteten Folgen fuͤr das Gleich-
gewicht von Europa zeigten ſich nicht; allein frey-
lich
[295]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
lich war auch Frankreich ſo tief erſchoͤpft, daß ſelbſt
die engſte Verbindung mit Spanien kaum haͤtte Be-
ſorgniſſe erregen koͤnnen.


22. Die Trennung der Nebenlaͤnder von Spa-
nien wurde fuͤr das Staatenſyſtem Europas beſon-
ders dadurch wichtig, daß deſſen Niederlande
an Oeſtreich kamen
. Fortdauernd das naͤchſte
Ziel der Eroberungen Frankreichs, ward es eine
der herrſchenden Maximen in der Politik, daß ihre
Erhaltung das Intereſſe Aller, und die Bedingung
der Aufrechthaltung des Gleichgewichts ſey. Hieng
nicht auch davon das Schickſal der Republik, des
Deutſchen Reichs, und mit ihm Oeſtreichs ſelber ab?


23. Eine der wichtigſten Folgen fuͤr das Eu-
ropaͤiſche Staatenſyſtem aus dieſem Kriege war der
erweiterte Einfluß Englands. Sein Anleiheſyſtem
(ſ. oben S. 250.) machte es moͤglich, jetzt den
Subſidientractaten eine noch nie geſehene Ausdeh-
nung zu geben; und die ſchon fruͤher angeknuͤpften
Hauptfaͤden der Continentalpolitik (ſ. oben S.
235.) wurden zugleich erweitert und befeſtigt. Die
Gelangung der Niederlande an Oeſtreich ſchien die
Verbindung mit dieſem unaufloͤslich zu machen; die
Republik war ihm faſt blind ergeben; Savoyen
und die einzelnen Staͤnde des Reichs waren gegen
Subſidien wieder zu haben. Der Utrechter Frie-
T 4den
[296]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
den war unter ſeiner Direction geſchloſſen; und eben
deshalb zum Gluͤck die Erhaltung dieſes Friedens
ſeine natuͤrliche Politik. Darf man ſich wundern,
wenn die Leitung der Angelegenheiten Europas eine
Zeitlang meiſt in ſeinen Haͤnden blieb?


24. War gleich der Krieg weniger Seekrieg
geweſen, ſo fieng doch bey dem Frieden das Mer-
cantilintereſſe an, ſich in ſeiner ganzen Staͤrke zu
zeigen. Die wichtigſten Handelsbewilligungen wur-
den Bedingungen des Friedens fuͤr die Seemaͤchte;
und ſelbſt die Abtretungen der Laͤnder geſchahen
zum Theil des Handels wegen. Der Grund zu
dem Uebergewicht Englands im Seehandel ward ei-
gentlich durch den Utrechter Frieden, — und mit
ihm zugleich der Keim zu zwey kuͤnftigen großen
Kriegen — gelegt; aber freylich konnten dieſe Folgen
ſich erſt allmaͤhlig entwickeln; und die Republik
blieb doch noch geraume Zeit der erſte Handelsſtaat
unſres Welttheils.


25. Die Lage der einzelnen Staaten war
nicht blos durch den Krieg veraͤndert, ſondern ward
es auch zum Theil durch Regierungswechſel. In
Spanien war eine neue Dynaſtie zum Thron ge-
kommen, aber ohne neue Kraft; PhilippV. war
nicht der Fuͤrſt, der es verſtand, ein geſunkenes
Reich wieder zu erheben. Mehr wie er waͤre dazu
ſeine
[297]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
ſeine neue Gemahlin, Eliſabeth von Parma,
faͤhig geweſen; haͤtte nicht Familienintereſſe ihr mehr
gegolten als Intereſſe des Staats.


26. Portugal, waͤhrend des Kriegs durch die
Bande der Politik an England angeſchloſſen, blieb
es auch nach dem Kriege durch die Bande des
Handels. Aber wenn der Tractat von Me-1703
thuen der Induſtrie ſo ſchaͤdlich ward: lag davon
die Schuld in dem Tractate, oder an der Nation
und an der Regierung? Konnten die Woll-Ma-
nufacturen nicht mehr beſtehen, gab es denn keine
andre, und war kein Boden mehr anzubauen?
Aber indem Portugal den Markt fuͤr ſeine Weine
in England fand, wurden die politiſchen Bande
zugleich durch die mercantiliſchen befeſtigt.


27. Allein der groͤßte Wechſel gieng in Frank-
reich
vor. LudwigXIV. uͤberlebte den Frieden1715
1.
Spt.

nur kurze Zeit; und hinterließ zum Nachfolger in
ſeinem Urenkel LudwigXV. nur ein ſchwaches und
unmuͤndiges Kind. Seine Autoritaͤt ſtarb mit ihm;
und gegen ſeinen Willen erhielt ſein Neffe Phi-
lipp von Orleans
die Regentſchaft mit der gan-bis
1723

zen Fuͤlle der Macht. Ohne Moralitaͤt, und ſelbſt
ohne Schaam, hielt man ihn doch fuͤr boshafter,
als er war; und die lange dauernde Beſorgniß we-
gen des Lebens des jungen Koͤnigs, der ohnehin
T 5ſchwaͤch-
[298]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſchwaͤchlich war, wirkte ſtark auf die ganze Politik
der damaligen Zeit, und beſonders auf die Verhaͤlt-
niſſe mit der Spaniſchen Linie ein. Wer ſollte in
einem ſolchen Falle folgen, Philipp von Spanien
oder Orleans? Das Mißtrauen zwiſchen beyden war
aber eben ſo natuͤrlich als folgenreich; da es auch
die auswaͤrtigen Verbindungen beſtimmen mußte.


  • St. Simon Mémoires ſécrets de la Régence (Oeuvres Vol.
    7. 8. S. oben S. 215.)

28. Auch in England war nach dem Tode
1714
12.
Aug.
der Anna durch die wunderbarſten Verſchlingun-
gen des Schickſals mit GeorgI. das Haus Han-
nover
auf das der Stuarts gefolgt. Der Pro-
teſtantismus
hatte ihm den Thron verſchafft;
und mußte ihm denſelben erhalten. Keine neue
Grundſaͤtze, keine neue Continentalpolitik (der Be-
ſitz Hannovers hat dieſe nicht erſt beſtimmt) konnte
alſo herrſchend werden; es war die alte Politik
Wilhelm's III., nur nach Zeitumſtaͤnden modificirt.
So war die Einigkeit zwiſchen Nation und Regie-
rung befeſtigt; und zum Gluͤck fuͤr das neuregieren-
de Haus gab es noch lange einen Praͤtendenten,
der dieſe Grundſaͤtze unmoͤglich vergeſſen ließ.


Der Fall des Tory-Miniſteriums, das ſich in ſeinem Be-
nehmen gegen den Praͤtendenten mehr als verdaͤchtig gemacht
hatte, 1714, und die wiedergegruͤndete Herrſchaft der Whigs
war die natuͤrliche Folge dieſer Politik.


29.
[299]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.

29. Die Republik war in dieſem Kriege faſt
aus einer Seemacht zur Landmacht geworden. Er
hatte ihre Schuldenlaſt bis auf 350 Millionen Gul-
den vermehrt; ſo theuer war der Barriere-Trac-
tat
erkauft, in dem ſie die Sicherheit ihrer Exi-
ſtenz ſah! Gleichwohl nahm ſie die große Lehre
mit aus dem Kriege, daß bey der Theilnahme an
den Haͤndeln großer Maͤchte fuͤr ſie wenig zu gewin-
nen ſey; und moͤglichſte Zuruͤckziehung davon ward
ſeit dieſer Zeit Grundſatz ihrer Politik. Waͤre nur
eine ſolche Zuruͤckziehung fuͤr eine Macht, die ſich
unter die erſten geſtellt hatte, nicht noch gefaͤhrli-
cher als die Theilnahme! Indeß ſie die Militair-
Kraͤfte erſchlaffen macht (vollends hier, wo ſeit Wil-
helm III. kein Statthalter und Generalcapitain
war!), iſt das Sinken in der Opinion der an-
dern Maͤchte davon eine unvermeidliche, wenn gleich
erſt allmaͤhlige Folge.


Varrieretractat mit Oeſtreich abgeſchloſſen zu Ant-
werpen, unter Vermittelung Englands, 15. Nov. 1715.
Indem 1. die Republik die Niederlande dem Kapſer uͤber-
giebt, erhaͤlt ſie 2. das ausſchließende Beſatzungsrecht in Na-
mur, Dornie, Menin, Warneton, Ypern, und Fort Knocke,
und gemeinſchaftlich in Ruremonde. — Aber was ſind Fe-
ſtungen ohne Soldaten?


30. Die Oeſtreichiſche Monarchie ward durch
den Beſitz von Nebenlaͤndern, von Neapel, Sar-
dinien, Mayland und den Niederlanden, vergroͤ-
ßert.
[300]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ßert. Ob dieſe Vergroͤßerung Gewinn oder Scha-
den war, hieng von dem Geiſt der Adminiſtration
ab. Geſchickt, dem Hauptkoͤrper der Monarchie
in Verbindung mit dem Reich zur Vormauer zu die-
nen; boten ſie, ſchwach beſetzt, den Feinden eben
ſo viele Angriffspuncte dar; und unter einer Ver-
waltung, wie die von Carl VI., mußte man bald
den Beweis davon ſehen.


Geſicherter Beſitz von Siebenbuͤrgen 1711 nach Daͤmpfung
der durch Franz Rakozi erregten Unruhen.


31. Das Deutſche Reich, durch Bayerns
Politik in ſich ſelbſt zerriſſen, ward wieder ein
Ganzes durch den Frieden, ſo weit es ein Ganzes
werden konnte. Aber das Beyſpiel war gegeben,
und blieb nicht ohne Folgen. Allein die Zeiten naͤ-
herten ſich, wo noch ganz andere Spaltungen ent-
ſtehen ſollten.


32. Zwey neue Koͤnigsthrone waren er-
richtet, der eine fuͤr das Brandenburgiſche Haus
in Preußen (ſ. unten), der andere fuͤr das
Haus Savoyen in Sicilien, das bald nachher
mit Sardinien vertauſcht werden mußte. Beyde
damals Staaten vom zweyten Range; aber darin
verſchieden, daß der erſte ſeine groͤßten Herrſcher
noch haben ſollte, der andere ſie ſchon gehabt hatte.
Dieſe Verſchiedenheit gab nachmals den Maaßſtab
ihrer
[301]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
ihrer Einwirkung auf das Staatenſyſtem von Eu-
ropa.


33. Der große Hauptpunct, um den die Po-
litik des weſtlichen Europas ſich jetzt zunaͤchſt dre-
hen mußte (im oͤſtlichen machte der bald entſtehende
Tuͤrkenkrieg eine Ausnahme), war die Erhal-
tung des
ſo ſchwankenden Utrechter Friedens;
und faſt ohne Ausnahme zweckten darauf entweder
mittelbar oder unmittelbar alle Verhandlungen der
Cabinette ab; weil faſt jedes andere große politiſche
Intereſſe damit zuſammenhieng.


34. Bey der Aufrechthaltung dieſes Friedens
waren diejenigen Maͤchte am meiſten intereſſirt, wel-
che die groͤßten Vortheile dadurch erhalten hatten.
Unter dieſen ſtand England, unter deſſen Direc-
tion er geſchloſſen war, oben an. Sein aufbluͤ-
bender Welthandel war in mehreren weſentlichen
Stuͤcken auf die Bedingungen dieſes Friedens ge-
gruͤndet, und nicht weniger die proteſtantiſche Suc-
ceſſion dadurch befeſtigt. Frankreich hatte ein
gleiches Intereſſe aus andern Urſachen; denn an
dieſen Frieden war die Renunciation des Hauſes
Anjou auf den Franzoͤſiſchen Thron, dem Philipp
von Orleans die Regentſchaft verdankte, geknuͤpft.
Oeſtreich mußte in dem Utrechter Frieden den
ſichern Beſitz der abgetretenen Nebenlaͤnder ſuchen;
und
[302]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
auch die Republik, wie gleichguͤltig ſie ſich auch
bald bey den Italieniſchen Haͤndeln zeigte, konnte
doch nur im Frieden ihre neuen Bewilligungen nut-
zen. So knuͤpfte ein gleiches Intereſſe auch engere
Verhaͤltniſſe zwiſchen jenen Maͤchten; ſelbſt die alte
Rivalitaͤt zwiſchen Frankreich und England erſtarb,
ſo lange das perſoͤnliche Intereſſe das Staatsintereſſe
aufwog.


Allianz zwiſchen England und Oeſtreich 25. May 1716 und
mit Frankreich 4. Jan. 1717, beyde zur Erhaltung der Ruhe.


35. Ganz andere Zwecke hatte man in Spa-
nien
. Der Verluſt der Nebenlaͤnder, beſonders in
Italien, ward hier nicht vergeſſen. Und wenn gleich
Philipp V. ſelber ſich nie deshalb beunruhigt haben
wuͤrde, ſo war er dagegen in den Haͤnden von Per-
ſonen, die bey der Erneuerung des Kriegs intereſ-
ſirt waren. Die Koͤnigin Eliſabeth, bereits Mut-
ter von zwey Soͤhnen, fieng auch ſchon an, in der
Wiege auf ihre Verſorgung zu denken. Durch ſie
hatte ſich ein Abbe zum Cardinal und dirigirenden
Miniſter hinaufgearbeitet, ihr Landsmann Albe-
roni
, nicht ohne Anlagen zum großen Staats-
mann, haͤtte er dieſen vom politiſchen Projectmacher
zu unterſcheiden gewußt. Aber indem waͤhrend der
veraͤnderten Adminiſtration im Innern auch zugleich
die ganze auswaͤrtige Politik veraͤndert werden ſollte,
ließ er ſich in ſo weitausſehende Entwuͤrfe ein, daß
auch
[303]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
auch die kuͤhnſte Hoffnung kaum ihre Ausfuͤhrung
moͤglich glauben konnte.


Projecte von Alberoni in Ruͤckſicht der auswaͤrtigen Poli-
tik, und ihr Zuſammenhang. Indem die Wiedereroberung
der Italiaͤniſchen Nebenlaͤnder das naͤchſte Ziel war, ver-
folgte er zugleich nicht nur das Project, durch den Sturz
des Regenten (mißlungene Verſchwoͤrung von Cellama-
re
, Dec. 1718) ſeinem Koͤnig die Regentſchaft zu ſichern;
ſondern auch ſelbſt in England den Praͤtendenten herzuſtel-
len, wodurch er wieder in Verbindung mit Schweden ge-
rieth.


  • St. Simon Mémoires de la régence Vol. I. L. 4. enthaͤlt eine
    beißende Schilderung des damaligen Spaniſchen Hofes und
    Alberoni's.
  • Hiſtoire du cardinal Alberoni et de ſon miniſtère par M. J.
    R. à la Haye
    1720.
  • Schmauß geheime Geſchichte des Spaniſchen Hofes 1720. Ue-
    berſetzung einiger Schriften uͤber Alberoni.

36. Die Ausfuͤhrung jener, zunaͤchſt gegen
Oeſtreich gerichteten Eroberungsplaͤne erhielt noch ei-
nen groͤßern Reiz durch den Tuͤrkenkrieg, in wel-
chen Oeſtreich um dieſe Zeit, zur Aufrechthaltung
des Carlowitzer Friedens (ſ. oben S. 238.),
verflochten ward; und der, wie gluͤcklich er auch
lief, doch ſeine Armee großentheils an der andern
Seite von Europa beſchaͤftigte.


Anfang des Kriegs der Tuͤrken mit Venedig, und leichte
Wegnahme von Morea, Cerigo ꝛc., gleich ſchlecht verwaltet
und vertheidigt. Jul. 1715. Nur Corfu ward behauptet.
Theilnahme Oeſtreichs 1716. Gegen Eugen's Namen
und Tactik
vermochte die Tuͤrkiſche Tapferkeit nichts.

Glaͤn-
[304]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Glaͤnzender Sieg bey Peterwardein 5 Aug. Einnahme
des Bannats und eines Theils von Servien und der Walla-
chey. Oct. Belagerung von Belgrad Jun. 1717. Nieder-
lage des Großveziers 16. Aug. und Einnahme der Feſtung,
ſo wie von Orſowa, Semendria ꝛc. Bey Eroͤffnung des
neuen Feldzuges 1718 Waffenſtillſtand, und 20jaͤhriger Frie-
de unter Vermittelung der Seemaͤchte nach dem damaligen
Beſitzſtand, zu Paſſarowitz 21. Jul., dem zu Folge 1.
Oeſtreich Belgrad, den Temeswarer Bannat, einen Theil
von Servien und die Wallachey bis an die Aluta, 2. Ve-
nedig
die eingenommenen Plaͤtze in Dalmatien behaͤlt;
der Pforte aber Morea, Cerigo ꝛc. uͤberlaͤßt. Der zugleich
abgeſchloſſene Handelstractat eroͤffnete Oeſtreich alle
Tuͤrkiſchen Staaten. Wer haͤtte nach ſolchen Bewilligungen
nicht ſchnelles Aufbluͤhen Oeſtreichs erwarten ſollen, wenn
verſtaͤndige Benutzung nicht ſchwerer als Eroberung waͤre!


37. Waͤhrend dieſes Kriegs Verſuch Albero-
ni's zur Ausfuͤhrung ſeiner Projecte; zuerſt durch
1717
Aug.
den Ueberfall und die Wegnahme Sardiniens,
der auch im naͤchſten Jahre die Einnahme Sici-
1718
Jul.
liens folgte; waͤhrend weitere Unternehmungen ge-
gen das feſte Land Italiens zu erwarten ſtanden.


38. Aber die fruͤher angeknuͤpften Verbindun-
gen konnten es England nicht ſchwer machen, ein
Buͤndniß gegen Spanien zur Aufrechthaltung des
Utrechter Friedens zu Stande zu bringen, unter
dem Namen der Quadrupelallianz bekannt,
wenn es gleich zuerſt nur eine Verbindung Frank-
reichs und Englands war, um die dabey intereſſir-
ten Staaten zu der Annahme der verabredeten Praͤ-
limina-
[305]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
liminarien zu bewegen oder zu zwingen; bey der
man den Beytritt der Republik ſupponirte; und
denen Oeſtreich wirklich beytrat.


Quadrupelallianz zwiſchen England, Frankreich und Oeſt-
reich geſchloſſen 2. Aug. 1718. Bedingungen: 1. Wechſel-
ſeitiger Verzicht des Kayſers auf Spanien und Indien,
des Koͤnigs von Spanien auf Italien und die Niederlande.
2. Fuͤr Don Carlos, Sohn der Eliſabeth, Anwartſchaft auf
Toſcana, Parma und Piacenza als Reichslehen; zur Sicher-
heit bis zur Eroͤffnung mit neutralen Truppen zu be-
ſetzen. 3. Oeſtreich tauſcht Sicilien gegen Sardinien ein. —
Man ließ dem Koͤnige von Spanien und Sicilien drey Mo-
nate Zeit, ſich zu erklaͤren. — Sendung einer brittiſchen
Flotte nach dem Mittelmeer zur Deckung Siciliens, und
Seeſieg bey C. Paſſaro 22. Aug. 1718.


39. Widerſetzung Alberoni's gegen jene Be-
dingungen, (welche Savoyen, wenn gleich ungern,
annahm, und die Krone von Sardinien ſtatt8.
Nov
1718

der von Sicilien erhielt.) Die Folge davon, in-
dem zugleich die Anſchlaͤge des Miniſters gegen den
Regenten und England entdeckt wurden, war eine
foͤrmliche Kriegserklaͤrung von beyden gegen9.
Jan.
1719

Spanien; waͤhrend noch die Hollaͤnder die Ver-
mittler machten. Aber Friede konnte nicht werden,
ſo lange der verhaßte Alberoni ſtand; und Eliſa-
beth war bald gewonnen, als ihrer dreyjaͤhrigen
Tochter die Ausſicht zum Franzoͤſiſchen Thron er-
oͤffnet ward. Sturz Alberoni's, und Annah-5.
Dec.

me der Bedingungen der Quadrupelallianz von
USpa-
[306]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
1720
26.
Jan.
Spanien. So wurde das Kriegsfeuer geloͤſcht,
jedoch ſollten die vielen noch ſtreitigen Puncte dem-
naͤchſt erſt auf einem großen Congreß zu Cam-
brais
ausgeglichen werden.


40. Indem England auf dieſe Weiſe mit ge-
waffneter Hand den Frieden erhielt, wurde ſeine
Verflechtung in die Continentalpolitik noch tiefer
wie vorher. Von hoher Wichtigkeit mußte es alſo
fuͤr Europa ſeyn, als hier ein Miniſter das Staats-
1721
bis
1742
ruder erhielt, und unter zwey Koͤnigen 21 Jahre
fuͤhrte, der Erhaltung des Friedens redlich wollte.
Robert Walpole, ohne die unruhige Thaͤtigkeit,
die man ſo oft Groͤße nennt, war einer der ach-
tungswuͤrdigſten Staatsmaͤnner. Er brachte Recht-
lichkeit in die Politik, zu einer Zeit, wo der ruch-
loſe Dubois und der falſche Alberoni ſie entehrten.
Aber ſein Grundſatz, mit Allen gut Freund zu
ſeyn, verflocht ihn in ein Gewebe von Unterhand-
lungen und Verhaͤltniſſen, aus denen ſich wohl nur
ein Inſelſtaat, wie England, herauswickeln konnte.


  • Memoirs of Rober Walpole by William Coxe. III Voll.
    4. 1798.
  • Memoirs of Horace Walpole 1802. 4. — Zwey der wichtig-
    ſten Materialienſammlungen fuͤr die damalige Geſchichte aus
    den beſten Quellen. — Horatio war der juͤngere Bruder;
    und ward oft in Geſandtſchaften gebraucht, beſonders in
    Paris und im Haag.

41.
[307]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.

41. Um eben dieſe Zeit wurde aber auch durch
Oeſtreichs Anordnungen ein doppeltes Intereſſe auf-
geregt, das auf die allgemeine Politik oft und ſtark
einwirkte. Die Beſorgniß Carl's VI., nur Toͤchter
zu hinterlaſſen, bewog ihn ſchon fruͤh, eine Succeſ-
ſionsordnung zu entwerfen, unter dem Namen der
pragmatiſchen Sanction, welche, wo moͤg-
lich, von allen Maͤchten angenommen und garantirt
werden ſollte. Sie war ein Stoff zu Unterhand-
lungen und Bewilligungen, welche die auswaͤrtigen
Cabinette vortrefflich zu nutzen wußten.


Entwurf der pragmatiſchen Sanction ſchon 1713, und
bereits ſeit 1720 in den Erbſtaaten angenommen. Seitdem
faſt ein ſtehender Artikel in jeder auswaͤrtigen Negociation.


42. Aber faſt noch groͤßere Bewegungen ver-
urſachte Carl's VI. Entwurf, ſeine Niederlande
von Oſtende aus an dem Indiſchen Handel An-
theil nehmen zu laſſen. Seine dort errichtete Han-
delscompagnie
ward von den Seemaͤchten als
ein Eingriff in ihre Rechte betrachtet, der dem
Weſtphaͤliſchen Frieden entgegen ſeyn ſollte. Eben
ſie, die vormals die Freyheit des Oceans gegen
Spanien behauptet hatten, wollten jetzt Andere da-
von ausſchließen, wie einſt die Spanier ſie ausge-
ſchloſſen hatten!


Privilegien fuͤr die Oſtendiſche Compagnie fuͤr den Handel
nach Oſt- und Weſtindien 19. Dec. 1722. — Der Wider-

U 2ſpruch
[308]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſpruch der Hollaͤnder gruͤndete ſich auf die Bedingung des
Muͤnſterſchen Friedens mit Spanien, daß der Handel nach
Indien in ſeinen damaligen Grenzen bleiben ſollte. Ver-
pflichtete dieß den jetzigen Beſitzer der Niederlande? —
Und vollends die Gruͤnde der Englaͤnder!


43. Dieſe, und manche andre wichtige und
unwichtige Puncte waren es, die auf dem Con-
greß zu Cambrais
unter der Vermittelung
Frankreichs und Englands abgemacht werden ſollten.
Oeſtreich, Spanien, Sardinien, Parma uͤberga-
ben ihre Forderungen. Aber indem man Alles
ausmachen wollte, wurde nichts ausgemacht. Die
vielen kleinen Intereſſen regten auch die kleinen
Leidenſchaften auf; und als der Congreß nach lan-
gen Unterhandlungen, durch andere Zwiſchenvor-
faͤlle geſtoͤrt, fruchtlos auseinanderging, fehlte we-
nig, daß nicht ein allgemeiner Krieg die Folge war.


Nach langem Zaudern endlich Eroͤffnung des Congreſſes
(nach vorlaͤufiger Garantie der wechſelſeitigen Renunciatio-
nen Oeſtreichs und Spaniens 27. Sept. 1721 durch England
und Frankreich;) erſt April 1724. Außer den obigen Haupt-
puncten verurſachten beſonders Streit die Lehnsverbaͤltniſſe
von Parma und Piacenza zum Deutſchen Reiche, das Recht
der Ertheilung des Ordens des goldenen Vließes u. a. Was
verſprach eine Verſammlung von Difficultaͤtenmachern, ohne
einen einzigen leitenden Kopf?


44. Waͤhrend dieſer Verhandlungen war es
hauptſaͤchlich ein veraͤndertes Heyrathsproject, wel-
ches die politiſchen Verhaͤltniſſe unerwartet aͤnderte;
und
[309]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
und, indem es die Quelle der Erbitterung zwiſchen
Spanien und Frankreich wurde, dadurch zu einer
Ausſoͤhnung und Allianz zwiſchen Spanien und Oeſt-
reich fuͤhrte.


Zuruͤckſendung der unmuͤndigen Spaniſchen Infantin
aus Paris, weil der neue Miniſter, Prinz von Bourbon,
den jungen Koͤnig ſchon jetzt verheyrathen will 5. April 1725.
Vermaͤhlung Ludwig's XV. mit Maria, der Tochter des
Polniſchen Ex-Koͤnigs Stanislaus Leſcinsky, 16. Aug. 1725.
Erbitterung der Koͤnigin Eliſabeth; und ſchnelle Beendigung
der ſchon vorher (Nov. 1724) durch den Baron und Aben-
thenrer Riperda in Wien angeknuͤpften Unterhandlung.
Friede und Allianz zwiſchen Oeſtreich und Spanien 30.
April 1725. Hauptbedingungen: a. Beſtaͤtigung des Utrech-
ter Friedens, und wechſelſeitige Garantie aller damaligen
Beſitzungen. b. Anerkennung der wechſelſeitigen Succeſ-
ſionsordnungen. c. Wechſelſeitige Huͤlfe im Fall eines er-
littenen Angriffs. In dem am 1. May geſchloſſenen Han-
delstractat
erkennt Spanien die Oſtendiſche Handelsge-
ſellſchaft an. — Aufloͤſung des Congreſſes zu Cambrais nach
Abrufung der Spaniſchen Geſandten, Juni 1725.


45. Je unerwarteter dieſe Ausgleichung war,
die doch an ſich wenig Schwierigkeiten haben konnte,
um deſto groͤßer war die dadurch verurſachte Bewe-
gung in den Cabinetten; um ſo mehr, da aus den
Bedingungen ein Geheimniß gemacht ward. Auch
empfanden es die dirigirenden Maͤchte, England
und Frankreich, nicht wenig, daß ohne ſie eine
ſolche Uebereinkunft geſchloſſen ſey; worin man bald
die Vorboten eines Angriffs, bald die einer kuͤnf-
U 3tigen
[310]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
tigen Vereinigung der Oeſtreichiſchen und Spani-
ſchen Monarchien durch eine Heyrath ſehen wollte.
So ergriff man das natuͤrliche Mittel einer Ge-
genallianz
, die zwiſchen England, Frankreich
und Preußen zu Herrnhauſen geſchloſſen wurde;
und ſich, ſo wie die Wiener, bald bis zum Nor-
den von Europa ausdehnte, indem in dieſelbe Daͤ-
nemark und Schweden, ſo wie in die zu Wien
Rußland mit hineingezogen wurden.


Abſchluß des Herrnhaͤuſer Buͤndniſſes 3. Sept.
1725; wovon jedoch Preußen, gelenkt durch Privatvortheile,
ſehr bald ab- und durch den geheimen Tractat zu Wuſter-
hauſen
10. Aug. 1726, auf kavſerliche Seite trat. Dage-
gen Beytritt der vereinigten Niederlande, wegen der Oſten-
diſchen Compagnie, wiewohl mit großer Circumſpection 9.
Aug. und Daͤnemarks und Schwedens gegen Subſidien 25.
Maͤrz 1727, wie auch Heſſen-Caſſels und Wolfenbuͤttels.
Dagegen gewann der Kayſer nicht blos Rußlard 10. Aug.
1726, ſondern außer Prenßen noch mehrere Deutſche
Staͤnde.


46. So ſtand nicht nur Europa, man wußte
nicht recht warum, gegen einander in den Waffen;
ſondern die Abſendung Brittiſcher Flotten, und
Spaniens Angriff auf Gibraltar brachte den Krieg
ſchon zum Ausbruch, als die ſchon auflodernde
Flamme wieder gedaͤmpft wurde. Wo keine ge-
gruͤndete Urſache zum Kriege war, ſchien dieß an
und fuͤr ſich nicht ſo ſchwer zu ſeyn; aber was iſt
ſchwerer, als den Tumult aufgeregter kleinlicher
Leiden-
[311]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
Leidenſchaften zu ſtillen? Aber zum Gluͤck fuͤr Eu-
ropa kam das Staatsruder von Frankreich in die
Haͤnde eines Miniſters, der, ſchon Greis, nicht
weniger aufrichtiger Freund des Friedens als Ro-
bert Walpole war. Wenn die 17jaͤhrige Admini-1726
Jan.
bis
1743
Jan.

ſtration des Cardinals Fleury nicht fehlerfrey im
Innern war, ſo war ſie doch wohlthaͤtig fuͤr das Staa-
tenſyſtem von Europa. Ohne ihn waͤren die ein-
zelnen Vertraͤge ſchwerlich zu Stande gekommen,
die jetzt den Frieden herſtellten; und das freund-
ſchaftliche Verhaͤltniß mit Walpole, durch aͤhnliche
Grundſaͤtze erzeugt, und durch Horatio Walpole
als Geſandten unterhalten, ſchien die laͤngere Dauer
des Friedens zu verbuͤrgen. Auch der Thronwech-
ſel in England, da GeorgII. ſeinem Vater folg-1727
11.
Jun.

te, machte keine Veraͤnderung, da Walpole am
Ruder blieb.


Abſchluß der Praͤliminarien zu Paris zwiſchen Oeſtreich
und den Herrenhaͤuſer Alliirten, 31. May 1727. Mit der
Suſpenſion der Oſtendiſchen Compagnie auf 7
Jahre war das Haupthinderniß gehoben. Beytritt Spa-
niens
13. Jun., und Wiederherſtellung des Friedenszuſtan-
des mit England durch den Tractat zu Pardo 6. Maͤrz
1728. Die weitern Streitigkeiten ſollten auf dem Congreß
zu Soiſſons
Jun. 1728 beygelegt werden. Aber die un-
ruhige Laͤnderſucht der Koͤnigin Eliſabeth, die es durch den
Tractat zu Sevilla mit England und Frankreich 9.
Nov. 1729 erhielt, daß zur Sicherung der Erbfolge ihres
Sohns Don Carlos in Toſcana und Parma dieſe Laͤnder
ſchon jetzt mit Spaniſchen Truppen beſetzt wurden, loͤſete

U 4nicht
[312]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
nicht nur den Congreß zu Soiſſons auf, ſondern trieb auch
das beleidigte Oeſtreich zu den Waffen. Aber die Garantie
der pragmatiſchen Sanction war der Talisman, wodurch
Carl VI. ſtets zu gewinnen war. Daher Traetat mit Eng-
land und der Republik 16. Maͤrz 1731 zu Wien, indem ge-
gen jene Garantie der Kayſer ſowdhl in die Beſetzung der Ita-
liaͤniſchen Laͤnder, als die gaͤnzliche Aufhebung der Oſten-
diſchen Compagnie willigt; welchem auch Spanien 6. Jun.
und das Reich 14. Jul. beytritt


47. Auf dieſe Weiſe ward durch ein ſeltenes
Gluͤck, ungeachtet der Stoͤrung der Grundverhaͤlt-
niſſe des Staatenſyſtems von Europa, dennoch die
Ruhe erhalten; und ſchien ſelbſt befeſtigt zu ſeyn.
Frankreich, und Spanien waren ausgeſoͤhnt; Oeſt-
reich, mit Spanien voͤllig ausgeglichen, ſah ſeine
pragmatiſche Sanction faſt allenthalben anerkannt
und ſelbſt garantirt; England war mit Allen Freund.
Die alte Triebfeder der Politik, die Rivalitaͤt der
maͤchtigen Staaten, ſchien faſt erſchlafft; aber die
Vergroͤßerungsſucht, die alte Krankheit der Cabi-
nette, erſtarb nicht; es bedurfte nur einer Gele-
genheit, die Befriedigung verſprach. Sie trat ein,
als nach dem Tode des Koͤnigs Friedrich Auguſt
1733
1.
Fbr.
von Polen die Wahl des Nachfolgers einen Krieg
im Norden erregte (ſ. unten). Da Rußland und
Oeſtreich ſich fuͤr den Churfuͤrſten von Sachſen er-
klaͤrten, erſah Frankreich, indem es ſich ſeines Praͤ-
tendenten Stanislaus Leſcinsky annahm, die Ge-
legenheit, ſich auf Koſten des Reichs, und Spa-
nien
[313]1. Staatshaͤndel in Europa 1700--1740.
nien und Sardinien auf Koſten des Kayſers, zu
vergroͤßern. Ein kurzer Krieg machte hier faſt groͤ-
ßere Veraͤnderungen in dem Beſitzſtande, als die
vorhergehenden langen; und nicht blos die Repu-
blik, ſondern ſelbſt England, trotz ſeiner Garantie
und Tractate, ſah hier ruhig zu, daß ſein Bun-
desgenoſſe Oeſtreich ſeiner wichtigſten Acquiſitionen
beraubt wurde.


Verbuͤndung Frankreichs mit Spanien 25. Oct. und Sar-
dinien 10. Sept. 1733. Angriff Frankreichs unter Berwik
auf das Reich, Wegnahme von Kehl und Einfall in Lothrin-
gen; (Erklaͤrung des Reichskriegs 26. Febr. 1734) und Einfall
der vereinigten Franzoͤſiſch-Sardiniſchen Truppen unter Vil-
lars in Mayland, und der Spanier in Neapel 1733 und
von da in Sieilien May 1734. Der Greis Eugen
feſſelte nicht mehr den Sieg. — Wegnahme ſaͤmmtlicher
Oeſtreichiſcher Beſitzungen in Italien, (fuͤr die Niederlande
erhielten die Hollaͤnder von Frankreich die Neutralitaͤt 24.
Nov. 1733). — Schnelle Unterzeichnung der Friedens-
praͤliminarien zu Wien
zwiſchen Frankreich und Oeſt-
reich 3. Oct. 1735, denen demnaͤchſt Sardinien 1. May
1736 und Spanien 15. Nov. beytraten. Bedingungen: 1.
Oeſtreich uͤberlaͤßt an Spanien, als eine Secundogeni-
tur, ohne je mit ihm vereinigt werden zu duͤrfen, Neapel
und Sicilien, die Inſel Elba und die Stati degli Preſidi zu
Gunſten von Don Carlos. 2. Frankreich erhaͤlt die An-
wartſchaft auf Lothringen und Bar, das nach ſeiner Ver-
zichtleiſtung auf die Polniſche Krone an Stanislaus Le-
ſcinsky gegeben wird, (der es ſofort an Frankreich uͤberließ).
3. Der Herzog Franz Stephan von Lothringen bekommt die
Anwartſchaft auf Toſcana (erledigt 9. Jul. 1737). 4. Der
Kayſer erhaͤlt als Entſchaͤdigung Parma und Piacenza. 5.
Sardinien bekommt einige Diſtricte von Mayland. 6.

U 5Frank-
[314]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Frankreich garantirt die pragmatiſche Sanction. — Erſt 31.
Dec. 1738 konnten die Praͤliminarien in einen Definitiv-
frieden
verwandelt werden.


48. So wurden durch dieſen Krieg dennoch
Alberoni's vormals geſcheiterte Entwuͤrfe auf Ita-
lien groͤßtentheils ausgefuͤhrt. Aber wenn Spanien
nur den Vortheil davon zog, einen ſeiner Prinzen
in dem nun ſelbſtſtaͤndigen Koͤnigreiche beyder Si-
cilien
zu verſorgen, ſo genoß Frankreich dagegen
als Macht den viel reellern Vortheil — inſofern
Eroberungen ſo zu nennen ſind — in Lothringen
eine Provinz zu erhalten, deren Verluſt politiſch
und geographiſch fuͤr das Deutſche Reich ſehr em-
pfindlich ſeyn mußte. War uͤbrigens dieſer Krieg
gleich ohne Theilnahme der Seemaͤchte nicht nur ge-
fuͤhrt, ſondern auch geendigt worden, ſo kehrte doch
Europa nach dem Frieden in ſeine alten Verhaͤlt-
niſſe zuruͤck; die auch durch Oeſtreichs Theil-
nahme an dem Tuͤrkenkriege
, der aber, in
Gemeinſchaft mit Rußland gefuͤhrt, weit mehr
dem Norden angehoͤrt (ſ. unten), nicht geaͤndert
wurden.


II.
[315]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1740.
II. Ueberſicht der Veraͤnderungen in den einzelnen Haupt-
ſtaaten des weſtlichen Europas 1700-1740.

1. Die Veraͤnderungen, welche in dem In-
nern der Staaten des weſtlichen Europas in dieſem
Zeitraum vorgiengen, waren ſelten von der Art,
daß ſie fuͤr ihren Character bleibende Folgen gehabt
haͤtten. Es war meiſt Entwickelung von Keimen,
die ſchon vorher gelegt waren; in einigen des Wachs-
thums, in andern aber auch des langſamen Hin-
welkens.


2. Wie wenig mit der neuen Dynaſtie fuͤr
Spanien eine neue Epoche begann, iſt oben ge-
zeigt (ſ. oben S. 296.). Die groͤßere Theilnahme
an den Staatshaͤndeln Europas gieng nicht hervor
aus der wiedererweckten Kraft der Nation; ſondern
war eine Frucht der perſoͤnlichen Leidenſchaften der
Herrſcher. Selbſt der gluͤckliche Erfolg ihrer Waf-
fen gab ihr keinen neuen Schwung; was haͤtte ſie
durch die Eroberungen gewinnen ſollen?


3. Wenn gleich in Frankreich durch ſeine
Anſchließung an England eine Veraͤnderung in ſei-
nen aͤußern Verhaͤltniſſen vorgieng; ſo wurde da-
durch doch der Character ſeiner Politik ſo wenig
weſentlich veraͤndert, daß vielmehr gerade waͤhrend
dieſer freundſchaftlichen Verhaͤltniſſe der Regierun-
gen
[316]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
gen durch die wachſende Handelseiferſucht beyder Voͤl-
ker der Keim zu kuͤnftigen Kriegen gelegt wurde.
Aber in dem Innern ward durch die Annahme der
Bulle Unigenitus von Ludwig XIV. noch am
Ende ſeiner Regierung eine Gaͤhrung erregt, die
nicht mehr bloßer Streit zwiſchen Jeſuiten und
Janſeniſten blieb (ſ. oben S. 240.), ſondern
nothwendig eine Oppoſition gegen die Regierung
ſchuf, die — bald auch in den Parlamenten ihre
Stuͤtze findend — deſto gefaͤhrlicher fuͤr den Staat
wurde, je mehr ſie an die Unterdruͤckung der alten
Nationalfreyheit erinnerte.


Publication der Bulle Unigenitus von Pabſt Clemens
XI. 8. Sept. 1713; in Frankreich angenommen 14. Febr.
1714. Sogleich Anfang der Spaltung unter der Geiſtlich-
keit. Doch faͤllt die große politiſche Wichtigkeit dieſes Streits
erſt in den folgenden Zeitraum.


  • C. M. Pfaffii Acta publica conſtitutionis Unigenitus. Tü-
    bing.
    1723.
  • Anecdotes ou Mémoires ſécrets ſur la conſtitution Unigeni-
    tus. à Utrecht 1732. 3 Voll.

4. Doch war der verungluͤckte Verſuch, den
Frankreich zur Abbezahlung ſeiner Schuldenlaſt
durch die Zettelbank von Law, und die damit
in Verbindung geſetzte Miſſiſippi-Compagnie
machte, fuͤr ſein kuͤnftiges Schickſal und ſeine ganze
Wirkſamkeit in dem Europaͤiſchen Staatenſyſtem
von keinen geringern Folgen. Der Ruin von Tau-
ſenden
[317]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1740.
ſenden von Familien mochte mit der Zeit verſchmerzt
werden; aber die willkuͤhrlichen Geldopera-
tionen
der Regierung waren es, die ihren Cre-
dit unwiederbringlich zu Grunde richteten. Kein
Papiergeld konnte ſeit dieſer Zeit unter der alten
Verfaſſung in Frankreich wieder aufkommen; das
Franzoͤſiſche Finanzſyſtem blieb ſeitdem aber immer
ein ſehr zerruͤttetes Syſtem.


Errichtung einer Zettelbank durch den Schottlaͤnder Law
May 1716 nach ſehr vernuͤnftigen Grundſaͤtzen; aber durch
die Regierung, die ſie ankaufte, Jan. 1719, ins Große
getrieben, bis ihr ſelbſt bange ward. Eigenmaͤchtige Her-
abſetzung der Banknoten durch das Edict vom 21. May 1720;
und gaͤnzlicher Fall der Bank.


  • Hiſtoire du ſyſtéme des Finances ſous la minorité de Louis
    XV. 1719 et 1720. à la Haye 1736. 6 Voll.
    12.
  • Hiſtoire générale et particulière du Viſa. 1733. 2 Voll. 12.

5. Kaum genoß eine andere Macht einer ſo
hohen Achtung in dem Europaͤiſchen Staatenſyſtem,
als England, das durch die erfolgte Vereini-1707
gung Schottlands zu Einem Reiche noch ſtaͤr-
ker geworden war. Dieſe Achtung gruͤndete ſich
nicht blos auf ſeine Macht; ſondern auch auf ſeine,
fuͤr den Continent damals ſo wohlthaͤtige, Politik.
Welche Bahn die Regenten aus dem neuen Hauſe
zu befolgen hatten, war ihnen hier ſo klar wie nir-
gends vorgeſchrieben; und wo haͤtten ſie ſie treuer
und gewiſſenhafter befolgt?


6. Al-
[318]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

6. Allein der Druck der entſtandenen Schul-
den erzeugte auch fuͤr England Projecte, die einen
nicht geringern Schwindelgeiſt als in Frankreich zur
Folge hatten. Auch hier glaubte man ſchnell zu er-
kuͤnſteln, was nur die Folge fortgeſetzter Anſtren-
gung ſeyn kann, die Abbezahlung der Staatsſchul-
den; allein die Projecte der Suͤdſee-Compagnie
ſcheiterten ſo gut wie die der Miſſiſippi-Compagnie
in Frankreich. Aber indem in England die Regie-
rung ſich keine eigenmaͤchtige Schritte erlaubte,
hielt ſie ihren Credit aufrecht; und ſah ſich
im Stande, durch verringerte Zinſen einen ſinken-
den Fond
zu ſtiften; der nur einer beſſern Ver-
waltung bedurft haͤtte, um ſeinen Zweck zu er-
reichen.


Gruͤndung des alten Sinking-Fond durch freye Verrin-
gerung der Zinſen von 6 auf 5 p. C. 1717, und wiederum
von 5 auf 4 p. C. 1727.


7. Die Republik der vereinigten Nie-
derlande
hatte in dieſem Zeitraum ſeit dem Tode
Wilhelm's III. in ihrem Innern keine bedeutende
Veraͤnderung erfahren. Aber da der Titel des
Prinzen von Oranien auf ſeinen Vetter Wil-
1711helm Friſo, und nach deſſen Tode auf deſſen
Sohn Wilhelm, Statthalter von Frießland und
Groͤningen, fortgeerbt war, ſo dauerte auch die
Oraniſche Partei in der Republik fort; und ließ
die
[319]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1740.
die Wiederherſtellung der Erbſtatthalterwuͤrde erwar-
ten, wenn nur eine Gelegenheit ſich dazu darbot.
Die engere Anſchließung dieſes juͤngern Oraniſchen
Hauſes an das Brittiſche, durch die Vermaͤhlung
des Prinzen mit Anna, der Tochter Georg's II.,1734
beſtimmte im voraus deſſen weitere Verhaͤltniſſe.


8. Die Oeſtreichiſche Monarchie wechſelte
ihre Politik und ihre Nebenlaͤnder, ohne weſentliche
Veraͤnderungen im Innern zu erfahren, ausgenom-
men die eines langſamen Verfalls. Kayſer Carl
VI., mehr mit der Zukunft als mit der Gegen-
wart beſchaͤftigt, hatte bereits die Garantie ſeiner
pragmatiſchen Sanction von großen und kleinen
Maͤchten erhalten, — wenigſtens auf dem Papier.
Ein guͤnſtiges Geſchick hatte ihm einen Eugen zu-
gefuͤhrt; aber nicht mal dem Verfall der Armee
vermochte er vorzubeugen; wie viel weniger dem
der Finanzen und der ganzen innern Organiſation?


9. Das Deutſche Reich, an Oeſtreich an-
geſchloſſen, nahm an ſeinen Kriegen Antheil, wie
fremd ſie ihm auch waren. Was haͤtte auch Neu-
tralitaͤt ihm helfen koͤnnen? Aber vier ſeiner erſten
Fuͤrſten, Brandenburg, Sachſen, Hannover und
Heſſen-Caſſel, erhielten in dieſem Zeitraum fremde
Koͤnigskronen
; und wer mochte es beſtimmen,
wie
[320]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
wie dieß auf ihre Deutſchen Laͤnder zuruͤckwirken
wuͤrde? So viel ſchien auf jeden Fall ausgemacht,
daß die Feſtigkeit des ohnehin ſo ſchwachen Reichs-
verbandes nicht dadurch gewinnen konnte. Ließ ſich
das Intereſſe ihrer Kronen und ihrer Fuͤrſtenhuͤthe
immer trennen? Und wenn ſie ſelber es auch wollten,
waren ihre Feinde geneigt dazu? In welche Haͤndel
Europas mußten nicht wenigſtens einzelne Deutſche
Staaten dadurch hereingezogen werden? Und wie
leicht alsdann nicht das Ganze?


10. Die Politik uͤberhaupt behielt — ganz
in den Haͤnden weniger Miniſter und ihrer Ver-
trauten — in dieſer Periode den vollen Character
der Cabinetspolitik. Nie war noch des Unter-
handelns ſo viel in Europa geweſen; nie glaubte
man ſo viel damit ausrichten zu koͤnnen. Ihre groͤ-
ßere oder geringere Moralitaͤt mußte daher aller-
dings zunaͤchſt in einem gewiſſen Grade von der
Moral der Miniſter abhangen. So lange ſie in-
deß noch auf gewiſſe Grundſaͤtze gebaut blieb, ſo
lange man der Heiligkeit des rechtmaͤßigen Beſitzes
nicht geradezu zu trotzen wagte, konnte ſie auch
den Schein der Moralitaͤt nicht entbehren. Selbſt
der Regent, und der verworfene Dubois, erſcheinen
in ihrem oͤffentlichen Leben lange nicht ſo gehaͤſſig
als in ihrem Privatleben.


11.
[321]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1740.

11. Die Staatswirthſchaft, noch immer
ohne weitere Theorie, als die des baaren Gelder-
werbes, bildete ſich in ihren Maximen dieſen Grund-
ſaͤtzen gemaͤß aus; und das Mercantilſyſtem trug im-
mer mehr mit Wahrheit den Namen eines Syſtems.
Der auswaͤrtige Handel blieb das erſte Mittel zur
Bereicherung; ſelig wer herausrechnen konnte, daß
er dabey die Bilanz fuͤr ſich hatte! Die ploͤtz-
liche Anhaͤufung des Papiergeldes, durch das Stre-
ben zur Abbezahlung der Staatsſchulden veranlaßt,
bewirkte zwar dieſes nicht (ſ. unten S. 331.);
aber wenn es durch die vermehrten Mittel der in-
nern Circulation auf die Erweiterung des innern
Verkehrs; durch die Erhoͤhung des Preiſes der Din-
ge auf den ganzen Zuſtand der Geſellſchaft zuruͤck-
wirkte; — welche Finanzoperationen hat es nicht —
zum Guten und zum Boͤſen — den Regierungen
moͤglich gemacht?


12. Die Fortſchritte der Kriegskunſt, die
unter ſo großen Feldherren, als die dieſes Zeit-
raums waren, nicht anders als betraͤchtlich ſeyn
konnten, laſſen ſich hier nur im Allgemeinen be-
merklich machen. Sie mußte im gleichen Grade
immer mehr Kunſt werden, jemehr das Syſtem
der ſtehenden Heere ausgebildet ward; wozu in
dieſem Zeitraum nach Frankreichs Vorgang durch
XPreuſ-
[322]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Preuſſen (ſ. unten) der zweyte Hauptſchritt
geſchah.


III. Geſchichte des Colonialweſens von 1700 bis 1740.

1. Das Colonialſyſtem der Europaͤiſchen Staa-
ten ward in dieſem Zeitraum weder dem Umfange
nach ſehr erweitert, noch giengen, einige Abtretun-
gen Frankreichs an England abgerechnet, ſehr große
Veraͤnderungen des Beſitzſtandes in demſelben vor.
Aber deſto groͤßer war ſein innerer Wachsthum.
Die Colonialproducte, beſonders die Weſtin-
diſchen, erhielten in Europa einen Abſatz, der jede
Erwartung uͤbertraf; der Reiz zum Anbau ſtieg alſo
in gleichem Grade; und indem der große Welthan-
del ſich von ſelber an ſie knuͤpfte, ſah mehr wie ein
Staat in ihnen die Grundlage ſeines Handels, und
ſelbſt ſeiner politiſchen Groͤße.


2. Bey dieſer erhoͤhten Wichtigkeit der Colo-
nien wurde daher ihr Einfluß auf die Politik auch
immer groͤßer. Von den alten Anſpruͤchen des aus-
ſchließenden Handels mit ihren Colonien giengen die
Mutterſtaaten zwar im Ganzen nicht ab; aber theils
connivirten ſie gern bey dem Contrebandhandel,
den ihre Colonien mit denen der Fremden trieben;
theils
[323]Geſch. d. Colonialweſens 1700--1740.
theils brachte es auch das Beduͤrfniß mit ſich, daß
ſie in Ruͤckſicht der Ausfuhr groͤßere Freyheiten ver-
ſtatten mußten.


3. Wenn dadurch ſchon die wechſelſeitige
Spannung erhalten ward, ſo trug dazu die geo-
graphiſche Verflechtung
der Colonien, beſon-
ders in dem beengten Weſtindien, nicht weniger bey.
Ein wunderbares Spiel des Schickſals wollte es,
daß gerade hier die Staaten von Weſteuropa ihre
Gaͤrten angelegt hatten, in denen ſie Producte zo-
gen
, die weit und breit auf Gottes Erde freywillig
wachſen. So ſtieg mit der groͤßern Wichtigkeit auch
der Neid und die Eiferſucht; und am Ende dieſes
Zeitraums brach zum erſtenmal ein Krieg blos uͤber
das Colonialintereſſe aus.


4. Unter den einzelnen Staaten faͤngt Eng-
land
in dieſer Periode an, in dem Colonialhandel
ſich zuerſt maͤchtig zu heben. Die Bewilligungen
des Utrechter Friedens hatten ihm in mehrerer Hin-
ſicht ein Uebergewicht verſchafft. Der Aſſiento-
Tractat mit Spanien (ſ. oben S. 292.), der
ihm das Recht der Verſorgung des Spaniſchen Ame-
ricas, und der Beſuchung der Meſſe von Porto
bello auf 30 Jahre gewaͤhrte, war zwar an und
fuͤr ſich nicht ſehr vortheilhaft; aber er bahnte den
X 2Weg
[324]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Weg zu einem ſolchen Schleichhandel, daß dadurch
faſt der ganze Handel des Spaniſchen Americas in
die Haͤnde der Englaͤnder kam.


Errichtung der Suͤdſee-Compagnie 1. Aug. 1711
mit ausſchließenden Privilegien fuͤr den Handel ſuͤdlich vom
Orinoco an laͤngs der Oſt- und ganzen Weſtkuͤſte von Ameri-
ca. — Ihr Wachsthum ſeit dem Utrechter Frieden. —
Art ihres Handels nach dem Spaniſchen America; mehr zur
Bereicherung ihrer Agenten, als der Compagnie.


5. Die Beſitzungen der Britten in Weſtin-
dien
hoben ſich in dieſem Zeitraum ungeachtet des
1732neuen eingefuͤhrten Baus des Caffees (der jedoch
ſtets hinter dem des Zuckers zuruͤckblieb) nur we-
nig. Der Schleichhandel der Nordamericaniſchen
Colonien mit den Franzoͤſiſchen Inſeln, und das
große Aufbluͤhen der letztern verhinderten ihr Em-
porkommen. Doch ward eben dadurch der Grund
zu ihrem Aufkommen gelegt; weil das Parlement
ſich genoͤthigt ſah, ihnen Bewilligungen zu machen,
wodurch der druͤckende Handelszwang in etwas ge-
mildert ward.


Auflage in Nordamerica auf die Einfuͤhrung alles fremden
Zuckers 1733. — Erlaubniß der unmittelbaren Zuckeraus-
fuhr aus den Brittiſchen Colonien nach den Europaͤiſchen
Laͤndern ſuͤdlich vom Cap Finisterre, jedoch in Brittiſchen
Schiffen 1739.


6. Weit mehr hoben ſich die Brittiſchen Co-
lonien an der Kuͤſte von Nordamerica, trotz
des
[325]3. Geſch. d. Colonialweſens 1700--1740.
des ausſchließenden Verkehrs, den das Mutterland
noch immer moͤglichſt mit ihnen ſich vorbehalten
wollte. Aber die ausgedehnten Kuͤſten, die Lage
und Naͤhe der Franzoͤſiſchen, und beſonders Spa-
niſchen, Beſitzungen, wuͤrden ſchon die Fuͤhrung
des ſo gewinnreichen Schleichhandels unmoͤglich zu
verhindern gemacht haben; wenn auch nicht die un-
ausbleiblich entſtehenden Mißverhaͤltniſſe in den wech-
ſelſeitigen Erzeugniſſen und Beduͤrfniſſen des Mut-
terlandes und der Colonien manche Modificationen
noͤthig gemacht haͤtten.


7. War gleich der Wachsthum jener Provin-
zen allgemein, ſo waren es doch beſonders die ſuͤd-
lichen, die ſich deſſen zu erfreuen hatten. Der
zuerſt in die Carolinas aus Madagaſcar eingefuͤhrte
Reisbau trug dazu weſentlich bey; und die neuen1702
Einwanderungen, auch durch die Religionsverfol-
gungen im ſuͤdlichen Deutſchland vermehrt, ſchufen
in Georgien die juͤngſte der alten 13 Pro-
vinzen.


Trennung Georgiens von Suͤd-Carolina, indem es als
eigne Provinz einer Privatgeſellſchaft uͤberlaſſen wird, 1732;
nicht ohne Widerſpruch der Spanier, die es zu Florida rech-
nen wollten. Zahlreiche Einwanderungen, aber langſames
Gedeihen; da man anfangs den Pelzhandel dem Ackerbau
vorzog; bis 1752 die Eigenthuͤmer ihre Privilegien der Re-
gierung uͤberließen.


X 38.
[326]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

8. Das den Britten im Utrechter Frieden uͤber-
laſſene Neuſchottland war zwar damals noch we-
nig mehr als eine Wuͤſte; ſo wie auch an und fuͤr
ſich die Inſel Neufoundland. Aber von deſto
groͤßerer Wichtigkeit war der jetzt dadurch geſicherte
Antheil an dem Stockfiſchfang, ſowohl fuͤr den
Handel, als fuͤr die Schifffahrt der Britten, je-
doch auch durch die den Franzoſen vorbehaltenen
Rechte eine neue Quelle der Eiferſucht und des
Zanks.


9. Eine weſentliche Veraͤnderung erfuhr der
Oſtindiſche Handel der Britten. Zwar war auch
dieſer Zeitraum noch keinesweges der der großen Be-
ſitzungen in Indien, die ſich faſt allein auf Bom-
bay, Madras, Fort William in Bengalen, und
Benculen auf Sumatra beſchraͤnkten. Aber die fort-
dauernden Zaͤnkereyen zwiſchen der alten und neuen
Oſtindiſchen Compagnie (ſ. oben S. 261.) fuͤhrten
endlich zu einer Vereinigung von beyden; aus
der die noch jetzt beſtehende Geſellſchaft der verei-
nigten, nach Indien handelnden, Kaufleute hervor-
gieng. Seit dieſer Zeit ſtieg der Oſtindiſche Han-
del der Britten; beſonders bey der allgemeinen Ver-
breitung der Indiſchen baumwollenen Zeuge; die
auf das Geſchrey der einheimiſchen Fabricanten ſelbſt
1721verboten wurden. — Indeß erſtarb der Wider-
ſpruch
[327]3. Geſch. d. Colonialweſens 1700--1740.
ſpruch gegen das Monopol der Compagnie nicht;
und ward beſonders gegen die Zeit der Erneuerung
ihrer Privilegien laut. Doch ward ſie 1733 aufs
neue auf 37 Jahre beſtaͤtigt; und das Project zu
einer freyen Compagnie, ohne gemeinſchaftlichen
Fond — wer mag beſtimmen, ob zum Gluͤck oder
Ungluͤck von England? — wurde verworfen.


Der alte Streit der beyden Compagnien ward zugleich
durch den politiſchen Partiegeiſt unterhalten, da die neue
in den Whighs, die alte in den Torys ihre Stuͤtze fand;
und drohte ſo ſelbſt der oͤffentlichen Ruhe gefaͤhrlich zu wer-
den. — Vereinigung der beyden Compagnien
22. Jul. 1702 unter der Benenuung; the united company
of merchants of England, trading to the Eaſt-Indies.

Der Fond beyder ward nach vorhergegangener Ausgleichung
Ein gemeinſchaftlicher Fond, zu 2 Millionen Pf. St., mit
getheiltem Gewinn. Die volle Vereinigung unter Einem
Directorio
konnte aber erſt nach 7 Jahren geſchehen.


10. Ungeachtet aber dieſes fortdauernden
Monopols aͤnderte ſich doch, beſonders unter dem
Hauſe Hannover, die Handelspolitik der Britti-
ſchen Regierung weſentlich zu ihrem Vortheile. All-
maͤhlig verſchwanden alle andre Monopole; und mit
ihnen, bis auf wenige Verbote, faſt alle directe
Einmiſchung der Regierung in die Privatthaͤtigkeit
und die National-Oeconomie. Ohne den Grund-
ſaͤtzen des Mercantilſyſtems zu entſagen, oder ir-
gend ein andres foͤrmlich an ſeine Stelle zu ſetzen,
empfand man es doch, daß der Seegen einer freyen
X 4Ver-
[328]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Verfaſſung aus der freyen Anwendung der Privat-
Kraͤfte hervorgehe; und die Hauptweisheit der Re-
gierung vielmehr darin beſtehe, keinen Zweig der
Induſtrie zu druͤcken, als ſelber neue Zweige her-
vorbringen zu wollen. Darnach richtete ſich auch das
Brittiſche Zollweſen. Aus dem fortſchreitenden
Fundirungsſyſtem, ſcheint es, mußte dieß Alles von
ſelbſt hervorgehen. Gewiß war daher die Britti-
ſche Handelspolitik relativ die vernuͤnftigſte, wenn
ſie gleich keineswegs ſchulgerecht war. Wie ſehr
aber dieß hinreichte, den Flor der Nation durch ei-
nen immer ſteigenden Wohlſtand zu heben, zeigte
das außerordentliche Aufbluͤhen der Landſtaͤdte auf
eine auffallende Weiſe. Moͤge aber auch hier die
ewige Wahrheit nicht vergeſſen werden, daß hienie-
den nie eine reiche Saat ohne Unkraut aufgeht!


11. Frankreich, von Colbert einmal in die
Reihe der Colonialſtaaten geſtellt, trat nicht wieder
aus derſelben heraus; und behauptete ſeinen Platz
in dieſem Zeitraum nicht ohne Gluͤck. Es war in
beyden Indien noch des Spielraums ſo viel, daß
keine der andern Hauptmaͤchte ihm dabey geradezu
in den Weg trat; und wenn einzelne Colliſionen
entſtanden, ſo trug das freundſchaftliche Verhaͤlt-
niß mit England ſeit Ludwig's XIV. Tode dazu
bey, dieſe weniger bedenklich zu machen.


12.
[329]Geſch. d. Colonialweſens 1700--1740.

12. Die Franzoͤſiſch-Weſtindiſchen Be-
ſitzungen, beſonders auf Martinique, Guadeloupe,
und einem Theil von Domingo gediehen unter allen
am beſten. Der auf Martinique von Surinam
eingefuͤhrte Caffeebau eroͤffnete eine neue Quelle1728
des Handels; aber der Zuckerbau behielt auch hier
im Ganzen den Vorzug. Die Haupturſachen aber
des Aufbluͤhens, und des Uebergewichts, welches
die Franzoͤſiſchen Inſeln uͤber die Brittiſchen erhiel-
ten, lagen theils in der viel groͤßern ihnen ein-
geraͤumten Handelsfreyheit; theils in dem
Schleichhandel mit dem Spaniſchen America;
theils endlich auch in der Sitte der Pflanzer, ganz
ihren Plantagen zu leben, um dereinſt deſto fruͤher,
bereichert, ins Vaterland zuruͤckkehren zu koͤnnen.


Große Handelsfreyheit der Franzoͤſiſchen Inſeln durch das
Reglement von 1717. Zollfreye Einfuhr der Franzoͤſiſchen
Producte; ſehr herabgeſetzte Zoͤlle bey der Wiederausfuhr
der Colonialproducte aus den Franzoͤſiſchen Haͤfen; und zu-
letzt Erlaubniß zur directen Ausfuhr aus den Inſeln nach
fremden Haͤfen. — Martinique blieb damals noch bey wei-
tem die wichtigſte jener Beſitzungen. — Verſuch zu Nie-
derlaſſungen auf den ſogenannten neutralen (den Carai-
ben noch gehoͤrenden) Inſeln, von St. Vincent, Dominica
und St. Lucie, und Streit daruͤber mit England 1722, der
1733 den Vertrag zu beyderſeitiger Raͤumung zur Folge hat.


13. In Nordamerica war zwar durch den
Verluſt von Neuſchottland und Neufoundland das
Franzoͤſiſche Gebiet beengt; aber ſo lange ſie Ca-
X 5nada
[330]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
nada und das damals wichtiger werdende Loui-
ſiana
behielten, durften ſie ſich nicht uͤber Man-
gel an Gebiet beklagen. Haͤtte nur nicht auch hier
die geographiſche Verflechtung mit den Brittiſchen
Beſitzungen Sorge fuͤr die Zukunft erregt! Allein
die ſchon damals anfangenden Verſuche, beyde Laͤn-
der durch eine Reihe Forts im Ruͤcken der Britti-
ſchen Colonien in Verbindung zu ſetzen, wurden
der Zunder zur Eiferſucht, die endlich ſpaͤterhin in
einen großen Krieg ausbrechen ſollte.


14. Sehr mannichfaltige Veraͤnderungen gien-
gen in dieſem Zeitraum in Frankreich mit dem Oſt-
indiſchen
Handel vor. Zwar blieb man dem
Grundſatze treu, ihn fortdauernd durch eine privi-
legirte Compagnie fuͤhren zu laſſen; aber dieſe pri-
vilegirte Compagnie blieb ſtets das Werkzeug in den
Haͤnden der Miniſter, das faſt nur zum Experi-
mentiren beſtimmt ſchien, ob man Geld damit ma-
chen koͤnne? Sie konnte einzelne Zeitpuncte des
Gedeihens haben (einzelne große Maͤnner, die ſie
unter ihre Directoren in Indien zaͤhlte, verſchafften
ihr dieſe); aber wie konnte ſie, bey den wech-
ſelnden Plaͤnen und der Willkuͤhr der Miniſter, auf
eine feſte Grundlage rechnen?


Umformung der ſchon lange kraͤnkelnden, alten Oſtindi-
ſchen Compagnie, durch Zuſammenſchmelzung mit der 1717
errichteten Miſſiſippi-(Weſtindiſchen), Africaniſchen und Chi-

na-
[331]Geſch. d. Colonialweſens 1700--1740.
na-Compagnie unter dem Namen der Indiſchen oder
Miſſiſippi-Compagnie 1719; die, in Verbin-
dung mit der Bank
, gegen die ihr gemachten Bewilli-
gungen die Bezahlung der Kronſchulden uͤbernahm; aber
1721 zuſammenfiel. — Unterſtuͤtzung durch große Privile-
gien, beſonders das Tabacksmonopol 1723. So erkuͤnſtelte
man einen Oſtindiſchen Handel auf Koſten der Nation! —
Aber die friedlichen Verhaͤltniſſe von Frankreich mit den
Seemaͤchten befoͤrderten die Erhaltung der Compagnie; be-
ſonders da unter dem Miniſterio von Fleury ſich der Mi-
niſter Orry ſeit 1737 ihrer ſehr thaͤtig annahm.


15. Waͤhrend indeß auf dem Continent von
Indien, wo Pondichery der Hauptplatz blieb,
ſich die Herrſchaft Frankreichs noch nicht weiter
verbreitete, wurden durch die Beſetzung zweyer klei-
ner Inſeln dauernde Beſitzungen erworben, die ſo-
wohl durch ihre Producte fuͤr den Handel, als
durch ihre Lage und Beſchaffenheit als Waffenplaͤtze,
gleich wichtig wurden.


Beſetzung der von den Hollaͤndern verlaſſenen beyden In-
ſeln: Isle de France und Isle Bourbon 1720.
Bereits gegen das Ende dieſes Zeitraums fiengen ſie unter
der Adminiſtration von Labourdonnais ſeit 1736, be-
ſonders durch Caffeebau, an, ſich ſehr zu heben.


  • Ch. Grant Viſc. de Vaux Hiſtory of the Islo of St. Mau-
    ritius. London
    1801. 4. Eine reiche Materialienſammlung
    fuͤr die Geſchichte beyder Inſeln. — Der Vater des
    Verf. war dort Gouverneur.

16. Das Colonialweſen der Hollaͤnder litt
in dieſer Periode keine große ſichtbare Veraͤn-
derun-
[332]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
derungen. Die Sachen in den Colonien giengen
ihren Gang, wie ſo vieles zu Hauſe auch ſeinen
Gang gieng; nur nicht immer zum Beſſern. In
Oſtindien blieben die Hollaͤnder ohne Widerrede
das erſte Europaͤiſche Handelsvolk; Niemand ver-
ſuchte es auch nur, auf ihren entlegenen Inſeln ſie
zu ſtoͤren; und doch datirt von hieran die Periode
des allmaͤhligen Verfalls ihrer Compagnie. In
Weſtindien fieng die Colonie von Surinam,
1718durch den hier zuerſt eingefuͤhrten Caffeebau, jetzt
erſt an, ſich zu heben.


Die Geſchichte des Verfalls der Hollaͤndiſch-Oſtindiſchen
Compagnie documentirt zu geben, moͤchte leicht ſelbſt
aus den Archiven dieſer Compagnie unmoͤglich ſeyn. Sie
erlag dem Alter, wie zuletzt jedes menſchliche Inſtitut,
wie viel mehr eine ſtreng monopoliſirende Handelsgeſellſchaft;
in der der Keim des Verderbens ſich endlich, wenn auch
langſam, entwickeln muß. Die eigentlichen Aufſchluͤſſe lie-
gen ohne Zweifel in den Characteren ihrer erſten Beamten.
Ob nicht auch der haͤufige Wechſel der Generalgouverneurs
in dieſem Zeitraum — nicht weniger als 11 in noch nicht
40 Jahren, (1704-1741) — zu dem allmaͤhligen Verfall
das Seinige beytrug?


17. Bey den großen Erſchuͤtterungen und Ver-
aͤnderungen, welche die Spaniſche Monarchie
erlitt, haͤtte man auch davon große Ruͤckwirkungen
auf ihre Colonien erwarten ſollen. Aber die Stuͤr-
me des Mutterlandes ſtoͤrten dort die Ruhe nicht.
Der Spaniſche Sueceſſionskrieg ward durch das
Genie
[333]3. Geſch. d. Colonialweſens 1700--1740.
Genie der Heerfuͤhrer faſt blos zum Landkriege ge-
macht; und die Colonien waren noch zu keiner Re-
volution gereift; haͤtte ſonſt nicht der Aſſiento-Trac-
tat dahin fuͤhren muͤſſen, der den Fremden den Ein-
tritt oͤffnete? Die neue Dynaſtie that in dieſem
Zeitraum ſo wenig fuͤr die Colonien, als ſie fuͤr
Spanien ſelber that. Doch muß in jenen ein ſtil-
les Gedeihen, unabhaͤngig von der Regierung, ge-
weſen ſeyn; wie die Schilderung ihres Zuſtandes
am Ende dieſes Zeitraums zeigt.


  • Don Ulloa Voyage hiſtorique dans l'Amérique méridio-
    nale 1757. 2 Voll.
    4. Das Hauptwerk! Der Verf. ward
    mit bey der Franzoͤſiſchen Gradmeſſung gebraucht.

18. Doch aber wurden die Colonien, gerade
am Ende dieſes Zeitraums, zum erſtenmal unmit-
telbar die Veranlaſſung eines Kriegs zwiſchen zwey
Hauptmaͤchten von Europa. Die Bewilligungen
des Aſſiento-Tractats an England, wovon der gro-
ße Schleichhandel mit den Spaniſchen Colonien die
Folge war (ſ. oben), fuͤhrten zu Anſtalten gegen
dieſen; und die Haͤndel mit den Garda-Coſtas
endlich zu einem Kriege, noch ehe der Termin des1739
Tractats von 30 Jahren abgelaufen war, wie viele
Muͤhe ſich auch Walpole gab, ihm vorzubeugen.


Eigentlicher Streitpunct: die Anmaßungen der Spanier,
die Brittiſchen Schiffe im offnen Meer zu viſitiren; als
Folge ihrer alten Anſpruͤche auf ausſchließende Herrſchaft der

Indi-
[334]II. Per. B. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Indiſchen Meere. Vergleich zu Madrit 15. Jan. 1739,
der aber die Entſcheidung nur hinausſchob. Ausbruch des
Kriegs, weil die Stimme des Volks in England ihn for-
derte, noch 1739. — Eroberung von Porto bello; aber
mißlungener Verſuch auf Carthagena in Suͤdamerica. —
Der Krieg verſchmolz ſich demnaͤchſt mit dem Oeſtreichiſchen
Succeſſionskrieg. (S. unten).


19. Fuͤr Portugal erhielt Braſilien in
dieſem Zeitraum eine erhoͤhte Wichtigkeit durch die
reichliche Ausbeute an Gold, das aber meiſt Eng-
land zu Gute kam; und durch die Ausfindung des
1728Reichthums an Diamanten, der eigene Veran-
ſtaltungen erforderte, wenn dieſe Waare ihren Preis
behalten ſollte. Wie theuer aber waͤren dieſe Schaͤtze
erkauft, wenn dadurch die Cultur des Bodens ſollte
zuruͤckgeſetzt ſeyn? — Die immer groͤßer werdende
Ausfuhr der Producte, des Zuckers, der Baum-
wolle, der Faͤrbehoͤlzer ꝛc., ſcheint doch aber das
Gegentheil zu beweiſen.


20. Auch Daͤnemark erhielt ſich in der Rei-
he der Colonialſtaaten, da es in Oſtindien Tran-
quebar behielt, deſſen Beſitz durch die daſelbſt ge-
1705ſtifteten Evangeliſchen Miſſionen noch erhoͤht
ward; und auch in Weſtindien ſich Beſitzungen
zu verſchaffen wußte. Auch in Schweden ward
1731eine Oſtindiſche Geſellſchaft errichtet, (jedoch ohne
bleibenden Fond: und ohne dort Beſitzungen zu ha-
ben;)
[335]3. Geſch d. Colonialweſens 1700--1740.
ben;) um an dem China-Handel unmittelbaren
Antheil zu nehmen.


Daͤniſche Beſetzung der kleinen Inſel St. Jean 1719,
und Kauf der Inſel St. Croix von Frankreich 1733. Die
Inſel St. Thomas war ſchon ſeit 1671 von den Daͤnen
occupirt.


Zweyter Zeitraum.
Von 1700 bis 1740
.


Zweyter Theil.
Geſchichte des noͤrdlichen Europaͤiſchen Staatenſyſtems in
dieſem Zeitraum.

  • Mémoires etc. de Lamberty ſ. oben S. 277.
  • Schmauß Staatswiſſenſchaft ꝛc. ſ. oben S. 186.
  • Die Biographien von Peter dem Großen und Carl XII. Un-
    ter jenen die vorzuͤglichſte:
  • Leben Peter's des Großen von G. A. von Halem. 1804. 8.
    3 B. Zugleich mit Nachweiſung und Critik der uͤbrigen
    Huͤlfsquellen.
  • Nordberg Leben von Carl XII. 3 B. fol. 1745. Nebſt: An-
    merkungen oder Anecdoten, vertrauten Freunden mitgetheit,
    1758. 8.
  • Hiſtoire de Charles XII. par Mr. de Voltaire. 1754. 4.
  • G. Adlerfeld Hiſtoire militaire de Charles XII. 1740.
    4 B. 12.

1. Kei-
[336]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.

1. Keiner der bisherigen Zeitraͤume ward fuͤr die
Geſchichte des Nordens von ſo entſcheidender Wich-
tigkeit als der gegenwaͤrtige. Es war nicht blos
Umformung der wechſelſeitigen Verhaͤltniſſe der
Staaten; es war eine neue Welt, die dort ſich bil-
dete. Bereits die fruͤhern Perioden zeigten, daß
große Kraͤfte dort aufgeregt waren; aber es fehlte
an Herrſchern, welche ſie zweckmaͤßig zu leiten wußten.


2. Die ſaͤmmtlichen Glieder des noͤrdlichen
Staatenſyſtems hatten gegen das Ende des vorigen
Zeitraums ihre Beherrſcher gewechſelt; und meiſten-
theils giengen die Veraͤnderungen, welche die Staa-
ten erfuhren, aus den Eigenthuͤmlichkeiten der
neuen Herrſcher hervor. Aber wenn gleich alle
Staaten des Nordens von dem großen Sturm er-
griffen wurden; ſo waren es doch Rußland und
Schweden, deren Kampf die Entſcheidung brachte.
In Peter dem Großen und CarlXII. ſtanden
ſich zwey Fuͤrſten gegenuͤber, beyde von gleicher Kraft
und gleich eiſernem Willen; aber darin weſentlich
verſchieden, daß dieſer Wille bey dem erſtern durch
die Vernunft, bey dem andern durch die Leiden-
ſchaft gelenkt ward. Und dieſe Verſchiedenheit war
es, die das Schickſal ihrer Reiche am Ende ent-
ſcheiden mußte, und wirklich entſchied. Waren
auch beyde coloſſaliſcher Entwuͤrfe faͤhig, ſo giengen
doch
[337]Von 1700 bis 1740.
doch die von Peter nie uͤber die Kraͤfte ſeines
Reichs.


1. Rußland. Seit 1689 unter der Herrſchaft Pe-
ter's
I. (ſ. oben S. 268.) das groͤßte der Reiche dem Um-
fange nach; von Archangel bis Azow (oben S. 274.), aber
noch abgeſchnitten von der Oſtſee. Zwar bewohnt von ei-
nem Barbarenvolke; aber dieß Barbarenvolk bildete Eine
Hauptnation
. Bereits angefangene Umformung im In-
nern; ſowohl in Ruͤckſicht der Verfaſſung, — ſie ward zur
voͤlligſten Autocratie — als der Sitten; denn die Nation
ſollte europaͤiſirt werden. Aber nur die hoͤhere Claſſe
ward es zum Theil, weil der Herrſcher ſelbſt vorangieng;
Sprache und Religion blieben auch ſo binreichende Stuͤtzen
der Nationalitaͤt. Gaͤnzliche Umformung des Militairs auf
Europaͤiſchen Fuß nach Abſchaffung der Strelzi; Errich-
tung einer neuen Armee 1699. Einzelne Corps waren
ſchon fruͤher gebildet.


2. Schweden. Regierungsantritt Carl'sXII. als
15jaͤhrigen Juͤnglings 1697. Er erbte einen voͤllig geord-
neten Staat; damals den erſten des Nordens, mit vollem
Schatze und trefflicher Flotte und Armee; da Peter den
ſeinigen erſt bilden mußte. Aber die politiſche Groͤße Schwe-
dens war an den Beſitz der Nebenlaͤnder, faſt rund um
die Oſtſee herum, geknuͤpft; und eine Nation von noch
nicht 3 Millionen kann ſchwerlich dazu beſtimmt ſeyn, die
Welt zu beherrſchen, wenn ſie ſie auch vielleicht erobern
kann.


3. Polen ſeit 1696 unter der Herrſchaft von Auguſt
II., Churfuͤrſten von Sachſen. Aber mit der Wahl des
neuen Koͤnigs ſtarb die alte Anarchie nicht: neue Entwuͤrfe
erregten neues Mißtrauen; und neue Sitten, an dem uͤp-
pigen Hofe eingefuͤhrt, untergruben, indem ſie die alte
Sarmatenkraft ſchwaͤchten, ſelbſt die letzte Stuͤtze des Staats.
Daß keine Reform wie in Rußland hier werden konnte,
daruͤber wachte die Nation; auch war der neue Koͤnig,

Ywenn
[338]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
wenn gleich nicht ohne Ehrgeiz, doch keinesweges zum Re-
formator gebohren. Der Aufenthalt ſeiner Saͤchſiſchen
Truppen
brachte ihn ſofort um das Zutrauen der Nation;
und bald gab Religionszwiſt der Anarchie noch neue
Nahrung. So kam man allmaͤhlig dahin, daß ſelbſt kein
Carl oder Peter hier mehr wuͤrde haben helfen koͤnnen.


4. Preußen. Seit 1688 bis 1713 unter der Herrſchaft
des Churfuͤrſten von Brandenburg und Herzogs, und ſeit
1701 Koͤnigs, von Preußen, FriedrichI. Die Erhe-
bung von Preußen zu einem Koͤnigreiche
, zuerſt
von dem Kayſer, und allmaͤhlig von den uͤbrigen Maͤchten
von Europa anerkannt, war zwar kein unmittelbarer Zuwachs
an Macht; aber ein Sporn fuͤr das regierende Haus, die
neue Wuͤrde geltend zu machen, ſey es durch Prachtliebe,
oder durch Oeconomie, oder durch Vergroͤßerung. Welches
Mittel man brauchte, hieng von dem jedesmahligen Geiſt
des Regenten ab; aber das Streben, ſich mit den andern
Hauptmaͤchten Europas auf gleichen Fuß zu ſetzen, oder zu
erhalten, ward die Grundmaxime dieſes Staats. Das
Entſtehen einer Macht in einem Staatenſyſtem, der Ver-
groͤßerung Beduͤrfniß
iſt, kann nicht anders als ge-
faͤhrlich fuͤr dasſelbe ſeyn. Was haͤtte auch werden muͤſſen,
haͤtte ſie nicht lange Zeit hindurch mit dieſer Vergroͤßerungs-
ſucht eine gewiſſe Maͤßigung verbunden, wozu im Weſten
die Reichsſtandſchaft, im Oſten die Uebermacht der Nach-
baren ſie verpflichtete?


5. Daͤnemark. Gleich zu Anfang des Zeitraums er-
hielt es an FriedrichIV. einen Beherrſcher 1700-1730,
der mit dem Manne auch zum Koͤnig reifte. Wenn auch
gleich anfangs von dem Sturm ergriffen, erlitt es doch am
Ende die wenigſte Veraͤnderung, weder in der Verfaſſung, noch
in dem Character und Geiſt der Regierung. Der Fall
Schwedens und die Erhebung Rußlands wurde fuͤr Daͤne-
mark Gewinn; denn das entferntere Rußland druͤckte we-
niger als das naͤhere Schweden. Aber der Familienzwiſt
mit dem Gottorpiſchen Hauſe wurde drohender als vorher,

durch
[339]Von 1700 bis 1740.
durch die Vermaͤhlung des jungen Herzogs Friedrich's
IV. mit der Schweſter Carl's XII., Hedwig Sophie (ſ.
oben S. 269.); und die perſoͤnliche Freundſchaft der bey-
den jungen Furſten knuͤpfte die Verbindung zwiſchen Schwe-
den und Holſtein-Gottorp faſt noch feſter als die Ver-
wandtſchaft.


3. So waren die innern Verhaͤltniſſe der nor-
diſchen Staaten, als mit dem Anfange des Jahr-
hunderts der furchtbare zwanzigjaͤhrige Kampf
begann, der den Norden umformen ſollte. Es
mußte ein furchtbarer Kampf werden; denn Men-
ſchen wie Peter und Carl unterliegen nicht leicht;
aber auch ein weit verbreiteter Kampf. War oder
wurde auch das Uebergewicht Rußlands oder Schwe-
dens ſein Ziel, ſo war doch des Zunders zum Krie-
ge in dem ganzen Norden ſo viel zerſtreut, daß die
Flamme hier allgemein um ſich greifen mußte.


Urſachen des nordiſchen Kriegs. Sie lagen 1.
in dem entſchiedenen Willen Peter's, Rußland bis zur Oſt-
ſee auszudehnen; ein Ziel, das nur auf Koſten Schwedens
zu erreichen ſtand. 2. In dem Verſuch Koͤnig Auguſt's des
II., von Patkul aufgemuntert, Liefland an Polen zu
bringen. 3. In dem Zwiſt Daͤnemarks mit Friedrich IV.
von Holſtein-Gottorp; und der Erbitterung und Furcht
uͤber deſſen Verbindung mit Schweden.


4. Geheime Verbindung zwiſchen Daͤnemark1699
11.
Nov

und dem Koͤnig von Polen (umſonſt verſuchte es
Auguſt II., die mißtrauiſche Nation zur Theilnah-
me zu bewegen;) gegen Schweden, der auch bald
Y 2Peter
[340]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
Peter beytrat, waͤhrend er noch — bis der Waf-
fenſtillſtand mit den Tuͤrken unterzeichnet war (ſ.
oben S. 274.) — den Freund von Schweden
1700machte. In demſelben Jahre brachen alle drey,
Daͤnemark zunaͤchſt gegen Holſtein-Gottorp, die
beyden andern gegen Liefland los. Ganz unverſchul-
det ward CarlXII. angegriffen; wie mußte das
Bewußtſeyn der gerechten Sache, bald durch
den faſt unglaublichen Erfolg gekroͤnt, nicht die
Bruſt des nordiſchen Tugendhelden heben und haͤrten?


Einfall der Daͤnen in Schleswig und Belagerung Toͤnnin-
gens, April 1700. Theilnahme der Garants des Altonaer
Vergleichs (ſ. oben S. 269.), Braunſchweigs, Englands,
Hollands ꝛc. zu Gunſten Holſtein-Gottorps. — Landung
Carl's XII. in Seeland (Jul.) und Erzwingung des Frie-
dens zu Travendal
18. Aug. Bedingungen: 1. Be-
ſtaͤtigung des Altonaer Vergleichs. 2. Daͤnemark verſpricht
gegen Schweden nichts feindliches vorzunehmen.


5. So von Einem Feinde befreyt, eilte Carl
nach Liefland, um den Koͤnig von Polen und den
Czar zu bekaͤmpfen; und faſt ſchien er eben ſo
leicht hier mit Beyden fertig zu werden. Aber
wenn die Landung auf Seeland hingereicht hatte,
Daͤnemark zu laͤhmen; ſo wurden durch die bey Per-
nau die Kraͤfte des Nordens erſt aufgeregt. Auch
ein Tag wie der bey Narwa konnte Rußland nicht
entwaffnen; und Carl ſelber ſorgte dafuͤr, daß auch
bald die Polen ihren Koͤnig unterſtuͤtzten.


Einfall
[341]Von 1700 bis 1740.

Einfall Auguſt's II. mit ſeiner Saͤchſiſchen Armee in Lief-
land, und vergebliche Belagerung Rigas (Sept.), waͤh-
rend auch der Czar, als Verbuͤndeter Auguſt's, an Schwe-
den den Krieg erklaͤrt (19. Aug.) und Narwa belagert. —
Landung Carl's XII. und Sieg bey Narwa 30. Nov., durch
die Uneinigkeit der Ruſſiſchen Befehlshaber unter dem
erzwungenen Commando des Fremdlings Duͤc de Croix nicht
wenig erleichtert. — Wollte Peter geſchlagen ſeyn?


6. Die Befreyung Lieflands ließ Carl XII die
Wahl, uͤber welchen ſeiner Gegner er jetzt zunaͤchſt
herfallen wollte, ob uͤber den Czar, oder uͤber den
Koͤnig von Polen; eine Wahl, wovon wahrſchein-
lich das Schickſal Schwedens abhieng. Aber wer
der gefaͤhrlichſte ſeiner Gegner ſey, ſah Carl nicht;
der Haß, nicht die Klugheit, entſchied; er ließ den
Czar, — der nichts als Zeit brauchte, — um
Auguſt II. zu ſtuͤrzen, der ſchon um Frieden ge-
beten hatte.


Zuſammenkunft und engeres Buͤndniß des Czars mit Au-
guſt II. zu Birſen Febr. 1701. — Uebergang Carls uͤber
die Duͤna; und Sieg uͤber die Sachſen bey Riga 18. Juli;
indem er gegen die Ruſſen nur ein paar ſchwache Corps zu-
ruͤckließ. — Einnahme Curlands.


7. Der jetzt von Carl unabaͤnderlich gefaßte
Entſchluß, durch den Factionsgeiſt in Polen belebt,
Auguſt II. zu dethroniſiren und den Polen einen
andern Koͤnig zu ſetzen, ſtuͤrzte ihn in einen Krieg
mit dem groͤßern Theile dieſer Nation; der nicht
weniger ihren Untergang, als den Fall der Schwe-
Y 3diſchen
[342]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
diſchen Groͤße vorbereitete. Er entzuͤndete in Po-
len, neben allem andern unermeßlichen Elend, die
Flamme des Religionsſtreits, die nie wieder er-
loſch; und raubte Carl'n fuͤnf koſtbare Jahre, fuͤr
die nachher kein Erſatz mehr zu finden war.


Verbindung der Partei der Sapiehas mit Carl XII.
Theilnahme Polens am Kriege, und Sieg Carl's bey Cliſ-
ſow
19. Jul. 1702, und bey Pultuſk 1. May 1703. Neue
Confoͤderation gegen Carl zu Sendomir, 2. Aug. Aber
Gegenverbindung zu Warſchau unter dem Fuͤrſt Primas
14. Jan. 1704. Wahl von Stanislaus Leſcinsky,
Woiwoden von Poſen, auf Carl's Geheiß 12. Jul.; mit
dem Carl, als Koͤnige von Polen, Frieden und Buͤndniß
ſchließt. — Fortgang des Kriegs in Polen und Litthauen
1705; aber Niederlage der Sachſen bey Frauſtadt 16.
Febr. 1706; Eindringen Carl's in Sachſen, und erzwunge-
ner Friede zu Altranſtaͤdt 24. Sept. Bedingungen: 1.
Auguſt entſagt der Polniſchen Koͤnigswuͤrde, wie dem Ver-
trag mit dem Czar. 2. Erkennt Stanislaus Leſcinsky als
Koͤnig von Polen an. 3. Bewilligt der Schwediſchen Ar-
mee Winterquartier, Unterhalt und Sold in Sachſen.


8. Aber waͤhrend dieſer Kriege hatte Peter
Zeit gefunden, ſeine neue Herrſchaft an der Oſtſee
zu gruͤnden. Das einſt verlohrne Ingermanland
und Carelien (ſ. oben S. 196.) war wieder ein-
genommen; und in dem kaum eroberten Lande ſtieg
auch ſchon ſein Petersburg empor. Wohl konnte
Carl fuͤnf Jahre fruͤher von dem, was hier werden
ſollte, keine Ahnung haben; aber daß die hervor-
gehende Schoͤpfung ſelber ihm nicht die Augen oͤff-
nete,
[343]Von 1700 bis 1740.
nete, zeigt, daß Peter es verdiente, ſie zu voll-
enden.


Beſiegung der von Carl XII. zuruͤckgelaſſenen Corps in
Liefland und Ingermanland 1701 und 1702. Eroberung
von Noͤtteburg (Schluͤſſelburg) 11. Oct. und von Nyen-
ſchanz 1. May 1703. Gleich darauf Gruͤndung von
St. Petersburg
27. May. — Feſtſetzung in Liefland
und Eroberung von Narwa 20. Aug. 1704.


9. Entſchluß von Carl XII., ſeinen noch uͤbri-
gen maͤchtigen Gegner in dem Innern ſeines Reichs
aufzuſuchen. Allein waͤre auch Rußland ſo leicht zu
erobern geweſen, wie Polen; ſo war doch Peter
gewiß nicht ſo leicht zu beſiegen, als Koͤnig Au-
guſt. Keine Maaßregel war ihm zu theuer, wenn
es auf die Erreichung des Hauptzwecks ankam; und
die Verwuͤſtung ſeines eigenen Landes wurde eine
furchtbare Waffe gegen den Schwediſchen Eroberer.
Sie verſperrte ihm den geraden Weg zu der
Hauptſtadt; und als er, gelockt durch die Ausſich-
ten, welche ihm der Hetmann Mazeppa eroͤffnete,
ſeinen Marſch nach der Ukraine richtete, konnte der
Ausgang kaum zweifelhaft ſcheinen. Wenn Carl ſie-
gen ſollte, mußte er auf dem geraden und kuͤrzeſten
Wege ſiegen.


Aufbruch des Koͤnigs aus Sachſen Sept. 1707. Marſch
durch das veroͤdete Polen, indem Lewenhaupt in Curland
den Befehl erhaͤlt, zu ihm zu ſtoßen. — Uebergang uͤber
den Dnieper 11. Aug. 1708 und Eindringen in die Ukraine.

Y 4Nieder-
[344]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
Niederlage Lewenhaupt's bey Liesna 28. Sept. und bald
ſah auch der Koͤnig die Verſprechungen Mazeppa's groͤßten-
theils vereitelt. Belagerung Pultawas May 1709, wohin
Peter zum Entſatz eilt.


1709
8.
Jul.
n.S.

10. Der Tag bey Pultawa entſchied fuͤr
die ganze Zukunft das Schickſal des Nordens.
Viel groͤßere Schlachten ſind gefochten, aber keine
folgenreichere. Peter's neue Schoͤpfung war auf
einmal befeſtigt; und Schwedens Herrſchaft auf
einmal geſtuͤrzt. So faͤllt nur ein Gebaͤude zuſam-
men, das zu hoch fuͤr ſeine Grundlage war; und
Schweden ſollte dem erſtaunten Europa das erſte
große Beyſpiel geben, wie ungewiß erkuͤnſtelte
Groͤße ſey
.


11. Und was war doch dieſer Ausgang an-
ders, als der natuͤrliche Ausgang? Was war
dieſer Fall Schwedens an und fuͤr ſich weiter, als
Zuruͤckfuͤhrung auf ſeine natuͤrliche Lage? Es galt
nicht der Fortdauer des Reichs, ſondern ſeiner Ue-
bermacht; und waͤre jetzt eine freywillige Beſchraͤn-
kung auf das, worauf es ſich doch am Ende be-
ſchraͤnken mußte, hier moͤglich geweſen; — wie viel
beſſer wuͤrde Schweden aus dem Kampfe geſchie-
den ſeyn? Aber eine ſolche Reſignation, wenn
auch noch ſo ſehr die Vernunft ſie vorſchreiben
mochte, wie haͤtte ſie — kaum dem gewoͤhnlichen
Men-
[345]Von 1700 bis 1740.
Menſchen moͤglich — in die Bruſt von Carl XII.
kommen koͤnnen?


12. Unmittelbare Folge der Niederlage bey
Pultawa, Aufloͤſung aller von Carl XII. erzwun-
genen Verhaͤltniſſe. Weder Daͤnemark glaubte ſich
laͤnger an den Travendaler, noch Sachſen an den
Altranſtaͤdter Frieden gebunden; und indem Auguſt
wiederum den von Stanislaus verlaſſenen Polni-
ſchen Thron beſtieg, ward auf der Zuſammenkunft
zu Thoren auch die Freundſchaft mit Peter wieder
hergeſtellt. Aber das von ihm unterdeß eroberte
Liefland behielt Peter, wie billig, fuͤr ſich.


Erneuerte Verbindung Sachſens und Daͤnemarks mit
Rußland Aug. 1709, jedoch vergebliche Einladung Preu-
ßens. — Ruͤckkehr Koͤnig Auguſt's nach Warſchau; und An-
erkennung von der Nation. — Neue Kriegserklaͤrung Daͤ-
nemarks, und Einfall in Schonen (Nov.)


13. Indem aber bey der wiederaufgehenden
Kriegsflamme die Schwediſch-Deutſchen Provinzen
leicht die Eroberer lockten; und die Schwediſchen
Truppen aus Polen ſich nach Pommern zuruͤckgezo-
gen hatten, ſchien der nordiſche Krieg ſich auch
nach Deutſchland verbreiten zu muͤſſen, und viel-
leicht ſelbſt dem Spaniſchen Succeſſionskriege neue
Nahrung zu geben. Die in dieſen verflochtenen
Maͤchte bewirkten jedoch durch den Haager Vertrag
die Anerkennung der Neutralitaͤt dieſer Laͤnder; aber
Y 5bald
[346]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
bald umſonſt, da Carl XII. durchaus von keiner
Neutralitaͤt wiſſen wollte.


Abſchluß des Haager Concerts 31. Maͤrz 1710, ver-
mittelt durch die Seemaͤchte und den Kayſer, zwiſchen dem
Schwediſchen Senat, den Alliirten, und dem Deutſchen
Reich; unter den Bedingungen: a. der Neutralitaͤt aller
Schwediſch-Deutſchen Provinzen; ſo wie dagegen auch b.
von Schleswig und Juͤtland; und zwar c. unter der Ga-
rantie von den Seemaͤchten, Preußen, Hannover u. a. —
Proteſtation von Carl XII. 30. Nov.


14. Seiner eigenen Kraͤfte beraubt, ſuchte un-
terdeß Carl XII. ſich durch fremde wieder zu he-
ben; und baute ſeine Hoffnungen auf den Beyſtand
der Tuͤrken, die den geſchlagenen Helden mit der
Achtung aufgenommen hatten, die der Halbbarbar
gewoͤhnlich der perſoͤnlichen Groͤße zu zollen pflegt.
Wer hatte freylich auch gegruͤndetere Urſachen, als
ſie, ihn nicht ſinken zu laſſen? Auch ſiegte endlich
der Einfluß Carl's in dem Diwan, und der Krieg
ward an Rußland erklaͤrt.


Aufnahme Carl's und Aufenthalt in Bender Sept. 1709
bis 10. Febr. 1713. — Bruch des dreyßigjaͤhrigen Waffen-
ſtillſtandes (ſ. oben S. 247.) und Erklaͤrung des Kriegs
Dec. 1710.


15. So lebte wenigſtens die Hoffnung des
Schwediſchen Helden wieder auf; wenn es gleich
wenig wahrſcheinlich iſt, daß ſelbſt der gluͤcklichſte
Ausgang des Kriegs Schweden wieder auf ſeine
vorige
[347]Von 1700 bis 1740.
vorige Hoͤhe gehoben haͤtte. Aber auch dieſe Hoff-
nung ſollte auf das bitterſte getaͤuſcht werden. In
eben dem Augenblick, wo Peter, eingeſchloſſen mit
ſeinem ganzen Heere in der Moldau, auf dem Punct
ſtand, ſich als Gefangener uͤberliefern zu muͤſſen,
rettete ihn die Klugheit einer Frau, und die Be-
ſtechlichkeit des Großveziers. Der Friede am
Pruth
ſchlug dem Gemuͤth des Koͤnigs leicht eine
tiefere Wunde, als es ſelbſt der Tag bey Pulta-
wa nicht zu thun vermocht hatte.


Buͤndniß Peter's mit dem Fuͤrſten der Moldau, Deme-
trius Cantemir, 13. Apr. 1711, unter dem Verſprechen
der Erblichkeit der Fuͤrſtenwuͤrde in ſeinem Hauſe, als Ruſ-
ſiſcher Schutzverwandter, gegen den zu leiſtenden Bepſtand.
— Peter's Uebergang uͤber den Nieſter 16. Juni, und Ver-
einigung mit dem Fuͤrſten zu Jaſſy. — Aber bald Man-
gel an Zufuhr, und Einſchließung am Pruth. — Unter-
handlung nach Catharina's Rath gefuͤhrt; und Abſchließung
des Friedens 24. Jul. 1711 unter den Bedingungen: daß
1. Azow mit ſeinem Gebiet an die Pforte zuruͤckgegeben;
2. die neuen Feſtungen an dem Samara, beſonders Ta-
ganrok, niedergeriſſen werden. 3. Dem Koͤnig von Schwe-
den freye Ruͤckkehr in ſein Reich bewilligt werde. — Der
von Bender herbeygeeilte Carl kam noch zeitig genug, um
die Ruſſiſche Armee — frey abziehen zu ſehen. — Doch
erſtarb ſeine Hoffnung nicht, den Frieden wieder zu ver-
nichten; und ſchon war er wieder aufgehoben, 17. Dec.
1711, als er unter Vermittlung der Seemaͤchte — aufs
neue beſtaͤtigt wurde 16. April 1712; indem Peter, außer
dem Obigen, noch die Raͤumung Polens verſprach. —
Gewaltſame Wegſchaffung des Koͤnigs aus Bender nach
Demotica 10. Febr. 1713. Beſtaͤtigung des vorigen Frie-

dens
[348]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
dens 3. Jul., welcher auch die Ausgleichung von Koͤnig Au-
guſt mit der Pforte zur Folge hatte, 2. April 1714.


  • W. Theyls Mémoires pour ſervir à l'hiſtoire de Charles
    XII. pendant ſon ſéjour dans l'empire ottoman. à
    Leyde
    1722. 8. Der Verf. war Dragoman bey der Pforte.

16. Waͤhrend aber der Schwediſche Herrſcher
in Europa gleichſam verſchollen war, hatte ſeine
Verwerfung des Haager Concerts wichtige Folgen
fuͤr den Norden. Die Schwediſchen Nebenlaͤnder
in Deutſchland reizten jetzt die Verbuͤndeten; und
der zugleich in Preußen vorgegangene Regierungs-
1713wechſel, der Friedrich Wilhelm I. auf den Thron
brachte, fuͤhrte auch hier eine Theilnahme an dem
Kriege herbey. Die Koͤnige von Daͤnemark und
Polen fielen in Pommern ein; und der erſte be-
maͤchtigte ſich nicht nur Bremens und Verdens;
ſondern fand auch bald einen Vorwand, Holſtein-
Gottorp zu occupiren. Und wenn gleich die Se-
queſtration Stettins
von Preußen nur der
Schutz eines Neutralen ſeyn ſollte, ſo ward ſie
doch der Keim zum Kriege.


Einfall der Daͤnen und Sachſen in Pommern 1711. Er-
oberung von Bremen und Verden 1712. Ueberſchiffung
Steenbok's Sept. und Sieg uͤber die Daͤnen bey Ga-
debuſch
12. Dec. — Aber bald nach geſchehener Abbren-
nung Altonas 8. Jan. 1713, Einſchließung und G[e]fangen-
nehmung bey Toͤnningen durch Ruſſiſche Truppen 6. May —
Vertrag uͤber die Beſetzung von Stettin zwiſchen der Re-
gierung von Holſtein-Gottorp und Preußen 22. Jun. und

gewalt-
[349]Von 1700 bis 1740.
gewaltſame Einnahme 29. Sept. Vertrag Preußens mit
Polen und Rußland uͤber die Sequeſtration 6. Oct.


  • Mémoires concernant les campagnes de Mr. le comte de
    Steenbok
    de 1712 et 1713 avec ſa jaſtification par Mr.
    N
    — —. 1745. 8.

17. Von nicht geringern Folgen war der Ge-
brauch, den Daͤnemark von ſeinen Eroberungen
machte; indem es das eingenommene Bremen und
Verden ſchon waͤhrend des Kriegs, unter be-
dingung der Theilnahme an demſelben gegen Schwe-
den, an Hannover verkaufte. Der dadurch ge-
gruͤndete Groll Carl's XII. gegen Georg I. zog
nicht nur Hannover, ſondern auch England in den
nordiſchen Krieg; und verwickelter wie je war der
Knoten, als Carl XII., durch die in Schweden
ſelbſt ergriffenen Maaßregeln angetrieben, unver-
muthet, mehr wie Abentheurer als Koͤnig, in
Stralſund zuruͤckkam, noch in der Hoffnung, ihn
mit dem Schwerdt zu zerhauen.


Kauf der Herzogthuͤmer Bremen und Verden, fuͤr Han-
nover und England gleich wichtig, 26. Jun. 1715. — Die
Theilnahme Englands, durch Abſendung eines Geſchwa-
ders nach der Oſtſee, ward hauptſaͤchlich durch die ſtren-
gen Edicte Carl's gegen die Schifffahrt der Neutralen be-
wirkt. — Verſuche zur Uebertragung der Regentſchaft in
Schweden an die Schweſter des Koͤnigs Ulrica Eleonora
Dec. 1713 und Zuſammenkunft eines Reichstags. — Zu-
ruͤckkunft Carl's XII. in Stralſund
22. Nov. 1714.


18.
[350]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.

18. Von allen Nebenlaͤndern der Schwedi-
ſchen Monarchie war wenig mehr als Stralſund
uͤbrig; aber auch ſo war Carl XII. nicht nur zur
Fortſetzung des Kriegs entſchloſſen, ſondern ſah bald
die Zahl ſeiner Feinde noch durch Preußen und
Hannover vermehrt; und ſelbſt die Schwediſchen
Hauptprovinzen lagen fuͤr den neuen Herrſcher der
Oſtſee, den Czar, faſt offen da. Auch ſelbſt der
Ueberreſt der Schwediſchen Beſitzungen in Deutſch-
land gieng endlich mit Stralſund verlohren; und
nichts als ſich ſelber brachte Carl XII. nach Schwe-
den zuruͤck!


Allianz zwiſchen Preußen, Sachſen, Daͤnemark, und Han-
nover Febr. 1715; und bald auch Preußens und Hannovers
mit Rußland Oct. Wohin konnte die hoͤchſt zweydeutige
Rolle Preußens bey einem Fuͤrſten wie Carl XII. anders
als zum Kriege fuͤhren? — Gemeinſchaftliche Belagerung
von Wismar, und beſonders Stralſund, das gleich nach
Carl's Abgange ſich ergiebt 12. Dec.


19. Indem jedoch Carl'n wenig mehr als ſeine
Hoffnungen uͤbrig zu bleiben ſchienen, fand er an
dem Holſtein-Gottorpſchen Miniſter, dem Freyherrn
von Goͤrz, den Freund und Rathgeber, den er
brauchte. Selten kamen wohl zwey ungleichere
Menſchen zuſammen; aber ſelten auch zwey Men-
ſchen, die mehr einander bedurften. Daß nicht
Alles mit dem Schwerdt ſich erzwingen laſſe, hatte
Carl endlich — nur vielleicht zu ſpaͤt — einſehen
muͤſ-
[351]Von 1700 bis 1740.
muͤſſen. Was Politik und Finanzkunſt vermoͤgen,
lehrte ihn Goͤrz, und fand einen gelehrigen Schuͤ-
ler, weil er zugleich den Leidenſchaften des Koͤnigs
nachgab. An die Spitze der inneren Angelegenhei-
ten — trotz des Haſſes der Schwediſchen Großen
— geſtellt, verſchaffte er Schweden Credit, und
durch dieſen Mittel zur Fortſetzung des Kriegs.
Aber der Krieg ſollte nicht mehr zwecklos gefuͤhrt
werden. Indem man, Peter'n ſeine Eroberungen
laſſend, ſich mit dem Maͤchtigern vertrug, ſollten
die Schwaͤchern bezahlen. Und der Entwurf, ganz
den Zeitverhaͤltniſſen angemeſſen, ſchien kaum feh-
len zu koͤnnen, da er auch ganz in Peter's Geiſte
gedacht war; dem am laͤngern Kriege mit Schwe-
den nichts mehr leg; und ein Mann wie Goͤrz,
deſſen Verbindungen ſich durch ganz Europa erſtreck-
ten, die Verhandlung leitete.


Großes Mißtrauen der uͤbrigen Alliirten, beſonders Eng-
lands und Daͤnemarks, gegen den Czar, nach der abſicht-
lich vereitelten Expedition gegen Schonen 1716. Verbin-
dungen von Goͤrz mit Alberoni und dem Praͤtendenten
gegen Georg I. — Vergeblicher Verſuch des Czars, Frank-
reich gegen England zu gewinnen auf ſeiner Reiſe 1717.
Angeknuͤpfte geheime Unterhandlung auf Aaland zwiſchen
Schweden und Rußland May 1718 durch Goͤrz und Gpl-
lenborg auf Schwediſcher, und Oſtermann und Bruce auf
Ruſſiſcher Seite — faſt bis zum Abſchluß — gefuͤhrt. Nor-
wegen und Hannover ſollten (ſo erfuhr man nachmals;)
Schweden ſeine Entſchaͤdigungen geben, und der Herzog von
Holſtein-Gottorp und Stanislans in Polen reſtituirt werden.


Ret-
[352]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
  • Rettung der Ehre und Unſchuld des Freyherrn von Goͤrz.
    1776. 8.
  • Der Freyherr von Goͤrz, in Woltmann's Geſchichte und Po-
    litik B. I. II. 1800.

20. Aber das Schickſal hatte es anders be-
1718
11.
Dec.
n.S.
1719
28.
Fbr.
ſchloſſen! Carl XII. fiel in den Laufgraͤben vor
Friedrichshall; und die ergrimmten Ariſtocraten
ſchleppten ſofort ſeinen Freund und Rathgeber auf
das Blutgeruͤſt. Eine gaͤnzliche Veraͤnderung der
Schwediſchen Politik war davon die Folge. Man
brach mit Rußland; aber im Gefuͤhl, ſich nicht
ſelber helfen zu koͤnnen, ſchloß man ſich durch eine
Allianz an England an. Eine Reihe Friedens-
ſchluͤſſe mit Hannover, Preußen, Daͤnemark und
Polen ward nun durch Englands Vermittelung
theuer erkauft; nur fehlte, als man mit dieſen
fertig war, noch der Friede gerade mit dem gefaͤhr-
lichſten Feinde.


Vorlaͤufige Praͤliminarien und Waffenſtillſtaͤnde; und dar-
auf foͤrmliche Friedensſchluͤſſe Schwedens:


1. Mit Hannover 9. Nov. 1719. a. Hannover be-
haͤlt Bremen und Verden. b. Und zahlt an Schweden 1
Million Reichsthaler.


2. Mit Preußen 1. Febr. 1720. a. Preußen behaͤlt
Stettin nebſt Vorpommern bis an die Peene, und die In-
ſeln Wollin und Uſedom. b. Es zahlt an Schweden 2
Millionen Thaler.


3. Mit Daͤnemark 14. Jul. 1720. a. Daͤnemark giebt
Alles von Schweden Eroberte zuruͤck. b. Schweden ent-
ſagt ſeiner Zollfreyheit im Sunde, und zahlt 600000 Tha-

ler
[353]Von 1700 bis 1740.
ler. c. Frankreich und England garantiren Daͤnemark den
Beſitz des Herzogthums Schleswig, und Schweden ver-
ſpricht dem (preisgegebenen) Herzog von Holſtein-Got-
torp keine thaͤtige Huͤlfe zu leiſten.


4. Mit Polen blieb es bey dem den 7. Nov. 1719 ge-
zeichneten Waffenſtillſtande.


21. Was war aber dieſer Verluſt gegen die
Opfer, mit welchen der Friede von dem Czar
erkauft werden mußte, von ihm durch einen ſchreck-
lichen Verwuͤſtungskrieg gegen die Finniſchen Kuͤſten1720
erzwungen, gegen welchen die Brittiſche Huͤlfsflotte
nicht ſchuͤtzen konnte! Der Nyſtaͤdter Friede
vollendete das Werk, an dem Peter ſeit zwey De-
cennien gearbeitet hatte!


Friede zwiſchen Rußland und Schweden zu Npſtadt
10. Sept. 1721. a. Schweden tritt an Rußland ab Lief-
land, Eſthland, Ingermanland und Carelen, einen Theil
von Wiborglehn, nebſt den Inſeln Oeſel, Dagoe und Moen,
und alle andere von der Grenze Curlands bis Wyborg.
b. Dagegen Zuruͤckgabe von Finnland an Schweden und
Entrichtung von 2 Millionen Thalern. c. Der Czar ver-
ſpricht, ſich nicht in die innern Angelegenheiten Schwedens
zu miſchen. d. Polen und England ſind in dieſen Frieden
mit inbegriffen.


22. Die Geſchichte eines ſo gefuͤhrten und ge-
endigten Kriegs zeigt den Wechſel der Dinge im
Norden ſchon an und fuͤr ſich klar genug. Aber
dennoch waren es viel weniger die Gewinne oder
Verluſte des Kriegs, welche die Zukunft hier ent-
Zſchieden;
[354]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
ſchieden; als die innern Verhaͤltniſſe, welche faſt in
allen Staaten des nordiſchen Syſtems, hier zum
Guten, dort zum Boͤſen, ſich entwickelten.


23. Ohne Widerrede ſtand jetzt Rußland
unter ihnen als der erſte da. Dem coloſſaliſchen
Herrſcher des coloſſaliſchen Reichs war es gelungen,
nicht ſowohl ſein Volk, als ſein Heer und ſeine Re-
ſidenz
zu europaͤiſiren. Seine neue Schoͤpfung in
Petersburg ſtand nun feſt; und nicht umſonſt legte
1721er ſich jetzt den Kayſertitel bey. Auch hatte es
Europa bereits gefuͤhlt, daß er ihm naͤher geruͤckt
ſey; aber fuͤr den Norden war doch die neue Herr-
ſchaft der Oſtſee
die Hauptſache. Seitdem Er
ſie mit ſeiner ſelbſtgebauten Flotte ſiegreich befuhr,
war Schwediſche Herrſchaft von ſelbſt gebrochen.


24. Wohin dieſe errungne Uebermacht Ruß-
lands fuͤhren konnte? — wer mogte es ſagen? Es
hieng von der Perſoͤnlichkeit des Herrſchers ab.
Doch blieb der Wirkungskreis Rußlands noch lange
bloß auf den Norden begrenzt; ſeine Seemacht
reichte nicht uͤber die Oſtſee, und ſeine Landmacht
war nur den Nachbaren furchtbar. Peter ſelber
verſchwendete in ſeinen letzten Zeiten ſeine Kraͤfte
gegen Perſien; und hatte er gleich ſeine Nachfolge-
rin ſelber ausgewaͤhlt, ſo fuͤhlte man doch bald,
daß
[355]Von 1700 bis 1740.
daß Er nicht mehr war. Oeftrer ward nachmals
der Thron durch Revolutionen beſetzt; allein es wa-
ren Hofrevolutionen, ohne Stoͤrung der innern
Ruhe; gewoͤhnliche Erſcheinungen in aͤhnlichen gro-
ßen Reichen. Aber die Anlage Petersburgs und
der Beſitz der andern Haͤfen an der Oſtſee, indem
dadurch den Producten des Innern Straßen der
Ausfuhr, ſo wie denen des Auslandes der Einfuhr,
eroͤffnet wurden, bereiteten auch dem Innern des
Reichs eine Umgeſtaltung, die deſto gewiſſer war,
je weniger ſie ploͤtzlich erfolgen konnte.


25. Schweden ſtand da, wie ein Baum
ſeiner Aeſte beraubt; aber leider blieben die Wun-
den, die der Krieg geſchlagen hatte, weder die ein-
zigen, noch die tiefſten. Den Mißbraͤuchen der
unumſchraͤnkten Gewalt ward freylich nach Carl's
Tode abgeholfen; aber die Art, wie dieß geſchah,
fuͤhrte groͤßere Uebel herbey, als ſelbſt die Autocra-
tie nicht herbeygefuͤhrt hatte. Die Ariſtocraten be-
maͤchtigten ſich der Gewalt; der Thron ward durch
Wahl beſetzt; der Reichsrath herrſchte; und dem
Koͤnig blieb wenig mehr als der Titel und die Re-
praͤſentation.


Wahl der juͤngern Schweſter Carl's XII., Ulrica Eleo-
nora
, (mit Uebergehung des Herzog's von Holſtein-Got-
torp, Sohns der aͤltern Schweſter) 21. Febr. 1719. Neue
Conſtitution
: Entſagung der Souperainitaͤt; und An-

Z 2erken-
[356]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
erkennung der Mitregierung des Reichsraths. —
Uebertragung der Krone von der Koͤnigin an ihren Gemahl
Friedrich von Heſſen 3. May 1720 mit noch groͤße-
rer Beſchraͤnkung.


26. Einen noch traurigern Anblick bot Polen
dar. Verwuͤſtet durch die Kriege der Fremden
und der Buͤrger, und in ihrem Gefolge durch Hun-
ger und Peſt, brachte ſelbſt der Friede auch neue
Uebel zur Reife! Der Schwediſche Krieg hatte
zugleich den Religionszwiſt entflammt; und die Je-
ſuiten
ſorgten zu gut dafuͤr, daß das Feuer nicht
geloͤſcht werden konnte. Die Diſſidenten wur-
den
von jetzt politiſche Partie, weil man ſie
zwang, es zu werden.


Anfang der Beraubung der Diſſidenten ihrer politiſchen
Rechte, auf dem Reichstage 1717. Niederreißung ihrer
Kirchen. Greuelſcenen zu Thorn 1724, die faſt den Krieg
mit Rußland erneuert haͤtten. — Ausſchließung der Diſſi-
denten von den Reichstaͤgen, den hohen Stellen und den
Staroſteyen auf dem Reichstage 1733 beſtaͤtigt.


27. Waͤhrend aber Polen ſich in ſich ſelber
aufzuloͤſen ſchien, wurde die neue Preußiſche
Monarchie
in ſich ſelber gebildet. Der Fall
Schwedens befreyte Preußen von einer ſehr laͤſtigen
Nachbarſchaft; und faſt gieng, ſeitdem Friedrich
Wilhelm
I. ſeinem verſchwenderiſchen Vater ge-
1713folgt war, hier nicht weniger als in Rußland eine
neue Schoͤpfung hervor; aber freylich auf ſehr ver-
ſchiedne
[357]Von 1700 bis 1740.
ſchiedne Weiſe. Peter bildete das Große aus dem
Großen; hier ſollte etwas Aehnliches aus dem ver-
haͤltnißmaͤßig Kleinen gebildet werden. Schon dar-
aus folgte, daß Oeconomie die Grundlage der
Preußiſchen Macht werden mußte.


28. Aber dieſe Oeconomie war in einem Staa-
te auf eine eigne Weiſe geformt, der den groͤßern
Theil ſeiner Einkuͤnfte aus ſeinen Domainen zog.
Die Verwaltung von dieſen bildete daher nothwen-
dig den wichtigſten Theil der ganzen innern Admi-
niſtration; und indem nach Aufhebung der Erbpacht
Friedrich WilhelmI. die Domainen-Kammern
errichtete, und ſie einem allgemeinen Directorium1713
unterordnete, legte er den Grund zu dem nachma-1723
ligen Gebaͤude der innern Organiſation der Mon-
archie. Dieſe Einrichtung hatte zur Folge, daß
eine jaͤhrliche beſtimmte Einnahme da war, die
wiederum eben ſo beſtimmte Etats der Ausga-
ben
moͤglich machte; indem die Ueberſchuͤſſe zu
der Sammlung eines Schatzes verordnet wa-
ren. Dieſe Anordnungen beſtimmten den ganzen
Geiſt der Preußiſchen Adminiſtration; der auch
durch die Eroͤffnung von Einkuͤnftequellen, die ih-
rer Natur nach unbeſtimmter waren, wie die Acci-
ſe ꝛc., nicht veraͤndert wurde.


Z 329.
[358]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.

29. So glich der Preußiſche Staat einem gro-
ßen, moͤglichſt ſparſam eingerichteten, Haushalt.
Aber doch auch im Privatleben haͤlt man den Haus-
halt nicht gerade fuͤr den vollkommenſten, der der
ſparſamſte iſt. Wie vollends, wenn der Grund
dieſer ſtrengen Oeconomie die Befriedigung einer
Lieb[ha]berey iſt; denn viel mehr war doch bey Frie-
drich Wilhelm I. — ohne großen Feldherrn- und
Eroberungsgeiſt — ſein Soldatenweſen nicht. Aber
doch, welche Folgen mußte die Bildung einer Mon-
archie haben, in der die Armee die Haupt-
ſache war?


30. Welche Anwendung von dieſem Heer ge-
macht werden ſollte, hieng von dem Genie der Herr-
ſcher ab. Aber es war nicht bloß dadurch, daß
Preußen auf das uͤbrige Europa einwirkte; es war
die verhaͤltnißmaͤßige Staͤrke und die innere Einrich-
tung dieſes Heers, das bald den uͤbrigen zum Mu-
ſter dienen ſollte, wodurch die nachmalige Form
der ſtehenden Heere uͤberhaupt am meiſten ſich be-
ſtimmte. Die Maxime, eine groͤßere Armee haben
zu wollen, als die Bevoͤlkerung liefern konnte, fuͤhr-
te zu dem Syſtem der fremden Werbungen,
und allen damit verbundenen Greueln; woraus wie-
derum jener entſetzliche Zwang hervorgehen mußte,
der unmoͤglich dazu dienen konnte, den Stand des
gemei-
[359]Von 1700 bis 1740.
gemeinen Kriegers geachtet oder wuͤnſchenswerth zu
machen.


31. Die geographiſche Lage dieſes Staats war
ſo, daß man zweifeln konnte, ob er mehr dem
Weſten oder Oſten angehoͤre. Er mußte ſich faſt
auf gleiche Weiſe in die Angelegenheiten beyder ver-
flochten ſehen; nur die Haͤndel der Seemaͤchte und
die Tuͤrkenkriege lagen außerhalb ſeiner Sphaͤre.
Man ſah auch ſchon unter Friedrich Wilhelm I.
die Beweiſe davon. Aber noch in gutem Verneh-
men mit Oeſtreich, wuͤrden ſich ſeine Hoffnungen
auf die Erhaltung einiger Weſtphaͤliſchen Provin-
zen beſchraͤnkt haben, haͤtte nicht der nordiſche
Krieg Gelegenheit zu der Vergroͤßerung in Pom-
mern gegeben.


32. Daͤnemark, wenn gleich in den nordi-
ſchen Krieg mit hereingezogen, erlitt die wenigſte
Veraͤnderung. Zwar trug es aus dieſem Kriege
Schleswig als Beute davon; aber die Zeiten
ſollten kommen, wo das beleidigte Haus Hollſtein-
Gottorp ihm fuͤr dieſe Beeintraͤchtigung bittere
Sorgen zu erregen im Stande war.


33. Die letzten Friedensſchluͤſſe hatten keine
ſtreitige Fragen uͤbrig gelaſſen; und die Uebermacht
Rußlands und die Erſchoͤpfung des gebeugten
Z 4Schwe-
[360]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
Schwedens war zu groß, als daß der Groll, der
hier zuruͤckblieb, ſchnelle Folgen haͤtte haben koͤn-
nen. Unter den zwey naͤchſten Regierungen nach
Peter's Tode, ſowohl der von CatharinaI.,
als von PeterII., war auswaͤrtige Politik nicht
der Gegenſtand, der die Ruſſiſche Regierung am
meiſten beſchaͤftigte; denn Menſchikow, und nach
ſeinem Fall die Dolgorukys, hatten zu viel fuͤr
ſich zu thun; was lag ihnen am Auslande? Auch
die Verbindung mit Oeſtreich, in welche Catha-
1726rinaI. durch das Wiener Buͤndniß gezogen wurde
(ſ. oben S. 310.), blieb noch vor's erſte ohne
Folgen.


Regierung von CatharinaI., ganz unter Menſchi-
kow's Leitung, 1725 9. Febr. bis 16. May 1727. Unter
ihrem Nachfolger PeterII. († 17. Jan. 1730) Fall von
Menſchikow, Sept. 1727, und Herrſchaft der Dolgorukys.


34. Aber ganz aͤnders wurde es, ſeitdem die
1730
Fbr.
bis
1740
Oct.
Nichte Peter's des Großen, Anna, verwittwete
Herzogin von Curland, den Thron beſtieg. Der
Verſuch zur Beſchraͤnkung der hoͤchſten Gewalt
ſtuͤrzte die einheimiſchen Großen; und erſt jetzt bil-
dete ſich in Rußland ein Cabinet, beſtehend aus
Fremden. Sehr verſchieden in ihren Hoffnungen
und Entwuͤrfen, bedurften doch Alle des aͤußern
Glanzes des Reichs; und ſchon eingeweiht in die
Myſterien der Politik ſuchten ſie ihn in den auswaͤr-
tigen
[361]Von 1700 bis 1740.
tigen Verhaͤltniſſen. Aber es waren Maͤnner, zum
Theil gebildet in der Schule Peter's des Großen.
Wo ein Muͤnich und Oſtermann wirkten,
fuͤhrte ſelbſt das Spiel der Hofintriguen zu kuͤhnen
Entwuͤrfen; denn auch ſelbſt der allgewaltige Guͤnſt-
ling Biron ſah darin bald das einzige Mittel,
die Nation ungeſtraft zu deſpotiſiren.


  • Mémoires politiques et militaires ſur la Ruſſie dépuis l'an-
    née 1727 jusqu'à 1744 par le général de Manstein. à
    Leipſic
    1771. — Fuͤr die Hof- und Kriegsgeſchichte die
    Hauptquelle.
  • Beytraͤge in: Buͤſching's Magazin B. I. II. III ꝛc. im Rei-
    che ſelbſt geſammelt.

35. Eine Veranlaſſung zu dieſer auswaͤrtigen
Thaͤtigkeit bot ſchon das Herzogthum Curland dar.
Als Lehen von Polen ſollte es bey der bevorſtehen-
den Erloͤſchung des Herzoglich-Kettlerſchen Hauſes
an dieſes zuruͤckfallen, um eingezogen zu werden;
allein die Staͤnde hatten ſich dieſem widerſetzt; und
Anna nutzte dieſe Verhaͤltniſſe, es ihrem Liebling
Biron zu verſchaffen. Seit dieſem Zeitpunct be-
ſetzte Rußland dieſes Herzogthum; aber die Staats-
veraͤnderungen in dieſem Reiche wirkten auch faſt je-
desmal auf Curland zuruͤck.


Schon 1726 hatten die Staͤnde, um der Vereinigung mit
Polen vorzubeugen, Graf Moriz von Sachſen zum Nach-
folger des Herzogs Ferdinand noch bey deſſen Lebzeiten ge-
waͤhlt; der ſich aber nicht behaupten konnte. Nach dem

Z 5Tode
[362]II.Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
Tode Ferdinand's 1737 Wahl des Herzogs Ernſt von
Biron
unter Ruſſiſchem Einfluß. Nach deſſen Falle 1741
bleibt Curland von Ruſſiſchen Truppen beſetzt; und wenn
gleich Prinz Carl von Sachſen 1759 von Polen die Be-
lehnung erhielt; ſo ward doch Ernſt von Biron nach
ſeiner Zuruͤckrufung aus dem Eril 1763 von PeterIII.
wieder zum Herzog erklaͤrt, und auch von Catharina II.
beſtaͤtigt.


36. Aber eine viel wichtigere Gelegenheit bot
1733ſich dar, als mit dem Tode Auguſt'sII. der Pol-
niſche Koͤnigsthron erledigt wurde. Die Nation
wollte nur einen Inlaͤnder; und waͤhlte, von Frank-
reich geleitet, den Schwiegervater Ludwig's XV.,
Stanislaus Leſcinsky, zum zweytenmal; mit
ſeltener Einigkeit. Allein Auguſt von Sachſen ge-
wann Rußland, indem er Biron Curland ver-
ſprach; und Oeſtreich durch die Anerkennung der
pragmatiſchen Sanction. Eine Ruſſiſche Armee
entſchied fuͤr AuguſtIII.; waͤhrend nur ein Fran-
zoͤſiſches Corps Stanislaus zu Huͤlfe kam; und
wenn gleich Frankreich und ſeine Verbuͤndeten Gele-
genheit fanden, ſich im Weſten reichlich zu entſchaͤ-
digen (ſ. oben S. 313.), ſo verlohr es dafuͤr
auch auf immer ſein Zutrauen in Polen.


Wahl von Stanislaus Leſcinsky, (der ſelbſt im Geheim
nach Polen gekommen war), geleitet durch den Fuͤrſt Pri-
mas, 9. Sept. 1733. Aber ſchnelles Einruͤcken der Ruſſen
unter Laſcy; und Gegenwahl Auguſt'sIII. 5. Oct. von
einer Handvoll Edelleute; indem Stanislaus ſich nach
Danzig retirirt. Graf Muͤnich erhaͤlt den Oberbefehl,

um
[363]Von 1700 bis 1740.
um ihn — vom Hofe zu entfernen. Belagerung und Ein-
nahme Danzigs, nachdem Stanislaus verkleidet entwiſcht
war, 30. Juni 1734. Gaͤnzliche Beylegung des Streits
auf dem Pacifications-Reichstag Jul. 1736. Man
erhielt fuͤr jetzt die Raͤumung von den fremden Truppen.


37. Das Reſultat dieſes Krieges war alſo,
daß AuguſtIII. den Polniſchen Thron behielt,
den er fremdem Schutze verdankte. Seine Regie-
rung ſchien faſt ganz eine Fortſetzung der ſeines Va-
ters zu ſeyn; und die Saat von Uebeln, die un-
ter dieſem im Innern aufgekeimt war, konnte jetzt
recht gedeihen, weil eine lange Periode des Frie-
dens folgte. So hinderte die Großen nichts, ihre
Sitten im Auslande zu verderben, wozu die Pracht-
liebe des Koͤnigs ſelber einlud. Nirgends aber war
dieß Verderbniß dem Staat ſo furchtbar als hier,
wo der Adel, und unter dem Adel die Großen,
die Nation bildete; und die Sitten allein die
Maͤngel der Verfaſſung weniger fuͤhlbar machten.
So verſchlimmerte ſich daher Alles, indem man nur
glaubte, daß Alles beym Alten bliebe. Der Zeit-
punct des Erwachens aus dieſer Lethargie mußte
einſt kommen; aber was konnte es fuͤr ein Zeit-
punct ſeyn!


38. Waͤhrend Polen ſo fort vegetirte, und in
Schweden der Kampf der Factionen ſich vorbereite-
te, wandte ſich die Macht von Rußland gegen
die
[364]II. Per. B. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
die Tuͤrken. Die Hofpartien fanden es gerathen,
jetzt den alten Gedanken von Peter auszufuͤhren,
den Frieden am Pruth zu raͤchen; und indem man
die Herrſchaft Rußlands wiederum bis ans ſchwarze
Meer ausdehnte, zugleich Muͤnich als Oberbefehlsha-
ber zu beſchaͤftigen. Der Zeitpunct ſchien nicht uͤbel
gewaͤhlt; denn die Pforte war in Aſien mit dem
Eroberer Nadir Schah im Kampfe; aber der Er-
folg zeigte doch, daß man ſich in manchem Puncte
gar ſehr verrechnet hatte.


Glaͤnzende, aber ſehr koſtſpielige, Feldzuͤge Muͤnich's
1735 bis 1739. Eroberung Aſow's, und Vordringen in
die Krim, ohne ſich behaupten zu koͤnnen, 1736. Feſtſet-
zung an den Muͤndungen des Dniepers und blutige Er-
oberung Otſchakow's 1737. Allein ungluͤcklicher Feldzug
des Jahrs 1738 durch Mangel und Peſt in den Wuͤſten der
Ukraine. Dafuͤr 1739 gluͤckliches Vordringen uͤber den Nie-
ſter; Sieg bey Stawutſchane 28. Auguſt; wovon die
Eroberung von Chotſchim und die Einnahme der Mol-
dau die Folge war.


  • Lebensbeſchreibung des Ruſſ. Kayſerl. Generalfeldmarſchalls
    B. C. Grafen von Muͤnich von G. A. von Halem. Olden-
    burg 1803.

39. Aber zum Ungluͤck Rußlands fand es in
dieſem Kriege an Oeſtreich einen Verbuͤndeten,
dem der Allianzvertrag mit Catharina I. einen Vor-
wand zur Theilnahme gab. Aber die Hoffnung der
Eroberungen ward hier ſehr getaͤuſcht. Die Tuͤrken
merkten es bald, daß Eugen nicht mehr war; und
die
[365]Von 1700 bis 1740.
die Eiferſucht der Verbuͤndeten erleichterte ihnen ihr
Spiel. Die Verluſte der Oeſtreicher brachten dieſe
zu dem ſchmaͤhligen Belgrader Frieden; und da-
durch war auch der Weg zum Frieden mit Ruß-
land gebahnt.


Feldzuͤge der Oeſtreicher von 1736 bis 1738; Verdraͤn-
gung aus Servien, Bosnien, der Wallachey. Die Gene-
rale mußten die Schuld des Hofes tragen. Der Groß-
vezier ruͤckt vor Belgrad 1739; unter deſſen Manern
unter Franzoͤſiſcher Vermittelung Abſchluß des Friedens
18. Sept. 1739 — den Carl VI. ſelber glaubte bey Anna
entſchuldigen zu muͤſſen. Bedingungen: 1. Raͤumung und
Zuruͤckgabe von Belgrad, Orſowa und Sabacz an die Pfor-
te. 2. Abtretung von Servien und der Oeſtreichiſchen Wal-
lachey. 2. Der Bannat bleibt dagegen Oeſtreich. — Auch
Rußland glaubte nun Frieden ſchließen zu muͤſſen, in
welchem 1. Aſow, aber geſchleift, Rußland bleibt. 2. Eine
Grenzerweiterung in der Ukraine. 3. Alle andre Eroberun-
gen aber an die Pforte zuruͤckgegeben werden muͤſſen.


40. So verlohr Oeſtreich durch dieſen Frieden
alle Fruͤchte der Siege Eugen's; und die Entwuͤrfe
Rußlands zur Feſtſetzung an dem ſchwarzen Meer
blieben einer ſpaͤtern Zeit zur Ausfuͤhrung aufbe-
wahrt. Indeß hielt man hier die Schmach am
Pruth geraͤcht; und dieſer Glaube war nicht viel
weniger als Wahrheit. Was auch der Krieg geko-
ſtet hatte; — die Ueberlegenheit der Ruſſen war
entſchieden; das Innere der Ruſſiſchen Heere war
vervollkommnet; und nicht mit Unrecht iſt Muͤnich
der Eugen des Nordens genannt.


Dritter
[366]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Dritter Zeitraum.
Von 1740 bis 1786
.


Erſter Theil.
Geſchichte des ſuͤdlichen Europaͤiſchen Staatenſyſtems in
dieſem Zeitraum.

1. Der jetzt folgende Zeitraum wurde in ſo viel-
facher Ruͤckſicht merkwuͤrdig, daß es ſchwer iſt, ihn
von allen Seiten darzuſtellen. Es war der Zeit-
raum, in welchem die Cultur Europas vielleicht ihre
hoͤchſte Stufe, gewiß ihre groͤßte Ausdehnung, er-
reichte; und die Voͤlker dieſes Welttheils eben da-
her ſich einander aͤhnlicher machte. Weit verbrei-
tete Sprachen erleichterten die allgemeine Circulation
der Ideen; und die Verſchiedenheit der Religionen
fieng immer mehr an, ihre Wichtigkeit auch im
Privatleben zu verlieren; nachdem ſie ſie ſchon vor-
her unter den Regierungen verlohren hatte.


2. Dieſer Wachsthum einer vielſeitigen Cultur
zeigte ſich daher auch auf die vielfachſte Weiſe.
Die Staatskunſt nicht weniger als die Staatswirth-
ſchaft
[367]Von 1740 bis 1786.
ſchaft wurden vervollkommnet; der Welthandel er-
hielt einen Umfang und eine Wichtigkeit, die alles
bisherige uͤbertraf. Alle Meere wurden durchſchifft,
und die entlegenſten Laͤnder durchforſcht. Die
Kriegskunſt erhielt als Kunſt ihre volle Ausbildung.
Und dieß Alles geſchah nicht bloß practiſch; ſon-
dern der Zeitgeiſt gefiel ſich nicht weniger in der
Gruͤndung von Theorien. Alles der Unterſuchung
zu unterwerfen, Alles zum Gegenſtande des Rai-
ſonnements zu machen, war ſeine hervorſtechende
Eigenthuͤmlichkeit; was glaubte er nicht ergruͤnden
zu koͤnnen, und ergruͤndet zu haben!


3. Eine Folge dieſer ſich ſo ſehr verbreitenden
Cultur war das große Anſehen, welches ausgezeich-
nete Schriftſteller ſich zu verſchaffen im Stande wa-
ren. Die gebildeten Claſſen der Geſellſchaft hatten
ſich weit mehr genaͤhert, als in irgend einem fruͤhern
Zeitraum; die Scheidewand, welche Sitten und
Lebensart ſonſt zwiſchen den Buͤrgerlichen und dem
Adel gezogen hatten, fiel weg, ſeitdem litterariſche
Bildung beyden gemein, und von beyden geſchaͤtzt
wurde; und wie wenig auch der Adel von ſeinen
Rechten nachzulaſſen gemeint war, ſo viel ließ er
doch von ſeinen Anſpruͤchen im geſellſchaftlichen Le-
ben nach. Dieſe große Veraͤnderung gieng aber ge-
rade von der Stadt aus, die als die Tonangebo-
rin
[368]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
rin betrachtet wurde; wie mußte dieß nicht auf das
uͤbrige Europa zuruͤckwirken?


4. Wenn daher auch die Cabinetspolitik in
Europa ihre alten Formen behielt, ſo wirkten doch
Dinge auf ſie ein, die vormals nicht eingewirkt
hatten. Große Schriftſteller, in allen, auch den
hoͤhern, Kreiſen geleſen, leiteten die oͤffentliche Mei-
nung; und ihre Stimme galt fuͤr Auctoritaͤt. Moch-
ten ſie auch nicht ſelber im Cabinet ſitzen; moch-
ten ſie auch auf die Angelegenheiten des Tages kei-
nen directen Einfluß haben, ſo erweiterte ſich doch
durch ſie auf mannichfaltige Weiſe der Kreis der
Ideen; und bey ſo vielen der practiſch-wichtigſten
Gegenſtaͤnde die ganze Anſicht. Wie vollends,
wenn die Staatsmaͤnner, wenn die Koͤnige ſelber
Schriftſteller wurden, und im Umgange mit Schrift-
ſtellern lebten? Konnte dieß ohne Einfluß auf den
Geiſt der practiſchen Politik, der innern und der
aͤußern, bleiben? Mußte darauf nicht weniger die
große Veraͤnderung, leider! meiſt Verſchlimmerung,
der Denkart zuruͤckwirken, die aus der Verminderung
des religioͤſen Sinns, nicht bloß bey den Großen,
ſondern ſelbſt bey dem Volke, hervorgieng? Wie
duͤrftig wuͤrde alſo die Geſchichte dieſes Zeitraums
ausfallen, wollte man dieſe Erſcheinungen, wollte
man den Einfluß, den ſie auf den Zuſtand von
Europa gehabt, außer Augen laſſen!


5. Wie
[369]Von 1700 bis 1740.

5. Wie Manches, ſeiner Natur nach nicht
unmittelbar Politiſche, darf hier alſo nicht unbe-
merkt bleiben, wenn die große Frage beantwortet
werden ſoll, wie in eben der Zeit, wo das ſtolze
Gebaͤude des Europaͤiſchen Staatenſyſtems in ſei-
ner ganzen Kraft und Feſtigkeit da zu ſtehen ſchien,
es doch auf ſo vielen Seiten untergraben, und ſei-
ne Hauptſtuͤtzen wankend gemacht werden konnten.
Mochte auch ſchon in fruͤhern Zeitraͤumen dazu der
Anfang gemacht ſeyn, ſo iſt es doch unleugbar,
daß es vorzugsweiſe in dieſem Zeitraum, — wenn
gleich dem Zeitalter ſelbſt unbemerkt — geſchah.
Nur ein allenthalben untergrabenes Gebaͤude konnte
einen ſo ſchrecklichen Umſturz erfahren, als das
Europaͤiſche Staatenſyſtem ihn erfahren hat!


6. Sollte dieſer Zeitraum mit einem allgemei-
nen Namen bezeichnet werden, ſo wuͤrde er den
Namen des Deutſchen Zeitraums tragen. Auf
allen Hauptthronen Europas (die Bourboniſchen
ausgenommen) ſaßen Deutſche; Friedrich, Maria
Thereſia, Catharina. Deutſche Heere wurden die
Muſter der Kriegskunſt; Deutſche Laͤnder der
Staatsverwaltung. Niemand machte dieſer Nation
den Ruhm der Wiſſenſchaft ſtreitig; und wenn bey
dem hohen Aufſchwunge ihrer Litteratur ihre Schrift-
ſteller doch mehr ihr als Europa angehoͤrten, ſo
A ahat
[370]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
hat ſie dagegen den Troſt, keinen der Sophiſten
in ihrer Mitte erzogen zu haben, deren vielgeleſene
Schriften den Umſturz der beſtehenden Ordnung
ſo weſentlich vorbereiten halfen.


7. Bey der Darſtellung der Staatshaͤndel die-
ſes Zeitraums iſt es eine eigenthuͤmliche Erſchei-
nung, daß der Weſten und der Norden von En-
ropa viel tiefer in einander verſchlungen wurden,
als in einem der fruͤhern Zeitraͤume. Der Grund
davon lag in dem Aufbluͤhen der Preußiſchen Mon-
archie. Seitdem dieſe in die Reihe der erſten
Maͤchte ſich ſtellte, wurde ſie auch der Ring, wel-
cher die Kette beyder Staatenſyſteme verband.
Wenn jedoch dieſe Verbindung auch nicht unbemerkt
bleiben darf; ſo blieb doch dem Norden ſein eignes
Intereſſe; und es war mehr Preußen ſelber, das
in die Haͤndel des einen und des andern Staaten-
ſyſtems verflochten wurde, als daß beyde wirklich
zu Einem Syſtem ſich dauernd verſchlungen haͤtten.


I. Staatshaͤndel in Europa von 1740 bis 1786.

a. Bis zu der Verbindung zwiſchen Frankreich und Oeſtreich.
von 1740 bis 1756.

[Zur] Sammlungen von Staatsſchriften von Wenk und
[von]Martens ſ. oben S. 2. Eine allgemeine Ueberſicht
d[er] Friedensſchluͤſſe daraus giebt:


Geiſt
[371]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.
  • Geiſt der merkwuͤrdigſten Buͤndniſſe und Friedensſchluͤſſe des
    18ten Jahrhunderts, von Chr. D. Voß. 5 Bde. 8. 1802.
    Fuͤr dieſen Zeitraum gehoͤrt der 4te Band.
    Eine allgemeine Bearbeitung dieſes denkwuͤrdigen Zeit-
    raums haben wir noch nicht; einen Anfang dazu macht:
  • J. C. Adelung's pragmatiſche Staatsgeſchichte Europas von
    dem Ableben Kayſer Carl's VI. an bis auf die gegenwaͤr-
    tige Zeit; VI Thle. 1762 ꝛc. geht nur bis auf 1759. —
    Sehr gruͤndlich und umfaſſend; aber fuͤr 19 Jahre ſind 6
    [Quartbaͤnde] doch etwas zu viel!
    Auch die Memoirs fangen jetzt leider! an ſeltner zu
    werden. Ihre Stelle vertreten gewiſſermaßen:
  • Oeuvres poſthumes de Frederic II. 1788. T. I-V. Fuͤr die
    Geſchichte gehoͤren: T. I. II. enthaltend die Hiſtoire de mon
    temps
    von 1741 bis 1745. Das geiſtreichſte der hiſtoriſchen
    Werke des gekroͤnten Verfaſſers; aber nicht ohne Animoſitaͤt.
    T. III. IV. die hiſtoire de la guerre de ſept ans. Wie es
    der Titel ankuͤndigt, faſt bloße Kriegsgeſchichte. T. V. Hi-
    ſtoire dépuis 1763 jusqu' à 1778.

    Die Menge der Zeitungen und politiſchen Zeit-
    ſchriften
    nahm in dieſer Periode außerordentlich uͤber-
    hand. Nach Aufhoͤren der oben S. 278. angefuͤhrten, ward
    die vollſtaͤndigſte:
  • Politiſches Journal, Altona ſeit 1781. jaͤhrlich 2 Baͤn-
    de. (Herausgegeben von Schirach.)
    Fuͤr die chronologiſche Ueberſicht iſt ſehr brauchbar:
  • A. Chr. Wedekind Chronologiſches Handbuch der neuern Ge-
    ſchichte von 1740 bis 1807. Luͤneburg 1808.

8. Der Zeitraum begann ſogleich mit einer
großen Erſchuͤtterung des Staatenſyſtems von Eu-
ropa, die ſelbſt, in ſo fern ſie die Aufloͤſung einer
ſeiner Hauptmonarchien zum Zweck hat[te,] einen
Umſturz des Ganzen zu drohen ſchien. D[as][A]us-
A a 2ſterben
[372]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſterben des Oeſtreichiſchen oder Habsbur-
giſchen Mannsſtamms
mit CarlVI., der ſo
wie ſein aͤlterer Bruder Joſeph nur Toͤchter hinter-
ließ, gab dazu die Veranlaſſung.


Tod Carl's VI. 20. Oct. 1740. Seine aͤltere Tochter,
Maria Thereſia (geb. 1717), nach der pragmatiſchen
Sanction Erbin ſeiner ſaͤmmtlichen Staaten, war vermaͤhlt
mit Franz Stephan, geweſenen Herzog von Lothrin-
gen; ſeit 1737 Großherzog von Toſcana (ſ. oben S. 313.).
Von den Toͤchtern Kayſer Joſeph'sI. war die aͤltere,
Maria Joſepha, vermaͤhlt mit Auguſt III., Koͤnig von
Polen und Churfuͤrſt zu Sachſen; die juͤngere, Maria
Amalia
, mit Carl Albert, Churfuͤrſt zu Bayern.


9. In eben dieſem Jahre war auch bereits
1740
31.
Mai
FriedrichII. ſeinem Vater gefolgt. Er beſtieg
den Thron mit dem Vorſatz, Preußen in die Reihe
der erſten Maͤchte zu ſtellen; und ſah dazu die
Mittel in der Vergroͤßerung. Von der Seite des
Rechts begehrte er ſelber kaum ſein Unternehmen
darzuſtellen; aber von der Schaar der gemeinen
Eroberer unterſcheidet er ſich durch einen beſtimmten
Zweck. Er wollte nicht mehr, als zu dieſem er-
forderlich war; und die Eroberung Schleſiens
ſchien ihm dazu hinzureichen. — Die Anſpruͤche
auf einige Theile desſelben gaben den Vorwand.
So begann — unter vielfacher Beguͤnſtigung der
politiſchen Verhaͤltniſſe — noch in dieſem Jahre
der erſte Schleſiſche Krieg.


Preu-
[373]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.

Preußiſche Anſpruͤche auf die Schleſiſchen Herzogthuͤmer:
1. Jaͤgerndorf. Es gehoͤrte vormals einem juͤngern
Zweige der Churlinie; allein der Herzog Johann Georg
war, als Anhaͤnger des Churfuͤrſten von der Pfalz, Frie-
drich V., von dem Kayſer Ferdinand II. 1623 in die Acht
erklaͤrt; und weder er noch ſeine Erben reſtituirt. 2. Lieg-
nitz, Brieg
und Wohlau. Die Anſpruͤche gruͤndeten
ſich auf eine Erbverbruͤderung von 1537 zwiſchen dem dama-
ligen Herzog, und Churfuͤrſt Joachim II., der jedoch Fer-
dinand I. als Koͤnig von Boͤhmen und Oberlehnsherr wi-
derſprochen hatte. Nach Abgang des herzoglichen Hauſes
1675 ſetzte ſich Oeſtreich in Beſitz; und 1686 entſagte ihnen
der Churfuͤrſt Friedrich Wilhelm gegen Abtretung des Schwi-
buſſer
Kreiſes; der jedoch durch einen geheimen Tractat
mit dem damaligen Churprinzen wieder Oeſtreich zugeſi-
chert, und nach ſeinem Regierungsantritt wirklich 1695 abge-
treten wurde. — Wie gegruͤndet oder ungegruͤndet dieſe
Anſpruͤche waren, ſo zeigt das ganze Benehmen Frie-
drich's
, daß er ſie lieber mit den Waffen als durch Un-
terhandlung ausmachen wollte; denn nur ſo war ganz Schle-
ſien zu gewinnen. — Einfall in das faſt wehrloſe Land
Dec. 1740, und meiſt unblutige Einnahme bis zur Schlacht
bey Molwitz 10. April 1741.


10. Dieſe raſche Unternehmung Friedrich's
trug viel dazu bey, auch ein viel groͤßeres Project
am Franzoͤſiſchen Hofe zur Reife zu bringen;
nicht von dem dirigirenden Miniſter, Cardinal Fleu-
ry, ſondern einer Hofpartie gefaßt, deren Haͤupter,
der Marſchall Belleisle und ſein Bruder, ſich
dadurch geltend machen wollten. Es hatte nichts
geringeres zum Zweck, als mit der Entreißung der
Kayſerkrone auch zugleich die Zertruͤmmerung der
Oeſtreichiſchen Monarchie.


A a 311.
[374]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

11. Kein Schein des Rechts konnte hier vor-
gewandt werden; denn Frankreich hatte die prag-
matiſche Sanction nicht bloß anerkannt, ſondern ga-
rantirt. Allein man glaubte den Zeitpunct zu ſe-
hen, den alten Rival Frankreichs zu ſtuͤrzen, und
ſeine Provinzen vergeben zu koͤnnen. Der zerruͤttete
Zuſtand der Oeſtreichiſchen Monarchie, und die Ge-
wißheit, Verbuͤndete finden zu koͤnnen, lud dazu
ein. Aber doch zeigte ſich, daß die eignen Mittel
ſchlecht berechnet waren; und waͤre es gelungen,
wuͤrde Frankreich ſelber dabey gewonnen haben?
Die Herrſchaft Europas, womit es ſich ſchmeicheln
mochte, war fuͤr ſeine damalige Lage ein leercs
Phantom. Es haͤtten ganz andere Maͤnner dazu
gehoͤrt, dieſe zu behaupten, als Frankreich im Fel-
de und im Cabinet aufweiſen konnte!


  • Mémoires pour ſervir à l' hiſtoire de l' Europe dépuis 1740
    jusqu'à 1748. III Vol. 8. 1752. (par Mr. de Spohn).

    Ganz fuͤr das Intereſſe Frankreichs geſchrieben.

12. Aber die Ungerechtigkeit ſelbſt bedurfte
doch einen Vorwand; und wenn man dieſen in
der Unterſtuͤtzung fremder Anſpruͤche fand, ſo knuͤpf-
te ſich daran das Beduͤrfniß fremder Buͤndniſſe.
Schon hierin lag das ſtillſchweigende Geſtaͤndniß
der Schwaͤche. Eine Macht, die ſich zur Herr-
ſcherin der uͤbrigen erheben will, mag nur darauf
Verzicht leiſten, wenn ſie es nicht durch eigne Kraft
kann.
[375]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.
kann. Die eignen Verbuͤndeten werden ſie bald
verlaſſen; und Frankreich mußte davon bittere Er-
fahrungen machen. In keinem der fruͤhern großen
Kriege war ein ſolcher Wechſel der Buͤndniſſe gewe-
ſen; denn niemals hatten die Abſichten der Al-
liirten ſo wenig unter ſich uͤbereingeſtimmt. Konn-
te außer Frankreich irgend einer der Verbuͤndeten
eine gaͤnzliche Aufloͤſung der Oeſtreichiſchen Monar-
chie im Ernſt wuͤnſchen, oder auch hoffen?


13. Kein Wunder indeß, wenn Frankreich an-
fangs der Bundsgenoſſen viele und maͤchtige fand, da
die Hoffnung des Gewinns zu lockend war. Auf
Bayern, den Verbuͤndeten in dem vorigen Suc-
ceſſionskriege, war auch jetzt vor Allen die Auf-
merkſamkeit Frankreichs gerichtet, um einen Can-
didaten zur Kayſerkrone
zu haben. Chur-
fuͤrſt Carl Albrecht fand aber auch außerdem,
daß ihm eigentlich die ganze Oeſtreichiſche Monar-
chie gehoͤre. Dasſelbe entdeckte fuͤr ſich auch Spa-
nien; und bald fand auch Sachſen, daß die prag-
matiſche Sanction keine Guͤltigkeit haben koͤnne,
und ihm die naͤchſten Rechte zuſtaͤnden. So ſah
Europa das ſonderbare Schauſpiel, daß drey
Maͤchte, jede auf das Ganze Anſpruch machend,
ſich mit Frankreich vereinigten, das ſelber keinen
weitern Vorwand hatte, als die Rechte Aller ver-
theidigen zu wollen.


A a 4An
[376]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Anſpruͤche von Bayern, gegruͤndet auf ein Teſtament
Kayſer Ferdinand's I., deſſen Original aber das nicht ent-
hielt, was es enthalten ſollte. — Die von Spanien auf
eine ſehr gelehrte Genealogie: einen Vertrag zwiſchen
Carl V. und ſeinem Bruder Ferdinand, bey Abtretung
der Deutſchen Laͤnder; und einen Vorbehalt Philipp's
III. bey Verzichtleiſtung auf die Oeſtreichiſche Erbfolge 1617.
— Die von Sachſen auf die Rechte der Gemahlin Au-
guſt's III. als aͤlteſten Tochter Joſeph's I.Geheimes
Buͤndniß zu Nymphenburg
18. May 1741 zwiſchen
Frankreich, Bayern und Spanien, dem auch Sachſen 1.
Nov. beytrat.


14. Unter dieſen Umſtaͤnden hielt es auch
FriedrichII. fuͤr zweckmaͤßig, der Verbindung
gegen Oeſtreich ſich anzuſchließen; und zum erſten
1740
1.
Nov.
mal ward Preußen Aliirter von Frankreich.
Wie verſchieden aber die Abſichten des Koͤnigs von
denen der Alliirten waren, zeigte ſich bald. Sie
ſollten ihm nur als Mittel zu ſeinem Zwecke die-
nen; und wenn er ihnen beytrat, ſo war es mit
dem ſtillſchweigenden Vorbehalt, wieder zuruͤckzu-
treten, ſobald es ſeine Convenienz verſtattete.


15. So ſah alſo Maria Thereſia, die ihren
Gemahl zum Mitregenten annahm, (ohne ihm
je großen Antheil an der Regierung zu verſtatten;)
mehr wie halb Europa gegen ſich im Bunde; und
kaum war von außen Huͤlfe zu erwarten. England
war bereits mit Spanien in offenem Kriege; und
in Schweden nutzte die auswaͤrtige Politik das Ge-
wuͤhl
[377]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.
wuͤhl der Factionen, es in einen Krieg mit Ruß-
land zu verwickeln (ſ. unten). Nur die Hoff-
nung auf eigne Kraft blieb uͤbrig; aber nicht bloß
die Entreißung der Kayſerkrone, durch die Wahl
Carl'sVII. von Bayern, ſondern auch der Gang1742
24.
Jan.

des Kriegs war keineswegs dazu gemacht, die Hoff-
nung zu beleben. Was Carl VII. durch die Kay-
ſerkrone gewann, war ſehr wenig; aber was Oeſt-
reich verlohr, gewiß ſehr viel.


Verbindung der Franzoͤſiſchen Armee unter Belleisle mit
der Bayriſchen 1741 Sept.; Eindringen in Oberoͤſtreich
(das jedoch bald wieder befreyt wurde) und Boͤhmen, und
Eroberung von Prag in Vereinigung mit den Sachſen 26.
Nov., wo Carl VII. ſich als Koͤnig von Boͤhmen huldigen
laͤßt 19. Dec., ſo wie Friedrich II. in dem nun ganz er-
oberten Schleſien. Eine zweyte Franzoͤſiſche Armee unter
Maillebois in Weſtphalen erhielt die Neutralitaͤt der See-
maͤchte. Vertrag deshalb mit Georg II. 27. Sept.


16. Allein die drohende Gefahr der Oeſtreichi-
ſchen Monarchie erlaubte dennoch bald England
nicht, ruhiger Zuſchauer zu bleiben, ungeachtet des
Spaniſchen Kriegs. Die Stimme der Nation
forderte zu laut eine thaͤtige Theilnahme, als daß
bloße Subſidien hingereicht haͤtten. Konnte es,
ohne ſeine ganze bisherige Politik aufzugeben, ſeinen
erſten Verbuͤndeten auf dem Continent ohne Bey-
ſtand laſſen? Fuͤr ſo ſtuͤrmiſche Zeiten war aber
Walpole nicht gemacht; er machte dem heftigern
A a 5Car-
[378]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
1742
24.
Jan.
Carteret Platz, wovon thaͤtige Huͤlfleiſtung die
Folge war. So mußte alſo, bey Spaniens Ver-
bindung mit Frankreich, der Spaniſche Krieg ſich
von ſelber mit dem Deutſchen verſchmelzen, wie
verſchieden in ihrem Urſprunge ſie auch anfangs ge-
weſen waren. Die Brittiſchen Subſidien fanden
auch bereits bey Sardinien Eingang.


Schon fruͤher ein Subſidientractat Englands mit Oeſt-
reich 24. Jun. 1741. — Jetzt Verſammlung einer Brit-
tiſch-Deutſchen Armee in den Niederlanden; und zugleich
Subſidien an Sardinien, das durch einen Vertrag 1.
Febr. 1742 ſich zur Aufrechthaltung der Neutralitaͤt Ita-
liens verbindlich machte.


17. Aber noch vor dem Ende des Jahrs zer-
fiel bereits das Buͤndniß gegen Oeſtreich, da Frie-
drich
II. zuruͤcktrat. Er beſaß Schleſien; und der
17.
Mai
Sieg bey Czaslau ſchlug die Hoffnung nieder,
es ihm wieder zu nehmen. Er ſchloß ſeinen Se-
paratfrieden
zu Breslau, dem auch Sachſen
beytrat.


Friede zwiſchen Preußen und Oeſtreich zu Breslau
11. Jun., beſtaͤtigt zu Berlin 28. Jul. 1742. Bedin-
gungen
: a. Entſagung aller Allianzen, die dem Frieden
entgegen ſind. b.Maria Thereſia tritt an Preu-
ßen ab ganz Ober- und Niederſchleſien
, und die
Grafſchaft Glaz. c. Das Fuͤrſtenthum Teſchen und eini-
ge benachbarte Diſtricte von Oberſchleſien bleiben jedoch
Oeſtreich.


18.
[379]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.

18. Indem ſich Oeſtreich auf dieſe Weiſe Ei-
nes Hauptfeindes entledigte, verſchaffte es ſich da-
durch uͤber die andern ein großes Uebergewicht.
Boͤhmen ward wieder eingenommen; ſelbſt Bayern
erobert; und Kayſer Carl VII. zur Flucht gezwun-
gen; und als im folgenden Jahr die Brittiſch-1743
Deutſche Armee den Sieg bey Dettingen erfocht,
wurden die Franzoſen nicht nur gaͤnzlich uͤber den
Rhein zuruͤckgetrieben; ſondern es gelang Oeſtreich
und England, zwey neue Verbuͤndete, ſowohl an
dem Koͤnig von Sardinien in Italien, als in
Deutſchland an dem Churfuͤrſten von Sachſen zu
gewinnen. Als die Brittiſchen Truppen in den Nie-
derlanden gelandet waren, hatte ſich auch bereits
die Republik, auf Englands Verlangen, zu ei-
nem Huͤlfscorps fuͤr Oeſtreich verſtanden.


Einnahme von Boͤhmen und Bloquade der Franzoͤſiſchen
Armee in Prag Jun. 1742, und nach Belleisle's Raͤumung
Dec. Einnahme und Kroͤnung von Maria Thereſia. Be-
ſetzung von Bayern, May 1743. Sieg der pragmatiſchen
Armee bey Dettingen 27. Jun. Allianz zu Worms
mit dem Koͤnig von Sardinien 13. Sept. und mit
Sachſen 20. Dec. 1743.


19. Aber Frankreich, weit entfernt, an den
Frieden zu denken, zumal ſeitdem der friedliebende
Fleury geſtorben war, wollte nun nicht mehr als1743
29.
Jan.

bloße Huͤlfsmacht ſeiner Alliirten erſcheinen, ſon-
dern kuͤndigte ſowohl England als Oeſtreich directe
den Krieg an.


So
[380]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

So lange Frankreich und England den Krieg nur als
Huͤlfsmaͤchte fuͤhrten, hatte er ſich weder auf das Meer,
noch auf die Colonien erſtrecken koͤnnen, wie es von jetzt
an geſchah. Brittiſcher Seeſieg uͤber die Syaniſch-Franzoͤ-
ſiſche Flotte vor Toulon 24. Febr. 1744, welcher die Kriegs-
erklaͤrung veranlaßte, an England 15. Maͤrz; an Oeſt-
reich 27. April.


20. Bey dieſem Uebergewicht aber der Alliir-
ten entſchloß ſich FriedrichII. aufs neue zum
Kriege. Die Ehre ſchien es zu fordern, daß er
den gefluͤchteten Kayſer nicht ganz ſinken ließ, den
er mit gewaͤhlt hatte. Aber mehr als die Ehre
trieb ihn die Beſorgniß an, Schleſien wieder zu
verlieren, wenn Oeſtreich, jetzt auch mit Sachſen
verbunden, obſiegte. Aufs neue knuͤpfte er daher
ſeine Verbindungen mit Frankreich, und in dem
Reiche an; er fand leicht Eingang, weil man ſei-
ner bedurfte, ungeachtet ſeine Maximen bey Allian-
zen jetzt kein Geheimniß mehr ſeyn konnten.


Zweytes Buͤndniß zwiſchen Preußen und Frankreich Maͤrz
1744; und darauf Frankfurter Union 22. May mit
Carl VII., Churpfalz und Heſſen-Caſſel.


21. So erhielt alſo durch dieſen zwey-
ten Schleſiſchen Krieg
der Kampf neues Le-
ben; da Friedrich II., wenn gleich vergeblich, in
Boͤhmen einfiel; waͤhrend Frankreich, der Oeſtrei-
cher am Oberrhein dadurch entledigt, freyer athme-
te; und CarlVII. es noch erlebte, in ſeine Haupt-
ſtadt
[381]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.
ſtadt zuruͤckzukehren. Aber ſein bald darauf er-
folgter Tod ſchien die ganze Lage der Dinge aͤn-1745
20.
Jan.

dern zu muͤſſen; ſein Sohn und Nachfolger
Maximilian Joſeph that gern Verzicht auf die
Kayſerkrone, wenn er nur ſeine Erblaͤnder zuruͤck-
bekam.


Friede zu Fuͤſſen zwiſchen Oeſtreich und Bayern 22.
April 1745. Bedingungen: 1. Oeſtreich giebt an Bayern
alle Eroberungen zuruͤck. 2. Der Churfuͤrſt verſpricht Franz
Stephan ſeine Stimme bey der Kayſerwahl.


22. Allein dieſer Ruͤcktritt Bayerns hatte nur
die Folge, daß das innere Deutſchland aufhoͤrte,
der Kriegsſchauplatz zu ſeyn; und Oeſtreich es
durchſetzte, wenn gleich mit Widerſpruch Branden-
burgs, FranzI. die Kayſerkrone zu verſchaf-1745
13.
Spt.

fen. Frankreich fuͤhrte den Krieg fort; — es iſt
ſchwer zu ſagen, zu welchem Ende? — Friedrich
II. ſah aber in dem Tode des Kayſers ein Motiv
zum Frieden, ſobald er ſich Schleſien geſichert ha-
ben wuͤrde. Wiederholte Siege und die Hannoͤ-
verſche Convention
mit England gewaͤhrten ihm
dieſe Sicherheit; und noch vor Ende dieſes Jahrs
ſchloß er zum zweytenmal ſeinen Separatfrieden
fuͤr ſich; ohne mehr als in dem vorigen zu ver-
langen.


Sieg des Koͤnigs uͤber die Oeſtreicher und Sachſen unter
Carl von Lothringen bey Hohenfriedherg 4. Juni 1745.

Conven-
[382]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Convention zu Hannover 26. Aug., wodurch ſich
England zu der Garantie von Schleſien erbot. Aber es
bedurfte erſt des neuen Siegs des Koͤnigs bey Sorr ge-
gen die Oeſtreicher 30. Sept. und des Siegs des Fuͤrſten
von Deſſau bey Keſſelsdorf gegen die Sachſen 15. Dec.,
um Oeſtreich zur Annahme zu bewegen. Friede zu
Dresden
25. Dec. zwiſchen Preußen auf der einen und
Oeſtreich und Sachſen auf der andern Seite, nach Grund-
lage der Hannoͤverſchen Convention. Bedingungen: a. Be-
ſtaͤtigung des Beſitzes von Schleſien nach dem Breslauer
Frieden. b. Friedrich II. erkennt Franz I. als Kayſer. c.
Sachſen zahlt an Preußen 1 Million Reichsthaler.


23. Dagegen ward der Krieg von Frankreich
und ſeinen noch uͤbrigen Verbuͤndeten in den Nieder-
landen und Italien mit groͤßter Anſtrengung fortge-
fuͤhrt; und ſelbſt eine Landung des Sohns des Praͤ-
tendenten, Carl Eduard, in Schottland, die an-
fangs uͤber Erwarten gelang, zu Huͤlfe genommen.
Frankreich fand an einem Fremden den Feldherrn,
deſſen es bedurfte; die Siege des Marſchalls
von Sachſen
in den Niederlanden bahnten ihm
einen Ausgang aus dem Labyrinthe, den die Ge-
genwart des Koͤnigs bey der Armee ihm nicht eroͤff-
net haͤtte.


Feldzuͤge des Marſchalls von Sachſen ſeit 1745. Sieg
bey Fontenai, in Gegenwart Ludwig's XV., gegen
Cumberland 11. Mai. Winterfeldzug und Einnahme von
Bruͤſſel und Brabant Febr. 1746. Die Fortſchritte des Praͤ-
tendenten rufen Cumberland und die beſten Engliſchen
Truppen nach England hinuͤber, bis der Sieg Cumber-
lands bey Culloden 27. April dem Aufſtande ein Ende

macht.
[383]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.
macht. — Unterdeß Fortſchritte der Franzoſen in den Nie-
derlanden und Sieg des Marſchalls von Sachſen bey Rau-
coux
gegen den Herzog Carl 11. Oct. und im folgenden
Jahre 1747 2. Jul. bey Laffeld gegen Cumberland.


  • Lettres et Mémoires du Maréchal de Saxe. 5 Voll. Paris 1794.
  • Mémoires ſur les campagnes des pays-bas en 1745, 1746
    et 1747 (par S. A. le prince regnant de Waldeck) pu-
    bliés par A. H. L. Heeren. Goettingue
    1803. Aus den
    Papieren des hochſel. Fuͤrſten von Waldeck, Commandan-
    ten der Hollaͤndiſchen Huͤlfstruppen. — Durch dieſe bey-
    derſeitigen
    Berichte iſt die Geſchichte dieſer Feldzuͤge
    wie die von wenig andern aufgeklaͤrt. Freylich trug zu
    der Groͤße des Marſchalls die Kleinheit ſeiner Gegner bey!

24. Auch Italien wurde eigentlich erſt in die-
ſen letzten Jahren ein Hauptſchauplatz. Zwar waren
die Augen Spaniens, da Eliſabeth auch fuͤr ihren juͤn-
gern Sohn D. Philipp hier ein Reich zu erobern
hoffte, von Anfang darauf gerichtet; allein die Ge-
winnung des Koͤnigs von Sardinien durch England
fuͤr Oeſtreich, und die Brittiſche Herrſchaft im
Mittelmeer, verhinderten lange die Fortſchritte der
Bourboniſchen Maͤchte; und auch die endliche Er-
oberung der Lombardey, als Genua beygetreten war,
blieb von kurzer Dauer, ſobald Oeſtreich durch den
Dresdner Frieden freye Haͤnde bekommen hatte.


Landung Spaniſcher Truppen in Italien bereits Nov.
1741 (uͤber welche demnaͤchſt D. Philipp das Commando
erhielt:) zur Eroberung Mailands mit Unterſtuͤtzung von
Neapel. Aber Vertrag Sardiniens mit Oeſtreich
I. Febr. 1742 gegen Vorbehalt eigner Anſpruͤche auf May-
land. Erzwungene Neutralitaͤt Neapels durch eine Britti-

ſche
[384]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſche Flotte. Aber 1743 Verſtaͤrkung Don Philipp's durch
eine Franzoͤſiſche Armee. Allein Allianz Sardiniens mit
England und Oeſtreich durch den Wormſer Vertrag
13. Sept. und Zuruͤcktreibung der Bourboniſchen Truppen,
Okt., ſo wie auch 1744 vergebliche Verſuche zur Eroberung
Piemonts. Aber 1745 Verbindung Genuas mit den Bour-
boniſchen Hoͤfen 29. Juni; und Einnahme Maylands und
Parmas. Jedoch 1746 Verſtaͤrkung der Oeſtreicher in Ita-
lien ſeit dem Dresduer Frieden. Verdraͤngung der Fran-
zoſen und Ruͤckzug der Spanier aus der Lombardey, und
Einnahme Genuas durch die Oeſtreicher 5. Sept. Einfall
in die Provence Nov., der jedoch nach dem Verluſt Genuas
durch den dortigen Aufſtand 5. Dec. mißlang. Helden-
muͤthige Vertheidigung Genuas, und Entſatz durch Franzoͤ-
ſiſche Huͤlfe 1747 April bis Juni.


25. Ein ſo langer Kampf hatte Zeit zur Ab-
kuͤhlung der Leidenſchaften gegeben. Frankreich ſah
1746
9.
Juli
ſich nach dem Tode Philipp'sV. von Spanien
auch von dieſem Verbuͤndeten verlaſſen; ſeine ohne-
hin ſchwache Marine war faſt ganz vernichtet; ſeine
Colonien in beyden Indien theils genommen, theils
bedroht. Dennoch hoffte es bey ſeinem Ueberge-
wicht in den Niederlanden durch einen ſtuͤrmiſchen
Angriff auf die Republik — der die Wiederherſtel-
lung der Erbſtatthalterſchaft zur Folge hatte; —
die Trennung ſeiner Feinde zu erzwingen; wurde
aber jetzt ſelbſt von einem neuen maͤchtigen Feinde
bedroht, da es Oeſtreich gelang, Rußland zur
Theilnahme zu bewegen, und eine Ruſſiſche Huͤlfs-
armee gegen den Rhein aufbrach.


Fran-
[385]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.

Franzoͤſiſcher Angriff auf Hollaͤndiſch-Brabant und Er-
oberung von Bergenopzoom 16. Sept. 1747. — De-
fenſiv-Allianz zwiſchen Oeſtreich und Rußland 12. Juni;
und Rußlands Subſidientractat mit England 30. Nov.


26. Dieſe Umſtaͤnde fuͤhrten die Eroͤffnung
eines Congreſſes zu Aachen herbey; aber
Frankreich vergaß ſeine alte Politik nicht, die Ver-
buͤndeten zu trennen. Die Belagerung Maſtrichts1748
15.
Apr.

und angedrohte Schleifung Bergenopzooms bahnten
den Weg zu Separatpraͤliminarien mit den
Seemaͤchten; und dieſe mußten demnaͤchſt Oeſtreich
und die andern Verbuͤndeten annehmen.


Eroͤffnung des Congreſſes zu Aachen April 1748. Ab-
ſchluß der Praͤliminarien zwiſchen Frankreich und den
Seemaͤchten 30. April; denen Oeſtreich beytrat, 25. May.
Doch dauerten bey dem Vorruͤcken der Ruſſen, (das durch
eine beſondere Convention aufgehoben wurde,) die Unter-
handlungen den Sommer hindurch fort. Abſchluß des De-
finitivfriedens zu Aachen
18. Oct. 1748, zwiſchen
Frankreich und den Seemaͤchten, dem ſofort Spanien, Oeſt-
reich, Genua und Sardinien beytreten. Bedingungen:
1. Wechſelſeitige Zuruͤckgabe der von Frankreich und Eng-
land gemachten Eroberungen; (an Frankreich Cap Breton,
an England Madras; an die Republik die (meiſt geſchleif-
ten) Barriereplaͤtze). 2. Abtretung von Parma, Piacenza
und Guaſtalla zu Gunſten D. Philipp's, und ſeiner maͤnn-
lichen Nachkommenſchaft, mit Bedingung des Ruͤckfalls.
3. Sardinien behaͤlt die ſchon 1743 abgetretenen Stuͤcke von
Mayland. 4. Der Aſſiento-Tractat von 1713 wird fuͤr die
noch uͤbrigen 4 Jahre fuͤr England beſtaͤtigt; (nachmalige
Abkaufung durch den Tractat zu Buen Retiro 5. Oct.
1750). 5. Duͤnkirchen bleibt von der Landſeite befeſtigt.

B b6.
[386]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
6. Garantie von Schleſien und Glatz zu Gunſten Friedrich's
von allen Theilnehmern. 7. Garantie der pragmatiſchen
Sanction zu Gunſten Oeſtreichs. 8. Garantie der Britti-
ſchen Thronfolge und der Deutſchen Staaten zu Gunſten
des Hauſes Hannover.


Die wichtigſten Geſandten auf dem Aachner Congreß wa-
ren fuͤr Frankreich: Graf von St. Severin, und la Porte
du Theil. Fuͤr Großbritannien: Graf von Sandwich. Fuͤr
Oeſtreich: Graf von Kaunitz-Rietberg. Fuͤr die Republik:
Graf Bentink, von Waſſenaar, v. Haren ꝛc. Fuͤr Spanien:
Don de Lima. Fuͤr Sardinien: Don Oſſorio. Fuͤr Genua:
Marcheſe Doria.


27. So ward durch dieſen Frieden das Pro-
ject abgewandt, durch die Zertruͤmmerung Oeſtreichs
das beſtehende Syſtem von Europa zu ſtuͤrzen.
Es verlor Schleſien, Parma und Piacenza; aber
es erhielt ſich in der Reihe der erſten Maͤchte,
und eine beſſere Benutzung ſeiner großen innern
Huͤlfsquellen gab ihm auch bald fuͤr das Verlorne
reichlichen Erſatz.


28. Aber die Folgen dieſes Kriegs waren nicht
blos fuͤr die einzelnen Staaten wichtig, die daran
Theil genommen hatten; ſie wurden es noch mehr
fuͤr ihre wechſelſeitigen Verhaͤltniſſe; und bald gieng
daraus eine Veraͤnderung derſelben hervor, durch
welche die Grundfeſten dieſes Syſtems ihre erſte
große Erſchuͤtterung litten.


29. Auf den erſten Blick konnte es ſcheinen,
Europa ſey durch dieſen Frieden wieder in ſeine
alten
[387]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.
alten Verhaͤltniſſe, der Hauptſache nach, zuruͤckge-
kehrt. Frankreich und Oeſtreich ſtanden als Haupt-
maͤchte des Continents einander gegenuͤber; Eng-
land hatte ſeine alten Verbindungen mit Oeſtreich
erneuert, und weſentlich zu ſeiner Rettung beyge-
tragen; und auch die Verbindung Oeſtreichs mit
Rußland war jetzt nicht zum erſtenmal geknuͤpft.


30. Und doch wie Vieles war ſchon waͤhrend
des Kriegs anders geworden; und wurde es noch
mehr nachher? Die Brittiſche Continentalpolitik,
in ſo fern ſie auf die Erhaltung des beſtehenden
Staatenſyſtems gieng, war ihrem Zweck nach hoͤchſt
wohlthaͤtig fuͤr Europa; aber die Mittel waren es
nicht auf gleiche Weiſe. England fuͤhrte den Land-
krieg mehr durch Subſidien als eigne Kraft; die
alten Faͤden der Continentalverhaͤltniſſe waren wie-
der angeknuͤpft; aber nicht bloß Staaten vom zwey-
ten, ſondern auch vom erſten Range nahmen Sub-
ſidien; und unter dieſen nicht allein das bedraͤngte
Oeſtreich, ſondern auch Rußland. Auf dieſe Wei-
ſe erkaufte England die Direction des Kriegs und
eben daher auch die Direction des Friedens. Was
glaubte es auch nicht in den zunaͤchſt folgenden
Jahren auf dem Continent dirigiren zu muͤſſen, und
dirigiren zu koͤnnen? Aber noch viel wichtigere
Folgen ſollten ſich aus der nun zum erſtenmal er-
B b 2runge-
[388]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
rungenen Herrſchaft der Meere entwickeln, die
erſt die folgenden Abſchnitte werden deutlich ma-
chen koͤnnen.


31. Eine neue Erſcheinung war es geweſen,
daß Rußland ſich nicht blos in die Haͤndel des
Weſtens gemiſcht, ſondern ſelbſt darin den Aus-
ſchlag gewiſſermaßen gegeben hatte. War auch
dieſe Einmiſchung fuͤr dießmal bey einer Demonſtra-
tion geblieben; ſo waren hier doch Faͤden angeknuͤpft
worden, die nicht wieder zerriſſen. Der naͤchſte
große Hauptkrieg Europas gab die Beweiſe davon!


32. Aber die groͤßte, die weſentlichſte Veraͤn-
derung erlitt das Staatenſyſtem Europas durch den
Eintritt Preußens in die Reihe der Hauptmaͤchte
dieſes Welttheils, als Folge dieſes Kriegs. Schon
der Eintritt einer ſolchen neuen Hauptmacht an und
fuͤr ſich kann natuͤrlich nicht ohne große Veraͤnde-
rung der politiſchen Verhaͤltniſſe ſtatt finden. Sie
wird nicht allein ſtehen wollen; und wenn ſie ſich
Freunde und Verbuͤndete ſucht, kann es ohne Ruͤck-
wirkung auf die bisherigen Verbindungen der uͤbri-
gen geſchehen?


33. Auch liegt es in der Natur der Dinge,
daß eine ſolche neue Macht von den Alten nicht
leicht gern geſehen iſt; wo waͤre der Emporkoͤmm-
ling
[389]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.
ling bey den alten Machthabern beliebt? Es war
mit bitterer Empfindung, wenn Fleury Friedrich II.
den Schiedsrichter von Europa nannte! Friedrich
ſchied aus dem Kriege ohne einen einzigen Freund;
auch hatte er ſich eben keine Muͤhe gegeben, ſich
dauernde Freunde zu machen. Seine Art, Al-
lianzen zu ſchließen und zu trennen, war dazu nicht
der Weg; und die Selbſtſtaͤndigkeit, die Er ſich
errang, erhaͤlt nur unſere Billigung, weil die Art,
wie er ſie behauptete, unſre Bewunderung erzwingt.


34. Aber wie vollends, da dieſe neue Macht
ihre Groͤße auf Eroberung geguͤndet hatte? Die
Abtretung viel groͤßerer Laͤnder in dem Wiener und
Belgrader Frieden an Spanien und die Pforte war
fuͤr Oeſtreich nur Verluſt geweſen; die Abtretung
von Schleſien war zugleich Demuͤthigung; je-
ner kann zum Erſatz auffordern; dieſe fordert zur
Rache auf. Es zeigte ſich bald, daß auch nur in
Hoffnung auf dieſe der Friede abgeſchloſſen war.


35. So mußte alſo auch der Friedenszuſtand
ein hoͤchſt geſpannter Zuſtand bleiben; nicht nur fuͤr
Preußen, das nur auf den Waffen ruhte, ſondern
auch fuͤr die uͤbrigen Maͤchte. Schleſiens
Beſitz
wurde der Hauptgegenſtand der prac-
tiſchen Politik; und eben deshalb mußten auch
B b 3Oeſt-
[390]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Oeſtreich und Preußen als die beyden Hauptmaͤchte
des Continents erſcheinen. Indem ihre Verhaͤltniſſe
das uͤbrige Europa in Bewegung ſetzten, ſo wurde
auch ſein Schickſal an das Ihrige geknuͤpft. Die
neue Rivalitaͤt hatte in ihnen die meiſte Regſamkeit
bewirkt, die groͤßte Thaͤtigkeit aufgeregt; und ſtets
werden diejenigen Staaten die vorherrſchenden ſeyn,
die deſſen ſich ruͤhmen koͤnnen.


36. Gleichwohl empfand man es in Oeſtreich
ſehr gut, daß man, um Preußen zu ſtuͤrzen, Ver-
buͤndete beduͤrfe. Auch konnte es bey der herrſchen-
den Stimmung der Hoͤfe um ſo weniger daran feh-
len, da Friedrich II. es ſo wenig uͤber ſich ver-
mochte, nicht die kleinlichen Leidenſchaften der Herr-
ſcher zu reizen. Die engen Verhaͤltniſſe Oeſtreichs
mit Rußland ſowohl als mit Sachſen hatten
nach dem Aachner Frieden nicht aufgehoͤrt; bey dem
perſoͤnlichen Haß der Kayſerin Eliſabeth, ſo wie
in Sachſen des dirigirenden Miniſters, Grafen
Bruͤhl, war es nicht ſchwer, dieſen zu unterhal-
ten; und geheime Verabredungen, — nur nicht ſo
geheim, daß Friedrich II. ſie nicht erfahren haͤtte
— zu einem gemeinſchaftlichen Angriffe wurden ge-
troffen, ſobald man ſich vorbereitet haben wuͤrde.


37. Wie wichtig jedoch auch dieſe Verbindun-
gen fuͤr Oeſtreich waren, ſo blieb doch in Frank-
reich
[391]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.
reich eine Hauptmacht uͤbrig, welche bey einem er-
neuerten Kriege nach den bisherigen Verhaͤltniſſen
wahrſcheinlich aufs neue die verbuͤndete von Preu-
ßen werden mußte; und wie ungewiß war nicht in
dieſem Fall der Erfolg? Eine Verbindung mit
Frankreich war unter dieſen Umſtaͤnden der Wunſch
Oeſtreichs; aber kaum ſchien ſie je mehr als bloßer
Wunſch werden zu koͤnnen.


38. Allein Oeſtreich fand den Mann, der dieſe
Idee nicht nur faßte, ſondern ausfuͤhrte; und das
Gebaͤude ſeiner Groͤße auf ihre Ausfuͤhrung gruͤn-
dete. Unter vier Regierungen war Fuͤrſt Kaunitz
die Seele des Oeſtreichiſchen Cabinets; oder bildete
vielmehr — zum Hof- und Staatscanzler erhoben
— meiſt dieſes Cabinet allein. Friedrich gegen-
uͤberſtehend, erſchien er faſt in Allem als das ge-
rade Gegentheil von ihm; aber indem er, der Welt
nur den Sybariten zeigend, es wirklich ward, ver-
barg ſeine natuͤrliche Indolenz die kuͤhnen Entwuͤr-
fe, die er, meiſt unſichtbar wirkend, mehr durch
Andere ausfuͤhren ließ, als ſelber auszufuͤhren ſich
die Muͤhe gab. Aber alle Seitenwege der Cabinets-
politik kannte er wie kein anderer Sterblicher; und
Alles, was vielleicht moͤglich gemacht werden konnte,
zu verſuchen, war bey ihm Grundſatz.


Noch fehlt es an einer Biographie des raͤthſelhaften
Mannes, der naͤchſt Friedrich am ſtaͤrkſten auf die Politik

B b 4ſeines
[392]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſeines Zeitalters wirkte; aber eine vortreffliche Charak-
teriſtik
von ihm giebt die Zeitſchrift Jaſon, Auguſt 1808.


39. Und was war damals in Frankreich aus-
zurichten nicht moͤglich, ſeitdem LudwigXV.
zum Sclaven ſeiner Maitreſſen geworden war?
Schon fruͤher hatte Europa unter Ludwig XIV. Mai-
treſſen und Maitreſſen-Einfluß geſehen; aber eine
1746
bis
1764
Maitreſſenregierung wie die der Marquiſe
von Pompadour
, noch nie! Seitdem mit den
alten Miniſtern auch der Ueberreſt der alten Grund-
ſaͤtze verbannt war, durfte ein gewandter Unter-
haͤndler — wie vollends ein Kaunitz! — an nichts
verzweifeln. War auch kein andrer Grund da, ſo
hatte ſchon das Neue einen Reiz.


40. So wurde durch Kaunitz, indem er ſel-
ber als außerordentlicher Geſandter nach Frankreich
1750
Dec.
gieng, das Project eingeleitet, das er, nach ſeiner
Zuruͤckkunft an die Spitze des Cabinets geſtellt, durch
ſeinen Nachfolger Staremberg ausfuͤhren ließ.
Gemeinſchaftlich in Europa zu herrſchen, wenn Frie-
drich
II. geſtuͤrzt ſeyn wuͤrde, war die Ausſicht,
welche die Oeſtreichiſche Politik Frankreich zu eroͤff-
nen wußte; was koͤnnte wahrſcheinlich, waͤre Frie-
drich
II. gefallen, davon die Folge geweſen ſeyn,
als die Unterdruͤckung der Schwaͤchern, und Oeſt-
reichs Herrſchaft in Deutſchland?


Erſter
[393]1. Staatshaͤndel in Europa a. 1740--1756.

Erſter Freundſchafts- und Vertheidigungs-Bund zwi-
ſchen Frankreich und Oeſtreich 1. May 1756, durch Ber-
nis
abgeſchloſſen, eingeleitet durch einen gleichzeitigen
Neutralitaͤtsvertrag von Seiten der Kayſerin in dem
eben ausbrechenden Kriege zwiſchen England und Frankreich,
wodurch Oeſtreich alſo ſeiner Verbindung mit England ent-
ſagte. Darauf waͤhrend des 7jaͤhrigen Kriegs in einem im
May 1757 unterzeichneten, wenn gleich nicht ratificirten,
Vertrage, die Beſtimmungen uͤber die Theilung der Preu-
ßiſchen Monarchie; Schleſien an Oeſtreich, Pommern an
Schweden, Magdeburg ꝛc. an Sachſen, die Niederlande
gegen Parma und Piacenza an D. Philipp ꝛc. — Endlich
erneuertes und erweitertes Buͤndniß 30. Dec.
1758 durch Choiſeul. Wechſelſeitiger Beyſtand mit allen
Kraͤften; und nur gemeinſchaftlicher Friede.


41. So war es Oeſtreich, welches in dieſer
beyſpielloſen Verbindung alle Vortheile fuͤr ſich ſti-
pulirte; ohne Frankreich einen einzigen zu ſichern.
Denn was konnte ihm fuͤr den Ruhm werden, den
Feind Oeſtreichs ſtuͤrzen zu helfen, als — die Ehre
der kuͤnftigen Mitherrſchaft in Europa, ſo weit Oeſt-
reich ſie ihm laſſen wollte. Aber nicht in dieſer
Uebervortheilung findet eine aufgeklaͤrte Politik den
Haupt-Fehler Frankreichs; ſie findet ihn darin,
daß dieſe Verbindung zugleich eine Verleugnung
ſeines politiſchen Charakters war;
und
keine Macht verleugnet dieſen ungeſtraft. Als Geg-
ner Oeſtreichs hatte es ſeit zwey Jahrhunderten ſei-
nen hohen Rang unter den Continental-Maͤchten be-
hauptet: was blieb ihm, als es Oeſtreichs Waf-
fentraͤger wurde?


B b 5b.
[394]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
b. Von der Verbindung Oeſtreichs und Frankreichs bis zu den
Frieden zu Paris und Hubertsburg 1756—1763.

42. Dieſe große Umformung des Europaͤiſchen
Staatenſyſtems, die dasſelbe in ſeinen Grundfeſten
erſchuͤtterte, wuͤrde allein ſchon hingereicht haben,
einen großen Krieg zu erregen, da ſie zu einer Zeit
zu Stande kam, wo ſchon ein Angriff auf Preu-
ßen im voraus beſchloſſen war. Aber auch noch
auf einer andern Seite hatte ſich ſeit lange der
Stoff zu einem Kriege geſammelt, der, wie ver-
ſchieden auch in ſeinem Urſprunge, doch mit jenem
zuſammenſchmelzen mußte, und in Colonialverhaͤlt-
niſſen Englands und Frankreichs ſeinen Grund
hatte.


43. Seitdem es in dem vorigen Kriege den
Englaͤndern zum erſtenmal gelungen war, die See-
macht ihrer Feinde zu vernichten, waren ſie wenig
geneigt, ihre Rivalen, die mit ſeltner Thaͤtigkeit
ihre Flotten herſtellten, wieder aufkommen zu laſ-
ſen. Die fruͤhern freundſchaftlichen Verhaͤltniſſe
mit Frankreich hatten die Ausbruͤche der Rivalitaͤt
zwiſchen den Regierungen zuruͤckgehalten; jetzt ſtieg
dieſe in gleichem Verhaͤltniſſe als der auswaͤrtige
Handel ſtieg, der wiederum an die Colonien ge-
knuͤpft war. Erſt jetzt zeigten ſich die ungluͤcklichen
Folgen der geographiſchen Verflechtung von
dieſen
[395]1. Staatshaͤndel in Europa b. 1756--1763.
dieſen in ihrer ganzen Staͤrke. Ewige Reibungen
und Zaͤnkereyen dauerten hier fort; und waͤren
auch ſelbſt, wie es vielleicht moͤglich war, die da-
mals ſtreitigen Puncte in dem Aachner Frieden aus-
geglichen; — kann man zweifeln, daß dennoch bald
andere entſtanden ſeyn wuͤrden? Die Brittiſche
Politik verband damit die neue Verfahrungsart,
wenn man ihr die Genugthuung uͤber die Beein-
traͤchtigungen, uͤber welche ſie auf dem Lande klagte,
nicht ſofort geben wollte, ſie ſich ohne weiteres zur
See zu nehmen, und den Krieg anzufangen, noch
ehe er erklaͤrt war.


Streitige Puncte zwiſchen England und Frankreich. 1.
Ueber die Grenzen von Neu-Schottland, (im Utrechter
Frieden nach ſeinen alten Grenzen abgetreten; ſ. oben
S. 291.), da England auch Neu-Braunſchweig hinzurech-
nete. Wer konnte entſcheiden, wo nie Grenzen gezogen wa-
ren? Die natuͤrliche Begrenzung ſchien fuͤr Frankreich, al-
ter Glaube fuͤr England zu ſprechen. 2. Ueber die An-
lage der Forts am Ohio, um Louiſiana und Canada zu ver-
binden, die England nicht zugeben wollte, das hier ſchon
Forts hatte. Anfang der Feindſeligkeiten, durch wechſelſei-
tige Wegnahme von Forts bereits 1754 und 1755. 3. Ue-
ber die Beſetzung der neutralen Inſeln unter den Antillen,
Tabago, St. Vincent, Dominique, St. Lucie, durch die
Franzoſen, gegen fruͤhere Vertraͤge. 4. Dazu kam die nun
in Oſtindien (ſ. unten) auf Coromandel entſtandene
Rivalitaͤt. Anfang der Gewaltthaͤtigkeiten der Englaͤnder
zur See durch Wegnahme mehrerer Kauffahrer und zweyer
Linienſchiffe bereits 10. Jun. 1755 als Repreſſalien.


44.
[396]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

44. Zu einer ſolchen Wichtigkeit war jetzt das
Handels- und Colonialintereſſe geſtiegen, daß ferne
Wildniſſe und Inſelchen der Stoff zu einem Kriege
werden konnten, der ſich uͤber alle Welttheile ver-
breiten mußte; und deſſen Koſten und Ausgang
Niemand zu berechnen vermochte. Aber die Brit-
tiſche Marine war ſchon vor dem Kriege der Fran-
zoͤſiſchen uͤberlegen.


Brittiſche Kriegserklaͤrung an Frankreich 15. May 1756.
Gluͤckliche Unternehmung Frankreichs gegen Minorca, und
Eroberung von Port Mahon 29. Juni durch den Duͤc de
Richelieu.


45. Als aber dieſer Seekrieg anfieng, waren
die Verbindungen gegen Preußen ſchon ſo weit ge-
diehen, daß ein Krieg mit Oeſtreich und ſeinen Ver-
buͤndeten unvermeidlich war. Da aber Oeſtreich,
ſeine Verbindungen mit England aufgebend, ſich an
Frankreich anſchloß, wurde ſchon dadurch der Weg
zu einer Allianz zwiſchen Preußen und England ge-
bahnt; um ſo mehr, da Georg II. nur darin die
Sicherheit fuͤr ſeine Deutſchen Laͤnder gegen Frank-
reich, die Rußland als Oeſtreichs Verbuͤndeter nicht
gewaͤhrte, finden konnte. So mußten zwey Kriege
ſich in Einen verſchmelzen, die erſt bey der Been-
digung ſich wieder abſonderten, und durch beſondere
Friedensvertraͤge beendigt wurden.


Er bedurfte einer ſolchen gaͤnzlichen Umwandlung, um eine
Verbindung zwiſchen den Haͤuſern Hannover und Branden-

burg,
[397]1. Staatshaͤndel in Europa b. 1756--1763.
burg, die faſt immer geſpannt geweſen waren, zu Stande
zu bringen. Erſter Tractat zu Whitehall 15. Jan.
1756 zur Aufrechthaltung der Neutralitaͤt in Deutſchland,
wodurch der Neutralitaͤtstractat zwiſchen Frankreich und
Oeſtreich (ſ. oben) beſchleunigt ward. Allianz durch die
Convention vom 11. Jan. 1757. Gegen 1 Million Subſidien
20000 Mann Huͤlfstruppen an England.


46. War der erſte Schleſiſche Krieg von Frie-
drich's Seite ein Angriffskrieg geweſen, ſo war der
ſiebenjaͤhrige, ungeachtet Er das Schwerdt zuerſt
zog, doch ein Vertheidigungskrieg. Die
Lorbeeren, die Er erndtete, ſind aber deſto unver-
welklicher, je weniger Er das Schooßkind des
Gluͤcks war. Die furchtbare Verbindung gegen
ihn erhielt ihre Staͤrke durch die kleinlichen Leiden-
ſchaften der Herrſcher; ſie machte ſie bis zu Eliſa-
beth's Tode unaufloͤslich. Aber auch die Verbin-
dung Friedrich's mit England bietet einen eignen
Anblick dar; eng verbunden, und doch faſt nie gemein-
ſchaftlich handelnd. Wilhelm Pitt gieng ſeine
Bahn, ſo wie Friedrich die ſeinige; aber beyde
fuͤhrten Einem Ziele zu. Wenn ſie ſich dort nur
trafen, was brauchten ſie ſich unterwegs zu be-
gegnen?


Miniſterium von Wilhelm Pitt, nachmaligem Lord Cha-
tham
vom 20. Oct. 1656 bis 5. Oct. 1761. Welch ein
Quinquennium! Durch die Groͤße ſeines eignen Characters
hob er auch den Geiſt ſeiner Nation.


  • Life of W. Pitt 2 Voll. 4. 1780. Mittelmaͤßig.

47.
[398]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
1756
Aug.

47. Ausbruch des Landkriegs, da Friedrich in
Sachſen einfiel, und hier die Beweiſe von den An-
ſchlaͤgen ſeiner Feinde fand.


Nach Friedrich's Manifeſt war der, 18. May 1745 geſchloſ-
ſene, vorlaͤufige Partage-Tractat der Preußiſchen Laͤnder
auch nach dem Dresdner Frieden 25. Dec. die Baſis der
Unterhandlungen zwiſchen Wien, Sachſen und Rußland, ge-
blieben; worauf 22. May 1746 zu Petersburg ein Defen-
ſiv-Tractat
, mit 4 geheimen Artikeln gegen Preußen,
zwiſchen Oeſtreich und Rußland geſchloſſen ward, dem Sach-
ſen beyzutreten gewillet war, ſobald es die Umſtaͤnde er-
laubten. Der Plan zum Angriff ſoll gegen das Ende des
Jahrs 1755 in Petersburg gereift ſeyn.


  • Recueil des deductions, Manifeſtes, traités etc. qui ont
    été rédigés et publiés pour la cour de Pruſſe dépuis
    1756 jusqu'à 1778 par le Comte de Herzberg à Berlin.
    III Voll.
    enthalten ſowohl die hieher gehoͤrigen, als auch
    die folgenden Staatsſchriften.

Einfall Friedrich's in Sachſen Aug. 1756. Einnahme
Dresdens; Einſchließung der Saͤchſiſchen Armee bey Pirna
Sept. Sieg uͤber die Oeſtreicher bey Lowoſitz 1. Oct.
und Capitulation der Sachſen 15. Oct.


48. Unter den damaligen Verhaͤltniſſen mußte
der Ausbruch des Kriegs auch ſofort Sachſens Ver-
buͤndete, Oeſtreich und Rußland, ſo wie Frankreich
unter die Waffen bringen. Aber Oeſtreichs Ein-
fluß wußte auch das Deutſche Reich, ſo wie Frank-
reichs Schweden, zum Beytritt zu der Verbindung
zu bewegen; und mehr als halb Europa ſtand gegen
Friedrich auf!


Erklaͤ-
[399]1. Staatshaͤndel in Europa b. 1756--1763.

Erklaͤrung des Reichskriegs an Preußen 17. Jan. 1757.
Convention der Verbuͤndeten mit Schweden 21. May unter
dem Vorwande der Garantie des Weſtphaͤliſchen Friedens,
und dem Verſprechen, Pommern zu erhalten.


49. Allein zum Gluͤck fuͤr Friedrich faßte
Frankreich auch den Entſchluß, England in Han-
nover zu bekriegen. So mußte Hannover, mit Heſ-
ſen und Braunſchweig, der thaͤtige Gehuͤlfe von Frie-
drich werden. Auch kleine Staaten koͤnnen zu Zei-
ten einen glorreichen Kampf mit den maͤchtigern be-
ſtehen, wenn die Umſtaͤnde ſie beguͤnſtigen. Nie
ſah vielleicht die Geſchichte ein ſo glaͤnzendes Bey-
ſpiel davon, ſeitdem in dem Zoͤgling Friedrich's,
dem Herzog Ferdinand, der rechte Mann an die
Spitze der Alliirten kam.


Vordringen einer Franzoͤſiſchen Armee gegen Hannover
unter d'Etrées; und Sieg uͤber den Herzog von Cumber-
land bey Haſtenbek 26. Juli 1757. Occupation Hanno-
vers und Convention zu Kloſter Seven mit R[i]chelien 8.
Sept., aber bereits annullirt 26. Sept. Der Herzog Fer-
dinand
erhaͤlt das Commando.


50. Die Fuͤhrung des 7jaͤhrigen Kriegs durch
Friedrich iſt vielleicht in der ganzen Weltgeſchichte
das Lehrreichſte fuͤr den Tactiker, und das Erhe-
bendſte fuͤr den Menſchenbeobachter. Der politi-
ſche Hiſtoriker hingegen findet viel weniger Nahrung
fuͤr ſich, da bis gegen das Ende gar kein Wechſel
der politiſchen Verhaͤltniſſe eintrat; und Friedrich
mit
[400]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
mit dem unerbittlich ſcheinenden Schickſal kaͤmpfend,
die Behauptung Schleſiens und Sachſens, und die
moͤglichſte Deckung des Kerns ſeiner Laͤnder — die
entferntern Provinzen, und ſelbſt Preußen mußte er
preis geben — zum Ziel ſeiner Unternehmungen
machen mußte.


Hauptbegebenheiten des Preußiſchen Kriegs: 1757
Eindringen in Boͤhmen, und Sieg bey Prag gegen Carl
von Lothringen 6. May. Belagerung von Prag; aber nach
der Niederlage bey Collin 18. Juni Raͤumung Boͤhmens:
Anruͤcken der Franzoͤſiſchen und Reichsarmee, unter Son-
biſe, geſchlagen bey Roßbach 5. Nov. Wiedereroberung
Schleſiens durch den Sieg bey Leuthen 5. Dec. — Da-
gegen Verluſt bey Groß-Jaͤgerndorf gegen die Ruſſen
unter Apraxin 30. Aug., die jedoch den Sieg nicht nutzen.
— Im Jahr 1758 vergebliche Verſuche gegen Olmuͤtz (May).
Neues Vorruͤcken der Ruſſen unter Fermor. Schlacht bey
Zorndorf 25. Aug. So war, zugleich bey Zuruͤcktreibung
der Schweden, Brandenburg gedeckt. Niederlage bey Hoch-
kirchen
gegen Daun 14. Oct. Dennoch Behauptung Schle-
ſiens und Entſatz von Neiße 5. Nov. — 1759. Erneutes
Vorruͤcken der Ruſſen, durch Oeſtreicher unter Laudon ver-
ſtaͤrkt; große Niederlage des Koͤnigs bey Kunersdorf
12. Aug. und Unfall bey Maxen 20. Nov. Und doch erlag
Friedrich nicht! 1760. Vergebliche Belagerung Dresdens
Jul. — Treffen bey Liegnitz 15. Aug. und Behauptung
Schleſiens. Schlacht bey Torgau 3. Nov. und Behaup-
tung Sachſens. 1761. Defenſivkrieg des Koͤnigs gegen die
vereinten Armeen Aug. und Sept. — Eroberung von
Schweidnitz durch Laudon 1. Oct.


  • Hiſtoire de la guerre de ſept ans, in den Oeuvres poſthumes
    de Frederic II. T. III. IV. Berlin
    1788.
  • v. Tempelhoff Geſchichte des 7jaͤhrigen Kriegs; 5 B. Ber-
    lin 1794.

v. Ar-
[401]1. Staatshaͤndel in Europa b. 1756--1763.
  • v Archenholz Geſchichte des 7jaͤhrigen Kriegs. 2 Th. 1792.
  • Warnery Campagnes de Frederic II. 1788.
  • Geſtaͤndniſſe eines Oeſtreichiſchen Veterans, in Hinſicht auf
    die Verhaͤltniſſe zwiſchen Oeſtreich und Preußen ꝛc. Th. I-IV.
    1788 ꝛc.

51. Waͤhrend dieſer Jahre wurde durch Fer-
dinand's Siege fortdauernd die eine Flanke des Koͤ-
nigs gedeckt. Was muͤßte ſein Schickſal wahr-
ſcheinlich geworden ſeyn, waͤren die Franzoͤſiſchen
Heere eben ſo ungehindert von Weſten vorgedrun-
gen, als die Ruſſiſchen von Oſten?


Winterfeldzug Herzog Ferdinand's und Reinigung von
Hannover von den Franzoſen 1757 nach Aufhebung der Con-
vention von Cloſter Seven. — 1758. Uebergang uͤber den
Rhein und Sieg bey Crefeld 23. Jun. Vereinigung mit
Brittiſchen Truppen. 1759. Sieg bey Minden gegen Con-
tades; 1. Aug. — 12 Tage vor Friedrich's Niederlage bey
Kunersdorf. — Seitdem ſtets behauptetes Uebergewicht
1760 und 1761, und Deckung des groͤßten Theils der Han-
noͤverſchen Lande.


  • v. Mauvillon Geſchichte des Herzogs Ferdinand von Braun-
    ſchweig. 1790. 2 Theile.

52. Unterdeß aber verbreitete ſich der Krieg
nicht weniger uͤber die Meere, und nach beyden
Indien. Die Ueberlegenheit der Britten zur See
war bald entſchieden; und damit auch der Weg
zur Eroberung der Colonien geoͤffnet. In Nord-
america war der Krieg nur zuerſt Fortſetzung der
alten Feindſeligkeiten; aber bald entriß Ein Haupt-
C ctreffen
[402]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
treffen Frankreich ganz Canada. In Weſtindien
und in Africa wurden die wichtigſten Beſitzungen
die Beute der Englaͤnder; ſo wie in Oſtindien
Pondichery. Mit dieſen war zugleich der Franzoͤ-
ſiſche Handel zerſtoͤrt; und welche Wichtigkeit legte
man damals nicht uͤberhaupt auf die Colonien!


Eroberung von Cap Breton 1758 Jul. und demnaͤchſt 1759
von Canada, durch den Sieg bey Quebec unter General
Wolff 13. Sept. — Seeſieg bey Breſt 20. Nov. unter Haw-
ke. — In Weſtindien Eroberung von Guadeloupe 1. Mai;
ſo wie nachmals 1762 Febr. von Martinique; worauf auch
die von Grenada, St. Lucie und St. Vincent folgte. — In
Oſtindien von Pondichery 1761 16. Jan. — An der Kuͤſte von
Africa fiel Senegal und Gorea 1758 in die Haͤnde der Britten.


53. So dauerte der Krieg ohne allen Wechſel
der politiſchen Verhaͤltniſſe; — auch der Tod von
1760
25.
Oct.
Georg II. aͤnderte darin wenigſtens nichts ſogleich;
— bis in das vorletzte Jahr desſelben fort, wo
zwey Todesfaͤlle in dem aͤußerſten Oſten und Weſten
von Europa große und zum Theil ſehr ſonderbare
Umwaͤlzungen bewirkten. Mit der Kayſerin Eliſa-
1762
5.
Jan.
beth ſtarb endlich die erbittertſte Gegnerin Frie-
drich's; und mit ihrem Neffen PeterIII. kam
ſein enthuſiaſtiſcher Bewunderer zur Regierung.
Nicht nur ein Separatfriede, — dem auch ſofort
ein Friede mit Schweden folgte, — ſondern
ſelbſt ein Buͤndniß war die Folge davon; und Eu-
ropa ſah das bisher noch nicht geſehene Schauſpiel,
daß
[403]1. Staatshaͤndel in Europa b. 1756--1763.
daß ein Heer, ſeine Verbuͤndeten verlaſſend, in das
Lager ſeiner Feinde ziehen mußte, um an ihrer Seite
zu kaͤmpfen.


1. Waffenſtillſtand 16. Maͤrz und darauf Friede 5. May
zwiſchen Rußland und Preußen; gegen Zuruͤckgabe aller
Eroberungen, und Entſagung aller feindlichen Verbindun-
gen. In den Separatartikeln: Begruͤndung einer Al-
lianz. — 2. Friede zwiſchen Schweden und Preußen
zu Hamburg 22. May. Wiederherſtellung auf den alten
Fuß.


54. Zwar ſchien der, ſo bald erfolgte Sturz
Peter's
III. dieſe neuen Verhaͤltniſſe wieder ſtoͤren1762
9.
Jul.

zu wollen; aber CatharinaII. ergriff die Neu-
tralitaͤt; und Friedrich gewann damit wahrſcheinlich
mehr, als er durch die Allianz gewonnen haben
wuͤrde; denn es war viel gewonnen, ſobald nur
Eine Hauptmacht das Beyſpiel der Maͤßigung und
der Beſonnenheit gab. Der ſiegreiche Feldzug des
Jahrs that das Uebrige.


Sieg des Koͤnigs bey Burkersdorf 21. Jul. und des
Prinzen Heinrich bey Freyberg 29. Oct.


55. Dagegen aber erhielt in eben dieſem Jahre
der Krieg im Weſten von Europa eine groͤßere Aus-
dehnung; da Spanien und bald auch Portugal
hereingezogen wurden. Die Neutralitaͤt von Spa-
nien hatte ungeſtoͤrt gedauert, ſo lange Ferdinand VI.
regierte. Aber als nach ſeinem Tode Eliſabeth es
C c 2noch
[404]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
noch erlebte, daß ihr Sohn CarlIII. den Thron
1759von Neapel verließ, um den von Spanien zu be-
ſteigen, erhielt in Madrit der Franzoͤſiſche Einfluß
die Oberhand, und das ſo bedraͤngte Frankreich
hoffte durch dieſe Verbindung Erſatz fuͤr ſeine Ver-
luſte, und einen Zuwachs ſeiner Macht zu finden;
indem es ſie zu einer allgemeinen Verbindung der
Zweige des Bourboniſchen Hauſes erhob. So kam
der Familienpact zu Stande, der nach ſeinem
Inhalt die unmittelbare Theilnahme Spaniens am
Kriege zur Folge haben mußte. Aber eine Macht,
die, wie damals Großbritannien, im vollen Laufe
ihrer Siege iſt, wird durch einen neuen Feind nicht
leicht darin aufgehalten. Spanien mußte theuer be-
zahlen; und ſelbſt die Hereinziehung Portugals muß-
te unter dieſen Umſtaͤnden Vortheil fuͤr England
werden. Eine wichtige, wenn gleich zufaͤllige Fol-
ge desſelben war aber der Austritt Pitt's aus dem
Miniſterium.


Geheimer Abſchluß des Bourboniſchen Familien-
pacts
zuerſt zwiſchen Frankreich und Spanien 15. Aug. 1761
mit ſupponirtem Beytritt Neapels und Parmas. Gegenſei-
tige Garantie ſaͤmmtlicher Beſitzungen; und Off- und De-
fenſivallianz. — Austritt Pitt's aus dem Miniſterio, als
das Cabinet nicht ſogleich durch eine Kriegserklaͤrung Spa-
nien zuvorkommen wollte, 5. Oct. — Wirkliche Kriegser-
klaͤrung an Spanien 4. Jan. 1762. Eroberung der Havan-
na
durch Pocok 11. Aug. und Capitulation von Manilla
6. Oct. — Der Angriff Spaniens auf Portugal, ohne
erhebliche Vorfaͤlle, veranlaßte eine Reform des dortigen

Mili-
[405]1. Staatshaͤndel in Europa b. 1756--1763.
Militairs unter dem Grafen Wilhelm von Lippe-Buͤcke-
burg, einem der Heroen des 7jaͤhrigen Kriegs.


56. So bis faſt aus Ende des Kriegs ſtets
ſiegreich fortdauernd, ſollte doch noch vor dem Ende
die Verbindung zwiſchen England und Preußen ſich
trennen. England ſah ſeine Zwecke erreicht; die
Seemacht Frankreichs war zerſtoͤrt; faſt alle ſeine
Colonien in ſeinen Haͤnden; und die durch den
Wachsthum der Nationalſchuld ſchon fruͤher erregte
friedliche Stimmung und Abneigung gegen den Con-
tinentalkrieg nahm ſeit Pitt's Austritt aus dem Mi-
niſterium zu; und die Antraͤge Frankreichs hatten
bald Praͤliminarien zur Folge, die in einen
Separatfrieden verwandelt wurden; ohne daß
fuͤr Friedrich II. etwas weiters als die Neutralitaͤt
Frankreichs ſtipulirt wurde. Wohl hatte Friedrich
Recht, ſich zu beklagen; aber — war er vormals
nicht ſelber der Lehrer dieſer Politik geweſen?


Vorlaͤufige Unterhandlungen durch den Duͤc de Nivernois
in London, und Herzog von Bedford in Paris. Abſchluß der
Praͤliminarien 3. Nov. 1762 zu Fontainebleau; zwi-
ſchen England auf Einer, und Frankreich und Spanien auf
der andern Seite, in einen Definitivfrieden verwan-
delt zu Paris 10. Febr. 1763. Bedingungen: a.zwiſchen
Frankreich und England
. 1. Frankreich entſagt allen
Anſpruͤchen auf Neu-Schottland; und tritt ganz Canada
nebſt Cap Breton an England ab. 2. Es behaͤlt einen An-
theil an den Fiſchereyen auf Terreneuve, mit den Inſelchen
St. Pierre und Miquelon, jedoch unbefeſtigt. 3. Der Miſ-
ſiſippi macht die Grenze zwiſchen den Brittiſchen Colonien

C c 3und
[406]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
und Louiſiana. 4. In Weſtindien tritt Frankreich an Eng-
land ab Grenada; auch behalten die Englaͤnder die vorma-
ligen neutralen Inſeln St. Vineent, Dominique und Ta-
bago; die uͤbrigen Eroberungen werden zuruͤckgegeben. 6.
In Africa Abtretung von Senegal an England, gegen die
Zuruͤckgabe von Gorée. 7. In Oſtindien: Zuruͤckgabe an
Frankreich von allem, was es zu Anfang 1749 beſeſſen hatte;
auch Pondicherys; gegen die Entſagung aller ſpaͤtern dort
gemachten Erwerbungen. 8. In Europa: Zuruckgabe von
Minorca an England. 9. Raͤumung von Hannover und den
verbuͤndeten Staaten im vorigen Zuſtande. 10. Zuruͤckzie-
hung aller Fraͤnzoͤſiſchen Truppen aus dem Reiche; und Neu-
tralitaͤt in dem Preußiſch-Oeſtreichiſchen Kriege. b.Zwi-
ſchen Spanien und England
. 1. Spanien tritt die
Floridas an England ab (wofuͤr Frankreich ihm Louiſiana
einzuraͤumen ſich in einem Separatvertrag bereit erklaͤrte;
erſt erfuͤllt 1769). 2. Dagegen giebt England die Eroberun-
gen auf Cuba und die Havanna zuruͤck. 3. England behaͤlt
das Recht, in der Honduras-Bay Campeche-Holz zu faͤllen.
4. Portugal wird voͤllig reſtituirt und trat dem Frie-
den bey.


Die Bevollmaͤchtigten waren von England D. of Bed-
ford
. Von Frankreich D. de Choiſeul. Von Spanien
Marquis de Grimaldi.


57. So blieben alſo noch allein Preußen, und
Oeſtreich und Sachſen, ſich einander gegenuͤber.
Aber was konnte Oeſtreich allein hoffen auszurichten,
da nach den letzten Siegen Friedrich's auch die Er-
9.
Oct.
oberung von Schweidnitz ihm jede Hoffnung
auf Schleſien benehmen mußte? Keine Friedens-
unterhandlung konnte auch leichter ſeyn, da Niemand
Vergroͤßerung oder Erſatz begehrte; und Friedrich
ſchloß
[407]1. Staatshaͤndel in Europa b. 1756--1763.
ſchloß den glorreichen Hubertsburger Frieden,
ohne einen Fußbreit Landes verlohren zu haben.


Abſchluß des Hubertsburger Friedens 15. Febr.
1763. a. Zwiſchen Preußen und Oeſtreich. 1. Veyde Theile
entſagen allen Anſpruͤchen auf die Beſitzungen des andern
Theils. 2. Beſtaͤtigung des Breslauer und Dresdner Frie-
dens. (In geheimen Separatartikeln verſprach Frankreich
ſeine Churſtimme fuͤr den Erzherzog Joſeph zur Roͤmiſchen
Koͤnigswahl; und ſeine Verwendung fuͤr Oeſtreichs Exſpec-
tanz auf Modena.) b. Zwiſchen Preußen und Sachſen
Wiederherſtellung auf den alten Fuß. — Das Deutſche
Reich
hatte ſchon 11. Febr. ſeine Neutralitaͤt erklaͤrt; und
ward mit eingeſchloſſen.


Die Bevollmaͤchtigten zu Hubertsburg waren von Preu-
ßen: Geh. Leg. Rath von Herzberg. Von Oeſtreich: Hof-
rath von Collenbach. Von Sachſen: Baron Fritſch.


58. Durch dieſen Krieg, und die Frieden,
die ihn beendigten, war das von Friedrich gegruͤn-
dete Syſtem von Europa conſolidirt. Preußen und
Oeſtreich blieben die beyden erſten Continentalmaͤch-
te; weder das entfernte Rußland, noch das ge-
ſchwaͤchte, und Oeſtreich angeſchloſſene, Frankreich
konnten darauf Anſpruch machen. Auch nach die-
ſer Ausſoͤhnung bildete alſo doch ihr Verhaͤltniß,
das, wenn auch nicht feindlich, doch keine enge Ver-
einigung erlaubte, den Centralpunct der Verhaͤltniſſe
des Continents. Nicht bloß das Gleichgewicht in
Deutſchland, ſondern auch das von Europa beruh-
te darauf.


C c 459.
[408]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

59. Zwar ſchienen durch die engere Verbindung
der Bourboniſchen Hoͤfe durch den Familien-
pact die Beſorgniſſe erfuͤllt werden zu ſollen, welche
man einſt zu den Zeiten des Spaniſchen Succeſ-
ſionskriegs gefaßt hatte. Aber der innere Zuſtand
dieſer Staaten hob dieſe leicht; und die Erfahrung
hat gezeigt, wie wenig weſentlichen Gewinn Frank-
reich von dieſer Verbindung gezogen hat; wenn ſie
auch Spanien zur Theilnahme an Kriegen verpflich-
tete, die ihm gaͤnzlich fremd waren.


60. Die Verbindung Großbritanniens und
Preußens war durch ihre Separatfrieden geſtoͤrt;
und eine Abneigung gegen die erſte Macht faßte bey
Friedrich Wurzel, die erſt gegen das Ende ſeiner
Regierung ſich zu verlieren ſchien. Keine bedeutende
Beruͤhrungspuncte fanden indeß auf dem feſten Lande
zwiſchen beyden ſtatt; auch in Hannover nicht; da
Erhaltung der Deutſchen Reichsverfaſſung weſentlich
im Syſtem von Friedrich II. lag.


61. Dieſe Aufloͤſung der Verbindung Eng-
lands und Preußens zerriß jedoch faſt alle Faͤden der
Brittiſchen Continentalpolitik. Nur die mit der
Republik und Portugal blieben uͤbrig. Wo haͤtte
es, jetzt von Oeſtreich durch deſſen Verbindung mit
Frankreich getrennt, und mit Rußland nur in Han-
delsverbindungen, ſie wieder anknuͤpfen ſollen, da
kein
[409]1. Staatshaͤndel in Europa b. 1756--1763.
kein gemeinſchaftliches Intereſſe ſtatt fand? Der
politiſche Einfluß Englands auf das Continent
hoͤrte daher auch faſt gaͤnzlich auf; um ſo mehr da
bald einheimiſche Angelegenheiten von hoher Wich-
tigkeit faſt ausſchließend die Nation beſchaͤftigten.
Den Handel mit dem Continent ſicherten die fried-
lichen Verhaͤltniſſe; und zum Theil neue Handelstrac-
tate; und auch die Wiederherſtellung des politiſchen
Einfluſſes ließ ſich vorherſehen, ſobald neue Stuͤrme
auf dem feſten Lande — brittiſche Subſidien noͤthig
machten.


Verſuch einer hiſtoriſchen Entwickelung des Vrittiſchen
Continentalintereſſe, in meinen kleinen hiſtoriſchen Schrif-
ten. Th. I. II. 1805.


62. Viel groͤßere Folgen aber, als man da-
mals es ahnte, ſollten fuͤr Europa aus dem Ge-
brauch hervorgehen, den England in dieſem Kriege
von ſeiner Ueberlegenheit zur See zu machen anfieng.
Es war jetzt das zweytemal, wo es die Seemacht
ſeiner Feinde vernichtete. Um auch ihren Han-
del zugleich zu Grunde zu richten, fieng es an,
auch den Neutralen, unter deren Flagge er ge-
fuͤhrt werden ſollte, beſonders der Colonialhandel,
dieß zu verbieten. Die Beeintraͤchtigungen, welche
dadurch die Flagge der Neutralen erlitt, machten
die Baſis des einſeitigen Seerechts aus, welches
England ſeitdem in Kriegszeiten ſein Seerecht
C c 5nennt;
[410]II. Per. C. I. Geſch d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
nennt; indem es dasſelbe nach Maaßgabe von Zeit
und Umſtaͤnden modificirt. Auch fruͤher waren wohl
von Andern aͤhnliche Anſpruͤche gemacht; aber ſo
lange es noch keine ſolche uͤberlegene Seemacht als
jetzt die Brittiſche gab, konnten ſie noch nicht die
practiſche Wichtigkeit erhalten.


Hauptpunct der Frage: die Befugniß der Neutra-
len, den Colonialhandel einer kriegfuͤhrenden Macht unter
eigner Flagge und fuͤr eigne Rechnung zu treiben. Veran-
laſſung
: die von Frankreich 1756 den Neutralen gegebene
Erlaubniß, nach ſeinen Colonien zu handeln; da es ſelbſt
davon abgeſchnitten war. Behauptung der abſoluten Ille-
galitaͤt dieſes Handels von Engliſcher Seite; und Wegnahme
neutraler Schiffe, und neutralen Eigenthums. Nur den in
Friedenszeiten gewohnten Handel ſollten ſie treiben duͤr-
fen. — Der Streit — damals noch ohne erhebliche Folgen
— erſtarb von ſelbſt mit dem Frieden; aber the rule of 1756
ward nun Regel bey den Englaͤndern fuͤr die Zukunft; in
ſo fern ſie nicht ſelber davon nachzulaſſen fuͤr gut fanden.


c. Von Pariſer und Hubertsburger Frieden bis auf den Tod
Friedrich's des Großen 1763—1786.

62. Die letzten Friedensſchluͤſſe ließen mit Recht
fuͤr den Weſten des Continents von Europa einen
dauernden Ruhezuſtand erwarten; da hier durchaus
der alte, jetzt ſchon befeſtigte, Beſitzſtand blieb.
Auch folgte ein ſolcher faſt 30jaͤhriger Zeitraum,
von keinem bedeutenden Continentalkriege unterbro-
chen; aber reich an den mannichfaltigſten Erſcheinun-
gen, die, wenn auch nicht alle ihrer Natur nach pc-
litiſch,
[411]1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.
litiſch, doch auf den ganzen Zuſtand der Geſell-
ſchaft, und ſo wiederum auf den Staat zuruͤck-
wirkten.


63. Viele und gewaltige Kraͤfte waren in den
letzten Kaͤmpfen entwickelt; eine Thaͤtigkeit, wie
vielleicht noch niemals vorher, war aufgeregt, und
konnte mit dem Frieden nicht erſterben. Es lag
in der Natur des einen neuen Hauptſtaats, daß
er nur durch ſtete Anſtrengung, durch Entwickelung
aller ſeiner Kraͤfte, ſich halten konnte; und ſein
Rival fuͤhlte, daß er nicht zuruͤckbleiben duͤrfe.
Dieß Gefuͤhl war die Hauptquelle der politiſchen
Energie; aber das Characteriſtiſche dieſer Thaͤtig-
keit iſt ihre Vielſeitigkeit, eine Folge der ſo ſehr
wachſenden intellectuellen Cultur, welche die wech-
ſelſeitigen Beziehungen der verſchiedenartigen An-
ſtrengungen durchblickt, und zu wuͤrdigen weiß.
Das Zeitalter umfaßte die ganze Maſſe von Ein-
ſichten, die das Reſultat jener intellectuellen Thaͤ-
tigkeit war, unter dem Namen der Aufklaͤrung;
und verlangte ihre Befoͤrderung vom Staat.
Aber was gieng nicht oft unter jenem heiligen
Namen!


64. In der Periode des Friedens warf ſich
die Thaͤtigkeit der Regierungen natuͤrlich am mei-
ſten auf die innere Adminiſtration. Nicht nur die
Wun-
[412]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Wunden des Kriegs, ſondern auch die ſtets ſteigen-
den oͤffentlichen Beduͤrfniſſe erforderten dieß; denn
auch im Frieden wurden die ſtehenden Heere eher
vermehrt als vermindert. So erhielten die Finan-
zen eine ſtets ſteigende Wichtigkeit, die nur zu leicht
zu der Maxime fuͤhrte, Vermehrung der Staats-
einkuͤnfte als das Ziel aller Staatswirthſchaft zu
betrachten. Der Geiſt der Regenten, und die Ver-
ſchiedenheit der Verfaſſungen, verhinderten allerdings
den allgemeinen Mißbrauch; aber das Uebel war
ſeiner Natur nach zu anſteckend, als daß es nicht
haͤtte um ſich greifen ſollen.


65. In engem Verhaͤltniß ſtand damit die
Maxime, die Staatsverwaltung moͤglichſt maſchi-
nenmaͤßig
einzurichten; denn nur ſo ſchien ſie am
wohlfeilſten und bequemſten eingerichtet zu ſeyn.
Wurde doch der Ausdruck von Staatsmaſchinen
ſelbſt der Lieblingsausdruck der Maͤnner vom Fach!
Auch dieſe Uebel wirkten langſam, und nicht allent-
halben gleich; aber der Wahn, das Gluͤck eines
Staats in Formen zu ſuchen, das doch nur aus dem
freyen Wirken freyer Maͤnner, der Bedingung des
wahren Patriotismus, hervorgeht, ward erzeugt
und verbreitet.


66. Aus dieſen Maximen der innern Verwal-
tung floß von ſelbſt ein Streben nach Vergroͤße-
rung,
[413]1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.
rung, das, wenn es herrſchend wurde, den Sturz
des beſtehenden Staatenſyſtems herbeyzufuͤhren droh-
te. Je mehr die maſchinenmaͤßige Adminiſtration
durch die Unterbrechung der Gebiete geſtoͤrt wurde,
um deſto groͤßerer Werth ward auf die Arrondi-
rung
gelegt; und wohin die Sucht ſich zu arron-
diren — bald die Quelle der Projecte der Cabinette
— fuͤhren konnte, fuͤhren mußte, faͤllt in die Au-
gen. Wo waren aber die Gefahren derſelben groͤ-
ßer, als gerade in einem ſolchen Syſtem hoͤchſt
ungleicher Staaten, als das Europaͤiſche war?


67. So erhielten die materiellen Kraͤfte
der Staaten immer mehr ausſchließend einen Werth
in den Augen der practiſchen Politik, und Qua-
dratmeilen und Volkszahl wurden der Maaßſtab des
Gluͤcks und der Macht. Nie arbeiteten auch ſo wie
hier die Schriftſteller den Practikern in die Hand;
was rechneten die Statiſtiker nicht aus? Und was
war bequemer fuͤr die Geſchaͤftsmaͤnner? Auf ei-
nem Blatt hatten ſie ja den ganzen Staat vor ſich!


Giebt es in dem ganzen Gebiet der Wiſſenſchaften eine
einzige, die zu einem ſo ganz hirnloſen Machwerk herabge-
wuͤrdigt waͤre, als die Statiſtik? Iſt Angabe der Zahl von
Menſchen und Vieh, iſt uͤberhaupt Zerlegung des Staats koͤr-
pers
ſchon Kunde des Staats? So waͤre auch der Ana-
tom ein Menſchenkenner, weil er Cadaver ſecirt!


68. Wenn uͤbrigens gleich in der Politik wie in der
Staatswirthſchaft das Herkommen herrſchend blieb,
ſo
[414]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſo bemaͤchtigte ſich doch der Geiſt des Raiſonne-
ments dieſer Gegenſtaͤnde, und Theorien giengen
daraus hervor, welche den ſchneidendſten Contraſt
mit dem bildeten, was man in der Wirklichkeit er-
blickte. Man hielt dieſe Theorien fuͤr unſchaͤdlich,
weil ſie — bloße Theorien blieben; auch hatten
ihre Urheber dabey keine gefaͤhrliche Abſicht. Aber
beruhen nicht alle menſchliche Inſtitute zuletzt auf
Ideen? Und werden ſie nicht untergraben, wenn
dieſe ſich aͤndern?


69. Staatsverfaſſung und Geſetzge-
bung
waren es, die zuerſt die Gegenſtaͤnde der
1749Unterſuchung wurden. Montesquieu erhob ſie
dazu; aber ſein Werk, mehr Critik als Syſtem,
lehrte denken, ohne zu verwirren. Ganz anders
war es, als der beredteſte aller Sophiſten, der
1762Buͤrger von Genf, den Staat auf einer Grund-
lage errichtete, auf der keiner der beſtehenden ruhte,
und kein kuͤnftiger wirklich errichtet werden konnte.
Volksſouverainitaͤt und Staat ſind practiſch
widerſprechende Begriffe; erſt da beginnt ein
Staat, wo Volksſouverainitaͤt aufgehoͤrt hat.


Zwar war fruͤher ſchon Locke als politiſcher Schriftſtel-
ler groß geworden; aber ſeine Theorie harmonirte mit der
Conſtitution ſeines Vaterlandes; dagegen Montesquieu
der Lobredner einer fremden, und Rouſſeau einer idea-
liſchen Verfaſſung war, die ohne den Umſturz der Grund-
pfeiler der beſtehenden nicht ſtatt finden konnte.


Two
[415]1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.
  • Two treatiſes of government; or an eſſay concerning the
    true original extract and end of civil government by
    J. Locke. London
    1702.
  • Eſprit des Loix par Montesquieu. 6 Voll. 1749.
  • Le conirat ſocial, par J. J. Rousseau. 1762.

Eine Vergleichung und Wuͤrdigung dieſer Werke in:


  • Meinem Verſuch uͤber die Entſtehung, die Ausbildung und
    den practiſchen Einfluß der politiſchen Theorien in dem
    neuern Europa. Kleine hiſtoriſche Schriften Th. II.
    1805.

70. Seitdem der Staat ſelbſt der Gegenſtand
der Speculation geworden war, ward es auch ſehr
bald die Staatswirthſchaft. Die vielfaͤltigen
Bloͤßen, welche das Mercantilſyſtem theoretiſch und
practiſch darbot, luden von ſelbſt zum Angriffe ge-
gen dasſelbe ein. Die Phyſiocraten, die ihn
unternahmen, riefen allerdings große Wahrheiten1758
ins Gedaͤchtniß zuruͤck, die Wichtigkeit des Land-
baus, die freye Anwendung der Kraͤfte, und daher
Freyheit der Gewerbe und des Verkehrs. Auch
wurden durch ſie andre Selbſtdenker gebildet; waͤre
ohne ſie Adam Smith gereift? Allein ihr Sy-
ſtem
, auf Sophismen gebaut, und in eine neue
Terminologie gehuͤllt, wurde ſchon deshalb prac-
tiſch
unbrauchbar; und ihr Stifter Quesnay
konnte eine Secte von Theoretikern, keine Schule
von Geſchaͤftsmaͤnnern bilden. Aber ihre Lehre
nahm nicht bloß die beſtehende Staatswirthſchaft,
ſondern durch die daraus fließende Forderung der
poli-
[416]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
politiſchen Gleichheit auch die beſtehende
Verfaſſung in Anſpruch; und konnte um ſo ge-
faͤhrlicher ſcheinen, da ſie, nicht wie Adam Smith
vom Nutzen, ſondern bloß vom Recht ſprechend,
forderte ſtatt zu rathen.


Die Lehre der Phyſiocraten ruht bekanntlich auf dem
Grundſatz, daß der Boden die einzige Quelle des reinen Er-
trags ſey; weshalb auch ferner dieſer reine Ertrag die ein-
zige
Quelle der Abgaben ſeyn muͤſſe. Zwar trennt ſich von ihr
gleich bey dem erſten Satze, oder der Beſtimmung der
Elemente des National-Reichthums, ſchon die Lehre von
Ad. Smith, nach der Veredlung und Umſatz nicht weniger
als die Production reinen Ertrag gewaͤhren. Doch wuͤrde
dieſer Unterſchied practiſch wenig erheblich ſeyn, da auch
die Phyſiocratie keineswegs den mittelbaren Gewinn der
Veredlung (durch vermehrten Reiz zur Production) zu leng-
nen begehrt. Aber die große practiſche Differenz erwuchs
theils aus dem zweyten Satz; oder der Anwendung
des erſtern auf die Art der Beſteurung; theils aus den
weitern Folgen der Gleichheit und Freyheit, wohin das phy-
ſiocratiſche Syſtem fuͤhren mußte, und weſentlich dazu bey-
trug, die Koͤpfe dazu vorzubereiten.


  • Quesnay Tableau Economique. Paris 1758. Weiter ausge-
    fuͤhrt in:
  • Phyſiocratie. Paris 1771. 6 Voll.
  • v. Mauvillon Phyſiocratiſche Briefe. 1780. Und zur Pruͤ-
    fung:
  • Vorſtellung des phyſiocratiſchen Syſtems von v. Dohm.
    1778.
  • An Inquiry into the nature and cauſes of the wealth of
    nations by Ad. Smith. Lond. 1776. 2 Voll.
    4. Deutſch
    von Garve; Breslau 1794. 4 Th.
  • Ueber Nationalinduſtrie und Staatswirthſchaft, nach Ad. Smith
    bearbeitet von A. F. Lueder. 1800 ꝛc. 3 Th.

Wie
[417]1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.

Wie viel die vortrefflichen Lehrbuͤcher von Sartorius, Ja-
cob
und Luͤder, nicht nur zur Verbreitung, ſondern auch
Erklaͤrung von Ad. Smith beygetragen haben, iſt bekannt.


71. So war dieß neue Syſtem alſo nicht die
Frucht einer Erfahrung, die ſich uͤber die Routine
zu allgemeinen Anſichten erhoben hatte; ſondern ei-
nes herrſchend werdenden Hangs zu einer Philoſophie,
die ihre Speculationen auch nicht weniger auf die Re-
ligion, auf die Sitten, auf die Erziehung richtete.
Sie gefiel ſich bald in Frivolitaͤten, bald in Sophi-
ſmen; aber in welcher Geſtalt ſie auch erſchien, ſo
war Profanation des Heiligen ihr Zweck.
Mochte Voltaire den Volksglauben verſpotten;
mochten Diderot, Dalembert, von Holbach
und ihre Verbuͤndete den Atheismus predigen; moch-
te Helvetius die Moral in ein Syſtem des Egoi-
ſmus verwandeln; — kamen nicht Alle, wie ver-
ſchieden auch ſonſt von einander, in jenem Puncte
uͤberein? Selbſt die große, der Natur, wie es
hieß, gemaͤßere, Erziehungsreform, von Rouſ-
ſeau
begonnen, hatte ſie eine andere Tendenz, als
Entwickelung des animaliſchen Menſchen, auf Ko-
ſten ſeiner edleren Anlagen?


Die unter Diderot's Aufſicht ſeit 1751 erſcheinende En-
cyclopaͤdie
, die zu der Verbreitung oberflaͤchlicher Kennt-
niſſe ſo bedeutend wirkte, gab fuͤr die meiſten dieſer Maͤnner einen
litterariſchen Vereinigungspunct. War uͤbrigens ihr Stre-
ben auch an ſich nur litterariſcher, nicht politiſcher Art, ſo

D dwar
[418]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
war doch ihr intoleranter Sectengeiſt, — iſt bitterer Spott
uͤber anders Denkende nicht auch Intoleranz? — deſto uner-
traͤglicher, je mehr ſie von Toleranz zu ſprechen pflegten.


72. Dieſe Ideen-Umwaͤlzung gieng von der
Stadt aus, welche als der Centralpunct der intel-
lectuellen Cultur und des Geſchmacks betrachtet ward.
Freylich fehlte viel, daß ihre Urheber auf das Aus-
land eben ſo als auf ihre Nation zuruͤckgewirkt
haͤtten; aber doch — wie groß war nicht ihr Wir-
kungskreis? Sie beſtimmten, wenn auch nicht die
Denkart der Nationen, doch die der hoͤhern Claſſe
der Geſellſchaft. Ihr Einfluß wurde aber noch vor
allem dadurch vermehrt, daß es das Eigenthuͤmliche
des Zeitalters war, daß ſie ſelber unter dieſer Claſſe
lebten. Nie hatten daher auch Schriftſteller ſo ge-
wirkt, als ſie wirken konnten.


Fuͤr kein Zeitalter iſt die Kenntniß der geſellſchaftlichen
Verhaͤltniſſe uͤberhaupt, und beſonders der der Gelehrten
und Schriftſteller zu der Geſellſchaft ſo wichtig, als fuͤr die-
ſes! Die treueſte und lebendigſte Schilderung davon in Pa-
ris geben:


  • Mémoires de Marmontel T. I-IV. 1803. Ein unſchaͤtzbarer
    Beytrag zur Kenntniß der Zeit!

73. Unter dieſen Umſtaͤnden erhielt die oͤffent-
liche Meinung
, durch Schriftſteller geleitet,
ein Gewicht, das ſie ſonſt nicht gehabt hatte; und
diejenigen Inſtitute, gegen welche ſie ſich erklaͤrte,
behielten nur eine ſehr ungewiſſe Exiſtenz. Den
erſten
[419]1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.
erſten großen und auffallenden Beweis davon gab
die Geſellſchaft der Jeſuiten. Freylich gab
es eine Menge einzelner Urſachen, die ihren Fall
vorbereiteten; aber wie haͤtten dieſe ſo wirken koͤn-
nen, als ſie wirkten, waͤre nicht der Widerſpruch
zwiſchen ihrem Inſtitut, und dem herrſchenden Geiſt
des Zeitalters immer groͤßer geworden. Daher fan-
den ſie auch in dem Lande, wo dieſer ſich am mei-
ſten bildete, von jeher ihre heftigſten und hartnaͤk-
kigſten Widerſacher; und wenn ſie gleich aus Por-
tugal ſchon etwas fruͤher als aus Frankreich vertrie-
ben wurden, ſo haͤngt doch die Geſchichte ihres
Sinkens und ihres endlichen Falls im Ganzen offen-
bar an ihren Verhaͤltniſſen in dieſem letztern Lande.


Vorbereitende Urſachen des Falls der Jeſuiten: a. Der
mehr als 100jaͤhrige Streit mit den Janſeniſten, indem durch
die Lettres provinciales von Paſcal 1652 zuerſt die oͤf-
fentliche Meinung gegen ſie geſtimmt ward. b. Die durch
Huͤlfe des Janſeniſmus ſich bildende politiſche Gegen-
partie
, beſonders durch den letzten Beichtvater Ludwig's
XIV., le Tellier, geweckt, am Hofe und in den Parla-
menten. c. Die noch furchtbarere Gegenpartie der Philoſo-
phen und Litteratoren, die ſie mit Spott angriffen. d. Die
Unzulaͤnglichkeit und Verkehrtheit ihres Unterrichts im Ver-
haͤltniß gegen die Forderungen und Beduͤrfniſſe des Zeital-
ters. e. Ihre laxe Moral (wie ſehr ſie auch ſelber auf den
Anſtand hielten); und die Beſchuldigung der Vertheidigung
des Koͤnigsmords; und Verſuche, die man ihnen Schuld
gab. f. Die Vernachlaͤſſigung und der gaͤnzliche Mangel al-
les wiſſenſchaftlichen Glanzes, wodurch ſie in dieſem Zeit-
alter ſich vielleicht allein haͤtten behaupten koͤnnen. Freylich

D d 2konn-
[420]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
konnten ſie nach dem ganzen Geiſt ihres Inſtituts mit dem
Zeitalter nur bis auf einen gewiſſen Grad fortgehen (ſ. oben
S. 76.); aber ſie blieben doch unverkennbar weiter zuruͤck,
als ſie es noͤthig hatten.


74. So bedurfte es nur noch einiger ſtarken
Colliſionen mit einzelnen Gewalthabern; und eine
Reihe partieller Aufhebungen war die Folge
davon, welche die gaͤnzliche Unterdruͤckung der Ge-
ſellſchaft vorbereiteten. Dieſe erfolgten zuerſt in
Portugal durch den allgewaltigen Pombal; demnaͤchſt
in Frankreich, Spanien, Neapel, Parma; und
binnen 8 Jahren waren ſie auch bereits aus allen
dieſen Laͤndern vertrieben.


Aufhebung der Geſellſchaft in Portugal 3. Sept. 1759;
nach ſchon vorhergegangener Entfernung vom Hofe, und Ein-
ziehung ihrer Guͤter. Einem Reformator wie Pombal
ſtanden ſie durchaus allenthalben im Wege. — Ihr Fall in
Frankreich Nov. 1764 durch Choiſeul und die Pom-
padour
bewirkt. Ihr Rechtsſtreit mit den Lioncys durch
Lavalette herbeygefuͤhrt 1755, gab nur die Veranlaſſung,
das Publicum und das Parlement gegen ſie laut werden zu
laſſen. Ihre Verbannung aus Spanien 2. April 1767,
(der ſofort die aus Neapel Jan. 1768 und Parma Febr. folgte,)
durch Aranda und Campomanes, die in ihnen ihre
Gegner ſahen.


  • D'Alembert ſur la deſtruction des Jeſuites en France.
    (Oeuvres T. V.)
    1805.
  • Lettere ſulle cagioni della expulſione de' Geſuiti di Spa-
    gna.
    1768.
  • von Murr Geſchichte der Jeſuiten in Portugal unter Pombal.
    Nuͤrnberg 1787. 2 B.

75.
[421]1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.

75. Bey allem dieſem Ungluͤck hatten die Je-
ſuiten, da nur der Pabſt ſie gaͤnzlich aufheben
konnte, doch noch, ſo lange ClemensXIII. lebte,
an ihm eine Stuͤtze; wenn gleich ſeine Hartnaͤckig-
keit und Heftigkeit, beſonders in dem Streit mit
Parma, nicht nur ihnen ſelber ſchadete, ſondern auch1768
uͤberhaupt die paͤbſtliche Macht compromittirte, und
ſaͤmmtliche catholiſche Hoͤfe erbitterte. Der Un-
tergang der Geſellſchaft war bey den Bourboni-
ſchen Hoͤfen aber einmal ſo feſt beſchloſſen, daß
ſelbſt der Miniſterwechſel in Frankreich nach Choi-
ſeul's Falle keine Aenderung machte. So mußte
endlich ClemensXIV., Ganganelli, den Schritt
thun, deſſen Folgen fuͤr ſich und den Roͤmiſchen
Stuhl er ſehr wohl einſah. Durch die Bulle Do-
minus et redemptor noſter
ward die Geſellſchaft
aufgehoben.

1773
16.
Aug.

Außer den oben S. 76. angefuͤhrten Schriften:


  • Vita di Clemente XIV. Ganganelli per il Sig. Marcheſe Ca-
    raccioli
    , Firenze
    1776. Der ſeltne Franziſcaner verdien-
    te einen beſſern Biographen.

76. Der Fall des Ordens der Jeſuiten ward
als ein Triumph der Philoſophie betrachtet. Wie
ſehr man aber auch uͤber die Schaͤdlichkeit des In-
ſtituts einverſtanden ſeyn mag, ſo ward doch deſſen
Aufhebung mit einer Leidenſchaftlichkeit be-
trieben, die ſelten die Mutter geſunder Maaßregeln
D d 3zu
[422]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
zu ſeyn pflegt. Ward in der catholiſchen Welt die
Luͤcke gehoͤrig ausgefuͤllt, die dadurch in dem Unter-
richt entſtand? Konnte ſie auch nur ploͤtzlich aus-
gefuͤllt werden? Der große politiſche Einfluß der
Geſellſchaft war ohnedem dahin; und es waͤre thoͤ-
richt zu glauben, daß ſie den Gang der großen
Weltbegebenheiten noch wuͤrde haben leiten koͤnnen.
Aber ob die Ruͤckwirkungen der aufgehobenen
Geſellſchaft nicht noch nachtheiliger waren, als ihre
Wirkſamkeit bey einer, durch eine Reform beſchraͤnk-
ten, Fortdauer haͤtte ſeyn koͤnnen, wird wohl immer
ein Problem fuͤr die Geſchichte bleiben.


77. Waͤhrend aber bey dieſen Vorfaͤllen der We-
ſten von Europa einer tiefen Ruhe genoß, die durch
1770das freundſchaftliche Einverſtaͤndniß Oeſtreichs und
Preußens, durch die Begebenheiten des Nordens
befoͤrdert, noch befeſtigt ward, reifte in dem In-
nern der Cabinette immer mehr jene Vergroͤßerungs-
und Arrondirungspolitik, die aus der zerſtuͤckel-
ten Lage der Preußiſchen Monarchie

hauptſaͤchlich hervorgehend, in den Beduͤrfniſſen
und der innern Adminiſtration der Reiche ſo laute
Fuͤrſprecher fand, daß ſie bald als herrſchendes
Princip der Politik betrachtet werden mußte. Den
erſten, ſelbſt das Zeitalter uͤberraſchenden, Beweis
davon ſollte es im Norden in der erſten Thei-
lung
[423]1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.
lung Polens ſehen. Bedurfte es noch weiterer1772
Beweiſe, um zu zeigen, wohin in einem Staaten-
ſyſtem wie das von Europa dieß neue Staatsrecht
fuͤhren konnte, fuͤhren mußte?


(Die Geſchichte der erſten Polniſchen Theilung ſ. unten
im Abſchnitt von dem Norden.)


78. Auch entwickelten ſeine Folgen ſich ſchnell,
als jetzt JoſephII., mehr als dem Namen nach,
Mitherrſcher ſeiner Mutter wurde. Im vollſten
Sinne Zoͤgling des Zeitalters, wurde er
gleichſam der Abdruck desſelben. Unerſaͤttlich an Wiß-
begierde — und daher mannichfaltige Einſichten,
raſtlos an Thaͤtigkeit — und daher Hang zu Neuerun-
gen; aber hoͤchſt inconſequent, und ohne Achtung
fuͤr Rechte
. Dabey, in der Fuͤlle der Jugend-
kraft, voll Ehrgeiz, ſich geltend zu machen! Wo
konnte die herrſchende Krankheit der Cabinette, die
Arrondirungsſucht, eher Eingang finden, als
in einem ſolchen Geiſte?


79. Auch hatten die Beweiſe davon ſich ſchon
in der Wegnahme der Bukowina gezeigt; und1777
man dachte auf aͤhnliche Schritte in Italien. Aber
Vergroͤßerung in Deutſchland blieb doch das
Hauptziel; und welches Land — auf Stimmung
des Volks ward nicht mehr geſehen; — lag Oeſt-
reich gelegener als Bayern? Das bevorſtehende
D d 4Aus-
[424]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Ausſterben der Churlinie ſchien eine erwuͤnſchte Ge-
legenheit darzubieten; und es war gelungen, noch
ehe dieſer Fall wirklich eintrat, den Nachfolger zu
gewinnen; und ihn demnaͤchſt zu einem Vergleich
zu bringen. Die ſchnelle Occupation war aber faſt
noch empoͤrender als der Vergleich ſelbſt.


Ausſterben der Bayerſchen Churlinie mit Churfuͤrſt Ma-
ximilian Joſeph
30. Dec. 1777; und Succeſſion von
Carl Theodor, Churfuͤrſt von der Pfalz, als Haupt der
aͤlteren Wittelsbachiſchen Linie. Aber bereits 3. Jan. 1778
Vergleich mit ihm zu Wien; und Beſetzung von ganz Nie-
derbayern durch Oeſtreichiſche Truppen. Die Anſpruͤche Oeſt-
reichs auf dieſes, und einige Herrſchaften, gaben einen auf-
fallenden Beweis der Fortſchritte des neuen Staatsrechts.


80. Wie gewagt auch dieſe Schritte waren,
ſo ſchien die Lage Europas ſie doch zu beguͤnſtigen.
Frankreich, ſeit des Thronfolgers Heyrath mit Ma-
ria Antoinette, jetzt auch durch Familienbande an
Oeſtreich geknuͤpft, ohne Anſehen auf dem Continent,
ſtuͤrzte ſich ſo eben, America zu Gefallen, in einen
Seekrieg; das Ziel der Ruſſiſchen Politik waren
Vergroͤßerungen auf Koſten der Tuͤrken; und ein
Krieg war hier faſt mehr als wahrſcheinlich. Von
England, im Colonialkriege begriffen, konnte vol-
lends die Rede nicht ſeyn. So blieb alſo nur
Preußen uͤbrig.


81. Aber freylich war von dieſer Seite auch
der aͤußerſte Widerſtand zu erwarten. Der Fall
Bayerns
[425]1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.
Bayerns war auch der Fall des ganzen politiſchen
Syſtems von Friedrich II. Er fuͤhrte unausbleib-
lich den Fall der Deutſchen Reichsverfaſſung herbey;
kaum haͤtten noch die Formen beſtanden! Was wei-
ter folgen mußte, lag am Tage. So ſchuͤtzte Frie-
drich nicht bloß Bayern, ſondern ſich ſelber und
ſein Werk, indem er die Waffen ergriff.


82. Aber zugleich gab Friedrich's Benehmen
den Beweis, daß es in Europa noch eine hoͤhere
Politik als die des platten Egoiſmus gab. Wer
hat ſeitdem eine aͤhnliche Uneigennuͤtzigkeit, wer bey
den ihm gemachten Anerbietungen zu eigner Arron-
dirung eine aͤhnliche Erhebung uͤber die Vorurtheile
des Zeitalters wiedergeſehen? Ein guͤnſtiges Ge-
ſchick wollte, daß der ſchon ausgebrochene Krieg
ein unblutiger Krieg bleiben ſollte. Maria The-
reſia
fuͤrchtete fuͤr die Ruhe ihres Alters und das
Wohl ihres Sohns; und Friedrich — traute dem
Gluͤck nicht mehr. Die Vermittlung Frankreichs,
und noch mehr Rußlands, das, mit den Tuͤrken
ausgeſoͤhnt, mehr als Vermittler zu werden drohte,
leitete zu gemaͤßigtern Geſinnungen; und der
Teſchner Friede beendigte den Krieg; nicht ohne
daß Joſeph einen Theil ſeiner Beute behielt.


Proteſtation des Herzogs von Zweybruͤcken, als naͤchſten
Agnaten, gegen den Wiener Vergleich; und Anſpruͤche von
Churſachſen auf die Allodialverlaſſenſchaft; und Mecklenburgs

D d 5auf
[426]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
auf Leuchtenberg; unterſtuͤtzt von Friedrich II. Vergebliche
Unterhandlungen; und Einbruch Friedrich's, und des Prin-
zen Heinrich und der Sachſen in Boͤhmen; ohne jedoch die
Oeſtreichiſche Armee aus ihren feſten Stellungen laͤngs der
Oberelbe vertreiben zu koͤnnen. — Unterdeß eigenhaͤndige
Correſpondenz, von Maria Thereſia angeknuͤpft; und dar-
auf, unter Franzoͤſiſcher und Ruſſiſcher Vermittelung, Con-
greß zu Teſchen; Waffenſtillſtand 7. Maͤrz und darnach
Friede 13. May 1779. Bedingungen: 1. Oeſtreich be-
haͤlt den Theil von Niederbayern zwiſchen dem Inn, der
Salza und Donau; gegen die Aufhebung der Wiener Con-
vention. 2. Es verſpricht, ſich der kuͤnftigen Vereinigung
der Markgrafthuͤmer Anſpach und Bayreuth mit der Preu-
ßiſchen Monarchie nicht zu widerſetzen. 3. Sachſen erhaͤlt in
Terminen 6 Millionen Thaler; und Mecklenburg das Pri-
vilegium de non appellando. Garantie des Friedens von
Frankreich und Rußland, und Beytritt des Reichs.


Geſandte zu Teſchen von Oeſtreich: Graf J. Phil. Co-
benzel
. Von Preußen: Baron von Riedeſel. Von Chur-
ſachſen: Graf von Zinzendorf. Als Vermittler: von
Frankreich Baron von Breteuil, von Rußland Fuͤrſt von
Repnin
.


  • Oeuvres poſthumes de Fréderic II. T. V. Der Erzaͤhlung iſt
    zugleich die Correſpondenz zwiſchen Friedrich, Maria The-
    reſia und Joſeph, beygefuͤgt. Wie tritt hier Joſeph hinter
    den großen Koͤnig und die edle Mutter zuruͤck!

Sammlung der diplomatiſchen Actenſtuͤcke in:


  • Recueil de déductions, Manifeſtes etc. qui ont été redigés et
    publiés par le Comto de Herzberg, dépuis 1778 jusqu'à
    1789. T. II. Berlin
    1789.

83. Mit dem Teſchner Frieden erſtarb zwar
die Fehde; aber die Acquiſition von Bayern,
(bey der neuen Politik wurden auch neue Namen
Sitte;) blieb das Lieblingsproject des Oeſtreichſchen
Cabi-
[427]1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.
Cabinets. Welches Cabinet, groß oder klein,
hatte oder faßte auch jetzt nicht aͤhnliche Plaͤne? Der
Tod von Maria Thereſia, der JoſephII. zum1780
29.
Nov

Alleinherrſcher machte, gab ihm freye Haͤnde; und
nicht bloß in den großen inneren Aenderungen, be-
ſonders der kirchlichen Verhaͤltniſſe, die Pius der
VI., ſelber nach Wien reiſend, vergeblich abzu-1782
Mrz

wenden ſuchte; ſondern auch in den politiſchen
Verhaͤltniſſen ſah man nicht nur jenes raſche Stre-
ben nach Vergroͤßerung, beſonders in dem Deut-
ſchen Reich, ſondern auch jene Nichtachtung, und
einſeitige Aufhebung geſchloſſener Vertraͤge, wovon
die Haͤndel mit den Hollaͤndern, ſowohl uͤber die
Aufhebung der Barriereplaͤtze; als die noch wichti-
gern, uͤber die Eroͤffnung der Schelde, den Be-
weis gaben.


Eigenmaͤchtige Aufkuͤndigung des Barriere-Tractats 7.
Nov. 1781. — Forderung der Eroͤffnung der Schelde, der
Feſtung Maſtricht und 12 andrer Puncte 4. May 1784; und
ſofort Anfang von Thaͤtlichkeiten. Franzoͤſiſche Vermittelung
und Vertrag zu Verſailles 8. Nov. 1785, wodurch Joſeph
fuͤr 10 Millionen Gulden von ſeinen Forderungen abſteht!


84. Der Zuſtand des weſtlichen Europas, wo
England, Frankreich, Spanien und die Nieder-
lande ſo eben aus dem, wegen Nordamerica ge-
fuͤhrten, Kriege hervorgiengen, und der Ruhe be-
durften, erleichterte allerdings Joſeph's Unterneh-
mungen. Durch den Verſailler Frieden, der1783
20.
Jan.

jenen
[428]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
jenen Krieg beendigte, war zwar in dem Beſitz-
ſtand auf dem Continent nichts veraͤndert worden;
auch ſchien die Einigkeit zwiſchen England und
Frankreich mehr wie vor dem Kriege befeſtigt, wo-
1786
26
Spt.
von ſelbſt ein Handelstractat die Folge war;
nur in den Verhaͤltniſſen der Republik, welche
Frankreich, durch die großen bey ſeiner Friedens-
vermittlung ſowohl mit England als mit Oeſtreich
geleiſteten Dienſte, an ſich anzuſchließen wußte,
war ein Keim kuͤnftigen Streits; und auch ſelbſt
der Handelstractat, fuͤr England vortheilhaft, er-
regte die Eiferſucht.


(Die Geſchichte des Colonien-Kriegs ſ. unten in dem
Abſchnitt von den Colonien.)


85. Unter dieſen Verhaͤltniſſen glaubte Joſeph
II. ſeinen Lieblingsplan auf Bayern durch einen
Tauſch ausfuͤhren zu koͤnnen. Unter dem Namen
eines Koͤnigreichs Burgund ſollte der Churfuͤrſt
den groͤßten Theil der Oeſtreichiſchen Niederlande, je-
doch noch mit mehreren Beſchraͤnkungen, erhalten,
und dagegen ganz Bayern mit der Oberpfalz an
Oeſtreich uͤberlaſſen. Auch mußte das Project ſchon
ſehr weit gediehen ſeyn, da man nicht nur des
Churfuͤrſten ſchon ſicher war, ſondern ſelbſt Ruß-
land der Sache ſich annahm, waͤhrend Frankreich
gleichguͤltig blieb.


Antrag
[429]1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.

Antrag zum Tauſch in Muͤnchen durch den Grafen von
Lehrbach
; und in Zweybruͤcken, bey dem praͤſumtiven Nach-
folger durch den Ruſſiſchen Miniſter, Grafen Romanzow;
mit nur 8 Tagen Bedenkzeit. Jan. 1785.


Erklaͤrung der Urſachen, welche Se. Preußiſche Majeſtaͤr
bewogen haben, ihren Mitſtaͤnden eine Aſſociation zur Er-
haltung des Reichsſyſtems anzutragen; in Herzberg Re-
cueil de déductions etc. dépuis 1778. T. II.


86. So mußte Friedrich, dem Grabe nahe,
noch aufs neue ſein Syſtem bedroht ſehen. Zwar
zog er nicht das Schwerdt mehr; aber kaum ſtrahlt
auf ſeiner ganzen ruhmvollen Laufbahn ſein Geiſt
heller als damals. Was die Erhaltung Deutſcher
Verfaſſung nicht nur fuͤr Deutſchland, ſondern fuͤr
Europa ſey, hatte er noch nie ſo klar und laut ge-
ſagt. Das Alles ſollte auf einer dauernden Grund-
lage hinfort ruhen, auf einem Deutſchen Foͤderativ-
ſyſtem, von dem Preußen der Mittelpunct war.
So ſchuf er, in Uebereinſtimmung mit ſeinem
Nachfolger, den Deutſchen Fuͤrſtenbund, ge-
gruͤndet auf gemeinſchaftliches und bleibendes In-
tereſſe; ſein letztes Tagewerk! Beruhigt, auch fuͤr
die Zukunft, konnte er nun zu den Vaͤtern gehn!

1786
17.
Aug.

Abſchluß des Deutſchen Fuͤrſtenbundes zu Berlin, zuerſt
mit Churſachſen, und, ſich England naͤhernd, (denn
auch die lang genaͤhrte Abneigung beſiegte noch der Greis;)
mit Chur-Braunſchweig 23. Juli 1785 zu gemeinſchaft-
licher Aufrechthaltung der Deutſchen Verfaſſung. Die Ne-
benlinien der drey Churhaͤuſer, ſo wie Mainz, Heſſen-Caſ-
ſel, Mecklenburg und Anhalt traten bey.


Darſtel-
[430]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
  • Darſtellung des Fuͤrſtenbundes, (von Joh. von Muͤller) 1787.
    Wie viel reicher als der Titel verſpricht!
  • Ueber den Deutſchen Fuͤrſtenbund von Chr. Wilh. von Dohm.
    1785. Hauptſaͤchlich Widerlegung der darin zugleich abge-
    druckten Schrift:
  • Ueber die koͤnigliche Preußiſche Aſſociation zur Erhaltung des
    Reichsſyſtems von Otto von Gemmingen. 1785.

II. Ueberſicht der gleichzeitigen inneren Veraͤnderungen und
ihrer Reſultate in den einzelnen Hauptſtaaten des weſt-
lichen Europas in dieſem Zeitraum. 1740-1786.

1. In keinem der Hauptſtaaten von Weſt-
Europa war dieſer Zeitraum eine Periode ſehr gro-
ßer und ſchneller Veraͤnderungen in der Verfaſſung;
aber faſt in jedem derſelben bereitete ſich ein Zu-
ſtand vor, der dahin fuͤhren konnte.


1. Portugal und Spanien.

2. Portugal war in dieſem Zeitraum zu ei-
nem Experiment beſtimmt, wie weit eine Nation
durch Zwang der Regierung umgeformt werden
kann. Als auf Koͤnig JohannV. ſein Sohn
1750
bis
1777
Joſ. Emanuel folgte, uͤberließ er das Staats-
ruder dem Grafen von Oeyras, Carvalho,
Marquis von Pombal. Kein Miniſter hat eine
ſo allgemeine Reform verſucht, wie Pombal,
und ſie ſo gewaltthaͤtig durchgefuͤhrt. Ackerbau,
Indu-
[431]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
Induſtrie, Handel, Militair, Unterricht, alles
ſollte neu geſchaffen werden; was im Wege
ſtand, hoher Adel und Jeſuiten, wurden zertreten;
und doch wollte es auch nach 27 Jahren in Portu-
gal nicht werden, wie Pombal es in Deutſchland
und England geſehen hatte. Keine bleibende Spu-
ren ſeiner Reformen, nicht mal im Militair, ſcheinen
uͤbrig geblieben zu ſeyn; nur der Beweis, (wofern
es deſſen bedurfte,) daß Einrichtungen, durch
Zwang gegruͤndet, auch mit dem Zwang wieder
verfallen.


Viel iſt uͤber Pombal geſchrieben; aber nur fuͤr oder
wider ihn. Zu den erſten gehoͤrt:


  • L'adminiſtration de Sebaſt. Joſ. de Carvalho, Comte d'Oey-
    ras, Marquis de Pombal 1788. 8. 4 Voll.
    — Schaͤtzbar
    wegen der pièces juſtificatives.

Zu den Schriften gegen ihn:


  • Memoirs of the Court of Portugal, and of the adminiſtra-
    tion of the count d' Oeyras. Lond.
    1767.
  • Vita di Sebaſt. de Pombal, Conte d' Oeyras. 1781. 4 Voll.

3. In Spanien aͤnderten ſich zwar mit dem
Wechſel der Regierungen auch die Maximen; Fer-1746
dinandVI. befolgte eine andere Politik als ſein
Vater; und ſein Halbbruder CarlIII. wechſelte1759
wieder; ohne daß erhebliche Veraͤnderungen in der
Verfaſſung gemacht waͤren. Daß gleichwohl die
Pyrenaͤen kein hinreichender Damm gegen das Ein-
dringen neuer Ideen waren, ſah man an den ver-
aͤnder-
[432]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
aͤnderten Verhaͤltniſſen mit dem paͤbſtlichen Stuhl;
und in der Aufhebung der Jeſuiten. Die Regie-
rung von CarlIII. zeichnet ſich aus durch aufge-
1766klaͤrte Miniſter. Nach einem Aranda und Cam-
1773pomanes kam ein Florida Blanca; und viele
Einrichtungen, fuͤr das Mutterland und die Colo-
nien, bezeichnen ihre Verwaltung. Aber auf die
große Maſſe der Nation und ihren Character wirkte
dieß wenig. Seine Hauptzuͤge waren ihm zu tief
eingedruͤckt, als daß ſie leicht haͤtten verwiſcht wer-
den koͤnnen.


  • Bourgoing Voyage en Eſpagne III Voll. 1788 erſte Aus-
    gabe. Dritte 1803. Fuͤr die Kenntniß des neuern Spaniens
    das Hauptwerk.

2. Frankreich.

4. In Frankreich entwickelten ſich die Symp-
tome, die ſchwachen und ungluͤcklichen Regierun-
gen eigen zu ſeyn pflegen. Die Nullitaͤt von Lud-
wig XV. iſt allgemein bekannt; aber ein Zuſam-
menfluß von Umſtaͤnden, wie wohl ſelten in einem
Staat, vereinigte ſich hier, um eine innere
Aufloͤſung
zu bewirken, deren Folgen nicht zu
berechnen waren.


  • Mémoires du Maréchal de Richelieu T. I-IX. 1790-1793.
    Aus den Papieren des Franzoͤſiſchen Alcibiades von Soulavie
    compilirt. Sie umfaſſen den langen Zeitraum von 1710-
    1774. Voll intereſſanter Nachrichten geben ſie ein Gemaͤhlde
    der ſinkenden Franzoͤſiſchen Monarchie faſt in allen Partien.
    Haͤtte
    [433]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
    Haͤtte nur der Herausgeber ſie nicht durch das Colorit der
    Revolutionszeit entſtellt!

5. Der alte Gaͤhrungsſtoff, durch die Jan-
ſeniſten und die Bulle Unigenitus erzeugt, dauer-
te fort; und die Annahme oder Nichtannahme
jener Bulle fuͤhrte zu einer wahren Spaltung der
Geiſtlichkeit; die ſchon wegen der unvermeidlichen
Zuruͤckwirkung auf die große Maſſe des Volks
hoͤchſt bedenklich werden mußte; und zu den aͤrger-1753
lichſten Auftritten Veranlaſſung gab.


6. Aber ſie ward es noch vielmehr durch den
Einfluß den ſie auf die Parlamente, und den
von dieſen geleiſteten Widerſtand, hatte. Mochten
die Anſpruͤche, welche dieſe Corps in Frankreich
machten, auch vielleicht hiſtoriſch ungegruͤndet ſeyn,
ſo betrachtete ſie wenigſtens die Nation als die letz-
te Stuͤtze der Freyheit, ſeitdem es keine Verſammlung
der Generalſtaͤnde mehr gab. Dieſe ſtreitige Op-
poſition war ſchlimmer, als eine legitime; weil ſie
die Regierung zu gewaltſamen Maaßregeln fuͤhrte,
ohne ſie durchſetzen zu koͤnnen. Die wiederholten
Exile der Parlamente, endigten mit ihrem Triumph;1753
ihre endliche Unterdruͤckung ward als bloßer Act1763
des Deſpotiſmus betrachtet; und wie bedenklich ih-1771
re Wiederherſtellung durch Ludwig XVI. war, hat1774
die Erfahrung gelehrt.


E e7.
[434]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

7. Dieſe Haͤndel waren deſto gefaͤhrlicher, weil
ſie ſich periodiſch erneuerten; aber mehr als ſie wirk-
te die Anſchließung an Oeſtreich, bald durch
1770
16.
May
die Vermaͤhlung des Dauphins mit Marie Antoi-
nette befeſtigt. Indem dadurch die herrſchende
Dynaſtie den Character des Staats verleugnete,
that ſie auch zugleich den erſten Schritt zu ihrem
Untergange. Wie einſt die Stuarts in England
ſetzte ſie ſich in Widerſpruch mit der Nation;
und die lange Reihe ungluͤcklicher Folgen, die im-
mer ſichtbarer werdende Nullitaͤt in dem Staatenſy-
1774
bis
1787
ſtem von Europa, die Vergennes waͤhrend ſeines
Miniſteriums nur wenig verdecken konnte, mußte
dieſen um deſto mehr verſtaͤrken, je mehr das poli-
tiſche Ehrgefuͤhl der Nation dadurch beleidigt ward.


8. Zu dieſem kam ein tief zerruͤttetes
Finanzweſen
; bey dem durchgreifende Refor-
men unmoͤglich waren, ohne die Grundſaͤulen
der Verfaſſung zu erſchuͤttern
. Seit Fleu-
1743rys Tode war unter den Maitreſſenregierungen kein
gut organiſirtes Miniſterium moͤglich geweſen. Und
1777
bis
1781
auch als unter Ludwig XVI.Necker zum erſten-
male an die Spitze der Finanzen kam, empfand
man bald, daß bloße Sparſamkeit ſo wenig helfen
koͤnne, als das hoͤchſt unzeitige Experiment
1780der Publicitaͤt geholfen hat. Nut in der Auf-
hebung
[435]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
hebung der Vorrechte der privilegirten
Staͤnde
ſah man vielleicht Rath; war aber die-
ſes nicht ſchon Umwandelung der Verfaſſung?


Compte rendu au Roi par Mſ. Necker 1780.


8. So bot der Franzoͤſiſche Staat das Bild
einer Autocratie dar, die, mit der Nation in Wi-
derſpruch, zugleich in Verlegenheiten ſich befand,
aus denen ſie nur durch Nachgeben ſich retten konn-
te; waͤhrend in der Nation ſelbſt die Ausſicht auf
das Rettungsmittel den ſchon laͤngſtgegruͤndeten
Haß der Staͤnde entflammte. Welche Lage!
Selbſt hohe Herrſcherkraft haͤtte hier nur viel-
leicht
helfen koͤnnen; was ſollte die bloße Redlich-
keit, durch kein fremdes Talent unterſtuͤtzt, und mit
Schwaͤche gepaart, ausrichten?


3. Großbritannien.

9. Wer die Veraͤnderungen dieſes Staats in
dieſem Zeitraume nach den Veraͤnderungen ſeiner
Verfaſſung meſſen wollte, wuͤrde kaum einige von
Erheblichkeit anzumerken haben. Aber wenn nicht in
den Formen, aͤnderte ſich doch viel in dem Geiſt;
beſonders ſeit der Beendigung des ſiebenjaͤhrigen
Kriegs.


10. Die Macht der Krone wuchs im Inneren,
mit der Macht und der Groͤße des Staats uͤber-
E e 2haupt.
[436]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
haupt. Die formelle Gewalt einer Regierung be-
ſtimmt die Conſtitution; die wirkliche der Erfolg.
Nach ſo ſiegreich gefuͤhrten Kriegen, bey einem ſtets
ſteigenden Nationalwohlſtand, war Anhaͤnglichkeit an
die Verfaſſung und Regierung natuͤrlich. Welche
Regierung waͤre unter dieſen Umſtaͤnden nicht maͤch-
tiger geworden?


11. In England zeigte ſich dieſes in dem ſtei-
genden Uebergewicht der Krone im Parla-
ment
. Das Eigenthuͤmliche der Brittiſchen Na-
tionalfreyheit liegt practiſch darin; daß hier nicht,
wie anderswo, das Parlament den Streit mit der
Krone, ſondern die Krone den Streit mit dem Par-
lament zu fuͤrchten hat. Daraus entſteht das Stre-
ben der Miniſter nach der Majoritaͤt; und ihr noth-
1721
bis
1742
wendiger Wechſel, wenn dieſe ihnen fehlt. Walpo-
les
Miniſterium machte hier Epoche; zum erſten-
mal ſah man einen Miniſter uͤber zwanzig Jahre
auf ſeinem Poſten, durch Behauptung jener Majo-
ritaͤt. Man beſchuldigt ihn die Beſtechlichkeit ein-
gefuͤhrt zu haben. So bekannt dieſe bey den Waͤh-
lern iſt, ſo ungewiß iſt ſie bey den Gewaͤhlten.
Allerdings, welche Verſuchung fuͤr den Miniſter
ſich die Majoritaͤt auf jede Weiſe zu verſchaffen!
Und doch, was muͤßte eine Nation laͤngſt geworden
ſeyn, deren Bevollmaͤchtigte ſtets nur ein Haufen
feiler Menſchen waͤren!


12.
[437]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.

12. Indeß fuͤhrte der wachſende Einfluß der
Krone auf die Idee einer Reform; die man in ei-
ner verbeſſerten Nationalrepraͤſentation ſah. Meh-
rere der groͤßten Maͤnner, beſonders die beyden
Pitts, waren ihr anfangs geneigt; — und unter-
ließen ſie im Miniſterium. So giengen die Zeiten
der Ruhe voruͤber, und die Zeiten der Stuͤrme paſ-
ſen nicht fuͤr ſolche Experimente! Geſetzt, ſie gelaͤn-
ge ohne Umſturz des Ganzen; — wuͤrde Verſtaͤr-
kung der Oppoſition ein ſicherer Gewinn ſeyn?


13. Allein das Eigenthuͤmliche des Fortgangs
dieſer Verfaſſung war, daß ſie immer feſter an den
Credit der Regierung geknuͤpft ward. Die
Fortſchritte des Anleiheſyſtems verflochten immer
tiefer (da faſt Alles im Lande geborgt ward,) das
Geld-Intereſſe der Regierung und der Nation;
mit dem Fall des Credits haͤtte auch das Anleihe-
ſyſtem aufgehoͤrt; und mit ihm die Kraft der Re-
gierung. So ward dieſes Syſtem das Cement
der Verfaſſung. Aber da die Fortſchritte deſſelben
ſtets die Laſten vermehrten, ſo lag in dem verhaͤlt-
nißmaͤßigen Fortſchreiten des Nationalwohlſtandes
auch die Bedingung der Erhaltung der Verfaſſung;
und keine andere Regierung fand ſich in einer gleichen
Nothwendigkeit dieſem Alles aufzuopfern. Man
empfand es ſchon lange, daß auch ohne Verpflich-
E e 3tung
[438]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
tung der Ruͤckzahlung des Capitals, doch in der Be-
zahlung der Zinſen das Syſtem ſeine Grenzen habe;
und ſchon lange hatte man fuͤr den Credit der Re-
gierung gefuͤrchtet; als William Pitt durch ſeinen
1786Sinking-Fond den Anker auswarf, der, bey ſchein-
barer Abtragung der Nationalſchuld, den reellen
Zweck der Sicherung des Staatscredits bewirkte.


Die fundirte Brittiſche Schuld betrug bey dem Anfang
dieſes Zeitraums 1739 etwas uͤber 54 Millionen Pf. St.
Durch den Oeſtreichiſchen Succeſſionskrieg ſtieg ſie auf 78
Millionen; durch den ſiebenjaͤhrigen Krieg auf 146 Millio-
nen; durch den Colonienkrieg auf 257 Millionen. Die vor-
her verſuchten Mittel zu ihrer Verringerung, der ſchon 1717
errichtete alte Sinking-Fond, und einzelne Abbezahlungen
im Frieden, hatten wenig ausgerichtet. Neuer Sinking-
Fond
von Pitt 26. May 1786, nach der Berechnung von
Price, geſtiftet; blos beſtimmt zu der Einloͤſung der da-
maligen
Schuld; aber durch die Bill vom 17 Febr. 1792.
Feſtſetzung eines eignen Sinking-Fond von 1. p. C. fuͤr jede
neue Anleihe. So erhaͤlt ſich, da die Regierung ſeibſt die
ſtete Aufkaͤuferin iſt, der Werth der Stocks ungefaͤhr auf
gleicher Hoͤhe; wie chimaͤriſch auch die Rechnungen uͤber
die gaͤnzliche Abbezahlung der Nationalſchuld bey ſteten
neuen Anleihen ſeyn moͤgen.


  • Eſſai ſur l'etat actuel de l'adminiſtration des finances et
    de la dette nationale de la grande Bretagne par Fr.
    Gentz. Londres
    1800.

14. Wenn auf dieſe Weiſe Conſtitution, Credit
der Regierung und Nationalwohlſtand, unaufloͤßlich
in einander verſchlungen ſind; ſo mußte dadurch frey-
lich der Brittiſche Staat eine innere Feſtigkeit
erhal-
[439]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
erhalten, worin er das gerade Gegentheil von dem
Altfranzoͤſiſchen war. Auch ſchien der Wachsthum
des Nationalwohlſtandes um ſo mehr geſichert, da
derſelbe lange Zeit viel weniger auf auswaͤrtigen Han-
del, als auf inlaͤndiſche Cultur, Induſtrie und
Verkehr, (ſeit dem ſiebenjaͤhrigen Kriege durch Anle-
gung der Canaͤle ſo erſtaunlich vermehrt;) gegruͤn-
det blieb. Aber die Nothwendigkeit des ſteten
Wachsthums des Nationalreichthums zu eigner Er-
haltung, iſt dennoch nicht weniger eine furchtbare
Nothwendigkeit. Zu welchen Mitteln kann ſie
fuͤhren!


4. Die Vereinigten Niederlande.

15. Bald nach dem Anfange dieſes Zeitraums
erlitt die Republik eine wichtige Veraͤnderung in
ihrer Verfaſſung, durch die Wiedereinfuͤhrung der
Erbſtatthalterwuͤrde, jetzt in allen Provinzen.
Sie geſchah bey dem drohenden Vordringen der
franzoͤſiſchen Heere gegen Hollaͤndiſch-Brabant durch
eine Volksrevolution zu Gunſten WilhelmIV.1747
Apr.

bisherigen Statthalters von Frießland, Groͤningen
und Geldern, aus dem juͤngern Zweige des Orani-
ſchen Hauſes. Auf eine ſolche Weiſe ließ ſich wohl
eine Veraͤnderung, aber keine Reform der Verfaſ-
ſung machen.


E e 416.
[440]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

16. So ſiegte nur eine Parthey; die an-
dre ward unterdruͤckt aber nicht vernichtet. Die ſie-
gende fand ihre Staͤrke in der vermehrten Macht
des Erbſtatthalters; die beſiegte ſah darin das
Joch der Tyranney. Es war nicht das Mittel die
alternde Republik wieder zu verjuͤngen; wofern ſie
uͤberhaupt wieder verjuͤngt werden konnte! Und das
neue Oraniſche Haus war nicht ſo reich an großen
Maͤnnern, wie das alte.


17. Auch erhielten die Familienv erhaͤlt-
niſſe des neuen Erbſtatthalterſchen Hauſes eine hohe
politiſche Wichtigkeit. Indem es durch dieſe mit
dem Brittiſchen Hauſe zuſammen hieng, fand die
Oraniſche Partie ihre Stuͤtze in England, waͤhrend
ſich durch Handelsneid, und beſonders durch die Han-
delsbedruͤckungen der Englaͤnder waͤhrend des ſiebenjaͤh-
rigen Krieges, eine ſtarke Anti-Engliſche Partie
bildete, deren Hauptſitz in den großen Handelsſtaͤd-
ten war. Der fruͤhe Tod von WilhelmIV. trug
viel dazu bey, dieſe Verhaͤltniſſe zu verſtaͤrken; und
die nachmalige Vermaͤhlung ſeines Sohus und Nach-
1767folgers WilhelmV. mit einer Preuſſiſchen
Prinzeſſinn ſollte noch folgenreicher werden.


Nach dem fruͤhen Tode Wilhelm IV. d. 22. Oct. 1751
fuͤhrte ſeine Wittwe Anne, Tochter von Georg II., die
Vormundſchaft fuͤr ihren unmuͤndigen Sohn WilhelmV.,
unterſtuͤtzt von dem Feldmarſchal Prinz Ludwig von
Braunſchweig, der, als auch ſie ſtarb 12. Jan. 1759, ſie

allein
[441]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
allein uͤbernahm, und auch nach der Volljaͤhrigkeit 1766
geſetzlich großen Einfluß behielt.


18. So ward dieſer Staat, anſcheinend ge-
ſund, von innern Uebeln verzehrt; und es bedurf-
te nur eines Sturms von außen, um die unheil-
bare Schwaͤche zu zeigen. Er kam durch den1781
Krieg mit England, der mit dem Ueberreſt der
politiſchen Groͤße dem Staat auch ſeine Handels-
groͤße raubte; und ihn in ein Getreibe von Fac-
tionen
ſtuͤrzte, das in der folgenden Periode mit
ſeiner Aufloͤſung endigte.


5. Das Deutſche Reich.

19. Das Deutſche Reich erfuhr in die-
ſem Zeitraume die weſentlichſten Veraͤnderungen,
zwar nicht in der Form ſeiner Verfaſſung, aber
in ſeinen innern Verhaͤltniſſen. Der Oeſtreichiſche
Succeſſionskrieg theilte es ſchon in ſich ſelbſt; und
wenn gleich durch den Frieden zu Fuͤßen Bayern
wieder in ſeine alten Verhaͤltniſſe trat, und die
Kayſerkrone dem Hauſe Oeſtreich blieb, ſo hatte
doch der Breslauer Friede mit Preußen ein
neues dauerndes Verhaͤltniß gegruͤndet.


20. Schleſiens Eroberung zerriß das alte
freundſchaftliche Band der Haͤuſer von Oeſtreich
und Brandenburg; und die neue Lage in welche
E e 5Frie-
[442]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Friedrich gegen Oeſtreich ſich ſetzte, vernichtete
practiſch die Einheit des Deutſchen Staatskoͤrpers,
wenn ſie gleich der Form nach fortdauerte. Eine
allgemeine Vereinigung zu Einem Zweck, ein all-
gemeiner Reichskrieg, mußte nicht viel weniger als
unmoͤglich ſcheinen; ſeitdem Einer der Staͤnde als
Rival auch im Frieden dem Kayſer gegenuͤber-
ſtand. Und dennoch beſtand nicht nur das Reich,
ſondern ſah ſeit dem Aachner und Hubertsburger
Frieden gluͤcklichere Jahre, als es je ſie geſehen
hatte. Auf den erſten Anblick eine befremdende
Erſcheinung!


21. Die erſte Urſache lag ohne Zweifel in
der Verbindung Oeſtreichs mit Frankreich.
Wann war je in Deutſchland ſicherer Friede, ſo
lange dieſe beyden Rivale waren? Von welchen
Kriegen zwiſchen ihnen haͤtte ſich das Reich — ihr
gewoͤhnlicher Schauplatz — entfernt halten koͤn-
nen? Mit dieſer Verbindung aber war die alte
Gefahr verſchwunden, und die Sicherheit gegruͤn-
det. Zu Regensburg haͤtten Kaunitz und die
Pompadour ein Denkmal verdient!


22. Die zweyte war in den Verhaͤltniſſen
Friedrichs. Er mußte deutſche Verfaſſung auf-
recht erhalten; weil ihr Fall Oeſtreichs Vergroͤße-
rung geweſen waͤre; was hatten alſo — auch bey
ſei-
[443]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
ſeinen Erweiterungsplaͤnen — ſeine Mitſtaͤnde von
ihm zu fuͤrchten? So gieng die Sicherheit des
Reichs aus einem Zuſammenfluſſe von Umſtaͤnden
hervor. Daß ſie eigentlich doch nur auf Ver-
haͤltniſſen
gegruͤndet ſey, geſtand man ſich nicht;
wer dachte an ihre Veraͤnderlichkeit?


23. Das lange Leben Friedrichs gab
ihnen aber Dauer; zum erſtenmal genoß Deutſchland
einer 30jaͤhrigen Ruhe, und auf dem großen
Schlachtfelde Europas konnten endlich die Fruͤchte
des Friedens reifen. Die vielfachen Seegnungen
einer freyen Foͤderativverfaſſung konnten ſich jetzt,
von Umſtaͤnden beguͤnſtigt, (der ſteten Bedingung)
entfalten; auch die Staaten vom zweyten, vom
dritten Range, bis zu den freyen Staͤdten herab,
galten etwas; ſie waren oder wurden was jeder wer-
den konnte; und bey eigner Verfaſſung bildete ſich
auch eigner Character.


24. Bey dieſer politiſchen Mannichfaltigkeit
bluͤhte die Cultur deutſcher Nation ſo ſchnell
und vielſeitig auf, wie bey keinem andern Volke;
doch behauptete das Wiſſenſchaftliche ſtets den
Vorſprung vor dem Schoͤnen. Aber ihre Litteratur
blieb dafuͤr auch ihr Werk; nicht von oben herab
ward ſie gepflegt, ſondern von der Nation ſelbſt.
Eben deshalb ward ſie unausrottbar. Sollten je
die
[444]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
die Europaͤer wieder Barbaren werden, ſo ſind
wenigſtens die Deutſchen [d]ie letzten.


25. Waͤhrend jedoch Ausbildung der Sprache
und Litteratur die Nation vereinigte, ward das po-
litiſche Band, das alle umſchlingen ſollte, immer
ſchlaffer. Dem Kayſer blieb wenig mehr als ſein
mittelbarer Einfluß; und welcher Publiciſt außer-
halb Oeſtreich haͤtte leicht eine Vergroͤßerung der
Macht des Oberhaupts zu empfehlen gewagt? Die
Zeit der Ruhe ſchien die Zeit fuͤr die Reformen zu ſeyn;
1776aber nicht mal die der Reichsgerichte konnte durch-
geſetzt werden; wie waͤren, bey dem Verhaͤltniß
Oeſtreichs und Preußens, groͤßere moͤglich geweſen?
Trauriges Schickſal der Voͤlker! Die Verderbniß
ihrer Verfaſſungen iſt unvermeidlich; und ihre Ver-
beſſerung ohne gaͤnzlichen Umſturz grenzt an die
Unmoͤglichkeit!


6. Preußen.

26. Die Preuſſiſche Monarchie, von
Friedrich II. in den Rang der erſten Maͤchte geho-
ben, ward beynahe verdoppelt an Umfang und
Volkszahl; aber die Grundlage der innern Organi-
ſation, ſchon von dem Vater gemacht, und mit
ihr der innere Character dieſes Staats, blieb der
Hauptſache nach unveraͤndert. Friedrich erweiterte,
ver-
[445]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
verbeſſerte; aber er ſtuͤrzte die alten Grundeinrich-
tungen nicht um.


27. Die Verfaſſung dieſes Staats, mit
Ausnahme von ein paar Nebenlaͤndern, war rein
autocratiſch
; nicht ſtaͤndiſch, wie Deutſche Sit-
te es will. Lag darin der Grund, weshalb ſie,
wenn auch noch ſo ſehr geprieſen, doch im Aus-
lande ſo wenig geliebt war? Doch hatte die Auto-
cratie manches modificirt; und der willkuͤhrlichen
Gewalt in der Verwaltung war ſehr dadurch vor-
gebeugt, daß ſie in den meiſten Provinzen collegia-
liſch war.


28. Oeconomie mußte, bey der Vermeh-
rung des Heers, um ſo mehr Grundmarime blei-
ben; da Anhaͤufung eines Schatzes aus dem
Ueberſchuß der Etats auch die Maxime von Frie-
drich blieb. Selten konnten daher große Inſtitute
gedeihen, bey denen Liberalitaͤt die Bedingung war:
was ſich ſonſt Großes und Vortrefliches mit der
Autocratie verbinden ließ, in Geſetzgebung, Juſtiz
und Landes-Cultur, ward geſchuͤtzt und befoͤrdert.
Freyheit der Sprache und Preſſe herrſchte hier faſt
wie in der freyſten Republik; und die wohlthaͤ-
tigen Folgen waren davon um ſo groͤßer, da Preu-
ßen auch darin das Muſter fuͤr andre Staaten
ward.


29.
[446]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

29. Dieſe Einheit der Verfaſſung erſetzte in
dem allmaͤhlig zuſammengebrachten Staate moͤglichſt
den Mangel der Einheit der Nation und des Ge-
biets. Friedrichs Selbſtregierung — man ſah
noch nichts Gleiches in der Geſchichte — bildete
den vollkommenſten Mittelpunct der ganzen Ver-
waltung. Stets Herr ſeiner ſelbſt, fehlte er nie
auf ſeinem Platz; und der kaum angebrochene Tag
fand meiſtens ſchon die Geſchaͤfte des Tages been-
digt. Nur mit dem Gefuͤhl der tiefſten Ehrfurcht
blickt jeder edle Menſch zu dem ſeltnen Sterblichen
hinauf, der ſo faſt ein halbes Jahrhundert,
das erhabenſte Muſter hoher Pflichterfuͤllung, auf
ſeinem Poſten ſtand. Wer braucht ſo wenig wie
Er den Tadel zu ſcheuen? Seine Fehler ſelbſt giengen
aus ſeiner Groͤße hervor; aber ſie wirkten darum
nicht weniger auf den Staat zuruͤck.


30. Nie verſchmolz ſich Friedrich mit ſeinem
Volk. Nur der Herrſcher gehoͤrte dieſem, der
Menſch einem kleinen Kreiſe von Fremdlingen an.
Dieſe Trennung hatte die bedeutendſten Folgen. —
Er warf dadurch einen Schatten auf ſeine eigne Na-
tion; ein Ungluͤck fuͤr beyde. Er beſchraͤnkte unver-
meidlich ſeinen Geſichtskreis; er blieb hinter ſeinem
Volke, und dem Geiſte des Zeitalters zuruͤck. Lag
darin der Grund, daß wichtige Veraͤnderungen,
beſon-
[447]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
beſonders in den Rechten und Verhaͤltniſſen der
Staͤnde, die dieſer ſo laut forderte, ganz außer
ſeinem Plan blieben?


31. Die Staͤrke des Staats, die in der Na-
tion und in der Verwaltung liegt, ſah Friedrich blos
in ſeiner Armee, in Verbindung mit ſeinem Schatz.
“Auf ihr ruhe der Staat, wie die Welt auf den
Schultern des Atlas.” So ſuchte er das Ideal
eines ſtehenden Heers zu realiſiren, indem er es
moͤglichſt zu einer kunſtfertigen Maſchine machte.
Daß es auch hier eine Grenzlinie gebe, uͤber die
man nicht hinausgehen darf, ohne die Natur zu
beleidigen, geſtand er ſich nicht. Nirgends konnte
daher auch die Scheidewand zwiſchen dem Civil-
und Militairſtande ſo ſtark werden, als in der
Preuſſiſchen Monarchie. Sie konnte wohl nicht
dazu beytragen die Staͤrke des Staatsgebaͤudes zu
befeſtigen.


32. Die ſchlimmſte Folge der Selbſtregierung
Friedrichs findet man in der Anwendung jenes
Grundſatzes auch auf die Civiladminiſtration. Wie
mag man auch ganz die Wahrheit davon leugnen? Wo
fand ſich in einem Staat, wo ſelbſt die Miniſter
faſt nur erſte Commis waren, fuͤr große Koͤpfe ein
freyer Wirkungskreis? Wo eine practiſche Bil-
dungsſchule? Wie viel mehr war nicht die Thaͤtig-
keit
[448]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
keit der niedern Behoͤrden durch Formen beſchraͤnkt?
Aber wenn Friedrichs Regierung auch dazu beytrug,
ſo lag der erſte Grund doch tiefer, in der Orga-
niſation, wie ſie ſchon durch ſeinen Vater einge-
fuͤhrt war.


Wenn man die Verwandelung des Staats in eine
Maſchine tadelt, (ſ. oben S. 412.) ſo verſteht man un-
ter Staat weder die Nation, noch auch nur die ganze
Dienerſchaft; ſondern die Verwaltung und die Ver-
waltungsbehoͤrden
. Auch dieſe muͤſſen geregelt ſeyn,
um zu Einem Hauptzweck zu wirken; aber dieſes kann
ſehr gut mit einer Freyheit des Wirkens beſtehen; und
bleibt ſehr weit von der Verwaltung entfernt, die Alles
in Formen ſucht, und an Formen bindet.


Ueber die Staatsverwaltung deutſcher Laͤnder, und die
Dienerſchaft des Regenten, von Aug. Wilh. Rehberg.
1807.


33. Nothwendig mußte durch dieſe Selbſtre-
gierung das Wohl des Staats in einem hohen
Grade an die Perſon des Regenten geknuͤpft wer-
den. Sich ſelbſt genug kannte Friedrich keinen
Staatsrath; in einer Erb-Autocratie das Haupt-
mittel den Geiſt eines Herrſchers ihn uͤberleben zu
machen. Er bildete allein ſein Cabinet. Nicht
jeder konnte es ſo bilden wie Er; und welche nach-
theilige Folgen durch die Reibungen der obern
Behoͤrden daraus entſtanden, hat die ſpaͤtere Er-
fahrung gelehrt.


De la Monarchie Pruſſienne ſous Frederic le grand;
par le Comte de Mirabeau Vol. I-VII. Londres
1788.

(Die
[449]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
(Die zwey letzten Theile ſind ein Anhang uͤber Oeſtreich,
Sachſen und Bayern.) Leicht mag man einzelne Unrichtig-
keiten auffinden; aber wie wenig Staaten koͤnnen ſich einer
ſo geiſtvollen Darſtellung ruͤhmen?


7. Oeſtreich.

34. Ueber keinen Hauptſtaat Europas iſt es
ſchwerer ein allgemeines Urtheil zu faͤllen; weil
nicht nur ſo wenig Allgemeines da iſt, ſondern auch
dieß wenige Allgemeine meiſt im Dunkeln liegt.
Flaͤcheninhalt und Bevoͤlkerung, an Menſchen und
Vieh, wiſſen die Statiſtiker genau; ſchon bey den
Finanzen ſtocken die Angaben; (welcher Unterrich-
tete wird ihnen glauben?) Was koͤnnten ſie uns
vollends von dem innern Geiſt der Adminiſtration
ſagen!


35. Mit dem Lothringiſchen Stamme kam ein
neues Haus auf den Thron, das von dem Habs-
burgiſchen ſich ſehr unterſchied. Die Spaniſche
Etiquette, und mit ihr manche der alten Regie-
rungsmaximen verſchwanden; allein in den innern
Hauptverhaͤltniſſen der Monarchie ward doch am
Ende wenig geaͤndert, wenn auch zuweilen vieles
verſucht ward.


36. Unter dieſen ſteht unſtreitig das Verhaͤlt-
niß Ungarns zu Oeſtreich oben an. Das Haupt-
F fland
[450]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
land der Monarchie war fortdauernd nur Neben-
land; dem druͤckendſten Handelszwange unterwor-
fen, blieb es gleichſam die Colonie, aus der Oeſt-
reich ſich verſorgte. Die nachtheiligen Folgen die-
ſer innern Disharmonie fallen in die Augen; es
haͤngt von den Umſtaͤnden ab, in wie fern ſie ſelbſt
gefaͤhrlich werden ſollen; aber alle Verſuche zu
weſentlichen Veraͤnderungen ſind bisher vergeblich
geblieben.


Ungarns Induſtrie und Commerz von Georg von Berze-
viczy
. Weimar 1802. Eine vortreffliche Auseinanderſet-
zung der Ungarſchen Handelsverhaͤltniſſe; nach den Grund-
ſaͤtzen einer aufgeklaͤrten Staatswirthſchaft. Laͤgen nur die
Haupthinderniſſe des Aufbluͤhens des herrlichen Landes nicht
noch mehr in den innern Verhaͤltniſſen als in den aͤußern!


37. Dazu kamen Finanz-Uebel, durch den
Mißbrauch des Papiergeldes erzeugt. Kei-
ner der Hauptſtaaten Europas hat daran ſo lange
und ſo hart gelitten; und die Urſachen dieſer Ue-
bel, durch volle Ausbildung des Mercantil-Sy-
ſtems zur Reife gebracht, liegen leider! wohl ſo
tief, daß bloße Reglements ſie ſchwerlich heben
koͤnnen. Schon im Anfange des vorigen Zeit-
1703raums war durch die Errichtung einer Wiener
Bank
, in der man eine Geldmaſchine anzulegen
ſchien, der Grund dazu gelegt; und wenn auch
in einzelnen Perioden geholfen ward, ſo fuͤhrten
die
[451]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
die großen Kriege doch ſtets neue Beduͤrfniſſe und
neue Verwirrung herbey.


Fr. Nicolai Reſſen durch Deutſchland B. I-IV. 1781. Die
Hauptquelle fuͤr die damalige Oeſtreichiſche Statiſtik, und
die einzige fuͤr die Geſchichte der Wiener Bank.


38. Bey dieſen Hinderniſſen gleichwohl, welche
Huͤlfsmittel bot dieſe Monarchie dem Fuͤrſten dar, der
ſie zu regieren verſtand! Und wie leicht, nur
mit Achtung heiliger Rechte, und ohne Deſpoten-
ſinn, dieß ſey, hat Maria Thereſia gezeigt.
Lag ihre Groͤße nicht noch weit mehr in ihrem Cha-
rakter als in ihren Talenten? Ungluͤcklicherweiſe
aber waren die Grundſaͤtze der neuen Regierungs-
kunſt, die JoſephII. ergriff, gerade die entge-
gengeſetzten. Was moͤchte geworden ſeyn, haͤtte
ein laͤngeres Leben und mehr Feſtigkeit es ihm ver-
goͤnnt, ſie gewaltthaͤtig durchzuſetzen? So aber
hinterließ er ſein Reich theils im wirklichen Auf-1790
ſtande, theils dem Aufſtande nahe.


8. Das Tuͤrkiſche Reich.

39. Die Pforte, zum Defenſivſtand herabge-
ſunken, verliert in dieſem Zeitraum ſchon dadurch
ihre politiſche Wichtigkeit fuͤr den Occident. Die
Verbindung Frankreichs mit Oeſtreich,
ſelbſt den Tuͤrken unerklaͤrbar, mußte ſie vollends
F f 2vernich-
[452]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
vernichten. Nur gezwungen ſpielt ſie im Norden
ihre Rolle. Auch Schriftſteller deckten ihre innere
Schwaͤche auf; aber indem man Alles nach Euro-
paͤiſchem Maaßſtabe maß, hat man ſich in Man-
chem ſehr verrechnet.


Mémoires ſur les Turcs et les Tartares par le Baron de
Tott
. 1785. 4 Voll.


40. Der Gang und der Character der Poli-
tik
in dieſem Zeitraum ergiebt ſich aus dem bishe-
rigen von ſelber. Die großen Verhaͤltniſſe auf dem
Continent beſtimmte am meiſten FriedrichII.
Er trat auf als Eroberer; ehrgeizig, aber beſon-
nen. Das durch Schleſiens Eroberung einmal ge-
gruͤndete Syſtem zu behaupten, war er ſich und
ſeinem Reiche ſchuldig; doch blieb es zuerſt ein
blos egoiſtiſches Syſtem. Aber die Verbin-
dung Frankreichs und Oeſtreichs
erhob ihn
zum Beſchuͤtzer der Freyheit Europas; — wer
haͤtte ſie ſonſt beſchuͤtzen ſollen? — und an die Er-
haltung der Preußiſchen Monarchie war, ſo lange
jene dauerte, nicht blos das Gleichgewicht in
Deutſchland, ſondern auf unſerm Continent ge-
knuͤpft. In dieſem Sinne hieß und war Frie-
drich der Schiedsrichter von Europa. Waͤre er
doch nie aus dieſer glorreichen Rolle gefallen!


41.
[453]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.

41. Die Ausartung der Politik durch die Ar-
rondirungsplaͤne der Cabinette iſt bereits gezeigt.
Doch konnte ſie nicht ganz ausarten; die Groͤße der
Fuͤrſten verhinderte es. Unter der Leitung von
Friedrich und Catharine konnte die Politik eigen-
nuͤtzig, aber nicht leicht kleinlich werden; und auch bey
dem Eigennutz behielt ſie doch eine gewiſſe Haltung.
Aber die Fuͤrſten ſterben, die Vergroͤßerungsſucht
nicht; und es kann leider! Zeiten geben, wo ſelbſt
der moraliſche Adel der Regenten der Corruptel der
Cabinette erliegt!


42. Die practiſche Staatswirthſchaft,
wenn gleich im Einzelnen vielfach modificirt, blieb
doch im Ganzen dieſelbe; trotz der aufgeſtellten he-
terogenen Theorien. Die allgemeine Grundſteuer
der Phyſiocraten fand Beyfall; nur zur einzigen
mochte man ſie nicht machen; und wenn die Lehren
von Adam Smith nicht mal in England ſiegten,
wie haͤtten ſie es im Auslande geſollt? Die, durch
die Grundſaͤtze des Mercantilſyſtems ſehr beſchraͤnk-
ten, Anſichten Friedrich's II., und die noch be-
ſchraͤnkteren von Joſeph, waren ein maͤchtiges Hin-
derniß. Aber ſo viel war doch gewonnen, daß
auch in den Augen der Practiker die Wichtigkeit
des Landbaus, und mit ihr die der niedern Claſſe
der Geſellſchaft ſtieg. Aufhebung oder Milderung
F f 3der
[454]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
der Leibeigenſchaft oder Dienſtbarkeit wurden ſo
laute Forderungen, daß ſie in mehreren Laͤndern
durchdrangen; und Befoͤrderung des Landbaus ward
wenigſtens als Maxime in die Praxis aufgenom-
men; freylich meiſt nur in ſo fern, als es geſche-
hen konnte, ohne den alten Maximen geradezu zu
entſagen. Der Streit uͤber die Freyheit des Ge-
treidehandels giebt dazu den beſten Commentar.


  • Dialogues ſur le commerce des bleds par l'Abbé Galiani.
    Londr. 1770.
  • Die Freyheit des Getreidehandels von Norrmann. Hamb. 1802.

43. Die Ruͤckwirkung des Mercantilſyſtems auf
die Politik ward daher auch nicht ſchwaͤcher, ſondern
deſto ſtaͤrker, je groͤßer das Streben der Staaten nach
eigner Theilnahme am Handel und Ausſchließung
andrer wurde. Die Regulirung ihrer wechſelſeiti-
gen Handelsverhaͤltniſſe durch Handelsvertraͤge
erregte bald Eiferſucht und Zwiſt bey den Contra-
henten, bald bey einem Dritten: und die Colo-
nialhaͤndel und die erneuten Streitigkeiten uͤber die
Rechte der neutralen Flagge (ſ. unten) gaben
neue Nahrung.


Die durch ihre Folgen fuͤr die Politik wichtigſten Han-
delsvertraͤge
dieſes Zeitraums waren: 1. der zwiſchen
England und Rußland 21. Jun. 1766 auf 20 Jahre;
mit großer Beguͤnſtigung der in Rußland ſich niederlaſſen-
den Brittiſchen Kaufleute. 2. Der Tractat zwiſchen Eng-
land und Frankreich
26. Sept. 1786 auf 12 Jahre.

Wechſel-
[455]2. Veraͤnd. d. einz. Hptſt. d. w. Eur.--1786.
Wechſelſeitige Beguͤnſtigung der Einfuhr der Brittiſchen
Manufakturwaaren und der Franzoͤſiſchen Weine und
Brandteweine durch einen ſehr herabgeſetzten Zolltarif; ſehr
zum Nachtheil der Franzoͤſiſchen Fabriken. 3. Der Tractat
zwiſchen Frankreich und Rußland 11. Jan. 1787 auf
12 Jahre. Wechſelſeitige Beguͤnſtigung der Einfuhr der
Franzoͤſiſchen Weine und des Ruſſiſchen Eiſens, Seife und
Wachſes, durch herabgeſetzten Zolltarif; ſo wie der in bey-
den Reichen ſich niederlaſſenden Kaufleute; und Beſtim-
mung der Rechte der Neutralitaͤt.


44. Die Kriegskunſt wurde in dieſem Zeit-
alter im vollſten Sinne des Worts zu einer Kunſt;
und das Syſtem der ſtehenden Heere erhielt in groͤ-
ßern nicht nur, ſondern auch in kleinern Staaten
ſeine hoͤchſte Ausbildung. So wurde aber auch aus
der Kunſt Kuͤnſteley; man lernte die Waffen hand-
haben, ſelten ſie gebrauchen. Die lange Periode
des Friedens mußte, ſcheint es, hier Uebel zur
Reife bringen, welchen ſelbſt das ganze Genie Frie-
drich's nicht vorbauen konnte, weil ſie in der Na-
tur der Dinge ſelber lagen!


45. Aber die uͤbermaͤßige Vermehrung durch
Fremde, die man meiſt in Feſtungen huͤten muß-
te; der faſt ausſchließend der Geburt, und dem-
naͤchſt der Anciennitaͤt, gegebene Vorzug bey der
Befoͤrderung; die Herabwuͤrdigung des gemeinen
Kriegers durch eine entehrende Diſciplin, lagen doch
nicht nothwendig darin. Aus dieſen Maximen ent-
F f 4wickel-
[456]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
wickelten ſich Uebel, die deſto gefaͤhrlicher waren,
je weniger der aͤußere Glanz ſie bemerken ließ.


III. Geſchichte des Colonialweſens in dieſem Zeitraum
von 1740 bis 1786.

1. Was ſeit faſt drey Jahrhunderten von den
Europaͤern jenſeit des Oceans gepflanzt und aufge-
wachſen war, fieng in dieſem Zeitraum an zu rei-
fen. Die Colonien jeder Art erhielten in demſel-
ben ihre groͤßte Wichtigkeit. Aber es zeigten ſich
auch Erſcheinungen, an welche man nicht gedacht
hatte, wie ſehr ſie auch in der natuͤrlichen Ord-
nung waren.


2. Wenn Großbritannien in dieſem Zeit-
raum die uͤberwiegende Macht unter den Colonial-
ſtaaten wurde, ſo lag ein Hauptgrund davon aller-
dings in ſeiner Seemacht. Durch dieſe war es faͤ-
hig, auch im Kriege die Verbindung mit ſeinen
Colonien offen zu erhalten, was ſeine Feinde nicht
vermochten; und ſein Handel ward durch dieſe
wenig geſtoͤrt. Doch war es nicht weniger der
ganze Geiſt der Nation und der Regierung, der
ſich immer mehr auf Handel wandte, welcher auch
die Sorge fuͤr die Colonien ſich zum Hauptgegen-
ſtande
[457]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.
ſtande machte, da der auswaͤrtige Handel meiſt
auf ihnen beruhte.


3. Die Colonien von Nordamerica von dem
Miſſiſippi bis zum Laurence-Fluß, und im Innern
bis zu den Alleghennie Gebirgen, ſich ausdehnend,
wurden durch den Pariſer Frieden noch durch die
Abtretung von ganz Canada und Florida vermehrt
(ſ. oben S. 405.) Nie ſchien in dieſer Weltge-
gend Brittiſche Herrſchaft mehr befeſtigt; und doch
zeigte es ſich bald, daß ſie es nie weniger war.


4. Streben nach Unabhaͤngigkeit liegt in der
Natur aufgebluͤhter Ackerbaucolonien, weil in
ihnen eine Nation ſich bildet. In America kamen
hierzu lang genaͤhrte democratiſche Grundſaͤtze,
durch die Verfaſſung der meiſten Provinzen ver-
wirklicht, ſchwacher politiſcher Zuſammenhang mit
dem Mutterlande, und Gefuͤhl der wachſenden
Kraft, bereits im ſiebenjaͤhrigen Kriege erprobt.
So bedurfte es nur einer Veranlaſſung zum Zwiſt;
und die Folgen davon waren unausbleiblich.


5. Dieſer Zwiſt entſtand indeß nicht ſowohl
durch fuͤhlbaren Druck, als vielmehr durch eine
Frage des Rechts: ob das Brittiſche Parlament
das Recht habe, die Colonien zu beſteuern? Das
Parlament behauptete dieß; die Colonien leugneten
F f 5es,
[458]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
es, weil ſie nicht in ihm repraͤſentirt wuͤrden. —
Es gehoͤrte ein Volk dazu, durch die fruͤhern poli-
tiſch-religioͤſen Haͤndel an Diſputiren gewohnt, um
einen Grundſatz dieſer Art mit der Hartnaͤckig-
keit zu vertheidigen. Aber die ſtrengere Behaup-
tung des Handelsmonopols gegen die Colonien ſeit
dem Pariſer Frieden; und die Beſchraͤnkung des
Schleichhandels mit den Franzoͤſiſchen und Spani-
ſchen Beſitzungen mußte um ſo mehr zur Vermeh-
rung der Unzufriedenheit wirken, je weniger der ſo
ſehr wachſende Handel der Americaner in ſeinen al-
ten Schranken zu halten war.


Urſprung des Streits bereits ſeit 1764 durch Lord Gren-
ville's Stempelacte
22. Maͤrz 1765. Sofort große
Bewegungen in allen Provinzen, beſonders Virginien und
Maſſachuſet; und Verſammlung eines Congreſſes zu Neu-
York, der die Rechte des Volks erklaͤrt. Oct. — Zuruͤck-
nahme der Stempelacte nach Grenville's Abgange, durch
Rockingham 18. Maͤrz 1766, aber Beſtaͤtigung des Prin-
cips durch die Declaration-Bill; zur Behauptung der
Herrſchaft des Parlaments.


6. War alſo auch fuͤr jetzt der Ausbruch der
Flamme erſtickt, ſo glimmte doch das Feuer fort;
eine Oppoſition hatte ſich bereits organiſirt; die be-
deutendſten Maͤnner ſtanden an ihrer Spitze. Un-
ter ihnen ein Franklin; aber ſo wenig war man
in England von der wahren Lage der Dinge unter-
richtet, daß nach abermaligem Wechſel des Mini-
ſterii
[459]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.
ſterii L. Townſend glaubte durch indirecte
Auflagen die Americaner zu taͤuſchen.


Auflagen auf Thee, Papier, Glas und Farben durch die
Revenue Act Jun. 1767. So gut wie dieſe geringe, konnte
jede hohe Auflage gefordert werden!


7. Erneurung des Widerſpruchs gegen das
Beſteurungsrecht, beſonders in Maſſachuſet, wo
die Hauptſtadt Boſton auch der Mittelpunct des
Widerſtandes war. Man entdeckte in der freywil-
ligen Uebereinkunft, ſich keiner Brittiſchen Waaren
zu bedienen, ein Mittel, England zu ſchaden, das
nicht verlohren gieng. Auch jetzt that England,
als Lord North das Staatsruder erhielt, einen1770
Schritt, aber wieder nur zur Haͤlfte, zuruͤck.


Zuruͤcknahme der Abgaben, nur mit Ausnahme des
Thees Febr. 1770. Das Recht der Beſteuerung ſollte aus-
druͤcklich dadurch erhalten werden.


8. Wozu konnten ſolche halbe Mittel anders
fuͤhren, als nur zu groͤßerm Mißtrauen? Die Ame-
ricaner waren von ihrem Recht deſto mehr uͤber-
zeugt, je mehr ſie es unterſucht hatten; und die
große Verbreitung von Flugblaͤttern hatte hier be-
reits die Folgen, die ſie nachmals noch weit mehr
in Europa zeigte. Allein nie kam man in England
von den halben Maaßregeln zuruͤck; und indem man
dieſe die Oſtindiſche Compagnie anwenden ließ, kam
dadurch
[460]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
dadurch der Aufſtand in Boſton zum
Ausbruch.


Weigerung der Americaner, beſteuerten Thee zu kaufen.
— Verlegenheit der Oſtindiſchen Compagnie; und Verſuch
nach Aufhebung der Ausfuhr-Tare in England, durch
wohlfeilere Preiſe die Americaner zu gewinnen. — Aber
dennoch genommene Maaßregeln gegen die Theeeinfuhr;
und gewaltſame Wegnahme und Verſenkung einer Theela-
dung in Boſton 26. Dec. 1773.


  • The hiſtory of the American Revolution by David Ram-
    say
    . Lond. 1791. 2 Voll.
    Ruhige Erzaͤhlung eines von Al-
    lem unterrichteten Zeitgenoſſen und Theilnehmers. — Fuͤr
    die Unterſuchung des Rechts noch beſonders:
  • Der Urſprung und die Grundſaͤtze der Americaniſchen Revo-
    lution von Friedr. Genz in deſſen Hiſt. Journal 1800.
    2. Band.

Zur tiefern Einſicht ſind aber die gleichzeitigen Brittiſchen
Journaͤle noͤthig; wie


  • Gentleman's Magazine 1764-1774. u. a.

9. Dieſer Vorfall bewog England zu ſtrengen
Maaßregeln. Sie beſtanden nicht blos in einer
Sperrung des Hafens von Boſton, ſondern in Ein-
richtungen, durch welche der Freybrief von Maſſa-
chuſet vernichtet ward. Dieſe letzten waren es,
welche den allgemeinen Aufſtand zur Folge hatten,
da jede Provinz keine Sicherheit ihrer bisherigen
Verfaſſung mehr fuͤr ſich ſah.


Die Boſton Port Bill 25. Maͤrz 1774 und 20. May Acte
zur Einrichtung einer koͤniglichen Juſtizpflege ꝛc. in Maſſa-
chuſet. — Boſton wird mit koͤniglichen Truppen beſetzt.


10.
[461]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.

10. Große Einigkeit unter den Provinzen;
und Maaßregeln zur Verſammlung eines allgemei-
nen Congreſſes
mit ſeltner Maͤßigung und Ord-
nung, nur in einem Lande moͤglich, wo es noch
keinen Poͤbel giebt. Die Schluͤſſe des verſammel-
ten Congreſſes giengen indeß nur noch blos gegen
die Anmaßungen des Parlaments, keineswegs gegen
die Krone.


Eroͤffnung des Congreſſes zu Philadelphia 5.
Sept. 1774. — Beſchluß zum Aufhoͤren alles Handelsver-
kehrs mit England.


11. So ſtand England am Scheidewege, das
Nachgeben — oder den Buͤrgerkrieg zu waͤhlen.
Was verlor man bey dem erſten? Was gewann
man bey dem andern? Konnte ſelbſt der gluͤcklich-
ſte Ausgang des Kriegs eine dauernde Unterjochung
begruͤnden? Konnten die Koſten auch nur entfernt
mit dem Gewinn verglichen werden? Es fehlte
nicht an Maͤnnern von prophetiſchem Geiſt, die
zum Vergleich riethen; wenn auch keiner ſich zu
der Anſicht erhob, daß der Verluſt Nordamericas
der Gewinn Englands ſey. Aber auch Chatam's
und Burke's Beredſamkeit vermochte nichts gegen
die Miniſter; die Provinzialen wurden fuͤr Rebel-
len
erklaͤrt.


Adreſſe des Parlaments gegen die rebelliſchen Pro-
vinzialen 9. Febr. 1775. Vergeblicher Verſuch durch Lord

North
[462]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
North's Vergleichsbill 20. Febr. zur Selbſttarirung: je-
doch mit Vorbehalt der Oberherrſchaft des Parlaments. —
Die Vorſchlaͤge von Chatam 20. Jan. und Burke 22. Maͤrz
ſollten die alten Rechte der Colonien ſichern, wurden je-
doch in beyden Haͤuſern verworfen. — Anfang der Feind-
ſeligkeiten durch das Gefecht bey Lexington 19. April. —
Ankunft der neuen Truppen aus England im May. Mit
wenigen Regimentern glaubte man noch America zu be-
haupten!


12. Der Krieg, von den Provincialen durch
den, wenn gleich vergeblichen, Verſuch gegen Ca-
nada mit Raſchheit begonnen, mußte doch ſeiner
Natur nach ein Vertheidigungskrieg werden;
und wer verſtand dieſen wie Waſhington zu fuͤh-
ren? Nicht eines Caͤſar's, eines Fabius bedurfte
man. Mochten die Britten auch einzelne Seeſtaͤdte
beſetzen; blieb den Provinzialen nicht das Land mit
allem, was es enthielt?


Zug gegen Canada unter Arnold und Montgommery 1775.
Oct., durch den Entſatz von Quebec durch Carleton vereitelt
May 1776. Raͤumung Boſtons durch How 17. Maͤrz; und
dagegen Beſetzung von Long-Island Aug., indem Neuyork
Hauptſitz des Kriegs wird. Nicht glaͤnzende Tage, ſondern
muͤhvolle Jahre, nicht ſchneller Erfolg, ſondern beharrliches
Ausdauern gruͤnden Waſhington's Heldengroͤße.


13. So fand bey der ſteigenden Erbitterung
auch die Idee der gaͤnzlichen Trennung von
England, durch Staatsmaͤnner und Journaliſten
vorbereitet, allgemeinen Eingang. Nur dann war
Bey-
[463]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.
Beyſtand in Europa zu hoffen; und die Sendung
Deutſcher Miethvoͤlker ſchien dieſen unentbehrlich zu
machen. Erklaͤrung der Unabhaͤngigkeit1776
4.
Jul.

der 13 vereinigten Staaten. Novus ſae-
clorum naſcitur ordo
!


  • Common ſenſe by Thomas Payne. 1776. Bielleicht das
    wichtigſte Pamphlet fuͤr die Weltgeſchichte.

14. Nach dieſem großen Schritt bedurfte es
nur noch Eines gluͤcklichen Streichs, um auch in
Europa
Verbuͤndete zu finden. Er geſchah durch
die Gefangennehmung von Burgoyne und
ſeinen Truppen. Die Schickſale maͤßiger Corps
wurden hier groͤßere Weltbegebenheiten, als ſonſt
die Niederlagen großer Heere!


Verſuch der Englaͤnder, von Canada aus unter Burgoyne
den Colonien in den Ruͤcken zu kommen. Seine Einſchlie-
ßung durch Gates und Capitulation bey Saratoga
16. Oct. 1777.


  • Berufreiſe nach America (von der Generalin von Riedeſel)
    1792, Gemahlin des Befehlshabers der Braunſchweigiſchen
    Truppen und Augenzeugin.

15. Dieſer Vorgang gab in Verſailles
den fruͤheren Antraͤgen von Benjamin Frank-
lin
Eingang; die Unabhaͤngigkeit der Provinzialen
ward von Frankreich anerkannt, und der Krieg
mit England dadurch entſchieden. Es war ein
Sieg der Cabinetspolitik uͤber den geraden Sinn
des Koͤnigs. Wie hatte ſie ſich verrechnet! Daß
der
[464]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
der Krieg Seekrieg wurde, daß er nach beyden In-
dien ſich verbreitete, lag jetzt eben ſo in den poli-
tiſchen Verhaͤltniſſen, als daß auch bald Spanien
mit hereingezogen ward; wenn gleich nur als Huͤlfs-
macht von Frankreich; und zuletzt ſogar Holland.
So ward er ein Krieg uͤber die Herrſchaft der
Meere, von Frankreich geraume Zeit mit mehr
Ruhm wie ſonſt gefuͤhrt.


Freundſchafts- und Handelstractat zwiſchen Frankreich
und America 6. Febr. 1778. Ausbruch des Kriegs mit Eng-
land 24. Maͤrz. Unentſchiedne Seeſchlacht bey Queſſant 27.
Jul. Anfang des Seekriegs in Nordamerica und Weſt-
indien
Sept. unter d'Eſtaing. Wegnahme von Dominique
7. Sept., Senegal 30. Jan. 1779, St. Vincent 16. Jun.,
Grenada 4. Jul., durch die Franzoſen; dagegen Verluſt von
St. Lucie 14. Dec. 1778. Anfang des Kriegs in Oſtin-
dien
; Eroberung von Pondichery 17. Oct. 1778. Angriff
von Hyder Ali Sept. 1780. Seekrieg daſelbſt unter Suffrein
und Hughes. — Unterdeß Theilnahme Spaniens
Jun. 1779 und Vereinigung der Franzoͤſiſch-Spaniſchen
Flotte; ohne Erfolg. Wegnahme Minorcas 5. Febr. 1782.
und langwierige Belagerung Gibraltars, durch Elliot
ruhmvoll vertheidigt 1779 bis Oct. 1782. — Kriegserklaͤ-
rung Englands gegen Holland, da es mit America be-
reits unterhandelte, und der bewaffneten Neutralitaͤt bey-
treten wollte 20. Dec.. 1780. Unentſchiedne Seeſchlacht bey
Doggersbank 5. Aug. 1781. Aber Verluſt von Negapatam
12. Nov. und Trincomale 15. Jan. 1782. und St. Euſtache
in Weſtindien. So hielt die Brittiſche Seemacht der von
faſt ganz Weſteuropa das Gleichgewicht; und durch Rod-
ney's neue Seetactik
ſeit dem großen Siege bey
Guadeloupe 12. April 1782 blieb ihr entſchiedne Ueberle-
genheit.


16.
[465]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.

16. Aber das Schickſal Americas ſollte
nicht zur See, ſondern auf dem Continent ent-
ſchieden werden; und wie viel auch die Franzoͤ-
ſiſche Huͤlfe unter Rochambeau, und Lafayette's
Enthuſiasmus dazu beytrug, ſo blieb doch Wa-
ſhington der Ruhm, den entſcheidenden Schlag ge-
than zu haben. Seit Cornwallis Gefangen-
nehmung
konnte man in England nicht mehr hof-
fen, eine neue Armee hinuͤberſenden zu koͤnnen.


Expedition gegen die ſuͤdlichen Provinzen; Einnahme von
Charlestown; aber Einſchließung von Cornwallis bey York-
town und Capitulation 19. Oct. 1781.


17. So bedurfte es auch nur einer Miniſte-
rialveraͤnderung in England, die durch Lord North
Abgang erfolgte, um einen Frieden herbeyzufuͤhren,
deſſen Nothwendigkeit man klar angefangen hatte
einzuſehen. England mußte ihn nicht blos mit
Nordamerica, ſondern auch mit Frankreich, Spa-
nien und Holland ſchließen. Er konnte nicht ohne
Aufopferungen erkauft werden; doch war es ei-
gentlich der Friede mit Holland, der Schwierig-
keiten machte, weil England ſich an dieſem erho-
len wollte.


Nach dem Abgang von L. North 20. Maͤrz 1782, zuerſt
das Miniſterium unter Rockingham, der aber bereits
1. Jul. ſtarb; neben ihm Shelburne und For Staatsſecre-
tairs. Hierauf das Miniſterium von Shelburne (indem
Fox abgeht) bis 14. Maͤrz 1783. Als er nach geſchloſſenem

G gFrie-
[466]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
den abgehen mußte, Coalition von L. North und For
bis 18. Dec., worauf William Pitt, 23. Dec. 1783. an
die Spitze des neuen Miniſterii geſtellt, bis 9. Febr. 1801
auf dieſem Poſten blieb. Unterhandlungen uͤber den Frieden
zu Verſailles und Abſchluß der Praͤliminarien mit
America 30. Nov. 1782; mit Frankreich und Spanien 20.
Jan. 1783. In Definitivfrieden verwandelt 3. Sept.


a. Friede zwiſchen England und America. 1. Anerken-
nung der Unabhaͤngigkeit der 13 vereinigten Staaten. 2.
Grenzbeſtimmung, wodurch den Americanern das große
Weſtern territory blieb. 3. Fortdauernde Theilnahme an
den Fiſchereyen bey Terreneuve. 4. Gemeinſchaftliche Be-
ſchiffung des Miſſiſippi.


Geſandte von England: Oswald. Von America: Frank-
lin, Adams und Laurens.


b.Friede zwiſchen England und Frankreich.
1. In Weſtindien die Herausgabe aller Eroberungen; und
Abtretung von Tabago an Frankreich. 2. In Africa Abtre-
tung von Senegal an Frankreich: wogegen dieſes England
den Gambia und das Fort St. James garantirt. 3. In
Oſtindien Herausgabe aller Eroberungen. Die Verbuͤndeten
Frankreichs (Hyder Ali) wurden eingeladen, dem Frieden
beyzutreten. 4. Theilnahme Frankreichs an den Fiſchereyen
zu Terreneuve nach erweiterten Grenzen; und Abtretung
der Inſelchen St. Pierre und Miquelon an daſſelbe. 5. Man
verſpricht ſich, binnen 2 Jahren einen Handelstractat zu
ſchließen.


Unterhaͤndler: von England L. Fitz Herbert: von Frankreich
Graf von Vergennes.


c.Friede zwiſchen England und Spanien. 1.
Spanien bleibt im Beſitz des eroberten Minorcas. 2. So
wie gleichfalls im Beſitz von ganz Florida. 3. Zuruͤckgabe
aller andern Eroberungen. 4. Gleichfalls Verſprechen eines
Handelstractats in 2 Jahren.


Unterhaͤndler: L. Fitz Herbert; und von Spanien Graf von
Aranda.


d.
[467]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.

d.Friede zwiſchen England und Holland.
Wenn gleich Holland bey den Praͤliminarien der uͤbrigen
Staaten in den Waffenſtillſtand mit einbegriffen war; ſo er-
folgte doch erſt der Abſchluß der Praͤliminarien, unter
Frankreichs Vermittelung, zu Paris 2. Sept. 1783; und
der Definitivfriede 20. May 1784. Bedingungen: 1 Ab-
tretung von Negapatam an England mit Vorbehalt der Zu-
ruͤckerhaltung gegen ein Aequivalent. 2. Herausgabe aller
andern Eroberungen. 3. Freye Schifffahrt der Englaͤnder in
allen Indiſchen Meeren.


Unterhaͤndler von England: Herzog von Mancheſter. Von
Holland: von Berkenrode, Brantzen.


18. Noch kein Krieg der neuern Zeit hatte
fuͤr Weltgeſchichte ſolche Folgen als dieſer! Unter
dieſen ſteht die Gruͤndung eines neuen Freyſtaats
jenſeit des Oceans oben an. Ein Staat von Eu-
ropaͤern, außer dem Europaͤiſchen Staatenſyſtem,
ſelbſtaͤndig durch eigne Macht und eigne Producte,
und zugleich zum großen Welthandel berufen durch
ſeine Lage, ohne Beduͤrfniß ſtehender Heere, und
ohne Cabinetspolitik. Wie vieles mußte hier an-
ders werden als in Europa!


Der neue Freyſtaat — ohne innere Revolution
der einzelnen Staaten (es bedurfte nur maͤßiger Veraͤnde-
rungen) gegruͤndet — erkrankte dennoch zuerſt an ſeiner
Freyheit. Die erſte Conſtitution erſchuf eine Unions-
regierung
ohne Macht und ohne Credit. Aber die ver-
aͤnderte Conſtitution von 1789 gab ihm die Feſtigkeit,
die ein Foͤderativſtaat haben kann; indem ſie die ausuͤben-
de Macht dem Praͤſidenten, in Verbindung mit dem Senat;
die geſetzgebende, meiſt nach Brittiſchen Formen, den bey-
den Kammern des Senats und der Repraͤſentanten, jedoch

G g 2nicht
[468]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
nicht ohne Antheil des Praͤſidenten, uͤbertrug; und durch
Unionsfinanzen den Staatscredit gruͤndete. Waſhing-
ton, dem Praͤſidenten, verdankte der neue Staat nicht we-
niger als Waſhington, dem Feldherrn! Nur durch große
Maͤnner auf dem erſten Platz mag die Union ſich halten.


19. Die erſte große Einwirkung des neuen
Staats ließ ſich auf den Handel erwarten; auch
beeiferten ſich faſt alle Seeſtaaten, Vertraͤge mit
ihm zu ſchließen. Aber der geldarme Staat han-
delte am liebſten mit dem, der ihm am erſten und
laͤngſten Credit gab; und der freye Handel mit
England ward bald viel groͤßer, als es je der
Zwangshandel geweſen war. Man ſah bald, was
Americaniſche Schifffahrt werden konnte; doch blieb
ſie noch beſchraͤnkt, ſo lange nicht neue Seekriege
in Europa ſie ſchnell uͤber alle Erwartung hoben.


20. Indem dieſer Krieg, ganz entgegen dem,
was man vermuthet hatte, durch die Freyheit
Americas den einen neuen Grundſtein zu der wach-
ſenden Handelsgroͤße von England legte, ward auch
dazu ein zweyter durch den ploͤtzlichen Fall des
Handels der Republik der vereinigten Niederlande
gelegt. Einmal geſtuͤrzt, konnte er bey ſo maͤchti-
ger Concurrenz ſich nicht wieder heben; und Eng-
land wurde, wenn nicht der einzige, doch bey wei-
tem der wichtigſte Erbe.


21.
[469]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.

21. Aber eine neue hoͤchſt wichtige politiſche
Erſcheinung erzeugte dieſer Krieg: die der bewaff-
neten Neutralitaͤt
. Gehoͤrte ſie gleich dem
Urſprung nach dem Norden an, ſo verbreitete ſie
doch ihren Einfluß uͤber ganz Europa; und wie
viel Zufaͤlliges auch bey ihrer Entſtehung war, ſo
griff ſie doch viel zu tief in die Beduͤrfniſſe der
Zeit ein, als daß die Idee haͤtte verlohren gehen
koͤnnen. Ihr Zweck ſollte die Behauptung der
Rechte der neutralen Flagge ſeyn. Wie ungewiß
auch der Erfolg war, ſo glaͤnzte Rußland doch als
Stuͤtze und Mittelpunct des neuen Syſtems, um
welchen alle Neutralen ſich ſammleten. Mochte auch
mit dem Frieden von ſelber das Beduͤrfniß aufhoͤ-
ren, ſo mußte doch mit jedem Seekriege es ſich
erneuern, und es kam nur auf die Verhaͤltniſſe an,
ob und wie die Politik dieſen neuen Hebel gebrau-
chen wollte.


Erſte Erklaͤrung der bewaffneten Neutralitaͤt
von Rußland Febr. 1780. Forderungen: 1. die neutralen
Schiffe fahren frey von Haſen zu Hafen, und an den Kuͤſten
der kriegfuͤhrenden Maͤchte. 2. Feindliches Eigenthum iſt
frey in neutralen Schiffen; mit Ausnahme der Contrebande.
3. Genaue Beſtimmung, was ein blokirter Hafen ſey. 4.
Dieſe Beſtimmungen ſollen bey der Rechtmaͤßigkeit der Pri-
ſen als Regeln dienen.


Erklaͤrter Beytritt zu der bewaffneten Neutralitaͤt auf
Einladung Rußlands von Daͤnemark 9. Jul. 1780; von
Schweden an eben dem Tage; von Portugal 13. Jul.:
von Preußen 8. Map 1781. Dem erklaͤrten Beytritt

G g 3Hol-
[470]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Hollands kamen die Englaͤnder durch die Kriegserklaͤrung
zuvor 20. Dec. 1780. — In den Antworten ließ ſich
England (3. April) uͤber die Grundſaͤtze nicht aus; Spa-
nien
(18. April) und Frankreich (25. Apr.) erkannten
ſie an.


  • Mémoire ou précis hiſtorique ſur la neutralité armée et
    ſon origine, ſuivi des pièces juſtiſicatives par Mr. le
    Comte de Görz,
    (damaligen Preußiſchen Geſandten in Pe-
    tersburg;) 1800. Veranlaſſung des Plans: Wegnahme
    zweyer Ruſſiſcher Schiffe durch die Spanier; und die
    Spaniſche Blokade Gibraltars; (die Englaͤnder hatten ihr
    Reglement von 1756, ſ. oben S. 410., in dieſem
    Kriege nicht zu erneuern gewagt;) aber wahre Urſache: das
    Beduͤrfniß des Grafen Panin, dem Einfluß und den Ent-
    wuͤrfen des Brittiſchen Geſandten, Chev. Harris (L. Mal-
    mesbury) entgegen zu arbeiten. So fuͤhrte die Intrigue zu
    einem groͤßern Ziel als ſie ſelbſt ahnte!

22. Wenn gleich England ſeine alten Colo-
nien auf dem Continent von America verlor, blie-
ben ihm dagegen ſeine neuern Erwerbungen, Ca-
nada
und Acadien; und wurden um ſo wichti-
ger, da man in ihnen einen Erſatz fuͤr das Ver-
lorne hoffte. Indem der Werth dieſer Beſitzun-
gen dadurch in den Augen des Mutterlandes ſtieg;
verwandte man auch groͤßere Sorgfalt darauf.
Die Abſchaffung der Teſtacte machte in dem meiſt
catholiſchen Canada die Einfuͤhrung einer ſo mil-
den Verfaſſung moͤglich, daß die Cultur ſich bald
nicht mehr auf Untercanada beſchraͤnkte, ſondern
auch in Obercanada ſo ſich erweiterte, daß ein
eignes
[471]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.
eignes Gouvernement daraus gemacht werden muß-
te. In Neuſchottland aber war jetzt Halifax
der wichtigſte Hafen, den die Britten noch auf
dem Continent von America beſaßen.


23. Das Brittiſche Weſtindien war
dem Umfange nach durch die Abtretungen in dem
Pariſer Frieden erweitert worden, von denen jedoch
Tabago in dem Frieden zu Verſailles wieder an
Frankreich kam. Der Zuſtand der Coloniſation
hatte durch mehrere bewilligte Handelsfreyheiten ge-
wonnen; aber theils die wiederholten Kriege, theils
die Ueberfaͤlle der Wald-Neger (Maroons), theils
die furchtbaren Stuͤrme, welche beſonders gegen
das Ende dieſes Zeitraums wiederholt die Hauptin-
ſel Jamaica verwuͤſteten, vernichteten einen gro-
ßen Theil der gefaßten Hoffnungen; und faſt waͤre
auch die Freywerdung Americas das Verderben des
Brittiſchen Weſtindiens geworden; haͤtte nicht die
Noth uͤber die Grundſaͤtze des Mercantilſyſtems ge-
ſiegt.


Die groͤßern Handelsfreyheiten beſtanden theils in der
Eroͤffnung von Freyhaͤfen 1766 auf Dominique und Ja-
maica fuͤr den Verkehr mit fremden Colonien in deren
Schiffen, (beſonders wegen Lebensmittel und des Neger-
handels), theils in dem Jan. 1780 eingeraͤumten freyen
Verkehr mit Ireland. Die Freywerdung Americas haͤtte
Weſtindien dem Verhungern ausgeſetzt, waͤre nicht der bis-
herige Verkehr, jedoch beſchraͤnkt, verſtattet 4. Apr. 1788.


G g 4A
[472]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
  • A deſcriptive account [of] the Iſle of Jamaica by W. Beck-
    ford
    . II Vol.
    1790.

24. Die Africaniſchen Colonien wurden
durch den faſt 20jaͤhrigen Beſitz von Senegal ver-
mehrt, wodurch neben dem Sclaven- auch der
Gummihandel in die Haͤnde der Englaͤnder kam.
Der erſtere ſtand zwar mit den Weſtindiſchen Colo-
nien in einem natuͤrlichen Verhaͤltniß; allein theils
die in den Freyhaͤfen eroͤffneten Sclavenmaͤrkte fuͤr
die fremden Colonien, theils die in dieſem Zeit-
raum erfolgte gaͤnzliche Freygebung dieſes Handels
trugen leider! dazu bey, ihn immer bedeutender zu
machen. Indem ſich die Stimme der Menſchlich-
keit aber immer lauter dagegen erhob, wurde die
Freywerdung Americas die Veranlaſſung zu einer
1786freyen Neger-Colonie an der Kuͤſte von Africa ſel-
ber zu Sierra Leona, welche die Entbehrlich-
keit der Sclaverey zeigen ſollte.


Gaͤnzliche Aufhebung der noch beſtehenden Abgaben an die
Africaniſche Compagnie 1749; nachdem ihr Monopol ihr
ſchon 1697 genommen war. — Anlage der Colonie zu Sier-
ra Leona
1786 meiſt durch Neger der ausgewanderten Ro-
yaliſten. Ein ſchoͤnes Denkmal der Humanitaͤt; wenn auch
der Hauptzweck nicht dadurch erreicht werden konnte.


  • An account of the Colony of Sierra Liona from its ſirſt
    eſtabliſhment. Lond.
    1795.

25. Jedoch der große und glaͤnzendſte Schau-
platz der Brittiſchen Colonialpolitik ward in dieſem
Zeit-
[473]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740—1786.
Zeitraum Oſtindien! Die Handelsherren wurden
Eroberer; und gruͤndeten ein Reich, an Umfang
und Bevoͤlkerung dem Mutterlande bald weit uͤber-
legen. So erſchien die Compagnie in einer dop-
pelten Geſtalt; als Herrſcher und Kaufleute, und
England ward zugleich der Markt der Indiſchen
Waaren, und der Schlund der Indiſchen Schaͤtze.


  • Transactions in India from the commencement of the
    french war in 1756 to the conclulion of the late peace
    1783. London
    1786. Deutſch bearbeitet von M. C. Spren-
    gel:
    Geſchichte der wichtigſten Indiſchen Staatsveraͤnderun-
    gen von 1756 bis 1783. 2 Th. 1788. Noch immer das ſchaͤtz-
    barſte fuͤr die allgemeine Ueberſicht.
  • Ormes hiſtory of the military transactions of the britiſh na-
    tion in Indoſtan from the year 1745. Lond.
    1778. 4. —
    Daſſelbe bearbeitet von v. Archenholz: Die Englaͤnder in
    Indien 2 Th. 1788.

26. Dieſe große Umwaͤlzung der Dinge in
Indien ward vorbereitet durch den Fall des
Mogoliſchen Reichs. So lange dieſes in ſeiner
Kraft da ſtand, konnten die Europaͤer auf dem
Continent meiſt nur als Kaufleute erſcheinen. Aber
ſchon ſeit dem Tode von Aureng Zeb in ſich ſelber zer-1707
ruͤttet, erhielt es durch Nadir-Schach's Raͤuberzug1739
den toͤdtlichen Stoß. Der Name der Herrſcher
blieb; aber die Statthalter machten ſich unabhaͤn-
gig, und die unterjochten Voͤlker fingen an ihre
Ketten abzuſchuͤtteln.


G g 5Unter
[474]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Unter den bisherigen Statthaltern (Subahs und Na-
bobs
) ſind die wichtigſten: der Subah von Decan (der
Nizam), von dem wieder der Nabob von Arcot oder
Carnatik abhing; der Nabob von Bengalen, von Be-
nares
und der von Oude. Unter den Voͤlkern waren
ſchon lange die Patanen, und bald noch mehr als ſie
die Maratten und die Seiks furchtbar.


27. Franzoſen und Englaͤnder ſuchten bald bey-
de dieſe Umſtaͤnde zu nutzen, wiewohl jene zuerſt;
und ihnen ſchien von dem Schickſal die Herrſchaft
Indiens anfangs beſtimmt zu ſeyn. Haͤtten La-
bourdonnais
und Dupleix ſich verſtehen koͤn-
nen, wer moͤchte ſie ihnen leicht entriſſen haben?
Aber durch ihren Zwiſt ging die koſtbarſte Zeit ver-
loren; und die Franzoͤſiſche Regierung verſtand ſich
nicht darauf, ſolche Maͤnner zu benutzen.


Eroberung von Madras durch Labourdonnais, 21. Sept.
1746, und dadurch entſtandener Zwiſt mit Dupleix, Gou-
verneur von Pondichery. Fall und Zuruͤckberufung des er-
ſten; vergebliche Belagerung von Pondichery durch die Eng-
laͤnder Aug. bis Oct. 1748, und Ruͤckgabe von Madras im
Aachner Frieden. (S. oben S. 385.)


  • Hiſtoire du Siége de Pondichery ſous le gouvernement de
    Mr. Dupleix.
    1766.

28. Die ſchon aufgelebte Rivalitaͤt beyder
Nationen ward durch die Entwuͤrfe von Dupleix, in
Territorialbeſitzungen Erſatz fuͤr den wenig eintraͤgli-
chen Handel zu ſuchen, vollends entflammt. Die
Einmiſchung in die Haͤndel der inlaͤndiſchen Fuͤr-
ſten,
[475]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740—1786.
ſten, zuerſt in Carnatik auf Coromandel, wo ſchon
die Nachbarſchaft der Hauptniederlaſſungen es un-
moͤglich machte, ſich aus den Augen zu verlieren,
gab die Veranlaſſung dazu. Wie konnte ſie ſchwer
werden in einem aufgeloͤſeten Reiche? Aber die
Niedertraͤchtigkeit der Mogoliſchen Fuͤrſten erleichter-
te ſie noch mehr als die Anarchie; und die uͤber-
legnen Talente von Dupleix erhielten, bis zum
ſiebenjaͤhrigen Kriege, den Franzoſen meiſt das Ue-
bergewicht.


Haͤndel in Carnatik, indem Dupleix die Anſpruͤche von
Muzzefar Jung auf Decan, und von Chundaſaheb auf Ar-
cot, unterſtuͤtzt; wogegen die Englaͤnder ihren Clienten Ma-
homed Ally vertheidigen, der ſich zuletzt in Arcot behauptet;
1756. Die Abberufung von Dupleix, dem der ungluͤckliche
Lally folgte, waͤhrend an der Spitze der Brittiſchen Trup-
pen unter dem Krieger Laurence der furcht-
bare Clive ſich bildete, gab dieſen im voraus das Ueber-
gewicht.


29. Der Zeitraum des ſiebenjaͤhrigen Krieges
aber war es, in welchem die Compagnie ihr aus-
gedehntes Reich gruͤndete. Die Ueberlegenheit der
Brittiſchen Waffen zeigte ſich auch in Indien. Die
Eroberung und Schleifung von Pondichery befe-
ſtigte die Brittiſche Uebermacht auf Coromandel
auch fuͤr die Folge, ungeachtet der Ruͤckgabe jener
Stadt im Pariſer Frieden.


Anfang der Feindſeligkeiten auf Coromandel 1758 nach
der Ankunft von Lally; und Verbreitung uͤber die ganze

Kuͤſte,
[476]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Kuͤſte, beſonders nach Tanjore. — Stete Ueberlegenheit
der Britten, und Einnahme von Maſulipatan 1760 und von
Pondichery 16. Jan. 1761. Abtretung der noͤrdlichen Cir-
cars durch den Nizam 1766; und voͤllige Abhaͤngigkeit des
Nabob von Carnatik.


  • The hiſtory and management of the Eaſt-India Company
    Vol. the Firſt containing the affairs of the Carnatic; in
    which the Rights of the Nabob are explained, and the
    Injuſtice of the Company proved. Lond.
    1779. 4. Geht
    bis 1755.

30. Allein man mußte es bald empfinden, daß
die Behauptung von Coromandel mehr koſten wuͤr-
de, als ſie eintrug. Nur der Beſitz der Ganges-
Laͤnder, vor allem des reichen Bengalens, wo
man ſchon lange Factoreyen hatte, konnte die Ter-
ritorialherrſchaft in Indien befeſtigen, weil hier die
großen Territorialeinkuͤnfte waren. Der Na-
bob gab ſelber dazu die Veranlaſſung; und Clive
gruͤndete mit leichterer Muͤhe, als er ſelber gehofft
haben mochte, die Herrſchaft der Compagnie. Es
bedurfte dazu keines Kampfs, wie ihn die Cortes
und Pizarros in America beſtanden; denn auch hier
kam die Schlechtigkeit der Mongoliſchen Großen den
Britten entgegen.


Bereits ſeit 1690 (ſ. oben S. 261.) hatten die Britten
ein Comtoir zu Caloutta; und ſchon 1696 hatten ſie durch
die Anlage von Fort William bey Gelegenheit eines Auf-
ſtandes es befeſtigt. Eroberung von Calcutta und Fort
William durch den Nabob Seraja Dowla Jun. 1756.
Einkerkerung und Verſchmachten der Gefangenen in der

ſchwar-
[477]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740—1786.
ſchwarzen Hoͤle. Expedition von Madras unter Clive
1757. Wiedereinnahme von Calcutta; und Sieg bey Plaſ-
ſey
26. Juni durch Verraͤtherey von Mir Jaffie[r]; ſtatt
ſeines Schwagers jetzt zum Nabob von Bengalen ernannt;
aber bereits 1760 durch Clive zu Gunſten ſeines Schwieger-
ſohns Mir Coſſir wieder entſetzt; und als dieſer, der
Sclaverey unfaͤhig, die Waffen ergriff, zum zweytenmal
zum Nabob gemacht 10. Jul. 1763. Das Geheimniß, unter
fremden Namen zu herrſchen, war gefunden; es war jetzt
kaum noch noͤthig, das Spiel zu wiederholen. Doch koſtete
es noch einen Kampf mit dem Subah von Oude 1765,
zu dem Mir Coſſir und der von den Maratten vertriebene
Großmogul, ſelber, gefluͤchtet waren. Erſt nach ſeiner Beſie-
gung konnte man den Beſitz von Bengalen als geſichert an-
ſehen.


31. Abtretung des Devani von Bengalen
(der Einkuͤnfte und ihrer Erhebung) durch den
Großmogul an die Compagnie; indem der Nabob
penſionirt wird. So erhielt alſo die Geſellſchaft,
nachdem ſie ſchon vorher den Handel ſich hatte ge-
ben laſſen, nun auch die Adminiſtration und die
Souverainitaͤt des Landes, wenn man auch den
Schatten davon den alten Herrſchern ließ.


Tractat zu Allahabad mit dem Großmogul (als ſeyn-
ſollenden Oberherrn) uͤber die Abtretung des Devani von
Bengalen, Bahar und Oriſſa 12. Aug. 1765. gegen eine jaͤhr-
liche Summe von 12 Lac Rupien geſchloſſen durch den Gou-
verneur L. Clive.


32. Von jetzt an war alſo die Compagnie die
Beherrſcherin eines großen und reichen Landes;
aber
[478]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
aber die Erwartung, daß ſie ſelber ſich dadurch ſehr
bereichern wuͤrde, ward bald getaͤuſcht. Es ent-
ſtand ein getheiltes Intereſſe zwiſchen ihren Actio-
nairs, und zwiſchen den Directoren und ihren Be-
dienten in Indien. Jenen blieb der maͤßige Ge-
winn des Handels zwiſchen Indien und Europa;
aber ſie wollten den bisherigen Handelsdividend be-
deutend erhoͤht wiſſen durch die jetzigen Territorial-
einkuͤnfte; deren Ueberſchuͤſſe dagegen dieſe zu
benutzen ſuchten. Den Bedienten in Indien muß-
te man ohnehin die wichtigſten Zweige des Bin-
nenhandels uͤberlaſſen. So kam in dem ungluͤckli-
chen Bengalen Alles zuſammen, was ein Volk zu
Grunde richten kann: eine eben ſo verkehrte als
tyranniſche Adminiſtration, und die druͤckendſten
Monopole.


Die Hauptuͤbel waren: 1. Die Veraͤnderung der Erbpacht
der Zemindars und Ryots (großer und kleiner Paͤchter) in
jaͤhrliche Pacht. In einem Lande, wo faſt aller Landbeſitz
Pachtung iſt, verſchwand damit auf einmal alle Sicherheit
des Beſitzes; und zahlloſe Erpreſſungen traten an ihre Stelle.
2. Die ſchlechte Juſtiz und die Anwendung Brittiſcher Ge-
ſetze. 3. Das 1765 der Regierung bewilligte Monopol des
Salzes, Betels und Opiums, erſter Lebensbeduͤrfniſſe in
Indien. 4. Die jaͤhrliche Wegſchleppung des baaren Geldes
nach England und China. 5. Die durch das ſchlechte Muͤnz-
weſen entſtandene Agiotage. Auch ohne die ſchreckliche Hun-
gersnoth von 1770 und 1771 mußte das Land zu Grunde
geben.


Die bey dem damals in England entſtandenen Streit er-
ſchienenen Hauptſchriften ſind:


Con-
[479]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740—1786.
  • Conſiderations on the affairs and the preſent ſtate of Bengal
    by W. Bolts. III Voll.
    4. Gegen die Compagnie. Dawi-
    der als Antwort:
  • A view of the riſe, progreß and preſent ſtate of the En-
    gliſh Government in Bengal. By Mr. Verelst. 4. Lond.

    1772. Der 2te und 3te Theil von Bolts [enthaͤlt] wieder die
    Gegenantwort. Nur einzelne Bedruͤckungen ließen ſich weg-
    leugnen oder entſchuldigen; die Wahrheit des allgemeinen
    Drucks wurde bald durch die Folgen erwieſen.

33. Eine ſo gewaltſam errungene Herrſchaft
konnte aber keinen andern als ſtets ſchwankenden
Zuſtand zur Folge haben; und in Hyder Ali, Sul-
tan von Myſore, fand man bald einen gefaͤhrli-
chern Gegner, als man erwartet hatte. Die Un-
moͤglichkeit, hinreichende Europaͤiſche Truppen zu
haben, fuͤhrte zu dem bedenklichen Mittel, eine in-
laͤndiſche Armee zu bilden, das bisher uͤber Er-
warten gegluͤckt iſt. Die Noth trieb viele unter
die Fahnen; und was liegt dem Sclaven daran,
wem er dient, wenn er nur bezahlt wird?


Erſter Krieg mit Hyder Ali (ſeit 1760 durch Uſurpation
Herr von Myſore) und ſeinem Verbuͤndeten, dem Subah
von Decan 1767. Aber die Compagnie gewann den letztern
Febr. 1768. Dennoch ſiegreicher Einfall in Carnatik, und
Friede vor den Thoren von Madras geſchloſſen 3. Apr. 1769.
Zuruͤckgabe der Eroberungen von beyden Seiten; und wech-
ſelſeitiger freyer Handel. — Aber Hyder Ali hatte geſehen,
was er ausrichten konnte!


34. Bey dieſen großen Veraͤnderungen war
die innere Organiſation der Compagnie bisher
die-
[480]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
dieſelbe geblieben. Die Directoren in England wa-
ren die Chefs, unter denen die von einander unab-
haͤngigen Gouverneurs der vier Praͤſidentſchaf-
ten ſtanden. Jeder von dieſen handelte fuͤr
ſich; und wie viel war nicht geſchehen, ehe die Be-
fehle von England einlaufen konnten? Dieſe Feh-
ler, worin man eine Hauptquelle der Uebel fand,
ſollten durch die Regulationsacte gehoben werden,
die durch eine neue Organiſation der Compagnie
theils Einheit der Regierung in Indien geben,
theils ſie in einige Abhaͤngigkeit von der Krone
ſetzen ſollte.


Act of regulation April 1773, eingefuͤhrt in Indien Oct.
1774. Hauptpuncte: 1. Beſſere Beſtimmungen in der Wahl
der Directoren. 2. Nur Actionairs von 1000 Pfund und
daruͤber haben Stimme in den Generalverſammlungen. 3.
Der Gouverneur von Bengalen wird Generalgouver-
neur
aller Brittiſchen Beſitzungen: ihm zur Seite ſteht
das ſupreme council mit einſchraͤnkender Gewalt. 4. Das
Recht, Krieg und Frieden zu machen und mit den inlaͤndi-
ſchen Fuͤrſten zu unterhandeln, ſteht allein dem G. Gouverneur
und dem ſupreme council zu. 5. Errichtung eines Oberge-
richtshofes von der Krone. 6. Die Correſpondenz uͤber Ci-
vil- und Militairſachen muß in England dem Staatsſecre-
tair vorgelegt werden. — Warren Haſtings, ſeit 1772
Gouverneur, wird erſter Generalgouverneur 1774-
1784.


35. Durch dieſe neue Einrichtung war fuͤr die
Abhaͤngigkeit von dem Mutterlande etwas, fuͤr In-
dien wenig, mehr fuͤr die Compagnie gewonnen.
Die
[481]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740—1786.
Die Verwaltung war mehr concentrirt (nicht ohne
Reibungen mit den andern Praͤſidentſchaften); un-
ter einem ſo harten und erfahrnen Chef, wie Ha-
ſtings, wurde Methode in den Druck gebracht.
Aber dauernder Friede konnte in Indien nicht wer-
den; und daher nie ein ſicherer Etat. Es war
der gewoͤhnliche Kreislauf der Eroberer. Die Be-
druͤckungen erzeugten Widerſtand, dieſer Kriege,
die Kriege Koſten, die Koſten neue Bedruͤckungen.
So entſtanden die Maratten-Kriege, und an-
dere. Um zu beſtehen, ward endlich das Er-
obern Beduͤrfniß.


Die Marattenkriege wurden zuerſt veranlaßt 1774 durch
die Unterſtuͤtzung, welche Bombay dem angemaßten Regen-
ten (Peiſchwa) Ragoba gegen die Rajahs von Berar (den
Bunſla), von Ougein (den Scindia) und Holcar von Malwa
leiſtete; aber im Frieden 1776 auf Befehl von Calcutta
ſinken ließ. Jedoch ſchon 1777 Erneuerung des Kriegs; und
kuͤhner Marſch von Goddard von Calcutta nach Surate, der
alle Marattenfuͤrſten aufſchrecken mußte. Große Verbin-
dung der Maratten, des Nizam und Hyder Ali's, gegen
die Compagnie 1779; als um eben dieſe Zeit der Krieg
mit Frankreich
ausbrach. Neuer furchtbarer Einfall Hy-
der Ali's in Carnatik 1780, wo er ſich zwey Jahre behaup-
tete. Große Geldverlegenheit, indem der Krieg ſich uͤber
faſt ganz Indien verbreitet; und Erpreſſungen und Revolu-
tionen in Benares, in Oude ꝛc. mit den empoͤrendſten
Ungerechtigkeiten, waͤhrend zugleich der Seekrieg mit den
Franzoſen unter Suffrein gefuͤhrt, und Hyder durch Franzoͤ-
ſiſche Huͤlfstruppen unterſtuͤtzt ward. Aber die Trennung
der Verbuͤndeten zog die Englaͤnder aus der Verlegenheit.
Friede mit den Maratten 17. May 1782. Zuruͤck-

H hgabe
[482]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
gabe der Eroberungen, ausſchließender Handel fuͤr die Eng-
laͤnder. Auch in dem Frieden mit Frankreich Zuruͤck-
gabe von Pondichery, und den andern Eroberungen 30. Nov.
1782. So mußte Hyder Ali († 9. Nov. 1782) den Krieg
allein fortſetzen, den ſein Sohn und Nachfolger Tippo
Saib
durch den Frieden zu Mangalore 11. Maͤrz
1784 endigte. Auch hier Zuruͤckgabe der Eroberungen; und
freyer Handel der Englaͤnder. — Die großen Bedruͤckungen
und Ungerechtigkeiten ſind durch den Staatsproceß von
Warren Haſtings
1788 ans Licht gezogen; ohne daß je-
doch einiger Erſatz dafuͤr gegeben worden waͤre.


  • The trial of Warren Haſtings befor the court of peers.
    Lond. 1788. 2 Voll.
  • Articles of Charge of high Crimes againſt W. Haſtings by
    Edm. Burke. Lond.
    1786.
  • Memoirs relative to the ſtate of India by Warren Ha-
    stings
    . Lond.
    1786. Seine eigne Rechenſchaft.
  • Geſchichte der Maratten von M. C. Sprengel. 1791. Geht
    bis 1782.

36. Aber ungeachtet dieſes Ausgangs des
Kriegs, und der Erweiterungen des Gebiets der
Compagnie in Bengalen und dem Gewinn von Ne-
gapatam war es doch klar, daß ſie in ihrem jetzi-
gen Zuſtande nicht dauern konnte. Alle Erpreſſun-
gen ſetzten ſie nicht in den Stand, ihre Verpflich-
tungen gegen die Regierung zu erfuͤllen; man hielt ſie
fuͤr ſo gut als bankerot. Aber noch ſchmerzhafter
fuͤhlte man es durch die letzten Kriege, wie ſie ei-
nen Staat im Staate bilde. Eine ſtrengere Ab-
haͤngigkeit von der Regierung war ein ſo dringen-
des Beduͤrfniß geworden, daß alle Parteien darin
uͤber-
[483]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740—1786.
uͤberein kamen. Nach dem erſten mißlungenen Ver-
ſuche von For, waͤhrend ſeiner Miniſterſchaft,
war es Pitt aufbehalten, durch ſeine Oſtindi-
ſche Bill
dieſen Zweck zu erreichen.


Einbringung der Eaſt-India-Bill von For ins Parla-
ment 18. Nov. 1783, verworfen im Oberhauſe. Inhalt:
1. Gaͤnzliche Aufhebung der beſtehenden Direction; und Un-
terordnung der Compagnie in politiſchen, Handels- und Fi-
nanz-Verhaͤltniſſen unter eine Regierungs-Commiſſion von
8 Perſonen. 2. Dieſe haben die Vergebung aller Plaͤtze bey
der Compagnie: und ſind ſelber in ihren Stellen unabhaͤn-
gig von dem jedesmaligen Miniſterium. — Haͤtte nicht ſo die
Commiſſion einen neuen Staat im Staate gebildet? —
Zur Vertheidigung:


  • Speech on Mſt. Fox Eaſt-India-Bill by Edm. Burke; in:
    Works Vol. II.

Nach dem Abgang von For, Hrn. Pitt's Oſtindiſche
Bill
4. Aug. 1784; die Baſis der noch beſtehenden Verfaſ-
ſung. Hauptpuncte: 1. Fortdauer der bisherigen Direetion;
aber 2. Unterordnung derſelben unter eine Regierungscom-
miſſion (board of controul) in allen politiſchen und militaͤ-
riſchen Sachen. Alle Depechen muͤſſen vorher von dieſer ge-
billigt und koͤnnen von ihr geaͤndert werden; und in Sachen
von Krieg und Frieden handelt ſie blos fuͤr ſich. 3. Die Be-
ſetzung der hohen Stellen geſchieht nicht ohne Beſtaͤtigung
des Koͤnigs, die des Oberbefehlshabers haͤngt ganz von ihm
ab; dieſer hat den zweyten Platz in dem ſupreme council.
Auch das Recht der Entſetzung von jenen Stellen gebuͤhrt
dem Koͤnige. 4 In Indien ſelbſt ſtrenge Unterordnung der
uͤbrigen Praͤſidentſchaften unter die Regierung von Calcutta;
aber auch dieſe darf keinen Angriffskrieg ohne Erlaubniß
von Hauſe anfangen. 5. Vermoͤgens-Cenſur der nach In-
dien Gehenden und von da Ruͤckkehrenden; und Beſtrafung
der Schuldigen.


H h 237.
[484]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

37. So wurde das große Gebiet der Com-
pagnie auf dem Continent von Indien, umfaſſend
jetzt die Gangeslaͤnder bis Benares hinauf, die
Circars, und mittelbarer Weiſe das Carnatik auf
Coromandel, Bombay und mehrere Beſitzungen
auf Malabar, in Ruͤckſicht ſeiner Beherrſchung
unter die Regierung des Mutterlandes geſetzt; der
Handel blieb aber der Compagnie uͤberlaſſen. Aber
auch dieſer wuͤrde ſchwerlich haben beſtehen koͤnnen,
waͤre nicht der Verkehr mit China, durch die
unermeßlich gewordene Theeconſumtion, zu einer
ſolchen Wichtigkeit geſtiegen. Doch mußte, um
den Schleichhandel zu ſtoͤren, der Miniſter auch
hier zu Huͤlfe kommen. Durch die Commuta-
tion Act
ward Pitt der Retter der Compagnie in
mercantiliſcher Hinſicht.


Damaliger Betrag der Theeconſumtion bereits jaͤhrlich
gegen 20 Millionen Pfund an Gewicht, wovon aber ⅔ durch
Schleichhandel eingefuͤhrt wurden. Veraͤnderung der Thee-
abgabe in eine Haͤuſerſteuer durch die Commutation act
Jul. 1784, worauf der Schleichhandel von ſelbſt aufhoͤren
mußte.


38. War gleich auf dieſe Weiſe die Fortdauer
der Compagnie und der Brittiſchen Herrſchaft in
Indien geſichert, ſo hing doch der Erfolg der
Maaßregeln am meiſten von der Wahl der hohen
Beamten ab; und vielleicht verdankt Großbritan-
nien hier einem Coruwallis nicht weniger als
Pitt.
[485]3. Geſch. d Colonialweſens 1740—1786.
Pitt. Manches, auch in dem Looſe der Einge-
bohrnen, wurde beſſer; aber den Keim des Ver-
derbens, in den innern Kriegen liegend, konnte
man ſchwaͤchen, aber nicht ausrotten.


39. Mit dieſem erweiterten Colonialweſen der
Britten erweiterte ſich ihre Schifffahrt; und dehnte
ſich bald uͤber alle Meere bis zu den Grenzen aus,
die die Natur ſelber durch ewige Eisfelder geſetzt1768
bis
1780

hat. Die drey Reiſen von Cook weckten den
Entdeckungsgeiſt nicht viel weniger, als es einſt
die Fahrten von Columbus gethan hatten; die In-
ſeln des Suͤdmeers wurden bekannt wie die des
Mittelmeers; ſtatt edler Metalle gaben ſie das Zuk-
kerrohr von Otaheite und den Flachs von Neu-
ſeeland; und ſchon Cook gab die Idee zu einer
Niederlaſſung auf dem Continent von Auſtralien,
die, auf die ſichere Baſis des Ackerbaus gegruͤn-
det, ſchon nach kaum zwey Decennien der Pflege
des Mutterlandes zu entwachſen, und reichen Lohn
zu verſprechen ſcheint.


Stiftung der Colonie zu Sidney Cove in N. Suͤd-Wales;
Jan. 1788. Wahrſcheinlich das bleibendſte Denkmal, das
Pitt ſeiner Adminiſtration geſetzt hat.


  • Arthur Philipps Voyage to Botany Bay. Lond. 1799.
  • Collins account of the Colonie in N. S. Wales from its
    firſt ſettlement in Jan. 1788 till 1801. II Voll.
    1802.

H h 340.
[486]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

40. Die Geſchichte des Franzoͤſiſchen Co-
lonialweſens liegt zum Theil ſchon in dem Bishe-
rigen. Die ungluͤckliche geographiſche Verflechtung
mit den Brittiſchen Beſitzungen konnte nie die Rivali-
taͤt erſterben laſſen; ſie war zum Nachtheil Frankreichs.
Es verlor durch die großen Abtretungen im Pari-
ſer Frieden ſowohl ganz Canada, als mehrere der
kleinen Antillen; und bey der Ueberlegenheit der
Brittiſchen Marine war der Beſitz der uͤbrigen Co-
lonien meiſt precair. Doch war der Erfolg in Oſt-
und Weſtindien ſehr ungleich.


41. In Oſtindien waren die Hoffnungen
Frankreichs durch Dupleix an Territorialbeſitzungen
geknuͤpft. Als dieſe im ſiebenjaͤhrigen Kriege ver-
loren gingen, und Britten in Indien herrſchten,
— wie haͤtte der Handel ſich wieder heben koͤnnen,
mochte er mit oder ohne Compagnie gefuͤhrt werden?


Die bluͤhendſte Periode der Franzoͤſiſchen Macht in Indien
war ſeit 1751. Sie erhielten durch Dupleix die 4 Circars,
die Inſel Sherigan im Caveri Fluß, Maſulipatan, und ein
erweitertes Gebiet bey Carical und Pondichery. Der Friede
von 1763 ſetzte Alles auf den Beſitz von 1749 zuruͤck (ſ.
oben S. 413.), nur das geſchleifte Pondichery und Carical
blieben ihnen. — Aufloͤſung der Oſtindiſchen Compagnie 1769
und Freygebung des Handels, doch mit Beſchraͤnkung der
Retourſchiffe auf Lorient. Auch im Tode regulirt noch das
Mercantilſyſtem!


42.
[487]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740—1786.

42. Aber ganz konnte man Frankreich nicht
aus Oſtindien verdraͤngen, da Isle de France
und Bourbon, unabhaͤngig von den Stuͤrmen
des Continents, ihm nicht entriſſen werden konnten.
Sie dienten außer der eignen Production zu Markt-
und Waffenplaͤtzen. Warum aber, frugen die
Phyſiocraten, will man mit Gewalt unmittelbaren
Handel nach Oſtindien, da der mittelbare weit
ſicherer und vortheilhafter waͤre?


  • Du commerce et de la companie des Indes par du Pont.
    Paris
    1769.

43. Um vieles guͤnſtiger waren die Schickſale
der Franzoſen in Weſtindien. Zwar verlor
Frankreich auch hier an Umfang ſeiner Beſitzungen,
zwar hielten bald Kriege, bald Naturphaͤnomene
das Aufbluͤhen der kleinern Inſeln zuruͤck; aber da-
fuͤr gab das einzige Domingo in der letzten Haͤlf-
te dieſes Zeitraums einen ſo uͤbergroßen Erſatz, daß
er die Hoffnungen des Mutterlandes faſt uͤbertraf,
und der auswaͤrtige Handel desſelben großentheils
an dieſe Inſel geknuͤpft war.


Den Verluſt der kleinern Inſeln im Pariſer Frieden ſ.
oben S. 406; von denen jedoch Tabago 1784 wieder an
Frankreich kam. Martinique und Guadeloupe fielen
beyde in die Haͤnde der Englaͤnder (S. 402.) und die erſtere
Inſel ward lange durch Ameiſen und Stuͤrme verwuͤſtet.
Dagegen hob ſich St. Domingo theils durch ſeinen un-
erſchoͤpflichen Boden, theils weil es von den Verwuͤſtungen

H h 4der
[488]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
der Natur und des Kriegs verſchont blieb. In 2000 Plan-
tagen erzeugte es gegen das Ende dieſes Zeitraums fuͤr mehr
als 170 Millionen Livres Producte (faſt ſo viel, als das gan-
ze uͤbrige Weſtindien), deren Marktplaͤtze Bourdeaux und
Nantes waren.


  • Nouvelles conliderations ſur St. Domingue en reponſe de
    Mr. H. Dl. par Mr. D. B. Paris 1780. 2 Voll.
    — Beſon-
    ders aber von Bryan Edwards (ſ. oben S. 183.) der
    dritte Theil.

44. Dagegen blieben die Beſitzungen auf dem
Continent von America, ſowohl in Guiana (Ca-
yenne), als dem an Spanien abgetretenen Loui-
ſiana
, wenig bedeutend, trotz der unvernuͤnftigen
Verſuche, das erſte zu heben. In wie fern die
Verpflanzung der Gewuͤrze dahin wichtig werden
mag, laͤßt ſich noch nicht beſtimmen.


Abtretung Louiſianas von Frankreich an Spanien 21. Apr.
1764 gegen den, nicht erfolgten, Eintauſch des Spaniſchen
Antheils von St. Domingo. Spaniſche Politik und Tyran-
ney richteten die Colonie faſt ganz zu Grunde. — Großer
Verſuch zur Coloniſation von Guiana, um fuͤr Canada Er-
ſatz zu haben, 1763. Von 12000 hingeſandten Coloniſten
waren binnen Einem Jahre die meiſten verhungert. —
Verpflanzung der Gewuͤrze dahin von Isle de France, wo-
hin ſie 1770 Poivre aus den Molucken gebracht hatte.


  • Champigny état préſent de la Louiſiane. à la Haye 1776.
  • Collection de Mémoires et correſpondances officielles ſur
    l'adminiſtration des Colonies et notamment ſur la Guia-
    ne Françaiſe et Hollandaiſe par V. P. Malouet. an. X.
    5 Voll.
    8. Eine reichhaltige Materialienſammlung.

45. Fuͤr das Hollaͤndiſche Colonialſyſtem
war dieſer Zeitraum der des Sinkens und des Falls.
Bey
[489]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740—1786.
Bey der gewaltigen Rivalitaͤt andrer Nationen
wuͤrde ſchon das bloße Stillſtehen ein Ruͤckgang ge-
weſen ſeyn; aber die verborgenen Uebel, woran
die Colonien wie der Staat uͤberhaupt ſchon lange
erkrankten, kamen durch den unerwarteten Krieg mit
England zum vollen Ausbruch. Waͤre die ſeinem
Handel dadurch verſetzte Wunde auch nicht an ſich
unheilbar geweſen, ſo wurde ſie es durch die fol-
genden inneren Stuͤrme. Was ſind auch Colonien
ohne ſchuͤtzende Marine?


46. Auf das Hollaͤndiſche Oſtindien wirkten
zwar die Revolutionen des Continents von Hindo-
ſtan nicht ſogleich zuruͤck, da die Beſitzungen faſt
blos aus Inſeln beſtanden; und auch der Verluſt
von Negapatam waͤre wohl zu ertragen geweſen.
Aber dennoch blieben ſie nicht ohne ſchmerzliche
Wirkung. Allein die moraliſchen Urſachen, die
ſchon lange das Sinken der Oſtindiſchen Compagnie
bewirkten, waren noch gefaͤhrlicher als die politi-
ſchen; und es iſt wohl keinem Zweifel unterworfen,
daß auch ohne die letztern die Compagnie dem
Bankerott
nicht entgangen waͤre.


Als weitere Urſachen des Verfalls der Compagnie in die-
ſem Zeitraum (ſ. oben S. 332.) muß man anſehen: 1. die
große Maſſacre der Chineſen auf Java 1740 unter dem Vor-
wande einer Verſchwoͤrung. 2. Den Verluſt des Indiſchen
Binnenhandels, ſowohl nach Indien ſelbſt, als Perſien und
Arabien durch die Riyalitaͤt der Englaͤnder. 3. Die fort-

H h 5dauernde
[490]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
dauernd ſchlechte Einrichtung der Schifffahrt. 4. Den Krieg
mit England und den Verluſt von Negapatam.


  • Conſiderations ſur l'état preſent de la Compagnie Hollan-
    daiſe des Indes Orientales par Mr. le Baron d'Imhof ci-
    devant Général-Gouverneur.
    1741. Sie ſtehen als Anhang
    hinter:
  • Vies des gouverneurs généraux avec l'abrégé de l'hiſtoire
    des Etabliſſemens Hollandois aux Indes Orientales par J.
    P. J. Dubois. à la Haye
    1763. Sie beſtaͤtigen vollkommen
    die oben S. 332. gemachten Bemerkungen. — Die leben-
    digſte, (ob auch treueſte?) Schilderung des elenden Zuſtan-
    des in Oſtindien aber gibt:
  • Berigt van den tegenwoordigen Toeſtand der Bataafſche
    Bezittingen in Ooſt-Indien, van den Handel op dezel-
    ve, door Dirk van Hogendorp. Delft
    1799. Deutſch
    bearbeitet in Berlin. Monathsſchrift Nov. 1800 bis
    Jan. 1801. Der Verfaſſer war auf Java arretirt, entkam
    aber nach Holland. Ihm iſt nicht widerſprochen.

47. Das Hollaͤndiſche Weſtindien em-
pfand bey groͤßerer Handelsfreyheit und einer an-
dern Verfaſſung die Uebel, welche das Mutterland
druͤckten, um vieles weniger. Die Colonie von
Surinam bluͤhte ſeit der Mitte des Jahrhunderts
ausnehmend auf; und die Inſeln Curaçao und St.
Euſtace wurden in den Kriegen der andern See-
maͤchte oͤftrer die Marktplaͤtze von Weſtindien, ſo
lange die Republik die Neutralitaͤt behaupten konn-
te. Auch hier war es der Krieg mit England,
der unheilbare Wunden ſchlug, und der noch im-
mer beſtehenden Weſtindiſchen Compagnie
1791ihre Aufhebung vorbereitete.


Veraͤn-
[491]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740—1786.

Veraͤnderungen in dem Beſitz von Surinam, indem die
Weſtindiſche Compagnie (S. 262.) zwey Drittheile an Am-
ſterdam und die Familie Sommelsdyk verkanfte, welche letz-
tere 1770 ihren Antheil wieder an Holland uͤberließ. Aber
die Eigenthuͤmer (Geſellſchaft von Surinam) hatten nur die
Regierung und Erhebung der Abgaben; der Handel ſtand
allen Hollaͤndern frey. In ihrer bluͤhendſten Periode,
1750-1780, betrug der jaͤhrliche Werth ihrer Producte ge-
gen 8 Millionen Gulden.


  • Statiſtiſche Beſchreibung der Beſitzungen der Hollaͤnder in
    America, vom Prof. Lueder. 1792. Der nur erſchienene
    erſte Theil umfaßt bloß Surinam.

48. Die Spaniſchen Colonien litten
durch die Rivalitaͤt und die Kriege der Mutterſtaa-
ten viel weniger als die uͤbrigen. Schon die In-
ſeln waren meiſt ſchwer anzugreifen, die unermeß-
lichen Laͤnder des Continents von America waren
geſichert durch ihre Maſſe. Ward durch die Kriege
der regelmaͤßige Verkehr mit dem Mutterlande un-
terbrochen, ſo ging dafuͤr der Schleichhandel ſeinen
Gang und nahm ſelbſt zu. Das ſtille innere Ge-
deihen ſcheint dadurch wenig geſtoͤrt zu ſeyn.


Die Eroberung von Portobello 1740 und beſonders
der Havanna 1762 durch die Englaͤnder waren die einzigen
bedeutenden Verluſte der Spanier in dieſem Zeitraum.
Beyde Staͤdte wurden aber in dem Frieden zuruͤckgegeben. —
Durch die Abtretung der Inſelchen Annobon und Fer-
nando del Po
von Portugal 1778 bekam Spanien auch
Beſitzungen in Africa, zur Treibung des Negerhandels.


49. Der Umfang der Beſitzungen in Ame-
rica ward wenig veraͤndert. Fuͤr das zuerſt ab-
getre-
[492]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
getretene (S. 406.), aber nachmals wieder er-
haltene Florida (S. 466.) hatte ſchon Loui-
ſiana (S. 488.) einen Erſatz gegeben; aber
man ſah in ſeinen Wuͤſten nur eine Vormauer
gegen den Schleichhandel mit Neu-Mexico.
Die alten Beſitzungen blieben die Hauptlaͤnder; und
ihr innerer Wachsthum in Verbindung mit ihrem
Umfange war es, wodurch die neuen politi-
ſchen Eintheilungen
und Einrichtungen noͤthig
gemacht wurden.


Die neue politiſche Eintheilung des Spaniſchen Americas
ward beſtimmt in dem Reglement von 1776 durch die
Errichtung des Vicekoͤnigreichs von Buenos Ayres, und des
Gouvernements von Nen Merico; nachdem ſchon fruͤher
1739 Neu Granada mit Quito zu einem eignen Vicekoͤnig-
reich erhoben war. Seitdem 4 Virreynatos (Vicekoͤnig-
reiche): 1. Neu Spanien (Mexico), 2. Peru, 3. Neu Gra-
nada, 4. Rio de la Plata und Buenos Ayres. Und 8 davon
unabhaͤngige Capitanias generales: 1. Neu Merico, 2. Gua-
timala, 3. Chili, 4. Carracas, 5. Cuba und Havanna, 6.
Portorico, 7. Louiſiana (abgetreten 1801) und Florida, 8.
Domingo (abgetreten 1797). Nach Abtretung Louiſianas
kam Florida an Cuba. Die Zahl der Audiencias wurde auf
10 vermehrt. S. oben S. 81.


  • (Randel) Neuere Staatskunde von Spanien. II. Theil Ber-
    lin 1787. Mit Sorgfalt und Einſicht aus den beſten Quellen
    geſchoͤpft.

50. Allein noch um vieles wichtiger waren die
neuen Handelseinrichtungen, wodurch ſeit
der Befreyung von dem Aſſiento-Tractat durch den
Aachner
[493]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.
Aachner Frieden die alten Feſſeln großentheils geloͤ-
ſet wurden. Zwar behielt ſich das Mutterland den
Handel mit ſeinen Colonien ausſchließend dabey
vor; aber ſowohl dieſer, als auch der wechſelſeitige
Handel der Colonien, ward doch nach viel liberale-
ren Grundſaͤtzen eingerichtet.


Stufenweiſe Freywerdung des Americaniſchen Handels;
nachdem die Caracas-Compagnie ſeit 1728 ſchon viel
dazu beygetragen hatte, ihn zu beleben. Bereits 1748 Auf-
hoͤren der Galleonen (ſ. oben S. 87.) ſeit Einfuͤhrung ein-
zelner unbeſtimmt abgehender Schiffe nach Suͤd-America
(Regiſterſchiffe) von Cadix, wohin ſchon 1726 der
Handel von Sevilla verlegt war. — Hierauf 1765 Freyge-
bung des Handels nach den Spaniſch-Weſtindiſchen Inſeln
an alle Spanier, und zwar aus 9 Spaniſchen Haͤfen, gegen
eine Abgabe von nur 6 p. C. — Ausdehnung dieſer Frey-
heit auch auf Louiſiana, Jucatan, Campeche, und St. Mar-
tha, 1778. Nach Mexico ging fortdauernd die Flotte
(S. 87.). Aber vorzuͤglich wichtig war die Herabſetzung
aller Zoͤlle
durch die neuen Tarife von 1778 und 1784.
— Schon fruͤher Freygebung des wechſelſeitigen Han-
dels
der Americaniſchen Colonien unter ſich, durch das Regle-
ment von 1774. — Einrichtung einer regelmaͤßigen Com-
munication mit dem Mutterlande durch Paketboͤte; und An-
lage von Poſten durch das ganze Spaniſche America.


  • Bourgoing Voyage en Eſpagne T. II. (ſ. oben S. 432.)
    iſt auch hier Hauptquelle.

51. Auch auf die Aſiatiſchen Beſitzungen,
die Philippinen, dehnten ſich die neuen Ent-
wuͤrfe aus. Zwar blieb ihr Handel nach America
an die alten Manilla-Galeonen gebunden (S.
132.);
[494]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
132.); aber fuͤr den directen Handel mit Spanien
ward eine Philippiniſche Compagnie gegruͤn-
det, die jedoch nicht die Folgen gehabt hat, die
man davon erwartete.


Errichtung der Philippiniſchen Geſellſchaft 10. May 1785
durch Actien, beſonders der alten jetzt aufhoͤrenden Caracas-
Compagnie. Ihre Schiffe gehen uͤber Peru nach Manilla,
aber auf der Ruͤckreiſe uͤber das Cap nach Spanien. Manilla
wird Freyhafen, mit Freyheit des Haudels nach Aſien. —
Hofcabalen und Kriege laͤhmten bald die Thaͤtigkeit der
Compagnie.


  • Crome Ueber die k. Spaniſche Handlungscompagnie der Phi-
    lippinen in: Woltmann Geſchichte und Politik. 1800. B. 3.

52. Kaum ſcheint es zu verkennen, daß bey
dieſen Einrichtungen die Colonien weit mehr als das
Mutterland gewannen. Wenn dieſes fortfuhr, ih-
nen meiſt Producte fremder Induſtrie zu liefern, ſo
ſtieg bey ihnen die Production auf eine außeror-
dentliche Weiſe. Mit dem Verkehr aber erweiterte
ſich hier auch der Kreis der Ideen; die wiſſen-
ſchaftliche Cultur des neuern Europas fand einen
ſeltnen Eingang, den Hierarchie und Inquiſition
ihr nicht zu verſagen vermochten.


53. Die Veraͤnderungen in dem Portugie-
ſiſchen Colonialweſen
gingen zwar zum Theil
aus den Streitigkeiten mit Spanien, aber doch am
meiſten aus der Adminiſtration von Pombal her-
vor. Ueberhaupt aber concentrirt ſich die Portu-
gieſiſche
[495]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.
gieſiſche Colonial-Politik immer mehr auf Braſi-
lien
. Von den Beſitzungen in Aſien und Africa
(Madera ausgenommen) hat ſie allein nur das
nicht zu verheimlichen vermocht, daß ſie immer un-
bedeutender wurden.


Der Streit mit Spanien entſtand hauptſaͤchlich uͤber die
Colonie St. Sagramento (S. 263.) und ihren Schleich-
handel, beſonders ſeitdem im Utrechter Frieden 1713 die Co-
lonie mit ihrem Gebiet an Portugal zuruͤckgegeben war.
Vertrag von 1750 uͤber ihren Austauſch gegen 7 Miſſionen
der Indianer in Paragnai. Dadurch entſtandener Streit
mit den Jeſuiten
, Stiftern dieſer Miſſionen, und Wi-
derſetzung der Indianer. Aufhebung des Vertrags 1761
und neue Streitigkeiten, die endlich 1777 Spanien zum
Kriege fuͤhrten. Wegnahme von St. Sagramento und der
Inſel St. Catharina. In dem Frieden blieb St. Sagra-
mento an Spanien; aber Ruͤckgabe von St. Catharina; und
genaue und fuͤr Portugal vortheilhafte Grenzbeſtimmung
zwiſchen Braſilien und dem Spaniſchen America 1. Oct. 1777.
Der Vorwurf eines Reichs in Paraguai iſt den Jeſui-
ten mit Unrecht gemacht. Wie konnten ausgedehnte Miſſio-
nen anders beſtehen, als die ihrigen eingerichtet waren?


54. Die Einrichtungen Pombal's in
Beziehung auf Braſilien gingen theils aus ſeinem po-
litiſchen Syſtem, theils aus ſeinem Haß gegen den
hohen Adel und gegen die Jeſuiten hervor. Die
Einziehung der dortigen Beſitzungen der großen Fa-
milien als Kronguͤter ſollte jenen demuͤthigen, und
Braſilien der Krone ſichern; durch die Errichtung
privilegirter Handelsgeſellſchaften ſollte der Handel
zugleich
[496]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
zugleich regulirt, und den Jeſuiten entriſſen wer-
den. Groͤßere Uebel ſollten die kleineren heben!
Und trotz dieſer Maaßregeln ſcheint doch der Anbau
in Braſilien im ſteten Fortſchreiten geblieben zu
ſeyn, da fortdauernd die Ausfuhr ſtieg.


Politiſche Eintheilung von Braſilien in 9 Gouvernements,
wovon 6 an der Kuͤſte: 1. Rio Janeiro, 2. Bahia (die bey-
den wichtigſten), 3. Fernambuc, 4. St. Paulo, 5. Mara-
gnon, 6. Gran Parà; und 3 im Innern: 7. Matto groſſo,
8. Goyas und 9. Minas geraes, alle drey reich an Gold,
und das letztere an Edelſteinen. Jedes unter einem Gou-
verneur, der unmittelbar unter dem Hofe ſteht.


Der Handel mit Braſilien, bisher fuͤr alle Portugieſen
frey, ward gefuͤhrt unter Eſcorte durch die 4 Flotten, nach Rio
de Janeiro, Bahia, Fernambuc, und Maragnon nebſt gran
Parà. Statt deſſen: Errichtung der Handelscompa-
gnie
von Maragnon und Gran Parà, Jun. 1755, und von
Fernambuc 1759, beyde mit dem Alleinhandel dahin. Auch
nach den uͤbrigen Haͤfen nur Handel mit koͤniglicher Erlaub-
niß. Andre einzelne wichtige Handelszweige blieben ohne-
hin Monopol der Krone. — Welche Folgen die gaͤnzliche
Befreyung der Eingebohrnen 1755 gehabt hat, laͤßt
ſich nicht beſtimmen.


Leider! iſt außer Raynal L. IX. keine erhebliche Quelle
anzufuͤhren. — Von den Schriften uͤber Pombal beſonders
die Memoirs of the court of Portugaloben S. 431.


55. Auch die nordiſchen Staaten nahmen fort-
dauernd Antheil an den Colonien und Colonial-
Handel. Die Beſitzungen Daͤnemarks in Weſt-
indien blieben zwar dieſelben (S. 264.), aber ihre
Cultur nicht nur nahm zu, ſondern die Kriege der
andern
[497]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.
anderen Nationen machten die dortigen Haͤfen oͤfter
zu hoͤchſt wichtigen Stapelplaͤtzen.


Errichtung einer Daͤniſch-Weſtindiſchen Compagnie 1734
mit ausſchließenden Handelsprivilegien fuͤr das ganze Daͤni-
ſche Weſtindien. Aber nach ihrer Aufhebung 1764 Freyge-
bung des Handels.


56. In Oſtindien blieb Daͤnemark im Beſitz
von Tranquebar; und die erneuerte Oſtindiſche Com-
pagnie ſetzt ihren Handel ſowohl nach Indien ſelbſt,
als nach China, mit Gluͤck fort. Selbſt ohne An-
ſpruͤche auf Vergroͤßerung, hatte ſie nicht leicht zu
fuͤrchten, den Neid der Maͤchtigen zu reizen.


Nach dem Untergange der alten Compagnie 1730 Errich-
tung einer neuen 1732 mit theils permanentem, theils wan-
delbarem Fond. Ihr Privilegium (erneut 1772) iſt nur aus-
ſchließend fuͤr China, nicht fuͤr Indien, wohin der Privat-
handel unter gewiſſen Bedingungen frey blieb. Neues Re-
glement; und Erleichterung der Compagnie durch die Ceſ-
ſion
ihrer Indiſchen Beſitzungen an die Krone 1777.


  • Geſchichte des Privathandels und der gegenwaͤrtigen Beſitzun-
    gen der Daͤnen in Oſtindien von A. Hennings. 1784. (Oder:
    Gegenwaͤrtiger Zuſtand der Europaͤer in Oſtindien. Erſter
    Theil.) Aus archivaliſchen Nachrichten.

57. In Schweden ſetzte die zu Gothenburg
errichtete Compagnie (S. 334.) ihren Indiſchen
Handel, jedoch faſt allein nach China, mit Ge-
winn fort. Auch in Weſtindien faßte Schweden
feſten Fuß, indem es ſich das Inſelchen St. Bar-
thelemi
von Frankreich verſchaffte.


J iErneu-
[498]II. Per. C. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Erneuerung der Privilegien der Oſtindiſchen Geſellſchaft
1746, 1766 und 1786, jedesmal auf 20 Jahre. Eintauſch
von St. Barthelemi gegen Handelsbewilligungen 1784.


58. Selbſt das ferne Rußland nahm nicht
nur durch Caravanen an dem Chineſiſchen Handel
Antheil, ſondern fing auch, nach Entdeckung der
1741Kurilen und Aleuten an, Jagd und Pelzhandel dort
zu treiben, welche demnaͤchſt zu Niederlaſſungen
daſelbſt bis zu den Kuͤſten von Nord-Weſtamerica,
1787und zu der Errichtung einer eignen Handelsgeſell-
ſchaft
fuͤhrten.


Der ſchon ſeit 1692 durch Peter I. eroͤffnete Verkehr mit
China ward 1727 an Kiachta, als Tauſch- und Stapelplatz,
gebunden. Doch blieb der Handel Monopol der Krone, bis
er 1762 von Catharina II. freygegeben ward.


59. Zu welchen Betrachtungen fuͤhrt dieſe
Verbreitung der Herrſchaft der Europaͤer uͤber halb
Aſien, mehr als Dreyviertheile von America, und
an der Kuͤſte Africas und Auſtraliens? Hatte die
Gewinnſucht ſie veranlaßt, ſo hatte doch geiſtige Ue-
berlegenheit ſie gegruͤndet; und durch ſie ward ſie
auch behauptet. Blieben auch meiſt Barbaren Bar-
baren, ſo blieben doch auch jenſeits des Oceans Eu-
ropaͤer Europaͤer. Nachdem ihre Schoͤpfungen ſo
weit gediehen waren, ſtand kein Untergang mehr zu
beſorgen, wie verſchieden auch ihre Schickſale auf
einzelnen Puncten waren. Wer mochte aber von
dieſem
[499]3. Geſch. d. Colonialweſens 1740--1786.
dieſem Allen das letzte Ziel berechnen; wer die
Grenzen der unermeßlichen Ausſicht beſtimmen, die
ſich eroͤffnet hatte?


Dritter Zeitraum.
Von 1740 bis 1786
.


Zweyter Theil.
Geſchichte des noͤrdlichen Europaͤiſchen Staatenſyſtems
in dieſem Zeitraum.

Bey dem Mangel einer allgemeinen Geſchichte des Nor-
dens, muß hier dennoch gleich im voraus beſonders erwaͤhnt
werden:


  • Hiſtoire de l'anarchie de la Pologne et du demembrement
    de cette republique par Cl. Rulhiebe. Paris 1807. 4 Voll.

    8. Es geht bis auf die erſte Polniſche Theilung 1772. Zwar
    zunaͤchſt nur Hauptwerk fuͤr die Geſchichte Polens, aber doch
    wichtig fuͤr die des ganzen Nordens; aus eigner Anſicht,
    nicht aus Buͤchern, geſchoͤpft. In dieſer Ruͤckſicht eins der
    erſten Werke; aber der vollendete Hiſtoriker bildet ſich
    freylich nicht blos in der großen Welt.
  • Die Oeuvres poſthumes de Fréderic II. S. 371. greifen ein-
    zeln ein.

1. Der Norden von Europa ſteht zwar in dieſem
Zeitraum ſeit Rußlands Groͤße im engern Verhaͤlt-
J i 2niſſe
[500]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
niſſe als vorher mit dem Weſten. Aber, mit Aus-
nahme der Periode des ſiebenjaͤhrigen Krieges, war
ſein Einfluß doch weit mehr diplomatiſch als mili-
tairiſch. Wenn gleich daher auch in dem vorigen
Abſchnitt Blicke auf den Norden geworfen werden
mußten, ſo behaͤlt derſelbe darum doch nicht weni-
ger ſeine eigne Geſchichte.


2. Die Verhaͤltniſſe des Nordens haͤngen zwar
jetzt ſtets in einem gewiſſen Grade an Rußland;
aber in der erſten und letzten Haͤlfte dieſes Zeit-
raums auf ſehr verſchiedne Weiſe. Die Thron-
beſteigung Catharina's
II. macht hier Epoche;
und die Periode zerfaͤllt von ſelbſt in die beyden Ab-
ſchnitte, vor und nach derſelben.


I. Von 1740 bis auf Catharina II. 1762.

3. Der Norden von Europa bietet in dieſem
Zeitraum in politiſcher Ruͤckſicht gerade das Gegen-
bild von dem im vorigen dar. Nicht ein einziger
hervorragender Character, weder auf dem Thron,
noch im Cabinet, noch im Felde! Perſoͤnliches
Intereſſe und Leidenſchaften, oft der gehaͤſſigſten
Art, entſcheiden uͤber die auswaͤrtigen nicht weniger
als die inneren Verhaͤltniſſe der Staaten. Waͤh-
rend
[501]1. Von 1740 bis auf Catharina II. 1762.
rend das Hauptreich unter einem indolenten, aber
darum nicht weniger grauſamen, Deſpotismus fort-
vegetirte, organiſirte ſich in den beyden angrenzen-
den die Anarchie.


1. Rußland. Nach der kurzen, aber ſtuͤrmiſchen Regie-
rung des unmuͤndigen Iwan des III. 28. Oct. 1740 bis 6.
Dec. 1741, Erhebung der Eliſabeth, juͤngſten Tochter
von Peter I., durch eine Revolution. Ihre Herrſchaft (bis
5. Jan. 1762), beginnend mit dem Fall der Fremden
(S. 360.), ſchien in dem Innern die alte Barbarey zuruͤck-
fuͤhren zu ſollen. Die auswaͤrtigen Verhaͤltniſſe, zwiſchen
dem geheimen Rath Leſtoc und dem Reichskanzler Grafen
Beſtuſchef Riumin getheilt, kamen nach dem Sturz des
erſtern (13. Nov. 1748) ganz in die Haͤnde des letztern, bis
auch Er, (Febr. 1758) ſeinen Fall ſich bereitete. Der Staat
beſtand, weil er nicht wohl auseinanderfallen konnte; und
imponirte nicht durch ſeinen Geiſt, ſondern durch ſeine Maſſe.


  • Ueber Leſtoc und Beſtuſchef Buͤſching'sMagazin. 1768. B.
    II. Rußland No. 3. 4.

2. Schweden war unter der Regierung von Friedrich
von Heſſen († 1751) und noch mehr ſeines Nachfolgers
Adolph Friedrich mehr eine Ariſtocratie als Monarchie;
und der Streit der Factionen des Adels, genaͤhrt durch den
Ingrimm gegen Rußland, ſchien hier am verderblichſten
werden zu muͤſſen, wo eigne Armuth fremde Subſidien als
Huͤlfsquellen oben an ſetzte. So konnte die auswaͤrtige Po-
litik dieſen Staat als ein Werkzeug zur Beguͤnſtigung ihrer
Plaͤne gebrauchen; und die Partheyen von Gyllenborg und
Horn — der Huͤthe und der Muͤtzen, wie ſie ſich nannten
— wenn gleich ihren Grundſaͤtzen nach jene die kriegeriſche,
dieſe die friedliche Parthey, was wurden ſie bey manchem
Wechſel doch anders als franzoͤſiſche und antifranzoͤſiſche
Parthey?


  • Staatsſchriften des Grafen zu Lynar. 1793. Th. I. Sie ge-
    ben unter 1. 3. 4. und 7. bey weitem die beſten Aufſchluͤſſe
    J i 3uͤber
    [502]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
    uͤber die inneren Verhaͤltniſſe Schwedens in dieſem Zeit-
    raum.

3. Polen, unter Auguſt III. und Bruͤhl (S. 363.) das
Bild der Anarchie in Ruhe, ſo wie Schweden der Anarchie
in Thaͤtigkeit. Dem Volke war ſein Elend, den Großen ihre
Genuͤſſe Beduͤrfniß. Auch Staatsſachen gehoͤren zu dieſen,
wo Damen ſie leiten. So konnten bey einem erſchlafften
Volke die Czartorinsky und Branicky ihre Entwuͤrfe
und Partheyen ohne Folgen und Stuͤrme ſich bilden. Nicht
angeſchloſſen an Rußland, aber ſich anſchmiegend, blieb Po-
len der Schatten der Freyheit. Konnte man ſie ſelber nicht
ſchuͤtzen, ſo ſchienen doch Frankreich und die Pforte ihre na-
tuͤrlichen Garants zu ſeyn. Aber ſelbſt die Verbindung
Frankreichs mit Oeſtreich — und alſo mit Rußland —
ſchreckte noch nicht auf; und der fremde Einfluß, (ohnehin
durch die Verhaͤltniſſe Curlands genaͤhrt S. 362.), konnte
bey aller Thaͤtigkeit eines William und Broglio nie mehr als
Projecte bilden. Nicht politiſche, ſondern Verhaͤltniſſe an-
drer Art ſollten das kuͤnftige Schickſal Polens vorbereiten;
ſeitdem der junge Poniatowsky (Schweſterſohn der Czar-
torinskys) bey dem großfuͤrſtlichen Hofe zu Petersburg durch
den Ritter Williams eingefuͤhrt, ſich hier Verbindungen ver-
ſchaffte.


4. Daͤnemark, ſeit Schwedens Fall ohne Rivalitaͤt mit
dieſem, war unter ChriſtianVI. († 1746) und Frie-
drich
V. († 1766) gluͤcklich genug, ſich in ſich ſelbſt zuruͤck-
ziehen zu koͤnnen. Selbſt das Ruſſiſche Cabinet machte un-
ter Eliſabeth, wegen der Verhaͤltniſſe mit Schweden, Erhal-
tung ſeiner Freundſchaft zur Staatsmaxime. Was haͤtte ihm
zur vollen Sicherheit gefehlt, haͤtte nicht die alte Fehde mit
Holſtein-Gottorp jetzt die Ausſicht getruͤbt?


5. Von Preußen ſ. oben S. 444.


4. Der Zeitraum begann, noch unter der
Kayſerin Anna, mit einem Schwediſch-Ruſſiſchen
Kriege,
[503]1. Von 1740 bis auf Catharina II. 1762.
Kriege, nach dem Siege der Gyllenborgiſchen Parthey1738
auf dem Reichstage von Frankreich angefacht, um in
ſeinen Entwuͤrfen gegen Oeſtreich nicht von Rußland
geſtoͤrt zu werden. Man hoffte die verlohrnen Provin-
zen um die Oſtſee, — mit Petersburg! — wiederzuer-
obern. Wenn gleich ſehr ungluͤcklich von Schwe-
den gefuͤhrt, endigte der Krieg doch durch den Frie-
den zu Abo
beſſer, als man ſchien erwarten zu
koͤnnen. Ein feſterer Friedenszuſtand mit Rußland
war durch die Wahl des Nachfolgers, und eine
Grenzberichtigung in Finnland, gewiß nicht zu theuer
erkauft. Aber der Factionsgeiſt konnte deshalb den-
noch nicht erſterben, da er in den Machinationen
Frankreichs und Rußlands, jenes zum Umſturz,
dieſes zur Erhaltung der damaligen Conſtitution,
ſtete Nahrung fand.


Kriegserklaͤrung Schwedens an Rußland 4. Aug. 1741;
aber Verluſt des Treffens bey Willemſtrand 2. Sept. und
demnaͤchſt Verluſt von ganz Finnland 1742, wofuͤr die Gene-
rale Lewenhaupt und Buddenbrok auf dem Chaffot buͤßen
muͤſſen. Friede zu Abo 17. Aug. 1743 Bedingungen:
1. Der Kymen wird die Grenze; (dadurch geſicherte Lage Pe-
tersburgs.) 2. Der Prinz Adolph Friedrich von Hol-
ſtein-Gottorp wird, nach Eliſabeth's Wunſch, zum kuͤnftigen
Nachfolger in Schweden gewaͤhlt.


5. Einen großen Einfluß jedoch, nicht blos
auf Rußland, ſondern auf den Norden uͤberhaupt,
hatte die Wahl, welche Eliſabeth kurz nach ihrer
Thronbeſteigung in Ruͤckſicht ihres kuͤnftigen Nach-1741
J i 4folgers
[504]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
folgers traf. Sie beſtimmte dazu ihren Schweſter-
ſohn, den jungen Herzog von Holſtein-Gottorp,
Carl Peter Ulrich, der durch ſeine Geburt
gleich nahe Ausſichten auf den Schwediſchen Thron
hatte, die er zu Gunſten ſeines Vetters Adolph
Friedrich aufgab. Indem ſich fuͤr die Nebenlinie
des Holſteiniſchen Hauſes dieſe glaͤnzenden Ausſich-
ten eroͤffneten, mußten ſie ſich fuͤr die in Daͤne-
mark regierende Hauptlinie um ſo mehr truͤben, da
der junge Herzog das tiefſte Gefuͤhl der alten Kraͤn-
kungen ſeines Hauſes uͤber die neuen Hoffnungen
keinesweges vergaß. Eine lange Reihe von Unter-
handlungen zur Ausgleichung der alten Streitigkeiten
uͤber Holſtein und Schleswig war davon die Folge,
die der Politik damals nur die Lehre hinterließen,
wie ſchaͤdlich es iſt, auch die nuͤtzlichſten Projecte
zur Unzeit durchſetzen zu wollen.


Die Geſchichte dieſer langen Verhandlungen iſt ausfuͤhrlich
dargeſtellt in:


  • Staatsſchriften des Grafen zu Lynar Th. I. No. 6.

6. Doch waren es hauptſaͤchlich ſeit Friedrich's
Auftritt die Angelegenheiten des Weſten, welche
mehr, als die Angelegenheiten Rußlands ſelbſt, das
Ruſſiſche Cabinet beſchaͤftigten. Nicht, ob man
Ruſſiſch, — ob man Preußiſch oder Oeſtreichiſch
geſinnt ſey, war hier die Frage. Seit Leſtoc's
1748Fall triumphirte die Oeſtreichiſche Parthey, der nicht
nur
[505]1. Von 1740 bis auf Catharina II. 1762.
nur Beſtuſchef, (ſo waren von England Subſidien
zu ziehen), ſondern auch Eliſabeth ſelbſt — ſie
mochte weniger wiſſen warum? — ergeben war.


Allianz Rußlands mit Oeſtreich 12. Jun. 1747 und Sub-
ſidientractat mit England, zur Beſchleunigung des Aachner
Friedens (S. 385.)


7. Ob der Wachsthum Preußens fuͤr Rußland
bedenklich ſey, mochte allerdings eine Aufgabe fuͤr
die hoͤhere Politik ſeyn; aber die fortdauernde Ver-
bindung mit Oeſtreich und Sachſen, die endlich zu der
leidenſchaftlichen Theilnahme am ſiebenjaͤhrigen Kriege
fuͤhrte (S. 398.), ward nicht aus einem ſo hohen
Standpuncte betrachtet. Gewann indeſſen gleich
Rußland in dieſem Kriege am Ende gar keine Ver-
groͤßerung, ſo ward doch der Ruhm der Ruſſiſchen
Waffen dadurch zuerſt im Weſten gegruͤndet; (ſo wie
dagegen Schweden durch eine gleich unpolitiſche
Theilnahme den ſeinigen einbuͤßte;) und indem die
ganze Kraft Rußlands auf dieſen Punct gerichtet
war, ſo ſah ſich unterdeß nicht nur die Pforte ge-
ſichert, ſondern ſelbſt Polen konnte fortdauernd ei-
ner Art von Ruhe genießen, die ſeinen Fall vor-
bereitete.


8. Aber jene leidenſchaftliche Theilnahme ge-
gen Preußen erregte an dem Hofe ſelber eine ſolche
Spannung, daß wahrſcheinlich nur der Fall des
J i 5treu-
[506]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
1758treuloſen Beſtuſchef eine Revolution verhinderte, die
er ſelbſt herbeyfuͤhren wollte. Drey Charactere,
ſo verſchieden in ihren Grundſaͤtzen und Anſichten,
als Eliſabeth's, Peter's, und ſeiner jungen
Gemahlin Catharina, konnten unmoͤglich ein-
traͤchtig neben einander beſtehen. Nicht nur fuͤr
Friedrich, ſondern vielleicht auch fuͤr ſich ſelbſt zur
1762
5.
Jan.
rechten Zeit, ſtarb Eliſabeth.


  • Biographie Peter's des Dritten; Tuͤbingen 1808. —
    Der bisher nur erſchienene erſte Band erlaͤutert die Geſchich-
    te vor der Thronbeſteigung mit Einſicht und Wahrheitsliebe.

9. Eine gaͤnzliche Umwandelung der politiſchen
Verhaͤltniſſe unter ihrem Nachfolger PeterIII.
war alſo leicht vorauszuſehen. Verſtimmt durch
die bisherige Behandlung, enthuſiaſtiſch fuͤr Frie-
drich, erbittert gegen Daͤnemark, beſtieg er den
Thron. Doch moͤchten, ungeachtet ſeiner Allianz
mit jenem (S. 402.) doch ſeine Projecte gegen die-
ſes bey der Ausfuͤhrung noch große Schwierigkei-
9.
Jul.
ten gefunden haben. Aber nach kaum 6 Mona-
then ſtuͤrzte ihn eine Revolution vom Throne ins
Grab; und mit ſeiner Nachfolgerin CatharinaII.
begann eine andre Ordnung der Dinge.


  • Hiſtoire de la Revolution de Ruſſie en 1762 par Rhuliere.
    — Die Schrift durfte erſt nach Catharina's Tode gedruckt
    werden. — Sie ſteht auch hinter der Hiſtoire de l'anarchie
    de Pologne T. IV.
    Wenn auch vielleicht nicht ohne einzelne
    Unrichtigkeiten, doch noch immer die Hauptſchrift.

II.
[507]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
II. Von der Thronbeſteigung Catharina's II. bis auf die
Verbindung mit Joſeph II. 1762-1787.

  • Eine gute Biographie Catharina's wuͤrde auch nicht viel weni-
    ger als eine Geſchichte dieſes Zeitraums ſeyn. Bis man
    dieſe erhaͤlt, muß man ſich begnuͤgen mit
  • Hiſtoire de Catharine II. Impératrice de Ruſſie par J. Ca-
    stera
    . T. I-III. Paris An VIII.

10. Mit Catharina's Thronbeſteigung faͤngt of-
fenbar nicht blos fuͤr Rußland, ſondern fuͤr den
Norden uͤberhaupt, ein neuer Zeitabſchnitt an.
Die Beſtaͤtigung des Separatfriedens (wenn auch
nicht der Verbindung) mit Preußen (S. 403.)
veraͤnderte ſogleich die Nordiſchen Verhaͤltniſſe, in-
dem ſie die Verbindung mit Oeſtreich aufhoͤren
machte, und Catharina freye Haͤnde gab.


11. Es iſt von großer Wichtigkeit, die herr-
ſchenden Ideen in der Politik dieſer Fuͤrſtin richtig
zu faſſen. Auch große Geſchichtſchreiber haben von
einer Dictatur geſprochen, die ſie in Europa aus-
uͤbte, oder ausuͤben wollte. Aber wenn gleich
ihre Diplomatik begreiflich ganz Europa umfaßte,
ſo wußte ſie davon auf das beſtimmteſte ihren prac-
tiſchen Wirkungskreis zu unterſcheiden. Dieſer um-
faßte die Nachbaren, den Norden und die Pforte;
und ging nie uͤber dieſe Grenzen hinaus. Ver-
mochten doch ſelbſt perſoͤnliche Beleidigungen ſie zu
keinem
[508]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
keinem weiteren Schritt! Viel von ihrer politiſchen
Groͤße mag blos conventionell ſeyn; aber den ſeltnen
Ruhm, die Kraͤfte ihres Reichs richtig gewuͤrdigt
zu haben, wird die Geſchichte ihr nicht ſtreitig
machen.


Miniſter der auswaͤrtigen Angelegenheiten bis 1781 war
der indolente — und doch unentbehrliche — Panin. Aber
der Einfluß des Guͤnſtlings, Fuͤrſt Gregor Orlow, uͤberwog
oft den ſeinigen.


12. Welches Feld fuͤr ihre Entwuͤrfe boten
nicht auch die Nachbaren dar! Schweden, Polen,
die Pforte in dem Zuſtande der Anarchie. Alle
andre Maͤchte erſchoͤpft! Unter dem Namen einer
großen Nordiſchen Allianz, auch Preußen und
England umfaſſend, ſollte zuerſt der Principat von
Rußland gegruͤndet werden; aber bald von ſolchen
Entwuͤrfen zuruͤckkommend, fand ſie in Polen den
eigentlichen Schauplatz fuͤr ihre Thaͤtigkeit. Seine
geographiſche Lage mußte auch von ſelbſt die Ver-
haͤltniſſe mit den uͤbrigen herbeyfuͤhren.


13. Was bedurfte es aber in Polen fuͤr Ruß-
land weiter, als die Fortdauer der beſtehenden
Anarchie? Unter dem Namen der Erhaltung der
Freyheit und der Verfaſſung konnte ſo eine Herr-
ſchaft gegruͤndet werden, wofuͤr die Nation noch
danken mußte. Die Beſetzung Curlands hatte gleich
von Anfang den Streit erregt; aber die Erledigung
des
[509]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
des Polniſchen Koͤnigsthrons durch den Tod Au-
guſt
III. fuͤhrte den entſcheidenden Zeitpunct herbey.

5.
Oct.
1763

  • Verdraͤngung des Prinzen Carl aus Curland, indem Biron
    wieder in Beſitz kommt, 1763. (S. oben S. 363.)

14. Polen einen Koͤnig zu geben, war jetzt
der entſchiedene Wille Catharina's; wenn gleich die
endliche Erhebung ihres vormaligen Lieblings faſt
mehr das Werk ihrer Miniſter als ihr Werk war.
Polen einen Koͤnig zu geben, was ſchloß es nicht
auch in ſich? Wenn Friedrich, und Maria The-
reſia und Muſtapha zuſehen mußten, und Frank-
reich ignorirt wurde! Aber auch in Polen ſelbſt,
welche Hinderniſſe, ſo lange das Bajonet nicht gerade-
zu entſcheiden ſollte! Es fehlte hier nicht an erfahr-
nen Greiſen und muthvollen Maͤnnern. Aber was
vermochten die Einzelnen, wenn die Maſſe, keiner
Vernunft Gehoͤr gebend, fremde Tyranney fuͤr er-
traͤglicher anſah, als einheimiſche Herrſchaft? So
konnte der ſchlaue Kayſerling den Weg bahnen,
auf dem der hochfahrende Repnin raſch zum Ziele
ging; und die fein angelegten Reform-Plaͤne der Czar-
torinskys wurden vereitelt. Wahl von Staniſlaus
Poniatowsky
unter Ruſſiſchen Waffen.

7.
Spt.
1764

15. Schwerlich war bey dieſen Vorgaͤngen eine
andre Macht mehr intereſſirt als Preußen. Aber
Friedrich, ohne Verbuͤndete, und Oeſtreich gegen-
uͤber,
[510]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
uͤber, ſuchte Rußlands Verbindung, bereit, ihr
Polen aufzuopfern. Entſchuldigt auch vielleicht ſeine
Lage dieſe Politik — deren Gefahr und deren Er-
niedrigendes ihm nicht entging, — ſo giebt es doch
eine Grenzlinie der Willfaͤhrigkeit, uͤber welche ſelbſt
der Egoiſmus nicht leicht hinausgeht. Daß Frie-
drich die Fortdauer der Polniſchen Anarchie ſich
ausdruͤcklich zur Bedingung machen ließ, war
eine Demuͤthigung, welche die Nachwelt dem Hel-
den nicht verzeiht. Doch verleugnete der große
Mann ſich nicht ganz. Er verhehlte es wenigſtens
den Polen nicht, daß ſie auf ihn nicht zu rechnen
haͤtten.


  • Allianztractat Rußlands und Preußens, abge-
    ſchloſſen 11. April 1764. Wechſelſeitige Vertheidigung und
    Garantie aller Beſitzungen in Europa. — Die Erhaltung
    der Polniſchen Conſtitution in einem geheimen Artikel.

16. Wenn dieſe Allianz das Schickſal Polens,
vielleicht uͤberhaupt des Nordens, beſtimmte, ſo
bedurfte es fuͤr Rußland nur noch eines Vorwan-
des
, um fortdauernd in Polen zu herrſchen.
Man fand ihn bald in der Sache der Diſſi-
denten
. Durch ihren Schutz erhielt man auf ein-
mal eine Parthey; und oben darein den Ruhm der
Vertheidigung der Toleranz. Daß es viel weniger
um dieſe als um die Begruͤndung der Deſpotie
zu thun ſey, mußte freylich das bloͤdeſte Auge ein-
ſehen!
[511]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
ſehen! Es war daher nicht blinder Fanatiſmus,
wenn die patriotiſche Parthey widerſprach; aber
freylich weckten ihn ihre Haͤupter, ein Soltik, Kra-
ſinsky, Pulawsky (welche Charactere!), weil ſie nur
in ihm ihre Stuͤtze fanden. Auch Catharina ſchien
ihn recht eigentlich wecken zu wollen, da ſie nicht
blos Toleranz, ſondern bald politiſche Gleichheit fuͤr
die Diſſidenten forderte.


Wenn die Toleranz allen Diſſidenten (Acatholiken) zu
Gute kam, ſo konnte die politiſche Gleichheit ſich nur auf
den diſſidentiſchen Adel beziehen, der wenig zahlreich war.
Sie ſelber hatten nur Toleranz begehrt. Ablehnung der
Ruſſiſchen Forderungen Nov. 1766.


17. Bildung einer ſogenannten Generalcon-1767
Jun.

foͤderation durch Vereinigung der Diſſidenten
und andrer Mißvergnuͤgten, unter Radziwil, bishe-
rigem Gegner der Ruſſen und des Koͤnigs, durch
Repnin, zu Radow; und demnaͤchſt Reichstag
zu Warſchau
. Die Annahme der neuen1767
Oct.

Geſetze, die Rechte der Diſſidenten und alle Ue-
bel der Verfaſſung unter Rußlands Garantie
verewigend, ward erzwungen: aber nicht eher er-
zwungen, als bis die Biſchoͤfe Soltik und Zalusky
und die Rzewuskys in Warſchau aufgehoben und nach
Sibirien geſchickt waren. Solche Maͤnner zu beu-
gen vermochte ſelbſt ein Repnin nicht!


18.
[512]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.

18. Und dennoch hatte man ſich verrechnet;
weil man nicht bedachte, daß die Verzweiflung —
gar nicht rechnet. Entſtehung der Gegenconfoͤde-
1768
Fbr.
ration zu Bar, vom Biſchof Kraſinsky vorberei-
tet, von Pulawsky und Potocky zum Ausbruch ge-
bracht. Verwandlung ihrer Verbindung in eine
Generalconfoͤderation zur Abſetzung des Koͤnigs,
ter, ſtets auf Ruſſiſche Seite hinſchwankend, nie
das Vertrauen einer ſolchen Parthey gewinnen konn-
te, war nun der erſte Zweck der Confoͤderirten.
Aber ein Krieg, bezeichnet mit allen Greueln der
Verwuͤſtung, haͤtte erſt den Weg dazu bahnen
muͤſſen; und bald mußten ſie die Erfahrung ma-
chen, wie wenig ſelbſt hohe Kuͤhnheit, wenn nicht
Gluͤck und Zahl ihr die Obermacht gibt, gegen
eine regelmaͤßige Kriegskunſt vermag.


19. Doch blieb Eine Hoffnung uͤbrig; und ſie
trog nicht! Die Politik der Pforte hatte ſich nicht
ſo geaͤndert als die der chriſtlichen Hoͤfe. Wenn
dieſe glaubten, ſich reſigniren zu muͤſſen, ſo lebte
im Diwan noch die alte Idee, kein Ruſſiſches Heer
in Polen zu leiden. Raͤumung Polens war daher
auch die ſtete Forderung der Pforte an Rußland
geweſen; und nur die grobe Unwiſſenheit des Di-
wans hatte es moͤglich gemacht, ihn ſo lange zu taͤu-
ſchen. Endlich wirkten die Aufforderungen der Con-
foͤderir-
[513]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
foͤderirten und der Einfluß Frankreichs; die
Pforte erklaͤrte Rußland den Krieg
.

1768
30.
Oct.

20. So erweiterte ſich von ſelbſt der Schau-
platz, und kaum ließ ſich ohne große Veraͤnderun-
gen des Nordens ein Friede erwarten. Er ward
endlich durch einen ſechsjaͤhrigen Kampf erkauft,
der Catharina erſt lehrte, was ſie — im Cabinet
wie im Felde — vermochte. Oeſtreich und Preu-
ßen ſahen zu; Friedrich zahlte ſelbſt vertragsmaͤßig
ſeine Subſidien.


21. Gang des Kriegs zur See und zu Lande.
Neue und kuͤhne Plaͤne werden entworfen, bis
uͤber die Donau vorzudringen; die Griechen zum
Aufſtande zu bewegen; eine Flotte aus der Oſtſee
nach dem Archipelagus zu ſchicken, und die Haupt-
ſtadt zu bedrohen; Verbindungen in Aegypten an-
zuknuͤpfen, um es der Pforte zu entreißen; — alle
wurden auch ausgefuͤhrt, aber doch nur zur Haͤlfte.
Ein faſt dreißigjaͤhriger Friede hatte die Pforte er-
ſchlafft; aber auch bey den Ruſſen mußte ein Ro-
manzow
ſich erſt bilden.


Feldzug am Nieſter unter Gallizin gegen die verbunde-
nen Tuͤrken und Tartaren 1769 mit wenigem Erfolg. Be-
ſetzung des verlaſſenen Chozim 9. Seyt. — Roman-
zow
erhaͤlt das Commando. Einnahme der Moldau nach
dem Siege am Pruth 18. Jul. 1770 und der Wallachey nach
dem noch groͤßern am Kagul 1. Aug. Eroberung von

K kBen-
[514]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
Bender durch Pauin 1. Sept. — Unterdeß Erſcheinung
der Ruſſiſchen Flotte unter Alexis Orlow im Archipe-
lagus; Sieg bey Scio 5. Jul. und Verbrennung der Tuͤr-
kiſchen Flotte bey Tſchesme 16. Jul., ohne weitere Be-
nutzung des Siegs. — Im folgenden Feldzuge 1771 De-
fenſivkrieg an der Donau; aber Eroberung der Krimm un-
ter Dolgoruky. Verbindung mit dem damals ſiegreichen
Ali Bey in Aegypten. Das Jahr 1772 verfließt mit ver-
geblichen Unterhandlungen zwiſchen Romanzow und dem
Großvezier zu Fokzan und zu Buchareſt. — Separatvertrag
mit den Tartaren in der Krimm. Erneuerung des Kriegs
1773. Romanzow's Uebergang uͤber die Donau; aber ver-
gebliche Belagerung Siliſtrias, und Ruͤckzug uͤber den
Strom. — Niederlage und Gefangenſchaft Ali Bey's in
Aegypten 7. May.


Ein helles Licht uͤber Romanzow's Feldzug verbreitet der
bekannt gewordene eigenhaͤndige Briefwechſel der Kayſerin
mit ihm.


Ueber die verſuchte Revolution von Ali Bey:


  • (Lousignan) Hiſtoire de la revolution d'Ali Bey. TI-II.
    1783.; und die Nachrichten von Volney in Voyage en Syrie
    et en Aegypte.

22. Aber wenn gleich Catharina gluͤcklich ge-
nug war, in ihren Unternehmungen nicht durch die
Theilnahme anderer Maͤchte geſtoͤrt zu werden, ſo
hatten doch Begebenheiten anderer Art, theils in
dem Innern ihres Reichs, theils in den Nachbar-
1771ſtaaten ſie beſchaͤftigt. Eine verwuͤſtende Peſt hatte
ſich bis Moſkau verbreitet; und der Aufſtand ei-
1773nes gemeinen Coſacken Pugatſchef, der ſich fuͤr
Peter III. ausgab, beſchaͤftigte einen bedeutenden
Theil ihrer Truppen, und konnte ſelbſt drohen, ih-
ren
[515]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
ren Thron zu erſchuͤttern. Aber in zwey Nachbar-
reichen gingen zugleich zwey entgegengeſetzte Revolu-
tienen vor: in Schweden gegen, in Polen mit
ihrem Willen.


23. Die Schwediſche Revolution, durch
Guſtav III. bewirkt, rettete dieſem Reiche ſeine
Selbſtaͤndigkeit. Das Getreibe der Factionen des
Adels, nur durch Familienintereſſe und fremden
Einfluß geleitet, bietet hier einen viel widrigern
Anblick als in Polen dar. Auch nicht mal mis-
verſtandener Patriotismus, auch nicht mal einzelne
hervorragende Charactere! Nur die Schwaͤche der
beyden vorigen Koͤnige hatte einen ſolchen Zuſtand
dauernd machen koͤnnen. Aber Eins blieb doch
Schweden vor Polen voraus, daß es einen freyen
Buͤrger- und Bauernſtand enthielt; und darin lag
die Moͤglichkeit der Rettung.


Seit dem Siege der Huͤthe auf dem Reichstage 1738
(S. 503.) hatte dieſe Parthey, und mit ihr der Einfluß
Frankreichs, ſich behauptet bis zum Reichstage von 1762.
Als Frankreich nicht mehr zahlen konnte, ſiegten die Muͤt-
zen
, und der Engliſch-Ruſſiſche Einfluß begann. Aber die
jedesmal herrſchende Parthey glaubte auch jedesmal die koͤ-
nigliche Macht mehr beſchraͤnken zu muͤſſen; bis auf dem
außerordentlichen Reichstage 1769 Frankreich ſeinen Einfluß
wieder erkaufte, in der vergeblichen Hoffnung, Polen durch
Erregung eines Kriegs Erleichterung zu verſchaffen. Tod
des Koͤnigs Adolph Friedrich 12. Febr. 1771.


K k 224.
[516]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.

24. Erſcheinung Guſtav'sIII. Viel ſchien
von Friedrich, ſeinem großen Oheim, auf ihn ge-
kommen zu ſeyn; der Blick des Genies, Hoheit
des Geiſtes, jedes glaͤnzende Talent. Nur Eins
fehlte, die Kaͤlte des Characters, ohne welche kein
großer Herrſcher ſich bildet. Das Ausdauern in
einer ſolchen Lage, als die ſeinige, war aber fuͤr
ihn unmoͤglich. Die unblutige Revolution, ganz
ſein Werk, bleibt auch in jeder Ruͤckſicht ſeine
groͤßte That; gleich nachtheilig fuͤr ihn und das
Reich. Nicht die Staͤnde, nur der Reichsrath
ward geſtuͤrzt.


Ausbruch und auch Vollendung der Revolution in Stock-
holm 19. Aug. 1772. Die neue Conſtitutionsacte
ließ den Staͤnden ihre Rechte; der Reichsrath ward aus dem
Mitregenten bloßer Rath; kein Angriffskrieg ohne Einwilli-
gung der Staͤnde. — Es lag nicht an der Conſtitution,
wenn noch etwas zum Nationalgluͤck fehlte.


  • C. F. Sheridan hiſtory of the late revolution in Schweden,
    London
    1778. 8. Der Verfaſſer war Engliſcher Geſandt-
    ſchaftsſecretair in Stockholm. Auch von den fruͤheren inne-
    ren Verhaͤltniſſen ſeit 1720 giebt die Schrift eine klare und
    meiſt unpartheyiſche Ueberſicht.

25. Auf die Verhaͤltniſſe des Nordens uͤber-
haupt wirkte dieſe Wiederherſtellung der koͤniglichen
Macht in Schweden verſchieden zuruͤck. England
ſah ſie ungern, weil Frankreich ſie gern ſah; die
uͤbrigen hatten nichts dagegen; nur Rußland mußte
es tief fuͤhlen, daß ſich jetzt in Schweden kein
Prin-
[517]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
Principat wie in Polen gruͤnden ließ. Doch war
Catharina genug Herrin ihrer ſelbſt, ihren Unwil-
len zuruͤck zu halten. Sie war zu ſehr auf an-
dern Seiten beſchaͤftigt.


Die Verlegenheit Friedrich's, als Garant der Schwedi-
ſchen Verfaſſung gegen Rußland, ward durch Oeſtreichs
Vermittelung gehoben: ſo wie wiederum ſeine Vermitte-
lung das gute Vernehmen mit Daͤnemark erhielt, wo ſich
nach Struenſee's Fall 17. Jan. 1772 die verwittwete
Koͤnigin Juliane Marie vor kurzem des Staatsruders be-
maͤchtigt hatte.


26. Das Schickſal Polens nahte ſich auf andre
Art ſeiner Entſcheidung! Die Thaͤtigkeit der Barer
Confoͤderation hatte waͤhrend des Tuͤrkenkriegs nicht
nachgelaſſen; ſie hatte ſelbſt den Thron fuͤr erle-
digt
erklaͤrt, und es gewagt, den Koͤnig aus ſeiner
eigenen Reſidenz entfuͤhren zu laſſen. Allein die Pfor-1771
3.
Nov

te hatte genug fuͤr ſich zu thun; und die wachſende
Uebermacht von Rußland ſchien endlich auch Oeſt-
reich ſo bedenklich, daß eine weitere Verbreitung
des Kriegs zu beſorgen war.


Das Oeſtreichiſche Cabinet war entſchloſſen, kein Vor-
dringen der Ruſſen uͤber die Donau — das damalige Project
— zuzugeben. Auch hatte Oeſtreich den Zipſer Comitat, als
vormals an Polen verpfaͤndet, vindicirt und beſetzen laſſen.


27. Unter dieſen Umſtaͤnden reifte — bey
Gelegenheit eines Beſuchs des Prinzen Heinrich's
von Preußen in Petersburg — ein Project, auf
K k 3Koſten
[518]II. Per C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
Koſten Polens den Frieden herzuſtellen. Gewiß
war Friedrich der eifrigſte Befoͤrderer, hoͤchſt wahr-
ſcheinlich der Urheber davon. Welchen Antheil der
Zufall an ſeinem Urſprunge haben mochte, iſt ziem-
lich gleichguͤltig; das Wichtige liegt darin, daß es
reifen konnte. Wie tief auch die oͤffentliche Mo-
ral ſinken mag, ſo kann ſie nie ſo tief ſinken, daß
die ruhig verabredete Beraubung des Nachbaren
eines Commentars beduͤrfte. Es war die Frucht
der Arrondirungs-Politik, hervorgehend aus der
zerſtuͤckelten Lage der Preußiſchen Monarchie.


Verhandlungen uͤber die erſte Theilung Polens zuerſt
zwiſchen Preußen und Rußland, und darauf zwiſchen Preu-
ßen und Oeſtreich, welche 5. Aug. 1772 den Theilungs-
vergleich
zur Folge hatten, kraft deſſen 1. Rußland
das Land zwiſchen der Dwina, Dnieper und Drutſch,
2. Oeſtreich das nachmalige Galizien und Ludomirien, 3.
Preußen ganz Polniſch Preußen (außer Danzig und Thorn)
und den Theil von Großpolen bis an die Netze erhielt;
welche Grenzen jedoch von Oeſtreich und Preußen bald nach
Willkuͤhr ausgedehut wurden. Garantie der drey Maͤchte,
nicht nur wechſelſeitig an einander des Genommenen, ſon-
dern auch — an Polen des Gelaſſenen.


28. Erzwungene Einwilligung der Na-
1773
Apr.
tion auf dem Reichstage zu Warſchau nach ſchon
vollzogenen Occupationen. Aber auch in dem uͤbri-
gen Polen war Catharina nicht Willens, ihre Herr-
ſchaft aufzugeben oder auch nur zu theilen; und
wer wagte es, ihr zu widerſprechen? Die Errich-
tung
[519]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
tung des immerwaͤhrenden Raths, und die
Garantie des Wahlreichs und liberum veto ſi-
cherten ihr ihren Principat, den ſeit Repnin's
Abrufung ſelbſt Geſandte von milderm Charac-
ter ausuͤben konnten. Die Sache der Diſſiden-
ten uͤbrigens — ließ man auf ſich beruhen.


29. Aber was waren die Folgen fuͤr Polen,
gegen die, welche dem Europaͤiſchen Staa-
tenſyſtem
drohten! Zwar troͤſteten ſich die Poli-
tiker damit, — und ſelbſt Friedrich hatte nur dieſe
Anſicht, oder wollte ſie nur haben, — daß durch
die ungefaͤhr gleiche Theilung auch das Gleichge-
wicht im Norden aufrecht erhalten ſey. So furcht-
bar hatte ſchon der Wahn ſich befeſtigt, der dieß
nur in materiellen Staatskraͤften, nicht in der
Aufrechthaltung voͤlkerrechtlicher Maximen ſucht!
Welche Zerſtuͤckelung war noch unrechtmaͤßig,
nachdem dieſe fuͤr rechtmaͤßig galt? Und welcher
Staat war doch bey der Aufrechthaltung eines
Voͤlkerrechts mehr intereſſirt, als gerade der Preu-
ßiſche; dieſer durch Vertraͤge und Friedensſchluͤſſe
zuſammengebrachte und zuſammeneroberte Staat?


30. Dieſe erſte Polniſche Theilung, in
Verbindung mit einem gluͤcklichen Feldzuge, erleich-
terte indeß die Ausgleichung zwiſchen Rußland und
den Tuͤrken; da Catharina von ihren Anſpruͤchen
K k 4auf
[520]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
auf die Moldau und Wallachey nachließ, und auf
den entſchloſſenen MuſtaphaIII. ſein ungleicher
1774
21.
Jan.
Bruder Abdul-Hamid gefolgt war. Die Art,
wie der Friede zu Kainardge bey Siliſtria,
ohne fremde Vermittelung, abgeſchloſſen wurde,
machte vollends, daß ſie ihn dictiren konnte.


Zweyter Uebergang Romanzow's uͤber die Donau 1774
und Einſchließung des Großveziers in den Gebirgen der
Bulgarey. Kurze Unterhandlung im Ruſſiſchen Lager zwi-
ſchen Repnin und Achmer Effendi, und Abſchluß des Frie-
dens zu Kutſchuk Kainardgé
22. Jul. Bedingungen:
1. Unabhaͤngigkeit der Tartaren in der Krimm und im Cuban
unter ihrem Chan. 2. Ruͤckgabe der Eroberungen, beſon-
ders der Moldau und Wallachey, an die, von der Pforte
ernannten, Fuͤrſten. Jedoch behaͤlt ſich Rußland das Recht
vor, ſich ihrer Angelegenheiten in Conſtantinopel anzuneh-
men. 3. Rußland behaͤlt Kimburn und Aſow, ſo wie in der
Krimm Jenikale und Kertſch mit ihren Diſtricten, nebſt
der großen und kleinen Cabardei. 4. Freye Handelsſchiff-
fahrt auf dem ſchwarzen Meer, und in allen Tuͤrkiſchen
Meeren. 5. Mehrere Beſtimmungen uͤber die Vorrechte
des Ruſſiſchen Geſandten bey der Pforte, der Ruſſiſchen
Conſuls, dem Kayſertitel ꝛc.


31. So war durch dieſen Frieden und die
Polniſche Theilung im Norden eine Ordnung der
Dinge gegruͤndet, die unmoͤglich lange dieſelbe blei-
ben zu koͤnnen ſchien. Die Verbindung Rußlands
mit Preußen dauerte noch fort; mit Daͤnemark
war nach der Schwediſchen Revolution eine ge-
1772heime Allianz geſchloſſen; der Principat in Po-
len
[521]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
len war befeſtigt; die Verhaͤltniſſe mit Schweden
ſehr zweifelhaft; die mit der Pforte ſehr verwickelt.
Was war jedoch der Zuwachs der materiellen Kraͤf-
te Rußlands in Vergleich der moraliſchen? Seit-
dem dieſe großen Experimente ihrer Kraft Cathari-
nen gelungen waren, lernte ſie erſt ſelbſt ganz ein-
ſehen, was ſie vermochte. Zum vollen Gebrauch
der Macht ihres unermeßlichen Reichs fehlte nur
bloß eine zweckmaͤßige innere Organiſation. Auch
fuͤr dieſe fand ſie jetzt Zeit. Die neue Eintheilung
in Gouvernements, und die ganze darauf gegruͤn-1776
dete Verwaltung, wohlthaͤtig in mancher Ruͤckſicht,
war darum nicht weniger fuͤr die Selbſtherr-
ſcherin
paſſend.


32. Um eben dieſe Zeit aber war es, als
der neue Guͤnſtling Potemkin ſich hob. Von
dem Funken des Genies, das dem Titanenſtamm
der Orlows eigen war, ſchien nichts auf ihn gekom-
men zu ſeyn; nicht ſowohl Herrſchſucht und Ruhm-
ſucht, als Geldſucht und Ordenſucht trieben ihn.
Aber einer Monarchin zur Seite, die hoher und
kuͤhner Ideen faͤhig war, ſchmeichelte er dieſen;
und ſo gewann und behauptete er, geſtuͤtzt auf ei-
nen fuͤr ſeine Welt paſſenden Uebermuth, einen
Einfluß, der die Schickſale des Norden beſtimmte.


Potemkin (ſeit 1776 Deutſcher Reichsfuͤrſt) war der
einzige der Guͤnſtlinge Catharina's, deſſen großer politiſcher

K k 5Einfluß
[522]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
Einfluß erſt begann, als er den Platz des Lieblings aufgab.
Seit 1778 hatte er bis an ſeinen Tod 1791 faſt ganz die Di-
rection der auswaͤrtigen Verhaͤltniſſe.


  • Potemkin der Taurier, in der Minerva des Hrn. von
    Archenholz
    , ſtuͤckweiſe vom April 1797 bis Dec. 1800. Dem
    genau unterrichteten Verfaſſer dieſer Biographie iſt bisher
    noch in Nichts Wichtigem widerſprochen worden.

33. Von dieſem Zeitpunct an erhielt das
Griechiſche Project ſeine Ausbildung. Auf den
Truͤmmern des Reichs der Osmanen ein Griechi-
ſches Reich zu errichten, und auf den neuen Thron
einen Prinzen aus ihrem Hauſe zu ſetzen, ward
jetzt die Lieblingsidee Catharina's. Wie viel war
auch nicht durch den letzten Krieg, und faſt noch
mehr durch den letzten Frieden dazu vorbereitet?
Die großen Schwierigkeiten konnten freylich ihr da-
bey nicht entgehen; aber gerade durch dieſe erhielt
es fuͤr ſie einen groͤßern Reiz.


Die pſychologiſch und politiſch intereſſante Correſpondenz
der Kayſerin mit dem Ritter von Zimmermann, hinter deſ-
ſen Verhaͤltniſſe mit der Kayſerin
von Mar-
kard
1803 enthaͤlt (Lettre XXVI.) das eigne Geſtaͤndniß
der Monarchin uͤber dieſen Gegenſtand.


34. Dennoch war und blieb dieſes Project
lange Zeit hindurch nur eine Idee; und als es auch
nach 10 Jahren zum zweyten Kriege mit der Pfor-
te kam, hatte dieſe Idee ſchon ihre Lebendigkeit ver-
loren. Aber auch als Idee hatte ſie darum einen
viel
[523]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
viel zu großen Einfluß, als daß ſie unbemerkt blei-
ben duͤrfte. Von dieſem Zeitpunct an blieb die
Pforte das Hauptziel der Ruſſiſchen Politik; der
gegen Schweden gefaßte Unwille fand darin ſeinen
Ableiter; der alte Hausſtreit mit Daͤnemark (der
Gegenſtand ſo langer vergeblicher Verhandlungen
S. 504.) war ſo eben durch einen Tauſch und
Schenkung ausgeglichen; aber auch die anderen
Verhaͤltniſſe mit dem Auslande mußten ſich dadurch
beſtimmen.


Ausgleichung der alten Anſpruͤche von Holſtein-Gottorp
durch den Eintauſch Oldenburgs und Delmhorſts
gegen die Holſtein-Gottorpſchen Lande, 1773, 1. Juni. —
Abtretung Oldenburgs an die, noch unverſorgte, juͤngere Li-
nie des Hauſes Holſtein-Gottorp 30. Jul.


35. Die Allianz mit Preußen, das Werk Pa-
nin's
, verlor jetzt von ſelbſt ihre Wichtigkeit; ſie
half nicht gegen die Tuͤrken; was man durch ſie
hatte erreichen wollen, war erreicht. Aber ohne
Englands Einwilligung, ohne Oeſtreichs Huͤlfe
ſchien das Project nicht ausgefuͤhrt werden zu koͤn-
nen; beyde zu gewinnen, war daher der Plan Po-
temkin's. Schon war die Verbindung mit England
dem Abſchluß nahe, als Panin durch die bewaff-
nete Neutralitaͤt
(S. 469.) den Streich ab-1780
wendete, der mit der Preußiſchen Allianz auch ihn
uͤberfluͤſſig gemacht haͤtte; und durch die Ausfuͤh-
rung
[524]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
rung dieſes neuen Projects fuͤr Catharinen eine neue
Bahn des Ruhms eroͤffnete, wodurch das alte Ziel
ihr aus den Augen geruͤckt ward. Aber Potemkin
verlor es deshalb nicht aus dem Geſicht; fuͤr ihn
war bey der bewaffneten Neutralitaͤt nichts zu ge-
winnen.


36. Wenn die Bedingungen des Friedens zu
Kainardgé ſchon ihrer Natur nach mehr einen
Waffenſtillſtand als einen dauernden Frieden zu ver-
ſprechen ſchienen, ſo ließ ſich bey dieſer Richtung
der Politik um ſo weniger daran zweifeln, daß der
Faden der Streitigkeiten nicht abreißen konnte. Die
Herrſchaft auf dem ſchwarzen Meere ſchien die
nothwendige Bedingung zu der Ausfuͤhrung des
Hauptplans zu ſeyn, und dieſe hing wieder von der
Herrſchaft der Krimm und der angrenzenden
Laͤnder ab. So gaben die Verhaͤltniſſe dieſer Halb-
inſel den Stoff zu den Forderungen Rußlands her,
die ſich endlich mit der Unterwerfung derſelben
unter Rußland endigten.


Die Krimm und die Ebnen des Cubans (die kleine Tarta-
rey), ein noch uͤbriges Bruchſtuͤck von Dſingischan's Welt-
reich, ſtanden ſeit 1441 unter eigenen Chans, aus dem
Hauſe jenes Eroberers. Durch Mahomed II. 1474 wurden
die Chans Schutzverwandte der Pforte, die aus dem herr-
ſchenden Hauſe die Nachfolger beſtellte, aber ohne Tribute
zu erheben. Die Pforte ſah in dieſen Nomaden gleich treue
und maͤchtige Verbuͤndete, durch Religion und Politik ihr

zuge-
[525]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
zugethan. Wie oft halfen ihr ihre zahlreichen Reuterheere!
Ihre in dem Frieden 1774 bedungene Unabhaͤngigkeit von der
Pforte, was konnte ſie anders ſeyn, als Gruͤndung des Ruſ-
ſiſchen Principats, wofuͤr auch ſchon durch die anderen Be-
dingungen geſorgt war; und dieſer Principat fuͤhrte zur voͤl-
ligen Unterwerfung. Haͤndel mit der Pforte nach dem
Frieden; beygelegt durch die Convention explicatoirs 10.
Maͤrz 1779, wodurch die Pforte den von Rußland protegirten
Chan Sahin Guerai anerkennt. Neue Haͤndel, da der
von den Tartaren ſelbſt verjagte Chan wieder eingeſetzt wird,
1782. Aber dennoch April 1783 foͤrmliche Occupation
der Krimm und des Cubans, und Einverleibung ins Ruſſi-
ſche Reich; welche die Pforte ſich endlich genoͤthigt ſieht,
anzuerkennen, durch den Tractat vom 8. Jan. 1784.
Der Fluß Cuban wird dadurch zur Grenze beſtimmt; aber
die erbitterten Tartaren wanderten großentheils aus.


37. Die Anlage einer Seemacht auf
dem ſchwarzen Meere war die naͤchſte Folge dieſer
friedlichen Eroberung. Wer haͤtte jetzt nicht ſchon
die Ausfuͤhrung des Hauptprojects erwartet? Aber
nicht bloß der Flottenbau koſtete Zeit; auch die
Zwiſchenvorfaͤlle des Weſten, der Bayriſche Suc-
ceſſionskrieg, der Fuͤrſtenbund u. a. erlaubten keine
Uebereilung. Ueberhaupt aber ſchien das ganze
Spiel der politiſchen Verhaͤltniſſe des Norden faſt
alle Berechnungen zu taͤuſchen, weil es durch per-
ſoͤnliche Zuſammenkuͤnfte
der Fuͤrſten ſo haͤu-
fig beſtimmt ward. Wen zog Catharina's glaͤnzen-
der Hof, und noch mehr ſie ſelber nicht an? Kam
Friedrich nicht ſelbſt, ſo ſandte er bald ſein zwey-
tes
[526]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
tes Ich, ſeinen Bruder Prinz Heinrich, bald ſeinen
Thronerben. GuſtavIII. zeigte den Glanz ſeines
Genies; Joſeph II. kam zu ſehen; fuͤr Stanislaus
Poniatowsky war erſt eine ſpaͤtere Reiſe aufgeſpart!
Die Zuſammenkuͤnfte ſo geiſtvoller Fuͤrſten konnten
nicht ohne Folgen ſeyn; aber gewiß waren ſie ſelber
nicht im Stande, dieſe Folgen im voraus zu be-
rechnen.


Es iſt fuͤr die Geſchichte der Politik wichtig, die Zeit-
puncte dieſer Zuſammenkuͤnfte zu beſtimmen. Prinz Hein-
rich's erſte Reiſe 1771. Folge: die erſte Polniſche Thei-
lung. Die zweyte: 1776. Folge: befeſtigte Verbindung
mit Preußen durch die zweyte Vermaͤhlung des Ruſſiſchen
Thronerben. — Ob auch ſchon das Project einer neuen
Theilung Polens? — Ankunft Guſtav's III. 1777. Folge:
wechſelſeitiges Mißtrauen, nachmals zum Kriege fuͤhrend.
Erſte Zuſammenkunft Catharina's und Joſeph's II. in Mohi-
low, und darauf in Petersburg 1780. Folgen: Begruͤndung
der nachmaligen Verbindung gegen die Pforte, und Bayri-
ſches Tauſchproject. Die gleich darauf folgende Ankunft des
Kronprinzen von Preußen hatte nur Hoffeſte — und die
Freundſchaft mit dem Thronerben zur Folge.


38. Seit Joſeph's Beſuche bekam daher die
Ruſſiſche Politik ihre entſchiedene Richtung. Die
Verbindung mit Preußen erſchlaffte, und die mit
Oeſtreich war angeſponnen. Wenn die bewaffnete
Neutralitaͤt England entfernte, ſo gewann man da-
gegen durch vortheilhafte Handelstractate
wer konnte ſie ſo ſchließen wie Rußland? — die
ande-
[527]2. Von Cath. II. bis auf d. Verb. mit Joſ. II.
anderen Hauptſtaaten. Potemkin's politiſcher Einfluß
erhielt jetzt ſeine ganze Staͤrke; die Haͤndel uͤber die
Krimm und ihre Wegnahme (ſ. oben) waren da-
von die Folgen. Die Deckung der neuen Erobe-
rung machte eine zahlreiche Armee dort nothwendig;
und indem Potemkin, zum Feldmarſchall erhoben,
zugleich Generalgouverneur von Taurien ward, ſo
beſaß er eine Civil- und Militairmacht, die ſonſt
wohl genommen, nicht leicht gegeben zu werden
pflegt.


Aus der Reihe von Handelstractaten, welche Ca-
tharina damals ſchloß, muͤſſen erwaͤhnt werden: der mit
Daͤnemark 19. Oct. 1782. (beſonders Regulirung des
Sundzolls fuͤr Rußland); mit Oeſtreich 12. Nov. 1785.
(Gegenſeitige Einraͤumung der Vorrechte der am meiſten be-
guͤnſtigten Nationen. Tarif fuͤr Ungarſche Weine, und Ruſ-
ſiſche Lederwaaren und Pelzwerk ꝛc.) Vor allen aber mit
Frankreich 11. Jan. 1787 (ſ. oben S. 455.), wodurch
Englands Eiferſucht erregt ward. Bey allen Wiederholung
der Grundſaͤtze der bewaffneten Neutralitaͤt.


39. Nur die eigne Anſicht der Monarchin
fehlte noch, um der neuen Eroberung in ihren ei-
genen und der Welt Augen ihre volle Wichtigkeit
zu geben; und auch dieß erhielt endlich Potemkin.
Catharina's beruͤhmte Reiſe nach Taurien,1787
Jan.
bis
Jun.

durch ſeine Anſtalten einem Triumphzuge gleichend,
war zugleich eine ihm gebrachte Huldigung. Aber
faſt noch wichtiger ward ſie durch die Vollendung
der
[528]II. Per. C. II. Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt.
der Verbindung mit Oeſtreich, denn auch Joſeph II.
eilte in ſeinem Reiſewagen herbey.


40. So ſah der Taurier (nicht ohne Urſa-
che lohnte Catharina nach Roͤmer Sitte) ſeine
Entwuͤrfe ihrer Ausfuͤhrung nahe. Blieben gleich
die Bedingungen des geſchloſſenen Buͤndniſſes ein
Geheimniß, ſo zeigten doch die Folgen bald ſeine
Wirklichkeit. Ob ein Krieg gegen die Pforte dort
foͤrmlich verabredet ſey, iſt ziemlich gleichguͤltig;
Potemkin ſorgte durch diplomatiſche Kuͤnſte dafuͤr,
daß die Pforte, trotz ihrer Apathie, ihn bald zu-
erſt
an Rußland erklaͤren mußte.


Die allgemein behauptete Verabredung iſt geleugnet
worden durch Segur, Hiſt. de Fred. Guill. II., Cathari-
nens Reiſegeſellſchafter. Aber erfuhr gerade der franzoͤ-
ſiſche
Geſandte alle Verabredungen?


41. So bereitete ſich daher ein Sturm ge-
gen die Pforte, der ſie ſtuͤrzen zu muͤſſen ſchien.
Aber nie hat das Schickſal grauſamer der Staats-
kunſt geſpottet. Viele die ſich ſtark duͤnkten liegen
im Staube; und die dem Untergange geweihte ragt
noch uͤber den Truͤmmern Europas hervor!


Dritte
[529]

Dritte Periode.
Von dem Tode Friedrich's des Großen und dem
Anfang des revolutionairen Zeitalters bis zur Er-
richtung des Franzoͤſiſchen Kayſerthrons
1786 ‒ 1804.


1. Wie kurz auch dieſer Zeitraum im Verhaͤlt-
niß zu den beyden vorigen ſeyn mag, (denn nur
einen Anfang kann bis jetzt die Geſchichte geben;)
ſo iſt es doch nicht blos ſein innerer Reichthum,
ſondern noch mehr ſein verſchiedener Character,
der uns eine Abſonderung von dem vorigen befiehlt.
Mit welchem andern Nahmen koͤnnte man ihn, als
mit dem des revolutionairen bezeichnen? Wer
mag es aber beſtimmen, wann der vulcaniſch ge-
wordene Boden Europas wird ausgebrannt haben?
und vollends, welchen Anblick, ob einer Lavawuͤſte,
oder einer neuen Schoͤpfung, und welcher? er
alsdann darbieten wird?


2. Unerſchuͤttert, und ſcheinbar feſt in ſich ge-
gruͤndet, ſtand, als Friedrich ſtarb, das ſtolze Ge-
L lbaͤude
[530]III. Periode.
baͤude des Staatenſyſtems von Europa da; wer
etwa einen Umſturz fuͤrchtete, fuͤrchtete ihn im
Oſten, nicht im Weſten. Nach der Cataſtrophe,
die alle Erwartungen taͤuſchte, mag es leicht ſeyn,
ihre Urſachen zu entwickeln, die hier nur angedeu-
tet werden koͤnnen. Sollten aber die Elemente da-
zu nicht auch ſchon in den bisherigen Unterſuchun-
gen liegen?


3. Dem der einen tiefern Blick in das In-
nere der Hauptſtaaten von Europa warf, konnte
die Bemerkung nicht entgehen, daß die Verfaſſun-
gen der meiſten von ihnen ſich ſelber uͤberlebt hat-
ten. Die von Spanien, ſeit dem Aufhoͤren der
Cortes, nur auf Inquiſition und Catholicismus ge-
ſtuͤtzt; die von Frankreich in ſich ſelber aufgeloͤſet,
und ſchon lange im ſtillen inneren Kampfe begrif-
fen; die der Republik, ſtets unfoͤrmlich, jetzt
ohne Stuͤtze, durch Factionen zerriſſen; das Deut-
ſche Reich
, kaum noch in ſeinen langſamen Formen
ſich bewegend; die von Preußen ein kunſtvolles
Uhrwerk, jetzt ſeiner Spannfeder beraubt; die von
Oeſtreich in einer, bald mißlingenden, Umwande-
lung begriffen; Polen und die Pforte in bekannter
Anarchie. So blieben nur England und der Nor-
den uͤbrig; aber dieſe entſchieden nicht uͤber das
Schickſal Europas. Gruͤnden auch die Formen
der
[531]Vom Tode Fr. d. Gr. bis zur Err. d. Fr. Kayſ.
der Staaten nicht unmittelbar ihr Gluͤck; ſo gruͤn-
den ſie doch ihre Feſtigkeit; und nicht immer findet
ſich ein großer Mann, der den Mangel der For-
men erſetzt.


4. Fuͤr die Staͤrke der Staaten kannte man
keinen andern Maaßſtab mehr als die ſtehenden
Heere. Und wirklich kaum gab es auch noch einen
andern. Durch ihre Ausbildung war die Scheide-
wand zwiſchen ihnen und den Nationen allmaͤhlig
vollendet; nur ſie waren gewaffnet; die Voͤlker
wehrlos. Was blieb uͤbrig als Unterwerfung,
wenn das Heer geſchlagen und zerſtreut war? So
konnten die Tage von Zama und Pydna wieder-
kehren; und Ein Schlag das Schickſal maͤchtiger
Reiche entſcheiden!


5. Wie vollends, wenn man dieſe Streit-
kraͤfte mit den Geldkraͤften verglich, ohne welche
ſie todt waren? Und faſt waren ſie todt fuͤr den
Gebrauch! Nicht Ein Staat des Continents war
faͤhig, mit eignen Mitteln einen großen Krieg von
Dauer zu fuͤhren; nur Subſidien oder Erpreſſungen
neuer Art machten es moͤglich. So war man auf
den Punct gekommen, wo die Uebertreibung des
Syſtems ſich ſelber ſtrafte. Die furchtbaren Folgen
dieſer Spannung mußten bey der erſten Gelegen-
heit ſich entwickeln.


L l 26.
[532]III. Periode.

6. Wenn aber dieſe politiſchen Stuͤtzen
ſchwankten; ſo waren die moraliſchen faſt gaͤnz-
lich umgeſtuͤrzt. Die Grundlage jedes Staaten-
ſyſtems, die Heiligkeit des rechtmaͤßigen Beſitzes,
ohne welche es nur einen Krieg Aller gegen Alle
giebt, war dahin; die Politik hatte bereits in Po-
len ihren Schleyer abgelegt; die Arrondirungsſucht
hatte geſiegt. Fiel nicht gleich Alles zuſammen,
ſo waren es nicht mehr anerkannte Grundſaͤtze des
Voͤlkerrechts, ſondern wandelbare Verhaͤltniſſe, die
ſchuͤtzten. Das unaufloͤsliche Band zwiſchen Sit-
ten und Politik hatte zur Folge, daß der Ego-
ismus das herrſchende Princip auch des oͤffentlichen
wie des Privatlebens ward. Der ungluͤckliche
Wahn, von den Statiſtikern genaͤhrt, der die
Staatsmacht nur nach den materiellen Kraͤften
mißt, und den Wachsthum derſelben nur nach
Quadratmeilen und Geldeinnahme ſchaͤtzt, hatte un-
ausrottbare Wurzeln gefaßt.


7. Und doch, wer ſieht nicht, daß ein Staa-
tenſyſtem, in dem bloßer Egoismus das Princip
wird, ſich ſeiner Aufloͤſung naͤhert? Vor allem
ein Syſtem ſo ungleicher Staaten, wie das Euro-
paͤiſche, das bisher ſo oft nur durch Verbindun-
gen
gegen den Uebermaͤchtigen ſich aufrecht erhielt?
Die Erfahrung zeigte bald, daß Verbindungen mit
Auf-
[533]Vom Tode Fr. d. Gr. bis zur Err. d. Fr. Kayſ.
Aufopferung in den Cabinetten fuͤr Thorheit galten;
und was ſind gleichwohl Verbindungen ohne dieſe?


8. Allein nicht blos in der Moral der Cabi-
nette waren neue Grundſaͤtze herrſchend geworden;
auch unter den Nationen ſelbſt hatten ſich Ideen
verbreitet, die mit der beſtehenden Ordnung der
Dinge im Widerſpruch ſtanden. Und ruhen doch
nicht endlich alle menſchliche Inſtitute, auch Staa-
ten und ihre Verfaſſungen, auf Ideen? Seitdem
die Sophismen von Volksſouverainitaͤt als Baſis
des Staats durch Schriftſteller in Umlauf geſetzt
waren, hatten dieſe durch die Unabhaͤngigkeit Nord-
americas eine ſcheinbare Beſtaͤtigung erhalten; und
die Vertheidiger von dieſer brachten ſie nach Euro-
pa heruͤber. So wurden in die Mitte des mon-
archiſchen Staatenſyſtems democratiſche Ideen ge-
worfen und gepflegt; der Zunder zu einem viel
furchtbarern Brande, wenn ein zuͤndender Funke
fiel, als ihre Urheber es ahnten! Fuͤr Profani-
rung der Volksreligion hatten lange ſchon Andere
geſorgt; und was bleibt dem Volke noch heilig,
wenn Religion und Verfaſſung profanirt ſind?


9. Wie drohend auch dieſe Umſtaͤnde waren,
ſo ſchien aber doch bey dem gewoͤhnlichen Gange
der Dinge Alles fortdauern zu koͤnnen, wie es be-
ſtand; und deshalb ahnte Niemand die bevorſte-
L l 3hende
[534]III. Periode. 1786--1804.
hende Cataſtrophe. Aber eben darin lag die Ge-
fahr, daß Alles in Europa fuͤr das Gewoͤhnliche
berechnet war; und Alles außer ſeine Kreiſe treten
mußte, ſobald das Ungewoͤhnliche hereinbrach.


10. Die folgende Periode zerfaͤllt von ſelbſt
in zwey Zeitraͤume, zwiſchen denen der Friede von
Campo Formio den Scheidepunct macht. Die
Urſache dieſer Scheidung liegt darin, weil ſeit die-
ſem Frieden, nach Catharina's Tode, die thaͤtige
Theilnahme des Norden an den Haͤndeln des We-
ſten beginnt, die ſeitdem Europa auf das engſte
zu Einem Staatenſyſtem verſchlingt.


Als Urkundenſammlung, außer dem Recueil par Mr.
de Martens
S. 2. beſonders:


  • Recueil des principaux traités etc. conclus entre la repu-
    blique françaiſe et les differentes puiſſances de l'Euro-
    pe depuis 1792 jusqu' à la paix générale (par G. Ger-
    hard
    .) P. I. II. à Goettingue 1796. P. III. IV. à Ham-
    bourg et Paris
    1803.

Erſter
[535]

Erſter Zeitraum.
Von 1786 bis auf den Frieden zu Campo
Formio 1797
.


Erſter Theil.
Geſchichte des ſuͤdlichen Europaͤiſchen Staatenſyſtems
in dieſem Zeitraum.

I. Staatshaͤndel in Europa bis 1797.

  • Hiſtoire des principaux évènements du regne de Fréd.
    Guillaume II., roi de Pruſſe; et tableau politique de
    l'Europe dépuis 1786 jusqu'en 1796, contenant un pré-
    cis des révolutions de Brabant, de Hollande, de Pologne
    et de France, par L. P. Segur, l'ainé; Ex-Ambaſſadeur;
    Paris 1800. III Voll.
    — Daß es allgemeine Geſchichte des
    Zeitraums ſey, nur angeknuͤpft an die von Friedrich Wil-
    helm II., lehrt ſchon der Titel. Der Verfaſſer war Koͤ-
    nigl. Franzoͤſiſcher Geſandter in Petersburg. Die Abſchnitte
    die ſich auf den Norden beziehen, ſind daher die wichtigern.
    Abneigung gegen Preußen und England wird man leicht im
    voraus erwarten; aber dennoch eins der beſſern Werke.
  • Unter den Deutſchen Zeitſchriften bleibt die vollſtaͤndigſte: das
    politiſche Journal (S. 371.) An einzelnen intereſſan-
    ten Aufſaͤtzen die reichſte: Minerva von v. Archenholz
    (ſeit 1793 jaͤhrlich 3 Baͤnde).

L l 411.
[536]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

11. Wenn auch der Tod Friedrich's des Gro-
ßen, erfolgend in einem Zeitpunct der tiefen Ruhe,
nicht ſogleich, da der Nachfolger ſeine Miniſter bey-
behielt, ſichtbare Folgen hatte, ſo war doch die
Luͤcke viel zu groß, als daß ſie ſich nicht bald haͤt-
ten entwickeln muͤſſen. Die Hauptverhaͤltniſſe Eu-
ropas waren durch ſeinen Kopf geformt, durch ſei-
nen Charakter behauptet; der letzte aber war noch
weniger als der erſte auf ſeinen Nachfolger fort-
geerbt.


12. Erſte Abweichung von der Politik ſeines
Vorgaͤngers, durch die thaͤtige Theilnahme an den
Hollaͤndiſchen Unruhen, das erſte Glied in
der Kette der Revolutionen, die Europa umkehren
ſollten. Ein Schritt mußte hier aber unfehlbar die
andern nach ſich ziehen. Schon bey Friedrich's
Lebzeiten waren dieſe Unruhen, erzeugt durch den
Streit der Oraniſchen und patriotiſchen Parthey
uͤber die Rechte der Statthalterſchaft, entſtanden;
der Einfluß Englands und Frankreichs hatte ſie
genaͤhrt; aber Friedrich hatte ſich begnuͤgt, zur
Ausſoͤhnung zu rathen. Sein Nachfolger machte
eine Familienſache zur Staatsſache; und die leichte
Ueberwaͤltigung der von Frankreich verlaſſenen Pa-
trioten fuͤhrte eine neue Reihe von Verhaͤltniſſen
herbey.


Die
[537]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.

Die Hollaͤndiſchen Unruhen waren eine Entwickelung des
Keims des Verderbens in der Verfaſſung; aber modificirt
durch die Verhaͤltniſſe der Zeit. Die patriotiſche Partei,
herrſchend in den Handelsſtaͤdten, war nicht mehr blos
die alte ſtaͤndiſche Partei, wenn auch aus ihr meiſt hervor-
gegangen. — Entſtehung des Haſſes ſchon waͤhrend des
Krieges mit England 1780, und Beſchuldigung der Duplicitaͤt
gegen den Erbſtatthalter. — Vermehrung durch und nach
dem Frieden 1783 durch Engliſchen und Franzoͤſiſchen Einfluß.
Uebergewicht der Patrioten-Partei, und Defenſiv-Al-
lianz
der Republik mit Frankreich 10. Nov. 1785 durch
Vergennes. — Angriffe auf die Rechte des Erbſtatthalters,
und Entfernung aus dem Haag 1786. — Bewaffnete Patri-
oten-Corps, ein neuer Anblick in Europa, das von America
lernte! — Die Oraniſche Partei wenig einig in ſich ſelbſt;
die Patriotiſche ohne faͤhige Chefs, und beſtimmte poſitive
Zwecke. Wer konnte freylich auch ahnen, daß die Nach-
folger von Vergennes († 13. Febr. 1787) ſo gar nichts
thun wuͤrden! — Einmiſchung Preußens; und Erklaͤrung
vom 10. Juli nach aufgehaltener Reiſe der Erbſtatthalte-
rin 29. Juni. — Leichte Einnahme von Holland durch
ein Preußiſches Corps unter dem Herzog von Braun-
ſchweig Sept. 1787.


  • An introduction to the hiſtory of the Dutch Republic
    for the laſt ten years, reckoning from the year 1777.
    (by Sir J. Harris,
    damaligen Brittiſchen Geſandten)
    London 1788. Keinesweges Geſchichte; aber Darlegung
    der innern Verhaͤltniſſe. Die Maͤngel der Oraniſchen
    Partei verhehlt ſelbſt Harris nicht.
  • Mémoire ſur la Revolution de la Hollande par le ci-
    toyen Caillard
    (damals franzoͤſiſchen chargé d'Affaires
    im Haag) in: Seour Hiſt. de Fr. Guill. T. I. eingeruͤckt.
    Sehr helle Darſtellung und Erzaͤhlung, von einem Ver-
    trauten der Pat[ri]oten-Partei; und in ihrem Geiſte.

L l 513.
[538]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

13. Die natuͤrliche Folge dieſer Cataſtrophe
fuͤr die Republik war die Wiedereinſetzung des
Erbſtatthalters in ſeine alten und neuen Rechte;
in einem Umfange und mit einer Haͤrte daß man
faſt zu vergeſſen ſchien, daß doch eine Republik
und eine Gegenparthey bleibe. Allein die Dauer
der Verfaſſung ſollte durch die Fremden geſichert
werden; und dieß fuͤhrte von ſelbſt zu einer Tri-
ple-Allianz mit England und Preußen
,
deren Wirkungen, indem ſie wieder den Einfluß
Englands auf den Continent begruͤndete, ſich in
den naͤchſten Jahren auch auf das uͤbrige Europa,
beſonders den Norden, ausdehnte.


Zuerſt Allianz beyder Maͤchte mit der Republik und Ga-
rantie der Statthalterſchaft und aller ihrer Rechte 15.
April 1788. Darauf Defenſiv-Allianz zwiſchen England
und Preußen zu Loo 13. Jun. Wechſelſeitige Garantie
ſaͤmmtlicher Beſitzungen. Alſo auch Garantie der Engli-
ſchen Colonien durch Preußen!


14. Waͤhrend dieſer Stuͤrme in den vereinig-
ten Provinzen, war aber auch ein aͤhnlicher Geiſt
der Unruhen in den Oeſtreichiſchen Niederlan-
den
rege geworden. Die Umformungsplaͤne von
Joſeph II. hatten ihn geweckt, ſeine Inconſequenz
verſtaͤrkte ihn; allein wie ſchon der Aufſtand bis zur
Unabhaͤngigkeitserklaͤrung gediehen war, zer-
fielen die Inſurgenten unter einander; und kein
Chef war da, faͤhig das Ganze zuſammenzuhalten.
Waͤh-
[539]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
Waͤhrend man in Flandern die alte ſtaͤndiſche Ver-
faſſung beybehalten wollte, wollten die Democraten
in Brabant eine Volksherrſchaft. So ward es
nach Joſeph's Tode Leopold II. leicht den Sturm
zu ſtillen, da ſich die Inſurgenten ohnedem in ih-
rer Hoffnung auf Preußiſche Unterſtuͤtzung betrogen
ſahen.


Anfang der Unruhen 1787 wegen Beeintraͤchtigung der
in der Joyeuſe Entrée den Staͤnden bewilligten Privilegi-
en durch Einfuͤhrung einer neuen Gerichts- Kirchen- und
Univerſitaͤtsverfaſſung. Tumultuariſche Auftritte in meh-
reren Staͤdten; Zuruͤcknahme der gegebenen Befehle 2.
Sept. 1787. Aber die fortgeſetzten Verſuche zur Umfor-
mung der Univerſitaͤt von Loͤwen unterhielten den Streit
mit der Geiſtlichkeit und den Staͤnden. Verweigerung
der Subſidien an den Kayſer Jan. 1789. Aufhebung der
Privilegien der Staͤnde von Brabant 18. Juni 1789. Er-
neuerung des Aufſtandes durch van der Noot; Bewaff-
nung der Patrioten, und Vertreibung der Kayſerlichen
Truppen. Juli-Nov. Errichtung eines ſouverainen Con-
greſſes aller Provinzen (außer Luxemburg); und Erklaͤ-
rung der Unabhaͤngigkeit 4. Jan. 1790. Aber bald Entwik-
kelung. der innern Factionen; und nach Leopold's II. Re-
gierungsantritt Beylegung der Streitigkeiten durch Beſtaͤ-
tigung der alten Privilegien auf dem Reichenbacher
Congreß
10. Dec.


  • Bey dem Mangel einer guten Geſchichte enthaͤlt bisher das
    politiſche Journal die beſten Materialien dazu.

15. Die Revolutionsverſuche in mehreren klei-
nen Staaten, wie in Luͤttich, Aachen, Genf,
welche in eben dieſen Zeiten gemacht wurden, duͤr-
fen
[540]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
fen wenigſtens nicht unbemerkt bleiben; da ſie eben
ſo viele Beweiſe des herrſchend gewordenen Geiſtes
der Unruhen ſind. Wie verſchieden ſie auch ſonſt
waren, ſo kamen ſie doch ſtets darin uͤberein, daß
eine democratiſche Partei die beſtehende Ordnung
der Dinge zu ſtuͤrzen ſuchte. Aber die Art wie
ſie, wenn auch durch bewaffnete Vermittelung,
unterdruͤckt wurden, gab doch zugleich auffallende
Beweiſe von der noch vorhandenen Achtung gegen
die R[e]chte auch kleiner Staaten.


Aufſtand in Luͤttich gegen den Fuͤrſt-Biſchof zur Be-
hauptung der ſtaͤndiſchen Rechte 1789 17. Aug. Mandat
des Reichskammergerichts 27. Aug. und Uebertragung der
Execution an die Weſtphaͤliſche Kreisdirection. Merkwuͤr-
diges Benehmen, und endliche Zuruͤckziehung von Preußen
April 1790. Worauf zuletzt durch Oeſtreich der Fuͤrſt wie-
der eingeſetzt wird Jan. 1791. — Die Unruhen in Genf
durch den Streit der Négatifs (Ariſtocraten) und Repré-
ſentans
1788, beygelegt durch die neue Conſtitution
13. Febr. 1789. waren nur Folge der ſchon fruͤher 1782
durch bewaffnete Vermittelung dreyer Maͤchte geſtillten.
Treffliche Vorſtudien zu der Geſchichte großer Revolutionen!


  • Tableau hiſtorique et politique des revolutions de Geneve
    dans le 18. ſiècle; par Mr.* (d'Ivernois?) à Geneve
    1782.
  • Meiners Briefe uͤber die Schweiz 1790 B. 4. enthalten die
    beſten Nachrichten uͤber die letztern Unruhen.

16. Was waren jedoch alle dieſe kleinen Er-
ſchuͤtterungen gegen die Ausbruͤche des verheerenden
Vulcans, der um eben dieſe Zeit in dem Haupt-
ſtaat des weſtlichen Europas ſich geoͤffnet hatte?

[541]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
— Nicht die innere, ſondern die aͤußere Geſchich-
te der franzoͤſiſchen Revolution, ihre Ein-
wirkung auf das Staatenſyſtem von Europa iſt es,
welche uns hier beſchaͤftigt. Aber um dieſe rich-
tig zu beurtheilen muß man doch ihren inneren
Character gefaßt haben.


17. Drey Hauptpuncte waren es, welche
dieſen beſtimmten; aber auch zugleich die Ausſicht
eines gluͤcklichen Erfolgs im voraus niederſchlagen
mußten. Erſtlich: daß man nicht etwa, wie an-
derswo, Reformen oder Wiederherſtellung des Al-
ten, ſondern etwas ganz Neues wollte. So war
alſo kein Stuͤtzpunct, keine Haltung mehr da!
Zweytens: daß man dieß Neue durch eine zahl-
reiche, ſich ſelbſt uͤberlaſſene, Volksverſammlung,
unabhaͤngig von der Regierung, und umgeben von
einem unbaͤndigen Poͤbel, erhalten wollte. Drit-
tens
: Daß das aufgeſtellte Idol einer repraͤſenta-
tiven Verfaſſung, (mit oder gar ohne Koͤnig) im
Widerſpruch mit dem Nationalcharacter ſtand, der
keinesweges fuͤr große deliberirende Verſammlungen
paßt. Und wenn noch eine Hoffnung uͤbrig blieb,
ſo reichte der, aus den Theorien der Philoſophen
aufgegriffene Wahn, der gaͤnzlichen oder moͤglich-
ſten Trennung der ausuͤbenden und geſetzgebenden
Macht, vollends hin ſie zu vereiteln.


Das
[542]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Das Neue war ſo fort nach der Eroͤffnung der Staͤn-
de den 5. May 1789 gegruͤndet, als der dritte Stand ſich zur
Nationalverſammlung erklaͤrte 17. Juni. So blieb
freylich von der Monarchie nur der Nahme, und die
Abſchaffung der Feudalrechte in der Nacht vom 4. Auguſt
(einziges Schauſpiel in der Weltgeſchichte!) gruͤndete auf
den Truͤmmern der alten Conſtitution im voraus die
Volksherrſchaft.


18. Die Ruͤckwirkungen dieſer großen Cataſtro-
phe auf das uͤbrige Europa konnten anfangs nur
moraliſch, nicht politiſch ſeyn. Wer konnte es
ſich einfallen laſſen, Frankreich geradezu uͤber ſeine
inneren Angelegenheiten etwas vorſchreiben zu wol-
len? Aber jene moraliſche Einwirkung auf das
Ausland wurde dadurch drohend, weil ſie unaus-
bleiblich den Haß der Staͤnde der Geſellſchaft ent-
flammte. Wer mochte auch ſagen, welche Folgen
der allgemeine Enthuſiasmus, durch die Stimme
der Schriftſteller belebt, (kaum Einzelne wagten
zu widerſprechen;) haben konnte?


Unter den Wenigen die in England und Deutſchland
widerſprachen ſteht oben an:


  • Edmund Burke Reflexions on the revolution in France
    and on the proceedings in certain ſocieties in London.

    1790. 8. (Nebſt einigen verwandten kleinern Schriften in
    Works T. III. IV.) Mit der ganzen Kraft geſchrieben, welche
    die Ueberzeugung eigner Gefahr des Vaterlandes dem Brit-
    tiſchen Demoſthenes einfloͤßen konnte. — In Deutſchland:
  • Politiſche Betrachtungen uͤber die Franzoͤſiſche Revolution
    1790; (noch vor Burke;) und

Ueber
[543]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
  • Ueber einige bisherige Folgen der Franzoͤſiſchen Revolution
    fuͤr Deutſchland von E. Brandes; 2te Ausgabe 1793. —
    Kalte Vernunft zur Zeit des allgemeinen Schwindels.

Zur Beurtheilung zugleich des Gegenſtandes und der
vornehmſten Schriften vorzuͤglich:


  • Unterſuchungen uͤber die franzoͤſiſche Revolution, nebſt criti-
    ſchen Nachrichten von den merkwuͤrdigſten Schriften von
    A. W. Rehberg. 1793.

19. Indeß konnte ein Staatsgebaͤude wie das
alt-franzoͤſiſche ſchwerlich auf einmal niedergeriſſen
werden, ohne auch andere zu beſchaͤdigen. Der erſte
Verluſt traf das deutſche Reich, durch die Ab-
ſchaffung der Feudalrechte. Mehrere im Elſaß poſ-
ſeſſionirte Reichsfuͤrſten verlohren die ihrigen; und
Kaiſer und Reich nahmen ſich ihrer an. Wo1789
nicht das Recht, ſo gebot doch die Klugheit eine
Ausgleichung. Aber umſonſt! und ein groͤßerer
Contraſt als der neu-Franzoͤſiſche mit dem alt-
Deutſchen Geſchaͤftsgang bildete, war nicht zu ſe-
hen.


20. Aber die zahlreichen Auswanderungen
aus Frankreich, die Aufnahme und die Entwuͤrfe
der Ausgewanderten in mehreren deutſchen Grenz-
laͤndern, wurden bald gefaͤhrlicher fuͤr die Ruhe Eu-
ropas als jene Streitigkeiten. Wo brachten Aus-
gewanderte nicht ihre Hoffnungen und Leidenſchaf-
ten mit ſich; vollends dieſe Ausgewanderte, meiſt
aus den hoͤhern und ſelbſt hoͤchſten Staͤnden?
Wie-
[544]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Wiederherſtellung der alten Ordnung der Dinge,
wenn auch durch einen Krieg, war ihr Wunſch;
und ihre Sache zu der Sache Europas zu machen
ihr Streben. Doch war eine eventuelle Verabre-
dung zu gemeinſchaftlicher Vertheidigung, von eini-
gen deutſchen Fuͤrſten zu Pilnitz getroffen, noch
die einzige Maßregel die man ergriff. Wer mochte
ſie tadeln?


Zuſammenkunft und Verabredung zu Pilnitz zwiſchen
Leopold II., Friedrich Wilhelm II. und dem Churfuͤrſten
von Sachſen. 27. Aug. 1791. Ungerufen kam auch leider!
der Graf von Artois dazu; eine, jedoch ſehr unbeſtimm-
te, Erklaͤrung, war Alles was er erhielt.


21. Auch ſchien die Vollendung und Annah-
13.
Spt.
1791
me der neuen Conſtitution von Ludwig XVI.
die Gefahr eines Krieges zu entfernen; ein eigenes
12.
Nov.
Circular des Kayſers Leopold II. an die Hoͤfe ſag-
te dieß ausdruͤcklich. Viel ſchlechtere Conſtitutio-
nen haben viel laͤnger beſtanden; aber konnte man
im Ernſt glauben mit dieſer papiernen Acte ſofort
alle Stuͤrme zu ſtillen? Der Kampf der Factionen
ward bald wilder wie vorher, ſeitdem waͤhrend der
1792zweyten National-Verſammlung die Jacobiner
die Herrſchaft errangen; und Umſturz des Throns
der Zweck ward. Sie fuͤhlten es, daß fuͤr ihre
Entwuͤrfe ein auswaͤrtiger Krieg nothwendig ſey;
(welche Politik haͤtte ihn von jetzt an abzuwenden
ver-
[545]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
vermocht?) und Oeſtreich, wo nach Leopold's uner-
wartetem Tode FranzII. folgte, war ihr naͤch-1792
1.
Mz.

ſtes Ziel. LudwigXVI. mußte nachgeben; er er-
klaͤrt den Krieg an Oeſtreich
.

20.
Apr.

Nach der Aufloͤſung der Aſſemblée conſtituante 30. Sept.
1791 Verſammlung der Aſſemblée législative bis 21.
Sept. 1792; ganz unter dem Einfluß der Jacobiner.


22. Fehlerfrey mochte freylich auch das Beneh-
men der Cabinette nicht genannt werden. Die furcht-
baren Auftritte in Frankreich waren ſo neu, daß ſie
ganz außer dem Kreiſe ihrer bisherigen Politik lagen.
Selbſt Kaunitz, der Neſtor der Miniſter, hatte
ſo etwas nie geſehen; und ſein Betragen zeigte,
wie wenig er die Kraͤfte einer großen Volks-Fac-
tion zu wuͤrdigen verſtand. Eben darin lag ein
Haupt-Vortheil der Democraten-Partei, daß ſie
die ganze Cabinetspolitik aus ihren Kreiſen riſſen.


23. Doch ſchien es kaum zu verkennen, daß
die einmal auflodernde Flamme weit um ſich grei-
fen mußte! Alle Leidenſchaften waren entzuͤndet;
alle politiſchen Verhaͤltniſſe aͤnderten ſich; alte Geg-
ner wurden Freunde; alte Verbindungen wurden
zerriſſen! Die Sache Ludwig's XVI. ſchien die
Sache der Koͤnige zu werden; ein Koͤnig wollte ſo-
gar ſich an die Spitze ſtellen, als der Meuchel-
mord ihn wegraffte!


M m24.
[546]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

24. Den erſten Beweis dieſer Veraͤnderung
aller Verhaͤltniſſe gab die Verbindung Oeſt-
reichs und Preußens
. Aber der verungluͤckte
Zug nach Champagne, gemeinſchaftlich unter-
nommen, beſchleunigte nur den vollen Ausbruch
des Vulcans. Der uralte Koͤnigsthron ward foͤrm-
lich umgeſtuͤrzt; und mitten in dem Monarchiſchen
Staatenſyſtem von Europa ſtand ploͤtzlich eine de-
mocratiſche Republik, welche die Verbreitung
ihrer Grundſaͤtze laut proclamirte. Es wurde ein
Krieg nicht blos gegen Voͤlker, ſondern gegen
Verfaſſungen.


Vereinigung der Preußiſch-Oeſtreichiſchen Macht unter
dem Herzog von Braunſchweig Juli 1792 verſtaͤrkt
durch Heſſen und Emigrirte. — Falſche Vorſtellungen wel-
che die letztern von der Lage der Dinge in Frankreich ver-
breiteten. Man dachte ſich nur einen zweyten Zug nach Hol-
land. — Manifeſt des H. von Braunſchweig 25. Juli;
und Umſturz des franzoͤſiſchen Throns 10. Aug. Verſamm-
lung des National-Convents(Convention nationale)
21. Sept. 1792 bis 27. Oct. 1795 und ſogleich Erklaͤrung der
Republik, als das bis Valmy vorgedrungene Heer durch Du-
mouriez
, und noch mehr durch die Naur bekaͤmpft, zum
Ruͤckzuge genoͤthigt wurde.


25. Die unmittelbar darauf folgende Ero-
berung der Oeſtreichiſchen Niederlande

zeigt aber zugleich die veraͤnderte Art des Kriegs,
und bereitete nothwendig die weitere Verbreitung
vor. Hing nicht an dieſen Provinzen bisher vor-
zugsweiſe das politiſche Syſtem? Fiel nicht mit
ihnen
[547]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
ihnen die Vormauer von Holland; ward nicht da-
durch nothwendig England aufgeſchreckt? Eine
Schlacht entſchied jetzt ihr Schickſal, das ſonſt
mehrere Feldzuͤge nicht entſchieden; und bisher un-
bekannte Maͤnner ſtanden ſchnell als beruͤhmte
Feldherren an der Spitze. Die unblutige Weg-
nahme Savoyens
gab zugleich einen Beweis
des neuen republicaniſchen Voͤlkerrechts.


Schlacht bey Gemappe 5. Nov. und Einnahme von
Belgien, nachdem Cuſtine ſchon 21. Oct. das unbewachte
Mainz im Herzen Deutſchlands weggenommen hatte. —
Wegnahme von Savoyen und Nizza Sept. ohne Kriegs-
erklaͤrung, und ſofort Vereinigung mit Frankreich Oct.


26. Mehr jedoch als dieſe Eroberungen wirk-1793
21.
Jan.

te das große Trauerſpiel in Paris. Das
Haupt des ſchul[d]loſen Ludwig's fiel unter dem Beil.
Umſonſt wird es ewig die Politik verſuchen alle
Gefuͤhle zu erſticken, ſo lange Fuͤrſten Menſchen
bleiben. War auch der lebhafteſte Abſcheu keine
Urſache zum Kriege, ſo truͤbte er doch jede Ver-
handlung. Und wie ſollten auch die Fuͤrſten mit
einem Convent unterhandeln, der ihre Unterthanen
gegen ſie zum Aufſtande aufforderte? — So neig-19.
Nov

te ſich nothwendig Alles in Europa zu einer gro-
ßen Verbindung gegen die Republik.


  • Memoires ſecrets pour ſervir à l'hiſtoire de la dernière
    année du regne de Louis XVI. par Bertrand de Mol-
    leville
    , miniſtre d'état à cette époque. Londres 1793.

    M m 23 Voll.
    [548]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
    3 Voll. — Wenige konnten mehr wiſſen; und keiner hat
    mehr geſagt.

27. Selten waren große Verbindungen gluͤck-
lich und von Dauer. Aber ſo ungluͤcklich, wie
die, welche jetzt die Welt ſehen ſollte, doch keine.
Viel moͤgen die revolutionairen Maaßregeln der
Gegner erklaͤren, aber doch nicht Alles. Auch aus
dem Innern ihrer Natur entwickelten ſich die Kei-
me des Verderbniſſes. War es eine dunkle Ahn-
dung davon, wenn ſie das Zeitalter nicht Allian-
zen ſondern Coalitionen nannte?


28. Der eine jener Keime lag in dem Miß-
verhaͤltniß der Finanzkraͤfte zu den Militairkraͤften der
Staaten (S. 531.) Jede Macht, mit oder ohne
Schatz, fand ſich nach kurzer Anſtrengung erſchoͤpft;
nicht eigne Mittel, (die revolutionairen konnten ſie
nicht anwenden;) nur fremde Subſidien machten
ſie einigermaßen zum Ausdauern faͤhig. Wie war
nicht ſchon dadurch Alles gelaͤhmt? Was helfen
ſelbſt dem Rieſen ſeine Arme, wenn Andre ſie ihm
erſt heben muͤſſen?


29. Nur Ein Staat aber in Europa, nur
England, konnte dieſe Subſidien geben. Es ward
alſo nicht nur das Band Aller, es erhielt ſelbſt
nothwendig die Direction des Krieges. Seine ge-
ogra-
[549]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
ographiſche Lage, noch mehr ſein beſonderes Inter-
eſſe, machten es aber dazu wenig geſchickt. Sei-
ne
Zwecke blieben nicht die der Verbuͤndeten; ſeine
Vortheile nicht die ihrigen; ihre Verluſte nicht die
ſeinigen. Stets durch den Landkrieg die Gefahr
von ſich abwaͤlzend, troͤſtete es ſich leicht uͤber
jene, wenn nur Krieg blieb. War dieß das
Intereſſe der Verbuͤndeten?


Was ſind Subſidien an ſich als eine Beyſteuer fuͤr
den Alliirten, deſſen Erhaltung auch unſer Vortheil iſt?
So zogen Maria Thereſia und Friedrich Subſidien, und
vertheidigten doch ihre Sache. Welche Umkehrung der
Verhaͤltniſſe dagegen, wenn Subſidien die Hauptquelle
werden!


30. Allein ein noch gefaͤhrlicherer Keim der
Aufloͤſung lag in dem allgemeinen, aus der Arron-
dirungspolitik hervorgegangenen, Egoismus. Kei-
ne Verbindung mag beſtehen, ohne wechſelſeitige
Aufopferungen. Wie aber, wenn uͤber der Hoff-
nung zur Vergroͤßerung der urſpruͤngliche Zweck
der Erhaltung des Beſtehenden vergeſſen wurde?
Wenn jede eroͤffnete Ausſicht zu Acquiſitionen, ſey's
auf Koſten des Nachbarn, des eignen Verbuͤnde-
ten — (und wer hatte bald mehr zu geben oder
zu leihen als das ſiegende Frankreich?) — auch
eine Lockung zum Abfall ward? Dadurch eben
raͤchte ſich jetzt ſo furchtbar die aus der Politik
M m 3ver-
[550]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
verbannte Moralitaͤt. — Keiner fand, als das
Ungluͤck hereinbrach, mehr einen Freund dem er
traute!


31. Reichten dieſe inneren Urſachen zur Auf-
loͤſung der Verbindungen hin, ſo trug allerdings
nicht weniger dazu bey, daß die Maͤnner fehlten,
die ſie haͤtten zuſammenhalten koͤnnen. Kein Eu-
gen, kein Marlborough erſchien; auch konnte das
Talent, von der Mittelmaͤßigkeit gehaßt, ſich nicht
mal behaupten; waͤhrend in dem revolutionirten
Staat ſich die gewaltigſten Menſchen in die erſten
Plaͤtze draͤngten.


32. Als Stifter, als Haupt jener Verbin-
dungen hat die Geſchichte nur William Pitt zu
nennen. Sein Nahme lebt in den Annalen Groß-
britanniens; aber, gleich Wilhelm III., die Seele
eines großen Buͤndniſſes zu ſeyn, war er nicht faͤ-
hig. Das vermag nicht der Financier; nur der
vereinte Staatsmann und Feldherr. Richtiger wie
Andre wuͤrdigte er vielleicht die Gefahr; aber nur zu
oft griff er fehl in der Wahl der Mittel und der Per-
ſonen; und nie konnte er ſich uͤber die Anſicht er-
heben, daß nicht das Schwerd, ſondern das Geld
den Ausſchlag gebe.


33.
[551]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.

33. Unter ſolchen Auſpicien begann die erſte
Coalition
! Die fortdauernde Verbindung Oeſt-
reichs und Preußens ward durch die Kriegserklaͤ-
rungen des Convents gegen England und den Erb-
ſtatthalter, bald auch gegen Spanien, verſtaͤrkt.
Sardinien war ſchon angegriffen; Portugal, Ne-
apel, Toſcana, der Pabſt wurden hereingezogen.
Wie haͤtte das ohnehin ſchon feindlich behandelte
deutſche Reich dem vereinten Einfluſſe Oeſtreichs
und Preußens widerſtanden? Schwedens Beytritt
ward nur durch die Ermordung Guſtav's III. ver-
hindert; Niemand drohte lauter und that doch we-
niger als Catharina. Außer einigen Staaten vom
zweyten Range, und fuͤr jetzt noch der Pforte,
ſah man keine Neutrale mehr in Europa.


Kriegserklaͤrung gegen England, (nach verweigerter An-
erkennung der Republik;) und den Erbſtatthalter als deſ-
ſen Verbuͤndeten 1. Febr. 1793.; gegen Spanien 7. Maͤrz.
Kriegserklaͤrung des deutſchen Reichs, (mit Widerſpruch
Hannovers) 22. Maͤrz. Buͤndniſſe Englands, (als
nunmehrigen Mittelpuncts) mit Rußland 25. Maͤrz, mit
Sardinien 23. April, mit Spanien 25. May, mit Neapel
12. Juli, mit Preußen 14. Juli, mit Oeſtreich 30. Auguſt,
mit Portugal 26. Sept., mit Toſcana 28. Oct. Außerdem
Subſidientractate mit mehreren deutſchen Fuͤrſten.


  • Ueber den Urſprung und Character des Krieges gegen die
    Franzoͤſiſche Revolution, von Friedr. Genz. Berlin 1801.
    Die ſcharfſinnigſte Entwickelung von der Seite des Rechts
    betrachtet.
  • Hiſtoriſche Ueberſicht der Politik Englands und Frankreichs
    von der Conferenz zu Pillnitz bis zur Kriegserklaͤrung ge-
    M m 4gen
    [552]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
    gen England, von Herbert Marſh. Leipz. 1799. — Di-
    plomatiſche Rechtfertigung Englands.

34. Nicht alſo etwa, wie ſonſt, der Einnah-
me einer Provinz, — nichts geringerem konnte
es in dieſem Kriege gelten, als der Erhaltung oder
dem Umſturze der beſtehenden Staaten. Es war
nicht blos ein Kampf der Waffen, ſondern ſich
entgegenſtehender politiſcher Elemente. So weit
ſich die Heere der Republik verbreiteten, (wer
mochte dieſe Grenze beſtimmen?) befahl ein aus-
1792
17.
Dec.
druͤckliches Decret des Convents die Einfuͤhrung
der Volksherrſchaft. Doch ſchien in dem erſten
Feldzuge die Gefahr ſich zu verringern; da meh-
rere Siege der Alliirten die franzoͤſiſchen Heere
wieder auf ihr eigenes Gebiet beſchraͤnkten.


Siege der Oeſtreicher unter Coburg bey Aldenhoven
1. Maͤrz 1793; bey Neerwinden 18. Maͤrz; Wiedereroberung
der Niederlande; Uebergang von Dumouriez 4. April; Sieg
bey Famars 23. April, und Einnahme der Franzoͤſiſchen
Grenzfeſtungen, beſonders von Valenciennes 28. Juli.
Belagerung und Einnahme von Mainz durch die Preußen
und Heſſen 22. Juli. Einfall in das Elſaß und Treffen
bey Kayſerslautern 28. Nov. Aber Ruͤckzug Dec. — Vor-
dringen der Spanier in Rouſſillon Juni.


  • La vie privée et politique de Dumouriez. à Hambourg.
    T. I-III.
    Geht bis Ende 1792. Als Fortſetzung fuͤr 1793:
  • Memoires du général Dumouriez écrites par lui ‒ même.
    1794. T. I. II.
    Verglichen:
  • Correſpondance du général Miranda avec le général
    Dumouriez. à Paris.
    1794.

35.
[553]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.

35. Selten aber war das Gluͤck fuͤr die Sie-
ger verderblicher als hier. Indem bey ihnen ſchon
Eroberungsideen an die Stelle des urſpruͤnglichen
Zwecks traten, weckten ſie ſelbſt dadurch einen
Widerſtand der Vorzweifelung; der, eine Schrek-31.
Mai

kensregierung mit allen ihren Greueln und aller
ihrer Kraft hervorrufend, zugleich einen Grundſatz
ſanctionirte, folgenreicher und furchtbarer als eine
Reihe Siege: jeder Buͤrger ſey Soldat.16.
Aug.

Mit ihm fiel in dem Hauptſtaate Europas mit
Einem Schlage das bisherige Syſtem der ſtehen-
den Heere; war es gedenkbar daß die andern da-
bey beſtanden?


Errichtung des Wohlfahrtsausſchuſſes (Comité du ſalut
public
) 13. Aug. 1793 bis 27. Jul. 1794 aus 11 Mitgliedern
Robespierre, Barrere, St. Juſt, Carnot u. a. mit dicta-
toriſcher Gewalt uͤber alle Perſonen und alles Eigenthum.


36. Eine ganz andre Geſtalt erhielt alſo
nothwendig der Krieg und die Kriegskunſt. Die
alte Tactic mochte noch im Einzelnen ihre Anwen-
dung finden; ſie galt nicht mehr im Ganzen; und
die Heere der Republik bildeten ſich deſto geſchwin-
der, je mehr die neue Tactic vereinfacht ward.
Krieger aus den niedern Graden wurden ſchnell als
Feldherren beruͤhmt; und der naͤchſte Feldzug, durch
die Wiedereroberung der Niederlande zugleich den1794
Weg zu dem Eindringen in Holland bahnend, ent-
M m 5ſchied
[554]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſchied auf dieſer Seite bereits fuͤr die Zukunft.
Einnahme von Holland, unter Beguͤnſtigung der
Patrioten-Partey. Flucht des Erbſtatthalters nach
England; und Umwandelung in eine einzige und
untheilbare Bataviſche Republik.


Bereits 1793 Niederlage der Englaͤnder bey Hondſcoten,
8. Sept. Folge ihres einſeitigen Verſuchs auf Duͤnkirchen.
— Siege von Pichegru bey Tournay 8. May 1794 und
von Jourdan bey Fleurus 26. Juni. Seitdem Zuruͤck-
draͤngen der Alliirten bis an die Grenzen von Holland;
ihr Ruͤckzug nach Deutſchland; Uebergang von Pichegru
uͤber das Eis 24. Dec. und Einnahme von ganz Holland
Jan. — Blutiger Kampf am Oberrhein: Schlachten bey
Lautern 15. Juli und 20. Sept. aber auch hier Ruͤckzug
der Oeſtreicher und Preußen uͤber den Rhein Oct. —
Auch an der Spaniſchen Grenze Vordringen der Franzoſen
uͤber die Pyrenaͤen Nov.


37. Die Einnahme Hollands — damals
vielleicht des reichſten Landes in Europa — kette-
te dieſen Staat von jetzt an an Frankreich; ſicherte
den Beſitz Belgiens; ſchloß England militaͤriſch
von dem feſten Lande aus; und aͤnderte die ganze
Lage Preußens und des noͤrdlichen Deutſchlands.
Sie allein haͤtte vormals hingereicht, das Syſtem
von Europa umzuformen; jetzt war ſie nur ein
einzelner Act des großen Schauſpiels!


Freundſchaftsvertrag zwiſchen der Franzoͤſiſchen und Ba-
taviſchen Republik 16. May 1795. Bedingungen: a. Zah-
lung von 100 Millionen Gulden. b. Abtretung von Hol-

laͤndiſch
[555]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
laͤndiſch Flandern gegen kuͤnftigen Erſatz. c. Gemeinſchaft-
licher Gebrauch des Hafens Vliſſingen.


38. Die wichtigſte Folge aber war die Ver-
aͤnderung der Verhaͤltniſſe Englands. Seine eige-
ne Theilnahme am Landkriege hoͤrte auf; es hatte
nichts mehr auf dem Continent zu verlieren. Es
erbte von Holland ſeinen Handel, und der dieſem
jetzt angekuͤndigte Krieg eroͤffnete ihm die Ausſicht
zu der Eroberung ſeiner Colonien. Wie ſorgfaͤltig
es auch den Krieg unterhielt, ſo war es bey dem
Gange des Landkrieges doch viel weniger intereſſirt.


39. Aber auch unter den Verbuͤndeten des
Continents hatten bereits die Keime der Zwietracht
ſich entfaltet. Das Mißtrauen Oeſtreichs und
Preußens, von Friedrich faſt ein halbes Jahrhun-
dert genaͤhrt, hatte ſelbſt die aufrichtigſte perſoͤnli-
che Verbindung der Monarchen ſo wenig in den
Cabinetten als in den Armeen zu vertilgen ver-
mocht; und man hatte die Folgen nur zu oft und
zu ſehr empfunden. Wann ſtrafen einſeitige An-
ſichten in der Politik nicht endlich ſich ſelbſt?


40. Dazu kam bey Preußen eine ſo ſchnelle
und tiefe Erſchoͤpfung, daß ſelbſt die verſchwende-
riſche Haushaltung von Friedrich Wilhelm II. ſie
kaum erklaͤren zu koͤnnen ſchien. Nicht der vierte
Theil
[556]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Theil des Heers war gebraucht; und ſtatt des ge-
fuͤllten Schatzes waren nach kaum zwey Jahren
1794
31.
Jan.
ſchon Schulden da! Man verlangte Verpflegung
der Armeen von den vorderen Kreiſen des deutſchen
Reichs; und nahm neue Subſidien von England
nicht, wie es ſchien, des Krieges, ſondern des Gel-
des wegen.


Subſidientractat Preußens mit England 19. April 1794
im Haag abgeſchloſſen.


41. Auf der andern Seite war von dem Con-
vent ſchon die doppelte Maxime angenommen, nur
Separatfrieden zu ſchließen; und den Krieg nicht
zu endigen ohne die Grenzen bis an den Rhein
ausgedehnt zu haben. Welchen Stoff zu ernſten
Betrachtungen fuͤr den Nachfolger Friedrich's des
Großen! Aber das deutſche Reich war nicht
Preußen; ſein Verluſt nicht eigener Verluſt; ja
es war ſelbſt Hoffnung zu Gewinn dabey auf Ko-
ſten der geiſtlichen Mitſtaͤnde. — Abſchluß des
Baſler Friedens; und Beſtimmung einer De-
marcationslinie
fuͤr die Neutralitaͤt des noͤrdli-
chen Deutſchlands.


Bedingungen des Friedens zu Baſel 5. April 1795. a.
Frankreich bleibt, bis zu dem, beym Reichsfrieden zu tref-
fenden Arrangement, im Beſitz der Preußiſchen Provin-
zen am linken Rheinufer. b. Frankreich verſpricht die Ver-
mittelung Preußens fuͤr andere deutſche Reichsſtaͤnde in
Betreff des Beytrittes zuzulaſſen. c. Keine feindliche

Durch-
[557]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
Durchmaͤrſche duͤrfen durch die Preußiſchen Provinzen ge-
ſchehen. — Heſſen-Caſſel ſchloß einen foͤrmlichen Frieden
fuͤr ſich 28. Aug.; nachdem ſchon vorher 17. May die De-
marcationslinie nach Beytritt Sachſens, Hannovers ꝛc. be-
ſtimmt war.


Unterhaͤndler zu Baſel: der Buͤrger Barthelemy, und
der Miniſter Baron von Hardenberg.


42. So ſchied alſo Preußen, ohne den Haupt-
zweck des Krieges, Bekaͤmpfung der revolutionairen
Politik, erreicht zu haben; und mit ihm das noͤrd-
liche Deutſchland von der Coalition. Eine Ver-
bindung zur gemeinſchaftlichen Vertheidigung wardJun.
errichtet; und der Zeitpunct ſchien da zu ſeyn, die
letzte Idee Friedrich's des Großen wieder aufzu-
nehmen; und Preußen im Norden zum Mittelpunct
einer großen Foͤderation zu machen. Aber dazu gehoͤr-
te jetzt eine gaͤnzliche Losſagung vom deutſchen Reiche;
und war auch der Hauptſchritt der Sache nach geſche-
hen, ſo ſcheute man ſich doch vor dem Nahmen. Und
wo waͤre das Vertrauen, das Cement jeder Foͤde-
ration, hergekommen, da die neue Theilung Po-
lens (S. unten) ſo eben gemacht war; Nuͤrnberg
bis an die Thore occupirt ward; und der gehei-
me Vertrag
mit dem Convent, ſich auf Koſten
der eigenen Mitſtaͤnde zu entſchaͤdigen, bald kein
Geheimniß blieb?


Geheimer Vertrag Preußens mit Frankreich 5. Aug.
1796. Bedingungen: Vorlaͤufige Einwilligung in die Ceſ-

ſion
[558]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſion des linken Rheinufers; Entſchaͤdigung durch Saͤcu-
lariſationen
fuͤr ſich in Muͤnſter, und ſonſt nach Con-
venienz und Uebereinkunft; fuͤr Oranien in Wuͤrzburg und
Bamberg.


43. Allein auch noch ein anderer Verbuͤnde-
ter, Spanien trat gleich nachher von der Coa-
lition ab. Sein Beytritt war durch Familienver-
haͤltniſſe erzeugt; es mußte bald wahrnehmen, daß es
bey dem Kriege nur zu verlieren, nicht zu gewin-
nen hatte; und der Abſchluß des Friedens ward
zu ſehr durch das eigne Intereſſe Frankreichs be-
foͤrdert, als daß er großen Schwierigkeiten haͤtte
ausgeſetzt ſeyn koͤnnen.


Friede zwiſchen Frankreich und Spanien zu
Baſel
22 Jul. 1795. Bedingungen: 1. Reſtitution aller
gemachten Eroberungen an Spanien. 2. Dagegen tritt
Spanien ſeinen Antheil der Inſel St. Domingo an Frank-
reich ab. Schon vor dem Frieden mit Spanien und Preu-
ßen hatte der Convent, gleichſam um zu zeigen daß Fuͤr-
ſten mit ihm Frieden ſchließen koͤnnten, den mit dem
Großherzog von Toſcana abgeſchloſſen 9. Febr.


Unterhaͤndler zu Baſel: der Buͤrger Barthelemy und
Don Yriarte.


44. Doch ſollte die halb zerfallene Coalition
nicht ganz auseinanderfallen. Die Fortdauer des
Landkriegs, wie er auch gehen mochte, war fuͤr
England zu wichtig, um ſeine Plaͤne verfolgen zu
koͤnnen. In allen Laͤndern, auf allen Meeren ward
der Krieg meiſt auf ſeine Koſten gefuͤhrt; wer for-
derte
[559]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
derte nicht Geld? Wer erhielt nicht Geld? Un-
geheure Anleihen, (kaum wird die Nachwelt ſie be-
greifen koͤnnen;) waren noͤthig; in wenigen Jahren
ward die Summe der Nationalſchuld, und mit ihr
die Laſten der Nation verdoppelt. Wie war dieß
moͤglich, wenn nicht auch die Einkuͤnfte der Nation
verdoppelt wurden?


45. Aber dieſer ſchnelle Zuwachs konnte nicht
aus eignem Boden kommen; er konnte nur aus
auswaͤrtigem Handel fließen. Dieſen zu heben,
indem man andere moͤglichſt davon ausſchloß, ward
daher das Ziel der Anſtrengung. So verwandelte
Pitt voͤllig die ganze Grundlage der Brittiſchen
Macht; wozu freylich der Beſitz Indiens ſchon lange
vorbereitet hatte. Statt daß ſie vormals auf der Cul-
tur des eignen Bodens und maͤßiger Coloniallaͤnder
beruhte, ward ſie jetzt auf den auswaͤrtigen Han-
del (eine ſchwankende Baſis!) geſtuͤtzt. Vernich-
tung des feindlichen, Bedruͤckung des neutralen
Handels, (in ſo fern man nicht ſelbſt ſeiner bedurf-
te;) ward alſo Maxime; und dadurch England in
ein ganz anderes Verhaͤltniß wie ſonſt gegen die
Voͤlker des Continents geſtellt. So triumphirte
auch hier der Geiſt des Mercantilſyſtems; und der
Revolutionskrieg ward in gleichem Grade ein Han-
delskrieg; vielleicht ein ewiger Handelskrieg.


Die
[560]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

Die Handelsbedruͤckungen gegen die Neutra-
len
gingen hervor: 1. Aus dem Plan von Pitt, (dem er-
ſten ſeiner großen Mißgriffe) Frankreich auszuhungern.
Daher Erweiterung des Begriffs von Contrebande; und Ver-
bot der Zufuhr aller Lebensmittel; Juni 1793. 2. Aus der
Ausdehnung des Blokadeſyſtems; da nicht nur wirkliche
Blokade, ſondern bloße Erklaͤrung der Blokade, nicht nur
eines Hafens, ſondern ganzer Kuͤſten, den wirklichen Bloka-
dezuſtand erzeugen ſollte. 3. Aus der Erweiterung der
Viſitation der Schiffe, auch ſelbſt unter neutraler Convoi.
4. Aus den Reglements uͤber den Handel der Neutralen mit
den feindlichen Colonien. Zuerſt 1793 Ernenerung des Re-
glements von 1756 (S. 410.) und gaͤnzliches Verbot; jedoch
auf Remonſtration der Americaner Jan. 1794, beſchraͤnkt
auf den directen Handel der Neutralen von den Colonien
nach Europa; und 1798 auch den Neutralen in Europa frey-
gegeben nach ihren eigenen Haͤfen.


  • Ueber das Beſtreben der Voͤlker neuerer Zeit, ſich einander
    im Seehandel recht wehe zu thun, von Joh. G. Buͤſch.
    (Umarbeitung der Abhandlung von der Zerruͤttung des See-
    handels). Hamburg 1800. Nach ſehr liberalen Grund-
    ſaͤtzen; nur mit zu weniger Ordnung.
  • Eſſai concernant les armateurs, les priſes, et ſurtout les re-
    priſes par Mr. de Martens; Goettingue
    1795. (Deutſch
    unter dem Titel: Verſuch uͤber Caper ꝛc.), zugleich critiſche
    Geſchichte der Caperey.
  • Handbuch uͤber das practiſche Seerecht der Englaͤnder und
    Franzoſen von Fr. Joh. Jacobſen. Hamburg 1803. 2 Th.
    Die lehrreichſte Auseinanderſetzung des verwickelten Gegen-
    ſtandes.
  • War in disguiſe or the frauds of the neutral flags. London
    1806. Unverhohlne Brittiſche Seerechts-Orthodoxie, ſelbſt
    in England faſt zu ſtreng befunden.

46. Alleinherrſchaft des Meers; und die dar-
aus folgende Wegnahme der feindlichen Colonien,
waren
[561]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
waren die Bedingungen, unter denen das Brittiſche
Syſtem allein aufrecht erhalten werden konnte.
Die Aufloͤſung des Corps der franzoͤſiſchen Marine
durch die Revolution erleichterte ihnen nicht wenig
ihre Siege uͤber die feindlichen Geſchwader. Schon
am Ende dieſes Zeitraums war die Franzoͤſiſche
und Hollaͤndiſche Seemacht mehr als zur Haͤlfte
zerſtoͤrt; und die wichtigſten Colonien bereits in
Brittiſchen Haͤnden.


Einnahme und Beſitz von Toulon 28. Aug. — 21. Dec.
1793 und Wegfuͤhrung und Vernichtung der dortigen Flotte.
Seeſiege uͤber die Franzoſen bey Oueſſant unter How
1. Juni 1794; bey Savona unter Hotham 14. Maͤrz 1795;
bey Lorient unter Bridport 23. Juni; bey den Hieriſchen
Inſeln 13. Juli. Ueber die Hollaͤnder 16. Aug. 1796
in der Saldanha Bay unter Elphinſtone; bey Camperdown
unter Duncan 11. Oct. 1797. Ueber die Spanier unter
Jervis bey Cap St. Vincent 14. Febr. 1797. — Eroberun-
gen in Weſtindien: Beſetzung mehrerer Plaͤtze auf St. Domin-
go 1793-1796, die jedoch wieder verlaſſen werden mußten;
von Tabago 15. April 1793; von Martinique, Guadeloupe
und St. Lucie Maͤrz und April 1794. In Oſtindien: Pon-
dichery 23. Aug. 1793. — Von den Hollaͤndern: Cey-
lon; Malacca; die Plaͤtze auf Malabar Aug. 1795. Das
Cap
16. Sept.; Demerari und Cſſequebo Apr. 1796; die
Molucken 1796. — Spanien ward nur die Inſel Tri-
nidad entriſſen 18. Febr. 1797.


47. Nach dem Abfall Preußens und Spani-
ens verdoppelte daher England ſeine Bemuͤhungen
die noch uͤbrigen Reſte der Coalition zuſammenzu-
N nhal-
[562]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
halten, und wo moͤglich ſie durch den Beytritt
Rußlands zu verſtaͤrken; um ſo mehr da auch die
Erneuerung des hier abgelaufenen Handelstractats
ihm am Herzen lag. Beydes gelang ihm zwar; und
nach der mit Oeſtreich und Rußland geſchloſſenen
Tripleallianz, kam auch ein neuer Handels-
tractat mit Rußland zu Stande. Thaͤtig mitzuwir-
ken, (die Abſendung einer Eſcadre nach England
abgerechnet;) fand aber Catharina auch jetzt nicht
rathſam.


Bereits 18. Febr. 1795 Defenſiv-Allianz zwiſchen Eng-
land und Rußland, mit wechſelſeitiger Garantie aller Be-
ſitzungen; und 20. May zwiſchen England und Oeſtreich.
Beyde werden die Grundlage der 28. Sept. abgeſchloſſe-
nen Tripleallianz; deren Bedingungen nicht genauer be-
kannt wurden. — Abſchluß des Handelstractats mit Ruß-
land erſt 21. Febr. 1797, mit noch groͤßern Vortheilen als
1766.


48. So ruhte alſo die Laſt des Landkrieges
fortdauernd allein auf Oeſtreich in Verbindung mit
Sardinien und den Staͤnden Suͤd-Deutſchlands.
Der Krieg ſchien zu ermatten. Erſt im Herbſt
ward er am Oberrhein mit Gluͤck fuͤr Oeſtreich,
erneuert; und auch ſo kam ein Waffenſtillſtand
noch vor dem Ende des Jahrs zu Stande.


Zuruͤcktreibung der Franzoͤſiſchen Armeen unter Pichegru
(vielleicht durch Einverſtaͤndniſſe;) uͤber den Rhein; und
Entſatz von Mainz durch Clairfait; Oct. — Waffenſtill-
ſtand mit dem Reiche 31. Dec.


49.
[563]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.

49. Der Gang der innern Verhaͤltniſſe in
Frankreich hatte unterdeß eine neue Conſtitution
herbeygefuͤhrt; wodurch eine feſtere Ordnung der
Dinge gegruͤndet werden ſollte. Einem Directo-
rio
von 5 Mitgliedern ward die ausuͤbende Ge-
walt uͤbertragen: waͤhrend die geſetzgebende durch
eine in zwey Kammern getheilte Verſammlung,
den Rath der Alten, und der 500, eine Art
von Oberhaus und Unterhaus bildend, verwaltet
werden ſollte. Schon dieſe gaͤnzliche Trennung
mußte bald zu Streit zwiſchen beyden fuͤhren.
Aber zu wie viel andern Uebeln lag nicht der Keim
in dieſer, als Reſultat hoher Weisheit ſo geprie-
ſenen, und bald den Toͤchterſtaaten aufgedrungenen,
Conſtitution! In den Verhaͤltniſſen zum Auslande
ward durch dieſe Neuerungen, bey der Fortdauer
des revolutionairen Syſtems, nichts weſentliches
gewonnen.


Einfuͤhrung der neuen Conſtitution, Inſtallirung des Di-
rectoriums, und Eroͤffnung des geſetzgebenden Corps, nach
Aufloͤſung des Nationalconvents, 28. Oct. 1795.


50. Der Frieden auf dem Continent ſchien
aber jetzt nur noch von dem Frieden mit Oeſtreich
abzuhaͤngen. Dieſen zu erzwingen, indem man in
das Herz ſeiner Staaten eindrang, ward daher
der Zweck des Directoriums, und drey Heere zu-
gleich vom Oberrhein, Niederrhein und Italien
N n 2vor-
[564]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
vordringend ſollten ihn erreichen. Ein ſo zuſam-
mengeſetzter Plan, ſchon an ſich ſchwer auszufuͤh-
ren, mußte es noch in Deutſchland weit mehr
ſeyn, ſo lange die Rheinfeſtungen in den Haͤnden
der Deutſchen waren. Auch gelang es Oeſtreich in
ſeinem eignen Kayſerhauſe an dem Erzherzog
Carl
einen Feldherrn zu finden, der bald das
volle Vertrauen des Heers genoß. Ihm dankte
damals Oeſtreich ſeine Rettung.


Vordringen des Generals Jourdan, uͤber den Nie-
derrhein, bis in die Oberpfalz; und des Generals Mo-
reau
von dem Oberrhein her bis in Bayern; und Waf-
fenſtillſtaͤnde mit Baden, Wirtemberg u. a. Juni und Juli
1796. Aber Siege des Erzherzogs uͤber Jourdan bey Am-
berg 24. Aug. und Wirzburg 3. Sept. — Beruͤhmter
Ruͤckzug von Moreau bis uͤber den Rhein bey Huͤningen,
unter ſteten Gefechten; Oct.


51. Jedoch nicht in Deutſchland ſollte das
Schickſal Oeſtreichs entſchieden werden! Italien,
bisher nur Nebenſchauplatz, ward jetzt ſchon durch
die veraͤnderten Umſtaͤnde ein Hauptſchauplatz; aber
noch weit mehr durch den hohen Geiſt des jungen
Feldherrn dem hier das Commando uͤbertragen
ward. Ein Feldzug gab ihm Italien; ein zweyter
den Frieden. Aber mehr als den bloßen Sieger
und Friedensſtifter ahnte bald das Zeitalter in dem
Helden, und irrte ſich nur darin, daß es immer
zu wenig geahnet hatte.


Erſter
[565]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.

Erſter Feldzug von Napoleon Bonaparte nach
Uebernahme des Obercommandos zu Nizza 30. Maͤrz 1796.
Sieg bey Montenotte 12. April; bey Milleſimo 15. April;
bey Mondovi uͤber die Piemonteſer 22. April. — Dadurch
erzwungener Waffenſtillſtand 28. April und demnaͤchſt Se-
paratfrieden mit Sardinien
15. Mai. Bedin-
gungen
: 1. Abtretung von Savoyen und Nizza. 2. Be-
ſetzung der wichtigſten Feſtungen. — Verfolgung der Oeſt-
reicher; Uebergang uͤber die Bruͤcke bey Lodi 10. Mai:
Einnahme der ganzen Lombardey bis auf Mantua.


  • Campagnes du général Buonaparte en Italie pendant les
    années IV. et V. par un Officier général. T. I. II. Pa-
    ris
    1797.

52. Dieſe Siege entſchieden auch uͤber das
Schickſal des uͤbrigen Italiens. Die Herzoͤge von
Parma und Modena; der Pabſt; der Koͤnig von
Neapel mußten ihre Waffenſtillſtaͤnde und Frieden
erkaufen. Aber wenn die Herrſchaft Frankreichs
in Italien militairiſch errungen war, ſo ſollte ſie
politiſch befeſtigt werden. Die Bildung eines neu-
en Freyſtaates, nach dem Muſter Frankreichs ge-
formt, aus den Oeſtreichiſchen und paͤbſtlichen Pro-
vinzen, unter dem Nahmen der Cisalpiniſchen
Republik
gab dazu das Mittel.


Waffenſtillſtand mit Parma 9. May; mit Modena
17. May; mit dem Pabſt 23. Juni, gegen Erlegung von
Geld und Kunſtwerken; und demnaͤchſt Frieden zu
Tolentino
19. Febr. 1797., und Abtretung der Legatio-
nen von Bologna und Ferrara und Entſagung aller An-
ſpruͤche auf Avignon; mit Neapel 26. Juni, in Frieden
verwandelt 10. Oct. ohne Verluſt. Genua begiebt ſich

N n 3unter
[566]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
unter franzoͤſiſchen Schutz 19. Oct.; und das fruͤher (Ju-
ni 1794) von den Englaͤndern beſetzte Corſica wird von
ihnen wieder geraͤumt, aber dagegen Elba beſetzt 9. Juli.


53. So war der Beſitz der Hauptfeſtung
Mantua jetzt der Punkt, auf dem die Ausfuͤh-
rung der weiteren Plaͤne gegen Oeſtreich beruhte.
Keinen ſolchen Kampf hatte noch das Jahrhundert
geſehen, als den Kampf um Mantua! Viermal
wagt Oeſtreich den Entſatz; viermal werden ſeine
Heere geſchlagen! — Die Feſtung fiel; und der
Weg nach Oeſtreich ſtand offen.


Belagerung Mantuas vom Juni 1796 bis Febr. 1797.
Erſter Verſuch zum Entſatz unter dem kuͤhnen Wurm-
ſer
; vereitelt bey Breſcia und am Garda-See 3. und 5.
Aug. Neues Vordringen; Niederlage bey Roveredo und
Baſſano 4. und 9. Sept.; aber Wurmſer, abgeſchnitten
vom Ruͤckzuge, bahnt ſich den Weg in die Feſtung. Drit-
ter Verſuch unter Alvinzy; dreytaͤgige Schlacht und Nie-
derlage bey Arcoli 15. Nov. Letzter Verſuch unter dem-
ſelben; und Schlacht bey Rivoli 14. Jan. 1797. Capitula-
tion von Mantua 2. Febr.


54. Vordringen uͤber die Alpen von Italien
1797
Maͤrz
her in das innere Oeſtreich nach mehreren Gefech-
ten, bis an die Muhr; indem Moreau und Hoche
wieder uͤber den Rhein vorruͤcken ſollten. Ein ge-
waltiger Kampf ſchien das Schickſal der Kayſer-
ſtadt beſtimmen zu muͤſſen. Aber als das Schwerdt
entſcheiden ſollte, fand die Politik einen Ausweg;
man
[567]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
man kam uͤberein auf Koſten eines Dritten den
Frieden zu ſchließen.


55. Venedig ward, fuͤr jetzt, zum Opfer
beſtimmt. Seit einem Jahrhundert faſt in die
Vergeſſenheit verſunken, hatte dieſe Republik bey
dem Kampfe der Maͤchtigen die Neutralitaͤt, die
gewoͤhnliche Schutzwehr der Schwachen, ergriffen.
Lange hatte ſie ſich ſelbſt uͤberlebt; aber ihr Fall
zeigte doch erſt ihre ganze Schwaͤche; nicht nur
ohne Kraft, ſondern auch ohne Rath. Sie fiel
als Opfer der Convenienz und der Arrondirungs-
politik; aber auch ohne dieß, wie haͤtte eine Ver-
faſſung beſtehen koͤnnen, die mehr als jede andere
im geradeſten Widerſpruche mit den herrſchenden
Grundſaͤtzen des Zeitalters ſtand?


Seit 1718 (S. 303.) fehlt es der Geſchichte des Euro-
paͤiſchen Staatenſyſtems ſelbſt an Gelegenheit Venedigs zu
erwaͤhnen. Ein 79 jaͤhriger Frieden hatte in der herrſchen-
den Claſſe hier allmaͤhlig alle Uebel einer indolenten Apa-
thie ſo zur Reife gebracht, daß auch nicht mal eine be-
waffnete
Neutralitaͤt durchzuſetzen geweſen war.


  • (Tentori) Raccolta cronologico ragionata di documenti
    inediti che formano la ſtoria diplomatica della rivolu-
    zione e caduta della republica di Venezia corredata di
    critiche Oſſervazioni. T. I. II.
    1800. Wuͤrdige Materia-
    lien fuͤr den kuͤnftigen Geſchichtſchreiber!

56. Nicht aber ein Definitivfrieden, ſondern
nur Praͤliminarien (keineswegs ohne Urſachen,
N n 4wie
[568]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
wie die Folge zeigte,) wurden zu Leoben an der
Muhr abgeſchloſſen. Nicht Alles was in den Praͤ-
liminarien bewilligt war, ward in dem Definitiv-
frieden wiederholt.


Abſchluß der Praͤliminarien zu Leoben 18. April 1797.
Hauptbedingungen: 1. Abtretung aller Rechte Oeſtreichs
auf die Belgiſchen Provinzen an Frankreich; und Anerken-
nung der durch die conſtitutionellen Geſetze beſtimmten
Grenzen Frankreichs. 2. Verſammlung eines Congreſſes
zum Abſchluß des Friedens mit dem deutſchen Reich, mit
Annahme ſeiner Integritaͤt als Baſis. 3. Oeſtreich
entſagt ſeinen Beſitzungen jenſeit des Oglio; und erhaͤlt
als Erſatz den Theil des Venezianiſchen Gebiets zwiſchen
dem Oglio, Po, und Adriatiſchen Meer; nebſt dem Vene-
zianiſchen Dalmatien und Iſtrien. 4. Oeſtreich erhaͤlt
gleichfalls nach der Ratification des Definitiv-
friedens
die Feſtungen Palma nova, Mantua, Peſchie-
ra, und einige Schloͤſſer geraͤumt. 5. Die Republik Ve-
nedig ſoll Romagna, Bologna und Ferrara als Entſchaͤdi-
gung erhalten. 6. Oeſtreich erkennt die aus den abgetre-
tenen Provinzen zu bildende Cisalpiniſche (anfangs Cispa-
daniſche) Republik an. — Der vollſtaͤndige Tractat, mit
den geheimen Artikeln
, zuerſt bekannt gemacht in
Poſſelt Annalen 1804. St. XII.


57. Ueberwaͤltigung Venedigs und Aufloͤſung
ſeiner bisherigen Verfaſſung. Die beſtimmten Pro-
vinzen werden ſofort von Oeſtreich beſetzt; das uͤbri-
ge, nebſt der Hauptſtadt, von Frankreich. Lange
Unterhandlungen waren noch noͤthig, um ſein letztes
Schickſal zu beſtimmen.


Franzoͤſiſche Kriegserklaͤrung gegen Venedig, wegen des
in Verona ausgebrochenen Aufſtandes 3. May. Aufhebung

der
[569]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
der Ariſtocratie und Gruͤndung der Volksherrſchaft 12.
Mai. Beſetzung durch Franzoͤſiſche Truppen 16. Mai. —
Von dort aus Occupation der griechiſch-Vene-
zianiſchen Inſeln
Corfu, Cefalonien, S. Mauro, Zan-
te, Cerigo, durch eine Franzoͤſiſch-Venezianiſche Flottille
28. Juni. In den Praͤliminarien waren ſie auch nicht mal
erwaͤhnt worden!


58. Nie konnte wohl der Zuſtand zwiſchen
den Praͤliminarien und dem Definitivfrieden ſchwan-
kender ſeyn als hier! Wie viel Stoff war noch
zum Unterhandeln da! Aber welche Ausſicht er-
oͤffnete ſich nicht auch dem Feldherrn, der nicht
nur die Seele des Kriegs, ſondern auch des Frie-
densſchluſſes war! Wie einſt Pompejus nach dem
Mithridatiſchen Kriege die Sachen Aſiens, hatte
Er die Sachen Italiens zu ordnen. In der Ein-
richtung der Cisalpiniſchen Republik ſah man den
Staatenſtifter; auch auf die Umwandelungen der
Verfaſſungen der uͤbrigen Staaten Italiens wirkte
er maͤchtig ein. Aber auch nicht auf Italien be-
ſchraͤnkte ſich der Blick. Die Schweiz ſtand in
banger Erwartung; eine polniſche Legion ward
errichtet; man war der Nachbar Griechenlands ge-
worden; und wie weit war es bis nach Aegypten
hin? — Mens agitat molem!


Proclamirung der Cisalpiniſchen Republik beſtehend aus
Mailand, Modena, Ferrara, Bologna und Romagna; wo-
zu bald noch Breſcia und Mantua kamen 29. Juni. —
Umwandelung der Genueſiſchen Republik in eine Liguri-

N n 5ſche
[570]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſche mit democratiſcher Verfaſſung unter Leitung von
Faiponlt 22. — 31. Mai. Große democratiſche Bewegun-
gen in Piemont, im Kirchenſtaat u. a.


59. Aber auch im Weſten von Europa hat-
ten ſich die Verhaͤltniſſe geaͤndert; indem Spanien
zu ſeiner alten Verbindung mit Frankreich zuruͤck-
gekehrt war; und der Herzog von Alcudia (Prin-
cipe de la paz
) dem Intereſſe Frankreichs erge-
ben, von jetzt an faſt unumſchraͤnkt das Staatsru-
der fuͤhrte. Die Theilnahme an dem Kriege gegen
England war davon die unmittelbare Folge; aber
auch fuͤr die Zukunft blieb durch den Allianztractat
das Schickſal Spaniens ſo an Frankreich geknuͤpft,
daß es wenigſtens nur von dem letztern abhing in
wie fern es an ſeinen Kriegen Antheil nehmen ſoll-
te.


Allianztractat zwiſchen Frankreich und Spanien ab-
geſchloſſen 19. Aug. 1796. 1. Of- und Defenſivallianz in
allen Kriegen. 2. In dem jetzigen jedoch nur gegen Eng-
land. 3. Beſtimmung der zu leiſtenden Huͤlfe ſowohl zur
See als zu Lande. — Spaniſche Kriegserklaͤrung gegen
England 5. Oct. — Verluſt von Trinidad 18. Febr. 1797;
aber die Angriffe der Englaͤnder auf Porto rico Apr. und
Teneriffa Jul. werden abgeſchlagen.


60. Ungeachtet dieſer Verbreitung des Krie-
ges ſchien doch aber nach den Leobner Praͤlimina-
rien der Horizont ſich etwas aufzuheitern. Oeſtreich
fuhr fort zu unterhandeln; und auch England,
jetzt
[571]1. Staatshaͤndel in Europa -- 1797.
jetzt ohne Alliirte auf dem Continent, glaubte un-
terhandeln zu muͤſſen. Aber indem die Friedens-
hoffnung wuchs, mußte eine neue Revolution in
den franzoͤſiſchen Autoritaͤten ſie zur Haͤlfte wieder
vernichten. Schneller als man geglaubt haͤtte, be-
ſtaͤtigte es ſich, daß keine Regierung weniger fuͤr
den National-Charakter paſſe, als die vielkoͤpfige
Directorialregierung.


Anknuͤpfung von Unterhandlungen durch L. Malmes-
bury
, (ſchon fruͤher war es Oct. — Dec. 1796 zu Paris
vergeblich durch denſelben verſucht worden;) zu Lille Ju-
li — 14. Sept. Allein nach der Revolution vom 4. Sept.
(18. Fructidor), wodurch die Minoritaͤt des Directoriums
und des geſetzgebenden Corps ausgeſtoßen und zum Theil
deportirt ward, Abbrechung der Friedensunterhandlungen
mit England. — Zwar war kurz vorher der Frieden
mit Portugal
zu Stande gekommen 20. Aug.; aber er
ward jetzt von Frankreich wieder aufgekuͤndigt 26. Oct.


  • Recueil de toutes les pièces officielles, relatives à la né-
    gociation de Lille; Oct.
    1797.

61. Ganz anders war der Gang der Frie-
densverhandlung mit Oeſtreich
. Sie war
und blieb in den Haͤnden des Friedensſtifters, nicht
des Directoriums; es ward Friede weil Er ihn
wollte, und wie Er ihn wollte. Ein halbes Jahr
hindurch war er bey Mayland unterhandelt wor-
den; und als er endlich zu Campo Formio bey
Udine abgeſchloſſen, und nachher noch die gehei-
men
Bedingungen bekannt wurden, klaͤrte ſich
freylich
[572]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
freylich die Laͤnge der Unterhandlung hinreichend
auf!


Frieden zu Campo Formio abgeſchloſſen den 17.
Oct. 1797 zwiſchen Frankreich und Oeſtreich. Bedingungen:
1. Oeſtreich entſagt allen ſeinen Anſpruͤchen auf die Nie-
derlande zu Gunſten Frankreichs. 2. Oeſtreich behaͤlt das
Gebiet von Venedig, vom Garda-See angerechnet; die
Stadt Venedig; Iſtrien, Dalmatien nebſt den Inſeln,
und Bocca di Cattaro. 3. Frankreich behaͤlt die griechiſch-
Venezianiſchen Inſeln, und die Beſitzungen in Albanien.
4. Oeſtreich erkennt die Cisalpiniſche Republik. 5. Zum
Abſchluß des Friedens mit dem Reich ſoll ſich ein Con-
greß zu Raſtadt verſammlen. 6. Oeſtreich wird den Her-
zog von Modena durch den Breisgau entſchaͤdigen. —
Geheime Bedingungen: 1. Oeſtreich willigt in die Ab-
tretung des linken Rheinufers von Baſel bis zum Ein-
fluß der Nethe bey Andernach; mit der Stadt und Fe-
ſtung von Mainz. 2. Die Schiffahrt auf dem Rhein ſoll
fuͤr beyde Laͤnder gemeinſchaftlich ſeyn. 3. Frankreich wird
ſich verwenden, daß Oeſtreich Salzburg, und den Theil
von Bayern zwiſchen dieſem, Tyrol, und dem Inn und
Salza, erhaͤlt. 4. Oeſtreich wird im Reichsfrieden das
Frickthal abtreten. 5. Wechſelſeitige Compenſation fuͤr Al-
les was Frankreich noch im Deutſchen Reich mehr bekom-
men, und wieder fuͤr Alles was Oeſtreich noch mehr be-
kommen moͤchte. 6. Wechſelſeitige Garantie, daß Preu-
ßen
bey Zuruͤckgabe ſeiner Beſitzungen am linken Rhein-
ufer, gar keine Acquiſitionen machen ſoll. 6. Die be-
eintraͤchtigten Fuͤrſten und Staͤnde am linken Rheinufer
ſollen in Deutſchland Entſchaͤdigungen erhalten. 7. Bin-
nen 20 Tagen nach der Ratification ſollen alle Rheinfe-
ſtungen ſo wie Ulm und Ingolſtadt von den Oeſtreichiſchen
Truppen geraͤumt werden.


Unterhaͤndler des Friedens von Seiten Frankreichs: der
General Bonaparte. Von Seiten Oeſtreichs: Marquis de

Gallo;
[573]2. Geſch. d. Colonialweſens 1786--1804.
Gallo; Graf L. Cobenzl; Graf v. Meerfeldt; Baron v.
Degelmann.


62. In Folge dieſes Friedens verſchwand die
Republik Venedig voͤllig aus der Reihe der Staa-
ten. Das deutſche Reich, im geheim von Oeſt-
reich, ſo wie fruͤher im geheim von Preußen ver-
laſſen, mußte bald ſein Schickſal erfahren; aber
dieſe geheimen Vertraͤge, unter einander verglichen,
(S. 557.) welche Aufſchluͤſſe gewaͤhren ſie der
Nachwelt!


II. Geſchichte des Colonialweſens von 1786 bis 1804. *).

1. Welche Ruͤckwirkung die großen Staats-
umwaͤlzungen Europas auf die Colonien haben
wuͤrden, war faſt unmoͤglich zu beſtimmen, da die-
ſe gar nicht blos von der Verbreitung der Waf-
fen, ſondern noch mehr von der Verbreitung der
Grundſaͤtze abhiengen. Wie verſchieden mußte aber
auch wieder die Wirkung der letzten nach den ver-
ſchiedenen Verhaͤltniſſen der Claſſen der Geſellſchaft
in den Coloniallaͤndern ſeyn! Wie ganz anders
in
[574]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
in Nordamerica, in Oſtindien, in Weſtindien!
Man nehme hinzu die ungewiſſen Veraͤnderungen
in dem Gange des Handels. Und doch war der
große Welthandel, und mit ihm das Schickſal von
mehr als Einem Hauptſtaat Europas, jetzt an ſie
geknuͤpft!


2. Unter den Colonien ſteht das unabhaͤn-
gige America
, ſowohl ſeiner ſelbſt als ſeiner
Ruͤckwirkung auf Europa wegen, oben an. Sel-
ten konnte ein Staat ſo wachſen; weil ſelten einer
ſo von den Umſtaͤnden beguͤnſtigt ward. Wenn
die Cultur des Bodens auch ſo große Fortſchritte
machte, daß die Zahl der 13 Provinzen ſich bis
auf 17 vermehrte, ſo waren die Fortſchritte des
Seehandels doch noch viel erſtaunenswuͤrdiger; der
ſich bald nicht mehr auf die Ausfuhr der eigenen
Producte beſchraͤnkte, ſondern uͤber alle Meere ſich
verbreitend, America ſeit dem Anfange des Euro-
paͤiſchen Seekrieges einen ſo unermeßlichen Zwi-
ſchenhandel
, beſonders zwiſchen Weſtindien und
Europa, verſchaffte, daß ſeine Handelsſchiffahrt
nur noch kaum von der Brittiſchen uͤbertroffen
ward.


Außer den natuͤrlichen Vortheilen, die Lage, Be-
ſchaffenheit der Kuͤſten und Ueberfluß an Schiffbauholz, ſo
wie die Natur ſeiner Produkte, America fuͤr die Schiff-
fahrt mehr wie irgend einem Lande in Europa darboten,

lagen
[575]2. Geſch. d. Colonialweſens 1786--1804.
lagen die Haupturſachen des Aufbluͤhens ſeines auswaͤrti-
gen Handels 1. In ſeinen Zolleinrichtungen. Gaͤnz-
lich zollfreye Ansfuͤhrung ſeiner eigenen Produkte als
Grundgeſetz; und der Wiederausfuͤhrung der eingefuͤhrten
gegen Ruͤckzoͤlle. 2. In den vortheilhaften Handelstrac-
taten
mit den Europaͤiſchen Maͤchten. Mit Frankreich,
bereits 6. Febr. 1778. Wechſelſeitige Behandlung ſtets die der
am meiſten beguͤnſtigten Nationen. (Bey den Beeintraͤch-
tigungen des Convents aufgehoben von America 7. Juli
1798. Durch den neuen Vertrag 30. Sept. 1800: Vorlaͤu-
fige Beſtimmung freyer Schifffahrt; mit Vorbehalt weite-
rer Negociationen.) In den Handelstractaten mit den
Vereinigten Niederlanden 8. Oct. 1782, mit Schwe-
den
3. April 1783, mit Preußen 10. Sept. 1785, mit
Spanien 27. Oct. 1794, gleiche Bewilligungen und li-
berale Grundſaͤtze ſowohl in Ruͤckſicht der Contrebande (auf
eigentliche Kriegsbeduͤrfniſſe beſchraͤnkt;) als der Rechte
der neutralen Flagge; in dem mit Preußen ſelbſt Entſa-
gung der Caperey
im Fall des Krieges. Jedoch am
wichtigſten wurde der Vertrag mit England 19. Nov.
1794; erſt ratificirt 24. Juni 1795; die erſten 10 Artikel
(Grenzbeſtimmungen, Raͤumungen, Erſatz ꝛc.) permanent;
die andern 11 — 28 (eigentlicher Handelstractat) auf 12
Jahre. Unter dieſen a. Freyer Handel nach dem Brittiſchen
Weſtindien auf Americaniſchen Schiffen unter 70 Tonnen:
Einfuhr Americaniſcher, und Ausfuhr Weſtindiſcher Pro-
ducte jedoch nur nach America. (Der Artikel wurde ſu-
ſpendirt.) b. Freye Schifffahrt nach dem Brittiſchen Oſt-
indien, Einfuhr und Ausfuhr; jedoch letztere nur nach den
Haͤfen von America. c. Aber dagegen Anerkennung der
Brittiſchen Grundſaͤtze uͤber die Rechte der neutralen Flag-
ge, der Contrebande, und der Blokade-Rechte.


  • A defence of the treaty of amity, commerce and navi-
    gation entered into between the united ſtates of Ame-
    rica and Great Britain by Camillus. (Al. Hamilton)

    1795. Nur Vertheidigung der permanenten Artikel.

3.
[576]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.

3. Indem America durch dieſe Nachgiebigkeit
ſich im Revolutionskriege alle Meere eroͤffnete oder
offen erhielt, fehlte doch viel daran, daß es die
Streitigkeiten mit den kriegfuͤhrenden Maͤchten haͤtte
vermeiden koͤnnen; denen es, faſt ganz ohne
Kriegsmarine
, um ſo mehr ausgeſetzt war.
Der Tractat mit England erbitterte das Directo-
rium; und die fuͤr die Schiffahrt der Neutralen
ſo harten Decrete des Convents ließen die Strei-
tigkeiten nicht abreiſſen. Aber auch mit England
ſelbſt, das immer mehr anfing in America eine
furchtbare Nebenbuhlerin zu ſehen, kam es zu
Haͤndeln, welche durch die im Innern entſtandenen
Partheyen noch mehr angefacht, endlich America,
um einen Krieg zu vermeiden, zu dem noch nie
geſehenen Entſchluß einer freywilligen Suſpenſion
ſeiner eignen Schiffahrt treiben.


Die Haͤndel zwiſchen England und America entſtanden 1.
Durch das verbotene Dienen Brittiſcher Matroſen auf Ameri-
caniſchen Schiffen; und ſelbſt gewaltſame Wegnahme derſel-
ben. Uebergehung dieſes Punkts im Tractat, wegen ſeiner
großen innern Schwierigkeiten. 2. Wegen des Colonialhan-
dels. Die Beſchraͤnkung des Verbots auf den directen
Handel von den Colonien nach Europa Jan. 1794 (S. 560.)
ließ den Americanern die Auskunft, die nach ihren Haͤfen
gebrachten, und verzollten Colonialwaaren durch Huͤlfe der
Ruͤckzoͤlle von da wieder nach Europa zu exportiren.
Daruͤber ſeit der Erneuerung des Krieges 1803 entſtande-
ner Streit, was eine bona fide Importation ſey? Weg-
nahme der Americaniſchen Schiffe ſeit May 1805; und

darauf
[577]2. Geſch. d. Colonialweſens 1786--1804.
darauf 3. Aug. Beſchraͤnkung des Handels mit den feindli-
chen Colonien allein auf die Brittiſchen Freyhaͤfen in
Weſtindien, um ſich den Handel ſelbſt zuzueignen.


  • Ueber den bisherigen Streit zwiſchen Nordamerica und Eng-
    land; Polit. Journal 1807 B. I. S. 27 ff.

4. Die weitere Einwirkung Americas auf den
Seehandel wird großentheils davon abhaͤngen, in
wie fern ſich dieſer Staat entſchließt eine See-
macht
zu werden. Aber die Lage dieſes Frey-
ſtaats ward weſentlich durch den Ankauf Loui-
ſianas
von Frankreich gegen das Ende dieſes
Zeitraums veraͤndert; wodurch nicht nur ſein Ge-
biet faſt verdoppelt, ſondern auch der volle Beſitz
des Miſſiſippi Stroms mit allen ſeinen Nebenfluͤſſen
ihm zu Theil ward. Welche Ausſaat fuͤr die Zu-
kunft!


Kauf Louiſianas mit der Stadt und dem Gebiet von
Neu-Orleans in dem Umfange wie ſolches Spanien ſonſt
beſeſſen fuͤr 60 Millionen Franken 30. Maͤrz 1803. Schnelle
Fortſchritte der Cultur des Landes, das als Europaͤiſche
Colonie nie gedieh; aber auch ſchon Haͤndel mit Spanien;
theils uͤber die Grenze von Louiſiana und Weſt-Florida;
theils uͤber die Grenzbeſtimmung nach Neu-Mexico; ob
der ſehr nahe Fluß Andaja, oder der ferne Rio bra-
vo
ſie mache?


  • Voyage dans les deux Louiſianes en 1801 ‒ 1803 par Per-
    rin du Lac
    . Paris
    1805. Beſchreibung des Innern dieſes
    reichen Landes, beſonders der Gegenden am Miſſuri.

5. Die Weſtindiſchen Colonien, gegruͤndet
auf Sclaverey, erlitten in dieſer Periode die groͤ-
O oſten
[578]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſten Veraͤnderungen, und zum Theil die furchtbar-
ſten Cataſtrophen. Sie hatten die Zeit ihrer Rei-
fe erreicht, und wuͤrden vermuthlich auch ohne ge-
waltſame Erſchuͤtterungen angefangen haben langſam
zu ſinken, ſeitdem der Anbau ihrer Producte ſich
auch auf dem Continent von America, und nicht
weniger in Oſtindien, durch freye Anbauer ver-
breitete. Aber nicht blos die Kriege, ſondern noch
mehr die große Ideenumwaͤlzung in Europa be-
ſchleunigte ihren Fall. Die Stimme der Menſch-
lichkeit erhob ſich gegen die Greuel des Sclaven-
handels; und drang endlich durch. Aber die un-
vorſichtige Anwendung von Grundſaͤtzen erzeugte
auch auf einigen derſelben noch groͤßere Greuel, als
die man verhindern wollte.


Man muß ſorgfaͤltig Abſchaffung des Sclavenhan-
dels
von Abſchaffung der Sclaverey unterſcheiden. Die
Gegner des erſten waren darum nicht unbedingte Gegner
der letztern; eigene Fortpflanzung der Neger in Weſtindien
ſollte zur Cultur hinreichen. Gang der Verhandlungen in
America und England. Schon 1754 Abſchaffung des Ne-
gerhandels bey den Quaͤkern; und bald allgemein wer-
dende Freylaſſungen; man verſichert zum Vortheil der
Herren. Aber den Hauptſtoß gab die Unabhaͤngigkeit Ame-
ricas, und das Verbot der Negereinfuhr daſelbſt, (mit
Ausnahme der Carolinas und Georgiens.) In England
Schriften des Predigers Ramſay; und Preisſchrift von
Clarkſon zu Cambridge 1785. Entſtehung der Society
for the Abolition of Slave trade
zu Mancheſter 1787 durch
Granville Sharp (Gruͤnder der Sierra-Leone-Com-
pagnie S. 472.), die ſich bald durch ganz England ver-

brei-
[579]2. Geſch. d. Colonialweſens 1786--1804.
breitet. Erſte Gelangung der Sache ans Parlement durch
Bittſchriften 1. Febr. 1788, die jedoch nur eine Acte zur
beſſern Regulirung
des Sclavenhandels zur Folge
hatten 10 Juli. Der Ruhm der Abſchaffung blieb in Eu-
ropa zuerſt Daͤnemark. Koͤnigl. Befehl vom 16. May
1792, daß mit dem Ende von 1802 in den Daͤniſchen Be-
ſitzungen der Negethandel aufhoͤrt. Aber auch in England
ruhte man nicht; und ſeit dem 12. May 1788 fand die Sa-
che der Neger an dem edlen Wilberforce einen ſo
hartnaͤckigen Vertheidiger im Parlemente, daß er nach 18jaͤh-
rigem, faſt jaͤhrlich erneuertem, Kampfe, lange von For und
ſelbſt von Pitt, und zuletzt noch mehr durch den Drang
der Umſtaͤnde, unterſtuͤtzt, endlich durchdrang. Bill zur
Abſchaffung des Sclavenhandels
10. Juni 1806.


  • An eſſay on the treatment and converſion of the African
    Slaves in the Britiſh Sugar Colonies by the Rev. Ja-
    mes Ramsay
    . Lond.
    1784. (Deutſch in Sprengel's Bey-
    traͤgen zur Laͤnder- und Voͤlkerkunde 5. Th.) Der Vf-
    lebte lange als Geiſtlicher auf St. Chriſtoph.
  • Eſſay on the Slavery and the commerce of the human
    ſpecies by Thom. Clarkson. Lond.
    1786. Die Engliſche
    Ueberſetzung der lateiniſchen Preisſchrift von Cambridge
    uͤber die Frage: num liceat invitos in ſervitutem dare?
  • Clarendon's accurate and copious account of the deba-
    tes of the Houſe of Commons on Mſr. Wilberfor-
    ce
    's Motion for an abolition of the Slave trade, Apr.

    2, 1792 giebt die meiſten dafuͤr und dawider vorgebrachten
    Gruͤnde.
  • Eine Aufzaͤhlung vieler andern Schriften in: Verſuch einer
    Geſchichte des Negerſclavenhandels von Joh. Jac. Sell.
    Halle 1791.

6. Einen ganz andern Gang nahm dieſe An-
gelegenheit in Frankreich und den Franzoͤſi-
ſchen Inſeln
. Statt nach Erfahrung handelte
O o 2die
[580]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
die National-Verſammlung nach allgemeinen Grund-
ſaͤtzen; und gab, indem ſie die Erklaͤrung der Men-
ſchenrechte auf die Inſeln anwandte, durch das
1791Decret vom 15. May das Signal zu Greu-
elſcenen, welche ſie bald ſelbſt, aber zu ſpaͤt, be-
reute. Doch waren es nicht die Neger ſondern die
Mulatten, welche, gleiche Rechte mit den Weißen
fordernd, den Aufſtand anfingen; und die Neger
verfuͤhrten. Wurden gleich dieſe Empoͤrungen auf
den kleinen Inſeln geſtillt, ſo wurde dagegen St.
Domingo das Opfer; und mit ihm verlohr das
Mutterland die reichſte Quelle ſeines auswaͤrti-
gen Handels. (S. 487.)


Entſtehung der Societé des amis des Noirs in Paris
1788, nicht blos zur Abſchaffung des Sclavenhandels, ſon-
dern der Sclaverey. Ihr Einfluß auf die Colonien durch
die in Paris befindlichen Mulatten. — Schon gleich bey
Eroͤffnung der Nationalverſammlung Bewegungen und
Streitigkeiten unter den Weißen ſelber; beſonders auf St.
Domingo. — Decret der N. V. vom 15. May: Gleich-
heit der Rechte der Weißen und Mulatten (gens de
couleur
). Widerſetzung und Royalismus der Weißen;
die Mulatten ergreifen die Waffen und wiegeln die Ne-
ger auf. Anfang der Empoͤrungen Aug. 1791. Vernichtung
der Plantagen; und Brand von Port-au-Prince, Nov.
— Sendung der Commiſſaire Santhonar und Polverel,
wilder Jacobiner mit dictatoriſcher Gewalt, von der zwey-
ten N. V. mit 6000 Mann; Sept. 1792. Ihre Verbindung
mit den Mulatten; Schreckensregierung; Zank mit dem
Commandanten Galbaud (nie waren die Weißen unter ſich
eins;) ſie rufen gegen ihn die Neger zu Huͤlfe; Pluͤnde-
rung, Metzeley, und Brand von Cap françois 21. Ju-

ni
[581]2. Geſch. d. Colonialweſens 1786--1804.
ni 1793. Proclamation der Freyheit der Neger. — Nach
Ausbruch des Krieges mit England Anfang der Unterneh-
mungen der Englaͤnder gegen Domingo 1793. Sept. auf
Einladung einer Partev unter den Weißen; Einnahme und
Eroberung mehrerer Plaͤtze 1793—1797 (S. 561.). Aber
das Clima fraß noch mehr als das Schwerdt. Raͤumung
der Inſel 1798. Auswanderung der Weißen, und Herr-
ſchaft der Neger unter Touſſaint Louvertuͤre; und
nach deſſen Wegfuͤhrung 1803 unter Deſſalines, Chri-
ſtoph
u. a.


  • Bryan Edwards Hiſtory etc. (S. 183.) Vol. III. Das
    Hauptwerk. Es geht bis 1795.
  • Hiſtoire des deſaſtres de St. Domingue. Paris 1795. Von
    einem gefluͤchteten Pflanzer mit Genauigkeit erzaͤhlt. Was
    ſind ſelbſt die Greuel der Buͤrgerkriege gegen die der Scla-
    venkriege!

7. Der vergebliche Verſuch zur Wiedererobe-
rung der Inſel nach dem Frieden von Amiens,1802
befeſtigte die Negerherrſchaft; die jetzt mit gaͤnzli-
cher Zerſtoͤrung der Staͤdte einen eignen Staat
Hayti errichteten. Aber die Anfuͤhrer bekriegten1803
29.
Oct.

ſich bald unter einander; und Frankreich behauptete
ſich wenigſtens in dem von Spanien abgetretenen
Theile.


8. Wenn daher gleich der Friede von Amiens,
der mit Herausgabe aller andern Eroberungen blos
Trinidad den Englaͤndern ließ, in Weſtindien
keine große Veraͤnderungen im Beſitzſtand machte,
ſo war doch Weſtindien nicht mehr, was es vor
O o 3dem
[582]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
dem Kriege geweſen war. Die erſte der dortigen
Colonien war verwuͤſtet; nur mit Muͤhe erhielt man
die Ruhe auf den andern; laute Klagen toͤnten
nach Europa heruͤber; nicht mal Jamaica konnte
ſich heben! Nur unter einem Zuſammenfluſſe von
Umſtaͤnden mochten jene Treibhaͤuſer gedeihen; die-
ſe hatten ſich veraͤndert; und ihre gluͤcklichen Zeiten
waren, vermuthlich auf immer, dahin.


9. Ganz anders war die Lage der großen
Spaniſchen Continentalcolonien von Ame-
rica. War auch auf ihnen Sclaverey, ſo war
doch nirgends Uebermacht der Sclaven. Man
hoͤrte von keinen bedeutenden Unruhen; und die
Unterbrechung der Communication mit dem Mut-
terlande ſchien das einzige Uebel zu ſeyn, das ſie
von den Folgen des Krieges empfanden. Unter-
richtete Reiſende zogen großentheils den Schleyer
zuruͤck, der ſie bisher dem Anblick verbarg; und
beſtaͤtigten jenes ſtille innere Gedeihen, eine Folge
der groͤßern Handelsfreyheit (S. 493.), wenn ſie
mit alle dem auch nur erſt aus ihrer Kindheit
heraustraten. Unter ihnen ſteht jetzt Mexico,
durch ſeine Schaͤtze, ſeine Producte, und ſeine La-
ge zum erſten Handelslande der Welt beſtimmt,
oben an. Buenos Ayres hat ſich durch ſeinen
Handel gehoben; weniger, wie es ſcheint, Neu-
Gra-
[583]2. Geſch. d. Colonialweſens 1786--1804.
Granada und Peru. Wie auch immer die po-
litiſchen Verhaͤltniſſe dieſer Laͤnder ſeyn moͤgen, ſo
koͤnnen doch ihre Handelsverhaͤltniſſe nicht
die alten bleiben; und zu welchen Reſultaten muß
nicht ſchon dieſe Veraͤnderung fuͤhren?


Zu den Schriften, welche uͤber das Spaniſche America
ein ſo viel helleres Licht verbreiten, gehoͤren vor allen die
Werke des Hrn. Al. von Humboldt; von denen hier er-
waͤhnt werden muß:


  • Eſſay politique ſur le Royaume de la nouvelle Eſpagne.
    Paris
    1808. Wenn es vollendet ſeyn wird, das Haupt-
    werk uͤber Mexico.
  • Voyage à la partie orientale de la Tierra firma par de
    Pons
    . Paris 1806. 3 Voll.
    Fuͤr Carracas, Venezuela ꝛc.
    das Hauptwerk.
  • Skinner on the preſent ſtate of Peru. London 1806. 4.
    Sehr lehrreiche Auszuͤge aus dem, auf einer Reiſe erbeu-
    teten, Mercurio Peruano.
  • Beytraͤge zur genauern Kenntniß der Spaniſchen Beſitzungen
    in America von Chr. Aug. Fiſcher. Dresden 1802. Aus
    ſpaniſchen Quellen. Beſonders wichtig fuͤr den neueren
    Handelszuſtand von Vuenos Ayres.

10. Braſilien befand ſich in andern Ver-
haͤltniſſen, wie das Spaniſche America. Pom-
bal's Monopol der Compagnie von Maranhao be-
ſtand; und man hoͤrte von keinen andern Milderun-
gen des Handelszwanges. Aber da das Mutter-
land im Intereſſe Englands blieb, ſo wurde die
freye Communication nicht unterbrochen; es mußte
durch die Seekriege der Europaͤer mehr gewinnen
O o 4als
[584]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
als verlieren. Die Zeiten naͤherten ſich, wo je-
ne politiſchen Verhaͤltniſſe des Mutterlandes der
Colonie die Unabhaͤngigkeit bereiten, und Suͤdame-
rica ein Reich geben ſollten, von gleichem Umfan-
ge und vielleicht noch groͤßerer Fruchtbarkeit als
Nord-America einen Freyſtaat beſitzt. Wer
mag die Folgen berechnen?


  • Der Handel von Portugal im Jahre 1804, in: Europaͤi-
    ſche Annalen
    1806 St. 4. S. 42. giebt die neuſten glaub-
    wuͤrdigen Nachrichten uͤber die Ausfuhr Braſiliens.

11. Welchen Einfluß die Veraͤnderung Bra-
ſiliens und die Abſchaffung des Sclavenhandels in
England und Daͤnemark auf die Africaniſchen
Kuͤſtencolonien
haben wird, ſo wie der lange
Beſitz Englands auf das Cap, (S. 564.) kann
erſt die Zeit lehren. Ueberhaupt aber wurde in
dieſer Periode Africa weit mehr in den Geſichts-
kreis der Europaͤer gezogen, als je vorher. Die
Erforſchung ſeines Inneren ward die große Aufga-
be der Zeit. Durch Bruce, durch die Unterneh-
mungen der Brittiſch-Africaniſchen Ge-
ſellſchaft
, durch die Aegyptiſche Expedi-
tion
ward das Dunkel das dieſen Welttheil be-
deckte, zum Theil erhellt; was fehlte gab nur den
Reiz zu neuen Verſuchen. Welche neue Welt
daͤmmert nicht auch hier dem Europaͤer auf?


Travels
[585]2. Geſch. d. Colonialweſens 1786--1804.
  • Travels to diſcover the ſouree of the Nile in the years
    1768-1773 by James Bruce. London 1790. 5 Voll.
    4.
    Zweyte Ausgabe 7 Voll. 8. 1805.
  • Proceedings of the Aſſociation for promoting the diſcove-
    ry of the interior parts of Africa. London
    1790. 4.
    Die Geſellſchaft, geſtiftet Juni 1788, verdoppelte den Werth
    ihrer Arbeiten durch Rennel's treffliche Charten von
    Nordafrica.

12. Der Einfluß der Europaͤiſchen Revolutio-
nen auf Oſtindien war zunaͤchſt blos militaͤriſcher
Art. Auf dem Continent von Indien hatten die
Britten keine Europaͤer mehr als Rivalen zu
fuͤrchten; der Krieg mit Holland verſchaffte ihnen
auch die Inſeln; ſie wurden alſo das allein herr-
ſchende Volk. Aber in Indien ſelbſt riſſen die
Kriege dennoch faſt nicht ab; und der Fall des
Reichs von Myſore ward hier Epoche-machend.

1799

13. So lange Tippo Saib noch herrſchte,
war er der furchtbarſte Feind der Britten; und
ihre Militairmacht blieb deshalb mehr im Suͤden
concentrirt. Verbindungen der andern Indiſchen
Maͤchte, beſonders der Marattenfuͤrſten, mit ihm
zu verhindern, dieſe wo moͤglich gegen ihn an ſich
anzuſchließen, indem man ſelbſt die Beute mit ih-
nen theilte, war das Hauptziel der Brittiſchen Po-
litik. So wurde die Macht des neuen Jugurtha
in dem naͤchſten Kriege gebrochen; indem er die
O o 5Haͤlf-
[586]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Haͤlfte ſeiner Laͤnder verlor; aber auch ſeinen Groll
gegen die Britten dadurch verdoppelte.


Neuer Krieg Tippo's 1790-1792. Veranlaſſung durch ſei-
nen Angriff auf den Rajah von Travancore, dem Ver-
buͤndeten der Englaͤnder, um die Kuͤſten von Suͤd-Ma-
labar zu erobern. Daher Theilnahme der Englaͤnder, in
Verbindung mit den Maratten und dem Nizam. Ein-
nahme von Bangalore 1791; jedoch vergebliche Unter-
nehmung gegen die Hauptſtadt unter Cornwallis und
Abercrombie. Aber 1792 Erneuerung des Zugs; und
Frieden unter den Mauern von Seringapatam 17. Maͤrz
mit Einſchluß der Brittiſchen Alliirten. Bedingungen: 1.
Tippo tritt die Haͤlfte ſeiner Laͤnder ab, nach Auswahl
der Alliirten. 2. Er zahlt 3 Croren Rupien; und giebt 3.
Bis zur geleiſteten Zahlung zwey ſeiner Soͤhne als Geiſ-
ſeln. — Die Englaͤnder nahmen fuͤr ſich und fuͤr ihre Al-
liirte Provinzen, die mit ihren alten Beſitzungen grenzten.


  • Ueber die Veranlaſſung des Krieges genaue Nachrichten im
    Polit. Journal 1792. S. 1045.

14. War es unter dieſen Umſtaͤnden zu ver-
wundern, wenn Tippo bey Gelegenheit der Aegyp-
tiſchen Expedition aufs neue das Schwerdt ergriff?
Aber die voreilige Bekanntmachung ſeiner Geſand-
ſchaft nach Isle de France hatte die Britten ge-
weckt; ſie beſchloſſen zuvorzukommen; und mit der
Eroberung von Seringapatam fiel zugleich
das Reich; indem ſich Tippo unter den Truͤmmern
ſeines Throns begrub.


Ruͤckwirkung der franzoͤſiſchen Revolution auf Tippo durch
einige Abentheurer; und Errichtung eines Jacobinerclubbs
an dem Hofe des Buͤrger-Sultans 1797. Seine Geſand-

ſchaft
[587]2. Geſch. d. Colonialweſens 1786--1804.
ſchaften nach Isle de France, und an Zemaun Schah von
Oſt-Perſien 1798. Beſorgniſſe und große Thaͤtigkeit der
Britten, und Vordringen ihrer Armeen unter General
Harris Febr. 1799. Belagerung und Erſtuͤrmung von Se-
ringapatam 4. May. Tod des Sultans; und Theilung
ſeines Reichs; indem ein Sproͤßling aus der alten Fami-
lie der Rajahs in dem Ueberreſte als Brittiſcher Vaſall
auf den Thron erhoben wird.


  • Hiſtoire des progrès et de la chute de l'empire de My-
    ſore ſous le regne d'Hyder Ali et Tippo Saib par J.
    Michaud. T. I. II. à Paris
    1801. Nur fuͤr die Geſchichte
    der letzten Cataſtrophe brauchbar.

15. Seit dem Fall von Myſore hat ſich die
Brittiſche Politik in Oſtindien ſichtbar ſo geaͤn-
dert, wie es die Politik des uͤbermaͤchtigen Erobe-
rers zu thun pflegt. Die mittelbare Herrſchaft
ward immer mehr in eine unmittelbare verwandelt;
die Bundesgenoſſen der Compagnie wurden abge-
ſetzt; ihre Laͤnder ganz oder groͤßtentheils eingezo-
gen; und in dem was ſie behielten mußten ſie
Brittiſche Garniſonen unterhalten, oder Tribut da-
fuͤr bezahlen.


Wegnahme von Tanjore 1796; von halb Oude durch
Beſchuͤtzung eines Kronpraͤtendenten 1798. Einziehung von
ganz Carnatic, nach dem Tode des Nabob von Arcok
Juli 1800 auf die empoͤrendſte Weiſe.


  • Inſtruction des Nabob von Carnatic an ſeine Agenten in
    London; in: v. Archenholz Minerva. 1802. S. 335.

16. So blieben die Marattenfuͤrſten die ein-
zigen maͤchtigen Gegner in Indien; theils furchtbar
durch
[588]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
durch ſich ſelber wie Holcar, theils durch franzoͤſi-
ſche Officiere, die ſie in ihre Dienſte nahmen.
Zum Gluͤck fuͤr die Britten fand unter ihnen ſel-
ber keine Einigkeit ſtatt. Wie kann aber der Frie-
den mit Voͤlkern beſtehen, bey denen Krieg der
gewoͤhnliche Zuſtand iſt; ſo lange ſie nicht dazu
unfaͤhig gemacht ſind?


Krieg mit den verbuͤndeten Rajahs von Berar, (S. 481.)
und dem Scindia, der durch Perron ſeine Truppen eu-
ropaͤiſiren ließ, Sept. — Dec. 1803. Siege der Britten,
Einnahme von Agra und ſelbſt Delhi, dem Sitz des Groß-
moguls. Friede 31. Dec. 1803. Bedingungen: 1. Abtre-
tung des Duab (zwiſchen dem Jumna und Ganges;) von
Beroach in Guzerat; und von dem Diſtrict Kuttac mit
dem Hafen Balaſore zwiſchen Bengalen und den Circars.
2. Verſprechen der Rajahs keine fremde Europaͤer in Dien-
ſte zu nehmen oder zu behalten. 3. Der Großmogul
bleibt in der Abhaͤngigkeit der Britten. — Der Krieg
mit Holcar (zugleich dem Feinde des Scindiah), ſeit Apr.
1804 anfangs mit ſchlechtem Gluͤck von den Britten ge-
fuͤhrt, beſtand doch nur in einem Grenzkriege.


  • Beytraͤge zur neueſten Geſchichte Indiens in Europaͤiſch.
    Annalen
    1805. B. 3. 4. aus aufgefangenen Depeſchen des
    General-Gouverneurs Wellesley im Moniteur bekannt ge-
    macht.

17. Dieſe Kriege und Eroberungen erweiterten
das unmittelbare Gebiet der Compagnie uͤber die gan-
ze Oſtkuͤſte; den groͤßten Theil der Weſtkuͤſte; und
am Ganges und Jumna bis nach Delhi. Aber ſie
veraͤnderten auch voͤllig die militairiſche Lage der Brit-
ten
[589]2. Geſch. d. Colonialweſens 1786--1804.
ten in Oſtindien. Statt des ſuͤdlichen ward jetzt
das noͤrdliche Indien, die Laͤnder am Oberganges,
der Hauptſitz ihrer Macht. So wurden ſie wieder
Nachbarn der Seiks und andrer kriegeriſcher Voͤl-
ker, wovon auch bey der Behauptung der Herr-
ſchaft doch ſtets ein geſpannter Zuſtand die Folge
iſt.


18. Bey der großen Erweiterung des Gebiets,
beſonders der Praͤſidentſchaften von Madraß und
Bombay durch Tippo's Fall, vergroͤßerten ſich auch
nothwendig die Territorialeinkuͤnfte, aber ſchwerlich
mehr, als daß ſie nur hinreichten die Ausgaben zu
beſtreiten. Viel mußte hier von dem Character
des jedesmaligen Generalgouverneurs abhangen;
wie ganz anders war der Geiſt der Verwaltung1786
unter dem einfachen Cornwallis, und dem pracht-
liebenden Wellesley? Mit der Erweiterung des1800
Gebiets ſtieg ſchon an ſich die Macht dieſer Vice-
koͤnige; aber die Umſtaͤnde erforderten es auch zu-
weilen ſie ausdruͤcklich zu vergroͤßern.


19. Der Brittiſch-Oſtindiſche Handel ward
durch die Eroberungen von den Hollaͤndern (S.
561.) natuͤrlich erweitert, da der ganze Gewuͤrz-
handel jetzt in ihre Haͤnde kam. Dauerte gleich
das Monopol der Compagnie fort, ſo ward es
doch durch die Einrichtung beſchraͤnkt, daß auch1793
Privat-
[590]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Privatkaufleute, jedoch nur auf den Schiffen der
Compagnie, gegen eine beſtimmte Abgabe, nach
Indien handeln durften. Von einem druͤcken-
den
Monopol der Compagnie kann ohnedem bey
den bekannten Einrichtungen des Handels ihrer Ac-
tien, und des meiſtbietenden Verkaufs ihrer Waa-
ren, nicht die Rede ſeyn.


20. Die Hollaͤndiſch-Oſtindiſche Com-
pagnie, ſchon lange ihrer Aufloͤſung entgegen ge-
1795
15.
Spt.
hend, erloſch nach der Revolution des Mutterlan-
des gleich einer ausgebrannten Kerze. Nicht al-
ſo die Verluſte ihrer Beſitzungen, der Mangel an
eigner innerer Lebenskraft war es, der ihren Un-
tergang herbeyfuͤhrte. Ihre Beſitzungen, von de-
nen im Frieden von Amiens blos Ceylon abgetre-
ten ward, wurden Eigenthum der Nation; und
ihre Schulden zu der Maſſe der Nationalſchulden
24.
Dec.
geſchlagen. Die Verwaltung in Europa ward einer
Regierungs-Commiſſion uͤbertragen; die in Indien
ſcheint bisher noch unveraͤndert dieſelbe geblieben zu
ſeyn.


Auf das langſame Sinken der Compagnie folgte ſeit
dem Kriege mit England 1780 der ſchnelle Fall. Die
Schulden die 1781 erſt 12 Millionen Gulden betrugen,
warea 1792 auf 107 Millionen angewachſen; die Einnah-
me hatte in dieſem Zeitraume uͤber 70 Millionen weni-
ger; die Ausgaben uͤber 30 Millionen mehr betragen, als
in den vorhergehenden 12 Jahren.


Bericht
[591]2. Geſch. d. Colonialweſens 1786--1804.
  • Bericht rakende de Vernietiging van het tegenwoordig
    Bewind der Ooſt-Indiſche Compagnie:
    in: Nieuwe Ne-
    derlandſche Jaarboeken Oct.
    1795. S. 6381 ff. Fuͤr die
    Geſchichte der letzten Periode der Compagnie 1770-1792
    das Hauptactenſtuͤck, mit allen Angaben und Belegen.
    Der ſchon fruͤher angefangene innere Verfall wird uͤbri-
    gens auch hier eingeſtanden.

21. Das Franzoͤſiſche Oſtindien beſchraͤnk-
te ſich ſeit dem Ausbruch des Revolutionskrieges
bald von ſelbſt auf Isle de France und Bourbon.
Geſchuͤtzt durch ihre Lage, und dem Mutterlande
treu, behaupteten ſich dieſe Inſeln nicht nur gegen
fremde Angriffe, ſondern, was noch ſchwerer war,
auch gegen die innern Stuͤrme der Revolution.
Sowohl durch die Caperey, als durch die von dort
aus unterhaltene Verbindung mit einzelnen Indi-
ſchen Fuͤrſten, blieben ſie England ein Dorn im
Auge.


22. Die Niederlaſſungen der Britten in Neu-
holland
(S. 485.) waren ſchon ſo weit gedie-
hen, daß ſie ſich ſelber erhielten; und beſonders
durch Schafzucht dem Mutterlande einen reichen
Lohn verſprachen. Zwey Toͤchtercolonien waren
bereits auf der Norfolksinſel und van Diemens-
land geſtiftet. Auch den großen Ocean umfaßte
fortdauernd die Schiffarth der Britten. Auf Ota-
heite
wurden Verſuche zu Miſſionen gemacht; die
Sand-
[592]III. Per. A. I. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
Sandwich Inſeln fingen an Europaͤiſche Cultur
anzunehmen; und die bisher unbekannten Theile der
Kuͤſten von N. W. America um den Nutka
Sund erhielten durch den Pelzhandel eine ſolche
Wichtigkeit, daß ſie beynahe einen Krieg zwiſchen
1790Großbritannien und Spanien erzeugt haͤtten.


23. Die bisherige Geſchichte der Colonien
ſcheint zugleich der Spiegel fuͤr die Zukunft zu
ſeyn. Die vier Arten derſelben (S. 33.), der
Ackerbau-, Bergwerks-, Pflanzungs- und Handels-
Colonien entwickelten ſich auch auf verſchiedene
Weiſe. In Nord-America bildete ſich eine Na-
tion, und ſo reifte eine Republik. Werden
Canada, die Capcolonie und Neuholland, einſt aͤhn-
liche Erſcheinungen zeigen? Wo, wie in den gro-
ßen Continentalcolonien Americas, das Volk ſich in
Caſten theilt (S. 84.), mag ſchwerlich eine Republik
entſtehen; wie aber ohne innere Revolution ſich
Reiche bilden koͤnnen, zeigt Braſilien. Was blo-
ße Pflanzungscolonien, der Selbſtaͤndigkeit unfaͤ-
hig, und zu ſchwach ſich zu ſchuͤtzen, zu fuͤrchten
haben, hat Domingo erfahren. Fuͤr die großen
Handelslaͤnder Oſtindiens bleibt eine andere Claſſe
der Revolutionen, die militairiſchen, uͤbrig; und
wiederholte Ausbruͤche des Mißvergnuͤgens der Trup-
pen zeigen, daß ſie davor wenigſtens nicht ſicher ſind.


Erſter
[593]

Erſter Zeitraum.
Von 1786 bis 1797
.


Zweyter Theil.
Geſchichte des noͤrdlichen Europaͤiſchen Staatenſyſtems
in dieſem Zeitraum.

1. Die innern Verhaͤltniſſe des Nordens in die-
ſem Zeitraum entwickelten ſich im Ganzen aus der
geſchloſſenen Verbindung Rußlands mit Oeſtreich;
und ſeiner aufgeloͤſeten Verbindung mit Preußen.
Sowohl der Ruſſiſch-Oeſtreichiſche Krieg mit den
Tuͤrken, und der dadurch wieder herbeygefuͤhrte mit
den Schweden, als die ganze Reihe der Schickſa-
le Polens und die endliche Aufloͤſung dieſes Staats
giengen daraus hervor. Das durch die Hollaͤndi-
ſchen Unruhen veranlaßte Buͤndniß zwiſchen Preußen
und England gab der letztern Macht zugleich ei-
nen groͤßern Einfluß auf den Norden, als ſie ſonſt
ausgeuͤbt hatte; und in der letzten Haͤlfte des
Zeitraums wirkten auch die neuen Scenen in
P pFrank-
[594]III. Periode. A. II. Theil.
Frankreich, indem ſie uͤberhaupt den Geiſt der Ca-
binette aͤnderten, auf den Norden ein.


2. Wie viel, bey der Spannung Rußlands
mit England und Preußen, auch vielleicht die frem-
de Politik zu dem Ausbruch des Krieges mit
der Pforte
beytrug, ſo war doch Potemkin
der Haupturheber (S. 528.), wie er, als Ober-
befehlshaber, die Seele deſſelben blieb. Aber der
1787
16
Aug.
Krieg erhielt das Anſehen eines Defenſiv-Krieges,
da die Pforte ihn zuerſt erklaͤrte. Um deſto ſiche-
1788
9.
Fbr.
rer durfte man auf die Theilnahme Joſeph's
rechnen; wie ſorgfaͤltig auch die Tuͤrken jeden An-
laß zum Zwiſt mit ihm vermieden. So entſtand
ein vierjaͤhriger Kampf; durch welchen Ruß-
land nur einen geringen Theil ſeiner Erwartungen
erfuͤllt ſah; und Joſeph, furchtbar in ſeinen Hoff-
nungen getaͤuſcht, ohne das Ende zu ſehen, ſich
ſelber ſein Grab grub!


Schauplaͤtze des Kriegs waren theils die Krimm und
Beſſarabien fuͤr die Ruſſen allein; theils die Donau-Laͤn-
der von Bosnien bis zur Moldau fuͤr Oeſtreicher und
Ruſſen. Noch 1787 vergebliche Angriffe der Tuͤrken zur
See bey Kinburn, Sept. und Oct., um die Krimm wie-
derzuerobern. Die Ruſſen, bisher gewohnt, nach Roͤmer-
ſitte, mit maͤßigen Armeen aufzutreten, erſchienen dieß-
mal mit viel groͤßerer Macht; das Hauptheer unter Po-
temkin, ein zweytes an den Grenzen der Moldau unter
Romanzow. Die Tuͤrken, Haupt-Schlachten vermeidend,
vertheidigten ihre Feſtungen. Im Jahre 1788 ungluͤckliche

See-
[595]Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. -- 1797.
Seeſchlachten fuͤr die Tuͤrken bey den Muͤndungen des
Dniepers 28. Juni und 12. Juli; und darauf Belagerung
Oczakows von Juli — Dec. durch Potemkin. Einnah-
me durch Sturm und ſchreckliches Blutbad 17. Dec. —
Anfang des Oeſtreichifchen Krieges mit dem Hauptheer
unter Joſeph ſelber und Laſcy, Maͤrz. Sonderbares Sy-
ſtem eines Defenſivkrieges durch einen Grenz-Cordon; von
den Tuͤrken im Bannat durchbrochen Aug. Die Nacht
bey Lugoſch
20. Sept. koſtete Joſeph ſeinen Feldherrn-
ruhm und ſeine Geſundheit. Er verlaͤßt bald mißmuͤthig
das Heer; indem Laudon mit Haddik das Obercomman-
do erbaͤlt. — Dagegen Vereinigung des Corps unter dem
Prinzen von Coburg mit den Ruſſen in der Moldau;
und Einnahme von Chotzim 19. Sept. — Im folgen-
den Feldzuge 1789 gluͤcklichere Fortſchritte der Oeſtreicher
unter Laudon, Eroberung Belgrads 8. Oct. und Bela-
gerung Orſowas. In der Moldau unter Coburg und
Suwarow Siege bey Fockſchani 31. Jul. und bey
Martineſtie am Rimnik 22. Sept. Bey den Ruſſen
fortdauernd Belagerungskrieg. Eroberung von Gallaz 1. May;
von Akiermann 13. Oct.; von Bender 15. Nov. Nicht
weniger im Jahr 1790, als nach Joſeph's Tode Oeſtreich
ſchon zuruͤcktrat, Eroberung von Kilianova 15. Oct. und
grauſenvolle Erſtuͤrmung Ismails durch Suwarow 22.
Dec.


  • Geſchichte des Oeſtreichiſch-Ruſſiſchen und Tuͤrkiſchen Krieges
    in den Jahren von 1787-1792 nebſt Actenſtuͤcken und Ur-
    kunden. Leipzig 1792. — Aus dem politiſchen Journal
    compilirt.
  • Conſiderations ſur la guerre actuelle des Turcs par Mr.
    de Volney. à Londres 1788.
    — Ueber die bevorſtehende
    Theilung des Tuͤrkiſchen Reichs, und Frankreichs Intereſſe
    dabey, beſonders in Ruͤckſicht Aegyptens. — Als
    Critik, ſehr gruͤndlich, aber muͤhſam zu leſen:
  • Examen du livre intitulé Conſidératious otc. par Mr. de
    Pexssonel
    . Amſterdam 1788.

P p 23.
[596]III. Periode. A. II. Theil.

3. Jedoch die Bedraͤngniſſe der Pforte hatten
auch die Thaͤtigkeit anderer Maͤchte, Englands
und vorzuͤglich Preußens, aufgeregt. Ohne ſel-
ber Antheil zu nehmen, ſuchten ſie in Polen und
Schweden Diverſionen zu bewirken. Guſtav
III. glaubte den Zeitpunkt gefunden zu haben, von
dem druͤckenden Uebergewichte des Nachbarn ſich
durch einen kuͤhnen Streich zu befreyen. So brach
er mit Rußland
; und hatte bald, nicht nur
mit aͤußern, ſondern auch mit innern Feinden im
Kampf, Gelegenheit genug zu zeigen, was der
außerordentliche Mann, wenn auch ſich allein uͤber-
laſſen, vermag. Sein Kampf war nicht ohne
Ruhm; und endete ohne Verluſt.


Einfall des Koͤnigs in Ruſſ. Finnland 23. Juni 1788; und
Ruſſiſche Kriegserklaͤrung 11. Juli. Der Krieg, zugleich Land-
und Seekrieg, erweitert durch Theilnahme Daͤnemarks
zu Gunſten Rußlands, vermoͤge der beſtehenden Allianz
(S. 520.) Sept. Einfall von Norwegen und Bedrohung Go-
thenburgs; jedoch auf Brittiſche Verwendung bereits 9.
Oct. Waffenſtillſtand und demnaͤchſt Ruͤckzug. — Unent-
ſchiedene Seeſchlacht bey Hochland 17. Juli. — Aber Auf-
ſtand bey der Schwediſchen Armee Aug., weil ein An-
griffskrieg gegen die Conſtitution ſey; und ſelbſt eigenmaͤch-
tiger Waffenſtillſtand mit Rußland. Zuſammenberufung
der Staͤnde; und durch die Unions- und Sicherheits-
acte
3. April 1789 erweiterte koͤnigliche Macht, und Recht
des Kriegs und Friedens, nicht ohne heftigen Widerſpruch
des Adels. Seitdem Erneuerung des Krieges; jedoch in
Finnland nur heftige Poſtengefechte; aber blutiger Kampf
zur See, ſowohl der großen als der Scheerenflotten. Sieg

der
[597]Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. -- 1797.
der Ruſſiſchen Scheerenflotte 24. Aug. So auch in dem
folgenden Jahr 1790. Abgeſchlagener Angriff auf die Flot-
te bey Reval 14. Mai; aber Sieg des Koͤnigs mit der
Scheerenflotte 15. Mai. Nach dem Seetreffen vom 3. Ju-
ni Ruͤckzug der Schwediſchen Flotte und Blokade im Wi-
burgſund; und in dem Treffen 3. Juli großer Verluſt.
Aber wieder Sieg des Koͤnigs mit der Scheerenflotte in
Svenſka-Sund 9. Juli. Darauf angefangene Unter-
handlung; und Abſchluß des Friedens, ohne fremde Ver-
mittelung, zu Werelå 14. Aug. Bedingungen: 1. Wie-
derherſtellung des vollen Status quo vor dem Kriege. 2.
Rußland erkennt die beſtehende Schwediſche Verfaſſung an.


Bevollmaͤchtigte: von Rußland B. v. Igelſtroͤm; von
Schweden: B. v. Armfeldt.


  • Memoires ſur la Campagne de 1788 en Suede, par le
    prince Charles de Heſſe. à Copenhague 1789.
    Fuͤr die
    Geſchichte des Daͤuiſchen Feldzuges.

4. Viel groͤßere Schwierigkeiten machte die
Beendigung des Tuͤrkenkrieges; weil ſich Fremde
darein miſchten. England und beſonders Preußen
wollten die Bedingungen vorſchreiben; eine Preußi-1790
31.
Jan.

ſche Allianz ward mit der Pforte geſchloſſen; ei-
ne Preußiſche Armee ward in Schleſien verſamm-
let. Der Tod Joſeph's II., und die Lage der20.
Fbr.

Monarchie beym Regierungsantritt Leopold's, ver-
ſtaͤrkten die Friedenshoffnung. Belgien in offnem
Aufſtande; (S. 539.) Ungarn mißvergnuͤgt und un-
ruhig; der ganze Staat erſchoͤpft und ohne innere
Haltung. Doch ward der Congreß zu Reichen-
bach
noch unter ſehr ungewiſſen Ausſichten eroͤffnet.


P p 3Eroͤff-
[598]III. Periode. A. II. Theil.

Eroͤffnung des Congreſſes zu Reichenbach Jun. 1790. Pro-
ject von Herzberg: Herausgabe Galliziens an Polen gegen
eine Entſchaͤdigung in Servien und der Wallachey nach den
Paſſarowitzer Grenzen (S. 304.); und fuͤr Preußen Dan-
zig und Thorn; verworfen von Oeſtreich. Aber bey Herz-
berg's Sinken Aufgabe des Projects; und Beſtehung auf
den ſtricten Status quo.Convention zu Reichen-
bach
27. Juli; als Grundlage des kuͤnftigen Friedens zwi-
ſchen Oeſtreich und der Pforte; indem Oeſtreich in den
Status quo einwilligt; und Preußen und die Seemaͤchte
ihre Huͤlfe in den Niederlanden verſprechen.


  • Herzberg Recueil etc. T. III. p. 77 ſq.

Bevollmaͤchtigte; von Oeſtreich: Fuͤrſt Reuß und Baron
von Spielmann. Von Preußen Gr. Herzberg. Von Eng-
land Joſ. Ewart. Von der Republik van Reede.


5. Die naͤchſte Folge dieſer Verhandlung war
19.
Spt.
ein Waffenſtillſtand zwiſchen Oeſtreich und
der Pforte; aber mit dem Abſchluß des Defini-
tivfriedens zu Sziſtovć
verzog es ſich wegen
mehrerer Zwiſchenvorfaͤlle und einiger Modificationen
bis in die Mitte des folgenden Jahres.


Friede zu Sziſtové zwiſchen Oeſtreich und der Pforte 4.
Aug. 1791. Bedingungen: 1. Wiederherſtellung des Status
quo
vor dem Kriege; doch bleibt Alt-Orſowa, aber unbe-
feſtigt, bey Oeſtreich. 2. Die Feſtung Chotzim bleibt bis
zum Frieden mit Rußland von Oeſtreich beſetzt. 3. Ge-
nauere Grenzbeſtimmung; durch die Convention vom 28.
Nov. 1795 berichtigt.


Bevollmaͤchtigte: der Baron von Herbert; und der Reis
Effendi.


6.
[599]Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. -- 1797.

6. Viel ſchwieriger war die Negociation mit
Rußland
. Catharina, mit Schweden bereits
ausgeſoͤhnt, ließ den hohen Ton, in dem Preußen,
und beſonders England, ihr gleiche Bedingungen
des Status quo vorſchreiben wollten, ſich nicht ge-
fallen. Umſonſt ließ Pitt, unter dem Murren der
Nation, eine Flotte ausruͤſten; Catharina erklaͤrte
ihren Frieden allein ſchließen zu wollen; und ſchloß
ihn allein.


Abſchluß der Praͤliminarien zwiſchen Rußland und der
Pforte 11. Aug. 1791; in einen Definitivfrieden ver-
wandelt zu Jaſſy 9. Jan. 1792. Bedingungen: 1. Ruß-
land behaͤlt Oczakow mit dem Landſtrich zwiſchen dem Dnie-
per und Nieſter; welcher letztere die Grenze wird. 2.
Sonſt blieben, mit Ruͤckgabe aller Eroberungen, die Gren-
zen wie vor dem Kriege. — Potemkin, der Urheber
des Kriegs, erlebte nicht mehr den Friedensſchluß. Er
war am 15. Oct. 1791 auf der Reiſe unweit Jaſſy unter
einem Baum geſtorben.


Bevollmaͤchtigte zu Jaſſy: der Graf Besborodko; und
der Großvezier Juſſuf Paſcha.


7. Nach vierjaͤhrigem Kampfe und mit Stroͤ-
men Bluts hatte man alſo kaum die Außenwerke
eines Staats einreißen koͤnnen, den man hatte um-
ſtuͤrzen wollen; (ſo viel vermag Nationalſinn und
Muth gegen Tactic!) und ſelbſt dieſe mußte man
bis auf weniges wieder zuruͤckgeben. Auch ohne
weite Eroberungen war aber doch der Kampf nicht
minder folgenreich.


P p 48.
[600]III. Periode. A. II. Theil.

8. Die erſte und wichtigſte Folge war die
Befeſtigung der Herrſchaft Rußlands am ſchwar-
zen Meer. Ihm blieben die Krimm und die an-
grenzenden Laͤnder. Freylich damals meiſt Wuͤ-
ſten; aber Wuͤſten wo bald Cherſon und Odeſſa
aufbluͤhen konnten. Nicht fuͤr ſich, ſondern fuͤr
kuͤnftige Geſchlechter, hat Catharina hier gepflanzt.
Was von hier aus werden kann, lehrt ein Blick
auf das nahe Aegeiſche Meer mit ſeinen Kuͤſten
und Inſeln; was werden wird, mag die kuͤnftige
Geſchichte erzaͤhlen.


9. Hoͤherer Gewinn fuͤr die Gegenwart war
die Bildung von Feldherren. Suwarow und
Coburg, wetteifernd ohne Neid, waren wohl
mehr werth als das zerſtoͤrte Oczakow, und Chot-
zim. Die Zeiten waren nahe, wo beyde auf an-
dern Schauplaͤtzen auftreten ſollten. Warum muß-
te ihre große Laufbahn erſt am Abend ihres Lebens
beginnen?


  • Anthing Verſuch einer Kriegsgeſchichte des Grafen Al. Su-
    warow. 3 Th. 1799.

10. Fuͤr die beyden Nachbarſtaaten, Schwe-
den und Polen, hatte auch dieſer zweyte Tuͤrken-
krieg ganz entgegengeſetzte Reſultate. Fuͤr Schwe-
den
war der Preis des Krieges ſeine befeſtigte
Selbſtaͤndigkeit; und die Freundſchaft mit Rußland.
Ob
[601]Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. -- 1797.
Ob man aber auch die neue große Erweiterung der
koͤniglichen Macht als Gluͤck anſehen muß? Schon
die naͤchſten Jahre zeigten, daß ſie fuͤr Schweden
hoͤchſt bedenklich werden koͤnne! Und Niemand
buͤßte bald dafuͤr haͤrter, als der ungluͤckliche Gu-
ſtav III!


Auf den Frieden zu Werelaͤ folgte bald eine Defenſiv-
Allianz mit Rußland
19. Oct. 1791; durch die gleich-
geſtimmten Geſinnungen gegen Frankreich herbeygefuͤhrt.
Entſchluß Guſtav's III. zu der Theilnahme an der Allianz
gegen Frankreich, indem er ſich ſelber an die Spitze ſtellt.
Aber große Gaͤhrung unter dem Adel; und Ermordung
des Koͤnigs
nach dem Reichstage zu Gefle 16. Maͤrz
1792. Die Erhaltung der Neutralitaͤt unter der Regent-
ſchaft des Herzogs Carl von Suͤdermanland (bis 1796)
war davon die Folge.


  • Reiſen uͤber den Sund. Tuͤbingen 1803. Reich an Aufklaͤ-
    rungen fuͤr dieſen Zeitraum.

11. Eine Reihe ganz anderer Schickſale aber
entwickelte ſich aus jenem Kriege fuͤr Polen.
Schon waͤhrend desſelben ward ſein Untergang vor-
bereitet. Die Spannung Rußlands und Preußens
wirkte nothwendig auf dieſen Staat zuruͤck; und
die Lage ward bald ſo, daß Neutralitaͤt eine Unmoͤg-
lichkeit war.


Ruſſiſcher Antrag an den Confoͤderationsreichstag, von
Stanislaus beguͤnſtigt, zu einem Buͤndniß bey Ausbruch
des Tuͤrkenkrieges, um Polen hereinzuziehen; dagegen Er-
klaͤrung Preußens
an Polen 12. Oct. 1788, daß es
dieß als einen Schritt gegen ſich betrachten wuͤrde.


P p 5Vom
[602]III. Periode. A. II. Theil.
  • Vom Entſtehen und Untergange der Polniſchen Conſtitution
    vom 3. May 1791. 2 Th. Germanien 1793. Geht bis zur
    vollzogenen zweyten Polniſchen Theilung Oct. 1793. Von
    Polniſchen Patrioten geſchrieben. Auch der gerechteſte
    Schmerz thut aber doch wohl ſeinen Ausdruck zu maͤßigen.
    — Die Ruͤckſeite des Gemaͤhldes ſoll zeigen:
  • Hiſtoire de la pretendue revolution de Pologne, avec
    un examen de ſa nouvelle conſtitution; par Mr. Me-
    hée
    . Paris 1793.
    Die neue Conſtitution konnte freylich
    einem heftigen Jacobiner nicht genuͤgen.

12. Lautwerden einer Antiruſſiſchen Partei,
da man in Preußen einen Beſchuͤtzer ſah. Abſchaf-
fung der von Rußland garantirten Verfaſſung,
(S. 519.) und Einfuͤhrung einer neuen Conſtitu-
tion, wie ſie dem Zeitalter angemeſſen war, wurde
ihr Hauptzweck. Fortdauernd dabey aufgemuntert
1790
29.
Maͤrz
von Preußen, kam es ſelbſt mit dieſer Macht zu
einer Allianz; in welcher nicht nur Polen ſeine
jetzigen Beſitzungen garantirt; ſondern auch Huͤlfe
verſprochen ward, wenn Fremde es wegen ſeiner
innern Angelegenheiten angreifen wollten. Freylich
ſtutzten die Polen, da man auch ſchon jetzt anfieng
von der Acquiſition von Danzig und Thorn zu
ſprechen.


Die erſten Differenzen zwiſchen Preußen und Polen
entſtanden bey den Verhandlungen uͤber den Handelstrac-
tat; wobey Danzigs Abtretung in Anregung gebracht ward.
Die Allianz ward abgeſchloſſen ohne den Handelstractat zu
Stande gebracht zu haben.


13.
[603]Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. -- 1797.

13. Sich der Ruſſiſchen Vormundſchaft ent-
ledigend, und deſſen Truppen den Durchmarſch ver-
weigernd, betrug ſich daher jetzt Polen als ſouve-
rainer Staat. Ignaz Potocky und ſeine Freun-
de betrieben unterdeß, mit dem Beyfall Preußens,
in tiefer Stille die Entwerfung der neuen Conſtitu-
tion. Auch der Koͤnig war gewonnen, ſo weit er
zu gewinnen ſtand. Aber ſo tief waren dennoch die
alten Vorurtheile gewurzelt, daß die Annahme die-1791
3.
Mai

ſer Conſtitution nur durch eine Art von Ueberra-
ſchung durchgeſetzt werden konnte.


Conſtitution vom 3. May: Hauptpunkte: 1. Die
Verwandlung des Wahlreichs in ein Erbreich. 2. Der
Churfuͤrſt von Sachſen wird zum Nachfolger erklaͤrt; in
ſeinem Hauſe ſoll der Thron erblich bleiben. 3. Der Koͤ-
nig mit dem Staatsrath hat die ausuͤbende Macht. 4.
Fortdauer des Reichstages in zwey Kammern; mit Auf-
hebung des Liberum veto. 5. Beſtaͤtigung aller Vorrech-
te des Adels; jedoch 6. auch einige Beguͤnſtigungen fuͤr
den Buͤrger- und Bauernſtand. Freylich waren dieſe ſehr
beſchraͤnkt; aber ließ ſich auf einmahl mehr geben, ohne
die bisherige Nation, den Adel, zu erzuͤrnen?

Die beſte Critik derſelben in Jekel Staatsveraͤnderungen ꝛc.
S. oben S. 266.

14. Selten ward eine Conſtitution mit groͤße-
rem Enthuſiasmus aufgenommen! Die Nation ſah
in ihr die Morgenroͤthe ihrer Freyheit. Aber ihre
Vertheidigung war ſchwieriger als ihre Entwerfung;
und ward faſt unmoͤglich weil der, der ſie haͤtte ver-
theidi-
[604]III. Periode. A. II. Theil.
theidigen ſollen, der Koͤnig, zu ſchwach war ſie
auch nur vertheidigen zu wollen.


15. Abſichtlich ſchien Catharina ein furchtba-
res Stillſchweigen zu beobachten, ſo lange noch
der Krieg mit den Tuͤrken ihr die Haͤnde band.
Auch brach ſie es nicht ohne Vorwand. Die
Vereinigung einer Handvoll Unzufriedener, Felix
Potocky's und ſeiner Gehuͤlfen, zu Targowitz,
zur Aufrechthaltung der alten Conſtitution, mußte
dieſen geben. Unter ihrem Schutz errichteten ſie
1792
14.
Mai
eine Confoͤderation; (bald laut von ihnen ſel-
ber verwuͤnſcht;) die die Nation hieß! Was muß-
te man jetzt nicht erwarten, da auch der Friede zu
Jaſſy (S. 599.) Catharinen freye Haͤnde gegeben
hatte!


Vordringen einer Ruſſiſchen Armee in Polen, May
1792. Tapferer, aber vergeblicher, Widerſtand unter Po-
niatowsky, Koſziusko u. a. Beytritt des Koͤnigs
zur Targowitzer Confoͤderation
23. Juli; Waffen-
ſtillſtand; und Umſturz der ganzen neuen Conſtitution.


16. Doch ruhte noch immer die Hoffnung
auf Preußen! Aber auch im Weſten hatte ſich
unterdeß vieles geaͤndert. Ohne Lorbeern und mit
faſt erſchoͤpftem Schatze war Friedrich Wilhelm II.
aus Champagne zuruͤckgekommen; und der Krieg
am Rhein dauerte fort! Welche Ausſicht, zugleich
die eines zweyten Krieges mit Rußland! Daß
Preußen
[605]Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. -- 1797.
Preußen ſie verlaſſen wuͤrde, konnten die Polen
alſo ahnen; aber daß ihr Beſchuͤtzer, ſchon ver-
bunden mit Rußland, helfen wuͤrde ſie zu ſtuͤrzen,
— war doch mehr als ſich erwarten ließ!


Einmarſch Preußiſcher Truppen in Polen, unter dem
Vorwand der Unterdruͤckung des Jacobinismus; und De-
claration 16. Jan. 1793; worauf ſchon 24. Febr. eine zwey-
te wegen Wegnahme Danzigs (ſeit der erſten Theilung
das Ziel der Preußiſchen Politik; von Catharina kluͤglich
aufgeſpart; durch deſſen Bedruͤckung ſchon Friedrich 1783
ſeinen Ruhm geſchmaͤlert hatte,) folgte. Aber bald hob
die gemeinſchaftliche Declaration vom 16. April voͤllig
den Schleyer!


17. Zweyte Theilung von Polen,
zwiſchen Rußland und Preußen; wodurch Polen
noch etwa ein Drittheil ſeines vormaligen Gebiets
blieb. Hart war die Theilung, noch haͤrter die
Behandlung, durch die man auf dem Reichsta-
ge zu Grodno
die Einwilligung der Nation er-
zwang. Solche Auftritte hatte man doch in Eu-
ropa noch nicht geſehen!


Erzwungene Ceſſion des Weggenommenen an Rußland
17. Aug. 1793, an Preußen 3. Sept., gegen Entſagung al-
ler weiteren Anſpruͤche; und Garantie des noch uͤbrig Ge-
laſſenen!


18. Daß auch das noch uͤbrige Polen unter
dem Principat von Rußland blieb, verſtand ſich
von ſelbſt. Eine engere Union ließ ihm kaum
den
[606]III. Periode. A. II. Theil.
den Schatten von Selbſtaͤndigkeit; und welche an-
dere als eine militairiſche Herrſchaft haͤtte hier jetzt
beſtehen koͤnnen? Selbſt die Hauptſtadt blieb von
Ruſſiſchen Truppen beſetzt; und der Oberbefehlsha-
ber war zugleich der Geſandte.


Unionstractat mit Rußland 16. Oct. Hauptpuncte:
1. Rußland behaͤlt ſich die Direction der kuͤnftigen Kriege
vor. 2. Nicht weniger ſeine Einwilligung zu allen kuͤnfti-
gen Vertraͤgen mit auswaͤrtigen Staaten. 3. Freyen Ein-
marſch ſeiner Truppen auf bloße Anzeige. — Das haͤrte-
ſte fuͤr den Augenblick aber war die Ernennung des Ge-
nerals von Igelſtroͤm zum Geſandten.


18. Schien gleich unter dieſen Umſtaͤnden
kaum ein Schatten von Hoffnung uͤbrig zu ſeyn;
ſo gaben doch die ins Ausland gefluͤchteten Patri-
oten, bekannt mit der Stimmung der Nation, die-
ſe nicht auf. Sie fanden in Koſciusko den
Mann faͤhig als Feldherr das Haupt einer Revo-
1794lution zu ſeyn. Von ihm vorbereitet brach ſie in
Crakau; und bald auch in der Hauptſtadt aus;
und man ergriff das einzige Mittel zum Erfolg,
den Oberanfuͤhrer als Chef an die Spitze der
Nation zu ſetzen.


Ausbruch der Revolution, bey Gelegenheit der Reduc-
tion der Polniſchen Truppen, in Crakau unter Madalins-
ky 24. Maͤrz. Bewaffnung der Bauern; und kuͤhne Maß-
regeln. Ausbruch in Warſchau 17. April; und blutige Her-
ausſchlagung der Ruſſen. Errichtung einer Regierung;
(dem Koͤnig ließ man den Titel;) und ſchnelle Verbrei-
tung der National-Inſurrection.


Verſuch
[607]Geſch. d. noͤrdl. Eur. Staatenſyſt. -- 1797.
  • Verſuch einer Geſchichte der letzten Polniſchen Inſurrection,
    vom Jahr 1794. 2 Th. 1796. Gewiſſermaßen Fortſetzung
    des Werks: Ueber das Entſtehen ꝛc. (S. oben S. 602.)
    aber in gemaͤßigterm Tone; und von einem andern Ver-
    faſſer.
  • Memoires ſur la revolution de la Pologne trouvées à
    Berlin. Paris 1806.
    Enthaͤlt nach einem Abriß der Polni-
    ſchen Geſchichte, den Kriegsbericht von den Vorfaͤllen in
    Warſchau an die Kayſerin vom Gen. von Piſtor.

19. Auch wurden, wenn gleich im Kampfe mit
zwey uͤbermaͤchtigen Feinden, durch Friedrich Wil-
helm's vergeblichen Zug gegen Warſchau, die Hoff-
nungen der Polen nicht wenig belebt. Aber ihre
Rettung war an Einen Mann geknuͤpft; ſein
Schickſal entſchied das ihrige. Bald war nur noch
die Hauptſtadt uͤbrig; und Polen hoͤrte auf zu
ſeyn!


Aufgehobene Belagerung Warſchaus von Friedrich Wil-
helm bey der im Ruͤcken entſtandenen Inſurrection Sept.
1794. Aber Niederlage und Gefangenſchaft von Ko-
ſciusko
durch die Ruſſen unter Ferſen 10. Oct. Vor-
dringen von Suwarow, und Erſtuͤrmung und Blutbad von
Praga 4. Nov.


20. Dritte und gaͤnzliche Theilung
Polens
mit Hinzuziehung Oeſtreichs; nach bloßer
Uebereinkunft der drey Hoͤfe; da man der Einwilli-
gung Polens nicht mehr bedurfte. Die Vernich-
tung dieſes Staats hatte auch die Unterwerfung
Cur-
[608]III. Per. A. II. Geſch. d. noͤrdl. Staat. -- 1797.
Curlands, ſeines vormaligen Lehens, (S. 361.)
unter Rußland zur Folge.


Zuerſt Declarationen der beyden Kayſerhoͤfe mit vorlaͤu-
figer Beſtimmung der Grenzen 3. Jan. 1795; und darauf,
nach voͤlliger Uebereinkunft, dreyfache wechſelſeitige Vertraͤ-
ge 24. Oct, nach den nachmaligen Grenzen. — Die frey-
willig unbedingte
Unterwerfungs-Acte Curlands ward
18. Maͤrz 1795 ausgeſtellt.


21. So erlebte Catharina den Schluß des gro-
ßen Trauerſpiels; das ſie allein eigentlich endete, ſo
wie ſie allein es vor dreißig Jahren begonnen hatte.
Mit andern hatte ſie das Land, aber nie die Herr-
ſchaft getheilt; und was ſie gegeben hatte, waͤre viel-
1796
17.
Nov.
leicht nur geliehen geweſen, haͤtte der Tod ſie nicht
uͤbereilt. So wie ſie hatte allerdings noch keiner
ihrer Vorgaͤnger auf Europa gewirkt; aber daß
dieſe Einwirkung doch ihre Grenzen hatte, und
welche, hat die Geſchichte gezeigt. Ganz anders
ſollte dieſe werden, wie ihr einziger Sohn, als
PaulI., zu ſpaͤt fuͤr ihn ſelbſt, immer zu fruͤh
fuͤr das Reich, den Thron beſtieg.


Zwey-
[609]

Zweyter Zeitraum.
Von dem Frieden zu Campo Formio bis zu der Errich-
tung des Franzoͤſiſchen Kayſerthrons *).
1797 bis 1804.


1. Bey dem Anfange dieſes Zeitraums hatte ſich
die Lage der Hauptmaͤchte des Continents, wenn
ſie gleich alle noch aufrecht ſtanden, doch ſchon
weſentlich veraͤndert. Frankreich, durch Bel-
gien, Savoyen, Nizza und Avignon bereits geo-
graphiſch vergroͤßert, und mit Spanien auf das
engſte alliirt, hielt zugleich Italien und Holland
beſetzt, und durfte ſchon im voraus [a]uf die Abtre-
tung des linken Rheinufers, und damit auf die
Abhaͤngigkeit des deutſchen Reichs zaͤhlen. In
Oſten Rußland, noch mit ungeſchwaͤchter Kraft;
und durch die letzten Polniſchen Theilungen nicht
nur vergroͤßert, ſondern auch dem Weſten geogra-
phiſch
Q q
[610]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
phiſch naͤher geruͤckt; zwiſchen beyden Preußen,
durch eine verſchwenderiſche Adminiſtration ſchnell
erſchoͤpft; jetzt unmittelbarer Nachbar von Ruß-
land, und bald auch von Frankreich; mit offnen
Grenzlaͤndern gegen beyde; und bey einer großen
Handelsſchiffarth ohne Marine zugleich jedem An-
griff zur See ausgeſetzt. Oeſtreich, nach dem
Verluſt ſeiner Nebenlaͤnder mehr in ſich geſchloſ-
ſen, und ſchnell ſich erholend.


Noch vor Eroͤffnung des Raſtadter Congreſſes ſtarb Koͤ-
nig Friedrich WilhelmII. 16. Nov. 1797. Schnelle
und große Reformen im Innern unter Friedrich Wil-
helm
III.; jedoch in den auswaͤrtigen Verhaͤltniſſen kei-
ne weſentliche Veraͤnderung.


2. Zwar glaubten die Politiker durch die Ar-
rondirung Oeſtreichs und Frankreichs auch den dau-
ernden Frieden zwiſchen beyden gegruͤndet zu ſehen;
aber theils waͤhrte noch der Seekrieg fort; und
wer mochte zweifeln, daß Pitt alles thun wuͤrde
auch den Landkrieg wieder zu entzuͤnden? theils
konnte der Abſchluß des Reichsfriedens zu Raſtadt
nicht ohne Schwierigkeiten ſeyn; und waͤre auch
beydes nicht geweſen, ſo dauerte bey den fortgeſetz-
ten Republicaniſirungsplaͤnen des Directorii der
Kampf der politiſchen Grundſaͤtze fort, der keinen
feſten Friedensſtand erlaubte.


3.
[611]Geſch. d. Eur. Staatenſyſt. 1797--1804.

3. Eroͤffnung des Congreſſes zu Raſtadt,
unter den traurigſten Ausſichten fuͤr das Reich.
Nur durch ein enges Einverſtaͤndniß Oeſtreichs und
Preußens war es zu ſtuͤtzen; aber alte Grundſaͤtze,
neue Entwuͤrfe, und ſchon eroͤffnete neue Ausſichten
(S. 557. 572.) bildeten hier eine zu ſtarke Schei-1797
30.
Dec.

dewand; und die Uebergabe von Mainz und
Wegnahme von Ehrenbreitſtein, waͤhrend der1799
24.
Jan.

Unterhandlungen, zeigte dieß klar. Doppelte For-
derung Frankreichs: 1. Abtretung des ganzen linken
Rheinufers, die ihm den militairiſchen, — 2. An-
nahme des Grundſatzes der Verguͤtung der beein-
traͤchtigten Fuͤrſten durch Saͤculariſationen, — die
ihm den politiſchen Einfluß ſicherte.


Dauer des Raſtadter Congreſſes vom 9. Dec 1797 — 8.
April 1799. Nach der Bewilligung der Franzoͤſiſchen Haupt-
forderungen 11. Maͤrz 1798 von Seiten des Reichs, haͤtte
man eine ſchnellere Beendigung erwarten duͤrfen, wenn ſich
nicht bald gezeigt haͤtte daß dieſe nicht von dem Congreß
ſelber, ſondern von der unterdeß immer verwickelter wer-
denden Lage Europas abhinge.


Abgeordnete von Franzoͤſiſcher Seite: Bonnier, Jean de
Bry und Roberjot (Letzterer nach Treilhard's Abgange.)
Vom Kayſer: Gr. v. Metternich; Gr. L. Cobenzl und v.
Lehrbach. Von Preußen: Graf Goͤrz; v. Jacobi; v. Dohm.
Van Churmainz: v. Albini u. a.


  • (v. Haller) Geheime Geſchichte der Raſtadter Friedensver-
    handlungen in Verbindung mit den Staatshaͤndeln dieſer
    Zeit. Von einem Schweizer. Nebſt den wichtigſten Urkunden.
    Germanien 1799. 6 Th. 8. Nur der erſte Theil dieſes
    gehaltvollen Werks enthaͤlt die Geſchichte, und zwar in
    Q q 2gedraͤng-
    [612]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
    gedraͤngter Ueberſicht von dem Anfange des Revolutions-
    krieges bis zum Ausbruch des Krieges 1799; die uͤbrigen
    5 die Urkundenſammlung.

4. Waͤhrend dieſer Unterhandlungen dauerte
der revolutionaire Zuſtand in mehreren Laͤndern,
vorzuͤglich in Italien, fort. Seit der Einrichtung
der Cisalpiniſchen und Liguriſchen Republiken hatte
ſich die democratiſche Parthey bald weiter verbrei-
tet; und in Rom ſelbſt den Umſturz der beſtehen-
den Verfaſſung und eine Roͤmiſche Republik
zur Folge gehabt. Nirgends aber wollte der Frey-
heitsbaum weniger Wurzeln faſſen als hier.


Veſetzung Roms durch franzoͤſiſche Truppen, bey Gele-
genheit eines Volksaufſtandes 10. Febr. 1798. Erklaͤrung
der Roͤmiſchen Republik 15. Febr.; harte Behandlung und
Wegfuͤhrung des 80 jaͤhrigen Pius des VI. (der im Exil
ſtarb 1799 29. Aug.), und mehrerer Cardinaͤle 20. Febr.


  • A brief account of the ſubverſion of the Papal govern-
    ment 1798 by R. Duppa. Lond. 1799.
    Deutſch in: v.
    Archenholz
    Minerv. Aug. 1800.

5. Wenn dieſe Behandlung des Oberhaupts
der Kirche auf Befehl des Directorii ein Beweis
der Geringſchaͤtzung der oͤffentlichen Meinung war,
ſo ſah man in der gewaltſamen Revolution
der Schweiz
davon noch einen viel auffallendern.
Seit faſt drey Jahrhunderten war es dieſem Frey-
ſtaat in der Mitte Europas nicht nur gelungen,
ſich von der Theilnahme an den großen Welthaͤn-
deln
[613]Geſch. d. Eur. Staatenſyſt. 1797--1804.
deln zuruͤckzuhalten; ſondern das conventionelle
Voͤlkerrecht hatte ihm ſelbſt gewiſſermaßen ei-
ne Unverletzlichkeit zugeſtanden, die faſt an Heilig-
keit grenzte. Wie haͤtte ein Zeitalter das Nichts
ſchonte, dieſes Heiligthum ſchonen ſollen, in dem
zwar Freyheit, aber keine Gleichheit war? Neben
dem zu hoffenden Finanz-Gewinn war die militai-
riſche Wichtigkeit des Landes, durch Lage und Be-
ſchaffenheit, wahrſcheinlich ein nicht geringerer Be-
wegungsgrund. Wenige Wochen reichten hin, trotz
des geleiſteten Widerſtandes, das Gebaͤude von
Jahrhunderten umzuſtuͤrzen; und den Bund der
Eidgenoſſen in eine einzige Helvetiſche Re-
publik
umzuformen!


Erhaltung der Neutralitaͤt der Schweiz, ungeachtet der
Haͤndel uͤber die Emigrirten; bis die Revolution vom 18.
Fructidor (S. 571.) durch Ausſtoßung Varthelemy's und
Carnot's im voraus ihr Schickſal beſtimmte. Aufwiege-
lungen, und Anfang der Revolution im Waadtlande Dec.
1797. Entwickelung der Uebel der Foͤderativverfaſſung;
Mangel an Einigkeit; bald lag die Laſt ſo gut wie allein
auf Bern. Auch hier nicht Mangel an Nath und an
Kraft; allein die Majoritaͤt ergriff halbe Maßregeln, und
der tapfere v. Erlach erhielt bey Koſzinsko's Muth doch
nie Koſziusko's Macht. Vordringen der Franzoſen auf
zwey Seiten, unter blutigen Gefechten; Ueberwaͤltigung
von Bern 2 ‒ 5. Maͤrz 1798; und Unterwerfung der uͤbri-
gen Cantone, mit Ausnahme der drey kleinen. Hartnaͤcki-
ger Widerſtand von dieſen und ehrenvolle Capitulation 1 ‒ 4.
May. — Proclamation der Helvetiſchen Republik 12.
April. Seitdem 5 ungluͤcksvolle Jahre, durch Kriege und

Q q 3Factio-
[614]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
Factionen, bis die franzoͤſiſche Mediationsacte 19.
Febr. 1803 der Schweiz ihre foͤderative (wenn auch veraͤn-
derte) Verfaſſung, und ihre Ruhe wiedergab. — Zur
Zeit der Einnahme der Schweiz, auch Aufhoͤren der
Republik Genf
durch die Vereinigung mit Frankreich
26. April 1798.


  • Eſſai hiſtorique ſur la deſtruction de la ligue et de la li-
    berté Helvetique par Mallet du Pan. Londres
    1798.
    Deutſch in: v. Archenholz Minerva 1799.
  • Authentiſcher Bericht von dem Untergange der Genfer Re-
    publik in: Polit. Journ. 1798. May.

6. Allein der fortdauernde Krieg mit England
machte um eben dieſe Zeit eine Unternehmung rei-
fen, die von dem Helden des Zeitalters ausgefuͤhrt,
durch ihr Außerordentliches mehr wie irgend eine
andere die Augen der Welt feſſelte. Die Ein-
nahme
und Coloniſation Aegyptens ſollte
zugleich Erſatz fuͤr Weſtindien; und dem ganzen
Colonialſyſtem der Europaͤer eine andere Richtung
geben. Vorbereitet unter der Maſke einer Expe-
dition gegen England, war die Ausfuͤhrung faſt
noch bewundernswuͤrdiger als die Vorbereitung.
Die damit in Verbindung geſetzte Einnahme von
Malta
, hat aber fuͤr Europa faſt noch groͤßere
Folgen gehabt als die Einnahme Aegyptens.


Große Ruͤſtungen und Einſchiffungen zu Toulon (als
linker Fluͤgel der Engliſchen Armee am Canal). Auslau-
fen der Flotte und Armee unter Bonaparte 18. May 1798.
Capitulation und Beſetzung von Malta 10 ‒ 12. Juni. Die
Flotte, verfolgt, aber verfehlt von der Brittiſchen, ankert

bey
[615]Geſch. d. Eur. Staatenſyſt. 1797--1804.
bey Marabu. Landung der Truppen 1. Juli. Einnahme
Alexandriens 2. Juli. Vordringen gegen Cairo; Schlacht
bey den Pyramiden 21. Juli.; Beſetzung Cairos 22. Vor-
dringen gegen Oberaͤgypten unter Deſaix; Einnahme nach
dem Treffen bey Sediman 7. Oct.; Syriſche Expedition
bis Acre Dec. — May 1799. Tuͤrkiſche Landung und Nie-
derlage bey Abukir 23. Jul.


  • Relation des campagnes du général Bonaparte en Egypte
    et en Syrie par Berthier. Paris
    1800.

7. Keine Unternehmung hatte noch ſo ungemeß-
ne Beſorgniſſe in England erregt! Selbſt die große1.
Aug.

Seeſchlacht bey Abukir, durch welche Nelſon
die Franzoͤſiſche Flotte faſt vernichtete, konnte ſie
nicht ſtillen. Aber die Herrſchaft des Mittelmeers
ward dadurch errungen; und es ward Grundſatz
des Brittiſchen Miniſterii nicht zu ruhen, bis Ae-
gypten Frankreich entriſſen ſey.


8. Der Zeitpunkt des Sieges bey Abukir
gab dieſer Seeſchlacht eine viel groͤßere politiſche
Wichtigkeit, als ſonſt Seeſchlachten zu haben pfle-
gen. Die erſte Folge war eine Kriegserklaͤrung der12.
Spr.

Pforte gegen Frankreich, wegen Wegnahme Aegyp-
tens; und Zuruͤſtungen zu deſſen Wiedereroberung;
von England unterſtuͤtzt. Das aͤlteſte Freundſchafts-
band in Europa ward dadurch getrennt.


9. Eine andere noch wichtigere Folge war die
dadurch befoͤrderte Bildung einer zweyten Coa-
Q q 4lition
[616]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
lition durch England und Rußland. Die nach
24.
Oct.
der Einnahme Maltas von PaulI. uͤbernomme-
ne Wuͤrde als Großmeiſter des Ordens fuͤhrte zu
weiteren Schritten; und die Welt ſah ein neues
Beyſpiel, wie Inſtitute, die ſich ſelbſt uͤberlebt ha-
ben, durch die Leidenſchaften der Herrſcher eine
augenblickliche Wichtigkeit erhalten koͤnnen.


Verbindung Rußlands mit Neapel 29. Nov. 1798;
mit der Pforte 23. Dec; mit England 29. Dec.; ſogar
mit dem entfernten Portugal 28. Sept. 1799. Buͤndniſſe
Englands mit Sicilien 1. Dec.; mit der Pforte 2. Jan.
1799. So wie auch Neapels mit der Pforte 21. Jan.


10. Die Bedingungen dieſer Tractate waren
im Allgemeinen wechſelſeitige Garantie aller Be-
ſitzungen; (bey der Pforte mit Einſchluß Aegyptens.)
Gemeinſchaftliche Fuͤhrung des Kriegs nach genau-
ern Stipulationen, und nur gemeinſchaftliche Schlie-
ßung des Friedens; Sperrung aller Haͤfen, beſon-
ders im Mittelmeer, fuͤr Franzoͤſiſche Schiffarth
und Handel; Brittiſche Subſidien an Rußland u.
a.; die Dauer der Tractate war auf 8 Jahre
beſtimmt.


11. Doch war es beſonders der Beytritt der
beyden Deutſchen Hauptmaͤchte, welche dieſer ge-
waltigen Verbindung erſt den Weg zum Angriff er-
oͤffnen konnte. Der Gang der Angelegenheiten in
Raſtadt,
[617]Geſch. d. Eur. Staatenſyſt. 1797--1804.
Raſtadt, die ſtets wachſenden Differenzen mit
Oeſtreich, ließen kaum einen Zweifel uͤbrig, dieſe
Macht zu gewinnen. Preußen hingegen, hoffend
auch im allgemeinen Sturme ſtets zwiſchen der
Scylla und Charybdis durchzuſteuern, beſtand un-
erſchuͤtterlich auf der Neutralitaͤt. Sich und dem
noͤrdlichen Deutſchlande den Ruheſtand erhaltend,
deckte es dadurch zugleich von ſelbſt Belgien und
Holland von der Landſeite her.


Seit den vergeblichen Unterhandlungen zu Selz 30.
May — 6. Juli 1798 anfangende engere Verhaͤltniſſe Oeſt-
reichs mit England und Rußland, indem es Rußland zu-
gleich die Vermittelung mit Preußen uͤber die kuͤnftigen
Entſchaͤdigungen uͤberlaͤßt. Das Vorruͤcken einer Ruſſiſchen
Armee durch die Oeſtreichſchen Laͤnder Dec. gab die deut-
lichſten Beweiſe; und veranlaßte die Franzoͤſiſche Geſand-
ſchaft zu einer Erklaͤrung daruͤber 4. Jan. 1799.


12. So hatte ſich eine neue Verbindung ge-
gen die Franzoͤſiſche Republik gebildet, dem Um-
fange nach allerdings groͤßer als die erſte; aber
auch durch dieſen ſich ſelber bindend. Welche Hin-
derniſſe legte nicht ſchon die geographiſche Entfer-
nung von London, Wien und Petersburg, jeder
Uebereinkunft in den Weg; welche noch groͤßere
Hinderniſſe lagen in dem getheilten Intereſſe Eng-
lands und der Continentalmaͤchte; und in dem lau-
nenvollen Character des Ruſſiſchen Herrſchers?
Schon das fruͤhzeitige Losbrechen Neapels,
Q q 5bald
[618]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
bald ihm ſelbſt und Sardinien verderblich, ließ
keine reifen Combinationen erwarten.


Ausbruch des Kriegs in Neapel Nov. 1798. Das Di-
rectorium erklaͤrt Neapel und Sardinien den Krieg
6. Dec.; und zwingt Carl Emanuel IV. zur Entſagung al-
ler ſeiner Beſitzungen auf dem feſten Lande 9. Dec. Un-
gluͤcklicher Gang des Neapolitaniſchen Krieges unter Mack;
Flucht des Koͤnigs nach Palermo 2. Jan. 1799. Einnah-
me Neapels nach blutigen Gefechten durch Championnet
23. Jan. und Errichtung einer Parthenopeiſchen Re-
publik.


13. Doch konnten jene Hinderniſſe den erſten
Anlauf nicht ſchwaͤchen; und die Finanzverwirrung
und das taͤglich ſinkende Anſehen der Directorial-
regierung, ſelbſt in Frankreich, erſchwerten ihr je-
den Schritt. Aber am meiſten entſchied die Wahl
der Anfuͤhrer. Wenn das Directorium darin fehlte,
ſo waren dagegen der Erzherzog Carl, und der ge-
fuͤrchtete Suwarow an der Spitze der Alliirten
auch die Vorbedeutung des Sieges. Der Raſtadter
1799Congreß ward aufgeloͤßt; und Ein Feldzug reichte
hin den ſiegenden Alliirten Italien, die Schweiz
und Deutſchland, zu verſchaffen.


Aufloͤſung des Raſtadter Congreſſes 8. April 1799, und
greuelvolle Ermordung der abreiſenden Franzoͤſiſchen Ge-
ſandten 28. April. Schon vorher Anfang des Krieges am
Oberrhein. Siege des Erzherzogs bey Oſtrach 21.
und bey Stockach 25. Maͤrz uͤber Jourdan. Vorruͤcken
in die Schweiz bis Zuͤrich, gegen Maſſena, bis er, abge-
loͤſet von den Ruſſen unter Korſakow (Sept.), ſiegreich

das
[619]Geſch. d. Eur. Staatenſyſt. 1797--1804.
das Commando am Oberrhein fuͤhrt. Einnahme Man-
heims 18. Sept. — Anfang des Kriegs in Italien und
Siege von Kray uͤber Scherer bey Verona 26. Maͤrz;
bey Magnano 5. April. Ankunft Suwarow's, der
das Commando der Ruſſiſch-Oeſtreichiſchen Armee uͤber-
nimmt 16. April. Sieg bey Caſſano 27. Apr. und Ein-
nahme Mailands und Turins. Fall faſt aller Feſtungen,
ſelbſt Mantuas 28. Juli. Ruͤckzug der Franzoſen aus
Neapel unter Macdonald, geſchlagen von Suwarow
an der Trebia 17 ‒ 19. Juni. Wiedereinnahme Neapels
durch die Calabreſen unter Cardinal Ruffo mit den ent-
ſetzlichſten Grauſamkeiten, und Wiederherſtellung des Throns
unterſtuͤtzt von Ruſſen, Tuͤrken und Britten, (ſeltſame
Vereinigung!) ſo wie der paͤbſtlichen Herrſchaft unter Pi-
us
VII. Nochmaliges Vordringen eines Franzoͤſiſchen
Heers unter Joubert; gleichfalls geſchlagen von Suwa-
row bey Novi 15. Aug. Nur Genua und Ancona blieben
noch von Franzoſen beſetzt.


  • Politiſch-militairiſche Geſchichte des Feldzuges vom Jahr 1799
    vom Freyherrn von Seida und Landensberg. Ulm 1801.
  • Geſchichte der Wirkungen und Folgen des Oeſtreichiſchen Feld-
    zuges in der Schweiz von C. L. von Haller. Zwey Theile.
    1801.
  • Memoires pour ſervir à Phiſtoire des dernières revolutions
    de Naples par B. N. temoin oculaire. Paris
    1803.

14. Waren dieſe Tage des Sieges nicht die
Tage zur Gruͤndung des Friedens? Oder war
es nicht der Zeitpunct fuͤr eine neutrale Macht mit
Nachdruck und Wuͤrde zu ſprechen? Aber wann
war weiſe Benutzung des Sieges nicht noch ſchwe-
rer als der Sieg? Die koſtbaren Augenblicke wa-
ren vorbey; und das Jahr ſollte nicht enden, oh-
ne
[620]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
ne daß die Coalition durch den Ruͤcktritt Ruß-
lands
ſchon in ſich ſelbſt zerfiel.


Anfangende Mißverſtaͤndniſſe Oeſtreichs und Rußlands
in Italien uͤber Ancona und Piemont, da Rußland ſich
ſeitdem Sardiniens annahm. Abzug der Ruſſen unter Su-
warow nach der Schweiz, um ſich mit Korſakow zu verei-
nigen. Aber zwey Tage vorher 25 ‒ 27. Sept. Nieder-
lage Korſakow's
durch Maſſena; und Suwarow's
Ruͤckzug uͤber unwegſame Alpen nach Oberſchwaben; die
letzte und groͤßte ſeiner Thaten! Abrufung von ihm und
ſeinem Heer Jan. 1800, und — kalter Empfang! — Aber
auch Zerfall Englands und Rußlands, durch die mißlun-
gene combinirte Landung in Nordholland unter dem
Herzog von York Aug. ‒ Oct.; die jedoch England die Ue-
bergabe der Hollaͤndiſchen Flotte im Texel eintraͤgt 30. Aug.


15. Indem ſo die Alliirten die Benutzung ih-
res Gluͤcks verſcherzten, ſollte eine viel wichtigere
Veraͤnderung in Frankreich vorgehen. Das Schiff,
das mehr als Caͤſar und ſein Gluͤck trug, war
9.
Oct.
ſchon bey Frejus gelandet. Wenige Wochen
reichten hin, mit dem Sturz der laͤngſt untergrabe-
nen Directorial-Conſtitution eine neue Ordnung
der Dinge zu gruͤnden; Ein Feldzug um die ver-
lohrnen Fruͤchte des Sieges, und mit ihm den
Frieden wieder zu erobern.


Ruͤckkunft des Generals Bonaparte aus Ae-
gypten 9. Oct. 1799. Vorbereitung zur innern Revolution;
durchgefuͤhrt 9. Nov. (18. Brumaire.) Conſularconſti-
tution
15. Dec. Bonaparte, Regent, als erſter Conſul.
Abſchaffung der Volksgewalt durch Aufhebung der Muni-
cipalitaͤtsregierungen, und Anſtellung der Praͤfecten. Auf-

hoͤren
[621]Geſch. d. Eur. Staatenſyſt. 1797--1804.
hoͤren der Trennung der ausuͤbenden und geſetzgebenden
Macht; indem ſich die Regierung die Initiative in dem
geſetzgebenden Corps vorbehaͤlt. Abſichtlich erſt mehr Um-
riß der Verfaſſung als voͤllige Ausbildung.


16. Nach vergeblicher Anerbietung des Frie-
dens an England, Ruͤſtungen zur Eroͤffnung des
Feldzugs. Wie ganz anders war die Lage, da
Rußland, nicht mehr mitwirkend, bald halb ge-
wonnen war? So war auf dem feſten Lande nur
noch Oeſtreich, ſchwach von Neapel und einem
Theil des Reichs unterſtuͤtzt, aber bald enger durch
einen neuen Subſidien-Tractat mit England verbun-20.
Jun.

den, zu bekaͤmpfen. Vor dem Anfange des Feld-
zuges — Abrufung des Erzherzogs Carl von
dem Commando!


Doppelter Feldzug des Jahres 1800 in Italien unter
dem erſten Conſul; in Oberdeutſchland unter Moreau.
In Italien
: Hartnaͤckige Vertheidigung Genuas durch
Maſſena bis 4. Juni; unterdeß Uebergang der Reſervear-
mee uͤber den St. Bernhardberg; Einnahme Maylands
und Wiederherſtellung der Cisalpiniſchen Republik. Sieg
bey Marengo
uͤber Melas 14. Juni, und 15. Juni Ca-
pitulation, unter Raͤumung der Lombardey und aller Fe-
ſtungen bis Mantua. So raubte Ein Tag die Fruͤchte der
Siege eines Jahrs. — In Deutſchland Uebergang Mo-
reau's uͤber den Rhein im Elſaß 25. April. Stetes Vor-
dringen unter immer ſiegreichen Gefechten gegen Kray
bis Ulm 2 ‒ 10. May. Eindringen in Bayern und Grau-
buͤnden Juni und Juli. Wiederholter Waffenſtillſtand in
Deutſchland (nach geſchloſſenen, aber in Wien nicht ratifi-
cirten, Praͤliminarien 28. Juli) gegen die Raͤumung von

Ulm
[622]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
Ulm und Ingolſtadt 15. Juli — 9. Nov. und in Italien
ſeit 29. Sept. Großer Sieg bey Hohenlinden 3. Dec.
und Vordringen in Oeſtreich bis Linz; und zugleich in Ita-
lien unter Brune Sieg am Mincio 26. Dec. und Ueber-
gang uͤber die Etſch 1. Jan. 1801 bis zum Waffenſtillſtand
zu Treviſo 16. Jan.


17. Indem ſo das alte Jahrhundert mit Blut
gefaͤrbt unterging, daͤmmerte mit dem neuen wenig-
ſtens eine Hoffnung des Friedens auf. Gern war
das gebengte Oeſtreich dazu erboͤtig; aber die Tren-
nung der Verbindung mit England war die Be-
dingung. Kaum war Oeſtreich, noch am letzten
31.
Dec.
Tage des Jahrhunderts, dieſe eingegangen, ſo wur-
den auch die Unterhandlungen zu Luͤneville er-
oͤffnet; und ein Frieden ſowohl fuͤr den Kayſer
als fuͤr das Reich, war die Folge davon; worauf
auch zu Florenz der Friede mit Neapel zu
Stande kam.


Unterhandlungen zu Luͤneville 1. Jan. — 9. Febr. 1801.
Nicht nur der Frieden zu Campo Formio, ſondern auch
die bereits zu Raſtadt vom Reich gemachten Bewilligun-
gen wurden dabey zum Grunde gelegt; aber auch noch neue
hinzugefuͤgt. Hauptbedingungen: 1. Beſtaͤtigung der Ab-
tretung Belgiens und des Frickthals (nachmals Aug. 1802
an Helvetien abgetreten;) an Frankreich. 2. Beſtaͤtigung
der im Frieden von Campo Formio an Oeſtreich im Ve-
nezianiſchen gemachten Abtretungen. 3. So wie des Breis-
gaus an Modena. 4. Abtretung des Großherzogthums
Toskana zu Gunſten des Hauſes Parma, gegen eine Ent-
ſchaͤdigung in Deutſchland. 5 Der Kayſer und das Reich
willigen in die Abtretung des linken Rheinufers; ſo daß

der
[623]Geſch. d. Eur. Staatenſyſt. 1797--1804.
der Thalweg des Rheins die Grenze macht. 6. Die erb-
lichen Fuͤrſten die dadurch verlieren, ſollen in dem Reich
entſchaͤdigt werden. 7. Anerkennung der Bataviſchen, Hel-
vetiſchen, Cisalpiniſchen, Liguriſchen Republik, die im Frie-
den mit eingeſchloſſen ſind. — Fuͤr die Erhaltung Tos-
kanas (demnaͤchſt in ein Koͤnigreich Etrurien ver-
wandelt, zu Gunſten Parmas,) ward, außer Parma ſelbſt,
an Spanien Louiſiana von. Frankreich abgetreten 21.
Maͤrz; und von dieſem nachmals an Nord-America ver-
kauft (S. 577.). — Waffenſtillſtand mit Neapel zu Fo-
ligno 18. Febr. und Abſchluß des Friedens zu Florenz
28. Maͤrz 1801. Bedingungen: 1. Verſchließung der Haͤ-
fen fuͤr Brittiſche und Tuͤrkiſche Schiffe. 2. Abtretung
ſeiner Beſitzungen in Toskana, Elba und Piombino. (Sta-
ti degli preſidi.
) 3. Otranto bleibt von Franzoͤſiſchen Trup-
pen beſetzt.


Unterhaͤndler zu Luͤneville: Joſeph Bonaparte, und Graf
L. Cobenzl.


18. Wenn durch dieſe Friedensſchluͤſſe der
Continent von Europa anfing der Ruhe zu genie-
ßen; ſo dauerte doch der Seekrieg fort; die veraͤn-
derte Politik Rußlands fuͤhrte bald im Norden
neue Auftritte herbey; und ein weites Feld fuͤr
Unterhandlungen ließen noch die fuͤr die Folge aus-
geſetzten Entſchaͤdigungen in Deutſchland offen.


19. Der Schauplatz des Seekrieges wur-
de ſeit der Einnahme Aegyptens vorzugsweiſe das
Mittelmeer; von Ruſſiſchen, Tuͤrkiſchen, und
vor allem Brittiſchen Flotten bedeckt. Ihre neue
Herrſchaft hier zu befeſtigen, war das Hauptziel
der
[624]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
der Brittiſchen Politik; und die endliche Einnah-
1800
5.
Spt.
me des ausgehungerten Maltas legte dazu einen
ſchwer zu erſchuͤtternden Grund. Wer mochte ſeit
dieſer Zeit einen dauernden Seefrieden hoffen? —
Die Eroberung der franzoͤſiſch-griechiſchen
Inſeln
durch die Ruſſen und Tuͤrken gab dage-
gen Europa das neue Schauſpiel einer griechiſchen
Republik; und zwar einer griechiſchen Republik —
durch Rußland und die Pforte gegruͤndet!


Einnahme von Corfu durch die Ruſſiſch-Tuͤrkiſche Flot-
te 1. Maͤrz 1799. Errichtung der Republik der ſie-
ben Inſeln
unter Tuͤrkiſchem Schutz und Ruſſiſcher Ga-
rantie durch die Convention zu Conſtantinopel zwiſchen
Rußland und der Pforte 21. Maͤrz 1800. Die fortdauern-
de Beſetzung waͤhrend des Krieges durch Ruſſiſche Truppen,
bis 1807, erhielt Rußland einen bedeutenden Einfluß in dem
Mittellaͤndiſchen Meere. — Zu den Eroberungen der Eng-
laͤnder kamen noch im Mittelmeer Minorka bereits 15.
Oct. 1798; und in Weſtindien die Eroberung der noch
uͤbrigen Hollaͤndiſchen Colonien (S. 561.), von Surinam
22. Aug. 1799; von Curaçao 13. Sept. 1800.


20. Nicht weniger folgenreich waren die
Schritte Paul'sI. im Norden. Sich zuruͤckzie-
hend von der Verbindung mit England und Oeſt-
reich, ſchloß er zuerſt die Nordiſchen Staaten en-
ger an ſich; aber vergroͤßerte Bedruͤckungen der
neutralen Schiffarth durch die Britten fuͤhrten ihn
bald zu weiteren Entwuͤrfen. Catharina's Project
der bewaffneten Neutralitaͤt ward erneuert;
der
[625]Geſch. d. Eur. Staatenſyſt. 1797--1804.
der Ausbruch eines neuen Seekrieges im Nor-
den
war davon die Folge; und wuͤrde noch viel-
leicht viel weiter gefuͤhrt haben, haͤtte nicht der
Tod von Paul I. die Verhaͤltniſſe geaͤndert.


Defenſiv-Allianz zwiſchen Rußland und Schweden 29.
Oet. 1799. Engere Verhaͤltniſſe mit Preußen 1800; die
aͤltern mit Daͤnemark dauerten fort. Erneuertes Project
der bewaffneten Neutralitaͤt, durch Wegnahme Daͤniſcher
und Schwediſcher Schiffe unter Convoi Aug. 1800.
Verbindung zu dem Ende mit Schweden und Daͤnemark
16. Dec., der Preußen beytritt 12. Febr. 1801. Wieder-
holung der Beſtimmungen von 1780. (S. 469.) mit Hin-
zufuͤgung: daß die Convoi vor Viſitation deckt. — Em-
bargo auf die Brittiſchen Schiffe in Rußland 8. Nov. Be-
ſetzung der Ufer der Weſer und Elbe durch Preußen und
Daͤnen, und bald von Hannover durch Preußen Maͤrz 1801.
Sendung einer Brittiſchen Flotte nach der Oſtſee; Schlacht
vor Copenhagen
2. April als Kayſer Paul 24. Maͤrz
ſchon aufgehoͤrt hatte zu leben. Veraͤnderte Maß-
regeln von AlexanderI. Convention mit England 14.
Juni, der auch die Verbuͤndeten beytraten; und Raͤumung
des Eingenommenen in Europa und Weſtindien.


21. Die große Veraͤnderung in Rußland, und
der milde Geiſt des neuen Herrſchers, der, blos
mit Herſtellung der alten Verhaͤltniſſe, den Frie-1801
8.
Oct.

den ſowohl mit Frankreich als auch mit Spa-4.
Oct.

nien ſchloß, wirkten uͤberhaupt ſichtbar auf die po-
litiſche Stimmung zuruͤck. Auch England, durch
Getreidemangel beunruhigt, und faſt iſolirt, wuͤnſch-
te den Frieden; und als Vorboten davon durfte man
es anſehen, daß Pitt, wohl fuͤhlend welches Hin-
R rderniß
[626]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
derniß er dadurch wegraͤume, freywillig ſeinen, ſo
1801
9.
Fbr.
lange bekleideten, Poſten verließ. Jedoch die ei-
gentliche Entſcheidung gaben die Schickſale Ae-
gyptens
. In dieſem Stuͤck wankte die Brittiſche
Politik nicht; und die ungeheuerſten Anſtrengungen
waren ihr nicht zu groß, wenn ſie dieſem Zwecke
galten. — Waren dieſe Beſorgniſſe gegruͤndet?


Schickſale Aegyptens ſeit der Abreiſe Bonaparte's, der
Kleber das Commando uͤberließ 22. Aug. 1799. Vor-
ruͤcken einer Brittiſch-Tuͤrkiſchen Armee von Syrien her;
und Eroberung von El-Ariſch 29. Dec. Convention zur
Raͤumung Aegyptens mit dem Großvezier 24. Jan. 1800.
Wieder aufgehoben; Ueberfall und Niederlage des Groß-
veziers bey Heliopolis 20. Maͤrz. Ermordung des Gene-
rals Kleber zu Cairo, dem Menou folgt 14. Juni. Hin-
ſendung einer Brittiſchen Armee unter Abercrombie
Dec.; und Landung bey Abukir 8. Maͤrz; waͤhrend eine
andere aus Oſtindien unter Baird uͤber das rothe Meer
kommt April. Sieg bey Ramanié 21. Maͤrz. Tod von
Abercrombie. Unter ſeinem Nachfolger L. Hutchinſon
Convention zu Cairo
zur Raͤumung Aegyptens 27.
Juni; Vollziehung und Uebergabe Alexandriens Sept. Ae-
gypten wird an die Pforte zuruͤckgegeben.


  • Willson's hiſtory of the Britiſh Expedition to Egypt.
    London
    1800. — Ueber die Wichtigkeit Aegyptens als
    Colonie:
  • Meine Abhandlung: Ueber die Coloniſation von Aegypten
    und ihre Folgen fuͤr das Europaͤiſche Staatenſyſtem uͤber-
    haupt; in: Kleine hiſtoriſche Schriften Th. II.

22. Durch dieſen Erfolg ward die Haupt-
ſchwierigkeit aus dem Wege geſchafft, die wenig-
ſtens
[627]Geſch. d. Eur. Staatenſyſt. 1797--1804.
ſtens vor jetzt einer Annaͤherung Englands und
Frankreichs entgegen ſtand. Der Frieden den
Portugal, auf Frankreichs Betrieb von Spa-6.
Jun.

nien angegriffen, unter Abtretung Olivenzas und
Ausſchließung der Brittiſchen Schiffe aus ſeinen
Haͤfen, mit dieſem und Frankreich hatte ſchließen
muͤſſen, war ein neuer Antrieb. So wurden die
ſchon laͤnger in London verhandelten Praͤlimina-
rien ſofort abgeſchloſſen
. Die Unterhandlung-1.
Oct.

gen wegen des Definitivfriedens, zu Amiens ge-
pflogen, fuͤhrten jedoch erſt im folgenden Fruͤhjahr
zum erwuͤnſchten Ziele. Nach dem Frieden Frank-
reichs mit England, konnte der mit der Pforte
keinen Anſtand finden.


Abſchluß des Friedens zu Amiens zwiſchen Eng-
land
auf der einen, Frankreich, Spanien und der
Bataviſchen Republik auf der andern Seite 25. Maͤrz
1802. Bedingungen: 1. Herausgabe aller von England ge-
machten Eroberungen an Frankreich und ſeine Alliirten; mit
Ausnahme der Inſel Trinidad, die Spanien, und den Be-
ſitzungen auf Ceylon, die die Bataviſche Republik Eng-
land abtritt. 2. Erhaltung der Pforte in ihrer Integritaͤt.
Sie iſt in dem Frieden mitbegriffen, und ſoll eingeladen
werden ihm beyzutreten. 3. Frankreich erkennt die Repu-
blik der 7 Inſeln an. 4. Die Inſel Malta nebſt Gozzo
und Comino ſoll an den Orden zuruͤckgegeben, binnen drey
Monathen geraͤumt, von Neapolitaniſchen Truppen beſetzt,
und ihre Unabhaͤngigkeit von Frankreich, England, Rußland,
Oeſtreich, Spanien und Preußen garantirt werden. Weder
eine Franzoͤſiſche noch Engliſche Zunge ſoll ſtatt finden;
aber eine Malteſer Zunge gebildet werden; und die ruͤck-

R r 2kehren-
[628]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
kehrenden Ritter ſich einen Großmeiſter aus ihrer Mitte
waͤhlen.


Bevollmaͤchtigte zu Amiens waren: Joſ. Bonaparte,
und L. Hawkesbury; nachdem die Praͤliminarien ſchon
durch den Buͤrger Otto waren verhandelt worden.


Abſchluß des Friedens zwiſchen Frankreich und
der Pforte
(nach ſchon vorher 18. Oct. 1801 geſchloſſe-
nen Praͤliminarien;) 25. Juni. 1. Ruͤckgabe Aegyptens,
und Garantie beyderſeitiger Beſitzungen. 2. Erneuerung
der alten Vertraͤge, und fuͤr Frankreich freye Schiffarth
auf dem ſchwarzen Meer. 3. Anerkennung der Republik
der ſieben Inſeln. 4. Gegenſeitige Behandlung wie die
der am meiſten beguͤnſtigten Staaten.


23. Durch den Frieden von Amiens, der
uͤber die Continentalangelegenheiten nichts beſtimm-
te, mußte man glauben, daß England aller Theil-
nahme daran entſagen wollte. Auch zeigte die
naͤchſte große Continentalverhandlung, uͤber die im
Luͤneviller Frieden beſtimmten Entſchaͤdigun-
gen
, unter Frankreichs und Rußlands Vermitte-
lung gefuͤhrt, daß dieſe beyden Maͤchte jetzt ent-
ſchieden. Zu welcher andern Zeit waͤre eine ſolche
Verhandlung ohne Krieg durchgeſetzt worden?


Vorlaͤufige Convention zu Paris zwiſchen Rußland und
Frankreich uͤber den Entſchaͤdigungsplan 4. Juni 1802.
Uebergabe und Erklaͤrung uͤber denſelben am Reichstage
18. Aug. Eroͤffnung der Sitzungen der außerordentlichen
Reichsdeputation 24. Aug. Endlicher Neichsdeputa-
tions-Hauptſchluß
25. Febr. 1803.


24.
[629]Geſch. d. Eur. Staatenſyſt. 1797--1804.

24. Die kurze Periode des Friedens deſſen
Europa genoß, gab einen auffallenden Beweis,
welche Maſſe von Kraͤften in ſeinen Bewohnern
aufgeregt war. Alles wetteiferte, auf Induſtrie,
Handel und Schiffarth ſich werfend, die geſchla-
genen Wunden zu heilen; und wie tief ſie auch
waren, wenige Jahre wuͤrden vermuthlich dazu
hingereicht haben. Aber ſo gut ſollte es den Voͤl-
kern nicht werden! England, bey jeder Raͤumung
fuͤhlend was es verlohren hatte, wollte Malta,
und mit ihm die Herrſchaft des Mittelmeers
nicht aufgeben. So erneuerte ſich der Zwiſt; und
noch war die Palme des Friedens kein Jahr ge-
pflanzt, als ein neuer Krieg ſie umſtuͤrzte, blutiger
und folgenreicher als ſeine Urheber es geahnt hat-
ten! Konnte die Umformung Europas auf halbem
Wege ſtehen bleiben?


Bothſchaft des Koͤnigs von England an das Parlament
uͤber die Sicherheit des Brittiſchen Gebiets 8. Maͤrz 1803.
— Vergebliche Unterhandlungen. — Brittiſche Kriegs-
erklaͤrung gegen Frankreich 18. May.


25. Die naͤchſte allgemein wichtige Folge die-
ſes Krieges, war die foͤrmliche Wiederher-
ſtellung der erblichen Monarchie in Frank-
reich
; wozu die beſtehende Conſularconſtitution be-
reits den Grund gelegt hatte. Aber der wieder-
aufgerichtete Thron ward ſtatt des Koͤnigs-, ein
R r 3Kay-
[630]III. Periode. B. Zweyter Zeitraum.
Kayſerthron; daß aber dieſe Veraͤnderung mehr
als Nahmensveraͤnderung ſeyn wuͤrde, dafuͤr buͤrg-
te der, der auf denſelben geſetzt ward.


Organiſches Senatusconſult 18. May 1804, wodurch der
erſte Conſul zum Kayſer erhoben, und die Wuͤrde in ſei-
ner Familie fuͤr erblich erklaͤrt wird. Erklaͤrung der An-
nahme desſelben durch die Nation 6. Nov. Kroͤnung und
Salbung von NapoleonI. als Kayſer der Franzoſen
durch Pius VII. 2. Dec.


Euro-
[631]

Europaͤiſche Regententafel
von 1500 bis 1800
.


Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


I.Paͤbſte.


  • Alexander VI. von 1491   1503 18. Aug.
  • Pius III.  1503 18. Oct.
  • Julius II.  1513 21. Febr.
  • Leo X.  1521 1. Dec.
  • Hadrian VI.  1523 14. Sept.
  • Clemens VII.  1534 26. Nov.
  • Paul III.  1549 10. Nov.
  • Julius III.  1555 22. Maͤrz.
  • Marcellus II.  1555 1. Jun.
  • Paul IV.  1559 17. Aug.
  • Pius IV.  1565 9. Dec.
  • Pius V.  1572 1. May.
  • Gregor XIII.  1585 10. April.
  • Sixtus V.  1590 26. Aug.
  • Urban VII.  1590 28. Sept.
  • Gregor XIV.  1591 15. Oct.
  • Innocenz IX.  1591 29. Dec.
  • Clemens VIII.  1605 3. Maͤrz.

R r 4Leo
[632]Europ. Regententafel

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


  • Leo XI.  1605 27. April.
  • Paul V.  1621 27. Jan.
  • Gregor XV.  1623 8. Jul.
  • Urban VIII.  1644 29. Jul.
  • Innocenz X.  1655 7. Jan.
  • Alexander VII.  1667 21. May.
  • Clemens IX.  1669 9. Dec.
  • Clemens X.  1676 21. Jul.
  • Innocenz XI.  1689 12. Aug.
  • Alexander VIII.  1691 1. Febr.
  • Innocenz XII.  1700 27. Nov.
  • Clemens XI.  1721 18. Maͤrz.
  • Innocenz XIII.  1724 7. Maͤrz.
  • Benedict XIII.  1730 20. Febr.
  • Clemens XII.  1740 5. Febr.
  • Benedict XIV.  1758 2. May.
  • Clemens XIII.  1769 2. Febr.
  • Clemens XIV.  1774 22. Sept.
  • Pius VI.  1799 29. Aug.
  • Pius VII. 

II.Roͤmiſche Kayſer.


(Haus Habsburg.)

  • Maximilian I. von 1492   1519 12. Jan.
  • Carl V. dankt ab   1558 Febr.
  • Ferdinand I.  1564 25. Jul.
  • Maximilian II.  1576 12. Oct.
  • Rudolph II.  1612 10. Jan.
  • Mathias   1619 20. Maͤrz.
  • Ferdinand II.  1637 15. Febr.
  • Ferdinand III.  1657 23. Maͤrz.

Leo-
[633]von 1500 -- 1800.

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


  • Leopold I.  1705 5. May.
  • Joſeph I.  1711 17. April.
  • Carl VI.  1740 20. Oct.
  • (Carl VII. von Bayern)   1745 20. Jan.

(Haus Lothringen.)

    • Franz I.  1765 18. Aug.
    • Maria Thereſia   1780 29. Nov.
  • Joſeph II.  1790 20. Febr.
  • Leopold II.  1792 1. Maͤrz.
  • Franz II. als Roͤmiſcher Kayſer bis   1806 6. Aug.

III.Rußland.


  • Iwan Waſilewitſch d. Große von 1462   1505 27. Oct.
  • Waſilei   1533 3. Dec.
  • Iwan Waſilewitſch II. erſter Czaar   1584 28. Maͤrz.
  • Feodor I.  1598 7. Jan.
  • Boris   1605 13. April.
  • Pſeudo-Demetrius   1606 17. May.
  • Shuſkoi   1610 27. Jul.

(Haus Romanow.)

  • Michael Feodorowitſch 1613   1645 12. Jul.
  • Alexei   1676 8. Febr.
  • Feodor II.  1682 27. April.
  • Iwan (mit Peter und Sophia)   1689 11. Sept.
  • Peter I. allein (Kayſer 1721)   1725 8. Febr.
  • Catharina I.  1727 17. May.
  • Peter II.  1730 29. Jan.
  • Anna   1740 28. Oct.
  • Iwan III.  1741 6. Dec.

R r 5Eliſa-
[634]Europ. Regententafel

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


  • Eliſabeth   1762 5. Jan.
  • Peter III. (von Holſtein-Gottorp)   1762 9. Jul.
  • Catharina II.  1796 17. Nov.
  • Paul I.  1801 24. Maͤrz.
  • Alexander I. 

IV.Großſultane.


  • Bajazeth II. von 1481 abgeſetzt   1512 Aug.
  • Selim I.  1520 22. Sept.
  • Soliman II.  1566 4. Sept.
  • Selim II.  1574 13. Dec.
  • Murad III.  1595 18. Jan.
  • Muhamed III.  1603 21. Dec.
  • Achmet I.  1617 15. Nov.
  • Muſtapha I. zum zweyten mal entthront   1623 16. Aug.
  • Murad IV.  1640 8. Febr.
  • Ibrahim   1648 17. Aug.
  • Muhamed IV. abgeſetzt   1687 29. Oct.
  • Soliman III.  1691 22. Jun.
  • Achmet II.  1695 6. Febr.
  • Muſtapha II. abgeſetzt   1703 30. Sept.
  • Achmet III. abgeſetzt   1730 2. Oct.
  • Muhamed V.  1754 13. Sept.
  • Osman III.  1757 28. Oct.
  • Muſtapha III.  1774 21. Jan.
  • Abdul Hamid   1789 7. April.
  • Selim III. abgeſetzt   1807 29. May.
  • Muſtapha IV. 

V.
[635]von 1500 -- 1800.

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


V.Portugal.


(Haus Burgund.)

  • Emanuel der Große von 1495   1521 13. Dec.
  • Johann III.  1557 10. Jun.
  • Sebaſtian   1578 4. Aug.
  • Heinrich   1580 31. Jan.

Portugal Spaniſch bis 1640.


(Haus Braganza.)

  • Johann IV. Dec. 1640   1656 28. Febr.
  • Alphons VI. abgeſetzt   1667 23. Nov.
  • Peter II.  1706 9. Dec.
  • Johann V.  1750 31. Jul.
  • Joſeph Emanuel   1777 25. Febr.
    • Maria I.
    • D. Juan (Regent 1799)

VI.Spanien.


(Haus Habsburg.)

    • Ferdinand Catholicus von 1479   1516 1. Jan.
    • Iſabella von 1474   1504 26. Nov.
  • Philipp I. von Oeſtreich von 1504   1506 25. Sept.
  • Carl I. von 1516 (dankt ab 1556)   1558 21. Sept.
  • Philipp II.  1598 13. Sept.
  • Philipp III.  1621 28. Febr.
  • Philipp IV.  1665 17. Sept.
  • Carl II.  1700 1. Nov.

(Haus Anjou.)

  • Philipp V.  1746 9. Jul.
  • (Ludwig) 15. Jan. 1724   1724 1. Aug.
  • Ferdinand   1759 10. Aug.

Carl
[636]Europ. Regententafel

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


  • Carl III.  1788 13. Dec.
  • Carl IV. dankt ab   1808 19. Maͤrz.

VII.Frankreich.


(Haus Valois.)

  • Carl VIII. von 1483   1498 7. April.
  • Ludwig XII.  1515 1. Jan.
  • Franz I.  1547 31. Maͤrz.
  • Heinrich II.  1559 10. Jul.
  • Franz II.  1560 5. Dec.
  • Carl IX.  1574 30. May.
  • Heinrich III.  1589 1. Aug.

(Haus Bourbon.)

  • Heinrich IV.  1610 14. May.
  • Ludwig XIII.  1643 14. May.
  • Ludwig XIV.  1715 1. Sept.
  • Ludwig XV.  1774 10. May.
  • Ludwig XVI.  1793 21. Jan.

VIII.England.


(Haus Tudor.)

  • Heinrich VII. von 1485   1509 21. April.
  • Heinrich VIII.  1547 28. Jan.
  • Eduard VI.  1553 6. Jul.
  • Maria   1558 17. Nov.
  • Eliſabeth   1603 3. April.

(Haus Stuart.)

  • Jacob I.  1625 6. April.
  • Carl I.  1649 30. Jan.
  • (Cromwel)   1658 3. Sept.

Carl
[637]von 1500 -- 1800.

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


  • Carl II. von 1660   1685 5. Febr.
  • Jacob II. vertrieben   1688 24. Dec.
    • Wilhelm III.  1702 8. Maͤrz.
    • Maria   1695 6. Jan.
  • Anna   1714 12. Aug.

(Haus Hannover.)

  • Georg I.  1727 11. Jun.
  • Georg II.  1760 25. Oct.
  • Georg III. 

Koͤnige in Schottland vor der Vereinigung.


(Haus Stuart.)

  • Jacob IV. von 1488   1513 9. Sept.
  • Jacob V.  1542 8. Dec.
  • Maria   1587 8. Febr.
  • Jacob VI. wird 1603 auch Koͤn. v. England.

IX.Neapel.


(Haus Aragon.)

  • Ferdinand I. von 1458   1494 25. Jan.
  • Alphons II. dankt ab   1495 22. Jan.
  • Ferdinand II.  1496 7. Oct.
  • Friedrich entthront   1501
  • Neapel Spaniſch bis 1713.
  • Oeſtreichiſch bis 1735.

(Spaniſches Haus Anjou.)

  • Carl III. von 1735   1759 5. Oct.
  • Ferdinand IV. verjagt   1806 26. Jan.

X.
[638]Europ. Regententafel

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


X.Savoyen.


  • Philibert II. Herzog von 1497   1504 10. Sept.
  • Carl III.  1553 16. Sept.
  • Emanuel Philibert   1580 15. Aug.
  • Carl Emanuel I. der Große   1630 26. Jul.
  • Victor Amadeus I.  1637 7. Oct.
  • Carl Emanuel II.  1675 12. Jun.
  • Victor Amadeus II. Koͤnig von Sardinien
    1720 dankr ab   1730 2. Sept.
  • Carl Emanuel III.  1773 20. Febr.
  • Victor Amadeus III. dankt ab   1802 4. Jun.
  • Victor Emanuel  

XI.Polen.


  • Sigismund I. von 1506   1548 1. April.
  • Sigismund II. Auguſt   1572 1. Jun.
  • Heinrich von Valois entweicht   1574 18. Jun.
  • Stephan Bathori   1586 12. Dec.
  • Sigismund III.  1632 30. April.
  • Uladislaw IV.  1648 20. May.
  • Johann Caſimir dankt ab   1668 17. Sept.
  • Michael Wisnowicky   1673 10. Nov.
  • Johann Sobiesky   1696 17. Jun.
  • Auguſt II. von Sachſen   1733 1. Febr.
  • (Stanislaus Leſcinsky 1704 — 1709.)
  • Auguſt III.  1763 5. Oct.
  • Stanislaus Poniatowsky entſetzt   1795

XII.
[639]von 1500 -- 1800.

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


  • XII.Daͤnemark. (Haus Holſtein-Oldenburg.)
  • Johann von 1481   1513 20. Febr.
  • Chriſtian II. abgeſetzt   1523 Jan.
  • Friedrich I.  1533 10. April.
  • Chriſtian III.  1559 1. Jan.
  • Friedrich II.  1588 4. April.
  • Chriſtian IV.  1648 28. Febr.
  • Friedrich III.  1670 9. Febr.
  • Chriſtian V.  1699 25. Aug.
  • Friedrich IV.  1730 12. Oct.
  • Chriſtian VI.  1746 15. Sept.
  • Friedrich V.  1766 14. Jan.
  • Chriſtian VII.  1808 13. Maͤrz.
  • Friedrich VI. (Mitregent 1784)  

XIII.Schweden.


(Haus Waſa.)

  • Guſtav Waſa von 1524   1560 29. Sept.
  • Erich XIV. abgeſetzt   1568 25. Febr.
  • Johann   1592 17. Nov.
  • Sigmund abgeſetzt   1600
  • Carl IX.  1611 30. Oct.
  • Guſtaph Adolph   1632 6. Nov.
  • Chriſtina dankt ab   1654 16. Jun.

(Haus Zweybruͤck.)

  • Carl X. Guſtav   1660 23. Febr.
  • Carl XI.  1697 15. April.
  • Carl XII.  1718 11. Dec.
    • Ulrica Eleonora
    • Friedrich v. Heſſen

(Haus
[640]Europ. Regententafel

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


(Haus Holſtein-Gottorp.)

  • Adolph Friedrich   1771 12. Febr.
  • Guſtav III.  1792 29. Maͤrz.
  • Guſtav IV.  1809 13. Maͤrz.

XIV.Chur-Pfalz.


  • Philipp Ingenuus Churfuͤrſt von 1476   1508 28. Febr.
  • Ludovicus V.  1544 16. Maͤrz.
  • Friedrich II.  1556 26. Febr.
  • Otto Heinrich   1559 12. Febr.

(Pfalz-Simmern.)

  • Friedrich III.  1576 26. Oct.
  • Ludovicus VI.  1583 12. Oct.
  • Friedrich IV.  1610 9. Sept.
  • Friedrich V. (entſetzt 1623)   1632 19. Nov.
  • Carl Ludwig retablirt 1650   1680 28. Aug.
  • Carl   1685 16. May.

(Pfalz-Neuburg.)

  • Philipp Wilhelm   1690 2. Sept.
  • Carl Philipp   1742 31. Dec.

(Pfalz-Sulzbach.)

  • Carl Theodor (ſ. Bayern.)   1799 16. Febr.

XV.Bayern.


  • Albert IV. Herzog von 1473   1508 17. Maͤrz.
  • Wilhelm IV.  1550 6. Maͤrz.

Albert
[641]von 1500 -- 1800.

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


  • Albert V.  1579 24. Oct.
  • Wilhelm V. dankt ab   1597
  • Maximilian I. Churfuͤrſt 1623   1651 17. Sept.
  • Ferdinand Maria   1679 26. May.
  • Maximilian II. Immanuel   1726 27. Febr.
  • Carl Albrecht (Kayſer Carl VII.)   1745 20. Jan.
  • Maximilian III. Joſeph   1777 30. Dec.
  • Carl Theodor von der Pfalz   1799 16. Febr.
  • Maximilian Joſeph Koͤnig 1806  

XVI.Chur-Sachſen.


(Erneſtiniſche Linie.)

  • Friedrich III. der Weiſe Churfuͤrſt 1500   1525 5. May.
  • Johann Conſtans   1532 16. Aug.
  • Johann Friedrich verliert die Chur   1547 4. Jun.

(Albertiniſche Linie.)

  • Moriz Churfuͤrſt 1548   1553 11. Jul.
  • Auguſt   1586 11. Febr.
  • Chriſtian I.  1591 25. Sept.
  • Chriſtian II.  1611 23. Jun.
  • Johann Georg I.  1656 8. Oct.
  • Johann Georg II.  1680 22. Aug.
  • Johann Georg III.  1691 12. Sept.
  • Friedrich Auguſt I.  1733 1. Febr.
  • Friedrich Auguſt II.  1763 5. Oct.
  • Friedrich Chriſtian   1763 17. Dec.
  • Friedrich Auguſt III. Koͤnig 1806  

XVII.Brandenburg.


(Haus Hohenzollern.)

  • Joachim I. Churfuͤrſt von 1493   1535 11. Jul.

S sJoa-
[642]Europ. Regententafel

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


  • Joachim II.  1571 3. Jan.
  • Johann Georg   1598 8. Jan.
  • Joachim Friedrich   1608 18. Jul.
  • Joachim Sigismund Herz. in Preußen 1618   1619 23. Dec.
  • Georg Wilhelm   1640 21. Nov.
  • Friedrich Wilhelm der Große   1688 29. April.
  • Friedrich III. (I.) Koͤnig in Preußen 1701   1713 25. Febr.
  • Friedrich Wilhelm I.  1740 31. May.
  • Friedrich II.  1786 17. Aug.
  • Friedrich Wilhelm II.  1797 17. Nov.
  • Friedrich Wilhelm III. 

XVIII.Hannover.


  • Ernſt Auguſt Churfuͤrſt von 1692   1698 28. Jan.
  • Georg I. S. England.

XIX.Statthalter in Holland.


(Aeltere Oraniſche Linie.)

  • Wilhelm I. von 1572   1584 10. Jul.
  • Moriz   1625 23. April.
  • Heinrich Friedrich   1647 14. May.
  • Wilhelm II.  1650 6. Nov.
  • Wilhelm III. Erbſtatthalter von 1674   1702 8. Maͤrz.

(Juͤngere Oraniſche Linie.)

  • Wilhelm IV. Allg. Erbſtatth. von 1747   1751 22. Oct.
  • Wilhelm V.  1795 Jan.

XX.
[643]von 1500 -- 1800.

Todesjahr oder Ab-
ſetzung.


XX.Toſcana.


(Mediceer.)

  • Alexander erſter Herzog 1531   1537 7. Jan.
  • Coſmus I. (Großherzog 1569)   1574 21. Aprl.
  • Franz   1587 19. Oct.
  • Ferdinand I.  1609 7. Febr.
  • Coſmus II.  1621 28. Febr.
  • Ferdinand II.  1670 24. Maͤrz.
  • Coſmus III.  1723 21. Oct.
  • Johann Gaſto   1737 9. Juli.

(Haus Lothringen.)

  • Franz Stephan   1765 18. Aug.
  • Leopold   1790 20. Febr.
  • Ferdinand   1801 9. Febr.

XXI.Praͤſidenten d. verein. Nordamericas
ſeit der Conſtitution von 1789.


  • G. Waſhington von 1787   1797 17 Febr.
  • John Adams   1801 ——
  • Thom. Jefferſon   1809 ——

Ver-[[644]]

Appendix A Verbeſſerungen und Zuſaͤtze.


  • S. 25 Z. 3 v. u. 1503 l. 1500
  • — 29 — 12 v. u. Guſtav l. Gaſton
  • — 87 — 11 y. u. ſoll l. ſollte
  • — 108 — 10 1583 l. 1584
  • — 121 — 3 neue del.
  • — 139 — 2 v. u. auch l. noch
  • — 140 — 13 des 15. l. des 17.
  • — 145 — 7 Wißbach l. Wißloch
  • — 167 — 13 Wir l. Wie
  • — 184 — 11 v. u. Nach 1632 l. Von Connecticut ſeit 1634.
  • — 186 — 5 Staatswirthſchaft l. Staatswiſſenſchaft
  • — 193 — 6 v. u. I. Geſchichte ꝛc. l. II. Geſchichte ꝛc.
  • — 324 — 12 neuen l. neu
  • — 407 — 7. Frankreich l. Preußen
  • — 516 — 10 nachtheilig l. wohlthaͤtig
  • — 538 — 13 ausdehnte l. ausdehnten
  • — 546 — 8 v. u. Naur l. Natur
  • — 556 — 15 v. u. Welchen l. Welcher
  • — 573 — 6 v. u. abhiengen l. abhieng
  • — 576 zu Z. 9 ſo harten ꝛc. am Rande: 1798 18. Jan.
  • — 583 Z. 17 Reiſe l. Priſe
  • — 590 — 8 v. u. nach ſeyn Zuſatz: Was den Handel betrifft,
    ſo wurde 1. Maͤrz 1803 das Monopol desſelben nach
    dem weſtlichen Oſtindien aufgehoben; und nur auf
    das oͤſtliche (die eigentlichen Molucken, und den
    Gewuͤrzhandel) beſchraͤnkt.
  • — 623 — 8 an Spanien von Frankreich l. von Spanien an Frankr.
  • Die S. 392 Z. 2 angefuͤhrte Characteriſtik iſt aus Rhu-
    liere
    T. IV. entlehnt.

[][][]
Notes
*)
Als bereits der Schluß dieſes Handbuchs dem Druck
uͤbergeben war, erhielt der Vf. das ſo eben in Paris
erſchienene ſehr intereſſante Werk: Histoire generale
et raisonnée de la diplomatie Française depuis la
fondation de la Monarchie jusqu' à la fin du
regne de Louis XVI. par Msr. de Flassan.
T. I ‒ VI.
1809. (Noch in dem erſten Theile beginnt
ſchon die neuere Geſchichte.) Er geſteht gern, daß die
Uebereinſtimmung der Anſichten bey ſo vielen der Haupt-
gegenſtaͤnde mit denen dieſes practiſchen Diplomati-
kers, nicht wenig dazu beytraͤgt das Vertrauen zu vermeh-
ren, mit dem er ſeine Arbeit jetzt dem Publicum uͤbergiebt.
*)
Zur leichtern Ueberſicht iſt die Colonialgeſchichte ſo-
gleich bis ans Ende der Periode durchgefuͤhrt.
*)
Die enge Verflechtung des noͤrdlichen und ſuͤdlichen
Europas erlaubt hier keine Trennung. Die Geſchichte
der Colonien in dieſem Zeitraum ſ. bereits oben S. 573 f.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 3. Handbuch der Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Handbuch der Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpc7.0