[][][][][][][[I]]
Die Jobſiade.

Ein
komiſches Heldengedicht
in
drei Theilen


Dritter Theil.

Dortmund:
in der Buchhandlung der Gebruͤder Mallinckrodt.
1799.

[[II]][[III]][[IV]]

Sie tranken des Mondes Silberſchein
Und das Flimmern der lieben Sternelein
Kap. XI. V. 26.


[[V]]
Leben, Meinungen
und
Thaten

von
Hieronimus Jobs,

Exkandidaten,
Exnachtwaͤchter, Ohnwitzer Expfarrherr
Und endlich zu Schoͤnhain gar Herr

Dritter Theil.

Abermals mit viel ſchoͤnen Gebilden:
Nachtſtuͤcken, Portraͤten, Monumenten und
Schilden;
Verfertigt von des Autors eigner Hand
Nach Pouſſin, Raphael, Rubens und
Rembrand

[[VI]][[VII]]
[[IX]]

Inhalt.


  • Erſtes Kapitel.
    Wie der Autor noch einmal den Gaul Pegafus
    zaͤumet und ihn nach der Hippokrene reitet,
    welche iſt eine Poetenſchwemme in der Land-
    ſchaft Boetia. Nebſt mancherlei Praͤlimina-
    rien zum dritten Theile der Jobſiade.
  • Zweites Kapitel.
    Darin wird ausfuͤhrlich gehandelt von dem bra-
    ven Betragen des Herrn Jobs in ſeinem
    Pfarramte.
  • Drittes Kapitel.
    Fortſetzung des vorigen.
  • Viertes Kapitel.
    Wohlſtand in Ohnewitz.
  • Fuͤnftes Kapitel.
    Dieſes Kapitel handelt von des Herrn Pfarrers
    Jobs haͤuslichem Leben.
  • Sechſtes Kapitel.
    Wie Herr Jobs auch ſein Hauskreuz hatte, ob
    er gleich keine Frau hatte; und von ſeiner
    Schweſter Krankheit.
  • Siebentes Kapitel.
    Wie auch der junge Herr von Ohnewiz krank
    ward, und wie ihm keine mediciniſche Fakul-
    taͤt helfen konnte, wie dieſes wohl oft in
    Krankheiten der Fall ſeyn thut.
  • Achtes Kapitel.
    Wie man den jungen Herren, um ihn zu kuri-
    ren, mit der Fraͤulein Judith verheirathen will,
    und wie er dieſe Medicin nicht nehmen will.
  • Neuntes Kapitel.
    Wie eine Liebſchaft ſich angeſponnen hat zwi-
    ſchen dem jungen Herrn und der Jungfer
    Eſther.
  • Zehntes Kapitel.
    Wie die Liebſchaft weiter gehen und zu einer
    foͤrmlichen Liebeserklaͤrung kommen thut.
  • Eilftes Kapitel.
    Wie aus obgedachter Liebſchaft endelich gar ein
    Siegwartsfieber entſteht.
  • Zwoͤlftes Kapitel.
    Wie die Buhlſchaft ganz inkognito getrieben
    ward, ohne daß wenigſtens der Herr Pfarrer
    Jobs etwas davon merken kunnt.
  • Dreizehntes Kapitel.
    Wie Herr Jobs die Liebenden in der Laube
    atrapiren that, zur Nacht und Unzeit.
  • Vierzehntes Kapitel.
    Wie Herr Hieronimus mit ſeiner Schweſter ein
    Kapitel haͤlt, ohne jedoch ſo niedertraͤchtig zu
    ſchimpfen, wie mancher anderer in ſeiner Stel-
    le wuͤrde gethan haben und hier anfangs zu
    leſen iſt.
  • Funfzehntes Kapitel.
    Wie Herr Jobs den jungen Herrn gleichfalls
    coram nimmt; item wie er Loͤſchanſtalten
    des Liebesbrandes macht, nach den Regeln
    einer guten Policei.
  • Sechszehntes Kapitel.
    Wie die alte Herrſchaft zu Ohnwiz ihre ſilberne
    Hochzeit feiert mit allen Solennitaͤten.
  • Siebenzehntes Kapitel.
    Wie der junge Herr das Eiſen ſchmieden will,
    weil es noch warm iſt, und wie es ihm damit
    nicht ganz nach Wunſch erging.
  • Achtzehntes Kapitel.
    Enthaͤlt allerlei Anſtalten pro und contra.
  • Neunzehntes Kapitel.
    Dieſes Kapitel enthaͤlt manche ſchoͤne Betrach-
    tung uͤber Liebesbriefe in Genere.
  • Zwanzigſtes Kapitel.
    Anweiſung zum neueſten verliebten Briefſtile, in
    feinen Exempeln, nach Siegwart und Wer-
    ther; oder von der Liebeskorreſpondenz des jun-
    gen Barons und der Mamſel Eſther in Specie.
  • Ein und zwanzigſtes Kapitel.
    Ade! der junge Herr reiſet ab.
  • Zwei und zwanzigſtes Kapitel.
    Hier wird kuͤrzlich erzaͤhlet, was ſich auf der Rei-
    ſe, mit dem jungen Herrn haͤtte zutragen koͤn-
    nen.
  • Drei und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie die Korreſpondenz der beiden Liebenden
    an Tag kommt, und wie Juͤrgen nach Rudels-
    burg verſchickt wurde.
  • Vier und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie die Revolution der Neufranken einen Ein-
    fluß hat auf das Schickſal des Herrn Jobs
    und
    [[XIII]] und der adlichen Herrſchaft zu Ohnwiz, und
    wie ſie emigriren muͤſſen.
  • Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Herr Jobs aͤrmlich herumwandert, und wie
    er endlich im Dorfe Schoͤnhain ankommt.
  • Sechs und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Herr Jobs eine alte bekannte Freundinn an-
    trift. Eine wunderbare Geſchichte.
  • Sieben und zwanzigſtes Kapitel.
    Worin unter andern die im erſten Theile geſtor-
    bene Amalia ihren fernern Lebenslauf erzaͤhlet.
  • Acht und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie die Frau van der Tangen dem Herrn Jobs
    all ihr Vermoͤgen ſchenket, und wie ſie ſtirbt,
    und wie Herr Jobs ihr ein Monument errich-
    tet, und wie dieſes Kapitel ſehr traurig zu
    leſen iſt.
  • Neun und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Herr Jobs nun ein reicher Mann war, und
    wie er ſich nach dem Tode der Frau van der
    Tangen beging.
  • Dreißigſtes Kapitel.
    Ein Brief von Mammeſel Eſther an Herrn Herrn
    Jobs, worin viele neue Maͤhre enthalten iſt
    von
    [[XIV]] von dem alten Herrn von Ohnwiz, wie auch
    von deſſen Herrn Sohne; und ſo weiter.
  • Ein und dreißigſtes Kapitel.
    Wie Herr Jobs und die herrſchaftliche von Ohn-
    wiziſche Familia ſich des Wiederſehens ge-
    freuet han, und wie Herr Jobs ſeinen lieben
    Gaͤſten alles zum beſten giebt als waͤre es ihr
    proͤperliches Eigenthum, und wie man da alle
    Kriegesplage vergeſſen hat, und auf einen
    freundſchaftlichen Fuß gelebt hat, und daß es
    Ueberfluß ſey, die Freude des Hieronimus be-
    ſonders zu beſchreiben.
  • Zwei und dreißigſtes Kapitel.
    Fortſetzung des funfzehnten Kapitels, und wie
    Umſtaͤnde die Sachen veraͤndern und wie die
    Liebe des jungen Barons und ſeiner Stehre ei-
    nen guten Fortgang zu gewinnen ſcheinet.
  • Drei und dreißigſtes Kapitel.
    Nachricht von der Jobſiſchen adlichen Familie,
    welche anfangs von Schoͤps hieß.
  • Vier und dreißigſtes Kapitel.
    Genealogie der Frau Senatorin Jobs nach auf-
    ſteigender Linie.
  • Fuͤnf und dreißigſtes Kapitel.
    Wie nunmehr nach wohlerwogenen Umſtaͤnden
    der Konſens zu der Vermaͤhlung des jungen
    Herrn Barons mit ſeiner Stehra erfolgt iſt.
  • Sechs und dreißigſtes Kapitel.
    Die Vermaͤhlung des jungen Barons und der
    Eſther gehet wirklich hier vor ſich, wie im
    Kupfer artig zu ſehen iſt.
  • Sieben und dreißigſtes Kapitel.
    Wie ſich die junge gnaͤdige Frau von Ohnwitz
    beging, und wie ſie nach neun Monaten eines
    Soͤhnleins genaß.
  • Acht und dreißigſtes Kapitel.
    Wie Herr Jobs ſeine Schildburger Verwandten
    reichlich bedenket, und Schweſter Gertrud den
    Schoͤſſer heirathet.
  • Neun und dreißigſtes Kapitel.
    Wie man allerſeits wegeilet; die adliche Geſell-
    ſchaft nach Ohnwitz und der Autor nach dem
    Ende des Buͤchleins. Sehr traurig zu leſen.
  • Vierzigſtes Kapitel.
    Wie Herr Hieronimus zum zweitenmal von
    Freund Hein einen Beſuch bekam, welcher fuͤr
    diesmal laͤnger dauert als der erſte.
[1]

Erſtes Kapitel.


Wie der Autor noch einmal den Gaul Pegaſus
zaͤumet und ihn nach der Hippokrene reitet,
welche iſt eine Poetenſchwemme in der
Landſchaft Boetia. Nebſt man-
cherlei Praͤliminarien zum
dritten Theile der
Jobſiade.


[figure]
1. Noch einmal will ich den Gaul Pegaſus

zaͤumen

Und um’nen dritten Theil zuſammen zureimen,

Reiten in die Traͤnke Hippokrene hinein,

Und damit ſoll es dann Punktum ſeyn.

A2. Weil
[2]
2. Weil ſeit dem zweiten Theil von Hieronimi

Leben

Sich manche Veraͤnderung mit ihm hat be-

geben;

Denn in der Welt uͤberhaupt wechſelts ſich,

Beſonders in unſern Tagen, gar wunderlich.

3. An meinem guten Willen ſoll es nicht fehlen,

Alles ausfuͤhrlich und anmuthig zu erzaͤhlen,

Und mit dieſem dritten Theile ſteht

Alſo die Jobſiade komplet.

4. Auch viel huͤbſche in Holz geſchnittene Bilder,

Monumente, Portraͤte, Wapenſchilder,

Imgleichen ein gar niedliches Nachtſtuͤk,

Siehet man hier aus neuer Fabrik.

5. Mit dem zweiten Theil bin ich, wie ich ver-

nommen,

Bei den Leſern ziemlich gut weggekommen,

Und das machte natuͤrlicher Weiſe dann,

Daß ich gleich den dritten zu fabriziren be-

gann.

6. Zwar konnte freilich mein Buͤchlein allen

Und jeden nicht eben gleich gut gefallen;

Allein, daß nicht allen alles gefaͤllt,

Iſt ja, wie bekannt, ſo der Lauf der Welt.

7. Ich wollt auch nicht fuͤr alle und jede ſchreiben;

Wers nicht leſen will, kanns ja laſſen bleiben,

Mancher iſt doch der die Finger darnach lekt,

Was einem andern ſo delikat nicht ſchmeckt.

8. Es
[3]
8. Es kommt leider! auf unſerm Erdenrunde

Manche truͤbe und verdruͤsliche Stunde,

Theils durch eigne, theils durch fremde

Schuld;

Davon entſtehen im Herzen Ungeduld,

9. Finſterniß in der Seele, Grillen im Hirne,

Runzeln auf den Wangen, Furchen auf der

Stirne,

Im Syſteme der Vena Porta

Symptomata Hypochondriaca,

10. Gallenkrankheiten und allerlei Malhoͤren

Welche nach und nach die Kraͤfte zerſtoͤren,

Und endlich heißts: Ade Partie!

Er iſt geſtorben und nicht mehr hie!

11. Da wolt ich nun gern ein Scherflein bei-

tragen,

Um einige dergleichen truͤbe Stunden zu ver

jagen;

Warlich! dieſes und etwas anders nicht,

War bei der Jobſiade meine Abſicht.

12. Ich ſelbſt habe, indem ich ſie geſchrieben,

Mir manche Grillen aus dem Kopfe vertrieben,

Und wenn ich war bei dieſer Reimerei,

Ging mir oft das Hypochonder vorbei,

13. Iſt mein Zweck erreicht, ſo wirds mich er-

freuen,

Und mein Buͤchlein ſoll mich nicht gereuen,

A 2Po-
[4]
Poſito, es enthielt ſolches auch nur

Eine bloſſe Palliativkur.

14. Nebenbei ſuchte ich nuͤzliche Kleinigkeiten,

Wo es geſchehen konnte, hier und da zu ver-

breiten,

Und wo ich Dummheit und Bosheit fand,

Gab ich wohl ’nen Hieb en paſſant.

15. S’ kann ſeyn, daß ein oder andrer griesgram-

met,

Und mich wegen dieſer Hiebe hart verdammet,

Und denket: Ich glaube ſicherlich,

Der haͤmiſche Autor meinet mich;

16. Ich fuͤr mein Theil aber kanns vertragen,

Daß er dieſes moͤge gedencken oder ſagen;

Denn ich verſicher’s ihm ins Geſicht:

Ich meine nur ſeine Handlungen, ihn nicht.

17. Ich laſſe es uͤbrigens auch gern geſchehen

Daß Recenſentenwetter uͤber mich ergehen,

Denn der Autor’n Haut iſt bekanntlich dick

Und fragt heuer nicht viel nach Kritik.

18. Aber dem unbedeutenden Geklaͤffer

Kleiner Geiſter und elender Kaͤffer

Gehe ich mitleidig und laͤchelnd vorbei,

Und achte nicht auf das leere Geſchrei.

19. Alles, woruͤber man etwa kritiſiret,

Hab ich mir ſchon ſelbſt zu Gemuͤthe gefuͤhret,

Denn
[5]
Denn ich fuͤhl es unerinnert gar wohl,

Das Ding iſt nicht, ganz wie es ſeyn ſoll.

20. Ich will auch forthin mit Knuͤttelversſchreiben

Die Zeit nicht mehr mir und andern vertreiben,

Und nehme hiemit foͤrmlich von

Den geneigten Leſern Dimiſſion.

Zweites Kapitel.


Darin wird ausfuͤhrlich gehandelt von dem bra-
ven Betragen des Herrn Jobs in ſeinem
Pfarramte.


1. Welch ſchoͤnes Exempel in Lehr und Leben

Herr Pfarrer Jobs den Ohnwitzern gegeben,

Das haben wir, obgleich kurz und in Eil

Schon geſehn Kapitel 32, im zweiten Theil.

2. Es glich ihm im ganzen Schwabenlande

Kein Amtsbruder an Froͤmmigkeit und Ver-

ſtande,

Und keiner ſtreuete ſo wie Er

Den Saamen des Guten um ſich rund her.

3. An
[6]
5. An ſeinen vortreflichen Kanzelgaben

Konnten nicht bloß die Ohnwitzer ſich laben,

Sondern auch aus der Ferne durch Dick

und Duͤnn

Gieng man Sonntags, um ihn zu hoͤren, hin.

4. Denn ſeine Reden waren kraͤftig und ruͤhrend,

Seine Spruchbeweiſe aͤcht und uͤberfuͤhrend,

Und Ausfuͤhrung und Applikation

Alles im populaͤren Ton.

5. Seine Anteceſſores im Pfarramte

Hatten geſchriebene Predigten fuͤr geſammte

Sonntaͤge im ganzen Jahr,

Auch fuͤr jedes hohe Feſt ein Paar.

6. Da brauchten ſie alſo ſich nicht zu ſcheniren,

Um auf neue Predigten zu ſtudiren,

Sondern ſie hielten jene Jahr aus Jahr ein,

Von Neujahr bis zu den unſchuldigen Kin-

derlein.

7. Auch fuͤr auſſerordentliche Begebniſſen,

Kopulationen, Taufen und Begraͤbniſſen,

Hatten ſie in ihrem Pulte fruͤh und ſpat

Einige huͤbſche Reden im Vorrath.

8. Dieſe wuſten ſie dann nach Standesgebuͤhren,

Nach Proportion der Zahlung zu extendiren;

Denn wo es nur wenig Gebuͤhren gab,

War die Rede meiſt etwas ſchaal und knapp.

9. Ei-
[7]
9. Einige trieben ihre Kunſtgriffe noch weiter,

Und nahmen ſo gar, als ruͤſtige Reiter,

Aus der Poſtille ſich dann und wann

Sonntags eine Predigt zum Vorſpann.

10. Herr Pfarrer Jobs hatte aber gar nicht noͤthig

Seine Predigten zu haben vorraͤthig,

Denn ſein geiſtliches Rednertalent

War, wie wir ſchon wiſſen, excellent.

11. Er brauchte nur einmal am Ermel zu ruͤtteln,

So konnte er gleich ’n halb Duzend heraus

ſchuͤtteln;

Das heißt: Ihre Verfertigung that gar

nicht weh,

Er konnte ſie machen ex tempore.

12. Ohne ſich an gewoͤhnliche Texte zu binden,

Pflegte er immer ſolche zu waͤhlen und zu finden,

Welche die Gelegenheit oder ſonſt’ges Be-

duͤrfnis

Ihm als nuͤzlich fuͤr die Leute anwies.

13. Seine Bibliothek war ſchoͤn und auser-

leſen,

Groͤſſer als je bei einem Dorfpfarrer geweſen

Jedoch unter allen ſeinen Buͤchern traf

man

Keine einzige Poſtille an.

14. We-
[8]
14. Wenigſtens in ſeinen oͤffentlichen Reden und

Lehren

Ließ er nie etwas heterodoxes hoͤren,

Und er wiche keinen Fingerbreit von

Der augsburgiſchen Konfeſſion.

15. Er vergab ſich nicht die allerkleinſten Par-

tickeln

Von den einmal beſchwornen ſchmalkaldſchen

Artickeln,

Und daran handelte er kluͤglich gewiß,

Denn er vermied dadurch manches Aerger-

niß.

16. Zwar war er Punkto der ſymboliſchen Buͤcher

Hier und da nicht ſo ganz feſte und ſicher,

Doch hielt er ſich bei ſolchem Dubium

Gegen andere gewoͤhnlich dumm.

17. Wenn ein Schaf ſeiner Heerde abwaͤrts wiche,

Oder auf verbot’nen Wegen herumſchliche,

So war er immer auf ſeiner Hut,

Und lokte es wieder mit Pfiffen der Sanft-

muth.

18. Er betrachtete im Strafen keine Perſonen,

Achtete nicht auf Stand, Wuͤrden und Kon-

nexionen,

Sondern ſchor jedes Ohnwitzer Schaaf und

Lamm

Unparteiiſch uͤber einen Kamm.

19. Ob-
[9]
19. Obgleich diejenigen, welche Bockſtreiche mach-

ten,

Ihm anſehnliche Kuͤchengeſchencke brachten,

Nahm er ſie drum nichts deſto weniger

Privatim unter vier Augen her.

20. Der Herr Amtmann ſo wie der Kuͤchenſchrei-

ber,

Der erſte Schulze ſo wie der Kuͤhtreiber,

Galten ihm alle, in ſo weit, eins,

Denn er ſchonte wo’s noͤthig war, keins.

21. Selbſt der gnaͤdigen Frau und dem gnaͤdigen

Herren

Gab er ſcharfe Vermahnungen und derbe Leh-

ren,

Wenn er etwa an ihrem Seelenzuſtand

Eine Kleinigkeit auszuflicken fand.

22. Doch pflegte er niemals oͤffentlich zu ſchmaͤh-

len,

Und jeden Unfug des Sonntags zu erzaͤhlen,

Schlug auch nie im geiſtlichen Eifer und

Wuth

Seine Hand und das Kanzelbaͤnkchen kaput.

23. So gewann er vollkommene Liebe und Ver-

trauen

Im Dorfe bei allen Mannen und Frauen,

Und ſein gutes Geruͤchte erſchall

Im ganzen Lande rund uͤberall.

2.4 Die
[10]
24. Die Ohnwitzer alle, Grobe und Feine,

Alte und Junge, Groſſe und Kleine,

Waͤren allenfalls gerne kuͤhn

Aus Liebe durchs Feuer gelauffen fuͤr ihn.

25. Die Bauern machten gemeinlich ſchon von

ferren

Einen Krazfuß fuͤr den lieben geiſtlichen Herren,

Und jede Baͤu’rin war ſchnell und fix

Wenn ſie ihn ſahe, mit ihrem Knix.

26. Ja ſo gar die kleinen Maͤdchen und Knaben

Wenn Herr Jobs ihnen begegnete, gaben

Ihm mit allem moͤglichen Anſtand

Verehrungsvoll und freundlich die Kußhand.

27. Ehmals waren, leider! die Ohnwitzer Kinder

Erzogen, ſchlimmer wie Boͤcke und Rinder;

Aber ſeit Pfarrers Hieronimi Zeit

Lernten ſie Zucht und Ehrbarkeit.

28. Denn Er machte es zur Pflicht bei ihren

Alten,

Sie fleiſſig zu Schulen und Sitten anzuhalten,

Und ließ es ſeiner ſeits auch ermangeln nicht

An ’nem guten chriſtlichen Unterricht.

29. Er gab oͤfters in der Schule Viſiten

Um bei dem Dorfſchulmeiſter zu verhuͤten,

Daß ſeine kuͤnftige Paͤdagogei

Nicht ſo pedantiſch wie vormals ſey.

30. Denn
[11]
[figure]
30. Denn ehmals gabs von der Ruthe und dem

Bakel

Aufm Hintern und Ruͤcken manchen blauen

Makel,

Oft wurden gar Rippen und Atme krumm,

Und die Kinder vom Lernen vollends dumm.

31. Dieſen Uebeln in der Schule auszuweichen,

Pflegten ſie vormals gerne vorbei zu ſchleichen,

Und ſie ſahn das in die Schule Gahn

Als ihr groͤßtes Kreuz und Ungluͤck an.

32. Aber jezt wurden die Pruͤgel abgeſchaffet

Und die fehlenden Kinder mir Worten be

ſtrafet,

Drum
[12]
Drum giengen ſie nunmehro ſittig und fein

Gern in die Schule, um zu lernen, hinein.

33. Da thaten ſie alſo maͤchtig profitiren

Im Schreiben, Leſen und Buchſtabiren,

So daß ein unmuͤndiges Kind von acht Jahr

Jezt gelehrter wie der alte Dorfſchulz war.

34. Auch die vorigen Ohnwitzer Herrn Paſtores

Bekuͤmmerten ſich nicht viel, wie es um die

Mores

Ihrer anvertrauten Heerde ſtand,

Wenn ſich ſonſt nur alles in ſtatuquo befand.

35. Drum war im Dorf Haß, Streit, Freſſen,

Sauffen,

Buͤberei, Unzucht, Balgen und Rauffen,

Dieberei, Prellerei, Neid und Betrug

Sehr gemein und ſchier taͤglich genug.

36. Faſt alle Sonntage war in der Schencke

Schlaͤgerei, Schimpfen, Laͤrm und Gezaͤncke,

Und immer in jeder folgenden Woch

Muſten ein Paar zur Strafe ins Hundeloch.

37. Auch gabs dabei viele anſehnliche Bruͤchten

In die Kanzleikaſſe gewoͤhnlich zu entrichten,

Und in ſo weit ſahn die Juſtizherrn

Dergleichen Unfug eben nicht ungern;

38. Aber ſeitdem Herr Jobs die Pfarre bekommen,

Hat man wenig oder wohl gar nicht vernommen,

Daß
[13]
Daß es Bruͤchten gab oder einer ins Hun-

deloch

Wegen veruͤbeter Exceſſe kroch.

39. Denn ſeine vortrefliche Kanzellehren

Muſten faſt jeden Suͤnder beſſern und bekehren,

Beſonders ſein eigenes Leben war

Ein aͤchtes Tugenden Exemplar,

Drittes Kapitel.


Fortſetzung des vorigen.


1. Seine Vorgaͤnger thaten bei gutem Muthe

Sich gerne bei andern bene und zu gute,

Und waren mit Weib und Kindern viel,

Wo was zu eſſen oder trincken vorfiel.

2. Er aber gieng hoͤchſtſelten zum Schmauſe

Und geſchah es, ſo eilte er doch fruͤh nach Hauſe,

Denn er haßte alle Schmarozerei

Und blieb ſeiner geiſtlichen Wuͤrde getreu.

3. Er war auch zu Hauſe kein heimlicher Praſſer,

Trunk wie Timotheus nur wenig Wein, doch

mit Waſſer,

Bei der Tafel, und ſonſten nur fuͤr

Den Durſt ein leichtes Hausmannsbier.

4. Bei
[14]
4. Bei gewiſſen hochfeierlichen Gelegenheiten

Pflegte er wohl bis zum halben Raͤuſchlein zu

ſchreiten,

Aber er behielt doch immer den Verſtand

rein

Stank uͤbrigens nie nach Tobak und Brand-

wein.

5. Auch war er kein Leckermaul noch Freſſer,

Sein Magen- und Mundbeduͤrfnis war ſelten

groͤſſer

Als Suppe, ein Suͤckchen Fleiſch und Zu-

gemuͤß

Oder ſonſt wo ’ne Kleinigkeit zum Anbiß.

6. Die etwaigen Tafeluͤberfluſſe

Hatten immer die Armen zum Genuſſe,

Und dieſe hielten Jahr ein, Jahr aus

Of’ne Tafel in ſeinem Vorhaus.

7. Beſonders geſchah dieſes ſeit den Jahren,

Als ſeine Mutter Schnaterin Todesverfahren;

Denn die liebe, gute, ſeelige Frau

War zuweilen etwas aͤngſtlich und genau.

8. Hatte Er dann und wann ſelt’ne Leckerbiſſen,

So pflegte Er ſelbſt nur wenig davon zu genieſſen,

Sondern duͤrftige Krancken bekamen davon

Meiſtens die groͤſſeſte Portion.

9. Ueberhaupt war er voll Mitleid und Erbarmen

Fuͤr alle und jede Nothleidenden und Armen,

Und
[15]
Und war mit moͤglichſtem Rath und That

Ihnen zu helfen immer parat.

10. Er unterließ nicht mit vollen Haͤnden

Almoſen den Huͤlfsduͤrftigen auszuſpenden,

Und wo Er einen nakt und unbekleidet ſah,

War Er gleich mit Hemd, Rock, Schuh,

Hoſen, da.

11. Morgens war oft ſeine Kaſſe und Ficke

Von eingekommenen Geldern voll und dicke,

Aber Abends beim Zubettegehn

War kein Batzen mehr drin zu ſehn.

12. Er gab aber alles in groͤſſeſter Stille

Ohne Pralerei, Vorwuͤrfe oder Gebruͤlle,

Und immer blieb gleichſam der linken Hand

Was die rechte Hand machte, unbekannt,

13. Er war ſtets freundlich und dienſtfertig

Und gleich bei Tag und bei Nacht gegenwaͤrtig

Zur Menſchenliebe und zur Dienſtpflicht,

Und ſo kommod wie ſein Anteceſſor nicht.

14. Beſonders achtete Er weder Froſt noch Hitze

Wind und Regen, Donner und Blitze,

Wenn Ihn etwa dringende Noth

Zu einem Krancken zu eilen gebot.

15. Nie war Er kriechend oder niedertraͤchtig,

Aber doch in Reden und Aeuſſerungen bedaͤchtig,

Und im Umgang kein pietiſtiſcher Murrkopf

Noch in Geſellſchaften ein Sauertopf.

16. Viel-
[16]
16. Vielmehr ſuchte Er im Umgang mit Leuten

Frohſinn um ſich her zu verbreiten.

Denn Er gedachte: das aͤchte Chriſtenthum

Beſteht nicht im Kopfhaͤngen oder Gebrumm.

17. Doch Poſſen und zweideutige Narrenthei-

dungen

Trieb Er nie bei Maͤdchen und bei jungen

Weibern, ſondern Er bezaͤhmte ſein Fleiſch

Und blieb durchaus ehrbar, zuͤchtig und

keuſch.

18. Deswegen konnten mannbare Toͤchter und

Frauen

Ihm ſicher alle Geheimniſſe anvertrauen,

Und weder Vater noch Ehmann ſahen dazu,

Wenn Er bei jenen allein war, jaloux.

19. Entfernt vom geiſtlichen Stolz und Hochmuthe

Blieb Er vor wie nach bei kaltem Blute,

Wenn man ihn juſt nicht: Herr Doktor,

hieß,

Sondern es beim ſimpeln: Herr Pfarrer,

ließ.

20. Drum will auch ich beim gewohnten Stil

bleiben

Und nicht Doktor, ſondern Pfarrer Jobs,

meiſt ſchreiben,

Weil ohnehin heut zu Tag der Doktorgrad

Eben nicht hoch anſehnlich mehr ſtaht.

21. Al-
[17]
21. Allen Eigennutz und Geiz haßt’ Er

Als ein haͤßliches ungeiſtliches Laſter,

Und gab viel lieber als daß Er nahm,

Wenn Geben und Nehmen in Kolliſion kam.

22. Deswegen wollte Er auch nie wegen der Pfarr-

pfaͤchten

Mit ſeinen Pfarrkindern krakelen oder rechten,

Und Er that nie mit ſeinen Schuldnern ſo

Wie der Schalksknecht im Evangelio.

23. War wo ’ne Kleinigkeit zu repariren,

So gieng Er nicht gleich betteln und kollektiren,

Und enthielt ſich von jeder Prellerei,

Sie mag Namen haben, wie ſie wolle, frei.

24. Seine Vorgaͤnger ſuchten durch Plusmachen

ſich zu beſſern,

Und die Pfarreinkuͤnfte jaͤhrlich zu vergroͤſſern,

Und hatten immer bald hinten bald vorn

Etwas zu tadeln an Beichtpfennig und Korn.

25. Zwar geſchah dieß nicht immer ohn Urſach

aus Geize;

Denn viele Ohnwitzer waren ſchlimme Kaͤuze,

Und hielten es eben fuͤr kein Skandal,

Wenn man den Pfarrer betrog oder beſtahl.

26. Drum gaben ſie manchen falſchen Beicht-

dreier

Und Huͤhner, die den Pips hatten, und faule

Eier,

Jobſiade 3ter Theil. BUnd
[18]
[figure]
Und bei dem Getreide das mehreſte mal,

Fehlte es an Maas, Qualitaͤt und Zahl.

27. Nie miſchte Er ſich in fremde Haͤndel und

Sachen,

Dachte vielmehr an die Lehre des alten Sirachen;

Was deines Amts nicht iſt zu Ohnwiz

Da laß, liebes Kind! deinen Vorwitz.

28. Eheſtiftungen und niedertraͤchtige Kuppeleien

Haßte Er beſonders bis zum Verabſcheuen,

Obgleich dieß Geſchaͤft ſeinem Amtsvorfahr,

Durch manchen Kuppelpelz eintraͤglich war.

29. Ge-
[19]
29. Gegen andre Religionsverwandten,

Bezeigte Er ſich immer als einen Toleranten,

Und ſchlug bei geringen Ketzerei’n

Nicht gleich mit dem Pruͤgel des Anathema

drein,

30. Er hielte ſowohl Katholicken als Kalviniſten,

Fuͤr ſeine lieben Mitbruͤder und Mitchriſten,

Und verdammte keinen mit kaltem Blut,

Waͤrs auch geweſen Tuͤrk, Heid, oder Jud.

31. Kurz, Er machte ſeinem Amte und ſeiner

Lehre,

Als ein aͤchter Religionsprediger, Ehre,

Und in der ganzen Gegend umher,

War ein ſo braver Pfarrer nicht mehr.

Viertes Kapitel.


Wohlſtand in Ohnewitz.


1. Gleichwie waͤhrend Hieronimi Nachtwaͤchter-

ſtande,

In Schildburg ſich alles ruhig und wohl be-

fande,

Und, ſo viel ich ſicher weiß, alda

Weder Einbruch noch Raͤuberei geſchah;

B 22. So
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2. So und dermaßen, als nun geiſtlicher Huͤter,

Stimmte Er die Ohnwitzer Seelen und Ge-

muͤther,

Obgleich unter manchem Seufzer und

Schweis,

Zur Rechtſchaffenheit, Ordnung und Fleiß.

3. Sie hatten zwar, wie wir ſchon wiſſen, harte

Haͤute,

Und wurden doch in kurzer Zeit die beſten Leute,

Und jeder wunderte ſich ſchier ſehr zu ſehn,

Der Ohnewitzer vernuͤnftigs Begehn.

4. Sie heiratheten und urbarten wuͤſte Raͤume,

Zeugten fleiſſig Kinder und pflanzten Baͤume,

Giengen oft in die Kirch und aufs Feld,

Hatten Verſtand und Kuraſche und Geld.

5. Arbeiteten auch ſonſt wacker im Berufe,

Baueten manche neue Scheune und Hufe,

Und im ganzen Ohnwitzer Dorfe blieb,

Kein einziger muͤſſiger Bettler, noch Dieb.

6. Sie zahlten die Martinspfaͤchte ohne Fehle,

Thaten auf Zinſe manche neue Kaptaͤle,

Und ſo ſtieg im kurzen im ſchoͤnſten Flor,

Das kleine Dorf anſehnlich empor.

7. Zwar wuchſen auch mitlerweil Luxus und

Moden,

Auf dem bisher altfraͤnkiſch laͤndlichem Boden,

Und
[21]
Und ſtatt geſundem Bier und Milchbrei,

Trank man Kaffee und Zucker dabei.

8. Die reichſten Maͤnner ſpazierten in Pantoffeln,

Aſſen Braten und Blumenkohl ſtatt Speck und

Kartoffeln,

Und trunken ſtatt Kovent alten Pontak,

Und rauchten vom allerbeſten Tobak.

9. Auch die jezigen Ohnwitzerinnen,

Statt Kaͤſe zu machen und Flachs zu ſpinnen,

Laſen Romanen und ſtrickten Filet,

Hielten Viſiten und trugen ſich nett.

10. Sogar die ſtolzirenden Dorfmaͤdchen,

Zierten ſich wie Jungfern in kleinen Staͤdtchen,

Trugen Kattun und Zitz ſtatt Leinwand

Und aufgeſteckte Muͤtzen mit fein Band.

11. Die jungen Kerls verlieſſen oft Pflug und

Flegel,

Giengen des Nachmittags und ſchoben Kegel

Und trunken in der Schenke firnen Wein

Und luden zum Tanzen die Dirnen ein.

12. Doch ward darin eben nichts uͤbertrieben,

Sondern alles iſt in Fuhrmannswegen geblieben,

Denn Herr Pfarrer Jobs hielte Tag und

Nacht

Ueberall getreu ſeine geiſtliche Wacht;

13. Und
[22]
13. Und ſteuerte uͤberhaupt an ſeinem Theile,

Aller boͤſen Neuerung und jedem Unheile,

Er hielt alſo wenigſtens in Esſentialibus

Alles auf dem alten Deutſchen Fuß.

14. Auch der gnaͤdige Herre auf dem Schloſſe,

Geruhten zu haben eine ſehr groſſe

Freude und Wohlbehagen dran

Wenn Hochdieſelben dieſen Wohlſtand ſahn.

15. Sie entſchloſſen ſich von nun an, zu ver-

ſchonen,

Die Bauern mit den bisher beſchwerlichen

Frohnen,

Und haben auch die uralte Leibeigenſchaft

Bei denſelben allergnaͤdigſt abgeſchafft.

16. Das mehrte nun natuͤrlich der Unterthanen

Liebe

Und minderte die Zahl der Bettler und Diebe,

Denn jeder konnte gemaͤchlicher nun,

Fuͤr ſich ſelbſt arbeiten und gehoͤrig ausruhn.

17. Zuweilen gab der Herr laͤndliche Feſte

Und da waren die Bauern ſaͤmtlich ſeine Gaͤſte,

Und immer gienge luſtig die Gei-

ge und der ernſte Brummbaß dabei.

18. Die gnaͤdige Frau hielt es nicht zu geringe,

Mit dem Dorfſchulzen zu machen einige

Spruͤnge

Und
[23]
Und der gnaͤdige Herr oͤffnete jedesmal

Mit der artigſten Baͤurin den Bal.

19. Beſonders gern tanzte der junge Herre,

Mit den huͤbſcheſten Maͤdchens ins Kreuz und

die Queere,

Manches Menuet und engliſches Stuͤck,

Nach allen Regeln der Tanztik.

20. Kam er mit Mamſel Eſther an den Reihen,

So that ſich ſein Herz vorzuͤglich erfreuen,

Und es geſchah alsdenn hinc inde da,

Mancher Ausglitſcher und Faux pas.

21. Da es nun zugieng in allen Ehren,

So mochte Herr Pfarrer Jobs es auch nicht

wehren,

Ja vielmehr billigte er ganz

Einen unſchuldigen laͤndlichen Tanz.

22. Haͤtt’ auch wohl ſelbſt eins moͤgen mitmachen,

Aber er enthielt ſich gerne, um den Schwachen,

Nicht zu geben ein Aergernus;

Welchs man dann auch von ihm ruͤhmen

muß.

23. Auch ich meinerſeits kann keine Suͤnden,

In dergleichen Leibesuͤbungen finden,

Wenn nur das Exercitium der Tanzkunſt,

Geſchieht ohne Anſtrengung und Brunſt.

24. Wir werden uͤbrigens in der Folge ſehen,

Was fuͤr gute Fruͤchte daraus entſtehen,

Wenn
[24]
Wenn regierender Herr und Unterthan

Sich fein freundlich zuſammen begahn.

Fuͤnftes Kapitel.


Dieſes Kapitel handelt von des Herrn Pfar-
rers Jobs haͤuslichem Leben.


1. Nun will ich auch von Herrn Jobs haͤusli-

chem Leben,

Noch eine etwas vollſtaͤndige Nachricht geben,

Und wir ſehen dann auch zugleich dabei

Ob auch auf’m Schloſſe noch alles richtig ſey;

2. Denn beider Schickſal verwebt ſich enger,

Mit einander deſto mehr, je laͤnger,

Die Erzaͤhlung der Geſchichte waͤhrt

Und man geduldig zu leſen fortfaͤhrt.

3. Herr Jobs that, wie geſagt, mit aller Treue,

Alles was gehoͤrte zu ſeiner Pfarreie;

Auch in ſeiner Oekonomie befand ſich,

Alles fein ſauber und ordentlich.

4. Er konnte ſich zwar ſelbſt damit nicht befaſſen,

Muſte ſie alſo ſeiner Schweſter uͤberlaſſen,

Denn ſie war, nachdem die Mutter ſtorb,

Das Fac totum und allein Henne im Korb.

5. Er
[25]
5. Er befand ſich dabei auch gar nicht uͤbel,

Und ſeine Buͤcher, beſonders das Studium

der Bibel,

Vertrieben ihm angenehm die Zeit,

In ſeines Muſaͤi Einſamkeit.

[figure]
6. Er gieng auch, um ſich zu divertiren,

Bei guter Witterung zuweilen ſpazieren;

Wobei Er dann fein geſund blieb

Und verhuͤtet wurde das Malum Hyp.

7. Auch pflegte Er ſich oft perſoͤnlich zu erkunden,

Nach der herrſchaftlichen Familie Wohlbefunden,

Und ſowohl die gnaͤdige Frau als beide

Herrn,

Sahen ihn jedesmal herzlich gern.

8. Er
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8. Er war auf dem freiherrlichen Ohnwitzer

Schloſſe,

Gleichſam Spiritus familiaris und Hausge-

noſſe,

Und wenigſtens jeden Sonntag faſt,

Nach geendigtem Gottesdienſt Gaſt.

9. Auch hat ſich der junge Baron oft zu ganzen

Stunden,

Zum Beſuche im Pfarrhauſe eingefunden,

Und es vergienge kein einziger Tag,

Daß er nicht wenigſtens en paſſant einſprach.

10. Doch, was dieſe Beſuche betrifft, ſo ſcheinet,

Daß er eben nicht immer damit den Bruder

gemeinet;

Denn es kuͤmmerte ihn nicht, wenn er vor der

Hand,

Nur bloß die Schweſter zu Hauſe fand.

11. Er gieng am liebſten in der Pfarrgegend

jagen,

Auch der huͤbſche Garten da that ihm behagen,

So daß er beſtaͤndig einen Vorwand,

Zu ſeinen frequenten Viſiten erfand.

12. Zum Exempel: Abends fand er in dieſem

Reviere,

Das ſanfte Wehen der kuͤhlen Zephyre,

In den Baͤumen daſelbſt ſehr angenehm,

Und das Waͤldchen da zum Spazieren bequem.

13. Oder
[27]
13. Oder, er hatte uͤber gewiſſe gelehrte Sachen,

Mit Herrn Doktor Hieronimus etwas zu

ſprachen;

Oder er brachte ein Haͤschen oder Rebhuͤhn-

lein,

Das er geſchoſſen, in die Kuͤche hinein;

14. Oder er pflegte ins Pfarrhaus zu eilen,

Angenehme Neuigkeiten dort zu ertheilen;

Oder er kam, und es war noch zu fruͤh,

Zum ſonntaͤglichen Gottesdienſt hie;

15. Oder er hatte Auftraͤge und Freundſchafts-

pflichten,

Von ſeinen Eltern an Herrn Jobs zu entrichten;

Oder er erkundigte ſich auch wohl bloß,

Ob nichts zu beſtellen ſey fuͤrs Schloß.

16. Die Ohnwitzer haben mit Verwunderung

geſehen,

Ihn ſo ofte ins Pfarrhaus hinein gehen;

Denn es begab ſich, daß er Gelegenheit nahm

Und taͤglich wohl zwei- bis dreimal kam.

17. Kurzum, auch im haͤuslichen Geſchicke,

Laͤchelte dem Herren Pfarrer Jobs das Gluͤcke.

Beſſer als manchem Prinzen und Rex,

Oder in neuerer Zeit einem Pontifex.

Sech-
[28]

Sechſtes Kapitel.


Wie Herr Jobs auch ſein Hauskreuz hatte,
ob er gleich keine Frau hatte, und von
ſeiner Schweſter Krankheit.


1. Indeſſen das Erdengluͤck hat hinten und vornen,

Doch immer etwas von Stacheln und Dornen,

Und nach dieſem Spruͤchwort gieng es auch ſo,

Dem Doktor und Pfarrer Hieronimo.

2. Seine Haushaͤlterin, die geliebte Schweſter,

Das ſonſt muntre Maͤdchen, die gute Eſther,

[figure]
Nahm,
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Nahm, dies bemerkte Er ſchon einige Zeit,

Augenſcheinlich ab an Lebhaftigkeit.

3. Zwar verſah ſie ziemlich alle Geſchaͤfte,

Es fehlten Ihr auch eigentlich dazu keine

Kraͤfte

Und ſie befolgte treulich ſpaͤt und fruͤh,

Die beſte Aufſicht in der Oekonomie.

4. Allein, ſie ſchien oft in Gedanken zerſtreuet,

Ward durch gewoͤhnliche Sachen nicht erfreuet,

Und man ſah, daß ſie nicht ſo gar flink,

Wie vormals, in allem zu Werke gieng.

5. Auch Seufzer ſo wohl publice als im Stillen,

Entſtiegen oft der Bruſt ohne ihrem Willen,

Wenn ſie bei ihrem Spinnraͤdchen ſaß,

Oder gar indem ſie trank oder aß.

6. Ja, man ſah nicht ſelten auf ihrem Backen-

paͤaͤrchen,

Hangen einige perlfarbene Zaͤhrchen,

Und ihre klaren blauen Aeugelein,

Waren oft roth, naß und unrein.

7. Auch hoͤrte man einigemal in ihrer Schlafkam-

mer,

Des Nachts ein heimliches Stoͤhnen und Ge-

jammer;

Und dennoch ſagte oder klagte ſie,

Ihr dringendes heimliches Anliegen nie.

8. Auch
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8. Auch die friſche Farbe ihrer runden Wangen,

Iſt nach und nach verlohren und vergangen;

Vormals war ſie ſchoͤn roſenroth,

Und nun ward ſie ſchier blaß wie der Tod.

9. Ehmals war ſie immer bei gutem Aptite

Dies ſetzte bei ihr natuͤrlich geſundes Gebluͤte;

Aber nun war Aptit, Durſt, froher Sinn,

Naͤchtliche Ruhe, et cetera dahin.

10. Auch hatte ſie zuweilen mit Nervenkraͤmpfen,

Und kleinen Anfaͤllen von Ohnmachten zu kaͤm-

pfen

Und die allergeringſte Kleinigkeit,

Erregte Vapoͤrs und Uebelheit.

11. Sie ſuchte ſich allen Vergnuͤgungen und

Kompagnien,

So oft es der Wohlſtand nur litte, zu ent-

ziehen,

Und ihre beſte Unterhaltung blieb,

Wenn ſie einſam etwa was las oder ſchrieb.

12. Dies alles merkte, wie geſagt, Herr Jobs

lange,

Drum ward Er ob ihres Zuſtandes ſehr bange,

Und dachte, ſie laborire an der Atrophie,

Und Freund Hein kriegte in ſeine Klauen

bald ſie.

13. Um ihre Krankheit zu erklaͤren und zu kuriren,

That Er oft ſtudirte Leute konſuliren,

Und
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Und mancher beruͤhmter Aeskulap,

Gab druͤber ſeine Meinung und Recepte ab.

14. Der eine ſuchte den Quell des Uebels im

Magen,

Und gab Vomitive, ihn draus zu verjagen,

Aber es begab ſich daß’s mit dem Vomitiv,

Immer ſchaͤdlich fuͤr die Patientin ablief.

15. Andre riethen auf vorhandene Wuͤrmen,

Und ſuchten ſie mit Wurmmitteln zu beſtuͤrmen;

Einer wagte ſo gar einen ſchrecklichen Land-

ſturm,

Auf einen vermeinten langen Bandwurm.

16. Andre ſuchten das vorhand’ne Uebel zu ſtillen,

Mit Aloe, Galbanum, Stahl und Polychreſt-

pillen.

Denn ſie leiteten die ganze Krankheit perfekt

Aus einem gewiſſen weiblichen Defekt.

17. Andre ſuchten ſie mit ſtarken Purganzen,

Wegen vermeinter Verſchleimung zu kuranzen;

Andre kurirten grade zu auf Schwindſucht

nur,

Und riethen Islaͤndiſches Moos und Milch-

kur.

18. Andre meiſt alte praktiſche Polypheme,

Suchten der Krankheit Sitz im Nervenſyſteme

Und
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Und nach reiflicher Erwaͤgung riethen ſie an,

Moſchus, Teufelsdreck, Bibergeil und Bal-

drian.

19. Andre verſicherten dem Herrn Jobs aufrichtig,

Jedoch ſub Roſa, ſie wuͤrde waſſerſuͤchtig,

Und ſagten, ſeiner Schweſter Krankheit ſey,

Wiß und wahrhaftig eine Kachexei.

20. Aber alle ihre haͤufig verſchrieb’ne Arzneien,

Wollten nicht bei ihr anſchlagen noch gedeihen,

Und ſie ward nach deren Gebrauch vielmehr

Taͤglich ſchlimmer und kraͤnklicher.

21. Einige alte ehrbare ſachkundige Dorffrauen,

Sagten ſich eine der andern im Vertrauen,

Die Krankheit der Mamſel Eſther waͤre nur

klein,

Und haͤtte Leben, Kopf, Hals, Arm und

Bein.

22. Aber wir werden’s kuͤnftig finden und ſehen,

Daß dem guten Maͤdchen drin zu viel geſchehen,

Denn die Folge bewieß es genung,

Daß jene Sage nur ſey Verleumdung.

23. Dem Pfarrer Jobs daͤuchte es unerhoͤrbar,

Daß ſeiner Schweſter Krankheit ſo verſchieden

erklaͤrbar

Bei den Kennern der Arzneikunſt ſey

Und dachte heimlich das Seine dabei.

24. Er
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24. Er hielt es darum fuͤr klug und vernuͤnftig,

Daß ſie gar keine Arznei mehr brauche kuͤnftig,

Und daß man ſie fortan in Gotts Namen nur

Bloß uͤberließ ihrer eigenen Natur.

25. Und das war ihm dann auch gewiß gerathen,

Denn unter den Haͤnden der Herrn Hippokraten

Waͤre ſie bei dem geſundeſten Blut,

Doch endlich unfehlbar gemachet kaput.

26. Er ſuchte aber ſie moͤglichſt aufzuheitern,

Und damit ſich das Uebel nicht moͤchte erwei-

tern,

Rieth Er als ein vernuͤnftiger Mann,

Spazieren und angenehmen Umgang ihr an.

Sie-
[34]

Siebentes Kapitel.


Wie auch der junge Herr von Ohnwitz krank
ward, und wie ihm keine mediciniſche Fakul-
taͤt helfen konnte, wie dieſes wohl oft
in Krankheiten der Fall ſeyn thut.


1. Sonderbar iſts zu vernehmen und zu hoͤren,

Daß auch bei dem jungen adlichen Herren,

Von Ohnwitz, jedoch mutatis mutandis

Sich eine aͤhnliche Krankheit anwieß.

2. Er war ſonſt ein herzlieber edler Junge,

Hatte groſſen Verſtand und ’ne gelaͤufige Zunge,

Und ein gar vornehmes adliches Anſehn,

Und war von Angeſicht braͤunlicht und ſchoͤn.

3. Auch hatte der junge Herr Ihro Gnaden,

Ziemlich runde Wangen und paſſable Waden,

Und uͤbte mit ſeinen Muskeln voll Kraft,

Immer eine gute Ritterſchaft.

4. Ich will hier zur Ergoͤzung und zum Vergnuͤ-

gen,

Sein Portraͤt einsweilen beifuͤgen;

Es gleicht ihm zwar nicht, doch ſtelle ichs her,

Man muß ſich nur vorſtellen, als wenn er es

waͤr.

5. Aber
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[figure]
5. Aber, wie geſagt, ſeit einigen Zeiten,

War auch er geplagt mit Uebelkeiten,

So daß er weder aptitlich trank noch aß,

Und dabei verginge wie Laub und Graß.

6. Er ſchlich traurig oft weg ins Geheime,

Hatte Nachts allerlei beſchwerliche Traͤume,

Und weder ſein Lakei noch Reitknecht,

Konnten ihm je etwas machen recht.

7. Weder Muſik, Spiel oder Studiren,

Konnten ihn aufmuntern oder amuͤſiren,

Denn, gleich dem aͤrgſten Hypochondrikus,

Hatte er an allem und jedem Verdruß.

C 28. Er
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8. Er verfiel dabei taͤglich augenſcheinlich,

Sein Embonpoint wurde mehr und mehr

kleinlich,

Das machte dann viel Sorge beim Herrn

Papa,

Und noch mehr dito bei der Frau Mama.

9. Manche Arztfakultaͤt ward zu Rath gezogen,

Da hat man den Zuſtand kollegialiſch erwogen,

Aber in Methodo medendi war,

Einer dem andern directe contrar.

10. Der eine focht mit medicin’ſchen Sophismen,

Der andre mit Hippokratis Aphorismen,

Ein andrer berief ſich mit guter Art,

Auf langjaͤhrige Praxis und grauen Bart.

11. Der eine verſchrieb Pulver und Mixturen,

Der andre Latwergen und Tinkturen,

Der eine rieth zum Purgiren und Schweiß,

Der andre zu einer Brunnenreiſ’.

12. Doch nach langem Fechten und Disputiren,

Und pro et kontra Deliberiren,

Kam man nach geendigtem gelehrten Zank,

Drin uͤberein: der junge Herr ſey krank.

13. Aber ob dieſem Laͤrm, Disputiren und Zanken,

Haͤtte Patient ſchier mehr moͤgen erkranken

Drum that derſelbe weislich und klug,

Daß er alles Einnehmen rund abſchlug.

14. Er
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14. Er nahm indeß taͤglich an Munterkeit abe,

Schien faſt zu ſtehn mit einem Fuß im Grabe,

Obgleich weder an Lunge noch ſonſt innerlich,

Eigentlich befande kein Fehler ſich.

15. Es ſchien doch, als koͤnn’ er ſeine melanchol’-

ſche Grillen

Am beſten damit wegjagen und ſtillen,

Wenn er ein Bischen ſpazirte aus,

Nach dem Ohnewitzer Pfarrerhaus.

16. Sintemal nun fuͤr junge kraͤnkliche Naturen,

Die Heirathen oft ſind die zutraͤglichſten Kuren,

So fielen auch ſeine gnaͤd’ge Eltern fuͤr ihn,

Auf dieſe beſondre Art von Medicin.

17. Es waren aber im Diſtrikt von rund um ei-

nigen Meilen,

Viele mannbare ſehr artige Freiinnen und

Fraͤulen,

Welche wohl eine ſchier baldige Heirath,

Gleichfalls gehalten haͤtten fuͤr’ne Wohlthat.

18. Ihm ward alſo von den Eltern dringend em-

pfohlen,

Sich ein Fraͤulen daher bald heimzuhohlen,

Und ſie gaben ihm gerne im voraus, wenns

Nur ritterbuͤrtig ſey, ihren Konſens.

19. Denn ſie hielten große Stucke auf ihren Adel,

Der war auch bisher blieben ohne Tadel,

Und
[38]
Und von allem unſaubern buͤrgerlichen Blut,

Noch unvermiſcht und durchaus kerngut.

20. Alles andre hielten ſie fuͤr Kleinigkeiten,

Welche bei Konvenienzehen nichts bedeuten;

Es war ihnen ſogar durchaus einerlei,

Ob die kuͤnftige Schwiegertochter reich oder

arm ſey.

Ach-
[39]

Achtes Kapitel.


Wie man den jungen Herrn, um ihn zu ku-
riren, mit der Fraͤulein Judith verheirathen
will, und wie er dieſe Medicin nicht
nehmen will.


1. Es wohnte aber an der Ohnewitzer Graͤnze,

Eine freiherrliche Witwenexcellenze,

Auf einer alten ehmals feſten Burg,

Welche jetzt verfallen war durch und durch.

2. Ihre Ahnenzahl war laͤngſt uͤbervollwichtig.

Und der Stammbaum bis zur Wurzel aͤcht

und richtig;

Aber (nichts iſt ja vollkommen in der

Welt)

Es fehlte ihr am Beſten: an Geld.

3. Sie hatte deswegen nicht viel zu verzehren,

Aber erzog doch in allen Zuͤchten und Ehren,

Eine einzige Fraͤulein Tochter zart,

Sehr reizend und von engliſcher Gemuͤthsart.

4. Sie war eine aͤchte Perle des Landes,

Sehr geehrt wegen ihrer Schoͤnheit und ihres

Verſtandes,

Und mancher Kavalier hatte wohl Appetit,

Zu der angebeteten Fraͤulein Judith.

5. Aber
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5. Aber weil dieſe ſonſt nicht verwerfliche Sachen,

Doch das weſentlichſte bei der Heirath nicht

ausmachen,

So hatte auch eigentlich keiner dafuͤr Sinn,

Sie zu waͤhlen zu einer Gemahlin.

6. Sie fuhr oft, in Ermang’lung ’ner ordentli-

chen Kutſche,

Nach Ohnwitz mit ihrer Mutter in ’ner ſchlech-

ten Birutſche,

Weil fie daſelbſt ſehr dick und groß ſtand,

War auch von Noah her noch etwas ver-

wandt.

7. „Denn
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7. (Denn, ich bemercke ſolches nur beilaͤufig,

Die Ohnwitzer Von’s befanden ſich ſehr haͤufig,

Unter dem Adel uͤberall hier und da,

Zerſtreuet im Lande Germania.)

8. Sie weilten daſelbſt gemeinlich viele Tage,

Vergaßen pro tempore ihre ſonſt duͤrftige Lage,

Aſſen und tranken allda wohlgemuth,

Und befanden ſich auch im uͤbrigen gut.

9. Ihre ſaͤmtliche mitgenommene Domeſtiken,

Konnten ſich gleichfalls daſelbſt mal erquicken;

Es war zwar ihrer keine groſſe Schaar,

Sondern in toto nur ein einziges Paar,

10. Nemlich: Johann, Jaͤger und zugleich Kut-

ſcher,

Gaͤrtner, Kellermeiſter und Schuhputſcher,

Geheimer Kammerdiener, Lakei, Friſoͤr,

Und bei Ihro Excellenz ſonſt noch allerlei

mehr.

11. Nebſt dem das 46 jaͤhrige Kaͤthchen,

Sie war Koͤchin und zugleich Kammermaͤdchen,

Flickte die Struͤmpfe und kehrte die Flur,

War Viehmagd und zugleich Dame D’atour.

12. So gar das Pferdegeſpann, zwei magere

Gerippe,

Wieherte froh zu Ohnewitz an der Krippe,

Denn
[42]
Denn ſie aſſen, da vom vielen Faſten matt,

Im Marſtall in Haber und Haͤkſel ſich ſatt.

13. Auch der Fraͤulen Judith Schooshund, ein

ſchmaͤchtiger Pudel,

Affe ſich da bald rund wie eine Nudel,

Bekam Suppe, Braten und fettes Butter-

brod,

Und vergaß alle ſeine vorige Noth.

14. Der junge Herr ſahe von Kindesbeinen

An, gern die Judith zu Ohnwitz erſcheinen,

Und auch ſie ſpielte und taͤndelte ſchon,

Als Kind gerne mit dem jungen Baron.

15. Auch in ihren Juͤnglings- und Maͤdchens-

Jahren,

Thaten ſie noch gern ſich zuſammen paaren,

Ja man ſahe auch ſpaͤter ex poſt,

Auf der alten Liebe noch keinen Roſt.

16. Indeß, ſeit Herr Jobs die Pfarre bekommen,

Hat ſich der junge Herr ganz kurios benommen,

Denn er zog ſich mit guter Manier,

Unvermerkt, nach und nach zuruͤcke von ihr.

17. Papa und Mama haͤtten allenfalls gern ge-

ſehen,

Eine Mariage zwiſchen beiden entſtehen,

Denn
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Denn ſie liebten, wie geſagt, die Fraͤulen

Judith

Wegen ihrer Artigkeit und dem guten Ge-

muͤth.

18. Allein der junge Herr wolte davon nichts hoͤren,

Suchte uͤberhaupt alle Vermaͤhlung abzukehren,

Ob er gleich an und fuͤr ſich, eben zwar,

Kein Feind des ſchoͤnen Geſchlechtes war.

19. Den Schluͤſſel zu allen dieſen Kurioſitaͤten,

Und zu der Brunnquelle der Leibesnoͤthen

Des jungen Herrn und der Mamſel Eſther,

Zeigt das folgende Kapitel naͤher.

Neun-
[44]

Neuntes Kapitel.


Wie eine Liebſchaft ſich angeſponnen hat zwi-
ſchen dem jungen Herrn und der Jungfer
Eſther.


[figure]
1. Wir muͤſſen jezt auf einige Augenblicke,

In der Geſchichte wieder ein wenig zuruͤcke,

Und fangen nachher aufs neue dann

Wo wir eben aufhoͤrten, wieder an.

2. Moͤchte wohl wagen eine anſehnliche Wette,

Daß mancher es laͤngſt ſchon gemerket haͤtte,

Oder
[45]
Oder es wenigſtens doch jezo begreift,

Daß das Ding auf ’ne Liebesgeſchichte

auslaͤuft.

3. Schon habe ich wohlbedaͤchtlich im zweiten,

Theile, Kapitel 33, ſuchen vorzubereiten,

Den geneigten Leſer, auf den Roman,

Der ſich mit dem jungen Herrn und Eſther

anſpann.

4. Nun wollen wir, um methodiſch zu gehen,

Stuͤck vor Stuͤck ordentlich beſehen,

Wie alles vom erſten Anfang,

Nahm den gewoͤhnlichen Romangang.

5. Schon auf der Akademie hatte der Baron

viele,

Dunkele angenehme Vorgefuͤhle,

Fuͤr Eſther, und gab dem Hieronimus,

Wenn er nach Haus ſchrieb, an ihr ’nen

Gruß.

6. Denn mit Buͤcherſchreiben und Verlieben,

Wird manches ſeltnes Abentheuer getrieben,

Beides koſtet heuet wenig Muͤh,

Und man kommt dazu und weiß nicht,

wie?

7. Und weil Hieronimus ſeine Schweſter ſehr

ſchaͤtzte,

Und an ihrem Andenken ſich ſehr ergoͤzte,

So
[46]
So ſprach er von Ihr dem Baron oft vor,

Und das hob ſein Gefuͤhl noch mehr empor.

8. Als ſie nachher ſelbſt nach Ohnwitz gekommen,

Hat ſeine Liebe mehr uͤberhand genommen,

Und flammte und brannte lichterloh,

Aerger als Flachs und trocknes Stroh.

9. Denn ſie hatte ein Geſichtchen wie ein Engel,

Eine Taille ſchlank wie ein Rohrſtengel,

Rabenſchwarzes Haar, einen ſchoͤnen Mund,

Und Wangen er cetera, zart und rund.

10. Er muſte es ſo fort bei ſich geſtehen,

Daß er ſo ein Maͤdchen noch nie geſehen,

Und durch ihren himmliſchen Verſtand,

Ward er vollends noch aͤrger verbrannt.

11. Er hielte zwar lange ſeine verliebte Grillen,

Fuͤr ſich allein, incognito und im Stillen,

Und wagte es durch Liebeserklaͤrung nicht,

Von ſich zu waͤlzen das ſchwere Gewicht.

12. Auch Eſther, als ſie zuerſt den Baron ſahe,

Wuſte nicht recht, wie und was ihr geſchahe;

Denn ein unbekanntes Etwas innerlich,

Bemaͤchtigte Ihrer gewaltſam ſich.

13. Sie hatte noch nie eigentlich geliebet,

War auch in Romanenlektuͤre nicht geuͤbet,

Sonſt haͤtte ſie es wohl gleich gewuſt,

Was da ſo wurmte in ihrer Bruſt.

14. Nach
[47]
14. Nach und nach entwickelten ſich ihre Triebe,

Wuchſen, und ſie merkte, es ſey die Liebe,

Und ſie geſtand ſich, ſie haͤtte nie geſehn,

Einen jungen Herrn ſo artig und ſchoͤn.

15. Aber ſie ſuchte die Gefuͤhle zu beſtreiten,

Und die aufwachſende Liebe auszureuten;

Jedoch ſahe ſie immer den jungen Herrn,

Wenn er zu ihnen ins Pfarrhaus kam, gern.

16. Und oft, wenn ſie ihn in der Naͤhe erblicket,

Ward ein aufſteigender Seufzer in ihr zerdruͤcket,

Und es ging hervor aus ihres Herzensſchrein,

Manchmal ein gewagtes Wuͤnſchlein klein.

17. Allein, ſie war bemuͤht in kaͤltern Augenblicken,

Alle dieſe Wuͤnſche in der Geburt zu erſticken,

Denn als ’ne vernuͤnft’ge Perſon gedachte ſie:

Die Wuͤnſche wuͤrden doch realiſiret nie.

18. Freilich fuͤr ’nen Herrn ſolch hohen Standes,

Einz’gen Sohn des reichſten Kavliers des Lan-

des,

War ſie zur Abkuͤhlung fuͤrs adliche Blut,

Nur hoͤchſtens allenfalls als Maitreſſe gut.

19. Aber ſie ware ſeit ihrer fruͤhen Jugend,

Eine Bewahrerin unverdorbener Tugend,

Und haͤtte ſo was ſelbſt keinem Koͤnigsſohn,

Fuͤr jaͤhrlich Lohn von tauſend Dukaten ge-

thon.

20. Auch
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20. Auch der junge Herr konnte ſich nicht bequemen,

Die Sache auf einen ſolchen Fuße zu nehmen,

Denn er hielte es fuͤr eine groſſe Suͤnd,

Zu verfuͤhren andrer Leute Kind.

21. Auch haͤtte er alles in der Welt lieber,

Geſehen gehen darunter und daruͤber,

Als ſeinem lieben Freunde Hieronimus,

Zu machen einen ſo bittern Verdruß.

22. Er wuſte aber mit vollkommenſter Ueberzeu-

gung,

Seiner freiherrlichen Eltern Eckel und Abnei-

gung,

Gegen jede Beſchmutzung des Stands

Durch eine niedrige Mesallianz.

23. Saße folglich mit ſeinen zaͤrtlichen Gefuͤhlen,

Gleichſam geklemmt zwiſchen zweien Stuͤhlen,

Und ſo gienge er lange und trug ſich ſtumm,

An ſeiner Liebe faſt lahm und krumm.

24. Was ſonſt hinc inde noch paſſiret,

Wird in jedem Romanbuche recitiret,

Darauf beziehe ich mich, weil jedermann

Es umſtaͤndlich und genau da leſen kann.

[49]

Zehntes Kapitel.


Wie die Liebſchaft weiter gehen und zu einer
foͤrmlichen Liebeserklaͤrung kommen thut.


1. Indeſſen konnt’ es nicht immer ſo ſeyn und

bleiben,

Amor muſte das Spiel weiterhin treiben,

Und ſo kam’s binnen einem Vierteljahr,

Zu einer Liebeserklaͤrung baar.

2. In welcher Form dergleichen Erklaͤrungen ge-

ſchehen,

Kann man in Romanbuͤchern gleichfalls nach-

ſehen,

Denn, ſie beſonders zu beſchreiben hier,

Verduͤrbe nur die Zeit und’s Papier.

3. Daß der Baron am erſten ſich erklaͤret,

Sich Eſther aber anfangs ſehr gewehret,

Und alles geſchah mit herzbrechendem Weh,

Verſteht ſich von ſelbſt als Latus per ſe.

4. Den Zeitpunkt, in welchem ers erſt gewaget,

Und ihr ſein Herzensanliegen geklaget,

Weiß ich nicht genau, doch mein’ ich, es ſey

Ohngefaͤhr geweſen Anfangs May.

Jobſiade 3ter Theil. D5. Denn
[50]
5. Denn in dieſem wonniglichen Monate,

Geſchehen Liebesantraͤge fruͤh und ſpate,

Theils an Toiletten, theils in Buͤſchen, theils

im Stall,

Von jungen Herrn bis zu Kater und Nach-

tigall.

6. Eſther hoͤrte zwar mit vielem Entzuͤcken,

Den ſchoͤnen Baron ſo zaͤrtlich ſich ausdruͤcken,

Und wurde innerlich ſo tief geruͤhrt,

Als haͤtte ſie Mesmer magnetiſirt.

7. Aber ſie fuͤhrte ihm vorab zu Gemuͤthe,

Daß ihr buͤrgerliches und ſein adliches Gebluͤte,

Zu einem ernſthaften Liebesverein,

Sich ſo wenig fuͤgten wie Waſſer zu Wein.

8. Und ſie gegen jede andre Art der Verbindung,

Und unerlaubte Leidenſchaft und Empfindung,

Bei aller ſonſtigen Seelenharmonie,

Haͤtte eine ewige Antipathie.

9. Um ſich alſo der Liebe zu entſchlagen,

Suchte ſie allerlei Vernunftgruͤnde vorzutragen,

Jedoch mitlerweile ſie alſo ſprach,

Floß aus ihren Aeuglein ein Thraͤnenbach.

10. Sie hatte noch allerhand gewoͤhlinche Aus-

fluͤchte,

Theils vom groͤſſern, theils geringern Gewichte,

Fuͤhrte

[51]
Fuͤhrte auch manches von der Untreu,

Und dem Wanckelmuth des maͤnnlichen Ge-

ſchlechts bei.

11. Er aber verſicherte hoch und theuer:

Er ſey kein Luͤgner oder Alltagsfreier,

Und noch vielweniger wolle er,

Ueber ihre jungfraͤuliche Unſchuld her;

12. Schwor gar, daß die Baͤume haͤtten moͤgen

krachen:

Bei Kavlierparol und derlei zuverlaͤſſigen Sa-

chen,

Er wuͤrde ſeine heftige Liebe und Sie,

So lang er athmete, quittiren nie;

13. Redete auch von Verzweiflung, Degen und

Piſtolen,

Von Halsbrechen, ja gar von Teufelhohlen,

Und andern Dingen, welche ruͤhrend ſchoͤn,

In Werthers Leiden beſchrieben ſtehn.

14. Von dieſen ſo fuͤrchterlichen Schwuͤren,

Ließ ſich Eſther endelich ruͤhren,

Denn ſie dachte, ſie moͤcht’ den verliebten

Baron,

Sonſt wirklich bringen zur Desparation.

Eilf-
[52]

Eilftes Kapitel.


Wie aus obgedachter Liebſchaft endelich gar
ein Siegwartsfieber entſtehet.


1. Die Liebe des Barons und der Mammeſel

Eſther,

Wurde nun tagtaͤglich ſtaͤrcker und feſter,

Nachdem man auf der ſchluͤpfrigen Liebesbahn

Den erſten und ſchwereſten Schritt gethan.

2. Schon gleich auf die wechſelſeitigen Entſchluͤſſe,

Sich ewig zu lieben, folgten einige Kuͤſſe,

So wie nach dem gemeinen Spruͤchwort auf

A. B.

Wie ſchon die Kinder wiſſen, folgt das C. D.

3. Man hat alle Gelegenheit wahrgenommen,

Oft bei einander und zuſammen zu kommen,

Und der junge Herr hatte fortan nun,

Immer was im Pfarrhaus zu thun.

4. Es traf ſich bei ſeinen Beſuchen auf der Pfarre,

Daß Herr Jobs meiſtens nicht zu Hauſe ware,

Oder daß er auf ſeiner Studierſtube ſaß,

Und fuͤr ſich andaͤchtig ſtudierte oder las.

5. Aber der artige, liebe, junge Herre

Bat ausdruͤcklich, daß man ihn ja nicht ſtoͤre,

Viel-
[53]
Viel weniger daß er es uͤbel nahm,

Wenn Herr Jobs nicht ’runter zu ihm kam.

6. Denn die eigentliche importante Sachen,

Welche er im Pfarrhauſe hatte auszumachen,

Gehoͤrten wenigſtens das meiſte mal,

In des Gotts Amors Kameral.

7. Auch Jungfer Eſther hat faſt alle Wochen,

Mehrmals ins herrſchaftliche Schloß einge-

ſprochen,

Wenn etwa ein Geſchaͤft ſie dazu veranließ,

Und hatte ſie kein Geſchaͤft, ſo machte ſie’s.

8. Man conferire uͤber dieſen beſondern Titel,

Die Verſe 9 bis 16, im fuͤnften Kapitel,

Woſelbſt ich ſchon lang und breit beſchrieb,

Wie der Baron ſeine Beſuche betrieb.

9. Um ja im Liebeswandel nichts zu verſaͤumen,

Thaten ſie gar des Nachts von einander traͤumen,

Und da wurde dann was des Tages paſſirt,

Des Nachts weitlaͤufiger ausgefuͤhrt.

10. Er, um ſeiner noch beſſer zu gedenken,

Ueberreichte ihr manche ſchoͤne Geſchencken,

Zum Beiſpiel: einen herrlichen Brillantring,

Und viele andre Galanterie-Ding’.

11. Weil es ihr aber an Golde und Juwelen,

Vielleicht dermalen mochte fehlen,

So
[54]
So flochte ſie ihm dafuͤr fein und rar,

Einen Ring von ihrem eignen Haar.

12. Er gab ihr auch eingeſaßt im goldnen Rah-

men,

Sein Portrait, nebſt dem Zug von ſeinem

Namen,

Nahm dagegen beim Lichte an der Wand,

Ihre Silhouette mit eigner hoher Hand.

13. Viele Liebende muͤſſen ſich bequemen,

Mit ſolchen Kleinigkeiten vorlieb zu nehmen,

Denn eine Kopie iſt doch allenfalls,

Ein Behelf in Ermanglung des Originals.

[figure]
14. Apro-
[55]
14. (Apropos! ich will einmal probiren,

Druͤber ein bischen zu phyſiognomiſiren,

Denn in dieſem tiefſinnigen Studium,

Bin ich ſo wenig als Herr Lavater dumm.

15. „Man ſieht in dem etwas zuruͤckſtehenden

Hute,

„Gar deutliche Zuͤge vom Edelmuthe,

„Und es zeugt die gerundete groſſe Stirn,

„Vom drinliegenden guten Gehirn.

16. „Die etwas hervorſtehende Augbraunen,

„Beweiſen ein Maͤdchen von muntern Launen,

„Und das Naͤschen etwas mehr ſtumpf als

ſpitz,

„Zeigt eine kuͤnftige Frau von Ohnewitz.

17. „Das hier kaum bemerkbare Backengruͤbchen,

„Beweiſet ein immer freundliches Liebchen,

„Und der ein wenig geoͤfnete Mund,

„Machet ſuͤſſe Geſpraͤchigkeit kund.

18. „Die ein wenig haͤngende Unterlippe,

„Zeigt an, daß ſie ſey keine Xantippe,

„Sondern daß etwas Hang zur Schwaͤr-

merei,

„In ihrem ſanften Temperamente ſey.

19. „Die nette Rundung und das Puͤnktchen

am Kinne,

„Deutet auf etwaigen Hang zur Minne,

„Und
[56]
„Und die ziemliche Staͤrcke des Hinterkopfs,

„Zeiget deutlich an eine noch Jungfer Jobs.

20. „Das hangende Haar auf Nacken und Ruͤcken,

„Scheint ein je ne ſais quoi auszudruͤcken,

„Und des Halſes und der Bruſt Contour,

„Deutet auf eine gute Natur.)

21. Der Baron machte alſo, wie leicht zu er-

meſſen,

In ſeiner Liebe erſtaunliche Progreſſen,

Verfertigte auch manches Schaͤfergedicht,

Wo beim Leſen einem das Herz ſchier bricht.

22. Oft wandelten ſie in einſamen Feldern,

Oder ſpazirten in ſchattichten Waͤldern,

Hand in Hand und Arm in Arm,

Und wurden inner- und aͤuſſerlich warm.

23. Auch an ſanft rieſelnden Silberbaͤchen,

Pflegten ſie uͤber ihre Liebe ſich zu beſprechen,

Und, ſiehe da, ihr zaͤrtlichs Geſpraͤch ergoß,

Sich ſo ſanft und glatt, wie der Bach floß.

24. Oder ſie ſanken aufs weiche Moos nieder,

Hoͤrten des Haͤnflings und andrer Voͤgel Lieder,

Und ahmten ihnen in der zaͤrtlichen Klag,

So viel als es nur menſchmoͤglich war, nach,

25. Am zaͤrtlichſten waren ihre Wechſelgefuͤhle,

Auf den Wanderſchaften in der Abendkuͤhle,

Bei
[57]
Bei dem melodiſch ruͤhrenden Schall,

Der Philomel, ſonſt genannt Nachtigall.

26. Sie ſaſſen auch in mancher Abendſtunde,

Unterm blauen Himmel mit ofnen Munde,

Tranken des Mondes Silberſchein,

Und das Flimmern der lieben Sternelein. *)

27. Oder ſie ſaßen und liebelten in der Laube,

Wie ein trauter Tauber und eine zaͤrtliche Taube,

Und dann ſchmolzen ihre Herzen ſtracks,

In einander wie Unſchlitt und Wachs.

28. Oder ſie weilten in der abgelegnen Grotte,

Spielten daſelbſt faſt den Werther und die

Lotte,

Und handthierten und koſeten ſo ſuͤß,

Wie vielleicht Adam und Eva im Paradies.

29. Kurz, das Liebesleben gieng je laͤnger je lieber,

Ward endlich ein ordentliches Siegwartsfieber,

Denn dieſe gar naͤrriſche Krankheit,

Graſſirte ohnedem damals weit und breit.

30. Oft traf der Baron ſein Maͤdchen bei der

Toilette,

Einmal uͤberraſchte er ſie gar im Bette,

Jedoch bei aller dieſer verdaͤchtigen Liebſchaft,

Behielte Eſther ihre Jungferſchaft.

31. Ueber-
[58]
31. Ueberhaupt verſichere ich’s hoch und theuer:

So groß auch ware ihrer Liebe Feuer,

So ward doch dadurch in der Tugendpflicht,

Kein ungluͤcklicher Brand angericht’t,

32. Bei allem dem war die Ausſicht ihrer Liebe,

Im ganzen genommen ſehr neblicht und truͤbe,

Denn man kam mit allem dieſen Spiel,

Doch nicht zum reellen Zweck und Ziel.

33. Denn Hieronimus konnte dies Buͤndniß nicht

billigen,

Die gnaͤdige Eltern noch weniger einwilligen,

Es blieb alſo bloß bei den Praͤliminarien,

Ohne im Hauptartickel weiter zu gehn,

34. Da kann man nun leicht bei ſich gedenken,

Wie ſehr das den guten Kindern muſte kraͤnken,

Und wie allgemach ein heimlicher Gram,

Bei dem einen und der andern uͤberhand

nahm,

35. Der arme junge Herr, wie weiland Werther,

Beſuchte einſame melancholiſche Oerter,

Und die noch aͤrmere Eſther weinte baß,

In der Einſamkeit ihre Aeugelein naß.

36. Indeſſen war nichts uͤbrig als ſich zu faſſen,

Und das Ende dem Schickſale zu uͤberlaſſen,

Und man kam darinnen uͤberein,

Sich auf kuͤnft’ge beſſere Zeiten zu freun.

37. So
[59]
37. So kann man nun hier das Raͤthſel loͤſen,

Was die Kapitel 6 und 7 beſchrieb’ne Krankheit

geweſen,

Von der kein ſtudirter Arzt den Grund fund,

Und noch weniger ſie kuriren kunnt.

Zwoͤlftes Kapitel.


Wie die Buhlſchaft ganz inkognito getrieben
ward, ohne daß wenigſtens der Herr Pfar-
rer Jobs etwas davon merken kunnt.


1. Es geht den Liebhabern wie den Gaudieben,

Beide pflegen ihr Gewerb im Geheimen zu uͤben,

Und nach dieſer wohlhergebrachten Manier,

Verfuhren auch unſre Liebenden hier.

2. Herr Hieronimus hat in einigen Jahren,

Vom ganzen Handel nichts mindeſte erfahren,

Denn, nach dem Spruͤchwort, gewoͤhnlich

ſind,

Die Menſchen in den naͤchſten Sachen blind.

3. Aber Eſthers Mutter war pfiffiger und ſchlauer,

Und ſie merkte es endlich und auf die Dauer,

Daß ein verliebtes Geſchaͤfte vorgieng,

Denn ſie kannt’ noch aus alter Erfahrung

das Ding.

4. Sie
[60]
4. Sie ließ, ohne die Sache ſelbſt zu verſtaͤrken,

Sich doch gegen andre davon nichts merken,

Denn ſie uͤbertraf an Verſchwiegenheit,

Alle andre Frauen, alt und jung, weit.

5. Auch im Dorf war ſchon lange ein Geruͤchte,

Von des Barons und der Eſther Liebesgeſchichte,

Und es hatte ſo gar faſt jedes Kind,

Von den geheimen Haͤndeln Wind.

6. Selbſt die alte Herrſchaft merkte dieſe Haͤndel,

Und aus manchem verſtohlnen Getaͤndel,

Was ihr Herr Sohn mit Eſther gemacht,

Schoͤpften ſie allgemach Verdacht.

7. Zwar hielten dieſe ihre verliebten Blicke,

In Gegenwart der Schloßherrſchaft moͤglichſt

zuruͤcke,

Und ratione ihres Betragens und Geſichts,

Haͤtt’ man ſollen denken: mir nichts, dir

nichts.

8. Aber Veriiebte koͤnnen juſt in allen Faͤllen,

Nicht andre taͤuſchen und ſich immer verſtellen;

Das Ding waͤhret hoͤchſtens eine Zeitlang;

Denn Naturtrieb gehet vor Zwang.

9. Beſonders erregten die Beſuche und Gaͤnge,

Nach dem Pfarrhauſe, wegen ihrer Menge,

Aufmerkſamkeit und gerechten Argwohn,

Ueber Jungfer Eſther und den jungen Baron.

10. Aber
[61]
10. Aber daß es Ernſt ſey mit dieſer Minne,

Stieg ihnen nie zu Gedancken oder zu Sinne,

Vielmehr glaubten beiderſeits ſie,

Es ſey nur ’ne ſpashafte Galanterie.

11. Der alte Herr wuſte aus juͤngern Zeiten,

Wie wenig dergleichen Buhlſchaften bedeuten,

Denn er hatte ſelbſt manch temporellen Roman,

Mit unadlichen Maͤdchen geſponnen an.

12. Und die gnaͤdige Frau that mit allem Ver-

trauen,

Auf die hochadliche Geſinnung ihres Sohnes

bauen,

Der nie durch eine Mesallianz,

Verdunkeln wuͤrde des Geſchlechtes Glanz.

13. Hatte uͤbrigens einen baumſtarcken Glauben,

Der Herr Sohn wuͤrde Eſthern ihr Kraͤnzchen

nicht rauben,

Sondern daß alles nur angeſeh’n ſey,

Auf eine Platoniſche Loͤffelei.

14. Man ließ alſo dieſe Liebesgeſchichten,

Ohne den Herrn Jobs davon zu benachrichten,

Als ein Bagatell auf ſich beruhn,

Wie wir dann vor der Hand auch thun.

Drei-
[62]

Dreizehntes Kapitel.


Wie Herr Jobs die Liebenden in der Laube
atrapiren that, zur Nacht und Unzeit.


1. Phoͤbus hatte vollbracht auf gewoͤhnliche

Weiſe

Um die Erde herum ſeine Tagereiſe,

Und die Poſtpferde ſchon abgeſchirrt,

Und die Raͤder fuͤr morgen eingeſchmiert.

2. Verſchloſſen waren Kramlaͤden und Buden,

So wohl bei beſchnittenen als chriſtlichen Juden,

Und im Dachſtuͤbchen im Hinterhaus,

Bließ ein Philoſoph ſein Thranlaͤmpchen

aus.

3. Auf den Schneidertiſchen lagen pèle mèle

Geſtohlne Lappen, Scheere und Ehle,

Und muͤſſig in des Schreiners Werkſtaͤtt,

Saͤge und Hobel aufs halbfert’ge Brett.

4. Vom Armenwaͤchter bis zum Staatsminiſter,

Vom Erzbiſchof bis zum Hundekuͤſter,

Vom Profoß bis zum General hinzu,

Hatte alles von der Amtspflicht Ruh.

5. Gott Morpheus ſtreuete Schlummerkoͤrner,

Luna zeigte ihre glaͤnzenden Hoͤrner,

Und
[63]
Und manchem abweſenden Ehemann,

Ward ein Horn zu Hauſe zu gethan.

6. Ueberall herrſchte feierliche Stille,

Nur hier und da ſcirpte eine Grille,

Oder ein wachſamer Kettenhund,

Machte in ihrem Beruf gehende Diebe kund.

7. In der unermeßlichen weiten Ferne,

Schimmerten droben tauſend freundliche

Sterne,

Und das azurne Himmelblau,

Ward durch kein Woͤlkchen noch Nebel grau.

8. Auf des verfloſſenen Tages Schwuͤle,

Folgte eine ſanfte erquickende Kuͤhle;

Ich erinnere mich, es war grade juſt,

Um die Mitte des Monats Auguſt.

9. Das Mondlicht fiel hell durch Ritzen und

Fenſter,

Manches Sonntags Kind ſah Phantomen und

Geſpenſter,

Die Eule flog auf die Fledermaͤus-Jagd,

Mit einem Wort: Es war Mitternacht.

10. Wer gewohnt iſt ſeine Menſchenpflichten,

Des Tages durch gehoͤrig zu verrichten,

Und dabei ſatt gegeſſen und getrunken hat,

Dem iſt die Nacht eine wahre Wohlthat.

11. Denn
[64]
11. Denn weder ſein leerer Magen noch volles

Gewiſſen,

Plagt ihn mit Druͤcken und peinlichen Biſſen,

Und nach ausgezogenen Pantoffel oder

Schuh,

Kommt er im Bette ſo fort zur Ruh.

12. Herr Hieronimus hat baß als manche Groſſen,

In ſeinem Pfarrſtande dieß Gluͤcke genoſſen,

Denn kein Hunger noch Gewiſſensgewicht,

Druͤckte ſeinen Unterleib noch Kopf nicht.

13. Jedoch hat es ſich einsmalen zugetragen,

Daß er, vielleicht wegen uͤberladenen Magen,

Die obenbeſchriebene Auguſtnacht,

Etwas ſchlaflos hat zugebracht.

14. Er entſchloß ſich ſo fort aufzuſtehen,

Und im Garten ein wenig ſpaziren zu gehen,

Um durch dieſe kleine Motion,

Zu foͤrdern den Schlaf und die Konkoktion.

15. Er fand die Hinterthuͤr ſeines Hauſes offen,

Und ward davon zwar ein wenig betroffen,

Doch glaubte er, die Hausmagd habe dieß,

Vielleicht gethan geſtern per Abuͤs.

16. Er wandelte im Schlafrok mit langſamen

Schritte,

Ohngefaͤhre bis zu des Gartens Mitte,

Wo
[65]
Wo unfern davon, linker Hand,

Sich eine kleine dichte Laube befand.

17. Aber ploͤtzlich ward ſein Spazieren unterbro-

chen,

Denn es wurde in dieſer Laube laut geſprochen,

Und es daͤuchte ſo gar, indem er horchte,

Ihm,

Es ſey ſeiner Schweſter Eſther Stimm.

18. Er ſchlich naͤher, ſehr langſam und leiſe,

Ohngefaͤhr wie Katzen nach dem Geriſpel der

Maͤuſe,

Und hoͤrte drauf im wohlbekannten Ton

Auch die Stimme vom jungen Herrn Baron.

19. Er erſtaunte natuͤrlicher Weiſe daruͤber,

Ja ſein Erſtaunen ging in Erſtarren gar uͤber

Als er fuͤrder zur Laube kam,

Und den Inhalt des Geſpraͤchs vernahm.

20. Denn er hat da nun deutlich erfahren,

Daß man ſchon ſeit mehrern Jahren

Dieſe Laube hatte gewaͤhlet zu

’nem naͤchtlichen geheimen Rendezvous.

21. Er hat ſogar mit Schaudern vernommen,

Daß die Sache ſehr weit mit beiden gekommen,

Und daß vielleicht eine Entfuͤhrung gar,

Wie es ſchiene, aufm Tapete war.

Jobſiade 3ter Theil. E22. Ohne
[66]
22. Ohne vorerſt weiter was anzufangen,

Iſt er ſtille zuruͤck ins Haus gegangen,

Um zu uͤberlegen bei kaltem Blut,

Wie das boͤſe Ding ſey zu machen gut.

23. Wie lang das Rendezvous in der Laube ge-

waͤhret,

Druͤber bin ich ſo genau nicht belehret;

Es kann dieſes, lieber Leſer mein!

Dir und mir auch wohl gleiche viel ſeyn.

Vierzehntes Kapitel.


Wie Herr Hieronimus mit ſeiner Schweſter
ein Kapitel haͤlt, ohne jedoch ſo niedertraͤch-
tig zu ſchimpfen, wie mancher andere in ſei-
ner Stelle wuͤrde gethan haben und hier an-
fangs zu leſen iſt.


1. „Schaͤmſt du dich nicht du luͤderliche Metze!

„Du et cetra! du ſchmutzige Petze!

„Iſt dann all’ Ehre, Reputation und Re-

ſpekt

„In deinem jungfraͤulichen Herzen verreckt?

2. „Pfui dich! ba! du garſtige Eſther!

„Es verdreußt mich zu han eine ſolche

Schweſter,

„Die wider alle Regeln der Moral

„Treibet ein ſolch aͤrgerlich Skandal!

3. „Was
[67]
3. „Was wird nun ’s Publikum davon ſagen

„Daß ſich bei mir ſo ’n Aergernuß zugetragen?

„Giebt es nicht fuͤr den Pfarrer zu Ohne-

witz

„Wegen ſeines Amtes Stank und Praͤjudiz?

4. „Ich ſoll, wird man nun ſagen, als Paſter

„Beſtrafen andrer Leute Fehler und Laſter,

„Und doch treibts in meinem eig’nen Haus

„Meine Schweſter ſo malhonnet und kraus!

5. „Du haſt doch die Kinderſchuh ſchon ver-

ſchliſſen

„Muͤßteſt laͤngſt weg ſeyn uͤber Taͤndein und

Kuͤſſen,

„Und biſt nach richtiger Rechnung bald

„Sechs und zwanzig Jahr oder gar was

druͤber, alt!

6. „Oder meineſt du etwa, daß ich es glaube,

„Daß ein Maͤdel mit ’nem Buhler allein in

der Laube

„Beſonders zur Nachtzeit, was gutes uͤb’?

„Es heißt ja: Gelegenheit machet Dieb!

7. „Aber warte, ich will es ſchon verfuͤgen,

„Daß ihr ſollt, ehe ihrs vermuthet, kriegen,

„Du ſowohl als dein verliebter Haſenpfot,

„Die hunderttauſend Element Sakerlot!

8. So haͤtte vielleicht mancher in Zorn und Eifer

Seine Drohung, Gift, Galle und Geifer

E 2Ueber
[68]
Ueber das arme Maͤdchen ausgeſchuͤt’t;

Aber das that Herr Pfarrer Hieronimus nit.

9. Er hielt es zwar fuͤrs erſte noͤthige Mittel

Mit ſeiner Schweſter zu halten ein geheimes

Kapitel,

Aber es geſchah doch mit moͤglichſtem Glimpf,

Ohne alle obige Drohung und Schimpf.

10. Nemlich, Herr Jobs hatte verbracht unter

viel Sorgen

Den Reſt der Nacht und entbot gleich am

Morgen

Die Schweſter zu ſich nach der Studier-

ſtub

Wo er das geheime Examen anhub.

11. Sie vermuthete nur bloß haͤusliche Auftraͤge,

Denn ſie glaubte ihr Bruder haͤtte durch keine

Wege,

Von ihrer Liebe zum jungen Baron,

Die geringſte Nachricht noch Suspicion.

12. Sie erſchien vor Ihm etwas ſchuͤchtern,

Ihr Auge blickte noch ein wenig truͤbe und

nuͤchtern,

Wegen der naͤchtlichen Aſſamblee

Und ſie war noch im Negligee.

13. Herr Jobs wollte ſie nicht zu ſehr erſchrecken

Noch das erfahrne Abentheuer ploͤtzlich aufdecken,

Denn
[69]
Denn er fuͤrchtete vorerſt davon

Eine gar zu heftige Alteration.

14. Sprach erſt uͤberhaupt von ihrem Lebens-

wandel,

Kam allgemach naͤher zum Liebeshandel,

Ging aber ſo vorſichtig herum dabei

Wie die Katze um einen heiſſen Brei.

15. Vorab muſt’s ihm am meiſten intereſſiren

Sich ausdruͤcklich bei ihr zu informiren,

Ob bei verloffenen Haͤndeln, Sie

Noch aͤcht ſeye in Puncto Puncti?

16. Da verſicherte ſie nun unter vielen Thraͤnen

Mit unterbrochnem Schluckſen, Haͤnderingen

und Stoͤhnen,

Daß bei aller geſchehenen Liebelei

Noch res integra in Puncto Puncti ſey.

17. Ich wette, jedes andre Maͤdchen haͤtte

Noch alles uͤbrige geleugnet an ihrer Staͤtte,

Nach der wohlerfundenen prima regula

juris: ſi feciſti, nega.

18. Aber Eſther hatte ein zu gutes Herze,

Das gar bei gegenwaͤrtiger Schaam und

Schmerze,

Doch haßte jeden Lug und Betrug

Und fuͤr Wahrheit und Tugend ſchlug.

19. Sie
[70]
19. Sie geſtund, daß ſchon ſeit vier Jahr und

ſechs Wochen

Sich der Baron ehelich mit ihr verſprochen,

Und daß ſonſt in allen Zuͤchten und Treun

Gemeinet ſey ihr geheimes Verein.

20. Zwar kenne ſie laͤngſt gar wohl und wiſſe

Die große Schwierigkeit bei ihrem Buͤndniſſe,

Doch habe der Baron und ſie oft

Auf kuͤnft’gen guten Ausgang gehofft.

21. Ihr Gewiſſen gebe ihr uͤbrigens das Zeugniß,

Daß nichts ſtrafbares ſey in dieſem Ereigniß

Und daß der Baron ſo wohl als ſie

Dieſe Liebe wuͤrden quittiren nie.

22. Sie ſagte auch noch manches ſpecielle

Ueber die hiebei vorgekommene Faͤlle,

Kurz, ſie that aufrichtig Konfeſſion

Ueber den ganzen Handel mit dem Baron.

23. Waͤhrend der Relation ihrer Geſchichte

Stieg manche Roͤthe auf in ihrem Geſichte,

Und von ihren gluͤhenden Wangen floß

Manche Thraͤne wie ’ne Haſelnuß groß.

24. Herr Jobs zeigte ihr mit vernuͤnftigen

Gruͤnden

Welche Obſtacula vor ihrer Liebe ſtuͤnden;

Obgleich er froh war, als er befand,

Daß die Sache ſelbſt nicht noch aͤrger ſtand.

Funf-
[71]

Funfzehntes Kapitel.


Wie Herr Jobs den jungen Herrn gleich-
falls coram nimmt; item wie er Loͤſchar-
ſtalten des Liebesbrandes macht, nach den
Regeln einer guten Policei.


[figure]
1. Als nachher der junge Herr gekommen

Hat Herr Jobs ihn gleichfalls coram genom-

men,

Und erſchoͤpfte ſeine ganze Redekunſt,

Um zu loͤſchen ſeine zaͤrtliche Brunſt.

2. Er ſuchte ihn beſonders zu belehren,

Daß, wenn er ſie auch meinte in allen Ehren,

So
[72]
So koͤnne doch ſeine Schweſter nie

Fuͤr ihn ſeyn eine ſchickliche Parthie.

3. Sintemal nach des Kirchenlehrers Ovids

Spruche,

Beſſer ſey, daß gleich und gleiches ſich ſuche,

Und im Gegenfalle manch Leid und Unheil

Entſtehe fuͤr den einen oder andern Theil.

4. Geſetzt auch, man koͤnne in den erſten Tagen

Sich gut mit einander begehen und betragen,

So waͤre nach verfloß’ner Flitterwoch

Immer der Henker loß doch.

5. Der junge Baron aber hatte dagegen

Viele Exceptiones einzulegen,

Und zeigte, daß hoch, gering, arm und

reich,

In der Liebe, ſo wie in der Natur, ſey gleich.

6. Bewieß auch aus der Geſchichte alt- und

neuer Haͤuſer

Daß nicht nur Edelleute, ſondern auch Koͤn’ge

und Kaiſer

Aus niedrigem Stande ſich eine Braut

Mit gluͤcklichem Erfolge haͤtten angetraut.

7. Bat auch und beſchwor ihn, daß er von ſeiner

Seite

Ihm kein Hinderniß in der Liebe bereite,

Sondern zur Erfuͤllung des Wunſches viel-

mehr

So viel ihm moͤglich, behuͤlflich waͤr.

8. Er
[73]
8. Er verſprach auch bei ſeinen gnaͤdigen Eltern

Den Konſens dereinſt heraus zu keltern.

Aber, was that dann Herr Jobs? Je nu!

Er ſchuͤttelte vor wie nach den Kopf dazu.

9. Und gleichwie man bei guten Policeianſtalten

Es uͤberall alſo pfleget zu halten,

Daß, bei einer heftigen Feuersbrunſt,

Wenn ſie nicht zu loͤſchen iſt durch Kunſt,

10. Man das benachbarte Gebaͤude einreiſſe

Und das brennende ſelbſt zuſammenſchmeiſſe,

Und ſo der Flamme Ausbreitung ſtoͤr’

Damit der Brandſchaden ſich nicht vermehr;

11. So that auch Herr Jobs, als er befande,

Daß bei obgedachtem heftigen Liebesbrande

Durch die Brandſpruͤtze der Moral und Ver-

nunft

Wenig Huͤlfe ſey fuͤr die Zukunft.

12. Denn er gab von nun an, naͤchtlich und taͤg-

lich

Auf ſeine Schweſter Achtung, ſo viel ihm moͤg-

lich,

So daß wenigſtens der Laubenbeſuch

Sich bei Nacht und Unzeit etwas verſchlug.

13. Aber ein verliebtes Maͤdchen zu bewachen

Dazu gehoͤren 50 Rieſen und 20 Drachen

Und
[74]
Und eine viermal ummauerte Burg,

Und wenn es will, ſo geht es doch durch.

14. So knuͤpfte auch die Liebe den Baron und

die Eſther

Bei allen Hinderniſſen nur enger und feſter;

Jedoch ward alles von Stunde an

In noch ſtrengerm Geheime gethan.

Sechszehntes Kapitel.


Wie die alte Herrſchaft zu Ohnwitz ihre ſil-
berne Hochzeit feiert mit allen Solennitaͤ-
ten.


1. Wir wollen nun in den naͤrriſchen Liebes-

ſachen

Auf ein Weilchen eine Pauſe machen,

Und einmal hinuͤber aufs Schloß gehn,

Denn da gibts was neues zu beſehn.

2. Dort war ein Gewuͤhl, Treiben und Rennen,

Als ſaͤh man irgendwo ein Gebaͤude brennen,

Und vom Kammerdiener bis zum Kuͤchen-

jung

War alles geſtimmt zu Laufen und Sprung.

3. Von
[75]
3. Von der Kammerzofe bis zur Viehmagd be-

fande

Sich alles geputzt im feſtlichen Gewande,

Und vom Schweinhirten bis zum Leiblakei

Prangte jeder in Sonntagslivrei.

4. Alle Schornſteine des Schloſſes ſchmauchten,

Mehr als hundert Kochtoͤpfe dampften und

rauchten,

Und dreißig Braten, theils zahm, theils

wild,

Wurden am Feuer gahr und mild.

5. Auch viel Flaſchen ſtunden mit allerlei Weine

Aus Ungarn, Frankreich, Spanien und vom

Rheine

Theils leicht beſtoͤpfelt, theils verpitſchirt

In zierlicher Ordnung aufrangirt.

6. Ein Chor fruͤh verſammelter Violiniſten,

Floͤtiſten, Hautboiſten, Waldhorniſten,

Saß bei Schnaps und Notenmuſik

Und machte im Vorhaus zur Probe ein

Stuͤck.

7. Kurz, alle Anſtalt ſchien zu prophezeien

Ein großes Triumphiren und Jubeleien;

Denn die gnaͤdige Herrſchaft feierte heut

Ihre ſogenannte ſilberne Hochzeit.

8. Es
[76]
8. Es erſchienen zu dieſem herrlichen Feſte

Fruͤhzeitig viele eingeladene Gaͤſte

Vom benachbarten Adel, zu Kutſch und zu

Roß,

Auf das freiherrliche Ohnwitzer Schloß.

9. Der ganze Vormittag ging ſchier zu Ende

Mit Scharrfuͤßmachen und Kuͤſſen der Haͤnde,

Und Komplimenten und Gratulation,

Nach dem gewoͤhnlichen vornehmen Ton.

10. Mittlerweile ward auf dem gepflaſterten

Saale

Alles bereitet zum hohen Mittagsmahle

Und der Hoͤrner und Trompeten Schall

Gab zum Sitzen das frohe Signal.

11. Es wurde da alles recht fuͤrſtlich gehalten,

Man aß herrlich und trank bloß alten;

Herr Doktor Jobs, der vor allen mit aß

Sprachs Benedicite und Gratias.

12. Auch konnten an einigen Nebentiſchen

Sich noch andre eingeladene Gaͤſte erfriſchen,

Sie waren alle nur von Buͤrgerart

Saßen folglich, wie billig war, a part.

13. Zum Exempel: der Hausadvokate,

Welcher ſein Glas fleißig leeren thate,

Und nebſt dem dicken Juſtitiar

Am erſten von allen berauſchet war;

14. Auch
[77]
14. Auch einige geiſtliche Freunde des Hauſes

Gleichfalls keine Veraͤchter eines guten

Schmauſes,

Item der herrſchaftliche Sekretaͤr,

Und der gnaͤdigen Frauen Leibaccoucheur.

15. Alle leerten als bekannte brave Zecher

Fleißig ihre gefuͤllten großen Becher,

Und trunken im hochedlen Rebenſaft

Aufs hohe Wohl der gnaͤdigen Herrſchaft.

16. Da hatten nun der gnaͤdige Herr und gnaͤ-

dige Frau, beide,

Ihren tauſend Spaß und uͤbergroße Freude,

Denn ein jeder Betrunkner war

Auf ſeine eigne beſondre Art ein Narr.

17. Auch ein in der Nachbarſchaft wohnender

Poete

Hatte von dieſer bevorſtehenden Fete,

Durch die Poſaune der Fama, Wind,

Und verfertigte drauf ein Carmen geſchwind;

18. Kam alſo, kurz vor der Mahlzeit, herbei-

ſchleichen,

That das Carmen mit tiefſter Reverenz uͤber-

reichen

Und empfing hoͤchſt gratioͤs davor

Ein Almoſen von zwei blanken Louisd’or;

19. Wurde dabei aus uͤberſchwenglichen Gnaden

Mit an die Nebentafel eingeladen,

Saß
[78]
Saß aber, wie man leicht denken kann,

Wegen ſeines kahlen Rockes, unten an.

20. Man ſchenkt’ ihm oft ein und er ward trunken;

Dies erregte nun ſehr ſeine poetiſchen Funken,

Und man transportirte ihn mit guter Ma-

nier,

Weil er zu laut wurde, vor die Thuͤr.

21. Der Reſt des Tages verſtrich unter Tanz

und Springen

Und derlei zeitvertreiblichen ſchoͤnen Dingen;

Abends war ſchoͤne Illumination

Wobei man eine Tonne Oel verbronn.

Siebenzehntes Kapitel.


Wie der junge Herr das Eiſen ſchmieden will,
weil es noch warm iſt, und wie es ihm
damit nicht ganz nach Wunſch erging.


1. Nach und nach verloren ſich vom Balle

Gaͤſte und Gaͤſtinnen, meiſt paarweiſe, alle,

Stammelten ihren ſchuldigen Dank;

Die meiſten waren berauſchet und krank.

2. Frau Hochzeiterin und Herr Hochzeiter

Waren heute auſſerordentlich heiter;

Doch
[79]
Doch zweifle ich ſehr, obs ganz ſo war,

Wie heute vor fuͤnf und zwanzig Jahr.

3. Dieſe Stimmung ſchien in puncto und von we-

gen

Seiner Liebe, dem jungen Baron ſehr gele-

gen;

Denn er dachte, nach dem Spruͤchwort ſey’s

gut

Das Eiſen zu ſchmieden, wenn’s iſt in Glut.

4. Er ſchritt alſo, obgleich aͤngſtlich und bloͤde

Bei ſeinen Eltern zur noͤthigen Vorrede,

Und bate ſie auſſerordentlich ſehr

Um ein geneigtes geheimes Gehoͤr.

5. Man iſt drauf ins Apartement gegangen,

Und da hat der junge Herr den Text angefan-

gen,

Und machte ihnen den ſchrecklichen Brand

Seines Herzens zu Mamſel Eſther be-

kannt.

6. Der alte Herr wurde hoͤchſt ſehr frappiret,

Faſt haͤtte ihn die Apoplexie geruͤhret,

Und die gnaͤdige Frau von Ohnewitz

Fuhr zuſammen, als traͤf ſie der Blitz.

7. Allgemach hat man ſich ein wenig geſammelt

Ihm etwas Zweideutiges als Troſt zugeſtam-

melt;

Denn
[80]
Denn man merkte aus ſeiner Sprache wohl

Die Sache ſey zu ernſthaft und toll.

8. Er iſt bald nach dem Schlafgemach geſchieden;

Die Sache war zwar noch nicht nach Wunſch

entſchieden,

Aber ſein Herz war doch ein Centner und

mehr

Leichter, als es geweſen vorher.

9. Aber ſeiner Eltern zaͤrtlichen Herzen

Erregte dieſe neue Maͤhr heftige Schmerzen;

Denn eine ſolche buͤrgerliche Heirath

War ihnen eine unverantwortliche That.

10. Ihr Sohn hatte ſich ſeit ſeinen Kindestagen

Immer gehorſam und vernuͤnftig betragen,

Nun aber wollte er was fangen an,

Was kein Herr von Ohnwitz noch je gethan.

11. Verſalzen ware nunmehro bei beiden

Die Suppe ihrer heutigen großen Freuden,

Und der froh angefang’ne Hochzeitstag

Nahm ein End mit Schrecken und Unge-

mach.

12. Aber ſo gehts, auf einen hellen und frohen

Morgen

Folgt oft ein Abend neblicht und voll Sorgen,

Und wo ein Heilgen-Haus iſt, hat auf der

Stell

Nahe dabei der Schwarze eine Kapell.

13. Was
[81]
13. Was weiter hinter der Gardine paſſiret,

Und wie man uͤber die Sache deliberiret,

Nemlich, wie ſolche anzugreifen ſey

Weiß ich nicht, denn ich war nicht dabei.

Achtzehntes Kapitel.


Enthaͤlt allerlei Anſtalten, pro und contra.


1. Herr Jobs ward Tags drauf zu Rath

gezogen

Und da hat man alles vernuͤnftig erwogen,

Und es folgte zuletzt der Schluß:

Weit davon ſeye gut fuͤr’n Schuß.

2. Das heißt: aus Erfahrung hat man oft ge-

lernet,

Daß, wenn man Stroh vom Feuer entfernet,

Nicht ſo leicht ein Ungluͤck oder ein Brand

In Scheunen und Herzen nimmt uͤberhand.

3. Das Beſte ſey folglich die Liebenden zu trennen,

Vielleicht wuͤrde es dann wohl aufhoͤren zu

brennen;

Weil eine perſoͤnliche Abweſenheit

Oft tilget die Freundſchaft und Zaͤrtlichkeit.

Jobſiade 3ter Theil. F4. Der
[82]
4. Der Baron ſollte alſo nicht lange anſtehen

Italien, England und Frankreich zu beſehen,

Mittlerweile wuͤrde er in ſeinem Gefuͤhl

Fuͤr Mammeſel Eſther vielleicht kuͤhl.

5. Eine Signora, Ladi oder Marquiſe,

Die das Ohngefaͤhr ihm irgendwo anwieſe,

Wuͤrde in Rom, London oder Pareis

Ihn dann vollends bringen ins rechte Ge-

leis.

6. Er hat deswegen von ſeinen lieben Alten

Den Befehl zur Reiſe vorlaͤufig erhalten;

Es iſt leicht zu denken, wie delikat

Ihm dieſe Ankuͤndigung ſchmecken that.

7. Aber um dieſe Pille zu vergulden,

Rieth man ihm ſich wegen Eſthers zu gedulden,

Bis etwa zu ſeiner Zuruͤckkunft Friſt

Einſt geſchehen moͤchte, was Rechtens iſt.

8. Aller Umgang und ferners Kareſſiren

Muͤſſe indeſſen zwiſchen ihnen ceſſiren.

Dieſes verſprach der Baron nun wohl,

Doch eben nicht auf Kavaliersparol.

9. Drum hat er vor wie nach, vor der Abreiſe

Auf verſchiedene klug erſonnene Art und Weiſe,

Meiſt aber Abends und bei der Nacht,

Bei Eſther einige Augenblicke zugebracht.

10. Das
[83]
10. Das gab dann ein Gewimmer und Lamen-

tiren,

Daß es einen Stein haͤtte moͤgen erbarmen

und ruͤhren,

Denn die Trennung iſt ein ſehr bitteres

Kraut,

Und verwundet der Liebenden Herz und

Haut.

11. Es ward auch zu beiderſeitigem Erquicken

Verabredet, ſich fleiſſig Brieflein zu ſchicken,

Und ’nen ehmaligen Diener des Baron

Waͤhlte man zum Liebespoſtillion.

12. Dieſer hatte ſeit ſehr geraumen Jahren,

Die Kutſche der Herrſchaft zu Ohnwitz gefah-

ren,

Und nun ohnlaͤngſtens als Veteran

Seine eig’ne kleine Wirthſchaft gefangen an.

13. Schon zu des alten Herren Jugendzeiten

Beſaß er in Beſtellung der Liebesangelegen-

heiten,

Zu aller Menſchen Verwundernuß

Eine beſondere Fertigkeit und Habitus.

14. Er hieß Juͤrgen und war nun in allen Ehren

Auch willig zu des jungen Herrn Liebesbegeh-

ren,

Und uͤbernahm in dieſem Fall der Noth

Gegen gute Geſchenke den Briefdepot.

F 215. Uebri-
[84]
15. Uebrigens qualificirt ſich dieſer Titel

Der Liebesbriefe zu ’nem neuen Kapitel

Ich will darum mit moͤglichſtem Fleiß

Alles Noͤthige ſagen, was ich davon weiß.

Neunzehntes Kapitel.


Dieſes Kapitel enthaͤlt manche ſchoͤne Betrach-
tung uͤber Liebesbriefe in Genere.


1. In Genere iſts um die verliebte Briefſprache

Eine gar kurioſe und ſehr naͤrriſche Sache,

Denn durchgehends gebraucht man hie

Eine eigene beſondre Terminologie.

2. Da ſchlagen oft gar fuͤrchterliche Flammen,

Ueberm Kopfe der Verliebten zuſammen;

Und wenn man’s eigentlich beſieht bei Licht,

So brennts nur auf dem Papier, ſonſt nicht.

3. Man ſpricht drin von ſich todt ſtechen und

ſterben

Und von vielem Weinen, wovon die Augen

verderben;

Und eigentlich verſpruͤtzt man doch kein Blut,

Und die Augen verbleiben klar und gut.

4. Da laͤßt man’s an Pretioſis nie fehlen,

Da ſind in Menge Perlen und Juwelen

Und
[85]
Und ſuͤßer Nektar und Ambroſia

Und Gold aus Peru und Arabia.

5. Da finden ſich Muͤndchen von Karmin und

Korallen,

Und Aeuglein heller wie geſchlif’ne Kryſtallen,

Haͤlſe von Alabaſter und Elfenbein,

Herzen von Demant und Marmorſtein.

6. Man ſpricht von Sympathien und Magne-

ten,

Anziehenden Kraͤften und Elektricitaͤten,

Und bei jedem dieſer phyſiſchen Dingen hat

Eine beſondere myſterioͤſe Deutung ſtatt.

7. Da giebts Veilchen, Roſen und ſchoͤne Nel-

ken,

Vergißmeinnichtchen, die nie verwelken,

Tauſendſchoͤn, Maybluͤmelein, Jesmin,

Sonnenblumen und die ſchwere Meng Im-

mergruͤn.

8. Bei etwa geringern Liebesprogreſſen

Spricht man jaͤmmerlich von Mirthen und

Zypreſſen,

Von Todtenkraͤnzen, Yſop und bitterm

Wermuth,

Und was man bei Leichen gebrauchen thut.

9. Es kommen auch nach der allgemeinen Regel

Drin vor allerlei Gethiere und Gevoͤgel,

Vor-
[86]
Vorzuͤglich die bekannte Philomel

Iſt darin des Sommers ohne Fehl.

10. Item, anmuthiggirrende Turteltaͤubchen

Auch Sperlinge, Haͤnflinge, Maͤnnchen und

Weibchen,

Auch wohl ein Zeiſig oder Diſtelfink,

Imgleichen mancher bunter Schmetterling.

11. Zuweilen gar grauſame Loͤwinnen

Und unbarmherzige Tigerinnen,

Aber doch meiſt manch Schaͤfchen und

Lamm

Sanftmuͤthig, dumm, geduldig und zahm.

12. So gar Geſchoͤpfe aus hoͤhern Regionen,

Engel und Sylphen zu Millionen,

Und ſelbſt der kleine blinde Gott Amor,

Kommen in derlei Briefen oft vor.

13. Sonne, Kometen, Nordlicht und Sterne

Gebraucht man in den Liebesbriefen auch gerne;

Beſonders aber wird der liebe Silbermond

Am wenigſten von allen Planeten geſchont.

14. Noch tauſend und mehr andre Hieroglyphen

Sehr gebraͤuchlich in Liebesbriefen,

Trift man in jedem bekannten Roman

Der aͤltern und neueren Zeiten an.

15. Man haͤlt es auch nicht fuͤr ſehr uneben

Seiner Schoͤnen einen zartern Namen zu ge-

ben,

Oder,
[87]
Oder, iſt der Taufname etwa zu dumm

So aͤndert man ihn wohl ganz und gar um.

16. Da ſagt man zum Exempel: ſtatt Karo-

line, Line,

Statt Leopoldine Poldchen oder Dine,

Imgleichen Trina ſtatt Katarein,

Item Beta ſtatt Elſabein.

17. Da kommt oft vor: Stella, Minna, Reta,

Imgleichen Bella, Zinna und Meta;

Namen, welche bisher in Deutſchland,

Auſſer in Romanen, ſind unbekannt.

18. Ferner lieſet man ſtatt Klara, Klaͤre,

Und wie im gegenwaͤrt’gen Caſu, ſtatt Eſther,

Stehre;

Statt Wilhelmina, Mina und ſofort,

Wie zu ſehen am gehoͤrigen Ort.

Zwan-
[88]

Zwanzigſtes Kapitel.


Anweiſung zum neueſten verliebten Briefſtile,
in feinen Exempeln, nach Siegwart und
Werther; oder, von der Liebeskorrespondenz
des jungen Barons und der Mamſel Eſther
in Specie.


[figure]
1. In dem vorherbeſchriebenen Kraftſtile

Klagte nun auch der Baron ſeine Gefuͤhle,

Und der vorſtehenden Trennung Ungemach

Mit untermengtem manchen O! und Ach!

2. Denn er hatte viele Romanen ſtudiret,

Hier und da auch vielleicht excerpiret,

Wo
[89]
Wo er was herzzerbrechendes las,

Und dieſes kam ihm nun trefflich zu paß.

3. Eſther aber, nicht in dergleichen beleſen

Machte mit ihren Briefen weniger Weſen,

Und antwortete gewoͤhnlich kurz nur

Ohne Kunſt, bloß nach der Natur.

4. Hier erfolgen einige genaue Kopeien;

Der Leſer wird mir dieſes hoffentlich verzeihen,

Weil mancher verliebter junger Mann

Sie als Briefmuſter weiter gebrauchen

kann.

5. „Ach, meine Stehra! Auserwaͤhlte! Ge-

liebte!

„Denke wie mich der Donnerantrag betruͤbte:

„Meine Eltern ſagten mir geſtern, ich ſoll

mich

„Trennen, o wer weiß wie lange? von dich!

6. „Mir iſt zugleich der Blitzbefehl ernſtlich ge-

ſchehen:

„Dein Engelsgeſicht nicht mehr ſo oft zu ſe-

hen —

„Dich meine Beſte! — Du Einzige!

„Gar nicht mehr perſoͤnlich zu ſprechen —

Au weh!

7. „Aber ich wills hoch und theuer beſchwoͤren;

„Dich ewig zu lieben ſoll mir niemand wehren,

„Und
[90]
„Und meines Herzens treue Sympathie

„Soll fuͤr dich — du Himmliſche! verloͤ-

ſchen nie.“

8. Antwort: Mein Schatz! was du mir haſt

geſchrieben,

Thut mich innerlich in der Seele betruͤben,

Denn ich halte der kuͤnft’gen Trennung

Graus

Gewißlich keine acht Tage dir aus.

9. Mein Herz iſt krank und meine Augen flieſſen,

Ich thue dich hunderttauſendmal begruͤſſen,

Und bleibe immer und ewig dabei:

Lieber geſtorben als ungetreu.

10. „O mein Engel! mein Seraph! meine

Stehre!

„Vormals ſchwamm ich in ’nem Wonnemeere,

„Und ein Blick aus den blauen Augen von

Dir

„War mehr als Gold und Seligkeit mir.

11. „Aber bald, ach bald ſoll ich dich verlaſſen

„Mein banges Herz vermag dies nicht zu faſſen,

„Es tobt wuͤthend und ich erliege faſt,

„Unter dieſer ſchweren Centner-Laſt.

12. „Drauſſen wall ich in Waͤldern auf und nie-

der,

„Horche nicht mehr auf der Voͤgel zaͤrtliche

Lieder.

„Mir
[91]
„Mir duftet nicht mehr das Bluͤmchen im

Thal,

„Mir laͤchelt nicht mehr der freundliche

Mondſtrahl.“

13. Antwort: Wenn der ganze Himmel Pa-

pier waͤre,

Und alle Sternen Schreiber und Sekretaͤre,

Und ſchrieben fort bis zum juͤngſten Gericht,

So klecksten ſie doch zur Beſchreibung mei-

ner Liebe nicht.

14. Darauf kannſt Du Dich gar ſicher verlaſſen,

Wir wollen uns alſo in Geduld faſſen,

Du bleibeſt, trotz aller Trennung! mein,

Und ich will ewig deine Stehra ſeyn.

15. „O wie war die Nacht ſo ſchlaflos, ſo trau-

rig!

„Wie heulte der Sturm drauſſen ſo ſchaurig!

„In meiner geaͤngſtigten Seele bruͤllt

„Ein Sturm, noch weit ſchauriger und wild.

16. „Ach, meine einzige Goͤttin! meine Cythere!

„Du, mir mehr als [Himmel]! meine Stehre!

„Schwebſt im reizenden Bilde immer vor

mir —

„Ach waͤr ich heute ein Stuͤndchen bei

Dir — —

17. Ich
[92]
17. „Ich wollte gerne, um dich perſoͤnlich zu ſe-

hen,

„Durchs Feuer und uͤber Eisgebirge ge-

hen — —

„Denn Dein lieblich laͤchelndes Angeſicht

„Erquickt mich mehr als des Monds Sil-

berlicht.“

18. Antwort: Mein Liebſter! freilich die

Nacht war boͤſe,

Ich hoͤrte auch des Sturms Bruͤllen und Ge-

toͤſe,

Und ich habe auch, wie Du, die ganze

Nacht

An Dich denkend, ſchlaflos zugebracht;

19. Komme heute Abend um eilf Uhr in Garten,

Da will ich Dich mit ofnen Armen erwarten;

Brauchſt da nicht uͤber Eisgebirge zu gehn,

Denn der Weg dahin iſt gruͤn und ſchoͤn.

20. „Amor huͤpft um mich mit ſeinen Gehuͤlfen,

„Goͤttliches Maͤdchen! mich umtanzen Syl-

phen

„Und wie der ſilberne Waſſerquell

„Iſt nun meine duͤſtre Seele hell.

21. „Der heil’ge keuſche Mond wird uns laͤcheln

„Zephyr wird uns in den Abendſtunden faͤcheln;

„Ich eile auf der Liebe ſchnellen Fittich

„Und bin um eilf Uhr praͤcis bei dich.

22. „Hoch
[93]
22. „Hoch pocht mein Herz voll von tauſend

Dingen

„Ich kann Dir meine Gefuͤhle nicht alle ſin-

gen;

„Aber dann ſink ich fuͤr ſeligen Schmerz

„Du meine Auserwaͤhlte! an dein Herz.“

23. Antwort: Ich hoff’, es werd nicht an Ge-

legenheit fehlen,

Mich langſam aus dem Pfarrhauſe zu ſtehlen,

Es bleibet dabei: mein Schatz! komm nur

Im Garten zu mir um eilf Uhr.

24. „Schon in beinah anderthalb bangen Tagen

„Habe ichs Dir muͤndlich nicht koͤnnen ſagen

„Wie, meine Grazie! Dein goͤttliches

Bild

„Meine liebevolle Seele erfuͤllt.

25. „Kronen und Reiche wollte ich gerne hin-

geben,

„Um mit Dir ewig verbunden zu leben,

„Und weder Teufel noch die ganze Hoͤll

„Tilget Dein Bild aus meiner Seel — —

26. „Ach! die Fuͤhlloſen! Ach! die Tyrannen!

„Die mich von Deiner Seite wollen verban-

nen!!

„Aber poſito man trennte auch Dich und

mich,

„So ſchlaͤgt doch immer mein Herze fuͤr

Dich — —

27. Ant-
[94]
27. Antwort: An Deiner Liebe hab ich keinen

Zweifel,

Aber ich bitte Dich, ſprich nicht ſo viel vom

Teufel,

Denn mir grauſet jedesmal recht ſehr,

Wenn ich ſeinen Namen nur nennen hoͤr.

28. Hofnung auf guͤnſtige kuͤnftige Zeiten,

Sollen uns in der Liebe immer begleiten;

Das uͤbrige ſag ich dieſen Abend muͤndlich,

Und erwarte an gewoͤhnlichem Orte Dich.

29. „Morgen — ach! Morgen droht die fuͤrch-

terliche Stunde

„Lange Trennung unſerm zaͤrtlichen Bunde,

„Denn, himmliſches Maͤdchen! Ach! es iſt

„Alles zur Abreiſe zugeruͤſt’t.

30. „Laß mich noch einmal beim keuſchen Mond-

lichte

„Sehn Dein unvergeßlich Seraphinsgeſichte,

„Und gieb, weil es nun ſo ſeyn muß,

„Mir zur Staͤrkung den Abſchiedskuß.

31. Antwort: Ach! ach! werd ichs auch koͤn-

nen ertragen,

Dir das letzte Lebewohl muͤndlich zu ſagen

Ohne daß mein empfindliches Herze nicht

In hunderttauſend Stuͤcke zerbricht!!

32. In-
[95]
32. Indeſſen, mein Geliebter! ich will im Gar-

ten

Dich zur gewoͤhnlichen Stunde erwarten

Und da nehm ich, weils ſo ſeyn muß,

Deinen zaͤrtlich getreuen Abſchiedskuß.

33. Es ſind dergleichen Billetsdoux noch mehre

Gewechſelt zwiſchen dem Baron und ſeiner

Stehre;

In des Barons ſeinen ware lauter Unſinn,

Und in Stehrens ihren nicht viel Ver-

nuͤnftiges drin.

34. Ich will alſo dieſe Materie enden,

Und mich lieber zu einer andern wenden,

Und verweiſe allenfalls uͤber dies Stuͤck

Auf Siegwart, Werther und Kon-

ſorten zuruͤck.

Ein
[96]

Ein und zwanzigſtes Kapitel.


Ade! der junge Herr reiſet ab.


1. Nicht immer kann man in Roſen ſich baden

Man muß auch oft durch dick und duͤnne wa-

den,

Denn ſo iſt es auf unſrer Lauſewelt

Leider! von Alters her, beſtellt.

2. Das heißt: Wir koͤnnen manch angenehmen

Biſſen

In unſerm Erdenleben hier und da genieſſen,

Und der thut gar nicht uͤbel dran

Ders gute mitnimmt, wenn ers kriegen

kann;

3. Aber es iſt uns auch manches bitteres Eſſen,

Mancher Kummer, manches Leid zugemeſſen,

Und da iſt nun mein Rath unmasgeblich,

Daß man geduldig drin ergeb’ ſich.

4. Auf dieſe ſehr vernuͤnftige Reflexiones

Hat mich zum Gluͤck die Abreiſe des Barones

Und ſeine Trennung von Stehre gebracht;

Ich haͤtt’ ſie ſonſt nicht aus mir ſelbſt ge-

macht.

5. In der Nacht vor ſeiner Abreiſe

Hatte er und ſeine Geliebte verſtohlnerweiſe

Noch
[97]
Noch eine Zuſammenkunft zu guter Letzt,

Wie wir oben gehoͤrt haben, angeſetzt.

6. Da gabs hinc inde ein Gewimmer, ein Gewim-

mer,

Ein Gewimmer, wie es vielleicht nimmer

Zwiſchen zwei Verliebten je geſchehn,

Welche ſich zu Nachts alleine ſehn.

7. Ich vermags nicht in extenſo zu beſchreiben,

Wie weinerlich es ſie allda mochten treiben,

Meine Augen wuͤrden dabei zu naß,

Und zu leer an Dinte mein Dintenfaß

8. Es ward da noch einmal mit den feierlichſten

Eiden

Die ew’ge Treue befeſtigt zwiſchen beiden,

Und Frau Echo mit ihrem Widerhall

Bekraͤftigte alles dazu noch dreimal.

9. Auch hat man unverbruͤchlich abgeſprochen

Sich Briefe zu ſchreiben wenigſtens alle vier

Wochen

Durch die bishero gebrauchte Adreß,

Damit einer den andern nicht vergeß.

10. Schon oͤfnete die alte Jungfer Aurore

Droben die ſchoͤnblauen Himmelsthore

Und erſchien im Roſenkleide huͤbſch und fein

Und Herr Phoͤbus kutſchirte hinter drein.

Jobſiade 3ter Theil. G11. Das
[98]
11. Das iſt verdolmetſchet in der gewoͤhnlichen

Sprache:

Man blieb beiſammen bis der Morgen an-

brache,

Und endlich unter vielem Ach und Weh

Erfolgte das ſchmerzlichſte Adieu.

12. Ach! ach! das letzte Kuͤſſen und Umarmen

War eine Scene jaͤmmerlich und zum Erbar-

men,

Bis zuletzt ein jeder fuͤr ſich

Mit roth geweinten Augen nach Hauſe

ſchlich.

13. Als hernach circa ein Viertel nach neun auf

der Uhre,

Der junge Baron von Ohnewitz wegfuhre

Und Eſther ihm im Wagen nachſah,

Fiel ſie in eine Ohnmacht beinah.

14. Sie iſt auf ihr Zimmer alleine gegangen,

Thraͤnen rollten reichlich von ihren Wangen,

Ein Schnupftuch verhuͤllte Stirn und Ge-

ſicht

Und ſie aß und trank den ganzen Tag nicht.

15. Klagte auch ſchrecklich uͤber Kopfſchmerzen,

Und winſelte uͤber Druͤcken und Noth am Her-

zen,

So daß ihr Bruder faſt drob erſchrack,

Obgleich er merkte was dahinter ſtack.

16. Auch
[99]
16. Auch der junge Herr im Reiſewagen

War ſimiliter ſehr zu beklagen

Denn man ſah’s ihm gar deutlich an,

Es ſey ihm innerlich was angethan.

17. Ich ſelbſt habe ihn zwar nicht geſehen,

Doch kann ich es wohl von ſelbſt verſtehen,

Und jeder andrer Vernuͤnftiger ſchließt dieß

Aus den vorhergegangenen Praͤmiſſis.

18. Indeſſen bekam er bald wieder Kuraſche,

Denn er hatte eine ſchoͤne Equipaſche,

Und gutes Reiſewetter, und ſaß bequem,

Und hatte in ſeiner Schatulle noch auſſer-

dem

19. Nicht allein baares Geld wie Haͤckſel,

Sondern auch manche wichtige Wechſel

Samt und ſonders ſo eingericht’t,

Daß ſie gleich bezahlt wurden nach Sicht.

20. Ja ſo gar ſchriftliche Rekommendationen

An viele hohe und beruͤhmte Perſonen;

Und ſo haͤtte ich ohne eigenes Geld

Mit ihm reiſen moͤgen durch die halbe Welt.

Zwei
[100]

Zwei und zwanzigſtes Kapitel.


Hier wird kuͤrzlich erzaͤhlet, was ſich auf der
Reiſe, mit dem jungen Herrn haͤtte zutragen
koͤnnen.


1. Hier koͤnnte ich nun vieles herleiern

Von ſeinen auf der Reiſe gehabten Abenteuern,

Und was er in jeder fremden Stadt

Merkwuͤrdigs gehoͤrt und geſehen hat.

2. Ich koͤnnte, um dieſes Kapitel gemaͤchlich zu

fuͤllen,

Aus manchen alten und neuen Reiſepoſtillen,

Und aus Berkenmeyer und Buͤſching

Hervorſuchen manch geographiſches Ding.

3. Ich koͤnnte erzaͤhlen daß er zum Vergnuͤgen

In der Schweiz die gefaͤhrlichen Gletſcher be-

ſtiegen,

Und daß er in dieſem arkadiſchen Land

Manche reizende Alpenſchaͤferin fand.

4. Ich koͤnnte erzaͤhlen von praͤchtigen Kunſtwer-

ken,

Welche damals in Rom waren zu bemerken,

Ob ſie gleich von den Herrn Franken nach

der Hand

Wurden nach Paris ins Muſaͤum geſandt.

5. Ich
[101]
5. Ich koͤnnte erzaͤhlen von Kardinaͤlen und Praͤ-

ten,

Von ſchoͤnen Saͤngerinnen und von Kaſtra-

ten,

Von dem großen Sankt Peters Dohm

Und raren Antiquitaͤten in Rom.

6. Ich koͤnnte erzaͤhlen von den pomtiniſchen

Suͤmpfen

Und von den italiaͤniſchen Freudennymphen

Und vom feuerſpeienden Berg Veſuv,

Alle drei im ungeſunden und ſchmutzigen

Ruf.

7. Ich koͤnnte erzaͤhlen von Redouten und Mas-

keraden,

Wozu man ihn zum oͤftern eingeladen,

Und von Gondelfahrten und vom Karneval,

Und manchem praͤchtigen Concert und Bal.

8. Ich koͤnnte erzaͤhlen von großen Bibliotheken,

Von gelehrten Denkmaͤlern und alten Schar-

teken,

Welche er im Lande Italia,

Oder ſonſt wo, mir nichts dir nichts, beſah.

9. Ich koͤnnte erzaͤhlen, wie er nach anderthalb

Jahren

Erſt nach Frankreich, dann nach England ge-

fahren,

Und
[102]
Und wie er nach manchem begafften Ding,

So klug als vorher, wieder nach Hauſe

ging.

10. Ich wuͤrde noch viel mehr erzaͤhlen koͤnnen,

Allein ich muß es offenherzig bekennen,

Daß ich waͤhrend ſeiner ganzen Reiſ’

Von dem jungen Herrn nichts weiter weiß,

11. Als daß er fleiſſig an ſeine Stehre geſchrie-

ben,

Ihr auch abweſend immer getreu verblieben,

Und daß in langer Zeit kein andrer Menſch

Etwas erfuhr von dieſer Korreſpondenſch.

Drei und zwanzigſtes Kapitel.


Wie die Korreſpondenſch der beiden Liebenden
an den Tag kommt, und wie Juͤrgen zur Ver-
antwortung gezogen wurde und Eſther nach
Rudelsburg verſchickt wurde.


1. Jedoch fiele einmal von ohngefaͤhre

Ein Brief des Barons an ſeine liebe Stehre

Dem alten Herren in ſeine Hand,

Und da wurde die Korreſpondenz bekannt.

2. Er
[103]
2. Er muſte drin mit großem Verdruſſe leſen,

Daß alles noch war, wie es vormals geweſen,

Und daß der Briefwechſel je laͤnger je mehr

Die Liebe des einen zur andern naͤhr.

3. Der Veteran Juͤrgen muſte ſein Vergehen

Vorab bereuen und umſtaͤndlich geſtehen,

Und er kam zum Liebesbotenlohn

Mit achttaͤgigem Arreſte davon.

4. Um aber den fernern Briefwechſel bei Stehren

Fuͤr die Zukunft voͤllig abzuwehren,

Beſchloß man dieſelbe heimlich alſofort

Zu verſchicken an einen andern Ort.

5. Zwoͤlf Meilen von Ohnwitz lag ein kleines

Guͤtchen, nahe am Ufer diſſeits des Rheines,

Wo mit dem Ohnwitzer Hauſe verwandt

Frau von Rudelsburg ſich ſeßhaft befand.

6. Dahin ward dann Eſther rekommandiret

(Ihr Herr Bruder ſelbſt hat ſie eskortiret)

Als eine Jungfer Geſellſchafterin,

Und Eſther ergab ſich geduldig drin.

7. Ob alle Fehde ſich hiemit geendet,

Oder das Blatt ſich etwa anders gewendet

Und was ſonſt wichtiges noch geſchehn,

Das alles wird man in der Folge ſehn.

Vier
[104]

Vier und zwanzigſtes Kapitel


Wie die Revolution der Neufranken einen
Einfluß hat auf das Schickſal des Herrn
Jobs und der adlichen Herrſchaft zu Ohn-
witz, und wie ſie emigriren muͤſſen.


1. Nichts iſt wunderlicher als das menſchli-

che Gluͤcke,

Es veraͤndert ſich oft in einem Augenblicke,

Es iſt, nach dem Spruͤchwort, kugelrund

Und bald oben bald unten, bald weiß bald

bunt.

2. Das haben, beſonders ſeit ein halb Dutzend

Jahren,

Viele große Herren hier und da erfahren,

Koͤnige, Prinzen, Grafen und Duͤc’s

Fuͤhlten bekanntlich den Wechſel des Gluͤcks.

3. Es erniedrigt und ſtuͤrzt bald jenen bald dieſen,

Macht Sprachmeiſter aus ehmaligen Mar-

quiſen

Und aus Comten, Chevaliers und Meſſioͤrs

Tanzmeiſter, Friſoͤrs und Servitoͤrs.

4. Es necket Großmeiſter, Dogen und Hohe-

prieſter,

Favorittinnen und fromme Staatsminiſter,

Und es iſt ihm durchaus einerlei,

Wes Standes oder Wuͤrden jemand ſey.

5. Ja,
[105]
5. Ja, warlich! man muß billig erſtaunen

Ueber der Frau Fortunens Wechſellaunen;

Wir machen indeſſen nur hievon

Auf Herrn Pfarrer Jobs Applikation.

6. Daß dieſer ein wahrer Gluͤcksball geweſen,

Haben wir im erſten und zweiten Theile

geleſen

Und daſſelbe iſt nun abermal

Im jetzigen dritten Theile der Fall.

7. Nemlich es war damals die Epoche der Ohne-

hoſen,

Und in Deutſchland hauſete ein Heer von Fran-

zoſen

Auch predigte man zu derſelbigen Zeit

Ueberall von Freiheit und Gleichheit.

8. Auch in Ohnwitz ſchien unter einigen Leuten

Sich der Sanskuͤlottismus hier und da zu

verbreiten,

Und Herr von Ohnwitz fuͤrchtete fuͤr ſein

Theil

Daraus endlich ein großes Unheil.

9. Hat drum dem Herrn Pfarrer Jobs aufgetra-

gen,

Auf der Kanzel einmal der Gemeine zu ſa-

gen,

Sie ſollten ſehn den bibliſchen Spruch an:

Ein jeder ſey der Obrigkeit un-

terthan.

10. Die-
[106]
10. Dieſer hat dann auch dergeſtalten

Bald drauf eine ſcharfe Predigt gehalten,

Welche als einzig ſtark in ihrer Art,

Gleich auch im Drucke gegeben ward.

11. Nicht allein in der Ohnwitzer Gemeine,

Sondern auch in der ganzen Gegend am

Rheine

Wurde dieſelbe verbreitet im Land

Folglich auch den Herren Franken bekannt.

12. Sie haben ſich dieſes ad notam genommen,

Und als ſie ex poſt nach Ohnwitz gekommen,

So hieß es: le Diable emportera

Le Curé d’Ohnviz ce Coquin la!

13. Kaum konnte er in dieſen dringenden Noͤthen

Sich eilig genug aus dem Dorfe retten,

Und brachte nichts auf der Flucht davon,

Als mit genauer Noth ſeine eig’ne Perſon.

14. Haͤtte man ihn damals ſelbſt gefangen,

Er waͤre guillotinirt oder aufgehangen,

Doch vorlaͤufig pluͤnderte man das Pfarr-

haus

Von oben bis unten rein und gar aus.

15. Auch Herr von Ohnwitz war damals in

Großer Gefahr mit ſeiner Gemahlin,

Denn auch, ihm wenigſtens, haͤtte man

Vielleicht am Halſe was angethan.

16. Aber
[107]
16. Aber ſeine Unterthanen wagten Leib und

Leben

Fuͤr ihre gute liebe Herrſchaft hinzugeben,

Und retteten ſie mit Gewalt fuͤr diesmal,

Denn der Franken war keine große Zahl.

17. Indeſſen ware keine Zeit zu verlieren,

Herr und Frau muſten ſchleunig emigriren

Und hoͤchſtens ein Paar hundert Gulden

baar

War alles, was noch mitzunehmen war.

18. Die Franken ſind bald ſtaͤrker wieder gekom-

men,

Haben die Ohnwitzer erſchrecklich mitgenom-

men,

Und auf dem Schloſſe ward unverſaͤmt

Alles was vorraͤthig war, ausgeraͤumt.

19. Auch wurde ein Freiheitsbaum aufgepflanzet

Und luſtig ein Runda darum her getanzet

Und jeder im Dorfe nahm alsdann

Theils gern, theils ungerne, Theil daran.

20. Auch alle uͤbrige Guͤter und Schloͤſſer

Des Herrn von Ohnwitz hatten’s nicht beſſer,

Man machte es uͤberall, in groß und klein,

Wo er was beſaſſe, beſemrein.

Fuͤnf
[108]

Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Herr Jobs aͤrmlich herumwandert, und
wie er endlich im Dorfe Schoͤnhain an-
kommt.


1. Weil Herr von Ohnwitz ſich im neutralen

Lande

Mit ſeiner Gemahlin bald ſicher befande

Und nun auch, wie geſagt, mit einem Paar

Hundert Gulden baar noch verſehen war;

2. So wollen wir diesmal von ihm abbrechen

Und nur vorerſt vom Herrn Pfarrer Jobs

ſprechen,

Denn dieſer war bei ſeiner Flucht, durch-

aus

So blutarm wie eine Kirchenmaus.

3. Er ſetzte tagtaͤglich ſeinen Wanderſtab weiter,

Blieb aber dabei immer ruhig und heiter,

Schlief ſanft und troͤſtere damit ſich:

Der Himmel laͤßt die Seinen nicht im Stich.

4. Erſt beſuchte er auf der Reiſe hin und wieder

Die Herren Geiſtlichen als ſeine Amtsbruͤder,

Aber faſt alle ſchickten ihn ohn Geld und

Koſt fort,

Bloß mit einem geiſtlichen Troſtwort.

5. Drum
[109]
5. Drum ſuchte er hernaͤchſt die Prieſter und Le-

viten

Auf ſeiner Wanderung moͤglichſt zu verhuͤten,

Denn er traf durchgehends beim Samari-

tan

Groͤßers Mitleid und mehr Theilnahme an.

6. Auch fand er in kleinen laͤndlichen Huͤtten,

Ohne lange drum zu betteln oder zu bitten,

Ein freundlicher Geſicht und beſſer Quartier

Als beim reichen Buͤrger oder Kavalier.

7. Zwar verſaͤumte er nicht in Schloͤſſern und

Staͤdten

Bei Vornehmen anfaͤnglich einzutreten,

Und bote ſeine Dienſte als Kapellan

Oder etwa als Informator an.

8. Aber er hat nirgend Aufnahme gefunden

Man hielt ihn vielmehr fuͤr ’nen Vagabunden,

Fragte nach ſeinem Reiſepaß,

Und ſagte ihm, ich weiß nicht alles was.

9. Am ſechszehnten Tage der Jobſiſchen Hegire

Kam er Nachmittags zwiſchen drei und viere,

Bei einem an der Thuͤr ſitzenden alten

Mann

Hungrig und durſtig in ’nem Dorfe an.

10. Der hat ihn ſehr treuherzig invitiret,

Ihn zu ſeiner Gattin ins Haͤuslein gefuͤhret

Und
[110]
Und dieſe machte freundlich alsbald

Zu ſeiner Erquickung einige Anſtalt.

11. Erbekam Milchſuppe, Brod und gekochte Eier,

Erzaͤhlte mittlerweile ſeine Abenteuer,

Und ſo wohl der Mann als ſeine Frau

Horchten drauf, was er erzaͤhlte, genau.

12. Beide waren ſchon grau von Haaren,

Hatten ſelbſt manches Ungemach erfahren,

Und lebten hoͤchſt einfoͤrmig und knapp

Von dem, was ihre kleine Hufe gab.

13. Doch baten ſie ihren Gaſt, ſich zu beque-

men

Auch das Nachtquartier bei ihnen zu nehmen,

Und daß eine ſammetweiche Moosſtreu

Ihm in ihrer Huͤtte ſchon zu Dienſte ſey.

14. Dies hat er ihnen dann auch zugeſaget,

Weil ihm ihr Betragen auſſerordentlich be-

haget;

Ja, es kam ihm natuͤrlich vor, es ſey dies

Ein Paar wie weiland Philemon und

Baucis.

15. Der fromme Greis mit ſeinem guten Weibe

Erzaͤhlten ihrem Gaſte zum Zeitvertreibe

Manches aus alter und neuerer Zeit,

Auch ſprach man von des Dorfes Gelegen-

heit.

16. Beſon-
[111]
16. Beſonders vom Schloß Schoͤnhain, das man

in der Naͤhe

Zwiſchen dem Lindengebuͤſch aufm Huͤgel dort

ſaͤhe,

Und daß allda der vorige Schoͤſſermann

Den Bauern viel Herzeleid angethan.

17. Aber der jetztzeitige Herr Amtsſchoͤſſer

Sey kein ſolcher Schinder noch Bauernfreſſer;

Sondern grade als wenn man ſeines glei-

chen ſey,

Koͤnne jeder Bauer mit ihm ſprechen frei.

18. Als Herr Jobs nach dem Gutsbeſitzer ge-

fraget,

Haben die alten Leutchen ihm zur Antwort ge-

ſaget:

Eine Dame von gar vortrefflichen Sinn

Seye davon die Beſitzerin.

19. Sie erzaͤhlten zu ihrem Ruhme und Lobe

Manche preiswuͤrdige ſchoͤne Probe,

Verſicherten ihm dabei zugleich

Man halte ſie fuͤr unermeßlich reich.

20. Aber, leider! ſey ſie ſchon lange kraͤnklich,

Und ihr Zuſtand werde taͤglich mehr bedenklich

Und ſchon habe man ein Vorgeſchaͤft geſehn,

Daß ſie bald wuͤrde von hinnen gehn.

21. Herr
[112]
21. Herr Jobs ſpuͤrte die herzlichſte Theilnahme

An dem Schickſale dieſer ſo wuͤrdigen Dame,

Und nahm ſich alsbald feſt fuͤr,

Morgen einen Beſuch zu machen bei ihr.

22. Er vermied zwar gern große Haͤuſer und

Schloͤſſer,

Trauete auch keinem herrſchaftlichen Schoͤſſer;

Aber man hat doch nie eine Regulam

Oder ſie leidet wohl eine Ausnahm.

23. Unter ſolchen und dergleichen Geſpraͤchen

Sah man endlich die Nacht hereinbrechen,

Und Hieronimus ruhte auf der Streu von

Moos.

So ſanft als laͤg er in Abrahams Schoos.

24. Als er Morgens etwas ſpaͤte erwachet,

Hat er ſich aus dem Mooſe aufgemachet,

Ergriff ſeinen knotichten Wanderſtab,

Druͤckte dem Wirth die Hand dankbar und

reiſete ab.

25. Er wandte ſich zum Schloſſe zwiſchen den

Linden,

Um ſich wegen der Dame naͤher zu erkuͤnden,

Denn es ware als zoͤge ihn

Ein unwiderſtehlicher Trieb dahin.

Sechs
[113]

Sechs und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Herr Jobs eine alte bekannte Freundin
antrift. Eine wunderbare Geſchichte.


1. Es haben uͤberall die Vornehmen und Rei-

chen

Ihre mancherlei eigne Sitten und Gebraͤuchen,

So daß ein gemeiner ehrlicher Mann

Sich drin ſo gar gut nicht finden kann.

2. Zum Exempel: wenn man zu ihnen will ge-

hen,

Muß man erſt lange im Vorzimmer ſtehen,

Und dann laͤßt Ihre Gnaden oder Excellenz

Einen endlich gnaͤdigſt zur Audienz.

3. Ohne dieſe Bemerkung weiter zu treiben

Mag es meinethalben immer ſo bleiben;

Wenigſtens mach ich jetzt nicht davon

Auf gegenwaͤrt’gen Caſum Applikation.

4. Denn als Herr Jobs ins Schloß gekommen

Und man ſein Begehren kuͤrzlich vernommen,

Lieſſe ihn die Frau Gebieterin

Sofort noͤthigen in ihr Zimmer herin.

5. Er fand ſie im Kanapee einſam ſitzend,

Nachdenkend den Kopf auf’m Arme ſtuͤtzend,

Jobſiade 3ter Theil. HGeklei-
[114]
Gekleidet in ’nem weiſſen Negligee

Und vor ihr ſtund aufm Tiſchchen der Thee.

6. Herr Jobs fing an, gleich im Hereintreten

Seine Entſchuldigung und Kompliment her-

zubeten;

Sie blickte auf, erhob ein großes Geſchrei;

Auch Herr Jobs ſtuͤrzte naͤher zu ihr herbei.

7. Beide haben ſich alſofort erkennet,

Sich voll Erſtaunen mit ihren Namen genen-

net;

Denn die gute liebe Dame da,

War des Herrn Jobs alte Amalia.

8. Sie iſt faſt in Ohnmacht dahin geſunken,

Herr Jobs taumelte als waͤr er betrunken,

Und ſo wohl ihr als ihm erſchien

Alles vor den Augen blau, gelb und gruͤn.

9. Nach dem erſten ſehr angenehmen Schrecken

Suchte einer den andern allgemach zu wecken,

Und eine trauliche Umarmung war

Der Beweiß ganz uͤberwundner Gefahr.

10. Mir daͤucht, ich hoͤr hier den Leſer mich fra-

gen:

„Herr Autor, wie kann Er doch ſo etwas ſagen?

„Er meint gar, er haͤtte ein Kind vor,

„Daß Er uns da macht ſolchen Wind vor!

11. „Haben
[115]
11. „Haben wir nicht im erſten Theile geleſen,

„Daß Amalia lange nicht mehr geweſen,

„Sie ſtarb ja dem vier und dreißigſten Ka-

pitel nach,

„Als ſie in den Kindbetterwochen lag?

12. Ich will mich zwar eben jetzt nicht entſchul-

digen,

Bitte aber vorlaͤufig, ſich zu geduldigen;

Denn was ich erzaͤhlte war ja weiter nicht,

Als ein damals von mir geglaubtes Geruͤcht.

13. Zudem hat man ja an Herrn Jobs ſchon ge-

ſehen,

Daß Leute ſterben und wieder auferſtehen,

Und in jedem alten und neuen Roman

Trift man noch weit groͤßere Wunder an.

Sie-
[116]

Sieben und zwanzigſtes Kapitel.


Worin unter andern die im erſten Theile geſtor-
bene Amalia ihren fernern Lebenslauf erzaͤhlet.


[figure]
1. Sie ſind darauf naͤher zuſammen geruͤcket,

Haben ſich am Thee und Fruͤhſtuͤcke erquicket,

Und erfreueten beiderſeits ſich

Des Wiederſehens gar inniglich.

2. Was zwiſchen beiden vormals war geſchehen,

Wollen wir nach chriſtlicher Liebe uͤbergehen;

Aber jetzt paſſirte im mindeſten nicht,

Was nicht haͤtte koͤnnen vertragen das Licht.

3. Zwar
[117]
3. Zwar Herr Jobs hatte nichts verloren,

War von guter Poſitur wie zuvoren,

Ja ſein Korpus ware vielmehr

Seit dem Pfarrerſtande anſehnlicher.

4. Aber Amaliens Reize waren verblichen,

Seitdem ohngefaͤhr jene 15 Jahre verſtrichen,

Und es ſproßte ſchon hier und dar

Auf ihrem Kopfe ein graues Haar.

5. Auch an Koͤrperkraͤften und Taille

War ſie nicht die vor’ge ſchoͤne Amalie

Vormals war ſie rund, roth und dick

Und nun ein leibhaftig Bild der Hektik.

6. Ihre Augen vormals glaͤnzend von Liebe,

Waren nun eingefallen, dunkel und truͤbe

Und in ihrer ganzen Phyſionomie

Herrſchte eine ſtille Melancholie.

7. Nicht allein gegen Herrn Jobs war ſie ſehr

guͤtig,

Sondern auch im ganzen Weſen ſanftmuͤthig,

Und ſie ertrug ihr koͤrperliches Leid

Ohne Murren und Verdruͤslichkeit.

8. Sie fuͤhlte taͤglich die Kraͤfte mehr ſchwinden,

Hatte laͤngſt bereut ihre vorigen Suͤnden,

Und brachte nun in voͤlliger Gewiſſensruh

Ihre noch uͤbrigen Lebenstage zu.

9. Ei-
[118]
9. Eigentliche ſogenannte Liebesſachen

Waren alſo nicht weiter bei ihr zu machen,

Auch Herr Jobs fand laͤngſt nicht mehr

Geſchmack.

An jedem unſchicklichen Liebesſchnack.

10. Er muſte jedoch die Verſicherung ihr geben,

Nicht weiter zu reiſen, ſondern bei ihr zu le-

ben,

Und dieſes wuͤnſchte ſie um deſto mehr

Weil er ein geiſtlicher Doktor waͤr.

11. Auch muſte er, ohn das geringſte zu verhehlen

Ihr ſeine ganze Lebensgeſchichte erzaͤhlen,

Beſonders was er von ihrer Trennung an

In den letzten funfzehn Jahren gethan.

12. Er that dies auch alles ſehr ausfuͤhrlich,

Seine Erzaͤhlung war aufrichtig und manier-

lich,

So daß Amalia ſogleich drin fand,

Er ſey nun ein Mann von großem Verſtand.

13. Die Erzaͤhlung ſelbſt koͤnnen wir gut miſſen,

Sintemal wir ſeine Geſchichte ſchon wiſſen,

Und man hoͤrt ohnedem auf keinen Fall

Eine ſo naͤrr’ſche Geſchichte gern zweimal.

14. Sie gabe gleichfalls von ihrer Geſchichte

Folgende kurze aufrichtige Berichte

Seitdem ſie aus dem Schauſpielerſtand

Mit einem reichen Herren verſchwand:

15. „Der
[119]
15. „Der Herr, mit welchem ſie davon gegangen,

„Habe geheiſſen Herr van der Tangen;

„Er habe, als ihre Perſon ihm gefiel,

„Ihr Antrage gemachet oft und viel.

16. „Aber ſie habe gar nicht darnach gehoͤret,

„Und Anfangs mit ihme gar nicht verkehret,

„Weil ſie entſchloſſen geweſen ſey,

„Ihrem Hieronimo zu bleiben getreu.

17. „Erſt damals habe ſie den Vorſatz gebrochen,

„Als Herr van der Tangen ihr die Ehe ver-

ſprochen;

„Es ſey auch am folgenden Tage ſchon

„Erfolgt eine heimliche Kopulation.

18. „Nachdem ſie nun gedachten Herrn van der

Tangen

„Einmal im ehlichen Netze habe gefangen,

„So habe ſie mit ihm in der ganzen Zeit

„Gelebet in treulichſter Einigkeit.

19. „Sie habe von ihrem Gatten, dem Herrn van

der Tangen

„Nach zwei Jahren einen kleinen Sohn em-

pfangen,

„Habe aber auch damals gefaͤhrlich krank

„Gelegen faſt ſieben Wochen lang.

20. (Nota bene: Daher entſtand das Geruͤchte

Von ihrem Tode im erſten Theil der Geſchichte;

Denn
[120]
Denn Frau Fama machet zu jeder Friſt,

Immer ein Ding groͤßer als es iſt.)

21. „Was im uͤbrigen thaͤte anlangen

„Die Umſtaͤnde ihres Gatten des Herrn van

der Tangen,

„So ſey er geweſen der einzige Zweig

„Des alten Herrn van der Tangen und er-

ſchrecklich reich.

22. „Er ſey zwar geweſen nur vom buͤrgerlichen

Stande,

„Aber faſt der reichſte Privatmann im Nie-

derlande,

„Weil ſein ſeeliger Vater durch Kauffarthei

„Auſſerordentlich gluͤcklich geweſen ſey.

23. „Mancherlei Gruͤnde haͤtten ihn bewogen,

„Daß er aus ſeinem Vaterlande weggezogen,

„Und er haͤtte auch bald darauf

„Das Gut Schoͤnhain hier erſtanden durch

Kauf.

24. „Ihre Bekanntſchaft mit dem Herrn van

der Tangen

„Habe bewuſtermaßen damals angefangen,

„Als er ſich eine Zeitlang in Deutſchland

„Zum Vergnuͤgen auf der Reiſe befand.

25. „Ihre Ehe habe zwoͤlf Jahre lang gewaͤhret,

„Darauf haͤtte Freund Hein dieſelbe geſtoͤret

„Und
[121]
„Und Herrn van der Tangen zu ihr’m groͤ-

ſten Leid

„Geholet aus dieſer Zeitlichkeit.

[figure]
26. „Auch ihr Sohn ſey nach fuͤnf Viertel-Jahren

„Seinem Vater in Elyſium nachgefahren,

„Und ſeitdem lebe ſie hoͤchſtbetruͤbt

„Kinderlos und zugleich verwittibt.

27. „Zwar beſitze ſie jetzt ſehr große Guͤter,

„Aber doch ſey ihr des Lebens Reſt bitter

„Und ſie mache zur großen Reiſe nach jenſeit

„Sich nun taͤglich immer mehr bereit;

28. „Denn ſie empfinde es, daß ſie laborire

„An einem innerlichen Lungengeſchwuͤre,

„Spuͤre
[122]
„Spuͤre auch daß jede gebrauchte Arznei

„Zu ihrer Heilung unwuͤrkſam ſey.

29. „Sie ſuche ſchon laͤngſt mit tugendhaften

Werken

„Sich zu einem ſeligen Abſchiede zu ſtaͤrken

„Und gebe als eine bekehrte Suͤnderin

„Ihrem Schickſale ſich willig hin.“

30. Herr Jobs ſuchte nun beſtmoͤglichſtermaßen

Alles dasjenige beiſammen zu faſſen

Was ein vernuͤnftiger geiſtlicher Mann

In ſolchem Fall zur Troͤſtung nur ſagen

kann;

31. Blieb folglich auf ausdruͤckliches Verlangen

Nun auf dem Gute bei der Frau van der

Tangen,

Und ſeine traurige Exulantenſchaft

Hatte fuͤr diesmal ihre Endſchaft.

32. Es fand auch wuͤrklich die Frau van der

Tangen

In des braven Herrn Jobſens Umgang man-

chen

Chriſterbaulichen Beruhigungsgrund,

Den ſie vorher nicht ſo gut verſtund.

Acht
[123]

Acht und zwanzigſtes Kapitel.


Wie die Frau van der Tangen dem Herrn
Jobs all ihr Vermoͤgen ſchenket, und wie
ſie ſtirbt, und wie Herr Jobs ihr ein Mo-
nument errichtet, und wie dieſes Kapitel ſehr
traurig zu leſen iſt.


1. Eines Morgens kam mit reputirlichen Schrit-

ten,

Ein bejahrter Herr in den Schloßhof geritten,

Und ſtieg nach geendigtem ſucceſſiven Trab

Etwas muͤhſam auf eine nahſtehende Bank

ab

[figure]
2. Er
[124]
2. Er ſaß auf dem Pferde ſteif wie ein Schnei-

der,

Trug am Leibe altmodiſche Kleider,

Hatte graue wollene Kamaſchen an,

Und pro Forma Sporen ohne Raͤder dran.

3. Eine Perrucke mit einem kleinen Haarbeutel

Und ein plattgeſpitzter Hut deckte den Scheitel,

Und an ſeiner linken Huͤfte, etwas hoch,

hing

Ein langer Degen, der Griff war von

Meſſing.

4. Seine Perſon ſchien etwas wichtiges zu be-

deuten,

Das merkte man an ſeinem Weſen ſchon von

weiten,

Und er war weder zu mager noch zu fett

Aber uͤbrigens voll Gravitaͤt.

5. Er wurde gleich von der Frau van der Tan-

gen

Gar hoͤflich bewillkommet und empfangen;

Sie ſchloſſe ſich ſofort mit ihm ein

Und blieb bei ihm den ganzen Tag allein.

6. Herr
[125]
6. Herr Jobs konnte ſich nicht beſinnen,

Was ſie beide beiſammen wohl moͤchten begin-

nen

Und dachte allenfalls, der altfraͤnkſche Knab

Sey vielleicht ein beruͤhmter Aeskulap.

7. Aber er irrte; denn der Herr, welcher heute

Mit ſeinen Kamaſchen, und dem Spieß an

der Seite,

Den ganzen Tag mit Amalien allein war,

War ein Caͤſareus publikus Notar.

8. Nachdem derſelbige ware weggeritten

Ließ Frau van der Tangen Herrn Jobs ins

Zimmer bitten;

Er fand ſie am Pult ſitzend, und vor ihr

Lag ein zuſammengeſaltenes Papier,

9. Herr Jobs zeigte ſich etwas bloͤde und verlegen,

Aber ſie laͤchelte ihm beim Eintritt entgegen,

Und als er ſich naͤher bei ihr befand

Reichte ſie ihm liebreich die hagere Hand.

10. Sie ſchien ſeit dem Geſchaͤfte mit dem

Reuter

Hoͤchſt vergnuͤgt und ungewoͤhnlich heiter

Und
[126]
Und hielte, obgleich mit ſchwaͤchlicher

Stimm,

Nun folgende kurze Oration zu ihm:

11. „Schon habe ich es dir geſagt, mein Lieber!

„Ich geh nun bald jenſeits hinuͤber,

„Und habe deswegen vor meinem End

„Heute gemachet mein Teſtament.

12. „Schon laͤngſtens ware ich von wegen

„Eines Erben meiner Guͤter beſorgt und verle-

gen,

„Denn meines Wiſſens iſt nirgend jemand

„Mit mir durch Blutsfreundſchaft ver-

wandt.

13. „Der Gedanke quaͤlte mich vor allen,

„Daß mein Gut in ſchlechte Haͤnde koͤnnt fal-

len;

„Ich habe darum mit Wohlbedacht

„Dich zum Univerſalerben gemacht.

14. „Auſſer ein Paar tauſend Lauſedukaten

„Ad pios Uſus und andere Legaten,

„Gehoͤrt meine ganze Haabe fortan

„Nur dir meinem alten Freunde, an.

15. „Willſt
[127]
15. „Willſt du meine gute Meinung nicht ver-

ſchmaͤhen,

„So werde ich ruhig aus dieſer Welt gehen,

„Und du erleichterſt mittlerweile mir,

„So viel du kannſt, die Reiſe von hier.

16. „Du wirſt aber auch die Freundſchaft haben

„Mich zu laſſen dort bei den drei Linden be-

graben,

„Und du pflanzeſt zu meinem Andenken

auch

„Auf mein Grab eine Laube von Roſenſtrauch.“

17. Herrn Jobs floſſen hier haͤuffig die Thraͤnen;

Er antwortete nur mit Schluckſen und halben

Toͤnen;

Acceptirte uͤbrigens utiliter

Die vorliegende Donation ohnſchwer.

18. Von nun an verließ er ſeine Freundin faſt

nimmer,

Denn ihr Zuſtand wurde augenſcheinlich

ſchlimmer,

Und Frau van der Tangen und Herr Hie-

ronimus

Lebten auf bruͤder- und ſchweſterlichen Fuß.

19. Er
[128]
19. Er unterließ nichts an Troͤſtung und Pflege,

Suchte ihre Linderung auf alle moͤgliche Wege,

Hat ſo gar ſelbſt faſt in jeder Nacht

In ihrem Krankenzimmer gewacht.

20. Endlich war doch alle Hoffnung des Lebens

Und alle Muͤhe und Arznei bei ihr vergebens,

Weil Freund Hein wuͤrklich hereinkam

Und ihren letzten Athemzug wegnahm.

21. Herr Jobs beklagte ihren Tod aufrichtig,

Und ſein Schmerz war weder verſtellt noch

fluͤchtig,

Sondern er hat laͤnger und mehr geweint,

Als mancher Mann um ſeine todte Frau

greint.

22. Am Gartenende dort bei den drei Linden,

Kann der geneigte Leſer ihr Grab finden,

Wenn er etwa von ohngefaͤhr vorbei paſſirt

Oder nach Schoͤnhain expres hinſpazirt.

23. Ueber ihrem dort nun modernden Staube

Steht eine gar niedliche Roſenlaube,

Und Vergißmei nicht und weiſſen Jasmin

Sieht und riecht man da des Sommers

bluͤhn.

24. Auch fieht man bei einem marmornen Aſch-

topfe

Die Figur von einem weiſſen Todtenkopfe

Dabei
[129]
Dabei ſteht ein großes lateiniſches A,

Und es bedeutet ſolcher Buchſtabe Amalia.

[figure]
25. Herr Jobs ging um dieſes Monuments

willen

Abends und Morgens oft dahin im Stillen,

Und da fielen ihm gemeiniglich mancherlei

Erbauliche und traurige Gedanken bei.

Neun
[130]

Neun und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Herr Jobs nun ein reicher Mann war,
und wie er ſich nach dem Tode der Frau
van der Tangen beging.


1. Beſage der vorhandenen Annotationsbuͤcher

Fand Herr Jobs 2800000 Reichsthaler ſicher

Zu Amſterdam, London und Hamburg blank

Als Kapitalien ſtehen in der Bank.

2. Das uͤbrige Gut an Wechſeln und Obligatio-

nen

Betrug mit obigen ohngefaͤhr drei Millionen,

Und der Werth von dem Gute Schoͤnhain

War, bei meiner Treue! auch nicht klein.

3. Er war bemuͤht der Frau van der Tangen letz-

ten Willen

Ratione der Legaten puͤnktlich zu erfuͤllen,

Und alles uͤbrige in einer Summ

War nun ſein rechtmaͤßiges Eigenthum.

4. Er ehrte zwar dies uͤbergroße Vermoͤgen

Als einen unverhofften, nicht verwerflichen

Segen,

Hielt ſich aber doch weder gluͤcklicher,

Noch groͤßer, als er ware vorher.

5. Er
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5. Er befand ſich vielmehr bei ſeinem Gelde und

Gute

Lange nicht ſo behaglich noch bei gutem Muthe,

Als er im Ohnwitzer Pfarrſtand

Sich noch vor einigen Monaten befand.

6. Es iſt ihm damals vor andern allen

Sein Eintritt in Schoͤnhain eingefallen

Und da gedachte er an das alte Paar,

Deren Gaſt er bei ſeiner Ankunft war.

7. Um ſie in ihrem Alter baß zu erfreuen,

Kaufte er eine der ſchoͤnſten Meiereien,

Und gab ſeiner Baucis und ihrem Phile-

mon

Dieſelbe fuͤr damalige Bewirthung zum

Lohn.

8. Er hat auch an ſeine Schweſter Eſther ge-

ſchrieben,

Damit ſie es wiſſe wo er ſey geblieben,

Und daß ſie bei ihm in ſeinem Schoͤnhain

Naͤchſtens wuͤrde willkommen ſeyn.

9. Auch ſeinen Schildburger Anverwandten

Und den daſelbſt wohnenden Bekannten

Machte er ſeinen jetzigen Wohlſtand

Zu ihrer freudigen Nachricht bekannt.

10. Auch hielt ers fuͤr eine der groͤßten Pflichten,

Dem Herrn von Ohnwitz ſein Gluͤck zu berich-

ten,

J 2Bekam
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Bekam aber gar keine Antwort;

Denn bekanntlich war der Herr von da

fort.

11. Was er ſonſt gutes zu Schoͤnhain verrichtet,

Davon bin ich nicht genau unterrichtet,

Wir ſind alſo nun darauf bedacht

Zu ſehen, was ſeine Schweſter Eſther macht.

12. Aus folgendem Briefe laͤßt ſich erſehen,

Wie auch alle uͤbrigen Sachen ſonſt ſtehen;

Er lief mit der Poſt nach Schoͤnhain

Als Antwort von Mammeſel Eſther ein.

Dreißigſtes Kapitel.


Ein Brief von Mammeſel Eſther an Herrn
Herrn Jobs, worin viele neue Maͤhre enthal-
ten iſt, von dem alten Herrn von Ohnwitz,
wie auch von deſſen Herrn Sohne; und ſo
weiter.


1. „Mein theuerſter Bruder! Dein

gutes Geſchicke

„Gereicht mir zum groͤſſeſten Vergnuͤgen und

Gluͤcke,

„Auch noch mehrere Deiner Freunde ſind hier

„Und alle freuen ſich herzinnig mit mir.

2. Denn
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2. „Denn es haben zu Rudelsburg, vor einigen

Wochen,

„Der alte Herr von Ohnwitz und ſeine Ge-

mahlin eingeſprochen,

„Und hieſelbſten eine ſichere Zuflucht

„Fuͤr die Verfolgung der Feinde geſucht.

3. Auch iſt vorgeſtern wider alles Verhoffen

„Der junge Herr von ſeiner Reiſe eingetroffen,

„Denn ihm ward ſchon der traurige Zuſtand

„Von Ohnwitz, an der Graͤnze bekannt.

4. „Entbloͤßt von Geld und andern Nothduͤrf-

tigkeiten

„Erwarten ſie hier alle zwar beſſere Zeiten;

„Aber ich denke, bei Dir zu Schoͤnhain

„Werden ſie beſſer als in Rudelsburg ſeyn.

5. „Es iſt Dir alſo, mein beſter der Bruͤder!

„Ihr Beſuch doch angenehm und nicht zu-

wider?

„Ein Brief noch von Dir, und alle Wir

„Machen uns auf die Reiſe zu Dir.

6. „Tauſend Gruͤſſe und herzliche Empfehlungen

„Von der gnaͤdigen Frau und dem alten und

jungen

„Baron. Ich verbleibe nach altem Ge-

brauch,

„Deine treue Schweſter bis zum letzten

Hauch.

7. Die-
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7. Dieſer Brief verurſachte gewaltige Regung

Bei Herrn Jobs und ohne lange Ueberlegung

Packte er ein Paar tauſend Thaler ein

Nebſt einer Invitation nach Schoͤnhain.

8. Er ſandte alles durch eine Staffette

[figure]
Und als wenn es irgendwo gebrennet haͤtte,

Jug dieſelbe Tag und Nacht durch

Bis ſie ankam zu Rudelsburg.

9. Ohngefaͤhr nach verſtrichenen vierzehn Tagen

Trafe in einem gemaͤchlichen Wagen

Die Ohnwitzer Familie, zu Schoͤnhain,

Und Mamſel Eſther zugleich mit ein.

Ein
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Ein und dreißigſtes Kapitel.


Wie Herr Jobs und die herrſchaftliche von Ohn-
witziſche Familia ſich des Wiederſehens ge-
freuet han, und wie Herr Jobs ſeinen lieben
Gaͤſten alles zum beſten giebt, als waͤre es ihr
proͤperliches Eigenthum, und wie man da alle
Kriegesplage vergeſſen hat, und auf einem
freundſchaftlichen Fuß gelebet hat, und daß es
Ueberfluß ſey, die Freude des Hieronimus be-
ſonders zu beſchreiben.


1. Wie man ſich des Wiederſehens gefreuet

Und zu Schoͤnhain ein jeder gejubeleiet,

Und beſonders die Freude des Herrn Hie-

ronimus

Hier zu beſchreiben, waͤre Ueberfluß.

2. Er gab ſeinen angenehmen Ohnewitzer Gaͤſten

Alles, was er hatte, dermaßen zum beſten,

Als waͤre zu Schoͤnhain rund herum

Alles ihr proͤperliches Eigenthum.

3. Man vergaß gerne in dieſer froͤhlichen Lage

Die vorherige erlittene Kriegesplage,

Und lebte auf dem Gute des Hieronimus

Zuſammen auf dem freundlichſten Fuß.

Zwei
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Zwei und dreißigſtes Kapitel.


Fortſetzung des funfzehnten Kapitels, und wie
Umſtaͤnde die Sachen veraͤndern, und wie
die Liebe des jungen Barons und ſeiner Steh-
re einen guten Fortgang zu gewinnen ſcheinet.


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1. Wir wollen jetzt einmal wieder zuruͤckkehren

Zum jungen Herrn von Ohnwitz und ſeiner

Stehren,

Damit der geneigte Leſer ſeh,

Ob die Liebe noch beim alten beſteh.

2. Seit Stehrens Rudelsburger Aufenthalte

Entſtund in dem Romane zwar etwas Halte,

Weil
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Weil auf jeden Brief, den der Baron ſchrieb,

Von Ohnewitz die Antwort ausblieb.

3. Er kam alſo auf den fatalen Gedanken,

Stehrens Liebe moͤchte vielleicht etwas wanken,

Oder, welches gar noch ſchlimmer ſey,

Sie moͤchte ihm voͤllig ſeyn ungetreu.

4. Nachdem er nun ſeine Reiſe hatte geendet,

Und ſich nach Rudelsburg aus Noth gewendet,

Welch Gluͤck, als er unvermuthet da

Seine geliebte Stehra hier wieder ſah!

5. Ware gleich ihre Liebe einige Zeit gehindert

So war ſie doch um kein Quentchen ſchwer ge-

mindert,

Und ſo fing der abgebroch’ne Roman

Zu Schoͤnhain wieder de novo an.

6. Manches Spiel mit zaͤrtlich gegnenden Blik-

ken,

Heimliches Seufzen, verſtohlnes Haͤndedruͤcken;

Einſames Spazieren, abendlicher Konvent

Bei den Linden und Amaliens Monument,

7. Wandeln Hand in Hand durch blumichte

Thale,

Sich erquicken am keuſchen ſilbern Mondſtrahle,

Girren und Taͤndeln und verliebte Sprach,

Hatte alles ſeinen Fortgang vor wie nach.

8. Der
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8. Der alte Herr hat dies nun zwar geſehen,

Ließ es aber diesmal tacite geſchehen;

Auch die vernuͤnftige gnaͤdige Frau

Nahm dies Ding nicht mehr ſo genau.

9. Denn Umſtaͤnde pflegen in menſchlichen Sa-

chen

Mancherlei wichtige Veraͤnderungen zu machen,

Und nach dem latein’ſchen Spruͤchwort

heißt es:

Circumſtantiae variant res.

10. Auch Herr Jobs hat dazu ſtillgeſchwiegen,

Mochte die Liebenden nicht kraͤnken oder ruͤgen,

Und dachte vielleicht in ſeinem Herzen dabei,

Daß es alles ſo der Wille des Himmels ſey.

11. Als der junge Herr noch einmal bei den Alten

Um die Einwilligung in ſeine Liebe angehalten,

Nahm man ihm ſolches ſo uͤbel nicht mehr,

Als man es hatte genommen vorher.

12. Es entſtanden doch noch zuweilen abſeiten

Der gnaͤdigen Eltern einige Schwuͤrigkeiten;

Denn ein buͤrgerliches Maͤdchen zu trau’n

War ihrem Magen noch ſchwer zu verdau’n.

13. Herr Jobs ward dieſes mehrmalen inne

Und nun kam ihm von ohngefaͤhr im Sinne,

Daß er von ſeinem Vater es mehrmals ver-

nahm,

Die Joͤbſe waͤren vom altadlichen Stamm;

14. Auch
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14. Auch daß die Vorfahren muͤtterlicher Seite

Waͤren geweſen gar anſehnliche Leute;

Und davon ein ſchriftliches Dokument

In Schildburg bei ſeinem Bruder ſich faͤnd.

15. Er hat darum ſo fort an ihn geſchrieben,

Auf Ueberſendung der gedachten Schrift getrie-

ben,

Und der ſandte dann auch des Dokuments

Original, ihm nach Schoͤnhain eilends.

16. Es enthielt die Jobsſchen Familiennachrichten

Und manche drin vorgekommene Geſchichten;

Ich liefere davon kuͤrzlich und exakt

Im folgenden Kapitel einen Extrakt.

Drei
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Drei und dreißigſtes Kapitel.


Nachricht von der Jobſiſchen adlichen Familie
welche anfangs von Schoͤps hieß.


1. Erſtlich iſt zu merken, daß die maͤnnlichen

Joͤbſe;

Anfangs hießen die Herren von Schoͤpfe;

Draus ward hernach der Name von

Schops

Ex poſt Schops und endlich gar Jobs.

2. Aber der Stammbaum der Herren von Schoͤpfe

Oder der nachherigen Herren Joͤbſe

War unwiderſprechlich ſehr alt,

Und ihr Geſchlechtswappen von guter Ge-

ſtalt.

3. Denn es iſt laͤngſt irgendwo zu leſen,

Daß in Noahs Arche ſchon ein Schoͤps gewe-

ſen;

Weil aber damals noch niemand war Ba-

ron,

So ſchrieb ſich derſelbe auch nicht Herr von.

4. Ja, wollte man der Geſchichte weiter nach-

ſpuͤren

So wuͤrde ſich leicht der Schoͤpſen Urſprung

verlieren

In das allergraueſte Alterthum,

Vielleicht gar bis ins erſte Weltſekulum.

5. Aber
[141]
5. Aber dieſes genauer auszumachen,

Wuͤrde zu viel Unterſuchung verurſachen,

Und zu einem ganz kompleten Stammbaum

Der Schoͤpſen-Familie waͤre kaum Raum.

6. So viel iſt gewiß, daß die Vorfahren

Dieſes Geſchlechts anſehnliche Perſonen waren,

Und ſo wohl im Lehr- als im Wehrſtand

Viel wichtige Stellen bekleideten im Land.

7. Die authentiſch eingezogenen Nachrichten,

Aus alten Geſchichtschroniken berichten,

Daß ſchon zur Zeit des Major domus Pipin

Mancher Schoͤpſe bei Hofe erſchien.

8. Auch zu Kaiſers Caroli magni Zeiten

Thaten ihn einige Schoͤpfe im Kriege begleiten,

Und einer, genannt Germann von

Schoͤps, war,

Titularhofrath beim erſten Lothar.

9. Deſſen Sohn Bruno heirathete an Lud-

wigs Hofe

Eine artige kaiſerliche Kammerzofe,

Und bekam im erſten Vierteljahre ſchon

Von ihr einen unerwarteten Sohn.

10. Die Geſchichte verſchweiget ſeinen Taufna-

men;

Aber zur Zeit als die Hunnen nach Deutſch-

land kamen,

Lebte
[142]
Lebte er auf einem eignen Gut

Und zahlte geduldig Schatzung und Tribut.

11. Er hinterließ einen Sohn, der war Faͤhnrich

Unterm beruͤhmten Vogelfaͤnger Kaiſer Hen-

rich;

Ob er vielleicht weiter avancirt,

Wird in der Stammgeſchichte nicht beruͤhrt.

12. Er hieß Wilhelm und blieb unter zwei

Ottonen

Ruhig und ſtill auf ſeinem Gute wohnen;

Im uͤbrigen weiß man von ihm gewiß:

Er erzielte mit ſeiner Gemahlin Margaris.

13. Verſchiedene Kinder ſo wohl Soͤhne als Toͤch-

ter;

Davon entſproſſen viele Nebengeſchlechter

Des uralten Schoͤpſenſtamms, die nach

der Zeit

Sich durchs ganze Europa befinden zerſtreut.

14. Dieſer obgedachte Herr Wilhelmus

Hatte unter andern ’nen Sohn, genannt An-

ſelmus;

Dieſem gab man aus dringender Noth, ſchon

fruͤh

Eine kluge Gattin zur Kompagnie;

15. Denn nach dem Bericht des Stammbaums

befande

Er ſich ſehr ſchwach und elend am Verſtande,

Dieſes
[143]
Dieſes war dann auch wohl mehrmal

In der von Schoͤpsſchen Familie der Fall.

16. Herr Anſelm ließ, ohne ſich zu ſcheniren,

Von ſeiner Frau in allem ſich leiten und fuͤh-

ren,

Und aus dieſer Ehe kam ein Sohn herfuͤr

Den nannte man in der Taufe Caſimir.

17. Dieſer half dem Kaiſer im Feldzug gegen

die Vandalen

Durch Verproviantirung der Armee damalen

Mit zweihundert Stuͤck fetten Haͤmmeln

aus,

Er fuͤr ſeine Perſon blieb aber zu Haus;

18. Kam deswegen ſehr beim Kaiſer in Gnaden

Hat ihn gar einmal ſelbſt zu Gaſte geladen,

Und dieſer that ihm dafuͤr die Ehr

Dem Schoͤps im Wappen zu geben ein

Horn mehr.

19. (Denn im uralten Familienſchilde

War auf’m rothen Balken ein Schoͤpsgebilde

Zierlich bis zur Haͤlfte aufgeſtellt,

Von ſchwarzer Farbe im ſilbernen Feld.)

20. Die-
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[figure]
20. Dieſer Vorzug laͤßt, jedoch in allen Ehren,

Sich vielleicht aus Nebenurſachen erklaͤren,

Denn die Geſchichte ſagt, Caſimirs Haus

frau

Seye geweſen ſehr ſchoͤn und ſchlau.

21. Deſ-
[145]
21. Deſſen Sohn Guido war faſt immer kraͤnk-

lich;

Dies machte nun das Kinderzeugen etwas be-

denklich,

Jedoch der brave geſunde Burgpaſtor

Sorgte mittlerweile davor.

22. Denn Guido’s Gemahl Hedwig war deſto

geſuͤnder

Und ſie brachte ein Stuͤck oder ſieben Kinder,

Auſſer dem aͤlteſten Sohne Chriſtheld,

Ohne ſonderliche Wehen zur Welt.

23. Chriſtheld iſt vorzuͤglich im Stammbaum

wichtig

Denn er wog im vier und vierzigſten Jahre

richtig

328 Pfund und weder vor noch nachher

Ward kein Schoͤps erfunden ſo ſchwer.

24. (Zwaren war’s der Familie ſchier eigenthuͤm-

lich,

Denn alle aus ihr, beſonders die Maͤnner,

waren ziemlich

Fett, und dieſe Konſtitution

Erbte immer vom Vater aufm Sohn.)

25. Sein Bauch glich ſchon fruͤh einem Brau-

keſſel;

Er trauete ſitzend in einem Polſterſeſſel

Jobſiade 3ter Theil. KDie
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Die durch ihre Schoͤnheit beruͤhmte Gor-

doin,

Aus welcher Ehe ein Sohn erſchien,

26. Namens Peter, ihm faſt gleich an Dicke;

Seine Gemahlin aber hieße Friderike,

Welche ihm einen Sohn hinterließ

Der ebenfalls wie ſein Vater Peter hieß.

27. Ich kann uͤbrigens von dieſen beiden Helden

Eben nichts ruͤhmliches ſagen oder melden,

Als daß des letztern Gemahlin ’nen Sohn

gebahr

Der Großvaters und Vaters Bilde aͤhnlich

war.

28. Er hieß Florenz und war ein Gebieter

Ueber verſchiedene ſehr anſehnliche Guͤter,

Lebte, aß, trank, ſchlief, als ein Dynaſt,

Und war andern und ſich ſelbſt zur Laſt.

29. Doch erweckte er ſeiner Hausfrau Magda-

lene

Nebenbei einige Toͤchter und Soͤhne;

Vor allen bemerkt die Geſchichte davon

Den aͤlteſten Sohn, genannt Gideon.

30. Der ging als Schildknapp zum Herzog Welfen

Um dem Pabſt wider die Gibelliner zu

helfen,

Er
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Er machte auch jenen beruͤhmten Ritt

Auf einem Maͤdchen aus Weinsberg mit.

31. Dieſer Ritt war lieblich anzuſchauen;

Er nahm es hernach zu ſeiner Hausfrauen,

Denn das Maͤdchen war zaͤrtlich und fein

Und gebahr ihm gar bald ein Toͤchterlein.

32. Er hinterließ auch noch vor ſeinem Abſter-

ben

Einen Sohn, genannt Reimarus, zum

Erben;

Der ward getauft, nahm eine Gemahlin

Und ward verſammelt zu ſeinen Vaͤtern hin.

33. War aber bei Leibes Leben luſtig und gutes

Muthes;

Seine Gattin, eine adliche Wittwe, hieß

Gertrudes,

Und er zeugte mit ihr auf gewoͤhnliche Art

Einen geſunden Sohn genannt Gerhard.

34. Dieſer ſaß gern bei vollen Humpen und

Kannen,

Hatte im Solde viele ſtreitbare Mannen,

Vermehrte, wo er konnte, ſtattlich ſein Gut,

Und vergoß durch Fauſtkriege vieles Blut.

35. Er beraubte aus- und innerhalb ſeiner Veſte

So wohl reiſende Fremde als einkehrende Gaͤſte,

K 2Und
[148]
Und wurde deswegen zugenannt:

Junker Gerhard mit der eiſernen

Hand.

36. Er entfuͤhrte einſt zu ſeinem Ehebette

Ein ſehr huͤbſches Fraͤulein, genannt Hette,

Vergaß eine Zeitlang das Waffengeklirr

Und zeugte mit ihr den Sohn Lodomirr.

37. Gerhard war ſonderlich ein Feind der Pfaf-

fen

Machte benachbarten Kloͤſtern viel zu ſchaffen

Fing mit Nonnen allerlei Streiche an,

Und kam daruͤber ſo gar im Bann.

38. Um nun wegen begang’ner vielen Suͤnden

Beim annahenden Alter Abſolution zu finden,

Ergriff er in der Angſt den Pilgerſtab

Und wallte nach Jeruſalem zum heil’gen

Grab

39. Mittlerweil er wiederkam von der Pilger-

ſtraßen,

War, auſſer dem Sohn den er hinterlaſſen,

Mirakuloͤſer Weiſe von Frau Hetta

Noch ein vierteljaͤhriges Soͤhnlein da.

40. Lodomirr war ein gar frommer Herre,

Stiftete viel Heilgen-Haͤuſer und Altaͤre,

Gab Moͤnchen und Nonnen reichlich Brod.

Und litte darob faſt ſelber Noth.

41. Seine
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41. Seine adliche Hausfrau Anna mit Namen,

Ware gleichfalls eine der froͤmmſten Damen,

Und hielt’ fuͤr ihren Leibs- und Seelenzu-

ſtand

’nen Beichtvater auf ihre eig’ne Hand.

42. Aus dieſer gar frommen Ehe entſproſſe

Florian mit dem Zunamen der Große;

Denn er maß richtig 14 Zoll

Und war taͤglich toll und voll.

43. Dieſer hatte mit ſeiner Gemahlin Otilie

Eine ziemlich zahlreiche Familie,

Und unter andern einen artigen Sohn,

Der ward genannt der galante Leon.

44. Er pflegte ſich in Waffen und Turnieren

Fleißig in damaliger Zeit zu exerciren,

Und zerbrach dem ſchoͤnen Geſchlecht zur

Ehr

In Scherzritterſpielen manches Speer.

45. Dieſes, ſo wie ſein Tanzen und Courteſiren

Muſte die Schoͤnen der Zeit ſehr charmiren,

Und ob er gleich weiter nichts verſtand,

Bekam er doch eines reichen Fraͤuleins

Hand.

46. Denn in einer reizenden Schaͤferſtunde

Gab ihm die extraordinaͤrſchoͤne Kunigunde

Mit
[150]
Mit allen ihren Guͤtern zugleich ihr Herz.

Der Sohn aus dieſer Ehe hieß Adel-

berts.

47. Der hatte nach und nach vier Gemahlinnen,

Sie ſchieden aber alle zeitig von hinnen;

Von der erſten, genannt Roſemon

Blieb ein Sohn zuruͤck, der hieß Anton.

48. Nach dem Abſterben ſeiner letzten Frauen,

Ließ Adelberts ein Noͤnnchenkloſter bauen,

Und hat daſſelbe reichlich begabt,

Und ſtarb drinnen als der Nonnen Abt.

49. Man ſprach viel von ſeiner Kanoniſirung,

Aber bei der geiſtlichen Proceßfuͤhrung

Hinderte Advokatus Diaboli

Durch manchen wichtigen Einwand ſie.

50. Von Herrn Anton kann ich nichts ſonders

melden;

Er gehoͤrte nicht unter die Kriegshelden,

War auch weder Abt noch Biſchof,

Weiß auch nicht, daß er uͤbermaͤſſig ſoff.

51. Er blieb immer in der adlichen Huͤtte,

Heirathete nach der vaͤterlichen Sitte,

Sorgte fuͤr ſeinen eigenen Mund

Und ſtarb nach dem bewuſten alten Bund.

52. Er
[151]
52. Er hinterließ einen Sohn, der hieß Steffen,

Dieſer blieb zu Muͤhldorf beim bekannten

Treffen

Unter Seyfried Schweppermann,

als Officier,

Weil ers Fieber hatte, ruhig im Quartier;

53. Verließ gleich darauf gaͤnzlich die Fahnen,

Kehrte zuruͤck zum Heerde ſeiner Ahnen,

Schritte demnaͤchſt fort zur Heirath,

Und einer ſeiner Soͤhne hieß Vollrath.

54. Von dieſem Vollrath ſagen die Stamm-

baumsautoren,

Daß er ſeine untergebene Bauern baß geſcho-

ren,

Und uͤbrigens unterm Kaiſer Wences-

las

Nichts thate, als daß er ſoff und fraß.

55. Seine Gattin, die gute Adelheide,

Hatte mit ihm in der Ehe wenig Freude;

Denn er pruͤgelte ſie oft und viel,

Und trieb mit andern Weibern ſein Spiel.

56. Sein Sohn Balthſar ware zwar fruͤm-

mer

Aber bei dem allen doch ungleich duͤmmer:

Er theilte Moͤnchen und Kloͤſtern reichlich

mit

Und ſtarb endlich im Franciskanerhabit.

57. Seine
[152]
57. Seine gottesfuͤrchtige Gemahlin Suſanne

Lebte gar friedlich mit dem frommen Manne,

Und aus dieſer keuſchen Ehe erſchien

Ein wackerer Sohn, genannt Auguſtin.

58. Deſſen Gemahlin hieß Frau Petronelle,

Den mit ihr erzielten Sohn hieß er Noͤlle,

Und er ſtarb im neunzigſten Jahre als Greis,

Dies iſt das einzige, was man von ihm weiß.

59. Aber ſein gedachter Herr Sohn Noͤlle

Bekleidete eines Landvogtes Stelle,

Und zog dieſe Einkuͤnfte wohlgemuth

Ruhig wohnend auf ſeinem Landgut.

60. Er hatte durch Umgang mit einer Landſchoͤne

Zwar verſchiedene unaͤchte Toͤchter und Soͤhne,

Hinterließ aber doch einen Sohn ohnehin,

Von Frau Irmgard, ſeiner Gemahlin.

61. Der ward nach ſeiner Geburt genannt

Heine,

War ein Liebhaber vom Wildpret und vom

Weine,

Und obgleich ſonſt nicht zur Arbeit geneigt

Hat er doch einen Sohn, Philipp, ge-

zeugt.

62. Seine Gemahlin, die Dame Sophie,

Verſtund ſich baß auf Oekonomie,

Hielt
[153]
Hielt alles im Hauſe ſauber und rein

Trank auch wohl ein Glaͤschen Brandewein.

63. Herr Philipp war ein guter Haushalter

Ward ſo gar geizig in ſeinem Alter,

Trieb oft mit eig’ner Hand den Pflug

Und trank ſich, und aß ſich, kaum ſatt ge-

nug.

64. Seine Gattin, die geduldige Frau Juͤtte,

Starb an der Zehrung in ihrer Jahre Bluͤthe,

Hinterließ doch, der Familie zum Gluͤck,

Nach ihrem Tode einen Sohn zuruͤck.

65. Indeß heirathete der junge Wittwer Philipp

Abermals, und zwar eine alte Wittib,

Die hungerte er bald hin zur andern Welt

Und erbete ihre Guͤter und Geld.

66. Sein Sohn hieß Weinreich mit der kup-

fernen Naſe,

Der trank viel und ehlichte ſeine Baſe

Kaͤthe, und kaum war Robert ſein

Sohn, da,

So ſtarb er am Zuruͤcktritt des Podagra.

67. Gedachter Sohn Robert bekam Luſt zum

Kriege,

That als Freiwilliger einige Feldzuͤge,

Und ließ in ’nem Scharmuͤtzel ritterlich

Den Haarzopf und ’nen halben Finger im

Stich.

68. Um
[154]
68. Um nun nicht noch was mehr zu verlieren

That er ſich auf ſeine Guͤter retiriren,

Heirathete im ſechs und zwanzigſten Jahr,

Und ſtarb als er dreißig und ein halbes alt

war.

69. Seine Ehegenoſſin hieſſe Frau Ide

Er hatte gelebt ziemlich mit ihr in Friede,

Denn er war von tolerablem Gemuͤth,

Sein hinterlaß’ner Sohn hieße Siegfried.

70. Siegfrieds Umgang mit den Bauern war

vertraulich,

Und mit den Baͤuerinnen noch mehr erbaulich

Und nie waren im Revier des von Schoͤps’-

ſchen Gebiets

So viel Hahnreihe als zur Zeit Siegfrieds.

71. Doch ſuchte er auch mit ſeiner Hausfrauen

Sein grades adliches Geſchlecht zu erbauen,

Denn ſeine Gattin Fredegund gebahr

Einen wohlgebildeten Sohn ihm dar.

72. Dieſer war ein ſehr gewaltiger Jaͤger,

Hubertus, zugenamſet der Schlaͤger,

Denn er erſchlug einſt einen Wilddieb,

Welcher das verbotene Jagen trieb.

73. Seine Gattin die ſchmutzige Gertrude

War ſehr filzig und karg wie ein Jude,

Sie
[155]
Sie molke die Kuͤhe und fegte den Stall

Und ihre Hand war im Hauſe uͤberall.

74. Huberts Sohn Werner erbte Flinte und

Buͤchſe

Nebſt den uͤbrigen Guͤtern, prellte Fuͤchſe,

Und verdarb mit Haſenjagen rund herum

Der Bauern Aecker und Eigenthum.

75. Aber ſeine Ehefrau, die baͤrtige Trine,

Machte ihm zu Hauſe manche boͤſe Miene,

Und fing oft mit ihm Gezaͤnke an,

Und er blieb ihr gehorſamſter Unterthan.

76. Jedoch erzeugte mit ihr Herr Werner

Erſt einige Toͤchter, und demnaͤchſt ferner

Einen artigen Sohn, und dieſer ward

In der Taufe genennet Eberhard.

77. Auch dieſer blieb treu der vaͤterlichen Sitte,

Und heirathete eine Frau, genannt Brigitte,

Bekam unter andern den Sohn Johann,

Der war ein ſtattlich gelehrter Mann.

78. Er iſt der erſte des von Schoͤps Geſchlechts

geweſen,

Der da ſelbſt konnte ſchreiben und leſen,

Hat auch durch dieſes Stammbaums Ge-

ſchrift

Sich bei der Nachwelt ein Denkmal geſtift’t.

79. Vor-
[156]
79. Vormals war es wenigſtens unerhoͤret,

Daß man in der Familie haͤtte ſchreiben geleh-

ret,

Und ſelbſt bei Dokumenten klekste man

Statt Unterſchrift bloß ein Wachsſiegel an.

[figure]
80. Er konverſirte gern mit ſtudirten Leuten,

Machte gar zu gewiſſen launichten Zeiten

Bei ſeiner Hausfrau Lina daheim

Einen nach damal’ger Art feinen Reim.

81. Er laß Zeitungen und hatte eine große

Kenntniß von Staatsſachen, und ſchloſſe

Im Großvaterſtuhl fuͤr ſich als Politikus

Den beruͤhmten weſtphaͤliſchen Friedens-

ſchluß.

82. Nota bene! als ein vernuͤnft’ger Gelehrter

Haßte er den Schoͤpsnamen, darum kehrt’ er

Das
[157]
Das oͤ im Wort Schoͤps, in o ohne Strich

Und ſchrieb am erſten von Schops ſich.

83. Er zeugte ſucceſſive nicht mehr noch minder,

Als ſieben und zwanzig eheliche Kinder,

Sowohl Toͤchter als Soͤhne; davon

Erwaͤhn ich nur Kunz den aͤlteſten Sohn.

84. Dieſer ward gleichfalls gelehrt unterweiſet,

Und nachdem er viel Geld hatte verreiſet,

Brachte er mit nach Hauſe als Gemahlin

Eine großvornehme Donna Italiaͤnerin.

85. Sie liebte hohe Spiele und Aſſambleen,

Hatte viele Lakeien und Sicisbeen,

Praͤtendirte auch im gemeinen Umgang

Ueber alle andre Damen den Rang.

86. Zu dieſer hochgedachten Donna Zeiten

Entſtunden ſchon allerlei Verdruͤslichkeiten,

Denn es ging manches Familiengut

Durch die zu große Verſchwendung kaput.

87. Herr Kunz, um ſich aus dem Verderben zu

ziehen,

Spielte fleiſſig hoch in Lotterieen,

Suchte auch hier und da uͤberall

In neuangelegten Bergwerken Metall.

88. Das war aber noch lange nicht das

Schlimmſte;

Sondern unter allen war dies das Duͤmmſte,

Daß
[158]
Daß er ſich mit Advokaten abgab,

Denn dieſe brachten ihn noch tiefer herab.

89. Auch legte er ſich mit vielen Koſten und Wa-

chen

Auf den Stein der Weiſen und das Goldma-

chen,

Und verwendete alſo des Vermoͤgens Reſt

Vergeblich auf’m chimiſchen Alkaheſt.

90. Er kam alſo im kurzen um das Seine

Und ware nunmehr gar blank auf das Reine,

Und im unerſetzbaren Ruin

Sank dies ſonſt reiche Geſchlecht dahin.

91. Sein Sohn Fritz waͤhlte das Militaͤre,

Erlangte wegen ſeiner Bravour viel Ehre,

Bis er zuletzt gar ein Bein und ein Ohr

Ehrenvoll in einer Schlacht verlohr.

92. Er bekam drauf den Abſchied und einen Orden,

Iſt aber dabei arm und duͤrftig geworden

Und er ernaͤhrte ex poſt kuͤmmerlich

Auf einem gar kleinen Guͤtchen ſich.

93. That jedoch, obgleich mit hoͤlzernem Beine,

Bei der Fortpflanzung des Geſchlechts noch das

Seine,

Und erzeugte zu ſeines Alters Troſt

Einen Sohn mit ſeiner Suſe, den nannte

er Joſt.

94. Der
[159]
94. Der iſt noch dem Adelſtande getreu geblieben

Und hat keine buͤrgerliche Nahrung getrieben,

Denn noch im Jahr tauſend ſieben-

hundert acht,

Hatte Joſt eine kleine Hufe im Pacht

95. Er war uͤbrigens der leibliche Vater

Von dem beruͤhmten Schildburger Senater,

Hielt indeß auf gute Oekonomie

Mehr als auf die adliche Genealogie.

96. Vergaß deswegen bei ſeiner Frau Maria-

nen

Seinen vornehmen Stand und alle ſeine Ah-

nen,

Und wandelte den bisherigen Namen von

Schops,

In den ſchlichtbuͤrgerlichen Namen Jobs.

97. Als ein Feind aller Pracht und neuen Mode

Zeugte er nach der wohlbekannten Methode

Eines jeden andern buͤrgerlichen Mann’s

Den gedachten Schildburgſchen Senater

Hans.

98. Dieſer wurde ſehr gut buͤrgerlich erzogen

War klein, hat aber ſchwer gewogen,

So wie ſeine meiſten Ahnen, denn es war

dies,

Wie ſchon oben bemerkt iſt, ein Fideikom-

miß.

99. Daß
[160]
99. Daß Herr Hieronimus ſein Sohn geweſen

Und ſeine Frau mehrerer Kinder geneſen,

Das alles, wie auch ſein Rathsherrnſtand,

Iſt uns allerſeit’gen Leſern bekannt.

100. Ich habe die Geſchichte der Jobsſchen Le-

benslaͤuffen

Mit zu viel Nebenſachen nicht wollen haͤuffen,

Weil ich beim naͤhern Nachſehen ſind’,

Daß ſchon hundert Verſe druͤber da ſind.

Vier
[161]

Vier und dreißigſtes Kapitel.


Genealogie der Frau Senatorin Jobs nach auf-
ſteigender Linie.


1. Die Ehegenoſſin des ſchildburgſchen Sena-

ters,

Als unſers Herren Hieronimi wuͤrdigen Vaters,

Der notorie mehr Kinder hatte, war

Eine geborne Mammeſel Plapelplar.

2. Ihre Stammtafel iſt weniger weitlaͤuſig

Und die Merkwuͤrdigkeiten drin ſind nicht ſo

haͤufig,

Indeſſen wollen wir doch ordentlich gehn,

Und dieſelben in dieſem Kapitel durchſehn.

3. Ihre Familie war zwar nicht von Adel,

Aber doch ohne allen Vorwurf und Tadel,

Und unter dem ſchwaͤbiſchen Plebejerſtand

Eine der erſten im ganzen Land.

4. Sie war anſehnlich, groß und lang von Leibe,

Und ein Muſter von ’nem ſchoͤnen und guten

Weibe,

Und ihr eheleiblicher Vater war

Der Konſiſtorialrath Herr Plapelplar.

Jobſiade 3ter Theil. L5. In
[162]
5. In ſeinen [Handlungen] und Reden war er eifer-

muͤthig

Von Temperament etwas choleriſch und voll-

bluͤtig,

Er zerklopfte oft im Affekt die Kanzelbank

Denn er war von Perſon robuſt und lang.

6. Er war maͤchtig in Lehr und reich an Worten,

Stund erſt als Pfarrer an verſchiednen Orten,

Ward im vierzigſten Jahr Konſtſtorial,

Und ſtarb im funfzigſten Knall und Fall.

7. (Von ſeiner Suade im Peroriren

Scheint es als Erbtheil herzuruͤhren,

Daß die ehmalige Mamſel Plapelplar,

Nachherige Frau Jobs, ſo wortreich war;

8. Auch daß ſie an dem geiſtlichen Stande

Ein ſo auſſerordentliches Vergnuͤgen fande,

Und den Hieronimus den ſie gebar,

Schon fruͤh beſtimmte zum Dienſt der Pfarr.)

9. Er hinterließ nicht bloß Kindertuͤcher

Oder eine Sammlung alter Schriften und Buͤ-

cher;

Sondern auch viel Gut immobil und mo-

vent,

Denn er war ziemlich reich und potent.

10. Von ſeinen ſonſtigen Lebensumſtaͤnden

Habe ich nicht viel Nachricht in Haͤnden,

Doch
[163]
Doch merke ich noch von ihm an, daß

Er gerne gebrat’ne Truthaͤhne aß.

11. Daher entſtand vermuthlich die Sitte und

Regel,

Daß man die Truthaͤhne Konſiſtorialvoͤgel

Seitdem im ſchwaͤbiſchen Lande heißt,

Und ſie gern, bei Pfarrſchmaͤuſen ſpeißt.

12. Doch, dem ſey uͤbrigens wie ihm ſeye,

Er verwaltete ſein Amt mit aller Treue

Und ſein eheleiblicher Vater war

Fuͤrſtlicher Amtmann und Juſtitiar.

13. Der war in ſeinen Aemtern und Pflichten

ſtrenge

Machte weder große Umſtaͤnde noch Gepraͤnge,

Wenn einer nicht gleich ſeinem Mandat

Oder der Citation pariren that.

14. Er ſtund wegen ſeinem ernſthaften Amtsge-

ſichte

Rund herum in ſehr gutem Geruͤchte,

Und ſein eheleiblicher Vater war

Fuͤrſtlicher geheimer Conſiliar.

15. Man muß aber eben nicht meinen oder traͤu-

men,

Es haͤtte der Fuͤrſt wegen ’s Praͤdikats ’nes

Geheimen

L 2Ra-
[164]
Rathes, nichts ohne ihn gethon;

Er kannte nicht einmal ſeine Perſon.

16. Er ſtarb als ein treuer Diener des Staates

Ohngeachtet des Titels eines geheimen Rathes,

Und ſein eheleiblicher Vater war

Bei ’ner verwittweten Fuͤrſtin Leibhuſar.

17. Dieſer ſtand bei Hofe ſehr hoch in Gnaden,

War ein huͤbſcher Huſar von Bart und Waden,

Und ſein eheleiblicher Vater war

In Schildburg der zweite Conſular.

18. Im Stadtarchiv findet man oft ſeinen Na-

men;

Er ſagte zu allen Rathsdekreten: Amen!

Und ſein eheleiblicher Vater war

Seligen Andenkens Landcommiſſar.

19. Jedoch zur Zeit ſeines Commiſſariats ſtand

es

Eben nicht zum beſten um die Wohlfarth des

Landes,

Und ſein eheleiblicher Vater war

Kommerzienrath titular.

20. Der legte ſein ganzes vaͤterliches Erbe

An Fabriken und weitlaͤufiges Gewerbe,

Brachte es aber durch Ehrlichkeit

Anfangs bei aller Muͤhe nicht weit.

21. Er
[165]
21. Er rettete ſich jedoch noch bei Zeiten

Wie es Sitte iſt bei viel Handelsleuten,

Denn ein ſtarker honnetter Bankrot

Half ihm aus aller ſeiner Noth.

22. Man ſaget aber, ſeine Kreditoren

Haͤtten dabei mehr als er verloren,

Und ſein eheleiblicher Vater war

Adlicher Verwalter und Sekretar.

23. Der konnte ſucceſſive etwas Vermoͤgen

Extra per fas et neſas zuruͤcke legen,

Und ſein eheleiblicher Vater war

Der ſieben freien Kuͤnſte Baccalar.

24. Dieſer muſte ſich ſehr kuͤmmerlich ernaͤhren,

Hatte blutwenig oder nichts zu verzehren,

Und ſein eheleiblicher Vater war

Ein kaiſerlicher gekroͤnter Poete gar.

25. Zwar erfahren in allen Dichterkuͤnſten

Hungerte er doch bei ſeinen Verdienſten,

Und wohnte mit Frau und Kinderlein

In einem kleinen Dachſtuͤbelein.

26. Seinem leiblichen Vater ging es noch triſter;

Er war der Weltweisheit Magiſter,

Wovon er ſich hoͤchſterbaͤrmlich ernahr;

Wer aber des Magiſters Vater war,

27. Da-
[166]
27. Davon ſchweigen die vorhandne Nachrichten,

Ich kann alſo davon weiter nichts berichten,

Als daß er auch ein Herr Plapelplar

Und vermuthlich ein redlicher Mann war.

Fuͤnf und dreißigſtes Kapitel.


Wie nunmehr nach wohlerwogenen Umſtaͤnden,
der Konſens zu der Vermaͤhlung des jungen
Herrn Barons mit ſeiner Stehra erfolgt iſt.


1. Man fande bei wohlerwogenen Umſtaͤnden

Nun wegen der Heirath nichts weiter einzu-

wenden,

Denn aus dem geleſenen Bericht war klar,

Daß Jungfer Eſther von beruͤhmter Fami-

lie war.

2. Um damit zum erwuͤnſchten Ende zu kommen,

Hat Herr Jobs ſeiner Schweſter Ausſtattung

uͤbernommen,

Und dieſe fiele weit reichlicher aus,

Als bei manchem Fraͤulen aus ’nem großen

Haus.

3. Der beiden Liebenden Wonne und Entzuͤcken

Vermag meine Feder nicht auszudruͤcken;

Sie
[167]
Sie haͤtten, von ihrem Gluͤcke berauſcht

Mit keinem Monarchen der Erde getauſcht.

4. Denn es iſt durchaus den Verlobten ſo eigen

Zu ſehen den Himmel voll Floͤten und Geigen,

Und als waͤre in dieſer argen Welt

Alles fuͤr ſie aufs beſte beſtellt.

5. Dennoch folget nach geſchloß’ner Ehe

Auf den erſten Jubel meiſt Reue und Wehe,

Und nach verſchwund’nem Rauſch denkt man

gar:

Ich war, als ich heirathete, ein Narr.

6. Zu den Vermaͤhlungsfeierlichkeiten

Suchte man nun alles vorzubereiten,

Und es war wuͤrklich vierzehn Tage hernach

Der laͤngſt erſeufzete Hochzeitstag.

Sechs
[168]

Sechs und dreißigſtes Kapitel.


Die Vermaͤhlung des jungen Barons und der
Eſther geht wuͤrklich hier vor ſich, wie im Kup-
fer artig zu ſehen iſt.


[figure]
1. Gleichwie der Seefahrer den Tag hoch fei-

ert,

Wenn ſein Schiff nun in den Hafen ſteuert,

Nachdem er auf der langen naſſen Bahn

Erfahren manchen Sturm und Orkan;

2. Und
[169]
2. Und wie der Wanderer, wenns regnet oder

ſchneiet

Oder die Sonne brennet, ſich hoch erfreuet,

Wenn er Abends hungrig und muͤd

Das lockende Schild des Wirthshauſes ſieht;

3. Und wie nach dreijaͤhrigem Wachen und Fleiſſe,

Und vielem, nicht fruchtlos vergoſſenem

Schweiſſe,

Ein auf der hohen Schul geweſ’ner Student

Sich freuet uͤber ſeines Studiums End;

4. Und wie der thaͤtige Kaufmann ſich baß ent-

zuͤcket,

Wenn er beim Schluſſe eines Jahres erblicket,

Daß er nach richtigem Calcul und Stat

Abermal ein Kapital in Salvo hat;

5. So pflegen auch Verlobte nach langem

Schmachten

Ihren Hochzeitstag freudig zu betrachten,

Und der wird nach viel uͤberwundner Hin-

derniß

Nun erſt deſtomehr ſchmackhaft und ſuͤß.

6. Grade ſo beſchaffen, wie ich ſage, war es

Mit den Gefuͤhlen unſers lieben Brautpaares

Als jetzt des Prieſters ſegnende Hand

Sie auf ewig zuſammen verband.

7. Von allen merkwuͤrdigen Hochzeitsſcenen

Dieſes Tages, will ich nur einer erwaͤhnen;

Man
[170]
Man ſagt des Herrn Jobs alter Philemon

Seye geweſen der Erfinder davon.

8. Nemlich, die Schoͤnhainer hatten ſeit ein

Paar Wochen

Sich zu einem glaͤnzenden Aufzuge abgeſprochen,

Und dieſer ging dann auch feierlich

Am beſagten Hochzeitstage vor ſich.

9. Drei Tage vor der Hochzeit kuͤndete die Trom-

mel

Im Dorfe, durch ihr ſchnarrendes Gerommel,

Allen Einwohnern alt und jung,

Die Loſung an zur Vergaderung.

10. Laͤngſt lag ſie vergeſſen im Hintergehaͤuſe

War eine ruhige Wohnung der Ratten und

Maͤuſe,

Denn im Dorf herrſchte ſeit undenklicher

Zeit

Stolze Ruhe und Friedlichkeit.

11. Jedoch bei ihrem ungewoͤhnlichem Allarme

Ward alles reg gleich einem Bienenſchwarme,

Und mit allerlei Unter- und Obergewehr

Zog man zum gewaͤhlten Waffenplatz her.

12. Jedem Komparenten ward da unverweilet

Seine Charge nach Verdienſt und Faͤhigkeit

ertheilet,

Und
[171]
Und der alte Philemon uͤbernahm die Muͤh,

Und uͤbte im Marſchieren und Feuern ſie.

13. Er verſtund gar herrlich das Manoͤvriren,

Hatte die Schlacht bei Rosbach helfen verlie-

ren,

Denn er war ein ganzes Jahr lang damal

Beim Kreiskontingente Korporal.

14. Man ſah fruͤh Morgens in zwei Kompagnien

Die ſchoͤnhainer Mannſchaft in Parade ziehen

Mit Trommel und Pfeiffe und wehender

Fahn,

Und den alten Philemon als Oberſter vor-

an.

15. Zwei auf dem Schloßplatz gepflanzte klei-

ne Kanonen

Geladen mit ein halb Loth ſchweren Patronen,

Gingen zur Loſung fuͤrchterlich loß,

Daß ſchier erbebt haͤtten die Fenſter am

Schloß.

16. Die ſaͤmmtliche Mannſchaft gab eine Salbe,

Es war aber eigentlich doch nur eine halbe;

Denn manches Gewehr verſagte den Schuß,

Und ging aufs Kommando: Gebt Feuer!

nicht luß.

17. Doch
[172]
17. Doch gabs beim Aufmarſchieren und Kriegs-

gewimmel

Ein allgewaltiges Laͤrmen und Getuͤmmel;

Man ſchrie vivat! als waͤre man toll

Und jeder Jagdhund des Schloſſes boll.

18. Es ſchien, als ob ſich alle Elementen

Bewegten und in einem Krieg befaͤnden,

Und als ob in dem Dorfe Schoͤnhain

Wuͤrklich der juͤngſte Tag braͤch ein.

19. Nach dreimal wiederholten Vivat und Char-

giren

Ließ man’s ganze Heer aufm Schloßplatz cam-

piren

Und vom Oberſten bis zum Musketier

Bekam jeder zu eſſen, und Brandwein und

Bier.

20. Als endlich die Nacht hatte angefangen,

Iſt jeder ſeines Weges nach Hauſe gegangen;

Auch das Brautpaar entſchliche ſchon fruͤh,

Ich weiß nicht: wohin? warum und wie?

21. Dieſes Wohin, Warum, Wie und Weswe-

gen,

Zu wiſſen, dran iſt uns nichts gelegen;

Genug, Eſther war von dieſem Abend an

genau,

Eine leibhaftige gnaͤdige Frau.

Sie-
[173]

Sieben und dreißigſtes Kapitel.


Wie ſich die junge gnaͤdige Frau von Ohnwitz
beging, und wie ſie nach neun Monaten eines
Soͤhnleins genaß.


[figure]
1. Ich muß es der jungen Frau zum Ruhm

nachſagen,

Daß ſie ſich immer gar zaͤrtlich betragen,

Und es dem jungen Herren noch zur Zeit,

Sie zur Gattin zu haben, nicht gereut.

2. Gar nach ſchon jetzt verfloßnen vier Jahren

Habe ich nicht das mindeſte davon erfahren,

Daß
[174]
Daß der boͤſe Ehegeiſt Asmodees

Angeſtiftet haͤtte Streit oder Getoͤß.

3. Sie fanden darin ihr vorzuͤglichſtes Entzuͤcken,

Sich durch getreue eheliche Liebe zu begluͤcken,

Und die junge gnaͤdige Frau hatte ſchon

Nach neun Monaten einen kleinen Sohn.

4. Sie iſt alſo, wie man deutlich ſiehet,

Ihrer Seits ernſtlich drauf aus und bemuͤhet,

Daß der Ohnwitzer Name beſteh’

Und ſein Stamm nicht ſo bald vergeh’

5. Sie hielte nichts von fremden Saͤugammen

Wie ſonſt uͤblich iſt bei vornehmen Madam-

men,

Sondern glaubte, ihn von eigner Milch

Zu ernaͤhren, ſey menſchlich und bill’g.

6. Sie blieb dabei nicht allein viel geſuͤnder

Sondern ihre Reize wurden eher groͤſſer als

minder;

Denn eine ſo ſuͤſſe ſchuldige Mutterpflicht

Schadet der Geſundheit und Schoͤnheit nicht.

7. Auch die Kleinen pflegen baß zu gedeihen,

Daß ſich Gott und Menſchen drob erfreuen,

Auch der ſonſtige Nutzen dabei

Iſt unwiderſprechlich noch mancherlei.

8. Sie
[175]
8. Sie ward auch in allem uͤbrigen Verhalten

Fuͤr ’n Muſter einer braven Dame gehalten,

Und jeder ſchoͤnhainer Unterthan

Betete ſie gleichſam als ihre Goͤttin an.

9. Noch immer fuͤhrete ſie das Steuerruder

Der Oekonomie bei ihrem lieben Bruder,

Und hielte auf dem großen Gute Schoͤnhain

Alles fein ordentlich, ſauber und rein.

10. Ihre Schwiegereltern thut ſie hoͤchlich ehren,

Handelt in allem nach ihrem Rath und Be-

gehren,

Und dieſe lieben ſie dafuͤr faſt mehr

Als wenn ſie ihre leibliche Tochter waͤr.

Acht
[176]

Acht und dreißigſtes Kapitel.


Wie Herr Jobs ſeine ſchildburger Verwandten
reichlich bedenket, und Schweſter Gertrud den
Schoͤſſer heirathet.


1. Man denke aber nicht als ob indeſſen

Herr Jobs ſeine andre Verwandten haͤtte ver-

geſſen;

Er hat vielmehr auch ſie kraͤftig itzt

Mit Gelde in Schildburg geunterſtuͤtzt.

2. Zum Exempel: Er ließ große Kapitalen

Per Wechſel an ſeinen einen Bruder auszahlen,

Und dieſer wurde ſchleunig alſo

Aus ’nem Kraͤmer ein großer Kaufmann

en gros.

3. Auch ſein aͤlt’ſter Bruder ward durch ihn gluͤck-

lich,

Denn ſein geiziges Weib ſtarb augenblicklich,

Fuͤr uͤbermaͤſſigem Freudenſchreck

Als ſie ſah die uͤberſandten Geldſaͤck.

4. Sein Herr Schwager der ſchildburger Kuͤſter

Bekam gleichfalls einen groſſen Torniſter

Voll von Geſchenken und Geld, und ward

gleich

Reicher als ein Kuͤſter im roͤmiſchen Reich.

5. Die
[177]
5. Die andre Schweſter brauchte auch dem Alten

Nun laͤnger nicht zu dienen und hauszuhalten,

Denn Herr Jobs machte ihr, Jahr ein Jahr

aus

Eine anſehnliche Rente zu verzehren aus.

6. Seine noch uͤbrige Schweſter die Gertruͤde,

Ein Frauenzimmer von ſehr gutem Gemuͤthe,

Invitirte er zu ſich nach Schoͤnhain,

Um ihm in der Wirthſchaft behuͤlflich zu ſeyn.

7. Verſprach auch ſonſt, ſie heute oder morgen

Reichlich und chriſtbruͤderlich zu verſorgen;

Sie gab alſo ihre bisherige Geſchaͤfte dran,

Und kam verlangter maſſen bald drauf an.

8. Nun war zwar beſagte Schweſter Gertruͤde

Eben nicht mehr in der beſten Jahrblute,

Aber doch fuͤrs Haus, Bette und Tiſch

Noch ziemlich munter, geſund und friſch,

9. Auch nicht unangenehm im Umgange;

Drum waͤhrte es auch zu Schoͤnhain nicht

lange,

Daß der Schoͤſſer, der ſich Wittwer befand,

Anhielte um ihr Herze und Hand.

10. Was vormals mit Prokrater Geyer geſche-

hen,

Das konnte niemand ihr weiter anſehen,

Drum willigte Herr Hieronimus drin,

Und ſie ward richtig Frau Schoͤſſerin.

Neun
[178]

Neun und dreißigſtes Kapitel.


Wie man allerſeits wegeilet; die adliche Geſell-
ſchaft nach Ohnwitz und der Autor nach dem
Ende des Buͤchleins. Sehr traurig zu leſen.


1. Zwar der Franken ſiegreiche Kriegsheere

Verbreiteten ſich weiter gleich dem fluthenden

Meere,

Und wohin ſie kamen, ward Knall und Fall

Ueberall alles gleich und egal.

2. Aber auf dem ſichern ſchoͤnhainer Gute

War man freudig und bei gutem Muthe,

Und durchlebte ein Paar Jahre Zeit

In ununterbrochener Einigkeit.

3. Indeſſen ward durch einen Separatfrieden

Das Schickſal von Ohnwitz gluͤcklich mit ent-

ſchieden,

Und der alte Herr und Frau von Ohnwitz

Kehrten zuruͤck nach ihrem vorigen Sitz.

4. Sie fanden da faſt alles jaͤmmerlich zerſtoͤret,

Und die Guͤter zum Theil vernichtet und ver-

heeret,

Indeſſen ward doch durch Herrn Jobſens

Geld

Alles beſtmoͤglichſt wieder hergeſtellt.

5. Aber
[179]
5. Aber die junge Frau nebſt ihrem Barone

Blieben beim Herrn Jobs, mit ihrem Sohne,

Weil ſich dieſelbe vor der Hand

Abermals einer Niederkunft nahe befand.

6. Sie kam auch gluͤcklich zum zweitenmal wie-

der

Mit einem lieben jungen Baroͤnlein nieder,

Und man nannte daſſelbe nach ſeinem Ohm

Und Pathen, in der Taufe Hieronom.

7. Nach den zuruͤckgelegten Kindbetterwochen

Sind auch ſie nach Ohnwitz aufgebrochen,

Aber der Abſchied vom guten Schoͤnhain

Ging ihnen beiden durch Mark und Bein.

8. Herr Jobs hat auf herzliches Bitten

Sie auf der Reiſe nach Ohnwitz beglitten

Und uͤbergab zur einſtweiligen Obhut

Sein Gut dem Schwager Schoͤſſer und der

Gertrud.

9. Denn auch er konnte dem Trieb nicht wider-

ſtehen

Seine lieben Ohnwitzer mal wieder zu ſehen

Und ſein Herz blutete, als er fand

Ihren dermaligen traurigen Zuſtand.

10. Er gab ihnen gerne die noͤthigſten Gelder

Zur Reparirung der Haͤuſer und verdorb’nen

Felder,

Kaufte
[180]
Kaufte ihnen Schaafe, Pferde und Kuͤh

Und unterſtuͤtzte aufs mildeſte ſie.

11. Seitdem ihn der Krieg von da vertrieben,

War die Pfarrſtelle unbeſetzet geblieben,

Aber ſie war vom Herrn von Ohnwitz jetzt

Wieder durch ’nen treflichen Mann beſetzt.

12. Das that Herrn Jobs ungemein gaudiren

Denn es wollt ſich ja hinfort nicht mehr gebuͤh-

ren,

Daß er die Pfarrſtelle wieder uͤbernaͤhm

Und als Herr von Schoͤnhain nach Ohnwitz

kaͤm.

13. Als er ein Paar Wochen noch da verweilet,

Hat er wieder nach ſeinem Schoͤnhain geeilet;

Aber dieſer ſehr bittere Abſchied

Erſchuͤtterte innerlich ſein Gemuͤth.

14. Eine Ahndung wollte ſchier bei ihm entſte-

hen

Als wuͤrde er Ohnwitz nie wieder ſehen,

Doch er ergab ſich endelich drein,

Und kam gluͤcklich wieder an zu Schoͤnhain.

Vier-
[181]

Vierzigſtes Kapitel.


Wie Herr Hieronimus zum zweiten mal von
Freund Hein einen Beſuch bekam, welcher
fuͤr diesmal laͤnger dauert als der erſte.


[figure]
1. Wir Menſchen pflegen in unſern Erdenſa-

chen

Manche kluge Plaͤne und Entwuͤrfe zu machen

Aber ein unvermutheter Queerſtrich

Iſt uns gar oft daran hinderlich.

2. Auch Herr Jobs gedachte mit ſeinem Vermoͤ-

gen

Noch vielfaͤltig zu ſtiften Nutzen und Segen

Und
[182]
Und auf ſeinem lieben Gute Schoͤnhain

Sich eines laͤngern Lebens zu freun.

3. Aber es hat ihn neulich wider alles Verhoffen

Eine graſſirende boͤſe Krankheit betroffen,

Und er ſelbſt prophezeite im erſten Anfang

Sich davon einen toͤdtlichen Ausgang.

4. Er befahl ernſtlich auf ſeinem Krankenlager

Drei Dinge ſeiner Schweſter und ſeinem

Schwager:

Erſtlich, daß man ihn ja nicht eher be-

gruͤb,

Bis er wuͤrklich faul zu werden anhuͤb;

5. Man ſollte waͤhrend der Zeit mit ihm experi-

mentiren

Ob ſein Leichnam etwa ſich wieder wuͤrde ruͤh-

ren

Und es ſollte bei demſelben bei Tag und

bei Nacht

Fuͤnf Tage lang jemand halten die Wacht.

6. Zweitens, ihn dann ohne Leichengetuͤmmel

Begraben unter Gottes freien Himmel,

Und neben Amaliens Leichenſtein

Bei den Linden, ſollte ſein Begraͤbniß ſeyn,

7. Drit-
[183]
3. Drittens, ſollte nach ſeinem erfolgten Ab-

ſterben

Kein Gezaͤnk entſtehen zwiſchen ſeinen Erben,

Sondern ſie ſollten bruͤder- und ſchweſterlich

Darein alle egal theilen ſich.

8. Man war bemuͤht, dieſen ſeinen letzten Willen

In allen drei Stuͤcken puͤnktlich zu erfuͤllen;

Denn er beſchloß nun wuͤrklich ſeinen Lebens-

lauf

Und ſtund zum zweitenmal nicht wieder auf.

[[184]]

[[1]]

Kurze
aber getreue Erzaͤhlung der ſo lange
die Welt ſteht unerhoͤrten Geſchichte
einer
Somnambuͤle,
genannt
Elſabe Schlunz,
welche von
vornehmen und geringen, maͤnnlichen

und weiblichen, alten und jungen, gelehrten und ungelehr-
ten, einheimiſchen und fremden Perſonen, ſorgfaͤltig un-
terſucht iſt und bezeugt werden kann.


Ein Anhaͤngſel zur Jobſiade.


Von
Dr. C. A. K.


Preis 4 gGr.


Schildburg,
gedruckt in dieſem Jahr.
(Zu haben: Hamm, bei Schultz u. Wundermann.)


[[2]][[3]]

Einleitung.


Es werden in unſern Tagen ſo viele Geſchichten
von Somnambuͤlen muͤndlich und ſchriftlich auf-
getiſcht, daß einem der Appetit vergeht. In
ehemaligen Zeiten hat man kaum etwas davon
gewußt und man wuͤrde ſolche gewiß auch nicht
geglaubt haben. Unſerm aufgeklaͤrten Jahr-
hundert aber iſt es aufbehalten ſie groͤßtentheils
zu glauben. Auch iſt die Anatomie und Phy-
ſiologie durch manche neue Entdeckung bereichert
worden, welche man vorher nicht geahnet haͤtte.


Wer haͤtte es vermuthet, daßſich im menſchli-
chen Koͤrper, den doch unſere Kunſtverſtaͤndigen
ſo gut innerlich und aͤuſſerlich zu kennen ſich be-
ruͤhmen, noch Organe befinden, deren Exiſtenz
bisher ihrer Aufmerkſamkeit entgangen war, ver-
mittelſt welchen man ohne Augen, Ohren, Na-
ſe und Zunge, ſehen, hoͤren, riechen und
1 *
[[4]] ſchmecken koͤnnte? Wer haͤtte es fuͤr moͤglich
gehalten, daß eine verborgene Kraft entdeckt
werden wuͤrde, genannt Magnetismus,
die durch Beruͤhrung, ja bloß durch Anſehen und
Blicke, dermaſſen in den menſchlichen Koͤrper
und Geiſt zu wuͤrken vermoͤge, daß einem vor
Erſtaunen die Haare zu Berge ſtehen muͤſſen?
Und doch iſt es ausgemacht, daß ſolches alles
wahr ſey, ſo unbegreiflich es auch dem ſchlichten
Menſchenverſtande ſcheint.


Alle Geſchichten, welche man davon erzaͤhlt,
in billigen Ehren gehalten, will ich doch jetzt
eine mittheilen welche jede andere weit uͤber-
trifft: im Voraus uͤberzeugt, daß ſich viele
meiner Leſer daran erbauen werden, denn ſie
macht in der Lehre vom Somnambulismus
und Magnetismus Epoche.


[[5]]

Geburt und Taufe der Elſabe Schlunz.


Elſabe Schlunz wurde in Schildburg gebo-
ren und zwar am erſten Sonntage des jetzigen
Jahrhunderts. Ihre Eltern, nemlich ihr angebli-
cher Vater Peter Schlunz und ihre Mutter
Juͤtte Flapps waren Buͤrgerleute und zwar
der Vater ein geſchickter Schlotfeger, dem von ſei-
nem Großvater und Vater dieſes Handwerk ſchon
angeerbt war, womit er ſich zwar kuͤmmerlich, aber
doch in ſo weit ehrlich ernaͤhrte. Die Mutter
war die einzige Tochter einer renommirten Waͤ-
ſcherin. Ich fand dieſe Familiennachrichten in
einer uralten Hausbibel verzeichnet, welche zu-
gleich zu einer Chronik des Orts diente und
manch wichtige hiſtoriſche Anekdoten enthielt.
Hierin war nun auch das Jahr und der Tag der
Geburt unſerer Elſabe Schlunz, unter der
obgleich etwas unleſerlichen Hand ihres Vaters
genau verzeichnet, mit folgenden Worten:


“Ein und ein Viertel auf 6 Uhr, am erſten
[6] „Sonntage 1800, wurden ich und meine Frau er-
„freuet mit der Geburt eines Toͤchterleins, welche
„Gottlob leicht erfolgte, ohngeachtet grade keine
„Hebamme zur Hand war. Sechszehn Tage
„nachher wurde das liebe Kind, nach chriſtloͤb-
„lichen Gebrauch, vom Pater Joſten in der
„groͤßten Eil getauft, weil daſſelbe urploͤtzlich
„das Gefraiſch bekam, ſo das der Exorcis-
„mus
nicht einmal vorher gehen konnte. Die
„geſchwind herbei gerufenen Gevattern waren
„unſere naͤchſten Nachbarinnen und Nachbarn:
„die Frau Wind, Wittwe des ſeeligen Cas-
„par Wind, weiland wohl beſtallten Baͤlgentre-
„ters in der hieſigen Medardus-Kirche; meine
„Muhme die eheleibliche Frau des Schwefel-
„holzhaͤndlers Joͤrgen Stripps; ferner,
Meicher Kehr, Beſenfabrikant, und mein
„Buſenfreund Theodor Kneif, Mitglied
„der ehrſamen Schuſterinnung hieſelbſt. Gott
„gebe, daß das junge Wichtchen zu ſeinem Gluͤcke
„und unſerer Freude aufwachſen moͤge, wie eine
„Ceder zu Livanon.“


Der Taufackt haͤtte nach der Regel wohl
fruͤher geſchehen muͤſſen; weil es aber dem Va-
ter damals am Gelde fehlte, um den Brandwein
[7] und andere Taufzechskoſten zu beſtreiten, auch
Pater Joſten dieſes Geſchaͤft ſchlechterdings
nicht umſonſt oder auf Borg verrichten wollte,
ſo mußte zur Bezahlung der Koſten, ein zwar
alter, jedoch noch brauchbarer Spiegel vorher
verkauft werden, uͤber deſſen Ankauf Jude Mo-
ſes
lange handelte ehe man damit fertig wurde.


Erſtes Kinderjahr der Elſabe Schlunz.


Das Kind bekam ſeinen Namen von der Frau
Muhme Stripps, welche Eliſabeth hieß,
und durchaus verlangte, daß daſſelbe dieſen und
keinen andern fuͤhren ſollte; ſie ſetzte auch ihren
Plan mannhaft durch, trotz allen Widerſpruͤchen
und Proteſtationen der Frau Wind. Das
Kleine war uͤbrigens gut gebildet, dabei auch
nach ſeiner Art munter, ausgenommen daß es
manchmal die Geſichtszuͤge verzog und weinte,
welches vermuthlich von dem nicht genug abge-
fuͤhrten Kindspech und daher entſtehenden
Bauchgrimmen, auch zuweilen wohl vom Man-
gel der erforderlichen Nahrung herruͤhren mogte,
denn es fehlte der Mutter oft an Milch zum
Saͤugen; indem ſie ſelbſt kaum Atzung genug
[8] zum eigenen Bedarf hatte, und meiſtens mit
etlichen Taſſen Roggenkaffee und einer Kruſte
Schwarzbrodt den Hunger ſtillen mußte. Es
wuͤrden Mutter und Kind wohl endlich gar ver-
ſchmachtet ſeyn, wenn nicht der menſchenfreundli-
che Gevatter Schuſter Kneif ihrem Beduͤrfniſ-
ſe zuweilen zu Huͤlfe gekommen waͤre. Mit die-
ſem ſtund die Mutter, ſo wohl vor als nach ih-
rer Verheirathung, im vertraulichen Umgange.
Das letzte mogte vielleicht die Urſache ſeyn, daß
ſich die Mutter an ihm verſehen, und daher das
Kind ſelbſt, weniger mit Schlunz als mit
Kneif Aehnlichkeit im Geſicht, auch fuchsrothe
Haare wie dieſer hatte; wie ſolches gleich Anfangs
ſchon die Gevattern bemerkten.


Waͤhrend des Taufſchmauſes fielen nun un-
ter den Gevattern manche Diskurſe und Debat-
ten vor, welche einigemal, nachdem der Brand-
wein hoͤher zu Kopfe geſtiegen war, in Perſonali-
taͤten auszuarten drohten, aber doch gluͤcklich
von ſeine Wohlehrwuͤrden dem Herrn Pater
Joſten noch beigelegt wurden.


Beſonders bemerkte Muhme Stripps,
welche im Geruche einer klugen Frau ſtand und
die Krone aller Spinnweiber im Staͤdchen war:
[9] wie es ſonderbar ſey, daß das Kind Elſabetchen
grade im Anfange des neuen Sekulums und noch
dazu an einem Sonntage geboren ſey; ſo wie
auch, daß es uͤber zwei Sonntage ohne Taufe
gelegen habe. Sie behauptete, daß ſolche Sonn-
tagskinder von der Natur die Gabe haͤtten, Vor-
geſchichten und Geſpenſter zu ſehen. Sie be-
ſtaͤtigte ihre Meinung zugleich aus Erfahrung
und ſagte; daß ſie ſelbſt eine Verwandte gehabt
habe, welche nolens volens zu gewiſſen Zeiten,
beſonders des Nachts aus dem Bette aufſtehen
muͤſſen, da ſie dann auf der Straße, bald ein
Eulengeſchrey, bald ein Katzenmiauen gehoͤrt
habe, und daß dann gewoͤhnlich binnen Jahr und
Tag im Orte entweder ein Todesfall oder ein
Hochzeitsfeſt erfolgt ſey. Die andern Taufgaͤ-
ſte widerſprachen jener nicht, ſondern hielten
ſolche Folgen der Sonntagsgeburten fuͤr ganz
natuͤrlich, obgleich ſie es nicht begreifen konn-
ten. Genug, ſie wußten einmal, daß Frau
Gevatterin Stripps mehr als gemeine Weis-
heit beſitze; denn ſie verſtand auch das Wahrſa-
gen aus Kaffee und Karten, ſo wie beſonders
die Kunſt aus den Linien der Haͤnde die Pla-
neten zu leſen, welches letztere ſie von einer Zi-
geunerin erlernt hatte, die ſehr beruͤhmt war,
[10] und nachher als Maͤrtirerin ihrer Wiſſenſchaft
verbrannt wurde.


Die Frau Kindbetterin kehrte ſich zwar nicht
ſonderlich an dieſe Sage der Frau Stripps,
behielt aber doch ihre Worte in einem feinen gu-
ten Herzen. Der Kindsvater Peter Schlunz
aber erklaͤrte alles rundaus fuͤr Dummerey; denn
er war ein halber Freigeiſt, ging weder zur
Meſſe, noch zur Kirche, achtete weder Qua-
tember noch Faſttage, ſondern fraß ohne Unter-
terſchied, was ihm vorkam, ſof ſich auch, wenn
er es haben konnte, ſelbſt auf Sonn- und Hei-
ligentagen toll und voll, trieb dabei ſeine Schlot-
fegerskunſt oft ſehr nachlaͤſſig und machte ne-
benbei ſich kein Gewiſſen daraus, wenn er ge-
legentlich aus den Schorſteinen Wuͤrſte und
Speckſeiten, oder von den Kornboͤden und Vor-
rathskammern Getraide und trocknes Obſt mau-
ſen konnte.


Elſabens Erziehung.


Elſabe bekam nach und nach mehr Geſchwiſter,
welche alle dem Bilde des Meiſters Kneif
[11] aͤhnlich waren. Ihre Erziehung war eben nicht
die Beſte. Denn ein Philantropin konnte ſie
ſchlechterdings nicht beſuchen, und zwar aus dem
ganz einfachen Grunde, weil keins im Lande vor-
handen, und die Koſten, ſie nach Deſſau, Marſch-
lins, Tuͤrkheim oder ſonſt in eine beruͤhmte
Penſion zu ſchicken, leider fehlten. Jedoch lern-
te ſie von einem Vetter, einem jungen Men-
ſchen, welcher Unterlehrer in der deutſchen Schu-
le des Orts war, zur Noth etwas Buchſtabie-
ren und leſen, wie auch ein wenig mit der Fe-
der kritzeln, was ohngefaͤhr wie Buchſtaben aus-
ſah. Die meiſte Zeit brachte ſie mit herumwan-
dern in den benachbarten Doͤrfern zu, wo man
ihr oft Brod und ſonſtige Lebensmittel mittheil-
te; oder auch mit Exkurſionen in fremden Fel-
dern und Gaͤrten, vorzuͤglich zur Herbſtzeit wenn
die Kartoffeln und das Obſt reif waren. Das
Erworbene theilte ſie gewoͤhnlich mit ihrer Mut-
ter und den Geſchwiſtern; denn der Vater
konnte ſich anderweitig ſelbſt helfen.


Ihre Kinderjahre verſtrichen uͤbrigens leid-
lich, auch die gewoͤhnlichen Kinderkrankheiten
gingen gluͤcklich voruͤber; jedoch litt ſie von den
Blattern viel, denn die Vaccination ſahe man
[12] noch als eine unerlaubte Pfuſcherei in die goͤtt-
liche Vorſehung an. Ihre Geſichtsbildung
blieb indeſſen unverſehrt und ſie konnte fuͤr ein
huͤbches Laͤrvchen paſſiren.


Große Widerwaͤrtigkeiten erlebte ſie auch in
ihrer Jugend nicht: denn die Eltern ließen
ihr alles hingehen, wenn ſie auch oftmals Scha-
bernack anrichtete. Als ſie 15 Jahre alt war
und anfing ſich zu fuͤhlen, daß ſie weiblichen
Geſchlechts ſey, bekam ſie doch einmal eine
Tracht Pruͤgel, die ihr gewiß, wegen den Pa-
thos, womit ſie aufgeladen wurden, im unge-
ſegneten Andenken lebenslang bleiben werden;
und zwar bei Gelegenheit: da der Vater eines
jungen Menſchen ſie mit demſelben des Abends
ſpaͤt auf dem Heuboden ertappte.


An Geiſtesgabe und natuͤrlichem Verſtande
fehlte es ihr gar nicht. Sie konnte ſchon fruͤh
luͤgen, wie ein Kalenderdrucker, auch ſchwoͤren,
daß die Baͤume haͤtten krachen moͤgen und es
war pur unmoͤglich, daß ſie uͤber etwas haͤtte
erroͤthen koͤnnen. Sie verſuchte es einmal als
Kindermaͤdchen zu dienen, fand aber dieſe
Sklaverei bald unbequem, quittirte ſtillſchwei-
gend den Dienſt, nahm einige Kleinigkeiten
[13] zum Abſchiede mit ſich und that, als ob ſolche
ihr zugehoͤrt haͤtten.


Elſabe wird Somnambuͤle.


Poeten muͤſſen geboren werden, und Diebe brin-
gen die Dispoſition zum Stricke mit auf die
Welt. Alles muß ſich uͤbereinſtimmig dazu fuͤ-
gen, wenn einer in ſeiner Art groß oder klein
werden ſoll. Das gilt nun auch von unſerer
Elſabe. Sie war, das kann ja der Einfaͤltig-
ſte aus ihrem bisherigen Lebensgange ſehen,
einmal vom Schickſale beſtimmt eine auſſeror-
dentliche Somnambuͤle zu werden. Darum
ward ſie an einem Sonntage geboren; darum
lag ſie uͤber zwei Sonntage als Heidin unge-
tauft; darum vergaß Pater Joſten bei der Tau-
fe den Exorcismus, und ſo blieb der unſaube-
re Geiſt zum Theil bei ihr; darum hatte ſie
die Frau Stripps zur Pathin, welche ihren
Wahrſagergeiſt dem Paͤthchen mittheilte; dar-
um war ihr Geburtsort grade Schildburg, wel-
ches wegen ſeiner klugen Buͤrger ſchon laͤngſt
beruͤhmt iſt, und deſſen Klima folglich auf ſie
Einfluß hatte; darum war der Hang zum Luͤ-
[14] gen etwas zu ihrer Natur gehoͤriges, welch es die
ſchlechte Erziehung hoͤher ausbildete; darum
mußte ſie auch eben um den Anfang des 19ten
Jahrhunderts geboren werden: weil um dieſe
Zeit der Magnetismus und Somnambulismus
an der Tagesordnung kommen ſollte. Bisher
hatten alle dieſe Darums ſich bei Elſabe
Schlunz
noch nicht entwickelt. Jetzt aber
war ſie 17 Jahre alt, und da erſt lernte ſie die
Wichtigkeit ihrer Beſtimmung kennen, und
wurde in kurzer Zeit groͤßer, als alle Som-
nambuͤlen vor ihr geweſen waren und bis zum
juͤngſten Tage nach ihr ſeyn werden.


Die Veranlaſſung dazu war folgende:


Unfern von Schildburg wohnte ſeit einiger
Zeit eine junge Frauensperſon welche oft mit
Kraͤmpfen elendiglich behaftet war, auch zuwei-
len ſtark delirirte. Sie erregte wegen der trau-
rigen Nervenzufaͤlle, die unter mancherlei Ge-
ſtalt auftraten und lange anhielten, endlich Auf-
ſehen. Sie verkuͤndigte in den Paroxismen
ihres wuͤrklichen Wahnſinnes zuweilen etwas
das zufaͤllig eintraf und der einfaͤltige Zuſchauer
als was uͤbernatuͤrliches bewunderte. Weil
ſie arm war, ſo wuͤrde ſie aus Mitleiden oft reich-
[15] lich beſchenkt. Ein zwar noch junger aber ſehr
geſchickter Arzt erbarmte ſich ihrer, gab ihr
nervenſtaͤrkende und wurmabtreibende Mittel,
heilte ſie auch damit in der Folge wuͤrklich. Er
machte auch einigemal mit ihr zur Zeit der Anfaͤlle
einige magnetiſche Verſuche ohne jedoch davon
aberglaͤubiſche Wuͤrkungen zu erwarten. Weil
der Zulauf zu der Patientin groß war, ſo ging
auch einmal Elſabe Schlunz aus Neugier zu
ihr hin, beobachtete alle wunderbaren Phaͤno-
mene ihrer Krankheit, ſo wie auch die Arbei-
ten des magnetiſirenden Arztes. Sie fand den
Hokus Pokus drollicht und das Ding ſelbſt
eintraͤglich. Sofort fing ſie zu Hauſe an,
ſich in Verdrehungen der Glieder zu uͤben und
manches zu ſehen, was andere nicht ſahen. Der
Mutter, welche dieſes zuerſt bemerkte, fiel es
nun auf einmal ein, daß Elſabe ein Sonn-
tagskind ſey. Sie bewunderte zuerſt ihre Kunſt-
gabe und dann beſtaͤrkte ſie dieſelbe darin, gab
auch der Muhme Gevatterin Stripps davon
Nachricht, welche nicht ermangelte das Aben-
theuer weiter auszubreiten. Einige Experimen-
te, welche Elſabe machte, gluͤckten ihr Anfangs
ziemlich und ihre gute Mutter half ihr ein,
wenn ſie ſich etwa verſchnappte.


[16]

Nun ging das Ding weiter. Sie aß und
trank zuweilen ganzer Wochen lang nicht das
mindeſte, wenn man auch genau auf ſie Ach-
tung gab, oder die leckerſten Nahrungsmittel ihr
anbot; aber des Nachts ſteckte ihr die Mut-
ter die Speiſen und Getraͤnke heimlich zu- In
Gegenwart der ſie bewundernden Leute ſchnitt
ſie allerlei Geſichter und Grimaſſen, brumm-
te oft wie ein Rohrdommel, oder bellte wie
ein Hund, fuhr auch zur Abwechſelung einem
ins Geſicht oder in die Haare. Wenn ſie
vermeintliche lucida intervalla hatte, gab ſie
auch auf manche ihr vorgelegten Fragen vernuͤnf-
tige Antworten die jedoch, wie leicht zu denken
iſt, doppeltſinnig und zweideutig waren.


Elſabens fernere Fortſchritte in der
Hellſeherkunſt.


Bisher hatte ſie ihre Kuͤnſte noch immer mit
offnen Augen gemacht, obgleich im anſcheinenden
Schlafe, oder als wenn ſie erſtarrt waͤre; aber mit
ihrer ſteigenden Celebritaͤt ſtieg nun auch ihr
Kunſtvermoͤgen. Jetzt ließ ſie ſich die Augen
verbinden und konnte dennoch manches ſagen, was
[17] vorging. Einſtens hoͤrte ſie auf der Straße
ein Poſthorn blaſen und ſie ſagte, der Blaſende
habe einen blauen Rock an und ſaͤße vorne auf ei-
nem Wagen. Als ein Jagdhorn ertoͤnte ſprach
ſie: Ey da kommt einer mit einem gruͤnen
Rocke bekleidet der genau ausſieht wie unſer
herrſchaftlicher Jaͤger Hans Hubert; er hat
ſeinen Waldmann bei ſich. So hoͤrte ſie auch
im vorigen Winter, als es gefroren hatte, nicht
weit von ihrem Hauſe erbaͤrmlich ſchreien und
ſie wuſte gleich daß es ein Kind ſey welches
gefallen waͤre. Als einer mit einer Peitſche
knallend vorbei fuhr behauptete ſie beſtimmt,
der Knall ruͤhre von einem Manne her, wel-
cher einen leinenen Kittel uͤber ſeinen Rock ha-
be; und ſiehe da! es war wuͤrklich ein Fuhrmann.
Einſt fragte man, was Pater Joſten jetzt an-
fange? Antwort: Er iſt bei ſeiner Koͤchin, ſitzt
bei der Weinflaſche und hat ein Buch neben
ſich aufgeſchlagen liegen mit lateiniſchen Buch-
ſtaben. Auch dieſes traf ein, denn es war
Nachmittags vier Uhr, und nach ſeiner Gewohn-
heit laß der geiſtliche Herr um dieſe Zeit ſeine
Horas und trank abwechſelnd dazwiſchen. Die
Geruͤche ſuͤßer junger Herren witterte ſie auf
ſechs Schritte. Vom Vater, wenn er des Abends
2
[18] aus der Schenke kam, wuſte ſie genau wie viel
Geld er noch in der Taſche habe; nemlich
— nichts. Sie konnte auch unfehlbar angeben,
was jetzt der Sultan zu Konſtantinopel in ſei-
nem Harem anfange, beſonders wenn es in
der Zeit der Abenddaͤmmerung war. Jedes-
mal prophezeite ſie eine Stunde vorher, wenn
ihr Schlaf eintreten und wenn er aufhoͤren
wuͤrde. Abwechſelnd ſagte ſie auch wohl in
ihrem feſten Schlafe, wenn ſie nemlich des
Dinges muͤde war, daß man ſie wecken ſollte.


Ein Glas Waſſer welches durch Anhauchen
oder gar nur durch Beruͤhren mit dem Finger
magnetiſirt war und ihr gereicht wurde, ſchmeck-
te nach ihrer Verſicherung ſalzig oder auch ei-
ſenhaft. Im magnetiſchen Schlafe pflegte ſie
ſich ſelbſt Mixturen zu verordnen, welche faſt
immer aus Wein, Zucker und Gewuͤrzen be-
ſtanden und ſie ruͤhmte dann: daß ſie ſich nach
dieſer Arznei ſehr geſtaͤrkt befaͤnde.


Elſabe macht ihre Kuͤnſte immer beſſer.


Kranke nehmen oft Zuflucht zu ihr und fragen
ſie fuͤr ſich und andere um Rath. Einem,
[19] welcher die Swindſucht hatte, rieth ſie einmal
zum Gebrauch die Wurzel Pramsi als ein un-
fehlbares Heilmittel an; aber kein Apotheker
kannte dieſelbe und ſie war auch im ganzen Re-
giſter der Materia medica nicht zu finden;
der Patient blieb alſo ungeheilt und ſtarb. In
andern Kuren war ſie gluͤcklicher. Einem der
keine Eßluſt hatte, ordinirte ſie: ſich fuͤr einen
Batzen Magentropfen zu kaufen und ſolche mit
Schnaps zu trinken. Einem andern, welcher
ſehr verſtopft war, gab ſie den vernuͤnftigen
Rath eine Purganz einzunehmen. Als ſie we-
gen eines hartbaͤuchigen Kindes konſulirt wurde,
ſagte ſie: es ſey angewachſen und man muͤſſe es
mit dem Daumen tuͤchtig unter den kurzen
Rippen ſtreichen, bis es laut ſchrie. Einem
Podagriſten rieth ſie ſich fleißig zu bewegen
und eine wilde Kaſtanie auf das Knie zu bin-
den; einem Waſſerſuͤchtigen in einen heißen
Backofen zu kriechen damit das Waſſer aus-
trockne, und einem der das kalte Fieber hatte,
dreimal um den Kirchhof zu laufen. Einer
jungen Frau welche gern Kinder gehabt haͤtte
verſicherte ſie, daß unfehlbar ihr Wunſch wuͤr-
de befriedigt werden, wenn ſie ſich magnetiſi-
ten ließe. Dieſe und aͤhnliche treffliche Rathſchlaͤ-
2 *
[20] ge zur Heilung der Krankheiten, machten ſie
in kurzer Zeit ſo beruͤhmt, daß kein ordentli-
cher Arzt gegen ſie ſchier mehr aufkommen konn-
te, und dieſe genoͤthigt wurden eine Klage wi-
der ſie beim Kollegio Sanitatis einzugeben,
worauf jedoch bisher nicht reflektirt worden iſt.


Zuweilen war ſie eigenſinnig und wollte in
ihrem Schlafe nicht antworten, beſonders wenn
ſie merkte, daß man gegen ſie mißtrauiſch war,
oder ihr die Beantwortung zu ſchwer fiel. Die-
ſem Eigenſinne bleibt ſie auch noch bis auf den
heutigen Tag getreu; deswegen kann ſie auch
gewiſſe Perſonen nicht leiden und verſagt ihnen
die Audienz. Wird ſie des Fragens und Vexi-
rens muͤde und iſt niemand da, der ſie auf ihr
ausdruͤckliches Verlangen aus dem Schlafpa-
roxismus weckt, ſo erwacht ſie von ſelbſt mit
einem tiefen Seufzer.


Seit etwa dreiviertel Jahr hat ſie ſich
auf ihre eigene Hand einen Magnetiſeur
angeſchafft, nemlich einen jungen Friſeurgeſellen
mit welchem ſie im engſten Rapport ſteht, und
von dem ſie zuweilen ſagt, daß ſie ihn mit
einem Lichtglanze umgeben oder gar im weißen,
blauen, gruͤnen und rothen Feuer ſtehen ſaͤhe;
[21] ſie iſt jedoch gerne allein mit ihm. Meiſtens
fuͤhlt ſie ſich in ihrem magnetiſchen Schlaf
ſehr behaglich, zuweilen wuͤnſcht ſie aber zu
ſterben und ſtellt ſich ſo klaͤglich, daß es einem
Stein in der Erde erbarmen moͤchte. Dann
iſt jedoch gleich ihr Helfer bei der Hand, der
ſie mit ein Paar Manipulationen ſo fort be-
ruhigt. Dieſer haͤlt ein genaues Tagebuch von
ihren Thaten und Symptomen und wird, wie
mir verſichert iſt, es einſt in Druck geben, wenn
er dafuͤr einen Verleger findet.


Hoͤchſter Grad von Elſabens Exaltation.


Alles bisher Geſagte iſt nur Kinderſpiel gegen
dasjenige was ich jetzt noch erzaͤhlen will.


Seit ſechs Wochen iſt ihr Somnambulis-
mus aufs hoͤchſte geſtiegen und der Zulauf zu
ihr uͤbertrifft alle Beſchreibung. Das Hellſe-
hen iſt nun bei ihr ſo habituell, daß ſie es einem
ſchon im Schlafe und mit den am feſteſten
und ſorgfaͤltigſten verbundenen Augen anſe-
hen kann, was man ihr fragen will. Sie
antwortet dann ſchnell und ſo beſtimmt,
[22] wie nie das Orakel zu Delphis, oder eine der
zwoͤlf beruͤhmten Sybillen jemals gethan ha-
ben. Zweideutige Antworten womit ſich allen-
falls gemeine Somnambuͤlen zu behelfen wiſ-
ſen, finden hier gar keine Statt mehr.


Legt man unter einem zwei Fuß dicken
Klotze, ein beſchriebenes Papier, ſo kann ſie
im Augenblick ohne ſtammeln leſen was darauf
ſteht, und zwar nicht allein Deutſch von der
groͤßten Fraktur an bis zur Nonpareilfraktur,
ſondern auch latein, franzoͤſiſch, engliſch, ſpa-
niſch, portugieſiſch, griechiſch, hebraͤiſch, chal-
daͤiſch, ſamaritaniſch, koptiſch, arabiſch, ſyriſch,
armeniſch, perſiſch, aͤthiopiſch, illiriſch, ruſſiſch,
ſineſiſch, malabariſch, tamuliſch, kurzum alle
moͤgliche Sprachen und Schriften.


Das Geld was in einer verſchloſſenen Kiſte
ſich befindet, weiß ſie bis zum letzten Heller
anzugeben, ſo wie auch die Muͤnzſorten ſelbſt;
imgleichen wie viele beſchnittene Dukaten, leich-
te Louisd’ors und falſche Kronenthaler und
Groſchen darunter ſind.


In der letzten Ziehung des Lotto gewann
ſie 2000 Reichsthaler, weil ſie es vermittelſt
[23] ihrer Divinationsgabe wußte, welche Nummern
herauskommen wuͤrden.


Sie ſieht nicht allein mit dem Bauche,
ſondern ſpricht auch mit demſelben in aller-
lei unbekannten und bekannten Sprachen, wie
der beſte Bauchredner.


Sie unterhaͤlt ſich mit Verſtorbenen ſehr
vertraulich trotz weiland Schwedenborg und
hat noch vor 14 Tagen ein Geſpraͤch mit der
Hexe von Endor, welche bekanntlich ebenfalls
eine Somnambuͤle war, gehalten, das ſehr in-
reſſant war, aber wollte ſolches aus beſondern
Urſachen nicht mittheilen.


Das Ende der Welt beſtimmt ſie aus pro-
phetiſchem Geiſte auf das Jahr 1920 den
1. April
, grade um Mittag, es muͤßten aber
noch mancherlei unangenehme Dinge: Krieg,
Theurung, Seuchen, vermehrte Abgaben, Blitz,
Donner und Hagel, Kometen u. d. g. vorher
gehen. Jeder iſt neugierig ob dieſe Weiſſa-
gung eintreffen werde.


Ihr Magnetiſeur hat ſie ganz in ſeiner
Gewalt und kann mit ihr machen was er will.
Er braucht nur ein Schnipfchen zu ſchlagen,
[24] ſo macht ſie die poſſirlichſten Spruͤnge daß man
ſich halb krank lachen ſollte, wenn man nicht
billiges Mitleiden mit der armen Patientin
haͤtte. Er kann, wenn er mit ſeiner Opera-
tion bei ihr an den Fuͤßen anfaͤngt, ſie bis an
die Stubendecke, mit ſeinem kleinſten Finger,
in einer Entfernung von zehn Schritten, in die
Hoͤhe heben und ſie ſtundenlang daſelbſt ſchwe-
bend erhalten; mit einem Augenwinke ſie uͤber
einem Tiſch der acht Fuß breit iſt ſpringen, auch
ſie auf ſeinen Fingerſpitzen wie ein Eichhoͤrnchen
herumtanzen laſſen. Mehrmahls hat er ſie
durch eine geringe Manipulation auf den Kopf
geſtellt ſo lange es ihm und ihr gefiel, und
bloß mit einem Anhauchen aus der Ferne ſtell-
te er ſie wieder auf die Fuͤße. Er darf ſie
nur anblaſen, ſo laͤuft ſie im Kreiſe herum wie
eine Windmuͤhle, daß ſie ſchwitzen muß wie
ein Baͤr.


Die anziehende Kraft iſt ſo groß, daß wenn
der Operateur in der Entfernung von zwanzig
Schritten, ihr ſeine beiden Daumen entgegen
ſtreckt, ſie mit ihren Daumen ſofort feſt gegen
dieſelben hinfliegt, wie Feilſtaub gegen den Mag-
neten, und nur mit aͤuſſerſter Gewalt wieder
los gemacht werden kann,


[25]

Einmal hob er ſie mit einem einzigen Dau-
menſtrich bis an den Mond herauf, ſo geſchwind
als ob ſie auf Mahomets Borak geritten haͤt-
te, und mit einem Kontraſtrich brachte er ſie
auch wieder auf die Erde. Dieſes alles iſt
Thatſache und ich verbuͤrge als Anonymus
mich dafuͤr.


Sie hat eigenes Geſichtsorgan unter dem
Nabel inwendig im Bauche. Ein Anatomi-
ker welcher daran ſchlechterdings nicht glauben
wollte, ließ ihr ſolches von einem geſchickten
Wundarzte, kurioſitatis gratia, ausſchneiden.
Nota bene! der Magnetiſeur hatte ſie vorher
durch ſeine gewoͤhnliche Manipulation in tiefen
Schlaf verſetzt. Der Zweifler, von der Wahr-
heit nunmehr uͤberzeugt, ſchaͤmte ſich; denn das
Organ fand ſich wuͤrklich am benannten Orte.
Es glich vollkommen einem Auge, war aber
wenigſtens viermal ſo groß wie ein gebraͤuchli-
ches Menſchenauge. Es wurde wieder an ſeine
vorige Stelle mit allen noͤthigen Kautelen ein-
geſetzt und durch ein Paar magnetiſche Striche
und einem, eine halbe Minute lang fortgeſetz-
ten Anblaſen des Magnetiſeurs, war die Wun-
de augenblicklich wieder heil ohne die geringſte
Narbe nachzulaſſen.


[26]

Dieſe merkwuͤrdige Verſuchsoperation wo-
durch nunmehr das Sehen mit dem Bauche
als allerdings moͤglich, einmal fuͤr allemal ent-
ſchieden iſt, geſchah am 24. September dieſes
Jahrs (1818). Wegen der Wichtigkeit und
Seltenheit derſelben, waren auſſer ein Paar
Aerzten auch der ganze wohlloͤbliche Magiſtra-
tus Loci gegenwaͤrtig; ſo wie auch einige durch-
reiſende Herren welche nach Aachen hin wollten,
um die Zuſammenkunft der hohen Monarchen
zu ſehen, wegen Mangel an Poſtpferden ſich aber
beinahe einen ganzen Tag in Schildburg auf-
halten mußten und mittlerweile von jener vor-
zunehmenden Operation gehoͤret hatten.


Dieſe Herren waren: der polniſche Major
Crabuzki auſſer Dienſten; der Lord Heri-
wort
und Baronet Tymphan aus London;
der Marquis Senange und Vicomte Lery
aus Paris; Don Stefano de Gordez,
Ritter vom Calatravaorden, aus Madrid;
Mijn Heer Buribort, Theeverkooper
uijt Amsterdam;
Monſignor Pontichini,
Rathsherr von Urbino; Mulei Cuprulei
Effendi
aus Adrianopel; Kuli Thamasp
ein Verſchnittener aus dem Serail des Koͤnigs
[27] von Perſien; der Sineſiſche Mandarin Han-
tieng-hi
nebſt ſeinem Dollmetſcher Kin-
ſong-tu
; der gelehrte und weltberuͤhmte
Rabbi Schemuel Ben Iſaac, aus Smir-
na; imgleichen noch ein Biſchof in partibus
infidelium
deſſen Namen ich vergeſſen habe.
Sie theilten alle reichlich Geſchenke aus. Der
Major gab 6 Gulden; jeder Englaͤnder zwei
Guineen; jeder Franzoſe ein 5 Frankenſtuͤck;
der Hollaͤnder ein halbes Pfund Thee fuͤr Frau
Schlunz und ein Pfund Knaſter fuͤr Meiſter
Schlunz; der Spanier zwei Piſtoletten; der
Italiaͤner 50 Scudi, zur Verpflegung der ar-
men Patientin; der Tuͤrk 18 Zechinen nebſt
einem Flaͤſchgen mit aͤchten Balſam von Mekka,
welcher wunderbare Heilkraͤfte hat; der Perſia-
ner verehrte 80 Loͤwenthaler nebſt einem ſchoͤ-
nen Tabackspfeiffenrohr vom Bambus, welches
wohl 50 Thaler berl. Cour. fuͤr einen Liebha-
ber, unter Schweſtern und Bruͤdern werth iſt;
der Sineſe uͤberreichte durch ſeinen Dollmetſcher
eine Goldſtange 16 Loth ſchwer; der Rabbi aus
Smirna gab einen Wechſel von 200 Dukaten
und der hochwuͤrdige Biſchof ſeinen geiſtlichen
Segen. Der Magistratus Schildburgensis gab
gar nichts; denn ſeine Gegenwart war ex officio.


[28]

Alle dieſe von mir benannte Herren koͤnnen
noͤthigenfalls, meinenthalben gerichtlich, uͤber
dieſe Sache als Zeugen vernommen werden;
wenn man mir ſelbſt auf mein Wort nicht glau-
ben will, da ich doch uͤbrigens nicht das minde-
ſte Intereſſe dabei habe.


Elſabens und ihrer Familie jetzige
Verhaͤltniſſe.


Elſabe, die Heldin dieſer Geſchichte, faͤhrt noch
immer in der Kunſt des Hellſehens fort und ihr
Magnetiſeur ſetzt ebenfalls, ſo oft es die Gelegen-
heit erfordert ſeine Kuren fort. Der genaue
Rapport worin derſelbe ſeit beinahe dreivier-
tel Jahr mit ſeiner Klientin geſtanden hat
iſt ſchuld, daß ſich dieſe nunmehr geſegneten
Leibes befindet. Sie hat das Ziel ihrer Schwan-
gerſchaft um das Ende Oktobers prophezeiet,
mit dem Zuſatze: das Kind werde mit dem
Helme gebohren werden und zu hohen Dingen
beſtimmt ſeyn.


Sie iſt uͤbrigens nicht abgemagert, ſondern
ſo fett wie ein Dachs im Herbſte; bricht aber,
[29] um das Pudlikum bei guter Laune zu erhalten
und bei ihm im Andenken zu bleiben, dann und
wann, mirakuloͤſer Weiſe, Nadeln. Naͤgel und
dergleichen Dinge zur Nachtzeit aus. Vor 8
Tagen gab ſie ein neues Hufeiſen von ſich, mußte
ſich aber dabei entſetzlich wuͤrgen; eben ſo auch
einen Gewichtſtein welcher 3¼ Pfund wog und
gegenwaͤrtig von einem Spezereiehaͤndler als
vollwichtig vierpfuͤndig benutzt wird; imgleichen
einen Haarzopf 2 Ellen lang, und eine Alon-
geperuͤcke mit zwei Knoten, welche ihr Magne-
tiſeur nach gehoͤriger Reinigung wieder aufge-
kaͤmmt und an einen Prokurator verkauft hat.
Ein Paar Naͤchte nachher folgten per inferiora
ein Puderquaſt und die Haͤlfte einer alten Baͤ-
renmuffe, imgleichen ein großer Haarbeutel aus
der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die
uͤbrigen Ausleerungen ſind durchaus natuͤrlich,
nur daß mit dem Urin zuweilen allerlei hete-
rogene Sachen abgehen, z. B. Pfeiffenkoͤpfe,
Tabacksbeutel, Baßgeigen, Radſpeichen, Ofen-
gabeln, Beſemen, Dreſchflegel et cetera, je-
doch ohne Schmerzen.


Ihre Vermoͤgensumſtaͤnde ſind jetzt ziemlich
erwuͤnſcht. Sie laͤßt ihre Kuͤnſte nicht mehr
jedem ſehen und hoͤren, ſondern nur Vorneh-
[30] men und Standesperſonen; welche des Vor-
mittags um 10 und Nachmittags um 4 Uhr
zu ihr kommen muͤſſen, als welche Zeit ſie zu
ihrem ſomnambuliſtiſchen Paroxismus beſtimmt
hat. Zum Entree muß ein Gulden bezahlt
werden, den ihre an der Kammerthuͤr aufpaſ-
ſende Mutter in Empfang nimmt, die auch ih-
re zweite Tochter ſchon in der Kunſt des Hell-
ſehens unterrichtet, obgleich ſolche nicht ſo pfif-
fig iſt wie die Aelteſte.


Wenn die Hellſeherkunſt ferner ihren guten
Fortgang behaͤlt und wie zu hoffen ſteht, ſich
weiter ausbreiten ſollte, ſo wird Frau Schlunz
ein beſonderes Inſtitut zur Bildung junger
Somnambuͤlen anlegen.


Der Vater Schlunz trinkt nunmehr taͤg-
lich ein Noͤſſel mehr und ſtatt des gemeinen Fu-
ſels jetzt Kuͤmmel und Anis, haͤlt ſich auch
fuͤr ſein Handwerk einen Geſellen, und ſteigt
nicht mehr ſelbſt in die Schorſteine.


Was endlich von Elſabe und ihrem kuͤnf-
tigen Treiben und Weſen noch zu ſagen ſeyn
moͤchte, wird und ſoll, wenn es der Muͤhe werth
iſt, in der Folge aufrichtig mitgetheilt werden.


[]
Notes
*)
Man ſehe das Titelkupfer.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Die Jobsiade. Die Jobsiade. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bp6k.0