Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung.
1867.
[[III]]
Das öffentliche Geſundheitsweſen
in
Deutſchland, England, Frankreich und andern Ländern.
Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung.
1867.
[[IV]]
Buchdruckerei der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung in Stuttgart.
[[V]]
Vorwort.
Je weiter die Arbeit in das faſt unermeßliche, gewiß uner-
ſchöpfliche Gebiet der einzelnen Theile der innern Verwaltung
hineinführt, um ſo mehr wird es klar, daß im Großen und
Ganzen dieſe innere Verwaltung in ganz Europa Eine große,
im Weſentlichen gleichartige Thatſache iſt; daß ſie auf gleichartigen
Grundlagen beruht und ſogar gleichartige, oft faſt gleichzeitige
Epochen und Geſtaltungen in ihrer Entwicklung durchmacht. Die
Gemeinſchaft dieſes innern Lebens der Völker, die ſie alle trotz
des feindlichen Gegenſatzes im Kriege und trotz der friedlichen
Entfremdungen durch Sprache, Sitte und Intereſſen in Einer
großen Bewegung des Fortſchrittes umfaßt, findet nur Einen
Ausdruck. Dieſer Ausdruck iſt die Wiſſenſchaft und weſentlich die
Wiſſenſchaft der Verwaltung. Sie iſt dazu beſtimmt, jene That-
ſache der innern Gemeinſchaft des euröpäiſchen Lebens zum Inhalt
und damit zu einem der mächtigſten und ſegensreichſten Faktoren
des allgemeinen Bewußtſeins zu erheben. In dieſem Sinne iſt an
[VI] der folgenden Arbeit keine Mühe geſpart, um ein ſo weit als
möglich vollſtändiges, dem unerſchöpflichen Reichthum von Einzel-
heiten andeutendes Bild zu liefern.
Aber dabei hat ſich wieder eine Gewißheit in den Vorder-
grund gedrängt. Wir werden unſer Ziel ſo lange nicht erreichen,
bis wir nicht zur Einigung über den Sinn und die Benutzung,
den organiſchen Begriff und die formale Definition der fundamen-
talen Ausdrücke und Eintheilungen gelangen. Was iſt es, was
die Rechts- und Naturwiſſenſchaft zu ſo gewaltigen Thatſachen des
geiſtigen Lebens macht? Iſt ihr Gegenſtand größer oder klarer,
als der der Staatswiſſenſchaft? Iſt ihr Ergebniß wichtiger? Oder
iſt es nicht viel mehr das, daß jeder, ſo wie er mit ihr beginnt,
weiß, was Wort und Begriff, mit denen er beginnt, für die
ganze Welt zu bedeuten haben, und daß er nicht ſeine beſte Zeit
und Kraft opfern muß, um nur erſt durch die Verwirrung der
Form zu dem feſten Kern der Sache zu kommen? Und wenn dem
ſo iſt, warum ſollte denn die Staatswiſſenſchaft das einzige Gebiet
bleiben, auf dem Niemand etwas gethan zu haben glaubt, bis er
mit den elementaren Begriffen einen Strauß beſtanden und „das
Andere“ von dem Geſagten geſagt und gemeint hat? —
Mag es nun ſein, daß es uns damit wie zur Zeit Plato’s
und Ariſtoteles’ nicht für das Ganze gelingt, ſo müſſen wir es
nunmehr doch für das Einzelne fordern. Was für den abſtrakten
Begriff des Staats und ſeine höchſte ſittliche Begründung denkbar
und zuläſſig iſt, das iſt es nicht mehr für die einzelnen Gebiete
[VII] der Verwaltung. Hier ſind feſte Kategorien ein praktiſches Be-
dürfniß. Ohne ſie iſt an eine Vergleichung und an einen Fort-
ſchritt durch die Vergleichung nicht zu denken. Ohne ſie ſtehen
die Staaten Europa’s mit ihrem innern Leben unvermittelt neben
einander. Ohne ſie iſt ein Verſtändniß des Verſchiedenen neben
und über der Kenntniß deſſelben nicht möglich. Unſere nächſte
Aufgabe muß es ſein, ſie aufzuſuchen, und das iſt ſchwer; die
zweite, ſie anzunehmen, und das wird das Schwerere bleiben.
Wir haben dieß für das Geſundheitsweſen verſucht. Der
Probirſtein der Richtigkeit kann nur darin beſtehen, daß ſich alle
auf dieß Gebiet bezüglichen Rechtsnormen und Thatſachen gleich-
ſam von ſelbſt in die betreffenden Kategorien hineinordnen und
das Syſtem dadurch einerſeits erklären, andererſeits erfüllen. Wir
würden glauben, dem Wichtigſten, was eine ſolche Arbeit leiſten
kann, näher gekommen zu ſein, wenn die Fachmänner der einzelnen
Länder dieſen Verſuch mit dem vorliegenden Werke machten.
Daß es uns nun trotz aller Mühe nicht gelungen iſt, das
geſammte Material vollſtändig zu bewältigen oder auch nur zu
kennen, wird jeder begreifen, der dieß Gebiet kennt. Aber dennoch
glauben wir, daß die weſentlichen Elemente vorhanden ſind. Es
iſt nicht Sitte, Männer von Fach öffentlich und allgemein zu
bitten, ihre Bemerkungen und Beiträge namentlich in Betreff ein-
zelner Staaten dem Verfaſſer, der recht wohl weiß, daß für jeden
Fachmann nur das in einer ſolchen Arbeit von Werth ſein kann,
was über die andern Staaten geſagt iſt, zu übermitteln. Dennoch
[VIII] wage ich es, zu thun. Es iſt bei einem ſolchen Werke, von dem
der vorliegende Band ja nur ein Theil iſt, nicht möglich, ſich
nicht zu irren und vollſtändig zu ſein.
Den Herren Collegen, welche mir dabei ſchon jetzt ihre freund-
liche Beihülfe gewährt haben, ſage ich hiemit meinen aufrichtig-
ſten Dank.
Wien, Mitte Januar 1867.
Dr. L. Stein.
[[IX]]
Inhalt.
- Das Geſundheitsweſen.
- Seite
- Grundbegriffe 1
- Erſter Theil.
Begriff und Syſtem des Verwaltungsrechts der öffentlichen
Geſundheit. - I. Der formale Begriff 4
- II. Der Unterſchied der gerichtlichen Medicin und des Geſundheits-
weſens 4 - III. Elemente der Geſchichte des Geſundheitsweſens 7
- IV. Die gegenwärtige Geſtalt des öffentlichen Geſundheitsweſens 14
- V. Der Charakter des öffentlichen Geſundheitsweſens und ſeines Rechts
in Frankreich, England, Belgien und Holland 18 - Zweiter Theil.
Das Syſtem des öffentlichen Geſundheitsweſens. - I.Abſchnitt. Die Organiſation des Geſundheitsweſens 23
- I. Princip und Recht 23
- II. Geſchichte und gegenwärtige Geſtalt 26
- II.Abſchnitt. Das Sanitätsweſen. Begriff 40
- A. Das Seuchenweſen. Begriff 42
- I. Die Contagien und ihre Rechtsordnung 43
- II. Blattern und Impfungsweſen 46
- III. Die Epidemien und ihr Recht 48
- B. Die höhere Geſundheitspolizei. Begriff 51
- I. Polizei der Nahrungsmittel 55
- II. Giftpolizei 58
- III. Kurpfuſcherei, Quackſalberei und Geheimmittel 60
- IV. Todten- und Begräbnißpolizei 62
- V. Höhere und niedere Baupolizei 67
- VI. Unmäßigkeitspolizei. Kinderarbeit 72
- Seite
- C. Die niedere Geſundheitspolizei. Begriff 76
- I. Geſundheitspolizei der natürlichen Gefährdungen 78
- II. Syphilis 78
- III. Gewerbliche Geſundheitspolizei 80
- 1) Begriff und Princip 80
- 2) Genehmigung von Anlagen 83
- 3) Geſundheitspolizei des Betriebes 84
- III.Abſchnitt. Das Heilweſen. Begriff 88
- Die beiden Gebiete des Heilweſens 90
- A. Das Heilperſonal. Begriff und Syſtem 91
- Elemente der Geſchichte des öffentlichen Rechts 93
- I. Die Aerzte und ihr öffentliches Berufsrecht 96
- 1) Geſchichtliche Entwicklung 96
- 2) Das Syſtem der Aerzte, Bildungs- und Prüfungsweſen 101
- 3) Das Recht der Praxis 105
- 4) Die Pflichten der Aerzte 108
- II. Das Apothekerweſen 109
- 1) Begriff und Inhalt des Apothekerrechts 109
- 2) Errichtung von Apotheken 112
- 3) Bildung der Apotheker 113
- 4) Betriebsrecht der Apotheken 114
- 5) Oberaufſicht 116
- III. Hebammenweſen 117
- IV. Heildiener 119
- B. Die Heilanſtalten. Weſen und Recht 121
- I. Hoſpitalweſen und Armenkrankenpflege 122
- II. Das Irrenweſen 127
- III. Gebär- und Ammenhäuſer 130
- IV. Oeffentliche Bäder 131
Das Geſundheitsweſen.
Grundbegriffe.
Während das Bevölkerungsweſen das einfache Daſein der Perſon
in ſeinen Elementen zum Gegenſtand der Verwaltung macht, hat der
zweite Theil, das Geſundheitsweſen, es mit der erſten, allgemeinſten,
rein natürlichen Bedingung aller perſönlichen Entwicklung, der Geſund-
heit, zu thun.
Was die Geſundheit phyſiologiſch iſt, iſt dabei nicht Gegenſtand
der Unterſuchung. Die Staatswiſſenſchaft hat ſich mit den, auf die
Geſundheit der Einzelnen bezüglichen Fragen und Thatſachen nicht zu
beſchäftigen. Sie muß davon ausgehen, daß alles darauf Bezügliche
Sache der Heilkunde iſt. Sie hat alle, die Geſundheit, ihre Erſchei-
nungen und Bedingungen betreffenden Geſetze und Regeln als fertige
und für ſie geltende Wahrheiten von der letzteren Wiſſenſchaft anzu-
nehmen. Sie muß ſich über dieſen Punkt vor allem klar ſein. Die
Verſuchung, mediciniſche Fragen und Thatſachen als ſolche in die Ver-
waltungslehre des Geſundheitsweſens aufzunehmen, iſt eine große. Es
iſt aber eine der erſten Bedingungen für die Verwaltungslehre, auch
für ihr Gebiet ſtrenge zu ſcheiden, um für daſſelbe ihre eigenen Grund-
begriffe und Geſetze aufſtellen zu können. Zu dem Ende bedürfen wir
des Begriffes der öffentlichen Geſundheit.
Der Begriff der öffentlichen Geſundheit enthält nämlich die Ge-
ſundheit der einzelnen Staatsbürger als Element des öffentlichen Ver-
kehrslebens, inſofern dieſelbe einerſeits die Grundlage der Geſundheit
aller übrigen, andererſeits das Ergebniß derſelben iſt. Der Begriff
ſelbſt beruht auf einfachen Verhältniſſen.
So lange nämlich der Einzelne für ſich gedacht wird, iſt ſeine
Geſundheit das Ergebniß entweder ſeiner individuellen Conſtitution,
oder ſeiner Lebensweiſe. Sie iſt in dieſem Sinne ſeine eigene Ange-
legenheit, und es iſt ſeine Sache, ſich dieſelbe zu ſchützen und zu erhalten.
Stein, die Verwaltungslehre. III. 1
[2] So wie aber der Einzelne in das Leben der Geſammtheit hineintritt,
verliert er bis zu einem gewiſſen Grade die Möglichkeit, Herr ſeiner
Geſundheit zu bleiben, und andererſeits wird er als Theil der Gemein-
ſchaft für ſeine Geſundheit auch verantwortlich. Denn er iſt gezwungen,
in dem Leben der Gemeinſchaft alle diejenigen Einflüſſe in ſich aufzu-
nehmen, welche auf ſeine Geſundheit wirken, und dieſe Einflüſſe ſind
immer mächtig, oft geradezu übermächtig, wenn der Einzelne der Ge-
ſammtheit iſolirt gegenüber ſteht. Es iſt andererſeits kein Zweifel, daß
dieſe Geſundheit aller Einzelnen in der menſchlichen Gemeinſchaft zu
einer der wichtigſten Bedingungen des Wohlſeins und der Entwicklung
Aller wird. Denn auf ihr beruht die ganze geiſtige und wirthſchaft-
liche Produktionskraft des Menſchen, und wo ſie fehlt, wird er aus
einem die Gemeinſchaft fördernden Element zu einem hemmenden. Die
Geſundheit iſt zwar kein Reichthum, aber für den Nichtbeſitzer iſt ſie
die Bedingung des Erwerbs, für den Beſitzer die Bedingung des
Werthes deſſelben. Sie iſt ſomit die Vorausſetzung alles tüchtigen
Lebens Aller, denn ſie iſt es, welche die kräftige Entwicklung jedes
Einzelnen bedingt. Indem nun dieſe Geſundheit jedes Einzelnen von
der aller andern an ſich und von der Lebensweiſe und der Thätigkeit
derſelben abhängt, entſteht der Begriff der allgemeinen Geſundheit,
als der durchſchnittlichen Höhe der geſunden Kraft bei allen einzelnen
Individuen; und dieſe allgemeine Geſundheit wird zur öffentlichen
Geſundheit, inſofern und inſoweit eben dieſe durchſchnittliche
Höhe der geſunden Kraft einerſeits, und der Schutz derſelben bei jedem
Einzelnen andererſeits von den Einwirkungen abhängt, die der Verkehr
des Geſammtlebens für jeden Einzelnen mit oder ohne ſeinen Willen
mit ſich bringt.
Daraus nun ergibt ſich leicht das Verhältniß der Geſundheit zur
Verwaltung. Steht dieſelbe nämlich als öffentliche Geſundheit einer-
ſeits unter den oben bezeichneten Einflüſſen, gegen welche ſich der Ein-
zelne nicht mehr durch eigene Kraft ſchützen kann, und iſt ſie anderer-
ſeits die erſte natürliche Bedingung der tüchtigen Entwicklung jedes
Einzelnen und damit des Ganzen, ſo ergibt ſich, daß es die Aufgabe
der Verwaltung ſein muß, diejenigen Bedingungen im Leben
der Gemeinſchaft herzuſtellen, welche die Geſundheit überhaupt einer-
ſeits vor den ihr aus dem Verkehr des Geſammtlebens erwachſenden
Gefahren ſchützen, und andererſeits dieſelben herſtellen und fördern
können. Und die Geſammtheit der hierauf bezüglichen Beſtimmungen,
Maßregeln und Anſtalten der Verwaltung bilden ſomit das öffent-
liche Geſundheitsweſen.
Begriff und Gränze des öffentlichen Geſundheitsweſens ſind daher
[3] wohl einfach und beſtimmt genug. Sie beginnen da, wo der Begriff
der allgemeinen Geſundheit als des Reſultats und zum Theil der Grund-
lage der Lebensverhältniſſe der Gemeinſchaft ſich von dem der perſönli-
chen Geſundheit ſcheidet. Jeder Act, der ſich auf die letztere an und
für ſich bezieht, iſt Sache des Individuums; jeder Act dagegen, der
die allgemeine Geſundheit betrifft, gehört der Geſundheitsverwal-
tung, das iſt dem Geſundheitsweſen als Gegenſtand der verwaltenden
Thätigkeit des Staats.
Aus dieſem formellen Begriffe entwickelt ſich nun der des Ver-
waltungsrechts der öffentlichen Geſundheit, deſſen Inhalt und Syſtem
dem Folgenden zum Grunde liegt.
[[4]]
Erſter Theil.
Begriff und Syſtem des Verwaltungsrechts der öffentlichen
Geſundheit.
I. Der formale Begriff.
Der Begriff des Rechts entſteht nun hier wie immer zunächſt da-
durch, daß das Geſammtintereſſe eine Begränzung der individuellen
Freiheit in Beziehung auf alles Dasjenige fordert, was auf die öffent-
liche Geſundheit Einfluß hat. Allein dieſe Begränzung reicht bei einer
ſo großen, das ganze Leben der Bevölkerung umfaſſenden Aufgabe nicht
aus. Die fortſchreitende Wiſſenſchaft zeigt, daß die allgemeine Geſund-
heit gewiſſer poſitiver Anſtalten bedarf, welche nur der Staat herſtellen
kann. Er muß daher in ſeine öffentlichen Beſtimmungen über das
Geſundheitsweſen auch dieſe Punkte aufnehmen, und dieſe Beſtimmungen
gehören daher gleichfalls dem öffentlichen Recht an. Das öffentliche
Recht oder das Verwaltungsrecht des Geſundheitsweſens umfaßt dem-
nach die Geſammtheit aller derjenigen Beſtimmungen der Verwaltung,
welche entweder als Herſtellung und Ordnung der ſanitären Maßregeln
und Anſtalten, oder als Begränzung des Rechts der individuellen Frei-
heit die Bedingungen der allgemeinen Geſundheit zum
Gegenſtand haben.
II. Der Unterſchied der gerichtlichen Medicin und des Geſundheitsweſens.
Ehe man nun zur Darſtellung des eigentlichen Geſundheitsweſens
übergeht, iſt es nothwendig, daſſelbe von einem verwandten Begriffe
zu ſcheiden, um ſo mehr, als ſich das Geſundheitsweſen aus demſelben
hiſtoriſch entwickelt hat und noch vielfach mit demſelben in Berührung
ſteht. Das iſt der Begriff der gerichtlichen Medicin.
Die gerichtliche Medicin (medicina forensis, médecine legale) iſt
ihrem Begriffe nach einfach. Sie iſt natürlich nicht etwa eine Medicin
[5] für ſich, ſondern ſie enthält die Geſammtheit der Regeln und Grund-
ſätze, nach welchen die in der Heilkunde gegebenen Kenntniſſe und
Erfahrungen als Beweismittel im Strafproceß benützt werden.
Die gerichtliche Medicin hat daher mit dem Geſundheitsweſen an ſich
gar nichts zu thun, und iſt eben ſo wenig auf die Organe der
letzteren oder auf ihre Vorſchriften angewieſen. Sie iſt vielmehr ein
ſtreng geſondertes Gebiet für ſich, das das Verhalten der mediciniſchen
Wiſſenſchaften zur Rechtspflege enthält, während das Geſundheits-
weſen das Verhalten derſelben zur inneren Verwaltung beſtimmt.
Sie kann daher mit der letzteren weder in einer gemeinſamen Geſetz-
gebung, noch in einer gemeinſamen wiſſenſchaftlichen Darſtellung vermengt
werden; denn die gerichtliche Medicin bildet einen Theil der Geſetze und
der Lehren von dem bürgerlichen und Strafproceß, das Geſundheits-
weſen dagegen einen Theil der Verwaltungs-Geſetze und Lehren. Beide
haben daher auch, obwohl allerdings einerſeits von dem formellen Be-
griff der Allgemeinen Verwaltung umfaßt, und andererſeits auf denſelben
allgemein wiſſenſchaftlichen Grundlagen beruhend, keineswegs denſelben
wiſſenſchaftlichen Inhalt oder dieſelben theoretiſchen und praktiſchen
Vorausſetzungen. Während die gerichtliche Medicin die mediciniſchen
oder phyſiologiſchen Vorausſetzungen oder Folgen von Demjenigen feſt-
ſtellen muß, was ein Einzelner gethan hat, muß die Medicin im Ge-
ſundheitsweſen vielmehr ſagen, was die Verwaltung befehlen oder thun
ſoll. Während die Funktion der Heilkundigen in der erſten nur auf
Verlangen des Gerichts eintritt, alſo unter Umſtänden gar nicht benutzt
wird, iſt die Funktion des Geſundheitsweſens eine organiſche und be-
ſtändige, ohne welche eine gute Verwaltung nicht ſein kann. Während
die Heilkunde in der erſteren ſich darauf beſchränken muß, die ihr vor-
gelegten beſtimmten und einzelnen Fragen zu beantworten, hat ſie in
der zweiten ſich vielmehr nach ihrem eigenen Ermeſſen mit allgemeinen
Zuſtänden und Kräften abzugeben. Während das Gericht in der erſten
den geſchehenen Ausſpruch der Heilkundigen als endgültig maßgebend
für ſein Urtheil anzuerkennen hat, muß die Verwaltung in der letzteren
vielmehr neben dem Urtheil des Arztes noch eine nicht minder wichtige
eigene Thätigkeit in Beziehung auf die Geſundheit entwickeln. Beide
ſind daher eben ſo verſchieden wie Rechtspflege und innere
Verwaltung. Es wird daher kaum nöthig ſein, ſie weiter zu ſchei-
den. Dagegen iſt es allerdings nothwendig, zu erklären, wie trotzdem
eine, leider noch immer nicht ganz gehobene Vermiſchung ſo weſentlich
verſchiedener Gebiete hat entſtehen und ſich bis auf die neueſte Zeit
theilweiſe hat fortſetzen können.
Die allgemeine Grundlage dieſer Erſcheinung iſt die öffentliche
[6] Rechtsordnung der ſtändiſchen Geſellſchaft, in welcher die Grundherr-
lichkeit alle örtliche Verwaltung, alſo eben ſo wohl die der Rechtspflege
als die der Innern Verwaltung in ſich vereinigte und dieſelben durch
ein und daſſelbe Organ vollziehen ließ. Dies Organ hieß nach ſeiner
Hauptfunktion das gutsherrliche oder Patrimonial- (Seigneurial) Gericht.
Alle Funktionen dieſer grundherrlichen Organe erſchienen daher formell
als gerichtliche; ſie gingen von der gerichtlichen Behörde, dem Forum,
aus, und alle Herbeiziehung mediciniſcher Kenntniſſe und Thätigkeiten
nahmen dadurch naturgemäß den Namen der Medicina forensis an.
Indem aber in dieſer Zeit ſich dieſe Gerichte ſehr wenig um die Auf-
gaben der Innern Verwaltung bekümmerten und ſich faſt ausſchließlich
auf Rechtspflege und etwa die Sicherheitspolizei beſchränkten, ſo war
auch die Benützung der mediciniſchen Wiſſenſchaft im Sinne des Ge-
ſundheitsweſens eine ſehr geringe, und in der Medicina forensis bildeten
daher die Grundſätze, nach welchen die Medicin für das Strafrecht diente,
bei weitem die Hauptſache. Das Geſundheitsweſen im Sinne der Ver-
waltung ſchließt ſich vielmehr nur gleichſam im Princip und ſchüchtern
an die gerichtliche Medicin an, um ſo mehr, als die Heilkunde über-
haupt noch nicht hoch genug ſteht, um den Einfluß allgemeiner Kräfte
auf die öffentliche und Einzelgeſundheit überſehen zu können.
Auf dieſe Weiſe beruht jene Verſchmelzung der gerichtlichen Me-
dicin und des Geſundheitsweſens nicht ſo ſehr auf einer zu allgemeinen
wiſſenſchaftlichen Auffaſſung, ſondern vielmehr auf der, der ſtändiſchen
Geſellſchaftsepoche eigenthümlichen Organiſation der grundherrlichen Be-
hörden, welche zugleich Verwaltungsorgane und Gerichte ſind, und
welche die, dem entſprechende Vorſtellung erzeugt, daß das, was über-
haupt Geſundheitsweſen iſt, Sache der Jurisprudenz ſei. Zugleich
aber leuchtet ein, daß die Auflöſung dieſer Verſchmelzung und die
Herſtellung eines ſelbſtändigen Geſundheitsweſens neben der gerichtlichen
Medicin vor allen Dingen nicht ſo ſehr die höhere Entwicklung der
Wiſſenſchaft, als vielmehr die eines ſelbſtändigen Verwaltungs-
organismus neben dem Organismus der Rechtspflege zur
Vorausſetzung hatte. So wie der Proceß beginnt, der dieſe Scheidung
im Leben der Staaten vollzieht, beginnt auch die zweite der beiden
wiſſenſchaftlichen Gebiete. Und nachdem ſomit einmal der Begriff der-
ſelben feſtgeſtellt iſt, iſt damit auch das Princip der Geſchichte des
öffentlichen Geſundheitsweſens in ſeiner Rechtsbildung gegeben.
Die Verwaltungslehre hat die Geſchichte der gerichtlichen Medicin
nicht zu geben, auch hat die Jurisprudenz es ihrerſeits übernommen,
[7] dieſelbe zu ſchreiben. Wir bemerken nur, daß hier der Standpunkt der
franzöſiſchen und deutſchen Literatur in Beziehung auf die Frage nach
dem Verhältniß beider Gebiete ein formell ſehr verſchiedener iſt. In
Frankreich iſt man ſich über den Unterſchied vollkommen klar, und hat
ſelbſt das Geſundheitsweſen für ſich viel beſtimmter vom verwaltungs-
rechtlichen Standpunkt aufgefaßt, als in Deutſchland, dafür aber formell
beide Gebiete wieder unter dem gemeinſamen Begriff der „Jurisprudence
de la médecine“ zuſammengeſtellt, zum Theil aus dem einfachen Grunde,
weil keine eigenen Vorleſungen darüber an dem Faculté gehalten wer-
den. Das Hauptwerk iſt Trébuchet, Jurisprudence de la médecine,
de la chirurgie et de la pharmacie en France, comprenant la méde-
cine légale, la police médicale, la responsabilité des médecins, chirur-
giens etc., l’exposé et la discussion des lois, ordonnances, réglements
et instructions conc. l’art de guérir 1834. Er ſagt: „Nous compre-
nons dans la médecine légale non seulement tout ce qui ce rattache
aux lois criminelles et civiles, mais encore tout ce que tient à l’hy-
giène et la salubrité.“ Aehnliche Verſchmelzung bei Tardieu, Dic-
tionnaire d’Hygiène publique. In der deutſchen Literatur dagegen iſt
die Scheidung materiell bereits im vorigen Jahrhundert vollzogen (ſ. das
Folgende), formell erhält ſich aber die Vermengung noch vielfach und
iſt offenbar der Grund des Unmuthes, mit dem logiſch denkende Schrift-
ſteller ſich über die Syſtemloſigkeit der deutſchen Literatur des Medicinal-
weſens äußern. Ruſt, Medicinalverfaſſung von Preußen I. S. 11:
„Die Medicinalverwaltung in allen Staaten iſt höchſt unentwickelt und
ungleich verſchiedener als irgend eine andere Doctrin.“ Stoll, Staats-
wirthſchaftliche Unterſuchung über das Medicinalweſen, Wien 1842: „Die
Geſundheitsverwaltung iſt ein Chaos ohne Form und Leben.“ Vergl.
Haller, Vorleſungen über gerichtliche Arznei I. S. 95, und zuletzt noch
den Streit zwiſchen Rönne und Horn in Rönne, Staatsrecht der
preußiſchen Monarchie II. S. 351. Doch hat die Polizeiwiſſenſchaft der
neuern Zeit bereits ſtreng geſchieden, wie bei Jacob und Mohl, jedoch
noch ohne von den Medicinern beachtet zu werden.
III. Elemente der Geſchichte des Geſundheitsweſens.
Die beiden großen, jeder für ſich ſelbſtändig wirkenden Faktoren
der Geſchichte des Geſundheitsweſens ſind dem Obigen zufolge einerſeits
und in erſter Reihe die Entwicklung der ſelbſtändigen, von der Rechts-
pflege ſich trennenden Verwaltung des Innern, andererſeits die Geſchichte
der ärztlichen Wiſſenſchaften ſelbſt. Die erſtere gibt der Geſchichte des
Geſundheitsweſens Form und Organismus, die zweite gibt ihr Inhalt und
[8] Bewußtſein. Es iſt nicht ſchwer, auf dieſer Grundlage die großen Haupt-
züge dieſer Geſchichte aufzuſtellen, und darin das Einzelne einzureihen.
Urſprünglich erſcheint das ganze Heilweſen bei allen Völkern der
Geſchlechterordnung als ein Geheimniß, das bei niederer Organiſa-
tion in den Händen Einzelner, bei höherer in den Händen der Prieſter
iſt; eine öffentliche Organiſation findet ſo wenig ſtatt als ein öffent-
liches Recht deſſelben. Doch erhebt er ſich bereits in Griechenland zu
einer eigenen Wiſſenſchaft und in Rom zu den Anfängen einer eigenen
Verwaltung. Dabei beſteht dieſelbe noch keineswegs in einem eigentlichen
Geſundheitsweſen, ſondern nur noch in der Aufnahme von Aerzten in
den öffentlichen Dienſt, und während uns jede Andeutung über eine ge-
richtliche Medicin der Alten fehlt, ſehen wir doch ſchon eine Art von
Medicinalweſen in ſeinen erſten Anfängen entſtehen.
Der Beginn des eigentlichen Heilweſens iſt jedoch die ſtändiſche
Geſellſchaft, in welcher die Wiſſenſchaft der Heilkunde durch die Uni-
verſitäten eine corporative Geſtalt empfängt, und eine corporative Ver-
waltung derſelben erzeugt. Die wiſſenſchaftliche Heilkunde ſcheidet ſich
damit von der bloß techniſchen, und die wiſſenſchaftliche Bildung beginnt
zur Bedingung der ärztlichen Praxis zu werden. Damit bildet ſich das
von den Römern zuerſt aufgeſtellte Element einer Medicinalverfaſſung als
erſte Geſtalt des öffentlichen Rechts der Heilkunde; noch einſeitig, aber
ſchon mit beſtimmtem Charakter. Das Princip dieſer Zeit iſt, daß die
wiſſenſchaftliche Bildung die öffentlich rechtliche Bedingung
für die Ausübung des Berufes der Heilkunde wird. Dieſer Grundſatz
iſt der Anfangspunkt aller Geſchichte des Geſundheitsweſens. Allein
weiter iſt von dem letzteren auch jetzt noch keine Rede; denn noch gibt
es eben neben der Jurisprudenz welche richtet und der Medicin welche
heilt, keine vermittelnde öffentliche Verwaltung, welche es verſteht, das
was die letztere weiß, für das was die erſtere zu thun hat, zu verwerthen.
Erſt als ſich mit dem Beginne des ſechzehnten Jahrhunderts die
neu entſtandene Staatsgewalt über die ſtändiſchen Ordnungen und Rechte
erhebt, und neben dem Gerichte die ſelbſtändige Funktion der Verwal-
tung auszubilden beginnt, fängt auch der Gedanke an, zur Geltung
zu kommen, daß dieſe Verwaltung der mediciniſchen Wiſſenſchaft für ihre
Aufgaben bedürfe. Allerdings iſt nun, wie geſagt, die erſte Geſtalt,
in der dieß geſchieht, die gerichtliche Medicin. Allein trotz der in ihr
liegenden Beſchränkung der Benützung mediciniſcher Wiſſenſchaft auf die
Beweismittel brechen faſt noch mehr die Verhältniſſe als die Menſchen
bereits die Bahn für das eigentliche Geſundheitsweſen. Die gerichtliche
Medicin nämlich bringt zuerſt die Aerzte mit der Verwaltung überhaupt
in Verbindung, und gibt damit den erſteren Anlaß, bei den Gerichten
[9] als Verwaltungsbehörden ihre Meinung auch über andere Dinge, als
die proceſſualen Beweiſe zur Geltung zu bringen. Die erſte Literatur,
welche ſich mit dem ſo entſtehenden Recht der ärztlichen Wiſſenſchaft be-
ſchäftigt, erſcheint zwar noch als reine gerichtliche Medicin. Allein ſchon
mit dem Ende des ſechzehnten Jahrhunderts wird das anders, und die
betreffende Literatur ſcheidet ſich in zwei große Gebiete, die eigentliche
medicina forensis, und die entſtehende Theorie des öffentlichen Geſund-
heitsweſens. Nur ſind dieſe beiden Richtungen noch nicht äußerlich ge-
trennt, und die erſtere bleibt immer die Grundlage der letzteren, indem
die Aerzte nur noch bei Gelegenheit ihrer gerichtlichen Funktion oder
der daraus entſtehenden Literatur auf geſundheitspolizeiliche Geſichts-
punkte kommen, wie namentlich Fortunatus Fidelis im Beginn, und
Paul Zachias in der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts. Dieſe Rich-
tung, die großentheils auch auf der vielfachen Berührung der Medicin
und Jurisprudenz an den Univerſitäten beruhte, empfängt im Beginn
des achtzehnten Jahrhunderts in J. Bohn, dem großen Vorgänger
von Peter Frank, ihren Hauptvertreter. Von da an iſt wenigſtens
principiell die Scheidung der gerichtlichen Medicin von dem Geſundheits-
weſen feſtgeſtellt, und jetzt bildet die letztere ein mehr und mehr aner-
kanntes ſelbſtändiges Gebiet der Verwaltung, deſſen formelle Geſchichte
mit der des Verwaltungsorganismus aufs engſte verbunden iſt, aber
zugleich in die geſammte Auffaſſung vom Staate aufgenommen, von
ihr getragen und entwickelt, und für ihre heutige Geſtalt vorbereitet wird.
Der geſchichtliche Gang der Dinge, in welchem ſich dieß vollzieht,
beruht nun auf der Unterſcheidung, welche dem ganzen folgenden Sy-
ſtem zu Grunde liegt, die Unterſcheidung zwiſchen dem Medicinal- und
Sanitätsweſen. Nachdem nämlich einmal die Heilkunde zu einem öffent-
lich anerkannten, corporativen Fach geworden, war es natürlich, daß
das Geſundheitsweſen, wenn es überhaupt entſtehen ſollte, zuerſt von
den Fachmännern ausgehen, und erſt von dieſen in die Verwaltung
übertragen werden mußte. In der That beginnt daher alles öffent-
liche Recht des Geſundheitsweſens nicht eben mit dem Sanitätsweſen,
ſondern mit dem Medicinalweſen, mit dem öffentlichen Recht der Aerzte
und Apotheker, was jener Zeit allerdings ſchon darum viel verſtänd-
licher erſchien, weil es dem damaligem Gewerbe- und Zunftrecht ſo viel
verwandter war. Die Arzt- und Apothekerordnungen ſchließen ſich
zuerſt an die Univerſitäten, und zwar als ein Theil ihres körperſchaft-
lichen Rechtes an; ihr erſtes Auftreten datirt bereits aus dem dreizehnten
Jahrhundert von der Univerſität von Salerno; mit der Ausbreitung
des Fachſtudiums fangen dann die größeren Städte an, Ortsärzte auf-
zunehmen, etwa ſeit dem fünfzehnten Jahrhundert, und ſeit dieſer Zeit
[10] entſteht mit der mehr im Weſen dieſer amtlichen Stellung als in ſpe-
ziellen Inſtruktionen liegenden Aufgabe, ſich auch um die Geſundheit
im Allgemeinen zu kümmern, jene von uns bereits ſignaliſirte Verſchmel-
zung der Theorien des Geſundheitsweſens mit denen der gerichtlichen
Medicin. Allein es iſt nicht zu verkennen, daß dieß alles noch einen
vorwiegend örtlichen Charakter hat. Um ihm ſeine gegenwärtige Be-
deutung zu geben, mußte ein zweites hinzukommen.
Dieß nun beſtand in der allgemeinen Entwicklung der ſtaatlichen
Gewalt mit dem ſiebzehnten Jahrhundert, welche, wie wir gezeigt, in
der eudämoniſtiſchen Staatslehre des Jus naturae ihren wiſſenſchaftlichen
und zugleich ethiſchen Ausdruck fand. Die allgemeine Pflicht der neu
entſtehenden Regierungsgewalt, für die Wohlfahrt ihrer Unterthanen
überhaupt zu ſorgen, erſcheint natürlich als ſpezielle Aufgabe der Sorge
für ihre Geſundheit. Indeß wird es nothwendig, daß die Verwaltung
den Gedanken einer Geſundheitspflege ſelbſtändig erfaſſe und zum Aus-
druck bringe; ohne ihn würde ſie offenbar ihrer großen Funktion nicht
Genüge geleiſtet haben. Mit dem achtzehnten Jahrhundert beginnt daher
die Scheidung der Geſundheitspflege von der gerichtlichen
Medicin, und ſomit die eigentliche Geſchichte unſeres Gegenſtandes.
Dieſe Geſchichte hat nun einen ganz beſtimmten Charakter, der auf
das Engſte mit der bisherigen Entwicklung zuſammen hängt. Nach wie
vor ſind nämlich die Mediciner die berufenen Fachmänner, welche allein
über dasjenige urtheilen können, was nothwendig einerſeits und gefähr-
lich andererſeits iſt, und welche auch allein im Stande ſind, der rich-
tigen Ausführung vorzuſtehen. Eine verſtändige Verwaltung muß daher
vor allen Dingen dieſer Thätigkeit des Heilperſonals den feſten, ernſt-
lichen Charakter einer öffentlichen Ordnung geben. Steht nur erſt dieſe
feſt, und empfangen ſomit die Glieder des Heilperſonals den Charakter
öffentlicher Organe, werden ihre Thätigkeiten nur erſt öffentliche Funk-
tionen, ſo wird die fortſchreitende Wiſſenſchaft ſchon das, was ſie für
das Geſundheitsweſen zu thun haben, lehren, und durch dieſe Organe
auch vollziehen laſſen. Das erſte was daher geſchehen muß, iſt die
öffentlich rechtliche Organiſation des Heildienſtes und die Auf-
nahme deſſelben in das Syſtem der Verwaltung oder „Polizei.“ Dieß
nun geſchieht, nach dem Charakter der damaligen Rechtsbildung, durch
eine förmliche adminiſtrative Geſetzgebung, deren Aufgabe und In-
halt eben jene Organiſation des Heildienſtes iſt. Aus dieſer Geſetz-
gebung gehen nun die großen Medicinal-Polizeiordnungen des
vorigen Jahrhunderts hervor, die bei mancher Verſchiedenheit im Ein-
zelnen dennoch im Weſentlichen denſelben Grundzug haben. Sie be-
ruhen auf der Grundvorſtellung, daß die Funktion des Heilperſonals
[11] eine amtliche und öffentliche ſei, daß dieſelbe daher unter einer gemein-
ſchaftlichen Leitung ſtehen, und ein ſelbſtändiges Glied des Verwal-
tungsorganismus ſein müſſe. Die beiden Haupterſcheinungen auf dieſem
Gebiete ſind die preußiſche Geſetzgebung von 1725 und die öſter-
reichiſche von 1770. Damals wie jetzt ſchloſſen ſich an beide die
Geſetzgebungen der übrigen Staaten an, und ſo entſteht ein Syſtem
von Medicinal-Polizeiordnungen, welche das Geſundheitsweſen zu einem
integrirenden Theile des öffentlichen Rechts machen. Natürlich wurden
die bisher beſtehenden, örtlichen Medicinal-Polizeiordnungen dieſen großen
Geſetzen untergeordnet. Allein andererſeits blieben die kleinen Sou-
veränetäten der Reichsſtände noch beſtehen. Auf dieſe haben jene großen
Geſetze keinen unmittelbaren Einfluß und dazu kommt, daß auch inner-
halb der größeren Staaten die Grundherrlichkeit nach wie vor die ört-
liche Execution behält. So gut alſo auch theoretiſch jene, von den
bedeutendſten Männern der Wiſſenſchaft entworfenen Geſetze ſein mochten,
die wirkliche Geſundheitspflege blieb dennoch weit hinter ihnen zurück.
Die Lücke zwiſchen Theorie und Praxis war nicht ausgefüllt, und dieß
war um ſo weniger der Fall, als die Geſetzgebung ſelbſt an vielen
Orten noch auf einem niederen Standpunkt ſtand, und noch mit allerlei
traditionellen Vorſtellungen zu kämpfen hatte. Noch glaubten viele an
Zauberei, Mirakel, Wunderkuren; noch hatte man andererſeits kein
Bewußtſein von der entſcheidenden Bedeutung der allgemeinen Grund-
lagen der Geſundheit, der elementaren Bedingungen derſelben; noch
erſchöpfte ſich, höchſtens mit Ausnahme einzelner Seuchen, die ganze
Verwaltung des Geſundheitsweſens vorzugsweiſe in der öffentlichen Ord-
nung des Heilperſonals, und erſt gegen Ende des vorigen Jahrhun-
derts beginnen die Geſetzgebungen, ſich einzelnen Lebensverhältniſſen
und ihres Verhältniſſes zur Geſundheit anzunehmen. Nach der ganzen
Geſtalt der Entwicklung mußte dieſelbe eben von der mediciniſchen
Wiſſenſchaft erwartet werden; es wird für das ganze Geſundheits-
weſen entſcheidend, welches Princip und welchen Gang dieſelbe annimmt.
Sie hat mit dem Schluß des vorigen Jahrhunderts daher die Ausbil-
dung dieſes Gebietes der Verwaltung übernommen, und auf ihr beruht
nicht bloß im Einzelnen ſondern auch im Ganzen das Geſundheitsweſen
unſerer Zeit.
Für die ältere Geſchichte des Geſundheitsweſens exiſtiren eine Reihe
trefflicher einzelner Bearbeitungen und Materialien, denen man es je-
doch leicht anſieht, daß ſie ausſchließlich von Medicinern geſchrieben ſind,
indem ſie auf die juriſtiſchen und adminiſtrativen Rechtsgrundſätze nur
wenig Rückſicht nehmen. Peter Frank hat dieſe Forſchungen eingeleitet,
[12] die nach ihm von Andern fortgeſetzt ſind. Namentlich hat Stoll, ſtaats-
wiſſenſchaftliche Unterſuchungen über das Medicinalweſen I—III. 1822
einer reichhaltige Zuſammenſtellung von wichtigen Quellen gegeben, Frank
aber ſowohl als Stoll haben merkwürdiger Weiſe dem charakteriſtiſchen
Proceß der Lostrennung des eigentlichen Geſundheitsweſens von der
gerichtlichen Medicin ſo gut als gar nicht beachtet. In ähnlicher Weiſe
hat auch die franzöſiſche Literatur beides vermengt (Chaumeton,
Esquisse historique de la médecine légale en France). Natürlich
wird auch für uns die betreffende Literatur erſt mit dem Ende des
vorigen Jahrhunderts von Bedeutung, namentlich indem die entſtehende
Medicinalgeſetzgebung auch die Polizeiwiſſenſchaft auf das durch ſie gel-
tende Recht hinweiſt. Der erſte große Schriftſteller in dieſer Richtung iſt
Fortunatus Fidelis (De relationibus medicorum, Nap. 1603) der als
Aufgabe der „relationes“ (Berichte) zugleich die geſundheitspolizeilichen
Mittheilungen anerkennt. Paul Zacchias (Quaestiones medico-legales,
Rom. 1651) iſt noch vorwiegend juriſtiſch. J. Bohn (De officio medici
daplici clinici et forensis 1704) ſteht im Allgemeinen auf dem Standpunkt
der eudämoniſtiſchen Auffaſſung, und iſt daher als Uebergang zur fol-
genden Richtung zu betrachten. Die Theorie und Geſchichte der ſelbſtän-
digen gerichtlichen Medicin glauben wir hier nicht behandeln zu ſollen.
Dieſelbe ſchließt ſich bekanntlich vorzugsweiſe an den Art. Cod. crim.
Carol. Die Hauptſchriften dieſer Epoche ſind die beiden Werke von Carp-
zow und Böhmer; Hencke hat dann ein eigenes Syſtem daraus ge-
macht, und von ihm aus ſind die betreffenden Sätze in die Lehrbücher,
beziehungsweiſe in die Geſetzgebungen des Strafproceſſes übergegangen.
Als Frank auftritt, ſind die Geſetzgebungen Deutſchlands bereits zu
einem ziemlich beſtimmten Abſchluß gediehen; dieſelben ſind in ſo reich-
lichem Maße vorhanden, daß jede derſelben eine eigene Darſtellung und
Geſchichte fordern könnte. Man ſcheidet mit Leichtigkeit drei Gruppen.
Die erſte enthält die preußiſche Geſundheitsgeſetzgebung, deren Ge-
ſchichte in kurzem Ueberblick von Horn in ſeinem trefflichen Werk: „Das
preußiſche Medicinalweſen 2 Bände, 1853. 1858 nebſt Supplement
vom Jahr 1863“ Band I. Seite 1 ff. gegeben iſt. Horn bemerkt mit
Recht, daß Preußen der erſte aller deutſchen (warum ſagt er nicht euro-
päiſchen?) Staaten ſei, in welchem die Sorge für eine geregelte Geſtal-
tung des Medicinalweſens mit der öffentlichen Geſundheitspflege ſich
geltend gemacht. Schon 1685 erſchien hier eine erſte Medicinalordnung
als kurfürſtliches Edict, in welchem die Conſtituirung einer Central-
Medicinalbehörde (Collegium medicum) angeordnet wurde, welcher die
amtliche Oberaufſicht allerdings nur noch über das geſammte Heilweſen
übertragen wurde. Aus dem Entwurf einer Medicinalordnung dieſes
[13] Collegiums 1684 ging dann das Edict vom 27. September 1725 her-
vor, die Grundlage nicht bloß aller ſpäteren einzelnen Verordnungen,
ſondern in der That ſelbſt noch der gegenwärtigen Medicinalverfaſſung.
Horn theilt es mit Seite 2—16. Vergleiche Hagen, Nachricht von den
Medicinalanſtalten und mediciniſchen Collegien in den preußiſchen Staaten.
1786. Bergius Pol. und Cam. Mag. VI. 328. Das zweite große Medi-
cinalgeſetz iſt das Sanitäts-Normativ für Oeſterreich vom 2. Januar
1770, das natürlich in mancher Beziehung auf Grundlage der fortge-
ſchrittenen Wiſſenſchaft weiter war, aber dennoch in den Hauptſachen
dieſelben organiſchen Principien aufſtellt. Kopetz, Polizeigeſetze von
Oeſterreich II. §. 697 nebſt den einzelnen Verordnungen. Stuben-
rauch, Verwaltungsgeſetzgebung Band II. S. 2 ff. mit der öſterreichiſchen
Literatur; die Hauptſammlung iſt das Werk von M. Macher, Hand-
buch des Sanitätsgeſetzes und Verordnung für die inneröſterreichiſchen
Provinzen 1843 (5 Bände und Neue Folge I. Band 1853). Aus dieſen
beiden großen Elementen ging nun die dritte Gruppe, die Medicinal-
geſetzgebung der kleineren Staaten mehr oder weniger im Anſchluß an
jene hervor. Württemberg, Medicinalordnung vom 15. Oktober 1755
und Inſtruktion für das K. Medicinaldepartement vom 23. Januar
1807. Sammlung von Piſtorius, Handbuch der in Württemberg
bis 1840 über die Medicinalpolizei erlaſſenen Geſetze 1841. Syſtema-
tiſche Bearbeitung I.Mohl, württembergiſches Verwaltungsrecht §. 196,
Heſſen-Caſſel 1778, Churpfalz 1773, Hildesheim 1787, Lippe
1789, Baden 1794, Bayern Edikt über das Medicinalweſen vom
8. September 1808. Geſchichte und einzelne Angaben theils bei Stoll
a. a. O. I. 141, der zugleich ſehr reich iſt an Angaben über ältere Ord-
nungen ſeit 1500; theils auch bei Berg, Deutſches Polizeirecht II.
Seite 70 ff. Es iſt dabei nicht zu verkennen, daß der gemeinſame
Charakter aller dieſer Geſetzgebungen nicht ſo ſehr die Idee einer eigent-
lichen Geſundheitspflege, als vielmehr der Gedanke einer öffentlichen
Ordnung des Heilweſens iſt. Sie bilden den großen gemeinſamen
Ausdruck der Anſchauung, nach welcher das Heilweſen ein Theil und
eine organiſche Aufgabe der Verwaltung iſt, und vermöge deren
daher vor allen Dingen ein öffentliches Recht derſelben gefordert wird.
Darin, das iſt, in dieſer weſentlichen Beſchränkung auf das Heilweſen
liegt der Charakter dieſer Rechtsbildung, nicht darin, daß dieſelbe in dem
was ſie bietet, von der folgenden Zeit weſentlich verſchieden geweſen,
ſondern vielmehr darin, daß ſie ſich auf den einen Theil des Geſund-
heitsweſens beſchränkt; und die eigentliche Bedeutung des neunzehnten
Jahrhunderts beſteht demgemäß eben in der Aufnahme dieſes zweiten
Gebietes und den Folgen, welche daſſelbe für die Rechtsbildung gehabt hat.
[14]
IV. Die gegenwärtige Geſtalt des öffentlichen Geſundheitsweſens.
Auch in dem Geſundheitsweſen tritt nun die neue Zeit aus der
alten Auffaſſung hinaus, und bildet ſich neue Bahnen und neue Ord-
nungen. Es iſt ſehr leicht, den allgemeinen Charakter dieſer neuen
Epoche zu bezeichnen, aber es iſt ſehr ſchwer, den großen Reichthum
von einzelnen Beſtimmungen, die ſich aus derſelben entwickeln, in ein
klares und einheitliches Bild zuſammenzufaſſen.
Der Charakter der gegenwärtigen Zeit beruht zunächſt und vor
allem auf dem allgemeinen und höhern Standpunkt, den einerſeits die
Medicin als Wiſſenſchaft, und andererſeits die Verwaltung als Aus-
druck des allgemeinen ſtaatlichen Bewußtſeins einnehmen.
Die mediciniſche Wiſſenſchaft nämlich gelangte ſchon im vorigen
Jahrhundert zu der Erkenntniß, daß die Heilung der Krankheiten bei
all ihrer Wichtigkeit denn doch nur ein untergeordnetes Moment und
daß ſie im Grunde auch nicht fähig ſei, der unmittelbaren Thätigkeit
der Verwaltung unterworfen zu werden. Sie erkennt mehr und mehr,
daß während die Heilkunde es nur mit dem Einzelnen zu thun habe,
die allgemeine Thätigkeit der Verwaltung ſich vielmehr ſtatt der Heilung
der Krankheiten den Bedingungen der allgemeinen Geſundheit zuwen-
den müſſe. Sie nimmt in dieſem Sinne, wenn auch oft langſam und
widerſtrebend, die großen neu entdeckten Thatſachen der Naturlehre in
ſich auf und wendet ſich dem cauſalen Verhältniß zwiſchen allgemeinen
Zuſtänden des öffentlichen Lebens und der Geſundheit der Individuen
zu. Aus der bisher vorwiegend therapeutiſchen Auffaſſung der ärztli-
chen Aufgabe im öffentlichen Leben wird allmählig eine phyſiologiſche.
Eine Reihe von zum Theil wunderlichen Vorurtheilen verſchwindet;
neue Krankheitsformen fordern neue Grundſätze für ihre Behandlung;
vor allen Dingen aber erkennt die neue Wiſſenſchaft der Heilkunde, daß
in den meiſten Fällen die Krankheiten der Menſchen nur Symptome
und Conſequenzen gewiſſer Lebensverhältniſſe ſind, und daß man da-
her, um jenen zu wehren, ſich mit dieſen beſchäftigen müſſe. Das
Außerordentliche verliert ſeinen Glanz und ſeinen Werth auch hier, und
die Wiſſenſchaft wendet ſich dem Täglichen und Gewöhnlichen zu, auf
jedem Schritt weiter neue Beſtätigungen ihrer Anſicht findend, daß die
wahre Quelle aller Geſundheit und Krankheit in den kleinen, aber be-
ſtändig wirkenden Kräften des täglichen Lebens, den elementaren Zu-
ſtänden der Bevölkerung, Luft, Licht, Wohnung, Bewegung, Waſſer
und Brod zu finden ſei. Und jetzt zeigt ſich die heilſame Wirkung der
Verbindung der Wiſſenſchaft mit der Verwaltung in den Medicinal-
ordnungen des vorigen Jahrhunderts. Sie iſt es, welche die letztere
[15] für Dasjenige empfänglich macht, was die Theorie gefunden hat; und
auf dieſer Verbindung, die in keinem andern Theile der Verwaltung
ſo organiſch hergeſtellt iſt, als in dieſem, beruht die wahre Zukunft
des Geſundheitsweſens.
Was nun daneben die Verwaltung als ſolche betrifft, ſo kann
man nicht verkennen, daß auch ſie von ihrem Standpunkt namentlich
in den letzten Jahrzehnten ein neues und eigenthümliches Element in
das Geſundheitsweſen hineingebracht hat, das mit dem Obigen Hand in
Hand geht. Daſſelbe beſteht in der ſocialen Auffaſſung der Geſund-
heitsverwaltung. Die regelmäßige Beobachtung der Zuſtände und des
Wechſels der öffentlichen Geſundheit drängt nämlich der letzteren unab-
weisbar die Ueberzeugung auf, daß die Geſundheitszuſtände der ver-
ſchiedenen Claſſen der Bevölkerung mit einander in gegenſeitig bedingen-
dem Verhältniß ſtehen, und daß es keine Geſundheit der höheren Claſſen
ohne eine Geſundheit der niederen gebe. Die große Idee der Identität
der Intereſſen aller geſellſchaftlichen Ordnungen und Zuſtände bricht
ſich daher auch in dem Geſundheitsweſen Bahn, und die Geſundheits-
verwaltung wird dadurch wiederum unter allen Theilen der Verwaltung
derjenige, der am erſten und am klarſten in der Sorge für die niedern
Claſſen den Schutz der höheren erkennt. Das bildet nun einen unend-
lich reichhaltigen Stoff ſowohl für die theoretiſche als für die praktiſche
Thätigkeit, und es iſt kein Zweifel, daß an dieſen Punkt ſich das Be-
wußtſein der geſellſchaftlichen Miſſion der Aerzte anſchließt, das ſchon
jetzt Bedeutendes leiſtet, und zu noch größeren Dingen im Namen der
Grundlage aller wirklichen Geſittung, der körperlichen Geſundheit und
Kraft berufen iſt.
Dieſe beiden Faktoren haben nun ihrerſeits wieder einen entſchei-
denden Einfluß auf die Geſetzgebung einerſeits, und auf die Literatur
andererſeits.
Die Geſetzgebung nämlich verläßt auf Grundlage der geiſtigen
Bewegung in der Wiſſenſchaft der Heilkunde ihren bisherigen Stand-
punkt, auf welchem ſie das ganze Geſundheitsweſen codificiren und
in der vorſchriftsmäßigen Thätigkeit der Aerzte die Höhe der Verwal-
tung erkennen wollte. Sie gibt es ferner auf, durch einzelne, nutzloſe
und unerquickliche Vorſchriften über das individuelle Leben für die Ge-
ſundheit der Einzelnen ſorgen zu wollen. Alle Verordnungen über
Unmäßigkeit, Kleiderordnung, Verhalten der Schwangern u. ſ. w. ver-
ſchwinden oder führen nur noch ein Scheinleben auf dem Papiere fort.
Dagegen entſtehen gründliche und tüchtige Geſetze über die einzelnen
Gebiete des Geſundheitsweſens, verbunden mit einer ſtets wachſenden
oberaufſehenden Thätigkeit über die elementaren Verhältniſſe des öffent-
[16] lichen Lebens, namentlich in dem Gebiete der Selbſtverwaltung. Es
iſt jetzt viel ſchwerer, das geltende Recht zu überſehen, aber viel nütz-
licher für jede einzelne Aufgabe, es zu ſtudiren. Es hat kein legales
Syſtem mehr, aber das wiſſenſchaftliche Syſtem iſt dafür unendlich viel
einfacher und klarer. Der Fortſchritt iſt ein großer und unverkennbarer;
aber dennoch iſt das letzte Ziel nur erſt angebahnt — die Bethätigung
der Wahrheit, daß namentlich in der Geſundheitspflege ſich auch die
beſten Geſetze nicht ſelber vollziehen, ſondern ihren Werth erſt durch
energiſche Thätigkeit der Selbſtverwaltung finden. Der Schwer-
punkt des Geſundheitsweſens hat ſich dadurch geändert; er iſt von der
Staatsregierung in das Gemeindeweſen übergegangen oder gewiſſermaßen
dahin zurückgekehrt; und in der That liegt hier die Zukunft dieſer ſo
unendlichen Aufgabe.
Dieſe geſammte geſetzgeberiſche und praktiſche Thätigkeit iſt nun von
der ärztlichen Literatur auf jedem Punkte theils angeregt, theils beherrſcht,
was in der Sache ſelbſt von höchſtem Nutzen war, dagegen in der Form
manches verwirrt hat. Der Mann, mit dem ſich definitiv das Geſund-
heitsweſen von der gerichtlichen Medicin ſcheidet, iſt Peter Frank in
ſeinem: Syſtem einer vollſtändigen mediciniſchen Polizei, erſte Auflage
1779 — ſieben Bände bis 1817, als deſſen ſpezieller Vorgänger in
dieſer Beziehung wohl Hebenſtreit, Anthropologia forensis 1763 an-
geſehen werden muß. Von Frank aus entwickelt ſich eine doppelte
Richtung. Einmal entſteht hinter ihm der Gedanke, die ganze „medi-
ciniſche Polizei“ als Aufgabe der Verwaltung noch concreter zu for-
muliren mit dem Beſtreben, das ganze Gebiet in Einem Werk zu
umfaſſen, und wo möglich die Grundlage einer definitiven Organiſation
und Codification für die Verwaltung aufzuſtellen; namentlich Erhardt,
Theorie der Geſetze, die ſich auf das körperliche Wohlſein der Bürger
beziehen, 1800. Schütz, Medicinalpolizeiverfaſſung, 1808. Stoll,
ſtaatswiſſenſchaftliche Unterſuchungen über das Medicinalweſen I.—III.,
1812, ſehr viel Quellenſtudium. Zuletzt noch Wildberg, Entwurf
eines Codex medico forensis, 1842. Der Einfluß, den die großen
Medicinalordnungen des vorigen Jahrhunderts auf dieſe, allerdings for-
mell erfolgloſen Verſuche haben, iſt unverkennbar. Ihr Werth beſteht aber
wohl weſentlich wiederum in dem, was ſie für die Verwaltung hervor-
rufen. Denn einerſeits waren ſie es, welche den einzelnen Geſetzen
und Verordnungen zum Grunde gelegt wurden, andererſeits führten ſie
das Geſundheitsweſen in das Fachſtudium an den Univerſitäten neben
der gerichtlichen Medicin ein, und haben dadurch mittelbar viel genützt.
Andererſeits haben ſie demſelben einen dauernden und ſyſtematiſchen
Platz in der Verwaltungslehre gegeben, die wieder hier wie immer
[17] ihre zwei Grundformen entwickelte, die allgemeine Verwaltungslehre
des Geſundheitsweſens, und die beſondere, territoriale Verwaltungs-
geſetzkunde. Was die erſte betrifft, ſo iſt ſie bei Juſti (II. A. 1)
und Sonnenfels (Polizei I. §. 176—247) ſchon ziemlich beſtimmt
formulirt, wodurch der polizeiliche Standpunkt mit all ſeiner Einſeitig-
keit trotz der freieren Auffaſſung Franks feſtgehalten wurde, der freilich
noch die mediciniſche Polizei als „Vertheidigungskunſt wider die nach-
theiligen Folgen größerer Beiſammenwohnung“ (I. Abſchnitt 1—5) be-
zeichnet. So denken ſich denn auch die Lehrer der Polizeiwiſſenſchaft
die Sache, wie Jacob, Polizeiwiſſenſchaft §. 108 ff., ſelbſt MohlI.
Seite 133; die Geſundheitspflege tritt vor dem Heilweſen faſt gänzlich
in den Hintergrund. Die Staatsrechtslehrer kümmern ſich um das
ganze Gebiet nicht, obwohl ſie ſonſt mit der „Polizei“ ſich genug be-
ſchäftigen, weil ſie nicht unter den Begriff einer „Hoheit“ oder eines
„Regals“ zu bringen war. Dagegen entſteht nun eine zum Theil ſehr
gründliche und ausführliche Behandlung der Sache in den Verwaltungs-
geſetzkunden, indem theils das beſtehende Recht der Medicinalpolizei in
die allgemeinen Syſteme aufgenommen wird und von jetzt an einen
dauernden Theil derſelben bildet, wie bei Rönne, Stubenrauch, Mohl,
Pözl, Roller, Funke, theils in ſelbſtändigen Sammlungen erſcheint,
unter denen Horns preußiſches Medicinalweſen an ſyſtematiſcher Klar-
heit, und Rönnes preußiſches Medicinalweſen an Reichhaltigkeit muſter-
gültig ſind, während wieder jeder Theil des Geſundheitsweſens ſeine
eigene, und meiſt ſehr reiche Literatur beſitzt. Das, was noch zu
wünſchen iſt, wäre, daß an den Univerſitäten wenigſtens auf die
Hauptſachen mehr Gewicht gelegt, und dem Geſundheitsweſen eine
ſelbſtändige Stellung neben der gerichtlichen Medicin allgemein ein-
geräumt würde.
Es ergibt ſich nun aus dieſen Sätzen endlich auch der Stand-
punkt der Vergleichung zwiſchen Deutſchland und den übrigen Ländern.
Der entſcheidende Grundſatz iſt, daß das Geſundheitsweſen von der
durchſchnittlichen Höhe der ärztlichen Fachbildung in Ver-
bindung mit der örtlichen Dichtigkeit der Bevölkerung in jedem
Lande abhängt. Da dieſe nun, wie das Bildungsweſen es ſpezieller
zeigen wird, in Frankreich ſowohl als in England tief unter der deutſchen
ſteht, ſo iſt es natürlich, daß beide im Geſundheitsweſen mit dem
deutſchen gar keinen Vergleich aushalten. Aber dabei ſind wieder alle
drei Länder, trotz dieſes quantitativen und qualitativen Unterſchiedes
des öffentlichen Rechts, auch im ganzen Charakter des letzteren weſent-
lich verſchieden.
Stein, die Verwaltungslehre. III. 2
[18]
V. Der Charakter des öffentlichen Geſundheitsweſens und ſeines Rechts
in Frankreich, England, Belgien und Holland.
Das, was wir den Charakter des öffentlichen Rechts dieſes Gebietes
nennen, beſteht nun in dem Verhältniß der Regierungsgewalt und ihrer
Thätigkeit zu der Selbſtthätigkeit der Selbſtverwaltungskörper. Aus
dieſem Verhältniß geht dann auch die Geſtalt und der Umfang des
öffentlichen Rechts auf dieſem Gebiete hervor, und hier iſt es, wo wir
im höheren Sinne von einer Vergleichung reden können.
Was zunächſt Frankreich betrifft, ſo iſt nicht zu läugnen, daß
Frankreich auch in geſundheitspolizeilicher Beziehung große Specialitäten
beſitzt. Allein ſchon aus der Natur und der geringen Anzahl der Fa-
cultés de médecine ergiebt ſich, daß von einer allgemeinen ärztlichen
Bildung nicht die Rede ſein kann. Daneben ſteht der Satz feſt, daß
Frankreichs ganze innere Entwicklung eine wahre Selbſtverwaltung nicht
hat aufkommen laſſen. Nach wie vor iſt die Gemeinde im Grunde ein
amtlicher Körper, deſſen Haupt der Maire, ein Regierungsbeamteter,
iſt. Das iſt in der vollziehenden Gewalt weiter auseinander geſetzt.
Die Folge davon iſt, daß vermöge der bedeutenden Bildung der Spitzen
der Medicin das Geſundheitsweſen als ein nothwendiger und organi-
ſcher Theil der Staatsverwaltung allerdings anerkannt iſt, daß aber
die Ausführung ſeiner Principien ſich weſentlich auf das beſchränkt,
was eben von Seite des Amtes dafür zu geſchehen hat. Die franzö-
ſiſche Geſetzgebung beginnt dem entſprechend auch mit der Organiſation
des Heilperſonals in der Revolution, und bleibt dabei im Weſentlichen
ſtehen. Sein öffentliches Recht iſt faſt ausſchließlich das Recht der
Funktion der Maires, denen hier wie immer Räthe, die Commissions
sanitaires etc. zur Seite geordnet ſind, und die ſelbſt wieder unter den
Préfets ſtehen. Auf das, was in dieſer Weiſe das Amt thut, beſchränkt
ſich das öffentliche Geſundheitsweſen; die Theilnahme der Aerzte iſt Aus-
nahme; von einer ſyſtematiſchen Aufnahme derſelben in die Selbſtver-
waltungskörper iſt keine Rede. Der Charakter der das Geſundheitsweſen
betreffenden Geſetze iſt daher auch durchgreifend der der Vorſchriften
für Beamtete, wie die Geſundheitspflege die Ausführung derſelben iſt.
Daher iſt denn auch die durchgehende Verſchmelzung der Begriffe von
médecine légale und hygiène publique in der Praxis zu erklären, welche
Frankreichs Literatur feſthält, und andererſeits die ſtrenge Beziehung eben
auf die amtliche Funktion, welche Frankreichs Geſetzgebung auszeichnet.
Weſentlich anders iſt der Charakter Englands. Derſelbe be-
ruht darauf, daß das Geſundheitsweſen bis 1848 überhaupt keine
Angelegenheit der Regierung iſt, und es auch ſeit 1848 nur in
[19] ganz beſchränktem Sinne geworden iſt. In England iſt vielmehr das
Geſundheitsweſen grundſätzlich Aufgabe der Gemeinde, der Selbſtver-
waltung. Das geltende engliſche Recht hat daher mit dem geſammten
Heilweſen, ſpeziell mit den Verhältniſſen des ärztlichen Perſonals ſich
niemals abgegeben; dafür exiſtiren gar keine Geſetze, während gerade
umgekehrt hierauf das Hauptgewicht des franzöſiſchen und deutſchen
Rechts liegt. Nur ganz einzelne Punkte, wie die Quarantäne, das
Blatternweſen, einige Beſtimmungen der niedern Geſundheitspolizei waren
durch Geſetze geordnet. Erſt die Cholera hat dieſen Standpunkt ge-
ändert. Die Cholera bewies in ſehr ernſter Weiſe, daß man keineswegs
alles der Selbſtverwaltung überlaſſen, und daß eine Vernachläſſigung
der nothwendigen Beſtimmungen höchſt bedenklich werden kann. Seit
1830 kommen daher eine Reihe einzelner Maßregeln vor, die aber faſt
alle die Aufgabe haben, in den größern Städten durch Beſeitigung
unmittelbar gefährlicher oder nachtheiliger Zuſtände die Urſachen der
Seuchen und ihre Verbreitung zu beſeitigen; das ſind Geſetze über Ab-
zugskanäle (Sewers), Wohn- und Bauverhältniſſe (Building Acts),
Kirchhofs- und Bäderordnung u. ſ. w. Dieſe einzelnen Beſtimmungen
wurden nun im Jahre 1848 durch zwei große Geſetze zuſammengefaßt,
welche den ganzen Charakter der engliſchen Verwaltung ſo deutlich charak-
teriſiren, wie vielleicht wenig andere, die General Health Act (11, 12
Vict. 63) und die Nuisances Removal and Diseases Prevention Act
(11, 12 Vict. 123), deren Inhalt und Verhältniß folgender iſt, und die
wir hier genauer bezeichnen müſſen, weil ſie eben den ganzen Zuſtand des
öffentlichen Geſundheitsweſens in England enthalten und charakteriſiren.
Die General Health Act nämlich hatte die Aufgabe, nicht etwa
das geſammte Geſundheitsweſen zu codificiren, ſondern nur die Maß-
regeln der örtlichen, niederen und höheren Geſundheitspolizei, und zwar
wieder nur für die „Städte und volkreichen Orte“ geſetzlich feſtzuſtellen
und einer gemeinſamen Verwaltung zu unterwerfen. Das Geſetz be-
ſtimmt demnach die Grundſätze für die geſundheitspolizeiliche Trocken-
legung von Häuſern und Straßen, die Pflaſterung, die Reinlichkeit,
die Waſſerordnung und die ſanitäre Baupolizei, und ſtellt zu dem Zweck
die Organiſation der General und der Local Boards of Health auf
(ſ. unten). In dem Geſetze iſt eigentlich eben nur dieſe Organiſation
das Neue; die einzelnen ſanitätspolizeilichen Vorſchriften ſind nur, wie
das der Charakter aller ſogenannten General Acts iſt, eine Zuſammen-
ſtellung der einzelnen bisher beſtehenden Beſtimmungen. Das Gefühl
nun, daß eine ſolche Organiſation, die noch dazu nur auf Verlangen
der Einwohner hergeſtellt wird, nicht ausreicht, ſondern alles der ört-
lichen Willkür überläßt, zeigte die Nothwendigkeit, einen Schritt weiter
[20] zu gehen, und wenigſtens dieſe Geſundheitspolizei zu einem allgemei-
nen öffentlichen Recht zu machen. Das einfachſte wäre nun geweſen,
die Vorſchriften derſelben ganz nach dem Vorgange des Continents zu
einem förmlichen Geſetz zu machen, das für alle Gemeinden gleiche
öffentlich-rechtliche Gültigkeit hat und deſſen Vollziehung von öffent-
lichen Beamten überwacht werde. Allein dem widerſprach die ganze Natur
des engliſchen öffentlichen Rechts. Die Geſetzgebung ſelbſt darf und
ſoll nichts befehlen, und die Regierung darf und ſoll nichts verwalten,
was durch die Organe der Selbſtverwaltungskörper vollzogen und be-
ſtimmt werden kann. Um demnach dieſe Freiheit der letzteren mit dem
öffentlichen Wohle zu vereinigen, wurde das Syſtem der Nuisances
Removal and Diseases Prevention Acts aufgeſtellt. Die erſte dieſer
Acts erſchien gleichzeitig mit der Public Health Act (11, 12 Vict. 123.
1848). Die beiden folgenden Geſetze unter demſelben Titel (12, 13
Vict. 111 und 18, 19 Vict. 121) ſind Fortſetzungen und Erweiterungen.
Das eigentliche Princip dieſer Geſetze iſt, die Geſundheitspolizei dadurch
in Ausführung zu bringen, daß die einzelnen Einwohner in jedem Ort
das Recht der Privatklage haben, wenn die Behörden einen geſund-
heitsgefährlichen Zuſtand dulden. Das Vorhandenſein des letzteren wird
conſtatirt, indem zwei Householders auf eine behördliche Unterſuchung
antragen. Ergibt ſich daraus eine public nuisance, ſo hat die Orts-
behörde das Recht, die Beſeitigung derſelben durch eine ordre of remo-
val of nuisances zu befehlen, und der Ungehorſam wird beſtraft, die
Ortsbehörde aber kann die Beſeitigung auf Koſten des Betreffenden
vornehmen. Als public nuisances ſind weſentlich geſundheitswidrige
Verhältniſſe der Wohnungen und Straßen anerkannt. Man erkennt
auf den erſten Blick das höchſt Unvollkommene in dieſem ganzen Syſtem,
das doch im Grunde von allen Einzelnen umgangen werden kann, und
ebenſo gar keine Gewähr für die wirkliche Vollziehung ſeiner Aufgabe
bietet. Der ganz unfertige Verſuch, eine Art von Oberaufſicht durch
die Organiſation des General Board of Health zu bilden, muß für ſo
gut als mißlungen angeſehen werden (ſ. unten). Das Verordnungs-
recht des Privy Council hat ſeinerſeits nur ſehr enge Grenzen, und ſo
iſt der Zuſtand der Geſundheitspflege in England ein höchſt unvoll-
kommener, dem auch die neue Geſetzgebung über das Heilperſonal
im Medical Act (21, 22. Vict. 90, 1858) durchaus nicht abgeholfen
hat. Das Genauere über dieſe Geſetzgebung bei Gneiſt, engliſches Ver-
waltungsrecht, 21. Aufl., §. 113 ff. und unten bei den einzelnen Punkten.
Auf dieſe Weiſe ſtehen ſich die beiden Syſteme der Verwaltung in
Frankreich und England entgegen. Das Syſtem des belgiſchen und
des holländiſchen Geſundheitsweſens ſchließt ſich nun in allem
[21] Weſentlichen dem engliſchen an. In beiden Ländern iſt der Kern der
innern Verwaltung gerade wie in England den Gemeinden übergeben,
und ein unmittelbares Eingreifen der Regierung hier ſo wenig als bei
der Sicherheitspolizei zugelaſſen. Es gab daher bis jetzt in beiden Län-
dern keine codificirte, vollſtändige Geſetzgebung über das Geſundheits-
weſen; nur die dringendſten einzelnen Punkte der Sanitätspolizei, wie
Quarantäne und Begräbnißweſen, haben ein öffentliches Recht gefunden.
Allein die Grundlage der Verwaltung iſt dennoch von der engliſchen
verſchieden. Die ganze übrige Sanitätspolizei iſt eine örtliche, welche
der Bürgermeiſter allein ausübt, und zwar ohne daß ein Geſetz wie
das engliſche zum Grunde läge. Dafür nun wird der Bürgermeiſter
wieder von der Regierung beſtellt, und ſo wäre der Keim zu einer
Sanitätsgeſetzgebung zwar gegeben, aber ausgebildet iſt er nicht. Bel-
gien namentlich hat nur noch einzelne ſanitätspolizeiliche Verordnungen,
die wir unten mittheilen werden, und ſelbſt de Fooz hat ſich in ſeinem
belgiſchen Verwaltungsrecht wenig damit beſchäftigt. (Siehe Droit ad-
ministratif belge, T. III. Tit. II. 1865. Sauveur, Histoire de la legis-
lation médicale belge.) Bis zum vorigen Jahre war es ebenſo in
Holland. Selbſt der einſichtige J. de Boſch-Kemper hat in ſeiner
„Handleiding tot Kennis van het Nederlandſche Staatsregt en Staats-
beſtur“ (Neueſte Ausgabe 1865) der „Gezondheidspolicie“ nur Eine
Seite gewidmet (S. 813). Er ſagt grundſätzlich: „Obwohl die Beförderung
der allgemeinen Geſundheit ſicher der öffentlichen Sorge der Gemeinde-
verwaltung (Staatszorg der (?) Gemeendebeſturen) angehört, muß doch der
freien Thätigkeit der Angeſeſſenen ſo viel möglich überlaſſen werden, die
der Geſundheit nützlichen Anſtalten herzuſtellen“ (S. 813). Indeß ſind
im vorvorigen Jahre vier Geſetze erlaſſen, alle vom 1. Juni 1865, welche
als die Grundlage des künftigen Geſundheitsweſens angeſehen werden
müſſen, von denen drei ſich nur noch mit dem Medicinalweſen beſchäftigen
(Bildung der Aerzte, ärztliche und Hebammenpraxis, Apothekerweſen),
während durch das Geſetz über die Organiſation der Geſundheitsverwal-
tung die Ordnung für die Oberaufſicht des Staats über die Gemeinde-
verwaltung ſelbſtändig hergeſtellt und damit ein eigentliches Geſundheits-
weſen erſt möglich gemacht wird. So iſt das hier im Werden begriffen.
Im Allgemeinen wird man daher ſagen, daß die drei großen
Kulturvölker die Heimath eines ſelbſtändigen Geſundheitsweſens bilden,
wenn auch mit verſchiedenem Charakter, während die übrigen Völker,
und zum Theil auch einzelne deutſche Staaten, zu einer organiſchen
Entwicklung nicht gediehen ſind. Doch mangeln uns noch viele Quellen,
und die territoriale Geſtalt des Ganzen iſt vielfach ſelbſt in der Mitte
Europas noch unbekannt.
[[22]]
Zweiter Theil.
Das Syſtem des öffentlichen Geſundheitsweſens.
Auch hier beruht der Werth des Syſtems weſentlich darauf, daß
es die, jede beſondere Geſtaltung der öffentlichen Zuſtände beherrſchenden
Grundlage für das öffentliche Geſundheitsweſen aller Zeiten feſtſtellt,
und dadurch zur Baſis aller Vergleichung wird. Es wäre daher in
unſerer Zeit von hohem Werthe, wenn die Wiſſenſchaft über ein ſolches
Syſtem ſich einigen könnte. Es iſt das im Grunde nicht ſchwierig, ſobald
es ſich ergibt, daß ein ſolches Syſtem alle Verhältniſſe und Fragen in
klarer und erſchöpfender Weiſe in ſich aufnimmt. Wir glauben, daß das
folgende dieß leiſtet, um ſo mehr, als es eigentlich ſchon mit der Ver-
waltungslehre der Geſundheit ſelbſt entſtanden, von den bedeutendſten Ar-
beiten in ſeinen Grundlagen anerkannt und praktiſch leicht anwendbar iſt.
Wir unterſcheiden nämlich drei Gebiete. Das erſte iſt die öffent-
liche Organiſation des Geſundheitsweſens, das zweite das Sani-
tätsweſen, das dritte das Medicinalweſen. Das erſte zeigt das
Verhältniß der Verwaltung zum Geſundheitsweſen überhaupt, das zweite
hat es mit der Erhaltung und dem Schutze der allgemeinen Geſundheit
gegen ihre Gefahren, und das dritte mit den öffentlich rechtlichen Be-
dingungen der Heilung wirklich vorhandener Krankheiten zu thun. Jedes
dieſer Gebiete iſt in dem Geſundheitsweſen jedes Staates bis zu einem
gewiſſen Grade vorhanden. Der öffentliche Charakter des betreffenden
Geſundheitsweſens beruht aber in jedem Lande darauf, in welcher Form
und bis zu welcher Gränze jene drei Gebiete ausgebildet ſind. Die
Darſtellung derſelben in ihren Hauptzügen ergibt daher den wiſſenſchaft-
lichen Inhalt des vergleichenden Geſundheitsweſens.
Die Unterſcheidung zwiſchen Sanitäts- und Medicinalweſen iſt zwar
nicht bei den mediciniſchen Schriftſtellern, wohl aber bei den Juriſten
ſchon im vorigen Jahrhundert vorhanden. Siehe namentlich bei J. H.
[23]Berg, Polizeirecht Bd. II. S. 64 und eine ſehr gute Abhandlung IV.
2. Abtheilung Nr. XXXV. (zum Recht der Geſundheitspolizei). Auch
Mohl hat ſie ſeiner Polizeiwiſſenſchaft zum Grunde gelegt. Horn in
ſeinem trefflichen preußiſchen Medicinalweſen 1857 endlich hat die
„Organiſation“ noch ſelbſtändig hervorgehoben, und die gerichtliche Me-
dicin folgen laſſen. Er hat doch wohl Recht gegen die unklare Form
von Römer und Simon (das Medicinalweſen des preußiſchen Staates
1844—1852), trotz deſſen, was Rönne in ſeinem Staatsrecht II. §. 351
dagegen ſagt. Die Verwaltungsgeſetzkunden ſind faſt ganz unſyſtematiſch.
I. Abſchnitt.
Die Organiſation des Geſundheitsweſens.
I. Princip und Recht.
Man muß ſich zuerſt darüber einig ſein, daß man in der Organi-
ſation des Geſundheitsweſens regelmäßig zwei Theile verwechſelt oder
vermiſcht, deren Vermengung jede Klarheit unmöglich macht. Das ſind
die urſprüngliche berufsmäßige Ordnung und das Recht des Heil-
perſonals, und die jüngere und gegenwärtige adminiſtrative Organi-
ſation der Geſundheitsverwaltung, die auf ganz verſchiedenen Grund-
lagen beruhen, verſchiedene Funktionen erfüllen, und erſt in ihrem
Zuſammenwirken die Organiſation des Geſundheitsweſens ergeben.
Die berufsmäßige Ordnung des Heilperſonals iſt diejenige,
welche die Theilnahme des Einzelnen an der Sorge und Pflege in Ange-
legenheiten der öffentlichen Geſundheit von der fachmäßigen Bildung
abhängig macht. Sie empfängt daher ihre innere und äußere Ordnung
durch den Grad und die Art eben dieſer von ihr für ihren Beruf gefor-
derten Bildung. Die Grundlage ihres Berufsrechtes iſt daher die
öffentlich-rechtliche Ordnung dieſer Bildung ſelbſt an Univerſitäten und
andern Anſtalten; das Berufs- und damit das öffentliche Ordnungs-
recht deſſelben beſteht in der geſetzlichen Anerkennung des Rechts auf
eine beſtimmte, eben durch jene Bildung begründete Funktion im Heil-
weſen. Dieſe berufsmäßige Ordnung iſt daher ein ſelbſtändiges, durch
die Entwicklung der Wiſſenſchaft begründetes Ganzes, und erſcheint
unten als das Heilweſen.
Die ſtaatliche oder adminiſtrative Organiſation hat dagegen einen
ganz andern Charakter und Inhalt. Sie enthält ihrem Begriff nach
[24] die Beſtimmung und Competenz derjenigen Organe, vermöge deren die
Verwaltung ihre ſpezielle Aufgabe im Geſundheitsweſen zu erfüllen hat.
Sie entſteht daher keineswegs zugleich mit der berufsmäßigen, und kann
auch niemals mit ihr vermengt werden. Sie entſteht vielmehr erſt mit
der ſelbſtändigen Idee der Verwaltung überhaupt. Sie kann demnach
erſt auftreten, wo die letztere ſich von der ſtändiſchen Ordnung ſcheidet;
ſie iſt aber der Ausdruck des ſelbſtändigen Bewußtſeins und
der Auffaſſung dieſer Verwaltung von ihrer ſanitären Funktion im
Geſammtleben, und darin beſteht ihre große Bedeutung und ihre eigen-
thümliche Stellung in ihren verſchiedenen Richtungen.
Offenbar nun wird dieſe ſtaatliche Organiſation dieſe ihre Aufgabe
nicht durch ſich ſelbſt weder verſtehen noch vollziehen. Es iſt einleuch-
tend, daß ſie das Verſtändniß derſelben nur von Fachmännern, alſo
von Seiten der berufsmäßigen Organiſation empfangen kann, während
die wirkliche Vollziehung wieder nicht durch ſtaatliche Organe, ſondern
nur durch die Organe der Selbſtverwaltung, namentlich durch die Ge-
meinden, vollſtändig möglich iſt. Daraus ergibt ſich der Inbegriff deſſen,
was wir die Organiſation des Geſundheitsweſens zu nennen haben.
Dieſelbe enthält die Geſammtheit derjenigen Beſtimmungen, welche das
Verhältniß der berufsmäßigen Organe oder des Heilper-
ſonals mit der Gemeindeverwaltung zu der ſtaatlichen, ober-
ſten Organiſation des Geſundheitsweſens in jedem Staate
regeln.
Die allgemein leitenden Grundſätze dafür ſind folgende:
So lange es noch keine ſtaatliche Verwaltung des Geſundheits-
weſens gibt, iſt jene Organiſation natürlich nur unvollkommen. Sowie
aber die erſtere entſteht, tritt auch eine Scheidung der Funktionen
ein, und dieſe bildet den Charakter des öffentlichen Rechts des Geſund-
heitsweſens. Dieſe Scheidung geſtaltet ſich nun im Weſentlichen ſtets
ſo, daß der Staat als Ganzes die Oberaufſicht über alle Theile
des Geſundheitsweſens durch ſeine Organe ausübt, daß das Sanitäts-
weſen der Gemeindeverwaltung, das Medicinalweſen jedoch
dem berufsmäßigen Organe zufällt. Die leitenden Grundſätze für das
gegenſeitige Verhalten dieſer Organismen zu einander ſind folgende.
Erſtes Princip iſt, daß, da die Heilkunde die Wiſſenſchaft aller
Bedingungen der Geſundheit iſt, die Verwaltung durch ihre Organi-
ſation auf allen Punkten des Geſundheitsweſens die Aufgabe hat, jede
auf das letztere bezügliche öffentliche Funktion auf die Regeln und
Anforderungen der Heilkunde zurückzuführen.
Die erſte Bedingung dafür iſt wieder, daß aus dem berufsmäßig
gebildeten Heilperſonal ein regelmäßig funktionirender, die Geſundheits-
[25] zuſtände beobachtender, und die nothwendigen Maßregeln beſchließender,
mithin über den ganzen Staat ausgebreiteter amtlicher Organismus
gebildet werde, der den Organen der vollziehenden Gewalt begutachtend
und berathend zur Seite ſtehe, während der letzteren die, auf Grund-
lage der fachmänniſchen Anſichten geordnete Ausführung durch verord-
nungsmäßiges Verwaltungsrecht überlaſſen bleibt. Das öffentliche Recht
des berufsmäßigen Heilperſonals iſt dabei eine Ordnung für ſich. Das
Princip der Competenz beider Organismen in ihrem Verhältniß zu
einander muß ſein, daß der adminiſtrative Organismus keine rein geſund-
heitliche Ordnung ohne Gutachten des berufsmäßigen treffe. Das Princip
der äußeren Organiſation muß ſein, daß dieſelben zuerſt durch die
Bildung von (Sanitätsverwaltungs)-Gemeinden den ganzen Staat um-
faſſen, dann einen Inſtanzenzug (Ort, Land, Reich) bilden, und zu
dem Ende den Organen der Verwaltung (unter Behörde, Landesbehörde,
Miniſterium des Innern) beigegeben werden. Das Verhältniß zur
Selbſtverwaltung (Gemeinde) fordert, daß außerdem jede Verwal-
tungsgemeinde eine eigene Abtheilung (Section) für Geſundheitsweſen
bilde, welche ihrerſeits entweder berufsmäßige Mitglieder (Aerzte und
Apotheker) habe (kleine Gemeinden) oder berufsmäßige Räthe für
ihre Aufgaben beſtelle. Die organiſche Thätigkeit dieſer Verbindung
beider Elemente beſteht naturgemäß darin, einerſeits der höchſten Ver-
waltung durch Berichte und Vorſchläge mit dem berufsmäßig dargeſtellten
Bilde des Geſundheitszuſtandes die Bedingungen für ihre allgemeine
Thätigkeit zu geben, andererſeits über die örtliche Ausführung derſelben
zu wachen, und endlich im Falle der Noth ſelbſtändige örtliche Maß-
regeln zu verordnen. Klagrecht und Beſchwerderecht bleiben offen wie
in der ganzen Verwaltung. Die fachmänniſche Bildung, welche auf
dieſe Weiſe den ganzen Organismus durchdringt, macht es damit unab-
weisbar, daß auch die höheren und höchſten Verwaltungsorgane des
Geſundheitsweſens dem berufsmäßig gebildeten Heilperſonal angehören,
die ſelbſt aus den Aerzten genommen werden. Damit iſt freilich die ſehr
geringe ſanitäriſche Kenntniß der Vollzugsbeamteten der inneren Verwal-
tung noch nicht motivirt. — Denſelben Organismus für die Geſundheits-
verwaltung hat nun auch die gerichtliche Medicin zu vertreten.
Die gerichtliche Medicin hat von demſelben mehr zu fordern, als die
Herſtellung des juriſtiſchen Beweiſes für Thatſachen, welche für das
richterliche Urtheil entſcheidend ſind, und hat daher grundſätzlich mit
dem Geſundheitsweſen gar nichts zu thun. Die ganze Verwechslung
der gerichtlichen Medicin und des Geſundheitsweſens iſt unmöglich, ſowie
man erſtlich feſthält, daß ſie nur damals möglich war, wo die guts-
herrlichen Gerichte zugleich Verwaltungsorgane waren, und zweitens,
[26] daß es jetzt wie damals natürlich und richtig war, denſelben Per-
ſonen beide formell ſo weſentlich verſchiedene Funktionen zu übertragen,
das ſachverſtändige Gutachten über eine Frage des Gerichts für ſein
richterliches Urtheil und über eine Frage der Verwaltung für ihre poli-
zeilichen Maßregeln. Es iſt daher für die Zukunft viel wichtiger für
den Juriſten, das Gebiet der Geſundheitsverwaltung zu kennen, über
das er [bis] zu einem nicht unbedeutenden Grade ein Urtheil haben muß,
als das der gerichtlichen Medicin, in welchem er ſein Urtheil dem der
Aerzte unbedingt zu unterwerfen hat.
Dieß ſind die Grundſätze für die Organiſation der Geſundheits-
verwaltung. Sie ſind jedoch erſt langſam zur Geltung gelangt.
In der engliſchen und franzöſiſchen Literatur fehlt die Behand-
lung dieſes Gegenſtandes; in der deutſchen ſchon ſeit dem vorigen Jahr-
hundert ſehr oft unterſucht, theils hiſtoriſch wie bei Frank, Stoll,
Erhardt, theils rationell wie bei Schütz, Medicinal-Polizeiverfaſſung,
Mohl, Polizeirecht I. 253 ff. Dabei fehlt auch bier das entſcheidende
Verſtändniß des Unterſchiedes der berufsmäßigen und adminiſtrativen
Organiſation mit ihren gegenſeitigen Funktionen.
II. Geſchichte und gegenwärtige Geſtalt.
Der Charakter der Geſchichte und des geltenden Rechts der Organi-
ſation des Geſundheitsweſens beruht nun auf den Grundſätzen, nach
welchen, und auf den Formen in denen die erſt allmählig entſtehende
ſelbſtändige Verwaltung den berufsmäßigen Organismus und die Selbſt-
verwaltungskörper zu der Verwaltung des allgemein öffentlichen Ge-
ſundheitsweſens herbeizieht. Dieſe Geſchichte iſt eine außerordentlich
reiche und wichtige. Wir können nur die leitenden Thatſachen kurz
charakteriſiren.
Bei den alten Völkern, namentlich in Rom, beſteht ein admini-
ſtrativer Organismus, aber ohne Erfüllung durch berufsmäßig gebil-
dete Organe, als reine Polizeianſtalt; daher ganz örtlich und ziemlich
ſyſtemlos. — Mit dem Auftreten der Univerſitäten entſteht dagegen der
ſtändiſche Körper der Aerzte, deſſen ſtreng berufsmäßige Organiſation
ſich Jahrhunderte lang nur auf das Heilweſen bezieht, ohne Rückſicht
auf die Geſundheitspolizei. Von einer ſtaatlichen Geſundheitspflege,
alſo von einem dafür beſtimmten ſtaatlichen Organismus, iſt noch keine
Spur vorhanden. Die eigentlich öffentliche Verwaltung beginnt viel-
mehr erſt mit der höheren Entwicklung des ſtädtiſchen Gemeindeweſens.
Dieſer Anfang einer ſelbſtändigen öffentlichen Organiſation des
[27] Geſundheitsweſens wird mit der Einführung der amtlich beſtellten Orts-
ärzte (Phyſiker) und der Apothekerordnungen (ſechzehntes Jahrhundert)
gegeben, mit wiſſenſchaftlicher Bildung, aber noch ohne einheitliche Ord-
nung meiſt nur auf einzelne Städte beſchränkt. Erſt mit dem Anfange
des achtzehnten Jahrhunderts beginnt dann in Deutſchland die eigent-
liche Organiſation des Geſundheitsweſens, indem die Verwaltung der
Geſundheitspflege einem eigenen, aus wiſſenſchaftlich gebildeten Aerzten
zuſammengeſetzten Körper, dem Collegium medicum oder sanitatis über-
geben wird, das die höchſte Inſtanz der Verwaltung bildet, während
nach wie vor der Organismus der Univerſitäten über die ärztliche,
berufsmäßige Bildung entſcheidet. Dieſe Collegien ſind meiſtens aus
der Gefahr, welche anſteckende Krankheiten den Völkern bringen, ent-
ſtanden, und gehören daher urſprünglich meiſt dem Seuchenweſen. Erſt
allmählich entwickelt ſich an und aus ihnen eine förmliche höchſte Ver-
waltungsbehörde für die öffentliche Geſundheit, namentlich mit dem
achtzehnten Jahrhundert. Von dieſen Collegien, als Mittelpunkt in der
Organiſation, geht dann die allmählige Aufſtellung der örtlichen
Geſundheitsorgane (Phyſicate) als allgemeine Inſtitution aus, bis mit
dem neunzehnten Jahrhundert das Miniſterialſyſtem dieſen Organismus
in ſich aufnimmt, und ihm, mit oder ohne Beibehaltung ſeines Namens,
ſeine natürliche Stellung als berathendes und oberaufſehendes
Organ des Miniſteriums des Innern, jener für die eigene ſanitäre Thä-
tigkeit der amtlichen Verwaltung, dieſer für die Thätigkeit einerſeits der
Gemeinden, anderſeits aber auch des geſammten Heilperſonals, verleiht.
Die Fakultäten werden dadurch, was ſie ihrerſeits ſein ſollen, der Orga-
nismus für die berufsmäßige Bildung des Heilperſonals. Durch die
Berufung von Fachmännern für die höchſten Stellen der Geſundheits-
verwaltung ſind dabei die Anforderungen der Wiſſenſchaft geſichert.
Dennoch iſt nicht zu verkennen, daß wir auch in dieſer Beziehung erſt
im Anfange ſtehen, indem bisher faſt durchgehend der Grundſatz gilt,
dieſe Organe, und namentlich die Thätigkeit der unteren und örtlichen
vorwiegend nur bei einzelnen Maßregeln und in außerordentlichen Fällen
zu benutzen, während gerade die regelmäßige Thätigkeit derſelben,
namentlich in Berichten und Statiſtik, erſt den höheren Organen Grund-
lage und Anlaß für umfaſſendere Aufgaben geben könnte. Dazu wäre
allerdings das nöthig, was nur zu wenig geſchieht, daß die amtlichen
Aerzte hinreichend beſoldet würden, um die Aufgaben der Verwaltung
zu ihrer eigenen Hauptaufgabe zu machen. Das wiederum wird erſt
dann geſchehen, wenn die Selbſtverwaltungskörper die Bedeutung der
Sache begreifen und die Koſten daran wenden. Das Hauptmittel aber
dafür wäre es, wenn das Vereinsweſen der Aerzte neben den rein
[28] mediciniſchen auch die zum Theil viel wichtigeren Fragen der Geſund-
heitspflege in Geſetzgebung und Anſtalten ernſtlicher behandelten.
Auch dieſe Zeit wird kommen, und wieder wird dieſe Bewegung theils
von den Univerſitäten, theils von den großen Städten ausgehen.
Was nun die Gemeinden betrifft, ſo beruht ihr Verhältniß zur
Geſundheitspflege auf zwei Punkten. Zuerſt allerdings auf der Ge-
meindeordnung und dem in derſelben gegebenen Rechte der Selbſtver-
waltung überhaupt, dann aber ebenſo weſentlich auf der Dichtigkeit
der Bevölkerung, ſo daß bei ſonſt gleichem Rechte die Geſundheitspflege
je nach der Größe der Gemeinde eine weſentlich verſchiedene iſt. Dieß
Verhältniß wiederholt ſich naturgemäß in ganz Europa, und ſo hat ſich
im poſitiven Recht im Ganzen auf dem Continent der Grundſatz für
die Organiſation und Competenz des Geſundheitsweſens feſtgeſtellt, daß
die Verwaltungsorgane des Geſundheitsweſens für das, was wir
als das Sanitätsweſen bezeichnen, die theils unmittelbar, theils
mittelbar (durch die niederen Polizeiorgane) vollziehende Behörde,
für das Medicinal- oder Heilweſen dagegen die oberaufſehende
Thätigkeit ausüben, und in der höchſten Verwaltung als maßgebend
berathender Organismus daſtehen. Die Zukunft fordert nur noch
die vollſtändige Ausbildung dieſer ſachgemäßen Grundlage.
Im Allgemeinen ſteht nun die geltende Organiſation in England
am tiefſten, indem hier das, ohnehin ſchlecht entwickelte berufsmäßige
Element der gebildeten Aerzte faſt ganz ausgeſchloſſen, und das Ganze
den örtlichen und ſtaatlichen Verwaltungsorganen, im Grunde auch nur
für die höhere und niedere Baupolizei, übergeben iſt. — Frankreich
hat zwar einen auf Grundlage berufsmäßiger Bildung errichteten Cen-
tralorganismus der Geſundheitspflege, aber ihm fehlt dieß Element voll-
ſtändig in der örtlichen Verwaltung. Nur in den deutſchen Staaten,
namentlich in Oeſterreich und Preußen, ſind die obigen Principien zu
einem vollſtändigen, allenthalben zur wirklichen Geltung gebrachten
Syſtem geworden, das ſchon mit demjenigen, was es gegenwärtig
leiſtet, als Muſter daſteht, und hoffentlich durch praktiſche Richtungen
des ärztlichen Vereinsweſens bald noch viel weiter fortſchreiten wird.
I.Geſchichte. Die Hauptſammlung für die frühere Literatur (nach
Pütters Beiſpiel) Ch. F. Wildberg (Bibliotheca medicinae politicae
in qua ex omnibus temporibus scripta ad hanc scientiam spectantia
digesta sunt. Berlin 1819). Oeffentliche Vorſchriften ſchon in Athen.
In Rom unter den Kaiſern eine (örtliche?) Organiſation der Aerzte und
Polizei derſelben durch Decuriones l. 6. §. 2. D. d. exc. tut. l. 8. Cod.
[29] de Ep. et Cler. Medici numerarii und supernumerarii; ein super-
positus oder Dominus medicorum unter Veſpaſian. Frank (l. l. V.
141 ff.). Der Cod. Theod. l. XIII. hat 348 nach Chriſto ſchon vierzehn
Abtheilungen Roms mit Armenärzten; jedoch fehlt die berufsmäßige
Bildung und ihr charakteriſtiſches Merkmal, die Berufsprüfung gänzlich.
Alle Stellen des Corpus juris civilis in Rom auf das Geſundheits-
weſen bezüglich ſorgfältig geſammelt bei Stoll, Staatswiſſenſchaftliche
Erfahrungen über Medicinalweſen I. 102. ErhardtI. 12.
Ständiſche Epoche. Organiſation der berufsmäßigen Bildung
ſeit 1232 in Salerno (Fr. II.) Erläuterung der wichtigſten Geſetze,
welche auf die Medicinalverfaſſung Bezug haben und vom erſten bis
zum dreizehnten Jahrhundert gegeben worden ſind. Von Prof. Acker-
mann in Altorf. — Pyls Repertorium für öffentliche und gerichtliche
Arzneiwiſſenſchaft Bd. II. S. 167—227 und III. S. 1—28. — Die
Ausübung der Heilkunde nach l. 18 und 28. D. de muneribus et
honoribus als „munus publicum“ aufgefaßt. — Erſte Entſtehung der
Physici zunächſt für die Reichsſtände ſeit Sigismund: in jeder Reichs-
ſtadt ein Muſterarzt mit 100 fl. nebſt Pflicht die Armen zu behandeln
1474. FrankVI. 174. ErhardtI. 23. StollI. 143. Erſte ört-
liche Apothekerordnungen für einzelne Städte 1477, 1502 u. a. ebendaſ.
Anhang. Auftreten der Collegia Sanitatis mit dem Anfange des acht-
zehnten Jahrhunderts. FrankI. 9. (nach Berg, Polizeirecht II. S. 73
hauptſächlich für Geſundheitspolizei, die Collegia medica als allge-
meine Oberaufſichtsbehörde). Preußen: Ober-Collegium medicum,
und principielle Coll. medica ſeit 1719 (Coll. sanitatis gegen Seuchen,
jedoch mit dem erſteren ſpäter vereinigt). Inſtruktion vom 21. Dec.
1786. Neue vom 21. April 1800. ErhardtI. S. 118 ff. Ber-
gius Magazin Bd. 328. Braunſchweig: Coll. medicum ſeit 1747.
Heſſen-Caſſel ſeit 1767; erneuert 1778. Kurſachſen 1786. Kur-
Heſſen 1768, neue Organiſation 1803. Bayern ſeit 1755 und 1782.
Ober-Medicinalcollegium 16. April 1817. ErhardtI. 119 ff. Würt-
temberg: Sanitätsdeputation. Berg, II. S. 75 ff., dann Coll. me-
dicum ſeit 1814. Baden: Sanitäts-Collegium ſeit 3. Oktober 1803.
Mecklenburg: 1818. Dänemark: Coll. medicum vom 22. April
1803. Erhardt, I. S. 24 ff. Möſer, reichsſtädtiſche Regiments-
verfaſſung über die Verwaltung in den Reichsſtädten (S. 310). —
Phyſicatweſen des vorigen Jahrhunderts in Diſtrikten und Städten:
Fürſtenau (De officio medicis, speciatim ordinarii, alias physici
dicti. Rint. 1721). Badiſche Ordre und Inſtruktion 1793. Preußen,
ſ. Hagen a. a. O. 14. Heſſen-Caſſel 1787. Lippe, Medicinal-
ordnung I. 4. Württemberg, Medicinalordnung 1786. I. 9. (S. Berg,
[30] Polizeirecht II. 77 ff. FrankVI. 174.) — Allenthalben als der örtliche,
amtliche Arzt aufgefaßt, und mit ſpeziellen amtlichen Inſtruktionen verſehen.
II. Die meiſten Organiſationen ſind im Grunde nur dadurch ver-
ſchieden, daß ſie die höchſte Behörde, als jene Collegia, dem Miniſterium
des Innern unterordnen, ſie weſentlich zu berathenden Körpern machen
und ihnen alle aufſehende Gewalt geben; die Scheidung von den Fakul-
täten iſt ſtrenger als je; zugleich aber Herbeiziehen der Selbſtverwaltungs-
körper zur Theilnahme an der örtlichen Geſundheitsverwaltung. Richtig
charakteriſirt bei Malchus, Politik der inneren Verwaltung I. §. 26.
Oeſterreich: Neue Organiſation durch Miniſterialvertrag 29. Juli
1830. Grundlage: Verbindung der Medicinalpolizei mit den politiſchen
Behörden. Die mediciniſchen Fakultäten bleiben hier die höchſten ſach-
verſtändigen Stellen. Aufſtellung eines Sanitäts-Referenten und
eine Medicinalcommiſſion im Miniſterium des Innern. Mittelbehörden:
Kreismedicinalräthe und Medicinalcommiſſionen bei den Statthal-
tereien (Oberaufſicht und Vorſchlag bei Anſtellungen, Erlaß vom 3. Mai
1851). Errichtung der unterſten Stufen als Bezirksärzte (Verordnung
vom 10. Oktober 1860) und Aerzte bei öffentlichen Anſtalten; Gemeinde-
Geſundheitsweſen: Sanitätspolizei örtlich den Gemeinden übertragen
(Gemeindeordnung 1849. §. 119). Gemeindeärzte, Stadtphyſici.
— Stubenrauch, Verwaltungsgeſetz II. S. 2 nebſt Literatur.
Preußen: Seit Publication 16. Dec. 1808 und Kabinetsordre
vom 13. Dec. 1809 Auflöſung der alten Collegia, und Einordnung
der Medicinalangelegenheiten in das Miniſterium der geiſtlichen Unter-
richts- und Medicinalangelegenheiten; definitiv ſeit Kabinetsordre vom
3. Nov. 1817; genauere Competenzbeſtimmung (Kabinetsordre vom 29. Jan.
1823), welche unklar einen Theil dem Miniſterium des Innern wiedergab,
dann ſeit Erlaß vom 22. Juni 1849 ganz dem erſteren als vierte Ab-
theilung zugewieſen; darunter dann die Oberaufſicht über die berufs-
mäßige Bildung in der wiſſenſchaftlichen Deputation für das
Medicinalweſen (Inſtruktion vom 23. Juni 1817); die Ober-
Staatsprüfungscommiſſion für Aerzte und Apotheker (Kabinets-
ordre vom 28. Juni 1825 und Inſtruktion vom 1. Dec. 1825); die tech-
niſche Commiſſion für Pharmacie ſeit 1832, und ein Curatorium für
„Krankenhaus-Angelegenheiten“ ſeit 1830. RönneII. §. 231. — Mittel-
behörden: ein Medicinalcollegium unter dem Oberpräſidenten jeder
Provinz, zugleich als Organ der gerichtlichen Medicin, ſeit 1815 (In-
ſtruktion vom 23. Okt. 1817. Rönne II. §. 258), bei jeder Regierung
Medicinalräthe (Inſtruktion vom 23. Okt. 1817. RönneII. 253);
bilden eine ſelbſtändige Sektion, ebendaſ. 241. Horn a. a. O. I. Thl.
S. 1 ff. — Die örtliche Verwaltung iſt dem Landrath zugeordnet
[31] in dem Kreis-Medicinalbeamten: Kreisphyſikus (die freie Wahl des
Stadtphyſikus den Städten genommen (Reſcript vom 30. Juni 1810);
Kreiswundarzt ſeit 1816; Kreisthierarzt (nicht allenthalben) An-
ſtellung ſeit 7. Dez. 1828 durch das Miniſterium (RönneII. 267),
das Ganze ſtreng bureaukratiſch. Das Nähere nebſt Geſchichte: Rönne
und Simon Medicinalweſen des preußiſchen Staates I. 98; trefflich
bei Horn a. a. O. S. 16 ff.
Bayern. Grundlage: Organiſations-Edict über das Medicinal-
weſen vom 8. Sept. 1808; Ober-Medicinalrath als Referent beim
Miniſterium des Innern, zugleich Vorſitzender des Ober-Medicinal-
ausſchuſſes ſeit Verordnung vom 24. Juli 1830 (das Ober-Medi-
cinalcollegium von 1817 aufgehoben 1825) weſentlich auch als höchſte
Inſtanz für gerichtliche Medicin; Mittelbehörde: Kreis-Medicinal-
rath nebſt Medicinalausſchuß (Verordnung vom 10. Jan. 1833);
daneben jedoch Erhaltung der Theilnahme der Fakultäten für Ober-
Gutachten (Verordnung vom 23. Aug. 1843). Untere Stufe: Ge-
richts- und Polizeiärzte ſchon ſeit 1808; für gerichtliche Medicin
und Geſundheitsweſen zugleich (Pözl, bayr. Verwaltungsrecht §. 21).
Württemberg. Die neue Organiſation begründet durch Verord-
nung vom 14. März 1814 nebſt Inſtruktion für Oberbeamte, Amts-
und praktizirende Aerzte, Landvogtei-Aerzte ꝛc., dann Verordnung für
Organiſation des Obermedicinalcollegiums vom 6. Juli 1818 (berathende
Behörde), Oberamtmann als vollziehende Behörde (Verwaltungs-Edict
vom 1. März 1822) mit Oberamtsarzt. Das Ganze unter dem Mi-
niſterium des Innern. Mohl, württembergiſches Verwaltungsrecht,
§. 196, 202. Roller, Polizeirecht §. 176 ff.
Baden. Sanitätscommiſſion errichtet Reſcript 15. April 1819;
weſentlich bei Epidemien als berathende Behörde. Neueſtes Geſetz vom
28. Mai 1864, die Stellung der Bezirks-Staatsärzte betreffend,
die zugleich als Organe für die Rechts- und Geſundheitspflege eingeſetzt
ſind; dann Einſetzung eines Obermedicinalrathes als feſtes Organ
nebſt Unterordnung und Organiſirung der untern Stellen durch Ver-
ordnung vom 30. September 1864.
Königreich Sachſen. Kurze Geſchichte der Organiſation ſeit dem
Mandat vom 13. Sept. 1768. Funke, Polizeigeſetze des Königreichs
Sachſen III. S. 1. Gegenwärtige Organiſation. Errichtung eines Miniſte-
rialdepartements durch Verordnung vom 7. Nov. 1831. Kreisdirektion
(Verordnung 6. April 1835); mediciniſche Beiſitzer derſelben (Verordnung
12. Januar 1838) und Medicinalabtheilung im Miniſterium des Innern
(Verordnung vom 1. Februar 1844), Funke a. a. O. S. 2 ff. und
V. S. 499.
[32]
Ueber andere deutſche Staaten vergleiche Brachelli, Verwaltungs-
behörden in Europa, Jahrbuch für Geſetzkunde und Statiſtik 1862,
S. 188 ff.
Die Organiſation Frankreichs bleibt hinter der deutſchen ſehr
zurück. Erſt durch Ordonnanz vom 7. Auguſt 1822 Beiordnung eines
Conseil sup. de santé. Dieſes wird ausgebildet zu dem Anfang eines
Syſtems durch Dekret vom 10. Auguſt 1848, modificirt durch Dekret
vom 1. Februar 1851 als Comité consultatif d’hygiène publique,
beſteht aus vier Aerzten, zwei Technikern und drei Beamteten. Be-
rufung nur durch den Miniſter der agriculture und travaux publics,
und nur mit Begutachtung, ohne alle Initiative. Doch können, was
ſehr nachahmungswerth iſt, Mitglieder aus dem Handelsſtande, aus
der Zollverwaltung und dem Armenweſen (assistance publique) bei-
gezogen werden. Hier liegt noch immer der alte Gedanke der Muni-
cipal- und Departementalordnung zum [Grunde], wie dieſelbe ſchon durch
das Geſetz vom 16.—24. Auguſt 1790 feſtgeſtellt ward, und welche den
Beamteten, dem Präfekten und Maire, die polizeiliche Gewalt übergab, in
der Geſundheitspolizei wie in andern Gebieten. (Tardieu, Dictionnaire
d’hygiène publique 1854, II. 330.) Mittelbehörden: Conseils et
comités d’hygiène publique et de salubrité dans les départements
ganz facultativ vor 1848; erſt definitiv und allgemein durch arrêt vom
18. Dec. 1848 für Departements und Arrondiſſements — jusqu’alors
toutes ces questions restaient sans solution est etaient tranchées par
des autorités tout à fait incompétentes — (Block, Dict. v. hygiène
publique). Siehe Darſtellung dieſer Verhältniſſe in Tardieu l. l. I.
378. Conseil: ſieben bis dreizehn Mitglieder für das Departement.
Commissions, beſonders berufen durch den Präfekten für das Arrondiſſe-
ment; nur für Gutachten auf Verlangen; zum Theil auch für die
Mortalitätsſtatiſtik, aber ohne Aufſicht über das ärztliche Perſonal.
Oertlich: Conseil du dép. d. l. Seine (Paris); ſeit dem Geſetz vom
13. April 1850 hat jede Gemeinde das Recht, eine „Commission
des logements insalubres“ einzurichten, was noch wenig geſchehen iſt.
Der médecin cantonal iſt nur Armenarzt. Das Geſetz vom 19. Vent.
an XI. bezieht ſich nur auf die berufsmäßige Bildung und das Heilperſonal
(ſ. unten). Das Geſetz vom 25. Mai 1864 hat die Commissions (de
santé), das Geſetz von 1850 in Zahl und Funktion etwas erweitert.
(Trebuchet bei Block a. a. O.)
An dieſe franzöſiſche Organiſation ſchließt ſich nun in all ihren Grund-
zügen die neueſte italieniſche an, welche auf Grundlage des Geſetzes
vom 20. März 1865 durch das Reglement vom 8. Juni 1865 eingeführt
iſt. Dieſes Reglement iſt aber zugleich eine ganze Medicinalgeſetzgebung,
[33] die das Neueſte für ihren Inhalt aus dem öſterreichiſchen Sanitäts-
Normale von 1770 nimmt, während die Form franzöſiſch iſt. Es
werden hier alle Verhältniſſe des Geſundheitsweſens polizeilich normirt,
und dieſe Herſtellung des Zuſtandes Deutſchlands im vorigen Jahrhun-
dert iſt ein großer Fortſchritt für ein Reich, das bisher in dieſer Be-
ziehung überhaupt noch keinen Zuſtand hatte. (Siehe Auſtria 1865,
Seite 326.)
Die Organiſation des Geſundheitsweſens in England, obwohl
an ſich ohne beſondere Bedeutung, bietet dagegen von einer andern
Seite ein großes Intereſſe dar. Sie liefert nämlich den Beweis, daß
die Ueberlaſſung des Geſundheitsweſens an die ausſchließliche Funktion
der Selbſtverwaltung in unſerer Zeit auch bei der freieſten Form der
letzteren nicht mehr möglich iſt, ſondern nothwendig im Geſammt-
intereſſe einer ſtaatlichen Ordnung bedarf, ein Satz, deſſen Wahrheit
vor zwei Jahren auch Holland bethätigt hat. Der Gang der Ent-
wicklung und gegenwärtige Charakter der engliſchen Organiſation ſind
im Weſentlichen folgende. Bis zum Auftreten der Cholera gab es in
England weder eine allgemeine Geſundheitsgeſetzgebung, noch auch eine
Geſundheitsbehörde. Die ganze Angelegenheit war ausſchließlich Sache
der Gemeinden. Erſt mit dem Jahr 1838 beginnt das Streben, dieſer
Selbſtverwaltung eine ſtaatliche an die Seite zu ſetzen. Dieſe Bewegung
zieht ſich in engliſcher Weiſe durch zehn lange Jahre durch das Unter-
haus, bis man endlich zu folgendem Syſtem gelangte: a) die örtlichen
Behörden (Friedensrichter) haben die geſundheitspolizeilichen Vorſchriften
der Nuisances Removal Act von 1848, theils auf Grundlage von
Privatklagen, polizeilich durchzuführen, ohne Beirath von Fachmännern;
b) in größern und volkreichen Orten wird ein Geſundheitsrath, der
Local Board of Health, aufgeſtellt, wenn entweder ein Zehntheil der
Steuerzahler es verlangt, oder die Mortalitätsziffer 23 per 1000 über-
ſteigt; c) für die allgemeine Verwaltung und Oberaufſicht wird ein
General Board of Health errichtet, welcher die gerichtliche Inſtanz
für Beſchwerden bildet, und durch Inſpektoren ſich über die geſundheit-
lichen Zuſtände der betreffenden Orte unterrichten kann. Das waren die
Grundzüge der Public Health Act 11, 12 Vict. c. 63. (1848), welche
die Vollzugsbeſtimmung der Nuisances Removal Act von demſelben
Jahr enthielt (ſ. oben). Natürlich war dies ein kläglicher Verſuch, eine
Organiſation des Geſundheitsweſens herzuſtellen, da dabei alles den
zufälligen Verhältniſſen und Perſönlichkeiten der einzelnen Gemeinden
überlaſſen ward, und dieſe ſich ſcheuten, die Steuer für die Local
Boards mit ihrem theuren Perſonal und geringer Leiſtung ſich ſelber
aufzulegen. Es erſchien daher bald nothwendig, da die Geſetzgebung
Stein, die Verwaltungslehre. III. 3
[34] die Verwaltung im Stiche ließ, auf dem Wege der miniſteriellen Ver-
ordnung für dieſelbe zu ſorgen. Das Element der letzteren lag ſchon
in der früheren Beſtimmung, daß das Privy Council bei gemein-
gefährlichen Zuſtänden beſondere Ordres in Council (königliche Verord-
nungen) erlaſſen konnte und, wie bei Epidemien, auch wirklich erließ.
Dieſer Keim ward zu dem Beginn eines Syſtems entwickelt durch die
Uebertragung der Funktion des General Board an das Privy Council
ſelbſt, unter Auflöſung des erſteren durch 21, 22 Vict. 97 und 24, 25
Vict. 3, ſo daß jetzt das Geſundheitsweſen eine Art von miniſteriellem
Departement bildet, wie etwa die Committee for Education. (Vergl.
Vollziehende Gewalt S. 269 ff.) Dieſes Departement hat nun
für die einzelnen Punkte der Sanitätspolizei manches gethan, was unten
angeführt werden ſoll. Allein noch blieb die Organiſation des Medici-
nalweſens übrig. Dieſe ward nun durch die Medical Act 1858 (21,
22 Vict. 90) und die Einſetzung des General Council of Medical Edu-
cation gegeben. Dieſer General Council hat im Weſentlichen die Funk-
tion des preußiſchen Obermedicinalcollegiums. Er theilt ſich in drei
Abtheilungen für England, Schottland und Irland, und hat haupt-
ſächlich die Prüfung, Anſtellung und mediciniſche Disciplin des Heil-
perſonals zu verwalten. Die Mitglieder dieſer Prüfungscommiſſion
werden zum überwiegenden Theile gewählt, und von ihr aus iſt in
England eigentlich erſt ein Recht und eine Ordnung der ärztlichen Praxis
entſtanden (ſ. unten). Weiter iſt man in England noch nicht. Es iſt
klar, daß die Schwäche dieſes Syſtems darin beſteht, daß wenn die
Local Boards ihre Schuldigkeit nicht thun, nur erſt dann die Ver-
ordnungsgewalt des Privy Council einſchreitet, was bei dem ſehr nied-
rigen Stande der ärztlichen Bildung und bei der Abneigung gegen alles
Verordnungsrecht natürlich nur im äußerſten Falle vorkommt. Daher
denn mit wenigen Ausnahmen in einzelnen Punkten die große Ungleich-
mäßigkeit und Langſamkeit in aller Verwaltung des Geſundheitsweſens
in England. Das Urtheil, welches Gneiſt in ſeiner zweiten Auflage
des Engliſchen VerwaltungsrechtsII. S. 113 und 114 darüber
fällt, iſt eben ſo richtig, als ſeine Darſtellung klar und gründlich iſt.
Einen ganz ähnlichen Entwicklungsgang hat nun in neueſter Zeit
Holland durchgemacht, jedoch in einer viel praktiſcheren, dem Charakter
der continentalen Rechtsbildung entſprechenden Weiſe. Auch hier hatten
bis auf die neueſte Zeit die Gemeinden ausſchließlich das Recht, für
die Geſundheitspolizei zu ſorgen. „Nachdem die Regierung zum großen
Nachtheil der Gemeinſchaft in dieſer ſo hochwichtigen Sache ſeit den
letzten Jahren nichts gethan hat,“ werden endlich der Kammer 1864
Entwürfe vorgelegt (de Boſch-Kemper a. a. O. 812), aus denen das
[35] Geſetz vom 1. Juni über die Staatsoberaufſicht des Geſundheitsweſens
(geneeskundig Staatstoezigt) hervorging. Daſſelbe hat eine förmliche
und ziemlich vollſtändige Organiſation der ſtaatlichen Verwaltung an
die Spitze der örtlichen Gemeindeverwaltungen geſtellt. Dieſe Organi-
ſation beſteht aus den „Inspecteurs“ und „Adjunct inspecteurs“ und
einem Medicinalrath (geneeskundig raaden), welche dem Miniſterium
des Innern untergeordnet ſind. Die erſteren bilden einen förmlichen
amtlichen Körper (geneeskundige ambtenaren), welche für eine oder
mehrere Provinzen den „Rath“ berufen, der aus ſechs bis zehn Aerzten,
zwei bis ſechs Apothekern und einem Rechtskundigen beſteht. Die Funk-
tion der Inſpektoren iſt weſentlich ſtatiſtiſcher Natur mit jährlichem
Bericht an den Miniſter und den gedeputeerde Staaten; der Rath
wird mindeſtens zweimal jährlich berufen, in öffentlicher Verſamm-
lung; auf Antrag der Hälfte der Mitglieder tritt er ſelbſt zuſammen;
der Inſpektor hat an ihn zu berichten, und unter (allerdings nicht
genau beſtimmten) Vorausſetzungen kann er auch Beſchlüſſe faſſen. Auch
werden die Mitglieder ernannt. Dieſe Organiſation hat die Oberaufſicht
über die im übrigen ſelbſtthätige Wirkſamkeit der Gemeinden und würde
etwa einer mediciniſchen Sektion in unſern Landtagen entſprechen. Die
Einrichtung iſt neu, erſcheint aber als eine vortreffliche. Die allgemeine
Auffaſſung ſ. oben de Boſch-Kemper S. 813. Ueber die gleichzeitige
Organiſation des Heilperſonals ſ. unten. — In Belgien iſt dagegen
der ganz communale Charakter der Geſundheitspolizei noch erhalten.
„Les mesures d’hygiène publique appartiennent, en général, à
l’autorité communale. Elle prend les mesures de police qu’elle
juge nécessaires ou utiles dans l’intérêt de la salubrité publique.“
(De Fooz.) Doch iſt das Recht und die Pflicht des Staates, das
Seinige zu thun, anerkannt, wenn auch in nur ziemlich abſtracter
Weiſe. Die höhere Organiſation beruht auf der Académie de méde-
cine als höchſter berathenden Behörde (Reglement vom 26. März 1842)
und den provinziellen Commissions de santé, die vom König ernannt
werden und gleichfalls örtliche berathende Behörden ſind, zugleich aber
das Recht der Praxis für Spezialzweige der Heilkunde ertheilen. (Geſetz
vom 12. März 1818.) Durch dieſe Inſtitute und auf Grundlage jener
allmählig Platz greifenden Anſicht ſind ſeit 1848 Comités locaux de
salubrité allenthalben eingeſetzt (Arr. vom 12. December 1848) und
die geſammte Geſundheitspflege iſt im Allgemeinen dem Miniſterium
des Innern untergeordnet, das durch einen Inspecteur général eine
unklar formulirte Oberaufſicht ausüben läßt; namentlich hat der In-
ſpektor Bericht zu erſtatten und Vorſchläge zu machen. (Arr. vom 18.
September 1845.) De Fooz, Droit administratif belge III. p. 106,
[36] 107 ff. Die Stellung und Aufgabe der Gemeinden gilt dabei als
organiſcher Theil der Gemeindeordnung. De FoozIV. (administration
des communes).
II. Abſchnitt.
Das Sanitätsweſen.
Begriff.
Unter dem Sanitätsweſen verſtehen wir nunmehr denjenigen
Theil des Geſundheitsweſens, welcher die Geſammtheit der Bedingungen
für die Erhaltung der individuellen Geſundheit, ſo weit ſie der Einzelne
ſich nicht ſelber zu ſchaffen vermag, für die Gemeinſchaft durch die voll-
ziehende Gewalt theils auf Grundlage von Geſetzen und Verordnungen,
theils durch eigene Anſtalten herſtellt.
Das Sanitätsweſen iſt demnach dasjenige Gebiet, in welchem der
Organismus des Geſundheitsweſens mit vollziehender Gewalt
auftritt.
Das Sanitätsweſen beginnt naturgemäß bei den Verſuchen, wirk-
liche und dringende einzelne Gefahren von den öffentlichen Geſund-
heitszuſtänden abzuhalten, und erſcheint daher ſtets zunächſt als eigent-
liche Geſundheitspolizei. Die Geſundheitspolizei ihrerſeits wendet
ſich hiſtoriſch zuerſt gegen die allgemeine und greifbarſte Gefahr der
Seuchen; dann geht ſie über zum Schutze des Individuums gegen alle
denkbaren Einzelgefährdungen, die theils in den Nahrungsmitteln, theils
in dem Verkehrsintereſſe liegen. Erſt mit unſerem Jahrhundert greift
die Erkenntniß Platz, daß der beſte Schutz gegen die Gefahren der Ge-
ſundheit in den allgemeinen Bedingungen geſunder Zuſtände der Bevöl-
kerung liegen. Namentlich wird klar, daß einerſeits der Mangel an
kräftiger Geſundheit der niedern Klaſſe die öffentliche Laſt der Unter-
ſtützung derſelben durch die höhere Klaſſe verdoppelt, und die Hebung
derſelben daher durch das Intereſſe der letzteren immer poſitiver gefor-
dert wird; andererſeits daß die Vernachläſſigung der Geſundheitsbedin-
gungen bei den Nichtbeſitzenden die ganze Klaſſe derſelben zu einer
großen Krankheitsheerde auch für die Beſitzenden macht. Dadurch ge-
winnt das Sanitätsweſen mit unſerem Jahrhundert neben ſeinem nega-
tiven, polizeilichen Inhalt einen poſitiven Charakter, und der leitende
Gedanke der Sanitätsverwaltung der Zukunft wird der ſein, daß die
alte Sanitätspolizei als Schutz gegen einzelne Gefahren nur die
außerordentliche und temporäre, die neue poſitive Geſundheitspflege
dagegen die regelmäßige, langſam und unſichtbar, aber unwiderſtehlich
wirkende Aufgabe der Geſundheitsverwaltung ſein müſſe. Hier iſt es,
wo namentlich Chemie und Phyſik entſcheidend eingreifen und ihren
Einfluß vom Geſichtspunkte der Geſundheitspflege über alle Theile der
[41] Verwaltung ausbreiten, in allen Gebieten derſelben mitwirken und die
Forderungen der letzteren für alle öffentlichen Zuſtände geltend machen.
Hier iſt es auch, wo von dem Verwaltungsorganismus der höhere und
im Grunde viel bedeutendere Theil ſeiner ſo oft undankbaren Thätigkeit
gefordert wird; und hier iſt es endlich, wo das Verſtändniß der Iden-
tität der Claſſenintereſſen am leichteſten zu erreichen und zu verwirk-
lichen iſt. Die Sanitätspolizei hat ihren Urſprung in dem ſtändiſchen,
berufsmäßigen Heilweſen, ihre Erfüllung durch die polizeiliche Epoche
in wohlgemeinten, oft auch unfreien Einzelbevormundungen der niedern
Geſundheitspolizei; ihre wichtigſten Grundſätze und Anſtalten werden
ſich allerdings beſtändig erhalten; allein die höhere Geſundheitspflege iſt
das charakteriſtiſche Merkmal der ſocialen Auffaſſung des geſammten
Sanitätsweſens.
Eine äußerliche Scheidung der Sanitätspolizei (Schutzſyſtem) von
der Geſundheitspflege (Syſtem der Förderung) iſt daher weder thunlich
noch praktiſch. Beide Principien durchdringen ſich in jedem Punkte. Die
ſyſtematiſche Ordnung kann ſich vielmehr an die Gegenſtände anſchließen,
mit denen das Sanitätsweſen zu thun hat. Dieſe ſind die Seuchen,
die allgemeinen Zuſtände des Geſammtlebens in ihrer Beziehung
zur Geſundheit, und die einzelnen Verhältniſſe des Verkehrs. Wir
unterſcheiden daher das Seuchenweſen, die allgemeine Geſund-
heitspflege durch die höhere und die beſondere durch die niedere
Sanitätspolizei. Jedes dieſer Gebiete iſt in den einzelnen Ländern
mit einer großen Menge von geltenden Vorſchriften verſehen und jedes
hat ſeine eigene Geſtaltung und eigene Geſchichte.
Die erſte klare Eintheilung in Sanitäts- und Geſundheitsweſen
wohl bei Berg, Polizeirecht II. Bd. S. 316: 1) Medicinalanſtalten,
2) Sanitätspolizei, 3) Medicinalpolizei; aufgenommen von Mohl,
Polizeiwiſſenſchaft I. Der erſte, der die Geſundheitspflege wiſſen-
ſchaftlich in den Vordergrund geſtellt hat, iſt P. Frank. Das wird
ſein unſterbliches Verdienſt bleiben. Die übrigen Schriftſteller haben
ſich faſt nur mit der Sanitätspolizei beſchäftigt; die Darſteller des po-
ſitiven Rechts, wie Rönne, Pözl, Stubenrauch ꝛc., bleiben meiſt bei
den Medicinalordnungen ſtehen. Eine regelmäßige Lehre fehlt leider
noch immer auf den Univerſitäten, bei einſeitig ſtark entwickelter Be-
handlung der gerichtlichen Medicin. — Die Vorſchläge bei Pappen-
heim (Handbuch der Sanitätspolizei III. 1864, von „Sanitätspolizei“
S. 236) ſind ſehr richtig, aber ſie ſind in der That nichts anderes als
ein Entwurf des allgemeinen Rechts der Seuchenpolizei (ſ. d. Folgende).
[42] Die allgemeinen Vorſchriften für Preußen: HornI. S. 170; für
Württemberg: Roller S. 111; für Bayern: Pözl §. 119.
A. Das Seuchenweſen.
Begriff.
Das Seuchenweſen umfaßt die Geſammtheit der Beſtimmungen
und Thätigkeiten der Geſundheitsverwaltung zum Schutze der allge-
meinen Geſundheit gegen anſteckende Krankheiten. Die innere Entwick-
lung deſſelben iſt im Großen und Ganzen einfach und klar. Das
Seuchenweſen beginnt ſtets mit dem Verſuche, jenen Schutz durch die
rein polizeilichen Maßregeln, namentlich durch Abſperrung herbeizu-
führen. Es ſchließt ſpäter an die bloße Abſperrung eigene, zur Be-
gränzung und Bekämpfung beſtimmte einzelne poſitive Maßregeln und
Anſtalten, und erhebt ſich dann in der neueſten Zeit zu dem Stand-
punkt, nicht mehr einzelne, ſondern alle Epidemien gleichfalls nicht mehr
durch einzelne, ſondern durch ein auf wiſſenſchaftlicher Grundlage baſirtes,
allgemeines Syſtem von Maßregeln der Verwaltung, und namentlich
theils durch die Mittel der höheren Geſundheitspolizei, theils durch
Belehrung und Hülfe der niederen Claſſen zu bekämpfen. Die alte
Seuchenpolizei als Verhinderung der Verbreitung der Seuchen wird
dadurch zu einer ausnahmsweiſen und meiſt örtlichen Maßregel, während
das höhere Seuchenweſen die Aufgabe übernimmt, die anſteckenden
Krankheiten in ihren Urſachen und Wirkungen zu beſeitigen.
Das öffentliche Recht des Seuchenweſens hat daher einen zwei-
fachen Inhalt.
Man kann den erſten oder allgemeinen Theil derſelben als die
Geſammtheit derjenigen Grundſätze bezeichnen, welche die Verwaltung
in die Lage ſetzen ſoll, überhaupt ihre Maßregeln zu ergreifen. Dieß
nun geſchieht durch das, allen Organiſationen des Geſundheitsweſens
gemeinſame Princip, daß die öffentlichen Organe die Pflicht zur ſofortigen
Unterſuchung, Feſtſtellung und Berichterſtattung über eine ausbrechende
oder drohende Seuche haben. Daran erſt ſchließt ſich der beſondere
Theil. Dieſer iſt naturgemäß ein verſchiedener und enthält diejenigen
Maßregeln, welche durch die Natur der beſtimmten Seuche gefordert
werden. Jede Art der Seuchen hat daher ihr eigenthümliches
Sanitätsrecht und ſogar ihre eigene Geſchichte. Wir haben dabei
zu unterſcheiden die Contagien, die Blattern und die Epidemien.
Unter dieſe drei Begriffe fallen wohl alle das Seuchenweſen betreffen-
den Beſtimmungen und Funktionen des Sanitätsweſens.
[43]
Wir wiſſen recht gut, daß der Ausdruck „Seuche“ kein medi-
ciniſcher iſt und daß ihn auch die bisherige Medicinalpolizei nicht
aufgenommen hat. Dennoch iſt er in ſeiner ſpecifiſchen adminiſtrativen
Bedeutung nicht zu entbehren, obwohl weder Frank, noch in neueſter Zeit
Horn und Andere ihn haben. Den beſten Beweis der Nothwendigkeit,
Sanitätspolizei und Seuchenweſen im Allgemeinen zu trennen, liefert
wohl Pappenheim in dem oben angeführten Artikel. Die rechtliche
Grundlage des Begriffes iſt die anerkannte Verpflichtung der Aerzte,
ausbrechende Seuchen ſofort anzuzeigen, wie ſie neulich wieder in
Bayern (Verordnung vom 28. November 1865) ausdrücklich anerkannt
wurde. Jedenfalls dürfte das Folgende ein klares und auch vollſtändiges
Bild geben. In England iſt für das Seuchenweſen (formidable epide-
mie, endemie or contagious disease) dem Privy Council ſogar aus-
drücklich das beſondere Recht auf Erlaß von Specialregulativen, ſtets
gültig auf ſechs Monate, mit Strafbeſtimmungen gegeben (18, 19 Vict.
116. GneiſtII. §. 113). Aehnlich in Belgien (De Fooz, Droit
publique belge III. T. II.) nach der Conſtitution Art. 67.
I. Die Contagien und ihre Rechtsordnung.
Das Verwaltungsrecht der Contagien beruht auf der Thatſache,
daß gewiſſe Krankheiten nur durch ſolche Berührung tödtliche An-
ſteckungen hervorbringen, gegen welche der Einzelne ſich nicht ſchützen
kann. Die Aufgabe derſelben iſt daher zunächſt, durch die Organe des
Geſundheitsweſens die richtige Diagnoſe der betreffenden contagiöſen
Krankheit zu ermitteln, dann die Art der Krankheit feſtzuſtellen und
dann durch definitive Abſperrung derſelben die Verbreitung der Krank-
heit zu hindern. Die urſprüngliche und jetzt beinahe einzige Form, in
der das Contagium mit Ausnahme der Blattern noch anerkannt wird
und ein eigenthümliches Verfahren hervorruft, ſind wohl die Peſt und
das gelbe Fieber. Die Aufgabe der Anzeige fällt hier daher auch meiſt
den Conſularbeamten zu. Das einfache und natürliche Mittel oder
das Recht dieſer — entſchiedenen — Contagien iſt nach wie vor die Ab-
ſperrung. Nur hat dieſelbe eine verſchiedene Geſtalt. Dieſe Abſper-
rung erſcheint für den Seeverkehr als Quarantäne, für den Land-
verkehr als Sanitätscordon an den Landesgränzen, für einzelne
Oertlichkeiten als polizeiliche Abſchließung. Jede dieſer Maßregeln
hat dann ihr eigenes verordnungsmäßiges Recht und Verfahren. Bis
auf die neueſte Zeit hielt man feſt an der Meinung, daß man jede
Seuche mit der Abſperrung bekämpfen könne. Die Erkenntniß des
Unterſchiedes zwiſchen Contagien und Miasmen hat das ganze Syſtem
[44] auf ſein natürliches Gebiet einzelner, namentlich fremdartiger
Krankheiten beſchränkt, und beſteht daſſelbe daher nur noch als aus-
nahmsweiſe und örtliche, nur mit großer Vorſicht und bei dringender
Gefahr anzuwendende Polizeimaßregel. Der Kampf gegen Anſteckung
liegt jetzt vielmehr in dem, durch die Cholera ausgebildeten rationellen
Schutzſyſtem.
Das franzöſiſche Recht iſt wohl das formell klarſte. Unterſchied
zwiſchen Contagions de l’extérieur und epidémies de l’intérieur. Unter
Aufhebung aller Maßregeln gegen den Landverkehr Beſchränkung auf
die Quarantäne im Seeverkehr. Die Grundlage des Quarantäne-
Rechts und Verfahrens iſt die Verordnung vom 3. März 1822;
das neueſte Recht, das Geſetz vom 24. Dec. 1850. Der Chef de l’Etat
trifft die Maßregeln, Organiſation der „Agents;“ Quarantänebehörden
als Staatsbeamten unter dem Directeur de la santé im Haupthafen;
die Commissions sanitaires werden daneben vom Conseil municipal
gewählt. Funktion aller Behörden auf dieſe Organe übertragen, nament-
lich Teſtamentsaufnahmen, Zeugenaufnahmen ꝛc. Das Verfahren bei
der Quarantaine gut zuſammengeſtellt, ſo wie Bezeichnung der übrigen
Verhältniſſe von Foubert, Régime sanitaire (Block, Droit d’adm).
Von Frankreich ſind verſchiedene Verſuche ausgegangen, die Peſtpolizei
zum Gegenſtand eines internationalen Vertragsrechts zu machen (Con-
férences sanitaires von Paris 1831 und 1852 und Convention vom
27. Mai 1853. Vertrag vom 24. Juni 1864 mit Italien über Qua-
rantäne). — Bei inneren Seuchen iſt ſchon durch Dekret vom
16. Auguſt 1790 der Maire örtlich bevollmächtigt „du soin de les pré-
venir par les précautions convenable;“ ſpäter ſoll er berichten an
den Souspréfet, der einen médecin des epidémies par arrondissement
einzuſetzen hat (Arr. vom 30. Sept. 1831). Der Miniſter des Innern
kann eine Commission sanitaire im Departement ernennen. Ein Arr.
vom 13. April 1835 ſchreibt dann das ärztliche Verfahren bei den Epi-
demien (le service des epidémies) weitläufig vor, namentlich den In-
halt der abzuſtattenden Berichte. Vollſtändig bei Tardieu, Diction-
naire d’hygiène publique Bd. II. S. 381—415. — Contumaz- und Qua-
rantäneweſen in Oeſterreich: Erſte Peſtpolizeiordnung von 1728; hier
iſt Cordon und Quarantäne geſchieden. Für den (ſeit der Cholera
nicht mehr gebräuchlichen) Cordon gilt die neueſte Verordnung vom
30. Januar 1837. Doch gilt die Einzelabſperrung im Falle des wirk-
lichen Ausbruches der Peſt; Errichtung von Peſtſpitälern, Geſundheits-
päſſe, Reinigung der Häuſer ꝛc. Strenge Strafbeſtimmungen für Ueber-
ſchreitung der Andordnungen ſeit Patent vom 21. Mai 1805 bis zur
[45] Einführung des Standrechts. Seeſanitätsweſen ſehr gut geordnet,
zuletzt durch Verordnung vom 13. Dec. 1851, ſpeciell für die Ein-
ſchleppung des gelben Fiebers. Unterſcheidung der Länder der patente
libera und non libera, letztere wieder netta (wenn 21 Tage mehr
kein Peſtfall vorgekommen), brutta und brutta aggravata. Vor-
ſchriften über die Reinigung ſehr genau. Einheimiſche Krankheiten ſiehe
unten. (Kopetz, Polizeigeſetze II. S. 829. StubenrauchII. §§. 303,
306. Müller, Oeſterreichiſches Sanitätsweſen. Die obigen Verord-
nungen in der Manz’ſchen Geſetzesausgabe IV.) Bei den Landſtaaten
iſt alles Inneres Seuchenweſen (ſ. unten). — In Preußen iſt das
Quarantäneweſen neben dem allgemeinen Seuchenregulativ vom 8. Aug.
1835 ſpeciell unter Mitwirkung des Miniſterium des Aeußern geregelt
durch das Reglement vom 3. Juli 1863 unter Aufhebung des Regle-
ments vom 30. April 1847. Convention mit Dänemark vom
26. Mai 1846. (Rönne, Staatsrecht §. 362.) Das Regulativ von 1835,
das neben der Quarantäne auch die Cholera, Pocken und Maſern nebſt
andern Krankheiten umfaßt, enthält zugleich die Maßregeln zur Einzel-
abſperrung, die Errichtung und Einrichtung von Krankenhäuſern, das
Desinfektionsverfahren; vollſtändig in Horn, Preußiſches Medicinal-
weſen I. S. 170—210. Das preußiſche Strafgeſetzbuch hat die Ueber-
tretung der Abſperrungsvorſchriften mit eigenen Strafen belegt §§. 306,
307. Das Quarantäneweſen ſpeziell betrifft die Verordnung vom
30. April 1847. (Horn S. 209 ff.) — Württemberg ſcheint nur die
Abſperrung einzelner Häuſer und Hülfe für die Kranken zu kennen;
hier beſtehen auch noch beſondere Vorſchriften für die Polizei der Krätze.
(Roller §§. 169 und 170.) — In Bayern ſcheint das ganze Syſtem
nicht vorhanden. (Pözl §. 119.) — Ueber die früheren „Contagions-
Anſtalten“ in Sachſen, ſchon am Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts
entſtanden (Verordnung vom 26. Juli 1666 und 11. Mai 1686), ſiehe
FunkeIII. S. 282. Jetzt ſcheint nach demſelben das Princip vollſtändig
aufgegeben und nur noch Maßregeln gegen einzelne Epidemien zu beſtehen.
Was England betrifft, ſo wird das Quarantäneweſen hier auf
dem Verordnungswege regulirt, durch Ordres in Council. Die Haupt-
vorſchrift iſt 6 Georg. IV. 78. Das Centralbureau im Privy Council;
die Praxis iſt ſehr lax. (Gneiſt, Engliſches Verwaltungsrecht II. 2. Ab-
theilung, §. 113.) — Das holländiſche Quarantäneweſen beruhte
früher ausſchließlich auf der Verordnung vom 10. Januar 1805; der
Miniſter der Marine hat darnach das Recht, die Quarantäne von Fall
zu Fall einzuführen. (De Bosch-Kemper, Neederl. Staatsregt 1865
S. 684 und 813.) In beiden Ländern gibt es kein Recht der inneren
Abſperrung. — Rußlands Quarantäne-Reglement für die Oſtſeehäfen
[46] vom 9. Nov. 1864 in der Auſtria 1865 S. 60. — Die neueſte eng-
liſche Contagious Diseases Prevention Act bezieht ſich nur auf Syphilis
(ſ. das Folgende).
II. Blattern und Impfungsweſen.
Das Impfungsweſen iſt natürlich erſt Gegenſtand der Verwaltung
ſeit der Entdeckung der Möglichkeit, durch Menſchen- oder Kuhpocken-
impfung ſich gegen die Blattern zu ſchützen. Die damit eröffnete Sicher-
heit, vor der furchtbaren Gefahr der Blattern die Bevölkerungen zu
ſchützen, machte es den Verwaltungen unmöglich, gegen die Einführung
der Impfung auf die Dauer gleichgültig zu bleiben. Dadurch entſtand
die Frage, deren Beantwortung als Grundlage alles Impfungsweſens
anzuſehen iſt: ob die Regierung den in der polizeilichen Impfung lie-
genden Eingriff in die individuelle Freiheit zu machen berechtigt ſei,
oder ob ſie bloß bei der Herſtellung der Bedingungen einer guten
Impfung, höchſtens bei der Empfehlung derſelben, ſtehen bleiben ſolle.
Offenbar iſt die Vorausſetzung des letzteren Standpunktes eine nicht
unbedeutende Bildung des Volkes; die Ueberzeugung, daß die letztere
durch ihren Mangel die Einführung der Schutzblattern unmöglich mache,
erzeugte bei einigen Geſetzgebungen das polizeiliche Impfungsweſen und
die geſetzlichen Vorſchriften für die Einführung deſſelben, während andere
dieſelbe trotzdem der Bevölkerung überließen.
Daraus ſind nun drei Syſteme entſtanden, die wir als das der
Impffreiheit, das der Impfungsbeförderung und das des Impf-
zwanges bezeichnen können. Das erſtere beſteht bis auf die neueſte
Zeit auch in England, in Rußland, Spanien, Portugal u. ſ. w. Das
zweite namentlich in Frankreich. Das dritte in den Staaten Mittel-
europas. An das letztere hat ſich demgemäß ein förmliches Syſtem
der polizeilichen Impfung angeſchloſſen. Dieſes Syſtem beruht
auf dem Grundſatz, einen indirekten Zwang zur Impfung durch den
Grundſatz auszuüben, daß die ärztliche Beſtätigung der geſchehenen
Impfung, der Impfſchein, als Bedingung für gewiſſe öffentliche
Acte, namentlich die Verehelichung, angeſehen wird, während beim
Militär die Impfung unmittelbar vorgenommen wird. Daran ſchließt
ſich das medicinal-polizeiliche Impfweſen, welches auf folgenden Grund-
ſätzen beruht: 1) Verpflichtung der Aerzte zur Impfung; 2) Organi-
ſirung der Vertheilung geſunder Lymphe, als charakteriſtiſches Merkmal
eines guten Impfweſens; 3) Einbeziehung des Impfweſens in die orga-
niſche Thätigkeit der Geſundheitsverwaltung. — Gleichförmigkeit iſt auch
hier noch nicht erzielt.
[47]
Die früheſten Nachrichten über die Blatternpolizei ſeit 1713, in
Holland ſeit 1748, in Frankreich ſeit 1754, bei Ehrhardt a. a. O.
I. 34. — Der Streit über das obligatoriſche Impfweſen in Deutſchland
aus dem vorigen Jahrhundert bei Berg, Polizeirecht II. Bd. III. Abſchn. 3.
England. Langer Kampf vor Einführung des polizeilichen Impf-
zwanges. Die Acte 3, 4 Vict. 28 und 4, 5 Vict. 42 ſtehen noch auf
dem Standpunkt der bloßen Impfungsbeförderung; erſt die Acte 16,
17 Vict. c. 100 (an act to make compulsory the Practise of Vacci-
nation) führte den Zwang ein mit Beihülfe der Beamten der Armen-
verwaltung und der Registrars. Einführung in Schottland erſt
durch 26, 23 Vict. 108 als Sache der Kirchengemeinde (Parochial Board)
Auſtria 1865 S. 77. Das neueſte Geſetz 24, 25 Vict. 59 (1861) be-
ſtimmt dann, daß zum Zweck der Ausführung dieſer Verordnung die
Guardians jeder Union und Parish durch eigene Organe (und unter
der üblichen Buße) die Mitglieder der letzteren eventuell durch Klage
vor dem Friedensrichter zur Impfung zwingen ſollen. (Auſtria von
1864 Nr. 41.) Nach 26, 27 Vict. 52 (1863) ſoll jetzt jeder Hausvater
ſein Kind in den erſten ſechs Monaten impfen, und ein eigenes Impf-
regiſter geführt, die Unterlaſſung aber mit 20 Schill. gebüßt werden.
Auſtria 1865. (Thomson, Historical sketch of the smal pox. Lon-
don 1822. Gneiſt, Engliſches Verfaſſungsrecht §. 113.) — Frank-
reich. Bis jetzt Standpunkt der Impfbeförderung; ſchon 1803
bildete ſich ein Impfungsverein (Comité de vaccine); Empfehlung
durch die Regierung durch Cirkular vom 26. Mai 1803. Ein Arrêté
vom 31. Okt. 1814 ſetzte dann die erſten Preiſe für Verbreitung der
Impfung aus. Dieſelbe iſt den Beamteten aufgetragen und durch
Ordonnanz vom 20. Dec. 1820 die Académie de médecine angewieſen,
die letzteren in aller Weiſe zu unterſtützen. Die Akademie legt jährlich
einen Bericht vor, und auf ihren Vorſchlag werden die für die
Impfung thätigen Aerzte mit Preiſen und Medaillen belohnt. (Arrêté
vom 16. Juli und 10. Dec. 1823.) Das Arrêté vom 25. Sept. ſteht
noch auf demſelben bloßen Beförderungsſtandpunkt. (Tardieu, Dic-
tionnaire III. p. 256 sq.) In einigen Departements ſind eigene
Impfärzte aufgeſtellt; in allen Hoſpitälern werden die Kinder
zwangsweiſe geimpft und in ſehr vielen die Bevölkerung auf Verlangen
unentgeldlich. — Oeſterreich. Beginn mit der Impfbeförderung
durch öffentlichen Unterricht ſeit 1790; Pflicht zur Impfung mit Men-
ſchenblattern ſeit 1796; Verzeichniſſe ſeit 1813 organiſirt; Organiſirung
des gegenwärtigen Syſtems durch Verordnung vom 30. Juni 1806.
Spätere Inſtruktion vom 9. Juli 1836; Förderung durch öffent-
liche Ermahnungen; Aufſtellung und Verfahren der Impfärzte und
[48] Berichte. (Kopetz, Polizeigeſetz II. §. 866 ff. Stubenrauch, Verwal-
tungsgeſetzk. II. S. 307.) — Preußen. Aufnahme des Impfweſens in
das allgemeine Seuchenweſen 1835. Regulativ vom 28. Oktober 1835
§§. 44—58. Das darin ausgeſprochene allgemeine Regulativ über alle
öffentlichen Impfungen und ihr gemeinſames gleichartiges Recht iſt noch
nicht erſchienen; dagegen Erlaß beſonderer Impfordnungen in allen
Regierungsbezirken, und zwangsweiſe Impfung aller zum Militär-
verbande gehörigen Perſonen. (Miniſterial-Erlaß vom 6. April 1834.
Rönne und Simon, Medicinalweſen der preußiſchen Monarchie II.
S. 255—272. SupplementI. 82, 84. Horn, Medicinalweſen I.
227, 244. Rönne, Staatsrecht II. 363.) Die Geſetzgebung über das
Impfweſen im übrigen Deutſchland aus dem vorigen Jahrhundert bei Berg,
Polizeirecht Bd. IV., neuere bei Ehrhardt Bd. III. 188 ff. Grundſatz
Verbot der Menſchenblattern, Pflicht zur Impfung, Impfärzte, Impf-
tabellen und Inſtruktionen der Medicinalbehörden. — Bayern. Impf-
pflicht und Beſtrafung der Unterlaſſung. (Polizeiſtrafgeſetzbuch 1861,
Art. 117, 116.) — Württemberg. Auch hier gilt die Impfpflicht
(Verordnung vom 12. Juni 1811); weiter ausgebildet und genau regulirt
auch in der Ueberwachung durch Verordnung vom 6. Juni 1818 und
3. April 1824; nebſt eigenen Geſetzen über die Impfärzte und den
Impfſtoff (Roller, Polizeirecht §§. 163—168); Centralimpfanſtalt in
Stuttgart (Verordnung vom 16. Auguſt 1830). — Baden. Impf-
zwang eingeführt (Verordnung vom 30. Mai 1865); Wiederholung an-
gerathen. Impfung im erſten Jahr. — Königreich Sachſen. Erſte
Verordnung vom 20. Febr. 1805; Organiſirung des Impfweſens auf
Grundlage der Impfpflicht (Mandat vom 23. März 1825); Central-
impfinſtitut in Dresden (Bekanntmachung vom 4. April 1838 nebſt aus-
führlicher Inſtruktion bei Funke, Sächſ. Polizeigeſetze und Verordnungen
III. S. 284 ff.) — In Holland dagegen iſt keine Impfpflicht, ſondern
nur die ſtaatliche Oberaufſicht ſeit Geſetz vom 18. April 1818, durch Geſetz
vom 10. Juli 1861 erweitert. Die Regierung gibt Impfprämien; ein
„Verein für die Impfung“ ſorgt für die Verbreitung durch Unterſtützung
und Schriften.
III. Die Epidemien und ihr Recht.
Es iſt wohl nicht Sache der Verwaltungslehre, ſich auf die Unter-
ſchiede von Epidemien, Endemien und andern Begriffen einzulaſſen.
Uns muß es genügen zu bemerken, daß allerdings einzelne intereſſante
aber meiſt locale und weiter gehende Beſtimmungen und Maßregeln für
allgemeine Krankheitszuſtände auch außer den Contagien und den Blat-
tern ſchon früher da waren. Allein man kann wohl nicht verkennen,
[49] daß die in den obigen Beſtimmungen liegenden Elemente eines allge-
meinen Seuchenweſens, ſehr unklar und ungleichartig entwickelt im
vorigen Jahrhundert, zu einem förmlichen, allgemeinen Syſtem erſt
durch den mächtigen Anſtoß geworden ſind, den ſeit 1830 die Cholera
gegeben. Dieſelbe iſt ohne allen Zweifel eine der einflußreichſten Er-
ſcheinungen im ganzen Gebiete des öffentlichen Geſundheitsweſens. Ihre
Wirkung war eine doppelte. Einerſeits hat ſie, und das iſt vielleicht
das bei weitem wichtigſte, die Erkenntniß feſtgeſtellt, daß die Bedingungen
des Sieges über die Seuchen vorzugsweiſe in der Herſtellung der Be-
dingungen der allgemeinen Geſundheit, alſo in dem höheren Sanitäts-
weſen liegen. Andererſeits aber hat ſie, da man ſie nicht durch einzelne
Mittel beſeitigen konnte, Veranlaſſung gegeben, die Seuchenpolizei für
alle anſteckenden und ſelbſt für die miasmatiſchen Krankheiten zu einem
die geſammte Thätigkeit der Geſundheitsverwaltung umfaſſenden Syſtem
zuſammen zu faſſen, für welches das Charakteriſtiſche in dem Aufſtellen
von Inſtruktionen und Anſtalten für jede anſteckende Krankheit beſteht.
Namentlich zeichnen ſich hier die bereits erwähnten preußiſchen Geſetze
aus. Man kann nun wohl ſagen, daß in England das Seuchen-
weſen bei der Geſundheitspolizei ſtehen geblieben und nicht zu einer
Seuchenpolizei übergegangen iſt, daß in Frankreich zwar eine Seuchen-
ordnung, aber mehr in allgemeinen Aufträgen an die Verwaltung als in
ſpeziellen Vorſchriften beſteht, daß dieſe ſpeziellen Vorſchriften namentlich
in Oeſterreich für einzelne Seuchen ſehr ausgebildet ſind, während da-
gegen in Preußen die organiſche, die geſammte Verwaltung umfaſſende
Geſetzgebung ſehr ausgebildet iſt, ohne der dennoch reichhaltigen beſonderen
Seuchenpolizei Abbruch zu thun. Der Natur der Sache nach liegt dabei
das Gebiet der adminiſtrativen Thätigkeit mehr innerhalb der allgemeinen
Geſundheitspolizei, als in der mediciniſchen Thätigkeit, die natürlich durch
die Seuche ſelbſt bedingt iſt. Aber gerade das erſtere ſcheint uns der bei
weitem wichtigere, und einer großen Entwicklung fähige Punkt, während
eben durch ihn wieder das Princip der Abſperrungen auf ſein geringſtes
zuläſſiges Maß reducirt, und dem Verkehr ſeine Freiheit wiedergegeben iſt.
Das engliſche Syſtem, ſchon früher in einzelnen Beſtimmungen
angedeutet, dann aber doch erſt durch die Cholera ins Leben gerufen,
beruht auf zwei Grundlagen, die wir bereits früher bezeichnet haben,
und die eine allgemeine Seuchengeſetzgebung verhindern, zuerſt und
weſentlich auf der Einführung eines geſetzlichen Syſtems der örtlichen
Geſundheitspolizei durch die Local-Health und Nuicances Removal
Acts (ſ. oben); daneben aber hat, wie erwähnt, das Privy Council,
Stein, die Verwaltungslehre. III. 4
[50] oder drei Mitglieder deſſelben gewiſſe Maßregeln zur Verhütung der
Ausbreitung epidemiſcher Krankheiten zu erlaſſen, die dann in Spezial-
verordnungen weiter ausgeführt werden können. Dieß iſt zuletzt beſtimmt
formulirt in 18. 19. Vict. c. 116, begonnen 9. 10. Vict. c. 96. Eine
Sammlung iſt mir nicht bekannt; auch gelten dieſe Ordres meiſt nur
für einzelne und temporäre Verhältniſſe. (Gneiſt, Engliſches Verwaltungs-
recht II. §. 113.) — In Frankreich ward die allgemeine Grundlage
ſchon durch das organiſche Geſetz vom 16.—24. Auguſt 1790 gelegt,
deſſen Charakter ſich bis jetzt erhalten hat; Laferrière Droit adm. I. 1.
„là comme en beaucoup d’autres matières, la loi laisse faire aux
hommes.“ Die Ortsbehörde hat, wie bei der Peſt, die précautions
convenables zu ergreifen. Seit Dekret vom 2. Mai 1805 waren médecins
des epidémies in jedem Arrondiſſement ernannt; die erſte allgemeine
Inſtruktion für dieſelben iſt von 1813. Die genauere dagegen, wieder
in Veranlaſſung der Cholera, Circ. vom 13. April 1835; charakteriſtiſch
dabei eben die Ausdehnung auf das geſammte Seuchenweſen, und
dem entſprechend die Allgemeinheit der Vorſchriften mit ſpeziellem Hin-
weis auf die Thätigkeit des Heilperſonals. Arrêt 1. Sept. 1851. (Tar-
dieu a. a. O.) — Oeſterreich. Die Natur der Cholera brachte hier
den großen Fortſchritt, daß die ganze Peſtgeſetzgebung, alſo namentlich
die Abſperrung auf dieſelbe für unanwendbar erklärt ward (11. Okt.
1831). Dann entſtand die ſehr genaue und umfaſſende Seucheninſtruk-
tion vom 15. Aug. 1838 (StubenrauchII. §. 300). — Preußen.
Hier iſt die ſyſtematiſche Entwicklung des allgemeinen Seuchenweſens
in Folge der Cholera eingetreten, nachdem ſie ſchon vielfach vorher in
einzelnen Anordnungen begonnen war. Der Anfang war die Nie-
derſetzung einer eigenen Commiſſion durch Kabinetsordre vom 19. Jan.
1832; daraus ging dann das große Regulativ vom 8. Auguſt 1835
hervor, das alle Seuchen umfaßt; nebſt Inſtruktion und öffentlicher
Belehrung, publicirt 28. Okt. 1835; theils aus allgemeinen Vorſchriften
beſtehend, theils Vorſchriften für die einzelnen Seuchen und das Ver-
fahren bei denſelben enthaltend (Rönne, Staatsrecht §. 362; namentlich
Horn, preuß. Medicinalweſen a. a. O.). — In Württemberg hat die
Cholera ſeit der erſten Verordnung vom 13. Juli 1831 eine Reihe von
einzelnen, ſpeziell auf dieſelbe bezüglichen Beſtimmungen hervorgerufen
(Roller, württemb. Polizeigeſetz §. 158). — In Bayern hat das Straf-
Polizeigeſetzbuch die Anzeige von anſteckenden Krankheiten zur Pflicht ge-
macht, und ſogar die Nichtreinigung von gebrauchten Kleidern ꝛc. mit
Bußen belegt (Art. 120. 121). In anderen Staaten dürfte kaum eine
ſpezielle Geſetzgebung vorhanden ſein. Baden, Polizeiſtrafrecht von 1863,
§. 85 ff., wie Bayern. S. Stempf D. Polizeiſtrafgeſetzbuch, 1865, S. 182.
[51]
B. Die höhere Geſundheitspolizei.
Begriff.
Die höhere Geſundheitspolizei hat zur Aufgabe, die Geſundheit auf
allen denjenigen Punkten zu ſchützen, wo das Verhalten Einzelner oder
auch einzelne Zuſtände die allgemeine Geſundheit bedrohen, und
wo die Vorſicht des Einzelnen nicht ausreicht, ſich ſelbſt zu ſchützen.
Der Gedanke einer ſolchen Geſundheitspolizei iſt wohl uralt. Dieſelbe
beginnt ſtets bei einzelnen, offen auftretenden Gefährdungen der Geſund-
heit; allein es muß als eines der größten Verdienſte der Wiſſenſchaft
anerkannt werden, daß ſie aus dieſen vereinzelten und dadurch faſt wir-
kungsloſen Maßregeln allmählig zuerſt dieß Princip gebildet hat,
daß die Verwaltung die öffentliche Geſundheit gegen alle indirekten
Gefährdungen zu ſchützen habe, und daß ſie dann dieß Princip aus dem
bloß negativen Schutz zu einem poſitiven Syſtem der indirekten Be-
förderung der Geſundheit durch Verallgemeinerung ihrer Bedingungen
zu erheben verſtand. Dieß geſchah und geſchieht namentlich dadurch,
daß ſie auf die langſam und unkenntlich wirkenden Elemente der Ge-
fährdungen der Geſundheit hinwies, und damit tief in die Verhältniſſe
des Geſammtlebens eingriff. Es liegt dabei in der Natur der Sache,
daß dieſer Theil der Verwaltung in geradem Verhältniß zur Dichtig-
keit der Bevölkerung ſteht, und mit derſelben ſteigt und fällt, auch
innerhalb derſelben Länder. Es folgt daraus ferner, daß der wichtigſte
Theil der Vollziehung derſelben ſtets der Selbſtverwaltung überlaſſen
bleibt, und als Aufgabe der Gemeinden namentlich mit der Größe der
Städte zunimmt, während das Seuchenweſen ſeiner Natur nach weſent-
lich Aufgabe der amtlichen Vollziehung ſein ſollte. Auch hier hat die
Cholera entſcheidend mitgewirkt, und das Bewußtſein begründet, daß
man die öffentliche Geſundheit beſſer durch Herſtellung ihrer allgemeinen
Bedingungen als durch einzelne Maßregeln ſchützt.
Auf dieſe Weiſe iſt die höhere Geſundheitspolizei zu einem materiell
einheitlichen Syſtem geworden, dem in der That nur die formelle Ein-
heit der Darſtellung fehlt. Die wiſſenſchaftlich und einheitlich durch-
gebildete Auffaſſung und Lehre dieſes Gebietes des Geſundheitsweſens
ſtatt der zerſplitterten und iſolirten Behandlung der einzelnen Theile,
wie ſie bisher namentlich im Verwaltungsrecht vorkommt, wäre aber
gerade hier von großer Wichtigkeit, weil, während das Seuchenweſen
weſentlich durch die wiſſenſchaftlich gebildeten Männer des Heilweſens
vertreten wird, in der höheren Geſundheitspolizei die nicht fachmänniſch
gebildeten Organe der Verwaltung, namentlich der Gemeindeverwaltung,
[52] maßgebend werden. Hier wäre daher zugleich eine der wichtigſten Auf-
gaben für das Vereinsweſen der Aerzte gegeben!
Jenes Syſtem nun wird am klarſten, wenn man es in der Weiſe
darlegt, wie es ſich in der That hiſtoriſch ausgebildet hat. Man
kann dieſe Entwicklung auf die drei letzten Jahrhunderte zurückführen.
Das ſiebzehnte Jahrhundert hat aus naheliegenden Gründen ſich
weſentlich mit der Polizei der Nahrungsmittel, mit der Giftpolizei
und mit der Kurpfuſcherei befaßt; die erſte in Verbindung mit der
allgemeinen Marktpolizei, die zweite in Verbindung mit dem Strafrecht,
die dritte in Verbindung mit dem fachmänniſchen Heilweſen und ſeiner
Wiſſenſchaft.
Das achtzehnte Jahrhundert erzeugt dann die verordnungsmäßige
niedere, individuelle Geſundheitspolizei (Verbote der Unmäßigkeit,
ſanitäre Eheverbote ꝛc. ſiehe unten); daneben aber auch ſchon in den
verſchiedenen Medicinalordnungen die allgemeinen Principien der
höheren Geſundheitspolizei, ſpeziell die Begräbniß- und Todten-
polizei, und die Baupolizei.
Das neunzehnte Jahrhundert iſt nun ohne Zweifel der Beginn der
höheren Entwicklung des Geſundheitsweſens auch in dieſem Gebiet. Einer-
ſeits nämlich entwickelt es die allgemeinen Andeutungen des vorigen Jahr-
hunderts über die Bedingungen der Geſundheit zu einem ſyſtematiſchen
Ganzen, namentlich indem es aus der bloßen Baupolizei die höhere
Wohnungspolizei mit der geſetzlichen Sorge für Licht, Luft und
öffentliche Reinlichkeit macht, und die Trinkwaſſerpolizei der großen
Städte hinzufügt. Andererſeits geht daſſelbe über zu poſitiven Maß-
regeln für die Förderung der Geſundheit, theils in den Anforderungen
an den ſanitären Betrieb der Gewerbe, theils in den Vorſchriften über
Kinder- und Frauenarbeiten, theils geradezu in der Einführung des
Turnunterrichts, in dem freilich noch Deutſchland allein daſteht.
Endlich aber erſcheint auch hier zuerſt ein eigentliches Rechtsſyſtem
der Geſundheitspolizei. Dieß Recht der Geſundheitspolizei, früher faſt
ausſchließlich der polizeilichen Willkür überlaſſen und ganz örtlich aus-
geübt, empfängt jetzt eine beſtimmte Geſtalt. Einerſeits werden die
geltenden Vorſchriften jetzt allgemein und gleichmäßig, anderſeits
werden mit Anfang dieſes Jahrhunderts die Uebertretungen derſelben
dem allgemeinen Strafgeſetz einverleibt, ſo daß man erſt jetzt von
einem allgemeinen Polizeirecht des Geſundheitsweſens reden, und das
letztere als einen nunmehr gemeingültigen Theil des öffentlichen Ver-
waltungsrechts anſehen kann, dem nur noch die fachgemäße juriſtiſche
Behandlung fehlt, um als ein großes und hochwichtiges, inneres und
äußerlich abgeſchloſſenes Ganzes zu erſcheinen.
[53]
In dieſem Ganzen nun hat wieder jeder einzelne Theil ſein eigenes
Recht und ſeine eigene Geſchichte, die in den einzelnen Ländern ſehr
verſchieden iſt. Der Reichthum an Verordnungen, Geſetzen und theo-
retiſcher wie praktiſcher Literatur iſt gerade hier ein außerordentlich großer.
Um ſo wichtiger iſt es, das Ganze nicht über dem Einzelnen aus den
Augen zu verlieren, und dabei den adminiſtrativen Geſichtspunkt als
Aufgabe der Verwaltungsorgane von dem mediciniſchen als Aufgabe
der Wiſſenſchaft ſoweit thunlich zu ſcheiden. Die leitenden Thatſachen
für den erſteren ſind die folgenden.
Literatur. Der erſte, der von einem höheren Geſichtspunkte das
Gebiet der Geſundheitspolizei erfaßt und als organiſche Aufgabe der
Verwaltung dargeſtellt hat, iſt wohl MirabeauL’ami de l’homme
(1770, mehrmals deutſch überſetzt), deſſen Anſichten dann in Juſti
Polizeiwiſſenſchaft 4. Buch 18. Hauptſtück und SonnenfelsI. 177 f.
übergingen. Berg Polizeirecht und Bergius Magazin ſammelten dann
viele einzelne Verordnungen, doch noch ohne Syſtem. Die auf Grund-
lage der mediciniſchen Wiſſenſchaft beruhende Theorie der geſammten
höheren Geſundheitspolizei verdanken wir aber erſt Frank in ſeinem
angeführten großen Werke, der zugleich mit außerordentlicher hiſtoriſcher
Kenntniß der Gründer der Geſchichte der höheren Geſundheitspolizei
geworden iſt, obwohl er noch den Namen derſelben nicht feſthält und
auch kein formales Syſtem hat, das er offenbar nicht für den Unterricht
und nicht für die Juriſten, ſondern für die gebildete und ärztliche Welt
ſchrieb. Seine freie und große Auffaſſung geht mit unſerem Jahrhun-
dert wieder in etwas verloren, indem Ehrhardt, Stoll, Ruſt,
Rönne u. A. ſich vielmehr faſt ausſchließlich den poſitiven, allerdings
mit unſerem Jahrhundert immer bedeutender werdenden Geſetzgebungen
zuwenden, während andere, wie Mohl, wieder durch den Mangel an
Unterſcheidung zwiſchen Medicin und Verwaltung in wenig lehrreiche
Allgemeinheiten verfallen und das Staatsrecht den Gegenſtand ganz
fallen läßt. Es iſt Sache der Verwaltungslehre, ihm ſeine Stellung
wieder zu geben.
Geſetzgebung. Eine allgemeine ſelbſtändige Codifikation iſt weder
gut thunlich, noch auch von Werth, obwohl man ſie gefordert hat. Die
Einheit muß doch durch die Wiſſenſchaft gegeben werden. Auch die
engliſche Geſetzgebung über die Geſundheitspolizei in den General und
Local Health Acts umfaßt denn doch nur einzelne Theile. Dennoch
hat die Geſetzgebung mit unſerem Jahrhundert hier einen ganz beſtimmten
[54] Charakter angenommen, den wir mit Beziehung auf den früher bereits
dargeſtellten Begriff der vollziehenden Gewalt nun mehr leicht bezeich-
nen können.
Da die Sicherung der öffentlichen Geſundheit gegen die Verletzungen
und Gefährdungen durch Einzelne als eine Pflicht der Verwaltung
und die wirkliche Gefährdung deſſelben durch den Einzelnen als ein
öffentliches Vergehen anerkannt worden iſt, ſo hat die Geſetzgebung,
um die Staatsbürger gegen die Willkür der Vollzugsorgane ſicher zu
ſtellen, faſt allenthalben den Grundſatz durchgeführt, die Verletzung der
Sicherheit der Geſundheit zu einer ſelbſtändigen Kategorie der Ver-
gehen zu machen, und dieſelben daher in den meiſten Ländern zu einem
Theile des Strafgeſetzes gemacht, den Gerichten das Recht über-
tragend, durch gerichtlich ausgeſprochene Strafurtheile die früher ein-
ſeitige Funktion der Geſundheitspolizei zu übernehmen, wie im O. R.
Strafgeſetzbuch II. Thl. Hauptſt. VIII. (Vergehen und Uebertretungen
gegen die Sicherheit des Lebens), Hauptſt. IX. (Vergehen und Ueber-
tretungen gegen die Geſundheit) und Hauptſt. X. (Uebertretungen
gegen die körperliche Sicherheit). Damit iſt ein weſentlicher Theil
der ganzen höheren und niederen Geſundheitspolizei dem Strafrecht und
ſeiner Wiſſenſchaft überwieſen, und es muß als ein neuer Geſichts-
punkt bezeichnet werden, wenn in andern Staaten, wie Bayern und
Württemberg und zuletzt in Baden eigene Polizei-Strafgeſetzbücher
für dieſe Gebiete neben den allgemeinen Strafgeſetzbüchern beſtehen.
Die Darſtellung des Geſundheitsweſens in der Verwaltungslehre muß
ſich daher darauf beſchränken, nur noch diejenigen Momente hervor-
zuheben, welche von dieſen Strafgeſetzbüchern nicht ſpeziell umfaßt
werden; die Frage dagegen, ob die Strafgeſetzbücher jemals dieſe Be-
handlung der Geſundheitspolizei und der Verwaltungslehre ganz er-
ſetzen können, muß verneint werden, da dieſelben durchaus die
Strafe für die Handlungen Einzelner und nicht die Funktion der
Verwaltung für das Ganze enthalten kann und enthalten. Eben deßhalb
iſt in dieſem Gebiete wohl ziemlich allgemein der Grundſatz formell aner-
kannt, daß da, wo eigentliche Geſetze fehlen, die höchſte Verwaltung
im Namen des öffentlichen Wohles auf Verordnungswege geltende Be-
ſtimmungen nicht bloß erlaſſen kann, ſondern erlaſſen ſoll. Das hängt
auf das Genaueſte mit dem Auftreten einer ſtaatlichen und einheitlichen
Verwaltung des geſammten Geſundheitsweſens, das ſich namentlich in
den letzten Jahrzehnten die örtliche Geſundheitspflege der Gemeinden
ſyſtematiſch unterordnet, auf das Engſte zuſammen; vergleiche über dieſen
Entwicklungsproceß, was wir oben unter Organiſation des Geſundheits-
weſens geſagt haben. Uebrigens iſt es nicht zu verkennen, daß in allen
[55] übrigen Staaten die einzelnen Gebiete vorzugsweiſe durch förmliche Ge-
ſetze geregelt werden, an welche ſich die Verordnungen anſchloßen, wäh-
rend in Deutſchland die Geſetze faſt gänzlich mangelten, und bis zur
neueſten Zeit meiſt nur Verordnungen exiſtiren.
I. Polizei der Nahrungsmittel.
Die Polizei der Nahrungsmittel hat zwei Hauptſeiten. Die eigent-
liche Geſetzgebung beſchäftigt ſich mit der Produktion derſelben vom
ſanitären Standpunkt; die Aufgabe der örtlichen Verwaltung, nament-
lich der Gemeinde, iſt es dann, die Geſundheitspolizei im Einzelver-
kehr auszuüben. Die erſtere geht urſprünglich gegen direkte Fälſchung,
die letztere ſchützt vielmehr vor dem Verkauf verdorbener Gegen-
ſtände; die erſtere verbindet ſich daher naturgemäß mit der Gewerbe-
geſetzgebung, die letztere vielmehr mit der Marktpolizei. Eine
äußere Scheidung iſt nicht thunlich. Die Wiſſenſchaft hat zur Auf-
gabe, einerſeits die geſundheitsgefährlichen Elemente zu beſtimmen und
dann die Mittel ihrer leichten Entdeckung anzugeben. Die Ausführung
iſt meiſt Sache der örtlichen Organe. Die einzelnen Nahrungsmittel
haben wieder ihr eigenes Recht, und dieß wieder ſeine eigene Geſchichte.
Das ganze Gebiet iſt ein außerordentlich reiches, und jeder Theil ver-
dient eine Darſtellung für ſich. Hauptpunkte ſind Brod, Fleiſch,
Getränke, Gewürze. Die Wichtigkeit und naturgemäß auch die
Ausbildung dieſes ganzen Gebietes ſteigen mit der Dichtigkeit der Be-
völkerung; daher iſt der Urſprung derſelben ſtets eine ſtädtiſche
Polizei, die erſt mit dem vorigen Jahrhundert ſich zu allgemein aner-
kannten Principien erhebt. Der Charakter des Polizeirechts der Nah-
rungsmittel in unſerem Jahrhundert enthält nun aber weſentlich ver-
ſchiedene Elemente von denen der früheren Zeit. Es hat ſich daſſelbe
nämlich jetzt in die zwei Theile geſpalten, welche früher verſchmolzen
waren, und hier hat die franzöſiſche Geſetzgebung den Anlaß zu Bil-
dung des gegenwärtigen Syſtems gegeben. Jedes Unrecht, das mit Nah-
rungsmitteln geſchieht, kann entweder ein bloßer Betrug ſein (Fäl-
ſchung der Nahrungsmittel) oder es kann zugleich eine ſanitäre Ge-
fahr enthalten. So lange die Polizei der Nahrungsmittel noch den
ſtädtiſchen Behörden allein blieb, waren beide vermengt. Allein mit
dem Entſtehen der neuen Strafgeſetzgebungen wird es Grundſatz,
die Fälſchung von der ſanitären Gefährdung zu ſcheiden, beide mit
ſpeziellen Strafbeſtimmungen in die Strafgeſetzbücher aufzunehmen,
den Ortsbehörden nur die Entdeckung dieſer Vergehen, dem Gerichte
dagegen ihre Beſtrafung zu überlaſſen. Nur wenige Staaten haben
[56] bisher dieſen eben ſo logiſchen als praktiſchen Grundſatz nicht ange-
nommen, und ſtehen ſtatt auf dem rechtlichen, noch auf dem polizei-
lichen Standpunkt, auf welchem die Ortsbehörde die Aufſicht, die
Fachmänner die Beweiſe und Gutachten, und die Gerichte die Ent-
ſcheidung haben.
Hauptſchriftſteller für die wiſſenſchaftliche Begründung und die hiſto-
riſche Auffaſſung auch dieſes Gebiets bleibt Frank a. a. O. Bd. III,
wo die früheren Geſetze, die bis ins ſechzehnte Jahrhundert reichen, auf-
geführt ſind, und jedes Nahrungsmittel für ſich behandelt wird. Fleiſch
III. 1. 1. TrinkwaſſerIII. 1. 2. FiſcheIII. 1. 3. PflanzenIII. 1. 4.
GewürzeIII. 1. 5. BierIII. 2. 2. WeinIII. 2. 3. (ſchon Polizei im
Reichsabſchied 1487 und 1497). — Jedes Land hat dann eine Menge
einzelner Verordnungen über die einzelnen Nahrungsmittel. Frühere
Geſchichte und Rechte (ErhardtIII. 236 ff.) Sanitäre Städtepoli-
zei der Nahrungsmittel (Berg, Polizeirecht IV. mehrfach. Ehrhardt
III. 113 f.) Oeſterreich. Ausführliche Geſetzgebung über die Polizei
der Nahrungsmittel ſchon ſeit dem ſiebzehnten Jahrhundert. Die be-
treffenden, meiſt örtlichen Beſtimmungen ſind jedoch vorwiegend Maaß-
und Gewichtspolizei; der ſanitäre Standpunkt kommt faſt nur beim
Fleiſche zur Geltung. Fleiſchbeſchau (N. Oeſterr.) ſchon vor 1559;
Uebergang zur gewerblichen Schlachterordnung (Kopetz, Polizeigeſetze II.
§. 707.) Wiederholung: Verordnung ſeit 1802 (Stubenrauch §. 270 ff.)
— Mühlordnungen ſeit 1661, 1695, 1735; namentlich gegen Mehl-
fälſchung; neue Mühlordnung vom 1. December 1814. Bäckerord-
nung ſeit 1718; ſpätere Verordnung Stubenrauch §. 270. — Wein-
gärtnerordnung aus dem ſiebzehnten Jahrhundert (Kopetz a. a. O.)
Die alten Verordnungen beſtehen übrigens wohl nur noch formell; an
ihre Stelle iſt weſentlich die Beſtimmung des Strafgeſetzbuchs §. 407
getreten, nach dem die Gefährdung der Geſundheit durch Fälſchung, ſo
wie durch Zubereitung der Nahrungsmittel mit Strafen bedroht iſt.
Doch beſtehen über einzelne Theile der Nahrungsmittelproduktion, ſpe-
ziell über das Fleiſch, noch eine Reihe von örtlichen Verordnungen,
die Ausführung betreffend (Stubenrauch a. a. O. §. 271—275), wäh-
rend im Allgemeinen der Grundſatz anerkannt iſt, daß die Gemeinde
die Behörde der Ueberwachung iſt (Gemeindeordnung vom 17. März
1844, §. 119).
In Frankreich trat dagegen mit der Revolution und der Auf-
hebung aller früheren Beſtimmungen die Nothwendigkeit einer einheitlichen
Geſetzgebung zuerſt auf. Zuerſt übergab das Geſetz vom 16—24. Auguſt
[57] 1790 die Oberaufſicht den Maires, dann beſtimmter der Code Pénal das
Recht der Fälſchung und zwar mit dem charakteriſtiſchen Unterſchiede,
daß Art. 423 eben nur die Strafe der Fälſchung enthielt, während
Art. 471 die Buße für die Nichtbefolgung der polizeilichen Vorſchrif-
ten feſtſtellte. Der hier nur noch angedeutete ſanitäre Geſichtspunkt iſt
dann definitiv und mit großer Genauigkeit ausgebildet im Geſetz vom
27. März 1851 (zum Art. 423 des Code Pénal). Dieß Geſetz iſt das
ausführlichſte und rationellſte über die ſanitäre Nahrungsmittelpolizei,
das mir bekannt iſt. Tardieu hat in ſeinem citirten Dictionnaire ſo
ziemlich alle einzelnen subsistances, freilich weſentlich phyſiologiſch unter-
ſucht, aber auch nebſt der franzöſiſchen Literatur theilweiſe auf die Ge-
ſetze Rückſicht genommen. (Das Geſetz von 1851 bei Block Diction-
naire v. subsistances). Ueber das Trinkwaſſer ſiehe ſpeziell Tar-
dieu: Eau, und dort eine Pariſer Polizeivorſchrift über die öffentlichen
Brunnen vom 15. Mai 1849. — Die preußiſche Geſetzgebung hat auf
derſelben Grundlage im Strafgeſetzbuch (1851) §. 304 die Strafe für
wiſſentliche Beimiſchung gefährlicher Subſtanzen, von der Strafe des
Betruges (§. 241) und der Feilhaltung verdorbener Nahrungs-
mittel geſchieden, und dazu durch Geſetz vom 11. März 1850 die Polizei
den Ortspolizeibehörden überwieſen (Horn, Medicinalweſen I. S. 107.
108. Rönne, Strafrecht II. 361). In ähnlicher Weiſe hat die bay-
riſche Geſetzgebung im neuen Polizeiſtrafgeſetzbuch den geſundheitsge-
fährlichen Verkehr mit „ekelhaften (?), verdorbenen oder ſchädlichen Nah-
rungsmitteln“ beſtraft (Art. 132) und die Uebertretung der ortspoli-
zeilichen Vorſchriften über den „angeordneten Beſchein“ mit Bußen be-
legt (Art. 131). — In Württemberg: Strafe des Strafgeſetzbuchs
für wiſſentliche Fälſchung (Art. 270), und polizeiliche Strafe für Un-
vorſichtigkeit und Fahrläſſigkeit nach dem Polizeiſtrafgeſetzbuch (Art. 41),
nebſt einer Reihe von einzelnen Polizeiverordnungen bei Roller Polizei-
recht §§. 141—156. Königreich Sachſen: die polizeilichen Verord-
nungen aus dem vorigen Jahrhundert gelten noch jetzt zum Theil bei
Fleiſch und Brod (Funke, Polizeigeſetze des Königreichs Sachſen III.
S. 234—257). Aufſtellung von Fleiſchbeſchauern in allen Ge-
meinden, nebſt Pflicht der Anzeige. Sachſen-Meiningen (Verordnung
vom 11. März 1865). Viele Verordnungen wegen der Trichinen in
neueſter Zeit. Sachſen-Weimar (Verordnung vom 1. Februar und
5. Mai 1866). Braunſchweig (Verordnung vom 15. März 1866).
In Belgien hat ſich der Code Pénal Art. 301 und 318 im Weſent-
lichen an das franzöſiſche Recht angeſchloſſen; das Geſetz vom 19. Mai
1829 aber hat die Grundſätze für das Polizeirecht der ſchädlichen Stoffe
beſtimmt, die durch das Geſetz vom 17. März 1856 weiter ausgeführt
[58] ſind, auch hier mit genau durchgeführter Unterſcheidung des Betruges
(falsifications) und der matières nuisibles. Die Polizei hat die Ge-
meinde. (De Fooz Droit adm. belge III. S. 133—138.) Ueber Holland
finde ich nichts. — Was England betrifft, ſo iſt keine eigene Geſetz-
gebung über die Polizei der Nahrungsmittel; die Public Health Act
(1848) hat den Gemeinden das Recht gegeben, dagegen zu ſchützen, ohne
alle beſtimmte Vorſchriften, ein Verhältniß, was Gneiſt (Engliſches
Verwaltungsrecht VI. §. 113) mit großem Recht als das „bequeme Aus-
ſtellen eines Blanquetts“ bezeichnet, „deſſen Ausfüllung in der Discretion
der Gemeindebeamten liegt.“ Doch iſt man im Fortſchritt. Die Bake-
houses Regulation Act 1865 (26. 27. Vict. 40) enthält übrigens neben
den Vorſchriften über Reinlichkeit der Bäckerei auch die Beſtimmung,
daß Knaben unter 18 Jahren von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens
von der Arbeit frei ſeien, und daß die Gemeindebehörden darüber bye
laws machen und Inſpection halten können. Das Statut 26. 27. Vict. 117
gibt ferner dem Diener des Inspector of Nuisances das Recht, alle
verkäuflichen Nahrungsmittel ſelbſt zu unterſuchen, die Sache gerichtlich
anhängig zu machen, und das Justice of peace kann für jedes ver-
dorbene Stück eine Buße bis 20 Pf. auferlegen! Baden: Polizei-
Strafgeſetzbuch, §. 93 ff.
II. Giftpolizei.
In der Geſchichte und Entwicklung der Giftpolizei ſind zwei Stadien
zu unterſcheiden, an die ſich die große Maſſe der einzelnen Verordnungen
anſchließt, und die in unſerer Zeit die beiden Gebiete derſelben bilden.
Das erſte Stadium und mit ihm der erſte Theil derſelben beruht
auf der Anſicht, daß das Gift nur als ſpezifiſche Subſtanz exiſtire,
und daß daher die Aufgabe der Polizei in der geſetzlich möglichſt ge-
nau geregelten Bewachung dieſer Subſtanz im Beſitz und Verkehr
beſtehe. Daraus ſind alle Verordnungen über Gifthandel entſprun-
gen. Das zweite Stadium — neunzehntes Jahrhundert — beginnt mit
der Erkenntniß, daß einerſeits das Gift als Beimiſchung anderer
Subſtanzen, namentlich der Farben, erſcheint und hier viel gefährlicher
wirkt, was dann die Farbenpolizei in allen ihren verſchiedenen For-
men erzeugt, andererſeits daß eine Menge anderer, bisher nicht als
giftig erkannter Subſtanzen, darunter namentlich induſtrielle Produktions-
mittel, giftig wirken, wogegen die Polizei unmächtig iſt. Die Gift-
polizei, in Gifthandel und Farbenpolizei ſehr rationell und genau aus-
gebildet, muß ſich daher geſtehen, daß ſie mit jenen beiden Punkten das
Erreichbare geleiſtet hat. Die Lehre von den Giften, als Theil der
[59] gerichtlichen Medicin und als fachmänniſches Beweisverfahren gehört
dagegen nicht zur Lehre vom Geſundheitsweſen, ſondern in die Chemie
und Pathologie.
Die Giftpolizei iſt ſeit dem Entſtehen der Medicinalpolizei vielfach
ausführlich bei allen Hauptſchriftſtellern behandelt. Frühere Geſetzgebung
namentlich bei FrankIV. 2. 1. — In England beſteht — unſeres
Wiſſens — keine Geſetzgebung. — In Frankreich erſte ſyſtematiſche
Geſetzgebung (Declaration vom 25. April 1777); dann Ausführung durch
Geſetz vom 21. Germ. a. XI und Ordonnanz vom 9 Niv. an XII. Das
Geſetz vom 19. Juli 1845 hat die Giftpolizei direkt unter die Verwal-
tung geſtellt; die Ordonnanz vom 20. October 1849 dieſelbe zu einem
Gegenſtande des Strafrechts, unter Competenz der Gerichte gemacht.
Die Führung von Regiſtern beim Gifthandel unter Beſtätigung des
Maire ſchon ſeit der früheren Geſetzgebung geregelt, ſind die polizeilichen
Giftregiſter durch Geſetz vom 10. November 1846. (Tardieu, Dict. v.
Poisons. Laferrière, Dr. adm. I. 1. 3. §. 3.) — Oeſterreich: Gift-
handel ſchon geordnet im Allgem. Sanitätsnormale 1770, neben ört-
lichen Vorſchriften. Neuere Ordnungen, Decr. vom 29. Juli 1829 und
24. Januar 1839; Aufſtellung von vier Kategorien. — Farbenpolizei
(Stubenrauch, Verwaltungsgeſetz I. 215 ff.) — Preußen: Schon im
Allgem. Landrecht (II. 8. 456). Gifthandel nur den Apothekern geſtattet;
Organiſation der Verkehrs-Anweiſungen vom 10. December 1800 und
Regulativ vom 16. September 1836; Aufnahme der Beſtimmungen in die
Gewerbepolizei einerſeits und des Strafgeſetzbuchs andererſeits (§. 345).
Das Syſtem der preußiſchen Geſetzgebung iſt ein ſehr ausführliches und
genaues, und übertrifft in jeder Beziehung das franzöſiſche. Horn hat
die betreffenden Beſtimmungen vollſtändig geſammelt und weſentlich ge-
ordnet (Preußiſches Medicinalweſen I. S. 109 ff.) Gifthandel beſonders
S. 123 ff. und techniſche Anwendung S. 130 ff. (Vgl. auch Rönne,
Staatsrecht II. 361 als kurze Ueberſicht). Bayern: Ueber den Gifthan-
del beſtehen beſondere Verordnungen vom 17. Auguſt 1834 und 25. Mai
1850; die Giftpolizei iſt im Polizeiſtrafgeſetzbuch Art. 114—116 enthalten
(Pözl, Verwaltungsrecht §. 114). Die neueſte Ordnung des ganzen Gift-
und Geheimmittelweſens für Bayern enthalten mehrere Verordnungen
vom 15. März 1866, welche zugleich den Verkehr und die Bereitung
beſtimmen. Württemberg ziemlich unvollſtändig (Roller, §. 152).
Dagegen im Königreich Sachſen ſehr ausführlich. Grundlage Mandat
vom 30. September 1823 mit Abänderung durch Mandat vom 9. Juli
1830. Farbenpolizei ebendaſ. S. 219 ff. Coburg (Verordnung vom
10. Februar 1864). Verbot von arſenikhaltigen Farben bei Kleidern;
[60] Verbot der Verwendung bleihaltiger Hüllen beim Tabak. — Sachſen-
Meiningen (Verordnung vom 24. Februar 1865). — Hannover, Akten
über Handel mit arſenikhaltigen Farben 1864 (Auſtria a. 1864. p. 183).
— In England fehlt die ganze Geſetzgebung; eine Berechtigung zum
Einſchreiten kann höchſtens aus der Nuisances Removal Act abgeleitet
werden, ohne Verpflichtung dazu. — Belgien: Beſtrafung der Ver-
miſchung verkäuflicher Waaren mit Gift (Geſetz vom 19. Mai 1826
und 17. März 1856). Mangel einer Polizei des Verkehrs und des
Handels mit Giften (de Fooz Dr. adm. belge III. 133). In Holland
beſchränkt ſich die ganze Giftpolizei, von der de Boſch-Kemper gar
keine Erwähnung macht, auf Anordnungen über die Verwahrung der
Gifte in den Apotheken, und auf eine Reihe von gewöhnlichen Vor-
ſchriften über den Verkauf von Giften aus den Apotheken (viertes Geſetz
vom 1. Juni 1865, Art. 7 ff.). Baden: Polizei-Strafgeſetzbuch, §. 831.
III. Kurpfuſcherei, Quackſalberei und Geheimmittel.
Begriff und Recht der Kurpfuſcherei hängen mit der ganzen Ent-
wicklung des Medicinalweſens innig zuſammen. Man kann den römiſch-
rechtlichen (privatrechtlichen) Standpunkt als denjenigen bezeichnen,
der den Kurpfuſcher zur Haftung für den durch ihn zugefügten Schaden
verpflichtet; der ſtändiſche Standpunkt iſt der, vermöge deſſen der
Kurpfuſcher verfolgt werden muß, weil er unter dem Schein der fach-
männiſchen Bildung ſich einen Erwerb ſchafft und den Erwerb der Be-
rufsmänner beeinträchtigt; der polizeiliche Standpunkt endlich ſieht
in der Kurpfuſcherei vor allem eine Gefährdung der öffentlichen Geſund-
heit und nimmt die beiden andern Geſichtspunkte als untergeordnet,
wenn auch nicht als unwichtig. Dadurch entſtehen eigentlich zwei Be-
griffe: die Quackſalberei, welche Heilmittel ohne fachmänniſche Bil-
dung anwendet, ohne die letztere falſch vorzugeben, und die Kur-
pfuſcherei, welche es unter falſcher Vorgabe derſelben (unter Annahme
des Doktortitels) thut; die letztere enthält natürlich immer die erſtere.
Das Rechtsprincip iſt, daß die letztere ſchon als Verletzung des öffent-
lichen Vertrauens ſtrafbar iſt, die erſtere aber nicht wegen der in ihr
enthaltenen Gefährdung der öffentlichen Geſundheit an ſich, da ſich vor
dieſer jedermann durch Nichtbenutzung des Quackſalbers ſelbſt ſchützen
kann, ſondern dadurch, daß der letztere den Mangel an Bildung
mißbraucht, auf dem ſeine Benutzung beruht. Die Strafbarkeit der
Quackſalberei ſollte daher nicht abſolut, ſondern von Fall zu Fall, und
zwar nur entweder nach dem Bildungsgrade der Behandelten (ob ſie
mit Bewußtſein den Quackſalber gebraucht haben) — oder nach der
[61] Natur der angewendeten Mittel eintreten, und die noch geltende
Strenge der ſtändiſch-polizeilichen Standpunkte darnach gemildert werden.
Frank hat zuerſt die Quackſalberei von einem freieren, hiſtoriſchen
Standpunkt behandelt. Bd. VII. 221 ff. Römiſches Recht l. 132 d.
R. J. (culpae reus est) l. 7 l. de prof. et med. (nemo nisi exami-
natus medicinam exerceat). Seit Auftreten der gebildeten Aerzte ge-
winnt das ſtändiſche Recht die Ausſchließlichkeit beider und bleibt von
da an mit großer Strenge auf dem ganzen Continent. Nur England,
das keine ſtrenge Univerſitätsbildung hat, behält den römiſchen Grund-
ſatz der freien Praxis mit privater Verantwortlichkeit bei. In Deutſch-
land dagegen wird das Beſtehen der Prüfung Grundſatz. Reichs-
kammergerichtsordnung I. 18; die C. C. Carolina 134 macht dann
ein Vergehen aus der Kurpfuſcherei. Dieß wird allgemein auf dem
Continent. — Frankreich. Allgemeines Verbot der Heilung ohne den
Erwerb eines Univerſitätsgrades (Verordnung vom 18. März 1707).
— Oeſterreich. Geſetzliche Verbote ſeit 1671 (ſ. auch Sonnenfels
III. 180; KopetzII. §§. 779—782). — Preußen. Verordnung
vom 9. Oktober 1713 gegen Afterärzte: dann aufgenommen im Allge-
meinen Landrecht II. Art. 706—709. — Kurbraunſchweig. Ver-
ordnung vom 11. Nov. 1718. — Baden. Verordnung vom 14. Juni
1725; zum Theil mit ſchwerer Strafe gegen Diejenigen, welche die
Quackſalber gebrauchen. Dieſe Beſtimmungen ſind öfter wiederholt
(ſ. Berg, Polizeirecht II. 3. 2. 3). — Mit dem neunzehnten Jahrhun-
dert gewinnt das Rechtsgebiet nun eine feſte Geſtalt. Die Ausbreitung
der fachmänniſchen Bildung wird allgemein, die Apotheken entſtehen auf
allen Punkten, und ſo wird es den Geſetzgebungen möglich, aus den
allgemeinen Verboten zu ganz beſtimmten Vorſchriften überzugehen. Der
Charakter derſelben iſt ſich ziemlich gleich. Die Ausübung der Heilkunſt
wird an die Bedingung der fachgemäßen Bildung und der Beſtätigung
derſelben durch eine geſetzliche Prüfung geknüpft und der Verkauf von
Arzneimitteln auf die, unter adminiſtrativer Aufſicht ſtehenden Apotheken
beſchränkt. Daher denn kommt es, daß die Strenge des Rechts der
Kurpfuſcherei und Quackſalberei von dem Vorhandenſein und der
Organiſation der mediciniſchen Fachbildung abhängig wird,
ſo daß in den Ländern, wo dieſelbe nicht oder ſchlecht vorhanden iſt,
der Begriff und das Recht der erſteren ganz wegfällt, wie in England
bis zur neueſten Zeit, die Quackſalberei dagegen unter die Polizei der
geſundheitsgefährlichen Subſtanzen (als Gifte) fällt, vorausgeſetzt, daß
nicht auch dieſe fehlt, wie in England. Das Bild des engliſchen,
[62] wahrhaft elenden Zuſtandes in dieſer Beziehung bei Gneiſt (Engliſches
Verwaltungsrecht §. 113. S. 1169). Hier hat erſt die Medical Act 1858
eine ſchwache Abhülfe gegeben, indem der Unterſchied zwiſchen ge-
prüften und nicht geprüften Aerzten allein darin beſteht, daß die
letzteren keine Klage auf ihr Honorar haben! — In Frankreich
finde ich weder einen Namen noch eine Beſtimmung über Kurpfuſcherei;
die Geſetzgebung hat ſich geholfen durch reichliche Vorſchriften über Ge-
heimmittel, die bereits mit Geſetz vom 21. Germ. an XII beginnt. Das
Geſetz vom 19. Juli 1845 hat dann alle Geheimmittel einer ſtrengen
Oberaufſicht unterworfen. — In Deutſchland iſt das Verbot der
Kurpfuſcherei zu einem Corollar des Rechts der geprüften Aerzte ge-
worden und allgemein anerkannt; zum Theil ſogar in die Strafgeſetz-
bücher übergegangen. (Preußiſches Strafgeſetzbuch §. 119.) Bayern.
(Pözl, Verwaltungsrecht §. 117.) Vorſchriften über Verkauf von Ge-
heimmitteln (Verordnung vom 13. Mai 1838); Strafen im Polizei-
ſtrafgeſetzbuch Art. 112 ff. Württemberg. Beſtrafung der Pfuſcherei
(Polizeiſtrafgeſetzb. Art. 38). Rechtlicher Begriff derſelben (Mohl, Staats-
recht II. 321). Polizeiliches Verbot der Geheimmittel (Polizeiſtrafgeſetz-
buch (von 1839) Art. 38. Roller a. a. O. §§. 142, 177). In Hol-
land iſt die Prüfung und das Recht der ärztlichen Praxis durch Geſetz
vom 1. Juni 1865 neu geregelt; ein Verbot der Praxis nicht ge-
prüfter Aerzte ſehe ich hier ſo wenig als in Belgien. Die Quackſalberei
fällt hier wie in Frankreich unter die Giftpolizei.
IV. Todten- und Vegräbnitzpolizei.
Die Todten- und Begräbnißpolizei hat einen ganz beſtimmten Ent-
wicklungsgang gehabt, durch den ſie ihre gegenwärtige, ſehr ausgebildete
Geſtalt allmählig empfangen hat. Sie beginnt mit der Todtenbeſchau
als gerichtlichem Act, um durch Conſtatirung der Todesart den
Beweis eines Verbrechens möglich zu machen; in England mit der
Coroners Jury; ähnliche Inſtitutionen in vielen deutſchen Stadtrechten.
An dieſelbe ſchließt ſich dann die Begräbnißordnung, urſprünglich
nur als Sicherung gegen Begraben von Scheintodten, mit einfacher
Beſtimmung der Zeit, innerhalb deren das Begräbniß ſtattfinden darf.
Erſt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden beide in der Weiſe
verbunden, daß eine Todtenbeſchau als Conſtatirung des Todes in ge-
ſundheitspolizeilichem Sinne dem Begräbniß vorausgehen muß. Dieſe
Todtenbeſchau hat dabei theils einen gerichtlichen Charakter (mit Zeugen),
theils einen ärztlichen; ſie gehört daher auch jetzt noch theils der gericht-
lichen, theils der Sanitätspolizei. An ſie ſchließt ſich dann aber ein
[63] von der alten Begräbnißordnung weſentlich verſchiedenes eigentliches
Begräbnißweſen, das faſt ausſchließlich geſundheitspolizeilicher Natur
iſt. Daſſelbe enthält wieder einzelne beſtimmte Gebiete. Man kann
dieſelben wohl in folgender Weiſe bezeichnen. Die Begräbnißord-
nung beſtimmt die Zeit und wie in Frankreich zum Theil auch die
materielle Ordnung des Begräbniſſes (pompes funèbres). Die Leichen-
kammerordnung enthält die Beſtimmungen über die Errichtung und
Benützung der Leichenkammern. Endlich die Friedhofsordnung,
beginnend mit der Entfernung der Friedhöfe aus den Kirchen und
Städten, wird zu einer zum Theil ſehr ausgebildeten Organiſirung der
Ordnung der Begräbnißplätze. Die Einführung der Codifikationen mit
dem Anfang unſeres Jahrhunderts hat nun den weſentlich juriſtiſchen
Theil dieſer Beſtimmungen in die bürgerlichen Rechtsbücher verlegt und
die Befolgung der geſundheitspolizeilichen Vorſchriften mit geſetzlichen,
ſtatt den früheren rein polizeilichen Strafen geſichert. Daneben haben
die Organe der Geſundheitsverwaltung das Recht behalten, verordnungs-
mäßige Beſtimmungen zu erlaſſen, zugleich aber ſind in einzelnen Staaten
ausführliche und ſyſtematiſche Inſtruktionen für Todten- und Be-
gräbnißpolizei erlaſſen, ſo daß das Ganze ein ſehr abgerundetes Syſtem
bildet. Doch iſt das geltende Recht der einzelnen Länder auch hier ſehr
verſchieden. In England beſteht die Todtenpolizei nur als (ſtrafgericht-
licher) Act der Coroners Jury, und die Begräbnißpolizei iſt geſetzlich
nur Friedhofspolizei, jedoch mit dem Vorrecht der Selbſtverwaltung
(bye laws), die überhaupt das Geſundheitsweſen wenig fördert. In
Frankreich hat die Todtenpolizei vorwiegend einen bürgerlich-rechtlichen
Charakter und iſt der Ordnung des Etat civil einverleibt, wobei das
ſanitäre Element ſelbſtändig faſt nur in der Friedhofsordnung erſcheint.
In Deutſchland dagegen iſt ein reiches Material ſowohl für die Todten-
beſchau, als für die Begräbniß-, Leichenkammer- und Friedhofsordnung,
wobei das juriſtiſche Element deutlich geſchieden und das ſanitäre nament-
lich durch genaue Inſtruktionen wenigſtens in einigen Staaten trefflich
geordnet iſt. Hier ſind die deutſchen Beſtimmungen unzweifelhaft als
Muſter anzuſehen; freilich auch hier wieder nach der Regel, daß alle
Geſundheitsverwaltung nach der Dichtigkeit der Bevölkerung ſteigt, in
den großen Städten viel ausgebildeter als auf dem flachen Lande, wo
faſt nur den Anforderungen der Standesregiſter Rechnung getragen wird.
Geſetzgebung. England. Ueber die Coroners Jury als ge-
ſchworne Todtenbeſchau ſiehe u. a. Gneiſt, Engl. Verwaltungsrecht.
Die Begräbnißordnung auch jetzt noch ohne Geſetz; Leichenkammern
[64] mangeln. Die Friedhofsordnung von 1832 ganz den öffentlichen [Vor-
ſchriften] überlaſſen. Durch die Cholera entſteht die Erkenntniß von der
Gefahr dieſes Zuſtandes; daher denn der erſte, ſehr unfertige Beginn
einer Geſetzgebung. Zuerſt wird das Begräbnißweſen der Armen
auf das Minimum des Anſtandes gebracht: 7. 8. Vict. 101. Dann
aber auf Rapport der Commiſſion 1843 eine geſetzliche Friedhofsord-
nung eingeführt, 10. 11. Vict. 65 Cemeteries Clauses Act (zugleich
in Beziehung auf Expropriation zum Zweck der Friedhofsanlage). Die
Public Health Act 11. 12. Vict. 63 beſtimmte die Unterordnung des
Begräbnißweſens unter die Board of Health, und gab das Recht zur
Vornahme von Expropriationen für neue Begräbnißplätze; 12. 13. Vict.
111 Herſtellung einer Oberaufſicht des Board of Health aus dem Ge-
ſichtspunkt der Nuisances Act, mit Verordnungsrecht für den Inſpektor.
13. 14. Vict. 52 neue Friedhofsordnung für London; endlich wird
16. 17. Vict. 134 die allgemeine Friedhofsordnung für England, mit
den beiden leitenden Grundſätzen, daß die Auflöſung und Anlegung
von Friedhöfen durch Ordre in Council beſtimmt und Begräbnißregiſter
geführt werden ſollen. Große Klagen über den gegenwärtigen Zuſtand;
(Report von 1850. Gneiſt, Engl. Verwaltungsrecht II. §§. 31, 56,
111, 112, 113). Nach 18. 19. Vict. 128 können in den kleineren
Gemeinden Burial boards conſtituirt werden, wo ſie nicht nach 17. 18.
Vict. 87 ohnehin ſchon (in den incorporirten Städten) Sectionen des
Gemeinderathes ſind. Regiſtrirung der Begräbniſſe 27. 28. Vict. 97
(Auſtria 1865). Ueber den Geſichtspunkt der öffentlichen Schädlichkeit
verkehrt angelegter Friedhöfe iſt dieſe ganze Geſetzgebung nicht hinaus-
gekommen. — Frankreich. Die früheren örtlichen und zum Theil
ſehr unvollkommenen Beſtimmungen als Theil des Inſtituts des Etat
civil geordnet. Die Todtenbeſchau iſt ein Theil des Standesregiſters.
Der Acte de décès vom Officier de l’état civil mit zwei Zeugen auf-
genommen, der zugleich die Indicien des gewaltſamen Todes zu ſam-
meln hat; das Ergebniß der Todtenbeſchau wird in das Sterbregiſter
eingetragen. (Cod. civ. a. 78—82.) Die Begräbnißordnungen waren
im vorigen Jahrhundert lokal und verſchieden; die erſte allgemeine Fried-
hofsordnung mit ſpeciellem Verbot der Begräbniſſe in Städten und
Kirchen (Ordonnanz vom 10. März 1776). Dieſes Geſetz ward wieder
dem gegenwärtigen Hauptgeſetz vom 2. Juni 1804 zum Grunde gelegt
und das letztere weſentlich erweitert und geordnet durch die Ordonnanz
vom 6. Dec. 1843, Beſtimmung der Anlage und Entfernung der Fried-
höfe; Verpflichtung der Gemeinden zu neuen Anlagen; Verbot der Er-
richtung von Wohngebäuden und Brunnen in der Nähe; Beſtätigungs-
recht der Behörden für Inſchriften (!) und Denkmäler. (Trébuchet,
[65]Cimetières, Dictionnaire de l’hygiène publique). Die Todtenbeſchau
iſt in den größeren Städten durch médecins vérificateurs des décès
unter einem médecin inspecteur des décès eingerichtet. Die Begräbniß-
ordnung iſt ſehr genau geregelt. Der Ortspfarrer darf nur bei, vom
Maire erlaubten Begräbniſſen zugegen ſein, bei Buße (décr. 3 therm.
XIII); der Leichenzug wird polizeilich vorgeſchrieben (Dekret vom 8.
Mai 1806). Die Leichenkoſten, in England unglaublich hoch, wurden
in Frankreich geſetzlich geregelt (Dekret vom 18. März 1806). Ebenſo
ſind die Ausgrabungen nur bei Buße, unter Bewilligung der Be-
horde und beſtimmten Formen geſtattet; man unterſcheidet die exhuma-
tion par la famille, par décision administrative und par autorité
judiciaire. (S. Trébuchet a. a. O. Inhumation. Block, v. Mort,
Pompes funèbres, inhumation: Dictionnaire de l’Administration.) —
Deutſchland. Altes Recht: „Man ſoll den todten nicht pegraben,
man trage yn denn voran für rathauz“ (Städterecht von Ofen, Bam-
berg, Magdeburg; Schöffenrecht u. a. Oſenbrüggen, Gaſtgerichte der
Deutſchen im Mittelalter 73). Die Todtenbeſchau wird dann im vorigen
Jahrhundert ziemlich allgemein vom Geſichtspunkte des Schutzes gegen
Scheintod. Die Begräbnißordnung ſchreibt ſchon frühe eine Zeit von
24 Stunden nach dem Tode vor (Preuß. Kirchenordnung 1568;
ebenſo Sachſen, 1713); doch noch hauptſächlich als kirchliche Funktion.
(Oeſterreich. Verordnung ſeit 1721; KopetzII. 848.) Seit der Mitte
des vorigen Jahrhunderts tritt das ſanitäre Element in den Vorder-
grund. — Oeſterreich. Organiſirung der Todtenpolizei ſeit 1770;
erſte allgemeine Verordnung von Maria Thereſia vom 1. Auguſt 1766.
Seit 1780 mehrere Beſchauordnungen; Aufgabe: Krankheitsbeſchreibung,
Todtenbeſchau, gerichtliche Beſchau (mit Wundärzten). Nachfolgende
Beſchauordnungen für die einzelnen Kronländer bis 1838. (Stuben-
rauch, Verwaltungsgeſetzkunde II. 309.) Aufſtellung eigener Todten-
beſchauer von Seiten der Gemeinden; dieſe ſollen regelmäßig Aerzte ſein;
ſtrenge und ausführliche Inſtruktionen für dieſelben; Aufgabe: Gewißheit
des Todes, anſteckende Krankheiten, gewaltſame Todesart. Specielle
Inſtruktion für die gerichtliche Todtenbeſchau (Verordnung vom
28. Januar 1855 und 8. April 1857). Errichtung von Leichenkammern
mit eigenen Wächtern ſchon ſeit 1756. (Kopetz, Polizeigeſetze II. 849
und 686. SonnenfelsI. 185.) Todtenbeſchau und Begräbniß der
Armen: unentgeldlich ſeit Dekret vom 21. Nov. 1773. (Stubenrauch
II. §. 359.) Friedhofsordnungen: Verbot der Beerdigung in Kir-
chen ſeit Verordnung vom 30. Januar 1751; erſte allgemeine Fried-
hofsordnung vom 24. Aug. 1784; folgende Verordnungen bei Kopetz
a. a. O. und StubenrauchII. 207. Viele gleichartige Beſtimmungen
Stein, die Verwaltungslehre. III. 5
[66] aus dem vorigen Jahrhundert in den übrigen deutſchen Staaten;
namentlich die Aufhebung der Friedhöfe in den Städten. (Frank,
Medicinalpolizei IV. 2. 5. Berg, Polizeirecht IV. 534. Erhardt
III. 450.) — Preußen. Aufnahme der (pfarramtlichen) Todtenbeſchau
in das Allg. Landrecht II. 11 §. 184. Die bürgerliche Beglaubigung
der Sterbefälle durch Eintragung in ein gerichtlich zu führendes Regiſter
(Verordnung vom 30. März 1847). Die Conſtatirung des Todes und
Verhütung von Scheintod ſchon grundſätzlich angeordnet Allg. Land-
recht II. §. 476. Ausgeführt mit Verweiſung auf beſondere Polizei-
verordnung, ſpeciell in Beziehung auf Scheintodte und Anſteckung.
Inſtruktion vom 31. Oktober 1794; Reſcript vom März 1827 (Be-
gräbnißzeit); Reſcript vom 15. Juni 1822 (Begräbnißordnung). Strafe:
Strafgeſetzbuch §. 345. Leichenkammern: einzelne Erlaſſe (Rönne
und Simon, Preußiſches Medicinalweſen II. 503 ff.; Horn, Medicinal-
weſen I. 162—170). — Bayern. Hier beſtehen nur einzelne allge-
meine Verordnungen über Begräbnißplätze (Döllinger, Bd. VIII.
1172—1175; Pözl, Verwaltungsrecht §. 114; das Polizeiſtrafgeſetz-
buch a. 109—111). Die ganze Todten- und Begräbnißpolizei iſt hier
Sache der Ortsbehörde. — Württemberg: Beerdigungsfriſt und
Sicherung gegen Scheintod (Roller §. 36). Leichenſchauer; vorherige
Beſichtigung durch dieſelben; Führung von Regiſtern und Jahresberichte
(Normalinſtruktion vom 20. Juni 1833). Strafe der zu frühen Be-
erdigung (Polizeiſtrafgeſetzbuch Art. 33). — Königreich Sachſen. Alte
Begräbnißordnung vom 13. Februar 1801. Einführung der Todten-
beſchau (Geſetz vom 22. Juni 1841) nebſt Inſtruktion (von demſelben
Datum). Einrichtung von Tabellen. Zugleich Errichtung von Leichen-
häuſern und Leichenkammern und Belehrung für nichtärztliche Todten-
beſchauer (vollſtändig bei Funke, Polizeigeſetze III. S. 405—434). Die
neue Geſetzgebung beruht auf den ſehr weitläufigen und gründlichen
Beſtimmungen: die Leichenbeſtattungen und die Einrichtung des Leichen-
dienſtes betreffend vom 20. Juli 1850 nebſt Vollzugsverordnung von
demſelben Datum. (FunkeV. S. 535 vollſtändig.) Von andern
Staaten habe ich nichts erfahren können. Im Allgemeinen dürfte man
ſich nach den Grundſätzen über die Standesregiſter (Begräbnißliſten)
richten. (S. Stein, Verwaltungslehre I. Bd.) — Die belgiſche Ge-
ſetzgebung reiht ſich ganz der franzöſiſchen an mit dem Acte de décès
(Code civ. 77), und jede Beerdigung muß vom officier de l’état civil
von einer voraufgehenden Unterſuchung begleitet ſein. (Code civ. a. 81.)
Begräbnißordnung nach dem franzöſiſchen Geſetz (décr. 23 Prair. XII);
Feierlichkeiten (Decr. vom 18. Mai 1806). Friedhofsordnung: die
Friedhöfe ſtehen unter der örtlichen Polizei; Recht der Friedhöfe. Der
[67]Code pénale 360 enthält die Strafpolizei des Begräbnißweſens (de Fooz,
Dr. adm. belge III. T. II. p. 138—164). Das holländiſche Recht
überträgt die Scheintodten- und Begräbnißpolizei den Gemeinden;
Begräbnißzeit 36 Stunden (de Boſch-Kemper a. a. O. S. 316—318).
V. Höhere und niedere Baupolizei.
Die Baupolizei hat zur Aufgabe, die öffentliche Geſundheit gegen
die in Bau und Anlage der Wohnungen liegenden Gefahren zu ſchützen.
Die niedere Baupolizei bezieht ſich dabei auf die einzelne Wohnung;
die höhere dagegen auf die Geſammtheit aller Bedingungen der Ge-
ſundheit, welche mit den Wohnungen zuſammenhängen. Die niedere
iſt daher weſentlich eine Polizei des Baues, die höhere eine Polizei der
Anlagen. Beide ſind ihrer Natur nach zuerſt rein polizeilich, die Ge-
ſundheit durch einzelne Vorſchriften vor einzelnen Gefahren ſchützend;
ſie werden allmählig von umfaſſenderer Bedeutung, und gewinnen in
den letzten Jahrzehnten unſeres Jahrhunderts einen poſitiv fördernden,
ſocialen Charakter. Ihre hiſtoriſche Entwicklung iſt namentlich mit Hin-
blick auf die Zukunft von großem Intereſſe.
Die Baupolizei beginnt mit der niederen Baupolizei in den Städten
zunächſt als Ortsrecht. Ihr poſitiver Inhalt erſcheint zuerſt als eine
Sicherheitspolizei, und zwar theils gegen Feuersgefahr, theils gegen
Einſturz. Das ſanitäre Element tritt dann auf in der Polizei der
öffentlichen Reinlichkeit theils auch in der Friedhofspolizei. Mit
dem Entſtehen eigener oberſter Organe für die Geſundheitsverwaltung
werden dann auch die Vorſchriften für das Bauweſen allgemeiner;
dabei aber löst ſich das ſicherheitspolizeiliche Element ſelbſtändig als
eigentliches Bauweſen von der Geſundheitsverwaltung los, und über-
nimmt die Sorge für Feuer- und Einſturzſicherheit; dagegen erſcheint
das ſanitäre Element wiederum ſelbſtändig in den Bewohnungs-
Conſenſen, die gleichfalls mit dem vorigen Jahrhundert entſtehen,
und ſich bis in unſere Zeit erhalten, obgleich ſie den Charakter eines
rein ſocialen Rechts haben. Indeſſen beziehen ſich noch alle dieſe Vor-
ſchriften auf die niedere Polizei der Einzelwohnungen. Zugleich aber
beginnt die Wiſſenſchaft ſich mit der Frage zu beſchäftigen. Franks
Darſtellung, muſtergültig, iſt die erſte wiſſenſchaftliche Grundlage für
die höhere Baupolizei, indem er zuerſt die Anlage, die Bauart der
einzelnen Häuſer in Beziehung auf die großen phyſiologiſchen Elemente
von Licht, Luft und Waſſer und die öffentliche Reinlichkeit als die großen
Bedingungen der Geſundheit hinſtellt. (Bd. III. 4. und Bd. IV. 1.)
Die Verwaltung wird dadurch jedoch mehr angeregt als gefördert. Das
[68] für dieſen Theil der Verwaltung entſcheidende Ereigniß war erſt die
Cholera. Seit 1830 beginnt eine Bewegung in ganz Europa, welche
die Grundſätze der höheren Baupolizei praktiſch, namentlich in den großen
Städten durchführt, und indem ſie gerade die Wohnungsverhältniſſe der
niederen Klaſſe als die Herde der Krankheit und der allgemeinen Ge-
fahr erkennt, und zuerſt die Herſtellung geſunder Wohnungen ernſtlich
als Aufgabe der Verwaltung in die Hand nimmt, nachdem die Geſund-
heit der Schulbauten ſchon früher, vereinzelt, vielfach berückſichtigt war.
Von dieſem Standpunkte war nur ein Schritt zu dem weiteren, die
Arbeiterwohnungen neben dem ſanitären zugleich vom ſocialen Ge-
ſichtspunkte zu betrachten, und mit der Geſundheit auch für die Billig-
keit und Zweckmäßigkeit derſelben zu ſorgen. Dafür ſind jedoch nur
noch einzelne Schritte in den großen Städten geſchehen. Vernach-
läſſigt dagegen iſt das Geſundheitsweſen der Werkſtätten des Ge-
werbes, während das der großen Fabrikslokalitäten gut beſorgt iſt.
Hier würden die Vereine der Aerzte viel, oft faſt allein, wirken
können. Neben dieſer Bewegung geht die niedere Baupolizei, die nicht
minder wichtig iſt, ihren Weg, und es iſt nicht zu verkennen, daß auch
in ihr das ſanitäre Element immer mehr Geltung gewinnt. Doch läßt
es ſich nicht läugnen, daß man bis jetzt in den Principien und For-
derungen viel weiter iſt, als, aus naheliegenden Gründen, in der Aus-
führung. Ehe die alten Uebelſtände beſeitigt ſind, werden wir noch ganze
Generationen brauchen.
Die ganze Baupolizei hat nun in den einzelnen Ländern eine ſehr
verſchiedene Entwicklung gehabt, und daher auch eine ſehr verſchiedene
Organiſation gefunden, obgleich der Grundzug derſelbe iſt. Frankreich
hat auch hier die einheitliche Geſetzgebung mit all ihren Vortheilen und
Nachtheilen ausgebildet, die Vollziehung aber wie immer unter beinahe
vollſtändiger Ausſchließung der Selbſtverwaltung in die Hände der Be-
hörden gelegt. England hat dagegen vorzugsweiſe einzelne Geſetze
erlaſſen, und die Selbſtverwaltung, jedoch zuletzt unter Aufſicht der
amtlichen, auch hier die Ausführung übergeben. Es kann geſagt werden,
daß für England der Schwerpunkt aller Geſundheitspolizei,
unter ſtarker Vernachläſſigung der übrigen Theile derſelben, überwie-
gend eben in der geſetzlichen Entwicklung der höheren Baupolizei liegt,
die ſelbſt erſt in Folge der Cholera entſtanden iſt. In Deutſchland
endlich iſt zwar das Bauweſen meiſt trefflich ausgebildet, und daher
die niedere Baupolizei vielleicht die beſte der Welt; die höhere dagegen
iſt nirgends zu einem durchgreifenden geſetzlichen Syſtem entwickelt, ſon-
dern faſt ganz der örtlichen Selbſtverwaltung überlaſſen. Die Geſund-
heitsverwaltung wird hier nicht mehr, wie im vorigen Jahrhundert,
[69] durch die große und kleine medicinal-polizeiliche Literatur unterſtützt, und
die Aerzte thun nicht alles, was ſie thun könnten. Seit Frank,
Schütz, Frankenau u. A. iſt über dieß ganze Gebiet wenig ge-
ſchrieben worden, und nur die Verwaltungsgeſetzbücher führen es, nur
zu oft in nebenſächlicher Weiſe, in Einzelheiten fort.
England. Die einzige uns bekannte Darſtellung des engliſchen
Baupolizeiweſens bei Gneiſt, Engl. Verwaltung §. 111. 112. Vor
unſerem Jahrhundert wohl einzelne, aber faſt nur örtliche Geſetze. Erſt
nach der Cholera brach ſich die Nothwendigkeit Bahn, eine organiſche
Geſetzgebung zu erlaſſen, und dieſe iſt es, welche in drei verſchiedenen
Stadien das gegenwärtig geltende Recht gebildet hat. Das erſte Sta-
dium enthält die einzelnen Geſetzgebungen über die einzelnen Gebiete
der höheren und niederen Geſundheitspolizei. Den Beginn bilden die
Bauordnungen (Building Acts) die erſte von 1774. 14. Georg. III. 78.
war vorzugsweiſe noch reine Sicherheitspolizei. Von da an geſchieht
nichts, bis die Cholera mit ihren ernſten Folgen die Nothwendigkeit
gründlicher Abhilfe zeigt, was um ſo faßbarer war, als in England
überhaupt kein öffentlich rechtliches Bauweſen und kein Begriff und Recht
fachmänniſch gebildeter Ingenieure beſteht. Entwurf von 1841 für eine
geſundheitspolizeiliche Bauordnung; daraus die Building Act 7, 8 Vict. 84
mit Organiſirung des geſammten Bauweſens und der Straßenordnung
(ſ. GneiſtI. 114. II. 111); die Waterworks Clauses Act 1847.
10, 11 Vict. 17, und die Gasworks Clauses Act. eod. gehören ſchon
der gewerblichen Polizei. Die Cimeteries Clauses Act 10, 11 Vict. 65
(Friedhofsordnung vom ſanitären Standpunkt (ſ. oben). Die einzelnen
polizeilichen Beſtimmungen werden dann nach der Sitte der engliſchen
Legislation zuſammengefaßt in Towns Improvements Clauses
Act 1847 (Straßenweſen und Bauweſen der Städte. Erweiterung der
früheren Beſtimmungen). Jedoch iſt noch immer der örtliche Charakter
vorherrſchend. Die, von jeder Oberaufſicht entfernte Ortsverwaltung
mit all ihren Mängeln hat allein die Ausführung der beſtehenden Ge-
ſetze. Die zweite Epoche des Jahres 1848 macht nun aus dem Ganzen
die Grundlage des allgemein geſundheitspolizeilichen Syſtems, und
zwar einerſeits durch die zwei großen Nuisances Removal and Diseases
Prevention Acts von 1848 11, 12 Vict. 123, und 1849 12, 13 Vict.
c. 111, welche den Grundſatz der civilrechtlichen Haftung der Orts-
verwaltung für öffentliche Reinlichkeit und ſanitäre Ordnung durchführen
und die Acte for Promoting the Public Health 1848. 11, 12 Vict. 63,
welche die örtliche Geſundheitsverwaltung in Beziehung auf alle höhere
[70] und niedere Baupolizei auf Grundlage der Selbſtverwaltung organiſiren.
Dieß geſchieht durch die Local Boards of Health. Das berufsmäßige
Element iſt dabei jedoch nur vertreten durch die amtlichen Inſpek-
toren und durch das Princip der Beſtätigung ihrer bye Laws durch
den Miniſter des Innern, bei dem die höchſte Sanitätsbehörde, jedoch
weſentlich nur für die Baupolizei, früher als das General Board of
Health, jetzt als Departement des Privy Council, eingeſetzt wird (das
engliſche Collegium Sanitatis). Auf dieſer Grundlage entwickelt ſich nun
die allgemeine Geſetzgebung und Verwaltung der Geſundheitspolizei
der dritten Epoche; in Beziehung auf die Grundſätze der Verwaltung
durch die neueſte Nuisances Act von 1855 18, 19 Vict. 121, welche
die frühere aufhebt, und die engliſche Codification der höheren Bau-
polizei iſt; in Beziehung auf den Organismus der Verwaltung durch
die neue Local Governement Act 1858 21, 22 Vict. 98; zwar
auf Grundlage des Klagrechts und der Selbſtverwaltung aber doch mit
Oberaufſicht des General Board of Health. Die Sewage Utilisation
Act 1865 (28, 29 Vict. 75) bezieht ſich zwar nur auf die Anlage von
Abzugskanälen für flüſſigen Dünger, enthält jedoch einige weſentliche
ſanitäre Momente, namentlich den, daß kein Abzugskanal in einen Fluß
gelenkt werden darf. Was London ſpeziell betrifft und ſeine locale Bau-
ordnung ſ. Gneiſt, Engl. Verwaltungsrecht II. §. 115. Zugleich ward
die Labouring Classes Lodging Houses Act 1831 (14, 15 Vict. 34)
erlaſſen, mit der ſpeziellen Aufgabe, die Erbauung für geſunde Arbei-
terwohnungen zu fördern; wornach die Erbauung derſelben durch die
Gemeinde von derſelben beſchloſſen werden kann. Hier iſt daher ein
bedeutendes Fortſchreiten unverkennbar. Allein, wie ſchon früher bemerkt,
liegt auch für dieſen Theil der Geſundheitspolizei die Gefahr in der
viel zu großen Unabhängigkeit der örtlichen Behörde, auf welche auch
in Beziehung auf die Baupolizei gilt, was Gneiſt über die Local
Government Act ſagt.
Frankreich. Während in Frankreich die Aufgaben und die Noth-
wendigkeit namentlich der höheren ſanitären Baupolizei zuerſt und wohl
am beſten theoretiſch unterſucht ſind, bleiben Geſetzgebung und Verwal-
tung dagegen ſehr zurück; weſentlich wohl wegen des Mangels an Thä-
tigkeit der Selbſtverwaltung. Grundſatz: der Maire hat die Baupolizei zu
handhaben, und die Commissions d’hygiène publique ſind nur bera-
thende Körper. Dieſe ganz allgemeinen Principien gewinnen nun auch
hier erſt Geſtalt nach dem Auftreten der Cholera 1830. Die centrale
Verwaltung beginnt die Sache in die Hand zu nehmen. Die bis dahin
beſtehenden Geſetze, welche mit 1790 beginnen, haben im Grunde nur
noch die Sicherheitspolizei für Bau und Communikation im Auge. Die
[71] einzige bedeutende Erſcheinung iſt die Geſetzgebung über die gewerblichen
Anlagen. Dieſelben waren früher, wie alles übrige jetzt noch, „aban-
donnés à la prudence des intendants.“ Erſt das Decret vom 15. Oct.
1810 organiſirte die Anlage im geſundheitspolizeilichen Sinne, am um-
ſichtigſten in Europa, durch Aufſtellung der drei Claſſen der Etablisse-
ments dangereux, insalubres und incommodes. Grundſatz, daß die
erſte Claſſe nur vom Staatsrath, die zweite vom Präfekten, die dritte
vom Unterpräfekten erlaubt werden; das Geſetz vom 27. Januar 1837
zählt mehr als 300 Arten der Gewerbe auf, die dahin gehören. (La-
ferrière Dr. admin. T. I. 1. 3. nebſt Literatur.) Etabl. dangereux
(Block, Dict. de l’admin.). Die ſociale Seite der Verwaltung ward
erſt nachdrücklich in den Vordergrund geſtellt durch den Rapport sur
les habitations des classes ouvrières von Villermé 1840; doch iſt
allerdings eine weſentliche Aenderung in den Verhältniſſen nicht ein-
getreten, während die gewerbliche, in den obigen Beſtimmungen liegende
niedere Sanitätspolizei ſtreng entwickelt iſt. Das ausſchließlich berech-
tigte Organ iſt auch jetzt noch der Maire. Die Commissions des loge-
ments insalubres in den einzelnen Gemeinden (durch Geſetz vom 30. April
1850 eingeſetzt), haben nach Trebuchet noch nichts gewirkt. (Block
voc. hygiène publique. (Levy Traité d’hygiène publique et privée
2 Bde. 1850. Baupolizei, ſpeciell. I. 591.)
Deutſchland. Die deutſche Baupolizei liefert den Beweis, daß
bei aller Entwicklung der Theorie doch erſt entweder direkte Gefahr oder
die Dichtigkeit der Bevölkerung dieſelbe zur praktiſchen Ausbildung
bringen. Franks Darſtellungen blieben für die Geſetzgebung faſt
unbeachtet, ſelbſt Berg ſchreibt nur Frank ab (II. Bd. III. 2. Hauptſt. 3).
Das geltende Recht war im ganzen vorigen Jahrhundert nur Sicher-
heitspolizei des Bauweſens, namentlich gegen Feuer. Das öffentliche
Bauweſen hat ſich unterdeſſen durch fachmänniſche techniſche Bildung im
Baufache ſehr gehoben; allein es iſt ein großer Mangel, daß in dieſer
Bildung das Berückſichtigen des ſanitären Elementes gänzlich fehlt. Die
Anfänge ſind jedoch vorhanden. Geſchichte dieſer Verordnung bei Frank
IV. I. 1; das Beſte über die Verbindung des ſanitären mit dem ſicher-
heitspolizeilichen Standpunkt bei Kopetz, Oeſterr. Polizeirecht II. §. 738
bis 748 ff. Oeſterreich hat ſchon ſeit Maria Thereſia eine Menge
einzelner Verordnungen, die ſeit Joſeph II. zu den allgemeinen Bau-
ordnungen für ganze Länder und Städte führen. Stubenrauch,
Verwaltungsgeſetzkunde §. 230 mit Literatur. Kopetz §. 749 ff. (Polizei-
Maßregeln zur geſunden Beſchaffenheit der Wohnungen). Spezielle Vor-
ſchriften über den Bau von Schulhäuſern (Kopetz 757); Verſuche,
durch Aufklärung bei dem Volke zu wirken; Einführung des Wohnungs-
[72] Conſenſes bei neuen Häuſern ſeit Verordnung vom 15. Mai 1796
unter Zuziehung der Bezirksärzte. Zu einer Codification iſt es nicht
gekommen. Die gewerblichen Anlagen bedürfen nach dem Gewerbegeſetz
vom 20. December 1859 der Genehmigung in den beſtimmt bezeichneten
Fällen. Ebenſo iſt in Preußen eine allgemeine Bauordnung noch
nicht erlaſſen, dagegen ſind auch hier neben der Bau- und Feuerſicher-
heit vielfache einzelne Vorſchriften aufgeſtellt. (Rönne, Strafrecht
§. 368.) Grundſatz hier wie in Oeſterreich und ſo weit wir ſehen in
allen deutſchen Ländern, daß die Baupolizei örtlich von den amtlichen
Polizeibehörden gehandhabt wird, die auf Grund ziemlich allgemein lau-
tender Geſetze wirken und natürlich wenig leiſten. „Die Sanitätscom-
miſſionen haben die Polizeibehörden zu unterſtützen (?)“ (Reglement
vom 8. Aug. 1835.) Die Anlage der Gewerbe ſtehen nach der Gewerbe-
ordnung vom 17. Jan. 1845 §. 26 unter ſanitärer Genehmigung; Auf-
führung der einzelnen Gewerbe (Geſetz vom 1. Juli 1861). Die ein-
zelnen örtlichen Polizeiverordnungen bei Rönne (Staatsrecht §. 361.
Note 10). Ein höherer, das geſammte Bauweſen vom ſanitären oder
ſocialen Standpunkt beherrſchender Geſichtspunkt iſt geſetzlich nicht aus-
gedrückt; es wird von örtlichen Verhältniſſen abhängen, wie weit der-
ſelbe zur Geltung kommt. (Vergl. Horn, Medicinalweſen I. 141—148.)
Ganz ähnlich der Standpunkt der Verwaltung in Bayern, Pözl,
Verwaltungsrecht §. 114, Verordnung vom 10. Mai 1853. Die bau-
und ſanitätspolizeiliche Beſichtigung der Neubauten und der Ertheilung
von Wohnungs-Conſenſen betreffend. Die hier enthaltenen Vorſchriften
werden dann im Polizei-Strafgeſetzbuch Art. 180—186 mit polizeilichen
Strafen ſanktionirt. Es gilt dabei als Grundſatz, daß bei jedem Neubau
ein Plan vorgelegt und derſelbe behördlich genehmigt werden muß; Ab-
weichungen und Unvorſichtigkeiten werden beſtraft; leitende ſanitäre
Principien fehlen, und werden der Polizei überlaſſen. — Württem-
berg. Alte Bauordnung von 1655; zunächſt gegen Feuersgefahr, die
Verordnung vom 13. Mai 1837 hauptſächlich für die Verhältniſſe der
Wege und Straßen. Eine Beziehung auf ſanitäre Fragen und Gefahren
exiſtirt nicht, und iſt wohl einfach der zufälligen Anſchauung der Be-
hörden überlaſſen. (Roller, Polizeigeſetz §§. 441. 715 ff.) Im König-
reich Sachſen hat man ſogar ausdrücklich von dem Princip der Woh-
nungs-Conſenſe Umgang genommen. (Funke a. a. O. III. S. 268.)
VI. Unmäßigkeitspolizei. Kinderarbeit.
Die perſönliche Geſundheitspolizei iſt die Geſammtheit von Maß-
regeln zum Schutze des Körpers gegen Gefährdungen der Geſundheit.
[73] Sie iſt in gewiſſer Beziehung der wichtigſte, aber auch der bedenklichſte
Theil der Geſundheitsverwaltung, da ſie am tiefſten in die individuelle
Freiheit hineingreift. Darauf beruht auch ihre zwar eng begränzte, aber
immerhin intereſſante hiſtoriſche Entwicklung, die offenbar erſt in unſe-
rem Jahrhundert bei einem poſitiven, wahrhaft förderlichen Standpunkt
angelangt iſt.
Sie beginnt nämlich ſeit dem ſechzehnten Jahrhundert mit dem
Verſuche, die Untergrabung der Geſundheit durch Unmäßigkeiten aller
Art mittelſt polizeilicher Verbote und Strafen zu hindern; Verbote der
Völlerei, der großen Feſte, des Trinkens ſtarker Getränke, Kleiderord-
nungen, Verhalten gegen Schwangere, daneben ſanitäre Eheverbote u. a.
Alle dieſe, namentlich in Deutſchland ſtark wuchernden Maßregeln ſind
mehr bezeichnend für die Idee der Wohlfahrtspolizei als wichtig für
das praktiſche Leben, da ſie ohne Erfolg bleiben mußten. Erſt die
ſichere Auffaſſung des Weſens der Geſundheit, wie ſie Frank und An-
dere geben, führte dahin, an die Stelle derſelben poſitive, wahrhaft
fördernde Grundſätze zu ſtellen. Dieſe nun haben in zwei Richtungen
eingegriffen. Zuerſt haben ſie die Idee einer geſundheitlichen Er-
ziehung ins Leben gerufen, und bereits, wenn auch in geringem
Maße begonnen, die perſönliche Geſundheitspolizei auf den Gewerbe-
betrieb auszudehnen, wo aber noch ſehr viel zu thun iſt. — Dann
aber haben ſie die Erkenntniß gebracht, daß es überhaupt nicht ſo ſehr
Sache der amtlichen, als vielmehr der Selbſtverwaltung ſein müſſe,
hier wahrhaft förderlich einzugreifen; das iſt nun richtig, allein es hat
das wieder zur Folge, daß auch dieſer Theil der Geſundheitspolizei von
der Dichtigkeit der Bevölkerung abhängig wird, und dieſer bis jetzt faſt
nur in großen Städten zur Geltung gelangt.
Die geſundheitliche Erziehung erſcheint nun hauptſächlich in zwei
Gebieten. Sie fängt an mit der ſanitären Ordnung für den Bau, die
Luft-, Licht- und Raumverhältniſſe der Schulhäuſer, die zum Theil
ſchon aus dem vorigen Jahrhundert ſtammen; in unſerem Jahrhundert
tritt die ſanitäre Arbeitspolizei der Kinder in den Fabriken hinzu,
daneben beginnt das eigentlich pädagogiſche Princip der leiblichen Er-
ziehung in dem Turnunterricht aufzutreten, deſſen große Vortheile
zuerſt Frank, Medicinalpolizei III. 3. 3. nachdrücklich und vortrefflich
hervorhob. Gehört iſt er genug, befolgt nur wenig. Nur das erſtere
kann als ein europäiſcher Theil des Verwaltungsrechts angeſehen wer-
den. Die phyſiſche Erziehung durch Turnunterricht gehört dem deut-
ſchen Leben ausſchließlich an, und iſt auch hier noch nicht gemeingültig.
Die allgemeinen Grundſätze für die hierin liegenden Forderungen ſind
nun ſo einfach, daß es eigentlich nirgends ſo ſehr darauf ankam, ſie
[74] wiſſenſchaftlich zu formuliren, als vielmehr darauf, ihnen praktiſche ge-
ſetzliche Geltung zu verſchaffen, was allerdings ſchon einen hohen Stand-
punkt der allgemeinen ſanitären Bildung eines Volkes vorausſetzt.
Die polizeilichen Verbote in Beziehung auf die Geſundheit beginnen
ſchon einzeln mit dem dreizehnten Jahrhundert; Speiſegeſetze in Arrago-
nien 1234. Sie werden ziemlich allgemein ſeit dem ſechzehnten. Zuerſt
erſchienen die Geſetze gegen die Trunkenheit (Reform. Polizei 1530),
dann 1548. Aufwandgeſetze in Kurſachſen ſchon ſeit 1482; Ritterorden
gegen das Trinken 1517; Verbote des Tabakrauchens 1652; Verbot
des heftigen Tanzens; Kleiderordnungen u. a. m. Hübſche Sammlung
bei Frank, Medicinalpolizei III. 3. 1. und 2. — Ebenſo Sorge für
Schwangere ebendaſ. III. 3. Berg, Polizeirecht II. III. 2. 3. — Höchſt
reichhaltig an allerlei Vorſchriften der Art über Erhitzung, Spiele u. ſ. w.
Kopetz, Polizeigeſetze Bd. II. §. 654—663. Ein Theil davon führt
ein Scheinleben in Stubenrauch, Oeſterr. Verwaltungsgeſetzkunde II.
§. 264 ff. Ebenſo ausführlich, wohlgemeint und zugleich unpraktiſch war
die Geſetzgebung in Württemberg (Roller, Polizeigeſetze §§. 128. 225
u. a. O.) Gegenwärtig iſt von dieſen Dingen wohl keine Rede mehr,
ſo weit es ſich nicht um Sicherheitspolizei oder niedere Geſundheitspolizei
handelt.
Die Vorſchriften über die Arbeit der Kinder in den Fabriken
ſtammen aus unſerem Jahrhundert. Sie gehören allerdings zugleich dem
Unterrichts-, wie dem Hülfsweſen und dem Gewerbeweſen an. Hier nun
iſt kaum zweifelhaft, daß das was Frankreich geleiſtet hat, nicht bloß
weit über dem engliſchen ſteht, ſondern ſelbſt für die Geſetzgebung der
Deutſchen den Anſtoß gegeben hat, ſo weit eine ſolche beſteht, und volle
Anerkennung und Nachahmung verdient. Der ganze Gang dieſer Maß-
regeln und Geſetzgebungen iſt in einem ſehr guten Artikel von Tar-
dieu (Dictionnaire de l’hyg. publ. a. travail) und kürzer und ein-
facher in einem zweiten von Legoyt im (Dictionnaire de l’Admin.)
dargelegt. Die weſentlichen Punkte ſind folgende. In den dreißiger
Jahren, zum Theil in Folge der Cholera, zum Theil angeregt durch die
ſociale Bewegung überhaupt, nahm die Regierung die Sache in die
Hand. Es ward eine Commiſſion zur Unterſuchung der Frage nieder-
geſetzt, für welche Villermé den Bericht erſtattete, deſſen Tableau de
l’état physique et moral des ouvriers dans les manufactures 1840,
als Ausgangspunkt aller ſanitären und ſocialen Maßregeln in Beziehung
auf die Fabriken angeſehen werden muß. Daraus nun ging das Geſetz
vom 22. März 1841 hervor, das die Grundlage der ſpäteren Beſtimmungen
[75] bildet. Allerdings iſt dieß Geſetz die erſte Fabrikarbeitsordnung über-
haupt; allein die Kinderarbeit nimmt in ihm eine weſentliche Stelle
ein. Nach Art. 4 ſoll kein Kind unter 16 Jahren an Feiertagen in den
Fabriken und nach Art. 5 kein Kind unter 12 Jahren ohne Schulunter-
richt gelaſſen werden. Die Mairie führt durch eigene Kinderarbeits-
bücher die Aufſicht über die Ausführung dieſer Beſtimmung (Art. 6).
Der Arr. vom 25. März 1841 ertheilte darüber dann nähere Inſtruk-
tionen; der Arr. vom 14. Auguſt eod. ſtellte die Unterſcheidungen der
Fabriken und die denſelben entſprechenden Detailbeſtimmungen auf; der
dritte Arr. vom 1. October eod. ordnete die Kinder-livrets. Dabei
war die Ausdehnung des Begriffes „fabrique“ unbeſtimmt geblieben.
Ein darauf bezüglicher Entwurf vom 15. Februar 1847 blieb liegen,
bis 1850 derſelbe allen Handelskammern wieder vorgelegt, und im
Weſentlichen, namentlich auch in ſeiner Ausdehnung auf Frauen und
Mädchen anerkannt wurde. Außerdem werden die Kinder ausgeſchloſſen
von allen Fabriken mit regelmäßigem Feuerarbeiten, und ſolche in denen
20 Perſonen beſchäftigt ſind. Bei dieſen Beſtimmungen iſt man ſtehen
geblieben; wenigſtens in Beziehung auf die Arbeiten der Kinder wer-
den ſie auch ausgeführt, während ſie in Beziehung auf die Fabrikſchulen
viel zu wünſchen übrig laſſen. Die Geſetzgebung Englands iſt gleich-
zeitig, aber wie alle engliſche Geſetzgebung ſehr ſpeziell. Sie beginnt
ſchon mit 3, 4 Vict. 103. Hauptgeſetz iſt 7, 8 Vict. 15; Beſtimmung
der Arbeitsſtunden 10, 11 Vict. 29, und 13, 14 Vict. 54. Spezielle
Beſtimmungen für einzelne Gewerbe 16, 17 Vict. 104; 19, 20 Vict. 83,
und 23, 24 Vict. 117. Junge Arbeiter und Arbeiterinnen zwiſchen dem
16. und 18. Jahre ſollen zwiſchen 4 Uhr Morgens und 9 Uhr Abends
nicht länger als neun Stunden arbeiten 25 Vict. 8 (Verbot der nächt-
lichen Arbeit). Dabei iſt jedoch nicht, wie in Frankreich, auf den Unter-
richt Rückſicht genommen. Einen letzten weſentlichen Betrag zu dieſem
Syſtem liefert die Factorys Act Extension Act 1864 (27, 28 Vict. 48),
die allerdings vorzugsweiſe dem gewerblichen Betriebe angehört (ſ. unten).
In Oeſterreich iſt die Verwendung der Kinder durch die Gewerbeord-
nung von 1859 geordnet §§. 86—88; Kinder unter 10 Jahren gar nicht;
bis 12 Jahre nur gegen Erlaubniß, und wenn Fabrikſchulen da ſind,
genaue Beſtimmung der Arbeitszeit je nach dem Alter, ſo wie des
Schulbeſuches (Stubenrauch, Polizeiverwaltungsgeſetzk. II. §. 499). —
In Preußen erging ſchon früher das Regulativ vom 9. März 1839,
das durch das Geſetz vom 16. Mai 1853 erweitert oder organiſirt iſt:
vor dem 12. Jahre gar keine Arbeit in Fabriken ꝛc.; ſpäter genaue
Arbeitsſtunden. Verpflichtung zu Fabrikſchulen für Kinder unter 16 Jah-
ren; 10 Stunden Arbeitszeit bis zum ſelben Alter, von 5 Uhr Morgens
[76] bis 9 Uhr Abends. Dieſe Beſtimmungen ſind im Weſentlichen zwar
dieſelben wie in Frankreich, das den Anſtoß dazu gab; allein das Geſetz
vom 16. Mai 1853 hat ſie weſentlich erweitert. Daſſelbe führte nament-
lich die Arbeitsbücher ein mit einer Rubrik über die Schulverhältniſſe
der Kinder; die darauf erlaſſene Verfügung vom 18. Auguſt 1853 hat
dann eine ſtrenge Statiſtik der Arbeitskinder, und eine anſtändige Ober-
aufſicht derſelben eingeführt, die ſich auf die baulichen Verhältniſſe
der Fabriken bezieht. Durch dieſe Beſtimmungen iſt die preußiſche Ge-
ſetzgebung der franzöſiſchen wieder vorausgeſchritten und es iſt wohl
nicht zu bezweifeln, daß ſie gegenwärtig die beſte in Europa iſt. (Voll-
ſtändig bei Horn, Medicinalweſen I. 101—107. Vgl. Rönne, Staats-
recht II. 361). In andern Staaten finde ich weiter nichts. Die neueſte
Verordnung vom 11. November 1864 in Braunſchweig über die Ar-
beitsbücher enthält keine Beſtimmungen über die Arbeitsverhältniſſe der
Kinder.
Der Turnunterricht iſt trotz ſeiner unendlichen Wichtigkeit in
England und Frankreich gar kein Gegenſtand der Geſetzgebung, in
Deutſchland nur organiſch ausgeführt im preußiſchen Unterrichts-
weſen. Erſt verboten 1819; dann erlaubt 1834; dann befohlen 1842;
zuerſt nur für höhere Schulen, dann auch für niedere. Die Geſchichte
dieſer Verordnung bei Rönne, Staatsrecht II. 444 und Rönne, Unter-
richtsweſen I. 706. — Frühere Anerkennung ſeiner Wichtigkeit: Aretin,
Conſtit. Staatsrecht II. 1. Abth. S. 44 ff.
C. Die niedere Geſundheitspolizei.
Begriff.
Während die höhere Geſundheitspolizei es mit den Gefährdungen
der allgemeinen Geſundheit zu thun hat, entſteht die niedere Ge-
ſundheitspolizei, indem die Verwaltung den Einzelnen und ſein
körperliches Wohlſein gegen Gefahren ſchützt, welche derſelbe nicht mit
eigener Kraft von ſich abwenden kann.
Das Gebiet der niederen Geſundheitspolizei umfaßt drei Theile,
die nicht bloß an ſich ſehr verſchieden ſind, ſondern auch ein ſehr ver-
ſchiedenes Recht erzeugt haben. Der erſte betrifft die aus natürlichen
Urſachen entſtehenden Gefährdungen, der zweite die aus perſönlichem
Verhalten hervorgehenden, von denen jetzt nur noch die Syphilis
Gegenſtand des öffentlichen Rechts iſt, der dritte die Gefahren, welche
durch den Betrieb der Gewerbe beſtehen. Gemeinſchaftlich iſt aller-
dings allen dieſen Beſtimmungen, daß ſie zugleich der Sicherheitspolizei
[77] angehören. Die Verſchiedenheit von der letzteren beſteht darin, daß die
erſtere das Moment der menſchlichen Geſundheit im Auge behält, wäh-
rend die letztere ſich ohne Unterſcheidung auf das perſönliche Leben
bezieht. Der Unterſchied iſt freilich ſo abſtrakt, daß er im Einzelnen
nicht durchzuführen iſt, und daß man daher unvermeidlich in die Lage
kommt, eine gewiſſe Wiederholung eintreten zu laſſen.
Der gemeinſchaftliche Charakter aller betreffenden Beſtimmungen be-
ſteht nun darin, daß dieſelben urſprünglich ausſchließlich von den ört-
lichen Behörden ausgehen, und daß erſt mit dem Entſtehen der Medi-
cinalverwaltungen der Verſuch entſteht, allgemeine Vorſchriften dar-
über zu geben. Mit unſerem Jahrhundert tritt dann die gegenwärtige
Geſtalt dieſes Rechts ein, die wir bereits oben charakteriſirt haben.
Die Verpflichtung der Einzelnen, Gefährdungen der Geſundheit zu
vermeiden, iſt jetzt eine ſtaatsbürgerliche Pflicht, und die Vernachläſ-
ſigung derſelben wird damit zu einem Vergehen, das ſelbſtändig unter
das allgemeine Strafrecht ſubſumirt, von demſelben mit eigener Strafe
belegt, und in ſeiner Verfolgung und Beurtheilung den Gerichten über-
wieſen wird. So entſteht das, was wir kurz das Strafrecht der
niederen Sanitätspolizei (neben dem der höheren) nennen können, und
das einen eigenen Theil in einigen Strafgeſetzbüchern, wie im öſter-
reichiſchen, oder in den Polizeiſtrafgeſetzbüchern, wie in dem bayriſchen
und württembergiſchen bildet. Auch hier aber kann nur die einfache
Verweiſung auf die Strafgeſetzbücher ſelbſt da nicht genügen, wo die-
ſelben ſo umſtändlich und ſpeziell lauten, wie das öſterreichiſche im
II. Thl. Hptſt. IX. X. XI. Denn auch hier hat das Strafgeſetz es mit
der geſchehenen That zu thun, inſofern ſie eine beſtehende Vorſchrift
nicht beachtet. Die Verwaltungslehre dagegen hat ihrerſeits zu beſtim-
men, welche Vorſchriften im Intereſſe der Sicherung von Leben und
Geſundheit der Einzelnen gegen die Vornahmen der Einzelnen gegeben
werden ſollen; und zweitens hat ſie die Punkte anzudeuten, auf
denen das geſundheitspolizeiliche Verordnungsrecht der Natur der
Sache nach neben dem allgemeinen Strafgeſetz einzuſchreiten hat. Dieſe
Verordnungen beruhen größtentheils auf den wiſſenſchaftlichen Grund-
ſätzen der Heilkunde, aber ihre Ausführung iſt formell der Ortsbehörde
überlaſſen, während ein großer Theil der betreffenden Funktionen ſeiner
Natur nach gar nicht von der Selbſtverwaltung getrennt werden kann.
Dabei ſind die Strafen, ſofern ſie in leichten Geldbußen beſtehen, in
einigen Ländern durch eigene allgemeine Polizeiſtrafgeſetze feſtgeſtellt,
während in andern, wie namentlich in England, die Polizeibehörden
geſetzlich das Recht haben, dieſe ſicherheits- und geſundheitspolizeilichen
Vorſchriften ſelbſtändig mit Geldbußen zu ſanctioniren. Es wird demnach
[78] die Verwaltungslehre in dieſer gegenwärtigen Geſtalt der niederen
Geſundheitspolizei das ganze Gebiet des öffentlichen Strafrechts der
Strafrechtslehre überlaſſen, und auch für dieſen Theil nur dasjenige
hervorheben, wodurch, abgeſehen von den ſtrafrechtlichen Beſtimmun-
gen, das öffentliche Recht der Verwaltung dieſes Gebietes gebildet wird.
I. Geſundheitspolizei der natürlichen Gefährdungen.
Es liegt in der Natur der Sache, daß die hierauf bezüglichen Vor-
ſchriften ſo ſehr örtlicher Natur ſind, daß eine Verallgemeinerung ent-
weder nicht möglich oder werthlos wird. Dahin gehören alle ortspolizei-
lichen Vorſchriften über die Gefahren der Communikationswege, der
Badeplätze, der Bauunternehmungen, der Thiere u. ſ. w. Hervorge-
hoben muß wohl nur die Polizei der Hundswuth werden, weil dieß
der Punkt iſt, auf welchem es für wiſſenſchaftliche Unterſuchungen und
damit für allgemeine Regeln Raum gab. Aus der Beobachtung der
Hundswuth entſtand dann die Theorie und die Polizei der übrigen
Thierſeuchen, die auf Menſchen übertragbar ſind, nebſt einer Reihe
von Verordnungen, welche hier Schutz zu gewähren haben.
Auf die Hundswuth hat, glaube ich, zuerſt Peter Frank, Medi-
cinalpolizei IV. 1. 6. als Gegenſtand der Medicinalpolizei hingewieſen.
Aus England und Frankreich, Belgien und Holland ſind mir keine Ver-
ordnungen bekannt. Von den deutſchen ſtehen die öſterreichiſchen
in Stubenrauch, Verwaltungsgeſetzkunde I. 233. Allgemeine Beleh-
rung: Erlaß vom 26. Mai 1854. Preußen: Edikt gegen Hunds-
wuth ſchon 1797; dann eine Reihe von Verordnungen und Inſtruktio-
nen, jedoch ſtets provinziell; endlich Verfügungen über Milzbrand, Rotz
und Wurm und Verfahren dabei (Horn a. a. O. I. 247—261). In
Bayern iſt das Strafpolizeigeſetz Art. 140—143 maßgebend. Die Vor-
ſchriften in Württemberg ſind ſehr detaillirt über alle äußern Ge-
fahren (Roller a. a. O. §§. 202—232). — Für Frankreich Tardieu
(Dictionnaire II. v. Epsizooties. Pappenheim, Sanitätspolizei III.
Art. Hundswuth). Nach engliſchem Recht beſteht nur der Grundſatz der
privatrechtlichen Haftung für Schaden; ſo auch bei Hundswuth 26, 27
Vict. c. 100. (Auſtria 1864.)
II. Syphilis.
Der Kampf gegen dieß furchtbare Uebel iſt neu und man iſt ſich weder
darüber ganz einig im europäiſchen Verwaltungsrecht, ob die Verwal-
tung die Berechtigung habe, hier an die Stelle der individuellen Für-
ſorge zu treten, noch in welcher Weiſe dieß zu geſchehen hat. Wenn
man nun überhaupt der Verwaltung die Aufgabe ſtellt, den Einzelnen
[79] in viel untergeordneterer Beziehung, z. B. bei Badeplätzen, zu ſchützen,
wo er ſich denn doch gewiß ſelbſt ſchützen ſoll, ſo kann wohl die Be-
rechtigung bei dieſem Verbot um ſo weniger im Zweifel ſein, da ſich
vielleicht der Einzelne, nicht aber die Familie und ſelbſt die Nachkom-
men gegen die ſehr ernſten Folgen eines Fehltrittes, deſſen Unheil mit
ſeinen Gefahren in gar keinem Verhältniß ſteht, ſchützen können. Die
Form der Oberaufſicht kann natürlich nur eine Unterſuchung der be-
treffenden Perſonen ſein; es iſt dabei klar, daß die Hauptſache, die
Conſtatirung der Identität der Betreffenden, nur in Bordellen möglich
iſt. Will man die letztere nicht, ſo muß man ſich auf periodiſche Unter-
ſuchung öffentlicher Perſonen und polizeiliche Ueberwachung derſelben
beſchränken. Iſt das der Fall, ſo iſt kein Grund zu einer beſonderen
Beſtrafung der Anſteckung mehr vorhanden.
Die Frage der Proſtitution iſt eine ſociale und hat als ſolche mit
der Geſundheitspolizei und ihrem Recht nichts zu thun. Die Literatur
darüber iſt eine ſehr große; ſehr arm dagegen iſt die verwaltungsrecht-
liche in Beziehung auf die Syphilis, obgleich es nicht an Geſetzen fehlt.
Das mediciniſch-phyſiologiſche Weſen der Syphilis gehört nicht hierher;
was das Recht derſelben betrifft, ſo hat Frankreich es trotz mannig-
facher Anregungen und Anforderungen der Heilkundigen zu gar keiner
Verwaltungsmaßregel gebracht. (S. Tardieu, Dict. III. S. 195 bis
215, nebſt einer ziemlich ausführlichen Bibliographie.) In England iſt
nach manchen Kämpfen die Contagious Diseases Prevention Act 1863
(27, 28 Vict. 85) ſpeciell gegen die Syphilis in den Hafenſtädten zu
Stande gekommen, mit dem Recht der Anzeige der kranken Dirnen und
Beſtrafung derſelben, ſowie ihrer Unterſtandgeber! (Auſtria 1865
S. 341.) Dabei iſt es vor der Hand geblieben. Preußen hat nach
manchen Schwankungen und nach Aufhebung der Bordelle (1845) den
Grundſatz der periodiſchen ärztlichen Unterſuchung durchgeführt, deren
Koſten nach Geſetz vom 11. März 1850 die Communen zu tragen haben
(Horn a. a. O. I. 246, 247). In Oeſterreich beſteht das Syſtem
bereits geſetzlich ſeit dem 29. Mai 1827; doch ſind die Unterſuchungen
dem polizeilichen Ermeſſen überlaſſen und daher hilft das Ganze prak-
tiſch gar nichts. (Stubenrauch a. a. O. §. 308.) Aehnlich, aber
mit Strafrecht gegen die Anſteckenden, in Württemberg (Polizei-
ſtrafgeſetzbuch von 1839 Art. 49; Roller a. a. O. §. 171). Aus andern
Staaten ſind mir keine geltenden Beſtimmungen bekannt; doch iſt wohl
rechtlich kein Zweifel über die Anwendbarkeit der Strafen und Vor-
ſchriften bei anſteckenden Krankheiten vorhanden.
[80]
III. Gewerbliche Geſundheitspolizei.
Es iſt ein charakteriſtiſches Moment der ſtaatsbürgerlichen Geſell-
ſchaft, daß ſie allenthalben bei dem Gewerbe diejenigen Elemente deſſelben
geſucht und gefunden und zum Gegenſtande ſpecieller Verwaltungs-
thätigkeit gemacht hat, welche über die Sphäre des Einzelunternehmens
hinausgehen und eine allgemeine Bedeutung für das Geſammtleben
haben. Zu dieſen Elementen gehört auch das ſanitäre Moment der
Gewerbe.
So lange die ſtändiſche Geſellſchaft beſtand, die den Betrieb der
Gewerbe als reine Sache der gewerblichen Körperſchaften und Innungen
hinſtellte, ſo lange daher nach dem Charakter jener ſocialen Ord-
nung der Erwerb nicht als eine allgemein bürgerliche, ſondern als eine
ſtändiſche Aufgabe erſchien, konnte natürlich die Verwaltung ſich auch
mit den geſundheitlichen Verhältniſſen der Gewerbe nicht befaſſen. Als
dagegen in der ſtaatsbürgerlichen oder der damit identiſchen induſtriellen
Geſellſchaftsordnung der bürgerliche Erwerb die allgemeine und princi-
piell gleiche Grundlage der geſellſchaftlichen Stellung des Einzelnen
ward, ward auch der Einfluß, den das Gewerbe auf die Geſundheit
hat, eine der großen Aufgaben derjenigen Thätigkeit, welche die Be-
dingungen des Wohlſeins Aller herſtellen ſoll. In der Zeit der Zünfte
und Innungen iſt daher eine gewerbliche Geſundheitspolizei nicht mög-
lich. Sie iſt dagegen ein naturgemäßes Corrollar der Gewerbefreiheit;
ſie entſteht zum Theil unmittelbar mit demſelben Geſetz, welches jene
einführt, und bildet faſt allenthalben ein integrirendes Moment der-
ſelben; ſie geht von dem einfachen Gewerbe dann über zu der Induſtrie;
ſie muß ſich nach den beſondern Verhältniſſen beider richten; ſie hat
die ſchwierige Aufgabe, die Produktion im Namen der Geſundheit der
Producenten zu beſchränken, ohne doch ſie unfrei zu machen; ſie wird
dadurch gezwungen, ſich einerſeits an die Wiſſenſchaft zu wenden und
andererſeits ſich formell zu organiſiren; ſie muß ſich ſelbſt in Geſetz
und Verordnung eine möglichſt ſcharfe Grenze ziehen; und ſo hat ſich
im Zuſammenwirken aller dieſer Elemente ein förmliches, großartiges,
auf der feſten Grundlage der Wiſſenſchaft ruhendes und dennoch noch
ſehr im Werden begriffenes Syſtem der gewerblichen Geſund-
heitspolizei gebildet, das faſt ausſchließlich unſerem Jahrhundert
angehört und eine ſeiner ſchönſten und heilſamſten Errungenſchaften iſt
und in ſeiner Ausbildung noch mehr ſein wird.
Die Darſtellung dieſes Syſtems im engen Raume fordert nun
zweierlei. Zuerſt die formalen Kategorien dieſes Syſtems, zum
[81] Zwecke der ſammelnden Vergleichung; dann die Charakteriſirung der
Bildung dieſes geltenden Geſundheitsrechts zum Zwecke der organiſchen
Anſchauung dieſes ſo wichtigen Rechtslebens in den verſchiedenen Staaten
Europa’s.
Was nun jene Kategorien und das daraus hervorgehende Syſtem
des öffentlichen Rechts der gewerblichen Geſundheitspolizei betrifft, ſo
ſind dieſelben wohl ziemlich einfach.
Die Gefährdung der Geſundheit bei dem gewerblichen Betriebe be-
ruht zuerſt offenbar auf der Anlage, und zwar ſowohl in Beziehung
auf die Anwohner, als auf die Arbeiter ſelbſt. Das allgemeine Rechts-
princip iſt dabei der Grundſatz der öffentlichen Bewilligung der
Anlage, mit dem für dieſe Bewilligung geltenden öffentlich-rechtlichen
Verfahren.
Das zweite Element iſt der Betrieb des Gewerbes ſelbſt. Dieſer
Betrieb ſcheidet ſich in Beziehung auf ſein Verhältniß zur Geſundheit
in die Verhältniſſe des Stoffes und die der Arbeit. Das Rechts-
princip dabei iſt das der Beaufſichtigung und der beſtimmten, ent-
weder durch die Natur des Stoffes oder der Arbeit hervorgerufenen
polizeilichen Vorſchriften zum Schutz der Geſundheit der Arbeiter.
Die Elemente der Geſchichte der allgemeinen Rechtsbildung für
dieſe Verhältniſſe ſind folgende.
Die allgemeine Grundlage und Vorausſetzung alles öffentlichen
Geſundheitsrechts des Gewerbes iſt die Aufhebung der Zünfte und
Innungen und die erſte Proklamirung der Gewerbefreiheit in Frank-
reich, bei welcher zugleich der Grundſatz ausgeſprochen ward, daß die
Gewerbe, obwohl frei, die Verpflichtung haben ſollen, „à observer les
règles de police qui sont faites ou qui pourront être faites“ (Dekret
vom 2.—17. März 1791). Daran ſchließt ſich das Dekret vom 15. Okto-
ber 1810 an, über die Etablissements insalubres ou incommodes,
welches als die Grundlage alles gewerblichen Conceſſionsrechts
und der Gewerbefreiheit angeſehen werden muß. Von der franzöſiſchen
Revolution aus geht dann die Bewegung, welche die Gewerbefreiheit
herſtellt; von dem Dekret vom 15. Oktober 1810 die Geſammtheit aller
geſundheitspolizeilichen Vorſchriften über das Gewerbsweſen in ganz
Europa. Nur hat dieſe Rechtsbildung wieder einen ſehr verſchiedenen
Charakter in den verſchiedenen Ländern.
In Frankreich entwickelt ſich dieſes Recht in einer ſtreng ſyſte-
matiſchen, die Gewerbsverhältniſſe für ſeinen Zweck mit großer Um-
ſtändlichkeit claſſificirenden Weiſe; das Verfahren iſt ein treffliches, öffent-
liches und umſichtiges, allein die Entſcheidung bleibt ganz in der Hand
der amtlichen Ortsbehörde, des Maire. In England wartet man
Stein, die Verwaltungslehre. III. 6
[82] fünfzig Jahre, bis endlich die große Nuisances Removal Act. 18. 19
Vict. 121 (1855) den Ortsbehörden nicht das Recht einräumt, eine Be-
willigung zu geben, ſondern nur das, auf die Anklage (oder Beſchwerde)
der Anlieger die Aenderung einer geſchehenen Anlage durch Urtheil
zu beſchließen. In Belgien folgte die Geſetzgebung ganz dem fran-
zöſiſchen, aber die Vollziehung ganz dem engliſchen Princip, indem die
Entſcheidung den ſelbſtändigen Organen der Selbſtverwaltung über-
geben wird und nicht das Amt, ſondern der Bürgermeiſter die Bewil-
ligung gibt. In Holland gilt der letztere Grundſatz ohne den erſteren,
indem der Bürgermeiſter dieſe Bewilligung auf Grundlage eines Ge-
meindebeſchluſſes bei neuen Anlagen verleiht. In den deutſchen Staaten
beginnt die Ausbildung eines geſetzlichen, allgemein gültigen Zu-
ſtandes überhaupt erſt mit der langſam ſich entwickelnden Fabrikthätigkeit
und der Gewerbefreiheit, bildet meiſt einen Theil Gewerbeordnung, iſt
daher in manchen Ländern noch gar nicht geregelt und zeigt bei aller
theoretiſchen Gründlichkeit in der Bearbeitung einzelner Theile auch
hier die Folgen des Mangels einer gleichmäßigen Entwicklung des
deutſchen Rechtslebens. In Skandinavien iſt unſeres Wiſſens die Frage
noch ganz ohne eigene Geſetzgebung.
Auf dieſer allgemeinen Grundlage ſind nun die Hauptbeſtimmungen
für die einzelnen Kategorien die folgenden.
Was die Literatur betrifft, ſo iſt die Behandlung von mediciniſcher
Seite, wie es die Natur der Sache mit ſich bringt, eine faſt durchgehend
alphabetiſche. Die ältere Literatur, ſelbſt P. Frank, kennt die Frage
noch nicht; ſie ſchließt ſich meiſt erſt an das Auftreten der neuen Ge-
werbeordnungen. Tardieu hat in ſeinem Dietionnaire d’hygiène
publique faſt alle Gewerbe aus ſanitärem Geſichtspunkt betrachtet und
die Literatur der einzelnen, vielfach auch neue Verordnungen, hinzu-
gefügt. Das Recht iſt am ausführlichſten von Maiorel (Legislation
et jurisprudence des ateliers dangereux, insalubres et incommodés
1828) bearbeitet, dem Trébuchet (Médecine légale en France 1832)
folgt. Mohls Urtheil über den letzteren iſt nicht unbegründet (Literatur
der Staatswiſſenſchaft Bd. III. S. 280). In Deutſchland hat Pap-
penheim (Handbuch der Sanitätspolizei 1864 III. Band) in alpha-
betiſcher Weiſe die einzelnen Gewerbe vom ſanitären Standpunkt behan-
delt; ſehr gut iſt der allgemeine Artikel „Sanitätspolizei.“ Die Samm-
lungen und Geſetzeskunden von Rönne, Stubenrauch u. ſ. w. haben
von der Sache nur das aufgenommen, was davon geſetzlich beſtimmt iſt,
und ſind daher an ihren Stoff gebunden. Von den meiſten deutſchen
[83] Staaten liegt gar nichts vor. Die mediciniſchen Fachmänner haben
dieſes Recht erſt zu erſchaffen; es iſt eine, ihrer im edelſten Sinne des
Wortes würdige Aufgabe!
Man kann wohl kaum zweifelhaft ſein, daß das franzöſiſche Syſtem
dieſer Genehmigung, durch das Dekret vom 15. Oktober 1810 eingeführt
und in allem Weſentlichen erhalten, dem ſich auch das preußiſche ange-
ſchloſſen hat, alle Bedingungen der ſanitären Commiſſion erfüllt. Das-
ſelbe beruht auf folgenden an ſich einfachen Grundlagen. Die der
Commiſſion unterworfenen Gewerbe werden ſpeciell bezeichnet —
die Anlage wird der Behörde mitgetheilt — wenn dieſelbe ſie nicht
ſogleich zurückweist, wird ſie veröffentlicht und andere Intereſſenten
darüber gehört — darauf entſteht das Verfahren vor der entſcheidenden
Behörde mit Recurs — endlich erfolgt die Genehmigung. In einzelnen
Punkten weichen die deutſchen Rechte davon ab; im Ganzen ſind ſie
mit jenen Principien übereinſtimmend. Nur das engliſche Verfahren
der Nuisances Removal Act beginnt erſt nach der geſchehenen Anlage.
Es iſt klar, daß das franzöſiſche viel mehr den rationellen Anforderungen
der Sache, das engliſche mehr der engliſchen Rechtsauffaſſung entſpricht
und zu ſehr ernſten Bedenken Anlaß gibt.
Die franzöſiſche Geſetzgebung beginnt ſchon mit einer Ordonnanz
vom 12. Februar 1806. Dieſe Ordonnanz ſtellte allerdings ſchon das ent-
ſcheidende Princip des nachbarlichen Beſchwerdeverfahrens de commodo
et incommodo auf; jedoch hat erſt das Dekret von 1810 den ſanitären
Geſichtspunkt anerkannt. Daſſelbe ſtellt drei Claſſen auf. Die erſte
Claſſe ſoll von den Wohnungen entfernt ſein; die zweite Claſſe
wird von ſolchen Anlagen gebildet, deren Entfernung nicht nothwendig,
aber wünſchenswerth iſt; die dritte von ſolchen, die ohne Uebelſtand
in der Nähe von Wohnungen bleiben können, aber unter polizeilicher
Aufſicht ſtehen müſſen. Die Ordonnanz vom 14. Januar 1815 gab
für das Verfahren die leitenden Beſtimmungen; das Dekret vom 23. März
1852 ordnete die Competenzen und den Beſchwerdezug. Die Einthei-
lung der einzelnen Gewerbe hat gewechſelt. Die neueſte Tabelle bei
Tardieu a. a. O. S. 543 ff. Die daraus entſtandene Literatur bei
Joubert (vid.BlockDictionnaire de l’administration v. établisse-
ments insalubres). Pappenheim hat in ſeinem citirten Artikel dieſe
Geſetzgebung gut charakteriſirt. Die preußiſche Geſetzgebung beſtand
bisher nur in dem, was die Gewerbeordnung von 1845 ſagt (T. II.
[84] mitgetheilt von Horn S. 141 ff). Der Unterſchied zwiſchen dieſen
Beſtimmungen und dem franzöſiſchen Recht beſteht weſentlich darin, daß
die Eintheilung in die drei Claſſen fehlt und nur einzelne Vorſchriften
angegeben ſind. Das Verfahren iſt daſſelbe. Das Geſetz vom 1. Juli
1861 iſt dann an die Stelle des §. 28 ff. der Gewerbeordnung getreten
und hat das Verfahren genauer geregelt, auch die Competenzen nicht
unweſentlich geändert (Rönne, Staatsrecht II. §. 402). Das Weſent-
liche der Geſetzgebung Oeſterreichs (Gewerbeordnung von 1859) beſteht
darin, daß nicht weniger als ſechsundzwanzig Arten von den in §. 14
der Conceſſion bedürftigen Gewerben von den allgemeinen Grundſätzen
ausgenommen und auf beſondere Beſtimmungen verwieſen ſind, bei
denen jedoch das ſanitäre Moment ſehr untergeordnet erſcheint. Die
Genehmigung ſelbſt iſt hier geſchieden in die Genehmigung des Betriebes
und die der Anlage (Hauptſt. III. §. 31 ff.). Auch hier ſind keine
Klaſſen, ſondern Arten in §. 33. Das franzöſiſche Verfahren iſt im
§. 35 aufgenommen, mit Recurs. (S. auch StubenrauchII. §§. 476
bis 478.) Die übrigen deutſchen neuen Gewerbeordnungen ſtehen auf
demſelben Standpunkt. Bayern: Gewerbegeſetz von 1825. Vollzugs-
ordnung vom 17. December 1853. (Pözl, Verwaltungsrecht §. 157.)
Württemberg: Vielfache und nicht einheitliche Beſtimmungen bei
Roller §§. 107, 143, 354, 355. Belgien hat ganz das franzö-
ſiſche Recht mit einigen Modifikationen (De Fooz, Dr. adm. belge
III. p. 550 sq.). Das engliſche Recht der Nuisances Removal Act
gehört offenbar erſt dem folgenden Abſchnitte und iſt überhaupt viel
unſyſtematiſcher und unpraktiſcher, als das franzöſiſche Recht.
Die Geſundheitspolizei des Gewerbebetriebes iſt eine weit ſchwie-
rigere und zugleich bedenklichere als die der Anlage, da einerſeits ihr
Objekt, Stoff und Arbeit, weit unbeſtimmter, und ihr Ergebniß, das
Urtheil über die ſanitären Verhältniſſe viel eingreifender in das Gewerbe-
weſen überhaupt iſt.
Das allgemeine Princip iſt, daß an ſich die Bearbeitung eines
Stoffes nicht verboten ſein kann, daß dagegen die Arbeit ſelber ſo einge-
richtet ſein muß, daß die lebens- und geſundheitsgefährlichen Verhältniſſe
derſelben beſeitigt werden. Die daraus hervorgehenden Vorſchriften ent-
halten das Geſundheitsrecht des gewerblichen Betriebes.
Dieſes Geſundheitsrecht ſteht nun bisher auf dem unfertigen Stand-
punkt, daß es ſich noch immer an diejenigen einzelnen Gewerbe an-
ſchließt, bei denen die Wiſſenſchaft eine beſtimmte, entweder mechaniſch
[85] oder phyſiologiſch nachweisbare Gefahr anerkennt. Sein Objekt iſt
daher eine ſpezielle Gefährdung. Die Zukunft dieſes Zweiges der
Polizei wird darin beſtehen, daß dieſelbe von den ſpeziellen und nach-
weisbaren einzelnen Gefährdungen zu denjenigen hinaufſteigt, welche
in den äußeren Verhältniſſen des Betriebes, namentlich in den Werk-
ſtätten der Handwerker liegen. Das kann allerdings nur durch
die höhere Bildung des Handwerkerſtandes und durch die körperſchaft-
liche Geſtaltung deſſelben in Genoſſenſchaften geſchehen. Erſt von ihnen
aus wird eine neue Epoche der gewerblichen oder allgemeinen Geſund-
heitspolizei beginnen.
Bis dahin nun gibt es, wie geſagt, nur einzelne Beſtimmungen,
und dieſe ſind wieder in den einzelnen Ländern ſowohl im Princip als
in der Ausführung ſehr verſchieden. Man muß hier das engliſche und
das continentale Princip ſcheiden.
Das engliſche Princip iſt das der Nuisances Removal Act. Die
Grundlage derſelben iſt, daß die Polizei nirgends, und zwar weder
bei der Anlage, noch bei dem Betriebe, entſcheidet, ſondern es dem
Einzelnen überläßt, eine Klage wegen Gefährdung der Geſundheit durch
den Betrieb einer Unternehmung auf Grundlage des Gutachtens zweier
praktiſcher Aerzte oder des Inſpektors des Board of Health einzubringen,
daß entweder der Unternehmer wirklich Schädliches thue, oder die
beſten anwendbaren Mittel, die Nuisances und Diseases zu hindern,
nicht angewendet habe, worauf entweder Verurtheilung zur Abſtellung
erfolgt, oder eine Friſt für dieſelbe bewilligt wird (Vict. 28). Das
völlige Ungenügen dieſer Beſtimmungen liegt auf der Hand. Das Geſetz
ſelbſt hat daher ſchon Ausnahmen machen müſſen, und zwar erſtens
in dem direkten Verbot, durch Abfluß der Ausgüſſe der Gasworks ꝛc.
die Trinkwaſſer zu gefährden, andererſeits in dem polizeilichen Recht
der ſanitären Unterſuchung der Kohlenbergwerke (Nuisances Rem.
Act s. 23, über die Inſpektion der Kohlenwerke noch beſonders 24. 25.
Vict. 151). Eintritt „at all reasonable times, by day or night.
Dazu iſt noch 7 Vict. c. 15 hinzuzufügen, welches dem Inſpektor das
Recht gibt, zu jeder Zeit in jeden Theil einer Fabrik einzugehen und
dieſelbe zu unterſuchen. Alles Uebrige iſt der Privatklage überlaſſen
(Pappenheim a. a. O. S. 160 ff.) Doch hat England daneben eine
ſpezielle und wichtige Geſetzgebung über den Betrieb in den größeren
Fabriken, während es ſich um die kleineren nicht kümmert. Dieſe be-
ginnt bereits mit 4 Georg IV. 103, und bezieht ſich urſprünglich nur
auf die Kinderarbeit. Allmählig werden aber auch allgemeine ſanitäts-
polizeiliche Beſtimmungen hineingenommen, und die darauf bezüglichen
Geſetze ſind dann zuſammengefaßt in der Factorys Act Extension Act
[86] 1864 (27, 28 Vict. 48). Die Haupttendenz dieſes wichtigen Geſetzes
iſt die Herſtellung von guter Luft und Reinlichkeit in ſpeziell bezeich-
neten Fabriken (Thonwaaren, Zündhölzchen, Percuſſionshütchen, Papier-
färberei, Sammtſcheererei). Die Behörde hat das Recht der Inſpektion,
der Fabrikherr daneben das Recht ſeinen Arbeitern darauf bezügliche
Vorſchriften bei Strafe aufzuſtellen. Daneben beſteht ſchon länger
eine Färbepolizei und Bleichpolizei (ſeit 1860), welche jetzt in der
Bleaching and Dying Works Extension Act 1864 (27, 28 Vict. 98)
neu geregelt iſt, und das „finishing“ vom ſanitären Standpunkt regelt.
Das franzöſiſche Recht und zum Theil gleichzeitig das deutſche haben
dagegen den Grundſatz feſtgehalten, daß die Verwaltung als ſolche die
Verpflichtung habe, bei geſundheitsgefährlichen Betrieben einzuſchreiten.
Jedoch iſt leider dieſer Grundſatz noch nur auf einzelne Betriebe be-
ſchränkt. Die wichtigſten darauf bezüglichen Beſtimmungen betreffen
folgende Punkte.
Dampfmaſchinen. Grundſatz: Dampfkeſſelprobe. Dieſelbe
iſt in Frankreich organiſirt durch die Verordnung vom 22. Mai 1843,
der eine Reihe von einzelnen Verordnungen und Circulären gefolgt ſind
(Tardieu, Dict. Machines à vap.). Die Rechts- und techniſchen Ver-
hältniſſe beſſer von Fournel bei Block Dict. Die Literatur dagegen
bei Tardieu. Neueſte Verordnung vom 25. Jan. 1865: Eintheilung
der Keſſel in drei Claſſen, und Entfernung von den nächſten Gebäuden.
Oeſterreich: Grundlage die Verordnung vom 11. Febr. 1854; das
Eigenthümliche und Nachahmungswerthe iſt dabei der, durch Edict vom
15. Sept. 1858 eingeführte Grundſatz, daß die Bedienung der Dampf-
keſſel eine eigene Prüfung fordert (ſ. StubenrauchI. §. 221). Die
neueſte ausführliche Beſtimmung enthält die Verordnung vom 1. Sept.
1866, welche neben den früheren die neuen techniſchen Anforderungen
für die Dampfkeſſelprobe enthält (Auſtria 1866. S. 320—21). In
Preußen hat das Geſetz vom 1. Juli 1861 ein ſpezielles Verfahren
vorgeſchrieben, da die Gewerbeordnung von 1845 die Dampfkeſſel nicht
hinreichend berückſichtigte. Der Erlaß der einzelnen Vorſchriften wurde
darum dem Handelsminiſterium überlaſſen, und von demſelben ſind ſeit
dieſer Zeit eine Reihe von Beſtimmungen techniſcher Natur ergangen
(ſ. Rönne, Staatsrecht II. §. 402. 3. 2). Bayern, Verordnung
vom 9. Sept. 1852, gleichfalls mit dem Grundſatz, daß die Dampf-
keſſel „von Zeit zu Zeit“ der Unterſuchung unterzogen werden ſollen
(Pözl §. 113). Weitere, weſentlich techniſche Aenderungen der früheren
Dampfkeſſelproben durch Verordnung vom 7. Aug. 1864 und Verordnung
vom 12. Febr. 1865. Sachſen-Meiningen, Verordn. v. 3. April 1865
(polizeil. Bewilligung). Sachſen-Weimar, Verordn. vom 19. Febr.
[87] 1863 iſt die Grundlage: polizeiliche Unterſuchung bei der Anlage; Ver-
ordnung vom 21. April 1866: polizeilich-techniſche Unterſuchung der
Dampfkeſſel ſelbſt. Württemberg: Verfügung vom 18. Febr. 1853
(Roller a. a. O. §. 211).
Gaserzeugung. England: Gasworks Clauses Act 1847.
10, 11 Vict. 15 enthält übrigens weſentlich alle andern Rechtsverhält-
niſſe der Gasanlagen. In Frankreich hat die Ordre vom 31. Mai
1842 die Polizei der Gasbeleuchtung in den Wohnungen, und die
Ordre vom 27. Jan. 1846 die Gaserzeugungs-Anſtalten geſchieden
und geregelt. In Oeſterreich iſt das Decret vom 27. April 1845
für beide Punkte, jedoch weſentlich für den letzteren erlaſſen. In Preußen
ſtehen ſie im Allgemeinen unter der Gewerbeordnung und dem Geſetz
von 1861, ohne Hervorhebung der Wohnungsbeleuchtung. In anderen
Staaten finde ich nichts.
Gifte. Giftpolizei, namentlich Farbenpolizei ſ. oben.
Zündhölzer. Ein eingehender Artikel bei Tardieu, Allumettes,
nebſt Literatur; eine eigene Verordnung beſteht jedoch hier ſo wenig als
in England. Oeſterreich: Verordnung vom 3. Sept. 1846 nebſt
mehreren Vorſchriften über explodirende Stoffe (ſ. StubenrauchI.
§. 218. 219). In Preußen hat man ſich auf das allgemeine Recht
des Geſetzes von 1861 beſchränkt (RönneII. 402). Bayern dagegen
hat eine neue Verordnung vom 8. April 1863, welche auch die Produk-
tion mit Arſenik, Glasſchleifereien, Spiegelfabrikation und Nadelſchlei-
ferei berührt, kaum mehr als die Grundlagen dieſer Polizei gelegt
(Pappenheim a. a. O. S. 169). Baden: Verordnung vom 28. März
1865 über Zündhölzerfabrikation und Polizei derſelben.
Die Schifffahrtspolizei glauben wir hier übergehen zu können.
Doch dürfen wir auf die franzöſiſche Geſetzgebung hinweiſen, welche
ſich der im übrigen Europa ſehr vernachläſſigten Frage ſpeziell zuge-
wendet hat. Verordnung vom 2. Juli 1853, das für jedes Schiff einen
Schiffswundarzt fordert (Tardieu, Dict. Hygiène navale mit Lite-
ratur). Das neueſte und ausführlichſte Werk iſt B. Fossangrois,
Traité de l’hygiène navale ou de l’influence des conditions physiques
et morales dans lesquelles l’homme de mer est appellé à vivre.
Paris 1856. I. Bd. S. 770. Die deutſche Geſetzgebung mangelt hier
ebenſo, wie die deutſche Literatur.
Im Allgemeinen läßt ſich nicht verkennen, daß hier Frankreich den
übrigen Ländern Europas voraus iſt, und daß ihm gegenüber England
ein unfertiges Princip, und Deutſchland eine unfertige Geſetzgebung hat.
[88]
III. Abſchnitt.
Das Heilweſen.
Begriff.
Trotz der großen Einfachheit, welche auch hier in dem Begriffe
an ſich liegt, iſt es doch nicht überflüſſig denſelben vor allen Dingen
formell und genau zu präciſiren. Denn während gewiß die Auffaſſungen
im Großen und Ganzen klar ſein mögen, ſind die Ausdrücke in ſo ver-
ſchiedenem Sinne gebraucht, daß eine feſte Ordnung der Wiſſenſchaft
ſpeziell für die Zwecke des Verwaltungsrechts ohne eine ſolche fachgemäße
Definition kaum zu erzielen ſein dürfte.
Die Heilung iſt ein phyſiologiſcher Proceß, den das Verwal-
tungsrecht natürlich vorauszuſetzen hat, wie den Begriff der Geſund-
heit. Die Heilkunde enthält die Geſammtheit der Kenntniſſe, Er-
fahrungen und Geſchicklichkeiten, vermöge deren die Geſundheit durch
menſchliche Hilfe hergeſtellt werden kann. Auch dieſer Begriff berührt
das Verwaltungsrecht nicht. Von der Heilkunde gehen dann mehr oder
weniger geeignete Beſtrebungen aller Art aus, welche dieſe Heilung her-
ſtellen wollen. So lange dieſe Beſtrebungen Sache des Einzelnen oder
vorübergehender Natur ſind, gehören ſie der Sphäre des Einzellebens.
Sowie dieſelben aber dadurch eine feſte und dauernde Geſtalt annehmen,
daß ſie entweder zum beſtimmten Lebensberuf Einzelner werden, oder
die ſpezielle Aufgabe einzelner, eigends für die Heilung beſtimmter An-
ſtalten bilden, wird die Heilung eine ſelbſtändige Funktion im Geſammt-
leben, mit eigenem Organismus und eigenen Aufgaben, und die Ge-
ſammtheit dieſer Funktionen und ihrer Organe nennen wir das Heil-
weſen.
Es ergibt ſich daraus, daß die erſte Grundlage eines guten Heil-
weſens die fachgemäße Bildung dieſer Organe im Sinne der Heilkunde
iſt; die zweite beſteht in der Gewißheit, daß die durch die Heilkunde
gewonnene Bildung in der Funktion der Heilung von Krankheiten auch
angewendet werde. Auf dieſen beiden Momenten beruht das, was
wir das öffentliche Heilweſen nennen.
Das öffentliche Heilweſen bezeichnet uns demnach diejenige Ord-
nung in der Heilung der Krankheiten, ſei es durch Perſonen, ſei es
durch Anſtalten, welche nach den Grundſätzen der Heilkunde vor ſich geht.
Allerdings nun ſcheint es zunächſt, als ſei es Sache des Einzelnen,
einerſeits ſich jene Bildung zu erwerben und ſie anzuwenden, andrer-
ſeits ſich ſelbſt bei vorkommenden Krankheiten vor denjenigen zu hüten,
[89] welche jene Bildung eben nicht erworben haben. Allein es bedarf keines
Beweiſes, daß das erſtere ohne eigends dafür beſtimmte Bildungsinſti-
tute dem ſich der Heilung Widmenden, das letztere aber vermöge der
Natur der Heilkunde niemanden möglich iſt.
Wenn es daher aus der höheren Aufgabe des Geſundheitsweſens
als ſelbſtändiges Gebiet der Verwaltung folgt, daß die Geſundheit über-
haupt Gegenſtand der letzteren iſt, und wenn die in der fachmäßigen
Bildung und Herſtellung des Heilweſens liegende Heilung ohne Bil-
dungsanſtalten und ihre wirkliche Benützung nicht erreichbar iſt, ſo ergibt
ſich, daß das Geſundheitsweſen zur Aufgabe hat, diejenigen Bedingungen
herzuſtellen, vermöge deren die Heilung nach den Grundſätzen der Heil-
kunde von den Einzelnen oder von öffentlichen Anſtalten auch wirklich
vorgenommen werde. Die Erfüllung dieſer Aufgabe erzeugt alsdann
natürlich eine Reihe von Vorſchriften der Geſetzgebung und Verwal-
tung, und die Geſammtheit dieſer öffentlich rechtlichen Vorſchriften bildet
das Recht des öffentlichen Heilweſens.
Das Princip dieſes Rechtes iſt ebenſo einfach als der Begriff
deſſelben. Die Verwaltung hat die Heilung ſelbſt niemals zu be-
ſorgen; ſie iſt Sache des Einzelnen, und nur wo die Kraft oder Mittel
deſſelben nicht ausreichen, muß ſie der Staat übernehmen. Die Grund-
ſätze aber, vermöge deren der Staat dieß zu thun hat, gehören nun
nicht ins Heilweſen, ſondern ins Armen- und Hilfsweſen. Der Einzelne
als ſolcher hat dagegen weder die Verpflichtung ſich überhaupt, noch
ſich nach den Regeln der Wiſſenſchaft heilen zu laſſen. Wo jedoch die
Heilung zur Sache des Lebensberufes eines Einzelnen oder zur ſpeziellen
Aufgabe einer beſtimmten Anſtalt wird, da muß die Verwaltung dafür
ſorgen, daß dieſe Heilung auf Grundlage der eigends dafür hergeſtellten
fachmänniſchen wiſſenſchaftlichen Bildung geſchehe. Auf dieſem Punkte
greift ſie in die freie Rechtsſphäre des Einzelnen ein, und ſo entſteht
das leitende Princip alles öffentlichen Rechts des Heilweſens, daß der
Erwerb der wiſſenſchaftlichen Bildung die Bedingung der
Ausübung der für das öffentliche Heilweſen beſtimmten
Funktionen ſein ſoll. Alle einzelne Beſtimmungen und Maßregeln
der Verwaltung des Heilweſens haben nur dieſen einen Zweck: ver-
möge des obigen Princips durch die fachmänniſche Bildung der Heil-
organe die Gemeinſchaft vor den Gefahren ungebildeter Heilkünſtler
und ſchlechter Heilanſtalten zu ſichern, und vermöge deſſelben ſcheidet
ſich auch das Gebiet dieſes Verwaltungszweiges auf das beſtimmteſte
von dem erſten Gebiete des Geſundheitsweſens, mit dem es nur zu
häufig zuſammengeworfen wird, dem Organismus des Geſundheitsweſens.
Die Aufgabe der öffentlich rechtlichen Organe des Geſundheits-
[90] weſens nämlich beſteht allerdings einerſeits darin, das Sanitätsweſen
nach den Geſetzen der Wiſſenſchaft zu ordnen, andrerſeits aber darin,
dafür zu ſorgen, daß die Glieder des öffentlichen Heilweſens jene Wiſſen-
ſchaft beſitzen, und ſie auch anwenden. Es hat daher mit der wirk-
lichen Heilung nichts zu thun, ſondern nur damit, daß ſie in richtiger
Weiſe von dem Heilorgane geſchehe. Daß die Perſonen, welche dem-
ſelben angehören, nicht bloß heilkundig gebildete, ſondern ſehr oft auch
ſelbſt praktiſche Aerzte und Apotheker ſind (nicht immer), macht zwar
durch dieſe Verſchmelzung zweier Funktionen in derſelben Perſon wohl
das Verſtändniß, nicht aber die Sache ſelbſt ſchwieriger. Es iſt viel-
mehr klar, daß wie beide Funktionen, obgleich auf derſelben wiſſen-
ſchaftlichen Grundlage, ein verſchiedenes Objekt haben — der Orga-
nismus des Geſundheitsweſens die öffentliche Geſundheit in ihren Be-
dingungen, die Organe des Heilweſens die Krankheit des Einzelnen
und die Bedingungen der Geneſung — ſo auch beide ein ganz verſchie-
denes Recht beſitzen; die Aufgabe der erſten iſt, das obige Rechts-
princip des Heilweſens in den Thätigkeiten der letzteren
zur Durchführung zu bringen. Und die Darſtellung der Formen
und Regeln nach denen dieß geſchieht, bildet das Rechtsſyſtem des
öffentlichen Heilweſens.
Der gewöhnliche Ausdruck für Heilweſen iſt Medicinalweſen. Jedoch
bezeichnet das Wort ebenſo das ganze Geſundheitsweſen. Natürlich iſt
die Bezeichnung an ſich gleichgültig; keineswegs aber iſt es einerlei, ob
man ſich dahin einigt, beſtimmte Begriffe mit beſtimmten Worten zu
verbinden, um dadurch unendlich viel Mühe zu ſparen. Wir wären
glücklich zu einer ſolchen Einigung hier Einiges beitragen zu können.
Die beiden Gebiete des Heilweſens.
Das Syſtem des Heilweſens iſt auf der obigen Grundlage ein ein-
faches; das Leben innerhalb deſſelben iſt dagegen reich genug.
Das Heilweſen umfaßt nämlich zuerſt die Geſammtheit aller, für
die Heilung beſtimmten berufsmäßigen Thätigkeiten; zweitens die für
die Heilung hergerichteten Inſtitute und Unternehmungen. Den erſten
Theil nennen wir das Heilperſonal, den zweiten die Heilanſtalten.
Zunächſt hat nun jeder dieſer Theile allerdings wieder ſein eigenes
öffentliches Recht und ſeine eigene Geſchichte, da die Rechtsbildung für
das Heilperſonal aus der berufsmäßigen Bildung der Univerſitäten her-
vorgeht und auf derſelben fortbaut, während die Heilanſtalten urſprünglich
[91] dem Armen- und Hülfsweſen angehören und mit dem Heilperſonal
Jahrhunderte hindurch ſo gut als gar nichts zu thun haben. Allein
die Erkenntniß der gemeinſamen wiſſenſchaftlichen Grundlage ſchafft all-
mählig eine Gegenſeitigkeit beider Gebiete, und damit wird der Cha-
rakter des ganzen Heilweſens zum großen Theil abhängig von dem Ver-
hältniß, in welchem beide zu einander ſtehen.
Dieß Verhältniß beruht nun ſeinerſeits darauf, daß mit dem Auf-
treten der Organiſation des Geſundheitsweſens und der immer allge-
meiner werdenden Forderung nach theoretiſcher Bildung des Heilper-
ſonals der ſyſtematiſche Verſuch gemacht wird, die Heilanſtalten zugleich
als Bildungsmittel für das Heilperſonal zu benutzen, indem die wirth-
ſchaftliche Leitung der erſteren den neuen Verwaltungsbeamteten, die
ſanitäre dagegen den wiſſenſchaftlichen Fachmännern übergeben wird.
Dadurch entſteht allmählig ein Syſtem der erſteren, das von großem
Einfluß auch auf die letztere wird. Und ſo erſcheint auch hier die Baſis
des Fortſchrittes in dem Ineinandergreifen der an ſich ſelbſtändigen
Theile.
A. Das Heilperſonal.
Begriff und Syſtem.
Dem formalen Begriffe nach umfaßt das Heilperſonal demnach die
Geſammtheit derjenigen, welche die Heilung der Krankheiten zu ihrem
Lebensberufe gemacht haben.
Seinem Weſen nach iſt nun dieſer Beruf ein für die ganze Ge-
meinſchaft der Menſchen beſtimmter, ein allgemeines Bedürfniß derſelben
befriedigende Thätigkeit. Er erſcheint daher allerdings als ein Theil
der öffentlichen Verwaltung; allein in ſeiner Ausübung wie in ſeiner
Benützung betrifft er das Individuum. Er enthält daher nicht eine
Funktion der Verwaltung, ſondern die letztere hat für ſie nur das oben
dargeſtellte allgemeine Rechtsprincip des Heilweſens zur Geltung zu
bringen, das iſt durch ihre Maßregeln die fachmänniſche Bildung
zur Bedingung der Ausübung dieſes Berufes zu machen.
Aus dieſer Grundlage gehen nun diejenigen einzelnen Sätze her-
vor, deren Geſammtheit das öffentliche Recht des Heilperſonals
bildet.
Das erſte, was dieſes öffentliche Recht fordert, iſt demnach, daß
die Verwaltung die öffentlichen Bedingungen dieſer berufsmäßigen
Fachbildung herſtelle. Die Art und Weiſe, wie dieß geſchieht, gehört
jedoch als allgemeine Vorausſetzung dem Bildungsweſen an, auf welches
wir daher hier verweiſen.
[92]
Das zweite Moment dieſes öffentlichen Rechts iſt das der Prü-
fung, mit welchem die berufsmäßige Bildung abſchließt. Für dieſe iſt
feſtzuſtellen, daß ſich Bildungsanſtalten und Prüfungen ſtets bedingen
und entſprechen, und daß daher auch die rechtliche Ordnung der einen
nicht ohne die der andern formulirt gedacht werden, oder in Entwick-
lung begriffen ſein kann.
Das dritte Moment iſt dann die Anerkennung des Berufes,
deſſen Bedingung durch die Prüfung als vorhanden geſetzt wird. Dieſe
Anerkennung aber enthält wieder einen ganz beſtimmten rechtlichen
Inhalt, deſſen weſentliche Punkte einerſeits in dem Recht auf freie Aus-
übung, andererſeits in dem Recht auf Ausſchließung der nicht berufs-
mäßig Anerkannten beſteht.
Daraus nun entwickelt ſich das, was wir das Syſtem des Heil-
perſonals nennen. Die Verſchiedenheit der Funktionen in der Heilung
der Krankheiten nämlich macht eine Beſchränkung des Berufes auf einen
beſtimmten Theil derſelben, damit eine Beſchränkung in der Bildung,
und damit eine Beſchränkung im Rechte der Ausübung möglich, wäh-
rend alle Berufsgenoſſen und ihre Funktionen dennoch wieder innerlich
Ein Ganzes bilden. Die auf dieſe Weiſe auf Grundlage der verſchie-
denen und ſpeziellen Fachbildung entſtehende Verſchiedenheit des öffent-
lichen Berufsrechts ergibt dann die rechtliche Geſtalt des Syſtems des
Heilperſonals. Die drei Hauptgebiete daher ſind das der Aerzte,
das der Apotheker, und das der Heildiener. Jeder dieſer Theile
hat wieder ſein eigenes Syſtem und ſein eigenes Recht mit ſeiner Ge-
ſchichte, und dieſes Recht und dieſe Geſchichte ſind wieder in den ver-
ſchiedenen Ländern ſehr verſchieden. Reich genug iſt alſo auch dieſer
Theil des Geſundheitsweſens.
Aus dem Begriffe der öffentlichen Funktion aber entſpringen in
Beziehung auf die einzelne Heilthätigkeit wieder gewiſſe Sätze, welche
dieſes Rechtsſyſtem im Einzelnen vervollſtändigen.
Zuerſt iſt das berufsmäßig gebildete Heilperſonal frei in ſeiner
Auffaſſung der Heilkunde, welche ſeiner Thätigkeit zum Grunde liegt.
Dafür aber iſt es zweitens verpflichtet, dem Kranken ſeine Hülfe
nicht zu verſagen, denn es iſt zwar kein Diener des Staats, und es
iſt ſinnlos von einem Diener des Publikums zu reden, wohl aber iſt
es Diener ſeines Berufes. Indem es dem Berufe folgt, hat es in
ſeinen öffentlichen Erklärungen das Recht des Berufes auf gerichtliche
Glaubwürdigkeit, und ſeine Anſprüche für Entgelt haben, da ſie die
Geſundheit als Bedingung aller perſönlichen Entwicklung betreffen, auch
das Vorrecht vor allen andern Arten von Forderungen.
Das ſind die allgemeinen Grundſätze, welche das öffentliche Recht
[93] des Heilperſonals bilden. Sie ſind weder ſchnell und gleichmäßig ent-
ſtanden, noch gelten ſie gleichmäßig. Es iſt nicht ſchwer, ſie einfach
zuſammenzuſtellen. Eine wahre Vergleichung indeß wird erſt dadurch
möglich, daß man die Verſchiedenheit der öffentlichen Rechtsbildung auf
ihren organiſchen Grund, die Verſchiedenheit der öffentlichen Fach-
bildung zurückführt. Durch die Verbindung dieſer Geſichtspunkte erſt
gewinnt die Lehre vom Heilperſonal ihr rechtes Leben und ihre Stel-
lung in der geſammten Auffaſſung des Staatslebens. Der leitende
Grundſatz aber iſt dabei, daß die öffentliche Anerkennung und das öffent-
liche Recht des Heilperſonals in jedem Theile ſeines Syſtems in dem
Grade höher ſtehen und klarer formulirt werden, in welchem die
Fachbildung ſtrenger und vollſtändiger iſt.
Von dieſem Geſichtspunkte aus muß das folgende öffentliche Recht
beurtheilt werden, wobei nicht vergeſſen werden darf, daß das Bildungs-
weſen ſeine ſelbſtändige Darſtellung fordert.
Elemente der Geſchichte des öffentlichen Rechts.
Faßt man nun demnach das öffentliche Heilperſonal im obigen
Sinne als ein Ganzes auf, ſo ſind die, allen Claſſen deſſelben gemein-
ſamen hiſtoriſchen Grundlagen folgende.
Die allgemeine Vorausſetzung jedes öffentlichen Rechts dieſes Be-
rufs iſt zunächſt die berufsmäßige Bildung, und das aus derſelben ſich
ergebende ſtändiſche corporative Recht des Berufsgenoſſen. Dieß über
dieſe ſtändiſche Bildung hinausgehende Ergebniß dieſer erſten Epoche iſt
die ſtaatliche Forderung an eine berufsmäßige Bildung überhaupt,
welche alsdann zur rechtlichen Bedingung der Ausübung dieſes Be-
rufs gemacht wird. Die Geſchichte aber dieſer ſtaatlichen Forderung
und des aus ihr hervorgehenden öffentlichen Rechts iſt dann allerdings
wieder für jede Claſſe des Heilperſonals verſchieden; der große Zug
derſelben aber iſt die unverkennbare Beſtrebung, jene Bildung ſo allge-
mein zu machen als möglich, und durch ſie die Heilung von jeder aus
der Unkenntniß der wiſſenſchaftlichen Grundſätze entſpringenden Gefah-
ren zu ſchützen.
Die Hauptformen, in denen dieſer große, noch nicht beendete Proceß
verläuft, ſind folgende.
In der Geſchlechterordnung gibt es noch keine berufsmäßige Heil-
kunde, alſo auch noch kein berufsmäßiges Heilperſonal. Die erſte iſt
nur noch ein höheres Gewerbe. Es mangelt daher hier alles öffentliche
Recht des letzteren. Selbſt da, wo aus der Geſchlechterordnung unmit-
telbar die ſtaatsbürgerliche Ordnung hervorgeht, wie bei den Römern,
[94] behält die Heilkunde den gewerbsmäßigen Charakter, und das Heilweſen
erhebt ſich daher überhaupt nicht zu einem Gebiete der Verwaltung.
In der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung dagegen tritt die berufs-
mäßige Bildung ſelbſtändig auf, und zwar einerſeits mit corporativer
Verwaltung und Rechten des höheren Heilperſonals, der Doctores
medicinae, andererſeits aber auch mit ſtrenger ſtändiſcher Ausſchließung
gegenüber der nicht berufsmäßig Gebildeten. So entſteht die tiefe Schei-
dung innerhalb des Heilperſonals der ſtändiſchen Epoche, welche auf
einem qualitativen Unterſchied beruht, und jede Gemeinſchaft und Gleich-
artigkeit des öffentlichen Rechts in dieſer Zeit ausſchließt. Wir bezeich-
nen ſie demgemäß als das berufsmäßige und das gewerbsmäßige
Heilperſonal. Die erſteren empfangen die ſtrenge corporative Selbſt-
verwaltung, die ſich zunächſt an die Univerſitäten anſchließt, die letzteren
bleiben dagegen reines Gewerbe, das ſich als ſelbſtändige Zunft ordnet.
So entſtehen die, ſpecifiſch der germaniſchen Welt angehörigen Unter-
ſchiede zwiſchen der Claſſe der Aerzte einerſeits, denen ſich die Apo-
theker anreihen, und der Wundärzte, Bader, Feldſcheerer u. ſ. w.
andererſeits. Das erſte Princip des öffentlichen Rechts dieſes Unter-
ſchiedes erſcheint dann in der Ausſchließung der letzteren von den inne-
ren Krankheiten, und in der Anſchauung der erſteren, daß die techniſche
Behandlung der äußeren Krankheiten ſie entwürdige. Die zweite Folge
iſt das Entſtehen der Verfolgung der Kurpfuſcherei. Die dritte endlich
iſt die Unterordnung der geſammten zweiten Claſſe unter die erſtere.
Der Widerſpruch, der darin mit der höheren Natur des Heilweſens
liegt, wird nun namentlich ſeit dem Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts
allmählig durch den Fortſchritt der mediciniſchen Wiſſenſchaften immer
klarer, die Vorſtellung, daß die äußeren Krankheiten der letzteren nicht
bedürfen, immer mehr verdrängt, und das gewerbliche Element in den
niederen Claſſen des Heilperſonals mehr und mehr beſeitigt. Die Grund-
lage dieſer Entwicklung iſt weſentlich der Gedanke, daß der ärztliche
Beruf im weiteſten Sinne ein öffentlicher, ein munus publicum ſei,
und daher in allen ſeinen Theilen eine gewiſſe gleichartige Grundlage
haben müſſe. Dieſe Erkenntniß findet zuerſt ihren Ausdruck in dem
Entſtehen der ſtaatlichen Geſundheitsverwaltung, und die erſte, wenn
auch nur äußerliche Verbindung der verſchiedenen Claſſen wird durch
die Herſtellung einer dem ganzen Heilperſonal gemeinſamen oberſten
Verwaltung angebahnt. Dieß geſchieht durch die Collegia medica
und sanitatis ſeit dem achtzehnten Jahrhundert. Aus der formalen
Gemeinſchaft unter dieſer „Sanitätspolizei“ entwickelt ſich langſam eine
innere, die in der immer ſtrenger geordneten fachmänniſchen Bildung
der zweiten Claſſe ins Leben tritt, und in der allmähligen Aufhebung
[95] des Unterſchiedes zwiſchen Aerzten und Wundärzten ihren Ausdruck
findet. Mit der Verſchmelzung dieſer beiden Claſſen tritt nun die Baſis
des gegenwärtigen Zuſtandes ein, der auf dem wiſſenſchaftlichen Unter-
ſchiede der Heilung und des Geſundheitsdienſtes beruht, und
den durchgreifenden Unterſchied der Aerzte und Apotheker und der
Geſundheits- oder Heildiener auch durch die berufsmäßige Bildung
durchführt.
Das öffentliche Recht dieſes Unterſchiedes und der zwei durch ihn
gebildeten Claſſen des Heilperſonals beſteht nun in dem an ſich ein-
fachen Satz, daß die Geſammtheit aller Thätigkeiten, welche die Hei-
lung der Krankheiten zum unmittelbaren Zweck haben, die vollſtän-
dige berufsmäßige Bildung vorausſetzen (alle Arten der Aerzte), wäh-
rend diejenigen Thätigkeiten, welche jenen erſteren nur techniſche Hülfe
leiſten, auch nur eine ſpezielle techniſche Bildung fordern (Apotheker,
Hebammen, niedere Heildiener); diejenigen dagegen, welche es mit den
phyſiſchen Zuſtänden der Geſunden zu thun haben, reine Gewerbe
werden (Raſirer, Bader).
Nachdem auf dieſe Weiſe das rein gewerbliche Element durch die
Entwicklung der Wiſſenſchaft aus dem Heilperſonal und dem Heilweſen
überhaupt ausgeſchieden iſt, iſt es nunmehr die Aufgabe der Verwal-
tung, die Bildung und die derſelben entſprechenden Rechte des Heil-
perſonals als ein Ganzes aufzufaſſen und zu ordnen. In der That
geht die gegenwärtige Entwicklung dahin, dieß auf wiſſenſchaftlicher
Grundlage durch die Vorſchriften der Geſundheitsverwaltung auch wirk-
lich zu leiſten. Der Grundzug der ſomit entſtehenden Rechtsbildung iſt
der Gedanke, das öffentliche Rechtsverhältniß der Aerzte dem der übrigen
Theile des Heilperſonals zum Grunde zu legen, und die Spezialbil-
dungen und Prüfungen für die Theilung der Leiſtungen im Heil-
dienſte zu fordern. Eine Codifikation iſt dazu nicht nothwendig; wohl
aber eine einheitliche Auffaſſung des Ganzen und ſpeziell der auf die
einzelnen Gebiete des Heildienſtes bezüglichen Vorſchriften. Es iſt
dadurch allerdings ein Syſtem entſtanden, aber das ſyſtematiſche Ele-
ment liegt naturgemäß in der Wiſſenſchaft; kaum zum Schaden der
Sache. Eine gleichartige Entwicklung hat jedoch ſchon darin unter den
verſchiedenen Völkern Europas nicht ſtattfinden können, weil einerſeits
die mediciniſche Bildung auf einem ſo verſchiedenen Standpunkt ſteht,
und andererſeits das gewerbliche Leben und Recht eben ſo wenig
gleichartig iſt. Das charakteriſtiſche Element iſt dabei ſtets die Stel-
lung, welche die höchſte Medicinalbehörde einnimmt, und zwar
ſpeziell das Verhältniß derſelben zur fachmänniſchen Bildung des Heil-
perſonals.
[96]
Eben deßhalb iſt nun wohl in keinem Theile des geſammten Ge-
ſundheitsweſens der Unterſchied der Organiſation und des öffentlichen
Rechts ein ſo großer, als gerade bei dem Heilperſonal. Er iſt gleich-
ſam der formulirte Ausdruck des öffentlichen Bildungszuſtandes des
Heilperſonals in den verſchiedenen Ländern. Eine unmittelbare Ver-
gleichung wird daher ſehr ſchwierig, und kann nur vom allgemeinſten
Geſichtspunkte aus geſchehen. In England gab es bis vor wenig Jah-
ren gar kein öffentliches Recht des Heilperſonals, weder des höheren
noch des niederen. In Frankreich beſteht daſſelbe zwar, und mit ganz
beſtimmter Unterſcheidung des öffentlichen Rechts der berufsmäßig und
gewerbsmäßig Gebildeten, der Docteurs en médecine und der Officiers
de santé, allein bei der völligen Unzulänglichkeit der eigentlichen Be-
rufsbildung hat die Geſetzgebung ſich namentlich auf die Feſtſtellung
des öffentlichen Rechts der letzteren als Aushülfsmittel für den Mangel
der erſteren hinwenden müſſen; in ihnen liegt die Schwierigkeit des
ganzen Heilweſens Frankreichs, und die wird es bleiben, ſo lange nicht
mehr mediciniſche Facultäten entſtehen. In Deutſchland dagegen iſt
die Zahl der berufsmäßigen Aerzte wieder ſo groß, daß die Claſſe der
eigentlichen Heildiener beinahe ganz verſchwindet, ein Bedürfniß nach
einem öffentlichen Recht derſelben gar nicht exiſtirt, und ſo weit die
Claſſe noch beſteht, die volle berufsmäßige Bildung mehr und mehr
von ihr gefordert wird, ſo daß es zwiſchen Gewerbe und Beruf hier
keinen Uebergang mehr gibt. Auf demſelben Standpunkt ſtehen Holland
und Skandinavien, während Belgien das franzöſiſche Princip befolgt.
Es wird eben deßhalb ſehr ſchwer werden, im Folgenden ein Bild zu
geben, das nicht den Grundcharakter deutſcher Zuſtände an ſich hätte;
um ſo mehr, da das deutſche Recht entſchieden das Muſter für alles
dasjenige iſt, was ſich bei den andern Völkern theils gebildet hat, theils
bilden will.
Wir werden die Eintheilung daher auch nicht nach den obigen
allgemeinen Kategorien, ſondern nach den einzelnen Arten des höheren
und niederen Heilperſonals aufſtellen.
I. Die Aerzte und ihr öffentliches Berufsrecht.
Das gegenwärtige Syſtem des ärztlichen Berufsrechts iſt allmählig
gebildet, und hat erſt in unſerem Jahrhundert ſeine ziemlich allgemein
gültige Geſtalt empfangen, in der jedoch die früheren hiſtoriſchen Ele-
mente aufgenommen und verarbeitet worden ſind.
[97]
Das ärztliche Berufsrecht beginnt in der That erſt mit dem Auf-
treten der Univerſitäten und dem aus ihnen hervorgehenden Syſtem der
fachmänniſchen Bildung. Das ärztliche Recht der Römer iſt nur ein
bürgerliches Recht, und die Heilung nur durch die Grundſätze der bür-
gerlichen culpa geſchützt. Die Entwicklung des eigentlichen Berufsrechts
erſcheint dagegen in drei großen Stadien.
Die erſte Epoche enthält den, zum öffentlich ſtändiſchen Recht er-
hobenen Grundſatz, daß das Recht, ſich zum berufsmäßigen Arzt, Doctor
medicinae, zu erklären, die mediciniſchen Facultätsſtudien und Prü-
fungen vorausſetzt, und die ärztliche Eidesleiſtung fordert. Die erſte
vollſtändige Formulirung dieſer Grundſätze iſt die Organiſation der
Schule von Salerno unter Friedrich II. 1232 (Constit. Siculorum III.
34). Das ethiſche Element der Berufsbildung iſt durch die im Eide
gegebene Verpflichtung enthalten, die Kranken zu beſuchen; das admini-
ſtrative in der erſten Taxe. Allein noch ſtehen die Doctores als ganz
ſelbſtändiger Stand, ohne Beziehung auf das übrige Heilweſen da, und
Bildung, Prüfung und Recht ſind mehrere Jahrhunderte hindurch aus-
nahmsweiſe Verhältniſſe für die eigentlichen Aerzte. Daneben aber iſt
der Wundarznei ſchon zu gleicher Zeit die Möglichkeit ſelbſtändiger wiſſen-
ſchaftlicher Bildung geboten.
Erſt mit dem fünfzehnten, namentlich aber mit dem ſechzehnten
Jahrhundert verbreitet ſich der Stand der Doctores mit der Ausbrei-
tung der Univerſitäten. Das Entſcheidende dabei wird dann die Auf-
nahme der berufsmäßigen Aerzte als Phyſici in der Stellung eines
Gemeindebeamteten, welche neben dem rein ſtändiſchen das öffentlich
rechtliche Moment zuerſt in die Stellung der Aerzte hineinbringt. Damit
theilt ſich nun auch allmählig die Bildung ihres öffentlichen Rechts in zwei
Gebiete. Das erſte beſteht aus den Univerſitäts- oder Studien- und
den Prüfungs- oder Promotions-Ordnungen der Doctores; das zweite
wird gebildet durch die, noch immer örtlichen Medicinal- und Apotheker-
ordnungen der Obrigkeiten, die im Grunde nur die Ideen der ſalerni-
taniſchen Vorſchriften auf jene Gemeindeärzte anwenden, ohne daß dabei
eine irgendwie nachweisbare Scheidung des amtlichen und des freien
berufsmäßigen Elementes durchgeführt werden könnte; doch bürgert ſich
von da an der Grundſatz ein, daß die ärztliche Funktion überhaupt ein
munus publicum ſei. Von einem ſpeziellen Recht der Aerzte iſt dabei
noch keine Rede; allein die berufsmäßige Bildung ordnet ſich ſchon jetzt
die gewerbsmäßige Praxis unter, und legt damit den Grund zur Ent-
ſtehung der beiden großen Claſſen des Heilperſonals, indem die gewerb-
liche Heilkunde neben der berufsmäßigen als ſelbſtändige Innung und
Zunft mit Gewerberecht erſcheint, und ihre techniſchen Thätigkeiten im
Stein, die Verwaltungslehre. III. 7
[98] Heilweſen dem Berufsmäßigen und ſeinen Anordnungen unterordnet.
Das achtzehnte Jahrhundert, das dieſe Epoche abſchließt, macht dann
aus dem bisher örtlichen Recht ein allgemein öffentliches, indem nament-
lich die Studien und Prüfungsordnungen jetzt nicht mehr den Univerſi-
täten überlaſſen, ſondern durch die höchſten Medicinalbehörden feſtgeſtellt
und die Gränzen der Praxis ſcharf nach dem Maß der geſetzlichen Bil-
dung beſtimmt werden. So wird jener Claſſenunterſchied auf Grund-
lage der doppelten Bildung aus einem bis dahin, wir möchten ſagen,
rein gemeindlichen Rechtsverhältniß zu einem ſtaatsrechtlichen, und die
Claſſifikation des Heilperſonals in beſtimmten, je mit eigener ärzt-
lichen Heilberechtigung verſehenen Claſſen der Aerzte, Chirurgen und
niederen Wundärzte ſtellt ſich feſt, die im Grunde nur die Entwicklung
der älteſten Auffaſſung des Unterſchiedes von Medicin und Chirurgie
in Salerno enthält; zugleich aber der Gedanke einer oberaufſehen-
den Gewalt über die Praxis, durch welchen der Beruf vielfach den
Charakter eines Amtes bekommt.
Das gegenwärtige Jahrhundert hat nun die Elemente der bisherigen
öffentlichen Rechtsbildung in ſich aufgenommen und ſie weſentlich nur
juriſtiſch formulirt; der durchgreifende Fortſchritt beſteht in dem, nament-
lich in Deutſchland ſichtbaren und in den Studien-, Prüfungs- und
Praxisordnungen erſcheinenden Streben, nach der möglichſten Gleich-
heit in dem Rechte für alle dem ärztlichen Berufe angehörenden Per-
ſonen, ſpeziell aber in der Aufhebung der Unterſchiede in Bildung und
Recht der Medicin und Chirurgie. Dieſes Syſtem der Aerzte formulirt
ſich jetzt daher in einem Syſtem des öffentlichen Rechts derſelben,
das in drei Theile zerfällt. Der erſte Theil iſt das Doctorats- oder
das Studien- und Prüfungsrecht, das zweite das Recht der Praxis,
das dritte die Pflicht des Berufes. Man kann wohl ſagen, daß jeder
dieſer Theile nicht bloß ſeine eigene Geſetzgebung, ſondern auch ſeine
Geſchichte hat, die ſelbſt im Einzelnen von hohem Intereſſe iſt.
Die Geſchichte des öffentlichen Berufsrechts der Aerzte iſt mit
wenigen Ausnahmen nur von Aerzten unterſucht. Den Hauptanſtoß
gab auch hier Franks ausgezeichnetes Werk; namentlich Bd. VI. Ge-
ſchichte der Verordnungen von 1140 von Mayr in Salerno (Prüfung
der Aerzte, wohl auf Grundlage des Staatsrechts) und der Organiſa-
tion der mediciniſchen Fakultät von Salerno. Grundſatz: drei Jahre
Logik und allgemeine Wiſſenſchaften und fünf Jahre Fachſtudien; dann
Prüfung von den Profeſſoren, Zeugniß und venia; darauf der Eid
der Doctores; ebenſo Studium und Prüfung der Apotheker und Chirurgen
[99] nebſt Eid und venia. Der Eid enthält die Verpflichtung zum
Beiſtande bei Armen auf eigene Koſten, wohl nach l. 18. 28 Dig. de
Munerib. et Honorib. l. 13 Cod. de Vacat. et Exclusionibus. Dann
ſchließt FrankVI. 179 die ganze, jetzt ſo wenig beachtete Literatur
des ſechzehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts (Sachs, Zacchias,
Rippe u. A.) bei der das ethiſche berufsmäßige Element als munus
publicum auftritt. Die beſte Geſchichte des ſeit dem vierzehnten Jahr-
hundert ſich allmählig entwickelten Verhältniſſes der Chirurgie und ihrer
allmähligen wiſſenſchaftlichen Bildung bei FrankVII. 2. 6. Das Reichs-
polizeigeſetz von 1548 hat die Chirurgen noch unter den Handwerkern;
das öſterreichiſch privilegirte Chirurgaeum vom 28. Febr. 1686 erkennt
ſie jedoch ſchon als Kunſt; 1679 werden die Chirurgen den Apothekern
vorgeſetzt. Entſtehung und Recht der Phyſici, des Namens der „Aerzte,“
ſeit dem fünfzehnten Jahrhundert; die Verordnung von Kaiſer Sigis-
mund vom vierzehnten Jahrhundert. Die folgende Zeit iſt weniger aus-
führlich. (Stoll, Staatswiſſenſchaftliche Erfahrungen über Medicinal-
weſen I. 102.) Geſetze und Vorſchriften der Corpus juris und Cod.
Theodosianus p. 141. Aelteſte Verfügung gegen Kurpfuſcher im
Freibrief der Univerſität Tübingen 1477; die Medicinal- und Apotheker-
ordnungen theils im Anſchluß an die C. C. Carolina, theils ſelbſtändig:
Würzburg 1502, Augsburg 1512, Cöln 1493 (Ehrhardt a. a. O.
namentlich I. 12.) Die römiſchen und canoniſchen Vorſchriften über das
Recht der Aerzte und ihre Praxis; über Salernum I. 16 ff. Arzt- und
Apothekerordnungen des ſechzehnten Jahrhunderts I. 23. Erſte Vor-
leſung über Medicina forensis 1650—1700. I. 25. Die ſpäteren Ve-
ſtimmungen ſind meiſt an die Errichtung der Collegia medica ange-
ſchloſſen. Die deutſche ſtaatswiſſenſchaftliche Literatur, im Grunde ganz
von der mediciniſchen Richtung beherrſcht, hat das Heilperſonal faſt nur
als einen Gegenſtand der Staatsverwaltung, als eine „Sorge für
ein taugliches Medicinalperſonal“ u. ſ. w. behandelt. Von der öffent-
lich-rechtlichen Stellung deſſelben iſt in der Theorie faſt gar nicht die
Rede. Der einzige (uns bekannte) geſetzliche Ausſpruch iſt der des
preußiſchen allgemeinen Landrechts II. 2. §. 505, welches das Heilper-
ſonal als Perſonen bezeichnet, „welche ohne Beamtete zu ſein, doch dem
öffentlichen Wohle verpflichtet ſind;“ ein folgendes Reſcript bei Rönne’s
Medicinalweſen I. 288 ſagt, daß ſie bei gerichtlichem Verfahren und
in Disciplinarſachen als Beamte, im übrigen als kunſtverſtändige Ge-
werbtreibende behandelt werden ſollen. (Vergleiche Rönne, Staats-
recht II. 352.)
Die ſpezielle Geſchichte des ärztlichen Rechts in Preußen: Horn,
das preußiſche Medicinalweſen Bd. II. S. 1 ff.; Rönne und Simon,
[100] das Medicinalweſen des preußiſchen Staates I. 12. ff. — Oeſterreich:
Kopetz, Polizeigeſetzkunde I. §. 384 und II. 760; FrankVII. S. 321;
derſelbe über die früheren Verhältniſſe der Chirurgie in Sachſen
und Bayern daſelbſt 2. 6. nebſt dem Grundgedanken, daß Chirurgie
und Medicin vereint werden müſſe. — Baden: Die in den weſent-
lichen Punkten noch jetzt gültige Medicinalordnung von 1806. Das
Spezielle folgt.
Was ſpeziell England betrifft, ſo iſt es am weiteſten zurück.
Hier galt bis auf die neueſte Zeit der Grundſatz, daß es kein öffent-
liches Berufsrecht der Aerzte (ebenſowenig der Apotheker) gibt. Die
Verwaltung kümmerte ſich gar nicht um die Bildung und das Recht
derſelben; geſetzlich war kein Diplom zur Praxis erforderlich. Der
ſogen. Doctor in medicine lernte nur bei einem andern, meiſt nur
ausübenden Chirurgen; nur galt das Geſetz, daß ſich Niemand Doctor,
Physician oder Surgeon öffentlich nennen darf, der nicht eine
Prüfung bei einer mediciniſchen Genoſſenſchaft, wie ſie dort ohne
Oberaufſicht beſtehen, als College of Surgeons, of Physicians u. ſ. w.
beſtehen, oder bei einer University abgehalten hat. Vorſchriften über
den Bildungsgang, Gegenſtand der Prüfung, Verpflichtungen der Aerzte
oder Aehnliches beſtanden keine; es war rein fakultativ, ob der Ein-
zelne einen — etwa viermonatlichen — Curſus in einem Hoſpital durch-
gemacht oder nicht. Das alles hat nun das Statut 20, 21. Vict. zu
ändern unternommen (ſ. unten). Mediciniſche Fakultäten beſtehen zwar,
aber dieſelben ſind auch jetzt ohne Recht gegenüber den Aerzten; ſie
werden wenig benützt und haben nur einen „ornamentalen Charakter.“
Daher denn das Mißverhältniß, daß die meiſten Aerzte — surgeons —
ihre eigene Apotheken halten, in Folge deſſen umſonſt kuriren und ſich
in den Medicinen bezahlen laſſen — natürlich ohne Recepte; viele
haben eine ſtereotype ſelbſtgemachte Taxe (jede Flaſche Medicin zwei
Schilling, Conſultation gratis). Schlimmer noch das Apothekerweſen
(ſ. unten). „Ueber kurz oder lang wird,“ ſagt ein Fachkenner, das
Medicinalweſen unter die Oberaufſicht des Staates geſtellt werden müſſen,
ſo ſehr ſich auch die Fanatiker des free trade in dieſem Augenblick da-
gegen ſträuben.“ Eine Literatur darüber exiſtirt nicht. Ueber das Ver-
hältniß der Univerſitäten zur mediciniſchen Bildung ſ. unter Englands
Berufsbildungsweſen. (Vergl. V. A. Huber, die engliſchen Univerſitäten
Bd. II. S. 471. ff.) Die Unverträglichkeit dieſer Zuſtände hat ſich
jetzt in dem citirten Geſetz geltend gemacht und das obige Wort bewahr-
heitet; allein es wird große Anſtrengungen und namentlich die Ein-
führung geeigneter mediciniſcher Bildungsanſtalten, an denen es in
England fehlt, fordern, um ein wirkliches Reſultat zu erzielen. — Das
[101] franzöſiſche Syſtem iſt eben ganz neu; ſeine Geſchichte beginnt mit der
Université, und ſein Inhalt gehört dem Folgenden. In ganz ähnlichem
Verhältniß ſtehen Belgien und Holland, nur mit dem allerdings großen
Unterſchiede, daß hier zwar kein organiſches Recht der Aerzte, wohl aber
die Bildungsanſtalten auf den Univerſitäten vorhanden waren, und ſich
das neue Recht daher einfach an die letztere anſchließen konnte.
Auf Grundlage dieſer allgemein hiſtoriſchen Zuſtände hat ſich nun
dasjenige entwickelt, was wir das Syſtem der Aerzte nennen möchten.
Daſſelbe beruht darauf, daß mit den großen Medicinal-Polizei-
geſetzgebungen der Gedanke entſteht, nicht bloß im Allgemeinen, ſondern
auch im Speziellen das Recht auf die beſonderen Gebiete der Praxis
an eine beſondere Bildung und Prüfung zu binden — ein Gedanke,
der, wie ſchon erwähnt, Deutſchland und zwar im vorigen Jahrhun-
dert eigenthümlich iſt. Das ärztliche Perſonal und das ärztliche Recht
bietet daher bis auf die neueſte Zeit ein buntes, zum Theil höchſt pedan-
tiſch geordnetes Bild, dem gegenüber erſt in unſerem Jahrhundert die
Ueberzeugung ſich Bahn bricht, daß eine ſolche Claſſifikation der Aerzte
weder wiſſenſchaftlich haltbar, noch auch in der Praxis durchführbar ſei.
Dieſer Gedanke hat noch keineswegs ganz geſiegt. Wir müſſen unſere
Zeit in dieſer Beziehung als Uebergangsperiode betrachten, und die
großen Verſchiedenheiten, welche daher auch in Europa gelten, auf mög-
lichſt einfache Kategorien zurückführen.
Die erſte Gruppe von öffentlichem Recht iſt durch diejenigen Län-
der gebildet, bei welchen das berufsmäßige Doctordiplom ohne Staats-
prüfung das Recht auf die volle Praxis gibt, und zwar ohne beſondere
Bildung und Prüfung für die einzelnen Zweige der Heilkunde, und
ohne öffentliche Stellung des niederen Heilperſonals. In dieſen Län-
dern iſt der Doctor medicinae der alleinige und zu jeder Praxis be-
rechtigte berufsmäßige Arzt; aber dafür hat er auch das ausſchließ-
liche Recht auf die ärztliche Funktion. Dazu gehören namentlich die
meiſten kleineren deutſchen Staaten, Skandinavien, und in der neueſten
Zeit Holland.
Die zweite Gruppe bildet die Doctores medicinae gerade ſo wie
die erſten, fordert aber eine ſpezielle Bildung für einzelne Fächer
(namentlich Augen- und Zahnheilkunde), nebſt einer eigenen Staats-
prüfung. An der Spitze ſteht hier das preußiſche Syſtem in ſeiner
neueſten Geſtalt, und das öſterreichiſche, dem jedoch die beſondere
Staatsprüfung fehlt.
[102]
Die dritte Gruppe hat die Doctores medicinae, aber daneben
das Syſtem der Heildiener, welche ohne beſtimmte ſcharf zu bezeichnende
Gränze eine gewiſſe wiſſenſchaftliche Bildung haben müſſen, aber da ſie
keine Univerſitätsſtudien machen, auch einer rein ſtaatlichen Prüfung
niederen Grades unterliegen. Das iſt das Syſtem Frankreichs mit
ſeinen Officiers de santé und ſeiner Jury médicale, welche prüft und
Zeugniß gibt.
Die vierte Gruppe endlich zeigt uns in der neueſten Zeit Eng-
land, in welchem die berufsmäßige Prüfung und die Ertheilung des
Doctorgrades durch eine Staats-Prüfungscommiſſion eingeführt iſt, aber
daneben das ungeprüfte Heilperſonal ohne alle Bildung und Ober-
aufſicht beſtehen und die Heilkunde ausüben läßt.
Es leuchtet nun wohl ein, daß auf dieſen ſo äußerſt verſchiedenen
Grundlagen eine gemeinſchaftliche Darſtellung des Rechts der Aerzte
und ihres Syſtems nicht füglich möglich iſt. Wir müſſen daher für das
poſitive Verwaltungsrecht daran feſthalten, daß bis jetzt die geltende
Ordnung nur für jedes einzelne Land gegeben werden kann. Wenn
man jedoch nach den Grundſätzen der Verwaltungslehre neben denen
des Verwaltungsrechts fragt, ſo ſind ſie wohl ſehr einfacher Natur,
und enthalten in der That nur die wiſſenſchaftliche Formulirung der
Thatſachen, welche ſich vor unſern Augen ohnehin vollziehen. Eine
Scheidung oder Claſſifikation der Aerzte nützt eben ſo wenig als eine
Specialprüfung. Die Fachbildung ſoll allen gemein, das Recht aber
gleich ſein. Die Fachprüfung der Univerſität muß genügen; dafür aber
müſſen die Univerſitäten ſelbſt wieder zu genügen im Stande ſein. Der
Schwerpunkt hat daher in den Studien und Prüfungsordnungen zu
liegen, ſtets unter der Vorausſetzung, daß die (praktiſche) Klinik mit
der Theorie verbunden bleibe. Hier liegt die Hauptſache niemals in
den Geſetzen, Formen und Prüfungen, ſondern in dem wiſſenſchaftlichen
Geiſte, der den Beruf erfaßt, und es iſt feſtzuhalten, daß auch die
beſte Prüfung nie die Gewähr für einen guten Arzt, ſondern nur die
für ein Minimum der für das Heilweſen erforderlichen Kenntniſſe geben
kann und gibt.
Bei weitem die meiſten deutſchen Staaten halten den Grundſatz
feſt, daß die Studienordnungen der mediciniſchen Fakultäten das
Bildungs- und die Promotionsordnung das Prüfungsrecht enthalten
und erſchöpfen. Ueber einſchlagende Beſtimmungen des vorigen Jahr-
hunderts, ſpeciell auch die Prüfungen und Zulaſſungen zur Praxis
betreffend, ſiehe Berg, Polizeirecht II. S. 83; Bergius, Polizei- und
[103] Cameral-Magazin IV. 336; Erhardt a. a. O. I. 152 nebſt der hiſto-
riſchen Literatur; allerlei zum Theil unpraktiſche Wünſche und Forde-
rungen bei Nicolai, Sanitätspolizei II;Mohl, Polizeiwiſſenſchaft I.
§. 33. Ueber die im vorigen Jahrhundert vielbeſprochene Idee, die
Landgeiſtlichen als Aerzte zu verwenden, bei FrankVII. S. 379 ff.
In Oeſterreich iſt für die Aerzte die Studienordnung vom 1. Okto-
ber 1850, für die Magiſter der Chirurgie die obligate Ordnung vom
19. Januar 1810, 20. April 1833 und 17. November 1834 maßgebend;
das Doktorat der Chirurgie kann durch ein eigens eingerichtetes Stu-
dium von dem Magiſter erworben werden. Neben dieſem beſtehen noch
die Patrone der Chirurgie (approbirte Wundärzte), ſo daß die Chirurgie
noch immer viel Handwerksmäßiges an ſich trägt. (Gremialordnung
vom 10. November 1821 und Erlaß vom 10. Juli 1854 [Wien].
Stubenrauch, Verwaltungsgeſetzkunde, §. 286. Chirurgiſche Special-
ſchulen. Brachelli, Staaten Europas, S. 564.) Da jedoch die meiſten
Doktoren der Medicin zugleich Doktoren der Chirurgie und der Geburts-
hülfe werden, ſo wird die praktiſche Unhaltbarkeit des bisherigen Rechts
kaum zweifelhaft ſein. Die früheren Prüfungen für das „Magiſterium“
der Augen- und Zahnheilkunde (Dekret vom 19. Januar 1810
und 6. December 1819) ſollten beſeitigt werden. Eine Staatsprüfung
neben dem Doktorat gibt es nicht (Stubenrauch, Verwaltungs-
geſetzkunde II. §§. 280, 281). Eine ganz ſpecielle Darſtellung der
einzelnen Punkte gibt Jurié, Pflichten und Rechte der Obermedicinal-
Aerzte 1847. Die Entwicklung der preußiſchen Geſetzgebung iſt in dieſer
Beziehung nicht minder wichtig. In Preußen iſt der Unterſchied
zwiſchen Aerzten und Chirurgen, noch weitläufig mit Unterſcheidung von
zwei Claſſen der letzteren und beſonderem Studiengang, vorgeſchrieben
durch die Claſſifikations- und Prüfungsordnung vom 24. Auguſt 1825
und das Staatsprüfungsreglement vom 1. December 1825. Erſt in der
neueſten Zeit hat man die ganze alte, nutzloſe und zum Theil ſchäd-
liche Claſſifikation (Aerzte, Wundärzte erſter und zweiter Claſſe) beſeitigt
und durch das Reglement vom 8. Oktober 1852 die Einheit und Gleich-
heit der Bildung und des Rechts hergeſtellt (ſ. die Verordnung voll-
ſtändig bei Horn, Medicinalwiſſenſchaft I. S. 1 ff.). Alle Aerzte
müſſen jetzt die Univerſitätsbildung durchmachen und die Doktorats-
prüfung beſtehen. Derſelben folgt jedoch noch immer eine (überflüſſige)
Staatsprüfung durch die Ober-Examinations-Commiſſion und die Dele-
gation derſelben (Rönne, Staatsrecht II. §. 231 und §. 352; die
frühern Prüfungsordnungen bei Rönne und Simon, Medicinalweſen
des preußiſchen Staats I.; das erſte Staatsprüfungsreglement vom
1. Febr. 1798 ebend. S. 344 ff.). In den kleineren deutſchen Staaten
[104] beſtehen wohl noch mannigfach, zum Theil nach dem alten preußiſchen
Muſter, die Claſſen der Aerzte fort; ſo hat Württemberg noch den
Arzt mit zwei Staatsprüfungen (Verordnung vom 13. Febr. 1832)
und Chirurgen gar in drei Claſſen (Verordnung vom 14. Okt. 1830.
Roller a. a. O. §§. 128, 182). Sachſen-Altenburg. Verordnung
vom 10. Juni 1863: Zulaſſung zur niedern chirurgiſchen Praxis auf
Grundlage einer Prüfung (mit dem Rechte, auch Todtenſcheine auszu-
ſtellen). In andern dagegen ſehen wir von dieſen Einrichtungen nichts.
Eine Gleichartigkeit dafür beſteht nicht. Königreich Sachſen hat noch
das ganze Syſtem von Claſſen und allerlei Conceſſionen bei dem Dok-
torat (FunkeIII. S. 74—106., V. S. 482 ff.). In Bayern ſind
die heilkundigen Competenzen der verſchiedenen Klaſſen erſt durch Ver-
ordnung vom 29. Januar 1865 wieder genauer abgegränzt, und dieſe
Competenzen dürfen bei Strafe nicht überſchritten werden. Die Regie-
rung ertheilt die betreffenden Conzeſſionen, und jeder Arzt wird genau
vorgemerkt. Hier iſt alſo noch viel Schutt wegzuräumen. — In Frank-
reich iſt das Bildungs- und Prüfungsweſen der eigentlichen Aerzte
gleichfalls einfach ein Theil der Univerſitätsbildung (instruction supé-
rieure). Grundlage zuerſt das Geſetz 14 Frim. a. III, welches die Fa-
cultés de médecine errichtete. Bericht darüber von Fourcroy: „— la
vie des citoyens est entre les mains d’hommes avides autant
qu’ignorants, l’empirisme le plus dangereux, le charlatanisme le
plus dehonté abusent partout de la crédulité. Aucune preuve
de savoir et d’habilité n’est exigé.“ Dem half dann die Univerſitäts-
ordnung ab; das Dekret vom 17. März 1808 errichtete die Facultés de
médecine mit obligater Bildung; vierjähriger Curſus mit Jahres-
prüfungen, und Schluß- oder Doktoratsprüfung in fünf Abtheilungen;
ſeit Dekret vom 3. Auguſt 1841 ein einjähriger Curſus an einem
Hoſpital vorgeſchrieben, und ſtrenge Vorſchriften über die Studien durch
Dekret vom 22. Auguſt 1834. (Tardieu, Dict. d’hygiène publ.
v. Faculté de médecine. Foubert v. Médecine — Block — nebſt
der Literatur. Daneben aber beſtehen die Officiers de santé, bereits
durch Geſetz vom 19. Vent. a. XI eingeführt, die entweder ſechs Jahre
bei einem Doktor oder fünf Jahre in einem Hoſpital gedient haben
mußten; dann findet eine Prüfung vor der Jury médical ſtatt, be-
ſtehend aus zwei Doktoren und einem Profeſſor. Dieſe Einrichtung
erhielt ſich ausſchließlich bis 1854 und ſie war es eigentlich, welche das
flache Land mit Heilkundigen verſorgte. Das Dekret vom 22. Auguſt
1854 hat nun auch für Frankreich einen großen Fortſchritt gebracht.
Die Officiers de santé müſſen darnach entweder eine Faculté de mé-
decine oder eine École préparatoire de médecine et de pharmacie
[105] beſucht haben. Die alte Jury médical hören auf und die Prüfungen
finden jetzt an den Anſtalten ſelber ſtatt. — In England beruht das
neueſte Recht auf dem Stat. 21, 22 Vict. 90, die einzige allgemeine,
öffentlich-rechtliche ärztliche Ordnung, welche England beſitzt. Darnach
ſind neun mediciniſche, namhaft gemachte Körperſchaften ausſchließlich
berechtigt, ihre Fellows und Licentiates als praktiſche Aerzte anerkennen
zu laſſen. Eine förmliche Prüfung iſt auch hier wieder nicht geſetzlich
vorgeſchrieben; der Erwerb des Doktorgrades iſt frei; die Sicherung
gegen Unfähigkeit beſteht [nur] darin, daß die von jenen Körperſchaften
gebildeten Aerzte neben den promovirten Doktoren amtlich regiſtrirt
werden im Medicalregiſter; die Körperſchaften ſollen Berichte über ihre
Studirenden einſenden, ſie prüfen und materiell ſie von der Praxis
zurückweiſen. (Vergl. die ſpecielle Darſtellung bei Gneiſt, Verwal-
tungsrecht II. §. 114 ff.) Dem Ganzen ſteht das General Council of
Medical Art vor. Allein von einem ausſchließlichen Recht auf ärztliche
Praxis iſt für dieſe „regiſtrirten“ Aerzte trotzdem keine Rede. — In
Holland iſt mit der neueſten allgemeinen Organiſation des Geſund-
heitsweſens zugleich ein allgemeines Geſetz über die Prüfung der Aerzte
ergangen (1. Juni 1865), welches allerdings das geſammte berufsmäßige
Heilperſonal umfaßt. Nach dieſem Geſetz können auch diejenigen zur
ärztlichen Praxis zugelaſſen werden, welche keine Univerſität beſucht
haben, aber nachweiſen können, daß ſie zwei Jahre bei einem Arzte
gedient haben. Daher iſt eine eigene Staatsprüfungscommiſſion einge-
ſetzt. Das Ganze iſt ohne Zweifel der oben citirten franzöſiſchen Ver-
ordnung von 1854 nachgebildet bis auf den Namen (Officieren van
gezondheit). Die Prüfung ſelbſt iſt doppelt: naturwiſſenſchaftlich und
ärztlich; übrigens gibt das Examen Recht auf Praxis im ganzen Reich,
und nicht wie in Frankreich nur in einer Provinz. (Früherer Zuſtand
de Bosch-Kemper, neederländisches Staatsregt 1865 p. 812.)
Das Recht der Praxis iſt nun die geſetzlich formulirte Entwick-
lung des Begriffes des öffentlichen Berufes und der daraus folgenden
rechtlichen Beſtimmungen. Daſſelbe enthält zunächſt das Verhältniß
zu dem nicht fachmänniſch Gebildeten, dann die örtliche Beſtimmung
des Rechts zum Praktiziren, endlich wo das noch beſteht, das Recht auf
beſtimmte Arten der Ausübung.
Das Recht zur berufsmäßigen Praxis iſt urſprünglich ein rein
berufsmäßiges und durch das Doktorat an und für ſich erworbenes;
neben demſelben beruht das Recht zur gewerbsmäßigen Praxis auf den
[106] Grundſätzen des ſtändiſchen Gewerberechts. Das öffentliche verwaltungs-
mäßige Recht der Praxis entſteht erſt, wo der Gedanke zur Geltung
kommt, daß man die berufsmäßige Bildung zur Vorausſetzung jeder
heilkundigen Thätigkeit machen müſſe. Das erſte Auftreten deſſelben
erſcheint daher in einer möglichſt ſtrengen Gränzbeſtimmung der
Praxis je nach dem Grade der Bildung, mit der Ausſchließung der
niederen ärztlichen Klaſſen von den Funktionen der höheren, ſowie in
der Verfolgung der Kurpfuſcherei. Auf dieſem Standpunkt ſteht
das vorige Jahrhundert. Erſt das gegenwärtige hat unter Aufhebung
jener Unterſchiede das Recht zur Praxis für alle Heilungen und alle
Claſſen der Aerzte gleich gemacht und die gemeingültigen Grundſätze des
Rechts der Praxis ſind demnach jetzt folgende.
Zuerſt iſt jeder geprüfte Arzt zu jeder Art der Praxis berechtigt.
Jedoch iſt die Verleihung dieſes Rechts grundſätzlich durch das Be-
ſtehen der öffentlichen Prüfungen bedingt; daneben findet in einzelnen
Staaten (Preußen, Frankreich) noch eine behördliche ſpecielle Aufnahme
als ausübender Arzt ſtatt. — Zweitens haben nur die geprüften
Aerzte die fides publica für Beweiſe im Strafproceß. — Das Dis-
penſationsrecht, das Recht, ſelbſtändig die Recepte zu bereiten,
gehört drittens an ſich nicht zum Recht der Praxis, ſondern dem
Apothekerweſen; doch iſt es wohl allenthalben ausnahmsweiſe geſtattet.
— Viertens: Fremde bedürfen einer eigenen Aufnahme. — Fünf-
tens iſt der Grundſatz der ärztlichen Taxen ſeit dem Entſtehen der
berufsmäßigen Heilkunde feſtgehalten und dieſen Taxen ein Vorrecht
vor allen andern Forderungen eingeräumt. — Das Recht der Praxis
enthält weiter ſechstens das Princip der Freiheit der Heilmethode.
Das öffentliche Recht der Heilmethode läßt ſich in drei Punkten zu-
ſammenfaſſen. Zuerſt hat ſich allmählig auf Grundlage der Wiſſen-
ſchaft der Grundſatz feſtgeſtellt, daß adminiſtrative Verbote von Heil-
methoden nichts nützen, ſondern daß allein die Wiſſenſchaft das Verkehrte
zu beſeitigen fähig iſt. Zweitens aber erſcheinen für außerordentliche
Fälle, namentlich für Epidemien, allgemeine örtliche Inſtruktionen
noch immer als zweckmäßig, welche der Arzt wenigſtens ſo weit zu
befolgen verpflichtet erſcheint, daß ſeine Heilmethode nicht mit ihnen im
Widerſpruche ſtehe. Drittens endlich hat der urſprünglich römiſche
Grundſatz durchgegriffen, daß jeder Arzt für den Schaden, den er durch
ſeine Heilungen mit nachweisbarer Fahrläſſigkeit anrichtet, ſtrafrechtlich
haftet.
Daran nun ſchließt ſich endlich ein wenig ausgebildetes, unklares
und einer gründlichen Reviſion bedürftiges Gebiet, nämlich das der
Disciplin der Aerzte, das weſentlich aus der berufsmäßigen Stellung
[107] derſelben hervorgeht, in einigen Ländern gänzlich fehlt, in keinem ge-
nügend geordnet erſcheint, faſt allenthalben formell auf dem ärztlichen
Berufseid begründet iſt.
Die Literatur iſt hier wieder faſt nur von Medicinern bearbeitet.
Eine Reihe von Aufſätzen über das Verhältniß der Aerzte „zum Staate“
in Henke’s Zeitſchrift von 1824 von Wedekind und mehreren Ano-
nymen. Den eigentlichen Anſtoß gab wohl Naſſe: Von der Stellung
der Aerzte im Staate 1823 (Beſoldung der Aerzte), dann in Caſpars
Vierteljahrsſchrift VI. (XIV. und XIX.). Es iſt nach dem ganzen ſtreng
bureaukratiſchen Charakter des preußiſchen Geſundheitsweſens wohl nicht
zu verwundern, daß gerade die preußiſche Literatur hier die reichſte iſt.
— In Frankreich ward ſeit dem Grundſatz vom 19. Vent. a. XI
nur den berufsmäßig gebildeten Aerzten (docteurs en médecine) das
Recht der Gerichtsärzte vorbehalten. Die Freiheit der Heilmethode iſt
nicht fraglich. Das Recht der Praxis wird erworben, indem die Aerzte
ihr Doktordiplom bei dem Gericht erſter Inſtanz einfach deponiren; die
Procureurs und die Präfekten ſtellen jährlich eine Liſte zuſammen, die
dem Handelsminiſterium zugeſandt wird. Das Verhältniß zu dem
niedern Heilperſonal (ſ. unten) iſt genau beſtimmt. (S. Code mé-
dical ou recueil des lois sur l’étude, l’enseignement et l’exercice de
la médecine par Amette 1855.) — Oeſterreich. Das Recht zur
Praxis iſt durch die Sanitätsprüfungen nach der Studienordnung von
1850 gegeben, ohne Bewilligung der Behörden; nur auswärtige Dok-
toren bedürfen der letzteren. Der frühere Standpunkt der Scheidung
des Rechts zur Praxis nach den Gewerben und Krankheiten zwiſchen
Aerzten und Wundärzten, nach welchem eine Uebertretung als Gewerbe-
ſtörung behandelt ward (StubenrauchII. §. 288), iſt jetzt aufge-
hoben. Die geſetzlichen Vorſchriften über die Heilmethoden ſind
beſeitigt (StubenrauchII. §. 284); dagegen ſind Verletzungen oder
Gefährdungen der Krankheit durch Fehler des Arztes jetzt nach dem
Strafgeſetzbuch zu behandeln (§. 356). Ueber die einzelnen, faſt
alle noch geltenden Beſtimmungen iſt die fleißigſte Zuſammenſtellung in
Juriés Schrift, Pflichten und Rechte der öſterr. Aerzte 1847. —
Preußen: Hier gilt neben der Doktoratsprüfung noch die Appro-
bation durch das Miniſterium des Unterrichts für die Praxis, und
die Ablegung eines beſondern Berufseides. Die Unterſchiede im Recht
der ärztlichen Grade ſind aufgehoben. Der Beginn der Praxis iſt
jedoch durch ein feſtes Domicil bedingt. Ueber den früheren Unterſchied
zwiſchen Civil- und Militärärzten bei Horn, Medicinalweſen II. S. 99.
[108] Der amtliche Eid vor dem Landrath (Reſcript vom 24. Juli 1851;
Hornl. l. S. 82; Rönne, Staatsrecht II. 352). Die Vorrechte der
Aerzte in gewiſſen öffentlichen Verhältniſſen bei Rönne ebend. 358 und
Horn a. a. O. — Die übrigen deutſchen Staaten haben in dieſen
Beziehungen zum Theil gar keine eigenen Beſtimmungen, zum Theil
nur einzelne Verordnungen. (S. Roller a. a. O. §. 172; Funke
a. a. O. III.) Eide der verſchiedenen Claſſen der Aerzte, recht lang und
unverſtändig S. 91 ff. V. ebend. S. 484. — In England hat die Me-
dical Act 1858 dem G. Council of Medical Education das Recht
gegeben, die Aerzte aus dem Regiſter zu ſtreichen wegen Verbrechen,
den Körperſchaften ſogar nach ihrem Ermeſſen, mit Beſchwerde an den
Council; aber das Recht auf die Praxis geht damit nicht verloren.
(Gneiſt, Engl. Verwaltungsrecht IV. §. 114.) — In Holland gibt
die Prüfung auch für die Officiere der Gezondheit das Recht für
das ganze Reich nach der Verordnung vom 1. Juni 1865.
Die Pflichten der Aerzte ſind diejenigen Obliegenheiten derſelben,
welche der berufsmäßigen Aufgabe derſelben entſprechen. Sie entſtehen
erſt mit der berufsmäßigen Bildung derſelben; ohne dieſe letztere gibt
es zwar eine bürgerliche Haftung, aber keine ärztliche Pflicht. Daher
hat die objektive Feſtſtellung der letzteren zwei Grundformen. Die erſte
iſt die berufsmäßige, die von Anfang an in dem Eid der Aerzte
(ſchon ſeit dem dreizehnten Jahrhundert, ſ. oben) gegeben iſt, und die
neben der Berufstreue auch das ſociale Element der Verpflichtung zur
Hülfe für Arme enthält. Die zweite iſt die amtliche, die mit dem
achtzehnten Jahrhundert entſteht, ihren Inhalt durch die Forderungen
der amtlichen Verwaltung der Collegia medica empfängt, durch Inſtruk-
tionen und Verordnungen dann im Einzelnen ausgebildet wird, und
ſich weſentlich durch die höhere Sanitätspolizei erweitert. Die Lehre
von der Medicinalpolizei hat dann beides zuſammengefaßt; in der ſtaats-
bürgerlichen Geſellſchaftsordnung unſres Jahrhunderts hat das Princip,
die Pflicht zu einem rechtlichen Ausdruck zu bringen, wenigſtens theil-
weiſe eine ſelbſtändige juriſtiſche Theorie daraus gebildet, die freilich,
da die ſogenannte Polizeiwiſſenſchaft bei allgemeinen Phraſen ſtehen
blieb, nur in den poſitiven Verwaltungsgeſetzkunden, und auch hier nur
unvollſtändig gegeben ward. Die Grundlage dieſer Pflichten ſind jetzt
folgende.
Zuerſt iſt die Pflicht zur ärztlichen Hülfe juriſtiſch anerkannt,
und die Verweigerung derſelben ſtrafbar. Dann iſt die Fahrläſſigkeit
[109] in der Heilung ein bürgerliches, meiſt nach dem Strafgeſetzbuch zu
büßendes Vergehen. Drittens iſt der Arzt zur Verſchwiegenheit ver-
pflichtet. Endlich viertens hat er alle diejenigen Pflichten, welche
ihm die Geſundheitsverwaltung im Intereſſe der öffentlichen Geſund-
heit, namentlich bei anſteckenden Krankheiten, durch eigene Inſtruktionen
vorſchreibt. Die Strafen ſind Bußen, und können bis zum Verluſt
des Berufsrechts gehen. Die Strafgeſetzbücher haben dabei die Stelle
der Codifikation vertreten. Erſt die höhere Entwicklung der Verwal-
tungslehre wird eine entſprechende Bearbeitung dieſes Gebietes erzeugen.
In England fehlt jede Formulirung dieſer Pflichten. In Frank-
reich iſt ſie in dem oben cit. Geſetze vom 19 Vent. IX enthalten, jedoch
unvollſtändig (ſ. Amette a. a. O.) Oeſterreich: Strafgeſetzbuch
§§. 335. 356 und 358 (Stubenrauch, Verwaltungsgeſetzkunde II.)
Die amtlichen Pflichten ſind in der Inſtruktion vom 3. Nov. 1808.
Preußen: Strafgeſetzbuch §§. 155. 198. 200 (Rönne, Staatsrecht II.
§§. 352. Vgl. die Literatur der Rechte der Aerzte).
II. Das Apothekerweſen.
Das Apothekerweſen enthält die Geſammtheit der öffentlich recht-
lichen Beſtimmungen über alle diejenigen Unternehmungen, welche die
Heilmittel auf ärztliche Verordnung verabreichen.
Die Geſchichte und das gegenwärtige öffentliche Recht des Apotheker-
weſens beruhen nun darauf, daß auch in dieſen Unternehmungen die
beiden Elemente des berufsmäßigen und des gewerblichen Be-
triebes verbunden ſind. Die große Aufgabe des öffentlichen Rechts
war es von jeher, dieſe Elemente zu einem Ganzen zu verſchmelzen.
Die Bewegung, die daraus entſtanden iſt, endet mit dem Siege des
erſten Elements, und hat dem Apotheker definitiv den Charakter öffent-
licher Anſtalten mit den dieſem Charakter entſprechenden Rechten
gegeben.
Die alte Welt, die den Beruf nicht kennt, kennt auch kein öffent-
liches Apothekerweſen. Aber unmittelbar mit dem Entſtehen des Heil-
berufs der Aerzte entſteht auch das berufsmäßige Apothekerweſen. Die
Grundlage deſſelben iſt bis auf den heutigen Tag die Organiſation der
Facultät von Salernum 1232, welche neben der berufsmäßigen Bil-
dung den Berufseid und die Taxe einführt. Aus dieſem Princip
[110] entſtehen die beiden Grundlagen des öffentlichen Rechts derſelben, welche
noch jetzt gelten: zuerſt der Grundſatz, daß die Anlage der Apotheken
kein freies Unternehmen iſt, ſondern der Bewilligung bedarf; zwei-
tens, daß der Betrieb dieſer Unternehmung unter Aufſicht der öffent-
lichen Organe ſteht. Die Bewilligung wird dann eine behördliche, nach
dem Weſen der ſtändiſchen Zeit eine Bewilligung durch die Selbſtver-
waltungskörper. An die Bewilligung knüpft ſich, oft ſchon als Be-
dingung, das Realrecht der Apotheke; zugleich wird die Forderung der
berufsmäßigen Bildung zum Betriebe des Geſchäfts die Bedingung der
perſönlichen Bewilligung; und daraus entſteht dann mit dem achtzehnten
Jahrhundert das öffentliche Recht der Apothekerbildung, das in unſrer
Zeit zu einem allgemein gültigen Syſteme erhoben wird. Die Ober-
aufſicht iſt anfänglich eine rein amtliche; jedoch meiſt unter fachmän-
niſcher Zuziehung der Aerzte. Mit dem achtzehnten Jahrhundert wird
das Apothekerweſen dann als ein Ganzes aufgefaßt, und der Geſund-
heitsverwaltung der neu entſtehenden Collegia medica unterworfen.
Die Selbſtverwaltungskörper verlieren die Oberaufſicht; die Verwaltung
nimmt im Namen des Heilweſens das Recht auf freie Conceſſion zur
Anlage von Hypotheken in Anſpruch, und befördert ſie zum Theil direkt;
die Pflichten der Apotheker, der ſanitäre Betrieb, die Rechte derſelben
werden formulirt; die Taxen, die früher nur örtlich galten, werden
allgemeines Geſetz; es entſteht die Heilmittelordnung der geſetzlichen
Pharmacopöen, und zuletzt wird der Bildungsgang faſt ganz dem ge-
werblichen Standpunkt entzogen und dem allgemeinen Bildungsrecht
eingeordnet. Dabei erhalten ſich noch einzelne Momente aus dem
rein gewerblichen Rechte; namentlich der Geſichtspunkt der Beſchränkung
in der Concurrenz des Apothekebetriebes, zum Theil ſogar noch die ge-
werbliche Genoſſenſchaft derſelben. Im Großen und Ganzen aber iſt
es kein Zweifel, daß das Apothekerweſen jetzt den berufsmäßigen Cha-
rakter und das öffentliche Recht einer großen Organiſation der Heil-
mittel empfangen hat, und daß damit der wahre Standpunkt für dieſe
ſo wichtigen Anſtalten gewonnen iſt.
Das öffentliche Recht iſt nun allerdings im vorigen Jahrhundert
vielfach codificirt, und zwar auf Veranlaſſung der neu entſtandenen
oberſten Geſundheitsverwaltung. Jedoch hat dieſe Codifikation ſich meiſt
nur auf die berufsmäßige Ordnung bezogen, und das gewerbliche Leben
nicht umfaßt. Erſt mit unſrem Jahrhundert hat das Princip der Ge-
werbefreiheit auch hier durchgegriffen; ſein Erfolg iſt im Weſentlichen,
daß gerade dieſe Gewerbefreiheit die letzten Hinderniſſe der vollen An-
wendung des öffentlichen Rechts des Apothekerweſens und ſeiner For-
derungen möglich gemacht hat, und daß man jetzt erſt von einem
[111]Syſteme dieſes Rechts, wie es rein aus der Natur der Anſtalten
ſelber hervorgeht, reden kann.
Dieſes Syſtem nun enthält folgende Theile: das Recht der Er-
richtung von Apotheken, die Bildung der Apotheker, die Dispen-
ſationsordnung (Betriebsrecht) und die Oberaufſicht und ihre
Organiſation.
Die Literatur über das Apothekerweſen iſt eine ſehr reiche, und
war es namentlich im Anfange dieſes Jahrhunderts bei dem Entſtehen
der neuen Medicinalordnungen (Mohl, Polizeiweſen I. §. 36), aber da
ſie wieder nur von Aerzten behandelt iſt, in der organiſchen, öffentlich
rechtlichen Auffaſſung ſehr mangelhaft. Die Geſchichte des Apotheker-
weſens bruchſtückweiſe bei ErhardtI. 16. Frank, Bd. VI.Stoll,
Bd. I. u. A. trefflich behandelt; eine eigene Geſchichte von Sprengel in
Erſch und Gruber I. Bd. IV.Pappenheim, Handbuch der Sanitäts-
polizei III. S. 34 ff. enthält einen ſehr rationellen Artikel über das
Apothekerweſen von ſeiner adminiſtrativen Seite. Die ſyſtematiſchen Ge-
ſetzgebungen beginnen mit dem vorigen Jahrhundert, und ſchließen im
Anfange des gegenwärtigen ab; ihr Charakter iſt, die Apothekerord-
nungen als Theile der geſammten Medicinalgeſetzgebungen neben den
übrigen Theilen zu behandeln. So in Preußen ein Medicinaledikt
vom 27. September 1725 (nach der Apothekerordnung vom 30. Auguſt
1693); Mylius, C. C. Marchic. Thl. IV. S. 3. 66—76. V. 219.
Neue Apothekerordnung vom 11. October 1801, mit Anhang vom
10. December 1800 (Horn a. a. O. II. S. 239 ff.) In Oeſterreich
in dem Allgem. Sanitätsnormaledikt von 1770. 3. Inſtr. — Baden:
Medicinalordnung von 1806. — Bayern: Allgem. Apothekerordnung
vom 27. Januar 1842. — Königreich Sachſen: Mandat vom 30. Januar
1819, nebſt den neueren Verordnungen über die einzelnen Punkte (Funk
a. a. O. III. S. 138 ff. V. 498). — Württemberg: die Medicinal-
ordnung von 1755 weſentlich nach preußiſchem Muſter; die Grundlage
der Verwaltung iſt jetzt die Inſtruktion vom 23. Juni 1807 (Roller
§. 195 ff.) — Aeltere lokale Apothekerordnungen bei Stoll, Bd. I.
und im Anhang (Stadtrechte). Gegenwärtig meiſt Verbindung mit den
Studienordnungen und Inſtruktionen für die einzelnen Theile. — In
Frankreich hat erſt das Geſetz vom 21 Germ. a. XI das Apotheker-
weſen geordnet. In Holland iſt das Geſetz vom 1. Juli 1865 jetzt
das maßgebende. — In England iſt das Statut 35. Georg. III. 194
keine geſundheitspolizeiliche, ſondern weſentlich eine Gewerbsordnung
(Gneiſt a. a. O. §. 114).
[112]
Das Recht der Errichtung der Apotheken beginnt als Realrecht,
in den meiſten Fällen wohl als Privilegium unmittelbar, in andern
allmählig entſtehend. Mit der Entwicklung des Heilweſens erzeugt das
Bedürfniß nach Apotheken, verbunden mit dem Princip der Conceſſio-
nirung überhaupt, das Recht der amtlichen Genehmigung, bei welcher
jedoch meiſt der Grundſatz der Beſchränkung auf eine gewiſſe Einwoh-
nerzahl feſtgehalten wird. Dadurch treten mit unſrem Jahrhundert
zwei Syſteme neben einander; die wachſende Dichtigkeit der Bevölke-
rung läßt dann die Conceſſion eine allgemeine werden, und das Rcal-
recht unter Aufhebung ſeiner Ausſchließlichkeit formell fortbeſtehen, was
ohne Nachtheil für die Sache das Einzelrecht ſo weit erhält, als es
überhaupt erhalten werden kann. Somit gilt der Grundſatz, daß jede
neue Apotheke nur mit Genehmigung der oberen Behörden errichtet
werden darf. Zugleich enthalten die allgemeinen Apothekerordnungen
die von der Geſundheitsverwaltung vorgeſchriebenen inneren Einrich-
tungen des Betriebes auf Grundlage fachmänniſcher Forderungen.
Die Literatur hat ſich verhältnißmäßig wenig mit der Frage be-
ſchäftigt (ſ. Schürmayer, Handbuch der mediciniſchen Polizei 1856).
Die vielfach im Detail verſchiedenen Rechtszuſtände, die jedoch im Großen
und Ganzen ſtets auf die obige Unterſcheidung hinaus laufen, für
Oeſterreich Kopetz, Polizeigeſetzkunde. Mader, Comp. der Apotheker-
geſetze und Verordnungen von 1857. StubenrauchII. 291. Grund-
ſatz: völlige Freiheit der Conceſſionirung; nach der Verordnung vom
30. November 1833 im Concurrenzwege zu regeln. Preußen: weit-
läufig in Rönne und Simon, Medicinalweſen (I. 628) und Rönne,
Staatsrecht (II. 359). Anlage neuer Apotheken, unter Verordnung
vom 24. October 1811, welche eigentlich die Elemente der, vom Privi-
legium des Realrechts ſich emancipirenden Conceſſionirung am beſten
formulirt hat. Die Geſchichte des Rechts und die früheren einzelnen
Verordnungen bei HornII. S. 281. Die Edikte und Reſcripte nach
1811 bei demſelben (S. 290 ff.) — Württemberg: Erkenntniß der
Regierungsbehörde, jedoch unter Zuziehung älterer Beſitzer von Apotheken
(Roller a. a. O. §. 201). — Königreich Sachſen: Reine Realrechte;
Erlaubniß der Behörden. Verordnung von 1834 (Funk a. a. O. III.
S. 145). Bayern: Apothekerordnung vom 27. Januar 1842. §§. 2.
3. 31. 32 (Pözl, Verwaltungsrecht §. 118). — In Frankreich wird
die Anlage von neuen Apotheken ſtets conceſſionirt vom Präfekten und
[113] öffentlich bekannt gemacht (L. 21. Germ. an XI). — Die Verthei-
lung der Apotheken iſt theilweiſe durch die Conceſſion zu einem Syſtem
geworden; in Oeſterreich wird eine auf 4000, in Bayern eine auf 10,000,
in Württemberg eine auf 5—6000 Seelen für erforderlich gehalten. In
Frankreich fehlt ein ſolcher Grundſatz; in England natürlich auch.
Auch das Bildungsrecht der Apotheker zeigt die beiden Elemente
des ganzen Apothekerweſens, das gewerbliche und berufsmäßige, anfäng-
lich in ſtrenger Scheidung, mit dem Grundſatze, daß die gewerbliche
Bildung im praktiſchen Betriebe des Geſchäfts vollendet werden kann,
die berufsmäßige dagegen eine ſelbſtändige wiſſenſchaftliche Bildung for-
dere. Dadurch entſtanden zwei Claſſen von Apothekern, deren Unter-
ſchied ſich bis zur neueſten Zeit erhalten hat. Erſt in unſerem Jahr-
hundert greift der Grundſatz durch, daß die gewerbliche Bildung über-
haupt zum Betriebe nicht ausreichend ſein dürfe, ſondern daß derſelbe
immer eine fachmänniſche Bildung vorausſetze, womit dann die zwei
Claſſen der Apotheker verſchwinden, und die Apothekerbildung eine ſpecifiſch
fachmänniſche wird, bei welcher allerdings die techniſche Vorbildung als
Lehrling der wiſſenſchaftlichen Ausbildung voraufgehen muß, ohne
jedoch je das Recht zum ſelbſtändigen Betriebe zu geben. Es iſt gewiß
verkehrt, dieß einfache und naturgemäße Verhältniß durch allerlei Unter-
ſchiede, wie Magiſterium und Doctorat der Pharmacie u. a. m. ſtören
zu wollen. Die Bildung der Apotheker ſoll ein organiſcher Theil
der mediciniſchen Studien- und Prüfungsordnung ſein.
In Preußen hat die Apothekerordnung vom 11. October 1801
das Lehrlingsweſen der Apothekergehülfen geordnet; Grundſatz iſt, daß
zur Ausübung des ſelbſtändigen Betriebes nur die Apothekerprüfung
befähigt (Prüfungsreglement vom 1. December 1825), auf welche erſt
die Approbation erfolgt, nebſt der Vereidigung. Dauer der Lehrzeit
vier Jahre; Servirzeit als Gehülfe fünf Jahre. Dieſe Prüfung ließ noch
zwei Claſſen zu; die Prüfungsordnung von 1853 hat dieſen Unter-
ſchied aufgehoben und nur Eine Claſſe eingeführt (Rönne und Simon,
Medicinalweſen II. 30. Rönne, Staatsrecht II. 358). Der ganze Bil-
dungsproceß vollſtändig und klar dargeſtellt bei Horn a. a. O. II.
S. 255—280. — In Oeſterreich iſt zum Theil, wenn auch nur for-
mell, der Grundſatz feſtgehalten, daß die Abſolvirung der Lehrzeit eine
ſelbſtändige Berechtigung gebe; daneben Magiſterium und Doctorat der
Stein, die Verwaltungslehre. III. 8
[114] Pharmacie. Doch iſt der Studiencurs ſehr rationell geordnet (Mini-
ſterialerlaß vom 14. Juni 1859), ſo wie die Prüfungsdauer der Lehr-
zeit: 3 Jahre; Servirzeit vor Beginn der Studien: 2 Jahre (Stuben-
rauchII. 290). — Naſſau: Prüfung der Pharmaceuten, organiſirt
durch Verordnung vom 15. Januar 1866. — In Frankreich hielt
das Geſetz vom 21. Germ. XI die zwei Claſſen aufrecht mit dem Recht
der erſten auf allgemeine Niederlaſſung, der zweiten auf bloß depar-
tementale. Zugleich werden eigene Apothekerſchulen (Ecoles superieures
de Pharmacie) errichtet, mit 6 années de stage (Lehrzeit) und 3 Jahren
Studienzeit mit obligatem Curſus, wobei die Zulaſſung von einer eige-
nen Jury ausgeſprochen wird (Arr. vom 23. December 1854). — Für
Holland iſt die Apothekerbildung durch das Geſetz vom 1. Juni 1865
genau ſo geregelt wie für die Officiere der Gezondheit, mit zwei Prü-
fungen, Lehrzeit, Gehülfenzeit und Eid. — Für England hat ſich 1853
eine Geſellſchaft der Pharmaceutical Chemists gebildet, durch 15, 16
Vict. 56 incorporirt, welche das Prüfungsweſen in die Hand genommen
hat; ein öffentliches Recht dieſer Prüfungen als Bedingung für die
Ausübung des Gewerbes ſelbſt exiſtirt jedoch nicht (Gneiſt a. a. O.
II. §. 114).
Das Diſpenſationsrecht der Apotheker enthält die Vorſchriften, durch
welche die Geſundheitsverwaltung den berufsmäßigen Betrieb der Apo-
theker nach den Anforderungen der Heilkunde ſichert, da dieſer Betrieb
die materielle Vorausſetzung des Heilweſens enthält. Auf dieſem letztern
Verhältniß beruht auch der Inhalt dieſes Rechts und ſeine Geſchichte.
So lange nämlich der Arzt nur noch ein Diener ſeines Berufes
und kein öffentlicher Diener iſt, iſt auch das Diſpenſationsrecht der Apo-
theker nur noch ein berufsmäßiges; die Ordnung deſſelben beruht auf
rein fachmänniſchen Anforderungen, und entſteht durch die innere Ver-
bindung der Heilkunſt mit den Heilmitteln. Sowie aber die Aerzte eine
öffentliche Stellung empfangen, wird auch die Betriebsordnung der Apo-
theker ein Theil des öffentlichen Rechts, und zwar wird man hier zwei
Perioden ſcheiden. Die erſte bezeichnen wir als die örtlichen Diſpen-
ſationsordnungen der Apotheker, bei denen noch das Recht der Aus-
ſchließlichkeit das vorwiegende Element iſt, während alles übrige unent-
wickelt bleibt. Die zweite Periode, mit der eigentlichen Geſundheits-
verwaltung der Collegia medica beginnend, faßt auch das Diſpenſa-
tionsweſen als einen organiſchen Theil der geſammten Verwaltung auf,
und indem jetzt die öffentlichen Pflichten des Apothekerbetriebes genau
formulirt werden, werden auch dem entſprechend die Rechte deſſelben
[115] beſtimmt, ſo daß jetzt das Diſpenſationsrecht ein Syſtem von Rechten
und Pflichten wird, das in den Apothekerordnungen des vorigen und
gegenwärtigen Jahrhunderts zum Ausdruck gelangt. Das Syſtem ent-
hält folgende Punkte:
1) Das eigentliche Diſpenſationsrecht enthält wohl allenthalben
auf dem Continent den Grundſatz, daß die Apotheker das ausſchließ-
liche Recht der Verabreichung von Heilmitteln haben, welches Recht
durch die ſtrenger werdende Polizei der Geheimmittel geſchützt wird.
Dagegen kann das Recht der Aerzte auf Selbſtdiſpenſation nur als
Ausnahme in Nothfällen denſelben nicht entzogen werden. Die im
Einzelnen ſchwierige Aufgabe iſt es dann, die Gränze zwiſchen den
Apothekern und Droguiſten feſtzuſtellen, die dann doch in der Ausfer-
tigung von Recepten allein nicht gefunden werden kann.
2) Dieſem Rechte entſprechen zwei Pflichten. Die erſte beſteht
in der Verbindlichkeit, zu jeder Zeit die Heilmittel zu geben. Die
zweite in der, dieſelben in der Qualität und Quantität vorräthig zu
haben, welche die wiſſenſchaftliche Heilkunde fordert. Die Aufſtellung
dieſer Quantität und Qualität ging anfangs von den Anforderungen
der Aerzte aus, und ward dann durch die organiſche Geſundheitsver-
waltung zu einer geſetzlichen Vorſchrift in der Pharmacopoe, aber
dann Geſetz über die Heilmittel. Dieſelbe hat wieder ihre Ge-
ſchichte, die aber weſentlich nur von mediciniſcher Bedeutung iſt.
3) Dem wirthſchaftlichen Element dieſer letzteren öffentlichen Ver-
pflichtung entſpricht nun das gleichfalls wirthſchaftliche Element der
öffentlichen Taxe für die Diſpenſation.
4) Die Sicherung der öffentlichen Geſundheit durch die Ausſchließ-
lichkeit der letzteren iſt endlich rechtlich gegeben in der Haftung der
Apotheker für Verſehen, namentlich im Verkehr mit Gift, welcher einer-
ſeits durch genaue Inſtruktionen geordnet, andrerſeits durch ſtraf-
rechtliche Vorſchriften beſtimmt wird.
In England beſteht daher kein anderes öffentliches Recht, als
das des Statut 55. Georg. III. 194. Wie weit die Geſellſchaft der
Pharmaceutical Chemists hier einwirkt, iſt uns nicht bekannt. — In
Frankreich gilt noch immer das Geſetz vom 21. Germ. a. XI. Nach
dieſem Geſetz dürfen die Apotheker kein anderes Geſchäft betreiben. Die
Pharmacopoe (Codex) iſt geſetzlich vorgeſchrieben, und die Apotheker
haben alle Heilmittel, welche nicht darin ſtehen, als verbotene Geheim-
mittel anzuſehen. Die Geheimmittel ſelbſt haben ihre eigene Geſetz-
gebung, nach welcher ſie nur nach commiſſioneller Unterſuchung verkauft
[116] werden dürfen; Hauptgeſetz vom 18. Aug. 1810, an das ſich eine ganze
Jurisprudence angeſchloſſen hat. (Foubert bei Block, Remèdes
secr. Tardieu, Dict. d’hygiène publ. v. Rem. secr.) Die Apo-
theker ſind in zwei Claſſen getheilt mit Praxis für ganz Frankreich
und nur für ein Departement; der Studiengang iſt im Geſetz vom
21. Germ. vorgezeichnet; nach beſtandener Prüfung nimmt der Präfect
den Eid ab und ſtellt das Diplom aus. Alter 25 Jahre. Eine ſtraf-
rechtliche Beſtimmung mangelt. (Foubert bei Block, Med. et Phar-
macie nebſt der franzöſiſchen Literatur. Tardieu, v. Pharmacie.) —
Oeſterreich. Genaue Vorſchriften über den Betrieb und die Betriebs-
mittel (Dekret vom 17. Nov. 1831) und früher in der Inſtruktion von
1808 als Diſpenſationsordnung; neueſte Pharmacopoe ſeit 20. October
1854; Arznei-Taxe vom 16. Jan. 1859; Strafbeſtimmungen für die
Verletzung der Diſpenſationsordnung §. 349—352 und §. 499; Diſpen-
ſationsprivilegium: Beſtrafung des unbefugten Arzneiverkaufs (Straf-
geſetzbuch Art. 355). Gränze zwiſchen Apotheken und andern Hand-
lungen ſeit Verordnung vom 20. Dec. 1782, eine Reihe von Verzeich-
niſſen einzelner Waaren. (StubenrauchII. §. 294.) — Preußen.
Der Betrieb der Apotheker in der Apothekerordnung vom 11. October
1801. Gränzen ſchon ſeit 1725. Uebrigens iſt die ganze Apotheker-
Betriebsordnung in der preußiſchen Geſetzgebung mit großer, faſt zu
ängſtlicher Genauigkeit in allen einzelnen Punkten geregelt (ſ. die Samm-
lung der betr. Verordnungen bei HornII. 291—349). Princip des aus-
ſchließlichen Rechts (Allg. Landrecht II. 8. 456). Uebertretung: Straf-
geſetzbuch 345. (Rönne, Staatsrecht II. 359.) — Bayern. Allg.
Apothekerordnung vom 27. Jan. 1842. Geheimmittelpolizei. (Verord-
nung vom 13. Mai 1838. Pözl, Verwaltungsrecht §. 118.) — König-
reich Sachſen. Mandat die Einführung eines allgemeinen Diſpenſa-
toriums betreffend vom 17. Oct. 1820 und die daran ſich anſchließenden
Verordnungen bei FunkeIII. 144 ff. — Württemberg: Roller
§. 129. — Holland. Das dritte Geſetz vom 1. Juni 1865 enthält
das vollſtändige Diſpenſatorium, nebſt den Strafbeſtimmungen für Ueber-
tretung (Art. 31—33).
Es iſt natürlich, daß die Oberaufſicht der Apotheker denſelben Proceß
durchgemacht hat, wie das ganze übrige Apothekerweſen. Urſprünglich
mit der Unterordnung unter den ſtändiſchen Berufskörper gegeben und
im Eide der Apotheker ausgedrückt, wird ſie mit dem fünfzehnten Jahr-
hundert eine örtliche wie das Apothekerweſen ſelbſt, und erſcheint in
[117] der Verbindung der örtlichen Gewalt (ſtädtiſche Behörde) mit dem ört-
lichen Geſundheitsorgan (Phyſikus). Mit dem achtzehnten Jahrhundert
wird ſie eine allgemeine und gleichmäßige Aufgabe der amtlichen Ge-
ſundheitsverwaltung, daher amtlich vollzogen und mit ſpeziellen Vor-
ſchriften (Inſtruktionen) verſehen.
In Frankreich nach der neuen Organiſirung des Apothekerweſens
genau geregelt durch die Apothekerordnung von 1804 (Geſetz vom 21 Germ.
an XI. art. 29—31 und Arr. 25 Therm. eod.); jährlich durch die Profeſſoren
der Écoles de Pharmacie oder die Jurys mit beſtimmter Aufſichtstaxe.
(Tardieu und Blockl. c.) — Oeſterreich. Hier dieſelben Grund-
ſätze ſchon im allgem. Sanitäts-Normativ von 1770 vorgeſchrieben
(jährliche Hauptviſitation und unvermuthete Viſitationen). Abgabe fehler-
hafter Medicamente an die Fakultäten und die Statthalterei nach der
Inſtruktion von 1808 §. 35. (StubenrauchII. §. 292.) — Preußen.
Ordnung der Inſpektion gleichfalls in der Apothekerordnung von 1801
Thl. II. und Inſtruktion vom 21. Oct. 1819. (Rönne und Simon,
Medicinalweſen II. 354 ff.) Die einzelnen Vorſchriften, ſpeziell die in
den übrigen Geſetzgebungen nicht berückſichtigten Verhältniſſe der Apo-
theken zur Gemeinde, zur Staats- und Juſtizverwaltung bei HornII.
S. 349—372. — Württembergiſche Viſitation vierteljährlich durch
den Kreismedicinalrath, jährlich durch die Oberamtsärzte (Inſtruktion
vom 14. März 1814; Roller §. 200). Die Beſtimmungen in den
übrigen Staaten ſind nicht ſpeziell allenthalben nachgewieſen.
III. Das Hebammenweſen.
Das Hebammenweſen entſteht, indem die Geſundheitsverwaltung
für die Ausübung der Hebammenkunſt eine beſondere, öffentlich aner-
kannte Bildung fordert, die Hebammen mit beſonderen Rechten verſieht,
und ſie auf dieſe Weiſe zu einem Gliede des großen Organismus des
Heilperſonals macht.
Es iſt kein Zweifel, daß das Hebammenweſen ſchon ſeit älteſter
Zeit als eine Kunſt angeſehen ward. Allein ſelbſt die Entſtehung der
wiſſenſchaftlichen Medicin ließ daſſelbe Jahrhunderte lang nicht als einen
Theil der Heilkunde erſcheinen. Erſt mit dem Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts beginnt man, eine mediciniſche Bildung dafür als möglich
und wünſchenswerth zu ſetzen. Dieſelbe wird allmählig organiſirt, aber
noch ohne rechtliche Beziehung zum Heilweſen, bis endlich mit dem Ende
des vorigen Jahrhunderts auch die eigentliche Geſundheitsverwaltung
[118] die Ausübung dieſer Kunſt in ihren Bereich zieht, und ſo ein Heb-
ammenrecht bildet, das in unſerem Jahrhundert ſich zu einem ziem-
lich klaren und einfachen Syſtem entwickelt hat, deſſen Grundzüge fol-
gende ſind:
Für das Hebammenweſen werden eigene Hebammenſchulen er-
richtet, und Prüfungen abgehalten. Die Prüfung gibt allein das
Recht zur Ausübung. Die Hebammen ſtehen unter den Aerzten, und
haben die Pflicht, in bedenklichen Fällen den Arzt zu rufen. Sie
dürfen Arzneien nur in höchſter Noth verabreichen, und ſind zum
Geheimniß verpflichtet. Sie haften ſtrafrechtlich für die Ueber-
ſchreitung ihrer Inſtruktion, haben aber dafür eine geſetzliche Taxe zu
fordern.
In England iſt mir ein öffentliches Hebammenweſen unbekannt.
Klage über den früheren Zuſtand ſchon bei FrankVII. 2. 8. Die
Geſchichte der Bildung der Hebammen ſehr gut bei Frank, Medicinal-
polizei VII. 2. 8. Charakteriſtiſch iſt, daß noch im vorigen Jahrhundert
männliche Geburtshülfe als zum Theil unſittlich angeſehen ward. Der
erſte praktiſche Unterricht 1728 in Straßburg; darnach die Hebammen-
bildung in Oeſterreich durch v. Swieten eingeführt ſeit 1748 (Frank
S. 519 ff.) 1774 ein Profeſſor für theoretiſche Geburtshülfe; in Berlin
Unterricht ſeit 1751; Kopenhagen 1751; Brüſſel 1754. Namentlich
Frank ſtellte dann die Theorie eines guten Hebammenweſens auf;
Vorſchläge nebſt Literatur S. 547—601. Auf dieſer Grundlage ent-
ſteht die Geſetzgebung und das öffentliche Recht, von dem Collegiis
medicis ausgehend. — Oeſterreich. Inſtruktion für die Hebammen
vom 3. Nov. 1808. Organiſirung der Prüfungen nebſt Diplom (Dekret
vom 19. März 1827. StubenrauchII. §. 282. 287). — Preußen.
Hebammen-Lehranſtalten und ihre Organiſation (Simon und Rönne,
Medicinalweſen I. 538 ff. Horn, Medicinalweſen II. 179); Eid der
Hebammen (Reſcript vom 6. März 1856); Prüfung nach dem Regu-
lativ vom 1. Dec. 1825; Approbation durch die Regierung, oder
conceſſionirtes Gewerbe (Gewerbeordnung 1848 §. 15); Rechte: Rönne
Staatsrecht II. 354. — Königreich Sachſen. Sehr ausführliches Man-
dat über die Ausübung der Geburtshülfe vom 2. April 1818, nebſt
den neuen Beſtimmungen (FunkIII. 109 ff. vollſtändig). — Hannover.
Regulativ für die Hebammenanſtalt von 1864 (ausführlich ſ. Auſtria
1864 S. 133 und Verordnung vom 1. Mai 1865). — Mecklenburg.
Verordnung, betreffend das Hebammenweſen vom 15. Februar 1864;
Unterricht in der Hebammen-Lehranſtalt in Roſtock; Oberaufſicht des
Kreisphyſikus (Auſtria S. 178). — Württemberg. Prüfungen ſeit
[119] Verordnung vom 17. Aug. 1837; Geburtshelfer-Prüfungen (Verord-
nung vom 17. April 1839. Roller §. 193). — Frankreich. Prü-
fung, Certificat und Rechte betreffend durch das Geſetz vom 19 Vent.
an XI;Liſte derſelben bei den Gerichten und bei der Präfektur. —
Holland. Das dritte Geſetz vom 1. Juni 1865 enthält weiter nichts,
als die Vorſchrift, daß die Hebammen den Arzt in bedenklichen Fällen
rufen ſollen (Art. 15). — Italien. Hebammenklinik in Palermo, orga-
niſirt 8. Juli 1865, mit zwei Claſſen, und Internen und Externen. Heb-
ammenſchule in Mailand, Neapel (1. Sept. 1865).
IV. Die Heildiener.
Unter den Heildienern oder dem niederen Heilperſonal verſtehen
wir Diejenigen, welche aus dem Krankendienſt im weiteſten Sinne einen
regelmäßigen Erwerb machen. An ſich iſt dieſe Bedienung der Kranken
frei, ſowohl für die Wahl der Kranken, als für die Krankendiener ſelbſt.
Aber zwei Dinge geben ihr einen öffentlich rechtlichen Charakter, durch
den ſie der Medicinalverwaltung angehören. Zuerſt iſt die Gränze
zwiſchen der Krankenbedienung und der heilenden Thätigkeit ſchwer zu
ziehen, ſo daß ſogar oft im Falle eines Mangels die erſtere die zweite
erſetzen muß. Zweitens wird die Krankenpflege in allen ernſteren
Fällen an ſich eine Bedingung der Heilung. Sowie daher die Chirurgie
einen wiſſenſchaftlichen Inhalt bekommt, ſcheidet ſich der Heildienſt
als ſelbſtändige Krankenpflege von ihr, übernimmt einen Theil ihrer
ganz mechaniſchen Thätigkeit, erhebt ſich zu einem eigenen Lebensberufe
und wird nun vermöge dieſer ihrer Natur in die Geſundheitsverwaltung
eingeordnet.
Dieß geſchieht erſt in unſerem Jahrhundert, und iſt noch ſehr wenig
ausgebildet. Die Grundſätze des öffentlichen Rechts des Heildienſtes
ſtehen jedoch ſchon ziemlich feſt, obwohl ſie nur wenig codificirt ſind,
und enthalten folgende Hauptpunkte: 1) Die individuelle Freiheit in
in der Wahl der Krankenwärter bleibt an ſich unbeſchränkt; 2) wo aber
ein eigenes Gewerbe daraus gemacht wird, tritt die Geſundheitsver-
waltung ein, und ſtellt 3) erſtlich den Grundſatz der Genehmigung für
die Ausübung dieſes Gewerbes auf, zweitens aber beginnt ſie eine ge-
wiſſe niedere Bildung für den Heildienſt zu bieten und zu fordern,
woran ſich drittens eine Organiſirung in der Oberaufſicht der Aerzte
anſchließt, und viertens eine Taxe mit Rechten und Pflichten. Auf
dieſe Weiſe iſt das in der alten Chirurgie liegende, rein gewerbliche
Element, ſoweit es mit der Heilung zu thun hat, zu einem organiſchen
Theile des Heilweſens geworden; und es läßt ſich vorher ſagen, daß
[120] dieß ſociale Moment der Krankenhülfe der niederen Claſſe künftig durch
dieſe Heildiener einer der wichtigſten Faktoren der öffentlichen Geſund-
heit werden wird, wie es bereits in dem eigens dafür gebildeten reli-
giöſen Krankendienſtverein angedeutet iſt. Es iſt kein Zweifel, daß die
Ausbildung dieſes Organismus im Großen und Ganzen, namentlich
wenn in ſeiner Bildung mehr auf das Verſtändniß der allgemeinen
Bedingungen von Geſundheit und Krankheit als auf den mechaniſchen
Dienſt hingewirkt wird, vielleicht das praktiſch wichtigſte, gewiß aber
ein unendlich ſegensreiches Element des öffentlichen Heilweſens zu
werden beſtimmt iſt.
Die Verbindung des Heildienſtes mit der Chirurgie hat in der
Epoche der großen medicinalpolizeilichen Literatur eine eigene Behand-
lung derſelben verhindert. Frankreich hat in den Officiers de santé
die Heildiener als ſelbſtändigen Beruf geſchaffen, aber nur als Erſatz
für eigentliche Aerzte, durch das Geſetz 19 Vent. an XI. a 15. Grund-
lage: die Bedingung für die niedere Praxis entweder drei Jahre Stu-
dium, oder ſechs Jahre Dienſt bei einem Arzt, oder fünf bis ſieben
Jahre in einem Hoſpital. Darauf drei Prüfungen in den Elementen
der Anatomie, Medicin und Pharmacie und Aufnahme durch eine jury
medical. Das neue Geſetz vom 31. Dec. 1854 hat ſie dagegen zu dem
gemacht, was bisher die Aerzte zweiter Claſſe waren. Sie werden nur
für ein beſtimmtes Departement aufgenommen, und an die Stelle der
Jury iſt der Präfekt getreten. Damit iſt dann das eigentliche Heildiener-
weſen im Grunde verſchwunden (ſ. oben). — In Preußen dagegen
wurde 1851 das Inſtitut der eigentlichen Heildiener von dem der
Krankenwärter geſchieden; jene haben das Recht auf die niedere
Chirurgie nach abgelegter Prüfung, Taxe und Approbation; dieſe nur
eine gewerbliche Commiſſion. (Die betreffende Verordnung bei Simon
und Rönne, preuß. Medicinalweſen I. 343; Horn, preuß. Medicinal-
weſen II. 236; die Statuten der Diaconiſſen-Anſtalten bei Horn,
Medicinalweſen II. 226—234 und Reſcript vom 4. Oct. 1854; vergl.
Rönne, preuß. Staatsrecht II. §. 355.) — Oeſterreich hat nur die
Pflicht der Krankenpflege ſtrafrechtlich feſtgeſtellt (Strafgeſetzbuch 360)
und die Armenkrankenpflege geordnet (StubenrauchII. §. 296). —
Uebrigens iſt in manchen deutſchen Staaten das Verhältniß und die
Gränze wohl kaum genau geordnet. (S. oben Sachſen-Altenburg
in ſeiner niederen Chirurgie.) Funke hat nichts über Sachſen. In
Württemberg forderte ſchon die Medicinalordnung von 1755 (Tit. IV.
§. 19. 21) die Aufſtellung von öffentlichen Krankenwärtern. Das ganze
[121] Gebiet ſollte aber in der That von dem Vereine der Aerzte in die
Hand genommen werden; die Beamteten ſind durchaus nicht im Stande,
hier zu helfen. — Bayern. Verordnung vom 15. März 1866, Bäder-
ordnung, Bildung, Befugniß und Berechtigung derſelben, ſehr rationell.
B. Die Heilanſtalten.
Weſen und Recht derſelben.
Im Sinne der Geſundheitsverwaltung ſind Heilanſtalten ſolche
Anſtalten, welche mit öffentlichen Mitteln für die Ausübung der Heil-
kunde hergeſtellt ſind. Das öffentliche Recht derſelben beſteht demnach
in denjenigen Beſtimmungen, welche durch die Geſundheitsverwaltung
für dieſelben aufgeſtellt werden.
Die hiſtoriſche Bildung dieſer Heilanſtalten hat jedoch denſelben
eine doppelte Aufgabe und damit auch ein doppeltes öffentliches Recht
gegeben.
Faſt alle Heilanſtalten ſind entſtanden als Anſtalten der Hülfe für
die Armuth in Krankheitsfällen. Sie ſind außerdem meiſt als Stif-
tungen, alſo mit ganz örtlicher Verwaltung gegründet. Das Hülfsweſen
wiegt in ihnen daher ganz entſchieden vor, bis ſie im vorigen Jahr-
hundert erſt in die allgemeine Organiſation der Geſundheitsverwaltung
aufgenommen werden. Dadurch ſcheidet ſich die ſanitäre Ordnung
derſelben von der rein adminiſtrativen, die es namentlich mit der
ökonomiſchen Seite zu thun hat. Die Beſchränktheit der urſprünglichen
Mittel macht bei einigen dann die Staatsunterſtützung nothwendig und
dieſe erzeugt für die amtliche Verwaltung das Recht, die Ordnung und
Thätigkeit dieſer Anſtalten durch amtliche Verordnungen und Inſtruk-
tionen zu regeln, bei denen die Grundſätze des Armenweſens und des
Heimathsrechts vielfach hineingreifen. Zugleich bringt es die Entwick-
lung der Wiſſenſchaft mit ſich, daß die verſchiedenen Anſtalten auch
beſondere Ordnungen bekommen, wie ſie den beſonderen Zwecken der-
ſelben entſprechen. Es kann daher weder eine feſte Codifikation des
öffentlichen Rechts der Heilanſtalten, noch eine gleichmäßige Entwicklung
deſſelben geben. Wohl aber hat daſſelbe allenthalben den gleichen Cha-
rakter und auf dieſem beruht weſentlich ihr Werth; das iſt die grund-
ſätzliche Unterordnung der Adminiſtration unter die Anforderungen der
Heilkunde, und dieſen Charakter finden wir in jedem Theile des Ganzen
wieder.
[122]
Eine gemeinſame Auffaſſung der geſammten Heilanſtalten mangelt;
gänzliche Unklarheit des allgemeinen Geſichtspunktes z. B. bei Mohl;
die Behandlung des Gegenſtandes findet daher nur in ſeinen einzelnen
Theilen ſtatt.
I. Das Hoſpitalweſen und die Armenkrankenpflege.
Das Hoſpitalweſen erſcheint urſprünglich als ein rein auf Stif-
tungen beruhender Theil des Armen- und Hülfsweſens. Die Hoſpitäler
ſind daher anfänglich die eigentliche Form der pia corpora, und ihr
öffentliches Recht wie ihre Verwaltung gehören daher als Selbſtverwal-
tung unter das Recht der Stiftungen und Corporationen, von denen
ſie auch jetzt noch einen Theil bilden. Das ſanitäre Element iſt dabei
faſt ganz unentwickelt. Erſt als die Armenunterſtützung — und ſo
weit dieſelbe eine öffentliche Aufgabe wird, wird die Armenkrankenpflege
zu einem Theil der erſteren und damit tritt nun, namentlich ſeit der
Organiſirung der ſtaatlichen Geſundheitsverwaltung, zugleich eine Orga-
niſirung des Hoſpitalweſens ein, welche daſſelbe in drei große Gruppen
theilt und für jede dieſer Gruppen eine eigene Ordnung und ein eigenes
Recht erzeugt. Dieſe drei Gruppen ſind die mediciniſchen Hoſpitäler,
die Stiftungs- und Vereinshoſpitäler und die Armenhoſpitäler
mit der Armenkrankenpflege. Der Charakter des Rechts dieſer Anſtalten
iſt im Allgemeinen erſtlich die Einzelverwaltung meiſt nach be-
ſonderen Vorſchriften für jede Anſtalt, jedoch unter allgemeiner Ober-
aufſicht, welche namentlich die Führung genauer Kranken- und Sterbe-
liſten und genauer Verwaltungsbücher und Rechnungen fordert;
zweitens der allmählige Sieg der Forderungen der Heilkunde über die
rein ökonomiſche Adminiſtration und die zum Theil auch geſetzliche
Unterordnung der letzteren unter die erſtere; endlich drittens die
Beſtimmung des Verhältniſſes dieſer Anſtalten zum eigentlichen Armen-
weſen. Dieſe drei Hauptpunkte erſcheinen nun bei jeder der drei
Gruppen wieder verſchieden, wie denn auch andercrſeits das geſammte
öffentliche Rechtsverhältniß in den einzelnen Ländern gleichfalls ein
weſentlich verſchiedenes iſt.
1) Die mediciniſchen Hoſpitäler ſind die zum Zwecke der Klinik
angelegten und zunächſt als Lehrmittel gebrauchten Anſtalten. Sie ſind,
wenn auch oft auf Grundlage von Stiftungen errichtet, doch Staats-
anſtalten, und die wirthſchaftliche Adminiſtration iſt natürlich den Vor-
ſchriften der mediciniſchen Leitungen durchaus untergeordnet, wie
denn auch das für ſie geltende Recht dem Unterrichtsweſen angehört.
2) Die Stiftungs- und Vereinshoſpitäler. Die erſteren beruhen
[123] auf Stiftungen meiſt der ſtändiſchen Epoche, die zweiten entweder auf
beſtimmten Genoſſenſchaften wie in Deutſchland, oder auf ganz freien
Vereinen wie in England. In ihnen beruht das Recht der Aufnahme
meiſt auf ſpeciellen, jeder Anſtalt eigenthümlichen Beſtimmungen, und
der Organismus ihrer Selbſtverwaltung iſt bei ihrer Herſtellung ſogleich
gegeben. Allein als Organe der großen öffentlichen Aufgabe der Ge-
ſundheitsverwaltung hat mit dem vorigen Jahrhundert der Staat den
Inhalt ſeines Oberaufſichtsrechts vielfach beſtimmt juriſtiſch formulirt,
und die weſentlichen Punkte deſſelben ſind folgende: 1) Recht auf An-
erkennung und Beſtätigung der Errichtung und Statuten; 2) Recht auf
Oberaufſicht über die ſtatutenmäßige wirthſchaftliche Verwaltung; 3) mei-
ſtens gewiſſe Vorrechte in Erwerb und Vertretung von Vermögen und
Anſprüchen; 4) endlich Recht zur mediciniſchen Oberaufſicht und Unter-
ordnung der mediciniſchen Thätigkeit unter die Geſundheitsverwaltung.
Natürlich ſteigert ſich das Recht der ſtaatlichen Oberaufſicht bis zur
wirklichen Theilnahme an der Verwaltung, wenn der Staat um des
öffentlichen Zweckes willen Zuſchüſſe leiſten muß. Das nun wird wieder
in jedem einzelnen Falle genauer beſtimmt. Jedes dieſer Hoſpitäler
hat demgemäß ſeine Statuten und meiſt auch ſeine Inſtruktionen. Doch
iſt die Gränze der mediciniſchen Forderungen an die Verwaltung in
den Mitteln und zuweilen auch in dem Rechte der einzelnen Anſtalten
gegeben.
3) Die Armenhoſpitäler und Armenkrankenpflege. Beide
erſcheinen zunächſt als Theil des Armenweſens und bilden mit dem
Inſtitut der Armenärzte und der freien Apothekenbenutzung ein
Ganzes. Allein die Organiſation und das Recht derſelben iſt natürlich
dennoch ſehr verſchieden. Der Unterſchied zwiſchen Frankreich und
Deutſchland beſteht hier weſentlich darin, daß in Frankreich die Armen-
krankenpflege eben nur in Hoſpitälern ſtattfindet, ſtatt daß es in
Deutſchland zum Theil ſolche Hoſpitäler für Arme noch neben der
Armenkrankenpflege gibt. Daraus entſtehen denn eine Reihe beſonderer
Vorſchriften über zwei Hauptpunkte der wirthſchaftlichen Verwaltung
dieſer Hoſpitäler; zuerſt über die Aufnahme und Entlaſſung in den-
ſelben, und dann über das mit dem Heimathsrecht zuſammenhängende
Recht der Verpflegungslaſt für die aufgenommenen Kranken. Offen-
bar iſt das deutſche Princip der Verbindung der Armenhoſpitäler
mit der (häuslichen) Armenkrankenpflege um ſo richtiger, als nur das
letztere den Keim zur Selbſthülfe in ſich trägt. An die letztere hat ſich
daher das große Syſtem der gegenſeitigen Krankenhülfe der niedern
Claſſen angeſchloſſen, das in England, Frankreich und Deutſchland in
weſentlich gleichartigen Formen ſeit unſerm Jahrhundert ſehr ausgebildet
[124] iſt (friendly societies, caisses de secours mutuels, Krankenverſiche-
rungen). Freilich fehlt dieſer ganzen Richtung nach dem Charakter
ihres Urſprunges und ihres nächſten Zweckes das ärztliche Element;
ſie hat ſich bisher nur auf die wirthſchaftliche Hülfe beſchränkt und ſieht
ihrer höheren ſanitären Entwicklung noch entgegen. Es wäre wohl
Sache der Gemeinden, hier im öffentlichen Intereſſe der Geſundheit
die Bedingungen dieſes Fortſchrittes zu bieten.
Die Behandlung der Lehre von den Hoſpitälern iſt noch immer
ſtrenge in die rein mediciniſche und rein juriſtiſche geſchieden, und nur
in einzelnen Werken eine beide umfaſſende. Freilich gehört das öffent-
liche Recht hier zum großen Theil dem Heimaths- und Armenweſen an,
und in dieſer Beziehung iſt der Charakter Englands, Frankreichs und
Deutſchlands ſehr verſchieden.
In England gibt es kein allgemeines öffentliches Recht dieſer
Heilanſtalten; die einzelnen Hoſpitäler ſind meiſt Vereinshoſpitäler mit
eigener ſtatutariſcher Verwaltung. Die Geſundheitsverwaltung nimmt
dabei kein direkt anerkanntes Recht auf Oberaufſicht in Anſpruch. Das
Armenkrankenweſen bildet keinen beſonderen Theil der allgemeinen
Armenverwaltung; Armenärzte gibt es nicht. Von den wenigen Staats-
hoſpitälern hat das große Greenwich-Hoſpital durch 28, 29 Vict. 89
eine neue Organiſation erhalten. — Ganz anders iſt das Syſtem
Frankreichs. Das Hoſpitalweſen Frankreichs war vor der Revolution
als Glied der ſtändiſchen Verwaltung ſehr ausgebildet, aber nur örtlich
und ohne Einheit. Durch die Revolution empfing das Hoſpitalweſen
ſeinen Charakter als allgemein ſtaatliche Organiſation der Hülfe für
Arbeitsunfähige und Kranke zugleich, weſentlich auf Grundlage
einer allgemeinen Amenſteuer (1 Cent. pr. Entréebillet in das Theater).
Daneben beſitzen Einzelne noch ein eigenes Vermögen. Die Hoſpitäler
Frankreichs ſcheiden ſich demgemäß nach ihren Aufgaben in hospices
(für Alte und Schwache), hôpitaux (für eigentliche Kranke) und hos-
pices-hôpitaux (für beide Claſſen). Die Organiſation derſelben iſt auf
Grundlage des Geſetzes vom 16. Vend. an. V (1796) errichtet. Grund-
gedanke war Selbſtverwaltung durch gewählte Organe; das Geſetz vom
7. Mess. an XI (7. Auguſt 1801) gab dagegen einen weſentlichen Theil
der Verwaltung den Behörden, was dann die Ordonnanz vom 31. Okto-
ber 1821 genauer beſtimmte und das Geſetz vom 6. Juni 1830 änderte.
— Die Errichtung ward durch Dekret vom 17. Januar 1806 von
der behördlichen Genehmigung abhängig; das Dekret vom 25. März 1852
läßt alle verwaltenden Organe von Präfekten ernennen. Die wirth-
[125] ſchaftliche Verrechnung iſt ſehr genau geordnet. Die Verpflichtung
zur Aufnahme gegen Zahlung iſt allgemein; zur Zahlung verpflichtet iſt
die Geburtsheimath bis zum fünfundzwanzigſten Jahre bei den indigents;
bei den Kranken gibt der bloße gewerbsmäßige Aufenthalt das Recht
zur Aufnahme. Nach dem Geſetz vom 7. Auguſt 1851 sur les hospices
wird jede Gemeinde gezwungen, die Verpflegungskoſten ihrer Heimath-
berechtigten in einem anderen hospice oder hôpital zu tragen, wenn
derſelbe „privé de ressources“ iſt; doch kann das Departement dieſelbe
unterſtützen, und hat die letztere das Recht des Rekurſes gegen die
zahlungsfähigen Angehörigen. Die Führung der Rechnungsbücher (livre
de souches und livre de detail nebſt Journal ꝛc.) genau vorgeſchrieben,
ſowie die Kranken- und Todtenliſten. Die Ordonnanz vom 23. April
1823 und das Geſetz vom 18. Juli 1833 haben demgemäß die Theil-
nahme der Gemeinden an der Verwaltung der hospices geordnet. Das
Hoſpitalsrecht nimmt daher in Frankreich eigentlich den
Platz unſeres deutſchen Heimathsweſens ein und hat eine
große Literatur erzeugt. Hauptwerk: de Wattewille, Code de
l’administration charitable 1847. Neuere Beſtimmungen und Literatur:
M. Doisy v. Hôpitaux bei Block. Tardieu, Dictionnaire d’hy-
giène ebend. Laferrière, Droit admin. II. L. II. T. II. ch. IV.
über die hospices und ihre wirthſchaftliche Verwaltung; I. L. 1. 1. 2
über die hôpitaux und ihre Vermögensverwaltung. — Das Verhältniß
der Hoſpitäler in Belgien hat dagegen vielmehr den deutſchen Cha-
rakter von Gemeindeanſtalten oder Stiftungen (de Fooz, Droit adm.
belge, hospices civils IV. 364 und hospice de Messines ib. 395). —
Das Syſtem Oeſterreichs beruht in etwas ähnlicher Weiſe auf dem
Unterſchied zwiſchen Kranken (heilbaren) und Siechen (unheilbaren).
Grundſatz iſt, daß die Kranken- und Siechenhäuſer als Lokalanſtalten
angeſehen und daher von den Gemeinden erhalten werden (Dekret vom
22. Oktober 1822), dabei aber dennoch unter der Aufſicht der Bezirks-
und Kreisärzte ſtehen (StubenrauchI. §. 262; Medicinalverordnung
vom 1. Oktober 1850). Pflicht zur Verpflegung wird nach Röm. Recht
durch das Allgem. bürgerliche Geſetzbuch zuerſt den Aſcendenten und
Deſcendenten (§§. 139, 143 und 154), dann der Gemeinde zugewieſen
(Gem. Geſ. vom 17. März 1849), eventuell dem Landesfonds. Auf-
nahme allgemein gegen Krankenſchein. Verhältniß der Kranken- und
Siechenhäuſer (Erlaß vom 4. Dec. 1855; StubenrauchII. 298).
Beſondere Direktoren für die Aufnahme ſeit 4. Mai 1811; Beſcheini-
gung des Pfarrers (StubenrauchII. 354 und 356). — Die Armen-
krankenpflege (out door relief derſelben) beruht auf dem organiſch durch-
geführten Grundſatz der Anſtellung von Armenärzten, Wundärzten
[126] und Hebammen, nebſt der allgemeinen Pflicht, den Armen unent-
geldlich zu helfen (Inſtruktion von 1813, 1824, 1826 und die Ordi-
nationsnorm für arme Kranke vom 26. Auguſt 1813 und 22. Mai
1823; StubenrauchII. §. 355). — In Preußen ſtellte das Allge-
meine Landrecht II. 19 §§. 32—86 die allgemeinen Grundſätze für die
Stiftungshoſpitäler feſt, mit Vorrechten eigener Verwaltung und
Oberaufſicht, indem es ſie mit Arbeitshäuſern ꝛc. zuſammenfaßte. Die
Vorſtände ſind „Diener des Staats“ (§. 80) mit Haftung wie die Vor-
münder. Die Armenhoſpitäler ſind auch hier als Gemeindeſache be-
trachtet und von den Gemeinden verwaltet; die Grundſätze dafür ſind
die der Armenpflege überhaupt. Doch werden auch viele Armenhoſpitäler
von Provinzen, Kreiſen und Vereinen unterhalten. Sie fallen in ihrem
öffentlichen Recht mit den Stiftungsſpitälern zuſammen, während die
Krankenaufnahme nach dem Armengeſetz vom 31. December 1842 gilt.
Daneben das Inſtitut der Armenärzte für die einzelnen Gemeinden
obligatoriſch (Reſcr. vom 8. Sept. 1823; Horn, Medicinalweſen II. 161;
Rönne, Staatsrecht II. 341 und 363). — Da wo wir keine ſpecielle
Geſetzgebung für die einzelnen deutſchen Staaten nachzuweiſen vermögen,
wird die Armenkrankenpflege wohl meiſt auf den Armenärzten be-
ruhen; allgemein gilt der Grundſatz, daß die Armenhoſpitäler keine
Staatsangelegenheit bilden. — Für das Königreich Sachſen iſt das
Syſtem der „Krankenanſtalten des Landes“ bei FunkeIII. S. 347 ff.
mit ihrem Recht und ihren Ordnungen genau mitgetheilt. — Ueber die
Ordnung der beiden öffentlichen Heilanſtalten in Württemberg bei
Roller §§. 173—175. — Die Errichtung von Privatheilanſtalten
iſt mit Ausnahme Englands wohl in allen Ländern Gegenſtand beſon-
derer Commiſſionen und die Oberaufſicht ſelbſtverſtändlich. Die
Maisons de réfuge in Frankreich (Dekret vom 26. Dec. 1810);
Maisons de santé (Geſetz vom 30. Juni 1838, mit beſonderer Inſtruk-
tion vom 9. Aug. 1828). Oeſterreich. Genehmigung: Stubenrauch
II. 298. Preußen. Gewerbeordnung 1845 §. 42 (RönneII. 363).
Für das Königreich Sachſen: Funke, Privatheilanſtalten III. S. 383;
Aufſicht auf die Krankenhäuſer III. S. 21. In Bayern gleichfalls
Princip der Genehmigung namentlich bei orthopädiſchen und hydropathi-
ſchen Anſtalten. Neueſtens geordnet durch Verordnung vom 29. Ja-
nuar 1865. Ueber das Recht der Maisons hospitalières des femmes
und die Maisons de réfuge in Belgien, die gleichfalls unter öffentlicher
Aufſicht ſtehen, de Fooz a. a. O. IV. 396 und 403. In Italien
theils Organiſirung der alten, theils Errichtung neuer Seehoſpitäler
(Verordnung vom 23. Okt. 1865, 8. Febr. 1866). Staatliche Organi-
ſation mit öffentlichen Direktoren.
[127]
II. Das Irrenweſen.
Während das Hoſpitalsweſen ſeinen verwaltungsrechtlichen Inhalt
weſentlich durch das Armenweſen empfängt, entſteht im Irrenweſen die
zweite Seite ſeines öffentlichen Rechts aus dem Pflegſchaftsweſen. Das
öffentliche Irrenweſen enthält nämlich die Geſammtheit der Vorſchriften
und Anſtalten, vermöge deren einerſeits die rechtliche Vertretung,
andererſeits die ſanitäre Behandlung der Geiſteskranken geordnet wird.
Das Irrenweſen als Theil des öffentlichen Rechts hat wohl allent-
halben denſelben Entwicklungsgang durchgemacht. Während es in der
alten Zeit als reine Familienangelegenheit, nun als Sache der Armen-
pflege angeſehen wird, beginnt es ſelbſtändig mit dem Standpunkte
der Sicherheitspolizei und der Pflicht der Gemeinde, gefährliche Irren
einzuſperren. Dieſer Standpunkt macht erſt im vorigen Jahrhundert
der Idee der Hülfsbedürftigkeit der Irren Platz, an die ſich der
Satz anſchließt, daß man dafür öffentliche Anſtalten errichten, und den
Verwandten die Pflicht vorſchreiben müſſe, die Irren noch immer wegen
ihrer Gemeingefährlichkeit, dahin abzuliefern. Auf dieſer Grundlage bil-
dete ſich nun mit unſerem Jahrhundert der Grundſatz aus, daß die
Sorge für die Geiſteskranken eine organiſche Aufgabe der Geſundheits-
verwaltung ſei, und dieſer Grundſatz entfaltete ſich nach den drei Seiten
hin, welche zuſammengenommen das gegenwärtige öffentliche Recht
des Irrenweſens Europas in ſeinen Grundlagen bilden. Dieſe ſind:
1) Die Irrenanſtalten ſind öffentliche Landesanſtalten mit öffent-
licher Verwaltung, eventuell mit öffentlicher Unterſtützung und Pflicht
zur Aufnahme von armen Irren. Die wirthſchaftliche Verwaltung ſteht
daher unter gleicher Controle wie jede andere. Die Errichtung von
Privatirrenanſtalten unter Genehmigung und beſtändiger Oberaufſicht iſt
daneben geſtattet. Sie ſind daher ein Theil der Geſundheitsverwaltung.
2) Daraus folgt, daß die ſanitäre Behandlung der Irren den
allgemeinen, und in den einzelnen Anſtalten auch den ſpeciellen Vor-
ſchriften der Geſundheitsverwaltung und ihrer beſtändigen Oberauf-
ſicht unterworfen iſt, welche letztere durch beſtimmte Geſetze und Inſtruk-
tionen geregelt wird.
3) Endlich wird das Privatrecht der Irren, die Sicherung ihrer
perſönlichen und wirthſchaftlichen Freiheit zum Gegenſtande ſpecieller
Geſetzgebung, welche durch die rechtlichen Formen und Bedingungen
ſowohl der öffentlichen Irrenerklärung, als der Aufnahme und
Entlaſſung von Seiten der Irrenanſtalten die Einzelnen gegen den
Irrthum und Verbrechen in Bezug auf wahre oder angebliche Geiſtes-
krankheit und Heilung ſchützen.
[128]
Die hierauf bezüglichen Beſtimmungen ſind nur in einzelnen Län-
dern Gegenſtand einer codificirten Geſetzgebung, während namentlich in
Deutſchland die Gewähr für die gute und geſicherte Verwaltung des
Irrenweſens noch immer mehr auf der Thätigkeit der Oberaufſicht, als
auf organiſchen Geſetzen beruht, was eben nur dadurch erklärt und er-
tragen werden kann, daß die mediciniſche Bildung ſelbſt, die wahre
Grundlage des Ganzen, hier am höchſten ſteht, und das ſtrenge admini-
ſtrative Geſetz zu erſetzen weiß. Die juriſtiſche Seite der Irrengeſetz-
gebung entbehrt in Deutſchland der Einheit; für die meiſten kleineren
Staaten ſcheint ſie ganz zu fehlen.
In der ganzen Irren-Literatur haben ſelbſt auf juriſtiſchem Ge-
biete die Mediciner viel mehr geleiſtet als die Juriſten. Die Geſetz-
gebung iſt die reichſte im ganzen Geſundheitsweſen. Ueber England
iſt das Hauptwerk: Schlemm, Bericht über das brittiſche Irrenweſen
1848. Die neueſte Geſetzgebung dagegen bei Gneiſt, Engl. Verwal-
tungsrecht II. §. 110 (Lunatic Asylum). Erſte Periode: reine Sicher-
heitspolizei gegen gefährliche Irren 17 G. II. 5, jedoch ſchon mit dem
Verbot, Irren ohne Genehmigung in Privathäuſer aufzunehmen. Zweite:
Errichtung von öffentlichen Irrenhäuſern (Lunacy Asylum 48 G. III. 96.
1808): Pflicht zur Aufnahme gegen Erklärung von zwei Friedensrich-
tern. Die Verwaltung der Irrenhäuſer unter beſondere Commiſſionen
geſtellt 9 G. IV. 40, welche auch Licenses für Irrenanſtalten geben;
eine förmliche organiſche Geſetzgebung über die ganze Irrenverwaltung
dann zuerſt 8, 9 Vict. 120 und 126; das letzte, alle geſetzlichen Beſtim-
mungen über Aufnahme und Entlaſſung, Verwaltung und Oberaufſicht
zuſammenfaſſende Geſetz der Lunacy Asylums Act 16, 17 Vict. 97.
(1853) unter den Commissioners in Lunacy (ſ. Gneiſt a. a. O. S.
731). Das Ganze iſt gut charakteriſirt bei Schlemm S. 27: die eng-
liſche Irrengeſetzgebung hat die ſtrenge Tendenz „die Sache der Irren
aus den Händen der Aerzte in die der Richter zu geben.“
Doch fehlen Beſtimmungen über die geſetzliche Irrenerklärung und die
Vormünder. Das neueſte Statut 25, 26 Vict. 86 (Lunacy Regulation
Act 1862) regelt die Inſpektion der Irrenhäuſer, Herſtellung eines
amtlichen Regiſters und Recht auf Berufung einer Jury — durch den
Irren! — Das Geſetz über die wahnſinnigen Gefangenen 3, 4 Vict.
54 etwas geändert durch 27, 28 Vict. 99. — Die franzöſiſche Ge-
ſetzgebung iſt ſehr umfaſſend und vortrefflich, namentlich in ihrem
adminiſtrativen Theil muſterhaft. Ueber das Pflegſchaftsweſen der
Irren ſchon der Code Civ. 489 und 490, 509, 510; Recht der Behörde
[129] zur „Interdiction“ jedoch ſchon ſeit Geſetz vom 16—24. Auguſt 1790
in Anſpruch genommen, doch fehlten noch die Irrenanſtalten: ſtatt der-
ſelben Unterbringung in den hospices. Jene wurden erſt als allge-
meine Anſtalten errichtet mit dem Geſetz vom 30. Juni 1838: „à la
fois une loi de police et une loi d’assistance publique,“ zu welchem
das Reglement vom 18. December 1839 hinzugekommen iſt, ſo wie der
Grundſatz, daß jedes Reglement der Autoriſation des Präfekten bedürfe.
Die Oberaufſicht über die Privatanſtalten iſt genau geordnet; eben ſo
die Formalitäten und Bedingungen der Aufnahme und Entlaſſung, die
gerichtliche von der ſicherheitspolizeilichen unterſchieden; die Vertheilung
der Laſten ſtreng geordnet, und die Befolgung der Vorſchriften unter
Strafe geſtellt. Der Gegenſtand iſt vielfach und ausführlich behandelt
(ſ. die Literatur bei Leviez v. Aliénés bei Block. Tardieu,
Dict. v. Aliénés). Die franzöſiſche Geſetzgebung hat der holländiſchen
(Geſetz vom 29. Mai 1841; ſ. De Bosch-Kemper: Nederland. Staats-
regt §. 375 nebſt den einzelnen Geſetzen) und der belgiſchen (Geſetz
vom 18. Juni 1850 und Reglement vom 1. Mai 1851) zum Muſter ge-
dient (ſ. de Fooz, Droit admin. belge IV. p. 391—395). Die Ver-
gleichung und der Text ſowohl der engliſchen von 8, 9 Vict. 100. (1845)
— (warum hat man nicht die Lunacy Act von 1853 genommen?) als
der franzöſiſchen, holländiſchen, belgiſchen, ſchwediſchen (vom
5. März 1858), norwegiſchen (vom 17. Auguſt 1848) und Genfer
(vom 5. Februar 1838) in einer trefflichen Zuſammenſtellung in der
Allgemeinen Zeitſchrift für Pſychiatrie Bd. XX. Suppl.Heft. Im
Detail iſt ſie übrigens nicht vollſtändig. — Was Deutſchland be-
trifft, ſo müſſen wir den Charakter ſeines Irrenweſens, durch den es
ſich von England, Frankreich und den übrigen Staaten ſo weſentlich
unterſcheidet, in zwei Punkten ſuchen, die bei aller Verſchiedenheit im
Einzelnen allen gemein ſind. Der erſte beſteht darin, daß kein deutſcher
Staat eine codificirte Irrengeſetzgebung hat, wie die oben citir-
ten; daß meiſtens die Anſtalten Landes- oder Privatanſtalten ſind;
daß in Folge deſſen die Thätigkeit der Staatsverwaltung eine weſent-
lich oberaufſehende iſt, und daher auch nur in einer allerdings
großen, aber doch faſt ausſchließlich nur auf die einzelnen Anſtalten
und ihre Verwaltung bezüglichen Reihe von Inſtruktionen, Verord-
nungen u. ſ. w. erſcheint, und daß endlich das juriſtiſche Element des
Irrenweſens als Pflegſchaftsweſen, von der Irrenverwaltung gänzlich
geſchieden, nur in den bürgerlichen Geſetzbüchern enthalten iſt. —
Das zweite großartige Element des deutſchen Irrenweſens dagegen be-
ſteht in dem Vereinsweſen der Irrenärzte mit ihren temporären
„pſychiatriſchen Verſammlungen,“ die mit großem Verſtändniß auch das
Stein, die Verwaltungslehre. III. 9
[130] juriſtiſche Bedürfniß der Irrenverwaltung zur Anerkennung bringen.
Aus dieſen Verſammlungen iſt die in ihrer Art einzige Sammlung
der „Geſetze und Verordnungen in Deutſchland, betreffs der Geiſtes-
kranken“ (Allgem. Zeitſchrift für Pſychiatrie Bd. XIX. Suppl.Heft. 1862,
ſo wie das Suppl.Heft zu Bd. XX.) die „Irrengeſetze und Verord-
nungen in Preußen“ 1863 hervorgegangen, die das beſtehende Recht
in A. Civilrechtliches, B. Strafrechtliches, C. Polizeirechtliches ſcheidet,
und für jeden Staat Deutſchlands unter Zuhülfenahme der betreffen-
den Verwaltungsgeſetzurkunden eine vollſtändige Sammlung der beſtehen-
den Anordnungen darbieten. Wir haben derſelben außer der obigen
Charakteriſtik nur noch das eine unterſcheidende Merkmal hinzuzufügen,
daß bei der durchaus centralen Irrenverwaltung der übrigen Staaten
von einer Selbſtverwaltung nur in England und Deutſchland die
Rede iſt, jedoch mit dem weſentlichen Unterſchied, daß in England die
Countys, welche nach 8, 9 Vict. 100 die Landſchaftsirrenhäuſer zu er-
halten haben, das Recht beſitzen, die ganze Verwaltung jeder Anſtalt
durch bye laws zu ordnen, während die Selbſtverwaltung der öffent-
lichen Irrenhäuſer in Deutſchland faſt nur auf reine Budgetbewilligung
für dieſelbe beſchränkt, und die Erlaſſung der Reglements der Sanitäts-
verwaltung vorbehalten iſt. Privat-Irrenanſtalten ſtehen unter dem
Princip der Genehmigung, und dem gleichen Verordnungsrecht der Ver-
waltung. S. die ſchöne Arbeit von Naſſé, Vorſchläge zur Irren-
geſetzgebung (Preußen) 1850. Als Supplement zu den obigen Samm-
lungen noch etwa für Preußen: Rönne, Staatsrecht II. 361. Oeſter-
reich (StubenrauchI. 227 und II. 298). Bayern (Pözl, Ver-
waltungsrecht §. 119). Sachſen (Funke, Polizeigeſetze III. 347 ff.
Privatirrenanſtalten und ihre Beaufſichtigung ebendaſ. S. 393). Würt-
temberg (Roller §. 27—31). Baden: Statut der Staatsanſtalt zu
Ilmenau vom 21. März 1845 (Auſtria 1866. S. 150). — Heſſen-
Darmſtadt: Verordnung vom 9. Januar 1866 über Aufnahme und
Verpflegung im Landesſpital. Aufnahme nicht durch die Direktion,
ſondern durch die Verwaltungsbehörde. Hannover: Verordnung vom
14. März 1866. Erſte allgemeine Ordnung des Irrenweſens in Han-
nover, in drei Abſchnitten: Aufnahme, Aufnahmsverfahren, Entlaſſung
(dieſe für alle Kranken möglich, ſelbſt bei unheilbaren, wenn Sicher-
heit gegen dieſelben iſt. Mit Formular für Gutachten und Pflicht zu
Berichten. Auſtria 1866. S. 157).
III. Gebär- und Ammenhäuſer.
Auch die Gebär- und Armenhäuſer ſind erſt im vorigen Jahrhun-
dert entſtanden und haben den doppelten Charakter von Armen- und
[131]Heilanſtalten, ohne daß einer von beiden der überwiegende wäre. Es
liegt in der Natur der Sache, daß ſie nur örtlich in großen Städten
die erſtere von dem Armenweſen geſchieden fordern, und daß ſich erſt
an dieſe ein ſelbſtändiges Armenweſen anſchließen kann, das dann
wieder vielfach mit den dem Hülfsweſen angehörigen Findelhäuſern
in Verbindung gebracht wird. Daher iſt der Charakter des geltenden
öffentlichen Rechts derſelben im Weſentlichen das der Krankenhäuſer
und Hoſpitäler: örtliche Verwaltung, ſowohl mediciniſche als wirth-
ſchaftliche, und Oberaufſicht der Sanitätsverwaltung, theils durch
Inſpektion, theils durch örtliche Verordnungen. Die große Wichtig-
keit eines gut organiſirten Ammenweſens in den größeren Städten iſt
noch keineswegs genug anerkannt; der geeignete Punkt wäre die orga-
niſche, ſtatt der bisherigen rein gewerblichen und uncontrolirten Ver-
bindung mit dem Hebammenweſen.
Die Literatur iſt, trotz der Andeutungen bei Frank und Andern
wohl nur ſehr unbedeutend. In England fehlt unſeres Wiſſens jede
geſetzliche Beſtimmung. In Frankreich dagegen datiren die bureaux
de nourrices ſchon von L. XIV. 19. Januar 1715, jedoch nur für
Paris; Verbindung derſelben mit den hospices (Arr. 29. Germ. an IX).
Dann neueſte gute Organiſation unter der Admin. gén. de l’assistance
publique. (Geſetz vom 10. Januar 1849 und Reglement von 1851 im
Auszug bei Block v. Nourrices. Tardieu, Dictionnaire v. Nourri-
ces). Errichtung und Organiſirung von Säugammen-Inſtituten in Ver-
bindung mit den Findelhäuſern für Wien. Erlaß vom 1. December 1806
und Prag vom 14. October 1833 (StubenrauchII. 264). — Gibt
es in Preußen, Sachſen u. ſ. w. denn gar keine einſchlagenden Inſti-
tute oder Verordnungen? — Die Entbindungsanſtalt zu Osnabrück
iſt durch Verordnung vom 5. Mai 1865 zugleich als Hebammenklinik
eingerichtet.
IV. Oeffentliche Bäder.
Die Geſchichte, das gegenwärtige Recht und die Zukunft des hoch-
wichtigen Badeweſens beruht zunächſt auf der Unterſcheidung zwi-
ſchen den eigentlichen Heilbädern (Geſundbrunnen) und den (öffent-
lichen) Badeanſtalten, von denen jene für die Heilung von Krank-
heiten, dieſe für die Erhaltung der öffentlichen Geſundheit beſtimmt ſind.
In der alten Welt bildeten die Heilbäder gar keinen Gegenſtand
der Verwaltung, während die öffentlichen Badeanſtalten bekanntlich als
ein allmählig ganz nothwendiger Theil jeder örtlichen Verwaltung
[132] angeſehen wurden. Bis zum achtzehnten Jahrhundert blieb beides dann
unbeachtet. Die „Bäder“ erſcheinen als Einzelbäder, reines Heilmittel
in einzelnen Fällen, und gehören in dem Zunftweſen der „Bader“ dem
niederen Heilweſen an. Mit dem achtzehnten Jahrhundert zieht aber
die allgemeine Geſundheitsverwaltung wieder die Heilbäder in den
Kreis ihrer Oberaufſicht, obgleich ſie ihnen zunächſt ganz den Charakter
von gewerblichen Unternehmungen läßt, aber das Heilweſen derſelben
zu ordnen beginnt, während von öffentlichen Badeanſtalten noch keine
Rede iſt. Die letzteren entſtehen dann mit unſerem Jahrhundert,
und zwar auf Grundlage theils von Privatunternehmungen für das
Bedürfniß des Publikums, theils aber durch das Vereinsweſen in
England als allgemeines Geſundheitsmittel mit ſpeciellem ſocialem Zwecke
für die niederen Claſſen. Die wachſende Ueberzeugung von der unend-
lichen Wichtigkeit der Bäder für die öffentliche Geſundheit läßt dann
die Anlage ſolcher öffentlichen Badeanſtalten als eine Aufgabe zunächſt
der örtlichen Sanitätsverwaltungen erſcheinen, deren Bedeutung auch
hier mit der Dichtigkeit der Bevölkerung zunimmt. Auf dieſe Weiſe
entſtehen zwei große Gruppen des öffentlichen Rechts des Badeweſens,
von denen namentlich die letztere viel mehr Aufmerkſamkeit und
Anſtrengungen fordert, als ihr bisher in Literatur und Geſetz-
gebung zu Theil geworden iſt.
Die Heilbäder oder Geſundbrunnen ſtehen nur unter einer allge-
mein öffentlichen Oberaufſicht, die meiſt nur den Schutz der Kranken
gegen Ausbeutung zur Aufgabe hat. Die mediciniſche Seite läßt
keine Geſetzgebung zu.
Die öffentlichen Badeanſtalten dagegen haben ein doppeltes
Rechtsverhältniß.
Inſofern ſie gewerbliche Unternehmungen ſind, ſtehen ſie als
(genehmigte) Gewerbe unter den Gewerbeordnungen, und unter der
allgemeinen Sicherheitspolizei.
Die öffentlichen (Volks) Bäder dagegen ſind, meiſtens leider
nur noch im Entſtehen begriffene Anſtalten für die (möglichſt) freie
Benützung des Publikums, werden entweder von den Gemeinden oder
von Vereinen errichtet, und haben ihre einfachen adminiſtrativen und
ſicherheitspolizeilichen örtlichen Ordnungen.
Die Geſetzgebung über die Heilbäder in Frankreich beginnt ſchon
im ſiebzehnten Jahrhundert (Mai 1603); die Grundzüge der Geſetz-
gebung des achtzehnten ſind durch die Geſetze vom 3. Flor. an VIII
und 6 Niv. an IX und endlich durch die Ordonnanz vom 18. Juni 1823
[133] reproducirt und erweitert. Grundgedanke: Strenge Controle, Oberauf-
ſicht durch Inſpektoren, Kurliſten und jährliche Berichte, und zugleich
ſtrenge Sanitätspolizei für Mineralwäſſer; ſelbſt Nachgrabungen
nach Geſundbrunnen nur auf polizeiliche Erlaubniß (Decret vom 9. März
1848). Ausführlich bei (Tardieu, Dictionnaire v. Éaux minérales).
— Die belgiſche Geſetzgebung ſchließt ſich zwar an die frühere franzöſiſche,
nicht aber an die angeführte neuere an, und ſteht im Weſentlichen auf
dem deutſchen Standpunkt (De Fooz, Dr. adm. belge IV. p. 174—183).
— In Deutſchland überhaupt keine allgemeine Geſetzgebung, ſondern
nur Anerkennung und Durchführung des Princips der Oberaufſicht
von Seiten der Sanitätsverwaltung und einzelne Inſtruktionen und
Reglements für die einzelnen Badeorte, nebſt ſtrenger Polizei der
Mineralwäſſer. Oeſterreich: Badeordnungen für Baden, Gaſtein,
Iſchl; Anſtellung von Badeärzten mit jährlichen Berichten; Freiheit
des Verkehrs mit Mineralwäſſern unter Anzeige und Haftung; Er-
zeugung künſtlicher Wäſſer 1832 verboten, durch Decret vom 11. No-
vember 1847 unter Genehmigung erlaubt (StubenrauchII. 295). —
Preußen: gleichfalls Oberaufſicht mit jährlichen Berichten, Circ. vom
5. Februar 1856 (Horn, Medicinalweſen I. 84).
Die öffentlichen Bäder ſtanden lange nur unter ſicherheitspoli-
zeilicher Oberaufſicht, meiſt örtlich, und als Gewerbe unter der Gewerbe-
ordnung. Preußen (Gewerbeordnung §§. 40 und 50). Doch in Oeſter-
reich ſchon neben der erſtern (StubenrauchI. 227) allgemeine
Vorſchriften für warme Bäder. Decret vom 23. Auguſt 1803 (Stu-
benrauchII. 277). Das vorwiegend ſociale Inſtitut der Volks-
bäder ſtammt dagegen aus England. Hier beginnt es mit öffentlichen
Waſchanſtalten für die niederen Claſſen, an die ſich Bäder für ſehr
geringen Preis anſchließen, ohne Zuthun der Regierung auf Vereins-
wege (Statut 9, 10 Vict. 74 mit Zuſatz 10, 11 Vict. 61, wobei die
Gemeinden bye laws erlaſſen können. Gneiſt, Engl. Verwaltungsrecht
II. 111). Dann hat Frankreich die Aufgabe für die centrale Ver-
waltung übernommen und durch Geſetz vom 3. Februar 1851 einen
Credit für die Errichtung von Volksbädern in der Form der Sub-
ventionen an einzelne Gemeinden (600,000 Fr.) bewilligt — eine bei
der Langſamkeit deutſcher Gemeindeverwaltung wohl ſehr nachahmungs-
werthe Maßregel.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Die Verwaltungslehre. Die Verwaltungslehre. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bp0j.0