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Ekkehard.

Eine Geſchichte
aus dem zehnten Jahrhundert

Frankfurt a. M.:
Verlag von Meidinger Sohn \& Cie.
1855.
[]

Druck von Auguſt Oſterrieth
in Frankfurt a. M.



[]
Deutſche Bibliothek.

Sammlung
auserleſener
Original-Romane.

Siebenter Band.

Ekkehard.
Eine Geſchichte aus dem zehnten Jahrhundert

Frankfurt a. M.:
Verlag von Meidinger Sohn \& Cie.
1855.
[]

Druck von Aug. Oſterrieth
in Frankfurt a. M.


[]

Vorwort.



Dies Buch ward verfaßt in dem guten Glauben, daß es
weder der Geſchichtſchreibung noch der Poeſie etwas ſchaden kann,
wenn ſie innige Freundſchaft mit einander ſchließen und ſich zu
gemeinſamer Arbeit vereinen.


Seit Jahrzehnten iſt die Hinterlaſſenſchaft unſerer Vorfahren
Gegenſtand allſeitiger Forſchung; ein Schwarm fröhlicher Maul-
würfe hat den Boden des Mittelalters nach allen Richtungen
durchwühlt und in fleißiger Bergmannsarbeit eine ſolche Maſſe
alten Stoffes zu Tage gefördert, daß die Sammelnden oft ſelbſt
davor erſtaunten: eine ganze, ſchöne, in ſich abgeſchloſſene Literatur,
eine Fülle von Denkmalen bildender Kunſt, ein organiſch in ſich
aufgebautes politiſches und ſociales Leben liegt ausgebreitet vor
unſern Augen. Und doch iſt es all der guten auf dieſe Beſtre-
bungen gerichteten Kraft kaum gelungen, die Freude am geſchicht-
lichen Verſtändniß auch in weitere Kreiſe zu tragen; die zahl-
loſen Bände ſtehen ruhig auf den Brettern unſerer Bibliotheken,
da und dort hat ſich ſchon wieder gedeihliches Spinnweb angeſetzt
und der Staub, der mitleidlos Alles bedeckende, iſt auch nicht
ausgeblieben, ſo daß der Gedanke nicht zu den undenkbaren ge-
hört, die ganze altdeutſche Herrlichkeit, kaum erſt ans Tageslicht
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 30
[II] zurückbeſchworen, möchte eines Morgens, wenn der Hahn kräht,
wieder verſunken ſein in Schutt und Moder der Vergeſſenheit,
gleich jenem geſpenſtigen Kloſter am See, von dem nur ein leiſe
klingendes Glöcklein tief unter den Wellen dunkle Kunde gibt.


Es iſt hier nicht der Ort, zu unterſuchen, in wiefern der
Grund dieſer Erſcheinung dem Treiben und der Methode unſerer
Gelehrſamkeit beizumeſſen.


Das Sammeln alterthümlichen Stoffes kann wie das Sam-
meln von Goldkörnern zu einer Leidenſchaft werden, die zuſam-
menträgt und zuſammenſcharrt, eben um zuſammen zu ſcharren,
und ganz vergißt, daß das gewonnene Metall auch gereinigt,
umgeſchmolzen und verwerthet werden ſoll. Denn was wird
ſonſt erreicht?


Ein ewiges Befangenbleiben im Rohmaterial, eine Gleich-
werthſchätzung des Unbedeutenden wie des Bedeutenden, eine
Scheu vor irgend einem fertigen Abſchließen, weil ja da oder
dort noch ein Fetzen beigebracht werden könnte, der neuen Auf-
ſchluß gibt, und im Ganzen — eine Literatur von Gelehrten für
Gelehrte, an der die Mehrzahl der Nation theilnahmlos vor-
übergeht und mit einem Blick zum blauen Himmel ihrem Schöpfer
dankt, daß ſie nichts davon zu leſen braucht.


Der Schreiber dieſes Buches iſt in ſonnigen Jugendtagen
einſtmals mit etlichen Freunden durch die römiſche Campagna
geſtrichen. Da ſtießen ſie auf Reſte eines alten Grabmals, und
unter Schutt und Trümmern lag auch, von graugrünem Acanthus
überrankt, ein Haufe auseinandergeriſſener Moſaikſteine, die ehe-
dem in ſtattlichem Bild und Ornamentenwerk des Grabes Fuß-
[III] boden geſchmückt. Es erhub ſich ein lebhaft Geſpräch darüber,
was all die zerſtreuten gewürfelten Steinchen in ihrem Zuſam-
menhang dargeſtellt haben mochten. Einer, der ein Archäolog
war, hob die einzelnen Stücke gegen's Licht und prüfte, ob weißer,
ob ſchwarzer Marmor, ein Anderer, der ſich mit Geſchichtforſchung
plagte, ſprach gelehrt über Grabdenkmale der Alten, — derweil
war ein Dritter ſchweigſam auf dem Backſteingemäuer geſeſſen,
der zog ſein Skizzenbuch und zeichnete ein ſtolzes Viergeſpann
mit ſchnaubenden Roſſen und Wettkämpfern und viel ſchöne jo-
niſche Ornamentik darum; er hatte in einer Ecke des Fußbodens
einen unſcheinbaren Reſt des alten Bildes erſchaut, Pferdefüße
und eines Wagenrades Fragmente, da ſtand das Ganze klar
vor ſeiner Seele und er warf's mit kecken Strichen hin, derweil
die andern in Worten kramten ...


Bei jener Gelegenheit war einiger Aufſchluß zu gewinnen
über die Frage, wie mit Erfolg an der geſchichtlichen Wieder-
belebung der Vergangenheit zu arbeiten ſei.


Gewißlich nur dann, wenn einer ſchöpferiſch wiederherſtel-
lenden Phantaſie ihre Rechte nicht verkümmert werden, wenn
der, der die alten Gebeine ausgräbt, ſie zugleich auch mit dem
Athemzug einer lebendigen Seele anhaucht, auf daß ſie ſich er-
heben und kräftigen Schrittes als auferweckte Todte einher wandeln.


In dieſem Sinn nun kann der hiſtoriſche Roman das ſein,
was in blühender Jugendzeit der Völker die epiſche Dichtung,
ein Stück nationaler Geſchichte in der Auffaſſung des Künſtlers,
der im gegebenen Raume eine Reihe Geſtalten ſcharfgezeichnet
und farbenhell vorüberführt, alſo daß im Leben und Ringen und
[IV] Leiden der Einzelnen zugleich der Inhalt des Zeitraums ſich wie
zum Spiegelbild zuſammenfaßt.


Auf der Grundlage hiſtoriſcher Studien das Schöne und
Darſtellbare einer Epoche umſpannend, darf der Roman auch
wohl verlangen, als ebenbürtiger Bruder der Geſchichte anerkannt
zu werden, und wer ihn achſelzuckend als das Werk willkürlicher
und fälſchender Laune zurückweiſen wollte, der mag ſich dabei
getröſten, daß die Geſchichte, wie ſie bei uns geſchrieben zu wer-
den pflegt, eben auch nur eine herkömmliche Zuſammenſchmiedung
von Wahrem und Falſchem iſt, der nur zu viel Schwerfälligkeit
anklebt, als daß ſie es, wie die Dichtung, wagen darf, ihre
Lücken ſpielend auszufüllen.


Wenn nicht alle Zeichen trügen, ſo iſt unſere Zeit in einem
eigenthümlichen Läuterungsproceß begriffen.


In allen Gebieten ſchlägt die Erkenntniß durch, wie unſäg-
lich unſer Denken und Empfinden unter der Herrſchaft der Ab-
ſtraction und der Phraſe geſchädigt worden; da und dort Rü-
ſtung zur Umkehr aus dem Abgezogenen, Blaſſen, Begrifflichen
zum Concreten, Farbigen, Sinnlichen, ſtatt müßiger Selbſtbe-
ſchauung des Geiſtes Beziehung auf Leben und Gegenwart,
ſtatt Formeln und Schablonen naturgeſchichtliche Analyſe, ſtatt
der Kritik ſchöpferiſche Production, und unſere Enkel erleben
vielleicht noch die Stunde, wo man von manchem Koloß ſeit-
heriger Wiſſenſchaft mit der gleichen lächelnden Ehrfurcht ſpricht,
wie von den Reſten eines vorſündfluthlichen Rieſengethieres, und
wo man ohne Gefahr, als Barbar verſchrieen zu werden, be-
haupten darf, in einem Steinkrug alten Weines ruhe nicht we-
[V] niger Vernunft als in mancher umfangreichen Leiſtung formaler
Weisheit.


Zur Herſtellung fröhlicher unbefangener von Poeſie verklärter
Anſchauung der Dinge möchte nun auch die vorliegende Arbeit
einen Beitrag geben, und zwar a[u]s dem Gebiet unſerer deutſchen
Vergangenheit.


Unter dem unzähligen Werthvollen, was die großen Folian-
ten der von Pertz herausgegebenen „Monumenta Germaniae“
bergen, glänzen gleich einer Perlenſchnur die ſanctgalliſchen
Kloſtergeſchichten, die der Mönch Ratpert begonnen und Ekkehard
der Jüngere (oder zur Unterſcheidung von drei gleichnamigen
Mitgliedern des Kloſters der Vierte benannt) bis an's Ende
des zehnten Jahrhunderts fortgeführt hat. Wer ſich durch die
unerquicklichen und vielfältig dürren Jahrbücher anderer Klöſter
mühſam durchgearbeitet hat, mag mit Behagen und innerem
Wohlgefallen an jenen Aufzeichnungen verweilen. Da iſt trotz
mannigfacher Befangenheit und Unbehilflichkeit eine Fülle an-
muthiger aus der Ueberlieferung älterer Zeitgenoſſen und den
Berichten von Augenzeugen geſchöpfter Erzählungen, Perſonen
und Zuſtände mit groben aber deutlichen Strichen gezeichnet, viel
unbewußte Poeſie, treuherzige brave Welt- und Lebensanſicht,
naive Friſche, die dem Niedergeſchriebenen überall das Gepräge
der Aechtheit verleiht, ſelbſt dann, wenn Perſonen und Zeiträume
etwas leichtſinnig durcheinander gewürfelt worden und ein handgreif-
licher Anachronismus dem Erzähler gar keinen Schmerz verurſacht.


Ohne es aber zu beabſichtigen, führen jene Schilderungen
zugleich über die Schranken der Kloſtermauern hinaus und ent-
[VI] rollen das Leben und Treiben, Bildung und Sitte des damaligen
allemanniſchen Landes mit der Treue eines nach der Natur ge-
malten Bildes.


Es war damals eine vergnügliche und einen Jeden, der
ringende, unvollendete aber geſunde Kraft geleckter Fertigkeit vorzieht,
anmuthende Zeit im ſüdweſtlichen Deutſchland. Anfänge von
Kirche und Staat bei namhafter aber gemüthreicher Rohheit der
bürgerlichen Geſellſchaft, — der aller ſpätern Entwickelung ſo
gefährliche Geiſt des Feudalweſens noch harmlos im erſten Ent-
falten, kein geſchraubtes übermüthiges und geiſtig ſchwächliches
Ritterthum, keine üppige unwiſſende Geiſtlichkeit, wohl aber ehr-
liche grobe Geſellen, deren ſocialer Verkehr zwar oftmals in
einem ſehr ausgedehnten Syſtem von Verbal- und Realinjurien
beſtand, die aber in rauher Hülle einen tüchtigen, für alles Edle
empfänglichen Kern bargen, — Gelehrte, die Morgens den Ari-
ſtoteles verdeutſchen und Abends zur Erholung auf die Wolfs-
jagd ziehen, vornehme Frauen, die für das Studium der Claſſi-
ker begeiſtert ſind, Bauern, in deren Erinnerung das Heiden-
thum ihrer Vorväter ungetilgt neben dem neuen Glauben fort-
lebt, — überall naive ſtarke Zuſtände, denen man ohne rationaliſti-
ſchen Ingrimm ſelbſt ihren Glauben an Teufel und Dämonen-
ſpuck zu Gute halten darf. Dabei zwar politiſche Zerklüftung
und Gleichgiltigkeit gegen das Reich, deſſen Schwerpunkt ſich
nach Sachſen übertragen hatte, aber tapferer Mannesmuth im
Unglück, der ſelbſt die Mönche in den Kloſterzellen ſtählt, das
Pſalterbuch mit dem Schwert zu vertauſchen und gegen die
ungariſche Verwüſtung zu Feld zu rücken, — trotz reichlicher Gele-
[VII] genheit zur Verwilderung eine dem Studium der Alten mit
Begeiſterung zugewandte Wiſſenſchaft, die in den zahlreich
beſuchten Kloſterſchulen eifrige Jünger fand und in ihren
humanen Strebungen an die beſten Zeiten des ſechszehnten
Jahrhunderts erinnert, leiſes Emporblühen der bildenden Künſte,
vereinzeltes Aufblitzen bedeutender Geiſter, vom Wuſt der
Gelehrſamkeit unerſtickte Freude an der Dichtung, fröhliche
Pflege nationaler Stoffe, wenn auch meiſt in fremdländiſchem
Gewand.


Kein Wunder, daß es dem Verfaſſer dieſes Buches, als er
bei Gelegenheit anderer Studien über die Anfänge des Mittel-
alters mit dieſer Epoche vertraut wurde, erging wie einem
Manne, der nach langer Wanderung durch unwirthſames Land
auf eine Herberge ſtößt, die wohnſam und gut beſtellt in Küche
und Keller mit liebreizender Ausſicht vor den Fenſtern Alles
bietet, was ſein Herz begehrt.


Er begann, ſich häuslich drin einzurichten und durch mannig-
faltige Ausflüge in verwandtes Gebiet ſich möglichſt vollſtändig
in Land und Leute einzuleben.


Den Poeten aber ereilt ein eignes Schickſal, wenn er ſich
mit der Vergangenheit genauer bekannt macht.


Wo Andere, denen die Natur gelehrtes Scheidewaſſer in die
Adern gemiſcht, viel allgemeine Sätze und lehrreiche Betrach-
tungen als Preis der Arbeit herausätzen, wachſen ihm Geſtalten
empor, erſt von wallendem Nebel umfloſſen, dann klar und
durchſichtig, und ſie ſchauen ihn ringend an und umtanzen ihn
in mitternächtigen Stunden und ſprechen: Verdicht' uns!


[VIII]

So kam es auch hier. Aus den naiven lateiniſchen Zeilen
jener Kloſtergeſchichten hob und baute es ſich empor, wie Thurm
und Mauern des Gotteshauſes Sanct Gallen, viel altersgraue
ehrwürdige Häupter wandelten in den Kreuzgängen auf und ab
hinter den alten Handſchriften ſaßen die, die ſie einſt geſchrieben,
die Kloſterſchüler tummelten ſich im Hofe, Horaſang ertönte aus
dem Chor und des Wächters Hornruf vom Thurme. Vor allen
Anderen aber trat leuchtend hervor jene hohe geſtrenge Frau,
die ſich den jugendſchönen Lehrer aus des heiligen Gallus Kloſter-
frieden entführte, um auf ihrem Baſaltfelſen am Bodenſee claſſi-
ſchen Dichtern eine Stätte ſinniger Pflege zu bereiten; die ſchlichte
Erzählung der Kloſterchronik von jenem dem Virgil gewidmeten
Stillleben, iſt ſelbſt wieder ein Stück Poeſie, ſo ſchön und ächt,
als ſie irgend unter Menſchen zu finden.


Wer aber von ſolchen Erſcheinungen heimgeſucht wird, dem
bleibt nichts übrig, als ſie zu beſchwören und zu bannen. Und
in den alten Geſchichten hatte ich nicht umſonſt geleſen, auf
welche Art Notker der Stammler einſt ähnlichen Viſionen zu
Leibe ging: er griff einen knorrigen Haſelſtock und hieb tapfer auf
die Dämonen ein, bis ſie ihm die ſchönſten Lieder offenbarten. *)


Darum griff auch ich zu meinem Handgewaffen, der Stahl-
feder, und ſagte eines Morgens den Folianten, den Quellen der
Geſtaltenſeherei, Valet, und zog hinaus auf den Boden, den einſt
die Herzogin Hadwig und ihre Zeitgenoſſen beſchritten; und ſaß
in der ehrwürdigen Bücherei des heiligen Gallus und fuhr in
[IX] ſchaukelndem Kahn über den Bodenſee und niſtete mich bei der
alten Linde am Abhang des Hohentwiel ein, wo jetzt ein treff-
licher ſchwäbiſcher Schultheiß die Trümmer der alten Feſte be-
hütet, und ſtieg ſchließlich auch zu den luftigen Alpenhöhen des
Säntis, wo das Wildkirchlein keck wie ein Adlerhorſt herunter-
ſchaut auf die grünen Appenzeller Thäler. Dort in den Revieren
des ſchwäbiſchen Meeres, die Seele erfüllt von dem Walten er-
loſchener Geſchlechter, das Herz erquickt von warmem Sonnen-
ſchein und würziger Bergluft, hab' ich dieſe Erzählung entworfen
und zum größten Theil niedergeſchrieben.


Daß nicht viel darin geſagt iſt, was ſich nicht auf gewiſſen-
hafte culturgeſchichtliche Studien ſtützt, darf wohl behauptet wer-
den, wenn auch Perſonen und Jahrzahlen, vielleicht Jahrzehnte
mitunter ein weniges in einander verſchoben wurden. Der Dich-
ter darf ſich, der innern Oeconomie ſeines Werkes zu lieb,
Manches erlauben, was dem ſtrengen Hiſtoriker als Sünde an-
zurechnen wäre. Sagt doch ſelbſt der unübertroffene Geſchicht-
ſchreiber Macaulay: Gern will ich den Vorwurf tragen, die
würdige Höhe der Geſchichte nicht eingehalten zu haben, wenn
es mir nur gelingt, den Engländern des neunzehnten Jahrhun-
derts ein treues Gemälde des Lebens ihrer Vorfahren vor-
zuführen.


Dem Wunſche ſachverſtändiger Freunde entſprechend, ſind in
Anmerkungen einige Zeugniſſe und Nachweiſe der Quellen an-
geführt, zur Beruhigung derer, die ſonſt nur Fabel und müßige
Erfindung in dem Dargeſtellten zu wittern geneigt ſein könnten.
Wer aber auch ohne ſolche Nachweiſe Vertrauen auf eine gewiſſe
30*
[X] Aechtheit des Inhalts ſetzt, der wird erſucht, ſich in die Noten
nicht weiter zu vertiefen, ſie ſind Nebenſache und wären über-
flüſſig, wenn das Ganze nicht als Roman in die Welt ginge,
der die Vermuthung leichtſinnigen Spiels mit den Thatſachen
wider ſich zu haben pflegt.


Den Vorwürfen der Kritik wird mit Gemüthsruhe entgegen-
geſehen. „Eine Geſchichte aus dem zehnten Jahrhundert?“ wer-
den ſie rufen, „wer reitet ſo ſpät durch Nacht und Wind?“
Und ſteht's nicht im neuſten Handbuch der Nationalliteratur, im
Capitel vom vaterländiſchen Roman gedruckt zu leſen: „Fragen
wir, welche Zeiten vorzugsweiſe geeignet ſein dürften, in der
deutſchen Geſchichte das Locale mit dem Nationalintereſſe zu
verſöhnen, ſo werden wir wohl zunächſt das eigentliche Mittel-
alter ausſchließen müſſen. Selbſt die Hohenſtaufenzeit läßt ſich
nur noch lyriſch anwenden, ihre Zeichnung fällt immer düſſel-
dorfiſch aus.“


Auf all die Einwände und Bedenken derer, die ein ſcharfes
Benagen harmloſem Genießen vorziehen und den deutſchen Geiſt
mit vollen Segeln in ein alexandriniſches oder byzantiniſches
Zeitalter hineinzurudern ſich abmühen, hat bereits eine literariſche
Dame des zehnten Jahrhunderts, die ehrwürdige Nonne Hroswitha
von Gandersheim im fröhlichen Selbſtgefühl eigenen Schaffens die
richtige Antwort gegeben. Sie ſagt in der Vorrede zu ihren an-
muthigen Komödien: Si enim alicui placet mea devotio,
gaudebo. Si autem pro mei abiectione vel pro viciosi
sermonis rusticitate nulli placet: memet ipsam tamen
juvat quod feci
.
Zu deutſch: „Wofern nun jemand an mei-
[XI] ner beſcheidenen Arbeit Wohlgefallen findet, ſo wird mir dies
ſehr angenehm ſein; ſollte ſie aber wegen der Verleugnung mei-
ner ſelbſt oder der Rauheit eines unvollkommenen Styls nie-
manden gefallen, ſo hab' ich doch ſelber meine Freude an dem
was ich geſchaffen!“




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Erſtes Kapitel.
Hadwig, Herzogin von Schwaben.



Es war vor beinahe tauſend Jahren. Die Welt wußte weder
von Pulver noch von Buchdruckerkunſt.


Ueber dem Hegau lag ein trüber bleiſchwerer Himmel, doch war
von der Finſterniß, die bekanntlich über dem ganzen Mittelalter laſtete,
im Einzelnen Nichts wahrzunehmen. Vom Bodenſee her wogten die
Nebel über's Ries und verdeckten Land und Leute. Auch der Thurm
vom jungen Gotteshaus Radolf's-Zelle war eingehüllt, aber das Früh-
glöcklein war luſtig durch Dunſt und Dampf erklungen, wie das Wort
eines verſtändigen Mannes durch verfinſternden Nebel der Thoren.


Es iſt ein ſchönes Stück deutſcher Erde, was dort zwiſchen Schwarz-
wald und ſchwäbiſchem Meer ſich aufthut. Wer's mit einem falſchen
Gleichniß nicht allzu genau nimmt, mag ſich der Worte des Dichters
erinnern:


Das Land der Alemannen mit ſeiner Berge Schnee,

Mit ſeinem blauen Auge, dem klaren Bodenſee;

Mit ſeinen gelben Haaren, dem Aehrenſchmuck der Auen,

Recht wie ein deutſches Antlitz iſt ſolches Land zu ſchauen.

— wiewohl die Fortführung dieſes Bildes Veranlaſſung werden könnte,
die Hegauer Berge als die Naſen in dieſem Antlitz zu preiſen.


Düſter ragte die Kuppe des hohen Twiel mit ihren Klingſtein-
zacken in die Lüfte. Als Denkſteine ſtürmiſcher Vorgeſchichte unſrer
alten Mutter Erde ſtehen jene ſchroffen maleriſchen Bergkegel in der
Niederung, die einſt gleich dem jetzigen Becken des Sees von wogen-
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 1
[2] der Fluth überſtrömt war. Für Fiſche und Waſſermöven mag's ein
denkwürdiger Tag geweſen ſein, da es in den Tiefen brauste und
ziſchte, und die baſaltiſchen Maſſen glühend durch der Erdrinde Spal-
ten ſich ihren Weg über die Waſſerſpiegel bahnten. Aber das iſt ſchon
lange her. Es iſt Gras gewachſen über die Leiden derer, die bei jener
Umwälzung mitleidlos vernichtet wurden; nur die Berge ſtehen noch
immer, ohne Zuſammenhang mit ihren Nachbarn, einſam und trotzig
wie Alle, die mit feurigem Kern im Herzen die Schranken des Vor-
handenen durchbrechen, und ihr Geſtein klingt, als ſäße noch ein Ge-
dächtniß an die fröhliche Jugendzeit drin, da ſie zuerſt der Pracht der
Schöpfung entgegen gejubelt.


Zur Zeit, da unſere Geſchichte anhebt, trug der hohe Twiel ſchon
Thurm und Mauern, eine feſte Burg. Dort hatte Herr Burkhard
gehaust, der Herzog in Schwaben. Er war ein feſter Degen geweſen
und hatte manchen Kriegszug gethan; die Feinde des Kaiſers waren
auch die ſeinen, und damit gab es immer Arbeit: wenn's in Welſch-
land ruhig war, fingen oben die Normänner an, und wenn die ge-
worfen waren, kam etwann der Ungar geritten, oder es war einmal
ein Biſchof übermüthig oder ein Grafe widerſpänſtig; — ſo war Herr
Burkhard zeitlebens mehr im Sattel als im Lehnſtuhl geſeſſen. Dem-
gemäß iſt erklärlich, daß er ſich keinen ſanften Leumund geſchaffen.


In Schwaben ſprachen ſie, er habe die Herrſchaft geführt, ſo zu
ſagen als ein Zwingherr, und im fernen Sachſen ſchrieben die Mönche
in ihre Chroniken, er ſei ein kaum zu ertragender Kriegsmann ge-
weſen.1)


Bevor Herr Burkhard zu ſeinen Vätern verſammelt ward, hatte
er ſich noch ein Ehgemahl erleſen. Das war die junge Frau Had-
wig, Tochter des Herzogs in Baiern. Aber in das Abendroth eines
Lebens, das zur Neige geht, mag der Morgenſtern nicht freudig ſchei-
nen. Das hat ſeinen natürlichen Grund.2) Darum hatte Frau Had-
wig den alten Herzog in Schwaben genommen, ihrem Vater zu Ge-
fallen, hatte ihn auch gehegt und gepflegt, wie es einem grauen Haupt
zukam, aber wie der Alte zu ſterben ging, hat ihr der Kummer das
Herz nicht gebrochen.


Da begrub ſie ihn in der Gruft ſeiner Väter, und ließ ihm von
grauem Sandſtein ein Grabmal ſetzen, und ſtiftete eine ewige Lampe
[3] über das Grab; kam auch noch etliche Male zum Beten herunter,
aber nicht allzuoft.


Dann ſaß Frau Hadwig allein auf der Burg Hohentwiel; es waren
ihr die Erbgüter des Hauſes und mannigfalt Befugniß, im Land zu
ſchalten und walten verblieben, ſowie die Schutzvoigtei über das Hoch-
ſtift Conſtanz und die Klöſter um den See, und hatte ihr der Kaiſer
gebrieft und geſiegelt zugeſagt, daß ſie als Reichsverweſerin in Schwa-
ben gebieten ſolle, ſo lang der Wittwenſtuhl unverrückt bleibe. Die
junge Wittib war von adeligem Gemüth und nicht gewöhnlicher
Schönheit. Aber die Naſe brach unvermerkt kurz und ſtumpflich im
Antlitz ab, und der holdſelige Mund war ein weniges aufgeworfen,
und das Kinn ſprang mit kühner Form vor, alſo, daß das anmuthige
Grüblein, ſo den Frauen ſo minnig anſteht, bei ihr nicht zu finden
war. Und weſſen Antlitz alſo geſchaffen, der trägt bei ſcharfem Geiſt
ein rauhes Herz im Buſen und ſein Weſen neigt zur Strenge. Darum
flößte auch die Herzogin Manchem ihres Landes trotz der lichten
Röthe ihrer Wangen einen ſonderbaren Schreck ein.3)


An jenem nebligen Tag ſtand Frau Hadwig im Cloſet ihrer Burg
und ſchaute in die Ferne hinaus. Sie trug ein ſtahlgrau Unterkleid,
das in leichten Wellen über die geſtickten Sandalen wallte, drüber
ſchmiegte ſich eine bis zum Knie reichende ſchwarze Tunica; im Gür-
tel, der die Hüften umſchloß, glänzte ein koſtbarer Beryll. Ein gold-
fadengeſtricktes Netz hielt das kaſtanienbraune Haar umfangen, doch
unverwehrt umſpielten ſorgſam gewundene Locken die lichte Stirn.


Auf dem Marmortiſchlein am Fenſter ſtund ein phantaſtiſch ge-
formtes dunkelgrün gebeiztes Metallgefäß, drin brannte ein fremdlän-
diſch Räucherwerk, und wirbelte ſeine duftig weißen Wölklein zur Decke
des Gemachs. Die Wände waren mit buntfarbigen gewirkten Tep-
pichen umhangen.


Es gibt Tage, wo der Menſch mit Jeglichem unzufrieden iſt, und
wenn er in Mittelpunkt des Paradiesgartens geſetzt würde, es wär'
ihm auch nicht recht. Da fliegen die Gedanken mißmuthig von dem
zu jenem, und wiſſen nicht wo ſie anhalten ſollen, — aus jedem
Winkel grinst ein Fratzengeſicht herfür, und wenn Einer ein fein Gehör
hat, ſo mag er auch der Kobolde Gelächter vernehmen. Man ſagt dort-
lands, der ſchiefe Verlauf ſolcher Tage rühre gewöhnlich davon her,
1*
[4] daß man frühmorgens mit dem linken Fuß zuerſt aus dem Bett ge-
ſprungen ſei, was beſtimmtem Naturgeſetz zuwider.


Die Herzogin hatte heut ihren Tag. Sie wollte zum Fenſter
hinausſchauen, da blies ihr ein feiner Luftzug den Nebel in's An-
geſicht; das war ihr nicht recht. Sie hub einen zürnenden Huſten an.
Wenn Sonnenſchein weit über's Land geglänzt hätte, ſie würde auch
an ihm Etwas ausgeſetzt haben.


Der Kämmerer Spazzo war eingetreten und ſtand ehrerbietig am
Eingang. Er warf einen wohlgefälligen Blick auf ſeine Gewandung,
als wär' er ſicher, ſeiner Gebieterin Augen heut auf ſich zu lenken,
denn er hatte ein geſtickt Hemde von Glanzleinwand angelegt, und ein
ſaphirfarbiges Oberkleid mit purpurnen Säumen, Alles nach neuſtem
Schnitt; erſt geſtern war des Biſchofs Schneider von Conſtanz damit
herübergekommen.4)


Der Wolfshund deſſen von Fridingen hatte zwei Lämmer der
Burgheerde zerriſſen, da gedachte Herr Spazzo pünktlichen Vortrag zu
erſtatten und Frau Hadwig's fürſtliches Gutachten einzuholen, ob
er in friedlichem Austrag ſich mit dem Herrn des Schädigers
vergleichen, oder am nächſten Gaugericht Wehrgeld und Buße
einklagen ſolle.5) Er hub ſeinen Spruch an. Aber eh' und bevor
er zu Ende gekommen, ſah er, daß ihm die Fürſtin ein Zeichen machte,
deſſen Bedeutung einem verſtändigen Mann nicht fremd bleiben konnte.
Sie fuhr mit dem Zeigefinger der Rechten erſt nach der Stirn, dann
wies ſie mit gleichem Finger nach der Thür. Da merkte der Käm-
merer, daß es ſeinem eigenen Witz anheimgeſtellt ſei, nicht nur den
Beſcheid wegen der Lämmer zu finden, ſondern auch ſich mit mög-
lichſter Beſchleunigung zu entfernen. Er verbeugte ſich und ging.


Mit heller Stimme rief Frau Hadwig jetzt: Praxedis! — Und
wie's nicht alſogleich die Stufen zum Saal heraufhuſchte, rief ſie noch
einmal ſchärfer: Praxedis!


Es dauerte nicht lange, ſo ſchwebte die Gerufene in's Cloſet herein.


Praxedis war der Herzogin in Schwaben Kammerfrau, von grie-
chiſcher Nation, ein lebend Angedenken, daß einſt des byzantiner Kaiſers
Baſilius Sohn um Hadwig's Hand geworben.6) Der hatte das des
Geſangs und weiblicher Kunſtfertigkeit erfahrene Kind ſammt vielen
Kleinodien und Schätzen der deutſchen Herzogstochter geſchenkt und als
[5] Gegengabe einen Korb erbeutet. Man konnte damals Menſchen ver-
ſchenken, auch kaufen. Freiheit war nicht Jedem zu eigen. Aber eine
Unfreiheit, wie ſie das Griechenkind auf der ſchwäbiſchen Herzogsburg
zu tragen hatte, war nicht drückend.


Praxedis war ein blaſſes feingezeichnetes Köpfchen, aus dem zwei
große dunkle Augen unſäglich wehmüthig und luſtig zugleich in die
Welt vorſchauten. Das Haar trug ſie in Flechten um die Stirn ge-
ſchlungen; ſie war ſchön.


Praxedis, wo iſt der Staar? ſprach Frau Hadwig.


Ich werd' ihn bringen, ſagte die Griechin. Und ſie ging und
brachte den ſchwarzen Geſellen, der ſaß breit und frech in ſeinem
Käfig, als wenn ſein Daſein im Weltganzen eine klaffende Lücke aus-
zufüllen hätte. Der Staar hatte bei Hadwig's Hochzeit ſein Glück
gemacht.7) Ein alter Fiedelmann und Gaukler hatte ihm unter lang-
wieriger Mühſal einen lateiniſchen Hochzeitgruß eingetrichtert; das gab
einen großen Jubel, wie beim Feſtſchmaus der Käfig auf den Tiſch
geſtellt ward und der Vogel ſeinen Spruch ſprach: Es iſt ein neuer
Stern am Schwabenhimmel aufgegangen, der Stern heißt Hadwig,
Heil ihm! und ſo weiters.


Der Staar war aber tiefer gebildet. Er konnte außer dem ge-
reimten Klingklang auch das Vaterunſer herſagen. Der Staar war
auch hartnäckig und konnte ſeine Grillen haben, ſo gut wie eine Her-
zogin in Schwaben.


Heute mußte dieſer eine Erinnerung an alte Zeit durch den Sinn
geflogen ſein, der Staar ſollte den Hochzeitſpruch ſagen. Der Staar
aber hatte ſeinen frommen Tag. Und wie ihn Praxedis in's Gemach
trug, rief er feierlich: Amen! und wie Frau Hadwig ihm ein Stück
Honigkuchen in Käfig reichte und ſchmeichelnd fragte: Wie war's mit
dem Stern am ſchwäbiſchen Himmel, Freund Staar? da ſprach er
langſam: Führe uns nicht in Verſuchung! Wie ſie aber zu Ergän-
zung ſeines Gedächtniſſes ihm zuflüſterte: der Stern heißt Hadwig,
Heil ihm! — da fuhr der Staar in ſeiner Melodie fort und into-
nirte würdig: Erlöſe uns von dem Uebel!


Fürwahr das fehlt noch, daß auch die Vögel heutigen Tages
unverſchämt werden, rief Frau Hadwig, Burgkatze, wo ſteckſt du?
und ſie lockte die ſchwarze Katze herbei, der war der Staar
[6] ſchon lang ein Dorn im Auge, mit funkelnden Augen kam ſie ge-
ſchlichen.


Frau Hadwig erſchloß den Käfig und überantwortete ihr den Vo-
gel, der Staar aber, dem ſchon die ſcharfen Krallen das Gefieder
zausten und etliche Schwungfedern geknickt hatten, erſah noch ein
Gelegenheitlein und entwiſchte durch einen Spalt am Fenſter.


Bald war er verſchwunden, ein ſchwarzer Punkt im Nebel.


Eigentlich, ſprach Frau Hadwig, hätt' ich ihn auch im Käfig be-
halten können. Praxedis, was meinſt du?


Meine Herrin hat bei Allem Recht was ſie thut, erwiederte dieſe.


Praxedis, fuhr Frau Hadwig fort, hol mir meinen Schmuck. Mich
geluſtet, eine goldene Armſpange anzulegen.


Da ging Praxedis, die immerwillige, und brachte der Herzogin
Schmuckkäſtchen. Das war von getriebenem Silber, mit ſtarken un-
fertigen Strichen waren etliche Geſtalten darin angebracht in erhabener
Arbeit, der Heiland als guter Hirt, und Petrus mit dem Schlüſſel,
und Paulus mit dem Schwert, ſammt allerhand Blattwerk und reich
verſchlungener Zierrath, als wenn es früher zu Aufbewahrung von
Reliquien gedient hätte. Es war durch Herrn Burkhard eingebracht
worden, doch ſprach er nie gern davon, denn er kam zu ſelber Zeit
von einer Fehde heimgeritten, darin er einen burgundiſchen Biſchof
ſchwer überrannt und niedergeworfen hatte.


Wie die Herzogin das Käſtchen aufſchlug, gleißten und glänzten
die Kleinodien mannigfalt auf dem rothen Sammtfutter. Bei ſolchen
Denkzeichen der Erinnerung kommen allerhand alte Geſchichten heran-
geſchwirrt. Auch das Bildniß des griechiſchen Prinzen Conſtantin lag
dort, zierlich, geleckt und ſonder Geiſt vom byzantiner Meiſter auf
Goldgrund gemalt.


Praxedis, ſprach Frau Hadwig, wie wär's geworden, wenn ich
deinem ſpitznaſigen, gelbwangigen Prinzen die Hand gereicht hätte?


Meine Herrin, war Praxedis Antwort, es wäre ſicher gut geworden.


Ei, fuhr Frau Hadwig fort, erzähl' mir Etwas von deiner lang-
weiligen Heimath, ich möchte mir gern vorſtellen, was ich für einen
Einzug in Conſtantinopolis gehalten hätte.


O Fürſtin, ſprach Praxedis, meine Heimath iſt ſchön — weh-
müthig ließ ſie ihr dunkles Aug' in die neblige Ferne gleiten — und
[7] ſolch trüber Himmel wenigſtens wär' Euch am Ufer des Marmor-
meers für immer erſpart. Auch Ihr hättet den Schrei des Staunens
nicht unterdrückt, wenn wir auf ſtolzer Galeere daher gefahren wären:
an den ſieben Thürmen vorbei, da heben ſich zuerſt die glänzenden
Maſſen, Paläſte, Kuppeln, Gotteshäuſer, Alles im blendend weißen
Marmor aus den Brüchen der Inſel Prokonneſos, groß und ſtolz
ſteigt die Lilie des Meeres aus dem blauen Grund auf, dort ein
dunkler Wald von Cypreſſen, hier die rieſige Wölbung der hagia
Sophia,
auf und ab das weite Vorgebirg des goldenen Horns; gen-
über am aſiatiſchen Geſtade grüßt eine zweite Stadt, und als blau-
goldener Gürtel ſchlingt ſich das ſchiffbelaſtete Meer um den Zauber
— o Herrin, auch im Traum vermag ich hier im ſchwäbiſchen Land
den Glanz jenes Anblicks nicht wieder zu ſchauen.


Und dann, wenn die Sonne niedergeſtiegen und über flimmernden
Meereswellen die ſchnelle Nacht aufgeht, der Königsbraut zu Ehren Alles
im blaufahlen Glanz griechiſchen Feuers, — jetzt fahren wir in Hafen
ein, die große Kette, die ihn ſonſt abſperrt, löst ſich dem Brautſchiff,
Fackeln ſprühen am Ufer, dort ſteht des Kaiſers Leibwache, die Wa-
räger mit ihren zweiſchneidigen Streitäxten, und die blauäugigen Nor-
männer, dort der Patriarch mit zahlloſen Prieſtern, überall Muſik und
Jubelruf, und der Königsſohn im Schmucke der Jugend empfängt die
Verlobte, nach dem Palaſt von Blacharnae wallt der Feſtzug ...


Und all dieſe Herrlichkeit habe ich verſäumt, ſpottete Frau Had-
wig. Praxedis, dein Bild iſt nicht vollſtändig. Und ſchon des andern
Tages kommt der Patriarch und ertheilt der abendländiſchen Chriſtin
einen ſcharfen Glaubensunterricht, was von all den Ketzereien zu hal-
ten, die auf eurem verſtandesdürren Erdreich aufſprießen wie Stech-
apfel und Bilſenkraut, — und was von den Bildern der Mönche und
dem Concilſchluß zu Chalcedon und Nicaea; dann kommt die Großhof-
meiſterin und lehrt die Geſetze der Sitte und Bewegung: ſo die Stirn
gefaltet und ſo die Schleppe getragen, dieſen Fußfall vor dem Kaiſer
und jene Umarmung der Frau Schwiegermutter, und dieſe Höflichkeit
gegen jenen Günſtling, und jene gigantiſche Redensart gegen dieſes
Unthier: Eure Gravität, Eure Eminenz, Eure erhabene und wunder-
bare Größe! — was am Menſchen Lebensluſt und Kraft heißt, wird
abgetödtet, und der Herr Gemahl gibt ſich auch als gefirnißtes Püpp-
[8] chen zu erkennen, eines Tages ſteht der Feind vor den Thoren, oder
der Thronfolger iſt den Blauen und Grünen des Circus nicht genehm,
der Aufſtand tobt durch die Straßen, und die deutſche Herzogstochter
wird geblendet in's Kloſter geſteckt ... Was frommt's ihr dann, daß
ihre Kinder ſchon in der Wiege mit dem Titel Alleredelſter be-
grüßt wurden? Praxedis, ich weiß warum ich nicht nach Conſtanti-
nopolis ging.


Der Kaiſer iſt der Herr der Welt, ſprach die Griechin; was der
Wille ſeiner Ewigkeit ordnet, iſt wohlgethan: ſo hat man mich ge-
lehrt.


Haſt du auch ſchon drüber nachgedacht, daß es dem Menſchen ein
koſtbar Gut iſt, ſein eigner Herr zu ſein?


Nein, ſprach Praxedis.


Das angeregte Geſpräch behagte der Herzogin.


Was hat denn, fuhr ſie fort, Euer byzantiner Maler für einen
Beſcheid heimgebracht, da er mein Conterfei fertigen ſollte?


Die Griechin ſchien die Frage überhört zu haben. Sie hatte ſich
erhoben und ſtand am Fenſter.


Praxedis, ſprach Frau Hadwig ſcharf, antworte!


Da lächelte die Gefragte mild und ſagte: Das iſt ſchon eine lange
Zeit her, aber Herr Michael Thallelaios hat wenig Gutes von Euch
geſprochen. Die ſchönſten Farben habe er bereit gehalten, ſo erzählt'
er uns; und die feinſten Goldblättchen, Ihr ſeied ein reizend Kind
geweſen, wie man Euch zum Gemaltwerden vor ihn führte, und es
hab' ihn feierlich angemuthet, als ſollt er ſeine ganze Kunſt zuſammen-
nehmen, wie damals als er die Mutter Gottes für's Athoskloſter
malte. Aber die Prinzeſſin Hadwig hätten geruht, die Augen zu ver-
drehen, und wie er eine beſcheidene Einwendung erhoben, hätten Eure
Gnaden die Zunge gewieſen und beide Hände mit geſtreckten Fingern
an die Naſe gehalten, und in anmuthig gebrochenem Griechiſch geſagt,
das ſei die rechte Stellung.


Der Herr Hofmaler nahm Veranlaſſung, Vieles über den Mangel
an Bildung in deutſchen Landen dran zu knüpfen, und hat einen
hohen Schwur gethan, daß er zeitlebens dort kein Fräulein mehr malen
wolle. Und der Kaiſer Baſilius hat auf den Bericht hin grimmig in
Bart gebrummt ...8)


[9]

Laß Seine Majeſtät brummen, ſprach die Herzogin. Und flehe zum
Himmel, daß er jeder Andern die Geduld verleihen möge, die mir da-
mals ausging. Ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, einen Affen
zu ſehen, aber Allem zufolge, was glaubwürdige Männer erzählen,
reicht Herrn Michael's Ahnentafel zu jenen Mitgliedern der Schöpfung
hinauf.


Sie hatte inzwiſchen die Armſpange angelegt, es waren zwei in-
einander verſtrickte Schlangen, die ſich küßen,9) jede trug ein Krönlein
auf dem Haupt. Da ihr unter dem vielen Geſchmucke jetzt ein
ſchwerer ſilberner Pfeil unter die Hände gerathen war, ſo mußte auch
er ſeinen Aufenthalt im Gefängniß des Schreins mit anderem Platze
vertauſchen. Er ward durch die Maſchen des goldfadigen Haarnetzes
gezogen.


Als wolle ſie des Schmuckes Wirkung prüfen, ging Frau Hadwig
mit großen Schritten durch's Gemach. Ihr Gang war herausfordernd.
Aber der Saal war leer; ſelbſt die Burgkatze war von dannen ge-
ſchlichen. Spiegel waren keine an den Wänden. Der Zuſtand wohn-
licher Einrichtung überhaupt ließ damals Manches zu wünſchen übrig.


Praxedis Gedanken waren noch bei der vorigen Geſchichte. Gnä-
dige Gebieterin, ſprach ſie, er hat mich doch gedauert.


Wer?


Der Kaiſers Sohn. Ihr ſeid ihm im Traum erſchienen, ſagte er,
und all ſein Glück hab' er von Euch erhofft. Er hat auch geweint ...


Laß die Todten ruhen, ſprach Frau Hadwig ärgerlich. Nimm
lieber die Laute und ſing mir das griechiſche Liedlein:


Conſtantin, du armer Knabe,

Conſtantin, und laß das Weinen!

Sie iſt zerſprungen, war die Antwort, und alle Saiten zu Grund
gerichtet, ſeit die Frau Herzogin geruhten, ſie ...


Sie dem Graf Boſo von Burgund an Kopf zu werfen, ergänzte
Hadwig. Dem iſt nicht zu viel geſchehen, 's war gar nicht nothwen-
dig, daß er uneingeladen zur Leichenfeier Herrn Burkhard's kam und
mir Troſt zuſprechen wollte, als war' er ein Heiliger. Laß die Laute
flicken.


Sag' mir indeß, du griechiſche Goldblume, warum hab' ich heut
den feſtlichen Schmuck angelegt?


[10]

Gott iſt allwiſſend, ſprach die Griechin, ich weiß es nicht. Sie
ſchwieg. Frau Hadwig ſchwieg auch. Da trat eine jener ſchwülen
inhaltsvollen Pauſen ein, wie ſie der Selbſterkenntniß vorangehen.
Endlich ſprach die Herzogin: Ich weiß es auch nicht!


Sie ſchlug mißmuthig die Augen nieder: Ich glaube es geſchah
aus langer Weile. Der Gipfel unſeres Hohentwiel iſt aber auch
ein gar zu betrübtes Neſt — zumal für eine Wittib. Praxedis, weißt
du ein Mittel gegen die lange Weile?


Ich hab' einmal von einem weiſen Prediger gehört, ſprach Praxe-
dis, es gäb' mannigfalte Mittel dawider: Schlafen, Trinken, Reiſen
— das beſte ſei Faſten und Beten.


Da ſtützte Frau Hadwig ihr Haupt auf die lilienweiße Hand, ſah
die dienſtbereite Griechin ſcharf an und ſprach: Morgen reiſen wir!



Zweites Kapitel.
Die Jünger des heiligen Gallus.



Des andern Tages fuhr die Herzogin ſammt Praxedis und großer
Gefolgſchaft im lichten Schein des Frühmorgens über den Bodenſee.
Der See war prächtig blau, die Wimpel flaggten luſtig, und war
viel Kurzweil auf dem Schiff. Wer ſollt' auch traurig ſein, wenn er
über die kryſtallklare Waſſerfläche dahin ſchwebt, die baumumſäumten
Geſtade mit Mauern und Thürmen ziehen in buntem Wechſel an ihm
vorbei, fern dämmern die ſchneeigen Firnen und der Widerſchein des
weißen Segels verzittert im Spiele der Wellen?


Keines wußte, wo das Ziel der Fahrt. Sie waren's aber ſo
gewohnt.


Wie ſie an der Bucht von Rorſchach10) anfuhren, hieß die Her-
zogin einlenken. Zum Ufer ſteuerte das Schiff, über's ſchwanke Brett
ſtieg ſie an's Land. Und der Waſſerzoller kam herbei, der dort den
Welſchlandfahrern das Durchgangsgeld abnahm, und der Weibel des
Markts und Wer immer am jungen Hafenplatz ſeßhaft war, ſie riefen
[11] der Landesherrin ein rauhes: Heil Herro! Heil Liebo!11) zu und
ſchwangen mächtige Tannenzweige. Grüßend ſchritt ſie durch die Reihen
und gebot ihrem Kämmerer, etliche Silbermünzen auszuwerfen, aber
es galt kein langes Verweilen. Schon ſtanden die Roſſe bereit, die
waren zur Nachtzeit insgeheim vorausgeſchickt worden; wie Alle im
Sattel ſaßen, ſprach Frau Hadwig: Zum heiligen Gallus! Da ſchau-
ten ſich die Dienſtleute verwundert an: Was ſoll uns die Wallfahrt?
Zum Antworten war's nicht Zeit, ſchon ging's im Trab das hügelige
Stück Landes hinauf, dem Gotteshaus entgegen.


Sanct Benedict und ſeine Schüler haben die bauliche Anlage ihrer
Klöſter wohl verſtanden. Land ab, Land auf, ſo irgendwo eine An-
ſiedelung ſteht, die gleich einer Feſtung einen ganzen Strich beherrſcht,
als Schlüſſel zu einem Thal, als Mittelpunkt ſich kreuzender Heer-
ſtraßen, als Hort des feinſten Weinwuchſes: ſo mag der Vorüberwan-
dernde bis auf weitere Widerlegung die Vermuthung ausſprechen, daß
ſothanes Gotteshaus dem Orden Benedicti zugehöre oder vielmehr zu-
gehört habe, denn heutigen Tages ſind die Klöſter ſeltener und die
Wirthshäuſer häufiger, was mit ſteigender Bildung zuſammenhängt.


Auch der iriſche Gallus hatte einen löblichen Platz erwählt, da er,
nach Waldluft gierig,12) in helvetiſcher Einöde ſich feſtſetzte; ein hoch-
gelegenes Thal, durch dunkle Bergrücken von den milderen Geſtaden
des See's geſondert, ſteinige Waldbäche brauſen vorüber, und die
rieſigen Wände des Alpſteins, deſſen Spitzen mit ewigem Schnee um-
hüllt im Gewölke verſchwinden, erheben ſich als ſchirmende Mauer
zur Seite.


Es war ein ſonderbarer Zug, der jene Glaubensboten von Albion
und Erin auf's germaniſche Feſtland führte. Genau beſehen iſt's ihnen
kaum zu allzu hohem Verdienſt anzurechnen. „Die Gewohnheit in
die Fremde zu ziehen, iſt den Briten ſo in die Natur gewachſen, daß
ſie nicht anders können“;13) ſchrieb ſchon in Karl des Großen Tagen
ein unbefangener ſchwäbiſcher Mann. Sie kamen, als Vorfahren der
heutigen Touriſten, man kannte ſie ſchon von Weitem am fremdartig
zugeſchnittenen Felleiſen.14) Und ein Mancher blieb haften und ging
nimmer heim, wiewohl die ehrſamen Landesbewohner ihn für ſehr un-
nöthig halten mochten. Aber die größere Zähigkeit, das Erbtheil bri-
tiſchen Weſens, lebensgewandte Kunſt ſich einzurichten und beim Volk
[12] die myſtiſche Ehrfurcht vor dem Fremden gab ihren Strebungen im
Dienſt der Kirche Beſtand.


Andere Zeiten, andere Lieder! Heute bauen die Enkel jener Hei-
ligen den Schweizern für gutes eidgenöſſiſches Geld die Eiſenbahn.15)


Aus der ſchmuckloſen Zelle an der Steinach, wo der iriſche Ein-
ſiedel ſeine Abenteuer mit Dornen, Bären und geſpenſtigen Waſſer-
weibern beſtand, war ein umfangreich Kloſter emporgewachſen. Statt-
lich ragte der achteckige Thurm der Kirche aus den ſchindelgedeckten
Dächern der Wohngebäude, Schulhäuſer, Kornſpeicher, Kellerei und
Scheunen waren daran gebaut, auch ein klappernd Mühlrad ließ ſich
hören, denn aller Bedarf zum Lebensunterhalt muß in des Kloſters
nächſter Nähe bereitet werden, auf daß es den Mönchen nicht noth-
wendig falle, in die Ferne zu ſchweifen, was ihrem Seelenheil un-
dienſam. Eine feſte Ringmauer mit Thurm und Thor umſchloß das
Ganze, minder des Zierraths, als der Sicherheit halber, maßen man-
cher Gewaltige im Land das Gebot: laß dich nicht gelüſten deines
Nachbars Gut! dazumal nicht allzuſtrenge einhielt.


Es war Mittagszeit vorüber, ſchweigende Ruhe lag über dem Thal.
Des heiligen Benedict Regel ordnet für dieſe Stunde, daß ein Jeder
ſich ſtill auf ſeinem Lager halte, und wiewohl von der gliederlöſen-
den Gluth italiſcher Mittagsſonne, die Menſchen und Thier in des
Schlummers Arme treibt, dieſſeits der Alpen wenig zu verſpüren,
folgten ſie im Kloſter doch pflichtgemäß dem Gebot.16)


Nur der Wächter auf dem Thorthurm ſtand, wie immer, treulich
und aufrecht im mückendurchſummten Stüblein.


Der Wächter hieß Romeias und hielt gute Wacht. Da hörte er
durch den nahen Tannwald ein Roßgetrabe; er ſpitzte ſein Ohr nach
der Richtung. Acht oder zehn Berittene! ſprach er nach prüfendem
Lauſchen; er ließ das Fallgatter vom Thor herniederraſſeln, zog das
Brücklein was über den Waſſergraben führte auf, und langte ſein
Horn vom Nagel. Und weil ſich einiges Spinnweb drin feſtgeſetzt
hatte, reinigte er daſſelbe.


Jetzt kamen die Vorderſten des Zuges am Waldesſaum zum
Vorſchein. Da fuhr Romeias mit der Rechten über die Stirn, und
that einen ſonderbarlichen Blick hinunter. Das Endergebniß ſeines
Blicks war eine Wort: Weibervölker!? — er ſprach's halb fragend, halb
[13] als Ausruf, und lag weder Freudigkeit noch Auferbauung in ſeinem
Worte. Er griff ſein Horn und blies dreimal hinein. Es war ein
ungefüger ſtiermäßiger Ton, den er hervor lockte, und war dem Horn-
blaſen deutlich zu entnehmen, daß weder Muſen noch Grazien die
Wiege des Romeias zu Villingen im Schwarzwald umſtanden hatten.


Wenn Einer im Wald ſich umgeſchaut hat, ſo hat er ſicher ſchon
das Getrieb eines Ameiſenhaufens angeſehen. Da iſt Alles wohlge-
ordnet und geht ſeinen gemeinſamen Gang und freut ſich der Ruhe
in der Bewegung: itzt fährſt du mit deinem Stab darein und ſcheu-
cheſt die Vorderſten: da bricht Verwirrung aus, Rennen und wim-
melnder Zuſammenlauf — Alles hat der eine Stoß verſtört. Alſo
und nicht anders fuhr der Stoß aus Romeias Horn aufjagend in's
ſtille Kloſter.


Da füllten ſich die Fenſter am Saal der Kloſterſchulen mit neu-
gierigen jungen Geſichtern, manch lieblicher Traum in einſamer Zelle
entſchwebte, ohne ſeinen Schluß zu finden, manch tiefſinnige Medita-
tion halbwachender Denker desgleichen; der böſe Sindolt, der in dieſer
Stunde auf ſeinem Schragen des Ovidius verboten Büchlein von der
Kunſt zu lieben zu ergründen pflegte, rollte eiligſt die pergamentnen
Blätter zuſammen und barg ſie im ſchützenden Verſteck ſeines Stroh-
ſacks.


Der Abt Cralo ſprang aus ſeinem Lehnſtuhl und reckte ſeine Arme
der Decke des Gemachs entgegen, ein ſchlaftrunkener Mann; auf
ſchwerem Steintiſch ſtund ein prachtvoll ſilbern Waſſerbecken,17) darein
tauchte er den Zeigefinger und netzte die Augen, des Schlummers
Reſt zu vertreiben. Dann hinkte er zum offenen Söller ſeines Erkers
und ſchaute hinab.


Und er ward betrüblich überraſcht, als wär' ihm eine Wallnuß
auf's Haupt gefallen: heiliger Benedict, ſei mir gnädig, meine Baſe,
die Herzogin!


Sofort ſchürzte er ſeine Kutte, ſtrich den ſchmalen Büſchel Haare
zurecht, der ihm inmitten des kahlen Scheitels noch ſtattlich empor-
wuchs gleich einer Fichte im öden Sandfeld;18) hing das güldene
Kettlein mit dem Kloſterſigill um, nahm ſeinen Abtsſtab von Apfel-
baumholz, d'ran der reichverzierte Elfenbeingriff erglänzte, und ſtieg in
Hof hernieder.


[14]

Wird's bald? rief einer der Berittenen draußen. Da gebot er
dem Wächter, daß er die Angekommenen nach ihrem Begehr frage.
Romeias that's.


Jetzt ward draußen in's Horn geſtoßen, der Kämmerer Spazzo ritt
als Herold an's Thor und rief mit tiefer Stimme:


Die Herzogin und Verweſerin des Reichs in Schwabenland entbeut
dem heiligen Gallus ihren Gruß. Schaffet Einlaß!


Der Abt ſeufzte leiſe auf. Er ſtieg auf Romeias Warte; an
ſeinen Stab gelehnt gab er denen vor dem Thor den Segen und
ſprach:


Im Namen des heiligen Gallus dankt der Unwürdigſte ſeiner
Jünger für den erlauchten Gruß. Aber ſein Kloſter iſt keine Arche,
drin jegliche Gattung von Lebendigem, Reines und Unreines, Männ-
lein und Weiblein Eingang findet. Darum — ob auch das Herz von
Betrübniß erfüllt wird, iſt Einlaß ſchaffen ein unmöglich Ding. Der
Abt muß am Tag des Gerichts Rechenſchaft ablegen über die ſeiner
Hut vertrauten Seelen. Die Nähe einer Frau, und wär' ſie auch die
erlauchteſte im Lande, und der hinfällige Scherz der Kinder dieſer
Welt wär' allzu große Verſuchung für die, ſo zuerſt nach dem Reich
Gottes und ſeiner Gerechtigkeit trachten müſſen. Beſchweret das Ge-
wiſſen des Hirten nicht, der um ſeine Lämmer Sorge trägt. Cano-
niſche Satzung ſperrt das Thor.


Die gnädige Herzogin wird in Trogen oder Rorſchach des Kloſters
Villa zu ihrer Verfügung finden ...


Frau Hadwig ſaß ſchon lange ungeduldig im Sattel; jetzt ſchlug
ſie mit der Reitgerte ihren weißen Zelter, daß er ſich mäßig bäumte,
und rief lachenden Mundes:


Spart die Umſchweife, Vetter Cralo, ich will das Kloſter ſehen!


Wehmüthig hub der Abt an: Wehe dem, durch welchen Aergerniß
in die Welt kommt. Ihm wäre heilſamer, daß an ſeinem Hals ein
Mühlſtein ...


Aber ſeine Warnung kam nicht zu Ende. Frau Hadwig änderte
den Ton ihrer Stimme: Herr Abt, die Herzogin in Schwaben muß
das Kloſter ſehen! ſprach ſie ſcharf.


Da ward es dem Schwergeprüften klar, daß weiterer Widerſpruch
kaum möglich ohne große Gefahr für des Gotteshauſes Zukunft.
[15] Noch ſträubte ſich ſein Gewiſſen. Wenn Einer in zweifelhafter Lage
aus ſich ſelber keine Auskunft zu ſchöpfen weiß, iſt's dem ſchwanken
Gemüth wohlthätig, Andere zu gutem Rath beizuziehen, das nimmt
die Verantwortung und deckt den Rücken.


Darum rief Herr Cralo jetzt hinunter: Da Ihr hartnäckig darauf
beſteht, muß ich's der Rathsverſammlung der Brüder vortragen. Bis
dahin geduldet Euch!


Er ſchritt zurück über den Hof, im Herzen den ſtillen Wunſch,
daß eine Sündfluth vom Himmel die Heerſtraße zerſtören möge, die
ſo leichtlich unberufenen Beſuch herbeiführe. Sein hinkender Gang
war eilig und aufgeregt, und es iſt nicht zu verwundern, daß berichtet
wird, er ſei in ſelber Zeit in dem Kloſtergang auf- und abgeflattert
wie ein Schwälblein vor dem Gewitter.19)


Fünfmal erklang jetzt das Glöcklein von des heiligen Othmar
Kapelle neben der Hauptkirche, und rief die Brüder zum Kapitelſaal.
Und der einſame Kreuzgang belebte ſich mit einherwandelnden Geſtal-
ten; genüber vom ſechseckigen Ausbau, wo unter ſäulengetragenen
Rundbogen der Springquell anmuthig in die metallene Schaale nie-
derplätſcherte, war der Ort der Verſammlung, eine einfache graue
Halle; auf erhöhtem Ziegelſteinboden hob ſich des Abts Marmorſtuhl,
dran zwei rohe Löwenköpfe ausgehauen, Stufen führten hinauf. Ver-
gnüglich ſtreift das Auge von dort an den dunkeln Pfeilern und Säu-
len vorüber in's Grün des Gärtleins im innern Hofe; Roſen und
Malven blühten drin empor; die Natur ſucht gütig auch die heim,
die ſich ihr abgekehrt.


In ſcharfem Gegenſatz der Farbe hoben ſich die weißen Kutten
und dunkelfarbigen Oberkleider vom Steingrau der Wände; lautlos
traten die Berufenen ein, flüchtig Nicken des Hauptes war der gegen-
ſeitige Gruß; wärmender Sonnenſtrahl fiel durch's ſchmale Fenſter
auf ihre Reihen.


Es waren erprobte Männer, ein heiliger und Gott wohlgefälliger
Senat.20)


Der mit dem ſchmächtigen Körper und dem ſcharfen von Faſten
und Nachtwachen geblaßten Antlitz, war Notker der Stammler; ein
wehmüthig Zucken ſpielte um ſeine Lippen, lange Uebung der Askeſis
hatte ſeinen Geiſt der Gegenwart entrückt. Früher hatt' er gar ſchöne
[16] Singweiſen erdacht, jetzt war er verdüſtert und ging in der Stille der
Nacht den Dämonen nach, mit ihnen zu kämpfen; in der Krypta des
heiligen Gallus hatte er jüngſt den Teufel erreicht und ſo darnieder-
geſchlagen, daß er mit lautem Auwehſchrei in einen Winkel ſich barg;
und ſeine Neider ſagten, auch ſein ſchwermüthiges Lied media vita
ſei unheimlichen Urſprungs und vom böſen Feind geoffenbart als Löſe-
geld, da er ihn in ſeiner Zelle ſiegreich zuſammengetreten unter ſtar-
kem Fuße feſthielt.


Aber neben ihm lächelte ein gutmüthig ehrenfeſt Geſicht aus eis-
grauem Bart herfür; der ſtarke Tutilo war's, der ſaß am liebſten
vor der Schnitzbank und ſchnitzte die wunderfeinen Bildwerke in Elfen-
bein, noch gibt das Diptychon mit Maria's Himmelfahrt und dem
Bären des heiligen Gallus Zeugniß von ſeiner Kunſt. Aber wenn
ihm der Rücken ſich krümmen wollte von der Arbeit Laſt, zog er ſin-
gend hinab auf die Wolfsjagd oder ſuchte einen ehrlichen Fauſtkampf
zur Erholung, er focht lieber mit böſen Menſchen als mit nächtlichem
Spuck und ſagte oft im Vertrauen zu ſeinem Freund Notker: Wer ſo
Manchem in Chriſtenheit und Heidenſchaft ein blaues Denkzeichen ver-
abreicht, wie ich, kann der Dämonomachia entbehren.


Auch Ratpert kam herzu, der lang erprobte Lehrer der Schule,
der immer unwillig auffuhr, wenn ihn das Kapitelglöcklein von ſeinen
Geſchichtsbüchern abrief. In vornehmer Haltung trug er das Haupt;
er und die beiden Andern waren ein Herz und eine Seele, ein drei-
blättriger Kloſterklee, ſo verſchieden auch ihr Weſen.21) Weil er un-
ter den letzten in Saal trat, kam Ratpert neben ſeinen Widerſacher
zu ſtehen, den böſen Sindolt, der that, als ſähe er ihn nicht und
flüſterte ſeinem Nachbar Etwas zu, der war ein klein Männlein mit
einem Geſicht wie eine Spitzmaus und kniff den Mund zuſammen,
denn Sindolt hatte ihm ſo eben zugeraunt, im großen Wörterbuch
des Biſchof Salomo22) ſei zu der Gloſſe: „Rabuliſta bedeutet Einen
der über jeglich Ding der Welt disputiren will,“ von unbekannter
Hand zugeſchrieben worden: „wie Radolt, unſer Denkmann.“


Aus dem Dunkel im Saalesgrund ragte Sintram hervor, der un-
ermüdliche Schönſchreiber, deſſen Schriftzüge die ganze cisalpiniſche
Welt bewunderte;23) die größten von Sanct Gallus Jüngern an Maaß
der Körpers waren die Schotten, die am Eingang ihren Stand nahmen,
[17] Fortegian und Failan, Dubslan und Brendan und wie ſie Alle hießen,
eine untrennbare Landsmannſchaft, aber mißvergnügt über Zurückſetzung;
auch der rothbärtige Dubduin ſtand dabei, der trotz der ſchweren eiſer-
nen Bußkette nicht zum Probſt gewählt ward und zur Strafe für ſeine
beißenden Schmähverſe auf die deutſchen Mitbrüder drei Jahre lang
den dürren Pfirſichbaum im Kloſtergarten begießen mußte.


Und Notker der Arzt ſtund unter den Verſammelten, der erſt
jüngſt des Abts hinkendem Fuß die große Heilkur verordnet hatte mit
Einreibung von Fiſchgehirn und Umſchlag einer friſch abgezogenen
Wolfshaut, auf daß die Wärme des Pelzes die gekrümmten Sehnen
gerad biege;24) ſie hießen ihn das Pfefferkorn ob ſeiner Strenge
in Handhabung der Kloſterzucht; — und Wolo, der keine Frau an-
ſehen konnte und keine reifen Aepfel,25) und Engelbert der Einrichter
des Thiergartens, und Gerhard der Prediger und Folkard der Maler:
Wer kennt ſie Alle, die löblichen Meiſter, bei deren Aufzählung ſchon
das nächſtfolgende Kloſtergeſchlecht wehmüthig bekannte, daß ſolche Män-
ner von Tag zu Tag ſeltener würden?


Jetzo beſtieg der Abt ſeinen ragenden Steinſitz und ſie rathſchlag-
ten, was zu thun. Der Fall war ſchwierig. Ratpert trat auf und
wies aus den Aufzeichnungen vergangener Zeit nach, auf welche Art
einſt dem großen Kaiſer Karl ermöglicht worden, in des Kloſters In-
neres zu kommen.26) Damals, ſprach er, ward angenommen, er ſei
ein Ordensbruder, ſo lang er in unſern Räumen weile, und Alle
thaten als ob ſie ihn nicht kennten; kein Wort ward geſprochen von
kaiſerlicher Würde und Kriegsthaten oder demüthiger Huldigung, er
mußte einherwandeln wie ein Anderer auch, und daß er deß nicht be-
leidigt war, iſt der Schutzbrief, den er beim Abzug über die Mauern
hereinwarf, Zeuge.


Aber damit war das große Bedenken, daß jetzt eine Frau Einlaß
begehrte, nicht gelöst. Die ſtrengeren Brüder murrten und Notker das
Pfefferkorn ſprach: Sie iſt die Wittib jenes Landverwüſters und Kloſter-
ſchädigers, der den koſtbarſten Kelch bei uns als Kriegsſteuer erhob27)
und höhnend dazu ſagte: Gott ißt nicht und trinkt nicht, was nutzen
ihm die güldenen Gefäße? Laßt ihr das Thor geſchloſſen!


Das war jedoch dem Abt nicht recht. Er ſuchte einen Ausweg.
Die Berathung ward ſtürmiſch, ſie ſprachen hin und her. Der Bruder
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 2
[18] Wolo, da er hörte, daß von einer Frau die Rede, ſchlich leis von dan-
nen und ſchloß ſich in ſeine Zelle.


Da hob ſich unter den Jüngeren Einer und erbat das Wort.


Sprechet, Bruder Ekkehard,28) rief der Abt.


Und das wogende Gemurmel verſtummte; alle hörten den Ekke-
hard gern. Er war jung an Jahren, von ſchöner Geſtalt, und feſſelte
Jeden der ihn ſchaute durch ſittige Anmuth; dabei weiſe und beredt, von
klugverſtändigem Rath und ein ſcharfer Gelehrter. An der Kloſter-
ſchule lehrte er den Virgilius, und wiewohl in der Ordensregel ge-
ſchrieben ſtand: zum Pörtner ſoll ein weiſer Greis erwählt werden,
dem geſetztes Alter das Irrlichteliren unmöglich macht, damit die An-
kommenden mit gutem Beſcheid empfangen ſeien, ſo waren die Brüder
eins, daß er die erforderlichen Eigenſchaften beſitze und hatten ihm
auch das Pörtneramt übertragen.


Ein kaum ſichtbares Lächeln war über ſeinen Lippen gelegen, die-
weil die Alten ſich ſtritten. Jetzt erhob er ſeine Stimme und ſprach:


Die Herzogin in Schwaben iſt des Kloſters Schirmvogt und gilt
in ſolcher Eigenſchaft als wie ein Mann. Und wenn in unſerer
Satzung ſtreng geboten iſt, daß kein Weib den Fuß über des Kloſters
Schwelle ſetze: man kann ſie ja darüber tragen.


Da heiterten ſich die Stirnen der Alten, als wäre Jedem ein
Stein vom Herzen gefallen, beifällig nickten die Capuzen, auch der
Abt war des verſtändigen Wortes nicht unbewegt und ſprach:


Fürwahr, oftmals offenbart der Herr einem Jüngeren das Dien-
lichſte,29) Bruder Ekkehard, Ihr ſeid ſanft wie die Taube aber klug
wie die Schlange, ſo ſollt Ihr des eigenen Raths Vollſtrecker ſein.
Wir geben Euch Dispens.


Dem Pörtner ſchoß das Blut in die Wangen, er verbeugte ſich
ſeinen Gehorſam anzudeuten.


Und der Herzogin weibliche Begleitung? frug der Abt weiter.
Da wurde der Convent eins, daß für dieſe auch die freimüthigſte
Geſetzesauslegung keine Möglichkeit des Eintritts eröffne. Der böſe
Sindolt aber ſprach: Die mögen indeſſen zu den Klausnerinnen auf
den Irenhügel gehen, wenn des heiligen Gallus Heerde von einer
Landplage heimgeſucht wird, ſoll die fromme Wiborad auch ein Theil
daran leiden.


[19]

Der Abt pflog noch eine lange flüſternde Verhandlung mit Gerold
dem Schaffner, wegen des Vesperimbiſſes; dann ſtieg er von ſeinem
Steinſitz und zog mit der Brüder Schaar den Gäſten entgegen. Die
waren draußen ſchon dreimal um des Kloſters Umfriedung herumge-
ritten und hatten ſich mit Glimpf und Scherz des Wartens Ungeduld
vertrieben.


In der Tonweiſe: justus germinavit kamen itzt die eintönigen
ſchweren Klänge des Loblieds auf den heiligen Benedictus aus dem
Kloſterhof zu den Wartenden gezogen, das ſchwere Thor knarrte auf,
heraus ſchritt der Abt, paarweiſe langſamen Ganges der Zug der
Brüder, die beiden Reihen erwiederten ſich die Strophen des Hymnus.


Dann gab der Abt ein Zeichen, daß der Geſang verſtumme. Wie
geht's Euch, Vetter Cralo, rief die Herzogin leichtfertig vom Roß, hab'
Euch lange nicht geſehen. Hinket Ihr noch?


Cralo aber ſprach ernſt: Es iſt beſſer der Hirt hinke als die Heerde.30)
Vernehmet des Kloſters Beſchluß.


Und er eröffnete die Bedingung, die ſie auf den Eintritt geſetzt.
Da ſprach Frau Hadwig lächelnd: So lang ich den Scepter führe in
Schwabenland, iſt mir ein ſolcher Vorſchlag nicht gemacht worden.
Aber Eures Ordens Vorſchrift ſoll von uns kein Leides geſchehen,
welchem der Brüder habt Ihr's zugewieſen, die Landesherrin über die
Schwelle zu tragen?


Sie ließ ihr funkelnd Auge über die geiſtliche Heerſchaar ſtreifen.
Wie ſie auf Notker des Stammlers unheimlich Schwärmerantlitz traf,
flüſterte ſie leiſe der Griechin zu: Möglich, daß wir gleich wieder umkehren!


Da ſprach der Abt: Das iſt des Pörtners Amt, dort ſteht er.


Frau Hadwig wandte den Blick in der Richtung, die des Abts
Zeigefinger wies, geſenkten Hauptes ſtund Ekkehard, ſie erſchaute die
ſinnige Geſtalt im rothwangigen Schimmer der Jugend, es war ein
langer Blick, mit dem ſie über die gedankenbewegten Züge und das
wallende gelbliche Haupthaar und die breite Tonſur ſtreifte.


Wir kehren nicht um! nickte ſie zu ihrer Begleiterin, und bevor
der kurzhalſige Kämmerer, der meiſtentheils den guten Willen und
das Zuſpätkommen hatte, vom Gaul herab und ihrem Schimmel ge-
naht war, ſprang ſie anmuthig aus dem Bügel, trat auf den Pört-
ner zu und ſprach: — So thut was Eures Amtes!


2*
[20]

Ekkehard hatte ſich auf eine Anrede beſonnen und gedachte mit
Anwendung tadelloſen Lateins die ſonderbare Freiheit zu rechtfertigen,
aber wie ſie ſtolz und gebietend vor ihm ſtand, verſagte ihm die Stimme
und die Rede blieb, wo ſie entſtanden — in ſeinen Gedanken. Aber
er war unverzagten Muthes und umfaßte mit ſtarkem Arm die Her-
zogin, die ſchmiegte ſich vergnüglich an ihren Träger, und lehnte den
rechten Arm auf ſeine Schulter. Fröhlich ſchritt er unter ſeiner Bürde
über die Schwelle, die kein Frauenfuß berühren durfte, der Abt ihm
zur Seite, Kämmerer und Dienſtmannen folgten, hoch ſchwangen die
dienenden Knaben ihre Weihrauchfäſſer, und die Mönche wandelten in
gedoppelter Reihe, wie ſie gekommen, hinterdrein, die letzten Strophen
ihres Loblieds ſingend.


Es war ein wunderſam Bild, wie es vor und nachmals in des
Kloſters Geſchichte nicht wieder vorkam, und ließen ſich von Freunden
unnützer Worte an den Mönch, der die Herzogin trug, erſprieß-
liche Bemerkungen anknüpfen über das Verhältniß der Kirche zum
Staat in damaligen Zeiten und deſſen Aenderung in der Gegen-
wart ...


Die Naturverſtändigen ſagen, daß durch Annäherung belebender
Körper unſichtbar wirkende Kräfte thätig werden, ausſtrömen, in ein-
ander übergehen und ſeltſamliche Beziehungen herſtellen. Das mochte
ſich auch an der Herzogin und dem Pörtner bewähren; dieweil ſie ſich
in ſeinen Armen wiegte, gedachte ſie leiſe: „Fürwahr, noch Keinem hat
Sanct Benedicts Capuze anmuthiger geſeſſen, als dieſem“,31) und wie
er im kühlen Kloſtergang ſeine Bürde mit ſchüchternem Anſtand ab-
ſetzte, fiel ihm Nichts auf, als daß ihm die Strecke vom Thor bis
hierher noch niemals ſo kurz vorgekommen.


Ich bin Euch wohl ſchwer gefallen? ſprach die Herzogin.


Hohe Herrin, Ihr mögt kecklich ſagen, wie da geſchrieben ſteht:
mein Joch iſt ſanft und meine Bürde iſt leicht, war ſeine Erwie-
derung.


Ich hätte nicht gedacht, ſprach ſie darauf, daß Ihr die Worte der
Schrift zu einer Schmeichelrede anwendet. Wie heißet Ihr?


Er antwortete: Sie nennen mich Ekkehard.


Ekkehard, ich danke Euch! ſagte die Herzogin mit anmuthvoller
Handbewegung.


[21]

Er trat zurück an ein Bogenfenſter im Kreuzgang und ſchaute
hinaus in's Gärtlein. War's ein Zufall, daß ihm jetzt der heilige
Chriſtophorus vor die Gedanken trat?


Dem däuchte ſeine Bürde auch leicht, da er anhub, das fremde
Kindlein auf ſtarker Schulter über den Strom zu tragen, aber ſchwer
und ſchwerer ſenkte ſich die Laſt auf ſeinen Nacken und preßte ihn
hinab in die brauſende Fluth, tief, tief, daß ſein Muth ſich neigen
wollt zu verzweifeln ...


Der Abt hatte einen köſtlichen Henkelkrug bringen laſſen, damit
ging er ſelber zum Springquell, füllte ihn und trat vor die Herzogin:
der Abt ſoll den Fremden das Waſſer darbringen, ihre Hand zu netzen,
ſprach er, und ſich ſammt der ganzen Brüderſchaft auch zur Fußwaſchung —


Wir danken, fiel ihm Frau Hadwig in die Rede. Sie ſprach's
mit entſchiedenem Ton. Indeß hatten zwei der Brüder eine Truhe
herabgeholt, ſie ſtand geöffnet im Gang. Drein griff itzt der Abt,
zog eine funkelneue Kutte herfür, und ſprach: So ernenne ich denn
unſeres Kloſters erlauchten Schirmvogt zum Mitglied und zugeſchrie-
benen Bruder, und ſchmück' ihn deſſen zum Zeugniß mit des Ordens
Gewandung.32)


Frau Hadwig fügte ſich. Leicht bog ſie das Knie, da ſie die
Kutte aus ſeinen Händen empfing, ſie warf das ungewohnte Klei-
dungsſtück um, es ſtand ihr gut, faltig war's und weit, wie die
Regel beſagt: Der Abt ſoll ein ſcharfes Auge haben, daß die Gewän-
der nicht zu kurz ſeien für ihre Träger, ſondern wohlgemeſſen.


Reizend ſah das lichte Frauenantlitz aus der dunkeln Capuze.


Für euch gilt das Gleiche! rief nun der Abt zu der Herzogin
Gefolge. Da hatte der böſe Sindolt ſeine Freude dran, Herrn Spazzo
einzukleiden. Und wißt Ihr auch, raunte er ihm in's Ohr, was die
Kutte für Euch zu bedeuten hat? — Daß Ihr die Gelüſte der Welt
abſchwöret und einen mäßigen, armen und keuſchen Wandel gelobet
für immerdar!


Herr Spazzo war ſchon mit dem rechten Arm in das faltige
Ordensgewand gefahren, ſchnell zog er ihn wieder zurück: Halt an,
zürnte er, da muß ich Einſprache thun! Sindolt ſchlug ein Gelächter
auf, da merkte der Kämmerer, es ſei ſo ernſt nicht gemeint und ſprach:
Bruder, Ihr ſeid ein Schalk.


[22]

Bald prangten auch die Gefolgsmänner im Schmuck des Ordens-
kleides, manchem der neuerſchaffenen Mönche hing der lange Bart
ordnungswidrig bis an Gürtel, und das ſittige Niederſchlagen des
Blicks gelang noch nicht ganz nach Vorſchrift.33)


Der Abt geleitete ſeine Gäſte zuerſt zur Kirche.



Drittes Kapitel.
Wiborada Reclusa.



Einer von denen, die am wenigſten ſich des unerwarteten Beſuches
ergötzten, war Romeias der Wächter am Thor. Er wußte ungefähr,
was ihm bevorſtand, aber nicht Alles. Während der Abt die Her-
zogin empfing, kam Gerold der Schaffner zu ihm und ſprach: Ro-
meias, rüſtet Euch auszuziehen! Ihr ſollt auf den nächſten Maierhöfen
anſagen, daß ſie noch heut vor Abend die ſchuldigen Hühner34) zu
Ausſchmückung der Mahlzeit ſchicken und ſollt einen guten Biſſen
Wildpret beſchaffen.


Deß war Romeias zufrieden. Es fügte ſich nicht zum erſten Male,
daß er das Gaſthuhn zu heiſchen ging, und die Maier und Kellerer
auf den Höfen duckten ſich des Romeias Worten, denn er hatte eine
kräftige Sprache zum Anbefehlen. Des Waidwerks aber freute er ſich
zu jeder Zeit. Darum nahm Romeias ſeinen Jagdſpieß, hing die
Armbruſt über und wollte gehen ein Rudel Hunde zu löſen. Gerold
der Schaffner aber zupfte ihn am Gewand und ſagte: Romeias, noch
Etwas! Ihr ſollet auch der Herzogin Frauenzimmer, denen der Ein-
tritt verwehrt iſt, hinauf in's Schwarzathal führen, und der frommen
Wiborad vorſtellen, daß ſie bei ihr Kurzweil finden bis der Abend
kommt. Und ſollet fein artig ſein, Romeias, es iſt eine Griechin da-
bei mit gar dunkeln Augen ...


Da legten ſich drei tiefe Falten über Romeias Stirn, und er
ſtieß den Jagdſpieß auf den Boden, daß es klirrte: Weibervölker be-
[23] gleiten?! rief er, — dazu iſt der Wächter am Thor des heiligen
Gallus nicht nutz!


Gerold aber nickte ihm bedeutungsvoll zu und ſprach: Ihr müßt's
verſuchen, Romeias. Iſt's nicht ſchon zugetroffen, daß Wächter, die
ihren Auftrag getreulich erfüllten, des Abends einen großen Steinkrug
Kloſterwein in ihrem Stüblein vorfanden? Halloh, Romeias!


Des Mißmuthigen Antlitz heiterte ſich. Und er ging hinab in
Hof und löste die Hunde; der Spürhund und der Leithund ſprangen
an ihm hinauf, auch das Biberhündlein kläffte vergnüglich und wollte
mit ausziehen,35) aber verächtlich jagte er's heim, der Fiſchteich und
ſeine Inſaſſen gingen den Waidmann nichts an. Von ſeinen Rüden
umbellt, ſchritt er vor's Thor.


Praxedis und die andern dienenden Frauen der Herzogin waren
von den Pferden geſtiegen und ſaßen auf einem Rain im Sonnen-
ſchein und hatten viel mit einand zu ſchwatzen von Mönchen und Kutten
und Bärten und ſonderbaren Launen ihrer Herrſchaft. Da trat Ro-
meias vor ſie hin und ſprach: Vorwärts!


Praxedis muſterte den wilden Jägersmann und war ſich nicht
klar, was ſie aus ihm machen ſollte; mit ſchnippiſcher Stimme fragte
ſie: Wohin, guter Freund? Romeias aber hob ſeinen Spieß und
deutete nach einem nahen Hügel hinter dem Walde und ſagte Nichts.
Da ſprach Praxedis: Sind die Worte bei Euch in Sanct Gallen ſo
theuer zu kaufen, daß Ihr keinen andern Beſcheid gebt?


Die Dienerinnen lachten.


Da ſprach Romeias ernſt: Möcht' euch doch allzuſammt ein
Donnerwetter ſieben Klafter tief in Erdboden hinein verſchlagen!


Praxedis erwiederte: Wir danken Euch, guter Freund! Hiemit
war die ſchickliche Einleitung zu einem Geſpräch gefunden. Romeias
eröffnete ſeinen Auftrag, die Frauen folgten ihm willig.


Und allmälig fand der Wächter, daß es nicht der härteſte Dienſt
ſei, ſolche Gäſte zu geleiten, und wie die Griechin ihn des Näheren
über Wächterei und Jagdhantirung befragte, ward ſeine Zunge gelöst,
und er erzählte von Bären und Wildſchweinen, daß es eine Freude
war, und erzählte ſogar ſein großes Jagdſtück von dem furchtbaren
Eber, dem er einſt den Speer in die Seite geworfen und ihn doch
nicht zu erlegen vermocht, denn er hatte Füße einer Wagenlaſt an
[24] Maße gleich, und Borſten, ſo hoch wie die Tannen des Forſtes, und
Zähne zwölf Ellen lang36) — und ward zuſehends artiger, denn wie
die Griechin einmal ihren Schritt hemmte, um einer Droſſel Schlag zu
belauſchen, hielt auch Romeias geduldig an, wiewohl ihm ſonſt ein
Singvogel ein viel zu erbärmlich Stück Wild war, als daß er ihn
großen Aufmerkens gewürdigt. Und wie Praxedis ſich nach einem
ſchönen Goldkäfer bückte, der im röthlichen Moos herum kletterte,
wollte ihr Romeias dienſtwillig den Käfer mit ſchwerbeſohltem Fuß
zur Hand ſchieben, und daß er ihn bei ſolcher Gelegenheit zertrat, war
nicht ſeine Abſicht.


Sie ſtiegen einen düſtern Bergpfad hinauf; über zerklüftete Nagel-
fluhfelſen rann die Schwarza zu Thale. An jenem Abhang war einſt
der heilige Gall in die Dornen gefallen und hatte zum Begleiter, der
ihn aufrichten wollte, geſprochen: Laß mich liegen, hier ſoll meine
Ruhe ſein und mein Haus für alle Zeit!37)


Sie waren nicht lang bergan geklommen, da kamen ſie an einen
freien tannwaldumſäumten Platz. An ſchirmende Felswand ange-
lehnt ſtand dort eine ſchlichte Capelle in Form eines Kreuzes. Nah
dabei war ein viereckig Häuslein gemauert, das mit der Rückſeite auch
an den Fels anſtieß; nur eine einzige niedere Fenſteröffnung, mit
einem Holzladen verſchließbar, war dran zu ſchauen; nirgends eine
Thüre oder anderweiter Eingang, und war nicht abzuſehen, wie ein
Menſch in ſolch Gebäu Einlaß finden mochte, wofern er nicht durch
eine Lucke im Dach von Seiten der Felswand ſich hinabließ. Genüber
ſtund ein gleiches Gelaß, ſo ebenfalls nur ein einzig Fenſterlein hatte.


Es war häufiger Brauch dazumal, daß ſolche, die Neigung zum
Mönchsleben verſpürten und die ſich, wie der heilige Benedict ſagt,38)
ſtark genug fühlten, den Kampf mit dem Teufel ohne Beihilfe from-
mer Genoſſenſchaft auf eigene Fauſt zu beſtehen, ſich in ſolch einen
Gaden einmauern ließen. Man hieß ſie Reclauſi, Eingeſchloſſene,
Klausner, und war ihre Nutzbarkeit und Lebensabſicht der der Säulen-
heiligen in Aegyptenland zu vergleichen; ſcharfer Winterswind und
Schneefall macht freilich dieſſeits der Alpen die Abſperrung in friſcher
Luft unmöglich, das Anachoretengelüſt war nicht minder ſtark.39)


In den vier engen Wänden hier auf dem Irenhügel hauste nun
die Schweſter Wiborad,40) eine vielgeprieſene Klausnerin ihrer Zeit.


[25]

Sie ſtammte aus Klingnau im Aargau und war eine ſtolze,
ſpröde Jungfrau geweſen, in mancher Kunſt bewandert, und hatte von
ihrem Bruder Hitto alle Pſalmen lateiniſch beten gelernt und war
ehedem nicht abgeneigt, einem Mann ſein Leben zu verſüßen, wenn
ſie den Rechten finden möchte, aber die Blüthe aargauiſcher Landes-
kraft fand keine Gnade vor ihren Augen und ſie that eine Wallfahrt
gen Rom. Und dort muß ihr unſtet Gemüth durchſchüttert worden
ſein, keiner der Zeitgenoſſen hat erfahren wie; — drei Tage lang
rannte ihr Bruder Hitto das Forum auf und nieder, und durch die
Hallen des Coloſſeum und unter Conſtantin's Triumphbogen durch
bis zum vierſtirnigen Janus an der Tiber unten und ſuchte ſeine
Schweſter und fand ſie nicht; am Morgen des vierten Tags kam ſie
zum ſalariſchen Thor herein und trug ihr Haupt hoch und ihre Augen
leuchtend und ſprach, es ſei Alles Nichts auf der Welt, ſo lang nicht dem
heiligen Martinus die Ehr erwieſen werde, die ſeinem Verdienſt gebühre.


Wie ſie aber zurückkehrte in die Heimath, verſchrieb ſie ihr Hab
und Gut der Biſchofskirche zu Conſtanz, mit dem Bedingniß, daß die
geiſtlichen Herren jeweils am eilften des Herbſtmonates dem heiligen
Martin ein beſonder Feſt halten ſollten; ſie ſelber trat in ein eng
Häuslein, wo die Klausnerin Zilia ſich ſeßhaft gemacht, und führte
ein klöſterlich Leben. Und wie es ihr dort nimmer zuträglich war,
verzog ſie ſich in's Thal des heiligen Gallus; der Biſchof ſelbſt gab
ihr das Geleit und that ihr den ſchwarzen Schleier um und führte
ſie an der Hand in die Zelle am Irenhügel und ſprach den Segen
darüber; mit der Mauerkelle that er den erſten Schlag auf die Steine,
mit denen der Eingang vermauert ward und drückte viermal ſein
Sigill auf das Blei, damit ſie die Fugen lötheten, und ſchied ſie von
der Welt, und die Mönche ſangen dazu, als würd' Einer begraben,
dumpf und traurig.


Die Leute ringsum aber hielten die Klausnerin hoch in Ehren:
ſie ſei eine hartgeſchmiedete Meiſterin,41) ſagten ſie, und an manchem
Sonntag ſtund Haupt an Haupt auf dem Wieſenplan und Wiborad
ſtund an ihrem Fenſterlein und predigte ihnen, und andere Frauen
ſiedelten ſich in die Nähe und ſuchten bei ihr Anleitung zur Tugend.


Wir ſind an Ort und Stelle, ſprach Romeias. Da blickte Praxedis
mit ihren Begleiterinnen um. Kein menſchlich Weſen war zu erſchauen;
[26] verſpätete Schmetterlinge und Käfer ſummten im Sonnenſchein und
die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborad's Zelle war
der Fenſterladen angelehnt, ſo daß nur ein ſchmaler Streif Sonnen-
licht hineinfallen konnte. Dumpfes, langſam und halb durch die Naſe
geſungenes Pſalmodiren tönte durch die Einſamkeit.


Romeias klopfte mit ſeinem Jagdſpieß an den Fenſterladen, der
blieb, wie er war, angelehnt; das Pſalmodiren tönte fort. Da ſprach
der Wächter: Wir müſſen ſie anderweitig herausklopfen!


Romeias war ein Mann von ungeſchliffener Lebensart, ſonſt hätte
er nicht gethan, was er jetzt that.


Er begann ein Lied zu ſingen, womit er oftmals die Kloſterſchüler
ergötzte, wenn ſie in ſeine Thurmſtube entwiſchten, ihn am Bart zu
zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu ſpielen. Es war eine
jener Cantilenen, wie deren, ſeit daß es eine deutſche Zunge gibt, auf
freier Heerſtraße, an Wegſcheiden und Waldecken und draus auf weiter
Heide ſchon manches gute Tauſend in Wind geſungen und wieder ver-
weht worden, und lautete alſo:


Ich weiß einen Stamm im Eichenſchlag,

Der ſteht im grünſten Laube,

Dort lockt und lacht den ganzen Tag

Eine ſchöne wilde Taube.

Ich weiß einen Fels, draus ſchillt und ſchallt

Nur Krächzen und Geheule,

Dort haust fahlgrau und mißgeſtalt

Eine heiſ're Schleiereule.

Des Jägers Horn bringt ſüßen Klang,

Des Jägers Pfeil Verderben:

Die Taube grüß ich mit Geſang,

Die Eul' muß mir erſterben!

Romeias Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen
Feldſtein in Wiborad's Laden geworfen. Alsbald erſchien eine Ge-
ſtalt an der viereckigen Fenſteröffnung, auf hagerem Halſe hob ſich
ein blaſſes, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindſelige
Richtung aufwärts gegen die Naſe genommen; von dunklem Schleier
[27] vermummt, beugte ſie ſich weit aus dem Fenſterlein, die Augen glänz-
ten unheimlich. Schon wieder, Satanas? rief ſie.


Da trat Romeias vor und ſprach mit gemüthlichem Ausdruck:
Der böſe Feind weiß keine ſo ſchönen Lieder wie Romeias, der Kloſter-
wächter. Beruhigt Euch, Schweſter Wiborad, ich bring ein paar feine
Jungfräulein, die Herren im Kloſter laſſen ſie Euch zu annehmlicher
Unterhaltung empfohlen ſein.


Hebet Euch weg, ihr Truggeſtalten! rief die Klausnerin. Wir
kennen die Schlingen, die der Verſucher legt. Weichet, weichet!


Praxedis aber näherte ſich der Zelle und neigte ſich ſittig vor
der dürren Bewohnerin: ſie komme nicht aus der Hölle, ſondern vom
hohen Twiel herüber, ſetzte ſie ihr auseinand. Ein wenig falſch konnte
das Griechenkind auch ſein, denn wiewohl ihre Kenntniß von der
Klauſe im Schwarzathal ſich erſt von heute herſchrieb, fügte ſie doch
bei, ſie hätten von dem auferbaulichen Wandel der Schweſter Wiborad
ſchon ſo viel vernommen, daß ſie die erſte Gelegenheit genutzt, bei ihr
anzuſprechen.


Da ſchien es, als wollten ſich einige Runzeln auf Wiborad's
Stirn glätten. Reich mir deine Hand, Fremde! ſprach ſie und reckte
ihren Arm zum Fenſterlein hinaus. Die Kutte ſtreifte ſich ein We-
niges zurück, da war er in ſeiner ganzen fleiſchloſen Magerkeit dem
Sonnenſchein ausgeſetzt.


Praxedis reichte ihr die Rechte. Wie der junge, lebenswarme
Pulsſchlag der weißen Hand an der Klausnerin dürre Finger anſchlug,
ward ſie langſam von der Griechin Menſchlichkeit überzeugt.


Romeias merkte die Wendung zum Beſſeren, er wälzte etliche
Felsſtücke unter das Fenſter der Zelle. In zwei Stunden hol' ich
Euch wieder ab; behüt' Gott, Ihr Jungfräulein! ſprach er. Und er-
ſchreckt nicht, wenn ſie in Verzuckung kommt, flüſterte er der Griechin zu.


Hiemit pfiff Romeias ſeinen Hunden und ſchritt in's Waldesdickigt.
Er legte auch etwa dreißig Schritte ohne Hinderniß zurück, aber dann
drehte er ſein ſtruppig Haupt und wandte den ganzen Menſchen um;
auf den Spieß geſtemmt, ſchaute er unverrückt nach dem Platz vor
der Klauſe, als hätt' er Etwas verloren. Hatte aber Nichts zurückgelaſſen.


Praxedis lächelte und warf dem gröbſten aller Wächter eine Kuß-
hand zu. Da machte Romeias Kehrt, wollte ſeinen Spieß ſchultern,
[28] ließ ihn fallen, hob ihn auf, ſtolperte, erholte ſich wieder und ver-
ſchwand in gutem Trab jenſeits der moosverwachſenen Stämme.


O Kind der Welt, das in Finſterniß wandelt, ſchalt die Klaus-
nerin herab, was ſoll die Bewegung deiner Hand?


Ein Scherz ... ſprach Praxedis unbefangen.


Eine Sünde! rief Wiborad mit rauher Stimme. Praxedis erſchrack.


O Teufelswerk und Verblendung! fuhr jene predigend fort. Da
laſſet Ihr Eure Augen liſtig herumſtreifen, bis ſie dem Manne als
wie ein Blitz in's Herz fahren, und werft ihm eine Kußhand zu, als
wenn das Nichts wäre. Iſt das Nichts, wenn Einer rückwärts ſchaut,
der vorwärts ſchauen ſollte? Wer die Hand an Pflug zu legen hat
und ſiehet zurück, der iſt nicht geſchickt zum Reiche Gottes!42) Ein
Scherz?! O reichet mir Yſop, Euch zu entſündigen und Schnee,
Euch rein zu waſchen.


Daran hab' ich nicht gedacht, ſprach Praxedis erröthend.


Ihr denkt noch an Vieles nicht, ſprach Wiborad. Sie ſchaute
Praxedis mit einem muſternden Blick von oben bis unten an. Ihr
denkt auch nicht, daß Ihr heute ein grüngelb Gewand traget und daß
ſolch herausfordernde Farbe weltabgewandten Augen ein Gräuel iſt,
und daß Ihr den Gürtel ſo loſe und nachläſſig drum geſchlungen
habet, als wäret Ihr eine landfahrende Tänzerin. Wachet und betet!


Die Klausnerin verſchwand eine Weile, dann kehrte ſie zurück und
reichte einen grobgedrehten Strick heraus. Du dauerſt mich, arme
Lachtaube, ſprach ſie. Reiß ab die ſeidegeſtickte Umwindung und em-
pfah' hier den Gürtel der Entſagung aus Wiborad's Händen; der
ſoll dir eine Mahnung ſein, daß du unnützem Schwatzen und Thun
den Abſchied gebeſt. Kommt aber wieder eine Verſuchung eitlen Her-
zens über dich, Wächtern Kußhände zuzuwerfen, ſo wende dein Haupt
gen Sonnenaufgang und ſinge den Pſalm: Herr, zu meinem Beiſtand
eile herbei! — und will auch dann der Friede nicht bei dir einkehren,
ſo brenn ein Wachslicht an und halt den Zeigfinger über die Flamme,
ſo wirſt du ſicher ſein zur Stunde.43) Das Feuer heilt das Feuer.


Praxedis ſchlug die Augen nieder.


Eure Worte ſind bitter, ſprach ſie.


Bitter! rief die Klausnerin, gelobt ſei der Herr, daß auf meinen
Lippen kein ſüßer Schmack wohnt. Der Mund der Heiligen muß
[29] bitter ſein. Da Pachomius in der Wüſte ſaß, trat der Engel des
Herrn zu ihm und brach die Blätter des Lorbeerbaumes und ſchrieb
Worte des Gebetes drauf und gab ſie dem Pachomius und ſprach:
Verſchling die Blätter; ſie werden ſchmecken in deinem Mund wie
Galle, aber dein Herz wird erfüllt werden vom Ueberſchwall wahrer
Weisheit. Und Pachomius nahm die Blätter und aß ſie und von
Stund an blieb ſein Mund bitter, ſein Herz aber füllte ſich mit Süße
und er pries den Herrn.44)


Praxedis ſchwieg. Es blieb eine Zeit lang ſtill. Die andern
Frauen der Herzogin waren nicht mehr zu ſehen. Wie die Klausnerin
ihren Gürtel herausreichte, hatten ſie einand mit dem Ellbogen ange-
ſtoßen und waren leiſe um das Häuslein geſchlichen. Sie pflückten
einen großen Strauß Heidekraut und Herbſtblumen im Walde und
kicherten dazu.


Wollen wir auch ſolch einen Gürtel umlegen? ſprach die Eine.


Wenn die Sonne ſchwarz aufgeht, ſprach die Andre.


Praxedis hatte den Strick in's Gras gelegt. Ich will Euch Eures
Gürtels nicht berauben, ſprach ſie jetzt ſchüchtern zum Fenſter der
Zelle hinauf.


O harmlos Gemüth, ſprach Wiborad, der Gürtel, den wir tragen,
iſt kein Kinderſpiel, wie der, den ich dir reichte; der Gürtel Wiborad's
iſt ein eiſerner Reif mit ſtumpfen Stacheln und klirrt wie eine Kette
und ſchneidet ein; — deine Augen erſchauerten ſeines Anblicks45)


Praxedis ſchaute nach dem Wald, als wolle ſie ſpähen, ob Ro-
meias nicht bald zurückkehre. Die Klausnerin mochte bemerken, daß es
ihrem Gaſt nicht allzu behaglich war, ſie reichte ein Brett aus ihrem
Fenſterlein, drauf war ein halb Dutzend rothgrüner Aepfel gelegt.


Wird dir die Zeit lang, Tochter der Welt? ſprach ſie. Greif zu,
wenn die Worte des Heils dich nicht ſättigen. Backwerk und Süßig-
keit hab' ich nicht, aber auch dieſe Aepfel gefallen dem Herrn wohl,
ſie ſind die Speiſe der Armen.


Die Griechin wußte, was der Anſtand erheiſcht. Aber es waren
Holzäpfel. Wie ſie den erſten zur Hälfte verzehrt, verzog ſich ihr
anmuthiger Mund und unfreiwillige Thränen perlten in den Augen.


Wie ſchmecken ſie, rief die Klausnerin. Da that Praxedis, als
ob des Apfels Reſt zufällig ihrer Hand entfalle: wenn der Schöpfer
[30] Allen ſolche Herbigkeit anerſchaffen, ſo hätte Eva nimmermehr vom
Apfel gekoſtet, ſprach ſie mit ſauerſüßem Lächeln.


Wiborad war beleidigt. Gut! erwiederte ſie, daß du der Eva
Angedenken nicht erlöſchen läſſeſt. Die hat denſelben Geſchmack ge-
habt wie du, drum iſt auch die Sünde in die Welt gekommen.46)


Die Griechin blickte nach dem Himmel. Aber nicht aus Rührung.
Ein Falke kreiste einſam über Wiborad's Zelle. O könnt' ich mit
dir über den Bodenſee fliegen, dachte ſie. Dann wiegte ſie ſchalkhaft
ihr Haupt.


Wie muß ich's anfangen, fragte ſie, daß ich vollkommen werde,
wie Ihr?


Der Welt gründlich entſagen, antwortete Wiborad, iſt eine Gnade
von oben; der Menſch kann ſich's nicht geben. Faſten, Quellwaſſer
trinken, das Fleiſch abtödten, Pſalmen beten, das all ſind nur Vor-
bereitungen. Das Wichtigſte iſt ein guter Schutzheiliger. Wir Frauen
ſind ein zerbrechlich Volk, aber eindringlich Gebet ruft die Streiter
Gottes an unſere Seite, die helfen. Schau her an's kleine Fenſter,
da ſteht er oft in nächtlicher Stille, der Erleſene meiner Gedanken,
der tapfere Biſchof Martinus, und hält Schild und Lanze wider die
anſtürmenden Teufel; ein blauer Strahlenkranz geht von ſeinem Haupte
aus, es zuckt durch's Dunkel wie Wetterleuchten, wenn er naht und
grunzend entfliehn die Dämonen. Und wenn der Kampf geendet,
dann pflegt er gar traulichen Zwieſpruch; ich klag ihm, was das Herz
bedrängt, all die Noth, die ich mit den Nachbarinnen habe und alles
Leid, das mir die Kloſterleute zufügen, und der Heilige nickt und
ſchüttelt die wallenden Locken und nimmt Alles mit ſich himmelauf[-]
wärts und theilt es ſeinem Freund, dem Erzengel Michael, mit, der
hat jeden Montag die Wache am Thron Gott Vaters,47) ſo kommt's
an den rechten Ort und Wiborad, die Letzte der Letzten im Dienſt
des Hochthronenden, iſt nicht vergeſſen ...


Da will ich den heiligen Martinus auch zu meinem Schutzpatron
erwählen, ſprach Praxedis. Aber darauf hatte Wiborad's Lobſpruch
nicht gezielt. Sie warf einen verächtlich eiferſüchtigen Blick auf die
rothen Wangen der Griechin: Der Herr verzeih Euch Eure Anmaßung,
ſprach ſie mit gefalteten Händen; — glaubt Ihr, das iſt mit einem
leichtfertigen Wort und mit einem glatten Geſichte gethan? Unerhört!
[31] Viel lange Jahre hab' ich gerungen und die Falten der Askeſis wie
Narben auf der Stirn getragen und war noch nicht von ihm begna-
digt, daß er mir nur einen Blick zuwarf. Es iſt ein fürnehmer Hei-
liger und ein tapferer Kriegsmann vor dem Herrn, der ſchaut nur
auf erprobte Streiterinnen.


Er wird mein Gebet nicht gröblich abweiſen, warf Praxedis ein.


Ihr ſollt aber nicht zu ihm beten, rief Wiborad zornig, Ihr dürft
nicht zu ihm beten. Was hat er mit Euch zu ſchaffen? für Eures-
gleichen ſind andere Schutzheilige. Ich will Euch einen ſagen. Nehmt
Ihr den frommen Vater Pachomius zum Patron.


Den kenn ich nicht, ſagte Praxedis.


Schlimm genug, ſo lern ihn itzt kennen. Der war ein ehrwür-
diger Einſiedel in der thebaiſchen Wüſte, aß Wurzeln und Heuſchrecken
und war ſo fromm, daß er ſchon bei Lebzeiten die Harmonie der
Sphären und Planeten erklingen hörte, und ſprach oft: Wenn alle
Menſchen das hören könnten, was meine Ohren zu hören gewürdigt
ſind, ſie ließen Haus und Hof, und wer den rechten Schuh angezogen,
ließe den linken und liefe in Orient. In Alexandria aber war eine
Maid, die hieß Thaïs, und Niemand wußte, was unendlicher an ihr,
die Schönheit oder der Leichtſinn. Da ſprach Pachomius: ein ſolche
iſt dem ganzen Land Aegypten eine Plage, und machte ſich auf, ſchnitt
ſeinen Bart, ſalbte ſich und beſtieg ſein Crocodill, das er durch Kraft
des Gebets dienſtbar gemacht; das trug ihn auf ſchuppigem Rücken
den Nil hinab, und er ging zu ihr, als wär' er ein Liebhaber. Seinen
großen Palmſtock hatte er auch mitgenommen und erſchütterte das
Herz der Sünderin dermaßen, daß ſie ihre Seidengewande verbrannte
und ihren Schmuck dazu und dem Pachomius folgte wie ein Zicklein
dem Hirten. Und er ſchloß ſie in ein Felſengrab ein, daran ließ er
nur ein klein Fenſter und unterwies ſie im Gebet, und nach fünf
Jahren war der Thaïs Läuterung zu Ende und vier Engel trugen
ihre Seele gerettet gen Himmel.48)


Aber Praxedis war nicht ſehr auferbaut. Der alte Wüſtenvater
mit ſeinem ſtruppigen Bart und den bittern Lippen iſt ihr nicht vor-
nehm genug: da ſoll ich mit ihm vorlieb nehmen, dachte ſie. Sie
wagte nicht, es auszuſprechen.


[32]

Jetzt tönte die Vesperglocke vom Kloſter durch den Tannenwald
herauf. Da trat die Klausnerin vom Fenſter ab und ſchloß ihren
Laden. Dumpfes Pſalmbeten ward drinnen hörbar, untermiſcht mit
einem Geräuſch wie von niederfallenden Streichen. Sie geißelte ſich.


Inzwiſchen hatte Romeias im fernen Gehölz das Gejaid begonnen
und warf ſeinen Spieß; aber er hatte einen Eichſtrunk für ein Rehlein
angeſehen. Zürnend zog er ſein Geſchoß aus dem widerſtrebenden
Holz, — es war das erſtemal in ſeinem Leben, daß ihm ſolches vorkam.


Vor Wiborad's Klauſe war's lange ſtill. Dann tönte ihre Stimme
wieder, aber wie verwandelt, mit klangvoller Leidenſchaft: Steig
hernieder, heiliger Martinus, tapferer Kriegstribun, du meine Tröſt-
einſamkeit, Stern im Dunkel der Zeit! ſteig hernieder, meine Seele iſt
gerüſtet, dich zu erſchauen, meine Augen dürſten nach dir.49)


Und wieder war's ſtill auf dem Plan — da ſchreckte Praxedis
zuſammen. Ein dumpfer Schrei klang in der Zelle auf. Sie ſprang
an's Fenſter und ſchaute hinein: die Klausnerin war in die Knie ge-
ſunken, die Arme hoch erhoben, ihr Auge gläſern ſtarrend. Neben ihr
lag die Geißel, das Werkzeug der Buße.


Um Gotteswillen! rief Praxedis, was iſt Euch!


Wiborad fuhr empor und preßte der Griechin Hand krampfhaft.
Menſchenkind, ſprach ſie mit gebrochenem Ton, die du Wiborad's
Schmerzen zu ſehen gewürdigt biſt, klopf an deine Bruſt, es iſt ein
Zeichen geſchehen. Ausgeblieben iſt der Erwählte meiner Gedanken,
er zürnt, daß ſein Name von unheiligen Lippen entweiht ward, aber
der heilige Gallus iſt dem Aug' meiner Seele erſchienen, er, der noch
niemals Einkehr hier genommen — und ſein Antlitz war das eines
Dulders und ſein Gewand zerriſſen und brandig. Seinem Kloſter
droht ein Unheil. Wir müſſen eine Fürbitte thun, daß ſeine Jünger
nicht ſtraucheln auf dem Pfad der Gerechten.


Sie beugte ſich aus dem ſchmalen Fenſter und rief zur nachbar-
lichen Klauſe hinüber: Schweſter Wendelgard!


Da ſchob ſich drüben das Lädlein zurück, ein ältlich Antlitz er-
ſchien, das war die brave Frau Wendelgard, die dort um ihren Ehge-
mahl trauerte, der vom letzten Heereszug nimmer heimgekommen.


Schweſter Wendelgard, ſprach Wiborad, laß uns dreimal ſingen
den Pſalm: Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Huld.


[33]

Aber die Schweſter Wendelgard hatte juſt mit träumender Sehn-
ſucht ihres Eheherrn gedacht; ſie wußte in feſtem Gottvertrauen, daß
er dereinſt noch heimkehren werde aus der Hunnen Landen, und hätte
am liebſten jetzt ſchon die Pforte ihrer Klauſe eingetreten, hinauszu-
ſchreiten in die wehende Luft, ihm entgegen.


Es iſt nicht die Stunde des Pſallirens, rief ſie hinüber.


Deſto lieblicher klingt freiwillige Andacht zum Himmel empor,
ſprach Wiborad. Und ſie intonirte mit rauher Stimme den Pſalm.
Aber die Antwort blieb aus. Was ſtimmſt du nicht in David's
Schallgeſang?


Ich mag nicht, war Wendelgard's einfache Antwort. Es war ihr
in langjährigem Klausnerthum allmälig ſchwül geworden. Viel tauſend
Pſalmen hatte ſie auf Wiborad's Geheiß geſungen, daß der heilige
Martinus ihren Ehegeſpons heraushaue aus der Feinde Gewalt, aber
die Sonne ging auf, die Sonne ging nieder — noch immer blieb er
aus. Und die hagere Nachbarin mit ihren Phantasmen war ihr verleidet.


Wiborad aber wandte ihre Augen unverrückt dem Himmel zu,
gleich Einem, der am hellen Tag einen Cometen zu entdecken gedenkt:
O Gefäß voll Ungehorſam und Bosheit, rief ſie, ich will für dich
beten, daß die böſen Geiſter von dir gebannet werden. Dein Aug' iſt
blind, dein Sinn iſt wirr.


Doch ruhig antwortete die Geſcholtene: Richtet nicht, auf daß auch
Ihr nicht gerichtet werdet. Mein Aug' iſt noch ſo ſcharf wie vor
Jahresfriſt, da es Euch in mondumglänzter Nacht erſchauen konnte,
wie Ihr aus dem Fenſter der Clauſe ſtieget und hinausgewandelt ſeid,
Gott weiß wohin, — und mein Sinn erwägt noch wohl, ob Pſalmen-
geſang aus ſolchem Munde ein Wunder zu wirken im Stande.


Da verzog ſich Wiborad's bleiches Antlitz, als ob ſie auf einen
Kieſelſtein gebiſſen hätte. Weh dir, Teufelgeblendete! ſchrie ſie, ein
Schwall ſcheltender Rede entſtrömte ihren Lippen; die Nachbarin blieb
keine Antwort ſchuldig, ſchneller und ſchneller kam Wort auf Wort
geflogen, verſchlang ſich, verwirrte ſich; von den Felswänden klang un-
harmoniſcher Widerhall drein und ſchreckte ein Käuzleinpaar auf, das
dort in den Spalten horſtete und ſcharf krächzend von dannen flat-
terte ... am Portal des Münſters zu Worms, da die Königinnen
einander ſchalten, ging's ſänftlicher zu, als jetzo.


D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 3
[34]

Mit ſtummem Erſtaunen horchte Praxedis dem Lärm; gern wäre
ſie beſchwichtigend dazwiſchen getreten, aber Sanftes taugt nicht, um
Schneidiges zu trennen.


Da tönte vergnüglicher Schall des Hifthorns vom Walde her und
kläffendes Rüdengebell; langſam kam des Romeias hohe Geſtalt ge-
ſchritten. Das zweitemal, da er den Spieß geworfen, war's kein
Baumſtrunk, ſondern ein ſtattlicher Zehnender; der Hirſch hing ihm
auf dem Rücken, ſechs lebende Haſen, die der Kloſtermaier von Tablatt
in Schlingen gefangen, trug er gefeſtigt am Gürtel.


Und wie der Waidmann die Klausnerinnen erſchaute, freute ſich
ſein Herz; kein Wörtlein ſprach er, wohl aber löste er der lebenden
Häslein zwei i[h]rer Bande, einen in der Rechten, einen in der Linken
ſchwingend, warf er ſie ſo ſicher durch die engen Klausfenſter der
Streitenden, daß Wiborad, vom weichen Fell electriſch am Haupte be-
rührt, mit lautem Aufſchrei zurückfuhr. Der braven Wendelgard hatte
ſich in währender Hitze des Zwieſpruchs der ſchwarze Habit gelöst, der
Haſe fuhr ihr ſo plötzlich zwiſchen Hals und Kaputze und verfing ſich
in der Gewandung und ſuchte einen Ausweg und wußte nicht wohin,
daß auch ſie ein jäher Schreck überfiel. Da ſtellten Beide die Schel-
tung ein, die Fenſterläden ſchloſſen ſich, ruhig ward's auf dem Hügel.50)


Wir wollen heim, ſprach Romeias zur Griechin, es will Abend
werden. Praxedis war weder vom Gezänk noch von Romeias Friede-
ſtiftung ſo auferbaut, daß ſie länger zu bleiben gewünſcht hätte. Ihre
Begleiterinnen hatten bereits auf eigene Fauſt den Rückzug angetreten.


Die Haſen gelten bei Euch nicht viel, ſprach ſie zum Wächter,
daß Ihr ſie ſo grob in die Welt hinauswerfet.


Nicht viel, lachte Romeias, doch wär' das Geſchenk eines Dankes
werth.


Zu ſelber Zeit hob ſich die Dachlucke an Wiborad's Zelle, die
hagere Geſtalt ward zur Hälfte ſichtbar, ein mäßiger Feldſtein flog
über Romeias Haupt hin, er traf ihn nicht. Das war der Dank für
den Haſen.


Man erſieht daraus, daß die Formen geſelligen Verkehrs mannig-
fach von den heutigen verſchieden waren.


Praxedis ſprach ihr Befremden aus.


[35]

So Etwas kommt alle paar Wochen einmal vor, erwiederte Ro-
meias. Mäßiger Geifer und Zorn ſchafft alten Einſiedlerinnen neue
Lebenskraft; es iſt ein gut Werk, zu Erregung deſſelben beizutragen.


Aber ſie iſt eine Heilige, ſagte Praxedis ſcheu.


Da brummte Romeias in Bart. Sie ſoll froh ſein, ſprach er,
wenn ſie's iſt. Ich will ihr das Fell ihrer Heiligkeit nicht abziehen.51)
Aber ſeit ich in Konſtanz meiner Mutter Schweſter beſucht, hab' ich
Allerhand erfahren, was mir nicht grün ausſieht. Es iſt dort noch
nicht vergeſſen, wie ſie vor des Biſchofs Gericht ſich verantworten
mußte wegen Dem und Jenem, was mich Nichts angeht, und die
Konſtanzer Kaufleute erzählen, ohne daß man ſie fragt, wie ihnen die
Klausnerinnen am Münſter das Almoſengeld, das fromme Pilgrimme
zutrugen, gegen Wucherzins ausgeliehen.52) Was kann ich dafür, daß
mir ſchon in Knabenzeit im Steinbruch ein ſeltſam großer Kieſel in
die Hände kam? Wie ich den aufgehämmert, ſaß eine Kröte drin
und machte verwunderte Augen. Seitdem weiß ich, was eine Klaus-
nerin iſt. Schnipp, ſchnapp — trari, trara!


Romeias geleitete ſeine neue Freundin zur Pforte des außer
Kloſterbann gelegenen Hauſes, das zu ihrer Herbergung beſtimmt war.
Dort ſtanden die Dienerinnen, der Strauß Waldblumen, den ſie ge-
pflückt, lag auf dem Steintiſch am Eingang.


Wir müſſen Abſchied nehmen, ſagte der Wächter.


Lebt wohl, ſprach Praxedis.


Da ging er. Nach dreißig Schritten ſchaute er ſcharf zurück. Aber
zweimal geht die Sonne an einem Tag nicht auf, am wenigſten für
einen Wächter am Kloſterthor. Es ward ihm keine Kußhand mehr
zugeworfen. Praxedis war in's Haus gegangen.


Da wandelte Romeias langſam zurück, griff, ohne anzufragen, den
Blumenſtrauß vom Steintiſch und zog ab. Den Hirſch und die vier
Haſen lieferte er der Kloſterküche. Dann bezog er ſeine Wächterſtube,
nagelte den Strauß an die Wand und malte mit Kohle ein Herz
dazu, das hatte zwei Augen und einen langen Strich als Naſe und
einen Querſtrich als Mund.


Der Kloſterſchüler Burkard kam herauf, mit ihm zu ſpielen. Den
faßte er mit gewaltiger Hand, reichte ihm die Kohle, ſtellte ihn vor
die Wand und ſprach: Schreib' den Namen drunter!


3*
[36]

Was für einen Namen? frug der Knabe.


Ihren! ſprach Romeias.


Was weiß ich von ihr und ihrem Namen, ſagte der Kloſterſchüler
verdrießlich.


Da ſieht man's wieder, brummte Romeias, wozu das Studiren
gut iſt! Sitzt der Bub' jeden Tag acht Stunden hinter ſeinen Eſels-
häuten und weiß nicht einmal, wie ein fremdes Frauenzimmer heißt! ...



Viertes Kapitel.
Im Kloſter.



Frau Hadwig hatte inzwiſchen am Grab des heiligen Gallus ihre
Andacht verrichtet. Dann gedachte der Abt, ihr einen Gang im ſchat-
tigen Kloſtergarten vorzuſchlagen; aber ſie bat, ihr zuvörderſt den
Kirchenſchatz zu zeigen. Der Frauen Gemüth, wie hoch es auch ge-
naturt ſein mag, erfreut ſich allzeit an Schmuck, Zierrath und präch-
tiger Gewandung. Da wollte der Abt mit einiger Ausrede ihren
Sinn ablenken, vermeinend, ſie ſeien nur ein arm Klöſterlein und ſeine
Baſe werde auf ihren Fahrten im Reich und am Kaiſerhof ſchon
Preiswürdigeres erſchaut haben: es half ihm nicht.


Sie traten in die Sacriſtei.


Er ließ die gebräunten Schränke öffnen, da war viel zu bewun-
dern an purpurnen Meßgewändern, an Prieſterkleidern mit Stickerei
und gewirkten Darſtellungen aus heiliger Geſchichte. War auch Man-
ches drauf abgebildet, was noch nahe an römiſches Heidenthum an-
ſtreifte, zum Beiſpiel die Hochzeit des Mercurius mit der Philologie.


Hernach wurden die Truhen aufgeſchloſſen, da glänzte es vom
Schein edler Metalle, ſilberne Ampeln gleißten herfür, und Kronen,
Streifen getriebenen Goldes zu Einfaſſung der Evangelienbücher und
der Altarverzierung;53) Mönche des Kloſters hatten ſie, um's Knie
gebunden, aus welſchen Landen über unſichere Alpenpfade ſicher einge-
[37] bracht, — köſtliche Gefäße in ſeltſamſten Formen, Leuchter in Del-
phinengeſtalt, ſäulengetragene Schaalen, Leuchthürmen gleich, Weih-
rauchbehälter und viel Anderes — ein reicher Schatz. Auch ein Kelch
von Bernſtein war dabei,54) der ſchimmerte lieblich, ſo man ihn an's
Licht hielt; am Rand war ein Stück ausgebrochen.


Als mein Vorgänger Hartmuth am Sterben lag, ſprach der Abt,
ward's gepulvert und ihm mit Wein und Honig eingegeben, das
Fieber zu ſtillen.


Mitten im Bernſtein ſaß ein Mücklein, ſo fein erhalten, als wär's
erſt neulich hereingeflogen, und hat ſich dies Inſect, wie es in vorge-
ſchichtlichen Zeiten vergnüglich auf ſeinem Grashalm ſaß und vom
zähflüſſigen Erdharz überſtrömt ward, auch nicht träumen laſſen, daß
es in ſolcher Weiſe auf die Nachwelt übergehen werde.


Auf derlei ſtummes Zeugniß wirkender Naturkraft ward aber da-
mals kein aufmerkend Auge gerichtet; wenigſtens war der Kämmerer
Spazzo, der ebenfalls mit Sorgfalt Alles muſterte, mit andern Dingen
beſchäftigt. Er dachte, um wie viel ergötzlicher es ſein möcht', mit
dieſen frommen Männern in Fehde zu liegen, und ſtatt als Gaſtfreund
einzureiten, Platz und Schatz mit ſtürmender Hand zu nehmen. Und
weil er ſchon manchen Umſchlag vornehmer Freundſchaft erlebt, berei-
tete er ſein Gemüth auf dieſe Möglichkeit, faßte den Eingang der
Sacriſtei genau in's Aug' und murmelte: Alſo vom Chor die erſte
Pforte zur Rechten!


Der Abt mochte auch der Anſicht ſein, daß lang fortgeſetzter An-
blick von Gold und Silber Hunger nach Beſitz errege; er ließ die
letzte Truhe, welche der Koſtbarkeiten vorzüglichſte barg, nicht mehr
erſchließen und drängte, daß ſie in's Freie kamen.


Sie lenkten ihre Schritte zum Kloſtergarten. Der war weitſchich-
tig angelegt und trug an Kraut und Gemüſe viel nach Bedarf der
Küche; zudem auch nützliches Arzneigewächs und heilbringende Wurzeln.


Beim Baumgarten war ein großer Raum abgetheilt für wild Ge-
thier und Gevögel, wie ſolches theils in den nahen Alpen hauste,
theils als Geſchenk fremder Gäſte dem Garten verehrt war.55)


Da erfreute ſich Frau Hadwig am ungeſchlachten Weſen der Bären:
in närriſchen Sprüngen kletterten ſie am Baum ihres Zwingers auf
und nieder; daneben erging ſich ein kurznaſiger Affe, der mit einer
[38] Meerkatze zuſammen an einer Kette durch's Leben tollte, — zwei Ge-
ſchöpfe, von denen ein Dichter damaliger Zeit ſagt, daß weder das
eine noch das andere eine Spur nutzbringender Anlage als Berech-
tigungsgrund ſeines Vorhandenſeins aufzuweiſen vermöge.56)


Ein alter Steinbock ſtund in ſeines Raumes Enge, der Sohn der
Hochalpe ſenkte ſein Haupt, ſtill und geduckt; ſeit er die ſchneidige
Luft der Gletſcher entbehren mußte, war er blind geworden, denn nicht
Jedweder gedeiht in den Niederungen der Menſchen.


In anderem Behältniß waren dickhäutige Dachſe angebaut; der
böſe Sindolt lachte, wie ſie vorüberkamen: Sei gegrüßt, du kleines,
niederträchtig Gethier, ſprach er, du erleſen Wildpret der Kloſterknechte!


Wieder anderswo pfiff es durchdringend. Ein Rudel Murmelthiere
lief den Ritzen zwiſchen den künſtlich geſchichteten Felſen zu. Frau
Hadwig hatte ſolch kurzweilig Geſchöpf noch nicht erſchaut. Da erklärte
ihr der Abt deren Lebensart:


Die ſchlafen mehr als jede andere Kreatur, ſprach er; auch wenn
ſie wachen, mögen ſie ohne Phantaſiren nicht ſein, und ſo der Winter
herzuſtreicht, leſen ſie allenthalb Halm und Heu zuſammen, und Eines
von ihnen legt ſich auf den Rücken, richtet die vier Füße ob ſich, die
Andern legen auf es Alles, ſo ſie zuſammengeraspelt haben, nehmen
es danach beim Schweif und ziehen's wie einen geladenen Frachtwagen
zu ihrer Höhle.57)


Da ſprach Sindolt zum dicken Kämmerer Spazzo: Wie ſchade,
daß Ihr keine Bergmaus geworden, das wär' eine anmuthige Ver-
richtung für Euch!


Wie der Abt ſich abgewendet, hub der böſe Sindolt eine neue Art
der Erklärung an: Das iſt unſer Tutilo, ſprach er und deutete auf
einen Bären, der ſo eben ſeinen Nebenbär rücklings zu Boden gewor-
fen, — das der blinde Thieto! er deutete auf den Steinbock; eben
wollte er auch ſeinem Abte die Ehre einer nicht ſchmeichelhaften Ver-
gleichung erweiſen, da fiel ihm die Herzogin in die Rede: Wenn Ihr
Alles zu vergleichen wiſſet, habt Ihr auch für mich ein Sinnbild?


Sindolt ward verlegen. Zu gutem Glück ſtand bei den Kranichen
und Reihern ein ſchmucker Silberfaſan und wiegte ſein perlgrau glän-
zend Gefieder im Sonnenſchein.


Dort! ſprach Sindolt.


[39]

Aber die Herzogin wandte ſich zu Ekkehard, der träumeriſch in
das Gewimmel der Thierwelt ſchaute: Einverſtanden? frug ſie. Er
fuhr auf: O Herrin! ſprach er mit weicher Stimme, wer iſt ſo ver-
meſſen, unter dem, was da kreucht und fleugt, ein Sinnbild für Euch
zu ſuchen?


Wenn Wir's aber verlangen ...


Dann weiß ich nur einen Vogel, ſprach Ekkehard, wir haben ihn
nicht und Niemand hat ihn; in klaren Mitternächten fliegt er hoch zu
unſern Häupten und ſtreift mit den Schwingen den Himmel. Der
Vogel heißt Caradrion; wenn ſeine Fittige ſich zur Erde ſenken, ſoll
ein ſiecher Mann geneſen: da kehret ſich der Vogel zu dem Manne
und thut ſeinen Schnabel über des Mannes Mund, nimmt des Man-
nes Unkraft an ſich und fährt auf zur Sonne und läutert ſich im
ewigen Licht: da iſt der Mann gerettet.58)


Der Abt kam wieder herbei und unterbrach weitere Sinnreden.
Auf einem Apfelbaum ſaß ein dienender Bruder, pflückte die Aepfel
und ſammelte ſie in Körbe. Wie ſich die Herzogin zum Schatten der
Bäume wandte, wollte er herniederſteigen, aber ſie winkte ihm, zu
bleiben. Jetzt ertönte es wie Geſang zarter Knabenſtimmen in des
Gartens Niederung: die Zöglinge der innern Kloſterſchule kamen heran,
der Herzogin ihre Huldigung zu bringen; blutjunge Bürſchlein, trugen
ſie bereits die Kutte und Mancher hatte die Tonſur auf's eilfjährige
Haupt geſchoren. Wie ſie aber in Proceſſion daher zogen, die roth-
backigen Aebtlein der Zukunft, geführt von ihren Lehrern, den Blick
zur Erde niedergeſchlagen, und wie ſie ſo ernſt und langſam ihre
Sequenzen ſangen: da flog ein leiſer Spott über Frau Hadwig's
Antlitz, mit ſtarkem Fuß ſtieß ſie den naheſtehenden Korb um, daß die
Aepfel luſtig unter den Zug der Schüler rollten und an ihren Ka-
puzen emporſprangen. Aber unbeirrt zogen ſie ihres Weges; nur der
Kleinſten Einer wollte ſich bücken nach der lockenden Frucht, doch
ſtreng hielt ihn ſein Nebenmännlein am Gürtel.59)


Wohlgefällig ſah der Abt die Haltung des jungen Volkes und
ſprach: Disciplin unterſcheidet den Menſchen vom Thier!60) und wenn
Ihr der Hesperiden Aepfel unter ſie werfen wolltet, ſie blieben feſt.


Frau Hadwig war gerührt. Sind all Eure Schüler ſo gut ge-
zogen? frug ſie.


[40]

So Ihr Euch überzeugen wollt, ſprach der Abt, die Großen in
der äußern Schule wiſſen nicht minder, was Zucht und Gehorſam iſt.


Die Herzogin nickte. Da führte ſie der Abt zur äußern Kloſter-
ſchule, wo zumeiſt vornehmer Laien Söhne und Diejenigen erzogen
wurden, die ſich weltgeiſtlichem Stand widmen wollten.


Sie traten in die Klaſſe der Aelteſten ein. Auf der Lehrkanzel
ſtand Ratpert der Vielgelehrte und unterwies ſeine Jugend im Ver-
ſtändniß von Ariſtoteles Logica. Geduckt ſaßen die Schüler über ihren
Pergamenten, kaum wandten ſich die Häupter nach den Eingetretenen.
Der Lehrmeiſter gedachte Ehre einzulegen: Notker Labeo! rief er.
Der war die Perle ſeiner Schüler, die Hoffnung der Wiſſenſchaft;
auf ſchmächtigem Körper ein mächtiges Haupt, dran eine gewaltige
Unterlippe kritiſch in die Welt hervorragte, das Wahrzeichen ſtrenger
Ausdauer auf den ſteinigen Pfaden des Forſchens und Urſache ſeines
Uebernamens.


Der wird brav, flüſterte der Abt, die ganze Welt ſei ein Buch,
hat er ſchon im zwölften Jahr geſagt, und die Klöſter die claſſiſchen
Stellen drin.61)


Der Aufgerufene ließ ſeine klugen Aeuglein über den griechiſchen
Text hingleiten und überſetzte mit gewichtigem Ernſt den ſtagyritiſchen
Tiefſinn:


...„Findeſt du an einem Holze oder Steine einen als Linie lau-
fenden Strich, der iſt der eben liegenden Theile gemeine March.
Spaltet ſich an dem Striche der Stein oder das Holz entzwei, ſo
ſehen wir ſtrichweiſe zwei Durchſchnitte an dem ſichtbaren Spalte, die
vorher nur ein Strich und Linie waren. Und über dies ſehen wir
zwo neue Oberflächen, die alſo breit ſind, als dick der Körper war,
da man vor die neue Oberfläche nicht ſah. Darum erhellet, daß dieſer
Körper vorhin zuſammenhängend war.62)


Aber wie dieſer Begriff des Zuſammenhängenden glücklich heraus-
geklaubt war, ſtreckten etliche der jungen Logiker die Köpfe zuſammen
und flüſterten, und flüſterten lauter, — ſelbſt der Kloſterſchüler He-
pidan, der, unbeirrt von Notker's trefflicher Verdeutſchung, ſeine ganze
Mühe aufwandte, einen Teufel mit doppeltem Flügelpaar und Ringel-
ſchwanz in die Bank einzuſchneiden, ſtellte ſeine Arbeit ein ... itzt
wandte der Lehrmeiſter ſich an den Folgenden: wie wird aber die
[41] Oberfläche eine gemeine March? Da las der ſeinen griechiſchen Text,
aber die Bewegung in den Schulbänken ward ſtärker, es ſummte und
brummte wie ferne Sturmglocken, zur Ueberſetzung kam's nicht mehr,
plötzlich ſtürmten die Zöglinge Ratpert's lärmend vor, ſie ſtürmten
auf die Herzogin ein, riſſen ſie von des Abts und ihres Kämmerers
Seite: gefangen! gefangen! ſchrie die holde Jugend und begann ſich
mit den Schulbänken zu verſchanzen: gefangen! wir haben die Herzogin
in Schwaben gefangen. Was ſoll ihr Löſegeld ſein?


Frau Hadwig hatte ſich ſchon in mancherlei Lebenslagen befunden.
Daß ſie als Gefangene unter Schulknaben fallen könne, war ihr noch
nicht zu Sinn gekommen. Weil die Sache neu war, hatte ſie Reiz
für ſie; ſie fügte ſich.


Ratpert der Lehrmeiſter holte aus ſeinem Holzverſchlag eine mäch-
tige Ruthe hervor, ſchwang ſie dräuend zur Umkehr und rief, ein
zweiter Neptunus, die virgiliſchen Verſe in's Getümmel:


„So weit hat das Vertrauen auf euer Geſchlecht euch verleitet?

Himmel und Erde ſogar, ohn' alles Geheiß von mir ſelber

Wagt ihr zu miſchen, ihr Winde, und ſolchen Tumult zu erheben?!

Quos ego!!“

Erneuter Hallohruf war die Antwort. Schon war der Saal durch
Schulbänke und Schemel abgeſperrt. Herr Spazzo überlegte den Ge-
danken eines Sturms und kräftiger Fauſtſchläge an die Haupträdels-
führer. Der Abt war ſprachlos, die Keckheit war ihm lähmend in
die Glieder gefahren.


Die hohe Gefangene ſtand am andern Ende des Hörſaals in einer
Fenſterniſche, umringt von ihren fünfzehnjährigen Entführern.


Was ſoll das Alles, ihr ſchlimmen Knaben? frug ſie lächelnd.


Da trat Einer der Aufrührer vor, beugte ſein Knie und ſprach
demüthig: Wer als Fremder kommt, iſt ſonder Schutz und Friede,
und friedloſe Leute hält man gefangen, bis ſie ſich der Unfreiheit löſen.63)


Lernt ihr das auch aus euren griechiſchen Büchern?


Nein, Herrin, das iſt deutſcher Brauch.


So will ich mich denn auslöſen, lachte Frau Hadwig, erfaßte den
rothwangigen Logiker und zog ihn zu ſich heran, ihn zu küſſen; der
aber riß ſich von ihr los, ſprang in den Kreis der lärmenden Ge-
noſſen und rief:


[42]

Die Münze kennen wir nicht!


Was heiſchet ihr denn für ein Löſegeld? fragte die Herzogin. Sie
war der Ungeduld nahe.


Der Biſchof Salomo von Konſtanz war auch unſer Gefangener,
ſprach der Schüler, der hat uns drei weitere Vacanztage erwirkt im
Jahr und eine Recreation an Fleiſch und Brod, und hat's in ſeinem
Teſtament gebrieft und angewieſen.64)


O nimmerſatte Jugend! ſprach Frau Hadwig, ſo muß ich's zum
mindeſten dem Biſchof gleich thun. Habt ihr ſchon Felchen aus dem
Bodenſee verſpeist?


Nein! riefen die Jungen.


So ſollt ihr jährlich ſechs Felchen zum Angedenken an mich er-
halten. Der Fiſch iſt gut für junge Schnäbel.


Gebt Ihr's mit Brief und Siegel?


Wenn's ſein muß!


Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr! rief's
von allen Seiten, Heil, ſie iſt frei! Die Schulbänke wurden in Ord-
nung geſtellt, der Ausgang gelichtet, ſpringend und jubelnd geleiteten
ſie die Gefangene zurück. Im Hintergrund flogen die Pergament-
blätter der Logica als Freudenzeichen in die Höhe, ſelbſt Notker Labeo's
Mundwinkel neigten ſich zu einem gröblichen Lachen und Frau Hadwig
ſprach: Sie waren recht huldvoll, die jungen Herren; wollet die Ruthe
wieder in Verſchlag thun, Herr Profeſſor!


An ein Weitererklären des Ariſtoteles war heut nicht mehr zu
denken. Ob die Ausgelaſſenheit der Schüler nicht in nahem Zuſam-
menhang mit ihrem Studium der Logik ſtand? Der Ernſt iſt oft-
mals ein gar zu dürrer blattloſer hohler Stamm, ſonſt hätt' die
Thorheit nicht Raum, ihn üppig grün zu umranken ...


Wie die Herzogin mit dem Abt den Hörſaal verlaſſen, ſprach
dieſer: Es übrigt noch, Euch des Kloſters Bücherei zu zeigen, die
Arzneikammer lernbegieriger Seelen, das Zeughaus für die Waffen
des Wiſſens. Aber Frau Hadwig war ermüdet, ſie dankte. Ich muß
mein Wort halten, ſprach ſie, und die Schenkung an Eure Schulknaben
urkundlich machen. Wollet die Handfeſte aufſetzen laſſen, daß wir ſie
mit Unterſchrift und Sigill verſehen.


[43]

Herr Cralo führte ſeinen Gaſt nach ſeinen Gemächern. Den
Kreuzgang entlang wandelnd, kamen ſie an einem Gelaß vorüber, deß
Thüre war offen. An kahler Wand ſtand eine niedere Säule, von
der in halber Mannshöhe eine Kette niederhing. Ueber dem Portal
war in verblaßten Farben eine Geſtalt gemalt, ſie hielt in magern
Fingern eine Ruthe. Wen der Herr lieb hat, den züchtigt Er; Er
ſtäupet einen Jeglichen, den er zum Sohne annimmt (Hebr. XII. 6),
war in großen Buchſtaben darunter geſchrieben.


Frau Hadwig warf dem Abt einen fragenden Blick zu.


Die Geißelkammer!65) ſprach er.


Iſt keiner der Brüder zur Zeit einer Strafe verfallen, fragte ſie,
es möcht' ein lehrreich Beiſpiel ſein ...


Da zuckte der böſe Sindolt mit dem rechten Fuß, als wär' er in
einen Dorn getreten, reckte ſein Ohr rückwärts, wie wenn von dort
eine Stimme ihm riefe, ſprach: ich komme ſogleich, und enteilte in's
Dunkel des Ganges.


Er wußte warum.


Notker der Stammler hatte nach jähriger Arbeit die Abſchreibung
eines Pſalterbuches vollendet und es mit zierlich feinen Federzeich-
nungen geziert; das hatte der neidige Sindolt nächtlicher Weile zer-
ſchnitten und die Weinkanne drüber geſchüttet. Drob war er zu drei-
maliger Geißelſtrafe verdammt, der letzten Vollzug ſtand noch aus:
er kannte das Oertlein und die Bußwerkzeuge, die ihrem Rang nach
an der Wand hingen, vom neunfältigen „Scorpion“ herab bis zur
einfachen „Wespe“.


Der Abt drängte, daß ſie vorüber kamen. Seine Prunkgemächer
waren mit Blumen geſchmückt. Frau Hadwig warf ſich in den ein-
fachen Lehnſtuhl, auszuruhen vom Wechſel des Erſchauten. Sie hatte
in wenig Stunden Viel erlebt. Es war noch eine halbe Stunde zum
Abendimbiß.


Wer zu dieſer Friſt einen Rundgang durch des Kloſters Zellen
gemacht, der hätte ſich überzeugen mögen, wie kein einziger Bewohner
des Stiftes unberührt vom Eindruck des vornehmen Beſuchs geblieben.
Auch die weltabgeſchiedenſten Gemüther fühlen, daß einer Frau Hul-
digung gebührt.


[44]

Dem grauen Tutilo war's beim Empfang ſchwer auf's Herz ge-
fallen, daß der linke Aermel ſeiner Kutte mit einem Loch geſchmückt
war; ſonſt wär's wohl bis zum nächſten hohen Feſttag ungeflickt ge-
blieben, aber itzt galt kein Verzug; mit Nadel und Zwirn gewaffnet
ſaß er auf dem Schragen und beſſerte den Schaden.


Und weil er gerade im Zug war, legte er auch ſeinen Sandalen
eine neue Sohle an und feſtigte ſie mit Nägeln. Er ſummte eine
Melodei, daß die Arbeit beſſer gedieh.


Ratold das Denkmännlein ging mit gerunzelter Stirn auf ſeiner
Zelle auf und nieder, vermeinend es werde ſich eine Gelegenheit er-
geben, in frei erſonnener Rede des hohen Gaſtes Ruhm zu preiſen.
Den Eindruck unmittelbaren Erguſſes zu erhöhen, ſtudirte er ſie vor-
her. Er wollte des Tacitus Spruch von den Germanen66) zu Grund
legen: „ſie glauben auch, daß den Frauen etwas Heiliges und Zu-
kunftvorausſehendes inwohne, darum verſchmähen ſie niemals ihren
Rath und fügen ſich ihren Beſcheiden.“ Es war dies faſt das Ein-
zige, was er aus Hörenſagen von den Frauen wußte, aber er zwinkte
mit den Eichhörnleinsaugen und war ſicher, von dort unter etlichen
biſſigen Ausfällen auf ſeine Mitbrüder einen Uebergang zum Lob der
Herzogin zu finden. Leider blieb die Gelegenheit zu Anbringung
einer Rede aus, weil er ſie nicht zu finden verſtand.


In anderer Zelle ſaßen der Brüder ſechs unter dem rieſigen
Elfenbeinkamm,67) der an eiſerner Kette von der Decke herabhing,
— Abt Hartmuths nützliche Stiftung — die vorgeſchriebenen Gebete
murmelnd erwies Einer dem Andern den Dienſt ſorglicher Glättung
des Haupthaares. Ward auch manch überwachſene Tonſur in jener
Zeit zu ſtrahlendem Glanze erneut.


In der Küche aber ward unter Gerold des Schaffners Leitung
eine Thätigkeit entwickelt, die Nichts zu wünſchen übrig ließ.


Jetzo läutete das Glöcklein, deſſen Ton auch von den frömmſten
Brüdern noch Keiner unwillig gehört, der Ruf zur Abendmahlzeit.
Abt Cralo geleitete die Herzogin ins Refectorium. Sieben Säulen
theilten den luftigen Saal hälftig ab, an vierzehn Tiſchen ſtanden,
wie Heerſchaaren der ſtreitenden Kirche, des Kloſters Mitglieder, Prie-
ſter und Diakonen; ſie erwieſen dem hohen Gaſt keine ſonderliche
Aufmerkſamkeit.


[45]

Das Amt des Vorleſers68) vor dem Imbiß ſtund in dieſer Woche
bei Ekkehard dem Pörtner. Der Herzogin zu Ehren hatte er den
vier und vierzigſten Pſalm erkoren; er trat auf und ſprach einlei-
tend: „Herr öffne meine Lippen auf daß mein Mund dein Lob ver-
künde,“ und Alle ſprachen's ihm murmelnd nach, als Segen zu
ſeiner Leſung.


Nun erhub er ſeine Stimme und begann den Pſalm, den die
Schrift ſelber einen lieblichen Geſang nennet:


Es quillet mein Herz eine ſchöne Rede, ich will reden mein Ge-
dicht dem Könige, meine Zunge ſei der Griffel des Geſchwindſchreibers.


Der ſchönſte biſt du von den Söhnen des Menſchen, Anmuth iſt
gegoſſen über deine Lippen, denn Gott hat dich geſegnet ewig.


Gürte um die Hüfte dein Schwert, du Held, deinen Ruhm und
deinen Schmuck. Und geſchmückt zeuch aus, ein Hort der Wahrheit,
Milde und des Rechts.


Ja, Wunder wird zeigen deine Rechte! Deine Pfeile ſeien ge-
ſchärft, Völker ſollen unter dir ſtürzen, die im Herzen Feinde des
Königs ſind.


Dein Thron vor Gott ſteht immer und ewig, ein gerechter Scepter
iſt der Scepter deines Reichs.


Du liebeſt das Recht und haſſeſt das Unrecht, drum hat dich Gott
dein Gott geſalbt mit dem Oel der Freude, mehr denn alle Genoſſen,
Myrrhen, Aloe und Caſſia duften all deine Kleider, aus elfenbeiner-
nen Palläſten erfreuen Saiten dich ... 69)


Die Herzogin ſchien die Huldigung zu verſtehen; als wenn ſie
ſelber mit den Worten des Pſalms angeredet wäre, hefteten ſich ihre
Augen auf Ekkehard. Aber auch dem Abt war's nicht entgangen, da
gab er ein Zeichen abzubrechen und der Pſalm blieb unbeendet, als
ſich männiglich zu Tiſch ſetzte.


Das aber konnte Herr Cralo nicht hindern, daß Frau Hadwig
dem emſigen Vorleſer befahl, an ihrer Seite Platz zu nehmen; es
war zwar der Rangſtufung folgend der Sitz zu ihrer Linken dem
alten Decan Gozbert zugedacht, aber dem war's ſchon lang zu Muthe
als käm' er auf glühende Kohlen zu ſitzen, denn er hatte mit Frau
Hadwig's ſeligem Gemahl dereinſt einen gröblichen Wortwechſel ge-
pflogen, wie der dem Kloſterſchatz das unfreiwillige Kriegsanlehen
[46] auflegte, und war von damals auch der Herzogin giftig geſtimmt,
— kaum merkte er die Abſicht, ſo drückte er ſich vergnüglich ſeitwärts
und ſchob den Pörtner auf den Decansſitz. Neben Ekkehard kam
der Herzogin Kämmerer Spazzo zu ſitzen, dem zur Seite der Mönch
Sindolt.


Die Mahlzeit begann. Der Küchenmeiſter, wohl wiſſend wie bei
Ankunft fremder Gäſte Erweiterung der ſchmalen Kloſterkoſt geſtattet
ſei, hatte es nicht beim üblichen Muß mit Hülſenfrüchten70) bewen-
den laſſen. Auch der ſtrenge Küchenzettel des ſeligen Abt Hartmuth
ward nicht eingehalten.


Wohl erſchien zuerſt ein dampfender Hirſebrei, auf daß, wer ge-
wiſſenhaft bei der Regel71) bleiben wolle, ſich daran erſättige; aber
Schüſſel auf Schüſſel folgte, bei mächtigem Hirſchziemer fehlte der
Bärenſchinken nicht, ſogar der Biber vom obern Fiſchteich hatte ſein
Leben laſſen müſſen; Faſanen, Rebhühner, Turteltauben und des
Vogelheerds kleinere Ausbeute folgten, der Fiſche aber eine unendliche
Auswahl, ſo daß ſchließlich ein jeglich Gethier, watendes, fliegendes,
ſchwimmendes und kriechendes, auf der Kloſtertafel ſeine Vertretung fand.


Und Mancher der Brüder kämpfte damals einen ſchweren Kampf
in ſeines Gemüthes Tiefe; ſelbſt Gozbert, der alte Decan ... des
Hirſebreis war er geſättigt und hatte mit mächtigem Stirnrunzeln des
Hirſches Braten und des Bären Schinken weggeſchoben als wär's eine
Verſuchung des böſen Feindes: aber wie auch ein ſchön bräunlich
gebraten Birkhuhn in ſeine Nähe geſtellt ward, da ſchlug der Braten-
duft träumeriſch an ſeine Naſe, mit dem Duft hielten die Geſchichten
ſeiner Jugend bei ihm Rückkehr: wie er ſelber vor vierzig Jahren
dem Waidwerk oblag und in frühem Morgennebel dem Auerhahn
balzend nachſtellte, und die Geſchichte von des Förſters Töchterlein,
die ihm damals begegnet, nnd ... zweimal noch kämpfte er des Arms
Bewegung zurück, das drittemal hielt's nimmer, des Birkhuhns Hälfte
lag vor ihm und ward in Eile verzehrt.


Der Kämmerer Spazzo hatte Beifall nickend der Schüſſeln man-
nigfache Zahl erſcheinen ſehen, ein großer Rheinlank,72) der Fiſche
beſten einer, war ſchier unter ſeinen Händen verſchwunden, fragend
ſchaute er ſich nach einigem Getränk um, da zog Sindolt, ſein Nach-
bar, ein ſteinern Krüglein herbei, ſchenkte ihm den metallenen Becher
[47] voll, ſtieß mit ihm an und ſprach: des Kloſterweins Ausleſe! Herr
Spazzo gedachte einen mächtigen Zug zu thun, aber es ſchüttelte ihn
wie Fieberfroſt und den Becher abſetzend ſagte er: da möchte der
Teufel Kloſterbruder ſein! Der böſe Sindolt hatte ihm ein ſaures
Apfelweinlein mit dem Saft von Brombeeren gemiſcht vorgeſetzt.
Wie aber Herr Spazzo ihm ſchier mit einem Fauſtſchlag gelohnt
hätte, holte er, ihn zu ſänftigen, des dunkelrothen Valtelliners einen
Henkelkrug. Der Valtelliner iſt ein wackerer Wein, in dem ſchon der
Kaiſer Auguſtus ſeinen Schmerz über die Varusſchlacht niedergetrun-
ken;73) und allmälig verſöhnte ſich Herr Spazzo, trank auch auf das
Wohlergehen des Biſchofs von Chur, dem das Kloſter dieſen Wein
verdankte, ohne daß er ihm ſonſt näher bekannt war, ſeinen Becher
leer und Sindolt that wacker Beſcheid.


Was ſagt Euer Patron zu ſolchem Trinken? fragte der Kämmerer.


Sanct Benedict war ein weiſer Mann, ſprach Sindolt. Darum
ſchrieb er in ſein Geſetz: Wiewohl zu leſen ſteht, daß der Wein
überhaupt kein Trunk für Mönche ſei, ſo mag dies doch heutigen
Tages keinem Einzigen mehr mit Ueberzeugung eingeredet werden.
Darum, und ſchwächlicheren Gemüthes Hinfälligkeit erwägend, ordnen
wir dem Einzelnen eine halbe Maas für den Tag zu. Keiner aber
ſoll trinken bis zur Sättigkeit, denn der Wein macht auch den Weiſe-
ſten abtrünnig vom Pfade der Weisheit ... 74)


Gut! ſprach Spazzo und trank ſeinen Becher aus.


Wißt Ihr aber auch, frug Sindolt, was den Brüdern zu thun
vorgeſchrieben ſteht, in deren Gegend wenig oder gar kein Rebenſaft
gedeihen mag? Die ſollen Gott loben und preiſen und nicht murren.


Auch gut! ſprach Spazzo und trank wiederholt ſeinen Becher aus.


Der Abt ſuchte inzwiſchen ſeine fürnehme Baſe nach Kräften zu
unterhalten. Er fing an, Herrn Burkhart's trefflichen Eigenſchaften
einen Nachruf zu halten. Aber Frau Hadwig's Antworten waren
karg und einſilbig. Da merkte der Abt, daß Alles ſeine Zeit habe,
namentlich die Liebe einer Wittib zum verſtorbenen Ehemann. Er
wandte das Geſpräch und fragte, wie ihr des Kloſters Schulen gefallen.


Mich dauert das junge Völklein, ſprach die Herzogin, daß es in
jungen Tagen ſo Vieles erlernen muß. Iſt das nicht wie eine Laſt,
die Ihr ihnen aufbürdet, an der ſie zeitlebens keuchend ſchleppen müſſen?


[48]

Erlaubet, edle Baſe, erwiederte der Abt, daß ich Euch als Freund
und Blutsverwandter gemahne, weniger in Tag hinein zu reden. Das
Studium der Wiſſenſchaft iſt dem jungen Menſchen kein läſtiger
Zwang, es iſt wie Erdbeeren, je mehr er genießt, deſto größer der
Hunger.


Was hat aber die heidniſche Kunſt Logica mit der Gottesgelahrt-
heit zu ſchaffen? frug Frau Hadwig.


Die wird in rechten Händen zur Waffe, die Kirche Gottes zu
ſchützen, ſprach der Abt. Mit ihren Künſten haben der Ketzer viele
die Gläubigen angefochten, jetzt fechten wir mit gleichem Rüſtzeug
wider ſie und glaubet mir, ein ſauber Griechiſch oder Latein iſt eine
feinere Waffe als unſere einheimiſche Sprache, die ſich auch in des
Gewandteſten Hand nur wie eine Keule ſchwingt.


Ei, ſprach die Herzogin, müſſen Wir noch bei Euch lernen, was
fein ſei? Ich habe ſeither gelebt ohne Latein zu ſprechen, Herr Vetter.


Es möcht' Euch nicht ſchaden, wenn Ihr's noch lerntet, ſprach der
Abt. Und wenn die erſten Wohlklänge der Latinität Euer Gehör
erquickt haben, werdet Ihr zugeben, daß unſere Mutterſprache ein
junger Bär iſt, der nicht ſtehen und gehen lernt, wenn ihn nicht
claſſiſche Zunge beleckt.75) Zudem lehrt alter Römer Mund Weis-
heit, fraget einmal den Mann zu Eurer Linken.


Iſt's wahr? wandte ſich Frau Hadwig an Ekkehard, der ſchwei-
gend dem Zwieſprach gelauſcht hatte.


Es wäre wahr, hohe Herrin! ſprach er mit Feuer, ſo es Euch
von Nöthen wäre, Weisheit zu lernen.


Frau Hadwig drohte mit dem Finger: Habt Ihr ſelber denn Er-
quickung aus den alten Pergamenten geſchöpft?


Erquickung und Glück! ſprach Ekkehard, und ſeine Augen leuch-
teten. Glaubet mir, Herrin, es thut in allen Lebenslagen wohl, ſich
bei den Claſſikern Raths zu erholen; lehrt uns nicht Cicero auf den
verſchlungenen Pfaden weltlicher Klugheit den rechten Steg wandeln?
ſchöpfen wir nicht aus Salluſt und Livius Anweiſung zu Mannes-
muth und Stärke, aus Virgil's Geſängen die Ahnung unvergänglicher
Schönheit? Die Schrift iſt uns Leitſtern des Glaubens, die Alten
aber leuchten zu uns herüber wie das Spätroth einer Sonne, die
[49] auch nach ihrem Niedergang noch mit erquickendem Widerſchein in des
Menſchen Gemüth ſtrahlt ...


Ekkehard ſprach mit Bewegung. Die Herzogin hatte ſeit dem
Tag als der alte Herzog Burkhard um ihre Hand anhielt, keinen
Menſchen mehr geſehen, der für Etwas begeiſtert war. Sie trug
einen hohen Geiſt in ſich, der ſich leicht auch Fremdartigem zu-
wandte. Griechiſch hatte ſie in jungen Tagen der byzantiniſchen Wer-
bung wegen ſchnell gelernt. Latein flößte ihr eine Art Ehrfurcht ein,
weil es ihr fremd war. Unbekanntes imponirt, Erkenntniß führt auf
den wahren Werth, der meiſt geringer iſt als der geahnte. Mit dem
Namen Virgilius war auch der Begriff des Zauberhaften verbunden ...


In jener Stunde ſtieg in Hadwig's Herz der Entſchluß auf, La-
teiniſch zu lernen. Zeit dazu hatte ſie. Wie ſie ihren Nachbar
Ekkehard noch einmal angeſchaut hatte, wußte ſie auch, wer ihr Lehrer
ſein ſollte ...


Der ſtattliche Nachtiſch, auf dem Pfirſiche, Melonen und trockene
Feigen geprangt hatten, war verzehrt. Lebhaftes Geſpräch an den
andern Tiſchen deutete auf nicht unfleißiges Kreiſen des Weinkrugs.


Auch nach der Mahlzeit, — ſo wollte es des Ordens Regel —
war zur Erbauung der Gemüther ein Abſchnitt aus der Schrift oder
dem Leben heiliger Väter zu verleſen.


Ekkehard hatte am Tag zuvor das Leben des heiligen Benedictus
begonnen, das einſt Papſt Gregorius abgefaßt. Die Brüder rückten
die Tiſche zuſammen, der Weinkrug ſtand unbewegt und es ward ſtill
in der Runde. Ekkehard fuhr mit dem zweiten Kapitel76) fort:


„Eines Tages aber, dieweil er allein war, nahte ihm der Ver-
ſucher. Denn ein ſchwarzer kleiner Vogel, der gemeiniglich Krähe
geheißen iſt, begann um ſein Haupt zu flattern und ſetzte ihm ſo
unabläſſig zu, daß ihn der heilige Mann mit der Hand hätte ergrei-
fen mögen, ſo er ihn fangen gewollt.


„Er aber ſchlug das Zeichen des Kreuzes, da wich der Vogel.


„Wie aber derſelbe Vogel verſchwunden war, folgte eine ſo große
Verſuchung des Fleiſches, wie ſie der heilige Mann noch niemalen
erprobt. Denn vor langer Zeit hatte er eine gewiſſe Frau erſchauet.
Dieſe ſtellte ihm der böſe Feind jetzo vor die Augen des Geiſtes und
entzündete das Herz des Knechtes Gottes durch jene Geſtalt mit ſolchem
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 4
[50] Feuer, daß eine verzehrende Liebe in ihm zu glühen begann und er
von Luſt und Sehnſucht bewältigt, ſeinen Einſiedelſtand jäh zu ver-
laſſen gedachte.


„Da warf plötzlich des Himmels Gnade einen Schein auf ihn,
daß er zu ſich ſelber rückkehrte. Und er ſah ihm zur Seite ein dicht
Gebüſch von Brenneſſeln und Dörnern ſtehen, zog ſein Gewand aus
und warf ſich nackt in die Stacheln des Gedörns und den Brand der
Neſſeln, bis daß er am ganzen Körper verwundet von dannen ging.


„Alſo löſchete er des Geiſtes Wunde durch die Wunden der Haut
und ſiegte ob der Sünde ...“


Frau Hadwig war von dieſer Vorleſung nicht erbaut; ſie ließ
ihre Augen gelangweilt im Saal die Runde machen. Der Kämmerer
Spazzo, — däuchte auch ihm die Wahl des Kapitels unpaſſend oder
war ihm der Valtelliner zu Häupten geſtiegen? — ſchlug unverſehens
dem Vorleſer das Buch zu, daß der holzbeſchlagene Deckel klappte,
hob ihm ſeinen Pocal entgegen und ſprach: ſoll leben der heilige
Benedict! und wie ihn Ekkehard vorwurfsvoll anſah, ſtimmte ſchon
die jüngere Mannſchaft der Kloſterbrüder lärmend ein, ſie hielten den
Trinkſpruch für Ernſt; da und dort ward das Loblied auf den heili-
gen Mann intonirt, diesmal als fröhlicher Zechgeſang und lauter
Jubel klang durch den Saal.


Dieweil aber Abt Cralo bedenklich umſchaute und Herr Spazzo
immer noch beſchäftigt war, mit den jungen Clerikern auf das Wohl
ihres Schutzpatrons zu trinken, neigte ſich Frau Hadwig zu Ekkehard
und frug ihn mit nicht allzulauter Stimme:


Würdet Ihr mich das Lateiniſche lehren, junger Verehrer des
Alterthums, wenn ich's lernen wollte?77)


Da klang es in Ekkehard's Herz wie ein Widerhall des Geleſenen:
„wirf dich in die Neſſeln und Dornen und ſag Nein!“ er aber ſprach:


Befehlet, ich gehorche!


Die Herzogin ſchaute den jungen Mönch noch einmal mit einem
ſonderbar flüchtigen Blicke an, wandte ſich dann zum Abt und ſprach
über gleichgiltige Dinge.


Die Kloſterbrüder zeigten noch kein Verlangen, des Tages günſtige
Gelegenheit unbenutzt verſtreichen zu laſſen. In des Abts Augen
mochte ein gnädig milder Schein leuchten, und der Kellermeiſter ſchob
[51] auch keinen Riegel für, wenn ſie mit leeren Krügen die Stufen hinab
ſtiegen. Am vierten Tiſch begann der alte Tutilo gemüthlich zu wer-
den und erzählte ſeine unvermeidliche Geſchichte mit den zwei Räu-
bern;78) immer lauter klang ſeine ſtarke Stimme durch den Saal:
„der Eine alſo zur Flucht ſich gewendet — ich ihm nach mit meinem
Eichpfahl — er Spieß und Schild weg zu Boden, — ich ihn am
Hals gefaßt — den weggeworfenen Spieß in ſeine Fauſt gedrückt:
Du Schlingel von einem Räuber, zu was biſt auf der Welt? Fechten
ſollſt mit mir!...“


Aber ſie hatten's ſchon allzu oft hören müſſen, wie er dann dem
Kampfgenöthigten den Schädel eingeſchlagen, und zupften und nöthig-
ten an ihm, ſie wollten ein ſchönes Lied anſtimmen; wie er endlich
mit dem Haupte nickte, ſtürmten Etliche hinaus: bald kamen ſie wieder
mit Inſtrumenten. Der brachte eine Laute, Jener ein Geiglein, worauf
nur eine Saite geſpannt, ein Anderer eine Art Hackbrett mit einge-
ſchlagenen Metallſtiften, zu deren Anſchlag ein Stimmſchlüſſel dienlich
war, wiederum ein Anderer eine kleine zehnſaitige Harfe, Pſalter
hießen ſie das ſeltſam geformte Inſtrument und ſahen in ſeiner drei-
eckigen Geſtalt ein Symbol der Dreieinigkeit.79)


Und ſie reichten ihm ſeinen dunkeln Tactſtab von Ebenholz. Da
erhob ſich lächelnd der graue Künſtler und gab ihnen das Zeichen zu
einer Muſica, die er ſelbſt in jungen Tagen aufgeſetzet; mit Freudig-
keit hörten's die Andern.80) Nur Gerold dem Schaffner ward's mit
dem Aufklingen der Melodien melancholiſch zu Gemüthe, er überzählte
die abgetragenen Schüſſeln und die geleerten Steinkrüge, und wie ein
Text zur Singweiſe flog's ihm durch den Sinn: Wie Viel hat dieſer
Tag verſchlungen an Kloſtergeld und Gut?81) Leiſe ſchlug er mit
ſandalenbeſchwertem Fuße den Tact, bis der letzte Ton verklang.


Zu unterſt am Tiſche ſaß ein ſtiller Gaſt mit blaßgelbem Ange-
ſicht und ſchwarzkrauſem Gelock; er war aus Welſchland und hatte
von des Kloſters Gütern im Lombardiſchen die Saumthiere mit Ka-
ſtanien und Oel herübergeleitet. In wehmüthigem Schweigen ließ er
die Fluth der Töne über ſich erbrauſen.


Nun, Meiſter Johannes, ſprach Folkard der Maler zu ihm, iſt
die welſche Feinfühligkeit jetzt zufrieden geſtellt? Den Kaiſer Julianus
4*
[52] muthete einſt unſerer Vorväter Geſang an wie das Geſchrei wilder
Vögel, aber ſeither haben wir's gelernt. Klingt's Euch nicht lieblicher
als Sang der Schwanen?82)


Lieblicher — als Sang der Schwanen — — wiederholte der
Fremde wie im Traum. Dann erhob er ſich und ſchlich leiſe von
dannen. Es hat's Keiner im Kloſter zu leſen bekommen, was er in
jener Nacht noch in's Tagebuch ſeiner Reiſe eintrug:


Dieſe Männer dieſſeits der Alpen, ſchrieb er, wenn ſie auch den
Donner ihrer Stimmen hoch gen Himmel erdröhnen laſſen, können ſich
doch nimmer zur Süße einer gehobenen Modulation erſchwingen.
Wahrhaft barbariſch iſt die Rauheit ſolch abgetrunkener Kehlen; wenn
ſie durch Beugung und Wiederaufrichtung des Tons einen ſanf-
ten Geſang zu ermöglichen ſuchen, ſchauert die Natur und es klingt
wie das Fahren eines Wagens, der in Winterszeit über gefrorenes
Pflaſter dahin knarrt ...83)


Herr Spazzo gedachte, was löblich begonnen, auch löblich zu enden,
er ſchlich ſich fort über den Hof in das Gebäude wo Praxedis und
die Dienerinnen waren und ſprach: ihr ſollet zur Herzogin kommen,
und zwar gleich — ſie lachten erſt ob ſeiner Kutte, folgten ihm aber
zum Saal, und war Keiner der ſie von der Schwelle zurückhielt.
Und wie die Mägdlein an des Refectoriums Eingang ſichtbar wurden,
entſtand ein Gemurmel und ein Kopfwenden im Saal, als ſollte jetzo
ein Tanzen und Springen anheben, wie es dieſe Wände noch nicht
erſchaut.


Herr Cralo der Abt aber wandte ſich an die Herzogin und ſprach:
Frau Baſe?! — und ſprach's mit ſo duldender Wehmuth, daß ſie
aus ihren Gedanken auffuhr. Und ſie ſah auf einmal ihren Käm-
merer und ſich ſelber in der Mönchskutte mit andern Augen an, denn
zuvor, und ſchaute die Reihen trinkender Männer, den entfernteſten
verdeckte der Capuze vorſtehender Rand das Antlitz, daß es ausſah,
als werde der Wein in leeren Gewandes Abgrund geſchüttet, und die
Muſik klang ihr gellend in die Ohren, als würde hier ein Mummen-
ſchanz gefeiert, der ſchon allzulang gedauert ...


Da ſprach ſie: Es iſt Zeit ſchlafen zu gehen! und ging mit ihrem
Gefolg nach dem Schulhaus hinüber, wo ihr Nachtlager ſein ſollte.


[53]

Wiß't Ihr auch, was des Tanzens Lohn geweſen wär'? frug Sin-
dolt einen der Mönche, der ob dieſer Wendung der Dinge höchlich be-
trübt ſchien. Der ſchaute ihn ſtarr an. Da machte ihm Sindolt eine
unverkennbare Geberde, die hieß: „Geißelung!“



Fünftes Kapitel.
Ekkehard's Auszug.



Früh Morgens darauf ſaß die Herzogin ſammt ihren Leuten im
Sattel, heimzureiten, und der Abt hatte keine Einwendung erhoben,
da ſie ſich jegliche Abſchiedsfeierlichkeit verbat. Darum lag das Kloſter
in ſtiller Ruhe, als drüben ſchon die Roſſe wieherten, nur Herr Cralo
kam pflichtſchuldig herüber. Er wußte was die Sitte gebot.


Zwei Brüder begleiteten ihn.


Der Eine trug einen ſchmucken Becher von Kryſtall mit ſilberge-
triebenem Fuß und Aufſatz geſchmückt, und ſaß manches gute Stück-
lein Onyx und Smaragd in der ſilbernen Umfaſſung; der Andre trug
ein Krüglein mit Wein. Und der Abt ſchöpfte ein Weniges in den
Becher, wünſchte ſeiner erlauchten Baſe einen geſegneten Tag und bat,
mit ihm des Abſchieds Minne zu trinken und den Becher zu freund-
lichem Angedenken zu behalten.84)


Für den Fall, daß das Geſchenk nicht genügend befunden werden
ſollte, hatte er noch ein ſeltſam Schauſtück im Rückhalt, das war ſil-
bern zwar, doch unanſehnlicher Geſtalt und täuſchend einem ſchlichten
Brode gleichgeformt, innen aber gefüllt mit güldenen Byzantinern bis
zum Rande;85) — vorerſt ließ der Abt Nichts davon vermerken und
trug's ſorglich verborgen in der Kutte.


Frau Hadwig nahm den dargebotenen Becher, that als wenn ſie
daran nippte, gab ihn aber wieder zurück und ſprach: Erlaubet, theurer
Vetter, was ſoll der Frau das Trinkgefäß? Ich heiſche ein anderweit
Gaſtgeſchenk. Habet Ihr nicht geſtern von Quellen der Weisheit
geſprochen?


[54]

Ihr ſollet mir aus des Kloſters Bücherei einen Virgilius ver-
ehren!


Immer zu Scherz geneigt, ſagte Herr Cralo, der eine gewichtigere
Forderung erwartet hatte: Was ſoll Euch der Virgilius, ſo Ihr der
Sprache nicht kundig ſeid?


Es verſteht ſich, daß Ihr mir den Lehrer dazu gebet, ſprach die
Herzogin ernſt.


Da ſchüttelte der Abt bedenklich das Haupt: Seit wann werden
die Jünger des heiligen Gall als Gaſtgeſchenke vergeben?


Sie aber ſprach: Ihr werdet mich verſtanden haben. Der blonde
Pörtner wird mein Lehrer ſein, und heut am dritten Tage längſtens
wird der Virgilius und er ſich bei mir einſtellen! Gedenket, daß des
Kloſters Streit um die Güter im Rheinthal und die Beſtätigung ſei-
ner Freiheiten in Schwaben in meiner Hand ruhet, und daß ich nicht
abgeneigt, auch auf dem twieler Felſen den Jüngern Sanct Benedicts
ein Klöſterlein herzurichten ...


Lebet wohl, Herr Vetter!


Da winkte Herr Cralo betrübt dem dienenden Bruder: Traget den
Kelch in die Schatzkammer zurück. Frau Hadwig reichte ihm anmuthig
die Rechte, die Roſſe ſtampften, Herr Spazzo ſchwang den Hut —
in leichtem Trab ritt der Zug aus des Kloſters Bann heimwärts.


Von des Wächters Thurmſtube ward ein mächtiger Strauß in die
Abreitenden geworfen, dran allein an Sonnenblumen die Hälfte eines
Dutzends prangte, der Aſtern nicht zu gedenken, aber Niemand fing
ihn auf und der Roſſe Huf brauste drüben hin ...


Im trockenen Graben vor dem Thor hatten ſich die Schüler der
innern Kloſterſchule verſteckt: „Langes Leben der Frau Herzogin in
Schwaben! Heil ihr!... und ſie ſoll die Felchen bald ſchicken! Heil!“
klang ihr Ruf gellend in der Scheidenden Ohr.


Wem für ein ungezogen Benehmen drei Feiertage und die beſten
Seefiſche bewilligt ſind, der hat gut ſchreien, ſprach Herr Spazzo.


Langſam ging der Abt in's Kloſter zurück; er ließ Ekkehard den
Pförtner zu ſich rufen und ſprach zu ihm: Es iſt eine Fügung über
Euch ergangen. Ihr ſollet der Herzogin Hadwig einen Virgilius über-
bringen und ihr Lehrer werden.


[55]

„Die alten Lieder d[a]s Maro mögen mit lieblichem Sang die ſky-
thiſchen Sitten beſänften“, heißt's im Sidonius. Es iſt nicht Euer
Wunſch ...


Ekkehard ſchlug die Augen nieder, ſeine Wangen rötheten ſich —


Aber den Mächtigen der Erde dürfen wir keinen Anſtoß geben.
Morgen reiſet Ihr ab. Ich verliere Euch ungern; Ihr waret der
brävſten und würdigſten Einer. Der heilige Gallus wird Euch den
Dienſt gedenken, den Ihr ſeinem Stift leiſtet. Vergeßt auch nicht, aus
dem Virgilius das Titelblatt weg zu ſchneiden mit der Verwünſchung
gegen den, der das Buch dem Kloſter verſchleppt ... 86)


Was des Menſchen Herzenswunſch iſt, dazu läßt er ſich gern
befehligen.


Des Gehorſams Gelübde, ſprach Ekkehard, heißt mich des Vorge-
ſetzten Willen ſonder Zagen und Aufſchub, ſonder Lauheit und Mur-
ren vollziehen.


Er beugte ſein Knie vor dem Abte.


Dann ging er nach ſeiner Zelle. Es war ihm als hätte er ge-
träumt. Seit geſtern war ihm faſt zu Vieles begegnet. Es geht
noch Andern ebenſo: lang einförmig ſchleicht das Leben, — wenn des
Schickſals Wendungen kommen, folgt Schlag auf Schlag. Er rüſtete
ſich zur Reiſe. „Was du begonnen, laß unvollendet zurück, zieh ab
deine Hand vom Geſchäft darin ſie thätig war, zeuch aus im Schritt
des Gehorſames“, es war ihm kaum Noth, ſich dieſen Satz ſeiner Re-
gel vorzuhalten.


Auf ſeiner Zelle lagen die Pergamente des Pſalmenbuchs, 87) das
Folkard mit Meiſterhand geſchrieben und mit ſeinen Bildwerken verziert
hatte. Ekkehard war beauftragt, mit der werthvollen Goldfarbe, die
der Abt jüngſt von venetianiſchen Handelsleuten erkauft hatte, die An-
fangsbuchſtaben auszumalen, und den Figuren durch leiſen Goldſtrich
an Krone, Scepter, Schwert und Mantelſaum die letzte Vollendung
zu geben.


Er nahm Pergamente und Farben und trug's ſeinem Gefährten
hinüber, daß der ſtatt ſeiner die letzte Hand an's Begonnene lege;
Folkard war gerade daran, ein neues Bild zu entwerfen, wie David
vor der Bundeslade tanzt und Laute ſpielt, — er ſchaute nicht auf.
Schweigend verließ Ekkehard ſeine Künſtlerſtube.


[56]

Er wandte ſich zur Bibliothek, den Virgil auszuleſen. Wie er
droben ſtand im hochgewölbten Saal, einſam unter den ſchweigenden
Pergamenten, da kam ein Gefühl der Wehmuth über ihn; auch das
Lebloſe ſtellt ſich bei Abſchied und Wiederſehen vor den Menſchen
als trüg's eine Seele in ſich und nähme Antheil an dem was ihn
bewegt.


Die Bücher waren ſeine beſten Freunde. Er kannte ſie Alle, und
wußte, wer ſie geſchrieben; — manche der Schriftzüge erinnerten an
einen vom Tode ſchon entführten Gefährten ...


Was wird das neue Leben beſcheeren, das von morgen für mich
anhebt? Eine Thräne ſtand ihm im Auge. Itzt fiel ſein Blick auf
das kleine in metallene Decke gebundene Gloſſarium, in dem einſt der
heilige Gallus, der am Bodenſee üblichen Landesſprache unkundig, ſich
vom Pfarrherrn zu Arbon die nothwendigſten Worte hatte verdeutſchen
laſſen.88) Da gedachte Ekkehard, wie des Kloſters Stifter mit ſo
wenig Ausrüſtung und Hilfe dereinſt ausgezogen, ein fremder Mann
unter die Heiden, und wie ſein Gott und ſein unverzagt Herz in Noth
und Fährlichkeit ihn immerdar friſch gehalten ... ſein Muth ſtärkte
ſich, er küßte das Büchlein, nahm den Virgil aus dem Schrein und
wandte ſich, zu gehen. „Wer dies Buch wegträgt, den ſollen tauſend
Peitſchenhiebe treffen und Lähmung und Ausſatz dazu!“ ſtand auf dem
erſten Blatte. Er ſchnitt's weg.


Noch einmal ſchaute er um, als wollten ihm von Brett und Kaſten
die Bücher einen Gruß zuwinken. Da hub ſich ein Kniſtern an der
Wand, der große Bauriß,89) den der Architect Gerung einſt auf drei
Schuh langer Thierhaut zu des Abt Hartmuth neuem Kloſterbau an-
gefertigt hatte, löste ſich von dem feſthaltenden Nagel und ſtürzte
nieder, daß eine Staubwolke draus emporſtieg.


Ekkehard machte ſich keine Gedanken drüber.


Wie er den Gang des obern Stockwerks entlang ſchritt, kam er
an einem offenen Gemach vorüber. Das war der Winkel der Alten.
Der blinde Thieto90) ſaß drin, einſt des Kloſters Abt, bis ſchwinden-
des Augenlicht ihn abzudanken nöthigte. Ein Fenſter war geöffnet,
daß der Greis ſich der ſonnenwarmen Luft erfreue. Bei ihm hatte
Ekkehard manche Stunde in traulichem Geſpräch verbracht. Der Blinde
kannte ihn am Schritt und rief ihn zu ſich. Wohin? frug er.


[57]

Hinunter, — und morgen fort, in's Weite. Gebt mir Eure
Hand, ich komme auf den hohen Twiel.


Schlimm, ſprach der Blinde, ſehr ſchlimm!


Warum, Vater Thieto?


Frauendienſt iſt ein ſchlimm Ding für den, der gerecht bleiben
will, Hofdienſt noch ſchlimmer — was iſt Frauen- und Hofdienſt
zugleich?


Es iſt mein Schickſal, ſprach Ekkehard.


Sanct Gallus behüte und ſchirme Euch, ſagte Thieto. Ich will
für Euch beten. Gebt mir meinen Stab.


Ekkehard wollte ihm ſeinen Arm bieten, den lehnte er ab; er erhob
ſich und ſchritt zu einer Niſche in der Wand, dort ſtund ein ſchmuck-
los Fläſchlein. Er nahm's herab und gab's ihm:


'S iſt Waſſer aus dem Jordan, das ich ſelber einſt geſchöpft.
Wenn Euch der Staub der Welt überflogen hat und Eure Augen
trüb werden wollen, ſo läutert Euch damit. Meinen hilft's nicht
mehr. Fahret wohl!


Am Abend deſſelben Tages ging Ekkehard auf den Berg, an den
ſich das Kloſter anlehnt. Seit langer Zeit war das ſein Lieblings-
gang. In den Fiſchweihern, die dort zu Spendung klöſterlicher Faſten-
ſpeiſe künſtlich angelegt ſind, ſpiegelten ſich die Tannen; ein leiſer
Luftzug kräuſelte die Wellen, die Fiſche tummelten ſich. Lächelnd ging
er vorüber: Wann werd' ich wohl wieder einen von euch verzehren?


Im Tannwald oben auf dem Freudenberg war's feierlich ſtill. Da
hielt er an. Ein weites Rundbild that ſich auf.


Zu Füßen lag das Kloſter mit all ſeinen Gebäuden und Ring-
mauern; hier ſprang der wohlbekannte Springquell im Hofe, dort
blühten die Herbſtblumen im Garten — dort in langer Reihe die
Fenſter der Kloſterzellen, er kannte jedwede und ſah auch die ſeinige:
„Behüt dich Gott, ſtilles Gelaß!“


Der Ort, wo Tage ſtrebſamer Jugend verlebt wurden, wirkt wie
Magnetſtein auf's Herz; es braucht ſo wenig, um angezogen zu ſein,
nur der iſt arm, dem das große Treiben der Welt nicht Zeit ver-
gönnt, ſich örtlich und geiſtig an einem ſtillen Platz nieder zu laſſen.


Ekkehard hob ſein Auge. Hoch aus der Ferne, wie reiche Zukunft,
glänzte des Bodenſee's Spiegel herüber, in verſchwommenen Duft war
[58] die Linie des anderſeitigen Ufers und ſeiner Höhenzüge gehüllt, nur
da und dort haftete ein heller Schein und ein Widerſchein im Waſſer,
die Niederlaſſungen der Menſchen andeutend.


„Aber was will das Dunkel in meinem Rücken?“ Er ſchaute ſich
um, rückwärts hinter den tannigen Vorbergen reckte der Säntis ſeine
Zacken und Hörner empor, auf den verwitterten Felswänden hüpfte
warmer Sonnenſtrahl unſtät im Kampf mit dem Gewölke und ſtrahlte
vorüberfliehend auf die Maſſen alten Schnees, die in den Schluchten
neuem Winter entgegenharrten ... Ueber dem Kamor ſtand eine dunkle
Wolke, ſie dehnte und ſtreckte ſich, bald war die Sonne verdeckt, grau
und matt wurden die Bergſpitzen gefärbt, es ſchickte ſich an, zu
wetterleuchten ...


Soll mir das ein Zeichen ſein? ſprach Ekkehard, ich verſtehe es
nicht. Mein Weg geht nicht zum Säntis.


Nachdenkend ſchritt er den Berg hinunter.


In der Nacht betete er am Grabe des heiligen Gallus. Früh-
morgens nahm er Abſchied. Der Virgilius und Thieto's Fläſchlein
waren in die Reiſetaſche verpackt, ſein übrig Gepäck kurz beiſammen.


Wem ſelbſt nicht der Körper, die Wünſche und Begierden zu eigener
Verfügung ſtehen dürfen, ſoll auch weder an fahrender Habe noch an
liegendem Gut ein eigen Beſitzthum ausüben.


Der Abt ſchenkte ihm zwei Goldſchillinge und etliche Silberdenare
als Zehr- und Nothpfennig.


Mit einem Kornſchiff des Kloſters fuhr er über den See, — die
Segel von günſtigem Wind, die Bruſt von Muth und Wanderluſt
geſchwellt.


Mittag war's, da rückte das Caſtell von Konſtanz und Dom und
Mauerzinnen immer deutlicher vor den Augen der Schifffahrer auf.
Wohlgemuth ſprang Ekkehard an's Land.


In Konſtanz hätt' er ſich verweilen, im Hof des Biſchofs Gaſt-
freundſchaft anſprechen mögen. Er that's nicht. Der Ort war ihm
zuwider, zuwider von Grund ſeines Herzens; nicht wegen ſeiner Lage
oder etwaiger Mißgeſtalt, denn an Schönheit wetteifert er kühnlich mit
jeglicher Stadt am See, ſondern wegen der Erinnerung an einen
Mann, dem er gram.


[59]

Das war der Biſchof Salomo, ſie hatten ihn kürzlich mit großem
Prunk im Münſter begraben. Ekkehard war ein ſchlichter, gerader
frommer Menſch. Im Dienſt der Kirche ſtolz und hochfahrend wer-
den, ſchien ihm Unrecht, ihn mit weltlichen Kniffen und Ränken ver-
binden, verwerflich, — trotz aller Herzensverworfenheit ein weitbe-
rühmter Mann bleiben: ſonderbar. Solcher Art aber war des Biſchof
Salomo Treiben geweſen. Ekkehard erinnerte ſich noch wohl aus den
Erzählungen älterer Genoſſen, mit welcher Zudringlichkeit ſich der
junge Edelmann in das Kloſter eingeſchlichen, den Späher gemacht,
ſich beim Kaiſer als unentbehrlichen Mann darzuſtellen gewußt, bis
die Inful eines Abts von Sanct Gallen mit der Mitra eines Biſchofs
von Konſtanz auf ſeinem Haupte vereinigt war.


Und vom großen Schickſal der Kammerboten ſangen die Kinder
auf den Straßen. Die hatte der ränkeſpinnende Prälat gereizt und
gekränkt, bis ſie in der Fehde Recht ſuchten und ihn fingen: aber
wiewohl Herrn Erchanger's Gemahlin Berchta ihn in der Gefangen-
ſchaft hegte und pflegte wie ihren Herrn, und den Friedenskuß von
ihm erbat und aus einer Schüſſel mit ihm aß, war ſein Gemüth der
Rache nicht geſättigt, bis daß des Kaiſers Gericht zu Adingen ſeinen
rauhen Feinden die Häupter vor die Füße gelegt.


Und die Tochter, die dem frommen Mann aus luſtiger Studenten-
zeit erwachſen, war itzt noch Abtiſſin am Münſter zu Zürich.91)


All das wußte Ekkehard; in der Kirche, wo der Mann begraben
lag, mocht' er nicht beten.


Es mag ungerecht ſein, den Haß, der den Menſchen gebührt, auf
das Stück Land überzutragen, wo ſie gelebt und geſtorben, aber es
iſt erklärlich.


Er ſchüttelte den Konſtanzer Staub von den Füßen und wanderte
zum Thor hinaus; dem ſich kaum dem See entwindenden jungen
Rhein blieb er zur Linken.


Von mächtiger Haſelſtaude ſchnitt er ſich einen feſten Wanderſtab:
„wie die Ruthe Aaron's, da ſie im Tempel Gottes aufgrünte, ſein
Geſchlecht ſchied von den abtrünnigen Juden, ſo möge dieſer Stab,
geweiht mit der Fülle göttlicher Gnade, mir ein Hort ſein wider die
Ungerechten am Wege,“ ſprach er mit den Worten eines alten Stock-
ſegens.92) Vergnügt ſchlug ihm das Herz, wie er einſam fürbaß zog.


[60]

Wie hoffnungsgrün und beſeligt iſt der Menſch, der in jungen
Tagen auf unbekannten Pfaden unbekannter Zukunft entgegen zieht,
— die weite Welt vor ſich, der Himmel blau und das Herz friſch,
als müßt' ſein Wanderſtab überall, wo er ihn ins Erdreich einſtößt,
Laub und Blüthen treiben und das Glück als goldnen Apfel in ſeinen
Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wirſt einſtmals
müden Fußes im Staub der Heerſtraße einher ſchleichen, und dein
Stab iſt ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk und die Kinder zeigen
mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo iſt der goldene
Apfel? ...


Ekkehard war in der That vergnügt. Wanderlieder zu ſingen, war
für einen Mann geiſtlichen Standes nicht üblich, aber der Geſang Davids,
den er jetzt anſtimmte: „Jehova iſt mein Herr, mir mangelt Nichts.
Auf grünen Triften läßt er mich lagern, zu ſtillen Gewäſſern führt
er mich“ — mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdienſtes
verzeichnet worden ſein, in das die Engel der Jugend fahrender Schü-
ler und wandernder Geſellen Lieder einzutragen pflegen.


Durch Wieſen und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn ſein
Pfad. Lang und niedrig ſtreckte ſich im See eine Inſel, die Reiche-
nau; Thurm und Mauern des Kloſters ſpiegelten ſich im ruhigen Ge-
wäſſer; Rebhügel, Matten und Obſtgärten wieſen dem Auge den Fleiß
der Bewohner.


Vor zweihundert Jahren war die Au noch wüſt und leer geſtan-
den, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und böſen Schlan-
gen. Der auſtrafiſche Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden
Biſchof Pirminius hinüber, der ſprach einen ſchweren Segen über das
Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen
aus, die Tauſendfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Scorpione,
Lurche und was ſonſt kreucht in geordneten Säulen mit, Kröten und
Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten ſie nicht
beſtehen, zum Geſtade, wo ſpäter die Burg Schopfeln gebaut ward,
wälzte ſich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seefluth — und
der Fiſch weitum hat damals einen guten Tag gehabt ...


Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanzſtätte klöſter-
licher Zucht von gutem Klang in deutſchen Landen.


[61]
Reichenau, grünendes Eiland, wie biſt du vor Andern geſegnet,

Reich an Schätzen des Wiſſens und heiligem Sinn der Bewohner,

Reich an des Obſtbaums Frucht und ſchwellender Traube des Weinbergs:

Immerdar blüht es auf dir, und ſpiegelt im See ſich die Lilie,

Weithin ſchallet dein Ruhm bis in's neblige Land der Britannen.

hatte ſchon in Ludwig des Deutſchen Tagen der gelahrte Mönch Er-
menrich93) geſungen, da ihn auf ſeiner Abtei Ellwangen Heimweh
nach den ſchimmernden Fluthen des Bodenſee beſchlich.


Ekkehard beſchloß dieſer Nebenbuhlerin ſeines Kloſters einen Be-
ſuch abzuſtatten. Am weißſandigen Geſtad von Ermatingen ſtand ein
Fiſcher im Kahn und ſchöpfte das Waſſer aus. Da deutete Ekkehard
mit ſeinem Stab nach dem Eiland: Führt mich hinüber, guter
Freund!


Mönchshabit verlieh damals jeder Aufforderung Nachdruck. Der
Fiſcher aber ſchüttelte verdroſſen das Haupt: Ich fahre Keinen mehr
von euch, ſeit ihr mich am letzten Ruggericht um einen Schilling ge-
büßt ...


Warum haben ſie Euch gebüßt?


Wegen dem Kreuzmann!


Wer iſt der Kreuzmann?


Der Allmann.


Auch der iſt mir unbekannt, ſprach Ekkehard, wie ſieht er aus?


Aus Erz iſt er gegoſſen, brummte der Fiſcher, von zweier Span-
nen Höhe, und hält drei Seeroſen in der Hand. Der ſtund im alten
Weidenbaum zu Allmannsdorf, und 's war gut, daß er dort ſtund,
aber ſeit dem letzten Ruggericht haben ſie ihn aus dem Baum gehauen
und in's Kloſter verſchleppt. Jetzt ſteht er auf des welſchen Biſchofs
Grab in Niederzell, was ſoll er dort? Todten Heiligen Fiſche fangen
helfen?! ...94)


Da merkte Ekkehard, daß des Fiſchers Chriſtenglaube noch nicht
felſenfeſt ſtand und mochte ſich erklären, warum das eherne Götzenbild
ihm die Schillingsbuße eingetragen — er hatte ihm ein Zicklein nächt-
lich als Opfer geſchlachtet, damit ſeine Fiſchzüge mit Felchen, Forellen
und Braxmannen geſegnet würden, und die Rugmänner hatten nach
kaiſerlicher Verordnung ſolch heidniſch Rückerinnern geahndet.


[62]

Seid vernünftig, alter Freund, ſprach Ekkehard und vergeſſet den
Allmann. Ich will Euch ein gut Theil Eures Schillings geben, ſo
Ihr mich überſetzet.


Was ich rede, ſprach der Alte, ſoll ſich nicht drehen laſſen wie
ein Ring am Finger. Ich fahre Keinen von euch. Mein Bub kann's
thun, wenn er will.


Er pfiff durch die Finger, da kam ſein Bub, ein hochſtämmiger
Ferge, der führte Ekkehard hinüber.


Wie ſie das Schifflein angelegt, ging Ekkehard dem Kloſter zu,
das zwiſchen Obſtbäumen und Rebhügeln verſteckt in Mitten des Ei-
landes aufgebaut ſteht. Es war die Zeit des Spätherbſtes, Alt und
Jung auf der Inſel mit der Weinleſe beſchäftigt, da und dort hob
ſich die Capuze eines dienenden Bruders dunkel vom rothgelben Reb-
laub ab. Auf der Hochwarte ſtanden die Väter der Inſel trupp-
weiſe beiſammen und ergötzten ſich am Getrieb der traubenſammelnden
Leute; ſie hatten unter Umtragung eines mächtigen Marmorgefäßes,
das für einen Krug von der cananäiſchen Hochzeit galt, die Einſeg-
nung des neuen Weines95) abgehalten. Fröhlicher Zuruf und fernes
Jauchzen klang aus den Rebbergen.


Unbemerkt kam Ekkehard zum Kloſter, auf wenig Schritte war
er ihm genaht, da erſt ragte der ſchwerfällige Thurm mit ſeinen Vor-
hallen, deren Rundbogen abwechſelnd mit grauen und rothen Sand-
ſteinquadern geſchmückt ſind, vor ihm auf.


Im Kloſterhof Alles ſtumm und ſtill. Ein großer Hund wedelte
am fremden Gaſt hinauf ohne Laut zu geben, er bellte keine Kutte
an; die Einwohner alleſammt hatte der linde Herbſttag hinausgelockt.96)


Da trat Ekkehard in die gewölbte Fremdenſtube am Eingang.
Auch des Pförtners Gelaß neben an war leer. Offene Fäſſer ſtan-
den ausgepflanzt, manche ſchon mit ſüßem Moſte gefüllt. Hinter ihnen
war ein ſteinern Bänklein an der Wand; Ekkehard war friſch aus-
geſchritten und die Seeluft hatte ihm zehrend ums Haupt geweht, da
kam ein Zug des Schlummers mächtig über ihn, er lehnte den
Wanderſtab an den Arm, ſtreckte ſich ein weniges und nickte ein.


Derweil zog ſich's mit langſamem Schritt in die kühle Stube,
das war der ehrenwerthe Bruder Rudimann, des Kloſters Kellermei-
ſter. Er trug ein ſteinern Krüglein in der Rechten und ging ſeines
[63] Amtes nach, Moſtprobe zu halten. Das Lächeln eines mit der Welt
und ſich verſöhnten Mannes lag auf ſeinen Lippen und ſein Bauch
war fröhlich gediehen wie das Hausweſen des Fleißigen, einen weißen
Schurz hatte er drüber geſchlungen, gewichtiger Schlüſſelbund klap-
perte an ſeiner linken Seite.


„Zum Kellermeiſter ſoll erwählt werden ein weiſer Mann von
reifen Sitten, nüchtern und nicht vieler Speiſe gierig, kein Zänker
und kein Schelter, kein Träger und kein Vergeuder, ſondern ein Got-
tesfürchtiger, der der geſammten Bruderſchaft ſei als wie ein Va-
ter“97) — und ſoweit es des Fleiſches Schwäche hienieden möglich
macht, war Rudimann bemüht, ſothane Kellermeiſterseigenſchaften in
ſich zu vereinen. Dabei aber trug er das herbe Amt eines Straf-
vollziehers, und wenn Einer der Brüder der Geißelung ſich ſchuldig
gemacht, band er ihn an die Säule und konnte ſich Keiner über die
Milde ſeines Armes beklagen. Daß er außerdem mit boshaftiger
Zunge dann und wann boshaftige Gedanken ausſprach und den Abt
mit Verdächtigung der Mitbrüder zu unterhalten wußte, wie das
Eichhörnlein Ratatöskr der Edda,98) das auf und abrennt an der
Eſche Yggdraſil und des Adlers zürnende Worte im Wipfel hernie-
derträgt zu Nidhöggr dem Drachen in der Tiefe: das war nicht
ſeines Amtes, das that er aus freien Stücken.


Heute aber ſchaute er gar vergnüglich drein, deß trug die Güte
der Weinleſe Schuld. Und er tauchte ſein Krüglein in ein offenes
Faß, hielt's gegen das Fenſter und ſchlürfte bedächtig den unklaren
Stoff. Des ſchlafenden Gaſtes nahm er nicht wahr.


Auch dieſer iſt ſüß, ſprach er, und kommt doch vom mitternächti-
gen Abhang der Hügel. Gelobt ſei der Herr, der vom Nothſtand
ſeiner Knechte auf dieſer Au eine billige Einſicht nahm und nach ſo
viel magern Jahren ein fettes ſchuf, und frei von Säure.


Inzwiſchen ging draußen Kerhildis die Obermagd vorüber, ſie
trug eine traubengefüllte Butte zur Kelter. Kerhildis, ſprach der
Kellermeiſter leiſe, getreuſte aller Mägde, nimm mein Krüglein und
füll' es mit dem Neuen vom Wartberg, der drüben an der Kelter
ſteht, auf daß ich ihn mit dieſem vergleiche.


Kerhildis die Obermagd ſtellte ihre Laſt ab und ging und kam
und ſtand vor Rudimann, reichte ihm das Krüglein, ſchaute ſchalk-
[64] haft an ihm hinauf, denn er überragte ſie um eines Kopfes Länge,
und ſprach: Wohl bekomm's!


Rudimann that einen langen frommen vergleichenden Zug, ſo daß
ihm der Neue auf den Lippen ſchmelzen mochte wie Schnee in der
Märzenſonne; alle miteinander werden ſüß und gut, ſprach er, und
ſeine Augen hoben ſich gerührt, und daß ſie an der Obermagd ſtrah-
lendem Antlitz haften blieben, daran trug der Kellermeiſter kaum
Schuld, denn dieſe hätte ſich inzwiſchen auch zurückziehen können.


Da fuhr er mit Salbung fort: So ich aber Euch anſchaue,
Kerhildis, ſo wird mein Herz doppelt froh, denn auch Ihr gedeihet
wie der Kloſterwein in dieſem Herbſt und Eure Bäcklein ſind roth
wie Granatäpfel, die des Pflückenden harren. Preiſet mit mir des
Jahrgangs Güte, getreuſte aller Mägde!


Und der Kellermeiſter ſchlang ſeinen Arm um der ſchwarzbraunen Ober-
magd Hüfte,99) die wehrte ſich deſſen nicht groß — was liegt an einem Kuß
im Herbſte? — und ſie wußte daß Rudimann ein Mann von reifen Sit-
ten war und Alles mäßig that, wie es einem Kellermeiſter geziemt.


Da fuhr der Schläfer auf der Steinbank aus ſeinem Schlummer.
Ein eigenthümlich Geräuſch, das von nichts Anderem herrühren kann
als von einem wohlaufgeſetzten verſtändigen Kuß, ſchlug an ſein Ohr,
er ſchaute zwiſchen den Fäſſern durch, da ſah er des Kellermeiſters
Gewandung und ein Paar fliegende Zöpfe, die nicht zu dieſem Habit
gehörten ... er richtete ſich auf, ein ungeſtümer Zorn kam über ihn,
denn Ekkehard war jung und eifrig und in Sanct-Gallen war ſtrenge
Sitte, und es hatte ihm noch nie als möglich vorgeſchwebt, daß ein
Mann im Ordenskleid ein Weib küſſen möge.


Sein wuchtiger Haſelſtock ruhte ihm noch im Arm; itzt ſprang er
vor und ſchlug dem Kellermeiſter einen wohlgefügen Streich, der zog
ſich von der rechten Schulter nach der linken Hüfte und ſaß feſt und
gut wie ein auf Beſtellung gelieferter Rock — und bevor ſich Jener
der erſten Ueberraſchung erholt, folgte ein zweiter und dritter von
gleichem Schrot ... er ließ ſein ſteinern Geſchirr fallen, daß es am
Pflaſter zerſchellte; Kerhildis entfloh.


Beim Krug von der Hochzeit zu Cana! rief Rudimann, was iſt
das? und wandte ſich gegen den Angreifer. Jetzt erſt ſchauten ſich
die Beiden von Angeſicht zu Angeſicht.


[65]

Ein Gaſtgeſchenk iſt's, ſprach Ekkehard ingrimmig, das der heilige
Gall dem heiligen Pirmin ſendet!100) und er erhub ſeinen Stab
von Neuem.


Dacht' ich's doch, ſchalt der Kellermeiſter, ſanct galliſche Holz-
äpfel! Man kennt Euch an den Früchten: Boden hart, Glaube roh,
Leute grob!101) Wartet des Gegengeſchenks.


Er ſah nach etwas Greifbarem um, ein namhafter Beſen ſtand
in der Ecke, mit dem waffnete er ſich und gedachte auf den Störer
ſeines Friedens einzudringen ...


Da rief's gebietend von der Pforte her: Halt! Friede mit Euch!
und eine zweite Stimme frug mit fremder Betonung: Was iſt hier
für ein Holofernes aus dem Boden gewachſen?


Es war der Abt Wazmann, der mit ſeinem Freund Simon
Bardo, dem ehemaligen Protoſpathar102) des griechiſchen Kaiſers von
der Einſegnung der Weinleſe zurückkehrte. Das Geräuſch des Streits
unterbrach eine gelehrte Auseinanderſetzung des Griechen über die
Belagerung der Stadt Hai durch Joſua und die ſtrategiſchen Fehler
des Königs von Hai, da er mit ſeinem Heer auszog wider die Wüſte.
Der alte Griechenfeldherr, der die Heimath verlaſſen, um im byzanti-
niſchen Ruheſtand nicht an Mattigkeit der Seele zu erſterben, lag in
ſeinen Muſeſtunden im deutſchen Kloſter eifrig dem Studium der
Tactik ob; ſie hießen ihn ſcherzweiſe den Hauptmann von Capernaum,
wiewohl er das Ordenskleid genommen.


Gebt dem Streite Raum, ſprach Simon Bardo, der mit Be-
dauern den Zweikampf unterbrochen ſah, zum Abte: ich hab' heut' im
Traume ein Sprühen von Feuerfunken erſchaut, das deutet Schläge ...


Der Abt aber, in deſſen Augen die Eigenmacht Jüngerer ein
Gräuel war, gebot Ruhe und ließ den Streitfall zur Schlichtung
vortragen.


Da hub Rudimann an zu erzählen was geſchehen und verſchwieg Nichts.


Leichtes Vergehen, murmelte der Abt; Hauptſtück ſechs und vier-
zig: von dem was bei der Arbeit, beim Gärtnern oder Fiſchfang, in
Küche oder Keller geſündigt wird — allemanniſches Geſetz: von dem
was mit Mägden geſchieht ... der Gegner ſpreche!


Da trug auch Ekkehard vor, wie er die Sache angeſchaut und in
gerechtem Zorn dreingefahren.


D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 5
[66]

Verwickelt! murmelte der Abt, Hauptſtück ſiebenzig: kein Bruder
nehme ſich heraus den Mitbruder ſonder Ermächtigung des Abts zu
ſchlagen, Hauptſtück zwei und ſiebenzig: von demjenigen Eifer, der
einem Mönch wohl anſteht und zum ewigen Leben führt ... Wie viel
Jahre zählt Ihr?


Drei und zwanzig!


Da ſprach der Abt ernſthaft: Der Streit iſt aus. Ihr, Bruder
Kellermeiſter, habt Eure Streiche als wohlverdient Entgelt Eurer Zer-
ſtreutheit aufzunehmen; — Euch, Fremdling des heiligen Gallus,
vermöchte ich füglich anzuweiſen, Eures Weges weiter zu ziehen, denn
es ſteht geſchrieben: Wenn ein fremder Mönch aus anderweiten Pro-
vinzen ankommt, ſoll er zufrieden ſein mit dem was er im Kloſter
vorfindet, ſich nur einen demüthigen Tadel erlauben und ſich in keiner
Weiſe überflüſſig machen. In Erwägung Eurer Jugend und unta-
deligen Beweggrundes aber mögt Ihr zur Sühnung am Hauptaltar
unſerer Kirche eine einſtündige Abendandacht verrichten: dann ſeid
als Gaſtfreund willkommen!


Dem Abte erging es mit ſeinem Schiedsſpruch wie manchem ge-
rechten Richter. Keiner der Betheiligten war zufrieden; ſie gehorch-
ten, aber unverſöhnt. Wie Ekkehard in der Kirche ſein Sühngebet
that, mochten ihm allerlei Gedanken durch die Sinne ziehen vom
guten Herzen, vom rechtzeitigen Eifer und von andrer Leute Urtheil
drüber. Es war eine der erſten Lehren, die er im Zuſammenſtoß
mit Menſchen erlitt. Durch eine Seitenpforte ging er ins Kloſter
zurück.


Was Kerhildis die Obermagd an jenem Abend den dienſtbaren
Frauen im Nähſaal zu Oberzell erzählte, allwo ſie beim flackernden
Scheine des Kienſpahns ein Dutzend neue Mönchsgewänder zu ferti-
gen hatten, war mit ſo beleidigenden Ausfällen gegen die Jünger des
heiligen Gallus untermiſcht, daß es beſſer verſchwiegen bleibt ...



[67]

Sechstes Kapitel.
Moengal.



Um dieſelbe Zeit, da Ekkehard in der Kloſterkirche der Inſel eine
unfreiwillige Andacht abhielt, war Frau Hadwig auf dem Söller von
Hohentwiel geſtanden uud hatte lange hinausgeſchaut — aber nicht nach
der untergehenden Sonne. Die ging ihr im Rücken, hinter den dunkeln
Bergen des Schwarzwaldes zur Ruhe. Frau Hadwig aber ſchaute
erwartungsvoll nach dem Unterſee und nach dem Pfad, der von ſeinem
Ausgang ſich dem hohentwieler Fels entgegen zog. Die Ausſicht ſchien
ihr nicht zu genügen, wie's dunkel ward, ging ſie unwillig103) zurück,
ließ ihren Kämmerer rufen und verhandelte lang mit ihm ...


Am frühen Morgen des andern Tages ſtund Ekkehard gerüſtet zu
weiterer Fahrt an der Schwelle des Kloſters. Der Abt war auch
ſchon wach und machte einen Frühgang im Gärtlein. Der Richter-
ernſt des geſtrigen Tages lag nicht mehr auf ſeiner Stirne. Ekkehard
ſagte ihm Valet. Da raunte ihm der Abt lächelnd in's Ohr: Seli-
ger, der du eine ſolche Schülerin die Grammatik lehren darfſt! Das
ſchnitt in Ekkehard's Herz. Eine alte Geſchichte ſtieg in ſeiner Erin-
nerung auf, — auch in den Kloſtermauern gab's böſe Zungen und
überlieferte Stücklein, die vom Einen zum Andern die Runde machten.


Ihr gedenket wohl der Zeit, heiliger Herr, ſprach er höhniſch, da
Ihr die Nonne Clotildis in der Dialectik unterrichtet.104)


Damit ging er hinab zu ſeinem Schiffe. Der Abt hätte lieber
ein Büchslein mit Pfeffer zum Frühmahl eingenommen als dieſe Er-
innerung. Glückliche Reiſe! rief er dem Scheidenden nach.


Von dieſer Zeit hatte Ekkehard es mit den Reichenauer Kloſter-
leuten verdorben. Er ließ ſich's nicht kümmern, und fuhr mit ſeinem
Ermatinger Fergen den Unterſee hinab.


5*
[68]

Träumeriſch ſchaute er aus ſeinem Schifflein hinaus in's Weite.
Im durchſichtigen Duft des Morgens wogte der See, zur Linken ho-
ben ſich die ſchlanken Thürmchen von Egino's Clauſe Niederzell, —
dort ſtreckt das Eiland ſeine letzten Spitzen in's Gewäſſer hinaus, eine
ſteinerne Pfalz ſchaute aus den Weidenbüſchen vor — aber Ekkehard's
Blick haftete auf der Ferne, der er zuſteuerte; groß, ſtolz, in ſteiler
kecker Linie trat ein felſiger Bergrücken aus dem Gehügel des Ufers
vor, gleich dem Gedanken eines Geiſtesgewaltigen der wuchtig und
thatenſchwer flache Umgebung überragt, die Frühſonne warf helle
Streiflichter auf Felskanten und Gemäuer. Fern zur Rechten hoben
ſich etliche niedere Kuppen von gleicher Form, beſcheiden, als wären ſie
Feldwachen, die der Große ausgeſendet.


Der Hohentwiel! ſprach der Fährmann zu Ekkehard. Der hatte
das Ziel ſeiner Fahrt in früheren Tagen noch niemals erſchaut, aber
es brauchte des Schiffers Wort nicht, um's ihm zu ſagen. So mußte
der Berg ſein, den ſie zu ihrem Sitze erkoren. Eine ernſte Stimmung
kam über Ekkehard. Züge des Gebirges, weite Flächen, Waſſer und
Himmel, große Landſchaft wirkt jederzeit Ernſt im Gemüth, nur des
Menſchen Getrieb ruft ein Lächeln auf des Beſchauers Lippe. Er ge-
dachte des Apoſtel Johannes, wie der einſt der Felſeninſel Patmos
entgegengefahren, und wie ihm dort eine Offenbarung aufgegangen ...


Der Fährmann ſteuerte rüſtig vorwärts. Schon waren ſie dem
Ufervorſprung, der die Zelle Radolf's und die wenig umliegenden Be-
hauſungen trägt, nahe. Da trieb ein ſeltſam Schifflein im See, roh,
ein hohler Baumſtamm, aber ganz verdeckt und überbaut mit grünem
Gezweig und Schilfrohr, und war kein Ruderer zu erſchauen, der
es lenkte. Der Wind ſchaukelte es dem Geröhricht am Geſtade ent-
gegen.


Ekkehard hieß ſeinen Fergen das abſonderliche Fahrzeug anhalten.
Da ſtieß derſelbe mit ſeiner Ruderſtange in die grüne Verhüllung.


Peſt und Ausſatz euch in's Gebein! fluchte es mit tiefer Stimme
aus der Höhlung hervor, oleum et operam perdidi, Hopfen und
Malz iſt verloren. Wildgans und Kriekente ſind des Teufels!


Ein Zug Waſſervögel, der mit heiſerem Geſchnatter in der Nähe
aufſtieg und landeinwärts flog, beſtätigte des Fluchenden Ausſpruch.


[69]

Im Buſchwerk des Schiffleins aber kniſterte es und hob ſich auf,
ein wettergebräuntes runzeldurchfurchtes Antlitz ſchaute herüber, um
den Leib ſchmiegte ſich ein verblichen geiſtlich Kleid, das, an den Knieen
mit unſicherem Meſſerſchnitt gekürzt, zerzaust herabhing; im Gürtel
ſtack ein Köcher ſtatt des Roſenkranzes, die geſpannte Armbruſt lag
auf des Schiffleins Vordertheil.


Peſt und Ausſatz — wollte des Fahrzeugs Inſaſſe nochmals an-
heben, da ſchaute er Ekkehard's Tonſur und Benedictinergewand und
änderte den Ton: Hoiho! salve confrater! Bei'm Bart des heiligen
Patrik von Armagh, ſo mich Euer Fürwitz noch eine Viertelſtunde
länger ungehindert gelaſſen, könnt' ich Euch zu einem waidlichen Biſſen
Seewildpret einladen. Mit Bewegung ſchaute er den in die Ferne
ſtreichenden Wildenten nach.


Ekkehard aber hob lächelnd den Zeigefinger: ne clericus vena-
tioni incumbat!
Kein Geweihter des Herrn ſoll der Jagd pflegen.105)


Stubenweisheit, rief der Andre, gilt nicht bei uns am Unterſee.
Seid Ihr etwann geſendet, beim Leutprieſter zu Radolfszelle Kirchen-
ſchau zu halten?


Bei'm Leutprieſter zu Radolfszelle? frug Ekkehard. Steht hier
der Bruder Marcellus vor mir? Er that einen Seitenblick auf des
Waidmanns rechten Arm, an dem ſich die Kutte zurückgeſtreift hatte;
in rauhen Linien war ein von einer Schlange umwundenes Heiland-
bild eingeätzt und ſtund mit punktirten Buchſtaben drüber Christus
vindex.
106)


Bruder Marcellus? lachte der Gefragte und ſtrich mit der Hand
über die Stirn, fuimus Troes, willkommen in Moengals Revier!


Er ſtieg aus ſeinem hohlen Baum in Ekkehard's Schiff hinüber:
Der heilige Gallus ſoll leben! ſprach er und küßte ihn auf Wange und
Stirn, laſſet uns an's Land fahren, Ihr ſeid mein Gaſt, wenn auch
ohne Wildenten.


Euch hab' ich mir anders vorgeſtellt, ſprach Ekkehard. Das war
kein Wunder.


Nichts gibt ein falſcher Bild von Menſchen, als nach ihnen an
denſelben Ort kommen, wo ſie einſtens gewirkt, vereinzelte Reſte
ihrer Thätigkeit ſehen, und aus dem Gerede der Zurückgebliebenen
ſich eine Vorſtellung des Weggegangenen ſchaffen. Tiefſtes und
[70] Eigenſtes bleibt Dritten meiſt unbeachtet, auch wenn's offen zu Tag
liegt, in der Ueberlieferung ſchwindet's ganz. Als Ekkehard ins
Kloſter trat, war der Bruder Marcellus ſchon nach der verlaſſenen
Zelle Radolf's als Pfarrherr abgegangen. Etliche zierlich geſchriebene
Urkunden, Cicero's Buch von den Pflichten, und ein lateiniſcher Pris-
cianus mit iriſcher Schrift zwiſchen den Zeilen erhielten ſein Andenken.
Viel verehrt lebte ſein Name noch an der innern Kloſterſchule, er war
der tüchtigſten Lehrer einer geweſen, tadellos ſein Wandel. Seither
war er in Sanct Gallen verſchollen. Darum hatte ſich Ekkehard ſtatt
des Waidmanns im See einen ernſten, hagern, blaſſen Gelehrten erwartet.


Das Geſtad von Radolf's Zelle war erreicht; eine dünne, nur auf
einer Seite geprägte Silbermünze ſtellte den Fährmann zufrieden. 107)
Sie gingen ans Land. Wenig Häuſer und ſchmuckloſe Fiſcherhütten
ſtanden um das Grabkirchlein, das Radolf's Gebeine birgt.


Wir ſind an Moengals Pfarrhaus, ſprach der Alte, tretet ein. Ihr
werdet hoffentlich dem Biſchof zu Konſtanz keinen Bericht von meinem
Hausweſen erſtatten, wie jener Decan von Rheinau, der behauptete,
er habe bei mir Krüge und Trinkhörner von einer jedem Zeitalter
verhaßten Größe erſchauen müſſen.108)


Sie traten in eine holzgetäfelte Halle. Hirſchgeweih und Auer-
ochſenhörner hingen über dem Eingang, Jagdſpieße, Leimruthen, Fiſch-
garne lehnten in maleriſcher Unordnung an den Wänden, an das
umgeſtürzte Fäßlein im Winkel ſchmiegte ſich der Würfelbecher: wäre
es nicht des Leutprieſters Behauſung geweſen, ſo hätte füglich auch
der Förſter des kaiſerlichen Bannwaldes hier wohnen können.


In Kurzem ſtund ein Krug ſäuerlichen Weines auf dem Eichentiſch, auch
Brod und Butter lieferte die Vorrathskammer. Dann kam der Leut-
prieſter aus der Küche zurück, hielt ſein Gewand wie eine gefüllte
Schürze und ſchüttete einen Platzregen von geräucherten Gangfiſchen
vor ſeinen Gaſt. Heu quod anseres fugasti, antvogelosque et
horotumblum!
Weh, daß du mir die Wildgänſe verſcheucht, und
die Enten ſammt der Rohrdommel!109) ſprach er, aber wenn Einer
nur die Wahl zwiſchen Gangfiſch und gar Nichts hat, greift er immer
noch zum erſtern.


Glieder derſelben Genoſſenſchaft ſind ſchnell befreundet. Ein leb-
haft Geſpräch erhob ſich beim Imbiß. Aber der Alte hatte mehr zu
[71] fragen als Ekkehard beantworten konnte; von ſo Manchem ſeiner
alten Mitbrüder war Nichts mehr zu berichten, als daß ſein Sarg
eingemauert ſtand bei dem der Andern und ein Kreuz an der Wand
und ein Eintrag im Todtenbuch die einzige Spur, daß er gelebt; —
die Geſchichten und Späßlein und Kloſterfehden, wie ſie vor dreißig
Jahren erzählt wurden, waren durch Neue erſetzt und was ſeit damals
geſchehen, ließ ihn gleichgiltig. Nur wie Ekkehard ihm von Zweck und
Ziel ſeiner Fahrt ſprach, rief er: Hoiho, Confrater, was habt Ihr
wider die Jagd geſprochen und ziehet ja ſelber auf Edelwild aus.


Aber Ekkehard lenkte ab. Habt Ihr noch nie Heimweh nach des
Kloſters Stille und Wiſſenſchaft verſpürt? frug er.


Da flammte des Leutprieſtres Aug': Ward Catilina von Heimweh
nach den Holzbänken des römiſchen Senats geplagt, nachdem von
ihm geſagt war: excessit, evasit, erupit? Junges Blut verſteht das
nicht. Fleiſchtöpfe Aegyptens?! ille terrarum mihi praeter omnes ...
ſprach der Hund zum Stall, in dem er ſieben Jahre gelegen.


Ich verſteh Euch allerdings nicht, ſprach Ekkehard. Was ſchuf
Euch ſolche Aenderung der Sinnesart? Er warf einen Seitenblick
auf das Jagdgeräth.


Die Zeit, gab der Leutprieſter zurück, und klopfte ſeinen Gang-
fiſch auf dem Eichentiſch mürb, — die Zeit und wachſende Erkenntniß.
Das braucht Ihr aber Eurem Abte nicht zu berichten. Bin auch
einmal ein Burſch geweſen wie Ihr, Irland zieht fromme Leute, ſie
wiſſen's hier zu Lande. Eheu, wie war ich untadligen Gemüthes, wie
ich mit Oheim Marcus von der Wallfahrt gen Rom zurückkam.110)
Hättet den jungen Moengal ſehen ſollen, die ganze Welt war ihm
keinen Gründling werth, aber Pſalliren, Vigilien ſingen, geiſtliche
Uebungen halten: das war mein Labſal. Da ritten wir in Gallus
Kloſter ein — einem heiligen Landsmann zu Ehren macht ein braver
Irländer ſchon ein paar Meilen um, — ich aber bin ganz dort
hängen geblieben. Kleider, Bücher, Gold und Wiſſen, der ganze
Menſch ward des Kloſters, und der iriſche Moengal ward Marcellus
geheißen und warf ſeines Oheims ſilberne und goldene Pfennige zum
Fenſter hinaus, daß die Brücke abgebrochen ſei, die zur Welt zurückführt.
Waren ſchöne Jahre, ſag' ich Euch, hab' gewacht und gebetet und
ſtudirt nach Herzensluſt.


[72]

Aber viel Sitzen iſt ſchädlich dem Menſchen und viel Wiſſen macht
überflüſſige Arbeit. Manchen Abend hab ich gegrübelt wie ein Bohr-
wurm, und disputirt wie eine Elſter, Nichts war unergründlich: wo
das Haupt Johannis des Täufers begraben liege, und in welcher
Sprache die Schlange zu Adam geſprochen — Alles klar erörtert,
nur daran war ich nicht zu denken gerathen, daß der Menſch auch
Knochen und Fleiſch und Blut mit ſich in die Welt bekommen.
Hoiho, Confrater, da kamen böſe Stunden, mögen ſie Euch erſpart
bleiben, der Kopf ward ſchwer, die Hände unruhig, am Schreibtiſch
kein Bleiben, in der Kirche kein Knieen — fort! hieß es, nur fort
und hinaus! Dem alten Thieto ſagt ich dereinſt, ich habe eine Ent-
deckung gemacht. Was für eine? Daß es jenſeits unſerer Mauern
friſche Luft gebe ... Da verſagten ſie mir den Ausgang, aber manche
Nacht bin ich heimlich auf den Glockenthurm geſtiegen111) und hab
hinausgeſchaut und die Fledermäuſe beneidet, die in Tannenwald
hinüber flogen ... Confrater, dagegen hilft kein Faſten und kein
Beten, was im Menſchen ſteckt, muß heraus.


Der vorige Abt hat billige Einſicht genommen und mich auf
Jahresfriſt hierher geſchickt, aber der Bruder Marcellus kam nimmer
heim. Wie ich hier im Schweiß meines Angeſichtes den Tannbaum
fällte und den Nachen zimmerte und den Strichvogel aus den Lüften
herunterholte, da iſt mir ein Licht aufgegangen, was geſund ſein
heißt — Fiſchfang und Waidwerk beizen die unnützen Mücken aus
dem Kopf — ſo ſtehe ich ſeit dreißig Jahren der Zelle Radolfi vor,
rusticitate quadam imbutus, einer gewiſſen Verbauerung ausgeſetzt,
was verficht's? Ich bin gleich der Kropfgans in der Wüſte, gleich der
Eule die in Trümmern niſtet, ſagt der Pſalmiſt, aber friſch und ſtark,
und der alte Moengal gedenkt ſobald noch nicht ein ſtummer Mann zu
werden und weiß, daß er wenigſtens vor einem Unglück ſicher ſein darf ...


Was meint Ihr für ein Unglück? frug Ekkehard.


Daß ihm Sanct Petrus dereinſt den himmliſchen Thorſchlüſſel vor
die Stirn ſchlägt und ſpricht: hinaus mit dir, der du unnütz und
eitel Philoſophie getrieben!


Ekkehard ließ ſich auf Moengal's Herzensergießungen nicht näher
ein. Ihr habet wohl rauhen Dienſt in Sorge der Seelen, ſprach er,
verſtockte Herzen, Heidenthum und Ketzerei ..


[73]

'S geht an, ſprach der Alte, im Mund der Biſchöfe und kaiſer-
lichen Räthe, in den Capitularien und Synodalbeſchlüſſen nimmt ſich's
haarſträubend aus, wenn ſie den heidniſchen Irrwahn abzeichnen und
mit Strafſatzung bedräuen. 'S iſt eben alter Glaube hierlands, im
Baum und Fluß und auf luftiger Bergeshöhe der Gottheit nachzu-
ſpüren. Jeder auf der Welt muß ſeine Apokalypſis haben, die He-
gauer ſuchen ſie draußen .. es läßt ſich auch Etwas dabei denken,
wenn der Menſch frühmorgens im Schilfe ſteht und die Sonne über
ihm aufgeht ...


Deßhalb kommen ſie am Tage des Herrn doch zu mir, und ſingen
die Meſſe mit, und wenn der Sendbote ihnen nicht ſo manchen Straf-
ſchilling aus dem Sack zwickte, würden ſie noch fröhlicher ſich zum
Evangelium wenden. —


Stoßt an, Confrater, die friſche Luft ...


Erlaubt, ſprach Ekkehard mit feiner Wendung, daß ich das Wohl
Marcellus des Lehrers an der Kloſterſchule, des Verfaſſers der iriſchen
Ueberſetzung des Priscianus trinke.


Mir auch recht, lachte Moengal. Was aber die iriſche Ueberſetzung
betrifft, die möchte einen Haken haben.112)


In Ekkehard war das Verlangen groß, ſeinen hohen Twiel zu
erreichen. Kurz vor dem Ziele weiter Fahrt hat noch ſelten Einer
lange Raſt gehalten. Der Berg ſteht feſt in der Erden, ſprach zwar
Moengal, der entfleucht Euch nimmer.


Aber Moengal's Wein und ſeine Lehre von der friſchen Luft
hatten für den, der einer Herzogin entgegen ſollte, wenig Verſtrickendes.
Er brach auf.


Ich geh' mit Euch bis an des Pfarrſprengels Grenze, ſagte der
Leutprieſter, heute dürft Ihr mir noch zur Seite gehen, trotz meines
verblichenen Gewandes; wenn Ihr auf dem Berg droben feſtſitzet,
dann werdet Ihr meinen, die Verklärung ſei über Euch gekommen,
und werdet ein vornehmer Herr werden, und wenn Ihr dereinſt an
Frau Hadwig's Seite gen Radolf's Zelle geritten kommet, und der
alte Moengal ſteht an der Schwelle, ſo wird ihm eine gnädige Hand-
bewegung als Almoſen zugeworfen — der Welt Lauf! Wenn der
Heuerling groß geworden, heißt er Felchen und frißt die Kleinen
ſeines Geſchlechts.


[74]

Das ſollt Ihr nicht ſagen, ſprach Ekkehard, und küßte den iriſchen
Mitbruder.


Da gingen ſie zuſammen, und der Leutprieſter nahm ſeine Leim-
ruthen mit, im Rückweg den Vögeln des Waldes Nachſtellung zu be-
reiten. Es war ein langer Weg durch den Tannenwald, lang und ſtill.


Wie ſich das Gehölz lichtete, da ſtand in dunkler Maſſe der hohe
Twiel und warf ihnen ſeinen Schatten entgegen. Moengal aber
ſchaute mit ſcharfem Aug' den Waldpfad entlang durch die Lichtung
der Tannen. Es ſtreicht was durchs Revier, ſprach er.


Sie waren wieder etliche Schritte gegangen, da griff Moengal
ſeinen Gefährten am Arm, ſtellte ihn, deutete vorwärts und ſprach:
Das ſind keine Wildenten noch Thiere des Waldes!


Es kam ein Ton herüber, als wenn fernab ein Roß gewiehert ..
Moengal ſprang ſeitwärts, ſchlich ſich ein gut Stück im jungen
Gehölz vorwärts, legte ſich auf den Boden und ſpähte.


Waidmanns Thorheit, ſprach Ekkehard und wartete ſeiner. Jetzt
kam er zurück. Bruder, ſprach er, liegt der heilige Gall in Fehde
mit einem der Gewaltigen dieſes Landes?


Nein.


Habt Ihr Einen beleidigt?


Nein.


Sonderbar, ſprach der Alte, es kommen drei Gewaffnete geritten.


Es werden Boten der Herzogin ſein, mich zu empfangen, ſprach
Ekkehard mit ſtolzem Lächeln.


Hoiho! brummte Moengal, fehlgeſchoſſen! Das iſt nicht herzog-
licher Dienſtmannen Kleid, der Helm iſt ſonder Abzeichen. Und im
grauen Mantel reitet kein Twieler!


Er hemmte ſeinen Schritt.


Vorwärts! ſprach Ekkehard. Weß Herz ohne Schuld, den geleiten
die Engel des Herrn.


Im Hegau nicht immer! war des Alten Antwort. Es war
keine Gelegenheit zu weiterem Zwiegeſpräch, Hufſchlag tönte, der
Boden klirrte, drei Reitersmänner kamen geſprengt, den Helm ge-
ſchloſſen, das Schwert gezogen ..


Folgt mir, rief der Leutprieſter, maturate fugam! Er warf ſeine
Leimruthen zu Boden und wollte Ekkehard mit zur Seite ziehen.
[75] Der aber wandte ſich nicht. Da ſprang Moengal allein ins Buſch-
werk hinüber, die Dornen zogen ihm zu den alten Riſſen ins morſche
Gewand etliche neue, er wand ſich los, mit den Sprüngen eines Eich-
horns ſetzte er ins Dickicht. Er kannte die Schliche.


Er iſt's! rief der Vorderſte der Reiter, da ſprangen die Andern
von den Roſſen, ſtolz ſah ihnen Ekkehard entgegen: Was wollet Ihr?
— keine Antwort; er griff zum Crucifix, das ihm im Gürtel hing:
im Namen des Gekreuzigten!.. wollte er anheben, aber ſchon war
er zu Boden geworfen, unſanfte Fäuſte hielten ihn, ein Strick ward
um ſeine Hände geſchlungen, bald lagen ſie geknebelt auf dem Rücken —
eine weiße Binde umſchloß ſeine Augen knapp und feſt, daß es dunkel
um ihn ward — „Vorwärts!“ — die Ueberraſchung des Augenblicks
beugte ihm die Kniee, unſicher ſchritt er, da hoben ſie ihn und trugen
ihn ein Stück weit. Am Beginn des Waldes ſtunden vier Männer
mit einer Sänfte, in die warfen ſie den Betroffenen und weiter gings
durch die Ebene, am ſteten Hufſchlag zur Seite merkte Ekkehard, daß
die Reiter ihren Fang geleiteten.


Derweil Moengal durch den Wald floh, hüpften die Meiſen ſo
zutraulich auf den Zweigen und heller Droſſelſchlag umtönte ihn, da
vergaß er der Gefahr und ſein Herz kränkte ſich, daß er die Leimruthen
fahren gelaſſen.


Wie er aber auch noch die Wachtel ihr: Quakkara! Quakkara113)
rufen hörte, klang ihm das geradezu herausfordernd und er wandte
ſeinen Schritt zum Platze des Ueberfalls. Es war ſtill dort als wäre
Nichts geſchehen. In der Ferne ſah er die Kriegsleute abziehen. Die
Helme glänzten.


Es werden aber Viele, ſo die Erſten waren, die Letzten ſein,
ſprach er kopfſchüttelnd und las ſeine Leimruthen zuſammen. Zu einer
Fürſtin Saal gedachte er zu gehen und das Gefängniß nimmt ihn auf.
Heiliger Gallus, bitt für uns!


Weiter zerbrach ſich Moengal den Kopf nicht. Derlei Vergewal-
tigung war häufig wie Schlüſſelblumen im Frühling.


Es ſchwamm einmal ein Fiſch klaftertief unten im Bodenſee, der
konnt ſich's gar nicht erklären, was den Cormoran zu ihm hinab-
führte, der ſchwarze Tauchervogel hatte ihn ſchon im Schnabel und
flog mit ihm hoch durch die Lüfte weg: noch war's ihm unbegreiflich.
[76] So lag Ekkehard in der Sänfte, ein gebundener Mann; je mehr er
über ſeines Geſchickes Wendung nachſann, deſto weniger mocht' er's
faſſen.


Dräuend ſtieg der Gedanke in ihm auf, es möchte wohl Einer im
Hegau ſitzen, ein Freund oder Blutsverwandter der Kammerboten, und
jetzt am unſchuldigen Jünger des heiligen Gallus Rache nehmen, denn
Salomo, der Urſächer ihres ſchmählichen Todes, war zugleich Abt jenes
Kloſters geweſen. Für den Fall mochte ſich Ekkehard auf das Schlimmſte
bereit halten, er wußte, wie Manchen prieſterlichen Standes nicht die
Tonſur, nicht geiſtlich Gewand vor dem Ausſtechen der Augen oder
Abhauen der Hände geſchützt, wenn's um Rache ging.


Er gedachte an's Sterben. Mit ſeinem Gewiſſen war er verſöhnt,
der Tod trug ihm kein Schreckniß zu, aber tief im Herzen klang doch
eine leiſe Frage: Warum nicht erſt in Jahresfriſt, nachdem mein Fuß
den Twiel betrat? —


Jetzt gingen die Träger der Sänfte langſamen Schrittes, es mochte
einen Berg hinangehn. Auf welches der Felſenneſter dieſes Landes
ſchleppen ſie mich? Ein halb Stündlein mochten ſie aufwärts geſtiegen
ſein, da ſchlug der Huftritt der Reiter raſſelnd und hohl auf, wie
wenn ſie über eine hölzerne Brücke ritten. Noch blieb's ſtill, kein
Wächterruf, — die Entſcheidung konnte nimmer fern ſein. Da kam
ein ſtarkes Vertrauen über Ekkehard, die Worte des Pſalm traten vor
ihn: „Gott iſt unſere Zuflucht und Stärke, als Hilfe in Nöthen mäch-
tig erfunden. Darum fürchten wir Nichts, ob auch die Erde wechſelte
und die Berge wankten im Herzen des Meers. Mögen brauſen die
Gewäſſer, die Berge beben bei ſeinem Ungeſtüm. Jehovah iſt mit
uns, unſere Zuflucht der Gott Jacobs, Sela ..“


Ueber eine zweite Brücke ging's. Ein Thor ward aufgethan, die
Sänfte ſtand. Da huben ſie ihren Gefangenen herfür, ſein Fuß be-
rührte den Boden, es war Gras — ein Flüſtern ſchlug an ſein Ohr
als wär viel Volk in der Nähe verſammelt, der Strick um ſeine Hände
ward gelöst. Nehmt Euch die Binde von den Augen! ſprach einer
ſeiner Begleiter, er that's — Herz jauchze nicht! er ſtand im Schloß-
hof von Hohentwiel .. Fröhlich rauſchte es im Geäſt der alten Linde,
ein zeltartig Getüch war darein geſpannt, Kränze von Eppich und
Weinlaub hingen hernieder, der Burg Inſaſſen ſtanden gedrängt herum,
[77] auf ſteinerner Bank ſaß die Herzogin, der purpurdunkle Fürſtenmantel
wallte von den Schultern, mildes Lächeln umſpielte die herben Züge —
itzt erhob ſich die herrliche Geſtalt, ſie ſchritt Ekkehard entgegen: Will-
kommen in Hadwig's Burgfrieden! Er wußte kaum wie ihm geſchah
und wollte in's Knie ſinken, huldreich hob ſie ihn empor und winkte
dem Kämmerer Spazzo, der warf ſeinen grauen Reitermantel ab, ging
auf Ekkehard zu und umarmte ihn wie einen alten Freund: Im
Namen unſerer Gebieterin, empfahet den Friedenskuß!


Flüchtig zuckte in Ekkehard der Gedanke: ſoll hier ein Spiel mit
mir geſpielt werden? aber die Herzogin rief ſcherzend:


Ihr ſeid mit gleicher Münze bezahlt. Habt Ihr vor drei Tagen
die Herzogin in Schwaben nicht anders als getragen über des heiligen
Gallus Schwelle kommen laſſen, ſo war's billig, daß auch ſie den
Mann von Sanct Gallen in ihr Schloß tragen ließ.


Und Herr Spazzo ſchüttelte ihm nochmals die Hand und ſprach:
Nichts für ungut, es war ſtrenger Befehl ſo! — Er hatte erſt den
Ueberfall befehligt und wirkte itzt zum herzlichen Empfang, beides mit
gleich unveränderter gewichtiger Miene, denn ein Kämmerer muß ge-
wandt ſein und auch das Widerſprechende in Form zu bringen wiſſen.


Ekkehard lächelte: Für einen Scherz, ſagte er, habt Ihr's recht
ernſthaft ausgeführt. Er gedachte dabei insbeſondere, wie ihm Einer
der Reitersmänner, da ſie ihn in die Sänfte warfen, mit erzbeſchla-
genem Lanzenſchaft einen ſchweren Stoß in die Seite verſetzt. Das
ſtand freilich nicht in der Herzogin Befehl, aber der Reitknecht war
ſchon unter Luitfried des Kammerboten Neffen dabei geweſen, wie ſie
den Biſchof Salomo einſtmals niederwarfen, und hatte ſich von dazu-
mal die irrige Meinung eingeprägt, bei Niederwerfung geiſtlicher Herren
gehöre ein feſter Fauſtſchlag, Stoß oder Fußtritt unumgänglich zum
Landbrauch.114)


Jetzt führte Frau Hadwig ihren Gaſt an der Hand durch den
Schloßhof, und wies ihm ihre luftige Behauſung und die ſtolze Fern-
ſicht nach Bodenſee und Alpenkuppen, und der Burg Leute baten um
ſeinen Segen — auch die Reitknechte kamen und die Träger der Sänfte,
und er ſegnete ſie Alle.


Dann geleitete ihn die Herzogin bis an den Eingang. Ein Bad
war ihm zurecht gemacht115) und friſche Gewandung bereitet; ſie hieß
[78] ihn ſich pflegen und ausruhen und Ekkehard war fröhlich und guter
Dinge nach leicht erſtandener Gefahr ...


In der Nacht, die jenem Tage folgte, trug ſich's im Kloſter
Sanct Gallen zu, daß Romeias der Wächter ohn' allen Anlaß von
ſeiner Matte auffuhr und grimmig in ſein Horn ſtieß, ſo daß die
Hunde im Kloſterhof anſchlugen und Alles wach wurde und zuſammen-
lief — und war doch weit und breit Niemand, der Einlaß begehrte.
Der Abt ſchrieb's auf Rechnung böſer Geiſter, ließ aber zugleich des
Romeias Vespertrunk ſechs Tage lang auf die Hälfte herabſetzen, —
eine Maßregel, die jedoch auf Vorausſetzung eines gänzlich unrichtigen
Grundes beruhte.



Siebentes Kapitel.
Virgilius auf dem hohen Twiel.



Wenn Einer ſeine Ueberſiedelung an neuen Wohnſitz glücklich be-
werkſtelligt hat, dann iſt's ein anmuthig und reizend Geſchäft, ſich
wohnlich einzurichten.


Iſt auch gar nicht ſo gleichgiltig, in was Stube und Umgebung
Einer haust, und weſſen Fenſter auf die Heerſtraße zielen, wo die
Laſtwagen fahren und die Steine geklopft werden, bei dem halten
ſicherlich mehr graue und verſtäubte als buntfarbige Gedanken Einkehr.


Darüber hatte ſich nun Ekkehard keine Sorgen zu machen, denn
die Herzogsburg auf dem Twiel lag luftig und hoch und einſam, —
aber ganz zufrieden war er auch nicht, als ihm Frau Hadwig Tags
nach ſeiner Ankunft ſeinen Wohnſitz anwies.


Es war ein groß luftig Gemach mit ſäulendurchtheiltem Rund-
bogenfenſter, aber an demſelben Gang gelegen, an den auch der Her-
zogin Saal und Zimmer ſtießen. Der Eindruck, den Einer aus ab-
[79] geſchiedener Kloſterzelle mitnimmt, läßt ſich nicht über Nacht ver-
wiſchen. Und Ekkehard gedachte, wie er oftmals möge von ſeiner
Betrachtung abgezogen werden, wenn geharniſchter Fußtritt und Sporen-
klang oder leiſes Huſchen dienender Mägde an ſeiner Thür vorüber-
ſtreife oder wenn er ſie ſelber, die Herrin der Burg, möge einher
gehen hören — unbefangen wandte er ſich an Frau Hadwig: Ich hab
ein Anliegen, hohe Frau!


Redet, ſagte ſie mild.


Möchtet Ihr mir nicht zu fothanem Gelaß ein fern gelegen Stüb-
lein zu weiſen, — und wenn's unterm Dach oder in einem der Wart-
thürme wäre. Der Wiſſenſchaft wie des Gebetes Pflege heiſcht ein-
ſame Stille, Ihr kennet ja des Kloſters Brauch.


Da legte ſich eine leiſe Falte über Frau Hadwig's Stirn, eine
Wolke war's nicht, aber ein Wölklein. Ihr ſehnet Euch danach, oft-
mals allein zu ſein, frug ſie ſpöttiſch. Warum ſeid Ihr nicht in
Sanct Gallen geblieben?


Ekkehard neigte ſich und ſchwieg.


Halt an, rief Frau Hadwig, es ſoll Euch geholfen werden. Seht
Euch das Gelaß an, in dem Vincentius, unſer Capellan, bis an ſein
ſelig End gehaust hat, der hat auch ſo einen Raubvogelgeſchmack ge-
habt und war lieber der höchſte auf Twiel als der bequemſte. Praxe-
dis, hol' den großen Schlüſſelbund und geleite unſern Gaſt.


Praxedis that nach dem Gebot. Das Gemach des ſeligen Capel-
lans war hoch oben im viereckigen Hauptthurm der Burg, langſam
ſtieg ſie mit Ekkehard die finſtere Wendeltreppe hinauf, der Schlüſſel
knarrte ſchwer im lang nicht gedrehten Schloß. Sie traten ein. Da
ſah's gut aus.


Wo ein gelehrter Mann gehaust, braucht's ein Stück Zeit, um
ſeine Spuren zu verwiſchen. Es war ein mäßiger Geviertraum, weiße
Wände, wenig Hausrath, Staub und Spinnweb allenthalb; auf dem
Eichentiſch ſtand ein Büchslein mit Schreibſaft, längſt war's einge-
trocknet, im Winkel ein Krug, drin vielleicht einſt Wein gefunkelt, auf
einem Brett der Wandniſche glänzten einige Bücher, aufgeſchlagene
Pergamentrollen lagen dabei, aber, o Leidweſen! der Sturm hatte das
Fenſterlein zerſchlagen, der Paß in Vincentius Stube war ſeit ſeinem
Tod für Sonne und Regen, Mücken und Vögel frei geworden; eine
[80] Schaar Tauben war eingezogen, in ungeſtörter Beſitzergreifung hatten
ſie ſich zwiſchen der Bücherweisheit angeſiedelt, auf den Briefen des
heiligen Paulus und auf Julius Caeſar's galliſchem Krieg niſteten ſie
und ſchauten verwundert den Eingetretenen entgegen.


Der Thür gegenüber war mit Kohle ein Sprüchlein an die Wand
geſchrieben: „Martha, Martha, du machſt dir um Vielerlei Sorge
und Unruh!“ las Ekkehard; ſoll das des Verſtorbenen letzter Wille
ſein? frug er ſeine liebliche Wegweiſerin.


Praxedis lachte: 'S war gar ein behaglicher Herr, ſprach ſie, der
Herr Vincentius ſelig. Ruhe iſt mehr werth als ein Talent Silbers,116)
hat er oft geſagt. Die Frau Herzogin aber hat ihm arg zugeſetzt,
immer gefragt und was Anderes gefragt: heut von den Sternen am
Himmel, morgen von Arzneikraut und Heilmitteln, übermorgen aus
der heiligen Schrift und Ueberlieferung der Kirche — wozu habt Ihr
ſtudirt, wenn Ihr keinen Beſcheid wiſſet? dräute ſie, und Herr Vin-
centius hat einen ſchweren Stand gehabt —


Praxedis deutete ſchalkhaft mit dem Zeigefinger nach der Stirn —


Mitten im Land Aſia, hat er meiſtens erwiedert, liegt ein ſchwarzer
Marmelſtein, wer den aufhebt, der weiß Alles und braucht nicht mehr
zu fragen ... Er war aus Baiernland, der Herr Vincentius, den
Bibelſpruch hat er wohl zu ſeinem Troſt hingeſchrieben.


Pflegt die Herzogin ſo Viel zu fragen? ſprach Ekkehard zerſtreut.


Ihr werdet's wahrnehmen, ſagte Praxedis.


Ekkehard muſterte die zurückgebliebenen Bücher. Es thut mir leid
um die Tauben, die werden abziehen müſſen.


Warum?


Sie haben das ganze erſte Buch des galliſchen Kriegs verdorben
und der Brief an die Corinther iſt mit untilgbaren Flecken belaſtet ..


Iſt das ein großer Schaden? frug Praxedis.


Ein ſehr großer!


O ihr arme böſe Tauben, ſcherzte die Griechin, kommt her zu
mir, eh' der fromme Mann euch hinausjagt unter die Häher und
Falken.


Und ſie lockte den Vögeln, die unbefangen in der Bücherniſche
verblieben waren, und wie ſie nicht kamen, warf ſie einen weißen Woll-
knäul auf den Tiſch, da flog der Tauber herüber, vermeinend es ſei
[81] eine neue Taube angekommen, und ging dem Knäul mit gemeſſenen
Schritten entgegen, zwei vor und einen zurück, und verbeugte ſich und
grüßte mit langgezogenem Gurren. Praxedis aber nahm den Knäuel
an ſich, da flog ihr der Vogel auf den Kopf.


Da hub ſie leiſe an, eine griechiſche Singweiſe zu ſummen; es
war das Lied des alten, ewig jungen Sängers von Tejos: *)


Ei ſieh, du holdes Täubchen,

Wo kommſt du hergeflogen?

Woher die Salbendüfte,

Die du, die Luft durchwandelnd,

Aushauchſt und niederträufelſt?

Wer biſt du? was beliebt dir?

Ekkehard horchte hoch auf und warf einen ſchier erſchrockenen Blick
von dem Codex, den er durchblätterte, herüber; wäre ſein Aug' für
natürliche Anmuth geübter geweſen, ſo hätt' es wohl länger auf der
Griechin haften dürfen. Der Tauber war ihr auf die Hand gehüpft,
ſie hielt ihn mit gebogenem Arm in die Höhe — Anacreon's alter
Landsmann, der dereinſt den pariſchen Marmorblock zur Venus von
Knidos umſchuf, hätte das Bild dauernd ſeinem Gedächtniß eingeprägt.


Was ſingt Ihr? fragte Ekkehard. Das klingt ja wie fremde
Sprache.


Warum ſoll's nicht ſo klingen?


Griechiſch?!


Warum ſoll ich nicht griechiſch ſingen? gab ihm Praxedis ſchnip-
piſch zurück.


Bei der Leier des Homerus, ſprach Ekkehard verwundert, wo in
aller Welt habt Ihr das erlernet, unſerer Gelehrſamkeit höchſtes Ziel?


Zu Hauſe!.. ſagte Praxedis gelaſſen und ließ die Taube zurück-
fliegen.


Da ſchaute Ekkehard noch einmal in ſcheuer Hochachtung herüber.
Bei Ariſtoteles und Plato war's ihm ſeither kaum eingefallen, daß
D. B.VII. Scheffel, Ekkehard. 6
[82] auch zur Zeit noch lebende Menſchen griechiſcher Zunge auf der Welt
ſeien. Wie eine Ahnung zog's durch ſeinen Sinn, daß hier Etwas
verkörpert vor ihm ſtehe, das ihm trotz aller geiſtlichen und weltlichen
Weisheit fremd, unerreichbar ...


Ich glaubte als Lehrer gen Twiel zu kommen, ſprach er weh-
müthig, und finde meine Meiſter. Wollt Ihr von Eurer Mutterſprache
mir nicht auch dann und wann ein Körnlein zuwenden?


Wenn Ihr die Tauben nicht aus der Stube verjagt, ſprach Pra-
xedis. Ihr könnt ja ein Drahtgitterlein vor die Niſche ziehen, wenn
ſie Euch ums Haupt fliegen wollen.


Um eines reinen Griechiſch willen .... wollte Ekkehard erwiedern,
aber die Thüre der engen Klauſe war aufgegangen. —


Was wird hier von Tauben und reinem Griechiſch verhandelt?
klang Frau Hadwig's ſcharfe Stimme. Braucht man ſo viel Zeit, um
dieſe vier Wände anzuſchauen? Nun, Herr Ekkehard, taugt Euch die
Höhle?


Er nickte bejahend.


Dann ſoll ſie geſäubert und in Stand geſetzt werden, fuhr Frau
Hadwig fort. Auf, Praxedis, die Hände gerührt und vor Allem das
Taubenvolk verjagt!


Ekkehard wollte es wagen, ein Wort für die Tauben einzulegen.


Ei ſo, ſprach Frau Hadwig, Ihr wünſchet allein zu ſein und
Tauben zu hegen. Soll man Euch nicht auch eine Laute an die
Wand hängen, und Roſenblätter in Wein ſtreuen? Gut, wir wollen
ſie nicht verjagen; aber heute Abend ſollen ſie gebraten unſern Tiſch
zieren.


Praxedis that als habe ſie Nichts gehört.


Wie war's mit dem reinen Griechiſch? frug nun die Herzogin.
Unbefangen erzählte ihr Ekkehard, um was er die Griechin ange-
gangen, da zogen die Stirnfalten wieder bei Frau Hadwig auf:
Wenn Ihr ſo wißbegierig ſeid, ſo mögt Ihr mich fragen, ſagte ſie,
auch mir iſt die Sprache geläufig. Ekkehard ſprach Nichts dagegen.
In ihrer Rede lag meiſtens eine Schärfe, die das Wort der Er-
wiederung im Munde abſchnitt. —


Die Herzogin war ſtreng und genau in Allem. Schon in den
erſten Tagen nach Ekkehard's Ankunft entwarf ſie einen Plan, in
[83] welcher Art ſie zu Erlernung der lateiniſchen Sprache vorſchreiten
wolle. Da fanden ſie es am beſten, eine Stunde des Tages der löb-
lichen Grammatik zu beſtimmen, eine zweite der Leſung des Virgilius.
Auf letztere freute ſich Ekkehard ſehr, er gedachte ſich zuſammen zu
faſſen und mit Aufbietung von Wiſſen, Schärfe und Feinheit der
Herzogin die Pfade des Verſtändniſſes zu ebnen.


Es iſt doch kein unnütz Werk, ſprach er, was die alten Poeten gethan;
wie mühſam wäre es eine Sprache zu erlernen, wenn ſie uns nur im
Wörterbuch überliefert wäre, wie die Getreidekörner in einem Sack,
und wir die Mühe hätten, Mehl daraus zu mahlen und Brod daraus
zu backen ... Der Poet aber ſtellt Alles wohlgefügt an ſeinen Platz,
da iſt ſein erſonnener Plan und Inhalt und die Form klingt lieblich
drein wie Saitenſpiel; woran wir uns ſonſt die Zähne auszubeißen
hätten, das ſchlürfen wir aus Dichters Hand wie Honigſeim und es
ſchmeckt ſüße.


Das Herbe der Grammatik zu lindern, wußte Ekkehard keinen
Ausweg. Für jeden Tag ſchrieb er der Herzogin die Aufgabe auf
ein Pergamentblatt, ſie war des Lernens begierig und wenn die Früh-
ſonne über dem Bodenſee aufſtieg und ihre erſten Strahlen auf den
hohen Twiel warf, ſtund ſie ſchon in des Fenſters Wölbung und
lernte was ihr vorgeſchrieben war, leiſe und laut, bis zu Ekkehard's
Saal klang einſt ihr einförmig Herſagen: amo,amas, amat, amamus...


Praxedis aber hatte ſchwere Stunden. Sich zur Anregung, aber
ihr zu nicht geringer Langeweile, befahl ihr Frau Hadwig jeweils
das gleiche Stück Grammatik zu lernen. Kaum Schülerin, freute es
ſie, mit dem was ſie erlernt ihre Dienerin zu meiſtern, und nie war
ſie zufriedener, als wenn Praxedis ein Hauptwort für ein Beiwort
anſah, oder ein unregelmäßig Zeitwort regelmäßig abwandelte.


Des Abends kam die Herzogin hinüber in Ekkehard's Gemach.
Da mußte Alles bereit ſein zur Leſung des Virgil, Praxedis kam mit
ihr, und da in Vincentius nachgelaſſenen Büchern ein lateiniſch Wör-
terbuch nicht vorhanden war, ward ſie mit Anfertigung eines ſolchen
beauftragt, denn ſie hatte in jungen Tagen des Schreibens Kunſt
erlernt. Frau Hadwig war deſſen minder erfahren: Wozu wären
die geiſtlichen Männer, ſprach ſie, wenn ein jeder die Kunſt verſtünde,
die ihrem Stand zukommt? ſchmieden ſollen die Schmiede, fechten die
6*
[84] Krieger und ſchreiben die Schreiber, und ſoll kein Durcheinander ent-
ſtehen. Doch hatte Frau Hadwig ſich wohlgeübt, ihren Namenszug
in künſtlich verſchlungenen großen Buchſtaben den ſiegelbehangenen
Urkunden als Herrin des Landes beizufügen.


Praxedis zertheilte eine Pergamentrolle in kleine Blätter, zog auf
jedes Blatt zwei Striche, alſo daß drei Abtheilungen geſchaffen wurden,
um nach Ekkehard's Vortrag jedes lateiniſche Wort einzutragen, daneben
das deutſche, in die dritte Reihe das entſprechende griechiſch. Letzteres
war der Herzogin Anordnung, ihm zu beweiſen, daß die Frauen auch
ohne ſeine Beihülfe ſchon löbliche Kenntniß erworben.


So begann der Unterricht.117)


Die Thüre von Ekkehard's Gemach nach dem Gang hin hatte Pra-
xedis weit aufgeſperrt. Er ging hin und wollte ſie zulehnen, die
Herzogin aber hielt ihn zurück: Kennet Ihr die Welt noch nicht?


Ekkehard wußte nicht, was das heißen ſolle.


Jetzt las er ihnen das erſte Buch von Virgilius Heldendichtung.
Aeneas der Troer hub ſich vor ihren Augen, wie ihn ſiebenjährige
Irrfahrt umhergeſchleudert auf dem Tyrrhener Meer und wie es ſo
unſäglicher Mühſal gekoſtet, des römiſchen Volkes Gründer zu werden.
Es kam der Zorn der Juno, wie ſie an Aeolus bittweiſe ſich wendet,
und dem Gebietiger von Wind und Sturm die ſchönſte ihrer Nym-
phen verſpricht, wenn er der Troer Schiffe verderben wolle — Ge-
witter, Sturm, Schiffbruch, Zerſchellen der Kiele, ringsum ſchwimmen
umher ſparſam in unendlicher Meeresfluth Waffen des Kriegs und
Gebälk und Troiſcher Prunk durch die Brandung. Und der Wogen
Gemurr dringt zu Neptunus hinunter, tief in Grund, er kommt
empor geſtiegen und ſchaut die Verwirrung, des Aeolus Winde jagt
er mit Schimpf und Schande nach Hauſe, wie der Aufruhr beim
Wort des verdienten Mannes legt ſich das Toben der Wäſſer, an
Libyens Küſte landet der Schiffe Reſt ...


Soweit hatte Ekkehard geleſen und erklärt. Seine Stimme war
voll und tönend und klang ein wohlthuend Gefühl inneren Verſtänd-
niſſes durch. Es war ſpät geworden, die Lampe flackerte, da hob
Frau Hadwig den Vortrag auf.


Wie gefällt meiner Herrin des heidniſchen Poeten Erzählung?
frug Ekkehard.


[85]

Ich will's Euch morgen ſagen, ſprach ſie. Sie hätte es auch
ſchon heute ſagen können, denn feſt und beſtimmt ſtand der Eindruck
des Geleſenen ihrem Gemüthe eingeprägt, ſie that's aber nicht, um
ihn nicht zu kränken. Laſſet Euch was Gutes träumen, rief ſie dem
Weggehenden nach.


Ekkehard aber ging noch hinauf in des Vincentius Thurmſtube.
Die war ſauber hergerichtet, die letzte Spur vom Niſten der Tauben
getilgt; er wollte ſich ſammeln zu ſtiller Betrachtung, wie ehmals im
Kloſter, aber ſein Haupt war heiß, vor ſeiner Seele ſtand die hohe
Geſtalt der Herzogin, und wenn er ſie recht in's Auge faßte, ſo
ſchaute auch Praxedis ſchwarzäugig Köpflein über ihrer Herrin Schul-
tern zu ihm herüber — was aus All dem noch werden ſoll? Er
trat an's Fenſter, eine kühle Herbſtluft wehte ihm entgegen, ein dunk-
ler, eherner unendlicher Himmel ſpannte ſich über das ſchweigende
Land, die Sterne funkelten, nah, fern, licht, matt; ſo groß hatte er
das Himmelsgewölbe noch niemals erſchaut — auf Bergesgipfeln än-
dert ſich das Maaß der Dinge — lang ſtand er ſo, da ward's ihm
unheimlich, als wollten ihn die Geſtirne hinaufziehen zu ſich, als ſollt'
er leicht und geflügelt der Stube entſchweben ... er ſchloß das Fenſter,
bekreuzte ſich und ging ſchlafen.


Des andern Tages kam Frau Hadwig mit Praxedis, der Gram-
matik zu pflegen. Sie hatte Wörter gelernt und Declinationen und
wußte ihre Aufgabe. Aber ſie ſchien zerſtreut.


Habt Ihr Etwas geträumt? frug ſie den Lehrer, wie die Stunde
abgelaufen war.


Nein.


Geſtern auch nicht?


Nein.


Iſt Schade. Es ſoll eine Vorbedeutung in dem liegen, was Einer
in den erſten Tagen am neuen Wohnort träumt ... Höret, fuhr ſie
nach einer Pauſe fort, ſeid Ihr nicht ein recht ungeſchickter Menſch?


Ich? fuhr Ekkehard betroffen auf.


Ihr geht mit Dichtern um, warum habt Ihr nicht e[i]nen anmu-
thigen Traum erſonnen und mir erzählt; Dichtung iſt ſo viel wie
Traum, es hätt' mir Freude gemacht.


[86]

Ihr befehlet, ſprach Ekkehard, ſo Ihr mich wieder fraget, will ich
einen Traum erzählen, auch wenn ich ihn nicht geträumt habe.


Solcherlei Geſpräch war für Ekkehard neu, unklar.


Ihr habt mir Eure Anſicht vom Virgilius geſtern vorenthalten,
ſprach er.


Ja ſo, ſprach Frau Hadwig. Höret, wenn ich Herrin im Römer-
land geweſen, ich weiß nicht, ob ich nicht die Geſänge verbrannt und
den Mann für immer ſchweigen geheißen hätte ...


Ekkehard fuhr ſie ſtarr verwundert an.


Es iſt mein Ernſt! fuhr ſie fort. Wißt Ihr, warum? — weil er
die Götter ſeines Landes ſchlecht macht. Ich hab' gute Acht gehabt,
wie Ihr der Juno Reden geſtern vortruget. Des Herrn aller Götter
Ehfrau — und trägt eine Wunde im Gemüth, daß ein troiſcher
Hirtenknab' ſie nicht für die Schönſte erklärt, und iſt nicht im Stande,
aus eigener Macht einen Sturm zu befehlen, daß die paar Schifflein
zertrümmert werden, und muß den Aeolus durch Antragung einer
Nymphe verführen .... und Neptun will Herrſcher der Meere ſein
und läßt ſich von fremdem Gewind Sturm und Wetter in ſein Reich
blaſen und merkt's erſt, wie es faſt vorbei iſt — was iſt All' das
für ein Weſen? Als Herzogin ſag' ich Euch, in dem Reich, deſſen
Götter geſcholten werden, möcht' ich den Scepter nicht führen.


Ekkehard ſchien um eine Antwort verlegen. Was das Alterthum
an Schriftwerk überliefert, ſtand ihm da als ein Feſtes, Unerſchütter-
liches, wie altes Gebirg; er war zufrieden, ſich in Bedeutung und
Verſtändniß einzuarbeiten, — nun ſolche Zweifel!


Erlaubet, Herrin, ſprach er, wir haben noch nicht weit geleſen,
es ſteht zu hoffen, daß Euch die Menſchen der Aeneϊs beſſer gefallen.
Wollet auch bedenken, daß zur Zeit, wo Auguſtus der Kaiſer ſeine
Unterthanen aufzeichnen ließ, das Licht der Welt zu Bethlehem zu
leuchten anhub; es geht die Sage, daß auch auf Virgilius ein Strahl
davon gefallen, da mochten ihm die alten Götter nicht mehr groß
ſein ....


Frau Hadwig hatte geſprochen nach dem erſten Eindruck. Mit dem
Lehrer ſtreiten mochte ſie nicht.


Praxedis, ſprach ſie ſcherzend, was iſt deine Meinung?


[87]

Mein Denken geht nicht ſo hoch, ſprach die Griechin. Mir kam
Alles ſo natürlich vor, drum war mir's lieb. Und am beſten hat
mir gefallen, wie die Frau Juno ihrer Nymphe den Aeolus zum
Ehegemahl verſchafft; wenn er auch ein wenig alt iſt, ſo iſt er doch
ein König der Winde, und ſie iſt gewißlich gut bei ihm verſorgt
geweſen ...


Gewiß! — ſprach Frau Hadwig und winkte ihr, zu ſchweigen.
Nun wiſſen wir doch auch, wie Kammerfrauen den Virgilius leſen.


Ekkehard war durch der Herzogin Widerſpruch zu größerem Eifer
gereizt. Mit Begeiſterung las er am Abend des Weiteren, wie der
fromme Aeneas auf Erſpähung des lybiſchen Landes auszog und ihm
ſeine Mutter Venus entgegentritt, in Gewand und Waffen einer
Sparterjungfrau, den leichten Bogen um die Schulter, den wallenden
Buſen kaum in des aufgeſchürzten Gewandes Knüpfung verborgen —
und wie ſie des Sohnes Schritt der tyriſchen Fürſtin entgegenlenkt.
Und weiter las er, wie Aeneas zu ſpät die göttliche Mutter erkannte —
vergebens ruft er ihr nach, ſie aber hüllt ihn in Nebel, daß er uner-
kannt zur neuen Stadt gelange ... wo die Tyrerin zu Juno's Ehren
den mächtigen Tempel gründet, ſteht er und ſchaut, von Künſtlerhand
gemalt, die Schlachten vor Troia; am leeren Abbild vergangener
Kampfarbeit weidet ſich ſeine Seele.


Jetzt naht ſie ſelber, Dido, die Herrin des Landes, antreibend
das Werk und die künftige Herrſchaft.


Und an der Pforte der Göttin, bedeckt vom Gewölbe des Tempels,

Saß ſie, mit Waffen umſchaart, auf des Throns hochragendem Seſſel,

Urtheil ſprach ſie den Männern und Recht, und die Mühen der Arbeit

Theilte ſie Jeglichem gleich nach Billigkeit ...

Leſet mir das nochmals, ſprach die Herzogin. Ekkehard wieder-
holte es.


Steht's ſo geſchrieben? frug ſie. Ich hätte nichts eingewendet,
wenn Ihr's ſelber ſo eingeſchaltet hättet. Glaubt' ich doch ſchier ein
Abbild eigener Herrſchaftführung zu hören ... Mit den Menſchen
Eures Dichter's bin ich wohl zufrieden.


Es wird wohl leichter ſein, ſie abzuzeichnen, als die Götter, ſprach
Ekkehard. Es gibt ſo viel Menſchen auf der Welt ...


[88]

Sie winkte ihm, fortzufahren. Da las er, wie des Aeneas Ge-
fährten herankamen, der Königin gaſtlichen Schutz anflehend, und wie
ſie ihres Führers Ruhm künden, der, von der Wolke verhüllt,
nahe ſtand.


Und Dido öffnet ihre Stadt den Hilfeſuchenden, und der Wunſch
ſteigt in ihr auf: Wäre doch ſelbſt der König, vom ſelbigen Sturme
gedränget, euer Aeneas allhier! alſo daß ſehnendes Verlangen den
Helden treibt, die Wolke zu durchbrechen ...


Doch wie Ekkehard begonnen hatte:


Kaum war ſolches geſagt, als ſchuell des umwallenden Nebels

Hülle zerreißt ....

da kam ein ſchwerer Tritt den Gang herauf: Herr Spazzo der Käm-
merer trat ein, er wollte die neuen Studien ſeiner Gebieterin beaugen-
ſcheinigen — bei'm Wein mochte er auch geſeſſen haben: ſein Aug'
war ſtarr, der Gruß erſtarb ihm auf den Lippen. Es war nicht ſeine
Schuld. Schon in der Frühe hatte er ein Brennen und Zucken in
der Naſe verſpürt, und das bedeutet ſonder Widerrede einen trunkenen
Abend.


Bleibet ſtehen! rief die Herzogin, und Ihr, Ekkehard, leſet weiter.


Er las, ernſt, mit Ausdruck:


Siehe, da ſtand Aeneas und ſtrahlt in der Helle des Tages,

Hehr an Schulter und Haupt, wie ein Gott, denn die himmliſche Mutter

Hatt' anmuthige Locken dem Sohn und blühender Jugend

Purpurlicht und heitere Würd' in die Augen geathmet:

So wie das Elfenbein durch Kunſt ſich verſchönet, wie Silber

Prangt und pariſcher Stein in des röthlichen Goldes Umrandung.

Drauf zur Königin wandt' er das Wort und Allen ein Wunder

Redet er plötzlich und ſprach: Hier ſchauet mich, welchen Ihr ſuchet,

Mich den Troer Aeneas, gerettet aus lybiſcher Woge.

Herr Spazzo ſtand verwirrt. Um Praxedis Lippen ſchwebte ein
verhaltenes Kichern.


Wenn Euch der Weg wieder herführt, rief die Herzogin, ſo wählet
eine ſchicklichere Stelle zum Eintritt, daß wir nicht verſucht werden,
zu glauben, Ihr ſeid Aeneas der Troer, gerettet aus lybiſcher
Woge.


[89]

Herr Spazzo trat ſeinen Rückzug an: Aeneas der Troer! mur-
melte er im Gang; hat wieder einmal ein rheinfränkiſcher Landfahrer
ſich einen erlogenen Stammbaum gemacht? Troja?! — umwallender
Nebel?... Aeneas der Troer, wir werden eine Lanze brechen, wenn
wir uns treffen! Mord und Brand!



Achtes Kapitel.
Audifax.



In jener Zeit lebte auf dem Hohentwiel ein Knabe, der hieß Au-
difax. Er war eigener Leute Kind, Vater und Mutter waren ihm
weggeſtorben, da war er wild aufgewachſen, und die Leute hatten ſein
nicht viel Acht, er gehörte zur Burg wie die Hauswurz, die auf dem
Dach wächst, und der Epheu, der ſich um die Mauern ſchlingt. Man
hatte ihm aber die Ziegen zu hüten angewieſen. Die trieb er auch
getreulich hinaus und herein, und war ſchweigſam und ſcheu. Er
hatte ein blaß Geſicht und kurzgeſchnitten blondes Haupthaar, denn
nur der Freigeborene durfte ſich mit wallenden Locken ſchmücken.118)


Im Frühjahr, wenn neuer Schuß und Trieb in Baum und Strauch
waltete, ſaß Audifax vergnüglich draußen und ſchnitt Sackpfeifen aus
dem jungen Holz und blies darauf; es war ein einſam ſchwermüthi-
ges Getön, und Frau Hadwig war einmal ſchier eines Mittags Länge
oben auf dem Söller geſtanden, und hatte ihm gelauſcht, vielleicht daß
ihre Stimmung der Melodie der Sackpfeife entſprach — und wie
Audifax des Abends ſeine Ziegen eintrieb, ſprach ſie zu ihm: heiſche
dir eine Gnade. Da bat er um ein Glöcklein für eine ſeiner Ziegen, die
hieß Schwarzfuß. Der Schwarzfuß bekam das Glöcklein, ſeither war
in Audifax Leben Nichts von Belang vorgefallen. Aber er ward zu-
ſehends ſcheuer, im letzten Frühjahr hatte er auch ſein Pfeifenblaſen
eingeſtellt.


[90]

Jetzt war ein ſonniger Spätherbſttag, da trieb er ſeine Ziegen an
den felſigen Hang des Berges und ſaß auf einem Steinblock und
ſchaute hinaus in's Land; hinter dunkelm Tannenwald leuchtete der
Bo[d]enſee, vorn war Alles herbſtlich gefärbt — dürres rothes Laub
trieb im Winde. Audifax aber ſaß und weinte bitterlich.


Damals hütete, was an Gänſen und Enten zum Hofe der Burg
gehörte, ein Mägdlein, deß Name war Hadumoth, die war einer alten
Magd Tochter und hatte ihren Vater nie geſehen. Es war Hadu-
moth ein braves Kind, rothwangig, blauäugig, und ließ das Haar in
zwei Zöpfe geflochten vom Haupt herunterfallen. Ihre Gänſe hielt
ſie in Zucht und guter Ordnung, ſie reckten Manchem den langen
Hals entgegen und ſchnatterten wie thörichte Weiber, aber der Hirtin
trotzte keine, wenn ſie ihren Stab ſchwang, gingen ſie züchtig und ſitt-
ſam einher und enthielten ſich jeglichen Lärmens. Oft weideten ſie
vermiſcht zwiſchen den Ziegen des Audifax, denn Hadumoth hatte den
kurzgeſchorenen Ziegenhirten nicht ungern und ſaß oft bei ihm und
ſchaute mit ihm in die blaue Luft hinaus — und die Thiere merkten,
wie ihre Hüter zuſammen ſtanden, da hielten auch ſie Freundſchaft
miteinand. Jetzt trieb Hadumoth ihre Gänſe auf die Berghalde her-
unter, und da ſie der Ziegen Glöcklein drüben läuten hörte, ſah ſie
ſich nach dem Hirten um. Und ſie erſchaute ihn, wie er weinte, und
ging hinüber, ſetzte ſich zu ihm und ſprach: Audifax, warum weinſt
du? Der gab keine Antwort. Da legte Hadumoth ihren Arm um
ſeine Schulter, wendete ſein lockenloſes Haupt zu ſich herüber und
ſprach betrübt: Audifax, wenn du weinſt, ſo will ich mit dir weinen.


Audifax aber ſuchte ſeine Thränen zu trockenen: Du brauchſt nicht
zu weinen, ſagte er, ich muß. Es iſt Etwas in mir, daß ich wei-
nen muß.


Was iſt in dir, daß du weinen mußt? frug ſie. Da nahm er
einen der Steine, wie ſie von den twieler Felswänden abgelöst da-
lagen, und warf ihn auf die anderen Steine. Der Stein war dünn
und gab einen Klang.


Haſt du's gehört?


Ich hab's gehört, ſagte Hadumoth, es klingt wie immer.


Haſt du den Klang auch verſtanden?


Nein.


[91]

Ich aber verſteh ihn, und darum muß ich weinen, ſprach Audifax.
Es iſt ſchon viele Wochen her, da bin ich drüben geſeſſen auf dem
Felſen im Thale, da iſt's zuerſt in mich gezogen, ich kann nicht ſagen
wie, aber es muß aus der Tiefe gekommen ſein, jetzt iſt mir's oft,
als wär' Aug und Ohr anders geworden, und in den Händen flim-
merts wie fliegende Funken; wenn ich über's Feld geh', ſo hör' ich's
unter meinen Füßen rieſeln, als flöſſe ein Quell unten, wenn ich am
Fels ſteh', ſo ſehe ich durch's Geſtein, da ziehen viel Arme und Adern
hinunter, und drunten hämmert's und pocht's, das müſſen die Zwerge
ſein, von denen der Großvater erzählt hat, und von ganz unten leuchtet
ein glührother Schein empor ... Hadumoth, ich muß einen großen
Schatz finden, und weil ich ihn nicht finden kann, drum weine ich.


Hadumoth ſchlug ein Kreuz. Dir iſt was angethan worden, ſprach
ſie. Du haſt nach Sonnenuntergang auf dem Boden geſchlafen, da
hat Einer der Unterirdiſchen Macht über dich bekommen ... Wart',
ich weiß dir was beſſeres als Weinen.


Sie ſprang den Berg hinauf, in Kurzem kam ſie wieder herab
und hatte ein Töpflein mit Waſſer und ein Stücklein Seife, das ihr
Praxedis einſt geſchenkt, und etliche Strohhalme. Und ſie ſchlug einen
hellen Schaum auf, nahm ſich einen Halm, gab dem Audifax einen
und ſprach: Laß uns mit Seifenblaſen ſpielen, wie ehedem. Weißt
du noch, wie wir beiſammen ſaßen und um die Wette geblaſen haben,
und zuletzt konnten wir's ſo ſchön, daß ſie groß und farbig über's
Thal flogen und glänzten wie ein Regenbogen, und 's war ſchier
zum weinen, wenn ſie platzten ...


Audifax hatte ſchweigend den Strohhalm genommen, duftig wie
Thautropfen hing der Seifenſchaum am Ende, er hielt ihn in die Luft
hinaus, die Sonne glänzte drauf.


Weißt du auch, Audifax, fuhr die Hirtin fort, was du einmal ge-
ſagt haſt, wie wir unſern Schaum verblaſen hatten und es war Abend
und Nacht worden, und die Sterne zogen am Himmel auf? Das ſind
auch Seifenblaſen, haſt du geſagt, der liebe Gott ſitzt auf einem hohen
Berge, der bläst ſie und kann's beſſer als wir ...


Das weiß ich nicht mehr, ſprach Audifax.


Er neigte ſein Haupt zur Bruſt herab und fing wiederum an zu
weinen. Wie muß ich's anfangen, daß ich den Schatz gewinne? klagte er.


[92]

Sei geſcheidt, ſprach Hadumoth, was wollteſt du auch mit dem Schatz
beginnen wenn er gewonnen iſt?


Dann kauf ich mich frei, ſprach er gelaſſen, und dich auch, und
der Frau Herzogin kauf ich ihr Herzogthum ab, und den ganzen
Berg mit Allem was drauf ſteht, und dir laß ich eine güldene Krone
machen und jeder Ziege ein gülden Glöcklein und mir eine Sackpfeife
von Ebenholz und lauterem Golde ...


Von lauterem Golde — ſcherzte Hadumoth, weißt du denn, wie
Gold ausſieht?


Da deutete Audifax mit dem Finger nach dem Mund: Kannſt du
ſchweigen? Sie nickte bejahend. Gib mir die Hand drauf. Sie gab
ihm die Hand. So will ich dir zeigen wie Gold ausſieht, ſprach
der Hirtenknabe, griff in ſeine Buſentaſche und zog ein Stücklein her-
vor, rund wie eine mäſſige Münze, aber gewölbt wie eine Schaale,
und waren etliche unverſtändliche verwiſchte Zeichen darauf, es gleißte
und glänzte, und war wirklich Gold. Hadumoth wog das Stück auf
dem Zeigefinger.


Das hab' ich auf dem Feld gefunden, weit da drüben, ſprach Au-
difax, nach dem Gewitter. Wenn der Regenbogen mit ſeinem Far-
benglanz ſich zu uns niederwölbt, dann kommen zwei Engel, wo ſeine
Enden ſich auf die Erde ſenken, halten ſie ihm ein gülden Schüſſelein
unter, daß er nicht auf dem verregneten rauhen Boden aufſtehen muß
— und wenn er ausgeglänzt hat, dann laſſen ſie die Schüſſelein im
Feld ſtehen, zweimal dürfen ſie's nicht brauchen, das würde der Re-
genbogen übel nehmen ... 119)


Hadumoth begann an den Beruf ihres Geſpielen zum Schatzfinden
zu glauben. Audifax, ſprach ſie, und gab ihm das Regenbogenſchüſſe-
lein zurück, das frommt dir Alles nichts. Wer einen Schatz finden
will, muß den Zauber wiſſen — in der Tiefe unten wird Alles gut
gehütet, ſie gebens nicht los, wenn ſie nicht niedergezwungen werden.


Ja, der Zauber, ſagte Audifax mit thränendem Aug' — wer ihn
wüßte ...


Haſt du den heiligen Mann ſchon geſehen? frug Hadumoth.


Nein.


Seit vier Tagen iſt der heilige Mann in der Burg, der weiß allen
Zauber. Ein großes Buch hat er mitgebracht, das liest er unſerer
[93] Herzogin vor, da ſteht Alles drin geſchrieben, wie man die in der
Luft zwingt, und die in der Erde, und die im Waſſer und Feuer,
die lange Friderun hat's den Knechten heimlich erzählt, die Herzogin
hab' ihn verſchrieben, daß das Herzogthum feſter werde und größer,
und daß ſie jung und ſchön bleibe und ewig zu leben komme ...


Ich will zum heiligen Mann gehen, ſprach Audifax.


Sie werden dich ſchlagen, warnte Hadumoth.


Sie werden mich nicht ſchlagen, ſagte er, ich weiß Etwas, das
biet ich ihm, wenn er mir den Zauber weist ...


Es war Abend worden. Die Kinder ſtanden von ihrem Steinſitz
auf — Ziegen und Gänſe wurden zuſammengerufen, wohlgeordnet
wie eine Heerſchaar zogen ſie den Burgweg hinauf und rückten in
ihren Ställen ein. —


Deſſelben Abends las Ekkehard der Herzogin den Schluß des erſten
Buchs der Aeneïde, den Herr Spazzo Tags zuvor unterbrochen: wie die
Sidonierin Dido erſtaunt bei des Helden Anblick ihn und die Seinen
unter ihr gaſtlich Dach einladet, und beifällig nickte Frau Hadwig zu
Dido's Worten:


Mich auch hat ein gleiches Geſchick durch mancherlei Trübſal

Umgeſchüttelt und endlich im Land hier ruhen geheißen;

Fremd nicht blieb ich dem Kummer und lernt Unglücklichen beiſteh'n.

Jetzt ſendet Aeneas den Achates zu den Schiffen, daß er's dem
Sohn Ascanius anſage, denn ganz auf Ascanius ruht die zärtliche
Sorge des Vaters. Frau Venus aber bewegt neue Liſt im Buſen,
in Didos Herz ſoll der Liebe Flamme entzündet werden, da entrückt
ſie den Ascanius weit in den Hain Idalia und wandelt den Gott
der Liebe in Ascanius Geſtalt, die Flügel legt er ab, an Schritt und
Gang ihm gleich, ſtellt er ſich mit den Troern in Carthago's Königs-
burg und eilt zur Königin hin —


mit den Augen an ihm, mit der Seele

Haftet ſie, oft auch im Schooß erwärmt ihn Dido und weiß nicht

Welch ein Gott ihr genaht, der Elenden! Er, ſich erinnernd

Dein, acidaliſche Mutter, vertilgt das Sichäus Gedächtniß

Allgemach und mit lebender Glut zu gewinnen verſucht er

Ihr längſt kühleres Herz, und der Seel' entwöhnete Regung.

[94]

Haltet ein, ſprach Frau Hadwig. Das iſt wieder recht ſchwach
ausgeſonnen.


Schwach? frug Ekkehard.


Was braucht's den Gott Amor ſelber, ſprach ſie. Könnt' es ſich
nicht ereignen, daß auch ohne Trug und Liſt und ſein Einſchreiten des
erſten Gemahls Gedächtniß in einer Wittib Herzen zurückgedrängt
würde?


Wenn der Gott ſelber das Unheil anſtiftet, ſprach Ekkehard, ſo iſt
Frau Dido entſchuldigt und ſo zu ſagen gerechtfertigt — das hat
wohl der Dichter andeuten wollen ... Ekkehard mochte glauben,
er habe eine feine Bemerkung gemacht. Frau Hadwig aber ſtand
auf: Das iſt etwas Anderes, ſprach ſie ſpitzig, ſie bedarf alſo einer
Entſchuldigung. An das habe ich nicht gedacht. Gut Nacht!


Stolz ging ſie durch den Saal, vorwurfsvoll rauſchte ihr langes
Gewand. Sonderbar, dachte Ekkehard, mit Frauen den theuern
Virgilius leſen, hat Schwierigkeit. Weiter gingen ſeine Gedanken
nicht ...


Andern Tages ſchritt er durch den Burghof, da trat Audifax der
Hirtenknabe zu ihm, hob das Ende ſeines Gewandes, küßte es, und
ſah fragend an ihm hinauf.


Was haſt du? frug Ekkehard.


Ich möcht' den Zauber haben, ſprach Audifax ſchüchtern.


Was für einen Zauber?


Den Schatz zu heben in der Tiefe.


Den möcht' ich auch haben, ſprach Ekkehard lachend.


O, Ihr habt ihn, heiliger Mann, ſprach der Knabe. Habet Ihr
nicht das große Buch, aus dem Ihr unſerer Herrin des Abends
vorleſet?


Ekkehard ſchaute ihn ſcharf an, er ward mißtrauiſch, und gedachte
der Art, wie er auf den hohen Twiel eingeführt worden. Hat dirs
Jemand eingegeben, fragte er, daß du ſo zu mir redeſt?


Ja!


Wer?


Da fing Audifax an zu zu weinen: Hadumoth! ſprach er. Ekke-
hard verſtand ihn nicht:


Wer iſt Hadumoth?


[95]

Die Ganshirtin, ſprach der Knabe ſchluchzend.


Du redeſt Thorheit, geh' deiner Wege ...


Aber Audifax ging nicht.


Ihr ſollt mir's nicht umſonſt geben, ſagte er, ich will Euch was
Schönes zeigen. Es müſſen viel Schätze im Berg ſein, ich weiß einen,
der iſt aber nicht der rechte. Ich möcht' den rechten finden.


Ekkehard ward aufmerkſam: Zeig' mir was du weißt? Audifax
deutete bergabwärts. Da ging Ekkehard mit ihm zum Burghof hinaus
und die Stufen des Burgwegs hinunter; auf des Berges Rückſeite, wo
der Blick zu des hohen Stoffeln tannigem Haupt hinüberſtreift und zum
hohen Höwen, bog Audifax vom Weg ab, ſie gingen durchs Gebüſch,
kahl in verwittertem Grau ſtrebte die Felswand vor ihnen zur Himmels-
bläue empor.


Audifax bog einen Strauch zurück und riß das Moos auf; in
dem grauen Klingſtein, der des Berges Kern iſt, ward eine gelbe
Ader ſichtbar; in eines Fingers Breite zog ſie durch's Geſtein. —
Audifax löste ein Stück ab, verſteinten Tropfen gleich ſaß der einge-
ſprengte Stoff in der Spalte, ſtrahlend, rundlich, goldgelb, und in
weißröthlicher Druſe hafteten Opalkryſtalle.


Prüfend ſah Ekkehard auf das abgelöste Stück. Der Stein war
ihm fremd. Edelſtein war's nicht; die gelehrten Männer haben ihn
ſpäter Natrolith getauft.


Seht Ihr, daß ich Etwas weiß, ſprach Audifax.


Was ſoll ich damit? fragte Ekkehard.


Das wißt Ihr beſſer als ich, Ihr könnt's ſchleifen laſſen und
Eure großen Bücher damit verzieren — gebt Ihr mir jetzt den Zauber?


Ekkehard mußte des Knaben lachen. Du ſollſt Bergknappe werden,
ſprach er und wollte gehen.


Aber Audifax hielt ihn am Gewand.


Ihr müßt mich jetzt aus Eurem Buch lehren!


Was?


Den ſtärkſten Spruch ..


Eine Anwandlung des Scherzes kam über Ekkehard's ernſtes Antlitz.
Komm mit mir, ſprach er, du ſollſt ihn haben, den ſtärkſten Spruch.


Frohlockend ging Audifax mit ihm. Da ſagte ihm Ekkehard lachend
den virgilianiſchen Vers:


[96]
Auri sacra fames, quid non mortalia cogis pectora?*)

und mit eiſerner Geduld ſagte Audifax die fremden Worte her, bis er
ſie ſprachrichtig dem Gedächtniß eingeprägt.


Schreibt mir's auf, daß ich's auf dem Leib tragen kann, bat er ihn.


Ekkehard gedachte den Scherz vollſtändig zu machen, und ſchrieb
ihm die Worte auf einen dünnen Pergamentſtreif, der Knabe barg's
in ſeiner Bruſttaſche; hoch ſchlug ſein Herz, wiederum küßte er Ekke-
hard's Gewand — in Sprüngen, wie ſie die kletterfroheſte Ziege nicht
machte, ſprang er aus dem Hofe.


Bei dieſem Kinde gilt Virgilius mehr als bei der Herzogin, dachte
Ekkehard.


Des Mittags ſaß Audifax wieder auf ſeinem Steinblock. Aber
es perlten keine Thränen mehr in ſeinen ſcheuen Augen; ſeit langem
zum erſtenmal war die alte Sackpfeife wieder mit ihm auf die Ziegen-
hut ausgezogen, der Wind trug die Klänge ins Thal hinab. Ver-
gnügt kam ſeine Freundin Hadumoth zu ihm herüber: Wollen wir
wieder Seifenblaſen machen? frug ſie ihn.


Ich mache keine Seifenblaſen mehr! ſprach Audifax und blies auf
ſeiner Pfeife weiter. Dann ſtieg er auf, ſah ſich ſorgſam um, zog
Hadumoth zu ſich — ſein Auge glänzte ſeltſam: Ich bin beim hei-
ligen Mann geweſen, raunte er ihr ins Ohr, heut Nacht heben wir
den Schatz. Du gehſt mit. Hadumoth verſprach's ihm.


Der dienenden Leute Nachteſſen in der Geſindeſtube war zu Ende;
gleichzeitig ſtunden ſie alle von ihren Bänken auf und ſtellten ſich in
die Reihe; zu unterſt waren Audifax und Hadumoth geſeſſen, die
junge Hirtin ſprach den grobkörnigen Menſchen das Gebet vor, ſie
zitterte heut mit der Stimme ...


Eh der Tiſch abgeräumt war, huſchte es wie zwei Schatten zu
dem noch unverſchloſſenen Burgthor hinaus, es waren die zwei Kinder,
Audifax ging voran. Die Nacht wird kalt ſein, hatte er zu Hadu-
moth geſagt und ihr ein langhaariges Ziegenfell umgeworfen. Da
wo der Berg jäh nach Süden hin abfällt, war ein alter Erdwall ge-
zogen, dort machte Audifax Halt — ſie waren vor dem Herbſtwind
[97] geſchützt. Er ſtreckte ſeinen Arm in gerader Richtung aus: Ich meine,
hier ſoll's ſein! ſprach er. Wir müſſen noch lang warten, bis Mitternacht.


Hadumoth ſprach nichts. Die Beiden ſetzten ſich dicht neben
einander. Der Mond war aufgegangen, ſein Licht zitterte durch halb-
durchſichtiges Gewölk. Auf der Burg oben waren etliche Fenſter hell,
ſie ſaßen wieder über dem Virgilius droben .. am Berg war's ſtill,
ſelten ſtrich der Schleiereule heiſerer Ruf herüber. Nach langer Friſt
fragte Hadumoth ſchüchtern: Wie wird's werden, Audifax?


Ich weiß nicht, war die Antwort. Es wird Einer herkommen und
wird ihn herbringen, oder die Erde thut ſich auf und wir ſteigen
hinunter, oder ..


Sei ſtill, ſprach Hadumoth, ich fürcht' mich.


Und wieder war eine gute Friſt vergangen, Hadumoth hatte ihr
Haupt an Audifax Bruſt gelehnt und war eingeſchlummert, er aber
rieb ſich den Schlaf aus den Augen, dann ſchüttelte er ſeine Gefährtin:
Hadumoth, ſprach er, die Nacht iſt lang, erzähl' mir was.


Mir iſt was Böſes eingefallen, ſprach ſie. Es war einmal ein
Mann, der ging pflügen um's Morgenroth, da pflügte er den Gold-
zwerg aus der Furche, der ſtand vor ihm und grinste ihn freundlich
an und ſprach: Nimm mich mit! Wer uns nicht ſucht, dem gehören
wir, wer uns ſucht, den erwürgen wir ... Audifax, ich fürcht' mich.


Gib mir deine Hand, ſagte Audifax, daß du muthig bleibeſt.


Die Lichter auf der Burg waren erloſchen. Dumpfer Hornruf des
Wächters auf dem Thurm kündete Mitternacht. Da kniete Audifax
nieder, und Hadumoth kniete neben ihn, er hatte ſeinen Holzſchuh vom
rechten Fuß gezogen, daß er mit nackter Sohle auf dem dunkeln Erd-
reich aufſtand, den Pergamentſtreifen hielt er in der Hand und mit
feſter Stimme ſprach er die Worte, deren Sinn ihm fremd:


Auri sacra fames, quid non mortalia cogis pectora? ..
er hatte ſie wohl behalten. Und auf den Knien blieben die Beiden
und harrten deſſen, was da kommen ſollte .. Aber es kam kein Zwerg
und kein Rieſe und die Erde that ſich auch nicht auf; die Geſtirne
glänzten zu ihren Häupten kalt und fern, kühl wehte die Nachtluft ...
Doch über einen Glauben ſo feſt und tief, wie den der beiden Kinder,
ſoll Niemand lachen, auch wenn damit keine Berge verſetzt und keine
Schätze gefunden werden.


D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 7
[98]

Jetzt hub ſich ein unſicheres Leuchten am Himmelsgewölb, eine
Sternſchnuppe kam geflogen, ein flimmernder Glanzſtreif zeichnete ihre
Bahn, viel andere folgten nach — es kommt von oben, flüſterte Au-
difax und preßte krampfhaft das Hirtenkind an ſich, auri sacra
fames ..
rief er noch einmal in die Nacht hinaus, ſtrahlend kreuzten
ſich die Meteore, das erſte erloſch, das zweite erloſch — es war wieder
ruhig am Himmel wie zuvor ...


Lang und ſcharf ſah ſich Audifax um. Dann ſtand er betrübt auf:
es iſt Nichts, ſagte er mit zitternder Stimme, ſie ſind in See gefallen.
Sie gönnen uns Nichts. Wir werden Hirten bleiben.


Haſt du des heiligen Mannes Spruch auch recht geſagt? fragte
ihn Hadumoth.


Wie er ihn mich lehrte.


Dann hat er dich nicht den rechten gelehrt. Er wird den Schatz
ſelber heben. Vielleicht hat er ein Netz dorthin gelegt, wo die Sterne
fielen ..


Das glaub' ich nicht, ſprach Audifax. Sein Antlitz iſt mild und
gut und ſeine Lippen ſprechen kein Falſch.


Hadumoth ſann nach.


Vielleicht weiß er den rechten Spruch nicht?


Warum?


Weil er den rechten Gott nicht hat. Er hat den neuen Gott.
Die alten Götter waren auch ſtark.


Audifax hielt ſeiner Gefährtin den Finger an die Lippen. Schweig!
ſprach er.


Ich fürchte mich nicht mehr, ſagte Hadumoth. Ich weiß noch eine
Andere, die verſteht ſich auch auf Sprüche.


Wen?


Hadumoth deutete hinüber, wo aus lang geſtrecktem Tannenſaum
ein dunkler Bergkegel ſteil aufſtieg. Die Waldfrau! antwortete ſie.


Die Waldfrau? ſprach Audifax erſchrocken. Die, die das große
Gewitter gemacht, wo die Schloſſen ſo groß wie Taubeneier in's Feld
einſchlugen, und die den Centgrafen von Hilzingen gefreſſen hat, daß
er nimmer heimkam?


Eben darum. Wir wollen ſie fragen. Die Burg iſt uns doch
verſchloſſen und die Nacht kalt.


[99]

Das Hirtenmägdlein war keck und muthig geworden. Das Mitleid
um Audifax war groß in ihr; ſie hätte ihm ſo gern zu ſeiner Wünſche
Erfüllung verholfen. Komm! ſprach ſie lebhaft, wenn dir's bange
wird im Wald, ſo blas auf deiner Pfeife. Die Vögel antworten.
Es geht dem Morgen entgegen.


Audifax erhob keinen Einwand mehr. Da gingen ſie mit einand
durch's dichte Gehölz nordwärts, es war ein dunkler Tannenwald, ſie
kannten den Pfad. Niemand war des Weges. Nur ein alter Fuchs
ſtand lauernd auf einem Rain, aber er war vom Erſcheinen der beiden
Kinder ſo wenig befriedigt, als dieſe von den ſchnell verflogenen
Sternſchnuppen.


Auch bei Füchſen kommt oft Etwas ganz Anderes, als ſie wünſchen
und erwarten. Darum zog er ſeinen Schweif ein, und ſchlug ſich ſeitwärts.


Sie waren eine Stunde weit gegangen, da ſtunden ſie vor dem
Fels Hohenkrähen. Zwiſchen Bäumen verſteckt ſtund ein ſteinern
Häuslein; ſie hielten. Der Hund wird Laut geben! ſprach Hadumoth.
Aber kein Hund rührte ſich. Sie traten näher, die Thür ſtand offen.


Die Waldfrau iſt fort! ſprachen ſie. Aber auf dem Fels Hohen-
krähen brannte ein verglimmend Feuerlein. Dunkle Geſtalten regten
ſich. Da ſchlichen die Kinder den Felspfad hinauf.


Schon ſtand ein heller Luftſtreif hinter den Bergen am Bodenſee.
Es ging ſteil in die Höhe. Oben, wo das Feuer glimmte, war ein
Felſenvorſprung. Eine breitgipflige Eiche breitete ihre dunklen Aeſte
aus. Da duckten ſich Audifax und Hadumoth hinter einen Stein und
ſchauten hinüber. Es war ein Thier geſchlachtet worden, ein Haupt,
wie das eines Pferdes war an den Eichſtamm genagelt, Spieße ſtanden
über dem Feuer, Knochen lagen umher. In einem Gefäß war Blut.


Um einen zugehauenen Felsblock ſaßen viel Männer, ein Keſſel mit
Bier ſtand auf dem Stein,120) ſie ſchöpften daraus mit ſteinernen
Krügen.


An der Eiche kauerte ein Weib. Sie war nicht ſo liebreizend,
wie jene allemanniſche Jungfrau Biſſula, die dem römiſchen Staats-
mann Auſonius einſt trotz ſeiner ſechzig Jahre das Herz berückte, daß
er idyllendichtend auf ſeiner Präfecturkanzlei einherſchritt und ſang:
„ſie iſt von Augen himmelblau, und golden das röthliche Haar, ein
Barbarenkind hoch über allen Puppen Latiums, wer ſie malen will,
7*
[100] muß Roſen und Lilien miſchen.“ 121) Das Weib auf dem Hohen-
krähen war alt und ſtruppig.


Die Männer ſchauten nach ihr. Zuſehends hellte ſich der Himmel
im Oſten. In die Nebel über dem See kam Bewegung. Jetzt warf
die Sonne ihre erſten Strahlen vergüldend über die Berge, bald ſtieg
der feurige Ball empor, da ſprang das Weib auf, die Männer erhoben
ſich ſchweigend; ſie ſchwang einen Strauß von Miſtel und Tannreis,
tauchte ihn in das Gefäß mit Blut, ſprengte dreimal der Sonne ent-
gegen, dreimal über die Männer, dann goß ſie des Gefäßes Inhalt
in das Wurzelwerk der Eiche.


Die Männer hatten ihre Krüge ergriffen, ſie rieben ſie in einför-
miger Weiſe dreimal auf dem geglätteten Fels, daß ein ſummendes
Getön entſtand, hoben ſie gleichzeitig der Sonne entgegen und tranken
aus; in gleichem Tacte ſetzte Jeder den Krug nieder, es klang wie
ein einziger Schlag. Dann warf ein Jeglicher ſeinen Mantel um,
ſchweigend zogen ſie den Fels hinab.122)


Es war die Nacht des erſten November.


Wie es ſtill geworden auf dem Platz, wollten die Kinder vor-
treten zur Waldfrau. Audifax hatte ſein Streiflein Pergament zur
Hand genommen — aber das Weib riß einen Feuerbrand aus der
Aſche und ſchritt ihnen drohend entgegen.


Da flohen ſie in Haſt den Berg hinunter.



Neuntes Kapitel.
Die Waldfrau.



Audifax und Hadumoth waren in die Burg von Twiel zurückge-
kehrt. Ihres nächtlichen Ausbleibens war nicht geachtet worden. Sie
ſchwiegen von den Begegniſſen jener Nacht. Auch unter ſich. Audifax
hatte viel nachzudenken.


[101]

In ſeiner Ziegen Hut war er ſäumig. Eine ſeiner Untergebenen
verlief ſich, nach den platten Hügeln hin, die den Lauf des dem Bo-
denſee entſtrömenden Rheines umſäumen. Da ging er, ſie zu ſuchen;
einen Tag blieb er aus, dann kehrte er mit der Entronnenen zurück.


Hadumoth freute ſich des Erfolges, der ihrem Gefährten Schläge
erſparte. Der Winter kam mälig heran, die Thiere blieben im Stall.
Eines Tages ſaßen die Kinder am Kaminfeuer in der Knechtſtube.
Sie waren allein.


Du denkſt noch immer an Schatz und Spruch? ſagte Hadumoth.
Da zog ſie Audifax geheimnißvoll zu ſich: Der heilige Mann hat doch
den rechten Gott! ſprach er.


Warum? frug Hadumoth.


Er ging in ſeine Kammer hinüber; im Stroh ſeines Lagers hatte
er allerhand Geſtein untergebracht, er griff einen heraus und brachte
ihn herüber: Schau an! ſprach er. Es war ein glimmeriger grauer
Schieferſtein, er umſchloß die Reſte eines Fiſches, in zartem Umriß
waren Haupt, Floſſen und Gräthen dem Schiefer eingedrückt. Den
hab' ich drüben am Schiener Berg123) mitgenommen, da ich die Ziege
ſuchen ging. Der muß von der Fluth ſein, von der der Vater Vin-
centius einmal gepredigt hat, und die Fluth hat der Herr Himmels
und der Erde über die Welt gehen laſſen, da er den Noah das große
Schiff bauen hieß, davon weiß die Waldfrau nichts.


Hadumoth wurde nachdenklich: Dann iſt die Waldfrau Schuld,
daß uns die Sterne nicht in Schooß gefallen ſind, wir wollen ſie beim
heiligen Mann verklagen.


Da gingen die Beiden zu Ekkehard und berichteten ihm, was in
jener Nacht auf dem Hohenkrähen vorgegangen. Er hörte ſie freund-
lich an. Des Abends erzählte er's der Herzogin. Frau Hadwig
lächelte.


Sie haben einen ſeltſamen Geſchmack, meine treuen Unterthanen, ſprach
ſie. Ueberall ſind ihnen ſchmucke Kirchen gebaut, ſanft und eindringlich
wird das Wort Gottes verkündet, ſtattlicher Geſang, große Feſte, Bitt-
gänge mit Kreuz und Fahnen durch wogendes Kornfeld und Flur, —
und doch iſt's nicht genug. Da müſſen ſie noch in kalter Nacht auf
ihren Berggipfeln ſitzen, und wiſſen ſelber nicht, was ſie dort treiben,
[102] außer daß Bier getrunken wird. Wir kennen das. Was haltet Ihr
von der Sache, frommer Ekkehard?


Aberglaube! ſprach der Gefragte, den der böſe Feind noch immer
in abtrünnige Gemüther ſäet. Ich hab' in unſern Büchern geleſen
von den Werken der Heiden, wie ſie im Dunkel der Wälder, an ein-
ſamen Wegſcheiden und Quellen und ſelbſt an den dunkeln Gräbern
der Todten ihre zaubriſchen Liſten treiben.


Sie ſind keine Heiden mehr, ſagte Frau Hadwig. Ein Jeder iſt
getauft und ſeinem Pfarrherrn zugewieſen. Aber es lebt noch ein
Stück alte Erinnerung in ihnen, die iſt ſinnlos geworden und zieht
ſich doch durch ihr Denken und Thun, gleich dem Rhein, wenn er in
Winterszeit tief unter des Bodenſee's Eisdecke geräuſchlos weiter fließt.
Was wollt Ihr mit ihnen beginnen?


Vertilgen! ſprach Ekkehard. Wer ſeinen Chriſtenglauben bricht
und dem Gelübde ſeiner Taufe untreu wird, ſoll fahren in die ewige
Verdammniß.


Halt an, junger Eiferer, ſagte Frau Hadwig; meinen hegauer
Mannen ſollt Ihr darum das Haupt noch nicht abſchlagen, daß ſie
die erſte Nacht des Herbſtmonats lieber auf dem kalten hohen Krähen
ſitzen als auf ihrem Strohlager ſchlafen. Sie thun doch was ſie
müſſen, und ſchon im Heerbann des großen Kaiſer Karl haben ſie
dereinſt gegen die heidniſchen Sachſen gefochten, als wär' ein Jeder
zum erleſenen Rüſtzeug der Kirche geweiht.


Mit dem Teufel, rief Ekkehard hochfahrend, iſt kein Friede. Wollet
Ihr lau im Glauben ſein, Herrin?


Im Regieren einer Landſchaft, ſprach ſie mit leiſem Spott, lernt
ſich Manches, das in Euren Büchern nicht ſteht. Wißt Ihr auch,
daß der Schwache wirkſamer durch ſeine Schwäche geſchlagen wird, als
durch die Schneide des Schwerts? Wie der heilige Gallus einſt in
die Trümmer von Bregenz drüben einzog, da lag der heiligen Aurelia
Altar zerſtört, drei eherne Götzenbilder ſtunden aufgerichtet; um den
großen Bierkeſſel, der niemals fehlen darf, ſo oft man hierlands in
alter Weiſe fromm ſein will, ſaßen ſie und tranken. Der heilige
Gall hat Keinem ein Leides gethan, aber ihre Bilder hat er in Stücke
geſchlagen und hinausgeſchleudert, daß ſie ziſchend einfuhren in's grüne
Gewoge des Sees, und in ihren Bierkeſſel hat er ein Loch gehaucht
[103] und das Evangelium gepredigt an derſelben Stelle; es fiel kein Feuer
vom Himmel ihn zu verzehren, ſie aber ſahen, daß ihre Sache Nichts
war und bekehrten ſich.124) Verſtändig ſein heißt nicht lau im Glau-
ben ſein ...


Das war damals ... begann Ekkehard.


Und itzt — fiel ihm Frau Hadwig in's Wort, itzt ſteht die Kirche
aufgerichtet vom Rhein bis an's nördliche Meer, ſtärker als die Ca-
ſtelle der Römer zieht ſich eine Kette von Klöſtern durch's Land,
Feſtungen des Glaubens; bis in die Wildniſſe des Schwarzwalds iſt
längſt das Wort chriſtlicher Bekenner gedrungen, was wollt Ihr mit
den Nachzüglern vergangener Zeiten ſo ſchweren Kampf fechten?125)


So belohnet ſie denn, ſprach Ekkehard bitter.


Belohnen? ſagte die Herzogin. Zwiſchen Entweder und Oder
führt noch manches Sträßlein. Wir müſſen einſchreiten gegen den
nächtlichen Unfug. Warum? Kein Reich mag gut beſtehen bei zweierlei
Glauben, das führt die Gemüther gegen einand in Schlachtordnung
und iſt unnöthig, ſo lange draußen Feinde genug lauern. Des Landes
Geſetz hat ihnen das thörige Weſen unterſagt, ſie ſollen merken, daß
unſer Gebot und Verbot nicht in Wind geſprochen iſt.


Ekkehard ſchien von dieſer Weisheit nicht befriedigt. Ein Zug
von Mißmuth flog über ſein Antlitz.


Höret, fuhr die Herzogin fort, was iſt Eure Meinung von der
Zauberei überhaupt?


Die Zauberei, ſprach Ekkehard mit Ernſt und ſchwerem Athemzug,
der auf den Vorſatz einer längeren Rede zu deuten ſchien, iſt eine
verdammliche Kunſt, wodurch der Menſch ſich die Dämonen, die allent-
halb in der Natur walten und niſten, dienſtbar macht. Auch im Un-
lebendigen ruht Lebendiges verborgen, wir hören es nicht und ſehen
es nicht, aber verführend weht es an unbewachtes Gemüth, mehr zu
erfahren und mehr zu wirken, als ein treuer Knecht Gottes erfahren
und wirken kann — das iſt das alte Blendwerk der Schlange und
der Mächte der Finſterniß; wer ſich ihnen zu eigen macht, kann ein
Stück von ihrer Gewalt erlangen, aber er herrſcht über die Teufel
durch deren Oberſten und verfällt ihm wenn ſeine Zeit aus iſt. Darum
iſt die Zauberei ſo alt wie die Sünde und ſtatt daß der eine wahre
Glaube ſei auf der Welt und die eine Mildigkeit der Werke, anzu-
[104] beten den dreieinigen Gott, gehen noch Weiſſager umher und Traumdeuter
und Traumſcheider und Liederſetzer und Räthſellöſer, vor Allem aber ſind
unter den Töchtern Eva's die Anhängerinnen ſolcher Künſte zu ſuchen ..


Ihr werdet artig, unterbrach ihn Frau Hadwig —


Denn der Frauen Gemüth, fuhr Ekkehard fort, iſt allzeit neugie-
riger Erforſchung und Ausübung verbotener Dinge zugewendet. Wenn
wir mit Leſung des Virgilius fortſchreiten, werdet Ihr den Ausbund
der Zauberei in Geſtalt des Weibes Circe ang[e]deutet ſehen, die auf
unzugänglichem Vorgebirg ſingend haust, lieblich duftender Spahn von
Cederholz erleuchtet die dunkeln Gemächer, mit fleißigem Weberſchifflein
webt ſie viel zartes Gezeug, aber draußen im Hof tönt ſeufzendes
Knurren von Löwen und Wölfen und der Schweine Gegrunz, die ſie
alle aus Menſchen durch zaubriſchen Trank in der Thiere Geſtalt
verwandelt ...


Ihr ſprechet ja wie ein Buch, ſagte die Herzogin ſpitz. Ihr ſollet
Eure Wiſſenſchaft von der Zauberei weiter bilden. Reitet denn auf
den hohen Krähen hinüber und unterſuchet, ob die Waldfrau eine
Circe, und regieret in unſerem Namen, wir ſind neugierig, was Eure
Weisheit ordnet.


Es iſt nicht meine Wiſſenſchaft, erwiederte er ausweichend, wie
man die Völker regiert und die Dinge der Welt gebietend ſchlichtet.


Das findet ſich, ſprach Frau Hadwig, es hat noch ſelten Einen in
Verlegenheit gebracht, am wenigſten einen Sohn der Kirche.


Ekkehard fügte ſich. Der Auftrag war ihm ein Beweis von Ver-
trauen. Andern Morgens ritt er nach dem hohen Krähen. Den
Audifax nahm er mit, daß er ihm den Weg zeige. Glückliche Reiſe,
Herr Reichskanzler! rief ihm eine lachende Stimme nach. Es war
Praxedis.


Bald kamen ſie vor der Waldfrau Behauſung. Auf einem Vor-
ſprung in halber Höhe des ſteilen Felſens ſtand ihre ſteinerne Hütte,
mächtige Eich- und Buchſtämme breiteten ihre Aeſte drüber und ver-
deckten den ragenden Gipfel des hohen Krähen. Drei wie Stufen
geſchichtete Klingſteinplatten führten in's Innere. Es war eine hohe
dunkle Stube. Viel getrocknete Waldkräuter lagen aufgehäuft, wür-
ziger Geruch entſtrömte ihnen; drei weißgebleichte Pferdsſchädel grinsten
geſpenſtig von den Pfeilern der Wand herab,126) ein rieſig Hirſch-
[105] geweih hing dabei. In den hölzernen Thürpfoſten war ein verſchlun-
genes Doppeldreieck geſchnitten. Ein zahmer Waldſpecht hüpfte in der
Stube umher, ein Rabe, dem die Schwingen gekürzt, war ſein Genoſſe.


Die Inwohnerin ſaß am glimmenden Feuer des Heerdes und nähte
an einem Gewand. Ein hoher behauener halb verwitterter Stein ſtand
ihr zur Seite. Von Zeit zu Zeit bückte ſie ſich zum Heerde und hielt
ihre magere Hand über die Kohlen; Novemberkälte lag auf Berg und
Wald. Die Zweige einer alten Buche neigten ſich ſchier zum Fenſter
herein, ein leiſer Windeshauch bewegte ſie, das Laub war herbſtgelb
und morſch und zitterte und brach ab, etliche welke Blätter wirbelten
in die Stube.


Und die Waldfrau war einſam und alt und mochte frieren: Da
liegt ihr nun verachtet und welk und todt, ſprach ſie zu den Blät-
tern, und ich gleiche euch. Ein fremdartiger Zug umflog ihr runzlig
Antlitz. Sie dachte vergangener Zeiten, da auch ſie jung und früh-
lingsgrün geweſen und einen Liebſten gehabt — aber den hatte ſein
Schickſal weit hinausgetrieben aus dem heimiſchen Tannwald, raubende
Nordmänner, die einſt mit Sengen und Brennen den Rhein herauf
fuhren, hatten ihn und viel andere Heerbannleute gefangen mitge-
ſchleppt und er war bei ihnen geblieben über Jahresfriſt und hatte
den Seemannsdienſt gelernt und war wild und trotzig geworden in der
Strandluft des Meeres, und wie ſie ihn wieder frei gaben, trug er
die Nordſeeſehnſucht mit ſich in ſchwäbiſchen Wald, — die Geſichter
der Heimath gefielen ihm nimmer wieder, die der Mönche und Prieſter
am wenigſten, und das Unglück fügte es, daß er in zornigem Auf-
brauſen einen wandernden Mönch erſchlug, der ihn geſcholten, da war
ſeines Bleibens nicht fürder.


Der Waldfrau Gedanken hafteten heut immerdar auf jener letzten
Stunde, die ihn von ihr geſchieden. Da hatten ihn die Gerichtsmänner
vor ſeine Hütte im Weiterdinger Wald geführt, ſechshundert Schillinge
ſollte er als Wehrgeld für den Erſchlagenen zahlen und wies ihnen
ſtatt deſſen Haus und Hofmark zu und ſchwur mit zwölf Eideshelfern,
daß er Nichts unter und Nichts ober der Erde mehr zu eigen habe.
Drauf ging er in ſein Haus, ſammelte eine Hand voll Erde, ſtand
auf die Schwelle und warf mit der Linken die Erde über ſeine
Schultern auf ſeines Vaters Bruder, als Zeichen, daß ſeine Schuld
[106] auf dieſen ſeinen einzigen Blutsverwandten übergehen ſolle, er aber
griff einen Stab und ſprang im leinenen Hemde ohne Gürtel und
Schuhe über den Zaun ſeines Hofes, das Recht der chrene chruda127)
ſchrieb's ſo vor, und damit war er ſeiner Heimath ledig und ging in
Wälder und Wüſten — ein landflüchtiger Mann, und ging wieder
in's Dänenland zu ſeinen Nordmännern und kam nimmer zurück.
Nur eine dunkle Kunde ſagte, er ſei mit ihnen nach Island hinüber-
gefahren, wo die tapfern Seefahrer, die ihren Nacken nicht beugen
wollten vor neuem Glauben und neuer Herrſchaft, ſich ein kaltes
Aſyl gegründet.


Das war ſchon lange, lange her, aber der Waldfrau war es als
ſähe ſie ihren Friduhelm noch, wie er in's Waldesdunkel ſprang; ſie
hatte damals in's Weiterdinger Kirchlein einen Kranz von Eiſenkraut
gehängt und viel Thränen vergoſſen .. kein Anderer hatte ſein Bild
aus ihrer Seele verdrängt. Die traurige Jahreszeit gemahnte ſie an
ein altes Nordmännerlied, das er ſie einſt gelehrt; das ſummte ſie
jetzt vor ſich hin:


Der Abend kommt und die Herbſtluft weht,

Reifkälte ſpinnt um die Tannen,

O Kreuz und Buch und Mönchsgebet —

Wir müſſen Alle von dannen.

Die Heimath wird dämmernd und dunkel und alt,

Trüb rinnen die heiligen Quellen:

Du götterumſchwebter, du grünender Wald,

Schon blitzt die Axt dich zu fällen!

Und wir ziehen ſtumm, ein geſchlagen Heer

Erloſchen ſind unſere Sterne —

O Island, du eiſiger Fels im Meer,

Steig auf aus mächtiger Ferne.

Steig auf und empfah unſer reiſig Geſchlecht —

Auf geſchnäbelten Schiffen kommen

Die alten Götter, das alte Recht,

Die alten Nordmänner geſchwommen.

Wo der Feuerberg loht, Glutaſche fällt,

Sturmwogen die Ufer umſchäumen:

Auf dir, du trotziges Ende der Welt,

Die Winternacht woll'n wir verträumen!

[107]

Ekkehard war indeß draußen abgeſtiegen und hatte ſein Roß an
eine Tanne gebunden. Jetzt trat er über die Schwelle; ſcheu ging
Audifax hinter ihm drein. Die Waldfrau warf das Gewand über
den Stein, faltete die Hände in ihren Schoß und ſah ſtarr dem ein-
tretenden Mann im Mönchsgewand entgegen. Sie ſtand nicht auf.


Gelobt ſei Jeſus Chriſt! ſprach Ekkehard als Gruß und Ablenkung
etwaigen Zaubers. Unwillkürlich ſchlug er den Daumen der Rechten
ein und ſchloß die Hand, er fürchtete das böſe Auge128) und ſeine Ge-
walt; Audifax hatte ihm erzählt, die Leute ſagten von ihr, daß ſie mit
einem Blick ein ganzes Grasfeld dürre zu machen vermöge.


Sie antwortete nicht auf den Gruß.


Was ſchafft Ihr Gutes? hub Ekkehard das Geſpräch an.


Einen Rock beſſern, ſprach die Alte, er iſt ſchadhaft geworden.


Ihr ſucht auch Kräuter?


Such' auch Kräuter. Seid Ihr ein Kräutermann? Dort liegen
viele: Habichtskraut und Schneckenklee, Bocksbart und Mäuſeohr, auch
dürrer Waldmeiſter, ſo Ihr begehrt.


Ich bin kein Kräutermann, ſprach Ekkehard. Was macht Ihr mit
den Kräutern.


Braucht Ihr zu fragen, wozu Kräuter gut ſind? ſprach die Alte,
Euer Einer weiß das auch. Es ſtünd' ſchlimm um kranke Menſchen
und krankes Thier, und ſchlimm um Abwehr nächtiger Unholde und
Stillung liebender Sehnſucht, wenn keine Kräuter wären.


Und Ihr ſeid getauft? fuhr Ekkehard ungeduldig fort.


Sie werden mich auch getauft haben ...


Und wenn Ihr getauft ſeid, rief er mit erhobener Stimme, und
dem Teufel verſagt habt und allen ſeinen Werken und allen ſeinen
Gezierden, was ſoll das? Er deutete mit ſeinem Stab nach den
Pferdeſchädeln an der Wand und ſtieß einen heftig an, daß er herunter-
fiel und in Stücke brach: die weißen Zähne rollten auf dem Fuß-
boden umher.


Der Schädel eines Roſſes, antwortete die Alte gelaſſen, den Ihr
jetzt zertrümmert habt. Es war ein junges Thier, Ihr könnt's am
Gebiß noch ſehen.


Und der Roſſe Fleiſch ſchmeckt Euch? frug Ekkehard.


[108]

Es iſt kein unrein Thier, ſagte die Waldfrau, und ſein Genuß
nicht verboten.


Weib! rief Ekkehard und trat hart vor ſie hin, — du treibſt
Zauberkunſt und Hexenwerk!


Da ſtand die Alte auf. Ihre Stirn runzelte ſich, unheimlich
glänzten die grauen Augen. Ihr tragt ein geiſtlich Gewand, ſprach
ſie, Ihr möget mir das ſagen. Gegen Euch hat eine alte Waldfrau
kein Recht. Es heißt ſonſt, das ſei ein groß Scheltwort, was Ihr
mir in's Antlitz geworfen, und das Landrecht büßt den Schelter ... 129)


Audifax war indeß ſcheu an der Thür geſtanden. Da kam der
Waldfrau Rabe auf ihn zugehüpft, ſo daß er ſich fürchtete; er lief
zu Ekkehard hin. Am Heerde ſah er den behauenen Stein. An einem
Stein herumzuſpüren, hätte ihn auch die Furcht vor zwanzig Raben
nicht abgehalten. Er hob das Gewand, das drüber gebreitet war.
Verwitterte Geſtalten kamen zum Vorſchein.


Ekkehard lenkte ſeinen Blick darauf.


Es war ein römiſcher Altar. Cohorten, die fern aus üppigem
aſiſchem Standlager des allmächtigen Kriegsherrn Gebot an den un-
wirthlichen Bodenſee verſetzt, mochten ihn einſt in dieſen Höhen auf-
geſtellt haben — ein Jüngling in fliegendem Mantel und phrygiſcher
Mütze kniete auf einem niedergeworfenen Stier: der perſiſche Lichtgott
Mithras, an den der ſinkende Römerglaube neue Hoffnung anknüpfte,
als das Andere abgenutzt war.


Eine Inſchrift war nicht ſichtbar. Lang ſchaute ihn Ekkehard an,
ſein Aug' hatte außer der güldenen Vespaſianusmünze, die Untergebene
des Kloſters einſt im Torfmoos bei Rapperswyl gefunden, und etlichen
geſchnittenen Steinen im Kirchenſchatz noch kein Bildwerk des Alter-
thums erſchaut, aber er ahnte an Form und Bildung den ſtummen
Zeugen einer vergangenen Welt.


Woher der Stein? frug er.


Ich bin genug gefragt, ſagte die Waldfrau trotzig, ſchafft Euch
ſelber Antwort.


... Der Stein hätte auch Mancherlei antworten können, wenn
Steine Zungen hätten. Es haftet ein gut Stück Geſchichte an ſolch
verwittertem Gebild. Was lehrt es? Daß der Menſchen Geſchlechter
kommen und zergehen wie die Blätter, die der Frühling bringt und
[109] der Herbſt verweht, und daß ihr Denken und Thun nur eine Spanne
weit reicht; dann kommen Andere und reden in andern Zungen und
ſchaffen in andern Formen; Heiliges wird geächtet, Geächtetes heilig,
neue Götter ſteigen auf den Thron: wohl ihnen, wenn er nicht über
allzuviel Opfern ſich aufrichtet ...


Ekkehard deutete das Daſein des Römerſteins in der Waldfrau
Hütte anders.


Den Mann auf dem Stier betet Ihr an, rief er heftig. Die
Waldfrau griff einen Stab, der am Heerde ſtand, nahm ein Meſſer
und ſchnitt zwei Kerbſchnitte hinein: Die zweite Beſchimpfung, die
Ihr mir anthut! ſprach ſie dumpf. Was haben wir mit dem Stein-
bild zu ſchaffen?


So redet, ſagte der Mönch, wie kommt der Stein in Eure Hütte.


Weil er unſs gedauert hat, ſagte die Waldfrau. Das mögt Ihr
nicht verſtehen, die Ihr das Haupt kahl geſchoren traget. Der Stein
iſt draus geſtanden auf dem Felsvorſprung, es war ein zugerichteter
Platz und wird Mancher in alten Tagen dort gekniet haben, aber itzt
hat ſich Keiner mehr um ihn gekümmert, die Leute des Waldes haben
Holzäpfel drauf gedörrt und Späne drauf geſpalten, wie's kam, und
des Regens Unbill hat die Bilder verwaſchen. Der Stein dauert
mich, hat meine Mutter geſagt, er war einmal was Heiliges; aber die
Knochen Derer, die den Mann drauf gekannt und verehrt haben und
den Stein, ſind längſt weiß gebleicht, — es wird ihn frieren den
Mann mit dem fliegenden Mantel. Da haben wir ihn ausgehoben
und an Heerd geſtellt: er hat uns noch kein Leid's gebracht. — Wir
wiſſen, wie es den alten Göttern zu Muth iſt, unſere gelten auch
nicht mehr. Laßt Ihr dem Stein ſeine Ruhe!


Eure Götter? fuhr Ekkehard in ſeinem Fragen fort — wer ſind
Eure Götter?


Das müßt Ihr wiſſen, ſprach die Alte. Ihr habt ſie vertrieben
und in See gebannt: in der Fluthen Tiefe liegt Alles begraben, der
Hort alter Zeit und die alten Götter, wir ſehen ſie nicht mehr und
wiſſen nur noch die Plätze, wo unſere Väter ſie verehrt, eh' der Franke
kam und die Männer in den Kutten. Aber wenn der Wind die
Wipfel des Eichbaums droben ſchüttelt, dann kommt's wie Stimmen
durch die Lüfte, das iſt ihr Klagen — und in gefeiten Nächten rauſcht
[110] brauſet es und der Wald leuchtet, Schlangen winden ſich an den
Stämmen empor, da jagt's über die Berge wie ein Zug verzweifelter
Geiſter, die nach der alten Heimath ſchauen ...


Ekkehard bekreuzte ſich.


Ich ſag's wie ich's weiß, ſprach die Alte. Ich will den Heiland
nicht beleidigen; aber er iſt als ein Fremder in's Land gekommen,
Ihr dienet ihm in fremder Sprache, die verſtehen wir nicht. Wenn
er auf unſerem Grund und Boden erwachſen wäre, dann könnten wir
zu ihm reden und wären ſeine treueſten Diener, und es ſtünd' beſſer
um's alemanniſche Weſen.


Weib! rief Ekkehard zürnend, wir werden Euch verbrennen
laſſen ...


Wenn's in Euren Büchern ſteht, war die Antwort, daß das Holz
des Waldes aufwächſt, um alte Frauen zu verbrennen: ich hab' genug
gelebt. Der Blitz hat neulich Einkehr bei der Waldfrau genommen —
fuhr ſie fort und deutete auf einen ſchwärzlichen Streif an der Wand —
der Blitz hat die Waldfrau verſchont.


Sie kauerte am Heerd nieder und blieb ſtarr und unbeweglich
ſitzen. Die glühenden Kohlen warfen ein ſcharfes Streiflicht auf die
runzligen Züge.


Es iſt gut! ſprach Ekkehard. Er verließ die Stube. Audifax
war froh, als er wieder blauen Himmel über ſich ſah. Dort ſind ſie
geſeſſen! ſprach er und deutete den Berg hinauf. Ich werd's anſehen,
ſprach Ekkehard. Du gehſt zum hohen Twiel zurück und beſtellſt zwei
Knechte her mit Hacke und Beil, und Otfried, den Diacon von Singen,
er ſoll eine Stola mitbringen und ſein Meßbuch.


Audifax ſprang davon. Ekkehard ſtieg auf den hohen Krähen.


In der Burg zu Hohentwiel war indeß die Herzogin an der
Mittagstafel geſeſſen. Sie hatte oft unſtet herumgeſchaut, als wenn
ihr Etwas fehle. Die Mahlzeit war kurz. Wie Frau Hadwig mit
Praxedis allein war, hub ſie an:


Wie gefällt dir unſer neuer Lehrer, Praxedis?


Die Griechin lächelte.


Rede! ſprach die Herzogin gebietend.


Ich hab' in Conſtantinopolis ſchon manchen Schulmeiſter geſehen,
ſprach Praxedis wegwerfend.


[111]

Frau Hadwig drohte mit dem Finger: Ich werd' dich aus meinen
Augen verbannen ob ſo unehrerbietiger Rede. Was haſt du über
Schulmeiſter zu läſtern?


Verzeihet, ſprach Praxedis, es iſt nicht ſchlimm gemeint. Aber
wenn ich ſo einen Mann der Bücher ſehe, wie der ernſtahft einher-
ſchreitet und einen Anlauf nimmt, um aus ſeinen Schriften das her-
auszugraben, von dem wir ungefähr auch ahnen, daß es kommen muß,
und wie er mit ſeinen Pergamenten zuſammengewachſen iſt, als wär's
ihm angethan worden, und ſeine Augen nur für die Buchſtaben einen
Blick haben und kaum für die Menſchen, die um ihn ſind: ſo ſteht
mir das Lachen nahe. Wenn ich nicht weiß ob Mitleid am rechten
Platze, ſo lach' ich. Des Mitleids wird er auch nicht bedürfen, er
verſteht ja mehr als ich.


Ein Lehrer muß ernſt ſein, ſagte die Herzogin, das gehört dazu
wie der Schnee zu unſern Alpen.


Ernſt, ja wohl! erwiederte die Griechin, in dieſem Land, wo der
Schnee die Berggipfel deckt, muß Alles ernſt ſein. Wär' ich doch ge-
lehrt wie Herr Ekkehard, um Euch zu ſagen, was ich meine. Ich
meine, man ſollte auch im Scherz lernen können, ſpielend, ohne den
Schweißtropfen der Anſtrengung auf der Stirn — was ſchön iſt,
muß gefallen und wahr zugleich ſein. Ich meine, das Wiſſen iſt wie
Honig, Verſchiedene können ihn holen, der Schmetterling ſummt um
den Blumenkelch und findet ihn auch, doch ſo ein deutſcher weiſer
Mann kommt mir vor wie ein Bär, der ſchwerfällig in den Bienen-
ſtock hineingreift und die Tatzen leckt — ich hab' an Bären keinen Gefallen.


Du biſt ein leichtſinnig Mägdlein, ſprach Frau Hadwig und un-
luſtig des Lernens. Wie gefällt dir denn Ekkehard ſonſt — ich meine
er ſei ſchön?


Praxedis ſah zu ihrer Gebieterin hinüber: Ich hab' noch keinen
Mönch drum angeſchaut, ob er ſchön ſei.


Warum?


Ich hab's für unnöthig gehalten.


Du gibſt heute ſonderbare Antworten, ſprach Frau Hadwig und
erhob ſich. Sie trat an's Fenſter und blickte nordwärts. Jenſeits
[112] der dunklen Tannenwälder ſchaute in plumper Steile der Fels von
Hohenkrähen zu ihr herüber.


Der Hirtenbub war vorhin da, er hat Leute hinüber beſtellt, ſprach
Praxedis.


Der Nachmittag iſt mild und ſonnig geworden, ſagte die Herzogin,
laß die Pferde rüſten, wir wollen hinüber reiten und ſehen was ſie
treiben. Oder — ich hab' vergeſſen, daß du dich über die Mühſal
beklagt im Sattel zu ſitzen, da wir vom heiligen Gallus heimkehrten:
ich werd' alleine ausreiten ..


Ekkehard hatte ſich auf dem Hohenkrähen den Schauplatz des nächt-
lichen Gelages betrachtet. Wenig Spuren waren übrig. Das Erdreich
um den Eichbaum war röthlich angefeuchtet. Reſte von Kohlen und
Aſche deuteten auf den Feuerplatz. In den Aeſten der Eiche ſah er
mit Befremden da und dort kleine Wachsbilder von menſchlichen Glied-
maßen verſteckt hangen, Füße und Hände, Abbilder von Pferden und
Kühen, — Gelöbniſſe für Heilung von Krankheit an Menſchen und
Thier, die der bäuerliche Aberglaube damals noch am altersgeweihten
Baume lieber löste als in der Kirche des Thales.


Zwei Männer mit Haugeräthe kamen heran. Wir ſind beſtellt,
ſprachen ſie. Vom Hohentwiel? fragte Ekkehard. — Wir arbeiten
der Herrſchaft, unſer Sitz iſt drüben am Hohenhöwen, wo der Rauch
der Kohlenmeiler aufſteigt.


Gut, ſagte Ekkehard, ihr ſollt mir die Eiche hier fällen. Die
Männer ſahen ihn verlegen an. Vorwärts, rief er, und ſputet euch!
Bis die Nacht anbricht, muß ſie umgehauen liegen.


Da gingen die Zwei mit ihren Beilen zu der Eiche hin. Mit
offenem Munde ſtanden ſie vor dem ſtolzen Baum. Einer ließ ſein
Beil zur Erde fallen.


Kommt dir der Platz nicht bekannt vor, Chomuli? frug er ſeinen
Nebenmann.


Warum bekannt, Woveli?


Der Holzhacker deutete nach Sonnenaufgang, ſetzte die geballte Rechte
an den Mund, hob ſie als wenn er trinke und ſprach: Darum, Chomuli.


Da ſah der Andere nach Ekkehard hinunter und zwinkte mit dem Aug':
Wir wiſſen von Nichts; Woveli! Aber Er wird's wiſſen, Chomuli,
ſprach der Erſte. Abwarten, Woveli, ſagte der Andre.


[113]

Es iſt Sünd' und Schade, fuhr ſein Gefährte fort, um den Eich-
baum, ſchon an die zweihundert Jahr ſteht er, und hat manch luſtig
flackernd Mai- und Herbſtfeuer erlebt. Ich bring's ſchier nicht über's
Herz, Chomuli.


Sei kein Thor, tröſtete der Andere und that den erſten Hieb, wir
müſſen dran: Je ſchärfer wir dem Baum in's Fleiſch hauen, deſto
weniger glaubt's der in der Kutte dort, daß wir ſelber in nächtlicher
Andacht unter ſeinen Wipfeln ſaßen. Und der Strafſchilling?! ...
Klug muß der Menſch ſein, Woveli!


Das leuchtete dem Erſten ein. Klug muß der Menſch ſein, Cho-
muli! ſprach er und hieb auf den Baum ſeiner Verehrung. Zehn
Tage vorher hatte er ein Wachsbild dran gehängt, daß ihm ſeine
braune Kuh vom Fieber geneſe. — Die Späne flogen, in dumpfem
Tact trachten die einſchlagenden Hiebe der Beiden.


Der Diacon von Singen war auch herübergekommen mit Meßbuch
und Stola. Ekkehard winkte ihm, daß er mit eintrete zur Waldfrau.
Die ſaß noch ſtarr an ihrem Heerde. Ein ſcharfer Windzug erhob ſich,
da die Beiden durch die geöffnete Thür eintraten, und verlöſchte ihr
Feuer.


Waldfrau, rief Ekkehard gebietend, beſtellt Euer Haus und ſchnüret
Euren Bündel, Ihr müſſet fort.


Die Alte griff nach ihrem Stab und ſchnitt den dritten Kerbſchnitt
ein. Wer beſchimpft mich zum Drittenmal, ſprach ſie dumpf und will
mich aus meiner Mutter Hauſe werfen, wie einen herrenloſen Hund?


Im Namen der Herzogin in Schwaben, fuhr Ekkehard feierlich fort,
ſpreche ich über Euch wegen Hegung heidniſchen Aberglaubens und nächt-
lichen Götzendienſtes die Verweiſung aus Haus und Hof und Gau und Land
aus. Euer Stuhl ſei geſetzt vor die Thür Eurer Hütte, ziehen ſollt
Ihr
unſtet, ſoweit der Himmel blau iſt, ſoweit Chriſten die Kirche beſuchen,
ſo weit der Falke fliegt am Frühlingstag, wenn der Wind unter bei-
den Flügeln ihn dahin treibt. Kein gaſtlich Thor ſoll ſich Euch
öffnen, kein Feuer am Heerd brenne für Euch, kein Waſſer des Quells
rauſche für Euch, bis daß Ihr Eures Frevels Euch abgethan und
Euren Frieden gefeſtet mit dem dreieinigen Gott, dem Richter der
Lebenden und Todten.


D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 8
[114]

Die Waldfrau hatte ihm ohne große Erregung zugehört. Ein
geſalbter Mann wird dir dreimal Schimpf anthun unter deinem eige-
nen Dach, murmelte ſie, deß ſollt du ein Zeichen in den Stab ſchnei-
den und mit ſelbem Stab ſollſt du ausziehen gen Niedergang, denn
ſie werden dir nicht laſſen wo du dein Haupt niederlegeſt. O Mut-
ter, meine Mutter!


Sie raffte ihren Plunder in ein Bündel zuſammen, griff den
Stab und rüſtete ſich zu gehen. Den Diacon von Singen kam eine
Rührung an. Rufet Gott durch ſeine Diener um Verzeihung an, ſprach
er, und thut eine chriſtliche Pönitenz, daß Ihr in Gnade geſund
werdet.


Dafür iſt die Waldfrau zu alt,130) ſagte ſie, und lockte ihren Specht,
der flog ihr um die Schulter und der Rabe hüpfte ängſtlich hinter
ihr drein, ſchon war die Thür aufgeriſſen, noch einen Blick auf Wand
und Heerd und Kräuter und Pferdsſchädel — ſie ſtieß den Stab auf
die Schwelle, daß die Steinplatten erdröhnten: ſeid verflucht, ihr
Hunde! klang's vernehmlich den Zurückbleibenden, ſie wandte ſich mit
ihren Vögeln dem Walde zu, und verſchwand.


Und wir ziehen ſtumm, ein geſchlagen Heer,

Erloſchen ſind unſere Sterne —

O Island, eiſiger Fels im Meer,

Steig' auf aus nächtiger Ferne!

tönte leis murmelnder Geſang durch die entlaubten Stämme herüber.


Ekkehard aber ließ ſich vom Diacon die Stola umhängen und das
Meßbuch vortragen, er hielt einen Umgang durch Stube und Kam-
mer, die Wände weihte er mit dem Zeichen des Kreuzes, auf daß das
Getriebe böſer Geiſter gebannt ſei für immer, dann ſprach er unter
Gebeten den großen Exorcismus über die Stätte.


Das fromme Werk hatte lang gedauert. Dem Diacon ſtand der
Angſtſchweiß auf der Stirn als er Ekkehard die Stola wieder abnahm,
er hatte ſo große Worte noch nie gehört. Jetzt tönte Pferdegetrab
durch den Wald.


Es war die Herzogin, von einem einzigen Diener geleitet. Ekke-
hard ging ihr entgegen; der Diacon von Singen trat ſeinen Heimweg
an. Ihr ſeid lange ausgeblieben, rief die Herzogin gnädig, ich muß
wohl ſelber ſehen, was Ihr geſchlichtet und gerichtet.


[115]

Die zwei Holzhauer hatten indeß ihre Arbeit beendigt, und ſchlichen
auf des Berges Rückſeite von dannen; ſie fürchteten die Herzogin.
Ekkehard erzählte ihr der Waldfrau Weſen und Haushalt, und wie
er ſie ausgetrieben.


Ihr ſeid ſtreng, ſprach Frau Hadwig.


Ich glaubte mild zu ſein, erwiederte Ekkehard.


Wir genehmigen was Ihr geordnet, ſprach die Herzogin. Was
fanget Ihr mit dem verlaſſenen Hauſe an? Sie warf einen flüchtigen
Blick auf das ſteinerne Gemäuer.


Die Kraft böſer Geiſter iſt gebannt und beſchworen, ſagte Ekke-
hard. Ich will es zu einer Capelle der heiligen Hadwig weihen.


Die Herzogin ſah ihn wohlwollend an: Wie kommt Ihr auf den
Gedanken?


Es iſt mir ſo beigefallen ... Die Eiche hab' ich umhauen
laſſen.


Wir wollen den Platz beſichtigen, ſprach ſie. Ich denke, wir wer-
den auch das Umhauen der Eiche genehmigen.


Sie ſtieg mit Ekkehard den ſteinigen Pfad hinauf, der auf den
Gipfel des hohen Krähen führt. Oben lag die Eiche gefällt, ſchier
ſperrten ihre mächtigen Aeſte den Platz. Eine Felsplatte, wenig Schritte
im Umfang, iſt der Gipfel des ſeltſam geformten Berges. Sie ſtan-
den oben. Steil ſenkten ſich die Felswände unter ihren Füßen ab-
wärts; es war eine ſchier ſchwindelnde Höhe, kein Stein oder Baum
zum Anlehnen; in die blaue Luft hinaus ragten die zwei Geſtalten,
der Möch im dunklen Gewand, die Herzogin, den hellen farbigen
Mantel faltig umgſchlagen. Schweigend ſtanden ſie beiſammen.
Ein gewaltiger Anblick that ſich vor ihren Augen auf. Tief unten
ſtreckte ſich die Ebene, in Schlangenlinie zog das Flüßlein Aach durch
die wieſengrüne Fläche, Dächer und Giebel der Häuſer im Thal
waren winzig fern, wie Punkte auf einer Landkarte; drüben reckte ſich
der bekannte Gipfel des Hohentwiel dunkel empor, ein ſtolzer Mittel-
grund; blaue platte Bergrücken erhoben ſich mauergleich hinter dem
Gewaltigen, ein Damm, der den Rhein auf ſeiner Flucht aus dem
See dem Beſchauer verdeckt. Glänzend trat der Unterſee mit der In-
ſel Reichenau hervor, und leiſe wie hingehaucht zeichneten ſich ferne
rieſige Berggeſtalten im dünnen Gewölk, ſie wurden deutlich und deut-
8*
[116] licher, lichter Glanz ſäumte die Kanten ihrer Höhen, die Sonne neigte
zum Untergang ... ſchmelzend, duftig flimmerte die Landſchaft ...


Frau Hadwig war bewegt. Ein Stück großer, weiter Natur
ſagte ihrem großen Herzen zu. Die Gefühle aber ruhen nahe beiein-
ander. Ein zarter Hauch zog durch ihr Denken; ihre Blicke wandten
ſich von den ſchneeigen Häuptern der Alpen auf Ekkehard. Er will
der heiligen Hadwig eine Capelle weihen! ſo klang es immer und
immer wieder in ihr.


Sie trat einen Schritt vor, als fürchte ſie den Schwindel, lehnte
den rechten Arm auf Ekkehard's Schulter und ſtützte ſich feſt auf ihn.
Ihr Auge flammte auf die kurze Entfernung in das ſeine hinüber.
Was denkt mein Freund? ſprach ſie mit weicher Stimme.


Ekkehard ſtand zerſtreut. Er fuhr auf.


Ich bin nie auf ſolcher Höhe geſtanden, ſprach er, bei dem An-
blick mußt' ich der Schrift gedenken: „Hernach führte ihn der Teufel
auf einen ſehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und
ihre Pracht, und ſprach zu ihm: Dies Alles will ich dir geben, wenn
du niederfällſt und mich anbeteſt. Er aber antwortete und ſprach:
Weg von mir, Satan! denn es ſteht geſchrieben: Du ſollſt den Herrn
deinen Gott anbeten und ihm allein dienen.“


Starr trat die Herzogin zurück. Das Feuer ihres Auges wan-
delte ſich, als hätte ſie den Mönch hinabſtoßen mögen in den Ab-grund.


Ekkehard! rief ſie, Ihr ſeid ein Kind — oder ein Thor!


Sie wandte ſich und ſtieg ſchnellen, unmuthigen Ganges hinunter.


Sie ritt allein zur Feſte Twiel zurück, ſauſend, im Galopp; kaum
mochte der Diener folgen.


Ekkehard wußte nicht, wie ihm geſchehen. Er fuhr mit der Hand
über die Augen, als lägen Schuppen davor.


Wie er in ſtiller Nacht auf ſeiner hohentwieler Thurmſtube ſaß
und den Tag überdachte, flammte ein ferner Feuerſchein herüber. Er
ſchaute hinaus. Aus den Tannen am hohen Krähen ſchlug die feu-
rige Lohe.


Die Waldfrau hatte der künftigen Capelle zur heiligen Hadwig
ihren letzten Beſuch erſtattet.



[117]

Zehntes Kapitel.
Weihnachten.



Der Abend auf dem hohen Krähen klang noch etliche Tage in
der Herzogin Gemüth fort. Mißtöne werden ſchwer vergeben, zumal
von dem der ſie ſelber angeſchlagen. Darum ſaß Frau Hadwig einige
Tage verſtimmt in ihrem Saal. Grammatik und Virgilius ruhten.
Sie ſcherzte mit Praxedis über die Schulmeiſter in Conſtantinopel
angelegentlicher denn früher. Ekkehard fragte an, ob er zu Fort-
ſetzung des Unterrichtes ſich einſtellen ſolle. Ich habe Zahnweh, ſprach
die Herzogin. Die rauhe Spätherbſtluft werde Schuld daran ſein,
meinte er bedauernd.


Er fragte jeden Tag etliche male nach ſeiner Gebieterin Befinden.
Das rührte die Herzogin wieder. Woher kommt's ſprach ſie einmal
zu Praxedis, daß Einer mehr werth ſein kann als er ſelber aus ſich
zu machen weiß?


Vom Mangel an Grazie, ſagte die Griechin. In andern Län-
dern hab' ich das Umgekehrte wahrgenommen, aber hier ſind die
Menſchen zu träge, mit jedem Schritt, mit jeder Handbewegung, mit
jedem Wort auszuſprechen: das bin ich. Sie denken's lieber und
meinen, es müßte dann die ganze Welt auf ihrer Stirn leſen, was
dahinter webt und ſtrebt.


Wir ſind doch ſonſt ſo fleißig, ſprach Frau Hadwig wohlgefällig.


Die Büffel ſchaffen auch den ganzen Tag, hätte Praxedis ſchier
erwiedert, aber in dieſem Falle begnügte ſie ſich damit, es gedacht
zu haben.


Ekkehard war unbefangen. Es fiel ihm nicht ein, daß er der
Herzogin ungeeignet geantwortet. Er hatte wirklich an das Gleichniß
der Schrift gedacht, und überſehen, daß es dem leiſen Ausdruck einer
Zuneigung gegenüber nicht zweckmäßig iſt, die Schrift anzuführen. Er
[118] verehrte die Herzogin, aber mehr als den verkörperten Begriff der
Hoheit, denn als Frau. Daß Hohes Anbetung fordert, war ihm nicht
eingefallen, noch weniger daß auch die höchſte Erſcheinung oft mit
einfacher Liebe zufrieden iſt. Frau Hadwig's üble Laune nahm er
wahr. Er begnügte ſich, ſeine Wahrnehmung in den allgemeinen Satz
niederzulegen, daß der Umgang mit einer Herzogin ſchwieriger ſei als
der mit Ordensbrüdern nach der Regel des heiligen Benedict. Aus
Vincentius nachgelaſſenen Büchern ſtudirte er die Briefe des Apoſtel
Paulus. Herr Spazzo ging in jener Zeit hochmüthiger an ihm vor-
über denn früher.


Frau Hadwig fand, daß es beſſer ſei, in's frühere Geleis rück-
zukehren. Es war doch ein mächtiger Anblick, ſprach ſie eines Tages
zu Ekkehard, wie wir vom hohen Krähen nach den Schneegebirgen
ſchauten. Kennt Ihr aber das hohentwieler Wetterzeichen? Wenn
die Alpen recht klar und nah am Himmel ſich abzeichnen, ſchlägt die
Witterung um. Es ſind wirklich ſchlechte Tage darauf gefolgt. Wir
wollen wieder Virgilius leſen.


Da holte Ekkehard vergnügt ſeinen ſchweren metallbeſchlagenen
Virgilius und ſie ſetzten die Studien fort. Er erklärte den Frauen
der Aeneide zweites Buch, den Fall der hohen Troja, das hölzerne
Pferd und Sinon's Liſt und Laocoon's bittres Verderben, den nächt-
lichen Kampf, Caſſandra's Geſchick und Priamus' Tod, die Flucht
mit dem greiſen Anchiſes.


Mit ſichtbarer Theilnahme lauſchte Frau Hadwig der ſpannenden
Erzählung. Nur mit dem Verſchwinden von Aeneas' Ehegemahlin
Kreuſa war ſie nicht ganz zufrieden. Das braucht er vor der Kö-
nigin Dido nicht ſo breit zu erzählen, ſprach ſie, die Lebende hat
ſicher nicht gern gehört, daß er der Entſchwundenen ſo lange nachge-
laufen. Verloren iſt verloren.


Indeſſen zog der Winter mit ſcharfem Schritt heran. der Him-
mel blieb trüb und bleigrau, die Ferne verhüllt; erſt zogen die Berg-
gipfel rings die weiße Schneedecke um, dann folgte Feld und Thal
dem Beiſpiel. Junge Eiszapfen prüften das Gebälke unter dem Dach,
ob ſie ſich für etliche Monate ungeſtört dran niederlaſſen möchten;
die alte Linde im Schloßhof hatte längſt wie ein fürſichtiger Haus-
vater, der die abgetragenen Gewandungen dem Hebräer überläßt, ihre
[119] welken Blätter dem Spiel der Winde hingeſchüttelt — es war ein
großer Bündel, ſie zerzausten ihn in alle Lüfte. In ihre Aeſte kamen
krächzend die Raben aus den nahen Wäldern geflogen, ſpähend ob
nicht aus der Burg Küche dann und wann ein Knöchlein für ſie ab-
falle. Einmal kam einer mit den ſchwarzen Brüdern, deſſen Flug
war ſchwierig, die Schwungfedern verſtümmelt — da ging Ekkehard
über den Schloßhof, der Rabe aber flog ſchreiend auf und ſuchte das
Weite, er hatte den Mönchshabit ſchon früher geſehen und war ihm
nicht hold.


Des Winters Nächte ſind lang und dunkel. Dann und wann
blitzt ein Nordlicht auf. Aber leuchtender als alles Nordlicht ſteht
jene Nacht in der Menſchen Gemüth, da die Engel niederſtiegen zu
den Hirten auf der Feldwacht und ihnen den Gruß brachten: „Ehre
ſei Gott in der Höhe und Friede auf Erden Allen, die eines guten
Willens ſind.“


Auf dem hohen Twiel rüſteten ſie zur Feier der Weihnacht durch
freundliches Geſchenk. Das Jahr iſt lang und zählt der Tage viel,
in denen man ſich Freundliches erweiſen kann, aber der Deutſchen
Sinnesart will auch dafür einen Tag vorgeſchrieben haben, darum iſt
bei ihnen vor anderem Volk die Sitte der Beſcheerung eingeführt.
Das gute Herz hat ſein beſonder Landrecht.


In jener Zeit hatte Frau Hadwig die Grammatica ſchier bei
Seite gelegt; es wurde im Frauenſaal viel genäht und geſtickt, Knäuel
von Goldfaden und ſchwarzer Seide lagen umher, und wie Ekkehard
einsmals unvermerkt eintrat, ſprang Praxedis vor ihn hin und wies
ihm die Thür, Frau Hadwig aber verbarg ein angefangen Werk der
Nadel in einem Körblein.


Da ward Ekkehard aufmerkſam und zog nicht ohne Grund den
Schluß, es werde etwas zum Geſchenk für ihn hergerichtet. Darum
ſann er darauf, daſſelbe zu erwiedern und Alles aufzubieten, was
ihm an Wiſſen uad Kunſtfertigkeit zu Gebot ſtand; er ſchickte ſeinem
Freund und Lehrer Folkard in Sanct Gallen Bericht, daß ihm der
zuſende Pergament und Farben und Pinſel und köſtliche Tinte. Jener
that's. Ekkehard aber ſaß manches Stündlein der Nacht in ſeiner
Thurmſtube und beſann ſich auf ein lateiniſches Reimwerk, das er der
[120] Herzogin widmen wollte — und ſollten ihr darin etliche feine Huldi-
gungen dargebracht werden. Es ging aber nicht ſo leicht.


Einmal hatte er begonnen und wollte in kurzem Zug von Er-
ſchaffung der Welt bis auf Antritt des Herzogthums in Schwaben-
land durch Frau Hadwig gelangen, aber es hatte ein paar hundert
Hexameter gekoſtet, da war er noch nicht beim König David ange-
langt und das Werk hätte wohl erſt Weihnachten über drei Jahre
fertig werden können. Ein anderesmal wollte er alle Frauen auf-
zählen, die durch Kraft oder Liebreiz in der Völker Geſchichte einge-
griffen, von der Königin Semiramis an mit Erwähnung der amazo-
niſchen Jungfrauen, der heldenmüthigen Judith und der melodiſchen
Sängerin Sappho, aber zu ſeinem Leidweſen fand er, daß bis ſein
Griffel zu Frau Hadwig ſich durchgearbeitet hätte, er unmöglich noch
etwas Neues zu deren Lob und Preis vorzubringen vermöchte. Da
ging er ſehr betrübt und niedergeſchlagen umher.


Habt Ihr eine Spinne verſchluckt, Perle aller Profeſſoren? frug
ihn Praxedis einmal, wie ſie dem Verſtörten begegnete.


Ihr habt gut ſcherzen, ſprach Ekkehard traurig, — und unter dem
Siegel der Verſchwiegenheit klagte er ihr ſeine Noth. Praxedis
mußte lachen:


Bei den ſechs und dreißigtauſend Bänden der Bibliothek zu Con-
ſtantinopolis! ſagte ſie, — Ihr wollet ja ganze Wälder umhauen,
wo es nur ein paar Blümlein zum Strauß erfordert. Macht's ein-
fach, ungelehrt, lieblich — wie es Euer geliebter Virgilius ausge-
dacht hätte! — Sie ſprang davon.


Ekkehard ſetzte ſich wieder auf ſeine Stube. Wie Virgil? dachte
er. Aber in der ganzen Aeneide war kein Beiſpiel für ſolchen Fall
vorgezeichnet. Er las etliche Geſänge. Dann ſaß er träumeriſch da.
Da kam ihm ein guter Gedanke. Ich hab's! rief er, der theure
Sänger ſelber ſoll die Huldigung darbringen! Er ſchrieb das Ge-
dicht nieder, als wenn Virgilius ihm in ſeiner Thurmeinſamkeit er-
ſchienen wäre, freudig darüber, daß in deutſchen Landen ſeine Ge-
ſänge fortlebten, der hohen Frau dankend, die ſein pflege. In wenig
Minuten war's fertig.


Das Gedicht wollte Ekkehard mit einer ſchönen Malerei verziert
zu Pergament bringen. Er ſann ein Bild aus: die Herzogin mit
[121] Krone und Scepter auf hohem Throne ſitzend, ihr kommt Virgilius
im weißen Gewand, den Lorbeer in den Locken, entgegen und neigt
das Haupt; an der Rechten aber führt er den Ekkehard, der beſchei-
den wie der Schüler mit dem Lehrer einherſchreitet, ebenfalls tief ſich
verneigend.


In der ſtrengen Weiſe des trefflichen Folkard entwarf er die
Zeichnung. Er erinnerte ſich an ein Bild im Pſalterbuch, wie der
junge David vor den König Abimelech tritt.131) So ordnete er die
Geſtalten; die Herzogin zeichnete er zwei Fingerbreit höher als Vir-
gilius und der Ekkehard des Entwurfs war hinwiederum ein beträcht-
liches kleiner als der heidniſche Poet; — anfangende Kunſt, der es
an anderem Mittel des Ausdrucks gebricht, ſpricht Rang und Größe
äußerlich aus.


Den Virgilius bracht' er leidlich zuwege. Sie hatten ſich in
Sanct Gallen bei ihren Malereien ſtets an Ueberlieferung alten Bil-
derwerks gehalten und für Gewandung, Faltenwurf und Bezeichnung
der Geſtalt einen gleichmäßig ſich wiederholenden Zug angenommen.
Ebenſo gelang es ihm mit ſeinem eigenen Abbild, ſofern er wenig-
ſtens eine Figur im Mönchshabit, kenntlich durch eine Tonſur, herſtellte.


Aber ein verzweifelt Problema war ihm die richtige Darſtellung
einer königlichen Frauengeſtalt, denn in die klöſterliche Kunſt hatte
noch kein Abbild einer Frau, ſelbſt nicht das der Gottesmutter Maria
Einlaß erhalten. David und Abimelech, die er ſo gut im Zug hatte,
halfen ihm Nichts, bei ihnen brach der Königsmantel ſchon hoch über
dem Knie ab und er wußte nicht, wie den Faltenwurf tiefer herabſenken.


Da lagerte ſich wiederum Kümmerniß auf ſeine Stirn. Nun?
fragte Praxedis eines Tages.


Das Lied iſt fertig, ſprach Ekkehard. Itzt fehlt mir was Anderes.


Was fehlt denn?


Ich ſollte wiſſen, ſprach er wehmüthig, in welcher Weiſe ſich der
Frauen Gewand um den zarten Leib ſchmiegt.


Ihr ſprecht ja ganz abſcheulich, erleſenes Gefäß der Tugend,
ſchalt ihn Praxedis. Ekkehard aber erklärte ihr ſeinen Kummer deut-
licher. Da machte die Griechin eine Handbewegung, als wolle ſie
die Augenlieder in die Höhe ziehen: Macht die Augen auf, ſagte ſie,
und ſeht Euch das Leben an. Der Rath war einfach, und doch neu
[122] für Einen, der ſeine ganze Kunſt auf einſamer Stube erlernt. Ekke-
hard ſchaute ſeine Rathgeberin lang und abmeſſend an. Es frommt
mir nichts, ſprach er, Ihr tragt keinen Königsmantel.


Da erbarmte ſich die Griechin des zweifelerfüllten Künſtlers.
Wartet, ſagte ſie, die Frau Herzogin iſt drunten im Garten, ich will
ihren Staatsmantel umlegen, da kann Euch geholfen werden. Sie
huſchte fort; in wenig Minuten war ſie wieder da, der ſchwere Pur-
purmantel mit goldener Verbrämung hing ihr nachläſſig um die
Schultern. In gemeſſenem Schritt ging ſie durch das Gemach, ein
eherner Leuchter ſtand auf dem Tiſch, ſie nahm ihn wie einen Scepter,
das Haupt auf die Schulter zurückgeworfen trat ſie vor den Mönch.


Der hatte ſeine Feder ergriffen und ein Stücklein Pergament.
Wendet Euch ein wenig gegen das Licht, ſprach er, und begann emſig
ſeine Striche zu ziehen.


Jedesmal aber wenn er nach ſeinem anmuthigen Vorbild ſchaute,
warf ihm dies einen blitzenden Blick zu. Er zeichnete langſamer.
Praxedis ſchaute nach dem Fenſter: Und da unſere Nebenbuhlerin im
Reich, ſprach ſie mit künſtlich erhobener Stimme, bereits den Burg-
hof verläßt und uns zu überfallen droht, ſo befehlen wir Euch bei
Strafe der Enthauptung, Eure Zeichnung in eines Augenblicks Friſt
zu vollenden.


Ich danke Euch, ſprach Ekkehard, und legte die Feder nieder.


Praxedis trat zu ihm und beugte ſich vor, in ſein Blatt zu ſehen.
Schändlicher Verrath, ſprach ſie, das Bild hat ja keinen Kopf.


Ich brauche nur den Faltenwurf, ſagte Ekkehard.


Ihr habt Euer Glück verſäumt, ſcherzte Praxedis im früheren
Ton; das Antlitz treu abgebildet und wer weiß ob wir in fürſtlicher
Gnade Euch nicht zum Patriarchen von Conſtantinopel ernannt hätten.


Es wurden Schritte hörbar. Schnell riß Praxedis den Mantel
von den Schultern, daß er auf den Arm niederſank. Schon ſtand
die Herzogin vor den Beiden.


Wollt Ihr wieder Griechiſch lernen? ſprach ſie vorwurfsvoll zu
Ekkehard.


Ich hab' ihm den edeln Sardonyx an meiner Herrin Mantel
Agraffe gezeigt; es iſt ſo ein feingeſchnittener Kopf, ſagte Praxedis,
[123] Herr Ekkehard verſteht ſich auf's Alterhum. Er hat das Antlitz
recht gelobt ...


Auch Audifax traf ſeine Vorbereitungen für Weihnachten. Seine
Hoffnung auf Schätze war ſehr geſchwunden. Er hielt ſich jetzt an
das wirklich Vorhandene. Darum ſtieg er oft nächtlich in's Thal
hinunter an's Ufer der Aach, die mit trägem Lauf dem See entgegen
ſchleicht. Beim morſchen Steg ſtand ein hohler Weidenbaum. Dort
lauerte Audifax manches Stündlein, den erhobenen Rebſtecken nach
des Baumes Oeffnung gerichtet. Er ſtellte einem Fiſchotter nach.
Aber keinem Denker iſt die Erforſchung der letzten Gründe alles
Seins ſo ſchwierig geworden, wie dem Hirtenknaben ſeine Otterjagd.
Denn aus dem hohlen Ufer zogen ſich noch allerhand Ausgänge in
den Fluß, die der Otter wußte, Audifax nicht. Und wenn Audifax
oft vor Kälte zitternd ſprach: itzt muß er kommen! ſo kam weit
ſtromaufwärts ein Gebrauſe hergetönt, das war ſein Freund, der dort
die Schnauze über's Waſſer ſtreckte und Athem holte; und wenn
Audifax leiſe dem Ton nachſchlich, hatte ſich der Otter inzwiſchen auf
den Rücken gelegt und ließ ſich gemächlich ſtromab treiben ...


In der hohentwieler Küche war Leben und Bewegung, wie im
Zelt des Feldherrn am Vorabend der Schlacht. Frau Hadwig ſelbſt
ſtand unter den dienenden Mägden, ſie trug keinen Herzogsmantel,
wohl aber einen weißen Schurz, theilte Mehl und Honig aus und
ordnete die Backung der Lebkuchen an. Praxedis miſchte Ingwer,
Pfeffer und Zimmt zur Würze des Teigs.


Was nehmen wir für eine Form? frug ſie. Das Viereck mit
den Schlangen?


Das große Herz132) iſt ſchöner, ſprach Frau Hadwig. Da wurden
die Weihnachtlebkuchen in der Herzform gebacken, den ſchönſten ſpickte
Frau Hadwig eigenhändig mit Mandeln und Cardamomen.


Eines Morgens kam Audifax ganz erfroren in die Küche, und
ſuchte ſich ein Plätzlein am Heerdfeuer; ſeine Lippen zitterten wie in
Fieberſchauer, aber er war wohlgemuth und freudig. Rüſte dich,
Büblein, ſprach Praxedis zu ihm, du mußt heut Nachmittag hinüber
in den Wald und ein Tännlein hauen.


Das iſt nicht meines Amtes, ſagte Audifax ſtolz, ich will's aber
thun, wenn Ihr mir auch einen Gefallen thut.


[124]

Was befiehlt der Herr Ziegenhirt? fragte Praxedis.


Audifax ſprang hinaus, dann kam er wieder und hielt einen
dunkelbraunen Balg ſiegesfroh in die Höhe, das kurze glatte Haar
glänzte daran, dicht und weich war's anzufühlen.


Woher das Rauchwerk? fragte Praxedis.


Selbſt gefangen, ſprach Audifax und ſah wohlgefällig auf ſeine
Beute. Ihr ſollt eine Pelzhaube für die Hadumoth daraus machen.


Die Griechin war ihm wohlgeſinnt und verſprach Erfüllung
der Bitte.


Der Weihnachtsbaum war gefällt; ſie ſchmückten ihn mit Aepfeln
und Lichtlein, die Herzogin richtete Alles im großen Saal. Ein
Mann von Stein am Rhein kam herüber, und brachte einen Korb,
der mit Leinwand zugenäht war. Es ſei von Sanct Gallen, ſprach
er, für Herrn Ekkehard. Frau Hadwig ließ den Korb ungeöffnet zu
den andern Gaben ſtellen.


Der heilige Abend war gekommen. Die geſammten Inſaſſen der Burg
verſammelten ſich in feſtlichem Gewand, zwiſchen Herrſchaft und Geſind
ſollte heut keine Trennung ſein. Ekkehard las ihnen das Evangelium von
des Heilands Geburt, dann gingen ſie paarweiſe in den großen Saal
hinüber, da flammte heller Lichtglanz und feſtlich leuchtete der dunkle
Tannenbaum — als die letzten traten Audifax und Hadumoth ein,
ein Blättlein Goldſchaum vom Vergolden der Nüſſe lag an der
Schwelle, Audifax bückte ſich darnach, es zerging ihm unter den Fingern.
Das iſt dem Chriſtkind von den Flügeln abgefallen, ſprach Hadumoth
leiſe zu ihm.


Auf großen Tiſchen lagen die Geſchenke für die dienenden Leute,
ein Stück Leinwand oder gewoben Tuch und einiges Gebäck; ſie freuten
ſich des nicht allzeit ſo milden Sinnes der Gebieterin. Bei Hadumoth's
Antheil lag richtig die Pelzhaube. Sie weinte, als Praxedis ihr
freundlich den Geber verrieth. Ich hab' Nichts für dich, ſagte ſie zu
Audifax. Es iſt ſtatt der Goldkrone, ſprach der. Knechte und Mägde
dankten der Herzogin und gingen in die Geſindeſtube hinunter.


Frau Hadwig nahm Ekkehard bei der Hand und führte ihn an ein
Tiſchlein. Das iſt für Euch, ſprach ſie. Beim mandelgeſpickten Leb-
kuchenherz und dem Korb lag ein ſchmuckes prieſterliches Sammtbarett
und eine prächtige Stola, Grund und Franſen waren von Goldfaden,
[125] dunkle Punkte waren mit ſchwarzer Seide drein geſtickt, einige mit
Perlen ausgeziert, ſie war eines Biſchofs werth.


Laßt ſehen, wie Ihr Euch ausnehmt, ſprach Praxedis. Trotz der
kirchlichen Beſtimmung ſetzte ſie ihm das Barett auf und warf ihm
die Stola um. Ekkehard ſchlug die Augen nieder. Meiſterhaft! rief
ſie, Ihr dürft Euch bedanken.


Er aber legte ſcheu die geweihten Gaben wieder ab, aus ſeinem
weiten Gewand zog er die Pergamentrolle und reichte ſie ſchüchtern
der Herzogin dar. Frau Hadwig hielt ſie unentfaltet. Erſt den Korb
öffnen! das Beſte — ſprach ſie freundlich auf das Pergament deutend,
ſoll zuletzt kommen.


Da ſchnitten ſie den Korb auf; in Heu begraben und durch des
Winters Kälte wohl erhalten lag ein mächtiger Auerhahn drin, Ekke-
hard hob ihn in die Höhe, mit ausgebreiteten Flügeln reichte er über
eines Mannes Länge. Ein Brieflein war bei dem ſtattlichen Stück
Federwild.


Vorleſen! ſprach die Herzogin neugierig.


Ekkehard öffnete das unkenntliche Sigill und las:
„Dem ehrwürdigen Bruder Ekkehard auf dem hohen Twiel durch
Burkart den Kloſterſchüler Romeias der Wächter am Thor.


„Wenn es zwei wären, ſo wäre Einer für Euch. Da es aber auf
Zwei nicht geglückt hat, ſo iſt der Eine nicht für Euch und Eurer
kommt nach. Geſendet wird er an Euch wegen Unwiſſenheit des
Namens. Sie war aber mit der Frau Herzogin damals im Kloſter
und trug ein Gewand von Farbe eines Grünſpechts, den Zopf um
die Stirn geflochten.


„Derſelben den Vogel. Wegen fortwährender Gedenkung deſſen der
ihn geſchoſſen, an ſtattgefundene Begleitung zu den Klausnerinnen.
Er muß aber ſtark eingebeizt und mürb gebraten werden, weil ſonſt
zähe; bei Zuzug von Gäſten ſoll ſie das weiße Fleiſch am Rückgrat
ſelber verzehren, da dies das beſte, und das braune von harzigem
Geſchmack.


„Dazu Glück und Segen. Euch, ehrwürdiger Bruder, auch. Wenn
auf Euerer Burg ein Wächter, Thurmwart oder Forſtwart zu wenig,
ſo empfehlet der Herzogin den Romeias, dem wegen Verſpottung durch
den Schaffner und Verklagung durch den Drachen Wiborad Verän-
[126] derung des Dienſtes wünſchenswerth. Uebung im Thordienſt, Einlaß
und Hinauswerfung fremden Beſuchs betreffend, kann bezeugt werden.
Ebenſo was Jagd angeht. Und er ſchaut jetzt ſchon nach dem hohen
Twiel als zöge ihn ein Seil dorthin. — Langes Leben Euch und
der Frau Herzogin. Lebet wohl.“


Fröhlich Lachen ſchloß die Vorleſung. Praxedis aber war roth
geworden. Das iſt ein ſchlechter Dank von Euch, ſprach ſie biſſig zu
Ekkehard, daß Ihr Briefe in anderer Leute Namen ſchreibt und mich
beleidiget.


Haltet ein, ſprach er, warum ſoll der Brief nicht ächt ſein?


Es wär' nicht der erſte, den ein Mönch gefälſcht, war Praxedis'
gereizte Antwort. Was braucht Ihr Euch über den groben Jägers-
mann luſtig zu machen? Er war gar nicht ſo übel.


Praxedis, ſei vernünftig, ſprach die Herzogin. Schau dir den
Auerhahn an, der iſt nicht im Hegau geſchoſſen, und Ekkehard führt
eine andere Feder. Wollen wir den Bittſteller auf unſer Schloß
verſetzen?


Das verbitt' ich mir, rief Praxedis eifrig. Es ſoll Niemand
meinen, daß ...


Gut, ſprach Frau Hadwig mit Schweigen gebietendem Ton. Sie
rollte Ekkehard's Pergament auf. Die Malerei am Anfang war leid-
lich gelungen, Zweifel über deren Bedeutung beſeitigte die Darüber-
ſchreibung der Namen Hadwigis, Virgilius, Ekkehard. Eine kühne
Initiale mit verſchlungenem goldenem Geäſte eröffnete die Schrift.


Die Herzogin war höchlich erfreut. Ekkehard hatte ſeither über
den Beſitz ſolcher Kunſt Nichts verlauten laſſen. Praxedis ſchaute nach
dem purpurnen Mantel, den die gemalte Herzogin trug, und lächelte,
als wüßte ſie was Beſonderes.


Frau Hadwig winkte, daß Ekkehard ſein Geſchriebenes vorleſe und
erkläre. Er las.


Verdeutſcht lautet's alſo:


In nächt'ger Stille ſaß ich jüngſt allein

Und ziffert' an den Schriften alter Zeit,

Da flammte hell ein geiſterhafter Schein

In mein Gemach. 'S war nicht des Mondes Licht, —

[127]
Und vor mich trat ein leuchtend Menſchenbild,

Unſterblich Lächeln ſchwebt' um ſeinen Mund,

In dunkler Fülle wallte das Gelock,

Als Diadem trug er den Lorbeerkranz.

Hindeutend auf das aufgeſchlagne Buch,

Sprach er zu mir: Sei guten Muths, mein Freund,

Ich bin kein Geiſt, der deinen Frieden ſtört,

Ich bringe dir nur Gruß und Segenswunſch.

Was todter Buchſtab dort dir noch erzählt,

Das ſchrieb ich ſelbſt mit warmem Herzblut einſt:

Der Troer Waffen, des Aeneas Fahrt,

Der Götter Zorn, der ſtolzen Rom Beginn.

Schon ein Jahrtauſend ſchier iſt abgerollt,

Der Sänger ſtarb, es ſtarb ſein ganzes Volk.

Still iſt mein Grab. Nur ſelten dringt ein Klang

Zu mir herab, von froher Winzer Feſt,

Vom Wogenſchlag am nahen Cap Miſen.

Doch jüngſt hat mich der Nordwind aufgeſtört,

Er brachte Kunde, daß in fremden Gau'n

Man des Aeneas Schickſal wieder liest,

Daß eine Fürſtin, ſtolz und hochgemuth

Des Landes Sprache als ein neu Gewand

Um meine Worte gnädig ſchmiegen heißt.

Wir glaubten einſt, am Fuß der Alpen ſei

Nur Sumpf des Rheins und ein barbariſch Volk;

Jetzt hat die Heimath ſelber uns vergeſſen

Und bei den Fremden leben neu wir auf.

Deß Euch zu danken bin ich heute hier:

Das höchſte Kleinod, was dem Sänger wird,

Iſt Anerkennung einer hohen Frau.

Heil deiner Herrin, der das ſelt'ne Gut

Der Stärke und der Weisheit ward beſcheert,

Die gleich Minerva in der Götter Reih'n,

In Erz gerüſtet eine Kriegerin,

Der Friedenskünſte Hort und Schutz zugleich.

[128]
Noch lange Jahre mög' ihr Scepter walten,

Es blüh' um ſie ein ſtark und ſittig Volk.

Und kommt Euch einſt ein fremd Getön gerauſcht,

Wie Heldenlied und fernes Saitenſpiel,

Dann denket mein, es grüßt Italia Euch,

Es grüßt Virgil den Fels von Hohentwiel.

Er ſprach's und winkte freundlich und verſchwand.

Ich aber ſchrieb noch in derſelben Nacht

Was er geſprochen. Meiner Herrin ſei's

Als Feſtgeſchenk itzt ſchüchtern dargebracht

Von ihrem treuen Dienſtmann Ekkehard.

Eine kurze Pauſe erhob ſich, als er die Leſung ſeines Gedichts
beendet. Dann trat die Herzogin auf ihn zu und reichte ihm die
Hand. Ekkehard, ich danke Euch! ſprach ſie; es waren dieſelben
Worte, die ſie einſt im Kloſterhof zu Sanct Gallen zu ihm geſpro-
chen, aber der Ton war noch milder wie damals, und der Blick war
ſtrahlend und ihr Lächeln wunderſam, wie das zaubervoller Feyen,
von dem die Sage geht, ein Schneeregen blühender Roſen müſſe
drauf folgen.


Sie wandte ſich dann zu Praxedis: und dich ſollte ich verurthei-
len, itzt einen abbittenden Fußfall zu thun, die du jüngſt ſo gering-
ſchätzend von den gelehrten geiſtlichen Männern geſprochen. Aber die
Griechin blickte ſchelmiſch drein, wohl wiſſend, daß ohne ihren weiſen
Rath und Beiſtand der ſcheue Mönch ſich kaum zu ſeiner Dichtung
erſchwungen.


In aller Zukunft, ſprach ſie, werde ich ſeinem Verdienſte die ge-
bührende Achtung zollen. Auch einen Kranz will ich ihm flechten, ſo
Ihr gebietet.


Als Ekkehard hinaufgegangen war in ſeine Thurmſtube und die
ſtille Mitternacht herannahte, ſaßen die Frauen noch bei einand. Und
die Griechin brachte eine Schaale mit Waſſer und etliche Stücklein
Blei und einen metallenen Löffel. Das Bleigießen vom vorigen Jahr
iſt gut eingetroffen, ſprach ſie, wir mochten's uns damals kaum er-
klären, welch eine ſonderbare Form das geſchmolzene Stück im Waſſer
annahm, aber ich meine itzt mehr und mehr, es habe einer Mönchs-
kapuze geglichen, und die iſt unſerer Burg geworden.


[129]

Die Herzogin war nachdenkend. Sie lauſchte, ob Ekkehard nicht
etwa durch den Gang zurückkehre.


Es iſt doch nur eitel Spielerei, ſprach ſie ...


Wenn es meiner Herrin nicht gefällt, ſagte die Griechin, ſo mag
ſie unſern Lehrer beauftragen, uns mit Beſſerem zu erfreuen; ſein
Virgilius iſt freilich ein zuverläſſiger Orakel der Zukunft, als unſer
Blei, wenn er in geweihter Nacht mit Segensſpruch und Gebet auf-
geſchlagen wird. Ich wäre faſt neugierig, welch ein Stück ſeiner Dich-
tung uns die Geſchicke des nächſten Jahrs offenbaren würde ...


Schweig, ſagte die Herzogin. Er hat neulich ſo ſtreng über Zau-
berei geſprochen, er würde uns auslachen ...


Dann werden wir beim Alten bleiben müſſen, ſprach Praxedis
und hielt den Löffel mit dem Blei über das Licht der Lampe. Das
Blei ſchmolz und bewegte ſich zitternd, da ſtund ſie auf, murmelte
etliche unverſtändliche Worte und goß es herab. Ziſchend ſprühte das
flüſſige Metall in die Waſſerſchaale.


Frau Hadwig wandte ihren Blick in ſcheinbarer Gleichgiltigkeit.
Praxedis hielt die Schaale an's Lampenlicht: ſtatt in ſeltſame Schlacken
zu ſplittern, war das Blei zuſammenhängend geblieben, ein länglich
zugeſpitzter Tropfen. Matt glänzte es in Frau Hadwig's Hand.


Das iſt wiederum ein Räthſel, bis die Löſung kommt, ſcherzte
Praxedis. Die Zukunft ſieht ja für dieſesmal faſt aus wie ein
Tannenzapfen.


Wie eine Thräne! ſprach die Herzogin ernſt und ſtützte ihr Haupt
auf die Rechte.133)


Lauter Lärm im Erdgeſchoß der Burg unterbrach das weitere
Prüfen der Vorbedeutung; Gekicher und Aufſchrei der dienenden
Mägde, rauhes Gebrumm männlicher Stimmen, ſchriller Lautenklang:
ſo tönte es verworren den Gang herauf; ehrerbietig und ſchutzflehend
hielt der fliehende Schwarm der Dienerinnen an des Saales Schwelle,
die lange Friderun unterdrückte mühſam ein lautes Schelten, die
junge Hadumoth weinte — tappend kam eine Geſtalt hinter ihnen
drein, ſchwerfälligen zweibeinigen Schritts, in rauhe Bärenhaut gehüllt,
eine bemalte hölzerne Maske mit namhafter Schnauze vor dem Antlitz,
ſie brummte und murrte wie ein hungriger Braun, der auf Beute
ausgeht, und that dann und wann einen ungefügen Griff in die Laute,
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 9
[130] die an rothem Band über die zottigen Schultern gehängt war — aber
wie des Weihnachtſaals Thüre ſich aufthat und der Herzogin Gewand
entgegenrauſchte, machte der nächtliche Spuk Kehrt und polterte lang-
ſam durch den dröhnenden Gang zurück.


Die alte Schaffnerin ergriff das Wort und trug ihrer Gebieterin
vor, daß ſie fröhlich unten geſeſſen und ſich der Weihnachtgaben er-
freut, da ſei das Ungethüm eingebrochen und habe erſt zum eigenen
Lautenſpiel einen feinen Tanz aufgeführt, hernach aber die Lichter
ausgeblaſen und die erſchrockenen Maiden mit Kuß und Umarmung
bedroht, und ſei ſo wild und unerſättlich geworden, daß es ſie Alle
zur Flucht genöthigt; dem rauhen Lachen des Bären aber ſei mit Grund
zu entnehmen, daß unter der Wildſchur Herr Spazzo der Kämmerer
verborgen ſtecke, der nach einem ſcharfen Weintrunk hiemit ſein Weih-
nachtvergnügen beſchloſſen.


Frau Hadwig beruhigte den Unwillen ihres Geſindes und hieß ſie
ſchlafen gehen. Vom Hofe aber tönte noch einmal verwunderter Auf-
ruf; Alle ſtanden in einer Gruppe beiſammen und ſchauten unverrückt
auf den Thurm, denn der ſchreckhafte Bär war hinaufgeſtiegen, und
erging ſich jetzo auf den Zinnen der Warte und reckte ſein ſtruppiges
Haupt nach den Sternen, als wolle er ſeinem Namensgenoſſen droben,
dem großen Bären, einen Gruß hinüberwinken in's Unermeßliche.


Die dunkle Vermummung hob ſich in deutlichem Umriß vom fah-
len glanzerhellten Himmelsgrunde, geſpenſtig klang ihr Brummen in
die ſchweigende Nacht; doch Keinem der Sterblichen ward kund, was
die leuchtenden Geſtirne dem weinſchweren Haupte Herrn Spazzo des
Kämmerers geoffenbart ...


Um dieſelbe Mitternachtſtunde kniete Ekkehard vor dem Altar der
Burgcapelle und ſang leiſe die Hymnen der Chriſtmette,134) wie es
die Uebung der Kirche vorſchrieb.



[131]

Elftes Kapitel.
Der Alte in der Heidenhöhle.



Der Reſt des Winters ging auf dem hohen Twiel einförmig, darum
ſchnell vorüber. Sie beteten und arbeiteten, laſen Virgil und ſtudirten
Grammatik, wie es die Zeit brachte. Frau Hadwig ſtellte keine ver-
fänglichen Fragen mehr.


In der Faſchingszeit kamen die benachbarten Großen, der Herzogin
ihren Beſuch abzuſtatten, die von der Nellenburg und von Veringen,
der alte Graf im Argengau mit ſeinen Töchtern, die ſieben Welfen
von Ravensburg überm See und manch Anderer.135) Da wurde viel
geſchmaust und noch mehr getrunken.


Dann ward's wieder einſam oben.


Der März kam heran, ſchwere Stürme ſausten über's Land, in
der erſten klaren Sternennacht ſtand ein Komet am Himmel,136) und
der Storch, der auf der Burg Dachfirſt wohlgemuth hauste, war acht
Tage nach ſeiner Rückkunft wieder von dannen geflogen: die Leute
ſchüttelten den Kopf. Dann trieb ein Schäfer von Engen ſeine Heerde
am Berg vorüber, der erzählte, daß er dem Heerwurm137) begegnet:
das bedeutet Krieg.


Unheimliche Stimmung lagerte ſich über die Gemüther. Drohendes
Erdbeben wird auch in weiter Entfernung vorausgeſpürt, hier Aus-
bleiben einer Quelle, dort ſcheuer Vogelflug: ebenſo ahnt ſich Gefahr
des Krieges.


Herr Spazzo, der im Februar tapfer hinter den Weinkrügen tur-
niert hatte, ging jetzo tiefſinnig umher. Ihr ſollt mir einen Dienſt
erweiſen, ſprach er eines Abends zu Ekkehard. Ich hab' im Traum
einen todten Fiſch geſehen, der auf dem Rücken ſchwamm. Ich will
mein Teſtament machen. Die Welt iſt alt geworden und ſteht nur
noch auf einem Bein, das wird nächſtens auch zuſammen knacken.
9*
[132] Gut Nacht Firnewein! Zum tauſendjährigen Reich iſt's ohnedem nicht
mehr weit; es iſt luſtig gelebt worden, vielleicht werden die letzten
Jahre doppelt gerechnet.


Weiter kann's die Menſchheit auch nicht mehr bringen. Die Bil-
dung iſt ſo weit gediehen, daß auf dem einen Schloß Hohentwiel
mehr als ein halb Dutzend Bücher aufgehäuft liegen, und wenn Einer
blutrünſtig geſchlagen wird, ſo läuft er zum Gaugericht und klagt's
ein, ſtatt ſeinem Schädiger Haus und Hof über'm Kopf zuſammen zu
brennen. Da hört die Welt von ſelber auf.138)


Wer ſoll Euer Erbe ſein, wenn Alle zu Grunde gehn? hatte ihn
Ekkehard gefragt.


Ein Mann von Augsburg kam nach der Reichenau, der brachte
ſchlimme Kundſchaft. Der Biſchof Ulrich hatte dem Kloſter ein koſt-
bar Heilthum zugeſagt, den rechten Vorderarm des heiligen Theopon-
tus, reich in Silber und Edelſtein gefaßt. Das Land ſei unſicher,
ließ er vermelden, er traue ſich nicht das Geſchenk zu ſenden.


Der Abt wies den Mann nach dem hohen Twiel, der Herzogin
Bericht zu erſtatten.


Was bringt Ihr Gutes? frug ſie ihn.


Nicht viel, möchte lieber was mitnehmen: den ſchwäbiſchen Heer-
bann, Roß und Reiter, ſo viel ihrer Schild und Speer an der Wand
hängen haben. Sie ſind wieder auf dem Weg zwiſchen Donau und
Rhein ...


Wer?


Die alten Feinde von drüben herüber; die kleinen, mit den tief-
liegenden Augen und den ſtumpfen Naſen. Es wird wieder viel roh
Fleiſch unter dem Sattel mürb geritten werden, dieſes Jahr.


Er zog ein ſeltſam geformtes kleines Hufeiſen mit hohem Abſatz
aus dem Gewand: Kennt Ihr das Wahrzeichen? „Kleiner Huf und
kleines Roß, krummer Säbel, ſpitz Geſchoß — blitzeſchnell und ſattel-
feſt: ſchirm uns Herr vor dieſer Peſt!“


Die Hunnen?!139) fragte die Herzogin betroffen.


So Ihr ſie lieber die Ungrer heißen wollt oder die Hungrer, iſt
mir's auch recht, ſprach der Bote. Der Biſchof Pilgrim hat's von
Paſſau nach Freiſing melden laſſen, von dort kam uns die Mähr'.
Ueber die Donau ſind ſie ſchon geſchwommen, wie die Heuſchrecken
[133] fallen ſie auf's deutſche Land, geſchwinde wie geflügelte Teufel ſind ſie
auch, eher fängſt du den Wind auf der Ebene und den Vogel in der
Luft, heißt's bei uns von früher her. Daß Koller und Dampf ihre
kleinen Roſſe heimſuchte!.. Mich dauert nur meiner Schweſter Kind,
die ſchöne Bertha in Paſſau ...


Es iſt nicht möglich! ſagte Frau Hadwig. Haben ſie ſchon ver-
geſſen, wie ihnen die Kammerboten Erchanger und Berchtold den Be-
ſcheid gaben: Wir haben Eiſen und Schwerter und fünf Finger in
der Fauſt? In der Schlacht am Inn ward's ihnen deutlich auf die
Köpfe geſchrieben ..


Eben darum, ſprach der Mann. Wer tüchtig geſchlagen worden,
kommt gern wieder, um das zweitemal ſelber zu ſchlagen. Itzt ſind
andere Zeiten. Den Kammerboten hat man zum Dank für ihre Tapfer-
keit ſpäter das Haupt vor die Füße gelegt, wer wird ſich noch voran
ſtellen?


Auch wir wiſſen den Weg, auf dem unſere Vorgänger gegen den
Feind geritten ſind, ſprach die Herzogin ſtolz.


Sie entließ den Mann von Augsburg mit einem Geſchenk. Dann
berief ſie Ekkehard zu ſich.


Virgilius wird eine Zeit lang in Ruhe kommen, ſprach ſie zu
ihm, und theilte ihm die Nachricht von der Hunnen Gefahr mit. Die
Lage der Dinge war nicht erfreulich.


Die Großen des Reichs hatten in langen Fehden verlernt zu ge-
meinſamem Handeln einzuſtehn; der Kaiſer, aus ſächſiſchem Stamm
und den Schwaben nicht ſonderlich hold, ſchlug ſich fern von den deut-
ſchen Grenzen in Italien herum, die Straße nach dem Bodenſee ſtund
den fremden Gäſten offen. An ihrem Namen haftete der Schreck.
Seit Jahren ſchwärmten ihre Haufen wie Irrlichter durch das zer-
rüttete Reich, das Karl der Große unfähigen Nachfolgern hinterlaſſen,
von den Ufern der Nordſee, wo die Trümmerſtätte von Bremen Zeug-
niß ihres Einfalls gab, bis hinab an die Südſpitze Calabriens, wo
der Landeingeborene ihnen Mann für Mann ein Löſegeld für ſeinen
Kopf zahlen mußte, zeichnete Brand und Plünderung ihre Spur ...


Wenn der fromme Biſchof Ulrich keine Geſpenſter geſehen hat,
ſprach die Herzogin, ſo kommen ſie auch zu uns, was iſt zu thun?
In Kampf ziehen? Auch Tapferkeit iſt Thorheit, wenn der Feind
[134] übermächtig. Durch Tribut und Goldzins Friede kaufen, und ſie auf
der Nachbarn Grenzen hetzen? Andere haben's gethan; wir haben
von Ehr' und Unehr' andere Meinung.


Uns auf dem Twiel verſchanzen und das Land preisgeben? Es
ſind unſere Unterthanen, denen wir herzoglichen Schutz gelobt. Rathet!


Mein Wiſſen iſt auf ſolchen Fall nicht gerüſtet, ſprach Ekkehard
betrübt.


Die Herzogin war aufgeregt. O Schulmeiſter, rief ſie vorwurfs-
voll, warum hat Euch der Himmel nicht zum Kriegsmann werden
laſſen? es wäre Vieles beſſer!


Da wollte Ekkehard verletzt von dannen gehen. Das Wort war
ihm in's Herz gefahren, wie ein Pfeil, und ſetzte ſich tief darin feſt.
Es lag ein Stück Wahrheit in dem Vorwurf, darum ſchmerzte er.


Ekkehard! rief ihm Frau Hadwig nach, Ihr ſollt nicht gehen. Ihr
ſollt mit Eurem Wiſſen der Heimath dienen; und was Ihr noch nicht
wißt, ſollt Ihr lernen. Ich will Euch zu Einem ſchicken, der weiß
Beſcheid in ſolchen Dingen, wenn er noch lebt. Wollt Ihr meinen
Auftrag beſtellen?


Ekkehard hatte ſich umgewandt. Ich war noch nie ſäumig, meiner
Herrin zu dienen, ſprach er.


Ihr dürft aber nicht erſchrecken, wenn er Euch ſpröd' und rauh
anläßt, er hat viel Unbill erfahren von früheren Geſchlechtern, die
heutigen kennen ihn nicht mehr. Dürft auch nicht erſchrecken, wenn
er Euch gar alt und fett erſcheint.


Er hatte aufmerkſam zugehört: Ich verſtehe Euch nicht ganz ...


Thut nichts, ſprach die Herzogin. Ihr ſollt morgen nach dem
Sipplinger Hof hinüber, drüben am Ueberlinger See, wo die Fels-
wand ſich ſteil in die Fluth herabſenkt, iſt aus alten Zeiten allerhand
Gelaß zu menſchlicher Wohnung in den Stein gehauen. Wenn Ihr
den Rauch eines Heerdfeuers aus dem Berg aufſteigen ſehet, ſo geht
hinauf. Dort findet Ihr, den ich meine, redet mit ihm von wegen
der Hunnen ...


Zu wem ſendet mich meine Herrin? fragte Ekkehard geſpannt.


Zum Alten in der Heidenhöhle, ſagte Frau Hadwig. Man weiß
hierlands keinen andern Namen von ihm. Aber halt! fuhr ſie fort,
[135] ich muß Euch auch das Wort mitgeben für den Fall, daß er den
Einlaß weigert.


Sie ging zu ihrem Schrank und ſtöberte unter Schmuck und Ge-
räthſchaften; dann brachte ſie e[i]n Schiefertäflein, drauf ſtanden etliche
Buchſtaben gekritzelt: das ſollt Ihr zu ihm ſagen, und einen Gruß
von mir.


Ekkehard las. Es waren die zwei unverſtändlichen lateiniſchen
Worte: neque enim! ſonſt nichts. Das hat keinen Sinn, ſprach er.


Thut nichts, ſagte Frau Hadwig, der Alte weiß, was es ihm
bedeutet ...


Bevor der Hahn den Morgen anrief, war Ekkehard ſchon durch's
Thor von Hohentwiel ausgeritten. Kühle Frühluft wehte ihm um's
Antlitz; er hüllte ſich tief in die Capuze. „Warum hat Euch der Him-
mel nicht zum Kriegsmann werden laſſen? es wäre Vieles beſſer!“
Das Wort der Herzogin ging mit ihm, wie ſein Schatten. Es war
ihm ein Sporn zu muthigen Entſchlüſſen. Wenn die Gefahr kommt,
dachte er, ſoll ſie den Schulmeiſter nicht hinter ſeinen Büchern
ſehen!


Sein Roß trabte gut. In wenigen Stunden ritt er über die
waldigen Höhen, die den Unterſee von dem See von Ueberlingen
trennen. Am herzoglichen Maierhof Sernatingen grüßte ihn die blaue
Fluth des Sees, er ließ ſein Roß dem Maier und ſchritt den Pfad
voran, der hart am Ufer hinführt.


An einem Vorſprung hielt er eine Weile, gefeſſelt von der weiten
Umſchau. Der Blick flog unbegrenzt über die Waſſerfläche bis zu den
rhätiſchen Alpen, die, eine kryſtallklare Mauer, ſich als Ende der
Landſchaft himmelan thürmen.


Wo die Sandſteinfelſen ſenkrecht aus dem See emporſtiegen, lenkte
ſich der Pfad aufwärts. Stufen im Fels erleichterten den Schritt,
gehauene Fenſteröffnungen mit dunkeln Schatten in der Tiefe die
Lichte der Felswand unterbrechend, wieſen ihm den Ort, dran einſt in
Zeiten römiſcher Herrſchaft unbekannte Männer ſich in Weiſe der Ka-
takomben ein Höhlenaſyl eingegraben.140)


Das Aufſteigen war beſchwerlich. Jetzt trat er auf einen ebenen
Geviertraum, wenig Schritte im Umfang, von jungem Gras bewach-
ſen. Vor ihm öffnete ſich ein mannshoher Eingang in den Felſen,
[136] aber ein rieſiger ſchwarzer Hund ſprang bellend hervor, zwei Schritte
vor Ekkehard hielt er, zu Sprung und Biß bereit, ſeine Augen ſtarr
auf den Mönch gerichtet; der durfte keinen Schritt vorwärts machen,
ſo fuhr ihm der Hund an Hals. Die Stellung war nicht neidens-
werth, Rückzug unmöglich, Waffen trug Ekkehard nicht. So blieb
er ſeinem Gegner gegenüber eine Weile ſtarr ſtehen; da ſchaute aus
der Fenſteröffnung zur Seite eines Mannes Angeſicht: ein Graukopf
war's mit ſtechenden Augen und röthlichem Bart.


Gebietet dem Thier Ruhe! rief Ekkehard.


Dauerte nicht lange, ſo erſchien der Graukopf unter dem Eingang.
Er war mit einem Spieß gewaffnet.


Rückwärts, Mummolin! rief er.


Ungern gehorchte das große Thier. Erſt wie ihm der Graue den
Spieß zeigte, zog ſich's knurrend zurück.


Man ſollt' Euch den Hund erſchlagen, und neun Schuh hoch über
Euer Thor hängen bis er verfaulte und ſtückweis auf Euch herunter-
fiele,141) ſprach Ekkehard zürnend, ſchier hat er mich in's Waſſer ge-
ſtürzt. Er ſah ſich um, in ſenkrechter Tiefe rauſchte der See zu ſei-
nen Füßen.


In den Heidenhöhlen gilt kein Landrecht! gab der Graue trotzig
zurück. Bei uns heißt's: zwei Mannslängen vom Leib oder wir
ſchlagen Euch den Schädel ein.


Ekkehard wollte vorwärts gehen.


Halt an! fuhr der Mann unterm Eingang fort und hielt den
Spieß vor, ſo ſchnell geht's nicht. Wohin des Wegs?


Zum Alten in der Heidenhöhle, ſprach Ekkehard.


Zum Alten in der Heidenhöhle? ſchalt der Andere; habt Ihr kein
ehrerbietiger Wort für ihren Inwohner, gelbſchnäbliger Kuttenträger?


Ich weiß nicht anders, ſagte Ekkehard betroffen. Mein Gruß
heißt neque enim!


Das lautet beſſer, ſprach der Graue treuherzig, und reichte ihm
die Hand. Woher des Wegs?


Vom hohen Twiel. Ich ſoll Euch ...


Halt an. Ich bin nicht, den Ihr ſuchet, bin nur ſein Dienſtmann
Rauching. Ich werd' Euch anmelden.


[137]

Angeſichts der ſtarren Felswände und des ſchwarzen Hundes war
dieſe Förmlichkeit befremdend. Ekkehard ſtand harrend, es dauerte eine
gute Weile, ſchier als wenn Vorbereitungen zum Empfang getroffen
würden. Dann erſchien Rauching wieder: Wollet eintreten. Sie
gingen den dunkeln Gang entlang, dann weitete ſich der Höhlenraum,
ein Gemach war von Menſchenhänden in den Fels gehauen, hoch,
ſtattlich, in ſpitzbogiger Wölbung; ein rohes Geſimſe zog ſich um die
Wände, die Fenſteröffnungen weit und luftig; wie von einer Rahme
umfaßt glänzte ein Stück blauer See und gegenüberliegendes Wald-
gebirge herein, eine flimmernde Schichte Sonnenlicht drang durch ſie in
des Gemaches Dunkel. Spuren von Steinbänken waren da und dort
ſichtbar, nah beim Fenſter ſtund ein hoher ſteinerner Lehnſtuhl, ähn-
lich dem eines Biſchofs in alten Kirchen, eine Geſtalt ſaß drin. Es
war ein fremdartig Menſchenbild, mächtigen Umfangs, ſchwer ſaß das
ſchwere Haupt zwiſchen den Schultern, Runzeln durchfurchten Stirn
und Wangen, ſpärlich weißes Haupthaar lockte ſich um den Scheitel,
ſchier zahnlos der Mund: der Mann mußte ſteinalt ſein. Ein Man-
tel von unkenntlicher Farbe hing um des Greiſen Schulter, die Rück-
ſeite, die des Stuhles Lehne verdeckte, mochte ſtark Fadenſchein tragen,
in Saum und Faltenwurf ſaßen Spuren vergangener Flickung.
Seine Füße waren mit rauhem Stiefelwerk bekleidet, ein alter Hut
mit verſtäubtem Fuchspelz verbrämt lag zur Seite. Eine Niſche der
Felsvertiefung trug ein Schachzabelbrett mit elfenbeingeſchnittenen
Figuren, es war eine Parthie zu Ende geſpielt worden, noch ſtand
der König matt geſetzt durch einen Thurm und zwei Läufer ...


Wer kommt zu den Vergeſſenen? fragte der Greis mit dünner
Stimme. Da neigte ſich Ekkehard vor ihm und nannte ſeinen Namen
und wer ihn geſandt.


Ihr habt ein böſes Loſungswort mit Euch gebracht. Erzählen die
Leute draußen noch vom Luitward von Vercelli?


Deſſen Seele Gott verdammen möge, fiel Rauching ergänzend ein.


Ich habe nichts von ihm gehört, ſprach Ekkehard.


Sag's ihm, Rauching, wer der Luitward war, 's wär' Schade, wenn
ſein Gedächtniß ausſtürbe bei den Menſchen.


Der größte Schurke, den je ein Sonnenſtrahl beſchienen, war
Rauching's Antwort.


[138]

Sag' ihm auch, was neque enim heißt.


„Es gibt keinen Dank auf dieſer Welt und von eines Kaiſer
Freunden iſt auch der beſte ein Verräther!“


Auch der Beſte ein Verräther, ſprach der Alte in Gedanken. Sein
Blick fiel auf das nahſtehende Schachbrett. Ja wohl! murmelte er
leiſe, matt geſetzt, durch Läufer und Ueberläufer matt geſetzt ...
er ballte die Fauſt, als wolle er aufſpringen, dann ſeufzte er laut
und fuhr mit der welken Hand nach der Stirn und ſtützte ſein ſchweres
Haupt auf.


Das Kopfweh! ſprach er .. das verfluchte Kopfweh!


Mummolin! rief Rauching.


Mit großen Sätzen kam der ſchwarze Hund vom Eingang her
geſprungen; wie er den Alten mit aufgeſtülptem Haupt gewahrte, trat
er ſchmeichelnd heran und leckte ihm die Stirn. Es iſt gut, ſprach
der Greis nach einer Weile und richtete ſich wieder auf.


Seid Ihr krank? fragte Ekkehard theilnehmend.


Krank? ſprach der Alte — 's mag eine Krankheit ſein. Mich
ſucht's ſchon ſo lang heim, daß mir's wie ein alter Bekannter erſcheint.
Habt Ihr auch ſchon Kopfweh gehabt? Ich rathe Euch, zieht niemals
zu Felde, wenn euch Kopfweh plagt und ſchließt keinen Frieden, es
kann ein Reich koſten, das Kopfweh ..


Soll Euch kein Arzt .. wollte Ekkehard fragen.


Der Aerzte Weisheit iſt erſchöpft. Sie haben's gut mit mir
gemeint.


Er wies auf ſeine Stirn; zwei alte Narben kreuzten ſich darauf.
Schaut her! und wenn ſie Euch das verordnen wollen, müßt's nicht
anwenden! An den Füßen bin ich aufgehangen worden in jungen
Tagen, dann die Einſchnitte in Kopf — ein Stück Blut und ein
Stück Verſtand haben ſie mir genommen: nichts geholfen.


In Cremona — Zedekias hat der hebräiſche Weiſe geheißen —
haben ſie die Sterne gefragt und mich in dämmernder Mitternacht
unter einen Maulbeerbaum geſtellt; 's war ein langer Spruch, mit dem
ſie das Kopfweh in den Baum hinein verfluchten: nichts geholfen!


In deutſchen Landen gepulverte Krebsaugen verordnet, gemiſcht
mit etlichem Staub von des heiligen Marcus Grab und einen Trunk
Seewein drauf:142) Auch nichts. Jetzt bin ich's gewöhnt. Das
[139] Aergſte leckt des Mummolin rauhe Zunge hinweg. Komm her, braver
Mumolin, der mich noch nicht verrathen hat ..


Er ſchwieg athemſchöpfend und ſtreichelte den Hund.


Meine Botſchaft ... hub Ekkehard an.


Der Greis aber winkte ihm: Geduldet Euch, nüchtern iſt nicht gut
reden. Ihr werdet hungrig ſein. Nichts iſt niederträchtiger und hei-
liger als der Hunger!143) hat jener Decan geſagt, da ſein Gaſtfreund
von ſechs Forellen fünf aß und ihm die kleinſte zurückließ. Wer mit
der Welt draußen zu thun gehabt, vergißt den Spruch nicht. Rauching,
richt' unſer Mahl.


Der ging hinüber in ein anſtoßend Felſengemach, das war zur
Küche hergerichtet; in etlichen Niſchen ſtunden ſeine Vorräthe: bald
wirbelte aus dem Höhlenſchornſtein eine weiße Rauchwolke dem blauen
Himmel entgegen, und das Werk des Kochens war beendet. Eine
Steinplatte mußte als Tiſch gelten. Als des Mahles Krone prangte
ein Hecht, aber der Hecht war alt und trug Moos auf dem Haupt,
ſein Fleiſch ſchmeckte zäh wie Leder. Auch einen Krug röthlichen
Weines brachte Rauching herbei, aber der wuchs auf den Sipplinger
Hügeln und die erfreuen ſich noch heute des Leumunds, daß ihr Wein
der ſauern ſauerſter am ganzen See.144) Rauching wartete auf und
ſaß nicht zu ihnen nieder.


Was bringt Ihr mir? frug der Alte, wie die ſchmale Mahlzeit
beendet.


Schlimme Botſchaft; die Hunnen ſind in's Land gebrochen, bald
treten ihre Hufen die ſchwäbiſche Erde.


Recht! ſprach der Greis, das gehört euch. Sind die Nordmänner
auch wieder auf der Fahrt?


Ihr ſprechet ſonderbar, ſagte Ekkehard.


Des Alten Aug' ward glänzender. Und wenn euch die Feinde
wie Schwämme aus der Erde wachſen, ihr habt's verdient, ihr und
eure Herren. Rauching, füll' dein Glas, die Hunnen kommen ..
neque enim! Nun ſoll euch die Suppe ſchmecken, die eure Herren
geſalzen haben. Ein großes ſtolzes Reich iſt aufgerichtet geſtanden,
vom Ebro bis an die Raab und bis hinauf an die däniſche Mark,
keine Rattmaus hät' einſchleichen dürfen, ohne daß treue Wächter ſie
gefangen, ſo hat's der große Kaiſer Karl ..


[140]

Den Gott ſegnen möge, fiel Rauching ein.


.. gefeſtigt hingeſtellt; die Stämme, die dem Römer einſt zuſammen
den Garaus gemacht, ein Ganzes, wie ſich's gehört, damals hat der
Hunn ſcheu hinter ſeinem Landhag an der Donau gelauert, 's war
kein Wetter für ihn, und wie ſie ſich rühren wollten iſt von ihrer
hölzernen Lagerſtadt tief in Pannonien drin kein Spahn mehr übrig
geblieben, ſo hat die fränkiſche Landwehr drein gewettert ..145) aber
die Großen in der Heimath hat's gedrückt, daß nicht ein Jeder der
Herr der Welt ſein kann; da hat's innerhalb des eigenen Zauns pro-
birt ſein müſſen — Aufruhr, Empörung und Reichsverrath, das
ſchmeckt beſſer, den Letzten von Karl's Stamme, der des Weltreichs
Zügel führte, haben ſie abgeſetzt — das Symbolum der Reichseinheit
iſt ein Bettelmann worden und muß ungeſchmelzte Waſſerſuppen
eſſen — nun, und eure Herren, denen der Baſtard Arnulf und ihr
eigener Uebermuth lieber war, haben die Hunnen auf dem Nacken,
und die alten Zeiten kommen wieder, wie ſie ſchon der König Etzel
malen ließ. Kennt Ihr das Bild im Mailänder Pallaſt?


Dort war der römiſche Kaiſer gemalt, wie er auf ſeinem Thron
ſaß und die ſcythiſchen Fürſten ihm zu Füßen lagen; da kam der
König Etzel des Wegs geritten und ſah die Malerei lang an und
lachte und ſprach: Ganz recht; nur eine kleine Aenderung! Und er
ließ dem Mann auf dem Thron ſein eigen Antlitz geben, und die
vor ihm knieten und die Säcke voll Zinsgold vor ſeinem Thron aus-
leerten, waren die römiſchen Cäſaren ... 146)


Das Bild iſt heut noch zu ſchauen ...


Ihr denkt an alte Geſchichten, ſprach Ekkehard.


Alte Geſchichten! rief der Greis: Für mich hat's ſeit vierzig Jahren
nichts Neues gegeben als Noth und Elend. Alte Geſchichten! 's iſt
gut, wer ſie noch weiß, daß er ſehen kann, wie der Väter Sünden ge-
rächt werden an Kind und Kindeskind. Wißt Ihr, warum der große
Karl das einemal in ſeinem Leben geweint hat? So lang ich lebe,
ſind's Narrenpoſſen, ſprach er, da ſie ihm der nordmänniſchen See-
räuber Ankunft meldeten, aber mich dauern meine Enkel!147)


Noch haben wir einen Kaiſer und ein Reich, warf Ekkehard ein.


Habt ihr noch einen? ſprach der Greis und trank ſeinen Schluck
ſauern Sipplinger, und ſchüttelte ſich: Ich wünſch' ihm Glück. Die
[141] Eckſteine ſind geſplittert, das Gebäu iſt morſch. Mit übermüthigen
Herren kann kein Reich beſtehen; die gehorchen ſollen, herrſchen, und
der herrſchen ſoll, muß ſchmeicheln ſtatt gebieten. Ich hab' von Einem
gehört, dem haben ſeine getreuen Unterthanen den Tribut in Kieſel-
ſteinen ſtatt in Silber geſchickt, und der Kopf des Grafen, der ihn
heiſchen ſollte, lag dabei im Sack. Wer hat's gerächt?...


Der Kaiſer, ſprach Ekkehard, zieht in Welſchland zu Felde und
erwirbt großen Ruhm.


O Welſchland, Welſchland! fuhr der Alte fort, das wird noch ein
ſchlimmer Pfahl im deutſchen Fleiſche werden. Jenes einemal hat
ſich der große Karl ...


Den Gott ſegnen möge, fiel Rauching ein.


... einen blauen Dunſt vormachen laſſen. 's war ein ſchlimmer
Tag, wie ſie ihm in Rom die Krone aufſetzten, und hat Keiner ge-
lacht, wie der auf Petri Stuhl. Der hat uns nöthig gehabt —
aber was haben wir mit Welſchland zu ſchaffen? Schaut hinaus: iſt
die Gebirgsmauer dort für Nichts himmelan gebaut? Das jenſeits
gehört denen in Byzantium, und von Rechtswegen; griechiſche Liſt
wird dort eher fertig als deutſche Kraft; aber die Nachfolgenden haben
nichts zu thun, als des großen Karl Irrthum ewig zu machen. Was
er Vernünftiges gewieſen, haben ſie mit Füßen getreten, in Oſt und
Nord war vollauf zu thun, aber nach Welſchland muß gerannt wer-
den, als ſäß in den Bergen hinter Rom der große Magnetſtein. Ich
hab' oft drüber nachgedacht, was uns in die falſche Bahn gewieſen; —
wenn's nicht der Teufel iſt, kann's nur der gute Wein ſein.148)


Ekkehard war betrübt geworden ob des Alten Reden. Der ſchien
es zu merken. Laßt Euch nicht anfechten, was ein Begrabener ſagt,
ſprach er zu ihm, wir in der Heidenhöhle machen's nicht anders, aber
die Wahrheit hat ſchon manchesmal in Höhlen gehaust, wenn draußen
der Unſinn mit großen Schritten durch's Land ging.


Ein Begrabener? ſprach Ekkehard fragend.


Deßhalb könnt Ihr doch mit ihm anſtoßen, ſprach der Alte ſcher-
zend. 's war nöthig, daß ich vor der Welt geſtorben bin, das Kopf-
weh und die Schurken haben mich in Unehren gebracht. Braucht mich
darum nicht ſo anzuſehen, Mönchlein. Setzt Euch her auf die Stein-
[142] bank, ich will Euch eine ſchöne Geſchichte erzählen — Ihr könnt ein
Lied zur Laute darüber machen ...


Es war einmal ein Kaiſer, der hatte wenig frohe Tage, denn
ſein Reich war groß und er ſelber war dick und ſtark und das Kopf-
weh plagte ihn ſeit daß er auf dem Thron ſaß. Darum nahm er
ſich einen Erzkanzler, der war ein feiner Kopf und konnte mehr den-
ken als ſein Herr, denn er war dünn und hager wie eine Stange und
hatte kein Kopfweh. Und der Kaiſer hatte ihn aus dunkler Herkunft
emporgehoben, denn er war eines Hufſchmieds Sohn, und erwies ihm
Gutes und that Alles was er ihm rieth; und ſchloß ſogar einen elen-
digen Frieden mit den Nordmännern: denn der Kanzler ſagte ihm,
das ſei unbedeutend, er habe wichtigere Geſchäfte, als ſich um ein paar
Seeräuber zu kümmern. Der Kanzler ging nämlich in ſelber Zeit zu
des Kaiſers Ehgemahlin, und berückte ihr ſchwaches Herz, und ver-
trieb ihr die Zeit mit Saitenſpiel und ließ nebenbei der edeln Ale-
mannen Töchter entführen und verſchwor ſich mit ſeines Kaiſers Wider-
ſachern. Und wie dieſer endlich einen Reichstag ausſchrieb, um der
Noth zu ſteuern, ſtund ſein hagerer Kanzler dort unter den erſten, die
wider ihn ſprachen; mit neque enim begann er ſeine Rede und be-
wies, ſie müßten ihn abſetzen, und ſprach ſo giftig und ſchlangenklug
gegen den Nordmännerfrieden, den er ſelber geſchloſſen, daß ſie Alle
von ihrem rechtmäßigen Herren abfielen wie welke Blätter wenn der
Herbſtwind die Wipfel ſchüttelt. Und ſie ſchrieen, die Zeit der Dicken
ſei vorbei und ſetzten ihn ab, mit dreifacher Krone auf dem Haupt
war der Kaiſer in Tribur eingeritten, wie er von dannen zog, nannte
er nicht Mehres ſein als was er auf dem Leib trug und ſaß zu Mainz
vor des Biſchofs Pfalz und war froh, da ſie ihm eine Suppe zum
Schiebfenſter herausreichten.


Der brave Kanzler hat Luitward von Vercelli geheißen — Gott
lohn' ihm ſeine Treue nach Verdienſt, und der Kaiſerin Richardis
auch und Allen zuſamm!149)


Wie ſie aber im Schwabenland ſich des Verſtoßenen erbarmten,
und ihm ein nothdürftig Gütlein ſchenkten, ſein Leben zu friſten, und
wie ſie dran dachten, mit Heeresmacht für ſein gekränktes Recht zu
ſtreiten, da ſandte der Luitward auch noch Mörder wider ihn. 's war
eine ſchöne Nacht im Neidinger Hofe, der Sturm brach die Aeſte im
[143] Forſt und die Fenſterladen klapperten, der abgeſetzte Kaiſer konnte
vor Kopfweh nicht ſchlafen und war auf's Dach geſtiegen, daß ihm
der Sturm Kühlung zublaſe: da brachen ſie ein und fahten auf ihn:
's iſt ein anmuthig Gefühl, ſag' ich Euch, mit ſchwerem Haupt auf
kaltem Dach ſitzen und zuhören, wie ſie drunten bedauern, Einen nicht
ſtranguliren und an Ziehbrunnen aufknüpfen zu können ...


Wer das erlebt hat, der thut am beſten er ſtirbt.


Und der dicke Meginhart zu Neidingen war grad zu rechter Zeit
vom Baum herab zu Tod gefallen, daß man ihn auf den Schragen
legen konnt' und im Land verkünden, der abgeſetzte Kaiſer ſei Todes ver-
blichen. Es ſoll ein ſchöner Leichenzug geweſen ſein, wie ſie ihn in die
Reichenau trugen, der Himmel that ſich auf, ein Lichtſtrahl fiel auf
die Bahre und ſie haben eine rührende Leichenrede gehalten da ſie ihn
einſenkten rechts vom Altar: „daß er ſeiner Würden entblößt und ſeines
Reiches beraubt ward, war eine Fügung des Himmels, ihm zur Läu-
terung und Probe, und da er's geduldig trug, ſteht zu hoffen, daß
ihn der Herr mit der Krone des ewigen Lebens für die belohnt, die
er hienieden verloren ..“ ſo predigten ſie in der Kloſterkirche150) und
wußten nicht, daß in derſelben Stunde der, den ſie zu begraben mein-
ten, mit Sack und Pack und einem Fluch auf die Welt in der Ein-
ſamkeit der Heidenhöhlen einzog ...


Der Greis lachte: Hier iſt's ſicher und ruhig, um an alte Ge-
ſchichten zu denken; ſtoßt an: die Todten ſollen leben! Und der Luit-
ward iſt doch betrogen; wenn ſein Kaiſer auch einen alten Hut trägt,
ſtatt güldenem Reif, und Sipplinger trinkt ſtatt goldigem Rheinwein,
ſo lebt er doch noch: dieweil die Hageren und ihr ganzes Geſchlecht
vom Tode gerafft ſind. Und die Sterne werden ihr Recht behalten,
in denen bei ſeiner Geburt geleſen ward, daß er im Toſen der Reiter-
ſchlacht aus der falſchen Welt abſcheiden werde. Die Hunnen kom-
men .. komm' bald auch, du fröhlich Ende!


Ekkehard hatte mit Spannung zugehört. Herr! wie wunderbar
ſind deine Wege, rief er. Er wollte vor ihm niederknieen und ſeine
Hand küſſen, der Alte litt's nicht: das gilt Alles nichts mehr! nehmt
Euch ein Beiſpiel ..


Deutſchland hat Euch und Eurem Stamm große Unbill ange-
than .. wollte Ekkehard tröſten.


[144]

Deutſchland! ſprach der Alte, ich bin ihm nicht gram, mög' es
gedeihen und blühen, von keinem Feind bedräut, und einen Herrſcher
finden, der's zu Ehren bringt und kein Kopfweh hat, wenn die Nord-
männer wieder kommen, und keinen Kanzler, der Luitward von Ver-
celli heißt. Nur die, die ſeine Kleider unter ſich getheilt und das
Loos um ſein Gewand geworfen —


Möge der Himmel ſtrafen mit Feuer und ſchwefligem Regen,151)
ſprach Rauching im Hintergrund.


Welchen Beſcheid bring' ich meiner Herrin von Euch, fragte Ekke-
hard, nachdem er ſeinen Becher geleert.


Von wegen der Hunnen? ſagte der Greis. Ich glaube das iſt
einfach. Sagt Eurer Herzogin, ſie ſoll in Wald gehen und ſehen,
wie es der Igel macht, wenn ihm ein Feind zu nahe kommt. Er
rollt ſich auf wie eine Kugel und ſtarrt in Stacheln, wer nach ihm
greift, ſticht ſich. Das Schwabenland hat Lanzen genug. Macht's
ebenſo! Euch Mönchen kann's auch nichts ſchaden, wenn ihr den
Spieß tragt.


Und wenn Eure Herrin noch mehr wiſſen will, ſo ſagt ihr den
Spruch, der in der Heidenhöhle gilt; Rauching, wie heißt er?


Zwei Mannslängen vom Leib oder wir ſchlagen euch die Schädel
entzwei! ergänzte der Gefragte.


Und wenn von Frieden die Rede iſt, ſo ſagt ihr, der Alte in der
Heidenhöhle hätt' einmal einen ſchlechten geſchloſſen, er thät's nicht
wieder, trotzdem ihn ſein Kopfweh noch plagt wie damals; er woll'
itzt lieber ſelber ſeinen Gaul ſatteln, wenn die Schlachtdrommeten
blaſen — lest eine Meſſe für ihn, wenn Ihr ſeinen letzten Ritt
überlebt.


Der Alte hatte geſprochen mit ſeltſamer Lebendigkeit. Plötzlich
ſtockte die Stimme, ſein Athem ward kurz, faſt ſtöhnend, er neigte ſein
Haupt: es kommt wieder! ſprach er.


Rauching der Dienſtmanne ſprang ihm bei, und brachte einen
Trunk Waſſers. Die Beklemmung ließ nicht ab.


Wir müſſen das Mittel anwenden! ſprach Rauching. Er wälzte
aus der Höhlentiefe einen ſchweren Steinblock vor, von eines Mannes
Höhe, der trug Spuren von Bildhauerwerk; ſie hatten ihn in der
Höhle als unerklärtes Denkmal früherer Bewohner vorgefunden. Er
[145] ſtellte ihn aufrecht an die Felswand; es war, als ſei eines Menſchen
Haupt dran angedeutet und eine Biſchofsmitra. Und Rauching griff
einen gewaltigen knorrigen Stock und gab dem Alten einen zu Handen
und begann auf das Steinbild einzudreſchen und ſprach einen Spruch
dazu, langſam und ernſt wie eine Litanei: Luitward von Vercelli!
Reichsverräther, Ehebrecher, neque enim! Nonnenräuber, Macht-
erſchleicher, neque enim!.. Dicht fielen die Streiche, da legte ſich
ein Lächeln um des Alten welke Züge, er erhob ſich und ſchlug mit
matten Armen ebenfalls drauf:


Es ſteht geſchrieben, ein Biſchof muß tadellos ſein, ſprach er in
Rauching's Ton, — das für den Nordmänner-Frieden! das für der
Kaiſerin Richardis Verführung, neque enim! Das für den Reichstag
zu Tribur, das für Arnulf's Kaiſerwahl! neque enim!!


Die Höhle wiederhallte vom dumpfen Klang; feſt ſtand das Stein-
bild im Hagel der Schläge, dem Alten ward's leicht und leichter, er
hieb ſich warm am alten Haß, der ihm ſeit Jahren ein dürftig Le-
ben friſtete.


Ekkehard verſtand den Hergang nicht ganz. Es ward ihm un-
heimlich. Er empfahl ſich und ging.


Habt wohl ſchöne Kurzweil gefunden beim alten Narren droben,
ſprach der Maier von Sernatingen zu ihm, da er ſein Roß geſattelt
vorführte: vermeint er immer noch, er hab' eine Krone verſpielt und
ein Reich? Ha ha!152)


Ekkehard ritt von dannen. Im Buchwald ſproßte das junge Grün
des nahenden Frühlings. Ein jugendlicher Mönch aus der Reichenau
ging deſſelben Weges. Keck, wie Waffenklirren, tönte ſein Sang durch
die Waldeinſamkeit:


„O tapfre junge Landeskraft, nun halt' dich brav!

Mit Wächterruf und Feldgeſchrei verſcheuch' den Schlaf,

Und mach' die Rund zu jeder Stund um Thor und Thurm!

Der Feind iſt klug und ſchleicht mit Trug heran zum Sturm.

Von Wall und Zinnen ſchalle laut dein Halt werda!

Das Echo wiederhalle:eia vigila!!153)

Es war das Lied, das die Nachtwachen zu Mutina in Welſchland
ſangen, da der Hunnen Heer vor der Biſchofsſtadt lag. Der Mönch
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 10
[146] hatte ſelber vor drei Jahren dort Schildwache geſtanden am Thor des
heiligen Geminianus und kannte das Ziſchen der hunniſchen Pfeile:
wenn die Ahnung neuen Kampfes durch die Luft zieht, fallen Einem
die alten Lieder wieder ein. —



Zwölftes Kapitel.
Der Hunnen Heranzug.



Der Alte hat Recht, ſprach Frau Hadwig, als ihr Ekkehard Be-
richt von ſeiner Sendung Erfolg erſtattete. Wenn der Feind droht,
rüſten; wenn er angreift, auf's Haupt ſchlagen, das iſt ſo einfach,
daß man eigentlich Keinen drum zu fragen braucht. Ich glaube das
viele Bedenken und Erwägen hat der böſe Feind als Unkraut auf die
deutſche Erde geſtreut. Wer ſchwankt iſt dem Fallen nah, und wer's
zu fein machen will, der gräbt ſich ſelbſt ſein Grab: Wir rüſten!


Die bewegte und bald gefährliche Lage ſchuf der Herzogin eine
freudige Stimmung: ſo iſt die Forelle wohlgemuth im rauſchenden
Gießbach, der über Fels und Trümmer ſchäumt, im ſtillen Waſſer
verkommt ſie. Und Beiſpiel feſter Entſchloſſenheit Oben iſt nie ver-
geblich. Da trafen ſie ihre Vorbereitung zum Empfang des Feindes.
Vom Thurm des hohen Twiel wehte die Kriegsfahne154) weit in's
Land hinaus; durch Wald und Feld, bis an die fernſten in den
Thalgründen verſteckten Meierhöfe klang das Heerhorn, die Mannen
aufzubieten; nur Armuth befreite von Kriegspflicht. Wer mehr als
zwei Manſen Land ſein eigen nannte, ward befehligt, beim erſten
Ruf in Wehr und Waffen ſich zu ſtellen. Der Hohentwiel ſollte der
Sammelplatz ſein, ihn hatte die Natur dazu gefeſtet. Boten durch-
flogen das Hegau. Das Land hub an ſich zu rühren; hinten im
Tannwald ſtanden die Köhler beiſammen, den ſchweren Schürhacken
[147] ſchwang Einer über'm Haupt wie zum Einhauen: es thut ſich! ſprach
er, ich geh' auch mit!


An die Thüren der Pfarrherrn, der Alten und Breſthaften ward
geklopft; wer nicht ausziehen kann, ſoll beten; an alle Ufer des
Sees ging die Kunde, auch hinüber nach Sanct Gallen.


Auf die friedliche Inſel Reichenau ging Ekkehard; die Herzogin
gebot's. Der Gang wär' ihm ſauer gefallen, hätt' es ſich um An-
deres gehandelt. Er brachte dem geſammten Kloſter die Einladung
auf den hohen Twiel für die Zeit der Gefahr.


Dort war ſchon Alles in Bewegung. Beim Springbrunnen im
Kloſtergarten ergingen ſich die Brüder; es war ein linder Frühlings-
tag; aber Keiner dachte ernſthaft dran, ſich des blauen Himmels zu
freuen; ſie ſprachen von den böſen Zeiten und rathſchlagten; es wollt'
ihnen ſchwer einleuchten, daß ſie aus ihren ſtillen Mauern ausziehen
ſollten.


Der heilige Marcus, hatte Einer geſagt, wird ſeine Schutzbefoh-
lenen ſchirmen und den Feind mit Blindheit ſchlagen, daß er vorbei-
reitet, oder das Grundgewelle des Bodenſees aufſchäumen laſſen, daß
es ihn verſchlinge wie das rothe Meer die Aegypter.


Aber der alte Simon Bardo ſprach: Die Rechnung iſt nicht ganz
ſicher, und wenn ein Platz nicht ſonſt mit Thurm und Mauern um-
wallt iſt, bleibt Abziehen räthlicher. Wo aber noch eines Schillings
Werth zu finden iſt, da reitet kein Hunne vorbei; legt einem Todten
ein Goldſtück auf's Grab, ſo wächst ihm noch die Hand aus der
Erde und greift danach.


Heiliger Pirminius! klagte der Bruder Gärtner, wer ſoll den
Kraut- und Gemüsgarten beſtellen, wenn wir fort müſſen? Und die
Hühner? ſprach ein Anderer, deſſen theuerſte Kurzweil in Pflege des
Hühnerhofes beſtund, haben wir die drei Dutzend welſche Hahnen für
den Feind ankaufen müſſen?


Wenn man ihnen einen eindringlichen Brief ſchriebe, meinte ein
Dritter; ſie werden doch keine ſolche Unmenſchen ſein, Gott und ſeine
Heiligen zu kränken.


Simon Bardo lächelte: Werd' ein Lämmerhirt, ſprach er mitlei-
dig, und trink' einen Abſud vom Kraut Camomilla, der du den
Hunnen eindringliche Briefe ſchreiben willſt. O daß ich meinen alten
10*
[148] Oberfeuerwerker Kedrenos mit über die Alpen gebracht! Da wollten
wir ein Licht wider den Feind ausgehen laſſen, ſchärfer als der milde
Mondſchein über dem Krautgärtlein, der dem ſeligen Abt Walafrid155)
ſo weiche Erinnerungen an ſeine Freundin in der Seele wach rief.
Dort an der Landzunge ein paar Schiffe verſenkt, hier am Hafenplatz
deßgleichen, — und mit den langen Brandröhren den Uferplatz be-
ſtrichen: hei, wie würden ſie auseinanderſtieben, wenn's durch die
Luft flöge wie ein feuriger Drache und ſeinen Naphtabrandregen aus-
ſprühte! Aber was weiß euer Einer von griechiſchem Feuer?!156)
O Kedrenos, Feuerwerker Kedrenos!


Ekkehard war in's Kloſter eingetreten. Er fragte nach dem Abt.
Ein dienender Bruder wies ihm deſſen Gemächer. Er war nicht
drinnen und auch anderwärts nicht zu finden.


Er wird in der Rüſtkammer ſein, ſprach ein Mönch im Vor-
übergehen zu ihnen. Da führte der dienende Bruder Ekkehard in
die Rüſtkammer; ſie war auf dem hohen Kloſterſpeicher, viel Harniſch
und Gewaffen lag droben aufgehäuft, mit denen das Kloſter ſeine
Kriegsleute zum Heerbann ausſtattete.


Abt Wazmann ſtand drin, eine Staubwolke verhüllte ihn dem
Blick der Eintretenden, er hatte die Rüſtungen von den Wänden ab-
nehmen laſſen und gemuſtert. Staub und Roſt waren Zeuge, daß
ſie lang Ruhe gehabt. Beim Muſtern hatte der Abt ſchon an ſich
ſelber gedacht; ſein Obergewand lag ausgezogen vor ihm, der blonde
Kloſterſchüler hatte ihm einen Ringelpanzer umgeworfen, er reckte
ſeine Arme, ob er ihm feſt und bequemlich ſitze.


Tretet näher! rief er Ekkehard zu, andere Zeiten, anderer Empfang!


Ekkehard theilte ihm der Herzogin Aufforderung mit.


Ich hätt' ſelber auf dem hohen Twiel drum nachgeſucht, wenn
Ihr nicht gekommen wäret, ſprach der Abt. Er hatte ein langes
Schwert ergriffen und ſchlug einen Lufthieb, daß Ekkehard etliche
Schritte zurückwich; dem ſcharfen Pfeifen der Luft war zu entnehmen,
daß es nicht der erſte, den er in ſeinem Leben führte.


's wird Ernſt, ſprach er. Zu Altdorf im Schuſſenthal ſind ſie
ſchon eingekehrt; bald wird ſich die Flamme von Lindau im See
ſpiegeln. Wollt Ihr Euch auch einen Harniſch ausleſen? Der mit
[149] dem Wehrgehenk dort fängt Stich und Hieb ſo gut wie das feinſte
Nothhemd, das je eine Jungfrau ſpann.


Ekkehard dankte. Der Abt ſtieg mit ihm aus der Rüſtkammer
hinunter. Der Ringelpanzer behagte ihm, er warf die braune Capuze
drüber um; ſo trat er in den Garten unter die zagenden Brüder
wie ein Rieſe des Herrn:157)


Der heilige Marcus iſt heute Nacht vor mein Lager getreten, rief
der Abt; nach dem hohen Twiel hat er gedeutet: dorthin wollen meine
Gebeine, daß keines Heiden Hand ſie entweihe. Auf und rüſtet euch!
In Gebet und Gottvertrauen hat ſeither eure Seele den Kampf mit
dem böſen Feind gekämpft, jetzt ſollen eure Fäuſte weiſen, daß ihr
Kämpfer ſeid. Denn die da kommen, ſind Söhne der Teufel; Alrau-
nen und Dämonen in aſiſcher Wüſte haben ſie erzeugt; Teufelswerk
iſt ihr Treiben, zur Hölle werden ſie zurückfahren, wenn ihre Zeit
um!158)


Da ward auch dem Sorgloſeſten der Brüder deutlich, daß eine
Gefahr im Anzug. Beifällig Murmeln ging durch die Reihen, ſie
waren von Pflege der Wiſſenſchaft noch nicht ſo weich gemacht, daß
ihnen ein Kriegszug nicht als löbliche Abwechslung erſchienen wäre.


An einen Apfelbaum gelehnt ſtand Rudimann der Kellermeiſter,
bedenkliche Falten auf der Stirn. Ekkehard erſah ihn, ſchritt auf ihn
zu und wollte ihn umarmen, als Zeichen, daß gemeinſame Noth alten
Zwiſt ausebne. Rudimann aber winkte ihm ab: Ich weiß was Ihr
wollet! — Aus dem Saum ſeiner Kutte zog er einen groben härenen
Faden, warf ihn auf Erde und trat darauf: So lang ein hunniſch
Roß die deutſche Erde ſtampft, ſprach er, ſoll alle Feindſchaft aus
meinem Herzen geriſſen ſein wie dieſer Faden aus meinem Gewand;159)
überleben wir den Streit, ſo mag's wieder eingefädelt werden, wie
ſich's geziemt!


Er wandte ſich und ſchritt nach ſeinem Keller zu wichtiger Arbeit.
In Reih und Glied lagen dort den hochgewölbten Raum entlang die
Stückfäſſer als wie in Schlachtordnung, und keines klang hohl, ſo man
anklopfte. Rudimann hatte etliche Maurer beſtellt; jetzt ließ er einen
Vorplatz, wo ſonſt Kraut und Frucht bewahrt lag, herrichten, als wär'
das der Kloſterkeller; zwei Fäßlein und ein Faß pflanzten ſie drin
auf. Findet der Feind gar nichts vor, ſo ſchöpft er Verdacht, alſo
[150] hatte der Kellermeiſter bei ſich überlegt, — und wenn die Sipplinger
Ausleſe, die ich Preis gebe, ihre Schuldigkeit thut, wird manch ein
hunniſcher Mann ein bös Weiterreiten haben.


Schon hatten die Werkleute die Quaderſteine gerichtet zu Ver-
mauerung der inneren Kellerthür, — noch einmal ging Rudimann
hinein; aus einem verwitterten Faß zapfte er ſein Krüglein und leerte
es wehmüthig; dann faltete er die Hände wie zum Gebet: Behüt'
dich Gott, rother Meersburger!! ſprach er. Eine Thräne ſtund in
ſeinen Augen ...


Rühriges Treiben ging allenthalben durch's Kloſter. In der Rüſt-
kammer wurden die Waffen vertheilt, es waren viel Häupter und wenig
Helme, der Vorrath reichte nicht. Auch war viel Lederwerk zerfreſſen,
und mußte erſt geflickt werden.


In der Schutzkammer ließ der Abt die Koſtbarkeiten und Heil-
thümer verpacken: viel ſchwere Truhen wurden gefüllt, das güldne
Kreuz mit dem heiligen Blut, die weiße Marmorurne, aus der einſt
die Hochzeitgäſte in Cana den Wein ſchöpften, Reliquienſärge, Abts-
ſtab, Monſtranz — Alles ward ſorglich eingethan und auf die Schiffe
verbracht. Sie ſchleppten auch den ſchweren, durchſichtig grünen Sma-
ragd bei, achtundzwanzig Pfund wog er. Den mögt ihr zurücklaſſen,
ſprach der Abt.


Das Gaſtgeſchenk des großen Kaiſer Karl? des Münſters ſeltenſtes
Kleinod, wie keines mehr in den Tiefen der Gebirge verborgen ruht?
fragte der dienende Bruder.


Ich weiß einen Glaſer in Venetia, der kann einen neuen machen,
wenn dieſen die Hunnen fortſchleppen,160) erwiederte leichthin der Abt.


Sie ſtellten das Juwel in Schrank zurück.


Noch war's nicht Abend worden, da ſtund Alles zum Abzug be-
reit. Der Abt hieß die Brüder im Hofe zuſammentreten, ſämmtliche
erſchienen bis auf Einen. Wo iſt Heribald? frug er.


Heribald war ein frommer Bruder, deſſen Weſen ſchon Manchem
den Ernſt auf der Stirn in Heiterkeit verwandelte.161) In jungen
Tagen hatte ihn die Amme einmal auf's Steinpflaſter fallen laſſen,
davon war ihm ein gelinder Blödſinn zurückgeblieben, eine „Kopf-
ſinnirung“, aber er war guten Herzens und hatte an Gottes ſchöner
Welt ſeine Freude ſo gut wie ein Geiſtesgewaltiger.


[151]

Da gingen ſie den Heribald zu ſuchen.


Er war auf ſeiner Zelle. Die gelbgraue Kloſterkatze ſchien ihm
ein Leides zugefügt zu haben, er hatte ihr den Strick, der ſein Ge-
wand zuſammenhalten ſollte, um den Leib geſchnürt und ſie an einen
Nagel an ſeines Gemaches Decke aufgehängt; in die leere Luft herab
hing das alte Thier, das ſchrie und miaute betrüblich, er aber ſchau-
kelte es ſänftlich hin und her, und ſprach lateiniſch mit ihm.


Vorwärts, Heribald! riefen die Genoſſen, wir müſſen die Inſel
verlaſſen.


Fliehe wer will! ſprach der Blödſinnige, Heribald flieht nicht mit.


Sei brav, Heribald, und folg' uns; der Abt hat's anbefohlen.


Da zog Heribald ſeinen Schuh aus und hielt ihn den Brüdern
entgegen: Der Schuh iſt ſchon im vorigen Jahr zerriſſen, ſprach er,
da iſt Heribald zum Camerarius gegangen, gib mir mein jährlich
Leder, hat Heribald geſagt, daß ich mir ein neu Paar Schuhe aufer-
tige, da hat der Camerarius geſagt, tritt du deine Schuhe nicht krumm,
ſo werden ſie nicht reißen, und hat das Leder geweigert, und wie Heri-
bald den Camerarius beim Abt verklagt, hat ihm der geſagt: Ein
Narr wie du kann barfuß laufen! Jetzt hat Heribald kein ordentlich
Fußwerk, und mit zerriſſenem geht er nicht unter fremde Leute162) ...


Solchen Gründen war keine ſtichhaltige Widerlegung entgegenzu-
ſetzen. Da umſchlangen ihn die Brüder mit ſtarkem Arm, ihn hinab-
zutragen; im Gang aber riß er ſich los, und floh mit Windeseile
hinab in die Kirche und die Treppen hinauf, die auf den Kirchthurm
führten. Zu oberſt ſetzte er ſich feſt, und zog das hölzerne Stieglein
empor; es war ihm nimmer beizukommen.


Sie erſtatteten dem Abte Bericht. Laſſet ihn zurück, ſprach der
Abt, über Kinder und Thoren wacht ein beſonderer Schutzengel.


Zwei große Lädinen lagen am Ufer, die Abziehenden aufzunehmen:
wohlgerüſtete Schiffe mit Ruder und Segelbaum. In kleinen Käh-
nen hatten ſich des Kloſters dienende Leute und was ſonſt noch auf
der Reichenau hauste, mit Hab und Gut eingeſchifft; es war ein
wirres Durcheinander.


Ein Nachen voll von Mägden und befehligt von Kerhildis der
Obermagd war bereits abgefahren; ſie wußten ſelber nicht wohin, —
[152] aber die Furcht war diesmal größer als die Neugier, die Schnurbärte
fremder Reitersmänner zu ſehen.


Jetzt zogen die Kloſterbrüder heran; es war ein ſeltſamer Anblick:
die meiſten in Wehr und Waffen. Litanei betend Andere, den Sarg
des heiligen Marcus tragend, der Abt mit Ekkehard und den Zög-
lingen der Kloſterſchule — betrübt ſchauten ſie noch einmal nach der
langjährigen Heimath, dann ſtiegen ſie zu Schiffe.


Wie ſie aber in den See ausfuhren, huben alle Glocken an zu
tönen, der blödſinnige Heribald läutete ihnen den Abſchiedsgruß; dann
erſchien er auf den Zinnen des Münſterthurmes: dominus vobiscum!
rief er mit ſtarker Stimme herab und in gewohnter Weiſe antwortete
da und dort Einer: et cum spiritu tuo!


Ein ſcharfer Luftzug kräuſelte die Wellen des Sees. Erſt vor
Kurzem war er aufgefroren, noch ſchwammen viel ſchwere Eisblöcke
drin herum und die Schiffe hatten große Mühe ſich durchzuarbeiten.


Geduckt ſaßen die Mönche, die den Sarg des heiligen Marcus
hüteten, etlichemal ſchlug die Woge zu ihnen herein, aber aufgerichtet
und keck ſtand Abt Wazmann's hohe Geſtalt, die Capuze flatterte im
Winde.


Der Herr geht vor uns her, ſprach er, wie er in der Feuerſäule
vor dem Volk Israel ging; er iſt mit uns auf der Flucht, er wird
mit uns ſein auf fröhlicher Rückkehr! ..


In heller Mondnacht ſtieg der Reichenauer Mönche Schaar den
Berg von Hohentwiel hinauf. Für Unterkunft war geſorgt. In der
Burg Kirchlein ſtellten ſie den Sarg ihres Heiligen ab; ſechs der
Brüder wurden zu Wacht und Gebet bei ihm befehligt.


Der Hofraum ward in den nächſten Tagen zum fröhlichen Heer-
lager. An aufgebotenen Dienſtmannen lagen ſchon etliche hundert
oben, der Reichenauer Zuzug brachte einen Zuwachs von neunzig ſtreit-
baren Männern. Emſig ward geſchafft an Allem, was des baldigen
Kampfes Nothdurft heiſchte. Schon eh' die Sonne aufſtieg, weckte der
Schmiede Gehämmer die Schläfer. Pfeile und Lanzenſpitzen wurden
gefertigt; beim Brunnen im Hofe ſtund der große Schleifſtein, d'ran
wetzten ſie die roſtigen Klingen. Der alte Korbmacher von Weiter-
dingen war auch herauf geholt worden, der ſaß mit ſeinen Buben
unter der Linde, die langen zu Schilden zugeſchnittenen Bretter über-
[153] ſponnen ſie mit ſtarkem Flechtwerk von Weidengezweig, dann ward
ein gegerbtes Fell darüber genagelt: der Schild war fertig. Am
luſtigen Feuer ſaßen Andere und goßen Blei in die Formen zu ſpitzem
Wurfgeſchoß für die Schleuder, — eſchene Knittel und Keulen wurden
in den Flammen gehärtet:163) wenn der an eines Heiden Schädel
anklopft, ſprach Rudimann und ſchwang den Prügel, ſo wird ihm
aufgethan!


Wer früher ſchon im Heerbann gedient, ſammelte ſich um Simon
Bardo den griechiſchen Feldhauptmann. Zu Euch nach Deutſchland
muß Einer gehen, wenn er ſeine greiſen Tage in Ruhe verleben will,
hatte er ſcherzend zur Herzogin geſagt. Der Waffenlärm aber ſtärkte
ſein Gemüth wie alter Rheinwein und richtete ihn auf; mit ſcharfer
Sorge ließ er die Unerfahrenen ſich in den Waffen üben, des Burg-
hofs Pflaſter wiederhallte vom ſchweren Schritt der Mönche, die in
geſchloſſenen Reihen des Speerangriffs unterwieſen wurden. Wände
könnt' man mit euch einrennen, ſprach der Alte beifallnickend, wenn
ihr einmal warm geworden ſeid.


Wer von den Jüngern eines ſichern Auges und beweglicher Knochen
ſich erfreute, ward den Pfeilſchützen zugetheilt. Fleißig übten ſie ſich.
Heller Jubel klang einmal von des Hofes anderem Ende zu den
Speerträgern herüber: das loſe Volk hatte einen Strohmann ange-
fertigt, eine Krone von Eulenfedern im Haupt, eine ſechsfältige Peitſche
in der Hand, einen rothen Lappen in Herzform auf der Bruſt, war
er ihre Zielſcheibe.


Der Hunnen König Etzel, riefen die Schützen, wer trifft ihn in's
Herz?


Spottet nur, ſprach Frau Hadwig, die vom Balcon herab zuſchaute;
hat ihn auch in ſchlimmer Brautnacht der Schlag danieder geſtreckt,
ſo geht ſein Geiſt fort und fort mächtig durch die Welt; die nach
uns kommen, werden noch an ihm zu beſchwören haben.


Wenn ſie nur auch ſo ſcharf auf ihn ſchießen, wie die da unten!
ſagte Praxedis, — und Hallohruf klang vom Hofe herauf, der Stroh-
mann wankte und fiel, ein Pfeil hatte das Herz getroffen.


Ekkehard kam in den Saal herauf. Er war wacker mit marſchirt,
ſein Antlitz glühte, der ungewohnte Helm hatte einen rothen Streif
auf der Stirn zurückgelaſſen. In der Erregung des Tages vergaß er
[154] ſeine Lanze draußen abzuſtellen. Mit Wohlgefallen ſah Frau Hadwig
auf ihn; es war nicht mehr der zage Lehrer der Grammatik .. Er
neigte ſich vor ſeiner Gebieterin: die Reichenauer Mitbrüder im Herrn,
ſprach er, laſſen melden, daß ſich Durſt in ihren Reihen eingeſtellt.


Frau Hadwig lachte. Laßt eine Tonne kühlen Bieres im Hof
aufſtellen; bis die Hunnen wieder heimgejagt ſind, ſoll unſer Keller-
meiſter keine Klage über Verſchwinden ſeiner Fäſſer führen.


Sie deutete auf das ſtürmiſche Treiben im Burghof:


Das Leben bringt doch mannigfachere Bilder als alle Poeten,
ſprach ſie zu Ekkehard; — auf ſolchen Wandel der Dinge wart Ihr
nicht vorbereitet?


Aber Ekkehard ließ ſeinem theuern Virgilius nicht zu nahe treten.


Erlaubet, ſprach er auf ſeinen Speer gelehnt, es ſteht Alles wort-
getreu in der Aeneis vorgezeichnet, als wenn es nichts Neues unter
der Sonne geben ſollt! Würdet Ihr nicht glauben, Virgilius ſei hier
auf dem Söller geſtanden und habe hinabgeſchaut in's Getümmel,
wie er vom Beginn des Krieges in Latium ſang:


„Dort wird gehöhlt dem Haupte der Schirm — dort flechten ſie wölbend

Weidener Schilde Verband — dort ziehn ſie den ehernen Harniſch,

Dort hellblinkende Schienen aus zähem Silber gehämmert.

Sichel und Schaar wird jetzo entehrt, und die Liebe des Pfluges

Weicht — um ſchmiedet die Eſſe verroſtete Klingen der Väter.

Hornruf ſchmettert durchs Land und es geht die kriegriſche Loſung.“164)

Das paßt freilich gut, ſprach Frau Hadwig. Könnt Ihr auch den
Gang des Streites aus Eurem Heldenbuche vorherſagen? wollte ſie
noch fragen, aber in Zeiten des Durcheinander iſt nicht gut über
Dichtungen ſprechen. Der Schaffner war eingetreten: Das Fleiſch ſei
aufgezehrt bis auf den letzten Biſſen, lautete ſein Bericht, ob er zwei
Ochſen ſchlachten dürfe ...


Nach wenig Tagen war Simon Bardo's Mannſchaft ſo geſchult,
daß er ſie der Herzogin zur Muſterung vorführen konnte. Es war
auch Zeit, daß ſie ihre Zeit nutzten; ſchon waren ſie die verfloſſene
Nacht aufgeſtört worden, eine helle Röthe ſtand am Himmel fern
über'm See, wie eine feurige Wolke hielt ſich das Brandzeichen etliche
Stunden lang, es mochte weit in Helvetien drüben ſein. Die Mönche
[155] ſtritten mit einand; es ſei eine Erſcheinung am Himmel, ſagten die
Einen, ein feuriger Stern zur Warnung der Chriſtenheit. Es brennt
im Rheinthal, ſprachen Andere; ein Bruder der mit feinerer Naſe
begabt war, behauptete ſogar den Brandgeruch zu ſpüren. Erſt lang
nach Mitternacht erloſch die Röthe.


Auf des Berges ſüdlichem Abhang war eine mäßig weite Halde,
die erſten Frühlingsblumen blühten drauf, in den Thalmulden lag
noch alter Schnee; das ſollte der Platz der Muſterung ſein. Hoch
zu Roſſe ſaß Frau Hadwig, bei ihr hielten wohlgerüſtet etliche Edel-
knechte, die zum Aufgebot geſtoßen waren, der von Randegg, der vom
Hoewen und der dürre Fridinger; der Reichenauer Abt ſaß ſtolz auf
ſeinem Zelter, ein wohlberittener Mann Gottes;165) Herr Spazzo,
der Kämmerer, bemühte ſich, es ihm in Haltung und Bewegung
gleich zu thun, denn ſein Gebahren war vornehm und ritterlich. Auch
Ekkehard ſollte die Herzogin begleiten, es war ihm ein Roß vorge-
führt worden; allein er hatte es abgelehnt, daß kein Neid entſtünde
unter den Mönchen.


Jetzt that ſich das äußere Burgthor knarrend auf, und die Schaa-
ren zogen herab. Voraus die Bogen- und Armbruſtſchützen; luſtige
Klänge erſchallten, ernſten Antlitzes ſchritt Audifax als Sackpfeifer
mit den Horniſten, in geſchloſſenem Zug ging's vorbei. Dann ließ
Simon Bardo ein Signal blaſen, da lösten ſie ihre Glieder und
ſchwärmten aus wie ein wilder Wespenſchwarm und hielten Buſch
und Hecken beſetzt.


Dann kam die Cohorte der Mönche, feſten Schrittes, in Helm
und Harniſch, die Kutte drüber, den Schild auf dem Rücken, den
Spieß gefällt: eine ſturmgewaltige Schaar; hoch flatterte ihr Fähn-
lein, ein rothes Kreuz im weißen Feld. Pünktlich marſchirten ſie,
als wär' es ſeit Jahren ihr Handwerk — bei ſtarken Menſchen iſt
auch die geiſtige Zucht gute Vorübung zum Kriegerſtand. Nur Einer
am linken Flügel vermochte nicht Schritt zu halten, ſeine Lanze ragte
uneben aus der geraden Reihe der andern: 's iſt nicht ſeine Schuld,
ſprach Abt Wazmann zur Herzogin, er hat in Zeit von ſechs Wochen
ein ganz Meßbuch abgeſchrieben, da flog ihm der Schreibkrampf in
die Finger.


[156]

Ekkehard ſchritt auf dem rechten Flügel; wie ſie an der Herzogin
vorüber kamen, traf ihn ein Blick aus den leuchtenden Augen, der
kaum der ganzen Schaar gegolten.


In drei Haufen folgten die Dienſtmannen und aufgebotenen Heer-
bannleute; mächtige Stierhörner wurden geblaſen, ſeltſam Rüſtzeug
kam zum Vorſchein, manch ein Waffenſtück war ſchon in den Feld-
zügen des großen Kaiſer Karl eingeweiht worden, Mancher aber trug
auch einen mächtigen Knittel und ſonſt nichts.


Herr Spazzo hatte indeß ſcharfen Auges in das Thal hinunter
geſchaut. 's iſt gut, daß wir gerade beiſammen ſind, ich glaub 's
gibt Arbeit! ſprach er und deutete hinüber in die Tiefe, wo die Dä-
cher des Weilers Hilzingen hinter hügeligen Gründen aufſtiegen. Ein
dunkler Streif zog ſich heran ... Da hieß Herr Simon Bardo ſeine
Heerſchaar halten und ſpähte nach der Richtung: Das ſind keine
Hunnen, ſie kommen unberitten. Zu größerer Fürſicht aber hieß er
ſeine Bogenſchützen den Abhang des Berges beſetzen.


Aber wie der fremde Zug näher rückte, ward auch in ihren Reihen
des heiligen Benedict Ordensgewand ſichtbar, ein gülden Kreuz ragte
als Standarte aus den Lanzen, Kyrie eleison! klang ihre Litanei
den Berg herauf ... Meine Brüder! rief Ekkehard; da lösten ſich
die Glieder der Reichenauer Cohorte, ſie rannten den Berg hinunter
mit ſtürmiſchem Jubelſchrei — wie ſie aneinander waren überall
freudiges Umarmen: Wiederſehen in Stunde der Gefahr ringt dem
Herzen ein fröhlicher Jauchzen ab denn ſonſt.


Arm in Arm mit den Reichenauern ſtiegen die fremden Gäſte
den Berg empor, ihren Abt Cralo an der Spitze; auf ſchwerfälligem
Ochſenwagen in der Nachhut führten ſie den blinden Thieto mit.
Gott zum Gruß, erlauchte Frau Baſe, ſprach Abt Cralo und neigte
ſich vor ihr; wer hätt' vor eines halben Jahres Friſt gedacht, daß ich
mit dem geſammten Kloſter Euren Beſuch erwiedern würde? Aber
der Gott Iſraels ſpricht: ausziehen laß mein Volk, auf daß es mir
getreu bleibe!


Frau Hadwig reichte ihm bewegt vom Roſſe herab die Hand.
Zeiten der Prüfung! ſprach ſie. Seid willkommen!


Verſtärkt durch die neuen Ankömmlinge zog die hohentwieler Heer-
ſchaar in der Burg ſchirmende Mauern zurück. Praxedis war in den
[157] Hof heruntergeſtiegen. Bei der Linde ſtand ſie und ſchaute auf die
einziehenden Männer; ſchon waren die von Sanct Gallen alle im
Hofraum verſammelt, unverwandt ſchaute ſie nach dem Thor, als
müſſe noch Einer nachkommen; doch der, den ihr Blick ſuchte, war
nicht unter denen, die da kamen.


In der Burg ging es an ein Einrichten und Unterbringen der
Gäſte. Der Raum war ſpärlich gemeſſen. Im runden Hauptthurm
war eine luftige Halle, dort wurde mit aufgeſchüttetem Stroh für
nothdürftig Nachtlager geſorgt. Wenn das ſo fortgeht, hatte der
Schaffner gebrummt, der bald nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf
ſtand, ſo haben wir bald die ganze Pfaffheit Europa's auf unſerem
Fels beiſammen.


Küche und Keller gaben, was ſie hatten.


Unten ſaßen Mönche und Kriegsleute bei lärmender Mahlzeit.
Frau Hadwig hatte die beiden Aebte und wer von edeln Gäſten ſich
bei ihr eingefunden, in ihrem Saale vereinigt; es war viel zu be-
ſprechen und zu berathen, ein Summen und Schwirren von Frag
und Antwort.


Da erzählte Abt Cralo die Geſchicke ſeines Kloſters.166)


Diesmal, ſprach er, iſt uns die Gefahr ſchier über's Haupt ge-
wachſen. Kaum ward von den Hunnen geſprochen, ſo tönte der Boden
ſchon vom Hufe ihrer Roſſe. Itzt galt's. Die Kloſterſchule hab' ich
in die feſte Verſchanzung von Waſſerburg geſchickt, Ariſtoteles und
Cicero werden eine Zeitlang Staub anſetzen, die Jungen mögen Fiſche
im Bodenſee fangen, wenn's nicht noch ſchärfere Arbeit gibt, die alten
Profeſſoren ſind zu rechter Zeit mit ihnen über's Waſſer. Wir aber
hatten uns ein feſtes Caſtell als Unterſchlupf hergerichtet; wo die
Sitterbach durch tannbewaldet enges Thal ſchäumt, war ein trefflich
Plätzlein, waldabgeſchieden, als wenn keine heidniſche Spürnaſe den
Pfad jemals finden ſollt', dort bauten wir ein feſtes Haus mit Thurm
und Mauer und weihten es der heiligen Dreieinigkeit — mög' ſie
ihm fürder ihren Schutz leihen!


Noch war's nicht unter Dach und Fach, da kamen ſchon die
Boten vom See: flieht, die Hunnen ſind da! und vom Rheinthal
kamen andere: flieht! war die Loſung, der Himmel roth von Brand
und Wachtfeuer, die Luft erfüllt vom Wehgeſchrei flüchtender Leute
[158] und Knarren enteilenden Fuhrwerks. Da zogen wir aus. Gold und
Kleinodien, Sanct Gallus' und Sanct Othmar's Sarg und Gebein,
der ganze Schatz ward noch ſicher geborgen, die Bücher haben die
Jungen nach der Waſſerburg mitgenommen — aber an Eſſen und
Trinken ward nicht viel gedacht, nur ſchmaler Mundvorrath war in
die Waldburg geſchafft; eiligſt flohen wir dorthin. Erſt unterwegs
merkten die Brüder, daß wir Thieto den Blinden im Winkel der
Alten vergeſſen, aber keiner ging mehr zurück, der Boden brannte
unter den Füßen. So lagen wir etliche Tage ſtill im tannverſteckten
Thurm, oftmals nächtlich ſprangen wir zu den Waffen, als ſtünde
der Feind vor dem Thor, aber es war nur der Sitter Rauſchen oder
des Windes Strich in den Tannenwipfeln. Einmal aber rief's mit
heller Stimme um Einlaß. Verſcheucht und todtmüd kam Burkard
der Kloſterſchüler; aus Freundſchaft zu Romeias dem Wächter am
Thor war er zurückgeblieben, wir hatten deß nicht wahrgenommen. Er
brachte ſchlimme Kunde; vom Schreck, den er erlebt, waren etliche
Haare auf dem jungen Haupte übernacht grau geworden.


Abt Cralo's Stimme wollte zittern. Er hielt an und trank einen
Schluck Weines. Der Herr ſei allen chriſtgläubigen Abgeſtorbenen
gnädig, fuhr er bewegt fort, ſein Licht leuchte ihnen, er laſſe ſie ruhen
in Frieden!


Amen! ſprachen die Tiſchgenoſſen.


Wen meint Ihr? fragte die Herzogin. Praxedis war aufgeſtan-
den, ſie trat hinter ihrer Gebieterin Lehnſtuhl, lauſchend hing ihr Blick
an des Erzählers Lippen.


Erſt wenn einer todt iſt, merken die Zurückgebliebenen, was er
werth war, ſprach Cralo, und nahm den Faden wieder auf: Romeias,
der trefflichſte aller Wächter, war nicht mit uns ausgezogen. Will
meinen Poſten halten bis zum Schluß, hatte er geſagt; des Kloſters
Zugänge verſchloß er, ſchaffte in ſichern Verſteck was wegzuſchaffen
war, und machte die Runde um die Mauern, Burkard der Kloſter-
ſchüler mit ihm; dann hielt er gewaffnet Wacht in ſeiner Thurmſtube.
Da kam der helle Haufe hunniſcher Reiter vor die Mauern geritten,
vorſichtig ſchwärmend; Romeias that die üblichen Hornſtöße, dann
ſprang er nach der Ringmauer anderem Ende und ſtieß abermals in's
Horn, als wär' Alles wohl gehütet und beſetzt: jetzt iſt's Zeit zum
[159] Abzug! ſprach er zum Schüler. Einen alten welken Strauß hatte er
an Eiſenhut geſteckt, erzählte Burkard, da gingen die zwei zum blin-
den Thieto hinüber, der wollte den Winkel der Alten nimmer ver-
laſſen, ſie aber ſetzten ihn auf zwei Speere und trugen ihn fort —
zum hinteren Pförtlein hinaus, das Schwarzathal aufwärts fliehend.


Schon waren die Hunnen von den Roſſen geſtiegen und kletterten
über die Mauern; wie ſich Nichts regte ſchwärmten ſie ein wie die
Mücken auf den Honigtropfen, aber Romeias ging gelaſſenen Schrit-
tes mit ſeiner greiſen Bürde bergan. Niemand ſoll vom Kloſter-
wächter ſagen, daß er ſtruppigen Heidenhunden zu lieb einen Trab
angeſchlagen — ſo ſprach er ſeinem jungen Freunde Muth zu. Aber
bald waren ihm die Hunnen auf der Fährte, wild Geſchrei erſcholl
durch die Thalſchlucht, — wieder ein Stück weit, da pfiffen die erſten
Pfeile. So kamen ſie bis an den Felſen der Klausnerinnen. Dort aber
ſtaunte ſelbſt Romeias. Als wär' nichts geſchehen, tönte ihnen Wi-
borad's dumpfes Pſalmodiren entgegen. In himmliſcher Erſcheinung
war ihr Noth und Tod geoffenbart worden, ſelbſt der fromme Ge-
wiſſensrath Waldramm vermochte ihren Sinn nicht zur Flucht zu wen-
den. Meine Zelle iſt das Schlachtfeld, wo ich gegen der Menſchheit
alten Feind geſtritten, ein Streiter Gottes deckt's mit ſeinem Leibe,167)
ſo ſprach ſie und verharrte in der Wildniß, als Alles entwich.


Die Waldburg war nimmer zu erreichen, da ſuchte Romeias das
abgelegenſte Häuslein aus. Auf den Fels tretend ließ er den blinden
Thieto ſorglich durch's Dach hinab, er küßte den Greiſen eh' er ſich
von ihm wandte — dann hieß er den Kloſterſchüler ſich auf die Flucht
machen: es könnt' mir was Menſchliches zuſtoßen, ſag' denen in der
Waldburg, daß ſie nach dem Blinden ſehen. Vergeblich flehte Burkard
zu ihm und citirte den Niſus und Euryalus, die auch vor der Ueber-
macht volskiſcher Reiter in nächtiges Waldesdunkel geflohen. Ich
müßt' zu ſchnell laufen, ſprach Romeias, Erhitzung iſt ungeſund
und ſchafft Bruſtſchmerzen, ich muß ein Wörtlein mit den Söhnen
des Teufels reden.


Er ging an Wiborad's Zelle und klopfte an Laden: reich' mir
die Hand, alter Drache, rief er hinein, wir wollen Friede machen!
und Wiborad ſtreckte ihm ihre verwelkte Rechte hinaus ... dann wälzte
Romeias etliche Felsblöcke an des ſteilen Pfades Ausgang, ſo daß der
[160] Zutritt von der Schwarzaſchlucht geſperrt war, nahm den Schild vom
Rücken und richtete die Speere; mit wehendem Haupthaar ſtand er in
der Umwallung und blies noch einmal auf dem großen Wächterhorn,
erſt zürnend und kampfſchnaubend, dann weich und ſänftlich, bis ein
Pfeil in des Hornes Krümmung hineingellte. Ein Regen von Ge-
ſchoſſen überdeckte ihn, und ſpickte ſeinen Schild, er ſchüttelte ſie ab;
da und dort klomm einer der Hunnen auf die Nagelfluhfelſen, ihm
beizukommen, Romeias Speerwurf holte ſie herunter, — der Angriff
mehrte ſich, wild toste der Kampf, aber unverzagt ſang Wiborad ihren
Pſalm:


Vertilge ſie im Grimm, o Herr, vertilge ſie, daß ſie nicht mehr
ſind, damit man erkenne, daß Gott über Israel herrſche bis an die
Grenzen der Erde, Sela ...


Soweit hatte Burkard des Kampfes Verlauf mit angeſchaut, dann
wandte er ſich zur Flucht. Da wurden wir in der Waldburg ſehr
betrübt, und ſchickten noch in der Nacht eine Schaar aus, nach dem
blinden Thieto zu ſchauen. Es war ſtill auf dem Hügel der Klausne-
rinnen wie ſie heranſchlichen; der Mond leuchtete auf die Körper er-
ſchlagener Hunnen, da fanden die Brüder ...


Ein lautes Schluchzen unterbrach den Erzähler. Praxedis hielt ſich
mühſam an der Herzogin Lehnſtuhl und weinte bitterlich.


... Da fanden ſie, fuhr der Abt fort, des Romeias verſtümmelten
Leichnam; ſein Haupt hatten die Feinde abgehauen und mitgeſchleppt,
er lag auf ſeinem Schild, den welken Strauß, ſeine Helmzier, krampf-
haft geballt in der Rechten. Gott hab' ihn ſelig: weß Leib mit Treuen
ein Ende nimmt, ein ſolcher dem Himmelreich geziemt! An Wiborads
Laden klopften ſie vergeblich, die Ziegel am Dach ihrer Klauſe waren
zertrümmert, da ſtieg Einer auf's Dach und ſchaute hinab, vor dem
kleinen Altar der Zelle lag die Klausnerin in ihrem Blut, drei Schwert-
hiebe klafften auf dem Scheitel, der Herr hat ſie gewürdigt, unter den
Streichen der Heiden des Martyriums Krone zu erringen.


Die Anweſenden ſchwiegen bewegt. Auch Frau Hadwig war
gerührt.


Ich hab' Euch der Seligen Schleier mitgebracht, ſprach Cralo,
geweiht vom Blut ihrer Wunden, Ihr mögt ihn in der Kapelle der
Burg aufhängen. Nur Thieto der Blinde war unverletzt geblieben:
[161] unentdeckt vom Feind, ſchlummerte er in der Klauſe am Fels. Ich
hab' geträumt, es ſei ein ewiger Friede über die Welt gekommen,
ſprach er zu den Brüdern, wie ſie ihn weckten.


Aber im abgelegenen Sitterthal blieb's nimmer lang ſtill; die
Hunnen fanden den Weg zu uns: das war ein Schwärmen und Pfeifen
und Grunzen, wie's der Tannwald noch nie gehört. Unſere Mauern
waren feſt und unſer Muth ſtark, doch hungrige Männer werden
des Belagertſeins unluſtig; vorgeſtern war unſer Vorrath aufgezehrt,
wie es dunkelte, ſahen wir die Rauchſäule aufſteigen vom Brand un-
ſeres Kloſters; da brachen wir nächtlicher Weile durch den Feind, der
Herr war mit uns und bahnte den Weg, unſere Schwerter halfen
auch dazu: ſo ſind wir zu Euch gekommen ...


Der Abt neigte ſich gegen Frau Hadwig —


... heimathlos und verwaist, wie Vögel, in deren Neſt der Blitz
geſchlagen, und bringen Euch nichts mit, als die Kunde, daß der
Hunne, den Gott vernichten möge, uns auf den Ferſen nachfolgt ...


Je eher er kommt, je beſſer! ſprach der Reichenauer Abt trotzig
und hob ſeinen Becher.


Sieg den tapfern Waffen der Streiter Gottes! ſprach die Herzogin
und ſtieß mit ihnen an.


Und Rache für den braven Romeias! ſagte Praxedis leiſe mit
Thränen im Aug', wie der dürre Fridinger ſein Glas an das ihrige
klingen ließ.


Es war ſpät geworden. Wilder Geſang und Kriegslärm erſchallte
noch im untern Saal. Der junge Bruder, der von Mutina in
Welſchland nach der Reichenau gekommen war, hatte ſein Wächterlied
wieder angeſtimmt.


Die Gelegenheit zu ernſter That ſollte nicht lange mehr auf ſich
warten laſſen.



VII.
[162]

Dreizehntes Kapitel.
Heribald und ſeine Gäſte.



Auf der Inſel Reichenau war's ſtill und öde, nachdem des Klo-
ſters Inſaſſen abgezogen. Der blödſinnige Heribald war Herr und
Meiſter des Eilands. Er gefiel ſich in ſeiner Einſamkeit. Stunden-
lang ſaß er am Seeufer und warf flache Kieſelſteine über die Wellen,
daß ſie drauf tanzten. Wenn ſie gleich anfangs unterſanken, ſchalt
er ſie.


Mit den Hühnern im Hof pflog er manchen Zwieſpruch; er füt-
terte ſie pünktlich: wenn ihr brav ſeid, ſprach er einmal, und wenn
die Brüder nicht heimkommen, ſo wird euch Heribald eine Predigt
halten. Im Kloſter trieb er allerhand Kurzweil — an einem Tag
der Einſamkeit laſſen ſich gar mancherlei nützliche Gedanken aushecken —
der Camerarius hatte ihn geärgert, daß er ihm ſein Leder zum Schuh-
werk geweigert, da ging Heribald auf des Camerarius Zelle, ſeinen
großen ſteinernen Waſſerkrug ſchlug er in Trümmer, die drei Blumen-
töpfe deßgleichen und trennte den Strohſack auf des Camerarius Nacht-
lager entzwei und füllte ihn mit den Scherben. Dann verſuchte er,
wie ſich darauf liege: der harte Inhalt war ſcharf zu verſpüren —
da lächelte er zufrieden und ging in des Abt Wazmann Gemächer.


Auch dem Abte war er gram, dieweil er ihm manche Züchtigung
zu verdanken hatte, aber es war Alles wohl aufgeräumt und in Ver-
ſchluß gethan, da blieb ihm nichts übrig als dem gepolſterten Lehn-
ſtuhl einen Fuß abzuſchlagen. Er fügte ihn wieder künſtlich an, als
wäre nichts geſchehen: Das wird anmuthig mit ihm zuſammenbrechen
wenn er heimkommt und ſich bequemlich niederlaſſen will. Den Leib
ſollſt du züchtigen, ſagt der heilige Benedict. Aber Heribald hat den
Stuhlfuß nicht abgeſchlagen, das haben die Hunnen gethan ...


Gebet, Andacht und Pſalmenſingen verrichtete er wie des Ordens
Regel gebot. Die ſieben Tageszeiten hielt der Einſame ängſtlich ein,
[163] als möcht' er geſtraft werden ob deren Verſäumniß, auch zur Vigilie
ſtieg er nach Mitternacht hinunter in die Kloſterkirche.


Zur Zeit als ſeine Mitbrüder auf der Herzogsburg mit den
Sanct Galliſchen zechten, ſtand Heribald im Chor; unheimlich Grauen
der Nacht lag über der Halle, düſter flackerte die ewige Lampe: er
aber ſtimmte unverdroſſen und mit heller Stimme den Eingangsvers
an: Herr, neige dich zu meinem Beiſtand! Herr, eile heran zu meiner
Hilfe! und ſang den dritten Pſalm, den einſt David geſungen, da er
floh vor Abſalon ſeinem Sohn. Wie er an die Stelle kam, wo der
Uebung des Pſallirens gemäß die Antiphonie ertönen ſollte, hielt er
nach alter Gewohnheit an und wartete des Gegengeſangs, aber es
blieb ruhig und ſtumm, da fuhr er mit der Hand nach der Stirn:
Ja ſo, ſprach der Blödſinnige, ſie ſind fort und Heribald iſt allein ...
Jetzt wollte er auch noch den vierundneunzigſten Pſalm ſingen, wie es
die Vorſchrift nächtlichen Horadienſtes erheiſchte, da erloſch die ewige
Lampe, eine Fledermaus war drüber hingeſtreift. Draußen Regen
und Sturm. Schwere Tropfen fielen auf das Dach der Kirche und
ſchlugen an die Fenſter, da ward's ihm unheimlich zu Muth: Heiliger
Benedict, rief er, nimm ein gnädig Einſehen, daß Heribald nicht Schuld
iſt, wenn die Antiphonie ungeſungen blieb. Er ſchritt in der Dunkel-
heit aus dem Chor; ein ſchriller Wind pfiff durch ein Fenſterlein der
Crypta unter dem Hochaltar, ein heulender Ton kam herauf. Wie
Heribald vorwärts ging faßte ein Luftzug ſein Gewand: Biſt du wie-
der da, hölliſcher Verſucher? rief er, muß wieder gefochten ſein?168)


Unverzagt ſchritt er zum Altar und faßte ein hölzern Kreuz, das
der Abt nicht hatte wegnehmen laſſen: Im Namen der Dreieinigkeit,
komm heran, Larve des Satans, Heribald erwartet dich! Feſten Muthes
ſtand er an des Altares Stufen, der Wind heulte fort, der Teufel
blieb aus ... Er hat noch genug vom letzten mal! ſprach der Blöd-
ſinnige lächelnd. Vor Jahresfriſt war ihm der böſe Feind erſchienen
in Geſtalt eines großen Hofhundes, und hatte ihn angebellt, aber
Heribald hatte ihn beſtanden mit einer Stange und ihm mit ſo tapfern
Hieben zugeſetzt, daß die Stange zerbrochen war ..


Da rief Heribald noch eine Ausleſe beleidigender Reden nach der
Richtung hin, wo der Luftzug ſtöhnte; wie ſich aber nichts nahte, ihn
anzufechten, ſtellte er das Kreuz wieder auf den Altar, beugte ſein
11*
[164] Knie und ging, Kyrie eleison murmelnd, in ſeine Zelle zurück. Bis
in [hellen] Morgen hinein ſchlief er dort den Schlaf des Gerechten.


Die Sonne ſtund hoch am Himmel, da wandelte Heribald ver-
gnüglich vor dem Kloſter auf und nieder. Seit daß er ſich von den
Schulbänken weg der Vacanz hatte erfreuen mögen, war ihm wenig
Gelegenheit zum Ausruhen mehr geworden. Ruhe iſt der Seele größte
Feindin! hatte Sanct Benedict geſagt und darum ſeinen Schülern
ſtreng vorgeſchrieben, die Stunden des Tages, die nicht der Andacht
galten, mit Arbeit der Hände auszufüllen. Heribald war keiner Kunſt
oder Handwerksgriffe kundig, darum hatten ſie ihn zum Holzſpalten
und ähnlich nutzbringender Thätigkeit angehalten — jetzt aber ſchritt
er, die Arme gekreuzt, an den aufgebeugten Scheitern vorüber und
ſchaute lächelnd nach einem Kloſterfenſter hinauf: So komm doch her-
unter, Vater Rudimann! rief er, und halte den Heribald zum Holz-
hauen an! Du haſt ja ſo trefflich Aufſicht gehalten über die Brüder,
und den Heribald ſo oft einen unnützen Knecht Gottes geſcholten,
wenn er den Wolken nachſchaute ſtatt die Axt zu führen, warum thuſt
du nicht was deines Amtes?


Kein Echo gab dem Blödſinnigen Antwort; da zog er von den
Scheitern der unterſten einige heraus, raſſelnd ſtürzte die hochgeſchich-
tete Beuge zuſammen: fallet nur, fuhr er im Selbſtgeſpräch fort,
Heribald macht Feiertag heut und ſetzt nichts wieder auf. Der Abt
iſt durchgegangen, die Brüder ſind durchgegangen, es geſchieht ihnen
Recht, wenn Alles zuſammenſtürzt.


Nach ſolch' löblicher Verrichtung wandte ſich Heribald zum Kloſter-
garten. Eine anderweite Erwägung beſchäftigte ſeinen Geiſt: er ge-
dachte ein paar liebliche Stöcke Salates zu ſeinem Mittagsmahl zu
ſchneiden und ſie feiner zuzubereiten, als in Anweſenheit des Pater
Küchenmeiſter je geſchehen wäre. Lockend malte er ſich die Arbeit
aus, wie er das Oelkrüglein ſonder Schonung angreifen und der
größten Zwiebeln einige mitleidslos zerſchneiden wollte: da wirbelte
drüben am weißſandigen Ufer eine Staubwolke auf, Geſtalten von
Roß und Reitern wurden ſichtbar ...


Seid ihr ſchon da? ſprach der Mönch und ſchlug ein Kreuz,
ſeine Lippen bewegten ſich zu einem haſtigen Gebete; aber bald lag
die gewohnte Miene zufriedenen Lächelns wieder auf ſeinem Antlitz.


[165]

Fremden Wanderern und Pilgersmännern ſoll am Thor des Gottes-
hauſes ein chriſtlicher Beſcheid ertheilt werden,169) murmelte er, —
ich werde ſie erwarten.


Ein neuer Einfall flog itzt durch ſein Gemüth; er fuhr mit der
Hand über die Stirn: Bin ich nicht in der Kloſterſchule über den
Geſchichten des Alterthums geſeſſen und hab' gehört, wie die römiſchen
Senatoren der ſenoniſchen Gallier Einbruch erwartet? Den Mantel
umgeſchlagen, den Elfenbeinſcepter in der Fauſt ſaßen die Greiſe in
ihren Stühlen, unbewegten Auges wie eherne Götzenbilder: der latei-
niſche Lehrer ſoll uns nicht umſonſt vorgepredigt haben, das ſei ein
würdiger Empfang geweſen! Heribald kann's auch!


.. Gelinder Blödſinn iſt dann und wann eine neidenswerthe
Mitgift für's Leben: was Andere ſchwarz ſchauen, ſcheint ihm blau
oder grün, zickzackig iſt ſein Pfad, aber von den Schlangen, die im
Gras lauern, merkt er nichts und über den Abgrund, in den der
weiſe Mann regelrichtig hineinſtürzt, ſtolpert er hinüber ſonder Ahnung
der Gefahr ..


Ein curuliſcher Stuhl war zur Zeit im Kloſter nicht vorhanden.
Heribald ſchob einen mächtigen Eichſtamm an die Pforte die in
Hof führte. Zu was Zweck und Nutzen haben wir die weltliche Ge-
ſchichte gelernt, ſo wir keinen guten Rath draus ſchöpfen? murmelte
er, ſetzte ſich gelaſſen auf ſeinen Block und wartete der Dinge die da
kommen ſollten.


Drüben am nahen Seeufer hielt ein Trupp Reiter; die Zügel in
Arm geſchlungen, den Pfeil auf der Bogenſehne waren ſie ſpähend
herangeſprengt, der hunniſchen Heerſchaar Vortrab. Wie kein Hinter-
halt aus dem weidenumbuſchten Ufer vorbrach, hielten ſie die Roſſe
eine Weile an zum Verſchnaufen; der Pfeil ward in Köcher gelegt,
der krumme Säbel mit den Zähnen gefaßt, die Sporen eingepreßt —
ſo ging's in den See. Hurtig arbeiteten ſich die Roſſe durch die
blauen Wogen, — itzt war der Vorderſte am Land und ſprang vom
Gaul und ſchüttelte ſich dreimal wie ein Pudel, der vom kühlen Bad
zurück kommt; mit ſchneidigem Hurrahruf zogen ſie in der ſchweigenden
Reichenau ein.


Wie in Stein gehauen ſaß Heribald und ſchaute unverzagt den
ſeltſamen Geſtalten entgegen. Nachdenken über vollendete menſchliche
[166] Schönheit hatte ihm noch keine ſchlafloſe Nacht verurſacht, aber was
jetzt auf ihn zukam, däuchte ihn ſo häßlich, daß er ein langgedehntes:
Erbarme dich unſer, o Herr! nach deiner Barmherzigkeit Größe! nicht
zu unterdrücken vermochte.


In den Sattel gebückt ſaßen die fremden Gäſte, aus Thierfellen
das Gewand, hager dürr und klein die Geſtalt, viereckig der Schädel,
das Haar ſteif ſtruppig herabhängend; gelb glänzte das unfertige
Geſicht als wär' es mit Talg geſalbt; — der Vorderſten Einer hatte
durch freiwilligen Einſchnitt ſeinen aufgeworfenen Mund um ein
Erkleckliches nach den Ohren hin verlängert; verdächtig ſchauten ſie
aus den kleinen tiefliegenden Augen in die Welt hinaus.


Ebenſo gut könnt' man ſtatt eines Hunnen einen Lehmklumpen
halb viereckig in den Händen formen, Etwas wie eine Naſe d'ran
aufſtülpen und das Kinn einſchlagen, dachte Heribald: da ſtanden ſie
vor ihm. Er verſtand ihre ziſchende Sprache nicht und lächelte ruhig
als ging' ihn die ganze Bande nichts an. Sie ſtarrten eine Zeit
lang verwundert auf den närriſchen Geſellen, wie die Männer kritiſchen
Handwerks auf einen neuen Poeten, von dem ihnen noch nicht klar,
in welchem Schubfach vorräthiger Urtheile ſie ihn unterbringen ſollen.
Itzt erſchaute Einer die kahlgeſchorene Stelle auf Heribald's Haupt
und deutete mit dem krummen Säbel d'rauf hin, ſie erhoben ein
grinſendes Gelächter, Einer griff nach Bogen und Pfeil und legte auf
den Mönch an, da ging Heribald's Geduld aus, ein Anflug germa-
niſchen Stolzes gegenüber ſolchem Geſindel kam über ihn: bei der
Tonſur des heiligen Benedict, rief er aufſpringend, die Krone meines
Hauptes ſoll kein Heidenhund läſtern! er fiel dem Vorderſten in die
Zügel, riß ihm den krummen Säbel von der Seite, kampfbereit
wollte er ſich aufpflanzen ... aber ſchneller denn der Blitz hatte ihm
der Hunnen Einer eine ſtarke Schlinge über's Haupt geworfen und
riß ihn nieder; ſie ſtürzten über ihn her, knebelten ſeine Hände auf
den Rücken: ſchon waren todtbringende Waffen geſchwungen —
da hub ſich ein fernes Geſumm und Getöſe wie von einer mächtig
heranrückenden Schaar, das zog die Reiter von dem Blödſinnigen ab,
ſie warfen ihn als wie einen Sack gebunden zu ſeinem Eichſtamm
und jagten im Galopp zum Seeufer zurück.


[167]

Der ganze Troß des hunniſchen Heerhaufens war drüben angelangt;
die vom Vortrab gaben durch gellend Pfeifen ein Zeichen hinüber,
daß Alles ſicher; ſie erſpähten an der Inſel ſchilfbewachſenem Ende
eine Furth, ſchier trocknen Fußes zu durchreiten, den Pfad wieſen ſie
ihren Geſellen. Itzt kam's herüber gebraust wie das wilde Heer, viel
hundert Reitersmänner. An Augsburg's Wällen und des Biſchofs
Gebet waren ihre vereinten Waffen zerſtiebt,170) itzt durchzogen ſie
hordenweis das Land. An Geſtalt, Antlitz und Art zu Pferd zu ſitzen,
glich Einer dem Andern — bei rohen Nationen ſind die Geſichtszüge
Aller wie aus einem Guß, da es der Einzelnen Beruf, in der Maſſe
aufzugehen, nicht von ihr ſich abzuheben.


Da glänzten zwiſchen den Obſtbäumen und Gartenfeldern der Inſel,
wo ſonſt der Mönch Brevier betend gewandelt, zum erſtenmal des
Hunnenheeres fremde Waffen, ſchlangengleich wand ſich der reiſige Zug
über den ſchmalen Pfad vom Feſtland herüber, ein wildes Klingen
wie Cymbalſchlag und Geigenton zog mit ihnen, es klang ſchrill und
ſcharf wie Eſſig, denn der Hunnen Ohr war groß aber nicht fein-
fühlig, und zur Muſika wurden nur die verwendet, die des Reiter-
dienſts untüchtig.


Hoch über dem Heerhaufen wallte die Fahne mit der grünen Katze
im rothen Feld, bei ihr ritten etliche der Anführer, Ellak's und Hor-
nebog's hervorragende Geſtalten.


Ellak mit ſcharfer unhunniſcher Naſe, eine Circaſſierin war ſeine
Mutter geweſen, ihr dankte er das blaſſe, ſchier denkerartige Antlitz
und den durchbohrenden Blick; er war der leitende Verſtand des Hau-
fens; daß die alte Welt umgepflügt werden müſſe mit Feuer und
Schwert, und daß es beſſer Pflüger, als Dung zu ſein, ſeine Lebens-
überzeugung. Hornebog ſchmal und ſchmächtig, das ſchwarze Haupt-
haar auf beiden Seiten des Angeſichts zu zwei großen einſamen Locken
zuſammengedreht, drüber einen glänzenden Helm mit weithin ſtarrenden
Adlerflügeln, hunniſcher Reiterskunſt ein Vorbild; ihm war der Sattel
Heimath, Zelt und Pallaſt, er ſchoß den Vogel im Flug und trennte
mit krummem Säbel ein Haupt vom Rumpf im Vorbeiſprengen.
Im Halfter wiegte ſich ruhig die ſechsfältige geknutete Peitſche, ein
ſinnig Symbol befehlshabender Gewalt.


[168]

Ueber der Roſſe Rücken hatten die Hauptmänner köſtlich gewirkte
Decken hangen, auch Meßgewänder, ein lebendig Zeugniß, daß ſie
ſchon anderwärts Kloſterbeſuch abgeſtattet. In etlichen Wägen wurde
die Kriegsbeute mit geführt; großer Troß ſchloß den Zug.


Auf maulthiergezogenem Gefährt bei den kupfernen Feldkeſſeln
und anderweitem Küchengeräth ſaß ein alt runzlig Weib. Sie hielt
die Hand über die Augen und ſchaute gegen die Sonne, dort ragten
die Bergkegel des Hegau herüber, ſie kannte ihre Kuppen ... das
Weib war die Waldfrau. Ausgetrieben von Ekkehard war ſie in die
Fremde gezogen, Rache der Gedanke, mit dem ſie des Morgens vom
Schlafe erwachte und des Abends ſich niederlegte, ſo kam ſie unſtät
wandernd vor Augsburg, am Fuß des Berges, drauf einſt die
Schwabengöttin Ziſa171) ihren Holztempel gehabt, brannten der Hun-
nen Lagerfeuer: ſie fand ſich zu ihnen.


Auf ſtattlichem Rappen ritt bei der Waldfrau ein Mägdlein, kurz
aufgeſchürzt, in kecker Fülle geſunden Reiterlebens, unter ſtumpfem
Näslein ein verführeriſch Lippenpaar, die Augen funkelnd, das Haar
zu einer wallenden Flechte geſchlungen, die von rothem Band durch-
woben in der Luft flatterte, wie Wimpel eines Meerſchiffs. Ueber
das loſe Mieder hing Bogen und Köcher, ſo tummelte ſie ihr Thier,
eine hunniſche Artemis. Das war Erica das Heideblümlein, ſie war
nicht hunniſchen Stammes, in den Steppen Pannoniens hatten die
Reiter ſie als ein verlaſſen Kind aufgeleſen, und ſie war mitgezogen
und groß geworden ohne zu wiſſen warum: wen ſie gern hatte den
ſtreichelte ſie, wer ihr mißfiel den biß ſie in Arm. Botund der
alte Hunnenwachtmeiſter hatte ſie geliebt, Irkund der junge ſchlug
den Botund wegen des Heideblümleins tod, aber wie Irkund ſich ihrer
Liebe erfreuen wollt', kam Zobolſu und that ihm mit ſpitzer Lanze
denſelben Dienſt, den Irkund dem Botund ohne ſein Anſuchen erwieſen
— ſo waren Erica's Schickſale mannigfalt, neue Wege, neue Länder,
neue Liebe, aber ſie war dem Reitertrupp zugewachſen, als wär' ſie
ſein guter Geiſt und ſtund in abergläubiſcher Verehrung — ſo lang
die Heideblume bei uns blüht, beſiegen wir die Welt, ſprachen die
Hunnen, vorwärts!


Bei der Kloſterpforte lag indeß Heribald der Geknebelte. Seine
Betrachtungen waren traurig, eine große Stechfliege ſummte um ſein
[169] Haupt, mit auf den Rücken gebundenen Händen vermochte er nicht ihr
zu wehren: Heribald hat ſich würdig betragen, dachte er, wie ein alter
Römer iſt er da geſeſſen, den Feind zu empfangen, jetzt liegt er
geknebelt auf dem Pflaſter und die Fliege ſitzt ungeſcheut auf ſeiner
Naſe: das iſt der Lohn für das Würdige! Heribald wird zeitlebens
nimmer würdig ſein! Unter Stachelſchweinen iſt Würde ein gar über-
flüſſig Ding!


Wie ein Waldbach bei gehobener Schleuße wälzte ſich jetzt der
Hunnenzug in den Kloſterhof.


Da ward's dem guten Heribald nimmer ganz geheuer: O Came-
rarius, fuhr er in ſeinen Betrachtungen fort — und weigerſt du mir
das nächſtemal außer dem Schuhleder auch noch Hemd und Kutte, ſo
flieh' ich doch, ein nackter Mann, von dannen.


Die vom Vortrab traten zu Ellak und meldeten, wie ſie den ein-
ſamen Mönch getroffen. Er winkte ihn beizubringen, da lösten ſie
ihm den Strick, ſtellten ihn aufrecht in den Hof, und deuteten durch
Fauſtſchläge die Richtung nach dem Anführer. Langſam ſchritt der
Unglückliche vorwärts, er ſtieß ein unwillig Murren aus.


Ein unſäglich ſpöttiſcher Zug flog über des Hunnenführers Lippen,
wie er vor ihm ſtand; läſſig ließ er die Zügel über des Roſſes Hals
hangen und wandte ſich rückwärts:


Schau' doch wie ein Vertreter deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft
ausſieht! rief er zu Erica hinüber. — Auf mehrfachen Raubzügen
hatte Ellak nothdürftig des deutſchen Landes Sprache erlernt. Wo
ſind die Bewohner der Inſel? fragte er gebieteriſch.


Heribald deutete nach dem fernen Hegau.


Gewaffnet? fragte Ellak weiter.


Die Diener Gottes ſind ſtets gewaffnet, der Herr iſt ihnen Schild
und Schwert.


Gut geſagt! lachte der Hunne: Warum biſt du zurückgeblieben?


Heribald ward verlegen. Den wahren Grund von wegen ſeiner
zerriſſenen Schuhe anzugeben, geſtattete ihm ſein Ehrgefühl nicht.
Heribald iſt fürwitzig, ſprach er, Heribald wollte ſchauen, wie die
Söhne der Teufel ausſehen ..


Ellak theilte ſeinen Gefährten des Mönchs höfliche Worte mit.
Ein wiehernd Gelächter erſcholl.


[170]

Ihr braucht nicht zu lachen, rief Heribald verdrießlich, wir wiſſen
recht wohl, wer ihr ſeid, der Abt Wazmann hat's uns geſagt.


Ich werd' dich todt ſchlagen laſſen, ſprach Ellak gleichgültig.


Das wird mir recht geſchehen! ſprach Heribald, warum bin ich
nicht durchgegangen!


Ellak muſterte den ſtörriſchen Geſellen mit prüfendem Blick, da
fiel ihm ein anderer Gedanke bei. Er winkte dem Bannerträger, daß
er näher trete. Der kam und ſchwang die Fahne mit der grünen
Katze. Die war einſt dem Hunnenkönig Etzel in ſeiner Jugend er-
ſchienen: träumeriſch ſaß er in ſeines Oheim Rugilas Zelt, er war
ſchwermüthig und überlegte ſich, ob er nicht ein Chriſt werden und
Gott und der Wiſſenſchaft dienen ſolle, da kam die Katze. Unter
Rugilas Kleinodien hatte ſie den goldenen Reichsapfel vorgeholt, ein
Beuteſtück von Byzanz, ſie hielt ihn in den Krallen und ſpielte damit
und rollte ihn hin und her. Und eine Stimme ſprach in Etzel: du
ſollſt kein Mönch werden, du ſollſt mit der Erdkugel dein Spiel treiben
wie dieſes Thier! und er merkte, daß ihm der Hunnengott Kutka
erſchienen war, ging hin, ſchwang ſein Schwert nach den vier Welt-
theilen, ließ ſeine Fingernägel wachſen und wurde, was er werden
ſollte, Attila, König der Hunnen, die Geiſel Gottes!..


Knie nieder, elender Mönch, rief Ellak vom Roß herunter, der
hier gemalt ſteht auf dem Banner, den ſollſt du anbeten.


Aber feſtgewurzelt ſtand Heribald.


Ich kenne ihn nicht, ſprach er mit dumpfem Lachen.


Der Hunnen Gott! rief der Anführer zürnend. Auf die Knie,
Kuttenträger! oder ... er deutete auf ſein krummes Schwert.


Heribald lachte abermals und fuhr mit dem Zeigefinger nach der
Stirn: Da kennt Ihr Heribald ſchlecht, ſagte er, wenn Ihr glaubt,
daß er ſich das aufbinden laſſe. Es ſteht geſchrieben: als Gott Him-
mel und Erde erſchaffen und Finſterniß über den Abgründen lag, da
ſprach er: es werde Licht! Wenn Gott eine Katze wäre, hätt' er nicht
geſagt: es werde Licht. Heribald kniet nicht!... Ein hunniſcher Reiter
trat unbemerkt bei, zupfte den Mönch am Gewand und raunte ihm
leiſe, aber auf gut ſchwäbiſch in's Ohr: Landsmann, ich thät' knieen
an deiner Stell', es ſind gar lebensgefährliche Leut. Der Warner
hieß eigentlich Snewelin und war von Ellwangen im Rießgau, ſeiner
[171] Geburt nach ein feſter Schwabe, aber im Lauf der Zeiten ein Hunne
geworden und ſtand ſich ganz gut dabei. Und er ſprach's mit etwas
windigem Ton in der Stimme, denn es fehlten ihm vier Vorderzähne
und auch der Backenzähne etliche, und das war eigentlich die Urſache,
daß er unter den Hunnen zu finden. In jungen Tagen nämlich, da
er noch als friedlicher Fuhrmann des heimathlichen Salvatorklöſterleins
ſein Daſein friſtete, war er mit einer Ladung ſchillernden Neckar-
weines unter guter Bedeckung und kaiſerlichem Schutz nordwärts geſchickt
worden, auf den großen Markt zu Magdeburg.172) Dorthin kamen die
Prieſter der heidniſchen Pommern und Wenden, ihren Opferwein zu
kaufen, und er machte ein gut Geſchäft, da er ſeine Ladung an den
weißbärtigen Oberprieſter des dreiköpfigen Gottes Triglaff173) für den
großen Tempel bei Stettin losſchlug. Aber dann blieb er mit dem
weißbärtigen Heiden bei der Weinprobe ſitzen, und dem ſchmeckte der
ſchwäbiſche Nectar, und er kam in die Begeiſterung und hub an, ihm
die Herrlichkeit ſeiner Heimath zu preiſen, und ſagte bei ihnen zwiſchen
Spree und Oder fange eigentlich die Welt erſt an, und wollte ihn
bekehren zum Dienſte Triglaff des Dreiköpfigen und des ſchwarzweißen
Sonnengottes Radegaſt und der Radomysl, der Göttin der lieblichen
Gedanken — da ward's dem Mann von Ellwangen zu bunt: Ihr
ſeid ja ein ſcheußlicher wendiſcher Windmüller! rief er, und warf den
Zechtiſch um und fuhr an ihn, gleichwie der junge Recke Siegfried, da
er den langbärtigen wilden Gezwerg Alberich anlief, und ward hand-
gemein mit ihm und riß ihm mit ſtarkem Ruck ſeines Graubarts
Hälfte aus. Jener aber rief Triglaff den Dreiköpfigen an und ſchlug
ihm mit eiſenbeſchlagenem Opferſtab einen Streich auf die Kinnlade,
der die Zier ſeiner Zähne für immer zerſtörte. Und ehe der zahnloſe
ſchwäbiſche Fuhrmann ſich wieder erholte, war ſein weißbärtiger Wider-
ſacher von dannen gefahren, und er konnte ſich nimmer an ihm rächen;
aber wie er zu Magdeburgs Thor hinausging, ballte er ſeine Fauſt
nordwärts und ſprach: Wir kommen auch wieder zuſammen! In der
Heimath lachten ſie ihn wegen ſeiner Zahnlücke noch gröblich aus, da
ging er im hellen Verdruß unter die Hunnen, und gedachte, wenn die
einmal gen Norden ritten, mit dem dreiköpfigen Triglaff und Allem
was ihm diente, eine furchtbare Rechnung abzumachen ...


[172]

Heribald hörte nicht auf den ſeltſamen Reitersmann. Die Wald-
frau war von ihrem Wagen heruntergeſprungen und trat vor Ellak;
grinſend ſchaute ſie nach dem Mönch: Ich hab' nach den Sternen ge-
ſchaut, rief ſie, von kahlgeſchorenen Männern droht uns Unheil. Ihr
ſollt zur Abwendung dieſen Elenden an des Kloſters Pforte aufhän-
gen laſſen, mit dem Geſicht nach dem Gebirg gewendet!


Knüpft ihn auf! riefen Viele im Haufen, die der Waldfrau Ge-
berden verſtanden.


Ellak hatte ſich wieder zu Erica hinüber gewendet: Dies Unge-
heuer hat auch Grundſätze, ſprach er höhniſch; es gilt ſeinen Tod und
er weigert das Knie zu beugen. Laſſen wir ihn aufknüpfen, Blume
der Heide?


Heribald's Leben hing an ſchwachen Fäden. Er ſah rings die un-
heimlichen Geſichter, ſein blöder Muth begann zu ſchwinden, das Weinen
ſtand ihm nah, aber ein richtiger Zug liegt auch im Thörigſten zur
Stunde der Gefahr — wie ein Stern glänzte ihm der Heideblume
rothwangig Antlitz herüber, da ſprang er mit angſtvollen Schritten
durch's Getümmel zu Erica. Vor ihr kam's ihm nicht ſchwer zu
knien, ihr Liebreiz ſchuf ihm Vertrauen, mit ausgeſtreckten Armen
flehte er um Schutz.


Seht, ſeht, rief die Heideblume, der Mann der Inſel iſt nicht
ſo thörig als er ausſchaut. Er kniet lieber vor Erica als vor der
grünrothen Fahne. Sie ſah gnädig auf den Mitleidswerthen, ſprang
vom Roß, und ſtreichelte ihn wie ein halbwild Thier. Fürcht' dich
nicht, ſprach ſie, du ſollſt am Leben bleiben, alter Schwarzrock! und
Heribald las aus ihren Augen, daß ihre Verſicherung ernſt war. Er
deutete nach der Waldfrau, die ihm am Meiſten bang gemacht; Erica
ſchüttelte das Haupt: Die darf dir nichts thun! Da ſprang Heribald
wohlgemuth an die Mauer, Frühroſen blüthen dort und Flieder, ſchnell
riß er etlich Gezweig ab und reichte es der hunniſchen Maid. Schal-
lender Jubel hob ſich im Kloſterhof:174) der Heideblume Heil! riefen
ſie und klirrten mit den Waffen. Schrei mit! raunte der Mann
von Ellwangen dem Geretteten zu — itzt hub auch Heribald ſeine
Stimme und rief ein heiſeres Heil! Thränen ſtanden ihm im Aug'.


Die Hunnen ſattelten ab. Wie die Meute der Hunde am Abend
der Jagd des Augenblicks harrt, wo der ausgeweidete Hirſch ihnen
[173] als Beute vorgeworfen wird, hier zerrt Einer am haltenden Strick,
dort bellt ein Anderer laut vor Ungeduld: ſo ſtanden ſie vor dem
Kloſter. Jetzt gab Ellak das Zeichen, daß die Plünderung beginnen
möge. In wildem Ungeſtüm ſtürmten ſie durcheinand, die Gänge
entlang, die Stufen hinauf, in die Kirche hinein. Verworren Geſchrei
erſcholl von vermeintlichem Fund und getäuſchter Hoffnung; die Zellen
der Brüder wurden durchſucht, nur ſpärlicher Haushalt war drinnen.


Zeig' uns die Schatzkammer! ſprachen ſie zu Heribald. Der that's
gern, er wußte, daß das Koſtbarſte geflüchtet war. Nur verſilberte
Leuchter und der große Smaragd von Glasfluß waren noch vorhanden.
Schlecht Kloſter! rief Einer, Bettelvolk! und trat mit gewappnetem
Fuß auf den unechten Edelſtein, daß ein mächtiger Sprung hinein-
klirrte. Den Heribald lohnten ſie mit Fauſtſchlägen, daß er betrübt
hinweg ſchlich.


Im Kreuzgang kam ihm der Hunne Snewelin entgegen: Lands-
mann, rief er, ich bin ein alter Weinfuhrmann, ſagt an, wo iſt Euer
Keller? Heribald führte ihn hinab, vergnüglich lachte er, da er den
Haupteingang vermauert ſah, und nickte dem friſch aufgetragenen Kalk
vertraulich zu, als wiſſe er ſein Geheimniß. Der Mann von Ellwan-
gen prüfte nicht lang, er ſchnitt die Siegel von dem einen Faß, ſtach
den Hahnen drein und ſchöpfte ſeinen Helm voll. Es war ein langer, langer
Zug, den er that. O Hahnenkamm und Heidenheim! ſprach er, ſich
ſchüttelnd wie ein Fieberkranker, von wegen dem Getränk hätt' ich
nicht unter die Hunnen zu gehen brauchen! — Er hieß die Gefährten
die Fäſſer hinaufſchleppen, aber beſorgt trat Heribald vor und zupfte
einen der Plünderer am Gewand: Erlaube, guter Mann, ſprach er
mit wehmüthigem Ausdruck, was ſoll ich denn trinken, wenn Ihr wie-
der abgezogen ſeid?!175)


Lachend erklärte Snewelin des Mönchs Beſorgniß den Andern.
Der Narr muß auch was haben! ſprachen ſie und legten ihm das
kleinſte von den drei Fäſſern unangetaſtet zurück; er aber ward ge-
rührt ob ſolcher Rückſicht und ſchüttelte ihnen die Hände.


Droben im Hofe hub ſich ein wilder Lärm; etliche hatten die Kirche
durchſucht, auch eine Grabplatte aufgehoben, da ſchaute ein verwitterter
Schädel aus dunkler Kutte zu ihnen empor: das ſchreckte ſelbſt die
Hunnen zurück. Zwei von den Geſellen ſtiegen auf den Kirchthurm,
[174] deſſen Spitze nach herkömmlichem Brauch ein vergoldeter Wetterhahn
zierte. Mochten ſie ihn für den Schutzgott des Kloſters oder für äch-
tes Gold halten: ſie kletterten auf das Thurmdach, verwegen ſaßen
die zwei Geſtalten oben und ſtachen mit ihren Lanzen nach dem Hahn ...
da faßte ſie plötzlicher Schwindel, den gehobenen Arm ließ Einer
ſinken — ein Schwanken — ein Schrei, er ſtürzte herab, der Andre
ihm nach, gebrochenen Genickes lagen ſie im Kloſterhof.176)


Schlimm Vorzeichen! ſprach Ellak für ſich. Die Hunnen ſchrieen
auf; doch nach wenig Augenblicken war der Unfall wieder vergeſſen,
das Schwert hatte ſchon ſo Manchen von ſeiner Genoſſen Seite ge-
rafft, was war an zwei mehr oder weniger gelegen?


Sie trugen die Leichname in Kloſtergarten. Aus den Holzſtäm-
men, die Heribald in der Frühe umgeworfen, ward ein Scheiterhaufe
geſchichtet; aus des Kloſters Bücherei waren die übrig gebliebenen
Codices in Hof heruntergeworfen worden, die brachten ſie als nütz-
lichen Brandſtoff herbei und füllten damit die Lücken am Holzſtoße.


Ellak und Hornebog ſchritten durch die Reihen. Eingeklemmt
zwiſchen den Scheitern, ſchaute eine ſauber geſchriebene Handſchrift be-
trüblich herfür, die goldenen Initialen glänzten an den umgeknickten
Blättern. Da zog Hornebog ſein krummes Schwert und ſtach das
Pergament heraus: auf der Spitze der Klinge hielt er's ſeinen Ge-
fährten entgegen.


Zu was die Hacken und Hühnerfüße, Herr Bruder? ſprach er.


Ellak nahm das geſpießte Buch und blätterte drin: er war auch
des Lateiniſchen kundig.


Abendländiſche Weisheit! ſprach er. Einer Namens Boëthius
hat's geſchrieben; es ſtehen ſchöne Sachen drin vom Troſt der Philoſophie.


Philo — ſophie, Herr Bruder, ſprach Hornebog, was iſt das für
ein Troſt?


Ein ſchönes Weib iſt's nicht, auch kein gebranntes Waſſer, war
Ellak's Antwort. Es iſt auf hunniſch ſchwer zu beſchreiben ... wenn
Einer nicht weiß, warum er auf der Welt iſt, und ſich auf den Kopf
ſtellt, um's zu erfahren, das iſt ungefähr, was die im Abendland
Philoſophie heißen. Den, der ſich damit getröſtet in ſeinem Waſſer-
thurm zu Pavia, haben ſie deßwegen doch dereinſt mit Keulen todt
geſchlagen ..


[175]

Mög's ihm wohl bekommen, ſprach Hornebog. Wer den Säbel
in der Fauſt und das Roß zwiſchen den Schenkeln hat, weiß auch
warum er auf der Welt iſt. Und wenn wir's nicht beſſer wüßten,
wie diejenigen, die ſolche Hacken auf Eſelshaut klexen, ſo wären ſie
an der Donau uns auf den Ferſen und wir tränkten unſere Roſſe
nicht aus dem ſchwäbiſchen Meer.


Wißt Ihr auch, daß es ein Glück iſt, daß ſolches Zeug angefertigt
wird? fuhr Ellak fort und warf den Boëthius auf den Scheiter-
haufen zurück.


Warum? fragte Hornebog.


Weil die Hand, die die Rohrfeder führt, nimmer taugt einen
Schwerthieb zu thun, der in's Fleiſch geht, und iſt der Unſinn, den der
einzelne Kopf ausheckt, einmal gebucht, ſo verbrennen ſich noch hundert
Andere das Hirn dran. Hundert Strohköpfe mehr, macht hundert
Reiter weniger: das iſt dann unſer Vortheil, wenn wir über die
Grenze brechen. So lang ſie im Abendland Bücher ſchreiben und
Synoden halten, mögen meine Kinder ruhig ihr Zeltlager vorwärts
rücken! ſo hat's ſchon der große Etzel ſeinen Enkeln hinterlaſſen.


Gelobt ſei der große Etzel! ſprach Hornebog ehrerbietig.


Da rief eine Stimme: Laſſet die Todten ruhen! Tändelnden
Schrittes kam Erica zu den Beiden. Sie hatte die Kloſterbeute ge-
muſtert, eine Altardecke aus rothem Seidenzeug fand Gnade vor ih-
ren Augen, ſie trug ſie wie einen Mantel umgeſchlagen, die Enden
leicht über die Schulter geworfen.


Wie gefall' ich euch? ſprach ſie und wandte ihr Haupt ſelbſt-
gefällig.


Die Heideblume braucht keinen Schmuck ſchwäbiſcher Götzendiener, um
zu gefallen, ſprach Ellak finſter. Da ſprang ſie an ihm hinauf, ſtreichelte
ſein ſtraffes ſchwarzes Haar und rief: Vorwärts, das Mahl iſt gerichtet!


Sie ſchritten zum Hofe. Den ganzen Heuvorrath des Kloſters
hatten die Hunnen umhergeſtreut und lagerten drauf, des Mahles ge-
wärtig. Mit gekreuzten Armen ſtand Heribald und ſchaute zu ihnen
nieder: Die Teufelsbrut kann nicht einmal ſitzen, wie's einem Chriſten-
menſchen ziemt, wenn er ſein täglich Brod verzehrt, — ſo dachte er,
doch ſprach er's nicht aus. Erfahrung häufiger Schläge lehrt Schweig-
ſamkeit.


[176]

Leg' dich nieder, Schwarzrock, du darfſt miteſſen, rief Erica und
machte ihm ein Zeichen daß er der Andern Beiſpiel folge. Er ſchaute
nach dem Mann von Ellwangen, der lag mit verſchränkten Beinen,
als hätt' er's nie anders gelernt — da machte Heribald einen Verſuch,
aber bald ſtund er wieder auf, das Liegen däuchte ihm allzu unwürdig.
Er holte ſich im Kloſter einen Stuhl und ſetzte ſich zu ihnen.


Ein Ochſe war am Spieß gebraten. Was ſonſt der Kloſterküche
Vorrath bot ward gereicht; ſie fielen hungrig drüber her. Mit kurzem
Säbel ward das Fleiſch herunter gehauen, die Finger der Hand ver-
traten bei den Schmauſenden die Stelle von Meſſer und Gabel. Auf-
recht ſtund das große Weinfaß im Hofe, ein Jeder ſchöpfte draus ſo
viel ihm beliebte, da und dort kam ein kunſtgeformter Kelch als
Trinkgefäß zum Vorſchein. Auch dem Heribald brachten ſie Weines
die Hülle und Fülle, wie er aber ſtillvergnügt dran nippte, flog ihm
ein halb genagter Knochen an Kopf — er ſchaute ſchmerzlich auf,
aber er ſchaute, daß noch Manchen der Schmauſenden ein gleiches
Schickſal ereilte; ſich mit den Knochen werfen, war hunniſcher Brauch
an Statt eines Nachtiſches.


Weinwarm begannen ſie drauf ein ungefüges Singen.177) Zwei
der jüngern Reitersmänner trugen ein altes Lied zum Preis des König
Etzel vor; es hieß drin, daß er nicht nur mit dem Schwerte, ſondern
auch durch Liebreiz ein Sieger geweſen allenthalb und kam eine höh-
niſche Strophe über eines römiſchen Kaiſers Schweſter, die ihm Hand
und Herz aus verliebter Ferne entgegentrug, ohne daß er's annahm.


Wie Eulenſchrei und Unkenruf klang der Chorus; dann traten
Etliche auf Heribald zu und machten ihm deutlich, daß auch von ihm
ein Geſang verlangt werde. Er wollte ſich weigern, es half nichts.
Da ſtimmte er ernſt und mit ſchier weinender Stimme den Antiphon
zu Ehren des heiligen Kreuzes an, der da beginnt: sanctifica nos!
Staunend horchten die Trunkenen den langen ganzen Tönen des alten
Kirchenſangs, wie eine Stimme aus der Wüſte klang die fremde
Weiſe. Zürnend hörte es auch die Waldfrau beim kupfernen Keſſel,
mit ihrem Meſſer ſchlich ſie herüber, faßte Heribald's Haupthaar und
wollte ihm das Gelock verſchneiden — der höchſte Schimpf der eines
Geiſtlichen durch die Tonſur geweihtem Haupte widerfahren konnte.


[177]

Aber Heribald ſtieß ſie zurück und ſang unverdroſſen weiter: das
gefiel den Verſammelten, ſie jauchzten auf, Zimbal und Geige fielen
ein, itzt kam Erica auf den Mönch zu, der einförmige Sang war ihr
langweilig geworden, mit ſchalkhaftem Mitleid faßte ſie ihn, nach
Sang kommt Tanz, rief ſie und riß ihn in den Wirbel betäubenden
Reigentanzes.178) Heribald wußte nicht, wie ihm geſchah. Der Hei-
deblume Buſen wogte ihm entgegen: „ob Heribald tanzt oder nicht,
es iſt nur ein kleiner Ring in der großen Kette des Gräuls“ — da
ſchwang er ſeine ſandalenſchweren Füße wacker mit, die Kutte wir-
belte um ihn her, feſt und feſter preßte er die hunniſche Maid, wer
weiß was noch geſchehen wäre ... mit gerötheten Wangen hielt ſie
endlich an, gab dem Blödſinnigen einen leichten Schlag in's Antlitz und
ſprang zu den Heerführern, die ernſt in den tobenden Schwarm ſchauten.


Der Jubel ging zu Ende, der Wein war verraucht, da gebot
Ellak die Todten zu verbrennen. In eines Augenblicks Schnelle ſaß
der Schwarm zu Roſſe, in Reih und Glied ritten ſie zum Scheiter-
haufen. Vom Aelteſten der Hunnen wurden der Todten Pferde er-
ſtochen und zu ihrer Herren Leichen gelegt; einen ſchauerlichen Weihe-
ſpruch rief der greiſe Hunn' über die Verſammelten, dann ſchwang er
den Feuerbrand und entzündete den Holzſtoß — Boëthius' Troſt der
Philoſophie, Tannenſcheiter, Handſchriften und Leichname wetteiferten
in praſſelndem Aufflammen, eine mächtige Rauchſäule ſtieg gegen
Himmel.


Mit Ringkampf, Waffenſpiel und Wettrennen ward der Todten
Gedächtniß gefeiert. Die Sonne neigte ſich zum Untergehen. Die
Hunnenſchaar verblieb die Nacht im Kloſter. —


— Es war am Donnerſtag vor Oſtern, als dies auf der Inſel
Reichenau ſich zutrug. Die Kunde vom Ueberfall kam ſchnell in die
Fiſcherhütten um Radolf's Zelle. Wie Moengal der Leutprieſter den
Frühgottesdienſt hielt, zählte er ſeiner andächtigen Zuhörer noch ſechs
in der Kirche, des Nachmittags waren's drei, ihn mit eingerechnet.


Zürnend ſaß er in der Wohnſtube, drin er einſt Ekkehard freund-
lich bewirthet. Da ſtieg die Rauchwolke vom hunniſchen Todtenbrand
auf, er trat an's Fenſter ... Es qualmte als wenn das ganze Klo-
ſter in Flammen ſtünde, brandiger Geruch kam über den See. Hi-
hahoi!! rief Moengal, iam proximus ardet Ucalegon! ſchon
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 12
[178] brennt es beim Nachbar Ucalegon! So muß auch ich mein Haus be-
ſtellen. Heraus itzt, alte Cambutta!!179)


Die Cambutta war keine dienende Magd, ſondern ein nach
iriſcher Weiſe zugeſchnittener Keulenſtock, Moengals liebſtes
Handgewaffen.


Er verpackte Meßkelch und Ciborium in die rehfellene Jagdtaſche;
weiter war an Gold und Geld nichts vorräthig. Dann verſammelte
er ſeine Jagdhunde, den zur Reiherbeize geübten Habicht und die zwei
Falken; was ſeine Vorrathkammer an Fleiſch und Fiſchen bot, warf
er ihnen vor: Freßt euch ſatt, Kinder! daß nichts für die gottver-
fluchten Landplagen übrig bleibt!


Das Faß im Keller ſchlug er entzwei, daß der funkelnde Wein
herausſtrömte: nicht einen Tropfen Seeweins ſollen die Teufel in
Moengal's Pfarrhaus zu ſchlucken bekommen! Nur den Eſſig im
Krug ließ er unverſehrt ſtehen.


Ueber die kryſtallhelle Butter in der Holztonne ſchüttete er eine
Schicht Aſche. Angelhacken und Jagdgeräth vergrub er, dann ſchlug
er die Fenſter ein und ſtreute die ſpitzen Glasſcherben ſorglich durch
die Gemächer, andere ſteckte er zwiſchen die Spalten der Dielen, —
die Spitze nach oben — Alles den Hunnen zu Ehren. Habicht und
Falken ließ er hinausfliegen: Lebt wohl, rief er, und haltet euch gut
in der Nähe, bald gibt's todte Heiden zu benagen!


So war das Haus beſtellt. Die Taſche umgeworfen, eine lederne
hiberniſche Feldflaſche drüber, zwei Spieße in der Fauſt, die Keule
Cambutta auf den Rücken geſchnallt: ſo ſchritt Moengal der Alte
aus ſeinem langjährigen Pfarrſitz, ein rechtſchaffener Streiter des Herrn.


Ein Stück Weges hatte er zurückgelegt: der Himmel war verdüſtert
von Brand und Rauch. Halt an! ſprach er, ich hab' Etwas vergeſſen!


Er ging wieder zurück: Einen Gruß zum Empfang iſt das gelb-
geſichtige Geſindel doch werth! Ein Stück Röthel zog er aus ſeiner
Taſche und ſchrieb damit in iriſcher Schrift ein paar Worte auf die
graue Sandſteinplatte über dem Portal des Pfarrhofs. Gewitterregen
hat ſie ſpäter verwaſchen und Niemand hat ſie entziffert, aber ſicher
war's ein inhaltſchwerer Spruch, den Moengal der Alte in iriſchen
Runen zurückließ. — Er ſchlug einen ſcharfen Schritt an und wandte
ſich dem hohen Twiel zu.



[179]

Vierzehntes Kapitel.
Die Hunnenſchlacht.



Charfreitagmorgen war angebrochen. Des Erlöſers Todestag ward
heute auf dem hohen Twiel nicht in der ſtillen Weiſe begangen, wie
es der Kirche Vorſchrift heiſchte. Des alten Moengal Ankunft hatte
alle Zweifel gelöst, ob der Feind herannahe; noch in ſpäter Nacht
hatten ſie Kriegsrath gehalten und waren eins geworden, den Hunnen
entgegen zu rücken und ſie in offenem Feldſtreit zu beſtehen.


Trüb ging die Sonne auf, bald war ſie wieder verhüllt. Sturm-
wind zog über's Land und jagte das Gewölk, daß es ſich über den
fernen Bodenſee niederſenkte, als wenn Waſſer und Luft eins werden
wollten. Dann und wann ſchlug ein Sonnenſtrahl durch; es war des
Frühlings noch unentſchiedener Kampf mit des Winters Gewalten.
Die Männer hatten ſich vom Lager erhoben und rüſteten zu des
ernſten Tages Arbeit.


In ſeiner Thurmſtube ging Ekkehard ſchweigſam auf und nieder,
die Hände zum Gebet gefaltet. Ein ehrenvoller Auftrag war ihm
geworden. Er ſollte zum verſammelten Kriegsvolke die Predigt hal-
ten, bevor man auszöge zum Streit: da betete er um Stärke und
muthigen Flug der Gedanken, daß ſein Wort werde zum glühenden
Funken, der in Aller Herz die Flamme der Streitluſt entfache.


Plötzlich that ſich die Thüre ſeines Gemaches auf. Herein trat
die Herzogin ohne Praxedis' Begleitung; einen faltigen Mantel hatte
ſie über das Morgengewand umgeworfen, als Schutz gegen die Kühle
der Frühſtunde, vielleicht auch daß ſie den fremden Gäſten unerkannt
ſein wollte, wie ſie zum Thurme ſchritt. Ein leicht Erröthen über-
flog ſie, wie ſie allein ihrem jungen Lehrer gegenüber ſtand.


Ihr zieht heute mit in den Kampf? fragte ſie.


Ich ziehe mit, ſprach Ekkehard.


12*
[180]

Ich würd' Euch verachten, müßt' ich eine andere Antwort hören,
ſprach die hohe Frau, — und Ihr habt wohl vorausgeſehen, daß es
nicht nothwendig, Urlaub von mir zu ſolchem Gang zu erbitten. Auch
an's Abſchiednehmen denkt Ihr nicht? fuhr ſie mit leis vorwurfs-
vollem Ton fort.


Ekkehard ſtand verlegen. Es ziehen fürnehmere und beſſere Män-
ner heute aus Eurer Burg, ſagte er; die Aebte und die Edeln wer-
den um Euch ſein, wie konnt' ich an beſondern Abſchied denken, auch
wenn es ... ſeine Stimme ſtockte.


Die Herzogin ſchaute ihn an. Beide ſchwiegen.


Ich bring' Euch etwas, das Euch im Kampfe dienlich ſein ſoll,
ſprach ſie nach einer Weile. Sie trug unter ihrem Mantel ein koſt-
bar Schwert in reichem Wehrgehäng, ein milchweißer Achatſtein er-
glänzte am Griff. Es iſt das Schwert Herrn Burkard's, meines
ſeligen Gemahls. Von allen Waffenſtücken hielt er das am höchſten.
Mit der Klinge laſſen ſich Felſen ſpalten, ſie ſplittert nicht, hat er
oft geſagt. Ihr ſollt ihm Ehre machen!


Sie reichte ihm die Waffe dar. Ekkehard nahm ſie ſchweigend
hin. Schon trug er den Harniſch unter der Kutte, itzt ſchnallte er
das Wehrgehäng um und fuhr mit der Rechten nach dem Schwert-
griff, als ſtünd' ihm bereits der Feind gegenüber.


Und noch Etwas, ſprach Frau Hadwig.


An ſeidener Schnur trug ſie ein goldgefaßt Kleinod um den Hals,
das zog ſie aus ihrem Buſen; es war ein Kryſtall, der einen un-
ſcheinbaren Splitter barg. Wenn mein Gebet nicht ausreicht, ſo
mög' Euch die Reliquie Schutz verleihen. Es iſt ein Splitter vom
heiligen Kreuz, das die Kaiſerin Helena einſt aufgefunden. Wo auch
immer dies Heiligthum ſein wird, da wird Friede ſich einſtellen und
Mehrung des Anweſens und Geſundheit der Luft,180) ſo ſtand im
Schreiben, mit dem der griechiſche Patriarch die Echtheit beglaubigte.
Mög' es auch im Krieg Segen ſpenden!


Sie neigte ſich, dem Mönch das Kleinod umzuhängen. Er beugte
ſein Knie; längſt hing's um ſeinen Hals, er kniete noch. Sie ſtreifte
leicht mit der Hand über ſein lockig Haar, ein Zug von Milde und
Wehmuth lag über ihrem ſtrengen Antlitz — Ekkehard hatte vor dem
Namen des heiligen Kreuzes ſein Knie gebeugt, itzt war's ihm als
[181] müſſe er ſich ein zweitesmal niederwerfen, niederwerfen vor ihr, die
ſo huldvoll ſeiner gedachte. Aufkeimende Neigung braucht Zeit ſich
über ſich ſelbſt klar zu werden und in Dingen der Liebe hatte er
nicht rechnen und abzählen gelernt, wie in den Versmaßen des Vir-
gilius, ſonſt hätte er ſich ſagen mögen, daß wer ihn aus des Kloſters
Stille zu ſich gezogen, wer an jenem Abend auf Hohenkrähen, wer
am Morgen der Schlacht ſo vor ihm ſtand, wie Frau Hadwig, itzt
wohl ein Wort aus der Tiefe des Herzens, vielleicht mehr als ein
Wort von ihm erwarten mochte.


Seine Gedanken jagten ſich, alle Pulſe ſchlugen.


Wenn früher etwas wie Liebe ſich in ihm geregt, ſo war die
Ehrfurcht vor ſeiner Gebieterin herangetreten, es zurückjagend wie
der Sturm, der dem ſcheu zum Dachfenſter herausſchauenden Kind
den Laden vor der Naſe zuwirft. An die Ehrfurcht dachte er jetzt
nicht, eher daran, wie er die Herzogin einſt mit keckem Arm durch
den Kloſterhof getragen. Auch an ſein Mönchsgelübde dachte er
nimmer, es regte ſich in ihm, als ſollt' er ihr in die Arme fliegen
und ſie jauchzend an's Herz preſſen — Herrn Burkard's Schwert
brannte ihm an der Seite. Wirf ab die Scheu, dem Kühnen gehört
die Welt! War's nicht ſo in Frau Hadwig's Augen zu leſen?


Er ſtand auf, ſtark, groß, frei — ſo hatte ſie ihn noch nie ge-
ſehen ... Aber es war nur eine Secunde, noch war kein Laut vom
Sturm des Herzens über die Lippen geflohen, da fiel ſein Blick auf
das dunkle Kreuz von Ebenholz, das Vincentius einſt in ſeiner Thurm-
ſtube aufgehängt: „es iſt der Tag des Herrn und du ſollſt heute reden
vor dem Volk!“ — die Erinnerung an ſeine Pflicht ſchlug Alles
nieder ...


Es kam einmal ein Froſt am Sommermorgen und Halm und
Blatt und Blüthen wurden ſchwarz, bevor die Sonne drüber aufging ...


Zag wie ehedem ergriff er Frau Hadwig's Hand.


Wie ſoll ich meiner Herrin danken? ſprach er mit gebrochener
Stimme.


Sie ſchaute ihn durchbohrend an. Der weiche Zug war vom
Antlitz entflogen, die alte Strenge lagerte wieder auf der Stirn, als
wolle ſie antworten: wenn Ihr's nicht wißt, ich werd's Euch nicht
[182] verkünden — aber ſie ſchwieg. Noch hielt Ekkehard ihre Rechte gefaßt.
Sie zog ſie zurück.


Seid fromm und tapfer! ſprach ſie aus dem Gemache ſchreitend.
Es klang wie Hohn ..


Kaum länger, als Einer braucht um das Vaterunſer zu beten,
war die Herzogin bei Ekkehard geweſen, aber es war mehr geſchehen
als er ahnen mochte.


Er ſchritt wieder in der Thurmſtube auf und ab; „du ſollſt dich
ſelbſt verläugnen und dem Herrn nachfolgen:“ ſo war's in Benedict's
Regel in der Zahl der guten Werke mit aufgezählt — er wollte ſchier
ſtolz ſein auf den Sieg, den er über ſich errungen, aber Frau Hadwig
war gekränkt die Stufen der Wendeltreppe hinabgeſtiegen, und wo
ein hochfahrend Gemüth ſich verſchmäht glaubt, da ſind böſe Tage
im Anzug.


Es war die ſiebente Stunde des Morgens, da hielten ſie im Hof
von Hohentwiel den Gottesdienſt vor dem Auszug. Unter der Linde
war der Altar aufgeſchlagen, die geflüchteten Heiligthümer ſtanden
drauf zum Troſt der Gläubigen. Der Hof erfüllte ſich mit Gewaff-
neten, Mann an Mann ſtanden die Rotten der Streiter, wie Simon
Bardo ſie abgetheilt. Wie dumpf Gewitterrollen tönte der Geſang
der Mönche zum Eingang. Der Abt der Reichenau, das ſchwarze
Pallium mit weißem Kreuz übergeworfen, celebrirte das Hochamt.


Hernach trat Ekkehard auf die Stufen des Altars; bewegt gleitete
ſein Auge über die Häupter der Verſammelten, noch einmal zog's ihm
durch die Erinnerung, wie er vor kurzer Friſt im einſamen Gemach
der Herzogin gegenüber geſtanden — dann las er das Evangelium
von Leiden und Tod des Erlöſers. Mälig ward ſeine Stimme klar
und hell, er küßte das Buch und gab's dem Diacon, daß er's zurück-
lege auf das ſeidene Kiſſen; ſein Blick flog gen Himmel — dann
hub er die Predigt an.


Lautlos horchte die Menge.


Schier tauſend Jahre ſind vorüber, rief er, ſeit der Sohn Gottes
ſein Haupt am Kreuzesſtamm neigte und ſprach: es iſt vollbracht!
Aber wir haben der Erlöſung keine Stätte bereitet in unſern Ge-
müthern, in Sünden ſind wir gewandelt und die Aergerniſſe, die wir
gaben in unſerer Herzenshärtigkeit, haben gen Himmel geſchrieen.


[183]

Darum iſt eine Zeit der Trübſal emporgewachſen, blanke Schwerter
blitzen wider uns, heidniſche Ungeheuer ſind in chriſtliches Land eingefallen.


Aber ſtatt zürnend zu fragen: wie groß iſt des Herren Langmuth,
daß er ſolchen Scheuſalen die liebreizende Heimatherde Preis gibt? —
klopfe ein Jeglicher an die Bruſt und ſpreche: um unſerer Verderbniß
willen ſind ſie geſendet. Und wollet ihr von ihnen erlöſet ſein, ſo
gedenket an des Heiland's tapfern Tod. Faſſet den Griff eurer
Schwerter, ſo wie er einſt das Kreuz faßte und hinaustrug zur Schä-
delſtätte, ſchauet auf und ſuchet auch ihr euer Golgatha!!..


Er deutete nach den Ufern des Sees hinüber. Dann ſtrömte
ſeine Rede in Worten des Troſts und der Verheißung, ſtark wie der
Schrei des Löwen im Gebirge:


Die Zeiten erfüllen ſich, von denen geſchrieben ſteht: Und wenn
die tauſend Jahre zu Ende geh'n, wird Satan aus ſeinem Kerker
losgelaſſen werden, und ausgeh'n zu verführen die Völker in den
äußerſten Gegenden der Erde — den Gog und den Magog, und ſie
zum Streite verſammeln. Ihre Zahl iſt wie des Meeres Sand; ſie
ziehen über die weite Erde daher, umringen das Lager der Streiter
Gottes und die geliebte Stadt. Aber Feuer fährt aus dem Himmel
nieder und verzehrt ſie, und der Teufel ihr Verführer wird in den
Schwefelſee geworfen, wo auch das Thier und der Lügenprophet iſt,
und ſie werden gequält werden Tag und Nacht bis in die ewige
Ewigkeit.181)


Und was der Seher auf Patmos ahnend geoffenbart, das iſt uns
Bürgſchaft und Gewähr des Sieges, ſo wir ſündegeläutert ausziehen
zum Kampf. Laſſet ſie anſtürmen auf ihren ſchnellen Roſſen, was
verficht's? Zu Söhnen der Hölle hat ſie der Herr geſtempelt, darum
iſt ihr Antlitz nur die Fratze von eines Menſchen Antlitz, die Ernte
unſerer Felder können ſie niedertreten und die Altäre unſerer Kirchen
ſchänden, aber den Arm gottesmuthiger Männer können ſie nicht
beſtehen.


Seid eingedenk alſo, daß wir Schwaben allezeit vorfechten182)
müſſen, wo um des Reiches Noth geſtritten wird; wenn es in andern
Zeiten ein Gräuel vor dem Herren wäre, an ſeinem Feiertag den
Harniſch umzuſchnallen, — heute ſegnet er unſere Waffen, und ſendet
ſeine Heiligen zum Beiſtand und ſtreitet ſelber mit uns, er der Herr
[184] der Heerſchaaren, der den Blitz vom Himmel ſchmetternd niederfahren
heißt und die klaffenden Abgründe der Tiefe aufthut, wenn die Stunde
der Erfüllung gekommen.


Mit erleſenen Beiſpielen ruhmreicher Kämpfe feuerte dann Ekke-
hard ſeine Zuhörer an, und manche Fauſt preßte den Speer und
mancher Fuß hob ſich ungeduldig zum Abzug, wie er von Joſua's
Heerzug ſprach, der unter des Herren Schirm ein und dreißig Könige
ſchlug, in der Landmark jenſeits des Jordan, — und von Gideon,
der beim Schall der Poſaunen in's Lager der Midianiter brach und
ſie jagte bis Bethſeda und Tebbath — uud vom Ausfall der Männer
von Bethulia, die nach Judith's ruhmreicher That die Aſſyrer ſchlugen
mit der Schärfe des Schwerts.


Zum Schluß aber rief er, was Judas der Maccabäer zu
ſeinem Volk gerufen, da ſie bei Emaus ihr Lager ſchlugen wider
des Antiochus Heer: Umgürtet euch d'rum und ſeid tapfere Männer
und ſeid bereit gegen den Morgen früh wider die Völker zu ſtreiten, die
heranziehen unſer Heiligthum auszutilgen, denn es iſt uns beſſer, im
Streit umzukommen, als das Elend ſehen an unſerm Heiligthum —
Amen!


Eines Augenblickes Länge blieb's ſtill, wie er geendet; dann hob
ſich ein Klirren und Klingen, ſie ſchlugen Schwert und Schild aneinand,
hoben die Speere hoch und ſchwenkten die Feldzeichen — alte Sitte
freudiger Zuſtimmung. Amen! ſcholl es tönend durch die Reihen,
dann neigten ſie die Kniee, das Hochamt ging zu Ende; ſchauerlich
klangen die hölzernen Klappern ſtatt des üblichen Glockentones zur
Feier. Wer ſich noch nicht in öſterlicher Andacht mit dem Leib des
Herrn geſtärkt, trat vor zum Altar, ihn zu empfangen. Da rief's
vom Thurm: Waffen! Waffen! Feindio!183) — Vom See kommt's
ſchwarz herangezogen, Roß und Reiter, Feindio! — itzt war kein
Halt mehr und keine Ruhe, ſie ſtürmten nach dem Thor, wie vom
Geiſt getrieben; kaum mochte Abt Wazmann den Segen ertheilen.


So ſtürmt in unſern Tagen der wendiſche Fiſcher aus der Sonn-
tagskirche die am rügianiſchen Dünengeſtad ſein Geiſtlicher hält, zur
Zeit wo des Härings Heerſäulen im Anzug ſind: Der Fiſch kommt!
ruft die Schildwache am ſandweißen Ufer, da wogt's und rennt's
nach den Barken, verlaſſen ſteht der Prediger und ſchaut in's Getüm-
[185] mel, da ſchneidet auch er der Andacht Faden ab und greift ſeine Netze
und eilt zum Schifflein, die Schuppenträger zu bekriegen ...


Schlachtfroh rückten ſie aus dem Hofe, in jedem Herzen jene
Mark und Fibern ſchwellende Spannung, daß es einem großen Augen-
blick entgegengehe. Und waren der Mönche von Sanct Gallen vier-
undſechzig, derer von Reichenau neunzig und an Heerbannleuten mehr
denn fünfhundert. Beim Feldzeichen der Sanct Galliſchen Brüder
ſchritt Ekkehard; es war ein florverhüllt Crucifix mit ſchwarzen Wim-
peln, da des Kloſters Banner zurückgeblieben. Auf dem Söller der
Burg ſtand die Herzogin und ließ ein weißes Tuch in die Lüfte wehen.
Ekkehard wandte ſich nach ihr, aber ihr Blick mied den ſeinen und der
Abſchiedsgruß galt nicht ihm.


An's untere Burgthor hatten dienende Brüder den Sarg mit des
heiligen Marcus Gebein getragen: Wer immer vorüberſchritt, berührte
ihn mit Schwert und Lanzenſpitze, dann ging's ſchweren Tritts den
Burgweg hinab.


In der weiten Ebene, die ſich nach dem See hinſtreckt, ordnete
Simon Bardo die Schaaren ſeiner Streiter. Hei! wie wohlig war's
dem alten Feldhauptmann, daß ſtatt der Kutte wieder der gewohnte
Panzer ſich um die narbenbedeckte Bruſt ſchmiegte. In fremdartig
geformter ſpitz zugehender Stahlkappe kam er geritten, ſein breiter
edelſteingeſchmückter Gürtel und der güldene Knauf des Schwertes
zeigten den ehemaligen Heerführer.


Ihr leſet die Alten der Grammatica halber, hatte er zu den Aebten
geſagt, die hoch zu Roß bei ihm hielten, ich hab' mein Handwerk von
ihnen gelernt. Mit Frontinus und Vegetius guten Rathſchlägen läßt
ſich noch heutigen Tages was ausrichten. Für den Anfang ſoll's heut
mit der Schlachtordnung der römiſchen Legionen erprobt ſein, dabei
läßt ſich am beſten abwarten, wie ſich der Feind zu erkennen gibt.
Wir können dann noch immer thun wie wir wollen, die Sache geht
nicht in einer halben Stunde zu End'.


Er hieß die leichte Mannſchaft der Bogenſchützen und Schleuderer
vorausrücken; ſie ſollten den Waldſaum beſetzen, vom Tannendickigt
gegen Reiterangriff geſchützt. Zielt nieder! ſprach er, wenn ihr auch
ſtatt des Mannes das Roß trefft, 's iſt immer Etwas!


[186]

Beim Klang der Weidhörner ſchwärmte die Schaar vorwärts, noch
war kein Feind zu ſehen.


Die Männer des Aufgebots ordnete er in zwei Heerſäulen; dicht-
geſchloſſen, den Speer gefällt und langſam rückten ſie vor, von der
vordern Säule zur zweiten ein Abſtand weniger Schritte. Der von
Randegg und der dürre Fridinger führten ſie.


Die Mönche hieß er zu einem Haufen zuſammentreten und ſtellte
ſie in die Rückhut.


Warum das? fragte der Abt Wazmann; er kränkte ſich, daß ihnen
nicht die Ehre des vorderſten Angriffs zugetheilt ward.


Da lächelte der Kriegserfahrene: Das ſind meine Triarier, ſprach
er; nicht, weil altgediente Soldaten, wohl aber weil ſie um Rückkehr
in's warme Neſt ſtreiten. Von Haus und Hof und Bett verjagt ſein,
macht die Hiebe am ſchwerſten und die Stiche am tiefſten. Habt
keine Sorge, die Wucht des Streites kommt noch früh genug an die
Mannſchaft des heiligen Benedictus!


Die Hunnen hatten bei Tagesgrauen das Reichenauer Kloſter ge-
räumt. Die Vorräthe waren aufgezehrt, der Wein getrunken, die
Kirche geplündert: ihr Tagewerk war gethan. Auf Heribald's Stirn
ward manche Runzel glatt, wie der letzte Reiter dem Thor entritt.
Er warf ihnen ein Goldſtück nach, das ihm der Mann von Ellwangen
im Vertrauen zugeſteckt. Landsmann, hatte Snewelin zu ihm geſagt,
wenn du hörſt daß mir ein Unglück zugeſtoßen iſt, ſo laß ein Dutzend
Meſſen für meine arme Seel' leſen. Ich hab's immer gut gemeint
mit euch und euerm Weſen, und daß ich unter die Heiden gerathen
bin, geſchah mir ich weiß ſelber nicht wie. Der Ellwanger Boden iſt
leider zu rauh, als daß Heilige drauf erwachſen können.


Aber Heribald wollte nichts von ihm wiſſen. Im Garten ſchau-
felte er Knochen und Aſche der Verbrannten und ihrer Roſſe zuſam-
men und ſtreute ſie in See, während die Hunnen noch drüben einher-
zogen. Kein Staub von einem Heiden ſoll auf der Inſel bleiben,
ſprach er. Dann ging er in Kloſterhof und ſchaute ſich tiefſinnig den
Platz an, wo er geſtern zum Tanz gezwungen wurde.


Der Hunnen Ritt ging durch den dunkeln Tannwald dem Hohen-
twiel entgegen. Aber wie ſie ſorglos dahin trabten, prallte da und
dort ein Roß auf; Pfeile und Schleuderkugeln, von unſichtbaren Schützen
[187] geſchoſſen, fuhren in den Schwarm. Der Vortrab wollte ſtutzig werden.
Was kümmert euch der Mückenſtich? rief Ellak und ſpornte ſein Roß,
vorwärts, die Ebene iſt das Feld der Reiterſchlacht! Ein Dutzend
ſeiner Leute hieß er mit dem Troß zurückbleiben, zum Geplänkel mit
denen im Wald. Die Erde dröhnte vom Hufſchlag der vorwärts
ſauſenden Horde; im Blachfeld breitete ſich der Schwarm und ſprengte
mit Geheul auf den anrückenden Heerbann. Weit voraus ritt Ellak
mit dem hunniſchen Bannerträger, der ſchwenkte die grünrothe Fahne
über ihm, er aber hob ſich hoch im Sattel und that einen wilden
Schrei und ſchoß den erſten Pfeilſchuß ab, auf daß der Kampf nach
altem Brauch eröffnet ſei.184) Es begann das Morden der Feldſchlacht.
Aber wenig frommte es den ſchwäbiſchen Kriegern, daß ſie unerſchüt-
tert Stand hielten, ein ſtarrender Lanzenwald: war der Reiter An-
griff abgeprallt, ſo kam aus der Ferne ein Pfeilregen geſchwirrt; halb
aufgerichtet im Bügel ſtunden die Hunnen trotz Roſſestrab, den Zaum
über des Gauls Nacken geworfen zielten ſie, der Schuß traf.


Andere ſchwärmten von der Seite ein — weh dem Gefallenen,
den ſeine Brüder nicht in die Mitte nahmen.


Da gedachten die Leichtbewaffneten vom Walde den Hunnen in
Rücken zu brechen. Hörnerruf rief ſie zur Sammlung, ſie rückten
vor — aber mit eines Gedankens Schnelle waren die feindlichen
Roſſe gewendet, Pfeilregen praſſelte in die Anrückenden, ſie ſtutzten,
Wenige ſchritten weiter, auch ſie wurden geworfen, nur Audifax mar-
ſchirte vorwärts, die Pfeile ziſchten um ihn, er ſchaute nicht auf und
nicht zurück, er blies die Sackpfeife zum Angriff, wie es ſeines Amtes
war: ſo kam er mitten in's Gewühl der feindlichen Reiter.


Da ſtockte ſein Blaſen — im Vorüberſprengen hatte ihm Einer
die Schlinge um den Hals geworfen und riß ihn an ſich; widerſtrebend
ſchaute Audifax um, kein Einziger ſeines Häufleins war hinter ihm
zu erſpähen — o Hadumoth! rief er betrübt. Den Reiter jammerte
des muthigen blonden Knaben, ſtatt ihm das Haupt zu ſpalten, hob
er ihn zu ſich auf's Roß und jagte mit ihm zurück. Von einem
Hügel gedeckt, hielt der hunniſche Troß. Hoch aufgerichtet ſtund die
Waldfrau auf ihrem Wagen und ſpähte hinaus in die wogende
Schlacht, ſie hatte die erſten Verwundeten gepflegt und kräftige Heil-
ſprüche geſungen über das rinnende Blut.


[188]

Ich bring' Euch Einen, der kann die Feldkeſſel fegen! rief der
hunniſche Reiter und warf den Hirtenknaben vom Roß hinüber, daß
er der Alten vor die Füße flog in den ſtrohumflochtenen Korb des
Wagens.


Willkommen, du giftiges Krötlein, rief ſie grimmig, du ſollſt den
Lohn empfahen dafür, daß du den Kuttenmann auf meinen Fels ge-
wieſen! Sie hatte ihn erkannt, zerrte ihn an der Schlinge zu ſich
und band ihn an des Wagens Geſtell.


Audifax ſchwieg. Aber bittere Thränen perlten im Auge, er weinte,
nicht ob ſeiner Gefangenſchaft, er weinte ob abermals getäuſchter Hoff-
nung. O Hadumoth! ſeufzte er abermals. — Verwichene Mitternacht
war er bei der jungen Hirtin geſeſſen, verſteckt am glimmenden Heerd-
feuer: Du ſollſt feſt werden, hatte Hadumoth geſagt, gefeyt gegen
Hieb und Stich! Sie hatte eine braune Schlange zerkocht und ihm
mit dem Fette Stirn und Schulter und Bruſt beſtrichen: Morgen
Abend erwart ich dich hier am ſelben Plätzlein, du kommſt mir heil
zurück. Kein Eiſen iſt wider Schlangenfett!


Und Audifax hatte ihr die Hand gegeben und war ſo wohlgemuth
mit ſeiner Sackpfeife ausgerückt in den Kampf — und jetzt!..


Noch wogte der Feldſtreit draußen im Thalgrund. Schier wankten
die ſchwäbiſchen Reihen, ermüdet des ungewohnten Fechtens. Bedenklich
ſchaute Simon Bardo drüber hin und ſchüttelte das Haupt: Die
ſchönſte Stragetie, brummte er, iſt vergeudet an dieſe Centauren, —
das ſprengt ab und zu und ſchießt aus der Ferne, als wär' meine
dreifache Schlachtordnung für nichts da; es thäte wahrhaft Noth, daß
man des Kaiſer Leo Buch über die Tactik ein eigen Kapitel vom
Hunnenangriff zufügte!


Er ritt zu den Mönchen und ſchied ſie wieder in zwei Heerhaufen;
die von Sanct Gallen ſollten zur Rechten, die Reichenauer zur Linken
des Heerbanntreffens vorrücken, dann ſchwenken, daß der Feind, den
Wald im Rücken, in weitem Halbkreis eingeſchloſſen ſei. So wir ſie
nicht einklemmen, halten ſie nicht Stand, rief er und ſchwang ſein
breites Schlachtſchwert; auf und drauf denn!


Wildes Feuer leuchtete aus Aller Augen. Marſchbereit ſtanden
die Reihen. Jetzt warf ſich noch ein Jeglicher in's Knie, griff eine
Scholle vom Boden auf und ſtreute ſie rückwärts über ſein Haupt,
[189] daß es geweiht und gefeit ſei durch die vaterländiſche Erde,185)
dann ging's in Kampf.


Die von Sanct Gallen ſtimmten den frommen Schlachtgeſang
media vita an. Notker der Stammler war dereinſt durch die Schluchten
beim heimiſchen Martistobel geſtiegen, ſie wölbten einen Brückenbogen
herüber, über ſchwindelnder Tiefe ſchwebten die Bauleute, da ſtand es
als Bild vor ſeiner Seele, wie zu unſerem Leben jeden Augenblickes
des Todes Abgrund aufgähnt, und er dichtete das Lied. Jetzt galt's
als Zauberſang, Schirm eigenen Lebens, Untergang dem Feinde.


Dumpf klang's von den anrückenden Männern in die Hunnen-
ſchlacht:


Ach, unſer Leben iſt nur halbes Leben!

Des Todes Boten ſtändig uns umſchweben.

Wen mögen wir als Helfer uns erfleh'n,

Als dich, o Herr! den Richter der Vergeh'n?

Heiliger Gott!

und vom andern Flügel ſangen die Reichenauer Mönche entgegen:


Dein harrten unſre Väter ſchon mit Sehnen,

Und du erlösteſt ſie von ihren Thränen,

Zu dir hinauf erging ihr Schrei'n und Rufen,

Du warfſt ſie nicht von deines Thrones Stufen.

Starker Gott!

und von rechts und links klang's zuſammen — ſchon tönte Schwert-
hieb und dumpfer Fall Getroffener dazwiſchen:


Verlaß uns nicht, wenn Unkraft uns befallen,

Wenn unſer Muth entfleucht, ſei Stab uns Allen:

O gib uns nicht dem bittern Tod zum Raube,

Barmherz'ger Gott, du unſer Hort und Glaube!

Heiliger Gott, heiliger ſtarker Gott!

Heiliger barmherziger Gott, erbarme dich unſer!186)

So ſtanden ſie im Handgemeng. Staunig hatten die Hunnen die
herannahenden dunkeln Schaaren erſchaut, Geheul und der ziſchende
teufliſche Ruf: hui! hui!187) war ihre Antwort auf die media vita,
auch Ellak theilte ſeine Reiter zum Angriff und ringsum tobte der
Kampf. Drein geſpornte Roſſe durchbrachen das ſchwache Häuflein
[190] derer von Sanct Gallen, grimmes einzelnes Streiten begann, es rang
die Kraft mit der Schnelle, germaniſche Ungelenkheit mit hunniſcher Liſt.


Da trank die Hegauer Erde manch' frommen Mannes Blut. Tutilo
der Starke lag erſchlagen, er hatte eines Hunnen Roß unterlaufen,
den Reiter an den Füßen heruntergeriſſen und ſchwang den Krumm-
geſichtigen durch die Lüfte, ihm das Haupt an einem Feldſtein zer-
ſchmetternd — aber ein Pfeil flog dem greiſen Künſtler durch die
Schläfe, wie Siegsgeſang himmliſcher Heerſchaaren ertönte es durch's
wunde Gehirn, dann ſank er auf den erſchlagenen Feind. Sindolt der
Böſe ſühnte mit der Wunde auf der Bruſt manch ſchlimme Tücke, die
er ſonſt an den Gefährten geübt; Nichts frommte es dem Schotten
Dubslan, daß er ſich dem heiligen Minwaloius vergelübdet, barfuß
gen Rom zu wallfahren, wenn er ihn heut beſchütze — durchſchoſſen
trugen ſie ihn aus dem Getümmel.


Wie's von Hieben auf die Helme praſſelte, gleich Hagelſchlag auf
lockres Schieferdach, da zog Moengal der Alte die Kapuze über's
Haupt, daß er nicht zur Rechten ſchaue und nicht zur Linken, ſein
Speer war verworfen: heraus jetzt, alte Cambutta! rief er ingrimmig
und ſchnallte die Keule los, die über den Rücken gefeſtigt ihn beglei-
tet, und ſtand im Gewühl wie ein Dreſcher in der Tenne. Lang ſchon
war ein Reiter um ihn geſchwärmt, kyrie eleison! ſang der Alte
und ſchlug des Roſſes Schädel entzwei, mit gleichen Füßen ſprang
der Reiter zur Erde, ein leichter Hieb von krummem Säbel ſtreifte
Moengal's Arm. Hoiho! ſchrie er auf, im Lenzmonat iſt gut Ader-
laſſen, ſieh dich für, Aerztlein! und er that einen Keulenſchlag, als
woll' er ſeinen Gegner klaftertief in die Erde hineinſchlagen. Der
Hunnenkämpe bog dem Hieb aus, da fiel der Helm — ein rothbackig
Geſicht ſchaute zu dem Keulenſchwinger hinüber, wallendes Haupthaar
quoll drüber vor, von rothem Band durchflochten; eh' er einen zweiten
Hieb führte, ſprang's an Moengal hinauf wie eine Tigerkatze, das
junge Geſichtlein hob ſich vor dem ſeinen, als ſollt' ihm in alten
Tagen noch eines Kuſſes Gelegenheit beſcheert ſein — da fuhr ein
Biß in ſeine Wange, ſcharf und gut, er umfaßte den Angreifer —
das war wie weibliche Hüften. Weiche von mir, Unhold, rief er,
hat die Hölle auch Teufelinnen ausgeſpieen? da ſaß ein zweiter Biß
auf der linken Wange, geſtörtes Gleichmaß herzuſtellen. Er fuhr zu-
[191] rück, ſie lachte ihn an, ein ledig Roß ſprang vorüber — eh' Moengal
der Alte die Keule wiederum gehoben, ſaß Erica im Sattel und ritt
davon wie ein Traum der Nacht, wenn der Hahn kräht ...


Beim Heerbann im Mitteltreffen focht Herr Spazzo der Käm-
merer als Führer einer Rotte. Das langſame Vorrücken hatte ihm
behagt, wie der Kampf aber gar kein Ende nehmen wollt' und Alles
in einand verbiſſen war wie Meute und Edelwild auf der Hetzjagd,
da ward's ihm ſchier zu viel. Eine idylliſche Stimmung kam über
ihn mitten unter Tod und Todesnoth. Erſt wie ihm Einer im Vor-
beireiten den Helm als Beuteſtück abriß, ward er aufgerüttelt aus ſei-
ner Betrachtung, und wie derſelbe, den Verſuch erneuernd, ihm auch
noch den Mantel wegzerren wollte, rief er unwillig: Iſt's noch nicht
genug, du Scharfſchütz des Teufels? und that einen Stich nach ihm,
daß des Hunnen Schenkel von der langen Schwertklinge an ſein Roß
angeheftet ward. Jetzt gedachte er, ihm der Todesſtoß zu geben, doch
wie er ſein Antlitz ſchaute, war es alſo häßlich, daß er beſchloß, ihn
als lebendige Erinnerung des Tages ſeiner Gebieterin mitzubringen.
Da machte er den wunden Mann zum Gefangenen; er hieß Cappan
und ſchmiegte ſeinen Hals unter Herrn Spazzo's Arm, als Zeichen
der Unterwerfung und grinste mit den weißen Zähnen wie ihm ſein
Leben geſchenkt ward.


Gegen die Brüder der Reichenau führte Hornebog ſeinen Schwarm.
Dort hielt der Tod reiche Ernte. Des Kloſters Mauern glänzten
fern aus dem See herüber zu den Streitern, wie eine Mahnung zu
wuchtigem Dreinſchlag, und der Hunnen Mancher, der in Schwertes
Bereich kam, merkte, daß er auf ſchwäbiſchem Boden ſtund, wo der
Streiche gediegenſte wild wachſen, wie die Erdbeeren im Wald. Doch
auch in der Brüder Reihen ward's lichter: da ruhte Quirinus der
Schreiber für immer vom Schreibkrampf, der die Lanze in ſeiner Rech-
ten zittern gemacht, da ſank Wiprecht der Sternkundige und Kerimold
der Meiſter im Forellenfang, und Wittigowo der Bauverſtändige —
wer kennt ſie Alle, die Namenloſen, die freudigen Todes ſtarben?


Nur Einem gedieh ein hunniſcher Pfeil zum Heile; das war der
Bruder Pilgeram. Zu Cöln am Rhein war er geboren, und hatte
ſeinen Wiſſensdurſt und einen mächtigen Kropf auf Pirmins Eiland
getragen, der frömmſten und gelahrteſten Mönche Einer, doch wuchs
[192] ſein Kropf und über Ariſtoteles Ethik war er tiefſinnig geworden, daß
Heribald oft mitleidig zu ihm geſagt: Pilgeram, du dauerſt mich! Jetzt
durchſchnitt ihm ein Pfeil des Halſes Ueberhang: Fahr' wohl, Freund
meiner Jugend! rief er und ſank; doch war's keine ſchwere Wunde
und wie er wieder erwachte war's leicht am Hals und leicht im Kopf,
und ſeinen Ariſtoteles ſchlug er zeitlebens nimmer auf.


Um das ſanctgalliſche Feldzeichen war ein erleſen Häuflein ge-
ſchaart. Noch flatterten die ſchwarzen Wimpel vom Bild des Gekreu-
zigten, aber der Kampf war hart. Mit Wort und That feuerte Ekke-
hard die Genoſſen an, Widerpart zu halten; es war Ellak ſelber, der
gegen ſie anritt. Leichen erſchlagener Männer und Roſſe lagen in
wildem Durcheinander; wer überlebte, hatte ſeine Schuldigkeit gethan,
und wo Alle brav, ragt keine Einzelthat beſonderen Ruhm erheiſchend
aus dem Geſchehenen herfür. Herrn Burkard's Schwert hatte in Ekke-
hard's Händen neue Bluttaufe errungen, doch vergeblich war er auf
Ellak den Heerführer eingedrungen, nur wenig Hiebe wechſelten ſie,
da trennte das Wogen der Schlacht die Streitenden. Schon wankte
das hochgehaltene Kreuz, von unabläſſigen Geſchoſſen umſchwirrt —
da ging durch die Reihen ein Schrei des Staunens: vom Hügel, der
den Thurm von Hohenfridingen trägt, kamen zwei Reiter geſprengt,
fremd an Geſtalt und Rüſtung. Schwerfällig und mächtigen Umfangs
ſaß der Eine zu Roß, von veralteter Form war Schild und Harniſch,
doch verblichene Vergüldung zeigte den vornehmen Kriegsmann. Ein
goldner Reif ſchlang ſich um den Helm, vom rothen Buſch umwallt.
Der Mantel flog im Wind; den Speer eingelegt ritt er einher, ein
Bild aus alten Zeiten, wie der König Saul in Folkard's Pſalmen-
buch, da er ausreitet wider David.188) Sorgſam ihm zur Seite ritt
der Andere, zu Schirm und Deckung bereit, als getreuer Dienſtmann.


Der Erzengel Michael! rief's in der chriſtlichen Heerſchaar und
ſie faßten zu neuer Kraft ſich zuſammen; die Sonne leuchtete auf des
fremden Reitersmannes Gewaffen wie Verheißung des Siegs — itzt
waren die zwei im Getümmel, als wollte der Goldgerüſtete einen
Gegner ſuchen. Der blieb ihm nicht aus. Wie ihn des Hunnen-
führers ſcharfes Auge erſchaut, war auch ſchon ſein Roß ihm entgegen
gewandt, des fremden Rittersmanns Speer fuhr an ihm vorüber,
ſchon hub Ellak das Schwert zu tödlichem Hieb. Doch der Dienſtmann
[193] warf ſich dazwiſchen, ſein breites Schlachtſchwert erreichte nur des
Hunnen Roß, da beugte er ſein Haupt vor und fing den Schlag,
der dem Gebieter galt; in Hals getroffen ging der treue Schildknappe
in Tod.


In klirrendem Fall raſſelte Ellak's Pferd zu Boden, doch eh' der
Schall verhallt war, ſtund der Hunne wieder aufrecht, der unbekannte
Kämpe ſchwang den Streitkolben, ihn zu zerſchmettern, Ellak, den
linken Fuß auf den erſchlagenen Renner geſtemmt, preßte ihm mit
nerviger Fauſt den Arm zurück und ſtrebte ihn vom Gaul zu reißen:
Mann an Mann hub ſich ein Ringen der beiden Gewaltigen, daß die
Kämpfer ringsum die Schlachtarbeit einſtellend hinüberſchauten.


Jetzt hatte Ellak in liſtiger Wendung das kurze Halbſchwert gegriffen,
das ihm nach hunniſchem Brauch zur Rechten hing, aber wie er zu
neuem Stoß ausholte, ſenkte ſich ſchwer und langſam ſeines Gegners
Streitkolben auf ſein Haupt — noch führte die Fauſt des Getroffe-
nen den Stoß, dann fuhr ſie zur Stirn, Blut überſtrömte ſie, auf
ſein Streitroß taumelte der Hunnenführer nieder und verhauchte un-
willig ſein Leben.


Hie Schwert des Herrn und Sanct Michael! ſcholl's brauſend
itzt von Mönch und Heerbannleuten, zu letztem verzweifeltem Angriff
drangen ſie vor, noch war der Goldgerüſtete der vorderſte im Treffen.
Des Anführers Fall ſchuf den Hunnen paniſchen Schreck, rückwärts
wandten ſie ſich, rückwärts in toller Flucht.


Schon hatte die Waldfrau des Feldſtreits Ausgang erſpäht, die
Roſſe ſtanden geſchirrt, ſie warf einen zornmüthigen Blick auf die an-
rückenden Mönche und ihren heimathlichen Fels, und ſcharfen Trabes
fuhr ſie dem Rheine zu, der Troß ihr nach — zum Rhein! war die
Loſung der fliehenden Reiter; zuletzt und ungern kehrte Hornebog mit
den Seinen der Schlacht und dem hohen Twiel den Rücken. Auf
Wiederſehen über's Jahr! rief er höhnend zu den reichenauer Männern.


Der Sieg war errungen. Doch der, den ſie als Erzengel wähn-
ten vom Himmel niedergeſtiegen auf's hegauiſche Blachfeld, neigte ſein
ſchweres Haupt auf des Streitroſſes Rücken, Zügel und Kolben ent-
ſanken den Händen, war's des Hunnen letzter Stoß, war's Erſtickung
in Hitze des Kampfes — ſie huben ihn als einen Todten vom Roß.
Sein Viſir war gelüftet, ein freudig Lächeln ſchwebte um das runzel-
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 13
[194] gefurchte mächtige greiſe Haupt ... von dieſer Stunde hatte des Alten
aus der Heidenhöhle Kopfweh ein End. Er hatte in ehrlichem Rei-
terstod die Schuld vergangener Zeiten geſühnt, das ſchuf ihm ein
fröhlich Sterben.


Ein ſchwarzer Hund lief ſuchend über die Walſtatt, bis er des
Alten Leichnam gefunden, und leckte ihm wehmüthig heulend die Stirn,
und Ekkehard ſtand dabei, die Thräne im Aug', und ſprach das Gebet
um's Heil ſeiner Seele ...


Mit Tannenreis am Helm zogen die Sieger auf ihre Bergfeſte
zurück. Der Mönche zwölf ließen ſie unten im Thal, Todtenwache
auf der Walſtatt zu halten; und waren im Streit gefallen der Hun-
nen einhundertundachtzig, des ſchwäbiſchen Heerbanns ſechsundneunzig,
derer von der Reichenau achtzehn, derer von Sanct Gallen zwanzig,
der Alte und Rauching ſein Dienſtmann.


Mit verbundener Wange ſchritt Moengal über's Feld, auf ſeine
Keule wie auf einen Wanderſtab ſich ſtützend. Er beſchaute die
Erſchlagenen. Haſt du keinen Hunnen drunter getroffen, der eigentlich
eine Hunnin iſt? fragte er einen der wachehaltenden Brüder.


Nein! war der Beſcheid.


Dann kann ich heimgehen! ſprach Moengal.



Fünfzehntes Kapitel.
Hadumoth.



Die Nacht ging zu Ende. Lang und bang war ſie für die ge-
weſen, denen der Walſtatt Hut anvertraut worden. Unheimlich
Grauen lag über Erde und Menſchen. Der Herr ſei ihrer Seele
gnädig! ſo tönte leiſer Ruf des Wächters durch die Stille des Ge-
fildes. Und erlöſe ſie von des Fegfeuers Pein, Amen! antwortete es
vom Waldesſaum, wo die Gefährten um's Wachfeuer kauerten. Schwere
[195] Schatten der Nacht deckten die Erſchlagenen, als wolle der Himmel
mitleidig verhüllen, was der Menſchen Hände da unten geſchafft.
Dann jagten die Wolken von dannen, als wären ſie ſelber von Grauen
getrieben über den Anblick unter ihnen — andere folgten, auch ſie
zogen fort, Geſtalt und Formen wechſelnd, verlierend, in neue über-
gehend ... Alles iſt unſtet, nur im Tod ewige eherne Ruhe. Die
auf dem Blachfeld lagen ſtill, Freund und Feind, wie das Wogen
des Streits ſie gebettet.


Eine Geſtalt ſah der Wächter über die Walſtatt huſchen, wie die
eines Kindes. Sie beugte ſich nieder und ging weiter und beugte
ſich abermals und wandelte auf und ab, aber es grauste ihm ſie an-
zurufen. Er ſtand wie gebannt. Es wird der Engel ſein, der die
Stirn der Todten zeichnet mit dem Buchſtaben, auf daß man ſie er-
kenne wann der Geiſt dereinſt ihr Gebein anbläst, daß ſie wieder
leben und auf den Füßen ſtehen und ein Heer ſind wie ehedem; ſo
dachte er nach dem Bild des Propheten, bekreuzte ſich und ſchwieg.
Die Geſtalt verſchwand aus ſeinen Augen.


Der Morgen graute, da kamen viel Männer vom Heerbann, die
Mönche abzulöſen. Die Herzogin ſandte ſie. Herr Simon Bardo
war zwar nicht einverſtanden. Sieg iſt nur halber Sieg, ſo er nicht
benutzt wird, wir müſſen den Fliehenden nachrücken bis der letzte von
ihnen getilgt iſt, hatte er geſagt. Aber die Mönche drangen auf
Rückkehr, der Oſtertage wegen, und die Andern ſprachen: bis wir
die mit ihren ſchnellen Roſſen einholen, mögen wir weit ziehen, ſie
ſind gekommen, wir haben ſie gehauen, kommen ſie wieder, ſind neue
Hiebe vorräthig — die Arbeit von geſtern iſt ihrer Ruhe werth. Da
ward beſchloſſen, die Todten zu begraben vor Anbruch des Oſterfeſtes.


Die Männer trugen Karſt und Spaten und ſchaufelten zwei
große Gräber. Es war eine verlaſſene Kiesgrube ſeitwärts im Feld,
die weiteten ſie aus zu geräumigem Ruheplatz. Dorthin trugen ſie
der Hunnen Leichname. Waffen und Rüſtung wurden abgethan und
geſammelt, viel Traglaſten von Beuteſtücken. Und ſie warfen die
Todten in die Grube, ſonder Rückſicht wie ſie gebracht wurden —
es war ein wild verſchlungener Knäuel von Gliedmaßen, Roß und
Menſchen durcheinander verſtrickt, ein Gewühl wie beim Höllenſturz
der abtrünnigen Engel. Die Tiefe füllte ſich. Einer der Schaufeln-
13*
[196] den kam und brachte ein einzeln Haupt; grimmig ſchaute es drein,
mit zerſpellter Stirn. Es wird auch zu den Heiden gehören und
mag ſeinen Rumpf ſuchen! rief er und ſchleuderte es zu den Leichen.


Wie das ganze Feld abgeſucht und kein hunniſcher Mann mehr
zu finden war, ſcharrten ſie die Grube zu; es war ein Begräbniß
ohne Sang und Klang — nur etliche Flüche tönten als Nachruf
hinab und Raben und Raubvögel krächzten heißer drein; die in den
Felsſpalten des hohen Krähen niſteten, waren herübergeflogen, und
die im Tannwald horſteten, auch Moengal's Habicht war dabei, ſie
wollten Einſprache erheben, daß die Beerdigung ſie verkürze. Dumpf
dröhnten die Erdſchollen und Kieſelgeſteine in das weite Grab. Dann
kam der Diacon von Singen mit dem Keſſel geweihten Waſſers, den
Geviertraum ſchritt er auf und nieder und beſprengte ihn zur Ban-
nung der Dämonen und Niederhaltung der fremden Todten in der
fremden Erde.


Ein verwittert Felsſtück war vor Zeiten vom hohentwieler Berg
abgelöst zu Thal geſtürzt, das wälzten ſie aufs Hunnengrab, dann
wandten ſie ſich ſchauernd von der Stätte und richteten das zweite
Grab. Das ſollte die gebliebenen Söhne des Landes empfangen.
Für die Erſchlagenen geiſtlichen Standes war die Kloſterkirche auf
Reichenau zum Ruheplatz beſtimmt.


Zur ſelben Stunde, in der geſtrigen Tages der Kampf begonnen,
ſtieg ein düſterer Zug vom hohen Twiel hernieder. Es waren die
Männer ſo die Schlacht geſchlagen. In derſelben Ordnung rückten
ſie an, aber ihr Schritt war langſam und ihre Banner trauerfarben.
Auf den Zinnen der Burg war die ſchwarze Fahne aufgezogen. Auch
die Herzogin ritt mit hernieder, ſtreng und ernſt kleidete ſie der dunkle
Mantel. Die todten Mönche trugen ſie auf Bahren herzu und ſtell-
ten ſie zu Seiten des großen Grabes ab, auf daß auch ſie Theil
nähmen an der letzten Ehre der Kampfgenoſſen. Wie die Litanei
verklungen, trat der Abt Wazmann an's offene Grab, er rief den
ſechs und neunzig die blaß und ſtill drin geſchichtet lagen, den letzten
Gruß und Dank der Ueberlebenden hinab: Ihr Gedächtniß ſei ge-
ſegnet und ihr Gebein grüne an ſeinem Ort! Ihr Name bleibe in
Ewigkeit und die Ehre der heiligen Männer komme auf ihre Kinder!
ſo ſprach er mit den Worten des Predigers, dann that er den erſten
[197] Erdwurf hinunter, die Herzogin nach ihm, dann die Anderen, der
Reihe nach. Drauf feierliche Stille. Vom Grab der Brüder hinweg
wollten die, ſo geſtern vereint geſtritten, aus einander gehen; manch
hartes Antlitz ward gerührt, Kuß und Handſchlag gewechſelt, dann
zogen zuerſt die von der reichen Au nach ihrem Kloſter. Die Bahren
ihrer Todten wurden mit ihnen getragen, Brüder mit brennenden
Kerzen ſchritten pſalmſingend zur Seite, auch des Alten aus der Hei-
denhöhle kampfmüden Leichnam führten ſie mit ſich, geſenkten Hauptes
ging das Streitroß des ungekannten Kriegsmannes, mit ſchwarzem
Tuch umhangen, im Zug — es war ein düſtrer Anblick, wie das
Todtengeleite mälig in's Waldesdunkel einbog.


Dann nahmen die vom Heerbann Abſchied von der Herzogin. Der
dürre Fridinger, den Arm in der Binde, führte eine Schaar landab-
wärts, nur der von Randegg mit etlichen Leuten ſollte als Beſatzung
des hohen Twiel zurückbleiben.


Bewegt ſchaute Frau Hadwig den Abziehenden nach. Dann ritt
ſie langſam über's Schlachtfeld. Sie war geſtern auf dem Thurm
der Burg geſtanden und geſpannten Auges dem Toben des Kampfes
gefolgt. Itzt mußte ihr Herr Spazzo noch Vieles erklären. Dem
kam's auf etliche Uebertreibungen nicht an, aber ſie war's zufrieden.
Mit Ekkehard ſprach ſie nicht.


.. Wie auch ſie heimgeritten, war's wieder ſtill und öde auf dem
Plan, als wär' Nichts geſchehen. Nur hufzerſtampftes Gras, feucht
röthliche Erde und die zwei großen Gräber gaben Zeugniß von der
Ernte, die der Tod hier gehalten. Hat nicht lange gedauert, ſo iſt
das Blut aufgetrocknet und das Gras neu gewachſen, über die Hügel
der Todten hat ſich Moos geſponnen und Geſtrüpp, Vögel und Wind
haben Samenkorn hingetragen und Buſch und Bäume ſind üppig
aufgeſprießt — wo Todte liegen gedeiht der Pflanzen Wuchs. —
Aber unverwiſcht lebt die Kunde von der Hunnenſchlacht in den nach-
geborenen Geſchlechtern,189) den „Heidenbuck“ heißt der Mann im
Hegau den Hügel, den der Felsblock als Grabplatte deckt und in der
Nacht vom Charfreitag geht Keiner dort durch's Thal. Da gehört
Erde und Luft den Todten; ſie ſteigen aus dem alten Grab, hier
ſchwärmen die kleinen Roſſe wieder, dort rücken im Keil die Streiter
zu Fuß an und der Harniſch blitzt unter verwittertem Mönchsgewand,
[198] Waffengelärm und wilder Kampfruf weht durch den Sturm, toſend
ſchwingt ſich die Geiſterſchlacht durch die Lüfte: da kommt plötzlich
von der Inſel im See Einer drein geſaust im güldenen Harniſch auf
ſchwarzem Roß, der jagt ſie hinunter in kühle Ruhe — noch will
ſich der Hunnenführer gegen ihn wehren und ſchwingt zürnend ſein
krummes Schwert, da fährt ihm der Streithammer auf's Haupt, auch
er muß hinab ... und Alles iſt ſtill wie zuvor, nur der Birke junges
Laub zittert im Winde ....


Oſterſonntag ging trüb und ernſt vorbei. Des Abends ſaß Frau
Hadwig im Saal mit Ekkehard, Herrn Spazzo dem Kämmerer und
dem von Randegg. Es iſt zu denken was ſie ſprachen. Die große
Geſchichte der letzten Tage klang in aller Reden wieder gleich dem
Schall am Lurleifelſen: hat er an der einen Wand ausgehallt, ſo
hebt ſich ein dumpfes Rollen an der benachbarten und in ferner
Schlucht wiederholt ſich's und will nirgend ein Ende nehmen.


Der Abt von der Reichenau hatte einen Boten geſchickt, zu ver-
melden, wie ſie das Kloſter in mäßiger Verwüſtung, doch vom Feuer
unzerſtört angetroffen, mit geweihtem Waſſer und Umtragung der
heiligen Gebeine die hunniſchen Spuren getilgt, die Beiſetzung ihrer
Todten abgehalten.


Und der zurückgebliebene Bruder? fragte die Herzogin.


An dem hat Gott der Herr erwieſen, daß ſeine Allmacht inmitten
von Krieg und Feindesſchwert auch einfältiger Gemüther nicht vergißt.
An der Schwelle ſtand er bei unſerer Rückkunft, als wär' ihm Nichts
begegnet. Wie haben dir die Hunnen gefallen? rief ihm Einer zu.
Da ſprach er mit dem wohlbekannten Lächeln: Eia, ſehr gut haben
ſie mir gefallen. Niemals hab' ich vergnügtere Leute geſehen, und
Speiſe und Trank meſſen ſie ganz menſchenfreundlich zu — der Pater
Kellermeiſter hat zeitlebens meinen Durſt Durſt ſein laſſen, die gaben
mir Wein die Hülle und Fülle — und wenn ſie mich auch mit
Fauſtſchlag und Backenſtreich geſchädigt, ſo haben ſie's mit dem Wein
wieder gut gemacht — und das thät' Keiner von euch. Nur die
Disciplin fehlt ihnen, und ſich ſtill verhalten in der Kirche haben ſie
auch nicht ganz gelernt ... Er wiſſe noch Manches zum Preis der
fremden Gäſte, hat Heribald weiter geſprochen, aber nur im Beicht-
ſtuhl werd' er's offenbaren ...


[199]

Frau Hadwig war noch nicht zur Heiterkeit geſtimmt. Gnädig
entließ ſie den Boten. Sie gab ihm das geringelte Panzerhemd und
den Schild des erſchlagenen Hunnenführers mit, auf daß es in der
Kloſterkirche aufgehängt werde als ewiges Wahrzeichen. Das Schieds-
richteramt bei Vertheilung der Beute war ihr zugewieſen.


Herr Spazzo, deſſen Zunge ſeither nicht müßig war, ſeine Kriegs-
thaten zu rühmen — und die Zahl der von ihm Erſchlagenen wuchs
mit jeder neuen Erzählung gleich einer Lawine — ſprach würdig:
Ich habe auch noch ein Beuteſtück einzuliefern, es iſt meiner gnädigen
Herrin beſtimmt.


Er ſchritt hinab zu den untern Kammern, dort lag Cappan ſein
Gefangener auf dem Stroh, ſeine Wunde war verbunden und nicht
gefährlich. Steh' auf, Sohn des Teufels! rief Herr Spazzo und gab
ihm einen unſanften Stoß. Der Hunn' erhob ſich und ſchnitt ein
zweifelhaft Geſicht, er ſchätzte ſeine Lebensdauer auf keine allzulange
Zeit mehr; an einem Krückenſtock hinkte er durch die Stube. Vor-
wärts! deutete ihm Herr Spazzo und führte ihn hinauf. Er mar-
ſchirte in Saal ein. Halt! rief Herr Spazzo. Da ſtand der Unglück-
liche ſtill und ließ verwundert ſeine Augen Umſchau halten.


Theilnehmend beſah Frau Hadwig das fremde Menſchenkind. Auch
Praxedis war herbei gekommen: Schön iſt Euer Beuteſtück nicht, hatte
ſie zu Herrn Spazzo geſagt, aber merkwürdig. Die Herzogin faltete
ihre Hände: — und vor dieſer Nation hat das deutſche Land gezit-
tert! ſprach ſie.


Die Menge ſchuf den Schreck und ihr Zuſammenhalten, ſagte der
von Randegg, ſie werden nimmer wieder kommen.


Seid Ihr deß ſo gewiß? ſagte ſie ſpitzig.


Der Hunn' verſtand nicht viel vom Geſpräch. Sein wunder Fuß
ſchmerzte, er wagte nicht ſich nieder zu laſſen. Praxedis ſprach ihn
griechiſch an, er ſchwieg ſcheu und ſchüttelte ſein Haupt. Sie begann
durch Zeichen und Winke ein Verſtändniß anzuknüpfen — er ließ ſich
nicht drauf ein. Erlaubet, ſprach ſie zur Herzogin, ich weiß doch ein
Mittel ihm ein Lebenszeichen abzugewinnen, in Conſtantinopel hab'
ich davon erzählen gehört. Sie huſchte aus dem Saal und erſchien
wieder einen Becher tragend, ſpöttiſch kredenzte ſie den dem ſtummen
Gefangenen.


[200]

Es war ein ſtark Waſſer, gebrannt aus Kirſchen und Steinobſt;
der ſelige Burgcaplan Vincentius hatte manch ſolches Eſſenzlein bereitet.
Da verklärte ſich des Hunnen Antlitz, die ſtumpfe Naſe ſog den Duft
ein, er leerte den Becher, als ob er's für einen Friedenstrunk anſehe,
die Arme über die Bruſt gekreuzt warf er ſich vor Praxedis nieder
und küßte ihren Schuh.


Sie gab ihm ein Zeichen, daß die Huldigung der Herzogin gebühre,
da wollte er auch dort ſeinen Dank wiederholen, Frau Hadwig aber
wich zurück und winkte dem Kämmerer, daß er ſeinen Mann abführe.


Ihr habt närriſche Einfälle, ſprach ſie zu Herrn Spazzo, wie er
zurückkehrte, — doch war's artig, daß Ihr in währendem Streite
meiner gedachtet.


Ekkehard ſaß währenddem ſtumm am Fenſter und ſchaute ins Land
hinaus. Herrn Spazzo's Art verdroß ihn. Auch Praxedis hatte ihm
weh gethan. Uns zu demüthigen, dachte er, hat der Herr die Kinder
der Wüſte herübergeſandt, — eine Mahnung zu lernen und in ſich
zu gehen und auf den Trümmern des Vergänglichen dem ſich zuzu-
wenden, was mit dem Hauch des Ewigen gefeit iſt; — noch liegt die
Erde friſch auf dem Grab der Gefallenen, und ſchon treibt das Völk-
lein wieder ſeine Späſſe, als wär' alles nur Schaum und Traum
geweſen ...


Praxedis war zu ihm herangetreten. Warum habt Ihr uns nicht
auch ein Angedenken aus der Schlacht mitgebracht, Profeſſor? ſprach
ſie leicht. Es ſoll eine ſonderbare hunniſche Amazone drin herum-
getobt haben, ſo Ihr die gefangen, hätten wir jetzt ein Pärlein.


Ekkehard hat an Höheres zu denken, als an hunniſche Frauen,
ſprach die Herzogin in bitterm Ton, und er weiß zu ſchweigen, wie
Einer, der ein Gelübde gethan. Was brauchen wir zu erfahren, wie
es ihm in der Schlacht erging?


Die ſchneidige Rede kränkte den Ernſten. — Scherz zu unrechter
Zeit wirkt wie Eſſig auf Honigſeim. Er ging ſchweigend hinaus,
holte Herrn Burkard's Schwert, entblößte es ſeiner Scheide und
warf's unwillig auf den Tiſch vor Frau Hadwig. Friſchrothe Flecken
glänzten feucht auf der braven Klinge und junge Scharten waren in
Rand gehauen. Ob der Schulmeiſter müßig ging, ſprach er, mag
[201] der da bezeugen! ich hab' meine Zunge nicht zum Herold meiner
That ernannt.


Die Herzogin war betroffen. Sie trug noch einen Mißmuth auf
dem Herzen, es zuckte und drängte, ihm zürnend Luft zu ſchaffen —
aber das Schwert Herrn Burkard's weckte mannigfache Gedanken, ſie
hielt den Groll an ſich und reichte Ekkehard die Hand.


Ich wollt' Euch nicht kränken, ſprach ſie.


Die Milde der Stimme klang ihm vorwurfsvoll, er zögerte die
dargebotene Rechte zu ergreifen. Schier hätt' er um Verzeihung ge-
beten für ſeine Rauheit, aber das Wort ſtockte ihm; — da ging die
Thüre des Saales auf, es ward ihm alles Weitere erſpart.


Hadumoth, das Hirtenkind, trat ein. Schüchtern ſtand ſie am
Eingang, übernächtig und verweint das Antlitz; ſie getraute ſich nicht
zu reden.


Was haſt du, arm Kind? rief Frau Hadwig. Komm näher!


Da ging die Hirtin vorwärts. Sie küßte der Herzogin Hand.
Dann erſah ſie Ekkehard, deſſen geiſtlich Gewand ihr Scheu einflößte,
ſie nahte ſich auch ihm, ſeine Hand zu küſſen, ſie wollte reden, Schluch-
zen hemmte die Stimme.


Fürcht' dich nicht, ſprach die Herzogin tröſtend. Da fand ſie
Worte.


Ich kann die Gänſe nimmer hüten, ſprach ſie, ich muß fortgehen.
Du ſollſt mir ein Goldſtück ſchenken, ſo groß du eines haſt. Wenn
ich wieder heimkomm, will ich zeitlebens dafür ſchaffen. Ich kann
nichts dafür, daß ich fort muß.


Warum willſt du fort, Kind? fragte die Herzogin, haben ſie dir
was Leides gethan?


Er iſt nicht mehr heimgekommen.


Es ſind viele nicht mehr heimgekommen; darum mußt du nicht
fort. Die draußen blieben, ſind bei Gott im Himmel und ſind in
einem ſchönen luſtigen Garten und wohlauf und haben's beſſer
denn wir.


Aber das Hirtenkind ſchüttelte ſein junges Haupt. Audifax iſt
nicht bei Gott, ſprach's, er iſt bei den Hunnen. Ich hab' nach
ihm geſchaut drunten im Feld, er war nicht bei den todten Männern,
und des Kohlenbrenners Bub von Hohenſtoffeln, der auch mit den
[202] Schützen zog, hat's geſehen wie ihn Einer fing .. Ich muß ihn dort
holen, es läßt mir keine Ruh' mehr.


Wo willſt ihn holen?


Das weiß ich nicht. Ich will gehn wo die Andern hingeritten
ſind, die Welt iſt groß, am Ende find' ich ihn doch, das weiß ich.
Das Goldſtück, das du mir ſchenken ſollſt, will ich den Hunnen geben
und ſagen: Laßt mir den Audifax frei, und wenn ich ihn hab', kom-
men wir beide heim.


Frau Hadwig hatte ihr Wohlgefallen am Außerordentlichen. Von
dieſem Kind mögen wir Alle lernen! ſprach ſie, hob die ſcheue Hadu-
moth zu ſich empor und küßte ſie auf die Stirn. Mit dir iſt Gott,
darum ſind deine Gedanken groß und kühn und du weißt nicht darum.
Wer hat ein Goldſtück von euch bei der Hand?


Der von Randegg neſtelte eines herfür. 's war ein großer Gold-
thaler, und war der Kaiſer Karl darauf geprägt, mit einem grimmen
Antlitz und groß offenen Schlitzaugen, und auf der Rückſeite war ein
gekrönt Frauenbild zu ſchauen und eine Schrift. 's iſt mein letzter!
ſprach der Randegger lachend zu Praxedis. Die Herzogin gab ihn
dem Kind: Zeuch aus im Herren, es iſt eine Fügung!


Es ward ihnen feierlich zu Muthe und Ekkehard legte ſeine Hände
auf Hadumoth's Haupt wie zum Segen.


Ich dank' Euch! ſprach ſie und wollte gehen. Noch einmal wandte
ſie ſich um: Wenn ſie mir aber den Audifax für das eine Goldſtück
nicht herausgeben?


Dann ſchenk ich dir ein zweites, ſagte die Herzogin.


Da ging das Kind zuverſichtlich von dannen.


Und Hadumoth zog in die unbekannte Welt hinaus, das Goldſtück
in's Mieder eingenäht, die Hirtentaſche mit Brod gefüllt; — den
Stab hatte ihr Audifax einſt aus dunkelgrüner Stechpalme geſchnitzt.
Ob Weg und Steg ihr unbekannt, ob Speiſe und Obdach zweifelhaft,
darum hatte ſie nicht Zeit ſich zu kümmern. Die Hunnen ſind gegen
Sonnenuntergang gezogen und haben ihn mitgenommen, das war ihr
einzig Denken, der Lauf des Rheins und der Sonne Untergang ihr
Wegweiſer, Audifax ihr Ziel.


Mälig ward ihr die Gegend fremd. Ferner und ſchmäler glänzte
der Bodenſee vor ihrem Blick, neue Bergrücken ſchoben ſich vor und
[203] verdeckten ihr die gewohnten ſtolzen Formen des heimathlichen Felſens:
da ſchaute ſie etliche male zurück. Noch einmal luegte die Kuppe
des hohen Twiel mit Thurm und Mauer und Zinnen zu ihr herüber,
von blauem Duft umzogen, dann ſchwand ſie. Ein unbekanntes Thal
that ſich auf, weite ſchwarze Tannwälder zogen ſich drüber hin, niedere
Hütten mit tief herabhangenden Strohdächern lagen verſteckt im Waldes-
dunkel — unverzagt ging Hadumoth weiter und winkte den hegauer
Bergen den letzten Gruß zu.


Wie die Sonne jenſeits der Wälder zur Ruhe gegangen war,
hielt ſie eine Weile: Jetzt läuten ſie zu Hauſe den Abendſegen, ſprach
ſie, ich will beten. Und ſie kniete in der Bergeinſamkeit und betete,
erſt für Audifax, dann für die Herzogin, dann für ſich — und Alles
war ſtill ringsum. Sie hörte nur ihr eigen pochend Herz.


Wie wird's meinen Gänſen ergehen? dachte ſie beim Aufſtehen;
jetzt iſt die Stunde ſie einzutreiben. Dann trat wieder Audifax vor
ihre Seele, an deſſen Seite ſie ſo oft von der Weide zu Berg gefah-
ren, und ſie ging ſchneller.


In den Maierhöfen im Thal rührte ſich Niemand. Nur vor ei-
ner Strohdachhütte ſaß ein altes Weib. Du ſollſt mich heut' Nacht
bei dir behalten, Großmutter, ſprach Hadumoth zutraulich. Die gab
ihr keine Antwort, doch ein Zeichen daß ſie bleiben könne. Sie war
taub, und alleine zurückgeblieben, die Männer fort in's höhere Gebirg,
der Hunnen wegen.


Aber vor Tagesgrauen war Hadumoth wieder unterweges. Und
ſie ging durch lange, lange Wälder, drin wollte es kein Ende nehmen
mit Tannen und war das erſte lautloſe Weben des Frühlings im
Walde, die erſten Blumen ſtreckten ihre Häupter aus dem Moos her-
für, die erſten Käfer flogen leiſe ſummend drüber, und ein Harzgeruch
kräftig und anmuthend zog wehend herum als wär' er ein Weihrauch,
den die Tannen der Sonne hinaufſchickten zum Dank für Alles, was
ſie zu ihren Füßen luftig hervorgetrieben.


Der Hirtin gefiel's nicht. Hier iſt's zu ſchön, ſprach ſie, hier kön-
nen die Hunnen nicht ſein.


Sie lenkte ihren Schritt vom Gebirg abwärts und kam auf einen
Platz da war der Wald licht, und weite Umſchau. Tief unten in
der Ferne floß der Rhein gekrümmt gleich einer Schlange, eingeklemmt
[204] zwiſchen doppelter Strömung trug eine Inſel viel ſtattliche Mauern
wie von Kirche und Kloſter, der Hirtin ſcharfes Aug' ſah daß das
Mauerwerk geſchwärzt und fleckig war und kein Dach mehr trug.
Eine blaue Rauchwolke ſtand unbeweglich drüber.


Wie iſt's hier geheißen? fragte ſie einen Mann, der aus dem
Walde kam.


Schwarzwald! ſagte der Mann.


Und drüben?


Rheinau.


Die Hunnen ſind drüben geweſen?


Vorgeſtern.


Wo jetzt?


Der Mann hatte ſich auf ſeinen Stab geſtemmt und ſchaute das
Kind ſcharf an. Er deutete rheinabwärts. Warum? fragte er.


Ich will zu ihnen. — Er hob ſeinen Stab und ging ſeines Weges
weiter. Heiliger Fintan, bitt' für uns! murmelte er im Fortgeh'n.


Und wiederum ſchritt Hadumoth unverdroſſen weiter. Sie hatte
von der Höhe erſchaut, daß der Rhein in großem Bogen vorwärts
ſtrömte; da ging ſie queer über das Gebirg, den Hunnen einen Vor-
ſprung abzugewinnen, und war zwei Tage unterwegs, die Nacht im
Walde auf Moos gebettet und ſchier keinem Menſchen begegnet. Aber
viel wilde Thalſchluchten traf ſie und rinnend Gewäſſer und alte
Stämme, die der Sturmwind gefällt; am Platze, wo ſie ſonſt ihre
Wipfel hoch gen Himmel gereckt, faulten ſie und leuchteten grauweiß
unheimlich im Dunkel. Sie ließ den Muth nicht.


Das Gebirg ward minder ſteil und flachte ſich zu einer Hochebene
ab, da ſtrich oft rauher Luftzug drüber und Schnee lag in den
Thalmulden: ſie ging weiter.


Das letzte Stück Brod war verzehrt, da kam ſie auf einen Berg-
rücken und ſah wieder den Rhein in der Ferne. Itzt wollte ſie dem
entgegen; aber wie ein Riß im Erdreich that ſich eine enge Kluft
dieſſeits des Berges auf, ein Waldſtrom ſchäumte in der Tiefe. Junger
Schuß von Stauden und Brombeer und dornigem Geſtrüpp hielt den
Abhang dicht beſetzt; ſie bahnte ſich einen Weg durch. Es koſtete
Mühe und Schweiß, die Sonne ſtand hoch am Himmel, die Dornen
[205] riſſen am Gewand. Wenn der Fuß unwillig ſtill ſtehen wollte, ſprach
ſie: Audifax! und hob ihn vorwärts.


Jetzt war ſie unten, zu Füßen dunkler Felswände. Das Wild-
waſſer hatte ſich Bahn durch ſie gebrochen und ſtürzte in klarem Fall
drüber weg; die verwitterten Steine glänzten im Waſſerduft, röthliches
Moos hatte ſich dran feſt geniſtet wie eine Vergoldung; die Fluth
leckte hinauf und brauste wechſelnd drüber hin, bis ſie wenig Schritte
davon in tiefgrün durchſichtigem Becken ſtill hielt und ausruhte, wie
ein müder Mann, der ſich und ſeines Lebens Tollheiten klar beſchauen
will. Ueppige Pflanzen mit großen Blättern ſprießten auf; der
Waſſerſchaum funkelte in farbigen Thautropfen drin. Blaugeflügelte
Libellen flogen auf und ab, als wären ſie die Geiſter verſtorbener Elfen.


Träumeriſch hallte das einſame Stürzen des Bachs in's Herz des
hungernden Kindes. Mit dem Bach ſollte ſie weiter gehen, hinab
zum Rhein. Alles war verwachſen, wie wenn nie ein Menſch ſeinen
Fuß hieher getragen ... da lachte ein trocken grünes Plätzlein zu Ha-
dumoth herüber, ſie legte ſich nieder. Es rauſchte ſo kühl und lang,
es rauſchte ſie in Schlummer. Den rechten Arm ausgeſtreckt, daß das
Haupt drauf ruhte, lag ſie da, Lächeln auf dem müden Antlitz. Sie
träumte. Von wem? — Die blauen Waſſerjungfern haben Nichts
verplaudert ...


Ein leichter Waſſerguß aus hohler Hand ſcheuchte ſie aus ihrem
Traum. Wie ſie langſam die Augen aufſchlug, ſtund ein Mann vor
ihr mit langem Bart, in grobzwilchenem Tſchoben, die Füße nackt
bis über's Knie. Angelruthen, Netz und ein hölzern Legel, drin blau-
getupfte Forellen ſchwammen, lagen im Graſe bei ihm. Er hatte die
Schläferin lang betrachtet. Zweifelhaft, ob ſie ein Menſchenkind, ging
er, Waſſer zu ſchöpfen und weckte ſie.


Wo bin ich? fragte Hadumoth ſonder Furcht.


Am Wieladinger Strahl! ſprach der Fiſcher. Das Waſſer iſt die
Murg und hat gute Forellen und geht in Rhein. Wie kommſt aber
du auf den Wald, Mägdlein? biſt vom Himmel heruntergefallen?


Ich komm' weither; bei uns ſind die Berge anders und wachſen
einzeln und ſteil aus der Ebene auf und ſteht ein Jeder für ſich, —
und die Forellen ſchwimmen im See und ſind größer: Hegau heißen's
die Leute.


[206]

Der Fiſcher ſchüttelte das Haupt. Das muß weit weg ſein, ſprach
er. Wohin jetzt?


Wo die Hunnen ſind, ſagte Hadumoth und erzählte ihm treuherzig,
warum ſie ausgezogen und wen ſie ſuche.


Da ſchüttelte der Fiſcher ſein Haupt noch ſtärker denn zuvor. Beim
Leben meiner Mutter! ſprach er, das iſt ein böſer Gang! Aber Ha-
dumoth faltete die Hände und ſagte: Fiſcher, du mußt mir den Weg
zeigen, wo ſie ſind.


Da ward der Bärtige weich. Wenn's ſein muß, brummte er, gar
fern ſind ſie nicht. Komm mit!


Er packte ſein Fiſchgeräth zuſammen und ging mit der Hirtin dem
Laufe des Waldbachs entlang. Wenn Baum und Buſch zu dicht die
Ufer ſperrten oder Felsblöcke aufgethürmt lagen, hub er das Mägdlein
auf den Arm und ſchritt durch's ſchäumende Waſſer. Dann ließen ſie
die Thalſchlucht zur Rechten. Sie ſtanden auf einem der Vorberge,
die ſich zum Rhein hinunterſenken. Schau hin, Kind, ſprach er und
deutete über den Rhein hinüber, wo ein flach abgeſchnittener Gebirgs-
zug ſich ſtreckte: dort geht's in's Frickthal hinein, zum Bötzberg hin.
Dort ſteht ihr Lager geſchlagen. Geſtern iſt das Laufenburger Caſtell
ausgeflammt worden ... Aber weiter ſollen uns die Mordbrenner
nimmer traben, fuhr er grimmig fort.


Sie gingen noch eine Weile, da hielt Hadumoth's Geleitsmann an
einem felſigen Vorſprung. Warte! ſprach er zu ihr. Er ſchleppte
etliche Stämme dürres Tannenholz zuſammen und ſchichtete ſie auf,
Reiſig und Kienſpähne reichlich dazwiſchen, doch ließ er's unangezün-
det. Das Gleiche that er an anderen Plätzen. Hadumoth ſah ihm
zu; ſie wußte nicht, warum er's that.


Dann ſtiegen ſie zu den Ufern des Rheins hinunter.


Iſt's dein Ernſt mit den Hunnen? frug er noch einmal. Ja! ſprach
Hadumoth. Da löste er einen im Gebüſch verborgenen Kahn und
fuhr ſie über. Am andern Ufer war's waldig; er ging ein Stück
einwärts und ſchaute ſorgfältig um. Auch dort lag ein Holzſtoß ge-
ſchichtet und Kienfackeln dabei, von grünen Zweigen verdeckt. Er nickte
zufrieden und kam zu Hadumoth: Weiter geh' ich nicht mit, dort iſt
Frickthal und Hunnenlager. Mach', daß ſie deinen Buben heraus-
[207] geben, eher heut als morgen, 's könnt' ſonſt zu ſpät werden. Behüet
dich Gott, du biſt ein tapfer Kind.


Ich dank' dir, ſprach Hadumoth und drückte ſeine ſchwielige Hand.
Warum gehſt du nicht mit?


Ich komm' ſpäter! ſagte der Fiſcher mit bedeutſamem Ton und
ſtieg in ſeinen Kahn.


Am Eingang zum Thal war der Hunnen Lager geſchlagen, wenig
Gezelte und etliche große Hütten aus Buſchwerk und Stroh. In
Blockhäuſern von Tannſtämmen die Pferde. Es lehnte ſich im Rücken
an einen Berg, nach vorn war ein Graben gezogen als Schutzwehr,
und mit Verhack, Pfählen und dazwiſchen geworfenen Felsblöcken, nach
Art des hunniſchen Landhags190) geſperrt. Bis weit hinaus ritten
die Vorpoſten auf und nieder: halb war es das Bedürfniß der Ruhe
nach Ritt und Kampf, halb ein Anſchlag auf's Kloſter des heiligen
Fridolin drüben, was ſie dort feſthielt. Ein Theil der Mannſchaft
baute Schiffe und Flöße am Rhein.


In ſeinem Zelt lag Hornebog, der Führer ſeit Ellak's Fall.
Decken und Polſter waren aufgethürmt, er freute ſich keiner Ruhe.
Erica die Heideblume ſaß bei ihm und ſpielte mit einem güldenen
Kleinod, das ſie an ſeidener Schnur um den Hals trug.


Ich weiß nicht, ſagte Hornebog zu ihr, es iſt ſehr ungemüthlich
worden. Die Kahlgeſchorenen am See haben zu wüthend drein ge-
ſchlagen. Wir müſſen ſachter thun.191) Hier trau' ich auch nicht;
's iſt mir zu ruhig, und Ruhe geht vor dem Sturm. Mit dir iſt's
auch nichts mehr, ſeit ſie den Ellak erſchlagen. Sollteſt mich jetzt
lieben wie ihn als er der Erſte war — und biſt wie ein ausgebrannt
Kohlenfeuer.


Erica ſchnellte das Kleinod an ſeiner Schnur weit von ſich, daß
es tönend an die Bruſt zurückprallte, und ſummte was Hunniſches
vor ſich hin.


Da trat ein wachehaltender Kriegsmann in's Zelt, Hadumoth die
Hirtin mit ihm und Snewelin von Ellwangen als Dollmetſch. Das
Kind war in's Lager gekommen, durch Vorpoſten und Wacheruf un-
verzagt durchſchreitend, bis ſie's feſthielten. Snewelin trug Hadumoth's
Begehr um den gefangenen Knaben vor; er war mitleidig und weich
geſtimmt als wär' er noch in der Heimath und begehe den Aſcher-
[208] mittwoch, denn er hatte heut' ſämmtliche Unthaten im Lauf ſeines
Hunnenlebens überrechnet, die ausgebrannten Klöſter begannen ihm
ſchwer auf dem Gewiſſen zu laſten.


Sag' ihm auch, daß ich ein Löſegeld zahlen kann, ſprach Hadu-
moth und trennte des Mieders Naht auf, drin der Goldthaler war.
Sie reichte ihn dem Anführer dar. Der lachte. Auch die Heideblume
lachte.


Verrücktes Land! ſprach Hornebog. Die Männer ſcheeren das
Haupt, und die Kinder thun was Kriegern geziemte. Wären uns
die Gewaffneten vom See nachgezogen ſtatt dieſes Mägdleins, es hätt'
uns in Verlegenheit bringen mögen.


Er ſah das Kind mißtrauiſch an. Wenn ſie zu ſpähen käme ...!
rief er. Aber Erica fuhr dazwiſchen und ſtreichelte Hadumoth's Stirn.
Du ſollt bei mir bleiben, ſagte ſie, ich brauch' was zum Spielen ſeit
mein ſchwarzer Rapp todt und mein Ellak todt ...


Schafft mir das Gezeug hinaus, rief Hornebog unmuthig. Sind
wir am Rhein um mit Hirtenkindern zu ſpielen?!


Da merkte Erica, daß beim Anführer ein Ungewitter im Anzug
war; ſie nahm das Mägdlein bei der Hand und ging mit ihr.


Wo das Lager ſich an den Berg hinſtreckte, war zwiſchen aufge-
häuften Steinplatten die Feldküche errichtet. Dort ſchaltete die Wald-
frau. Audifax kniete bei'm größten der Keſſel und blies das Feuer
an, die Abendſuppe brodelte drin. Jetzt ſprang er auf und that einen
Schrei. Er hatte ſeine Gefährtin erſchaut. Aber die Waldfrau reckte
ihr Haupt hinter dem andern Keſſel vor, das war mehr als ein Halt-
ruf. Er ſtand unbeweglich, griff nach einem geſchälten Aſt und rührte
die Suppe wie's ihm vorgeſchrieben war; — ein Bild ſtummen Jam-
mers, er war blaß und hager geworden, die Augen trüb von Thränen,
die Niemanden gerührt.


Daß Ihr mir den Kindern nichts zu leide thut, alte Meerkatze!
rief Erica der Waldfrau zu.


Da ging Hadumoth hinüber. Der Hirtenknabe ließ ſeinen kunſt-
loſen Löffel fallen, und reichte ihr die Hand ſtumm und ſtill, aber
aus den tiefdunkeln Augen blitzte es zu ihr hinüber wie eine große
Geſchichte von Gefangenſchaft, Duldung und ſchweifendem Wunſch des
Befreitſeins. Hadumoth ſtand unbeweglich vor ihm; ſie hatte ſich
[209] viel Rührendes gedacht vom Augenblick des Wiederſehens; das Alles
ſchwand — die größte Freude jubelt ſchweigend ihr Lied himmelan.
Gib mir eine Schüſſel von deiner Suppe, Audifax, ſprach ſie, mich
hungert!


Die Waldfrau ließ es geſchehen, daß er ihr eine hölzerne Schüſſel
aus dem Feldkeſſel füllte. Das hungrige Kind ſtärkte ſich dran und
ward guten Muthes und erſchrack nicht über die wilden Geſichter der
hunniſchen Reiter, die da kamen ihre Abendſuppe zu ſchöpfen. Nach-
her ſetzte ſie ſich dicht zu Audifax hin. Er war ſtumm und zurück-
haltend, erſt wie es dunkel ward und ſeine Dräuerin von dannen
ging, lösten ſich die Feſſeln ſeiner Zunge. O, ich weiß viel, Hadu-
moth! ſagte er leiſe, und ſah ſich ſcheu um — ich weiß den Hunnen-
ſchatz! Die Waldfrau hat ihn in Verwahrung, zwei Truhen ſtehen
unter ihrem Lager im Zweighaus; ich hab' ſelber hineingeſchaut, es
glänzt drin von Spangen und Vorhängkleinodien und güldenem Ge-
ſchirr. Auch ein ſilbern Huhn mit Küchlein und Eiern iſt dabei, das
hat Einer im Lombardenland mitgenommen, und viel Prächtiges ſonſt ...
ich hab's theuer gebüßt, den Schatz zu ſehen ...


Er lüftete ſeinen ledernen Schlapphut. Sein rechtes Ohr war
halb abgeſchnitten.


... Die Waldfrau kam heim eh' ich die Truhe zuſchlagen konnte.
Das ſei dein Lohn, ſprach ſie, und zuckte die Scheere wider mein Ohr.
's hat weh gethan, Hadumoth. Aber ich zahl's ihr heim!


Ich helf' dir! ſprach die Gefährtin.


Lange noch plauderten die Beiden; der Schlummer floh die Augen
der Glücklichen. Der Lärm des Lagers ſchwieg. Dämmernde Schat-
ten waren über das Thal gebreitet. Da ſprach Hadumoth: Ich muß
immer und immer denken, es ſei jene Nacht, wo die Sterne fielen.


Audifax ſeufzte. Ich gewinn' meinen Schatz doch noch, ſprach er;
ich weiß es.


Und wieder ſaßen ſie eine Weile, da ſchreckte Audifax zuſammen,
Hadumoth ſpürte das Zittern ſeiner Hand. — Ueber dem Rheine, auf
dunkelm Berggipfel flammte ein Feuerzeichen auf, es war wie eine
Fackel, die ein Mann in kreiſendem Bogen ſchwingt und in die Lüfte
hinausſchleudert.


Jetzt iſt's erloſchen! ſprach Audifax leis.


D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 14
[210]

Aber dort! ſagte Hadumoth erſchrocken, und wies rückwärts.


Von des Bötzbergs Höhe ſchlug eine Lohe empor und kreiste feu-
rig und ſprühte in Funken. Es war daſſelbe Zeichen. Und drüben
auf dem Schwarzwald hub ſich an dem Platze, wo die Fackel ge-
ſchwungen worden, eine hohe Flamme himmelan und leuchtete durch
die ſternloſe Nacht. Von der Wache im Thal draußen ſcholl ein gel-
lender Pfiff. Im Lager regte ſich's. Die Waldfrau kam herein. Was
träumſt du noch, Bub'! rief ſie drohend, ſchirr unſer Geſpann und
rüſte das Saumroß!


Schweigend gehorchte Audifax.


Der Wagen ſtand geſchirrt, das Saumroß an Pfahl gebunden;
vorſichtig ſchlich die Alte heran und hing ihm zwei Körbe um und
trug zwei Truhen herzu, die packte ſie in die Körbe und that Heu
drüber. Sie ſpähte lauernd hinaus. Es war wieder ſtill. Der
Frickthaler Wein ſchaffte den Hunnen einen feſten Schlaf.


Es iſt nichts! brummte die Waldfrau, wir können die Gäule wie-
der zur Ruhe bringen. Da fuhr ſie auf, wie geblendet. Der Berg
über dem Lager war lebendig geworden, es blitzte und ſprühte von
viel hundert Fackeln und Feuerbränden192) und donnerte mit wüthen-
dem Schlachtruf dazwiſchen, — vom Rhein her wälzten ſich dunkle
Maſſen, auf allen Gipfeln flammte es gen Himmel. — Heraus, ihr
Schläfer!... es war zu ſpät — ſchon flog der helle Brand in's
Hunnenlager, — klagend Gewieher der Roſſe tönte auf — der große
Stall ſtand in Flammen — dunkle Geſtalten brechen ein, fackelglanz-
beſchienen kommt heute der Tod; — das iſt der alte Irminger, Herr
im Frickgau, der ihn bringt, er der ſtarke Vater ſechs ſtarker Söhne,
der wie Mathathias mit ſeinen Maccabäern das Elend ſeines Volkes
nicht länger erſchauen wollte; — und von ihnen geführt die Männer
von Hornuſſen und Herznach und die aus dem Aarthal und von Brugg
und Badens heißen Quellen und weit von der Giſelaflueh her. In
ſicherm Waldverſteck waren ſie gelegen, bis auf dem Eggberg drüben
die Fackel ſchwirrte, das war des Schwarzwalds nachbarliche Hilfe
— da ging's vorwärts zum Sturm.


Graunvoll tönte der Ueberfallenen Schrei in den Sturmruf.
Blutigen Hauptes ſprengte Snewelin vorüber, ein wohlgeſchleuderter
Pechbrand haftete in ſeiner Gewandung und flackerte weiter, daß er
[211] ausſah wie ein feurig Geſpenſt: Die Welt geht unter! rief er, das
tauſendjährige Reich bricht an, Herr, ſei meiner armen Seele gnädig!


Verloren, Alles verloren! ſprach die Waldfrau vor ſich hin und
fuhr mit der Hand über die Stirn. Dann band ſie das Saumroß
los, um es auch noch vor ihren Wagen zu ſchirren. Im Dunkel
ſtand Audifax, er biß die Zähne zuſammen, um nicht jubelnd hin-
auszujauchzen in das Geheul des nächtlichen Ueberfalls; zitternder
Widerſchein des Feuers ſpielte um ſein Antlitz; es kochte in ihm.
Eine Weile ſchaute er ſtarr in's Rennen und Wogen und Kämpfen
der dunkeln Männer — jetzt weiß ich's! ſprach er leiſe zu Hadumoth;
er hatte einen Feldſtein aufgerafft, katzenſchnell ſprang er an der
Waldfrau hinauf und ſchlug ſie nieder, das Saumroß riß er weg
und hob mit Mannesſtärke die knieende Hadumoth hinauf: Halt dich
feſt am Sattelknopf! — er ſprang auf's Roß und griff die Zügel,
das fühlte die ungewohnten Reiter, ſcheu von Brand und Glanz
ſprengte es davon in die Nacht ... Audifax wankte nicht, ſein Herz
pochte in lautem Schlag, er ſchloß die Augen vor dem qualmenden
Rauch — über Erſchlagene gings und durch's Gewühl ſtreitender
Männer ... itzt tobte der Schlachtlärm entfernter, das Roß ſchlug
langſameren Schritt an, dem Rheine entgegen trug es die Kinder —
ſie waren gerettet.


Und ſie ritten die lange bange Nacht durch, und ſchauten nicht
um. Audifax hielt ſchweigſam die Zügel, es war ihm oft als wär'
Alles ein Traum geweſen; er legte die Linke auf Hadumoth's Haupt
und klopfte an die Truhe im Hängkorb, es gab einen Klang von
Metall, da erſt wußte er wieder, daß er nicht geträumt. Und das
Roß war brav und trug ſeine Laſt willig, über Feld und Heide ging
der Weg und durch finſtere Wälder, immer dem ſtrömenden Rhein
entgegen.


Wie ſie lang und weit geritten waren, da kam ein kühler Luft-
zug, daß ſie zuſammenſchauerten: das war des Morgens Vorbote.193)
Hadumoth ſchlug die Augen auf. Wo ſind wir? fragte ſie. Ich
weiß es nicht, ſagte Audifax.


Jetzt hörten ſie ein Rauſchen und Toſen wie fernen Donner, aber
es war nicht von einem Gewitter; der Himmel hellte ſich, die Stern-
lein verblaßten und ſchwanden. Der Donner ward lauter und näher,
14*
[212] ſie ritten an einem Caſtell vorüber, das ſah ſtattlich in die Ge-
wäſſer herunter, dann bog ihr Pfad um einen Bergrücken, da kam
der Rhein in breiter Strömung daher und ſtürzte mit Hall und Schall
und ſprühendem Geſchäume über dunkles zernagtes Gefels;194) per-
lender Waſſerſtaub ſtäubte herüber und Alles ſtand in feuchtem
Duft ... das Roß hielt an, als wolle es den gewaltigen Anblick
bedachtſam in ſich aufnehmen; Audifax ſprang herab, hob die müde
Hadumoth herunter, ſtellte die Hängkörbe zur Erde und ließ das
brave Thier graſen.


Und die Kinder ſtanden vor dem Fall des Stromes, Hadumoth
hielt ihres Gefährten Rechte in ihrer Linken, lang und lautlos ſchau-
ten ſie hinein. Und die Sonne warf ihre erſten Strahlen über die
ſtürzende Fluth, die fing ſie auf und fügte ſie zu farbigem Regen-
bogen zuſammen und ſpielte mit dem ſchillernden Licht ...


Audifax aber ging jetzt zu den Körben, nahm eine Truhe herfür
und ſchlug ſie auf — es war eitel Gold und Geſchmeide drin —
der Schatz, der langerſehnte, war gehoben und war ſein eigen, nicht
durch Zauberformel und nächtige Beſchwörung, eigen durch kräftig
Rühren der Hände und Dreinſchlagen und Nutzung des günſtigen
Augenblicks. Er ſchaute in den güldenen Flimmer: es überraſchte
ihn nicht, er wußte ja ſeit Monden, daß ihm ſolches beſchieden war ...
Von jeglicher Art der güldenen Stücke las er eines aus, von Ge-
fäßen eines, von Ringen einen, von Münzen und Armſpangen eine,
und trug ſie vor an's Ufer.


Hadumoth, ſprach er, hier muß Gott ſein, ſein Regenbogen ſchwebt
über dem Waſſer. Ich will ihm ein Dankopfer bringen!


Er trat vor auf einen Felsblock am Rande des Stromes und
ſchleuderte mit ſtarkem Arm das Gefäß in die brauſende Rheinfluth,
und den Ring und die Münze und die Spange — dann kniete er
auf die Erde und Hadumoth kniete zu ihm und ſie beteten eine lange
Zeit und dankten Gott ...



[213]

Sechzehntes Kapitel.
Cappan wird verheirathet.



Wenn das Gewitter vorüber iſt, kommen die Bäche trüb und
erdfarbig daher gefloſſen. So folgt auf landerſchütternde Bewegung meiſt
eine Zeit kleiner verdrießlicher Geſchäfte, bis das alte Geleiſe allent-
halb wieder hergeſtellt worden.


Auch Frau Hadwig mußte das erfahren.


Es war viel zu richten und ſchlichten nach Vertreibung der Hunnen.
Sie unterzog ſich dem gerne, ihr beweglicher Geiſt und die Freude
am eigenen Eingreifen erleichterten die Sorgen des Regierens.


Wittwen und Waiſen der gefallenen Heerbannmänner kamen, und
wem der rothe Hahn auf's Dach der Hütte geflogen, und wem die
junge Saat von Roſſeshuf zerſtampft war: es ward Hilfe geſchafft,
ſo viel möglich! Boten an den Kaiſer gingen ab mit Bericht über
das Geſchehene und Vorſchlag künftiger Abwehr, der Burg Befeſtigung,
wo ſie ſich mangelhaft erwieſen, ward gebeſſert, die Waffenbeute be-
meſſen und vertheilt, die Stiftung einer Capelle auf dem Grabhügel
der chriſtlichen Kriegsmänner beſchloſſen.


Mit Reichenau und Sanct Gallen war viel Verhandlung; geiſt-
liche Freunde vergeſſen niemals Rechnung zu ſtellen für erwieſenen
Dienſt. Sie wußten eindringlich zu jammern und wehklagen über
die Schädigung der Gotteshäuſer und unerſchwingliche Einbuße an
Hab und Gut: daß eine Schenkung von Grund und Boden den be-
drängten Gottesmännern ſehr erwünſcht käme, ward der Herzogin täg-
lich in's Gehör geträufelt. Fern im Rheinthal, wo der Berg von
Breiſach mit ſeinen dunkel ausgebrannten Felsrücken der Strömung
ſich entgegenſtemmt, war der Herzogin das Hofgut Saspach.195) Auf
vulkaniſchem Boden gedeiht die Rebe, — das hätte den frommen
Brüdern auf der Aue wohl getaugt; ſchon um den Unterſchied des
[214] rheiniſchen Weines von dem am See erproben zu können, außerdem
als geringer Erſatz für tapferes Streiten und die nöthigen Seelen-
meſſen um die Gebliebenen.


Und wie ſich Frau Hadwig eines Tages dem Vorſchlag es abzu-
treten, nicht ganz abgeneigt erwieſen, kam ſchon des andern mit dem
frühſten der Subprior geritten und bracht ein großes Pergament, drauf
ſtund die ganze Formel der Schenkung und klang recht ſtattlich, wie
Alles dem heiligen Pirminius ſolle zugewieſen ſein, Haus und Hof
und aller Zubehör, gerodet Land und ungerodet, Wald und Wein-
berg, Weide und Wieswuchs und der Lauf der Gewäſſer ſammt
Mühlenbetrieb und Fiſchfang, und was von eigenen Leuten männlichen
und weiblichen Geſchlechtes auf den Huben ſeßhaft .. und fehlte auch
die übliche Verwünſchung nicht: „So ſich Einer vermeſſen ſollt', hieß
es, die Schenkung anzuzweifeln oder gar dem Kloſter zu entziehen,
über den ſei Anathema Maranatha geſprochen, der Zorn des All-
mächtigen und aller heiligen Engel treffe ihn, mit Ausſatz werde er
geſchlagen wie Naëman der Syrer, mit Gicht und Tod wie Ananias
und Sapphira, und ein Pfund Goldes zahle er zur Sühne des Fre-
vels dem Fiscus.“ 196)


Der Herr Abt hat ſeiner gnädigen Herrin die Mühe ſparen wol-
len, den Schenkbrief ſelbſt aufzuſetzen, — ſprach der Subprior, es
iſt freier Raum gelaſſen, Namen und Grenzen des Gutes einzutragen,
die Unterſchriften der Parteien und Zeugen beizufügen, die Sigille
dranzuhängen.


Wiſſet Ihr Euch bei allen Geſchäften ſo zu ſputen? erwiederte
Frau Hadwig. Ich werd' mir Euer Pergament bei Gelegenheit
anſehen.


Es wäre dem Abte ein liebſam und erwünſcht Ding, ſo ich ihm heute
ſchon die Schrift von Euch gezeichnet und geſiegelt zurückbringen könnte.
Es iſt wegen der Ordnung im Kloſterarchiv, hat er geſagt.


Frau Hadwig ſchaute den Mann von oben herab an. Sagt
Euerm Abt, ſprach ſie, daß ich eben die Rechnung ſtellen laſſe, um
wie viel der Brüder Einlagerung auf dem hohen Twiel mich an Küche
und Keller geſchädigt. Sagt ihm außerdem, daß wir unſere eigenen
Schreibverſtändigen haben ſo es uns zu Sinne kommt, Hofgüter am
Rhein zu verſchenken, und daß...


[215]

Es lagen ihr noch etliche bittere Worte auf der Zunge. Der
Subprior fiel beſchwichtigend ein und gedachte eine Reihe von Fällen
aufzuzählen, wo erleuchtete Herren und Fürſten deßgleichen gethan, —
wie die Könige in Francien drüben dem heiligen Martinus von Tours
reichlichſt den Schaden erſetzt, den er durch der Normänner Plünde-
rung erlitten, und wie erklecklich durch ſolche Schenkung dem Heil der
Seele Vorſchub geleiſtet ſei, denn wie das Feuer durch's Waſſer gelöſcht
werde, ſo die Sünde durch's Allmoſen ...


Die Herzogin wandte ihm den Rücken und ließ ihn ſammt ſeinen
unerzählten Beiſpielen im Saale ſtehen. Zu viel Eifer iſt vom Uebel!
murmelte der Mönch; langſam gefahren, ſicher gefahren! Da wandte
ſich Frau Hadwig noch einmal. Es war eine unbeſchreibliche Hand-
bewegung, mit der ſie ſprach: Wollet Ihr mich verlaſſen, ſo gehet
auch gleich und ganz!


Er trat ſeinen Rückzug an.


Den Abt zu ärgern, überſandte ſie noch deſſelben Tages dem
greiſen Simon Bardo für glückliche Lenkung der Schlacht eine gül-
dene Kette.


Ein Mann, mit deſſen Schickſal ſich die Herzogin gern beſchäftigte,
war der gefangene Hunne Cappan. Der hatte anfangs böſe Tage
durchlebt; es war ihm noch nicht klar, warum man ihn am Leben
gelaſſen, er lief ſcheu umher, wie Einer, der kein Recht auf ſich ſelber
mehr hat und wenn er auf ſeinem Strohlager ſchlummerte, kamen
ſchöne Träume über ihn: da ſah er weite blumige Gefilde, aus denen
wuchſen Galgen ohne Zahl wie Diſteln in die Höhe und an jedem
hing einer ſeiner Landsleute, und am höchſten hing er ſelber, und
fand's ganz in der Ordnung, daß er dran hing, denn das war das
Loos Kriegsgefangener in ſelben Tagen.197) Es ward aber keiner
für ihn errichtet. Noch etliche Zeit ſchaute er mißtrauiſch auf die
Linde im Burghof, die hatte einen ſtattlichen kahlen Aſt und es däuchte
ihm oftmals, als winke ihm der Aſt herauf und ſage: Hei! wie taug-
teſt du, mich zu ſchmücken!


Allmälig fand er jedoch, daß die Linde ein ſchöner ſchattiger Baum
ſei, und ward zutraulicher. Sein durchſtochener Fuß heilte, er trieb
ſich in Hof und Küche herum und ſchaute mit ſtumpfer Verwunderung
in das Getrieb deutſchen Hausweſens. Er vermeinte zwar auf hun-
[216] niſch, eines Mannes Heimath ſolle der Rücken des Roſſes ſein und
für Weib und Kind genüge ein fellumhangener Wagen, aber wenn's
regnete oder die Abendkühle kam, ſchien ihm das Heerdfeuer und die
vier Wände nicht zu verachten, ein Trunk Wein beſſer als Stuten-
milch und ein wollener Wamms weicher als ein Wolfspelz. So
ſchwand die Sehnſucht des Fliehens; vor Heimweh war er geſchützt,
weil ihm ein Vaterland fremd.


In Hof und Garten ſchaltete dazumal eine Maid, die hieß Fri-
derun und war hoch wie ein Gebäu von mehreren Stockwerken, drauf
ein ſpitzes Dach ſitzt, denn ihr Haupt hatte die Geſtalt einer Birne,
und glänzte nicht mehr im Schimmer erſter Jugend; wenn der breite
Mund ſich zu Wort oder Gelächter aufthat, ragte ein Stockzahn her-
für, als Markſtein geſetzten Alters. Die böſen Zungen raunten ſich
zu, ſie ſei einſt Herrn Spazzo's Freundin geweſen, aber das war
ſchon lange her; ſeit Jahren war ihre Huld einem Knecht zugewandt,
den hatten in den Reihen des Heerbannes die Hunnen erſchoſſen —
itzt ſtand ihr Herz verwaist.


Große Menſchen ſind gutmüthig und leiden nicht unter den Ver-
heerungen allzu ſcharfen Denkens. Da lenkte ſie ihre Augen auf
den Hunnen, der ſich einſam im Schloßhof umtrieb, und ihr Ge-
müth blieb mitleidig an ihm haften, wie der funkelnde Thautropfen
am Fliegenſchwamm. Sie ſuchte ihn heranzubilden zu den Künſten,
die ihr ſelber geläufig, und wenn ſie im Garten gejätet und gehackt,
geſchah es, daß ſie ihre Hacke dem Cappan übergab; der that, wie er's
von ſeiner Meiſterin geſehen. Auch im Abſchneiden von Bohnen und
Kräutern folgte er ihrem Beiſpiel, — und nach wenig Tagen, wenn
Waſſer vom Brunnen beigeſchafft werden ſollte, brauchte die ſchlanke
Friderun nur auf den hölzernen Kübel zu deuten, ſo hatte ihn
Cappan auf's Haupt gehoben und ſchritt damit zum plätſchernden
Brunnen im Hofe.


Nur in der Küche ward am gelehrigen Schüler keine Freude erlebt,
denn wie ihm einsmal ein Stück Wildpret zugewieſen war, daß er's
mit hölzernem Schlegel mürb ſchlage, kamen alte Erinnerungen über
ihn und er zehrte ein Stück davon roh auf, ſammt Zwiebeln und
Lauch, die zu des Bratens Würze bereit ſtanden.


[217]

Ich glaub' mein Gefangener gefällt dir, rief ihr Herr Spazzo
eines Morgens zu, als der Hunn' fleißig mit Holzſpalten beſchäftigt
war. Dunkelroth färbten ſich die Wangen der hohen Geſtalt. Sie
ſchlug die Augen nieder. — Wenn der Burſch deutſch reden könnt'
und kein verdammter Heidenmenſch wär' ... fuhr Herr Spazzo fort.


Die Schlanke ſchwieg verſchämt.


Ich weiß, daß du ein Glück verdienſt, Friderun ... ſprach Herr
Spazzo weiter. Da löste ſich Friderun's Zunge: Von wegen des
deutſch Redens .. ſagte ſie mit fortwährend geſenktem Blick, auf die
Sprache käm' mir's gar nicht an. Und wenn er ein Heide iſt, ſo
braucht er ja keiner zu bleiben. Aber ...


Was aber?


Er kann nicht ſitzen beim Eſſen wie ein vernünftiger Menſch.
Er liegt immer den langen Weg auf dem Boden, wenn's ihm
ſchmecken ſoll.


Das wird ihm ein Ehegeſpons wie du ſattſam austreiben. Habt
ihr euch ſchon verſtändigt?


Friderun ſchwieg abermals. Plötzlich lief ſie davon wie ein ge-
hetztes Wild, die Holzſchuhe klapperten auf dem Steinpflaſter des
Hofes. Da ging Herr Spazzo zum holzſpaltenden Cappan, ſchlug
ihm auf die Schulter, daß er aufſchaute, deutete mit gehobenem Zeige-
finger auf die Fliehende, nickte mit dem Haupt fragend und blickte
ihn ſcharf an. Der Hunn' aber fuhr mit dem rechten Arm auf die
Bruſt, neigte ſich, that dann einen mächtigen Satz in die Höhe, daß
er ſich um ſich ſelber herum drehte, wie der Erdball um ſeine Achſe,
und verzog ſeinen Mund zu fröhlichem Grinſen.


Da wußte Herr Spazzo, wie es mit Beider Gemüth beſchaffen
war.198) Friderun hatte des Hunnen Luftſprung nicht erſchaut.
Zweifel laſteten noch auf ihrer Seele, darum erging ſie ſich vor dem
Burgthor; ſie hatte eine Wieſenblume gepflückt und zupfte die weißen
Blumenblättlein, eines nach dem andern: er liebt mich, er liebt mich
nicht, er liebt mich. Wie ſie alle ein Spiel der Winde geworden
bis auf's Letzte, hörte ihr Gemurmel auf; ſie ſah den kahlen Blumen-
reſt mit dem einen kleinen weißen Blättlein verklärt an199) und nickte
wohlgefällig lächelnd darauf nieder. Spazzo der Kämmerer aber trug
die Sache ſeines Gefangenen der Herzogin vor. Geſchäftigen Geiſtes
[218] gedachte ſie ſogleich deſſen Schickſal zu geſtalten. Der Hunn' hatte im
Garten Proben einer löblichen Kunſt abgelegt; er wußte dem treulos
unterirdiſchen Wühlen der Maulwürfe Einhalt zu thun — mit einge-
bogenen Weidenruthen, dran er eine Schlinge feſtigte, hatte er manchem
der ſchwarzen Geſellen ein unerwünſcht Lebensend' bereitet, aufgeſchnellt
baumelten ſie im gleichen Augenblick zu Sonnenlicht, Galgen und
Tod empor. Auch flocht er aus Draht treffliche Fallen der Mäuſe
und zeigte ſich in Allem, was niedere und niederſte Jagd angeht,
wohlerfahren.


Wir weiſen ihm etliche Huben Landes drüben am Stofflerberge
zu, ſprach Frau Hadwig. Als Frohn- und Felddienſt ſoll er dafür
den Krieg gegen alles ſaatverderbende Gethier führen, ſoweit unſer
Twing und Bann reicht. Und wenn die lange Friderun Gefallen an
ihm hat, mag ſie ihn nehmen; es wird ſchwerlich ſchon eine andere
aus den Jungfrauen unſeres Landes ein Aug' auf ihn geworfen
haben.


Sie gab Ekkehard die Weiſung den Gefangenen vorzubereiten, daß
er ſeines Heidenthums ledig in die chriſtliche Gemeinſchaft aufge-
nommen werden möge. Der ſchüttelte zwar bedenklich das Haupt,
aber Frau Hadwig ſprach: Der Wille muß für das gut ſein, was
an der Einſicht abgeht; den Unterricht möget ihr kurz halten, ſo viel
als den Sachſen, die der große Karl in die Weſer treiben ließ,
wird ihm auch deutlich werden.


Ekkehard that wie ihm geheißen und ſeine Lehre fiel auf gutes
Erdreich. Cappan hatte auf ſeinen Heerzügen manch ein deutſches
Wort aufgeleſen, und hatte wie all ſeine Landsleute einen eigenen Sinn
zu errathen, was Anderer Abſicht, auch wenn die Sprache nicht ganz
verſtanden ward. Zeichen und Bild ergänzte Vieles; wenn Ekkehard
vor ihm ſaß, das metallbeſchlagene Evangelienbuch mit den goldge-
malten Buchſtaben aufgeſchlagen, und gen Himmel deutete, ſo wußte
der Hunn', wovon die Rede, das Abbild des Teufels verſtand er und
gab in Geberden kund, daß der zu verabſcheuen ſei, vor dem Zeichen
des Kreuzes warf er ſich, wie er von Andern geſehen, in die Kniee.
So gedieh der Unterricht.


Wie Cappan ſeinerſeits ſich auszudrücken vermochte, ſtellte ſich
freilich heraus, daß ſeine Vergangenheit eine ſehr ſchlimme. Er nickte
[219] bejahend auf die Frage, ob er Wohlgefallen an der Zerſtörung von
Kirchen und Klöſtern gehabt, und an den ausgereckten Fingern war
abzuzählen, daß er mehr denn einmal bei ſolchem Frevel mitgewirkt.


Unter Zeichen aufrichtiger Reue aber that er zu wiſſen, daß er in
jüngern Tagen zu Heilung von ſchlimmem Wundfieber ein Stück vom
Herzen eines erſchlagenen Clerikers aufgezehrt;200) zur Sühne lernte
er jetzt deſto emſiger die offene Schuld ausſprechen, wenn ein Wort
fehlte, half ihm Friderun, und bald konnte Ekkehard erklären, daß er
mit ihm zufrieden, wenn auch nicht Alles in ſeinem Gemüth Eingang
gefunden, was der Kirchenvater Auguſtinus in ſeinem Buch von
Unterweiſung der im Glauben Rohen verlangt.


Da ordneten ſie einen Tag zu gleichzeitigem Vollzug von Taufe
und Hochzeit. Nach der Herzogin Geheiß ſollten ihm drei Taufpathen
gegeben ſein, einer vom Kloſter Reichenau, einer von Sanct Gallen
und einer vom Heerbann, zum Gedächtniß an die Schlacht drin ſie
ihn gefangen. Die Reichenauer ſandten Rudimann den Kellermeiſter;
für den Heerbann trat Herr Spazzo ein. Und weil die Pathen ſich
nicht einigen konnten, welch einen neuen Namen der Täufling führen
ſollte, ob Pirmin zu Ehren der Reichenau, oder Gallus, brachten ſie
es vor die Herzogin zum Austrag, die ſprach: heißet ihn Paulus,
denn auch er iſt ſchnaubend von Wuth und Mord gegen die Jünger
des Herrn in's Land gezogen, bis daß ihm die Schuppen von den
Augen fielen.


Es war ein Sonnabend, da führten ſie den Cappan, der während
des ganzen Tages gefaſtet, zur Capelle der Burg und verbrachten ab-
wechſelnd die Nacht mit ihm im Gebete. Der Hunn' war ergeben und
fromm, und trug ſich mit ernſten Gedanken, und vermeinte der Geiſt
ſeiner Mutter ſei ihm erſchienen, in Lämmerfelle gehüllt, und hab'
ihm zugerufen: Dein Bogen iſt zerbrochen, duck dich, arm Reiterlein:
Die dich vom Roß geſtochen, ſoll'n deine Herren ſein!


In ſtiller Sonntagsfrühe aber, als noch perlender Thau die Halme
netzte, und kaum ein erſtes Lerchlein ſich zum reinen Morgenhimmel
aufſchwang, wallte eine kleine Schaar mit Kreuz und Fahne den Burg-
weg hinab — diesmal kein Trauerzug.


Ekkehard voraus im violetten Prieſtergewand, inmitten ſeiner Pa-
then der Hunne, ſo ſchritten ſie durch den üppigen Wieswuchs an's
[220] Ufer des Flüßleins Aach. Dort pflanzten ſie das Kreuz in weißen
Sandboden und traten im Halbkreis um den, der heute zum letzten-
mal Cappan heißen ſollte; hell klang ihre Litanei durch die Morgen-
ſtille zu Gott auf, daß er gnädig herabſchaue zu dem, der jetzt ſeinen
Nacken vor ihm beuge und ſich nach Befreiung ſehne vom Joch des
Heidenthums und der Sünde.


Dann hießen ſie den Täufling ſich entkleiden bis auf die Umgür-
tung der Lenden. Er kniete im Uferſand, Ekkehard ſprach die Be-
ſchwörung im Namen deſſen, den Engel und Erzengel fürchten, vor
dem Himmel und Erde erzittern, und die Abgründe ſich aufthun, auf
daß der böſe Geiſt die letzte Gewalt über ihn verliere, dann hauchte
er ihn dreimal an, reichte geweihtes Salz ſeinem Munde, als Sinn-
bild neuer Weisheit und neuen Denkens, und ſalbte ihm Stirn und
Bruſt mit heiligem Oele. Der Täufling war wie erſchüttert und
wagte kaum zu athmen, ſo ſchlug ihm die Wucht der Feier in's Ge-
müth. Wie ihm drauf Ekkehard die Formel der Abſchwörung vor-
ſprach: Verſagſt du dem Teufel und allen ſeinen Werken und allen
ſeinen Gezierden? antwortete er mit heller Stimme: Ich verſag' ihm!
und ſprach, ſo gut er's vermochte, die Worte des Bekenntniſſes nach,
drauf tauchte ihn Ekkehard in die kühle Fluth des Flüßleins, die
Taufe war ausgeſprochen, der neue Paulus ſtieg aus dem Gewäſſer ...
einen wehmüthigen Blick warf er nach dem friſchen Grabhügel der ſich
drüben am Waldesſaum thürmte, dann zogen ihn die Taufpathen herauf
und hüllten den Zitternden in ein blendend linnen Gewand. Vergnüg-
lich ſtand er unter ſeinen neuen Brüdern. Ekkehard hielt eine An-
ſprache nach den Worten der Schrift: Der iſt ſelig, welcher ſein Ge-
wand treu behütet, damit er nicht nackend gehe,201) und mahnte ihn,
daß er von nun an das makelloſe Linnen trage als Gewand der Wie-
dergeburt in Rechtſchaffenheit und Güte, wie es die Taufe ihm ver-
liehen, — und legte ihm die Hände auf. Mit ſchallendem Lobſang
führten ſie den Neubekehrten zur Burg zurück.


In der gewölbten Fenſterniſche eines Gemachs im Erdgeſchoß ſaß
indeſſen Friderun die Lange. Praxedis huſchte auf und ab, wie ein
unſtetes Irrlicht; ſie hatte ſich's von der Herzogin erbeten, die unge-
ſchlachte Braut zu ihrem Ehrentag zu ſchmücken. Schon waren die
Haare eingeflochten in rothe Stränge von Garn, der unendlich falten-
[221] reiche Schurz wallte bis zu den hochabſätzigen Schuhen, drüber prangte
der dunkle Schappelgürtel mit feiner güldfadenen Einfaſſung — nur
wer die Braut erſtreitet, darf ihn löſen — jetzt griff Praxedis die
glitzernde glasperlenbehängte Krone voll farbiger Steine und Flittergold:
Heilige Mutter Gottes von Byzanzium! rief ſie, muß das auch noch
aufgeſteckt werden? Wenn du mit dem Kopfſchmuck einherſchreiteſt,
Friderun, werden ſie in der Ferne glauben, es ſei ein Feſtungsthurm
lebendig worden und wandle zur Trauung.


Es muß ſein! ſprach Friderun.


Warum muß es ſein? fragte die Griechin. Ich hab' daheim manch
ſchmucke Braut geſehen, die trug den Myrthenkranz oder den ſilber-
grünen Olivenzweig in den Locken, und es war gut ſo. Freilich in
euren harzigen, rußigen, ſchwärzlichen Tannenwäldern wächst nicht
Myrthe und nicht Olive, aber Epheu wär' auch ſchön, Friderun?


Die drehte ſich zürnend im Stuhl. Lieber ledig bleiben, ſprach
ſie, als mit Blatt und Gras im Haar zur Kirche gehn. Das mögt
Ihr hergelaufenem Volk rathen, aber wenn ein Hegauer Kind Hochzeit
macht, muß die Schappelkrone ſein Haupt ſchmücken, das gilt von je her,
ſeit der Rhein durch den Bodenſee rinnt und die Berge ſtehen. Wir
Schwaben ſind all' ein königlich Geſchlecht, hat mein Vater immer geſagt.


Euer Wille geſchehe, ſprach Praxedis, und heftete ihr die Flitter-
krone auf.


Die große Braut erhob ſich, aber Falten lagerten über ihrer Stirn
wie ein Schatten eilenden Gewölks, der ſein vorübergehend Dunkel
auf die ſonnbeglänzte Ebene wirft.


Willſt du jetzt ſchon weinen, fragte die Griechin, auf daß dir in
der Ehe die Thränen geſpart werden?


Friderun machte ein ernſt Geſicht und der unholde Mund zog ſich
betrübt in die Länge, daß Praxedis Müh' hatte, nicht zu lachen.


Mir iſt ſo bang, ſprach die Braut des Hunnen.


Was ſoll dir bang machen, zukünftige Nebenbuhlerin der Tannen
am Stofflerberg?


Ich fürcht', die Burſchen des Gau's thun mir einen Spuck an,
daß ich den Fremden heirathe. Wie der Kloſtermaier vom Schlangen-
hof die alte Wittfrau vom bregenzer Wald heimgeführt hat, ſind ſie
ihm in der Hochzeitnacht vor's Haus gezogen und haben mit Stier-
[222] hörnern und Kupferkeſſeln und großen Meermuſcheln eine Höllen-
muſik gemacht, wie wenn ein Hagelwetter weg zu drommeten wär';
und wie der Rielaſinger Müller am erſten Tag ſeines Eheſtands
vor's Haus trat, ſtand ein Maienbaum gepflanzt, der war kahl und
dürr, und ſtatt Blumen hing ein Strohwiſch dran und ein zerlumpt
grüngelb Schürzlein.


Sei geſcheidt! tröſtete Praxedis.


Aber Friderun jammerte weiter: Und wenn ſie mir's machen, wie
des Bannförſters Wittib, da ſie den Jägersknaben nahm? Der haben
ſie Nachts das Strohdach entzwei geſchnitten oben auf dem Hausfirſt,
halb zur Rechten, halb zur Linken iſt's heruntergerollt, der blaue Himmel
hat in ihr Hochzeitbett geleuchtet ohne daß ſie wußten warum, und
die Krähen ſind ihnen zu Häupten geflogen.202)


Praxedis lachte. Du wirſt doch ein gut Gewiſſen haben, Fride-
run? ſprach ſie bedeutſam.


Aber der ſtand das Weinen näher.


Und wer weiß, ſprach ſie ausweichend, was mein Cappan ...


Paulus, verbeſſerte Praxedis.


... in jungen Tagen für Streiche gemacht. Geſtern Nacht hat mir
geträumt, er habe mich feſt in ſeinen Armen gehalten, da ſei ein
hunniſch Weib gekommen, gelb von Geſicht und ſchwarz von Haar,
und hab' ihn weggeriſſen. Mein gehört er! drohte ſie, und wie ich
ihn nicht laſſen wollte, ward ſie zur Schlange und ringelte ſich feſt
an ihm auf ...


Laß die Schlangen und Hunnenweiber, unterbrach ſie Praxedis;
und mach' dich fertig, ſie kommen ſchon den Berg herauf ... Vergiß
den Rosmarinzweig nicht und das weiße Tuch!


Hell glänzte draußen im Burghof des Cappan weißes Feſtgewand.
Da gab Friderun den trüben Gedanken Valet und ſchritt hinaus; die
Ehrenmägde empfingen ſie im Hof, der Neugetaufte lachte ihr fröh-
lich entgegen, das Glöcklein der Burgcapelle läutete, es ging zur
Hochzeit.203)


Die Trauung war beendet, mit ſtrahlendem Antlitz verließ das
neue Ehepaar die Burg. Friderun's ganze Sippſchaft war er-
ſchienen, ſtämmige Leute, die an Höhe des Wuchſes der Braut nicht
nachſtanden; ſie ſaßen als Maier und Bauern auf den nachbarlichen
[223] Höfen; itzt zogen ſie nach dem Gütlein am Fuß des hohen Stoffeln,
das erſte Feuer zur Einweihung des neuen Heerdes anzuzünden und
das Hochzeitfeſt zu feiern. Voraus im Zug wurde auf bekränztem
Wagen der Brautſchatz geführt; da fehlte die große Bettſtatt von Tan-
nenbrettern nicht, Roſen und Trudenfüße als Abwehr von Alp und
Wichtelmännern und andern nächtlichen Unholden waren drauf gemalt;
— an Kiſten und Kaſten folgte ein mannigfacher Hausrath.


Die Ehrenmägde trugen die Kunkel mit angelegtem Flachs und
den ſchön gezierten Brautbeſen von weißen Reiſern, einfache Sinn-
bilder von Fleiß und Ordnung für's künftige Hausweſen.


An Jauchzen und Jubelruf ließen es die Geleitsmänner nicht fehlen;
dem Cappan aber war's zu Sinn, als hätten die Fluthen der Taufe
in früher Morgenſtund alle Erinnerung weggeſpült, daß er je ſtreifend
und ſchweifend ein Roß getummelt, er ſchritt ehrſam und bürgerlich
mit Schwägern und Schwiegern, als wär' er von Jugend ein Frohn-
vogt oder Schultheiß im Hegau geweſen.


Noch war der Lärm der bergab Ziehenden nicht verklungen, da traten
zwei ſchmucke Burſche vor die Herzogin und ihre klöſterlichen Gäſte, des
Schaffners auf der kaiſerlichen Burg Bodmann Söhne und Friderun's Ge-
vattern. Sie kamen als Hochzeitbitter, jeder eine gelbe Schlüſſelblume
hinter's Ohr geſteckt und einen Strauß am zwilchenen Gewand.


Verlegen blieben ſie unter des Saales Eingang ſtehen, die Her-
zogin winkte, da traten ſie etliche Schritte vor, dann noch etliche, und
ſcharrten eine Verbeugung und ſprachen den altherkömmlichen Ladſpruch
zum Ehrentag ihrer Baſe, und baten ihnen hinüberzufolgen über Weg
und Steg, über Gaſſen und Straßen, Brück und Waſſer zum Hoch-
zeithaus; dort werd' man auftragen ein Kraut und Brod, wie ſelbes
geſchaffen der allmächtige Gott, ein Faß werd' rinnen und Geigen
drein klingen, ein Tanzen und Springen, Jubiliren und Singen.
Wir bitten Euch, laßt zwei ſchlechte Boten ſein für einen guten, ge-
lobt ſei Jeſus Chriſt! ſo ſchloß ihr Spruch, und ohne den Beſcheid zu
erwarten, ſcharrten ſie die zweite Verbeugung und enteilten.


Erweiſen wir unſerm jüngſten chriſtlichen Unterthan die Ehre des
Beſuchs? fragte Frau Hadwig heiter. Die Gäſte wußten, daß auf
Fragen, die ſie ſo freundlich ſtellte, keine Verneinung zieme. Da
ritten ſie des Nachmittags hinüber. Auch Rudimann der Abgeſandte
[224] von Pirminius Kloſter ritt mit, er hielt ſich ſchweigſam und lauernd,
ſeine Rechnung mit Ekkehard war noch nicht abgemacht.


Der ſtoffler Berg ragt ſtolz und luſtig mit ſeinen drei Baſalt-
kuppen, von dunkelm Tannwald umſäumt, in's Land hinaus. Die
Burgen, deren Trümmer itzt ſein Rücken trägt, waren noch nicht ge-
baut, nur auf dem höchſten ſtand ein verlaſſener Thurm. Auf dem
zweiten Bergvorſprung aber war ein beſcheiden Häuslein im Wald-
verſteck — des neuen Ehpaars Sitz. Als Zins und Zeichen, daß
der Einziehende der Herzogin Mann, war ihm geſetzt, alljährlich fünf-
zig Maulwurfsfelle einzuliefern und auf Sanct Gallus Feſttag einen
lebenden Zaunkönig.


Auf grüner Waldwieſe hatte die Hochzeitſippe ihr Lager aufge-
ſchlagen; in großen Keſſeln ward geſotten und gebraten, wem keine
Platte oder Teller zu Theil ward, der ſchmauste von tannenem Brett,
wo die Gabel fehlte, ward zweizinkige Haſelſtaude zu deren Rang erhoben.


Cappan war mühſam zu Tiſch geſeſſen und hielt ſich aufrecht an
ſeiner Ehfrau Seite; aber in des Gemüthes Tiefe bewegte er den
Gedanken, ob er nicht nach etlichen Tagen die Gewohnheit des Liegens
zur Mahlzeit wieder zum alten Recht erheben wolle.


In den langen Zwiſchenräumen von einem Gericht zum andern —
der Schmaus begann mit der Mittagſtunde und ſollte zum Sonnen-
untergang noch nicht beendet ſein — ſchuf der Hunne ſeinen vom
Sitzen gequälten Gliedmaßen durch Tanzen Luft.


Von bäuerlicher Muſica empfangen kam die Herzogin angeritten.
Sie ſchaute vom Roß herab auf die Fröhlichen, da zeigte ihr der
neue Paulus ſeine wilde Kunſt. Die Muſica genügte ihm nicht, er
pfiff und jauchzte ſich ſelber den Tact; ſein langes Ehgemahl drehte
er in labyrinthiſcher Verſchlingung, ein wandelnder Thurm und eine
Katze des Waldes, ſo tanzte die Langſame mit dem Behenden, bald
beiſammen, bald fliehend, bald Bruſt gegen Bruſt, bald Rücken gegen
Rücken — dann ſtieß er ſeine Tänzerin von ſich, die Holzſchuhe im
Schweben zuſammenklirrend, that er ſieben wirbelnde Luftſprünge,
einen höher als den andern, zum Beſchluß ließ er ſich vor Frau
Hadwig in's Knie fallen und beugte ſein Haupt zur Erde als wollt'
er den Staub küſſen, den ihres Roſſes Huf berührt. Es ſollte ſein
Dank ſein.


[225]

Die Hegauer Vettern aber ſchöpften ein Beiſpiel löblicher Anre-
gung aus dem ungewohnten Tanz. Es mag ſein, daß Mancher ſpäter
ſich nähere Unterweiſung drin erbat, denn aus fernem Mittelalter
klingt noch die Sage herüber von den „ſieben Sprüng“ oder dem „hun-
niſchen Hupfauf“, der als Abwechslung vom einförmigen Drehen des
Schwäbiſchen und als Krone der Feſte ſeit jenen Tagen dort land-
üblich ward.


Wo iſt Ekkehard? fragte die Herzogin, nachdem ſie, vom Zelter
geſtiegen, die Reihen ihrer Leute durchwandelt hatte. Praxedis deu-
tete hinüber nach einem ſchattigen Rain. Eine rieſige Tanne wiegte
ihre ſchwarzgrünen Wipfel, ihr zu Füßen im verſchlungenen Wurzel-
werk ſaß der Mönch. Lauter Jubel und Menſchengewühl preßte ihm
beklemmend die Bruſt, er wußte nicht weßhalb — er hatte ſich ſeitab
gewandt und ſchaute hinaus über die waldigen Rücken in die Alpenferne.


Es war einer jener duftigen Abende, wie ſie hernachmals Herr
Burkart von Hohenvels auf ſeinem rieſigen Thurm über'm See be-
lauſcht hat, „da die Luft mit Sonnenfeuer getempert und gemiſchet.“ 204)
Die Ferne ſchwamm in leiſem Glanz. Wer einmal hinausgeſchaut
von jenen ſtillen Berggipfeln, wenn bei blauem Himmel die Sonne
glutſtrahlend zur Rüſte geht, purpurne Schatten die Tiefen der Thäler
füllen und flüſſiges Gold den Schnee der Alpen umſäumt, dem muß
noch ſpät im Nebeldunſt ſeiner vier Wände die Erinnerung tönen und
klingen, lieblich wie ein Sang in den ſchmelzenden Lauten des Südens.


Ekkehard aber ſaß ernſt, das Haupt geſtützt in der Rechten.


Er iſt nicht mehr wie früher, ſagte Frau Hadwig zur Griechin.


Er iſt nicht mehr wie früher! ſprach Praxedis gedankenlos ihr
nach. Sie hatte auf die hegauiſchen Weiber zu ſchauen und ihren
Feſtſchmuck, und überlegte an dieſen hohen Miedern und faßartig ge-
ſteiften Röcken und der unnennbaren Haltung beim Tanz, ob der
Genius guten Geſchmackes händeringend für immer dies Land ver-
laſſen oder ob ſein Fuß es noch gar nie betreten habe.


Frau Hadwig trat vor Ekkehard. Er fuhr auf ſeinem Moosſitz
empor, als wär' ihm ein Geiſt erſchienen.


Einſam und fern von den Fröhlichen? frug ſie. Was treibet
Ihr?


Ich denke drüber nach, wo das Glück ſei, ſprach Ekkehard.


D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 15
[226]

Das Glück? ſprach Frau Hadwig, das Glück kommt von ohnge-
fähr wohl über neunzig Stunden her, heißt's im Sprichwort. Fehlt's Euch?


Es wäre möglich, ſprach der Mönch und ſchaute in's Moos hin-
ab. Erneute Muſik und Jauchzen der Tanzenden tönte herüber.


Die dort das Erdreich ſtampfen, fuhr er fort, und mit den Füßen
auszuſprechen wiſſen was ihnen das Herz bewegt, ſind glücklich; es
gehört wohl wenig dazu, um's zu ſein, vor Allem — er deutete nach
den ſchimmernden Häuptern der Alpen — keine Fernſicht auf Höhen,
die unſer Fuß niemals erreichen darf.


Ich verſteh' Euch nicht, ſagte die Herzogin trocken. Ihr Herz
dachte anders als ihre Zunge. Wie geht es Eurem Virgilius, ſprach
ſie, die Rede ablenkend; es hat ſich wohl Staub und Spinnweb über
ihn geſetzt in der Noth der vergangenen Tage?


In meinem Herzen iſt er wohl geborgen, ſprach Ekkehard; wenn
das Pergament auch modert. Erſt vorhin ſind mir ſeine Verſe zum
Lob des Landbau's durch die Gedanken gezogen: dort das waldum-
ſchattete Häuslein, am Bergeshang der Felder ſchwarzfettes Erdreich,
ein neu vermählt Paar mit Hacke und Pflug, der Mutter Erde den
Unterhalt abzwingend — neidig mußt ich des Virgilius Bild vor
mir ſehen


„— ein truglos gleitendes Leben,

Reich an mancherlei Gut. Und Muße bei räumigen Feldern,

Grotten und lebende Teich', ein Kühlung athmendes Tempe,

Rindergebrüll und unter dem Baum ſanft winkender Schlummer.“

Ihr wißt ſinnig zu erklären, ſprach Frau Hadwig. Des Cappan
Lehenspflicht, ringsum den Maulwurf zu fahen und die nagende
Feldmaus, hat Euer Neid wohl überſehen. Und die Winterfreuden!
wenn der Schnee mauergleich bis an das Strohdach ſich thürmt, daß
der helle Tag ſich verlegen umſchaut, durch welchen Spalt er ins
Haus ſchlüpfen ſoll ..


Auch in ſolche Noth wüßte ich mich zu finden, ſprach Ekkehard.
Virgilius weiß es auch:


„Mancher verbleibet dann lang beim ſpäten Geflimmer des Feuers

Wach im Winter und ſchnitzt ſich Fackeln mit ſchneidendem Eiſen

Während ſein Weib mit Geſang ſich der Arbeit Weile verkürzend

Raſch des Geweb's Aufzug durchſchießt mit ſauſendem Kamme.“

[227]

Sein Weib? ſprach die Herzogin boshaft. Wenn er aber kein
Weib hat? —


Drüben erſcholl ein brauſend Jubelgelächter. Sie hatten den
hunniſchen Vetter auf ein Brett geſetzt und trugen ihn erhoben, wie
einſt den Heerführer auf dem Schild bei der Königswahl, über die
Wieſe. Er that etliche Freudenſprünge über ihren Häuptern.


— und kein Weib haben darf? ſprach Ekkehard zerſtreut. Seine
Stirn glühte. Er deckte ſie mit der Rechten. Wohin er ſchaute
ſchmerzte ihn das Aug. Dort das Gewirre des Hochzeitjubels —
hier die Herzogin, fern die leuchtenden Gebirge: es war ihm unendlich
weh, aber ſeine Lippen blieben geſchloſſen. Sei ſtark und ſtill! ſprach
er zu ſich ſelber.


Er war in Wahrheit nicht mehr wie früher. Der ſtille Bücher-
friede der Mönchsklauſe war von ihm gewichen, Kampf und Hun-
nennoth hatten ſein Denken geweitet, der Herzogin Zeichen von Huld
ſein Herz entzweit. Im Gang des Tages, im Traum der Nacht ver-
folgte ihn das Bild, wie ſie ihm Reliquie und Schwert des Gatten
umgehangen, und in böſen Stunden zogen Vorwürfe nebelgleich durch
ſeine Seele, daß er's ſo ſchweigend hingenommen. Frau Hadwig ahnte
nicht, was in ihm kochte; ſie dachte gleichgiltiger von ihm, ſeit ver-
meintlich Nichtverſtehen ihres Zuvorkommens ſie gedemüthigt; aber
wenn ſie ihn wieder ſah, Kummer auf der hohen Stirn und fragende
Schwermuth im Aug', ſo erneute ſich das alte Spiel.


Wenn Ihr ſolche Freude am Landbau habt, ſprach ſie leicht, ich
wüßt Euch Rath. Der Abt von Reichenau hat mich geärgert. Die
Perle meiner Hofgüter mir abſchwatzen wollen, als wär's eine
Brodkrumme, die man vom Tiſch ſchüttelt ohne umzuſchauen!


— Es rauſchte im Gebüſch, ſie nahmen es nicht wahr. Ein
dunkler Schimmer zog ſich durch die Blätter — war's ein Fuchs,
oder eines Mönchs Gewand?


Ich will Euch als Verwalter drauf ſetzen, fuhr Frau Hadwig fort,
da habt Ihr all' die Herrlichkeit vollauf, deren Anblick Euch heute
ſchwermüthig macht, und noch mehr. Mein Saspach liegt fröhlich
am Rhein, der alte Kaiſerſtuhl rühmt ſich der Ehre, daß er zuerſt in
all unſern Landen die Weinrebe trug, — und ſind ehrliche Leute dort,
wenn ſie auch eine unfeine Sprache ſprechen.


15*
[228]

Ekkehard ſah vor ſich nieder.


Ich kann's Euch auch ausmalen, ohne daß ich zu ſchildern weiß,
wie Virgilius. Denkt Euch, es iſt Herbſt — Ihr habt ein geſund
Leben geführt, mit der Sonne heraus, mit den Hühnern zu Bett —
jetzt kommt die Weinleſe, von allen Bergrücken ſteigen Knechte und
Mägde zu Euch hernieder, den Hängkorb gefüllt mit Trauben, Ihr
ſteht am Thor . .


Es rauſchte wieder im Gebüſch.


.. und denket darüber nach wie der Wein wird und beſinnt Euch
auf weſſen Wohl Ihr ihn trinken wollt, der Vogeſenwald ſchaut ſo
licht und blau zu Euch herüber wie hier die Hörner der Alpen, da
kommt's mit Roß und Wagen vom alten Breiſach her, die Heerſtraße
ſtäubt, Ihr hebet das Haupt, nun, Meiſter Ekkehard, wer wird ange-
zogen kommen?


Der Gefragte war kaum der Schilderung gefolgt. Wer? ſagte
er ſcheu.


Wer anders als Eure Gebieterin, die ſich ihr herzoglich Recht
nicht vergeben wird zu prüfen, wie ihre Diener ſchalten.


Und dann? fragte er weiter.


Dann? dann werd' ich Erkundigungen einziehen, wie Meiſter Ekkehard
ſeiner Pflicht oblag, und ſie werden Alle ſagen: er iſt brav und
ernſt und wenn er nicht ſo viel denken und ſinnen und in ſeinen Per-
gamenten leſen wollte, wär' er uns noch lieber ...


Und dann? fragte er noch einmal. Sein Ton war ſeltſam.


Dann werd' ich ſprechen mit den Worten der Schrift: Wohl
du guter und getreuer Knecht! du warſt treu über Weniges,
ich will dich über Vieles ſetzen. Zeuch ein zum Freudenmahl deines
Herrn.


Ekkehard ſtand gleich einem Betäubten. Er hob ſeinen Arm, er
ließ ihn wieder ſinken, eine Thräne zitterte in ſeinem Aug'. Er war
ſehr unglücklich.


.. Zu ſelber Zeit ſchritt ein Mann vorſichtig aus dem Gebüſch
heraus. Wie er wieder Wieſengrund unter den Füßen fühlte, ließ er
die gehobene Kutte nieder fallen. Er ſchaute bedeutſam auf die Beiden
zurück und nickte mit dem Haupte, wie Einer der eine Entdeckung
gemacht. Er war auch nicht hingegangen um Veilchen zu pflücken.


[229]

Das Hochzeitfeſt war in ſtufenweiſer Entwicklung bis dahin ge-
diehen, wo Chaos einzubrechen droht. Der Meth wirkte in den Ge-
müthern. Einer hing ſein Obergewand an einen Baumaſt und fühlte
unwiderſtehliche Neigung, Alles zu zertrümmern, ein Anderer hingegen
ſtrebte Alles zu umarmen, ein Dritter, der vor zehn Jahren manchen
Kuß von Friderun's Wangen gepflückt zu haben ſich erinnerte, ſaß
trübſinnig am Tiſch und hatte Viel getrunken und ſah den Ameiſen
zu, die ihm zu Füßen wimmelten und ſprach: Kling, klang gloria!
Keine iſt was nutz ... Die jungen Leute, die in der Frühe ſo verſchämt
als Hochzeitbitter bei der Herzogin waren, führten mit ihrem hunniſchen
Anverwandten ein germaniſches Schalksſpiel aus: ſie hatten ein großes
linnenes Laken aus einer der Hochzeittruhen geriſſen, den Cappan drauf,
an den vier Ecken hielten ſie's ſtarr und ſchleuderten den Unſeligen
von der prallen Decke empor, daß er in die blauen Lüfte hinauf-
wirbelte wie eine Lerche.205) Er hielt's für den landesüblichen Aus-
druck verwandtſchaftlicher Hochachtung und ſchwang ſich gewandt auf
und nieder.


Da plötzlich that die lange Friderun einen lauten Schrei. Alle
Köpfe wandten ſich, ſchier ließen die Vettern den Aufgeſchnellten hinab
in's kühle Erdreich ſauſen, ein Freudenjubel brach aus, ungeheuer und
dröhnend, daß es ſchien, als wollten ſelber die verwitterten Baſalt-
felſen im Tannenwald verwundert umſchauen, und die hatten in
Sturm und Wetter ſchon manch tüchtigen Lärm gehört. Audifax und
Hadumoth kamen auf ihrer Flucht aus hunniſcher Hand des Wegs
gezogen. Audifax führte den Gaul mit der Schatztruhe am Zügel,
glückſelig gingen die Kinder neben einand, ſie hatten heut zum erſten-
mal den Gipfel des hohen Twiel wieder erſchaut und mit frohem
Aufjauchzen begrüßt. Erzähl' ihnen nicht Alles! flüſterte Audifax
ſeiner Gefährtin zu und flocht dichtes Weidengezweig um die Körbe.
Schon war die lange Friderun herbeigeſprungen und trug die Hadu-
moth halb auf den Armen weg: „Grüß Gott, verloren Söhnlein!
Trink Sackpfeifer, trink Sturmläufer!“ rief's aus Aller Mund dem
Audifax zu — ſie wußten von des Jungen Gefangenſchaft und
reichten ihm die großen Steinkrüge zum Willkomm.


Die Kinder hatten unterwegs beredet, wie ſie der Herzogin zu
Haus entgegen treten wollten. Wir müſſen ihr ſchön danken, hatte
[230] die Hirtin geſagt, und ich muß ihr den Goldthaler zurückgeben ich
hab' den Audifax umſonſt bekommen, werd' ich ihr ſagen.


Nein, hatte Audifax erwiedert, wir legen vom Hunnengold noch
die zwei größten Münzen darauf und bringen ihr die dar: ſie möcht'
uns gnädig bleiben wie bisher, das ſei unſer Dank und die Buße in
Herzogsſchatz, daß ich die Waldfrau erſchlagen.


Sie hatten das Gold ſchon gerüſtet.


Jetzt ſahen ſie die Herzogin bei Ekkehard unter der Tanne ſtehen.
Der tobende Lärm der Mannen unterbrach das landwirthſchaftliche
Geſpräch der Beiden. Praxedis kam geſprungen und kündete die
wunderbare Mähr. Jetzt kamen die jungen Flüchtlinge ſelber, ſie
führten ſich. Vor Frau Hadwig knieten ſie nieder. Hadumoth hielt
ihren Thaler empor, Audifax zwei große güldene Schaumünzen; er
wollte ſprechen, die Worte blieben aus ... Da wandte ſich Frau
Hadwig mit ſtolzer Anmuth zu den Umſtehenden:


Die Narrethei meiner zwei jungen Unterthanen ſchafft mir Ge-
legenheit, ihnen meine Gnade zu beweiſen. Seid deſſen Zeugen!


Sie brach einen Haſelzweig vom Strauch, that einen Schritt vor,
ſchüttelte dem Hirtenknaben und ſeiner Gefährtin die Münzen aus
der Hand, daß ſie weit hinüberflogen ins Gras, und berührte beider
Scheitel mit dem Zweig: Stehet auf, ſprach ſie, keine Scheere ſoll
von heut an euer Haupthaar mehr kürzen, als der Burg Hohentwiel
eigene Leute ſeid ihr geknieet, als freigeſprochene und freie erhebt
euch und behaltet einand ſo lieb in der Freiheit wie ehbevor!


Es waren die Formen der Freilaſſung nach ſaliſchem Recht.206)
Schon der Kaiſer Lotharius hatte ſeiner alten Magd Doda den gül-
denen Denar aus der Hand und damit das Joch der Sclaverei vom
Nacken geſchüttelt. Audifax aber war fränkiſcher Abſtammung, darum
hatte ſich Frau Hadwig nicht nach ihrem alemanniſchen Landrecht gerichtet.


Die Beiden ſtanden auf. Sie begriffen, was vorgegangen. Dem
Hirtenknaben wollte es ſchwarz vor den Augen werden, der Traum
ſeiner Jugend, Freiheit, Goldſchatz ... Alles Wahrheit geworden,
dauernde Wahrheit für jetzt und immerwährendes Immer! ... Er ſah
Ekkehard's ernſtes Antlitz und warf ſich mit Hadumoth vor ihm nieder:
Vater Ekkehard, rief er, wir danken auch Euch, daß Ihr's wohl mit
uns gemeint!


[231]

Wie Schade, daß es ſchon zu ſpät worden, rief Praxedis herüber,
Ihr könntet gleich noch ein Paar mit dem Band der Ehe zuſammen
ſchmieden oder wenigſtens feierlich verloben, die taugen ſo gut zu
einand, wie die Zwei da drüben.


Ekkehard ließ ſein blaues Aug' lange auf den Beiden ruhen. Er
legte ihnen die Hand auf und machte das Zeichen des Kreuzes über
ſie. Wo iſt das Glück? ſprach er leiſe vor ſich hin. — —


In ſpäter Nacht ritt Rudimann der Kellermeiſter in ſein Kloſter
zurück. Die Furth war trocken, er konnte zu Roß hinüber. Von
des Abts Zelle glänzte noch ein Lichtſchimmer in See nieder. Er
klopfte bei ihm an, öffnete die Thür' halb und ſprach: Meine Ohren
haben heute mehr hören müſſen, als ihnen lieb war. Mit dem Hofgut
zu Saspach am Rheine wird's nichts! Sie ſetzt das Milchgeſicht von
Sanct Gallen drauf ...


Varium et mutabile semper femina! Wankelmüthig und ver-
änderlich ſtets iſt das Weib!207) murmelte der Abt, ohne ſich umzu-
ſchauen. Gute Nacht!



Siebzehntes Kapitel.
Gunzo wider Ekkehard.



In den Zeiten, da all das ſeither Erzählte an den Ufern des
Bodenſee's ſich zugetragen, ſaß fern in belgiſchen Landen im Kloſter
des heiligen Amandus sur l'Elnon ein Mönch in ſeiner Zelle:
Tagaus, tagein, wenn die Pflicht der Kloſterregel ihn freiließ, ſaß er
dort wie feſtgebannt; Winterſturm war gekommen, die Flüſſe zuge-
froren, Schnee ſoweit das Auge reichte — er hatte deſſen keine Acht;
der Frühling trieb den Winter aus — es kümmerte ihn nicht; die
Brüder plauderten von Krieg und ſchlimmer Botſchaft aus dem be-
freundeten Land am Rhein — er hatte kein Ohr für ſie. Auf ſeiner
[232] Zelle lag Stuhl und Schragen mit Pergamenten überdeckt, des Klo-
ſters ganze Bücherei war zu ihm herabgewandert, er las und las und
las, als wollt' er den letzten Grund der Dinge ergründen; — zur
Rechten die Pſalmen und heiligen Schriften, zur Linken die Reſte
heidniſcher Weisheit, Alles ward durchwühlt; dann und wann machte
ein höhniſch Lächeln dem Ernſt ſeiner Studien Platz, und er ſchrieb
ſich auf ſchmale Streifen Pergamentes haſtig etliche Zeilen heraus.
Waren es Goldkörner und Edelſteine, die er auf ſeiner Bergmanns-
arbeit aus den Schachten alten Wiſſens grub? Nein.


Was mag dem Bruder Gunzo widerfahren ſein? ſprachen ſeine
Genoſſen, ehedem iſt ſeine Zunge gegangen wie ein Mühlrad und die
Bücher haben Ruhe vor ihm gehabt: ſie können mir doch nur bieten,
was ich längſt weiß, hat er ſich oft gerühmt — und jetzt? Jetzt
knarrt und ſcharrt ſeine Feder, daß bis im vorderen Kreuzgang der
Wiederhall ihres Kratzens gehört wird. Gedenkt er des Kaiſers Proto-
Notar und Erzkanzler zu werden? ſucht er den Stein der Weiſen oder
ſchreibt er ſeine italiſche Reiſe?


Aber der Bruder Gunzo blieb an ſeinem Werk. Unverdroſſen
trank er ſeinen Waſſerkrug leer und las ſeine Claſſiker, — die erſten
Gewitter kamen und mahnten, daß der Sommer mit ſeiner Schwüle
vor der Thür ſtehe; er ließ donnern und blitzen und ſaß feſt wie
zuvor. Den Schlummer der Nacht brach er zuweilen und ſprang auf
zu ſeinem Tintenfaß, als hätt' er im Traum Gedanken erhaſcht; oft
waren ſie wieder verſchwunden, bevor ihm das Niederſchreiben gelang,
aber ſein Sinn war feſt auf's Ziel gerichtet. Kommen wird einſtens
der Tag ... mit der homeriſchen Verheißung ſich tröſtend, ſchlich er
auf ſein Lager zurück.


Gunzo war im kräftigen Mannesalter, eine mäßig große gedrun-
gene Geſtalt, wohlbeleibt; wenn er des Morgens vor ſeinem fein ge-
ſchliffenen Metallſpiegel ſtund und mehr als nothwendig die Augen
auf dem eigenen Abbild haften ließ, ſtrich er oft ſeinen röthlichen
Bart, als woll' er zu Fehde und fährlichem Streithandel ausreiten.


Fränkiſch Blut mit galliſchem vermiſcht rollte in ſeinen Adern:
das ſchuf ihm ein Stück von jener Beweglichkeit und Immerlebendig-
keit, die dem Germanen reinen Stammes abgeht. Darum hatte er
auch in währender Schreibarbeit mehr Federn zerbiſſen und Schnipfel
[233] zerzaust und Selbſtgeſpräche geführt, als ein Genoſſe in deutſchem
Kloſter in gleicher Friſt gethan hätte. Aber er hielt ſeines Fleiſches
natürliche Unruhe nieder und zwang ſeine Füße mannhaft, unter dem
bücherſchweren Tiſch Stand zu halten.


Es war ein linder Sommerabend; wiederum war ſeine Feder wie
ein Irrlicht über das geduldige Pergamen gehüpft, es kniſterte vom
Ziehen der Buchſtaben — da hub ſie an langſamer zu gehen, — itzt
eine Pauſe, dann noch einige Züge — und einen gewaltigen Schnirkel
zog er über den unbeſchriebenen übrigen Raum, daß die Tinte unfrei-
willig einen Schwarm von Flecken gleich ſchwarzen Sternbildern drüber
ſchwirrte. Er hatte das Wort Finis! geſchrieben; mit lang gedehntem
Athemzug erhob er ſich vom Stuhl gleich einem Mann, dem ein
Centnerſtein vom Herzen gefallen, er überſchaute, was ſchwarz auf
weiß vor ihm lag: Gelobt ſei der heilige Amandus! rief er feierlich,
wir ſind gerächt!


Er hatte in dieſem erhebenden Augenblick — eine Schmähſchrift
vollendet, eine Schmähſchrift, zugeeignet der ehrwürdigen Bruderſchaft
auf der Reichenau, gerichtet gegen — Ekkehard den Pörtner zu Sanct
Gallen. Als der blonde Erklärer des Virgilius Abſchied nahm von
ſeinem Kloſter und zur Herzogin überſiedelte, konnte es ihm unmöglich
zu Sinne kommen — und hätt' er ſein Gedächtniß auch umgeſchüttelt
bis in die verborgenſten Falten, daß ein Mann auf der Welt ſei,
deſſen Dichten und Trachten darauf ausging, an ihm Rache zu neh-
men, denn er war harmlos und ſanft und that keiner Mücke ein
Leides. Und doch war es ſo; denn zwiſchen Himmel und Erde und
im Gemüth eines Schriftgelehrten geh'n viele Dinge vor, davon ſich
der Verſtand der Verſtändigen nichts träumen läßt.


Die Geſchichte hat ihre Launen im Erhalten wie im Zerſtören.
Die deutſchen Lieder und Heldenſagen, die durch des großen Kaiſer
Karl Fürſorge aufgezeichnet ſtanden, mußten im Schutte der Zeiten
untergehen, Gunzo's Werk, das noch keinem der Wenigen, die es ge-
leſen, Freude bereitet, iſt auf die Nachwelt gekommen.208) Mag denn
der ungeheuerliche Anlaß, der des welſchen Gelehrten Rache aufrief,
mit ſeinen eigenen Worten erzählt ſein:


„Schon lange, — alſo ſchreibt er ſeinen reichenauer Freunden, —
betrieb es der verehrungswerthe theure König Otto bei den Fürſten
[234] Italiens, daß er mich in ſeine Reiche herüber berufe. Da ich aber
Keinem ſo unterthan, noch auch ſo niedrigen Standes war, daß man
mich hätte zwingen mögen, wandte er ſich an mich mit bittender An-
zeige, alſo daß er mein Verſprechen als Unterpfand des Kommens
empfing. So geſchah es auch, als er Welſchland verließ, daß ich ihm
folgte. Und ich folgte ihm, gedenkend, daß mein Kommen Keinem
zum Schaden, Vielen zu Nutzen gereichen möge, denn wozu treibt
uns nicht die Liebe und der Wunſch, den Mitbrüdern genehm zu ſein?
Und ich zog meines Weges, nicht wie ein Britanne geſpickt mit den
Geſchoſſen des Tadels, ſondern im Dienſte der Liebe und Wiſſenſchaft.


„Ueber ſteiles Joch der Gebirge und abſchüſſige Schluchten und
Thäler kam ich endlich vor des heiligen Gallus Kloſter an, und zwar
ſo erſchöpft, daß die vom eiſigen Hauch der Bergluft erſtarrten Hände den
Dienſt verſagten und fremde Hilfleiſtung mich vom Saumthier heben mußte.


„Des Ankommenden Hoffnung war friedlich Ausruhen am Ort
klöſterlicher Niederlaſſung. Auch ſah ich dort häufiges Neigen der
Häupter, ſittig geordnete Capuzen, ſanftes Einherſchreiten und ſeltenen
Gebrauch der Rede, alſo daß ich keines Unheils gewärtig ſtund, nur
daß des Juvenalis Spruch gegen die falſchen Philoſophen:


„Spärlich iſt ihnen das Wort, — doch Bosheit ſteckt in dem Schweigen,“
heimlich an meinem Gemüth nagen wollte. Und wer ſollte glauben,
daß jenem Heiden vorahnende Kenntniß von kuttentragender Verkehrt-
heit inwohnte?


„Doch freute ich mich harmlos meines Lebens, erwartend, ob nicht
unter dem ſpärlichen Gemurmel der Brüder etliche Funken philoſophi-
ſcher Strebungen aufblitzen möchten. Es blitzte aber nichts auf, ſie
rüſteten am Rüſtzeug der Hinterliſt.


„Unter Anderen war auch ein junger Schülerknab' anweſend und
ein Aelterer, der — — je nun! er war wie er war; ſie hießen ihn
einen braven Lehrer des Kloſters, wiewohl er mir in die Welt zu
ſchauen ſchien mit den Augen einer Turteltaube. Von dieſem ſchmach-
tend blickenden Gelehrten habe ich nunmehr zu reden. Höret ſeine
That. Ab und zugehend, machte er den Schüler zum Gefährten eines
tückiſchen Anſchlages.


„Nacht war's, es nahte die Zeit des ſorgenſtillenden Schlummers,
Wohlgeſättigt des Mahls, zollten wir Bacchus ſein Recht —
[235] da verführte mich ein ungünſtig Geſchick, daß ich im Hin- und
Herreden lateiniſchen Tiſchgeſpräches eines Verſtoßes im Gebrauch eines
Caſus ſchuldig ward, und einen Accuſativus ſetzte, wo ein
Ablativus ſich geziemt hätte
.


„Nun ward offenbar, in welcher Art Künſten jener vielberühmte
Lehrer den ganzen Tag ſeinen Schüler unterwieſen. „Solch Ver-
brechen wider Sprache und Grammatik verdiene die Schulgeißel!“
alſo ſpottete das benannte Studentlein mich den Erprobten und kramte
bei dieſem Anlaß ein höhniſches Spottgedicht aus, das ihm eben jener
Lehrer eingeblaſen, alſo daß ein rauhes cisalpiniſches Gelächter über
den fremden Gaſtfreund durch's Refectorium erſchallte.


„Wem aber iſt unbekannt, welcher Beſchaffenheit die Verſe über-
müthig gewordener Mönche ſind? Was weiß ein ſolcher von der in-
neren Haushaltung eines Gedichtes, wo ein Stück Purpur an's andere
zu ſetzen iſt, auf daß es glänze und gleiße? was von der Würde der
Dichtkunſt? — er ſpitzt die Lippen und ſpuckt ein Poem aus, gleich
dem Lucilius den Horazius brandmarkt, daß er oftmals auf einem
Fuße ſtehend, zweihundert Verſe dictirte und mehr noch, bevor ein
Stündlein abgelaufen. Ermeſſet nun, ehrwürdige Brüder, welch' ein
Maß von Unrecht man mir angethan, und was der für ein Menſch
ſein muß, der ſeinem Nebenmenſchen den Irrthum eines Ablativus
vorhält!“


Der Menſch, der in harmloſem Scherz dieſen Frevel begangen,
war Ekkehard; wenig Wochen bevor ihn ſeines Schickſals Wendung
auf den hohen Twiel rief, geſchah die Unthat. Mit des folgenden
Morgens Frühroth war das Tiſchgeſpräch mit dem übermüthigen
Welſchen vergeſſen, aber in der Bruſt deſſen, den ſie des falſchen
Accuſativus überwieſen, ſaß ein Groll ſo herb und nagend, wie der
ob der Waffen Achills, der einſt den Telamonier Aias in ſein Schwert
gejagt und noch bei den Schatten der Unterwelt ſeitab zürnen ließ;
er zog aus dem Thal, das die Sitter durchſtrömt, nordwärts, er ſah
Bodenſee und Rhein, — und dachte des Accuſativus; er ritt in den
altersgrauen Thoren von Köln ein und ritt hinüber auf belgiſche Erde,
der falſche Accuſativus ritt hinter ihm auf dem Bug ſeines Roſſes
wie ein Alp; die Kloſtermauern des heiligen Amandus thaten ihm
ihren Frieden auf: im Pſalmſingen der Frühmette, in der Litanei
[236] der Vesperandacht ſtieg der Accuſativus vor ihm auf und heiſchte ſein
Sühnopfer.


Von allen unfrohen Lebenstagen prägen ſich die am tiefſten der
Seele ein, wo durch eigen Verſchulden eine Beſchämung veranlaßt
ward; ſtatt mit ſich ſelber drüber zu grollen, wird allen, die unfrei-
willige Zeugen waren, eine bittere Verſtimmung zugewendet, das liebe
Menſchenherz geſteht ſich ſo ſchwer, ſo ſchwer die eigene Schwäche, und
Manchem, der ruhig an Kampf und Todſchlag zurückdenkt, ſchießt alles
Blut zu Haupte beim Gedanken an ein thörigt Wort, das ihm an
einer Stelle entfuhr, wo er gern mit einem verſtändigen geglänzt.


Darum nahm Gunzo ſeine Rache an Ekkehard. Und er führte
eine ſcharfe tapfere Feder und hatte vieler Monde Friſt auf ſein Werk
verwandt, daß es in ſeiner Art ein Meiſterſtück ward, eine ſchwarze
Suppe von viel hundert gelahrten Brocken, reichlich gewürzt mit Pfeffer
und Wermuth und all den Bitterkeiten, die den Streitſchriften geiſt-
licher Herren vor denen Anderer ſo lieblichen Schmack verleihen.


Und ging ein wohlthuender Zug von Grobheit durch's Ganze,
alſo daß dem Leſer zu Muthe werden kann, als höre er, wie in naher
Scheune ein Menſch mit Flegeln der Dreſcher gedroſchen werde —
was von der feinen Art neuerer Zeit, wo das Gift in vergüldeten
Pillen gereicht wird und die Streiter den Hut voreinand abziehen, eh'
ſie anheben ſich die Rippen einzuſchlagen, rühmlich abſticht.


Es waren aber zwei Theile, der erſte dem Ekkehard zum Nachweis,
daß nur ein roher und unwiſſender Menſch ſich an Verwechslung eines
Caſus ſtoßen könne, der zweite, der Welt zur Ueberzeugung, daß der
Verfaſſer Gunzo der gelahrteſte, weiſeſte und frömmſte der Zeit-
genoſſen.


Und darum hatte er im Schweiß ſeines Angeſichtes die Claſſiker
geleſen und die heiligen Schriften, daß er alle Stellen verzeichnen
möge, in denen gleichfalls dichteriſche Laune oder Nachläſſigkeit einen
fälſchlichen Accuſativus gebraucht. Brachte auch der Beiſpiele aus
Virgilius zwei, aus Homer eines, aus Terentius eines, aus Priscianus
eines, ferner aus Perſius eines, wo ein Vocativ ſtatt eines Nominativ,
und aus Salluſtius eines, wo ein Ablativ ſtatt des Genitiv geſetzt
ward — deßgleichen aus den Büchern Moſes und den Pſalmen. „Und
wenn ſolches ſogar in den Reihen heiliger Schriften zu finden, wer
[237] iſt ſo ruchlos, daß er ſolche Weiſe des Sprechens zu tadeln wage
oder zu verändern? Mit Falſchheit alſo glaubt des heiligen Gallus
Mönchlein, daß mir die Kunſt der Grammatik fern, mag meine Zunge
auch dann und wann gehemmt ſein durch die Gewohnheit meiner hei-
miſchen Sprache, die der lateiniſchen nur verwandt iſt. Verſtöße aber
kommen vor durch Nachläſſigkeit und menſchliche Unvollendetheit im
Allgemeinen, wie Priscianus ſehr richtig ſagt: „ich glaube nicht, daß
von menſchlichen Erfindungen etwas nach allen Theilen Vollendetes
erfunden werden möge.“ Auch hat ſchon Horatius Nachläſſigkeiten der
Schreibart und Sprache bei bedeutenderen Männern entſchuldigt: „zu-
weilen ſchlummert auch der gute Homer.“ Und Ariſtoteles ſagt in ſei-
nem Buch über die hermeneia: Alles was unſere Zunge ausſpricht,
iſt nur ein Ausdruck für das, was unſerer Seele eingeprägt iſt. Der
Begriff einer Sache aber iſt früher vorhanden als der Ausdruck, und
ſomit die Sache höher zu ſchätzen denn das Wort. Wo aber der
Sinn dunkel, ſollſt du ihm mit Geduld und erläuterndem Verſtand
behilflich ſein, die wahre Meinung zu ermitteln.“


Folgte ſodann ein Schwall claſſiſcher Beiſpiele von ungeſchicktem
und nachläſſigem Ausdruck des Gedankens, deren Reihe mit dem Spruch
des Apoſtels ſchließt, der ſich ſelber ungeſchickt im Reden, aber nicht
ungeſchickt an Wiſſen genannt.


„Betrachtet man hienach das Benehmen meines ſanct galliſchen
Widerſachers, ſo möchte man glauben, er ſei einmal in den Garten
eines weiſen Mannes eingebrochen und habe vom Miſtbeet einen Ret-
tig geſtohlen, der ihm den Magen verdorben und Galle angeſetzt.
Hüte darum jeder ſein Gärtlein vor ſolchen Geſellen. Schlechte Ge-
ſpräche verderben gute Sitten.


„Möglich auch, daß er durchaus nicht anders ſich benehmen
konnte.
Er hat wohl den ganzen Tag in den Schlupfwinkeln ſeiner Kutte
nachgeſucht, womit er den Gaſtfreund bewirthen möge, aber weil er
nichts Anderes als verborgene Liſt und Bosheit drin vorfand, ſetzte er
eben davon ein Pröbchen vor. Schlechte Menſchen haben ſchlechte
Schätze.


„Mit ſolchem Weſen ſtimmt denn ſein äußeres Erſcheinen, das wir
ſorgſam zu muſtern nicht unterließen. Sein Antlitz trug einen fahlen
Glanz wie ſchlechtes Metall, das zur Fälſchung des ächten dient, ſeine
[238] Haare gekräuſelt, die Capuze feiner und ſauberer denn nöthig, die
Schuhe leicht — auf daß alle Anzeichen vorhanden, die dem heiligen
Hieronymus Aergerniß gaben, da er ſchrieb: Leider ſind auch in mei-
nem Sprengel etliche Cleriker, deren Sorge darauf gerichtet iſt, ob
ihre Kleider herrlich düften, die Nägel ihrer Finger glänzen, das krauſe
Haupthaar mit Balſam geſalbt und geſänftigt ſei und der geſtickte
Schuh knapp am Füßlein ſitze. Ein ſolcher Aufzug geziemt ſich aber
kaum für einen Stutzer und Bräutigam, geſchweige für einen Ge-
weihten des Herrn.


„Weiter hab' ich erwogen, ob nicht auch der Laut ſeines eigenen
Namens mit ſeiner Handlungsweiſe übereinſtimme. Und wie? Ekk-
hard oder Akhar hieß der Mann, als wäre ihm ſchon bei der Taufe
der Name eines Uebelthäters vorahnungsvoll aufgeprägt worden. Denn
wer kennt nicht jenen Akhar, der aus der Beute von Jericho einen
purpurnen Mantel entwendet und zweihundert Beutel Silbers ſammt
einer güldenen Ruthe, alſo daß ihn Joſua hinausführen ließ in ein
abgelegen Thal und ganz Israel ſteinigte ihn und Alles was er hatte
ward mit Feuer verbrannt? Solchen Vorgängers hat ſich der Akhar
von Sanct Gallen würdig erzeigt, dieweil, wer die Gebote einer höf-
lichen Lebensart verachtet, ſo übel thut, als ein Dieb: er veruntreut
das Gold wahrer Weisheit.


„Wäre es erlaubt, an die Seelenwanderung des Pythagoras zu
glauben, ſo ſtünde außer allem Zweifel, daß die Seele jenes hebräiſchen
Akhar in dieſen Ekkhard gefahren, und ſie wäre ernſthaft darob zu
bedauern, denn beſſer den Körper eines Fuchſes zum Aufenthalt er-
wählen, als den eines hinterliſtigen Mönches. All dies ſei übrigens
ohne Haß geſagt; mein Haß geht nur auf die dem Manne anklebende
Schlechtigkeit, alſo nur auf ein Accidens, nicht auf die Subſtanz
ſelbſt, in der wir ja, nach den Worten der Schrift, ein Ebenbild der
Gottheit anzuerkennen haben.


„Merket nun, ſo fuhr Gunzo in ſeines Buches zweitem Theile
fort, wie unſinnig mein Feind gegen Nutz und Frommen der Wiſſen-
ſchaft gehandelt. Mehr als hundert geſchriebene Bände führte ich bei
meiner Reiſe über die Alpen mit mir, Waffen des Friedens, darunter
des Marcianus blumenreiche Unterweiſung in den ſieben freien Kün-
ſten, des Plato unergründliche Tiefe im Timäus, des Ariſtoteles zu
[239] unſern Zeiten kaum aufgehellte dunkle Weisheit im Buch von der
hermeneia, und Cicero's redneriſche Würde in der Topik. Wie ernſt
und fruchtbringend hätte die Unterhaltung gedeihen mögen, wenn ſie
mich über ſolche Schätze befragt! Wie konnte ich glauben, daß ſie
mich, dem Gott ſo Vieles verliehen, ob der Verwechslung eines Caſus
durchhecheln würden, mich, der den Donat und Priscian von innen
und außen kennt! Es mag freilich jener Aufgeblaſene wähnen, daß
er die ganze Grammatika in ſeiner Capuze mit ſich trage — theure
Mitbrüder! kaum ihren Rücken hat er von Ferne erſchaut und wollte
er eilen, einen Blick ihres hehren Angeſichts zu erhaſchen, er würde
über den eigenen täppiſchen Fuß ſtolpernd zu Boden ſinken. Die
Grammatik iſt ein hohes Weib, anders erſcheint ſie Holzhackern, an-
ders einem Ariſtoteles.


„Soll ich euch aber von der Schweſter der Grammatik, von der
Dialectik reden, die jener griechiſche Meiſter die Amme ſeines Geiſtes
genannt? O edle Kunſt, die den Thoren in ihren Schlingen fängt,
dem Weiſen aber zeigt wie er die Schlinge meide; die uns die ver-
borgenen Fäden aufdeckt, durch welche das Sein mit dem Nichtſein
verknüpft iſt! Freilich davon weiß jener Kuttenträger nichts, —
nichts von jener ſubtilen Feinheit, die mit neunzehn Gattungen von
Schlüſſen Alles zu erledigen verſteht, was je gedacht und was denkbar.
Gott iſt gütig, er entzieht ihm ſolches Wiſſen, weil er's doch nur zu
Lug und Trug nützen würde ...“


In ſolcher Weiſe wies der gelahrte Welſche ſeine Ueberlegenheit in
allen freien Künſten nach; der Rhetorik und ihren Herrlichkeiten war
ein Abſchnitt gewidmet, worin wieder ſtark von Solchen die Rede,
denen die Göttin Minerva einmal von Weitem im Traum erſchienen,
und von Thoren, die da glauben Kürze des Ausdrucks ſei Zeichen
von Weisheit. Dann aber ging's auf Arithmetik, Geometrie und
Aſtronomie, mit Einſchaltung tiefſinniger Abhandlungen über die Frage,
ob die Himmelskörper mit Seele, Vernunft und Anſpruch auf Un-
ſterblichkeit begabt, und ferner ob damals, als Joſua geboten: Bewege
dich nicht, Sonne, gegen Gabaon, noch du Mond gegen das Thal
Aialon, gleichzeitig auch den andern fünf Planeten Stillſtand auferlegt
worden oder ob dieſe ihren Kreislauf fortſetzen durften.


[240]

Gründliche Prüfung dieſes Problems gab dann Anlaß, auf die
Harmonie der Sphären und damit auf die Muſik, als letzte der ſieben
Künſte, einzugehen, und ſo konnte das Schifflein der Rache auf wo-
gendem Schwall der Gewäſſer endlich dem Ziele entgegen ſteuern.


„Wozu nun hab' ich All dies angeführt? frug er zum Schluſſe.


„Nicht um die Elemente der freien Künſte darzuthun, ſondern um
die Thorheit eines Unwiſſenden bloß zu legen, der da vorzog gram-
matiſchen Schnitzern nachzujagen, ſtatt wahre Wiſſenſchaft von ſeinem
Gaſtfreund zu erlauſchen. Wenn ihm auch innerlich die Kunſt für
ewig verſagt iſt, hätt' er ſich doch von außen einen Widerſchein von
mir erwerben können. Aber ihn blähte allzugroßer Uebermuth, daß
er vorzog, unter den Seinigen für einen Weiſen zu gelten, gleich dem
Froſche, der in ſeinem Sumpf zweifelsohne glaubt, daß er an Größe
den Stier übertreffe. Ach, niemals iſt der Mitleidwerthe auf freien
Höhen des Wiſſens geſtanden und hat die Stimme Gottes zu ſich
reden gehört: in der Wildniß iſt er geboren, unter blödem Murmeln
aufgewachſen und ſeine Seele bewahrt die Sitte der Thiere des Wal-
des; in thätigem Leben der Welt wollte er nicht beharren, zu inner-
licher Beſchaulichkeit iſt er verdorben, der Feind des Menſchengeſchlechts
hat ihm ſein Zeichen aufgebrannt. Gern würde ich euch ermahnen,
ihm die Hilfe heilender Arzenei angedeihen zu laſſen, aber ich fürchte,
ich fürchte, ſeine Krankheit iſt zu tief eingewurzelt.


„Und auf verhärtetes Fell wirkt ſelber die Nießwurz vergeblich,“
ſagt Perſius.


„Möget ihr nun, ehrwürdige Brüder, aus Allem was ich mittheile,
erſehen, ob ich ein ſolcher bin, der die Behandlung und das Gelächter
jenes Thoren verdient hat. Euerem Urtheil ſtell' ich ihn und mich
anheim: im Urtheil der Gerechten ſchwindet der Thor in ſein verdien-
tes Nichts. Finis!


... Gelobt ſei der heilige Amandus! ſprach Gunzo nochmals,
als das letzte Wort ſeines Werkes geſchrieben vor ihm ſtand. Die
alte Schlange hätte ſicherlich ihre Freude an ihm gehabt, wenn ſie
ihn in ſeiner Gottähnlichkeit hätte belauſchen können, da er den letzten
Punkt anfügte. „Und Gott ſah Alles was er gemacht hatte. Und
es war ſehr gut.“ Und Gunzo? — Er that deßgleichen.


[241]

Dann ſchritt er zu ſeinem Metallſpiegel, und beſchaute ſich lange,
als wär' es ihm von äußerſter Wichtigkeit, das Antlitz deſſen kennen
zu lernen, der den Ekkehard von Sanct Gallen vernichtet. Er ver-
neigte ſich achtungsvoll vor ſeinem Spiegelbild.


Die Glocke im Refectorium hatte längſt zur Abendmahlzeit ge-
rufen, Pſalm und Tiſchgebet waren gebetet, ſchon ſaßen die Brüder
beim ſanften Hirſebrei, da erſt trat Gunzo in den Saal. Sein Antlitz
ſtrahlte. Der Decan deutete ihm ſchweigend vom gewohnten Platz
hinüber in Winkel, denn wer allzuoft verſäumte ſich rechtzeitig einzu-
finden, der ward zur Buße von der Speiſenden Gemeinſchaft geſondert
und ſein Wein den Armen verabreicht.209) Aber ohne Murren ſetzte
ſich Gunzo hinüber und trank ſein belgiſch Brunnenwaſſer, ſein Büch-
lein lag ja vollendet oben, das tröſtete.


Nach aufgehobenem Mahl zog er ſeiner Freunde einige zu ſich
auf die Zelle, geheimnißvoll als gält' es verborgenen Schatz zu heben,
er las ihnen das Werk vor.


Des heiligen Gallus Kloſter mit ſeinen Büchern, Schulen, Gottes-
gelehrten, war in damaliger Chriſtenheit viel zu gut beleumdet, als
daß die Jünger des heiligen Amandus nicht mit leiſer Freude das
Ziſchen von Gunzo's Geſchoſſen vernommen. Tüchtigkeit und vor-
ragender Wandel beleidigt die Welt oft noch tiefer, als Frevel und
Sünde.


Darum nickten ſie beifällig mit den grauen Häuptern, wie Gunzo
die Kernſtellen vortrug.


Es wär' ſchon lang an der Zeit geweſen, den Bären im Helvetier-
land einen Tanz aufzuſpielen, ſprach der Eine, Uebermuth mit Grob-
heit gepaart, verdient keine andere Muſik.


Gunzo las weiter. Bene, optime, aristotelicissime! murmelten
die Verſammelten als er geendet. Vergnügte Mahlzeit, Bruder Ak-
har! ſprach ein Anderer, belgiſch Gewürz zum helvetiſchen Käſe
der Alpen!


Der Bruder Küchenmeiſter umarmte den Gunzo und weinte vor
Rührung: So gelehrt und ſo tief und ſo ſchön ſei noch nichts aus
den Mauern des heiligen Amandus in die Welt hinausgegangen. Nur
ein Einziger der Brüder ſtund unbeweglich an der Mauer.


Nun? fragte Gunzo.


D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 16
[242]

Wo bleibt die Liebe? ſprach der Bruder leiſe, dann ſchwieg er.
Gunzo fühlte den Vorwurf.


Du haſt Recht, Hucbald! ſprach er, es ſoll geholfen werden. Die
Liebe gebeut für unſere Feinde zu beten. Ich werd' noch ein Gebet
für den armen Thoren an Schluß der Schrift ſetzen, das wird ſich
verſöhnlich ausnehmen und weiche Gemüther beſtechen. Wie?


Der Bruder ſchwieg. Es war ſpät in der Nacht geworden. Sie
gingen auf den Zehen aus der Zelle.


Gunzo wollte den, der von der Liebe geſprochen, zurückhalten, es
war ihm an ſeinem Urtheil gelegen, aber der wandte ſich und folgte
den Andern.


Matthäus dreiundzwanzig, fünfundzwanzig! ſprach er vor ſich hin,
wie ſein Fuß die Schwelle überſchritten. Niemand hörte ihn.


Aber Gunzo den Vielgelehrten floh der Schlummer, wieder und
wieder las er die Blätter ſeines Fleißes, er wußte bald, an welchem
Fleck jedes einzelne Wort ſtand und doch kamen ſeine Augen nicht los
von den bekannten Zügen. Dann griff er zur Feder: Einen fröm-
mern Schluß! ſprach er — ſei es denn! Er beſann ſich, dann durch-
maß er die Stube mit bedachtſamem Schritt. Es ſollen künſtliche
Hexameter werden; wer hat je würdiger eine Beleidigung vergelten ſehen?


Jetzt ſetzte er ſich hin und ſchrieb. Ein Gebet für ſeinen Feind
wollte er ſchreiben. Aber wider ſeine Natur kann Niemand. Da
las er ſeine Blätter noch einmal durch — ſie waren allzu gelungen.
Dann ſchrieb er den Nachtrag. Der Hahn krähte in's Morgengrau,
da war auch dieſer vollendet; praſſelnder Mönchsverſe zwei Dutzend
und ein halbes. Daß ſeine Gedanken vom Gebet für den Gegner
auf ihn ſelbſt und den Ruhm ſeiner Arbeit zu reden kamen, iſt bei
einem Mann von Selbſtgefühl ein natürlicher Uebergang.


Mit Salbung ſchrieb er die fünf letzten Zeilen:


Zeuch nun hinaus in die Welt, mein Büchlein, und triffſt du auf Leute,

Die mit hämiſchem Zahn mein glorreich Leben benagen,

Dieſen zerſchmettre das Haupt und wirf ſie beſiegt in den Staub hin,

Bis dein Verfaſſer dereinſt zur verheißenen Seligkeit eingeht,

Die dem Manne gebührt, der ſein Talent nicht verſcharrt hat.

Das Pergament war rauh und ſträubte ſich, er mußte die Rohr-
feder breit aufdrücken, daß es die Buchſtaben annahm.


[243]

Anderen Tages verpackte Gunzo ſeine geharniſchte Epiſtel in eine
Kapſel von Blech, und dieſe in einen leinenen Umſchlag. Ein Dienſt-
mann des Kloſters, der ſeinen Bruder erſchlagen, hatte das Gelübde
gethan, zu den Gräbern von zwölf Heiligen zu wallen, den rechten
Arm an die rechte Hüfte gekettet, und dort zu beten, bis ihm ein
himmliſch Gnadenzeichen werde.210) Er pilgerte rheinaufwärts. Dem
hing Gunzo die Kapſel um; nach wenig Wochen ward ſie richtig und
unverſehrt an der Kloſterpforte der Reichenau dem Pörtner einge-
händigt. Gunzo kannte ſeine Leute dort. Darum hatte er ihnen die
Schrift gewidmet.


Der alte Moengal hatte dazumal auch Geſchäfte im Kloſter. Im
Gaſtſtüblein ſaß der belgiſche Pilgersmann, ſie hatten ihm ein Fiſch-
ſüpplein gereicht, mühſam arbeitete er ſich dran ab, ſeine Ketten
klirrten, wenn er den Arm hob.


Geh' du wieder heim, Mordbüßer, ſprach Moengal zu ihm, und
heirath' die Wittib des Erſchlagenen, das wird eine beſſere Sühne
ſein, als mit klirrendem Eiſen einen Narrengang durch die weite
Welt thun.


Der Pilger ſchüttelte ſchweigend das Haupt, als dächte er, das
ſchüfe ihm noch ſchwerere Ketten als die der Schmied geſchmiedet.


Moengal ließ ſich beim Abt melden. Er iſt im Leſen vertieft,
hieß es. Doch ließ man ihn eintreten.


Setzt Euch, Leutprieſter, ſprach der Abt gnädig, Ihr ſeid ein
Freund von Gebeiztem und Geſalzenem — ich hab' was für Euch.


Er las ihm die friſch angekommene Schrift Gunzo's vor. Der
Alte horchte; ſeine Augenbrauen zogen ſich in die Höhe, die Naſen-
flügel traten weit und weiter auf.


Den Abt ſchüttelte ein Lachen, wie er an die Schilderung von
Ekkehard's krauſem Haar und feinem Schuhwerk kam. Moengal ſaß
ernſt, es zogen drei Falten auf der Stirn auf wie Wolken vor dem
Gewitter.


Nun? ſprach der Abt, dem Bürſchlein wird der Hochmuth aus
der Kutte geklopft! Sublim! ganz ſublim! Und eine Fülle von
Wiſſenſchaft, das trifft. Darauf gibt's gar keine Antwort.


Doch! ſprach der Leutprieſter finſter.


Welche? fragte der Abt geſpannt.


16*
[244]

Moengal machte eine ſchlimme Geberde. Einen Stechpalmſtock
von der Hecke ſchneiden, rief er, oder eine brave Haſel, und rheinab-
wärts ziehen, bis zwiſchen dem ſchwäbiſchen Holz und des welſchen
Schreibers Rücken nur noch eine Armslänge Entfernung iſt! Dann
aber ... er ſchloß ſeine Rede ſinnbildlich.


Ihr ſeid grob, Leutprieſter, ſprach der Abt, und habet keinen
Sinn für Gelehrſamkeit. So Etwas kann freilich nur ein eleganter
Geiſt ſchreiben. Reſpect!


Hoiho! fing Moengal der Alte an, er war fuchswild geworden,
Gelehrſamkeit? Aufgeblaſene Lippen und dabei ein boshaftig Herz
ſind als wie ein irden Gefäß mit Silberſchaum überzogen, ſpricht
Salomo. Gelehrſamkeit? So gelehrt iſt mein Pfarrwald auch, mit
ſeinen Hagebuchen, der ſchreit auch hinaus, wie man in ihn hinein-
geſchrieen, und iſt wenigſtens ein lieblich Echo. Wir kennen die bel-
giſchen Pfauen! kommen anderwärts auch vor. Die Federn ſind
geſtohlen, und was ſie ſelber krähen, trotz Rad und Schweif und
Regenbogen am Steiß, iſt heiſer und bleibt heiſer, da hilft kein Hals-
kragenblähen. Vor meiner großen Geſundkur hab' ich auch geglaubt,
es ſei geſungen ſtatt gekrächzt, wenn Einer mit Grammatik und
Dialectik die Backen aufblies, — aber jetzt: Gut Nacht Marcianus
Capella! heißt's bei uns in Radolf's Zelle!


Ihr werdet wohl bald an Euren Heimweg denken müſſen, ſprach
der Abt, es zieht ſchon ganz ſchwarz über Konſtanz hin.


Da merkte der Leutprieſter, daß er mit ſeinen Anſichten von Ge-
ſundſein und von der Wiſſenſchaft nicht an rechten Mann gerathen
war. Er empfahl ſich.


Hätt'ſt auch in deinem Kloſter Benchor auf der grünen Inſel
bleiben können, iriſcher Hartknochen! dachte der Abt Wazmann und
entließ ihn ſehr kühl.


Rudimann! rief er dann in den dunkeln Gang hinaus. Der Ge-
rufene erſchien.


Ihr gedenket noch der Weinleſe, redete ihn der Abt an, und des
Streiches, den Euch ein gewiſſes Milchgeſicht geſchlagen, dem eine
phantaſiereiche Herzogin itzt gewiſſe Grundſtücke zuwenden will ...


Ich gedenke des Streichs, ſprach Rudimann verſchämt ſchmunzelnd
wie eine Jungfrau, die nach dem Geliebten gefragt wird.


[245]

Den Streich hat Einer zurückgegeben, ſaftig und ſcharf, Ihr kön-
net zufrieden ſein. Lest. Er reichte ihm des Gunzo Pergamentblätter.


Mit Erlaubniß! ſprach Rudimann, und trat an's Fenſter. Er
hatte ſchon manchen braven Wein gekoſtet, der Pater Kellermeiſter,
ſeit daß er ſein Amt führte, aber ſelbſt damals als ihm der Biſchof
von Cremona etliche Krüge dunkelbraun ſchäumenden Aſti überſendet,
hatte ſein Antlitz nicht ſo röthlich froh geſtrahlt, wie jetzo.


Es iſt doch eine herrliche Gottesgabe um ein gründlich Wiſſen
und einen ſchönen Styl, ſagte er. Das Ekkehardlein iſt fertig. Es
kann ſich nimmer an freier Luft ſehen laſſen.


Noch nicht ganz, ſagte der Abt, aber was nicht iſt, kann werden.
Der gelehrte Bruder Gunzo hilft uns dazu. Seine Epiſtel darf nicht
ungeleſen vermodern, laſſet etliche Abſchriften nehmen, lieber ſechs als
drei. Der junge Herr muß von Hohentwiel weggebiſſen werden. Ich
liebe die jungen Schnäbel nicht, die feiner ſingen wollen als die Alten.
Schnee auf die Tonſur! das ſoll ihm gut thun. Wir werden unſe-
rem Mitbruder in Sanct Gallen ein Brieflein ſchicken, daß er ihm
die Rückkehr anbefehle. Wie ſteht's mit ſeinem Sündenregiſter?


Rudimann hob bedächtig die linke Hand auf und begann mit den
Fingern zu zählen. Soll ich's herſagen? Zum erſten: in währender
Weinleſe den Frieden unſeres Kloſters geſtört, indem er ...


Halt, ſprach der Abt, das iſt abgethan. Alles was vor der
Hunnenſchlacht geſchehen und anhängig worden, ſei erledigt, ab und
zur Ruhe! ſo haben's einſt die Burgunder in ihr Geſetz211) geſchrie-
ben, das ſoll auch bei uns noch gelten.


Dann ohne Fingerzählung, ſagte der Kellermeiſter. Des heiligen
Gallus Pörtner iſt, ſeit er ſein Kloſter ließ, dem Hochmuth und der
Anmaßung unterthan worden, ohne Gruß der Lippen geht er an
Brüdern vorüber, deren Alter und Verſtand ſeine Reverenz fordern,
er hat ſich herausgenommen, am heiligen Tag, da wir die Hunnen
ſchlugen, die Heerpredigt zu halten, wiewohl ein ſo wichtig Amt der
Rede einem der hochwürdigen Aebte zugeſtanden wäre; hat ſich ferner
herausgenommen, einen heidniſchen Gefangenen zu taufen, wiewohl
die Taufe vorgenommen werden ſoll vom ordentlichen Pfarrer des
Bezirks und nicht von einem, der an die Pforte des heiligen Gallus
gehört.


[246]

Was aber aus ſtetiger Berührung des vorlauten Jünglings mit
ſeiner neuen Gebieterin noch werden mag, weiß nur der, der Herz
und Nieren prüft! Bereits hat man bei der Hochzeit jenes getauften
Heiden wahrgenommen, wie er ſich der einſamen Unterredung mit
jener Herrin in Iſrael nicht entzieht, und etlichemale geſeufzt hat
gleich einem angeſchoſſenen Dammhirſch. Auch hat man mit Betrüb-
niß geſehen, wie eine unſtet irrlichtelnde griechiſche Jungfrau, genannt
Praxedis, um ihn her ihr Weſen treibt; was die Herrin unverdorben
läßt, mag die Dienerin einreißen, von der nicht einmal ſicher iſt, ob
ſie eines orthodoxen Glaubens ſich erfreue. Ein leichtfertig Weib
aber iſt bitterer denn der Tod, ſie iſt ein Strick der Jäger, ihr Herz
ein Netz, ihre Hände ſind Bande, nur wer Gott gefällt, mag ihr
entrinnen.


Es ſtund Rudimann, dem Beſchützer der Obermagd Kerhildis,
wohl an, daß er die Worte des Predigers ſo getreulich im Herzen trug.


Genug, ſprach der Abt. Hauptſtück neun und zwanzig: von der
Rückberufung auswärts Weilender. Es wird durchſchlagen. Mir
ahnt und ſchwant, bald wird die wetterwendiſche Herrin droben um
ihren Felſen herumflattern wie eine alte Schwalbe, der ihr Junges
aus dem Neſt gefallen, — Ade Herzkäfer! ... und Saspach wird
des Kloſters!


Amen! murmelte Rudimann.



Achtzehntes Kapitel.
Herrn Spazzo des Kämmerers Geſandtſchaft.



An einem kühlen Sommermorgen ſchritt Ekkehard den Burgweg
entlang in die wehende Frühluft hinaus. Eine ſchlafloſe Nacht lag
hinter ihm; er war auf ſeiner Stube auf und niedergeſchritten, die
Herzogin hatte wilde Gedanken in ihm aufgejagt. In ſeinem Kopf
[247] ſummte und ſchwirrte es, als ſtreiche ein Flug Wildenten drin herum.
Er mied Frau Hadwig's Anblick und ſehnte ſich doch in jeder Minute
da er fern, in ihre Nähe. Die alte frohe Unbefangenheit war ver-
flogen, ſein Weſen zerſtreut und fahrig geworden; jene Zeit, die noch
keinem Sterblichen erſpart ward, die der brave Gottfried von Straß-
burg hernachmals ein „ſtätes Leid bei ſtätiglicher Seligkeit“ geheißen,
brach über ihn herein.


Vor ſinkender Nacht hatte ein Gewitter getobt. Er hatte ſein
Fenſterlein geöffnet und ſich der Blitze erfreut, wenn ſie das Dunkel
durchzuckten, daß ein greller Schein die Ufer des Sees hell heraushob,
und hatte gelacht, wenn's wieder finſter ward und der Donner ſchüt-
ternd über die Berggipfel rollte.


Jetzt war ſonniger Morgen. Auf dem Gras perlten thauige
Tropfen, zwiſchen drein im Schatten auch dann und wann ein unge-
ſchmolzenes Eiskorn. Schweigend lag Berg und Thal, aber die ge-
bräunte Frucht der Felder ließ ihre Halme geknickt zu Boden hangen,
Hagelſchlag hatte in der hochſtrebenden Ernte gewüthet. Aus den
Felſen des Berges rieſelten trübfarbige Bächlein thalabwärts.


Noch regte ſich's nicht auf der Flur: es war kaum nach dem
erſten Hahnenſchrei. Nur fern über das Hügelland, das im Rücken
des hohen Twiel ſich wellenförmig ausdehnt, kam ein Mann geſchritten.
Das war der Hunn Cappan. Er trug Weidengerten und allerhand
Schlingen und ging an ſeine Arbeit den Feldmäuſen nachzuſtellen.
Fröhlich pfiff er auf einem Lindenblatt, — das Bild eines glücklichen
Neuvermählten, ihm war in der langen Friderun Armen ein neues
Leben aufgegangen.


Wie geht's? fragte ihn Ekkehard mild, als er an ihm vorüber-
ſchritt und ihn demüthig grüßte. Der Hunn deutete in die blaue
Luft hinauf: wie im Himmel! ſagte er und drehte ſich vergnügt auf
ſeinem Holzſchuh. Ekkehard wandte ſich. Noch lang tönte des Scheer-
mausfängers Pfeifen durch die Morgenſtille, er aber ſchritt zum Ab-
hang der Felſen. Dort lag ein verwitterter Stein; ein Fliederbuſch
wölbte ſich drüber mit üppig weißen Blüthen. Ekkehard ſetzte ſich.
Lang ſchaute er in die Ferne, dann zog er ein von zierlicher Decke
umfaßtes Büchlein aus ſeiner Kutte und hub an zu leſen. Es war
kein Brevier und kein Pſalterium. Das hohe Lied Salomonis! hieß
[248] die Ueberſchrift; das war kein gut Buch für ihn. Sie hatten ihn
zwar einſtens gelehrt, der lilienduftige Sang gelte dem brünſtigen
Sehnen nach der Kirche, der wahren Braut der Seele; er hatte es
auch in jungen Tagen ſtudirt, unangefochten von den Gazellenaugen
und taubenweichen Wangen und palmbaumſchlanken Hüften der Sula-
mitin; jetzt las er's mit anderem Sinne. Ein ſüßes Träumen um-
fing ihn.


„Wer iſt die, welche hervortritt wie die aufgehende Morgenröthe,
ſchön wie der Mond, erwählet wie die Sonne und ſchrecklich wie eine
wohlgeordnete Schlachtordnung?“ Er ſchaute hinauf zu den Zinnen
des hohen Twiel, die im Frühroth glänzten, und wußte die Antwort.


Und wieder las er: „Ich ſchlafe, aber mein Herz wachet. Da iſt
die Stimme meines Geliebten, der anklopfet: thue mir auf, meine
Schweſter, meine Freundin, meine Taube, denn meine Stirn iſt voll
Thaues und meine Haarlocken voll perlender Tropfen.“ Ein Luft-
zug ſchüttelte ihm die weißen Fliederblüthen auf's Büchlein, Ekkehard
ſchüttelte ſie nicht ab, er neigte ſein Haupt und ſaß regungslos ...


Unterdeß hatte Cappan wohlgemuth ſein Tagewerk begonnen. Es
war ein Grundſtück drunten in der Ebene an der Grenze des hohen-
twieler Bannes; dort hatten die Feldmäuſe ihr Heerlager aufgeſchlagen,
die Hamſter ſchleppten ganze Wintervorräthe des guten Korns in ihren
Backentaſchen von dannen und die Maulwürfe zogen ihre Schachte in
den kieſigen Boden. Dahin war Cappan beordert. Wie ein Staats-
mann in aufruhrdurchwühlter Provinz ſollte er ein geordnet Verhältniß
herſtellen und das Land ſäubern vom Geſindel. Die Fluthen des
Gewitters hatten die verborgenen Gänge aufgeſpült; leiſe grub er
nach und ſchlug manch eine Feldmaus im Frührothſcheine tod, ehe ſie
ſich deſſen verſah, dann ſtellte er ſorgſam ſeine Schlingen und Weiden-
ruthen, an andere Orte ſtreute er ein giftig Lockſpeislein, das er aus
Aaronswurz und Einbeer zuſammen gekocht, und pfiff fröhlich zu
ſeinem Mordwerk und ahnte nicht, was für ſchwere Wolken ſich über
ſeinem Haupte zuſammenzogen.


Das Grundſtück, wo er handthierte, ſtieß an Reichenauer Feldmark.
Wo der alte Eichwald ſeine Wipfel reckte, ragten etliche Strohdächer
ins Waldesgrün hinein: das war der Schlangenhof. Der gehörte
dem Kloſter zu mit viel Huben Ackerland und Waldes; eine fromme
[249] Wittfrau hatte ihn dem heiligen Pirminius zum Heil ihrer Seele
vergabt. Jetzt ſaß ein Kloſtermaier drauf, ein wilder Mann mit
knorrigem Schädel und harten Gedanken drin; er hatte viel Knechte
und Mägde und Roß und Zugvieh und gedieh wohl, denn die kupfer-
braunen Schlangen, die in Stall und Hof niſteten, pflegte er recht-
ſchaffen und ließ die Milchſchüſſel in der Stallecke nie leer werden,
alſo daß ſie ganz zahm und fröhlich in dem Stroh herum ſpielten
und Niemanden ein Leides thaten. Die Schlangen ſind des Hofes
Segen, ſprach der Alte oftmals, das iſt bei uns Bauern anders als
an des Kaiſers Hof.


Seit zwei Tagen aber hatte der Kloſtermaier keine gute Stunde
mehr gehabt. Die ſchweren Gewitter ſchufen ihm Sorge für Frucht
und Feld. Als ihrer drei ſonder Schaden vorübergegangen waren,
ließ er anſpannen und einen Sack vormjährigen Roggen aufladen,
und fuhr hinüber zum Diacon am Singener Kirchlein. Der lachte
auf ſeinem Stockzahn wie des Kloſtermaiers Geſpann aus dem Walde
vorgefahren kam, er kannte ſeinen Kunden. Seine Pfründe war mager,
aber aus der Menſchen Thorheit fiel ihm immer noch ein hinlängliches
ab, daß er ſeine Waſſerſuppen ſchmelzen konnte.


Der Kloſtermaier hatte ſeinen Kornſack bei ihm abgeladen und
geſagt: Meiſter Otfried, Ihr habt Euer Sach brav gemacht und von
meinen Aeckern das Wetter ordentlich weggebetet. Vergeßt mich nicht,
wenn's wiederum zu donnern kommt!


Und der Diaconus hatte ihm geantwortet: Ich denk, Ihr habt
mich geſehen, wie ich unter dem Kirchenthürlein ſtand, nach dem
Schlangenhof gewendet, und aus dem Weihbrunn drei Kreuze gegen
das Wetter geſpritzt hab, und den Spruch von den heiligen drei Nä-
geln dazu, der hat Schauer und Hagel landabwärts gejagt.212) Euer
Roggen könnt' ein gut Brod geben, Kloſtermaier, wenn noch ein
Stümplein Gerſtenkorn dazu gefügt wäre.


Da war der Kloſtermaier wieder heimgefahren, und gedachte juſt
ein Säcklein mit Gerſte zu richten, als verdiente Zulage für ſeinen
Anwalt beim Himmel: aber ſchon wieder thürmte ſich ein giftſchwarz
Gewölk auf, und wie es tiefdunkel über dem Eichwald ſtand, kam
ein weißgrau Wölklein heraufgezüngelt, das hatte fünf Zacken, wie
Finger einer Hand, und ſchwoll an, und ſchoß Blitze, und war ein
[250] Hagelwetter, fährlicher als alles frühere. Der Kloſtermaier war zu-
verſichtlich unter ſeiner Einfahrt geſtanden, „der von Singen ſprengt
mir's wieder weg“, hatte er gedacht; aber, wie die ſchweren Eisge-
ſchoſſe in ſein Kornfeld einſchlugen und die Aehren umſanken wie
pfeilerſchoſſene Jugend im Feldſtreit, und Alles geknickt lag, da ſchlug
er mit geballter Fauſt auf den Eichentiſch: verflucht ſei der Lügner in
Singen! In heller Verzweiflung wollt' er jetzt ein althegauiſches Haus-
mittel anwenden, nachdem des Diacon Zauber fruchtlos: er riß ein
paar Eichenzweige vom nächſten Stamm und zupfte das Laub zu
einer Streu zuſammen, das that er in ſein altehrwürdiges Hochzeit-
gewand und hing's an die mächtige Hauseiche. Aber die Hagelkörner
ſchlugen fort und fort in die Kornernte, trotz Hochzeitrock und Eich-
blattſtreu. Wie feſt gebannt ſchaute der Kloſtermaier auf den im
Regen ſchwebenden Bündel, ob ſich der Wind draus erhebe, der den
Regen verjagt: der Schönwetterwind blieb aus. Da zogen ſich ſeine
Augbrauen grimmig zuſammen, er biß ſich die Lippen und ſchritt in
ſeine Stube. Die Knechte wichen ihm auf zehen Schritte aus, ſie
wußten, was es hieß, wenn ihr Meiſter die Lippen biß. Schier zu-
ſammengebrochen warf er ſich an eichenen Tiſch, und ſprach lang kein
Wort. Dann that er einen fürchterlichen Fluch. Wenn der Kloſter-
maier fluchte, war's ſchon beſſer. Der Großknecht kam ſchüchtern her-
bei und ſtellte ſich ihm gegenüber; er war ein rieſiger Sohn Enaks,
aber vor ſeinem Meiſter ſtand er blöd wie ein Kind.


Wenn ich die Hexe wüßte! ſprach der Maier, die Wetterhexe, die
Wolkentrude! die ſollte ihren Rock nicht umſonſt über den Schlangen-
hof ausgeſchüttelt haben ... Daß ihr die Zunge im Mund verdorre!


Braucht's eine Hexe zu ſein? ſagte der Großknecht. Seit das
Waldweib am Krähen drüben landflüchtig worden, läßt ſich keine mehr
geſpüren.


Schweig! ſchalt der Kloſtermaier grimmig, bis du gefragt biſt.


Der Knecht blieb ſtehen, er wußte, daß es noch an ihn kommen
werde. Sie ſchwiegen eine Zeit. Dann fuhr ihn der Alte an: Was
weißt?


Ich weiß, was ich weiß, ſagte der Knecht pfiffig.


Sie ſchwiegen wiederum eine Weile. Der Kloſtermaier hatte zum
Fenſter hinausgeſchaut, die Ernte war vernichtet. Er wandte ſich.


[251]

Sag's! rief er.


Habt Ihr die Wetterwolke geſehen, ſprach der Knecht, wie ſie
über's Dunkel hingefahren iſt? Was war's? Das Nebelſchiff war's!
Es hat Einer unſer Korn den Nebelſchiffern verhandelt ...


Der Kloſtermaier ſchlug ein Kreuz, als woll' er ihm die weitere
Rede wehren.


Ich kenn's von meiner Großmutter her, fuhr der Knecht fort.
Die hat's im Elſaß drüben oft erzählen hören, wenn das Wetter
über den Odilienberg ſauste. Aus dem Land Magonia kommt's
hergeſegelt, das Nebelſchiff, weiß über die ſchwarzen Wolken, Faſolt
und Mermuth ſitzen drinnen, die hageln die Körner aus den Halmen,
wenn ihnen der Wetterzauberer Macht drüber gegeben, und heben unſer
Getreide in's Luftſchiff hinauf und fahren wieder heim nach Magonia
und zahlen einen guten Lohn.213) Das Nebelſchiff rufen trägt mehr
ein als Meſſe leſen; uns aber bleiben die Hülſen.


Der Kloſtermaier ward nachdenklich. Dann griff er den Knecht
am Kragen und ſchüttelte ihn.


Wer? rief er heftig.


Der Knecht aber legte den Finger auf den Mund. Es war ſpäte
Nacht geworden.


In der gleichen Frühſtunde, da Cappan dem Ekkehard begegnet
war, ging der Kloſtermaier mit dem Großknecht über die Felder, den
Schaden zu beſchauen. Sie ſprachen kein Wort. Der Schaden war
groß. Aber das Land jenſeits war minder verheert, als ob die Eichen
des Waldes eine Grenzſcheide für Einſchlag des Hagels gezogen. Auf
dem nahen Grundſtück trieb Cappan ſeine Arbeit. Er hatte das
Stellen der Fallen beendet, und gedachte eine Weile zu ruhen. Er
zog aus dem Gürtel ein Stück ſchwarz Brod und eine Speckſeite, die
glänzte weich und weiß, wie friſchgefallener Schnee und war ſo ſchön,
daß er mit Rührung ſeiner neuen Ehfrau gedenken mußte, die ihm
ſolche Atzung zugeſteckt. Und er dachte an Allerlei, was ſich ſeit der
Hochzeit zwiſchen ihm und ihr zugetragen, und ſchaute ſehnſüchtig zu
den Lerchen empor, als ſollten ſie hinüberfliegen zur Kuppe des hohen
Stoffeln und ihm Haus und Ehbett grüßen, und es ward ihm ſo
wohl zu Muth, daß er wieder einen mächtigen Luftſprung that. Weil
ſein ſchlankes Ehgemahl nicht anweſend, gedachte er ſich jetzt des lan-
[252] gen Weges zur Erde zu legen, um ſeinen Imbiß zu verzehren, denn
daheim hatte er ſich immer noch zum Sitzen bequemen müſſen, ſo
ſauer es ihm auch ward. Da ſchoß ihm durch den Sinn, daß ihm
Friderun zu beſſerem Segen bei ſeiner Handthierung einen Spruch
gelehrt, das Ungeziefer zu beſchwören, und ihm ſtreng auf's Herz ge-
legt, ſolchen Spruch nicht zu verſäumen.


Sein Frühmahl hätt' ihm nimmer geſchmeckt, bevor er dem Be-
fehl gehorchet.


An des Feldes Grenze war ein Stein, drein ein Halbmond ge-
hauen, Frau Hadwig's Herrſchaftszeichen. Er trat vor, zog ſeinen
Holzſchuh vom rechten Fuß, trat barfüßig auf den Grenzſtein und hob
die Arme nach dem Wald hin. Der Kloſtermaier und ſein Knecht
gingen zwiſchen den Eichen; ſie blieben ſtehen, er ſah ſie nicht und ſprach
den Spruch wie Friderun ihn gelehrt: Aius, sanctus, cardia car-
diani!
Maus und Mäuſin, Talp und Talpin, Hamſter und Frau
Hamſterin, laſſet das Feld, wie es beſtellt; fahrt in die Welt! Fahret
hinunter, hinüber in's Moor, Fieber und Gicht laß Euch nimmer her-
vor! Afrias, aestrias, palamiasit!214)


Der Kloſtermaier und Großknecht hatten hinter den Eichen der
Beſchwörung gelauſcht; jetzt ſchlichen ſie näher. Afrias, aestrias,
palamiasit!
ſprach Cappan zum zweitenmal, da fuhr ihm ein Schlag
in's Genick, daß er zu Boden ſtürzte, ſeltſame Laute klangen an des
Ueberraſchten Ohr, vier Fäuſte arbeiteten ſich müd auf ſeinem Rücken,
wie Flegel der Dreſcher in der Scheune.215)


Geſteh's, Kornmörder! rief der Kloſtermaier dem Hunnen zu, der
nicht wußte, wie ihm geſchah, was hat dir der Schlangenhof für Leids
gethan, Wettermacher, Mausverhetzer, Teufelsbraten?


Cappan hatte keine Antwort, ihm ſchwindelte. Das erzürnte den
Alten noch mehr.


Schau ihm in's Aug'! rief er dem Knecht zu, ob's trieft und ob's
dich verkehrt abſpiegelt, den Kopf nach unten. — Der Knecht that wie
geheißen. Aber er war ehrlich: im Aug' ſitzt's nicht, ſprach er.


So lupf ihm den Arm!


Er riß dem Daniedergeſchlagenen das Obergewand ab und prüfte
den Arm: Wer mit böſen Geiſtern Verbindung pflog, war irgendwo
am Leib gezeichnet. Aber ſie fanden kein Fehl an dem Mitleids-
[253] werthen, nur etliche altvernarbte Wunden. Da wären ſie ſchier wie-
der zu ſeinen Gunſten geſtimmt worden; die Menſchen waren dazumal,
wie ein Geſchichtſchreiber ſagt, in ihren Leidenſchaften nach Art der
Wilden, auffahrend und jäh veränderlich. Aber des Knechts Blick
fiel von ohngefähr auf's Erdreich, da kroch ein großer Hornſchröter
des Weges; violſchwarz glänzten die Flügeldecken und die röthlichen
Hörner ſtanden ihm ſtolz, wie ein Geweih. Er hatte ſich des Cappan
Mißhandlung angeſchaut und wollte jetzt feldeinwärts, denn er fand
kein Wohlgefallen dran.


Der Knecht aber fuhr erſchrocken zurück.


Der Donnergugi! rief er.


Der Donnerkäfer! rief de[s] Kloſtermaier deßgleichen. Jetzt war
Cappan verloren. Daß er mit dem Käfer das Wetter gemacht, litt
keinen Zweifel mehr, Hornſchröter zieht Blitz und Hagel nieder.


Mach Reu und Leid, Heidenhund! ſprach der Maier, und griff
nach ſeinem Meſſer. Es fiel ihm Etwas ein: Auf dem Grab ſeiner
Brüder ſoll er's büßen, ſprach er weiter. Er hat das Wetter be-
ſchworen, die Hunnenſchlacht zu rächen, Art läßt nicht von Art.


Der Knecht hatte indeß den Hornſchröter zwiſchen zwei platten
Feldkieſeln zermalmt, und grub die Steine in Boden.216) Jetzt ſchlepp-
ten ſie den Cappan vorwärts über's Blachfeld, und ſchleppten ihn zum
hunniſchen Grabhügel und ſchnürten ihm mit Weidenruthen Hand und
Fuß zuſammen; dann ſprang der Knecht zum Schlangenhof hinüber
und rief ſeine Mitknechte. Wild und mordluſtig kamen ſie heran,
etliche davon hatten auf Cappan's Hochzeit getanzt, das ſtand nicht
im Weg, daß ſie jetzt zu ſeiner Steinigung auszogen.


Cappan fing an nachzudenken. Was ihm zur Laſt gelegt ward,
begriff er nicht, wohl aber, daß Gefahr da. Darum that er einen
Schrei, der klang gell und durchdringend durch die Luft, wie der
Schrei eines wunden Roſſes in der Todesſtunde; davon ward Ekkehard
aus ſeinen Träumen unter dem Fliederbaum aufgejagt, er kannte die
Stimme ſeines Täuflings und ſchaute hinunter. Ein zweitesmal klang
Cappan's Schrei auf, da vergaß Ekkehard ſein hohes Lied und eilte
die Berghalde hinab.


Er kam zu rechter Zeit. Sie hatten den Cappan an das Fels-
ſtück gelehnt, das den Hügel deckte und ſtanden im Halbkreis dabei.
[254] Der Kloſtermaier that kund, wie er ihn auf handhafter That des
Wettermachens betroffen, und fragte herum, da ſprachen ſie ihn ſchul-
dig geſteinigt zu werden.


In die unheimliche Verſammlung ſprang Ekkehard. Die Män-
ner geiſtlichen Standes waren dazumal minder verblendet, als etliche
hundert Jahre ſpäter, wo Tauſende unter gleich begründeter Anſchuldi-
gung auf dem Scheiterhaufen verenden mußten und der Staat ſein
„von Rechtswegen“ drunter ſetzte und die Kirche ihren Segen dazu gab.
Und Ekkehard, ſo ſehr er ſonſt an zauberiſche Kunſt glaubte, hatte
ſelber einſtmals im Kloſter des frommen Biſchof Agobard Schrift ge-
gen unſinnige Volksmeinung von Hagel und Wetter abgeſchrieben;
zürnender Unwille ſchuf ihm Beredſamkeit.


Was thut ihr Unſinnige, die ihr richten wollet wo euch zu beten
geziemt, daß ihr nicht ſelber möget gerichtet werden! Hat der Mann
gefrevelt, ſo wartet bis zum Neumond, wenn der Leutprieſter von
Radolfszell das Sendgericht217) hält, dort mögen ihn die ſieben Eid-
männer verbotener Kunſt zeihen, wie es des Kaiſers und der Kirche
Vorſchrift!


Aber die Männer vom Schlangenhof trauten ihm nicht. Ein
drohend Murren erhob ſich.


Da gedachte Ekkehard in den wilden Gemüthern eine andere Saite
anzuklingen.


Und glaubt ihr wirklich, ihr, die Söhne des Landes der Heiligen,
der Gott wohlgefälligen ſchwäbiſchen Erde, daß ein ſo arm hergelau-
fener Hunnenmenſch Macht haben könnte, unſere Wolken zu be-
ſchwören? Glaubt ihr, daß die Wolken ihm gehorchen? daß nicht
vielmehr ein guter Hegauer Blitz ihm das Haupt zerſchmettert hätte
zur Strafe des Frevels, daß ein fremder Mann ihn angerufen?


Wenig fehlte, ſo hätte dieſer Grund den heimathſtolzen Gemüthern
eingeleuchtet. Aber der Kloſtermaier rief: Der Donnerkäfer! der
Donnerkäfer! wir haben ihn mit eigenen Augen zu ſeinen Füßen
kriechen ſehen! Da erſcholl es von Neuem: Steiniget ihn! Ein Feld-
ſtein flog herüber und ſchlug den Armen blutrünſtig. Da warf ſich
Ekkehard unverzagt über ſeinen Täufling und ſchirmte ihn mit ſeinem
eigenen Leib. Das wirkte.


[255]

Die Männer vom Schlangenhof ſchauten einander an; allmälig
wurden ſie ſtumm, dann machte Einer im Kreiſe Kehrt und ging feld-
einwärts, Andere folgten, zuletzt ſtand der Kloſtermaier allein: Ihr
haltet's mit dem Landverderber! rief er zürnend, aber Ekkehard ant-
wortete nicht, da ließ auch er den erhobenen Stein zur Erde ſinken
und ging brummend von dannen.


Cappan war übel zugerichtet. Auf einem Rücken, den alleman-
niſche Bauernfäuſte durchgearbeitet, wächst Jahre lang kein Gras.
Der Steinwurf hatte eine Wunde in Kopf geſchlagen, die blutete
ſtark. Ekkehard wuſch ihm das Haupt mit Regenwaſſer und machte
das Zeichen des Kreuzes drüber, das rinnende Blut zu ſtillen, dann
verband er ihn nothdürftig. Er gedachte ans Evangelium vom barm-
herzigen Samaritaner. Der wunde Mann ſchaute dankbar aus den
gekniffenen Augen zu ihm empor. Langſam führte ihn Ekkehard zur
Burg hinauf, er mußte ihm zureden bis er's wagte ſich auf ſeinen
Arm zu ſtützen. Auch der Fuß mit der Narbe aus der Hunnenſchlacht
that ihm weh; ſtöhnend hinkte er bergaufwärts.


Auf dem hohen Twiel gab's großen Lärm wie ſie ankamen. Alle
waren dem Hunnen gut. Die Herzogin kam in Hof herunter, ſie
nickte Ekkehard freundlich zu ob ſeiner Barmherzigkeit. Der Kloſter-
leute Frevel an ihrem Unterthan verſetzte ſie in zürnende Aufregung.


Das ſoll nicht vergeſſen ſein, ſprach ſie; ſei getroſt, Mausfänger!
ſie ſollen dir ein Wehrgeld zahlen für den wunden Schädel, das einer
Ausſteuer gleich kommt. Und für den geſtörten Herzogsfrieden ſetzen
wir ihnen die höchſte Buße, zehn Pfund Silbers ſoll nicht genug ſein.
Die Kloſterleute werden frech wie ihre Herren.


Am wildeſten war Herr Spazzo der Kämmerer. Hab' ich darum
mein Schwert von ſeinem Haupt zurückgezuckt, ſchalt er, wie er mit
zerſtochenem Schenkel vor mir lag, daß ihm's die Lümmel vom
Schlangenhof mit Feldſteinen pflaſtern ſollen? Und wenn er auch
unſer Feind war, jetzt iſt er getauft und ich bin ſein Pathe und hab'
für ſeiner Seele und ſeines Leibes Heil Sorge zu tragen. Sei vergnügt,
Pathenkind! rief er ihm zu und klirrte mit ſeinem Schwert auf dem
Steinboden, wenn deine Schramme geflickt iſt, begleit' ich dich zum
erſten Spaziergang, da wollen wir mit dem Kloſtermaier rechnen,
Hagel und Wetter, rechnen wollen wir, daß ihm die Spähne vom
[256] Kopf fliegen! Mit den Maiern kann's ſo nicht mehr fortgehen! Die
Burſchen führen Schild und Waffen wie Edelleute, richten ſtatt
ziemender Bauernjagd Hunde auf Wildſchweine und Bären und blaſen
auf ihren Waidhörnern, als wären ſie die Könige der Welt. Wo
Einer den Kopf am höchſten trägt, iſt's ein Maier, man mag drauf
wetten!218)


Wo iſt der Frevel geſchehen? fragte die Herzogin.


Sie haben ihn von der Feldmark, wo der Halbmond ausgehauen
ſteht, bis an den hunniſchen Grabhügel geſchleppt, ſagte Ekkehard.


Alſo mitten auf unſerem Grund und Boden, zürnte Frau Hadwig,
das iſt zu viel! Herr Spazzo, Ihr werdet reiten!


Wir werden reiten! ſprach der Kämmerer grimmig.


Und vom Abt auf der Reichenau noch heute Wehrgeld und Fried-
bruchbuße und volle Genugthuung verlangen. Unſern landesherrlichen
Rechten ſoll durch klöſterliche Anmaßung kein Eintrag geſchehen!


.. durch klöſterliche Anmaßung kein Eintrag geſchehen! wiederholte
Herr Spazzo noch grimmer denn zuvor.


Selten war ihm ein annehmlicherer Auftrag geworden. Er ſtrich
ſeinen Bart. Wir werden reiten, Herr Abt! ſprach er und ging
hinauf, ſich zu rüſten.


Aber ſein grünſammtnes Unterwamms und ſeinen goldverbrämten
Kämmerermantel ließ er geruhig im Kaſten hangen; er ſuchte ein
abgetragen grau Jagdgewand aus und legte die großen Beinſchienen
an, mit denen er in die Schlacht geritten, und die größten Sporen
dran und probirte etlichemal einen feſten Tritt. Auf den Eiſenhut
aber ſteckte er der wallendſten Federn drei und that ſein Schlacht-
ſchwert um.


So kam er in Burghof herunter.


Schaut mich einmal an, holdſelige Jungfrau Praxedis, ſprach er
zu dieſer, was mach' ich heut' für ein Geſicht? Er hatte den Eiſen-
hut auf's linke Ohr gerückt und ſein Haupt hochfahrend über die
rechte Schulter gedreht.


Sehr ein unverſchämtes, Herr Kämmerer, war der Griechin Antwort.


Dann iſt's recht! ſprach Herr Spazzo und ſchwang ſich auf den
Gaul. Er ritt aus dem Burgthor, daß die Funken ſtoben, mit dem
erfreulichen Gefühl, daß heute Unverſchämtheit Pflicht ſei.


[257]

Unterweges übte er ſich. Das Wetter hatte eine Tanne nieder-
geworfen; im Wurzelwerk haftete noch das vom Sturz mit aufgeriſſene
Erdreich. Die ſchweren Aeſte ſperrten den Pfad.


Aus dem Weg, geiſtlicher Holzklotz! rief Herr Spazzo der Tanne
zu. Wie die ſich nicht rührte, zog er ſein Schwert. Vorwärts, Falada!
ſpornte er die Mähre und ſetzte in kühnem Satze über den Baum.
Im Drüberſprengen that er einen Schwerthieb in's Geäſt, daß die
Zweige herumflogen.


Nach weniger denn anderthalb Stunden war er ſchon vor der
Kloſterpforte. Der ſchmale Streif Landes, der bei niederem Waſſer-
ſtand des Sees das Ufer mit der Inſel verbindet, war frei von
Ueberſchwemmung und geſtattete das Hinüberreiten.


Ein dienender Bruder that ihm auf. Es war um Mittagszeit.
Der blödſinnige Heribald kam neugierig aus dem Kloſtergarten her-
gelaufen, zu ſchauen wer der fremde Reiter. Er drängte ſich nah an's
Roß, wie Herr Spazzo abſprang. Der Hofhund tobte an ſeiner Kette
mit Gebell dem Rappen des Kämmerers entgegen, daß er ſich auf-
bäumte. Schier hätte Herr Spazzo Schaden genommen. Wie er mit
beiden Füßen auf die Erde geſprungen war, griff er ſeine Schwert-
ſcheide und hieb dem Heribald flach über den Rücken.


Es iſt nicht für Euch! rief er und ſtrich ſeinen Bart, es iſt für
den Hofhund. Gebt's weiter!


Heribald ſtand betroffen und griff nach ſeiner Schulter. Heiliger
Pirmin! jammerte er.


Es gibt heute keinen heiligen Pirmin! ſprach Herr Spazzo ent-
ſchieden.


Da lachte Heribald, als wenn er ſeinen Mann kennte. Eia, gnä-
diger Herr, die Hunnen ſind auch bei uns geweſen, und war Niemand
da, als Heribald, ſie zu empfangen, aber ſo gottlos haben ſie nicht
mit ihm geſprochen.


Die Hunnen ſind keine herzoglichen Kämmerer! ſprach Herr Spazzo
[m]it Stolz.


In Heribald's blödſinnigem Gehirn begann der Gedanke aufzu-
dämmern, die Hunnen ſeien nicht die ſchlimmſten Gäſte auf deutſcher
Erde. Er ſchwieg und ging in Garten. Dort riß er ein paar
Salbeiblätter ab und rieb ſeinen Rücken.


D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 17
[258]

Herr Spazzo ſchritt über den Kloſterhof zum Thor, das durch den
Kreuzgang in's Innere führte. Er trat feſt auf. Die Glocke zum
Mittagsmahl läutete. Einer der Brüder kam ſchnellen Ganges über
den Hof. Herr Spazzo faßte ihn am dunkeln Gewand.


Rufet mir den Abt herunter! ſprach er. Der Mönch ſah ihn
verwundert an und that einen Seitenblick auf des Kämmerers abge-
tragen Jagdhabit.


Es iſt die Stunde der Mahlzeit, ſprach er. Wenn ihr geladen
ſeid, was ich aber ... er ſchaute wiederum etwas ſpöttiſch auf Spazzo's
Jagdrock; der Schluß ward ihm erſpart, der Kämmerer würdigte den
hungrigen Bruder eines gediegenen Fauſtſchlages, daß er taumelnd von
der Schwelle in den Hof hinausflog, wie ein wohlgeſchleuderter Feder-
ball. Die Mittagsſonne ſchien auf des Gefallenen Tonſur.


Dem Abt war bereits gemeldet worden, welch einen Frevel der
Kloſtermaier ſich an der Herzogin Mann erlaubt. Jetzt vernahm er
den Tumult im Kloſterhof. Wie er an ſein Fenſter trat, erſchaute
er juſt den frommen Bruder Yvo fauſtſchlagbefördert in Hof hinaus-
fliegen. Glücklich, wer der Dinge geheimſte Urſachen erkannt hat, ſingt
Virgilius. Abt Wazmann erkannte ſie, er hatte aus dem Dunkel
des Kreuzgangs Herrn Spazzo's Helmzier drohend herübernicken geſehen.


Ruft mir den Abt herunter! rief's zum zweitenmal vom Hofe
herauf, daß die Scheiben der Zellenfenſter klirrten. Unterdeſſen ward
die Reichenauer Mittagsſuppe kalt; die im Refectorium Verſammelten
griffen endlich zu, ohne des Abts zu warten.


Der Abt Wazmann hatte Rudimann den Kellermeiſter zu ſich
entboten. Das Alles, ſprach er, hat uns der Grünſpecht von Sanct
Gallen wieder angezettelt. O Gunzo, Gunzo! Keiner ſoll ſeinem
Nächſten ein Leid wünſchen, aber doch überdenkt mein Gemüth die
Frage, ob unſere Hofbauern, das rieſige Geſchlecht vor dem Herrn,
nicht wohlgethan hätten, dem Gleisner Ekkehard die Steine an Kopf
zu werfen, die ſie dem hunniſchen Hexenmeiſter beſtimmt ...


Ein Mönch trat ſcheu in des Abts Gemach.


Ihr ſollt herunterkommen, ſagte er leiſe, es iſt Einer drunten und
tobt und griesgramt wie ein Gewaltiger.


Da wandte ſich der Abt zu Rudimann dem Kellermeiſter und
ſprach: Es muß ſchlecht Wetter ſein bei der Herzogin; ich kenne den
[259] Kämmerer, der iſt ein ſicher Wetterzeichen. Wenn ſeine Herrin ihren
ſtolzen Mund zur Heiterkeit zuſpitzt, ſo lacht er mit dem ganzen Ge-
ſicht, und wenn Wolken über ihre Stirn ziehen, ſo geht bei ihm ein
volles Donnerwetter los ..


.. und ſchlägt ein, ergänzte Rudimann. Schwere Tritte klirrten
durch den Gang.


Es iſt keine Zeit mehr zu verlieren, ſprach der Abt. Macht Euch
ſchnell auf den Weg, Kellermeiſter, reitet hinüber und drückt der Her-
zogin unſer Bedauern aus; nehmt ein paar Silberlinge aus der
Kloſtertruhe mit als Schmerzensgeld für den Zerſchlagenen, und ſaget,
daß man für ſeine Geneſung beten wolle. Vorwärts, Ihr ſeid ja
ſein Pathe und ein kluger Mann.


Es wird ſchwer halten, ſprach Rudimann. Sie wird recht gif-
tig ſein.


Bringt ihr ein Geſchenk mit, ſprach der Abt. Kinder und Frauen
laſſen ſich gern die Augen blenden.


Was für eines? wollte Rudimann fragen, da ward die Thür auf-
geriſſen. Herr Spazzo trat ein. Sein Geſicht lag in den richtigen
Falten.


Beim Leben meiner Herzogin!! rief er, hat der Abt dieſes Ratten-
neſtes heute Blei in ſeine Ohren gegoſſen, oder iſt ihm Gichtbruch in
die Füße gefahren? Was kommet Ihr nicht, Euern Beſuch zu
empfangen?


Wir ſind überraſcht, ſprach der Abt, laßt Euch willkommen heißen.
Er hob den rechten Zeigefinger, ihm den Segen zu ertheilen.


Brauch' keinen Willkomm! gab ihm Herr Spazzo zurück. Der
Teufel iſt heute Schutzpatron des Tages. Wir ſind gekränkt! ſchwer
gekränkt! Wir heiſchen Buße: zweihundert Pfund Silbers zum min-
deſten. Heraus damit!! Mord und Weltbrand! den landesherrlichen
Rechten ſoll durch klöſterliche Anmaßung kein Eintrag geſchehen! Wir
ſind Geſandter.


Er klirrte mit den Sporen auf dem Fußboden.


Verzeihet, ſprach der Abt, wir haben am grauen Jagdrock die
Tracht des Geſandten nicht zu erkennen vermocht.


Beim kameelhärenen Kleid des Täufers Johannes brauste Herr
Spazzo auf, und wenn ich im Hemd angeritten käme, ſo wär' die
17*
[260] Gewandung noch ſtolz genug, um vor euch ſchwarze Kutten als Herold
zu treten.


Er ſetzte ſeinen Helm auf. Die Federn nickten: Zahlet, damit
ich weiters kann. Es iſt ſchlechte Luft hier, ſchlecht, ſehr ſchlecht ...


Erlaubet, ſagte der Abt, im Zorn laſſen wir keinen Gaſt von der
Inſel reiten. Ihr ſeid ſcharf, weil Ihr noch nichts gegeſſen habt.
Laſſet Euch ein Kloſtermahl nicht gereuen. Nachher von Geſchäften.


Daß Einer für ſeine Grobheit freundlich zum Mittagsmahl einge-
laden wird, machte dem Kämmerer einigen Eindruck. Er nahm ſeinen
Helm wieder ab. Den landesherrlichen Rechten ſoll durch klöſterliche
Anmaßung kein Eintrag geſchehen! ſprach er noch einmal, aber der
Abt deutete hinüber: da ſah man die offene Kloſterküche, der blonde
Küchenjunge drehte den Spieß am Feuer und ſchnalzte mit der Zunge,
denn ein lieblicher Bratenduft war in ſeiner Naſe aufgeſtiegen —
ahnungsvoll ſtanden etliche verdeckte Schüſſeln im Hintergrund, — ein
Mönch wandelte mit rieſigem Steinkrug vom Keller her durch den
Hof. Das Bild war allzu lockend.


Da vergaß Herr Spazzo die amtlichen Stirnfalten und nahm die
Einladung an.


Bei der dritten Schüſſel ſtrömten ſeine Grobheiten ſpärlicher. Wie
der rothe Meersburger im Pocal glänzte, verſiegten ſie ganz. Der
rothe Meersburger war gut. —


Unterdeß ritt Rudimann der Kellermeiſter aus dem Kloſter. Der
Fiſcher von Ermatingen hatte einen rieſigen Lachs gefangen, friſch
und prächtig lag er im kühlen Keller verwahrt, den hatte Rudimann
erleſen als Geſchenk zur Beſchwichtigung der Herzogin. Auf dem
Schreibzimmer des Kloſters hatte er auch noch zu ſchaffen, bevor er
ausritt. Ein Laienbruder mußte ihn begleiten, das in Stroh ver-
packte Seeungethüm quer über ſein Maulthier gelegt. Herr Spazzo
war hochmüthig herübergeritten, demüthig ritt Rudimann hinüber. Er
ſprach leiſe und ſchüchtern, wie er nach der Herzogin fragte. Sie iſt
im Garten, hieß es.


Und mein frommer Mitbruder Ekkehard? frug der Kellermeiſter.


Der hat den wunden Cappan in ſeine Hütte am Hohenſtoffeln ge-
leitet und pflegt ihn, er kommt vor Nacht nicht heim.


[261]

Das thut mir leid, ſprach Rudimann. Höhniſch verzog er ſeine
Lippen. Er ließ den Lachs auspacken und auf die Granitplatte des
Tiſches im Hofe legen; die Linde warf ihren Schatten drüber, die
Schuppen des Seegewaltigen glänzten, es war als ob ſein kühles
Auge noch Leben hätte und ſchmerzlich ſtumm vom Berggipfel nach
den blauen Wogen drüben ſchaute. Der Fiſch war über eines Mannes
Länge; Praxedis hatte einen hellen Schrei gethan, wie die Strohhülle
von ihm genommen ward. Er kommt vor Nacht nicht heim! mur-
melte Rudimann, und brach einen ſtarken Lindenzweig und ſperrte
mit eingeſchobenem Holze dem Lachs den Rachen, daß er weit aufge-
riſſen hinausgähnte. Mit grünem Lindenblatt verzierte er das Fiſch-
maul, dann griff er in ſeinen Buſen, dort trug er die Pergament-
blätter von Gunzo's Schmähſchrift, er rollte ſie ſäuberlich zuſammen
und ſchob ſie in den offenen Rachen. Neugierig ſah ihm Praxedis
zu: das war ihr noch nicht vorgekommen.


Jetzt nahte die Herzogin. Demüthig ging ihr Rudimann entgegen,
er bat um Nachſicht für die Kloſterleute, es thue dem Abt leid, er
ſprach mit Anerkennung von dem Verwundeten, mit Zweifel vom
Wetterzauber, mit Erfolg im Ganzen. Und mög' Euch ein unwürdig
Geſchenk wenigſtens den guten Willen des Euch ſtets getreuen Gottes-
hauſes beweiſen, ſchloß er und trat zurück, daß der Lachs in ſeiner
vollen Pracht ſichtbar wurde. Die Herzogin lächelte halb verſöhnt.


Jetzt ſah ſie das Pergament dem Rachen entragen. Und das?
ſprach ſie fragend.


Das Neueſte der Literatur!... ſprach Rudimann. Er neigte ſich
mit Anſtand, ging zu ſeinem Saumthier und beeilte ſich des Heimritts. —


Der rothe Meersburger war gut. Und Herr Spazzo nahm's nicht
als eine leichte Sache, beim Wein zu ſitzen, er dauerte aus vor den
Krügen wie ein Städtebelagerer und ſaß feſtgegoſſen auf ſeiner Bank
und trank als ein Mann, der ſprudelnd Aufſchäumen den Knaben
überläßt, ernſt aber viel.


Der Rothe iſt die verſtändigſte Einrichtung im ganzen Kloſter,
habt Ihr noch mehr im Keller? hatte er den Abt gefragt, wie der
erſte Krug leer war. Es ſollte eine Höflichkeit ſein, ein Zeichen der
Verſöhnung, daß er weiter trank. Da kam der zweite Krug.


[262]

Unbeſchadet der landesherrlichen Rechte! ſprach er grimm, wie er
mit dem Abt anſtieß. Unbeſchadet! antwortete der mit einem Sei-
tenblick.


Es war die fünfte Abendſtunde, da ſchallte ein Glöcklein durch's
Kloſter. Verzeihet, ſprach der Abt, wir müſſen zur Vesper, wollet
Ihr mit?


Ich werd' Euch lieber erwarten, entgegnete Herr Spazzo und
ſchaute in den dunkeln Hals des Steinkrugs. Es wogte drin noch
ſattſamer Bedarf für eine Stunde. Da ließ er die Mönche ihren
Vesperſang halten und trank einſam weiter.


Wieder war eine Stunde abgelaufen, da beſann er ſich, weßhalb
er eigentlich in's Kloſter herüber geritten. Es fiel ihm nimmer deut-
lich ein. Jetzt kam der Abt zu ihm zurück.


Wie habt Ihr Euch unterhalten? fragte er.


Gut! ſprach Herr Spazzo. Der Krug war leer.


Ich weiß nicht ... begann der Abt.


Doch! ſprach Herr Spazzo und nickte mit dem Haupt. Da kam
der dritte Krug.


Inzwiſchen kehrte Rudimann von ſeinem Ausritt heim, die Abend-
ſonne neigte ſich zum Untergehen, der Himmel färbte ſich glühend,
purpurne Streiflichter fielen durch's ſchmale Fenſter auf die Zechenden.


Wie Herr Spazzo wieder mit dem Abte anſtieß, glänzte der Roth-
wein wie feurig Gold im Pocal und er ſah einen Schein der Ver-
klärung um des Abts Haupt flimmern. Er beſann ſich. Beim Le-
ben Hadwig's,219) ſprach er feierlich, wer ſeid Ihr?


Der Abt verſtand ihn nicht. Was habt Ihr geſagt? fragte er.
Da kannte Herr Spazzo die Stimme wieder. Ja ſo! rief er und
ſchlug mit der Fauſt auf den Tiſch, den landesherrlichen Rechten ſoll
durch klöſterliche Anmaßung kein Eintrag geſchehen!


Gewiß nicht! ſagte der Abt.


Da fühlte der Kämmerer einen fliegenden Stich in der Stirn220)
den kannte er wohl und pflegte ihn den „Wecker“ zu heißen. Der
Wecker kam nur, wenn er beim Weine ſaß; wenn er durch's Haupt
brauste, ſo war's ein Signal, daß in Friſt einer halben Stunde die
Zunge gelähmt ſei und das Wort verſage. Kam der Wecker zum
zweitenmal, ſo drohte die Lähmung den Füßen. Da erhob er ſich.


[263]

Die Freude ſollen die Kutten nicht erleben, dachte er, daß vor
ihrem Kloſterwein eines herzoglichen Dienſtmannes Zunge ſtille ſteht!
Er ſtand feſt auf den Füßen.


Halt an, ſprach der Abt, des Abſchieds Minne!


Da kam der vierte Krug. Herr Spazzo war zwar aufgeſtanden,
aber zwiſchen Aufſtehen und Fortgehen kann ſich noch Vieles zutragen.
Er trank wieder. Wie er ſeinen Pocal abſetzen wollte, ſtellte er ihn
bedächtig in die blaue Luft hinein, daß er auf die Steinplatten des
Fußbodens fiel und zerſchellte. Da ward Herr Spazzo grimmig. Ver-
ſchiedenes rauchte und rauſchte ihm durch den Sinn.


Wo habt Ihr ihn? fuhr er den Abt an.


Wen?


Den Kloſtermaier! Gebt ihn heraus, den groben Bauer, der mein
Taufpathenkind hat umbringen wollen! Er ging drohend auf den
Abt los. Nur einen einzigen Fehltritt that er.


Der ſitzt auf dem Schlangenhofe, ſprach der Abt lächelnd. Er
ſei Euch ausgeliefert. Ihr müßt aber ſelber ausziehen und ihn holen.


Mord und Weltbrand! wir werden ihn holen, polterte Herr Spazzo
und ſchlug an's Schwert, indem er nach der Thüre ſchritt. Aus dem
Bett werden wir ihn greifen, den Bärenhäuter, und wenn er gegriffen
iſt, beim Torniſter des heiligen Gallus! wenn er ... dann ... ſag'
ich Euch ...


Die Rede kam nimmer zum Schluß. Die Sprache ſtand ihm
ſtill wie die Sonne in der Amorrhiter Schlacht, da Joſua ihr gebot.


Er griff nach des Abtes Becher und trank ihn leer.


Die Sprache kam nicht wieder. Ein ſüßes Lächeln lagerte ſich
auf des Kämmerers Lippen. Er ſchritt auf den Abt zu und um-
armte ihn.


Freund und Bruder! vielgeliebter alter Steinkrug! wie wär's,
wenn ich Euch ein Aug' ausſtäche? wollte er mit kämpfender Zunge
zu ihm ſagen; es gelang ihm nimmer, verſtändlich zu ſein. Er preßte
den Abt feſt und trat ihm dabei mit dem beſpornten Stiefel auf den
Fuß. Abt Wazmann hatte bereits den Gedanken überlegt, ob er dem
Erſchöpften ein Nachtlager wolle anweiſen, die Umarmung und der
Schmerz ſeiner Zehen änderte ihm den Sinn, er ſorgte, daß des Käm-
merers Rückzug beginne.


[264]

Im Kloſterhof ward ſein Roß geſattelt. Der blödſinnige Heribald
ſchlich ſich draußen herum, er hatte ein groß Stück Zunder in der
Küche geholt und gedachte daſſelbe brennend des Kämmerers Roß in
die Nüſtern zu legen, daß es ihn räche für den flachen Hieb. Jetzt
kam Herr Spazzo heraus, er hatte die Reſte ſeiner Würde zuſammen-
gerafft. Ein Diener mit einer Fackel leuchtete.


Der Abt hatte ihm an der obern Pforte Valet gewinkt.


Herr Spazzo ſtieg auf ſeinen treuen Rappen Falada, ebenſo ſchnell
gleitete er auf der rechten Seite wieder herab. Heribald ſprang bei,
ihn aufzufangen, der Kämmerer fiel ihm in die Arme, des Mönchs
Bart ſtreifte ſtechend ſeine Stirn.


Biſt du auch da, Elbentrötſch!221) weiſer König Salomo! lallte
Herr Spazzo, ſei mein Freund! Er küßte ihn, da hob ihn Heribald
auf's Roß und warf ſeinen Zunder weg und trat darauf. Eia, gnä-
diger Herr, rief er ihm zu, kommet recht wohl nach Hauſe! Ihr ſeid
anders bei uns eingeritten wie die Hunnen, darum reitet Ihr aber
auch anders von dannen, wie ſie, und ſie haben ſich doch auch auf's
Weintrinken verſtanden.


Herr Spazzo drückte den Eiſenhut auf's Haupt, feſt griff er die
Zügel; es preßte ihm noch etwas das Herz, er kämpfte mit der lahm-
gewordenen Zunge. Itzt kam ein Stück verlorener Kraft wieder, er
hob ſich im Sattel, die Stimme gehorchte.


Und den landesherrlichen Rechten ſoll durch klöſterliche Anmaßung
kein Eintrag geſchehen! rief er, daß es durch die ſtille Nacht des
Kloſterhofs dröhnte.


Zu derſelben Zeit berichtete Rudimann dem Abt über den Erfolg
ſeiner Sendung zur Herzogin.


Herr Spazzo ritt ab. Dem Diener, der mit der Fackel leuchtete,
hatte er einen güldenen Fingerring zugeworfen. Darum ging der
Fackelträger noch weit mit ihm bis zum ſchmalen Pfad, der über den
See führte.


Bald war er am jenſeitigen Ufer. Kühl wehte die Nachtluft um
das heiße Haupt des Reiters. Er lachte vor ſich hin. Die Zügel
hielt er gepreßt in der Rechten. Der Mond ſchien auf den Weg.
Dunkel Gewölk ballte ſich fern um die Häupter der helvetiſchen Berge.
Jetzt ritt Herr Spazzo in den Tannwald ein. Laut und gemeſſen
[265] ſchallte des Kukuks Stimme durch die Stille. Herr Spazzo lachte.
War's fröhliche Erinnerung oder ſehnende Hoffnung der Zukunft, die
ſein Lächeln ſo ſüß machte? Er hielt ſein Roß an.


Wann ſoll die Hochzeit ſein? rief er zum Baum hinüber, drauf
der Rufer ſaß.222) Er zählte die Rufe, aber der Kukuk war heute
unermüdlich. Schon hatte Herr Spazzo zwölf gezählt, da begann
ſeine Geduld auf die Neige zu gehen.


Schweig, ſchlechter Gauch! rief er.


Da tönte des Kukuks Ruf zum dreizehnten Male.


Der Jahre fünfundvierzig haben wir ſchon, und dreizehn macht
achtundfünfzig, ſprach Herr Spazzo zornig. Das gäb' ſpäten Brautſtand.


Der Kukuk rief zum vierzehnten. Ein anderer war vom Rufen
wach geworden und ließ itzt auch ſeine Stimme erklingen, ein dritter
ſtimmte ein, das hallte und ſchallte neckiſch um den trunkenen Käm-
merer herum und war nicht mehr zu zählen.


Da ging ihm die Geduld gänzlich aus.


Lügner ſeid ihr, und Ehebrecher, und Bäckerknechte alle zuſammen!
ſchalt er die Vögel, ſcheert euch zum Teufel.


Er ſpornte ſein Roß zum Trab. Der Wald ſchloß ſich dichter.
Jetzt zogen die Wolken herauf, ſchwer und dunkel, ſie zogen gegen
den Mond. Es ward ſtockfinſter; geiſterhaft ragten die Tannen, Alles
lag ſchwarz und ſtill. Gerne hätte Herr Spazzo itzt noch den Kukuk
gehört, der nächtliche Ruheſtörer war fortgeflogen — da ward's dem
Heimreitenden unheimlich; eine ungeſtalte Wolke kam gegen den Mond
geſchlichen und hüllte ihn ganz ein, da fiel Herrn Spazzo ein, was
ihm die Amme in erſter Jugend erzählt, wie der böſe Wolf Hati und
Managarm der Mondhund dem leuchtenden Geſtirn nachjagen, er ſah
wieder auf, da ſah er den Wolf und den Mondhund deutlich am
Himmel; itzt hielten ſie den armen Tröſter der Nacht im Rachen ..
Herr Spazzo ſchauderte. Er zog ſein Schwert. Vince luna! Siege,
o Mond! ſchrie er mit heller Stimme und raſſelte mit Schwert und
Beinſchienen, vince luna, vince luna!223)


Sein Geſchrei war laut und ſein ehern Geraſſel ſcharf, aber die
Wolkenungethüme ließen den Mond nicht, nur des Kämmerers Roß
ward ſcheu und ſprengte ſauſend mit ihm durch die Waldesnacht.


[266]

Wie Herr Spazzo des andern Morgens erwachte, lag er am Fuß
des hunniſchen Grabhügels. Auf der Wieſe ſah er ſeinen Reiters-
mantel liegen, ſein ſchwarzes Rößlein Falada erging ſich fern am
Waldesſaum, der Sattel hing unten am Bauch, die Zügel waren
zerriſſen; es fraß die jungen Wieſenblumen. Langſam wandte der
ſchlafmüde Mann ſein Haupt und ſchaute ſich gähnend um. Der
Kloſterthurm der Reichenau ſpiegelte ſich ſo ruhig und fern im See,
als wenn nichts geſchehen wäre. Er aber riß einen Büſchel Gras
aus und hielt die thauigen Halme an die Stirn. Vince luna! ſprach
er mit bitterſüßem Lächeln. Er hatte ſchwer Kopfweh.



Neunzehntes Kapitel.
Burkard der Kloſterſchüler.



Rudimann der Kellermeiſter war kein falſcher Rechner. Eine Rolle
Pergament in einem Lachsrachen muß Neugier erregen. Während
Herr Spazzo den Reichenauer Kloſterwein getrunken, war ſeine Ge-
bieterin mit Praxedis im ſtillen Cloſet an Entzifferung der Gunzo'ſchen
Schrift geſeſſen; die Schülerinnen Ekkehard's hatten des Lateiniſchen
genug gelernt, um die Hauptſachen zu verſtehen; was grammatiſch
unklar blieb, erriethen ſie, was nicht zu errathen war, ſetzten ſie nach
eigenem Gutdünken zuſammen.


Praxedis war empört: Iſt denn die Nation der Gelehrten überall
wie in Byzanzium? ſprach ſie. Erſt die Mücke zum Elephanten ge-
macht und dann einen Feldzug gegen das ſelbſtgeſchaffene Ungethüm
begonnen! Das Reichenauer Geſchenk ſchmeckt eſſigſauer. — Sie verzog
den lieblichen Mund wie damals, da ſie Wiborad's Holzäpfel koſten
mußte.


Frau Hadwig war ſonderbar bewegt. Ein unheimlich Gefühl
ſagte ihr, daß in Gunzo's Blättern ein Geiſt ſein Weſen treibe, der
nicht vom Guten, aber ſie gönnte Ekkehard die Demüthigung.


[267]

Ich glaube, er hat die Zurechtweiſung verdient, ſprach ſie.


Da ſprang Praxedis auf: Unſer braver Lehrer verdient manche
Zurechtweiſung, rief ſie, aber das ſollte unſere Sache ſein. Wenn
wir ihm ſeine blöde Schwerfälligkeit wegſchulmeiſtern, thun wir ein
gutes Werk. Aber wenn Einer mit dem Balken im Aug' dem An-
dern den Splitter vorwirft, das iſt zu arg. Die böſen Mönche haben
das nur angebracht, um ihn anzuſchwärzen. Darf ich's zum Fenſter
hinauswerfen, gnädige Herrin?


Wir haben Euch weder um Ekkehard's Erziehung noch um Wer-
fung eines Gaſtgeſchenks zum Fenſter hinaus erſucht, ſprach die Her-
zogin bitter. Praxedis ſchwieg.


Die Herzogin konnte ſich von der eleganten Schmähſchrift lange
nicht trennen. Ihre Gedanken waren dem blonden Mönch nicht mehr
zugewendet wie damals, als er ſie über den Hof des heimiſchen Klo-
ſters trug. Im Augenblick überſchwänglichen Gefühls nicht verſtan-
den werden, iſt gleich der Verſchmähung, der Stachel weicht nicht
wieder. Wenn ſie ihn jetzt erſchaute, pochte das Herz nicht in hö-
herem Schlag; oft war's Mitleid, was ihre Blicke ihm noch zuführte,
aber nicht jenes ſüße Mitleid, aus dem die Liebe aufſprießt wie aus
kühlem Grunde die Lilie — es barg einen böſen Keim von Gering-
ſchätzung in ſich.


Durch Gunzo's Schmähſchrift ward auch das Wiſſen, das die
Frauen ſeither hoch an ihm gehalten, in Staub gezogen, was blieb
noch Gutes? Das ſtille Weben und Träumen ſeiner Seele verſtand
die Herzogin nicht, zarte Scheu iſt in Anderer Augen Thorheit. Daß
er in der Frühe ausgegangen, das hohe Lied zu leſen, war zu ſpät;
er hätte das im vorigen Herbſt thun ſollen ...


Der Abend dunkelte.


Iſt Ekkehard heimgekehrt? fragte die Herzogin.


Nein, ſprach Praxedis, Herr Spazzo auch nicht.


Dann nimm den Leuchter, befahl Frau Hadwig, und trage die
Pergamentblätter auf Ekkehard's Thurmſtube. Er darf nicht unun-
terrichtet bleiben von ſeiner Mitbrüder Werken.


Die Griechin gehorchte, aber unfroh. In der Thurmſtube droben
war ſchwüle Hitze. Ungeordnet lagen Bücher und Geräthſchaften um-
her; auf dem Eichentiſch war das Evangelium des Matthäus aufge-
[268] ſchlagen: „Am Geburtsfeſt des Herodes aber tanzte der Herodias
Tochter vor der Geſellſchaft, und ſie gefiel dem Herodes, daß er ihr
mit einem Eidſchwur verhieß zu geben um was ſie bitten wollte, und
ſie ſprach: Gib mir auf einer Schüſſel den Kopf Johannes des Täufers!..“


Die prieſterliche Stola, Ekkehard's Weihnachtgeſchenk von der
Herzogin, lag daneben, die goldgewirkten Franſen hingen über das
Fläſchlein mit Jordanwaſſer, das ihm der alte Thieto einſt mitgegeben.


Da ſchob Praxedis Alles zurück und legte Gunzo's Epiſtel auf
den Tiſch; es that ihr leid, wie ſie Alles geordnet. Beim Fortgehen
wandte ſie ſich, that das Fenſter auf, riß ein Zweiglein von dem
üppig am Thurm ſich emporſchlingenden Epheugerank und warf's
drüber hin.


Ekkehard war ſpät heimgekommen. Er hatte den wunden Cappan
gepflegt; noch größere Arbeit war es ihm, des Hunnen langes Ehge-
mahl zu tröſten. Nachdem das erſte Wehgeheul verſtummt und ihre
Thränen getrocknet, war bis nach Sonnenuntergang ihre Rede nur
ein einziger großer Fluch auf den Kloſtermaier, und wenn ſie ihren
ſtarken Arm gen Himmel hob und von Augauskratzen und Bilſen-
kraut in die Ohren gießen und Zähneeinſchlagen ſprach, und ihre brau-
nen Zöpfe wildbedrohlich im Winde flatterten, ſo bedurfte es ein-
dringlichen Zuſpruchs, ſie zu beruhigen. Doch war's gelungen.


In der Stille der Nacht las Ekkehard die Blätter, die ihm die
Griechin in ſeine Stube gelegt. Seine Hand ſpielte mit einer wilden
Roſe, die er heimgehend im Tannwald gepflückt, während ſein Auge
die geharniſchten Angriffe des welſchen Gelehrten aufnahm.


Woher mag es kommen, dachte er und ſog den Duft der Blume
ein, daß ſo Vieles der Tinte Entſproſſenes ſeinen Urſprung nicht ver-
läugnen kann? Alle Tinte kommt vom Gallapfel und aller Gall-
apfel von böſem Wespenſtich ...


Mit heiterem Antlitz legte er ſchließlich die gelben Pergament-
blätter weg: Eine gute Arbeit — eine recht fleißige gute Arbeit —
o der Wiedehopf iſt auch eine wichtige Perſon unter dem fliegenden
Gethier. Aber die Nachtigall hat kein Ohr für ſeinen Geſang ...
Er ſchlief ausgezeichnet gut nach ſeiner Leſung.


Wie er des andern Morgens von der Burgcapelle zurückſchritt
über den Hof, traf er auf Praxedis.


[269]

Wie geht's Euch, Hunnentäufer? ſprach ſie leicht, ich bin ernſtlich
um Euch beſorgt. Es hat mir geträumt, ein großer brauner Meer-
krebs ſei den Rhein herauf geſchwommen und aus dem Rhein in
Bodenſee, und vom Bodenſee ſei er auf unſere Burg gekrochen, und
hätt' ſchneidige Scheeren, und hätt' Euch drein geklemmt und ſcharf
in's Fleiſch geſchnitten. Der Seekrebs heißt Gunzo. Habt Ihr noch
viel ſo gute Freunde?


Ekkehard lächelte.


Ich mißfalle manchem Mann, der mir auch nicht gefallen kann,
ſprach er. Wer an rußige Keſſel anſtößt, kann leichtlich ſchwarz
werden.


Scheint Euch aber ganz gleichgiltig zu ſein — ſprach Praxedis.
Ihr ſolltet Euch ſchon heut' auf eine Antwort beſinnen. Siedet den
Krebs roth ab, dann beißt er nimmer.


Die Antwort, erwiederte Ekkehard, hat ein Anderer für mich ge-
geben. Wer zu ſeinem Bruder ſpricht Rakka! wird des hohen Rathes
ſchuldig ſein, und wer ſagt: du Narr! wird des hölliſchen Feuers
ſchuldig ſein.


Ihr ſeid recht fromm und mild, ſagte Praxedis, aber ſehet zu,
wie weit Ihr damit in der Welt kommet. Wer ſich ſeiner Haut
nicht wehret, dem wird ſie abgezogen. Auch den ſchlechten Feind
ſollt Ihr nicht gering anſchlagen: ſieben Wespen zuſammen ſtechen ein
Roß todt.


Die Griechin hatte recht. Stumme Verachtung unwürdigen An-
greifers gilt allzuleicht für Schwäche. Aber es war Ekkehard's Na-
tur ſo.


Praxedis trat einen Schritt auf ihn zu, daß er betroffen zurück-
wich. Soll ich Euch noch einen guten Rath geben, Ehrwürdigſter?
ſprach ſie. Er nickte ſchweigend.


Ihr ſchreitet wieder viel zu ernſt einher; es möchte Einer glauben,
Ihr wollet mit Sonne und Mond Kegel ſchieben wenn Ihr des We-
ges kommt. 's iſt heißer Sommer jetzt, die Capuze macht Euch
ſchwül. Laſſet Euch ein linnen Gewand beſchaffen, und meinetwegen
auch den Schloßbrunnen über's Haupt rieſeln, aber ſeid fröhlich und
guter Dinge. Die Herrin möchte ſonſt recht gleichgiltig für Euch
werden.


[270]

Ekkehard wollte ihr die Hand reichen; es däuchte ihm zuweilen,
als ſei Praxedis ſein guter Engel. Da kam langſamen Hufſchlages
Herr Spazzo in Burghof eingeritten. Sein Haupt ſenkte ſich dem
Sattelknopf entgegen, bleiernes Lächeln war über das müde Antlitz
gegoſſen, halb ſchlief er.


Euer Geſicht hat ſich namhaft verändert ſeit geſtern, rief ihm
Praxedis zu. Warum fliegen keine Funken mehr unter Falada's Huf?


Er ſchaute mit ſtieren Augen zu ihr herab. Es flimmerte vor
ſeinem Blick.


Bringt Ihr auch ein erklecklich Schmerzensgeld mit, Herr Käm-
merer? fragte Praxedis.


Schmerzensgeld? für wen? ſagte Herr Spazzo ſtumpf.


Für den armen Cappan! Ich glaube, Ihr habt eine Hand voll
Mohnkörner gegeſſen, daß Ihr nimmer wiſſet warum Ihr ausgeritten ...


Mohnkörner, ſprach Herr Spazzo mit dem gleichen Ausdruck, Mohn-
körner? Nein. Aber Meersburger, rothen Meersburger, ungefü-
gigen hundertſchlündig224) zu trinkenden rothen Meersburger! ja!


Er ſtieg ſchwerfällig vom Roß und zog ſich in ſeine Gemächer
zurück. Der Bericht über ſeiner Sendung Erfolg blieb unerſtattet.
Praxedis ſchaute dem Kämmerer nach, ſie begriff den Grund ſeiner
bleiſchweren Gemüthsſtimmung nicht ganz.


Habt Ihr noch nie davon erzählen gehört, daß einem geſetzten
Manne Gras, Blumen und Klee und aller Kräuter Meiſterſchaft, die
Würze und aller Steine Kraft, der Wald und alle Vögelein — nicht
ſo zur Erquickung frommen als ein alter Wein? ſprach Ekkehard zur
Ergänzung. Aber ſchon der jüdiſche Prophetenknabe ſprach zum König
Darius, da die Kriegsleute und Amtmänner aus Morgenland um
den Thron ſtanden und ſtritten, wer der ſtärkſte ſei: der Wein iſt der
ſtärkſte, der überwältigt die Männer die ihn trinken und führt ihr
Gemüthe in Irrthum.


Praxedis hatte ſich weggewendet und ſtand an den Zinnen der
Mauerbrüſtung.


Sehet einmal hinunter, Sonne der Wiſſenſchaft, ſprach ſie zu Ekke-
hard, was kommt dort für ein ſauber geiſtlich Männlein gewandelt?


Ekkehard beugte ſich über die Mauer und ſchaute an der ſenkrecht
aufſtrebenden Felswand hinab. Zwiſchen den Stauden am Burgweg
[271] wandelte ein braunlockiger Knabe, er trug ein Mönchsröcklein, das bis
an die Knöchel reichte, Sandalen am nackten Fuß, einen ledernen
Ranzen auf dem Rücken, den eiſenbeſchlagenen Wanderſtab in der
Hand. Ekkehard kannte ihn noch nicht.


Nach einer Weile ſtand er am Burgthor.


Er hielt die Hand vor die Augen und ſchaute in das weite ſchöne
Land hinaus. Dann trat er in Hof und ging gemeſſenen Schrittes
auf Ekkehard zu.


Es war Burkard der Kloſterſchüler, Ekkehard's Schweſterſohn, der
von Conſtanz herüberkam, ſeinem jungen Oheim einen Ferienbeſuch
abzuſtatten.


Er machte ein feierlich Geſicht und ſprach den Begrüßungsſpruch,
als hätte er ihn auswendig gelernt.


Ekkehard küßte den wohlerzogenen Schüler, der in den fünfzehn
Jahren ſeines Lebens noch keinen einzigen dummen Streich be-
gangen. Burkard richtete Grüße von Sanct Gallen aus, und
brachte eine Epiſtel Meiſter Ratpert's, der ſich behufs vergleichender
Studien von Ekkehard Auskunft erbat, in welcherlei Faſſung und
Wortlaut er gewiſſe ſchwierige Stellen im Virgilius zu überſetzen
pflege. Heil, Gedeihen und Fortſchritt in der Erkenntniß!225) lautete
des Briefes Abſchiedsgruß.


Ekkehard begann ein langes Fragen nach ſeinen dortigen Brüdern.
Aber Praxedis fiel ihm in die Rede.


Laſſet doch den frommen jungen Mann ausruhen. Trockene Zunge
erzählt nicht gern. Komm mit mir, Männlein, du ſollſt uns ein
lieberer Beſuch ſein, als der böſe Rudimann von Reichenau.


Vater Rudimann? ſprach der Knabe, den kenne ich auch.


Woher? fragte Ekkehard.


Er iſt vor wenig Tagen bei uns geweſen und hat dem Abt ein
großes Schreiben überbracht, und eine Schrift; es ſoll Vieles über
Euch drin ſtehen, liebwerther Ohm, und nicht lauter Schönes.


Hört! ſprach Praxedis.


... und wie er Abſchied genommen, iſt er nur bis zur Kirche ge-
gangen; dort hat er gebetet bis daß es dunkel war. Er muß aber
alle Gänge und Schliche im Kloſter kennen, wie die Glocke die Schlaf-
ſtunde angeläutet, iſt er heimlich und auf den Zehen in's große Dor-
[272] mitorium geſchlichen um zu lauſchen, was die Brüder vor Einſchlafen
über Euch und über das, was in ſeiner Schrift ſtand, zuſammen
ſprechen würden. Die Nachtkerze hat trüb geflackert, daß er im Ver-
borgenen niederſitzen konnte. Aber um Mitternacht iſt der Vater Notker
Pfefferkorn gekommen, der hat die Runde gemacht, nachzuſchauen, ob
Jeder ſeinen Gürtel feſt um's Gewand geſchlungen, und ob kein Meſſer
oder ſchädlich Gewaffen im Schlafgemach ſei. Der hat den Fremden
hervorgezogen aus ſeinem Verſteck, und die Brüder ſind aufgewacht,
und die große Abtslaterne iſt angezündet worden, mit Stecken und
Stangen und der ſiebenfältigen Geißel aus der Geißelkammer ſind ſie
herbeigeſprungen und war ein großer Lärm und Geſchrei, trotzdem
daß der Decan und die Alten abwinkten. Notker Pfefferkorn ſelber
war hoch ergrimmt: Der Teufel geht lauernd umher und ſucht wen
er verſchlinge, rief er, wir haben den Teufel, züchtiget ihn!


Vater Rudimann aber iſt noch recht höhniſch geweſen: ich geſtehe,
treffliche Jünglinge, hat er geſagt, wenn ich wüßte wo der Zimmer-
mann einen Weg offen gelaſſen, ſo würde ich auf Händen und Füßen
von dannen gehen; nun aber, da ich gern oder ungern euch in die
Hände fiel, ſo gedenket, daß ihr euerem Gaſtfreund keine Schande an-
thuet.226) Da wurden ſie alle wild und ſchleppten ihn in die Geißel-
kammer; nur auf den Knien konnt' er ſich losbitten, und als endlich
der Abt ſprach: Wir wollen das Füchslein heimſpringen laſſen in
ſeinen Bau, hat er ſich höflich bedankt.


Ich bin geſtern einem Fuhrwerk mit zwei großen Weinfäſſern vor-
beigekommen: der Kellermeiſter der Reichenau ſchicke das dem heiligen
Gallus für freundſchaftliche Aufnahme, hat der Fuhrmann zu mir
geſagt ...


Davon hat Herr Rudimann nichts gemunkelt, wie er geſtern bei
uns war, ſprach Praxedis. Für die Geſchichte verdienſt du ein Stück
Kuchen, Goldſohn, du erzählſt ja, wie ein Jubelgreis.


O, ſprach der Kloſterſchüler halb beleidigt, es heißt nichts. Aber
ich werde ein Gedicht darüber machen, des Wolfs Einbruch im Schaf-
ſtall und Strafe, — ich hab's ſchon halb im Kopf, das muß ſchön
werden.


Du machſt auch Gedichte, junger Neffe? ſprach Ekkehard heiter.


[273]

Das wär' kein guter Kloſterſchüler, gab der Junge zur Antwort,
der vierzehn Jahre alt würde und keine Gedichte machen könnte. Mei-
nen Lobgeſang auf den Erzengel Michael in doppelt gereimten Hexa-
metern hab' ich dem Abte vorleſen dürfen; er hat meine Verſe eine
glänzende Perlenſchnur geheißen. Und meine ſapphiſche Ode zu Ehren
der frommen Wiborad iſt auch recht ſchön, ſoll ich ſie vortragen?


Um Gotteswillen! ſprach Praxedis, glaubſt du, man fällt bei
uns nur zum Burgthor herein und trägt gleich Oden vor? Wart'
erſt dein Stück Kuchen ab.


Sie ſprang zur Küche und ließ den gelehrten Neffen Ekkehard's
im Geſpräch mit ſeinem Oheim unter der Linde zurück. Der plau-
derte denn ein Namhaftes von Trivium und Quadruvium; weil
gerade der Fels von Hohentwiel im Morgenlicht einen feingezeichneten
Schatten über das flache Land warf, erging ſich der Kloſterſchüler in
einer weitläufigeren Disputation über den Grund des Schattens, als
welchen er mit Sicherheit einen dem Licht entgegenſtehenden Körper
bezeichnete und alle andere Definitionen in ihrer Nichtigkeit nachwies.


Wie ein Springquell entſtrömte dem jugendlichen Munde die Fluth
der Wiſſenſchaft. Auch in der Aſtronomie war er bewandert; das
Lob Zoroaſter's von Bactrien und des Königs Ptolemäus von Aegyp-
tenland mußte der Oheim geduldig anhören, über Form und Verwen-
dung des Aſtrolabiums ward ihm ſcharf auf den Zahn gefühlt;227)
auch begann der braungelockte Schweſterſohn auseinander zu ſetzen,
wie faſelnd die Meinung derer ſei, die da glauben, daß auf der Rück-
ſeite des Erdglobus das ehrenwerthe Geſchlecht der Antipoden228)
hauſe — vor fünf Tagen hatte er all' die ſchönen Sachen gelernt:
aber ſchließlich erging es dem Oheim wie dem tapfern Kaiſer Otto,
da der weltweiſe Biſchof Gerbert von Rheims und Otrich der Dom-
ſchulmeiſter von Magdeburg vor ihm und viel hundert gelahrten Aebten
und Scholaſtern ihren Wettkampf über Eintheilung und Grund der
theoretiſchen Philoſophie229) abhielten — er gähnte.


Jetzt kam Praxedis mit einem herrlichen Kirſchkuchen und einem
Körbchen Früchte, das gab den Gedanken des fünfzehnjährigen Welt-
weiſen eine Wendung zum Natürlicheren; als wohlerzogener Knabe
ſprach er erſt den Hymnus230) vor dem Eſſen, wie er in der Kloſter-
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 18
[274] ſchule üblich, dann vertiefte er ſich ganz in des Kuchens Aufzehrung
und überließ die Frage von den Antipoden einer ſpäteren Zukunft ..


Praxedis wandte ſich zu Ekkehard: Die Herzogin läßt Euch kund
thun, ſprach ſie mit verſtelltem Ernſt, daß ſie geſonnen, zum Studium
des Virgilius zurückzukehren; ſie iſt begierig zu vernehmen, wie der
Königin Dido Geſchicke ſich weiter abſpinnen. Heute Abend beginnen
wir; Ihr ſollt ein freundlich Geſicht dazu machen, fuhr ſie leiſeren
Tones fort, es iſt eine zarte Aufmerkſamkeit, Euch zu beweiſen, daß
trotz der Schriften gewiſſer Herren das Vertrauen auf Euere Wiſſen-
ſchaft nicht geſchwunden.


Es war ſo. Ekkehard aber erſchrack. Wieder in der alten Weiſe
mit den zwei Frauen zuſammen ſein: ſchon der Gedanke that ihm
weh. Er konnte noch immer nicht vergeſſen, daß einſt ein Charfrei-
tagmorgen geweſen.


Da ſchlug er ſeinen Neffen auf die Schulter, daß der zuſammen-
fuhr. Du kommſt hier nicht in die Ferien zum Fiſchfangen und
Vogelſtellen, Burkard! ſprach er, heute Nachmittag leſen wir Virgil
mit der gnädigen Herzogin, du wirſt dabei ſein.


Er gedachte den Knaben als ſchirmende Abwehr zwiſchen die Her-
zogin und ſeine Gedanken zu ſtellen.


Wohl! ſprach Burkard mit kirſchrothblauen Lippen, Virgilius iſt
mir lieber als Jagen und Reiten, und ich werd' die Frau Herzogin
bitten, mir von ihrem Griechiſchen Etwas zu lehren. Nach jenem
Beſuch, wo ſie Euch mit fortgenommen, haben die Kloſterſchüler oft-
mals geſagt, ſie wiſſe mehr griechiſch als alle ehrwürdigen Väter des
Kloſters zuſammen, ſie habe es durch Zauberei erlernt. Und wenn
ich auch im Griechiſchen der Erſte bin ...


Dann kann dir's nicht fehlen, daß du in fünf Jahren Abt und
in zwanzig Jahren heiliger Vater zu Rom wirſt, ſprach Praxedis
ſpottend. Einſtweilen fließt dort der Burgbrunnen, das Blau deiner
Lippen zu tilgen ...


Um die vierte Abendſtunde harrte Ekkehard im ſäulengetragenen
Gemach ſeiner Gebieterin, die Leſung der Aeneide wieder aufzunehmen.
Ueber ein halb Jahr war abgelaufen, daß Virgilius Ruhe gehabt.
Ekkehard war beklommen, er hatte die Fenſter weit aufgethan. Wohl-
thuende Kühle des Abends ſtrömte herein.


[275]

Der Kloſterſchüler blätterte in der lateiniſchen Handſchrift.


Wenn die Herzogin mit dir ſpricht, ſei fein artig, ſprach Ekkehard.


Er aber antwortete mit Selbſtgefühl: Mit einer ſo vornehmen
Frau red' ich nur in Verſen. Sie ſoll ſich überzeugen, daß ein Zög-
ling der inneren Schule vor ihr ſteht.


Jetzt trat die Herzogin ein, gefolgt von Praxedis. Sie grüßte
mit leichtem Kopfnicken. Ohne daß ſie Ekkehard's hoffnungsvollen
Neffen zu bemerken ſchien, ließ ſie ſich im ſchnitzwerkverzierten Lehn-
ſtuhl nieder. Burkard hatte ſich zierlich verneigt und ſtand am Ende
des Tiſches.


Ekkehard ſchlug den Virgilius auf. Da fragte die Herzogin gleich-
giltigen Tones: Was ſoll der Knab'?


Ein demüthiger Zuhörer, ſprach Ekkehard, dem die Sehnſucht, das
Griechiſche zu erlernen, Muth gibt, ſo erlauchter Lehrerin ſich zu
nahen. Er wird glücklich ſein, wenn er von Eueren Lippen ...


Aber bevor Ekkehard ſeine Rede geendet, war Burkard vor die
Herzogin getreten, befangen und keck zugleich ſprach er mit niederge-
ſchlagenen Augen und genauer Betonung des Silbenmaßes:


Esse velim Graecus, cum vix sim, dom'na, Latinus*).231)
Es war ein tadelloſer Hexameter.


Frau Hadwig hörte ihm halb erſtaunt zu. Ein braunlockiger
Knabe, der einen Hexameter ſprach, war in allemanniſchen Landen
etwas Ungewohntes. Und er hatte ihr zu Ehren die Dactylen und
Spondäen aus dem Stegreif erſonnen. Darum ergötzte ſie ſich an
dem jungen Verſeſchmied.


Laß dich einmal näher beſchauen, ſprach ſie und zog ihn zu ſich.
Er gefiel ihr; es war ein lieblich Knabenantlitz, durchſichtig Roth auf
den Wangen, ſo fein und zart, daß das blaue Geäder in leichtem
Umriß drunter zu erſchauen war, üppig wallten die Locken um die
Stirn, eine kecke Adlernaſe ragte über den gelehrten jungen Lippen
wie ein Hohn auf das, was unter ihr geſprochen werde, in die Luft.
Da ſchlang Frau Hadwig ihren Arm um den Knaben, hob ihn empor
und küßte ihn auf Lippe und Wange und that ſchier kindiſch mit ihm;
dann ſchob ſie den gepolſterten Schemel hart an ihre Seite, und ſetzte
18*
[276] ihn drauf: Einſtweilen ſollſt du von meinen Lippen etwas Anderes
pflücken als griechiſch, ſprach ſie ſcherzend und küßte ihn noch einmal, —
jetzt ſei aber ſo brav wie vorhin und ſag' ſchnell noch ein paar leicht-
hingleitende Verſe.


Sie ſtrich ihm die Locken zurück. Der Kloſterſchüler war erröthet,
aber ſeine Metrik kam durch einer Herzogin Kuß nicht aus der
Faſſung. Ekkehard war an's Fenſter getreten und ſchaute nach den
Alpen, Burkard aber ſprach ohne ſich zu beſinnen:


Non possum prorsus dignos componere versus,

Nam nimis expavi duce me libante suavi.

Es waren wiederum zwei tadelloſe Hexameter.


Die Herzogin lachte laut auf: Du haſt ſicher ſchon das Licht der
Welt mit lateiniſchem Vers begrüßt; das klingt und ſtrömt ja als
wäre Virgil aus dem Grabe geſtiegen. Warum erſchrickſt du denn,
wenn ich dich küſſe?


Weil Ihr ſo vornehm und ſtolz und ſchön ſeid, ſprach der Knabe.


Sei zufrieden, entgegnete die Herzogin, wer mit friſch glühendem
Kuß auf den Lippen ſo regelrechte Verſe aus dem Aermel ſchüttelt,
dem hat der Schreck nicht tief in's Herz geſchlagen. Sie ſtellte ihn
ſich gegenüber. Warum begehrſt du ſo eifrig, das Griechiſche zu
erlernen?


Sie ſagen, wenn Einer Griechiſch verſteht, kann er ſo geſcheidt
werden, daß er das Gras wachſen hört, war des Kloſterſchülers Ant-
wort. Seit mein älterer Mitſchüler Notker mit der großen Lippe ſich
gerühmt hat, er wolle dereinſt den ganzen Ariſtoteles auswendig ler-
nen und verdeutſchen, läßt mir's keine Ruhe mehr.


Da lachte Frau Hadwig: Vorwärts denn! Weißt du den Anti-
phon: Ihr Meere und Flüſſe, lobet den Herren!


Ja, erwiederte Burkard.


So ſprich mir nach: Thalassi ke potami, eulogite ton kyrion!
Der Knabe ſprach's nach.


Jetzt ſing' es! Er ſang es.


[277]

Ekkehard ſchaute vorwurfsvoll auf die Gruppe herüber. Die Her-
zogin verſtand den Blick.


So, nun haſt du bereits ſechs Worte gelernt, ſprach ſie zu Burkard.
Wenn du wieder in Hexametern drum bitteſt, ſoll dir ein Mehreres
verabreicht ſein. Setz' dich jetzo mir zu Füßen und hör' andächtig zu.
Wir werden Virgilius leſen.


Da begann Ekkehard mit der Aeneide viertem Geſang, und las
die Sorgen der Dido, wie immerdar der Gedanke an den edeln tro-
janer Gaſt ſie umſchwebt und feſt im innerſten Buſen ſein Antlitz
haftet und Wort. Und ſie klagt ihr Leid der Schweſter:


Wenn's nicht feſt in der Seele und unabänderlich ſtünde,

Keinem woll' ich hinfort durch ehliches Band mich geſellen,

Seit mit dem Erſtgeliebten mir Freud' und Hoffnung dahinſtarb,

Wenn nicht verhaßt Brautkammer und Hochzeitfackel mir wäre:

Dieſer einen Verſuchung vielleicht noch könnt' ich erliegen.

Anna, ich will es geſtehn: nachdem mein armer Sichäus

Sank, der Gemahl, und troffen in Bruderblut die Penaten,

Hat er allein mir gewendet den Sinn und die wankende Seele

Mir bewegt, ich erkenne die Spur vormaliger Flammen.

...

Aber Frau Hadwig war wenig ergötzt von den Schmerzen der
carthagiſchen Königswittwe. Sie warf ſich in ihrem Lehnſtuhl zurück
und ſchaute zur Decke empor. Sie fand keine Beziehungen mehr
zwiſchen ſich und der Frauengeſtalt des Dichters.


Haltet an! rief ſie dem Vorleſenden zu, man merkt wieder, daß
ein Mann das geſchrieben. Er will die Frau demüthigen. Alles
falſch. Wer wird ſich ſo in einen fremden Gaſt vernarren?


Das mag Virgilius verantworten, ſprach Ekkehard. Die Geſchichte
wird's ihm ſo überliefert haben.


Dann lebt jetzt ein ſtärker Frauengeſchlecht, ſagte die Herzogin und
winkte ihm weiterzuleſen. Sie war faſt beleidigt von Virgilius Schil-
derung, vielleicht daß ſie ſich ſelber didoniſcher Anwandlungen erinnerte.
Es war nicht immer geweſen wie heute.


Und er las, wie Anna der Schweſter zuſprach, nicht vergeblich
wider gefällige Liebe zu ſtreiten, wie an der Götter Altären Friede
und Heil durch Opfer erfleht wird, dieweil die geſchmeidige Flamme
[278] fortzehrt im Mark und die alte Wunde nicht vernarbt. Und wieder
will die Bethörte von den Kämpfen um Ilium vernehmen und hängt
am Mund des Erzählers —


Wenn ſie darauf ſich getrennt und ihr Licht die erdunkelnde Luna

Jetzo geſenkt und zum Schlaf die ſinkenden Sterne ermahnen

Trauert ſie einſam im leeren Gemach — auf's verlaſſene Lager

Wirft ſie ſich, jenen entfernt den Entferneten hört ſie und ſchaut ſie.

Oft den Ascanius auch, von des Vaters Bilde bezaubert,

Hält ſie im Schooß um zu täuſchen die unausſprechliche Liebe.

Ein leiſes Kichern unterbrach die Vorleſung. Der Kloſterſchüler
war aufmerkſam zu der Herzogin Füßen geſeſſen, ſchier angeſchmiegt
an ihr wallend Gewand, jetzt hatte er gekämpft ein aufſteigend Lachen
zu unterdrücken, es mißlang, er platzte heraus und hielt die Hände
vergeblich vor's Antlitz, ſich zu decken.


Was gibt's, junger Verſemacher? ſprach Frau Hadwig.


Ich habe denken müſſen, ſprach der Junge verlegen, wenn meine
hohe Herrin die Königin Dido wäre, ſo wär' ich vorhin der Ascanius
geweſen, da Ihr mich zu herzen und küſſen geruhtet.


Die Herzogin ſchaute ſcharf auf den Knaben herab. Will man
ungezogen werden? Kein Wunder — ſchalt ſie mit einem Fingerzeig
auf ſeine Locken, die junge Altklugheit trägt ja ſchon graue Haare
auf dem Scheitel.


... Das iſt von der Nacht, da ſie den Romeias erſchlugen, wollte
der Kloſterſchüler ſagen.


Das iſt vom Fürwitz, der thörigte Dinge redet, wo er ſchweigen
ſollte, fuhr die Herzogin drein. Steh auf, Schülerlein!


Burkard erhob ſich vom Schemel und ſtand erröthend vor ihr.
So, ſprach ſie, jetzt geh zu der Jungfrau Praxedis und melde ihr, es
müßten dir zur Strafe alle grauen Haare abgeſchnitten werden, und
bitte ſchön, daß ſie dir's thue. Das wird gut ſein für unzeitig
Lachen.


Dem Knaben ſtanden die hellen Thränen in den Augen. Er
wagte keine Widerrede. Er ging zu Praxedis hin, die hegte Theil-
nahme für ihn, ſeit ſie gehört, daß er des Romeias Gefährte bei ſei-
nem letzten Gang geweſen: Ich thu' dir nicht weh, kleiner Heiliger,
[279] flüſterte ſie ihm zu und zog ihn zu ſich. Das junge Haupt in ihren
Schooß gebeugt, mußte er vor ihr knien, da griff ſie eine mächtige
Scheere aus ihrem ſtrohgeflochtenen Nähkorb und vollzog die Strafe.


Betrüblich klang erſt des Kloſterſchülers Schluchzen, — wer ſein
Haupthaar von fremder Hand berühren ließ, galt eigentlich für ſchwer
beſchimpft232) — aber Praxedis weiche Hand fuhr ihm ſtreichelnd
über die Wangen, nachdem ſie das Gelock zerzaust hatte, da ward ihm
bei aller Strafe ſo ſeltſam zu Muth, daß ſein Mund lächelnd die
letzte niederrollende Thräne auffing.


Ekkehard ſah eine Weile ſtumm vor ſich hin. Das Spiel leicht-
fertiger Anmuth macht den Traurigen trauriger. Er war verletzt,
daß die Herzogin ſo ſein Leſen unterbrochen. Aus ihren Augen las
er keinen Troſt: ſie ſpielt mit dir, wie ſie mit dem Knaben ſpielt,
dachte er und ſchlug ſeinen Virgilius zu und erhob ſich.


Ihr habt Recht, ſprach er zu Frau Hadwig, es iſt Alles falſch.
Dido ſollte lachen und Aeneas ſollte hingehen und ſich in's Schwert
ſtürzen, dann wäre es richtig.


Sie blickte unſtet auf. Was habt Ihr? fragte ſie.


Ich kann nicht weiter leſen, erwiederte er.


Die Herzogin war aufgeſtanden.


Wenn Ihr nicht mehr leſen möget, ſprach ſie mit ſcheinbar ge-
langweiltem Ausdruck, es gibt noch mannigfache Mittel und Wege, uns
Kurzweil zu ſchaffen. Wie wär' es, wenn ich Euch aufgäbe, uns
etwas Anmuthiges zu erzählen, — Ihr möget dabei ausleſen, was
Euch gefällt, es gibt ſo viel Liebreizendes und Gewaltiges noch außer
Euerem Virgil. Oder gehet hin und dichtet ſelber Etwas. Euch
drückt irgend eine Laſt, Ihr mögt nicht erklären, Ihr mögt nicht auf's
Land gehen, Alles thut Euern Augen weh, Eurem Geiſt fehlt eine
große Aufgabe, wir wollen ſie Euch ſetzen.


Was ſollt' ich dichten? erwiederte Ekkehard. Iſt's nicht ſchon
Glück genug, das Echo eines Meiſters wie Virgilius zu ſein? Er
ſah mit umflortem Auge auf die Herzogin. Ich wüßte nur Elegieen
zu ſingen, ſehr traurige.


Sonſt nichts? ſprach Frau Hadwig vorwurfsvoll. Haben unſere
Vorfahren keine Kriegszüge gethan und ihr Heerhorn mit Sturmſchall
durch die Welt erklingen laſſen und Schlachten geſchlagen, ſo viel
[280] werth wie die des Landfahrers Aeneas? Glaubt Ihr, der große
Kaiſer Karl hätte die uralten Lieder der Völker ſammeln und ſingen
laſſen, wenn nur leeres Stroh darin ſteckte? Müßt Ihr zu Allem
Eure lateiniſchen Bücher haben?


Ich weiß nichts, wiederholte Ekkehard.


Ihr ſollt aber etwas wiſſen, ſagte die Herzogin. Es ſtünde
doch zu verwundern, wenn nur wir Hausgenoſſen der Burg einen
Abend zuſammenſäßen, und von den alten Geſchichten und Sagen
plauderten, ob da nicht mehr zuſammenkäme, als in der ganzen
Aeneide ſteht? Des Kaiſer Karl frommer Sohn hat freilich vom
alten Heldenſang nichts mehr wiſſen wollen233) und lieber ſchnarren-
dem Pſalmodiren ſein Ohr geliehen und iſt an Leib und Seele ver-
kümmert geſtorben, aber uns Allen haften von Kindesbeinen noch
jene Geſchichten an. Erzählet uns eine ſolche, Meiſter Ekkehard,
dann erlaſſen wir Euch den Virgil ſammt der liebeſiechen Königin Dido.


Aber Ekkehard's Gedanken flogen weit anderwärts. Er ſchüttelte
ſein Haupt wie ein Träumender.


Ich ſehe, Ihr brauchet Anſtoß, ſprach die Herzogin. Es ſoll Euch
von Allen ein gut Beiſpiel gegeben werden. Praxedis halt' dich be-
reit, und künde es dem Kämmerer Spazzo an, wir wollen uns mor-
gen an Erzählung alter Sagen erfreuen. Ein Jedes ſei gerüſtet.


Sie griff den Virgilius und warf ihn feierlich unter den Tiſch,
als Zeichen, daß eine neue Aera beginne. Ihr Gedanke war gut und
anregend. Nur dem Kloſterſchüler, der während der Herzogin Rede
ſein Haupt in Praxedis Schooß hatte ruhen laſſen, war es nicht ganz
deutlich. Wann darf ich weiter Griechiſch lernen, gnädige Herrin?
ſagte er. Thalassi ke potami .,.


Wenn die grauen Haare wieder gewachſen ſind, ſprach ſie heiter
und küßte ihn wiederum.


Ekkehard ging mit großen Schritten aus dem Saal.



[281]

Zwanzigſtes Kapitel.
Von deutſcher Heldenſage.



Auf dem Gipfel des hohen Twiel innerhalb der Burgmauern war
ein zierlich Gärtlein angelegt; ein ſteiler Felsvorſprung von Mauer-
werk eingefaßt umſchloß den mäßigen Raum. Es war ein feiner
Platz als wie eine Hochwacht, denn ſteil abwärts ſprang der Fels,
alſo daß man über die Brüſtung gelehnt einen Stein mochte hinab-
ſchleudern in's tiefe Thal, und wer ſich am Ausſpähen erfreute, der
mochte Umſchau halten über Berg und Fläche und See und Alpen-
gipfel, keine Schranke hemmte den Blick.


Im Eckwinkel des Gärtleins ließ ein alter Ahorn vergnüglich
ſeine Wipfel im Winde rauſchen, ſchon war das beflügelte Samen-
korn reif und gebräunt und wirbelte auf die ſchwarze Blumenerde
hernieder; — eine Leiter war an den grüngrauen Stamm gelehnt, zu
Füßen ſtand Praxedis und hielt die Enden eines ſchweren langen
Zeltgetüchs, in den Aeſten aber ſaß Burkard der Kloſterſchüler mit
Nagel und Hammer und ſuchte das Tuch feſtzunageln.


Achtung! rief Praxedis, ich glaube du ſchaueſt dem Storch nach,
der dem Kirchthurm von Radolf's Zelle entgegen fliegt. Paß auf, du
Ehrenpreis aller lateiniſchen Schüler, und ſchlag' mir den Nagel nicht
neben den Aſt.


Praxedis hatte das Tuch mit der Linken empor gehalten, jetzt
ließ es der Kloſterſchüler fahren, da zog ſich's gewichtig herab, riß
von dem läſſig eingeſchlagenen Nagel, und ſank ſchwerfällig, ſo daß
die Griechin ſchier ganz drein begraben ward.


Warte, Pfuſcher! ſchalt Praxedis, wie ſie ſich aus der groben
Umhüllung vorgewickelt, ich werd' einmal nachſehen, ob es keine
grauen Haare mehr abzuſchneiden gibt.


[282]

Kaum war das letzte Wort geſprochen, ſo ward der Kloſterſchüler
auf der Leiter ſichtbar, er kletterte die Sproſſen bis zur Hälfte nieder,
dann ſprang er mit gleichen Füßen auf das Tuch und ſtand vor
Praxedis.


Setzt Euch, ſprach er, ich will mich gern wieder ſtrafen laſſen.
Ich hab' heut Nacht geträumt, Ihr hättet mir alle Haare ausge-
rauft und ich wär' mit einem Kahlkopf in die Schule gekommen und
es hätt' mich gar nicht gereut.


Praxedis ſchlug ihm leicht auf das Haupt.


Werd' nicht zu üppig in den Ferien, Männlein, ſonſt wird dein
Rücken ein Tanzboden für die Ruthe, wenn du wieder im Kloſter biſt.


Aber der Kloſterſchüler dachte nicht an den kühlen Schatten ſeiner
Hörſäle. Er ſtund unbeweglich vor Praxedis.


Nun? ſprach ſie, was gibt's noch? Was begehrt man?


Einen Kuß! antwortete der Zögling der freien Künſte.


Hört mir den Zaunkönig an! ſcherzte Praxedis. Was hat Eure
Weisheit für Gründe zu ſolchem Begehr?


Die Frau Herzogin hat's auch gethan, ſagte Burkard, und Ihr
habt mich ſchon über ein Dutzendmal aufgefordert, ich ſoll Euch die
Geſchichte erzählen, wie ich mit meinem alten Freund Romeias vor
den Hunnen geflohen und wie er als ein tapferer Held geſtritten hat.
Das erzähl' ich Euch aber nur um einen Kuß.


Höre, ſprach die Griechin mit ernſt verzogener Miene, ich muß
dir etwas ſehr Merkwürdiges mittheilen.


Was? frug der Knabe haſtig.


Du biſt der thörichtſte Schlingel, der je ſeinen Fuß über eine
Kloſterſchulſchwelle geſetzt! ſprach ſie, verſtrickte ihn ſchnell in ihre
weißen Arme und küßte ihn derb auf die Naſe.


Wohl bekomm's! rief eine tiefe Baßſtimme von der Gartenpforte
her, wie ſie den Knaben ſchalkhaft von ſich ſtieß. Es war Herr Spazzo.


Schönen Dank! ſprach Praxedis unbetrübt. Ihr kommt gerade
recht, Herr Kämmerer, um bei Aufrichtung des Zelttuchs zu helfen.
Mit dem thörichten Knaben bring' ich's heut nicht mehr zu Stand.


So ſcheint es! ſprach Herr Spazzo mit einem dreiſchneidigen
Blick auf den Kloſterſchüler. Der hatte Angſt vor des Kämmerers
grimm geſtrichenem Schnurrbart und drehte ſich einem Roſengebüſch
[283] zu. Aſtronomie und Metrik, Ariſtoteles in der Urſprache und rothe
Frauenlippen ſchwebten in tanzendem Durcheinander durch das fünf-
zehnjährige Gemüth.


Gibt's keine beſſeren Leute zu küſſen im hohentwieler Burgfrieden,
Jungfräulein? fragte Herr Spazzo.


Wenn man je eine Sehnſucht hätte, war Praxedis' Antwort, ſo
ſind die beſſeren Leute ausgeritten und fahren in Nacht und Nebel
herum und kommen erſt am hellen Tag in einem Ausſehen wieder
heim, daß man meinen könnt', ſie hätten Irrlichter einfangen wollen.


Da hatte Herr Spazzo ſeinen Theil. Er hatte aber ein Gelübde
gethan, von ſeinem nächtlichen Ritt ſammt Kukuksruf und vince
luna
kein Wörtlein zu verplaudern. Wozu ſoll ich Euch helfen?
fragte er demüthig.


Eine Laube herrichten! ſprach Praxedis. In abendlicher Som-
merkühle will die Herzogin hier Hof halten — es ſollen Geſchichten
erzählt werden, alte Geſchichten, Herr Kämmerer, je wunderbarer deſto
beſſer! Unſere Herrin hat das Lateiniſche ſatt bekommen, ſie will
was Anderes, Ungeſchriebenes, Einheimiſches ... Ihr müßt auch
Euer Scherflein beitragen.


Gott ſei meiner Seele gnädig! ſprach Herr Spazzo, wenn unter
einer Frauen Herrſchaftführung nicht Alles wunderbar herging, ſo
möcht' man ſich noch verwundern. Gibt's keine fahrenden Singer
und Saitenſpieler mehr, die um einen Helm voll Weines und eine
Hirſchkeule die Kehle heiſer ſingen von derlei Mähren? Da ſteigen
wir hoch im Werth! Landflüchtige, Poſſenreißer, Barden und derlei
müßige Geſellſchaft ſoll man mit Ruthen aushauen, und wenn ſie
drum klagen, ſei ihnen der Schatten eines Mannes an der Wand234)
verabreicht als Entgelt. Ich dank' für die Ehre.


Ihr werdet thun, was befohlen wird, als getreuer Dienſtmann,
der noch Rechenſchaft ſchuldig iſt über gewiſſe Geſchäftsführungen beim
klöſterlichen Weinkrug, ſprach Praxedis. Es iſt doch luſtiger als La-
tein buchſtabiren. Habt Ihr keine Luſt, den gelehrten Herrn Ekke-
hard auszuſtechen?


Der Wink leuchtete dem Kämmerer ziemlich ein. Gebt mir den
Tuchzipfel, ſprach er, daß wir das Zeltdach ſpannen. Er ſtieg zum
Ahorn auf und feſtigte die Enden im Geäſt. Gegenüber waren hohe
[284] Stangen eingeſchlagen, von blauer Bohnenblüthe umrankt, dahin trug
Praxedis das Getüch an ſeinen andern Enden; in Kurzem hing die
ſchattige Decke über den luftigen Raum, die grauweiße Leinwand
ſchimmerte anmuthig zum Gelbgrün der Blätter und Ranken, es war
eine luſtige Gartenfriſche.


Der Vesperwein möchte ſich anmuthig hier trinken laſſen, ſagte
Herr Spazzo halb betrübt über das, was bevorſtand. Praxedis aber
ordnete Tiſch und Sitze; der Herzogin Polſterſtuhl mit dem durch-
brochenen Schnitzwerk lehnte ſich an den Stamm des Ahorns, niedrige
Schemel für die Andern, ihre Laute holte ſie herunter und legte ſie
auf den Tiſch, Burkard aber mußte einen großen Blumenſtrauß bin-
den, der ward vor den Herzogsſitz geſtellt. Dann band die Griechin
einen rothen Seidenfaden um den Baumſtamm, zog ihn bis zur
Bohnenhecke hinüber und von dort zur Mauer, ſo daß nur ein ſchmaler
Durchgang freiblieb. So! ſprach ſie vergnügt, jetzt iſt unſer Plauder-
ſaal umgrenzt und umfriedet wie König Laurins Roſengarten,235) die
Mauern ſind wohlfeil herzuſtellen.


Die Herzogin freute ſich ihres Einfalls, und ſchmückte ſich mit
einer gewiſſen Abſicht. Es war noch früh am Abend, da ſtieg ſie
zur Laube hinab. Blendend rauſchte die ſtolze Erſcheinung einher, ſie
hatte ein weites Gewand umgethan, Saum und Aermel mit ſchim-
merndem Gold durchſtickt, ein ſtahlgrauer mantelartiger Ueberwurf
wallte bis zum Boden herab, von edelſteinbeſetzten Agraffen gehalten;
über's Haupt trug ſie ein ſchleierartig Gewebe, licht und durchſichtig,
von güldenem Stirnband anſchmiegend zuſammengefaltet. Sie griff
eine Roſe aus Burkard's Strauß und heftete ſie zwiſchen Band und
Schleier.


Der Kloſterſchüler, der ſchon nahe daran war, Klaſſiker und freie
Künſte zu vergeſſen, hatte ſich die Gnade erbeten, der Herzogin Schleppe
zu tragen und ihr zu Ehren ein Paar abenteuerliche Schnabelſchuhe,
an beiden Seiten mit Ohren verſehen, angelegt,236) und machte ſich
verſchiedene Gedanken über das Glück, einer ſolchen Gebieterin als
frommer Edelknabe zu dienen.


Praxedis und Herr Spazzo traten mit ein. Die Herzogin ſchaute
ſich flüchtig um: Iſt Meiſter Ekkehard, zu deſſen Belehrung wir den
Abend geordnet, unſichtbar?


[285]

Er war nicht erſchienen.


Mein Oheim muß krank ſein, ſprach Burkard. Er iſt geſtern
Abend mit großen Schritten in ſeiner Thurmſtube auf und niederge-
gangen, und wie ich ihm die Sternbilder vor dem Fenſter erklären
wollt', den Bär und Orion und den mattſchimmernden Fleck der Ple-
jaden, hat er mir keine Antwort gegeben. Dann hat er ſich ange-
kleidet auf's Lager geworfen und im Schlaf geſprochen.


Was hat er geſprochen? fragte die Herzogin.


Meine Taube, hat er geſagt, die du in den Spalten der Felſen
dich verbirgſt und den Ritzen des Geſteines, zeig' mir dein Angeſicht,
laß deine Stimme klingen in meine Ohren, denn die Stimme iſt ſüß,
und dein Angeſicht ſchön, und ein andermal hat er geſagt: Warum
küßeſt du den Knaben vor meinen Augen? was hoff' ich und ſäum'
noch in lybiſchen Landen?


Da ſchaut's gut aus, flüſterte Herr Spazzo der Griechin zu, habt
Ihr das auf dem Gewiſſen?


Die Herzogin aber ſprach zu Burkard: Du wirſt ſelber geträumt
haben. Spring' hinauf und ſuch' deinen Ohm, daß er herunterſteige,
wo wir ſeiner warten.


Sie ließ ſich anmuthig auf dem thronartigen Sitz nieder. Da
kam Ekkehard mit dem Kloſterſchüler in den Garten. Er ſah blaß
aus; ſein Blick war unſtet und trüb. Er neigte ſich ſtumm und
ſetzte ſich an des Tiſches entgegengeſetzt Ende. Burkard wollte ſeinen
Schemel zu Füßen der Herzogin rücken wie geſtern, da ſie Virgil laſen,
aber Ekkehard ſtund auf und zog ihn an der Hand zu ſich herüber.
Hierher! ſprach er. Die Herzogin ließ ihn gewähren.


Sie ſchaute in die Runde. Wir haben geſtern behauptet, ſprach ſie,
daß wir in unſern deutſchen Sagen und Geſchichten ſo viel ſchöne
Gelegenheit zu Kurzweil beſitzen als weiland die Römer in ihrem
Heldenlied vom Aeneas. Und ſicher weiß ein Jedes von uns Etwas
von ſchneller Helden Fechten und feſter Burgen Brechen, von treuer
Liebſten Scheidung und reicher Könige Zergängniß; des Menſchen Herz
iſt mannigfach geartet, was der Eine ſeitab liegen läßt, muthet den
Andern an. Darum haben wir die heutige Tagfahrt geordnet, daß
von Jedem unſerer Getreuen, wie das Loos entſcheidet, ein anmuthig
Stück erzählt werde, und behalten uns vor, dem liebreizendſten einen
[286] Preis auszuſetzen. Siegt Einer von Euch Männern, ſo mög' er das
uralte Trinkhorn gewinnen, das aus König Dagoberts Zeiten her dro-
ben im großen Saal hängt; ſiegt meine treue Praxedis, ſo wird ein
Schmuckſtück ihrer harren. Halmzug beſtimme den Anfang!


Praxedis hatte vier Grashalme von verſchiedener Länge geordnet
und reichte ſie der Herzogin.


Soll ich für den jungen Verskünſtler auch ein Hälmlein beifügen?
fragte ſie.


Aber Burkard ſprach mit weinerlicher Stimme:


Ich bitt' Euch, verſchonet mich. Denn wenn meine Lehrer in
Sanct Gallen erfahren möchten, daß ich mich wiederum an unnützen
Mähren ergötzt, ſo würd' ich geſtraft wie damals, als wir auf Ro-
meias Wächterſtube die Geſchichte vom alten Hildebrand und ſeinem
Sohn Hadubrand aufführten. Der Wächter hat immer ſeine Freude
dran gehabt und hat uns ſelber die hölzernen Roſſe geſchnitzt und die
langen dreieckigen Schilde; ich bin der Sohn Hadubrand geweſen und
mein Mitſchüler Notker machte den alten Hildebrand, weil er eine ſo
große Unterlippe hat, wie ein alter Mann. Und wir ſind auf einand
eingeritten, daß eine Staubwolke zu des Romeias Fenſter hinauswir-
belte; juſt hatte Notker den Armring losgelöst und mir als Gabe
gereicht, wie das Lied es vorſchreibt,237) und ich ſprach zu ihm:


Du ſcheinſt mir, alter Heune, doch allzuſchlau; lockeſt mich mit
deinen Worten, willſt mich mit deinem Speere werfen; biſt du ſo zum
Alter gekommen, daß du immer trogeſt? Mir kündeten Seefahrende
weſtlich über den Wendelſee: hinweg nahm ihn der Krieg, todt iſt
Hildebrand, Heribrand's Erzeugter! —


Da kam Herr Ratolt unſer Lehrer der Rhetorica heraufgeſchlichen
und fuhr mit ſeiner großen Ruthe ſo grimmig zwiſchen uns, daß Roß
und Schild und Schwert den Händen entfielen: den Romeias ſchalt er
einen altväteriſchen Bärenhäuter, der uns von nützlichem Studium ab-
lenke, und mein Kamerad Notker und ich ſind drei Tage bei Waſſer
und Brod eingeſperrt geſeſſen und haben zur Strafe für's Hildebrand-
ſpiel jeder hundertundfünfzig lateiniſche Hexameter zu Ehren des hei-
ligen Othmar anfertigen müſſen ...


Die Herzogin lächelte. Da ſei Gott für, daß wir dich wiederum
zu ſolcher Sünde verleiten, ſprach ſie.


[287]

Sie faßte die Halme in der Rechten zuſammen und reichte ſie an-
muthig den Andern zum Ziehen. Ekkehard's Augen hafteten unver-
rückt auf der Roſe am Stirnband, wie er vor ſie trat. Sie mußte
ihn zweimal auffordern bis er zog.


Mord und Brand und Weltende! wollte Herr Spazzo heraus-
fahren; er hatte den kürzeſten Halm gegriffen. Aber er wußte, daß
keine Ausrede ihn loswinden könne, und ſchaute betrüblich über die
ſteile Felswand hinunter in's Thal, als ob ſich von dort ein Ausweg
aufthun müſſe. Praxedis hatte die Laute geſtimmt und ſpielte ein
Präludium, das klang lieblich zum Rauſchen der alten Ahornwipfel.


Unſer Herr Kämmerer hat keine Strafen zu fürchten wie der
Kloſterzögling, wenn er uns etwas Schönes bringt, ſprach die Her-
zogin. Nun denn!


Da neigte ſich Herr Spazzo vorwärts, ſtellte ſein Schwert mit dem
breiten Griff vor ſich, ſo daß er ſeine Arme drauf ſtemmen konnte,
ſtrich ſeinen Bart und hub an:


Wiewohl ich an alten Geſchichten keine abſonderliche Freude ge-
wonnen und es lieber höre, wenn zwei Schwerter aufeinander klirren
oder ein Hahnen in's volle Faß geſchlagen wird, ſo hab' ich doch ein-
mal eine ſchöne Mähr aufgeleſen. Mußte dereinſt in jungen Tagen
in's Welſchland hinunter reiten, da ging mein Weg durch's Tirol und
über den Brennerberg, und war ein rauher ſteiniger Saumpfad, der
über Kluft und Gefelſe zog, alſo, daß mein Roß ein Hufeiſen ein-
büßte. Und war Abend worden, ſo kam ich an ein Dörflein, heißt
Gothenſaß oder Gloggenſachſen, ſo aus den Zeiten Herrn Dietrich's von
Bern dort inmitten alter Lerchenwälder wie im Verſteck ſteht. An
Rücken des Berges gelehnt war zu äußerſt ein burgartig Haus, davor
lagen viel Eiſenſchlacken und ſprühte ein Feuer drinnen und ward
ſtark gehämmert. Da rief ich den Schmied herfür, daß er mein Roß
beſchlage, und wie ſich Niemand rührte, that ich einen Lanzenſtoß nach
der Thür, daß ſie ſperrweit auffuhr, und that dazu einen ſtarken
Fluch mit Mord und Brand und allem Böſen: ſo ſtund plötzlich ein
Mann vor mir mit zottigem Haar und ſchwarzem Schurzfell, und
war ich ſein kaum anſichtig, ſo war auch ſchon meine Lanze niederge-
ſchlagen, daß ſie zerſplitterte wie ſprödes Glas und eine Eiſenſtange
über meinem Haupt geſchwungen, und an des Mannes nackten Armen
[288] ſprangen Sehnen herfür, als könnt' er einen Ambos ſechzehn Klafter
tief in die Erde hineinſchmettern.


Da vermeinte ich, unter ſolchen Umſtänden möcht' ein höflich Wort
nicht vom Uebel ſein, und ſprach daher: Ich wollt' Euch nur um die
Gewogenheit erſuchen, daß Ihr mein Roß beſchlaget. Drauf ſtieß der
Schmied ſeine Stange in den Erdboden und ſprach: Das lautet an-
ders und ſchafft Euch Rath. Aber Grobheit gilt nichts in Weland's
Schmiede, das mögt Ihr in Eurer Heimath weiter ſagen.


Er beſchlug mein Roß und ich ſah, daß er ein ehrenwerther
Schmied war und ward ihm gut befreundet, und ließ das Rößlein in
ſeinem Stall ſtehen und blieb bei ihm in der Nachtherberge. Und
wir tranken ſcharf bis in die Nacht hinein, der Wein hieß Terlaner
und er ſchenkte ihn aus einem Schlauche. In währendem Trinken
befrug ich den rußigen Gaſtfreund um Gelegenheit und Namen ſeiner
Schmiede. Da lachte er hell auf und erzählte die Geſchichte vom
Schmied Weland
. Fein war ſie nicht, aber ſchön.


Herr Spazzo hielt eine Weile an und warf einen Blick auf den
Tiſch, wie Einer, der ſich nach einem Trunk Weines umſchaut, trockene
Lippen zu feuchten. Aber es war keiner zur Hand und man verſtand
den Blick nicht. Da fuhr er fort:


Woher der Weland gekommen, ſprach der Mann von Gothenfaß
damals zu mir, iſt hierlands nicht bekannt. Sie ſagen, in nordiſchen
Meeren, im Land Schonen ſei der Rieſe Vade ſein Vater geweſen,
ſeine Großmutter aber eine Meerfrau, die kam aus der Tiefe wie er
geboren ward, und ſaß eine lange Nacht auf der Klippe und harfte:
jung Weland muß ein Schmied werden! Da brachte Vade den Jungen
zu Mimer dem Schmiedungsverſtändigen, der hauste im dunklen Tann
zwanzig Meilen hinter Toledo und lehrte ihn viel mannigfache Kunſt.
Wie er aber ſein erſt Schwert geſchmiedet hieß ihn Mimer ſelber
weiter ziehen, auf daß er die letzte Meiſterſchaft bei den Zwergen
erringe. Und Weland ging zu den Zwergen und gewann viel Ruhm.


Da brachen die Rieſen in's Zwergenland, daß Weland weichen
mußte, und blieb ihm nichts als ſein breites Schwert Mimung, das
ſchnallte er über den Rücken und kam in's Land Tirol. Zwiſchen
Eiſack, Etſch und Inn aber ſaß dazumal der König Elberich, der
nahm den Weland freundlich auf, und wies ihm die Waldſchmiede zu
[289] am Brenner, und Eiſen und Erz und was ſonſt in des Gebirges
Adern verborgen ruht, ſollte all' des Weland ſein.


Und dem Weland ward's wohl und fröhlich um's Herz in den
tiroler Bergen; die Wildwaſſer rauſchten zu ihm heran und trieben
das Radwerk, der Sturm blies ihm das Heerdfeuer an und die Sterne
ſprachen: wir müſſen uns anſtrengen, ſonſt glänzen die Funken, die
Weland ſchlägt, heller denn wir.


So gedieh Weland's Arbeit wohl. Schildesrand und Schwert,
Meſſer und Pocal und was an Kleinod eines Königs Hofburg ziert,
wirkte der Sinnige und war kein Schmied, ſo weit die Sonne auf
Alpenſchnee glänzt, ſich mit Weland zu meſſen. Elberich aber hatte
viel böſe Feinde, die einten ſich und ſetzten den einäugigen Amilias
zu ihrem Führer und brachen in's Land ein. Und Elberich trug
großes Herzeleid und ſprach: Wer mir des Amilias Haupt brächte,
mein einzig Töchterlein ſollt ihn dafür küſſen als Ehgemahl! Da
löſchte Weland ſein Schmiedfeuer, ſchnallte ſein breites Schwert Mi-
mung um und zog aus gegen Elberich's Widerſacher. Und das Schwert
war brav und ſchlug dem Amilias das Haupt ab, daß aller Feind
über Joch und Klauſen heimlief. Weland aber brachte ſeinem König
das Haupt. Da ſprach der zürnend: Was ich von meiner Tochter
angelobet, das hat der Wind verweht; ein Schmied kann nicht mein
Sohn ſein, deß würden meine Hände rußig, wenn er den Gruß mir
bieten wollt'. Aber als Lohn ſollſt du drei Goldpfennige haben, dafür
kann ein Mann turnieren und ſtechen, reigen und tanzen, zieren und
pflanzen und eine Dirne ſich kaufen am Markt. Weland warf ihm
die drei Goldpfennige vor die Füße, daß ſie unter den Thron rollten,
und ſprach: Behüt' Euch Gott, auf Nimmerwiederſehen! und wandte
ſich aus dem Lande zu gehn. Der König aber wollte den Schmied
nicht miſſen, darum ließ er ihn niederwerfen und die Sehnen am Fuß
durchſchneiden, daß er hinkend ward und ungemuth, und des Fliehens
vergeſſen mußt'.


Und Weland ſchleppte ſich traurig in die Waldſchmiede heim und
zündete ſein Feuer wieder an, aber er pfiff und ſang nimmer, wenn
er mit ſchwerem Hammer das Eiſen ſchlug und ſein Gemüth ward
ingrimmig. Da kam einsmals des Königs Sohn, der war ein roth-
wangiger Knab' und war allein in den Wald gezogen und ſprach:
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 19
[290] Weland ich will dir zuſchauen. Da ſprach der Schmied tückiſch: ſtell'
dich an Ambos, ſo ſchauſt du Alles am beſten, — und zog die glühe
Eiſenſtange aus den Flammen und ſtieß ſie dem Königsknaben durch's
Herz. Sein Gebein bleichte er und goß um die Knochen viel Erz
und Silber, daß ſie zu Säulen der Leuchter wurden, um den Schädel
aber fügte er einen Goldrand, da ward der Schädel zum Becher.
All' dies aber ſandte Weland dem Elberich und wie die Boten geritten
kamen, und nach dem Knaben fragten, ſprach er: Ich ſah ihn nimmer,
er iſt zu Wald gerannt.


Zu ſelber Zeit erging ſich des Königs Tochter in ihrem Garten,
die war ſo ſchön, daß ſich die Lilien vor ihr neigten. Am Zeigefinger
trug ſie einen Ring von Gold, geſtaltet wie eine Schlange und ein
Carfunkel blitzte im Schlangenhaupt, den hatte Elberich ſelbſt eingefügt
und hielt den Ring theurer als ein Königreich und ſchenkte ihn ſeiner
Tochter nur, weil ſie in ihrer Schöne ihm über Alles lieb war. Die-
weil ſie aber eine Roſe pflückte, ſprang der Ring von der Jungfrau
Finger und hüpfte mit hellem Schein über das Geſtein und zerbrach;
und der Carfunkel fiel aus der güldenen Faſſung, daß die Maid die
Hände rang und bitterlich wehklagte und ſich nicht traute heimzugehen,
denn ſie fürchtete ihres Vaters Zorn.


Da ſprachen die dienenden Frauen: Geh' heimlich zum Schmied
Weland, der weiß Rath dafür. So trat die Königstochter in Weland's
Schmiede und klagte ihre Noth. Der nahm den Ring und fügte ihn
zuſammen und ſchmolz Gold und Erz und der Carfunkel blitzte wieder
im Schlangenhaupt. Aber Weland's Stirn war tief gefurcht, und
wie die Jungfrau ihm freundlich zulachte und gehen wollt', da ſprach
er: Hei! wie kommſt du mir geſchlichen! und warf die feſte Thür
in's Schloß und legte Riegel vor und griff die Königstochter mit
ſtarker Hand und trug ſie in die Kammer, wo Moos und Farren-
kraut geſchichtet lag. Und wie ſie von dannen ging, weinte ſie und
raufte ihr ſeidenweich Haar ...


Ein Geräuſch unterbrach Herrn Spazzo. Praxedis hatte zur Her-
zogin aufgeſchaut, ob ſie nicht etwa erröthend aufſpringen und Herrn
Spazzo den Mund ſchließen ſolle; doch aus dem ſtrengen Antlitz war
nichts zu leſen. Darum trommelte ſie ungeduldig mit den Fingern
auf ihrer Laute.


[291]

.. und es war eine Gewaltthat geſchehen, fuhr Herr Spazzo unbe-
irrt fort. Da hub Weland ein Singen und Jodeln an, wie die
Waldſchmiede es nimmer gehört, ſeit ihm die Sehnen zerſchnitten
worden. Dann ließ er Schwerter und Schilde unvollendet und ſchmie-
dete Tag und Nacht und ſchmiedete zwei große Flügel, und war kaum
fertig, ſo kam Elberich mit Heeresmacht den Brenner herabgeritten.
Da band ſich Weland die Flügel an und hing ſein Schwert Mimung
um, und trat auf die Zinne, daß die Leute riefen: Sehet, der We-
land iſt ein Vogel worden!


Er aber rief mit ſtarker Stimme vom Thurm: Behüt' Euch Gott,
König Elberich! Ihr werdet des Schmiedes gedenken. Den Sohn hat
er erſchlagen, die Tochter trägt ein Kind von ihm, Ade, ich laß ſie
grüßen! rief's und ſeine ehernen Flügel hoben ſich und rauſchten
wie Sturmwind und er fuhr durch die Lüfte. Der König griff ſeinen
Bogen und alle Ritter ſpannten in grimmer Eil'; wie ein Heer flie-
gender Drachen ſchoſſen die Pfeile ihm nach, doch Weland hob die
Schwingen, kein Eiſen traf ihn nicht, und flog heim nach Schonen
auf ſeines Vaters Schloß und ward nicht mehr geſehen. Und Elberich
hat ſeiner Tochter den Gruß nicht ausgerichtet. Sie aber genaß noch
in demſelben Jahrgang eines Knaben, der hieß Wittich und ward ein
ſtarker Held wie ſein Vater.


Das iſt die Mähr' von Weland Ende! 238)


Herr Spazzo lehnte ſich zurück und that einen langen behaglichen
Athemzug. Ein zweitesmal werden ſie mich in Ruhe laſſen, dachte
er. Der Eindruck des Erzählten war verſchieden. Die Herzogin ſprach
ſich lobend aus, des Schmiedes Rache muthete ſie an, Praxedis ſchalt, es
ſei eine rechte Grobſchmiedsgeſchichte, man ſollte dem Kämmerer ver-
bieten ſich noch vor Frauen ſehen zu laſſen. Ekkehard ſprach: Ich
weiß nicht, mir iſt als hätt' ich Aehnliches gehört, aber da hieß der
König Nidung und die Schmiedwerkſtätte ſtand am Caucaſus.


Da rief der Kämmerer zürnend: Wenn Euch der Caucaſus vor-
nehmer iſt wie Gloggenſachſen, ſo mögt Ihr's dorthin verlegen; ich
weiß noch recht wohl, wie mir mein tiroler Freund den Ort genau
gewieſen.239) Ueber der Kammerthür war eine geknickte Roſe von Erz
geſchmiedet und auf dem Thurm ein eiſerner Adlerflügel, und ſtand
eingegraben: hie flog der Schmied von dannen. Dann und wann
19*
[292] kommen Leute hinabgewallfahrtet und beten und glauben der Weland
ſei ein großer Heiliger geweſen.240)


Laſſet ſehen, wer Herrn Spazzo den Preis jetzt ſtreitig machen
ſoll, ſprach die Herzogin und miſchte die Looſe. Sie zogen. Der
kleinſte Halm blieb in Praxedis Hand. Die that weder verlegen, noch
bat ſie um Nachſicht; ſie fuhr mit der weißen Hand über die dunkeln
Haarflechten und begann:


Mir haben zwar die Ammen keine Wiegenlieder von alten Recken
geſungen und in Waldſchmieden bin ich, Gott ſei es gedankt, niemalen
eingekehrt, aber ſelbſt in Conſtantinopel geht die Rede von ſolcherlei
Abentheuer. Und wie ich am Kaiſerhof unterwieſen ward in allen
Künſten, die dienenden Maiden wohl anſtehen, da war eine alte
Schlüſſelverwahrerin die hieß Glycerium, die ſprach oft zu uns:


Höret, Mägdlein, ſo ihr je einer Prinzeſſin dienet, und ihr Herz
iſt in heimlicher Minne entbrannt, und ſie kann den nicht ſehen,
den ſie begehrt, ſo müſſet ihr ſchlau ſein und bedachtſam wie die
Kammerfrau Herlindis, da der König Rother um des Kaiſer
Conſtantinus Tochter geworben. Und wenn wir im Frauenſaal bei-
ſammen ſaßen, da ward gewispert und geflüſtert, bis Glycerium die
Alte erzählte vom König Rother.


Vor alten Zeiten ſaß in der Meerburg am Bosporus der Kaiſer
Conſtantinus, der hatte eine wunderbar ſchöne Tochter und die Leute
ſprachen von ihr, ſie ſei ſtrahlend wie der Abendſtern und leuchte
unter allen Maiden wie der Goldfaden in der Seiden. Da kam eines
Tages ein Schiff gefahren, draus ſtiegen zwölf edle Grafen und zwölf
Ritter, und ritten in Conſtantinus Hof ein, und einer ritt voran der
hieß Lupolt. Und alles Volk der Hauptſtadt ſtaunte über ſie, denn
Mäntel und Gewande waren ſchwer von Edelſtein und Jachanten be-
ſetzt und an den Sätteln der Roſſe klang's von goldenen Schellen.
Das waren die Boten des König Rother von Wikingland, und Lupolt
ſprang vom Roß und ſprach zum Kaiſer:


Uns ſchickt unſer König, geheißen Rother, der iſt der ſchönſte
Mann, der je vom Weibe kam, ihm dienen die beſten Helden und an
ſeinem Hof iſt Ball und Schall und Federſpiel ſoviel das Herz begehrt.
Er aber iſt unbeweibt und ſein Herz ſteht einſam: Ihr ſolltet ihm
Eure Tochter geben! Conſtantinus aber war ein zornmüthiger Herr;
[293] grimm warf er ſeinen Reichsapfel zu Boden und ſprach: Um meine
Tochter hat noch Keiner geworben, der nicht den Kopf verloren, was
bringt ihr mir ſolchen Schimpf über das Meer? Ihr ſeid Alle ge-
fangen! Und ließ ſie in einen Kerker werfen, da ſchien weder Sonne
noch Mond drein und bekamen nur Waſſer ſich zu laben und
weinten ſehr.


Wie die Kunde zum König Rother kam, da ward ihm ſein Herz
ſehr traurig und er ſaß auf einem Stein und ſprach zu Niemand.
Dann faßte er den Entſchluß, in Reckenweiſe über Meer zu fahren,
um ſeinen getreuen Sendboten beizuſpringen. Und er war verwarnt
vor den Griechen, daß man dort die Wahrheit übergülden müſſe, ſo
man Etwas beſchaffen wolle, darum hieß er ſeine Recken eidlich ange-
loben, daß ſie alle vorgäben, er heiße nicht Rother ſondern Dieterich
und ſei landflüchtig vor dem König Rother und gehre Hilfe bei dem
Griechenkaiſer. Alſo fuhren ſie über Meer.


Und Rother nahm ſeine Harfe an Schiffes Bord, denn bevor
ſeine zwölf Geſandten die Anker gelichtet, war er mit der Harfe an
Strand gekommen und hatte drei Singweiſen gegriffen das ſollte ihnen
ein Angedenken ſein: und kommet ihr je in Noth und höret die
Weiſen erklingen, ſo iſt Rother helfend euch nah!


Es war ein Oſtertag und der Kaiſer Conſtantin war nach dem
Hippodrom ausgeritten, da hielt Rother ſeinen Einzug. Und alle
Bürgersleute von Conſtantinopel liefen zuſammen; das war noch nie
erſchaut, denn Rother brachte auch ſeine Rieſen mit ſich: der erſte
hieß Asprian und trug eine Stahlſtange die war vierundzwanzig
Ellen lang, der zweite hieß Widolt und war ſo wildwüthig, daß ſie
ihn in Ketten mitführen mußten, der dritte hieß Abendroth.


Und viel tapfere Degen kamen mit Rother geritten, und zwölf
Wagen mit Schätzen fuhren an, und war ſolche Pracht, daß die Kai-
ſerin ſprach: O weh wie dumm ſind wir geweſen, daß wir unſere
Tochter dem König Rother verſagten; was muß der für ein Mann
ſein, der ſolche Helden vertreibt über die Meere!


König Rother trug einen güldenen Harniſch und einen purpurnen
Waffenrock und zwei Reihen ſchöner Ringe am Arm, und beugte ſein
Knie vor dem Griechenkaiſer und ſprach: Mich Fürſten Dieterich hat
[294] ein König in Acht gethan, der heißt Rother, nun iſt Alles, was ich
gearbeitet, zu meinem Schaden. Ich biet' Euch meine Dienſte an.


Da lud Conſtantinus die Helden alle zum Hippodromushof und
hielt ſie in hohen Ehren und hieß ſie zu Tiſch ſitzen. Es lief aber
da ein zahmer Löwe herum, der gewohnt war den Knechten das Brot
wegzufreſſen. Der kam auch an Asprians Teller, ihn aufzulecken.
Da griff Asprian den Löwen an der Mähne und warf ihn an des
Saales Wand, daß er zerbrach. Und die Kämmerer ſprachen zu
einand: wer nicht an die Wand fliegen will, laſſe dieſes Mannes
Teller unberührt.


König Rother aber theilte den Griechen viel ſchöne Geſchenke aus;
jedem, der ihn auf der Herberge beſuchte, hieß er einen Mantel ver-
ehren oder ein Stück Gewaffen. Es kam auch ein landflüchtiger
Grafe daher, dem ſchenkte er tauſend Mark Silber und nahm ihn in
Dienſt, alſo daß viel hundert Ritter in ſein Gefolge traten. So war
in Aller Munde des vermeinten Dietrich's Preis und unter den
Frauen hob ſich ein Wispern und Raunen, es war keine Kemenate,
daß die Wände nicht Herrn Dietrich rühmen hörten.


Da ſprach die goldlockige Kaiſerstochter zu Herlindis ihrer Kammer-
frau: O weh mir! wie ſoll ich es anfangen, daß ich deſſelben Herren
anſichtig werde, den ſie Alle preiſen?


Herlindis aber entgegnete: Nun bitte deinen Vater, daß er ein
Freudenfeſt gebe am Hofe und den Helden dazu lade, ſo magſt du
ihn am beſten erſehen.


Die Kaiſertochter that nach Herlindis Rath und Conſtantinus
nickte ihr zu und entbot ſeine Herzoge und Grafen zum Hippodro-
mushofe und die fremden Helden dazu. All' die Geladenen kamen,
da hob ſich ein unſäglich Gedränge um den, den ſie Dieterich nannten,
und wie die Kaiſertochter mit ihren hundert Frauen eintrat, geziert
mit güldener Krone und gold- und cyclatgeſticktem Mantel, brach
gerade ein ungefüger Lärm aus: Asprian den Rieſen hatte ein Käm-
merer auf ſeiner Bank rücken geheißen, daß andere Leute auch Platz
bekämen, da ſchlug Asprian dem Kämmerer einen Ohrſchlag, daß ihm
der Kopf entzwei brach und es gab ein bös Durcheinander, ſo daß
Dieterich Ruhe ſtiften mußt'.


[295]

Darum konnte die Kaiſertochter des Helden nicht anſichtig werden
und hätte ihn doch ſo gern geſehen.


Da ſprach ſie daheime wieder zu Herlindis: O weh mir, nun hege
ich Tag und Nacht Sorgen und habe keine Ruh', bis meine Augen
den tugendſamen Mann erſchaut. Der möcht' einen ſchönen Boten-
lohn verdienen, der mir den Helden zur Kammer führen wollt'.


Herlindis aber lachte und ſprach: Den Botengang will ich in
Treuen thun, ich geh' zu ſeiner Herberg. Und die Vielſchlaue legte
ihr zierlichſtes Gewand an und ging zu dem Herren Dietrich. Der
empfing ſie frömmiglich und ſie ſetzte ſich viel nahe zu ihm und ſprach
ihm in's Ohr: Meine Herrin, des Kaiſers Tochter, entbeut dir viel
holde Minne; ſie iſt der Freundſchaft zu dir unterthan, du ſollſt dich
aufmachen und hingehen zu ihr.


Aber Dietrich ſprach: Frau, du ſündigeſt dich. Ich bin in andern
Tagen zu mancher Kemenate gegangen, da es wohl ſein mocht', was
ſpotteſt du itzt des heimatloſen Mannes? An des Kaiſers Hofe iſt edler
Herzoge und Fürſten eine große Zahl: nie gedachte deine Frau der Rede.


Und als Herlindis ihm inniglich zuredete, ſagte Herr Dietrich:
Hier ſind der Merker ſo viele; wer ſeine Ehr' behalten will, muß
wohlgezogen thun; Conſtantinus möcht' mir das Reich verbieten. Darum
wär' es mißhellig, ſo ich deine Frau ſehen wollte. Vermelde ihr das;
ſo ſehr ich ihr zu dienen gehre.


Herlindis wollte von dannen gehen, da hieß der König ſeine Gold-
ſchmiede zwei Schuhe gießen von Silber und zwei von Golde, und
ſchenkte ihr von jedem Paar einen, dazu einen Mantel und zwölf
güldene Spangen, denn er war artigen Gemüthes und wußte, daß
man einer Fürſtin Kammerfrau, die in Sachen der Minne Botengang
thut, wohl ehren ſoll.


.. Praxedis hielt eine Weile an, denn Herr Spazzo, der ſeit eini-
ger Zeit mit ſeines Schwertes Scheide viel großnaſige Geſichter in
Sand gezeichnet, hatte ein vernehmlich Räuspern erhoben. Da er aber
keine weitere Einſprache that, fuhr ſie fort:


..Und Herlindis ſprang fröhlich heim und ſprach zu Hauſe zu
ihrer Herrin: Hart und fleißig pflegt der gute Held ſeiner Ehren,
ihm iſt des Kaiſers Huld zu lieb. Aber ſchauet her, wie er mir
Liebes that; die Schuhe, den Mantel, die zwölf Spangen: o wohl
[296] mir, daß ich zu ihm kam! Ich mag wohl auf der weiten Erden
keinen ſchöneren Ritter erſchauen. Gott verzeih mir, daß ich ihn an-
gaffete, als wär' er ein Engel.


O weh mir! ſprach die Kaiſertochter, ſoll ich denn nimmermehr
ſelig ſein? So ſollſt du mir zum mindeſten die Schuhe geben, die
dir des edeln Degens Huld verlieh, ich füll' ſie dir mit Golde.


Da ward der Kauf geſchloſſen: ſie zog den güldenen Schuh an
und nahm auch den ſilbernen, doch der ging an denſelben Fuß. O
weh mir! klagte die Holde, es ward ein Mißgriff gethan, ich bring
ihn nimmer an, du mußt wiederum gehen und Herrn Dietrich bitten,
daß er dir den andern gebe und ſelber komme.


Das wird die Läſterer freuen, lachte Herlindis. Was thut's? Ich
gehe — und ſie hob ihr Gewand ſchier bis an's Knie und ſchritt, als
hätte ſie fraulichen Ganges vergeſſen, über den regenfeuchten Hof zu
Dietrich. Und der werthe Held wußte wohl, warum ſie kam, er that
aber, als ſähe er's nicht. Herlindis ſprach zu ihm: Ich muß noch
mehr Botengänge thun, es iſt ein Mißgriff geſchehen: itzt heißt dich
meine Herrin mahnen, daß du den andern Schuh gebeſt und ſie ge-
ſeheſt ſelber. Hei, wie thät ich's gerne, ſprach er, aber des Kaiſers
Kämmerer werden mich melden. O nie! ſagte Herlindis, die tummeln
ſich im Hof und ſchießen den Speerſchaft, nimm du zwei Diener und
heb' dich leis mir nach, bei Schall und Kampfſpiel miſſet dich Keiner.


Jetzt wollte die Getreue von dannen gehen. Doch der Held ſprach:
Ich will erſt nach den Schuhen fragen. Da rief Asprian draußen:
was liegt an einem alten Schuh? Viel tauſend haben wir geſchmiedet,
die trägt das Ingeſind; ich will den rechten ſuchen. Und er brachte
ihn, und Dietrich ſchenkte der Kammerfrau wiederum einen Mantel
und zwölf Spangen.


Da ging ſie voraus und kündete ihrer Herrin die erwünſchte
Mähre. Herr Dietrich aber hieß im Hippodromoshofe einen großen
Schall anheben und hieß die Rieſen ausgehen; da fuhr Widolt mit
der Stange heraus und geberdete ſich ſchreckentlich, und Asprian ſchlug
einen Purzelbaum in die blaue Luft und Abendroth warf einen un-
gefügen Stein von viel hundert Pfunden und erſprang ihn zwölf
Klafter weit, ſo daß keiner der Merker Herrn Dietrich wahrnehmen
mochte.


[297]

Der ging züchtiglich über den Hof. Am Fenſter erſchaute ihn die
harrende Kaiſertochter, da ſchlug ihr Herz und die Kemenate ward ihm
aufgethan und ſie ſprach zu ihm: Willkomm', edler Herr! wie ſeh' ich
Euch gerne. Nun ſollt Ihr mir die ſchönen Schuhe ſelber anziehen.


Mit Freuden! ſprach der Held und ſetzte ſich zu ihren Füßen, und
ſein Gebahren war gar ſchön und ſie ſtellte ihren Fuß auf ſein Knie,
der Fuß war zierlich und die Schuhe paßten wohl, da fügte ſie Herr
Dietrich ihr an.


Nun ſage mir, vieledle Jungfrau, begann drauf der Liſtige, dich
hat ſicher ſchon gebeten manch ein Mann, du ſolleſt zu ſeinem Willen
ſtahn, welcher unter Allen hat dir am beſten gefallen?


Da ſprach des Kaiſers Tochter ernſthaft: Herr! auf die Seele
mein, ſo wahr ich getaufet bin, ſo man alle Recken der Welt zu-
ſammenſtehen hieße, es möchte Keiner werth ſein, dein Genoſſe zu
heißen. Du biſt der Tugend ein auserwählter Mann, — und doch,
ſo die Wahl bei mir ſtünde, ſo nähme ich einen Helden, deß muß ich
denken mit jedem neuen Tag; ſeine Boten hat er ausgeſchickt, um
mich zu werben, die liegen itzt in tiefem Kerker. Er heißet Rother
und ſitzt über dem Meer' — wird mir der nicht, ſo bleib' ich eine
Maid immerdar.


Eia, ſprach Dietrich, willſt du den Rother minnen, den ſchaff' ich
dir zur Stelle. Wir haben als Freunde fröhlich gelebt, er war mir
gnädig und gut, wenngleich er dann mich Landes vertrieb.


Da ſprach die Kaiſertochter: Höre, wie kann dir der Mann lieb
ſein, wenn er dich vertrieben? Ich merke wohl, du biſt ein Bote, her-
geſandt von König Rother, nun ſprich und verhehle mir Nichts: was
du mir heut' auch ſageſt, iſt wohl bei mir vertaget bis an den
jüngſten Tag.


Da that der Held einen feſten Blick nach ihr und ſagte: Nun
ſtell' ich alle meine Dinge Gottes Gnade und der deinen anheim.
Wohl denn! es ſtehen deine Füße in König Rother's Schooß!


Hart erſchrack die Vielholde; den Fuß zuckte ſie auf und klagte:
O weh mir! nun war ich ſo ungezogen, mich trog der Uebermuth,
daß ich den Fuß geſetzt auf deinen Schooß. Hat dich Gott hergeſen-
det, das wär' mir innig lieb. Doch wie mag ich dir getrauen? So
du die Wahrheit probteſt, noch heute wollt' ich mit dir meines Vaters
[298] Reich räumen; es lebet kein Mann, den ich nähme, ſo du König
Rother wäreſt genannt — aber vorerſt bleibt's wohl ungethan.


Wie ſoll ich's beſſer proben, erwiederte der König, als durch meine
Freunde im Kerker? So die mich erſchauen könnten, dir würde bald
kund, daß ich wahr geredet.


So will ich meinen Vater bereden, daß er ſie heraus laſſe, ſprach
des Kaiſers Tochter. Aber wer wird Bürge ſein, daß ſie nicht
entrinnen?


Ich will ſie über mich nehmen, ſprach er.


Da küßte des Kaiſers Tochter den Helden und er ſchied mit Ehren
aus ihrer Kemenaten und ging auf ſeine Herberge und war ihm gar
wonniglich zu Muthe. Als aber der Morgen graute, nahm die Jung-
frau einen Stab und ſchlüpfte in ein ſchwarz Trauergewand und legte
einen Pilgerkragen über die Achſel, als wolle ſie aus dem Land ab-
ſcheiden und ſah bleich und betrübt drein und ging zum Kaiſer Con-
ſtantinus hinüber, klopfte an ſeine Thüre und ſprach liſtig zu ihm:
Mein lieber Herr Vater, nun muß ich bei lebendem Leib in's Ver-
derben. Mir iſt gar elend, wer tröſtet meine Seele? Im Traum
treten die eingekerkerten Boten des König Rother vor mich und ſind
abgezehrt und elend und laſſen mir keine Ruhe; ich muß fort, daß
ſie mich nimmer quälen, es ſei denn, Ihr laſſet mich die Armen mit
Speiſung, Wein und Bad erquicken. Gebet ſie heraus, wenn auch
nur auf drei Tage.


Da antwortete der Kaiſer: Das will ich dulden, ſo du mir einen
Bürgen ſtelleſt, daß ſie am dritten Tag wieder niederſteigen zum Kerker.


Dieweil man nun zu Tiſche ging im Kaiſerſaal, kam auch der
vermeinte Herr Dieterich mit ſeinen Mannen, und als die Mahlzeit
vollendet und man die Hände wuſch, ging die Jungfrau um die Tiſche,
als wolle ſie unter den reichen Herzogen und Herrn den Bürgen ſu-
chen, und ſprach zu Dieterich: Nun gedenke, daß du mir aus der
Noth helfeſt und nimm die Boten auf dein Leben.


Er aber ſprach: Ich bürge dir, du allerſchönſte Maid.


Und er gab dem Kaiſer ſein Haupt zum Pfand, und der Kaiſer
ſchickte ſeine Mannen mit ihm, daß ſie den Kerker öffneten.


Drin lagen die Geſandten elend und in Unkräften; als man die
Kerkerthüren einbrach, ſchien der helle Tag in's Verließ, der blendete
[299] die Armen, denn ſie waren ſein nicht mehr gewohnt. Da nahmen ſie
die zwölf Grafen und ließen ſie aus dem Kerker gehen; jedwedem
folgte ſein Rittersmann, und das Gehen fiel ihnen ſauer. Voran
ſchritt Lupolt ihr Führer, der hatte ein zerriſſen Schürzlein um die
Lenden geſchlungen und ſein Bart war lang und ſtruppig, der Leib
aber zerſchunden. Herr Dietrich ſtund traurig und wandte ſich zur
Seite, daß ſie ihn nicht erkennten und hielt mit Gewalt die Thränen
an, denn noch niemals war ihm das Leid ſo nah geſtanden. Er hieß
ſie zur Herberge führen und pflegen und die Grafen ſprachen: Wer
war der, der ſeitab ſtand? der will uns ſicher wohl. Und ſie lachten
in Freud und Leid zugleich, aber kannten ihn nicht.


Anderen Tages nun lud die Kaiſerstochter die Vielgeprüften zu
Hofe, und ſchenkte ihnen gute funkelnde Gewänder und ließ ſie in die
warme Badſtube ſetzen und einen Tiſch richten ſie zu atzen. Wie nun
die Herren ſaßen und ihres Leids ein Theil vergaßen, nahm Dieterich
ſeine Harfe und ſchlich hinter den Umhang und ließ die Saiten er-
klingen: er griff die Singweiſe, die er einſt gegriffen am Meeresſtrand.
Lupolt hatte den Becher erhoben, da entſank er ſeiner Hand, daß er
den Wein niedergoß auf den Tiſch, und Einer, der das Brod ſchnitt,
ließ ſein Meſſer fallen und Alle horchten ſtaunend: voller und heller
erklang ihres Königs Singweiſe, da ſprang Lupolt über den Tiſch und
alle Grafen und Ritter ihm nach, als wär' ein Hauch alter Kraft
plötzlich über ſie gekommen, und ſie riſſen den Umhang nieder und
küßten den Harfner und knieten vor ihm und des Jubels war kein Ende.


Da wußte die Jungfrau, daß er treu und wahrhaft der König
Rother von Wikingland war, und that einen lauten Freudenruf, daß
Conſtantinus, ihr Vater, herzugelaufen kam — er mochte wollen oder
nicht, ſo mußte er ſie zuſammengeben, und die Geſandten ſtiegen
nimmermehr in ihren Kerker und Rother hieß nimmermehr Dieterich
und küßte ſeine Braut und fuhr mit ihr heim über's Meer und war
ein glückſeliger Mann und hielt ſie hoch in Ehren und wenn ſie in
Minne beiſammen ſaßen, ſprachen ſie: Gelobt ſei Gott und Mannes-
muth und kluger Kammerfrauen Liſt!


Das iſt die Mähr vom König Rother!241)
... Praxedis hatte lang erzählt.


[300]

Wir ſind wohl zufrieden, ſprach die Herzogin, und ob der Schmied
Weland den Preis davon tragen wird, ſcheint uns nach König Ro-
ther's Geſchichte ein weniges zweifelhaft.


Herr Spazzo ward drob nicht böſe. Die Kammerfrauen in Con-
ſtantinopel ſcheinen die Feinheit mit Löffeln gegeſſen zu haben, ſprach
er. Aber ſollt' ich auch beſiegt ſein, der Letzte hat noch nicht geſungen.


Er ſah auf Ekkehard hinüber. Aber der ſaß wie ein Traumbild
in ſich verſunken. Er hatte vom König Rother wenig vernommen,
der Herzogin Stirnband mit der Roſe war das Ziel ſeiner Augen
geweſen, dieweil Praxedis erzählte.


.. Uebrigens glaub ich die Geſchichte kaum, fuhr Herr Spazzo
fort. Vor Jahren bin ich im Biſchofshof zu Conſtanz drüben beim
Wein geſeſſen, da kam ein griechiſcher Reliquienverkäufer, der hieß
Daniel und hatte viel heilige Leiber und Kirchenſchmuck und künſtlich
Geräthe bei ſich. Dabei war auch ein alterthümlich Schwert mit
edelſteinbeſetzter Scheide, das wollt' er mir aufſchwatzen und ſprach,
es ſei das Schwert des König Rother, und wären die güldenen Thaler
bei mir nicht ebenſo dünn geſäet geweſen, wie die Haare auf des
Griechen Scheitel, ich hätt' es gekauft. Der Mann erzählte, mit dem
Schwert hab' Herr Rother mit dem König Ymelot von Babylon ge-
ſtritten um des Kaiſers Tochter, aber von goldenen Schuhen und
Kammerfrauen und Harfenſpiel hat er nichts gewußt.


Es wird noch Vieles auf der Welt wahr ſein, ohne daß Ihr
Kenntniß davon habt, ſprach Praxedis leicht.


Der Abend dunkelte. Mit gelbem Schein war der Mond aufge-
ſtiegen, würziger Duft durchſtrömte die Lüfte, im Gebüſch und am
Felshang flimmerte es von Leuchtkäfern, die ſich anſchickten auszu-
fliegen. Ein Diener kam herab und brachte Windlichter; von ölge-
tränktem Linnen wie von einer Laterne umfangen brannten die Kerzen.
Es war lind und lieblich im Garten.


Der Kloſterſchüler ſaß vergnügt auf ſeinem Schemel und hielt die
Hände gefaltet wie in Andacht.


Was meint unſer junger Gaſt? fragte die Herzogin.


Ich wollte mein ſchönſtes lateiniſches Buch geben, ſprach er, wenn
ich es hätte mit anſehen können, wie der Rieſe Asprian den Löwen
an die Wand warf.


[301]

Du mußt ein Recke werden und ſelber auf Rieſen und Drachen
ausziehen, ſcherzte die Herzogin.


Aber das leuchtete ihm nicht ein: Wir bekommen mit dem Teufel
zu ſtreiten, ſagte er, das iſt mehr.


Frau Hadwig war noch nicht geſtimmt, aufzubrechen. Sie knickte
ein Zweiglein vom Ahorn in zwei ungleiche Stücke und trat zu Ekke-
hard. Der fuhr verwirrt auf.


Nun, ſprach die Herzogin, ziehet! Ihr oder ich.


Ihr oder ich! ſprach Ekkehard ſtumpf. Er zog das kürzere Ende.
Es gleitete ihm aus der Hand; er ließ ſich wieder auf ſeinen Sitz
nieder und ſchwieg.


Ekkehard! ſprach die Herzogin ſcharf.


Er ſchaute auf.


Ihr ſollet erzählen.


Ich ſoll erzählen! murmelte er und fuhr mit der Rechten über
die Stirn. Sie war heiß; es ſtürmte drin.


Ja wohl, — erzählen! Wer ſpielt mir die Laute dazu?


Er ſtand auf und ſah in die Mondnacht hinaus. Verwundert
ſchauten die Anderen ſein Gebahren. Er aber hub mit klangloſer
Stimme an:


Es iſt eine kurze Geſchichte. Es war einmal ein Licht, das leuch-
tete hell und leuchtete von einem Berg hernieder und leuchtete in
Regenbogenfarben und trug eine Roſe im Stirnband ...


Eine Roſe im Stirnband?! brummte Herr Spazzo kopfſchüttelnd.


.. Und es war einmal ein dunkler Nachtfalter, fuhr Ekkehard in
gleichem Ton fort, der flog zum Berg hinauf und flog um das Licht,
und wußte daß er verbrennen müſſe wenn er hineinfliege, und flog
doch hinein, und das Licht verbrannte den Nachtfalter, da ward er zur
Aſche und vergaß des Fliegens. Amen!


Frau Hadwig ſprang unwillig auf.


Iſt das Eure ganze Geſchichte? fragte ſie.


Meine ganze Geſchichte! ſprach er mit unveränderter Stimme.


Es iſt Zeit, daß wir hinaufgehen, ſagte Frau Hadwig ſtolz. Die
Nachtluft ſchafft Fieber.


Sie ſchritt mit verächtlichem Blick an Ekkehard vorüber. Burkard
trug ihr die Schleppe. Ekkehard ſtand unbeweglich. Der Kämmerer
[302] Spazzo klopfte ihm auf die Schulter: Der Nachtfalter war ein dum-
mer Teufel, Herr Caplan! ſprach er mitleidig. Ein Windſtoß kam
und blies die Lichter aus. Er war ein Mönch! ſprach Ekkehard
gleichgiltig, ſchlafet wohl! —



Einundzwanzigſtes Kapitel.
Verſtoßung und Flucht.



Ekkehard war noch lang in der Gartenlaube geſeſſen, dann war
er hinausgerannt in die Nacht. Er wußte nicht wohin der Gang
gehen ſollte. Des Morgens fand er ſich auf dem Fels Hohenkrähen,
der ragte in ſtiller Einſamkeit ſeit der Waldfrau Abzug. Die Trüm-
mer des ausgebrannten Hauſes lagen verwirrt über einander; wo
einſt die Wohnſtube, ſtand noch der Römerſtein mit dem Mithras,
Farrenkraut und Riedgras war darüber gerankt, eine Blindſchleiche
lief züngelnd an dem wettergedunkelten Götterbild hinauf.


Ekkehard fuhr in hellem Hohn zuſammen: Die Capelle der heili-
gen Hadwig! rief er und ſchlug ſich mit der Fauſt an die Bruſt, ſo
muß ſie ſein! Er ſtieß den Römerſtein um und ſtieg auf die Fels-
kuppe; dort warf er ſich nieder und preßte die Stirn in's kühle Erd-
reich, das einſt Frau Hadwig's Fuß berührt. Lange blieb er dort;
als die Sonne in der Mittagshöhe herunterbrannte, lag er noch oben
und — ſchlief.


Vor Abend kam er auf den hohen Twiel zurück, heiß, verſtört,
unſicheren Ganges. Grashalme hafteten wirr in dem härenen Geweb
ſeiner Kutte. Die Leute der Burg wichen ſcheu vor ihm zurück, wie
vor Einem dem des Unglücks Finger ein Zeichen auf die Stirn ge-
ſchrieben. Sonſt pflegten ſie ihm entgegen zu gehen und baten um
ſeinen Segen.


[303]

Die Herzogin hatte ſein Fortſein wahrgenommen, aber nicht nach
ihm gefragt. Er ging iu ſeine Thurmſtube hinauf; er griff ein Per-
gament als ob er leſen wolle. Es war Gunzo's Schrift wider ihn.
„Gern würde ich Euch ermahnen, ihm die Hilfe heilender Arzneien
angedeihen zu laſſen, aber ich fürchte ſeine Krankheit iſt zu tief ein-
gewurzelt,“ las er drin. Er lachte. Die gewölbte Decke gab einen
Wiederhall, da ſprang er auf, als wollt' er erſpähen, wer gelacht.
Dann trat er an's Fenſter und ſchaute in die Tiefe; es ging weit,
weit hinab. Ein Schwindel wollte ihn faſſen, da wich er zurück.


Des alten Thieto Fläſchlein ſtand bei den Büchern, das machte
ihn wehmüthig. Er gedachte des Blinden. Frauendienſt iſt ein ſchlimm
Ding für den, der gerecht bleiben will, hatte der einſt zu ihm ge-
ſprochen, wie er Abſchied nahm.


Er riß das Siegel von dem Fläſchlein und goß ſich das Jordan-
waſſer über's Haupt und netzte die Augen. Es war zu ſpät. Auch
die Fluth heiliger Ströme löſcht die Gluth des Herzens nicht; nur
dem, der ſich hinunterſtürzt, um nimmer aufzutauchen ... Doch kam
ein Anflug von Ruhe über ihn. Ich will beten! ſprach er, es iſt
eine Verſuchung. Er warf ſich auf die Knie, aber bald war's ihm
als ſchwirrten die Tauben um ſein Haupt, wie damals als er zuerſt
die Thurmſtube betrat, aber ſie hatten itzt grinſende Geſichter und
einen höhniſchen Zug um die Schnäbel.


Er ſtand auf und ging langſam die Wendeltreppe hinunter zur
Burgcapelle. Der Altar drunten war Zeuge frommer Andacht an
manchem guten Tag. In der Capelle war's wie ehedem, dunkel und ſtill.
Sechs ſchwere Säulen mit würfelförmigem laubwerkverziertem Knauf
trugen die niedere Wölbung; ein feiner Streif Tageslicht fiel durch's
ſchmale Fenſter herein. Die Tiefe der Niſche, wo der Altar ſtund,
war ſchwach erleuchtet; nur der Goldgrund um das Moſaikbild des
Erlöſers glänzte in mattem Flimmern. Griechiſche Künſtler hatten
die Formen ihrer Kirchenausſchmückung einſt auf den deutſchen Fels
getragen: in weißem wallendem Gewand, goldrothen Schein um's
Haupt, hob ſich des Heilands hagere Geſtalt, die Finger der Rechten
ſegnend ausgeſtreckt.


Ekkehard neigte ſich vor den Stufen des Altars; ſeine Stirn
ruhte auf den Steinplatten — ſo blieb er, in ſich verſunken. „Der
[304] du die Leiden der Welt auf dich genommen, laß ausgehn einen Strahl
der Gnade auf mich Unwürdigen!“ Er hob den Blick und ſchaute
ſtarr hinauf, als müſſe das ernſte Gebild aus der Wand niederſteigen
und ihm die Hand reichen. „Ich liege vor dir, wie Petrus vom See-
ſturm umbraust, die Wellen tragen mich nicht, Herr, rette mich!
Rette mich wie jenen, da du über die Sturmfluth wandelnd ihm die
Hand gereicht und geſprochen: Kleingläubiger, warum zweifelſt du?“


Aber es geſchah kein Zeichen.


Ekkehard's Denken war zerrüttet.


Es rauſchte durch die Capelle wie Frauengewand. Er hörte Nichts.


Frau Hadwig war heruntergeſtiegen, eine ſeltſame Anwandlung
trieb ſie. Seit ſie dem Mönch gram geworden, ſtand das Bild ihres
alten ſeligen Ehgemahls öfter vor ihrer Seele, denn ehedem. Na-
türlich. Wenn ſich dieſer niederlegt, muß ſich Jener heben. Das
neuerliche Leſen im Virgilius hatte auch dazu beigetragen; es war
ſo mannigfach vom Gedächtniß an Sichäus die Rede.


Morgen neute ſich der Todestag Herrn Burkard's. In der Capelle
lag der alte Herzog mit Schild und Lanze begraben. Eine rohe
Platte deckte ſein Grab, ſeitwärts vom Altar. Matt brannte die
ewige Lampe drüber. Ein Sarkophag aus grauem Sandſtein ſtand
dabei, unförmliche kleine Halbſäulen mit joniſch gewundenem Knauf
waren an den Ecken angefügt; ſie ruhten auf fratzenhaften Thierge-
ſtalten. Den Steinſarg hatte Frau Hadwig einſt für ſich ſelber an-
fertigen laſſen. Jeweils an des Herzogs Gedächtnißtag ließ ſie ihn
mit Korn und Früchten gefüllt hinauftragen und vertheilte ſeinen
Inhalt den Armen — die Mittel zum Leben aus der Ruhſtatt der
Todten: es war ein frommer Brauch ſo.242)


Sie wollte heute an ihres Gatten Grab beten. Des Ortes Halb-
dunkel deckte den knieenden Ekkehard. Sie ſah ihn nicht.


Da ſchreckte ſie auf aus ihrer Andacht. Halblaut, aber ſchneidig
ſchlug ein Lachen an ihr Ohr, ſie kannte die Stimme. Ekkehard hatte
ſich erhoben, er ſprach itzt die Worte des Pſalms: „Beſchirme mich,
o Herr, unter dem Schatten deiner Flügel, beſchirme mich vor dem
Antlitz der Gottloſen, die mich plagen. Meine Feinde haben meine
Seele umgeben; ihr Herz iſt mir verſchloſſen, ihr Mund hat Hoch-
muth geredet.“ Er ſprach's mit böſem Tone. Das war kein Beten mehr.


[305]

Frau Hadwig neigte ſich zum Sarkophag. Sie hätte gern einen
zweiten drauf gethürmt, daß er ſie verberge vor Ekkehard's Blick.
Sie wünſchte kein Alleinſein mehr. Ihr Herz ſchlug ruhig.


Er ging zur Pforte.


Da plötzlich wandte er ſich; die ewige Lampe ſchwebte leiſe über
Frau Hadwig's Haupt hin und her, das ſchwebende Dämmerlicht
hatte ſein Aug' getroffen ... mit einem Sprung, mächtiger als der,
den der heilige Bernhard in ſpäteren Tagen durch den Dom zu
Speier that, da ihm das Marienbild gewinkt, ſtand er vor der Her-
zogin. Er ſchaute ſie lang und durchbohrend an. Sie erhob ſich
vom Boden, mit der Rechten den Rand des Steinſarges faſſend ſtand
ſie ihm gegenüber, an ſeidener Schnur wiegte ſich die ewige Lampe
über ihrem Haupt.


Glückſelig ſind die Todten, man betet für ſie! brach Ekkehard
das Schweigen.


Frau Hadwig erwiederte nichts.243)


Betet Ihr auch für mich wenn ich todt bin? fuhr er fort. O,
Ihr ſollt nicht für mich beten! ... einen Pocal laßt Euch aus meinem
Schädel machen, und wenn Ihr wieder einen Pörtner holt aus dem
Kloſter des heiligen Gallus, ſo müßt Ihr ihm den Willkommtrunk
draus reichen — ich laß ihn grüßen! Dürft auch ſelber Eure Lippen
dran ſetzen, er ſpringt nicht. Aber das Stirnband müßt Ihr dabei
um's Haupt tragen, und die Roſe drin ...


Ekkehard! ſprach die Herzogin, — Ihr frevelt!


Er fuhr mit der Rechten an die Stirn: O! ſprach er wehmüthig
— o ja! ... der Rhein frevelt auch: ſie haben ihm mit rieſigen Fel-
ſen den Lauf verbaut, aber er hat ſie durchnagt, und braust drüber
weg in Schaum und Sturz und Vernichtung, Glück auf du freier
Jugendmuth! ... Und Gott frevelt auch, denn er hat den Rhein wer-
den laſſen, und den hohen Twiel und die Herzogin von Schwaben und
die Tonſur auf meinem Haupt.


Der Herzogin begann es zu grauſen. Solchen Ausbruch zurück-
gepreßten Gefühles hatte ſie nicht erwartet. Aber es war zu ſpät.
Sie blieb gleichgiltig.


Ihr ſeid krank! ſprach ſie.


D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 20
[306]

Krank? ſprach er — es iſt nur eine Vergeltung. Vor Jahr und
Tag am Pfingſtfeſt, da es noch keinen hohen Twiel für mich gab, hab'
ich beim feſtlichen Umgang aus unſerer Kloſterkirche den Sarg des
heiligen Gallus getragen, da hat ſich ein Weib vor mir niedergewor-
fen: ſteh' auf! hab' ich ihr zugerufen, aber ſie blieb liegen im Staub,
ſchreit über mich, Prieſter, mit deinem Heilthum, daß ich geſunde!
ſprach ſie, und mein Fuß ging über ſie hinweg.244) Sie hat am
Herzweh gelitten, die Frau. Jetzt iſt's umgekehrt ...


Thränen unterbrachen ſeine Stimme. Er konnte nicht weiter ſpre-
chen. Er warf ſich zu Frau Hadwig's Füßen und umſchlang den Saum
ihres Gewandes. Der ganze Menſch zitterte.


Frau Hadwig wurde mild; mild gegen ihren Willen, als zucke es
vom Saum des Gewandes zu ihr herauf von unſäglichem Herzeleid.


Steht auf, ſprach ſie, und denkt an Anderes. Ihr ſeid uns noch eine
Geſchichte ſchuldig. Verwindet's!


Da lachte Ekkehard in ſeinen Thränen.


Eine Geſchichte, rief er — o, eine Geſchichte! Aber nicht erzählen ...
kommt, laßt ſie uns thun, die Geſchichte! Droben von des Thurmes
Zinnen ſchaut ſich's ſo weit in die Lande und ſo tief hinunter, ſo
ſüß und tief und lockend, was hat die Herzogsburg uns zu halten?
Keiner braucht mehr zu zählen, als drei, der hinunter will ... und
wir ſchweben und gleiten in Tod, dann bin ich kein Mönch mehr und
darf den Arm ſchlingen um Euch —


Er ſchlug mit der Fauſt auf Herrn Burkard's Grab — und der
da unten ſchläft, ſoll mir's nicht wehren! Wenn er kommt, der Alte:
ich laß' Euch nicht, und wir ſchweben wieder zum Thurm empor und
ſitzen wo wir ſaßen, und leſen den Virgil zu Ende, und Ihr müßt
die Roſe im Stirnband tragen, als wär' nichts geſchehen ... Dem
Herzog ſchließen wir's Thor zu und über alle böſe Zungen lachen wir,
und die Menſchen ſprechen dann, wenn ſie am Winterofen ſitzen: das
iſt eine ſchöne Geſchichte vom treuen Ekkehard, der hat den Kaiſer
Ermanrich erſchlagen, da er die Harlungen aufhing, und dann iſt er
mit ſeinem weißen Stab vor Frau Venus Berg geſeſſen, viel hundert
Jahr, und hat gemeint, er wolle bis zum jüngſten Tag die Leute
warnen, die zum Berg wallen;245) aber hernachmals iſt's ihm lang-
weilig worden und er ging durch und ward ein Mönch in Sanct
[307] Gallen und fiel ſich zu Tode, und jetzt ſitzt er bei einer blaſſen Frau
und liest Virgil, und es klingt mitternächtig durch's Hegau: den un-
ſäglichen Schmerz zu erneuen gebeutſt du o Königin mir! und ſie muß
ihn küſſen ob ſie will oder nicht — der Tod holt nach was das Le-
ben verſäumt!


Er hatte geſprochen mit irrem Blick. Jetzt brach er zuſammen in
leiſem Weinen. Frau Hadwig war unbewegt geſtanden, es war als
ob ein Flimmer von Mitleid ihr kaltes Aug' durchleuchte, ſie beugte
ſich nieder.


Ekkehard! ſprach ſie, Ihr ſollt nicht vom Tod ſprechen. Das iſt
Wahnſinn. Wir leben, Ihr und ich ...


Er bewegte ſich nicht. Da legte ſich ihre Hand leicht über das
fieberheiße Haupt. Es ſtrömte und fluthete durch ſein Gehirn. Er
ſprang auf.


Ihr habt Recht! rief er, wir leben. Ihr und ich! Tanzende Nacht
legte ſich um ſeinen Blick; er that einen Schritt vor, ſeine Arme
ſchlangen ſich um das ſtolze Frauenbild, wüthend preßte er ſie an ſich,
ſein Kuß flammte auf ihre Lippen, ungehört verklang der Widerſpruch.


Er hob ſie hoch gegen den Altar, als wäre ſie ein Weihgeſchenk,
das er darbringen wollte: Was hältſt du die goldglänzenden Finger ſo
ruhig und ſegneſt uns nicht? rief er zum düſter ernſten Moſaikbild
hinauf ...


Die Herzogin war zuſammengeſchrocken wie ein wundes Reh; —
ein Augenblick, da ballte und bäumte ſich Alles in ihr von gekränktem
Stolz; ſie ſtieß den Raſenden mit ſtarker Hand vor die Stirn und
entſtrickte ſich ſeinem Arm.


Noch hielt er ihre Hüfte umſchlungen, da that ſich die Pforte der
Kirche auf; ein greller Strahl Tageslicht drang in's Düſter — ſie
waren nicht mehr allein.


Rudimann der Kellermeiſter von Reichenau trat über die Schwelle,
Geſtalten erſchienen im Grunde des Burghofs.


Die Herzogin war entfärbt in Scham und Zorn, eine Flechte ihres
dunkeln Haupthaars wallte aufgelöst über den Nacken.


Entſchuldiget, ſprach der Mann von Reichenau mit grinſend höf-
lichem Ausdruck, meine Augen haben nichts geſchaut!


20*
[308]

Da rang Frau Hadwig ſich von Ekkehard los. Doch — und doch
— und doch! einen Wahnſinnigen habt Ihr geſchaut, der ſich und
Gott vergeſſen ... Es wär' mir leid um Eure Augen, ich müßte ſie
ausſtechen laſſen, wenn ſie nichts erſchaut ...


Es war eine unſäglich kalte Hoheit, mit der ſie's dem Betroffenen
entgegen rief.


Da erklärte ſich Rudimann den ſeltſamen Vorgang.


Ich habe vergeſſen, ſprach er mit Hohn, daß dort Einer von denen
ſteht, auf die weiſe Männer das Wort des heiligen Hieronymus ge-
zogen, ihr Gebahren ziemt ſich mehr für einen Stutzer und Bräutigam
denn für einen Geweihten des Herrn.


Ekkehard ſtand an eine Säule gelehnt, die Arme in die Luft er-
hoben wie Odyſſeus, da er den Schatten ſeiner Mutter umfahen wollte;
Rudimann's Wort riß ihn aus dem Fiebertraum. Wer tritt zwiſchen
mich und ſie? rief er drohend. Aber Rudimann klopfte ihm mit un-
verſchämter Vertraulichkeit auf die Schulter: Beruhigt Euch, guter
Freund, wir haben nur ein Brieflein an Euch abzugeben, der heilige
Gallus kann ſeinen weiſeſten Schüler nicht länger draußen laſſen in
der wankenden ſchwankenden Welt, Ihr ſeid heimgerufen! — Vergeßt
den Stock nicht, mit dem Ihr die Mitbrüder mißhandelt, die im Herbſt
gern einen Kuß pflücken, keuſcher Sittenrichter! flüſterte er ihm
in's Ohr.


Ekkehard trat zurück. Sehnſucht, Wuth der Trennung, glühend
Verlangen und daraufgegoſſener Hohn ſtürmten in ihm; er rannte auf
Frau Hadwig, aber ſchon füllte ſich die Capelle. Der Abt von Rei-
chenau war ſelber gekommen, die Freude von Ekkehard's Heimrufung
zu erleben; es wird ſchwer halten, daß wir ihn los bekommen, hatte
er zum Kellermeiſter geſagt. Es ward leicht. Mönche und Gefolgs-
leute traten mit ein.


Sacrilegium! rief ihnen Rudimann entgegen, er hat vor dem Altar
die buhleriſche Hand zu ſeiner Gebieterin erhoben!


Da ſchäumte Ekkehard auf. Des Herzens heiligſt Geheimniß von
frecher Rohheit entweiht, eine Perle vor die Schweine geworfen. ..
er riß die ewige Lampe herunter, wie eine Schleuder ſchwang er das
eherne Gefäß; das Licht darin erloſch — ein dumpfer Schrei hallte
auf, der Kellermeiſter lag blutigen Hauptes auf den Steinplatten, die
[309] Lampe klirrte neben ihm .. Ringen, Zerren, wilde Verwirrung ...
es ging mit Ekkehard zu Ende.


Sie hatten ihn überwältigt; den Gürtel der Kutte riſſen ſie ihm
ab und banden ihn. Da ſtand er, die jugendſchöne Geſtalt, jetzt ein
Bild des Jammers, dem flügellahmen Adler gleich. Einen matten,
traurigen, fragenden Blick ließ er zur Herzogin hinübergleiten .. die
wandte ſich ab.


Thut was Eures Amtes iſt, ſprach ſie zum Abt und ſchritt durch
die Reihen.


Eine Rauchwolke zog ihr entgegen. Lärm und Jubel ſchallte vor
dem Burgthor, ein Feuer brannte draußen, von harzigen Tannen-
ſcheitern geſchichtet. Das Ingeſinde der Burg tanzte darum und warf
Blumen drein, eben hatte Audifax die Genoſſin ſeines Schickſals ju-
belnd in Arm gefaßt und war mit ihr durch die hochaufſchlagende
Flamme geſprungen.


Was ſoll der Rauch? ſprach Frau Hadwig zur herbeigeeilten
Praxedis.


Sonnenwende!246) antwortete die Griechin.



Es war ein trüber verſtimmter Abend. Die Herzogin hatte ſich
in ihr Cloſet verſchloſſen und ließ Niemand vor ſich, Ekkehard war
von den Leuten des Abts in ein Verließ geſchleppt worden, in dem-
ſelben Thurm, in deſſen luftigem Stockwerk ſein Stübchen eingerichtet
ſtund, war ein feuchter finſterer Gewahrſam, Trümmer alter Grab-
ſteine, bei früherem Umbau der Burgkapelle dorthin verbracht, lagen
unheimlich umher. Man hatte ihm einen Bund Stroh hineingeworfen.
Ein Mönch ſaß vor dem Eingang und hielt Wache.


Burkard, der Kloſterſchüler, lief auf und nieder, und rang klagend
die Hände, er konnte ſeines Ohms Geſchick nicht faſſen. Die Leute
der Burg ſteckten die Köpfe zuſammen und wisperten und führten
thörichte Reden, als ob die hundertzüngige Fama auf dem Giebel des
Burgdachs geſeſſen und ihre Lügen ausgeſtreut hätte: Er hat die
Herrin ermorden wollen, ſprach der Eine; er hat des Teufels Künſte
getrieben mit ſeinem großen Buch, ſprach ein Anderer, heut iſt Sanct
[310] Johannistag, da hat der Teufel keine Macht und konnte ihm nicht
aus der Klemme helfen.


Am Brunnen im Burghof ſtand Rudimann der Kellermeiſter und
ließ das klare Waſſer über ſein Haupt ſtrömen; Ekkehard hatte ihm
eine ſcharfe Schramme gehauen, zäh und unwillig rieſelte ſein Blut
in den fremden Quell.


Praxedis kam herunter, blaß und trüb; ſie war die einzige Seele,
die ein aufrichtig Mitleid um den Gefangenen trug. Wie ſie den
Kellermeiſter erſah, ging ſie in Garten, riß eine blaue Kornblume
mit der Wurzel aus und brachte ſie ihm: Nehmet, ſprach ſie, und
haltet ſie mit der Rechten bis ſie drin erwarmt, das ſtillet Euer Blut.
Oder ſoll ich ein Linnen zum Verband bringen?


Er ſchüttelte das Haupt.


Es wird von ſelber aufhören, wenn's Zeit iſt, ſagte er, es iſt
nicht mein erſter Aderlaß. Behaltet Eure Kornblumen für Euch!


Aber Praxedis gedachte den Feind Ekkehard's milde zu ſtimmen.
Sie holte Leinwand. Da ließ er ſich verbinden. Er ſprach keinen Dank.


Laßt Ihr den Ekkehard heut nimmer frei? fragte ſie.


Heut? ſprach Rudimann höhniſch. Drängt es Euch, einen Kranz
zu winden für den Bannerträger des Antichriſt, den Vorſpann am
Wagen des Satan, den Ihr da oben gehegt und geheckt, als wär' er
der herzliebe Sohn Benjamin? Heut? fraget einmal nach Monatfriſt
drüben an.


Er deutete nach den helvetiſchen Bergen. Praxedis erſchrak. Was
wollet Ihr mit ihm anfangen?


Was Recht iſt, ſprach Rudimann mit finſterm Blicke. Buhlerei,
Gewaltthat, Ungehorſam, Hochmuth, Kirchenſchändung, Läſterung Got-
tes: es gibt der Namen nicht genug für ſeine Frevel, aber Mittel zur
Sühnung, Gott ſei es gedankt, gibt es!


Er fuhr mit dem Arm aus wie zu einem Streich.


.. ja wohl, Mittel zur Sühnung, wonneſame Jungfrau! Wir
werden ihm einen Denkzettel auf's Fell ſchreiben.


Habt Mitleid, ſprach Praxedis, er iſt ein kranker Mann.


Gerade deßwegen heilen wir ihn. Wenn er erſt an die Säule
gebunden den Rücken krümmt und ein halb Dutzend Ruthen drauf
zerſchlagen ſind, das treibt Grillen und Teufelswerk aus dem Kopf ...


[311]

Um Gotteswillen! jammerte die Griechin.


Beruhigt Euch, es kommt noch beſſer. Ein entlaufen Schaaf ge-
hört in ſeinen Stall geliefert, dort ſind gute Hirten, die beſorgen das
Weitere: Schaafſchur, Jungfräulein, Schaafſchur! Dort ſchneiden ſie
ihm die Haare ab, das ſchafft dem Haupte Kühlung, und wenn Ihr
einmal in Jahresfriſt zum heiligen Gallus wallfahren wollet, ſo wird
Sonn- und Feiertags Einer mit bloßen Füßen vor der Kirchenthür
ſtehen und ſein Kopf wird kahl ſein wie ein Stoppelfeld und das
Bußgewand wird ihn zierlich kleiden. Was meint Ihr? Die Heiden-
wirthſchaft mit dem Virgilius hat ein Ende.


Er iſt unſchuldig, ſagte Praxedis.


O, ſprach der Kellermeiſter ſpöttiſch, der Unſchuld krümmen wir
kein Haar. Er braucht ſie nur durch's Gottesurtheil zu beweiſen;
wenn er mit heilem Arm den goldenen Ring aus dem Keſſel mit
ſiedendem Waſſer herausfängt, gibt ihm unſer Abt ſelber den Segen
und ich werd' ſagen, es war nur Nebelbild und Teufelsſpuck, daß
meine Augen in der Capelle ſeine Heiligkeit den Bruder Ekkehard
ſahen, wie er Eure Herrin umfangen hielt.


Praxedis weinte. Lieber ehrwürdiger Herr Kellermeiſter ... ſprach
ſie bittend. Er ſenkte einen ſchiefen Blick auf ſie, der blieb an der
Griechin Buſen haften.


So iſt es! ſagte er mit gekniffenen Lippen. Ich wollte übrigens
eine Fürbitte beim Abt einlegen, wenn ...


Wenn? fragte Praxedis geſpannt.


Wenn Ihr heut Abend geruhen wolltet, Eure Kammer nicht zu
verſchließen, daß ich Euch Bericht bringen kann vom Erfolg.


Er zog wie ſpielend die großen Falten ſeiner Kutte zuſammen,
daß die geſchnürten Hüften hervortraten,247) und nahm eine ſelbſt-
gefällige erwartende Haltung an. Praxedis trat zurück. Ihr Fuß
ſtampfte die blaue Kornblume, die am Boden lag.


Ihr ſeid ein ſchlechter Menſch, Herr Kellermeiſter! ſprach ſie, und
drehte ihm den Rücken. Rudimann verſtand ſich auf Geſichter. Aus
dem Zucken von Praxedis Augenlid und den drei bitterböſen Stirn-
falten ward ihm klar, daß ihre Kammer für alle Kellermeiſter der
Chriſtenheit jetzt und immerdar verſchloſſen bleibe.


[312]

Sie ging. Habt Ihr noch etwas zu befehlen? ſprach ſie im
Fortgehen.


Ja wohl, griechiſches Inſect, antwortete er mit kühlem Ton, einen
Krug Eſſig, wenn es gefällig iſt. Ich will meine Ruthen drin ein-
weichen, es ſchreibt ſich dann beſſer und vernarbt ſchwerer. Ich habe
noch keinen Erklärer des Virgilius ausgehauen: der verdient ſchon
eine beſondere Ehre.


Unter der Linde ſaß Burkard der Kloſterſchüler und ſchluchzte
noch immer. Praxedis küßte ihn im Vorbeigehen. Es geſchah dem
Kellermeiſter zu leid.


Sie ging hinauf zur Herzogin und gedachte einen Fußfall zu
thun und für Ekkehard zu bitten. Aber das Cloſet blieb verſchloſſen.
Frau Hadwig war tief erzürnt; wenn die Mönche der Reichenau nicht
dazu gekommen, hätte ſie Ekkehard's Kühnheit verzeihen mögen, ſie
ſelber hatte ja den Keim zu Allem gelegt was jetzt aufgewachſen
war — aber jetzt war Aergerniß gegeben, das heiſchte Strafe. Scheu
vor böſen Zungen hat ſchon manch' Ding gewendet.


Der Abt hatte ihr das Schreiben von Sanct Gallen zuſtellen
laſſen. Benedict's Regel, ſo ſtand geſchrieben, verlange nicht nur den
äußeren Schein mönchiſchen Lebens, ſondern ein Mönchthum mit Leib
und Seele: Ekkehard ſei heim gerufen. Aus Gunzo's Schrift war
Etliches wider ihn angeführt.


Es war ihr gleichgiltig. Was ihm in den Händen ſeiner Gegner
bevorſtehe, wußte ſie. Sie war entſchloſſen, Nichts für ihn zu thun.
Praxedis klopfte zum zweitenmal an. Es ward nicht aufgethan. O
du armer Nachtfalter! ſprach ſie traurig.


Ekkehard lag in ſeiner Kerkerhaft wie Einer, der einen wirren
Traum geträumt hat. Vier kahle Wände waren um ihn, von oben
ein ſchwacher Lichtſchimmer. Oft zitterte er noch, als ſchüttle ihn
Froſt. Allmälig legte ſich ein wehmüthig Lächeln der Entſagung um
die Lippen; es blieb ſich nicht gleich — mitunter ballte er die Fauſt
in heftiger Zorneserregung.


Es iſt mit des Menſchen Gemüth wie mit dem Meere. Hat der
Sturm auch ausgetobt, ſo wogt und brandet es noch lange ſtärker
als ſonſt und untereinsmal ſchäumt wieder ein nachzügelnder Wellen-
ſturz gewaltig auf und jagt die Möwen vom Fels.


[313]

Aber Ekkehard's Herz war noch nicht gebrochen. Dafür war es
zu jung. Er begann die Lage zu überdenken. Die Ausſicht in die
Zukunft war ſehr unerquicklich: er kannte ſeines Ordens Regel und
geiſtlichen Brauch und kannte die Männer der Reichenau, daß ſie
ſeine Feinde waren.


Mit großen Schritten durchmaß er den engen Raum: Allmächti-
ger Gott, den wir anrufen dürfen in der Heimſuchung, wie ſoll
das enden? Er ſchloß die Augen und warf ſich auf ſein Lager.
Wirre Bilder zogen an ſeiner Seele vorbei.


Und er ſchaute mit dem inneren Geſichte des Geiſtes, wie ſie ihn
in der Morgenfrühe hinausſchleppten; auf hohem Steinſtuhl ſaß der
Abt und hielt ſeinen Hakenſtab, als Zeichen, daß Gericht ſei, und ſie
laſen eine lange Anklage vor ... Alles in demſelben Burghof, in
dem er einſt jubelnden Herzens aus der Sänfte geſprungen, in dem
er am düſtern Charfreitag die Predigt wider die Hunnen gehalten, —
und die Männer des Gerichts fletſchten die Zähne wider ihn.


Was werd' ich thun? dachte er weiter. Die Hand auf's Herz,
den Blick zum Himmel, werd' ich rufen: Ekkehard iſt ohne Schuld!
Aber die Richter ſprechen: probe es! Der große Kupferkeſſel wird
vorgeſchleppt, das Feuer unter ihm angezündet, hoch wallt und ziſcht
das Waſſer, der Abt zieht den güldenen Ring vom Finger, ſie ſtrei-
fen ihm den Aermel der Kutte zurück, Bußpſalmen tönen dumpf da-
zwiſchen: „Ich beſchwöre dich, Creatur des Waſſers, daß der Teufel
weiche aus dir und du dem Herrn dieneſt zu Offenbarung der Wahr-
heit, gleich dem Feuerofen des Königs von Babylon, da er die drei
Jünglinge hineinwerfen ließ!“ Alſo beſpricht der Abt die kochende
Fluth, und „tauch' ein den Arm und ſuche den Ring!“ befiehlt er
dem Angeklagten ...


Gerechter Gott, wie wird dein Urtheil ſprechen? Wilde Zweifel
nagten an Ekkehard's Gemüth. Er glaubte an ſich und ſein gutes
Recht; minder feſt an die ſchaurigen Mittel in denen Prieſterwitz und
Geſetzgebung den Wahrſpruch der Gottheit zu finden meinten.


Auf der Bücherei ſeines heimiſchen Kloſters lag ein Büchlein, das
die Aufſchrift trug: „Gegen die ordnungswidrige Meinung derer,
die da glauben, daß durch Feuer oder Waſſer oder Zweikampf die
Wahrheit göttlichen Gerichtes geoffenbart werde.“ Das Büchlein
[314] hatte er einſt geleſen und wohl behalten; es war der Nachweis, daß
bei all dieſen, uraltem Heidenthum entſtammenden Proben, wie ſpäter
der treffliche Gottfried von Straßburg es benamste: „der heilig
Chriſt windſchaffen wie ein Aermel iſt.“


Und wenn kein Wunder geſchieht??


Sein Denken neigte ſich zu kleinmüthiger Zagniß. Verbrannten
Armes und ſchuldig geſprochen, den Staupenſchlag erleiden müſſen ..
und ſie ſteht oben auf dem Söller und ſchaut drauf hernieder, als
geſchähe es einem wildfremden Mann: Herr des Himmels und der
Erde, ſende deine Blitze!


Aber die Hoffnung leuchtet auch dem Elendeſten noch. Da ward's
ihm wieder, als töne in all den Jammer ein gelles Halt! ſie ſtürzt
herunter in fliegendem Gelock und rauſchendem Herzogsmantel und
treibt die Peiniger auseinander wie der Heiland die Wucherer im
Tempel, und reicht ihm Hand und Lippen zum Kuß der Verſöh-
nung ... lang und ſchön und glühend malte er ſich's aus, ein
Hauch von Troſt kam über ihn, er ſprach mit den Worten des Pre-
digers: Im Ofen werden die Geſchirre des Töpfers bewährt und ge-
rechte Menſchen in Anfechtung der Trübſal:248) Wir wollen un-
beirrt erwarten, was da kommt.


Er hörte ein Geräuſch im Gemach vor ſeinem Kerker. Ein Stein-
krug ward aufgeſetzt. Ihr ſollt tapfer trinken! ſprach eine Stimme
zum wachhaltenden Kloſterbruder, in Sanct Johannis Nacht gehen
allerhand Ueberirdiſche durch die Luft und ſtreichen an unſerer Burg
vorbei, macht daß Ihr Muth behaltet; es ſteht noch ein zweiter
Krug bereit. Es war Praxedis, die den Wein brachte.


Ekkehard verſtand nicht, was ſie wollte. Auch ſie iſt falſch,
dachte er. Gott behüte mich!


Er ſchloß ſeine Augen zum Schlummer. Nach einer guten Weile
ward er aufgeweckt. Dem Kloſterbruder draußen mußte der Wein ge-
ſchmeckt haben, er ſang ein Lied zum Preis der vier Goldſchmiede,249)
die in Rom einſt die Fertigung heidniſcher Götzenbilder geweigert und
das Martyrium erlitten, und ſchlug mit dem ſandalenbeſchwerten Fuß
den Tact auf die Steinplatten. Ekkehard hörte, daß dem Mann ein
zweiter Krug gebracht ward. Sein Geſang ward laut und ſtürmiſch.
Dann hielt er ein Selbſtgeſpräch, worin viel von Welſchland und
[315] guten Biſſen und der heiligen Agneſe vor den Mauern die Rede war.
Dann verſtummte er. Sein Schnarchen tönte vernehmlich durch die
Steinwände zum Gefangenen herüber.


Die Burg lag ſtill. Es ging auf Mitternacht. Ekkehard ruhte
in leiſem Halbſchlummer, da war's ihm als würde der Riegel ſachte
zurückgeſchoben: er blieb auf ſeinem Lager. Eine Geſtalt trat ein,
eine weiche Hand fuhr über des Schlummernden Stirn. Er ſprang auf.


Still! flüſterte die Eingetretene.


Wie Alles zu ſchlafen ging hatte Praxedis gewacht. Der ſchlechte
Kellermeiſter ſoll die Freude nicht haben, unſern ſchwermüthigen Leh-
rer zu züchtigen, das war ihr Denken. Frauenliſt findet Mittel und
Wege zu dem, was ſie ausgeſonnen. Den grauen Mantel umgeſchla-
gen, ſchlich ſie herunter, es brauchte keiner beſonderen Täuſchungen.
Der Kloſterbruder ſchlief als wie ein Gerechter. Hätte er nicht ge-
ſchlafen, ſo hätte ihn die Griechin durch einen Spuck ſcheu gemacht,
ſo war ihr Plan.


Ihr müßt fliehen! ſprach ſie zu Ekkehard. Sie drohen Euch das
Schlimmſte.


Ich weiß es! ſagte der Ueberraſchte wehmüthig.


Auf denn!


Er ſchüttelte das Haupt: Ich will dulden, ſprach er.


Seid kein Narr! flüſterte Praxedis. Erſt habt Ihr Euer Haus
auf den ſchimmernden Regenbogen gezimmert, und nun es zuſammen-
gefallen, wollt Ihr Euch auch noch mißhandeln laſſen? Als wenn
die ein Recht hätten Euch zu geißeln und fortzuſchleppen! und wollt
ihnen die Freude machen Eure Erniedrigung zu ſehen .. 's wär'
freilich ein ſchönes Schauſpiel, man würde es Euch gönnen! Einen
braven Mann ſieht man nicht alle Tage hinrichten, hat einmal in
Conſtantinopel Einer zu mir geſagt, wie ich fragte, warum er ſo
ſpringe.


Wohin ſoll ich mich wenden? fragte Ekkehard.


Nach der Reichenau nicht, und nach Euerem Kloſter auch nicht,
ſagte Praxedis. Es gibt noch manchen Unterſchlupf auf der Welt.
Sie war ungeduldig worden, ergriff Ekkehard's Hand und zog ihn
mit ſich. Vorwärts! raunte ſie ihm zu. Er ließ ſich von ihr führen.
Sie ſchlichen am ſchlafenden Wächter vorüber. Jetzt ſtanden ſie im
[316] Burghof. Der Brunnen plätſcherte hell. Ekkehard beugte ſich über's
Rohr und trank einen langen Schluck des kühlen Waſſers.250) Alles
vorbei! ſprach er. Jetzt bergab!


Es war eine ſtürmiſche Nacht. Den Thorweg könnt Ihr nicht
hinunter, die Brücke iſt aufgezogen, ſprach Praxedis, aber zwiſchen
den Felſen an der Morgenſeite iſt's möglich, unſer Hirtenknab' hat
den Weg auch ſchon verſucht.


Sie gingen in das Gärtlein. Ein Windſtoß fuhr rauſchend durch
die Wipfel des Ahorn. Ekkehard wußte kaum, wie ihm geſchah; er
ſchwang ſich auf die Bruſtwehr, ſteil und zackig ſenkten ſich die Kling-
ſteinfelſen in die Tiefe, dunkler Abgrund gähnte zu ihm herauf, am
düſtern Himmel jagten ſich die Wolken, es waren unheimliche plumpe
Maſſen, fratzenhaft als wenn zwei Bären einen geflügelten Drachen
verfolgten ... dann verſchwammen die Gebilde ineinander, der Wind
peitſchte ſie zu dem matt in der Ferne ſchimmernden Bodenſee. In
dunklem Umriß lag die Landſchaft.


Geſegnet ſei Euer Weg! ſprach Praxedis.


Ekkehard ſaß ſtarr auf der niedern Mauerzinne, er zog ſeine
Hand nicht von der der Griechin, wehmüthiger Dank durchwogte ſein aus-
geſtürmt Herz. Da ſchmiegte ſich ihre Wange an die ſeine, auf ſeinen
Lippen zitterte ein Kuß, eine Thräne perlte drauf nieder. Sanft
wand ſich Praxedis von ihm.


Vergeſſet nicht, ſprach ſie, daß Ihr noch eine Geſchichte ſchuldig
ſeid. Mög' Euch Gott bald wieder zu dieſem Gartenplatz geleiten,
daß wir ſie aus Eurem Munde vernehmen.


Jetzt ließ ſich Ekkehard nieder; noch einmal winkte er mit der
Hand, dann ſchwand er aus ihren Augen. Die Stille der Nacht
unterbrach ein Dröhnen und Klingen am Gefelſe, die Griechin ſchaute
hinab: eine Felsplatte hatte ſich losgelöst und ſtürzte ſchmetternd zu
Thal, eine zweite folgte langſameren Falles, oben auf der zweiten ſaß
Ekkehard und lenkte ſie wie ein Reiter ſein Roß, ſo ging's den
ſchiefen Berghang hinunter in's Dunkel der Nacht ... Fahr wohl!


Sie bekreuzte ſich und ging zurück, lächelnd in aller Betrübniß.
Der Kloſterbruder ſchlief noch immer. Im Vorbeigehen ſah Praxedis
den Aſchenkorb im Hofe ſtehen, den griff ſie, ſchlich in Ekkehard's
[317] Verließ und ſchüttete ihn in Mitten des Gemaches aus, als wäre das
Alles, was von des Gefangenen ſterblichem Theil übrig geblieben.


Warum ſchnarcheſt du ſo ſtark, Hochachtbarer? ſprach ſie und
enteilte.



Zweiundzwanzigſtes Kapitel.
Auf dem Wildkirchlein.



Jetzund, vieltheurer Leſer, umgürte deine Lenden, greif' zum
Wanderſtab und fahr' mit uns zu Berge. Aus den Niederungen des
Bodenſees zieht unſere Geſchichte in's helvetiſche Alpenland hinüber:
dort ragt der hohe Säntis vergnüglich in die Himmelsbläue, wenn
er juſt nicht vorzieht, die Nebelkappe um's Haupt zu hüllen, und
ſchaut lächelnd in die Tiefen, wo der Menſchen Städte zu eines
Ameiſenhaufens Größe zuſammenſchrumpfen; und um ihn ſteht eine
Landsgemeinde ſtolzer Geſellen verſammelt, von gleichem Schrot und
Korn, die recken ihre kahlen Scheitel einander entgegen und blaſen
ſich Nebelwolken zu, ein Rauſchen und Sauſen zieht durch ihre
Schlüfte und was ſie über menſchliches Dichten und Treiben ſich zu-
flüſtern, klang vor tauſend Jahren ſchon ziemlich verächtlich und hat
ſich ſeither nicht um Vieles gebeſſert.


Ohngefähr zehn Tage nachdem die Mönche der Reichenau im hohen-
twieler Burgthurm an Stelle eines Gefangenen ein Häufchen Aſche
vorgefunden und viel Verhandlung gepflogen hatten, ob ihn in böſer
Mitternacht der Teufel bewältigt und zu Aſche verbrannt, oder ob er
entwichen ſei, ſchritt ein Mann längs dem weißgrünſchäumenden
Sitterbach über ſprießende Matten und Felsgeſtein bergaufwärts.


Er trug einen Mantel aus Wolfsfell über ein mönchiſch Gewand,
eine lederne Taſche umgeſchlagen, in der Rechten einen Speer. Oft-
mals ſtieß er die eherne Spitze in's Erdreich und ſtemmte ſich am
Schaft, die Waffe als Bergſtock nutzend.


[318]

Rings um ihn ſtille tiefe Einſamkeit. Langgeſtreckte Nebelſtreifen
lagen über dem wilden Thal, wo die Sitter dem Seealpſee entſpringt,
aber hoch drüber weg ſchauten grimmige Steinwände, von ſpärlichem
Grün umſäumt, himmelan. Die Berghalden wo jetzt in ſchindel-
umhüllten Hütten ein fröhlich Hirtenvolk zahlreich niſtet, waren da-
mals zumeiſt öde und ſpärlich bewohnt; nur fern in der Niederung
des Thal's ſtund die Zelle des Abts von Sanct Gallen und wenig
Behauſungen dabei. Nach der blutigen Feldſchlacht bei Zülpich war
eine kleine Schaar freiheitsliebender alemanniſcher Männer, die dem
Franken ihren Nacken zu beugen nimmer erlernen mochten, in dieſe
Einöde gezogen;251) in zerſtreuten Anſiedelungen ſaßen ihre Nach-
kommen und trieben in Sommerszeit ihre Heerden zur Alp, kräftig
verſtändige Bergbewohner, die unangetaſtet vom Lärm der Welt ein
einfach freies Leben genoſſen und den folgenden Geſchlechtern ver-
erbten.


Steiler und rauher ward der Pfad, den der Mann einſchlug.
Jetzt ſtund er unter ſenkrecht aufſtarrender Felswand; ein ſchwerer
Waſſertropfen war aus dem Kalkgeſtein auf ſein Haupt niedergetrauft,
da ſchaute er prüfend empor ob der grauenhafte Ueberhang noch an-
halte mit dem Einſturz, bis er vorüber. Aber Felswände vermögen
länger im ſchiefen Zuſtand zu verharren als das was Menſchenhände
bauen; es ſtürzte nichts herab als ein zweiter Tropfen.


Mit der Linken am Geſtein ſich anlehnend ſchritt der Mann vor-
wärts. Immer ſchmäler ward der Steig, der ſchwarze Abgrund zur
Seite rückte näher, ſchwindelnde Tiefe gähnte herauf ... jetzt ſchwand
auch die letzte Spur eines Pfades. Zwei mächtige Fichtenſtämme
waren als Brücke über den Abgrund gelegt. Es muß ſein! ſprach
der Mann und ſchritt unverzagt drüber. Er athmete hoch auf, wie
er drüben wieder Boden unter den Füßen verſpürte, und machte Halt,
um ſich den grauſigen Platz zu betrachten. Es war ein ſchmaler Fels-
vorſprung, über und unter ihm ſenkrechte gelbgraue Steinwand, in
der Tiefe kaum ſichtbar, ein Silberſtreif im Grün des Thales, der
Waldbach Sitter, und ſcheu verſteckt im Tannendunkel der meerfarbige
Spiegel des Seealpſee. Genüber, gepanzert und gewappnet die
Schaar der Bergesrieſen — die Feder will zu fröhlichem Sang auf-
jodeln, da ſie ihre Namen ſchreiben ſoll: der langgeſtreckte räthſelvolle
[319] Kamor, die gewaltigen Mauern der Boghartenfirſt und Sigels Alp
und Maarwieſe, auf deren Zinnen wie Moos auf den Dächern wür-
ziger Graswuchs grünt, dann der Hüter des Seegeheimniſſes, der „alte
Mann“ mit runzelgefurchter Steinſtirn und weißumſchneitem Haupt:
des hohen Säntis Kanzler und Buſenfreund.


Ihr Berge des Herrn, benedeiet den Herrn! ſprach der Wanders-
mann, ergriffen von der Wucht des Eindrucks. Viel hundert Berg-
ſchwalben flatterten aus den Spalten des Geſteins. Ihr Flug ſoll
gute Vorbedeutung ſein.


Er that etliche Schritte vorwärts. Da war die Felswand mächtig
zerklüftet, eine doppelte Höhle that ſich auf, aus rohem Schaft zuſam-
mengefügt ſtand ein ſchmucklos Kreuz dabei, Tannenſtämme an der
einen Höhlenwand zum Blockhaus geſchichtet und nach Art der damals
üblichen Kriegsgerüſte oder Belagerungsthürme mit zuſammengefügtem
Flechtwerk überdacht, deuteten auf menſchliches Anweſen. Kein Laut
unterbrach die Stille.


Der Fremde kniete vor dem Kreuz nieder und betete lang.


Es war Ekkehard, — der Ort wo er betete, das Wildkirchlein.


Unverſehrt war er auf ſeinem Bergrutſch, als ihn Praxedis befreit,
in die Tiefe gefahren; der andere Morgen fand ihn erſchöpft beim
alten Moengal in Radolfzelle. „Ach, daß ich in der Wüſte ein Hütt-
lein der Wandersleute haben könnte, ſo wollte ich mein Volk verlaſſen
und mich von ihnen abſondern, denn ſie ſind Lügner und treulos all-
zuſammen“ ſprach er mit den Worten des Propheten,252) nachdem er
dem Leutprieſter ſein Leid geklagt.


Da wies ihm der Alte den Säntis.


Haſt Recht, ſprach Moengal. Der heilige Gallus hat's ebenſo
gemacht. „In der Einſamkeit will ich verharren und auf den warten,
der meine Seele geſund machen ſoll“:253) er wär' vielleicht kein Heiliger
geworden, wenn er anders geſagt und gethan hätte. Verbeiß deinen
Schmerz. Wenn der Adler ſiech wird und ſeine Augen dunkeln und
ſeine Federn zergehen wollen, ſteigt er himmelan, ſo weit ihn ſeine
Schwingen tragen.254) Sonnennähe verjüngt. Thue deßgleichen. Ich
weiß dir ein gut Plätzlein zum Geſunden.


Er beſchrieb ihm den Weg.


[320]

Du wirſt Einen droben finden, fuhr er fort, der ſeit zwanzig
Jahren nicht mehr viel von der Welt geſehen hat, er heißt Gott-
ſchalk. Grüß ihn von mir; ſo Gott will ſind ſeine Sünden vergeben.


Der Leutprieſter verſchwieg aber, um welcher Sünden willen ſein
ehemaliger Freund dort Buße that. Den hatte in theuern Zeiten das
Kloſter einſt in's Welſchland geſendet, Korn einzukaufen, da kam er
gen Verona und ward gut aufgenommen vom ſtreitſüchtigen Biſchof
Ratherius, und that ſeine Andacht in der ehrwürdigen Cathedralkirche.
Dort lag unverſchloſſen im güldenen Sarg der Leib der heiligen Ana-
ſtaſia, und die Kirche war leer und den Gottſchalk verführte der
Teufel, daß er nach Deutſchland wollte ein Angedenken mitbringen,
da nahm er von der Heiligen Leib ſo viel er unter ſeiner Kutte mit-
ſchleppen konnte:255) einen Arm und einen Fuß und etliche Wirbel-
knochen, und fuhr heimlich von dannen.256) Aber ſeine Ruhe war
verloren von jener Stunde, in Wachen und Traum ſtand die Heilige
vor ihm, ſie ging an der Krücke verſtümmelt und zerriſſen und for-
derte ihren Arm zurück und ihren Fuß — über Schluchten und Alpen-
päſſe folgte ſie ihm, an der Schwelle des heimiſchen Kloſters trat ſie
ihm dräuend entgegen: da warf er halb wahnſinnig die Reliquienbeute
von ſich und floh auf die Höhen beim Säntis, den Lebensreſt büßend
zu verbringen, und ſchuf ſich dort ſeine Klauſe.


Zwei Tage hatte der alte Moengal ſeinen jungen Freund beher-
bergt, dann ſchaffte er ihn nächtlich über den See. Geh' mir nicht
in's Kloſter zurück, ſprach er beim Auseinandergehen, daß dich das
dumme Gerede nicht umbringt. Spott ſchadet mehr als Strafe. Es
gehört dir ein Denkzettel, aber die friſche Luft ſoll dir ihn bringen,
die hat ein Recht dazu, die Andern nicht. Speer und Wolfspelz
ſchenkte er ihm zum Abſchied.


Scheu und heimlich zog Ekkehard von dannen. Es war eine
bittere Empfindung, da er nächtlich an ſeinem noch halb in Trüm-
mern liegenden Kloſter vorüberſchlich; etliche Lichter glänzten zu ihm
herüber, er beflügelte ſeinen Schritt. Auch an der Abtszelle im Ge-
birgsland zog er ohne Ankehr vorbei, er wollte von des Kloſters
Leuten nicht erkannt ſein.


... Jetzt war ſein Gebet beendigt. Er ſchaute erwartungsvoll
nach dem Höhleneingang, ob Gottſchalk der Einſiedel nicht heraustrete
[321] und den neuen Ankömmling begrüße. Es regte ſich Nichts, die Höhle
ſtund leer. Sancta Anastasia, ignosce raptori! Heilige Anaſtaſia,
verzeihe deinem Räuber! war mit eingetrocknetem Kräuterſaft an die
lichte Felswand angeſchrieben. Ein ſteingehauener Trog fing das herab-
tropfende Felswaſſer; es lief über den Rand herab.


Er trat in die Kammer. Etliche thönerne Schüſſeln ſtanden bei
einer Steinplatte, die als Heerd gedient haben mochte. Ein grobgar-
niges Fiſchnetz lag in der Ecke, Hammer, Spaten, ein verroſtet Beil
dabei, auch viel zugeſchnittene Kienſpäne.


Auf tannenen Scheitern war eine Streu geſchüttelt, von Moder
und Gewürm zerfreſſen. Zwei Ratten ſprangen, vom Eintretenden
verſcheucht, in eine Spalte des Bodens.


Gottſchalk! rief Ekkehard durch die hohle Hand. Dann that er
einen Schrei, wie er unter Leuten im Gebirg als Anruf üblich iſt.
Aber Niemand erſchien. Nähere Umſchau zeigte, daß der Einſiedel nicht
erſt ſeit heute die Klauſe verlaſſen. In einem Krug war Milch zur
Kruſte eingetrocknet. Da trat Ekkehard betrübt wieder auf den ſchmalen
Streif Erdreich, der zwiſchen Höhle und Abgrund das Stehen ermöglichte.
Sein Blick wandte ſich zur Linken. In weiter Ferne blaute ein Stück
Bodenſee über den Bergrücken. Die Pracht der Gebirgswelt vermochte
nicht ein Gefühl von unendlichem Weh zu bannen. Einſam und gott-
verlaſſen ſtand er auf der jachen Höhe. Er reckte ſein Ohr, als müſſe
er eines Menſchen Stimme erlauſchen. Aber nur das einförmig leiſe
Rauſchen des Windes durch die Tannen der Tiefe tönte herauf.


Seine Augen wurden feucht.


Es war ſpät geworden. Wohin?... Ein ſtarker Hunger zerſtreute
ſeine Gedanken. Er trug noch für drei Tage Speiſe bei ſich. Da
ſetzte er ſich vor die Höhle und verzehrte unter Thränen ſeinen Abend-
imbiß. Sein Berg warf lange blaue Schatten auf die Wände gen-
über, nur die ſteinernen Gipfel glühten noch im Sonnenlicht.


So lang das Kreuz am Felſen ſteht, werd' ich nie ganz verlaſſen
ſein! ſprach er. Er trug etliches Gras vom Abhang zuſammen, und
richtete ſich ein Lager auf die Stelle des vermoderten. Kühle Nacht-
luft zog herauf. Da hüllte er ſich in Moengals geſchenkten Mantel
und legte ſich nieder. Der Schlaf iſt ein gutes Heilmittel für die
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 21
[322] Leiden der Jugend. Er kam auch über Ekkehard, trotz Herzeleid und
einſamer Felswildniß.


Die erſte Dämmerung des Morgens zog über dem Haupte des
Kamor auf, nur der Tagſtern257) ſchien noch in ſchöner Farbe, da
fuhr Ekkehard aus dem Schlummer. Es war ihm als hab' er ein
luſtig ſcharfes Hirtenjauchzen gehört. Dann glänzte im tiefen dunkeln
Grund der Höhle ein Licht auf. Er glaubte zu träumen, als läg'
er noch im Kerker, und Praxedis nahe befreiend. Aber das Licht kam
näher, Fackelglanz brennenden Kienſpans; eine hochgeſchürzte Maid
trug die einfache Leuchte. Er ſprang auf. Unerſchrocken ſtand ſie
vor ihm und ſprach: Gott willkommen!


Es war ein keck halbwildes Weſen von gelblicher Hautfarbe und
ſprühenden Augen, aus den Flechten des dunkelſchwarzen Haares glänzte
eine ſchwere ſilberne Nadel in Form eines Löffels, der geflochtene Korb
auf dem Rücken und der Alpſtock in der Rechten bezeichnete die Be-
wohnerin der Berge.


Heiliger Gallus beſchirme mich vor neuer Verſuchung! dachte
Ekkehard, aber ſie rief vergnügt: Gott willkommen noch einmal! Der
Vater wird recht froh ſein, daß wir einen neuen Bergbruder haben.
Man merkt's an der wenigen Milch der Kühe, ſagt er immer, daß
der alte Gottſchalk todt iſt.


Es klang nicht wie die Stimme eines weiblichen Dämon.


Ekkehard war noch ſchlaftrunken. Er gähnte. Vergelt's Gott!
ſprach die Maid. Warum vergelt's Gott? fragte er.


Weil Ihr mich ſoeben nicht verſchluckt habt! lachte ſie und eh' er
weiter fragen konnte, woher und wohin, ſprang ſie mit dem Kienſpan
zurück und verſchwand in der Höhle.


Bald kam ſie wieder. Ein graubärtiger Senn, in eine Decke von
Lämmerfell gehüllt, folgte ihr.


Der Vater will's nicht glauben! rief ſie Ekkehard entgegen.


Bedächtig ſchaute der Hirt auf den fremden Gaſt. Er war ein
rauher Mann, der einſt in grüner Jugendzeit beim altherkömmlichen
Kraftſpiel des Steinſtoßens den hundertpfündigen Feldſtein wohl über
zwanzig Schritte weit von ſich geſchleudert, ohne einen Fuß zu ver-
rücken; ſein gebräuntes Antlitz und ſeine ſehnigen nackten Arme waren
itzt noch Denkzeichen alter ungeſchwächter Kraft.


[323]

Ihr wollt unſer Bergbruder ſein? ſprach er gutmüthig zu Ekke-
hard, und reichte ihm die Hand, Recht ſo!


Ekkehard war verlegen ob der wilden Erſcheinung.


Ich gedachte den Bruder Gottſchalk zu beſuchen, erwiederte er.


Beim Strahl! da kommt Ihr zu ſpät, ſprach der Senn. Der
hat ſich verfallen im vorigen Herbſt,258) es war eine böſe Geſchichte.
Schaut auf! — er wies ihm eine Felswand in die Tiefe, — auf
jenen Hang iſt er in's Laubſammeln gegangen, ich hab' ihm ſelber
geholfen: da fuhr er auf einmal empor, als hätt' ihn eine Schlange
gebiſſen, gegenüber auf den hohen Kaſten hat er gedeutet, heilige
Anaſtaſia, rief er, du biſt wieder ganz und ſtehſt auf beiden Füßen
und winkſt mit beiden Armen!... auf und davon iſt er geſprungen,
als wär' zwiſchen dem Fels unten und dem hohen Kaſten drüben kein
Thal und kein Abgrund, mit kyrie eleison! ging's in die gräuliche
Tiefe — Gott hab ihn ſelig! Aber erſt im heurigen Frühjahr haben
wir den Leichnam gefunden, zerklemmt in den Felſen, und die Läm-
mergeier waren drüber und haben einen Arm und ein Bein vertragen,
kein Menſch weiß wohin ...


Mach' ihm keine Angſt! ſprach die Maid und ſtieß den Sennen an.


Deßwegen mögt Ihr Euch doch bei uns feſtſetzen, ſprach der Senn.
Ihr bekommt, was wir dem Gottſchalk gaben, Milch und Käs und
drei Ziegen in Stall, die mögen graſen wo ſie wollen. Im Nothfall
mögt Ihr auch mehr heiſchen, wir hier oben ſind keine Geizkrägen
und Mußmehlſpalter. Ihr predigt uns dafür an den Sonntagen und
ſprecht den Segen über Alm und Weiden, daß Wetter und Bergſturz
kein Verderb bringen, und läutet die Tagszeit.


Ekkehard ſah zweifelhaft in den ſtarren Höhlenraum. Es that
ihm wunderwohl, Menſchen in der Nähe zu wiſſen, aber räthſelhaft
war's woher ſie kamen. Sind eure Almen in des Berges Tiefe?
fragte er lächelnd.


Er weiß nicht wo die Ebenalp ſteht! ſprach das Hirtenkind mit-
leidig. Ich will's Euch zeigen!


Ihr Kienſpan brannte noch.


Sie wandte ſich dem Innern der Höhle zu, die Männer folgten
ihr. Da ging's durch enge dunkle Wölbung in's Innere des Berges,
niedergeſtürztes Geſtein ſperrte den Pfad, oft mußten ſie gebückt wei-
21*
[324] ter kriechen. Scharfe röthliche Streiflichter zuckten auf den Kanten
der Wände, — dann fiel fahler Schimmer des Tages herein. Es
ging in die Höhe, dort öffnete ſich ein Ausgang. Die Hirtin ſtieß
ihren Span an die ſeltſam geformten Tropfſteingebilde, die von der
Decke niederhingen, daß er erloſch ... noch etliche Schritte, und ſie
ſtunden auf weiter herrlicher Alp.


Würziger Duft von Alpenpflanzen umſtrömte ſie, da blühte Manns-
treu und Knabenkraut und blauer Eiſenhut, der prächtige Alpen-
ſchmetterling Apollo mit dem rothleuchtenden Auge auf den Flügeln
wiegte ſich über den Blumenkelchen — nach enger Höhlennacht er-
quickte ein weites unendliches Rundbild den Blick.


Noch lag der Frühnebel in den Thälern, ſchwer, unbeweglich, zu-
ſammengeballt, als hätte überall ein gewaltiges Meer geſtrömt und
wäre im Augenblick, da es zu ſprühendem Schaum aufwogte, ver-
ſteinert worden; aber klar und ſcharf ſchnitten die Häupter der Berge
ihren Umriß in das tiefe Blau der Himmelsdecke, wie rieſige Inſeln
dem Schooß des Nebelmeers entſteigend. Auch der Bodenſee war
umnebelt, in leiſem Duft thürmten ſich die Reihen der fernen Gebirge
an rhätiſcher Landmark mit ihren zackigen Felshörnern übereinand.
Friedlich tönte weidender Heerden Geläut von den Halden herauf. In
Ekkehard's Gemüth klang es wie ein ſtolz demüthiges Morgengebet.


Ihr bleibet bei uns, ſprach der alte Senn, ich ſeh' Euch's an
den Augen an.


Ich bin ein landfremder Mann, erwiederte Ekkehard traurig, mich
hat der Abt nicht geſendet.


Das gilt gleich, rief der Alte. Wenn's uns recht iſt und dem
Säntis dort droben, ſo hat Niemand was drein zu reden. Des Abts
Twing und Bann reicht nicht in unſere Höhen, wir zahlen ihm den
Heerdenzins, wenn ſeine Vögte am Milchprüfungstag 259) zur Schau
unſerer Sennthümer heraufkommen, weil's alter Brauch iſt, aber ſonſt:
Sein' Grund und Boden pflanz ich nicht, nach ſeiner Pfeife tanz ich
nicht,260) heißt's hier zu Lande.


Schaut her! — er wies Ekkehard eine graue Bergſpitze, die aus
langgeſtreckten Eisfeldern einſam aufragte — das iſt der hohe Säntis,
der iſt Herr in den Bergen, vor dem ſchwenken wir den Hut, ſonſt
vor Niemand. Dort zur Rechten iſt der blaue Schnee; da war früher
[325] Alm und Weide und ſaß ein übermüthiger Mann drauf, der war ein
Rieſe und ihm wuchſen die Heerden und der Stolz, daß er ſprach:
ich will König ſein über Alles, was mein Auge umfaßt! Aber in
des Säntis Tiefen hub ſich ein Donnern und Beben und der Fels-
grund regte ſich und Eisſtröme rannen hervor und deckten den Rieſen
ſammt Hütte und Stall und Vieh und Alm, und vom blauen Schnee
weht's jetzt noch frierend herunter, — ein Denkzeichen, daß neben dem
Alten der Berge Keiner zur Herrſchaft berufen!


Der Hirt ſchuf Ekkehard Vertrauen. Trotzige Kraft und gutes
Herz ſtrömte in ſeinen Worten. Sein Kind hatte einen Strauß
Alpenroſen gepflückt und reichte ſie Ekkehard dar.


Wie heißt du, fragte er.


Benedicta, ſprach ſie.


Das iſt ein guter Name, ſagte Ekkehard und ſteckte die Alpen-
roſen in den Gürtel ſeiner Kutte; ich bleibe bei euch!


Da ſchüttelte ihm der alte Senne die Rechte, daß ſie in ihren
Grundfeſten erbebte, dann griff er das Alphorn, das er an rohhäu-
tigem Riemen auf der Schulter trug, und blies ein ſeltſam klingendes
Zeichen. Aus Höhen und Tiefen klang's antwortend herüber, die
benachbarten Sennen kamen herbei, ſtarke, wilde Hirten, und ſtanden
zu dem Alten, den ſie in der Frühlingszeit, ſeiner Tüchtigkeit halber,
zum Alpmeiſter und Aufſeher über die Bergweiden der Ebenalp
erwählt.


Wir haben einen Bergbruder überkommen, ſprach er, es wird
Keiner von euch dawider ſchelten und toſen?261)


Und ſie erhoben Alle die Hände als Zeichen der Zuſtimmung und
gingen auf Ekkehard zu und hießen ihn willkommen, und er ward ge-
rührt und machte das Zeichen des Kreuzes über ſie.


So ward Ekkehard Einſiedel auf dem Wildkirchlein und wußte
eigentlich ſelber nicht wie. Der Senn von der Ebenalp hielt Wort
und half ihm, ſich einzurichten und ſtellte ihm drei Ziegen ein und
wies ihm den Pfad zwiſchen Kluft und Spalt zum Seealpſee hinun-
ter, wo die großen Forellen ſchwimmen, und ſchindelte ihm die Lücken
zu, die tropfend Gewäſſer und Unbill des Wetters in das Dach von
Gottſchalk's Blockhaus geſchlagen. Mälig gewöhnte ſich Ekkehard an
die Enge des Raumes vor ſeiner Behauſung, und wie der nächſte
[326] Sonntag kam, trug er das hölzerne Kreuz in's Innere der vorderen
Höhle, wand einen Kranz Blumen drum, zog die Glocke, die aus
Gottſchalk's Zeiten am Eingang hing — (ſie trug das Zeichen Tan-
cho's, des tückiſchen Glockengießers von Sanct Gallen) und als ſeine
Sennen mit Buben und Mägdlein beiſammen waren, hielt er der
kleinen Gemeinde eine Predigt über das Evangelium von der Verklä-
rung und ſprach darüber, daß ein jeder Menſch, der mit rechtem Sinn
zu Bergeshöhen ſteige, ein verkläreter werde. Und wenn auch Moſes
und Elias nicht zu uns herabtreten, rief er, ſo haben wir den Säntis
und den Kamor bei uns ſtehen, das ſind auch Männer eines alten
Bundes und es iſt gut bei ihnen ſein!


Seine Worte waren groß und keck und er wunderte ſich, daß ſie
ihm ſo entſtrömten, denn es war ſchier ketzeriſch und er hatte in kei-
nem Kirchenvater ſolch Gleichniß geleſen. Aber den Sennen war's
recht und den Bergen auch und Niemand that Einſprache.


Des Mittags kam Benedicta das Hirtenkind; ein ſilbern Kettlein
ſchmückte das Sonntagsmieder, das wie ein Panzer die Bruſt um-
ſchloß. Sie brachte einen ſaubern eſchenholzenen Milchkübel, drauf
war in kunſtloſen Linien eine Kuh geſchnitzt. Den ſchickt Euch der
Vater, ſagte ſie, darum daß Ihr ſo auferbaulich geprediget und von
den Bergen Gutes geſprochen — und wenn Euch Einer was Leides
thun will, ſollt Ihr wiſſen, wo die Ebenalp ſteht.


Sie warf etliche Handvoll Haſelnüſſe aus ihrer Schurztaſche in
das Milchgefäß: die hab' ich für Euch gepflückt, ſagte ſie, und ich
weiß noch mehr, wenn ſie Euch ſchmecken.


Bevor ſich Ekkehard bedanken konnte, war ſie in der Höhlentiefe
verſchwunden.

Schwarzbraun ſind die Haſelnüſſ'

Und ſchwarzbraun bin auch ich,

Und wenn mich Einer lieben will,

So muß er ſein wie ich,


tönte verklingend ihr ſchalkhafter Geſang durch die Klauſe.


Ekkehard lächelte wehmüthig.


Aber ganz war der Sturm in ſeinem Herzen noch nicht geſchwich-
tigt; es hallte und tönte in ihm nach wie der Donner des Alpen-
[327] gewitters, der an ferner Bergwand zu neuem Dröhnen ſich zu-
ſammenrafft.


Eine rieſige Felsplatte war bei der Höhle niedergeſtürzt, ſchmel-
zendes Schneewaſſer hatte ſie im Frühling losgenagt, ſie ſah aus wie
die Decke eines Grabmals. Dort ſaß er oft, er nannte ſie ſtill-
ſchweigend das Grab ſeiner Liebe; oft kam's ihm vor, als ruhe die
Herzogin und er ſelber in kühlem Schlaf der Todten darunter, und
er ſaß drauf und ſchaute über die tannumſäumten grünen Rücken nach
dem Bodenſee hinüber und träumte. Es war ihm nicht gut, daß er
den See von ſeiner Klauſe erſchauen konnte, wunde Rückerinnerung
durchſchmerzte ſein Inneres. Oft wollt' er zornig aufbrauſen, oft
bog er ſich abendlich um die Ecke ſeines Felſens in der Richtung des
Unterſee's und hauchte Grüße hinaus.262) Wem galten ſie?


Der Traum der Nacht war wirr und bewegt. Er ſah ſich wieder
in der Burgkapelle und die ewige Lampe ſchwebte über der Herzogin
Haupt wie damals, und wie er auf ſeine Gebieterin zuſtürzen wollte,
hatte ſie das Antlitz der Waldfrau und lachte ihm höhniſch in's Ge-
ſicht; und wenn er frühmorgens von ſeinem Streulager aufſprang,
hörte er ſein eigen Herz pochen und das Wort Frau Hadwig's: O
Schulmeiſter, warum biſt du kein Kriegsmann worden? verfolgte ihn,
bis die Sonne hoch am Himmel ſtand oder der Anblick Benedicta's
es verſcheuchte.


Oft warf er ſich in's kurze ſchwellende Gras am Abhang und
überdachte die letzten Monate; in läuternder Schärfe der Alpenluft
prägten ſich Geſtalten und Ereigniſſe klar vor ſeinem Denken, es pei-
nigte ihn das Gefühl, daß er ſich zag und ſcheu und thöricht benom-
men und nicht einmal die Aufgabe gelöst, eine Geſchichte zu erzählen,
wie Herr Spazzo und Praxedis. Ekkehard, du biſt lächerlich gewor-
den, ſprach er höhniſch leiſe zu ſich ſelber und vermeinte dabei, er
müſſe an den Felswänden ſein Gehirn anrennen.


Melancholiſch Gemüth zehrt lang an erlittener Beſchädigung, und
vergißt in ſeinem Brüten, daß tadelhafte That nur durch nachfolgende
beſſere im Gemüth der Menſchen verwiſcht wird.


Darum war Ekkehard noch nicht reif für die klärenden Wonnen
der Einſamkeit. Der haftende Eindruck vergangenen Leids that eine
ſeltſame Wirkung; wenn er in ſeiner Höhlenſtille ſaß, glaubte er
[328] Stimmen zu hören, die ſpottend mit ihm plauderten von thörichten
Hoffnungen und den Täuſchungen der Welt, Flug und Ruf der Vögel
klang ihm wie kreiſchender Schrei der Dämonen und ſein Gebet half
nicht dawider. Wenn Schauer der Wildniß den Geiſt erfüllt, täuſcht
ſich Ohr und Auge und glaubt die alten Sagen, daß Alles von Mitte
der Luft bis hernieder und die Erde ſelber, da wo ſie unbauhaft,263)
erfüllt ſei vom Reigentanz ewig lebender Geiſter.


Es war eine weiche würzige Spätſommernacht, er wollte ſich auf
ſein einfach Lager werfen, da ſchien der Mond in ſcharfem Glanz die
Höhle an, zwei weiße Wolken zogen langſam einander nach, er hörte
wie ſie zu einander ſprachen und die eine Wolke war Frau Hadwig,
die andere Praxedis. Ich will doch ſehen wie die Ruheſtatt eines
flüchtigen Thoren ausſieht, ſprach die vordere weiße Wolke und ſtreifte
eilend über die Scheitel der wagrechten Wände und ſtand gegenüber
der Höhle über dem Kamor, dann ſenkte ſie ſich nieder zu den Tannen,
die thalab in unzähligen Reihen ſtanden: Er iſt's! rief die Wolke,
greifet den Frevler! und die Tannen wurden lauter Mönche, tauſend
und abertauſend und wurden lebendig und zogen wimmelnd aus und
begannen die Abhänge des Wildkirchlein zu erſteigen, pſalmend und
ruthenſchwingend — da ſprang Ekkehard ſchauernd auf und griff ſei-
nen Speer — itzt war's als wenn Irrlichter aus der Höhlentiefe
vorhüpften: hinaus aus den Alpen! rief's hinter ihm — alle Adern
fieberten, da rannte er fort über den ſchmalen Steg an den dräuenden
Felsüberhängen, hinaus in die Nacht wie ein Verzweifelter. Noch
ſtand die zweite Wolke beim Mond: ich kann dir nicht helfen, ſprach
ſie mit Praxedis Stimme, ich weiß den Weg nicht ...


Er rannte bergab, das Leben war ihm eine Qual, und doch
taſtete er am abſpringenden Boden und ſtemmte den Speer ein, um
nicht hinabzuſtürzen und den herankletternden Spuckgeſtalten in die
Hände zu fallen.


Der nächtliche Rutſch den Hohentwiel hinab war ein Kinderſpiel
gegen dieſes Klimmen; über ſchwindelnden Abgrund, der Gefahr un-
wiſſend, kam er zur Tiefe. Die Ziegen ſtürzen dort in zerſchmetter-
tem Fall zu Thale, wenn ſie die Augen von Gras und Berghang weg
zur halsbrechenden Schlucht wenden.


[329]

Jetzt ſtand er unten; da lag geheimnißvoll lockend der grüne See-
alpſee, vom Mondlicht umzittert. Von den verfaulten Stämmen am
Ufer ging ein geſpenſtig Scheinen. Es ward trüb vor Ekkehard's
Blick: Nimm du mich auf! rief er, mein Herz will Ruhe!


Er rannte hinein in die ſtille glatte Fluth, — aber der Boden
wich nicht unter ihm, wohlthätig kühlend drang ihm des Bergſees
Friſche durch Mark und Bein.


Schon ſtund er bis an die Bruſt im Waſſer, da hemmte er ſei-
nen Schritt. Wirr ſchaute er auf: die weißen Wolken waren ver-
ſchwunden, vom Mond in Duft zerlöst, traurig prächtig funkelte Stern
an Stern ihm zu Häupten.


In kühn phantaſtiſcher Linie ſchwang die Möglisalp ihren bis zur
höchſten Höhe grasumwachſenen Gipfel mondaufwärts; ihr zur Linken
ruhig und ernſt das durchfurchte Haupt des alten Mann, zur Rechten,
aus gedoppeltem Eisfeld ſich emporthürmend die graue Pyramide des
Säntis, Zacken und Felshörner ringsum wie furchtbare Schrecken der
Nacht. Da knieete Ekkehard auf den Steinboden des Sees, daß ihm
die Fluth über dem Haupt zuſammenſchlug, dann tauchte er wieder
auf und ſtund unbeweglich, die Arme hoch erhoben wie ein Beter.264)


Der Mond ging über dem Säntis unter, bläulicher Schimmer
leuchtete auf dem alten Schnee der Gletſcher, da zuckte ein ſtechender
Schmerz durch Ekkehard's Gehirn, die Berge um ihn tanzten und
ſchwankten, ſauſendes Getön ſtrömte durch die Wälder, aufſchäumte
der See, viel tauſend werdende Fröſche in ſchwarzer Kaulquappengeſtalt
wimmelten in den Wogen ... Aber in thauiger Schöne ſtieg die Ge-
ſtalt eines Weibes265) empor und entſchwebte bis zum Gipfel der
Möglisalp, dort ſaß ſie im ſammtweichen Grün und ſtrich das Waſſer
aus dem langen triefenden Haar und flocht ſich einen Kranz aus
Alpenblumen, in den Schluchten hob ſich ein Krachen, der Säntis
reckte ſich auf, der alte Mann zur Rechten nicht minder, Geſtalten
himmelſtürmenden Urſprungs tobten ſie gegen einand, der Säntis griff
ſeine Wände und ſchleuderte ſie hinüber und der alte Mann riß ſich
ſein Haupt ab und warf's auf die Säntispyramide — itzt ſtund der
Säntis zur Rechten und der alte Mann floh vor ihm zur Linken,
aber die Jungfrau des Sees ſaß in lächelnder Ruhe auf ihrer Alpe
und ſpottete der ſteinernen Zweikämpfer und rang ihr felsgelbes Gelock,
[#] draus entſtrömte perlender Waſſerfall und ſtrömte ſtärker und ſtrömte
wilder und wirbelte die Maid mit den feuchten Augen rauſchend hinab
in den See — da ſchwichtigte ſich das Toben der Berge, der Alt-
mann griff ſein weggeworfenes Haupt und ſetzte es auf und wandelte
ſchmerztraurig jodelnd zurück zur Kluft in die er gehörte, und der
Säntis ſtund wieder am alten Platz und ſeine Schneefelder leuchteten
wie vordem.


... Als Ekkehard des andern Tages erwachte, lag er in ſeiner
Höhle, von fiebrigem Froſt durchſchüttelt — in den Knieen todtmüde
Zerbrochenheit.


Die Sonne ſtand in der Mittagshöhe.


Benedicta huſchte draußen vorbei und ſah ihn zitternd daliegen,
den Wolfspelz umgeſchlagen. Die Kutte hing triefend und waſſer-
ſchwer über einem Felsſtück.


Wenn Ihr wieder Forellen im Seealpſee fangen wollt, Bergbruder,
ſprach ſie, ſo laßt mich's wiſſen, daß ich Euch führe. Der Handbub,
der Euch vor Sonnenaufgang begegnete, hat geſagt, Ihr ſeid den
Berg herauf gewankt wie ein Nachtwandler.


Sie ging und läutete die Mittagglocke für ihn.



Dreiundzwanzigſtes Kapitel.
Auf der Ebenalp.



Sechs Tage lang war Ekkehard krank gelegen. Die Sennen
pflegten ihn, ein Trank aus blauem Enzian gekocht, ſchwichtigte das
Fieber. Die Alpenluft that das ihre. Eine ſtarke Erſchütterung war
ihm nothwendig geweſen, um an Körper und Geiſt das geſtörte Gleich-
gewicht herzuſtellen. Jetzt war's in Ordnung. Er hörte keine Stim-
men und ſah keine Phantasmen mehr. Lindes Gefühl von Ruhe und
aufſproſſender Geſundheit durchſtrömte ihn; es war jener Zuſtand
[331] ſanfter Unkraft, der ſchwermüthigen geneſenden Menſchen ſo wohl an-
ſteht. Sein Denken war ernſt, aber nimmer bitter.


Ich hab' von den Bergen was gelernt, ſprach er zu ſich ſelber,
Toben hilft nicht, wenn auch die zauberreichſte Maid vor uns ſitzt,
der Menſch muß von Stein werden, wie der Säntis und kühlenden
Eispanzer ums Herz legen, kaum der Traum der Nacht ſoll wiſſen
wie es drinnen kocht und glüht, das iſt beſſer.


Und mälig ward ihm die Trübſal der letzten Vergangenheit in
mildem Duft verklärt; er dachte an die Herzogin und Alles was auf
dem hohen Twiel geſchehen, es that ihm nimmer weh. Und das iſt
das Fürtreffliche gewaltiger Natur, daß ſie nicht nur ſich ſelber als
ein mächtig wirkend Bild vor den Beſchauenden ſtellt, ſondern den
Geiſt überhaupt ausweitend anregt und fernliegende verſchwundene
Zeit im Gedächtniß wieder heraufbeſchwört. Ekkehard hatte lange
nimmer auf die Tage ſeiner Jugend rückgeſchaut, jetzt flüchtete ſich
ſein Denken am liebſten dorthin, als wär' es ein Paradiesgarten, aus
dem ihn der Sturm des Lebens hinausgeweht. Er hatte etliche Jahre
in der Kloſterſchule zu Lorſch am Rheine verbracht; damals ahnte er
nicht, was in der Frauen dunkeln Augen für herzverzehrende Gluth
verborgen glimmt, die alten Pergamente waren ſeine Welt.


Aber eine Geſtalt ſtand ihm von damals feſt in's Herz geſchrieben,
das war der Bruder Conrad von Alzey. An ihn, den wenig Jahre
älteren, hatte Ekkehard die erſte Neigung junger Freundſchaft geheftet;
ihr Lebensweg ging auseinand, es war Gras gewachſen über die Tage
von Lorſch, jetzt tauchten ſie ſtrahlend vor der Betrachtung auf, gleich
dem dunkeln Hügelland der Fläche, wenn die Morgenſonne ihre Strahlen
drauf geworfen.


Es iſt mit des Menſchen Geiſt wie mit der Rinde der alten Erde;
auf den Anſchwemmungen der Kindheit thürmen ſich in ſtürmiſcher
Hebung neue Schichten auf, Fels und Grath und hohe Bergwand, die
bis in Himmel zu reichen wähnt, und der Boden, darauf ſie ruht, iſt
mit Trümmern überſchüttet und vergeſſen, — aber wie die ſtarren
Gipfel der Alpen oft ſehnſüchtig zu Thale ſchauen und ſich heimweh-
bewältigt hinabſtürzen in die Tiefe, der ſie entſtiegen, ſo fährt die
Erinnerung zurück in die Jugend und gräbt nach den Schätzen, die
ſie unbeachtet beim tauben Geſtein zurückließ.


[332]

Jetzt flog Ekkehard's Denken oftmals zu ſeinem treuen Geſpan,
er ſtund wieder mit ihm unter der rundbogigen ſäulengetragenen Vor-
halle, er betete mit ihm an den alten Königsgräbern und am Stein-
ſarg des blinden Herzog Thaſſilo, er wandelte mit ihm durch die ſchat-
tigen Gänge des Kloſtergartens und lauſchte ſeinen Worten, — und
was Conrad damals geſprochen, war hehr und gut, denn er ſchaute
mit dem Aug' eines Dichters in die Welt und es war als müßten
Blumen am Weg aufſprießen und die Vögel luſtig begleitend drein
ſchmettern, wenn ſein Mund ſich aufthat zu honigſüßer Rede.


Schau auf, Kind Gottes! hatte Conrad einmal zum jungen Freund
geſagt, da ſie von der Warte des Gartens hinabſchauten in's Land,
dort wo die weißen Sanddünen aus dem Feld aufragen, iſt ehmals
Fluß geweſen und Strömung des Neckar: ſo geht die Spur vergan-
gener Menſchengeſchichten durch die Felder der Nachkommen und es
iſt ſchön, wenn ſie deß Acht haben. Und hier am Rhein iſt heiliger
Boden, es wäre Zeit, daß wir das ſammeln was drauf gewachſen,
eh' uns das leidige Trivium und Quadruvium den Sinn dafür
abtödtet.


Und an fröhlichen Vacanztagen war Conrad mit ihm in Oden-
wald gewandert, da rieſelte im grünen Birkenthal verſteckt eine Quelle,
draus tranken ſie und Conrad ſprach: Neige dein Haupt, hier iſt der
Todtenhain und Hagen's Buche und Siegfried's Bronn, hier ward
dem beſten aller Recken vom grimmen Hagen der Speer in Rücken
gerannt, daß die Blumen allenthalb von rothem Blut erthauten, dort
auf dem Sedelhof hat Chriemhildis um den Erſchlagenen getrauert,
bis des Hunnenkönigs Boten kamen, um die junge Wittib zu wer-
ben — und er erzählte ihm all die alten Mären von der Königsburg
zu Worms und vom Nibelungen Schatz und von Chriemhildis' Rache,
und ſeine Augen ſprühten: Schlag ein! rief er dem jungen Freunde
zu, wenn wir Männer ſind und des Sanges geübt, wollen wir ein
Denkmal ſetzen den Geſchichten am Rhein; es gährt und braust ſchon
in mir wie ein gewaltig Lied von Heldentapferkeit und Noth und
Rache und Tod, und die Kunſt des hörnen Siegfried, ſich zu feſten
und zu feyen, weiß ich, wenn's auch keine Drachen mehr zu erſchlagen
und kein Blut mehr abzukochen gibt: wer mit heiligem Sinn die
Waldluft ſchlürft und die Stirn mit dem Morgenthaue netzt, dem geht
[333] das gleiche Verſtändniß auf, er hört was die Vögel von den Zweigen
ſingen und was der Sturmwind von alten Mären kündet und wird
ſtark und feſt, und wenn er das Herz am rechten Fleck hat, ſchreibt
er's nieder zu Nutz und Frommen der Anderen.


Ekkehard aber hatte ſchier furchtſam den fröhlich Uebermüthigen
angeſchaut und geſagt: Mir wird ſchier ſchwindlich, wenn ich dir zu-
höre, wie du ein anderer Homerus zu werden gedenkſt. Und Conrad
ſprach lächelnd: Eine Ilias ſoll Keiner ſingen nach Homerus, aber das
Lied der Nibelungen iſt noch nicht geſungen und mein Arm iſt grün
und mein Muth iſt ſtark und wer weiß was die Folge der Zeiten
bringt!


Und ein andermal gingen ſie am Geſtade des Rheines und die
Sonne ſpiegelte ſich über den Bergen des Wasgauwaldes herunter in
den Wellen, da ſprach Conrad: Für dich wüßt' ich auch einen Gang,
der iſt einfach und nicht allzuherb, und paßt zu deinem Gemüth, denn
du horchſt lieber dem Schalle des Jagdhorns als dem Rollen des
Donners. Schau auf! ſo wie heute hat einſt die Zinne von Worms
herübergeglänzt, da der Held Waltari von Aquitanien aus der Hunnen-
gefangenſchaft fliehend in's Frankenland ritt; hier hat ihn der Ferg'
übergefahren ſammt ſeiner Liebſten und ſeinem Goldſchatz, nach dem
Walde iſt er geritten, der dort blaudunkel ragt, das gab am Wa-
ſichenſtein ein hartes Fechten und Funkenſprühen von Helm und
Schilden, da ihm die Wormſer nachrückten, aber die Lieb und ein gut
Gewiſſen hat den Waltari ſtark gemacht, daß er ſie Alle beſtand, den
König Gunther und Hagen ſelbſt den Grimmen.


Und er hatte ihm die Sage weitläufig erzählt; um große Rieſen-
bäume treibt allerhand wilder Schoß, ſprach er, ſo iſt auch um die
Nibelungenſage ringsum viel ander Buſchwerk aufgeſprießt, aus dem
ſich Etwas zuſchneiden läßt, wenn Einer Freude dran hat: Sing' du
den Waltari!


Aber Ekkehard ließ damals Kieſel über die Rheinfluth tanzen und
verſtand ſeinen Freund nur halb; er war ein frommer Schüler und
ſein Sinn auf's Nächſte gerichtet. Die Zeit trennte die Beiden, und
Conrad mußte die Kloſterſchule fliehen, weil er einſt geſagt, des Ari-
ſtoteles Logika ſei eitel leeres Stroh, und war in die weite Welt ge-
gangen, Niemand wußte wohin, und Ekkehard kam nach Sanct Gallen
[334] und hatte fort und fort ſtudirt und war ein verſtändiger junger Mann
geworden, den ſie zum Profeſſor tauglich fanden, und dachte an den
Alzeyer Conrad oft ſchier mit einem vornehmen Mitleid.


Aber ein triebkräftig Samenkorn kann in des Menſchen Herz lange
verborgen ruhen und geht zuletzt doch auf, wie der Waizen aus den
Mumienſärgen Aegyptenland's.


Daß Ekkehard jetzo freudig jener Erinnerungen pflegte, war ein
Zeichen, daß er ſeither auch ein Anderer geworden.


Und es war gut ſo. Die Launen der Herzogin und Praxedis
unbefangene Grazie hatten ſein blödes, ſchwerfällig gründliches Weſen
geläutert, die große Zeit, die er durchlebt, das Sauſen der Hunnen-
ſchlacht hatten Schwung in ſeine Geſinnung getragen und ihn das
Getrieb kleinen Ehrgeizes verachten gelehrt, jetzt trug er einen großen
Schmerz in ſich, der ausgetobt ſein mußte — ſo war der Kloſter-
gelehrte trotz Kutte und Tonſur in der glücklichen Umwandlung zum
Dichter begriffen und ſchritt einher gleich der Schlange, die ſich aus
der alten Umhäutung losgerungen und nur der Gelegenheit wartet,
ihre ganze Hülle wie einen abgetragenen Rock an der Hecke abzuſtreifen.


Täglich und ſtündlich, wenn er die allezeit ſchönen Gipfel ſeiner
Berge anſchaute und die reine Luft mit vollen Zügen einſog, kam es
ihm mehr als ein Räthſel vor, daß er ſeines Lebens Glück erſt im Er-
klären und Deuten vergilbter Schriften geſucht, und hernachmals an
einer ſtolzen Frau ſchier den Verſtand eingebüßt; laß ſtürzen, Herz,
ſprach er, was nicht mehr ſtehen mag, und bau' dir eine neue Welt,
bau' ſie dir tief innen, luftig, ſtolz und weit, ſtrömen und verrinnen
laß die alte Zeit!


Er ging wieder vergnügt in ſeiner Klauſe umher, eines Abends
hatte er die Vesperzeit geläutet, da kam der Senn von der Ebenalp;
er trug etwas ſorgſam in einem Tuch. Gott grüß, Bergbruder! ſprach
er, es hat Euch ordentlich geſchüttelt, hab' heut' was für Euch auf-
geleſen zur Nachkur, aber Eure Backen ſind roth und Eure Augen
fröhlich, da iſt's nimmer nöthig. Er öffnete ſein Tuch, es war ein
wimmelnder Ameiſenhaufen, alt und jung, ſammt trockenen Fichtennadeln;
er ſchüttelte das fleißige Völklein die Felswand hinunter.


Ihr hättet ſonſt heute Nacht drauf ſchlafen müſſen, ſprach er
lachend, das beizt die letzte Spur von Fieber hinweg.


[335]

Es iſt vorbei, ſprach Ekkehard, ich dank' Euch für die Medicin.


Aber macht Euch warm ein, ſagte der Senn, es ſtreicht eine ſchwarze
Wolke über den Brülltobel her und die Kröten ſchleichen aus den
Steinritzen vor, das Wetter will umſchlagen.


Am andern Morgen glänzten alle Gipfel in friſchem blendendem
Weiß. Es war ein ſtarker Schnee gefallen. Aber für Winters An-
fang war's noch viel zu früh. Die Sonne ſtieg luſtig drüber auf und
peinigte den Schnee mit ihren Strahlen, daß es ihn ſchier gereute ge-
fallen zu ſein. Wie Ekkehard Abends beim Kienſpanlicht ſaß, ſchlug
ein Krachen und Dröhnen an ſein Ohr als wollten die Berge ein-
ſtürzen. Er fuhr zuſammen und legte die Hand an die Stirn, ob
das Fieber nicht wieder komme.


Aber es war kein Spuck kranker Einbildung.


Dumpfer Widerhall wälzte ſich genüber durch die Schluchten der
Sigelsalp und Maarwieſe, dann klang's wie ein Zuſammenbrechen
mächtiger Baumſtämme und ſchütternder Fall — und verklang. Aber
ein leis klagendes Brummen tönte die ganze Nacht durch vom Thal
herauf.


Ekkehard ſchlief nicht. Seit er am Seealpſee herumgeirrt, traute
er ſich nimmer. In aller Frühe ging er zur Ebenalp hinauf. Bene-
dicta ſtand vor der Sennhütte und warf ihm einen Schneeball in die
Kutte. Der Senn lachte, als er ihn ob des nächtlichen Lärms
befragte.


Die Muſik werdet Ihr noch oft hören, ſprach er, es iſt eine La-
wine zu Thal geſtürzt.


Und das Brummen?


Wird Euer eigen Schnarchen geweſen ſein.


Ich hab' nicht geſchlafen, ſagte Ekkehard. Da gingen ſie mit ihm
hinunter und horchten. Er war ein fernes Stöhnen im Schnee.


Sonderbar, ſprach der Senn, es iſt was Lebendiges verſchüttet.


Wenn der Pater Lucius von Quaradaves noch lebte — ſagte
Benedicta, der hat ſo eine ſanfte Bärenſtimme gehabt.


Schweig, du wilde Hummel! drohte ihr Vater. Sie holten Schau-
fel und Bergſtock, der Alte nahm ſein Handbeil mit, ſo ſtiegen ſie
mit Ekkehard den Spuren der Lawine nach. Die war von der Fels-
wand zum Aeſcher herabgefahren, über Grund und Steingerölle und
[336] hatte die niedrigen Fichtenſtämme geknickt wie Strohhalme, drei mäch-
tige Blöcke, die gleich Schildwachen in's Thal hinabſchauen, hemmten
den Sturz, dort hatte ſich der wandernde Schnee zürnend aufgebäumt,
weniges war auch über dieſe Schranke weggeſaust, der Kern, zerbröckelt
von der Wucht des Anpralls, lag in trümmerhafter Maſſe gethürmt.
Der Senn legte ſein Ohr an die Schneedecke, dann trat er etliche
Schritte hinein, ſtieß den Bergſtock ein und rief: Hier graben wir!


Und ſie gruben eine gute Weile, und gruben einen Schacht, alſo,
daß ſie tief drinnen ſtanden und über ihren Häuptern die Schnee-
mauer ſich erhub, und blieſen oftmals in die Hände bei der kalten
Arbeit. Da jodelte der Senn hell auf und Ekkehard that einen Schrei
— ein ſchwarzer Fleck kam zum Vorſchein, der Senn ſprang zum
Beil, noch etliche Schaufelſtöße, da hob ſich's in zottiger Schwerfällig-
keit und richtete ſich brummend auf und reckte ſeine Vordertatzen weit
empor gen Himmel, wie Einer, der ſich ſchweren Schlaf aus den
Gliedern bannen will, und ſtieg langſam zu dem Fels und ſetzte ſich
drauf.


Es war eine mächtige Bärin, die auf nächtlichem Gang zu den
Forellen des Seealpſees ſammt ihrem Ehgemal dort überſchüttet wor-
den. Aber der Bär rührte ſich nimmer, der war an ihrer Seite er-
ſtickt und lag in kühlem Todesſchlaf, einen trotzigen Zug um die
Schnauze, als wär' er mit einem Fluch auf allzufrühen Schneefall
vom ſüßen Daſein geſchieden.


Der Senn wollte mit ſeinem Beil wider die Bärin ausziehen,
aber Ekkehard hielt ihn zurück und ſprach: laſſet ihr das Leben, wir
haben genug an dem da! und ſie zogen ihn herfür und mochten ihn
kaum ſelbander von der Stelle bringen. Die Bärin ſaß auf ihrem
Stein und ſchaute betrübt herunter und brummte und warf einen
feuchten Blick auf Ekkehard, als habe ſie ihn verſtanden. Dann ſtieg
ſie hernieder, aber nicht wie zum Angriff; die Männer banden Fich-
tengezweig zu einer Schlinge zuſammen, die Beute fortzuſchleifen, ſie
traten zurück, Beil und Speer geſchwungen, die Bärenwittib aber beugte
ſich über den todten Ehegeſpons und biß ihm das rechte Ohr ab und
fraß es auf zu ewigem Angedenken an glückliches Ehemals, dann wandte
ſie ſich gegen Ekkehard, auf den Hinterfüßen einherwandelnd. Er
erſchrack, als drohe ihm eine Umarmung, da ſchlug er ein Kreuz und
[337] ſprach den Bärenſegen des heiligen Gallus wider ſie:„Zeuch aus und
weiche von unſerem Thal, du Ungethüm des Waldes, Berg und Alpen-
ſchlucht ſeien dein Revier, uns aber laſſ' in Ruh und die Heerden der
Alm.“266) Und die Bärin war ſtill geſtanden, im Aug einen bitter
wehmüthigen Blick, als wäre ſie gekränkt ob der Verſchmähung ihres Ge-
fühls, ſie ließ die Tatzen zur Erde ſinken, drehte dem Bannenden den
Rücken und ſchritt auf allen Vieren von dannen. Noch zweimal hatte
ſie umgeſchaut, ehe ſie aus dem Blick der Bergbewohner verſchwand.


So ein Thier hat zwölf Männer Verſtand und ſieht dem Men-
ſchen an den Augen an, was er will, ſprach der Senn, ſonſt würd'
ich ſagen: Ihr ſeid ein heiliger Mann, daß Euch die Völkerſchaften
der Wildniß gehorchen.


Er wiegte die Tatzen des Todten prüfend im Arm:


Juhuhu, das wird ein Feſtſchmaus. Die verzehren wir am nächſten
Sonntag, Bergbruder, und ein Salätlein von Alpenkräutern dazu.
Das Fleiſch gibt Wintervorrath für uns zweibeide, um's Fell loſen wir.


Wie ſie das Opfer der Lawine zum Wildkirchlein empor ſchleiften,
ſang Benedicta:


Und wer Schneeglöcklein graben will,

Und hat das Glück dabei,

Der gräbt wohl einen Bären aus

Und gräbt auch ihrer zwei.

Der Schnee war nur ein luftiger Flutterſchnee267) geweſen und
war in Bälde wieder zerſchmolzen, Spätſommer zog noch einmal mit
herzwärmender Kraft in den Bergen ein, ein ſtiller Sonntagfriede lag
über dem Hochland.


Ekkehard hatte des Mittags mit dem Senn und ſeiner Tochter die
Bärentatzen verzehrt, eine lecker kräftige Speiſe, rauh aber ſtark, wie
die Altvorderen ſelber; dann war er hinaufgeſtiegen auf den Gipfel
der Ebenalp und hatte ſich in's duftende Gras geworfen und ſchaute
behaglich in die Himmelsbläue, von wohligem Hauch der Geſundheit
erquickt. Um ihn weideten Benedicta's Ziegen; ſchier war's zu hören,
wie das Alpengras zwiſchen den Zähnen der Kauenden ſich bog und
zerbrach. Unſtetes Gewölk zog an den Bergwänden herum, — auf
weißer Kalkſteinplatte, dem Säntis zugewendet, ſaß Benedicta; ſie
D.B.VII. Scheffel, Ekkehard. 22
[338] blies auf der Schwegelpfeife. Einfach, melodiſch wie ein Klang aus
ferner Jugendzeit tönte die Weiſe, mit zwei hölzernen Milchlöffeln in
der Linken ſchlug ſie den Tact dazu. Sie war Meiſterin in dieſer
Kunſt, und ihr Vater pflegte oftmals mit Bedauern zu ſagen: es iſt
Schade, ſie verdiente Benedictus zu heißen, ſie hätt' wahrlich einen
tollen Handbuben gegeben.


Wenn die Tonweiſe rhytmiſch zu Ende ging, that ſie einen ſchar-
fen Jodelruf zur benachbarten Alp, dann ſchallte von dort ſanftkräf-
tiges Blaſen des Alphorns herüber, ihr Liebſter, der Senn auf der
Klus, ſtand unter dem zwergichten Fichtenbaum und blies den Kuh-
reigen268) — jenen ſeltſamen Naturlaut, der keiner Melodei ver-
gleichbar erſt dumpfes Geräuſch ſcheint, als ſäße eine Hummel oder
ein Käfer im Horn eingeſperrt und ſuche ſummend den Ausweg, der
aber mälig und mälig das große Lied von Sehnſucht, Liebe und
Heimweh in alle Gänge des Menſchenherzens hinein drommetet, daß
es aufjubelt oder zerbricht.


Ich glaube, Euch iſt wieder ganz wohl, Bergbruder, rief Bene-
dicta zu Ekkehard herauf, daß Ihr Euch ſo vergnügt auf den Rücken
ſtrecket. Gefällt's Euch?


Ja, ſprach Ekkehard, pfeif' weiter.


Er konnte ſich nicht ſatt ſchauen an all der Pracht. Zur Linken
ſtund in ſchweigender Größe der Säntis mit ſeiner Sippe, — er
kannte ſchon all die einzelnen Häupter bei ihren Namen und hieß ſie
ſeine lieben Nachbarn; vor ihm breitete ſich ein Gewimmel niedrigerer
Berge und Hügel aus, grünes üppiges Mattenland und dunkle Wäl-
der, ein Stück Rheinthal glänzte herauf, von den Höhen des Arl-
bergs und fernen rhätiſchen Alpen umſäumt, — ein dunſtiger Streif
Nebel deutete das Becken des Bodenſees an, das er umhüllte —
Alles war weit und groß und ſchön.


Wer das Geheimniß erlauſcht hat, das auf luftiger Berghöhe
waltet, und des Menſchen Herz weitet und dehnt und himmelanhebt
in freiem Schwung der Gedanken, den faßt ein lächelnd Mitleid,
wenn er derer gedenkt, die drunten in der Tiefe Ziegel und Sand
zum Bau neuer babyloniſcher Thürme beiſchleppen, und er ſtimmt
ein in jenes rechtſchaffene Jauchzen, von dem die Hirten ſagen, daß
es vor Gott gelte wie ein Vaterunſer.


[339]

Die Sonne ſtund über dem Kronberg und neigte ſich zum Un-
tergang, und ſprühte ein glühgolden Feuer an Himmel und ſchoß
luſtig ihre Strahlen in den Nebel über dem Bodenſee. Itzt riß die
weiße Umhüllung, in leiſer ahnungsvoller Bläue lag der Unterſee
vor Ekkehard's Blick; ſein Auge ſchärfte ſich am Glanz des Abends,
er ſah einen verſchwimmenden dunkeln Punkt, das war die Reichenau,
er ſah einen Berg, kaum hob er ſich am Himmelsgrund, aber er
kannte ihn — es war der hohe Twiel.


Und der Kuhreigen tönte in's Heerdengeläut und wärmer und
wärmer färbte ſich Alles auf der Alp, goldbraungrün leuchteten die
Matten, leiſer Abglanz der Röthe warf ſich auf die grauen Kalk-
ſteinwände des Kamor, da hub ſich auch in Ekkehard's Seele ein
Leuchten und Glänzen, — die Gedanken flogen hinüber in's ferne
Hegau und weiter, es war ihm als ſäße er wieder bei Frau Hadwig
auf dem Hohenſtoffeln wie damals als ſie des Hunnen Cappan Hoch-
zeit feierten, als käme Audifax mit Hadumoth aus der Hunnennoth
heimgeritten, als ſäh' er das Glück in Geſtalt jener Zwei verkörpert,
und aus dem Schutt vergangener Zeit tauchte auf, was der ſinnige
Conrad von Alzey ihm dereinſt von Waltari und Hiltgunde erzählt,
mit Sang und Klang zog der Geiſt der Dichtung bei ihm ein, er
ſprang auf und that einen Satz in die Luft, daß der Säntis ſeine
Freude an ihm haben mochte: im Bild der Dichtung ſoll das arme
Herz ſich deſſen freuen, was ihm das Leben nimmer bieten kann, an
Reckenkampf und Minnelohn, — ich will das Lied vom Waltari von
Aquitanien ſingen! rief er der ſcheidenden Sonne zu und es war ihm
als ſtünde drüben in der Gemſenlucke zwiſchen Sigelsalp und Maar-
wies glanzumwallt der Freund ſeiner Jugend, der Meiſter Conrad,
und winke ihm mild lächelnd herüber und ſpreche: Thu's!


Und Ekkehard ging fröhlich an's Werk. Was bei uns geſchieht,
muß recht geſchehen oder gar nicht, ſonſt lachen uns die Berge aus
— ſo hatte der Senn eines Tages zu ihm geſprochen und er hatte
beifällig dazu genickt. Der Handbub ward in's Thal geſchickt, Eier
und Honig zu holen, da bat ihn Ekkehard für einen Tag bei ſeinem
Meiſter frei und gab ihm einen Brief nach Sanct Gallen an ſeinen
Neffen. Er ſchrieb ihn in damals üblicher dort wohlbekannter
Stabrunenſchrift,269) damit ihn kein Unberufener leſe. Darin aber ſtand:


22*
[340]

„Dem Kloſterſchüler Burkard Heil und Segen.


„Der du ein Augenzeuge von deines Oheims Leid geweſen, wiſſe
zu ſchweigen. Und wo er weilet, frage nicht — Gottes Hand reicht
weit. Du haſt im Procopius270) geleſen vom Vandalenkönig Gelimer;
da er im numidiſchen Gebirg eingeſchloſſen ſaß und ſein Elend groß
war, heiſchte er von den Belagerern eine Harfe, ſeinen Schmerz zu
verſingen. Gedenke dabei deines Ohms und wolle dem Ueberbringer
eine eurer kleinen Harfen mitgeben und etliche Bogen reinen Perga-
mentes ſammt Farbe und Rohrfeder, denn mein Herz iſt wohlgemu-
thet zu ſingen in der Einſamkeit. Verbrenne das Blatt. Die Gnade
Gottes ſei mit dir! Leb' wohl!“


Mußt ſchlau und fürſichtig ſein als wenn du eines Adlers Neſt
beſchleichen wollteſt, um die Jungen auszuheben, ſprach Ekkehard zum
Handbuben. Erkunde den Kloſterſchüler, der mit dem Wächter Ro-
meias war, da die Hunnen kamen: dem entbiete den Brief. Sonſt
ſoll Niemand drum wiſſen.


Der Handbub legte den Zeigefinger auf die Lippen: Bei uns wird
nichts verplaudert! ſprach er, Bergluft macht ſtill.


Nach zwei Tagen kam er wieder bergan geſtiegen. Er packte den
Inhalt ſeines Tragkorbes vor Ekkehard's Höhle aus. Eine kleine
Harfe war unter grünen Eichzweigen verborgen, dreieckig, der Geſtalt
des griechiſchen Delta nachgebildet, mit zehn Saiten beſaitet, Farbe
und Schreibgeräth dabei und viel Blätter ſaubern weichen Perga-
mentes, ſorgſam waren die Linien drein punctirt, daß die Buchſtaben
gerade und eben drauf zu ſtehen kämen.


Aber der Handbub ſah finſter und trotzig drein.


Haſt's brav gemacht, ſagte Ekkehard.


Ein zweitesmal laß ich mich nicht mehr dort hinunterſchicken,
murrte der Bub und ballte die junge Fauſt.


Warum?


Weil dort keine Luft geht für unſer Eins. Im Stüblein der
Wandersleut' hab' ich mir den Schüler erkundet, und hab' den Auf-
trag beſtellt. Hernach aber wollt' ich erſchauen, was das für eine
heilige junge Zunft ſei, die dort in Kutten zur Schule geht; und bin
in Kloſtergarten gegangen, dort haben die jungen Herren mit Wür-
feln geſpielt und Wein getrunken, es war ein Ergötzungstag.271)
[341] Da hab' ich zugeſehen, und wie ſie Steine nach dem Ziel warfen
und das Stockſpiel trieben, hab' ich laut auflachen müſſen, weil Alles
ſchwach und ſpottmäßig war. Und ſie wollten wiſſen, warum ich
lache, da hab' ich einen Stein gegriffen und hab' ihn zwanzig Schritt
weiter geworfen als der beſte von ihnen, und hab' geſagt: was ſeid
ihr für Wachholderdroſſeln? wollt ein rechtſchaffen Spiel ſpielen und
habt lange Kutten an, euch kann ich ja nicht einmal zum Hoſenlupf
ausfordern oder zu einem gehörigen Schwingen: euer Sach' iſt Nichts!
Da ſind ſie mit Stöcken auf mich los, aber den Nächſten hab' ich
gegriffen und durch die Lüfte geworfen, daß er in's Gras flog wie
ein flügellahmer Bergrabe; und ſie erhoben ein groß Geſchrei und
ſagten, ich ſei ein grober Bergbub, ihre Stärke ſei Wiſſenſchaft und
Geiſt. Da hab' ich wiſſen wollen, was der Geiſt ſei und ſie ſpra-
chen: trink' Wein, dann ſchreiben wir dir's auf den Rücken! Und
der Kloſterwein war gut, ein paar Krüge hab' ich ihnen weggetrunken,
dann haben ſie mir Etwas auf den Rücken geſchrieben, ich weiß nim-
mer wie's zuging, aber andern Morgens hab' ich nur einen ſchweren
Kopf gehabt und weiß von ihrem Geiſt im Kloſter ſo wenig denn
vorher.


Der Handbub ſtreifte ſein rauhes Flachshemd zurück und wies
Ekkehard ſeinen Rücken. Der trug in großem Lapidarſtyl mit ſchwar-
zer Wagenſalbe aufgetragen die Inſchrift:


Abbatiscellani, homines pagani

vani et insani, turgidi villani.*)

Es war ein Kloſterwitz. Ekkehard mußte lachen. Laß dich's nicht
verdrießen, ſprach er, und denke, daß du ſelber Schuld biſt, weil du
zu tief in Weinkrug geſchaut.


Der Handbub war nicht beruhigt. Meine ſchwarzen Ziegen ſind
mir lieber als all' die Herrlein, ſprach er und knüpfte ſein Hemd
wieder zu. Aber wenn mir ſo ein Haſenfuß, ſo ein Lappi auf die
[342] Ebenalp kommt, dem ſchreib' ich mit ungebrannter Aſche ein Wahr-
zeichen auf die Haut, daß er zeitlebens dran denken ſoll, und wenn's
ihm nicht recht iſt, kann er den Bergtobel hinabſauſen, wie ein Schnee-
ſturz im Frühling.


Brummend ging der Bub von dannen.


Ekkehard aber nahm die Harfe und ſetzte ſich unter das Kreuz
vor die Höhle und griff eine fröhliche Tagweiſe; er hatte lange nimmer
die Saiten gerührt, es that ihm wunderſam wohl, der mächtigen Ein-
ſamkeit gegenüber in leiſen Tönen auszuſprechen, was ihm im Herzen
lebte, und die Muſika war ein guter Verbündeter dem Werke der
Dichtung, das Waltarilied, das erſt wie ferner Nebel ihm vorgeſchwebt,
verdichtete ſich und nahm Geſtaltung an und zog in lebendurchathmeten
Bildern an ihm vorüber; er ſchloß die Augen um beſſer zu ſehen:
da ſah er die Hunnen anreiten, ein reiſig fröhlich Reitervolk und
minder abſcheulich als die, gegen die er ſelber vor wenig Monaten in
der Feldſchlacht geſtanden, und ſie nahmen die Königskinder in Franken
und Aquitanien als Geiſeln mit und jung Hiltgund, die Wonne von
Burgund — und wie er ſtärker die Saiten anſchlug, da erſchaute er
auch den König Etzel, der war ein leidlich Menſchenbild, zu Glimpf
und Becherfreuden wohl aufgelegt, — und die Königskinder wuchſen
an der Hunnen Hofburg auf und wie ſie groß geworden, kam ein
ſtilles Heimathſehnen über ſie, und ſie gedachten, daß ſie von Alters
einand verlobt — jetzt hub ſich ein Klingen und Drommeten, die
Hunnen ſaßen beim Bankett und König Etzel trank den großen
Humpen und Alle folgten ſeinem Vorbild, Schlummer trunkener
Männer tönte durch die Hallen — jetzt ſah er, wie im Mondſchein
der junge Aquitaner Held das Streitroß waffnete, und Hildegunde
kam und brachte den hunniſchen Goldſchatz, er hub ſie in Sattel —
hei! wie prächtig entritten ſie der Gefangenſchaft ...


Und fern und ferner wogte es noch wie Fährlichkeit und Flucht
und Fahrt über den Rhein und ſchwerer Kampf mit dem habſüchtigen
König Gunther: in großen markigen Zügen ſtund die Geſchichte vor
ihm, die er in ſchlichtem Heldengeſang zu verherrlichen gedachte. Noch
in derſelbigen Nacht blieb Ekkehard beim Kienſpanlicht ſitzen und
begann ſein Werk, und eine Freude kam über ihn, wie die Geſtalten
unter ſeiner Hand Leben annahmen, eine ehrliche große Freude, denn
[343] in fröhlicher Arbeit der Dichtung erhebt ſich der Menſch zur That des
Schöpfers, der eine Welt aus dem Nichts hervorgerufen.


Der nächſte Tag fand ihn vergnüglich über den erſten Abentheuern,
er konnte ſich ſelber nicht Rechenſchaft geben, nach welchem Geſetz er
die Fäden ſeines Gedichtes in einander wob, — es iſt auch nicht
nöthig von Allem das Warum und Weil zu wiſſen: der Wind wehet,
wo er will, und du höreſt ſein Getöſe, aber du weißt nicht woher er
kommt und wohin er geht; ſo verhält es ſich auch mit Jedem, der im
Geiſte geboren iſt — ſagt das Evangelium Johannis.272)


Und wenn es zwiſchenein wieder dunkelte vor den Augen des
Geiſtes und Zagheit ihn beſchlich — denn er war ängſtlich von Natur
und vermeinte noch manchmal, es ſei kaum möglich Etwas zu Stand
zu bringen ohne Hilfe von Büchern und gelahrtem Vorbild — dann
wandelte er auf dem ſchmalen Fußſteig draußen auf und nieder und
ließ den Blick auf den Rieſenwänden ſeiner Berge haften, die gaben
ihm Troſt und Maß und er gedachte: bei Allem was ich ſing' und
dichte, will ich mich fragen, ob's dem Säntis und Kamor drüben recht
iſt. Und damit war er auf der rechten Spur: wer von der alten
Mutter Natur ſeine Offenbarung ſchöpft, deſſen Dichtung iſt wahr
und ächt, wenn auch die Leinweber und Steinklopfer und hochver-
ſtändigen Strohſpalter in den Tiefen drunten ſie zehntauſendmal für
Hirngeſpinnſt verſchreien.


Etliche Tage vergingen in emſigem Schaffen. In lateiniſchen
Vers des Virgilius goß er die Geſtalten der Sage, die Pfade deutſcher
Mutterſprache däuchten ihm noch zu rauh und zu wenig geebnet für
den gleichmäßig ſchreitenden Gang des Heldenliedes. Mehr und mehr
bevölkerte ſich ſeine Einſamkeit; er gedachte in ununterbrochenem An-
lauf Tag und Nacht fort zu arbeiten, aber der leibliche Menſch hat
auch ſein Recht. Darum ſprach er: Wer arbeitet ſoll ſein Tagwerk
richten nach der Sonne, und wenn die Schatten des Abends auf die
nachbarlichen Höhen fielen, brach er ab, griff ſeine Harfe und klomm
durch die Höhlenwildniß zur Ebenalp hinauf. Der Platz, wo der erſte
Gedanke des Sangs in ihm aufgeſtiegen, war ihm vor Allen theuer.


Benedicta freute ſich, wie er zuerſt mit der Harfe kam. Ich verſteh'
Euch, Bergbruder, ſagte ſie, weil Ihr keine Liebſte haben dürfet, habt
[344] Ihr Euch die Harfe eingethan, und ſprechet zu der, was Euch das
Herz ſchwellt. Aber umſonſt ſollt Ihr kein Spielmann geworden ſein.


Sie pfiff durch die Finger, und that einen ſchönen Lockruf zu der
niedern Hütte auf der Klus hinüber, da kam ihr Liebſter der Senn,
das Alphorn umgehangen, ein friſches junges Blut, im rechten Ohr
trug er den ſchweren ſilbernen Ring, des Sennen Ehrenzeichen, die
Schlange, die an ſilbernem Kettlein den ſchwanken Milchlöffel hält,
und um die Lenden glänzte der breite Gürtel, drauf in getriebenem
Metall ein kuhähnlich Ungethüm zu ſchauen war;273) ſcheu neugierig
ſtund er vor Ekkehard, aber Benedicta ſprach: Jetzt ſpielet uns einen
Tanz auf, Bergbruder; wir haben uns ſchon lang geärgert, daß wir's
nicht ſelber können, aber wenn er das Alphorn bläst, kann er mich nicht
zugleich faſſen und luſtig umſchwingen, und wenn ich die Schwegel-
pfeife tönen laſſe, hab' ich auch keinen Arm frei.


Und Ekkehard erquickte ſich an der geſunden Fröhlichkeit der Kinder
vom Berg und griff wacker in die Saiten, und ſie tanzten im weichen
Gras der Matten bis der Mond in gelber Schöne ſich über die Maar-
wieſe hob, den grüßten ſie mit Jauchzen und Zauren274) und tanzten
weiter in vergnüglichem Wechſelgeſang.

Und das Eis kam gewachſen

Bis zur Alpe daher,

Wie ſchad' um das Mägd'lein

Wenn's eingefroren wär'!


ſummte Benedicta's Tänzer in den leichthinſchwebenden Reigen;

Und der Föhn hat geblaſen

Kein Hüttlein mehr ſteht —

Wie Schad' um den Buben

Wenn's auch ihn hätt' verweht!


ſang ſie antwortend in gleicher Tonart. Und wie ſie müde vor dem
angehenden Dichter ausruhten, ſprach Benedicta: Ihr ſollt auch
Euern Lohn überkommen, herzlieber Harfeniſte. Es geht ein alt
Gerede auf unſern Bergen, daß alle hundert Jahr' auf kahlem Hang
eine wunderſame blaue Blume blühe, und wer die Blume hat, dem
ſteht plötzlich Ein- und Ausgang des Berges offen, drinnen glänzt es
[345] mit hellem Schein und die Schätze der Tiefe heben ſich zu ihm herauf,
davon mag er greifen ſo viel ſein Herz begehrt und ſeinen Hut bis
zum Rande füllen. Wenn ich die Blume finde, bring' ich ſie Euch,
dann werdet Ihr ein ſteinreicher Mann, ich kann ſie doch nicht
brauchen — ſie ſchlang ihren Arm um den jungen Senn — ich hab'
den Schatz ſchon gefunden.


Aber Ekkehard ſprach: Ich kann ſie auch nicht brauchen!


Er hatte Recht. Wem die Kunſt zu eigen ward, der hat die ächte
blaue Blume: wo für Andere Stein und Fels ſich aufthürmt, thut
ſich ihm das weite Reich des Schönen auf, dort liegen Schätze, die
kein Roſt verzehrt, und er iſt reicher als die Wechsler und Mäkler
und Goldgewaltigen der Welt, wenn auch in ſeiner Taſche oftmals
der Pfennig mit dem Heller betrüblich Hochzeit feiert.


Ja, was fangen wir dann mit der Wunderblume an? ſprach
Benedicta.


Gib ſie den Ziegen zu freſſen oder dem großen Stierkalb, lachte
der Senn, denen iſt auch was zu gönnen.


Und wiederum hoben ſie die Füße zum Tanz und ſchwangen ſich
im Mondſchein, bis Benedicta's Vater heraufgeſtiegen kam. Der hatte
nach vollbrachtem Tagewerk den ſeither von der Sonne gebleichten
Schädel des Bären über die niedere Thür ſeiner Sennhütte gena-
gelt275) und ihm mit einem Tropfſtein den Rachen aufgeſperrt, daß
Ziegen und Kühe ſcheu vor der neuen Wandverzierung davon liefen.


Ihr gumpet und ruguſet276) ja, daß der Säntis zu wanken und
ſchüttern anhebt, rief der alte Alpmeiſter ſchon von weitem, was iſt
das für ein Gelärme? Gutmüthig ſcheltend trieb er ſie in die Hütte.


Das Waltarilied ſchritt raſch vorwärts. Wenn das Herz erfüllt
iſt von Sang und Klang, hat die Hand ſich zu ſputen, dem Flug der
Gedanken nachzukommen.


Eines Mittags wollte Ekkehard ſeinen ſchmalen Felsſteig entlang
wandeln: Da kam ihm ein ſonderbarer Gaſt entgegen. Es war die
Bärin, die er aus dem Schnee gegraben, langſam ſtieg ſie den Pfad
herauf, ſie trug Etwas in der Schnauze. Er ſprang zur Höhle zurück
und griff ſeinen Speer, aber die Bärin kam nicht als Feind, achtungs-
voll machte ſie Halt am Höhleneingang und legte auf die vorſprin-
gende Felskante ein fettes Murmelthier, das ſie beim Spielen im
[346] ſonnigen Gras erſchnappt. War's ein Geſchenk für die Lebensrettung,
war's Ausdruck anderweiter Anwandlungen, wer weiß es? Ekkehard
hatte freilich mitgeholfen, die ſterblichen Reſte des Ehgemahls der
Verwittibten zu verzehren; — ob dadurch ein Stück Neigung auf ihn
übergelenkt werden konnte? — wir kennen die Geſetze der Wahlver-
wandtſchaft zu wenig. Die Bärin ſetzte ſich ſchüchtern vor der Höhle
nieder und ſchaute unbeweglich hinein. Da ward Ekkehard gerührt,
er ſchob ihr, immer den Speer in der Fauſt, ein hölzern Schüſſelein
mit Honig in die Nähe, aber ſie ſchüttelte gekränkt das Haupt, der
Blick aus ihren kleinen Augen, denen das Augenlid fehlte, war traurig
erheiternd, ſo daß Ekkehard ſeine Harfe von der Wand holte und
anfing den Reigen zu ſpielen, den ſich Benedicta von ihm erbeten.
Das labte der Verlaſſenen Gemüth, ſie erhob ſich und ging aufrecht
in rhytmiſcher Grazie, bald vorwärts bald zurück, und Ekkehard ſpielte
ſchneller und ſtürmiſcher, aber da blickte ſie verſchämt zur Erde; zu
tanzen geſtattete ihr dreißigjähriges Bärengewiſſen nimmer, ſie ſtreckte
ſich wieder wie zuvor vor der Höhle, als wollte ſie das Lob verdienen,
das der Verfaſſer des Hymnus zu Ehren des heiligen Gall einſt den Bären
gezollt, da er ſie Thiere von bewundernswerther Beſcheidenheit nannte.277)


Wir paſſen zu einand, rief Ekkehard, du haſt dein Liebſtes im
Schnee verloren, ich im Sturm, — ich will dir noch Eines harfen.
Er ſpielte eine wehmüthige Weiſe, deß war ſie wohl zufrieden und
brummte beifällig; er aber immer ſeiner Dichtung gedenkend, ſprach:
Ich hab' mich heut' eine lange Zeit auf den Namen beſonnen für die
Hunnenkönigin, in deren Obhut jung Hiltgund zu ſtehen kam, itzt
weiß ich ihn: ſie ſoll Ospirin heißen, die „göttliche Bärin!“278)
Verſtehſt du mich?


Die Bärin ſah ihn an als wäre ſie einverſtanden, da griff Ekke-
hard ſeine Pergamentblätter und fügte den Namen ein. Das Be-
dürfniß, einer lebenden Seele die Schöpfung ſeines Geiſtes mitzutheilen,
war ſchon lange rege in ihm: hier in der ungeheuern Bergwelt, dachte
er, mag auch eine Bärin die Stelle einnehmen, zu der ſonſt ein ge-
lehrtes Haupt erforderlich wäre, und er trat an ſein Blockhaus und
auf den Speer geſtemmt las er der Bärin die Anfänge des Waltari-
lieds, und las mit lauter Stimme und begeiſtert, und ſie lauſchte mit
löblicher Ausdauer.


[347]

Da las er denn weiter und weiter, wie die Wormſer Recken dem
Waltari verfolgend im Wasgauwald nachritten, und an ſeiner Fels-
burg mit ihm ſtritten — noch horchte ſie geduldig, aber wie des
Einzelkampfes gar kein Ende ward, wie Ekkefried von Sachſen erſchlagen
in's Gras ſank zu ſeiner Vorgänger Leichen und Hadwart und Pata-
vrid des Hagen Schweſterſohn das Loos der Genoſſen theilten, da
erhub ſich die Bärin langſam, als wäre ſelbſt ihr des Mordens zu
viel für ein lieblich Gedicht, und ſchritt würdigen Ganges thalab.


Auf der Sigelsalp drüben in einſamer Felsritze ſtund ihre Behau-
ſung; dorthin entkletterte ſie, ſich zum Winterſchlaf vorzubereiten.


Das Heldenlied aber, das von allen ſterblichen Weſen zuerſt die
Bärin auf der Sigelsalp vernommen, hat der Schreiber dieſes Buches
zur Kurzweil an langen Winterabenden in deutſchen Reim gebracht,
und wiewohl ſich ſchon manch' anderer wackerer Verdeutſcher derſelben
Aufgabe befliſſen, ſo darf er's doch im Zuſammenhang der Geſchichte
dem Leſer nicht vorenthalten, auf daß er daraus erſehe, wie im zehnten
Jahrhundert ebenſo gut wie in der Folge der Zeiten der Geiſt der
Dichtung ſich im Gemüth erleſener Männer eine Stätte zu bereiten
wußte.



[]

Vierundzwanzigſtes Kapitel.


Das Waltarilied.279)
Das war der König Etzel im fröhlichen Hunnenreich

Der ließ das Heerhorn blaſen: „Ihr Mannen, rüſtet euch!

Wohlauf zu Roß, zu Felde, nach Franken geht der Zug,

Wir machen zu Worms am Rheine uneingeladen Beſuch!“

Der Frankenkönig Gibich ſaß dort auf hohem Thron,

Sein Herze wollt ſich freuen, ihm war geboren ein Sohn,

Da kam unfrohe Kunde gerauſcht an Gibich's Ohr:

Es wälzt ein Schwarm von Feinden ſich von der Donau vor,

Es ſteht auf fränkiſcher Erde der Hunnen reiſig Heer,

Zahllos wie Stern' am Himmel, zahllos wie Sand am Meer.

Da blaßten Gibich's Wangen. Die Seinen rief er bei

Und pflog mit ihnen Rathes was zu beginnen ſei.

Da ſtimmten all die Mannen: Ein Bündniß nur uns frommt,

Wir müſſen Handſchlag zollen dem Hunnen wenn er kommt;

Wir müſſen Geiſeln ſtellen und zahlen den Königszins,

Deß freuen wir noch immer uns größeren Gewinns

Als daß, ungleiche Kämpfer, wir Land zugleich und Leben

Und Weib und Kind und Alles dem Feind zu Handen geben.

[349]
Des Königs Söhnlein Gunther war noch zu ſchwach und klein,

Noch lag's an Mutterbrüſten, das mocht nicht Geiſel ſein;

Doch war des Königs Vetter, Herr Hagen hochgemuth

Von Trojer Heldenſtamm ein adlich junges Blut.

Sie richteten viel Schätze und faſſen drauf den Schluß,

Daß der als Pfand des Friedens zu Etzel ziehen muß.

Zur Zeit als dies geſchah, da trug mit feſter Hand

Den Scepter König Herrich in der Burgunden Land.

Ihm wuchs die einzige Tochter, benamst jung Hildegund,

Die war der Mägdlein ſchönſtes im weiten Reich Burgund.

Die ſollt als Erbin einſt, dem Volk zu Nutz und Segen

So Gott es fügen wollt, der alten Herrſchaft pflegen.

Derweil nun mit den Franken der Friede gefeſtigt war

So rückt' auf Herrich's Grenzmark der Hunnen kampfliche Schaar.

Voraus mit flinkem Zügel lenkt' König Etzel ſein Roß,

Ihm folgt' in gleichem Schritte der Heeresfürſten Troß.

Von Roſſeshuf zerſtampft die Erde gab ſeufzenden Schall,

Die zage Luft durchtönte Schildklirren als Wiederhall.

Im Blachfeld funkelte ein eherner Lanzenwald

Wie wenn die Frührothſonne auf thauige Wieſen ſtrahlt,

Und ſo ein Berg ſich thürmte: er wurde überklommen,

Die Saone und die Rhone: es wurde durchgeſchwommen.

[350]
Zu Chalons ſaß Fürſt Herrich, da rief der Wächter vom Thurm:

Ich ſeh von Staub eine Wolke, die Wolke kündet Sturm,

Feind iſt ins Land gebrochen, ihr Leute ſeht euch vor,

Und Wem ein Haus zu eigen, der ſchließe Thür und Thor.

Der Franken Unterwerfung, dem Fürſten war ſie kund;

Er rief die Lehenträger und ſprach mit weiſem Mund:

Die Franken, Niemand zweifelt's, ſind tapfre Kriegesleute,

Doch mochte Keiner dort dem Hunnen ſtehn zum Streite,

Und wenn die alſo thaten, da werden wir allein

Dem Tode uns zu opfern, auch nicht die Narren ſein.

Ich hab ein einzig Kind nur, doch für das Vaterland

Geb ich es hin, es werde des Friedens Unterpfand.

Da gingen die Geſandten, barhäuptig, ohne Schwert

Den Hunnen zu entbieten, was Herrich ſie gelehrt.

Höflich empfing ſie Etzel, es war das ſo ſein Brauch,

Sprach: Mehr als Krieg taugt Bündniß, das ſag ich ſelber auch,

Auch ich bin Mann des Friedens, nur Wer ſich meiner Macht

Thörigt entgegenſtemmt, dem wird der Garaus gemacht.

Drum eures Königs Bitte gewähret Etzel gern.

Da gingen die Geſandten, es kündend ihrem Herrn.

Dem Thor entſchritt Fürſt Herrich, viel köſtliches Geſtein

Bracht' er den Hunnen dar, dazu die Tochter ſein —

Der Friede ward beſchworen, — fahr wohl, ſchön Hildegund!

So zog in die Verbannung die Perle von Burgund.

[351]
Wie dort Vertrag und Bündniß geordnet war zum Beſten

Entführte König Etzel ſein reiſig Volk gen Weſten.

Im Land der Aquitanen herrſcht Alpher der ſtrenge Mann,

Dem wuchs ein Sohn Waltari im Jugendſchmuck heran.

Herrich und Alpher hatten ſich manch einen Boten geſchickt

Und ſich mit feierlichem Eidſchwur einand verſtrickt:

Sobald die Zeit des Freiens dereinſt ſich ſtellet ein

So ſollen unſre Kinder ein fröhlich Brautpaar ſein.

Betrübt ſaß König Alpher itzt bei der Hunnen Noth:

O weh mir daß ich Alter nicht finde Schwertes Tod —

Ein ſchlechtes Beiſpiel gaben Burgund und Frankenland,

Itzt muß ich Gleiches thun, und iſt doch eine Schand'.

Ich muß Geſandte ſchicken und Friede heiſchen und Bund,

Und muß den eignen Sproſſen als Geiſel ſtellen zur Stund.

So ſprach der ſtrenge Alpher, und alſo ward's gethan,

Mit Gold belaſtet traten die Hunnen den Rückzug an,

Sie führten Waltari und Hiltgund und Hagen in ſichrer Hut

Und grüßten wildfroh jauchzend die heimiſche Donaufluth.

[352]
Nachdem nun König Etzel der Heimath ſich erfreut,

Pflegt er die fremden Kinde mit großer Biederkeit,

Wie ſeine eignen Erben ließ er ſie auferziehn,

Die Jungfrau anempfahl er der Königin Ospirin.

Die jungen Recken aber behielt er ſcharf im Auge,

Daß Jeder zu des Krieges und Friedens Künſten tauge.

Die wuchſen auch an Jahren und Weisheit wohl heran,

Ihr Arm bezwang den ſtärkſten, ihr Witz den witzigſten Mann.

Derwegen liebt' der König die beiden Knaben ſehr,

Und ſchuf ſie zu den Erſten in ſeiner Hunnen Heer.

Es ward mit Gottes Beiſtand auch die gefangene Maid

Der trutzigen Hunnenfürſtin ein' wahre Augenweid,

An Tugend reich und Züchten, ſo ward Hildgund zuletzt

Als Schaffnerin dem Schatze der Hofburg vorgeſetzt,

Und wenig fehlte nur, ſo war ſie in dem Reich

Die höchſte — was ſie wünſchte, erfüllt ward's allſogleich.

Derweil ſtarb König Gibich, ihm folgte Gunther ſein Sohn,

Der brach das Hunnenbündniß und weigert den Zins mit Hohn,

Die Kunde kam geflogen zu Hagen in der Fern',

Da nahm er nächtlich Reißaus und floh zu ſeinem Herrn.

Am Tag da er verſchwunden erfreute ſich nur wenig

Frau Ospirin und liſtig ſprach ſie zu Etzel dem König:

O königliche Weisheit, habt Acht, habt ſcharfe Acht,

Daß unſres Reiches Säule zu Fall nicht werde gebracht,

[353]
Ich fürchte, auch Waltari der Hunnen beſter Held

Sucht wie der ſchlaue Hagen, ſein Freund, das weite Feld.

Ihr müßt ihn ſeßhaft machen durch ſüße Bande und Haft

Ihr müßt mit ſolchen Worten bereden Waltari's Kraft:

„Du trugſt in unſerm Dienſte viel Müh und Fährlichkeit

Drum merk' wie dein Gebieter huldvollen Dank dir beut,

Der Hunnentöchter beſte ſollt du zum Weib erkieſen

Und reich an Land und Ehren verdienter Ruh genießen.

Und was du gehrſt an Gute, umſonſt nicht ſei dein Bitten,

Gewährt ſei volles Maß dir, du haſt es wohl erſtritten.“

Das Wort gefiel dem König, es däucht' ihm fein und ſchlau,

Es weiß in derlei Dingen das Weiſeſte ſtets die Frau.

Der König jung Waltari mit ſolchem Rath empfing,

Doch deſſen Dichten auf ganz andre Dinge ging,

Er merkte, daß ihm Etzel die Wege wollt verlegen,

Drum kam dem Prüfenden ablenkend er entgegen:

O Fürſt, was ich gethan, iſt großen Ruhmes ledig,

Daß Ihr ſo hoch es anſchlagt, iſt huldvoll zwar und gnädig,

Doch muß ein Weib ich wählen nach Eurem Machtgebot

Werd' ich umſtrickt von Sorge und ſüßer Minne Noth,

Da muß ein Haus ich zimmern und muß den Acker bau'n,

Ich kann des Herren Auge nur ſelten wiederſchau'n.

Und wer der Lieb' gekoſtet, dem fehlet Kraft und Stärke

Mit Freuden obzuliegen dem edeln Kriegsgewerke.

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 23
[354]
Nichts Süßeres auf Erden, als hold gewärtig und treu

Dem Dienſtherrn überall folgen, drum bitt ich laßt mich frei,

So Ihr am ſpäten Abend, ſo Ihr in Mitternächten

Befehl ſchickt, bin ich willig, wo Ihr nur wollt, zu fechten.

Mir ſoll im Schlachtenwetter nicht Sorg um Kind und Weib

Die Blicke rückwärts wenden, und lähmen meinen Leib.

Bei Eurem Leben fleh' ich, bei Eurem tapfern Land:

Laßt mir die Hochzeitfackel, o König, ungebrannt.

Da weichte Etzel's Herze, das Wort behagt' ihm ſehr,

Er ſprach getroſt: Waltari entfleucht mir nimmermehr.

Inzwiſchen hatte ſich ein fernes Volk empört,

Da ward des Schwertes Schneide gen dieſen Feind gekehrt,

Da wurde jung Waltari zum Feldhauptmann gemacht,

Und dauerte nicht lange, ſo ſchlugen ſie die Schlacht.

Vorwärts drang ihre Heerſchaar als wie ein ſpitzer Keil,

Es zitterten die Lüfte von wildem Schlachtgeheul.

Hellauf klang die Drommete, die Speere flogen wild,

Aufleuchtet's wie ein Blitzſtrahl von manch geſpalt'nem Schild,

Und wie bei Nordſturms Saufen ein dichter Hagel fällt,

So ward zahlloſer Pfeilſchwarm herüber hinüber geſchnellt.

Dann ging's zum Handgemeng, gezogen ward das Schwert,

Da lag zerſpellten Hauptes manch ein gewappnet Pferd,

[355]
Da lag zerſpellten Hauptes beim Schild manch feſter Ritter.

Hei, wie das Feld durchmähſt du, Waltari, tapfrer Schnitter!

Als ſtünd mit ſeiner Senſe der Tod leibhaft im Streit

So ſchauten ihn zag die Feinde bei ſeiner Blutarbeit.

Zur Linken und zur Rechten, wohin er ſich gewendet

Hub ſich ein jähes Flüchten, ſo ward der Kampf geendet,

Dem Hunnenvolke war ruhmvoller Sieg bereitet

Und von erſchlagenem Feind manch preislich Stück erbeutet.

Drauf ließ der Führer blaſen zur Ruh vom Waffentanz,

Er ſchmückte ſeine Schläfe mit grünem Eichlaubkranz,

Und Fahnenträger und Mannſchaft, ſie thaten all' wie er,

So zog im Siegesſchmucke bekränzt nach Hauſe das Heer.

Jedweder ſuchte froh des Hauſes gaſtlich Dach,

Zu König Etzel's Hofburg Waltari ſchritt gemach.

Sieh da, wie eilig rannten die Diener aus dem Schloß

Sie labten ſich des Anblick's und hielten ihm das Roß;

Derweil aus hohem Sattel Waltari niederſtieg

So frugen ſie neugierig: Gewannen wir den Sieg?

Er warf juſt für die Neugier ein mäßig Bröcklein hin,

Und ging zum Königsſaale, gar müd war ihm zu Sinn.

Hiltgund traf er alleine, da küßt' er ſie und ſprach:

Beſchaff' mir einen Trunk, das war ein heißer Tag.

23*
[356]
Da füllte ſie den Becher, er trank den Firnewein

Jach wie den Waſſertropfen einſaugt der glühe Stein

Dann ſchloß er in die ſeine der Jungfrau weiße Hand

Beid' wußten daß von Alters verlobt ſie ſeien einand.

Erröthend ſtand und ſchwieg ſie. Da ſprach er zu der Maid:

Schon lange tragen wir der Fremde herbes Leid

Und ſollten doch nach Rechten einander ſein zu eigen:

Ich hab das Wort geſprochen! nicht länger mag ich's ſchweigen.

Die Jungfrau ſtand betrüblich, als wär's nur Spott und Hohn,

Aufflammt ihr blaues Auge, ſie ſprach mit herbem Ton:

Was heuchelt deine Zunge, was nie dein Herz begehrt?

Viel beſſerer Verlobten hältſt, Schlauer, du dich werth.

Da blickte treu und minnig, da ſprach der tapfre Mann:

Fern ſei was du gedenkeſt, o hör' mich huldvoll an:

In meines Herzens Grunde haust weder Falſch noch Arg,

Niemal ich mit dem Munde den wahren Sinn verbarg.

Kein Späher weilt im Saale, nur wir Zwei beid' allein

Ich wüßt ein ſüß Geheimniß, wollt'ſt du verſchwiegen ſein.

Da ſtürzte ihm zu Füßen Hiltgund und weint' und ſprach:

Wohin du mich berufeſt, o Herr, ich folg dir nach.

Er hob ſie auf mild tröſtend: Ich bin der Fremde müd,

Ein ſüßes Heimathſehnen die Seele mir durchglüht,

Doch ohne Hiltgund nimmer ſteht mir zur Flucht mein Sinn,

So du zurücke bliebeſt, deß ſchöpft' ich Ungewinn.

[357]
Da lacht' ſie in die Thränen: O Herr, du ſprichſt mit Fug

Das Wort das ich ſeit Jahren geheim im Buſen trug,

Gebiete denn die Flucht, mit dir will ich ſie wagen

Durch Noth und Fährlichkeit muß uns die Liebe tragen.

Und weiter ſprach Waltari doch flüſternd nur, nicht laut:

Dieweil ſie dir zu hüten den Hunnenſchatz vertraut,

So ſtell des Königs Helm mir und Waffenhemd zurück

Und ſeinen Riemenpanzer, des Schmiedes Meiſterſtück.

Dann fülle du zwei Schreine mit Spangen und Gold zu Hauf,

Daß du ſie kaum vom Boden zur Bruſt magſt heben auf,

Auch ſollt du mir beſchaffen vier Paare ſtarker Schuh,

— Der Weg wird lang — gleichviele richt' für dich ſelber zu;

Darüber magſt du weiter koſtbar Gefäß verpacken,

Beim Schmiede aber heiſche krummſpitze Angelhacken,

Du wirſt auf unſern Fahrten erſchauen deinen Geſellen

Wegzehrung uns gewinnen mit Fiſchen und Vogelſtellen.

Dies all ſei vorbereitet heut über ſieben Tage

Da ſitzt mit ſeinen Mannen der König beim Gelage

Und ſchlafen weinbewältigt ſie All' in trunkner Ruh

Glück auf! dann reiten wir dem Land im Weſten zu!

[358]
Die Stunde kam des Schmauſes. Mit Tüchern mannigfalt

Verhänget war die Halle. Eintrat Herr Etzel bald,

Er ſetzte auf den Thron ſich, den Woll und Purpur deckt

Auf hundert Polſtern rings die Hunnen lagen geſtreckt.

Schier beugten ſich die Tiſche den Speiſen ſonder Zahl

Viel ſüßer Labtrank dampfte im güldenen Pokal

Mit bunten Fähnlein waren die Schüſſeln ausgeziert,

So hub die Mahlzeit an — Waltari machte den Wirth.

Und wie der Schmaus zu Ende, die Tiſche weggeräumt,

Da ſprach zu König Etzel Waltari ungeſäumt:

Nun, edler Herr und König, ertheilt uns Euren Segen,

Daß Alle hier im Saale der Zechluſt mögen pflegen.

Der Humpen allergrößten reicht er ihm knieend dar,

Darauf aus alten Mären manch Bild geſchnitzet war.

Da lacht' der greiſe Zecher: fürwahr Ihr meint es gut,

Als wie ein Meer im Sturme entgegenſchäumt mir die Fluth.

Doch ſonder Zagen ſtand er, ein Fels am wogenden Strand,

Und lüpft' den Rieſenhumpen und wiegt' ihn in der Hand,

Und trank mit tapferm Zuge ihn bis zum Grunde leer

Und macht' die Nagelprobe. Da floß kein Tropfen mehr.

Itzt thut mir's nach, ihr Jungen! ſo rief der alte Held,

Da war ein lobwerth Beiſpiel den Andern aufgeſtellt.

Hurtig und hurtiger, dem Winde gleich dem ſchnellen

Sah man den Saal durchrennen den Mundſchenk ſammt Geſellen.

Sie nahmen die Pocale, ſie füllten ſie auf's Neu,

Da hub ſich in dem Saale ein ſcharfes Weinturney.

[359]
Bald lallte manche Zunge, die ſonſt viel Ruhm gewann,

Bald wankte in den Knieen manch heldenkühner Mann;

Es kam die Mitternacht, noch zechten ſie und ſungen,

Dann ſanken ſie zur Beute dem Schlafe, weinbezwungen.

Und hätt' Waltari itzt die Burg in Brand geſteckt:

Kein Mann war da ſo nüchtern, daß er ihn drob entdeckt.

Waltari rief Hiltgunden fürſichtig nun zu ſich:

Wohlauf bring das Geräthe, wohlauf und rüſte dich!

Dann führt er aus dem Stall ſein Roß, der Löwe hieß es,

Hufſcharrend ſtand's und ſchäumend in ſeine Zügel biß es.

Er wappnete mit Erze des Roſſes Stirn und Seite

Vom Bug hernieder hing er goldſchwer die Schreine beide,

Dazu ein Körbchen Speiſe — dann gab er die wallenden Zügel

Der Jungfrau in die Hand und hob ſie in den Bügel,

Er ſelber ſaß zu Roſſe, vom rothen Helmbuſch umwallt

Bepanzert und beſchienet in rieſiger Geſtalt.

Zur Linken hing gegürtet ein Schwert, zur Rechten auch

Ein ſcharfer krummer Säbel nach hunniſchem Gebrauch.

Jetzt ſchwang er Schild und Lanze, es ritten auf einem Roß

Waltari und Hiltgunde aus König Etzel's Schloß.

Sie ritten aus dem Schloſſe, ſie ritten die ganze Nacht.

Die Jungfrau lenkt' das Streitroß und hatt' der Schätze Acht

[360]
Und ſorgſam auch zu Handen hielt ſie die Fiſchergerte

Dieweil das viele Gewaffen Waltari ſchier beſchwerte.

Als nun die Morgenſonne aufging mit lichtem Funkel,

Entbogen ſie der Heerſtraß zu tiefem Waldesdunkel

Und hätte Haß der Fremde und Heimweh nicht gedrängt,

So hätte ſchier Hiltgunde das Roß nicht weiter gelenkt.

Wo nur ein Lüftlein rauſchte, wo ein Waldvogel ſang,

Wo ſchrill ein Baumaſt knarrte, da ſeufzete ſie bang.

So mieden ſie der Menſchen Behauſung und Gehege

Und ſuchten in bahnloſem Gebirg ſich Weg und Stege.

Noch ſchwieg der Hunnen Hofburg. Es war ſchon hoch am Tag,

Da wurde König Etzel von Allen der Erſte wach.

Er wiegt' in beiden Händen ſein Haupt das nebelſchwere

Und ſchritt aus dem Gemach: Ruft mir Waltari here,

Er theile als Genoſſe heut ſeines Königs Jammer,

Er ſoll den Frühtrunk reichen mir in der Waffenkammer.

Da rieben ſich die Diener die Augen und liefen und ſah'n

Und ſuchten aller Orten, ſie trafen ihn nicht an.

Jetzund kam auch die Fürſtin Frau Ospirin gehinkt:

Wo ſäumt und träumt denn Hiltgund, daß ſie kein Kleid mir bringt?

[361]
Da flüſterten die Diener, da ward's der Königin klar,

Daß Hiltgund mit Waltari nächtlich entflohen war.

Da hub ſie an: O Fluch dem Gaſtmahl und dreimal Fluch

Dem Wein, der meine Hunnen ſo ſchwer darnieder ſchlug,

Was ich den König warnte, liegt offen itzt zu Tag,

Von unſres Reiches Stützen die ſtolzeſte Säule brach!

Der alte König Etzel von böſem Zorn entbrannt

Zerriß den Purpurmantel und warf ihn an die Wand

Und wie der Staub vom Sturme gewirbelt wird zu Hauf',

So wirbelte ihm im Herzen ein Schwarm von Sorgen ſich auf.

Kein Wörtlein konnt er ſprechen, zu mächtig war ſein Grimm,

Und Speiſe und Getränk ſtund unberührt vor ihm.

Die Nacht kam angeflogen, noch fand er keine Ruh,

Er lag auf ſeinem Pfühle und ſchloß kein Auge zu,

Er warf ſich bald zur Rechten, bald zu der Linken nieder

Als hätt' ein Pfeil durchſchoſſen die ſtolzen Heldenglieder,

Dann ſaß er wieder aufrecht, der grambethörte Greis,

Dann ſprang er aus dem Lager, und lief herum im Kreis.

So ward dem Hunnenkönig der ſüße Schlaf verleidet

Derweil das Flüchtlingspaar ſchweigſam dem Land entreitet.

Doch wie am andern Morgen aufſtieg der lichte Tag

Hieß er der Hunnen Aelteſte zuſammenkommen und ſprach:

Wer mir in Banden brächte Waltari den ſchlauen Fuchs

Als wie vom Wald der Jäger den hinterliſtigen Luchs

Dem ſchüfe ich zur Stunde ein golddurchwirkt Gewand

Und wollt mit Gold ihn decken von Haupt zu Fuß ſo ſehr

Daß ihm von Goldeshaufen der Weg geſperret wär'.

[362]
Doch in den weiten Landen fand ſich kein einz'ger Grafe,

Kein Heerfürſt oder Ritter, kein Knappe oder Sclave,

Der ſich vermaß, Waltari verfolgend nachzugehn

Und mit des Schwertes Schneide dem Zürnenden zu ſtehn.

Und was der König flehte, geſprochen war's in Wind,

Die hohen Goldeshaufen — ſie blieben unverdient.

Waltari ritt bei Nachtzeit weiter und weiter in Haſt,

Des Tags in dichtem Walde und Buſchwerk hielt er Raſt,

Nah flogen ihm die Vögel, lieblich klang ſein Gelock'

Er fing ſie mit Leimruthen und mit geſpaltnem Stock,

Und wo in krummem Laufe ein Strom vorüberfloß

Eintaucht' er ſeine Angel und reiche Beute genoß.

So kürzten ſich die Tage mit Fiſchfang und Gejaid,

Das ſchafft dem Hunger Stillung, dem Herzen Nüchternheit,

Und auf der ganzen Fahrt hat nimmermehr begehrt

Die Jungfrau zu umarmen der Recke ehrenwerth.

Schon vierzehn Male war der Sonne Lauf vollendet

Seit daß er ſonder Abſchied von Etzel ſich gewendet,

Da glänzt aus lichtem Waldſaum im Abenddämmerſchein

Ein Fluß zu ihm herüber — das war der Vater Rhein,

Das war der Rhein, und jenſeits an fernem Ufer ſtand

Die Königsburg von Worms, Hauptſtadt in Frankenland.

[363]
Ein Schiffer kam gerudert auf breitgebautem Kahn,

Die letzten Donaufiſche bot ihm Waltari an,

Da fuhr ihn Jener über, er war zufrieden der Gabe,

Und weiter flüchtend ſpornt Waltari das Roß zum Trabe.

Der Fährmann andern Tages nach Worms gegangen war,

Des Königs Leib- und Mundkoch bracht' er die Fiſche dar

Der würzt' und ſalzte ſie und ſetzte ſie als Mahl

Dem König Gunther vor; erſtaunt ſprach der im Saal:

Seit daß ich herrſche in Franken, nie ſah ich einen Fiſch

Von ſolcherlei Geſtalt und Schmack auf meinem Tiſch

Der muß aus fremden Landen zu uns gekommen ſein.

Sag an, mein Koch, geſchwinde, wer brachte den herein?

Da wies der Koch den Fergen, der König rief ihn her,

Genau verkündet' der dem Fragenden die Mähr:

Ich ſaß am Rheinesſtrande noch geſtern Abend ſpat,

Da kam ein fremder Mann geritten den Uferpfad,

Als käm er juſt vom Kriege, ſo ſchaut' er trutzig wild,

Er ſtarrte ganz in Erze und führte Speer und Schild.

Schwer mocht' die Wucht der Rüſtung auf ſeinen Schultern laſten,

Doch ritt er ſcharfen Schrittes und mochte nimmer raſten.

[364]
Dem Mann folgt eine Maid, ſchön wie der Sonne Scheinen,

Sie ſitzt auf gleichem Gaul, ſchier ſtreift ihr Fuß den ſeinen.

Die lenket mit dem Zügel das rieſig ſtarke Roß,

Von deſſen Rücken hangen zwei Schreine mäßig groß.

Doch wie aufbäumend es den Nacken ſchütteln wollte,

Da hört' ich drin ein Klingen von Edelſtein und Golde.

Den Mann hab ich gefahren. Der gab mir ſolche Fiſche.

Das Wort erlauſchte Hagen. Er rief am Königstiſche:

Freut euch mit mir, Genoſſen, die Sache wird klar und hell,

Aus Hunnenland heimreitet Waltari mein Geſell.

Er riefs, da ſchallte Jubel hellauf im hohen Saal,

Doch übermüthigen Sinnes der König Gunther befahl:

Freut euch mit mir viellieber, der ich dies durft' erleben:

Den Schatz den einſt mein Vater den Hunnen mußte geben,

Den hat ein guter Gott zurück mir jetzt gebracht! —

Sprach's, und gehobenen Fußes umſtieß er den Zechtiſch mit Macht

Und hieß die Roſſe ſatteln, und las aus ſeinem Volk

Erprobter Mannen Zwölfe als ſtarkes Heergefolg.

Er wählt den Hagen auch, der bat vergeblich ihn,

— Des alten Freunds gedenkend — zu ändern ſeinen Sinn.

Doch Gunther polterte: Friſch vorwärts! drauf und drein!

Hüllt eure Heldenknochen in Eiſenrüſtung ein,

Schirmt mit dem Schuppenpanzer Rücken euch und Bruſt,

Des Frankenſchatzes Räuber zu jagen iſt mein Geluſt!

Da rückte aus dem Thor die Schaar, die wohlbewehrte.

Waltari, edel Wild — Feind iſt auf deiner Fährte!

[365]
Waltari ritt indeſſen landeinwärts von dem Rhein,

In einem ſchattig finſtern Forſte ritt er ein.

Das war des Waidmanns Freude, der alte Waſichenwald,

Wo zu der Hunde Bellen das Jagdhorn luſtig ſchallt.

Dort ragen dicht beiſammen zwei Berge in die Luft,

Es ſpaltet ſich dazwiſchen anmuthig eine Schluft,

Umwölbt von zackigen Felſen, umſchlungen von Geäſt

Und grünem Strauch und Graſe, ein rechtes Räuberneſt.

Er ſchaut' den feſten Platz. Hier, ſprach er, laß uns raſten,

Des ſüßen Schlafes mußt' ich ſchon allzulange faſten;

Das war ſeit vierzehn Nächten, auf hartem Roſſes Rücken,

Ueber den Schild gelehnet, ein unerquicklich Nicken.

Abthat er Wehr und Waffen und in der Jungfrau Schooß

Lehnt' er ſein müdes Haupt: Nun, theurer Fluchtgenoß,

Hiltgund, halt ſorgſam Wacht, und ſteigt vom Thal herauf

Fahldunkle Staubeswolke, dann wecke leis mich auf

Doch käm auch angeritten ein ganzes Heer von Recken

So ſollt' du doch, Vieltheure, nicht allzuſchnell mich wecken.

Ich traue deinen Augen. Die ſind gar ſcharf und rein,

Die ſchau'n weit in die Lande ... So ſchlief Waltari ein.

[366]
Im Sand ſah König Gunther die Spur von Hufestritt,

Anſpornend trieb den Renner er nun zu ſchnellerm Schritt.

Herbei, rief er, ihr Mannen! noch heute fah'n wir ihn

Sammt den geſtohlenen Schätzen, er ſoll uns nicht entfliehn.

Umſonſt entgegnet Hagen: Das geht ſo glatt nicht ab;

Manch einen tapfern Degen warf Jener in das Grab.

Zu oft hab ich erſchauet Waltari in Schlachtenwuth,

Ich weiß er handhabt Lanze und Schwert nur allzugut.

Doch nimmer ließ ſich warnen der vielverſtockte Mann:

Im Glanz des Mittags ritten ſie vor der Felsburg an.

Vom Bergesgipfel ſchaute Hiltgund zum Thal hinab,

Da hub ſich Staubeswirbel und ferner Roſſestrab,

Sie ſtrich mit leiſem Finger des Schläfers braunes Haar:

Wach auf, wach auf, Waltari, es naht uns eine Schaar.

Der rieb ſich aus den Augen des ſüßen Schlafes Reſt

Und griff nach ſeinen Waffen und rüſtete ſich feſt

Und durch die leeren Lüfte ſchwang er den Speer mit Macht,

Das war ein luſtig Vorſpiel vor bitterernſter Schlacht.

Hiltgund wie ſie von Weitem Lanzen blitzen ſah,

Warf klagend ſich zu Boden: Nun ſind die Hunnen da!

Nun fleh' ich mein Gebieter, hau ab mein junges Haupt,

Daß, ſo ich dein nicht werde, kein andrer Mann mich raubt! —

[367]
Gebiete deiner Furcht, ſprach mild der junge Recke,

Fern ſei daß ſchuldlos Blut die Klinge mir beflecke.

Der in ſo manchen Nöthen ein ſtarker Hort mir war,

Wird mich auch heute ſtärken zu werfen dieſe Schaar.

Nicht Hunnen ſind die Feinde, es ſind nur dumme Jungen

Die hier im Lande wohnen, ſind fränkiſche Nibelungen.

Drauf deutet er mit Lachen nach einem Helm auf dem Plan:

Das iſt fürwahr der Hagen, mein alter Hunnencumpan.

Nun trat zum Höhleneingang der Held und ſprach von dort

Vor dieſem Thore künd' ich nunmehr ein ſtolzes Wort:

Kein Franke ſoll entrinnend ſich rühmen ſeinem Weib

Er hab' Waltari's Schätze gegriffen bei lebendem Leib,

Und ..... doch die Sprache hemmt' er und kniete zum Gebete,

Gott um Verzeihung flehend für ſolche Frevelrede.

Dann hub er ſich und ſchaute prüfend der Feinde Reih'n:

Von allen dieſen Kämpen fürcht' ich den Hagen allein,

Der weiß viel böſe Liſten und kennt den Brauch des Streits,

Doch außer ihm o Hiltgund thut Keiner uns ein Leids.

Derweil Waltari dräuend Wacht hielt am Felſenthor,

Sprach Hagen zu dem König: O Herr, noch ſeht Euch vor!

[368]
Schickt einen Boten ihm, und friedlich ſei's geſchlichtet.

Vielleicht daß Jener ſelber ſich bittend an Euch richtet

Und Euch den Schatz ausfolgt. Die Antwort zeige den Mann,

Es iſt noch immer Zeit, mit Waffen ihn zu fah'n.

Da hieß der König ausziehn Herrn Gamelo von Metz,

Der dort als Frankenrichter verwaltet das Geſetz.

Der flog als wie die Windsbraut zu jung Waltari hin:

Wer biſt du, fremder Degen, ſag' an, woher, wohin?

Der Held ihm drauf erwiedert: Erſt künde du die Mähr:

Kommſt du aus eignem Willen, ſchickt dich ein Andrer her?

Stolz ſprach Herr Gamelo: Mich hat hieher entſandt

Als Herold König Gunther, der Herr in Frankenland.

Waltari ihm entgegen: Fürwahr was ficht Euch an

Zu ſpäh'n und auszuforſchen den fremden Wandersmann?

Ich bin von Aquitanien Waltari hochgemuth,

Als Geiſel gab der Vater mich in der Hunnen Huth

Dort mußt' ich ſeit verweilen. Itzt wandt' ich mich zu gehn,

Ich will die ſüße Heimath, die Eltern wieder ſehn.

Da ſprach der Bote trocken: Wohlan, ſo ſei bereit

Den Goldſchrein mir zu liefern, dein Roß auch und die Maid

[369]
Nur ſo du ſchnell dich ſputeſt, dies Alles herzugeben

Will dir mein Herr belaſſen die Glieder und das Leben.

Da rief Waltari kecklich: Nie hört' ich größern Thoren!

Wie kann dein König bieten was ich noch nicht verloren?

Iſt er ein Gott denn, daß er mich alſo will berücken?

Noch trag ich nicht die Fäuſte gefeſſelt auf dem Rücken,

Noch duld' ich nicht, gewundet, des Kerkers Herzeleid —

Doch billig iſt mein Denken: Und läßt er von dem Streit,

Goldrother Spangen hundert will ich ihm gern gewähren,

Ich weiß als fremder Mann des Königs Name zu ehren.

Der Bote ritt hinunter und brachte den Beſcheid.

Da ſprach zum König Hagen: O nimm was er dir beut,

Ich ahne Unheil ſonſt, mir hat verwichene Nacht

Ein Traum um dich, Gebieter, viel ſchwere Sorg gebracht.

Ich ſah ſelband uns reiten und jagen im Geheg,

Da trat ein großer Bäre dir hoher Herr in Weg;

Das war ein hitzig Streiten, es hat das Thier zuletzt

Das Bein dir bis zur Hüfte zerhauen und zerfetzt.

Und wie gefällten Speeres ich beiſprang dir im Strauß

Riß er mir ſelbſt ein Auge mit ſcharfem Zahne aus.

Stolz ſchalt der König: Wahrlich, du biſt des Vaters werth,

Auch der focht mit der Zunge viellieber als mit dem Schwert!

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 24
[370]
Drob zog in Hagens Herzen ein bitter Zürnen ein:

Wohlan, ſprach er, ſo mögt Ihr des Kampfes denn Euch freu'n.

Dort ſteht vor Euren Augen, deß Euch geluſtet, der Mann,

Ich will des Ausgangs harren und keine Beute ha'n.

Sprach's und zum nahen Hügel lenkt er ſein Roß in Ruh,

Sprang ab, und ſah gelaſſen, im Graſe ſitzend, zu.

Der König Gunther winkte den Gamelo nun her:

Zeuch aus und künde Jenem: den ganzen Schatz ich gehr,

Und ſo er noch ſich weigert, ſo biſt du Manns genug,

Daß du ihn kampflich angehſt und niederwirfſt mit Fug.

Von Metz der Biſchofſtadt Herr Camelo zog ab,

Fahl nickt' vom blauen Helme ſein gelber Buſch herab.

Von fern ſchon rief er laut: Heda! mein Freund — heraus!

Dem Frankenkönig liefre den ganzen Goldſchatz aus!

Waltari hört's und ſchwieg. Da ritt er näher bei:

Den ganzen Goldſchatz liefre! ſo rief er ihm auf's Neu.

Dem riß jetzt die Geduld: Laß ab dein Schrei'n und Johlen,

Hab ich dem König Gunther den Schatz etwann geſtohlen,

Hat er ein Darlehn mir gelieh'n habgier'gen Sinns,

Daß er mir jetzo heiſchet ſo ſchnöden Wucherzins?

Hab ich das Land geſchädigt und Häuſer weggebrannt,

Daß ihr mir Buße fordert mit übermüth'ger Hand?

[371]
Das muß ein ſchäbig Volk ſein, das mir den Durchgang neidet,

Und keinen fremden Mann auf ſeinem Boden leidet.

Ich will um's Wegrecht markten: Zweihundert Spangen wohlan

Biet' ich jetzt deinem König. Vernimm's und zeig's ihm an!

Du ſollſt noch mehr uns bieten! rief Camelo in Wuth,

Des Redens bin ich ſatt. Itzt gilt's dein Gut und Blut.

Er deckte ſeinen Arm mit dem dreifältigen Schild

Und raffte ſeinen Speer und ſchüttelte ihn wild,

Und zielte genau und warf. Ihm bog Waltari aus,

Er fuhr in grünen Raſen mit ſchneidigem Geſaus.

Wohlan denn! rief Waltari, — es ſei wie's Euch gefällt,

Und ſeine dunkle Lanze ſchoß der junge Held.

Die fuhr zur linken Seite durch den Schildesrand

Und nagelt' an die Hüfte Camelo's rechte Hand,

Und drang dem Gaul in Rücken — ausſchlagend bäumt ſich der

Und hätt' ihn abgeſchüttelt, doch feſt hielt ihn der Speer.

Indeß ließ Camelo den Schild zu Boden ſinken,

Und ſtrebte ſich des Speeres zu ledigen mit der Linken.

Doch Jener ſtürtzt' heran und ſtemmt' den Fuß, und tief

Stieß er ihm in den Leib das Schlachtſchwert bis zum Griff.

Zog's dann zuſammt der Lanze aus der Todeswunde,

— Da ſanken Roß und Reiter wohl in derſelben Stunde.

24*
[372]
So mußt' in's grüne Gras Herr Camelo dort beißen,

Ihn ſah ſein Neffe Kimo, auch Scaramund geheißen.

Ha! das traf mich! ſo rief er, zurück ihr Andern all',

Jetzt ſterb ich oder ſühne des theuern Blutsfreunds Fall.

Weinend ſprang er hinauf, der Weg war hohl und enge,

Daß ihm kein Andrer konnt' beiſtehn im Handgemenge.

Er knirſchte mit den Zähnen: Nicht will ich Schatz und Gut,

Ich komme als ein Rächer für meines Oheims Blut.

Zwei Speere ſchwang er hoch, am Helm die Mähne zittert;

Doch feſt ſtand dort Waltari und ſagte unerſchüttert:

War ich des Kampfs Beginner, geb' ich mich gern verloren,

Es ſoll mich noch zur Stunde dein Lanzenwurf durchbohren!

Da warf in raſcher Folge die Lanzen Scaramund,

Die eine traf den Schild nur, die andre flog in Grund.

Dann mit gezucktem Schwerte ritt er Waltari an,

Doch bracht' er's nicht zuwege, die Stirn ihm durchzuſchla'n.

Der Hieb ſaß auf dem Helme, das dröhnte und das klang

Und Feuerfunken ſprühten den dunkeln Wald entlang.

Jetzt fuhr ihm wie ein Blitz Waltari's Speer in Hals

Und hob ihn aus dem Sattel, da fiel er dumpfen Falls.

Nichts half ihm mehr die Bitte, ſein Haupt hieb Jener ab,

So ſank bei ſeinem Ohme der Neffe früh in's Grab.

[373]
Vorwärts! rief König Gunther, und laßt ihm keinen Frieden

Bis daß wir Schatz und Leben geraubt dem Kampfesmüden.

Da kam als dritter Kämpe Werinhard gezogen,

Des Speerwurfs ein Verächter trug er nur Pfeil und Bogen.

Er richtet' auf Waltari von Ferne manch Geſchoß,

Gedeckt vom rieſigen Schilde gab der ſich nirgends bloß.

Und eh' der Schütz ihm beikam, war ſchon ſein Köcher leer,

Deß zürnend ſtürmt er jetzo mit blankem Schwert einher:

Und ſind dir meine Pfeile zu luftig und zu leicht,

Paß auf ob nicht mein Hieb dir vollgewichtig däucht!

Schon lange wart' ich daß dem Kampf ſein Recht geſchehe,

Waltari rief's entgegen, — und ſchleudert aus der Nähe

Den Speer. Der traf das Roß. Hufſchlagend bäumt ſich's auf,

Warf in den Staub den Reiter und ſtürzte oben drauf.

Dem Fallenden entriß der Held ſein Schwert in Haſt,

Löst' ihm den Helm — am blonden Gelock er ſtark ihn faßt':

Zu ſpät kommt itzt dein Jammern, den Bitten bin ich taub!

Und abgeſchlagnen Hauptes lag Werinhard im Staub.

[374]
Drei Leichen lagen ſchon. Des Streitens noch nicht müd,

Entſandt' als vierten Kämpen Gunther den Ekkefrid.

Der hatt' im Sachſenlande den Herzog einſt erſchlagen

Und der Verbannung Leid am Frankenhof getragen.

Der trabte ſtolz einher auf röthlichbraunem Schecken,

Den kampfbereiten Mann that er erſt ſpöttiſch necken:

Biſt du gefeſtet, Unhold? trügſt du durch Luft und Wind?

Biſt ein Waldteufel du? biſt du ein Menſchenkind? —

Hohnlachend rief Waltari: Ich kenne ſolches Wälſchen,

Ihr ſeid das rechte Volk zum Trügen und zum Fälſchen —

Heran denn! deinen Sachſen ſollt du erzählen bald,

Was du dereinſt für Teufel erſchaut im Waſichenwald!

Wir wollen es erproben, ſprach Ekkefrid, und ſcharf

Schwang er die Eiſenlanze am Riemen, holt' aus und warf,

Doch ſie zerbrach am Schilde, der Schild war allzuhart,

Zurück warf ſie Waltari und lachte in den Bart:

Schau' an, wie dir der Waldgeiſt heimgibt was du geſchenkt,

Sie mag wohl tiefer fahren, wenn meine Fauſt ſie lenkt.

Geſpalten von dem Wurf des Schildes Stierhaut klafft',

Der Rock zerriß — es fuhr tief in die Lunge der Schaft,

Todwund ſank Ekkefrid, ein Blutſtrom ſich ergoß,

Als Beute nahm Waltari mit ſich des Todten Roß.

[375]
Der fünfte Kämpe war Hadwart. Er ließ zurück

Den Speer und hofft allein vom ſcharfen Schwert ſein Glück.

Erſt ſprach er zu dem König: So ich den Sieg gewinne,

Belaß des Feindes Schild mir, nach dieſem ſteht mein Sinne.

Zu Roſſe drang er vor, doch ſeinen Pfad verſperrten

Die Leichen der Erſchlagenen. Da ſprang er zu der Erden.

Deß lobt' Waltari ihn. Doch Hadwart rief und ſchalt:

Du liegſt wie eine Natter im Kreis zuſammengeballt

Und denkſt, o ſchlaue Schlange, Pfeil und Geſchoß zu meiden —

Deß ſollt von meiner Rechten du herbe Schläge leiden.

Den ſchönbemalten Schild leg' ab itzt unverweilt!

Als Kampfpreis iſt er mir vom König zugetheilt,

Er ſoll nicht Schaden nehmen, gar wohl gefällt er mir.

Und wollt' ſich's anders wenden, und unterläg' ich dir:

Dort ſtehen die Genoſſen. Du friſteſt nicht dein Leben,

Und wollt'ſt du auch als Vogel befiedert uns entſchweben.

Furchtlos ſprach da Waltari: Den Schild, den laß ich nicht!

Dem bin ich als ein Schuldner zu großem Dank verpflicht't.

Der ſchirmte mich vor'm Feinde gar oft in heißen Tagen,

Die Wunden die mir galten, ließ er ſich willig ſchlagen;

Du ſollt noch heut erkennen, wie nützlich dieſer mir,

So ich den Schild nicht hätte, ich ſtünde nimmer hier.

[376]
Drauf Hadwart: Unfreiwillig ſollt du ihn balde miſſen

Und Roß und Gold und Jungfrau in unſern Handen wiſſen.

Noch einmal rath' ich dir: leg' ab, leg' ab die Laſt,

Die du ſo weiten Weges bis heut getragen haſt.

Sprach's und vom Leder zog er. Das war ein Fechten ſchwer,

Er kämpfte mit dem Schwerte, Waltari mit dem Speer,

Im Waſichenwalde nimmer ſolche Blitze ſprühten,

Staunend ſah'n die Franken auf den Nimmermüden.

Das hat von Helm und Schilden geklungen und gegellt

Wie wenn mit ſcharfem Beile ein Mann die Eiche fällt.

Aufſprang der Wormſer Kämpe, und ſchwang des Schwertes Schneide,

Auf daß mit einem Hieb der Zweikampf ſich entſcheide.

Waltari fing den Streich, und zwang ihm aus der Fauſt

Die Klinge, daß ſie weit ſeitab in's Buſchwerk ſaust.

Dahin floh Hadawart. Doch Alpher's Sohn der ſchnelle

Ihm nach: Wo fleuchſt du hin? da, nimm den Schild, Geſelle!

Sprach's und mit beiden Händen hob er den Speer und ſtach,

Da ging der Kampf zu Ende. Der ſank mit dumpfem Krach,

Ihm ſetzte auf den Nacken den Fuß Waltari und dann

Spießt' an den Boden er zuſammt dem Schilde den Mann.

[377]
Als Sechster in den Kampf ging jetzo Patavrid,

Des Hagen Schweſterſohn. Wie den ſein Oheim ſieht

Gedachte er mit Bitten zu wenden ihm den Sinn:

Schau wie der Tod dich anlacht! laß ab, wo eilſt du hin?

Laß ab, laß ab o Neffe, dich täuſcht dein Jugendmuth

Zu zwingen den Waltari braucht's andre Kraft und Gluth.

Des Zuſpruchs ungerührt der Jüngling ging von hinnen,

Sein einzig Trachten war, ſich Ehre zu gewinnen.

Bekümmert ſaß drum Hagen und ſeufzte tief und grollte:

O nimmerſatte Habgier, o ſchnöder Durſt nach Golde,

O ſchlänge doch die Hölle das güldne Erz in Rachen,

Und gäb' es ſtatt den Menſchen zur Hut den alten Drachen!

Niemand hat mehr genug. Sie ſchaffen und ſie ſcharren

Sich täglich mehr zuſammen und ſind doch arme Narren!

Wie reiteſt in den Tod auch du mein Neffe ſo blind,

Was ſoll ich deiner Mutter für Kunde bringen vom Kind?

Und was dem jungen Weibe, das traurig deiner harrt,

Dem noch zu ſchwachem Troſte der erſte Sproß nicht ward?

Sprach's und die Thräne rollt' ihm langſam in Schooß hinab:

Fahr' wohl auf lange! ſeufzt' er, fahr' wohl, du ſchöner Knab!

[378]
Aus weiter Fern Waltari des Freundes Klage vernahm,

Gerührt ſprach er zum Kämpen, der itzt geſtürmet kam:

Steh' ab, mein tapfrer Junge, ich mag dir's redlich rathen,

Aufſpare deine Kraft zu anderweiten Thaten,

Schau auf! hier liegt erſchlagen manch ein gewalt'ger Held,

Ich müßte Leides tragen, wenn du dich beigeſellt.

Was kümmert dich mein Sterben? rief Jener, ſteh' und ficht'!

Zum Streit bin ich gekommen, zu loſem Schwatzen nicht.

Und mit dem Worte flog auch die knorrige Lanze einher,

Zur Seite ſchlug Waltari ſie mit dem eignen Speer;

Von Wurfs Gewalt getragen und von des Windes Kraft,

Flog bis zur Felſenhöhle zu Hiltgund's Füßen der Schaft.

Aufſchrie vor Furcht die Jungfrau; dann aus der Felſenſpalte

Lugt' ſie fürſichtig, ob Waltari noch ſich halte.

Noch einmal warnte dieſer den ungeſtümen Mann,

Doch er, bedachtlos wüthend, ſtürmt' mit dem Schwerte an.

Da ſchirmte ſich Waltari und ſchwieg, doch mocht' ſein Schweigen

Dem Zähneknirſchen des gehetzten Keulers gleichen.

Zu mächtigem Schwertſtreich holte Patavrid itzt aus

Daß ihn des leeren Streiches Wucht zu Boden riß.

Da duckte ſich Waltari in's Knie und bog ihm aus

Aufſprang der Held mit Macht. Da war der Sieg gewiß.

Zwar wollt' zu neuem Fechten auch Patavrid ſich heben,

Umſonſt. In den Bauch getroffen ließ er das ſüße Leben,

Die Seele flog von dannen, es ward ſein junger Leib

Dem wilden Waldgethiere ein Fraß und Zeitvertreib.

[379]
Des Todten Fall zu rächen kam Gerwig itzt geſprengt,

Er ſprengte über die Leichen die dort den Steg geengt!

Derweil des Todten Haupt vom Rumpf Waltari fällt,

Warf er die doppelſchneidige Streitaxt nach dem Held,

— Die war in jenen Zeiten der Franken liebſt Gewaffen. —

Schnell hob den Schild Waltari ſich Deckung zu verſchaffen,

Rückſpringend nach der Lanze an ſich die theure riß er,

Die blutige Schwertesklinge in's grüne Riedgras ſtieß er

Und ſtellte ſich dem Angriff. Da fiel kein unnütz Wort,

So grimmig nach dem Kampfe lechzten die Beiden dort.

Der focht den Freund zu rächen, der ſchirmte Leib und Leben,

Viel ſchwere Hiebe wurden gehau'n und rückgegeben.

Waltari's Speer war länger, doch tummelte ſein Pferd

Der Franke rings im Kreis, daß Jener müde werd'.

Zuletzt erſah Waltari, daß er den Schild ihm hob,

Durch Gerwig's Weichen itzt das grimme Eiſen ſchnob.

Hinſank er auf den Rücken, ein Schrei entfuhr dem Mund,

Des Todes unfroh ſtampfte er den durchfurchten Grund.

Auch dieſem thät der Held das Haupt vom Rumpfe löſen,

— Er war ein ſtolzer Graf im Wormſer Gau geweſen.

[380]
Nun ſtutzten erſt die Franken, und baten ihren Herrn

Vom Streite abzuſtehn. Doch dem war Gunther fern,

He! zürnte er, ihr tapfre, ihr vielerprobte Seelen

Schafft euch das Unglück Furcht, anſtatt zum Zorn zu ſtählen?

Soll aus dem Waſichenwalde ich ſo mich werfen laſſen,

Und als geſchlagner Mann durchziehn die Wormſer Gaſſen?

Erſt wollt' ich jenen Fremden des Goldes ſehn verlurſtig,

Jetzt dürft' ich ſeines Blutes. Und ihr, ſeid ihr nicht durſtig?

Den Tod ſühnt nur der Tod. Blut heiſchet wieder Blut!

Er ſprach's, da wurden Alle entflammt zu neuem Muth.

Als ging's zu luſt'gem Spiele, zu Wettkampf und Turney'n,

So wollte jetzt ein Jeder im Tod der Erſte ſein.

Den Felspfad aufwärts ritten ſie nacheinand im Trab,

Indeſſen nahm Waltari den Helm vom Haupte ab,

Und hing ihn an den Baum. Den würz'gen Waldesduft

Sog er mit vollen Zügen und kühlt' ſich an der Luft.

Da rannt' auf ſchnellem Roſſe Herr Randolf jach heran,

Mit ſchwerer Eiſenſtange ſtürmt' er Waltari an

Und hätt' ihn ſchier durchbohrt. Doch auf der Bruſt zum Glück

Trug der ein ſchwer Geſchmeide, Schmied Welands Meiſterſtück.

Leicht faßte ſich der Held und hielt den Schild bereit,

Den Helm ſich aufzuſetzen hatt' er nimmer Zeit.

[381]
Schon ſauste Randolf's Klinge um Waltari's Ohren,

Da wurden dem Barhäupt'gen zwei Locken abgeſchoren.

Doch unverwundet blieb er. Es fuhr der zweite Hieb

So mächtig in den Schildrand, daß er drin ſtecken blieb.

Dem Blitz gleich ſprang Waltari zurück und wieder vor,

Und riß ihn von dem Gaule, daß er das Schwert verlor

Und preſſt' ihn auf den Boden, trat ihm die Bruſt mit Füßen:

Jetzt ſollt du für die Glatze mir mit dem Scheitel büſſen

Und dieſes Stückleins nimmer prahlen deinem Weibe!

Sprach's, und hieb den Kopf von des Beſiegten Leibe.

Als Neunter in den Kampf ſprang Helmnod vor in Eile,

Er ſchleppte einen Dreizack an vielgewundnem Seile

Das hielt zu ſeinem Rücken der Freunde kleiner Reſt.

Sie dachten, wenn die Hacken im Schilde ſäßen feſt

Das Seil dann anzuziehen mit ſo gewaltiger Macht

Daß drob Waltari leicht zu Falle werd' gebracht.

Den Arm reckt Helmnod aus und warf den Zack im Bogen:

Paß auf, du kahler Mann! da kommt dein Tod geflogen!

Stolz durch die Lüfte kam das Wurfgeſchoß geſaust

Als wie die Schlange ziſchend vom Baum herunter braust.

Geſpalten ward der Nagel am Schild. Er war getroffen

Scharf zerrten an dem Seil die Franken ſchweißumtroffen,

Im Waldgebirg erſcholl ihr ſiegesfroher Schrei.

Der König ſelbſt geſellte den Ziehenden ſich bei.

[382]
Doch feſtgewurzelt ſtund als wie die Rieſeneſche,

Des Lärmens unbekümmert Waltari in der Breſche,

Er ſtund und wankte nicht. Da dachte dort der Schwarm

Zum mind'ſten ihm den Schild zu reißen von dem Arm.

Von zwölf Geſellen ſo die letzten Viere kamen

Zu ungeſtümem Streit. Der Sang nennt ihre Namen:

Der Neunte war Herr Helmnod, Eleuther auch benannt,

Der zehnte Mann war Trogus, von Straßburg hergeſandt,

Von Speier an dem Rhein Herr Tannaſt war der Eilfte

Und König Gunther war an Hagens Statt der Zwölfte.

Solch eiteln Streitens ward Waltari endlich wild.

Barhäuptig war er ſchon. Itzt ließ er auch den Schild

Und auf die Rüſtung nur und ſeinen Speer vertrauend

Sprang er in Feind, zuerſt nach dem Eleuther hauend.

Er ſpaltet' ihm den Helm und Haupt und Nacken zugleich

Zerſpaltet' auch die Bruſt mit einem einz'gen Streich.

Dann ſtürmt' er auf den Trogus. Verwickelt in dem Seil

Hing der, ihm brachte nimmer das Flüchten Glück und Heil,

Sie hatten bei dem Seilzug ſich abgethan der Waffen

Vergebens ſprang er itzt, ſich dieſe zu erraffen

Waltari holt' ihn ein: und tiefe Wunde ſchlug er

In beide Waden ihm und ſeinen Schild wegtrug er

Bevor ihn Trogus griff. — In Wuth erſah der Wunde

Sich einen rieſigen Feldſtein. Den hob er von dem Grunde

[383]
Und ſtemmte ſich und warf ihn ſo ſicher auf den Held,

Daß er den eignen Schild in Mitten ihm zerſchellt

Im Graſe kriechend Trogus ſein Schwert dann wiederfand,

Er nahm's und durch die Lüfte ſchwang er's mit ſtarker Hand.

Zwar konnt' er ſeine Mannheit nicht mehr durch Thaten weiſen,

Doch kündet Herz und Mund ſattſam den Mann von Eiſen.

Und als die Todesgeiſter er noch nicht lachen ſah,

Rief er: O wär' ein Schild — o wär' ein Freund mir nah!

Zufall, nicht Tapferkeit hat dir den Sieg bereitet,

Noch haſt zu meinem Schild das Schwert du nicht erbeutet.

Bald komm ich! ſprach Waltari und flog den Weg herab,

Dem furchtlos Hauenden ſchlug er die Rechte ab;

Schon ſollt' ein zweiter Streich der Seele öffnen das Thor

Zum ew'gen Abſchied. Sieh, da ſprang Herr Tannaſt vor.

Der hatte gleich dem König die Waffen aufgenommen

Und war den Freund zu ſchirmen mit ſeinem Schild gekommen.

Unwillig wandte ſich Waltari gegen ihn

Mit tief durchhau'ner Schulter ſank Herr Tannaſt dahin

Und mit durchſtochner Seite: Ich grüß dich tauſendmal!

Noch leiſe murmelt er's, dann war er todt und fahl.

[384]
Verzweifelnd ſtieß nun Trogus viel bittre Schmähung aus.

So ſtirb denn, rief Waltari, und meld' im Höllenhaus

Wie du den Freunden warſt ein Rächer und Vergelter! —

Rief's — und mit güldner Kette erdroſſelt er den Schelter.

So lagen die Genoſſen erſchlagen allzumal

Da ſeufzte laut der König und floh hinab in's Thal,

Auf des bewehrten Roſſes Rücken ſchwang er ſich

Und ritt zu Hagen hin und weinte bitterlich.

Er ſtrebt' ihn zu erweichen mit Bitten mannigfalt

Und ihn zur Schlacht zu ſtacheln. Doch Jener ſagte kalt:

Zu kämpfen hindert mich der Ahnen ſchnöd Geſchlecht,

Mir lähmt ja kühles Blut den Arm zu dem Gefecht,

Bleich ward ja ſchon mein Vater wenn er die Lanzen ſchaute,

Und ſchwatzte feig derweil ihm vor der Feldſchlacht graute —

O König wie du alſo geprahlt vor den Genoſſen:

Für immer in die Scheide haſt du mein Schwert geſtoßen!

Von neuem ging der König den Grimmen flehend an:

Laß ab von deinem Grolle — laß ab und ſei ein Mann!

Und ſchuf dir auch mein Schelten viel Zorn und Ungeduld,

Ich will mit reicher Gabe wettſchlagen meine Schuld.

Zu viel des edeln Blutes ward heute ſchon vergoſſen,

Magſt du das Alles ſchauen ſo müßig und verdroſſen?

[385]
Fürwahr den Schimpf wird nimmer das Frankenland verwinden,

Schon hör' ich unſre Feinde ziſchend die Mähr verkünden:

„Es kam ein fremder Mann, man wußte nicht woher,

Der tilgte ungeſtraft der Franken ganzes Heer.“

Noch wollte Hagen zaudern. Er ſaß und überſann

Wie ihm Waltari einſt in Treuen zugethan.

Doch als ſein Herr und König mit aufgehobnen Armen

Kniefällig zu ihm bat, — da faßt' ihn ein Erbarmen,

Da brach das Eis im Herzen, ſein Antlitz färbt' ſich roth —

So er noch länger ſäumte, die Ehre litte Noth.

Wohin du auch mich rufeſt — o Fürſt, ich werde gehn,

Was nimmer ſonſt geſchah, die Treue heißt's geſchehn!

Doch wer war je ſo thöricht, daß er in's offne Grab

So wie es hier aufgähnet, freiwillig ſprang hinab?

So lang Waltari dort die Felsburg innehält

Zieht auch ein Heer vergebens wider ihn zu Feld

Und wenn die Franken all, Fußvolk und Reiterei

An jenem Platze ſtünden, es käm' ihm Keiner bei.

Doch weil Beſchämung dich und Schmerz danieder drücken,

Erſinn' ich einen Weg, auf dem wird's beſſer glücken.

Fürwahr, ich ginge nimmer, beſchworene Treu zu brechen,

Selbſt nicht, — ich ſag' es frank — des Neffen Tod zu rächen,

Für dich nur, Herr und Fürſt, will der Gefahr ich ſtehn!

Drum auf und laß uns erſt von dieſer Wahlſtatt gehn.

Es mögen unſre Roſſe dort auf der Warte weiden,

Dann wähnt er uns gegangen — und wird von dannen reiten.

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 25
[386]
So er die enge Burg verlaſſen, dann wohlan,

Wir folgen ihm und greifen im offnen Feld ihn an.

Dann magſt nach Herzensluſt und mehr ſelbſt als dich freut,

Du mit Waltari fechten; nicht ſchenkt er uns den Streit.

Dem Könige gefiel des Hagen ſchlaues Wort,

Er ſänftigte ihn vollends mit einem Kuß ſofort,

Dann wichen beide und ſpähten ſich ſichern Hinterhalt,

Die Roſſe ließen ſie frei graſen in dem Wald.

Geſunken war die Sonne. Einbrach die dunkle Nacht.

Der müde Held Waltari ſtand prüfend und bedacht':

Ob er in ſichrer Felsburg ſchweigſam verweilen möge,

Ob er durch öde Wildniß verſuche neue Wege.

Er ſcheute bloß den Hagen und ahnte böſe Liſt,

Daß ihn der König dort umarmet und geküßt.

Deß fürchte ich, ſo dacht' er, daß ſie zur Stadt entreiten

Und morgen früh den Kampf erneu'n mit friſchen Leuten.

Wofern ſie nicht ſchon itzt im Hinterhalte lauern. —

Auch ſchuf der wilde Wald ihm ein gelindes Schauern

Als dräut' es d'rin ringsum von Dorn und wilden Thieren

Daß er dort hilflos irrend die Jungfrau möcht' verlieren.

[387]
Dies Alles wohlgeprüft und wohlerwogen ſprach er:

Wie es auch gehen mag, hier ſei bis mor'n mein Lager,

Daß nicht der König prahle, ich ſei dem Diebe gleich

Entflohn bei Nacht und Nebel aus dem Frankenreich.

Er ſprach's, und Dorn und Strauchwerk hieb er ſich rings vom Hag

Und ſchloß den engen Pfad mit ſtachlichem Verhack

Mit bitterm Seufzen wandt' er ſich zu den Leichen dann

Jedwedem Rumpfe fügte ſein Haupt er wieder an;

Gen Sonnenaufgang warf er knieend ſich zur Erde

Und ſprach das Sühngebet mit ſcharfentblößtem Schwerte:

O Schöpfer dieſer Welt, der Alles lenkt und richtet,

Gen deſſen hohen Willen ſich Nichts hienieden ſchlichtet

Hab' Dank daß heute ich mit deinem Schutz bezwungen

Der ungerechten Feinde Geſchoß und böſe Zungen!

O Herr, der du die Sünde austilgſt mit ſtarken Armen

Doch nicht den Sünder ſelbſt — dich fleh' ich um Erbarmen:

Laß dieſe Todten hier zu deinem Reich eingeh'n

Daß ich am Himmelsſitze ſie möge wiederſeh'n.

So betete Waltari. Dann trieb er allſogleich

Der Todten Roſſe ein, und band ſie mit Gezweig.

Noch ſechſe waren übrig. Zwei waren umgekommen.

Drei hatte König Gunther mit auf die Flucht genommen.

Dann löst' er ſeine Rüſtung. Das war dem Hitzigen gut,

Mit frohem Zuſpruch ſchöpft' er der Jungfrau Troſt und Muth

25*
[388]
Mit Speiſe und mit Trank labt' er die müden Glieder

Und auf den Schild gelagert warf er zum Schlaf ſich nieder.

Den erſten Schlummer ſollte Hiltgunde ihm behüten,

Denn allzuſehr nach Ruhe gelüſtet's den Vielmüden.

Er ſelbſt behielt ſich vor die Wacht am frühen Morgen,

Er wußt', da drohten ihm erneuten Kampfes Sorgen.

Zu Haupt ihm ſitzend wachte Hiltgund die Nacht entlang

Und ſcheuchte von den Augen den Schlaf ſich mit Geſang.

Bald hub Waltari ſich und brach des Schlummers Reſt

Und hieß die Jungfrau ruhen, und griff zum Speere feſt

Und wandelt' ab und auf. Bald ſchaut' er nach den Roſſen

Bald lauſcht' er an dem Walle. So war die Nacht umfloſſen.

Der Morgen dämmerte. Es fiel ein linder Thau.

Auf Buſch und Blatt und Halm hernieder in die Au.

Zu der Erſchlagnen Leichen ſchritt itzt Waltari hin,

Die Waffen und den Schmuck zu rauben war ſein Sinn.

Die Panzer ſammt den Helmen, die Spangen nahm er zur Hand,

Und Schwert und Wehrgehenk. Doch ließ er das Gewand.

Er nahm der Roſſe viere und laſtet' ſie damit,

Hiltgund auf's fünfte hob er, das ſechſte er ſelbſt beſchritt.

[389]
Erſt ritt er aus dem Walle, die Gegend zu erſpäh'n,

Und ließ die Falkenaugen ſich rings im Kreis ergehn.

Nach Wind und Lüften hielt er das Ohr gereckt und lauſchte,

Ob Nichts geſchlichen käme, ob Nichts im Graſe rauſchte,

Ob nicht von ſchwerem Zügel ſich höb' ein fernes Tönen

Oder von Roſſeshuf die Erde möcht' erdröhnen.

Doch rings lag Alles ſtill. Die Roſſe ſchwer beladen

Trieb er itzt vor und ſandte Hiltgund auf gleichen Pfaden

Er ſelber führt' den Gaul der ihm den Goldſchrein trug,

Und ſchloß in Wehr und Waffen als Hüter den reiſigen Zug.

Sie hatten tauſend Schritte etwann zurückgelegt,

Da ſchaute Hiltgund um, ſie war vor Furcht bewegt,

Da ſchaute ſie vom Hügel herab zwei Männer eilen

Die ritten ſcharf des Weges und mochten nicht verweilen.

Und zu Waltari rief die Jungfrau ſchreckensbleich:

Das Ende kommt, o Herr! Zur Flucht itzt ſputet Euch.

Waltari wandte ſich. Die Feinde nahm er wahr:

Ich will in's Antlitz mir beſchauen die Gefahr.

Und winkt mir auch der Tod: viel beſſer iſt's zu ſtreiten,

Als Hab und Guts verluſtig einſam von dannen reiten.

Du Hiltgund nimm die Zügel und treib' das Goldroß fort,

Der dichte Hain dort drüben beut' ſichern Zufluchtort.

Ich will am Bergeshang mir einen Stand erkieſen

Und harren wer da kommt, und ritterlich ſie grüßen.

[390]
Die Jungfrau that ſofort, wie ſie Waltari hieß.

Der machte unbefangen zurecht itzt Schild und Spieß

Und ritt des Weges weiter als wie ein fremder Mann.

Da ſchrie ihn ſchon von ferne der König Gunther an:

Jetzt iſt dein Unterſchlupf benommen, grimmer Held!

Aus dem du zähneweiſend als wie ein Hund gebellt.

Heraus in's offne Feld, dein warten neue Streiche,

Noch ſteht zu proben ob das End' dem Anfang gleiche.

Du weiſeſt ja Ergebung und Flucht ſo ſchnöd' zurück,

Laß ſehn, ob du auch heute um Lohn gedungen das Glück!

Verächtlich thät Waltari kein Wort dawider ſagen,

Als wär' er taub geworden. Er wandte ſich an Hagen:

O Hagen, alter Freund, ſag' an was iſt geſchehn,

Daß alſo umgewandelt ich dich muß wiederſehn?

Der thränend einſt beim Abſchied in meinen Armen lag

Verrennt gewaffnet mir den Weg an dieſem Tag?

Fürwahr ich dachte einſt, käm' heimwärts ich gegangen,

Du würdeſt grüßend mich mit offnem Arm umfangen,

Und gaſtlich mich bewirthen und pflegen mich in Freuden

Und reich beſchenkt den Freund in's Heimathland geleiten.

[391]
Ich zog auf fremden Wegen. Oft wollt' das Herz mir ſchlagen:

O wär' ich bei den Franken, dort lebt mein Freund, der Hagen!

Gedenkſt du nimmermehr der alten Knabenſpiele

Wo wir einmüthig einſt geſtrebt nach gleichem Ziele?

Nicht mehr der Freundſchaft? O wenn ich dein Antlitz ſah

So däuchten mir die Eltern, die theure Heimath nah.

Ich wahrte dir die Treue am Hof und vor dem Feind

Laß ab drum von dem Frevel und ſei mein alter Freund!

Deß werd' ich hoch dich preiſen, und biſt du mir zu Willen

Werd' ich mit rothem Golde den hohlen Schild dir füllen.

Mit finſterm Blick und zürnend ſah ihn Hagen an:

Erſt übeſt du Gewalt und ſchwatzeſt liſtig dann;

Die Treu haſt du gebrochen. Du wußteſt mich zugegen,

War dir an meinen Freunden, am Neffen nichts gelegen?

Nicht magſt du dich entſchuld'gen, wenn ich auch ferne ſtand

An Waffen und Geſtalt war ich dir gut bekannt

Und doch hat mir dein Schwert den zarten Sproß gemäht,

Den theuren blonden Jungen. Da war die Freundſchaft wett.

Drum heiſch' ich itzt von dir nicht Gold, nicht Bruderbund,

Von deiner Hand verlang' ich den todten Neffen zur Stund!

Von Roſſes Rücken ſchwang ſich Hagen nun zur Erde

Da ließen auch Waltari und König Gunther die Pferde.

Zum Fußkampf ſtanden ſie, zwei wider einen Mann.

Die zweite Frühſtund' war's, da hub das Streiten an.

[392]
Erſt brach den Frieden Hagen und warf mit Macht den Speer

Der flog in hohem Bogen mit Ziſch und Zaſch daher.

Waltari mochte nicht ausbeugen, doch er hielt

In ſchräger Richtung ihm entgegen ſeinen Schild;

Rückprallte das Geſchoß als wie von Marmelſtein

Und wühlte bis an Nagel ſich in den nahen Rain.

Dann warf auch König Gunther den ſchweren Eſchenſchaft

Er warf ihn kecken Muthes, doch nur mit ſchwacher Kraft

Den Schildrand traf er nur, und konnt' ihn nicht zerreißen

Waltari ſchüttelte. Da fiel das matte Eiſen.

Das war ein ſchlimmes Zeichen. Itzt griffen ſie zum Schwerte,

Doch grimmen Blicks Waltari ſich mit der Lanze wehrte.

Die Klingen waren kurz, ſie reichten nicht an ihn

Da fuhr ein ſchlimmer Plan dem König durch den Sinn.

Sein abgeſchoſſner Speer lag vor Waltaris Füßen,

Den hätt' er heimlich gern zu ſich zurückgeriſſen —

Er winkte mit dem Aug', daß Hagen vorwärts dringe,

Und ſtieß zurück zur Scheide die goldgeſchmückte Klinge,

Da ward die Rechte frei zum Diebsgriff — und den Schaft

Hielt er ſchon feſtgepackt — und hätt' ihn auch errafft.

Doch auf den Hagen ſtürmte Waltari plötzlich her

Und trat mit ſtarkem Fuß auf den gegriffnen Speer.

Der Ueberraſchung ward der König ſehr erſchrocken,

Die Kniee wankten ihm, ſein Athem wollte ſtocken,

[393]
Schon war der Tod ihm nah. Doch ſprang in ſchnellem Lauf

Ihm ſchirmend Hagen bei. Da ſtund' er zitternd auf,

Es ward der bittre Kampf itzt ungeſäumt erneut,

Feſt ſtand Waltari noch, doch ungleich war der Streit —

Er ſtand: ſo ſteht der Bär gejagt von wilder Hatze,

Unwillig vor der Meute und droht mit ſcharfer Tatze,

Und duckt das Haupt und knurrt. Weh dem der an ihn ſchwirrt:

Er preßt ihn und umarmt ihn bis er ſich nimmer rührt,

Scheu flieht der Rüden Schaar mit heulendem Gebelle. —

So fluthete die Schlacht ſchon auf der höchſten Welle,

Dreifache Noth des Todes auf jeder Stirne ſtand:

Die Wuth, die Laſt des Kampfes, und glüher Sonnenbrand.

Gepreßten Herzens ſchaute bereits Waltari um

Ob ſich kein Ausweg öffne. Zu Hagen rief er drum:

O Hagdorn grün im Laub, du magſt ſogern mich ſtechen

Und mir die Heldenkraft mit ſchlauen Sprüngen brechen

So ſchwerer Mühe ſatt will ich mit dir itzt ringen —

Und biſt du rieſenſtark, ich will dich näher bringen!

Er ſprach's und hochaufſpringend warf er die Lanze keck

Sie traf und riß ein Stück ihm von der Rüſtung weg,

Und ſtreifte ſeine Haut, doch nur ein wenig, an,

Dieweil gar ſtarken Panzer ſich Hagen umgethan.

Waltari aber riß das Schwert aus ſeiner Scheide

Und ſtürmt auf Gunther ein und ſchlug den Schild bei Seite —

So wunderſam gewalt'gen Schwertſchlag that er behende,

Daß er ihm Bein und Schenkel ganz von der Hüfte trennte.

[394]
Halbtodt auf ſeinem Schilde lag König Gunther da,

Selbſt Hagen wurde blaß, wie ſolchen Schlag er ſah.

Hoch ſchwang Waltari itzt die blutgefleckte Klinge,

Auf daß der wunde König den Todesſtreich empfinge,

Doch Hagen warf dem Hieb das eigne Haupt entgegen,

Da ſprühte von dem Helm hoch auf ein Funkenregen;

Der Helm war hart geſchmiedet. Drum brach das Schwert mit Klirren,

Durch Luft und Buſch und Gras zahlloſe Trümmer ſchwirren.

Waltari, wie ihm ſo die Klinge war zerſplittert,

Fuhr unwirſch auf, es ward ſein Herz von Zorn durchſchüttert,

Wegwarf verächtlich er den Griff — was ſollt' er nützen,

Ob er auch kunſtgefüget von Golde mocht' erblitzen?

Doch wie er unbedacht die Hand zum Wurf ausreckte,

That Hagen einen Hieb, der ſie zu Boden ſtreckte.

Da lag die tapfre Rechte, ſo furchtbar manchem Land,

So ſiegespreisgeſchmückt — nun blutend in dem Sand.

Ob zwar ein linker Mann — Waltari war noch nicht

Der Kunſt des Fliehens kundig, ſtarr blieb ſein Angeſicht,

Er biß den Schmerz zuſamm', und in den Schild einſchob er

Den blut'gen Stumpf, und ſchnell mit linker Fauſt erhob er

Das krumme Halbſchwert das er einſt im Hunnenland

Als Nothbehelf ſich um die rechte Hüfte band.

Das rächte ihn am Feind. Da ward dem grimmen Hagen

Sein rechtes Auge ganz aus dem Geſicht geſchlagen,

Zerſäbelt ward die Stirn — die Lippen aufgeſchliſſen,

Dazu ſechs Backenzähne ihm aus dem Mund geriſſen.

[395]
So ward der Kampf geſchlichtet — wohl durften beide ruh'n

Laut mahnten Durſt und Wunden, die Waffen abzuthun.

Da ſchieden hochgemuth die Helden aus dem Streit

An Kraft der Arme gleich und gleich an Tapferkeit.

Wahrzeichen ließ Jedweder zurück von dem Gefechte,

Hier lag des Königs Fuß — dort lag Waltaris Rechte,

Dort zuckte Hagens Aug': So hob an jenem Platz

Sich Jeder ſeinen Theil vom großen Hunnenſchatz.

Die beiden ſetzten ſich. Der dritte lag am Grunde.

Mit Blumen ſtillten ſie den Blutſtrom aus der Wunde.

Hiltgund der zagen Maid laut rief Waltari dann,

Die kam und legte guten Verband den Recken an.

Waltari drauf befahl: Jetzt miſch' uns einen Wein,

Wir haben ihn verdienet, er ſoll uns heilſam ſein.

Es ſei der erſte Trunk dem Hagen zugebracht,

Der war dem König treu und tapfer in der Schlacht.

Dann reich' ihn mir, der ich das Schwerſte hab' erlitten,

Zuletzt mag Gunther trinken der läſſig nur geſtritten.

Die Jungfrau folgt dem Winke, und bracht's dem Hagen dar,

Da ſprach der Held, wie ſehr er von Durſt gequält auch war:

Waltari, deinem Herrn, ſei erſt der Trunk gereicht,

Braver als ich und Alle hat der ſich heut' erzeigt!

[396]
Zwar müd, doch friſchen Geiſts ſaß itzt beim Wein geeint

Hagen der Dornige mit ſeinem alten Freund.

Nach Lärm und Kampfgetös, Schildklang und ſchweren Hieben

Zum Becher dort die Zwei viel Scherz und Kurzweil trieben.

Zukünftig, ſprach der Franke, magſt du den Hirſch erjagen,

O Freund! und von dem Fell den Lederhandſchuh tragen,

Und ſo du dir mit Wolle ausſtopfeſt deine Rechte

So meint noch mancher Mann, die Hand ſei eine ächte.

O weh, auch mußt fortan du, allem Brauch entgegen

Um deine rechte Hüfte das breite Schlachtſchwert legen,

Und will Hiltgunde einſt dir in die Arme ſinken,

So mußt du ſie verkehrt umarmen mit der Linken,

Und Alles was du thuſt, muß ſchief und linkiſch ſein ....

Waltari ihm erwiedert': O Einaug, halte ein!

Noch werd' ich manchen Hirſch als Linker niederſtrecken,

Doch dir wird nimmermehr des Ebers Braten ſchmecken.

Schon ſeh' ich queren Auges dich mit den Dienern ſchelten

Und tapfrer Helden Gruß mit ſcheelem Blick entgelten.

Doch alter Treu gedenkend ſchöpf' ich dir guten Rath:

Biſt du der Heimath erſt und deinem Heerd genaht,

Dann laß von Mehl und Milch den Kindleinbrei dir kochen,

Der ſchmeckt zahnloſem Mann und ſtärkt ihm ſeine Knochen.

So ward der alte Treubund erneut mit Glimpf und Scherz,

Dann trugen ſie den König, dem ſchuf die Wunde Schmerz,

Und hoben ſänftlich ihn auf's Roß und ritten aus,

Nach Worms die Franken zogen. Waltari ritt nach Haus.

[397]
Dort ward mit hohen Ehren begrüßt der junge Held,

Und bald ward auch Hiltgunde dem Treuen anvermählt.

Nach ſeines Vaters Tod thät er der Herrſchaft pflegen

Und führte dreißig Jahr ſein Volk mit Glück und Segen;

Noch in manch ſchwerem Kampfe gewann er Sieg und Ruhm

Doch ſtumpf iſt meine Feder und billig ſchweig ich drum.

Hochweiſer Leſer du, ſchenk meinem Werke Gnade.

Wohl gleicht mein rauher Reim dem Sang nur der Cicade,

Doch für das Höchſte iſt mein junger Sinn erglüht.

Gelobt ſei Jeſus Chriſt! — So ſchließt Waltaris Lied.


[398]

Fünfundzwanzigſtes Kapitel.
Ausklingen und Ende.



„So ſchließt Waltari's Lied.“ — Er hat brav geſungen, unſer
Einſiedel Ekkehard, und ſein Waltarilied iſt ein ehrwürdig Denkmal
deutſchen Geiſtes, die erſte große Dichtung aus dem Kreis heimiſcher
Heldenſage, die trotz verzehrendem Roſte der Zeit unverſehrt der Nach-
welt erhalten ward. Freilich ſind andere Töne darin angeſchlagen,
als in den goldverbrämten Büchlein, die der epigoniſche Poet ausheckt, —
der Geiſt großer Heldenzeit weht drin, wild und faſt ſchaurig, wie
Rauſchen des Sturmes im Eichwald, es klingt und ſprüht von
Schwerteshieb und zerſpelltem Helm und Schildrand ein Erkleckliches
und iſt von minniglichem Flötenton ſo wenig zu verſpüren, als von
angegeiſtetem Schwatzen über Gott und die Welt und ſonſt noch Eini-
ges: rieſenhafter Kampf und rieſenhafter Spaß, altes Reckenthum in
ſeiner ſchlichtfürchterlichen Art, ehrliche, fromme, ſchweigende Liebe und
ächter, dreinſchlagender Haß, das waren Ekkehard's Bauſteine; aber
darum iſt ſein Werk auch geſund und gewaltig worden und ſteht am
Eingang der altdeutſchen Dichtung, groß und ehrenfeſt wie einer jener
erzgewappneten Rieſen, die die bildende Kunſt ſpäterer Zeiten als
Thorhüter vor der Paläſte Eingang zu ſtellen pflegt.


Und wen die Herbigkeit alter, oft ſchier heidniſcher Anſchauung
unlieblich anmuthen möchte, gleich einem rauhen Luftzug an den Dünen
des Meers, draus der frackumhüllte Menſch Erkältung ſchöpft und ein
Hüftlein, der möge bedenken, daß Einer das Lied ſang, der ſelber in
der Hunnenſchlacht gefochten, und daß er's ſang, die Locken umſaust
vom Winde, der über die Schneefelder des Säntis geſtrichen, viel hun-
dert Klafter über den Niederungen des Thales, die Wolfshaut zum
Mantel, den Felsblock der Höhle zum Schreibtiſch, die Bärin zum
Zuhörer.


[399]

Es iſt Schade, daß die neckenden Geiſter und Kobolde ſchon lange
ihr frohſames Handwerk eingeſtellt haben, ſonſt möcht' es manch einem
Schreibersmann unſerer Tage nicht ungedeihlich ſein, wenn ihn plötz-
lich unſichtbare Hände vom Mahagonitiſch hinwegtrügen auf die grünen
Matten der Ebenalp; — dort droben, wo der alte Mann in ſeiner
Berggewaltigkeit dem Poeten in's Concept ſchaut, wo die Abgründe
gähnen, der Donner zwölffältig durch die Schluchten rollt, und der
Lämmergeier in einſam ſtolzem Kreiſen dem Regenbogen zufliegt, dort
muß Einer etwas Großes, Kerniges, Bärenmäßiges ſingen oder reuig
in die Kniee ſinken wie der verlorene Sohn und vor der gewaltigen
Natur bekennen, daß er geſündigt. — —


Unſere Erzählung neigt ſich zum Ende.


Es wär' ihr vielleicht ein Gefallen geſchehen, wenn Ekkehard jetzt
nach Vollendung ſeines Sanges eines ſänftlichen Todes verblichen
wäre: das hätte einen gar rührenden Schluß gegeben, wie er oben
vor ſeiner Höhle geſeſſen, den Blick nach dem Bodenſee, die Harfe an
Fels gelehnt, die Pergamentrolle in der Rechten, und das Herz wär'
ihm gebrochen, und es hätt' ſich ein ſchön Gleichniß daran geknüpft,
wie der Sänger vom Lodern des Geiſtes in ihm aufgezehrt ward und
dahin ſtarb, gleich der Kerze, die zu Aſche ſich verzehrt, eben da ſie
Licht gewährt, — aber den Gefallen erwies Ekkehard ſeinem Ange-
denken bei der Nachwelt nicht.


Aechte Dichtung macht den Menſchen friſch und geſund. Und
Ekkehard's Wangen hatten ſich in währender Arbeit ſtrahlend geröthet,
und es war ihm ſo wohl geworden, daß er oftmals den Arm aus-
reckte als woll' er einen Wolf oder Bären mit einem Schlag der
Fauſt niederſchmettern. Wie aber ſein Waltari durch Noth und Todes-
wunden glücklich zu Ende geführt war, da jubelte er, daß die Tropf-
ſteine in ſeiner Höhle verwundert einander zublinzen mochten, den
Ziegen im Stall warf er eine doppelte Atzung an Futter zu, dem
Handbuben aber übermachte er etliche Silberpfennige, daß er hinüber-
ſteige als Botenknabe nach Sennwald im Rheinthal und einen Schlauch
röthlichen Weines beſchaffe. Es war damals wie jetzt: iſt das Buch
zu End' gebracht, der Schreiber einen Freudſprung macht.280)


Darum ſaß er Abends auf der Ebenalp beim alten Senn und
trank ihm tapfer zu und nahm ihm das Alphorn vom Nacken und
[400] trat auf ein Felsſtück, und blies nach dem fernduftigen Hegauer Berg-
gipfel hinüber, frohgewaltig, als woll' er die Herzogin herausblaſen
auf den Söller, und Praxedis dazu, und wolle ſie mit Lachen
begrüßen.


Wenn ich wieder auf die Welt käme, ſprach er zu ſeinem Freund
dem Alpmeiſter, und hätte vom Himmel herniederzufallen und die
Wahl wohin, ich glaube, ich ließ mich zum Wildkirchlein fallen, und
nirgend anders hin.


Ihr ſeid nicht der Erſte, antwortete lachend der Alte, dem's bei
uns wohl behagt hat. Wie der Bruder Gottſchalk noch lebte, ſind
einmal fünf welſche Mönche heraufgekommen zum Beſuch, die haben
ein beſſeres Weinlein mitgebracht als das von Sennwald iſt, und ſind
drei Tage oben geblieben und haben Sprünge gemacht, daß ihnen die
Kutten zu Häupten flogen; erſt wie es wieder bergab ging, haben ſie
das Antlitz in die gehörigen Falten gelegt, und einer hat noch eine
lange Rede an unſere Heerden gehalten: Ihr guten Ziegen, ſeid ver-
ſchwiegen, ſprach er, der Abt von Novaleſe braucht nichts von unſerer
Geiſter Entrückung zu wiſſen.


Aber ſtehet mir einmal Rede, Bergbruder, was habt Ihr in dieſen
letzten Tagen ſo geduckt in Eurer Höhle zu ſitzen gehabt? Ich hab'
Euch wohl geſehen, wie Ihr viel Hakenfüße und Runen auf Eſels-
haut gezeichnet, Ihr habt doch keinen böſen Zauber vor gegen unſere
Heerden und Berge? Sonſt ... er ſah ihn drohend an.


Ich hab' ein Lied aufgeſchrieben, ſprach Ekkehard.


Der Senn ſchüttelte das Haupt.


Das Schreiben! das Schreiben! brummte er. Mich geht's nichts
an und der hohe Säntis wird ſo Gott will noch auf Enkel und Ur-
enkel herabſchauen, ohne daß ſie wiſſen wie man Griffel und Feder
handhabt, aber das Schreiben kann unmöglich vom Guten ſein. Der
Menſch ſoll aufrecht einhergehen, wenn er ein Ebenbild Gottes ſein
will, wer aber ſchreibt, muß ſitzen und den Rücken biegen, iſt das
nicht das Gegentheil von dem was Gott angeordnet? Alſo muß es
vom Teufel kommen. Seht Euch vor, Bergbruder! und wenn Ihr
mir noch einmal geduckt in Eurer Höhle ſitzen wollet wie ein Mur-
melthier, und ſchreiben: beim Strahl! ich fahr Euch als Alpmeiſter
dazwiſchen und reiß Euch Eure Blätter in Fetzen, daß ſie der Wind
[401] verweht in die Tannenwipfel. Ordnung muß ſein hier oben und ein-
fach Weſen, wir leiden nichts Ausgeſpitztes!


Ich will's nicht wieder thun, ſagte Ekkehard lachend und reichte
ihm die Hand.


Der brave Alpmeiſter war am Sennwalder Rothwein warm
geworden.


Und bei Donner und Blitz, ſchalt er weiter, was ſoll das heißen,
ein Lied aufſchreiben? Narrenpoſſen! Schreibt's einmal auf, wenn
Ihr könnt!


Er hub einen Jodelgeſang an in ſo unmodulirt gröblichen Natur-
lauten, daß auch das geübteſte Ohr einen mit Wort oder Schriftzug
darzuſtellenden Ton vergeblich darin zu entdecken vermocht hätte.


— — Zur ſelben Stunde ſaß zu Paſſau an der Donau im reblaub-
umrankten Gartenſtüblein der Biſchofspfalz ein Mann in der Friſche
ſproſſenden Mannesalters vor einem ſteingehauenen Tiſch. Ein un-
nennbar feiner Zug lag um den von braunem Bart überdeckten
Mund, üppige Locken wallten unter dem ſammtnen Barett herfür,
ſeine dunkeln Augen folgten dem Zuge der ſchreibenden Rechten. Zwei
blonde Knaben ſtunden neugierig an der hölzernen Armlehne ſeines
Stuhles, und ſchauten ihm über die Schulter ... es war ſchon manch
ein Blatt beſchrieben von Fahrten und Stürmen und Noth und
tapferer Helden Tod — er ſchrieb jetzo am letzten. Und dauerte nicht
lang, ſo that er die Feder weg und trank einen langen tiefen ernſten
Schluck ungriſchen Weines aus dem ſpitzen Pokal.


Iſt's jetzt fertig? ſprach der eine Knabe.


Es iſt fertig! nickte der Schreibersmann, Alles fertig, wie es ſich
hub und wie es kam und wie es ein bitter Ende nahm.


Er reichte ihm die Blätter, und jubelnd ſprangen die Knaben zu
ihrem Ohm dem Biſchof Pilgerim und wieſen ihm die Schrift: Und
du ſelber ſtehſt auch drin, theurer Oheim, riefen ſie, „der Biſchof mit
ſeiner Nichte ritt auf Paſſau an“ — zweimal ſtehſt du drin und dreimal!


Und Pilgerim der Biſchof ſtrich ſeinen weißen Bart und ſprach:
Ihr dürft euch freuen, liebe Neffen, daß euch der Conrad die Mähr
gebrieft, und wenn der Donauſtrom drei Tage und drei Nächte mit
Gold fließen wollte, ihr möchtet nichts Koſtbareres drin fiſchen, denn
dieſen Sang, das iſt die größeſte Geſchichte, die auf der Welt je geſchah.


D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 26
[402]

Der Schreibersmann aber ſtund mit verkläretem Antlitz unter dem
Rebgerank und Geisblattgewinde des Gartens und ſchaute in die wel-
ken rothen Blätter, die der Herbſt von den Zweigen geſchüttelt, und
ſchaute hinab in die fluthende Donau, und im rechten Ohr hub ſich
ihm ein helles Klingen, denn zu derſelbigen Zeit hatte Ekkehard auf
luftiger Alpenhöhe eine hölzerne Schaale mit Wein gefüllt, und zum
alten Senn geſprochen: Ich hab' einſt einen guten Geſellen gehabt,
einen beſſern findet man in keines Herren Land, der hieß Conrad;
und mit Frauenlieb und Weltruhm iſt's nichts, aber der alten Freund-
ſchaft bleib' ich zu Dank verpflicht't bis in Tod, Ihr ſollt mit mir
ſein Wohl trinken, das iſt Einer, der würde dem Säntis Freud'
machen, wenn er hier wäre! Und der Senn hatte die Schaale geleert
und geſagt: Bergbruder, ich glaub's Euch. Er ſoll leben!


Darum erklang dem Mann in Paſſau ſein Ohr; er aber wußte
nicht warum. Und ſein Ohr klang noch, da kam der Biſchof Pilgerim
einhergewandelt, und hinter ihm brachte der Stallmeiſter ein weiß
Rößlein, das war altersſchwach und ſchäbig, und wenn man ihm näher
in's Geſicht ſchaute, war's auch am linken Aug' blind, und der Bi-
ſchof nickte mit ſeiner ſpitzen Inſul und ſprach gnädiglich: Meiſter
Conrad, was Ihr meinen Neffen zu Liebe geſchrieben, ſollt Ihr nicht
umſonſt geſchrieben haben, mein erprobtes Streitroß ſei Euer!


Da zuckte der Meiſter Conrad wehmüthig lächelnd die feinen
Lippen und dachte: Es geſchieht mir ſchon Recht, warum bin ich ein
Dichter worden! laut aber ſprach er: Gott lohn's Euch, Herr Biſchof,
Ihr werdet mir wohl ein paar Tage Urlaub ſchenken zum Ausruhen
von der Arbeit.


Und er ſtreichelte das alte weiße Rößlein, und ſchwang ſich darauf
ohne eine Antwort abzuwarten, und ſaß ſtolz und anmuthsvoll im
Sattel und brachte ſein demüthig Thier noch zu einem leidlichen Trab
und ritt von dannen.


Ich will meinen beſten Stoßfalken gegen ein Paar Turteltauben
verloren geben, ſprach der ältere der Knaben, wenn er nicht wiederum
nach Bechelaren reitet zur Markgrafsburg. Er hat immer geſagt: ſo
gut ich meinen gnädigen Herrn den Biſchof in's Lied hereinſetze, kann
ich auch der Frau Markgräfin Gotelinde und ihrer ſchönen Tochter
drin ein Denkmal aufrichten, die danken mir's doch am feinſten!


[403]

Derweil war der Meiſter Conrad ſchon dem Thore der Biſchofs-
pfalz entritten; er ſchaute ſehnſüchtig donauabwärts und hub an mit
heller Stimme zu ſingen:


Da ſprach unverhohlen derſelbe Fiedelmann:

O Markgraf, reicher Markgraf, Gott hat an Euch gethan

Nach allen ſeinen Gnaden, hat er Euch doch gegeben

Ein Weib, ein ſo recht ſchönes, dazu ein wonniglich Leben.

Und wär' ich nun ein König, fing er wieder an,

Und ſollte Kronen tragen, zum Weibe nähm' ich dann

Eure ſchöne Tochter, die wünſchte ſich mein Muth,

Sie iſt ſo ſüß zu ſchauen, ſo minniglich ...

aber bei dieſen Worten wirbelte ihm eine Staubwolke entgegen, daß
ſeine Augen unfreiwillig in Thränen ſtanden und ſein Geſang ver-
ſtummte.


Die Strophen waren aus dem Werke, wofür ihn der Biſchof ſo
eben gelohnt; das war ein Heldenbuch in deutſcher Sprache und hieß:
der Nibelungen Lied!... 281)


— Mälig ging's in Herbſt hinein. Und wenn der auch abendlich
ein glühender Roth an die Himmelswölbung malt als andere Jahres-
zeit, ſo kommen doch kühle Lüfte in ſeinem Gefolg, daß, wer feſtgeſie-
delt auf den Alpen, ſich anſchickt, zu Thal zu fahren, und kein Wolfs-
pelz vor fröſtelndem Klappern der Zähne ſchützt.


Friſcher Schnee glänzte auf allen Kuppen und gedachte für dieſes
Jahr nimmer zu zergehen. Ekkehard hielt den Sennen die letzte
Bergpredigt. Hernach ſtreifte Benedicta an ihm vorbei. Jetzt iſt's
aus mit unſerer Herrlichkeit da oben, ſprach ſie, morgen zieht Menſch
und Thier in's Winterfutter. Wo geht Ihr hin, Bergbruder?


Die Frage fiel ihm ſchwer auf's Herz.


Ich bliebe am liebſten hier, ſprach er. Benedicta lachte hell auf.
Man merkt, ſagte ſie, daß Ihr noch keinen Winter oben verſeſſen
habt, ſonſt würd' es Euch nach keinem zweiten gelüſten. Ich möcht'
Euch wohl ſehen, eingeſchneit im Bruderhäuslein, und die Kälte ſchleicht
durch alle Ritzen, daß Ihr zittert wie ein Espenlaub, die Lawinen
krachen rings umher und die Eiszapfen wachſen Euch in Mund her-
ein ... Und wenn Ihr einmal zu Thal wollet und Etwas zu eſſen
holen, da liegt der Schnee haushoch auf dem Pfad, ein Schritt —
26*
[404] und Ihr ſinkt bis an's Knie ein, ein zweiter — traladibidibidib! ſo
ragt nur noch die Kapuze hervor und man ſieht von der ſchwarzen
Kutte nicht mehr als von einer Fliege, die in die Milchſuppe gefallen
iſt ... Und dieſes Jahr hat's gar ſo viel Spiegelmeiſen gehabt, das
gibt einen ſtrengen Winter! Hu, wie freu' ich mich auf die langen
Abende, da ſitzen wir beim Kienſpanlicht um den warmen Ofen, und
ſpinnen Flachs, das Rädlein knurrt, das Feuer brummt, und wir er-
zählen die ſchönſten Geſchichten, und wer ein braver Bub iſt, darf
zuhören. Es iſt Schad, daß Ihr kein Senn geworden ſeid, Bergbruder,
ich würde Euch auch mitnehmen zur Stubeten.


Es iſt Schade, ſprach Ekkehard.


Folgenden Tages ging's in feſtlichem Zuge thalab. Der alte
Senn hatte ſein feinſtes Linnen angethan und ſah vergnügt drein wie
ein Patriarch, die rundliche Lederkappe auf dem Haupt, den ſchönſten
Melknapf über der linken Schulter, ſchritt er voraus, und ſang den
Kuhreihen jugendhell und tapfer, ihm folgten Benedicta's Ziegen, die
Plänkler der großen Heerſchaar, die Hirtin mit ihnen, die letzten Alpen-
roſen mit ſchon vergilbten Blättern in's dunkle Gelock geflochten.
Jetzt kam die ſchwarzgefleckte große Suſanna, die Königin der Heerde,
als Zeichen des Vorrangs die ſchwere Glocke um den Hals; ehrbar
und ſtolz war ihr Gang und wenn eine der Nachfolgenden ihr vor-
auszuſchreiten wagte, ſo warf ſie ihr einen verächtlichen Hornſtoßdro-
henden Blick zu, daß die Anmaßende erſchrocken zurückwich. Schwer-
fällig ſchritten die anderen bergab: Ade du ſchmackhaft Alpengras, du
fröhlich Wiederkäuen! dachte manch ein fettgeworden Kühlein und
knickte ſich im Vorbeiſtreifen noch die letzten Blumen am Pfade.


Der Stier trug den einfüßigen Melkſtuhl zwiſchen den Hörnern,
auf des Gewaltigen Rücken ſaß der Handbub verkehrt und hielt die
ausgeſtreckten Finger beider Hände an ſeine nicht allzufein geformte
Naſe, und rief zu den Berggipfeln hinauf: Der Sommer iſt gegangen
und hat den Herbſt gebracht, jetzt wünſchen wir einand eine gute gute
Nacht; ihr ſtille ſchneeige Herren lebt wohl itzt allerſeit, ich wünſch'
euch wohl zu ſchlafen die ganze Winterszeit! Ein Schlitten mit der
Sennhütte Geſchirr und Ausrüſtung ſchloß den Zug.


Und Sennen und Heerde und Ziegen verſchwanden im Tannen-
wald, verhallend tönte Hirtenſang und Schellengeläut aus der Ferne,
[405] dann ward's ſtill und einſam wie in jener Abendſtunde, da Ekkehard
zuerſt vor dem Kreuz des Wildkirchleins gekniet war. Er trat in
ſeine Klauſe. Es war ihm in ſeinem ſtillen Bergleben klar geworden,
daß die Einſamkeit nur eine Schule für's Leben iſt, nicht das Leben
ſelbſt, und daß werthlos verderben muß, wer in der grimmen Welt
immerdar nur müßig in ſich hineinſchauen will.


Es hilft nicht, ſprach er, auch ich muß wieder zu Thale. Der
Schnee weht zu kalt und ich bin zu jung, kann kein Einſiedel bleiben.


Fahr' wohl, du hoher Säntis, der treu um mich gewacht,

Fahr' wohl, du grüne Alpe, die mich geſund gemacht.

Hab' Dank für deine Spenden, du heil'ge Einſamkeit,

Vorbei der alte Kummer — vorbei das alte Leid.

Geläutert ward das Herze, und Blumen wuchſen drin:

Zu neuem Kampf geluſtig ſteht nach der Welt mein Sinn.

Der Jüngling lag in Träumen, dann kam die dunkle Nacht;

In ſcharfer Luft der Berge iſt jetzt der Mann erwacht!

Er griff ſeine Reiſetaſche und legte ſeine wenige Habe drein. Sein
Theuerſtes, das Waltarilied, ſorgſam umhüllt, that er oben drauf;
ein Lächeln umſpielte ſein Antlitz, wie er noch etliche Gerätſchaften
umherſtehen ſah. Auf dem Felsrand ſtund die halbausgeſchriebene
Flaſche mit Schreibſaft, die griff er und warf ſie hinaus in die Tiefe,
daß ſie in glitzernde Splitter zerſchmettert ward. Die dreieckige Harfe
lehnte wehmüthig an der Raſenbank vor der Höhle: Du ſollſt zurück-
bleiben und dem, der nach mir kommt, ſeine ſtillen Stunden verſüßen,
ſprach er. Aber kling' ihm nicht matt und nicht ſüß, ſonſt mög' es
aus den Tropfſteinen in deine Saiten träufen, daß ſie einroſten und
der Sturm von den Gletſchern drüber fahren, daß ſie berſten!


Ich hab' ausgeſungen.


Er hängte die Harfe an einen Nagel.


In währender Klausnerzeit hatte er ſich einen ſtarken Bogen
geſchnitzt, Köcher und Pfeile waren noch aus Gottſchalks Nachlaß dro-
ben, die nahm er jetzt als gut Gewaffen zur Hand, — gerüſtet, im
Wolfsmantel ſtund er vor der Klauſe und that noch einen langen,
langen Blick nach der Stätte glücklicher Sommerfriſche und hinüber
zu den vieltheuern Gipfeln und hinunter, wo aus dem Tannendunkel
der Seealpſee meergrün aufglänzte. Es war ſo ſchön wie immer.
[406] Der Mauerſpecht, der die gleiche Bergritze zu ſeiner Behauſung er-
koren, flog ihm traulich auf die Schulter und pickte ihm mit häm-
merndem Schnabel die Wangen, dann ſchwang er ſein ſchwarzroth
Gefieder hinauf in die blauen Lüfte, als woll' er dem hohen Säntis
des Einſiedels Abzug vermelden.


Aber Ekkehard ſtieß ſeinen Speer auf und wandelte den gewohn-
ten ſchwindelnden Pfad hinunter. An der Felswand zum Aeſcher hielt
er noch einmal und winkte hinauf zu ſeiner Siedelei und that einen
Jodelruf, daß es am Kamor erklang und am hohen Kaſten und
rollender Wiederhall an der Maarwieſe vorbei zog bis in die fernſten
Winkel des Gebirges. Der kann's! ſprach ein heimkehrender Hirt
unten im Thal zu ſeinem Gefährten.


Schier wie ein Geisbub! ſagte der Andere als Ekkehard jenſeits
der Felswand verſchwand.


— — Der aufgehende Tag hatte ſchon etliche Mal ſeine Strah-
len auf das Wildkirchlein geworfen, das traurig einem verlaſſenen
Neſt gleich in's Thal hinunterſchaute. Der Bergbruder kam nimmer
zurück.


Am Bodenſee rüſtete man zur Weinleſe. An einem milden Abend
ſaß Frau Hadwig im Gärtlein ihrer Burg, die treue Praxedis zur
Seite. Die Griechin hatte unerquickliche Zeiten. Ihre Gebieterin
war verſtimmt, mißzufrieden, unzugänglich. Auch heute wollte ein
Geſpräch nicht gelingen. Es war ein ſchlimmer Gedächtnißtag.


Heute iſt's ein Jahr, hub Praxedis ſcheinbar gleichgiltig an, daß
wir über den Bodenſee fuhren und beim heiligen Gallus anſprachen.
Die Herzogin ſchwieg. — Es iſt viel geſchehen ſeitdem, wollte Praxe-
dis beifügen — das Wort verhauchte auf den Lippen.


Wißt Ihr auch, gnädige Herrin, was die Leute von Ekkehard ſa-
gen, fuhr ſie nach geraumer Weile fort.


Frau Hadwig ſchaute auf. Es zuckte um ihre Lippen. Was
ſagen die Leute? ſprach ſie gleichgiltig.


Herr Spazzo hat neulich den Abt von Reichenau getroffen, er-
zählte Praxedis, der ſagte: Wiſſet Ihr auch etwas Neues? Den Alpen
iſt Heil widerfahren, das Joch des Säntis ertönt von Lyraklang und
Dichtergezwitſcher, ein neuer Homer hat ſich droben eingeniſtet, und
wenn er wüßte, in welchen Höhlen die Muſen hauſen, ſo könnt' er
[407] ihren Reigen anführen wie ein cynthiſcher Apollo.282) Und wie Herr
Spazzo kopfſchüttelnd erwiederte: was geht das mich an? da ſprach
der Abt: es iſt Euer Ekkehard, aus der Kloſterſchule von Sanct
Gallen hat's die Fama zu uns getragen. Herr Spazzo hat lachend
dazu geſagt: wie kann der ſingen, der nicht einmal erzählen kann?


Die Herzogin war aufgeſtanden. Schweig! ſprach ſie, ich will nichts
davon wiſſen. Praxedis kannte das Zeichen ihrer Hand und ging be-
trübt von dannen.


Frau Hadwig's Herz aber dachte anders als ihre Zunge ſprach.
Sie trat an des Gärtleins Mauerwehr und ſchaute hinüber nach den
helvetiſchen Bergen. Dämmerung war eingebrochen, ſchwerfällige lange
ſtahlgraue Wolkenſtreifen ſtanden unbeweglich über dem Abendroth,
wie darauf genagelt, das zitterte und flammte wehmüthig drunter vor.
Im Rinnen und Zerrinnen des letzten Tagesſtrahls ward auch ihr
Denken weich. Ihr Auge blieb drüben auf dem Säntis haften, —
es war ihr als hätte ſie eine Erſcheinung, als thäte ſich der Himmel
auf und ſeine Engel kämen durch die Lüfte gefahren und ſenkten ſich
hernieder zu jenen Höhen und brächten einen Mann getragen im
wohlbekannten Mönchsgewand — und der Mann war blaß und tod
und ein Lichtglanz, ſchön und lauter, umſchwebte das luftige Geleit ...


Aber Ekkehard war nicht geſtorben.


Ein ziſchender leiſer Ton ſchreckte die Herzogin auf, ihr Auge
ſtreifte an dem Felsabhang vorüber, über den einſt der Gefangene
entronnen, eine dunkle Geſtalt entſchwand im Schatten, ein Pfeil kam
über Frau Hadwig's Haupt geflogen und ſank langſam zu ihren Füßen
nieder.


Sie hob das wunderſame Geſchoß auf. Nicht Feindeshand hatte
es dem Bogen entſchnellt, feine Blätter Pergamentes waren um den
Schaft gewunden, die Spitze umhüllt mit einem Kränzlein von Wie-
ſenblumen. Sie löste die Blätter und kannte die Schrift.


Es war das Waltarilied. Auf dem erſten Blatt ſtund mit blaß-
rothen Buchſtaben geſchrieben: Der Herzogin von Schwaben ein
Abſchiedsgruß
! und dabei ſtund der Spruch des Apoſtel Jacobus:
Selig der Mann, der die Prüfung beſtanden!


Da neigte die ſtolze Frau ihr Haupt und weinte bitterlich. —



[408]

Hier endet unſere Geſchichte.


Ekkehard zog in die weite Welt, er hat den hohen Twiel nimmer
geſehen. Auch ſein Kloſter Sanct Gallen nicht. Er hatte ſich zwar
überlegt, ob er nicht bußfertig wieder eintreten wolle, wie er von den
Alpen niederſteigend den bekannten Mauern nahe gekommen war.
Aber es fiel ihm ein Sprichwort ſeines alten Alpmeiſters ein: wenn
Einer lang Senn war, wird er nimmer gern Handbub, und er ging
vorbei. Man hat ſpäter am Hofe der ſächſiſchen Kaiſer Viel von
einem Ekkehard gehört, der ein ſtolzer trotziger in ſich gekehrter Mann
geweſen, bei frommem Gemüth von tiefer Verachtung der Welt be-
ſeelt, aber lebensfriſch und gewandt, in jeglicher Kunſt erfahren. Er war
des Kaiſers Kanzler, erzog deſſen jugendlichen Sohn, ſein Rath galt
viel in des Reichs Geſchäften. In Kurzem, ſchreibt ein Geſchichtſchreiber
von ihm, erſchien er ihnen als ein ſo Hervorragender, daß es durch
Aller Mund ging, ſein warte noch die höchſte Würde der Kirche.


Die Kaiſerin Adelheid wandte ihm ihre volle Hochachtung zu.283)
Er war auch einer der Haupturſächer, daß der übermüthige Dänen-
könig Knut mit Heeresmacht überzogen ward.


Es iſt unbekannt, ob dies derſelbe Ekkehard war, von dem unſere
Geſchichte erzählte.


Andere haben auch behauptet, es ſeien Mehrere des Namens Ekke-
hard im Kloſter Sanct Gallen geweſen, und der den Waltari dich-
tete, ſei nicht der nämliche, der die Herzogin Hadwig des Lateins
unterwies. Aber wer der Geſchichte, die wir jetzt glücklich zu Ende
geführt, aufmerkſam folgte, weiß das beſſer. —


Von den weiteren Schickſalen der Uebrigen, die unſere Erzählung
in buntem Wechſel der Geſtalten vor des Leſers Auge geſtellt hat,
iſt wenig zu berichten.


Die Herzogin Hadwig vermählte ſich nicht wieder und erreichte in
frommem Wittwenſtand ein hohes Alter. Sie ſtiftete ſpäter ein be-
ſcheidenes Kloſter auf dem hohen Twiel und vergabte ihm ihre Güter
in allemanniſchen Landen. Ueber Ekkehard durfte in ihrer Gegen-
wart nie mehr geſprochen werden; aber das Waltarilied ward fleißig
von ihr geleſen und war ihre ſtete Tröſteinſamkeit; nach einer un-
verbürgten Ausſage der Mönche von Reichenau ſoll ſie es ſogar faſt
ganz auswendig gewußt haben.


[409]

Praxedis diente ihrer Herrin noch etliche Jahre getreu, aber mälig
und mälig ſtieg eine unbezwingliche Sehnſucht nach ihrer ſonnigen
farbenprächtigen Heimath in ihr auf, und ſie behauptete, die ſchwä-
biſche Luft nimmer ertragen zu können. Reich beſchenkt ward ſie von
der Herzogin verabſchiedet; Herr Spazzo der Kämmerer gab ihr ein
ritterlich ehrſam Geleite bis gen Venetia. Eine griechiſche Galeere
trug die immer noch anmuthige Jungfrau von der Stadt des heiligen
Marcus gen Byzanzium. Die Erzählungen, die ſie dort machte vom
Bodenſee und den wilden treuen Barbarenſeelen284) an ſeinen Ufern,
wurden von ſämmtlichen Kammerfrauen am griechiſchen Kaiſerhof mit
bedenklichem Kopfſchütteln aufgenommen, als ſpräche ſie von einem
verzauberten Meer und einem Lande der Fabel.


Moengal der Alte ſorgte noch eine geraume Zeit für das See-
lenheil ſeiner Pfarrkinder. Als die Hunnen wieder mit räuberiſchem
Einfall drohten, beſchäftigte er ſich lange mit einem Plan zu ihrem
Empfang. Er ſchlug vor, auf dem Blachfeld etliche hundert tiefe
Fallgruben zu graben, ſie mit Baumzweigen und Farrenkraut zu
überdecken und hinter ihnen in Schlachtordnung den anſprengenden
Feind zu erwarten, auf daß Roß und Reiter in jähem Sturze zu
Schanden würden. Die ſchlimmen Gäſte ließen ſich aber nicht wieder
im Hegau blicken und erſparten dem Leutprieſter das Vergnügen,
ihnen mit wuchtigen Keulenſchlägen die Schädel zu zertrümmern.
Ein ſanfter Tod ereilte den alten Waidmann, als er gerade von
einer wohlgelungenen Falkenjagd auszuruhen gedachte.


Auf ſeinem Grab im Schatten der grauen Pfarrkirche wuchs eine
Stechpalme, die ward ſo knorrig und groß, wie man früher keine
geſehen, daß die Leute ſagten, es müſſe ein Ableger von ihres Pfarr-
herrn braver Keule Cambutta ſein.


Audifax der Ziegenhirt lernte die Goldſchmiedkunſt und zog hin-
über nach Konſtanz an des Biſchofs Sitz und ſchuf viel ſchöne Ar-
beiten. Er führte die Gefährtin ſeines Abentheuers als angetrautes
Ehgemahl heim, die Herzogin war der Taufpathe ihres erſten Söhnleins.


Burkard der Kloſterſchüler ward ein gefeierter Abt des ſanct
galliſchen Gotteshauſes285) und verfertigte bei feierlichen Anläſſen
noch manches Dutzend gelehrter lateiniſcher Verſe, mit denen jedoch, Dank
der zerſtörenden Unbill der Zeit, die Nachwelt verſchont geblieben iſt.


[410]

... Und Alle ſind längſt Staub und Aſche, die Jahrhunderte
ſind in raſchem Flug über die Stätten weggebraust, wo ihre Ge-
ſchicke ſich abſpannen, und neue Geſchichten haben die alten in Ver-
geſſenheit gebracht.


Der hohe Twiel hat noch Vieles erleben müſſen in Kriegs- und
Friedensläuften; zu manch einem tapferen Reiterſtücklein ward aus
ſeinen Thoren geritten und manch ein gefangener Mann trauerte in
ſeinen Gewölben, bis auch der ſtolzen Feſte ihr Stündlein ſchlug und
an einem ſchönen Maientag der Berg in ſeinem Innerſten zuſam-
menſchütterte und von Feindeshand geſprengt Thurm und Mauer
in die Lüfte flog.


Jetzo iſt's ſtill auf jenem Gipfel, die Ziegen weiden friedlich
unter den rieſigen Trümmerſtücken, — aber über dem glänzenden
Bodenſee grüßt der Säntis aus blauer Ferne ſo anmuthig und groß
herüber wie vor viel hundert Jahren, und es iſt immer noch ein ver-
gnüglich Geſchäft, in's ſchwellende Gras gelagert eine Umſchau zu
halten über das weite Land.


Und der dies Büchlein niedergeſchrieben, iſt ſelber manch einen
guten Frühlingsabend droben geſeſſen, ein einſamer fremder Gaſt,
und die Krähen und Dohlen flatterten höhniſch um ihn herum als
wollten ſie ihn verſpotten, daß er ſo allein ſei, und haben nicht ge-
merkt, daß eine bunte und ehrenwerthe Geſellſchaft um ihn verſam-
melt war, denn in den Trümmern des Gemäuers ſtanden die Ge-
ſtalten, die der Leſer im Verlauf unſerer Geſchichte kennen gelernt,
und erzählten ihm Alles, wie es ſich zugetragen, haarſcharf und ge-
nau, und winkten ihm freundlich, daß er's aufzeichne und ihnen zu
neuem Daſein verhelfe im Gedächtniß einer ſpätlebenden eiſenbahn-
durchſausten Gegenwart.


Und wenn es ihm gelungen iſt, auch dir, vieltheurer Leſer, der
du geduldig ausgehalten bis hieher, ein anſchaulich Bild zu entwerfen
von jener fernen abgeklungenen Zeit, ſo iſt er für ſeine Mühe und
einiges Kopfweh reichlich entſchädigt. Gehab' dich wohl und bleib' ihm
fürder gewogen!



[]

[][][][]
Notes
*)
Ekkehardi IV. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Mon. II. 98.
*)
Ποϑεν, φιλη πελεια
Ποϑεν ποϑεν πετασαι;
u. ſ. w.
*)
Graulicher Hunger nach Golde, wozu nicht zwingſt du der Menſchen
nimmerſattes Gemüth?
*)
Der ich kaum ein Lateiner bin, ein Grieche möcht' ich werden.
*)
Ich finde keinen Vers mehr, es ſtockt der Rede Fluß,

Zu tief [h]at mich erſchreckt der Herrin ſüßer Kuß.
*)
Die bei des Abtes Zellen

Sind heidniſche Geſellen,

Grobe ungeſcheidte

Hochmüth'ge Bauersleute.
Notes
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277).
278).
279).
280).
281).
282).
283).
284).
285).
1).
.. „Purchardus autem, dux Suevorum, Sueviam quasi
tyrannice regens.“ Ekkehardi IV. casus S. Galli cap. 3.
bei
Pertz monumenta Germaniae historica II. 104. „hic cum esset
bellator intolerabilis.“ Witukind lib. I. c. 27.
2).
.. „cum jam esset decrepitus.“ Ekkeh. casus S. Galli
cap. 10.
3).
„Hadawiga, Henrici ducis filia, Suevorum post Purchar-
dum vivum dux vidua, cum Duellio habitaret, femina admodum
quidem pulchra, nimiae severitatis cum esset suis, longe late-
que terris erat terribilis.“ Ekkeh. casus S. Galli cap. 10.
bei
Pertz II. 122.
4).
camisia clizana. pallium canum vel sapphirinum. Das
Coſtüm der Vornehmen war mannigfacher Veränderung durch die Mode
unterworfen. Zu Karl des Großen Zeiten trug man an den Füßen
Schuhe, um die Beine hohe, camaſchenartig zugeſchnürte Binden, ein
hemdartig linnenes Unterkleid und ein wollenes Oberkleid oder einen
langen, von den Schultern bis zu den Abſätzen reichenden Mantel,
der durch Ausſchnitt an den Seiten den Armen freie Bewegung ließ.
Der lange Mantel wurde aber bald gegen einen kürzeren vertauſcht,
der ſich indeß auch nicht als zweckmäßig bewährte. Vgl. des mona-
chus San Gallensis gesta Karoli M. lib. I. c. 34.
bei Pertz
[412] Mon. II. 747.
Den Miniaturbildern ſanctgalliſcher Handſchriften,
z. B. des psalterium aureum, iſt mannigfacher Aufſchluß über
gleichzeitige Trachten zu entnehmen.
5).
Wehrgeld — nach mittelalterlichem Strafrecht, wonach faſt alle
Vergehen und Verbrechen mit Geld zu ſühnen waren, iſt ein dem
Verletzten zu perſönlicher Genugthuung; Buße (Wette, fredum), ein
zur Sühne des geſtörten Friedens dem Volk, ſpäter dem Landesherrn
zu entrichtendes Strafgeld. Die alten Volksrechte verzeichnen auch bei
allen Gattungen von Thieren ſorgfältig deren Wehrgeld, das im Fall
von Tödtung oder Beſchädigung der Eigenthümer zu erheben hatte.
Wenn übrigens der Schaden mehr durch Zufall zugefügt wurde, lag
kein Friedbruch vor, und es würde Herrn Spazzo ſehr ſchwer gefallen
ſein, die Verurtheilung des für ſeinen Wolfshund verantwortlichen
Herrn von Fridingen zu einer Buße durchzuſetzen.
6).
Brautwerbungen zwiſchen dem byzantiniſchen Hofe und den
deutſchen Großen kamen in dieſer Zeit wiederholt und wechſelſeitig
vor. Oft wurden deutſche Biſchöfe in ſolcher Miſſion nach Conſtan-
tinopel geſendet, z. B. Bernward von Würzburg für Kaiſer Otto III.,
Werner von Straßburg für den Sohn Kaiſer Conrad II. In einer
Notiz des ſanctgalliſchen liber benedictionum wird es ſehr getadelt,
daß die vornehme Männerwelt ſich, mit Hintanſetzung der deutſchen
Töchter, Frauen aus Italien und Griechenland holte. Die Vorliebe
der deutſchen Herren für byzantiniſche Damen begreift ſich aber nach
den Schilderungen derer, die Augenzeugen des neuen Tones und der
liebenswürdigen Geſelligkeit waren, welche durch Otto II. griechiſche
Gemahlin Theophano an dem deutſchen Kaiſerhof eingeführt wurden.
Sogar der ernſthafte Scholaſtiker Gerbert, nachmals Pabſt Sylveſter II.,
ſah ſich veranlaßt, dem Zauber byzantiniſcher Frauenſitte ſeine Aner-
kennung auszuſprechen. „Da mir dieſe gemüthlichen Geſichter, ſagt
er, dieſe ſocratiſchen Unterhaltungen entgegen kamen, vergaß ich allen
Kummer und mich ſchmerzte nicht mehr der Gedanke meiner Aus-
wanderung.“
7).
Einheimiſche Vögel, künſtlich abgerichtet, nahmen in den Salons
jener Tage die Stelle ein, die heute den Papageien zukommt. Im
[413] Fragment VIII. des lateiniſchen Gedichts Ruodlieb wird ſehr idylliſch
erzählt von ſolch wunderſam zahmen Staaren, die es verſtehen, ihr
Futter ſelbſt zu verlangen und gelehrt ſind:
„Nostratim fari „Pater“ et „noster“ recitare
Usque „qui es in coelislis, lis, lis triplicatis.“

ſ. Grimm und Schmeller, latein. Gedichte des X. u. XI. Jahrhun-
derts, p. 174 u. 212.
8).
Haec quondam parvula, Constantino Graeco regi cum
eſſet deſponſata, per eunuchoſ ejuſ ad hoc miſſoſ literiſ gre-
ciſ adprime eſt erudita, ſed cum imaginem virginiſ pictor
eunuchuſ domino mittendam uti ſimillime depingeret, ſollicite
eam inſpiceret, ipſa nuptiaſ exoſa oſ divaricabat et oculoſ,
ſicque Gracco pervicaciter repudiato literiſ poſt latiniſ ſtu-
dentem Purchart illam dux multipliciter dotatam duxit
u. ſ. w.
Ekkeh. casus S. Galli c. 10. bei Pertz, Monum. II. 123.
9).
... ceu serpentes capitatae oscula quae sibi dant. Ruod-
lieb, fragm. III. 335.
10).
Rorſchach wird oftmals erwähnt als Durchgangspunkt für die
nach Italien Reiſenden. Das Gotteshaus Sanct Gallen übte, „von
des Reichs wegen“, die Vogtey darüber. S. Oeffnung zu Rorſchach
v. 1469 bei Grimm, Weisthümer I. 233. Diplome ſächſiſcher Kai-
ſer beſtätigen den Aebten von Sanct Gallen das Markt-, Münz- und
Zollrecht daſelbſt. S. Ildefons v. Arx Geſchichte des Kantons Sanct
Gallen I. 221.
11).
.. et clamativo illum cantu salutant: heil herro! heil
liebo! et caetera. Ekkeh. casus S. Galli
bei Pertz Mon. II. 87.
12).
„silvarum avidus.“ vita S. Galli.
13).
„de natione Scotorum, quibus consuetudo peregrinandi
jam paene in naturam conversa.“ Walafrid Strabo
in der
vita S. Galli lib. II. cap. 47. bei Pertz Monum. II. 30.
14).
„Ascopam i. e. flasconem similis utri de coriis facta,
sicut solent Scottones habere.“
Gloſſe einer ſanctgall. Handſchrift
des neunten Jahrhunderts bei Hattemer, Denkmale des Mittelalters,
Sanct Gallens altdeutſche Sprachſchätze. Bd. I. 237.
15).
Und jetzt allerdings, rückblickend auf das wenige Gute, was
die Nachwelt der Sorge wohlmeinender Vorfahren zu verdanken hat,
mag man einſtimmen in das Lob, das Herder ſ. Z. in ſeinem leider
etwas hölzernen Poem „die Fremdlinge“ jenen frommen Wanders-
männern ertheilt,
„Die scotice mit altem Bardenfleiß
Die Bücher ſchrieben und bewahreten.“
16).
Regula S. Benedicti cap. 48. — Accepit solitus fratres
post prandia somnus. Annales S. Gallenses majores
bei Pertz
Monum I. 81.
17).
.. in conclavi vase quodam argenteo mire figurato ad
aquam inferendam utebatur. Ekkeh[.] IV. caſuſ S. Galli cap. I.
Pertz Mon. II. 88.
18).
Recalvaster est qui in anteriore parte capitis duo cal-
vitia habet, medietate inter eoſ habente piloſ, ut eſt Craloh
abbas et Wikram.
Gloſſe einer ſanctgall. Handſchrift zum Buch
Leviticus, bei Hattemer Denkmale etc. I. 240.
19).
.. more hirundinis.
20).
erat senatus reipublicae nostrae tunc quidem sanctissi-
mus. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 1. Pertz Mon. II. 80.
21).
enimvero hi tres, quamvis votis essent unicordes, na-
tura tamen, ut fit, erant dissimiles.
ſ. die rührende Schilderung
der drei engverbundenen klöſterlichen Freunde in Ekkeh. IV. casus
S. Galli cap. 3. Pertz Monum. II. 94
u. ff., wo auch der böſe
Sindolt, ihr Widerſacher, des Näheren gezeichnet iſt. Ratpert iſt
[415] auch der Verfaſſer des Lobgeſangs auf den heiligen Gallus in deut-
ſcher Sprache, von deſſen Bedeutſamkeit die lateiniſche Uebertragung
Zeugniß gibt, die wir noch beſitzen. Hattemer Denkmale etc. I. 337. Das
von Tutilo als Deckelplatten für eine Evangelienhandſchrift geſchnitzte
Diptychon wird in der Sanctgalliſchen Stiftsbibliothek aufbewahrt.
Man bevorzugte bei kirchlichem Schmuck das Elfenbein, da der Ele-
fant, nach einem Ausdruck Notker Labeo's in ſeiner Pſalmenüber-
ſetzung für ein „keuſches Vieh“ (chiûsche fiêo) galt. Hattemer Denk-
male etc. II. 159.
22).
„Den ganzen Kreis des Wiſſens am Schluß des 9ten Jahr-
hunderts vergegenwärtigt das in Sanct Gallen aus der Schule Iſo's
hervorgegangene, gemeiniglich nach dem Abtbiſchof Salomo III. von
Konſtanz genannte encyclopädiſche Wörterbuch (glossae Salomonis)
in lateiniſcher Sprache. Es gibt zwar Manches aus dem Schatze
der alten Lexicographen, namentlich aus Iſidorus, wörtlich wieder,
enthält aber doch auch viele Eigenthümlichkeiten zur Erläuterung da-
maliger Weltanſichten und Verhältniſſe, und führt dabei die Mangel-
haftigkeit der damaligen Kenntniſſe und Begriffsbeſtimmungen vor
Augen.“ Stälin württemberg. Geſchichte Bd. I. p. 405. Die von
Sindolt erwähnte Gloſſe lautet: Rabulum = thincman. qui sem-
per vult ad unam quamque rem disputare. Sicut Ratolt facit.

Es war nicht ungewöhnlich, daß die von ihrer Ordensregel ſo vielfach
zum Schweigen veranlaßten Mönche einem verhaltenen Groll durch
Einträge in die Handſchriften und Bücher Luft machten. So iſt auf
dem letzten Blatt des Codex 176 ein großes Geſchirr abgebildet, da-
neben mehrere gröbliche Hexameter wider den Kloſtergeiſtlichen Grimvald
geſchrieben ſind, z. B.:
Grimvald, fällt es dir bei, aus dieſem Kruge zu ſchöpfen:

Möge ſein Inhalt ſofort ſich in Säure des Eſſigs verwandeln

Und ein unendlicher Huſten ſammt brennendem Durſt dir beſcheert ſein.

vgl. Hattemer Denkmale I. 412. Die Schmähverſe des Schotten
Dubduin ſind mitgetheilt bei Ildefons v. Arx Berichtigungen und
Zuſätze zur Geſchichte des Kantons Sanct Gallen, pag. 20.
not. d.
23).
Ueber Sintram, den fleißigen Schreibekünſtler, vgl. Ekkeh. IV.
casus S. Galli c. 1.
bei Pertz Monum. II. 89.
24).
Eine ganz ähnliche Kur mit Umſchlag einer friſchabgezogenen
Wolfshaut und Einreibung des Gehirns eines indiſchen Fiſches ſchlägt
in dem ſeltſamen lateiniſchen Gedicht Ecbasis captivi v. 495 u. ff.
der Fuchs dem kranken König Löwen zur Stillung des Fiebers vor.
S. Grimm und Schmeller, latein. Gedichte des X. Jahrh. p. 259.
25).
.. mulieres ille et mala arborum naturali sibi quodam
odio adeo execratuſ eſt, ut, ubi in itinere utrumviſ inveniret,
manſionem facere nollet. Ekkeh. IV. caſuſ S. Galli c. 4.
Pertz Mon. II. 104.
26).
ſ. I. v. Arx Berichtigungen und Zuſätze etc. pag. 26.
27).
ſ. vita Wiboradae, auctore Hartmanno in den acta Sancto-
rum. Mai. tom. I. p. 288.
28).
Et quoniam hic locum aptum puto de Ekkehardo.
rem arduam aggredior, quoniam cum taleſ viri aut nulli
aut rariſſimi ſint,
diſcredi mihi vereor. Erat hic facie
adeo decoruſ, ut inſpicienteſ, ſicut Joſephuſ de Moyſe ſcribit,
gratia ſui detineret. Statura proceruſ, forti aſſimiliſ, equaliter
groſſuſ, oculiſ fulguroſuſ; ut quidam ad Auguſtum ait: Quia
fulmen oculorum tuorum ferre non poſſum. Sapientia et elo-
quentia, maxime autem conſiliiſ, nemini id temporiſ poſtponen-
duſ. In aetate florida gloriae, ut taliſ facturae vir, quam
humilitate proximior, ſed poſtea non ita; quia diſciplina, cum
qua nihil unquam participii ſuperbia habuit, in ipſo erat ſpec-
taculo digna. Doctor proſper et aſper. Nam cum apud
S. Gallum ambaſ ſcolaſ ſuaſ teneret, nemo praeter exileſ
puſioneſ quicquam alteri niſi latine auſuſ eſt proloqui etc.
Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10.
bei Pertz. Monum. II. 122.
29).
.. saepe juniori Dominus revelat quod melius est!
Regula S. Benedicti c. 3.
30).
... melius claudicare reges quam regna.
31).
Nemini unquam, ait, Benedicti cuculla decentius in-
sederat! Ekkeh. casus S. Galli c. 10.
32).
„Sanct Gallen war wegen der genauen Beobachtung klöſter-
licher Ordnung und dem tugendhaften Lebenswandel ſeiner Glieder
beſonders gerühmt. Daher galt es für eine große Ehre, in die Zahl
der Verbrüderten — fratres conscripti — aufgenommen zu werden,
zumal da man ſo das Verdienſt frommer Uebungen erwarb, ohne ſie
doch wirklich mitzumachen. Manche ließen ſich deßwegen Vieles koſten.
Das Verzeichniß der fratres conscripti iſt noch vorhanden. Es ſtehen
darin Kaiſer, Könige von Deutſchland, England, Frankreich, Prinzeſ-
ſinnen, Biſchöfe und Grafen.“ I. v. Arx Geſchichte des Kantons
Sanct Gallen I. 181.
33).
„Vidi egomet comites aliosque potentes, loci quoque mi-
liteſ feſtiſ diebuſ crucem nobiſcum ſequendo juveneſ et ſeneſ
quoſdam ad cingulum barbatoſ monachiciſ rocciſ nobiſcum
quaqua ivimus, ingredi.“ Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 16.
34).
.. wil er zu nacht aber da buliben, so sol icklich
schupposse, die in den hof hoeret, geben ein hun
u. ſ. w. Grimm
Weisthümer I. 1.
35).
.. canem seucem, quem „leithihunt“ vocant ...
ſeucem, qui in ligamine veſtigium tenet, quem „ſpurihunt“
dicunt ... Canem, quem „bibarhunt“ vocant, qui ſub terra
venatur. lex Baiuwarior. tit. 19 de canibus.
ſ. auch lex Ala
mannor. tit. 83 de canibus.
36).
„Der heber gât in˘lîtun

er trégit ſper in˘ſîtun

Sîn báld éllin

ne lâzet in véllin.

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 27
[418]
Imo sint fûoze

fûoder mâze,

imo ſint búrſte

ébenhó fórſte

únde zéne ſîne

zvvélif élnîge.“

Dies ehrwürdig alte Volkslied, das anſcheinend entweder aus des
Romeias Jagdgeſchichte entſtand, oder von ihm ſeiner Jagdgeſchichte
zu Grunde gelegt ward, iſt der Nachwelt erhalten durch die ſanct-
galliſche (vielleicht Notker'ſche) Abhandlung über die Rhetorik, allwo
es als geeignetes Beiſpiel hyperboliſcher Redeweiſe (nam plus dicitur
fet minus intelligitur)
aufgeführt wird. Vgl. Hattemer Denkmale etc.
Bd. III. pag. 577.

37).
ſ. vita S. Galli bei Pertz Monum. II. 9.
38).
regula S. Benedicti cap. 1.
39).

In rauhen Zeiten ſucht der Menſch ſeinem Gott auch in rauher
Form zu dienen. Das Klausnerthum ſagte damals weltabgewandten Ge-
müthern zu, und Beiſpiele von ſolchen, die über zwanzig und dreißig Jahre
lang ſolch eine freiwillig auferlegte Einzelhaft trugen, beweiſen, daß das
phyſiſche Leben durch einen ſtarken, vom Glauben, etwas Verdienſt-
liches zu thun, beſeelten Willen lang gefriſtet werden kann. In der Hand-
ſchrift der ſanctgalliſchen annales maiores iſt ein Abbild des Prieſter
Hartker erhalten, eine unterwürfige, krummgebeugte, demüthig kaſteite
Geſtalt, in faltigem Mönchsgewand mit großer Tonſur und der Ueber-
ſchrift Hartkerus reclusus. S. Pertz Monum. I. 72. Dieſem iſt
im liber benedictionum folgender Nachruf gewidmet:


Wer hat ein härteres Loos als Hartker der Klausner getragen,

Der in beengender Haft ſich dreißig der Jahre kaſteite?

Immerdar ſtand er gebückt, ſo niedrig war die Bedachung,

Kiſſen des Kopfs war ein Stein. Auf dieſem ſchlief und entſchlief er

Und in Kreuzesgeſtalt die gemagerten Arme entbreitend

Wandt' er zum Himmel den Blick und befahl dem Herrn ſeine Seele.

ſ. I. v. Arx Geſchichte etc. I. 232.


[419]

Ein namhafter Reclauſus früherer Zeit war der heilige Fintan
(† 827), der das Kloſter Rheinau unweit Schaffhauſen geſtiftet.
Ganze Nächte hindurch hörte man ihn in ſeiner Zelle laut beten und
in den fremden Lauten ſeiner iriſchen Heimathſprache die Verſuchung des
böſen Feindes beſchwören. ſ. vita S. Findani confessoris bei Mone,
Quellenſammlung der badiſchen Landesgeſchichte pag. 57. Ueber die
Ceremonien beim Act der Einſchließung vergl. Martène de antiq.
ecclesiae ritib. II. 177.

40).
Wiborad iſt ein altdeutſcher Name und bedeutet „Rath der
Weiber“. — Zwei Mönche des Kloſters Sanct Gallen, Hartmann
und Hepidan, haben die Lebensgeſchichte dieſer durch ihren tragiſchen
Ausgang bedeutend gewordenen Klausnerin verfaßt. Sie ſind in die
acta Sanctor. der Bollandiſten (Monat Mai, Bd. I. 284 u. ff.)
aufgenommen. ſ. auch Pertz Monum. VI. 452.
41).
.. magistra praedurata ..
42).
Lucas IX. 62.
43).
.. „Castitatis, inquit, fili mi tibi cingulum per hoc
lineum meum a Deo accipe. Continentiaeque cingulum per
hoc lineum meum a Deo accipe, continentiaeque ſtrophio ab
hac deincepſ die per Wiboradam tuam te praecinctum me-
mento. Cave autem, ne ulliſ abhinc colloquiiſ vaniſ mulier-
culiſ miſceariſ. Et ſi, ut facillime fit, aliquo carniſ igne in-
cenſuſ fueriſ, loco in quo fueriſ, mutato, „„Deuſ in adiutorium
meum intende. Domine ad adiuvandum me feſtina““ mox
cantaveriſ. Sin autem ſic pacem aliquo alio lapſu tuo
vetante non habueriſ, titionem ſive candelam ardentem quaſi
aliud aliquid agaſ querenſ, digitum vel leviter adure, eodem-
que verſu dicto ſecuruſ eriſ.“ Ekkeh. IV. caſuſ S. Galli
c. 3. Pertz Mon. II. 107.
44).
.. et accepit angelus folia lauri et scripsit in eis verba
orationiſ et dedit ea Pachumio dicenſ: manduca ea, et
27*
[420] erunt amara in ore tuo ſicut fel, ventremque tuum
implebunt obſecrationibuſ ſapientiae,
dabitur tibi
forma orationiſ ſanae doctrinae. Et accipienſ Pachumiuſ man-
ducavit et factum eſt oſ ejuſ amarum, porro venter
ejuſ dulcedine impletuſ eſt, et magnificavit Dominum valde.“
Vita Pachumii Sti. abbatis
in der Handſchrift 310 der Carls-
ruher Hofbibliothek.
45).
de cilicio etiam, quo ipsa utebatur, cuius hodie asperi-
tatem pro reliquiiſ id habenteſ horreſcimuſ .. Ekkeh. IV.
casus S. Galli c. 3. Pertz Mon. II. 107.
46).
proferensque mala de silva acidissima, inhianti et de
manibuſ ejuſ rapienti reliquerat. At illa vix unum dimidium
ore et oculiſ contractiſ voranſ, caetera projicienſ: „Auſtera
eſ, inquit, auſtera ſunt et mala tua.“ Et cum eſſet literata:
„Si omnia, inquit, mala factor talia creaſſet, nunquam Eva
malum guſtaſſet!“ „Bene, ait illa, Evam memoraſti; enim-
vero quomodo tu ſic deliciarum avida erat, ideo in eſcula
uniuſ mali peccaverat.“ Ekkeh. IV. caſuſ S. Galli c. 10.
Pertz Mon. II. 119.
47).
Der Erzengel Michael war dem Mittelalter Gegenſtand mannig-
fachen Aberglaubens. Man glaubte, daß er die Wache am Throne
Gott Vaters halte, ja ſogar, daß er Montags vor ihm die Meſſe
celebrire. Biſchof Rather von Verona eifert in ſeiner Predigt de
quadragesima
heftig gegen dieſe rohen ſinnlichen Vorſtellungen: Vgl.
Vogel, Ratherius v. Verona und das zehnte Jahrhundert. Bd. I. 293.
48).
Hroswitha von Gandersheim hat die Geſchichte von der Thais
und dem Anachoreten der Wüſte in ihrer naiven lateiniſchen Comödie
Paphnucius behandelt. ſ. Magnin, théatre de Hrotswitha, Paris
1845. pag. 280
u. ff.
49).
„Quid mihi et inanibus hujus seculi vanitatibus? Audio
in coeliſ ſigna ſonituſque campanarum ac dulciſonam ange-
[421] licae modulationiſ harmoniam: illuc ire deſidero, hiſ intereſſe
delector.“ Vita Wiboradae auctore Hartmanno cap. 2.
50).
Frau Wendelgard's Sehnſucht nach dem gefangenen Ehge-
mahl ward in anmuthiger Weiſe geſtillt. Sie ging aus ihrer Klauſe
jedes Jahr einmal nach Buchhorn, um des Grafen Ulrich Angedenken
mit einer feierlichen Jahrzeit zu ehren. Wie ſie einſt nach derſelben
mit eigener Hand den Armen Almoſen austheilte, ſtand Einer unter
den Bettlern, zerriſſen und entſtellt, dem ſchenkte ſie ein Kleid. Er
aber ließ ihre Hand nimmer aus der ſeinen, zog ſie zu ſich und küßte
ſie vor allem Volk, ſtrich ſein Haar zurück und ſprach: erkenne deinen
Gemahl. Da Frau Wendelgard, unwillig über ſolchen Gewaltſtreich
eines Fremden, ſich abwenden und ihn den Dienern zur Züchtigung
überweiſen wollte, wies er ihr eine alte Narbe, und wie aus langem
Schlaf erwachend fuhr ſie auf: O mein Gebieter, du aller Menſchen
mir der theuerſte, ſei gegrüßet, du mein Herr, ſei gegrüßt, du immer
ſüßer! und lag weinend in ſeinen Armen. Ekkeh. IV. casus S.
Galli c. 10. Pertz Mon. II. 120.
51).
.. pelle ejus simulatae sanctitatis detracta .. Hepidan.
vita Wiboradae cap. II.
52).
.. quia nondum in se mortificaverit philargyriam, quae
est omnium radix malorum
u. ſ. w. Die Anklagen wegen deren
ſich Wiborad einſt vor dem Biſchof in Conſtanz zu verantworten hatte,
ſind ausführlich nachzuleſen in Hepidan. vita Wibor. II. 11.
53).
... grave pondus auri Veronensis, Geſchenk des Biſchof Petrus.
Die Kloſtergeſchichte iſt reich an Aufzeichnungen der durch Fürſorge
der Aebte oder die Huld fremder Gönner erworbenen Koſtbarkeiten.
ſ. Ekkeh. IV. casus S. Galli cap. 1. Pertz Mon. II. 81.
54).
.. magnum calicem ex electri miro opere. Casuum
S. Galli contin. II. c. 7.
bei Pertz II. 157. An den Heilkräften
des Bernſtein wurde nicht gezweifelt. Quod vero medeatur multis
vitalium incommodis, medentium docuit disciplina.
Sanctgall.
Handſchrift des X. Jahrhunderts bei Hattemer Denkmale etc. I. 414.
55).
Spicharium novum solis feris et belluis, avibusque
domeſticiſ et domeſticatiſ juxta fratrum quod et ipſum jam
fieri jussit magnificum, condi fecit. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 16.
56).
Simia nare brevi nate nuda murcaque cauda
Voceque milvina, cute criſa catta marina
In quibuſ ambabuſ nil cernitur utilitatiſ.
Ruodlieb fragm. III. 131
u. ff.
57).
Dieſe Fabel von der Murmelthiere abenteuerlichem Fuhrweſen,
die ſich das Mittelalter mit großer Behaglichkeit erzählte und die z. B.
noch Sebaſtian Münſter in ſeine Cosmographey aufnahm (p. 498)
hat ihren Urſprung in Plinius historia naturalis.
58).
.. „Ein vogil heizit Caradrius. in dem buoche deute-
ronomio da iſt geſcriben daz man ihn ezzen neſcule. Dannen
zelet phyſiologuſ und chût daz er aller wiz ſi. Ein miſt der
von ihm faehrt, der iſt ze den tunchelen Ougen vile gûet.
Mit diſem vogile mag man bechennen ob der ſieche mann
irſterben oder geneſen ſcol. Ob er ſterben ſcol, ſo cheret
ſich der charadriuſ von ihme. Ob er aber geneſen ſcol, ſo
cheret ſich der vogil zuo dem manne und tuot ſinen ſnabel
uber deſ manneſ munt und nimit deſ manneſ unchraft an
ſich; ſa fert er ûf zuo der ſunnen unte liuterit ſich da: So
ist der mann genesen.“ Physiologus,
ein Weisthum von Thieren
und von Vögeln, mitgetheilt von Wackernagel Altdeutſches Leſe-
buch I. pag. 166. Es iſt nicht bekannt, was für naturgeſchichtliche
Thatſachen zu dieſer tiefſinnig ſchönen Sage vom Caradrius Veran-
laſſung gaben. In Sanct Gallen wurde ſie von Verſchiedenen ver-
ſchieden erfaßt, denn während ſich unter den Thiernamen, die dem
Wörterbuch des heiligen Gallus vorausgeſetzt ſind, (ſ. Hattemer Denk-
male etc. I. 9. 10.) die bedeutſame Gloſſe findet: Cha-ra-drion: et
ipſam non habemuſ, ſed tamen dicitur et ipſam volare per
medias noctes in sublimitate coeli,
begnügen ſich ſpätere Hand-
ſchriften damit, das Wort caradrius geradezu mit lericha, Lerche,
zu überſetzen, was auf ein Verſchwinden der früher bekannten Sage
zu deuten ſcheint. ſ. Hattemer Denkmale etc. I. 287. 318 u. a.
59).
.. longum est dicere quibus jocunditatibus dies exe-
gerit et nocteſ, maxime in proceſſione infantum, quibuſ poma
in medio eccleſiae pavimento anteſterni jubenſ, cum nec unum
parviſſimorum movere nec ad ea adtendere vidiſſet, miratuſ
eſt diſciplinam. Ekkeh. IV. caſuſ S. Galli c. 1. Pertz
Mon. II. 84.
60).
„Homo animal capax disciplinae.“ Hroswitha v. Gan-
dersheim.
61).
Notker Labeo hat den Erwartungen, die der Abt auf ihn
ſetzte, entſprochen. Er erwarb ſich den Ruhm des gelehrteſten Man-
nes ſeiner Zeit. „Er war, wie aus ſeinen Schriften erhellt, ein
Gottesgelehrter, ein Muſiker, ein Dichter, ein Aſtronom, ein Mathe-
matiker; in der Bibel, in den Kirchenſchriftſtellern, Vätern und Klaſ-
ſikern wohl bewandert, der deutſchen, lateiniſchen und griechiſchen
Sprache mächtig.“ I. v. Arx, Geſchichte v. St. Gallen I, 277.
Seine noch vorhandenen deutſchen Werke bilden den zweiten und
dritten Band von Hattemer's Denkmalen des Mittelalters. Es ſind
insbeſondere die Auslegungen der Pſalmen, des Ariſtoteles, des
Boethius, des Marcianus Capella und ein Aufſatz über die Tonkunſt.
Notker der Großlefzigte ſtarb in hohem Greiſenalter an der Peſt.
Vor ſeinem Tod legte er eine öffentliche Beichte ab, in der er u. A.
ſeine Reue darüber ausſprach, daß er einſt in klöſterlichem Habit einen
Wolf erſchlagen.
62).
Die Stelle iſt aus Ariſtoteles Kategorien cap. 36. Notker's
Ueberſetzung ſ. bei Hattemer III. 401.
63).
Erat utique jus illorum, sicut adhuc hodie quidem est,
quoniam exlegeſ quidem ſunt, ut hoſpiteſ intranteſ captant,
captoſ, uſque dum ſe redimant, teneant. Ekkeh. IV. caſuſ
S. Galli c. 1. Pertz Mon. II. 91.
64).
.. „enimvero si vixero,“ ait, „me redimam et talem
indolem remunerabo.“ Collectiſque quantociuſ ante januam
[424] ſcolarum fratrum primiſ, ſtatuit pueriſ illiſ et eorum perpetuo
poſteriſ pro teſtamento ſinguliſ anniſ ludi ſui tribuſ ab im-
perio ſtatutiſ diebuſ in eiſdem ſcolarum aedibuſ carnibuſ veſci
et de abbatiſ curte ſinguloſ tribuſ donari aeſciſ cottidie et
potibuſ. Quod cum ipſe quidem annuatim praeſenſ ſolvi ju-
beret, poſtea ita ſolutum eſt uſque ad Ungrorum, de quibuſ
loco ſuo dicturi ſumuſ, invaſioneſ. Ekkeh. IV. caſuſ S.
Galli c. 1.
65).
Fehler wider die Ordensregel zogen die Strafe der Geißelung
nach ſich, der ſich die Kloſtergeiſtlichen willig unterwarfen, wiewohl es
eine knechtiſche Züchtigung war, und ein Freier, mit dieſer Strafe
belegt, nach den alten Volksrechten ſeine Freiheit verlor. Der Schul-
dige ward an eine Säule gebunden und nach Ausziehung der Ober-
kleider gegeißelt. Eine noch erhaltene Geißelkammer, ähnlich der hier
beſchriebenen, findet ſich im würtembergiſchen Kloſter Maulbronn. In
den Kloſterſchulen bediente man ſich der Ruthe. Daß die Bußwerk-
zeuge von denen, die darunter zu leiden hatten, in gutmüthigem
Humor mit eigenen Namen verſehen wurden, beweist des Biſchof
Salomo Wörterbuch, wo die anguilla (Schlange oder Aal) von der
scutica (Riemenpeitſche) unterſchieden wird.
66).
Tacitus German. cap. 8.
67).
pectines eburnei ... In Kämmen trieb das Mittelalter Luxus.
Bekannt iſt der ſilbergefaßte ſteinverzierte Kamm der Longobardenköni-
gin Theodelinde im Domſchatz zu Monza, und der von Heinrich II. her-
rührende Elfenbeinkamm in Bamberg. Die Sitte, die gewöhnlichſten
und gleichgiltigſten Verrichtungen des täglichen Lebens mit einem Ge-
bet einzuleiten, veranlaßte, daß man auch für Schneiden und Kämmen
des Haupthaars, Zuſtutzen des Barts u. ſ. w. Gebetsformeln auf-
ſtellte. Die Handſchrift 395 der ſanctgall. Bibliothek enthält deren
eine Reihe, und da ſich dieſelbe mit einer benedictio ad omnia quæ
volueris
ſchließt, darf man ſich billig nicht mehr wundern, auch die
benedictio ad barbam comendam, ad capillos tondendos u. ſ. w.
vorzufinden.
68).
regula S. Benedicti cap. 38 de hebdomadario lectore.
69).
Für diejenigen verehrten Leſerinnen, die mit dem Althochdeutſch
noch weniger vertraut ſind, als der Verfaſſer dieſer Anmerkungen, und
die ſich vielleicht dafür intereſſiren, wie dieſer Pſalm damals wirklich
in Ekkehard's Mund und Sprechweiſe geklungen habe, ſei hiemit die
wenig Jahrzehnte ſpätere Verdeutſchung Notker's als Probe mitgetheilt:
Psalmus XLIV. Kuôt wort irrópfezta mîn herza. mîniu werch
ſago ih démo chúninge. mîn wort iſt alſo ſtâte alſo diu ſcrift
deſ ſpuôtigo ſcríbenten. Scône piſt du fóre allen ménniſcon.
knada iſt kebreîtet in dînen lefſen. fone diu ſégenôta dih Got
in˘ewa. Curte dîn ſwert umbe dîn dîeh: filo gewáltigo. mit
dînem ménniſcinen bilde und mit dînero gótelîchun ſcôni.
Sih an únſih. unde frám ſpuotigo chum hára fone hímele unde
rîcheſo hier in dînero eccleſia. umbe warheît unde mámenti
unde reht. Unde leîtet dih wúnderlicho dîn zéſewa. dîne
ſtrâla ſind waſſe, hárto mahtige. Under dih ſturzent die
líute, in demo herzen deſ chuningeſ fiendo. din ſtuôl Got,
unde dîn riche weret îemer. Kerta gerihtenniſ iſt dîneſ rîcheſ
kerta
u. ſ. w. ſ. Hattemer Denkmale etc. II. 156 u. ff.
70).
„Dieſes Museſſen war in Sanct Gallen ſo gewöhnlich, daß
Kero das Wort cibi (Speiſen) nicht beſſer als mit Mus, und das
Wort coenare (ſpeiſen) nicht anders als mit Abendmuſen zu über-
ſetzen wußte.“ I. v. Arx Geſch. I. 178.
71).
regula S. Benedicti cap. 39 de mensura cibi.
72).
„Ilanch præcellat allemannicus et mala pellat.“ ſ. Hat-
temer Denkmale etc. III. 599. (In der vorzugsweiſe als liber bene-
dictionum
bezeichneten Handſchrift 393 iſt eine ſo reiche Speiſekarte
von Fiſchen aufgezählt (Aeſchen, Triſchen, Lampreten u. ſ. w.), daß
man ſie mit dem Gefühl vollkommener Befriedigung in Betreff des
Zuſtands der Kloſterküche an den Faſttagen aus der Hand legt. Möchte
ſie durch vollſtändige Ausgabe größeren gaſtronomiſch-philologiſchen
Kreiſen nicht länger vorenthalten bleiben.)
73).
Sueton. im Leben des Auguſtus c. 77. Uebrigens trank der
Kaiſer ſelbſt an jenem traurigen Tag nicht mehr als einen sextarius
(etwa 1 Schoppen).
74).
regula S. Benedicti c. 40 de mensura potus.
75).
Ob der Abt Recht gehabt, die deutſche Sprache, ſo wie ſie
damals geſprochen ward, alſo anzufechten, möge dahin geſtellt ſein.
Sie hat ſich ſeither von Grund aus umgeſtaltet, die Mehrzahl der
kernigen, kräftigen, einem ſteten Verkehr mit der Natur entnommenen
Worte, ſowie die vollen tonreichen Formen ſind verſchwunden und ha-
ben einer kühleren, gefirnißten und abgeſchliffenen Redeweiſe Platz ge-
macht. Uns aber, wenn wir des alten Notker ungefüg großartige
deutſche Schriften leſen, weht es jedesmal daraus an wie ein Hauch
würziger Bergluft und ächter, ehrwürdiger Poeſie, die von keinem
Spatzengezwitſcher und von keinem Rabengekrächze durchſchnarrt iſt.
76).
Vita S. Benedicti abbatis a Gregorio Magno romano
Pontifice conscripta cap. 2: de tentatione carnis superata.
77).
.. de voluntate ipsius ipsa cum eo pridie secreta con-
dixerat. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10.
78).
Tutilo's Räubergeſchichte ſ. Ekkehard IV. casus S. Galli
cap. 3.
bei Pertz Monum. II. 98.
79).
Ueber die damaligen Muſikinſtrumente und den Zuſtand ſanct
galliſcher Muſik gibt Notker Labeo's Aufſatz — ſ. Hattemer Denk-
male etc. III, 586 u. ff. — wichtigen Aufſchluß. Die hier gegebene Be-
ſchreibung der Inſtrumente iſt auf die bildlichen Darſtellungen in Not-
ker's Pſalmenbuch (Handſchrift 21 der ſanctgall. Bibliothek) geſtützt.
Das eine Blatt der beiden Federzeichnungen, die den Eingang des
Buches ſchmücken, ſtellt den König David vor, auf dem Throne ſitzend
und mit einem Plectron die ſiebenſaitige Leier ſpielend. In den vier
Ecken ſtehen vier Männer mit Violine, Zither, Hackbrett und Harfe.
Bei der Aengſtlichkeit, mit welcher dieſe übrigens fein gefühlten Ge-
[427] ſtalten ausgeführt ſind, iſt anzunehmen, daß der Künſtler nichts er-
funden, ſondern ſich an Vorhandenes gehalten hat.
80).
.. quae autem Tutilo dictaverat, singularis et agnos-
cibiliſ melodiae ſunt, quia per pſalterium ſeu per rohtam, qua
potentior ipſe erat, neumata (i. e. vocum modulationeſ) inventa
dulciora sunt. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3.
81).
„quid vero dies illa consumpserit, Dominus solus novit ..“
82).
„cigneo canore dulcior sonus.“
83).
„Alpina siquidem corpora vocum suarum tonitruis altisone
perſtrepentia ſuſceptae modulationiſ dulcedinem proprie non
reſultant. Quia bibuli gutturiſ barbara feritaſ. dum inflexioni-
buſ et repercuſſionibuſ mitem nititur edere cantilenam, naturali
quodam fragore quaſi plauſtra per graduſ confuſe ſonantia ri-
gidas voces iactat.“
Ein ſanctgalliſcher Muſikfreund, der dies ita-
liſche Kunſturtheil ſpäter doch zu leſen bekam, ſchrieb an den Rand:
vide jactantiam romaniscam in teutones et gallos! d. h. „Siehe
da wieder ein Stück romaniſcher Unverſchämtheit gegen die Deutſchen
und Franzoſen!“ ſ. Hattemer Denkmale etc. I. 420.
84).
Mit Geſchenk, Kuß und Scheidetrank nehmen nach mittel-
alterlicher Sitte Gaſtfreunde von einander Abſchied. Dieſe Förmlich-
keiten wurden ſtreng eingehalten. Biſchof Salomo von Conſtanz
ſchenkt den zum Gaſtmahl geladenen Kammerboten koſtbare Glasge-
fäße, und wiewohl ſie, Groll im Herzen tragend, die Gläſer zu Boden
fallen laſſen, daß ſie zerbrechen, küſſen ſie einand noch und trinken des
Abſchieds Minne. „Amoreque, ut moris est, osculato et epoto
laetabundi discedunt.“ Ekk. IV. casus S. Galli c. 1.
bei Pertz
Mon. II, 84.
ſ. auch Ruodlieb fragm. III. v. 221. Eine anmuth-
volle Schilderung ſolcher Courtoiſie gibt des Nibelungenlieds ſiebenund-
zwanzigſtes Abenteuer, da König Gunther mit ſeinen Mannen ſich beim
Markgrafen von Bechelaren beurlauben. Auch die Frauen verſchmäh-
ten nicht, ſich mit minniglichem Kuſſe von ihren Gäſten zu ſcheiden.
85).
Ein ſolches Schauſtück iſt ausführlich beſchrieben im Ruodlieb
fr. III. v. 309
u. ff.
86).
Einträge dieſer Art auf dem Titelblatt, wie ſie jetzt noch die
Kinder herkömmlicherweiſe in ihre Schulbücher zu machen pflegen,
kommen in damaligen Handſchriften häufig vor.
87).
Dieſes Pſalmenbuch, der ſ. g. liber Sancti Galli aureus, iſt
jetzt noch ein Kleinod der ſanctgalliſchen Bibliothek. Die in friſchen
Farben glänzenden Miniaturen ſind in manchen Motiven noch vom
nachwirkenden Geiſt der Antike erfüllt, gewandt, mit Verſtändniß von
Geſtalt und Faltenwurf und einer gewiſſen unbefangenen künſtleriſchen
Sicherheit hingezeichnet und leicht colorirt. Die mit reichen Arabesken
gezierten Initialen, und das die Bilder umrahmende architectoniſche
Beiwerk gewähren mannigfache Einſicht in die baulichen Formen jener
Zeit, deren monumentale Reſte ſo ſelten geworden. — Auch Anfänge
der Wandmalerei zum Schmuck der kirchlichen Gebäude kommen ſchon
vor. Ein Abt Immo ließ in vielen an den Wänden der Münſter-
kirche angebrachten Gemälden die Lebensgeſchichte des heil. Gallus
darſtellen; von einem ſpätern Abt Manegold wird berichtet, daß er
ein Bild de materia genealogiae Christi und außerdem ein letztes
Gericht in muro bonis coloribus herſtellen ließ. ſ. casuum S. Galli II.
continuatio c. 8. Pertz Mon. II. 161.
Ild. v. Arx Geſchichten des
Kantons St. Gallen I. 237. Die Wandmalereien des Kloſter Rei-
chenau ſind beſungen von Burkhard bei Pertz Mon. VI. 629.
88).
Vocabularius Sancti Galli, dem Sprachforſcher wichtig durch
den Schatz althochdeutſcher Wörter, noch erhalten und vielfach abge-
druckt, z. B. bei Hattemer Denkmale etc. I. 11-14.
89).
Auch dieſes werthvolle Denkmal aus der Zeit Kaiſer Ludwig
des Frommen wird noch von der ſanctgalliſchen Bibliothek bewahrt.
Vgl. Keller der Bauriß des Kloſters Sanct Gallen.
90).
... Thieto caminatam quandam „veterum seniorum an-
gulum“ vocatam introiit. Ekkeh. IV. caſuſ S. Galli c. 6. Pertz
Mon. II. 112.
Vgl. auch II. 135.
91).
Die Geſchichten vom Biſchof Salomo und ſeinem Hader mit den
Kammerboten ſind nachgerade ein weniges abgedroſchen und abgeſungen.
Den offenbar mannigfach zur Sage gewordenen Thatbeſtand erzählt
Ekkehard IV. casus S. Galli. cap. 1., zu einer Reihe Balladen zu-
ſammengeſchmiedet hat ihn ein Sänger der ſchwäbiſchen Schule etc.
92).
digneris, domine, et hos benedicere fustes ... Benedictio
ad capsellas et baculos ad iter agentes
in der Handſchrift 395.
93).
Ermenrici coenobitae augiensis tentamen etc. bei Pertz
Mon. II.
32. Auch der Verfaſſer der größeren ſanctgalliſchen Anna-
len nennt die Reichenau einen hortus deliciarum. ſ. Pertz Mon. I. 79.
94).
Der Gegenſtand religiöſer Verehrung, der den Fiſcher von Er-
matingen in Strafe brachte, ſcheint das Idol von Erz geweſen zu ſein,
das man für einen hercules allemannicus hielt und das nach Gallus
Oeheims Bericht noch im XV. Jahrhundert auf dem Grab des Egino
ſtand. Es ſtach dem vornehmen Alterthumsforſcher Kaiſer Max I. ſo
in die Augen, daß er es, wie ſ. Z. den Neptunus vom Stadtthor zu
Ettlingen (Bader das bad. Land und Volk I. 329) kurzerhand ent-
führte und in Inſpruck aufſtellen ließ. Nach einer Notiz in G. Schwab's
Bodenſee II. 293 befand es ſich ums Jahr 1764 in der churpfälzi-
ſchen Alterthümerkammer.
95).
benedictio vini novi. Handſchrift 395.
96).
... erant autem dies vindemiae, quibus fratres ad obe-
dientiaſ (i. e. laboreſ in agro) dimiſſi ſunt per vineaſ. Ekkeh.
casus S. Galli c. 3. Pertz Mon. II.97.
97).
Regula S. Benedicti cap. 31: de cellerario monasterii
qualis sit.
98).
ſ. die Edda überſetzt von Simrock p. 14.
99).
... at illa de camera egressa salutans conpatrem, hos-
pitem illum dormire putanſ, optulit viro muſtum, quo ille im-
[430] pigre hauſto vaſeque reddito mammam foeminae titillat aſſen-
tientis. Ekkeh. IV. casus S. Galli c.
3.
100).
.. hospes vero viso facinore exilit, illum scelestum
inclamitanſ, comiſ apprehenſum in terram dejicit, flagelloque
quo ad equum uſuſ eſt, adhuc in manu habito acriter homi-
nem cecidit adjicienſ: hoc, inquit, tibi Sanctuſ Galluſ, S. Al-
bani Frater, dedit.“ Ekkeh. IV. caſuſ S. Galli c.3. Pertz
Mon. II.
97.
101).
dura viris et dura fide, durissima gleba! Notker.
102).
Protoſpathar: Befehlshaber der Leibwache. ſ. Gibbon Geſchichte
des röm. Weltreichs c.53.
103).
.. aegre exspectatus.
104).
..Fortunate, ait, qui tam pulcram discipulam
docere habeſ grammaticam!
Ad quod ille quaſi caro
aſſenſu ſubridenſ, talia in aurem adverſario reddit amico:
Sicut et tu, Sancte Domini, Kotelindam monialem
pulcram diſcipulam caram docuiſti quidem dialecti-
cam.
Dictoque citiuſ, cum ille neſcio quid reſibilare vellet,
ab co divertenſ, equo aſcenſo indignanter abivit. Ekkeh. IV.
caſuſ S. Galli c.10. Pertz II.
105).
Die Ausübung des Waidwerks war eigentlich wider die geiſt-
liche Disciplin. Eine Augsburger Synode von952 (Pertz Monum.
IV.
27) verbietet den Biſchöfen und der Geiſtlichkeit überhaupt das
Würfelſpiel, die Jagdbeluſtigung und das Hunde- und Habichthalten
zu dieſem Behufe bei Strafe der Abſetzung.
106).
Sticmata: pictura in corpore quales Scotti pingunt.
Gloſſe einer ſanctgall. Handſchrift bei Hattemer Denkmale etc.I. 227
und 233. Die Sitte des Bemalens der Augenlider und des Tätto-
wirens der Arme ſcheint den Scoten und Iren damals gefallen zu
[431] haben. Die alſo eingeätzten Bilder mögen von roher ſchier unver-
ſtändlicher Häßlichkeit geweſen ſein, wie dies aus den noch vorhandenen
Miniaturen iriſcher Herkunft in den Handſchriften geſchloſſen werden
darf. Dieſelben ſind durch fremdartigen und — wenn das Wort noch
erlaubt iſt — keltiſch unſchönen Ausdruck, ſowie durch gänzlich barba-
riſche Art der Darſtellung ſehr unvortheilhaft von den gleichaltrigen,
von germaniſcher Hand gefertigten, verſchieden. Der Chriſtus am
Kreuze mit ſeinem hufeiſenförmigen arabeskenartigen Bart, und ver-
zwicktem Munde, und die als Thiergeſtalten gezeichneten Evangeliſten
haben etwas Fetiſchartiges.
107).
„Das Silbergeld beſtand lang in einem Bleche, das ſo dünn
wie Laub, und nur auf einer Seite grob und tief gepräget war.
(nummi bracteati). “ I. v. Arx Geſchichten etc. I. 451.
108).
„Sie wollen lieber Jäger als Lehrer, lieber kühn als mild,
lieber verſchlagen als herzenseinfältig heißen ... Sie ſpielen Kreiſel
und meiden darum auch das Würfelſpiel nicht. Sie gehen fleißig mit dem
Spielbrett anſtatt mit der Schrift, mit der Wurfſcheibe anſtatt mit
dem Buch um. Sie wiſſen beſſer, was dich ein Fehlwurf koſtet, als
was die Heilswahrheit fordert, verbietet oder verheißt, beſſer was der
Glückswurf bringt, als was ſie Gott zu danken ſchuldig ſind ... Sie
laſſen ſich ſilberne Schaalen, Kannen von großer Koſtbarkeit, Krüge
(crateres), ja Trinkhörner (conchas) von bedeutendem Gewicht und
einer jedem Zeitalter verhaßten Größe machen. Sie bemalen ihre
Weinkrüge und Schleifkannen, während die nahe Baſilica von Ruß erfüllt
iſt.“ Vogel Ratherius von Verona und das zehnte Jahrhundert I. p. 44.
109).
Moengals Latein iſt etwas verwildert. Wenn indeß ſelbſt
Biſchöfe in der Hofſprache ſich claſſiſcher Wendungen wie: sic omnes
perriparii possunt bubus agricolantibus vetrenere
(So kann
jeder Bauer am Pfluge ſeinen Ochſen was vordröhnen) bedienten, und
Geſchichtſchreiber dies in ihren Text aufnahmen (Monachus San Gall.
gesta Karoli I.
19 bei Pertz Mon.II. 739), ſo darf dem Latein eines
Leutprieſters Einiges zu gut gehalten werden.
110).
.. Moengal, postea a nostris Marcellus diminutive a
Marco avunculo ſic nominatuſ, hic erat in diviniſ et humaniſ
eruditissimus \&c...
Siehe die ganze Geſchichte ſeines Beſuchs und Ver-
bleibens im Kloſter beiEkkeh. casus S. Galli c. 1. Pertz II.18.
111).
.. in campanarium S. Galli per gradus ad hoc quidem
nobiſ paratoſ aſcendere incipit,uti oculiſ, quia greſſu
non licuit, monteſ campoſque circumſpicienſ, vel
ſic animo ſuo vago ſatiſfaceret.
Ekkeh. caſuſ S. Galli
c. 3. Pertz Mon. II. 99.
112).
Den Haken hatte ſie. Kam vor Kurzem ein ſchriftgelehrter
Sohn der grünen Erin in die Bücherei des heiligen Gall, ſich ſeines
frommen Vorfahren Werk genau zu beſehen und abzuſchreiben. Da
reichten ſie ihm den in ſchwarzen Sammt gebundenen Codex des Pris-
cianus und er hub die Arbeit an; bald aber tönte ein verhaltenes
Lachen zu den Bücherbewahrern im großen Saal, und wie ſie
herüberkamen, verdeutſchte ihnen der Rector von Dublin die iriſchen
Gloſſen zum Latein wie folgt:
Gottlob es wird ſchon dunkel!

Heiliger Patrik von Armagh, erlöſe mich von der Schreiberei!

O daß mir ein Glas alten Weines zur Seite ſtünde u. ſ. w.

Das war Moengal's Ueberſetzungswerk!
113).
Der Wachtelruf ſcheint den Ohren mittelalterlicher Waidmänner
etwas anders geklungen zu haben, als heutzutag, denn das Wortquak-
kara,
womit der Mönch von Sanct Gallen (..„quakaras etiam et
alia votatilia“ gesta Karoli I.
19 bei Pertz II. 739) anſtatt des
claſſiſchen coturnix die Wachtel ſelbſt bezeichnet, ſoll offenbar den
Eindruck des Wachtelſchlags wiedergeben. Dieſer brave Schriftſteller,
in welchem die Nachwelt einen Mitbegründer des Jägerlateins zu
verehren hat, mag übrigens den Wachteln und „dem andern Geflügel“
auf eigenen Waidmannszügen ebenſo oft nachgezogen ſein als irgend
ein Autor ſpäterer Tage. In Gloſſen ſanctgalliſcher Handſchriften
wird indeß die Wachtel auch quasquila und quatala benannt. ſ. Hat-
temer Denkmale etc. I. 246 u. a.
114).
Nicht ohne Grund. Herr Luitfried drang damals mit gezücktem
Schwert unter Schmähreden auf den Biſchof ein; nachdem ihn ſeine
Oheime zurückgehalten und Rathes gepflogen, was mit dem Gefangenen
beginnen, ſtimmte er dafür, ihm entweder die Augen auszuſtechen oder
die rechte Hand abzuhauen. Auf dem Weg zur Thietpoldsburg zwang
man den Kirchenfürſten, etlichen herbei gelaufenen Schweinehirten die
Füße zu küſſen u. ſ. w.
115).
.. paratur citissime lavacrum ut pulvere et lassitudinis
tergeretur ſudore. Ekk. IV. caſuſ S. Galli c. 1. Pertz Mon.
II.
86.
116).
Commoditas talentum valet! (alter geiſtlicher Spruch.)
117).
.. Duellium die condicto cum aegre expectatus veniret,
ultra quam ipſe vellet ſuſceptum in conclave ſuo proximum,
ſuum, ut ipſa ait, manu duxit magiſtrum. Ibi nocte et die cum
familiari aliqua intrare ſolebat ad legendum pediſſequa, foribuſ
tamen ſemper apertiſ, ut, ſi quiſ etiam auſuſ quid eſſet, nihil
quod diceret, ſiniſtrum haberet. Illic quoque crebro amboſ
miniſtri et militeſ, principeſ etiam terrae, lectioni aut conſiliiſ
invenerunt agentes. Ekkeh. casus S. Galli cap. 10.
bei Pertz
Mon. II. 123.
118).
Siehe Grimm, deutſche Rechtsalterthümer, 1. Aufl. p. 339.
119).
S. Grimm, deutſche Mythologie, 3. Ausg. p. 695.
120).
.. vasque magnum, quod vulgo cupam vocant, quod
viginti et ſex modioſ ampliuſ minuſve capiebat, cereviſia ple-
num in medio habebant positum.“ Vita S. Columbani.
121).
Ausonius Idyll. 7.
122).
Das alemanniſch-ſchwäbiſche Heidenthum beruhte auf einem
einfachen Cultus der Natur. „Sie verehren Bäume, Waſſer-
D. B.VII. Scheffel, Ekkehard. 28
[434] ſtröme, Hügel und Bergſchluchten. Pferden, Rindern und vielen an-
dern Thieren ſchneiden ſie das Haupt vom Rumpf und bringen ſie
dieſen als Schlachtopfer dar,“ ſo ſchreibt der Grieche Agathias im
ſechsten Jahrhundert von den Alemannen im Gegenſatz zu den chriſt-
lichen Franken. „Betet keine Götzen an, weder an Felſen noch an
Bäumen, weder an abgelegenen Orten noch an Quellen, auch nicht
auf Kreuzwegen bringet eure Anbetung und eure Gelübde dar,“ pre-
digt der heilige Pirminius, Stifter der Reichenau, zwei Jahrhunderte
ſpäter. Wer da weiß, mit welcher Zähigkeit der Bauer in ſeiner
Sitte die Ueberlieferung altersgrauer Vergangenheit bewahrt, und wie
noch manche ſeiner heutigen Bräuche an die Opfer des Heidenthums
gemahnen, den wird es nicht befremden, im zehnten Jahrhundert noch
auf nächtliche biertrinkende Conventikel zu ſtoßen, die ſich von denen
zu des heiligen Columba Zeiten wenig oder gar nicht unterſcheiden.
Ob übrigens eine in ähnlichen Formen, wie die hier beſchriebenen,
ſich bewegende Sitte des gemeinſchaftlichen Trinkens auf den deutſchen
Hochſchulen, die unter dem Namen „einen Salamander reiben“ be-
kannt aber von Niemanden erklärt iſt, nicht auch einen Anklang an
altheidniſche Trankopfer enthalte, bleibe dahin geſtellt, wiewohl die
Wiſſenſchaft darüber einig iſt, daß „durch die religiöſe Bedeutung des
Trinkens ein überraſchender Zuſammenhang in mehrere andere Ge-
bräuche kommt“.
123).
Die Steinbrüche am ſ. g. Schienemer Berg wie die im be-
nachbarten Oeningen ſind ſpäter berühmt geworden durch ihre Petre-
facten, insbeſondere durch die ſeltenen Ueberreſte von Vögeln. Be-
kanntlich ward dort auch das Gebein eines rieſenmäßigen Salaman-
ders aufgegraben, in welchem der gelehrte Naturforſcher Scheuchzer
(1726) einen foſſilen Menſchen erkannte, bis daß Cuvier die wahre
Organiſation dieſes „Zeugen der Sündfluth“ nachwies. Vgl. Bur-
meiſter Geſchichte der Schöpfung, 5te Aufl., p. 518.
124).
Vita Sancti Galli lib. I. beiPertz, Monum. II. 7.
125).
Die Herzogin theilt hier dieſelben Grundſätze zweckmäßiger
Bekehrungspolitik, die der Pabſt Gregor der Große ſeiner Zeit in
[435] einem Schreiben an den Abt Mellitus und den Erzbiſchof Auguſtinus
von England ausgeſprochen. „Saget dem Auguſtinus, heißt es dort,
zu welcher Ueberzeugung ich nach langer Betrachtung über die Be-
kehrung der Engländer gekommen bin: daß man nämlich die Götzen-
kirchen bei jenem Volk ja nicht zerſtören, ſondern nur die Götzenbilder
darin vernichten, das Gebäude mit Weihwaſſer beſprengen, Altäre
bauen und Reliquien hineinlegen ſoll. Denn ſind jene Kirchen gut
gebaut, ſo muß man ſie vom Götzendienſt zur wahren Gottesverehrung
umſchaffen, damit das Volk, wenn es ſeine Kirchen nicht verſtören
ſieht, von Herzen ſeinen Irrglauben ablege, den wahren Gott erkenne
und lieber an den Stätten, wo es gewöhnt war, ſich verſammle.
Und weil die Leute bei ihren Götzenopfern viele Ochſen zu ſchlachten
pflegen, ſo muß auch dieſe Sitte ihnen zu irgend einer chriſtlichen
Feierlichkeit umgewandelt werden. Sie ſollen ſich alſo am Tag der
Kirchweihe oder am Gedächtnißtag der heiligen Martyrer, deren Re-
liquien in ihren Kirchen niedergelegt werden, aus Baumzweigen Hüt-
ten um die ehemaligen Götzenkirchen machen, den Feſttag durch reli-
giöſe Gaſtmähler feiern, nicht mehr dem Teufel Thiere opfern, ſon-
dern ſie zum Lobe Gottes zur Speiſe ſchlachten, dadurch dem Geber
aller Dinge für ihre Sättigung zu danken, damit ſie, indem ihnen
einige äußerliche Freuden bleiben, um ſo geneigter zu den innerlichen
Freuden werden. Denn rohen Gemüthern auf einmal Alles abzu-
ſchneiden, iſt ohne Zweifel unmöglich, und weil auch derjenige, ſo auf
die höchſte Stufe ſteigen will, durch Tritt und Schritt, nicht aber
durch Sprünge in die Höhe kommt.“ ſ. Mone Geſchichte des Hei-
denthums etc. II. 105.
126).
Das Aufnageln von Pferdeſchädeln war uralte Gewohnheit
deutſcher Völker. Schon die römiſchen Legionen, die Caccina in die
Einſamkeit des teutoburger Waldes führte, um den Gefallenen der
Varusſchlacht die letzte Ehre zu erweiſen, erſchracken, da von den
Stämmen der Eichen die angenagelten Häupter geopferter Römer-
pferde auf das bleichende Gebein gefallener Krieger und die Schlacht-
altäre herabnickten. Tacitus Annal. I. 61.
127).
Den merkwürdigen Gebrauch, daß durch Werfung der „Chrene
Chruda“ auf den nächſten zahlungsfähigen Verwandten dieſer in das
28*
[436] durch Blutſchuld verwirkte Wehrgeld des zahlungsunfähigen Thäters
eintreten mußte, beſchreibt die lex Salica (ed. Merckel) cap. 58.
Der Name Chrene Chruda iſt noch nicht hinlänglich erklärt. Man
hat es mit „grünes Kraut“ oder nach Grimm Rechtsalterthümer p.
116 mit „reines Kraut“ zu überſetzen geſucht, indem die Räumung
eines Landes oder die Uebertragung eines Grundſtückes auf einen An-
dern zu eigen oder zu Pfand durch Uebergabe einer mit Gras be-
wachſenen Erdſcholle, eines Stückes Waſen ſymboliſch angedeutet
wurde. Aber nach der lex salica war das, was geworfen wurde,
die aus den vier Ecken der Stube, wo doch kein Kraut wächst, zu-
ſammengeraffte Erde. ſ. Walter deutſche Rechtsgeſchichte §. 443. Da
übrigens dieſer Gebrauch nur bei den Salfranken urkundlich nach-
weisbar iſt und auch dort ſchon frühe aufgehoben ward (lex Salica
nov. 262, 263, 164)
, ſo bleibt es ziemlich unklar, wie derſelbe hier
als ein im zehnten Jahrhundert in Alemannien geltender aufgeführt
werden kann.
128).
Dem „böſen Auge“ der Hexen wurden viel üble Wirkungen
zugetraut; es kann Säuglinge ſchwindſüchtig machen, Kleider in Stücke
reißen, Schlangen tödten, Wölfe ſchrecken, Straußeneier ausbrüten,
Ausſatz erwecken etc. Als Schutz gegen ſolche „fascinirende“ Blicke
pflegte man auch die Pfote des blinden Maulwurfs zu tragen. S.
Grimm deutſche Mythologie p. 1053.
129).
.. si quis mulierem „stria“ clamaverit et non potuerit
adprobare
u. ſ. w. lex Salic. c. 64.
130).
„ Din got der ist ein junger tôr,
ich will glouben an den alten.“
St. Oswald.
()
131).
Folchardi codex aureus (Handſchrift der ſanctgalliſchen
Bibliothek) pag. 75.
132).
„Eine Geſchichte der deutſchen Kuchen und Semmeln ließe
ſich nicht ohne unerwartete Auſſchlüſſe zuſammenſtellen.“ Grimm
deutſche Mythologie 3. Ausg. p. 56.
133).
Biſt du nicht auch ſchon, verehrte Leſerin, in ſtiller Einſamkeit
der Nacht kartenſchlagend oder bleigießend oder looswerfend damit
beſchäftigt geweſen, den künftigen Freier zu ergründen? All dieſe
Mittel zu Errathung kommender Dinge ſind Reſte grauen Heiden-
thums. — Auch des Kämmerer Spazzo Thurmgang ſcheint Aehnliches
bezweckt zu haben. Es war nicht ungewöhnlich, daß man ſich in der
Neujahrsnacht auf das Hausdach ſetzte, ſchwertumgürtet, um die Zu-
kunft zu erforſchen. S. Grimm Mythol. p. 1070.
134).
.. Sacratos noctis venerabilis hymnos.
135).
Ueber die in jenem Zeitalter hervorragenden alemanniſchen
Grafen und Herrengeſchlechter ſ. Stälin Geſchichte von Würtemberg
I. 544 u. ff.
136).
Nova stella apparuit insolitae magnitudinis, aspectu
fulguranſ et oculoſ verberanſ, non ſine terrore. Annaleſ S.
Gallenses majores
bei Pertz Mon. I. 8.
137).
ſ. Berthold der Heerwurm, gebildet aus Larven der Thomas
Trauermücke, Göttingen 1854.
138).
Der fromme Wahnglaube vom Hereinbrechen des jüngſten
Tages und vom bevorſtehenden Ende der Welt war in carolingiſcher
und ſpäterer Zeit ein ſehr häufiger. Viele Vornehme und Geringere
ſahen ſich dadurch, behufs der Sicherung ihres Seelenheils, zu Schen-
kungen an die Kirche veranlaßt. Mundi terminum appropinquantem
ruinis crebrescentibus jam certa signa manifestant,
beginnt
z. B. ein in Mone's Anzeiger 1838. p. 438 mitgetheilter Schen-
kungsbrief.
139).

Seit Ausgang des 9ten Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte
des 10ten gehörten die Einfälle der Ungarn in den deutſchen Gauen
zu den gewöhnlichen Landplagen; Nord und Süd wurden von ihnen
heimgeſucht. Die gleichzeitigen Geſchichtſchreiber nennen ſie bald Avaren
oder Agarener, bald Ungarn (wobei der Name in abentheuerlicher
[438] Etymologie vom Hunger abgeleitet wird, der ſie aus den Steppen Pan-
noniens vorwärts trieb .. innumerabilis eorum crevit exercitus et
a fame quam patiebantur, Hungri vocati ſunt. Epiſtola Re-
migii
bei Martène collect. I. 234), noch öfter aber Hunnen, wiewohl
die Abſtammung derſelben von den Hunnen König Attila's keineswegs
zu den erwieſenen Thatſachen gehört. Letztere alterthümliche Bezeich-
nung iſt in unſerer Erzählung beibehalten.


Umſtändlichere Schilderung dieſes fremden Reitervolkes gibt ſchon
Regino in ſeinem Chronicon ad ann. 889. (Pertz Mon. I. 600).
Das Bild, das er von den grauſamen, Alles zerſtörenden, nie aus
dem Sattel kommenden, von erſchlagener Feinde Herzen ſich nährenden
Scheuſalen entwirft, macht einen ſchauerlichen Eindruck und würde
noch mehr zum Mitleid mit den von ihnen Heimgeſuchten ſtimmen,
wenn es nicht meiſt aus der Hiſtorie des Juſtinus lib. 41 c. 2 und
3 wörtlich abgeſchrieben wäre, der die Seythen in dieſer Weiſe charak-
teriſirt. Die mehrfachen Verheerungen der alemanniſchen Lande ſind
erwähnt in den alaman. Annalen bei Pertz Mon. I. 54, der einſt
von den Kammerboten und dem Argengaugraf Ulrich wider ſie erfoch-
tene Sieg am Inn in den annales S. Gallenses major. bei Pertz.
Mon. I.
77.

140).
S. G. Schwab der Bodenſee nebſt dem Rheinthale, Theil II.
p.
119.
141).

Dieſe Worte Ekkehard's enthalten einen Anklang an das den
ſanctgaller Mönchen wohlbekannte alemanniſche Landrecht, ſcheinen
jedoch auf einer gewiſſen Verwechslung zu beruhen. In tit. 99. no.
22 (ed. Lindenbrog) findet ſich nämlich folgende Beſtimmung:


„Wenn ein fremder Hund einen Mann getödtet hat, ſoll deſſen
Eigenthümer den Hinterbliebenen das halbe Wehrgeld auszahlen.
Verlangt die Familie des Getödteten das ganze Wehrgeld, ſo muß
ihr dies zwar gewährt werden, aber nur unter der Bedingung, daß
alle Zugänge des Hauſes bis auf einen abgeſchloſſen werden, daß ſie
allezeit durch dies eine Thor ein- und ausgehen, und daß über dieſer
Schwelle der fremde Hund in einer Höhe von 9 Fuß aufgehängt
werde und aufgehängt bleibe, bis daß er ganz verfault und ſeine
[439] Knochen ſtückweis herabfallen. Würden die Bewohner des Hauſes den
todten Hund wegzuſchaffen oder durch eine andere Thüre einzugehen
verſuchen, ſo ſollen ſie auch des bereits empfangenen halben Wehrgelds
verluſtig gehen und jeden weitern Anſpruch verlieren.“ Dieſer aus
hohem Alterthum ſtammenden Verfügung liegt das Motiv zu Grund,
den Verwandten, die den vom Eigenthümer des Thiers nicht verſchul-
deten Todesfall allzu geldgierig auszubeuten ſuchen, eine gewiſſe
Schmach anzuhängen und ſie dadurch abzuhalten, die äußerſte, nach
dem damaligen Strafgeſetz allerdings formell zuſtehende Entſchädigung
zu beanſpruchen. Aehnliches kennt das altnordiſche Recht. ſ. Grimm
Rechtsalterthümer p.665.

142).

Die Heilkunde unſerer Tage wendet dieſe und ähnliche Mittel
nicht mehr an. Sie beruhten zum Theil auf der Anſicht, daß die
Krankheiten dem Einfluß der Dämonen zuzuſchreiben. Vieles übrigens,
was in jener Zeit officiell verordnet wurde, findet ſich im Kreis der
ſ. g. ſympathetiſchen Mittel noch vor, die in ununterbrochener Ueber-
lieferung von den Bauersmännern, Schäfern und Schmieden, die
heutzutag noch trotzig daran glauben, bis in fernes Heidenthum hinauf
reichen. Daß eine ähnliche Kur, wie die zuletzt erwähnte, von gutem
Erfolg begleitet war, meldet der fränkiſche Geſchichtſchreiber Gregor
von Tours in ſeiner Schrift über die Wunder des heiligen Martinus
aus eigener Erfahrung. „Im zweiten Monat nach ſeiner Ordination
als Biſchof erkrankte er an der Ruhr ſo heftig, daß man an ſeinem
Leben verzweifelte. Da alle Arzneien fruchtlos geblieben waren, ließ
er ſich Staub vom Grabe des Heiligen bringen, nahm ihn in einem
Trank um die dritte Tagesſtunde und wurde davon auf der Stelle
ſo geheilt, daß er um die ſechste zur Mahlzeit ging.“ Löbell, Gregor
von Tours und ſeine Zeit p. 277.


Manches Intereſſante in Betreff ehemaliger Heilkunde würde wohl
ein ſachverſtändiger Arzt in dem tractatus insignis medicinalis der
ſanctgalliſchen Handſchrift 105 vorfinden.

143).
.. nihil fame improbrius et sacrius!
144).
Wenigſtens zählt noch G. Schwab in ſeinem Werk über den
Bodenſee unter „den Merkwürdigkeiten von Sipplingen“ sub Nro. 3
[440] auf: „der Sipplinger Wein als der ſchlechteſte am Bodenſee.“ Neuer-
dings indeß ſoll der dortige Rebenſaft um ein bedeutendes beſſer ge-
worden ſein als ſein Ruf.
145).
ſ. Einhardi vita Caroli M. c. 13. bei Pertz Mon. I. p. 449.
146).
ſ. Gibbon Geſchichte des röm. Weltreichs cap. 35.
147).
„Scitis“ inquit, „o fideles mei, quid tantopere plora-
verim? Non hoc, ait, timeo, quod iſti nugae et nihili mihi
aliquid nocere praevaleant; ſed nimirum contriſtor, quod me
vivente auſi ſunt lituſ iſtud attingere, et maximo dolore tor-
queor, quia praevideo, quanta mala poſteriſ meiſ et eorum
ſunt facturi ſubjectiſ.“ Monachi San Gallenſ. geſta Caroli, II.
14
bei Pertz Mon. II. 757.
148).
Dieſe Auffaſſung der vielbeſprochenen und folgenſchweren
Krönung Karl des Großen in Rom am Weihnachtsfeſt 800. zum
Kaiſer und Schirmherr der römiſchen Kirche entſpricht der Anſicht, die
die Zeitgenoſſen von der Sache hatten. Der Pabſt, der dadurch das
läſtige Schutz- und Aufſichtsrecht ſeiner byzantiniſchen Oberherrn los-
werden wollte, hatte ſeinen beſtimmten Plan, wenn er auch die Trag-
weite und Folgen des Ereigniſſes nicht im Auge hatte, Seitens des
fränkiſchen Herrſchers aber war die Annahme dieſer Kaiſerwürde ein
Act der Uſurpation den legitimeren Byzantinern gegenüber und es iſt
wohl zu erklären, warum die Berichterſtatter erzählen, er würde an
jenem Tage keinen Fuß über die Schwelle der Peterskirche geſetzt
haben, wenn er des Pabſtes Abſichten hätte errathen können, ſ. den
Monachus San Gallensis und Einhardi vita Caroli M. cap. 16
und 28.
149).
ſ. Hincmar von Rheims Annalen ad ann. 862. bei Pertz
Monum. I. 458.
150).
ſ. Herrmann des Lahmen von Reichenau Chronik ad ann.
888
bei Pertz Mon. 5. 109.
151).
.. „vel, ut perturbatores reipublicae dignum est pati,
uſque ad cinerem concremati et in omnem ventum diſperſi
cum nominibuſ vel potiuſ ignominia et memoria ſua condem-
nentur in secula!“ Erchanberti breviarium ad ann. 880.
bei
Pertz Monum. II. 330.
152).

Die Geſtalt des Alten in der Heidenhöhle möchte hiſtoriſch
etwas anzuzweifeln ſein. Alle Merkmale deuten auf Karl den Dicken,
aber der war eigentlich längſt geſtorben, bevor die erſte Stunde des
zehnten Jahrhunderts ſchlug. Indeß, was die Geſchichte trennt, fügt
die Sage wieder zuſammen, und wie ſie einſt dem oſtgothiſchen Dietrich
von Bern im Nibelungenlied eine Stellung verſchaffte, auf die er,
ſeinen hiſtoriſchen Präcedentien nach, gar keine nachzuweiſenden An-
ſprüche hat, ſo gefällt es ihr, den letzten Träger des carolingiſchen
Weltreichs an einen ſtillen Ort zu entrücken und ihm eine Gerech-
tigkeit angedeihen zu laſſen, die ihm die Mitlebenden verſagten.


Eines Gerüchtes, daß der alte Kaiſer nicht geſtorben, ſondern von
ſeinen Feinden ſtrangulirt worden ſei, erwähnt der Mönch von Vaast
in ſeinen Jahrbüchern bei Pertz Mon. II. 203. Das Volk aber, das von
ihm ein ganz ander Bild im Herzen trug, als der Haß der Parteien,
die ihn mit entſtellten Zügen der Nachwelt geſchildert, und das in
dem hereingebrochenen Jammer der nächſten Jahrzehnte keinen Grund
fand, ſeine Abſetzung als den Anbruch beſſerer Zeiten zu begrüßen,
hielt in Alemannien an dem Glauben feſt, daß er gar nicht geſtorben
ſei und noch, wie früher und ſpäter manch ein anderer Held, in irgend
einer Höhle verborgen ſitze, um zu rechter Stunde wieder herauszu-
treten und die Zügel ſeines Reiches zu Handen zu nehmen. Mehrere
Aufſtände in Alemannien gegen den durch Karl des Dicken Sturz
empor gekommenen Kaiſer gaben Zeugniß von dem Antheil, den man
für ſeinen abgeſetzten Vorfahr hegte.


Auch die neuere Geſchichtſchreibung beginnt, die wahren Gründe
der Abſetzung und das ſeither dem dicken Kaiſer zugefügte Unrecht
einzuſehen, und es wird zugegeben, daß die Machinationen des hohen
Clerus, der damals mit der Einführung des pſeudo-iſidoriſchen Kirchen-
rechts in Deutſchland beſchäftigt war und einen ſeinen herrſchſüchtigen
Beſtrebungen willfährigen Kaiſer bedurfte, „guten Theils“ an jener
[442] Abſetzung ſchuld geweſen. S. Gfrörer Geſchichte der oſt- und weſt-
fränkiſchen Carolinger II. 293.

153).
„Fortis juventus, virtus audax bellica,

Veſtra per muroſ audiantur carmina

Et ſit in armiſ alterna vigilia

Ne frauſ hoſtiliſ haec invadat moenia.

Reſultat Echo comeſ: Eja, vigila!

Per muros eja dicat Echo vigila!“

Gefahr lehrt Verſe machen! Der Geſang der Nachtwachen von
Modena, deſſen ganzen Text Muratori antiq. Ital. III. 709 mittheilt,
wetteifert an Wärme und rhytmiſchem Schwung mit den Kriegs-
liedern aller Zeiten. — Einen Bittgeſang an den heiligen Geminianus
um Schutz und Schirm wider die Hunnen in gleichem Metrum ſ. bei
Muratori antiq. Ital. I. 22.

154).
Mit Aufrichtung der Fahne wurde das Volk aufgeboten und
verſammelt. Nach nordiſchem Brauch wurde im Fall feindlichen Ein-
bruchs ſchnell ein Pfeil herumgeſchickt, das Volk zu entbieten, herör,
der Heerpfeil. S. Grimm Rechtsalterthümer 161. 162.
155).
Walafrid Strabo, Abt der Reichenau, ein gefeierter Dichter
der carolingiſchen Epoche. Manche ſeiner lateiniſchen Poeſien ſind von
einem zarten Hauch durchweht, der an die Elegiker des Alterthums
erinnert. Es finden ſich darunter eine Beſchreibung ſeines Kloſter-
gartens, ſowie eine Elegie an ſeine Freundin (ad amicam), und
hierauf ſcheint ſich Simon Bardo's Aeußerung zu beziehen. Der An-
fang der letztern iſt allerdings ſehr weich:
„Wenn mildſchimmernden Scheins der Mond den Aether durchleuchtet,

Dann durch die wehende Nacht, o Freundin, ſchaue zum Himmel,

Eingedenk, wie von dort die reine Leuchte herabglänzt

Und mit demſelbigen Strahl uns beide freundlich umſchlinget,

Die wir leiblich zwar fern, doch geiſtig in Liebe uns nah ſind.

Darf auch nimmer mein Auge in dem der Geliebten ſich ſpiegeln,

Bleibt uns der Mond doch als Pfand von ſtill glückſeligem Ehmals etc.“

Des Mehreren von ihm iſt nachzuleſen bei: Canisius Lect. ant. ed.
Basnage, pars II. 183
u. ff.
156).
Das griechiſche Feuer, eine Miſchung von Naphta, Schwefel
und Pech, durch Waſſer nicht zu löſchen, leiſtete ſeine Dienſte ſchon
bei der Belagerung Conſtantinopels im Jahr 716 wider die Sara-
cenen und rettete im Jahr 941 die Hauptſtadt vor einer ruſſiſchen
Flotte, die unter Igor, Rurik's Sohn, die ſchon damals gangbare
Prophezeihung zu verwirklichen drohte, daß die Ruſſen „in den letzten
Tagen Herren von Conſtantinopel werden würden“. Seine Verwen-
dung wurde zu einer förmlichen Artilleriekunſt ausgebildet, und von
den griechiſchen Kaiſern als ein wichtiges Staatsgeheimniß bewahrt.
Die franzöſiſchen Kreuzfahrer, die der heilige Ludwig in Orient führte,
beſchreiben mit aufrichtigem Entſetzen den Anblick der zerſtörenden
Geſchoſſe. ſ. Joinville, histoire de St. Louis. Paris 1668. p. 39.
157).
.. ipse velut Domini gigans lorica indutus, cucullam
ſuperinduenſ et ſtolam ipſoſ eadem facere jubet: „Contra dia-
bolum, ait, fratreſ mei, quam hactenuſ animiſ in Deo confiſi
pugnaverimuſ, ut nunc manibuſ oſtendere valeamuſ, ab ipſo
petamus.“ Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3. Pertz II. 104.
158).
Jornandes de rebus geticis cap. 24.
159).
.. tollensque manu sua de pallio suo filum projecit in
terram et dixit: „Ecce in teſtimonium perfectae remiſſioniſ
filum de pallio meo projicio in terram, ut cunctiſ pateat quod
pristina deinceps annulletur inimicitia.“ Vita S. Sturmi cap. 18

bei Pertz Mon. II. 374.
160).
Der erwähnte Smaragd befindet ſich noch im Kirchenſchatz
der Pfarrkirche Mittelzell auf Reichenau. Er hat das Schickſal der
berühmten Smaragdſchüſſel von Genua getheilt, die als sacro catino
für das unſchätzbare Palladium der Stadt galt und in den napoleo-
niſchen Kriegen als ſolches nach Paris abgeführt ward, allwo die
Unterſuchungscommiſſion des franzöſiſchen Inſtituts (1809) ſie für
einen gefärbten Glasfluß erkannte; — ein Mangel an Romantik, der
die Zurückgabe des Beuteſtücks an die Genueſen „weſentlich erleichterte“.
Es war ſehr zweckmäßig, ein ſolches Schau- und Prachtſtück im
[444] Kirchenſchatz zu haben, um im Fall der Noth ein namhaftes Anlehen
darauf aufnehmen zu können.
161).
Erat tunc inter nostrates frater quidam simplicissimus
et fatuuſ, cujuſ dicta et facta ſaepe ridebantur, nomine Heri-
baldus ... Ekkeh. casus S. Galli cap. 3.
162).
.. enimvero, ait ille, fugiat qui velit; ego quidem,
quia corium meum ad calceoſ camerariuſ hoc anno non dedit
nusquam fugiam!“ Ekkeh.1. c.
163).
Fabricantur spicula, piltris loricae fiunt, fundibula plec-
tuntur, tabuliſ compactiſ et wanniſ ſcuta ſimulantur, ſparroneſ
et fustes acute focis praedurantur.“ Ekkeh. 1. c.
164).
Aeneis VII. 631 u. ff.
165).
.. „equitans vir dei.“ vita Liutger. bei Pertz Mon. I. 412.
166).
Ausführlich und ſich gegenſeitig ergänzend beſchrieben bei
Ekkehard. IV. casus S. Galli cap. 3. und den Biographen der
heil. Wiborad (ſ. Not. 40) namentlich bei Hepidan. vita Wiboradae
cap. VI. 24. (Acta sanctor. Mai. I. 305.)
167).
.. „locum enim, quem contra versutias antiqui hostis
pugnatura elegi, Deo juvante ſpiritu redeunte ad eum qui dedit
illum, etiam corpore tegam!“ Hepidan 1. c. p. 304.
168).
... quasi canem audierat mussitantem ... et intellexit
temptatorem: „Eſne tu, inquit, iterum ibi? Quam bene tibi
miſer contigit nunc muſſitanti et grunnienti poſt glorioſaſ
voceſ illaſ, quaſ in coeliſ habueraſ?“ Ekkeh. caſuſ S. Galli
cap. 3
bei Pertz Mon. II. 98.
169).
Regula S. Benedicti cap. 53, de hospitibus suscipiendis.
170).
... Augustaque diu obsessa, precibus Udalrici episcopi
ſanctiſſimi quidem inter omneſ tunc temporiſ viri, repulſi ...
Ekkeh. casus S. Galli cap. 3.
171).
ſ. Grimm deutſche Mythologie, p. 269.
172).
Schon unter Karl dem Großen beſtand lebhafter Handelsver-
kehr mit Slawen und Awaren (Capitulare v. 803 bei Pertz Mon. III.
133)
und die nordiſchen Theile des Reichs verſchafften ſich die Produkte
des Südens. Ermoldus Nigellus († 836) in ſeinen weinerlichen
Gedichten nennt frieſiſche Kaufleute als Ankäufer des elſaſſiſchen Wei-
nes, den ſie auf dem Rhein fortführten. Auch am mittleren Neckar
waren dieſelben wohl bekannt. ſ. Stälin wirtemberg. Geſchichte I. 402.
173).
... „In einer Kirchen war ein Abgott, Triglaff geheißen, und
neben dem hingen viel Waffen und Harniſch, ſo ſie im Kriege erwor-
ben und dem Abgotte geſchenket hatten, und güldene und ſilberne Be-
cher, damit ſie pflagen zu wicken und daraus zu weiſſagen und zu-
khünfftige Dinck erfharen und daraus die Edelen pflagen zu hohen Feſten
zu trinken; auch große Urochßenhörner in ſilber gefaßt und Trom-
meten zum Kriege, ſchwerter und dolche und ander köſtlich Zeug und
Geräthe, das hübſch und kunſtreich von Arbeit und zu der Götzen
geſchmuck beſcheeret war. ... Und der Götze Triglaff war von Golde
und hatte drei Köpfe, davon er auch ſo genennet iſt worden, denn
triglafi auf wendiſch heißen drei köpfe, damit ſie haben bedeuten wollen,
daß er ein Gott were über himmel, erde und helle. Den nahm Sant
Otto mit ſich wegk, und ſchickte ihn dem Pabſt Honorio zu einem
triumpff und zu einer Anzeigung der Pommern Bekehrung.“ Thomas
Kantzow, Pomerania oder Urſprunck, Altheit und Geſchicht der Völcker
und Lande Pommern, Caſſuben, Wenden, Stettin, Rhügen. (ed. Koſe-
garten) pag. 107.
174).
.. fatuitatis monstrum ubi sentiunt, omnes illi risibiles
parcunt. Ekkeh. casus S. Galli c. 3.
175).
.. nam cum quidam illorum ascia vibrata unum retina-
culorum ſuccideret, Heribalduſ inter eoſ jam domeſtice ver-
[446] ſatuſ: Sine, inquit, vir bone, quid viſ vero, ut noſ, poſtquam
abieritis, bibamus?“ Ekkeh. l. cit.
176).
ſ. Ekkehard's Erzählung bei Pertz Mon. II. 104.
177).
postquam vero mero incaluerant, horidissime diis suis
omnes vociferabant. ..l. c.
Das Lied mag ſich auf Attila's Abenteuer
mit der Prinzeſſin Honoria, Schweſter des Kaiſer Valentinian, beziehen,
die aus Rache dafür, daß ſie wegen unſtandesgemäßer Neigung zu
ihrem Kämmerer Eugenius in's Kloſter geſteckt worden, den Barbaren-
monarchen durch Ueberſendung eines Ringes anflehte, ſie als ſeine
Verlobte und Gattin heimzuführen. ſ. Gibbon Geſchichte des röm.
Weltreichs cap. 35.
178).
.. et effusa laetitia saltant coram principibus. Ekkeh. IV. l. cit.
179).
Cambutta. scottica vox, baculum significans. Nach dem
Tode des heiligen Columban wurde dem heiligen Gallus deſſen Cam-
butta als Andenken überbracht. ſ. vita Sancti Galli bei Pertz Mon.
II. 14,
und I. v. Arx Anmerkung. Man irrt wohl ſchwerlich, wenn
man ſich eine ſolche Cambutta weniger elegant denn keulenartig denkt,
da ſchon vom gewöhnlichen Spazierſtock der Zeitgenoſſen Karl des Großen
eine wahrhaft ſchreckbare Beſchreibung überliefert iſt. ... baculus de
arbore malo, nodiſ paribuſ admirabiliſ, rigiduſ et terri-
bilis!
Monachus San Gallensis I. 34,
bei Pertz Mon. II. 747.
180).
... „ubicunque autem hae reliquiae fuerint, illic pax et
augmentum et lenitaſ aëriſ ſemper erit.“ Annaleſ San Gallenſ.
major.
bei Pertz Mon. I. 71.
181).
Offenbarung Johannis 20, 7. Allgemein hielt man den Gog
und Magog der Schrift in den Ungarn verkörpert und ſah in ihnen
die Vorläufer des Weltendes; die Frage wurde ernſthafter theologiſcher
Prüfung unterzogen. ſ. Gibbon Geſchichte des röm. Weltreichs. cap. 55. II.
182).
Die Ehre des erſten Angriffs im deutſchen Reichsheer galt
für ein von Altersher den Schwaben zuſtehendes Vorrecht. Nach dem
[447] Schwabenſpiegel verleiht Karl der Große: swa man umbe des riches
not striten sollte, da sulen die swabe vor allen sprachen striten.

Landrecht §. 32. — Eine Reihe anderer Stellen aus Geſchichtſchrei-
bern und Dichtern deſſelben Inhalts ſ. bei Stälin, wirtemberg. Ge-
ſchichte I. 393.
183).
Waffen, Feindio! der alte clamor ad arma, Allarm, Waffen-
ſchrei. ſ. Grimm Rechtsalterthümer p. 876. Gleiche Sprachbildung —
Verſtärkung des Subſtantivs durch einen angehängten Ausruf — liegt
den Hilferufen Mordio! Feurio! u. ſ. w. zu Grund.
184).
„Ich ſelbſt, ſprach Attila vor Beginn der Schlacht in den
catalauniſchen Feldern zu ſeinen Kriegern, werde den erſten Wurfſpieß
ſchleudern und der Elende, der ſich weigert, das Beiſpiel ſeines Fürſten
nachzuahmen, iſt unvermeidlichem Tode verfallen!“ ſ. Gibbon a. a. O.
Kap. 35. (7).
185).
Noch im ſechzehnten Jahrhundert bewahrten die deutſchen Lands-
knechte die Sitte, ſich rücklings Erde über's Haupt zu ſtreuen, ehe ſie
in's Wogen des Treffens rückten. So der tapfere Georg von Frunds-
berg vor der Schlacht von Pavia.
186).

Wir können uns nicht enthalten, den einfach großartigen Text
des Notkeriſchen Liedes media vita mitzutheilen, ſo wie ihn I. v. Arx
ſeinen Geſchichten des Kantons St. Gallen I. p. 95 einverleibt hat.


„Media vita in morte sumus, quem quaerimus adjutorem,
nisi te domine, qui pro peccatis nostris juste irasceris.


V. In te speraverunt patres nostri, speraverunt et libe-
rasti eos.


R. Sancte deus.


V. Ad te clamaverunt patres nostri, clamaverunt et non
sunt confusi.


R. Sancte fortis.


V. Ne despicias nos in tempore senectutis, cum defecerit
virtus nostra, ne derelinquas nos.


R. Sancte et misericors Salvator, amarae morti ne
tradas nos.“


[448]

Es fand ſo großen Anklang im Gemüth frommer Streiter, daß
eine Synode zu Cöln ſich gemüſſigt ſah anzuordnen, Niemand ſolle
ohne ſeines Biſchofs Erlaubniß gegen irgend einen Menſchen das
media vita ſingen. In das evangeliſche Kirchenlied ging es über
durch Luther's Ueberſetzung: „Mitten wir im Leben ſind von dem
Tod umfangen etc.“

187).
.. haud mora, bellum incipitur atque ex Christiano-
rum parte, ſancta mirabiliſque vox „kyrie,“ ex eorum turpiſ
et diabolica „hui, hui!“ frequenter auditur.“ Luitprand v. Cre-
mona de reb. imp. et regum lib. II. cap. 9.
188).
Folchardi codex aureus (Bibliothek zu St. Gallen) p. 39.
189).
ſ. Bernhard Bader, Volksſagen aus dem Lande Baden. p. 34.
190).
Den merkwürdigen Landhag, mit dem die Ungarn zu Karl
des Großen Zeit ihre Grenzen geſperrt hatten, beſchreibt nach Erzäh-
lung eines Augenzeugen der Mönch von Sanct Gallen, gesta Caroli
lib. VI, cap. 1.
bei Pertz Mon. II. 748.
191).
... iam mitius agendum inter Teutones!
192).
nam et villani quidam praedocti ollas, prunas in proximo
monte parataſ habenteſ, tumultu audito faceſ accenſaſ levabant,
et, ut diſcretionem ſociorum et hoſtium noſſent, quaſi perluſ-
trium fecerunt.
Die anſchauliche Darſtellung dieſes Ueberfalls des
ungariſchen Lagers im Frickthal durch Irminger den Alten mit ſeinen
ſechs Söhnen und ihrer Mannſchaft gibt Ekkeh. IV. casus S.Galli
cap. 3.
bei Pertz Mon. II. 110. Im Schein der rings auf den
Bergen flammenden Feuerzeichen ſtürmten ihre drei Heerhaufen in den
ſorgloſen Feind. Wer nicht in keckem Schwimmen über den Rhein
ſetzte, wurde erſchlagen; die Beuteſtücke der Schlacht weihte Irminger
dem Münſter des heiligen Fridolin zu Seckingen. Eine auf dem rech-
ten Rheinufer gelagerte ungriſche Schaar zog ſich auf die Nachricht
dieſer Niederlage in's Elſaß hinüber.
193).

„Mir wird ſo kühl im Harniſch,“ ſprach der Fiedelmann,
Drum glaub' ich, daß der Morgen ziehet ſchon heran,
Ich ſpür' es an der Kühle, es wird wohl balde Tag ...“
Nibelungenlied, Avent. 31.

194).
... „Es iſt ein grauſam Ding, anzuſehen. Dieſer Fall heißt
zu unſeren Zeiten „am Laufen“. Es wird dies Waſſer, ſo es oben
herabfällt, zu einem ganzen Schaum, es ſtäubt über ſich gleichwie weißer
Rauch. Da mag kein Schiff herabkommen anders es zerfiel zu Stucken.
Es mögen auch keine Fiſch die Höhe dieſes Felſen überſteigen,
wann ſie ſchon ſo lange krumme Zehen hätten wie das Meerthier
Rosmarus oder Mors genannt.“ Sebaſtian Münſter, Kosmographey,
s. v. Schaffhauſen, pag. 561.
195).
„Sahspach, Hadewigae beneficii villa.“ ſ. Ekkeh. IV. ca-
sus S. Galli c. 10
bei Pertz Mon. II. 135.
196).
Verfluchungen gegen etwaige Widerſacher gehörten bei allen
auf Vergabungen, Eigenthumsübertragungen, Stiftungen etc. bezüglichen
Urkunden zum Kanzleiſtyl. Man war in den verſchiedenen Formen
von erfindungsreicher Mannigfaltigkeit. „Es fühle der Leib in den
Jahren ihres Lebens den Vorſchmack der unendlichen Höllenpein, wie
Heliodor, welchen die Engel geſtäubt, wie Antiochus, welchen die Wür-
mer gefreſſen,“ heißt es z. B. im Stiftungsbrief des Kloſters Peter-
lingen. „Wer mit böswilligem Gemüth dieſe Schrift liest,“ wird
anderswo gewünſcht, „möge zur Stelle erblinden!“ S. Joh. v. Müller
Geſchichte der Schweiz I. 253. Eine Zeit, die ſich ſo umfangreich
auf's Segnen verſtand, mußte nothwendig auch im Fluchen Erkleck-
liches leiſten.
197).
„... et multi illorum comprehensi sunt cum rege eorum
nomine Pulſzi et ſuſpenſi ſunt in patibuliſ.“ Annaleſ S. Gal-
lenses major. ad ann. 955
bei Pertz Mon. I. 79.
198).
„Qui dubitans minime, huic illam nubere posse.“
Ruodlieb fr. XVI, v. 15.
()
199).
„Mich macht ein kleines Hälmchen froh,

Es ſagt, mir ſolle Gnade kommen;

Ich maß daſſelbe kleine Stroh

Wie ich's bei Kindern wahrgenommen,

Nun höret All und merkt ob ſie es thu:

Sie thut, thut's nicht, ſie thut, thut's nicht, ſie thut!

Wie oft ich maß, ſtets war das Ende gut.“

Herr Walter von der Vogelweide (überſetzt bei Simrock deutſches
Leſebuch 1854 pag. 208).

200).
„... corda hominum quos capiunt, particulatim dividentes
veluti pro remedio devorant.“ Regino Chronicon ad ann. 889

bei Pertz Mon. I. 600.
201).
... Der ist sâlic der dri behûttet sîne gewate daz er
nihet naccetne gange
u. ſ. w. Predigt, mitgetheilt von I. von Arx
aus einem Pergamentblatt des XI. Jahrhunderts und verbeſſert heraus-
gegeben bei Hattemer Denkmale etc. I. 326.
202).
ſ. Grimm Rechtsalterthümer p. 723. s. v. „Dachabdeckung.“
203).
„Ungar baptizatus uxorem duxit, filios genuit.“ Ekkeh. IV.
casus S. Galli c. 3.
204).
Rüdiger Maneſſe's Sammlung I. 87.
205).
ſ. Grimm Rechtsalterthümer p. 726 s. v. „Prellen“.
206).
ſ. lex Ripuariorum cap. 57. Der auf ſolche Weiſe Frei-
gelaſſene hieß homo denarialis.
207).
ſ. Ekkeh. IV. casus S. Galli cap. 10 bei Pertz Mon. II. 135.
208).
Wiewohl wir nicht hoffen, daß einer der Leſer ſich verſucht
fühle, Gunzo's pomphaftes Werk nachzuſchlagen, ſei doch der Ort an-
gegeben, wo es zu finden. Es ſteht in der gelehrten Benedictiner
[451]Martène et Durand collectio veterum scriptor. et monumentor.
Tom I. 294
als Epistola Gunzonis ad Augienses fratres;
ein geſchichtlicher Beweis, daß auch vor Ehren Götze und Allen, die
heutigen Tages auf den Pfaden gelehrter Injurie ſelbſtgefällig lächelnd
einherſchreiten, tapfere Männer gelebt haben. Aehnliche Leiſtungen hat
wohl Baronius im Auge gehabt, da er das zehnte Jahrhundert ein
bleiernes“ nannte. Ein ſachkundiges Urtheil charakteriſirt den
Styl einiger Zeit- und Geſinnungsgenoſſen von Gunzo als ein Latein,
„deſſen Grundfarbe durch die gehäuften klaſſiſchen Floskeln und Schnörkel
nicht verdeckt wird, und in welchem ſie nur fremde Gedanken zu wie-
derholen wiſſen, wenn es ihnen überhaupt um Gedanken zu thun iſt.“
ſ. Vogel Ratherius von Verona I. 161.
209).
Regula S. Benedicti cap. 43 de his qui ad mensam
tarde occurrunt.
210).
Schon die Lebensbeſchreibung des heiligen Gallus (lib. II.
cap. 34
bei Pertz Mon. II. 29) erwähnt die Sitte, daß unvorſätz-
liche Mörder mit ſchweren Ketten, die oft aus dem eigenen Mord-
ſchwert geſchmiedet wurden, oder mit eiſernen Ringen um den Leib
oder die Arme belaſtet, Wallfahrten thun mußten. ſ. auch Uhland's
ſchönes Gedicht „der Waller“.
211).
lex Burgundionum tit. XVIII. 1.
212).
ſ. Vita S. Liobae bei Mabillon Acta Benedict. saec. 3.
pars 2. 229. (ed. Venet. 1734.)
213).
.. plerosque autem vidimus et audivimus tanta de-
mentia obrutoſ, tanta ſtultitia alienatoſ, ut credant et dicant,
quandam eſſe regionem, quae dicatur Magonia, ex qua
naveſ veniant in nubibuſ, in quibuſ frugeſ quae
grandinibuſ decidunt et tempeſtatibuſ pereunt,
vehantur in eandem regionem,
ipſiſ videlicet nautiſ
aëreiſ
dantibuſ pretia tempeſtariiſ et accipientibuſ fru-
29*
[452] menta vel ceteraſ frugeſ. Agobard. contra inſulſam vulgi
opinionem de grandine et tonitruis, I. 146. (ed. Baluze.)
214).
Durch alle Völker geht der Glaube, daß im gebundenen feier-
lich gefaßten Wort eine zauberiſche Kraft verborgen ruhe, die zu Segen
und Fluch gedeihlich verwendet werden möge. Von dem räthſelhaften
römiſch-ſabiniſchen Zauber gegen Verrenkung, den ſchon der alte Cato (de
re rustica 160)
anführt, von den nordiſchen Runen, von den ächten
ehrwürdigen Merſeburger Heilſprüchen bis auf das unverſtändliche
Kauderwelſch, mit dem heutiges Tags, wenn juſt kein Arzt oder an-
zeigedrohender Ortsdiener in der Nähe iſt, der ländliche Viehdoctor
den ſuchtkranken Haushund oder das räudige Schaaf beſchwört: überall
derſelbe Grundgedanke von der Macht rhytmiſch gebundener Rede.
Man traute eben ehedem der Poeſie Größeres und Praktiſcheres zu,
als jetzt. — Vieles an den Formeln iſt ſinnlos geworden, namentlich
die geheimnißvollen Worte am Beginn und Ausgang. Sie haben
einſt ihre Bedeutung gehabt; impoſanter wurden ſie, wie manches
Andere, wohl von der Zeit an, wo man ſie nicht mehr verſtand. Wie
feierlich klingt das „daries, dardaries, astaries, Disunapiter!“ mit
dem Cato's Verrenkungsſpruch ſich einleitet, wie räthſelvoll das „alau,
tahalau, fugau!“
in dem lateiniſchen Spruch, der die verirrten
Kloſterſchweine ſegnend zurückbeſchwören ſoll! (Sanctgalliſche Hand-
ſchrift 111 bei Hattemer Denkmale etc. I. 410.) ſ. überhaupt Grimm
Mythologie Kap. 38.
215).
lex Alamannorum tit. 45 „de rixis, quae saepe fieri
solent in populo.“
216).
„dem Schröter, den es mit Donner und Feuer in Bezug
ſetzt, mag das deutſche Volk beſondere Ehre angethan haben.“ Grimm
Mythologie (3te Ausg.) p. 657. ſ. auch pag. 167 über die Be-
deutung dieſes und anderer Käfer.
217).
Ueber die Einrichtung der Sendgerichte vgl. I. v. Arx Ge-
ſchichten des Kantons St. Gallen I. 257.
218).
Maiores locum de quibus scriptum est, „quia servi,
ſi non timent, tument,
“ ſcuta et arma polita geſtare in-
coeperant; tubaſ alio quam ceteri villani clanctu inflare di-
dicerant, caneſ primo ad leporeſ, poſtremo etiam non ad lupoſ
ſed ad urſoſ et ad tuſcoſ, ut quidam ait, minandoſ aluerant
apros.“ Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3
bei Pertz Mon. II. 103.
219).
Per Hadewigae ait vitam! sic enim iurare so-
lebat ... Ekkeh. IV. casus S. Galli cap. 10.
220).

„ich hoere ein sueze stimme
in mînem houbet ſingen
die hoere ich ungern klingen ..“

der Weinschwelg, v. 268 u. ff.

221).
Elpentrötſch, tölpentrötſch, trilpentriſch, hilpentritſch u. ſ. w.,
ein linkiſcher einfältiger Menſch, dem die Elbe (Elfen) Etwas ange-
than haben. ſ. Grimm Mythol. 412.
222).
Der Kukuk iſt bekannt als der Orakelverkünder im frühlings-
grünen Walde. Viel merkwürdige Traditionen über ihn ſ. bei Grimm
Mythologie 640 u. ff. Eine ſehr alte Sage erzählt, er ſei ein ver-
wünſchter Bäcker oder Müllerknecht, der armen Leuten von ihrem
Teig geſtohlen, und trage darum fahles mehlbeſtaubtes Gefieder.
223).
S. das Ausführliche über die abergläubiſchen Vorſtellungen
bei Verfinſterung des Mondes, die nach Tacitus Annal. I. 28 ſchon
die Gemüther der aufrühreriſchen pannoniſchen Legionen beunruhigten,
bei Grimm a. a. O. p. 668. — Es iſt ein bemerkenswerther Zug
der germaniſchen Vorzeit, daß ſie ſogar dem Mond in ſeinen ver-
meinten Nöthen durch Geſchrei abzuhelfen beſtrebt war.
224).
dô huob er ûf unde tranc
ein hundert ſlundigen trunc
er ſprach „daz machet mich junc.
der Weinschwelg v. 197.
()
225).
.. Salutem et profectum in doctrina! Brief Meiſter
Ruodpert's von St. Gallen bei Wackernagel altdeutſches Leſebuch
p. 138.
226).
... si fugae, inquit, copiam haberem, invenum optimi,
profecto fugerem, nunc autem in veſtriſ quia velim nolim ſum
manibus, mitius mecum quidem vos condecet agere.
S. die
ganze Schilderung von Rudimann's nächtlichem Einſchleichen und Er-
tappung bei Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10. Pertz II. 124.
227).
Die damaligen Studien erſtreckten ſich auch auf die Stern-
kunde. In der ſanctgall. Handſchrift No. 18 p. 43 findet ſich das
Bild eines Mönches, der durch ein Fernrohr nach den Geſtirnen
ſchaut. Notker Labeo beſchreibt ausführlich einen im Kloſter aufge-
ſtellten Himmelsglobus. Die aſtronomiſchen Schriften der Alten, z.
B. Aratus, kannte und las man. Vgl. I. v. Arx Geſchichten etc. I. 265.
228).
.. Antipodes nulla ratione credendi sunt, quia nec soli-
ditaſ patitur, nec centrum terrae, ſed neque hoc ulla hiſtoriae
cognitione firmatum, ſed hoc poetae quaſi ratiocinando
conjectant“
Wörterbuch des Biſchof Salomo.
229).
Dieſe berühmte Disputation beſchreibt ausführlich der frän-
kiſche Mönch Richer im dritten Buch ſeiner Geſchichten Kap. 65.
Der Kaiſer gab Befehl, das gelehrte Turnier einzuſtellen, denn „der
Tag war darüber beinah zu Ende gegangen und die Zuhörer von
den vielen und langen Reden ermüdet“.
230).
Die klöſterliche Disciplin war bemüht, mit den mannigfach-
ſten Acten des gewöhnlichen Lebens ein Gebet oder einen Hymnus
zu verbinden. Die ſanctgalliſche Handſchrift 134 enthält eine Samm-
lung ſolcher Hymnen, z. B. Hymne beim erſten Hahnenruf (ad gal-
licinium)
, beim Faſten, vor und nach dem Imbiß, beim Anzünden
der Nachtlampen u. ſ. w. Vgl. Hattemer Denkmale etc. I. 273 u. ff.
231).
.. Altera dein die [.]. magistrum lectura adiit. Et cum
ſediſſet, ad quid puer ille venerit, ipſo aſtante inter cetera
[455] quaeſivit. „Propter Greciſmum,“ ille ait .. domina mi! ut ab
ore veſtro aliquid raperet, aliaſ ſciolum vobiſ illum attuli.
Puer autem ipſe pulcher aſpectu, metro cum eſſet paratiſſimuſ,
sic intulit: Esse velim Graecus
u. ſ. w. Ekkeh. IV. casus
S. Galli c. 10.
bei Pertz Mon. II. 125.
232).
Grimm deutſche Rechtsalterthümer p. 702. s. v. Scheeren.
233).
ſ. Thegani vita Hludowici imp. I. 19. bei Pertz Mon.
II. 594.
234).
.. spillüten und allen den, die gut für ere ne-
ment und die ſich ze aigen geben hant,
den git man
ains mannes schaten von der sunnen etc.
Landrecht des Schwaben-
ſpiegels.
235).
.. dabei ein ſchönes Gärtelein
Darumb gehet ein ſeiden Faden.
Laurins kleiner Roſengarten.
236).
„Was ſoll ich aber von ihren abentheuerlichen Schuhen ſagen?
Denn in dieſer Hinſicht ſind die Mönche ſo unvernünftig, daß ihnen
der Nutzen einer Fußbekleidung großentheils entgeht. Sie laſſen ſich
nämlich ihre Schuhe ſo eng machen, daß ſie darin faſt, wie in den
Stock geſchloſſen, am Gehen gehindert ſind. Auch ſetzen ſie denſelben
vorne Schnäbel, an beiden Seiten aber [Ohren] an und tragen große
Sorge, daß ſie ſich genau dem Fuße anſchließen; halten auch ihre
Diener dazu an, daß ſie mit beſonderer Kunſt den Schuhen einen
ſpiegelhellen Glanz verleihen.“ Dritte Ereiferung des Primas auf
der Synode zu Mont Notre-Dame bei Richer III. 39.
237).
Hildebrandslied v. 70. u. ff. — Noch Prätorius († 1680)
in ſeiner Weltbeſchreibung erwähnt „närriſche Gaukelerszelte, wo der
alte Hildebrand und ſolche Poſſen mit Docken geſpielt werden, Puppen-
Comödien genannt.“
238).
Dieſer fabelhafte Ahnherr aller Grobſchmiede war ſeit Alters-
her der deutſchen Volksüberlieferung eine entſchieden beliebte Geſtalt.
Bis in's vorige Jahrhundert trug ein Haus in Würzburg nach ihm
den Namen „zum großen Schmied Wieland.“ Das alte deutſche Ge-
dicht, welches ihn zum Helden erkor, iſt uns nicht mehr erhalten, die
nordiſche Sage aber hat ihm die gebührende Aufmerkſamkeit geſchenkt.
S. Wilkina Sage Kap. 19 - 30, bei von der Hagen Altdeutſche und
altnordiſche Heldenſagen I. 56 u. ff.
239).
ſ. Steub, zur rhätiſchen Ethnographie p. 103 s. v. „Goſſenſaß“
und drei Sommer in Tirol p. 504.
240).
Welandus ab aliquibus Sanctus dictus ... Acta Sancto-
rum. Mart. tom I. 364.
241).
ſ. Maßmann Gedichte des XVI. Jahrhunderts Band II.
Das Heldengedicht, wie es hier theilweiſe nacherzählt iſt, hat die Be-
arbeitung, in der es vorliegt, erſt im 12. Jahrhundert erhalten; der
Inhalt aber iſt entſchieden alt und weist auf frühere Sagen zurück,
die füglich zu Praxedis Zeit ihren Weg an griechiſchen Kaiſerhof
gefunden haben mochten.
242).
marmoreum sibi sarcophagum longe ante obitum jussit
praeparari, ob incerti temporiſ momentum, quem duabuſ quo-
tidie vicibuſ diverſiſ alimentorum aliarumve rerum impenſiſ
ſummotenuſ implevit et victu carentibuſ hilariter diſtribuit.
vita S. Rimberti c. 14
bei Pertz Mon. II. 771.
243).
.. moribus tamen illa suis severis et efferis sepe vi-
rum exaſperanſ domi interdum quam ſecum manſiſſe multo
malle fecerat. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10
bei Pertz
Mon. II. 123.
244).
ſ. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3 bei Pertz Monum.
II. 108.
245).
Ekkehard verflicht hier ſich und ſeinen Namen mit dem, was
die Sage vom getreuen Eckhart erzählt. S. Grimm deutſche Helden-
ſage 144. 190 und deutſche Mythologie p. 887.
246).
„In unſerer alten Sprache wird die feſtlichſte Jahreszeit, wo
die Sonne ihren Gipfel erlangt hat und nun wieder herabſinken muß,
Sunnenwende (solstitium) genannt.“ Grimm deutſche Mythologie
p. 583. Sie trifft mit dem St. Johannistag (24. Juni) zuſammen;
die altherkommlichen Oſter- und Maifeuer wurden durch den Einfluß
der Kirche auf dieſen Tag verlegt. Man ſprang durch die Flammen
und trieb das Vieh durch, zu vermeintlicher Abwehr von Krankheit
und Mißgeſchick.
247).
Das Beſtreben einiger Mönche, durch feſtes Schnüren des
faltigen Gewandes eine elegante Taille zu gewinnen, veranlaßte auf
der Synode zu Mont Notre-Dame (972) eine zornſprühende Ereife-
rung des Primas. S. Richers Geſchichte III. 37.
248).
Sirach 27, 6.
249).
Die Kirche der quattro coronati in Rom mit ihren alten
Moſaikfußböden und Malereien aus dem 12. Jahrhundert iſt bekannt.
250).
Ein Trunk Waſſers war Zeichen der Entſagung. Grimm
Rechtsalterthümer 190. Wer einmal in der letzten Stunde ſeines
römiſchen Aufenthaltes zur rauſchenden fontana Trevi geleitet wurde,
um bei Sang und Klang den Scheidetrunk zu trinken, kennt dieſe
Symbolik.
251).
Vgl. Zellweger Geſchichte Appenzells. — Es iſt eine inter-
eſſante Aufgabe, die alemanniſche Sprache Appenzell's, die auch ſo,
wie ſie heutzutag geſprochen wird, noch mannigfache Anklänge an das
Althochdeutſch aus Notker Labeo's Zeiten enthält, in ihren reichen
dialectiſchen Formen und Wendungen zu verfolgen. Gründliche Anlei-
tung hiezu gibt Titus Tobler appenzelliſcher Sprachſchatz. Zürich
1837.
252).
Jeremias IX. 1.
253).
.. ecce elongavi fugiens et mansi in solitudine et ex-
spectabam eum qui me salvum faceret.“ vita S. Galli
bei Pertz
Mon. II. 8.
254).
ſ. Physiologus, ein Weisthum von Thieren und Vögeln.
„von des aran geslâhte.“ bei Wackernagel altdeutſches Leſebuch I. 165.
255).
.. quantum sub sua cuculla potuit portare ..
256).

„Es war etwa ſeit dem 8. Jahrhundert in Deutſchland und
Frankreich das Verlangen heimiſch geworden, die Kirchen mit irdiſchen
Ueberreſten von Heiligen ſo reichlich als möglich und um jeden Preis
zu verſorgen. Dieſes Verlangen hatte im zehnten Jahrhundert einen
neuen Aufſchwung genommen und erreichte ſeine höchſte Glut in dem
ſächſiſchen Königshauſe. Otto der Große wußte keine größeren Schätze
zu ſammeln als Reliquien und brachte beſonders für ſein geliebtes
Magdeburg einen großen Vorrath zuſammen ... Da ſich Kirchen und
Gemeinden nur ſelten freiwillig zu Gunſten Anderer ihrer Reliquien
entäußerten, ſo ſcheute man ſich nicht vor dem Mittel des Zwangs
und Raubes, und als das Vaterland der Heiligen, Italien, wo damals
die Reliquien wenig geachtet wurden, ſich den Deutſchen wieder aufthat,
da gehörte es zu den ſchönſten Ausſichten der Letzteren, nun im reichen
Maße und zwar um Geld oder durch Liſt oder auch mit Gewalt ihr
Verlangen erfüllen zu können. Dieſer Sehnſucht ſcheint auch der
heilige Metro zum Opfer gefallen zu ſein.


.. daß man aber, wenn man ſich nicht eines ganzen Heiligenkörpers
bemächtigen konnte, auch damit zufrieden war, daß man ein möglichſt
großes Stück hinwegbrachte, das hat Verona noch einmal erfahren
müſſen.“ u. ſ. w. Vogel, Ratherius von Verona und das zehnte
Jahrhundert, I. 257.

257).
.. „sô der tágostérno in scônero fárewo skînet.“
Worte der Notkeriſchen Paraphraſe des Marcianus Capella.
258).
„den 4. November 1853 Mittag 11 Uhr, iſt der Eremit Anton
Fäßler verunglückt und iſt todtgefallen auf Pommen im Sail. Re-
quiescat in pace.
“ Eintrag im Fremdenbuch des Wildkirchlein.
259).
.. in visitatione lactis.
Dantur de Coldaribuſ in Seealpe XXX. caſei, melioreſ
alpinis caseis. (Rotulus censuum sec. 13
in der ſanctgalliſchen
Handſchrift 456) de Alpe Gamor tres partes lacticinii quae per
duoſ dieſ a Vacciſ ibidem compaetae fuerint, Portarie no-
mine. — Citatio Abbatis cellana
bei J. v. Arx Geſchichten I. 314.
S. auch Grimm Weisthümer I. 191 „die Rechte von Appenzell.“
260).
Nec sua rura colo, nec sua jura volo!
261).
„Toſen“ an der Volksverſammlung murmelnd rauſchen. Wenn
ein Vorſchlag der Landesgemeinde ſehr mißfällt, ſo toſet's gewöhnlich.
Tobler Appenz. Sprachſchatz. p. 148.
262).
.. „dic illi nunc de me corde fideli
Tantundem liebeſ, veniat quantum modo loubeſ
Et volucrum wunna quot ſint, tot dic ſibi minna
Graminiſ et florum quantum ſit, dic et honorum.“
Ruodlieb fr. XVI. 11-15.
()
263).
.. „sélbun dia érda, dár si únbûhafte ist, hábent er-
fúllet tero lánglîbon mâniginâ in walden, íoh in˘fórſten, ioh
in-lóhen. in˘sêwen, in˘áhôn, in˘brúnnon.“
Notker's Paraphraſe des
Marcianus Capella lib. II. cap. 34 bei Hattemer Denkmale etc.
III. 354.
264).
ſ. Grimm deutſche Mythologie p. 29.
265).
Auch der heilige Gallus ward von ſolchen Erſcheinungen
dämoniſcher Weibergeſtalten, nude ad litus stantes, quasi ad bal-
neum ingredi volenteſ, turpitudinemque corporiſ ſui ei mon-
strantes,
heimgeſucht. vita S. Galli bei Pertz Mon. II. 9.
266).
„... In nomine Domini mei Jesu Christi, recede ab
hac valle. Sint tibi monteſ et colleſ communeſ, nec tamen
hic pecus laedas aut homines.“ Vita S. Galli
bei Pertz Monum.
II. 9.
Die Bären waren in jener Zeit häufige Beſucher der Appen-
zeller Alpen und einige Plätze tragen noch jetzt den Namen zur Er-
innerung an ſie, z. B. Bärenbach, Bärenthal, Bärenalp. Seit die
Touriſten in jenen Revieren zahlreicher geworden, haben ſie ſich indeß
gänzlich zurückgezogen. — Die Geſchichtsquellen liefern, Bären be-
treffend, eine ſo reiche Ausbeute, daß es einem fleißigen Mann nicht
ſchwer fallen würde, ſie in einer Abhandlung „über die Bedeutung
und ſociale Stellung der Bären im Mittelalter“ zu verwerthen. Wir
erinnern an den Bären des heiligen Gallus, der ihm wie ein ge-
treuer Diener Scheiterholz beitrug und Brod aus der Hand fraß, —
an die kunſtreichen Tanzbären, die im Ruodlieb Fr. III. 85 u. ff.
beſungen ſind und mit ihrem aufrechten Eimertragen und Reihentanz
im Verein mit ſingenden Spielweibern den Zuſchauern ein Vergnügen
geboten haben mögen, von dem man begreift, daß die Geiſtlichkeit in
beſondern Synodalbeſchlüſſen dawider eiferte. (Regino de eccles.
disciplin. II. 213.)
Die lex Alamannor. tit. 99, 12 ſchlägt das
Wergeld eines zahmen Hausbären auf 6 solidi an — Alles Be-
weiſe, daß man die Bären in Deutſchland zu ſchätzen wußte, auch
ehe ihr Stammverwandter aus den Pyrenäen zum Helden epiſcher
Dichtung erhoben ward.
267).
Flutterſchnee, ein „lockerer, leichter, nicht compacter Schnee.“
ſ. Tobler appenzell. Sprachſchatz 196.
268).
„tubas alio quam ceteri villani clanctu inflare didice-
rant. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 3
bei Pertz Mon. II. 103.
Ein ächter canoniſcher Kuhreigen iſt übrigens trotz der Unterſuchun-
gen der Gelehrten nicht feſtgeſtellt und im Gebirge ſchwanken die
Anſichten derer, die als geborene Sachverſtändige ein feſtes Urtheil
haben ſollten, ſo, daß die Einen behaupten, der Kuhreigen werde gar
nie mit Worten begleitet, während Andere einen — jedenfalls alten
und eigenthümlichen Text mit dem Refrain „Loba! loba!“ zu ge-
ben wiſſen. Dem Verfaſſer wurde am Säntis auf die Frage nach
[461] dem Kuhreigen dadurch geantwortet, daß man das Alphorn vom
Rücken nahm und ihn blies, ohne ein Wort dazu zu ſingen oder
jodeln.
269).
Ekkehardus autem, notularum peritissimus, paene omnia
haec eiſdem notavit in tabula verbiſ etc. Ekk. IV. caſuſ S.
Galli c. 16. Pertz Mon. II. 140.
Die ſanctgalliſche Handſchrift
270 gibt nähere Auskunft über die verſchiedenen Arten von Geheim-
ſchrift, deren man ſich allgemein bediente. ſ. W. Grimm über deutſche
Runen und Hattemer Denkmale etc. I 417, wo auch als Beilage in
Steindruck mehrere genaue Facſimile mitgetheilt ſind. Es iſt auf-
fallend, wie eine gewiſſe Aehnlichkeit zwiſchen dieſen Charakteren und
denen etruskiſcher Inſchriften ſtattfindet.
270).
Procop. bell. Vand. II. 6.
271).
Die noch ganz an antike Gymnaſtik erinnernden Ergötzungen
der ſanctgalliſchen Schuljugend, wozu u. A. auch Wettrennen, Ringen
mit geſalbten Händen, Stockfechten etc. gehörte, beſchreibt Notker Labeo
in ſeinem lateiniſchen Vacanzlied, mitgetheilt von J. v. Arx Ge-
ſchichten etc. I. 259.
272).
Ev. Joh. III. 8.
273).
„Die ſehr in's Auge fallende innerrhodiſche Kleidungsart iſt
unzweifelhaft die alte des appenzelliſchen Volkes.“ Tobler app.
Sprachſchatz p. XXV.
274).
„Der Zaur iſt ein einzelnes kurzes Gejauchze, das mit
uhó oder u bu hu hui hui! bezeichnet werden kann.“ Tobler
a. a. O. p. 453.
275).
Appenzelliſcher Landbrauch. Noch vor wenig Jahrzehnten
war die große Hausthüre des Amtmann Tanner von Heriſau voll
der Köpfe von Gewild, wodurch das Volk ihm Liebe und Achtung
erzeigen wollte.
276).
Gumpen, gompela = hüpfen, muthwillig ſpringen.
ruggûßa (ru-jauchzen) = den Ruggüßler ſingen, ein landes-
eigenthümliches Hirtenlied in holperigen Reimen, aber mit einer um
ſo angenehmeren weicheren Weiſe, die zwiſchen den Worten aus dem
Gaumen bisweilen üppig ſpielt und ergötzt.“ ſ. Tobler a. a. O.
p. 233 und 373.
277).
„Panem Gallus bestiae mirandae dat modestiae,
mox ut hunc voravit, in fugam festinavit“
u. ſ. w. Ratpert's
Lobgeſang auf St. Gallus in der lateiniſchen Ueberſetzung Ekkehard's
des Vierten bei Hattemer Denkmale etc. I. 342.
278).
„Eigenthümlich heißt Attila's Gemahlin „Ospirin“, was
„göttliche Bärin“ bedeutet und in altdeutſcher Form Anſpirin lauten
ſollte. Der Name iſt ächt, alt und auch ſonſt vorhanden.“ Grimm
und Schmeller lat. Gedichte etc. p. 119, wo auch eine Reihe anderer
mehr auf ſprachliche Gründe geſtützter Conjecturen über die Aufnahme
des Namens Ospirin in's Waltarilied nachzuleſen iſt.
279).
S. den Text des Waltharius bei Grimm und Schmeller,
lateiniſche Gedichte des zehnten und elften Jahrhunderts, Göttingen
1838. p. 3 u. ff. Verdeutſchungen von Anderen anders, Commentar
und Anmerkungen bei San Marte, Walther von Aquitanien.
Magdeburg 1853.
280).
„Libro completo saltat scriptor pede laeto!“ Randbe-
merkung einer ſanctgalliſchen Handſchrift, mitgetheilt von J. v. Arx,
Berichtigungen und Zuſätze etc. p. 30.
281).
Es ſteht zu hoffen, daß die Hirngeſpinſte einer zerſtörungs-
frohen Kritik, die ſich wie am Homer ſo an den Nibelungen nicht
eher erfreuen konnte, als bis ſie in eine Anzahl von verſchiedenen
Sängern an verſchiedenen Orten verfaßter Volkslieder auseinander ge-
nagt waren, ſeit Holzmann's Unterſuchungen über das Nibelungen-
lied (Stuttgart 1854) als beſeitigt angeſehen werden dürfen. Der
Streit, der noch immer wider den guten Meiſter Conrad geführt wird,
[463] beweist, daß auf dieſem wie auf andern Gebieten das Einfachſte am
ſchwerſten Eingang findet.
282).
.. „Insuper et alpes philosophantur, sub quibus jugum
Sambutinum Rihpertuſ lyrico poſſidet ſono, et ſi noſſet antra
musarum, esset et talis ut Cynthius Apollo.“
Aus einem Brief
des Mönch Ermenrich von Reichenau, bei J. v. Arx a. a. O. p. 14.
283).
Assumptus est interea in aulam Ottonum patris et filii ...
Ekkeharduſ, ut capellae ſemper immanenſ doctrinae adoleſ-
centiſ regiſ nec non et ſummiſ dexter eſſet conſiliiſ. Ibique
in brevi tantuſ apparuit, ut in ore omnium eſſet, ſummum
eum aliquem exſpectare pontificatum. Nam et Adelheida re-
gina illum, nunc ſancta, per ſe diligebat. Ekkeh. IV. caſuſ
S. Galli c. 10.
bei Pertz II. 126.
284).
.. „barbarorum ferocia ac ferrea corda.“ Nithard,
lib. I. 1.
285).
„Domnus Purchardus abbas, elegantissimum sanctae ec-
clesiae speculum.“ Annales San Gallenses majores
bei Pertz
Mon. I. 83.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Ekkehard. Ekkehard. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnxr.0