Forſchungen
in der Nicolai’ſchen Buchhandlung.
1827.
[[II]]
causa loqui.’
(Seneca de tranq. c. l.)
[[III]]
Vorbericht.
In einem Briefe an Bottari (Lettere pitt. To.
III. Lett. 224.) ermuntert Mariette jenen erſten, deſ-
ſen damals unternommene neue Ausgabe des Vaſari
mit den noͤthigen hiſtoriſchen Berichtigungen auszuruͤ-
ſten. Vaſari, meint Mariette, ſey nicht vorbereitet
geweſen, hiſtoriſche Unterſuchungen anzuſtellen, habe
daher truͤgeriſchen Vorarbeiten und Mittheilungen fol-
gen muͤſſen. Dieſes hat allerdings ſeine Richtigkeit;
indeß war Bottari, nach eigenem Geſtaͤndniß, der
Aufforderung ſeines genauen und wahrheitsliebenden
Freundes auf keine Weiſe gewachſen. „Auf den
Schriftſtellern, bekennt er ſelbſt To. V. Lett. 160.,
welche uͤber die bildenden Kuͤnſte bey den Neueren
geſchrieben haben, ſcheint ein Fluch zu ruhen; denn
* 2
[IV] gewiß vergriffen und vergreifen ſie ſich ſaͤmmtlich auf
das Unglaublichſte. So bekenne ich, daß ich ſelbſt
in Dingen, welche ich kannte, wie meinen eigenen
Namen, mich oftmals gaͤnzlich verſehen habe. Daſ-
ſelbe iſt dem Vaſari und Allen begegnet, welche nach
ihm geſchrieben haben. Habe ich doch bisher von
dieſem fuͤnften Theile der Malerbriefe zwey Bogen
ganz umdrucken muͤſſen.“
Indeß erkannte weder Bottari, noch ſelbſt Ma-
riette, den ganzen Umfang jener Aufgabe, deren Loͤ-
ſung ſie anzunaͤhern wuͤnſchten. Mariette glaubte,
man werde ſchon durch Vergleichung der Denkmale,
durch Aufzeichnung ihrer Aufſchriften alles Wuͤnſchens-
werthe erreichen koͤnnen. Das Beduͤrfniß einer ur-
kundlichen Begruͤndung der neueren Kunſtgeſchichte
meldete ſich erſt in der Folge, nachdem die Localfor-
ſcher durch freylich ebenfalls ungenuͤgende Mittheilun-
gen aus einzelnen Archiven die hiſtoriſche Glaubwuͤr-
digkeit des Vaſari durchaus erſchuͤttert hatten.
Ich ſchmeichle mir, in den nachſtehenden Abhand-
lungen ein nuͤtzliches Beyſpiel, redlicher, muͤhevoller
und, nach den Umſtaͤnden, ſelbſt erſchoͤpfender For-
ſchung aufzuſtellen, welches hoffentlich nicht ohne Nach-
folge bleiben wird. Vor der Hand ſchien es mir drin-
[V] gender, vereinzelte Archive ganz zu durchgehen, einzelne
hiſtoriſche Fragen ganz hindurchzufuͤhren, als der Ver-
breitung uͤber Vielfaͤltiges ſich hinzugeben, welche leicht
Zerſplitterung und Oberflaͤchlichkeit haͤtte herbeyfuͤhren
koͤnnen, da die Auffaſſung im Ganzen gruͤndliche Vor-
arbeiten vorausſetzt, welche bisher noch erſehnt wor-
den ſind.
Nicht ſelten ſetzen die Urkunden ein geſchichtliches
Verhaͤltniß ungleich beſſer ins Licht, als die gelun-
genſte Entwickelung; ich habe daher einen kleinen Theil
meiner Abſchriften und Auszuͤge in die Belege und An-
merkungen, in der eilften Abhandlung ſogar in den
Text aufgenommen, was allerdings gegen den Gebrauch
verſtoͤßt. Indeß hoffe ich Nachſicht zu finden, weil
ich bey Auswahl dieſer Beweisſtuͤcke meiſt auf ſolche
getroffen bin, welche, naͤchſt dem beſonderen, ihre An-
fuͤhrung veranlaſſenden, auch allgemeinere Verhaͤltniſſe
in ein helleres Licht ſtellen, wie jenes der Kuͤnſtler zu
ihren Genoſſen und Goͤnnern, wie die Geſchaͤftsfuͤh-
rung bey oͤffentlichen Kunſtunternehmungen, die Tech-
nik einzelner Kunſtarten, die Anſicht, von welcher die
Kuͤnſtler verſchiedener Zeiten ausgegangen ſind. Hie-
durch wird Vieles uͤber das Ungewiſſe und Schwan-
kende hinaus zu hiſtoriſcher Gewißheit erhoben, und
[VI] der Phantaſie ein gefaͤhrlicher Spielraum entzogen
werden.
Obwohl ich nun vor Allem beabſichtige, die Ue-
berzeugung herbeyzufuͤhren, daß Viele auf meinem
Wege ſich zu verſuchen haben, ehe es moͤglich ſeyn
wird, eine vollſtaͤndige, umſtaͤndlich genaue Kunſtge-
ſchichte neuerer Voͤlker zu entwerfen, ſo habe ich es
doch gewagt, die wichtigſten Schulen des funfzehnten
Jahrhundertes in einem Bilde zuſammenzufaſſen. Die-
ſem Verſuche war die Ausbildung ins Einzelne ſchon
in der Anlage verſagt; demungeachtet habe ich auch
hier oftmals den hiſtoriſchen Boden mir beſonders ein-
richten muͤſſen.
Daß auf dem Wege, den ich verfolgt habe, doch
endlich dahin zu gelangen ſey, der Autoritaͤt fluͤchtiger
oder luͤgenhafter Druckſchriften ſich gaͤnzlich zu ent-
ſchlagen, bezweifle ich um ſo weniger, als die Liebens-
wuͤrdigkeit des italieniſchen Nationalcharakters, nach
meinen Erfahrungen, Forſchungen dieſer Art im Gan-
zen beguͤnſtigt. Gelegentlich erwaͤhne ich mit innigem
Danke der Befoͤrderungen, welche mir zu Theil ge-
worden. Dem gelehrten Bibliothekar der Magliabec-
chiana, Herrn Vinz. Follini verdanke ich viele Nach-
weiſungen; die florentiniſchen Domherren und andere
[VII] Behoͤrden haben mir willig die ihnen anvertrauten
Schaͤtze geoͤffnet; des Vertrauens, welches ich zu
Siena genoſſen, kann ich nicht ohne Ruͤhrung geden-
ken. Moͤchte das Ergebniß meiner Forſchungen ſo
vieler Gunſt entſprechen koͤnnen!
In den Belegen dieſes Bandes werden die Leſer
die zahlloſen Barbarismen der lateiniſchen Protocolle
und Urkunden, wo die Gloſſare nicht ausreichen, durch-
hin aus der vulgaͤren italieniſchen Sprache erklaͤren
wollen. Ich ſtehe fuͤr die Genauigkeit des Abdruckes,
den ich ſelbſt corrigirt habe. Doch bemerke ich, daß
ich im Archiv der Biccherna zu Siena, Claſſe B., die
einzelnen Baͤnde, zwar der Zahl nach richtig angege-
ben, doch bald No. bald To. genannt habe. Nu-
mer und Theil faͤllt in dieſer Claſſe in eins zuſam-
men, mithin wird daraus an Ort und Stelle keine
Verwirrung entſtehen koͤnnen. Hingegen habe ich,
S. 22. Anm. *), unter den fehlenden Numern der
genannten Claſſe deſſ. Archives No. 98. angefuͤhrt;
ich weiß nicht durch welchen Zufall. Allerdings citirt
Benvoglienti auch dieſe Numer; indeß hat man ſolche
an ihrer Stelle gelaſſen, weil das Citat nicht zutrifft.
Dieſes freye Bekenntniß wird, denke ich, die Glaub-
wuͤrdigkeit alles Uebrigen erhoͤhen muͤſſen.
[VIII]
Als ich den erſten Band abweſend abziehn ließ,
fehlte es mir, Abh. V. S. 246., an einer Form, das
lateiniſche Monogramm in einem Madonnenbilde des
neunten oder zehnten Jahrhundertes (zu Rom in
der Kappelle di s. Paolo der Kirche s. Prassede,
im Felde zu beiden Seiten des Kopfes der Madonna)
gehoͤrig auszudruͤcken. Einigen Aufforderungen zu ge-
nuͤgen, und die Exiſtenz einer der byzantiniſchen Ma-
nier vorangehenden lateiniſch-kirchlichen Kunſt zu be-
thaͤtigen, habe ich dieſe Aufſchrift nachholen wollen,
wie folgt: A/R. C̵. M̶. — lies: Maria Christi
Mater.
Zur
Theorie und Geſchichte
neuerer Kunſtbeſtrebungen.
[][]
Verbeſſerungen.
Seite 3 Anm. fuͤr Leo, Oſt, lies: Leo Oſt.,
— 42 Zeile 4 von unten, fuͤr jene von ihm, lies: jene von
ihnen.
— 47 Anm. Zeile 4 fuͤr riduste, lies: ridusse.
— 51 Zeile 2 von unten, fuͤr (ch’ é’) lies: (ch’ é).
— 55 Zeile 4 von oben, fuͤr verſtohlener, lies: verhohlener.
— 84 Zeile 8 von oben, fuͤr macehine, lies: macchine.
— 387 Anm. Zeile 7 von oben, fuͤr durfte, lies: duͤrfte.
— 393 Zeile 9 von unten, fuͤr nebſt anderen, lies: nebſt An-
derem.
— 395 Zeile 8 von unten, fuͤr wie er, lies: wie es.
— 399 Zeile 8 von oben, fuͤr Anzeigen, lies: Anzeichen.
[][[1]]
VIII.
Duccio di Buoninſegna und Cima-
bue. Sieneſer und Florentiner.
1250. — 1300.
Hinſichtlich des Urſprunges der bildenden Kuͤnſte giebt es
verſchiedene, einander gaͤnzlich entgegengeſetzte Ableitungen.
Einige wollen, daß anfaͤnglich eine blinde Zufaͤlligkeit, oder
doch nur ein gewiſſer zielloſer Trieb der Nachahmung, den
Verſuch herbeifuͤhre, den Dingen Aehnlichkeiten abzugewinnen;
daß in der Folge aus dieſem kindlichen Spiele von Hand zu
Hand die Faͤhigkeit ſich entwickele, die Formen der Natur zu
uͤberſchreiten und Solches hervorzubringen, was man Ideale
nennt. Andere lehren, daß die Kunſt von der Idee ausgehe,
nur allgemach ſich der Natur zuwende, erſt bey erloͤſchender
Begeiſterung dem Wunſche ganz ſich hingebe, Aehnlichkeiten
und Taͤuſchungen hervorzurufen. *)
II. 1
[2]
Die erſte dieſer Ableitungen wird — auch abgeſehn von
der Grundanſicht, in welcher ſie wurzelt — ſchon durch den
Umſtand aufgehoben, daß die nothwendige Unbehuͤlflichkeit der
fruͤheſten Kunſtverſuche die Hoffnung, und daher auch den
Wunſch ausſchließt, ſogleich die ſchwerſten Raͤthſel der kuͤnſtle-
riſchen Technik aufzuloͤſen. *) Doch auch die andere duͤrfte der
Einwurf treffen, daß ihr Ausdruck zu allgemein ſey und ohne
vorangehende Erklaͤrung bedenkliche Mißverſtaͤndniſſe beguͤn-
ſtige. Da nemlich der kuͤnſtleriſche Geiſt, uͤberall und auf
jeglicher Stufe, bey jeglicher Richtung und Be-
ziehung der Kunſt, vorauszuſetzen iſt, ſo wird bey die-
ſer Ableitung der Kunſt vornehmlich in Frage kommen: ob
eben jener dem Kuͤnſtler einwohnende Geiſt im Anbeginn
der Kunſtepochen unmittelbar durch den Naturgeiſt geweckt
werde, oder zunaͤchſt durch eine der Kunſt vorangehende, allge-
meinere Geiſtesentwickelung. Wer aber jenes ausſchließt, kann
nur dieſes im Sinne haben; und ſicher iſt die Kunſt urſpruͤng-
lich von dem Beſtreben ausgegangen, ſchon vorhandene Be-
griffe und Vorſtellungen des Geiſtes, welche meiſt ſchon in
den aͤlteſten Dichtern, oftmals auch in religioͤſen und natio-
nellen Ueberlieferungen nachzuweiſen ſind, entweder wirklich
auszudruͤcken, oder, wo dieſes nicht gelingen konnte, ſie we-
nigſtens anzudeuten.
Indeß iſt dieſe Ableitung, der ich mich aus Ueberzeu-
gung anſchließe, auf die neuere Kunſt nicht durchhin anzuwen-
*)
[3] den, weil deren Entwickelung nothwendig nach ganz anderen
Geſetzen erfolgt iſt, als die Entſtehung der Kunſt an ſich
ſelbſt. Denn obwohl man in den Sitzen der aͤlteſten Bil-
dung dem Mittelalter in techniſchen Dingen weit uͤberlegen
war, ſo kannte man doch vor Erfindung eigentlicher Kunſt
die Darſtellung vermoͤge richtig verſtandener, gluͤcklich nachge-
bildeter Naturformen, nun gar die Moͤglichkeit illuſoriſcher
Wirkungen, nicht einmal dem Begriffe nach; wohingegen
im Mittelalter, durch muͤndliche Ueberlieferung, durch die
Schriftſteller, und ſelbſt durch die Denkmale unausgeſetzt eine
halbdeutliche Vorſtellung von dem eigentlichen Ziele der bil-
denden Kuͤnſte ſich erhalten mußte. Betrachtete man aber
auch in den dunkelſten Zeiten die rohen Verſuche damaliger
Kuͤnſtler nicht etwa als Andeutungen, oder vereinbarliche Be-
zeichnungen, ſondern als Darſtellungen wirklichen Seyns
und Geſchehens; *) ſo war das Aufſtreben der neueren Kunſt
ſeit der Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts das Werk der
Steigerung laͤngſt ſchon wirkſamer Kraͤfte, des Wiedererwa-
chens vorhandener, nur ſchlummernder Begriffe. Es wird
demnach nicht befremden koͤnnen, wenn wir bereits in ihren
fruͤheſten Leiſtungen die Begeiſterung fuͤr die leitenden Be-
griffe des Weltalters mit der Empfaͤnglichkeit fuͤr die urſpruͤng-
liche Bedeutung der organiſchen Formen gleichen Schritt hal-
ten ſehn.
Bey den aͤlteren Nachahmern der byzantiniſchen Maler,
dem Giunta, Guido und Anderen, mochten Schwierigkeiten in
der Aneignung einer ganz neuen Manier die Aufmerkſamkeit
1 *
[4] getheilt haben; gewiß erreichten ſie ihre Vorbilder weder in
der Idee, noch in der Ausfuͤhrung. Dagegen durften die ſpaͤ-
teren, denen die griechiſche Manier durch Schule gelaͤufig war,
bereits darauf ausgehn, ihre Vorbilder zu uͤbertreffen. In
den Werken der groͤßeſten jener Maler in griechiſcher Manier,
des Sieneſers Duccio di Buoninſegna, des Florentiners
Cimabue, ſpricht es ſich deutlich aus, daß ſie mit vollem
Bewußtſeyn darauf ausgegangen ſind: in den Charakteren
ſittliche Wuͤrde, in Gebehrden und Handlungen Ernſt und
Feyer auszudruͤcken; daß ſie ſich bemuͤht haben, das Ueberlie-
ferte, mit dem ſie’s ſichtlich ſehr ernſtlich nahmen, im eigenen
Geiſte moͤglichſt zu verjuͤngen. Bis auf ihre Zeit hatte, durch
mechaniſche Nachbildung chriſtlich-antiker Kunſtgebilde, beſon-
ders in der neugriechiſchen Malerey, wie es in vielen der fruͤ-
her angefuͤhrten Miniaturen einzuſehn iſt, manche rohe Andeu-
tung urſpruͤnglich mit wiſſenſchaftlicher Deutlichkeit aufgefaß-
ter Formen ſich erhalten; duͤrftige Ueberreſte der antiken, per-
ſpectiviſch und anatomiſch begruͤndeten Zeichnungsart. Duc-
cio und Cimabue empfanden den Werth dieſer Bezeichnun-
gen, welche erſt in der Folge, vornehmlich durch Giotto aus
der italieniſchen Malerey verdraͤngt worden ſind; doch ſtreb-
ten ſie, das Grelle ihrer Verknoͤcherung zu mildern, indem ſie
ſolche halbverſtandene Zuͤge mit dem Leben verglichen, wie wir
angeſichts ihrer Leiſtungen vermuthen und annehmen duͤrfen.
Indeß genießen dieſe Kuͤnſtler, deren Hauptwerke zugaͤng-
lich ſind und ſelten von Reiſenden uͤberſehen werden, einer ſo
weit verbreiteten Anerkennung, daß ich meine Aufgabe an die-
ſer Stelle dahin beſchraͤnken darf: einzelne Momente ihrer
Geſchichte nachzubeſſern und gelegentlich das wahre Verhaͤltniß
der ſieneſiſchen Kunſtgeſchichte des dreyzehnten Jahrhundertes
[5] zur florentiniſchen deſſelben Zeitraumes in ein helleres Licht
zu ſetzen.
Obwohl Vaſari in dem Abſchnitte, den er das Leben
des Duccio genannt, ganz ungewoͤhnlich enthaltſam iſt und
kaum uͤber die Andeutungen des Ghiberti hinausgeht, *)
ſo entſchluͤpften ihm doch ſelbſt an dieſer Stelle einige erweis-
lich unbegruͤndete Angaben, welche er entweder von Anderen
entlehnt, oder aus eigenen Vermuthungen hervorgeſponnen hat.
Unter den Verſaͤumniſſen und Mißgriffen der Geſchichts-
forſcher ſind diejenigen, welche nur ein Einzelnes angehn, meiſt
von geringem Belang; wichtig und folgenreich aber nur ſolche,
welche in allgemeinere Verhaͤltniſſe eingreifen, die Zeitfolge der
groͤßeren Abſtufungen im Fortſchritte menſchlicher Anliegenhei-
ten in Verwirrung bringen, und falſche Vorausſetzungen ein-
fuͤhren. Zu letzteren gehoͤret die von allen Neueren glaͤubig
nachgeſchriebene Angabe des Vaſari: daß Duccio**) jene
Fußbodenverzierungen aus mehrfarbigem Marmor erfunden
habe, welche zu den Merkwuͤrdigkeiten des ſieneſiſchen Domes
gehoͤren.
Aus verſchiedenfarbigem Marmor muſiviſche Muſter zu-
ſammenpaſſen, den Umriß menſchlicher oder thieriſcher Geſtal-
ten durch dunkleres Geſtein auf hellerem Grunde ausfuͤllen,
war ſeit den aͤlteſten Zeiten bekannt, und ſeit dem eilften
Jahrhundert, wie Vaſari ſich erinnern mußte, in Toscana ſo
[6] allgemein in Gebrauch gekommen, daß man die Außenſeiten
vieler Kirchen, zum Nachtheil ihrer Geſammterſcheinung, mit
Arbeiten dieſer Art uͤberdeckt hatte. *) Demnach bezeichnete
er hier ohne Zweifel nicht dieſe rohe und einfache Arbeit, ſon-
dern eben nur jene Nachahmungen des Helldunkels im moder-
neren Sinne, welche im ſieneſiſchen Dome noch immer vor-
handen und dieſem Gebaͤude ganz eigenthuͤmlich ſind. Hierin
folgte er nicht dem Ghiberti, welcher dieſer Arbeiten mit kei-
ner Sylbe gedenkt, ſondern hoͤchſt wahrſcheinlich einer oͤrtli-
chen Meinung, welche, wie ich unten zeigen will, auf einer
falſch gedeuteten Urkunde beruhen wird.
Es iſt ſchon an ſich ſelbſt hoͤchſt unwahrſcheinlich, daß
eine Kunſtart, welche Einſichten in die Geſetze der Beleuch-
tung und Bekanntſchaft mit allen Vortheilen der Schattenge-
bung vorausſetzt, ſchon zu Ende des dreyzehnten oder zu An-
fang des folgenden Jahrhundertes erfunden ſey, in welcher
Zeit die Malerey kaum angefangen, durch leichte und hoͤchſt
verblaſene Schattentinten dem Ausdrucke der Formen ein we-
nig nachzuhelfen. Ich wuͤrde daher ſelbſt, wenn es mir an
anderweitigen Gruͤnden fehlte, doch ſchon aus der Beſchaffen-
heit der Sache ſchließen, daß jene Erfindung mit dem Hell-
dunkel ganz gleichen Schritt gehalten, welches letzte bekannt-
lich bey den italieniſchen Malern nicht fruͤher, als um die
Mitte des funfzehnten Jahrhundertes Eingang gefunden hat.
[7]
Obwohl die Kunſtnachrichten des Archives der ſieneſt-
ſchen Domverwaltung bis in das dreyzehnte Jahrhundert zu-
ruͤckreichen, ſo faͤllt dennoch die fruͤheſte Erwaͤhnung jener hiſto-
riſch verzierten Fußboͤden erſt in das Jahr 1445. *) In die-
ſem und in den folgenden Jahren wurden die Treppen und
Zugaͤnge zum Dome und zur Taufkapelle mit verſchiedenen
Bildern geziert, welche indeß noch keinesweges eigentliche Hell-
dunkel waren, vielmehr nur Marmorflaͤchen mit eingehauenen
und durch ſchwarzen Stucko ausgefuͤllten Umriſſen. Alſo war
dieſe Kunſtart hundert und funfzig Jahre nach der Lebens-
hoͤhe des Duccio, bey allſeitig geſteigertem Kunſtgeſchicke,
doch noch immer auf der erſten und niedrigſten Stufe ihrer
Entwickelung; und ſelbſt wenn wir annehmen wollten, daß
Duccio, wenn auch nicht das wirkliche Helldunkel, doch we-
nigſtens jenes Marmor-Niello moͤge erfunden haben, ſo iſt
es doch nicht dieſes, was Vaſari uns bezeichnet, und uͤber-
haupt auch davon ganz unausgemacht, wie alt deſſen Erfin-
dung ſey, und wo ſolche zuerſt in Anwendung gekommen.
Uebrigens ſcheint man eben damals im Verlaufe wiederholter
Unternehmungen dieſer Art zuerſt den Gedanken gefaßt zu
haben, ſolchen Kunſtarbeiten durch Vereinigung mehrfarbigen
Marmors eine groͤßere Abwechſelung, oder Deutlichkeit zu
geben; denn die letzte in jener Gruppe von Beſtellungen bezeich-
net ſchwarzen, weißen und roͤthlichen Marmor als die Ma-
terialien, deren der Kuͤnſtler ſich bedienen ſolle. **) Dieſes
Stuͤck iſt noch immer vorhanden, doch weit davon entfernt
ein eigentliches Helldunkel zu ſeyn nach Art der glaͤnzenderen
[8] Abtheilungen des Fußbodens im Inneren des Domes. Die
voͤllige Ausbildung dieſer Kunſtart faͤllt in einen vorgeruͤckten
Abſchnitt des ſechzehnten Jahrhunderts, wie ſie denn in der
That jene Gewoͤhnung an ſtarke und maſſige Contraſte vor-
ausſetzt, welche nicht fruͤher eingetreten, als an der Grenze
der Manier.
Bey ſo viel innerer Unhaltbarkeit, bey gaͤnzlicher Abwe-
ſenheit hiſtoriſcher Beweiſe, haͤtten die angeblichen Geſchicht-
ſchreiber neuerer Kunſtſchulen anſtehen muͤſſen, dem Vaſari,
den ſie doch ſonſt nicht ungern und haͤufig ohne hinreichende
Gruͤnde verbeſſern, ſo unbedenklich zu folgen, als uͤberall ge-
ſchehen iſt, wo man veranlaßt war, jener eigenthuͤmlichen
Kunſtarbeiten zu erwaͤhnen. Gehen doch einige ſo weit, uns
ſogar die Geſtalt nachzuweiſen, an welcher Duccio ſeine an-
gebliche Erfindung in Anwendung geſetzt haben ſoll, und deren
Ausdruck zu bewundern. Gewiß enthaͤlt das Archiv der ſiene-
ſiſchen Domverwaltung, welches ich in kunſthiſtoriſcher Bezie-
hung ganz durchgeſehn, nicht eine Zeile, welche auf dieſe
Figur, noch uͤberhaupt darauf zu deuten waͤre, daß man ſchon
im vierzehnten Jahrhunderte mehrfarbigen Marmor zu hiſto-
riſchen Bildern vereinigt habe. Lanzi*) folgte demnach, als
er jene Figur dem Duccio beylegte, entweder ſeinem eige-
nen Kennergefuͤhle, oder doch nur der anmaßlichen Autoritaͤt
ſeines Zeitgenoſſen Della Valle.
Vaſari hingegen erwaͤhnet der Erfindung in ganz allge-
meinen Ausdruͤcken, ohne ſeine Quelle, oder nun gar ein
[9] Werk anzugeben, welches das Alter und den Urheber dieſer
Kunſtart etwa bezeugen koͤnnte. Wahrſcheinlich folgte er
einem oͤrtlichen Geruͤchte, welches aus einer mißdeuteten Ur-
kunde entſtanden ſeyn duͤrfte, deren Abſchriften ſowohl im
oͤffentlichen, als im Archive der Domverwaltung vorhanden
ſind, mithin um ſo leichter in die Augen fallen und bemerkt
werden konnten. In dieſer *) Urkunde befiehlt der damalige
hoͤchſte Magiſtrat (die Herren Neuner), welche unter den lau-
fenden Arbeiten am ſieneſiſchen Dome beſchleunigt werden
ſollen. Dieſe beſtanden zunaͤchſt in einem Muſive; dann in
der großen Tafel des Domes, welche, wie wir aus anderen
Quellen wiſſen, dem Duccio aufgetragen und eben damals in
Arbeit war; endlich wird auch beſtimmt, welche Mauerer man
vor der Hand anzuſtellen habe.
Obwohl in dieſem Befehle nicht angedeutet wird, fuͤr
welche Stelle der Kirche das in Arbeit ſtehende Muſaik be-
ſtimmt war, ſo duͤrfen wir dennoch ſchließen, daß ſolches ſei-
nerzeit uͤber dem Hauptthore und an der Außenſeite ange-
bracht worden. Denn einmal war es zu jener Zeit ſehr in
Gebrauch, die Jungfrau und andere Schutzheiligen an den
Vorſeiten der Kirchen muſiviſch darzuſtellen; dann war und
iſt noch immer auch an der Vorſeite des ſieneſiſchen Domes
[10] eine ſolche muſiviſche Darſtellung vorhanden; endlich wuͤrde
es eben ſo willkuͤhrlich, als gewagt ſeyn, den Ausdruck, opus
musaicum, gegen alle Beyſpiele auf Fußbodenarbeit zu bezie-
hen, fuͤr welche stratum, lithostratum und andere Worte
waͤhrend des Mittelalters gebraͤuchlich geweſen. Demunge-
achtet mochte ein unvorbereiteter, fluͤchtiger Forſcher ſpaͤterer
Zeiten jenen Ausdruck in weiterem Sinne genommen und auf
die Arbeiten bezogen haben, welche den Boden des ſieneſiſchen
Domes verzieren. Aus dem zufaͤlligen Zuſammentreffen dieſes
Muſives mit einer Tafel, welche unſtreitig dem Duccio auf-
getragen worden, mochte er weiter ſchließen, daß beide Ar-
beiten von demſelben Kuͤnſtler beſchafft, oder doch angeord-
net waͤren.
Indeß erhellt es, weder aus jenem Befehle, welcher
nicht an die Kuͤnſtler, ſondern an die Domverwaltung gerich-
tet iſt und verſchiedene Arbeiten anordnet, welche den Maler
ſicher nicht angehn, noch ſelbſt aus anderen Umſtaͤnden, daß
Duccio damals, oder ſonſt, an dieſem oder an irgend einem
anderen Muſive gearbeitet habe. Im Gegentheil ergiebt es
ſich aus dem Umſtande, daß weder in der Verſtiftungsurkunde
ſeiner Altartafel, noch in ſeinen auf einander folgenden Quit-
tungen jemals von jenem Muſive die Rede iſt, daß er daran
auch nicht den geringſten Antheil genommen habe; wie er
denn in der That durch ſeine große, mit unzaͤhligen, ſehr been-
digten Figuren bedeckte Tafel unſtreitig ſchon vollauf beſchaͤf-
tigt war.
Daß Vaſari uͤberhaupt von den Lebensumſtaͤnden, den
Werken und Leiſtungen *) des Duccio nur eine unbeſtimmte
[11] Kunde erlangt hatte, beweiſt die Kargheit ſeiner Nachrichten,
beſonders aber die irrige, ſicher auf ſeiner eigenen, ungefaͤh-
ren Vermuthung beruhende Angabe der Zeit, in welcher Duc-
cio gebluͤhet habe. Er verſetzt ihn in die Mitte des vierzehn-
ten Jahrhundertes. *) Neuere Forſcher **) behaupten indeß,
daß man ihm ſchon im Jahre 1282. Kunſtarbeiten bezahlt
habe, und gewiß reichen andere Andeutungen ſeiner Wirkſam-
keit, ***) welche ich ſelbſt geſehn, bis zum Jahre 1285. auf-
waͤrts. Ueber die Identitaͤt dieſes Duccio in den Buͤchern
*)
[12] der ſieneſiſchen Staatsverwaltung mit unſerem Duccio di Buo-
ninſegna kann durchaus kein Zweifel obwalten. Er nannte
ſich ſelbſt am Rande ſeiner großen Tafel rundweg Duccius, *)
und ſcheint ſeines Vaters Namen dem ſeinigen nur an ſol-
chen Stellen beygefuͤgt zu haben, wo er zur Vollziehung ge-
richtlicher Vertraͤge durchaus erforderlich war. **) Demnach
werden wir vorausſetzen duͤrfen, daß unter den Malern ſeiner
Zeit und Vaterſtadt kein Name vorgekommen, welcher Colli-
ſionen und Verwechſelungen haͤtte veranlaſſen koͤnnen.
War nun Duccio ſchon im Jahre 1282. gewiß 1285.
ein anſaͤſſiger Maler, ſo wird die Zeit ſeiner Reife in das
erſte Jahrzehend des vierzehnten Jahrhundertes einfallen, in
welchem die oberſte Staatsgewalt ihn offenbar beguͤnſtigte, da
ihm zunaͤchſt die Altartafel der Kappelle des Rathhauſes, und
um wenig ſpaͤter ſogar die große Tafel des Domes aufgetra-
gen wurde, welche ihrer Beſtimmung nach nothwendig die
wichtigſte Aufgabe jener Zeit war, und in der That von unſe-
rem Kuͤnſtler mit ſo vielem Geiſt, Geſchmack und Fleiße be-
endigt worden iſt, daß ich nicht anſtehe, ſie allen noch vor-
***)
[13] handenen Denkmalen der byzantiniſch-toscaniſchen Schule vor-
anzuſtellen.
Den Vertrag des Kuͤnſtlers mit der ſieneſiſchen Dom-
verwaltung hat Vater Della Valle, obwohl nach einer fehler-
haften Abſchrift abgedruckt; *) aus dieſer Urkunde, wie aus
den noch vorhandenen Quittungen des Kuͤnſtlers, welche die
aͤlteren ſieneſiſchen Forſcher (die eigentlichen Quellen des Della
Valle) uͤberſehn hatten, **) erhellt zur Genuͤge, daß Duccio im
October des Jahres 1308. ſich verpflichtet, jene nach den Um-
ſtaͤnden unvergleichbare Tafel zu malen, in den folgenden Jah-
ren verſchiedene Zahlungen der Domverwaltung beſcheinigt
und im Jahre 1311. das Werk vollendet abgeliefert hat, wel-
ches, da er demſelben auch ſeinen Namen beygegeben, ſo voll-
ſtaͤndig beurkundet iſt, als irgend ein Kunſtwerk dieſer Zeit.
[14] Da es mir nun auf keine Weiſe gelungen iſt, in den nach-
folgenden und ſpaͤteren Jahren beurkundete Spuren der Fort-
dauer ſeiner kuͤnſtleriſchen Wirkſamkeit aufzufinden, ſo bin ich
anzunehmen geneigt, daß er die Beendigung ſeines groͤßeſten
Werkes nicht lange uͤberlebt habe. Gewiß hatte er damals
bereits faſt dreißig Jahre auf eigene Rechnung gemalt, viel-
leicht ſchon ungleich laͤnger, da nichts verbuͤrgt, daß jene
aͤlteſten nur zufaͤllig bekannten Zahlungen der Jahre 1282. 85.
uns auch den Anbeginn ſeiner Laufbahn bezeichnen. Lanzi*)
indeß verſichert uns, daß er um das Jahr 1340. geſtorben
ſey, was ich dahingeſtellt laſſe, weil ich nicht einſehe, was
damit gewonnen werde, den Kuͤnſtlern alter Zeit ihr Leben
auf’s Ungefaͤhr hin zu verlaͤngern.
Ungleich minder beurkundet iſt das Daſeyn und die
Wirkſamkeit des Cimabue, deſſen Geſchichte, ſeit der erſten
Erſcheinung der Lebensbeſchreibungen des Georg Vaſari, durch
keine einzige wohlbegruͤndete Thatſache vermehrt worden iſt, **)
[15] deſſen Namen ich bisher in keiner Urkunde begegnet bin, weß-
halb ich mich hier darauf einſchraͤnken werde, das Verhaͤltniß
der florentiniſchen Schule zur ſieneſiſchen wieder einzurichten,
welches ſowohl durch Vaſari, als durch ſeine Gegner nicht
wenig verrenkt worden iſt.
Sollte man denken, daß die Lebensumſtaͤnde, das Zeital-
ter, die angeblichen Werke des beruͤhmten Stifters der tosca-
niſchen, wenigſtens der florentiniſchen Malerey bis dahin nir-
**)
[16] gend weder durch Aufſchriften ſeiner Gemaͤlde, noch durch
oͤffentliche oder perſoͤnliche Urkunden begruͤndet ſind; daß Nie-
mand bisher verſucht hat, im Archiv der florentiniſchen Staats-
verwaltung, welches mir ſelbſt unzugaͤnglich geblieben, nach
Beſtaͤtigungen, oder Berichtigungen der naiven Erzaͤhlung des
Vaſari ſich umzuſehn? Gewiß wuͤrde man, da Vaſari nun
einmal in ſo alten Dingen weder Quelle, noch Autoritaͤt iſt,
ſelbſt das Daſeyn des Cimabue in Zweifel rufen koͤnnen,
wenn nicht ſchon Dante ſeiner erwaͤhnt haͤtte, deſſen be-
kannte Verſe:
Die Aufmerkſamkeit des Vaſari angezogen und hoͤchſt wahr-
ſcheinlich ihn beſtimmt haben, dieſem alten Kuͤnſtler in ſeinen
Malerleben den Ehrenplatz einzuraͤumen. Ein alter Commen-
tator, **) welcher nicht lange nach dem Tode des Dichters
geſchrieben, bemerkt zu obiger Stelle: „daß Cimabue von Flo-
renz zur Zeit des Dichters mehr, als Andere, ſich auf die
Kunſt verſtanden, ***) doch ſo anmaßend und reizbar gewe-
ſen ſey, daß er bey dem geringſten Tadel ſeine Arbeiten, ſo
koſtbar ſie ſeyn mochten, alſobald aufgegeben habe.“ Dieſes
Zeug-
[17] Zeugniß, dem wir nicht uͤbereilt eine zu weite Anwendung
werden geben duͤrfen, erhebt allerdings das Daſeyn und den
Ruf, welchen Cimabue in ſeiner Vaterſtadt erworben, uͤber
jeden moͤglichen Zweifel. Doch, wie ſein Ruhm ſchon zu
Dante’s Zeit durch die Neuerungen verdunkelt worden, welche
Giotto einfuͤhrte, ſo kam in der Folge ſogar ſein relatives
Verdienſt in Vergeſſenheit. Denn ſchon Ghiberti, *) welcher
doch den Duccio mit Lob uͤberſchuͤttet, erwaͤhnet des Cimabue
ohne Anfuͤhrung ſeiner Verdienſte und Leiſtungen, als eines
Malers in griechiſcher Manier, der offenbar fuͤr ihn nur in
ſo fern merkwuͤrdig war, als er ihn fuͤr den Goͤnner und
Lehrmeiſter des Giotto hielt; und Cennino, der bis zu Giotto
hinaufſteigt, uͤbergeht jenen durchaus, was mir die Anecdote,
welche Vaſari im Leben des Giotto dem Ghiberti nacherzaͤh-
let, wenn nicht verdaͤchtig, doch minder glaubwuͤrdig macht.
Erſt nachdem bey den Florentinern der Ehrgeiz erwacht
war, in der Kunſt nicht bloß die erſten, ſondern auch die fruͤ-
heſten zu ſeyn, gewann Cimabue an Intereſſe, ward ſein
Name mit groͤßerem Nachdruck und haͤufiger in Erinnerung
gebracht. Filippo Villani, der ſpaͤteſte Geſchichtſchreiber ſeines
Namens, war bereits von jener Richtung des Localpatriotis-
mus ergriffen, welche in der Folge, von Florenz aus, allen
etwas erheblichen Staͤdten Italiens ſich mitgetheilt hat, als
er dem Cimabue zuerſt die Ehre vindicirte, die Malerey nicht
etwa in ſeiner Vaterſtadt, vielmehr in ganz Toscana auf
einen beſſern Fuß gebracht zu haben. **) Augenſcheinlich
II. 2
[18] leuchteten auch ihm jene Verſe des Dante vor; unter allen
Umſtaͤnden iſt die Aeußerung eines Schriftſtellers des funf-
zehnten Jahrhundertes an dieſer Stelle nur in ſo fern von Be-
lang, als ſie die Entſtehung des Vorurtheiles erklaͤrt, nach
welchem Cimabue nicht bloß, wie man dem Dante zuge-
ben darf, in Florenz, vielmehr in der ganzen Ausdehnung
von Italien der vorzuͤglichſte Maler ſeiner Zeit und der Stif-
ter und Begruͤnder alles foͤrderlichen Strebens ſoll geweſen
ſeyn. Vielleicht hatte ſich dieſe Meinung waͤhrend des funf-
zehnten Jahrhundertes im Dunkelen ausgebreitet und in jene
alten Malerbuͤcher eingedraͤngt, deren Vaſari erwaͤhnt, ohne
ſie doch naͤher zu bezeichnen. *)
In den vorangehenden Abhandlungen habe ich aus viel-
faͤltigen Zeugniſſen und hinreichenden Denkmalen erwieſen,
daß Cimabue weder fuͤr den fruͤheſten Maler der neueren
Italiener, noch ſelbſt fuͤr den aͤlteſten Nachahmer neugriechi-
ſcher Vorbilder und Kunſtbehelfe zu halten iſt, was mich
ſelbſt, wie beſonders den Leſer, der Muͤhe uͤberhebt, dieſe Un-
terſuchung von Neuem aufzunehmen. Hier wird demnach nur
ſo viel in Frage kommen, ob Cimabue den toscaniſchen Ma-
lern ſeiner Zeit durch Geiſt und Geſchicklichkeit in dem Maße
uͤberlegen geweſen, als Vaſari angiebt, und unzaͤhlige Andere
ihm nachgeſchrieben haben; vornehmlich aber, ob er durch Vor-
bild und Lehre ſo entſcheidend auf ſeine Zeitgenoſſen einge-
wirkt habe, daß man berechtigt waͤre, ihn ferner als den Stif-
ter jenes allgemeinen Aufſchwunges der Kunſt zu betrachten,
**)
[19] den wir oben ſchon ſeit dem zwoͤlften Jahrhundert allmaͤhlig
haben herannahen ſehen.
Der Autoritaͤt jener Randbemerkung zum Dante werden wir
alſo zugeben duͤrfen, daß Cimabue, in ſeinem Kreiſe, gegen Ende
des dreyzehnten Jahrhundertes der angeſehenſte Maler geweſen
ſey. Doch berechtigt uns ein ſo allgemeines Zeugniß noch keines-
weges, ihn auch fuͤr den beſten und groͤßeſten Maler ſeiner Zeit zu
halten. Gewiß iſt es bedenklich, daß Duccio, obwohl ein Siene-
ſer, doch dem Ghiberti, der beiden noch ſo nahe ſtand, bey wei-
tem mehr Achtung eingefloͤßt hatte; *) ſo wie ſelbſt die allge-
meineren geſchichtlichen Verhaͤltniſſe auf die Vermuthung lei-
ten, daß Florenz in den fruͤheſten Zeiten, anſtatt, wie Vaſari
lehrt, den bildenden Kuͤnſten die Bahn zu brechen, vielmehr,
was dieſe angeht, den aͤlteren Mittelpuncten der Macht und
des Handels um Einiges nachgeſtanden ſey. Vergeſſen wir
nicht, daß die Groͤße von Piſa und Siena, ſelbſt die Bluͤthe
von Lucca und Piſtoja dem erſten entſchiedneren Aufſchwunge
des Florentiniſchen Gemeinweſens um ein Jahrhundert und
zum Theil um ungleich laͤngere Zeit vorangegangen; daß Flo-
renz erſt, nachdem die Hohenſtaufen mit ihren Anhaͤngern,
den Ghibellinen, geſunken waren, zum Mittelpuncte der ſiegen-
den Parthey und durch Macht und Reichthum zur Hauptſtadt
der ganzen Provinz gediehen iſt. Daher entſtand zu Piſa, wo
ſchon ſeit dem eilften Jahrhundert mit ſo großem Aufwande
gebaut worden, wohl ein Menſchenalter vor Cimabue, wenn
dieſer anders der Lehrer des Giotto geweſen, eine bluͤhende
Bildnerſchule, auf welche ich zuruͤckkommen werde; Siena aber,
deſſen politiſche Groͤße das dreyzehnte Jahrhundert durchmißt,
2 *
[20] deſſen Gebiet ſchon ſo fruͤh den ganzen, auch gegenwaͤrtig
nicht unerheblichen Umfang erreicht hatte, war eben damals
der Mittelpunct einer ungewoͤhnlichen Thaͤtigkeit in kuͤnſtleri-
ſchen Unternehmungen aller Art.
Waͤhrend zu Florenz nicht fruͤher, als gegen das Jahr
1300. beſchloſſen wurde, *) die alte unſcheinbare Kirche der
heiligen Reparata in eine neue und praͤchtige Domkirche um-
zuwandeln, ward zu Siena ſchon ſeit den fruͤheren Decennien
des dreyzehnten Jahrhundertes an einem neuen und praͤchti-
gen Dome gebaut, deſſen Geſchichte einiger Berichtigungen be-
darf, welche ich nachtragen werde. Waͤhrend ſchon ſeit dem
Jahre 1230., vielleicht ſchon fruͤher, mit groͤßter Thaͤtigkeit an
der letzten Ringmauer von Siena gearbeitet wurde, **) ward
[21] der dritte Umkreis von Florenz erſt im vierzehnten Jahrhun-
derte unternommen. *) Gleichzeitig mit jenen Befeſtigungen
und mit dem praͤchtigen Dombau ward die hochgelegene Stadt
Siena mit Ciſternen, Waſſerleitungen, ſchoͤn uͤberwoͤlbten, maͤch-
tigen Brunnen und Waſſerbecken verſehen, deren gediegener,
gothiſcher Bau die gegenwaͤrtige Veroͤdung der niederen Theile
der Stadt uͤberdauert hat.
Bey ſo viel Eifer, ſo großem Aufwande fuͤr die Bequem-
lichkeit, Sicherheit und Schoͤnheit der Stadt, mußte es auch
fuͤr die Maler und Bildner zu thun geben; und in der That
iſt die ſieneſiſche Kunſtgeſchichte waͤhrend des dreyzehnten Jahr-
hundertes unter den toscaniſchen dieſer Zeit die reichſte an
Namen und werthvollen Leiſtungen.
Jenes aͤlteren Guido habe ich bereits erwaͤhnt; da ſeine
Madonna vom Jahre 1221. fuͤr jene Zeit ſehr ausgezeichnet
und offenbar kein Jugendverſuch iſt, ſo duͤrfte er damals ſchon
eine laͤngere Zeit gemalt haben. Der Muſaiciſt Jacob, deſſen
**)
[22] Muſiv vom Jahre 1225. wir aus der vorangehenden Ab-
handlung entſinnen, wird von Einigen ebenfalls der ſieneſi-
ſchen Schule beygelegt, was moͤglich, doch unausgemacht iſt,
alſo nicht hierher gehoͤrt. Andere Maler ergeben ſich aus den
Ausgabebuͤchern der ſieneſiſchen Staatsverwaltung; doch werde
ich hier die aͤlteren Auszuͤge, welche ſchon Della Valle benutzt
und bekannt gemacht hat, *) von meinen eigenen abſondern
muͤſſen, da ich jene nicht habe vergleichen koͤnnen, indem faſt
alle in den Lettere Senesi angezogene Nummern im bezeich-
neten Archive fehlen und, wie man behauptet, in die oͤffent-
liche Bibliothek verſetzt ſind, in deren handſchriftliche Schaͤtze
einzudringen, mir eben ſo ſchwierig war, als ſpaͤter dem treff-
lichen Bearbeiter der ſchoͤnſten und beſten aller vorhandenen
Quellenſammlungen, Herrn Dr.Pertz. **)
In den noch gegenwaͤrtig vorhandenen Baͤnden des be-
[23] zeichneten Archives entdeckte ich nur einzelne fruͤheren Forſchern
entgangene Namen; indeſſen werden meine Auszuͤge, welche
ich in die Anmerkungen verweiſe, mehr Zuverſicht, vornehmlich
eine deutlichere Vorſtellung erwecken, als jenes nackte Namen-
verzeichniß. So zeigte ſich in dem noch vorhandenen Quin-
tern ohne Nummer des Della Valle, daß Piero, Bonamico,
Parabuoi wahrſcheinlich nur gemeine Maler geweſen, weil die
Arbeit, welche ſie liefern, Schilder fuͤr Sinnbilder und Wap-
pen, an ſich ſelbſt niedrig und handwerksmaͤßig. *) Hingegen
gewann Dietiſalvi an Beſtand, welchem hier wiederholt die
Bemalung der Buͤcher des Kaͤmmerlings bezahlt wird, eine
Arbeit, an welcher ſich ſchon einige Erfindung und Geſchick-
lichkeit darlegen ließ, obwohl ſie dem Umfang und der Be-
lohnung nach unbedeutend war. Eines dieſer Gemaͤlde befin-
det ſich in der Gallerie der ſieneſiſchen Kunſtacademie, **) um
[24] welche der Abbate der Angelis Verdienſte beſitzt. Der Kuͤnſtler
malte auf dieſem Deckel, wie die Beyſchrift zeigt, das Bildniß
des derzeitigen Kaͤmmerlings, Ranerio di Lionardo Pagliareſi,
deſſen Kopf in der That einige Spur von Bildnißaͤhnlichkeit
zeigt, und in Anſehung der Zeit fuͤr lebendig und ausdrucks-
voll gelten darf; das Gewand iſt nur durch Umriſſe und
leichte Schraffirungen angedeutet. Drey andere Buͤcherdeckel
derſelben Sammlung, deren Zahlungspartiten nicht mehr vor-
handen, ſind dennoch gewiß ebenfalls von ſeiner Hand, weil
er, um dieſe Zeit und bis zum Jahre 1285. jene Arbeiten
ganz uͤbernommen hatte. *)
Spaͤter bemalte Duccio, **) dann ein zweyter Guido, ***)
endlich jener Vigoroſo, †) welcher bereits bekannt iſt, die Buͤ-
**)
[25] cher des Kaͤmmerlings. Dietiſalvi aber, welcher vielleicht in
der Achtung geſtiegen war, oder durch ſeine ſtandhafte Gefaͤl-
ligkeit in jenen kleineren Handleiſtungen Dank verdient hatte,
ward endlich im Jahre 1291., eben als Duccio jene Buͤcher
bemalte, auch bey einer groͤßeren Arbeit angeſtellt, irgend einer
Wiederherſtellung an dem Frauenbilde im oͤffentlichen Pallaſte. *)
Zur ſelben Zeit lebten einige andere Maler, welche Mancini
und Benvoglienti uͤberſehen haben: Morſello Cili, und Caſtel-
lino Pieri, **)Guarnieri und Guido Gratiani. ***) In wie
weit dieſelben uͤber das Handwerksmaͤßige hinausgegangen, iſt
nicht wohl mehr zu entſcheiden, da man in den Urkunden die-
ſer fruͤhen Zeit auch die Anſtreicher und andere Handwerker,
welche ihre Arbeiten durch Bemalung verſchoͤnten, zu den Ma-
lern zaͤhlte, zu deren Zunft ſie, politiſch angeſehen, gehoͤrten.
[26]
Wenn nun auch die Mehrzahl der fruͤher bekannten und
ſo eben von mir ergaͤnzten Malernamen, mit denen wir in
Ermangelung von maleriſchen Denkmalen keine beſtimmte
Vorſtellung verbinden koͤnnen, das Verdienſt des Guido, des
Dietiſalvi und Duccio nicht erreicht haben ſollten, ſo werden
wir doch wenigſtens von denen, welche die Buͤcher des Kaͤm-
merlings bemalt haben, annehmen muͤſſen, daß ſie ſich auf
die Figur verſtanden, mithin der Nachfrage nach heiligen Dar-
ſtellungen, welche zu jener Zeit die belebteſte war, haben ge-
nuͤgen koͤnnen.
Die fruͤhe Entwickelung der ſieneſiſchen Malerſchule iſt
demnach ganz ausgemacht; und in der That hat dieſelbe ſchon
damals gewiſſe Eigenthuͤmlichkeiten der Technik, wie der gei-
ſtigen Auffaſſung aus ſich entwickelt und dargelegt, welche ſie
bis auf den Taddeo di Bartolo oder bis gegen 1420. ſtand-
haft beybehalten; weßhalb ich mir nicht erklaͤren kann, daß
Vaſari ihr Unterſcheidendes nicht wahrgenommen und ſo viel
Andere hat verleiten koͤnnen, dieſe Schule gleich ihm aus der
florentiniſchen abzuleiten. Hatte doch Ghiberti, dem Vaſari in
vielen Dingen gefolgt iſt, das Verhaͤltniß beider Schulen
ganz richtig aufgefaßt; beſaß er doch als groͤßter Kuͤnſtler
ſeiner Zeit, als Florentiner, alſo unpartheylicher Zeuge, als
Kenner der ſieneſiſchen Schule, da er wiederholt in Siena
gelebt und gearbeitet hatte, endlich ſelbſt, weil er der Zeit,
von welcher die Rede, ſehr nahe ſtand, in dieſem Falle die
mannichfaltigſten Anſpruͤche auf hiſtoriſche Glaubwuͤrdigkeit!
Die kunſtgeſchichtlichen Nachrichten des Ghiberti eroͤffnet
ein Abſchnitt, welcher ganz der florentiniſchen Schule gewid-
met und bis zum Arcagnuolo (Orgagna) durchgefuͤhrt iſt; nach-
dem er von dieſer abgebrochen, hebt er ganz von Neuem an:
[27]
„Es gab in der Stadt Siena vortreffliche und geſchickte
Meiſter. Unter dieſen war Ambruogio Lorenzetti ein beruͤhm-
ter und ausgezeichneter Meiſter, welcher viele Werke vollbracht
hat.“ Nachdem er darauf die Werke dieſes und anderer ſiene-
ſiſchen Maler, des Simon, Lippo und Barna aufgezaͤhlt,
ſchließt er, indem er nachholt: „Es gab in Siena noch den
Duccio, welcher die griechiſche Manier beybehalten; und von
ſeiner Hand iſt die Tafel des Hauptaltares im Dome zu
Siena, auf der Vorſeite derſelben u. ſ. f. Viele Maler, er-
zaͤhlt er weiter, beſaß die Stadt Siena und war fruchtbar an
erſtaunlichen Talenten, deren Viele wir auslaſſen, um nicht
weitſchweifig zu ſeyn.“ *)
Ghiberti alſo, der, bey dem lebhafteſten und freudigſten
Bewußtſeyn der Vorzuͤge ſeiner Vaterſtadt, doch von jener
patriotiſchen Grille der Florentiner noch durchaus frey war,
kannte und ſchaͤtzte die ſieneſiſche Schule, als eine eigenthuͤm-
liche, fuͤr ſich beſtehende. Die allgemeinen geſchichtlichen Ver-
haͤltniſſe waren, wie wir uns fruͤher erinnert hatten, waͤhrend
des dreyzehnten Jahrhundertes den Sieneſern ungleich guͤnſti-
ger, als den Florentinern. Endlich haben wir auch urkund-
liche Zeugniſſe fuͤr die fruͤhe Entſtehung, den Fortgang, die
Leiſtungen der ſieneſiſchen Schule, in hinreichender Fuͤlle ge-
ſammelt. Sehn wir nun, ob die Geſchichte der florentiniſchen
reichhaltiger und beſſer begruͤndet ſey, wie doch die Ableitun-
gen des Vaſari und Baldinucci, wenn ſie anders Grund haben
ſollten, vorausſetzen ließen.
Allerdings wird es auch zu Florenz, welches ſeit dem
eilften Jahrhunderte, zwar noch fuͤr lange nicht als ein herr-
[28] ſchendes, doch immer ſchon als ein bluͤhendes und zunehmen-
des Gemeinweſen zu betrachten iſt, ſeit den aͤlteſten Zeiten
Maler gegeben haben, welche ihre Fertigkeiten vom Meiſter
zum Schuͤler fortpflanzten und die genuͤgſamen Anfoderungen
ihrer Zeitgenoſſen befriedigten. Obwohl mir die vorausſetzliche
Hauptquelle der aͤlteren florentiniſchen Kunſtgeſchichte, das
Archiv der Riformagioni, nicht zugaͤnglich geweſen, ſo entdeckte
ich doch, im Archive *) der florentiniſchen Domherrn, den Na-
men eines Malers, Fidanza, welcher um das Jahr 1224.
gelebt haben muß, da die Vorſteher einer florentiniſchen Kirche
ſich damals eines Hauſes entaͤußerten, um ihn, vermuthlich
fuͤr eine Kunſtarbeit, zu bezahlen. Dieſer Maler iſt dem Lanzi
entgangen, welcher in dieſer Unterſuchung ſich begnuͤgt, einen
Bartolommeo anzufuͤhren, dem man, nach moͤnchiſchen Traditio-
nen, jenes Wunderbild der Verkuͤndigten beymißt, welches noch
immer zu Florenz in der Kirche der Serviten bewahrt und
verehret wird. **) Da nun auch Andrea Tafi bis dahin auf
keiner umſtaͤndlich bekannten Urkunde, vielmehr nur auf ſehr
[29] allgemeinen Anfuͤhrungen oberflaͤchlicher Forſcher beruhet, *)
da, ſey es durch Unfleiß der florentiniſchen Forſcher, oder
durch Luͤckenhaftigkeit der Archive, ſogar Cimabue mit allen
ihm von Vaſari und Spaͤteren beygemeſſenen Werken nirgend
urkundlich bewaͤhrt iſt: ſo ergiebt ſich, daß die florentiniſche
Kunſtgeſchichte waͤhrend des dreyzehnten Jahrhundertes der
ſieneſiſchen an Begruͤndung und innerem Reichthum um Vie-
les nachſteht; daß, ſelbſt wenn die Florentiner in dieſem Zeit-
raume ihre Nachbaren wirklich im Geiſte und im Geſchicke
der Kunſt uͤbertroffen haͤtten, doch immer der Beweis nicht
wohl zu fuͤhren waͤre, was uns minder beunruhigen wird, da
wir bey dieſer Frage durchaus nicht betheiligt ſind.
Ungeachtet dieſer Dunkelheiten, welche zum Theil auch
daher zu erklaͤren ſeyn moͤgen, daß ſo viele der aͤlteſten floren-
tiniſchen Denkmale (ſ. Piero Scheraggio, ſta Reparata, alle
aͤltere Pfarrkirchen, mit Ausnahme einiger noch vorhandenen
Vorhallen; roͤmiſcher Alterthuͤmer, des Parlagio u. a. nicht
zu gedenken) durch die Bauluſt und Prachtliebe ſpaͤterer Zei-
ten verdraͤngt worden ſind, bin ich feſt uͤberzeugt, daß die
florentiniſchen Maler ſchon im dreyzehnten Jahrhunderte Ta-
lent gezeigt und mit ihren Zeitgenoſſen Schritt gehalten haben.
Die Florentiner hatten ſchon ſeit dem eilften Jahrhundert in
der Baukunſt einen damals noch ungewoͤhnlichen Sinn fuͤr
Ebenmaß dargelegt; ſie hatten in der zweyten Haͤlfte des
dreyzehnten bereits einige Schriftſteller hervorgebracht, welche
alle Vortheile des toscaniſchen Idiomes benutzten und im
Wortgebrauche, wie in der Conſtruction noch immer fuͤr mu-
ſterhaft gelten. Da zudem die beiden großen Tafeln, welche
[30]Vaſari dem Cimabue beygelegt, (die beruͤhmtere in ſta Maria
novella, die andere, aus ſta Trinita, in der Gallerie der flo-
rentiniſchen Kunſtſchule) ſicher florentiniſche Arbeiten ſind, ſo
werden wir nicht anſtehen duͤrfen, dieſer Schule, bey achtens-
werther Steigerung der Geſchicklichkeit, auch eine entſchiedene
Eigenthuͤmlichkeit des Sinnes und Geiſtes einzuraͤumen.
Nicht, weil Vaſari Solches beſtimmt zu wiſſen vorgiebt,
vielmehr aus anderen, allgemeineren Gruͤnden glaube ich, daß
jene beiden großen Tafeln in der That von Cimabue gemalt
worden. Allerdings konnte Vaſari, da er uͤberhaupt nirgend
auf den Grund gegangen, da die Malereyen in Kloſterkirchen
meiſt Geſchenke und daher unbekundet ſind, da ihn hier nicht
einmal Aufſchriften leiteten, durchaus nur durch oͤrtliche Tra-
ditionen beſtimmt worden ſeyn, die erwaͤhnten Tafeln dem
Cimabue beyzulegen, welche in dieſem Falle vielleicht an ſich
ſelbſt verdaͤchtig ſind, weil Cimabue ſeit Giotto’s Umwaͤlzung
der italieniſchen Kunſtmanieren veraltet und faſt vergeſſen war.
Erwaͤgen wir indeß, daß beide Tafeln bis gegen Ende des
funfzehnten Jahrhundertes die Hauptaltaͤre zweyer anſehnli-
chen, verehrten, ſtark beſuchten Kloſterkirchen zierten; daß ſie
in ungewoͤhnlichen Dimenſionen ausgefuͤhrt waren und ſelbſt
denen auffallen mußten, welchen die Manier grell und abſto-
ßend zu ſeyn ſchien; daß Cimabue, wie man immer ſeine
Manier gering ſchaͤtzen mochte, doch durch das vielgeleſene
Gedicht des Dante im Andenken gebildeter Menſchen ſich er-
halten mußte und, wie Ghiberti’s und Filippo Villani’s Er-
waͤhnungen zeigen, wirklich darin fortlebte: ſo werden wir die
Wahrſcheinlichkeit zugeben muͤſſen, daß man, als Vaſari
ſchrieb, noch wiſſen konnte, vielleicht noch wiſſen mußte, wer
jene auffallenden Tafeln gemalt hatte. Dieſe treffen zudem
[31] mit jener allgemeinen Charakteriſtik des Kuͤnſtlers uͤberein,
welche wir dem Ghiberti verdanken; denn ſie ſind wirklich,
die eine ſtreng in griechiſcher Manier gemalt, die andere we-
nigſtens voll griechiſcher Eigenthuͤmlichkeiten.
Da jene erſte Tafel mit den Propheten und Patriar-
chen in Manier und Auffaſſung den neugriechiſchen Malereyen
noch ſo nahe ſteht, ſo iſt ſie ſicher auch die aͤltere; hingegen
die andere, in ſta Maria novella, die neuere, weil ſie bereits,
vornehmlich in der Figur des Kindes und in den Koͤpfen der
Engel, nicht ſo ganz erfolgloſe Beobachtung des Lebens ver-
raͤth; weil namentlich das Fleiſch bereits einen helleren Ton
annimmt, die Behandlung deſſelben endlich ſchon etwas ver-
waſchener iſt. Aus dieſen Merkmalen ſchließe ich, daß Cima-
bue in einzelnen Parthieen ſeiner Gemaͤlde verſucht habe, die
maleriſche Technik der neueren Griechen abzuaͤndern. Denn
es ſcheint das zaͤhere Bindemittel der Griechen des Mittelal-
ters einen feſteren, geſtrichelten, oder ſcharf hingeſetzten Auf-
trag zu erfordern und jene fluͤſſigen Ueberzuͤge auszuſchließen,
durch welche die Italiener, vornehmlich ſeit Giotto, ihre Ma-
lereyen a tempera zu verſchmelzen pflegten. Zu dieſer Neue-
rung duͤrfte dann, nach obigem Beyſpiel, Cimabue den erſten
Anſtoß gegeben haben und eben hiedurch vielleicht das Ge-
ruͤcht veranlaßt worden ſeyn, daß er ſeinerzeit der Erneuerer,
bald gar der Begruͤnder der neueren Kunſt geweſen ſey. Ge-
wiß waren die Kunſtanſichten jener alten Italiener, welche
wir ſchwaͤrmeriſchen Deutſchen ſo gern in die eingebildeten
Raͤume verſetzen, im Ganzen ſehr derb und practiſch, weßhalb
ſie mit groͤßter Dankbarkeit der Erfindung und Anleitung zu
Griffen und Vortheilen der Handhabung zu gedenken pflegten,
[32] hingegen gar ſelten ſich darauf eingelaſſen, den Geiſt großer
Kuͤnſtler nach ſeiner Hoͤhe, Tiefe und Breite auszumeſſen.
Wir ſelbſt indeß werden in jenen Tafeln einen edlen,
auf Wuͤrdiges und Hohes gerichteten Sinn anerkennen und
verehren muͤſſen. Allerdings verraͤth Duccio, beſonders in dem
Madonnenbilde ſeiner großen Altartafel, mehr Unabhaͤngigkeit
von ſeinen griechiſchen Vorbildern. Auch wird man dem Sie-
neſer im Ganzen zugeben muͤſſen, daß ſeine Geſtalten einen
liebenswuͤrdigen Ausdruck von Guͤte und Milde beſitzen, wel-
cher anziehender iſt, als die herbe und ſtrenge Eigenthuͤmlich-
keit des Cimabue, deſſen Bildungen ein gewiſſes einſeitiges
Streben nach Wuͤrde und Ehrfurcht gebietender Hoheit an den
Tag legen. Moͤge er nun immerhin dieſe Richtung mit un-
zulaͤnglichen Kraͤften verfolgt haben, ſo verdient doch ſein
Streben, beſonders der Muth, ſich in groͤßere Dimenſionen
zu wagen, die Anerkennung und Verehrung der Billigen.
Doch, wenn uns Vaſari und Spaͤtere verſichern, daß
Cimabue in der Malerey eine Schule gegruͤndet und ein neues
und beſſeres Beſtreben verbreitet habe, ſo uͤberſehen ſie, daß
ſein Ziel nicht in Neuerung, ſondern nur in einer hoͤheren
Ausbildung der vorgefundenen Vorſtellungen und Handhabun-
gen der Kunſt beſtanden. Uebrigens pflegen dieſelben Schrift-
ſteller um wenige Zeilen ſpaͤter ſelbſt anzunehmen: daß jene
durchgehende Erneuerung der italieniſchen Malerey, welche ſie
aus Gewoͤhnung ſchon dem Cimabue beygelegt hatten, um
einige Jahrzehende ſpaͤter eingetreten und von Giotto ausge-
gangen ſey, welches Letzte ich in nachſtehender Unterſuchung
umſtaͤndlicher zu entwickeln und ſicherer zu begruͤnden hoffe,
als vor mir geſchehen iſt.
Urkund-
[33]
Urkundliche Belege und Anlagen.
I. Archivio dell’ opera del Duomo di Siena.
Libro E. 5. Deliberationi.
1) p. 76. sec. — (Giugno 1445.) — deliberarono
— che Misser Gio. operaio predetto che lui possa ed
abbia piena autorità e commissione di potere fare e
facci fare uno pavimento in duomo verso sco Sano,
come allui parrà et piacerà e che lui n’abbia piena au-
torità e commissione etc.
2) p. 98. sec. Die VI. mensis Augusti (1448.)
— che (l’operaio) possi far fare ne la chiesa cathe-
drale lo spazo, che é a lato al coro di verso la
cappella di s. Bastiano di marmo, con quelli intagli,
compassi, figure ed ornamento, che gli parrà.
Il Libro E. 4. Memorie.
3) p. 21. (1451.) — Memoria come questo di XI.
di magio abiamo allogato a maestro antonio federighi,
capo maestro dell’uopera il riempire dinanzi alla porta
di mezo di san Giovanni fra’ pilastri di detta porta di
marmo e murato a tutte sue spese, cio é, di detto
marmo, calcina, rena e magistero, nel quale ripieno
de’ fare una storia a trapano*)rienpita di stu-
cho, la quale storia debba essere fatta in questo modo:
prima uno prete ed uno chericho, parato come si richi-
ede al battesimo, quando si battegia, coruna**)donna
II. 3
[34]coruno citolo*)in braccio, quattro Donne datorno al
fanciullo, cio é, due esmantate, duo amantate con due
huomini, paino conpari etc. uno citolo grandicello con la
chandela sia a conpangnia di dette donne, e alloro contra
giovani da chanto e dispersse da sopradetti nominati,
coruno chagnuolo tra loro, paia di loro e sia levato
co’ piei dinanzi, lo facci charezze. Del quale lavoro
li dobbiamo dare Lire quattro soldi otto a braccio
quadro, cio é d’ongni braccio quadro, montasse detto ri-
pieno e lavoro etc., già più tempo alogamo detto lavoro.
El quale deba essare datorno ricinto, di fregi, come
appare per uno disengnio di mano di Stagio dipentore.
4) Ib. p. 21. sec. Memorie come oggi questo di
XI. di magio abiamo allogato a bartolomeo ........
detto il mandriano a fare uno ripieno da piè alla
porta fra l’una mora e l’altra overo pilastro della
porta, viene appiei le schale, vanno suso al Duomo di
sco Giovanni, nel quale ripieno de’ fare una storia
chavata con trapano rienpita di stucho, con fregi din-
torno a detto ripieno, in mezo del quale de’ fare uno
parto di donna in uno letto e lettiera, gofani e gradi
sotto uno porticho overo logia, a la quale alletto (ha
il letto) e guanciale e copertoro di detto letto; a piei
del quale sia una altra Donna, sega (segga) in sullo
gofano con tende di torno al letto ed a’ piei del detto
grado sia uno fanciullo in una pila, overo concha, si
lavi per due Donne, con uno changnuolo. Del quale
[35] lavoro li dobiamo dare Lire quattro soldi otto del
braccio a braccio quadro, a tutti suoi marmi, murata
a sua chalcina e rena ed ogni magisterio d’acordo
con lui più tempo fa.
Eod. libro et anno p. 24.
5) Memoria chome é ss. questo di primo d’aghosto
aloghiamo ed aviamo allogato a maestro Chorso di
m° Bastiano, maestro di concio di marmo, a rìempire
fra la porta del perdono del duomo lo spazo di
marmo rosso e nero e biancho chon più figure
dentrovi, cioé: dicienove fighure di naturale fatte a
trapano, chon uno baldachino a capo a l’inmagine del
papa e chon fogliami d’intorno e chon una crocie di-
nanzi al papa; le qua’ figure deno essare spartite l’una
dall’ altra, se tanto campo vi sarà, e senno (se no)
chome capire vi potranno; de le qua’ fighure ed altre
cose, chome di sopra apare per uno disengnio fatto di
mano di guaspare dipintore nostro maestro, el quale
é appresso di detto chorso, del quale dutto lavorio,
chome del opera gli dobiamo dare di danari, alluipare,
lire quattro soldi dieci del braccio lavorato a trapano
bene e diligentemente — el quale tutto lavoro de’ mu-
rare, porre e lavorare a tutta sua spesa d’ongni e cia-
schuna cosa, ecietto che de’ marmi, che glil’ dobbiamo
dare rozi ellui a le sue spese lavorargli de’ qua’ danari
gli dobiamo fare prestanza per parte di pagamento f.
ducenti dieci larghi; e del resto montare detto lavoro
dalglili (darglieli) in due paghe; la prima dalglili a
mezzo ottobre, el resto quando arà fatto e posto e mu-
rato detto lavorio.
3 *
[36]
II. Angebliche, aber unbeglaubigte Werke des
Duccio und Cimabue.
Da Vaſari das Hauptwerk des Duccio, ſeine Tafel im
Dome zu Siena, nicht geſehn hatte, weil ſie ſeinerzeit an die
Seite geraͤumt worden (ſ. vita di Duccio); da ihm auch
ſonſt in der Vaterſtadt des Kuͤnſtlers kein Bild vorgekommen
war, welches dort als deſſen Arbeit waͤre bekannt geweſen:
ſo werden wir annehmen koͤnnen, daß er die Merkmale und
Eigenthuͤmlichkeiten dieſes Kuͤnſtlers nicht kannte und ganz
unfaͤhig war, uͤber die Aechtheit derjenigen Bilder zu entſchei-
den, welche er nach eignen oder fremden Vermuthungen zu
Florenz, Piſa und anderen Orten fuͤr Werke des Duccio aus-
gegeben. Baldinucci glaubte in einem dieſer Gemaͤlde, damals
in ſta Trinita zu Florenz, die Schule des Giotto zu erkennen,
womit Lanzi, welcher das Bild (eine Verkuͤndigte) noch vor
Augen haben mußte, nicht einverſtanden iſt, (sto. pitt. scuola
Tosc. Ep. 1.). Dieſe Verſchiedenheiten in der Beurtheilung
der Manier jenes Bildes erhoͤhen die Glaubwuͤrdigkeit der
Angabe des Vaſari keinesweges, welcher in dieſem Falle ge-
wiß keinen Aufſchriften folgte, weil er, nach ſeiner allgemei-
nen Neigung ſolcher Beglaubigungen zu erwaͤhnen, hier, wo
es galt, ſeine Armuth an ſicheren Nachrichten ein wenig auf-
zuſtutzen, gewiß nicht verſaͤumt haben wuͤrde, davon Gebrauch
zu machen; ſo wie andererſeits vorauszuſetzen iſt, daß irgendwo
in ſolchen Aufſchriften Jahreszahlen wuͤrden vorgekommen
ſeyn, aus denen Vaſari ſeine falſche Zeitbeſtimmung der Wirk-
ſamkeit unſeres Meiſters haͤtte berichtigen koͤnnen. — Ohne-
hin befindet ſich kein einziges dieſer angeblichen Werke des
Duccio noch an den Stellen, welche Vaſari bezeichnet.
Hingegen ſind in der Kirche, ſ. Francesco d’Aſiſi, die
[37] Frescomalereyen, welche Vaſari ohne alle Begruͤndung durch
Urkunden oder Aufſchriften dem Cimabue beylegt, nebſt anderen,
von Neueren nach einem anmaßlichen Kennergefuͤhle dem Giunta
beygemeſſenen, noch immer, obwohl meiſt in ſchlechtem Stande
vorhanden.
Dieſe Arbeiten muͤſſen nach dem Jahre 1220. beſchafft wor-
den ſeyn, weil die Kirche vor dieſer Zeit nicht vorhanden war;
ſie koͤnnen nicht wohl uͤber das Jahr 1300. hinausreichen,
weil ſie in roher Nachahmung der byzantiniſchen Manier ge-
malt ſind, welche, wie wir wiſſen, um das Jahr 1300., theils
verbeſſert, theils gaͤnzlich aus dem Geſchmacke und aus der
Kunſtuͤbung der Italiener verdraͤngt wurde. Wer indeß wei-
ter gehen und in Malereyen, welche aus befangener Nachah-
mung hochalterthuͤmlicher Typen und Manieren hervorgegan-
gen ſind, in denen folglich hoͤchſtens ein ganz allgemeiner, oͤrt-
licher und zeitlicher Charakter vorhanden iſt, ſchon die Eigen-
thuͤmlichkeit beſtimmter Meiſter erkennen will, verſchwendet
ſeine Anſtrengungen, verliert ſich in eine fruchtloſe und in ſo
fern es von Belang iſt, in geſchichtlichen Dingen, Vermuthen
und Wiſſen getrennt zu halten, auch nachtheilige Selbſttaͤu-
ſchung. — In dem Kataloge, Gallerie de Mr. Massias etc.
Paris 1815. 8. p. 147. pl. 71. wird ein Bildniß im Ge-
ſchmack und in der Bekleidung der ſpaͤteren Haͤlfte des funf-
zehnten Jahrhundertes fuͤr ein Werk unſeres Cimabue ausge-
geben. L’exécution de ce portrait, verſichert der Pariſer,
remonte au 13me Siècle etc. So keck und frech iſt die
kunſthiſtoriſche Luͤge ſelbſt in dieſem großen Mittelpunkte der
Kennerſchaft und des Kunſthandels!
Es iſt in der That eben ſo unmoͤglich, als unwichtig,
bey allen noch vorhandenen Malereyen des dreyzehnten Jahr-
[38] hundertes den Meiſter aufzufinden und anzugeben. Wir ken-
nen, wiederhole ich, von ſo vielen Malern die dazumal den
taͤglichen Anfoderungen des kirchlichen Herkommens gedient
haben, nur einige wenige Namen und koͤnnen nur bey einzelnen
unter den erhaltenen Gemaͤlden, den Meiſter urkundlich, oder
durch Gruͤnde erweiſen. — Daß man zu jener Zeit auch in
Umbrien in griechiſcher Manier gemalt, ergiebt ſich nicht allein
aus jenen Mauergemaͤlden und Crucifixen zu Aſiſi; auch zu
Perugia finden ſich einige Tafeln dieſer Art, in ſan Bernar-
dino z. B. ein altes Crucifix, worin Chriſtus nach griech.
Typus, mit ſtark ausgeſenktem Unterleibe. Die Nebenwerke
(am Ausgang der Arme des Kreuzes: Maria, Johannes;
Gott Vater, darunter die Mutter zwiſchen zwey klagenden
Engeln, zu Fuͤßen ſ. Franz in kleineren Dimenſionen) ent-
halten vermiſchte barbariſch-italieniſche und byzantiniſche Ty-
pen und Manieren. Die Aufſchrift dieſes Bildes: † anno
domini MCCLXXII. tempore Gregorii PP. X. — Woll-
ten wir etwa auch dieſes Gemaͤlde in Ermangelung eines an-
deren Namens dem Cimabue beymeſſen? Deutet es nicht
vielmehr auf minder entſchiedene Nachahmung griechiſcher
Vorbilder, als damals im inneren Toscana uͤblich war?
Aelter ſchien mir in derſelben Stadt die Altartafel der
Kirche ſ. Egidio (collegio de’ nobili di mercanzia), welche
in fuͤnf oben rundgeſchloſſenen Feldern verſchiedene Heiligen
enthaͤlt. Andere Alterthuͤmer des dreyzehnten Jahrhundertes
finden ſich in der Sammlung der Academie zu Perugia. — Die
coloſſale Madonna, maestà delle volte, macht ſchon den Ueber-
gang zur giottesken Manier; die Augen ſind ſchon verlaͤngert,
deren Umriſſe einander angenaͤhert; die Modellirung uͤbrigens
gegenwaͤrtig durch Uebermalung unſichtbar.
[39]
IX.
Ueber Giotto.
Dieſe Denkſchrift iſt gleichſam das offizielle Manifeſt
einer ſtehenden Meinung, welche zu Florenz ſchon ſeit der
Mitte des vierzehnten Jahrhundertes Fuß gefaßt hatte; ſie
bewaͤhrt die Richtigkeit jener alten Bemerkung, daß, wer in
irgend einem Dinge den Ton angegeben, bis dahin unbekannte,
oder ſeit einer laͤngeren Zeit vergeſſene Kunſtgriffe aufgefun-
den, in der Regel mehr Nachruhm erwirbt, als wer auf ſchon
betretener Bahn das Ungemeine und Ueberſchwengliche leiſtete.
Das Andenken der Neuerungen, welche Giotto in die Male-
rey eingefuͤhrt, blieb bey ſeinen Schuͤlern und Nachahmern
[40] wohl ein Jahrhundert lang lebendig; die Verehrung der Ma-
ler, denen er den Ton und die Richtung gegeben, traf eben
in die ſchoͤnſte Epoche der toscaniſchen Literatur, deren beſte
und geleſenſte Schriftſteller ihrer Geſinnung die Feder geliehen
haben. Je mehr die Zeit die Leiſtungen des Giotto der Pruͤ-
fung entruͤckt und der Phantaſie einen freyeren Spielraum
gewaͤhrt, die nothwendig ſehr allgemeinen Lobſpruͤche der
Schriftſteller ins Schoͤnere auszubilden, um ſo mehr wird [auch]
ſein Nachruhm wachſen und gedeihen muͤſſen. — Indeß moͤchte
es noch immer an der Zeit und an ſich ſelbſt nicht unerſprieß-
lich ſeyn, ſeine hiſtoriſche Stellung, ſeine Geiſtesart und Rich-
tung, wie endlich auch die Beſchaffenheit ſeiner kuͤnſileriſchen
Leiſtungen hiſtoriſch zu begruͤnden. Verſuchen wir vorerſt aus
den erhaltenen und zugaͤnglichen Quellen ſeiner Geſchichte
ſolche Zuͤge hervorzuheben, welche uͤber das Allgemeine hinaus
und ſchon mehr in das Beſtimmte und Einzelne eingehn.
In wiefern Giotto auf die Kunſtuͤbung ſeiner Zeitgenoſſen
eingewirkt, duͤrfen wir vornehmlich aus den Andeutungen jener
kuͤnſtleriſchen Schriftſteller kennen lernen, welche mir ſchon
einmal, bey Entwickelung der Beſchaffenheit des byzantini-
ſchen Einfluſſes, und des Zeitpunktes, in welchem derſelbe ein-
getreten, nicht unwichtige Dienſte geleiſtet haben. Unter die-
ſen eroͤffnet Ghiberti ſeinen Abriß der neueren Kunſtgeſchichte
durch eine Kuͤnſtleranecdote, welche Vaſari ihm nacherzaͤhlt.
Sie ſcheint mir zu ſchoͤn um wahr zu ſeyn; und da es auch
aͤußere Gruͤnde giebt, zu bezweifeln, daß Giotto der Schuͤler
des Cimabue, *) der Sohn eines Bondone**) geweſen ſey,
[41] ſo werde ich dieſe, mehr anmuthige, als lehrreiche Erzaͤhlung
ganz uͤbergehen duͤrfen. Ueberhaupt wird in den Nachrichten,
welche Ghiberti vom Leben und Wirken des Giotto ertheilt,
das Weſentliche und Allgemeine, nach Abſtreifung der Wie-
derholungen und Unbehuͤlflichkeiten ſeines Ausdruckes, in fol-
gende Saͤtze zu faſſen ſeyn: „Giotto bildete ſich in der Maler-
kunſt zu einem großen Meiſter; er fuͤhrte die neue Kunſt
**)
[42]herbey und verließ die rohe Manier der Grie-
chen. *) — Viele ſeiner Schuͤler waren kunſtgerecht gleich
den alten Griechen. **)Giotto ſah in der Kunſt, was An-
deren unerreichbar geblieben. Er fuͤhrte die Natuͤrlich-
keit und Anmuth herbey, ohne uͤber das Maß hinaus-
zugehn.“ ***) In Uebereinſtimmung mit dieſen Angaben und
Urtheilen des Ghiberti meldet auch deſſen Zeitgenoß, oder
naher Vorlaͤufer, Cennino: daß Giotto von den Griechen ab-
gewichen ſey und die Kunſtuͤbung der Italiener durchaus er-
neut habe. †) Hierin werden dieſe Schriftſteller glaubwuͤrdi-
ger ſeyn, als einige Neuere zugeben wollen. Denn Cennino
hatte bey Agnolo Gaddi, dem Großſchuͤler des Giotto, ge-
lernt; Ghiberti war kaum funfzig Jahre nach Giotto’s Able-
ben geboren; beide hatten ihren Sinn fuͤr kuͤnſtleriſche Dinge
geſchaͤrft. Zudem wird, wie ich ſpaͤter zeigen will, jene von
ihm angedeutete Umwaͤlzung, durch alle zuverlaͤſſige Denkmale
beſtaͤtigt. Doch fragt es ſich hier, worin denn Giotto von
den Byzantinern abgewichen, in wie fern er als Stifter zu
betrachten ſey. Voͤllig uͤbereinſtimmend bezeichnen beide Schrift-
[43] ſteller zunaͤchſt eine Erneuerung der Manier, oder der techni-
ſchen Behandlung, und in der That ergiebt es ſich aus den
ſicheren Malereyen des Giotto und ſeiner florentiniſchen Zeit-
genoſſen, daß er das zaͤhere Bindemittel der griechiſchen Ma-
ler ganz aufgegeben hat und zu jenem fluͤſſigeren und minder
verdunkelnden zuruͤckgekehrt iſt, deſſen die aͤlteren italieniſchen
Maler, ehe ſie zur griechiſchen Manier uͤbergingen, lange Zeit
ſich bedient hatten. *) Allerdings wußte er aus dieſem Bin-
demittel, in welchem die geklaͤrte Milch junger Sproſſen und
gruͤner Fruͤchte des Feigenbaumes den Grundbeſtand bildet,
ſchon ungleich mehr Vortheil zu ziehn, als jene roheſten Ma-
ler des Mittelalters. Doch moͤchte Cennino, der ſeine ganze
Aufmerkſamkeit auf die Technik der Malerey gewendet hatte,
nur dieſe Ruͤckkehr zu den heimiſchen Gewohnheiten im Sinne
haben, wo er ſagt, daß Giotto die Malerey aus dem Grie-
chiſchen ins eigenthuͤmlich Italieniſche abgeaͤndert habe.
Ghiberti hingegen bezeichnet deutlich genug, daß Giotto
auch in der allgemeineren Richtung des Sinnes, in der Wahl
und Behandlung ſeiner Aufgaben, die erfolgreichſten Neuerun-
gen eingefuͤhrt hatte. Wie wir uns aus den fruͤheren Unter-
ſuchungen entſinnen, bewahrten die griechiſchen Maler, obwohl
von eigenem Geiſte entbloͤßt, die Typen vieler Vorſtellungen
und Charaktere, welche auf fruͤheren, begluͤckteren Stufen der
chriſtlichen Kunſt waren ausgebildet worden. Die Wuͤrde
und intenſive Schoͤnheit dieſer Gebilde war, weder dem Ci-
mabue, noch vornehmlich dem Duccio ſo gaͤnzlich entgangen;
ſie hatten ſie mit Freyheit nachgebildet, ihren Motiven nach-
geſpuͤrt, dieſe, durch Vergleichung mit dem Wirklichen, neu zu
[44] beleben geſtrebt; und es war ihnen haͤufig gelungen, die
mumienhafte Umhuͤllung davon abzuſtreifen, mit welcher die
mechaniſchen Nachbildner des Mittelalters ſie allgemach um-
geben hatten. Giotto hingegen durchbrach die Schranken,
welche jene noch anerkannt hatten, und entaͤußerte ſich, indem
er den Roſt veralteter Manieren abwarf, zugleich des hohen,
aͤcht chriſtlichen und aͤcht kuͤnſtleriſchen Geiſtes, welcher ſelbſt
aus jenen ſo vielfaͤltig verkuͤmmerten Darſtellungen noch immer
hervorleuchtet. — Die Moͤglichkeit aller Neuerung beruhet
auf Kraft; die Geſinnung aber, aus welcher der Neuerer
entſteht, iſt im Durchſchnitt unheilig und frevelhaft. Waͤhrend
wir in Giotto das Talent, den Muth, die Geiſteskraft bewun-
dern muͤſſen, welche ihn erfaͤhigten, der Mehrzahl ſeiner Zeit-
genoſſen eine durchaus neue Bahn vorzuzeichnen, werden wir
doch nicht uͤberſehen duͤrfen, daß ſeine Richtung derjenigen,
welche einige Neuere ihm willkuͤhrlich beygelegt haben, durch-
aus entgegengeſetzt iſt.
Wenn dieſe ihm unzweydeutig eine gewiſſe religioͤſe
Strenge des Eingehns in die vorwaltenden Kunſtaufgaben
ſeiner Zeit beylegen, ſeinen Werth eben nur in die Tiefe und
Begruͤndung ſeiner Auffaſſung verſetzen: ſo werden ſie ſich
taͤuſchen, wenn anders ſeinen naͤheren Zeitgenoſſen eine Stimme
gebuͤhrt. Ueberall, wo dieſe etwas naͤher in den Charakter
unſeres Malers eingehn, verweiſen ſie, mit beachtenswerther
Uebereinſtimmung, auf Leichtigkeit, Neuheit, Fruchtbarkeit und
Vielſeitigkeit, ſogar, wie ich zeigen werde, auf einen gewiſſen
Grad von Leichtfertigkeit und Nichtachtung der Sinnbilder des
Heiligen; ganz wie es bey einem Neuerer vorauszuſetzen war.
Die Hingebung in eine ſolche Sinnesart mußte noth-
wendig zur Objectivitaͤt fuͤhren; und, obwohl Giotto, nach
[45] damaligem hoͤchſt niedrigem Stande der maleriſchen Technik,
weder den Anſchein der Dinge, noch ihren Charakter vollſtaͤn-
dig faſſen und ausdruͤcken konnte, ſo wußte er doch ſeiner
Darſtellung ſo viel durchgehende Gleichmaͤßigkeit, den gegen-
ſeitigen Beziehungen der Geſtalten ſo viel Bewegung, Man-
nichfaltigkeit und Ausdruck zu geben, als hinreichen mag, ſeine
Richtung auf Beobachtung des ihn umgebenden Lebens zu be-
waͤhren und zu erklaͤren, daß die Zeitgenoſſen, bey der jugend-
lichſten Phantaſie und in Abweſenheit von Gegenſtaͤnden der
Vergleichung, in ſeinen Malereyen einen taͤuſchenden Anſchein
wirklichen Seyns und Geſchehens wahrzunehmen glaubten.
Eben wie Ghiberti, an einer oben ausgehobenen Stelle,
von Giotto geruͤhmt hatte, er habe Natuͤrlichkeit in die Kunſt
eingefuͤhrt (was hier vorausſetzlich nicht die Form, ſondern
die Handlung angeht), ſo ſchrieb auch Johannes Villani: *)
Giotto unſer Mitbuͤrger, welcher in der Malerkunſt der groͤ-
ßeſte Meiſter war, den es zu ſeiner Zeit gegeben, und der-
jenige, welcher jegliche Figur und Handlung am na-
tuͤrlichſten dargeſtellt. **) In demſelben Sinne ſagt
Boccaz, obwohl nicht ohne redneriſche Uebertreibung: daß die
Natur nichts hervorbringe, was Giotto nicht bis zur Taͤu-
ſchung nachgeahmt habe. ***) Die Erwaͤhnungen des Dante
und Petrarca, (der ihm jedoch ſeinen Simon von Siena
gleichſtellt) ſind, gleich den Lobſpruͤchen vieler florentiniſchen
[46] Geſchichtſchreiber, *) zu allgemein, um ein beſtimmteres Kenn-
zeichen darzubieten. Hingegen zeigen uns einige Novellen des
Boccaz und Sacchetti den Giotto als einen anſtelligen Mann,
von hellem, nuͤchternem Verſtande, dem die Gegenwart klar
vor Augen lag.
„Meſſer Foreſe da Rabatta, erzaͤhlt Boccaz, beſaß, bey
kleinem, mißgeſtaltetem Koͤrper, plattem und huͤndiſchem Ge-
ſichte, eine ganz ungemeine Rechtsgelehrſamkeit. Bey gleicher
Haͤßlichkeit beſaß Giotto einen ſo ausgezeichneten Geiſt, daß
die Natur nichts hervorbringt, was er nicht mit dem Stifte,
oder mit der Feder, oder mit dem Pinſel ſo aͤhnlich nachzu-
bilden gewußt, daß Solches nicht ſowohl dem Wirklichen
aͤhnlich, als das Wirkliche ſelbſt zu ſeyn ſchien. Und haͤufig
hat es ſich ereignet, daß man bey Wahrnehmung ſeiner Werke
geglaubt, daß ſolches, ſo nur gemalt war, wirklich ſey. **)
Da nun zudem jene Kunſt, nachdem ſie ſo viel Jahrhunderte
unter den Mißgriffen derer, welche nur zur Befriedigung un-
wiſſender Menſchen gemalt hatten, gleich wie begraben gele-
gen, ***) von Giotto von Neuem war an das Licht gezogen,
worden: ſo duͤrfen wir ihn mit Recht zu denen zaͤhlen, welche
[47] den Florentinern Ruhm gebracht haben; um ſo mehr, da er
beſcheiden den Namen eines Meiſters *) abgelehnt, wiewohl
er ſelbſt der Meiſter von Anderen geweſen, welche dieſer Be-
nennung begierig nachgeſtrebt haben.
Meſſer Foreſe und Giotto waren beide im Mugello
(einer Landſchaft, welche der Weg von Florenz nach Bologna
durchſchneidet) angeſeſſen. Als nun Meſſer Foreſe einmal
waͤhrend der Gerichtsfeyer ſeine Beſitzungen beſichtigt hatte
und zufaͤllig auf einem ſchlechten Miethpferde zuruͤckritt, be-
gegnete er dem Giotto, welcher die ſeinigen ebenfalls beſucht
hatte und nach Florenz zuruͤckkehrte. Dieſer war, weder
beſſer beritten, noch beſſer im Zeuge, als jener, ſo daß
ſie, langſam reitend, mit einander fortmachten. Zufaͤllig uͤber-
raſchte ſie ein heftiger Sommerregen, welcher ſie noͤthigte, bey
einem ihnen befreundeten Bauern unterzutreten. Da nun der
Regen anhielt und es ſie draͤngte, nach Florenz zu kommen,
ſo borgten ſie von jenem Bauern ein Paar alte Pilgermaͤn-
tel und zwey ganz abgetragene Huͤte, und machten ſich damit
***)
[48] auf den Weg. Als ſie darauf eine Weile geritten und recht
durchgeweicht, auch durch die Fußtritte der Pferde reichlich mit
Koth beſpruͤtzt waren, welches Alles den Leuten kein ſchoͤneres
Anſehn zu geben pflegt, ſo erhellte ſich allgemach der Himmel,
was ihnen, nach laͤngerem Schweigen, endlich wiederum die
Zunge loͤſete. Und indem Meſſer Foreſe dahinritt und dem
Giotto zuhoͤrte, welcher ſehr gut zu reden wußte, konnte er
nicht umhin, ihn von allen Seiten und von Kopf zu Fuß zu
betrachten, und, uneingedenk ſeiner eigenen Perſoͤnlichkeit, uͤber
deſſen uͤbles und unſcheinbares Anſehn zu lachen, indem er
ſagte: o Giotto, wenn uns jetzt ein ganz fremder Menſch be-
gegnete, der Dich nie geſehn haͤtte, wuͤrde er glauben koͤnnen,
daß Du der erſte Maler der Welt biſt? Hierauf erwie-
derte Giotto unverzuͤglich: allerdings, Meſſere, vorausgeſetzt,
daß er, Euch anblickend, glauben wuͤrde, daß Ihr das A. B. C.
wiſſet. — Meſſer Foreſe erkannte ſein Verſehn und fuͤhlte,
daß er mit gleicher Muͤnze bezahlt ſey.
In dieſer Erzaͤhlung, deren Ausgang, wie es mir ſcheint,
ziemlich nahe lag und mehr Geiſtesgegenwart und geſunden
Mutterwitz, als ungewoͤhnlichen Geiſt bezeugt, erſcheint unſer
Kuͤnſtler als ein gewandter und practiſcher Mann, der von
ſeinen Erſparniſſen Guͤter angeſchafft, ſeiner Wirthſchaft die
noͤthige Aufmerkſamkeit zuwendet, mit Leuten aller Art zu leben
und ſich in Achtung zu erhalten weiß. Dieſes Bild werden
wir aus den Novellen des Franco Sacchetti ergaͤnzen koͤnnen.
„Wer wuͤßte nicht, ſagt Sacchetti, *) wie weit Giotto
in der Malerey jeden Anderen uͤbertroffen hat. Nun ereig-
nete
[49] nete ſich’s, daß ein ungebildeter Handwerksmann, welcher
wahrſcheinlich ein Amt antreten ſollte *) und auf den Ein-
fall gekommen war, ſein Wappenſchild malen zu laſſen,
gradezu mit Einem, der ihm das leere Schild nachtrug, in
die Werkſtaͤtte des Giotto eintrat. Gruͤß Dich Gott, Meiſter,
ſagte er zu Giotto, den er angetroffen; ich moͤchte, Du mal-
teſt meine Wappen. Giotto, der ſich den Mann und die Manie-
ren anſah, antwortete rund: wann ſoll die Arbeit fertig ſeyn?
und ſagte, als er die Zeit erfahren: laß mich nur machen;
worauf jener fortging.
Giotto dachte nun bey ſich ſelbſt: hat man mir den
Burſchen zugeſchickt, um mich zu foppen? in meinem Leben
iſt mir noch kein Wappenſchild zugetragen worden. — Hier-
auf bemalt er ihm das Schild mit allerley Wappenſtuͤcken,
Helm, Kuͤraß, Schwerdt und Lanze, geraͤth daruͤber mit Jenem
in Streit und gewinnt, weil er beſſer bey Worte, den Pro-
ceß. Dieſer Scherz, der auf dem Doppelſinne des Wortes,
arme, beruhet, zeigt uns den Giotto etwas eiferſuͤchtiger auf
ſeine Malerehre, als Boccaccio ihn ſich dachte; uͤbrigens er-
ſcheint er auch hier, wie dort, gewandt und weltverſtaͤndig,
des Ausdruckes maͤchtig und ſchnell im ſich Beſinnen und
Beſchließen. Dieſe Charakterzuͤge ſteigern ſich in einer zwey-
ten Novelle bis zum Leichtfertigen und Vermeſſenen.
„Wer in Florenz bekannt iſt, erzaͤhlt derſelbe Novelliſt, **)
weiß, daß man den erſten Sonntag jedes Mondes nach ſan
II. 4
[50] Gallo zu gehen pflegt; und Maͤnner und Weiber gehen mehr
zur Luſt, als des Ablaſſes willen hinauf. An einem dieſer
Tage entſchloß ſich auch Giotto, mit ſeinen Freunden dorthin
zu gehn; und, als er gerade in der Straße del Cocomero ein
wenig Halt gemacht, um irgend eine Geſchichte zu erzaͤhlen,
kamen Schweine daher, deren eines den Giotto ſo heftig an-
lief, daß er zu Boden fiel. Nachdem er nun mit Huͤlfe ſei-
ner Genoſſen ſich aufgerichtet und abgeſtaͤubt hatte, hoͤrte man
ihn weder den Schweinen fluchen, noch ſich beklagen, vielmehr
ſagte er, zu den Freunden gewendet, mit halbem Lachen: nun,
haben Sie denn nicht Recht? Habe ich nicht mit ihren Bor-
ſten Tauſende gewonnen und ihnen doch noch keinen Teller
Suppe gereicht?
Seine Gefaͤhrten lachten und ſagten: was hilft’s, Giotto
iſt Meiſter in allen Dingen. Du haſt noch keine Geſchichte
ſo gut gemalt und dargeſtellt, als dieſe hier mit den Schwei-
nen. Und ſo gingen ſie nach ſan Gallo hinauf und betrach-
teten ſich auf dem Ruͤckwege, wie es Gebrauch iſt, zu ſan
Marco und bey den Serviten die Malereyen. Und da ſie
dort eine Jungfrau ſahen mit dem heiligen Joſeph zur Seite,
ſprachen ſie: ſag mir, Giotto, weßhalb malt man denn die-
ſen Heiligen jederzeit mit ſo truͤbſeliger Miene? Darauf ant-
wortete Giotto: hat er nicht Grund? u. ſ. f. — Alle wende-
ten ſich einer zum anderen und verſicherten, daß Giotto nicht
allein ein großer Maler, ſondern auch ein Meiſter in den
freyen Kuͤnſten ſey.
Dieſe Anecdoten, deren letzte ungleich mehr Frivolitaͤt,
als Verſtand, unter allen Umſtaͤnden viel Nuͤchternheit des
Geiſtes darlegt, haben zu viel Individualitaͤt und allgemeine
Uebereinſtimmung, um ganz erdichtet zu ſeyn; gewiß lehren
[51] ſie, was ſeine Zeitgenoſſen und naͤheren Nachfolger ihm allen-
falls zutrauen und beylegen durften. Gluͤcklicher Weiſe hat
er ſeinen geſunden, unbeſtochenen und unabhaͤngigen Men-
ſchenverſtand auch in der Form einer Canzone ausgeſprochen,
welche (wahrſcheinlich, weil ihre grammatiſchen und logiſchen
Willkuͤhrlichkeiten keiner Nachbeſſerung faͤhig ſind) vor einigen
Jahren noch ungedruckt war, weßhalb ich ſie mit allen in
die alte Abſchrift eingefloſſenen, oder urſpruͤnglichen Unvoll-
kommenheiten hier einruͤcken will. *)
4 *
[52]
[53]
[54]
Dieſes Gedicht enthielt hoͤchſt wahrſcheinlich ſchon im
Originalentwurfe einige ganz unverbeſſerliche, aus Reim und
Sylbenzwang entſtandene Sprach- und Conſtructionsfehler;
der Abſchreiber mag es noch mehr entſtellt haben. Doch ent-
haͤlt es zugleich viele lichte und wohl ausgedruͤckte Gedanken,
deren Inhalt in verſchiedener Beziehung Beachtung verdient.
Es zeigt ſich darin zunaͤchſt jener geſunde durchaus anwend-
bare Menſchenſinn, dem wir in den fruͤher benutzten Andeu-
tungen uͤberall begegnet ſind; ein Zuſammentreffen, welches
nicht wohl zufaͤllig ſeyn kann. Allein beſonders bemerkens-
werth iſt die Wahl des Gegenſtandes, die Richtung der Op-
poſition. Giotto hatte viel und lange und manches gar Selt-
ſame und Moͤnchiſche fuͤr verſchiedene Kloͤſter des Franzisca-
nerordens gearbeitet, mithin hatte es ihm nicht an Gelegen-
[55] heit gefehlt, einige Schwaͤchen in den Grundſaͤtzen ihrer Stif-
tung zu entdecken, oder die Nachtheile wahrzunehmen, welche
ſie in der Anwendung entwickeln mochten. Die letzten (Ver-
ſtellung, Unwahrheit, verdeckter Ehrgeiz und verſtohlener Welt-
ſinn) benutzt er, ſeinen Angriff auf den Grundſatz zu verſtaͤr-
ken, der ihm ſo, wie ihn die Eiferer ſeiner Zeit aufgefaßt hat-
ten, der Entwickelung jeder edleren Anlage der menſchlichen
Seele zu widerſtreben ſchien. *)
Alſo ſtand Giotto, weit entfernt den Anſichten und Vor-
ſtellungen ſeiner Zeitgenoſſen ſich ſchwaͤrmeriſch hinzugeben,
denſelben vielmehr mit nuͤchternem Bewußtſeyn und pruͤfen-
dem Scharfblicke gegenuͤber. Kaͤlte des Verſtandes, Deutlich-
keit des Bewußtſeyns, widerſtrebt indeß jener enthuſiaſtiſchen
und ruͤckhaltloſen Hingebung, ohne welche es, wenigſtens dem
dichteriſchen Kuͤnſtler, nicht zu gluͤcken ſcheint, das Hohe und
Wuͤrdige anzuſchauen. Daher entſtand vielleicht, daß er, auch
wo die Gelegenheit ſich darbot, es unterlaſſen, die unſtreitig
edlere Richtung ſeiner Vorgaͤnger weiter zu verfolgen und ihre,
einer weiteren Ausfuͤhrung ſo beduͤrftigen Kunſtgebilde zu ver-
vollkommnen. Doch iſt hier nicht zu uͤberſehen, daß eben da-
mals die moͤnchiſche Religioſitaͤt die evangeliſche und alter-
thuͤmlich chriſtliche durchaus beſiegt hatte, woher die Kuͤnſtler
jener Zeit uͤberall mehr und mehr davon abgelenkt wurden,
die aͤlteſten Typen der chriſtlichen Kunſt zu wiederholen, oder
weiter zu bilden. Die Darſtellung der Lebensereigniſſe, die An-
ſpielungen auf die Stiftung und Wirkſamkeit moderner Heili-
gen, welche jene aͤlteren Vorſtellungen aus der Kunſtuͤbung
verdraͤngt hatten, nahmen nur um ſo mehr Feld ein, ver-
[56] ſchlangen nur um ſo mehr Arbeit, als man aus ihrem Leben
noch jedes kleinen Umſtandes ſich erinnerte und in der An-
ſpielung auf ihre mannichfaltigſten Verdienſte in der erſten
Waͤrme ganz unerſchoͤpflich war. Daher ward Giotto, nach-
dem er, ſey es durch Lauigkeit, oder durch aͤußeren Zwang,
oder auch durch ein zufaͤlliges Zuſammentreffen beider Urſa-
chen der aͤlteren Richtung entruͤckt worden, faſt durchhin auf
Handlungen und Allegorieen angewieſen, fuͤr weiche er ſicher
nicht begeiſtert war, welche nur in ſo fern fuͤr ihn Werth ha-
ben konnten, als ſie menſchliche Beziehungen und Handlun-
gen einſchloſſen, denen er in der That, nach Maßgabe der
Ausbildung ſeiner Darſtellung, viel Wahrheit und Staͤrke
gegeben.
Alſo wird die Umwaͤlzung, welche die Zeitgenoſſen des
Giotto andeuten, von einigen techniſchen Aenderungen abge-
ſehn, beſonders darauf beruhen, daß Giotto die Richtung ſei-
ner Vorgaͤnger auf edle Ausbildung heiliger und goͤttlicher
Charaktere, wenn auch nicht ganz aufgegeben, doch hintange-
ſetzt, hingegen die italieniſche Malerey zur Darſtellung von
Handlungen und Affecten hinuͤbergelenkt hat, in denen, nach
dem Weſen des Moͤnchthumes, das Burleske neben dem Pa-
thetiſchen Raum fand. *) Die Natuͤrlichkeit, welche die Zeit-
[57] genoſſen in Giotto’s Werken bewunderten und prieſen, iſt, in
Anſehung der damaligen Kunſtſtufe und einzelner noch vorhan-
dener Proben ſeines Kunſtgeſchickes, eben nichts Anderes, als
jene Lebendigkeit der Bewegung und Handlung, welche zwar
den bezeichneten Kunſtaufgaben Reiz und Intereſſe verlieh,
doch zugleich den ernſten Sinn der vorangehenden Kunſtbeſtre-
bungen verdraͤngte, deren Werth wir freyer beurtheilen koͤn-
nen, als jene in der Bewunderung und Nachahmung des
Giotto befangenen Alten.
Sehen wir nun, ob die Unterſuchung ſeiner Kuͤnſtler-
werke daſſelbe, oder ein ganz anderes Ergebniß gewaͤhre. Lei-
der giebt es nur noch ein einziges durch Inſchrift beglaubig-
tes Gemaͤlde ſeiner Hand; in Bezug auf die uͤbrigen, welche
ihm noch beygemeſſen werden, muͤſſen wir uns, da Vaſari
und Neuere in ſo alten Dingen uͤberhaupt ganz unzuverlaͤſſig,
beſonders auf die Angaben des Ghiberti ſtuͤtzen, obwohl auch
dieſe haͤufig hoͤchſt unbeſtimmt ausgeſprochen und nicht ohne
reifliche Ueberlegung aufzunehmen ſind.
Das bezeichnete Bild befindet ſich in der Kappelle Ba-
roncelli der Kirche ſta Croce zu Florenz; es beſtehet in fuͤnf
Abtheilungen von italieniſch - gothiſcher Anlage. Dieſe ſind
allerdings etwa im funfzehnten Jahrhunderte durch einen neue-
ren Rahmen eingefaßt worden; doch greift die Neuerung nicht
ſo weit in den Sockel des Bildes hinuͤber, daß wir deßhalb
berechtigt waͤren, das Alter und die Aechtheit der daran be-
findlichen (in Anſehung der Schriftzuͤge und deren jedesmali-
ger Einfaſſung ſicher aͤlteren) Aufſchrift zu bezweifeln, welche,
*)
[58] in einzelnen, jedesmal von einem gothiſchen Sechseck einge-
ſchloſſenen Buchſtaben die Worte: OPVS MAGISTRI
IOCTI. enthaͤlt. Dieſes Gemaͤlde, welches die Kroͤnung der
Jungfrau darſtellt, iſt freylich ſchon vor Alters durch Saͤuren
angegriffen und neuerlich ſtellenweis durch Abblaͤtterungen be-
ſchaͤdigt worden. Doch bewahrt daſſelbe, da es weder durch-
aus verwaſchen, noch ganz uͤbermalt worden, den Aufdruck
ſeiner Eigenthuͤmlichkeit, darf uns mithin fuͤr eine ſichere Probe
ſeiner Manieren und Gewoͤhnungen gelten.
In dem Mittelſtuͤcke ſitzen Maria und Chriſtus auf
einem, beiden gemeinſchaftlichen, hohen Thronſtuhle von gothi-
ſcher Anlage. Chriſtus druͤckt der Jungfrau die Krone mit
beiden Haͤnden auf, eine Vorſtellung, welche in der Folge von
Italienern und Deutſchen oftmals wiederholt worden iſt. Wie
dieſe Vorſtellung an ſich ſelbſt, ſo gehoͤrt auch beſonders der
Charakter und die Bekleidung des Heilands ſchon ganz der
neueren Zeit und wahrſcheinlich der Erfindung des Giotto.
Der antike, oder chriſtlich roͤmiſche Typus, den wir noch in
den Werken des Duccio und Cimabue angetroffen, iſt hier
ſchon durchaus verwiſcht. Beſonders auffallend ſind die kur-
zen geraͤnderten Oberaͤrmel des Heilandes, das aͤlteſte mir be-
kannte Beyſpiel jener Luſt an ſeltſamen Bekleidungen und
muthwilligen Schneider- und Stickerſtuͤckchen, an denen manche
Maler des vierzehnten und funfzehnten Jahrhundertes in der
Folge ſo viel Behagen gefunden; welche in den neueſten Zei-
ten einigen ungelehrten, uͤbrigens wohlmeinenden Kuͤnſtlern
nicht ſelten fuͤr typiſch gegolten, da ſie doch in der That nur
voruͤbergehende Malerlaunen ſind.
Obwohl nun eben dieſe und aͤhnliche Abweichungen vom
Herkommen, dem Kuͤnſtler, wie es geſchieht, unter ſeinen Zeit-
[59] genoſſen und Nachfolgern viel Ruhm und Beyfall erworben
haben, ſo wird es doch uns minder Befangenen nicht entge-
hen duͤrfen, daß in den Neuerungen des Giotto, wie uͤber-
haupt in allen Umwaͤlzungen, nicht Jegliches dem Beſtreben
nach Beſſerem angehoͤrt; daß Vieles darin gradehin aus einer
nicht zu billigenden Gleichguͤltigkeit gegen die Wuͤrde der Ge-
genſtaͤnde ſeiner Darſtellung entſprungen iſt. Gewiß konnte
es ihm nicht entgangen ſeyn, daß die Bekleidung in der Kunſt
keinesweges ohne ihre Bedeutung ſey, daß ſie wirklich den
Charakter bezeichne, alſo nach den Umſtaͤnden auch denſelben
veraͤndern und entſtellen koͤnne. Die einfache, ungeſucht wuͤr-
dige Kleidung, welche man ſeit den aͤlteſten Zeiten dem Hei-
land und den Apoſteln beyzulegen pflegte, unterſtuͤtzte den
Ernſt, den man in dieſen Charakteren wahrzunehmen liebt,
und verlieh ſelbſt ihren Handlungen eine gewiſſe Feyer. Viel-
leicht war es dieſe Ruͤckſicht, welche die Sieneſer veranlaßte,
die typiſche Bekleidung wohl um ein Jahrhundert laͤnger, als
die Florentiner, beyzubehalten; die umbriſchen Maler, und be-
ſonders den Raphael, ſie in ihrer ganzen Reinheit wiederher-
zuſtellen.
Mehr in ſeinem Elemente war Giotto bey Ausfuͤhrung
der vier Seitenfelder jenes Bildes, in denen er beſonders den
lobſingenden Engeln viel Mannichfaltigkeit und Anmuth der
Bewegung gegeben. *) Deſſenungeachtet gewaͤhrt dieſes Ge-
[60] maͤlde, weder im Ganzen, noch im Einzelnen die Befriedi-
gung, welche man von einem Meiſter erwarten duͤrfte, den
ſeine Nachfolger lange Zeit hindurch einem Taddeo Gaddi,
Giottino, Arcagnuolo, Giovanni di Milano und anderen Mei-
ſtern vorgezogen, deren vorhandene Arbeiten noch immer Be-
wunderung und Wohlgefallen erwecken. Wir werden daher,
ſelbſt wenn wir die Lobſpruͤche aͤlterer Schriftſteller, was deren
Ausſchließlichkeit angeht, zum Theil aus Vorurtheilen erklaͤren
wollten, doch annehmen muͤſſen, daß Giotto in anderen Wer-
ken, deren Aufgabe ſeinem Talent mehr entſprochen, Groͤßeres
und Beſſeres geleiſtet habe, als in dieſem geſchehen iſt.
Beſchraͤnken wir uns daher bey Unterſuchung dieſes
einzig bewaͤhrten Probeſtuͤckes ſeiner Manier und techniſchen
Eigenthuͤmlichkeit, eben nur dieſe im Auge zu behalten und
verſuchen wir, deren Charakter ſo ſcharf, als moͤglich zu
begrenzen.
Sehn wir auf die Faͤrbung, vielmehr auf die Miſchung
und Behandlung der faͤrbenden Stoffe, ſo zeigt ſich aus die-
ſem Bilde, daß Giotto bereits jene Bindemittel aufgegeben
hatte, deren Cimabue und Duccio ſich bedienten, welche (nach
*)
[61] den Unterſuchungen, die Morrona von piſaniſchen Chemikern
anſtellen laſſen) in irgend einer Aufloͤſung von Wachs beſtan-
den. Offenbar bediente Giotto ſich eines mehr fluͤſſigen und
minder zaͤhen Bindemittels; denn es iſt dieſes Gemaͤlde mit
einer leichten und fluͤchtigen Hand gemalt und Manches, z. B.
die Ausgaͤnge des Gefaͤltes gegen die Lichtmaſſen hin, auf eine
Weiſe vertrieben, welche in den aͤlteren ſcharf und eckig auf-
getragenen Malereyen ohne Beyſpiel iſt. Auch verdunkelte
und gelbte ſein Bindemittel ungleich weniger, als jenes fruͤher
gewoͤhnliche; woher das helle und roſige Anſehn dieſes, wie
der meiſten florentiniſchen Bilder der naͤchſtfolgenden Zeit zu
erklaͤren iſt. Die ſieneſiſchen Maler hingegen haben dem An-
ſehn nach die aͤltere, urſpruͤnglich neugriechiſche Bindung mit
geringen Abaͤnderungen beybehalten; denn es ſind ihre Ge-
maͤlde ohne Ausnahme in den Schatten bleyfarbig, in den
Lichtern gelblicher, als die florentiniſchen, was ich gelegentlich
als einen neuen Beweis fuͤr den unabhaͤngigen Fortſchritt bei-
der Schulen in Erinnerung bringe, welche ſelbſt in noch ſpaͤ-
teren Zeiten ihre ſtaͤdtiſchen Eigenthuͤmlichkeiten ſtets rein und
unvermiſcht bewahrt haben.
Gehen wir aber auf die Formen, ſo verhehle ich nicht,
daß mir deren Auffaſſung in dieſem Bilde viel unvollkomme-
ner zu ſeyn ſcheint, als in den oben erwaͤhnten des Cimabue
und Duccio. Die Koͤpfe der Engel und des Chriſtuskindes,
einige kleinere in der Randverzierung des Bildes in ſta Ma-
ria novella zeigen ungleich mehr Feinheiten der inneren Aus-
bildung, als man bey einem Maler des dreyzehnten Jahr-
hundertes vorausſetzt; von Duccio, vornehmlich von ſeinen
kleineren Figuren, gilt wenigſtens daſſelbe. Hier hingegen
[62] treffen wir bey wohl hundert Figuren uͤberall auf denſelben
allgemeinen Kopf *), der bey groͤßter Verſchiedenheit des Al-
ters und himmliſchen Ranges doch immer wiederkehrt und
nicht einmal an ſich ſelbſt gefaͤllig iſt. Die Augen enthalten
keine Spur von Verkuͤrzung und Rundung, ſind lang und
ſchmal und durch zwey gleichlaufende und ganz grade Umriſſe
begrenzt und gegen die Naſenwurzel hin unſaͤglich nahe zu-
ſammengedraͤngt. Die Naſen ſind, obwohl von ſehr vollſtaͤn-
diger Laͤnge, doch im Profile abgeſtumpft und ohne zureichende
Ausladung; die Kinnlade iſt ſchmal und kantig, das Kinn
vorgedraͤngt. Die uͤbrigen Formen der menſchlichen Geſtalt
kommen vorausſetzlich nicht in Betrachtung; hingegen iſt die
Gewandung hier, wie uͤberall bey Unterſcheidung der aͤlteſten
Meiſter, von beſonderem Belang.
Die aͤlteren Maler waren in der Zeichnung und Model-
lirung des Gefaͤltes guten, urſpruͤnglich antiken Muſtern ge-
folgt und hatten ihren Sinn fuͤr die Schoͤnheit und Richtig-
keit dieſes Theiles ihrer Ausfuͤhrungen hinreichend geſchaͤrft,
um auch Solches, ſo ſie aus eigner Erfindung hinzugefuͤgt,
verſtaͤndig und ſicher auszubilden. Giotto hingegen, welcher
die Nachahmung jener Muſter ganz aufgegeben, war auf der
anderen Seite in der Auffaſſung und Nachbildung natuͤrlicher
Erſcheinungen zu ungeuͤbt, um aus ſich ſelbſt dem Gefaͤlte
den jedesmal richtigen Lauf und Gang, ſeinen Ausgaͤngen die
gehoͤrige Schaͤrfe zu geben. Doch fuͤhrte ihn ein allgemeiner
maleriſcher Sinn darauf hin, die Durchſchneidung der Licht-
[63] maſſen zu meiden. Daher verwiſchte und verbließ er die Aus-
gaͤnge der Falten, deren Richtigkeit und ſcharfe Andeutung ihn
wenig bekuͤmmerte, gegen das Licht hin ins Unbeſtimmte und
Verwaſchene. Da nun ſogar Taddeo Gaddi, der ihm ſonſt
unter allen Nachfolgern am naͤchſten geblieben, in dieſem
Stuͤcke von der Manier des Meiſters ſich entfernt und be-
muͤht hat, dem engeren Gefaͤlte mehr Beſtimmtheit zu geben,
ſo glaube ich, daß jene Behandlung des Faltenwurfes als
eine ſichere Eigenthuͤmlichkeit der Manier des Giotto zu be-
trachten ſey; und, wo dieſe vereinigt mit dem ſtumpfen Profil,
den verlaͤngerten, faſt zuſammenſtoßenden Augen vorkommt,
welche ich oben hervorgehoben, trage ich kein Bedenken, fuͤr
aͤcht anzunehmen, was aͤltere Schriftſteller, vornehmlich Ghi-
berti, dem Giotto beymeſſen.
Dahin gehoͤrt zunaͤchſt jene lange Reihe kleiner Bilder,
welche vordem die Sacriſtey der Minoritenkirche zu Florenz
verziert haben, nunmehr aber, theils in der Gallerie der Aca-
demie der Kuͤnſte aufgeſtellt, theils in den Handel gekommen
und in alle Welt verſtreut ſind *) Der Gegenſtand dieſer
Darſtellungen, deren Behandlung ſehr leicht und ſkizzenhaft
iſt, beſteht in jener vormals den Nachfolgern des heiligen
Franz ſo beliebten, naiven, doch etwas vermeſſenen Verglei-
chung des Lebens dieſes Heiligen mit dem Leben des Erloͤ-
ſers. Ghiberti erwaͤhnt nur im allgemeinen, daß Giotto in
ſta Croce vier Kappellen und vier Altarbilder gemalt habe, von
denen nur das Beſchriebene erhalten iſt; ich habe demnach
keine aͤltere Autoritaͤt fuͤr die Abkunft jener Folge kleiner Bil-
[64] der, als eben nur den Vaſari. Deſſenungeachtet halte ich ſie
fuͤr aͤcht, weil die angegebenen Eigenthuͤmlichkeiten der Ma-
nier darin deutlich zu Tage liegen; weil ſie, was die Erfin-
dung angeht, geiſtreich, bewegt und abwechſelnd ſind, ein Ver-
dienſt, welches hoͤchſt wahrſcheinlich, verbunden mit Leichtig-
keit der Production und Behandlung, Vieles beygetragen, dem
Giotto jene ungemeſſene Verehrung ſeiner Zeitgenoſſen zu er-
werben. Im Leben des heiligen Franz neigt er ſich hie und
da zum Scherzhaften; hingegen hat er im Leben des Heilands
verſchiedentlich die herkoͤmmliche Anordnung wiederum hervor-
gezogen, beſonders in der Transfiguration, welche den aͤlteren
Darſtellungen griechiſcher Maler nachgebildet iſt. — Dieſelbe
Anordnung gab noch Raphael der oberen Haͤlfte ſeines be-
ruͤhmten Altarbildes; vielleicht entlehnte er ſie aus jener
Folge, welche ihm bekannt ſeyn mußte; unter allen Umſtaͤn-
den zeigte er hier, wie in anderen Faͤllen, daß man aus ſei-
nen Vorgaͤngern allgemeine Zuͤge entlehnen koͤnne, ohne in das
vergebliche und muͤſſige Streben zu verfallen, deren perſoͤn-
liche, oͤrtliche, zeitliche Eigenthuͤmlichkeiten nachzuahmen.
Nach dem Ghiberti hat Giotto auch zu Neapel gemalt,
und Vaſari, der hier, ich weiß nicht auf welchem Grunde
bauend, mehr in das Einzelne eingeht, will, daß auch die
Mauergemaͤlde der Kirche der Madonna incoronata von
Giotto’s Hand ſeyen. Vor etwa zwanzig Jahren war noch
ein Theil dieſer Malereyen, theils beſchaͤdigt, theils ganz wohl
erhalten uͤber dem Chore vorhanden; ſie erfuͤllten die Felder
eines gothiſchen Gewoͤlbes und enthielten Darſtellungen der
ſieben Sacramente. Die beiden beſterhaltenen, der Kirche zu-
gewendeten, genuͤgten mir in der Anordnung, die mir bequem
und harmoniſch zu ſeyn ſchien. In der Prieſterweihe ſingen
und
[65] und beten einige mit großem Eifer, waͤhrend ein anderer, der
vor den Pabſt gefuͤhrt wird, ſo viel Schuͤchternheit zeigt, als
ſich immer unter gleichen Umſtaͤnden vorausſetzen laͤßt. In
der gegenuͤberſtehenden Darſtellung des Sacramentes der Ehe
iſt die Abwechſelung bewundernswerth, welche der Kuͤnſtler
den Gebehrden und Mienen der anweſenden Frauen zu verlei-
hen gewußt. Wenn dieſe Malereyen von Giotto ſind, wie
ich nicht bezweifle, weil ſie alle Eigenthuͤmlichkeiten darlegen,
welche ich oben bezeichnet habe; ſo gereichen ſie ihm aller-
dings zur Ehre und erklaͤren, worin eigentlich die Natuͤrlich-
keit beſtand, welche die Zeitgenoſſen in ſeinen Darſtellungen
bewunderten. In ſo alter Zeit kam weder die illuſoriſche,
noch ſelbſt die phyſiognomiſche Naturaͤhnlichkeit in Frage; es
konnte dazumal nur in der Bewegung und Gebehrde, in den
gegenſeitigen Beziehungen der Geſtalten, Naturaͤhnlichkeit be-
gehrt und erreicht werden. Dieſer Vorzug zeigt ſich denn
allerdings ſowohl in dieſen, als in einigen anderen Male-
reyen, welche Giotto in der Kirche des heiligen Franz zu Aſiſi
ausgefuͤhrt hat.
Ghiberti ſagt, offenbar bloß aus der Erinnerung, „daß
Giotto bey den Minoriten zu Aſiſi faſt die ganze Unterkirche
ausgemalt habe.“ *)Vaſari beſchraͤnkte dieſe Angabe, welche
offenbar nicht haltbar war, auf das Kreuzgewoͤlbe uͤber dem
Grabe des Heiligen, worin ich ihm, nach ſchon angegebenen
Gruͤnden, beyſtimme. Hingegen fand er in der Oberkirche,
deren Hauptſchiff faſt ganz von einer Hand ausgemalt wor-
den, ein offenes Feld fuͤr Vermuthungen, da der Meiſter, der
II. 5
[66] dieſe Dinge gemalt, uͤberhaupt unbekannt iſt. Er hat ſolche
dem Giotto beygelegt, worin ihm neuere Geſchichtſchreiber ge-
folgt ſind; *) vielleicht verleitete ihn die Unhaltbarkeit der An-
gabe des Ghiberti, zu vermuthen, daß der Abſchreiber die
Stelle verdorben habe, daß mithin ſtatt: di sotto, di sopra,
zu leſen ſey; unter allen Umſtaͤnden folgte er ebenfalls ganz
unbeſtimmten Erinnerungen, da er nicht einmal die Zahl der
Bilder, welche an beiden Waͤnden des Hauptſchiffes unter den
Fenſtern hinlaufen, ganz richtig angiebt. Denn es ſind deren
nicht zwey und dreyßig, wie Vaſari ſagt, ſondern nur acht
und zwanzig. Mit gleicher Fluͤchtigkeit duͤrfte er denn auch die
Darſtellungen ſelbſt an der Stelle beobachtet haben.
In der That ſtimmen dieſe Malereyen der oberen Kirche
zu Aſiſi, in keinem Stuͤcke mit den Eigenthuͤmlichkeiten uͤber-
ein, welche ich oben aus dem einzigen ganz ſicheren Bilde des
Giotto abgezogen habe. Die Proportion, deren Beobachtung
Ghiberti zu den Verdienſten des Giotto zaͤhlt, welche in den
bisher beruͤhrten Bildern in der That nirgend auffallend uͤber-
ſchritten iſt, erreicht in dieſen Wandmalereyen ein ſo ausge-
zeichnetes Unmaß, daß viele Figuren wohl dreyzehn Kopflaͤn-
gen haben moͤgen und kurze Canguruaͤrmchen, mit denen die
wirklich lebendige und pathetiſche Anordnung einzelner Stuͤcke
doch nicht ſo ganz verſoͤhnen kann. Allein auch in den Kunſt-
manieren (Modellirung, Oeffnung der Augen und a.), ſo wie in
den Gebaͤuden und Kleidungen zeigen ſich haͤufige Spuren der
Sitten und des Geſchmackes der erſten Haͤlfte des funfzehn-
ten Jahrhundertes. In dem Bilde, in welchem Chriſtus dem
[67] heiligen Franz im Schlafe erſcheint, enthaͤlt die Architectur
des Palaſtes neben gothiſchen Theilen auch Spuren des eben
aufkommenden Geſchmackes des Brunelleſchi. Auch moͤgen
einige der dargeſtellten Legenden zu den ſpaͤteren gehoͤren, und,
wem kuͤnſtleriſche Gruͤnde nicht genuͤgen, dienen koͤnnen, die
Angabe des Vaſari als irrig zu erweiſen. Was mich ſelbſt
betrifft, ſo genuͤgt mir, daß ſie in keinem Stuͤcke mit jenem
erſten Bilde des Giotto uͤbereintreffen, hingegen unzweydeutige
Spuren neuerer Abkunft enthalten. In einigen, zur Rechten
des Einganges, erkenne ich deutlich die Hand des Spinello
von Arezzo, und glaube daher, daß die uͤbrigen ſaͤmmtlich von
ſeinem Sohne oder Schuͤler, dem Parri di Spinello ge-
malt ſind.
Hingegen entſprechen die Malereyen in den Abtheilungen
des Kreuzgewoͤlbes uͤber dem Grabe des Heiligen ſowohl dem
florentiniſchen Bilde, als jenen Wandmalereyen der Kirche
Incoronata zu Neapel; ſie ſind von roſiger Faͤrbung, die
Figuren gleichmaͤßig in ihren Ausdehnungen, die Profile etwas
ſtumpf, die Anordnung gedraͤngt. Die Allegorie, welche ſie
einſchließen, iſt moͤnchiſch-kindlich, ward ſicher, wie gewoͤhn-
lich, *) von dem Beſteller aufgegeben und nicht von Giotto
ſelbſt ausgeſonnen, deſſen Sinn und Richtung ſie vielmehr wi-
derſtreben mußten. Ich darf ſie uͤbergehen, da ſowohl Vaſari
ſich weitlaͤuftig darauf eingelaſſen, als neuerdings ein deut-
5 *
[68] ſcher *) Reiſender, der, wie es ſcheint, mit rechtem Behagen
zugeſehen, wie die Engel allerley arme Suͤnder von Moͤnchen
am heilbringenden Guͤrtelſtricke des heiligen Franz in den
Himmel ziehen; ein aͤſthetiſches Ergoͤtzen, welches man ſich
gewaͤhren kann, wenn man den Kopf im Trockenen hat. Uns
wird es genuͤgen, jenes Mauergemaͤlde, als fleißig ausgefuͤhrt
und wohl erhalten, denen zu empfehlen, welche unbefriedigt
von einem leeraufbrauſenden Lobe, den Giotto von Angeſicht
zu ſehen wuͤnſchen; der ihnen auch in dieſer etwas ſeltſamen
Allegorie nicht ſo durchaus mißfallen wird, weil er darin jede
Gelegenheit ergriffen, ſeinen Sinn fuͤr Anordnung und ſeinen
freyen Blick auf ihn umgebende Dinge nach den Umſtaͤnden
verſteckt, oder offen darzulegen. Dieſer mochte denn auch in
jenen nach Angabe des Ghiberti und Vaſari im Palaſte des
Podeſta zu Florenz gemalten, zu Rimini und Ravenna wie-
derholten Anſpielungen oder Darſtellungen des Unterſchleifes
oͤffentlicher Gelder durch treuloſe Staatsdiener, ein offenes
Feld gefunden haben. Sie ſind gegenwaͤrtig uͤberweißt, oder
ganz abgeworfen.
Unter den uͤbrigen von Ghiberti erwaͤhnten Arbeiten un-
ſeres Kuͤnſtlers, iſt nur noch die Malerey der Kapelle am
ehmaligen Amphitheater zu Padua, obwohl im traurigſten Zu-
ſtande vorhanden, da ſie von ungeſchickter Hand gewaſchen
und mit Leimfarbe neu bemalt worden. Della Valle ver-
ſichert, daß ſie zu den beſten Arbeiten des Giotto gehoͤre;
vielleicht hat er ſie noch unverſehrt geſehen. In ihrem gegen-
waͤrtigen Zuſtande geſtattet ſie kein Urtheil uͤber ihr Verdienſt
oder Unverdienſt. Andere Ueberreſte, wie es ſcheint, Bruch-
[69] ſtuͤcke eines zuſammengeſetzten Gemaͤldes, *) gegenwaͤrtig in
der Sacriſtey der Peterskirche zu Rom, werden ebenfalls dem
Giotto beygemeſſen. **) Zwar giebt es dafuͤr kein altes und
zuverlaͤſſiges Zeugniß; doch in Anſehung, daß Giotto fuͤr dieſe
Kirche gearbeitet hat, ***) daß dieſe Bruchſtuͤcke, obwohl ſie
ſchoͤner ſind, der Manier des Giotto, wie wir ſie oben ken-
nen gelernt, nicht widerſtreben, moͤchten ſie immerhin von ſei-
ner Hand ſeyn. Gewiß ſind beſonders die Apoſtel in den
Queerleiſten gar ausgezeichnet und ungleich geeigneter, dem
Meiſter Achtung zu erwecken, als alles bisher Beruͤhrte. In
dieſen Arbeiten, wenn ſie anders, wie ich glaube, ihm beyzu-
meſſen ſind, aber auch in einem flach halbrunden, getheilten
Gemaͤlde in der florentiniſchen Academie, welches ehemals der
Sacriſtey von ſta Croce ſoll angehoͤrt haben, naͤhert ſich
Giotto, ohne die Eigenthuͤmlichkeiten ſeiner Manier ganz auf-
zugeben, mehr, als an anderen Stellen, dem Beſtreben der
aͤlteſten chriſtlichen Kuͤnſtler; vielleicht, weil ihn die Muſivge-
maͤlde der roͤmiſchen Baſiliken ergriffen hatten. Hingegen
ſcheint er in den Geſchichten des Hiob, im Campo ſanto zu
Piſa, welche wenigſtens Vaſari ihm beylegt, ganz der eige-
[70] nen Erfindung und Wahrnehmung aus dem Leben gefolgt zu
ſeyn. Dieſe Gemaͤlde haben ſehr gelitten; doch erkennt man
noch immer die Zuſammenſtellung und Handlung, welche leben-
dig und kraͤftig iſt und der Richtung und Sinnesart des
Giotto angemeſſen zu ſeyn ſcheint.
Ich uͤbergehe ein anderes Gemaͤlde, welches Ghiberti un-
erwaͤhnt laͤßt, Vaſari indeß, ſey es nach einer Sage, oder
nach eigenem Urtheil dem Giotto beygelegt, jenes Abendmahl,
welches Ruſcheweyh mit muſterhafter Genauigkeit geſtochen, *)
um zu den Verdienſten uͤberzugehen, welche unſer Kuͤnſtler als
Baukuͤnſtler und Bildner erworben.
Die Anlage des freyſtehenden Thurmes am Dome zu
Florenz wird von den aͤlteren Chroniſten dem Giotto einſtim-
mig beygemeſſen und in der That findet ſich noch ſeine Be-
ſtallung zum oberſten Meiſter dieſes Bauwerkes, **) dem er
[71] alſo in ſeinen letzten Lebensjahren wirklich vorgeſtanden. Ob
nun die Erfindung, welche ſicher lobenswerth und fuͤr ein
italieniſches Gebaͤude von ziemlich reinem Gothiſchen iſt, ganz
ihm ſelbſt angehoͤre, oder in einer der Berathungen, deren
Protocolle in den Archiven italieniſcher Domgebaͤude ſich vor-
finden, beſprochen, abgeaͤndert und umgegoſſen worden, wage
ich um ſo weniger zu entſcheiden, da ich weder die noch un-
geordneten Pergamentrollen des florentiniſchen Domarchives,
noch das Archiv der Riformagioni derſelben Stadt habe ein-
ſehn koͤnnen, an welchen Stellen die aͤlteren Quellen der Ge-
ſchichte dieſes Gebaͤudes enthalten ſind. Doch leuchtet aus
dem Bekannten unter allen Umſtaͤnden ſo viel hervor, daß
Giotto viele zur Baukunſt gehoͤrende Huͤlfskenntniſſe beſeſſen,
alſo nicht allein ein geſchickter und fruchtbarer, ſondern auch
ein vielſeitiger Kuͤnſtler geweſen iſt. Wenn wir den Ghiberti
hoͤren wollen, ſo verſtand er ſich ſogar auf die Bildnerkunſt.
„Die erſten Vorſtellungen, ſagt Ghiberti, unter denen, welche
an ſeinem Bauwerke, dem Thurme des Domes, angebracht
ſind, hat er mit eigener Hand gemeißelt und gezeichnet.“ *)
Doch ſcheint das nachſtehende, gezeichnet, entworfen, eher eine
Berichtigung des vorangehenden „gemeißelt“ zu ſeyn, als ein
Zuſatz; und es iſt zu bezweifeln, daß er ſich noch ſo ſpaͤt auf
eine Arbeit verlegt habe, deren Technik dazumal um ſo viel
groͤßeren Schwierigkeiten unterlag, als ihr Mechanismus noch
[72] im Rohen lag. Hingegen wird dem Ghiberti zu glauben
ſeyn, wenn er uns im Verlaufe erzaͤhlt, daß er Zeichnungen
und Vorbereitungen *) zu jenen halberhobenen Arbeiten ge-
ſehn, welche letzten in der That von geiſtreichem Entwurfe
und gutem Style ſind. Ueberhaupt duͤrfte ſeine Eigenthuͤm-
lichkeit in der Bildnerkunſt ſich glaͤnzender entfaltet haben, als
in den Kuͤnſten der Malerey; denn uͤberall, wo man in ſei-
nen, ſey es gewiſſen, oder nur muthmaßlichen Gemaͤlden auf
Schoͤnheiten der Anordnung trifft, iſt eben dieſe haͤufig nur
in bildneriſchem Sinne und als Relief angeſehn gefaͤllig; wo
die Anordnung auf gleichem Plane durch die Aufgabe ausge-
ſchloſſen ward, iſt ſie, z. B. in ſeinen Deckengemaͤlden zu
Aſiſi, gewiß nicht ſo durchhin lobenswerth. Man hat be-
haupten wollen, daß Giotto nach den Bildnern der piſaniſchen
Schule ſich gebildet habe. Dieſe Behauptung ſtuͤtzt ſich, da
ſie geſchichtlich ganz unbegruͤndet iſt, wahrſcheinlich nur auf
fluͤchtige Wahrnehmung ſeiner bildneriſchen Anlagen, welche er
indeß nur von Haus aus beſitzen konnte, unter allen Umſtaͤn-
den gewiß nicht einzuaͤffen benoͤthigt war. — Welchen denn
unter den piſaniſchen Bildnern, duͤrfte man hier fragend ein-
wenden, haͤtte er eigentlich als Vorbild ins Auge gefaßt?
Etwa den antikiſirenden Nicolas? oder den lebendigeren Ar-
nolfo? oder den italieniſch-gothiſchen Johannes?
Wir haben demnach in Giotto einen Kuͤnſtler kennen ge-
lernt, welcher durch Leichtigkeit, Fruchtbarkeit, Vielſeitigkeit und
durch jenen friſchen und hellen Blick ins Leben, der ſeinen
Bewegungen und Anordnungen eine groͤßere Naturaͤhnlichkeit
[73] verlieh, als man vor ihm in den Gemaͤlden wahrzunehmen
gewohnt war, den Beyfall und die Bewunderung ſeiner Zeit-
genoſſen, beſonders jedoch der Florentiner erworben und in
gewiſſem Sinne wirklich verdient hatte. Doch da die Entfer-
nung einen Ueberblick gewaͤhrt, welcher den nahe ſtehenden
verſagt iſt, ſo entdeckten wir, was ſeinen Zeitgenoſſen entgehen
mußte, daß Giotto, indem er die Kunſt wenigſtens in ſeiner
Schule zum Lebendigen und Thaͤtigen lenkte, auch jene all-
maͤhlich fortſchreitende und immer zunehmende Entfremdung
von den Ideen des chriſtlichen Alterthumes befoͤrderte, welche
bis auf Lionardo und Raphael die florentiniſche Schule und
alle Kuͤnſtler, welche ſich ihr angeſchloſſen, etwa mit Aus-
nahme des Fieſole und des Maſaccio, bezeichnet und unter-
ſcheidet. Er fuͤhrte Affect und Handlung in die Kunſt ein
und haͤtte vielleicht auch den Charakter hinzugefuͤgt, waͤre es
ſchon an der Zeit geweſen, ſich mit phyſiognomiſchen Unter-
ſcheidungen abzugeben. Doch, indem er uͤber die mannichfal-
tigſten Lebensverhaͤltniſſe ſich verbreitete, that er, ſo viel an
ihm lag, genug, um ſeiner Schule die Richtung auf Hand-
lung zu geben, welche ihr einige Jahrhunderte hindurch zu
eigen geblieben.
Unter dieſen Umſtaͤnden weiß ich nicht, was Einige wol-
len, welche ſich mit aller Kraft daran geſetzt haben, die Rich-
tung und Leiſtung des Giotto als das Erhabenſte der neue-
ren Kunſt auszupreiſen. Meinten ſie, daß er ein lebendiger,
geiſtreicher, beobachtender, nachdenkender Kuͤnſtler geweſen, ſo
duͤrften wir uͤbereinſtimmen. Doch fuͤrchte ich, daß ſie waͤh-
nen, er habe eben ſolche Ideen, welche die Seele der chriſt-
lichen Kunſtbeſtrebungen ſind, in beſonderer Tiefe und Rein-
heit aufgefaßt; und hierin duͤrften ſie im Irrthum ſeyn, wenn
[74] anders, was ich oben zuſammengeſtellt, mehr Glauben ver-
dient, als willkuͤhrliche Einbildungen.
„Ganz anders, wie ſein Meiſter, ſagt ein Schriftſteller
der juͤngſten Zeit, *)und als ein gewaltiger Rieſen-
geiſt erſcheint er nun, umgeben von ſeinen Genoſſen und
Schuͤlern. Gleich dem groͤßeſten italieniſchen Dichter fuͤr die
Poeſie ſeines Landes (?), iſt auch Giotto, der mit Dante be-
freundet war (?), als der Vater des großen, erha-
benen Styles in der Malerey jener Zeiten anzu-
ſehn. Nie iſt er wohl uͤbertroffen worden in der
Groͤße und Wahrheit der Idee (?), im ernſten durch-
greifenden Zuſammenhange einer einzelnen, oder einer Reihe
von Darſtellungen, u. ſ. f.“
Koͤnnte der klare, beſonnene, werkthaͤtige Meiſter nur fuͤr
einen Augenblick mit anhoͤren, was man nun bald fuͤnfhun-
dert Jahre nach ſeinem Tode mit einer Emphaſe und Ueber-
treibung von ihm geſagt, welche, ſowohl ihm ſelbſt, als uͤber-
haupt ſeiner Zeit ganz fremd war; ſo duͤrfte es ihm dabey
nicht recht geheuer werden. Denn Niemand liebt ſo leicht,
ſein eigenes Seyn, wenn auch ins Schoͤnere und Groͤßere
veraͤndert, im Spiegel eines bloßen Fiebertraumes wahrzu-
nehmen.
Wie man ſich allgemach bis zu dieſer Hoͤhe hinaufgeſtei-
gert? — Die Florentiner des vierzehnten Jahrhundertes wa-
ren in einer gewiſſen Abgoͤtterey des Talentes und der Ver-
dienſte des Giotto befangen, von welcher ich oben verſchiedene
Beyſpiele beygebracht habe. Sie waren, wie verblendet, gegen
die Fortſchritte der nachfolgenden Kuͤnſtler, was hoͤchſt wahr-
[75] ſcheinlich beygewirkt, die Kunſt im Ganzen angeſehn, ſo lange
auf der, immer doch niedrigen, Stufe zu erhalten, welche
Giotto erreicht hatte. Nun vergaß ſchon Vaſari angeſichts
der Lobpreiſungen eines Boccaz, Ghiberti und der Uebrigen,
daß dieſe den Giotto aus einem ganz anderen Geſichtspuncte
aufgefaßt und geprieſen hatten, als der ſeinige war und ſeyn
konnte, und ſtimmte, ohne ſein eigenes Urtheil anzuſtrengen,
in den Ton ein, den jene angegeben. Was er in ſeiner
Sprache ſchon uͤbervoll und reichlich geſagt, ward von Lanzi
in neue, glaͤnzendere Formen umgegoſſen, dem es nun einmal
um kuͤhne Vergleichungen und maͤchtige Worte zu thun war.
Indeß muß man dem Verfaſſer oben ausgehobener Stelle
zugeſtehn, daß er beide weit uͤberboten und die Grenze der
Steigerung erreicht hat. Nach dem Laufe menſchlicher Ereig-
niſſe ſtehet zu hoffen, daß man ſich nunmehr im Uebermaße
erſchoͤpft habe und allgemach dem Wahren wieder zuwenden
werde.
[76]
X.
Ueber die beſſeren Maler des vierzehnten Jahr-
hundertes. Zur Mehrung und Berichtigung
ihrer Geſchichte.
Wir haben geſehn, daß Giotto, wie verdient er in ande-
ren Beziehungen ſeyn moͤge, doch nicht ohne Zwang als der-
jenige zu bezeichnen iſt, welcher die leitenden Ideen der mo-
dernen Kunſt mit beſonderem Ernſte, oder in nur ihm eigen-
thuͤmlicher Tiefe erfaßt, oder ſeinen Zeitgenoſſen eine vorherr-
ſchende, oder gar ganz ausſchließliche Richtung auf das Er-
habene mitgetheilt habe. Ganz im Gegentheil begruͤndete ſich
das Anſehn, welches er bey ſeinen Zeitgenoſſen erworben, auf
Durchbrechung der Schranken des Herkommens, auf Hintan-
ſetzung der altchriſtlichen Typen, in denen doch, wie wir wiſſen,
die herrlichſten Keime enthalten ſind. Er leitete die neuere
Kunſt zuerſt auf die vielſeitigſte Beobachtung menſchlicher Ver-
haͤltniſſe, auf Darſtellung nicht bloß des Ernſten und Großar-
tigen, auch des Launigen und Gemuͤthlichen, welches die aͤlteſten
Chriſten ganz ausſchloſſen. Haͤtten nun ſeine Zeitgenoſſen und
Nachfolger dieſe Richtung mit einiger Conſequenz verfolgt, ſo
wuͤrde die neuere Kunſt wohl um ein Jahrhundert fruͤher ihre
Darſtellung bis zum Vollendeten durchgebildet haben. — In-
deß verfiel man vornehmlich zu Florenz, eben weil man dort
in einer blinden Verehrung des Giotto befangen war, nach
[77] einigen nicht aufgemunterten Verſuchen, vornehmlich den Koͤp-
fen mehr Charakter und innere Ausbildung zu geben, in eine
gewiſſe platte und fertige Nachahmung der giottesken Manier,
welche damals fuͤr lange Zeit dem Haufen genuͤgte und der
Mittelmaͤßigkeit leicht fiel.
Schon Vaſari, der im Grunde ſeines Herzens, wie ſo
viele ihm gelegentlich entſchluͤpfende Aeußerungen verrathen,
die alten Maler ſaͤmmtlich gering ſchaͤtzte und nur vermoͤge
ſeiner regen Phantaſie zu Lobpreiſungen ſich begeiſterte, welche
nicht ſelten enthuſiaſtiſch zu ſeyn ſcheinen und Viele getaͤuſcht
und verfuͤhrt haben, unterſchied unter den Kuͤnſtlern des vier-
zehnten Jahrhundertes, deren Namen ihm bekannt geworden,
deren Lebensbeſchreibungen er theils aus abgeriſſenen, nicht
immer wohlbeglaubigten Thatſachen, theils aus eigenen Ein-
bildungen zuſammenleimte, die ausgezeichnet geiſtreichen nir-
gend mit hinreichender Schaͤrfe von den mittelmaͤßigen und
ganz geiſtloſen. In noch neuerer Zeit hat Lanzi aus allen
Winkeln Italiens von bezeichneten Bildern, oder, mit Huͤlfe
der Localſcribenten, aus urkundlichen Nachrichten eine ganz
unermeßliche Menge von Kuͤnſtlernamen zuſammengeleſen, un-
ter denen unſaͤglich viele mittelmaͤßige, oder ganz ſchlechte und
der Vergeſſenheit wuͤrdige in ſeinem Buche wohl ſo viel Raum
einnehmen, als ſelbſt die groͤßeſten und herrlichſten. Da nun
die Geſchichte Namen und Jahreszahlen einleuchtend nicht
ihrer ſelbſt willen aufzeichnet, ſondern nur, um vermoͤge der-
ſelben einflußreiche Begebenheiten und große Perſoͤnlichkeiten
zu unterſcheiden und moͤglichen Verwirrungen in der Entwicke-
lung des wirklich Wichtigen vorzubeugen: ſo wird eine ſolche
Vermengung und gaͤnzliche Gleichſtellung des Bedeutenden und
ganz Unwichtigen der Geſchichte, ja ſelbſt der Kunſtliebe Nach-
[78] theil bringen, indem ſie, von ſtets verderblicher Nachahmung
abgeſehen, auch Sammlungen veranlaßt, welche, nach voruͤber-
gehender Befriedigung der Curioſitaͤt, zuletzt ermuͤden und ab-
ſchrecken. Es wird daher noͤthig ſeyn, diejenigen unter den
Nachfolgern des Giotto, welche uͤber deſſen beſchraͤnkte und
conventionelle Darſtellung hinausgeſtrebt und eben hierin ein
eigenthuͤmliches Wollen dargelegt haben, jener ſie herabwuͤrdi-
genden Gleichſtellung mit ihren geiſtloſeren Zeitgenoſſen zu ent-
reißen. Indeß bewahrten die großen toscaniſchen Malerſchu-
len dieſes Zeitalters, die florentiniſche und ſieneſiſche, eine ſo
ausgeſprochene Eigenthuͤmlichkeit der Manier und Geiſtesart,
daß wir das Ausgezeichnete der einen und anderen nicht wohl ge-
meinſchaftlich, ſondern jedes fuͤr ſich werden betrachten muͤſſen.
Florentiner.
Taddeo di Gaddo.
Ghiberti*) erwaͤhnt verſchiedener Malereyen dieſes Kuͤnſt-
lers, welche nicht mehr vorhanden ſind; unter dieſen bezeichnet
er die ehemalige Altartafel der Servitenkirche zu Florenz als
eines der beſten Gemaͤlde, welche ihm jemals vorgekommen
waren. Auch ein Wunder des heiligen Franz an einer Mauer
der Minoritenkirche ſchien ihm voll Handlung und Leben zu
ſeyn. Alſo ward dieſer Kenner, ungeachtet ſeines allgemeinen
Vorurtheiles fuͤr den Stifter der neuen italieniſchen Manier,
doch wohl einmal von den Fortſchritten und Vorzuͤgen des
Schuͤlers zur Bewunderung und Anerkennung hingeriſſen.
[79]
Unter den Gemaͤlden, welche gegenwaͤrtig dem Taddeo
beygelegt werden, ſind nur ſolche ganz zuverlaͤſſig, welche Auf-
ſchriften tragen, gleich einigen Hausaltaͤrchen, deren eines in
der ehemals dem bekannten Kunſtfreunde, Herrn Solly, ge-
hoͤrenden, nunmehr koͤniglich preußiſchen Sammlung, zwar von
Lampenrauch geſchwaͤrzt, doch wohl erhalten iſt. *) In ſol-
chen Bildern zeigt ſich Taddeo dem Giotto um Vieles aͤhnli-
cher, als ſeine uͤbrigen Zeitgenoſſen; doch bediente er ſich in
ſeinen Malereyen a tempera einer zaͤheren Bindung, wie
daraus erhellt, daß ſeine Lichter mehr Koͤrper und einen hoͤhe-
ren Glanz haben; auch hatte er, in Vergleichung jener beur-
kundeten Tafel des Giotto, ſein Profil ſchon ungleich mehr
durchgebildet, die Augen mehr auseinandergeruͤckt, die Naſe
etwas mehr ausgeladen, den Umriß der Kinnlade erweitert
und zierlicher ausgerundet, Verbeſſerungen, welche in Anſehung
ſeines lebhaften Gefuͤhles fuͤr weibliche Anmuth eben ihm be-
ſonders nahe lagen.
Dieſen Charakteren begegnen wir auch in jenen Male-
reyen an einer Seitenwand der mehrgedachten Kappelle Ba-
roncelli der Kirche ſta Croce, welche ſchon Vaſari, es iſt un-
bekannt, ob aus hiſtoriſchen Gruͤnden, oder nach einem allge-
meinen Kennergefuͤhle, unter den wichtigeren Werken des
Taddeo di Gaddo aufzaͤhlt. Dieſe Wand enthaͤlt in fuͤnf Ab-
theilungen ſechs Handlungen aus jener fabelhaften Madonnen-
geſchichte, welche, obwohl die Kirche ſie verwirft, in aͤlteren
Zeiten haͤufig dargeſtellt wurde. In der oberen Abtheilung,
unter dem gothiſchen Bogen, zeigt ſich ein feiner Hirt, wel-
[80] cher, waͤhrend ſeine Schaafe aus einer Quelle trinken, auf
ſeiner Floͤte Griffe zu verſuchen ſcheint; in den unteren Mut-
ter Anna, welche ihren zuruͤckkehrenden Gatten mit anmuthi-
ger Herzlichkeit umarmt; zur Seite die Geburt der Madonna,
wo das Koſen der Weiber mit der Neugeborenen unuͤbertreff-
lich ausgedruͤckt iſt. Alle dieſe naive und anmuthvolle Zuͤge
vereinigen ſich in der freylich ſehr beſchaͤdigten Trauung der
Jungfrau mit Bewegung und groͤßerer Abwechſelung der Ge-
ſichtszuͤge. Vielleicht iſt dieſes Werk unter den noch erhalte-
nen Proben ſeines Talentes die ſchoͤnſte.
Das andere, von dieſem in Auffaſſung und Manier him-
melweit abweichende Leben der Jungfrau in der Altarniſche
der Sacriſtey, galt dem Vaſari, welcher indeß nur den Gegen-
ſtand der gegenuͤberliegenden Wand naͤher bezeichnet, ebenfalls
fuͤr eine Arbeit des Taddeo. Sie duͤrfte indeß neuer ſeyn,
weil ſie bey weniger Einfachheit des Sinnes mehr Geſchick-
lichkeit in der Handhabung zeigt. Auf dem Altare iſt ein viel
neueres Bild mit der Jahreszahl 1378., welches mit jenen
Mauergemaͤlden zugleich beſchafft ſeyn duͤrfte. *) — Das Chor
in ſ. Francesco zu Piſa, in welchem Vaſari die Inſchrift:
Taddeus Gaddus (?) de Florentia etc. 1342. will gele-
ſen haben, iſt an den Waͤnden uͤberweißt; die noch vorhande-
nen Gemaͤlde der Decke ſind aber ſo uͤbel zugerichtet, daß man
auch dieſe als verloren betrachten darf. In den allegoriſchen
Gemaͤlden der linken Seitenwand im Kapitel des Kloſters ſta
Maria novella erkennt man wohl den allgemeinen Entwurf,
deſſen
[81] deſſen Bau und Anordnung mich nicht befriedigte, die Ele-
mente der Allegorie, welche der damaligen Schulgelehrſamkeit
und ſicher nicht dem Kuͤnſtler angehoͤren; hingegen unterlag
das eigentlich Maleriſche der Ausfuͤhrung den Reinigungen
und Wiederherſtellungen ungleich mehr, als die gegenuͤberlie-
gende Wand, welche Vaſari dem Simon Martini beylegt.
Deſſenungeachtet glaubte ich in jenen halberloſchenen Male-
reyen, welche fuͤr die Arbeit des Taddeo gelten, mehr gewalt-
ſame Wendungen, mehr Ungleichheiten in den Verhaͤltniſſen
wahrzunehmen, als in den fruͤher bezeichneten Werken. In
der Decke dieſes Saales, welche Vaſari ebenfalls unſerm Flo-
rentiner beymißt, mehren ſich dieſe Fluͤchtigkeiten und Verſe-
hen ins Unendliche; weßhalb ich Bedenken trage, eine Angabe
zu unterſchreiben, fuͤr welche Vaſari der einzige Buͤrge iſt. —
Hingegen duͤrfte eine ſchoͤne Federzeichnung in der Sammlung
der oͤffentlichen Gallerie zu Florenz (cartella degli antichi),
welche dort fuͤr Agnolo Gaddi gilt, in Anſehung ihrer ſtraff
angezogenen Falten, ihrer ſtaͤtigen Proportion, wie vornehmlich
ihrer ſchoͤnen, anmuthvollen Koͤpfe, wahrſcheinlicher unſerem
Taddeo angehoͤren.
Dieſer Kuͤnſtler legte ſich, wie die meiſten Maler ſeiner
Zeit, auch auf die Baukunſt; er ſoll die alte Bruͤcke zu Flo-
renz nach der Ueberſchwemmung von 1333. wiederhergeſtellt
haben, und ward in der Folge ſicher zu den Berathungen der
Domverwaltung gerufen. Aus derſelben Quelle lernen wir,
daß er nicht, wie Vaſari mit gewohntem Leichtſinn annimmt,
im Jahre 1350. geſtorben ſey; denn es ward ihm noch im
Jahre 1366. Aug. 20. eine Arbeit behuf des Dombaues auf-
getragen. *)
II. 6
[82]
Giottino.
Unter den Werken des Tommaſo, gemeinhin Giottino,
deren Ghiberti erwaͤhnt, erhielt ſich die Kappelle Bardi zur
aͤußerſten Linken des Chores von ſta Croce zu Florenz, worin
Darſtellungen aus der Legende des Silveſter und anderer Hei-
ligen, bis auf unſere Zeit hinab in ſehr gutem Stande. Sie
rechtfertigt die Lobſpruͤche, welche Ghiberti und Vaſari dieſem
Kuͤnſtler ertheilt haben; die Wunderbegebenheiten ſind gluͤck-
lich ausgedruͤckt; die Heiligen haben Ernſt und Wuͤrde genug,
um das noͤthige Zutrauen zu erwecken, der Haufen aber zeigt
ſo viel Spannung, Zweifel, Zuverſicht, Erſtaunen, als irgend
bey ſolchen Ereigniſſen vorauszuſetzen iſt.
In der Ausfuͤhrung dieſer Mauergemaͤlde glaubte ich bey
wiederholter Betrachtung wahrzunehmen, daß Giottino ſich
ernſtlich bemuͤht habe, die gleichmaͤßig gedraͤngte und lebendige
Anordnung, die breiten, undurchſchnittenen Lichtmaſſen des
Giotto nicht allein beyzubehalten, vielmehr ſie weiterzubilden.
Sichtlich war er bereits tiefer in die Geſetze der Erſcheinung
eingedrungen, kannte er bereits, wie gluͤckliche Wendungen der
Arme und Haͤupter darlegen, die menſchliche Geſtalt ungleich
beſſer, als Giotto und ſelbſt als Taddeo, der jenen wohl in
der Anmuth uͤbertrifft, doch in der Zeichnung, im Charakter,
im Ausdruck ernſter und feyerlicher Stimmungen, weit hinter
ihm zuruͤckgeblieben iſt.
Dieſe Mauergemaͤlde moͤchten mehr, als irgend andere
unter den noch vorhandenen Denkmalen der Malerey des vier-
zehnten Jahrhundertes fuͤr das Vorbild jener ernſten Auf-
faſſung und gehaltenen Darſtellung heiliger Handlungen gel-
*)
[83] ten duͤrfen, welche Maſaccio nach langer Unterbrechung wie-
derum in Anregung gebracht und auf einige ſeiner Nachfolger
verpflanzt hat. — Was Giottino, wenn Vaſari uns nicht
etwa irre leitet, zu Aſiſi gemalt hat, iſt noch immer in ertraͤg-
lichem Stande vorhanden; das Chor indeß, in welchem ſein
Zeitgenoß Stefano gemalt haben ſoll, iſt gaͤnzlich erneut wor-
den; wie ich denn uͤberhaupt von letzterem, den Ghiberti und
Vaſari loben, nichts Sicheres geſehn, daher mich alles Urtheils
enthalte.
Giovanni da Melano.
Dieſer bisher nicht genug gewuͤrdigte Kuͤnſtler war, wie
uns Vaſari erzaͤhlt, der Schuͤler, oder Geſelle des Taddeo
Gaddi, dem er wirklich in der Anmuth der Gebehrde und
Schoͤnheit des Charakters verwandt iſt. Indeß entwickelte
er in ſeinen ausnehmend vollendeten Bildern eine ſo weit
uͤber andere Leiſtungen ſeines Zeitalters hinausgehende An-
nehmlichkeit der Manier und Ausbildung der Form, daß nur
aus dem Vorurtheile fuͤr Giotto, zum Theil vielleicht ſelbſt
aus der gewerbsmaͤßigen Richtung der alten toscaniſchen Ma-
ler zu erklaͤren iſt, daß er unter ſeinen Zeitgenoſſen keine Nach-
folge und ſelbſt, wie das Stillſchweigen des Ghiberti anzu-
deuten ſcheint, *) nicht einmal die gehoͤrige Anerkennung ge-
funden.
Vaſari nennt ihn an einer Stelle zu Ende des Lebens
des Taddeo Gaddi, Giovanni Milaneſe, und laͤßt ihn ſpaͤter
6 *
[84] nach ſeiner Vaterſtadt Mayland zuruͤckgehn, um dort ſein
Leben zu beſchließen; er deutete demnach den zweyten und ab-
haͤngigen Namen nicht, wie es naͤher liegt, auf den Vater,
ſondern auf die Vaterſtadt. Seine Deutung erhaͤlt durch die
Inſchrift einer kleinen Tafel Wahrſcheinlichkeit, welche vor
einigen Jahren in der Gallerie der florentiniſchen Academie,
vielmehr im Magazin derſelben, im Kloſter ſta Caterina (sala
delle macehine) gezeigt wurde. Am Sockel dieſes Gemaͤl-
des lieſet man in zierlich auf rothem Grunde mit Gold ge-
zeichneten, gothiſchen Buchſtaben:
Jo Giovanni da Melano depinsi questa tavola in
MCCCLXV.
Das Woͤrtchen da (aus, von-her) laͤßt ſich nach der
Regel allerdings nur auf das Vaterland des Kuͤnſtlers deu-
ten; doch iſt andererſeits zu erwaͤgen, daß Melano und Mi-
lano auch perſoͤnliche Namen ſind, die Kuͤnſtler aber, beſon-
ders zu jener Zeit, die Sprache meiſt ziemlich willkuͤhrlich be-
handelt haben.
Waͤre es ausgemacht, daß Giovanni aus Mayland ge-
buͤrtig war, ſo wuͤrde ich geneigt ſeyn, die Vollendung und
Zierlichkeit ſeiner Manier aus einer moͤglichen Beruͤhrung mit
den niederdeutſchen Malern des vierzehnten Jahrhundertes ab-
zuleiten, welche, da Johannes und Hubert van Eyck aus ihren
Schulen hervorgegangen ſind, hoͤchſt wahrſcheinlich ſchon da-
mals die gleichzeitigen Italiener in techniſchen Vorzuͤgen uͤber-
troffen haben. *)
[85]
Die Tafel mit der angefuͤhrten Inſchrift enthaͤlt einen
todten Chriſtus, den Maria und Magdalena unterſtuͤtzen, im
Grunde Johannes, den der Nimbus der vorderen Figuren faſt
verdeckt. Die Ausbildung des Nackten der bis an die Kniee
ſichtbaren Geſtalt des Heilandes, wie auch der Koͤpfe in den
uͤbrigen Figuren, uͤbertrifft jede billige Erwartung ſo weit, daß
man auf Uebermalung des Bildes durch eine gute Hand des
funfzehnten Jahrhundertes ſchließen duͤrfte, wenn deſſen zarte,
fein ausgeſtrichelte Behandlung weniger aus einem Guſſe,
wenn nicht dieſelbe Manier auch einer anderen noch vorhan-
*)
[86] denen Malerey eigenthuͤmlich waͤre, welche Vaſari dem Gio-
vanni da Milano beymißt und mit verdientem Lobe belegt.
Dieſe, das alte Altargemaͤlde der Kloſterkirche Ogniſanti
(der Obſervanten), befindet ſich gegenwaͤrtig auf einem ver-
nachlaͤſſigten Seitenaltare des Kreuzſchiffes; es iſt bey dieſer
Verſetzung offenbar zerſtuͤckt und verkleinert worden. Die
Oberflaͤche der erhaltenen Stuͤcke blieb indeß unberuͤhrt; ſie
zeigt uͤberall dieſelbe zarte Beendigung durch haͤufige, ſich ſchraͤg
durchkreuzende Striche; eine Manier, welche die florentiniſche
Schule ſeit Giotto mit einer bequemeren, fluͤſſigeren vertauſcht,
doch im funfzehnten Jahrhunderte, vielleicht nicht ohne alle
Beruͤckſichtigung der Arbeiten des Giovanni da Milano von
Neuem ergriffen hat.
Die noch vorhandenen Abtheilungen dieſer Tafel enthal-
ten von der Linken zur Rechten, die erſte, zwey weibliche Hei-
lige, deren ſehnſuchtsvoller Blick an jene kleineren Figuren des
oben bezeichneten Bildes erinnert; ſie haben mehr Anmuth,
als Schoͤnheit der Form; ihre Gewaͤnder ſind wohl gelegt
und bis auf die reichen Saͤume mit groͤßtem Fleiße ausge-
fuͤhrt. Bewundernswerth ſind die beiden Heiligen der zwey-
ten Abtheilung, Stephanus und Laurentius, in deren etwas
individuellen Koͤpfen eine Ausbildung des Einzelnen, eine
Ruhe, Heiterkeit und Einfalt des Ausdruckes, welche ſogar den
Arcagno weit uͤbertrifft. In den nachfolgenden Figuren, dem
Taͤufer und dem Apoſtel Paulus, erreichen die Koͤpfe, bey
gleichem Fleiße der Ausfuͤhrung, doch nicht ſo ganz den Werth
der vorangehenden; obwohl die Hand des Johannes, welche
nach dem fehlenden Mittelſtuͤcke hindeutet, mehr Beobachtung
der Natur und reifere Formenkenntniß verraͤth, als man bey
einem ſo alten Maler vorauszuſetzen berechtigt iſt; wie denn
[87] auch das Gewand und der profilirte Fuß derſelben Figur alle
billige Erwartungen uͤbertrifft. Ferner enthaͤlt dieſes Gemaͤlde
ſ. Petrus, ſ. Antonius Abbas, eine vortreffliche Figur des hei-
ligen Jacob und einen heiligen Pabſt, vielleicht ſ. Silveſter.
Dieſe Geſtalten, welche ſaͤmmtlich beynahe zwey Drittheile,
oder doch mehr als die Haͤlfte der natuͤrlichen Groͤße errei-
chen, ruhen auf einer Altarſtaffel, welche die zwoͤlf Apoſtel
und viele andere Heilige in kleineren Ausmeſſungen, doch nicht
minder gluͤcklich und in der zierlichſten Manier vor den Sinn
ſtellen.
Indeß iſt unter den Werken, welche Vaſari dem Gio-
vanni beymißt, das erheblichſte und ausgedehnteſte jenes Leben
der Jungfrau an dem Gewoͤlbe des Kreuzſchiffes zur Rechten
des heiligen Grabes in der unteren Kirche des heiligen Franz
zu Aſiſi. Dieſe Arbeit nimmt in ihrer Art eine gleich hohe
Stellung ein, als jene Tafeln unter den Temperagemaͤlden
ihrer Zeit, ſtimmt zudem zu allen Eigenthuͤmlichkeiten, welche
wir eben hervorgehoben haben, weßhalb ich hier kein Beden-
ken trage, dem Vaſari zu folgen. Die einzelnen Darſtellun-
gen nehmen, von unten nach oben, folgende Ordnung ein.
Die Anbetung der Koͤnige; der ſchoͤnen Jungfrau ſtehen
zwey Engel zur Seite; der aͤlteſte der Koͤnige kuͤßt die Fuͤße
des Heilandes; die anderen treten mit wuͤrdevoller Ehrfurcht
heran. Dieſes Bild hat offenbar der umbriſchen Schule und
wenigſtens mittelbar ſelbſt dem Raphael vorgeleuchtet.
Der Prieſter giebt der Jungfrau das Kind zuruͤck; die
Mutter ſtrecket ihm die Arme entgegen, waͤhrend das wieder
eingewickelte Kind ſie freundlich anblickt. Vergleichen wir das
feinſinnige Umgehen des Gegenſtandes, der Beſchneidung, mit
[88] den uͤblichen unmittelbaren Darſtellungen deſſelben, ſo wird
Giovanni im Vortheil ſtehn.
Der Gruß der Eliſabeth, faſt wie jener des Taddeo
Gaddi, doch in den Hauptfiguren mehr Staͤrke des Affectes.
Die Geburt Chriſti, ganz die herkoͤmmliche Zuſammen-
ſtellung; doch ſind die Hirten hier auf denſelben Plan geſtellt.
Die Flucht nach Aegypten; in dieſer in den aͤlteſten Zei-
ten ſehr ſeltenen Vorſtellung, ſcheint der Kuͤnſtler ſeinen eige-
nen Eingebungen gefolgt zu ſeyn, die ihn hier ſehr gluͤcklich
geleitet haben. Der Eſel iſt uͤberraſchend wohl gezeichnet und
ausgefuͤhrt, Joſeph ſchoͤn bewegt und gewandet. Der treffli-
chen Madonnengeſtalt folgt eine Magd mit Geraͤth und ein
Knecht, der die Hand auf die Gruppe des Eſels legt.
Der Kindermord; dieſer Gegenſtand lag offenbar an ſich
ſelbſt außerhalb der Richtung und Kraft unſeres Meiſters. Er
nutzte deſſen Motive zu anmuthigen Bewegungen und Stel-
lungen.
Chriſtus im Tempel unter den Schriftgelehrten; die Figu-
ren ſind unter einem hohen gothiſchen Dome einfach und
regelmaͤßig vertheilt.
In dem achten, durch eine eingebrochene Seitenthuͤre ver-
kleinerten Gemaͤlde ſcheinen Joſeph und Maria mit dem jun-
gen Chriſtus aus Jeruſalem heimzukehren. Sie haben ihn
in der Mitte und Joſeph haͤlt ihn bey der Hand, als wenn
er fuͤrchtete, ihn von neuem zu verlieren. Das Bild moͤchte
durch das Brechen der Mauer gelitten haben und theilweis
ergaͤnzt ſeyn. Ein neuntes zur Haͤlfte von der Orgel verdeck-
tes Bild, gehoͤrt zur ſelben Folge. Man ſieht in den unver-
deckten Theilen eine herrliche Weibergruppe und einige Prieſter
[89] vor einem zierlichen gothiſchen Bau; es duͤrfte die Trauung
Joſephs und der Jungfrau darſtellen.
Alle dieſe Gemaͤlde zeigen eine Weichheit der Behand-
lung, eine Ausbildung der Form, welche kein anderer Kuͤnſt-
ler derſelben Zeit jemals erreicht hat; weßhalb zu verwundern
iſt, daß Giovanni bisher von alten und neueren Schriftſtellern
unter die abhaͤngigen und untergeordneten Meiſter geſtellt wor-
den, da ihm doch der Ruhm gebuͤhrt, ſeiner Zeit vorangeeilt
zu ſeyn. — Wie viel haͤufiger wuͤrde von ihm die Rede ſeyn,
haͤtte Vaſari ſo viel von ihm gewußt, als er bedurfte, um
eine Lebensbeſchreibung zu machen.
Andrea di Cione, genannt l’Arcagnuolo.
Wenn Gegenwart und Nachwelt den Verdienſten des
Giovanni da Milano bis jetzt nicht ganz die Anerkennung
gewaͤhrte, welche ſie fodern; ſo ward dahingegen die Ueberle-
genheit des Malers, Bildners und Architecten Arcagnuolo von
jeher verehrt und geprieſen, weßhalb ich ſeine noch vorhande-
nen Werke als bekannt vorausſetzen und hier nur fluͤchtig be-
ruͤhren will. Die großen, ſchoͤnen, in die Augen fallenden
Bauwerke dieſes Kuͤnſtlers, die, loggia de’ Lanzi, die Kirche
und das Magazin Orſanmichele, haben, wie es ſcheint, ſein
Andenken zu allen Zeiten wach gehalten. Das reiche Taber-
nakel der Jungfrau in Orto ſan Michele, die ſchoͤne Tafel
eines Seitenaltares der Kirche ſta Maria novella, ſind beide
mit dem Namen des Kùnſtlers und dem Jahre der Vollen-
dung bezeichnet, befinden ſich zudem an beſuchten und zu-
gaͤnglichen Orten, ſo daß auf alle Weiſe fuͤr die ununterbro-
chene Fortpflanzung ſeines Ruhmes geſorgt war. Dieſer An-
erkennung ungeachtet war man nur ſelten darauf bedacht, ſeine
[90] Geſchichte zu berichtigen, oder zu erweitern. Nicht einmal
uͤber ſeinen Beynamen, den die mehr benutzte Abſchrift der
Kunſtgeſchichte des Ghiberti zu Orcagna, Vaſari ſogar zu Or-
gagna verſtuͤmmelt hatte, war man ſeither ins Klare gekom-
men. Baldinucci*) verwarf die Schreibart des Vaſari, weil
er, wenn er anders richtig geſehn, in einem Originalcontracte
des Kuͤnſtlers und in den Handſchriften der Novellen des
Sacchetti uͤberall Orcagna gefunden. Allerdings iſt dieſes
richtiger, deſſenungeachtet bereits eine Verſtuͤmmelung des wah-
ren Namens, welche vielleicht ſchon zur Lebenszeit des Kuͤnſt-
lers eingeriſſen war. Unter allen Umſtaͤnden ſind die Ablei-
tungen, welche Baldinucci verſucht hat, eben ſo muͤſſig, als
ſie an ſich ſelbſt gezwungen ſind. Der wahre Beyname des
Kuͤnſtlers lautet: l’Arcagnuolo; dieſer ward in Schriften und
Urkunden haͤufig zu Ende abgekuͤrzt und bisweilen mit dem
Artikel zuſammengezogen, und daher entſtand, daß man in der
Folge die Grundform aus den Augen verloren und nur die
Verſtuͤmmelung beybehalten hat.
Ich will die Protocolle, in welchen unſer Arcagnuolo
erſcheint, theils abgekuͤrzt und theils in ihrer ganzen Laͤnge
mittheilen, **) ſowohl weil ſie die damals bey großen Bau-
werken uͤbliche Geſchaͤftsfuͤhrung verſinnlichen, als auch, weil
ſie ins Licht ſtellen, wie wenig man bisher bemuͤht geweſen,
die neuere Kunſthiſtorie umſtaͤndlich zu begruͤnden. Denn
ſicher benutzte unter ſo vielen Gelehrten, welche ſeit Vaſari
kunſthiſtoriſche Forſchungen angeſtellt haben, kein einziger das
bequeme und zugaͤngliche Archiv der florentiniſchen Domver-
[91] waltung, weil man ſonſt dieſe breiten Protocolle nicht haͤtte ſo
ganz uͤberſehen koͤnnen, welche die Ableitungen des Baldinucci
aufheben und ganz uͤberfluͤſſig machen, ihrer, wie bisher in
allen Kunſtbuͤchern geſchehen, *) billigend oder verwerfend zu
erwaͤhnen. Wie Della Valle das Domarchiv zu Siena, wel-
ches er nie mit eigenen Augen angeſehn, ſo citirte auch Bal-
dinucci (in der Folge auch Richa) hie und da einige der Buͤ-
cher des florentiniſchen, wenn ich nicht irre, an einer Stelle
ſogar daſſelbe, welches ihn, haͤtte er ſelbſt, oder ſein Beauf-
tragter das Buch nur ganz durchleſen wollen, alles unnuͤtzen
Kopfbrechens uͤber den Namen Orcagna wuͤrde uͤberhoben ha-
ben. Auf dieſe Veranlaſſung bemerke ich, daß bey urkundli-
chen Forſchungen aller Art ein bloßes Blaͤttern und verſtreu-
tes Nachſuchen nur etwa dahin fuͤhrt, den Leſer zu verblen-
den; daß man nach Maßgabe des Gegenſtandes der Unterſu-
chung Claſſe fuͤr Claſſe, Blatt fuͤr Blatt, die Feder ſtets in
der Hand durchgehen muß, um ſich ſelbſt und Anderen die
Zuverſicht zu ſchaffen, daß man alles Vorhandene erſchoͤpft
habe. Sollte die neuere Kunſtgeſchichte jemals aus dem No-
vellenhaften und Halbwahren, welches ihr Stifter derſelben
mitgetheilt, zu geſchichtlicher Aechtheit und Wuͤrde ſich erheben
wollen, ſo duͤrften Viele gemeinſchaftlich daran arbeiten und
alle erreichbare Archive, deren in Italien unermeßlich viele,
Schritt fuͤr Schritt durchgehen und bey dieſem Geſchaͤfte ſich
gegenſeitig die Hand reichen. Doch wird Solches nicht ſobald
geſchehen, da es leichter, vielleicht auch belohnender iſt, den
Vaſari und andere noch Neuere als Quellen anzuſehn und
[92] ohne Bedenklichkeiten ſie abzuſchreiben. Aus der Stoͤrung die
ich in dieſes behagliche Geſchaͤft gebracht, erklaͤre ich mir die
verdeckten Angriffe auf Quellenſtudien, deren einige Kunſtſcri-
benten mich neuerlich gewuͤrdigt haben.
Sieneſer.
Simone di Martino und Lippo di Memmo.
Das Beyſpiel des Giotto, wenn nicht wahrſcheinlicher
ein allgemeiner Hang damaliger Zeitgenoſſen, lenkte auch die
ſieneſiſche Schule, wenigſtens ihre bekannteſten Meiſter, von
der Nachbildung und Vervollkommnung altchriſtlicher Typen
zur Beſchauung und mehrſeitigen Auffaſſung des Lebens hin-
uͤber. Die Verehrung des heiligen Franz, ſeiner beruͤhmteren
Genoſſen und anderer gleich neuer Heiligen fuͤhrte, da ihre
Lebensereigniſſe ſo friſch und noch umſtaͤndlich bekannt waren,
nothwendig zur vielſeitigſten Auffaſſung menſchlicher Verhaͤlt-
niſſe, welche ſelbſt die Lebensſitten der Unglaͤubigen nicht aus-
ſchloſſen, inſofern ſolche die Macht und Wunderkraft des Glau-
bens gelegentlich erprobt hatten.
Dieſer neuen Richtung brach unter den Sieneſern unſer
Simon die Bahn, wie Giotto unter den Florentinern. Vaſari
macht ihn indeß zu einem Schuͤler des letzten, was die Sie-
neſer mit allem Rechte abgelehnt haben. Was ihn auch dazu
beſtimmen mochte, ſo war es doch gewiß nicht jene Hand-
ſchrift des Lorenzo Ghiberti, welcher ſeine Nachrichten von
Simons Werken mit folgenden Worten anhebt: „Meiſter Si-
mon war ein ſehr ausgezeichneter Maler; die ſieneſiſchen
Kuͤnſtler halten ihn fuͤr den Beſten ihrer Schule; mir ſchien
[93]Ambruogio Lorenzetti kunſtreicher zu ſeyn, als alle uͤbrigen.“
Da er nun uͤberhaupt, wie ich bereits erinnert habe, *)
die ſieneſiſche und florentiniſche Schule als voͤllig getrennt
und jede fuͤr ſich betrachtete, ſo hielt er den Simon, deſſen
Meiſter er nicht nennt, ſicher fuͤr einen Sproͤßling der ſiene-
ſiſchen, um ſo mehr, da er von den Florentinern, Stefano,
Maſo, Taddeo, jedesmal anzeigt, daß ſie bey Giotto gelernt
haben. Die Eigenthuͤmlichkeit der ſieneſiſchen Schule, welche
waͤhrend des vierzehnten Jahrhundertes noch immer ſehr Vie-
les aus der griechiſchen Malart beybehalten hat, in welcher bis
auf Taddeo di Bartolo und ſpaͤter die Charaktere und Darſtellun-
gen der neugriechiſchen Malerey nie ſo ganz in Vergeſſenheit
gekommen ſind, mußte dem kuͤnſtleriſchen Scharfblick des Ghi-
berti auffallen, zumal da es ihm, der eine laͤngere Zeit in
Siena gearbeitet hatte, nicht an Luſt, Zeit und Gelegenheit
gefehlt, beide Schulen gegenſeitig zu vergleichen. Zudem be-
hauptete Siena, wiewohl ſchon im Sinken, doch zu Ghiber-
ti’s Zeit noch immer eine ſelbſtſtaͤndige, Achtung gebietende
Stellung, weßhalb es dieſem nicht, wie ſpaͤterhin dem Vaſari,
in den Sinn kam, die ganze, hoͤchſt eigenthuͤmliche und, wie
wir geſehn haben, uralte Schule den Florentinern gleichſam
unterzuſtecken. Auch Petrarca betrachtete den Simon als
einen ſelbſtſtaͤndigen Meiſter, wie theils aus ben beiden Ge-
dichten erhellt, deren erſtes meiſterlich in unſere Sprache uͤber-
tragen worden, theils auch aus einem ſeiner Briefe, **) wo
er ihn dem Giotto gleichſtellt und beide gemeinſchaftlich fuͤr
[94] die groͤßeſten Maler erklaͤrt, welche ihm bekannt gewor-
den; was uͤbrigens ihre Zeitgenoſſen nicht betheiligt, da Pe-
trarca durch ſeine aͤußere Lage verhindert wurde, alle Fort-
ſchritte und Leiſtungen der toscaniſchen Kuͤnſtler ſeiner Zeit zu
ſehn und gegenſeitig zu vergleichen. Endlich war Simon kein
Nachfolger, ſondern ein Zeitgenoſſe des Giotto; denn er ſtarb
bald nach ihm im Jahre 1344., *) und beſchloß ſein Leben
ſicher nicht in der erſten Bluͤthe der Jahre, da er zahlreiche
und große Werke vollbracht hat, ſelbſt, wenn ein Theil deſſen,
ſo Vaſari ihm beygemeſſen, wie ich fuͤrchte, von anderer Hand
gemalt ſeyn ſollte.
Indeß hatte Vaſari das Leben dieſes Kuͤnſtlers uͤberhaupt
mit beſonderer Nachlaͤſſigkeit vorgearbeitet; nicht einmal ſei-
nen Namen hatte er recht erkundet, was doch nicht ſo gar
ſchwierig war, da Simon ſich verſchiedentlich unter ſeinen
Werken genannt hat und zudem in den ſieneſiſchen Archiven
nicht ſelten vorkommt. Vielleicht hatte Vaſari irgend eine der
Tafeln geſehn, welche Simon mit ſeinem Gehuͤlfen Lippo di
Memmo gemeinſchaftlich gemalt und bezeichnet hat, die In-
ſchrift aber nur fluͤchtig geleſen und nicht an der Stelle auf-
gezeichnet; oder es verleitete ihn die mehrberuͤhrte Abſchrift
der Bemerkungen des Ghiberti, welche an dieſer Stelle zwei-
felhaft iſt, **) jene Maler fuͤr Bruͤder, alſo fuͤr Soͤhne eines
[95] Vaters zu halten. Indeß, wie es immer gekommen ſeyn
moͤge, ſo iſt es doch unter allen Umſtaͤnden falſch, wenn er
uns verſichert, daß unter den Tafeln des Simon geſchrie-
ben ſtehe:
Simonis Memmi Senensis opus.
Denn es ſind noch immer einige Gemaͤlde mit der Auf-
ſchrift dieſes Kuͤnſtlers vorhanden, welche bey Della Valle
einzuſehen, unter denen die Verkuͤndigte, welche Lanzi ihres
urkundlichen Werthes willen in die florentiniſche Gallerie be-
foͤrdert hat, beſonders geeignet iſt, die Frage ganz zu beſeiti-
gen. Auf dem Sockel dieſes Bildes lieſet man:
Simon. MARTINI. ET. LIPPVS. MEMMI.
DE. SENIS. ME. PINCXERVNT. ANNO. DOMINI.
MCCCXXXII. oder XXXIII.; denn dieſe letzte Ziffer iſt
verſtuͤmmelt. *)
Unter keinem anderen Namen findet er ſich in den ſiene-
ſiſchen Archiven, aus denen ich einige theils minder beachtete
Stellen, der Beſtaͤrkung wegen, unter die Belege dieſer Ab-
handlung aufnehme. **)
In jener Wiederherſtellung der Madonna des großen
Saales im oͤffentlichen Palaſte zu Siena unterſcheidet man
**)
[96] noch immer die Hand des Simon ſowohl von den aͤlteren
Theilen, als von noch ſpaͤteren Ausbeſſerungen. Am unteren
Rande des Gemaͤldes befinden ſich Reſte von verſchiedenen,
nicht zuſammengehoͤrenden Inſchriften. Die erſte ſagt:
Mille trecento quindici vo ..... etc.
Die andere, tiefer belegene:
S … A MAN DI SYMONE ....
Hier, wie in jener Verkuͤndigten der florentiniſchen Gal-
lerie, welche leider vor ihrer Aufſtellung mit Ungeſchick gerei-
nigt und nachgebeſſert worden, zeigt Simon einen feinen und
emſigen Pinſel, welcher a tempera durch viele Lagen ſich
durchkreuzender Striche, a fresco durch zierlichen Auftrag, ſei-
nen Formen Beendigung zu geben ſucht, alſo von der fluͤſſi-
gen, verwaſchenden Behandlung des Giotto weit genug ab-
weicht. Allein auch in der Auffaſſung der Formen und Ver-
haͤltniſſe, wie in der Manier der Anordnung unterſcheidet er
ſich von ſeinem großen Zeitgenoſſen. Denn es ſind die Ver-
haͤltniſſe des Simon ungleich willkuͤhrlicher und gehen, vor-
nehmlich bey verkuͤrzten Geſtalten, gar ſehr ins Lange; und die
Geſichtsformen unterſcheiden ſich von den giottesken durch groͤ-
ßere Fuͤlle und Rundlichkeit der Backen, bey feinen ſehr ver-
laͤngerten Naſen und rundlicheren Umriſſen der Augenlieder,
welche uͤbrigens gleich denen des Giotto meiſtens beynahe ge-
ſchloſſen ſind.
Dieſe Merkzeichen fehlen verſchiedenen Werken, welche
Vaſari dem Simon beylegt, namentlich den bekannten Mauer-
gemaͤlden der ſpaniſchen Kappelle im Kloſter ſta Maria novella
zu Florenz. Lorenzo Ghiberti, welcher die ſieneſiſchen Arbeiten
des Simon genau betrachtet hatte und ziemlich umſtaͤndlich
beſchreibt, meldet mit keiner Zeile, daß Simon zu Florenz und
in
[97] in dieſer Kappelle gemalt habe, was allerdings befremdend iſt.
Denn es lag ihm nahe, hier ein ſo großes, in Hinſicht auf
Umfang und Reichhaltigkeit jene ſieneſiſchen Gemaͤlde weit
uͤbertreffendes Werk anzufuͤhren, wenn er es uͤberall fuͤr die
Arbeit unſeres Meiſters hielt. Da es demnach hoͤchſt wahr-
ſcheinlich zu Anfang des funfzehnten Jahrhundertes fuͤr die
Arbeit irgend eines anderen, gleich ſo vielen alten, gegenwaͤrtig
unbekannten *) Malers galt; da Vaſari hier ſchwerlich urkund-
lichen Nachrichten folgte, welche den Kloſterkirchen, was ihre
Kunſtwerke betrifft, zu fehlen pflegen: ſo duͤrfte ſeine Angabe
auf einer bloßen Vermuthung beruhen, welche das minder flo-
rentiniſche Anſehn jener Malereyen mag hervorgerufen haben.
Mir ſcheint dieſer Maler derſelbe zu ſeyn, der in der Kappelle
der Sacriſtey in ſta Croce die linke Seitenwand mit einigen
Feſtlichkeiten aus der Legende der Jungfrau bemalt hat, welche
Vaſari fuͤr Arbeiten des Taddeo ausgiebt. Gewiß ſind ſie
mit einer groͤßeren Fertigkeit und minder emſig al fresco**)
II. 7
[98] gemalt, als man uͤberhaupt von einem Kuͤnſtler vorausſetzen
darf, welcher ſeine thaͤtige Laufbahn ſchon im Jahre 1344.
beſchloſſen hat.
Erwaͤgen wir, daß Alles, was Simon fuͤr den Hof zu
Avignon gemalt hat, laͤngſt untergegangen, oder doch verſchol-
len iſt; daß auch zu Siena der groͤßere Theil der Arbeiten,
welche wir aus dem Ghiberti oder aus alten Contracten und
Zahlungen kennen, nicht mehr vorhanden oder doch ungemein
beſchaͤdigt iſt: ſo werden wir uns beſcheiden muͤſſen, aus eini-
gen wenigen beglaubigten Werken ſeine Manier und Formen-
gebung zu beurtheilen, ohne den ganzen Umfang ſeines Gei-
ſtes ermeſſen zu wollen. Und ich wuͤrde nicht gewagt haben,
ihn nach ſo geringen Proben ſeines Talentes, als mir bekannt
geworden, zu den Kuͤnſtlern zu zaͤhlen, welche, gleich dem
Giotto, der Beobachtung und Nachbildung des Lebens ſich hin-
gegeben, wenn nicht die bekannteſten Sonette des Petrarca be-
wieſen, daß er bereits verſucht, Bildniſſe zu zeichnen oder zu
malen, welche wenigſtens einem ſchwaͤrmeriſchen Verliebten
genuͤgen konnten. *)
[99]
Ambruogio und Pietro di Lorenzo oder
di Lorenzetto.
Dieſe Kuͤnſtler, deren Vater in den Urkunden und Auf-
ſchriften bald Lorenzo, bald wiederum Lorenzetto genannt wird,
waren dem Anſehn nach Bruͤder. *)Vaſari hat aus Unkunde
der Sitten jener Zeit, in welcher die Geſchlechtsnamen noch
ſelten und nur in den groͤßeren Familien uͤblich waren, das
*)
7 *
[100] Diminutiv Lorenzetto fuͤr einen Geſchlechtsnamen gehalten, den
er indeß nur dem Ambruogio beylegt. Fuͤr den Pietro hat er
anderweitig geſorgt und ihn Laurati genannt; ein Name, der
ſeine Entſtehung wahrſcheinlich irgend einer falſch geleſenen
Aufſchrift verdankt. Indeß iſt Alles, was man in dieſer Be-
ziehung dem Vaſari einwenden koͤnnte, laͤngſt ſchon in groͤß-
ter Breite eroͤrtert worden. *)
Von den Werken der beiden Lorenzetti haben ſich ver-
ſchiedene bis auf unſere Tage in gutem Stande erhalten;
doch iſt leider eben das Hauptwerk des Ambruogio unterge-
gangen, welches dem Ghiberti zu einer laͤngeren Beſchreibung
Stoff gab, ihn zu groͤßerer Lebhaftigkeit hinriß, als ihm ge-
woͤhnlich war. Ich will verſuchen dieſe Stelle, welche Vaſari
zwar benutzt, doch ſehr abgekuͤrzt hat, in ihrer eigenthuͤmlichen
Manier zu uͤbertragen, weil ſie mehr, als irgend anderes die-
net, ins Licht zu ſetzen, daß die Maler des vierzehnten Jahr-
hundertes von ihren Vorgaͤngern vornehmlich eben durch groͤ-
ßere Objectivitaͤt ſich unterſcheiden.
„Die Stadt Siena, hebt Ghiberti an **), beſaß hoͤchſt
ausgezeichnete und kunſtreiche Meiſter, unter dieſen den Am-
bruogio Lorenzetti, einen vielgeruͤhmten und hoͤchſt eigenthuͤm-
lichen Maler, welcher, da er der Erfindung ſehr maͤchtig war,
ſehr viele Werke vollendet hat. Unter anderen malte er bey
den Minoriten (zu Siena) eine ſehr große, trefflich beendigte
hiſtoriſche Darſtellung, welche die ganze Wand eines Kloſter-
hofes einnimmt. Hierin ſieht man, wie ein Juͤngling bey
[101] ſich beſchließet, Moͤnch zu werden, und darauf eingekleidet
wird. Ferner, wie derſelbe, ſchon in den Orden eingetreten,
nebſt anderen Bruͤdern deſſelben mit groͤßter Inbrunſt um die
Gunſt flehet, nach Aſien uͤberzugehen, um den Saracenen den
chriſtlichen Glauben zu predigen. Ferner, wie ſie abreiſen und
zum Sultan kommen, die chriſtliche Lehre zu verkuͤnden, wor-
auf dieſer ſogleich befiehlt, ſie an eine Saͤule zu binden und
auszupeitſchen. Dort ſieht man, wie zwey Schergen ſie ge-
hauen haben und nun mit den Ruthen in der Hand, nach-
dem zwey andere ſie abgeloͤſet, ſich ausruhen. Ihre Huͤte
triefen von Schweiß und ſie ſcheinen ſo ermuͤdet und athem-
los zu ſeyn, daß es ein Wunder iſt, zu ſehen, wie der Mei-
ſter Alles ſo kunſtreich habe ausdruͤcken koͤnnen. Umher ſteht
das ſchauluſtige Volk, die Augen feſt auf die entkleideten
Moͤnche geheftet; der Sultan aber ſitzt auf mauriſche Weiſe;
und wenn man die mannichfaltigen Gebehrden und Bekleidun-
gen anſieht, ſo ſcheint es einem, als wenn die Figuren wirk-
lich lebten.
Ferner ſieht man, wie der Sultan das Urtheil ſpricht,
ſie an einem Baume aufzuknuͤpfen; wie ſie an einem Baume
aufgehaͤngt werden, und wie das gaffende Volk den aufge-
haͤngten Moͤnch ganz offenbar reden und predigen hoͤrt. Dar-
auf, wie der Sultan befiehlt, daß man ſie enthaupte. Da,
wo ſie enthauptet werden, ſieht man eine große Menge Men-
ſchen zu Fuß und zu Pferd, welche zuſehen; den Scharfrichter
mit gewaffneter Begleitung und Weiber und Maͤnner umher.
Und nachdem die Moͤnche enthauptet ſind, erhebt ſich ein duͤ-
ſteres Ungewitter mit Donner, Blitz, Hagel und Erdbeben,
welches Alles ſo wohl ausgedruͤckt iſt, daß man den Einſturz
des Himmels und der Erde befuͤrchten ſollte. Alle haben das
[102] Anſehn, mit großer Beſorgniß ſich zu decken; man ſieht Wei-
ber und Maͤnner ſich niederwerfen, und ihre Gewande uͤber
den Kopf ziehen, und die Bewaffneten ihre Schilder uͤber den
Kopf halten, auf denen der Hagel ſich ſammelt, welcher mit
maͤchtiger Sturmesgewalt auf den Schildern zu praſſeln
ſcheint. Auch ſieht man die Baͤume ſich zur Erde neigen,
und einige ſich ſpalten, und Jeden glaubt man fliehen zu
ſehen. Auch ſieht man, wie dem Scharfrichter ſein Pferd
ſtuͤrzt und ihn im Fallen erſchlaͤgt; und dieſer Wunder willen
ließ ſich vieles Volk taufen. Als eine Malerey betrachtet, *)
fuͤgt Ghiberti hinzu, ſcheint mir dieſe Darſtellung wahrhaft
bewundernswerth zu ſeyn.“
Ein anderes, der Richtung nach, dem beſchriebenen nahe
verwandtes Mauergemaͤlde an einer Seitenwand der Sala
delle balestre, im oͤffentlichen Palaſte zu Siena, beſtaͤtigt das
guͤnſtige Urtheil des Ghiberti, indem es auch unſeren, in Be-
zug auf ſinnliche Wahrſcheinlichkeit verwoͤhnteren Augen viel
Leben und Ausdruck zu beſitzen ſcheint. Der Kuͤnſtler hat
darin das ſtaͤdtiſche und laͤndliche Leben ſchildern wollen; die
Haͤlfte des Bildes nimmt eine innere Anſicht der maleriſchen
Stadt Siena ein, in welcher die Gebaͤude gut charakteriſirt,
die Straßen und Plaͤtze mit lebendigen Figuren erfuͤllt ſind.
Einige betreiben ihr Gewerbe; doch an einer freyeren Stelle
tanzen einige Maͤdchen nach der Handtrommel, in denen der
Kuͤnſtler ſein Beſtes verſucht und viel Anmuth der Miene und
Bewegung ausgedruͤckt hat. Taͤnze auf offener Gaſſe gehoͤren
[103] zu den Sitten jener Zeit; da ſie Gedraͤnge und gegenſeitige
Beleidigungen der Schauluſtigen veranlaßten, haben ſie ver-
ſchiedentlich zu blutigen Partheykaͤmpfen die Looſung gegeben.
Außerhalb des Thores ſieht man eine reich angebaute Land-
ſchaft und Ritter und Damen zu Pferde, welche aufs Land,
oder auf die Jagd gehn. Obwohl dieſer Theil des Gemaͤldes
etwas leer und die Landſchaft minder gelungen iſt, als die
Anſicht der Stadt, ſo verdient ſie doch um ſo mehr Aufmerk-
ſamkeit, als ſie zu den fruͤheſten Verſuchen gehoͤrt, Feld und
Wald und Anbau darzuſtellen; welche Dinge die meiſten Ma-
ler dieſer Zeit durch uͤbereinkoͤmmliche Zeichen anzudeuten
pflegten. *)
Die anderen Waͤnde dieſes Saales enthalten allegoriſche
Malereyen, deren Gegenſtand und Zuſammenhang gegenwaͤr-
tig nur an der einen, dem Fenſter gegenuͤberliegenden, zu erken-
nen iſt, da die uͤbrigen beynahe zerſtoͤrt ſind. Allein auch die
erhaltene bedurfte, gleich den meiſten kuͤnſtleriſchen Andeutun-
gen des Begriffes, der Erklaͤrung durch Wort und Schrift,
weßhalb der Kuͤnſtler folgende Verſe an den Rand des Ge-
maͤldes ſetzte:
[104]
Die verſchiedenen politiſchen Tugenden ſind jedesmal in
einer weiblichen Figur perſonificirt, welche mit einander auf
einer langen mit hoher Lehne verſehenen Bank vertheilt ſind,
zu deren Ende ein hoͤherer Sitz ſich erhebt, auf welchem eine
maͤnnliche Figur in kaiſerlichem Ornate, und oberhalb derſel-
ben einige fliegende Genien, nach den Beyſchriften, Glaube,
Liebe, Hoffnung. Die weiblichen Perſonificationen erklaͤren die
Beyſchriften: pax, fortitudo, prudentia, magnificentia, tem-
perantia, justitia. Zu den Fuͤßen des Fuͤrſten zwey Genien
und in einigem Abſtande eine große Menge nach dem Throne
aufblickender Buͤrger.
Die darauf folgende Allegorie iſt durch Beſchaͤdigung un-
deutlich geworden. In der Hoͤhe ſchwebt eine weibliche Figur
mit der Ueberſchrift: sapientia; ſie haͤlt eine Wage uͤber dem
Haupte einer anderen, welche die Haͤnde ausbreitet; im Felde
diligite ..... judicatis.
Unter dieſe Figur ſitzt eine dritte weibliche Geſtalt, deren
Geſichtszuͤge ſchoͤn, deren Haupt ſehr anmuthvoll bewegt iſt.
Ich vermuthe, daß Ambruogio dieſelbe aus Buͤchergemaͤlden
entlehnt hat, welche im Mittelalter ſo viel Antikes bis auf
[105] ſehr neue Zeit hinab fortgepflanzt haben. Auch die uͤbrigen
Perſonificationen, beſonders der Friede, (eine bequem hinge-
lehnte Figur in weißem, ungeguͤrtetem, faltenreichem Gewande,
welche in der rechten einen Kranz und Oelzweig haͤlt) duͤrften
urſpruͤnglich antik ſeyn. Hingegen gehoͤrt die etwas unregel-
maͤßige Anordnung, die Zeichnung der Geraͤthe, wie endlich
auch die Geſtalt des Herrſchers ganz der Zeit und Erfindung
des Kuͤnſtlers, welcher am Saume dieſes Bildes ſeinen Na-
men angebracht hat, wie folgt:
AMBROSIUS LAURENTII DE SENIS HIC
PINXIT UTRINQUE.
Ich bringe in Erinnerung, daß dieſe Mauergemaͤlde auf
wohlgeglaͤttetem Gypsgrunde a tempera gemalt ſind, wie an
den Stellen, wo die Farbe durch wiederholtes Herabfegen des
Staubes abgeblaͤttert worden, ganz deutlich am Tage liegt. —
Vielleicht dient es Einigen zur Beruhigung, zu erfahren, wann
dieſe Gemaͤlde vollbracht und wie ſie belohnt worden; hier
ſind die Zahlungen, welche ſich noch vorfinden *).
Obwohl nicht ausdruͤcklich angegeben iſt, welche Arbeit
jedesmal bezahlt worden; ſo vermuthe ich doch aus dem Be-
laufe der Summe, daß die Poſten von zehn Goldgulden,
welche dem Kuͤnſtler in den Jahren 1337. und 1338. von
Zeit zu Zeit bezahlt worden, das oben beſchriebene Gemach
angehn, als die groͤßeſte unter den Arbeiten welche Ambruogio
in dieſem Palaſte beendigt hat.
Von den verſchiedenen Tafeln unſeres Meiſters, deren Ghi-
berti mit Lob erwaͤhnt, erhielt ſich zu Siena, ſo weit meine
Kunde reicht, nur eine einzige ſehr verſtuͤmmelte, in einem
[106] Raume der Armenſchule (scuole regie). Das Hauptbild
enthaͤlt die Vorſtellung im Tempel; die Weiber, welche die
Jungfrau umgeben, beſonders die Prophetin, ſind vortrefflich.
Die Aufſchrift:
AMBROSIUS. LAURENTII. DE. SENIS. FE-
CIT. HOC. OPUS. ANNO. DOMINI. MCCC. XLII.
Eine Altarſtaffel mit allegoriſcher Darſtellung des Welt-
gerichtes, auf der Treppe deſſelben Gebaͤudes, iſt offenbar ein
Bruchſtuͤck deſſelben Bildes *).
Den Bruder des Ambruogio, Pietro di Lorenzo, ſcheint
Ghiberti ganz uͤberſehen und ſeine Arbeiten mit denen des er-
ſten vermengt zu haben. Wenigſtens duͤrfte die Tafel, welche
gegenwaͤrtig in einem Seitengemache der Sacriſtey des Domes
zu Siena (stanza del pilone) aufgehaͤngt iſt, zu jenen dreyen
gehoͤren, welche Ghiberti dem Ambruogio di Lorenzetto beymißt.
Indeß lieſ’t man am Sockel dieſes Gemaͤldes:
Petrus. LAURENTII. DE. SENIS. ME. PIN-
XIT. A. M. CCC. XLII.
Dieſes Gemaͤlde verdient um ſo mehr beachtet zu wer-
den, weil es das einzige beurkundete Werk dieſes Meiſters iſt,
welches ſo weit meine Kunde reicht, in Toscana ſich erhalten
hat. Der Gegenſtand ſcheint mir aus dem Leben des Taͤufers
entnommen zu ſeyn; das mittlere Bild enthaͤlt eine Wochen-
ſtube, in welcher eine Menge naiver, aus dem Familienleben
jener Zeit aufgegriffener Zuͤge verſtreut ſind. Die Weiber, der
Schnitt ihrer Koͤpfe, ſelbſt die Bekleidung und der Kopfputz
[107] erinnert durchhin an jene Malerey des Ambroſius im oͤffentli-
chen Palaſte; auch unter den beiden zuletzt angefuͤhrten Tafeln
beſtehet die groͤßte Aehnlichkeit der Auffaſſung und der Manier.
Bey ſo viel aͤußerer Aehnlichkeit wage ich nicht, mich zu
beſtimmen, ob der eine, oder der andere, oder vielleicht beide
gemeinſchaftlich im campo santo zu Piſa jenes große Feld
voll Einſiedler gemalt haben, welches Vaſari dem Pietro bey-
mißt. Ohnehin gehoͤrt die Erfindung, weder dem einen, noch
dem anderen, da Alles auf das genaueſte der neugriechiſchen
Darſtellung dieſer Aufgabe nachgebildet iſt.
Vaſari ruͤhmt bey Erwaͤhnung eines, wahrſcheinlich ver-
ſchollenen Bildes des Pietro, vielleicht deſſelben, an welchem
er ſelbſt, oder einer ſeiner Berichtgeber faͤlſchlich, Petrus Lau-
rati de Senis, geleſen *), im Voruͤbergehen die kleinen Fi-
guren auf deſſen Staffel, was in neueren Zeiten veranlaßt
hat, dem wackeren, naiven, anmuthigen, lieblich beendigenden
Kuͤnſtler eine Menge haͤßlicher kleiner Tafeln anderer Sieneſer,
[108] des Lorenzo di Pietro und Giovanni di Paolo beyzulegen;
zweyer Maler, welche um die Mitte des funfzehnten Jahrhun-
dertes gearbeitet haben. Ich warne daher reiſende Kunſt-
freunde, die Manier und Eigenthuͤmlichkeit des Pietro di Lo-
renzetto nicht etwa nach ſolchen untergeſchobenen Probeſtuͤcken zu
beurtheilen, welche zu Siena ſogar in die oͤffentliche Gallerie
ſich eingeſchlichen haben, wo eine Altarſtaffel mit dem Welt-
gerichte faͤlſchlich dem Ambruogio beygemeſſen wird, und rathe,
vielmehr zu jenem Gemaͤlde des Domes ſich zu wenden, wel-
ches ſie bald uͤberzeugen wird, daß jene geiſtloſen, duͤrren und
grauenhaften Erzeugniſſe, welche zudem den Stempel ſpaͤterer
Zeit tragen, des Pietro voͤllig unwuͤrdig ſind.
In den noch vorhandenen Buͤchern des Archives der Bic-
cherna erſcheint der Name des Pietro eben ſo ſelten, als jener
ſeines Bruders haͤufig darin wiederholt wird. Ich fand ihn
nur in den Einnahmen, wo er ein Geringes fuͤr die Erlaub-
niß bezahlt, Waffen zu tragen, oder ein Wappen zu fuͤhren.
B. To. 116. anno. 1337. fo. 67. a tergo.
Lunedi tre di novenbre.
Anco dal maestro petro Lorenzetti per licenza d’arme
senza Tavolaccio.
I. lib. XI. soldi. IX. den.
Hingegen begegnete ich einem Beſchluſſe der Regierung,
den ich auffuͤhren will, weil er das Anſehn unſeres Meiſters
und den Geldwerth ſeiner Arbeiten in ein ſehr guͤnſtiges Licht
ſtellt *).
[109]
Barna.
Vaſari nennt unſeren Kuͤnſtler Berna, und Lanzi (ſiene-
ſiſche Schule I.) erklaͤrt dieſen Namen fuͤr eine Abkuͤrzung aus
Bernardo. Indeß halte ich mich, da der ſieneſiſche Dialect
geneigt iſt, das E in das lautere A umzuwandeln, da jener
Name wahrſcheinlicher aus einem anderen Taufnamen, z. B.
aus dem ebenfalls gewoͤhnlichen Barnaba verſtuͤmmelt iſt, an
die Schreibart des Ghiberti*). Dieſer ſagt im Verlauf ſei-
ner Nachrichten von ſieneſiſchen Kuͤnſtlern: „Es malte zu Flo-
renz ein Meiſter, Namens Barna, welcher vor vielen anderen
den Vorzug verdient, zwey Kappellen in ſ. Agoſtino, worin viele
Geſchichten, unter anderen, wie ein junger Mann in Begleitung
eines Moͤnches, der ihm zuſpricht, zur Richtſtaͤtte gefuͤhrt wird;
in dieſer Figur iſt die Todesfurcht vortrefflich ausgedruͤckt. In
ſan Gimignano (einem Staͤdtchen zur Rechten der Straße von
Florenz nach Siena) malte er viele Geſchichten aus dem alten
Teſtament; auch zu Cortona giebt es viele Arbeiten von ſei-
ner Hand.“ — Die Malerey an den Waͤnden der Hauptkirche
zu ſan Gimignano iſt noch vorhanden.
In dieſer Kirche ſind, zur Rechten, Begebenheiten aus dem
Leben Chriſti, zur Linken, jene Geſchichten des alten Bundes
gemalt, welche Ghiberti dem Barna beylegt. Vaſari hingegen
[110] las *), unter den Geſchichten des alten Teſtamentes die Auf-
ſchrift:
A. D. 1356. Bartolus magistri Fredi de Senis me
pinxit.
welche verwiſcht ſeyn muß, da ich ſie nirgend habe entdecken
koͤnnen. In dem Archive der Kirche welches ich nicht einzu-
ſehen Gelegenheit gefunden, duͤrften leicht einige dieſe Gemaͤlde
angehende Vereinigungen und Zahlungen vorhanden ſeyn, aus
welchen die Richtigkeit der einen oder der anderen Angabe zu
erweiſen waͤre. Indeß ſpricht die Wahrſcheinlichkeit und das
aͤußere Anſehn dieſes Mal fuͤr den Vaſari.
Die Malereyen zur Linken ſind naͤmlich in der Ausfuͤh-
rung ungleich unvollkommener, als die gegenuͤberſtehenden, und,
ohne verwerflich zu ſeyn, doch ſo ſchwach, daß ſie nicht wohl
einem Meiſter beyzumeſſen ſind, den Ghiberti hervorhebt. Auch
glaubt man in ihrer lobenswerthen Simplicitaͤt, in ihren zum
Schoͤnen ſich hinneigenden Geſichtsbildungen die Grundzuͤge der
Manier und Richtung des Taddeo di Bartolo zu erkennen,
welcher doch wohl aus der Schule ſeines Vaters hervorgegan-
gen iſt. Hingegen macht ſich die Malerey zur Rechten ſehr
ſtattlich; die Phariſaͤer, die Handlanger in der Gefangenneh-
mung, und andere Nebenfiguren ſind lebendig, und beſonders
in der Beſtechung des Judas aͤußerſt ſcharf bezeichnet, was
mit dem Beyſpiele uͤbereintrifft, durch welches Ghiberti in der
angezogenen Stelle unſeren Kuͤnſtler hat charakteriſiren wollen.
Es iſt daher anzunehmen, daß Ghiberti ſich zufaͤllig in der
Angabe des Gegenſtandes verſehen, und eigentlich die Wand
zur Rechten habe bezeichnen wollen.
[111]
Es iſt nicht ſo unwichtig zu wiſſen, ob Barna die eine,
oder die andere Seite dieſer Kirche bemalt habe, denn wir
ſollen ſeine Eigenthuͤmlichkeit aus dieſer Probe kennen lernen,
da ſeine uͤbrigen Werke theils untergegangen, theils verſchol-
len ſind. Moͤgen wir nun das Wahrſcheinlichere annehmen
und, nach dem Vorgange des Vaſari, die Leidensgeſchichte,
oder die Wand zur Rechten, fuͤr ſeine Arbeit erklaͤren; oder
auch unſer Urtheil noch zuruͤckhalten: ſo ergiebt ſich doch unter
allen Umſtaͤnden aus dieſen ſicher ſieneſiſchen Malereyen, daß
die Schule von Siena waͤhrend des ganzen vierzehnten Jahr-
hundertes, wie ſie immer gleichzeitig der Beobachtung des Le-
bens und der Auffaſſung des Mannichfaltigen ſich hingegeben,
doch immer noch viele, durch die neueren Griechen uͤberlieferte,
typiſche Charaktere und Zuſammenſtellungen beybehalten, deren
Erfindung und Geſtaltung urſpruͤnglich den aͤlteſten chriſtlichen
Kuͤnſtlern angehoͤrt. Gewiß zeigte der Kuͤnſtler, welcher dieſe
Gemaͤlde beendigte, daß er gleich ſehr mit den Verhaͤltniſſen
und Erſcheinungen des Lebens und mit den Typen bekannt
war, welche aus der griechiſchen Malerey in beſonderer Fuͤlle
in die ſieneſiſche Schule uͤbergegangen ſind. In dem Abend-
mahl, um ein Beyſpiel anzufuͤhren, folgte er nicht jener Auf-
reihung der Apoſtel laͤngs eines langen Tiſches, welche die
florentiniſche Schule aus alten barbariſch-italieniſchen Bild-
werken entlehnt hat; vielmehr verſammelte er, nach ungleich
aͤlteren Vorbildern, die Apoſtel rings um einen Tiſch. Aber
auch die Maͤngel der neugriechiſchen Manier, jene uͤbergroße
Laͤnge und Gracilitaͤt der Figuren, jene faſt geſpenſtiſche Fein-
heit der Geſichtszuͤge, finden ſich hier wieder, obwohl, wie
vorauszuſetzen, uͤberall mit Solchem vermiſcht und durchwirkt,
was die Zeit hinzugebracht hatte.
[112]
Mit beſonderem Gefuͤhl ergriff der aͤltere Sohn des eben
erwaͤhnten Bartolo di Fredo eben nur den Geiſt und Sinn
der uͤberlieferten Kunſtgebilde des hoͤchſten chriſtlichen Alter-
thumes, ohne ſich an das Zufaͤllige der Manier und anderer
Aeußerlichkeiten zu binden, welche er auf die hoͤhere Kunſt-
ſtufe ſeiner Zeit zu erheben trachtete. Das Geſtirn der neue-
ren Malerey leitete ihn, als er die Hoͤhe ſeines Beſtrebens
erreicht hatte, nach Perugia, wo er Eindruͤcke bewirkt und
zuruͤckgelaſſen, welche in der umbriſchen Schule waͤhrend des
funfzehnten Jahrhundertes nachgewirkt und durch das Mittel-
glied des Peter von Perugia die Seele Raphaels erreicht und
befruchtet haben. Doch werde ich, um die Zeitfolge nicht
ganz abzureißen, die beſtimmtere Entwickelung dieſer Andeu-
tung noch ausſetzen muͤſſen, da ich vor der Hand verſchiede-
nes, die Geſchichte der Baukunſt und Bildnerey Betreffende
nachzuholen habe, welches, ſeiner Duͤrre ungeachtet, denen
willkommen ſeyn duͤrfte, welche in dieſer Gegend der Kunſt-
geſchichte auf umſtaͤndliche und ſichere Kunde ausgehn; waͤh-
rend andere, die aͤußere Abtheilung dieſer Schrift benutzend,
ohne Aufenthalt zur dreyzehnten Abhandlung uͤbergehn wollen.
Urkund-
[113]
Urkundliche Belege.
I.Archagnuolo.
1. Archiv. dell’ opera del Duomo di Firenze; aus
einem gebundenen Buche, in ſchmalem Folio; es iſt nicht
numerirt, doch ſtehet auf der Vorſeite des Pergamentbandes
die Bezeichnung: Prestanze. 1355 — 1357.
Perche Benci Cioni maestro appone al fondamento
ed al partito preso delle colonne della chiesa, ebero
preso di:
Pregharono il detto Benci Cioni maestro, che per
tutto di domani avesse dare loro per iscritto quello
che appone all’ impresa fatta della chiesa et per diseg-
namento come vuole rimanere.
2. Di V. di Luglio 1357.
— Messer frate aghostino Tinacci de’ romitani
veschovo di Narni et benedisse e sagrò una pietra
II. 8
[114]di marmo scholpitovi su una + et gli anni dn̅i
MCCCLVII. di V. di Luglio. Furonci colui suoi frati
et chapellani et la sua famiglia et chominciossi nel
nome di Dio etc. a fondare la prima cholonna del corpo
della chiesa verso il campanile presente:
Giovanni di Lapo Ghini maestro
Richardo di Franceschino degli Albizi
Andrea di Cione archagniolo dipintore. etc.
3. A nome di Dio di XVII. di Luglio Lunedi.
Furono gli infrascripti maestri apetiti de’ detti ope-
rai per vedere, che lavorio fosse da prendere in fare
il concio delle colonne, che far si deono nel corpo
della chiessa avendone facto un asempro a gesso An-
drea Archagn̅i̅o̅ e Francescho capo maestro un altra.
et anche due disegnamenti l’uno nella chapella dove si
lavora e l’altro nella corte.
Fra Jacopo di san Marcho consigliò di quello ch’é
disegnato nella chappella nel frusto della Colonna, etc.
Fra Tommaso de ognessanti consigliò quanto al
frusto della colonna di quello disegnamento fatto per
Andrea Archagn̅o̅ perche gli pare abia più ragione
di maestero di colonna che nulla altra.
Neri di Fioravante consigliò di quello d’Andrea
per più bello e più ispacciativo lavoro sanza darvi al-
[115] chuna correctione o d’arrota (non?) sendo dove facesse
bisognio.
Giovanni di Lapo Ghini consigliò, che non gle
ne piaceva niuno de’ predicti disegnamenti e che pro-
fera di farne uno egli più bello facto lui.
Francescho del coro consigliò etc.
Benozzo di Niccholò consigliò di quello dell’ Ar-
chagn̅i̅o̅ per più bello e che occuperà meno l’occhio
che non farebe Illavorio quadro, e che nellavorio di
Francesco del gesso a troppi lavorii.
Giovanni Felto (oder Fetto) consigliò di quello
disegnamento del gesso ch’a fatto Andrea arcag̅n̅o
perche gli pare chessia di meno vilume et di meno
ingombrio della chiesa sanza darvi alchuna arrota o
corretione.
Ricchardo di Francescho deglalbizi cittadino chon-
sigliò di quello dello’rchagnio*)per più bello la-
vorio e per più presto et di meno costo et più legia-
dro etc. etc.
4. Di 19. di Luglio 1357.
I detti operai ebero i sopradetti frate e maestri et
i detti maestri e frati elessero per quinto Jacopo di
8 *
[116]migliore orafo e poi tutti insieme di concordia come
detto é questo di presente i detti operai … derono
per sentenza che la colonna dell’ archagnielo*)
sopradetta si pigliasse si veramente che e’ se ne doves-
sero levare i tabernacoli, che vi sono etc.
5. Detto di III. d’aghosto 1357.
I predetti operai ebono a deliberare qual fosse più
bella et più forte et più laudabile colonna, o una fatta
di nuovo di giesso per Francescho Talenti, o quella
che già innanzi si prese dell’ archagnio, o uno
modano in uno pezo di mattone dato per Jacopo di
Lapo chavacciani.
6. Archivio cit. Liber stanziamentorum mei Johannis
scriptoris:
de annis 1363 — 1369.
fo. 6. MCCCLXIII. Indict. tertia die XXVII.
mense Septembris.
Exceptis Jacobo Alamanni Vitorj et Gieorgio Chel-
[117]lini grandinis eorum sotiis absentibus congregaverunt
in domo dicte operis:
fratrem Jacobum sci marchi
fratrem Benedictum del pagivolo
fratrem Tomasum Tedaldi ordinis humiliatorum.
Sandrum Maccii magistrum
Taddeum Ghaddi pictorem
Franciscum sellarium magistrum
Benozzum Niccholai et magistrum
Johannem Belchari magistrum.
Et plures alios magistros de civitate citari fecerunt
et ab ipsis istis petierunt consilium de ponendis bec-
chatellos per anditum ecclesie quibus dictus anditus
debet circumdari etc. etc.
Die quarta mensis octobris 1364.*)
frater Benedictus delle campora
frater Jacobus ordinis sci Marci
frater Tomasus ord. humil.
Taddeus Ghaddi pictor etc.
dederunt consilium dictis operariis pro utilitate dicti
operis, quod peduccius volte magne ponatur bassus
quantum potest supra cornice, quae ponatur subtus
beccatellos quod dicti bechatelli ponantur bassi quan-
tum potest supra dicto muro et dicti bechatelli et an-
ditus dicte ecclesie cinghi circum circa dictam ecclesiam.
[118]
Et quod in parietibus murorum, qui present. mu-
randi sunt pro hedificando voltas mangnas fiant occhj
et non fenestre.
An dieſer Stelle befindet ſich eine Hinweiſung an den
Rand, wo eingetragen worden:
Et dictus Andreas vocatus Archangnolo
Perus miglioris
Franciscus Salvetti
et Johannes Gherardini dederunt consilium quod
in parietibus predictis fiant in qualibet facie unus ocu-
lus; dicebant tamen quod dicti peduccii ponantur sub-
tus anditum et subtus dictos bechatellos.
Et sic sequi debet prout supra conscribtum est*).
II. Simon Martini.
Archivio della generale Biccherna di Siena.
1. B. No. 126. anno 1321. Uscita, fo. 55.**)
XXX. Dicembre.
Anco al maestro Simone Martini dipentore e quali
doveva avere per se et per li suoi ....***)et per oro
[119] e colori per aconciatura la maestà la quale é dipenta
ne la sala del palazzo de’ nove. XXVIII. Lib.
Daſ. fo. 57. a tergo.
Anco a maestro Simone dipentore in vinti fiòrin
doro per suo salario del crucifisso cheffa a chapo all
altare de la capella de’ nove e per suoi lavoratori e
per più colori et straordenati et oro et altre necessarie
cose chessapartengono a quello lavorie et per la detta
dipintura. pulizia de nove. LXXVI. Lib.
2. B. No. 145. 1329. fo. XV. a tergo.
Anco a Maestro Simone Martini dipegnatore III.
lib. V. soldi. Le quali tre lib. e cinque soldi demo
per una figura che dipense nel concestoro de’ nove di
Marco Regoli et avemmone pulizia da Signiori nove.
3. B. No. 151. anno 1331. fo. 4.
Maestro Simone dipegnitore die dare a di XXI. di
dicienbre … II. fior. d’oro.
e quagli ebe chonti due fior. doro. etc.
Eine Erwaͤhnung ſeines Gehuͤlfen Lippo findet ſich da-
ſelbſt: B. 221. anno 1351. fo. 144.*)
XXX. Jun.
Item ma̅g̅r̅o Lippo pintori pro pintura quam fecit
in biccherna, videlicet coron̅a̅t. nostre domine. —
LXXXV. lib. XVI. solidos VIII. den.
[120]
III. Archivio della gen. Biccherna di Siena.
1. B. No. 170. fo. 29. a tergo.
XXIX. d’Aprile. (1337.)
— Anco a Maestro Ambruogio Lorenzetti dipegni-
tore per parte del prezo de la dipentura del palazo de
Singniori nove diecie fiorini d’oro. fecie a Benuccio
Salimbeni XXXI. lib. XVI. sol. VIII. d.
Eod. n. fo. 49.
Adi XXX di Giugno
— Anco a Maestro Ambruogio Lorenzi dipentore
per parte del prezo per la dipentura del palazzo diecie
ff. doro; de quali avemo pulicia de singniori nove.
*)XXXI. lib. VIII. sold. IIII. d.
2. B. No. 179. fo. 19.
XVIII. di Febraio (1338.)
Anco di Maestro Ambruogio Lorenzetti dipentore
per parte del suo salario delle dipenture, che fae nel
palazo di singniori nove di sei fiorini doro
XVIIII. lib. I. sold. VI. d.
3. B. No. 180. fo. 29.
a di XXIV. di Setenbre (1338.)
Ancho al Mastro Ambruogio Lorenzetti e quali
dicie fiorini doro gli demo per pulizia de nove
XXXI. lib. X. sold.
Eod. No. fo. 57.
di VIIII. di Dicenbre.
Ancho al Maestro Anbruogio Lorenzenti e quali
diecie fiorini doro furo per dipengitura che fecie nel
[121] palazo de nove chome apare per pulizia de nove va-
gliono XXX. lib. XV. soldi.
4. B. No. 188. fo. 59.
di XX. di Giugio (1339.)
Ancho al Mastro Ambruogio Lorenzetti dipentore
e quali diecie fiorini furo per suo salario di piue dipi-
giture fatte nel palazo del comune chome apare per
pulizia de nove XXXI. lib. XVI. sold. VIII. d.
5. B. No. 210. fo. 40.
XXII. Novenbre.
Item magistro Ambrosio Lorenzi pictori pro qui-
busdam figuris pictis et positis in cameris dominorum
novem III. lib. apodixa a dominis novem III. lib.
IV. Archivio delle Riformagioni di Siena.
Consilia Campanae. To. CVIII. fo. 59. a tergo. s.
Das Datum, welches fo. 57. zu ſuchen:
M. CCCXVIIII. Jndict. XIII.a die XXVI. mensis
Octubris.
— Item cum pro exauditione cujusdam petitionis
exibite offitio dominorum novem pro parte prioris et
totius conventus de Sen. fratrum ordinis s̅c̅e̅ marie
de monte Carmeli, lecte et vulgarizate per me nota-
rium in presenti consilio. Domini novem gubernatores
et defensores communis et populi Senensis. prima die,
quae fuit XXIIII. presentis mensis octubris. et postea
subsequenti die secunda, quae fuit heri. XXV. dicti
mensis. stanziaverunt dicti domini novem et alii ordi-
nes civitatis Sen. de pecunia dicti communis possint
teneantur et debeant dare et solvere dictis fratribus et
[122] conventui. Quinquaginta libras denariorum Senensium.
pro auxilio recolligendi quandam tabulam ho-
norabilem et valde pulcram, in qua de Beata
virgine Maria et beatissimo confessore Ni-
cholao, et apostolis et martiribus confesso-
ribus et virginibus multa feriosius sunt de-
picta per magistrum Petrum Lorenzetti de
Senis. quae tabula dicitur esse costi. CL. flo-
renorum auri etc. etc.
[123]
XI.
Urkundliche Eroͤrterung: Weßhalb man den
neuen Dom zu Siena unvollendet gelaſſen
und ſich begnuͤgt hat, den alten ſchoͤner zu
ſchmuͤcken und zu erweitern. Nebſt ande-
ren Beytraͤgen zur Geſchichte der italieni-
ſchen Bauhuͤtten. Dreyzehntes und vier-
zehntes Jahrhundert.
Obwohl der ſieneſiſche Staat waͤhrend des dreyzehnten
Jahrhundertes fuͤr die Befeſtigung des neuen Umkreiſes der
Stadt und wichtiger Puncte des Gebietes, fuͤr die Gruͤndung
neuer Ciſternen und Waſſerleitungen *), wie fuͤr ſo viel an-
[124] dere oͤffentliche Bauwerke *), große Summen verwendete, ſo
finden ſich doch ſchon in dem aͤlteſten der noch uͤbrigen Buͤ-
cher der Verwaltung des oͤffentlichen Schatzes auch einige Bey-
traͤge fuͤr den Dombau in Ausgabe gebracht **). Dieſe wie
*)
[125] andere kirchliche, ſeiner Verwaltung damals nicht unmittelbar
unterworfene Stiftungen pflegte der Staat von Zeit zu Zeit
durch Beytraͤge zu unterſtuͤtzen, welche, obwohl ſie nirgend den
ganzen Belauf des jedesmaligen Aufwandes erreichten, doch
immer durch außerordentliche Ausgaben der Domverwaltung
veranlaßt wurden.
Der neue Dombau war im Jahre 1259. ſchon bis zum
Schluſſe einiger Gewoͤlbe des noͤrdlichen Seitenſchiffes vorge-
ruͤckt, mithin ſchon ſeit einigen Decennien im Werke, da ſolche
Unternehmungen eben zu jener Zeit durch die Betriebſamkeit
der kloͤſterlichen Gemeinden gehemmt und aufgehalten wurden,
und uͤberall nur langſam vorſchritten. Nehmen wir hinzu,
daß der alte Dom ſchon ſeit dem zwoͤlften Jahrhunderte be-
endigt war, ſo ſcheint es unumgaͤnglich, alle jene Unterſtuͤtzun-
gen, welche man ſchon ſeit dem Jahre 1229. der Domver-
waltung von Zeit zu Zeit zu bewilligen pflegte *), durchhin
**)
[126] auf den neuen Bau zu beziehen, welcher demnach, ungefaͤhr
um 1225. duͤrfte entworfen und auszufuͤhren begonnen ſeyn.
Der ungleiche, durch viele Thalgruͤnde zerriſſene Boden,
auf welchem Siena gelegen iſt, ſtellte den groͤßeren Bauunter-
nehmungen uͤberall ſchwere Hinderniſſe entgegen; dieſe ſteiger-
ten indeß die Kuͤhnheit der Baumeiſter und den Unterneh-
mungsgeiſt der Bauherrn, welche durch maͤchtige Untermaue-
rungen der Ungleichheit des Bodens abhalfen, deren Groͤße
und Gediegenheit den Fremden in Erſtaunen ſetzt und den
Eingeborenen ſo ſehr zu verwoͤhnen pflegt, daß er den plane-
ren Schoͤnheiten gewoͤhnlicher Staͤdte ſelten Geſchmack abge-
winnt. Doch ſetzte die Natur an einigen Stellen dem Geiſte
der Unternehmung ſeine Grenzen; namentlich war die alte
Domkirche von zween Seiten durch Abgruͤnde umgeben, deren
Ausfuͤllung vielleicht unmoͤglich iſt, gewiß die Kraͤfte der Sie-
neſer weit uͤberſtieg.
Als nun, denke ich, das alte, wohl angelegte, doch be-
ſchraͤnkte Domgebaͤude der Bevoͤlkerung und Groͤße der Stadt
nicht mehr zu entſprechen ſchien, ſo entſchloß man ſich, da
*)
[127] ſeine Lage verhinderte, daſſelbe betraͤchtlich zu erweitern, einen
ganz neuen Bau zu unternehmen. Um auf der anderen Seite
ſoviel, als moͤglich, das Vorhandene zu benutzen, und einen
Theil des alten Gebaͤudes der neuen Kirche anzuſchließen,
ward dieſe laͤngs des nordweſtlichen Abhanges hin in einer
ſolchen Richtung angelegt, daß ſie das aͤltere Gebaͤude in rech-
tem Winkel beruͤhrte und bey gaͤnzlicher Beendigung wuͤrde
geſtattet haben, deſſen rund uͤberwoͤlbtes Chor mit der neuen
Kirche zu verbinden. Die Schwierigkeiten, denen eine ſolche
Vereinigung des alten mit dem neuen Dome unterlag, waren
dem Anſehn nach anfaͤnglich nicht hinreichend erwogen worden;
vielleicht glaubte der Baumeiſter, man werde ſich in der Folge
ſchon entſchließen, den alten Bau ganz abzuraͤumen, und ent-
hielt ſich vor der Hand, die Bauherrn durch eine gaͤnzliche
Enthuͤllung ſeines Planes abzuſchrecken.
Dieſer Plan, deſſen Urheber wir leider nicht kennen, war
allerdings der Ausfuͤhrung werth; ſo weit man aus den Ueber-
reſten der vollendeteren Theile, mit Huͤlfe einiger alten im Ar-
chiv der ſieneſiſchen Bauhuͤtte bewahrten Grundriſſe auf das
Abſehn des Kuͤnſtlers ſchließen kann, wuͤrde der neue Dom zu
Siena alle gleichzeitige Gebaͤude ſeiner Art ſowohl an Um-
fang, als an Schoͤnheit der Anlage und Ausfuͤhrung weit
uͤbertroffen haben. Der gothiſche Baugeſchmack iſt darin gluͤck-
licher, als an anderen Stellen, mit antiken Reminiſcenzen und
italieniſchen Eigenthuͤmlichkeiten ausgeglichen, die Arbeit durch-
hin vortrefflich. Herrlich wuͤrde die Vorſeite des Gebaͤudes
uͤber die Hauptſtraße hervorgeragt haben, von welcher eine
breite Scalinata zur Schwelle der Haupt-Thore fuͤhren ſollte.
Von dieſer wuͤrde man einen Theil der tiefer liegenden Stadt
und der umliegenden Landſchaft uͤberſehen haben; den Eigen-
[128] thuͤmern aller die Ausſicht beſchraͤnkenden Haͤuſer jener Straße
liegt noch immer, obwohl ohne Gefahr der Vollziehung, die
Verbindlichkeit ob, ſie auf Verlangen der Domverwaltung ohne
Weigerung abzutragen.
Wer dieſes herrliche Gemaͤuer betrachtet, wird fragen muͤſ-
ſen, weßhalb man jemals einen ſo ſchoͤnen, und ſchon ſo weit
vorgeruͤckten Bau ganz aufgegeben und dem Verfalle uͤberlaſſen
habe. — Da die Fundamente der noͤrdlichen Seitenmauer knapp
am Abhange eines ſchraͤg geſchichteten Nagelfluhefelſens ange-
legt und in dieſem Theile des Gebaͤudes uͤberall, beſonders in
den Pfeilern bemerklich iſt, daß ſie nachgegeben und ſich ge-
ſenkt haben; ſo ſchloß ich auf den erſten Blick auf Fehler in
den Grundlagen. Hingegen verſichern die ſieneſiſchen Alter-
thumsforſcher, daß der Bau im Jahre 1338. aufgegeben
worden, weil die Stadt, durch die Peſt entvoͤlkert, nicht laͤnger
einer ſo großen Kathedrale zu beduͤrfen ſchien. Dieſe Angabe
iſt noch in der letzten Auflage der Beſchreibung des Domes
wiederholt worden, da es mir nicht gelungen, den Freund,
welcher ſie beſorgte, zeitig genug vom Gegentheil zu uͤber-
zeugen.
Indeß hatte ich nicht ſobald in dem Archive der ſieneſi-
ſchen Domverwaltung Fuß gefaßt, als mir bereits die nach-
ſtehenden Urkunden und Nachrichten in die Haͤnde fielen, welche
meine Hypotheſe beſtaͤtigen.
1) Archivio dell’ opera del Duomo di Siena.
Pergamene. No. 250.
In nomine Domini. Amen. Anno ejusdem Mil-
lesimo CC.LX°. Indictione IIIa die quinto Idus Junii.
Omnibus inspecturis appareat evidenter. quod magistri
qui laborant et sunt deputati in opera sive fabrica s̅c̅e̅
Ma-
[129]Marie de Senis. scilicet Magister Rubeus. magister
Lulglius. Ventura. Brunus. Gratia. Ristorus. Ven-
tura d̅c̅s̅ Trexsa. Buonasera. Gratia. Ventura de
Grocti. Stephanus et Jacobus. una cum magistro
Orlando Bonacti et magistro Bencivene Leucchi. qui
duo non sunt de numero dictorum magistrorum in dicta
opera s̅c̅e̅ Marie. simul convenerunt in ecclesia majori
Sen. et in presentia mei notarii et testium subscrip-
torum dicunt et consulunt fratri Melano operario dicte
opere s̅c̅e̅ Marie pro meliori ejusdem opere: quod ille
volte, que ex novo facte sunt, propter illas
scisuras que apparent in culmo dictarum vol-
tarum dicte volte non sunt dissipande vel
dejungende. Quia dicunt dicti magistri, quod
alie volte, que fieri debent juxta illas pos-
sunt ita bone conjunxi illis, quod de cepte̅to
(sic) non apperientur ultra. nec dicte volte in
quibus sunt ille scisure propter illas non de-
ficient ullo modo.
Actum Senis coram etc. etc.
Alſo zeigten ſich bereits im Jahre 1260. Riſſe in den
Gewoͤlben, welche Bedenklichkeiten erregten und Berathungen
veranlaßten. Wie ſehr indeß jene Meiſter ſich geirrt haben,
welche dieſe Riſſe fuͤr unerheblich gehalten, zeigt ſich in einer
ſpaͤteren und ernſtlicheren Berathung, welcher, wenn mein Ge-
daͤchtniß mich nicht taͤuſcht, eine andere vorangegangen, deren
Abſchrift ich verlegt habe.
2) Archiv. cit. Pergamene. No. 667.
In nomine Domini Amen. Nos Laurentius ma-
gistri Matani et Nicchola Nuti de Senis. Cinus Fran-
II. 9
[130]cisci. Tone Johannis et Vannes Cionis de Florentia
magistri provisores et consiliarii electi et adsumpti ab
hoperario operis s̅c̅e̅ Marie majoris Sen. Ecclesie et
consiliariis operis prelibati de conscientia et voluntate
dominorum novem Gubernatorum et defensorum comu-
nis et populi civitatis Senarum. Super factis et ne-
gotiis novi operis jam incepti ecclesie s̅c̅e̅ Ma-
rie prefate ex parte graduum*)ecclesie me-
morate. Visis equidem omnibus et hiis diligenter
inspectis, que in dicto novo opere continentur et
que nostro Judicio consequentur ex eo. Et habita
super hiis inter nos deliberatione solenpni. XPI. no-
mine invocato. de nostra comuni concordia nostroque
juramento prius prestito. In hiis scriptis consulimus
videlicet:
In primis consulendo dicimus, quod nobis videtur
et patet, quod fundamenta novi operis, que fiunt
ad presens, ad augmentum majoris ecclesie antedicte,
non sunt sufficientia, eo quod jam incipiunt
vallare in aliqua parte sui.
Item videtur nobis, quod more**)predicti novi
operis, sufficientes non sunt, quia non sunt tante gros-
situdinis, quod sufficientes sint ad substentandum pon-
dus et ire ad tantam altitudinem, quantum opus novum
predictum requirit et postulat, eo quod more fac-
ciate anterioris dicte ecclesie versus hospi-
[131] tale sce Marie de Senis sunt grossiores mo-
ris novi operis memorati.*)Et dictum novum
opus esse debet majoris altitudinis veteri, ydeo ejus
more novi operis predicti esse debent majoris grossitu-
dinis, majorisque roboris et laboris, quam more vete-
ris operis antedicti.
Item nobis videtur et patet, quod fundamenta nova
non conveniant cum veteribus, et adjungendo opus no-
vum cum veteri, in pilando**)obstendent aliquam no-
vitatem, cum fundamenta veteris operis jam sint ra-
sisa***), et novi operis fundamenta rasisa non erunt.
Item nobis videtur, quod super dicto opere non
procedatur, cum sit necesse dissipare de opere domus
veteris a medietate metis†)supra versus opus in-
ceptum jam novum.
Item nobis videtur et patet quod in dicto opere
non procedatur, quia volendo dissipare opus vetus causa
conjungendi cum dicto novo opere, fieri non posset
absque magno periculo voltarum veterum.
Item nobis videtur quod in dicto opere non pro-
cedatur, quia metis predicte Ecclesiae finito novo opere
9 *
[132]non remaneret in medio crucis ut rationabiliter rema-
nere deberet.
Item videtur nobis, quod in dicto opere non pro-
cedatur ulterius. Quia, postquam opus foret comple-
tum non haberet mensuram ecclesie, in longitudine,
amplitudine et in altitudine ut jura Ecclesie postulant.
Item nobis videtur, quod in opere non procedatur
de Jnceps, cum vetus ecclesia sit adeo bene propor-
tionata et ita bene simul conferant partes sue in am-
plitudine, longitudine et altitudine, quod si in aliqua
parte aliquid jungeretur, oporteret invite, ut dicta ec-
clesia destrueretur in totum. Volendo eam reducere
rationabiliter ad rectam mensuram ecclesie.
Latum datum et pronuptiatum fuit supradictum con-
silium per supradictos magistros in hiis scriptis. seden-
tes in palatio dicti comunis Sen. in sala ubi consilia
campane comunis Senensis fiunt. Cui palatio etc. etc.
Sub anno domini Millesimo Trecentesimo vigesimo
primo.*)Jndictione Quinta, die decimo septimo men-
sis februarii. coram etc. etc.
Ego Salvi filius olim Cennis notarius etc. etc.
3) Archiv. cit. Perg. No. 671.
In nomine domini amen. Nos Laurentius Magi-
stri Matani et Nichola Nuti de Senis. Cinus Francisci
Tone Johannis, et Vannes Cionis de Florentia ma-
gistri provisores et consiliarii electi et assunpti ab ope-
rario operis s̅c̅e̅ Marie majoris ecclesie et consiliariis,
[133] prelibati, de conscientia et volentate dominorum novem
gubernatorum et Defensorum comunis et populi civi-
tatis Senarum. super factis et negotiis novi ope-
ris jam incepti ecclesie memorate. Visis equi-
dem omnibus et hiis diligenter inspectis que in dicto
novo opere continentur et que nostro judicio con-
sequentur ex eo. Et habita super hiis inter nos deli-
beratione solenpni XP̅I nomine invocato de nostra
comuni concordia nostroque juramento prius prestito,
et dato super puntis defectionis dicti operis
consilio nostro. ut constat de dicto consilio manu
mei notarii infrascripti. Nunc vero super hedifi-
cando novam ecclesiam in hiis scriptis consilium
tale damus. videlicet. quod consulimus. ut ad honorem
dei et beate marie virginis matris sue sanctissime. que
semper fuit est eritque in futurum capud hujus civita-
tis Senarum. Incipiatur et fiat una ecclesia pul-
cra magnia et magnifica. que sitbene propor-
tionata in longitudine altitudine et amplitu-
dine et in omnibus mensuris que ad pulcram
ecclesiam pertinent etc. etc.
Latum datum et pronuptiatum fuit dictum consi-
lium per dictos magistros sedentes in palatio comunis
Senarum Ubi fiunt consilia campane dicti comunis. sub
anno Millesimo CCC.XXI. (1322.) Indictione V. die
XVII. Febr. coram etc.
Ego Salvi fil. olim Cennis etc. etc.
Aus dieſen bisher uͤberſehenen, oder doch mißdeuteten
Documenten erhellt, daß man lange vor den Verheerungen der
Peſt des Jahres 1338. auf Schwierigkeiten geſtoßen war, de-
[134] ren Beſeitigung außerhalb des Moͤglichen lag. Grundlagen,
welche gewichen waren; Pfeiler, welche ihrer Laſt nicht zu ge-
nuͤgen ſchienen; Unvereinbarkeit des neuen mit dem alten Ge-
baͤude, welches letzte zu ſchoͤn und wohlgeordnet war, als daß
man ſo leicht ſich entſchließen koͤnnen, daſſelbe dem neuen, be-
reits ſchadhaften aufzuopfern. Dieſe und andere Gruͤnde, de-
ren Wiederholung muͤſſig waͤre, fuͤhrten alſo den Entſchuß her-
bey, den neuen Bau ganz aufzugeben. Die Meiſter, welche
befragt worden, wuͤnſchten, wie es aus der zweiten Urkunde
hervorleuchtet, einen ganz neuen Bau; doch begnuͤgte man ſich
in der Folge, die alte Kirche zu erweitern. Der Entwurf zu
dieſer Erweiterung der alten Kirche, welche wirklich zu Stande
gekommen, ward im Jahre 1339. im großen Rathe zur Sprache
gebracht und, wie nachſtehender Auszug zeigt, deſſen Ausfuͤh-
rung durch Mehrheit der Stimmen beſchloſſen. Doch wird in
der Propoſition, welche dem Beſchluſſe vorangeht, zur Bedin-
gung gemacht, daß man das neue ſchon angefangene
Werk demungeachtet fortſetzen ſolle, ein Ausdruck, welcher
nach der Verbindung und nach dem Vorgang der fruͤher an-
gezogenen Urkunden nur auf jenen Bau zu beziehen iſt, der
uns bisher beſchaͤftigt hat. Dieſen ganz aufzugeben veran-
laßte vermuthlich der Einſturz einiger ſchon aufgerichteten Theile,
welcher ſpaͤter erfolgt ſeyn mag. Wiewohl ich nicht aufgefun-
den, wann dieſes Ungluͤck eingetreten ſey, ſo entdeckte ich doch
eine ſpaͤtere Erwaͤhnung deſſelben: Archiv. dell’ opera del
Duomo di Siena. Libro. E. No. 5. Delib. fo. 119.
(durch Verſehen des Schreibers 179.) — Die XXVI. Junii
1452. Per simil modo deliberaro che l’operaio predetto
faccia passata la festa di s̅c̅a̅ Maria d’agosto sgombrare
il Duomo vecchio overo il Duomo caduto
[135] d’ogni disutile ingombrime, sichè volendo adoperare
quello luogo per predicare si possa.
4) Genehmigung eines Planes, die alte Domkirche zu
erweitern. Archivio delle Riformagioni di Siena. Con-
silia campanae. To. CXXV. anno. 1339. fo. 18. —
XXIIIo. mensis Augusti.
— Convocato et congregato generali consilio cam-
pane communis et populi et quinquaginta per terze-
rium etc. etc. Idem dominus potestas etc. — propo-
suit in dicto consilio et a consiliariis dicti consilii utile
predicto communi consilium sibi petiit exhiberi.
Quod cum per operarium et consiliarios operis s̅c̅e̅
Marie, quod fit et fieri intenditur in majori Sen. ec-
clesia que de novo*)augeri et magnificari intendi-
tur . et etiam per magistros dicti operis et alios etiam
magistros doctos et expertos in operibus muramentorum
ecclesiarum . volentes ad magnificationes pulcras utilem
et proportionalem (modum?) dicte majoris ecclesie sub-
tiliter et utiliter providere, adinvecti sint certi modi
et ordines magne pulcritudinis et utilitatis et commodi-
tatis pro dicto opere videlicet: quod navis dicte eccle-
sie de novo fiat, et extendatur longitudo dicte
navis per planum s̅c̅e̅ Marie versus plateam
Manettorum seu plateam que Manettorum dicitur
[136] sicut et quomodo designatum est per dictos magistros
et etiam scriptum apparet seu apparere debet per ma-
num scriptoris operis prenotati. Dummodo in opere
novo dicte ecclesie jam incepto nichilominus
sollicite et continue procedatur, tantum quan-
tum et prout requiritur ad proportionem operis dicte
navis . qui modi et ordines relati diligenter et fideliter
fuerunt per dictos operarium et consiliarios ejus coram
offitio dominorum novem. Et ipsi domiui novem vo-
lentes quod secundum beneplacitum bonorum et sapien-
tum civium Senensium examinarentur et exanimati fir-
marentur pro bonis et utilibus pro opere prelibato.
propterea multorum sapientum civium Senensium con-
silium semel et pluries tenuerant . in quorum quolibet
consiliorum per ipsos sapientes cives dicti modi et or-
dines commendati multum fuerint et subsequenter in
magna concordia firmati et approbati. Et firmatum et
stabilitum fuerit in ultimo consilio die heri habito et
detento per ipsos dominos novem. Quod predicti modi
et ordines adinvecti ad generale consilium campane
comunis et populi Sen. adducerentur et super ipsis
firmandis fieret solenpnis proposita. Si igitur dicto
presenti consilio videtur et placet omni auctoritate po-
testate et balia jure et modo quibus magis etc. etc.
providere ordinare etc. quod ad honorem et reveren-
tiam omnipotentis dei et beatissime Matris ejus Marie
semper virginis gloriose et ad honorem et augmentum
comunis et populi Senen. in opere dicte navis et pre-
dictis omnibus et singulis procedatur et ad perfectionem
deducatur per presentem operarium et etiam futuros
[137] operarios operis supradicti secundum quod superius est
narratum. In nomine Domini dicant et consulant.
Eod. To. fo. 19.
Summa et concordia dicti consilii super dictis con-
tentis in dicto primo articulo fuit voluit et firmavit se
cum dicto et consilio et secundum dictum et consilium
dicti consultoris*)hoc modo, videlicet quod facto su-
per eis inter consiliarios diligenti partito et scruptinio
ad bussolos et palloctas secundum formam statuti Sen.
per consiliarios in dicto consilio existentes et se cum
dicto et consilio dicti consultoris ad eadem se concor-
dantes, misse fuerunt in bussolum album del si et
eodem bussolo reperte CCXII. pallocte. Et per consi-
liarios se ab eisdem discordantes misse fuerunt in bus-
solum nigrum del non et in eodem reperte CXXXII.
pallocte in contrarium predictorum. Et sic fuit et est
super eis obtentum, firmatum et reformatum secundum
formam statuti Sen. ut supra plenius continetur et
patet.
Von dieſem Beſchluſſe beſaß Vaſari**) eine unbeſtimmte
Kunde, welche er wahrſcheinlich irgend einem ſieneſiſchen Alter-
thumsforſcher verdankte, der, wie es in den aͤlteren Zeiten
haͤufig geſchehen, einzelne Urkunden ausgezogen, ohne ihren
[138] Sinn zu ermitteln und nach anderen, ſie erlaͤuternden Nach-
richten ſich umzuſehn. Die bloße Verlaͤngerung des Schiffes
der alten Kirche geſtaltete ſich ihm zu einem ganz neuen Ge-
baͤude; was eine dritte Domkirche abgeben wuͤrde, da durch
eine ſeltene Zufaͤlligkeit bereits neben dem alten Dome ein
halbvollendeter neuer vorhanden war. Sein Berichtgeber ward
hoͤchſt wahrſcheinlich durch das zweyte Actenſtuͤck (No. 671.)
irre geleitet, wo der Rath ertheilt wird, eine ganz neue Kirche
zu erbauen, welcher nie in Ausfuͤhrung gekommen. Eben ſo
wenig hatte derſelbe ein anderes Document gehoͤrig ins Auge
gefaßt, die Beſtallung des Johannes, eines Sohnes des Au-
guſtinus von Siena, zum Werkmeiſter jener neuen Bauunter-
nehmung. Denn er verleitete den Vaſari, den Entwurf dieſes
neueſten Baues dem Agoſtino und Agnolo beyzulegen; indeß
war es Johannes, Sohn Auguſtins, welcher als Werkmeiſter
in den Dienſt der Domverwaltung eintrat, nachdem es nicht
gelungen war, den Meiſter Lando durch eine Beſoldung von
zweyhundert Pfund Pfennigen fuͤr dieſe Stelle zu gewinnen,
und uͤberhaupt in Siena zu feſſeln. *) Uebrigens iſt nicht
wohl auszumachen, wie viel oder wenig in dieſer letzten An-
lage der Erfindung des Meiſters Johannes Auguſtini gehoͤre.
[139] Denn es erhellt aus den bereits angefuͤhrten, und anderen
noch mitzutheilenden Acten und Urkunden, daß die Verwaltun-
gen der italieniſchen Domgebaͤude ſelten einem einzelnen Mei-
ſter ſich unbedingt hingegeben und im Fortgang des Baues
jeden Theil von neuem der Berathung und Abaͤnderung unter-
worfen haben. — Hier iſt das Weſentliche aus ſeiner Be-
ſtallung.
Archiv. dell’ op. del Duomo di Siena, Pergamene.
No. 757.
Anno domini Millesimo Trecentesimo trigesimo
nono (1340.) Indictione octava. die vigesimo tertio men-
sis Martii. Ego magister Johannes filius ma-
gistri Augustini civis Senensis faciens hec om-
nia in presentia et de voluntate et cum consilio con-
sensu et ex autoritate predicti mei patris presentis et
consentientis. Loco et concedo tibiBindoccio
quondam Latini de Russis de Senis operario operis
majoris ecclesie sancte Marie de Senis conducenti et
recipienti vice et nomine dicti operis et per te et tuos
in predicto offitio et opere sucessores et in presentia
de voluntate deliberatione consilio et consensu tuorum
et dicti operis consilii et consiliariorum videlicet Naddi
domini Stricche etc. etc. me et personam meam et
opera mea in capud magistrum et pro capite
magistro omnium magistrorum et totius predicti
operis sancte Marie de Sen. a kalendis Aprelis pro-
xime venturis ad quinque annos proxime comprehendos
pro salario et feudo et mercede cujuslibet annorum
predictorum Centum quinquaginta Librarum de-
nariorum Senensium. michi solvendo per te et tuos
[140] in predicto offitio successores et de pecunia dicti ope-
ris quolibet mense predicti temporis et in fine cujusque
mensis dicti temporis etc. etc. etc. — Item si quo casu
eveniret infra predictum tempus me absentare ab opere
et laborerio supradicto seu obmittere et praeterire per
aliquid tempus infra quinquennium supradictum non
adesse seu non superesse dicto operi et laborerio ope-
ris supradicti et perdere mei defectu vel causa aliquod
tempus seu spatium temporis. Quod de tali et pro
tali tempore et spatio sic obmisso preterito vel perdito
per te et successores tuos in dicto offitio dematur et
excomputetur de meo salario et feudo supradicto tan-
tum quantum pro rata et secundum ratam tetigerit tem-
poris et spatii supradicti obmissi etc. — Actum Senis
in domo operis s̅c̅e̅ Marie etc. etc. Ego Franciscus
notarius vocatus Cecchus fil. olim Ture de Senis etc.
Viele Kuͤnſtler hatten bis dahin an den Arbeiten Theil
genommen, welche der nunmehr aufgegebene Bau des neuen
Domes ſeinerzeit herbeyfuͤhrte. Vaſari*) laͤßt den Nicolas
von Piſa ſeiner Gruͤndung beywohnen; es fehlt gegenwaͤrtig
an Beweiſen fuͤr oder wider dieſe ganz unerhebliche Thatſache.
Ferner meldet er, daß Johannes von Piſa, der Sohn des er-
[141] ſten, die Vorſeite des Domes gezeichnet habe *). Vaſari
hatte hier die neue Façade des alten Domes im Sinne, welche,
wie wir aus obigen Urkunden wiſſen, erſt in dem Jahre 1340.
unternommen worden. An dieſer neueſten Verſchoͤnerung hatte
Johannes von Piſa, der damals laͤngſt geſtorben war, gewiß
nicht den geringſten Antheil. Hingegen moͤchte er in dem vor-
angegangenen neuen Bau einige der ſchoͤnen Verzierungen an
der Einfaſſung des großen Fenſters gezeichnet, andere vielleicht
ſelbſt gemeißelt haben. Denn gewiß erwarb er ſich auf irgend
eine Weiſe bey den Sieneſern Verdienſt und Achtung, wie fol-
gendes Ehrendecret bezeugt.
Archiv. delle riform. di Siena.
Statuta Sen. To. III. de anno 1284. Distributio
IV. fo. 183.
De immunitate Magistri Johannis quondam ma-
gistri Nichole.
Item statuerunt et ordinaverunt, quod magister Jo-
hannes filius quondam magistri Nicchole, qui fuit de
civitate Pisana, pro cive et tanquam civisSenen-
sis habeatur et defendatur. Et toto tempore vite sue
sit immunis ab omnibus et singulis honeribus comunis
Senensis seu Datiis et collectis et exactionibus et fa-
ctionibus et exercitibus faciendis et aliis quibuscunque.
Dieſes Decret findet ſich auch To. VII. (1299.) und in
anderen Theilen, oder Redactionen der ſieneſiſchen Geſetze und
Verordnungen.
[142]
Zu Gunſten eines Anderen, ſonſt unbekannten Bildners,
des Meiſter Ramus, ward die Verbannung, welche ihn fruͤher
betroffen, zuruͤckgenommen, damit er ungehindert fuͤr die Dom-
verwaltung arbeiten koͤnne. Die Propoſition dieſes Decretes
war bisher nur durch fehlerhafte Auszuͤge bekannt, weßhalb ich
dieſelbe, da ſie zudem als ein Beweis der Ruͤckſicht, welche
man damals dem Talent gewaͤhrte, nicht ſo ganz unwichtig
iſt, an dieſer Stelle in ihrer ganzen Ausdehnung einruͤcken will.
Archiv. delle Rif. di Siena. To. XXV. T. fo. 30. a. t.
1281. die XXa. Novembris.
*)Item cum magister Ramus filius paga-
nelli de partibus ultramontanis qui olim fuit
civis Senensis. venerit nunc ad civitatem Sen. pro ser-
viendo operi beate Marie de Senis ex eo quod est de
bonis Intalliatoribus et sculptoribus subtilioribus de
mundo qui inveniri possit. et ad dictum servitium mo-
rari non potest. eo quod invenitur exbannitus et con-
denpnatus per contumaciam occasione quod debuit ja-
cere cum quadam muliere eo existente extra civitatem
Senarum. si videtur vobis conveniens quod debeat re-
banniri et absolvi de banno et condenpnatione suis ad
hoc ut possit libere et secure servire dicto operi ad
laudem et honorem Dei et b. Marie V. In Dei no-
mine consulate.
[143]
fo. 31. a tergo — Consilium est in concordia —
scil. quod dictus Magister Ramus rebanniatur et ab-
solvatur etc. etc.
Dieſe Urkunden rufen mir die italieniſchen Bildner jener
Zeit ins Gedaͤchtniß, deren Geſchichte, ungeachtet ſo viel aͤlte-
rer und eines neueren ſehr anſpruchvollen Werkes, noch immer
im Einzelnen, wie im Allgemeinen viele Irrthuͤmer und Dun-
kelheiten enthaͤlt, denen, bey einem fortgeſetzten und verbreite-
ten Quellenſtudio doch endlich muͤßte beyzukommen ſeyn.
Der Vater jenes ausgezeichneten, ſonſt unbekannten Bild-
ners Ramo war, wie obiger Auszug meldet, von jenſeits der
Berge *) gekommen und wahrſcheinlich ebenfalls ein Bildner
und Baumeiſter geweſen. Auch an anderen Stellen ſtieß ich,
ohne zu ſuchen, auf die Spur deutſcher Bildner, welche im
dreyzehnten und vierzehnten Jahrhunderte, eben als man uͤber-
all in Italien in der Baukunſt und Bildnerey dem deutſchen
Geſchmacke nachahmte, in Italien Anſtellung und Beſchaͤfti-
gung gefunden **). Dieſer deutſche Geſchmack war ſogar in
[144] die Schule des Nicolas von Piſa eingedrungen, welcher in ſei-
nen fruͤheren Werken, beſonders in der Kanzel der Taufkirche
zu Piſa, von ſpaͤt roͤmiſchen Vorbildern ausgegangen war, und
das Starre der Geſichtsbildungen, das Ausgeladene und Ueber-
ladene in der Anordnung halberhobener Arbeiten aus jenen
mit bekanntem Erfolge nachgeahmt hatte. Gewiß zeigt ſich in
ſeiner anderen, ſpaͤter begonnenen Kanzel im Dome zu Siena,
neben ſparſam eingeſtreuten deutſchen, oder, wie man ſagt,
gothiſchen Verzierungen, manche, obwohl gemilderte Eigen-
thuͤmlichkeit des deutſchen Relief und Gewandſtyles, aber auch
un-
**)
[145] ungleich mehr Leben und Charakter in den Koͤpfen und in der
Bewegung und Haltung der Geſtalten. Dieſe Abweichungen
ſind vielleicht, weniger dem Meiſter ſelbſt, als deſſen beruͤhm-
teſtem und geſuchteſtem Geſellen, dem Arnolfo di Cambio bey-
zumeſſen. Wie nachſtehende Urkunden zeigen, legte die ſieneſi-
ſche Domverwaltung ein großes Gewicht auf ſeine perſoͤnliche
Anweſenheit und Theilnahme an der Arbeit.
1. Archivio dell’ opera del Duomo di Siena. Per-
gamene, No. 287*).
In nomine domini nostri Jesu Christi, dei eterni,
amen. Anno ab incarnatione ejus Millesimo ducente-
simo sexagesimo sexto. Indictione non a. tertio Kalendas
Octubris secundum cursum Pisanorum. Ex hujus pu-
blici instrumenti clareat lectione, quod Nicholus**),
magister lapidum, de parochia ecclesie sci Blasii de
ponte, olim Petri, convenit et promisit fratri Melano de
ordine Cisterciensi, operario opere s̅c̅e̅ Marie, majoris
ecclesie Senensis, agenti et stipulanti et recipienti opera-
riatus nomine pro ipsa opera predicte ecclesie p. stip̅.***),
quod hinc ad kalendas novembris proximi venturi dabit
ipsi fratri Melano pro scripta opera scripte ecclesie s̅c̅e̅
Marie majoris de Senis, vel ejus certo misso pro ipsa
II. 10
[146]opera, sive ejus successori, aut cui ipse praeceperit, Pi-
sis, suis ipsius Magistri Nicholi expensis, infrascriptos
Lapides de Marmore de Carrara. Videlicet: colun-
pnellos undecim, scilicet quinque ex eis longos palmis
septem et medio, et reliquos sex, palmis quinque et di-
gitis tribus, fornitos desuper de*)capitellis. Et pe-
tras septem ab archettis octo, cum aliis octo lapidibus
necessariis inter ipsos archettos. Et tabulas septem
lapidum. Et colunpnellos sedecim de marmo**). Et
alios lapides necessarios pro faciendo et forniendo
unum pergamum***)de marmo in scripta ecclesia s̅c̅e̅
Marie, exceptis fundo ipsius pergami faciendi
et leonibus et pedestallibus scriptorum pri-
morum undecim colunpnellorum. Et etiam ex-
ceptis lapidibus necessariis pro scala ipsi pergamo, quod
pergamum sit et esse debeat amplum de intus bra-
chiis quatuor ad brachium canne pisane, nisi juxto et
inevitabili dei et maris remanserit impedimento, quo
transacto, quam citius poterit, recuperabit, pro pretio
librarum sexaginta quinque denariorum Pisa-
[147] norum minoris monetae, de quibus predictus ma-
gister Nicholus habuit fidem ipsi fratri Melano pro
scripta opera ad infrascriptos terminos; videlicet de me-
dietate ex eis hinc ad pasca nativitatis Domini nostri
Jesu Christi proximum. Et de reliqua medietate hinc
ad kalendas martii proximi. Insuper predictus magi-
ster Nicholus convenit et providit scripto fratri Melano
agenti et stipulanti et recipienti pro scripta opera s̅c̅e̅
Marie p. sti̅p̅., quod in scriptis kalendis Martii proxime
venturi ibit Senas ad standum pro scriptis lapidibus
aptandis et ipso pergamo faciendo. Et quod ab ipsis
kalendis martii proxime venturi in antea annuatim sta-
bit et morabitur Senis pro predictis lapidibus aptandis
et pergamo faciendo donec fuerit conpletum. Et se ab
ipso opere faciendo de Senis non separabit donec ip-
sum opus fuerit expletum sine parabola et voluntate ip-
sius fratris Melani operarii. Salvo quod annuatim idem
Magister Nicholuspro factis opere ecclesie s̅c̅e̅
Marie majoris Pi̅s̅. et opere sc̅i̅ Johannis bap-
tiste de Pisis et etiam pro suis ipsius Magistri Ni-
choli factis propriis, non capiendo aliud opus ad fa-
ciendum, Pisis redire et venire possit usque in quatuor
vicibus, stando et morando diebus quindecim tantum
pro qualibet vice, qua de SenisPisis rediret, ut dictum
est, predictis de causis, ut dictum est. non computatis
diebus eundi et redeundi in ipsis quindecim diebus. Et
etiam, quod in predictis kalendis martii proxime ven-
turi pro suis discipulis*)secum ducet Senas
10 *
[148]Arnolfum et Lapum suos discipulos, quos se-
cum pro infrascriptis salariis, ut infrascribi-
tur, tenebit usque ad conplementum scripti
pergami. Si tantus fuerit terminus, quo cum eo mo-
rari et stare tenentur ipsi et quisque eorum. Et hec
omnia scripta et singula scriptorum, ut dicta sunt, fa-
ciet et observabit sine briga et molestia et reclamatione
curie. Si vero ut dictum est, non observaverit, aut si
contra predicta vel aliquod eorum fecerit, vel factum
fuerit, penam librarum Centum denariorum Pisan. mi-
noris monete, et omnes expensas curie et advocatorum
alias, quomodo fierent, ei pro stipulatione conponere et
et dare promisit. et, pena soluta, contentus in suo ro-
bore et vigore consistat. Obligando se suosque here-
des et bona sua ei pro scripta opera et ipsi opere
scripte ecclesie sce Marie majoris de Senis, suisque
successoribus. Et renuntiando omni juri et legibus et
constitutionibus et auxiliis et defensionibus, unde se a
scripta pena, vel ab aliquo scriptorum tueri vel juvare
aut liberare posset. Et quod possit ipsum pro predi-
ctis et singulis convenire ubique coram quocunque vel
quibuscunque Judice vel Judicibus, ecclesiasticis vel se-
cularibus voluerit. Quapropter predictus frater Mela-
nus operarius scripte opere scripte ecclesie s̅c̅e̅ Marie
majoris de Senis operariatus nomine pro scripta opera
scripte ecclesie, et etiam ex bailia et potestate, quam
dicit se habere a consilio et communi Senarum de hiis
omnibus et singulis promittendis et faciendis, convenit
et promisit scripto magistro Nicholo p. sti̅p̅., quod scri-
ptas libras sexaginta quinque denariorum Pisanorum pro
[149] pretio scriptorum colunpnellorum et tabularum et alia-
rum scriptarum petrarum dabit et solvet, vel dari
et solvi faciet ipsi magistro Nicholo, vel ejus he-
redi, aut suo certo misso pro eo, sive cui ipse
preceperit, hinc ad scriptos terminos, videlicet, me-
dietatem ex eis hinc ad scriptum pasca nativitatis
proximum. Et reliquam medietatem, hinc ad scri-
ptas Kalendas Martii proximi, Pisis, in denariis Pisanis.
Et convenit et promisit ei p. st̅i̅p̅., quod a scriptis ka-
lendis martii proxime venturi in antea ipsum Magi-
strum Nicholum cum scriptis duobus suis fa-
mulis et etiam uno altro famulo pro predictis
operibus faciendis tenebit et stare et morari
permictet in civitate senarum, quousque di-
ctum pergamum conpletum fuerit. Et quod da-
bit et solvet, vel dari et solvi faciet ipsi Nicholo ma-
gistro pro suo salario et mercede sui laboris pro sin-
gulo die, quo ibi in ipso opere laborabit et faciet la-
borari. solidos octo denariorum pisanorum*). Et pro
scriptis duobus suis discipulis pro eorum sa-
lario et mercede solidos sex denariorum pro
[150] singulo die, quo in ipso opere laborabunt, in
denariis Pisanis solvendos in fine cujusque mensis, si-
cut ceperit ad rationem predictam. Et etiam hos-
pitium et lectos pro se et scriptis discipulis
tribus. Et etiam pro scripto tertio discipulo salarium
sive pretium condecente*)pro singulo die, quo ibi
laborabit. Salvo et intellecto in scripto contractu ex
pacto modo inter ipsos contrahentes apposito, quod si
idem magister Nicholus aliqua vice seu aliquibus vici-
bus de voluntate scripti fratris Melani operarii ivit vel
stetit pro factis predicti operis, vel aliis factis ipsius
operis vel comunis Senarum. Idem operarius dabit,
vel dari faciet ipsi magistro Nicholo pro suo salario et
mercede solidos octo denariorum pisanorum et expen-
sas equorum et victum singulo die, quo sic iverit vel
steterit. Et salvo et intellecto si Johannes fi-
lius ipsius magistri Nicholi venerit et de vo-
luntate ipsius magistri Nicholi in predicto
opere laborare voluerit, quod ipsum ibi stare
et laborare permictet et patietur. Et pro
singulo die, quo in ipso opere laborabit, da-
bit et solvet, vel dari et solvi faciet ipsi ma-
gistro Nicholo pro salario et mercede scripti
laboris scripti sui filii solidos quatuor de-
nariorum pisanorum m̅i̅n̅. Et quod aliquos alios
magistros in dicto opere sine licentia et voluntate scripti
magistri Nicholi non mictet, nec faciet laborare. nec
aliquos magistros, qui in dicto opere laborabunt, sine
[151] licentia et voluntate ipsius magistri Nicholi non extra-
het, vel faciet extrahi. Et quod eundem magistrum
Nicholum et ejus discipulos liberabit et faciet liberari
a communi Senarum durante scripto opere ab omnibus
servitiis realibus et personalibus. Et hec omnia scripta
et singula scriptorum, qualiter dicta sunt, faciet et fieri
faciet sine briga et molestia et reclamatione curie. Si
vero, ut dictum, non observaverit, aut si contra pre-
dicta vel aliquod eorum fecerit vel factum fuerit, penam
scriptam librarum Centum denariorum et etiam penam
dupli totius scripti pretii et salarii et omnes expensas
curie et advocatorum et alias, quo modo fierent, ei pro
stipulatione componere et dare promisit. Et pena so-
luta contentus in suo robore et vigore consistat. obli-
gando se operariatus nomine pro scripta opera et ip-
sam operam et bona scripte opere s̅c̅e̅ Marie majoris
Senarum suosque successores ipsi magistro Nicholo et
ejus heredibus et renuntiando etc.
Et taliter me et Palmerium notarium de Senis
quondam Johannis, qui similem cartam rogavit, h. scri-
bere rogaverunt. Actum Pisis in ecclesia s̅c̅i̅ Johannis
baptiste. Presentibus Rainaldo S̅. paris operario opere
ecclesie sce marie majoris P̅i̅s̅. et Bonajuncta operario
scripte ecclesie s̅c̅i̅ Johannis. Et etiam presente scripto
Palmerio notario de Senis quondam Johannis, qui si-
milem cartam rogavit testibus ad hoc rogatis. etenim:
Ego Jacobus filius quondam Alberti de Gabbiano
Domini Frederici Dei gratia Romanorum Imperatoris
notarius predictis omnibus interfui et rogatus scripsi
et firmavi et complevi.
[152]
2. Daſelbſt. No. 293.
In nomine domini nri Jesu Christi anno ejusdem
domini Millesimo CC. LXVII. Indictione VIII. die V.
Idus Maji. Omnibus hanc publicam paginam inspectu-
ris pateat evidenter, quod in presentia mei hugonis no-
tarii et testium subcriptorum ad hec specialiter vocato-
rum frater Melanus conversus s̅c̅i̅ Galgani ordinis Ci-
sterciensis operarius operis s̅c̅e̅ Marie de Senis requisi-
vit magistrum NicholamPieri de Apulia, quod
ipse faceret et curaret ita, quod Arnolfus dis-
cipulus suus statim veniret Senas ad laboran-
dum in dicto opere cum ipso magistro Nichola,
sicut idem Magister Nichola convenit et promisit eidem
fratri Melano operario sub pena C. librarum denariorum,
ut constat per instrumentum factum manu Palmerii no-
tarii. Alioquin procederet contra dictum magistrum Ni-
cholam ad predictam penam.
Actum Senis in domo dicti operis coram hugolino
quondam Rodulfi notario, fratre Bartholo converso or-
dinis Cisterciensis, Gratia Guidonis et Ventura Ranerii
testibus presentibus et rogatis.
Ego Hugo quondam Marii notarius predicte requi-
sitioni interfui eam rogatus scripsi et publicavi.
3. Daſ. No. 302. Die aͤußere Aufſchrift: carta del
maestro Niccholo che fece el legio*).
Dieſer Pergamentſtreif enthaͤlt eine Reihe von Empfang-
beſcheinigungen, aus welchen ich nur das Perſoͤnliche aushe-
ben will.
[153]
1) In etc. anno ejusdem Millesimo CCLXVII. In-
dicatione X. die XVII. kalendas Augusti.
Ego magister Nicholus olim petri lapidum de Pisis
populi s̅c̅i̅ Blasii confiteor etc. LXXVIIII. libras bonorum
denariorum pisanorum parvorum pro pretio lapidum per-
gami, quod fieri debet in ecclesia Senensi et IV. Leo-
nonum et VII. basarum. Item confiteor tibi — ha-
buisse et recepisse — XXV. libras bonorum denariorum
Senensium minutorum pro conpimento salarii Jo-
hannis filii mei et Lapi Donati et Arnolfi meo-
rum discipulorum. Et a dictis Summis etc.
2) Anno d̅n̅i̅ Millesimo CC. LXXVII. Indictione
XI. die VIII. kalendas novenbriarum. Ego magister
Nicholus olim petri lapidum de Pisis pro me
et filio meo Johanne promittens de rato pro
eo confiteor tibi fratri Melano etc. — XLI. libras et
XIII. solidos bonorum denariorum Senensiumpro
pretio et salario meo et dicti Johannis filii
mei trium mensium proxime preteritorum, videlicet
Julii etc. —
3) Eodem anno et Indictione, die secundo mensis
Novenbris. Ego magister Nicholus dictus pro me et
filio meo etc. — recepisse XVI. Libras et VIII. soli-
dos — pro salario — mensis octubris etc. —
4) Eodem anno et Indictione die XVI. kalendas
Januarii. Ego magister Nicholus — XVI. libr. et II.
solidos — pro preterito proxime mense novenbris.
5) Eodem anno et Indict. die IV. nonas Januarii.
Ego magister Nicholus pro me et filio etc. — XIV. libras
et VIII. denarios de mense decembris proxime preteriti.
[154]
6) Anno dni. Millesimo CCLXVIII. Indictione XI.
die secundo nonas aprilis. Ego magister Nicholus pro
me et filio meo dicto etc. — L. libras et VIII. sol. et
X. denarios senen. — trium mensium preteritorum pro-
ximorum. —
7) Eod. anno et ind. die VIII. Idus junii. Ego
magister Nicholus dictus pro me et filio meo —
XXVIII. libras XV. solidos et III. den. pro salario —
duorum mensium proxime preteritorum, videlicet Aprilis
et Maji. —
8) Anno Millesimo CCLXVIII. Indict. XII. die
VIII. Idus Novembris. Ego magister Nicholus — pro
me et Johanne filio meo et Lapo et Arnolfo
discipulis meis promittens — habuisse LXXIV.
libras et IV. denarios bonorum denariorum Senensium
minutorum pro pretio et salario meo et filii et
discipulorum meorum, quos mihi et eis dare de-
beas pro quatuor proximis preteritis mensibus videlicet
Julio, Augusto, Septenbr. et Ottubr. etc. —
Dieſe Beſcheinigung iſt die letzte noch vorhandene und
beſchließt mit einer Formel, welche einer allgemeinen Quittung
gleicht und errathen laͤßt, daß die Kanzel damals bereits be-
endigt war. — et ab omnibus aliis solutionibus,
heißt es, provisionibus, pactis, conventionibus,
et obligationibus, quibus michi vel eis tene-
reris aliquo modo vel … ab hodie retro libero
et absolvo. et pactum, finem et generalem re-
futationem tibi facio de ulterius non petendo
tibi aut dicto operi aliquid inde sub pena etc.
Bemerken wir, daß jene Loͤwen, zwey und drey der mit-
[155] getheilten Folge von Urkunden, bey dem Kuͤnſtler fertig vor-
handen ſeyn mußten; er verſpricht (No. 1.) ſie alſobald mit
dem uͤbrigen rohen Materiale zu liefern, und beſcheinigt ſchon
in ſeiner fruͤheſten Quittung den Empfang des dafuͤr ausbe-
dungenen Preiſes von 78 Pfund. Das rohe Material koſtete
(No. 1.) 65. alſo die vier Loͤwen und ſieben Baſen nur 13
Pfund. Dieſe unverhaͤltnißmaͤßige Wohlfeilheit erklaͤrt ſich eben
nur aus der Art ihrer Beſchaffung. Der Gebrauch, Loͤwen
unter den Kanzeln, wie beſonders unter dem Vordache der
Kirchthore anzubringen, war dazumal ſo ausgebreitet *), daß
man darauf ſpeculiren mochte.
Daß Arnolfo nicht, wie Vaſari berichtet, ſeines Mitge-
ſellen Lapo Sohn war, vielmehr von einem unbekannten Cam-
bio abſtamme, wiſſen wir laͤngſt durch aͤltere Mittheilungen
aus einem gegenwaͤrtig unzugaͤnglichen florentiniſchen Archive **).
Hingegen lernen wir aus der zweiten Urkunde: daß der Vater
[156] des Nicolas, Peter, aus Apulien nach Piſa gekommen war.
Erwaͤgen wir, daß Peter, nach dem Gebrauche jener Zeit,
wahrſcheinlich dieſelbe Kunſt betrieben hat, als ſein beruͤhm-
terer Sohn, ſo werden wir weiter vermuthen duͤrfen, daß in
jenen aͤlteren Mittelpuncten des levantiſchen Handels, zu Nea-
pel, Gaeta, beſonders zu Amalfi auch waͤhrend der meiſt bar-
bariſchen Jahrhunderte einige Kunſtbildung fortbeſtanden. Wenn
ich recht entſinne, ſo waren auch die Baumeiſter der ſchoͤnen
Baſilica zu Montecaſſino Amalfitaner.
Der Sohn des Nicolas, Johannes, ſcheint in dieſen Ur-
kunden (eins und zwey) nur eine untergeordnete Stelle einzu-
nehmen. Er wird (No. 1.) offenbar nicht ſowohl geſucht,
als den Wuͤnſchen des Vaters zugeſtanden und erhielt nur ein
Drittheil des Lohnes ſeiner Mitgeſellen. Unſtreitig alſo erwarb
er ſich durch ſpaͤtere Leiſtungen die Auszeichnung, welche ihm,
wie ich oben gezeigt habe, in der Folge zu Theil geworden.
Wie ſeine Kanzel im Dome zu Piſa bezeugt, befolgte
Johannes in reiferen Jahren den deutſchen Geſchmack, den er
jedoch durchaus uͤbertrieb und keinesweges gleich dem Arnolfo,
verſchoͤnte und milderte. Dieſer letzte beendete, etwa zwanzig
Jahre nach jener Kanzel des ſieneſiſchen Domes, die Ver-
dachung des Hauptaltares der großen Paulskirche außerhalb
der Mauern von Rom, in welcher die Anlage freylich die
ſchon ſeit laͤngerer Zeit herkoͤmmliche, das Einzelne indeß in
deutſchem Geſchmacke ausgebildet iſt. Es befinden ſich daran
Figuren des Paulus und Petrus, ſo wie zween anderer Apo-
ſtel, welche, obwohl ſie etwas kurz ſind, im uͤbrigen doch zu
den ſchoͤnſten Bildnereyen jener Zeit gehoͤren. Der Kuͤnſtler
hatte den uͤberlieferten Typus zwar ins Auge gefaßt, doch neu
belebt und in ſeine eigenthuͤmliche Manier uͤbertragen, welche
[157] das Hochalterthuͤmliche mit dem gothiſchen Geſchmacke ver-
ſchmilzt *).
Schon Vaſari**) hat dem Meiſter Nicolas (auf welchen
ich noch einmal zuruͤckkomme), wie gewoͤhnlich ohne alle Ge-
waͤhr, viele bedeutende Bauwerke beygelegt, und Morrona***),
in patriotiſchem Eifer, die Zahl dieſer Werke, nach Vermu-
thungen ohne feſten Grund †), bisweilen auch nach einem
bloß eingebildeten Kennergefuͤhle, um einige neue vermehrt.
Ich bin weit entfernt, dem wackeren Meiſter abzuſprechen, daß
er ſich auf die Baukunſt verſtanden, was, bey damaliger Ver-
breitung des Kuͤnſtlerberufes, an ſich ſelbſt ſehr wahrſcheinlich
iſt. Gewiß war er der Rathgeber, oder Gehuͤlfe der Dom-
verwaltung zu Piſa, weil er in der erſten der oben mitgetheil-
ten Urkunden ſich die Freyheit ausbedingt, viermal im Jahre
dahin zuruͤckzukehren, um ſowohl ſeine eigenen, als auch die
[158] Angelegenheiten des Domes und der nahen Taufkirche ſeiner
Vaterſtadt in Acht zu nehmen. Doch waren dieſe Gebaͤude
laͤngſt vollendet; man konnte daher nur in Bezug auf Nach-
beſſerungen und Zierden ſeiner Huͤlfe, oder ſeines Rathes be-
duͤrfen. Wenn Nicolas jemals von Grund auf gebaut hat,
ſo befolgte er wahrſcheinlicher die ſpaͤteren Ausweichungen der
roͤmiſch-chriſtlichen Bauart, als die gothiſche, welche, wie ſchon
Morrona vermuthete, nach ſeiner allgemeinen Hinneigung zum
Antiken und Altchriſtlichen ihn nicht wohl anſprechen konnte.
Der Thurm der Kirche ſ. Nicolas zu Piſa moͤchte daher ſein
Werk ſeyn koͤnnen; obwohl, bis Solches erwieſen worden,
auch eines Anderen. Ueberhaupt ward in ſo fruͤher Zeit kein
betraͤchtliches Bauwerk ſo ganz nach einem Plane durch-
gefuͤhrt.
Schon aus den hier und in der vorangehenden Abhand-
lung *) mitgetheilten Actenſtuͤcken erhellet es zu Genuͤge, daß
in den italieniſchen Freyſtaaten des Mittelalters ſolche Bau-
werke, an deren Foͤrderung die hoͤchſte Gewalt Theil genom-
men, ſelten, vielleicht nie, ſo ganz nach dem Plane und unter
der Leitung eines einzigen Kuͤnſtlers durchgefuͤhrt wurden.
Bald ward die Leitung des Geſchaͤftes einer einzigen Perſon,
bald wieder einem engeren Ausſchuß uͤbergeben; bald nahm
der jedesmalige hoͤchſte Magiſtrat das ſchon halb Geſchehene
und laͤngſt Beſchloſſene von neuem in Erwaͤgung, unterwarf
es der Berathung und Abſtimmung der groͤßeren Buͤrgerver-
ſammlungen, was nicht ſelten der Anlage eine ganz neue Rich-
tung gab. Allerdings moͤgen kleinere Pfarrkirchen und Kloͤ-
ſter, bey deren Ausfuͤhrung weniger Koͤpfe zu vereinigen wa-
[159] ren, auch dazumal bisweilen nach einem Plane und unter
derſelben Leitung vollendet worden ſeyn. Die Domkirchen
aber unterlagen allen Schwierigkeiten und inneren Hemmun-
gen der republicaniſchen Staatsverwaltung; bey dieſen Gebaͤu-
den war das Ganze wie das Untergeordnete das Ergebniß
fortgehender Berathungen, Abaͤnderungen und Verſchmelzungen,
in denen das Abſehn, die Manier und Eigenthuͤmlichkeit der
einzelnen Kuͤnſtler nothwendig verloren ging. Wenn uns Va-
ſari und andere noch Neuere demungeachtet bey vielen Dom-
gebaͤuden den Meiſter angeben, ſo beruhen dieſe, wie andere
gleich verwegene Verſicherungen auf bloßer Unkunde und da-
her entſtehender Mißdeutung von Nachrichten uͤber die Theil-
nahme beſtimmter Kuͤnſtler an den Berathungen und Arbeiten,
welche im Verlaufe der Zeit an dieſem, oder jenem anderen
Theile beſtimmter Gebaͤude vorgenommen worden. Wir ha-
ben in der vorangehenden Abhandlung geſehn: daß ſelbſt die
Modelle eines Arcagno nicht ohne Abaͤnderungen ſind ange-
nommen, und bald darauf wiederum verworfen worden; in
dieſer: wie man einen ſchon weit vorgeruͤckten Bau, nach wie-
derholten Berathungen endlich ganz aufgegeben hat. Vielleicht
iſt es Sachkundigen nicht unwillkommen, andere Beyſpiele der-
ſelben Art einzuſehn, welche, wenn auch nicht ausnehmend wich-
tig, doch wenigſtens bis dahin ungedruckt ſind.
1. Archivio dell’ opera del Duomo di Siena. Per-
gamene. No. 234.
(Neue Einrichtung und Controllirung der Verwaltung.)
In nomine domini amen. pateat evidenter omnibus
hanc paginam inspecturis, quod consilium comunis et
populi Sen. coadunatum more solito in ecclesia sci Chri-
stofori ad sonum campane a domino Francisco Trogi-
[160]sio dei et domini Regis Cecilie gratia Senarum pote-
stati et a domino Roffredo de Isola eadem gratia capi-
taneo comunis et populi Sen. fuit in concordia, quod
novem Boni homines scilicet tres per terze-
rium debeant eligi ad ordinandum et provi-
dendum, qualiter procedatur in opere s̅c̅e̅ Ma-
rie et quomodo ibi laboretur, et quod ordinaverint et
statuerint debeat fieri et observari et sit firmum et ita
in dicta opere procedatur et laboretur. Actum Senis
in ecclesia dicta coram d̅n̅o̅ Gherardo Judice populi
Sen. et Jacob. Castaldo comunis Senarum presentibus.
Sub anno d̅n̅i̅ Millesimo CCLIX. Indict. III. die III.
Idus Februarii.
Daſ. No. 235. anno 1259. Ind. tertia die XVI. ka-
lend. Decenbris, alſo um einige Monathe fruͤher, (das ſie-
neſiſche Jahr reicht bis zum Maͤrz 26.) wird eine außeror-
dentliche Commiſſion von neun Maͤnnern, drey fuͤr jede Ab-
theilung der Stadt, angeordnet, um dem Operarius: super
facto cori, zu rathen. Aus dieſer ſcheint denn obige Orga-
niſation ſich unmittelbar entwickelt zu haben.
2. Archivio dell’ opera del Duomo di Firenze. Li-
bro. Prestanze. 1355. — 57.
(Ergaͤnzung des Protocolls vom Auguſt 3. 1357. deſſen
Anfang ſ. vorangehende Abhandlung, Belege I.Arcagno, 5.
— i quali tutti e cinque di concordia nella presen-
zia di detti operai presero per partito e deliberarono.
la detta nuova colonna fatta per Francescho essere più
forte e bella e laudabile, di che i detti operai furono
contenti e nel nome di dio comandarono, che quella si
mettesse a seguizione. Si veramente:
Che
[161]
Che e’ si faccia uno pilastrollo di mat-
toni murato in quella altezza che basti. sul
primo pilastro fondato. et che la detta colonna
di giesso vi si pongnia su et che iscritto vi
sia a’pie’ con lettere grosse, che qualunque
persona volesse aporvi alchuno difetto debia
fra otto di venire agli operai o ad altri per
loro et dirne l’animo suo et sarà udito gra-
ziosamente.
Et comandano che io filippo mandassi a boecha.
il messo dell’ opera a tutti maestri religiosie secolari
di Firenze significando loro il detto partito preso della
colonna preghandoli che e vegniano a vedere se per
loro vi s’aponesse.
Et comandano chella detta colonna del giesso si
compiesse tutta intorno come ella é dalle due
faccie.
Et comandano a francescho che in sudetto primo
pilastro fondato intagliasse cogli scharpelli il modello
della bagia (Baſis) della sopradetta colonna.
Che nelle sopradette lettere anche stia iscritto che
chiunque ne vuole .... vegnia a pattegiarsi.
Gewiß brauchte es nicht ſo viel umſtaͤndlicher Vorberei-
tungen, um den Meiſtern und Maͤnnern vom Fach begreiflich
zu machen, wie ein oder das andere Modell ſich an ſeiner
Stelle, oder im Vollen ausnehmen wuͤrde. Indeß hatte man
auch die Stimmen der minder Kunſtverſtaͤndigen und voͤllig
Unkundigen zu gewinnen, welche gelegentlich zur Berathung
hinzugezogen wurden, wie nachſtehendes Beyſpiel zeigt.
II. 11
[162]
Archiv. et libro cc. XII. Luglio 1357. mercoledi,
zu Ende.
— Furono richiesti al sopradetto consiglio molti
cittadini venirci. Amerigho da Conmara et bartolo
biliotti et varj altri e furono qua entro. perche parve
ad alchuno che i sopradetti maestri consigliassero per
animo. vollono che i sopradetti francescho et Andrea
dessero per ischritto ciaschuno due maestri confidenti
et vogliono che questi quatro maestri fossero avedere i
sopradetti disegnamenti.
Elesse Francescho:
Ambruogio Lenzi (darunter ausgeſtrichen:
Filippo del frate.)
Frate Rinieri di sta Croce
Elesse Andrea:
Niccholo di Beltramo
Francescho di Neri.
Archiv. c. Libro, Ricordanze dell anno 1359. Pro-
tocoll vom J. 1359. Julii 19. Cittadini che consi-
gliarono etc. etc. — Und ſo fort an anderen Stellen, de-
ren Anfuͤhrung ermuͤden wuͤrde. — Vgl. in dieſer Beziehung
jene allgemeine Berathung, die vierte der ſchon mitgetheilten,
den ſieneſiſchen Dombau betreffenden Urkunden.
Dieſelbe unbehuͤlfliche Vorausſicht, welche ſo vielfaͤltige
Verſuche, Einreden und Aenderungen veranlaßte, zeigt ſich
auch in den Anordnungen, welche die Sitten und Gewohn-
heiten der Kuͤnſtler und Handwerker zum Beſten lenken ſollen.
Ich finde im: libro di richordanze. 1367. — 1376.
[163] (Arch. dell’ op. del Duomo di Firenze) fo. 18. a. t.:
Memoria che di IX. di Luglio 1369.
Lapo di vani
Tomaso di Melglio
+ di fare, che chapomaestro non vadano a bere
choniuno maestro.
+ di fare, che giovanni, ne niuno checci sia non
possa dar parola di mandar niun maestro o manovale
a lavorare altrui (altrove).
+ di fare, che niuno non possa prestare niuna
masserizia sanza la parola di III. hoperai.
11 *
[164]
XII.
Von einigen Dunkelheiten und Verwechſelun-
gen der Kunſtgeſchichte des vierzehnten und
folgenden Jahrhundertes. Alberto di Ar-
noldo; Piero Chelini; Lorenzo da Viterbo;
Bernardo Roſſellini; Urbano da Cortona;
Antonio di Federigo.
Mit dem friſcheſten Lebensmuthe ſtrebte das wiederauf-
bluͤhende Italien ſeine langezeit veroͤdeten Staͤdte wieder ein-
zurichten und zu verſchoͤnern; uͤberall ward die Kunſt auf das
Innigſte mit ſolchen Handwerken verſchmolzen, welche ihres
Aufdruckes faͤhig ſind; auch die groͤßeſten Kuͤnſtler unterzogen
ſich jeglicher vorkommenden Arbeit, leiſteten (weil ſie das Hand-
werk zeitig einuͤbten, unausgeſetzt betrieben) mit jener Leich-
tigkeit, welche allein wohlfeile Bedingungen und leichten Ab-
ſatz des Hervorgebrachten moͤglich macht. Unter ſo guͤnſtigen
Umſtaͤnden mehrten ſich die Kuͤnſtler, welche behaglich von
ihrem Erwerbe lebten, ins Unendliche. In den Verzeichniſſen
der Innungen, in den Protocollen oͤffentlicher Berathungen
und an ſo viel anderen Stellen tritt uns uͤberall eine Fuͤlle
meiſt ganz unbekannter Kuͤnſtlernamen entgegen. *) Doch
[165] werden nur ſolche fuͤr uns Bedeutung haben, deren Kunſtver-
dienſt noch zu ermitteln iſt.
[166]
Um die Mitte des vierzehnten Jahrhundertes war Al-
berto di Arnoldo ein ehrenwerther Bildner, wie jene mehr als
lebensgroße Madonna darlegt, welche langezeit fuͤr eines der
kuͤhneren Werke des Andreas von Piſa gegolten hat.
Wir verdanken die erſte Entdeckung und Aufklaͤrung die-
ſes, von allgemeinen und willkuͤhrlichen Vermuthungen des
Vaſari ausgehenden, Irrthumes dem Bibliothekar der Ma-
gliabecchiana, Herrn Vincenzio Follini. Dieſer verdiente Ge-
lehrte war gelegentlich ſeiner Vorarbeiten zu einer neuen Aus-
gabe der Novellen des Franco Sacchetti durch eine dieſer an-
muthigen Erzaͤhlungen, die Novelle 136., veranlaßt worden,
den Lebensverhaͤltniſſen jenes bis dahin unbekannten Kuͤnſtlers
*)
[167] weiter nachzuſpuͤren. Sacchetti bezeichnet den Alberto als ei-
nen bekannten Bauverſtaͤndigen. In der That wird er, wie
die unten mitgetheilten Auszuͤge darlegen *), in den Berathun-
gen der florentiniſchen Domverwaltung verſchiedentlich als Theil-
nehmer, in der Folge ſelbſt als Obermeiſter dieſes großen Wer-
kes aufgefuͤhrt.
Seine Anſtellung bey den Arbeiten, welche der Dombau
veranlaßte, faͤllt, nach den angezogenen Buͤchern der Bauver-
waltung, in die Jahre 1358. und 1359. Um die Mitte des
[168] letzten Jahres uͤbernahm er die Verpflichtung, jene mehr als
lebensgroße Madonna mit dem Kinde und zween ſie vereh-
renden Engeln fuͤr die Bruͤderſchaft der Miſericordia auszu-
fuͤhren, derſelben, welche ſpaͤterhin mit einer anderen Geſell-
ſchaft, dem Bigallo, vereinigt worden. *) Dieſe Arbeit moͤchte
ihn von der Leitung des Dombaues abgezogen, und bis in
das Jahr 1364. hinreichend beſchaͤftigt haben, in welchem er
ſolche vollendet abliefert, wie aus dem Abſolutorio erhellt,
welches ich in die Anmerkung verweiſe. **) In der Folge
entſchwindet mir ſeine Spur; vielleicht beſchloß er bald darauf
ſein Leben.
In derſelben Stiftung erhielt ſich das Andenken eines
Zeitgenoſſen des Maſaccio, des Piero Chelini. Freylich er-
reichte dieſer Maler weder die phyſiognomiſchen Feinheiten des
Fieſole, noch die großartige Anordnung und ſtaͤrkere Schatten-
gebung des Maſaccio; doch zeigt ſich andrerſeits in ſeinen
[169] Umriſſen ungleich mehr Gefuͤhl, als den ſpaͤteren Nachahmern
der Manier des Giotto eigen zu ſeyn pflegt; in ſeiner Auf-
faſſung aber ein milder und guͤtiger Sinn. Sicher hatte er
beſſere Anſpruͤche an das Andenken ſeiner Mitbuͤrger, als Lo-
renzo di Bicci und andere Zeitgenoſſen, denen Vaſari in ſei-
nen Kuͤnſtlerleben einen beſonderen Abſchnitt gewidmet hat.
Die aͤlteſte Erwaͤhnung unſeres Malers findet ſich in dem
großen Werke des Richa*), dem der Archivar des Bigallo
ſeinerzeit eine Notiz mitgetheilt hatte, deren Nachweiſung un-
richtig zu ſeyn ſcheint, da ſie nirgend mit den vorhandenen
Buͤchern des Archives zuſammentrifft **). Doch entdeckte ich,
indem ich dem angegebenen Jahre nachging, daß man dem
Piero, im Julius des Jahres 1444., den Werth der aͤuße-
ren Bemalung des im vorangehenden Jahre abgebrann-
ten***) Hauſes der Bruͤderſchaft wirklich in deren Buͤchern
zu gut geſchrieben habe.
[170]
Obwohl nun ſo viel Gruͤnde vorhanden ſind, dieſes nicht
unbetraͤchtliche Guthaben auf die ganze, nicht ſehr ausgedehnte
Vorſeite des Hauſes zu, beziehn, ſo hat dennoch bey den
florentiniſchen Topographen ſeit laͤngerer Zeit das Vorurtheil
ſich feſtgeſetzt, daß die oberen Abtheilungen der Mauer ſchon
ungleich fruͤher gemalt ſeyn muͤſſen. Richa*) hat dieſe, in
den Zwiſchenraͤumen der Fenſter des oberen Stockes ange-
brachten Gemaͤlde, ohne ſeine Gruͤnde anzugeben, dem Tad-
deo di Gaddo beygemeſſen; er folgt hierin nicht einmal dem
Vaſari. Andere, beſonders Lami, verlegen dieſelben Male-
reyen in das dreyzehnte Jahrhundert, was ſchon in Anſehung
der Manier, in welcher ſie ausgefuͤhrt worden, auf keine
Weiſe einzuraͤumen iſt.
Die florentiniſchen Topographen ſcheinen davon auszu-
gehn, daß der Gegenſtand jener oberen Wandgemaͤlde des Bi-
gallo (Begebenheiten aus der Legende des Hl. Petrus Martyr)
nothwendig von der Geſellſchaft der Miſericordia muͤſſen an-
geordnet ſeyn, welche nicht fruͤher, als im Jahre 1425. mit
der juͤngeren Geſellſchaft des Bigallo ſich verſchmolzen hat.
Doch weßhalb ſollte das Andenken der Stiftung jener erſten
Geſellſchaft fuͤr die ſpaͤtere, vereinigte, ſo allen Werth verlo-
ren haben, daß man unumgaͤnglich annehmen muͤßte, ſie habe
nichts anordnen koͤnnen, was auf jene Bezug hat? — Ließ
***)
[171] doch dieſelbe Geſellſchaft noch um hundert Jahre ſpaͤter am
Sockel des hoͤlzernen Geruͤſtes auf dem Altare der Kappelle
Einiges aus der Geſchichte des Hl. Petrus Martyr durch den
Ridolfo Ghirlandajo ausfuͤhren; eine Arbeit, welche zur Zeit
des Vaſari*) beſchafft worden und noch immer an ihrer
Stelle vorhanden iſt.
Die erſte der beiden fraglichen Darſtellungen aus dem
Leben des Hl. Petrus Martyr, die Weihe und Vertheilung
der Fahnen zum Religionskriege, iſt zum Theil von der aͤuße-
ren Wand des Gebaͤudes herabgefallen; doch hat man davon
zeitig eine Copie genommen, welche in einem der inneren Ge-
maͤcher aufbehalten wird. Die andere, erhaltnere zeigt ein
Wunder deſſelben Heiligen, welcher waͤhrend der Predigt ein
fluͤchtiges Pferd, wohl ein daͤmoniſches Weſen, beſchwichtigt,
oder verſchwinden macht. Ein dichter Haufen theils ſitzen-
der, theils ſtehender Weiber bezeigt in naiven, nicht ungefaͤlli-
gen Wendungen ein gewiſſes augenblickliches Schwanken von
unbeſtimmter Furcht zur Betroffenheit uͤber das Wunder. In
dem Heiligen erſcheint viel Ruhe und Zuverſicht, in ſeinem
juͤngeren Begleiter moͤnchiſche Demuth; in einer Gruppe ruͤ-
ſtiger Maͤnner Ernſt und Feſtigkeit.
Aehnliche Bequemlichkeit in den Bewegungen, Sicherheit
in zwangloſer Andeutung der Affecte, dieſelbe Manier in der
Bezeichnung der Formen durch wohlgelegte, einfache Umriſſe
erblicke ich nun auch in jenem Fragmente, welches man gele-
gentlich einer Erweiterung der Hausthuͤre abgeſaͤgt und gegen-
waͤrtig im Inneren des Gebaͤudes wiederum aufgeſtellt hat.
Der Kuͤnſtler verſinnlicht darin den practiſchen Zweck der Ver-
[172] bruͤderung des Bigallo, Kindern, welche in der damals ſehr
volkreichen und belebten Stadt ſich verloren hatten, eine vor-
uͤbergehende Zuflucht zu gewaͤhren. Er ſchilderte die Freude
von Muͤttern, welche ihre Kinder hier wieder aufgefunden ha-
ben; die Betruͤbniß einiger Anderen, welche ſie noch vermiſ-
ſen; das Behagen von Kindern, welche, auf den Armen ihrer
Ammen oder Muͤtter gewiegt, gekoſet, beſchenkt, bereits ihr
vergangenes Leiden und Sehnen verſchmerzt haben. Unſtreitig
iſt dieſes Fragment ſchoͤner und belebter, als jene Malereyen
der aͤußeren Wand. Indeß war auch der Gegenſtand einla-
dender, lag die Stelle, an der es gemalt worden, dem Auge
naͤher. Uebrigens iſt die Manier ſo ganz dieſelbe, daß, wer
dieſe Malereyen ohne vorgefaßte Meinung betrachtet, ihre durch-
gehende Uebereinſtimmung unbedenklich anerkennen wird. Ge-
wiß wuͤrden auch die florentiniſchen Topographen ſchon laͤngſt
von ihrem Vorurtheil zuruͤckgekommen ſeyn, haͤtten ſie nicht
uͤberſehn, daß jener Arbeit des Chelini ein Brand vorangegan-
gen war, welcher nach der Anlage des Gebaͤudes nur den
Dachſtuhl verzehrt haben konnte, doch eben daher beſonders
das obere Gemaͤuer nebſt deſſen Verzierungen beſchaͤdigt haben
mußte.
Ich halte aber auch eine Tafel in der Sacriſtey der flo-
rentiniſchen Pfarrkirche ſ. Remigio (das Volk nennt dieſe
Kirche: ſ. Romeo), welche Vaſari*) als eines der ſchoͤnſten
Werke des Giottino bezeichnet und ausfuͤhrlich und gluͤcklich
beſchreibt, vielmehr fuͤr eine Arbeit des Piero Chelini.
Dieſe Tafel, eine Ruhe nach der Abnahme vom Kreuze,
iſt auf Goldgrund gemalt und von einem Rahmen von ſpaͤ-
[173] teſter italieniſch gothiſcher Zeichnung umgeben. Das goldene
Feld, die gothiſchen Randverzierungen waren, wie die Altarge-
maͤlde des Beato Angelico bezeugen, zur Zeit des Chelini noch
in Gebrauch, unterſchieden ſich jedoch von den fruͤheren, durch
Pilaſter abgetheilten Altartafeln durch ein weites, eine einzige
Handlung umfaſſendes Mittelfeld. Aus dieſer Einrichtung,
vornehmlich aber aus einigen kleiner gehaltenen Bildnißfigu-
ren, welche nach der Sitte der erſten Haͤlfte des funfzehnten
Jahrhundertes bekleidet ſind, erhellet unwiderleglich, daß un-
ſere Tafel um ein Jahrhundert neuer iſt, als Giottino, alſo
der Zeit nach mit dem Chelini zuſammenfaͤllt.
Nun zeigt dieſes Werk beſonders in den Extremitaͤten
die entſchiedenſte Verwandtſchaft mit den eigenthuͤmlichen Zuͤ-
gen und Manieren unſeres Kuͤnſtlers, in der Auffaſſung des
Affectes der Marien, welche den heiligen Leib umgeben,
dieſelbe anmuthige Weiblichkeit, welche in jenen Mauerge-
maͤlden vorwaltet. Zudem fehlt es nicht an einzelnen Ge-
ſtalten, welche mit anderen jener Mauergemaͤlde des Bigallo
uͤbereinſtimmen; man vergleiche nur die mehr untergeordneten
Figuren der Kreuzesabnahme in ſ. Romeo mit jenen Nonnen-
aͤhnlichen Frauen, welche in mehrgedachtem Fragmente zu bei-
den Seiten die Gruppe der Weiber und Muͤtter begrenzen und
Waͤrterinnen der milden Anſtalt zu ſeyn ſcheinen. — Gewiß
wuͤrde ſelbſt Vaſari von dieſer mehrſeitigen Uebereinſtimmung
beider Werke ſich uͤberzeugt haben, haͤtte er uͤberhaupt den
Piero Chelini gekannt und auf ihn Ruͤckſicht nehmen koͤnnen,
als er, (ſichtlich nach ganz allgemeinen Vermuthungen *), je-
nem Bilde einen Namen gab.
[174]
An der Vorſeite der Kirche ſta Maria Maggiore zu Rom
befindet ſich, halb verdeckt von dem modernen Vorbau, ein
beſchaͤdigtes Muſiv, auf welchem zu Fuͤßen der Hauptfigur,
des Heilands:
PHILIPPUS RUSERUTI (Ruggierotti?) FECIT
HOC OPUS.
Ich habe die roͤmiſchen Topographen aͤlterer Zeit nicht
zur Hand, bezweifle aber, daß ſie auf dieſe Inſchrift Ruͤckſicht
genommen, da Lanzi, der ſie benutzt hat, dieſes Namens nicht
erwaͤhnt.
Meiſter Philipp ſcheint um das Jahr 1300 gebluͤht zu
haben, alſo ein Zeitgenoſſe des Pietro Cavallini zu ſeyn, wel-
cher den Vaſari viel beſchaͤftigt hat. Das Hauptgemaͤlde
(Chriſtus in Glorie von zween Engeln umgeben, welche Kan-
delaber und Rauchfaͤſſer halten, zu den Seiten Evangeliſten
und die Jungfrau im Habitus altroͤmiſcher Matronen) iſt
ganz im Sinne der chriſtlich-antiken Darſtellungen entworfen,
oder wahrſcheinlicher bloße Erneuerung eines aͤlteren Muſives.
Hingegen verraͤth die beygeordnete Darſtellung aus der Legende
von Erbauung der Kirche, daß unſer Kuͤnſtler ſchon von der
neueren giottesken Richtung ergriffen war, und die Handlung
mehr, als den Charakter, ins Auge faßte. Auch die Bauart
in den Hintergruͤnden deutet auf das Hereinbrechen jenes von
Giotto ausgehenden ganz neuen Geſchmackes und Beſtrebens.
*)
[175]Filippo ergaͤnzt, da er offenbar dem Pietro Cavallini vorange-
gangen, die gewiß ſeit den aͤlteſten Zeiten nie unterbrochene
Kette roͤmiſcher Muſaiciſten. Indeß wird ein anderer und
ſpaͤterer Maler des Gebietes von Rom, Lorenzo von Viterbo,
ſowohl unter ſeinen Zeitgenoſſen, als uͤberhaupt in der Kunſt-
geſchichte eine hoͤhere Stelle einnehmen, daher einer etwas um-
ſtaͤndlicheren Erwaͤhnung werth ſeyn.
Dieſen Kuͤnſtler kenne ich aus einem einzigen, doch ziem-
lich umfaſſenden Werke, den Malereyen an den Waͤnden und
an der Decke der Kappelle der Madonna zur Rechten des
Schiffes der Servitenkirche ſta Maria della Verita zu Viterbo.
Dieſe, auf geglaͤttetem Gypsgrunde a tempera ausgefuͤhrten
Gemaͤlde, ſind der Richtung und dem Geſchmacke gleichzeitiger
Florentiner ſo nahe verwandt, daß wir annehmen duͤrfen, der
Kuͤnſtler habe ſie gekannt und ſtudirt; doch duͤrfte er in der
Charakteriſtik der Koͤpfe, wenn nicht uͤber den Fieſole und Be-
nozzo, doch uͤber Fra Filippo und Aleſſio Baldovinetti, und in
der Anlage des Gefaͤltes, in der Stellung und Ausfuͤhrung
der ganzen Geſtalt uͤber die meiſten Zeitgenoſſen hinausgehn *).
Das Kreuzgewoͤlbe der Decke enthaͤlt einzelne Figuren;
Kirchenvaͤter und andere Heilige, welche zur Verherrlichung der
Jungfrau geſchrieben haben; die Lunetten, oder halbrunden
Mauerfuͤllungen, Geſchichten aus dem Leben der Madonna.
Die Wand zur Rechten hat auf dem oberen Halbrunde die
Verkuͤndigung, auf der unteren Abtheilung die Geburt des Hei-
lands; das letzte Gemaͤlde enthaͤlt einige Weiber, welche der
[176] Woͤchnerin durch Waͤſche aushelfen, oder doch ihr Handrei-
chungen leiſten; anmuthige Zuͤge nachbarlichen Lebens, denen
die Feuchtigkeit der Mauer einen nahen Untergang zu drohen
ſcheint. Die Lunette uͤber dem Altare enthaͤlt die Aufnahme
der Jungfrau in den Himmel; dieſe Darſtellung wird durch
einen alten, halbgothiſchen Vorſprung beengt. An der Wand
zur linken, befinden ſich verſchiedene Vorſtellungen, an deren
unterem Sockel der Kuͤnſtler auch das Jahr und ſein Mono-
gramm angebracht hat, wie folgt:
MCCCCLXIX.
L. V.*).
In dem oberen Halbrund, die Beſteigung der Stufen des
Tempels, ein Perſpectivbild mit einigen guten Figuren; darun-
ter in der ganzen Weite der Mauer die Vermaͤhlung der
Maria, unbedenklich das Hauptbild der ganzen Folge. Wie
in den uͤbrigen Bildern, ſo zeigt ſich beſonders in dieſem, daß
der Kuͤnſtler nicht eigentlich von der Idee ſeiner Aufgaben er-
griffen war, vielmehr ſie nur benutzte, um naive und liebliche
Zuͤge des buͤrgerlich-haͤuslichen Lebens darin anzubringen. Wie
viel er in der Charakteriſtik, nicht bloß der Koͤpfe, vielmehr
ſelbſt der ganzen Geſtalt und Bewegung der Figuren zu lei-
ſten vermochte, zeigt ſich beſonders an dieſer Stelle, wo Lo-
renzo Alles, was ſeinerzeit zu Viterbo ſich auszeichnete, in dem
Gefolge und unter den Zeugen der Trauung angebracht hat,
woruͤber wir einen alten Chroniſten, welcher in Perſon zu ei-
ner dieſer lebenvollen Figuren Modell geſtanden, in ſeiner ei-
genen, alterthuͤmlichen Sprache vernehmen wollen **).
Gleich-
[177]
Gleichwie Vaſari dieſen und jene anderen Kuͤnſtler theils
ganz uͤberſah, theils ihre Werke bekannteren Namen zutheilte,
ſo kuͤrzte er auch den vortrefflichen Bernardo Roſſellini, wie
nachſtehende Unterſuchung darlegen wird, um den groͤßeſten
Theil ſeiner thaͤtigen Laufbahn.
Bernardo Roſſellini und Francesco di Giorgio.
Bauwerke Pius II. zu Pienza und Siena*).
Pienza, eine biſchoͤfliche Stadt von geringer Groͤße, liegt
im Gebiet von Siena, in der Naͤhe von S. Quirico, etwa
eine Stunde abwaͤrts von der Straße nach Rom. Vor Zei-
ten hieß dieſer Ort Corſignano und war dazumal ein Markt-
flecken mit eigener Gerichtsbarkeit. PiusII. gab ihm darauf
ſeine gegenwaͤrtige Geſtalt. Dieſer Pabſt war auf dem Land-
hauſe ſeines Vaters, Silvius Piccoluomini, eben zu Corſignano
geboren worden, und behielt unter mancherley Lebensereigniſſen
eine lebhafte Vorliebe fuͤr ſeinen Geburtsort. Wir finden, daß
er als Praͤlat **) ſich anſchickt, ſeine Villa in Corſignano zu
beſuchen, als ***) Cardinal bemuͤht iſt, der Gemeine gleichen
Namens den Erlaß von Steuern auszuwirken. Endlich, als
er Pabſt geworden war, erhob er Corſignano zum Bisthum
und zur Stadt, gab dieſer den Namen Pienza und ſchmuͤckte
II. 12
[178] den Ort mit den ſtattlichſten Gebaͤuden. Es wird nicht ſchwer
ſeyn, in Italien Bauwerke zu finden, welche im Einzelnen ta-
delloſer ſind, als dieſe. Unmoͤglich aber iſt es, einen Ort an-
zutreffen, wo die einzelnen Gebaͤude in ihrem Verhaͤltniſſe zu
einander, ſo wie zur Ausdehnung der Plaͤtze und Straßen
gleich ſehr den Eindruck eines ſchoͤnen und reichen Ganzen
bewirken. Denn uͤberall, wo die Fuͤrſten ſpaͤterer Zeiten bey
neuangelegten Staͤdten Einheit des Planes bezweckten, verfie-
len ſie in eine widrige Gleichfoͤrmigkeit. Hier aber hat die
Einheit den Unterſchied nicht aufgehoben; jedes Gebaͤude traͤgt
ſein eigenes Gepraͤge; man unterſcheidet bequem die verſchie-
denen Stufen des Gluͤckes der einzelnen Bauherren; die oͤf-
fentliche oder haͤusliche Beſtimmung jedes Baues legt ſich
gleich dem erſten Blicke dar.
Aus dem *) eignen Ausdrucke Pius II. geht hervor, daß
er bey ſeiner Anweſenheit zu Corſignano, im Februar 1459,
vorerſt nur im Sinne hatte, den Ort mit einer Pfarrkirche zu
verſehen und mit einem neuen Familien-Palaſte der Piccoluo-
mini zu zieren. Im April eben dieſes Jahres **) bewirkte er
der Gemeine einen zweyten Steuernachlaß. Den achtzehnten
May darauf erlangte ***) er von der Republik Siena die
Erlaubniß zum Bau des Palaſtes und der Kirche zu Corſig-
nano, zugleich freyes Bauholz aus den oͤffentlichen Forſten
und andere Beguͤnſtigungen. Im Jahre 1460 †) war er
[179] abermals zu Corſignano gegenwaͤrtig, und hatte ſeine Luſt an
dem vorruͤckenden Baue. Den 28. May *) eben dieſes Jah-
res wird zu Gunſten der Gemeine Petrojo gegen die Unord-
nungen eines Florentiners, Ceca oder Cera**), entſchieden,
der dort einen Kalkofen Behuf des Baues von Corſignano er-
richtet hatte. Die Hoͤflinge des Pabſtes wollten ſich nun
ebenfalls in Corſignano anbauen; dieſen erleichtert man den
Ankauf der Bauplaͤtze durch eine eigene Verordnung ***) vom
18. October 1460. Spaͤter finde ich in den Verhandlungen
des großen Rathes von Siena keine weitere Erwaͤhnung je-
nes Baues, ja, was ſeltſam iſt, nicht einmal die Beſtaͤtigung
des neuen Namens Pienza, ſo wenig als der ſtaͤdtiſchen Be-
rechtigungen, welche Pius dießmal ganz aus †) eigner Macht-
vollkommenheit ſcheint verliehen zu haben. Indeß erhellt es
aus den Commentarien des Pabſtes, daß im Herbſte 1462
ein großer Theil des Baues vollendet, daß auch die buͤrgerliche
und kirchliche Erneuerung bereits vollzogen war.
Denn auf Veranlaſſung ſeiner Anweſenheit in Pienza in
gedachtem Jahr 1462 macht uns Pius††) eine weitlaͤuftige,
aber genaue und anſchauliche Beſchreibung der bis dahin vollen-
deten Gebaͤude. Der Pabſt durchgeht zunaͤchſt ſeinen Palaſt, der
ins Viereck gebaut und neunzig Fuß hoch iſt; deſſen Ge-
baͤlke fuͤnf Fuß weit vorſpringt. Der Hof iſt mit einem eig-
12 *
[180] nen Bogengange umgeben. Gegen den Garten hin, wo man
den gefaͤlligen Anblick des vulkaniſchen Gebirges Amiata und
den Ueberblick des regelloſen Bettes der Orcia genießt, beklei-
det die Mittagsſeite des Hauſes durch alle Stockwerke ein
dreyfacher Saͤulengang. Die unteren Gemaͤcher ſind gewoͤlbt;
die oberen haben hoͤlzerne Decken, von den ſchierſten Tannen-
ſtaͤmmen gebildet, und durch Vergoldung und Malerey auf
das ſchoͤnſte geziert. Fuͤr Waſſervorraͤthe, eben wie fuͤr Kuͤche
und Keller, war trefflich geſorgt worden.
Bey Gruͤndung der Kirche, welche beſtimmt war, den
Hauptplatz von der Seite des Abhanges zu ſchließen, fanden
ſich große Schwierigkeiten in der ungleichen Beſchaffenheit des
unterliegenden Geſteines. Man hatte daher, von einer Felſen-
maſſe zur anderen, die Fugen und Spalten, welche ſie tren-
nen, ſorgfaͤltig uͤberwoͤlbt und erſt auf dieſen Woͤlbungen wa-
ren die Grundmauern angelegt worden. Trotz dieſer Vorſicht
war ein bedeutender Riß in der Kirchenmauer entſtanden, der
noch immer, jedoch ohne weiteren Schaden zu veranlaſſen, die
ganze Hoͤhe des Gebaͤudes durchlaͤuft. Alles Bezeichnete, auch
ein Ziehbrunnen auf dem Platze, mit zierlichem Saͤulengeſtelle,
war, bis auf den Kirchenthurm, in dem Zeitraume von drey
Jahren voͤllig beendet worden.
Man hatte geſucht, den Pabſt zu uͤberreden, daß der
Baumeiſter dieſer Werke Unterſchleif und Baufehler begangen
habe. Vorzuͤglich ward ihm Schuld gegeben, daß er den An-
ſchlag, der nur auf acht bis zehntauſend Goldgulden ging, bis
auf die Summe von funfzigtauſenden uͤberſchritten habe. „Der
Baumeiſter war ein Florentiner, Namens Bernhard.
Pius, nachdem er alles wohl betrachtet hatte, befahl, ihn her-
beyzurufen. Dieſen, der nach einigen Tagen eintraf, redete
[181] der Pabſt auf folgende Weiſe an: Sehr wohl haſt du gethan,
mein Bernhard, indem du mir den Aufwand verhehlt haſt,
der mir bevorſtand. Haͤtteſt du die Wahrheit geſagt, ſo wuͤrde
ich mich nie entſchloſſen haben, eine ſo große Summe aufzu-
wenden, und ſo wuͤrde dieſer edle Palaſt und Tempel auch
nicht entſtanden ſeyn, den gegenwaͤrtig ganz Italien preiſet.
Alſo durch deinen Betrug entſtanden dieſe herrlichen Gebaͤude
die Alle loben, mit Ausnahme einiger wenigen, welche der
Neid verzehrt. Wir danken dir herzlich, und halten dich un-
ter allen Baukuͤnſtlern unſerer Zeit der erſten Stelle werth.
Hierauf befahl er, dem Manne allen Lohn, und hundert Gold-
ſtuͤcke daruͤber, auszuzahlen, auch ihm ein Scharlachkleid zu
verehren. Ueberdieß ſetzte er ihn neuen Werken vor.
Der Pabſt baute ferner zur Linken der Kirche ein Haus,
worin der Probſt und die Domherren bequem wohnen konnten.
Es war dem Palaſte gegenuͤber, an der anderen Seite des
Platzes ein altes Haus, welches der Magiſtrat des Ortes inne
zu haben pflegte. Dieſes kaufte Pius, und uͤbergab es dem
Vicekanzler, damit er dort einen biſchoͤflichen Palaſt erbaue
und der heil. Jungfrau darbringe. Eben ſo kaufte er auch
andere Gebaͤude, welche der Kirche gegenuͤberſtanden, und ließ
ſie abtragen, um einen dritten Palaſt mit Bogengang, Hof
und Thurm zu erbauen, zum Gebrauch der Obrigkeit und der
Gemeine. Er ſchloß ſodann mit den Arbeitern ab und gab
ihnen einen großen Theil des Lohnes voraus; denn es war
ihm ſehr daran gelegen, den Hauptplatz von vier edlen Ge-
baͤuden umgeben zu ſehen. Es wurden auch andere Haͤuſer
mit aller Pracht im Orte aufgefuͤhrt. Zunaͤchſt dem Vicekanz-
ler erbaute der Cardinal von Artois ein hohes und weitlaͤuf-
iges Haus; dann der Schatzmeiſter; nach dieſem legte Gre-
[182]gorius Lolli den Grund. Der erſte von Allen war der Car-
dinal von Pavia; dieſer erbaute ein ſchoͤnes und wohlbelege-
nes Haus, welches ein Viereck bildete und von allen Seiten
frey war. Der Cardinal von Mantua kaufte einen Bauplatz.
Auch Thomas, der paͤbſtliche Kaͤmmerer und Bewahrer des
bleyernen Siegels, ſelbſt einige Eigenthuͤmer, warfen die alten
Haͤuſer ab, um neue aufzurichten; ſo daß allenthalben die vo-
rige Geſtalt des Ortes verſchwand. Darauf, am Feſte des
heil. Johonnes, weihte der Pabſt die Kirche, und verſetzte da-
hin den Biſchof von Chiuſi, Johannes Cinughi. Er ſicherte
die Kirche gegen verſtellende Aenderungen durch eine Verord-
nung, welche den Bannfluch gegen Alle ausſpricht, die ihr ent-
gegenhandeln. Sie iſt gegen allen Gebrauch bis auf den heu-
tigen Tag befolgt worden, eben wie uͤberhaupt alle obener-
waͤhnte Gebaͤude, wenigſtens an den Außenſeiten, noch immer
ihre alte Geſtalt bewahren.
Wir haben geſehen, daß Pius ſeinen Baumeiſter einen
Bernhard aus Florenz nennt; Niemand konnte in der
That wohl beſſer, als der Bauherr ſelbſt, den Namen und das
Vaterland ſeines Architecten angeben. Vaſari*) hingegen
mißt den ganzen Bau dem Francesco di Giorgio bey,
einem Maler, Bildner und Baumeiſter aus Siena, und hierin
ſind ihm, wie gewoͤhnlich, die meiſten, ja vielleicht alle **)
neueren Kunſtbuͤcher gefolgt. Waͤre Vaſari ein durchgehend
[183] zuverlaͤſſiger Schriftſteller, ſo wuͤrde man annehmen muͤſſen,
daß er dafuͤr Gruͤnde hatte, die gegenwaͤrtig unbekannt ſind.
Da es aber auch ſonſt ſeine Gewohnheit iſt, Vermuthungen
als Gewißheiten auszuſprechen, ſo haͤlt ſeine Angabe gegen das
Anſehen des Bauherrn ſelbſt nicht Stand. Die zuverlaͤſſig be-
kannten Lebensumſtaͤnde des Francesco machen es vollends
unwahrſcheinlich, daß ihm uͤberhaupt, und vorzuͤglich in ſo
fruͤher Zeit, eine Bauunternehmung von ſo großem Umfang
ſey aufgetragen worden.
Denn zunaͤchſt ſcheint Francesco um 1459, als Pius
ſeinen Bau unternahm, erſt ein Knabe, oder doch nur ein
Juͤngling geweſen zu ſeyn, weil ſeine Thaͤtigkeit um mehr als
vierzig Jahre ſpaͤter *) noch in Anſpruch genommen wird.
Vaſari, dem dieſer Umſtand entgangen war, ſetzt die Werke
des Francesco um 1480; Baldinucci laͤßt dieſen Kuͤnſtler gar
ſchon um 1470 ſterben; gerade um die Zeit, da die zuverlaͤſ-
ſigen Nachrichten von ſeiner Lebensthaͤtigkeit beginnen. Wenn
dieſe Unkunde auf der einen Seite die Glaubwuͤrdigkeit der
Behauptung Vaſari’s nicht gerade erhoͤht, ſo erklaͤrt ſie auf
der andern deren naive Sicherheit. — Nun geben uns die
Sieneſer Briefe **) aus einem Taufregiſter folgenden Auszug:
Francesco Maurizio di Giorgio di Martino pollajuolo,
battezato il 23. Settenbre 1439. Ich habe das Taufbuch
ſelbſt nicht geſehen; der Auszug aber hat das Anſehen der
Aechtheit. Denſelben großvaͤterlichen Namen: Martin, fand
ich unter den Magiſtraten, welche den 1. November 1485 ***)
[184] antreten, nemlich: Franciscus Georgii Martini, wo es kei-
nem Zweifel unterliegt, daß von unſerm Kuͤnſtler die Rede
iſt. Francesco war alſo 1459, als der Bau von Pienza be-
gann, im zwanzigſten Jahre ſeines Lebens, wo er ſchwerlich
den Grad von Ausbildung erreicht und einen ſolchen Namen
erworben hatte, daß man auf den Gedanken gerathen konnte,
ihn einer der groͤßten Unternehmungen jener Zeit vorzuſetzen.
In der That wird Franz, ſo viel mir bekannt iſt, vor dem
Jahre 1468, wo er als Zeuge in einem *) Contracte er-
ſcheinen ſoll, in keinem ſteneſiſchen Archive genannt; in den
naͤchſten Jahren aber, bis 1475, finden ſich nur Zahlungen
fuͤr Malereyen, woraus hervorzugehen ſcheint, daß er ſich in
fruͤheren Jahren vorzugsweiſe mit der Malerey beſchaͤftigt, und
erſt in der Folge auch andere Kunſtzweige ergriffen habe. Er
wird in dieſen fruͤheren Urkunden ſtandhaft Dipintore ge-
nannt, was jedoch auch in ſpaͤteren Zeiten, vielleicht als Re-
miniscenz, bisweilen wiederkehrt.
Nach dem Jahre 1475 verſchwindet Francesco fuͤr
einige Zeit aus den ſieneſiſchen Archiven. Er war **) ſchon
im Dienſte des Herzogs Friedrich von Urbino, welcher ihn
nunmehr ganz auf die Befeſtigungskunſt hinuͤberleitete, wie
[185] aus den eigenen Worten des Francesco in ſeiner Schrift uͤber
die Baukunſt zu entnehmen iſt. Den Originalentwurf des
genannten Werkes bewahrt die *) oͤffentliche Bibliothek von
Siena; eine andere Handſchrift beſitzt die **) Magliabecchiana
zu Florenz. Die Letzte iſt eine Abſchrift, wie die regelmaͤßige
Hand und die haͤufigen, ſinnloſen Schreibfehler bezeugen; ſie
empfiehlt ſich aber durch groͤßere Vollſtaͤndigkeit des Planes
und der Ausfuͤhrung. Vaſari erwaͤhnt verſchiedener Exem-
plare dieſes Werkes, und ſcheint gerade das florentiniſche als
das beſte zu bezeichnen. Auch ***)Scamozzi beſaß davon eine
Abſchrift, die vielleicht auf der oͤffentlichen Bibliothek von Ve-
nedig zu finden waͤre. Das florentiniſche Exemplar, welches
offenbar nach einem zweyten und verbeſſerten Entwurfe abge-
faßt iſt, ſtimmt darin mit dem ſieneſiſchen uͤberein, daß die
ſchoͤne Baukunſt, an ſich ſelbſt der kleinere Theil, faſt durch-
gehend nach Vitruv, die Befeſtigungskunſt hingegen durchaus
nach den eigenen Erfahrungen und Anſichten des Verfaſſers
abgehandelt wird. Eben daher moͤchte ich annehmen, daß
Francesco, ſeit ſeiner Ankunft in Urbino, die Befeſtigung als
ſein Hauptfach, die ſchoͤne Baukunſt aber jederzeit mehr als
Kenner und Liebhaber betrieben habe. In der That waͤre es
nicht befremdend, einen Kuͤnſtler, der ſein vielſeitiges Talent
gern zerſplitterte, den wir fruͤhe als Maler, dann, gegen ſein
Lebensende, als Bildner kennen lernen, auch in der Baukunſt
gleichſam als Liebhaber auftreten zu ſehen. Gewiß bezeichnet
[186]Francesco ſelbſt, mit Ausnahme ſeiner Befeſtigungen, nur ei-
nen *) Stall zu Urbino als ſein eigenes Bauwerk, und be-
gleitet dieſe Angabe mit allen Kennzeichen einer Selbſtgefaͤl-
ligkeit, die errathen laͤßt, daß er ſchwerlich wichtigere Leiſtun-
gen verſchwiegen haben wuͤrde. So zweckmaͤßig der Marſtall
des Herzogs von Urbino immer angelegt ſeyn mochte, ſo haͤtte
es ihm doch ungleich mehr ſchmeicheln muͤſſen, ſich den Bau-
meiſter der Palaͤſte von Pienza und Urbino nennen zu koͤnnen.
Allein er ſagt auch nicht ein Wort von dieſen Gebaͤuden; ich
brauche nicht auszufuͤhren, wie ſtark dieſes Stillſchweigen ge-
gen Vaſari zeugt.
Dahingegen ſagt uns **)Francesco ſelbſt, daß er die
Befeſtigung als Fach trieb, daß ihn ſein Herr und Goͤnner
darauf hinleitete, und laͤßt uns zugleich die Bedeutung ahnen,
welche er ſeinen Entdeckungen im Befeſtigungsweſen beymißt.
Nachdem er die Schwierigkeit, der Wirkung des Canon’s zu
begegnen, vorher ausgefuͤhrt hat, faͤhrt er fort: „ich haͤtte
mich nie vermeſſen, die Mittel der Vertheidigung gegen ſolche
Gewalt ausſinnen zu wollen, waͤre es nicht durch Antrieb und
mit Huͤlfe meines Herrn Friedrich von Urbino geſchehen. Die
Weisheit dieſes Fuͤrſten benahm mir das Bedenken, welches
die Schwierigkeit des Gegenſtandes in meiner Seele aufſtei-
gen machte.“ Der Herzog Friedrich ſetzte die Entdeckungen
unſeres Francesco***) in Anwendung, denn er ließ durch ihn
[187] verſchiedene kleine Feſtungen erbauen, die Cittadelle von Cagli,
Saſſo di Montefeltro, Tavoletto, Alaſerra, Mondavi und
Mondoſi.
Demnach war Francesco di Giorgio einer der Be-
gruͤnder der neueren Befeſtigungskunſt: zunaͤchſt, weil er ſelbſt
mit großer Unbefangenheit als Reſultat ſeines eigenen Nach-
denkens mittheilt, was ſein Buch daruͤber enthaͤlt; dann, weil
dieſe Reſultate an ſich ſelbſt hoͤchſt wichtig ſind, indem ſie
bereits die Grundzuͤge der gegenſeitigen Vertheidigung vorzeich-
nen. Er *) ſagt nemlich: man muß die Baſteyen, die er
noch rund anlegt, an den Winkeln anbringen, welche die Sei-
ten des Polygons bilden, damit beide anſtoßende Seiten da-
von beſtrichen werden, und eine **) Baſtey die andere verthei-
digen koͤnne.“ Nun mußte der Kriegesruhm des Herzogs von
Urbino dieſen Verbeſſerungen uͤberall in Italien einen ſchnellen
Eingang verſchaffen. Die Geſchichtſchreiber der Kriegs-Bau-
kunſt ſcheinen daher unſerem Kuͤnſtler lange nicht den Platz
einzuraͤumen, der ihm gebuͤhrt.
Spaͤterhin als Francesco, nach dem Tode des Herzogs
[188]Friedrich, wieder in Siena verweilte, trat er ausdruͤcklich als
Ingenieur in die Dienſte der Republik. In ſeiner *) Be-
ſtallung vom 29. December 1485. heißt es unter andern:
„in Dienſt genommen — fuͤr die Nothdurft der Stadt, ſo
wie der Ortſchaften und Feſtungen derſelben.“ Er nennt ſich
ſelbſt in einer Bittſchrift vom Jahre **) 1488: „Fran-
cesco di Giorgio Ingegnere,“ und ſo benennt ihn
auch das Decret der Bewilligung vom 18. November deſſ. J.
Im ***) Jahre 1499 werden ihm die Koſten der Ruͤckreiſe
von Montepulciano nach Siena verguͤtet, ohne genaue An-
gabe der Urſache der Reiſe; doch iſt ſie, hoͤchſt wahrſcheinlich,
die Sicherung dieſer wichtigen Beſitzung, weil jeder andere
Bau nicht die Regierung von Siena, ſondern die Gemeine
von Montepulciano anging. Endlich im Jahre 1501. wird
er ins †) Feld geſandt und erhaͤlt dafuͤr zehn Ducaten Rei-
ſeverguͤtung. — Faſſen wir nun zuſammen, daß Francesco,
als Schriftſteller, nur in der Fortification originell, ausfuͤhr-
lich und erſchoͤpfend iſt; daß er als Baumeiſter des Herzogs
von Urbino, ſechs Feſtungen gegen einen einzigen Stall er-
baut; daß er ſpaͤterhin im Dienſte der Republik Siena gera-
dehin: Ingenieur, benannt wird, und fuͤr die Feſtungswerke
des Staates zu ſorgen hat: ſo muß man wenigſtens dieſes
[189] zugeben, daß die Kriegs-Baukunſt einen ſehr wichtigen Theil
ſeines Berufes ausmachte.
Freylich war die Befeſtigung in jenen fruͤhen Zeiten
durchaus in den Haͤnden der Architecten. Die Beſchaͤftigung
mit dem Feſtungsbau ſchloß daher die ſchoͤne Architectur nicht
aus, in welcher unſer Franz, alles Angefuͤhrten ungeachtet, ein
großer Meiſter ſeyn konnte. Allein wie waͤre es denn erklaͤr-
lich, daß wir von keinem einzigen ſeiner ſchoͤnen Bauwerke
ſichere Kenntniß haben, da wir doch ſeine anderweitige Wirk-
ſamkeit etwa ſechs und dreyßig Jahre lang in den Urkunden
und in ſeinen eigenen Schriften verfolgen koͤnnen? — Die
ſieneſer Briefe *) geben uns ein langes Verzeichniß ſeiner
Bauwerke, ſollte man glauben, daß auch von keinem einzigen
erwieſen iſt, daß Francesco den Entwurf dazu gemacht habe,
daß bey verſchiedenen, z. B. bey den Bauwerken Pius II.,
das Gegentheil geradezu am Tage liegt? In der That koͤnnen
wir nur den mehrerwaͤhnten Marſtall zu Urbino, als ein zu-
verlaͤſſiges Bauwerk des Francesco di Giorgio angeben. Die-
ſer Stall iſt vielleicht noch derſelbe, den Baldi**) in ſeine
Beſchreibung des Palaſtes zu Urbino aufnimmt.
Vaſari jedoch macht unſern Franz zum Baumeiſter des
Schloſſes ſelbſt, welches zu den uͤberlegteſten und wohlausge-
fuͤhrteſten Bauwerken jener Zeit gehoͤrt. Herzog Friedrich hatte
dieſen Bau, nach Repoſati***), ſchon 1447. begonnen. Hin-
[190] gegen haben wir oben geſehen, daß Francesco erſt nach dem
Jahre 1475 in die Dienſte dieſes Fuͤrſten eingetreten iſt. Die-
ſer letzte aber hinterließ ſeinen Palaſt vollendet, als er 1482.
das Zeitliche geſegnete. Wenn nun dieſe Zeitangaben auf der
einen Seite ſehr wohl zulaſſen, daß Francesco, wie er ſelbſt
angiebt, den Bau durch einen Marſtall — nach der Beſchrei-
bung vielmehr durch eine Caſerne fuͤr die Reiterey des Her-
zogs — ergaͤnzte, ſo ſchließen ſie doch die Moͤglichkeit aus,
daß er den Palaſt ſelbſt erbaut habe. Allein ſelbſt von die-
ſen Gruͤnden abgeſehen, fehlt es auch hier, eben wie zu Pienza,
nicht an beruͤhmten Kuͤnſtlern, welche jenen Bau in Anſpruch
nehmen, deren Wirkſamkeit ungleich genauer mit der Zeit des
Baues ſelbſt zuſammentrifft. Der eine iſt ein gewiſſer Lu-
cian, aus Laurana in Dalmatien, der auch ſonſt als Ma-
ler und Baukuͤnſtler Ruhm erworben hat. Baldi*) behaup-
tet das Diplom geſehen zu haben, welches Herzog Friedrich
dieſem Lucian mit ausdruͤcklicher Beziehung auf den Bau ſei-
nes Palaſtes ausgeſtellt hatte. Der andere iſt Baccio Pon-
tello, bey Vaſari: Pintelli, deſſen Grabſchrift in der
Kirche S. Domenico zu Urbino, wie Baldi behauptet, ſeiner
Mitwirkung zum Baue des herzoglichen Palaſtes erwaͤhnt.
Beide Nachrichten, welche doch nicht wohl erſonnen ſeyn koͤn-
nen, weil ſie ſo ſpeciell ſind, und weil hier gar keine Urſache
des Betruges erſinnlich iſt, laſſen ſich ſehr gut vereinigen.
Denn bey ſo großen Bauunternehmungen iſt es nicht unge-
woͤhnlich, daß verſchiedene Meiſter einander in der Leitung
des Baues nachfolgen; wir haben oben geſehen, daß ſelbſt
dem Francesco di Giorgio noch ein Zuſatz zum Hauptgebaͤude
[191] anzuordnen uͤbrig blieb. Haͤtte Baldi, ſtatt anderer Weitlaͤuf-
tigkeiten, das Diplom des Lucian und die Grabſchrift des
Baccio in ihrer Ausdehnung mitgetheilt, ſo wuͤrde ſich haben
entſcheiden laſſen, welcher dieſer beiden Architekten den erſten
Entwurf gemacht, und dem andern vorgeleuchtet habe. —
Vaſari ſcheint alſo auch hier einer bloßen Vermuthung gefolgt
zu ſeyn, auf welche ihn vielleicht die Verbindung des Herzogs
mit unſerem Franz geleitet hatte, welche durch deſſen Schrif-
ten zu ſeiner Kenntniß gelangt ſeyn mußte.
Indeß moͤge es nicht ſcheinen, als ſolle hier dem Fran-
cesco di Giorgio alle Kenntniß und Uebung in der ſchoͤnen
Baukunſt abgeſprochen werden. Daß er gruͤndliche Baukennt-
niſſe beſaß, geht ſchon daraus hervor, daß er den Feſtungs-
bau gruͤndlich verſtand und mit Erfolg betrieb. Eben dieſe
praktiſchen Baukenntniſſe wurden auch anderweitig in Anſpruch
genommen. Man ſetzte ihn zu Siena uͤber den freylich ſchon
vollendeten *) Dom, in welchem er die Verlegung der hoͤlzer-
nen Chorſitze angab und leitete. Man zog ihn ferner **) in
Mailand zu Rathe, als man die Kuppel der Domkirche er-
richtete; auch hier war der gothiſche Entwurf ſchon vorhanden,
und es galt nur Vortheile der Conſtruction. Man rief ihn
auch nach ***)Lucca; es erhellt nicht, zu welchem beſonderen
Baue. Endlich gewaͤhrt ihm die Republik im Jahre 1493.
[192] den *) Urlaub, um einem Rufe des Herzogs von Calabrien
nach Neapel zu folgen, und hier galt es ohne Zweifel nur
die Anlage und Verbeſſerung von Feſtungswerken. Denn das
aragoniſche Haus ward gerade damals von Karl dem Achten
und von dem italieniſchen Buͤndniſſe bedroht, und ruͤſtete ſich
zu einer Gegenwehr, welche, wie immer, vergeblich blieb.
Die ſieneſer **) Briefe geben aus dritter Hand den Aus-
zug eines Beſchluſſes aus dem oͤffentlichen Archive zu Cor-
tona, der ungenau iſt, und auf dieſe Weiſe chronologiſche
Unſtatthaftigkeiten herbeyfuͤhrt, welche an Ort und Stelle zu
berichtigen mir nicht vergoͤnnt war. Indeß ſandte mir der
verdienſtvolle Bibliothekar zu Cortona, Herr Canonicus Man-
ciati, eine zuverlaͤſſige Abſchrift derſelben Urkunde, aus wel-
cher hervorgeht, daß man im Jahre 1485., bey Gruͤndung
der Kirche Sta Maria del Calcinajo, auf ein fruͤher von
unſerem Franz angefertigtes Modell dieſer Kirche Bedacht nahm.
Ob dieſes Modell in der Folge ausgefuͤhrt worden ſey, be-
zweifle ich. Manciati fand im oͤffentlichen Archive zu Cor-
tona keine Nachrichten uͤber den Fortgang des Baues, und
verwies mich auf ein ***) Buch, welches ich nicht habe auffin-
den koͤnnen. Die noch vorhandene Kirche ſchien mir an der
Stelle zu neu, um von einem Baukuͤnſtler herruͤhren zu koͤn-
nen, der nach dem Jahre 1506. aus der Geſchichte verſchwin-
det; daß man noch ungleich ſpaͤter daran gearbeitet, erhellt
aus der Erwaͤhnung des Vaſari, daß ſein eigener Zeitgenoſſe,
der
[193] der juͤngere San Gallo, ebenfalls ein Modell zu dieſer Kirche
gemacht habe. Unter allen Umſtaͤnden gewinnen wir durch
obige Nachricht, wenn gleich kein Bauwerk, nach welchem der
Baugeſchmack unſeres Franz beſtimmt werden koͤnnte, doch
wenigſtens die Gewißheit, daß man ſein Talent fuͤr ſchoͤne
Baukunſt wirklich in Anſpruch genommen. Es iſt mir nicht
gelungen, Anderes uͤber die architectoniſche Wirkſamkeit eines
Kuͤnſtlers aufzufinden, den ſeit Vaſari alle Kunſtbuͤcher unter
die groͤßten Baumeiſter ſeiner Zeit verſetzen. Wenn wir nun
auch in Francesco di Giorgio einen vortrefflichen Baukuͤnſtler
aus der Kunſtgeſchichte zu verlieren ſcheinen, ſo gewinnen wir
hingegen in dem Florentiner Bernhard einen der groͤßten
Nachfolger des Brunelleschi, der bis jetzt ſelten zur Sprache
kam, weil ein bedeutender Theil ſeiner Werke ſeit Vaſari auf
den erſten uͤbertragen wurde.
Um die Mitte des funfzehnten Jahrhundertes, oder zur
Zeit des Baues von Pienza, erwaͤhnt die Kunſtgeſchichte eines
einzigen florentiniſchen Architecten dieſes Namens. Vaſari*)
nennt ihn Bernardo Roſſellini; ſeine Nachrichten uͤber
die Wirkſamkeit dieſes Baukuͤnſtlers entlehnt er aus einer **)
Lobſchrift auf Nicolaus V., welche Giannozzo Manetti, ein
Florentiner und Hoͤfling deſſelben Papſtes, verfaßt hat. Dieſe
Lobſchrift giebt uns von den großartigen, auf das eintraͤglichſte
aller Jubilaͤen geſtuͤtzten Bauunternehmungen Nicolaus V.
eine umſtaͤndliche Nachricht und beſchließt ſie mit den Wor-
II. 13
[194] ten: *) „dieſem allen war unſer Florentiner Bernhard
vorgeſetzt; der Pabſt ſtand durch ihn allein mit allen uͤbrigen
Meiſtern und Gehuͤlfen in Verbindung.“ Es waͤre ſchon an
ſich ſelbſt ſehr wahrſcheinlich, daß Pius denſelben Baukuͤnſtler
hervorgezogen habe, welcher kurz vorher das Vertrauen ſeines
Vorgaͤngers gerechtfertigt hatte; denn es liegt nur das kurze
Pontificat Calixtus III. zwiſchen Nicolaus V. und Pius II.
Nun kommt hinzu, daß kein hiſtoriſcher Grund vorhanden iſt,
hier zwey gleichzeitige Architecten deſſelben Namens und Va-
terlandes anzunehmen. Jeden Zweifel aber, der etwa noch
uͤbrig waͤre, beſeitigt zunaͤchſt die Analogie der Richtung in
den Bauunternehmungen beider Paͤbſte, indem ſie nicht ſo-
wohl auf die Errichtung einzelner Gebaͤude, als auf die Ueber-
einſtimmung aller Gebaͤude in ganzen Straßen, Plaͤtzen und
ſtaͤdtiſchen Quartieren ausgingen; dann die Aehnlichkeit der
Bauart einiger Theile des beſterhaltenen Werkes Nicolaus V.
mit den entſprechenden Theilen der Gebaͤude Pius II., ſo daß
ich in dem Florentiner Bernhard des einen und des andern
Pabſtes nur einen und denſelben Baukuͤnſtler ſehe und anneh-
men kann. Ich bezeichnete oben die inneren Theile, vorzuͤglich
die offenen Bogenhallen des großen Hofes der Burg von
Spoleto, von der Manetti ſagt, daß ſie unter Nicolaus V.
durchaus vollendet und bewohnbar gemacht wurde. Freylich
moͤchte der Marktplatz von Fabbriano, den Nicolaus gaͤnz-
lich erneut hat, ungleich mehr geeignet ſeyn, die Gemeinſchaft-
lichkeit der Bauart unſeres Bernhards unter dem einen, wie
dem andern Pabſte darzulegen. Allein ich fand bis jetzt nicht
Gelegenheit ihn zu ſehen, und kann nicht einmal mit Be-
[195] ſtimmtheit angeben, ob er ganz oder doch zum Theil ſeine erſte
Geſtalt bewahrt habe. Architecten, welche laͤngere Zeit hindurch
mit der Vermeſſung der pientiniſchen Gebaͤude beſchaͤftigt wa-
ren, fanden auch zu Viterbo, wo Nicolaus V. hat bauen laſ-
ſen, Gebaͤude in dem Geſchmacke des Bernardo. Das Schloß
von Narni, der Thurm der Engelsburg zu Rom ſind groͤß-
tentheils noch in dem Zuſtande, in welchen Nicolaus V. ſie
geſetzt hat. Allein dieſe Mauern und Zinnen, obgleich voll
Charakter, ſind doch in der Anlage und Beſtimmung zu ver-
ſchieden von den Bauwerken zu Pienza, als daß man bey ei-
ner kuͤnftigen Vergleichung allenthalben auf Aehnlichkeiten rech-
nen koͤnnte. In der That aber genuͤgt es, die Bogenſtellung
der innern Logen der Burg von Spoleto in Beziehung auf
Verhaͤltniſſe und Zierden mit den Saͤulengaͤngen der Palaͤſte
zu Pienza zu vergleichen, um einzuſehen, daß in den Werken
beider Paͤbſte eine hinlaͤngliche Verwandtſchaft der Bauart vor-
handen iſt.
Mit Sicherheit werden wir ferner aus der Gemeinſchaft-
lichkeit des Bauherrn und aus der Verwandtſchaft der Bauart
ſchließen koͤnnen, daß die Palaͤſte und andere Gebaͤude, welche
Pius II. in Siena ſelbſt errichten ließ oder doch befoͤrderte,
von demſelben Baumeiſter angelegt wurden, deſſen Leiſtungen
zu Pienza uͤber alle Hofraͤnke ſiegten. Wir haben oben geſe-
hen, daß Pius ſagte: der Pabſt habe ihn nicht allein be-
ſchenkt und gelobt, ſondern auch anderen Werken vor-
geſetzt. Dieſer Ausdruck wird zunaͤchſt auf Pienza ſelbſt zu
deuten ſeyn, wo auch die Hoͤflinge, welche dort aus keinem
andern Antriebe, als dem der Gefaͤlligkeit gegen ihren Herrn,
ſich anbauten, in der Wahl des Baumeiſters ſchwerlich den
Anſichten des Pabſtes entgegengehandelt haben; dann aber
13 *
[196] und um ſo mehr auf die Palaͤſte in Siena, weil hier nur
der Pabſt ſelbſt, oder ſeine naͤchſten Verwandten die Bau-
herrn waren.
Pius II. errichtete zu Siena die Bogenhalle in der Naͤhe
der Kirche des Hl. Martin und legte um einige Jahre ſpaͤter
den Grund zu jenem ſchoͤnen Familienpalaſte der Piccoluo-
mini, den er ſeinem Neffen beſtimmte. Dieſes treffliche Ge-
baͤude gilt, in Anſehung ſeiner Aehnlichkeit mit den pientini-
ſchen Palaͤſten ſeit Vaſari fuͤr ein Werk des Francesco di
Giorgio;*) mit dem erſten Irrthume faͤllt auch der zweyte.
Allerdings ward der Palaſt Piccoluomini, jetzt: collegio To-
lomei, nicht fruͤher, als einige Jahre nach dem Tode des
Pabſtes beendigt; denn die Republik bewilligte noch im Jahre
1469. eine Erweiterung des Bauplatzes auf Koſten der oͤffent-
lichen Straße.**) Indeß hatte der Pabſt den Bau ſchon
im Jahre 1460 begonnen, wie aus dem Nachlaß der Con-
tractſteuer hervorgeht, welchen die Republik ihm gelegentlich
des Ankaufs der Bauplaͤtze bewilligt.***) Hier einen anderen
[197] Architecten anzunehmen, als jenen Bernardo, nun gar den
Francesco di Giorgio, deſſen Andenken nirgend ſo weit zu-
ruͤckreicht, waͤre, nach dem bereits Beygebrachten, eine ſtraͤf-
liche Hartnaͤckigkeit. Ich hoffe daher, daß man den Roſſel-
lini nunmehr uͤberall in ſeine Rechte wiedereinſetzen werde;
und um ſo mehr, da ihm der Ruhm zu gebuͤhren ſcheint,
dem Baugeſchmacke der Schule des Brunelleschi zuerſt Maß
und Zierde verliehen zu haben. Allein auch die Beweglichkeit
und Vielſeitigkeit dieſes Kuͤnſtlers verdient Anerkennung; keine
Vorliebe fuͤr dieſe, oder jene andere Zierde ſcheint jemals ihn
verleitet zu haben, das Weſentliche ſeiner jedesmaligen Auf-
gabe aus den Augen zu laſſen. Moͤchten reiſende Architecten
kuͤnftighin ſeinen Arbeiten zu Siena, Pienza, Viterbo, Narni,
Spoleto und Fabbriano eine groͤßere Aufmerkſamkeit zuwen-
den und, ohne vor fremdartigen Profilen zu ſtutzen, den fei-
nen Sinn in der allgemeinen Anlage und vornehmlich in der
Zuſammenſtellung ganzer Gebaͤudegruppen ſtudiren wollen, in
welchem Bernardo mir einzig und ganz unvergleichbar zu ſeyn
ſcheint.
[198]
Wahrſcheinlich ward auch die Wohnung, welche der Pabſt
ſeiner Schweſter, Katharina Piccoluomini, Mutter des Her-
zoges von Amalfi, in der Hauptſtraße zu Siena einrichten
laſſen, von unſerem Bernhard angegeben. Dieſes Haus (ge-
genwaͤrtig gehoͤrt es der Familie Nerucci) hat allerdings ein
derberes Anſehn, ſtaͤrkere Ausladung der Werkſtuͤcke des Unter-
geſchoſſes und der verzierenden Glieder. In der allgemeinſten
Anlage ſtimmt es indeß mit jenen ſchon bezeichneten Bauwer-
ken des Bernardo uͤberein; auch faͤllt dieſer Bau in eben die
Zeit, als Bernardo zu Pienza fuͤr den Pabſt beſchaͤftigt war,
da Katharina ſchon im December 1459. den Bauplatz erſtan-
den hatte*), deſſen von ihr nachgeſuchte Erweiterung auf
Koſten der oͤffentlichen Straße im October des folgenden Jah-
res von der ſtaͤdtiſchen Regierung bewilligt ward**). Sie
hatte ihren eigenen Architecten, welcher, ſchon weil das ange-
[199] zogene Actenſtuͤck ihn nicht nennt, hoͤchſt wahrſcheinlich dem
ſieneſiſchen Gemeinweſen fremd war. In dieſer Stadt hatte
der neue florentiniſche Geſchmack bis um die Mitte des funf-
zehnten Jahrhundertes den gothiſchen noch nicht ſo ganz un-
terdruͤcken koͤnnen. In den Bildnerarbeiten des Jacob della
Guercia, in den Pfeilern der Loggia di ſan Paolo und in
anderen, nach damaligem Stande des Gemeinwohles, wenig
bedeutenden Unternehmungen dieſer Zeit miſcht ſich der neu-
aufkommende antike Stoff noch durchhin mit gothiſchen Re-
miniscenzen. Nachdem die Richtung des Brunellesco endlich
auch Siena ergriffen hatte, bildeten ſich, doch immer um De-
cennien ſpaͤter, als die Bauwerke Pius II., einige Baumeiſter
in der neueren Manier. Doch blieben auch dieſe bis auf den
Baldaſſare Peruzzi in den Verhaͤltniſſen ungleich willkuͤhrlicher,
als die Florentiner. Der Palaſt Spannocchi in der Haupt-
ſtraße, ein kleinerer in der Gegend des roͤmiſchen Thores,
ſcheinen dem Hauſe der Katharina Piccoluomini nachgeahmt zu
ſeyn. Hingegen giebt es zu Siena und in deſſen Gebiete viele
in Backſtein ausgefuͤhrte Gebaͤude von einem nur dieſer Ge-
gend eigenthuͤmlichen Charakter. Dahin gehoͤrt das Haus
Bartali in der Hauptſtraße, die Kappelle neben dem Palazzo
de’ Turchi vor dem florentiniſchen Thore, das Kloſter Monte
Uliveto maggiore bey Chiuſuri und Anderes. Dieſe Gebaͤude
zeigen in ihren Thuͤr- und Fenſteroͤffnungen eine groͤßere Breite
und Niedrigkeit der Anlage, als uͤberhaupt lobenswerth iſt,
und unterſcheiden ſich hiedurch insbeſondere von den florenti-
niſchen Bauwerken des funfzehnten Jahrhundertes, bei denen
ſchlanke Verhaͤltniſſe beliebt waren. Mit Sicherheit kann ich
von keinem einzigen dieſer eigenthuͤmlich ſieneſiſchen Bauwerke
den Meiſter angeben; doch werden ſie wahrſcheinlich dem Coz-
[200] zarello, dem Francesco di Giorgio und anderen Kuͤnſtlern die-
ſer Zeit beyzumeſſen ſeyn, von denen wenigſtens im Allgemei-
nen bekannt iſt, daß ſie ſich auf die Baukunſt verſtanden ha-
ben. Bey ſo entſchiedenem Gegenſatze der Bauſchulen von
Florenz und Siena wird jenes ganz florentiniſche Haus der
Katharina Piccoluomini ſicher nicht von einem Sieneſer, wenn
aber von einem Florentiner, doch wahrſcheinlich nur von jenem
Bernardo entworfen ſeyn, den Pius II. vor Anderen wuͤrdigte
und beguͤnſtigte.
Vaſari kannte den Francesco di Giorgio aus deſſen Schrif-
ten um etwas naͤher, als andere Kuͤnſtler, welche gleichzeitig
oder fruͤher zu Siena gearbeitet haben; daher entſtand, daß
er demſelben einige Arbeiten unterordnete, von denen er nur
allgemeine Kunde beſaß. Es ſcheint, daß ſein Beyſpiel die
Spaͤteren angeſteckt und ſie verfuͤhrt habe, dem Francesco
auch einige Bildwerke unterzuſchieben, welche in der That an-
deren, minder bekannten Kuͤnſtlern aufgetragen und bezahlt wor-
den ſind. Dieſe Arbeiten ſind in der That ſehr maͤßig; indeß
fodert die Gerechtigkeit, ſie ihren Meiſtern zu retten.
An der Vorhalle des Caſſino de’ Nobili zu Siena, der
ehmaligen loggia di s. Paolo, befinden ſich einige Statuen
von hinreichender Groͤße, deren zwey, die Figuren der Hl.
Petrus und Paulus, von Vaſari und Anderen dem Vecchietta
beygelegt werden; wahrſcheinlich folgte er hierin ſeinem ſiene-
ſiſchen Berichtgeber, welcher ihn hier, wie gewoͤhnlich irre ge-
leitet hat*). In dem Hl. Anſanus und einem anderen ihm
gegenuͤberſtehenden Heiligen will Della Valle, nach einem an-
maßlichen Kennergefuͤhle, die Hand des Francesco di Giorgio
[201] erkennen, Andere wiederum, den Jacopo della Quercia. Indeß
findet ſich in den gebundenen Protocollen der ſieneſiſchen Dom-
verwaltung, daß man dieſe Statuen 1451. je zwey dem Ur-
bano da Cortona*) und drey dem Antonio di Federigo**)
verdungen hat; zween Bildhauern, welche faſt unbekannt ſind,
obwohl ſie damals in ihrer Vaterſtadt eine ganz anſehnliche
Stelle eingenommen haben. Urbano hatte im Dome von
Siena, zugleich mit ſeinem Bruder Bartolomeo eine Kappelle
verziert***), deren Ueberreſte man ſpaͤterhin innerhalb der
Kirche in die Mauer des Thurmes eingelaſſen hat. Antonio
findet ſich verſchiedentlich in den Buͤchern der Domverwaltung,
welche ihn mit Statuen zur aͤußeren Verzierung der Kirche
beſchaͤftigt †). Im Jahre 1457. bezahlt die Domverwaltung
ihm eine Statue des Hl. Petrus††), woraus abzunehmen iſt,
daß Petrus und Paulus an der mehrgedachten Vorhalle von
ſeiner Hand ſind, wie ebenfalls eine dritte gegenuͤberſtehende,
welche mit jenen eine gewiſſe Magerkeit der Ausfuͤhrung ge-
mein hat. Es blieben dem Urbano da Cortona die beiden
mittleren, der Hl. Anſanus und deſſen Gegenſtuͤck, welche von
obigen durch Breite der Formen, Lebendigkeit der Bewegung
ſich unterſcheiden.
[202]
Belege
I.Lorenzo da Viterbo.
Nicola della Tuccia, annali di Viterbo. p. 112.
(Die Abſchrift verdanke ich Herrn Abbate Semmeria.)
„— Per far ricordo di me Nicola de Bartolomeo
altrimenti detto Nicola della Tuccia Scriptore de questi
ricordi fatti insino al dì infrascripto, dico, che tra quali
tempi uno spettabile Ceptadino nominato Nardo Maz-
zatosta de Viterbo habitante nella contrada de Sancto
Simeone in quella Casa a pie de detta contrata, nella
quale sta uno capo scale con palco il più bello et ho-
norevole, ove sotto la scala sta un porticale in modo
di loggia, e case. Il qual Nardo sopradetto de sua
propria Pecunia fece fare una honorevole cappella nella
Chiesa de Sancta Maria della Verità, ove sta la Im-
magine della nostra Donna, e depinta, et ornata per
mano de Mastro Lorenzo figliolo di Giacomo de Pie-
tro Paulo de Viterbo habitante presso la porticella,
la quale va alla Chiesa della Trinità in Piano de
Sancto Faostino, nella quale Cappella è ornata, et
depinta tra le altre figure la historia della gloriosissima
sempre Vergine Maria nostra clementissima Matre, et
in quella historia sta alla mano manca, quando entrate
in detta Capella, ove appare, chessa Vergine gloriosa
lè dato lo anello da Sancto Giuseppe, ove sono molti
giovani cavati dal naturale, tra quali da quello lato, ove
sta la gloriosa Vergine sono depinte certe donne de
più reggioni, et dietro a detto donne sta una vestita
de negro in forma de vedova, et dietro a quella detto
[203] Mastro Lorenzo volse depingere me, et cavarme dal
naturale, et così fece, ove vedrete uno antico homo detà
danni 68½ o circa, vestito de paonazzo, et col mantello
addosso, et una barretta tonda in testa, et calze negre,
et quello e fatto alla similitudine mia, fatta a di 26.
aprile 1469., et quelle persone, che vorranno leggere
le mie scripture, et cognoscermi, vada a vedere in quello
loco, laltre figure sono fatte a similitudine daltri, delle
quali al presente non fo memoria.“ —
II.Urbano di Pietro da Cortona.
1. Archiv. dell’ opera del Duomo di Siena. Libro
E. 4. memorie. fo. 23. a. t.
MCCCCLI. a di 16. di Luglio. Memoria come que-
sto di detto maestro Urbano di Pietro da Cortona in-
talgliatore si conducie da gli oparari di s̅c̅o̅ Paolo af-
fare due figure di marmo da porsi a le colonne overo
a tabernacoli de le colonne desso s̅c̅o̅ Pavolo et quelli
s̅c̅i̅ che per essi oparari gli sara detto. le quali figure
promette davere fatte et poste per fino a quattordici
mesi prossimi avenire a tutte sue spese et deba la fare
belle intere et schiette et di bellavoro a segno
di buon maestro et debba avere dalluopara nostra
per mercie et salario de la sua fadiga fiorini ciento
quaranta in tutto di lire quattro fiorino et cosi sono le
dette parti insieme daccordo etc. — Le quali figure
debba lavorare di marmo del nostro contado et debba
le fare grandi quanto si richiede a la grandeza de
detti tabernacoli.
[204]
2. Archiv. et libro citt. fo. 29.
Memoria come a di XVIII. dottobre 1451. Misser
lopararo predetto per vigore de la remissione in lui
facta per li suoi conseglieri allogo a Maestro Urbano
di Pietro et Bartholomeo suo fratello schultori da Cor-
tona una cappella da farsi per loro in duomo a laltare
de la Madonna dele gratie con questi modi et pacti:
cioe che essi Maestro Urbano et Bartholomeo sieno
tenuti et debbino fare la detta cappella di marmo gen-
tilmente lavorata et essa ponere et finire a tutte loro
spese di marmi et ongni altri lavori bisognevoli a la
fabrica dessa cappella per tenpo di tre anni proximi
da cominciare in calende di gennaro proximo, del
quale lavoro debbino avere da luopara et suoi cam.
fiorini 900. di Lire IV° il fiorino di tempo in tempo
come serviranno.
Item che la detta cappella sia bene proportionata
et conposta in tutte le sue parti et con debite misure
di largheza et alteza, et sporti fuore del muro braccia
1. ¼. ne suoi pilastri seguendo lavanzo del lavoro a la
debita misura che portano non scemando il detto brac-
cio ¼ per largheza.
Item che la detta cappella sia conforme al disegno
de la cera na (ne ha) fatto il detto Maestro Urbano
il quale a il detto opararo, et ad essa forma si debbi
fare, ma che pilastri sieno a forma duno dessi sola-
mente, cioe di quello che e a storie et non a figure
grandi di quelle storie che per detto oparaio li saranno
imposte.
Item che nel fregio sopra larcitravo in luogo da-
[205] quile et vasi che sonel (son nel) disegno debi fare IV.
Evangelisti In forma danimali come li figura la chiesa.
Item che la base de pilastri sieno belle et vantag-
gino il detto disegno a forma di uno disegno fatto con
penna in uno suo libretto, dove da capo al disegno e
una crocetta, et e scripto, In ponte.
Item che le dette base pilastri capitelli arcitravi et
fregio predetto sieno tutti di pietre da cierro et le
figure de le storie et l’altre di tutto il lavoro sieno di
mezo relievo et piu o meno come verranno Intaglio
(sic) a le storie, sicche sieno di buona apparenza, et
di lavoro gentile et maestrevole.
Item che la cornice di sopra che ricigne il frontone
sia grossa al pari di quella di sotto che attraversa la
cappella et di quello lavoro o megliore. Item etc.
(Formeln.)
3. Archiv. cit. Libro E. 6. Deliberazioni. fo. 21.
a. t. Die V. Julii 1456.
Et decreverunt quod statua marmorea ad Immagi-
nem s̅c̅i̅ Bernardini exsistente penes magistrum Urba-
num quae statua est opere consignata per donatorem
conventu observantie sci Bernardini et quod sumptibus
opere finiatur et detur ut supra.
fo. 29. 25. Sept. 1456.
— Del. quod sit remissum in dominum operarium
quod possit facere pretium figure s. Bernardini donate
fratribus observantie s̅c̅i Bernardini per magistrum Ur-
banum et ponendum ad conputationem dicti magistri
Urbani.
[206]
fo. 60. a. t.die XXIII. Sept. 1459.
Insuper decreverunt quod eidem magistro Urbano
solva̅tur floreni sex de libris 4 pro quolibet floreno pro
ejus mercede eo quod fecit et construcsit figuram sancti
Bernardini de Senis positam in ejus cappella in eccle-
sia catedrali. Et quod camerarius eidem magistro Ur-
bano praedicto solvat sine suo praejudicio etc. —
4. Arch. cit. E. 5. fo. 137 (197.) a. t. VIII. Ja-
nuarii 1454 (1455.) — prestare a Maestro Urbano di
Pietro da Cortona maestro di pietra di ducati otto da
schontarsi o rendarsi come parra alloparaio et conse-
glieri.
III.Antonio di Federigo*).
1. Archiv. cit. libro E. 4. memorie. fo. 25. a. t.
1451. Richordo come questo di 7. di settenbre Bar-
tolomeo di Pavolo di Gabriello Ricevette per maestro
Antonio di Federigo scarpellatore di marmo libre tre-
ciento si gli dette per parte di tre fighure di marmo
si fanno fare in su la logia di sampavolo con questa
conditione: promette detto a lo spettabile cavaliere Mis-
ser Mariano bargalgli oparaio et alloparari di santo
Pavolo che detto maestro Antonio servira in sopradetto
lavoro et a quello tempo che e oblighato come e ro-
gato ser arduino di Lunardo. Et due non servisse
come e detto ristituire dette lire trecento. Et questo
appare allibro de le ricordanze segnato b. di detto Bar-
tolomeo e Pavolo a fo. 68.
[207]
2. Archiv. cit. libro E. 6. fo. 33. a. t. die XXX.
Jan. 1456. (1457.)
— Decreverunt locare et locaverunt magistro An-
tonio Federigi lapicide de Senis ad faciendum qua-
tuor statuas marmoreas ponendas apud colum-
nas logie mercantie vel alibi*)prout videbitur
dictis Dominis operario et consiliariis cum hoc quod
pretium predictarum figurarum fiat per offitium predic-
tum et hoc quum fuerit conpleta una figura ut possit
videri laborerium suum et si dicto offitio facta dicta
figura videbitur tunc et eo casu dictus Magister Anto-
nius prosequatur in laborerio sin autem fiat prout per
offitium deliberabitur.
Dieſes Probeſtuͤck erlangt (eod. To. fo. 42. a. t.) die
XXX. Decbris 1457. die Billigung der Domverwaltung.
Daſ. fo. 43. die XXXI. Dec. 1457.
Dni operarius et consiliarii una cum camerario
convocati etc. declaraverunt pretium unius figure seu
statue marmoree facte per magistrum Antonium Fede-
rigi vid. ad Immaginem s. Petri esse de florenis sessa-
ginta octo de Lib. 4. den. pro floreno et quod came-
rarius eidem magistro Antonio solvat dictum pretium
sine suo prejuditio aut damno etc. —
Et visa deliberatione alia facta — die XXX Jan. in
presenti libro fo. 33. de locatione 4. figurarum seu sta-
[208] tuarum — factarum (?) per magistrum Antonium Fe-
derigi decreverunt quod dictus Magister Antonius pro-
sequatur In faciendo dictas figuras et quod sit
remissum in dominum operarium qui pro tempore erit
In faciendo pretium dictarum figurarum In quo possit
expendere usque ad floren. 72. de libris 4. pro quoli-
bet quas figuras dictus Magister Antonius facere debeat
ad modum boni magistri etc. —
Eod. To. fo. 46. a. t. XXVIII. Martii 1458. erhaͤlt
Antonio eine Vorausbezahlung.
3. Archiv. et To. cit. fo. 47. a. t. die octava Julii
1458.
— Et decreverunt quod Donatello schultori detur
ad schulpendam et fabricandam statuam et figuram
marmoream sancti Bernardini non excedendo summam
pretii dicte figure florenos sessaginta otto denariorum
Senensium vel ad plus vantagium (vantaggio) opere.
Et similiter figuram sci Ansani detur ad fabrican-
dam Antonio Federigieodem modo.
Vecchietta detur figuram S. Pauli eodem
modo.
Wollte man hier, gleich dem Berichtgeber des Vaſari,
auf jene Statue an der loggia di san Paolo rathen, ſo
kaͤme doch noch ein zweyter Bildner in Betrachtung, dem man
um wenig ſpaͤter ebenfalls eine Statue des Hl. Paulus auf-
getragen hat, vielleicht weil man mit dem Vecchietta nicht
einig geworden.
Archiv. cit. libro E. 7. Deliberazioni fo. XX. 1465.
— E possi allogare (l’operajo) a Giovanni di Stefano
ad
[209]ad fare di marmo la figura di sancto Pavolo come me-
glio potra.
Indeß finde ich in beiden Faͤllen nicht angemerkt, fuͤr
welche Stelle dieſe Statue beſtimmt war. Man verzierte da-
mals die Vorſpruͤnge der Domkirche und verſchiedene Kap-
pellen in ihrem Inneren durch Statuen und Bildwerke; ſo
ward die Statue des Hl. Anſanus in der Kappelle ſ. Giovanni
Bapt. eben damals dem gedachten Giovanni di Stefano be-
zahlt. Wir werden uns demnach an jene erſten, die, loggia
di s. Paolo, ſicher angehenden Auftraͤge halten muͤſſen; um
ſo mehr, da die vorhandenen fuͤnf Statuen je zwey und drey
in derſelben Manier gearbeitet ſind; da ſogar die beiden brei-
ter gehaltenen in der Manier mit den ſchon bezeichneten Frag-
menten der Kappelle des Urbano da Cortona im Dome uͤber-
einſtimmen.
II. 14
[210]
XIII.
Entwurf einer Geſchichte der umbriſch toscani-
ſchen Kunſtſchulen, fuͤr das funfzehnte Jahr-
hundert.
Stufenweis haben wir uns der Epoche angenaͤhert, in
welcher die Kunſtgeſchichte in eben dem Maße an Sicherheit
und Ausfuͤhrlichkeit gewinnt, als ihre Quellen reichlicher zu
fließen beginnen; von nun an will ich die Ergaͤnzung und
Berichtigung des Einzelnen der Darſtellung des Allgemeinen
und Durchwaltenden, die vereinzelten Kuͤnſtler den Schulen
unterordnen, aus welchen ſie hervorgegangen ſind.
Schule, nenne ich die lebendige Fortpflanzung von Stim-
mungen, Richtungen, Handhabungen, deren Entſtehung aus
dem Beyſpiel und aus den Einwirkungen maͤchtiger Geiſter
in den meiſten Faͤllen umſtaͤndlich nachzuweiſen iſt. Schule
in dieſem Sinne pflegt auch dem fluͤchtigen Blicke durch Ei-
genthuͤmlichkeit der Auffaſſung ſich anzukuͤndigen, entſchiedener
vielleicht durch Eigenthuͤmlichkeiten der Manier und Formen-
gebung.
Allerdings nun duͤrfen die Kunſtſchulen, da ſie nothwen-
dig irgendwo zu Hauſe ſind, auch wohl einmal nach der Oert-
lichkeit, in welcher ſie ſich entfaltet haben, benannt werden.
Indeß geſchiehet es nicht ſelten, daß deren Stifter ihre Hei-
math vertauſchen und an verſchiedenen und weit entlegenen
Stellen geiſtige und techniſche Anregungen verbreiten. Auch
[211] hat es ſich wiederholt ereignet, daß in demſelben Mittelpuncte
verſchiedene Stifter gleichzeitig hervorgetreten ſind, welche ganz
entgegengeſetzte Richtungen und Handhabungen auf ihre Schuͤ-
ler und ſpaͤteren Nachfolger fortpflanzten. Wenn nun dieſelbe
Schule unter Umſtaͤnden verſchiedene Staͤdte und Landgebiete
umfaſſet; wenn andererſeits dieſelbe Stadt nicht ſelten ganz
verſchiedene Schulen in ſich einſchließt; ſo iſt es offenbar un-
zulaͤſſig, die Kunſtſchulen, wie es bey neueren Schriftſtellern
uͤblich iſt *), durchhin nach der Oertlichkeit, in welcher ſie
Raum gefunden, zu claſſificiren.
In den fruͤheren Abſchnitten begegneten wir großer Ein-
foͤrmigkeit des Wollens und der Manier; kaum gelang es
uns in den aͤlteſten Zeiten die groͤßeren nationalen Maſſen,
Neugriechen, Italiener und Deutſche, genuͤgend zu ſondern;
ſelbſt in der vorgeruͤckten Epoche des Giotto unterſchieden wir
nur etwa Florentiner und Sieneſer. Um ſo vielfaͤltiger tren-
nen, zerſpalten, durchkreuzen ſich die mittelitalieniſchen Kunſt-
ſchulen ſeit dem Anbeginn des funfzehnten Jahrhundertes.
Die fruͤheſte Spaltung in der Richtung italieniſcher Kuͤnſt-
ler entſtand unmittelbar aus den Neuerungen des Giotto.
Dieſe erhielten ſich zu Florenz ein ganzes Jahrhundert lang
in Gunſt und Gebrauch; hingegen zeigt ſich in der ſieneſiſchen
14 *
[212] Schule noch bis um das Jahr 1500. manche Nachwirkung
der Anregungen, welche byzantiniſche Vorbilder, oder lebendige
Anleitung neugriechiſcher Maler, waͤhrend des dreyzehnten
Jahrhundertes in ganz Toscana verbreitet hatten. — Als die
lebensſinnigen und munteren Lorenzetti im Campo santo zu
Piſa malten, befolgten ſie, von ihrer allgemeinen Richtung
abweichend, in jenen Einſiedlern der Wuͤſte genau die Anord-
nung der neugriechiſchen Darſtellungen dieſes Gegenſtandes;
Barna hatte in jenen Mauergemaͤlden zu ſ. Gimignano ſogar
Manieren und Formen aus ſeinen Vorbildern beybehalten;
Pacchiarotto, ein Zeitgenoſſe Raphaels, gefiel ſich in einem
ſeiner beſten Gemaͤlde *) die Patriarchen und Propheten der
Glorie aus dem griechiſchen Typus in ſeine eigene, mehrſeitig
ausgebildete Manier zu uͤbertragen. Dieſe Beyſpiele deuten,
nicht ſowohl auf Anhaͤnglichkeit oder Gewoͤhnung an griechiſche
Manieren, welche auch zu Siena ſehr fruͤhe nach den geſtei-
gerten Anfoderungen der Zeitgenoſſen ins Gefaͤlligere waren
abgeaͤndert worden; vielmehr auf fortdauernde Ehrfurcht und
Empfaͤnglichkeit fuͤr die ſittliche Wuͤrde in den aͤlteſten Kunſt-
gebilden der Chriſten. — Sie gelten mir fuͤr Beweiſe eines,
auch nach den Neuerungen des Giotto, unter der Aſche fort-
glimmenden Beſtrebens, die ſittlichen und religioͤſen Vorſtel-
lungen des Chriſtenthumes mit alterthuͤmlichem Ernſt und in
ihrer ganzen Strenge aufzufaſſen.
[213]
Wie wir uns erinnern, hatte Giotto unter ſeinen Zeit-
genoſſen die vielfaͤltigſte Auffaſſung des Lebens beliebt gemacht;
der Enthuſiasmus fuͤr neuere Heilige, das Intereſſe an ihren
mannichfaltigſten Lebensverhaͤltniſſen *), war jener Wendung
ſeines großen Talentes entgegengekommen, hatte deſſen Ent-
wickelung und allgemeine Anerkennung entſchieden beguͤnſtigt.
Seinerzeit war die Frage nach typiſchen Darſtellungen der
Patriarchen, Propheten, Apoſtel, oder des Heilands ſelbſt und
der bedeutenderen Ereigniſſe der Evangelien, allgemach in den
Hintergrund getreten; hingegen waren alle Haͤnde geſchaͤftig,
die Uebergaͤnge im Leben moderner Heiligen zu malen: fruͤhere
Weltlichkeit, ploͤtzliches Erwachen des Bewußtſeyns des Heili-
gen, Eintritt ins Leben der Frommen und Abgeſchiedenen,
Wunder im Leben, wie beſonders nach dem Tode, in deren
Darſtellung, wie es in den aͤußeren Bedingungen der Kunſt
liegt, der Ausdruck des Affectes der Lebenden die Andeutung
der unſichtbaren Wunderkraft uͤberwog. Allein auch die Le-
bensbegebenheiten des Erloͤſers wurden zur Traulichkeit des
Familienlebens herabgezogen; denn die Geburt und Erziehung,
die Mutter mit dem Kinde (Vorſtellungen, welche die aͤlte-
ſten Kuͤnſtler aus religioͤſem Bedenken, oder aus anderen Ur-
ſachen vermieden hatten) wurden nunmehr unter den allgemein
[214] chriſtlichen die Lieblingsgegenſtaͤnde der Malerey. Wie in die-
ſen das Naive und Zaͤrtliche, ſo ward in den Aufgaben aus
der Leidensgeſchichte nicht mehr das Erhabene und Siegreiche,
vielmehr nur das Ruͤhrende hervorgehoben — die unmittelbare
Folge jenes ſchwaͤrmeriſchen Schwelgens im Mitgefuͤhle der
irdiſchen Schmerzen des Erloͤſers, dem der Hl. Franciscus
durch Beyſpiel und Lehre eine neue und bis dahin unerhoͤrte
Energie verliehen hatte. — Dieſe modern-chriſtlichen Kunſt-
aufgaben umfaſſen allerdings ſo viel menſchlich Wichtiges und
Anziehendes, daß wir deren Einfuͤhrung im Ganzen als eine
weſentliche Bereicherung betrachten, unter allen Umſtaͤnden zu-
geben muͤſſen, daß ſie viele der ſchoͤnſten Leiſtungen der neu-
eren Kunſt veranlaßt haben. Doch ſind ſie einleuchtend nicht,
wie man wohl hinzuwerfen pflegt, aus dem Beſtreben ent-
ſtanden, den Ideen des Chriſtenthumes ihre ganze Tiefe, ihre
ernſtere Seite abzugewinnen.
Uebrigens fehlte es ſowohl jener Hinneigung zum Hoch-
alterthuͤmlichen bey den Sieneſern, als beſonders der Objecti-
vitaͤt der Florentiner, an Conſequenz, oder an entſchiedener
Durchfuͤhrung des Wollens.
Unausgeſetzt verfolgt, mußte die giotteske Richtung auf
Mannichfaltiges und Lebensreiches die Florentiner ungleich fruͤ-
her, als geſchehen iſt, mit der Bedeutung der Formen, beſonders
in den Geſichtsbildungen, bald auch mit den allgemeineren
Geſetzen des ſich Geſtaltens und Erſcheinens vertraut machen.
Indeß durchkreuzte ſie eine gewiſſe Befangenheit in den Ma-
nieren und Formen, in welchen der große Erneuerer ihrer
Schule ſich ausgedruͤckt hatte; ich moͤchte ſagen: die Scheu,
jene engen Grenzen zu uͤberſchreiten, innerhalb welcher die
Darſtellung eines ſo hochverehrten und allgefeyerten Kuͤnſtlers
[215] ſich bewegt hatte. Daher vornehmlich erklaͤre ich mir, daß
Arcagno und andere Meiſter des vierzehnten Jahrhundertes,
welche in der Richtung des Giotto weiter geſtrebt und beſon-
ders der menſchlichen Geſichtsbildung bis dahin unbenutzte
Zuͤge und Zeichen abgewonnen haben, weder die volle Aner-
kennung, die ihnen gebuͤhrte *), noch ſelbſt die Nachfolge fan-
[216] den, welche ſie nach naheliegenden Vorausſetzungen haͤtten
hervorrufen muͤſſen. Arcagno hatte die Profile der Heiligen
auf ſeiner Tafel *) in ſta Maria novella ſchon individualiſirt
und in ſeinem großen Rilievo an der Ruͤckſeite der Madon-
nenkappelle in Orſanmichele das aͤlteſte Bildniß der italieniſchen
Kunſtgeſchichte (ſein eigenes) mit groͤßtem Erfolge durchge-
fuͤhrt; Giovanni da Melano vor allen anderen die Moͤglich-
keit und die Vortheile der Modellirung, und in der Auffaſ-
ſung und Benutzung der Extremitaͤten, eine bis dahin unbe-
kannte Feinheit des Sinnes dargelegt. Demungeachtet zeigt
ſich bey den florentiniſchen Malern ſpaͤterer Zeiten, bis zum
Auftreten des Fieſole, keine Spur jener phyſiognomiſchen Be-
zeichnungen des Arcagno; bis auf Maſaccio, keine Nachwir-
kung des Strebens nach Rundung, welches Giovanni da Me-
*)
[217] lano vor ſeinen Zeitgenoſſen voraus hatte. Freylich mochte
es behaglicher ſeyn, die hergebrachte giotteske Manier mit
groͤßter Fertigkeit auszuuͤben, als die Richtung, aus welcher
ſie hervorgegangen, mit Ernſt und Entſchiedenheit hindurch-
zufuͤhren.
Viele, theils namenloſe Werke dieſer ſpaͤteren Epoche der
(ſeit Lanzi) ſogenannten giottesken Maler haben ſich bis auf
unſere Zeit erhalten; ſie unterſcheiden ſich von ihrem aͤlteſten
Vorbilde durch groͤßere Fertigkeit des Pinſels, durch gewiſſe
fauſtmaͤßige Keckheiten, beſonders in der Andeutung der Bruͤche
des Gefaͤltes. In dieſer Zeit verlor ſich manches große Ta-
lent in der Leichtigkeit behender Ausfuͤllung bedeutender Mauer-
flaͤchen; auch ein Agnolo Gaddi, welcher in der Chorkappelle
der Kirche ſta Croce zu Florenz einen ausgezeichneten, obwohl
fluͤchtigen Geiſt gezeigt, deſſen reintechniſches Wollen in der
Schrift ſeines Schuͤlers, des Cennini, ſich abgeſpiegelt hat.
An dieſem, gewiß beachtenswerthen Beyſpiele werden
wir uns verſinnlichen koͤnnen, worin eine aͤchte, auf Empfaͤng-
lichkeit fuͤr das geiſtig-ſittliche Wollen der Vorgaͤnger begruͤn-
dete Befolgung des Hergebrachten von laͤſſiger, zielloſer Nach-
aͤffung uͤblicher Handhabungen ſich unterſcheide. Wenn dieſe
ſich begnuͤgt, Manieren und zufaͤllige Aeußerlichkeiten ſich an-
zueignen, ſolche fertig zu handhaben und eben hiedurch ſie
nothwendig zu verflaͤchen; ſo wird aͤchte, tiefbegruͤndete Ehr-
furcht vor dem Alterthuͤmlichen deſſen einwohnendes Leben in
ſich aufnehmen; darin verſchloſſene Keime pflegen und weiter
entwickeln; dahin trachten, das Treffliche von ſeiner, nicht
ſelten unſcheinbaren Umhuͤllung zu befreyen, durch groͤßere
Deutlichkeit oder Schoͤnheit der Darſtellung gleichſam zu ver-
juͤngen. In dieſem Sinne ergriff der Sieneſer Thaddeo Bar-
[218]toli um das Jahr 1400. den Faden der Ueberlieferung des
Hochalterthuͤmlichen vielleicht aus den Haͤnden ſeines nahen
Vorgaͤngers Barna, welcher, wie wir oben geſehen haben,
mit dem Vater des Thaddeo, dem Bartolo di Fredo, an ei-
ner Stelle und vielleicht gleichzeitig gemalt hatte. Er band
ſich weder an die Manier, noch an den aͤußeren Zuſchnitt der
Formen, ging nur in den Geiſt ſeines Vorbildes ein, den er,
indem er hie und da wohl einmal dem allgemeinen Zeitge-
ſchmacke huldigte, doch im Ganzen nur mit den ſchoͤnſten Sei-
ten der moderneren Auffaſſung chriſtlicher Kunſtvorſtellungen
auszuſoͤhnen bemuͤht war.
Dieſe verſchiedenen Seiten ſeines Beſtrebens vereinigte er
in dem Altargemaͤlde der ſieneſiſchen Gallerie, deſſen beſchaͤ-
digte Aufſchrift: ....... Bartholi de Senis. Pinxit hoc
opus. anni domini mille quatrocento nove, allerdings
Zweifel zulaſſen wuͤrde, waͤre nicht Manier und Richtung des
Kuͤnſtlers aus anderen Werken hinreichend bekannt. In dem
Hauptbilde, der Verkuͤndigung, huldigte Thaddeo in der Be-
kleidung des Engels durch ſchwerfaͤlligen Goldſtoff dem Ge-
ſchmacke und der Sitte ſeiner Zeitgenoſſen *); in der Geſtalt
[219] der Jungfrau, deren Haupt, Gewandung und Stellung, in
Anſehung der Idee und der Umriſſe, zu dem Gelungenſten ſei-
ner Art gehoͤrt, ſuchte er offenbar der moderneren, zum Zaͤrtli-
chen und Schmachtenden ſich hinneigenden Auffaſſungsart ihre
guͤnſtige Seite abzugewinnen; hingegen uͤberließ er ſich in den
Giebeln, Leiſten und Außenwerken ganz ſeinem Sinne fuͤr das
Ernſte und Hohe in den alterthuͤmlichſten Kunſtgebilden der
Chriſten.
Dieſe aͤußeren Theile der Altartafel, welche man, ich
weiß nicht aus welchem Grunde, davon abgebrochen, entdeckte
ich in den Magazine der Akademie, als mir der Magiſtrat
der Stadt geſtattete, ſolches zu beſichtigen und mit Zuziehung
betheiligter Perſonen auch zu verzeichnen. Sie wurden auf
dieſe Veranlaſſung in die zweyte Claſſe verſetzt und mit A. 5.
bezeichnet. Andere Bruchſtuͤcke von Gipfeln zerbrochener Ta-
feln gingen zu Siena von Hand zu Hand; in verſchiedenen
wiederholte ſich die Darſtellung des Weltlehrers, deſſen ural-
ten Typus Thaddeo durch die Griffe und Vortheile ſeiner ſchon
vorgeruͤckten Kunſtſtufe gehoben und merklich verſchoͤnt hatte.
In groͤßeren Dimenſionen verſuchte er ſich in der Kap-
pelle des oͤffentlichen Palaſtes zu Siena, deren Aufſchrift, uͤber
dem Judas Maccabaͤus:
Thaddeus Bartholi de Senis pinxit istam cappel-
lam. MCCCC. VII. — Cum figuris s̅c̅i̅ XPOfori et
cum aliis figuris. 1414. *).
[220]
Jene Figur des Hl. Chriſtopher, deren er ſich im Nach-
ſatze beſonders zu ruͤhmen ſcheint, war allerdings nach dama-
ligem Stande der Huͤlfskenntniſſe und Fertigkeiten der Kunſt,
in Anſehung ihrer Groͤße und ihres Nackten, ein wohlbeſtan-
denes Wageſtuͤck. Weniger Lob verdienen die Geſtalten der
Redner, Staatsmaͤnner und Kriegeshelden des claſſiſchen Al-
terthumes, welche Thaddeo, vielleicht zur Unterſcheidung von
dem antiken Habitus ſeiner chriſtlichen Helden, mit allerley
ſeltſamen, phantaſtiſch haͤßlichen Bekleidungen begabt hat *).
Hingegen enthalten die inneren Waͤnde der Kappelle Darſtel-
lungen aus dem Alter und Abſcheiden der Jungfrau, welche
in Anſehung des Ausdruckes der Affecte, der Liebenswuͤrdig-
keit der Charaktere, der Anordnung und emſigen Ausfuͤhrung
alle Wuͤnſche befriedigen.
Ueber dieſes, wie uͤber andere Werke des Thaddeo, hat
Vaſari mit Luſt und Antheil ſich verbreitet, nur die kleineren
Arbeiten uͤbergangen, welche unſer Kuͤnſtler mit beſonderer
Liebe zu beendigen pflegte. Ein kleines anmuthiges Madon-
nenbild mit ſeinem Namen bezeichnet ſah ich zu Siena im
Beſitze des Abbate de Angelis; ein aͤhnliches in der ehemals
ſollyſchen Sammlung. Eine Madonna, welche von koͤſtlichen
Engeln umgeben jen Himmel ſteigt, wo typiſche Propheten
und Erzvaͤter ſie empfangen, vermehrt ſeit einigen Jahren den
*)
[221] reichen Kunſtbeſitz des Koͤniges von Bayern. Endlich gab es
auch zu Perugia*) einige kleinere, mit dem Namen des
Thaddeo und mit dem J. 1403. bezeichnete Gemaͤlde, welche
ſich indeß nicht mehr aufgefunden haben.
Aus dieſen Gemaͤlden erhellet, daß Thaddeo di Bartolo
fuͤr Perugia gearbeitet, aus anderen Umſtaͤnden, daß er auf
die Malerſchulen der umbriſchen Staͤdte eingewirkt habe. Ich
halte ihn, wie ich bereits angedeutet habe, fuͤr den Stifter
jener eigenthuͤmlichen Vereinigung des Herben und Ernſten
der aͤlteſten Kunſtrichtung mit dem Schmachtenden, Sehnen-
den, Schwaͤrmenden der neueren, welche nunmehr in den
Malerſchulen der umbriſchen Staͤdte fuͤr lange heimiſch wurde.
Ungluͤcklicher Weiſe habe ich einige Auszuͤge verlegt, oder ein-
gebuͤßt, welche, wenn ich recht entſinne, die perſoͤnliche Anwe-
ſenheit des Thaddeo die Bartolo zu Perugia und in Umbrien
erweiſen. Allein, auch von dieſem Umſtande abgeſehn, giebt
es in den umbriſchen Staͤdten viele Spuren ſeiner Einwirkung,
deren Andeutung ſpaͤterhin ihre Stelle finden wird. Nur ſo
viel bringe ich hier in Erinnerung, daß auch ſein Bruder Do-
menico zu Perugia gearbeitet hat. In der Kirche ſ. Giuliano
befindet ſich eine Altartafel, deren Aufſchrift:
Dominicus Bartoli de Senis me pinxit. Hoc opus
fecit fieri domina Antonia Francisci de Domo Bycholis.
Abbatissa istius monasterii in anno D. M. CCCC.
XXXVIII. de. (decimo) mensis maji.
[222]
durch die Umſtaͤndlichkeit ihrer Zeitbeſtimmung auf perſoͤnliche
Anweſenheit des Kuͤnſtlers hinweiſet; wie es denn uͤberhaupt
in ſo fruͤher Zeit uͤberall in Gebrauch war, die Kuͤnſtler, de-
ren Talent man in Anſpruch nahm, an Ort und Stelle ar-
beiten zu laſſen. Ich habe dieſes Umſtandes erwaͤhnen wollen,
weil er außer Zweifel ſetzt, daß beide, ſo benachbarte Staͤdte
eben damals in einem gewiſſen maleriſchen Verkehr geſtanden,
uͤbrigens hatte Domenico di Bartolo bereits eine ganz andere
Richtung eingeſchlagen, als ſein groͤßerer, gemuͤthvoller Bru-
der, weßhalb ich andere Mittelglieder der Fortpflanzung der
Richtung des Letzten werde nachzuweiſen haben.
Doch wird es noͤthig ſeyn, ehe wir dieſen Andeutungen
weiter nachgehn und jene Richtung bis auf den Niccolo Alunno
und Fiorenzo di Lorenzo, und weiter bis auf den Peter von
Perugia und deſſen Schule hinausverfolgen, uns vorher nach
dem Fortgang der entgegengeſetzten umzuſehn, deren Mittel-
punct jenerzeit zu Florenz lag.
Die florentiniſche Malerſchule war gegen Ende des vier-
zehnten Jahrhundertes, bey erweislicher Gleichguͤltigkeit gegen
die Fortſchritte eines Arcagno und Anderer, in eine gewiſſe
dreiſte und fertige Handhabung der giottesken Manier verfal-
len. Dieſe wird von Einigen aus damaligem Vorwalten der
Begeiſterung fuͤr beſtimmte Ideen erklaͤrt, obwohl, wie ich
gezeigt habe, die Richtung, welche von Giotto ausgegangen,
vielmehr durch Verbreitung und Steigerung des Antheils an
dem Geſchehenden und Wirklichen ſich auszeichnet, ſo daß je-
ner Stilleſtand im Fortſchritte eben nur aus den gefaͤhrlichen
und aufdringlichen Untugenden der Traͤgheit, Laͤſſigkeit und
Gleichguͤltigkeit im Berufe zu erklaͤren iſt. Wie fruͤhe man
begonnen, ohne Begeiſterung fuͤr die Idee der Aufgabe zu
[223] malen und eben daher auch ohne den Trieb zu mehrender
Deutlichkeit und Schoͤnheit der Darſtellung, zeigt eine Tafel,
welche ich zu Florenz im Handel geſehn, worin der Gekreu-
zigte und die Heiligen der Seitenfelder mit gleichguͤltiger
Fertigkeit vorgetragen ſind und nur die Bewegungen und die
Charakteriſtik des Gemeinen einiges Verdienſt beſitzen. Dieſe
Tafel war bezeichnet:
ANNO D̅N̅I̅. M. CCC. XLVIII. BERNARDVS.
PINXIT. ME. QVEM. FLORENTIE. FINSIT.
Dieſen Bernhard wird man vielleicht, nach dem Vorgang
des Vaſari, fuͤr den Bruder des Arcagno halten. Indeß fin-
det ſich unter den Kuͤnſtlern, welche die Domverwaltung zur
Zeit des Andrea di Cione in Anſpruch nimmt, wohl ein Ber-
nardus Pieri, doch kein Bernhard, welcher den Vatersnamen
mit dem Arcagno gemein haͤtte; obwohl man auch hier eine
Aushuͤlfe gefunden und angenommen hat, daß Benci di Cione,
welcher gleichzeitig vorkommt, eben jener Bernardo ſey, den
Vaſari als den Bruder des Arcagno bezeichnet. *) — Eine
andere florentiniſche Tafel in der Kirche ſ. Lorenzo (am Ende
des Seitenſchiffes zur Linken) traͤgt die Jahreszahl 1391.;
ſie entſpricht der obigen in Manier und Richtung, wie ſo viel
andere, welche ich uͤbergehe.
[224]
Indeß war die Begeiſterung, auch fuͤr Solches, was
eben der florentiniſchen Kunſtrichtung bis dahin und in der
Folge von Neuem Stoff und Nahrung gab, um das Jahr
1400. auf die Maler der minder bedeutenden Staͤdte der Nach-
barſchaft uͤbergegangen, wo das Streben noch friſch, der vor-
handene Stoff noch nicht ſo ganz ausgenutzt war. Das Pa-
thetiſche, welches in einigen Werken des Giotto, des Thaddeo
Gaddi und Arcagno ſo maͤchtig ergreift, vererbte ſich um dieſe
Zeit auf einen ſelten genannten, dem Vaſari*) unbekannten
Maler, den Niccolò di Pietro, einen Florentiner, welcher al-
lem Anſehn nach zu Piſa ſich niedergelaſſen. Hingegen ward
die Gabe der Charakteriſtik, deren Ausbildung Arcagno mit
Gluͤck beſtrebt hatte, das Erbtheil des Aretiners Spinello.
Das Andenken des erſten beruhet vornehmlich auf Ma-
lereyen im Kapitelſaale des Kloſters ſan Francesco zu Piſa,
wo zur Rechten des Eintretenden in der Hoͤhe die beſchaͤdigte
Aufſchrift: Niccholaus Petri pitor de Frorencia .. pinsit ..
M. CCC. L ....; die unvollſtaͤndige Jahreszahl, welche Mor-
rona ſeiner Zeit: 1391., andere 1392. geleſen **), wird durch
eine zweyte Inſchrift ergaͤnzt, worin es, zu Ende der Schen-
kung
[225] kung einer Grabſtaͤtte an Lorenzo Ciampolini, heißt: MCCC.
LXXXX. die XX mensis Aprelis. qui. Laurentius. fe-
cit. ipsum. capitulum. pictura. et. sedilibus. adornari.
— Obwohl nun dieſe Malereyen in dem veroͤdeten, halbof-
fenen Saale manche Schaͤdigung erfahren haben, ſo erkennt
man dennoch darin ein ſtarkes und tiefes Gefuͤhl, Geſchmack
in der Anordnung und Gewandung der Figuren, Sinn fuͤr
Reinheit der Form und Tiefe der Farbe, wie endlich undenk-
lich viel mehr Ueberlegung und Nachdenken, als ſeine floren-
tiniſchen Zeitgenoſſen zu verrathen pflegen. Die Darſtellungen
umfaſſen den bekannten Cyclus der Leidensgeſchichte, welcher
dem Talente des Niccolò allerdings den weiteſten Spielraum
gewaͤhrte. In dem erhaltenſten Bilde, der Kreuzſchleifung,
zeigt ſich der volle Werth des Kuͤnſtlers in edlen und maͤnn-
lich ruͤhrenden Anklaͤngen des Gefuͤhles. — Gewiß ſind dieſe
Darſtellungen, mehr als andere derſelben Art und Zeit, geeig-
net, von Kuͤnſtlern der Anordnung und der wohlgehaltenen
Empfindung willen aufmerkſam beachtet zu werden, wie ſie
denn in der That ſchon benutzt worden ſind *).
In der Vaterſtadt unſeres Kuͤnſtlers findet ſich kein ein-
ziges Werk ſeiner Hand; und, wenn wir hinzunehmen, daß
er das helle, roſige Colorit der Giottesken mit den kraͤftigen
Localtoͤnen des Aretiners Spinello vertauſcht hatte, ſo draͤngt
ſich die Vermuthung auf, daß er ſeine Heimath fruͤhe ver-
laſſen und in irgend einer der benachbarten Malerſchulen ſich
ausgebildet habe. Den Piſanern verdankte er nun ſchwerlich
II. 15
[226] ſeine Bildung; ſie waren, wie einige Gemaͤlde der piſaniſchen
Akademie verrathen *), um das Jahr 1400 auf Abwegen;
wahrſcheinlicher dem Aretiner Spinello, welcher unter ſeinen
Zeitgenoſſen, durch Eigenthuͤmlichkeit des Wollens und Ruͤſtig-
keit der Leiſtung, eine hohe Stellung einnimmt.
Das Hauptwerk des Spinello ſuche man zu Siena, im
oͤffentlichen Palaſte; Begebenheiten aus dem Leben Alexan-
der III., welche die Mauern eines anſehnlichen Saales ſehr
anſtaͤndig verzieren, was auffordern mochte, ſie, wie es geſche-
hen iſt, ſorgfaͤltig zu unterhalten. Erweislich ſind dieſe Ge-
maͤlde von der Hand des Spinello; denn ſo ergiebt es ſich
aus einem Auszuge des Vertrages mit dem Kuͤnſtler in den
Verhandlungen der ſieneſiſchen Staatsverwaltung **) deſſen
[227] Glaubwuͤrdigkeit unumſtoͤßlich iſt, obwohl die Zahlungen feh-
len, oder mir entgangen ſind *).
15 *
[228]
An der groͤßeren Mauerflaͤche, der Fenſterſeite gegenuͤber,
malte Spinello Mauerer mit ihren Gehuͤlfen, welche emſig
an einem Gebaͤude arbeiten. Zur Seite knieet vor dem Pabſte
ein Prieſter, der aus den Haͤnden eines Cardinales die Mitra
empfaͤngt. Ein ruͤckwaͤrts, doch naheſtehender Moͤnch ſcheint
mit dem Baumeiſter zu reden, welcher durch eine lebendige
Bewegung gegen den Bau hin den Gegenſtand des Geſpraͤches
andeutet. Ueberall große Lebendigkeit der Bewegung, gluͤckliche
Vertheilung im Raume, Derbheit und Wahrheit im Ausdruck
der Koͤpfe; auch iſt die Art, das Gefaͤlte zu motiviren und
auszufuͤhren, im Ganzen loͤblich.
Darunter: der Pabſt auf einem Throne, vor welchem
der Kaiſer ſich ruͤcklings niedergeworfen; die bekannte und be-
ſtrittene Geſchichte der Erniedrigung Friedrichs. Vortrefflich
iſt das Erſtaunen in den umſtehenden Cardinaͤlen und Geiſt-
lichen ausgedruͤckt, welche die Handlung des Kaiſers ſichtlich
uͤberraſcht. Der Eindruck, den ſolche auf die Ritter und Eh-
renmaͤnner außerhalb der Halle bewirkt, iſt nach der Indivi-
dualitaͤt und Stellung der letzten zweckmaͤßig abgeaͤndert. Auch
hier die Anordnung der Koͤpfe in dichter Gruppe gluͤcklich und
maleriſch, der Charakter maͤnnlich und abwechſelnd.
Ueber dem Bogen in der Mitte des Gemaches erſcheint
der Pabſt redend zu einer Verſammlung von Moͤnchen und
anderen, welche vor ihm knieen. Aehnliche Verdienſte, als in
den vorangehenden. Ein ſchillerndes Gewand an einem Geiſt-
lichen zur Linken ſchien mir muſterhaft ausgefuͤhrt. — Dieſe
mit den uͤbrigen Darſtellungen, deren zuſammen vierzehn, um-
*)
[229] faſſen beynahe das ganze kirchliche, politiſche, kriegeriſche Le-
ben jener Zeit. Ueber der Thuͤre nimmt die (ſ. unten) von
den Verſtiftern angeordnete Seeſchlacht der Venezianer und
Kaiſeriſchen faſt die ganze Breite der Wand ein. Noch hoͤher,
zur Linken, eine Zuſammenkunft, aus welcher der Kaiſer voll
Zorn zu ſcheiden ſcheint; ſein Affect, wie beſonders der Un-
wille ſeiner Begleiter und die Bitten der Praͤlaten, die Dinge
nicht aufs Aeußerſte zu treiben, ſind in dieſem Bilde meiſter-
lich vergegenwaͤrtigt. Dieſes umfaſſende Werk entging dem
Vaſari, welcher hier, wie in ſeinen meiſten Zeitbeſtimmungen,
verwegen, oder ungewiß, auch unſerem Kuͤnſtler, oder doch ſei-
ner Wirkſamkeit ſchon das Jahr 1400 zur Grenze ſetzte. Ei-
nige andere Gemaͤlde des Spinello, deren Vaſari mit Lob
erwaͤhnt, ſind untergegangen, oder doch ſo beſchaͤdigt, daß ſie
die Richtung und das Verdienſt des Kuͤnſtlers nicht mehr ſo
ganz bewaͤhren koͤnnen. Von ſeiner Tafel bey den Domini-
canern des Staͤdtchens ſ. Miniato de’ Tedeschi ſind nur noch
beſchaͤdigte Ueberreſte vorhanden. Was er (nach Vaſari) zu
Piſa im campo santo gemalt hat, iſt beſſer im Stande,
doch von ſo viel Reiſenden geſehn und durch das Kupferwerk
des Laſinio allen Kunſtfreunden ſo zugaͤnglich geworden, daß
ich daruͤber hinausgehn darf. Obwohl dieſe Arbeiten den
oben beſchriebenen nachſtehn, ſo wird man dennoch auch hier
das Beſtreben erkennen, ſchaͤrfer zu charakteriſiren, als bis da-
hin uͤblich war. Vortrefflich erhalten ſind die Wandgemaͤlde
der Sacriſtey im Kloſter ſ. Miniato a Monte bey Florenz,
welche Vaſari, ich glaube mit Grund, dem Spinello beylegt.
Waͤhrend ſolchergeſtalt ein Sieneſer, ein Aretiner, ein
(wie es ſcheint) ausgewanderter Florentiner, in der Auffaſſung
eigenthuͤmlichen Geiſt, in der Darſtellung Streben nach Beſ-
[230] ſerung, Weiterung und Verſtaͤrkung zeigten, waͤhrend ihr Ta-
lent an allen anderen Stellen mehr Anerkennung und Foͤrde-
rung fand, als eben zu Florenz, der reichſten und maͤchtigſten
Stadt des damaligen Feſtlandes von Italien: erwaͤrmte man
ſich dort hinſichtlich der Malerey an dem Ruhme und an
den nachgelaſſenen Werken der aͤlteren florentiniſchen Meiſter.
Von jeher hat das Vorurtheil, oder die Meinung, in irgend
einer Sache das Beſte und erreichbar Hoͤchſte erlebt zu haben,
augenblickliche Hemmungen hervorgerufen. Auf der einen
Seite entkraͤften ſolche Taͤuſchungen einen der wichtigſten He-
bel menſchlicher Leiſtungen, den oͤrtlichen oder nationalen Ehr-
geiz, indem ſie ein falſches und truͤgeriſches Selbſtgefuͤhl her-
vorrufen, edle und wirkſame Ruhmbegier durch laͤhmenden,
abdumpfenden Stolz verdraͤngen. Andererſeits gewaͤhren ſie
der Traͤgheit des Geiſtes eine willkommene Ruhe, ſetzen ſie
der Schwaͤche ſcheinbar unuͤberſteigliche Grenzen entgegen und
bewirken ſo, auf alle Weiſe hemmend, laͤhmend und nieder-
ſchlagend, jene Epochen langweiligen Wiederkaͤuens und Nach-
aͤffens, welche in der Literaͤrgeſchichte deutlicher wahrgenom-
men, oder ſchonungsloſer bezeichnet werden, als in der Kunſt-
geſchichte, worin dieſe Rubrik bisher noch nicht eroͤffnet wor-
den iſt.
Die Florentiner, obwohl durch ihre Richtung auf Be-
obachtung angewieſen, hatten dennoch, wie ich oben gezeigt
habe, den Blick laͤngſt vom ſie umgebenden Leben und Wir-
ken abgelenkt, ihren Geſichtskreis ganz auf die Werke ihrer
nahen Vorgaͤnger eingeſchraͤnkt. Durch Nachahmung ſchon
aufgefundener, an ſich ſelbſt nicht eben ſchwieriger Manieren
waren ſie um das Jahr 1400 zu jener leeren Leichtigkeit der
Handhabung gelangt, welche ihnen Brodt, doch wie es ſcheint,
[231] keine Achtung erwarb, da Ghiberti ſein Verzeichniß trefflicher
Maler nicht uͤber den Arcagno und Giottino hinausfuͤhrt, ſei-
nen naͤheren Vorgaͤngern und Zeitgenoſſen keine Zeile widmet,
und die große Epoche der toscaniſchen Malerey ganz unzwey-
deutig in die Vergangenheit verſetzt *).
Gewiß war Ghiberti, als Kenner der Malerey betrachtet,
hoͤchſt befangen in der Bewunderung der alten florentiniſchen
Maler, da er dieſe den Kuͤnſtlern des claſſiſchen Alterthumes
an die Seite ſtellte, was doch, aus ſeinem eigenen, ſo ganz
techniſchen Standpuncte angeſehn, als eine bloße Verblendung
erſcheinen muß. Indeß liegt das Vorbild der Bildnerey nun
einmal ganz außerhalb des Maleriſchen, und es war mithin
fuͤr die Entwickelung der Bildnerkunſt ohne allen Belang, ob
er ſelbſt, ob ſeine Handwerksgenoſſen die Vorurtheile der Ma-
ler theilten, oder auch nicht. Aus dieſer Unabhaͤngigkeit von
beſchraͤnkenden Vorbildern in Dingen der Manier und Dar-
ſtellung erklaͤre ich mir, daß die florentiniſchen Bildner, inmit-
ten der kuͤmmerlichſten Fortuͤbung angelernter maleriſcher
Handhabungen, ſeit dem Jahre 1400, in der Auffaſſung der
Formen, wie in der Handhabung ihres Stoffes, ſo unermeß-
liche Fortſchritte gemacht, daß ihre beſten Leiſtungen, wenig-
ſtens das zweyte Thor des Ghiberti, von allen Kennern den
groͤßten und unerreichbarſten Werken beygezaͤhlt werden. In
dieſem Ereigniſſe ſehe ich auf der anderen Seite einen unum-
ſtoͤßlichen Erweis der ſchon mehrmal hingeworfenen Behaup-
tung: daß die Malerey zu Florenz um das Jahr 1400, nicht
aus Abnahme des Talentes und Geiſtes, noch aus anderen
[232] und allgemeineren Urſachen, ſondern einzig deßhalb zum Unbe-
deutenden herabgeſunken war, weil ſie aus Befangenheit in
herkoͤmmlichen Kunſtmanieren aufgehoͤrt hatte, weiter zu ſtreben.
Lorenzo di Bartoluccio Ghiberti war mehr zum Maler,
als zum Bildner geboren, wie ſowohl aus der Anordnung
und Ausgeſtaltung ſeiner halberhobenen Arbeiten, als beſon-
ders aus ſeinen eigenen Bekenntniſſen erhellt *). Demunge-
achtet haben wir uns Gluͤck zu wuͤnſchen, daß er ſich fuͤr die
Bildnerey entſchieden, da er, nach ſchon angedeuteten Umſtaͤn-
den, in dieſem entgegengeſetzten und widerſtrebenden Stoffe
ſeinen maleriſchen Geiſt bequemer und deutlicher ausdruͤcken
koͤnnen, als in der ſeinerzeit vorwaltenden Manier der Ma-
lerey, uͤber welche er, in Anſehung ſeiner Befangenheit, ſchwer-
lich gar weit wuͤrde hinausgegangen ſeyn.
Wir muͤſſen demnach dieſen trefflichen Kuͤnſtler auch in
ſeinen Bildwerken als einen maleriſchen Geiſt auffaſſen und
den Werth ſeiner Leiſtungen nicht allzuſtrenge nach den An-
forderungen des Stoffes beurtheilen, in welchem er ſich aus-
[233] gedruͤckt. Eine, nach dem Umſtaͤnden, gluͤckliche Zufaͤlligkeit
lenkte ihn im Wendepuncte des maͤnnlichen Lebens zur Bild-
nerey zuruͤck, deren Handhabungen Lorenzo in ſeiner erſten
Jugend nothduͤrftig erlernt hatte. Es galt, dem ſchoͤnen
Thore der Johanniskirche zu Florenz, dem Meiſterwerke des
Andreas von Piſa, entweder gleich zu kommen, oder daſſelbe
zu uͤbertreffen. Ghiberti verdraͤngte allerdings ſeine zahlreichen
Mitbewerber; er zeigte allerdings ſchon in dieſem fruͤhen Ju-
gendwerke Erfindungsgabe und mancherley durch Beobach-
tung erworbene Kenntniß; doch ſcheint daſſelbe in mancher
Beziehung dem aͤlteren Thore des Andrea von Piſa nachzu-
ſtehn, welches in der ſparſamen, haushaͤlteriſchen Wahl der
Mittel der Bezeichnung und des Ausdruckes ſeiner Aufgaben,
wie uͤberhaupt muſterhaft, ſo beſonders der zwecklos uͤber-
haͤuften und verworrenen Anordnung des Ghiberti weit uͤber-
legen iſt.
Dieſer Maͤngel ungeachtet mußte der Charakter, den Ghi-
berti ſeinen Koͤpfen, beſonders den groͤßeren in den Außenlei-
ſten der Thorfluͤgel, verliehen hatte, durch ſeine Neuheit auf-
fallen, Wuͤnſche und Erwartungen hervorrufen, denen der
Kuͤnſtler in ſeinen reiferen Jahren durch jenes weltberuͤhmte,
dritte und mittlere Thor derſelben Kirche vollkommen entſpro-
chen hat.
Als Michelagnuolo von dieſem herrlichen Werke ſagte,
es ſey werth, die Pforte des Paradieſes zu ſeyn, ſo ſprach
er eben ſo ſchoͤn, als wahr. Gewiß ſind dieſe Thore, wie
uͤberhaupt in der allgemeinen Auffaſſung der bibliſchen Ge-
genſtaͤnde, in der naiven und herzigen Ausbildung unterge-
ordneter Gruppen und Handlungen, in der Behandlung der
Form und Bewegung, ſo beſonders darin ganz einzig und
[234] durchaus unnachahmlich: daß in ihnen ein maleriſcher Geiſt
im bildneriſchen Stoffe, maleriſch vortrefflich, bildneriſch ge-
nuͤgend, wenigſtens nicht verletzend, ſich ausgedruͤckt hat. Fuͤr
Gemaͤlde, nicht fuͤr Bildnerarbeit ſind ſie anzuſehn, wenn man
anders ihren vollen Werth und Sinn auffaſſen, ſie ungetruͤbt
genießen will. Als Gemaͤlde erſcheinen ſie, wenn man ſie
an einem hellen Vormittage ſcharf vom ſchraͤg einfallenden
Sonnenlichte beleuchtet, ungeſtoͤrt von bildneriſchen Stylanfor-
derungen, betrachtet; als Gemaͤlde hatte ſie der Kuͤnſtler
ſelbſt *) ſich gedacht, und, was er beſtrebte, vornehmlich durch
abſichtliche Unterordnung der Form, Hervorheben der Linie,
oder der Umriſſe, ſo gluͤcklich erreicht, als wir ſehn. Indeß
iſt dieſer unerhoͤrte Sieg des Genius uͤber die unerbittlichen
Foderungen des Stoffes der erſte und einzige. Wer ihn er-
neuen wollte, wuͤrde nur die Niederlage ſo vieler Nachfolger
[235] des Ghiberti wiederholen, welche, ohne die Liebenswuͤrdigkeit
ſeiner Seele, ohne die Sicherheit und tiefe Wahrheit ſeiner
Charakteriſtik, doch Bronzethore und halberhobene Arbeiten aller
Art gleich ihm in maleriſchem Sinne haben entwerfen wollen.
Soweit ich entſinne, wird es in den Kunſtſchriften nirgend
hervorgehoben, daß eben dieſer kuͤhne Wurf eines uͤberlegenen
Geiſtes, indem er zur Nachahmung reizte, die moderne Bild-
nerey gleichſam aus ihren eigenen Angeln gehoben, und ſie
verleitet hat, maleriſche Abſichten in einem Stoffe geltend zu
machen, welcher ſie nun einmal ausſchließt. Gemeiniglich
verſetzt man die Entſtehung dieſer Verirrung in ſpaͤtere Zeiten,
weil es ſchwer faͤllt, viele aͤltere Bildnereyen, welche durch An-
muth, Gemuͤthlichkeit und Charakter anziehn und befriedigen,
in Bezug auf Styl, oder richtige Handhabung des derben
Stoffes, ſo unbedingt zu verdammen, als ſie es verdienen
moͤchten. Vielleicht uͤberſah man bisweilen, daß ſelbſt dem
Ghiberti nur jenes eine Mal es gelungen iſt, das geruͤgte
Mißverhaͤltniß des Stoffes und ſeiner Verwendung durch in-
nere Trefflichkeit und aͤußere Feinheiten gleichſam unſichtbar
zu machen; daß ſeine durchhin maleriſche Auffaſſung bildneri-
ſcher Aufgaben in anderen, fruͤheren oder ſpaͤteren Werken den
Sinn mehr und minder fuͤhlbar verletzt; wie endlich, daß ſein
Beyſpiel ſchon naͤhere Zeitgenoſſen, beſonders den ſo ungleich
weniger begabten Donato, zu maleriſcher Auffaſſung der Ge-
ſtalt verleitet hat.
Wollten wir, nach dem Vorgang neuerer Kunſtſchriften,
die Bezeichnung eigenthuͤmlichen Seyns, Charakter; hingegen
die Bezeichnung irgend eines mehr und weniger entſchiedenen
Wollens, nach den Umſtaͤnden, Bewegung, oder Ausdruck nen-
nen: ſo ergaͤbe ſich, daß der bildneriſche Stoff den Charakter
[236] eben ſo vollſtaͤndig, wenn nicht ſelbſt (der mehrſeitigen An-
ſicht willen), vollkommener darlegen koͤnne, als die Malerey;
hingegen Bewegung und Ausdruck nur innerhalb gewiſſer,
hoͤchſt beengter Grenzen. Da nun Ghiberti, welcher die Na-
tur mit Verehrung und Liebe ſtudirt hatte *), an Bezeichnun-
gen des eigenthuͤmlichen Seyns unendlich reich war, ſo beſaß
er Vieles, was auch bildneriſch auszudruͤcken iſt; und eben
dieſes (der Charakter,) verleihet ſeinen Werken jenen inneren
Werth, dem nimmer die allgemeinſte Anerkennung gefehlt hat,
noch jemals entgehen konnte. Das Irrige und Willkuͤhrliche
in ſeiner Handhabung des bildneriſchen Stoffes wird eben
daher abgeſonderter und reiner in den Arbeiten des Donato
aufzufaſſen ſeyn, welcher ſeinen Mangel an Richtigkeit und
Fuͤlle der Charakteriſtik durch Uebertreibungen der Zuͤge einer
einzigen Durchſchnittsform zu erſetzen ſuchte.
Gilt die Vorausſetzung: daß die Kuͤnſtler, vermoͤge einer
unerklaͤrlichen Verſchiedenheit und Sonderung innerhalb derſel-
ben Anlage, bald mehr zur Handhabung des bildneriſchen
Stoffes, bald wiederum des maleriſchen berufen werden; ſo
war Donato ſicher mehr, als ſein naher Vorgaͤnger und Zeit-
genoſſe, von Haus aus zum Bildner beſtimmt. — Ghiberti
ließ nicht ſelten die Geſtalt in maleriſcher Weichheit gleichſam
in ſich ſelbſt verfließen, wie bey den ſchoͤnen und ſchoͤn ge-
wendeten Engeln an der Ruͤckſeite des Reliquienſarges des
florentiniſchen Domes **), deren Leiber, nach dem Herkom-
[237] men damaliger Malerey, in dem langen fliegenden Gewande
verſchwimmen. Donato hingegen kannte und benutzte das
Knochengebaͤude, wie es ſcheint, in dem Gefuͤhle oder deutli-
chen Bewußtſeyn: daß eben dieſes einzig feſte Geruͤſte der
fleiſchigen Organiſationen ſeinem Kunſtſtoffe naͤher verwandt
ſey, wie denn in der That das ſichere auf ſich ſelbſt Beruhen,
welches den Bildwerken unerlaͤßlich iſt, eben nur durch ge-
wandte und ſichere Handhabung des Knochengeruͤſtes zu erlan-
gen iſt. Vielleicht war es eben nur ſein richtiger Gebrauch
dieſes wichtigen Kunſtvortheiles, der ihm die Gunſt und Be-
wunderung des Michelangelo zuwandte.
Wie ſeltſam es erſcheinen moͤge, daß M. A. Buonaruota
einen ſo untergeordneten Geiſt habe verehren koͤnnen: ſo iſt es
dennoch gewiß, daß er, durch Jugendeindruͤcke beſtochen, ſo-
gar noch weiter gegangen und Vieles, ſo in den Mienen und
Wendungen ſeiner Statuen beſonders auffaͤllt, dem Entwurf
nach den Bildwerken des Donatello abgewonnen hat. Dieſer
Kuͤnſtler ſtrebte, wie oben angedeutet worden, die Bezeichnun-
gen des eigenthuͤmlichen Seyns, welche ihm fehlten, durch
eine ſtarke, uͤbertriebene Andeutung gegenſtandloſen Muthes zu
erſetzen. Wie das Antlitz durch Runzeln und Vorſchieben der
haͤutigen Stirnbedeckung, durch Schwellen der Lippen, Auf-
blaſen der Nuͤſtern nach Art traͤumeriſcher, bewußtlos aufge-
regter Menſchen; ſo ward auch die Geſtalt von ihm in eine
krampfhafte Bewegung verſetzt, das eine Bein, gleichſam
ſtampfend, vorwaͤrts geſchoben, die entgegengeſetzte Achſel, wie
unwillkuͤhrlich zuckend, hervorgedraͤngt. *) Beſaß nun Michel-
[238]agnuolo unlaͤugbar den Vorzug tieferer Formenkenntniß, groͤ-
ßerer Gewandtheit und eines feineren Geſchmackes in der Aus-
bildung des Einzelnen; mußte er mithin ſein allgemeines Vor-
bild in dieſen Dingen nothwendig uͤbertreffen: ſo duͤrfte doch
Donatello vor dem juͤngeren Meiſter den Vorzug geltend ma-
chen, daß er weniger, als jener, von allem Sinn fuͤr die
Anfoderungen des Schweren entbloͤßt geweſen. Allerdings
neigte ſich Donato, nach dem Vorbilde des Ghiberti, zu ma-
leriſchen Wallungen der Geſtalt hinuͤber; doch umgiebt jene
zuckende Bewegung, welche ſeinen Statuen nun einmal ange-
hoͤrt, eine gewiſſe unſichtbare Spirallinie, vor welcher ſein
Streben nach Ausladung inſtinctmaͤßig in den jedesmal gege-
benen Schwerpunct zuruͤckweicht. Unter allen Umſtaͤnden be-
ſitzt ſein Lieblings und Meiſterwerk, der beruͤhmte Kahlkopf
(zuccone) am Thurme des florentiniſchen Domes, hinſicht-
lich der Unterordnung der Bewegung, der Stellung, des allge-
meinen Ganges der Gewandung, ein ausgezeichnetes Verdienſt;
wie ſie denn noch immer mit vollem Grunde fuͤr eines der
beſten Standbilder neuerer Zeiten gehalten wird.
Indeß iſt dieſes Verdienſt, genau genommen, nur ein
techniſches; uͤberhaupt ſcheint es, daß er beſonders durch Ge-
wandtheit und Anſtelligkeit bey ſeinen Zeitgenoſſen in Anſehn
gekommen. *) Gewiß war ſein Geiſt eben ſo arm, als roh,
[239] beſchraͤnkte ſich ſein Abſehn auf bloße Wirkung, weßhalb ſeine
Werke wohl uͤberraſchen, doch keinen tieferen und nachwirken-
den Eindruck hervorbringen. Mit Erzguͤſſen deren Technik
Ghiberti ſo wunderwuͤrdig gefoͤrdert hatte, wußte er, wie es
ſcheint, nicht umzugehn. Allerdings iſt die Judith unter einem
Seitenbogen der loggia de’ Lanzi ein ſehr wohlgelungener
und ſchoͤn gereinigter Guß. Doch moͤchte er ſich hier fremder
Huͤlfe bedient haben; denn gewiß gehoͤrt die Kanzel in ſan
Lorenzo, eines ſeiner ſpaͤteſten Werke, zu den roheſten Erzguͤſſen
der Neueren, was einen gewiſſen Mangel an Einſicht in dieſe
Kunſtarbeit zu verrathen ſcheint, obwohl andere, ſchon Baccio
Bandinelli*), die Haͤßlichkeit jenes Werkes aus dem Alter
des Kuͤnſtlers haben erklaͤren wollen. **) Hingegen foͤrderte
[240] er unlaͤugbar, was irgend zu den Handgriffen des Stein-
metzen gehoͤrt. *)
Mittelbar mochte er denn auch einem gleichzeitigen Bild-
ner, dem Nanni d’Antonio di Banco, genuͤtzt haben, den
Vaſari, in deſſen Leben, unter die Schuͤler des Donato ver-
ſetzt, ohne ſeine Gruͤnde anzugeben. Der Vater, wenn nicht
eher der wirkliche Meiſter des Nanni, war ſchon im J. 1406.
im Dienſte der florentiniſchen Domverwaltung; **) und im
Fortgang der Erzaͤhlung des Vaſari erſcheint Donato mehr
in der Eigenſchaft eines durch Verſtand und techniſche Anſtel-
ligkeit dem anderen uͤberlegenen Freundes. Zudem verrathen
die Statuen des Nanni in den Mauervertiefungen der Kirche
Orſanmichele zu Florenz keine Spur des Aufdruckes der Ma-
nier und Eigenthuͤmlichkeit des Donato; vielmehr ſind ſie an-
ſpruchloſe Hervorbringungen eines mehr richtigen, als frucht-
baren Geiſtes. Ihre einfache Auffaſſung, das ſchoͤne Gefuͤhl
in ihrer emſigen Beendigung, ihr loͤblicher Styl und andere
Vorzuͤge ſind dem Vaſari nicht entgangen, welcher das Leben
des Nanni allerdings etwas herabſetzend beginnt, doch bey
naͤherem Eingehn in deſſen Werke ſichtbar zur Anerkennung
ihrer Verdienſte hingeriſſen wird.
Gleichzeitig entwickelten ſich zu Florenz viele andere Bild-
ner von geringeren Faͤhigkeiten, oder minder gluͤcklicher Aus-
bildung. Verſchiedene wurden, nach voruͤbergehenden Jugend-
ver-
[241] verſuchen, der Bildnerey wieder abtruͤnnig, um zur Baukunſt
uͤberzugehn. In dieſer erwarb ſowohl Filippo di Ser Bru-
nellesco, als Michelozzo di Bartolomeo*) unvergeßlichen
Ruhm, waͤhrend ihre Bildnerarbeiten weder zahlreich, noch
ausgezeichnet ſind. **) Gegen die Mitte des Jahrhundertes
war Lucca della Robbia im Alleinbeſitz des Talentes, wie der
Gunſt, welche wenigſtens in den Gemeinweſen nur ſelten ganz
unverdient iſt.
Luca di Simone di Marco della Robbia eroͤffnete ſeine
Laufbahn nach dem Vaſari, ſchon in den erſten Jahren des
funfzehnten Jahrhundertes und wuͤrde, wenn dieſe Angabe
richtig waͤre, dem Beyſpiel des Ghiberti und Donato nur we-
nig zu verdanken haben. Doch beruhet jene Angabe des Va-
ſari (welcher unſeren Kuͤnſtler ſchon im Jahre 1405. ſein
II. 16
[242] ſchoͤnſtes Werk, die Verzierung der Orgel des Domes, und
unmittelbar darauf ebendaſelbſt das eherne Thor der Sacri-
ſtey unternehmen laͤßt) auf falſchen Nachrichten, oder gewag-
ten Vermuthungen. *) Gewiß war Luca ſchon im Jahre
1439. ein bekannter und geachteter Meiſter; allein, da er um
1460 und ſpaͤter noch lebte, ſo gehoͤrt er nicht in den Anbe-
ginn, ſondern in die Mitte des Jahrhunderts, wo wir ihn
ſpaͤterhin wiederum aufſuchen wollen. Denn vor der Hand
liegt es naͤher, die Beſtrebungen der Maler nachzuholen, welche
augenſcheinlich durch das Beyſpiel der Bildner geweckt, **)
nun endlich ebenfalls nach Mehrung und tieferer Begruͤndung
ihrer Darſtellung zu ſtreben beginnen.
Aus fruͤheren Bemerkungen erinnern wir uns, daß die
giotteske Manier zu Florenz bis zum Anfang und in ver-
einzelten Faͤllen (Chelini) bis gegen die Mitte des funfzehn-
ten Jahrhundertes ausgeuͤbt worden. Innerhalb dieſes Zeit-
raumes mochten verſchiedene Maler, gleich dem Lorenzo di
Bicci ſich bemuͤht haben, ihre Bezeichnungen zu ſchaͤrfen, und
gleich dieſem ins Fratzenhafte verfallen ſeyn, wovon haͤufige
Spuren vorkommen. Indeß blieb dieſes ſchwaͤchliche Streben
ohne Einfluß auf das allgemeine Gedeihen der Kunſt; denn
jene gaͤnzliche Umwandlung der maleriſchen Darſtellung, welche,
[243] etwa um 1430., ihren Anfang genommen, foderte die An-
ſtrengungen maͤchtig ringender, in der Tiefe ihres Daſeyns
aufgeregter Geiſter.
Niemand iſt es entgangen, daß die aͤltere, zu uͤberbie-
tende Manier der maleriſchen Darſtellung im Ganzen ange-
ſehn, theils der Rundung, theils auch aller phyſiognomiſchen
Feinheit und Schaͤrfe entbehrte. Was in derſelben klar und
erfaßlich und, nach den Umſtaͤnden, ergreifend iſt, beruhet auf
einer gewiſſen, allerdings ſinnreichen Handhabung der Bewe-
gung, oder des allgemeinen ſich Gehabens der Geſtalten;
denn von den Geſichtsformen beſaßen die Giottesken nur das
Nothduͤrftigſte, zur ungefaͤhren Andeutung der Affecte Unent-
behrlichſte. Mehrung der Rundung, tieferes Eingehn in die
Austheilung, in den Zuſammenhang, in die vielfaͤltigſten Ab-
ſtufungen des Reizes und der Bedeutung menſchlicher Ge-
ſichtsformen, war demnach die naͤchſte Vorausſetzung alles
Fortſchreitens in Dingen der maleriſchen Darſtellung.
Vielleicht uͤberſtieg vereinte Loͤſung beider Aufgaben die
Kraͤfte damaliger Kuͤnſtler; oder auch gefiel es dem Geiſte
der Geſchichte zwey verſchiedenen Kuͤnſtlern jedem ſeine eigene
Aufgabe zu ertheilen. Maſaccio uͤbernahm die Erforſchung
des Helldunkels, der Rundung und Auseinanderſetzung zuſam-
mengeordneter Geſtalten; Angelico da Fieſole hingegen die Er-
gruͤndung des inneren Zuſammenhanges, der einwohnenden
Bedeutung menſchlicher Geſichtszuͤge, deren Fundgruben er
zuerſt der Malerey eroͤffnet und in hoͤchſter Fuͤlle fuͤr ſeine ihm
ganz eigenthuͤmlichen Kunſtzwecke benutzt hat.
Da fuͤr die Lebensumſtaͤnde des Maſaccio keine ihm gleich-
zeitige Quelle bekannt iſt, ſo muͤſſen wir uns, hinſichtlich der
Zeit und der Ergebniſſe ſeiner Wirkſamkeit auf die ſtets bedenk-
16 *
[244] liche Autoritaͤt des Vaſari verlaſſen. Was dieſer uͤber das
Leben und den perſoͤnlichen Charakter des Kuͤnſtlers gemeldet
hat, ohne ſeine Quelle anzufuͤhren, moͤchte allerdings auf
muͤndlichen, leichtſinnig aufgefaßten Traditionen beruhen. Um
die Zeit, in welcher unſer Kuͤnſtler, nach dem Vaſari, gelebt
hat, gab es einen florentiniſchen Bildner, oder Metallarbeiter,
welcher Tomaſo di Bartolomeo hieß und vielleicht ſeines Aeuße-
ren willen, den Beynamen: Maſaccio, *) erhalten hatte.
Verwechſelte Vaſari unſeren Maler mit dieſem Bildner? oder
hatte dieſer Bildner, gleich dem Pollajuolo und Verocchio ſich
auch in der Malerey verſucht und ſeine bildneriſchen Reflectio-
nen uͤber die Erſcheinungen der Beleuchtung auf die Malerey
uͤbertragen wollen? Moͤge indeß dieſer Maler derſelbe Maſac-
cio ſeyn, den wir oben auch als Bildner kennen gelernt, oder
auch ein zweyter; moͤge er ſelbſt einen andern Namen gefuͤhrt
haben, wie es bey der geringen Gewaͤhr der Angaben des
Vaſari allerdings nicht ganz undenkbar iſt: ſo bleibt doch ſo
viel gewiß, daß ſeine Arbeiten ungefaͤhr in die Zeit einfallen,
welche Vaſari denſelben anweiſet, und, in der Richtung, welche
ich bezeichnet habe, (weil ſie noch ungewiß und im Einzelnen
mißlungen) nothwendig auch die fruͤheſten Verſuche ſind.
Wenn es nun vor der Hand nicht wohl auszumachen
iſt, in wiefern, was Vaſari von den Lebensumſtaͤnden unſe-
[245] res Kuͤnſtlers berichtet, begruͤndet ſey, oder auch nicht, ſo er-
giebt ſich doch andererſeits aus der Vergleichung ſeiner Anga-
ben mit den Gemaͤlden der Kappelle Brancacci, bey den Car-
melitern zu Florenz, daß er die letzten mit kuͤnſtleriſchem
Scharfblicke betrachtet hat und was er darin dem Maſaccio
beygemeſſen, auf das genaueſte ſowohl von den Arbeiten eines
fruͤheren, als auch von denen eines ungleich ſpaͤteren Malers,
des Filippino, unterſchied. Demungeachtet hat man nach dem
verbreiteten Wahne, daß es moͤglich ſey, den Vaſari (deſſen
Angaben ungepruͤft weder anzunehmen, noch zu verwerfen ſind)
ſchon nach dem bloßen Gefuͤhle zu berichtigen, auch hier ſeine
Beſtimmungen umwerfen und durch neue, ganz willkuͤhrliche
erſetzen wollen. Hiebey verſaͤumte man, ſowohl die Feſtſtel-
lung allgemeinerer Vorausſetzungen, als ſelbſt die unumgaͤng-
liche Vergleichung der Angaben des Vaſari, welche in drey
verſchiedenen Lebensbeſchreibungen verſtreut ſind. *)
Nach dieſem Schriftſteller malte Maſolino da Panicale
(ein Name, welcher mir bis dahin in aͤlteren Quellen nicht
vorgekommen iſt) die gegenwaͤrtig erneute Decke der Kappelle;
ferner an der Wand hinter dem Altare oben zur Linken die
Predigt des Hl. Petrus; endlich, an der Seitenwand dem Ein-
tretenden zur Rechten, die obere Abtheilung. Maſolino iſt,
nach Vaſari, ein naher Vorlaͤufer des Maſaccio; und in der
That ſind die erwaͤhnten Malereyen, wie ſie immer durch
ſtaͤrkere Bezeichnung der Geſichtszuͤge, durch nicht ungluͤcklich
in Perſpectiv gebrachte Gebaͤude und Anderes die hereinbre-
chende zweyte Erneuerung der maleriſchen Darſtellung ankuͤn-
digen moͤgen, doch, was die Schattengebung und daraus her-
[246] vorgehende Rundung angeht, ſichtlich noch in der Manier der
ſpaͤteren Giottesken ausgefuͤhrt. Hingegen ſind die noch uͤbri-
gen drey Abtheilungen der Altarwand, ferner die ganze Sei-
tenwand zur Linken, mit Ausnahme einer ſpaͤteren Ergaͤnzung
in der Mitte der unteren Abtheilung, nach derſelben Autoritaͤt
ſaͤmmtlich Arbeiten des Maſaccio. In der That verkuͤndet ſich
in letztgenannter Reihe von Darſtellungen uͤberall derſelbe Geiſt,
daſſelbe Wollen; auch erkennt man darin, wenn man bey je-
nen drey Geſchichten der Altarwand anhebt, die erſten Regun-
gen des Beſtrebens nach Rundung in den hier noch leichter
gehaltenen und farbigeren Schatten, hingegen an der oberen
bis auf den Pfeiler am Eingang durchgefuͤhrten Abtheilung
ſteigenden Muth, da die Schatten hier ſchon bisweilen ins
Schwaͤrzliche, wie die Lichter ins Kreidige uͤbergehn, aber
auch Unſicherheit und den Fehlgriff, die Hoͤhe der Lichter nicht
in die Mitte, ſondern an den Rand der Formen zu bringen,
was dieſen durchhin ein gewiſſes Anſehn von Schiefheit giebt.
In der Folge aber ſcheint der Kuͤnſtler bey Ausfuͤhrung der
unteren, unvollendet gebliebenen Abtheilung derſelben Wand
einem richtigen Verſtaͤndniß des Grundſatzes der Rundung
ſchon naͤher zu kommen und eben daher der Ueberhoͤhung der
Lichter, der Schwaͤrze der Schatten nicht mehr in dem Maße,
als fruͤherhin, zu beduͤrfen. — Dieſe fluͤchtig angedeuteten Um-
ſtaͤnde gewaͤhren, wie es einleuchten muß, den Angaben des
Vaſari eine ungewoͤhnliche Glaubwuͤrdigkeit.
Nun unterſcheiden ſich dieſe Malereyen von denen des
Filippino, der etwa um vierzig Jahre ſpaͤter das noch Feh-
lende ergaͤnzt hat, zunaͤchſt durch den Aufdruck eines ſtrenge-
ren, auf Ernſt und ſittliche Wuͤrde gerichteten Sinnes; denn
der juͤngere Filippo war wohl ein großes, doch leichtes und
[247] fluͤchtiges Talent, dem es nicht immer mit ſeiner Aufgabe ſo
ganz ein Ernſt war, weßhalb ihm in ſeinem fruchtbaren
Kuͤnſtlerleben nicht Alles gleichmaͤßig gelungen iſt. Ferner
unterſcheiden ſich die erſten von den ſpaͤteren durch den Auf-
druck der Zeit; denn eben was Maſaccio erſtrebte, Schatten-
gebung und Rundung, eben was er bey unnoͤthiger Uebertrei-
bung der Mittel noch nicht ſo ganz erreichte, war dem Filip-
pino bereits ein leichtes Spiel; was Maſaccio ganz hintan-
ſetzte, ich moͤchte ſagen, nur bildneriſch andeutete, die Land-
ſchaften und Hintergruͤnde, behandelte Filippino, wie uͤberall
in ſeinen Bildern, ſo auch hier mit Leichtigkeit und Geſchmack.
Zudem unterſcheiden ſich beide Meiſter auch in der Manier
oder Handhabung des Techniſchen der Frescomalerey: Maſac-
cio trug die Farbe, ſchon um die bezweckte Rundung beſſer
zu erreichen, ſehr paſtos und, in gewiſſem Sinne, modellirend
auf; Filippino hingegen duͤnn und fluͤſſig, da ihm, was jenem
kaum zum Localton genuͤgte, ſchon zum Lichte dienen konnte.
Allein auch das Gewand behandelte jeder auf ſeine Weiſe;
Maſaccio beſtrebte Groͤße und Einfachheit der Maſſen, ver-
theilte und rundete die einzelnen Parthieen wie ſchon die Zeit-
genoſſen Raphaels anerkannten, gewiß hoͤchſt muſterhaft; Fi-
lippino hingegen, welcher die Gewandung ſpaͤterhin bis zum
Geſchmackloſen willkuͤhrlich behandelt hat, verraͤth ſogar hier,
wo er ſein Beſtes geleiſtet, die Hinneigung zu kleinlichen und
bauſchigen Bruͤchen und zu jenem fluͤchtigen, ſich ſchlaͤngelnden
Auftrage der Faltenlichter, welche ſeine ſpaͤteren Arbeiten nicht
wenig entſtellen. Endlich dient auch das Coſtuͤme der Bild-
nißfiguren, zu zeigen, was Maſaccio in dieſen Gemaͤlden durch-
aus nicht gemalt haben konnte.
Moͤge Vaſari der eigenen Wahrnehmung dieſer mehrſei-
[248] tigen Verſchiedenheit beider Meiſter gefolgt ſeyn, oder viel-
mehr lebendigen Kuͤnſtlertraditionen, welche, da die Beendi-
gung der Kappelle Brancacci mit der Jugend des Michelan-
gelo zuſammenfaͤllt, hier ſchon als Quelle zu betrachten ſind;
ſo iſt doch ſo viel gewiß, daß er in dieſer Kappelle, was er
nicht ſchon dem Maſolino und Maſaccio ausdruͤcklich beyge-
legt hatte, durchhin fuͤr Arbeit des Filippino hielt. Uebrig
war, nach Ausnahme des ſchon beruͤhrten, zunaͤchſt: in der
Mitte der linken Seitenwand eine weite Luͤcke von unbeſtimm-
tem Umriß; dieſe ward, wie Vaſari mit deutlichen Anzeichen
umſtaͤndlicher Kunde berichtet, *) von Filippino ausgefuͤllt;
man unterſcheidet noch immer den roh verbundenen Anſatz des
friſchen Kalkes an den laͤngſt verhaͤrteten der Malerey des
Maſaccio. Ferner war die untere Abtheilung der Seitenwand
zur Rechten noch unbeſetzt; an dieſer bezeichnet uns Vaſari
ohne Angabe der Gegenſtaͤnde die beiden noch vorhandenen
Hiſtorien, die eine, indem er anzeigt, daß er daraus das Bild-
niß des Filippino entlehnt habe; **) die andere, darauf
[249] folgende*) durch Benennung der Perſonen, welche zu ei-
ner Gruppe von Nebenfiguren Modell geſtanden. Die erſte
zeigt Petrus und Paulus vor dem Proconſul, dem der Kuͤnſt-
ler hier die Inſignien eines Caeſarn und den Charakter des
Nero gegeben hat.
Dieſe mittelbare Bezeichnung der beiden hiſtoriſchen Ge-
maͤlde des Filippino zur Rechten der Eintretenden war indeß
von fluͤchtigen Leſern uͤberſehen worden. Wer nicht erwog,
daß alle jene Bildniſſe, wie beſonders die beiden auf einan-
der folgenden hiſtoriſchen Darſtellungen doch einen noch offe-
nen Raum begehrten, daß eben dieſer Raum nach den fruͤheren
Angaben des Vaſari doch eben nur an den ſchon bezeichneten
Stellen der rechten Seitenwand vorhanden war; wer uͤber-
haupt verſaͤumte, hinſichtlich dieſer Malereyen die beiden fruͤ-
heren Lebensbeſchreibungen des Maſolino und Maſaccio mit
jener ſpaͤteren des Filippo Lippi zu vergleichen; mochte glau-
ben koͤnnen, daß Vaſari den beiden fraglichen Hiſtorien uͤber-
all keinen Namen gegeben habe, und darin eine Aufforderung
ſehn, ſich in Conjecturen zu verſuchen. Die Gruͤnde, von de-
nen man bey ſolchen Vermuthungen ausgegangen, ſind nir-
gend an den Tag gekommen; wohl aber das Ergebniß. Denn
ſeit etwa vierzig Jahren hat man das Hauptwerk des Filip-
**)
[250]pino, Petrus und Paulus vor dem Proconſul, wiederholt als
ein Werk des Maſaccio in Kupfer geſtochen und ausgege-
ben *). Bey meiner Anweſenheit zu Florenz hatte man dieſe
Anliegenheit von neuem in Berathung genommen, die Autori-
taͤt des Vaſari, welche hier bereits ein Gewicht hat, von
neuem beſtritten, bis man endlich meinen oben ausgefuͤhrten
Gruͤnden nachzugeben geneigt ſchien.
Vaſari hat dem Maſaccio eine zweyte Arbeit beygelegt:
die Malereyen in einer Kappelle der Kirche ſ. Clemente zu
Rom, welche Kuͤnſtler und Reiſende zu beſuchen pflegen. Al-
lerdings ſind dieſelben jenen anderen ſehr nahe verwandt;
doch aͤltere Arbeiten unſeres, oder eines ihm aͤhnlichen Mei-
ſters, welche nur an einzelnen Stellen, vornehmlich den
Koͤpfen der Weltweiſen des Hauptbildes zur Linken, uͤber die
einfache Manier der ſpaͤteren Giottesken hinausgehn. Hinge-
gen konnten wir dem trefflichen Stifter in ſeinen florentini-
ſchen Wandgemaͤlden Schritt fuͤr Schritt nachfolgen, ihm
gleichſam zuſehn, wie er muͤhſam und nicht immer mit Er-
folg darnach rang und ſtrebte, die maleriſche Darſtellung durch
bis dahin unbekannte Kunſtvortheile zu bereichern, in die ein-
zelnen Formen Rundung einzufuͤhren, die allgemeine Anord-
nung durch maſſige Schatten und breite Lichter anſichtlicher
zu machen.
[251]
Dieſe neuen, bisher noch unbenutzten Huͤlfsmittel der
Darſtellung erſtrebte Maſaccio nicht etwa, ſeinen Gemaͤlden
mehr aͤußere Annehmlichkeit zu geben, ſondern weil ſein ſtar-
kes, maͤnnliches Gefuͤhl, ſein hoher Begriff von der Wuͤrde
der Aufgaben, deren Loͤſung ihn beſchaͤftigte, in der herkoͤmm-
lichen flachen und ſchattenloſen Manier nicht wohl genuͤgend
auszudruͤcken war. Im umgekehrten Verhaͤltniß verkannten
ſeine naͤheren Nachfolger, die florentiniſchen Maler bis auf
den Lionardo hin, den vollen Werth ſeiner Verſuche und
Neuerungen, weil ſie kein Beduͤrfniß fuͤhlten, ſich zu gleicher
Großartigkeit und Einheit der Auffaſſung zu erheben. Um die
Mitte und bis gegen Ende des funfzehnten Jahrhundertes
waren alle Haͤnde geſchaͤftig, das Einzelne naͤher auszubilden,
was die Aufmerkſamkeit nothwendig von den Beſtrebungen
des Maſaccio ablenkte. Wenn nun dieſe, wie der Lauf der
Kunſtgeſchichte zeigt, nicht fruͤher, als um die Zeit des Lio-
nardo und Raphael die Aufmerkſamkeit der Kuͤnſtler angezo-
gen, ihren Nacheifer geweckt haben, ſo fanden dahingegen die
Neuerungen des Beato Angelico da Fieſole alſobald Eingang
und Nachfolge.
Betrachten wir in dieſem Kuͤnſtler zunaͤchſt ſeine ausge-
zeichnete und ganz unvergleichbare Eigenthuͤmlichkeit; ſodann
auch ſeine hiſtoriſche Stellung, oder ſeinen Einfluß durch Bey-
ſpiel und Lehre.
Was irgend durch Abgezogenheit von den Lockungen des
Lebens zu erlangen iſt, Reinheit des Willens, Erhebung des
Gemuͤthes, innige Vertraulichkeit mit dem Geiſte ungetruͤbter
Liebe, ſolches Alles ward dem frommen Angelico in hoͤchſtem
Maße zu Theil. „Er haͤtte vermoͤge ſeiner Kunſt, ſagt Va-
ſari, in der Welt mit Gemaͤchlichkeit leben koͤnnen, waͤhlte in-
[252] deß die Abgeſchiedenheit, welche den Schlimmen zu groͤßerem
Verderben, und nur den Guten zum Gluͤcke gereicht.“ „Man
ſagt, erwaͤhnt er ferner, daß er niemals gemalt habe, ohne
vorher mit Innigkeit zu beten; daß er nie die Leiden des Er-
loͤſers dargeſtellt, ohne dabey in Thraͤnen auszubrechen; daß
er ſeine Malereyen nie nachgebeſſert habe, weil er glaubte,
ihr Gelingen beruhe auf unmittelbarer Eingebung. Gewiß,
ſetzt er hinzu, ſpricht aus den Mienen und Wendungen ſeiner
Geſtalten die Geſinnung eines aͤchten und ernſtlichen Chriſten.
Ich moͤchte hinzufuͤgen: eines aͤchten und wahren Moͤnches;
denn ſicher entfaltete Angelico die ſchoͤnſten Seiten des Moͤnch-
thumes, welchem er unſtreitig, wenn auch nicht ſeine Eigen-
thuͤmlichkeit, doch deren volle Entwickelung verdankt. Seit
den aͤlteſten Zeiten war Kalligraphie und Miniaturmalerey in
den Kloͤſtern einheimiſch, dieſen durch Stifter und Obere drin-
gend empfohlen und in der That beſonders bey den Griechen,
doch auch bey den Franken der karolingiſchen Epoche fruͤhe
mit vielem Erfolg betrieben worden *). Seit dem Jahre
1300 hatten die moͤnchiſchen Miniatoren in Italien, bey zu-
nehmender Kunſtbildung allgemach eben jene Richtung einge-
ſchlagen **), deren Beato Angelico ſich in der Folge bemei-
[253] ſterte. Dieſer Kuͤnſtler war von der Miniaturmalerey ausge-
gangen; ſeine Arbeiten in Chorbuͤchern der Kloͤſter ſeines Or-
dens, ſan Marco zu Florenz, ſ. Domenico unterhalb Fieſole,
ſind leider entweder uͤberall nicht mehr vorhanden, oder doch
an andere mir unbekannte Orte verſetzt; doch verſichert Va-
ſari, der ſie geſehn hatte, daß er fuͤr ihre Schoͤnheit und Aus-
bildung keinen Ausdruck habe. Vielleicht wird die Ausfuͤh-
rung dieſer Arbeiten nach einem Bruchſtuͤcke zu beurtheilen
ſeyn, einem Pergamentblatte mit der Himmelfahrt der Jung-
frau, welches mir zu Florenz mit der Verſicherung verkauft
worden, daß ſolches aus einem jener Choralbuͤcher entnom-
men ſey. Indeß glaube ich darin, wohl einige Sinnesver-
wandtſchaft, doch eine andere Hand zu erkennen, und halte
dieſes unſtreitig ſchoͤne Werk vielmehr fuͤr ein Zeichen dama-
liger Verbreitung eben jener Richtung, in welcher Fieſole das
Hoͤchſte hervorgebracht.
Unzaͤhlige Werke ſeines Pinſels ſind uͤber das mittlere
Italien verſtreut, viele andere bey Aufhebung der Kloͤſter in
den Handel gekommen. Doch, um die ganze Schoͤnheit ſeiner
Seele, die ganze Zartheit ſeiner Ausfuͤhrung zu kennen und zu
wuͤrdigen, ſoll man einige ſeiner kleineren Gemaͤlde a tempera
in vollkommenem Stande der Erhaltung geſehn haben. Die-
ſer verkuͤndet ſich in jenem matten Glanze, welcher aus der
Verhaͤrtung des Bindeſtoffes entſtehet und bey unberuͤhrten
Temperagemaͤlden die ganze Oberflaͤche mit einem friſchen und
unnachahmlichen Schmelze uͤberzieht. Wo man aus Vorwitz,
oder um vorangegangene Beſchmutzungen zu entfernen, Reini-
gungen vornahm, ward jener Ueberzug aller Vorſicht ungeach-
tet mehr und minder verletzt; wo irgend ein fremdartiger Fir-
niß ihn verdeckt, iſt er, wenn auch vorhanden, doch nicht mehr
[254] bemerklich, wie in einigen kleinen Bildern des Fieſole in der
florentiniſchen Gallerie der Uffizj und in einem anderen der
dortigen Akademie der Kuͤnſte, worin ein juͤngſtes Gericht.
Schwerer und nicht ſelten bis auf den Grund beſchaͤdigt ſind
die Malereyen an den ehmaligen Silberſchraͤnken der Serviten,
wie beſonders eine groͤßere Altartafel, beide in der florentini-
ſchen Akademie. Hingegen hatten die Staffeln eines Altares
gegenwaͤrtig in der Sacriſtey der Dominicaner zu Cortona
und der Sockel des ehemaligen Altarblattes der Kirche ſ. Do-
menico di Fieſole *) ihren urſpruͤnglichen Schmelz noch be-
wahrt, als ich ſie wiederholt und mit immer neuer Bewun-
derung betrachtete. Von dem letzten, auf welchem unzaͤhlige
Seelige, verſicherte ſchon Vaſari, daß er ſich nie habe ſaͤttigen
koͤnnen, es zu betrachten. — Im allgemeinen haben ſich die
Mauermalereyen des Angelico, welche ſaͤmmtlich auf trockenem
Gypsgrunde gemalt ſind, ungleich beſſer erhalten.
In den gelungenſten unter ſeinen kleineren Werken er-
ſchoͤpfte ſich dieſer Kuͤnſtler in den mannichfaltigſten Andeutun-
gen einer mehr als irdiſchen Freudigkeit; hingegen enthalten ſeine
Mauergemaͤlde haͤufig Darſtellungen der irdiſchen Bedraͤngniſſe
heiliger Perſonen; obwohl in deren Gebehrden und Mienen
die innere Harmonie uͤber aͤußere Stoͤrungen ſichtlich vorwal-
tet, nichts die Sicherheit ihrer Hoffnungen, die Feſtigkeit ihres
Willens zu erſchuͤttern ſcheint. In dieſer Art und Groͤße iſt
ſein Hauptwerk jene Kappelle im vaticaniſchen Palaſte, welche,
wie ich vernahm, nach langer Vergeſſenheit durch die uner-
[255] muͤdliche Sorgfalt und Wachſamkeit unſeres vielſeitigſten Kunſt-
gelehrten, des Hofrath Hirt, erſt ſeit einigen Jahrzehenden
wiederum zugaͤnglich ward *). Sie wird gegenwaͤrtig, mit
anderen zahlloſen Kunſtſchaͤtzen des Vaticanes, mehrmal die
Woche auch der Menge geoͤffnet, iſt auch durch ein Kupfer-
werk in Umriſſen und einzelne von Lips geſtochene Gruppen
bereits in einem weiteren Kreiſe bekannt, weßhalb ich dem
Leſer und mir ſelbſt die Andeutung ihrer unvergleichbaren
Schoͤnheiten erſparen darf. Genug, daß ſie in dem freylich
engeren Kreiſe heiligen Willens und frommer Kindlichkeit eine
große Mannichfaltigkeit des Charakters entfaltet. Ein gleiches
gilt ſeine Mauergemaͤlde im Kloſter, beſonders im Kapitel-
ſaale zu ſ. Marco in Florenz, welche jener Kappelle der Zeit
nach vorangehn moͤgen, da ſie durchhin einfacher behandelt
und etwas aͤrmlicher angeordnet ſind. Indeß iſt der Aus-
druck in den Koͤpfen, in den Bewegungen der Arme, in den
Neigungen des Oberleibes unuͤbertrefflich und, wie man anzu-
erkennen ſcheint, hier ſtaͤrker und leidenſchaftlicher, als in an-
deren und verwandten Darſtellungen deſſelben Meiſters.
Nach beliebten und angenommenen Vorausſetzungen haͤtte
ein ſo zart geiſtiges Streben unſeren Angelico vom Objectiven
abziehn und gleichſam in ſich ſelbſt concentriren muͤſſen. Doch
ganz im Gegentheil war es eben dieſer ſchwaͤrmeriſch vom
Irdiſchen abgezogene Geiſt, welcher unter den Neueren zuerſt
den menſchlichen Geſichtsformen ihre volle Bedeutung abge-
wann und deren mannichfaltigſte Abſtufungen benutzte, ſeinen
[256] Darſtellungen eine groͤßere Fuͤlle und Deutlichkeit zu geben. —
Freylich verlaͤugnet Angelico nirgend die vorwaltende Stim-
mung ſeiner Seele, neigt ſich an keiner Stelle zum Star-
ken, Maͤchtigen, Zuͤrnenden, kaum einmal zum tief Schmerz-
lichen; doch gefiel er ſich, den einen Charakter milder See-
lenguͤte durch eine Unermeßlichkeit von Abſtufungen hindurch
zu fuͤhren. Dieſe werden wir indeß nur in ſeinen Geſichtsbil-
dungen aufſuchen wollen, deren innerer Zuſammenhang unter
den modernen Malern ihm zuerſt ganz aufgegangen iſt. Hin-
gegen blieb ihm die Geſtalt ſtets fremd, weßhalb er uͤberall,
wo er in der Handhabung des Leibes uͤber den einfachen Zu-
ſchnitt der giottesken Manier hinausging, wohl noch die Be-
wegung des Oberleibes beherrſchte, doch ſelten das Unterge-
ſtelle, welches in ſeinen Gemaͤlden meiſt ſehr unbelebt und
hoͤlzern laͤßt. Auch lag es außer ſeinem Abſehn, die maleri-
ſche Anordnung, gleich dem Maſaccio, durch ſchaͤrfere Beleuch-
tung und maſſige Schattengebung zu unterſtuͤtzen; obwohl er
den Gang des Gefaͤltes, deſſen Antheil an dem Reize maleri-
ſcher Darſtellungen groͤßer iſt, als ich zu erklaͤren weiß, mit
ungemeiner Feinheit fuͤr ſeine Zwecke zu benutzen wußte.
Jene ihm eigenthuͤmliche, an ſich ſelbſt ſeltene und ſchwer
hindurch zu fuͤhrende Seelenſtimmung hat Angelico ſeinen Zeit-
genoſſen und Nachfolgern allerdings nicht mittheilen koͤnnen;
hingegen fand ſeine leichte und farbige Schattengebung mehr
Eingang, als die maſſige Behandlung des Maſaccio; beſon-
ders aber weckte und ſchaͤrfte er bey den florentiniſchen Ma-
lern der anderen Haͤlfte des Jahrhundertes den Sinn fuͤr den
Reiz und fuͤr die Bedeutung des Mannichfaltigen in der menſch-
lichen Geſichtsbildung.
In dieſer Beziehung hatte er zunaͤchſt auf den Benozzo
Goz-
[257]Gozzoli eingewirkt, den Vaſari gewiß nicht ohne Grund als
einen Schuͤler des Angelico bezeichnet. Denn in ſeinen fruͤ-
heren Werken, den Malereyen der Kirchen ſ. Fortunato und
ſ. Francesco zu Montefalco, einem umbriſchen Staͤdtchen un-
weit Fuligno, blieb Benozzo theils dem aͤußeren Vorbilde,
theils auch der Milde des Angelico ſo nahe, als nur von ei-
nem Schuͤler anzunehmen iſt. In ſ. Fortunato erhielt ſich an
der Seitenwand zur Rechten eine Madonna, welche das auf
ihrem Schooße ruhende Kind anbetet; zur Seite ein Engel,
welcher eine Handtrommel ſchlaͤgt. Es iſt ſehr raſch a buon
fresco gemalt, ſcheint uͤbrigens der Ueberreſt eines groͤßeren
Wandgemaͤldes zu ſeyn. In dieſem Bilde lieſt man auf ei-
ner Baſe: BENOZII .. FLORENTIA .. CCCC. L.
Die leicht zu ergaͤnzenden Lagunen verdeckt ein Kiſſen. Hinter
dem Hauptaltar ſtehet, gegen das Chor gewendet, eine voll-
ſtaͤndige Altartafel, die Jungfrau, welche dem Hl. Thomas
ihren Guͤrtel giebt, an den Pfeilern ſechs Heilige und in der
Altarſtaffel ſechs Geſchichten aus dem gewohnten maleriſchen
Cyclus des Lebens der Madonna. Dieſe moͤchte, nebſt der
Lunette uͤber der Hauptthuͤre der Kirche, jenem Fragmente
gleichzeitig ſeyn, welches letzte unter allen Umſtaͤnden unter
den bekannten Werken des Benozzo das aͤlteſte iſt. Um wenig
ſpaͤter malte er in einer Seitenkappelle der Kirche ſ. Fran-
cesco, dem Haupteingang zur Rechten, in welcher viele Re-
miniſcenzen aus den Gemaͤlden des Fieſole vorkommen; der
Hl. Franz in der Lunette iſt eine Copie nach jenem im Ka-
pitelſaale des Kloſters ſan Marco zu Florenz. In einer
Queerleiſte unter dieſer Lunette befindet ſich folgende in den
naſſen Kalk eingedruͤckte Aufſchrift: — opus Benozii de
Florenzia; und in einer anderen: constructa atque depicta
II. 17
[258]est hcc cappella ad honorem gloriosi Hyeronimi. M.
CCCC. LII. DE Po novenbris.
Dieſelbe Anhaͤnglichkeit an die Heiligengebilde des Ange-
lico zeigt ſich in einer nur wenig ſpaͤteren Tafel, welche viel-
leicht *) aus der genannten Kirche in die Gallerie der peru-
giniſchen Kunſtſchule gelangt iſt. Im goldenen Felde dieſes
Gemaͤldes ſtehet: opus Benotii de Florentia MCCCC. LVI.
Auch in der Chorkappelle jener Kirche, einem reichen, Vieles
umfaſſenden Werke, verraͤth ſich ein leiſer Nachklang der Ge-
muͤthsſtimmung des Meiſters, obwohl Benozzo hier ſchon an-
faͤngt, ſich jener ſchuͤlerhaften Befangenheit zu entſchlagen und
aus den Anregungen ſeines Meiſters hervorzuheben, was ſei-
ner Eigenthuͤmlichkeit entſprach. Dieſe Arbeit iſt im Ganzen
und mit Ausnahme des gothiſchen Gewoͤlbes ganz wohl er-
halten und enthaͤlt an den Waͤnden, in zwoͤlf Abtheilungen,
Lebensereigniſſe des Hl. Franz, worin die Geſchaͤftigkeit der
Weiber bey der Geburt des Heiligen, die Leidenſchaft des
Vaters, wo der Hl. ſich von ihm losſagt, der knieende Moͤnch
am Sterbebette des Hl., nebſt anderen lebenvollen Zuͤgen hoͤchſt
erfreulich zu ſehen ſind.
Nicht ſo gar lange darauf arbeitete Benozzo in einem
Staͤdtchen des florentiniſchen Gebietes, ſ. Gimignano, unweit
der Straße von Florenz nach Siena und in der Naͤhe von
Volterra. Im Dome dieſer Stadt malte er in einer Kap-
pelle, welche an der Stelle der vermauerten Hauptthuͤre durch
zwey vorſpringende Pilaſter gebildet wird, den Tod des Hl.
[259]Sebaſtian, ein ſehr mittelmaͤßiges Bild, deſſen obere Abthei-
lung indeß einige treffliche Engel enthaͤlt. Die Unterſchrift:
ad laudem glor. athlete s. Sebastiani hoc opus con-
structum fuit die XVIII. Januarii M. CCCCLXV. Be-
nozius Florentinus pinxit. Im Chore derſelben Kirche be-
findet ſich eine Altartafel, welche man angeblich aus einer
eingezogenen Kirche dahin verſetzt hat; ſie ſtehet, wie alle
Staffeleygemaͤlde des Benozzo (der auch hier nicht verſaͤumt
hat, ſein: opus Benotii de Flo. anzubringen) ſeinen Mauer-
gemaͤlden ſehr weit nach; obwohl auch hier die Engel, welche
oben Blumengewinde emporhalten, ſehr anmuthvoll ſind. Der
Kuͤnſtler mochte ſich dazumal in dem luftig gelegenen, maleri-
ſchen Staͤdtchen angeſiedelt haben. Denn im folgenden Jahre
uͤbernahm er die Wiederherſtellung der Malerey an den Waͤn-
den der Sala de’ Conſiglj des Stadthauſes, wo neben der
alten Aufſchrift: Lippus Memmi de Senis me pinsit al
tempo di — — MCCCXVII., etwas zur Rechten im
Winkel: Benotius Florentinus restauravit anno d. M.
CCCCLXVII.
Ein weiteres Feld, und mehr Aufforderung, ſein Beſtes
zu leiſten, fand Benozzo um einige Jahre fruͤher in der Au-
guſtinerkirche deſſelben Ortes. Hier malte er zunaͤchſt an einer
Seitenwand des Altares zum Hl. Sebaſtian, deſſen Bild, wie
im Siege uͤber den eben beſtandenen Todeskampf, umher viele
Einwohner des Ortes knieend und ausdrucksvoll zum Hl. auf-
ſchauend, welche Arbeit nach der Aufſchrift im Julius 1464.
beendigt worden. Hingegen lieſt man in der Chorkappelle, an
der Wand dem Eintretenden zur Rechten:
Eloquii sacri Doctor Parisinus et ingens
Geminiaci fama decusque soli
17 *
[260]
Hoc proprio sumptu Dominicus ille sacellum
Insignem jussit pingere Benotium. MCCCC.LXV.
An der Flaͤche des gothiſchen Bogens uͤber dem Altare
malte Benozzo Bruſtbilder der Apoſtel; in den Abtheilungen
des Kreuzgewoͤlbes die vier Evangeliſten, unter denen Johan-
nes auszuzeichnen; an den Waͤnden in vielen Abtheilungen
ſechzehn Lebensereigniſſe des Hl. Auguſtin, unter welchen das
eine mit den knabenhaften Unarten und Zuͤchtigungen des kuͤnf-
tigen Heiligen beſonders launig aufgefaßt iſt. Unzaͤhlige Bild-
nißfiguren, welche nicht immer an der Handlung Theil neh-
men, erfuͤllen jeden zu ermuͤſſigenden Raum. Einige dieſer
belebten und ausdrucksvollen Geſichter hat Benozzo auch an
anderen Stellen, beſonders in der Kappelle des Palaſtes Ric-
cardi zu Florenz wieder angebracht.
Rings an den Waͤnden dieſer Kappelle malte Benozzo
den Zug der Hl. drey Koͤnige mit einem zahlloſen Gefolge von
Bildnißfiguren, welche, fuͤr ſich betrachtet, vortrefflich und
fleißiger beendigt ſind, als die Koͤpfe der Nebenfiguren in ſei-
nem letzten und umfaſſendſten Werke, den Darſtellungen aus
dem alten Teſtament im Campo ſanto zu Piſa. Hier war
Benozzo endlich einmal von ſeiner Aufgabe ergriffen, bediente
er ſich ſeiner vorangegangenen Beobachtungen und Forſchun-
gen mehr, ſeinen jedesmaligen Gegenſtand auszudruͤcken, als,
wie bisher, den Raum behaglich zu fuͤllen. Der Fluch des
Noah, die muͤhſam unterdruͤckte Ruͤhrung Joſephs, wo ſeine
Bruͤder um Benjamins Befreyung flehen, ſpricht ſich ganz
unuͤbertrefflich aus. Doch beruhet auch hier aller Ausdruck
auf tiefer Kenntniß des Bezeichnenden in den Zuͤgen des Ant-
litzes; denn die Geſtalt iſt keinesweges beſſer verſtanden, als
in jenen fruͤheſten Malereyen zu Montefalco; das Gewand
[261] ſchlechter aufgefaßt, als dort. Hingegen hat der Kuͤnſtler im
Campo santo viel Luſt an landſchaftlichen und architectoni-
ſchen Beywerken dargelegt, was zu den ſpaͤteſten Beziehungen
ſeines großen Talentes gehoͤren mag. *)
An einer Stelle des Anhanges zur neuen Ausgabe der
Werke Winckelmanns wird die Einwirkung der aͤlteſten Bil-
dung auf die Entwickelung der griechiſchen Kunſt durchhin
auf techniſche Vortheile beſchraͤnkt und zur Erlaͤuterung, als
eine bereits ausgemachte Thatſache, angefuͤhrt, daß auch die
Italiener bey Aneignung der maleriſchen Technik der Nieder-
deutſchen ſich vor anderweitigen Anregungen bewahrt und frey
erhalten haben. Indeß waren die Herausgeber des trefflichen
Werkes in der Wahl dieſes Beyſpieles hoͤchſt ungluͤcklich, da
die Sache ſich ganz anders verhaͤlt, als ſie annehmen. Denn
ſchon ſeit der Mitte des funfzehnten Jahrhundertes ſtrebten
viele italieniſche Maler den Niederlaͤndern eben ihre meiſter-
liche Nachbildung des Mannichfaltigen in der Erſcheinung der
Dinge abzugewinnen, waͤhrend die Oelmalerey nicht fruͤher,
als gegen das Ende deſſelben Jahrhundertes die hergebrachte,
damals freylich hoͤchſt ausgebildete Malerey a tempera ver-
draͤngte.
Allerdings war die Oelmalerey den Florentinern ſchon
ungleich fruͤher hiſtoriſch bekannt, wie aus dem bekannten Co-
dex des Cennino erhellet. Auch erzaͤhlt uns Vaſari im Leben
des Andrea dal Caſtagno, dieſer Maler habe ſich bisweilen
des Oeles bedient, deſſen Gebrauch ſein Freund Domenico von
[262]Venedig ihn kennen gelehrt. Indeß kenne ich von dieſem letz-
ten nur eine einzige, noch wohlerhaltene Tafel in der Kirche
ſta Lucia jenſeit des Arno zu Florenz. In dieſem Altarge-
maͤlde, worin die Madonna auf dem Throne unter einer Bo-
genſtellung von gemiſchter florentiniſch-gothiſcher Anlage, zu
den Seiten, ſta Lucia, ein Hl. Biſchof und gegenuͤber ſ. Joh.
Baptiſta und ſ. Franz, lieſet man auf der erſten Stufe des
Thrones:
opus Dominici de Venetiis — Ho Mater Dei mi-
sere mei — Datum est.
Dieſes Bild gehoͤrt zu den fruͤheren Beyſpielen dieſer in
der zweyten Haͤlfte des Jahrhundertes beliebten einfachen und
ruhigen Anordnung der Heiligen beſtimmter Altaͤre. Das
Profil der Hl. Lucia iſt des beato Angelico nicht unwuͤrdig,
in den uͤbrigen Koͤpfen einige Spur der manierten Charakteri-
ſtik des Andrea dal Caſtagno. Uebrigens iſt dieſes Bild ſehr
trocken a tempera gemalt, was unerklaͤrlich waͤre, wenn Do-
menico wirklich, wie Vaſari auch im Leben des Antonello
von Meſſina vorgiebt, die Vortheile der Oelmalerey durchaus
beſeſſen und ſolche dem Andrea mitgetheilt haͤtte. Auch in
den Arbeiten des Letzten zeigt ſich nirgend einige Spur von
genauer Bekanntſchaft mit den Vortheilen, welche die nieder-
deutſchen Maler damals ſchon laͤngſt in faſt unerreichter Voll-
kommenheit aus dieſer Bindung entwickelt hatten, wie in dem
unvergleichlichen van Eyck der koͤniglich preußiſchen Samm-
lung. *) Vielleicht taͤuſchte den Vaſari die braͤunlich ſchmuz-
zige Faͤrbung der bekannteren Arbeiten des Andrea.
[263]
Alſo kam die erſte Anregung des Beſtrebens, landſchaft-
liche Hintergruͤnde, ergoͤtzliche Pflanzengebilde und andere Bey-
werke um des bloßen Reizes der Erſcheinung willen in den
hiſtoriſchen Darſtellungen anzubringen, den toscaniſchen Ma-
lern aus weiter Ferne. Lange, bevor ſie dazu die Hand er-
huben, hatten die Bruͤder van Eyck in der Behandlung ſol-
cher Nebendinge eine ſelten uͤbertroffene Meiſterſchaft darge-
legt, welche hoͤchſt wahrſcheinlich auf den Verſuchen und Er-
fahrungen aͤlterer Maler ſich begruͤndete. Um die Mitte des
funfzehnten Jahrhundertes gelangten viele Gemaͤlde dieſer
Schule, Weihgeſchenke im Niederlande anſaͤſſiger Italiener,
nach Toscana und in andere Gegenden des Landes *); unter
dieſen ward die ſchoͤne Tafel von Hugo van der Goes in der
Spitalkirche ſta Maria nuova von allen florentiniſchen Ma-
lern der anderen Haͤlfte des Jahrhundertes hinſichtlich der
Beywerke nachgeahmt. Das Glasgefaͤß mit ſeinen Blumen,
die Teppiche und reichen Zeuge, wie vornehmlich die ſchoͤnen
Hintergruͤnde wurden von nun an und bis gegen Ende des
funfzehnten Jahrhundertes, obwohl mit ungleichem Gelingen,
in den meiſten hiſtoriſchen Gemaͤlden dieſer Schule angebracht.
Man hat behaupten wollen, dieſes Ergoͤtzen an ſchoͤnen Bey-
werken habe, in Vereinigung mit jener aͤlteren Richtung auf
Erforſchung und Aneignung phyſiognomiſcher Feinheiten, die
Florentiner jener Zeit von ernſtlicher Durchdringung der Idee
vorwaltender Kunſtaufgaben abgezogen.
[264]
Gewiß iſt die Wahrnehmung, daß die Florentiner der
bezeichneten Epoche die myſtiſch, oder ethiſch religioͤſen Vor-
ſtellungen damaliger Kunſtaufgaben meiſt ohne lebhaften An-
theil, oder nur obenhin behandelt haben, an ſich ſelbſt ganz
richtig; indeß verwechſelt, wer dieſes allgemeine Nachlaſſen
der Begeiſterung fuͤr Gegenſtaͤnde der bezeichneten Art aus je-
nem gleichzeitig uͤberhandnehmenden Naturalismus ableitet,
das Symptom mit der Veranlaſſung. Ganz andere und all-
gemeinere Veranlaſſungen liegen zur Hand; die Bewunderung
claſſiſcher Gediegenheit hatte die Italiener jener Zeit gegen die
minder ſcheinbaren, vielleicht unſcheinbar gewordenen Vorzuͤge
der chriſtlichen Lebensanſicht verblendet, in Vielen Gleichguͤl-
tigkeit, in Einigen ſogar Haß gegen die ſittlich-religioͤſe Rich-
tung des Chriſtenthumes hervorgerufen, wie Jedem bekannt
iſt, welcher in der Geſchichte und Literatur jener Zeit ein we-
nig ſich umgeſehn. Wie in den neueſten Zeiten, ſo war auch
ſchon damals ein Theil der Geſinnungen und Anſichten der
wiſſenſchaftlich Gebildeten auf Solche uͤbergegangen, welche,
gleich den Kuͤnſtlern, ſich mit jenen beruͤhrten. Daher denn
erklaͤrt ſich die Abkuͤhlung der Begeiſterung fuͤr chriſtliche
Kunſtaufgaben, welche in der That einer groͤßeren Verbrei-
tung des Naturalismus nur etwa Raum gegeben hat, keines-
weges dieſem letzten gewichen iſt. War es doch eben Ange-
lico da Fieſole, welcher in phyſiognomiſcher Beziehung allen
florentiniſchen Naturaliſten vorgeleuchtet hat; fehlte doch die
chriſtlich und moͤnchiſche Begeiſterung auch denen, und beſonders
eben denen, welche aus Traͤgheit, oder Unfaͤhigkeit in der Nach-
ahmung des Einzelnen hinter ihren Zeitgenoſſen zuruͤckgeblie-
ben ſind!
Uebergehen wir hier eine Reihe fruͤher, vielleicht noch un-
[265] bewußter Manieriſten, denen Vaſari eigene Lebensbeſchreibun-
gen gewidmet hat, den Andrea del Caſtagno, Dom. Vene-
ziano und andere, welche gewiſſe, durch auswuͤchſiges und
uͤberfließendes Einzelne uͤberladene Durchſchnittscharaktere ſich
gebildet hatten; uͤbergehen wir ſelbſt die beſſere, obwohl we-
nig ausgebildete Anlage eines Paolo Uccello, um unmittelbar
zum Coſimo Roſelli zu gelangen. Dieſer war in ſeinem
friſcheſten Lebensalter der Bahn nachgegangen, welche Ange-
lico gebrochen, hatte ſelbſt aus dem Beyſpiele des Maſaccio
Vortheil gezogen; verließ aber nach einigen glaͤnzenden Pro-
ben ſeiner Faͤhigkeit, den Charakter wirklicher Dinge ſich an-
zueignen, die eingeleitete Laufbahn, um ſich einer unerweckli-
chen und haͤßlichen Manier zu uͤberlaſſen.
Sein Hauptwerk iſt ein hiſtoriſches Mauergemaͤlde von
nicht unerheblichem Umfang in der Kappelle des ſ. Miracolo
der florentiniſchen Pfarrkirche ſ. Ambruogio. Dieſe Arbeit iſt
mit den Worten: Coſimo Roselli f. l’an. 1456. bezeich-
net; einer Aufſchrift, welche ich noch vollſtaͤndig geleſen, doch
allmaͤhlich erloͤſchen geſehn, da bey dem Abkehren des Stau-
bes hie und da etwas von der auf trockenem Grunde aufge-
tragenen Farbe von der Mauer abließ. Der Gegenſtand ge-
dachter Darſtellung iſt die Verſetzung eines wunderthaͤtigen
Kelches aus der Kirche ſ. Ambruogio, wo das Wunder ſich
ereignet hatte, nach dem biſchoͤflichen Palaſte. Die Aebtiſſin
und Schweſtern begleiten das Heiligthum bis an die Pforte
vor welcher eine vortreffliche, hoͤchſt maleriſch aufgefaßte, Ra-
phaels nicht unwuͤrdige Gruppe von Prieſtern und Chorknaben
daſſelbe knieend aus den Haͤnden des Biſchofs empfaͤngt.
Den offenen Platz vor der Kirche erfuͤllen Andaͤchtige und
Neubegierige, deren einige dem Berichte anderer ſchon unter-
[266] richteter Perſonen mit ſichtbarer Spannung der Aufmerkſam-
keit zuhorchen *).
In dieſem Gemaͤlde hat Coſimo unſtreitig ſeine ſaͤmmt-
lichen Zeitgenoſſen im Geſchmacke der Anordnung, in der Be-
handlung der Gewaͤnder und aller Nebenwerke um Vieles
uͤbertroffen, ohne denſelben im Charakter und Ausdruck der
Koͤpfe und Bewegungen irgend nachzuſtehn. Auch in einem
anderen Gemaͤlde des Coſimo, dem Altare zur Linken des Ein-
tretenden in der Kirche ſta Maria Maddalena de’ Pazzi, wel-
ches man zu Florenz ſeit dem Richa und laͤnger faͤlſchlich dem
Fieſole beygemeſſen, zeigt ſich bey verdaͤchtigen Vorzeichen ſich
annaͤhernder Manier doch noch immer viel Schoͤnes. Die
Madonna, deren Kroͤnung dieſe Tafel vorſtellt, hat ein nicht
unſchoͤnes Profil, ihr Gewand einen loͤblichen Entwurf, einige
andere Koͤpfe ſind nicht ungluͤcklich individualiſirt. In den
Engeln hingegen und in den uͤbrigen mehr vernachlaͤſſigten
Koͤpfen erſcheinen hier bereits jene verlaͤngerten, harten und
unbelebten Naſen, an denen man die zahlreichen, aber verach-
teten Arbeiten der ſpaͤteren Jahre des Coſimo bequem erken-
nen kann.
Eine ſolche findet ſich in gedachter Kirche ſ. Ambruogio
uͤber dem dritten Altare zur Linken des Eintretenden. In
dieſem, Madonna in einer Glorie regelmaͤßig abgetheilter Che-
rubim, welche an die ſpaͤteren Glorien des Domenico Ghir-
landajo gemahnen und mich zuerſt darauf hingeleitet haben,
dieſen fuͤr einen Schuͤler des Coſimo zu halten; umher vier
große Engel mit Lilienſtengeln in den Haͤnden, oben Gott
[267] Vater; unten am Grunde ſ. Auguſtin und ſ. Franz, in einer
ſehr aͤrmlichen Landſchaft. Sollte Vaſari*) dieſes Bild be-
zeichnen, ſo iſt es doch gewiß nicht ein Jugendwerk des Kuͤnſt-
lers, wie er angiebt. Im Jahre 1456. war derſelbe, wie
wir oben geſehn, einer der groͤßeſten Maler ſeiner Zeit; alſo
werden ſeine geringeren und ſchlechten Arbeiten in den florenti-
niſchen Kirchen und Sammlungen, deren einige in die ehmals
ſolly’ſche Sammlung kunſthiſtoriſcher Denkmale gelangt ſind,
nothwendig in ſpaͤteren Jahren beſchafft worden ſeyn, wohin
auch die zunehmende, obwohl rohe Fertigkeit der Handhabung
zu verweiſen ſcheint. Richa**) verſichert, ich hoffe, aus guten
kloͤſterlichen Quellen, das Halbrund, welches Coſimo im Vor-
hofe der ſſ. Nunziata gemalt hat, ſey im Jahre 1476., alſo
etwa zwanzig Jahre nach der Lunette in ſ. Ambruogio gemalt
worden. Iſt dieſe Angabe richtig, ſo beſtaͤtigt ſie die ohnehin
unumſtoͤßliche Annahme, daß Coſimo mit den Jahren der
Manier ſich hingegeben und den Anfriſchungen ſeines kuͤnſtle-
riſchen Seyns durch entſchloſſene Hingebung in den Eindruck
natuͤrlicher Erſcheinungen und Bildungen mehr und mehr ſich
entzogen habe. Denn auch hier begegnen wir, etwa mit Aus-
nahme der individuelleren Bildung des einen, bey Einkleidung
[268] des Heiligen ſich buͤckenden Prieſters, uͤberall ſeinen hoͤlzernen
Naſen und langweiligen Durchſchnittsbildungen. Auch in der
ſixtiniſchen Kappelle, wo er ſicher ſein Beſtes verſuchte, er-
reichte er doch ſeine fruͤheren Leiſtungen auf keine Weiſe.
Nach Vaſari half ihm Piero di Coſimo bey dieſer Arbeit,
woher die abſtechende Vorzuͤglichkeit manches Einzelnen viel-
leicht zu erklaͤren iſt. Er malte hier, den Durchzug durch
das rothe Meer, die Predigt Chriſti und das Abendmahl;
letztes iſt wohl das Beſte.
Das Beyſpiel dieſes und anderer minder wichtigen Ma-
ler beſtaͤtiget, daß nach allgemeinem Erloͤſchen der Begeiſte-
rung fuͤr die vorwaltenden Kunſtaufgaben, der florentiniſchen
Malerey, vor der Hand nur ein einziger Weg offen blieb, ſich
uͤber das Handwerksmaͤßige zu erheben; nehmlich ein froͤhli-
ches (freylich nicht ein pedantiſches) ſich Hingeben in den
Reiz der natuͤrlichen Erſcheinungen. Gluͤcklicher Weiſe bot
die Gegenwart ein ſchoͤnes und erfreuliches Volksleben, male-
riſche Bekleidungen, anziehende Charaktere, ein reizendes Land,
eine wohleingerichtete und wohlbelegene Stadt; es ward da-
her empfaͤnglichen Menſchen nicht ſchwer, aus einer ſo guͤn-
ſtigen Umgebung den mannichfaltigſten Gewinn zu ziehn.
Dieſes konnte dem ſchwachen Talente des Aleſſio Baldo-
vinetti (den Vaſari ſchon im Jahre 1448. doch ſicher viel zu
fruͤhe ſein Leben beſchließen laͤßt) wohl aus Unfaͤhigkeit, aber
den ſchaͤtzbaren Bildnern, doch maͤßigen Malern, Andrea del
Verocchio und Antonio del Pollajuolo wohl darum nicht ſo
ganz gelingen: weil ſie ſichtlich nicht mit Luſt und Feuer,
ſondern mit Bedacht und nur einſeitig den Eindruͤcken der ſie
umgebenden Natur ſich hingegeben. Es war den Bildnern,
um ſich auch maleriſch zu entwickeln, noch viel zu viel um
[269] damals kaum halbverſtandene Formen des Koͤrpers zu thun,
wie der Hl. Sebaſtian des Pollajuolo in der Kappelle Pucci
(Vorhof der florentiniſchen Servitenkirche) an den Tag legt,
deſſen Vaſari mit uͤbertriebenem Lobe erwaͤhnt. Hingegen ge-
lang dem Piero del Pollajuolo die Verkuͤndigte der Kappelle ſ.
Jacopo in ſ. Miniato a Monte, welche nach Angabe des Vaſari
in Oel gemalt iſt, gewiß einen eigenen Ueberzug erhalten hat,
da ſie einen den Mauergemaͤlden ungewoͤhnlichen, rauchigen
Ton angenommen. Die Kappelle ward, nach der Inſchrift
im Bogen, den eilften October 1466. eingeweiht; wenn ihre
Malereyen damals ſchon vollendet waren, ſo duͤrfte Piero die
meiſten Maler ſeiner Zeit in der Auffaſſung und Durchbil-
dung der Formen uͤbertroffen haben. Uebrigens entbehrte er,
gleich ſeinem Bruder und den uͤbrigen Voranbezeichneten ſo-
wohl jener Mannichfaltigkeit maleriſcher Wahrnehmungen, welche
der Schule des Coſimo anheim fiel, als andererſeits auch jener
Staͤrke im Ausdruck der Affecte, welche der ſinnlich-leidenſchaft-
liche Fra Filippo auf ſeinen Schuͤler, den Sandro Botticelli,
fortpflanzte.
Um die Mitte des funfzehnten Jahrhundertes gehoͤrte
Fra Filippo, den Vaſari, obwohl ohne Andeutung ſeiner Ge-
waͤhr, als einen regellos leidenſchaftlichen, ſinnlich berauſchten
Menſchen ſchildert, unſtreitig zu den bedeutenderen Malern der
florentiniſchen Schule. In ſeinen Tafeln iſt er nicht ſelten
ſchwach, bisweilen derb und gemein, was nicht immer zur
Zartheit ſeiner Aufgaben ſtimmt. Doch in ſeinen groͤßeren
Frescomalereyen, wo der Gegenſtand haͤufig Handlung und
entſchloſſenes Wirken begehrte, erwachte ſeine Seele, war ſeine
Derbheit unter allen Umſtaͤnden mehr an ihrer Stelle. In
der Chorkappelle des Domes zu Spoleto, worin die Geburt
[270] des Heilands, die Verkuͤndigung, der Tod und die Himmel-
fahrt der Jungfrau, entſprach die Aufgabe nun allerdings ſei-
ner Sinnesart nicht ſo gaͤnzlich, weßhalb es weniger zu bekla-
gen iſt, daß dieſe anſehnlichen, gewiß ſehr ruͤſtigen Malereyen
großentheils von einer rohen Hand uͤbermalt worden. In
beſſerem Lichte erſcheint er, wo die Aufgabe ſeiner Richtung
und Sinnesart angemeſſen war, z. B. in der Chorkappelle der
Pfarrkirche zu Prato, deren Malerey ſchon Vaſari bewunderte.
In der That iſt in dieſem Werke, Darſtellungen aus der Ge-
ſchichte des Hl. Stephanus und Johannes Bapt., eine un-
gewoͤhnliche Energie der Handlung und des Affectes; in der
Begebenheit, welche Vaſari die Disputa (das Verhoͤr?)
nennt, begleitet dieſe Staͤrke eine edle Maͤßigung und ſchoͤne
Anordnung. Demungeachtet werden wir die guͤnſtige Stim-
mung des Vaſari ſchwerlich ſo gaͤnzlich theilen koͤnnen, da
eben Solches, was er beſonders hervorhebt (das ſichtbare
Streben den Raum mit mindeſtmoͤglicher Muͤhe auszufuͤllen,
die Fertigkeit, welche hie und da an moderne Frechheit grenzt)
nach den Erfahrungen der verfloſſenen Jahrhunderte, eher fuͤr
die Vorbedeutung eines kuͤnftigen Verfalles, als einer der
Kunſt bevorſtehenden Hoͤhe der Meiſterſchaft zu erachten iſt.
In derſelben Kirche wird die Tafel mit dem Tode des
Hl. Bernhard in gutem Stande bewahrt, deren weſentlichſte
Verdienſte wiederum auf richtigen Ausdruck ſtarker und maͤnn-
licher Affecte begruͤndet ſind. Andere ſchon von Vaſari aus-
gezeichnete Bilder, der, ceppo di S. Francesco di Marco,
die Tafel aus ſta Margherita, jetzt in der Wohnung des
Kanzlers der Ortſchaft, gehen in einzelnen Dingen uͤber ſeine
gewoͤhnliche Leiſtung hinaus. In jenem, ſehr verblichenen
Tabernakel uͤberſteigt das Antlitz der Madonna ſeine uͤbliche
[271] nicht eben gefaͤllige Durchſchnittsbildung; wahrſcheinlich folgte
er hier einem aͤlteren Typus. Auch in dem Gradino jener
Tafel der Kirche ſ. Margherita, mit der Anbetung der Koͤ-
nige, dem Kindermord, der Vorſtellung im Tempel, zeigt ſich
ungleich mehr Feinheit, als man dieſem Kuͤnſtler zutrauen
ſollte, wenn man nur etwa die Staffeleygemaͤlde der florenti-
niſchen Sammlungen geſehn, deren einige in die mehrgedachte,
ehmals ſolly’ſche Sammlung uͤbergegangen ſind. Eines ſei-
ner beſten Staffeleygemaͤlde befindet ſich zu Piſtoja im Hauſe
des Cavaliere Aleſſandro Bracciolini, dem Erben des Hau-
ſes und der Kappelle Bellucci, fuͤr welche dieſes Bild nach
Vaſari, gemalt worden. Die Figuren ſind naiv und nicht
unſchoͤn, das Bildniß des Stifters wuͤrde auch einem Zeitge-
noſſen Raphaels Ehre machen.
Seiner Ungleichheiten ungeachtet, war Fra Filippo bis-
weilen vortrefflich, unter allen Umſtaͤnden ſeit dem Angelico
unter den florentiniſchen Malern der erſte, welcher gewagt,
uͤber das ſinnlich Vorliegende hinauszugehn und ſeiner eigen-
thuͤmlichen Empfindung ihren Lauf zu laſſen. Freylich grenzte
dieſe nicht ſelten an das Gemeine; doch war es eben da-
mals an der Zeit, den florentiniſchen, meiſt bey der Charak-
teriſtik des Einzelnen verweilenden Malern, ein weſentliches
Element des maleriſchen Ausdrucks, die Handlung und den
Affect, in Erinnerung zu bringen.
Indeß wirkte er, wie es geſchieht, nicht auf Solche,
welche in entgegengeſetzter Richtung vorſchritten, mithin einer
gewiſſen Beymiſchung des eben nur ihm Eigenthuͤmlichen be-
durft haͤtten, vielmehr einzig auf ſeine Schuͤler und ſpaͤteren
Nachfolger, woher zu erklaͤren, daß der vorwaltende Natura-
lismus der Florentiner ſich nunmehr in zwey entgegengeſetzte
[272] Richtungen ausſpaltete. Handlung, Bewegung, Ausdruck hef-
tiger und ſtarker Affecte, ward das Erbtheil der Schule des
Fra Filippo; ſinnliche Wahrſcheinlichkeit und Richtigkeit in
der Charakteriſtik des Einzelnen, das Ziel einer Schule, welche,
wie ich glaube, von Coſimo Roſelli ausgegangen iſt, obwohl
ſie deſſen ſpaͤtere Leiſtungen weit uͤbertroffen hat.
Nach Angabe des Vaſari (welcher in ſo neuen Dingen
der florentiniſchen Schule vorausſetzlich guten Nachrichten, oder
doch glaubwuͤrdigen Traditionen gefolgt ſeyn wird) erlernte
Sandro Botticelli die Anfangsgruͤnde der Malerey in der
Schule des Fra Filippo. Gewiß verjuͤngte Sandro die
Richtung und ſelbſt die Sinnesart ſeines nahen Vorgaͤn-
gers, den er im Leidenſchaftlichen erreicht, und bisweilen
uͤbertroffen hat. Unter den Mauergemaͤlden der ſixtiniſchen
Kappelle zu Rom, den groͤßeſten, welche er jemals ausgefuͤhrt
hat, iſt die Geſchichte des Moſes, deren wichtigſte Ereigniſſe
in einem Bilde vereinigt ſind, ein Meiſterſtuͤck lebendigen
Ausdrucks aufwallender Affecte und unbeſinnlichen Handelns.
Der Gegenſtand eines anderen Bildes zur Linken des Ein-
tretenden (die Feuerſtrafe der abtruͤnnigen Iſraeliten), auch
des dritten (die Verſuchung Chriſti) waren dem Talente, oder
der eigenthuͤmlichen Richtung des Kuͤnſtlers minder guͤnſtig.
Doch entwickelte er in den Nebenfiguren des letzten (Juͤng-
linge und Maͤdchen, auf einer Bank im Vordergrunde) einen
gluͤcklichen Sinn fuͤr Anmuth der Lage und Schoͤnheit des
Charakters, welcher ſonſt nur in ſeinen ſeltenen, aber treffli-
chen Bildniſſen anzutreffen iſt.
In Florenz befinden ſich viele Tafeln dieſes Kuͤnſtlers, welche
das Verdienſt der hier bezeichneten Gemaͤlde auf keine Weiſe
erreichen: Madonnen unter Engeln, welche aus laͤſſiger Nach-
bil-
[273] bildung eines einzigen Modelles entſtanden ſeyn moͤchten; auch
mythologiſche Gegenſtaͤnde, in denen dieſelbe Geſichtsbildung wie-
derkehrt. Dieſe iſt weniger fleiſchig, als die derberen, rohe-
ren Durchſchnittsformen des Fra Filippo; widert indeß unge-
achtet des ſchoͤnen Schnittes der Augen, der feineren, nicht ungluͤck-
lich angedeuteten Knochenbildung, theils ſchon durch ihre Wieder-
kehrlichkeit, theils aber auch durch eine gewiſſe Gemeinheit der
Form in den Backen und Kiefern. Vaſari erzaͤhlt, daß er in
ſpaͤteren Jahren die Kunſt vernachlaͤſſigt und dem Sectengeiſte
ſich hingegeben habe, woher vielleicht das handwerksmaͤßige
Anſehn ſolcher Arbeiten zu erklaͤren iſt. In Anſehung ihrer
fluͤchtigen und manierten Ausfuͤhrung halte ich auch die Tafel
aus der Compagnia di S. Zanobi, mit zwey Darſtellungen
aus dem Lebensende des gedachten Heiligen, fuͤr eine ſpaͤtere
Arbeit des Kuͤnſtlers. Ich fand vor Jahren Gelegenheit,
ſolche fuͤr einen Freund zu erſtehen, aus deſſen Hand ſie, wie
ich vernehme, in den Beſitz eines feurigen Freundes und Be-
foͤrderers der bildenden Kuͤnſte, des Herrn von Quandt zu
Dresden, gelangt iſt. Dieſes Gemaͤlde empfiehlt ſich durch
Staͤrke des Affectes und Entſchiedenheit der Handlung, iſt folg-
lich beſonders geeignet, die Eigenthuͤmlichkeit des Meiſters de-
nen zu vergegenwaͤrtigen, welche ſich beſcheiden muͤſſen, ſolche
aus einzelnen Probeſtuͤcken aufzufaſſen.
Daſſelbe Loos eines fruͤhen, unaufhaltſamen Ruͤckſchrit-
tes traf auch den Sohn des Fra Filippo, welcher auf ſeinen
Arbeiten ſich Filippinus de Florentia zu nennen pflegt. Die-
ſer Kuͤnſtler hat nach Angabe des Vaſari bey Sandro Botti-
celli gelernt, wie wir ihm glauben duͤrfen, da Filippino in
der Behandlung der Malerey a tempera der hellen und duͤnn-
faͤrbigen Manier der Schule des Fra Filippo, nicht jener der-
II. 18
[274] beren und kraͤftigeren des Coſimo Roſelli und Domenico Ghir-
landajo gefolgt iſt.
Filippino beſaß unſtreitig mehr Geſchmack und ein edle-
res Naturell, als ſeine Vorgaͤnger, Sandro und Fra Filippo.
Wo er ſeiner Fluͤchtigkeit nicht nachgegeben und mit Studium
und Nachdenken gemalt hat, uͤbertraf er jeden ſeiner Zeitge-
noſſen vornehmlich in der allgemeineren Anordnung und in
der Form ſeiner Koͤpfe. Wie ſeine ſchon beruͤhrten Arbeiten
in der Kappelle Brancacci darlegen, verſuchte er in ſeinen
ſchoͤneren Jahren, dem Maſaccio die Feyer und Einheit ſeiner
Anordnung abzugewinnen; *) und in ſeinen beſten Madon-
nenkoͤpfen erreichte er eine Schoͤnheit des Profiles, welcher
wenige unter den neueren Malern gleichgekommen ſind. Ich
bezeichne hier das vortreffliche Tabernakel naͤchſt ſta Marghe-
rita zu Prato, deſſen wunderbare Schoͤnheit vielen Kuͤnſtlern
und Kunſtfreunden erinnerlich ſeyn wird, und ſo viel andere
ſeiner mehr beendigten Madonnen, deren zarteſte und lieblichſte
im Beſitze einer der edelſten Goͤnnerinnen der Kunſt, der Ge-
mahlin des Staatsminiſters Freyherrn von Humboldt.
Hingegen zeigte er in anderen Arbeiten, der Kappelle in
[275] der Minerva zu Rom, der Kappelle Strozzi in ſta Maria no-
vella zu Florenz, welche eines ſeiner ſpaͤteren Werke iſt; in
einigen Tafeln, welche man in der oͤffentlichen Gallerie zu
Florenz aufbewahrt, beſonders der Anbetung der Koͤnige in
der scuola toscana, welche dort irrig dem Dom. Ghirlan-
dajo beygelegt wird; in der Tafel der koͤn. Gallerie zu Co-
penhagen und in anderen haͤufigen Werken ſeines reiferen Al-
ters, daß Geiſt und angeborener Schoͤnheitsſinn denjenigen,
welcher ſeiner Fertigkeit ganz ſich hingiebt und den erfriſchen-
den Anregungen der Natur ſich entzieht, doch nimmer gegen
allmaͤhliche Erlahmung ſeiner hervorbringenden Kraͤfte, gegen
unvermerkt ſich eindraͤngende Ungeſtalt verwahren koͤnne. Denn
man vermißt in dieſen ſpaͤteren Bildern eben ſowohl das
Vermoͤgen einer geiſtreichen und voͤlligen Auffaſſung der Auf-
gabe, worin eben Filippino in dem Hauptbilde der Kappelle
Brancacci (Peter und Paulus vor Nero) den Zeitgenoſſen
Raphaels den Weg gewieſen, als andererſeits den feinen For-
menſinn ſeiner beſſeren Madonnen. Das eine hat einem ver-
worrenen Anhaͤufen nicht ſelten muͤſſiger Figuren Raum ge-
geben; das andere (doch mit Ausnahmen) einer widrigen
Durchſchnittsbildung, deren kurze Naſen mit aufgeblaſenen
Nuͤſtern vielleicht aus einem ſpaͤten Wiederaufſteigen der Ein-
druͤcke entſtanden ſind, welche die Geſichter des Sandro auf
den Knaben und Juͤngling bewirkt haben moͤgen.
In gewiſſem Sinne beſchließt Filippino die Richtung und
Schule, aus welcher ſeine Bildung hervorgegangen. Das Dra-
matiſche in dem Beſtreben ſeines Lehrers war in ihm nur
voruͤbergehend fruchtbar geworden; denn fruͤhzeitig hatte er
ſich, zwar nicht, gleich der entgegengeſetzten Schule, zur
Auffaſſung mannichfaltiger Charaktere, doch auf ruhige Be-
18 *
[276] ſchauung des einen Charakters weiblicher und kindlicher An-
muth eingeſchraͤnkt. Sein Schuͤler Rafaellino del Garbo, welcher
nach kurzer Jugendbluͤthe Gluͤck und Talent eingebuͤßt, neigte
ſich in ſeinen beſten Tagen (z. B. in ſeinem Hauptbilde, im
Kreuzſchiffe der Kirche ſto Spirito zu Florenz) zur Auffaſſungs-
art der umbriſchen Schule, welche wir nachzuholen haben.
Wie Filippino und Sandro, ſo hatte auch Coſimo Ro-
ſelli, wie wir uns erinnern, eben nur in der Friſche ſeines
Kuͤnſtlerlebens das Außerordentliche geleiſtet, hingegen fruͤhe
alles ernſtliche und freudige Studium aufgegeben und eine
ganz handwerksmaͤßige Richtung angenommen. Indeß unter-
ſchied er ſich von jenen, wie fruͤher durch Eigenthuͤmlichkeit
der Anlage und des Wollens, ſo in ſpaͤteren Jahren, theils
durch ein entſchiedneres Verſiegen des Geiſtes, theils aber auch
durch eine ihm ganz eigenthuͤmliche, derbe Behandlung der
Malerey a tempera, welche, abgeſehn von der Armſeeligkeit
deſſen, welcher ſie betrieb, an ſich ſelbſt ihre techniſchen Vor-
zuͤge beſitzen mochte. Dieſe verpflanzte er, vorausſetzlich durch
Schule, auf den Domenico Ghirlandajo, deſſen Meiſter Va-
ſari nicht kannte, oder doch verſchwieg; *) ſicher malten Do-
menico, ſeine Bruͤder und ſein Schwager Baſtiano Mainardi
ſaͤmmtlich in der paſtoſeren, in den Schatten kraͤftigeren Ma-
nier des Coſimo, welche ſowohl von der Handhabung der
Schule des Fra Filippo, als von der Malart der Schule des
Verrocchio ſich weſentlich unterſcheidet, welche letzte wir gele-
gentlich der Bildner dieſer Zeit wieder aufnehmen wollen.
[277] Aber auch in der Auffaſſung der Geſichtsformen und in der
Behandlung des Gefaͤltes verraͤth ſich, beſonders in den Ar-
beiten der Bruͤder des Domenico, uͤberall, wo ſie von ihrem
ſonſt conſequenten Naturalismus ein wenig nachlaſſen, ein ge-
wiſſer Nachklang der Manieren des Coſimo, welcher nur aus
der Nachwirkung von Jugendeindruͤcken zu erklaͤren iſt.
Gleich vielen anderen Maͤnnern von maͤßigem Geiſte,
doch treuem und ernſtlichem Streben, bewaͤhrt auch Domenico
Ghirlandajo, daß man durch Feſtigkeit und Ausdauer des
Willens auf die Laͤnge glaͤnzendere Gaben uͤbertreffen und be-
ſiegen koͤnne, wenn ſolche, wie es eintritt, mit Fluͤchtigkeit,
oder Laͤſſigkeit des Geiſtes verbunden ſind. Sandro uͤberwog
ihn von Haus aus durch Feuer und Lebendigkeit, Filippino
durch Geſchmack und die Faͤhigkeit, das Allgemeine in ſeinen
Aufgaben aufzufaſſen. Demungeachtet unterlagen beide nach
einer kurzen Jugendbluͤthe den Zerſtreuungen, welche vielleicht
eben ihre mehrſeitige Empfaͤnglichkeit herbeyfuͤhrte. Dome-
nico hingegen trat leiſe und faſt ſchuͤchtern auf, ging in eini-
gen unlaͤugbar ſteifen und wenig belebten Gemaͤlden mehr
darauf aus, gute Arbeit zu liefern, als durch glaͤnzende Zuͤge
des Genius zu uͤberraſchen. Als er nun vielleicht eben durch
ſein redliches Streben gute Hoffnungen erweckte, und bald zu
den groͤßeſten Unternehmungen ſeiner Zeit berufen ward, ging
er mit raſchen Schritten vorwaͤrts, ſo daß von ihm geſagt
werden kann, was nur ſelten gilt, daß ſeine Werke nach
Maßgabe ſeines vorruͤckenden Lebensalters an Werth und Aus-
bildung gewinnen.
Gewiß gehoͤren ſeine Arbeiten in der Kirche und in dem
Kloſter Ogniſanti zu den fruͤheren, obwohl ſchon in Anſehung
ihrer hohen techniſchen Ausbildung ſchwerlich zu den fruͤheſten,
[278] wie Vaſari, der etwas aͤlteren in der ſixtiniſchen Kappelle
vergeſſend, anzunehmen ſcheint. Der Heilige Hieronymus,
welcher, als Vaſari ſchrieb von der Wand abgenommen und
an die Stelle naͤchſt dem Chore verſetzt worden, wo er noch
immer zu ſuchen iſt, zeigt auf dem Fichtenholze des Schreib-
tiſches die Jahreszahl MCCCCLXXX. In dieſem Ge-
maͤlde, welches zu den ausgebildetſten Stillleben gehoͤrt, welche
ich je geſehn, ſtrebte Domenico offenbar deutſchen Muſtern
nach, die uͤberhaupt ſtark auf ihn eingewirkt und ihn ange-
reizt haben, jenen vielſeitigſten Wetteifer mit der Erſcheinung
der Dinge zu unternehmen, in welchem ihm das Außeror-
dentliche gegluͤckt iſt, durch welchen er die Technik beſonders
der Malerey a fresco zu einer, wie ſchon Vaſari zugab, nie
uͤbertroffenen Vollendung gebracht — ein Beyſpiel fuͤr den
Satz: daß die maleriſche Technik nicht durch Nachahmung
vortrefflicher Kunſtwerke, ſondern eben nur durch Wetteifer mit
der Erſcheinung wirklicher Dinge entwickelt werde. — Doch
ſind in dieſem Bilde, ſeiner Rundung ungeachtet, beſonders
im Fleiſche, gewiſſe kreidige Lichter, welche, wenn ſie nicht
etwa aus alten Wiederherſtellungen zu erklaͤren ſind, beweiſen
duͤrften, daß Ghirlandajo auch in ganz techniſchen Dingen da-
mals noch nicht auf der Hoͤhe ſeiner Kunſt war. Noch un-
gleich mehr Unbehuͤlflichkeit verraͤth das Abendmahl im Re-
fectorio des genannten Kloſters, welches Domenico, wie die
Zahl unter der Figur des Judas anzeigt, in demſelben Jahre
1480. beendigt hat. Da ein ſo umfaſſendes Werk Zeit er-
foderte, ſo wird anzunehmen ſeyn, daß ſolches fruͤher, als
jener gluͤcklicher beendigte Hieronymus, gemalt und vielleicht
ſchon in dem vorangehenden Jahre begonnen ſey. In dieſem
Gemaͤlde hielt ſich Domenico an die alte, aus Bildwerken
[279] entlehnte Anordnung der florentiniſchen Schule; doch rauſcht
eine leiſe, durch die bekannteſten Worte Chriſti veranlaßte Be-
wegung uͤber die Verſammlung hin, welche ein ganz erfreu-
liches Formenſpiel hervorruft. In der Mitte des Bildes be-
findet ſich ein Tragſtein, welcher dem Gewoͤlbe der Decke zum
Anſatze dient und in halber Hoͤhe zwey Halbrundungen her-
vorbringt; dieſe benutzte der Kuͤnſtler, den Hintergrund in
zwey einwaͤrts laufende Gewoͤlbe abzutheilen, in deren Grunde
zwey Fenſteroͤffnungen, durch welche ein heiterer Himmel und
trefflich behandelte Stechpalmen und Orangenbaͤume hervor-
blicken. Die Charaktere der Apoſtel ſind, obwohl wahr, doch
etwas derb, im Judas indeß der Ausdruck der Verlegenheit,
das unwillkuͤhrliche Erſchlaffen der Zuͤge des Geſichtes ganz
unuͤbertrefflich. Den Kopf des Heilands hat der Kuͤnſtler ent-
weder offengelaſſen, oder ihn verfehlt; denn der gegenwaͤrtig
vorhandene iſt von einem neueren Manieriſten flach und ver-
blaſen hineingemalt worden.
Obwohl nun die Beywerke hier durchhin mit einer ſelte-
nen Meiſterſchaft behandelt ſind, ſo blieb doch in weſentliche-
ren Dingen dem Kuͤnſtler gar Manches nachzuholen, vor-
nehmlich in der Handhabung der Geſtalt, in der freyen Be-
wegung der Figuren, aber auch in der Miſchung und in dem
Auftrag der Lichter in den Fleiſchparthieen. Wie raſch unſer
Meiſter auch uͤber dieſe Schwierigkeit hinausgegangen ſey, leh-
ren ſeine Frescogemaͤlde in der Kappelle Saſſetti der florenti-
niſchen Kirche ſta Trinità. Unter den Bildniſſen der Stifter
zu beiden Seiten des Altares lieſt man auf einer maleriſch
nachgeahmten Marmorflaͤche: A. D. M. CCCC. LXXXV.
= XV. DECEMBRIS., woraus erhellt, daß dieſe Arbeit
etwa um fuͤnf Jahre neuer ſey, als die oben beſchriebenen.
[280] Die drey Seitenwaͤnde und die Decke der Kappelle ſind hier
durchaus und in verſchiedenen Abtheilungen bemalt; in den
Feldern des Kreuzgewoͤlbes Sibyllen, an den Waͤnden Wun-
der und Ereigniſſe aus dem Leben und Hinſcheiden des Hl.
Franz. Dieſe letzten verdienen mehr Aufmerkſamkeit, als jene
laͤſſiger behandelte Deckenverzierung.
Zur Rechten des Eintretenden begegnet dem Blicke ſo-
gleich der Tod des Hl. Franz, das Meiſterſtuͤck dieſer Kap-
pelle und, wenn ich nicht irre, uͤberhaupt das gelungenſte hi-
ſtoriſche Bild des Ghirlandajo. Den Hauptentwurf ent-
lehnte der Kuͤnſtler allerdings aus aͤlteren Darſtellungen die-
ſes Momentes, welcher in der Malerey des neueren Mittel-
alters haͤufig wiederkehrt und daher fruͤhe einen beſtimmten
Aufdruck empfangen hat. Doch in der Ausbildung der leich-
ten Andeutungen jener aͤlteren Kunſtgebilde zeigte er, wie man
es auf vorgeruͤckten Kunſtſtufen mit Solchem zu halten habe,
welches in Bezug auf Anordnung und Auffaſſung wenig, in
Bezug auf Ausfuͤhrung Alles zu wuͤnſchen uͤbrig laͤßt. Denn,
obwohl er ſich ſtrenge an den herkoͤmmlichen Entwurf hielt,
in einzelnen Figuren ſogar gewiſſe Erweiterungen der Mund-
winkel beybehielt, welche den aͤlteren Malern behuͤlflich waren,
Staͤrke des Affectes auszudruͤcken; ſo verglich er doch jeden
einzelnen Theil mit den Erſcheinungen des wirklichen Lebens,
ließ keine der Eigenthuͤmlichkeiten des moͤnchiſchen, keinen der
kirchlichen Gebraͤuche unbeachtet, nutzte die naive Unbehuͤlflich-
keit jugendlicher Novizen, die Lichtſpiele der Kerzen, die In-
tenſion des Ausdruckes in den Koͤpfen aͤlterer Moͤnche, die
breiten Faltenmaſſen der maleriſchen Bekleidung der Soͤhne
des Hl. Franz und Alles, was der Gegenſtand nur immer
herbeyfuͤhrte, oder zuließ, ſeine Darſtellung ſo anziehend und
[281] befriedigend zu machen, als die Umſtaͤnde nur geſtatteten.
Dieſe ſo wohlgelungene und, in Bezug auf ihren Gegenſtand,
unuͤbertroffene Darſtellung iſt die einzige, in welcher Domenico
die Charakteriſtik des einzelnen Seyns den Foderungen ſeiner
Aufgabe untergeordnet hat. Selbſt in ſolchen Bildern derſel-
ben Kappelle, deren Aufgabe (wie jenes Wunder uͤber dem
Altare) die Aufforderung einſchloß, die Handlung hervorzuhe-
ben, kehrte er zu ſeiner uͤblichen Ruhe und Stille zuruͤck.
Indeß ſollte Domenico in der Darſtellung wirklichen
Seyns, in dem Reize der maleriſchen Behandlung eine noch
hoͤhere Stufe erreichen, wie die Chorkappelle in ſta Maria
novella, zu Florenz, bezeugt, welche nicht, wie Vaſari und
nach ihm Baldinucci mit gewohnter Fluͤchtigkeit angiebt, im
Jahre 1485., ſondern wieder um fuͤnf Jahre ſpaͤter gemalt
worden, als jene andere Kappelle. Denn in einem dieſer Ge-
maͤlde iſt folgende Aufſchrift angebracht:
A. D. M CCCC LXXXX QVO PVLCHERRIMA
CIVITAS OPIBVS VICTORIIS ARTIBVS AEDI-
FICIISQVE NOBILIS COPIA SALVBRITATE
PACE PERFRVEBATVR.
Allerdings iſt die vorletzte Ziffer der Jahreszahl etwas ver-
letzt; doch lieſt man ſie in der Naͤhe vollkommen, wie man
denn auch von unten her wenigſtens den ihr zukommenden
Raum ganz deutlich wahrnimmt; zudem findet ſie ſich in
einer ſehr alten Copie der betreffenden Gemaͤlde in der Sa-
criſtey der Kirche; obwohl der neueſte Commentator des Va-
ſari in ſeiner Schlußbemerkung zum Leben des Domenico Ghir-
landajo behauptet, daß Vaſari’s Angabe nach eben jener Co-
pie in: 1480. zu berichtigen ſey, was indeß ein Schreib- oder
Druckfehler ſeyn koͤnnte, da er an dieſer Stelle ſich roͤmiſcher
[282] Ziffern bedient, deren letzte vielleicht nur zufaͤllig ausgelaſſen
worden.
Jene Inſchrift iſt indeß nicht bloß der Zeitbeſtimmung
willen wichtig, vielmehr beſonders, weil ſie uns jenes Voll-
gefuͤhl buͤrgerlicher Groͤße und Wohlfarth beurkundet, welches
ſo weſentlich mitgewuͤrkt, die florentiniſche Malerey der Epoche,
welche uns beſchaͤftigt, auf Beobachtung und Nachbildung des
Umgebenden und Gegenwaͤrtigen hinzuleiten. Sie lehrt, daß
auch der Patriotismus, alſo nicht einzig jenes, der aufſtreben-
den Kunſt ſtets eigenthuͤmliche, Verlangen nach allſeitiger
Durchdringung der Form und Erſcheinung, die Maler jener
Zeit veranlaßte in ihren umfaſſenderen Arbeiten die Vorgruͤnde
durch Bildnißfiguren, die Hintergruͤnde durch ſtaͤdtiſche Anſich-
ten zu ſchmuͤcken. Man malte an ſolchen Stellen die Bild-
niſſe großer Staatsmaͤnner, Gelehrten, Kuͤnſtler, auch anderer
Menſchen, welche durch Witz, Laune und ſelbſt durch ihre
Thorheit zu einer gewiſſen Gunſt gelangt waren; man ſchil-
derte das haͤusliche und buͤrgerliche Leben ſeiner Zeit, den all-
maͤhligen Fortgang der Verſchoͤnerungen ſeiner Stadt und ſtif-
tete gelegentlich einer ziemlich kuͤhlen Abfindung mit den be-
ſtehenden Gebraͤuchen der Kirche, ſich ſelbſt ein Gedaͤchtniß
ganz neuer und gewiß nicht ſo ganz verwerflicher Art. —
Nachdem nun einmal bey den Florentinern die Religioſitaͤt
der Geſinnung aus der herrſchenden Kirche entflohen war und
dem Sectengeiſte (Savonarola) ſich zugewendet hatte, war es
ſicher nur ein Gewinn, daß bey den maleriſchen Unterneh-
mungen jener Zeit eine neue Begeiſterung (die buͤrgerliche)
die eingetretene Luͤcke erfuͤllte.
Die Malereyen der Chorkappelle in ſta Maria novella
erheben den ſelbſtſtaͤndigen Werth eben dieſer Begeiſterung,
[283] deren Entſtehung wir ſchon bey Benozzo und in den Jugend-
werken des Coſimo und Filippino, wahrgenommen haben,
uͤber alle vorkommende Zweifel. Freylich werden wir beym
Anblick dieſer merkwuͤrdigen Arbeiten ausrufen muͤſſen: wohl
der Zeit, in deren Sitten ſo viel Unbefangenheit und Guͤte
lag; wohl dem Orte, deſſen haͤuslichen und ſtaͤdtiſchen Ein-
richtungen ſo viel Schoͤnheit beywohnte, in welchem Putz,
Bekleidung und uͤbliches ſich Stellen und Gehaben ſo viel
maleriſchen Reiz beſaß. Doch, wuͤrden die Kuͤnſtler ſich jemals
haben fuͤr eine Gegenwart begeiſtern koͤnnen, welche nicht,
gleich jener, ihre Bildung großentheils den kuͤnſtleriſchen Be-
ſtrebungen der vorangegangenen Zeit verdankte? Und, wenn
wir annehmen duͤrften, daß eben jene, dem hoͤheren Mittel-
alter fremde Milde und Maͤßigung der Sitte zum Theil durch
den taͤglichen Eindruck guter Kunſtwerke hervorgebracht wor-
den, ſo wuͤrden wir der Kunſt nicht eben vorzuwerfen haben,
daß ſie die Sitte, welche aus ihren Anregungen ſich hervor-
gebildet, mit Luſt geſehen und wiederabgeſpiegelt hat.
Die Malereyen, welche dieſe Abſchweifung veranlaßten,
erfuͤllen drey hohe und raͤumige Mauern, deren jede eine an-
dere Geſchichte umfaſſet. An der etwas dunkelen Fenſterſeite
ſind Ereigniſſe aus dem Leben der Hll. Domenico und Pietro
Martire angebracht; in der Naͤhe beſehen, ſind dieſe Darſtel-
lungen lebendig und voll Handlung. Zur Rechten in vielen
Abtheilungen, die herkoͤmmlichen Darſtellungen aus dem Leben
Johannes des Taͤufers, zur Linken aber das Leben der Ma-
donna. Unter den Abtheilungen der letztbezeichneten Wand
bildet die Geburt der Jungfrau ein beſonders wohl vereinig-
tes Ganze, zugleich eine der anziehendſten Darſtellungen des
haͤuslichen Lebens damaliger Florentiner. Das Gemach iſt
[284] ringsum mit wohlvergliedertem Holzwerke bekleidet; dieſes giebt
bis zum Getaͤfel der Decke einem Friiſe Raum, welcher den
Genien des Donatello unter der einen Orgel des Domes frey
nachgebildet iſt. Die Woͤchnerin liegt laͤngs der Fenſterwand
in einem Halbdunkel, da das Licht durch die hochbelegenen klei-
nen Fenſter uͤber ſie hin auf eine Gruppe in das Gemach ein-
tretender Weiber faͤllt, welche nach bekannten Schoͤnheiten der
Stadt gemalt und gar ſittig und wohl geſchmuͤckt ſind. Die-
ſem Bilde gegenuͤber, deſſen geſchloſſene Lichtwirkung unuͤber-
trefflich gelungen iſt, muß man dem Vaſari beypflichten, wo
er rundhin erklaͤrt, daß Niemand in der Handhabung der
Malerey a fresco dem Domenico Ghirlandajo gleichgekom-
men ſey. Bewundernswuͤrdig modelliren und verſchmelzen ſich
hier die Lichter und Reflexe mit den nahen Halbtoͤnen; un-
vergleichlich hielt der Meiſter hier in den hohen und vollen
Lichtern den Localton feſt, was dieſe ſpaͤteren von ſeinen fruͤ-
heren Arbeiten unterſcheidet, in denen, wie wir uns erinnern,
die Lichter, obwohl an ihrer Stelle, doch kalt und kreidig an-
gedeutet ſind.
Das bezeichnete Mauergemaͤlde enthaͤlt auch eine urkund-
liche Merkwuͤrdigkeit, einige Namen, welche ſich auf den Kuͤnſt-
ler zu beziehen ſcheinen. Denn in ungleicher Hoͤhe und auf
ganz verſchiedenen Fuͤllungen jener Wandbekleidung lieſt man:
BIGHORDI. = GRILLANDAI. Der roͤmiſche Heraus-
geber des Vaſari, welcher ſeinerſeits ſo viel beygetragen hat,
das ſchoͤne, nur urkundlicher Berichtigungen beduͤrftige Buch
durch Unausgemachtes, Halbwahres und Falſches zu uͤberhaͤu-
fen, meldet hingegen, daß man auf dieſem Bilde Domenico
Bigordi leſe, worin er dem Anſehn nach dem Baldinucci ge-
folgt iſt, welcher unſeren Domenico, von Tommaſo di Cur-
[285]rado di Gordi ableitet; *) was ich dahingeſtellt ſeyn laſſe, da
Baldinucci kein zuverlaͤſſiger Zeuge iſt.
Die vormals zahlreichen Altartafeln unſeres Malers ſind
in den neueren Zeiten durch Vernachlaͤſſigung und Verſtreuung
ſeltener geworden. Die Vorſeite des Hauptaltares der Kirche
ſta Maria novella iſt mit einigen Seitenſtuͤcken in die koͤn.
Gallerie zu Muͤnchen gelangt; zwey andere Seitenſtuͤcke, ſo wie
die Ruͤckſeite, letzte, nach Angabe des Vaſari, Arbeit ſeiner
minder begabten Bruͤder David und Benedetto, in den Beſitz
S. M. des Koͤniges von Preußen. Das ehemalige Altarge-
maͤlde der abgetragenen Kirche ſ. Giuſto gelangte in die kleine
Kirche ſ. Giovannino detta la Calza, zu Florenz, am roͤmiſchen
Thore. Ein drittes Altargemaͤlde, die Anbetung der Koͤnige,
befindet ſich noch immer, obwohl ſtark gereinigt und erneut in
der Kirche des Findelhauſes, Orbatelli, zu Florenz. Dieſes
moͤchte vor ſeiner Wiederherſtellung das vorzuͤglichſte geweſen
ſeyn, da ſein Gegenſtand dem Talente des Domenico mehr
entſpricht, als jene damals fuͤr Altargemaͤlde hergebrachten
Heiligenverſammlungen. Sein derber und klarer Sinn fuͤr
das Wirkliche vermochte nicht, ſich der Zartheit der neuchriſt-
lichen Idee der Madonna ſo ganz, wie es begehrt wird, an-
zuſchmiegen; ſeine Jungfrau, ſeine Heiligen ſind daher, wohl
gutartig und freundlich, erreichen indeß was den Ausdruck
ihrer Idee betrifft, nicht einmal die Arbeiten ſeines Zeitgenoſ-
[286] ſen Peter von Perugia. Selbſt, was im Ghirlandajo Ma-
nier iſt, eine gewiſſe Derbheit in den fleiſchigen und knorpeli-
gen Geſichtsformen, widerſtrebte jenem Ausdruck, den wir ge-
neigt ſind, in chriſtlichen Heiligen vorauszuſetzen.
Doch gelang es einem Maler ſeiner Schule, dem Ba-
ſtiano Mainardi von ſan Gimignano, dem er, wie Vaſari
berichtet, ſeine Schweſter zur Ehe gegeben, die Manier und
den Naturalismus des Ghirlandajo mit einer zarteren Auffaſ-
ſung des Charakters chriſtlicher Heiligung zu verſchmelzen;
wenn anders die Malereyen in der Kappelle der beata Fina
der Pfarrkirche des Staͤdtchens ſ. Gimignano von ſeiner Hand
ſind *), woruͤber das Archiv der Kirche vielleicht einmal Auf-
ſchluß geben wird. Daß Baſtiano in dieſem Orte zu Hauſe
war, vermehrt die Wahrſcheinlichkeit ſeines Antheils an jener
Arbeit, welche unter allen Umſtaͤnden die bekannteren Male-
reyen des Domenico hinſichtlich der Zierlichkeit ihrer beſeelten
Geſichtsbildungen weit uͤbertreffen, der Rundung und des Auf-
trages ihnen nachſtehn. Gegenuͤber, in der Kappelle des Hl.
Johannes Baptiſta, giebt es eine Tafel von geringerem Ver-
dienſte, doch aͤhnlicher Manier, deren Aufſchrift: hoc opus
fieri fecit Juliana quondam Martini Cetii de sco Ge-
miniano MCCCC.LXXXII.; wahrſcheinlich ward jene Kap-
pelle um dieſelbe Zeit gemalt, was die Vermuthung abſchnei-
det, daß ſolche ein zarteres Jugendwerk des Domenico ſey,
[287] deſſen Eigenthuͤmlichkeit, wie wir oben geſehn, ſchon im Jahre
1480. ſich vollſtaͤndig ausgeſprochen hatte.
Herr Johann Metzger zu Florenz, deſſen Verdienſte als
Kupferſtecher und ausgezeichneter Kenner und Wiederherſtel-
ler alter Gemaͤlde bereits erwaͤhnt worden, beſaß vor Jahren
eine Folge kleiner Gemaͤlde mit Darſtellungen aus der Legende
der Hll. Erzengel, wahrſcheinlich vormals die Staffel des er-
waͤhnten Altarbildes der Kirche ſ. Giovannino detta la Calza,
in denen jene Feinheit der Bildung ſich wiederholte, welche
ich dem Baſtiano beyzumeſſen geneigt bin, ohne deßhalb der
Entſcheidung vorzugreifen, welche vorausſetzlich nach urkundli-
chen Gruͤnden geſchehen muß.
Domenico Ghirlandajo, deſſen Schule ich nicht weiter
verfolge, da Granaccio und Ridolfo Ghirlandaj bereits von
einer neuen und entgegengeſetzten Richtung fortgeriſſen wurden,
ſtarb, nach einer Angabe des Vaſari, welche hier ſchon Glau-
ben verdient, im Jahre 1493. uͤberlebte alſo ſein groͤßeſtes
Werk nur um wenig Jahre. Indeß haͤtte ich nunmehr, be-
vor wir uns nach Perugia und den nahebelegenen umbriſchen
Staͤdten zuruͤckwenden, eine dritte Verzweigung der florentini-
ſchen Malerſchulen nachzuholen, welche mit jenen anderen we-
nig zu ſchaffen hat, da ſie unmittelbar aus den Beſtrebungen
der Bildner hervorgegangen iſt.
Dieſe hatten wir gegen die Mitte des Jahrhundertes
und an der Stelle verlaſſen, wo, nach dem Vorgange des
Ghiberti und Donato, Luca della Robbia, das entſchiedenſte
Bildnertalent der neueren Kunſtgeſchichte, ſeine Laufbahn be-
ginnt; deſſen treffliche Arbeiten in Marmor und Erz zufaͤllig,
meiſt an dunkelen und ungelegenen Orten aufgeſtellt und da-
[288] her vielleicht im Ganzen weniger gewuͤrdigt worden ſind, als
ſie verdienen.
Seine kuͤnſtleriſche Laufbahn iſt mit dem Gange der in-
neren Verſchoͤnerungen des florentiniſchen Domes eng verbun-
den, daher die Hauptquelle ſeiner Kuͤnſtlergeſchichte ein altes
Buch des Archives der Domverwaltung, in welchem waͤhrend
der Jahre 1438. bis 1475. alle, oder doch alle wichtigeren
Auftraͤge und Verbindlichkeiten aufgezeichnet wurden, welche
dieſe Behoͤrde dazumal mit Kuͤnſtlern eingegangen iſt. Gluͤck-
liche Zeiten, in welchen ſolche Verhaͤltniſſe ſich in dem Maße
haͤuften, daß man ihnen eigene und abgeſonderte Buͤcher er-
oͤffnen mußte! Eine ſolche Pflege — entgegenkommendes
Vertrauen, unausgeſetzte Anfoderungen an das Talent, Nach-
ſicht mit den Launen des Genius, unerbittliche Hintanſetzung
unheilbarer Unfaͤhigkeit — mußte die Kunſt ſo raſch und un-
aufhaltſam der Hoͤhe entgegenfuͤhren, welche ſie zu Anfang
des ſechzehnten Jahrhundertes erreicht hat *).
Eine ſeiner ſchoͤnſten Arbeiten fuͤr jenes Gebaͤude, die
Fuͤllungen inmitten der Tragſteine unter der Orgel zur Linken
der mittleren Hauptkappelle, duͤrfte er vor dem Jahre 1438.
uͤbernommen haben, da dieſes großen und wichtigen Werkes
in gedachtem Buche eben ſo wenig erwaͤhnt wird, als der
Genien
[289] Genien des Donatello unter der Orgel zur Rechten. Vaſari
machte der Arbeit des Luca della Robbia den Vorwurf, daß
ſie in ihrer hohen Stellung verſchwinde, weil ſie mit zu gro-
ßem Fleiße beendigt ſey, lobt hingegen die gegenuͤberſtehende
des Donatello. Vaſari verfiel an dieſer Stelle ſowohl theo-
retiſch, als beſonders hiſtoriſch in einen unumgaͤnglich aufzu-
klaͤrenden Irrthum. Luca mochte Proben angeſtellt und wahr-
genommen haben, daß ſeine Arbeit in ſo großer Hoͤhe dem
Blicke verloren gehe. Denn es ſind nur die beiden Stuͤcke
mit den Saͤngern ſo zierlich ausgefuͤhrt, als Vaſari angiebt;
hingegen die Poſaunenblaͤſer und tanzenden Knaben und Maͤd-
chen in den vier breiteren Stuͤcken, zwar in gleichem Ge-
ſchmacke und mit großem Geiſte entworfen, doch kaum aus
dem Groben hervorgearbeitet. Es lag demnach an der Dun-
kelheit des Ortes ihrer Aufſtellung, daß ſie nicht zu ſehen wa-
ren. Entfernt ſtehende Bildnereyen fodern vor Allem ſcharfe
Beleuchtung und dieſe waͤre dem Hochrelief unſeres Luca guͤn-
ſtiger geweſen, als den flachen Verkruͤppelungen des Donato,
deſſen Behandlung des Rilievo allerdings ſehr wunderlich, doch
keinesweges ſo lobenswerth iſt, als Vaſari glaubte, oder an-
zunehmen vorgiebt. In neueren Zeiten hat man von beiden
Orgeln einen Theil dieſer Fuͤllungen abgenommen und in ei-
nem Gemache der Domverwaltung aufgeſtellt, wo ſie aller-
dings naͤher vor Augen lagen, doch ebenfalls ſchlecht beleuch-
tet waren; ſie befinden ſich gegenwaͤrtig mit anderen bildneri-
ſchen Denkmalen deſſelben Gebaͤudes in der oͤffentlichen Gal-
lerie der Uffizj, da vor einiger Zeit zur Sprache gekommen
war, die dortige Sammlung bildneriſcher Merkwuͤrdigkeiten
mittler und neuerer Zeiten zu vervollſtaͤndigen.
Der unguͤnſtigen Beleuchtung ungeachtet fiel das eine
II. 19
[290] der gedachten Bildwerke, (Chorſaͤnger in kurzer, aufgeſchuͤrzter
Tunica mit unbedeckten Fuͤßen) dem trefflichen Kenner grie-
chiſcher Alterthuͤmer, Freyherrn von Stakelberg, als ich ihn
vor Jahren an die Stelle begleitete, alſobald als ein Meiſter-
ſtuͤck in die Augen, dem er nach laͤngerer Betrachtung das
Lob ertheilte, in der Behandlung des Hochreliefs (im Style)
Alles zu uͤbertreffen, was er im Verlaufe ſeines der Kunſt
gewidmeten Lebens an modernen Bildnerarbeiten geſehn. Al-
lein, auch von der gluͤcklichen Anordnung und von der kunſt-
reichen Hoͤhlung der vorſtehenden Figuren abgeſehn, beſitzt die-
ſes Werk den Vorzug eines unbefangenen, bequemen Geſche-
hens, der allerdings den Kunſtwerken jener Zeit nur ſelten zu
fehlen pflegt. Uebrigens laͤßt ſich einwenden, daß der Kuͤnſt-
ler die Profile der Koͤpfe etwas ſcharfkantig gehalten, was
wahrſcheinlich der Wirkung und groͤßeren Deutlichkeit willen
geſchehen iſt, da ſeine uͤbrigen Arbeiten darlegen, daß er hie-
rin nicht etwa von einer angenommenen Gewoͤhnung ſich hin-
reißen laſſen.
Auf dieſe Arbeit duͤrfte, nach oben ausgefuͤhrten Gruͤn-
den, eine kaum zu Haͤlfte vollendete Altarbekleidung von Mar-
mor folgen, welche ich in dem Wachsbehaͤltniß des Domes
entdeckte, wohin ich dem Sacriſtan zufaͤllig gefolgt war. Sie
wurde bald darauf hervorgezogen und iſt gegenwaͤrtig nebſt den
Ueberreſten eines Grabmales von Benedetto da Rovezzano, zu-
gleich mit obigen Orgelverzierungen, in die oͤffentliche Gallerie
gelangt. Ich erlebte die Befriedigung meines Kennergefuͤhles,
die Vermuthung, ſie moͤgen unvollendete Arbeiten des Luca
ſeyn, wenige Wochen nach ihrer Entdeckung durch eine Ur-
kunde beſtaͤtiget zu ſehn, welche ich beylege *).
[291]
In dem einen dieſer beiden Seitenſtuͤcke des beabſichte-
ten Antimenſii (das Mittelſtuͤck fehlt) hat Luca die Befrey-
ung Petri aus dem Kerker dargeſtellt, in zwey Handlungen,
deren eine, die Erſcheinung des Engels im Kerker, flach ge-
halten iſt, die andere, Petrus mit dem Engel ſchon außerhalb
des Kerkers und beſorglich auf die ſchlafenden Waͤchter zuruͤck-
blickend, ſtark hervorſteht. Das zweyte enthaͤlt die Kreuzigung
Petri, worin der Heilige nach uraltem, etwas ſteifen Entwurfe
dargeſtellt, das Ganze indeß durch gewandten Gebrauch der
Stellungen der Schergen und einiger Soldaten wohlgefaͤllig
belebt iſt.
War es nun Abneigung gegen den Gegenſtand, welcher
ſeiner Sinnesart, bey ſo lebhaftem Gefuͤhl fuͤr jugendliche
Anmuth, als er in jenen Saͤngern und Taͤnzerinnen dargelegt
hatte, nicht ganz behagen mochte; oder nur Ueberdruß an den
techniſchen Schwierigkeiten des Meißels, denen man erſt in
den neueſten Zeiten ganz beygekommen; ſo iſt doch ſo viel
gewiß, daß unſer Kuͤnſtler ſpaͤterhin ſowohl dieſe Arbeit, aus
dem Stillſchweigen jenes Buches zu urtheilen, mit Genehmi-
gung der Domverwaltung aufgegeben, als auch uͤberhaupt von
Ausfuͤhrungen in Marmor ſich zuruͤckgezogen hat. Er wen-
dete ſich ſchon damals (wenn dem Vaſari hier zu trauen iſt,
des leichteren und ſchnelleren Gewinnens willen) zu jenen
halberhobenen Werken in gebrannter und ſchoͤn uͤberglaſeter
Erde, welche dem Anſehn nach von ihm ſelbſt erfunden, oder
doch ausgebildet worden. Gewiß entdeckte ich nirgend aͤltere
Arbeiten dieſer Art; wohingegen eine Verſtiftung des mehr-
gedachten Buches *) außer Zweifel ſetzt, daß er dieſen Stoff
19 *
[292] ſchon im October des Jahres 1446. gaͤnzlich bemeiſterte. In
dieſer Urkunde nemlich uͤbernimmt Luca die Ausfuͤhrung ei-
nes der ausgedehnteſten unter den vorhandenen Werken die-
ſer Kunſtart, der Himmelfahrt Chriſti uͤber dem Thore der
Sacriſtey des Domes.
Indeß war zu Anfang deſſelben Jahres 1446. *) zur
Sprache gekommen, daß Donato, welcher, wie wir uns erin-
nern mit Guͤſſen nicht hinlaͤnglich umzugehn wußte, die ſeit
dem Jahre 1417. uͤbernommene Verpflichtung, die Thore der
gedoppelten Sacriſtey des Domes in Erz zu gießen, bis da-
hin nicht erfuͤllt habe; weßhalb man ihm das eine dieſer
Thore entzog und ſolches dem Luca della Robbia in Gemein-
ſchaft mit Michelozzo di Bartolomeo und Maſo di Bartolom-
meo uͤbertrug. Auch dieſe Arbeit ging nur langſam vorwaͤrts;
denn erſt im Jahre 1461. ward, mit Genehmigung des Luca
und Michelozzo (Maſo war bereits geſtorben) die Zuſammen-
ſetzung, Reinigung und Nachbeſſerung der beiden bis dahin
vollendeten Seiten einem wenig bekannten Giovanni di Bar-
tolommeo uͤbergeben **). Als darauf im Jahre 1464. Au-
guſt 20., dieſe Arbeit bereits beendigt, doch an der inneren
Seite der Thorfluͤgel noch gar nichts geſchehen, Maſo todt
und Michelozzo abweſend war, verſtiftete die Domverwaltung
die noch uͤbrige Arbeit, nemlich die Ruͤckſeite, dem Luca al-
lein ***).
Aus der ſchoͤnen Arbeit an dieſer Ruͤckſeite werden wir
auf Solches ſchließen muͤſſen, was an der Vorſeite des Tho-
[293] res unſerem Meiſter beyzumeſſen ſey, welcher nicht, wie man
ſeit Vaſari wiederholt, die ganze Thuͤre, ſondern, wie beyge-
legte Verhandlungen zeigen, daran nur einzelne Theile ge-
macht haben konnte. In der That entſprechen die Koͤpfe,
welche abwechſelnd, charakteriſtiſch und ſchoͤn ſind, dem Talent
und der Manier des Luca bey weitem mehr, als die Figuren
in den Fuͤllungen, welche, da ſie von beſſerem Style, aber
einfacher behandelt ſind, als die Bildnerarbeiten des Miche-
lozzo, dem ſonſt unbekannten Bildner Maſo di Bartolommeo
zufallen duͤrften. Den Michelozzo, dem man mittlerweile eine
andere ganz handwerksmaͤßige Bronzearbeit verſtiftete *)! moͤchte
man nur des Guſſes willen hinzugezogen haben, deſſen Luca ge-
wiß nicht ſehr maͤchtig war, da die Reinigung und Loͤthung des
Werkes mit ſeiner Genehmigung einem dritten, dem Giovanni
di Bartolommeo uͤbertragen ward. Dieſe Umſtaͤnde waren dem
Vaſari ſaͤmmtlich entgangen, weßhalb er ſich fuͤr aufgefordert
hielt, die reinliche Beendigung dieſes Werkes, deren Verdienſt
er faͤlſchlich dem Luca beymaß, aus deſſen angenommener Vor-
ſchule bey einem Goldarbeiter zu erklaͤren **), welcher vielleicht
einmal der Zeit nach mit der Jugend des Luca zuſammenfaͤllt,
deren wahrer Zeitpunct dem Vaſari, wie ſchon erinnert wor-
den, ebenfalls unbekannt war.
Da Vaſari uͤberhaupt von unſerem Kuͤnſtler wenig ſichere
und begruͤndete Kunde beſaß, ſo moͤchte es nicht ſo ganz aus-
[294] gemacht ſeyn, ob einige halberhobene Arbeiken von maͤßiger
Guͤte am Fußgeſtelle des Thurmes der florentiniſchen Dom-
kirche wirklich deſſen Jugendarbeiten ſind, wie jener Schrift-
ſteller behauptet. Vielleicht gehoͤren ſie dem Maſo di Barto-
lommeo, da ſie in manchen Dingen mehr mit den Fuͤllungen
an der Vorſeite des Thores der Sacriſtey, als mit den be-
kannteren Arbeiten des della Robbia uͤbereinzuſtimmen ſcheinen.
Indeß hatte Luca, wie ich ſchon angedeutet habe, fruͤhe
von der Bearbeitung des Marmors und Erzes ſich zu jenen
eigenthuͤmlichen Arbeiten in Erde gewendet, welche in Tos-
cana, wo ſie haͤufig vorkommen, den generellen Namen: terre
della Robbia, erhalten haben. An den Thuͤrſtuͤcken der bei-
den Sacriſteygemaͤcher des florentiniſchen Domes beſitzen wir
Probeſtuͤcke der Art, wie Luca ſolche Erden ſelbſt behandelte;
indeß duͤrfte es ſchwer ſeyn, von dem Charakter dieſer beiden
nicht ausgezeichneten Arbeiten auf Solches zu ſchließen, ſo un-
ter den vorkommenden gebrannten und verglaſeten Erden das
Werk ſeiner Haͤnde ſey, da der Schmelz unumgaͤnglich den
Aufdruck der Originalitaͤt verwiſchen mußte. Der Erfindung
nach moͤchten die ſchoͤnen Runde mit einzelnen allegoriſchen
Figuren im Hofe der Villa der beruͤhmten Saͤngerin Catalani
(ſonſt Panciatici auf dem Wege nach Bologna, etwa eine
Miglie von dem florentiniſchen Thore ſ. Gallo) unſerem Luca
angehoͤren, da ſie lebhaft an die hocherhobenen Arbeiten un-
ter der Orgel erinnern. Andere gebrannte Erden *) naͤhern
[295] ſich ſeiner Weiſe mehr und minder. Ich erinnere hier, daß
man in Florenz dafuͤr haͤlt, daß Luca in ſolchen Kunſtarbei-
ten keine buntfarbige Gruͤnde angebracht habe; eine Meinung,
welche durch oben beruͤhrte Verſtiftung des Thuͤrſtuͤckes der
zweyten Sacriſtey des Domes (S. Belege) hinreichend wie-
derlegt wird. Die ſpaͤteren Arbeiten dieſer Art, welche bis
um das Jahr 1530. nicht ſelten mit den ſeinigen wetteifern,
unterſcheiden ſich durch den Aufdruck der fortſchreitenden Zeit
und bisweilen ſelbſt durch ihre Manier und Auffaſſung *).
[296]
Ein Bildner dieſer Zeit, der ohne Angabe des vaͤterlichen
Namens auf ſeinem Hauptwerke, der reich verzierten Vorſeite
der Bruͤderſchaft des Hl. Bernardino zu Perugia, nach den
Worten: Augusta Perusia MCCCCLXII. ſein Werk mit
opus Augustini Florentini lapicidae, bezeichnet hat, gilt
neueren Schriftſtellern nach der Angabe des Vaſari fuͤr einen
nachgelaſſenen Bruder des Luca della Robbia. Indeß lehren
die Urkunden, daß Auguſtin von ganz anderen Perſonen ab-
ſtammte, als Luca della Robbia. Der Vater des letzten hieß,
Simon, der Großvater, Marco; jener hingegen traͤgt in einem
Zahlungsbefehle des oͤffentlichen Archives zu Perugia den Na-
men: magister Agustinus Antonii de Florentia*), was
*)
[297] ſchon Mariotti befremdete *). Auf einem Blatte des mehrge-
dachten Conceptbuches der Notare der florentiniſchen Domver-
waltung wird auch ſein Großvater genannt **); er hieß nicht
Marco, ſondern Ducco, wahrſcheinlich Duccio. Die florenti-
niſche Domverwaltung verſtiftete ihm im Jahre 1463. einen
Coloß, damit irgend einen hochbelegenen Theil der Kirche zu
verzieren. Die Identitaͤt der Perſon dieſes Ghostino d’Anto-
nio di Ducco und jenes Florentiners Augustinus Antonii,
in dem Archive zu Perugia iſt durchaus nicht in Zweifel zu
ziehn. Einmal waren die geſchickteren florentiniſchen Bild-
hauer in jener Zeit nicht ſo haͤufig, daß man willkuͤhrlich vor-
ausſetzen koͤnnte, Namen und Vatersnamen haben ſich eben
damals in zwey verſchiedenen Perſonen wiederholt; ferner ver-
ſchwindet unſer Auguſtin, kurz nach Beendigung der Vorſeite
des Kirchleins ſ. Bernardino ***) fuͤr einige Zeit aus den
Kunſtverhandlungen der peruginiſchen Archive, konnte demnach
eben damals zu Florenz anweſend ſeyn; endlich ſcheint ſelbſt
der Coloß, den man ihm zu Florenz aufgetragen, einen ruͤſti-
gen, muthvollen Arbeiter vorauszuſetzen, gleich jenem Augu-
ſtin, welcher zu Perugia die Vorſeite der Kirche ſ. Bernardino
mit unzaͤhligen Figuren uͤberdeckt hatte.
Dieſe letzten ſtehen uͤbrigens ſowohl in der Auffaſſung,
als in der Ausfuͤhrung jenen Meiſterſtuͤcken des Luca ſo weit
nach, daß wir kaum annehmen koͤnnen, daß Auguſtin jenen
[298] zum Vorbilde gewaͤhlt, oder von ihm gelernt habe. Viel-
mehr moͤchte ich aus der flachen Haltung und aus den Ver-
ſchobenheiten dieſer Arbeiten ſchließen, daß er den Donatello,
beſonders ſeine Genien an der zweyten Orgel des florentini-
ſchen Domes, hierin zum Muſter genommen; obwohl er uͤbri-
gens ſeine Arbeiten zierlicher und anmuthiger beendigt hat, als
jener. — In einem kleinen, zur Kappelle eingerichteten Ge-
mache der florentiniſchen Kunſtſchule, befindet ſich ein flacher-
hobenes Marmorbild der Madonna mit Engeln, welches je-
nen Arbeiten zu Perugia gleicht und wahrſcheinlich von dem-
ſelben Meiſter iſt.
Damals und um wenige Jahrzehende ſpaͤter bluͤheten, in
Folge der Nachfrage, welche vornehmlich durch Familiendenk-
male, ſeltener durch andere und wichtigere Arbeiten hervorge-
rufen ward, zu Florenz viele Bildner von ausgezeichneter Ge-
ſchicklichkeit in der Behandlung des Marmors, denen haͤufig
ein naives und lebenvolles Bildniß, oder ein allerliebſter Friis
von kleineren Figuren, oder Fuͤllungen an Kanzeln und aͤhn-
liche Arbeiten, unuͤbertrefflich gelangen, welche indeß im Gan-
zen unfaͤhig waren, groͤßere Figuren auszufuͤhren, oder auch
nur ihre Denkmale in ſich ſelbſt, oder in ihrem Verhaͤltniß zu
ſie umgebenden Dingen in ein gewiſſes Gleichmaß zu bringen.
Solche Maͤnner von ſchoͤnem Talent, doch zu handwerksmaͤßi-
ger Richtung waren Antonio Roſſellini, Mino da Fieſole,
von welchem eines der ſchoͤnſten modernen Bildniſſe im
Dome gedachter Stadt, *)Deſiderio da Settignano, Giu-
[299]liano*) und Benedetto da Majano, Benedetto da Rovezzano,
welcher letzte indeß ſchon zu den Cinquecentiſten zu zaͤhlen iſt.
Wenden wir uns von ihnen ab und ruͤckwaͤrts zu einigen Zeitge-
noſſen des Luca della Robbia, welche, ohne dieſem im Geſchmack
und Geiſte gleich zu kommen, dennoch durch eine, nur ihnen
eigenthuͤmliche Verbreitung des Talentes, beſonders durch Ueber-
tragung bildneriſcher Beſtrebungen auf die Malerey, wunder-
bar mitgewirkt haben, deren gaͤnzliche Entfaltung zu beſchleu-
nigen.
Unwichtiger iſt in dieſer Beziehung Antonio del Pollajuolo,
ein geſchickter Bronzearbeiter, welcher indeß in der Auffaſſung
bildneriſcher Aufgaben nirgend das Mittelmaͤßige uͤberſchritten
hat, in der Auffaſſung maleriſcher vielen ſeinen Zeitgenoſſen
nachſteht. Seine Grabſchrift in ſ. Piero in Vinculis zu Rom
meldet, daß er 1498. zwey und ſiebenzig Jahre alt geſtorben
ſey; **) ſeine Laufbahn beginnt mithin um die Mitte des
Jahrhundertes, weßhalb er nicht wohl vom Vater des Lorenzo
Ghiberti, welcher letzte ſchon um das Jahr 1400. ein ausge-
bildeter Kuͤnſtler war, das Goldſchmidhandwerk erlernt haben
konnte, wie Vaſari, jener ihm bekannten Inſchrift uneinge-
denk, angegeben hat. ***) Noch weniger konnte er deſſen
Sohn, den Lorenzo Ghiberti, bey ſeinem groͤßeſten Werke, der
mittleren Thuͤre der Taufkirche unterſtuͤtzt haben, †) wenn
*)
[300] dieſe Angabe des Vaſari nicht etwa auf die Nachhuͤlfe zu be-
ziehen iſt, welche Bonachorſo, der Sohn oder Enkel des Lo-
renzo, den Blattverzierungen der Einfaſſung *) ſoll gegeben
haben. Dieſer moͤchte dann, wenn wir annehmen wollten,
Vaſari ſtuͤtze ſich nicht auf Vermuthungen, ſondern auf un-
deutliche Erinnerungen, der wirkliche Meiſter des Antonio ge-
weſen ſeyn, oder doch geweſen ſeyn koͤnnen, wenn jene Wach-
tel an der Einfaſſung der mittleren Thuͤre der florentiniſchen
Taufkirche, deren Schoͤnheit ſeit Vaſari in den Kunſtbuͤchern
ein ſtehender Artikel iſt, wirklich des Pollajuolo Arbeit waͤre,
was vorausſetzlich nicht ſo leicht zu erweiſen iſt und nur auf
populaͤren Traditionen beruhen kann.
Ueberhaupt folgte Vaſari in Bezug auf dieſen Kuͤnſtler
verſchiedentlich falſchen Angaben oder irrigen Vermuthungen.
Denn gleich zu Anfang des Verzeichniſſes ſeiner Werke ertheilt
er ihm die Statue des Hl. Johannes Baptiſta am ſilbernen
Altare deſſelben Heiligen im Schatze der florentiniſchen Tauf-
kirche, welche, wie ſchon Gori nach eigener Anſicht des betref-
fenden Archives berichtigte, **) des Michelozzo die Bartholo-
[301]meo und eben diejenige Arbeit iſt, durch welche im Jahre
1452. die gedachte Altarbekleidung durchaus beendigt worden.
Wenn wir dem Richa (das iſt ſeinem Berichtgeber in Din-
gen dieſes Archives, dem Senator Carlo Strozzi) folgen, *)
ſo ertheilte man freylich noch im Jahre 1477. ſowohl dem
Antonio del Pollajuolo, als dem Andrea del Verocchio den
Auftrag, einige halberhobene Arbeiten nachzuliefern; doch duͤrf-
ten ſich dieſe Data auf andere Kunſtarbeiten beziehen und un-
ter allen Umſtaͤnden ſcheint Gori an dieſer Stelle mehr Glau-
ben zu verdienen, als die ungenauen, nicht ſelten falſch ver-
ſtandenen Mittheilungen, mit welchen Richa ſich zu begnuͤ-
gen pflegte.
Hingegen ſind die Denkmale der Paͤbſte Innocenz VIII.
und Sixtus IV., gegenwaͤrtig im Seitengange der Peterskirche
zu Rom uͤber einander aufgeſtellt, ganz ausgemachte Werke
des Antonio, da ſeine, ſchon aufgefuͤhrte Grabſchrift ſolche
**)
[302] als den Stolz ſeines Lebens erwaͤhnt. Gewiß ſind ſie gelun-
gene Erzguͤſſe von nicht gemeinem Umfang, welche, der An-
lage nach, aͤhnlichen Denkmalen dieſer Zeit, ſowohl im Archi-
tectoniſchen, als in der Allegorie, wie endlich in der naiven
Behandlung ihrer Bildniſſe im Ganzen gleichſtehen.
Indeß ſind dieſe Arbeiten, obwohl ſeine gelungeneren,
doch nicht eigentlich, was dieſem Bildner eine allgemeinere
Bedeutung giebt, welche wir in ſeinen an ſich ſelbſt ganz mit-
telmaͤßigen Malereyen, beſonders jenem ſchon erwaͤhnten Hl.
Sebaſtian der Kappelle Pucci, am Vorhofe der Servitenkirche
zu Florenz, aufſuchen muͤſſen. Denn, indem er ſein bildne-
riſches Streben nach durchgehendem Verſtaͤndniß der organi-
ſchen Formen auf ſeine Verſuche in der Malerey uͤbertrug,
regte er, wie die Arbeiten ſeines Bruders in ſ. Miniato a
Monte darlegen, in ſolchen Malern, die ihm aus irgend ei-
nem Grunde naͤher waren, das Verlangen an, auch in der
Malerey zu mehrſeitiger und gruͤndlicher Kenntniß der orga-
niſchen Formen zu gelangen, welches ſeine Kupferſtiche, gegen-
waͤrtig große Seltenheiten, auch uͤber ſeine unmittelbare Ge-
genwart hinaus verbreitet haben moͤgen.
Bey groͤßerem Erfolge hatte die Lebensthaͤtigkeit eines
gleichzeitigen Bildners, des Andrea del Verocchio, oder, wie
er in jenem Buche der Domverwaltung heißt: detto (ge-
nannt) Verocchio (wahres, richtiges Auge?), eine ganz
gleiche Richtung genommen. Dieſer Kuͤnſtler, deſſen Talent
Vaſari, nach ſeinem Vorurtheile fuͤr Leichtigkeit der Manier,
viel zu tief ſetzt, hat allerdings nur in einzelnen Werken ſei-
nen Stoff ganz bemeiſtert, hingegen in ſolchen gelungeneren
Arbeiten gezeigt, daß in ihm ein ganz ungemeiner Geiſt lebte,
daß er nur daher nach eben jener ſtrengeren und tieferen Be-
[303] gruͤndung ſeiner Darſtellung ſtrebte, welche ſeinen Leiſtungen
nicht ſelten ein kleinliches Anſehn giebt. Am meiſten verun-
gluͤckt iſt wohl ſeine Arbeit an dem Grabmal des Cardinal
Forteguerra in einer Kirche zu Piſtoja; nemlich jenes haͤßliche
Hochrelief in der Mitte von ſpaͤteren Ergaͤnzungen dieſes Denk-
males. Lobenswerther iſt die Gruppe des unglaͤubigen Apo-
ſtels Thomas, welcher die Wunde des Heilands betaſtet, in
einer der Niſchen, welche die florentiniſche Kirche Orſanmichele
umgeben; doch auch hier entſchwindet der Charakter dem Kuͤnſt-
ler unter dem Beſtreben ihn ganz zu erſchoͤpfen. In beiden
Werken iſt das Gewand ſehr geſchmacklos behandelt; vielleicht
verleitete ihn ſein Streben nach Gruͤndlichkeit zu dem Ge-
brauche, ſeine Falten in naſſer Leinwand und mit den Fin-
gern vorzubereiten, deren Eindruͤcke ſie noch zu verrathen das
Anſehn haben. Indeß gelang es ihm wenigſtens in einem
ſeiner Werke, dem Brunnen im Hofe des alten Palaſtes zu
Florenz, das Vortreffliche zu leiſten.
Dieſe Brunnenverzierung, welche urſpruͤnglich fuͤr die
medizeiſche Villa zu Careggi beſchafft worden, beſtehet aus ei-
nem allerliebſten gefluͤgelten Knaben, welcher einen jungen und
kraͤftig-zappelnden Delphin unter dem Arme haͤlt und an ſich
druͤckt, aus deſſen Nuͤſtern Waſſer ſpringt. Nichts kann hei-
terer und lebendiger ſeyn, als der Ausdruck der Mienen und
der Bewegung dieſes Kindes; und nirgend unter den moder-
nen Erzguͤſſen begegnet man einer ſo ſchoͤnen Behandlung des
Stoffes, einem ſo muſterhaften Style. Bey taͤuſchendem An-
ſchein halb fliegender, halb rennender Bewegung, ruhet den-
noch die vielfach ausgeladene Gruppe durchhin ſichtlich in ih-
rem Schwerpuncte; nach einem gluͤcklichen Gefuͤhle gab der
Kuͤnſtler dem Kinde rundliche Fuͤlle, dem Fiſche und den Fluͤ-
[304] geln (den meiſt ausgeladenen Theilen) eine gewiſſe kantige
Schaͤrfe. Dieſes muſterhafte Werk hat man vor einigen Jah-
ren bey Reinigung der Brunnenroͤhren leider der ſchoͤnen Pa-
tina beraubt, mit welcher die Zeit daſſelbe uͤberzogen hatte,
wodurch Haͤrten entſtanden ſind, welche kuͤnftige Beſchauer
nicht dem Kuͤnſtler, ſondern der kuͤnſtleriſchen Barbarey unſe-
rer Tage beymeſſen wollen.
Vaſari giebt in dem Leben des Andrea umſtaͤndliche
Nachricht von den mancherley Huͤlfswegen, welche dieſer Kuͤnſt-
ler eingeſchlagen hat, um den Bildungsgeſetzen der Natur auf
die Spur zu kommen. Er habe, meldet er, zuerſt verſucht
Theile von lebenden Menſchen und Leichnamen in Gyps abzu-
formen, und dieſe Model auszugießen; da das Andenken des
Verocchio vermoͤge ſeiner Schuͤler Lorenzo di Credi und Lio-
nardo da Vinci zu Anfang des ſechzehnten Jahrhundertes
noch lebendig ſeyn mußte; da ferner ſeine Werke uͤberall den
Aufdruck einer aͤngſtlichen, unfreyen Beruͤckſichtigung des ſinn-
lich Vorliegenden zu tragen ſcheinen; ſo wird jenem Schriftſtel-
ler hierin zu trauen ſeyn. Denſelben Sinn trug er aber auch
in ſeine maleriſchen Verſuche hinuͤber, deren einer, die Taufe
Chriſti, gegenwaͤrtig in der Gallerie der florentiniſchen Akade-
mie zu ſehn iſt; ein duͤrftiges Bild, welches jenen Engel ent-
haͤlt, den, nach Vaſari, Lionardo als Knabe gemalt und hie-
durch, da ſolcher fuͤr ſein junges Alter wohlgelungen war,
den Meiſter von ferneren Verſuchen in dieſer Kunſtart abge-
ſchreckt hat.
Dieſer große Schuͤler giebt dem Andrea eine allgemeinere
Wichtigkeit, als ſeine eigenen, obwohl durchhin beachtenswer-
then, bisweilen herrlichen Arbeiten. Einem geringeren, zu be-
ſchraͤnkten Talente, dem Maler Lorenzo di Credi, hatte Andrea
eben-
[305] ebenfalls ein gewiſſes bildneriſches Beſtreben eingefloͤßt, wel-
ches ihn fruͤhe zu einer eignen Miſchung ſeines Bindemittels
anleitete, vermoͤge deren es ihm gelang, auch in ſeinen Ge-
maͤlden a Tempera eine Modellirung hervorzubringen, welche
ſeinen huͤbſchen, traͤumeriſch-ſanften Chriſtuskindern ein run-
des und gefaͤlliges Anſehn giebt. Doch trieben die Anregun-
gen des Bildners in dem Gemuͤthe des Lionardo tiefere Wur-
zeln; und wenn Lorenzo ein langes Leben hindurch den engen
Kreis beſcheiden einfaͤltiger Madonnen, lieblicher, allein zu
gleichguͤltiger Chriſtuskinder und Engelein nie uͤberſchritten hat,
deren einzelne Ausgaben zu Florenz haͤufig vorhanden, doch
von alten Copien und Nachahmungen zu unterſcheiden ſind:
ſo leitete hingegen den Lionardo die forſchende, gruͤbelnde,
nachdenkliche Richtung ſeines Meiſters fruͤhe zu gruͤndlicher
Erforſchung der Geſetze der Geſtaltung und vermoͤge dieſer in
ſeinem Gebrauche der organiſchen Formen zu einer bis dahin
unbekannten Sicherheit der Handhabung, Feinheit der Aus-
bildung, Tiefe der Bedeutung.
Lionardo erwarb ſich unſtreitig ſchon bey ſeinen Zeitgenoſ-
ſen Verehrung und Anſehn, und gewiß hat man nie aufgehoͤrt
ſeine Werke hochzuſchaͤtzen. Doch hat man ihm bisher in der
neueren Kunſtgeſchichte die Stelle verſagt, welche ihm zukommt;
die Stelle nemlich des Begruͤnders eines beſtimmteren anato-
miſchen Wiſſens, eines deutlicheren Bewußtſeyns der Geſetze der
Rundung und Verſchiebung. Vielleicht traͤgt Vaſari die Schuld,
dem es nicht klar geworden, wie eben die gruͤbelnde, minder
praktiſche Richtung des Lionardo nothwendig war, um die
Nebel, welche die maleriſche Darſtellung noch immer umga-
ben, durchaus zu zerſtreuen. Leider uͤberging dieſer Schriftſtel-
ler die fruͤheren Leiſtungen des Lionardo, entweder, weil ſie
II. 20
[306] ihm unbekannt geblieben, oder auch, weil er ſie nicht nach Ver-
dienſt zu wuͤrdigen wußte; gewiß war er nicht vorbereitet, den
unumgaͤnglich hoͤchſt lehrreichen Entwickelungsgang des Lio-
nardo mit wuͤnſchenswerther Umſtaͤndlichkeit anzugeben.
Allerdings ſchildert uns Vaſari den jugendlichen Lionardo
ganz, wie wir ihn vorausſetzen muͤßten, als einen von der
Auffaſſung des Mannichfaltigen, von der Nachbildung des
Einzelnen unablaͤſſig zum Nachdenken uͤber das Allgemeine
und Durchwaltende hinuͤbergezogenen, bald leidenſchaftlich hin-
gegebenen, bald tiefſinnig in ſich verſunkenen Juͤngling. Doch
waͤre es auch wichtig an Beyſpielen zu ſehen, wie er allge-
mach in der Darſtellung und vielſeitigſten Herrſchaft uͤber ſei-
nen Stoff jene hohe Stufe erreichte, welche er einnahm, als
er innerhalb des letzten Jahrzehndes des funfzehnten Jahr-
hundertes, verſchiedene Jahre vor den Jugendverſuchen Ra-
phaels und vor den erſten namhaften Werken des Buona-
ruota, das beruͤhmte Abendmahl im Refectorio des Kloſters
alle grazie zu Mayland vollbrachte. Moͤge man immerhin
in dieſem Werke die Jugendlichkeit vermiſſen, welche ſeinem
damaligen Lebensalter nicht mehr angemeſſen war; moͤge man
immerhin in den Stellungen und Bewegungen zu viel Be-
daͤchtlichkeit und Wahl, zu wenig Unbefangenheit wahrzuneh-
men glauben, ſo bleibt doch ſo viel gewiß, daß Lionardo, in
harmoniſcher Vertheilung und Anordnung des Einzelnen, in
ſicherer Angabe der Linien und Formen organiſcher Koͤrper, in
deren Zeichnung und Modellirung, ſeinen Zeitgenoſſen weit
vorangeeilt war und ihnen zuerſt gewieſen hat, bis wohin der
Maler in der Herrſchaft uͤber die Vermittler ſeiner Darſtel-
lung gelangen koͤnne.
Unter den wenigen Jugendwerken des Lionardo, welche
[307]Vaſari beruͤhrt, iſt der Carton mit den erſten Menſchen im
Paradieſe verſchollen; eben ſo die beiden Meduſenhaͤupter;
denn jener, den man in der Gallerie der Uffizj zu Florenz
zeigt, iſt ſicher eine Arbeit der Mitte des ſechzehnten Jahrhun-
dertes. Indeß beſitzen wir noch das kleine Halbrund im obe-
ren Kreuzgange des Kloſters ſ. Onofrio zu Rom, in welchem
die Madonna mit dem Kinde und das Bruſtbild des damali-
gen Vorſtehers der kloͤſterlichen Gemeinde; eine Arbeit, welche
ihrer groͤßeren Sicherheit ungeachtet, noch an die uͤbrigen Flo-
rentiner der ſpaͤteren Decennien des funfzehnten Jahrhunder-
tes und beſonders eben an ſeinen Mitſchuͤler Lorenzo di Credi,
erinnert. Und allerdings mußten ſeine fruͤhere Arbeiten in die
Zeit und Schule ſehen, von welcher ſeine Beſtrebungen ausge-
gangen waren; nicht in jene ſpaͤtere, welche ſeine unermuͤdli-
chen Forſchungen in der Folge hervorgerufen. Auch die kleine
Madonna im Hauſe Buonviſt zu Lucca, welche dort, ich glaube
mit vollem Grunde, fuͤr eine Jugendarbeit des Lionardo gilt,
vereinigt den Aufdruck ſeines eigenthuͤmlichen Strebens mit
einigen Foͤrmlichkeiten und Beſchraͤnktheiten der florentiniſchen
Maler der Zeit des Domenico Ghirlandajo; und die koͤſtliche,
leider verſchollene Carità, ehmals die groͤßte Zierde der chur-
fuͤrſtlichen Gemaͤldeſammlung zu Caſſel, zeugte, bey hoher Aus-
bildung der Koͤpfe und faſt bildneriſchem Style der Anordnung,
doch in der Ausfuͤhrung des Nackten fuͤr die Vermuthung:
daß Lionardo eine laͤngere Zeit hindurch gemalt habe, bevor
er zu jener Gruͤndlichkeit des Wiſſens, zu jener Sicherheit der
Zeichnung gelangte, welche wir ihn um das Jahr 1490. in
ſeinen maylaͤndiſchen Arbeiten darlegen ſehn. Eine Ueber-
gangsepoche moͤchte die ſchoͤne Hl. Katharina der koͤn. Gallerie
zu Copenhagen andeuten, auf dieſes Bild wiederum die geiſt-
20 *
[308] reichen Untermalungen folgen, deren eine, die Anbetung der
Koͤnige, in der scuola Toscana der Gallerie der Uffizj zu
Florenz, eine andere, ein Hl. Hieronymus von untergeordnetem
Werthe, gegenwaͤrtig in der Sammlung des Cardinal Feſch
aufzuſuchen iſt. Mehr ins Einzelne werden dieſe Uebergaͤnge
in den zahlreichen Handzeichnungen des Lionardo ſich verfol-
gen laſſen *). Indeß ſind dieſe theils ſehr verſtreut, theils nicht
einmal durchhin unter ſeinem Namen bekannt, da man ge-
woͤhnlich eben nur den reifen Lionardo, den maylaͤndiſchen und
franzoͤſiſchen, beachtet, und ſolche Zeichnungen, welche fruͤheren
Epochen ſeines Lebens angehoͤren, irgend einem aͤlteren Flo-
rentiner beyzulegen pflegt. Geuͤbte Kenner werden indeß, vor-
nehmlich in Bildniſſen und in anderen Studien nach dem Le-
ben, die Hand des Lionardo an einem tieferen Eingehn in die
Form, an einer gefuͤhlteren Ausbildung derſelben von aͤhnlichen
Studien ſeiner befangeneren, mehr handwerksmaͤßigen Zeitge-
noſſen unterſcheiden koͤnnen. Uebrigens wurden die Zeichnun-
gen der aͤlteren Maler, welche man lange Zeit hindurch unge-
buͤhrlich gehaßt und verachtet hat, großentheils das Opfer der
Geſchmackloſigkeit und des rohen Uebermuthes der kuͤnſtleri-
ſchen Tendenzen der letztverfloſſenen Jahrhunderte und ſind da-
her durchhin von großer Seltenheit.
Doch iſt es nicht meine Aufgabe die Werke des Lionardo
zu verzeichnen, oder gar die vielen ihm untergeſchobenen Co-
pien und Nachahmungen anzumerken, welche ſich uͤberall ver-
breitet haben und meiſt in gutem Anſehn ſtehn; vielmehr
wollte ich nur ſo viel in Erinnerung bringen, als genuͤgen
mag, ins Licht zu ſetzen, daß eben jener vom Pollajuolo und
[309]Verochio ausgehenden, gemiſcht bildneriſch-maleriſchen Rich-
tung es vorbehalten war, der nun ſchon mehrſeitig ausgebil-
deten Malerey der Florentiner zu verleihen, was ſelbſt jenen
Meiſterwerken des Ghirlandajo noch fehlte: Gruͤndlichkeit und
Feinheit in der Auffaſſung der Form, Sicherheit und Zartheit
in ihrer Anwendung auf maleriſche Darſtellungen.
Dieſes, ſchon an ſich ſelbſt unermeßliche Verdienſt, um
die Vollendung und tiefere Begruͤndung der maleriſchen Tech-
nik, erhoͤhete Lionardo durch eine reinere, ernſtlicher gemeinte
Auffaſſung der obwaltenden kirchlichen Kunſtaufgaben, als
waͤhrend der zweyten Haͤlfte des funfzehnten Jahrhundertes
bey den florentiniſchen Malern vorzukommen pflegt. Aller-
dings erfaßte die Schule des Fra Filippo Aufgaben, welche
ihrem Sinne fuͤr Bewegung und Handlung entſprachen, im
Allgemeinen richtig, nicht ſelten hoͤchſt gluͤcklich; allerdings er-
freute die Schule des Coſimo Roſelli durch Schaͤrfe und Deut-
lichkeit der Charakteriſtik. Doch wenn es den Ausdruck rei-
nen Gemuͤthes und religioͤſer Stimmungen galt, verfehlten ſie
durchhin die innere Bedeutung ihrer Aufgaben. Beſonders
mißgluͤckte ihnen die Madonna, deren leicht verletzliche Idee
von den Giottesken ungleich reiner aufgefaßt worden; obwohl
hier Taͤuſchungen moͤglich ſind, da deren allgemeine und leichte
Andeutung der Phantaſie des Beſchauenden einen weiten Spiel-
raum gewaͤhrt, waͤhrend die beſtimmtere Darſtellung der ſpaͤ-
teren Florentiner uͤber allen Zweifel erhebt: daß die Madonnen
des Fra Filippo meiſt gemein ſind, des Coſimo Roſelli ab-
ſcheulich, des Sandro und Domenico Ghirlandajo ehrliche
Buͤrgerfrauen, des Filippino liebliche Dirnen. Dahingegen
gelang es dem Lionardo, ſchon ſeinen aͤlteren Madonnen (in
ſ. Onofrio, im Hauſe Buonviſi) einen geheimen Zauber zu
[310] verleihen, den mittleren aber bey hinreißender Schoͤnheit der
Form und Anmuth der Gebehrde, doch eine gewiſſe Ehrfurcht
gebietende Miene und Haltung zu geben.
Waͤre es ausgemacht, daß Peter von Perugia, wie Va-
ſari angiebt, beym Andrea del Verocchio gelernt, oder doch,
wie es wahrſcheinlicher iſt, unter deſſen Leitung ſich vervoll-
kommnet habe: ſo duͤrfte es nahe liegen, jene zartere, inni-
gere Auffaſſung modern chriſtlicher Aufgaben, welche die Ge-
maͤlde des Lionardo guͤnſtig von denen ſeiner florentiniſchen
Zeitgenoſſen unterſcheidet, aus Anregungen abzuleiten, welche
Peter aus der umbriſchen, in die Schule des Verocchio ver-
pflanzt haben koͤnnte. Gewiß verlebte Perugino einen Theil
ſeiner friſcheſten Jahre zu Florenz; gewiß bemuͤhte er ſich
eben damals die Objectivitaͤt der Florentiner mit den entge-
gengeſetzten Eigenthuͤmlichkeiten der umbriſchen Malerſchulen
zu verſchmelzen.
Dieſe letzten hatten ſeit der Mitte des funfzehnten Jahr-
hundertes, vielleicht ſchon ungleich fruͤher, durch Tiefe und
Zartheit des Gefuͤhles, durch eine wunderbare Vereinigung
halbdeutlicher Reminiſcenzen aus den Kunſtbeſtrebungen der
aͤlteſten Chriſten mit den milderen Vorſtellungen der neueren,
uͤber ihre toscaniſchen, lombardiſchen und venezianiſchen Zeit-
genoſſen, ungeachtet vieler techniſchen Unvollkommenheiten, ei-
nen geheimen Reiz voraus, dem, wie ich wahrzunehmen glaube,
jedes Herz ſich oͤffnet; obwohl ihre, an ſich ſelbſt ſchoͤne und
lobenswerthe Stimmung auf die Laͤnge durch Einfoͤrmigkeit
zu ermuͤden pflegt. Woher eben dieſem engen Bezirke Italiens
eine ſo ganz eigenthuͤmliche Richtung gekommen ſey, habe ich
oben, dort freylich noch ohne zulaͤngliche Beweiſe, aus der
Einwirkung des Sieneſers Taddeo Bartoli auf den Bezirk von
[311]Perugia zu erklaͤren verſucht; eines Malers, welcher unter al-
len Umſtaͤnden jene Richtung zuerſt eingeſchlagen hat.
Indeß duͤrfte hier auch die Lage jener kleinen Ortſchaf-
ten in Betrachtung kommen, welche den Huͤgel von Aſiſi, die
geweihete Staͤtte des Hl. Franz, umkraͤnzen und in ſo gro-
ßer Naͤhe des Mittelpunctes ſeiner Stiftung bereitwilliger
ſeyn mußten, ſich den Anſichten und der Stimmung hinzuge-
ben, welche dieſen Orden beherrſchen und unlaͤugbar mitge-
wirkt haben, die neuere Malerey ihrer Hoͤhe entgegenzufuͤhren.
Es zeigte ſich jene Richtung zunaͤchſt, nicht zu Perugia, wo
um die Mitte des Jahrhundertes ein aͤußerſt mittelmaͤßiger
Charaktermaler, Benedetto Buonfiglio, im Beſitze der Gunſt
war *), ſondern in den kleineren Fuligno, in den Arbeiten des
Niccolò Alunno.
Spuren der Einwirkung des Thaddeo di Bartolo auf den
Bezirk von Perugia, zeigen ſich daſelbſt in einigen ſehr beach-
tenswerthen Miniaturgemaͤlden einer Handſchrift der Dom-
[312] bibliothek *), welche ſichtlich noch in der erſten Haͤlfte des
funfzehnten Jahrhundertes beendet ſind. Das zweyte Blatt
dieſes Buches enthaͤlt ein juͤngſtes Gericht von guter und ei-
genthuͤmlicher Erfindung und feiner, gefuͤhlvoller Beendigung
der Koͤpfe. Die Darſtellung des Kindermordes, auf der Ruͤck-
ſeite des Blattes 101., iſt ebenfalls beachtenswerth; ein einzi-
ger Scherge ſchlachtet die Unſchuldigen, welche vor ihm aufge-
haͤuft liegen; Soldaten im Hintergrunde, Weibergruppen zu
beiden Seiten. Der Kuͤnſtler war hier, wie auf der Ruͤck-
ſeite des Blattes 123., wo eine ſehr einfach geordnete Anbe-
tung der Koͤnige, auf Oekonomie des Raumes angewieſen.
Entſchiedener meldet ſich der Einfluß jenes ausgezeichne-
ten Sieneſers zu Aſiſi, wo an der aͤußeren Wand des Hos-
pitales ſſ. Giacomo ed Antonio Abbate, anders, ſ. Giovan-
nino di Via ſuperba, ein Madonnenbild, daneben ſ. Jacob
und ſ. Anton, unterhalb welcher Figuren vier Pilger in kleineren
Ausmeſſungen die Jungfrau knieend verehren. Im Schnitte
der Geſichtsformen, im braͤunlichen Haupttone und anderen
Dingen erinnert dieſes Gemaͤlde lebhaft an das Eigenthuͤm-
liche des Thaddeo di Bartolo. Die verſtuͤmmelte Aufſchrift am
Sockel enthielt noch im Jahre 1819. folgende lesbare Worte:
.... opus factum fuit M. CCCC. XXII. tp.
.......... die XXVI. mensis ....
Gegenuͤber und ſcheinbar von derſelben Hand gemalt ein engli-
ſcher Gruß, der Engel halb weggebrochen; daneben wiederum
ſ. Jacob. Unter dieſem zweyten Bilde las ich:
dcs. (dictus) Martinellus M. CCCC. XXII. die
XXVI. mensis octubris.
[313]
Das gleiche Dat, die Aehnlichkeit der Manier, beſonders der
Ausdruck, dictus, geben zu errathen, daß gegenuͤber der Name
des Kuͤnſtlers ſchon ein Mal und ausfuͤhrlicher angegeben war.
Wir haben hier einen ſonſt unbekannten Maler, welcher un-
mittelbar nach Thaddeo deſſen Richtung verfolgte, deſſen Ma-
nier ausuͤbte und allem Anſehn nach der Gegend angehoͤrte,
in welcher ſein Andenken ſich zufaͤllig erhalten hat.
Die umbriſchen und die ſieneſiſche Schule mochten auch
in der Folge ſich unausgeſetzt beruͤhrt und vermiſcht haben.
Gewiß ſtimmen die Arbeiten des Matteo di Gualdo, inner-
halb der obenbezeichneten Kirche ſ. Antonino, di Via ſuperba
zu den Malereyen des Sano di Pietro, eines der beſſeren
Kuͤnſtler der eben damals nach dem Ableben der Soͤhne des
Bartolo tief geſunkenen Schule von Siena*). Hingegen er-
giebt ſich die weitere Fortpflanzung der Anregungen des Thaddeo
di Bartolo aus den Werken eines andern Malers dieſer Zeit
und Gegend, des Pietro Antonio di Fuligno.
Dieſer Maler, vielleicht derſelbe, welcher auf einem Bilde,
deſſen Erwaͤhnung bey Lanzi**), Pietro di Mazzaforte heißt,
[314] zierte in der gedachten Kirche ſ. Antonino di Via ſuperba drey
Lunetten, welche Matteo di Gualdo offen gelaſſen, durch ſehr
beachtenswerthe Malereyen. Die Beglaubigung dieſes Bildes,
die Aufſchrift:
PETRVS ANTONIVS
DE FVLGINEO
ſtehet auf dem Tafelbuche der Lunette zur Rechten. S. Ja-
cob, ſagt die Legende, erhielt einen Knaben am Leben, wel-
chen ein gewaltſamer Richter deſſen nach Compoſtella pilgern-
den Eltern entriſſen und aufhaͤngen laſſen. Nach ihrer Ruͤck-
kehr vom Grabe des Apoſtels begehrten die Eltern und An-
gehoͤrigen des Knaben deſſen Befreyung. Der Richter, welcher,
wie es vorauszuſetzen war, nicht an Wunder glaubt, ſpricht
darauf: ehe wuͤrden meine gebratenen Huͤhner hier am Tiſche
lebendig. Doch nimmt ihn der Heilige beym Worte, was
denn der Sache den Ausſchlag giebt. Ein kleiner Page im
vorderen Grunde des Gemaͤldes, hat an dem unerwarteten
Aufkraͤhen der Gebratenen ſeine kindliche Freude; die Gaͤſte
hingegen uͤberlaͤuft ſichtbar ein frommes Entſetzen. Das Un-
mittelbare des Herganges zu verſinnlichen, ſcheint der Richter
noch mit den Pilgern zu reden, vielleicht eben jene bedenkli-
chen Worte auszuſprechen und das geſchehende Wunder nicht
unmittelbar wahrzunehmen. In der zweyten Abtheilung der-
ſelben Wand ſieht man den aufgehaͤngten Juͤngling, welchen
ſ. Jacob unterſtuͤtzt, und ſeine Freunde, unter denen ein abge-
hender, geharniſchter Mann, vielleicht der Vater, mit dem
Ausdrucke tiefer Betruͤbniß auf den Hingerichteten zuruͤckblickt.
In der Lunette zur Rechten ſeegnet ſ. Anton Kameele und
vertheilt in der zweyten Abtheilung Almoſen unter Beduͤrftige,
deren Gier ſehr lebhaft ausgedruͤckt iſt. Ueber der Thuͤre ein
[315] Salvator, welchen der Kuͤnſtler hier nach den aͤlteſten Bey-
ſpielen in unbaͤrtiger Jugend dargeſtellt und mit Engeln um-
geben hat; dieſes Bild iſt unſtreitig das ſchwaͤchſte der gan-
zen Folge. Uebrigens darf ich nicht verhehlen, daß in den
genannten Bildern, beſonders in den Kirchenvaͤtern der vier
Abtheilungen des Kreuzgewoͤlbes, uͤberall neben jenen aͤlteren
Anregungen auch Eindruͤcke aus den Werken des Benozzo
Gozzoli wahrzunehmen ſind, welcher eben damals ſchon in
dem nahen Montefalco malen und durch den Umfang ſeines
Talentes, die Neuheit ſeiner Leiſtungen auf die juͤngeren
Maler jenes Bezirkes einwirken mochte.
Da bis dahin die aͤlteren Malerſchulen des Bezirkes von
Aſiſi und Perugia nur hoͤchſt nothduͤrftig bekannt ſind, ſo duͤr-
fen wir hoffen, die Ableitung ihrer Richtung, welche ich ver-
ſucht habe, in der Folge umſtaͤndlicher begruͤndet zu ſehn.
Indeß werden die angezogenen Beyſpiele die Wahrſcheinlichkeit
meiner Ableitung uͤber alle Einreden erheben und vor der
Hand genuͤgen, die auffallende Uebereinſtimmung der Beſtre-
bungen des Niccolò von Fuligno mit jenen des Thaddeo di
Bartolo bequem und faßlich zu erklaͤren.
In einer urkundlichen Nachricht, welche ein Localſcribent
hervorgezogen *), werden: Pietro di Mazzaforte und Nic-
colò Deliberatore Folignate im Jahre 1461. gemeinſchaft-
lich fuͤr eine ſchoͤne Altartafel der Franciscanerkirche zu Cagli
bezahlt. Lanzi glaubte hinſichtlich dieſer Urkunde annehmen zu
muͤſſen, daß eben damals zu Fuligno zwey verſchiedene Maler
[316] deſſelben Namens gebluͤht haben: Niccolò Deliberatore, und
Niccolò Alunno. Wie immer dieſer Zweifel ſich aufloͤſen moͤge,
ſo ſind doch alle mir mit der Aufſchrift: Nicolai Fulginatis
opus, vorgekommene Tafeln ſaͤmmtlich auffallend von derſel-
ben Hand gemalt; und da Mariotti an einer dieſer Tafeln,
deren Aufſchrift nicht mehr vorhanden iſt: Nicolaus Alum-
nus geleſen *), ſo werde ich berechtigt ſeyn, im Verlaufe
nachſtehender Nachrichten den, ſeit Vaſari, bekannten und uͤb-
lichen Zunamen beyzubehalten.
Vaſari erwaͤhnt einer Bruͤderſchaftsfahne **), welche
[317]Alunno zu Aſiſi gemalt habe; vielleicht meinte er die gegen-
waͤrtig uͤbermalte und verdorbene Mater Misericordiae der
Compagnia di S. Crispino. Eine andere Bruͤderſchaftsfahne,
welche auf feiner Leinwand ſehr wohl a tempera gemalt iſt,
befindet ſich zu Perugia in der Kirche ſta Maria nuova und
traͤgt die Aufſchrift: societas annuntiate fecit fieri hoc
opus. M. CCCC. LXVI. In der Hoͤhe ſieht man Gott
den Vater in einer Glorie und unten, in kleineren Dimenſio-
nen die Bruͤderſchaft von zween Heiligen der Madonna vor-
**)
[318] geſtellt. In den architectoniſchen Beywerken ein gemiſchter, go-
thiſch-brunelleſchiſcher Geſchmack. In dem Kopfe der Jungfrau
eine ganz ungemeine Schoͤnheit und Reinheit des Charakters.
Nach wiederholter Vergleichung halte ich dieſe Malerey mit
großer Zuverſicht fuͤr eine Jugendarbeit des Alunno. Nach
einer Inſchrift, welche Mariotti*) noch geſehn, malte er ſchon
ſeit 1458.
In der Pfarrkirche des Fleckens La Baſtia, am Wege
von Aſiſi nach Perugia, ſah ich eine Tafel, deren gothiſche
Abtheilungen ebenfalls durch brunelleſchiſche Verzierungen ver-
bunden ſind, was an die Beywerke jener Fahne erinnert.
Am Fuße dieſer Tafel las ich: Hopus Nicolai Fulginatis.
1499. Im Hauptfelde, die Madonna zwiſchen Engeln unter
einem gothiſchen Giebel und auf goldnem Grunde; in den
Abtheilungen zur Seite, der Hl. Sebaſtian und Michael der
Erzengel. Innerhalb der gothiſchen Giebel verſchiedene Halb-
figuren, darunter Gott Vater. Auf der Staffel ein todter
Chriſtus, den Kopf im Schooße der Mutter, von weinenden
Engeln umgeben, welche von denen, die Vaſari im Dom zu
Aſiſi geſehn und fuͤr unuͤbertrefflich erklaͤrte, eine guͤnſtige
Vorſtellung erwecken. Dieſes wie alle uͤbrigen mir bekannten
Fragmente und Bilder des Niccolò unterſcheiden ſich durch ei-
nen dunkeln und kraͤftigen Hauptton von den hellen und far-
bigen Malereyen des Benozzo und ſeiner Nachahmer.
Zu Aſiſi, im Dome, fand ich noch Ueberreſte der Tafel,
in welcher Vaſari jene weinenden Engel bewunderte; ſie ſind
[319] gegenwaͤrtig hie und da in ein neueres Altargeruͤſte eingelaſ-
ſen, doch unter dem Werthe der uͤbrigen Arbeiten unſeres
Malers, der ſchon erwaͤhnten, wie beſonders der Tafel des
Seitenaltares der Auguſtinerkirche ſ. Niccolò zu Fuligno, welche
von Antwerpen, wohin die Franzoſen ſie verſetzt hatten, unter
dem vorigen Pabſte in ihre Heimath zuruͤckgelangt iſt. Indeß
haben die Franzoſen den Gradino und das Feld, auf dem die
Aufſchrift ſtehet *), dieſes wahrſcheinlich zu beſſerer Beglaubi-
gung ihres Antheils, zuruͤckbehalten. In dem hier vorhande-
nen iſt die Farbe tief, das Gefuͤhl energiſch.
Der Heilige Nicolas blickt aus ſeinem, nach der Weiſe
dieſes Malers, eigenen Gehaͤuſe mit dem lebhafteſten Gefallen
auf das Chriſtuskind herab, auf welches ſ. Joſeph ihn auf-
merkſam zu machen ſcheint. Dieſer Zug erinnert lebhaft an
die Sieneſer Duccio und Thaddeo, wie immer die Ausbildung
der Charaktere, die Rundung der einzelnen Figuren und An-
deres uͤber dieſe Kuͤnſtler hinausgehn moͤge.
Lanzi behauptet, daß die Gemaͤlde des Alunno bis uͤber
das Jahr 1500 hinausreichen. Vielleicht gehoͤrt die ſchoͤne
Tafel in der Seiten-Kappelle zur Rechten des Chores derſelben
Kirche zu dieſen ſpaͤteſten Werken ſeiner Hand; gewiß iſt darin
jene alterthuͤmliche Eintheilung in viele Felder ſchon aufgegeben
und uͤberhaupt das Beſtreben ſichtbar, den techniſchen Fort-
ſchritten der Zeitgenoſſen ſich anzupaſſen, ſo weit es ſeine
Kraͤfte geſtatteten. In einer Glorie wird die Madonna ge-
kroͤnt; ſ. Anton Abbas legt im Heraufblicken die Hand vor
die Augen, als wenn ihn der himmliſche Glanz verblende.
Im Gradino drey Runde, darin das Ecce homo, die Ma-
donna und Johannes.
[320]
Niccolò di Fuligno war demnach den beruͤhmteren Ma-
lern der umbriſchen Schule eben in jenem nur ihnen eigen-
thuͤmlichen Ausdrucke fleckenloſer Seelenreinheit, zum Hoͤchſten
aufſteigender Sehnſucht und gaͤnzlicher Hingebung in ſuͤß
ſchmerzliche und ſchwaͤrmeriſch zaͤrtliche Gefuͤhle um Jahrze-
hende vorangegangen, hatte bey einer langen Lebensdauer un-
ſtreitig durch Beyſpiel und Lehre auf einen großen Theil jener
Maler einwirken koͤnnen, welche man meiſt, obwohl nicht im-
mer mit ausreichenden Gruͤnden, der Schule des Peter von
Perugio unterordnet. Hingegen hatte der kuͤhlere Fiorenzo di
Lorenzo, welcher in Anſehung ſeiner hellen Faͤrbung, ſeiner
feinausgeſchaͤrften Mundwinkel und anderer Eigenthuͤmlichkei-
ten bey Benozzo gelernt haben moͤchte, von dieſem letzten die
ſchaͤrfere Bezeichnung des Einzelnen, und manche Vortheile der
maleriſchen Anordnung angenommen, welche dem Niccolò
fremd geblieben ſind. Aus einer gewiſſen Verſchmelzung der
Anregungen und Lehren, welche von dieſen Kuͤnſtlern ausgehen
mußten, werden nebſt anderen Zeitgenoſſen, ſowohl Peter von
Caſtello della Pieve, als Bernardino Pinturicchio ſich hervor-
gebildet haben; obwohl dieſe weitgereiſeten und lange unſtaͤt
umherſchweifenden Meiſter, in der Folge mit vielen anderen
Schulen in Beruͤhrung gekommen ſind, und ſich bemuͤht ha-
ben moͤgen, was ihnen jedesmal vortrefflich ſchien, nach Kraͤf-
ten ſich anzueignen.
Es iſt mir nicht gelungen, die Wirkſamkeit des Fiorenzo
weiter ruͤckwaͤrts zu verfolgen, als Mariotti, welcher ihn be-
reits im Jahre 1472. den hoͤchſten Magiſtrat ſeiner Stadt
bekleiden ſieht *). Nehmen wir an, daß Fiorenzo ſchon im
Jahre
[321] Jahre 1472. Decemvir (Mitglied der hoͤchſten Staatsbehoͤrde)
geweſen, ſo war er damals gewiß ſchon zu reifen Jahren ge-
langt, was allerdings mit dem alterthuͤmlichen Anſehn ſeiner
Tafeln uͤbereinſtimmt und durch einen Contract bey Mariotti,
den ich nicht ſelbſt geſehn, doch nach der Umſtaͤndlichkeit der
Angaben fuͤr aͤcht halten muß, uͤber allen Zweifel erhoben
wird. In dieſem verpflichtet ſich Fiorenzo di Lorenzo, in
demſelben Jahre 1472., gegen den Unterprior des Kloſters
ſta Maria nuova, der Kirche deſſelben ein Altarblatt mit der
Himmelfarth der Jungfrau und vielen Heiligen zu malen,
welches ſchon zu Mariotti’s Zeit nicht mehr vorhanden, doch,
als Criſpolti ſchrieb, wahrſcheinlich noch an ſeiner Stelle
war *). Alſo mußte Fiorenzo bereits innerhalb des vorange-
henden Jahrzehendes ſich ausgebildet haben, wenn es nicht
ſchon damals geſchehen iſt, als Benozzo, von welchem er ſo
Vieles angenommen hat, zu Montefalco malte. Nach ſpaͤteren
Angaben des Mariotti**), welche ich nicht habe vergleichen
*)
II. 21
[322] koͤnnen, ſoll Fiorenzo noch im Jahre 1521. gelebt haben.
Wenn Mariotti hier richtig geleſen haͤtte, wenn es ausge-
macht waͤre, daß in dieſer Urkunde wirklich von unſerem Fio-
renzo die Rede ſey, ſo muͤßte er ein ſehr hohes Alter erreicht
und ſeine Kuͤnſtlerlaufbahn lange vor ſeinem Ableben beſchloſ-
ſen haben.
Das meiſt beglaubigte Bild des Fiorenzo befindet ſich
gegenwaͤrtig in der Sacriſtey der Kirche ſ. Francesco zu Pe-
rugia. Dieſes ſchoͤne Gemaͤlde iſt wahrſcheinlich aus der
Kirche dahin verſetzt, und auf dieſe Veranlaſſung zertrennt und
umgeordnet worden. In dem Halbrunde des Gipfels bildete
der Kuͤnſtler in halben Figuren die Madonna mit dem Kinde
in einer Glorie von Cherubkoͤpfen und von zween anbetenden
Engeln umgeben. In der Naͤhe betrachtet, erinnert in die-
ſem Bilde die Modellirung der Cherubkoͤpfe entfernt an
Domenico Ghirlandajo; Anderes, die Lage der Finger, vor-
nehmlich das Antlitz der Madonna, an die Jugendwerke des
Perugino. Im Gradino, in drey kleinen Rundungen, vier
artige Halbfiguͤrchen, unter denen die Koͤpfe, beſonders jene
der beiden Biſchoͤfe ſehr anziehend und liebenswerth ſind.
Ich wage nicht uͤber den Urſprung der Thuͤren abzuſprechen,
auf welchen Engel mit den Leidenswerkzeugen, wie mir ſcheint,
von anderer Hand gemalt ſind. Hingegen befinden ſich in
derſelben Sacriſtey zwey frey haͤngende Bilder, welche, wie
ihre Groͤße und Manier ſchließen laͤßt, urſpruͤnglich unter jene
Madonna gehoͤrten, auf deren einem, nemlich auf dem Ge-
wande des Hl. Petrus, FLORENTIVS LAVRENT —
**)
[323] auf dem andern am Saume des Mantels des Hl. Paulus,
— II + P + PINSIT. M. CCCC. LXXXVII.
Die Malereyen unſeres Meiſters, von welchem Vaſari
keine Kunde erlangt zu haben ſcheint, gehoͤren zu den groͤßten
kunſtgeſchichtlichen Seltenheiten. Auch zu Perugia, wo er ge-
lebt, findet ſich von ſeiner Hand kein zweytes bezeichnetes
Bild; obwohl ich ein Thuͤrſtuͤck im oͤffentlichen Palaſte (uͤber
dem Eingang in das catasto nuovo), worin die Madonna
mit ſeegnendem Kinde, Cherubkoͤpfe und ſchoͤne Engel umher,
in Anſehung ſeiner vielſeitigſten Uebereinſtimmung mit dem
oben beſchriebenen Bilde ebenfalls fuͤr ſeine Arbeit halte, wo-
rin mir einige damals zu Perugia anweſende Kuͤnſtler, welche
ich vor Jahren zur Vergleichung aufforderte, einſtimmig bey-
fielen. Ob ein Gradino der oͤffentlichen Gallerie dieſer Stadt,
ob ferner die Malerey auf dem Altare der Sacriſtey der Bruͤ-
derſchaftskirche ſ. Bernardino von ſeiner Hand ſey, wage ich
nicht mit Zuverſicht auszuſprechen.
Indeß genuͤgt es vor der Hand, in jenen beiden Ma-
donnen gewiſſe Eigenthuͤmlichkeiten der Lage und Wendung der
Geſtalt, gewiſſe Feinheiten in der Auffaſſung der Formen ent-
deckt zu haben, welche in den fruͤheren Arbeiten des Perugino
wiederkehren, daher die Vermuthung anregen, es moͤge dieſer
Kuͤnſtler dem Fiorenzo einen Theil ſeiner Kunſtbildung zu ver-
danken haben. Daß er nach Florenz gekommen ſey, nicht um
die Kunſt von Grund aus zu erlernen, ſondern um ſich in
dieſem Mittelpuncte damaliger Kunſtbeſtrebungen zu vervoll-
kommnen, raͤumet ſelbſt Vaſari ein, welcher den Pietro die
Anfangsgruͤnde ſeiner Kunſt von einem geringfuͤgigen Meiſter
erlernen laͤßt, deſſen Namen er verſchweigt, wie ſeine Un-
kunde in Dingen dieſer Gegend erwarten ließ. Wenn indeß
21 *
[324] Neuere *) die Luͤcke durch den Benedetto Buonfiglio haben
ausfuͤllen wollen, ſo entgegne ich, daß Fiorenzo ebenfalls zur
Hand iſt und, bey gaͤnzlicher Abweſenheit urkundlicher Gruͤnde,
die Analogie fuͤr ſich hat. Vom Benedetto hat Pietro ſicher,
weder in der allgemeineren Richtung ſeines Sinnes, noch in
der Handhabung der Form und Farbe, wenn auch nur das
Geringſte angenommen. Hingegen folgte er dem Fiorenzo in
Vielem, in Anderem dem Niccolò di Fuligno, den Mariotti**),
nachdem er eine Weile von einer Meinung zur anderen hinuͤber-
geſchwankt, am Ende doch geneigt iſt, in Anſehung einer zu
Fuligno feſtgehaltenen Ueberlieferung, fuͤr den eigentlichen Leh-
rer des Pietro Perugino zu halten.
Auch unter den Malern, welche Vaſari aus der Schule
des Perugino ableitet, duͤrften einige vielmehr der Schule des
Niccolò Alunno angehoͤren, namentlich Andrea di Luigi detto
l’Ingegno und Bernardino Pinturicchio.
Vaſari erzaͤhlt: daß Ingegno bey Pietro Perugino ſeine
Kunſt erlernt, in deſſen Schule mit Raphael gewetteifert, ſei-
nem angeblichen Meiſter im Sitzungsſaale des Wechſelgerich-
tes zu Perugia geholfen und darin einige ſchoͤne Geſtalten ge-
malt habe, welche er uͤbrigens nicht umſtaͤndlich bezeichnet.
Obgleich es nun ſchwer ſeyn moͤchte, dieſe Figuren wieder
[325] aufzufinden, uͤber welche vielleicht nicht einmal Vaſari ſelbſt
genau berichtet war, ſo haben doch moderne Kenner fuͤr die
Sibyllen und Propheten entſchieden, weil ſie die ſchoͤnſten Ge-
ſtalten des ganzen Werkes ſind. Vaſari behauptet ferner, daß
Ingegno dem Perugino auch in deſſen Arbeiten zu Aſiſi bey-
geſtanden ſey; vielleicht bezeichnet er hier die Malereyen an
der Außenſeite der Kappelle des Hl. Franz, mitten in der
Kirche ſta Maria degli Angeli. Dann kommt er endlich auf
die ſixtiniſche Kappelle, wo er unſeren Kuͤnſtler ebenfalls hel-
fen laͤßt, und ſagt bald darauf: „die großen Hoffnungen,
welche Ingegno erweckt habe, ſeyen durch ſein ploͤtzliches Er-
blinden vereitelt worden. Papſt Sixtus — es kann hier nur
von Sixtus IV. die Rede ſeyn — habe ihm darauf zu Aſiſi
ein Jahrgehalt angewieſen, welches er bis in ſein ſechs und
achtzigſtes Jahr genoſſen.“
Sixtus IV. ſtarb im Jahre 1484. Raphael kam erſt
gegen 1500 in die Schule des Perugino, und das Wechſelge-
richt zu Perugia wurde im Jahre 1500 zu malen begonnen.
Demnach beging Vaſari einen groben Verſtoß gegen die Zeit-
rechnung, da Ingegno unmoͤglich zwanzig Jahre fruͤher erblin-
den konnte, als er gemalt und mit Raphael gewetteifert ha-
ben ſoll. Mariotti — lettere Perugine p. 161. f. — und
Orſini — guida di Perugia — halten daher fuͤr unmoͤglich,
daß Ingegno an den Malereyen im Cambio geholfen habe,
eben weil ſie in Beziehung auf ſein fruͤheres Erblinden dem
Vaſari glauben wollen. Allein ſie haͤtten viel eher auf die
Vermuthung gerathen koͤnnen, daß Vaſari von jenem Vorfalle
uͤberhaupt nicht genau unterrichtet geweſen ſey. In der erſten
Ausgabe des Vaſari — 1550. 8. — kommt noch kein Wort
vom Ingegno vor; er wird erſt in der zweyten vermehrten —
[326]Florenz. Giunti. 1568. 4. — erwaͤhnt, und es waͤre daher
nicht ganz unmoͤglich, daß in dieſer letztern: papa Sisto, ein
Schreib- oder Druckfehler waͤre fuͤr: Papa Giulio II.; denn
unter dieſem letzten hat Ingegno, wie wir ſehen werden, aller-
dings ein paͤpſtliches Amt erhalten. Doch mag Vaſari an
dieſer Stelle nach ſeiner gewoͤhnlichen Art durch bloße Anrei-
hung von Erinnerungen auf den Namen Sixtus verfallen ſeyn,
den ihm die voranerwaͤhnte, gegen die Ordnung der Zeit ſpaͤter
als das Cambio zu Perugia angefuͤhrte ſixtiniſche Kappelle ge-
rade ins Gedaͤchtniß rufen mußte.
Von dieſer Frage abgeſehn, iſt es an ſich ſelbſt voͤllig
erweislich, daß Andreas, wenn uͤberhaupt, wenigſtens doch
nicht ſo fruͤhe erblindet war. Denn der Ritter Frondini zu
Aſiſi, ein fleißiger und redlicher Sammler vaterlaͤndiſcher Al-
terthuͤmer, bewahrt ein Buch, welches ich ſelbſt eingeſehn
habe, worin Andreas fuͤr ſeinen Bruder, welcher Canonicus
des Domes von Aſiſi geweſen, in verſchiedenen Jahren ge-
wiſſe Hebungen quittiret. Er ſchreibt ſich dort: Ingegnio di
Maestro Alivisse, auch: Allovisii, Allevisi, und Aloisi.
Die letzte Quittung lautet: Ingegno di maestro Allovisi,
die mercurii, quinta decembris 1509. Wenn er dieſe
ganz feſt und von derſelben Hand geſchriebenen Quittungen
durch Andere haͤtte ſchreiben laſſen, ſo wuͤrde Solches nach
dem Rechtsgebrauche aller Zeiten doch ausdruͤcklich bemerkt
und bezeugt worden ſeyn.
Aber es ſcheint auch, daß der Beyname: Ingegno, wenn
er uͤberhaupt, was in Italien nicht immer der Fall iſt, eine
aͤußere Veranlaſſung hatte, nicht bloß von ſeinem Talente fuͤr
die Malerey, vielmehr von einer vielſeitigen Faͤhigkeit des
Geiſtes abzuleiten waͤre, die Andreas ſpaͤterhin auch in der
[327] Behandlung buͤrgerlicher Geſchaͤfte darlegte. Frondini theilte
mir mehrere urkundliche Nachrichten mit, in denen unſer In-
gegno als Procurator *), Schiedsrichter **), Gehuͤlfe der
Obrigkeit ***), und endlich gar als paͤpſtlicher Caſſierer †)
erſcheint; Geſchaͤfte, die, naͤchſt dem Gebrauche des Geſichtes,
auch praktiſchen Verſtand erfordern. Die gedachte Ernennung
zum Einnehmer der allgemeinen Landesregierung moͤchte obi-
ger, den Umſtaͤnden nach irrigen Angabe des Vaſari zum
Grunde liegen. Andreas ſcheint dieſe Staatsbedienung nicht
vor dem Jahre 1511 angetreten zu haben, weil er im voran-
gehenden Jahre ein anderes ſtaͤdtiſches Amt bekleidet hatte.
Auf jeden Fall verwechſelt Vaſari hier ein Amt mit einem
Ruhegehalte, und wie ſchon oben bemerkt worden, Julius II.
mit Sixtus IV. Nun haͤtte Ingegno auch wegen bloßer Schwach-
ſichtigkeit die Malerey vernachlaͤſſigt haben koͤnnen, was doch
wohl geſchehen ſeyn mag, weil wir ſonſt von ſeiner kuͤnſtleriſchen
Wirkſamkeit eine beſtimmtere Kenntniß haben wuͤrden. Allein
es liegt wohl eben ſo nahe, anzunehmen, daß ſein Geſchaͤfts-
geiſt, von dem wir ſichere Nachrichten beſitzen, ihn von der
Kunſt abgezogen habe, als ſeine Blindheit oder Bloͤdſichtigkeit,
[328] uͤber welche Vaſari ſelbſt offenbar keine umſtaͤndliche Gewißheit
erlangt hatte.
Ich habe mich nie lange genug in dem merkwuͤrdigen
Aſiſi aufgehalten, um die dortigen Archive in Beziehung auf
die Malereyen des Ingegno aufmerkſam durchgehen zu koͤn-
nen. Frondini konnte mir nur von einer einzigen unbedeuten-
den Arbeit des Ingegno Nachricht ertheilen, von einigen am
Rathhauſe im Jahr 1484 gemalten *) Wappen. Es geht je-
doch aus dieſer Nachricht hervor, daß Ingegno im Jahr
1484 ſchon Maler und Meiſter war, und hieraus wird wie-
derum wahrſcheinlich, daß er nicht, wie Vaſari will, des
Perugino, ſondern viel eher des Niccolò Alunno Schuͤ-
ler geweſen ſey. Dieſer hatte ſchon um 1460 in dem be-
nachbarten Fuligno eine feſte Werkſtaͤtte angelegt, waͤhrend
Peter bis nach 1490, bald in Florenz, bald in Rom Beſchaͤf-
tigung fand, und erſt gegen Ende des Jahrhunderts zu Pe-
rugia ſeine Schule gruͤndete. Demungeachtet konnte Meiſter
Andreas, wie damals geſchah, dem Perugino in verdungenen
Arbeiten geholfen und bey gemeinſchaftlichem Wirken Manches
von deſſen Art ſich angeeignet haben.
Indeß fehlt es durchaus an hinreichend beglaubigten
Proben ſeines Talentes; ein einziges fruͤher, im Kunſtblatte
1821. N. 73., von mir angezeigtes Gemaͤlde, damals im
Beſitze des Kupferſtechers und Kunſthaͤndlers Johann Metzger
zu Florenz, trug die Anfangsbuchſtaben A. A. P., welche ich
gedeutet: Andreas Aloysii pinxit, indem ich zugleich auf die
[329] Abweichungen hingewieſen, welche dieſen Maler vom Perugino
unterſcheiden werden. Dieſe (kraͤftige Schatten, braͤunlicher
Hauptton, groͤßere Fuͤlle und Derbheit der Form, als bey
den umbriſchen Malern gewoͤhnlich iſt) glaubte ich in der
Madonna unter dem Bogen eines Seitenthores zu Aſiſi ober-
halb ſ. Franz (porta S. Giacomo) wieder aufzufinden, wie
ſelbſt an zween anderen, das eine in via superba unweit ſ.
Franz, an einem Privathauſe; das andere in einer engen
Gaſſe der oberen Stadt. Indeß iſt es bedenklich, hierin
moͤglichen ſpaͤteren Entdeckungen vorzugreifen, weßhalb ich
jene Vermuthungen jederzeit nur mit Zuruͤckhaltung ausge-
ſprochen habe.
Andere Schriftſteller haben mit jener unbegreiflichen Keck-
heit, welche den Bearbeitungen neuerer Kunſtgeſchichten anzu-
haͤngen pflegt, von dieſem bis jetzt unbekannten, vielleicht
ſelbſt unbedeutenden Meiſter, gleich wie von einem alten Be-
kannten geredet, und Werke ohne alle urkundliche Gruͤnde als
die ſeinigen bezeichnet, welche nach ihrem Zeitcharakter weder
dem Andrea, noch uͤberhaupt einem Maler angehoͤren koͤnnen,
welcher ſchon 1484. ein anſaͤſſiger Meiſter war.
Wenn es dem Vaſari zu verzeihen iſt, daß er mit jener
ihm eigenthuͤmlichen Nichtbeachtung der Zeitfolge erzaͤhlt: daß
Andrea Luigi von Aſiſi der beſte Schuͤler des Perugino gewe-
ſen, welcher in ſeiner erſten Jugend mit Raphael ge-
wetteifert und ſeinem Meiſter (etwa fuͤnfundzwanzig
Jahre fruͤher) bey deſſen Arbeiten in der ſixtiniſchen Kap-
pelle geholfen habe, und (wiederum 25. Jahr ſpaͤter) bey de-
nen im Cambio zu Perugia, und doch wiederum ſo viel fruͤ-
her erblindet ſey; ſo haͤtten doch ſo grobe Unvereinbarkeiten
ſpaͤteren Forſchern die Augen oͤffnen und ihnen zeigen ſollen,
[330] daß jene, dem Vaſari erſt ſpaͤt, nach ſeiner erſten Ausgabe,
zugefloſſene Kunde nur hoͤchſt unbeſtimmt und verworren war.
Vornehmlich haͤtten ſie davon abſtehn muͤſſen, dieſem Maler,
deſſen Werke ſelbſt der bereitwillige Vaſari mit Stillſchweigen
uͤbergeht, willkuͤhrlich Arbeiten unterzuſchieben, welche er ſicher
nie beruͤhrt hat. Es mag eine Schwaͤche ſeyn, doch kann ich
nie ohne inneren Verdruß die Stelle anſehn, wo Lanzi, dem
kein einziges ſicheres Werk des Ingegno bekannt war, in
ſeiner bequemen Manier erzaͤhlt: „man darf ihn als den er-
ſten bezeichnen, welcher in jener Schule die Manier vergroͤ-
ßert und das Colorit verlieblicht hat, wie einige (?) ſei-
ner Werke darlegen, beſonders die Sibyllen und Propheten,
welche er zu Aſiſia fresco gemalt; wenn ſie (ſetzt er hinzu)
von ſeiner Hand ſind, wie man glaubt.“ Dieſe Sibyllen
ſind mit der uͤbrigen Kappelle von einem Zeitgenoſſen des
Vaſari, dem Adone Doni gemalt, welcher noch um 1580. im
Geſchmacke der ſpaͤteren Nachfolger des Buonaruota arbeitete.
Contract und Zahlungen ſind noch vorhanden; ſo daß ich
nicht begreife, wie man ſelbſt in Aſiſi noch immer an jener
unbegruͤndeten und widerſtrebenden Meinung haften koͤnne. —
Fiorillo endlich hat, die Verwirrung zu vollenden, dieſe Si-
byllen mit jenen aͤlteren im Cambio zu Perugia verwechſelt
und dieſes letzte nach Aſiſi verlegt, wo keine ſolche Anſtalt
vorhanden iſt.
Nach dieſer unverhaͤltnißmaͤßig langen, doch unumgaͤng-
lichen Abſchweifung, wenden wir uns zum Pinturicchio zuruͤck,
welcher, eben weil ſein Leben, ſeine Wirkſamkeit, wie deren
Richtung umſtaͤndlich bekannt ſind, uns weniger aufhalten wird.
Dieſer Kuͤnſtler iſt ſeit Vaſari nicht ſelten mit Ungerech-
tigkeit behandelt worden, was darin ſeinen Grund zu haben
[331] ſcheint, daß man die Leiſtungen ſeines fruͤheren und friſcheren
Lebens nicht genug von den ſpaͤteren unterſchieden hat, in de-
nen leere Fertigkeit und einſeitiges Abſehn auf Gewinn vor-
waltet; in welchen vielleicht eben das Schlechtere von hand-
werksmaͤßigen Gehuͤlfen beſchafft ſeyn mag. Seine fruͤheſten
Arbeiten ſind mir unbekannt; hingegen ſah ich ein Werk ſei-
ner mittleren Jahre, das Gemaͤlde, welches zu Perugia im
Jahre 1819. noch den Hauptaltar der Kirche ſ. Anna
ſchmuͤckte, ſeitdem aber in die Sammlung der Akademie ge-
langt iſt. Dieſe Tafel enthaͤlt nach Art des Niccolò di Fu-
ligno, naͤchſt dem Hauptbilde, der Madonna auf dem Throne,
zu den Seiten ſ. Auguſtin und Hieronymus, eine in zwey
Bilder vertheilte Verkuͤndigung, in dem Giebel ein Ecce
homo, in den Poſtamenten der abtheilenden Pilaſter vier
kleine koͤſtliche Halbfiguren, und ward dem Pinturicchio
im Jahre 1495. den 14. Februar mit umſtaͤndlicher Angabe
der oben verzeichneten Theile verdungen. Bis auf die Altar-
ſtaffel, deren Heilige ebenfalls aufgegeben worden, enthielt
das Bild, als ich daſſelbe unterſuchte, alle in jener Verſtif-
tungsurkunde vorausbeſtimmte Abtheilungen.
In keinem Bilde der umbriſchen Schulen, nicht einmal
in den beſten und friſcheſten Arbeiten des Pietro, fand ich
das eigenthuͤmlich tiefe und reine Gefuͤhl des Niccolò ſo
gluͤcklich mit beſſerer Formenkenntniß und ſchoͤnerer Manier
verſchmolzen, als in den einzelnen Stuͤcken dieſer mehrfaͤltig
zuſammengeſetzten Tafel. Der Kopf der Madonna iſt unge-
achtet der Aufmalung einer ſpaͤteren Hand noch immer ſchoͤn,
das Chriſtuskind lieblich; die Hll. zu den Seiten lobenswerth,
die Landſchaft im Hintergrunde trefflich. In der Verkuͤndi-
gung uͤbertrifft die Madonna ſowohl den Engel, als ihr
[332] Ebenbild im Mittelſtuͤcke; der Kuͤnſtler laͤßt ſie von einem
geheimen Schauer uͤberraſchen, welcher meiſterlich ausgedruͤckt
iſt. Die Engel in der Pietà des Gipfels ſind ſo ausdrucks-
voll, daß ſie unwillkuͤhrlich an jene gegenwaͤrtig verlorenen
des Niccolò erinnern, deren ſchmerzlichen Ausdruck Vaſari
fuͤr unuͤbertrefflich hielt. Die Ausfuͤhrung iſt beendigt, doch
ohne Haͤrte und Trockenheit; der Hauptton, dem die Zeit
moͤchte nachgeholfen haben, faͤllt in das Braͤunliche *).
Um ſo weit zu kommen, mußte Bernardino ſchon eine
laͤngere Zeit gearbeitet haben, ob in Geſellſchaft des Perugino,
oder fuͤr eigene Rechnung, iſt nicht wohl zu entſcheiden, ſo
lange das erſte bloß auf einer Angabe des Vaſari beruhet,
fuͤr das andere aber keine Beyſpiele bekannt ſind. Vielleicht
arbeitete er in ſeiner Jugend fuͤr die kleineren Ortſchaften des
Landes, wo noch ſo Vieles zu entdecken iſt; vielleicht traf
ſeine fruͤheren Arbeiten eben jenes Mißgeſchick, welches die
Leiſtungen des Fiorenzo bis auf wenige Proben ſeines Talen-
tes vernichtet hat. Gewiß kenne ich unter den zahlreichen
Werken des Pinturicchio nur ein Einziges, ſeiner aͤußeren
Verſchiedenheit ungeachtet, dem Werthe jenes Bildes der Aka-
demie zu Perugia ſich annaͤherndes: die Mauergemaͤlde der
Kappelle des Hl. Bernhardin in der Kirche ara coeli zu
Rom, am kapitoliniſchen Huͤgel. Vielleicht trifft dieſe Arbeit
der Vorwurf einer ungleichen, bald uͤberfuͤllten, bald zu lufti-
gen Austheilung des Raumes. Die Charakterkoͤpfe ſind in-
[333] deß voll Leben, die jugendlichen anziehend, durch eben jenen
ſehnſuchtsvoll-ſchwaͤrmeriſchen Ausdruck, welcher die umbriſchen
Gemaͤlde dieſer Zeit von denen anderer Schulen unterſcheidet.
Aber auch die Halbkuppel der Kirche ſta Croce in Geruſa-
lemme zu Rom, welche der Abbate Titi dem Pinturicchio bey-
gelegt hat, duͤrfte zu deſſen fruͤheren Arbeiten gehoͤren, viel-
mehr zu ſeinen fruͤheren Unternehmungen, denn, wie es ſcheint,
reichte ihm ein derberes Talent, vielleicht Luca Signorelli, bey
dieſer Arbeit die Hand.
Dieſer treffliche Kuͤnſtler, deſſen Arbeiten allgemein be-
kannt *) und geſchaͤtzt ſind, welcher daher keiner umſtaͤndlichen
Beleuchtung zu beduͤrfen ſcheint, erwarb hoͤchſt wahrſcheinlich
in dem, ſeiner Vaterſtadt Cortona benachbarten Perugia die
noͤthigſte Anweiſung. In ſeiner Behandlung der Malerey a
tempera, wie vornehmlich in ſeiner Formengebung, blieb er
langezeit den Peruginern, beſonders dem Fiorenzo di Lorenzo,
ſo aͤhnlich, daß ich nicht bezweifle, daß er dem letzten ſeine
Jugendbildung verdanke. Um ſo naͤher liegt die Vermuthung,
daß er in ſta Croce zu Rom dem Pinturicchio geholfen habe.
Zur mittleren Lebensſtufe dieſes Kuͤnſtlers gehoͤren denn
auch deſſen Arbeiten in einigen Kappellen der Kirche ſta Ma-
[295[334]] ria del Popolo zu Rom; hingegen gehen die Verzierungen der
Sala Borgia den Malereyen der Libreria des ſieneſiſchen Do-
mes unmittelbar voran. In beiden zeigte ſich Bernardino als
ein gewandter Unternehmer verdungener Arbeiten, welcher alle
Umſtaͤnde, z. B. die groͤßere Erfindungsgabe des jungen Ra-
phael, fuͤr ſich zu benutzen wußte *). Indeß werden wir,
[290[335]] weder, mit Einigen, das ſchoͤne Talent des Pinturicchio nach
ſolchen Lohnarbeiten abmeſſen und verdammen, noch, mit An-
deren, ſolche fabrikartig beſchaffte Verzierungen fuͤr Geiſt und
Gemuͤth-volle Dinge erklaͤren wollen. Denn, was Pinturic-
chio als Kuͤnſtler beſtrebt und vermocht, liegt nur in ſeinen
friſcheren Werken zu Tage; aus jenen ſpaͤteren aber erhellet
nur etwa ſo viel, daß auch das ſchoͤnſte Talent dem Erwerbs-
und Handelsgeiſte unterliegen koͤnne, welcher uͤbrigens, als
untergeordnetes Element der buͤrgerlichen und haͤuslichen Be-
gruͤndung des Kuͤnſtlerlebens freylich ganz unentbehrlich iſt. —
Daß Pinturicchio in dieſer Richtung unwiderbringlich unterge-
gangen war, bewaͤhrt eine ſeiner ſpaͤteſten Arbeiten, das Altar-
gemaͤlde in einer Kappelle der Kirche ſ. Andrea zu Spello, ei-
nem Landſtaͤdtchen an der Straße von Fuligno nach Spoleti,
auf welchem der Maler einen Brief d. d. XXIIII. April.
MCCCCC. VIII., angebracht, ich denke zur Bezeichnung des
Jahres, in welchem er dieſe Arbeit beendigte. Im Dome
deſſelben Staͤdtchens malte er eine Kappelle in welcher ſein
Bildniß und darunter in beſonderen Abtheilungen: Bernardi-
nus Pictoricius Perusinus; M° CCCCC°I°.Lanzi haͤlt
dieſe Wandgemaͤlde, welche Pinelli in Umriſſen ausgegeben
*)
[336] hat, fuͤr die beſten Arbeiten unſeres Malers. Gewiß ſind ſie
nicht eben die ſchlechteſten. Ein lachender, baͤuriſch derber Hirt
in der Geburt des Heilands, das Bildniß des Kuͤnſtlers, ſo
wie einiges Andere aus der Gegenwart gegriffene, iſt wirklich
trefflich. Uebrigens verraͤth ſich ſchon hier, obwohl noch nicht
in dem Maße, als in jenem Altargemaͤlde der Minoriten zu
ſ. Andrea, fortſchreitende Abnahme des Antheils an der Idee
ſeiner Aufgaben; Unvermoͤgen, die Umriſſe der großgehaltenen
Figuren ganz auszufuͤllen.
Ich uͤbergehe hier den Piero della Francesca, den Einige
unter die Lehrer des Perugino verſetzen, obwohl Keiner der
italieniſchen Geſchichtſchreiber und Topographen recht eigentlich
anzugeben weiß, welche Richtung dieſer Kuͤnſtler verfolgt, in
welcher Manier er gemalt habe *); um zu dem Kuͤnſtler zu-
ruͤckzukehren, deſſen Ableitung ſo viele Abſchweifungen und
Vorbereitungen unumgaͤnglich machte.
Pietro di Chriſtofano, nach ſeinem Geburtsorte, Caſtello
della Pieve, ſpaͤterhin von Perugia genannt, wo er gegen das
Jahr 1500 ſich niedergelaſſen, den man daher gemeinhin den
Pietro
[337]Pietro Perugino nennt, erlangte und bewaͤhrte ſeinen Ruhm
hauptſaͤchlich durch ſeine Einwirkung auf die Entwickelung des
fleckenloſeſten Malers neuerer Zeiten, des Raphael von Ur-
bino. Hingegen iſt ſein perſoͤnliches Verdienſt ſelten zu Ge-
nuͤge gewuͤrdigt worden, was er durch eine Fluth mittelmaͤßi-
ger und ſchlechter Werke unlaͤugbar vielfach verſchuldet hat.
Um zu wuͤrdigen, was er als Kuͤnſtler geleiſtet, muß man die
Gewerbsarbeiten, welche er in ſpaͤteren Jahren mit Huͤlfe zahl-
loſer, theils ſehr mittelmaͤßiger Geſellen beſchaffte, von den
kuͤnſtleriſchen Hervorbringungen ſeiner fruͤheren und mittleren
Jahre unterſcheiden, welche in gewiſſer Beziehung zu den
ſchoͤnſten und beſten Leiſtungen ihrer Zeit gehoͤren.
Die fruͤheſten Umſtaͤnde ſeines Lebens und Proben ſeines
Talentes ſind nicht mit genuͤgender Sicherheit anzugeben.
Vaſari laͤßt ihn, von einem ungenannten peruginiſchen Meiſter
nothduͤrftig unterrichtet, nach Florenz gehn und dem Andrea
del Verocchio ſich anſchließen. Unſtreitig verdankte er ſeinen naͤ-
heren Vorgaͤngern, Fiorenzo und Niccolò Alunno, einen wich-
tigen Theil ſeiner Bildung. Ob er nun auch beym Verocchio
als Schuͤler, oder Geſelle eingetreten, iſt bis dahin unerwie-
ſen, wird ſogar aus dem Grunde beſtritten, daß er nirgend,
wie Lorenzo di Credi, oder Lionardo, an die Manieren und
Abſichten des Verocchio erinnere. Doch eben weil Vaſari
hier keinen Vermuthungen zu folgen ſcheint und etwas an ſich
ſelbſt ganz Unwahrſcheinliches behauptet, duͤrfte er hier irgend
einer unbeſtimmten Kuͤnſtlerſage gefolgt ſeyn. Ueberhaupt ver-
miſcht Vaſari die Begriffe Geſelle, Schuͤler, ſich hingebender
Freund eines aͤlteren Kuͤnſtlers; und vornehmlich in den letz-
ten Beziehungen mochte Perugino, der ſicher als fahrender Ge-
ſelle fruͤhe nach Florenz gekommen war, dem Verocchio ſich
II. 22
[338] angenaͤhert haben. Dieſer forſchende, tiefer, als ſeine mei-
ſten Zeitgenoſſen, in die wiſſenſchaftlichen Grundlagen der Kunſt
eindringende Meiſter, eignete ſich offenbar ſowohl zum Rath-
geber, als zum Lehrer; er hatte das maͤßige Talent des Lo-
renzo di Credi ſo weit, als moͤglich, ausgebildet, und den
Genius des Lionardo da Vinci ſo gluͤcklich geleitet, als wir
wiſſen.
Zu Florenz ſah ich, ſowohl bey den Nonnen zu ſ. Ja-
copo di Ripoli, als auch im Kunſthandel, z. B. bey Hrn.
J. Metzger, kleine, wie zur haͤuslichen Andacht eingerichtete
Bilder, Madonnen auf einem Throne mit verſchiedenen Hei-
ligen umher, auch Halbbilder der Madonna, welche in einer
hellfaͤrbigen, aber feſten Manier a tempera gemalt und, ob-
wohl von etwas aͤlterem Anſehn, doch unſerem Perugino ſo
nahe verwandt ſind, daß wir ſolche entweder fuͤr ſeine Vor-
bilder oder fuͤr ſeine Jugendarbeiten erklaͤren muͤſſen. Nach-
dem ich lange vergebens dem Meiſter dieſer einſam ſtehenden
kleinen Gemaͤlde nachgeſpuͤrt, habe ich mich endlich fuͤr das
Letzte entſchieden, was denn allerdings auch an ſich ſelbſt das
wahrſcheinlichſte iſt, da Pietro, wie ich oben gezeigt habe,
ſeine Richtung, alſo auch eine gewiſſe techniſche Bildung aus
der Heimath nach Florenz mitgebracht hatte, deren aͤußeres
Anſehn, wie es in jenen kleinen Bildern eintritt, nicht floren-
tiniſch, ſondern nur umbriſch ſeyn konnte. Da nun Perugino
im Jahre 1475. bereits in florentiniſcher Manier malte und
damals ſicher ſchon Meiſter war *), oder auf eigene Rech-
[339] nung arbeitete, ſo werden jene kleinen Bilder um das Jahr
1470. oder fruͤher entſtanden ſeyn. Schwieriger indeß iſt die
Beſtimmung der Folge in den Arbeiten unſeres Meiſters von
dieſem J. 1475. bis zum J. 1495., der Zeit ſeiner beſten
Leiſtungen.
Waͤhrend der oben begrenzten zwanzig Jahre ſeines beſten
und friſcheſten Lebens befolgte Pietro, wenn auch daſſelbe Wol-
len, doch nicht ſo durchhin dieſelbe Manier. In einem Theile
ſeiner damals beendigten Werke ließ er das Studium vorwal-
ten; in einem anderen, wie man ſagt, die Idee; es fragt ſich
nun, ob unter den Malereyen dieſer Epoche des Kuͤnſtlers die-
jenigen, in denen das Studium vorwaltet, die aͤlteren, oder
die neueren ſind.
Zu Perugia gilt die Anbetung der Koͤnige, welche aus
Paris dahin zuruͤckgekehrt und gegenwaͤrtig in einer wuͤſten
Kappelle des Kloſters ſta Maria nuova aufgeſtellt iſt, fuͤr
eines der aͤlteren Werke des Pietro. Dieſes Bild hat keine
andere Beglaubigung, als das Bildniß des Kuͤnſtlers ſelbſt
zur Linken unter dem Gefolge der Koͤnige, weßhalb Solche,
welche den Perugino eben nur nach ſeinen ſpaͤteren Arbeiten
aufgefaßt haben, hier keine Spur ſeiner Hand erkennen wol-
len. Doch iſt es ausgemacht, daß Perugino in ſeinen fruͤhe-
ren Jahren und waͤhrend ſeines langen und wiederholten
Aufenthaltes zu Florenz, dem damaligen Sitze des Naturalis-
mus, ſich abwechſelnd, oder auch in einem beſtimmten Ab-
ſchnitte dieſer Epoche der Nachahmung des ſinnlich Vorliegen-
*)
22 *
[340] den unbedingt hingegeben hat. Wenn daher dieſes Bild, in
welchem, ungeachtet der groͤßeren Strenge in der Begruͤndung
und Ausbildung des Einzelnen, das Abſehn und die Richtung
des Perugino voͤllig zu Tage liegt, ſehr wohl ſeine Arbeit
ſeyn kann und ſicher nicht, wie Einige wahrnehmen wollen,
florentiniſch iſt: ſo wird uns das Bildniß des Malers dienen
koͤnnen, die Zeit, da er ſich dem ſinnlich Vorliegenden ſo ent-
ſchloſſen hingegeben, naͤher zu beſtimmen. Dieſes Bildniß iſt
nun allerdings viel jugendlicher, als jenes andere im Cambio,
welches einen wohlbeleibten Mann von etwa funfzig Jahren
darſtellt; doch nicht ſo ſchlank und friſch, daß man ihm nicht
ſchon die Reife des Mannes anſaͤhe. Ward nun Perugino
im Jahre 1446. geboren, wie man behauptet; ſo duͤrfte die-
ſes Bild um 1475. gemalt ſeyn, im welchem Jahre der Kuͤnſt-
ler ſchon in maͤnnlichem Alter und, wie wir oben geſehn, in
Perugia anweſend war, wo er von den hoͤchſten Staatsbehoͤr-
den ehrenvoll beſchaͤftigt ward.
Hierin beſtaͤrkt mich die Uebereinſtimmung dieſes Werkes
mit den Mauergemaͤlden des Perugino in jener Kappelle des
Vaticaniſchen Palaſtes, welche Sixtus um das Jahr 1480.
erbauen und ausmalen laſſen. Ein Theil derſelben, die Him-
melfahrt der Madonna, die Geburt und Verklaͤrung Chriſti
ſind nicht mehr vorhanden, da man ſie, dem juͤngſten Ge-
richte des Buonarota Raum zu geben, unter Paul III. abge-
worfen hat. Hingegen haben andere ſich erhalten, deren ei-
nes, zur Linken des juͤngſten Gerichtes, welches Ereigniſſe der
Kindheit des Moſes darſtellt, in ſeiner Ausfuͤhrung, wie in
den Charakteren, lebhaft an jenes Bild im Kloſter ſta Maria
nuova zu Perugia erinnert. Auch in dem gegenuͤberſtehenden,
der Taufe Chriſti, gemahnen die zahlreichen Bildnißfiguren an
[341] das Gefolge der Koͤnige in mehrgedachtem Altarbilde, indem
ſie uns zugleich auf die Zeit hinfuͤhren, in welcher Perugino
der Beobachtung und Nachbildung natuͤrlicher Erſcheinungen
ſich freudig hingegeben. Hingegen verraͤth ſein beſterhaltenes
Gemaͤlde dieſer Kappelle, die Verleihung der Himmelsſchluͤſſel,
daß er ſchon waͤhrend dieſer Arbeit ſeinen Standpunct veraͤn-
dert habe und, bey laͤſſigerem Naturſtudium, zu einer ſtren-
geren Auffaſſung der Idee ſeiner Kunſtaufgaben, doch leider
auch zu einer gewiſſen Hingebung in zunehmende Fertigkeit
uͤbergegangen ſey; wenn dieſer Vorwurf nicht vielmehr den
Bartolommeo della Gatta trifft, einen mir unbekannten Ma-
ler, welcher, wenn Vaſari nicht irrte, dem Perugino bey Aus-
fuͤhrung dieſes Gemaͤldes Huͤlfe geleiſtet hat.
Wie dem auch ſeyn moͤge, ſo lehrt doch ein anderes, mit
Namen und Jahr bezeichnetes Gemaͤlde, welches gegenwaͤrtig
zu Rom im Palaſt Albani gezeigt wird, daß Perugino ſchon
um das Jahr 1480. alſo im Verlaufe jener groͤßeren Arbeit,
angefangen habe, allmaͤhlich vom Naturalismus der Floren-
tiner abzuweichen. Das Hauptfeld dieſes Bildes zeigt das
Chriſtuskind auf dem Boden liegend, vor welchem die Ma-
donna und einige Engel knieen; im Grunde die Erzengel, ſ.
Johannes Bapt. und den Hl. Hieronymus. Auf den vier
Pfeilern dieſes Stuͤckes vertheilt, die Aufſchrift: PETRVS
DE PERVSIA — PINXIT — M. CCCC. VIII. PRIMO.;
lies octuagesimo primo. Oben, nach Art des Niccolò di
Fuligno, ein Halbrund mit dem Kreuze, zu deſſen Fuͤßen
Maria Magdalena, zu den Seiten Maria und ſ. Johannes
der Evangeliſt. Wahrſcheinlich waren andere Nebentheile vor-
handen, welche ſich verloren haben.
[342]
In dieſem Bilde, welches, obwohl verwaſchen, doch noch
immer durch Anmuth der Stellungen, Feinheit der Geſichts-
bildungen und Reinheit des Ausdruckes anzieht, beſitzen wir
eine ſchaͤtzbare Urkunde ſeiner Kuͤnſtlergeſchichte, auf welche
um ſo mehr Gewicht zu legen, als Pietro in ſeinen fruͤheren
Werken haͤufig verſaͤumt hat, das Jahr der Beendigung an-
zugeben. Erwaͤgen wir, daß in dieſem Werke keine einzige
Bildnißfigur vorkommt, daß die Abſicht, ſeine Aufgabe ihrer
Idee und dem Herkommen gemaͤß darzuſtellen darin vorherrſcht,
ſo werden wir annehmen muͤſſen, daß er ſchon um das Jahr
1481. zu der Richtung ſeiner Landesgenoſſen ſich zuruͤckgewen-
det und die Manier damaliger Florentiner aufgegeben habe.
Hieraus wuͤrden wir weiter ſchließen muͤſſen, daß ſeine a
fresco Malereyen in einem ſchon zu Vaſari’s Zeit abgetra-
genen Kloſter vor dem Thore a Pinti zu Florenz, in denen
ebenfalls viele Bildniſſe vorgekommen *), auch jene noch im-
mer vorhandenen drey Altartafeln derſelben Kirche, bereits be-
endigt waren, als Pietro nach Rom ging, um mit anderen
Zeitgenoſſen die ſixtiniſche Kappelle auszuzieren. Eine der be-
zeichneten Altartafeln, das Kreuz von verſchiedenen Heiligen
umgeben, iſt noch im gutem Stande in der Kirche ſ. Giovan-
[343] nino, detto la calza, am roͤmiſchen Thore, vorhanden, deſ-
ſen Gegenſtand Vaſari richtig angegeben, deſſen kraͤftige und
derbe Charakteriſtik an Luca Signorelli erinnert. Ein anderes,
der Leichnam Chriſti, Maria, Johannes und Maria Magda-
lena, befindet ſich ſeit einem Jahrhundert in der reichen Ge-
maͤldeſammlung des Palaſt Pitti zu Florenz und hat, wenn
ich nicht irre, die Reiſe nach Paris und zuruͤck gemacht; iſt
jedoch in ſo ſchlechtem Stande, daß es nicht mehr in Be-
tracht kommt. Das dritte beſitzt gegenwaͤrtig die florentiniſche
Kunſtſchule.
Das herrlichſte Werk ſeiner Hand, ein Mauergemaͤlde im
Kapitelſaale des Kloſters ſta Maria Maddelena de’ Pazzi zu
Florenz, welches, als Vaſari ſchrieb, noch den Ciſterzienſern
gehoͤrte, duͤrfte demnach ſpaͤter, als die ſixtiniſche Kappelle ge-
malt ſeyn, und der Zeit angehoͤren, da Pietro die Naturform,
deren Studium ihn in einem fruͤheren Abſchnitte ſeines Lebens
gaͤnzlich hingeriſſen hatte, ſchon hinreichend bemeiſterte, um ſie
mit Freyheit ſeinen Aufgaben anzupaſſen. Die, nicht eben
zahlreich vorhandenen Werke dieſer Kunſtſtufe des Meiſters
vereinigen ſtrenges Studium mit einer, eben damals ganz un-
gewoͤhnlichen Klarheit der Anſchauung ſeines ideellen Gegen-
ſtandes. Wenn ſchon ſeine fruͤheſten Arbeiten die vorherr-
ſchende Stimmung ſeines Gemuͤthes und Richtung ſeines
Geiſtes darlegen, in den nachfolgenden das Studium vorzu-
walten ſcheint, ſo wird derjenige Abſchnitt ſeines Kuͤnſtlerle-
bens, in welchem er zu ſeinen urſpruͤnglichen Beſtrebungen
zuruͤckkehrend, dieſe mit einer Kraft und Klarheit der Dar-
ſtellung hindurchfuͤhrte, welche er vorangehenden Studien ver-
dankte, nothwendig die groͤßte undſchoͤnſte Epoche des Kuͤnſt-
lers ſeyn. Was er in dieſer beſtrebt, vorbereitet und geleiſtet,
[344] mußte auf jeden nicht gaͤnzlich im Handwerksmaͤßigen verſun-
kenen Kuͤnſtler einwirken, alſo auch den Lionardo anregen, wie
ich oben angedeutet habe.
Jenes Wandgemaͤlde des Kapitelſaales der Ciſterzienſer,
jetzt der Schmerzenkappelle der Nonnen zur Hl. Maria Mag-
dalena de’ Pazzi, war im Jahre 1818, als ich daſſelbe mit
Verguͤnſtigung des Erzbiſchofs beſichtigte, noch immer in gu-
tem Stande; die Nachhuͤlfen auf der trockenen Mauer, welche
beſonders die Landſchaft betroffen haben, ſind keinesweges, wie
es fluͤchtigen Beobachtern erſcheinen koͤnnte, von einer fremden
Hand, ſondern vom Meiſter ſelbſt aufgetragen. Die wenigen
Figuren, welche die Aufgabe erheiſchte, ſind im Gegenſatze zu
den damals zu Florenz uͤblichen Ueberfuͤllungen mit großer
Gewandtheit in den ſehr ausgedehnten Raum vertheilt. Eine
huͤbſche Bogenſtellung, welche mit der Architectur des Saales
uͤbereinſtimmt, gewaͤhrt einen dreyfachen Durchblick auf die
ſchoͤne, einfach und maſſig gehaltene, wohl zuſammenhaͤn-
gende Landſchaft. Innerhalb des mittleren Bogens der Ge-
kreuzigte, zu deſſen Fuͤßen Maria Magdalena, zur Rechten die
ſchmerzhafte Mutter, die ſchoͤnſte, welche mir vorgekommen;
die uͤbrigen Figuren: Johannes, ſ. Benedict und Bernhard;
uͤberall in Mienen, Gebehrden, Stellungen eine Ruhe, wie ſie
dem Schmerze edler Seelen geziemt.
In dieſem Gemaͤlde zeigte Pietro, wie man in einem
weiten Raume mit wenigen Figuren auskommen koͤnne; in
einem anderen, dem Sinne nach jenem verwandten Bilde,
dem todten Chriſtus der Kirche ſta Chiara, gegenwaͤrtig der
florentiniſchen Kunſtſchule (No. 44.), wie man viele Figuren
in einen engeren Raum einordnen koͤnne, ohne denſelben zu
uͤberfuͤllen. Schon unmittelbar nach ihrer Beendigung galt
[345] dieſe Tafel, wenn wir Vaſari hoͤren, mit Recht fuͤr eines ſei-
ner beſten Werke; wie viel Fleiß er daran aufgewendet, zei-
gen die trefflichen, ausfuͤhrlichen Naturſtudien in der Zeich-
nungsſammlung der Gallerie der Uffizj zu Florenz*). Sie
traͤgt die Inſchrift:
PETRVS. PERVSINVS.
PINXIT. A. D. M. CCCC.
LXXXXV.
faͤllt demnach in die Zeit der maͤnnlichen Reife des Kuͤnſtlers,
in deſſen Leben ſie einen Wendepunct zu bezeichnen ſcheint, da
Pietro bald darauf ſich in Perugia niedergelaſſen und aufge-
hoͤrt hat, mit Ernſt und Strenge dem Vortrefflichen nachzu-
ſtreben.
Wie ſo viele ſeiner Zeitgenoſſen ward endlich auch dieſer
große Kuͤnſtler vom Handwerke hingeriſſen. Allerdings herrſcht
ſchon in ſeinen fruͤheren Arbeiten eine gewiſſe Gleichfoͤrmigkeit;
doch iſt ſolche dort noch keinesweges Folge einer angenomme-
nen Manier, vielmehr nur ſeiner durchhin edlen Auffaſſung
ihm dargebotener Aufgaben, ſeiner durchhin reinen Gemuͤths-
ſtimmung. Erſt in der Folge, etwa um das Jahr 1500.
ergab er ſich der Fertigkeit und einem zu weit getriebenen
Erwerbsgeiſte. Die Bilder, welche er von dieſer Zeit an voll-
[346] bracht hat, ſind, obwohl von groͤßter Einfoͤrmigkeit des Ent-
wurfes, doch in der Ausfuͤhrung ungleich *), weil ſie zwar
nach ſeinen Erfindungen, doch von verſchiedenen Gehuͤlfen ge-
malt worden; die ſpaͤteſten, wiederum von ihm ſelbſt ausge-
fuͤhrten von einer betruͤbenden Schwaͤche. Kurz vor ſeinem
Ableben ergaͤnzte er das Wandgemaͤlde, welches Raphael in
einer Kappelle des Kloſters ſ. Severo zu Perugia begonnen
und unvollendet hinterlaſſen hatte. Raphael malte die Glo-
rie, deren Anordnung an die Diſputa erinnert, nach einer ſpaͤ-
[347] ter hinzugefuͤgten Aufſchrift, im Jahre 1505. Unter den Er-
gaͤnzungen ſeines Lehrers lieſet man:
PETRVS DE CASTRO PLEBIS PERVSINVS
— SANCTOS SANCTASQVE PINXIT. A. D. M.
D. XXI.
Aehnliche Schwaͤche der Auffaſſung, gleich matte Verbla-
ſenheit zeigt das Altargemaͤlde in der Servitenkirche zu Flo-
renz, welches, nach Angabe des Vaſari*), alſobald mit Hohn
aufgenommen worden. Gewiß erlebte ich, daß einige davon
abgenommene Fluͤgel des Bildes eine laͤngere Zeit hindurch
fuͤr den billigen Preis von dreißig Zecchinen vergeblich ausge-
boten wurden.
Die bekannten Mauergemaͤlde im Wechſelgerichte zu Peru-
gia fallen, da ſie nach der Aufſchrift am Pfeiler im Jahre 1500
begonnen, oder beendigt worden **), bereits in die Epoche der
Abnahme ſeines Strebens, des Ueberganges zu ſeiner ſpaͤteren,
ganz handwerksmaͤßigen Richtung. Beyſpiele dieſer letzten ge-
waͤhren jene unzaͤhligen Tafeln und Wandgemaͤlde, mit denen er
ſelbſt, oder ſeine Gehuͤlfen und Schuͤler die Kirchen von Perugia
nd anderer Ortſchaften des Bezirkes erfuͤllt haben. Allerdings
ſind dieſe Arbeiten nicht durchhin ſchlecht, oder mittelmaͤßig;
indeß duͤrfte bey dieſen ſpaͤteren Leiſtungen das Gute, was ſie
enthalten, haͤufiger ſeinen beſſeren Schuͤlern, dem Raphael,
Spagna und Anderen angehoͤren, als dem Meiſter ſelbſt, deſ-
[348] ſen friſche und belebte Hervorbringungen ſicher nicht uͤber das
Jahr 1500 hinausgehn. Wie wenig es ihm ſpaͤterhin um
die Kunſt ein Ernſt geweſen, wie handwerksmaͤßig er ſein
Geſchaͤft betrieben, zeigt eine Tafel mit ſeinem Namen und
der Jahreszahl 1518. in der Gallerie Rinuccini zu Florenz.
Die mit dem Pinſel gezeichnete Aufſchrift dieſes Altargemaͤl-
des iſt ſchwerlich verfaͤlſcht, da ſie augenſcheinlich ſo alt iſt,
als das Bild ſelbſt. Andererſeits iſt die Manier der Ausfuͤh-
rung nicht peruginiſch, ſondern altlombardiſch, woraus zu ſchlie-
ßen, daß Pietro eben damals einen reiſenden Norditaliener als
Geſellen in ſeiner Werkſtatt angeſtellt habe, dem es unmoͤglich
gefallen ſeiner angelernten Manier zu entſagen und jener des
Perugino in dem Maße ſich anzuſchmiegen, als deſſen Lehr-
linge und Schuͤler.
Demnach hatte Pietro die ſchoͤnſte und wuͤrdigſte Stelle
ſeiner Kuͤnſtlerlaufbahn bereits uͤberſchritten, als Raphael ſein
Lehrling ward; doch mußte der Grundſatz, nach welchem der
Meiſter in ſeinen beſten Tagen das Vortreffliche hervorge-
bracht hatte, in deſſen Lehren nachklingen. Allerdings war
Pietro, gleich ſo viel anderen Meiſtern, geneigt, den Lehr-
lingen ſeine Eigenthuͤmlichkeit einzupraͤgen, deren Aufdruck man-
cher mittelmaͤßige Geſelle, z. B. Tiberio d’Aſiſi*), ſein Le-
ben lang bewahrt hat. Hingegen erriethen die faͤhigen, ein
Spagna**), und beſonders Raphael, aus den Studienbuͤ-
[349] chern, oder aus hingeworfenen Aeußerungen des Meiſters, daß
eben deſſen groͤßeſte und gelungenſte Leiſtungen aus einer zwie-
fachen Begeiſterung hervorgegangen waren: jener, welche vom
Begriffe ausgeht, und jener anderen, unabhaͤngigen, welche die
Anſchauung der Natur in ihren mannichfaltig ſchoͤnen und
vielbedeutenden Formen, doch nur den empfaͤnglichen, wahrhaft
kuͤnſtleriſchen Seelen gewaͤhret.
Gewiß war Raphael ſchon vor ſeiner erſten florentini-
ſchen Reiſe in dieſes Geheimniß eingeweiht; denn er zeigte in
der Vermaͤhlung der Jungfrau zu Mayland, in der Himmel-
fahrt der vaticaniſchen Gallerie, in dem Gekreuzigten der Gal-
lerie des Cardinal Feſch*), wie uͤberall in ſeinen uͤbrigen, im
Schulgeſchmacke des Pietro gefertigten Gemaͤlden bereits viel
ſorgliche und liebevolle Beobachtung des Lebens. Doch jenes
tiefere Eingehn in die Geſetze der Geſtaltung, jenes bedacht-
loſe ſich Hingeben in den Reiz der natuͤrlichen Erſcheinungen,
welches ihn nun bald zum vollendeten Meiſter bilden ſollte,
wagte er erſt, nachdem er die Feſſeln der Schule ganz abge-
worfen und ohne Vorbehalt die Richtung damaliger Florenti-
ner eingeſchlagen hatte. Alſo werden wir im Ganzen anneh-
men koͤnnen, daß er den reinen, keuſchen Sinn, die Achtung
fuͤr das Herkoͤmmliche, die religioͤſe Strenge in der Auffaſſung
ſeiner ideellen Aufgaben, vornehmlich dem Beyſpiele, den Leh-
**)
[350] ren und Einwirkungen ſeines Meiſters verdanke; hingegen die
gruͤndliche Durchbildung ſeiner Darſtellung, jenem offenen, hei-
teren, allſeitigen Naturſinn, den er im Wetteifer mit ſeinen
florentiniſchen Zeitgenoſſen, wenn nicht erwarb, doch weiter
ausbildete. Der Gang ſeiner Entwickelung war im Ganzen
jenem gleich, den ſein Lehrer um etwa dreißig Jahre fruͤher
eingeſchlagen hatte. Indeß hatten die Umſtaͤnde ſich veraͤn-
dert. Als Raphael nach Florenz kam, war bereits durch Lio-
nardo, bald auch durch Michelangelo einem beſtimmteren ana-
tomiſchen Wiſſen die Bahn gebrochen, hatte man eben begon-
nen im Einzelnen auch das Allgemeine aufzufinden, und vom
Allgemeinen ausgehend, auch wiederum das Einzelne behender,
ſicherer, gruͤndlicher aufzufaſſen. Von dem an war es zuerſt
moͤglich geworden, inmitten der mannichfaltigſten Beobachtun-
gen und Studien die Idee der Aufgabe, die vorwaltende
Stimmung des eigenen Gemuͤthes ungeſtoͤrt feſtzuhalten, ſtrenge
Beachtung des Herkoͤmmlichen, tiefes Eingehn in die Idee der
Aufgabe, Eigenthuͤmlichkeit des Gefuͤhles und Sinnes mit ei-
ner, bis dahin unbekannten Klarheit und Umſtaͤndlichkeit der
Darſtellung zu vereinigen. Der ſchoͤnſte, der wahre Genius
der neueren Kunſt begann demnach ſeine Laufbahn unter den
gluͤcklichſten Umſtaͤnden; durch ſeinen Meiſter zu ſtrenger Auf-
faſſung ſeiner Aufgaben angeleitet, durch ſeine uͤbrigen Zeitge-
noſſen zu tieferem Eindringen in die Geſetze des ſich Geſtal-
tens und Erſcheinens angeſpornt, als jenem jemals gelingen
konnte, mußte er, da die Natur mit ſeltener Freygebigkeit das
Uebrige ihm verliehen hatte, dahinkommen, der geſammten
Malerey neuerer Zeiten als ein allgemeines Muſter vorzuſchwe-
ben. Haͤtte man nur, anſtatt ſein nothwendig unerreichbares
Eigenthuͤmliche nachzuahmen, vielmehr ſeine Bahn einſchlagen
[351] wollen, ſo duͤrfte die Geſchichte der Kunſtbeſtrebungen der letz-
ten Jahrhunderte minder unerfreulich und troͤſtlicher ſeyn, als
nun der Fall iſt. Denn gewiß gehoͤren die Vorzuͤge der ra-
phaeliſchen Leiſtungen nicht einzig der uͤbrigens unbeſtreitbaren
Groͤße und Schoͤnheit ſeiner Eigenthuͤmlichkeit, vielmehr guten-
theils auch dem Gluͤcke an, welches ihn zeitig auf die einzig
rechte Bahn geleitet hat. Wie wuͤrde man ſonſt ſich erklaͤren
koͤnnen, daß ſo viele ſeine Zeitgenoſſen, bey groͤßter Verſchie-
denheit des eigenthuͤmlichen Seyns und Trachtens, doch ihm
ſo nahe gekommen ſind, als Alle wiſſen, denen der Werth
und die Bedeutung der Benennung, Cinquecentiſten, ganz ge-
laͤufig iſt. Indeß enthalten die Leiſtungen dieſer großen Zeit-
genoſſenſchaft die vielſeitigſte Entfaltung der hoͤheren Kunſtbe-
ſtrebungen neuerer Zeiten, werden daher aus einem ganz an-
deren Standpuncte zu betrachten ſeyn, als die Beſtrebungen,
welche wir ſo eben im Ganzen uͤberſehen haben.
Vielleicht vermiſſen Einige in der Ableitung welche ich
hier beſchließe, eine Erwaͤhnung des Francesco Francia und
anderer, dem Alunno und Pietro nahe verwandter Kuͤnſtler.
Indeß habe ich abſichtlich vermieden, uͤber die Grenze deſſen
hinauszugehn, was mir anſichtlich und umſtaͤndlich bekannt iſt,
und uͤberlaſſe Anderen auszumachen, ob dieſe Verwandtſchaft
aus Mittheilung und gegenſeitiger Anregung, oder vielmehr
aus allgemeineren Urſachen zu erklaͤren ſey.
Eben ſo wenig fand ich die Stelle, wo des Piero di
Coſimo erwaͤhnt werden konnte, dem Vaſari eine eigene Le-
bensbeſchreibung gewidmet hat. Dieſer abweichende Kuͤnſtler
gehoͤrt der florentiniſchen Schule wohl nicht in dem Maße an,
als gemeinhin angenommen wird. Sein Beſtreben, dem Ton
und Auftrag der Farbe, ſelbſt auf Unkoſten des Gegenſtandes
[352] und beſonders der Form, jene rein ſinnliche Schoͤnheit zu ge-
ben, welche die Venezianer ſchon ſeit den letzten Decennien des
funfzehnten Jahrhundertes, beſonders in den naͤchſten des fol-
genden erſtrebten, verweiſet auf eine fruͤhe Beruͤhrung mit den
lombardiſchen Malern, welche hiſtoriſch nicht nachzuweiſen iſt.
Vielleicht hat er eine Weile dem Coſimo Roſſelli als Geſelle ge-
dient, und daher ſeinen zweyten Namen erhalten; da er indeß
von dieſem Kuͤnſtler weder die Manier, noch die Richtung an-
genommen, ſo wird er im eigentlichen Sinne ſchwerlich deſſen
Schuͤler ſeyn. Die wichtigſten Werke des Piero di Coſimo be-
finden ſich, das eine hinter dem Hauptaltare der Francisca-
nerkirche zu Fieſole, mit der Aufſchrift Pier di Cosimo 1480.;
das andere in dem Quartier des Commiſſares des florentini-
ſchen Findelhauſes (Innocenti). Das letzte, eine Madonna
auf dem Throne von Heiligen und Engeln umgeben, iſt durch
ſeine groͤßere Ausfuͤhrung und beſſere Erhaltung, jenes durch
die Inſchrift wichtig, in welcher die Auswerfung des Endvo-
cales im Taufnamen ebenfalls auf lombardiſche Gewoͤhnungen
hinzudeuten ſcheint.
Ich benutze den offenen Raum dieſes Blattes, um, zur
Jugend des Pietro Perugino zuruͤckkehrend, eines Rundgemaͤl-
des der Koͤn. Preuß., ehmals Solly’ſchen Sammlung zu er-
waͤhnen, welches mir eine der aͤlteſten Arbeiten des gedachten
Meiſters zu ſeyn ſcheint, weil es, zwar ganz in der Manier
des Fiorenzo di Lorenzo, doch minder fertig gemalt iſt, zugleich
der Eigenthuͤmlichkeit des Erſten bey weitem mehr entſpricht,
als jener des Anderen. Dieſelbe Sammlung beſitzt auch ein
Jugendwerk Raphaels, die Jungfrau mit dem Kinde in einer
herrlichen Landſchaft.
Be-
[353]
Belege
I.Zur Kuͤnſtlergeſchichte des Lorenzo di Bartolo
Ghiberti.
1) Archiv. dell’ opera del Duomo di Firenze.
scaffale IV. No. XXV. Libro: Alloghagioni delopera
di sca Maria del Fiore al tempo di ser Nicolajo di
. . . . . di Nicholajo di Diedi. cominciato anno M.
CCCCXXXVIII.
fo. 5. Locatio casse s. ZenobiiLaurentio Barto-
luccii pro ipsius perfection. In Dei nomine amen anno
domini 1439. — die XVIII. mensis aprilis. — —
Guiltriottus olim Zanobi de riccalbanis de Fl̅o̅r̅.
provisor opere s. marie del Fiore etc. — lochavit:
Laurentio bartoli aurifici presenti et conducenti vid.
ad perficiendum et perfectionem dandum capse bronzi
jam prius incepte*)pro corpore S. Zenobii hoc modo
et forma vid. quod in dicta cassa sint et esse debeant
in parte anteriori ipsius tres storias miraculorum do-
mini s̅c̅i̅ Zanobii vid. — factorum per dictum sanctum.
in testis erunt storias (sic) jam incept. In alia facie
dicte capse ubi erit [sanctus] debent apponi et esse cer-
tas licteras et ephytaphium prout condi volunt per
dictum Leonardum aretinum florent. cancella-
rium. Etenim istis pactis. vid. Quod opera predicta
teneatur et dare debeat dicto Laurentio denarios pro
solvendo discipulis et factoribus, qui unacum
II. 23
[354]dicto Laurentio ........ super dicta capsa et si-
militer sibi pro suis necessitatibus, quam capsam sic
perfectam dare debeat dicte opere hinc ad proxsimum
mensem Januarium prox. fut. MCCCCXXXVIIII.°
(1440.).
Lionardo Bruni von Arezzo ward auch bey anderen Kunſt-
arbeiten zu Rathe gezogen; er ſchrieb dem Ausſchuß, welcher
die Anfertigung der mittleren Thuͤre der florentiniſchen Tauf-
kirche leitete: Jo considero che le 10. storie della nuova
porta, che avete deliberato, che siano del vec-
chio testamento, vogliono avere due cose, e prin-
cipalmente l’una, che siano illustri; l’altra, che
siano significanti. Illustri chiamo quelle, che pos-
sono ben pascer l’occhio con varietà di di-
segno; significanti quelle, che abbiano importanza
degna di memoria. Presupponendo queste due cose,
ho eletto secondo il giudizio mio 10 istorie, quali vi
mando notate in carta. Bisognerà, che colui, che
le ha a disegnare, sia ben istrutto di ciascuna Hi-
storia, sicchè possa ben mettere e le persone e gli atti
occurrenti et che abbia del gentile, sicchè gli
sappia ben ornare.
Oltre alle dieci Historie ho notato otto Profeti,
come vedrete nella carta. Non dubito punto, che
questa opera, come io ve l’ho disegnata, riuscirà
eccellentissima. Ma ben vorrei essere presso a chi
l’avrà a disegnare, per fargli prendere ogni sig-
nificato, che la storia importa. etc. (aus Richa
delle chiese de Fir. T. II. p. XXI.
Von einer richtigen Andeutung ſeiner eigenen Gedanken
[355] erwartete Bruni die begehrenswerthe Bedeutung des vorhaben-
den Kunſtwerkes; vom Kuͤnſtler hingegen bloß eine gewiſſe
ſinnliche Annehmlichkeit der Manier (pascer l’occhio). Haͤtte
er die Kunſt nach ihrem Weſen gekannt, ſo wuͤrde er haben
fuͤrchten muͤſſen, daß ſeine aͤrmlichen dogmatiſchen Beziehun-
gen in dem vollen Erguſſe jenes ihm noch unbekannten kuͤnſt-
leriſchen Geiſtes, dem er den ſeinigen einzuhauchen hoffte,
durchaus verſchwinden werden, wie es geſchehn iſt. Uebrigens
erhellt aus dieſem an ſich ſelbſt zu billigenden Gebrauche uͤber
Solches, was in Kunſtwerken dem Begriffe ganz angehoͤret,
die Meinung und Anſicht der Gelehrten einzuholen, daß in
den Kunſtwerken des Mittelalters die Wahl und Beziehung
des Gegenſtandes, auf welche neuere Kenner nicht ſelten alles
Gewicht legen wollen, ſelten, ja vielleicht nirgend dem Kuͤnſt-
ler ſelbſt angehoͤrt.
2) Ghiberti ſtand ſchon ſeit dem Jahre 1406. mit der
Domverwaltung in Berechnung. Archiv. cit. scaffale LXVIII.
Quinterno di Cassa. a di primo di Gennajo MCCCCV.
(1406.)
fo. 3. a. t. MCCCCV.
Lorenzo di Bartoluccio .. orafo de dare a di XII.
di giennajo fior. tre den. per lui a Nofri del Forese
cam. passato a suo conto a c. 8. — fior. III. den. und
gegenuͤber fo. 4. Lorenzo di Bartoluccio orafo de avere
fior. III. den. posto de dare innanzi a c. 44. etc. Vgl.
daſ. fo. 44. 45.
3) Archiv. cit. libro Alloghagioni s. cit. fo. 4. 6.
und a. t. 7. 8. a. t. fo. 14. a. t. 15. und a. t. 18. 18. a.
t. fo. 32. 36. 39. wird der groͤßte Theil der Fenſter des Do-
mes an verſchiedene Glasmuſaiciſten verdungen.
23 *
[356]
Dieſe Muſaiciſten (man war damals wenigſtens in Ita-
lien noch weit davon entfernt, auf Glas zu malen) heißen:
Guido Nicolai, plebanus s. . . . . . Pelagii et cap-
pellanus in ecclesia s. Petri majoris. Bernardus Fran-
cisci magister vetrorum. Dominichus pieri de pi-
sis, prior sci Sisti de Pisis. Carulus Francisci
Zeti, civis Flor. magister fenestrarum vetri. Ange-
lus Lippi magister fac. fenestras vitri. Laurentius
Antonii cappellanus s. Petri majoris. Die naͤheren
Umſtaͤnde zeigen ſich beſonders fo. 32. 1442. XII. Martii
— locaverunt — Bernardo Francisci, qui facit fene-
stras de vetro ad faciendum et fieri faciendum et
laborandum Duos oculos coloritos de illis de tribuna
magna, illi vid. qui erunt declarati per operarium et
cum illis designis et storiis sibi dandis per
dictos operarios.
und fo. 36. die secunda Maji (1443.)
— lochaverunt — Bernardo Francisci, qui facit
fenestras de vetro — Duos oculos de vetro in tribuna
magna — vid.
Unum ex latere destro vid. versus tribunam cor-
poris Christi in quo debet esse resuressio d̅n̅i̅ n̅r̅i̅ Jhs.
XPI. secundum designum sibi dandum et debet
fieri justa illud incoronatio.
Alium vero oculum … alia tribuna et justa dcm
oculum in quo debet esse quum dominus no. oravit
in orto et cum designo sibi dando. quos debet
bene lavorare arbitrio dnorum operariorum et boni ma-
gistri et debet abere pro suo magisterio vitreo
[357] tagliatur.*)et aliis librar. undecim et soldi de-
cem, picc.
Operarii predicti promictunt solvere designum,
pictorem et ferramenta, facere pontes et alia oc-
currentia.
Aus dieſem Protocoll erhellt, wie es zu deuten ſey, wenn
Ghiberti (cod. cit.) erzaͤhlt, daß er Fenſtermalereyen gezeich-
net, das iſt, deren Vorzeichnung entworfen habe. Obige Ci-
tate betreffen zum Theil eben jene Augen und Fenſter, deren
Ghiberti erwaͤhnt.
4) Im Jahre 1417. uͤbernahm Ghiberti die Anferti-
gung zweyer Felder des reich verzierten Beckens von Erz in
der Taufkirche der Sieneſer. Sie ſind gut ausgefallen, moͤgen
indeß dem Kuͤnſtler ſelbſt minder genuͤgt haben, weil er ſie
in ſeiner Schrift nicht einzeln hervorhebt. Das Duplicat des
Vertrages findet ſich Archiv. dell’ opera del Duomo di
Siena, Pergamene, No. 1437. 1438. Nachſtehenden Aus-
zug entnehme ich aus Nummer 1438., weil ſolche beſſer im
Stande iſt.
Anno domini 1417. Indict. predicta (decima) die
vero XXI. mensis Maji. Actum in opera seu domo
opere s̅c̅e̅ Marie de Senis etc. — Egregii et hon. viri
D. Katherinus Corsini miles et operarius ecclesie ca-
thedralis etc. — magistro Laurentio Bartholi aurifici de
Florentia. —
[358]
Item quod magister Laurentius teneatur et debeat,
conplevisse unam de dictis tabulis et ystoriis in decem
menses proxime venturos cum omni perfectione ipsius
et figurarum, quam sic factam et conpletam ostendere
debeat dictis operario et consiliariis suis antequam
ipsam tabulam deauret et postea cum auro, ut
possint ipsam videre et examinare si placeat eis et si
habeat omnem perfectionem suam et super ipsam ha-
bere Illam Informationem de qua eis placuerit et sic
visis et examinatis omnibus habeant et teneantur decla-
rare pretium et salarium debitum et debendum eidem
magistro Laurentio tam pro ipsa prima tabula quam
pro alia, scilicet que per eos fuerit declarata, poni de-
beat ad exequtionem. Et quod ipse magister Lauren-
tius teneatur cum deaurabit eas, ipsas deaurare ad
nuotum*), et non cum pannellis.
Item quod dictus magister Laurentius teneatur et
debeat postquam dicta prima tabula fuerit facta et visa
et pretium declaratum ut supra in decem menses tunc
proxime sequturos fare illam tabulam seu Ystoriam cum
figuris et forma sibi per predictos datis et traditis de
bono Actone**)et bonis figuris ad similitudinem prime
et melius si fieri potest ut bene stet sicut prima et
melius.
Item quod dictus Dominus Catherinus et consili-
arii prefati non possint nec debeant antequam fiat et
videatur dicta prima tabula et storia et declaretur pre-
[359] tium ut supra locare alicui sex figuris (das Duplicat hat:
figuras) que fieri debent in dicto fonte baptismi. etc.
Lorenzo erhaͤlt eine Vorausbezahlung von hundert Gold-
gulden. Der Notar: Jacobus olim Nuccini. Die uͤbrigen
Felder arbeitete in der Folge Jacob della Quercia (S. Arch.
cit. Perg. No. 1439. 1450. 1473.) und Donatello.
II.Donatello.
Archivio dell’ opera del Duomo di Siena. Libro
E. 5. Deliberazioni. principiato a̅o̅. 1433. due d’Agosto.
fo. 3. et a. t. A di XVIII. di Agosto.
E (J) prefati Misser lo operajo et Conseglieri,
absente Andrea ragunati etc.
Conciosiacosache a loro si sia presantato Pagno
di Lapo, garzone di Donato di Nicolò da Fiorenza et
abbi domandato per parte d’esso Donato, che si saldi
certa ragione di denari, che ’l detto Donato a avuti da
la detta opera, et di lavorii per esso Donato facti per
la opera predetta, el quale saldo di ragione é ragione-
vole et debito; et veduto che ’l detto Donato a avuto
in prestanza da la detta opera libre settecento trenta
otto et soldi undici, come appare al libro giallo della
detta opera a fo. 90. Et veduto che ’l detto Donato
a servito la detta opera et fatto certe figure d’ottone
aurate per lo baptesimo, che é nella chiesa di sancto
Giovanni, le quali più chiaramente et per partito sa-
ranno specificate al libro del camarlengho, per le quali
figure debba avere libre settecento vinti di den. etc.
di concordia deliberarono, che ’l camarlengho della detta
opera senza suo pregiudizio o danno accenda creditore
[360] esso donato ne’ libri de la detta opara de le dette li-
bre settecento vinti di denari, et dapoi essa quantità
aconci et ponga a la detta posta del detto Donato dove
é scripto debitore. Et perchè Donato detto, fatto el
detto sconto, resta a pagare de la detta quantità Lib.
diciotto e soldi undici, Et considerato, che esso
Donato fece uno sportello per lo detto bapte-
simo pur d’ottone aurato, et quale non é rie-
scito per modo, che piaccia a essi operaio et
conseglieri, Et volenti usare discrezione al detto
Donato, et che lui non patischa tutto il danno,
che pare alquanto ragionevole e giusto, accioche lui
non abbi perduto in tutto el tempo et la fadigha, de-
liberarono solennemente, che ’l detto camarlengho senza
suo pregiudicio et danno de denari dessa opera dia et
paghi a Donato predetto libre trenta otto e soldi un-
dici di Den., nela qual somma conti e sconti le dette
libre 18. et soldi undici dovute dal detto Donato alla
opera predetta per resto della somma predetta. Et
che ’l detto sportello sia libero del detto Do-
ato. El quale sportello el detto misser Bartolom-
meo oparajo dè*)et consegnò al detto Pagno di Lapo
ricevente per lo detto Donato in presentia di me no-
tajo e testimonj Infrascripti etc.
Darauf in weitlaͤuftigen Formeln die Quittung des
Beauftragten des Donato.
Von dieſen Mißhelligkeiten hatte Vaſari, dem, wie ich
verſchiedentlich bemerkt habe, in ſieneſiſchen Dingen ein fluͤch-
[361] tiger oͤrtlicher Forſcher berichtet haben muß, eine freylich hoͤchſt
unbeſtimmte Kunde erlangt, welche er, im Leben des Donato,
auf folgende Weiſe ins Kleine ausmalte.
„Auf dem Wege von Rom nach Florenz (wie gewoͤhnlich,
ſo weiß Vaſari auch hier die zufaͤlligen Nebenumſtaͤnde viel
beſſer anzugeben, als die Hauptſache) uͤbernahm Donato den
Guß eines Thores von Erz fuͤr die Taufkirche zu Siena. Als
nun Alles zum Guſſe vorbereitet war, verließ er auf Zureden
eines durchreiſenden Freundes (?) dieſe Arbeit unvollendet, ja
kaum begonnen, um nach Florenz zuruͤckzukehren. Das ein-
zige Stuͤck, welches er in der Bauhuͤtte gedachter Stadt zu-
ruͤckgelaſſen, iſt eine Figur des Hl. Johannes des Taͤufers
von Erz, welcher der rechte Arm fehlt. Man ſagt, daß Do-
nato ihn herabgeſchlagen habe, weil die Domverwaltung ihm
ſeinen vollen Lohn nicht ausbezahlen wollen.“
Dieſe Angaben enthalten zunaͤchſt innere Widerſpruͤche;
denn, wie konnte Donato auf Lohn Anſpruch machen, wenn
er die Arbeit, welche er uͤbernommen, ſo muthwillig, als Va-
ſari berichtet, verlaſſen haͤtte. Sie widerſprechen ferner der
urkundlich begruͤndeten Thatſache, daß Donatello der Domver-
waltung einige Reliefſtuͤcke gearbeitet und wohlbeendigt abge-
liefert hat, welche noch am Taufbecken vorhanden ſind. Uebri-
gens iſt es klar, daß jenem Maͤhrchen des Vaſari eine unbe-
ſtimmte Kunde von jenem Sportello zum Grunde liegt, wel-
ches die ſieneſiſche Domverwaltung dem Donatello zuruͤckſtellte,
weil die Arbeit nicht nach Wunſch ausgefallen war. Spor-
telli ſind indeß kleinere Thuͤren, wie man ſie an Schraͤnken,
Altarſchreinen und Vergitterungen anzubringen pflegte; nicht
porte, Thore, oder gar, wie man hier annehmen muͤßte,
Kirchenthore.
[362]
Ob man wohl jemals dahin gelangen wird, in den
Schriften des Vaſari den einſichtsvollen Kunſtkenner, den an-
genehmen Schriftſteller, vom Compilator ohne Urtheil und
Gewiſſenhaftigkeit, vom dichteriſchen Hiſtoriker zu unterſchei-
den? —
III. Michelozzo di Bartolomeo.
Archiv. dell’ op. del Duomo di Firenze. Libro
Alloghagioni etc. s. cit. fo. 57.
MCCCCXLVII. die 28. Februarii. Nobiles viri etc.
locaverunt: Michelozzo Bartolomei intagliatori etc.
Gli operai aluoghano a Michelozzo di Bartolomeo
intagliatore una gratichola di bronzo per l’altare, che
al presente si fa nella capella di s. Stefano, la quale
gratichola ricigne tutte quatro le faccie di detto altare.
In questo modo.
Chella detta gratichola sia composta nelle due fac-
cie maggiori di ventuno compassi cioé tre filari, sette
per lo lungo di detto altare et tre per l’alteza come
mostra uno disegnio fatto nel muro nella loggietta dell’
opera di mano del detto Michelozo, et nelle due teste
minori solo un filare de’ detti conpassi per alteza, ri-
cinti intorno i decti conpassi. E y detti conpassi deb-
bano essere conposti et ornati di transfori..............
ornamenti, come nostra uno modello fatto per detto
Michelozo per detti compassi, il quale debba stare
apresso i detti operai. E promette detto Michelozo
quello lavorare bene e diligentemente a uso di buon
maestro etc. Et gli operai detti gli debbino dare tutta
la materia et, per insino avra, se ne gli da libre cin-
[363] quecento cinquantasei, che avanzò dal gietto delle
porte della sagrestia. Et più debbe detto Miche-
lozzo avere per suo maestero quello e quanto sarà di-
chiarato per gl’ operai, che per gli tempi saranno.
Dieſer Auftrag einer an ſich ſelbſt handwerksmaͤßigen
Arbeit zeigt, daß Michelozzo die Gußarbeit als Gewerbe be-
trieb. In Bezug auf ſeine Vorrichtungen und auf ſeine Fer-
tigkeit in ſolchen Arbeiten ward er, wie ich vermuthe, als
Gehuͤlfe des Luca della Robbia auch bey dem Guſſe der Thore
der Sacriſtey angeſtellt, deren obige Verhandlung erwaͤhnt.
Vgl. Belege, IV.
IV. Luca della Robbia.
1) Archiv. et Libro citt. fo. 5. a. t.
Eodem anno (1438.) die vigesima mensis Aprilis
etc. — Lochaverunt: Lucae olim Simonis marci della
robbia Intagliatori (alſo nicht aurifici) et civi Flor̅e̅n̅.
presenti et conducenti ad faciendum et construendum:
Duo altaria pro duabus capellis s. Marie del fiore in-
tellecto modo etiam intellecto designo. vid. In capella
titulata et sub titulo santi petri apostoli in dicta Eccle-
sia unum altare marmoris longitudinis et largitudinis
secundum modellum lignaminis vid. in largitudine brach.
trium cum septem octavis alt. brachii vel circha etiam
illis mensuris sibi dandis et cum tribus compassis . in
facie anteriori uno vid. in qualibet testa, in quibus sint
storie santi Petri predicti prout dabuntur et designa-
buntur ei. Et in parte posteriori prout alias delibe-
rabitur.
Secundum vero altare sit in capella titolata sub
[364] vocabulo S. Pauli apostoli illius largitudinis et longitu-
dinis prout s̅u̅p̅ datur de alio superiori et secundum
modellum ....... quod factum fuit de cera per do-
natum Nicholai Becti Bardi*)quod est in dicta
opera . vid. super quatuor colu̅n̅is et in part. intus cum
forma ovale cum storiis et figuris marmi arche santi
Pauli predicti. Que altaria facere debeat ad usum
boni magistri ita et taliter, quod sint prout requiritur
in dicta ecclesia. Et debeat habere pro sua mercede
pro dictis laboreriis pro pretio alias declarando et or-
dinando per operarium predictum et debeat et obliga-
tus sit primum altare dare perfectum hinc ad quinde-
cim menses et alium post alios quindecim menses et
propterea obligavit dictis operariis bona sua presentia
et futura etc.
2) Archiv. et libro cit. fo. 54. a. t.
Die XI. mensis ottobris (anno 1446. v. fo. 53.)
Operarii antedicti — — locaverunt et concesserunt etc.
Luce Simonis della robbia scultori presenti et condu-
centi ad faciendum:
Unam storiam terre cocte Invetriate illius mate-
rie qua est illa posita in arcu sacrestie que
storia debet esse vid. Ascensio dni nri Y̅h̅u XPI, cum
duodecim figuris apostolorum et matris ejus virginis
marie et quod mons sit sui coloris arbores etiam sui
coloris et secundum designum factum in quodam mo-
dello parvo, qui stare debet in opera usque ad perfe-
ctionem dicti laborerii et melius, si melius fieri potest.
[365] Quam storiam debet perfecisse hinc a decto menses
proximos futuros*)et posuisse super archum secunde
sacrestie et pro qua storia et Magisterio debet abere et
pro suo magisterio labore et industria illud quod de-
claratum erit per offitium operariorum venturorum
in offitio existentium etc.
3) Arch. et libro citt. fo. 51. ss.
Anno domini ab ejus incarnatione MCCCCXL
quinto Ind. octava die vigesima ottava mensis februarii.
Actum in audientia operariorum interiori presentibus
testibus etc.
Nobiles prudentes viri Anfejone Laurentii Pieri
Lenzi et Matheus Antonii de Albertis operarii opere
chathedralis ecclesie sante Marie del Fiore civitatis
Florentiae simul in audientia et locho eorum solite con-
gregationis pro ipsorum offitio exercendo. Intellect.
qualiter Consules artis Lane ...... **)Intellect. locat.
facte Donato Nicolai die XXVII. martii 1417. de dua-
bus portis pro duabus sacrestiis majoris Ecclesie Flo-
rentine et intellect. qualiter dictus Donatus di-
ctas portas non fecit et justis de causis ........
unam de dictis portis removerunt a dicto Do-
nato et concesserunt licentiam prefatis operariis dictam
[366] portam prime sacrestie locande eis et quibus et pro eo
pretio prout sibi videbitur. Quiquidem operaii visa
predicta licentia omni modo locaverunt et concesserunt.
Ad faciendum unam portam bronzi pro prima sa-
crestia prout dic.
Michelozio Bartolomei populi sci Marci.
Luce Simonis Marci della robbia et
Maso Bartolomei
Sociis intagliatoribus dictam portam modo et forma in-
ferius descripta prout apparet per scriptum factum manu
dicti Michelozi cujus tenor de verbo ad verbum talis
est. vid.
Gli operai aluoghano et danno affare
spetta et richiede alla forma gia data alla detta sagre-
stia. E di quella forma modo et ornamenti che mostra
uno Modello al presente é apresso al detto Michelozo
et conpagni di questa forma. Et quale modello debba
stare nella udientia di detti operai.
La detta porta di due pezzi. Et in ciaschuno pezo
cinque quadri . vid. ornati di Cornici doppie Infralle-
quali cornici debbano i detti Maestri fare fregj piani
lavorati alla damaschina doro et dariento solo
come parrà a detti operai. Et Inciaschedunchanto di
detti quadri uno conpassino entrovi una testa di pro-
feta delle quali teste ne va dodici in ciaschun lato. Et
Inciaschuno de detti quadri tre fighure, cioé nel mezo
di ciaschuno quadro uno tabernacolo di mezo rilievo
[367] lavorato alla damaschina come i detti fregj. Entrovvi
una figura assedere di mezo rilievo nominata, Chosi,
Chenne (che ne’) primi due quadri di sopra, E nel
primo da man ritta la figura di nostra donna col figli-
uolo in braccio, nell’ altro la figura di santo Giovanni
batista. Et Inciaschuno degli altri quadri, che restano
otto la fighura de vangelisti e dottori della chiesa. E
ciaschuno con due angioletti ritti dallato fatti di mezo
rilievo. E nerovescio (nel rovescio) di detta porta i
medesimi quadri che daritto Ricinti di cornici come di
sopra et come mostra detto Modello senza alcuna figura
o altri ornamenti.
Et promettono detti MichelozoLucha et Maso
tutte le dette cose fare et perfettamente conduciere a
uso di buoni huomini infral tenpo et termine di tre
anni.
Et J detti operai debbano prestare al detto Mi-
chelozo, Lucha et Maso per supplimento del detto la-
vorio Inanzi fior. dugento cinquanta.
Et dipoi per aumento dessa ciaschuno mese fior.
venticinque.
Prout apparet in dicta scritta. Et dicti operai dare
debeant dictis pro eorum magisterio et labore floren.
auri Mille Centum. Et quia in dicto Modello sunt ad-
dita certa ornamenta alla damaschina seminat. circha
conpassus et in tabernaculis dictarum figurarum que res
non sunt conprese in superius pro qua aggiunta abere
debent illud plus quod declarabitur per offitiales ope-
rariorum pro tempore existentium.
Et tenentur dicti operarii dare dictis Michelozo
[368]Luche et Maso pro faciendo predicta Materiam oppor-
tunam vid. bronzum, Argentum et Aurum pertinent.
dict. port. etc.
4) Der rohe Guß der Vorſeite jenes Thores war im
Februar 1447. (48.) bereits vollendet, weil man (S. Be-
lege III.) dem Michelozzo das uͤbrig gebliebene Erz, Behuf
einer anderen Arbeit uͤberweiſet. Indeß waren dieſe Theile im
I. 1461. weder geloͤthet, noch gereinigt und nachgeputzt, wie
aus nachſtehendem Notar. Protocoll erhellet.
Archivio e libro citt. fo. 72.
In dei nomine Amen Anno domini ab ejus salu-
tifera Incarnatione Millesimo quadringentesimo sexa-
gesimo primo Ind. nona mensis Aprilis etc.
una allogagione alloro facta pegli operai di S. Maria
del Fiore insieme con Maso di bartolomeo an-
cora intagliatore oggi morto insino al anno 1445.
et del mese di febrajo.
Una porta della prima sagrestia cioe di due lati
con piu ornamenti et lavorii come nella allogagione ro-
gata per mano di me notaio infrascritto chiaramente
apparisce.
Onde oggi questo di detto.
Michelozo et Lucha sopradetti con protestatione
nel principio mezo et fine del presente contracto ap-
posto cheglino non intendono per questo atto et con-
tracto essere piu o meno oblighati che Erano Inanzi al
pre-
[369]presente contracto sono contenti et di consentimento
et volonta et in presentia de nobili huomini.
a tutte le infrascripte cose consentienti aluoghano a
Giovanni di Bartolomeo Intagliatore presente et
conducente per se et con quella conpagnia allui pia-
cesse a
Nettare detti Telai cioe detti due lati
già gittati et commettere e battitoi di detta
porta. Et ristorare se alcuno manchamento
fusse a detti telai et que lavorare In tutte le loro
parti dallato Ritto et dallato rovescio e da tutte le sue
parti bene e diligentemente a uso di buono maestro.
E tutte predette chose fare Intorno a detti telai che di
Nicista sara Intorno a quelli si et in tal modo che
niuna chosa manchi se non Rizarli alla detta sagrestia.
Et sono dacordo detto Giovanni abbia per sua
faticha et Maestero et Intero pagamento dogni chosa
delle sopradette fiorini dugento correnti. E quali glo-
perai anno a pagare a detto Giovanni o a chi lui di-
cesse tempo per tempo chome lavorra (lavorerà). E
annosi a porre al conto della condotta tolta
delle dette porte per detti Michelozo et Lu-
cha et Maso.
E piu sia addare per lopera a detto Giovanni à
spesa dopera quella quantita di bronzo manchasse per
avergli a ristorare in alcuna parte. E simile ara (avrà)
se bisogno navesse.
E debbe in vece detto Giovanni per potere met-
II. 24
[370]tersi Inpunto di Masserizie a tale lavorio appartenenti
et opportune fior. dieci.
E debbe detto Giovanni lavorare o fare lavorare
dette porte nell’ opera. E lopera adattarlo di luogho
ydoneo.
E Detto Giovanni dar forniti detti telai come detto
per di qui a Mesi sedici e quali sedici mesi cominciano
adi primo di maggio futuro MCCCCLXI.
E decti operai parendo loro possino prolungare
per insino a Mesi quattro in una volta oppiu.
Actum in opera dicta dicta die persentibus testibus
Laurentio Lapi Johannis Nicholini, Johannis Francisci
domini Johannis de Zatis, Bernardo Mathei del
borra capudmagister cupole et Maso Jacobi Su-
chieli capudmagistro opere.
Darunter von etwas abweichender Hand:
accettarono dette porte sotto di 17. dicenbre 1463.
per bene fatte.
5) Arch. et libro citt. fo. 73. a. t. findet ſich eine
neue Vereinbarung mit unſerem Luca della Robbia, d. d. die
IV. mensis Aghusti MCCCCLXXIV. (verſchrieben fuͤr
1464.) welche um einige Tage ſpaͤter, fo. 79., wiederholt
wird. Ich folge dieſer letzten:
— Anno — Millesimo quatringentesimo sexage-
simo quarto . . decimo Aghusti:
Nobiles etc. — — avere inteso che l’anno 1444.
fu alloghato per loro Anticessori a Michelozzo di Bar-
tholom̅eo Intagliatore et a Lucha di Simone della rob-
bia et a Maso di Bartholom̅eo Intagliatore detto
Masaccio una porta di due pezzi e con piu orna-
[371] menti et pacti et modi come nella alloghatione si con-
tiene per pregio et nome di pregio di fiorini 1100 doro
come apare al presente libro indietro a carta 51 Et
inteso, che dette porte essere circha d’anni venti che
niente non vi si lavoro Et dipoi inteso che nel anno
1461. . . di 9. daplile di detto anno fu alloghato per
gli operai con licentia et consentimento di detto Lu-
cha a Giovanni di bartholomeo Intagliatore
fratello di detto Maso a netare et raconciare detti
telai et porte per pregio o nome di pregio di fiorini
200 doro come apare a detto libro alloghazione a carta
72 Et inteso detti telai et porte essere nette et bone
et in perfetione raconci per conto l’Alloghagione allui
fatta Et inteso che dipoi dopo la detta alloghagione
dette porte sono poste dalato et dentro non vi si
fare nulla Et inteso detto Maso di bartholomeo
essere morto piu anni sono Et inteso detto Miche-
lozzo essere absentato et non essere in queste parti
et non ci avere a essere di questo .... ne a questi
tempi et nonne essere a Firenze se nonne detto Lucha
Et inteso che In quel tempo che detti telai e porte fu-
rono alloghate a detto Lucha michelozzo et maso loro
avere auti anche di fiorini quatrocento o piu Et queli
glebbono Michelozzo et Maso et detto Lucha nonne
avere avuto nulla come apare .. libri di proveditori di
detta opera et fior. 200 dati a detto Giovanni di Bar-
tholom̅e̅o per detta nettatura Et volendo detti operai
che dette porte et telai abbino qualche volta Effetto
et conciateli a perfetione et inteso la volonta di detto
Lucha et vedendo detto Maso morto et detto Miche-
24 *
[372]lozzo absintato non veggendo alchuno modo che sia
migliore piu benefico della detta opera et volendo che
dette porte et telai abbino efetto che lusingna uscire
della alloghagione presente che altrimenti si potrebbe
far nulla et starebbe sanza alchuno efetto et in danno
et verghongna della detta opera. Et vedendo et con-
siderando quello che fu etc. — — —
Allogorono a detto Lucha presenti et conducenti
et in suo nome proprio a finire et conpiere dette porte
che sieno In quella forma et modo come nella allo-
ghagione prima apare. Et questo fecono (feciono) per
pregio di fiorini septecento de quali si debba fare e
paghamenti a detto Lucha ......... et in quel modo
et forma parra agli operai che in tenpi saranno con
questo che la materia che bisonera per netare*)…
dette porte gli sia dato. Et ongni altra cosa di suo
propio. Et il quale Lucha presente conducente et con-
sentiente alla presente alloghagione Ratificho et obli-
gosi sotto etc.
V. Agoſtino d’Antonio.
1) Archiv. publico di Perugia. Annali decemvi-
rali. 1462. fo. 38.
[373]
Die XXIII. Maji.
Priores artium civitatis Perusii mandamus vobis
heredibus Vici Baldi merchatoribus de perusio deposi-
tariis pecuniae nostri communis ...... presenti no-
stro bullect. sive mandato: detis et solvatis et dare et
solvere debeatis possitis et tenemini Magistro Augu-
stino Antonii de Florentia scultori et con-
structori capelle santi Bernardini de Perusio pro
parte satisfactionis et mercedis sibi debite pro con-
structione ipsius capelle florenos centum ad rationem
XL. bol. pro quolibet floreno . absque ulla reteptione
alicujus gabelle de quibuscunque.
Am Rande: Bull. Magistri Agostini Antonii de
Florentia floren. C.
Mariotti (Lett. Perugine p. 98. s. Anm. 4.) giebt
einen Vertrag von 1459. den ich nicht im Originale geſehen
habe, worin: chome io Achostino d’Antonio schulptor
Fiorentino abitatore in Perugia e fabrichatore dela
fazata di sto Bernardino della detta Città etc. —
Er uͤbernimmt darin die Auszierung der Kappelle ſ. Lo-
renzo in der Kirche ſ. Domenico zu Parugia. — In den
uͤbrigen ſchon von Mariotti richtig geleſenen Verhandlungen
(Archiv. Xvirale . ad a. 1462. fo. 10. und daſ. ad a.
1473. fo. 48.) heißt er rundweg Magister Augustinus de
Florentia.
2) Archiv. dell’ op. del Duomo di Firenze, Libro
Alloghagioni s. cit. fo. 78. a. t.
Anno — Millesimo quadringentesimo sexagesimo
tertio Indict. XI. die XVI. mensis Aprilis.
[374]
Nobili homini — Dominicho di Giovanni Giungni
Ruggieri di Tommaso Minerbetti
— alloghorono A
Ghostino d’Antonio di Ducco (Duccio. S. VI. 1.
wo, bracco, fuͤr: braccio, Guliano, fuͤr: Giuliano und an-
dre Auslaſſungen des eingeſchobenen: J.) di Fior. scultore
in suo nome propio a fare uno gughante overo Er-
chole per porre in sollo edifitio et chiesa di sancta
Maria del Fiore di quella grandezza et altezza et che
chorrisponda a quella che é sopra alla porta di dettà
chiesa che va a ’servi — —. Et questo s’é convenuto
per pregio et nome di pregio di lib. trecento trent una.
E detto aghostino promesse dare fatto detto gughante
per tutto el mese d’aghosto 1463. sotto la pena etc.
3) Archiv. p. di Perugia . annali X virali. ad a.
1462. (1463.) fo. 10. die veneris XII. Febr.
Venientes et existentes coram prefatis M. D. P.
magister Benedictus Bonfiglj de Perusio etc. — et mag.
Angelus magistri Baldassaris de Perusio etc. — picto-
res et magistri ut dictum electi ad videndum exstiman-
dum declarandum et arbimentrandum anteriorem pa-
rietem sive frontem anteriorem capelle gloriosi confes-
soris sci Bernardini justa ecclesiam sci Francisci de
Perusio — — constitutum fabricatum et fulcitum per
Magistrum Augustinum sculptorem de Florentia si di-
ctus paries et flons (sic) dce capelle fuit et est bene
conglue et legaliter fabricatus et fulcitus secundum for-
mam cedule et contractus celebrati et celebrate inter
tunc M. D. priores et camerarios civitatis Perusii ex
ana parte et dem magistrum Augustinum ex alia manu
[375]Ser Jacobi rentii de Perusio publici notarii sub anno
dni Millesimo IIIIcLVII. et ad referendum qui
pictores et magistri ut supra electi ut dictum retulerunt
prefatis M. Dnis prioribus, dictam parietem et flon-
tem dce capelle fuisse et esse bene fabricatam
et fulcitam per dictum magistrum Augusti-
num justa et secundum formam dicte cedule et con-
tractus celebrate manu dicti Ser Jacobi de volunptate
presentia et consensu spectabilis viri Lamberti berardi
de cornio et francisci Bienencasa civium provisorum
etc. —
War nun dieſe Arbeit im Februar des Jahres 1463.
(gewoͤhnl. Rechnung) beendigt, ſo konnte Auguſtin im Auguſt
deſſelben Jahres zu Florenz anweſend ſeyn und dort ein neues
Werk unternehmen. Spaͤter wendete er ſich wiederum nach
Perugia. Ann. X vir. Perug. 1473. fo. 46. die quarta
mensis Junii, iſt von einem Greifen die Rede, den Auguſtin
in Holz ſchnitzen und vergolden ſollte; zu Ende gelobt er:
quod in casu quo dictum griffonem — non placeret
dictis Magnif. Dom. Prioribus restituere dictos quinque
ducatos et pro se retinere dictum griffonem. Um dieſe
Zeit unternahm er zu Perugia die porta di s. Pietro, ſ.
MariottiLett. Per. p. 96. f. und Guida di Perugia.
VI. Giuliano di Nardo da Majano.
1) Archiv. dell’ op. del Duomo di Firenze. Li-
bro, alloghagioni, s. cit. fo. 80.
MCCCCLX...... die XVIIII. aprilis.*)
[376]
Nobiles viri etc. — alloghano.
a Guliano (Giuliano) di Nardo da Majano lengnajuolo
presente et conducente et in suo nome proprio le due
facce della sagrestia che l’una faccia e di sopra alla
quarta laltra di sopra allo armadio le quali dette facce
di ...... in una la storia quando nostro singnore fu
presentato nel tenpio .. con Simeon. Et nell altra la
nasciuta di nostro Singnore. Et in quel modo et forma
che si dimostra pel modello dato per detto Guliano.
El quale modello E apresso adegli operaj collavorio
che ....... et abbasene asieme a dichiarazione degli
operai che pe tempi saranno per pregio e nome di pre-
gio di fior. cinque per ongni bracco (braccio) quadro.
El quale develo avere fatto per tutto ottobre 1465. sotto
pene dello ...... di detti o piu. El quale guliano pre-
sente et consentiente a quella etc. —
dicta die
— alloghorono a detto Guliano presente et con-
ducente et in suo nome proprio a fare la ghirlanda la
quale a stare sopra agli armadi della sagrestia — et
quel modo e forma che si dimostra pel modello dato
per detto Guliano. Et quale lavoro debbe aver fatto
per tempo et termine di mesi sei proximi che ve-
ranno etc. —
Dieſe, ſehr loͤbliche Arbeit iſt noch vorhanden.
2) Arch. et lib. citt. fo. 87. Anno Millesimo
quadringentesimo septuagesimo primo. Ind. quarta et
die vigesima mensis Septenbris videlicet vigesima se-
cunda. Eine vorlaͤufige Vereinbarung betreff der hoͤlzernen
Einfaſſung des Chores unter der Kuppel des florentiniſchen
[377] Domes; derſelben, welche Pollajuolo auf der Ruͤckſeite ſeiner
Medaille (conjuratio Pactiana) angedeutet hat, welche indeß
ſpaͤterhin einer Einfaſſung von Marmor mit Arbeiten des Bac-
cio Bandinelli und anderer hat weichen muͤſſen. (S. Vaſari,
und raccolta di Lettere sulla pittura etc.) In dieſer
heißen:
Francesco di Giovanni di Francesco
Guliano di Nardo da Majano
Francesco di Domenico detto Moncatto tutti leg-
najuoli — und in der Folge: maestri peritissimi. Sie ver-
pflichten ſich nur im allgemeinen jeder fuͤr den dritten Theil
der ganzen Arbeit und werden vorlaͤufig aufgefordert, ihre Ent-
wuͤrfe zu machen und einzugeben.
VII. Nachtrag zuI. 3.
Wir haben oben geſehn, daß die Glasmalerey zu Florenz
bis um das Jahr 1440. in nichts Anderem beſtand, als in
der muſiviſchen Zuſammenſetzung farbiger Glaͤſer; indeß muß
die Kunſt auf Glas zu malen und die aufgetragenen Farben
einzubrennen ſchon um dieſe Zeit, oder unmittelbar darauf auch
in Toskana eingedrungen ſeyn, wie nachſtehende, fuͤr die Ge-
ſchichte dieſer Kunſtart wichtige Vereinbarung beweiſet, welche
ich ihrer Reichhaltigkeit willen nicht abkuͤrze.
Archiv. dell’ op. del Duomo di Siena. E. 5. Delib.
fo. 56. ss. Adi XXIII. di Aprile 1440. benche qui sia
scripto dapoi a di 30. di Dicembre 1442. perchè il con-
tratto é in suruno foglio apresso di me francesco
notaio.
Misser lo operaio, conseglieri, et camarlengo so-
pradetti, a vice et nome de la detta opera, allogarono
[378] a Ser Guasparre di Giovanni prete da Volterra, a fare
di vetro l’ochio de la chiesa catthedrale di Siena, che
é nela faccia che viene verso lo spedale di sca Maria
de la scala et la piaza desso, sopra la porta di mezo
de la detta chiesa, per prezo et con modi pacti et con-
ditioni Infrascripti, cioé.
In prima chel detto Ser Guasparre sia tenuto et
debbi fare el detto occhio secondo el disegno, che
gli sarà dato per li detti operaio et suoi conseg-
lieri presenti, o loro successori.
Item chel detto ser Guasparre debba mettare di
suo proprio et ale sue spese tutto el vetro piombo
stagno et saldature, che entrasse et fusse bisognevole
al detto lavorio bene dipento, bene cotto et bene
legato et saldato et dare el detto lavorio posto al detto
occhio a le sue proprie spese et mettare di suo pro-
prio tutte le legature di filo di rame che entrassero et
fussero bisognevoli al detto lavorio.
Item sia tenuto et obligato el detto Ser Guasparre
andare per lo vetro piombo stagno et filo di rame che
bisognasse al detto lavorio a Venegia, o ad An-
cona, o in altro luogo dove bisognasse et conduciare
le dette mercantie et cose in Siena a tutte sue proprie
spese et pericolo.
Item chel detto Ser Guasparre sia tenuto et debbi
tessare et fare la rete di filo di Rame, con questo che
la detta opara gli debbi dare l’armadura del ferro facta
et el filo del Rame che entrasse ne la detta rete per lo
detto occhio.
Item chel disegno che si dara al detto Ser Guasp.
[379] debbi essare disegnato colorito et aombrato, et
farsi a tutte spese desso Guasparre, excepto
che la opara gli debba dare el panno lino et carte bi-
sognevoli et l’armadura del legname et fiorini diciotto
di lire 4. l’uno.
Item che la detta opara sia tenuta far fare a sue
spese proprie tutti e ferramenti bisognevoli al detto la-
vorio et darli lavorati al detto Ser Guasparre quando
sara el tempo che bisognaranno operare.
Item che la detta opara debba fare et far fare a
sue proprie spese tutti e ponti bisognevoli per ponare
el detto lavorio.
Item che quando el detto lavorio si porra la detta
opara sia tenuta prestare al detto Ser Guasparre due
maestri e quali autino a esso Ser Guasparre a fare le
stampe per esso lavorio a pericolo proprio desso Ser
Guasp. et pagando l’opara e detti maestri, et oltre a
questo darli dieci opere di manovali.
Item chel detto Ser Guasp. abbi et avere debba
della detta opara per le detto lavorio fiorini quattro-
cento di Liro quattro l’uno. Et piu quello che parra
a Misser lo operaio et conseglieri che in quello tempo
saranno et quegli che sono al presente, non passando
fiorini quattrocento cinquanta.
Item chel detto Ser Guasp. sia tenuto et debbi avere
fornito et posto el detto lavorio in tempo et termine di
quattro anni prossimi da seguire dal di che sara con-
dotto el vetro ne la città di Siena salvo sempre giusto
impedimento.
Item chel detto Ser Guasparre non possa fare ne
[380] allogarsi ne lavorare per alcuno modo alcuno altro la-
vorio per infino che avra finito el lavorio soprascripto
del detto occhio, a la pena di fiorini dieci per cias-
cuno braccio di finestre che lavorasse, e quali
debba pagare a la detta opara.
Item chel detto Ser Guasp. sia tenuto tenere con-
tinuamente tre o quattro compagni o garzoni, e quali
lavorino con lui el detto lavorio per infino che sara
fornito.
Item chel detto Ser Guasp. sia tenuto et debbi fare
el detto lavorio di buono vetro et buoni colori a si-
militudine dell’ altro occhio de la detta chiesa et
degli occhi et finestre dellabbadia dis̅c̅o̅ Gal-
gano.
Item chel detto Ser Guasp. debbi fare el detto la-
vorio bene commesso etc.
Item che la detta opara sia tenuta et debbi prestare
al presente al detto Ser Guasparre fiorini dugento di
Lire 4. l’uno etc.
Item chel detto Ser Guasp. sia tenuto fare el detto
lavorio buono et a perfettione a detto dogni buon
maestro.
Item che tutte le cose soprascripte sintendino a
huona fede et senza alcuna malitia et fraude. Et del
detto contratto et allogagione appare piu distesamente
— — per mano di me Francesco di Stefano di Van-
nino notocio di Siena etc. —
Dieſer Contract ward indeß, in demſ. Buche fo. 59. a. t.
und 60., auf Antrieb der neugewaͤhlten Rathgeber des Ope-
rajo als nachtheilig widerrufen und aufgehoben; worauf, daſ.
[381]fo. 61., die Inſinuation des Widerrufs und der Proteſt des
Kuͤnſtlers eingetragen wurde. In demſ. Archiv, Pergamene,
No. 1503., findet ſich dieſer Beſchluß ausfuͤhrlicher. Viel-
leicht widerſetzten ſich die Rathgeber des Operajo eben nur der
Einfuͤhrung einer damals in Italien noch ganz neuen Erfin-
dung. Gewiß geſchah jener Widerruf nicht etwa, weil der
Glasmaler ſelbſt verwerflich war, da die ſieneſiſche Domver-
waltung ſpaͤterhin im Jahre 1465., (Archiv. cit. E. 7. fo.
XIII.) denſelben Ser Guasparre di Giovanni da Volterra
Maestro di finestre di vetro per uno anno fermo et
uno altro a beneplacito, fuͤr den Lohn von, fiorini 36. di
libre IV., ohne naͤhere Beſtimmung der Arbeit in Sold nahm.
Die Erfindung der eingebrannten Malerey auf Glas wird
dem Jan van Eyck beygemeſſen; die Epoche der Verbreitung
dieſer Kunſtart uͤber Toscana iſt mit dieſer Angabe uͤberaus
vereinbar.
Nachtrag zu den Belegen der Abhandlung VIII.
Folgendes Actenſtuͤck ſchließt ſich in Anſehung der Kunſt-
art den Belegen I. 1 — 5. der erſten Abhandlung dieſes Ban-
des an. Indeß hatte ich daſſelbige damals verlegt und finde
erſt hier eine Stelle, ſie einzuordnen.
Archiv. dell’ op. del Duomo di Siena, E. 4. Me-
morie fo. 10. a. t.
Memoria de le spese de la sepoltura de la buona
memoria de Rev. Padre misser Karlo d’Agniolino ve-
schovo stato di Siena, il quale passo di questa vita a
di XI. di Settembre MCCCCXLIIII. cioé le spese de
la lapida del marmo col fregio dintorno posta sopra a
[382] la sua sepoltura in duomo al altare de la cappella di
S. Crescenzio.
Et prima, per la pietra grande etc. —
Et piu per lo marmo del fregio dintorno etc. —
Et piu a Maestro Giugliano da Como per quaran-
tacinque di a lavorato in sulla pietra grande a spia-
nare et chavare e tabernacoli et la fighura a trapano
et scharpelli sottigli — Lire XLV.
A maestro Antonio di federigho per vinticinque di
a lavorato in su la detta sepoltura a cavare a trapano
et scarpelli sottigli per tutto — lib. XV.
A Lorenzo d’Andrea per tredici di a lavorato
in su fregj cioé a chavare per lo fogliame del fregio
ch’é intorno a la decta sepoltura da di 12. genajo in-
sino a di 27. 1445. et impeciare — lib. V. soldi XVII.
A Francescho di Stefano per tredici di a lavorato
in su fregj et impeciare (auspichen, mit ſchwarzem
Stucko ausfuͤllen) com’é detto di sopra a Lorenzo. —
lib. V. soldi IV.
A Maestro Giovanni Sabategli per nove di a la-
vorato in su fregi dessa sepoltura — lib. VII. sol. IIII.
A Maestro Castorio di Nanni per sette di a lavo-
rato in su fregi de la sepoltura del mese di Gienaio
lib. V. soldi V.
A Pietro da Como per tre di d’aito a ’npeciare
et radere e fregj — lib. I. soldi VIII.
A Maestro Pietro del Minella capo Maestro del
uopara per piu tempo a dato in su la detta sepoltura
in piu volte in disegniare et ordinare et inpeciare la
[383] detta sepoltura et fregio di torno uno mese et mezo
lib. XXXVIII. soldi VIII.
Hieraus lernen wir die Miſchung des ſchwarzen Stucko,
mit welchem die ausgehauenen Umriſſe ausgefuͤllt wurden;
auch iſt die Vertheilung dieſer Arbeit unter ſo viel Einzelne
ganz merkwuͤrdig, da ſie die Oekonomie der bildneriſchen Un-
ternehmungen jener Zeit ſehr gluͤcklich ins Licht ſetzt.
[384]
XIV.
Die unumgaͤngliche Vielſeitigkeit in den Be-
ziehungen, die Hinderniſſe der Entwicke-
lung, die Urſachen des vorzeitigen Verfal-
les der neueren Kunſt.
Ueber die Beſtrebungen und Leiſtungen der Zeitgenoſſen
Raphaels iſt unter den Kunſtfreunden und den Gebildeten
uͤberhaupt viel umſtaͤndliche Kunde verbreitet. Freylich wur-
den die erreichbaren urkundlichen Nachrichten bisher bey wei-
tem nicht erſchoͤpft; freylich wird Vaſari auch in dieſer Ge-
gend der Geſchichte noch immer als Hauptquelle betrachtet
und ausgenutzt. Indeß iſt dieſer Schriftſteller, dem man den
vielſeitigſten Kunſtſinn und die feinſte Beobachtungsgabe nicht
abſprechen kann, bey gehoͤriger Beruͤckſichtigung ſeiner perſoͤn-
lichen Schwaͤchen und Befangenheiten fuͤr ſo neue Zeit ſchon
als Zeuge anzuſehn, weßhalb die Beſtaͤtigung oder Berichti-
gung und Mehrung ſeiner ſpaͤteſten Malerleben mir ſelbſt vor
der Hand mehr wuͤnſchenswerth, als dringend zu ſeyn ſchien.
Wuͤnſchenswerth waͤre beſonders die Ehrenrettung ſolcher
Arbeiten, welche, durch Verunglimpfungen des Vaſari bisher
nicht nach dem vollen Maße ihres Kunſtwerthes anerkannt
und eben daher nur ſelten beſucht werden. Zu dieſen gehoͤ-
ren jene herrlichen Mauergemaͤlde des großen Hofes im Klo-
ſter Monte Uliveto maggiore, welches auf dem Wege von
Siena nach Rom nur ſechs Miglien von der Station Buon-
con-
[385]convento entlegen iſt. Von dort aus, wo man ohnehin anzu-
halten pflegt, fuͤhrt ein gebahnter Weg nach dem wohlbelege-
nen, ſchoͤn gebauten Kloſter hinauf, wo die gaſtlichen Ordens-
geiſtlichen den Ankommenden Erfriſchungen zu reichen bereit
ſind, das erdenklich beſte Brodt, den reinſten und reifeſten Wein,
des koͤſtlichen, balſamiſchen Oeles nicht zu gedenken. Wie
waͤre es moͤglich, ſo mannichfaltigen Lockungen zu widerſtehen?
Indeß uͤberlaſſen die meiſten Reiſenden die Eintheilung ihres
Weges den Anordnungen der Lohnkutſcher, was ſie allerdings
der Muͤhe uͤberhebt, zu uͤberlegen und ſich ſelbſt zu beſtimmen.
Der große Hof dieſes Kloſters enthaͤlt ſechsunddreißig
bemalte Mauerflaͤchen, Lunetten, wie die Italiener ſolche halb-
rund beſchloſſene Bilder zu nennen pflegen. Den groͤßeſten
Theil dieſer Arbeit beſchaffte ein ſieneſiſcher Maler, Giovann
Antonio Razzi, deſſen Talent meiſt nach ſeinen ſpaͤteren, fluͤch-
tigeren Arbeiten zu Rom und Siena abgemeſſen wird, denen
allerdings der Reiz und Formenſinn nicht abzuſprechen iſt,
wohl aber Gediegenheit der Ausbildung, Styl und begeiſtertes
Eingehn in das Weſen ſeiner jedesmaligen Aufgabe. Da nun
auch Vaſari gegen dieſen Kuͤnſtler, dem er einen uͤblen Na-
men gemacht hat, ich weiß nicht aus welchem Grunde gereizt
war *), ſo vereinigte ſich Vieles, ihm in den Augen unſerer
II. 25
[386] Zeitgenoſſen zu ſchaden. Indeß war Razzi zu Anfang des
ſechzehnten Jahrhundertes einer der groͤßeſten Maler. Seine
Abnahme vom Kreuze bey den Franciscanern zu Siena iſt ſo
ſchoͤn geordnet, als irgend ein Werk dieſer Zeit, obwohl in
den Formen minder ausgebildet, als gewiſſe Fragmente eines
auf feinſtem Neſſeltuche a tempera gemalten Bildes, deſſen
leider unvereinbare Bruchſtuͤcke in meinen Haͤnden ſind. Dieſe
enthalten eine Darſtellung der Metamorphoſe des Cephalus;
Lage, Stellung und Ausdruck der Hauptfiguren erſchoͤpfen alle
Wuͤnſche; die Ausbildung der Formen deutet auf bildneri-
ſche Abſichten, und wirklich koͤnnen die Handgriffe der Bild-
nerkunſt dem Razzi nicht fremd geweſen ſeyn, da man ihm
in ſeinen beſten Jahren einen Erzguß uͤbertrug *), was die
[387] ſieneſiſchen Topographen, wenn ich recht entſinne, bisher uͤber-
ſehen haben.
Kraͤftiger freylich und vielſeitiger zeigt ſich Giovann Antonio
in jener Reihe von Darſtellungen aus dem Leben des Hl. Be-
nedict im Kloſter Monte Uliveto maggiore. Neun dieſer großen
Gemaͤlde beendigte Luca Signorelli aus Cortona; ſie gehoͤren
zu ſeinen ſpaͤteſten, aber auch zu ſeinen reifeſten und uͤberleg-
teſten Werken, in welchen Razzi offenbar an einzelnen Stellen
ausgeholfen hat, vornehmlich bey jenem ſchoͤnen Juͤngling in
buntgeflammter Bekleidung, welcher uͤber den Formengeſchmack
des Signorelli hinauszugehen ſcheint. Uebrigens hatte Luca
vor jenem eine groͤßere Sicherheit in der Handhabung der
Malerey al fresco voraus, beſonders eine gewiſſe Energie der
Handlung und Staͤrke des Charakters. Vielleicht waͤhlte er
eben deßhalb die ſpaͤteren, ernſteren Lebensereigniſſe des Hei-
ligen, wie denn uͤberhaupt beide Kuͤnſtler gemeinſchaftlich und
*)
25 *
[388] in gutem Einverſtaͤndniß moͤgen gearbeitet, und die darzuſtel-
lenden Begebenheiten nach Luſt und Gelegenheit unter ſich
vertheilt haben. Die uͤbrigen ſiebenundzwanzig Darſtellungen
vollbrachte Razzi allein und zeigte darin einen Umfang der
Beobachtung, eine Schaͤrfe des Sinnes fuͤr die Bedeutung des
Charakters und der Bewegung menſchlicher Formen, welche
in ſeinen ſpaͤteren Gemaͤlden einer ſehr allgemeinen Vorſtel-
lung von ſinnlicher Anmuth Raum gegeben hat. Haͤufig be-
nutzte er in dieſen Zuſammenſtellungen jene heftige Bewegung,
jene ſtarke, beynahe uͤberladene Charakteriſtik, welche in den Ar-
beiten des Sandro Botticelli anzieht und uͤber deren Willkuͤhr-
lichkeiten hinausſehn macht. Wie nur der Sieneſer zu dieſen
Reminiſcenzen gelangt ſeyn mag? Vielleicht hatte er bey Fi-
lippino gelernt, oder demſelben als Geſelle gedient. Es hat
ſeine Durchſchnittsvorſtellung von ſchoͤner weiblicher Bildung
eine gewiſſe Verwandtſchaft mit den anmuthigen Weiberkoͤpfen
der Kappelle Strozzi in ſta Maria novella. Indeß fehlt es
mir, dieſe Wahrſcheinlichkeiten zur Gewißheit zu erheben, bis
jetzt an urkundlichen Zeugniſſen.
Giovann Antonio war auch in der Folge bisweilen kraͤf-
tig und ausdrucksvoll, z. B. in den Malereyen der Kappelle
der Hl. Katharina in ſ. Domenico zu Siena; haͤufiger reizend
und lieblich, wie beſonders in dem bekannten Gemache der
Farneſina zu Rom; doch unterlag er, im Ganzen angeſehn,
dem gemeinſamen Schickſal aller großen Talente, welche das
Todesjahr Raphaels uͤberlebten. Dieſer große Kuͤnſtler, den
man auch in den dunkelſten Epochen ſtets als das vorleuch-
tende Geſtirn der neueren Kunſt betrachtet, dem man indeß,
ſtatt im Thun und Laſſen ſeinem Beyſpiel zu folgen, nur
eben in ſeiner unerreichbaren Eigenthuͤmlichkeit nachgeahmet hat,
[389] durchmaß zuerſt den ganzen Umfang der neueren Malerey.
In der Auffaſſung chriſtlicher Motive und Aufgaben hielt er
ſich, nach dem Beyſpiele der umbriſchen Schule an jene gluͤck-
liche Miſchung altchriſtlicher Strenge und moderner Weichheit
der Empfindung, deren Entſtehung und Fortpflanzung uns in
der vorangehenden Abhandlung beſchaͤftigt hat. Die moͤnchi-
ſche, theils burlesk pathetiſche, theils ſchwaͤrmeriſch religioͤſe
Richtung blieb ihm fremd; vielleicht uͤberhob ihn ſeine fruͤhe
Verſetzung an den paͤpſtlichen Hof der Aufloͤſung von Aufga-
ben dieſer Art. Hingegen zeigte Raphael, wie der poetiſche
Stoff der antiken Kunſt mit den Beſtrebungen und Moͤglich-
keiten der neueren vortheilhaft auszugleichen ſey.
Dieſer Stoff, welcher bald Mythus, Fabel und Poeſie *),
bald Symbolik und wie immer ſonſt benannt wird, umſchließt
verſchiedene einander entgegengeſetzte Elemente. Aus einer mehr
und minder gebundenen Begriffsbezeichnung hatte er ſich her-
vorgebildet; ſpaͤter einem phantaſiereichen Formenſpiele ſich
hingegeben; endlich geſtrebt, von neuem gleichſam ſein Be-
wußtſeyn zu ſammeln, ſeine urſpruͤngliche Bedeutung durch
Forſchung und Nachdenken wieder aufzufinden. Doch eben
dieſe unendliche Verwickelung des anſchaulich und des abſtract
Aufgefaßten, des Gebundenen und Willkuͤhrlichen, welche den
Hiſtoriker verwirrt und ihn, gleich Irrlichtern, bald auf unzugaͤng-
liche Hoͤhen, bald in niedrige Suͤmpfe verlockt, ſtempelt den ſym-
boliſchen Kunſtſtoff des claſſiſchen Alterthumes zum allegoriſchen
Elemente der Malerey aller Zeiten. Was ſchon im Alterthume
bald zu luftigem Reize ſich verfluͤchtigen, bald eine tiefe, bald
[390] wiederum eine leichtere Bedeutung einſchließen durfte, geſtattet,
nachdem alles religioͤſe Bedenken unabſehlich weit zuruͤckgewichen
iſt, die leichtſinnigſte, froͤhlichſte Auffaſſung und, hinſichtlich der
hineingelegten Bedeutung, die willkuͤhrlichſte Abweichung von
allen den mannichfaltigen Deutungen des Alterthumes, uͤber
welche wir einige Kunde beſitzen. Als Raphael dieſen Kunſt-
ſtoff zuerſt in groͤßerer Fuͤlle benutzte, und in ſein eigenthuͤm-
liches Gebiet hinuͤberzog, fuͤhlte und bediente er ſich dieſer
Freyheit. Er ſelbſt, (wie auch Giulio und andere, welche
hierin ſeinem Vorbilde gefolgt ſind) ſtuͤtzte ſich ſeines eigenen
Standpunctes eingedenk, beſonders auf die ſpaͤteſte und will-
kuͤhrlichſte Auffaſſung mythiſcher Dinge, den Apulejus, den
Ovid und aͤhnliche Schriftſteller. Erſt in den neueren, gelehr-
teren Zeiten iſt man auf die Grille verfallen, ſolche Aufgaben
mit religioͤſer Beachtung des Typiſchen und Symboliſchen auf-
zuloͤſen, darin eine muͤſſige und meiſt ſehr bedenkliche Gelehr-
ſamkeit auszulegen, welche der Darlegung des eigentlich Kuͤnſt-
leriſchen entgegenzuwirken ſcheint, gewiß dem Geſchmacke unſe-
rer Zeitgenoſſen nicht durchhin genuͤgt und hie und da ein ent-
ſchiedenes Vorurtheil gegen moderne Behandlungen mytholo-
giſcher Gegenſtaͤnde hervorgerufen hat.
An und fuͤr ſich ſoll der Kuͤnſtler, in ſo fern er Hand-
werker iſt und buͤrgerlich und haͤuslich zu beſtehen hat, geſinnt
und moͤglichſt geruͤſtet ſeyn, jeder ehrlichen Anforderung ſeiner
Zeitgenoſſen zu genuͤgen; und gewiß wuͤrde man die Frage:
ob neuere Kuͤnſtler nur chriſtliche und moderne, oder im Ge-
gentheil nur antike Aufgaben behandeln ſollen, nicht, ohne ver-
lacht zu werden, aufwerfen koͤnnen, wenn es nicht bey den
mannichfaltigſten Anſtalten, Kuͤnſtler zu erziehen und auszu-
ſtatten, in unſeren Tagen doch uͤberall an dem Entſchluſſe,
[391] vielleicht ſelbſt an einem inneren Beduͤrfniſſe fehlte, die kuͤnſt-
lich und abſichtlich Erzogenen in der Folge auch zu beſchaͤfti-
gen. Derſelbe Geiſt der Theorie, welcher die Errichtung und
Weiterung der Lehranſtalten wichtiger erſcheinen laͤßt, als die
Entwickelung, Foͤrderung, entſchloſſene Benutzung der Jugend-
kraft großer Talente, verleitet uns auch, uͤber den Werth oder
Unwerth von Kunſtaufgaben zu ſtreiten, deren Aufloͤſung wir
kuͤnftigen Zeiten uͤberlaſſen. Gewiß duͤrfte, wer in die Wirk-
ſamkeit ſeiner Zeitgenoſſen einzugreifen wuͤnſcht, auf naͤherem
Wege ſein Ziel erreichen, indem er begehrte, was ihn erfreut,
und auf dieſe Weiſe ein Recht erwuͤrbe, mit Kuͤnſtlern zu ha-
dern, welche ihm Verſprochenes und Wohlbelohntes nicht ſo
ganz, wie ſie ſollten, gearbeitet haben. Indeß werden wir,
von den Neigungen und Beduͤrfniſſen der Kuͤnſtler abſehend,
in Betrachtung ziehen koͤnnen, ob die Wuͤnſche und Foderun-
gen unſerer Zeitgenoſſen, beſonders der Kunſtfreunde, durch
einſeitige Auffaſſung von Gegenſtaͤnden der einen, oder der
anderen Art durchaus befriedigt werden koͤnnen.
Es iſt wohl ausgemacht, daß unter allen ſich darbieten-
den Gegenſtaͤnden der Kunſt die chriſtlichen der allgemeineren
Volksbildung beſonders nahe ſtehn, daher der Menge verſtaͤnd-
licher ſind, als Solches, ſo ſchon eine gewiſſe Hoͤhe der Bil-
dung vorausſetzt. Waͤre nun die Kunſt unter allen Formen
der geiſtigen Mittheilung die zugaͤnglichſte, weil ihre Darſtel-
lung nicht auf willkuͤhrlichen Zeichen beruht, ſondern auf ur-
ſpruͤnglichen, von Haus aus jedem offenen Sinne verſtaͤndli-
chen; ſo waͤre ſie auch durch ihren Beruf darauf angewieſen,
durch ihren Vortheil aufgefordert, einen wichtigen Theil ihrer
Kraͤfte und Anſtrengungen der Darſtellung populaͤrer, alſo
chriſtlicher Aufgaben zu widmen. Aus fruͤheren Unterſuchun-
[392] gen entſinnen wir uns, daß hiedurch nicht einmal die begeh-
renswerthe Schoͤnheit gefaͤhrdet werde, indem eben dieſe in
Kunſtwerken nicht ſowohl aus dem Gegenſtande an ſich ſelbſt,
als vielmehr, theils aus der Faͤhigkeit des Kuͤnſtlers, ſich fuͤr
denſelben zu begeiſtern, theils aus der Moͤglichkeit entſteht, ihn
kuͤnſtleriſch aufzufaſſen und darzuſtellen. Nach ſo viel treffli-
chen, ſchoͤnen und erhebenden Leiſtungen, als in den begluͤckte-
ſten Epochen der neueren Kunſt aus der Begeiſterung fuͤr
chriſtliche Begriffe und Vorſtellungen hervorgegangen ſind, wer-
den wir mit Ueberzeugung, weder das Eine, noch das Andere
laͤugnen koͤnnen, noch, wie es geſchehen iſt, durch Sophismen
den bezeichneten Gegenſtaͤnden ihren eigenthuͤmlichen Kunſtwerth
entziehen wollen.
Doch eben, weil die Auffaſſung von Gegenſtaͤnden, welche
mit dem religioͤſen und politiſchen Leben unſerer Tage noch im-
mer eng verflochten ſind, nothwendig ernſt, ſtreng und gebun-
den, alſo einſeitig iſt, wird das Launige, Phantaſiereiche, ſinn-
lich Reizende, beſonders aber, was einige Maler unſerer Zeit
zu verkennen ſcheinen, jede willkuͤhrliche Beziehung und Deu-
tung gaͤnzlich davon ausgeſchloſſen ſeyn. Freylich hat die mo-
derne Malerey der Italiener und anderer ihnen nachahmender
Nationen, vielleicht eben nur aus dem unbefriedigten Beduͤrf-
niß einer mehrſeitigen Evolvirung der allgemeinen Kunſtan-
lage, jene Elemente und Beziehungen auch in die kirchliche
Malerey hinuͤbergenommen. Indeß wird durch dieſe Vermen-
gung des Widerſtrebenden auf der einen Seite die begehrens-
werthe Strenge der kirchlichen Kunſt zerſtoͤrt, auf der anderen
dem unbefangenen Sinne nicht einmal jener Genuß gewaͤhrt, den
man bezweckt, da es an ſich ſelbſt widrig iſt, in den Kirchenge-
maͤlden verweichlichte Greiſe, und Juͤnglinge und Frauen zu ſehn,
[393] welche ihre Reize unter religioͤſen Verzuckungen zur Schau le-
gen. Alſo duͤrfte, hoͤherer Forderungen nicht zu gedenken *),
ſchon der gute Geſchmack innerhalb des Gebietes der kuͤnſtle-
riſchen Beziehungen eine Abſonderung begehren, jener aͤhnlich,
welche in der Poeſie und Muſik laͤngſt eingetreten iſt, oder
doch angenommen wird. Allein nur um ſo mehr werden wir
dem Reize, dem phantaſiereichen Muthwillen, der Allegorie,
ihr eigenthuͤmliches Feld zu ſichern haben.
Schon die fruͤheſten Kuͤnſtler der neuen und chriſtlichen
Welt fuͤhlten den allgemeinen Werth der Symbole und Per-
ſonificationen des claſſiſchen Alterthumes, deren ſie gar Manche
in die neue Kunſt hinuͤbernahmen. Auch waͤhrend des dunk-
leren Mittelalters erhielt ſich ein Theil dieſer Sinngebilde
vornehmlich in den Malereyen der Byzantiner, doch auch in
barbariſch italieniſchen und fraͤnkiſchen Denkmalen **). Giotto
ſcheint ſie nebſt anderen aus dem hoͤchſten Alterthume uͤber-
lieferten, aus der florentiniſchen Schule verdraͤngt zu haben;
hingegen entdeckten wir in den Perſonificationen des Ambruo-
gio Lorenzetti im oͤffentlichen Palaſte zu Siena einige Zeichen
der Bekanntſchaft mit den antiken Kunſtgeſtaltungen ***).
Dieſe uͤber das ganze Mittelalter verbreitete Hinneigung, ge-
dieh freylich erſt um die Mitte des funfzehnten Jahrhunder-
tes zur entſchiedenen, ihrer ſelbſt deutlich ſich bewußten Be-
ſtrebung.
[394]
Die Schule des Squarcione ging hierin, ſo weit meine
Kunde reicht, allen anderen und ſelbſt den florentiniſchen Ma-
lern voran. Die Paduaner beſchraͤnkten ſich indeß auf die
Nachahmung des Habituellen antiker Denkmale, welche Squar-
cione, wenn wir dem Vaſari trauen duͤrfen, geſammelt, unter
allen Umſtaͤnden beachtet und copirt hatte *), wie nach ihm
ſeine Schule, beſonders Zoan Andrea und Mantegna. Bey
den Florentinern hingegen entſtand die Hinneigung zur Fabel
aus einem gewiſſen Beduͤrfniß der Allegorie. Bey den Pa-
duanern ging die Nachahmung von halberhobenen antiken Ar-
beiten bis zur Verletzung der Stylgeſetze der Malerey; denn
ihr zerknittertes Gefaͤlte, ihre ſchroffe Andeutung der Formen
kommt aus der Nachahmung von Bildwerken und nicht, wie
noch neuerlich ein Kunſtfreund behauptet hat, aus einer ge-
wiſſen Befangenheit in der Nachbildung des ganz anders er-
ſcheinenden Wirklichen. Die Florentiner hingegen, beſonders
Sandro Botticelli, uͤbergingen in ihren mythologiſchen Dar-
ſtellungen das Habituelle der antiken Kunſtwerke und begnuͤg-
ten ſich, durch die bekannteſten Symbole und Perſonificatio-
nen des Alterthumes anzudeuten, was ihnen jedesmal der An-
regung werth ſchien. In beiden Schulen ward dieſe Richtung
durch das eben damals eintretende Beduͤrfniß, dem Weltſinne
unbefangener und gebildeter Menſchen zu genuͤgen, wenn nicht
hervorgerufen, doch ſicher befoͤrdert und aufgemuntert.
Bis zur anderen Haͤlfte des funfzehnten Jahrhundertes
war die Kirche faſt ungetheilt im Beſitze der beſten Kraͤfte
[395] damaliger Kuͤnſtler. Auch die Anfoderungen der Einzelnen be-
ſchraͤnkten ſich, wie zahlloſe kleine Madonnen und Heiligenbil-
der bewaͤhren, im Ganzen auf Gegenſtaͤnde der haͤuslichen
Andacht, und ſelbſt bey Verzierung der Saͤle, in welchen die
buͤrgerlichen Obrigkeiten ſich verſammelten, miſchte man kirch-
liche Gegenſtaͤnde unter die politiſchen Allegorieen, wie aus
den wohlerhaltenen Malereyen des oͤffentlichen Palaſtes zu
Siena, aus dem haͤufigen Durchblicken des Nimbus an den
uͤberweißten Waͤnden des Palaſtes del Podeſta zu Florenz,
oder aus anderen Beyſpielen abzunehmen iſt. Zu Siena ward
allerdings ſchon in den erſten Decennien des funfzehnten Jahr-
hundertes dem Taddeo di Bartolo die Darſtellung großer Hel-
den und Staatsmaͤnner des Alterthumes aufgetragen; doch
entſinnen wir uns, daß ihm dieſe Helden mißgluͤckt waren
und keinesweges mit den Heiligen Darſtellungen zu vergleichen
ſind, welche ihnen zur Seite ſtehn. Nachdem aber das bis
dahin unbeachtete, oder doch untergeordnete Beduͤrfniß erwacht
war, das haͤusliche Leben vertheilhafter einzurichten und in
der Verzierung der Wohnungen dem Lebensſinne die noͤthige
Befriedigung zuzuwenden, mehrte ſich, wie er voraus zu ſetzen
war, die Frage nach mythiſch-allegoriſchen Bildern.
In Loͤſung dieſer neuen Anfoderungen an das Talent,
ſind die Bildner den Malern vorangegangen. Schon Ghi-
berti, welcher ſeine Verehrung des claſſiſchen Alterthumes in
ſeiner Schrift ſehr entſchieden ausgeſprochen *), zeigte auch in
ſeinen Kunſtarbeiten Bekanntſchaft mit vielen eigenthuͤmlichen
Zuͤgen der antiken Bildnerey, in welche Luca della Robbia,
[396] wie jene Taͤnzerinnen der Orgelverzierung bezeugen, noch
ungleich tiefer eingedrungen war. Lorenzo Medici, der alte,
fand demnach, als er den Porticus ſeiner Villa zu Poggio a
Cajano durch einen Friis von gebrannter Erde verzieren ließ,
welcher die Geheimniſſe der Urwelt nach griechiſchem Mythus
andeutet, die Bildner bereits darauf vorbereitet ſeinen Wuͤn-
ſchen zu genuͤgen; weniger die Maler, deren einige, beſonders
Botticelli, von demſelben Goͤnner angeregt *), nun ebenfalls
begannen, in freyen Allegorieen, oder gegebenen mythologi-
ſchen Vorſtellungen ſich zu verſuchen.
Demnach entſtand jene Erweiterung des Gebietes der
neueren Kunſt gewiſſermaßen nur aus der Steigerung eines
Verlangens, welches ſelbſt in den unvollkommneren Arbeiten
des Mittelalters uͤberall aufleuchtet, gegen Ende des funfzehn-
ten Jahrhundertes entſchieden, und mit dem deutlichſten Be-
wußtſeyn des eigenen Wollens hervorgetreten war; und Ra-
phael iſt daher nicht ſowohl der erſte, welcher ſein Talent auf
Gegenſtaͤnde der Mythologie bezogen, als vielmehr derjenige,
welcher den Anfoderungen mehrſeitig gebildeter Maͤnner ſeiner
Zeit, durch ſeine gleichmaͤßig ergoͤtzliche und bedeutſame Be-
handlung mythiſcher Aufgaben zuerſt durchaus genuͤgt hat. In
dieſer Beziehung iſt er allerdings als Stifter anzuſehn. Denn
er lehrte durch ſein Beyſpiel, daß ſolche Aufgaben nicht, gleich
den kirchlichen, mit religioͤſer und hiſtoriſcher Strenge, ſondern
[397] mit poetiſcher Freyheit und Willkuͤhr aufzufaſſen ſind; er zeigte,
wie bildneriſche Vorbilder, wo ſolche fuͤr Bekleidung, Waffnung,
Charakter und anderes Hiſtoriſche genutzt werden ſollen, nach
maleriſchen Stylfoderungen umzugießen ſind; wie man Zuͤge
des gegenwaͤrtigen Lebens, deren der Maler nun einmal nim-
mer entbehren kann, den antiken Aufgaben aneignen ſolle. Ich
uͤberlaſſe dem Leſer, zu entſcheiden, ob es neueren Malern beſ-
ſer gelungen ſey, antike Eigenthuͤmlichkeiten und moderne Mo-
delle zu einem Guſſe zu verſchmelzen.
Obwohl es nun, wie ich angedeutet habe, an ſich ſelbſt
wuͤnſchenswerth iſt, daß beide Beziehungen der Kunſt, die kirch-
liche und die poetiſche, wie in ihrer Abſicht und Richtung, ſo
auch in ihrer aͤußeren Erſcheinung, in der Manier und Be-
handlung, einen gewiſſen Gegenſatz bilden; ſo fodert dennoch,
ſowohl die Wuͤrde ihres Gegenſtandes, als beſonders ihre Be-
ſtimmung, der Architectur ſich anzuſchließen, von beiden eine
gewiſſe Strenge und Gediegenheit des Styles; uͤber welchen
Begriff wir uns fruͤher verſtaͤndigt haben. Dahingegen ent-
ſtand in den vergaͤnglichen und beengten Wohnungen der noͤrd-
lichen Laͤnder das Beduͤrfniß von der Baukunſt unabhaͤngiger,
beweglicher Gemaͤlde, welche nicht ſo ganz denſelben Anfode-
rungen unterliegen, als die Hervorbringungen jener anderen,
hoͤher hinaus ſtrebenden Richtungen.
Es war ſchon den Alten aufgefallen, wie die Erſcheinung
der Dinge, auch abgeſehn von der Bedeutung und Schoͤnheit
ihrer Form, an und fuͤr ſich einen ſinnlichen Reiz beſitze, wel-
cher auf leiſen Undulationen des Lichtes und lieblichen Ueber-
gaͤngen des Tones beruht. Daher ihre Rhyparographen, welche
man zwar in jenen Zeiten unumwundener Rede nach ihren
Beziehungen und Gegenſtaͤnden benannte, doch nichts deſto
[398] weniger liebte und theuer bezahlte. Im neueren Weltalter,
beſonders im Verlaufe des ſiebzehnten Jahrhundertes, leiſte-
ten die Hollaͤnder in dieſer Schwelgerey des Auges das Un-
nachahmliche. Und, was man auch ſagen moͤge, ſo verdanken
wir doch ihren beſten, (den originellen, nicht Kunſtwerke und
Manieren nachahmenden) Malern die Kunſt, auch den minder
ſchoͤnen und faſt unbedeutenden Dingen ihren Reiz abzugewin-
nen. Ihr genuͤgſamer, aber tief eindringender Blick auf Land
und Meer, auf friſche Weiden und frohe Erndten, auf die
Blumenfuͤlle des Fruͤhlings und Aehnliches hat ſicher ſchon
manche truͤbe Winterſtunde erheitert. Demnach duͤrfte es we-
der befremden, noch an ſich ſelbſt zu beklagen ſeyn, wenn auch
in unſeren Tagen ſchoͤne Talente eine aͤhnliche Richtung ein-
ſchlagen und oftmals entſchiedener aufgemuntert werden, als
ſolche, welche mit unzulaͤnglichen Kraͤften einem hoͤheren Ziele
nachſtreben. Leben wir doch am Ende aller Zeiten; iſt es
doch fuͤr uns beynahe unumgaͤnglich, die verſchiedenſten Rich-
tungen, da wir nun einmal mit allen hiſtoriſch bekannt ſind,
dem gegenwaͤrtigen Beduͤrfniß anzupaſſen. Bewahren wir uns
nur vor der Vermiſchung des Unvereinbaren, ſey es uns nur
jedesmal ganz ein Ernſt, ſo wird ſich ergeben, daß alle, auf
uns uͤbergegangene Kunſtrichtungen, jene des griechiſchen und
des chriſtlichen Alterthumes mit dieſer dritten gemeinſchaftlich,
obwohl jede fuͤr ſich, beſtehen und fortwirken koͤnnen, ohne
einander, wie man bisweilen zu befuͤrchten ſcheint, hemmend,
oder aufhebend entgegenzuwirken.
Ueberhaupt beruhen die Hinderniſſe, welche in den aͤlte-
ren Zeiten von Giotto bis auf Raphael von Urbino, die Ent-
wickelung der Kunſt aufgehalten haben, die Urſachen des fruͤ-
hen und, in Anſehung des allgemeinen Standes der Bildung,
[399] ganz vorzeitigen Verfalles der Kunſt, welcher faſt unmittelbar
nach dem Tode Raphaels eingetreten iſt, auf ganz Anderem,
als auf der Wahl des Gegenſtandes, auf der Richtung der
Beziehungen. Wir wollen beide Ereigniſſe fuͤr ſich betrachten
und verſuchen, aus ihrer Erklaͤrung fuͤr die Pflege und Foͤr-
derung der Kunſt Vortheil zu ziehn.
Unlaͤugbar ging die neuere Kunſt nach Maßgabe der An-
zeigen, welche ihr erſtes Aufbluͤhn begleiteten, dem Ziele, wel-
ches ſie erreichen ſollte, nur langſam und mit vielen Unter-
brechungen entgegen. Die großen Meiſter des dreyzehnten
Jahrhundertes, Nicolas von Piſa mit ſeinen Gehuͤlfen, Cima-
bue, Duccio, vielleicht ſelbſt Ugolino, wenn die Madonna in
Orſanmichele ſein Werk iſt, erreichten, auch abgeſehn von der
Wuͤrde und Herrlichkeit ihres Abſehns, in der Ausbildung des
Einzelnen, im Ausdruck und in der Bezeichnung, verglichen
mit ihren Vorgaͤngern eine ſehr hohe Stufe. Weit entfernt,
dieſe Kuͤnſtler zu uͤberbieten, blieb Giotto und wer ihm folgte,
was die Charakteriſtik ſittlichen Seyns und Wollens angeht,
weit hinter ſeinen Vorgaͤngern zuruͤck; wir erinnern uns, daß
ſein Ruhm theils auf Abaͤnderung der Manier, oder der ma-
leriſchen Handhabung, theils auch auf der Einfuͤhrung einer
neuen Richtung auf Handlung und Bewegung und freyere Er-
findung ſich gruͤndete, wodurch das Gebiet der kuͤnſtleriſchen
Beziehungen allerdings erweitert, doch der Sinn ſeiner Zeit-
genoſſen auf lange Zeit von der unumgaͤnglichen Begruͤndung
des Charakters abgelenkt ward. Nach Giotto blieb die Ma-
lerey beſonders zu Florenz wohl ein Jahrhundert lang, bey
wenigen, theils ſchon von mir hervorgehobenen Ausnahmen,
hinſichtlich der Manier auf der Stufe, auf welche jener Stif-
ter ſie erhoben hatte, hinſichtlich des Geiſtes, wie es uͤberall
[400] bey Nachahmern ſich wiederholt, tief unter ihrem Vorbilde.
Als darauf, gegen die Mitte des funfzehnten Jahrhundertes,
Maſaccio und Fieſole, unbeſtreitbar aus einem inneren Be-
duͤrfniß, die maleriſche Darſtellung durch die wichtigſten Vor-
theile bereichert hatten, ward ihr Beſtreben nicht alſobald ſei-
nem Ziele weiter entgegengefuͤhrt, vielmehr entſtand von neuem
eine Luͤcke von einigen fuͤr den Fortſchritt der Kunſt verlore-
nen Decennien. In den folgenden und bis auf Lionardo und
Raphael hatten wir endlich die befremdliche Erſcheinung wahr-
genommen, daß viele Kuͤnſtler, Coſimo Roſelli, Filippo Lippi,
Pietro Perugino, Pinturicchio und andere, ihre Laufbahn auf
das herrlichſte begannen, hingegen in ſpaͤteren Jahren in eine
unerfreuliche, geiſt- und geſchmackloſe Manier verfielen.
Dieſe Erſcheinungen, welche eine zu befangene Vorliebe
fuͤr die Alterthuͤmer der neueren Kunſt nicht ſelten uͤberſehen
macht, entſtehen, wenn ich mich nicht taͤuſche, großentheils
aus einem zu entſchiedenen Zunftgeiſte, in welchen die Kunſt,
gleich anderen Gewerben, verfallen war, indem ſie den buͤr-
gerlichen Einrichtungen der italieniſchen Gemeinweſen des Mit-
telalters ſich fuͤgte, denen ſie andrerſeits unſtreitig mannichfal-
tige Foͤrderungen verdankt. Der Urſprung dieſer Verhaͤltniſſe
iſt, wie ſo viel Anderes uͤber das dreyzehnte Jahrhundert zu-
ruͤckreichende, aus Mangel an ſchriftlichen Denkmalen dunkel.
Die Nachrichten und Auszuͤge von den Statuten der Maler-
zunft verſchiedener italieniſcher Staͤdte *), welche wir beſitzen,
rei-
[401] reichen nirgend bis in ſehr alte Zeit hinauf und ſind wahr-
ſcheinlich durchhin ſpaͤtere, immer mehr ausgeſtaltete Redactio-
nen, welche die Aufbewahrung der aͤlteren uͤberfluͤſſig zu ma-
chen ſchienen. Aus dieſem Verhaͤltniß entſtand zunaͤchſt eine,
dem demokratiſchen Sinne der italieniſchen Staaten allerdings
angemeſſene, doch den Kuͤnſten gefaͤhrliche Gleichſtellung von
Meiſtern, deren einige nur Handwerker, andere zwar ebenfalls,
wie ſich’s gehoͤrt, Handwerker waren, doch zugleich Maͤnner
von Geiſt und Streben. Wir entſinnen uns aus fruͤher *)
mitgetheilten Auszuͤgen, daß die Stimme großer Kuͤnſtler, des
Arcagno, Taddeo und anderer, in den Berathungen der flo-
rentiniſchen Domverwaltung einer unendlichen Zahl voͤllig un-
bekannter Namen gleichgeſtellt worden, welche, wenn wir der
Kunſtgeſchichte nicht alle Gerechtigkeit abſprechen wollen, ſchwer-
lich das hohe Verdienſt jener erſten erreicht haben. Eine ganz
andere Stellung mochten die Kuͤnſtler vor gaͤnzlicher Ausbil-
dung der Zuͤnfte, vor gaͤnzlicher Verdraͤngung ariſtokratiſcher
Prinzipien, in den Gemeinweſen eingenommen haben; denn
gewiß ward die Perſoͤnlichkeit großer Kuͤnſtler noch im drey-
zehnten Jahrhundert auf eine Weiſe geehrt **), welche nach
dem Ableben des Giotto fuͤr einige Zeit aus der Geſchichte
verſchwindet.
Ferner fuͤhrten die durchgebildeten Zunfteinrichtungen un-
laͤugbar eine mehr, als zu billigende, ſchaͤdliche Abhaͤngigkeit
des Lehrlings herbey, welcher durchhin auf zu lange Zeit und
allzu feſt an den Meiſter gekettet ***) und eben daher in deſſen
II. 26
[402] Manier und Eigenthuͤmlichkeit bis zur gaͤnzlichen Abſtumpfung
ſeiner Faͤhigkeiten und eigenen Beſtrebungen befangen ward.
Vielleicht werden einige unſerer Zeitgenoſſen, uneingedenk ihrer
Abneigung, ſich ſelbſt, wenn auch unter den billigſten Bedin-
gungen irgend einem Meiſter anzuſchließen, jene uͤbergroße Ab-
haͤngigkeit als einen der maͤchtigſten Hebel der neueren Kunſt
auspreiſen wollen, da es nun einmal beliebt iſt, geſchichtliche
Verhaͤltniſſe nach Laune darzuſtellen und Grundſaͤtze aufzuſtel-
len, denen man keinesweges zu folgen beabſichtet. Indeß
duͤrfte es zu ihrem eigenen Beſten ausſchlagen, wenn ſie kuͤnf-
tighin, einerſeits eine gehoͤrig bedingte Unterordnung unter den
Meiſter ſich gefallen ließen, andererſeits der begruͤndeten Ge-
***)
[403] ſchichte zugeben wollten, daß ſchon jenes Vorurtheil fuͤr Gi-
otto, welches die Kunſt ſo langezeit auf derſelben Stufe feſt-
gehalten, beſonders aber jene bedenkliche Erſcheinung, daß bis
auf Raphael die großen Meiſter meiſt nur aus den Schulen
der geringen, hingegen aus den Schulen der großen Meiſter
haͤufig gar ſchwache und maͤßige Kuͤnſtler hervorgegangen ſind,
durchhin nur aus der Uebermacht des Meiſters, aus der Ge-
walt ſeiner Einwirkungen auf die Seele des Lehrlings ent-
ſprungen ſey.
Allein auch jener uͤbertriebene Gewerbsgeiſt, welcher nicht
ſelten, wie im Zeitalter der ſogenannten Giottesken, die leich-
tere, behendere Manier der emſigeren und gruͤndlicheren vor-
ziehn machte, vortreffliche Talente fruͤhe von der Bahn ernſt-
lichen Strebens nach innerer Vollendung abzog, mochte eben
nur daher entſtanden ſeyn, daß man die Kunſt, welche ihre
buͤrgerliche Beſtimmung zu einſeitig verfolgt und ausgeſtaltet
hatte, nunmehr auch ganz einſeitig als ein Gewerbe in An-
ſpruch nahm *), was allerdings ſeine gute, aber auch ſeine
mißliche Seite hat. Moͤchte man die gute, einen ermaͤßigten
Antheil jenes innerhalb gewiſſer Grenzen durchaus erforderli-
chen Gewerbsgeiſtes, wirklich in Anwendung bringen, ohne in
die bedenkliche und ſchlimme zu verfallen, welche hier bloß in
der Uebertreibung liegt. Freylich ſind wir vor der Hand gleich
weit davon entfernt, uns hinſichtlich des kuͤnſtleriſchen Er-
werbsgeiſtes dem Maße, oder dem Unmaße hinzugeben; und
es iſt ſicher denen, welche die Einrichtungen des Mittelalters
26 *
[404] auch in dieſer Beziehung fuͤr unverbeſſerlich und wuͤnſchens-
werth halten wollen, doch keinesweges um deren Wiederher-
ſtellung zu thun. Wie wuͤrde auch ſo Vieles, welches in den
Kunſtbeſtrebungen unſerer Tage bey ſcheinbar entſchiedenem
Gegenſatze doch gleichmaͤßig krankhaft und erfolglos iſt, wie
wuͤrde die vorwaltende Neigung einſeitigen Begriffen nachzu-
gruͤbeln und ſubjectiven Stimmungen ſich hinzugeben, mit je-
ner praktiſchen Ruͤſtigkeit der mittelalterlichen Malerbuden *)
zu vereinigen ſeyn?
Dieſe aͤußeren Verhaͤltniſſe hemmten den Fortſchritt der
Kuͤnſtler zu mehrſeitiger Geiſtesbildung, beſonders zu jener voll-
ſtaͤndigen Durchdringung und Aneignung der Geſetze des ſich
Geſtaltens und Erſcheinens, welche die vollendete Darſtellung,
genau genommen ſelbſt die durchgebildete, deutliche Anſchau-
ung ihrer Gegenſtaͤnde, unumgaͤnglich erheiſcht. Hingegen ward
die, nicht minder wuͤnſchenswerthe Entwickelung des Stylge-
fuͤhles bey den Malern, wie beſonders bey den Bildnern durch
Abweſenheit ſicherer architectoniſcher Grundlagen, wenn nicht
durchaus gehemmt, doch verkuͤmmert und aufgehalten.
Diejenige Eigenſchaft vortrefflicher Kunſtwerke, welche ich
Styl nenne, und in den einleitenden Unterſuchungen ſowohl
vom Gegenſtande, als von deſſen Darſtellung (ſogar vom
aͤußerlichſt Techniſchen) abgeſondert und fuͤr ſich betrachtet habe,
beruhet, wie wir uns entſinnen, theils auf einem fein gebil-
deten Gefuͤhle fuͤr die Schoͤnheit raͤumlicher Verhaͤltniſſe, deſ-
ſen Anwendung nicht unmittelbar vom Gegenſtande geboten
wird, alſo meiſt in der Willkuͤhr des Kuͤnſtlers liegt; theils
aber auch auf Kenntniß und Beruͤckſichtigung der Foderungen
[405] des jedesmaligen derben Kunſtſtoffes. In beiden Beziehungen
zeigt den uͤbrigen Kuͤnſten die Baukunſt den Weg, ſowohl,
weil ſie durch ihren Beruf auf abgeſonderte Auffaſſung und
hoͤhere Ausbildung der Schoͤnheit der Verhaͤltniſſe, zugleich auf
beſondere Beruͤckſichtigung des derben Materiales angewieſen
iſt, als auch, weil ſie nothwendig den uͤbrigen Kuͤnſten vor-
angeht. Die Entſtehung des Stylſinnes laͤßt ſich, wie ſchon
erinnert worden, bis in das aegyptiſche und indiſche *) Al-
terthum, alſo aufwaͤrts bis zu jenen Zeiten hin verfolgen,
welche der Entſtehung, oder Erfindung eigentlicher Kunſt um
ein Weltalter vorangehn.
Indeß nahm die neuere Kunſt, wie man immer das
Gegentheil wuͤnſchen und behaupten moͤge, einen ganz anderen
Lauf, als die urſpruͤngliche und aͤlteſte. Dieſe erhob ſich uͤber
wohlgeſicherten Grundlagen, welche bereits die Bedingungen,
ich moͤchte ſagen, die Nothwendigkeit ihrer kuͤnftigen Entwicke-
lung enthielten. Hingegen entſtand die neuere, wenn wir ſie
rein als Kunſt und abgeſondert von begeiſternden Einwirkun-
gen betrachten, aus einer allmaͤhlichen Entwirrung halbdeut-
licher Reminiſcenzen von den kuͤnſtleriſchen Abſichten und Lei-
ſtungen der claſſiſchen Vorwelt. Daher zeigte ſie ſich auf ih-
ren erſten Stufen nicht, wie im hoͤchſten Alterthume, in gro-
ßen Maſſen und einfachen Eintheilungen, denen eben nur noch
die Ausbildung ins Einzelne fehlet, ſondern zunaͤchſt uͤberhaͤuft
und verworren, voll einzelner Anregungen, welche ihre Stelle,
ihr rechtes Maß noch nicht gefunden hatten.
[406]
Dieſer Vorwurf betrifft zuvoͤrderſt die italieniſche Architec-
tur, welche waͤhrend des zwoͤlften Jahrhundertes, bey oft loͤb-
licher Anlage des Ganzen, doch in ihren Zierden nichts iſt, als
eine voͤllige Verwirrung antiker Reminiſcenzen; im dreyzehnten
aber ohne innere Gruͤnde und aus bloßer Neigung zum Wech-
ſel dem gothiſchen, oder deutſchen Baugeſchmacke ſich anſchließt.
Die Einfuͤhrung einer Bauart, welche, in ſo fern ſie Lob ver-
dient, nur im mittleren und aͤußerſten Norden zu Hauſe iſt,
hingegen im Suͤden uͤberall gegen die climatiſchen Foderungen
verſtoͤßt, iſt unlaͤugbar, was Italien angeht, ein bloßes
Symptom der Schwaͤche und Unſicherheit *). Gewiß fuͤhlte
man von Anbeginn, daß jene Bauart der ſtumpfwinkligen
Anlage ſuͤdlicher Daͤcher, dem Beduͤrfniß ſchattiger Hallen und
Anderem durchaus widerſtrebe, da man in Italien ſich ſtets
begnuͤgt hat, bloß ihr Unweſentliches, mehr der Zierde, als
der allgemeineren Anlage Gehoͤrendes nachzuahmen. Die Vor-
ſeiten der Kirchen, ſelbſt jene beſſere der Oberkirche des Hl.
Franz zu Aſiſi, verſah man mit falſchen uͤber das Dach hin-
ausragenden Giebeln; den Fenſtern, welche man nicht ſo weit
oͤffnen wollte, als im Norden beliebt war, ſuchte man durch
eine Verwickelung uͤberhaͤufter Zierden den Anſchein groͤßerer
Raͤumigkeit zu geben. Gewiß wird ſelbſt der entſchiedenſte
Verehrer der Architectur des deutſchen Mittelalters deren ita-
lieniſche Nachahmungen nicht wohl billigen koͤnnen.
Schon in jener aͤlteren, noch auf einem Gegebenen ru-
henden Bauart des hoͤheren Mittelalters war den bildenden
Kuͤnſten nicht uͤberall in dem Maße ihre Stelle geſichert wor-
den, als im claſſiſchen Alterthume; doch gab es darin noch
[407] immer Flaͤchen und Abtheilungen, welche zu geordneten, ar-
chitectoniſch zuſammenhaͤngenden Werken einluden. Jene ſchon
beruͤhrten Wandgemaͤlde in byzantiniſcher Manier, welche das
Mittelſchiff der alten Baſilica ſ. Pietro in Grado unweit Piſa
verzieren, ſind, abgeſehn von ihrem maleriſchen Verdienſte,
noch immer als wohlgeordnete Arbeiten zu betrachten. In der
Folge aber, waͤhrend der Herrſchaft eines verſtuͤmmelten deut-
ſchen Baugeſchmackes, ward es die ſchwierigſte Aufgabe, die
ſo haͤufig durchbrochenen und in die ſeltſamſten Figuren durch-
ſchnittenen Raͤume bildneriſch oder maleriſch auszuzieren. Daher
ein fortdauernder Kampf des Stylſinnes damaliger Kuͤnſtler,
welche in dieſer Beziehung dem claſſiſchen Alterthume verwandt
und von dem moderneren abſichtlichen Ausgehn auf Verwir-
rung noch ſehr weit entfernt waren; ein Kampf, in welchem
bisweilen das Talent, oͤfter die aͤußeren Verhaͤltniſſe ſiegten.
Ich erinnere hier an die ungeordnete maleriſche Verzierung der
Rathhaͤuſer zu Siena und ſ. Gimignano und anderer Gebaͤude
dieſer Zeit; oder an jene verworrene Abtheilung der italie-
niſchen Altartafeln des vierzehnten Jahrhundertes, welche die
Kuͤnſtler noͤthigte, wider Willen allen ihnen gelaͤufigen Vor-
theilen der Zuſammenſtellung zu entſagen, ohne ſie durch ent-
ſchiednere Abſonderungen zu ſtatuariſcher Ausbildung der ein-
zelnen Geſtalten zu berechtigen und aufzufordern. Indeß kann
der Maler auch da, wo er unvermeidlich das Stylgefuͤhl ver-
letzet, viel andere Vorzuͤge geltend machen, welche ihn uͤber
jenen Mißſtand hinausheben; der Bildner hingegen deſſen
Stoff nie aufhoͤrt, ſich dem Gefuͤhle aufzudraͤngen, mithin die
Abſtraction von den raͤumlichen Verhaͤltniſſen ganz ausſchließt,
mußte jene architectoniſchen Ungemaͤchlichkeiten entweder ver-
draͤngen, oder ihnen ganz unterliegen.
[408]
Wer haͤtte nicht irgend ein Mal jene bekannteſte Antitheſe
vernommen: daß die Malerey den neueren und chriſtlichen
Zeiten, die Bildnerey hingegen der antiken Bildung angehoͤre.
Indeß beruhet dieſer Satz, in ſo fern er aus der Erfahrung
abgezogen worden, auf ſeichter und wenig gruͤndlicher Beobach-
tung; in ſo fern derſelbe aus der ſicher hoͤchſt abweichenden
Richtung und Geſinnung antiker und neuerer Zeiten erklaͤret
wird, auf einer gaͤnzlichen Verwechſelung des Geiſtes mit den
Formen ſeiner Thaͤtigkeit und Aeußerung.
Hiſtoriſch falſch iſt er, weil die Alten unzweifelhaft auch
in der Malerey das Ueberſchwengliche geleiſtet, die neueren
Bildner aber bis gegen das Ende des funfzehnten Jahrhun-
dertes die Leiſtungen der gleichzeitigen Maler durchhin uͤber-
troffen haben und nicht fruͤher, als nach dem Jahre 1500 in
Abweichungen verfallen ſind, deren Urſprung einer nachzu-
holenden Betrachtung angehoͤrt. In ſich ſelbſt iſt er falſch,
weil die Bildnerey der Malerkunſt keinesweges ſo entſchie-
den entgegenſteht, daß man annehmen duͤrfte, beſtimmte
Richtungen des Geiſtes werden bald nur in der einen, bald
wiederum nur in der anderen ſich ausdruͤcken koͤnnen. In
beiden Kuͤnſten beruhet die Darſtellung an und fuͤr ſich auf
derſelben Bedingung einer inneren, gegebenen, nothwendigen
Bedeutſamkeit von Formen, deren Beziehung zur menſchlichen
Seele durch die koͤrperliche Nachbildung der einen, durch die
ſcheinbare der anderen nicht weſentlich veraͤndert wird; denn
jene Verbreitung uͤber den Reiz des Erſcheinens an ſich ſelbſt,
welche der Malerey gewaͤhrt iſt, jenes vielſeitige, erſchoͤpfende
Eingehn in die mannichfaltigſten Verſchmelzungen und Thei-
lungen der Form, welches die Bildnerey zulaͤßt, gehoͤret, wie
es einleuchten muͤßte, durchhin zu den untergeordneten Evolu-
[409] tionen dieſer einzelnen Kunſtarten. Es wird daher jedes Gei-
ſtige, ſo uͤberall durch Formen auszudruͤcken iſt, eben ſowohl
in dieſen Formen ſelbſt, als durch deren Anſchein, alſo eben
ſowohl maleriſch, als bildneriſch auszudruͤcken ſeyn, mithin
auch eine antike Malerey, eine moderne Bildnerey geben, wenn
anders die claſſiſche und die moderne Zeit, oder eine von bei-
den, jemals fuͤr die bildende Kunſt ernſtlichen Beruf und aͤchte
Anlage gezeigt haben.
In ganz Anderem lag es demnach, wenn die Bildnerey
neuerer Zeiten nicht ſo ganz die Hoͤhe der antiken erreicht hat.
Wir erinnern uns, daß bis gegen das Ende des funfzehnten
Jahrhundertes die Bildner ungeachtet der Hinderniſſe, welche
die obwaltende Bauart ihnen entgegenſtellte, doch den Malern
ſtets uͤberlegen geblieben; daß bis dahin kein hiſtoriſcher Grund
vorhanden iſt, die bildneriſche Beſtimmung der Neueren in
Zweifel zu ziehn. Alſo werde ich mich hier darauf einſchraͤn-
ken duͤrfen, zu unterſuchen, aus welchem Grunde die Malerey
ſeit dem Jahre 1500 ein entſchiedenes Uebergewicht erlangt
habe; weßhalb die Bildnerey um einige Decennien ſpaͤter un-
wiederbringlich in die bedenklichſten Abirrungen verfallen ſey.
Verſchiedenes vereinigte ſich, die maleriſche Darſtellung
im Zeitalter Raphaels weit uͤber die bildneriſche hinauszuhe-
ben. Die erſte hatte eben damals in techniſchen Dingen eine
ſchwindelnde Hoͤhe erreicht, waͤhrend die Bildnerey noch immer
der wichtigſten mechaniſchen Handgriffe entbehrte. Gewiß wa-
ren die Bildner des funfzehnten Jahrhundertes, eben weil ſie
der geometriſchen und mechaniſchen Huͤlfsmittel entbehrten, in
der Fuͤhrung und Handhabung der Eiſen zu großer, vielleicht
von den Spaͤteren unerreichter Geſchicklichkeit gelangt. Sie
mochten das Beduͤrfniß abſtracter Huͤlfswege noch nicht fuͤh-
[410] len, weil ihre Arbeiten meiſt in kleinen und mittleren Dimen-
ſionen ausgefuͤhrt wurden. Doch nachdem man, vornehmlich
auf Anregung des Michelagnuolo, zum Coloſſalen uͤbergegan-
gen war, genuͤgte das Augenmaß und die techniſche Sicherheit
nicht einmal dem groͤßeſten Meiſter in dieſer neuen Richtung,
welcher nach dem hier gewiß glaubwuͤrdigen Berichte des Va-
ſari*) ſich nicht ſelten ſo verhauen hat, daß er ſchon vorge-
ruͤckte Werke aufgeben muͤſſen, deren verſchiedene noch vorhan-
den ſind. Die gaͤnzliche Ausbildung des Mechanismus der
Bildnerey und daher entſtehende Abgemeſſenheit ihrer Werke
faͤllt, wie es aus Mittheilungen Winckelmanns bekannt iſt,
in einen ſehr vorgeruͤckten Abſchnitt des achtzehnten Jahrhun-
dertes; ein Umſtand, welchen die Schriftſteller uͤber Dinge der
Kunſt nicht genug beruͤckſichtigen.
Allein auch in anderer, architectoniſcher Beziehung waren
die aͤußeren Verhaͤltniſſe um das Jahr 1500 den Malern guͤn-
ſtiger, als den Bildnern. Die Bauart nemlich, deren erſte
Anregung dem Brunellesco beygemeſſen wird, welche ſicher
ſeit der Mitte des funfzehnten Jahrhundertes eine hohe Aus-
bildung erreicht hatte und allgemein in Gebrauch gekommen
war, beſchaͤftigte ſich theils mit der Errichtung von Kirchen,
theils mit der Anlage von Wohnungen der Reichen und Maͤch-
tigen, welche beide, nach damaligen Verhaͤltniſſen, aͤußerlich
Staͤrke und Groͤße darlegen ſollten und alle Anmuth und Zierde
dem Inneren vorbehielten. Das Innere der Wohnungen galt
ſchon im Alterthume fuͤr das eigenthuͤmliche Feld der Male-
rey; die Beguͤnſtigung dieſer Kunſtart erfolgte demnach nicht
ſowohl aus jener angenommenen Nothwendigkeit oder Vor-
[411] liebe, ſondern ergab ſich eben nur aus dem Umſtande, daß
in jener neuen Bauart dem Maler ein weiterer Spielraum
vorbereitet war, als dem Bildner, deſſen Hervorbringungen
darin nur ſelten eine guͤnſtige Stelle fanden.
Als darauf, vornehmlich durch den Einfluß des Michel-
agnuolo*), die Baukunſt gegen die Mitte des ſechzehnten
[412] Jahrhundertes die Bahn des Zweckmaͤßigen, techniſch Begruͤn-
deten und nothwendig Schoͤnen verließ, um dem Auffallenden,
Seltſamen, Luftigen nachzugehn, nahm ſie allerdings die bil-
denden Kuͤnſte auf alle Weiſe in Anſpruch, ward denſelben
jedoch nur um ſo verderblicher, indem ſie Bildner, wie
Maler mehr und mehr an Verwirrung und Regelloſigkeit ge-
woͤhnte. Es wuͤrde zu weit fuͤhren, wenn wir hier an Bey-
ſpielen nachweiſen wollten, wie die Stylloſigkeit der modernſten
Zeiten unmittelbar und nothwendig aus den Mißverhaͤltniſſen
und Seltſamkeiten der ſie begleitenden Bauart hervorgegangen
ſind. Wird es doch jedem unterrichteten Kunſtfreunde erin-
nerlich ſeyn, wie dieſe Verirrung vornehmlich in ſolchen Kunſt-
werken hervortritt, welche unmittelbar an modern barbariſche
Bauwerke geknuͤpft ſind, gleich den maleriſchen Kuppelverzie-
rungen, gleich den Statuen an den Vorſeiten neuerer Kirchen
und Aehnlichem; wie andererſeits alle das Stylgefuͤhl minder
verletzende Kunſtwerke derſelben Zeit entweder in ſich ſelbſt
abgeſchloſſen und von umgebenden Dingen unabhaͤngig ſind,
oder den Eintheilungen aͤlterer und gediegener Bauwerke nach-
gehn, welche ſichtlich das Stylgefuͤhl der Kuͤnſtler voruͤberge-
hend wieder angeregt haben.
Doch nur in dieſer einen Beziehung unterliegt die aͤußere
Entwickelung der bildenden Kuͤnſte dem Einfluſſe der Baukunſt;
aus anderen Urſachen werden wir demnach jene um die Mitte
*)
[413] des ſechzehnten Jahrhundertes uͤberhandnehmende Vernachlaͤſ-
ſigung in der Aneignung der darſtellenden Formen zu erklaͤren
haben; aus anderen wiederum die zugleich eingetretene Ver-
wilderung der Manier, oder Handhabung der Werkzeuge.
Jene bald nach dem Ableben Raphaels ſich meldende
Verſchloſſenheit des Sinnes fuͤr die unendliche Schoͤnheit, fuͤr
die tiefe Bedeutung der Geſtalten, welche die Natur in ihrer
unerſchoͤpflichen Verjuͤngung aus ſich ſelbſt hervorbringt, fuͤr
den unbeſchreiblichen Reiz, welcher deren Erſcheinung begleitet,
iſt ſicher keine urſpruͤnglich kuͤnſtleriſche Krankheit, da eine ge-
ſteigerte Empfaͤnglichkeit fuͤr dieſe Schoͤnheiten eben dasjenige
iſt, was den Kuͤnſtler zum Kuͤnſtler macht und ſeine Geiſtes-
anlage von anderen gleich ehrenwerthen, doch entgegengeſetzten
unterſcheidet.
Der Kuͤnſtler iſt von Haus aus geneigt, mit Entzuͤcken zu
ſehen und durch ſinnliche Anſchauung von Formen, deren Ver-
ſtaͤndniß ihm naͤher liegt, als der Menge, ſich hoͤchlich zu be-
geiſtern. Hingegen gelangt man auf dem entgegengeſetzten
Geiſteswege gar leicht dahin, die Abſtracta: Sinnliches, Ma-
terielles und aͤhnliche, auf die wirkliche, lebendige Welt zu
uͤbertragen und die letzte, gleichſam als die haſſenswerthe
Stellvertreterin jener negativen, jeglichem Leben entgegenge-
ſetzten Begriffe mit Geringſchaͤtzung anzuſehn. Dieſe Verblen-
dung hatte den Kuͤnſtlern von Außen her ſich aufgedraͤngt,
ihrer Traͤgheit und Eitelkeit ſich eingeſchmeichelt, wie es aus
vielfaͤltigen Zeichen erhellt, welche ich uͤbergehe, da ich ſchon
in der erſten Abhandlung darauf hingedeutet habe. Doch
kann ich nicht wohl umhin, in Erinnerung zu bringen, daß
ich dort dem Raphael wahrſcheinlich zu nahe getreten bin, da
mir bey wiederholter Durchleſung ſeines Briefes immer mehr
[414] einleuchtet, daß neuere Schriftſteller ſeine gelegentlichen und
bloß den Hoͤflichkeiten des Caſtiglione ausweichenden Worte
bey weitem zu ſyſtematiſch und ernſtlich aufgenommen haben.
So duͤrfte denn auch jene oft wiederholte Aeußerung: daß der
Kuͤnſtler die Dinge nicht bilden muͤſſe, wie ſie ſind, ſondern
wie die Natur ſie bilden ſolle, (wodurch offenbar die ganz un-
kuͤnſtleriſche Reflection beguͤnſtigt wuͤrde) dem Raphael auch mit
Ungrund aufgebuͤrdet worden ſeyn. Raphael wußte beſſer, als
irgend ein Neuerer, daß jegliche, auch die geringſte ſinnliche Er-
ſcheinung, ſey es als Anregung, oder auch als Gegenſtand der
Forſchung betrachtet, fuͤr den Kuͤnſtler nothwendig irgend ei-
nen Werth beſitze; daß, wo es die Darſtellung einer beſtimm-
ten Aufgabe angeht, nicht die ſchoͤnſte, ſondern eben nur die
paßlichſte Form die beſte ſey. Zudem wird uns jene, ihm
untergeſchobene Sentenz eben nur durch den ſpaͤten Paggi*)
verbuͤrgt, welcher hier um ſo weniger als Zeuge zu betrachten
iſt, als er offenbar nach einer Autoritaͤt haſchte.
[415]
Paggi hegte, obwohl er als Kuͤnſtler gar wenig bedeutet,
doch eine hohe Meinung von der geiſtigen Vornehmheit des
Kuͤnſtlerberufes, welche er ſeinen beſchraͤnkteren Zunftgenoſſen
mitzutheilen ſuchte. Indeß hatte auch die aͤußere Stellung der
Kuͤnſtler ſeit dem Anbeginn des funfzehnten Jahrhundertes
eine gaͤnzliche Umwandlung erfahren, auf welche dieſer Kuͤnſt-
ler in ſeinen Briefen verſchiedentlich anſpielt *). Aus duͤrren
Zunftgenoſſen waren die bildenden Kuͤnſtler durch unmerkliche
Uebergaͤnge zu Guͤnſtlingen großer Fuͤrſten, Hof und Welt-
leuten **) gediehen. Die Achtung, deren Lionardo, Michelag-
nuolo, Lionardo, Tizian und andere Maler und Bildner ihrer
Zeit ſich erfreueten, beruhete vornehmlich auf der Groͤße ihres
Talentes, auf der Wuͤrde ihrer Perſoͤnlichkeit. Wie ehrenvoll
ſie geſtellt waren, erhellet z. B. aus den Briefen Tizians an
Karl V. und Philipp II.***); wie viel Ruͤckſicht dem Talent
gewaͤhret wurde, aus dem bekannten Briefe Julius II. an die
Behoͤrden der florentiniſchen Republik †). Dieſes noch per-
ſoͤnliche Verhaͤltniß großer Kuͤnſtler zu geiſtvollen Fuͤrſten ging
indeß ſehr fruͤhe auf alle Berufsgenoſſen uͤber. Ihre Zuͤnfte
geſtalteten ſich allgemach zu freyen Genoſſenſchaften, zu Aka-
[416] demieen, in welchen die Gebildetſten ihre Erfahrungen und
Reflectionen den Uebrigen vortrugen. Dieſe freyen Vereine
ſicherten ihren Mitgliedern eine gewiſſe Auszeichnung, beſon-
ders, wo ſie vom Fuͤrſten ausgingen, wie die florentiniſche
Akademie, welche 1563 von Großherzog Cosmus I. gegruͤn-
det worden. Wer wuͤßte nicht, daß aus dieſen Akademieen
zunaͤchſt oͤffentliche Studienſaͤle, dann von Hand zu Hand die
offiziellen Kunſtſchulen unſerer Tage entſtanden ſind; die Win-
terhaͤuſer der Kunſt, welche der naͤchſte Fruͤhlingstag entbehr-
lich machen wird.
Unſtreitig verdanken Lionardo, Raphael und Michelag-
nuolo, die volle Entwickelung ihrer hohen, uͤber alles gewoͤhn-
liche Maß hinausgehenden Anlagen dem Gluͤcke, welches ſie
zeitig an die Hoͤfe geiſtreicher Fuͤrſten verſetzte, deren Unter-
nehmungen ſchon an ſich ſelbſt großartig, deren Anforderungen
an das Talent unerſaͤttlich waren. Indeß erhoben ſich jene
großen Kuͤnſtler von buͤrgerlichen und handwerksmaͤßigen Grund-
lagen, welche ihrem freyen, genialen Treiben einen ſicheren Bo-
den gewaͤhrten. Ihre Schuͤler hingegen lernten ſchon in den
Windeln den verwickelten Zuͤgen der Hofgunſt nachzuſpaͤhn, ſich
den Launen der Großen anzupaſſen, ihnen das Geheimniß der
einzigen Befriedigung abzulauſchen, welche ein vielfach beweg-
tes, ſchnell dahin rauſchendes Leben zu verſtatten ſcheint: be-
hender Erfuͤllung nemlich ſchnell aufſteigender Wuͤnſche *).
Eben
[417] Eben wie dort durch eine falſche Steigerung des Bewußtſeyns
der hohen Beſtimmung der Kunſt jene unbewußte Tugend und
Schoͤnheit, welche wir in den Einquecentiſten und deren Vor-
gaͤngern lieben, in leeren Anſpruch uͤbergegangen war, ſo ent-
ſtand aus dieſer aͤußeren Vornehmheit der neuen kuͤnſtleriſchen
Verhaͤltniſſe eine gaͤnzliche Umkehrung in dem Aeußerlichſten der
Kunſt, den Manieren, oder Handhabungen der Werkzeuge.
Georg Vaſari, der ausgezeichnetſte und gediegenſte Schnell-
arbeiter ſeiner Zeit, giebt uns die vollſtaͤndigſte Auskunft uͤber
die Veranlaſſung, die Abſicht und Foͤrderung ſeiner Richtung
auf eine an Frechheit grenzende techniſche Gewandtheit. Als
Karl V. in Florenz einziehn ſollte, ward eine Menge alle-
goriſch verzierter Triumphboͤgen in groͤßter Eile aufgerichtet;
Vaſari, zu ſeinem Entzuͤcken, vom Herzog Alexander durch
einen Kuß auf ſeine Stirne geehrt, weil er nach unermeßli-
cher Arbeit ſchon am fruͤhen Morgen des Einzuges mit dem
ſeinigen zu Ende gekommen war *). Dieſe Zuruͤſtungen ver-
mehrten ſich in der Folge ins Unendliche **); ihre behende
Beſchaffung verwoͤhnte aber die Fuͤrſten, welche nun bald auch
das Dauernde mit aͤhnlicher Schnelligkeit beendigt ſehen woll-
ten. Vaſari wußte ihnen auch hierin zu genuͤgen; er ruͤhmte
ſich ſelbſt in einer Inſchrift im Friiſe des Saales der Can-
celleria zu Rom, das ungeheuere Gemach in hundert Tagen
beendigt zu haben, und erzaͤhlt in ſeinem Leben, in wie kur-
zer Zeit ihm gegluͤckt war, den alten Palaſt in Florenz zur
*)
II. 27
[418] herzoglichen Wohnung einzurichten, deren großen Saal und daran
ſtoßendes Gemach bekanntlich ganz mit Figuren und Hiſtorien
bedeckt iſt. Die Gunſt, welche eben damals die Zuccari, ſpaͤter
Arpino erfahren, die Zuruͤckſetzung der ehrwuͤrdigen Beſtrebun-
gen der Caracci, des liebevollen Fleißes des Domenichino,
ſind durch Fiorillo’s treffliche Bearbeitung dieſes Abſchnittes
der neueren Kunſthiſtorie uͤberall bekannt. Indeß waren jene
aͤlteren Schnellmaler zum Theil von einer gruͤndlichen Vor-
ſchule ausgegangen; ungleich abſchreckender ſind daher ſolche,
welche unmittelbar von dem Beſtreben auf Leichtigkeit ausge-
gangen ſind, Frechheit und Dreiſtigkeit der Manier von An-
beginn als einen weſentlichen Vorzug angeſehn und abſichtlich
erſtrebt haben. Um das Jahr 1700. war die kuͤnſtleriſche
Aeſthetik auf dieſe Verirrungen voͤllig eingerichtet, wie in dem
Briefwechſel damaliger Kuͤnſtler und Goͤnner einzuſehen iſt *).
Indeß erhob ſich dagegen um die Mitte des achtzehnten Jahr-
hundertes hie und da eine Stimme. So ſchrieb der ehrwuͤr-
dige Zannotti, welcher von Carlo Cignani bis auf den Battoni
unzaͤhlige Kuͤnſtler untergehen geſehen: „es giebt nur zu viele
der ſchlimmen Manieren, welche den falſchen Kennern gefal-
len und von denſelben aufgemuntert werden. Zunaͤchſt muͤßte
man dieſes Wucherkraut ausreuten; wenn es verſchwunden
waͤre, wuͤrden die Kuͤnſtler kein anderes Vorbild mehr zu be-
folgen haben, als die Natur, welche ſie ſchon auf den rechten
Weg zuruͤckleiten wuͤrde.“
Freylich kaͤme hier noch viel Anderes in Betrachtung:
Geiſtesanlage, ſittliche Richtung, Begruͤndung des Handwerkes,
[419] Styl; beſonders aber eine gaͤnzliche Entfreyung von nur halb-
wahren, oder doch falſch angewendeten Theorieen.
Der bekannteſte Scheinſatz des Federico Zuccaro, „daß die
Kunſt der Natur gleichkomme, weil der menſchliche Geiſt in
der Kunſt auf aͤhnliche Weiſe, nach denſelben Geſetzen wirke,
als die Natur,“ hat uͤberall ſich eingedraͤngt, nur zu oft den
Kuͤnſtler mit einer truͤgeriſchen Zuverſicht erfuͤllt, obwohl es
am Tage liegt, daß die Productionskraft des einzelnen Men-
ſchen, wie ſelbſt des ganzen Geſchlechtes, weil ſie Erkenntniß
und Willen vorausſetzt, nach ganz anderen Geſetzen ſich bewege,
als die Natur, deren Erzeugungen nothwendig ſind. Endlos
verwechſelt man ferner die Offenbarung irgend eines Urſpruͤng-
lichen und Hoͤheren, welches man in Kunſtwerken wahrgenom-
men, oder nur wahrzunehmen geglaubt, mit den Formen, in
welchen der Kuͤnſtler eben dieſes Hoͤhere ausdruͤckt. Glaubt man
ehrlich, daß Formen, an welchen wir nur mit Entſetzen ſelbſt
die untergeordneten Organe des thieriſchen Lebens vermiſſen duͤrf-
ten, wirklich jenen hoͤheren Regionen angehoͤren, denen wir durch
Erinnerung, Ahndung und Sehnſucht verknuͤpft ſind? Liegt es
nicht naͤher zur Hand, den Ausdruck jenes Hohen und Guͤti-
gen, welchem ein gebildeter und richtiger Sinn in Kunſtwer-
ken zu begegnen wuͤnſcht, aus der inneren Bedeutſamkeit be-
ſtimmter natuͤrlichen Geſtaltungen abzuleiten, deren Formen
der Kuͤnſtler entlehnt? Doch wirkte unter ſo vielen Gemein-
plaͤtzen der neueren Kunſtlehren keiner ſo nachtheilig auf die
Kunſt zuruͤck, als jene anſpruchvolle Erklaͤrung ihres Begriffes,
nach welcher die Kunſt uͤberhaupt nur da vorhanden waͤre
wo ſie dem Gegenſtand nach ihr Hoͤchſtes hervorbringt.
Wir haben uns im Anbeginn dieſer Unterſuchungen da-
27 *
[420] hin verſtaͤndigt, daß die Kunſt, wo ihr Begriff in hinreichender
Schaͤrfe und Allgemeinheit aufzufaſſen iſt, ganz abgeſondert
von ihren vielfaͤltigſten Beziehungen und Leiſtungen, an ſich
ſelbſt, in ihrer Kraft und Thaͤtigkeit betrachtet werden muͤſſe.
Jene Erklaͤrung, welche erweislich nicht primitiv, ſondern aus
einzelnen theils noch ſtreitigen, kunſthiſtoriſchen Erfahrungen
abgezogen iſt, wird daher ſchon an ſich ſelbſt unſtatthaft ſeyn.
Unter allen Umſtaͤnden fuͤhrte ſie in der Anwendung zu viel-
faͤltigen Ueberhebungen und Aufgeſchrobenheiten, deren naͤhere
Andeutung gehaͤſſig ſeyn duͤrfte; vornehmlich aber zu jener
unter den Neueren verbreiteten, heilloſen Geringſchaͤtzung rein
techniſcher Vorzuͤge, welche nun einmal, ſo weit die Kunſtge-
ſchichte reicht, haͤufig eben von untergeordneten Geiſtern gefoͤr-
dert worden ſind, was ſeinen inneren Grund hat. Seit Leſ-
ſing ermuͤdet man nicht der reinen Geſchicklichkeit und den
beſcheidenen Beziehungen ſtiller Talente den Frieden aufzukuͤn-
digen; obwohl man laͤngſt durch Erfahrungen ſich haͤtte be-
lehren koͤnnen, daß jene einſeitig hohen Anforderungen an die
Kunſt, denen es doch bisweilen an Beſtimmtheit und Klarheit
fehlen moͤchte, entſchieden mitgewirkt haben, auch bey den Kuͤnſt-
lern jene Geringſchaͤtzung und Nichtachtung der Geſchicklichkei-
ten und Huͤlfskenntniſſe zu verbreiten, welche dem Standpuncte
der Letzten ganz unangemeſſen iſt und ihrem unlaͤugbar edlen
und hoffnungsvollen Aufſtreben merklich entgegenwirkt.
Appendix A
Gedruckt bei A. W. Schade, alte Gruͤnſtr. No. 18.
[][][]
vereinigen zu wollen, wo er ſagt: pare chè l’Alfa e l’Omega delle
arti sia il ritratto etc. — Er verbreitet ſich uͤber den letzten Fall
und bleibt, wie vorauszuſetzen war, fuͤr den erſten den hiſtoriſchen
Erweis ſchuldig. — Man koͤnnte hier wiederholen, was Hirt,
(vom Bildniß der Alten, Abh. der Ak. der Wiſſ. in Berlin, 1814.
15. hiſt. philol. Klaſſe S. 8.) gegen Visconti bemerkt: „Er
nimmt die Miene an, den griechiſchen Mythenerzaͤh-
kenntniſſe voraus, wie jedes andere vollendete Werk.“
Hirt a. a. O. S. 5.
dung ſchon ſeit Daͤdalus in Gebrauch geweſen ſey.“
haͤufig angezogenen Stellen.
vola secondoché scrive Lorenzo di Bartolo Ghiberti etc.
dato principio ai rimessi di marmo delle figure di chiaro e seuro —
und weiter unten: Egli di sua mano imitando le pitture di
chiaroscuro ordinò e disegnò i principj di detto pavimento.
beſitzen wir in der Kirche ſ. Miniato a Monte (bey Florenz) ein
beurkundetes Beyſpiel aus dem eilſten Jahrhundert. S. die In-
ſchrift bey Richa, oder bey Manni, sigilli etc. — Dieſe Arbeit iſt
in ihrer Art elegant.
cio nel coro una verginella, che ginocchione etc.“ — Vielleicht iſt
die Wahrheit an dieſer Stelle von geringem Belang; doch wozu
die Luͤge?
614. — quod in operando et faciendo et facto opere, seu opus mu-
saici, quod est inceptum. Et etiam in laborerio storie et magne
tabule beate Marie semper Virginis gloriose, soliciter et cum omni
diligentia procedatur. — und gegen das Ende: Et quod in labore-
riis omnibus faciendis et super eis conplendis stent et remaneant
solum decem magistri de melioribus etc. — quorum decem magistro-
rum nomina hacc sunt etc. — Gegeben: In anno Dni M°CCC°X°.
Indictione VIII. die XXVIII. Novembr.
di nostra salute 1350. — Man hatte ihm zu Siena erzaͤhlt, daß
Duccio noch im J. 1348. einen Bau angegeben habe, was ſich kei-
nesweges beſtaͤtigt.
Riformagioni, zu Siena). Claſſe B. No. 75. Imo. anno. 1285.
fo. 394. a tergo: Item — octo solidos — VIII. Octubris Duccio
depictori, quos ei dedimus pro pictura, quam fecit in libro ca-
merarii et quatuor.
B. 75. tertio. 1285. fo. 374. a tergo: Item VIII. solidos die lun.
octavo Octubris Duccio pictori, quos ei dedimus pro pictura
quam fecit in libro cam. et IV.
B. 89. 1290. (1291.): Ian. 26. solidos 10. Duccio pictori pro dip.
libri cama̅r̅.
B. 345. anno 1291. Spese d’agosto. Sol. 10. Duccio depictori pro
pictura quam fecit in libris ca̅m̅. et IV.
Dieſe kleinen Zahlungen verguͤteten die aͤußere Bemalung der
Rechnungsbuͤcher der Finanzverwaltung, welche von 1250. bis 1550.
die Sitte beybehalten, den Deckel ihrer Buͤcher durch gute Maler
verzieren zu laſſen. Wichtiger iſt die Zahlung, Archiv. cit. B. 190.
fo. CCCLVII. IV. Dicembre anno 1302. — Anche — XLVIII. Libre
potuto rinvenirla — etc. Gegenwaͤrtig befinden ſich beide Seiten
der Tafel auseinandergeſaͤgt im Chore des Domes zu Siena, die
Staffeln und Giebel an den Waͤnden der Sacriſtey.
MATER SC̅A̅ DEI. SIS (G̣ẠṾỊṢẠ) SENIS
REQVIEI SIS DVCIO VITA. TE QVIA PINXIT ITA.
fenden Vertrage (Arch. dell’ opera del Duomo di Siena, Pergam.
No. 603.) nennt der Notar den Maler rundhin, Duccius. Doch
in der Beſcheinigung einer Vorausbezahlung von funfzig Goldgul-
den (Archiv cit. No. 608.) unterzeichnet er ſich: Ego ma̅g̅r Duccius
pictor olim boninsegne civis Senensis.
Maestà, che feciel et una predella, che si posero nell’ altare ne la chasa
de’ nove, la due (dove) si dicie l’ufizio. Ed avemone pulizia da’nove.
No. 399. Sie findet ſich indeß: Archiv. dell’ op. del D. di Siena,
Perg. No. 603. Das Domarchiv iſt vor ungefaͤhr Einhundert Jah-
ren neu geordnet worden; Benvoglienti, Ugurgieri, Man-
cini und andere Localforſcher, deren Sammlungen Della Valle
benutzt hat, lebten ſaͤmmtlich vor 1720. bedienten ſich mithin
in ihren Anziehungen der aͤlteren Numerirung, was DV. unfehl-
bar haͤtte wahrnehmen muͤſſen, wenn er je das Archiv betreten
haͤtte, aus dem er zu ſchoͤpfen vorgiebt. — Verbeſſere in ſ. Ab-
drucke folgende weſentlichſte Fehler: — Indict. VIII. lies VII.;
apparet, l. appareat, gegen die Mitte deutet DV. eine Lagune an,
welche nicht vorhanden iſt; gegen das Ende iſt zuerſt ein, sibi,
ſpaͤter ein, in, ausgelaſſen; fuͤr obligaverunt se ad invicem, ſetzt
DV., sibi; und zu Ende loͤſet er die Abbreviatur, pign., durch pig-
nori, auf; lies dafuͤr, pignoravit, wie es die Conſtruction und der
Sinn erfodert. Unter den Zeugen macht er den bekannten Namen,
Tura, zu, Jura; anderer Auslaſſungen und Verdrehungen nicht
zu gedenken.
— Er folgte den Lettere Sen. To. II. p. 69. — Beide ſuchten fuͤr
dasmal der Angabe des Vaſari ſo nahe zu kommen, als nach dem
Laufe der Natur moͤglich war.
doch in den veglie piacevoli, To. II. pag. 26. s., deſſen Zeitgenoſſen,
den Calandrino der Novellen, urkundlich beleuchtet hat. Aus
dieſen Unterſuchungen des Manni geht hervor, daß Calandrino
gegen Ende des dreyzehnten Jahrhundertes lebte und malte, woher
zu ſchließen waͤre, daß jener Buffalmacco, welcher den Ca-
landrino in den Novellen des Boccaz zum Beſten hat, eben-
falls ein Zeitgenoſſe des Cimabue ſey, alſo in byzantiniſchem
Geſchmacke gemalt habe, was mit den Gemaͤlden, welche man ihm
beylegt, ganz unvereinbar zu ſeyn ſcheint. — Doch iſt zu befuͤrch-
ten, daß jener Buffalmacco uͤberhaupt nur etwa der Dichtung
Charakter mochte er eine gewiſſe populaͤre Celebritaͤt und jene ſte-
henden Beynamen, Buffalmacco und Buonamico, erhalten
haben, welche Boccaz und Sacchetti ihm beylegen. Als Maler
indeß wuͤrden wir ihn in alten Vertraͤgen und Zahlungen aufzuſu-
chen haben, doch nur unter ſeinem wahren Tauf- und Vatersna-
namen, welcher zweifelhaft iſt. — Doch beruhet, was Vaſari von
dieſem Kuͤnſtler meldet, auf einer Verſchmelzung der Nachrichten
des Ghiberti von einem Maler Buonamico mit jenen Novel-
len des Boccaz und Sacchetti. Hiezu mochte ihn beſtimmt ha-
ben, daß Ghiberti nach vielen Lobſpruͤchen auf das Talent des
Buonamico, von ſeinem perſoͤnlichen Charakter erwaͤhnt: fu
huomo molto godente, — was allerdings mit Hinblick auf jene
Novellen geſagt ſeyn mag. — Der Beyname Buffalmacco gehoͤrt
dem Boccaz an; Buonamico dem Sacchetti und Ghiberti;
Vaſari iſt der erſte, der beide in ſeiner angeblichen Lebensbeſchrei-
bung des BuonamicoBuffalmacco verſchmolzen hat. — Es
wird hier wohl unmoͤglich ſeyn, das Erdichtete vom Geſchichtlichen
zu ſondern. Um ſo mehr, da Manni, veglie piac. To. III. Ed.
Ven. 1762. p. 3. behauptet, daß man den Maler Buonamico di
Criſtofano, den er, vielleicht nur den Novelliſten zur Liebe, eben-
falls Buffalmacco nennt, erſt im Jahre 1351. in die Malerzunft
aufgenommen habe. Dieſer konnte nicht wohl derſelbe ſeyn, wel-
cher zu Ende des dreyzehnten Jahrhundertes den Calandrino ge-
neckt und nach Vaſari, ſchon 1304. ein allegoriſches Feſt angegeben
hatte. Alſo werden hier verſchiedene Maler, Thatſachen und Erdichtun-
gen durcheinanderwogen. Vgl. Lett. pitt. To. IV. Lett. CXXXI. p. 128. s.
diana zu Florenz, derſelben, welche Vaſari benutzte; ſie empfiehlt
ſich durch ihr hohes Alter und durch eine Fuͤlle ſelten benutzter
hiſtoriſcher Erklaͤrungen.
— wenn die Stelle richtig geleſen iſt; wahrſcheinlich ſteht: che
più di‘. —
belle arti in Toscana etc. Firenze 1813. p. 5. wo die hingeworfene,
ricordi di vecchj pittori si legge, che etc.
hiſtoriſches Zeugniß angezogen wird, was nicht wohl zuzugeben iſt.
welches auch andere Topographen beruͤhren. Vergl. die Chron.
beiten vorangegangen, finden ſich, Arch. delle riform. di Siena,
consilia campanae. T. II. anno 1249. (1250.)
(NB. Die gebundenen Buͤcher gehen nicht viel weiter zuruͤck;
fruͤher wurden die Protocolle auf einzelne Blaͤtter geſchrieben, welche
ich nicht alle eingeſehn.) Daſ. fo. 1. — consilium — de omnibus
et singulis Burgis extra fossos et carbonarias ex parte civitatis vete-
ris affonsandis et muniendis et recisis faciendis, ubi necesse fuerit
etc. — Eod. T. fo. 27. a t. — quod CCCCL. libr. expendi debeant
in accrescimento civitatis et in — affonsanda etc. — Und To. IV.
anno 1254. fo. 2. — et super muratione civitatis etc.; daſ. fo. 12. und
59. andere Berathungen uͤber dieſen Gegenſt. T. V. anno 1255. —
super actatione et concimine civitatis Senarum, qualiter debeat ac-
tari — ad majorem roburem civ. ejusd. To. VII. 1256. fo. 7. und
16. a. t. und fo. 32. To. IX. 1259. (1260.) fo. 11. 76. 84. — Aus-
gaben fuͤr die Befeſtigung finden ſich Archiv della Biccherna, Claſſe
B. No. 1. 1230. fo. 45. a. t. — LX. Libr. — operariis positis super
faciendis muris ex parte Chamollie (ein Thor der Stadt gegen Flo-
renz hin.) Item L. libr. — operariis muri a sco Georgio usque ad scm.
riale di chonpere fatte pellopera per Bonachorso di Gio provedi-
tore a di primo di giennojo 1378, wo fo. 1. ff. noch Beytraͤge fuͤr
die dritte Ringmauer der Stadt. Vergl. die florentin. Chroniſten
zu dieſem und benachbarten Jahren.
etc. Fernere Zahlungen: fo. 50. a. t. fo. 51. a. t. fo. 53. 55. 59. 64.
65. und ff. B. No. 2. 1238. (1239.) fo. 11. 13. B. No. 14. 1247.
(1248.) fo. 30. wo auf einmal 450 Libr. auf der Ruͤckſeite 50 Libr.
darauf 80 Libr. fuͤr dieſen Zweck ausgezahlt worden. Vgl. daſ. fo. 67.
a. t. fo. 68. 72. B. No. 16. 1258. (1259.) fo. 1. a. t. fo. 2. 9. a. t. u. ſ. f.
B. No. 18. 1259. (1260.) fo. 32. und a. Die ſaͤmmtlichen Ausgaben
des Januars 1260. (der gewoͤhnlichen Rechnung) betrugen 20892 Libr.
2. den. Gewiß fuͤr damalige Zeit, bey republicaniſcher Regierungs-
form, ein betraͤchtlicher, meiſt durch jene Bauten veranlaßter Aufwand.
Vgl. No. 28. fo. 41. No. 33. fo. 7. a. t. No. 67. (1281.) fo. 83. ff.
ſchriftlichen Auszuͤgen des Benvoglienti und Mancini ange-
geben, ſind folgende: 1259. Maestro Gilio; 1261. Dietisalvi;
1262. Ventura di Gualtieri; 1271. Rinaldo; 1274. Salva-
nello; 1278. Guido; 1281. Romano di Paganello; 1289. m°
Mino; 1289. Guccio; 1293. Vigoroso, Rinforzato, Mi-
nuccio di Filipuccio. 1298. Vanni di Bono. Die nachgewie-
ſenen, gegenwaͤrtig fehlenden Nummern des Arch. della Biccherna,
Claſſe B. ſind folgende: No. 5. 6. 23. 46. 48. 55. 86. 93. 95. 98.
125. Hingegen hatte Benvoglienti drey Maler, Pietro, Buon-
amico, Parabuoi aus einem Fragmente ohne Nummer aufge-
fuͤhrt, welches ſchon 1638. von ſeinem Bande abgetrennt geweſen,
und welches ich vor etwa ſieben Jahren, als ich mit Verguͤnſtigung
der Obrigkeit des Ortes, das verlegte Archiv nach ſeiner alten An-
ordnung wieder herſtellte, ſeiner No. 22. wiederum angeheftet habe.
Dieſes Fragment nemlich hatte, wer immer das Archiv gepluͤndert
haben mag, nicht aufzufinden verſtanden.
fo. 19. Item. X. Libr. et II. sol. Piero pictori, quos habuit pro pre-
tio XV. pavesorum, quos emerunt priores viginti quatuor man-
dato dictorum capit. et priorum die dicta (ult. Maji).
Item XXXII. Libr. III. sol. VI. den. Bonamico pictori, quos
habuit pro pretio XXXIII. pavesorum, quos emerunt dicti priores
mandato etc.
Item IV. Libr. Parabuoi pictori, quos habuit pro pretio VII.
Pavesorum, quos etc.
Item XXXIII. sol. Bonamico pictori, quos habuit pro pretio
duorum pavesorum etc.
Archive, B. No. 343. anno 1259. Jun. Darauf folgt: No. 28. 1267.
mense Maji fo. 41. a tergo: Item X. Sol. Dietiſalvi pictori, qui
depingit arma camerarii et quatuor in libris eorum. Und No. 33.
1269. (1270.) fo. 13. Item X. sol. — den. Dietiſalvi pictori pro
pictura librorum cam. et quatuor. Das Buch, ſo hier bezahlt wird,
iſt daſſelbe, deſſen Deckel die Academie beſitzt, wie aus dem Jahre
tori etc. No. 56. fo. 21. wird der Maler gar nicht genannt; hoͤchſt-
wahrſcheinlich, weil Dietiſalvi ein fuͤr allemal dieſe Arbeit
uͤbernommen hatte; denn No. 66. fo. 98. a t. 1281. (1282.) die
22. Januarii: Item VIII. sol. — Dietiſalvipictori librorum ea-
mararii et IV. Erinnern wir uns aus der vorigen Anm. des: qui
depingit. — No. 72. 1284. (1285.) fo. 5. und No. 74. zahlt man
noch immer an Dietiſalvi.
tori pro pictura libri cam. et IV. — Duccio koͤnnte aus Gui-
duccio abgekuͤrzt ſeyn; doch haben wir unten: Guido Gratiani.
fece la pittura al libro del Camarlengo etc. — B. No. 91. 1291.
Lira. quartiere di S. Donato. fl. 21. a Solle sellajo e Vigoroſo pictore
‒ a Guidone Gratiani pictore,
‒ a Jacomino pictore.
— Und noch einmal, B. No. 91. Uscita — Sol. 9. Vigoroſo pictori
pro pictura librorum camarlenghi.
Satze zeigt, daß er in dieſer Zeit jene Arbeit monopoliſirt hatte.
Dietiſalvi pictori, quod pinsit de …… majestate S. Marie in pa-
latio communis.
a Guarnieri Gratiano dipintore; und fo. 106. — a Morsello Cili
dipintore fl. 13. und daſ. unten: a Castellino Pieri pictore fl. 4.
(Es gilt Abgaben).
zu Siena noch einen anderen Maler, von deſſen Hand vier Bruch-
ſtuͤcke eines Altares (Madonna, ſ. Joh. Ev., ſ. Paul und ein heil.
Moͤnch, wohl ſ. Auton Abbas), welche in der Gallerie der ſiene-
ſiſchen Academie No. 13. (Katalog No. 10.) aufgeſtellt ſind. Auf
dem Schwerdte ſ. Pauls ſtehet: SEGNA ME FECIT. Man haͤlt
dieſen Maler fuͤr den Meiſter des Duccio, dem er in der That,
zwar techniſch nachſteht, doch im Abſehen und Wollen verwandt iſt.
— Ueber den Sieneſer Ugolino, welcher ungefaͤhr in dieſe Zeit
einfallen muͤßte, habe ich nichts Sicheres aufgefunden. — Wenn
das Andachtsbild in Orſanmichele (zu Florenz) von ſeiner Hand iſt,
wie Vaſari behauptet, ſo gehoͤrt er zu den beſten Meiſtern der
Zeitgenoſſenſchaft des Cimabue.
No. 323. — In Dei nomine amen. Millesimo ducentesimo vigessimo
quarto. Idus febr. Indict. tertiadecima feliciter. Certum est, quod
dominus Dictifeci, Dei gratia prior et custos ecclesie et canonice
ecclesie sce. Marie majoris con cumsensu parabula suorum canoni-
corum et non ad dapnitatem prefate ecclesie, set pro solvendo
debito Magistro Fidanza dipintori, unde ecclesia gra-
vata erat, quod ali̅u̅ desolvi non valebat. Vendidisse et tradidisse
jure libellario Bonajuto fil. tedalgardi et ejus heredibus in propri-
um unam domum etc. — pretio et pagamento librarum viginti
un̅a̅ pisane monete, sicuti continetur et apparet scriptum in instru-
mento emptionis domus etc. — Actum in clastro ecclesie et cano-
nice sc̅e̅ Marie majoris Flor. — Ego Orlandus judex et not. etc.
Dialecten: zitello, zitella).
Die Denkſchrift wird dem Angelus Politianus beygelegt; die
Buͤſte dem Benedetto da Majano.
hinauf, ohne ſeines Lehrmeiſters zu erwaͤhnen.
eben wie die betreffenden Verhandlungen und Zahlungen an den
Kuͤnſtler, noch vorhanden ſind. Dort konnte er von einem Giotto,
Sohn des Bondone gehoͤrt haben, welcher unſerem Kuͤnſtler ganz
gleichzeitig dem ſieneſiſchen Staate als diplomatiſcher Agent ge-
dient hat und ſicher kein Maler und kein Florentiner war. — Ar-
chiv. della gen. Biccherna di Siena. B. To. 103. fo. 187. anno 1310
(1311.) X. Marzo. CXVIII. Libr. a Giotto Bondoni Ambascia-
dore del commune di Siena da fuore di Toscana per lo fatto de-
lo’mperadore per suo salario di ciuquanta e nove di del mese di
Gien. e Febrajo a ragione di 40 Soldi il Di. Daſſ. eod. To. fo.
234. di XXI. di magio, und fo. 253. di XXI. di Giugno. Ferner
B. To. 126. anno 1321. XXVIII. di Luglio lib. XI. Soldi VI. den.
— Anco a Giotto Buondoni — per suo salario di basciata —
und der Gegenpoſten uscita, eod. libr. fo. 5. XXVII. di Luglio.
Anco a Giotto buondoni ibasciatore del commune di Siena
etc. Zuerſt erſcheint dieſer Giotto in dieſem Arch. B. To. 99.
anno 1301. fo. 250. a tergo, als: offitiale del commune di
Siena; er wird wegen gewiſſer, secreta, ausgeſandt. Eod. To.
fo. 259. — a Giotto buondoni Ugieri; hiemit haben wir auch den
Namen ſeines Großvaters. B. To. 104. anno 1310. erſcheint er
ebenfalls auf verſchiedenen Seiten. — Da ein ſo thaͤtiger Diener
des Gemeinweſens nach etwa hundert Jahren noch in der Erinne-
rung ſeiner Mitbuͤrger fortleben mußte, mochte Ghiberti von
ihm gehoͤrt und ihn mit unſerem Kuͤnſtler verwechſelt haben. —
Beide Namen ſind ſo ſelten, daß ihr gleichzeitiges Zuſammentref-
fen in zwey verſchiedenen Perſonen, nicht ohne urkundliche Beweiſe
anzunehmen iſt.
nell’ arte della pittura. Arrechò l’ arte nuova, lasciò la ro-
zeza de’ Greci. —
antichi Greci.
giunsono. Arecò l’arte naturale e la gentileza, con esso
non uscendo dalle misure.
78. cod. 23. No. 2. p. 2.) — Il quale Giottorimutò l’arte del di-
pingnere di Grecho in Latino e ridusse al moderno; ed
ebe l’arte più compiuta, che avessi mai più nessuno.
turale, — genau genommen: welcher die Erſcheinung der
Dinge mit der groͤßten Treue und dem gluͤcklichſten Er-
folge nachgeahmt hat.
4. Lib. II. p. 273. — si cominciò a fondare il campanile di sta Li-
parata — e funne fatto capo maestro Giotto, cittadino Fior. e di-
pintore maraviglioso sopra tutti gli altri, il quale mori poi a di 8
di Gennajo 1336. — Das Lob des Giotto blieb ſeit Villani
ein ſtehender Artikel der florentiniſchen Geſchichtſchreibung.
claſſiſch gebildete Boccaz an dieſer Stelle irgend eines antiken
Malermaͤhrchens. So lebhaft Giotto die Phantaſie ſeiner Zeit-
genoſſen anregen mochte, ſo konnte er doch ſchwerlich ſinnliche Taͤu-
ſchungen hervorbringen.
unvereinbar mit einer Inſchrift, welche ich nachtragen werde.
terrati tanti auni — i modi delle buone pitture — egli solo, an-
cora che nato fra Artefici inetti, — quella, che era per mala via,
risuscitò ed a tale forma riduste, ché si potette chiamar buona etc.
— Es wird uns hier nicht entgehn, daß der gelehrtere Boccaz
waͤhrend des Mittelalters nicht, gleich dem Ghiberti, eine gaͤnz-
liche Unterbrechung, ſondern nur einen tiefen Verfall der Kunſt-
uͤbung angenommen. — Uebrigens werden wir dem Meiſter des
Begriffes nachſehn muͤſſen, daß er mit den Beſtrebungen, welche
dem Giotto vorangegangen, nicht umſtaͤndlich bekannt war, nicht
ſelbſt geſehn, ſondern dem Tone und der Anſicht der Kuͤnſtler ſei-
ner Zeit unbedingt nachgegeben hatte.
tung liegt einige Bitterkeit. Sacchetti haßte die Theilnahme an
den oͤffentlichen Geſchaͤften, welche dazumal in vielen Staͤdten Ita-
liens den niederen, minder gebildeten Volksclaſſen zugefallen war.
diana (Med. Laurentiana, Plut. 90.) — Unſere Canzone ſtehet fo. 37.
a. t. ss. und gehoͤrt zu den aͤlteren Abſchriften des ang. Bandes.
Ich habe die alte Orthographie beybehalten und nichts hinzugefuͤgt,
als Interpunction und Andeutung von Eliſionen.
ges iſt die Verbindung nicht klar, daher die Interpunction viel-
leicht verfehlt, wenn ſie uͤberhaupt moͤglich iſt. Im Fortgang des
Gedichtes iſt der Sinn deutlicher.
riſch denkwuͤrdiges, einflußreiches Inſtitut einzuſtimmen, nur weil
es gilt, deſſen Verhaͤltniß zur neueren Malerey richtig aufzufaſſen,
bringe ich hier das Heitere und gutmuͤthig Laͤcherliche in Erinne-
rung, welches der weltlichen Unbehuͤlflichkeit aͤchter, einfaͤltig from-
mer Moͤnche anhaͤngt; welches die italieniſche Malerey von jeher
vielfaͤltig benutzt hat; der Spanier nicht zu gedenken, deren dra-
matiſche Dichter, obwohl die groͤßeſten ſelbſt Moͤnche waren, aus
demſelben naiv Burlesken haͤufig genug Vortheil gezogen. — Obige
lung jener Maler und Dichter.
res Wohlgefallen abgewonnen, zeigte Giotto wenig Ehrfurcht vor
dem Herkommen. Die Engel pflegten bis zu ſeiner Zeit und ſeit
dem hoͤchſten Alterthume in einer faltigen Tunica mit uͤbergeſchla-
genem leichten Mantel gekleidet, und hoͤchſtens mit einem Stabe
in der Hand, gemalt zu werden. Giotto indeß gab ihnen knapp-
ſchen Inſtrumenten, mit denen ſie mehr zu laͤrmen, als zu muſici-
ren das Anſehn haben. Dieſer Gebrauch hat in der modernen
Malerey viel Eingang gefunden, giebt indeß etwas Burleskes. Die
Moͤglichkeit, durch menſchliche Formen uͤberſinnliche Weſen darzu-
ſtellen, beruhet auf dem Ausdrucke des Geiſtigen in der meiſt vollen-
deten Geſtaltung der Natur; an dieſem haben jene muſicaliſchen
Werkzeuge offenbar nicht den geringſten Antheil und zerſtoͤren da-
her, wie ſehr man ſich daran gewoͤhnt haben moͤge, nothwendig
einen Theil des Eindruckes, den jene zu bewirken faͤhig ſind.
die Hand eines Kenners verraͤth, dieſelbe Bemerkung erſchoͤpfender
ausgeſprochen iſt.
ſammlung; einige andere beſitze ich ſelbſt.
de’ frati Minori quasi tutta la parte di sotto. —
Vaſari; doch ohne Gruͤnde anzugeben.
des 14ten und 15ten Jahrhundertes durchzuleſen, weiß, daß die
Aufgabe in den aͤlteren Zeiten meiſt ſehr genau umſchrieben wurde
— Einige Beyſpiele finden ſich auch in dieſem Bande; das merk-
wuͤrdigſte in den Nachrichten vom Lor. Ghiberti.
ligen confessione, dove é il corpo di s. Pietro. Doch moͤchten ſie
auch Ueberreſte des Altares ſeyn koͤnnen, den Vaſari als ſein beſtes
Tempelgemaͤlde hervorhebt.
mamente finite — mit einem uneigentlichen Ausdrucke, der ſeit nicht
langer Zeit in die ital. Kunſtſprache eingeriſſen iſt. Sie ſind aber
a tempera gemalt.
di san Pietro in Roma. — Die Gegenſtaͤnde obiger Fragmente: Chri-
ſtus, Madonna, Apoſtelfiguren, Enthauptung des heiligen Paulus.
mahl unter Giotto’s Namen herausgegeben; beide auf das Wort
des Vaſari. Doch bin ich feſt uͤberzeugt, daß dieſe Arbeit um
Vieles neuer iſt. Das Refectorium, in welchem jenes Abendmahl
gemalt iſt, ward nach Richa (delle Chiese di Firenze) erſt gegen
Ende des dreyzehnten Jahrhundertes gebaut; deſſenungeachtet befin-
det ſich unter dem Abendmahle ein anderes Wandgemaͤlde; es iſt
aber nicht wahrſcheinlich, daß man ſolches augenblicklich durch ein
neues uͤberdeckt habe. — Doch koͤnnte es geſchehen ſeyn; aber die
Manier, in welcher es gemalt iſt, entſpricht wohl der Manier
der Maler von 1350. — 1400., doch keinesweges der giottesken,
minder dreiſten und fertigen, weicheren und mehr verwaſchenen. —
Zudem iſt die Erfindung unter allen Umſtaͤnden, weder dem
Giotto, noch jenem Unbekannten beyzumeſſen, welcher dieſes Bild
gemalt hat; denn es findet ſich dieſelbe Anordnung, die urſpruͤng-
lich bildneriſch iſt, ſchon in den halberhobenen Arbeiten des 12ten
Jahrhundertes. S. oben Abhdl. VI.
ficio, il quale fu da lui edificato del campanile di sta Reparata,
furono di sua mano scolpite e disegnate. — Daſ. fo. 9. a. t.
von denſelben Bildwerken: „Giotto, si dice, sculpi le prime due
storie.“ — Alſo war Ghiberti hier ſeiner Sache nicht ſo ganz
gewiß.
egregissimamente disegnati.“
tembris. Thadeus me fecit.
chiese di Fir. etc. sta Croce, einzuſehn.
Fior. Ep. 1. verfolgte ihn nur bis 1352.
florentiniſchen Malern mit den Worten: fu nella nostra città molti
altri pittori, che per egregj sarebbon posti; a me non pare porgli
fra costoro.
Zeit faſt unbekannt. Die aͤlteſten Denkmale ſind durch die leb-
hafte Betriebſamkeit der Kuͤnſtler des funfzehnten und ſechzehnten
Jahrhundertes beynahe verdraͤngt worden, oder durch den Bilder-
riſche Barbarey der beiden letztverfloſſenen Jahrhunderte. Indeß
moͤchten die miniirten Handſchriften hier, wie in der byzantini-
ſchen Kunſtgeſchichte, aushelfen koͤnnen. — In der oͤffentlichen
Bibliothek zu Hamburg wird eine ſolche, wie ich hoͤre, aus dem
Nachlaſſe eines Churfuͤrſten von Coͤlln erſtandene Handſchrift auf-
bewahrt, welche viele gute Miniaturgemaͤlde enthaͤlt, in denen bey
einiger Spur der Beachtung byzantiniſcher Vorbilder und der Fort-
pflanzung byzantiniſcher Handgriffe, doch ſchon viel eigene Beach-
tung des Lebens, viel eigener Geiſt dargelegt iſt. Dieſe Handſchrift
duͤrfte, hinſichtlich ihrer ſchon ausgebildeten, doch regelmaͤßigen und
unverzierten gothiſchen Zuͤge nicht aͤlter, als das Jahr 1250. nicht
viel neuer, als das Jahr 1350. ſeyn koͤnnen. Die naͤhere Unterſu-
chung und Bekanntmachung dieſer kunſthiſtoriſchen Merkwuͤrdigkeit
wird den gelehrten Aufſehern jener trefflichen Sammlung zukom-
men. — Auch auf der koͤniglichen Bibliothek zu Copenhagen wur-
den mir verzierte Handſchriften gezeigt, welche dienen koͤnnten, die
Verbreitung byzantiniſcher Anregungen in die Rhein- und Schelde-
gegenden, von dort aus auch uͤber England hin, in ein beſſeres
Licht zu ſetzen. — Wahrſcheinlich traf dieſe Begebenheit mit jener
(Abhdl. VII.) in Italien nachgewieſenen Umwandlung der maleri-
ſchen Manieren zuſammen und ſtand, wie jene, mit der fraͤnkiſchen
Pluͤnderung Conſtantinopels in enger Verbindung.
nigen Jahren ausgegeben worden.
nen Worte des Petrarca, ohne ſie in obiger Beziehung hinrei-
chend zu waͤgen.
ſari, To. II. p. 215. Ich habe der Quellen, auf welche er ſich
bezieht, nicht habhaft werden koͤnnen. Doch fand ich im Archiv
der Riformagioni in einem Auszuge des libro nero da 1336. =
1596., der Sacriſtey der Kirche ſ. Domenico zu Siena, deſſelben,
auf welches DV. ſich bezieht: 1344. Maestro Simone di Martino pit-
tore. 4. Aug. Alſo wird jene Angabe im Ganzen richtig ſeyn.
des VaſariTo. II. p. 205. erwaͤhnt, ſo wuͤrde er die daran befind-
liche Aufſchrift nicht aufmerkſam genug geleſen haben. Er ſetzt das
Jahr vorauf, und fuͤr pinxerunt, direxerunt; beides iſt auf Bildern
dieſer Epoche zu ungewoͤhnlich, um wahrſcheinlich zu ſeyn.
ſieht, daß Ghiberti in der Urſchrift zwiſchen discepolo und fra-
tello geſchwankt, daß erſt der Abſchreiber ſich fuͤr fratello entſchie-
den hatte.
vierzehnten Jahrhundertes eingeſehn, weiß, welche Fuͤlle von ganz
unbekannten Kuͤnſtlern daraus herv[o]rtritt. Wenn wir die beruͤhm-
teſten ausnehmen, ſo folgte Vaſari bey den uͤbrigen dem bloßen
Zufall, der ihm oft die minder bedeutenden entgegenfuͤhrte, beſſere
verhehlte.
Form, a fresco, welche von den neueren italieniſchen Schriftſtellern
vorgezogen wird, die einzig richtige ſey. — Vaſari indeß, den
man fuͤr einen teste di lingua haͤlt, ſagt abwechſelnd: al fresco,
sul fresco, in fresco, wobey immer, muro, zu ſuppliren iſt. A fresco,
hingegen ſcheint ſich nur auf die Handlung des Malens zu beziehn,
nicht auf die Beſchaffenheit der Mauer, auf welcher gemalt wird,
welche doch eigentlich in dieſer Manier das Entſcheidende iſt. Ich
fuͤrchte daher, daß die modernen italieniſchen Schriftſteller hier
und sto. del Duomo d’Orvieto) hat uͤber Simon und Lippo viel
damals noch Unbekanntes, oder minder Beachtetes zuſammenge-
ſtellt, was meiſt die Probe haͤlt. Auch Lanzi (sto. pitt. scuola
Sen. Ep. 1.) hat einiges Neue, namentlich die Nachweiſung einer
Miniatur des Simon in einem Codex der Ambroſiana zu May-
land, welcher dem Petrarca gehoͤrt haben ſoll. Aus ſeiner Schule
ſtammt vielleicht jener treffliche Miniaturmaler, welcher zu Siena
druck der Manieriſten mißverſtanden haben, welche wohl einmal ihr
keck und friſchweg in Oel malen, Frescomalerey und Malerey a
fresco genannt haben.
Pecci, einem achtenswerthen Sammler oͤrtlicher Merkwuͤrdigkei-
ten, zu leſen: hoc opus fecit Petrus Laurentii et Ambrosius ejus
frater 1330.
assunta, groß Fo., mit einer Aufnahme der Madonna in den Him-
mel geziert hat; er zeichnete ſich darauf: Nicholaus ser sozi me
pinxit. Die Abſchriften dieſes Buches ſind im Jahre 1335. ge-
macht, alſo trifft dieſe Miniatur mit dem maͤnnlichen Alter Mei-
ſter Simons zuſammen. — Die Madonna in weißem, goldgebluͤm-
ten Gewande, eben wie ſie in dieſer Darſtellung auch bey ſpaͤteren
Sieneſern vorzukommen pflegt. Die ſingenden Engel, welche an
Lippo Memmi erinnern, ſind beſonders ſchoͤn und ſchwebend;
die Koͤpfe ausgebildeter als man erwarten ſollte. In dieſem Ar-
chiv giebt es andere Miniaturen von Werth. — Uebrigens iſt dem
Lanzi und neueren nicht zuzugeben, daß jene Relief-Bildniſſe der
Laura im Geſchmacke des funfzehnten Jahrhundertes aͤcht ſeyen,
welche bisweilen, ich errathe nicht aus welchem anderen Grunde,
als dem des Betruges, mit dem Namen unſeres Kuͤnſtlers bezeich-
net worden ſind. Raccolta di lettere sulla pitt. scult. ed Architet-
tura, To. V. Lettera LXIII. (Ed. Ro. 1766. p. 141.) erwiedert der
Marcheſe von Mantua dem bekannten Pietro Aretino: Alla
parte, che scrivete di Madonna Laura, dicovi ch’ ho fatto vedere,
se qui in casa ve n’é alcuno, e finora non se n’é trovato. Se
vorrò quello, che avete voi, ve ne darò aviso. — Man-
tuae 1. Jun. 1529. Es ſcheint demnach, daß ſolche Bildniſſe der
Laura ſchon damals in den italieniſchen Gemaͤldeſammlungen eine
Rubrik bildeten, welche man ausfuͤllen mußte.
scuola Sen. Ep. I.
Ich denke, daß er ausdruͤcken wollte: fuͤr eine Nachahmung,
welche nicht das Wirkliche ſelbſt iſt, ſcheint etc. etc.
lichen Palaſte zu Siena malte er den Krieg und den Frieden und
das, was zum Frieden gehoͤrt, naͤmlich, wie der Handel mit aller
Sicherheit gefuͤhrt wird. Auch iſt die gehoͤrige Anſtrengung (stor-
sioni) in den Schlachten. Die letzten ſind nicht mehr erkennbar.
verſetzt worden. Doch vermuthe ich, daß ſolches zu den Tafeln im
Dome gehoͤrt, deren Ghiberti erwaͤhnt.
der Madonna mit vier Heiligen und kleineren Nebenwerken in der
Pfarrkirche von Arezzo, wo:
Petrus LAUREATI HANC PINXIT. DEXTRA SENENSIS.
Doch iſt dieſe Zeile, welcher das Jahr, ja ſelbſt der Raum da-
fuͤr fehlet, ſchon deßhalb verdaͤchtig, weil ſie wie in einen, nicht
vorbedachten, nur zufaͤllig vorhandenen Raum eingezwaͤngt zu ſeyn
ſcheint und ungleich gezierter iſt, als ſolche Aufſchriften gemeinig-
lich zu ſeyn pflegen. Da ſie nun zudem mit den Urkunden und
Aufſchriften des Kuͤnſtlers, welche in deſſen Vaterſtadt ſich vorfin-
den, ganz unvereinbar iſt: ſo ergiebt ſich, daß ſie nachgetragen und
untergeſchoben worden; des Andenkens willen, oder als Erſatz der
urſpruͤnglichen, welche man mit dem Sockel zugleich entfernt haben
moͤchte, da es haͤufig vorkommt, daß alte Bilder neu eingerahmt
worden, wie jener Giotto in ſta Croce zu Florenz.
fo. 113. a tergo. anno 1421. XIX. mensis Aprilis. Extractio do-
minorum priorum. Barna Bartoli domini Laurentii. Alſo war
dieſer Name in Siena, aber auch in Florenz gebraͤuchlich. Archiv.
dell’ opera del Duomo di Fir. Libro Ricordanze 1354. fo. 9. 1362.
— Barna olim Batis provisor etc. operis S. Reparate etc.
Tolosini, war abweſend.
chen Beynamen erklaͤren ſich deſſen gewoͤhnliche Verſtuͤmmelungen.
Der Endvokal des Artikels, lo, nahm den Anfangsbuchſtab des Na-
mens in ſich auf. Als man ſpaͤterhin den Artikel ganz auswarf,
hatte man bereits den Urſprung des Beynamens vergeſſen, und las
daher die Zuſammenziehung, anſtatt lo ’rchagni̅o̅, vielmehr nach mo-
dernerer Orthographie: l’ orchag̅n̅o. Die Abbreviatur der Endung,
welche wenigſtens in dieſen Protocollen uͤberall angedeutet iſt, mochte
man uͤberſehen haben.
und das Hauptwort in ſeiner Integritaͤt verblieben.
den Abh. XI.
1363 wird auch auf den folgenden Seiten bis in ſpaͤtere Monathe
fortgefuͤhrt. Hier, wie in den vorangehenden Stellen wird Nie-
mand die ſtetige Anweſenheit des Taddeo Gaddi uͤberſehen haben,
den Vaſari ſchon im J. 1350 ſterben laͤßt.
und fo. 70. a. t. — Ferner Arch. cit. lib. Ricordanze 1358. fo. 34.
a. t. und Prestanze 1355. — 57. d. d. XV. et XVIII. di Giugno
1357.
von ihm angefuͤhrten Buͤchern verſchwunden iſt. Doch findet ſich
in der noch vorhandenen No. 122., welche dieſelben Puncte enthaͤlt,
als die folgende, nichts der Art, weßhalb ich glaube daß er ſich
verſehn habe.
laͤßt aber die Vermuthung zu, daß es, cognati, zu leſen ſey. In
tirt: „Madonna con molti ss. con forza e buon disegno.“ Ich habe
dieſe Malerey, welche vielleicht nicht mehr vorhanden iſt, vergeblich
aufgeſucht.
hen), ſoll ſeine Frau Giovanna di Memmo di Filipuccio genannt
werden.
nathe iſt hier der Beachtung werth.
bezeichneten To. de anno 1229. fo. bb. a. t. It. IV. libr. Frederico
Petronchi et bonajuto Gorlajo pro suo feudo pro facto operis
buctini fontis Brande. Arch. cit. B. To. 8. anno 1251. Ex-
pense mensis Sept. XL. libr. — posito pro faciendo trocum de
fonte de vetrice. it. VIII. fol. VI. den. pro acconciamento fontis
Brande. Item CCCC. libr. — operariis vene de Canella et alia-
rum venarum, qui mittuntur in fontem Brandum, quos expende-
runt in dictis venis ducendis in dictum fontem. fo. 35. (mens. No-
vembris) — Strozzavarcha Damesi operario fontis de Vetrice, XXXIV.
libr. V. sol. VI. den. quos expendit pro acconciamento tronchi dicte
fontis. Vgl. Daſ. B. To. 1. 1230 (1231.) fo. 62. a. t. Fo. 64. It.
IV. sol. magistro Baldo recipienti pro se et aliis tribus magistris
pro una die qua laboraverint in buttino fontis Brandes.
anno 1229. (Jul. = Dec.). Die Ausgaben welche unvollſtaͤndig ſind,
beginnen fo. 9. Daſ. a tergo: Item VIII. libr. XII. den. magistro
Riccio, operario opere s̅c̅e̅ Marie et stetit..... XXXIII. diebus de
mense Junii. — Item VI. sol. magistro Riccio dicto, quos de-
dit Rubeo de Iesa pro acuendis picconibus. — Fo. 49. Item
solidus betrug. Um einige Decennien ſpaͤter erhielt Nicolas von
Piſa acht; ſeine Geſellen ſechs und vier. S. unten.) fo. 67. a. t.
— XX sol. custodi fontis Follonice. Es mochte noͤthig ſeyn,
Waͤchter dabey anzuſtellen, der Reinlichkeit willen und um Ver-
giftungen vorzubeugen. fo. 71. a. t. werden: custodes fontium
Brandes, Follonice, Vetrice bezahlt. fo. 72. — VIII. libr. pro
emundatione et evacuatione fontis Brande et troghi et guazzatorii.
Vgl. B. To. 3. 1246 (1247.) fo. 9. 18. a. t. wo custodes fontium
Brande, Follonice, de Petrice (Vetrice), de Ovile, de Valle montonis,
de Pescaja. B. To. 16. 1258 (1259.) fo. 22. a. t. Inprimis X libr.
— operariis positis ad faciendum lavatorium et guazzatorium fon-
tis follonice. Daſ. fo. 23. a. t. XXV. libr. fuͤr daſſ. Werk fo. 26.
XX. libr. fuͤr Reinigung fontis Blande und L. libr. operariis posi-
tis ad faciendum fieri lavatorium fontis follonice etc. XXV. libr. —
ad faciendum derigari et actari fontem de ovile. Vgl. Daſ. fo. 31.
a. t. fo. 32. a. t. fo. 36. a. t. fo. 39. 40. et a. t. wo im Ganzen 105.
libr. XL. sold. fuͤr dieſen Zweck verwendet werden. B. To. 67. 1281.
III libr. pro faciendo actari fontem Malitie. Hieraus erhellt,
daß die groͤßeren Waſſerleitungen und Brunnenanlagen, deren Siena
noch gegenwaͤrtig ſich bedient, groͤßtentheils um die Mitte des 13 ten
Jahrhundertes beſchafft worden ſind: uͤbrigens umfaſſen dieſe ver-
einzelten Poſten, da aus dem 13ten Jahrhunderte nur einzelne Frag-
mente der damaligen Buchfuͤhrung ſich erhalten haben, bey weitem
nicht den ganzen Belauf des Aufwandes.
rarius heißt dieſesmal bald Ricardus, bald Ricciardus und hat einen
Gehuͤlfen Namens Bencivenne. B. To. I. secundo. 1236. Jul. = Dec.
fo. 11. a tergo. — LIII. (libr.) — sol. Bencivenne operaio opere
s̅c̅e̅ Marie de pretio magistrorum qui laborant in dicto opere pro
communi. — B. To. 3. 1246. (1247.) fo. 20. a. t. XXVIII. libr.
IV. sol. magistris communis qui laborant in opere s̅c̅e̅ Marie
marmoris albi pro opere s̅c̅e̅ Marie. — Item VII. libr. et XII. sol.
magistro Riccio dicto; pretio magistrorum qui laborant in opere s̅c̅e̅
Marie XXI. die et sunt quatuor magistri. — fo. 62. ſtehen andere
gleich unerhebliche Ausgaben fuͤr denſ. Zweck. — Aehnliche Beytraͤge
ſtehen, Arch. et Classe cit. To. 99. anno 1302. fo. 378. unter der
Rubrik: Limosine, z. B. Item — CCXLIV. libr. IV. sol. a l’uopara
di Madonna sta Maria per lo salario di X. Maestri, che lavorano ne
la detta uopara etc. —
getragenen Geldes.) — B. To. 14. 1257. (1258.) fo. 55. a tergo. Ex-
pense mensis Maji. (1258.) Item LXXXVII. libr. et X sol. fratri Ver-
naccio operario operis s̅c̅e̅ Marie pro operibus magistrorum de men-
sibus Ian. Febr. Marsii et Aprilis etc.; a. Ausg. fuͤr denſ. Bau fo. 67.
(XLVIII. libr. fuͤr May u. Jun.) — B. To. 16. 1258 (1259.) fo. 7.
a. t. XXIV. libr. und fo. 16. denſ. Beytrag fuͤr den Monath Maͤrz.
fo. 21. 26. 61. 65. fuͤr die folgenden Monathe. B. To. 20. 1261.
fo. 82. Item fratri Melano operario s̅c̅e̅ Marie pro expensis magi-
strorum et calcine pro dicto opere. CLXVI. libr. X. sol. — Die
gleichzeitigen Ausgaben fuͤr die Befeſtigung belaufen ſich monathlich
auf viele Tauſende.
mals durch Treppen zugaͤnglich gemacht war.“ Daß nicht vom
Hoſpitale della scala die Rede, zeigt ſich unten.
den neuen, unvollendet gelaſſenen Dom bezuͤgliche Documente ge-
achtet haben, iſt es ſtets undeutlich geblieben, wo darin von dem
alten, wo von dem neuen Bau die Rede ſey. An dieſer Stelle
wird der neue, dem alten ſo entſchieden entgegengeſetzt, daß kein
Zweifel ſtatt finden kann.
im Maͤrz.
mals neu unternommenen Anlage die Rede, welche dem opus no-
vum jam inceptum (ſ. unten) entgegengeſetzt wird, an dem man
ungeachtet des von neuem zu beginnenden noch vor der Hand
fortzuarbeiten beſchließt.
tornati a Siena l’anno 1338. fu fatta con ordine e disegno loro la
chiesa nuova di sta Maria appresso al duomo vecchio verso
la piazza Mannetti:“ Aus den uͤbrigens ganz unverſtandenen
Umſtaͤnden dieſer Angabe erhellt eine mittelbare Bekanntſchaft mit
den oben mitgetheilten und der nachfolgenden Urkunde.
anno 1339. — die veneris tertia mensis Decenbr. — Quod cum no-
torium sit et certum in civitate Senarum, quod providus vir magi-
ster Landus aurifex est homo legalissimus et non solum in arte sua
predicta sed in multis aliis — est homo magnae subtilitatis et ad
invenctionis etc. etc. Et ipse magister Landus moram sue habita-
tionis contrahat ad presens in civitate Neapolitana etc. etc. Indeß
ſtellte er ſich nicht ein, da ihm das beſchloſſene Jahrgehalt von
200 libr. nicht bezahlt und Johannes etwas ſpaͤter an ſeiner Stelle
in Sold genommen ward.
dazione del Duomo di Siena e disegnò il tempio di S. Giovanni
nella medesima città.“ — Letzteres iſt ganz falſch, das erſte zu be-
richtigen; da der alte Dom damals ſchon laͤngſt vorhanden war, ſo
kann hier nur von dem neuen die Rede ſeyn.
passare più oltre, gli fu fatto fare il modello della facciata del
Duomo di quella città e poi con esso fatta la detta facciata ricca
e magnifica molto.“ Hier ward vielleicht der Sieneſer Johannes
Auguſtini der obigen Urkunde mit dem Joh. von Piſa verwechſelt.
Werken wird dieſer Anfang auf folgende Weiſe angefuͤhrt: Magister
Ramus quondam Paganelli, qui fuit civis Senensis modo venit de
ultra montes et est etc. ete. — So wenig iſt ſolchen Anfuͤhrungen
zu trauen. Vielleicht verſetzte man die Worte, um den fremden
Urſprung dieſer Kuͤnſtlerfamilie zu verhuͤllen.
(1259.) fo. 15. a. t. Item magistro Rodolfo Tedeschi pro se et
buon insegna Nichole ejus socio etc. Sein Vater mochte
ſchlechthin, il Tedesco genannt worden ſeyn. Dieſer Meiſter er-
haͤlt III Libr. fuͤr Steinmetzenarbeit.
Memoriale delle masserizie ed d’altre chose dell’ opera. fo. 2. (1388.)
wird: lo tomaso de la magna unter den Steinmetzen und anderen
Arbeitern aufgefuͤhrt, welche in ged. Jahre beym Dombau angeſtellt
worden, und fo. 64. erhaͤlt er eine tavoletta bezahlt, ſcheint daher
ein Bildſchnitzer zu ſeyn. — Arch. cit. Libro: Q di Cassa 1406. a. c.
18 a. t. Maestro Nicholo Tedescho. — Zu Siena fand ich in einem
Fragment des Archives der Co. di s. Onofrio (jetzt in den riforma-
gioni): (1411.) a maestro arigo tedesco a di 5. di marzo fiorini sette —
gothiſche Thurm-, oder Giebelſpitze. — Hierauf bezuͤgliche allgemei-
nere Traditionen, wie ſelbſt vereinzelte Namen erſcheinen in den
Eingaͤngen und fruͤheren Lebensbeſchreibungen des Vaſari; auch ge-
hoͤrt dahin jener Coͤllniſche Bildhauer bei Ghiberti, welcher ſeit Ci-
cognara haͤufig beſprochen wird.
Unter den italieniſchen Bildnereyen in deutſchem Geſchmacke
giebt es verſchiedene, in denen der Aufdruck deutſchen Geiſtes, deut-
ſcher Manier und Formengebung ſo auffallend iſt, daß ich nicht um-
hin kann, ſie fuͤr die Arbeit eines Deutſchen zu halten, welcher, gleich
den genannten, ſich in Italien niedergelaſſen, oder doch als fahren-
der Geſelle in dieſem Lande gearbeitet hat. — Dahin gehoͤren zwey
hoͤchſt aͤhnliche Madonnenbilder von Marmorſtucko, das eine und
ſchoͤnere in der Kloſterkirche zu Grottaferrata, in dem Bezirke von
Rom, das andere in einer der Tribunen der Kirche ſan Pietro in
Grado in der Naͤhe von Piſa. Aus demſelben Materiale beſteht
eine verwandte, obwohl geringere Darſtellung deſſelben Gegenſtan-
des zur Linken des vergitterten Einganges zum Chore des Domes
von Luͤbeck, einer Stadt, deren damaliger Flor geſtattete, auch aus
weiter Ferne Kuͤnſtler anzuziehn. — Schoͤne, in Helfenbein ausge-
fuͤhrte Nachbildungen jener italieniſchen Madonnen, ſah ich im
Jahre 1820. in der Kunſthandlung des Juweliers, H. Beccheroni,
am Domplatze zu Florenz.
tere Senesi, T. I. Ven. 1782. p. 179. f.) deſſen Abſchrift urſpruͤng-
lich nach dieſem letzten gemacht worden, citirt die gegenwaͤrtig un-
anwendbare Numer 56.
teiniſche Endung uͤbertragen. In den folgenden Verhandlungen
ſteht uͤberall, Nicholas.
lieſet hier, pervium, und ſo fort durch alle Caſus, in denen das
Wort vorkommt. Der Abſchreiber hatte die Abbreviaturen der Ur-
kunde: pmum, pmi, pmo, falſch geleſen, weil das m, der neugothiſchen
Schrift faſt eben ſo ausſieht, als das ui. Indeß kann hier kein
Zweifel obwalten. Eine Kanzel hieß damals, wie noch immer,
uͤberall in Italien, pergamo, in den lateiniſchen Urkunden, per-
gamum.
famuli.
gioni zu Siena), Claſſe B. No. 20. Jahr 1261. Julius bis Januar
lieſ’t man p. 29. sec.:
und ſeiner Geſellen nicht ſo unerheblich.
ſtehung dieſes Symboles aus Pſalm 91. erklaͤrt wird, wo: concul-
cabis Leonem etc. — An der Vorſeite des Domes zu Piſa lieſt man
die Worte: de ore Leonis libera me Domine etc. neben einem
ſchwarz auf weißem Marmor eingelegten Maͤnnchen inmitten zweyer
Unthiere. Vielleicht war dieſes Symbol fuͤr die Geweihten eine
Anmahnung an die Streitigkeiten der Kirche mit der weltlichen Ge-
walt, welche der Zeit nach mit deſſen jaͤher Ausbreitung zuſam-
mentrifft.
der Beſtallung des Arnolfo zum erſten Werkmeiſter des Dombaues:
Arnolfus de Colle fil. quondam Cambii. — In einem Briefe Koͤnig
Karls von Anjoudd. 1277. Sept. X. Ind. VI. (Archiv. della Cancel-
leria X virale di Perugia A. No. 52. und abgedruckt bei Mariotti,
lett. perug.) heißt er rundweg mag. Arnulfus de Florentia. Man
uͤberging in der Fremde die ſpecielle Angabe des Geburtsortes.
Brande durch Einſturz des Daches zerſchmettert worden, iſt oder
war folgende Aufſchrift eingegraben:
HOC OPVS FECIT ARNOLFVS = CVM SVO SOCIO PE-
TRO. + ANNO MILLENO CENTVM BIS ET OCTVAGENO
QVINTO. SVMME D̅S̅ = Q. HIC ABBAS BARTHOLOMEVS =
FECIT OPVS FIERI = SIBI TV DIGNARE MERERI.
— Welch eine Kluft von den Inſchriften dieſer Zeit zu den Bil-
dern, an denen ſie vorkommen!
Clemens IV. den Nicolas im J. 1267. nach Viterbo gerufen, und
ihm dort Verſchiedenes zu bauen aufgetragen habe. — Wir wiſſen
indeß aus den obigen Urkunden, daß unſer Meiſter waͤhrend dieſes
Jahres durch ſein Wort an Siena gebunden war und in der That
(Nr. 3.) daſelbſt ohne laͤngere Unterbrechung gemeißelt hat.
Siena, finden ſich im dortigen Archiv (Biccherna B.) eine Menge
faſt unbekannter Kuͤnſtlernamen. Z. B. B. To. 103. (1310. 1311.)
a Nicholuccio dipegnitore. (Es werden ihnen Wappen bezahlt.)
Daſ. fo. 282. a. t. — Ancho — 1. Lib. A insegnia dipegnitore pro
dipegnitura a livri del camarlengo. (Ob jener Sezna, von deſſen
Hand das Bild der ſien. Gallerie? S. Abh. VIII.) — B. To. 99.
anno 1301. 1302. fo. 282. a. t. — Item XV. sol. — a petruccio
dietisalvi dipegnatore per dipegnatura uno livro etc. Demſ. daſ. fo.
361. a. t. und 362. fuͤr Wappenſchilder. Daſ. fo. 296. — a Bindo
miniatore. B. To. 104. (1310.) fo. 90. — a Cieco Puci dipegnitore.
To. 104. fo. 108. — a Nichola Mini dipentore. B. To. 110. anno
1314. a Vitoluccio et a Guido Cini dipegnitori. Daſ. fo. 192. a. t.
a Mino dipegnitore per dipegnitura due ciervi nellivro delle chiavi
etc. B. To. 121. anno 1319. die XXIII. octubris — Guidoni pi-
ctori — und die V. decembris — Guido Cinacti pro pictura etc.
Allerdings bezahlt man dieſen Kuͤnſtlern meiſtens nur Wappen und
andere Symbole dieſer Art. Indeß ward dieſe Arbeit auch von den
groͤßeren Meiſtern jener Zeit nicht ſo durchhin verſchmaͤht. — Ar-
chiv. delle Riform. di Siena, T. libro 78. ſteht eine serie delle arti
esistenti in Siena l’anno 1363. worin neun und dreißig Maler, vier
und ſechzig Steinmetze verzeichnet werden, deren Namen und
Werke groͤßtentheils ganz unbekannt ſind. — Ich habe oben (Abh.
VIII. Minuccio di Filipuccio unter den ſieneſiſchen Malern des
13ten Jahrh. aufgefuͤhrt. Vielleicht iſt es Einigen willkommen,
auch ſeinen Vater oder Meiſter kennen zu lernen. Archiv. della
gen. Biccherna di Siena B. To. 98. (1298.) fo 193. bezahlt man
jenem Minuccius Filippi (an a. Stellen Filipucci) pietor, „pro qui-
busdam testibus falsis, quos depinxit in patio communis Sena-
rum.“ Archiv. cit. B. To. 84. 1288. (1289.). Item CXIII. Lib. III.
sol. III. den. p. apodixia dominorum novem Filipuccio aurifici pro
una coppa argenti coperchiata que donata fuit dieto Domino Regi
cum dictis flo. (Geldgeſchenk). Daſ. B. To. 66. 1282 fo. 127. er-
haͤlt derſ. Filipuccius aurifex eine Zahlung: pro salario ambassiate.
In Florenz findet ſich gegen die Mitte des vierzehnten Jahr-
hundertes ein gleicher, oder noch groͤßerer Ueberfluß von unbekann-
ten Kuͤnſtlernamen. Im Archiv, dell’ opera del Duomo di Firenze,
64. a. t. anno 1366. — Perus Miglioris, Bettus Gerii, Simon Gri-
maldi, Benincasa Lotti, et Pierus Gherii, aurifices. — Daſ. con-
silium pictorum:Taddeus Gaddus, Andreas Cionis, Nicolaus
Tomasi, Johannes Bensi, Andreas Bonajuti, Nerius
Monis, Nuccius Montini, Nerius Fioravantis, Risto-
rus Cionis, Bernardus Pieri, Bencius Cionis, Ciardi-
nus Chuene (fo. 67. heißt er: Ciardinus del Guena; wohl
ein Fremder) Franciscus Salvetti, Francischus Nerii b.
Baldi. Da Arcagno und Taddeo jenen meiſt ganz unbekannten
Meiſtern in Rath und That zur Seite ſtehn, ſo koͤnnen auch dieſe
ihrerzeit nicht ſo ganz bedeutungslos geweſen ſeyn. Daſ. fo. 65.
Infrascripti sunt pictores deputati — ad faciendum designum seu
modellum etc. Unter dieſen, naͤchſt einigen der fruͤher angefuͤhrten:
Dominichus de Forterini, Luchino, Piero Fortini, Jacopo Sanella,
Paolo Saldini, Nuccio di Jacopo; und fo. 67. (eod. anno) — To-
masus del Passera, Cecchus Pieri, Jacopo dello Stimolino (oder
Sternolino), Zanobius Pacini, Andreas vocatus Burchiasso, Pacinus
Cini, Pierus Giamboni, Franciscus Michelis, Stefanus Metti, Sander
Macci, Martinus Doni, Johannes Junte, Andreas Cioffi, Buonus Masi,
Cambius Michelis, Pierus Mattei, Ambroxius Vannis, Johannes Jun-
tini, Filippus da Campi, Simon daddi, Benintendi Guidi etc.
fo. 3. a. t. dì 12. di nuembre 1358. — Gio. di Messer Lotto pre-
posto etc. richiederono per di 13. Novembre. — Nicholo Biltrami,
Giovanni di Flor., Ambruogio di ...., Alberto Arnoldi etc. —
Gegenuͤber: fo. 4. 13. Nov. — Essendo raghunati: frate Jacopo di
Lapini etc. — Alberto Arnoldi etc. — fo. 34. a. t. 19. d’Otto-
bre: — Chompari primi in dco dì Alberto Arnoldi maestro
etc. — Daſ. in einem anderen Buche, Richordanze dell’ ao 1359.
fo. 8. 1358 (1359?) di IIII. di Settenbre. Maestri che chonsiglia-
rono detto dì etc. — tutti quatro maestri renderono per chonsiglio
etc. — chelle finestre, che chonducie Alberto allato al chan-
panile si seguano al modo chominciato etc. — Ferner: franciescho
Talenti chapomaestro della detta opera etc.
Alberto chapomaestro della detta opera rende per chon-
siglio detto dì: che la detta porta nominata di sopra rimangha do-
vella é, e murivisisu chom’ anno detto que’ di sopra. fo 14. a. t.
beruft ſich francescho Talenti auf die Anſicht unſeres Alberto; und
fo. 14. a. t. XXVII. Sett. 1359. — operai ragunati tutti e quatro
nella chasa dell’ opera allogharono ad Alberto Arnoldi chapo
maestro della detta opera a guidare et a far fare ed acchon-
piere l’archo della porta maggiore della faccia dinanzi di Santa Ri-
parata (dem Dome) ed asseguirlo chome (é) chominciato da pie di
marmo rosso ischavato, chome quello che v’é fatto. Salvo che il
detto Alberto deba avere chonsiglio chon Franciescho Talenti
d’ongni lavorio che vi fa, e che chollui insieme facciano il detto la-
vorio. Vgl. daſ. fo. 15. a. t. fo. 16. —
XII. — 1359. die VI. mensis Junii. Item allogharono a fare la
ymagine di marmo di nostra donna col fil. in braccio con atto di
misericordia, adornata fregiata di fregj d’oro e lustrata come si con-
viene e simigliantemente due Angeli la quale figura dee essere d’al-
tezza braccia tre o piu. e quella degn’agnoli braccia due e mezzo
o piu a Alberto Arnoldi maestro del popolo S. Michele
berteldi.
deliberarono e absolvetteroAlberto Arnoldi maestro e Alessio
suo malle vadore dalla promessa fatta per loro di fare le figure
di nostra Donna coglagnoli e dichiararono essere fatte secondo la
promessa fatta per lo detto Alberto; e a me comandarono, che la
charta e ogni promesso sia cassa annullata e per me cancellata. —
Vgl. Cicognara, stor. a. ſ. St., welcher dieſe Zeugniſſe ſchon benutzt
hat und naͤher auf das bildneriſche Verdienſt dieſer Gruppe einge-
gangen iſt.
ſchaft. Die Anziehung, die ihm mitgetheilt worden, lautet: Item
Piero Chellini pro resto totius sue picture facte in Domo habita-
tionis capitaneorum in facie exteriori. — Die Buͤcher wurden in-
deß, ſ. unten, in italieniſcher Sprache gefuͤhrt.
tori dell’ anno 1444. fo. 96. — Piero Chellini dipintore de’ avere
lib. trentotto — sono per dipinture a fatto nella facciata dinanzi
della chasa nostra quando arsa nell’ anno 1443. d’acchordo collui
questo di primo di Luglio 1444. — fior. 38. piccoli. Auf der Ruͤck-
ſeite des vorangehenden Blattes ſteht eine abſchlaͤgliche Zahlung,
mit Hinweiſung auf das libro biancho, a. c. 77. Dieſes, gegen-
waͤrtig: libro 22., hat fo. 77. — Piero Chelini — posto debitore a
libro etc. — fiorini 20. piccoli. und gegenuͤber: Piero Chelini di-
pintore de dare a di 24. di marzo 1443. — fio. 20 picc. Die
cit. und fo. 192. 193. 195. 199. — Bemerken wir, daß der Vaters-
name haͤufiger, Chelini, geſchrieben wird; wahrſcheinlich iſt er
aus Michelino abgekuͤrzt worden. — Im Archiv della gen. Biccherna
di Siena fand ich, B. 121. anno 1319. 31. Dec. Item — Chelino
Choletti operario comunis Senarum etc.
sona malinconica — ma dell’ arte amorevole e studiosissimo, come
tavola lavorata da lui a tempera, con tanta diligenza ed amore,
che di suo non si é mai veduto in legno cosa meglio
fatta. In questa tavola etc. Wer den Vaſari genauer ins Auge
gefaßt hat, kennt die Bedeutung ſolcher ganz allgemeinen Ein- und
Uebergaͤnge; wo er beſtimmt wußte, ſprach er rund heraus.
(Pictro Perugino) — „Eccoci in tanto ai primi frutti veramente ma-
turi della scuola Romana. — Pietro é il suo Massaccio, il suo Ghir-
landajo il suo tutto.
gedruckt.
tober 1455.
befinden ſich in einer Briefſammlung, welche ich in Siena benutzt
habe, die aber kuͤrzlich an Hrn. Roſetti zu Trieſt verkauft wor-
den iſt.
CCXXXIII. fo. 104.
gaben muͤßte es allerdings ein anderer ſeyn. Indeß ſind dieſe nicht
eben die ſtarke Seite des Vaſari.
Senesi T. III. in der Hauptſchrift uͤber Francesco di G. Dieſe iſt
jedoch ein unreifes Gemiſch von Auszuͤgen und gewagten Urtheilen,
aus dem kein einziges Reſultat hervorgeht. Aus einigen Nachwei-
ſungen habe ich indeß Nutzen gezogen.
XXIV. Julii 1505. et T. XLVIII. fo. 59. die XXIII. Junii 1506.
einem emſigen Sammler ſieneſiſcher Denkwuͤrdigkeiten; ich habe ſie
jedoch nicht ſelbſt vergleichen koͤnnen. Alle uͤbrigen in dieſem Auf-
ſatze benutzten urkundlichen Nachrichten, habe ich ſelbſt aufgefunden
oder doch nachgeſchlagen und aufmerkſam verglichen.
pienza zu Sienalettera. i. grado 10. n. l. (abgedruckt bey Reposati
della Zecca di Gubbio To. I. und lettere Sen. To. III. p. 77.) zeigt,
daß Franz ſchon im Jahre 1480. Anſpruͤche an die Dankbarkeit die-
ſes Herrn erworben hatte.
aus in den lettere Sen. T. cit.
lib I. cap. VI.
vere una stalla, la quale io ho ordinato al mio III. Duca d’Urbino:
dalla quale si potrà comprendere tutte le parti, che
debba avere una stalla completa o perfetta. —
bener Thurm, aus dem ſpaͤterhin das Baſtion mit Faßen und Flan-
ken entſtanden iſt. Ein neueres Werk mißt das ausgebildete Ba-
ſtion dem San-Micheli bey und citirt, als das fruͤheſte, ein Ba-
ſtion zu Verona von 1527. In den Randzeichnungen des florenti-
niſchen Codex kommen ſchon Baſtione mit langen Faßen und zu-
ruͤckgezogenen Flanken vor. Ich will nicht behaupten, daß dieſe
Zeichnungen von Francesco di Giorgio ſelbſt herruͤhren; im
Gegentheil ich laͤugne es, weil ſie nicht mit dem Text uͤbereintref-
fen, und halte ſie dem Anſehen nach fuͤr Jugendarbeiten des Bal-
thaſar Peruzzi. Auf jeden Fall aber lehrt die Zeichnungsart, daß
ſie aͤlter ſind, als das Jahr 1527.
XXXI. fo. 37. tergo.
pro occurentiis Montis politiani.
tergo.
fo. no. II.
auf der Inſchrift am Palaſte ſelbſt, die auch das oben a. W. mit-
theilt.
denen, die aus ihm geſchoͤpft haben.
ſiſche Regierung ſchreibt an die Sieneſiſche unter dem 13. Aug.
1491. — „Cum Francisci Georgii, civis vestri, cujus in architectura
fama percrebuit, consilium et judicium habere cupiamus.“ —
SS., che si venera alla chiesa del caleinajo.
XXXVII. Palchetto 4. Cod. 91. und abgedruckt bey Muratori, rer.
Ital. scr. To. III. P. II.
Abbildung mit ihren Aufriſſen und Durchſchnitten.
ponsi per li Offitiali de l’ornato de la città vostra, come
— hanno voluto con diligentia esaminare lo palazzo principiato per
la sua spectabilità di Misser Jacopo ed Andre Piccolomini lo qualc
sara opera maravigliosa e nella città nostra degnissimo orna-
mento secondo la intenzione e disegno di loro spectabilità. Et tro-
vano decti vostri servitori che a volere che le faccie corrispondino
a drictura l’una coll’ altra e lo palazzo venghi in quadro bisogna
sopra pigliare dieci braccia de la selice (gepflaſterte Straße) del
campo etc. —
1460. Ind. IX, die sabbati XVIII. Octobris. — Dinanzi a voi —
pra l’ornato della città nostra come dinanzi alloro e stato lo
spectabile cavaliere. Misser Gio. Saracini cittadino vostro et ha es-
posto come la Sanctità del sommo Pontefice Papa Pio II. intende
e vuole fare ed edificare ne la città vostra uno nobile e bello
casamento avendo le case et butighe e piaze dove tale casamento
fare intende da padroni et signori di quelle per pregi giusti et ra-
gionevoli. Et che di tali compre cosi per li proveditori come per lo
compratore al commune vostro non si paghi alcuna cabella,
ne si paghi etiando cabella delle cose si mettessero nella città
vostra per fare el detto casamento etc. — Eod. fo. — Approbatum
fuit — cum hac limitatione vid. quod omnes vendentes summo pon-
tifici vel suis nepotibus — teneantur solvere eorum medietatem cabelle.
542. fo. 41. a. t.
mini etc. — attendentes, qualiter per eorum in offitio praecessores
fuit concessa quedam platea cum omnibus rebus in ea existentibus
communis Senarum in loco vocato piaza Manetti magnifice Domine
Catarine sorori carnali summi pontificis vid. die XVIII. Decenbris
preteriti 1459. cum certis conditionibus et inter alia quod via per
quam itur ad archiepiscopatum Inter Domus Nannis de Marsiliis et
Domum per jam̅ Dominam Chaterinam hedificandam esset latitu-
dinis octo brachiorum ad minus De quibus omnibus plene patet
manu Ser Dei silvestri tunc notarii consistorii, et attento quod
Domina Chaterinasecundum designum sui architectoris
non potest commode facere ipsam Domum nisi capiat vel occupet
de ipsa via unum brachium cum dimidio ad minus. Qua de causa
— decreverunt, quod ipsa via remaneat et sit latitudinis brachiorum
sex cum dimidio alterius brachii etc. —
endigung des Domes beſchaͤftigt. S. Arch. cit. libro E. 5. wo fo.
107. a. t. Marmorbekleidung einer Kappelle, fo III. 112. (172.) 117.
(177.) drey Kappellen bildneriſch zu verzieren beſchloſſen werden.
die Geſammtheit aller Kuͤnſtler, welche im Staatsgebiete des roͤ-
miſchen Stuhles geboren ſind. Nun giebt es in dieſem Staate,
von den mannichfaltigſten Meiſterſchulen abgeſehn, auch noch die
entſchiedenſten Stammverſchiedenheiten: Roͤmer, Toscaner, Umbrer;
der Lombarden in den Legationen nicht zu gedenken, welche man
aus Inconſequenz abzuſondern und den Bologneſern beyzuordnen
pflegt.
ſtand: die Aufnahme der Madonna in den Himmel, unten die Apo-
ſtel; hoͤher, wie gewoͤhnlich, Glorie von Engeln, welche die aufwaͤrts
ſchwebende Jungfrau umgeben. Unter dem oberen Rande des Bil-
des zu den Seiten jene Erzvaͤter von byzant. Anſehn, welche auch
in den aͤlteren ſieneſiſchen Darſtellungen deſſ. Gegenſtandes vorzu-
kommen pflegen.
laufenden Darſtellungen des Lebens Chriſti und des Hl. Franz in
Erinnerung gebracht (Abh. IX.). — Zu Aſiſi, im Kloſter der Hl.
Chiara, zeigt man im Kreuzgewoͤlbe uͤber dem Hauptaltar Malereyen,
welche eine Vergleichung des Lebens der Madonna mit jenem der Hl.
Chiara zu bezielen ſcheinen. Dieſe Arbeit wird dem Giottino bey-
gemeſſen, was ſeinen Grund haben mag, da ſie deſſen florentini-
ſchen Arbeiten zu gleichen ſcheinen.
mit Vorbehalt des Giotto(da Giotto in fuori) der groͤßeſte Maler
geweſen ſey,“ dieſer den Cimabue, jener den Stefano, der dritte
Bernardo, ein anderer den Buffalmacco nennt, wobey es dem Er-
zaͤhler offenbar nicht auf Namen ankommt. Darauf ſagt Taddeo
Gaddi: „gewiß hat es ſehr große Kuͤnſtler gegeben, welche das
Unerreichbare geleiſtet haben; indeß iſt dieſe Kunſt in Abnahme
gerathen und noch immer im Sinken (ma questa arte é venuta e
viene mancando tutto di).“
Bey ſo deutlichem Bewußtſeyn eines huͤlfloſen Ruͤckſchreitens
zeigen ſich nirgend Spuren des Nachdenkens uͤber deſſen innere Ur-
ſachen, oder aͤußere Veranlaſſungen. Wie es ſcheint, ließ man ſich
gehn. Die alten Meiſter mochten auf ihren Lorbeern ruhn und
mit einer gewiſſen Selbſtgefaͤlligkeit auf das Unvermoͤgen ihrer
Nachfolger herabſehn, uͤber das Weiterſtreben der Beſſeren verblen-
det ſeyn, wie es ſich taͤglich wiederholt.
Ich habe oben (IX.) gezeigt, wie jenes Vorurtheil der Trecen-
tiſten gegen Ende des funfzehnten Jahrhundertes in dem ſtaͤdtiſchen
Patriotismus der Florentiner ſich verjuͤngt habe. Doch verſaͤumte
ich, an ein altes Gedicht zu erinnern, Francesso Lancillotti, Fio-
rentino, pitt., trattato della pittura etc. (Roma 1508. und Lettere pit-
toriche To. VI. p. 299. und 347.) in welchem die Malerey ſpricht.
Ob uͤbrigens dieſer Giotto, den ſeine florentin. Zeitgenoſſen
und Nachkommen langezeit fuͤr unerreichbar gehalten, jemals jener
MCCCLVII. Andreas Cionis de Florentia me pinxit. Zu den Sei-
ten die Namen der Hll.
dung, Zierlichkeit der Ausbildung, gleich gekommen ſey, welche ſein
beſcheidener Schuͤler Taddeo in ſechs kleinen Bildern der Samm-
lung der florentiniſchen Kunſtſchule (Galleria de’ quadri piccoli)
dargelegt hat; wer wuͤrde daruͤber zu entſcheiden wagen, nachdem
die meiſten und wichtigſten Arbeiten des Giotto untergegangen ſind.
Indeß erregen die Vorhandenen Zweifel; ſeine Manier ſcheint darin
durchhin auf Schnelligkeit der Beſchaffung angelegt zu ſeyn. Tad-
deo hingegen hatte ſich darauf eingerichtet, zierlich und emſig zu
beendigen. — In der bezeichneten Folge, welche uͤberall an das Le-
ben der Hl. Caͤcilia in ſanto Stefano erinnert, iſt beſonders die
Geburt des Heilands wohl erhalten und bis in die Nebenwerke
ſchoͤn beendigt. Half ihm darin Giovanni da Melano? Gewiß,
waͤre es ausgemacht, daß er des Taddeo Geſelle geweſen, moͤchte
ich mir die ſchoͤnen Thierbildungen dieſes kleinen Gemaͤldes eben
nur daher erklaͤren.
durch unſeren Kuͤnſtler malen zu laſſen, wo (Archiv. delle Rif. di
Siena. Delib. di consiglio No. 232. anno 1406. fo. 18.) — die XXVa.
Augusti. Et deliberaverunt — quod totum residuum denariorum, qui
superaverunt — — convertatur per operarium cam., in ornatum
cappelle palatii, quod fiat per manus magistri Thaddeji Bartoli
cum illis figuris ornatimentis et auro et modis et formis, de qui-
bus eidem videbitur pro ornatimento dce cappelle etc. — Auch in
anderen Vertraͤgen dieſer Zeit und Art wird das Gold, was die
Maler bisweilen gegen den Geſchmack ihrer Zeit erſparen mochten,
ausdruͤcklich einbedungen.
No. 232. anno 1406. fo. 18. No. 237. anno 1407. fo. 32. a. t.
kommt es zuerſt zur Sprache, dieſe Kappelle neu und durch unſe-
ren Kuͤnſtler ausmalen zu laſſen. No. 242. anno 1408. fo. 33. wird
die Bezahlung des bis dahin geleiſteten decretirt. No. 275. anno
irrig fuͤr ſieneſiſche Coſtuͤme haͤlt, von genauerer Beſichtigung
der Arbeiten des Thaddeo abgeſchreckt haben. In der That miß-
handelt er dieſelben ohne allen Grund, wie denn uͤberhaupt ſein
Kunſturtheil eben ſo flach und keck iſt, als ſeine Angabe hiſtori-
ſcher Umſtaͤnde.
— Daher des gedoppelte Dat. ob. Inſchrift.
Vaſari, vita di Taddeo di Bartolo, dieſem Kuͤnſtler in der Pfarr-
kirche zu ſ. Gimignano beylegt, finden ſich gegenwaͤrtig daſelbſt in
der Sacriſtey — Unter dem ſchoͤnen ſ. Bartholomeus des Haupt-
bildes die Jahreszahl 1401. — Die Behandlung, wie ſchon Vaſari
andeutet, noch ganz trecentiſtiſch.
ser. fo. 65. — Ristorus Cionis — Bencius Cionis. — Beide
kommen daſ. nur als Bauverſtaͤndige in Betrachtung. — Benci,
ſcheint mir aus Bencivenne abgekuͤrzt. — Aber auch von dieſen
Kuͤnſtlern kann ich keinesweges mit Zuverſicht angeben, daß ſie Bruͤ-
der des Andrea di Cione geweſen; wir wiſſen nur, daß ihr Vater
denſelben Namen gefuͤhrt hat, als der Vater jenes anderen. Vgl.
XII. die erſte Anm.
ſeines Lebens, ebenfalls Niccolò di Pietro nennt. — Auch Lanzi
wuͤrdigte unſeren Kuͤnſtler keiner Erwaͤhnung obwohl Morrona ihn
bereits aufgefuͤhrt hatte.
wo Tab. XII. die angefuͤhrte Inſchrift vielleicht nach alten Abſchrif-
ten ergaͤnzt worden: AN. D. M. CCCLXXXXII. D̅E̅. MAR. — La-
ſinio nennt unſeren Maler willkuͤhrlich einen Schuͤler des Giotto,
was ſchon der Zeit nach unwahrſcheinlich und durchaus unbegruͤn-
det iſt.
iſt die Anordnung genuͤgend, hingegen das weſentlichere Verdienſt
des Meiſters, die Ausfuͤhrung, ſo gut, als gar nicht ausgedruͤckt.
laͤngerten Figuren in der verfluͤchtigten giottesken Manier mit der
Aufſchrift: Gettus. Jacobi. de. Pisis. me. pinxit. MCCCLXXXXI.
— Hie und da, wie im Engel der Verkuͤndigung am Giebel, neigt
ſich dieſer Kuͤnſtler bereits zum Widrigen, dem wir nun bald auch
an anderen Stellen begegnen werden. — Unbedeutender noch eine
zweyte Tafel derſ. Sammlung, worunter Johannes Nicolai me pinxit
a. d. M. C... — Die Lagune der Jahreszahl wird nach dem Raume
und nach dem Anſehn des Bildes zu MCCCC. zu ergaͤnzen ſeyn.
237. anno 1408. fo. 29. die dni XVIII. Junii. Locatio facta de sala
nova ad pingendum. Magister Martinus pictor olim Bartho-
lomei conduxit ad pingendum omnes quatuor voltas sale nove pa-
latii dnorum Priorum et est usque ad cornices existentes in fine
voltarum predictarum bonis et ydoneis coloribus cum simili-
bus totidem fighuris et laboreriis modo et forma, quibus picte sunt
alie quatuor volte cappelle dicti palatii omnibus expensis de colo-
ribus, omnibus aliis ipsius magistri Martini. Excepta calcina et
pontibus (alſo buon fresco) que fieri debeant et solvi expensis
comunis Senensis et non dicti magistri Martini et cum conditione,
gewoͤhnlichen Zeitrechnung und To. 285. Jan. 1408 (1409.) = Jan. 1409.
(1410.) kommt keine Zahlung an Spinello vor. Eben ſo wenig B.
To. 286. anno 1409. Jul. — Dec. und To. 287. 288. (1410. 1411.).
Indeß iſt das Archiv in dieſen Jahren luͤckenhaft und es konnte die
Summe zudem mittelbar durch die oben genannten Beauftragten
ausgezahlt worden ſeyn. In den Delib. del Concistoro No. 244.
(anno 1408.) fo. 11. die VII. Julii. — deliberaverunt, quod magister
Spinellus pictor pingat istoriam praelii Venetorum cum Imperatore
federicho per mare prout istoria fuit et prout pm (?) in illa carta,
quam comodavit Bettus benedicti. — Waͤre dieſe Arbeit ſpaͤter ei-
loco auri ponere possit stagnum. De quibus omnibus ha-
bere debeat a comuni Sen. quinquaginta quatuor flor. auri Senenses.
Et promisit totum dictum laborerium fecisse et explevisse hinc ad
per totum mensem februarii proxime venturi. — Die Arbeit dieſes
mittelmaͤßigen Malers beſtehet in allegoriſchen Halb-Figuren. Hin-
gegen ward dem Spinello der wichtigere Theil der Arbeit verdun-
gen, wie folgt: Ib. eod. fo. — Magister Spinellus Luce pi-
ctor de Aritio locavit se et operas suas ad pingendum totum
residuum dce sale nove, quam pingere promisit et teneatur illis
figuris ..... modo et forma, de quibus eis Imponatur per eos in
quibus commissum est vel de novo committeretur. Et ad dictas
picturas faciendum promisit esse continue et secum tenere filium
suum quousque compleatur ad plenum. Et dictas picturas omnes
facere debet omnibus expensis etc. — comunis Senarum. Ita quod
non habeant ...... nisi personas suas tantum. Et debeat
habere salarium inter ambos quolibet mense quindecim
florenos auri et Incipere dictum laborerium ad tardius in ealen-
dis Martii proxime venturi et antea non teneatur. Et ultra
dictum salarium habere debeant ambo expensas mane et
sero pro commodo eorum vite condecenti expensis dicti
comunis. Constat latius de condit. et locationibus supradictis
manu mei notarii supradicti.
Vertraͤge, Zahlungen u. ſ. w. anfinden.
beſonderen Andeutungen: fu, ebbe etc.
nelli anni 1400. mi partj da Firenze, sì per la coruzion dell’ aria,
et pel male stato della nostra patria, con un egregio pittore, el
quale l’aveva richiesto il Signore Malatesta da Pesaro, el quale ci
fece fare una camera, la quale da noi fu picta con grandissima di-
ligenzia. L’animo mio alla pittura era in grande parte
volto; erane cagione l’opere le quali el Signore ci promettea; an-
cora la compagnia con chì io ero, sempre mostrandomi l’onore e
l’utile, che ci acquisteremo. Nondimeno in questo istante da miei
amici mi fu scritto, come i governatori del tempio di S. Giovanni
batt. mandano pe’ maestri, che sian docti etc. (Die Geſchichte der
Coneurrenz um die Arbeit des zweyten ehernen Thores der gen.
Kirche, welche den Ghib. beſtimmt, ſich wiederum der Bildnerey
zuzuwenden).
rio in quadri, i quali erano di grandeza d’uno braccio e terzo. Le
quali istorie, molto copiose di figure, erano istorie del testamento
vecchio: nelle quali mi ingegnai, con ogni misura osser-
vare, in essa cercare imitare la natura, quanto a me
fosse possibile et con tutti lineamenti, che in essa po-
tessi produrre, et con egregij componimenti et dovi-
ziosi con moltissime figure. Missi in alcuna istoria circa
di figure cento; in quale istoria meno et in qual più. Condussi
detta opera con grandissima diligenzia et con grandissimo amore.
Tuttii casamenti colla ragione, che l’occhio gli mi-
sura e (i) veri, in modo tale (che) stando rimoti da
essi, appariscono rilevati. Hanno pochissimo rilievo, et in
su e (i) piani si veggono le figure, che sono propinque
apparire maggiori, et le rimote minori. — Es iſt merk-
wuͤrdig, daß ein Bildner von Beruf damals die maleriſche Beſtre-
bungen weiter hinaus verfolgte, als ſeinerzeit irgend ein Maler
von Beruf.
Stellen.
— S. Belege I. 1.
Bewegungen gewiſſe nur den Italienern ſo ganz verſtaͤndliche Kunſt-
worte: il terribile etc.
— Rispose Donato ridendo: questo buon huomo non é nell’ arte
quello, che sono io, e dura nel lavorare molto più fatica di me.
— Ob Donatello wirklich ſo geſprochen, iſt wahrſcheinlich nicht
wohl mehr auszumachen; doch bezeugt dieſe Stelle, daß ſeine Zeit-
genoſſen und naͤheren Nachfolger ſeine Ueberlegenheit eben in den
techniſchen Dingen aufſuchten.
er die Kanzel nach 1460. — Aus einem Actenſtuͤcke, welches ich in
den Belegen IV. 3. mittheilen will, erhellt, daß er der Verpflich-
tung, fuͤr den florentiniſchen Dom eine Thuͤre in Erz zu gießen,
nicht nachgekommen war, was Abneigung oder Unbehuͤlflichkeit zu
verrathen ſcheint. Er hatte dieſe Arbeit ſchon den 27. Maͤrz 1417.
uͤbernommen, in der Zwiſchenzeit aber zu Siena einige halberho-
bene Arbeiten an dem dortigen Taufbecken von Erz gemacht, welche
nicht ſo durchhin gelungen waren. S. Belege II. 1. Vaſari (vita
di Donato) ſpricht von einer anderen, unausgefuͤhrt verbliebenen
Bronzethuͤre fuͤr den Dom zu Siena; vielleicht mißdeutete ſein
ſien. Berichtgeber die, Sportelli, am Taufbecken (S. Bel. II. 1.)
— Im ſien. Dome, zur linken des Hauptaltares, erhielt ſich im
Fußboden ein Erzguß, liegende Figur, flacherhoben, in welcher noch
viel Gothiſches im Gefaͤlte, wie in den archit. Beywerken. Man
lieſ’t darauf:
OPUS. DONATELLI. REVEREN. DNO. D. IOHANNI. PECCIO.
SENEN. APOSTOLICO. PROTONOTARIO. EPO. GROSSETANO.
OBEVNTI. KL. MARTH. MCCCCXXVI.
Sie ſind durchhin bekannt und zugaͤnglich, weßhalb ich ſie uͤbergehe.
fo. 17. a. t. und fo. 18. 21. 22. — Antonio di Banco, und Ant.
dicto Banco maestro.
einem Buche des Arch. dell’ op. del Duomo di Fir., alloghagioni
dell’ op. 1438 = 1475. fo. 51. und an a. St. uͤberall: Michelo-
zius Bartolomei. S. Belege, III. und IV.
des Taͤufers an dem Prachtaltare der Joh. Kirche zu Florenz (in der
inneren Saeriſtey, op. del Duomo) verletzt den Sinn durch nutzloſe
Uebertreibungen in der Andeutung des Untergeordneten, ohne gerade
durch Ausbildung des Charakters zu erfreuen, was der Kuͤnſtler viel-
leicht bezweckte. — Von Brunelleschi ſah ich ſein Concurrenzſtuͤck zum
zweyten Thore der Johanniskirche, mit welchem er bekanntlich
durchgefallen iſt. Es war langezeit am Altare der alten Sacriſtey der
Kirche ſ. Lorenzo aufgeſtellt, und iſt, glaube ich, neuerlich in die
Gallerie der uffizj verſetzt worden. Man giebt in ſta Croce ein hoͤl-
zernes Crucifix fuͤr ſeine Arbeit. In der aͤlteren Lebensbeſchreibung
des Kuͤnſtlers (S. Moreni, can. Dom. vita di Fil. di Ser Brunel-
lesco, Fir. 1812. 8. p. 289.) iſt von einem anderen, und bemalten
die Rede. — Sein bildneriſches Abſehn wird jedoch aus dieſen
kargen Proben nicht ſo ganz deutlich.
Bottari die Zweifel des Zannotti uͤber ein Wort des Michelangelo
aufzuheben: — „che la scultura fosse la lanterna della pittura, et
che dell’ una all’ altra fosse quella differenza, cheé dal sole alla
luna.“ — Bottari’s Auslegung ſcheint mir ſehr ungenuͤgend;
Michelangelo mochte ſagen wollen, daß die Bildner den Malern
den Weg zur Rundung gezeigt haben.
1438. — 75. fo. 51. (anno 1445. — 1446. Febr. 28.) wird einem,
Maso di Bartholomeo, gemeinſchaftlich mit anderen das eherne
Thor der Sacriſtey des flor. Domes verſtiftet. Dieſer Maſo war
(S. fo. 72.) im J. 1461. (1462.) nicht mehr am Leben, und heißt in
den ſpaͤteren Erwaͤhnungen (daſ. fo. 73. a. t. und a. a. St.): Maso
di Bartholomeo, detto Masaccio. S. Belege IV. 3. ff.
que le diede di sua mano l’ultima perfezione e vi fece il resto
d’una storia, che mancava, dove s. Pietro e Paulo risuscitano il
Nipote dell’ Imperatore. Nella figura del qual fanciullo ritrasse
Francesco Granacci pittore allora giovanetto; e similmente M. Tom-
maso Soderini cavaliere, Piero Guicciardini padre di M. Francesco,
che ha scritto le storie, Piero del Pugliese, e Luigi Pulci poeta; pa-
rimente Antonio Pollajuolo. —
stesso cosi giovane come era, il che non fece altrimenti nel resto
della sua vita, onde non si é potuto havere il ritratto di lui d’età
migliore. — Allerdings ſollte man der aͤußeren Verbindung nach
das Bildniß des Filippino in der genannten Gruppe (der Ergaͤn-
zung der Luͤcke an der linken Seitenwand) aufſuchen. Indeß hatte
nella storia, che segue, ritrasse Sandro Botticello suo maestro e molti
altri amici e grand’ huomini; ed infra gli altri il Raggio sensale
etc. — Was nur auf die rechte, unten noch unbeſetzte Seitenwand
zu beziehen iſt. Zudem iſt das Bildniß des Filippino bey Vaſari
aus einer Nebenfigur der erſten Darſtellung dieſer Wand und nicht
aus der ergaͤnzenden Gruppe der anderen entlehnt.
Firenze 1770. Innerer Titel: the Life of Masaccio. — ferner:
Etruria pittrice; einzelne Blaͤtter in Bieſtermanier von Piroli; endlich
in Laſinio’s kunſtgeſchichtlichen Bilderfolgen (Firenze appresso Pagni),
die fruͤheren Abzuͤge der Blaͤtter nach den Bildern der Kappelle
Brancacci; in den ſpaͤteren ſollten die Unterſchriften auf meine
Vorſtellung abgeaͤndert werden.
Jahren eine ſchoͤne, von italieniſch gothiſchem Schnitzwerke umge-
bene Tafel vorhanden, welche Vaſari dem Don Lorenzo, Monaco
Camaldoleſe beymißt. Dieſes Bild iſt in der Richtung des Ange-
lico hervorgebracht; Anordnung, Gewandung, Gehabung der Geſtal-
ten ſchien mir vorzuͤglicher; hingegen fand ich die Charaktere min-
der ausgebildet, das Gefuͤhl lauer. — Im Februar 1818. ward die-
ſes Gemaͤlde von ſeinen Eigenthuͤmern der Kappelle entzogen, welche
durch eine baͤueriſche Wandmalerey aufgeziert ward. Moͤge es in
gute Haͤnde gelangt ſeyn!
Kloſters verkauft, ſind gegenwaͤrtig zu Rom bey dem koͤn. preuß.
Conſul, Herrn Valentini, aufgeſtellt.
ten Umſtaͤnde vernahm ich aus dem eigenen Munde dieſes aͤchten
Kunſtfreundes.
lien aufgehobener Kloͤſter erwachſen, weßhalb man den Urſprung ih-
rer Schaͤtze bisweilen im Dunkelen zu laſſen geneigt iſt.
Vaſari und Spaͤtere richtig auffuͤhren, wie folgt: hic tumulus est
Benotii Florentini, qui proxime has pinxit hystorias. hunc sibi Pi-
sanorum donavit humanitas. M. CCCC. LXXVIII.
Eyck, major quo nemo repertus, incepit; pondusque Johannes arte
lau. 1822. S. 182 ff. und denſelben, im Kunſtblatt 1824. No.
23 — 27.
vos collocat acta tueri. Die letzte Zeile enthaͤlt die Jahrszahl 1432.
Wunder umſtaͤndlich erzaͤhlt und der Moment discutirt wird, den
der Maler habe darſtellen wollen.
nella chiesa di Ambruogio etc.“
Hl. Fil. Benizzi in den Orden der Serviten: „questo fatto fu de-
lineato 1476. da Coſimo Rosselli pittore acanto alle finestre dell’
oratorio della stessa annunziata, come oggi si vede nel claustro
primo.“ Auf einer Stufe der Kappelle, in welcher der Heilige
knieet und betet, ſtehet in gelber Farbe geſchrieben: Coſimo Ros-
selli; doch entdeckte ich kein Jahr.
tenswerthen Halbrunde im Inneren des Kirchleins ſ. Martino, Co.
de buonuomini, Darſtellungen der Werke der Barmherzigkeit, duͤrf-
ten von Filippino und leicht um etwas fruͤher gemalt ſeyn, als
ſeine Ergaͤnzungen der Arbeit des Maſaccio, weil ſie, obwohl der
Idee nach geringfuͤgiger, doch in der Ausfuͤhrung noch gruͤndlicher
durchgebildet ſind. — Ich durchſuchte vergebens das Archiv der
Stiftung; es enthielt nichts, als die Buchfuͤhrung uͤber Einnahmen
und milde Spenden; doch ergiebt ſich die Wahrſcheinlichkeit der
angedeuteten Vermuthung aus der Vergleichung dieſer Gemaͤlde mit
jenen der Kappelle Brancacci.
dem Domenico die Handgriffe der Muſivmalerey gezeigt habe; was
Neueren Veranlaſſung gegeben, ihn aus der Schule des Aleſſio
abzuleiten.
p. 12. a. t. und s. p. 13. — Anno Dni MCCCCLXXXXIII. Ind. XI.
die XXIV. Aprilis — operarius ecclesie catthedralis civit. Se-
narum — — locavit Magistro Davit Thomasi Corradoffi de
Florentia magro Mosaici etc. Es iſt offenbar von dem Davide die
Rede, welcher, nach Vaſari, des Domenico Bruder war.
— a imparare Bastiano Mainardi da s. Gim. il quale in fresco era
divenuto molto pratico maestro; — per il che andando con Dome-
nico a. s. Gimignano dipinsero in compagnia la cappella di s. Fina,
la quale é cosa bella. —
chivs der, Riform. di Firenze, folgenden oͤffentlichen Beſchluß: Sa-
pendosi quanto importi, dar cuore a chi operando con industria
per mero parto d’intelletto cerca a lasciar di se onoratissimo nome
e fama alla patria per mezzo di fatture rare, di vuole, che larga
mente se ne ricompensin quelli che già sono stati eletti a
far pompa del loro talento e sapere, intorno alle statue d’Orsan-
michele.
questo lavoro é tanto pulito e netto, che é una maraviglia e fa co-
noscere, che molto giovò a Luca essere stato orefice. —
Der Goldſchmidt, bey dem Luca gelernt haben ſoll, heißt: Lio-
nardo di Ser Giovanni.
Engeln uͤber der Thuͤre von ſ. Piero Buonconſiglio, am alten
Markte zu Florenz. Ich glaube, daß er richtig geſehn, weil Auf-
faſſung und Behandlung den Arbeiten des Luca und uͤberhaupt der
aͤlteren, ſchlankeren Manier verwandt iſt. Im palazzo vecchio,
ſehn und ſprechen gehoͤrt, waͤre er der Neffe des Luca) ſind die
huͤbſchen Wickelkinder im Porticus des Findelhauſes und die Figu-
ren der loggia di S. Paolo, beide zu Florenz. Von ihm ſelbſt
(wenn er erſt im Jahre 1528. geſtorben iſt) oder von ſeinem
Sohne Luca, welcher nach Vaſari ebenfalls in dieſen Arbeiten ſeine
Staͤrke beſaß, koͤnnten einige Arbeiten beſchafft ſeyn, deren eine, zu
Fieſole, in der Kappelle des Seminarii, Madonna, Engel, welche
ſie kroͤnen vier Hll. mit der Aufſchrift: Gulielmus de Folchis eps
Fesulanus fieri fecit anno dni MDXX.; die andere zu Florenz,
Madonna dell’ assunta, in capo della via dell’ Ariento mit dem
ſchoͤnere. — In der co. della misericordia, das Altarblatt mit treff-
lichem Gtadino; wohl etwas neuer als Luca. — Im Hauſe Mozzi,
Cherubkoͤpfe, wohl Bruchſtuͤcke, auch andere neuere gebrannte Er-
den — bey Sre Antonio Capacci, drey verſchiedene Stuͤcke, welche
jedoch einer neueren Epoche anzugehoͤren das Anſehn haben. — In
ſti Apoſtoli die Kappelle Acciajuoli, links vom Hauptaltar. — Auch
die Arbeiten am Gewoͤlbe der Kappelle ſ. Jacopo der Kirche ſ.
Miniato a Monte, welche Vaſari beſonders bewunderte, ſo wie an-
dere in der Kappelle der Pazzi im großen Kreuzgange des Kloſters
ſta Croce ſind, wie die uͤbrigen zu Florenz vorhandenen, ſaͤmmtlich
noch in gutem Stande. — In sta Maria nuova, zu Florenz, in der
Kappelle ſ. Anſano auf dem Wege nach Fieſole und an unzaͤhligen
Orten finden ſich aͤltere und neuere Arbeiten dieſer Art.
Chore der Karmeliterkirche zu Flor. mit den Worten: Questa fece
fare Agniolo di Bonajuto Dini Co. Ser Agli per rimedio dell’ anim a
sua e de la sua donna. anno. MDXXVIII. — In dieſen ſpaͤ-
ten Arbeiten erhaͤlt ſich noch immer ein gewiſſer Aufdruck des Ge-
ſchmackes ihres urſpruͤnglichen Stifters. Hingegen meldet ſich
in zween der groͤßten Unternehmungen dieſer Art, dem ſinnreichen
Friiſe des Porticus der medizeiſchen Villa Poggio a Cajano und
in dem etwas ſpaͤteren am Spital del Ceppo zu Piſtoja ein ganz
verſchiedener Geſchmack und Geiſt.
— Auf dem Wege von Florenz nach Arezzo ſieht man zu Monte
Varchi, an der Vorſeite der Kirche ſ. Lorenzo, einen langen Friis,
die Ankunft der Reliquie des Heiligen, in gebrannter Erde ausge-
fuͤhrt. Dieſes große Stuͤck iſt nur ein Ueberreſt; denn vor nicht
gar langer Zeit bekleidete die ganze Vorſeite der Kirche eine zu-
ſammenhaͤngende Verflechtung architectoniſcher und bildneriſcher
Verzierungen dieſer Kunſtart. Auch in dem nahen ſ. Giovanni di
Valdarno, der angeblichen Vaterſtadt des Maſaccio, befindet ſich
an der Kirche ſta Maria delle Grazie unter einem gothiſchen Bo-
gen die raͤumige Darſtellung der Aufnahme der Jungfrau in den
Himmel.
dieſer St. hingeworfenen Zweifel, nennt er den Auguſtinp. 96.
und an anderen Stellen, doch immer, Della Robbia.
Conſolen angebracht iſt, worauf: Leonardus Salutatus etc. — in
der Hoͤhe MCCCC. LXVI. die Buͤſte dieſes Biſchofs auf einem eige-
ANNO SAL. MIID.
Antonio all’ arte dello orefice con Bartoluccio Ghiberti etc. —
dem ſehenswerthen Altarſtuͤcke deſſ. Bildners.
chiamato Bonacorso, il quale finì di sua mano il fregio, e quell’
ornamento rimaso imperfetto, con grandissima diligenza; quell’ or-
namento, dico, il quale é la più rara e maravigliosa cosa, che si possa
veder di bronzo. — Ein Buch, welches dieſem Bonacorſo gehoͤrt
hat und Zeichnungen und abgeriſſene Familien und Kunſtnotizen ent-
haͤlt, ſchenkte deſſen Sohn, Vettorio, dem Matteo Bartoli; es fin-
det ſich gegenwaͤrtig: Magliabecch. Cl. XVII. palch. 7. Cod. 2.
ler, 12.) „— in argentea tribuna — locatum est signum argenteum
inauratum s. Joh. Bapt. altum fere ulnas duas. — Hoc simulacrum
— perfecit postremus omnium artifex anno 1452. Mi-
duz. — avvegnachè ne’ libri dell’ arte io (?) vi trovi, che nel 1477.
si paga a Bernardo di Bart. Cenni, ad Andrea del Verocchio ed ad
Antonio di Jacopo del Pollajuoloper aver fatto le storie ne’
quadri di rilievo al Dossale. — Dieſe Kuͤnſtler hatten nach
Gori in der That andere Koſtbarkeiten fuͤr denſelben Kirchenſchatz
gearbeitet, deren Bezahlung R. oder ſein Berichtgeber mit den Re-
liefs am Altare verwechſeln mochte. — Diejenigen welche Vaſari
dem Pollajuolo beylegt, das Gaſtmahl des Herodes, machten nach
Gori: Antonio Salvi, und Francesco beide Soͤhne eines Giovanni,
vielleicht deſſelben Gio., welcher (ſ. Belege IV. 5.) die Reinigung
jener Thore der Sacriſtey im florent. Dome uͤbernahm.
argentei — auctorem facit Ant. del Pollajuolo, quum revera ex re-
gestis expensarum artis mercatorum constet, laudatum Michelozzum
opificem nullo socio aut adjutore perfecisse.“
Palaſtes, jetzt Vorſaal des Delegaten, mit Geſchichten der Hll.
Ludovicus und Herkulanus, ward ihm 1454. verdungen, woruͤber
Belege, IV. 1. einzuſehn, denen ich dort, zur Beleuchtung damali-
ger Kuͤnſtlerverhaͤltrniſſe, den ſchiedsrichterlichen Spruch des Fra
Filippo beyfuͤgen will. — Lanzi findet dieſe Arbeiten anderen dieſer
Zeit an Verdienſt gleich und Fra Filippo erklaͤrte ſie, wohl aus
Zunftgeiſt, fuͤr genuͤgend. Mir ſchienen ſie indeß, mit Ausnahme
einiger Bildniſſe, ſehr unbedeutend, und im Ganzen ſo ungleich,
als haͤtten verſchiedene Haͤnde daran gemalt. — In Bezug auf die
Verkuͤndigte in der Kirche der Orfanelli, welche Lanzi ebenfalls
lobt, will ich, obwohl ich ſie noch an der Stelle und jenem ande-
ren Werke aͤhnlich gefunden, doch nichts entſcheiden, weil hier die
noͤthigen Beweiſe fehlen.
gemalt haben, theils weil ſie durch den Vater Della Valle und,
nach dieſem, von Lanzi ſehr vollſtaͤndig verzeichnet werden ſind, be-
ſonders aber weil ich mich an dieſer Stelle mit der Entwickelung
des kuͤnſtleriſchen Geiſtes und keinesweges mit deſſen Krankheiten
beſchaͤftige. Aus demſelben Grunde habe ich oben die geiſtloſen
florentiniſchen Maler des Ablaufes des vierzehnten, des Anbeginns
des funfzehnten Jahrhundertes nur im Allgemeinen beruͤhrt. Die
Sieneſer erwachten nicht fruͤher, als um das Jahr 1500 aus ihrem
langen Schlummer; auch damals vornehmlich durch Anregungen,
welche theils von den umbriſchen, theils auch von den florentini-
ſchen Schulen ausgegangen ſind.
er nicht die Worte der Urkunde anfuͤhrt, welche man ſelbſt einſehn
muͤßte.
zwar nicht der Zeit, doch gewiß der Beziehung nach hieher gehoͤrt.
Seit ſehr alter Zeit malte man Bruͤderſchaftsfahnen und Bal-
dachine fuͤr den Umzug des Hochwuͤrdigen auf Linnen oder baum-
wollene Zeuge. Von dieſem Stoffe erhielten die kirchlichen, gleich
den militaͤriſchen Fahnen, in den romaniſchen Sprachen die Na-
men, drappelloni, drappelli, drapeaux etc. Im Domarchiv zu
Siena, libro E. 9. Deliberazioni, p. 8. die XXIV. Sebtembris
M. D. VI. Audito Jacobo bartolomei chiamato pacchiarotto pictore
— exponente, qualiter ipse pinsit XXVIII. drappellones pro
baldachino corporis XPI. ecclesie cathedralis, unum alium drappel-
lonem aliarum figurarum ad unam Trabaccham dicti baldachini etc.
In der Folge malte Pacchiarotto in der Abtey unweit des mehrge-
dachten Staͤdtchens ſ. Gimignano verſchiedene Bilder a tempera auf
Leinwand, welche Altargemaͤlde und keinesweges Bruͤderſchaftsfah-
nen zu ſeyn ſcheinen.
Hingegen duͤrfte die beruͤhmte Madonna di S. Sisto in der Koͤn.
Saͤchſiſchen Gallerie zu Dresden, welche zur Verwunderung vieler
Kunſtfreunde auf Leinwand gemalt iſt, urſpruͤnglich als Kirchen-
fahne gedient haben. Allerdings verſichert uns Vaſari, dieſes Bild
ſey fuͤr den Hauptaltar in ſ. Siſto zu Piacenza gemalt worden;
indeß ſtehet der Hauptaltar dort frey in der Mitte der Kirche, iſt
von einem unumgaͤnglich erforderlichen architectoniſchen Geruͤſte
des Chores an der Wand, wie fruͤher vielleicht auch das Original.
Dieſe allgemeinen Zweifel waͤren nun allerdings noch zu beſei-
tigen. Erwaͤgen wir aber das ungewoͤhnliche Verhaͤltniß der Hoͤhe
zur Breite, die Handlung der beiden Nebenheiligen (welche nach
Art der Bruͤderſchaftsfahnen der eine die Gemeine der Madonna,
die andere dem Volke die Andacht zur Madonna empfiehlt); er-
waͤgen wir ferner, daß die Vorſtellung hier, wie in jener anderen
Bruͤderſchaftsfahne, dem Guido der Muͤnchner Gallerie, in einer
bloßen Lufterſcheinung beſteht, welcher, gegen den Gebrauch und
die Schicklichkeit in den Altargemaͤlden, aller Boden fehlt: ſo wird
ſich ergeben, daß Raphael die Leinwand hier nicht ſo ganz zufaͤllig
und gleichſam des Verſuches willen gewaͤhlt hatte. Aus dieſer Be-
ſtimmung erklaͤrt ſich denn auch die geiſtig fluͤchtige Behandlung,
welche Einigen Gelegenheit gegeben, an der Aechtheit des Bildes
zu zweifeln. Die Gruͤnde dieſer Kritiker ſind mir nicht umſtaͤnd-
lich bekannt; doch werden ſie unhaltbar ſeyn, da ſicher unter den
ſpaͤteſten hiſtoriſchen Gemaͤlden Raphaels Keines mehr und haͤufi-
ger von ſeinen eigenen Haͤnden beruͤhrt worden iſt, als eben dieſes.
Die Hand der Geſellen und Schuͤler iſt nothwendig aͤngſtlicher und
abhaͤngiger, als jene des Meiſters; daher wuͤrde ſie ſich auch hier
durch eine minder verſtandvolle Emſigkeit verrathen, ſicher nicht
durch geiſtreiche Fluͤchtigkeit, begeiſterte Raſchheit. Offenbar iſt
das Dresdener Bild nicht umſtaͤndlich vorbereitet worden, ſondern
aus einem Guſſe entſtanden, was nur dem Meiſter gelingen konnte.
figure nella chiesa de’ padri conv di Deruta — apiè della quale si
legge: Nicolaus de Fulgineo pinx. MCCCC. LVIII. die…
di Perugia Annali Xvirali 1472. p. 156.): Florentius Rentii Cecchi
Porta sca Susanna cittadino e pittor Perugino — verpflichtet ſich
in dieſem Contracte — rogato da Francesco di Ser Giacomo No-
tario Perugino — ne’ suoi Protocolli sotto il detto anno 1472. a
carta 331. — fuͤr 225 Ducati (?) auf dieſer Tafel beſtimmte von
Mar. angefuͤhrte Heilige zu malen.
chem ein Florentius Laurentii de Perusio, P. S. P. (porta S. Petri)
mit dem Tiberio d’Asisi Maj 5. 1521. die Malerey eines Dritten
abſchaͤtzt. — Waͤre dieſer unſer Fiorenzo, deſſen maleriſche Wirk-
her charakteriſirt, und es kommt hier darauf an, ob der großvaͤ-
terliche oder Geſchlechtsname, Cecchi, in Urkunden vorkomme, welche
ſich gewiß auf unſeren Maler beziehn.
mals in den achtzigen geweſen ſeyn. —
fang, die verſchiedenen, gleich luftigen Vermuthungen der Neueren
zuſammengeſtellt ſind.
bile, che il nostro pittore prendesse qualche lume dal pittor Fu-
lignate — badando altresi allo stile delle sue pitture, quale rasso-
miglia assai al primo stile di Pietro. — Vgl., Orſini, Lett. X.
p. 107.
6. Sept. 1507.
gistri Aloysii, sindicator Potestatis.“
1511. mit der Aufſchrift: „Alphanus de Alphanis, Perusii vicethe-
saurarius, spectabili viro, magistro Andrea, dicto Ingegno, camera-
rio Apostolico in civitate Assisii.
bris. Magister Andreas Aloysii habuit bullectam (die An-
weiſung) pro armis pictis in platea et ad portas civitatis … flor.
5. solid. 26.
Mariotti, Lettere Perug. Lett. IX. p. 220. ſ. Anm. 1. — Dieſer
redliche Forſcher, vereinigt in dieſem Briefe viele umſtaͤndliche und
urkundliche Nachrichten uͤber das Leben, die Leiſtungen, die Be-
guͤnſtigungen des Pinturicchio, welche der Beachtung werth ſind.
Kupferwerk des Della Valle. Seine trefflichen Arbeiten im Kloſter
Monte Uliveto maggiore werde ich ſpaͤterhin beruͤhren. Viele ſei-
ner Staffeleygemaͤlde vereinigt das Chor des Domes zu Cortona,
einige andere eine ihm gegenuͤberliegende Bruͤderſchaft. Schoͤner,
als dieſe, meiſt ſpaͤteſten Arbeiten des Kuͤnſtlers, ſind einige Ge-
maͤlde der Sacriſtey zu Volterra; ſchaͤtzenswerth einige andere in
der Gallerie der Uffizj zu Florenz, beſonders die ſchoͤnen Seiten-
fluͤgel mit ſtehenden Heiligen in der ehmals ſolly’ſchen, gegenwaͤr-
tig Koͤn. preußiſchen Sammlung zu Berlin.
ſich, obwohl etwas nachgebeſſert, zu Perugia im Hauſe Baldeſchi,
eine zweyte zu Florenz in der Gallerie der Uffizj, disegni, cartella
di Rafaello. Beide ſind unendlich ſchoͤner und geiſtvoller, als die
nach ihnen ins Große ausgefuͤhrten, doch in den landſchaftlichen
Beywerken, Bildniſſen und Anderem abgeaͤnderten Wandgemaͤlde.
— Allein an einer anderen nicht beachteten Stelle, duͤrfte Pintu-
ricchio nicht allein der Erfindungsgabe, auch der Hand und des
Pinſels des jungen Raphael ſich bedient haben; ich bezeichne die
Tafel des Hauptaltares der Kirche ſ. Girolamo zu Perugia, welche
dort, ich entſinne mich nicht, ob nach urkundlichen Gruͤnden fuͤr
eine Arbeit des Pinturicchio gilt.
Auf einem hohen Throne, welcher in leichten Verzierungen
von angenehmer Zeichnung endigt und oben, gleich jenem der Ma-
donna von Peſcia im Palaſt Pitti zu Florenz, durch einen Balda-
chin gedeckt iſt, ſitzt in der Mitte des Bildes die Jungfrau mit
dem Kinde. Neben dem Baldachin ſchweben zwey ausnehmend
ſchoͤne, ins Raphaeliſche gehende Engel. In der Hoͤhe Cherub-
koͤpfe. Unten am Boden ſtehen zu beiden Seiten des Thrones et-
was ruͤckwaͤrts ſ. Franz und Anton von Padua, vor dieſen ſ. Joh.
Baptiſta und Hieronymus. Im Grunde eine Landſchaft von treff-
lichen Linien.
Leider iſt dieſes herrliche Gemaͤlde ſehr verwaſchen, einzelne
Koͤpfe, beſonders ſ. Franz, bis zur Untermalung. Doch erleichtern
dieſe Beſchaͤdigungen den Blick in die Manier der Ausfuͤhrung,
welche an den meiſten Stellen an jene Mittelſtufe erinnert, auf
welcher Raphael unmittelbar vor ſeiner Berufung nach Rom ei-
nige Jahre verweilt zu ſeyn ſcheint. Ich bezeichne hier die Zeit,
als er die Lunette im Kloſter ſ. Severo zu Perugia begann (1505)
ſo weniger zur Hand liegt. Er ſtrebte damals uͤber die Abhaͤngig-
keit von einzelnen Modellen hinauszukommen, ohne jene feſte Be-
gruͤndung zu beſitzen, welche er bald darauf erreichte; und gewiß gren-
zen die bezeichneten Gemaͤlde hie und da an das Leichtfertige und
Manierte. In dieſer Epoche durfte er, wenn das eben beſchriebene
Gemaͤlde wirklich dem Pinturicchio verdungen worden, dieſem die
Arbeit in Ruͤckverdingung gemacht haben. — Ein Blick auf den
von Lazur entbloͤßten Kopf des Hl. Hieronymus, duͤrfte Kennern
meine Vermuthung mehr, als wahrſcheinlich machen.
reyen an den Waͤnden der Chorkappelle in ſ. Francesco zu Arezzo,
worin ich ihm nicht zu folgen wage, da anderweitige Zeugniſſe
noch erſehnt werden. Dieſe Gemaͤlde ſind mit Fertigkeit gemalt,
doch ſehr maniert. Der ſchwaͤchliche Geiſt, welcher darin ſich aus-
ſpricht, kann weder auf den Perugino, noch uͤberhaupt auf die da-
malige Kunſtentwickelung eingewirkt haben. Im Kunſthandel ſah
ich verſchiedentlich unbedeutende, meiſt ſieneſiſche Bilder, welche
ſpeculirende Unternehmer, die Neigung zum Seltenen benutzend,
willkuͤhrlich zu Arbeiten des Piero della Francesca geſtempelt
hatten.
dicti mensis Julii — Mandamus vobis Gabrieli etc. — detis et sol-
vetis Magro Petro .... de Castro Plebis pictori libr. quinque de-
nariorum per nos Eidem magistro Petro largit. pro expensis faciendis
periori construendarum et depitendarum per dictum magrm Petrum
etc. — ex palatio nostro die XXI. Julii 1475.
— un Priore del medesimo convento degli Ingesuati — gli fece
fare in un muro del primo chiostro una Natività co i Magi di mi-
nuta (?) maniera, che fu da lui con vaghezza e pulitezza grande a
perfetto fine condotta; dove era un numero infinito di teste va-
riate; e ritratti di naturale non pochi; fra i quali la testa
d’Andrea del Verocchio suo maestro. Nel medesimo cortile fece
un fregio sopra gl’archi delle colonne con teste quanto il vivo
delle quali era una quella del detto priore tanto viva e di buona
maniera lavorata etc. —
1. 7. 8. — Dieſe Studien ſind in ſchwarzer und rother Kreide,
mit etwas Tuſche, Zinnober und Deckweiß mit groͤßtem Fleiße
ausgefuͤhrt. — Die Hand, welche das Leichentuch anzieht, in groͤ-
ßerem Maßſtabe mit vielem Gefuͤhle nach dem Leben. — Daſelbſt,
No. 5. die ſchmerzhafte Mutter, Studium zu jenem Wandgemaͤlde
in ſta Maria Maddalena de’ Pazzi. — No. 4. Bildniß, zuruͤckge-
worfener jugendlicher Kopf, welcher an Peters eigene Zuͤge er-
innert.
ben dem erwaͤhnten Chriſtus aus ſta Chiara, einige andere Altar-
gemaͤlde des Perugino, No. 39. ein Kreuz, zu deſſen Fuͤßen die
Madonna und ſ. Hieronymus; ich halte dieſes fuͤr aͤlter als jenes
andere, weil es ihm zwar im Sinne gleicht, doch in der Ausfuͤh-
rung, beſonders in den Haͤnden nachſteht. No. 42. Ein großes Al-
tarblatt aus der Zeit und im Geſchmacke der Malereyen im Wech-
ſelgerichte zu Perugia: PETRVS PERVSINVS PINXIT. A. D.
MCCCCC.
Dieſes Gemaͤlde, in welchem allerdings die Nachwirkung vor-
angegangener ernſtlicher Beſtrebungen noch nicht ſo ganz ſich ver-
laͤugnen konnte, duͤrfte ſchon großentheils von Gehuͤlfen ausgefuͤhrt
ſeyn, welche, wohl in die Manier, doch nicht ſo ganz in den Sinn
ihres Meiſters eingegangen ſind. Es ertraͤgt daher, obwohl der
Zeit nach ſelbſt ein Raphael darin die Hand angelegt haben koͤnnte,
doch nur muͤhſam die Naͤhe jener anderen Gemaͤlde, zu denen noch
das Gebet am Oelberge aus der Kirche la Calza kommt. — Ein gro-
ßer deutſcher Fuͤrſt, deſſen Antheil an allem rein Menſchlichen ſich
vielfach bewaͤhrt hat, deſſen Scharfblick in Dingen der Kunſt ich
haͤufig habe bewundern muͤſſen, wollte dieſer Gruppe von Gemaͤl-
den gegenuͤber, nicht einraͤumen, daß ſolche ſaͤmmtlich von derſel-
ben Hand ausgefuͤhrt ſeyn koͤnnen. — Unbeſtochen durch aͤußere
Aehnlichkeiten der Manier und des Entwurfes, entdeckte dieſer
Herr tiefer liegende Verſchiedenheiten, deren Grund ich bereits
erklaͤrt habe.
ner Empfangsbeſcheinigung der Bezahlung dieſer Gemaͤlde vom
J. 1507. Doch muͤßte man ſolche ſelbſt ſehn, um ihren Sinn er-
mitteln zu koͤnnen, und den Widerſpruch auszugleichen, in welchem
ſie mit der Aufſchrift jener Malereyen zu ſtehen ſcheint.
Staͤdtchens und ſeiner umliegenden Kloͤſter, meiſt mit Beyfuͤgung
ſeines Namens und des Jahres. Zu Aſiſi und Perugia an verſchie-
denen Stellen. Er iſt daran kenntlich, daß er in ſeinen Koͤpfen
das Ovale des Pietro noch ungleich mehr beſchnitten und eckiger
gehalten, als dieſer in ſeinen beſſeren Tagen ſich gewoͤhnt hatte.
auf dem Throne von einigen Heiligen umgeben; am Sockel: A.
D. M. CCCCC. XVI. XV. IVLII. Seine a fresco Malerey in der
Celle des Hl. Franz in ſ. Maria degli Angeli iſt gleichfalls ausge-
zeichnet. Minder das Bild im Rathhauſe zu Spoleti. Schoͤne
Gemaͤlde dſſ. zu Trevi und ſonſt.
chiese di Fir., Duomo., a. ſ. St.
heißt ſchneiden, zuſchneiden. Gewiß alſo wollte der Notar ſagen:
fuͤr ſeine Arbeit, nemlich das Zuſchneiden des Glaſes
und Anderes.
findungsreichen Kuͤnſtler ſchnell von der Hand gehn. Anders ver-
hielt es ſich mit Ausfuͤhrungen in Marmor und Erz.
Die erſte Verſchlingung ſcheint p t. (pro tempore? oder, preteriti?)
die nachfolgende moͤchte bloß anzeigen, daß der Notar den Satz
fallen gelaſſen.
zu Ende: a fare conpiere et storiare dette porte et ongni altra
et qualunque cosa come nella prima alloghagione si contiene che
labbino piena perfetione per pregio etc. —
Da der Guß der Vorſeite (S. IV. 4. und III.) beendigt war,
ſo wird die noch zu foͤrdernde Arbeit nothwendig auf die Ruͤckſeite
zu beziehen ſeyn, welche in der That einige koͤſtliche Figuren ent-
haͤlt, welche dem Geſchmacke und der Kunſt unſeres Luca bey wei-
tem mehr entſprechen, als die Arbeiten an der Vorſeite.
darin: Razzi ſey nur bey dem Poͤbel ſeiner Vaterſtadt in Anſehn
geſtanden; er habe die Arbeit in Monte Uliveto erbettelt; die
Moͤnche daſelbſt haben ihn den: Mattaccio genannt. Von ſeinen
Arbeiten im Vatican ſagt er: ma perchè questo animale, atten-
dendo alle sue bestivole et alle baje, non tirava il lavoro innanzi
etc. — In dieſem einzigen Leben iſt Vaſari unwuͤrdig. Er ſelbſt,
oder nur ſein Berichtgeber, mochte perſoͤnliche Veranlaſſung haben,
den Razzi zu haſſen.
fo. 28. a. t. die XXII. Junii M. DXV. — operarii et commiss. etc
— deliberaverunt locare et locaverunt Magistro Johanni Antonio
alias Sodoma pictori ad faciendum unam figuram unius apostoli
brunzii in ecclesia catthedrali in illis modis et pactis et conditioni-
bus, prout fuit locatio Jacobo Cozzarello.
Item lochaverunt ei aliam figuram et hoc ad beneplacitum ope-
rariorum si ipsis videbitur. Aus dem Nachfolgenden: Et quod ipse
Jo. Antonius … … … … (die fehlenden vier Worte habe
ich nicht gelesen) dce opere gratis et sine ullo pretio ad pingen-
dum. wuͤrde man ſchließen koͤnnen, daß in den vorangehenden eben
nur von maleriſcher Nachahmung der Bronze die Rede ſey. Indeß
lehrt der Contract mit Jac. Cozzarello, auf welchen dort hinge-
deutet wird, daß man dem Razzi einen wirklichen Erzguß verdungen
habe. S. Archiv. delle riform. di Siena. Deliber. di Balia, To.
XLVII. anno 1505. fo. 75. a. t. die XI. Oct.
Sp. viri tres de collegio Balie super opera ecclesie cathedralis
electi et deputati vigore eorum auctoritatis de qua supra sub die
24 Julii locaverunt magistro Jacobo Cozzarello ad fabricandum
Apostolos eneos per ..... in ecclesia cathedrali secundum
octingentorum de Libris 4. pro quolibet floreno (pro) apostolo
quolibet, et de pretio basis et positionis et locationis in columnis
sit plene remissum in dictos tres et de basamentis.
Presente dicto magistro Jacobo et acceptanti. Actum etc.
Die Eroͤrterung dieſes Umſtandes iſt nicht ſo unweſentlich, als
man glauben duͤrfte, Giovann Antonio Razzi erreichte in ſeinen
beſten Arbeiten eine Schoͤnheit und Ausbildung der Form, welche
in der modernen Malerey unuͤbertroffen blieb. Dieſen Vorzug
mochte er ſeinen bildneriſchen Vorarbeiten verdanken, was uns
von Neuem an den Einfluß der bildneriſchen Beſtrebungen auf die
Entwickelung der Malerey erinnert, den ich in der vorangehenden
Abhandlung verſchiedentlich hervorgehoben. Einige Bekanntſchaft
mit den Handgriffen des Modellirens in naſſem Thon, einige Ver-
ſuche, die Form als Form, nicht einzig dem Scheine nach, aufzu-
faſſen, duͤrften mithin der hoͤheren Ausbildung maleriſcher Anlagen
im Ganzen foͤrderlich ſeyn.
Pietro Aretino und A.
alten Ammanati, in ſeinem Briefe an die florentiniſchen Akade-
miker, Raccolta di lett. sulla pitt. etc. To. III. Lett. 223. p. 364.
diſcher Bilder der ehmals Solly, jetzt Koͤn. Preuß. Sammlung mit
der Aufſchrift: S. MCCCCLIII. zeigt deutliche Spuren der Bekannt-
ſchaft mit antiken Denkmalen.
den Abſchnitt und manche, zum Theil ſchon angefuͤhrte Andeutun-
gen in ſeiner neueren Kunſtgeſchichte.
Lorenzo vecchio lavorò molte cose e massimamente una Pallade su
una impresa di bronconi, che buttavano fuoco. — Vergl. denſ. zu
Ende dieſes Lebens. Seine calunnia d’Apelle, iſt nicht mehr vorhan-
den, wohl aber andere Gemaͤlde dieſer Art, deren Vaſari hier
nicht erwaͤhnt.
genueſiſchen, S. Raccolta di Lett. sulla pitt. etc. To. VI. Lett. XLV.
s. To. VII. Lett. XV.; der venezianiſchen, daſ. Tom. V. Lett. CLXXIV.
und an anderen Stellen. Ueber die florentiniſche S. Baldinucci,
wenn ihm zu trauen iſt; denn das Original hat ſich verloren.
rigem Lehrlings- und Geſellenverhaͤltniß die Rede. Dieſes mochte
liche Vertraͤge des Meiſter mit den Vormuͤndern des Lehrlings ab-
gefaßt, wie unter andern, Archiv. dell’ opera del Duomo di Siena,
Pergamene No. 616. eine Vollmacht bezeugt, vermoͤge welcher der
Bildhauer oder Steinmetz Ciolus, einen dritten ermaͤchtigt, in ſei-
nem Namen und fuͤr ihn einen gewiſſen Terius als Lehrling anzu-
nehmen — ad recipiendum pro eo et ejus nomine Terium .....
Baldini de castro Florentino nunc commorantem Senis In disci-
pulum et pro discipulo scripti Cioli, Et ad promictendum
ipsi Terio vel alie persone pro eo, quod ipse Ciolus magister tene-
bit eundem Terium in suum et pro suo discipulo ad terminum
et terminos statuendum et statuendos a dicto Ciolo et
quod eum dictam suam artem docebit et ad statuendum et pro-
mictendum salarium etc. — In den Statuten der genueſiſchen
Malerzunft, welche zur Zeit der Streitigkeiten mit dem Maler
Paggi wiederum hervorgezogen wurden, befand ſich (S. Raccolta di
Lettere sulla pittura etc. To. VI. Lett. XLV.) die Verordnung, daß
Niemand zu Genua die Malerey ausuͤben koͤnne, ohne vorher ſieben
Jahre demſelben Meiſter als Lehrling gedient zu haben. — Ob
wohl unter denen, welche in unſeren Tagen dem Mittelalter ſchwaͤr-
meriſch anhaͤngen, ſo fuͤgſame und geduldige Zoͤglinge aufzufinden
waͤren? —
Leſern laͤngſt aufgefallen ſeyn, daß die meiſten der mitgetheilten
Vertraͤge ganz handwerksmaͤßige Verhaͤltniſſe vorausſetzen.
Fragmente ein Probeſtuͤck des indiſchen Stylſinnes, von welchem
Gypsabguͤſſe zu haben ſind.
heit des Maßes unempfaͤnglich, wie die Abtheilungen und Einfaſ-
ſungen der Deckengemaͤlde in der ſixtiniſchen Kappelle, die wunder-
lichen Sarcophage und kleinlichen Eintheilungen in den medizei-
ſchen Denkmalen der Kirche ſ. Lorenzo zu Florenz darlegen, welche
ganz ſeiner eigenen Laune und Erfindung angehoͤren, da in jener
begluͤckten Zeit fuͤr ſolche Unformen uͤberall noch kein Beyſpiel vor-
handen war. Allerdings zeigte er, als ihn maͤchtige Goͤnner in ſei-
nen ſpaͤteſten Jahren auf die wirkliche Baukunſt hinuͤberlenkten,
auch in dieſer Kunſt Anſtelligkeit und Verſtand, ohne jedoch jene
ihm eigenthuͤmliche Rohigkeit des Sinnes jemals ganz zu verlaͤug-
nen. Die Vergoͤtterung ſeiner großen und edlen Perſoͤnlichkeit ver-
leitete die Zeitgenoſſen ſeinem Beyſpiele, wie beſonders dem ver-
derblichen Grundſatze zu folgen: daß ein großer Geiſt auch in der
Baukunſt durch Neuheit der Erfindung uͤberraſchen muͤſſe. In ei-
ner Lobſchrift auf Michelangelo (wiederabgedruckt bei Richa delle
chiese di Firenze), welche bald nach deſſen Tode abgefaßt worden,
wird gezeigt, daß Buonarota in der Baukunſt ſich groͤßer gezeigt
habe, als in den uͤbrigen Kuͤnſten, eben weil er darin ganz von der
gewohnten Bahn abgewichen und durchhin neu ſey. In dieſem Irr-
thume liegt der Urſprung aller jener architectoniſchen Undinge ver-
borgen, welche ſeit drey Jahrhunderten allmaͤhlich dieſen Welttheil
und ſelbſt die Hauptſtaͤdte der neuen Welt uͤberdeckt haben.
Die Erfindung der Bauverzierungen bewegt ſich innerhalb ſehr
enger, wohlzubeachtender Grenzen, was kaum zu beklagen iſt, da die
Durchdringung der Aufgabe und alles Gegebenen, welches ſie beglei-
tet, an ſich ſelbſt, auch wo man das Herkoͤmmliche feſthaͤlt, ſtets
neue Schwierigkeiten herbeyfuͤhrt, deren Beſeitigung das Nachden-
Daher iſt die Nachahmung des Vortrefflichen in der Baukunſt
Pflicht; ich moͤchte hinzufuͤgen: in der Bildnerkunſt moͤglich und
bisweilen wuͤnſchenswerth; in der Malerey unmoͤglich und ver-
derblich.
1590 — Lanzi, sto. pitt. laͤßt den Federico Zuccaro fuͤr obigen
Spruch Gewaͤhr leiſten, in deſſen L’Idea de’ pittori, scultori ed
Architetti (Raccolta, To. cit. No. XIII.) mir nichts der Art begeg-
net iſt, wie denn dieſer philoſophirende, doch geiſtloſe Maler uͤber-
haupt keiner ſolchen Autoritaͤt bedurfte, da er jegliche Handlung
und Leiſtung der Kunſt unmittelbar auf die verborgenſten Tiefen des
Daſeyns zuruͤckfuͤhrt. Ich glaube nicht, daß die genannte Schrift
jemals viele Leſer gefunden habe, noch kuͤnftig finden werde. In-
deß empfehle ich die Kapitel XII. und XVII. des erſten Buches de-
nen, welche die Begriffsverwirrung halbgelehrter Kuͤnſtler jener Zeit
recht umſtaͤndlich kennen zu lernen geneigt ſind. Zuccaro verſpricht
ſich zu Ende ſeines zweyten Buches, die Rinde der Kunſt durchbro-
chen und ihre Seele in ihrem urſpruͤnglichen Glanze dargeſtellt zu
haben. — Das ſpaͤterhin beliebte Beywort: ideale, findet ſich daſ.
lib. II. cap. XIV. p. 183.
XLV. XLVI.
Piombo an Pietro Ar.„— E dite al Sansovino, che a Roma si
pescan offizj, piombi, cappelli etc. — ma a Venezia si pesca an-
guille e menole e masenette; —“
sculptor qui a nobis leviter et inconsulte discessit, redire, ut acce-
pimus, ad nos timet; cui nos non succensemus: novimus hu-
jusmodi hominum ingenium.
tino dem Enea Vico ſchreibt: „— se meglio é il viversi libero in
primo grado tra gl’intagliatori degli altrui disegni in carte (man ging
damals noch nicht darauf aus, in den Kupferſtichen maleriſche Wir-
kungen nachzuahmen und begnuͤgte ſich, Zeichnungen nachzubilden)
la strana imperiosità de i Principi.“
- Lizenz
-
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz
- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Rumohr, Carl Friedrich von. Italienische Forschungen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bp75.0