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Der
Meſſias
.

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Erſter Band.


Mit Koͤnigl. Pohln. und Churf. Saͤchſ. Koͤnigl. Preußiſchen
und Churf. Brandenburgiſchen allergnaͤdigſten Privilegien.

Halle: , im Magdeburgiſchen
Verlegt von Carl Herrmann Hemmerde,
1751.

[][]

Ode
an
Jhre Majeſtaͤt
Friedrich

den Fuͤnften,
Koͤnig in Daͤnnemark
und Norwegen.


[]

Vorbericht zu der Ode.


Der Koͤnig der Daͤnen hat dem Verfaſſer des Meßias, der ein
Deutſcher iſt, diejenige Muſſe gegeben, die ihm zu Vollendung
ſeines Gedichts noͤthig war. Wenn man den feinern Theil des Pu-
blici, welches die Welt und den itzigen Zuſtand der deutſchen ſchoͤnen
Wiſſenſchaften kennt, wieder daran erinnert, daß ſchon Schlegel,
der zu fruͤh fuͤr die Ehre des deutſchen Trauerſpiels geſtorben iſt,
durch dieſen großmuͤthigen Monarchen in Soroe ſein Gluͤck fand,
und zugleich dieſes bekannt macht, daß der Verfaſſer des Meßias
vornehmlich der wuͤrdigen Materie, ſeine itzige Muſſe zu verdanken
hat: ſo iſt der Leſer in den Stand geſetzt, noch vieles zu dieſem
kurzen Vorberichte hinzu zu denken.


[]
Ode.

Welchen Koͤnig der Gott uͤber die Koͤnige

Mit einweihendem Blick, als er geboren ward,

Vom Olympus her ſah, der wird ein Menſchenfreund

Und des Vaterlands Vater ſeyn.

Jhm winkt ſchimmernder Ruhm, und die Unſterblichkeit,

Viel zu theuer durchs Blut bluͤhender Juͤnglinge,

Und der Mutter und Braut naͤchtliche Thraͤn, erkauft,

Jn das eiſerne Feld umſonſt.

3Nie-
[]Ode.
Niemals weint er beym Bild eines Eroberers,

Seines gleichen zu ſeyn! Schon, da ſein menſchlichs Herz

Kaum zu fuͤhlen begann, war der Eroberer,

Fuͤr den Goͤttlichen, viel zu klein!

Aber Thraͤnen nach Ruhm, welcher erhabner iſt,

Keines Hoͤflings bedarf, Thraͤnen, geliebt zu ſeyn

Vom gluͤckſeligen Volk! weckten den Juͤngling oft

Jn der Stunde der Mitternacht.

Wenn der Saͤugling im Arm hoffender Muͤtter ſchlief,

Einſt ein gluͤcklicher Mann! Wenn ſich des Greiſes Blick

Sanft in Schlummer verlor, und itzt verjuͤnget ward,

Noch den Vater des Volks zu ſehn.

Lange ſinnt er ihm nach, welch ein Gedank es iſt:

Gott nachahmen, und ſelbſt Schoͤpfer des Gluͤckes ſeyn

Vieler Tauſend! Er hat eilend die Hoͤh erreicht,

Und entſchließt ſich, wie Gott zu ſeyn.

Wie
[]Ode.
Wie das ernſte Gericht furchtbar die Wagſchal nimmt,

Und die Koͤnige waͤgt, wenn ſie geſtorben ſind;

Alſo waͤgt er ſich ſelbſt jede der Thaten vor,

Die ſein Leben bezeichnen ſoll!

Jſt ein Chriſt! Und belohnt redliche Thaten erſt!

Alsdann ſchaut auch ſein Blick laͤchelnd auf die herab,

Die der Muſe ſich weihn, welche das weiche Herz

Tugendhafter und edler macht:

Winkt dem ſtummen Verdienſt, das in der Ferne ſteht!

Durch ſein Muſter gereizt lernt es Unſterblichkeit;

Denn er wandelt allein, ohne der Muſe Lied,

Sichern Wegs, zur Unſterblichkeit.

Die du von dem Olymp Gott, den Meßias, ſangſt,

Fromme Saͤngerinn, und itzt zu den Hoͤhen eilſt,

Wo das heilige Lob jener Monarchen toͤnt,

Die Nachahmer der Gottheit ſind,

Wag
[]Ode.
Wag auch dieſen Flug noch! Nenne den Namen ſelbſt,

Der in deinem Geſang kuͤnftig oft toͤnen wird,

Wenn du einſt von dem Gluͤck, das nur die Tugend lohnt,

Und von frommen Monarchen ſingſt.

Koͤnig Friederich iſts, welcher mit Blumen hat

Jene Hoͤhen beſtreut, die du noch ſteigen muſt;

Er, der Chriſt und Monarch, waͤhlt dich zur Fuͤhrerinn,

Bald auf Golgotha Gott zu ſehn!

Der
[[1]]

Der
Meſſias
.
Erſter Geſang.


A
[[2]]

Jnhalt
des erſten Geſangs.


Der Meßias entfernt ſich von dem Volke, geht auf den Oelberg,
Und verſpricht Gott noch einmal in einem feyerlichen Gebete, die
Erloͤſung zu uͤbernehmen. Sein Engel, Gabriel, wird hierauf von ihm
in den Himmel geſchickt, dieß Gebet vor Gott zu bringen. Um den
Himmel ſind lauter Sonnen. Gabriel geht durch einen Sonnenweg,
von dem ehmals ein aͤtheriſcher Strom nach Eden herunter floß. Er
hoͤrt auf einer der naͤchſten Sonnen ein Lied mit an, das allezeit nach
dem Dreymalheilig, geſungen wird. Eloa, der erhabenſte unter allen En-
geln, und den Gott beſonders zu ſeinen Dienſten braucht, koͤmmt Ga-
briel entgegen, und fuͤhrt ihn zu dem Altare des Meßias. Gabriel opfert
Raͤuchwerk, und begleitet das Opfer mit dem Gebete des Meßias,
welches er vor Gott ſingt. Alles erwartet ſtill die Antwort Gottes.
Gott eroͤffnet durch ein Donnerwetter das Allerheiligſte des Himmels,
die Seligen zu ſeiner Antwort vorzubereiten. Seraph Eloa und Che-
rub Urim unterreden ſich von dem, was ſie in dem Allerheiligſten ſehen.
Gott redet nunmehr. Er ſey die Liebe; itzo, da die Erloͤſung des
menſchlichen Geſchlechts angienge, wollte er einen zweyten Sabbath
feyern, die Seelen der Vaͤter ſollten auf die Sonne herunter ſteigen,
von da Zeugen der Erloͤſung zu ſeyn. Auch empfaͤngt Gabriel Befeh-
le, an den Engel der Sonne, und an die Engel der Erde, wegen der
Wunder beym Tode Jeſu. Die Thronenengel vertheilen ſich, wegen
der Feyer des zweyten Sabbaths, durch die Himmel. Gabriel ſteigt
zur Erde herab. Er findet den Meßias ſchlafend. Er redet ihn gleich-
wohl, als den Allwiſſenden, an. Er geht von da zu den Schutzengeln
der Erde. Jhr Wohnplatz iſt mitten in der Erde, auf einer kleinern
Sonne. Hierzu koͤmmt er durch eine Oeffnung bey dem Nordpole. Er
findet die Engel der Erde auf ihrer Sonne, und die Seelen ganz zar-
ter Kinder, die hier zum Himmel vorbereitet werden. Von hier erhebt
er ſich zur Sonne, und findet da die Seelen der Vaͤter bey
Uriel, dem Engel der Sonne.


[[3]]
Der
Meſſias
.
Erſter Geſang.


Sing, unſterbliche Seele, der ſuͤndigen Menſchen Erloͤſung,

Die der Meßias auf Erden in ſeiner Menſchheit vollendet,

Und durch die er Adams Geſchlechte die Liebe der Gottheit

Mit dem Blute des heiligen Bundes von neuem geſchenkt hat.

Alſo geſchah des Ewigen Wille. Vergebens erhub ſich

Satan wider den goͤttlichen Sohn; umſonſt ſtand Judaͤa

Wider ihn auf; er thats, und vollbrachte die große Verſoͤhnung.

Aber, o Werk, das nur Gott allgegenwaͤrtig erkennet,

Darf ſich die Dichtkunſt auch wohl aus dunkler Ferne dir naͤhern?

Weihe ſie, Geiſt Schoͤpfer, vor dem ich im ſtillen hier bete;

Fuͤhre ſie mir, als deine Nachahmerinn, voller Entzuͤckung,

Voll unſterblicher Kraft, in verklaͤrter Schoͤnheit, entgegen.

A 2Ruͤſte
[4]Der Meßias.
Ruͤſte ſie mit jener tiefſinnigen einſamen Weisheit,

Mit der du, forſchender Geiſt, die Tiefen Gottes durchſchaueſt;

Alſo werd ich durch ſie Licht und Offenbarungen ſehen,

Und die Erloͤſung des großen Meßias wuͤrdig beſingen.

Sterbliche, kennt ihr die Ehre, die euer Geſchlecht verherrlicht,

Da der Schoͤpfer der Welt, als Erloͤſer, auf Erden herab kam:

So hoͤrt meinen Geſang, ihr beſonders, ihr wenigen Edlen,

Theure geſellige Freunde des liebenswuͤrdigen Mittlers,

Jhr mit der Zukunft des großen Gerichts vertrauliche Seelen,

Hoͤrt mich, und ſingt den ewigen Sohn durch ein goͤttliches Leben.

Nah an der heiligen Stadt, die ſich itzt durch Blindheit entweihte,

Und die Krone der hohen Erwaͤhlung unwiſſend hinwegwarf,

Ehmals die Stadt der Herrlichkeit Gottes, der heiligen Vaͤter

Pflegerinn, nun ein Altar des Bluts von Moͤrdern vergoſſen;

Hier wars, wo der Meßias von einem Volke ſich losriß,

Das ihn zwar itzo verehrte, doch nicht mit jener Gemuͤthsart,

Die vorm ſchauenden Angeſicht Gottes untadelhaft bleibet.

Jeſus verbarg ſich vor dieſen Entweihten. Zwar lagen hier Palmen

Des ihm begegnenden Volks; zwar klang dort ihr lautes Hoſanna;

Aber umſonſt. Sie kannten den nicht, den ſie Koͤnig nennten,

Und den Geſegneten Gottes zu ſehn, war ihr Auge zu dunkel.

Gott kam ſelber vom Himmel herab. Die gewaltige Stimme:

Er iſt verherrlichet, und ſoll von neuem verherrlichet werden!

War die Verkuͤndigerinn der gegenwaͤrtigen Gottheit.

Doch ſie waren, Gott zu verſtehn, zu niedrige Suͤnder.
Unter-
[5]Erſter Geſang.

Unterdeß nahte ſich Jeſus dem Vater, der wegen des Volkes,

Zu dem die Stimme geſchah, voll Zorn zum Himmel hinaufſtieg.

Vor ihm wollt er noch einmal ſein goͤttliches freyes Entſchließen,

Seine Geliebten, die Menſchen, zu heiligen, feyerlich kund thun.

Gegen die oͤſtliche Seite Jeruſalems liegt ein Gebirge,

Welches ſchon oft den goͤttlichen Mittler auf ſeinen Gipfeln,

Wie ins Heilige Gottes, verhuͤllt, wenn er einſame Naͤchte

Unter dem Anſchaun des Vaters in großen Gebeten durchwachte.

Nach dem Gebirge begab er ſich itzt. Johannes alleine

Folgt ihm bis zu den Graͤbern der Seher, in heiligen Grotten,

Wie ſein goͤttlicher Freund, die Nacht im Gebete zu bleiben.

Von da erhub ſich der Mittler zur oberſten Spitze des Berges.

Da umgab ihn vom hohen Moria ein Schimmer der Opfer,

Die den ewigen Vater noch itzt im Bilde verſoͤhnten.

Um und um nahm ihn der Oelbaum ins Kuͤhle. Gelindere Luͤfte,

Gleich dem Saͤuſeln der Gegenwart Gottes, umfloſſen ſein Antlitz.

Der dem Meßias auf Erden zum Dienſte gegebene Seraph,

Gabriel iſt ſein himmliſcher Name, ſtand eben am Eingang

Zwoer umdufteten Cedern, und dachte dem Heile der Menſchen

Und dem Triumphe der Ewigkeit nach, als itzt der Erloͤſer

Seinem Vater entgegen vor ihm im ſtillen vorbeygieng.

Gabriel wußte, daß nun die Zeit der Erloͤſung herankam.

Dieſe Betrachtung entzuͤckt ihn, er ſprach mit zaͤrtlicher Stimme:

Willſt du die Nacht, o Goͤttlicher, hier im Gebete durchwachen?

Oder verlangt dein ermuͤdeter Leib nach ſeiner Erquickung?
A 3Soll
[6]Der Meßias.

Soll ich zu deinem unſterblichen Haupt ein Lager bereiten?

Sieh, es ſtreckt ſchon der Sproͤßling der Ceder den gruͤnenden Arm aus,

Und die weiche balſamiſche Staude. Beym Grabe der Seher

Waͤchſt dort unten ruhiges Moos im kuͤhlenden Erdreich.

Soll ich hieraus, o Goͤttlicher, dir ein Lager bereiten?

Wie iſt dein Leib, o Erloͤſer, ermuͤdet! Wie vieles ertraͤgſt du

Hier auf Erden aus bruͤnſtiger Liebe zum Menſchengeſchlechte!

Alſo ſagt er. Der Mittler belohnt ihn mit ſegnenden Blicken,

Und ſtand voll Ernſt auf der Hoͤhe des Bergs am benachbarten Himmel.

Gott war daſelbſt. Hier betet er. Unter ihm toͤnte die Erde,

Und ein wandelndes Jauchzen durchdrang die Pforten der Tiefen,

Als ſie von ihm die gewaltige Stimme tief unten vernahmen.

Denn es war nicht mehr die Stim̃e des Fluchs, die Stim̃e von Stuͤrmen

Furchtbar verkuͤndiget, und in donnernden Wettern geſprochen,

Die die Erde vernahm. Sie hoͤrte des Segnenden Rede,

Der mit unſterblicher Schoͤne ſie einſt zu verneuen beſchloſſen.

Um und um lagen die Huͤgel in lieblicher Abenddaͤmmrung,

Gleich als waͤren ſie ſchon neuerſchaffen, und bluͤhend, wie Eden.

Jeſus redte. Nur er und der Vater durchſchauten den Jnhalt,

Unbegraͤnzt: Dieß nur vermag die Stimme des Menſchen zu ſprechen:

Goͤttlicher Vater, die Tage des Heils und des ewigen Bundes

Naͤhern ſich mir, die Tage, zu groͤßern Werken erleſen,

Als ſelbſt die Schoͤpfung, die du durch deinen Sohn ehmals vollbrachteſt.

Sie verklaͤren ſich mir ſo ſchoͤn und herrlich, als damals,

Da wir die Reihe der Zeiten durchſchauten, und ſie in der Zukunft,
Durch
[7]Erſter Geſang.

Durch mein goͤttliches Anſchaun vorzuͤglich bezeichnet, erblickten.

Dir nur iſt es bekannt, mit was fuͤr Einmuth wir damals,

Du, mein Vater, und ich, und der Geiſt die Erloͤſung beſchloſſen.

Jn der Stille der Ewigkeit, einſam, und ohne Geſchoͤpfe,

Waren wir beyſammen. Voll unſrer goͤttlichen Liebe,

Sahen wir auf Menſchen, die noch nicht waren, herunter.

Ach das arme Geſchlecht! Ach unſre Geſchoͤpfe, wie elend

Waren ſie, ſonſt unſterblich, nun Staub, von der Suͤnde verſtellet!

Vater, ich ſah ihr Elend, du meine Thraͤnen. Da ſprachſt du:

Laßt uns das Bild der Gottheit von neuem im Menſchen erſchaffen!

Alſo erfanden wir unſer Geheimniß, das Blut der Verſoͤhnung,

Und die zum ewigen Bilde verneuerte Schoͤpfung der Menſchen.

Hier erkohr ich mich ſelbſt, das goͤttliche Werk zu vollenden.

Ewiger Vater, das weißſt du, das wiſſen die Himmel, wie bruͤnſtig

Mich ſeit dieſem Entſchluß nach meiner Erniedrung verlangte!

Erde, wie oft warſt du, in deiner niedrigen Ferne,

Mein erwaͤhltes geliebteſtes Augenmerk! Und du, o Canan,

Heiliges Land, wie oft hieng mein ſanftthraͤnendes Auge

An dem Huͤgel, den ich vom Blute des Bundes ſchon voll ſah.

Und, o wie bebt mir mein Herz von ſuͤßen wallenden Freuden,

Daß ich ſo lange ſchon Menſch bin, daß ſchon ſo viele Gerechte

Zu mir ſich ſammlen, und nun bald alle Geſchlechte der Menſchen

Durch mich geheiliget werden! Hier lieg ich, goͤttlicher Vater,

Noch mit den Zuͤgen der Menſchheit, nach deinem Bilde, gezieret,

Betend vor dir: bald aber wird mich dein toͤdtend Gerichte

Blutig entſtelien, und unter den Staub der Todten begraben.

Schon hoͤr ich dich, du Richter der Welt, allein und von ferne
A 4Kom-
[8]Der Meßias.

Kommen, und unerbittlich in deinen Himmeln dahergehn.

Schon durchdringt mich ein Schauer, dem ganzen Geiſtergeſchlechte

Unempfindbar, und wenn du ſie auch im grimmigen Zorne

Toͤdteteſt, unempfindbar! Schon ſeh ich den naͤchtlichen Garten

Vor mir liegen, ſchon ſink ich vor dir in niedrigen Staub hin,

Lieg, und bet, und winde mich, Vater, im Todesſchweiße.

Siehe, da bin ich, mein Vater. Jch will dein grimmiges Zuͤrnen,

Deine Gerichte will ich mit tiefem Gehorſam ertragen.

Du biſt ewig! Kein endlicher Geiſt hat das Zuͤrnen der Gottheit,

Und den Unendlichen furchtbar und toͤdtend, gedacht und empfunden.

Gott nur konnte die Gottheit ertragen. Hier bin ich, mein Vater,

Toͤdte du mich, nimm mein ewiges Opfer zu deiner Verſoͤhnung.

Noch bin ich frey, noch kann ich dich bitten, ſo thut ſich der Himmel,

Mit Myriaden von Seraphim auf, und fuͤhret mich jauchzend,

Vater, zu deinem unſterblichen Thron im Triumphe zuruͤcke.

Aber ich will leiden, was keine Seraphim faſſen,

Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen einſieht;

Jch will leiden, den furchtbarſten Tod will ich, Ewiger, leiden!

Weiter ſagt er und ſprach: Jch hebe gen Himmel mein Haupt auf,

Meine Hand in die Wolken, und ſchwoͤre dir bey mir ſelber,

Der ich Gott bin, wie du: Jch will die Menſchen erloͤſen!

Jeſus ſprachs, und ſtand auf; und in ſeinem Antlitz war Hoheit

Und erbarmender Ernſt, und Seelenruh, als er vor Gott ſtand.

Und, unhoͤrbar den Engeln, nur ſich und dem Sohne vernommen,

Sprach der ewige Vater, und wandte ſein ſchauendes Antlitz
Gegen
[9]Erſter Geſang.

Gegen den Meßias: Jch breite mein Haupt durch die Himmel,

Meinen Arm durch die Unendlichkeit aus, und ſag: Jch bin ewig!

Sag, und ſchwoͤre dir, Sohn: ich will die Suͤnde vergeben!

Alſo ſprach er, und ſchwieg. Jndem die Ewigen ſprachen,

Gieng durch die ganze Natur ein ehrfurchtvolles Erbeben.

Seelen, die itzt wurden, die noch nicht zu denken begonnen,

Zitterten, und empfanden zuerſt. Ein gewaltiger Schauer

Faßte den Seraph, ihm ſchlug ſein Herz, und um ihn lag wartend,

Wie vorm nahen Gewitter die Erde, ſein furchtſamer Weltkreis.

Nur in die Seelen zukuͤnftiger Chriſten kam ſanftes Entzuͤcken,

Und ein ſuͤßbetaͤubend Gefuͤhl des ewigen Lebens.

Aber ſinnlos, und nur zur Verzweiflung allein noch empfindlich,

Sinnlos, wider Gott was zu denken, entſtuͤrzten im Abgrund

Jhren Thronen die hoͤlliſchen Geiſter. Als jeder dahinſank,

Stuͤrzt auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe

Ungeſtuͤm ein, und donnernd erklang die unterſte Hoͤlle.

Jeſus ſtand noch vor Gott, und die Leiden ſeiner Erloͤſung

Fiengen itzt an. Und Gabriel lag auf ſeinem Geſichte

Fern und anbetend, von neuen Gedanken gewaltig erhoben.

Seit den Jahrhunderten, die er durchlebt, (ſo lang als die Seele

Sich die Unendlichkeit denkt, wenn ſie ſich in feurigem Fluge

Wie aus dem Koͤrper verliert,) ſeit dieſen Jahrhunderten hatt er

So erhabne Gedanken noch nie empfunden. Die Gottheit

Jhre Verſohnten, die ewige Liebe des goͤttlichen Mittlers

Alles eroͤffnet ſich ihm. Gott bildete dieſe Gedanken
A 5Jn
[10]Der Meßias.

Jn dem Geiſte des Seraphs. Gott ſelber dachte ſich itzo,

Als den Erbarmer erſchaffener Weſen. Der Seraph erhub ſich,

Stand, und erſtaunt, und betet, und unausſprechliche Freuden

Zitterten durch ſein Herz, und Licht und blendendes Glaͤnzen

Gieng von ihm aus. Die Erde zerfloß in himmliſchem Schimmer

Unter ihm, wie es ihm vorkam. Jhn ſah der goͤttliche Mittler,

Daß er den Gipfel des ganzen Gebirges mit Klarheit erfuͤllte.

Gabriel, rief er, verhuͤlle dich itzt, du dienſt mir auf Erden.

Mache dich auf, dieß Gebet vor meinen Vater zu bringen,

Daß die edelſten unter den Menſchen, die ſeligen Vaͤter,

Daß der verſammelte Himmel der Zeiten Fuͤlle vernehme,

Nach der er ſich ſo bruͤnſtig geſehnt. Hier kannſt du mit Glanze,

Als der Geſandte des hohen Meßias, vor Gott erſcheinen.

Schweigend, mit goͤttlich erheiterten Minen, erhub ſich der Seraph.

Jeſus ſah vom Oelberg ihm nach. Der Gottmenſch erblickte

Schon ſein ganzes Betragen vorm Sitze der Herrlichkeit Gottes,

Eh noch der eilende Seraph des Himmels Graͤnzen erreichte.

Jtzo erhuben ſich neue geheimnißvolle Geſpraͤche

Zwiſchen ihm und dem Vater, von hohem tiefſinnigen Jnhalt,

Selbſt Unſterblichen dunkel, Geſpraͤche von Dingen, die kuͤnftig

Gottes Erloͤſung vor allen Erloͤſten verherrlichen werden.

Unterdeß war der Seraph zur aͤußerſten Graͤnze des Himmels

Aufwaͤrts geſtiegen. Hier fuͤllen nur Sonnen den heiligen Umkreis.
Hell,
[11]Erſter Geſang.

Hell, gleich einem vom Lichte gewebten aͤtheriſchen Vorhang

Zieht ſich ihr Glanz um den Himmel herum. Kein dunkler Planete

Naht ſich des Himmels verderbendem Blick. Entfliehend und ferne

Geht die bewoͤlkte Natur voruͤber: da fliehen die Erden

Klein und unmerkbar dahin, wie unter dem Fuße des Wandrers

Niedriger Staub, von Gewuͤrmen bewohnt, aufwallet und hinſinkt.

Um den Himmel herum ſind tauſend offene Wege,

Lange, nicht auszuſehende Wege, von Sonnen umgeben.

Durch den glaͤnzenden Weg, der gegen die Erde ſich kehret,

Floß, nach ihrer Erſchaffung, vom himmliſchen Urquell entſpringend,

Ein verklaͤrter aͤtheriſcher Strom nach Eden herunter.

Auf ihm, oder an ſeinem Geſtade, von Wolken erhoben,

Kam dazumal bald Engel, bald Gott, zum vertraulichen Umgang,

Zu den Menſchen. Doch ſchnell ward der Strom zuruͤcke gerufen,

Als ſich durch Suͤnde der Menſch von Gottes Freundſchaft entfernte.

Denn die Unſterblichen wollten nicht mehr, in ſichtbarer Schoͤnheit,

Gegenden ſehn, die vor ihnen des Todes Verwuͤſtung. entſtellte.

Damals wandten ſie ſchauernd ſich weg. Die ſtillen Gebirge,

Wo noch die Spur des Ewigen war; die rauſchenden Haine,

Die das Saͤuſeln der Gegenwart Gottes ſonſt ſanft beſeelte;

Selige friedſame Thaͤler, vordem von der Jugend des Himmels

Liebreich beſucht; die ſchattichten Lauben, wo ehmals die Menſchen,

Ueberwallend von Freuden und ſuͤßen Empfindungen, weinten,

Daß ſie Gott ewig erſchuf; die Erde lag unter dem Fluche,

Jhren vordem unſterblichen Kindern ein allgemein Grabmal.

Aber dereinſt, wenn ſich die Weltgebaͤude verjuͤngen,
Und
[12]Der Meßias.

Und aus der Aſche des großen Gerichts triumphirend hervorgehn,

Wenn Gott alle Bezirke der Welten mit ſeinem Himmel

Durch gleich allgegenwaͤrtiges Anſchaun zuſammen vereinbart,

Alsdann wird der aͤtheriſche Strom vom himmliſchen Urquell

Wieder mit hellerer Schoͤne zum neuen Eden ſich ſenken.

Nie wird dann ſein Geſtade von hohen Verſammlungen leer ſeyn,

Die auf Erden den Umgang der neuen Unſterblichen ſuchen.

Dieß iſt der heilige Weg, durch den itzt Gabriel fortgieng,

Und ſich von fern dem Himmel der goͤttlichen Herrlichkeit nahte.

Mitten in der Verſammlung der Sonnen erhebt ſich der Himmel,

Rund, unermeßlich, das Urbild der Welten, die Fuͤlle

Jeder ſichtbaren Schoͤnheit, die ſich, gleich fluͤchtigen Baͤchen,

Um ihn, durch den unendlichen Raum nachahmend ergießet.

Alſo dreht er ſich, unter dem Ewigen, um ſich ſelber.

Wenn er wandelt, ertoͤnen von ihm, auf Fluͤgeln der Winde,

An die Geſtade der Sonnen die ſphaͤriſchen Harmonien

Hoch hinuͤber. Die Lieder der goͤttlichen Harfenſpieler

Schallen mit Macht, wie beſeelend, darein. Dieß vereinbarte Toͤnen

Fuͤhrt vorm unſterblichen Hoͤrer manch hohes Loblied voruͤber.

Wie ſich ſein freudiger Blick an ſeinen Werken ergetzet,

Alſo vergnuͤgte ſein goͤttliches Ohr itzt dies hohe Getoͤne.

Die du himmliſche Lieder mich lehrſt, Geſpielinn der Engel,

Seherinn Gottes, du Hoͤrerinn hoher unſterblicher Stimmen,

Melde mir. Muſe von Tabor, das Lied, das die Himmel itzt ſangen.

Sey
[13]Erſter Geſang.
Sey uns gegruͤßet, du heiliges Land der Erſcheinungen Gottes!

Hier erblicken wir Gott, wie er iſt, wie er war, wie er ſeyn wird,

Siehe, den Seligen ohne Verhuͤllung, frey, ohne die Daͤmmrung

Fern nachahmender Welten. Dich ſchauen wir in der Verſammlung

Deiner Erloͤſten, die du des ſeligen Anblicks auch wuͤrdigſt.

Wie unendlich vollkommen biſt du! Zwar nennt dich der Himmel,

Und der Unausſprechliche wird Jehova geheißen!

Unſere Lieder, von Schwung und Harmonien begeiſtert,

Suchen dein Bild; doch umſonſt. Auf deine Verklaͤrung gerichtet,

Koͤnnen Gedanken ſich kaum von deiner Gottheit beſprechen.

Ewiger, du biſt allein in deiner Groͤße vollkommen!

Jeder Gedanke, mit dem du dein herrliches Weſen durchſchaueſt,

Jſt viel erhabner und heiliger, als die ſtille Betrachtung,

Auf erſchaffene Dinge von dir hernieder gelaſſen.

Dennoch entſchloſſeſt du dich, auch außer dir Weſen zu ſehen,

Und auf ſie dein beſeelendes Hauchen hernieder zu laſſen.

Erſt erſchufſt du den Himmel, dann uns, des Himmels Bewohner.

Fern wart ihr damals von eurer Geburt, du juͤngerer Erdkreis,

Und du Sonn, und du Mond, der ſeligen Erde Gefaͤhrten.

Erſtgebohrner der Schoͤpfung, wie war dir bey deinem Hervorgehn?

Da, nach undenkbarer Ewigkeit, Gott zu dir ſich herabließ,

Und dich zum heiligen Wohnplatz von ſeiner Herrlichkeit weihte.

Dein unermeßlicher Kreis, zum neuen Daſeyn gerufen,

Formte ſich noch in ſeine Geſtalt; die ſchaffende Stimme

Wandelte noch mit dem erſten Getoͤſe kryſtallener Meere;

Jhre gleich irdiſchen Welten zuſammengebirgten Geſtade
Hoͤrten
[14]Der Meßias.

Hoͤrten ſie, noch kein Unſterblicher nicht: da ſtandeſt du, Schoͤpfer,

Auf dem neuen erhabenen Throne dich ſelber betrachtend,

Einſam und ernſt. O jauchzet der denkenden Gottheit entgegen!

Damals, ja damals erſchuf er euch, Seraphim, Geiſtergeſchoͤpfe,

Voll von Gedanken, voll maͤchtiger Kraͤfte, des Schoͤpfers Gedanken,

Die er in euch von ihm ſelber erſchafft, anbetend zu faſſen.

Halleluja, ein feyrendes Halleluja, o Erſter,

Sey dir von uns unaufhoͤrlich geſungen! Zur Einſamkeit ſprachſt du:

Sey nicht mehr! Und zu den Weſen: entwickelt euch, Halleluja!

Unter dem Liede, das nach dem erhabenen Dreymalheilig,

Stets geſungen wird, hatte des Mittlers hoher Geſandte

Eine der naͤchſten Sonnen am Himmel helleuchtend betreten

Ueberall ſchweigen die Seraphim itzt, und feyren den Anblick,

Durch den der ewige Vater ihr heiliges Loblied belohnte.

Jndem erſchien der Seraph auf dieſer Sonne dem Himmel.

Gott ſah ihn an, der Himmel mit Gott. Er betete kniend.

Zweymal die Zeit, in welcher ein Cherub den Namen Jehova,

Und das anbetende Dreymalheilig der Ewigkeit ausſpricht,

Ward er des Anſchauns der Gottheit gewuͤrdigt. Drauf kam ihm der Thronen

Erſtgebohrner, ihn feyrlich vor Gott zu fuͤhren, entgegen.

Gott nennt ihn ſeinen Geliebten; der Himmel Eloa. Vor allen,

Die Gott erſchuf, iſt er groß, der naͤchſte dem Unerſchaffnen.

Denkt er, ſo iſt ein Gedanke von ihm ſo ſchoͤn, als die Seele,

Als die ganze Seele des Menſchen geſchaffen der Gottheit,

Wenn ſie, ihrer Unſterblichkeit wuͤrdig, gedankenvoll nachſinnt.

Sein umſchauender Blick iſt ſchoͤner, als Fruͤhlingsmorgen,
Lieb-
[15]Erſter Geſang.

Lieblicher als die Geſtirne, da ſie vorm Throne des Schoͤpfers

Jugendlich neu, und voll Licht, mit ihren Tagen, vorbeyflohn.

Gott ſchuf ihn erſt. Aus einer helleuchtenden Morgenroͤthe

Schuf er ihm einen aͤtheriſchen Leib, Ein Himmel von Wolken

Floß um ihn, da er wurde: Gott hub ihn mit offenen Armen

Aus den Wolken, und ſagt ihm ſegnend: da bin ich, Erſchaffner!

Seraph Eloa ſah itzt auf einmal den Ewigen vor ſich,

Schaut ihn entzuͤckungsvoll an, und ſtand, und ſchaut ihn begeiſtert

Wiederum an, und ſank, verloren in Gottes Anblick,

Endlich redt er, und ſagte dem Ewigen alle Gedanken,

Die er empfand, die neuen unſterblichen Ruͤhrungen alle,

Die ſein großes Herz durchwallten. Erſt werden die Welten

Alle vergehn, und neu aus ihrem Staube ſich ſchwingen,

Ganze Jahrhunderte werden dann erſt in die Ewigkeit eingehn,

Eh der erhabenſte Chriſt ſo goͤttliche Ruͤhrungen fuͤhlet.

Jtzt kam Eloa von ſeinem Sitze zum Engel des Mittlers

Auf neu erwachenden Strahlen in ſeiner Schoͤnheit hernieder,

Jhn zum Altare des Mittlers zu fuͤhren. Er gieng noch von ferne,

Als er ſchon Gabriel kannte. Der Seraph zerfloß in Entzuͤckung,

Von den Unſterblichen einen zu ſehn, mit dem er vor dieſem

Alle Bezirke der Schoͤpfungen Gottes, und ihre Bewohner

Sah, und mit dem er unnachahmbarere Thaten vollfuͤhrte,

Als das Geſchlecht der Menſchen mit ſeinen Edelſten ausuͤbt.

Jtzo verklaͤrten ſie ſich ſchon liebreich gegen einander.

Schnell, mit bruͤnſtig eroͤffneten Armen, mit herzlichen Blicken

Eilten ſie gegen einander. Sie zitterten beyde vor Freuden,
Als
[16]Der Meßias.

Als ſie ſich umarmten. Wie Bruͤder erzittern, die beyde

Tugendhaft ſind, und beyde den Tod fuͤrs Vaterland ſuchten,

Wenn ſie, vom Heldenblute noch voll, ſich nach ewigen Thaten

Wiederſehn, und ſich vor ihrem noch goͤttlichern Vater umarmen.

Gott ſah ſie fern, und ſegnete ſie. So giengen ſie beyde,

Herrlicher noch durch die Freundſchaft, dem himmliſchen Thron entgegen.

Alſo kamen ſie weiter bis aus Allerheiligſte Gottes.

Nah bey der Herrlichkeit Gottes, auf einem himmliſchen Berge,

Ruht des Allerheiligſten Nacht. Ein lichthelles Glaͤnzen

Wacht inwendig um Gottes Geheimniß. Das heilige Dunkel

Deckt nur das Jnnre vorm Auge der Engel. Bisweilen eroͤffnet,

Gott den daͤmmernden Vorhang durch majeſtaͤtiſche Donner

Vor dem Blicke der himmliſchen Schauer. Sie ſehen, und feyren.

Jtzo ſtand auf einmal, bey des Allerheiligſten Eingang,

Wie ein Berg Gottes, der Altar des Mittlers, vor Gabriels Auge

Wolkenlos da. Er ſah ihn, und gieng, in feſtlicher Schoͤnheit,

Prieſterlich zum Altar, und trug zwo goldene Schalen

Voll vom heiligen Raͤuchwerk, und ſtand tiefſinnig am Altar.

Neben ihm ſtand Eloa, und rief aus ſeiner Harfe

Goͤttliche Toͤne, den opfernden Seraph zum hohen Gebete

Vorzubereiten. Der hoͤrt ihn, und durch die allmaͤchtige Harfe

Hub ſich ſein Geiſt voll Andacht empor. Wie der Ocean aufwallt

Wenn uͤber ihm die Stimme des Herrn in Sturmwinden wandelt.

Gabriel ſah Gott an, und ſang mit maͤchtiger Stimme.

Nunmehr hoͤrte der ewige Vater, es hoͤrte der Himmel

Deine Gebete, Meßias. Gott ſelber zuͤndte das Opfer
Wun-
[17]Erſter Geſang.

Wunderbar an; ein heiliger Rauch ſtieg mit dem Gebete

Still begleitend vom Altar; dann hub er ſich weiter, und wallte,

Wie von der Erde Gebirgen ein ganzer Himmel, zu Gott auf.

Bis itzt hatte Gott ſtets die Erde nachdenkend betrachtet.

Denn ſein Sohn beſprach ſich noch immer aus vollem Gemuͤthe

Mit ihm von der erhabenen Seligkeit ſeiner Erloͤſten.

Aber itzt fuͤllte ſein freundlicher Blick den Himmel von neuem.

Jeder begegnete feyrend und ſtill dem goͤttlichen Blicke.

Alles erwartet die Stimme des Herrn. Die himmliſche Ceder

Rauſcht itzt nicht, der Ocean ſchwieg am hohen Geſtade.

Gottes geiſtiger Wind hielt zwiſchen den ehernen Bergen

Unbeweglich, und wartete mit verbreiteten Fluͤgeln,

Auf die Herabkunft der Stimme Gottes. Ein Donnerwetter

Stieg, da er wartete, ſchnell, vom Allerheiligſten nieder.

Doch Gott redte noch nicht. Die heiligen Donnerwetter

Waren Verkuͤndiger einer annahenden goͤttlichen Antwort.

Als dieß geſchah, that Gott vorm Angeſichte der Thronen

Offenbarend ſein Heiligthum auf, den wartenden Himmel

Zu den hohen Gedanken des Ewigen vorzubereiten.

Und da wandte ſich Urim voll Ernſt, mit goͤttlichem Tiefſinn,

Cherub Urim, des ewigen Geiſtes vertraulichſter Engel,

Zu dem hohen Eloa, und ſprach: Was ſiehſt du, Eloa?

Seraph Eloa ſtand auf, gieng langſam vorwaͤrts, und ſagte:

Dort an den goldenen Pfeilern, da ſind labyrinthiſche Tafeln

Voll vom Schickſal; dann Buͤcher des Lebens, die unter dem Hauche

Maͤchtiger Winde ſich oͤffnen, und Namen kuͤnftiger Chriſten
BNeue
[18]Der Meßias.

Neue belohnende Namen, des Himmels Unſterblichkeit, aufthun.

Wie ſich die Buͤcher des Weltgerichts hier, gleich wehenden Fahnen

Kriegender Seraphim furchtbar eroͤffnen! Ein toͤdtender Anblick

Fuͤr die niedrigen Seelen, die wider Gott ſich empoͤrten!

O wie Gott ſich enthuͤllt! ach Urim, in heiliger Stille

Schimmern die Leuchter im Silbergewoͤlk! So gebieret der Morgen

Thau auf den Bergen, ſo glaͤnzen die Erben der ewigen Kindſchaft,

Tauſend bey tauſend, der wahren Gemeinen vorbildende Leuchter.

Zaͤhle ſie, Urim, die heilige Zahl. Die Welten, ſprach Urim,

Aller Engel gekroͤnte Thaten, ſelbſt Gottes Gedanken,

Wenn er ſich, einen großen Tag, uns offenbarend eroͤffnet,

Sind uns zaͤhlbar: allein die Folgen der großen Erloͤſung,

Gottes Erbarmungen nicht. Eloa ſprach weiter: ich ſehe

Gottes Gerichtsſtuhl! Wie ſchrecklich biſt du, Weltrichter, Meßias!

Schau das Antlitz des hohen Gerichtsſtuhls! Es toͤdtet von ferne!

Und die zur Rache geruͤſtete Glut! Ein lebendiger Sturmwind

Hebt ihn in donnernden Wolken empor. Ach ſchone, Meßias,

Schone, Weltrichter, mit deinem Verderben von ferne bewaffnet!

Alſo beſprachen Eloa und Urim ſich unter einander.

Siebenmal hatte der Donner das heilige Dunkel eroͤffnet,

Und die Stimme des Ewigen kam ſanftwandelnd hernieder:

Gott iſt die Liebe. Der war ich vorm Daſeyn meiner Geſchoͤpfo;

Da ich die Welten erſchuf, war ich auch der; itzt, bey der Vollendung

Meiner geheimſten erhabenſten That, bin ich eben derſelbe.

Schaut den Ewigen an, ihr vorerwaͤhlten Gerechten,
Hei-
[19]Erſter Geſang.

Heilige Kinder. Erkennet mein Herz, ihr wart mir das Liebſte

Meiner Gedanken, als ich dem kuͤnftigen Heile nachdachte,

Euch hat herzlich verlangt, ich bin euer goͤttlicher Zeuge,

Endlich die Tage des Heils, und meinen Meßias zu ſehen.

Seyd mir geſegnet, ihr Kinder der Gottheit vom Geiſte gebohren!

Jauchzet, Kinder, hier bin ich, ein Vater, das Weſen der Weſen,

Siehe, der Erſt und der Letzte, ein ewig treuer Erbarmer.

Der ich von Ewigkeit bin, den keine Geſchoͤpfe begreifen,

Jch, Jehovah, ich laſſe zu euch, mich vaͤterlich nieder.

Dieſer Bote des Friedens, von meinem Sohne geſendet,

Jſt nur um eurentwillen zum hohen Altare gekommen.

Waͤret ihr nicht zu Zeugen der großen Erloͤſung erkohren,

O ſo haͤtten wir uns in entfernter Stille beſprochen,

Einſam, geheim, unerforſchlich. Doch ihr, mein theures Geſchlechte,

Sollt die Tage mit Wonn und unſterblichem Jauchzen vollenden!

Jch, und mein Himmel, wir wollen den ganzen verborgenen Umfang

Meiner Erloͤſung durchſchaun, mit viel verklaͤrteren Blicken

Wollen wir dieſe Geheimniſſe ſehn, als eures Erloͤſers

Fromme, weichmuͤthige Freunde, die noch in Dunkelheit irren,

Oder als ſeine verruchten Verfolger. Die hab ich ſchon lange

Aus den heiligen Buͤchern vertilgt; und meinen Erloͤſten

Send ich mein Licht, ſie ſollen nun bald das Blut der Verſoͤhnung

Nicht mehr mit weinendem Auge betrachten. Sie werden es ſehen,

Wie ſich vor ihnen ſein Strom ins ewige Leben verlieret.

Alsdann ſollen ſie hier, im Schooße des Friedens getroͤſtet,

Feſte des Lichts und der ewigen Ruh triumphirend begehen.

Seraphim, und ihr Seelen, erloͤſte Vaͤter des Mittlers,
B 2Fang
[20]Der Meßias.

Fangt ihr die Feſte der Ewigkeit an. Sie ſollen von itzo

Mit der Unendlichkeit dauern. Die heiligen Kinder der Erde

Werden ſich allgemach alle zu euch vollendet verſammeln,

Bis ſie zuſammen dereinſt, mit neuen Leibern umgeben,

Nach vollbrachtem Gericht zu meiner Seligkeit kommen.

Unterdeß geht von mir aus, des hohen Thrones Bewohner,

Meldet den Herrſchern der Schoͤpfungen Gottes, daß ſie ſich zur Feyrung

Dieſer erwaͤhlten verehrungswuͤrdigen Tage bereiten.

Und ihr Frommen des Menſchengeſchlechts, und ihr Vaͤter des Mittlers,
(Denn von jenem Gebein der Sterblichkeit, das ihr im Staube

Reifend zur Auferſtehung zuruͤckließt, entſtammt der Meßias.

Er, der Gott iſt und Menſch,) auch euch iſt die Freude beſtimmet,

Die ich allein bey mir, mit meiner Gottheit Gedanken,

Ganz empfind; unſterbliche Seelen, auf, eilt zu der Sonne,

Welche den Kreis der Erloͤſung umleuchtet. Hier ſollt ihr von ferne

Eures Erloͤſers und Sohns Verſoͤhnung und Thaten betrachten.

Laßt euch dieſen Lichtweg hinab. Aus allen Bezirken

Sieht euch meine Natur mit verneuter Schoͤnheit entgegen.

Denn ich der Herr will ſelbſt, nach dieſer Jahrhunderte Kreislauf,

Einen Ruhetag Gottes, den zweyten erhabenen Sabbath,

Bey mir feyren. Der iſt mir viel hoͤher, als jener beruͤhmte,

Jener von euch, ihr Geiſtergeſchoͤpfe, ſeraphiſche Schaaren,

Heilig beſungene Tag, den ihr, nach Vollendung der Welten,

Einſt am Schoͤpfungsfeſte begiengt. Jhr wißt es, o Geiſter,

Wie ſich die neue Natur, in liebenswuͤrdiger Schoͤne,

Damals erhub, wie in eurer Geſellſchaft die Morgenſterne

Vor dem Schoͤpfer ſich neigten. Allein itzt ſoll mein Meßias,
Mein
[21]Erſter Geſang.

Mein unſterblicher Sohn, viel groͤßere Werke vollenden.

Eilt, verkuͤndigt dieß meinen Geſchoͤpfen. Mein Sabbath erhebt ſich,

Jtzt mit dem freyen Gehorſam und Leiden des großen Meßias.

Jch, der Herr, nenn ihn den Sabbath des Heils und des ewigen Bundes.

Gott ſprachs. Ueberall faltete noch die tiefe Verwundrung

Heilige Haͤnde vor ihm. Stillſchweigend ſahe der Himmel

Zum Allerheiligſten Gottes hinauf. Dem Geſandten des Mittlers

Winkte Gott; da ſtieg er zur oberſten Stufe des Thrones.

Allda empfieng er, an Uriel und die Beſchuͤtzer der Erde

Wegen der Wunder beym Tode des Mittlers, geheime Befehle.

Unterdeß waren die Thronen von ihren Sitzen geſtiegen.

Gabriel folgte. Da er dem Altare der Erde ſich nahte,

Hoͤrt er von fern aus den hohen Gewoͤlben herwallende Seufzer,

Die mit weinendem Laut das Heil der Menſchen verlangten,

Und die der Opferprieſter am Altar dem Ewigen brachte.

Dieß iſt der Altar, von dem du, des neuen Bundes Prophete,

An dem Geſtade der Patmus die himmliſchen Bildungen ſaheſt;

Hier wars, wo ſich in hohen Gewoͤlben der Maͤrtyrer Stimme

Klaͤglich erhub; hier weinten die Seelen mit Thraͤnen der Engel,

Daß der erhabene Richter den Tag der Rache verzoͤgre.

Als itzt zu dieſem Altare der Erde der Seraph hinabſtieg,

Eilt ihm Adam, der Opferprieſter am Altar, entgegen,

Nicht ungeſehn; ein aͤtheriſcher Leib helleuchtend gebildet,

Huͤllte den ſeligen Geiſt in eine verklaͤrte Behauſung.

Seine Geſtalt war ſo ſchoͤn, wie du vor des Schoͤpfers Gedanken
B 3Goͤtt-
[22]Der Meßias.

Goͤttliches Bild, als er Adam zu ſchaffen gedankenvoll da ſtand,

Und im geſegneten Schooße der paradieſiſchen Fluren

Unter ihm heiliges Erdreich zum werdenden Menſchen ſich loswand.

Alſo gebildet kam Adam zum Seraph. Ein liebliches Laͤcheln

Machte ſein Antlitz wie goͤttlich, er ſprach mit verlangender Stimme:

Sey mir gegruͤſſet, begnadigter Seraph, du Friedens-Bote.

Da die Stimme von deiner erhabnen Geſandſchaft erſchallte,

Hub ſich mein Geiſt jubilirend empor. Du theurer Meßias,

Koͤnnt ich dich auch in jener holdſeligen menſchlichen Schoͤnheit,

Wie der Seraph hier, ſehn! Ach in jener Geſtalt der Erbarmung,

Jn der du mein gefallnes Geſchlecht zu verſoͤhnen beſchloſſeſt!

Fuͤhre du mich auf die Spur, wo mein Erloͤſer gewandelt,

Mein Erloͤſer und Freund, ich will ihn nur ferne begleiten!

Ruheſtatt jenes Gebeths, wo unſer Mittler ſein Antlitz

Aufhub und ſchwur, er wollte die Kinder von Adam erloͤſen,

Duͤrfte der erſte der Suͤnder mit Freuden Thraͤnen dich anſchaun!

Ach, ich war ja vordem dein erſtgebohrner Bewohner,

Muͤtterlichs Land, o Erde, nach dir ſeh ich ſehnlich hernieder.

Deine vom Donnerworte des Fluchs zerſtoͤrten Gefilde

Waͤren mir in des Meßias Geſellſchaft, den eben der Koͤrper

Jenes Todes umhuͤllt, den ich dort im Staube zuruͤckließ,

Lieblicher, als dein Gefilde nach himmliſchen Auen erſchaffen,

O Paradies, verlohrner Himmel! So ſagt er voll Jnbrunſt.

Deine Verlangen will ich, du Erſtling der Auserwaͤhlten,

Sprach der Seraph mit freundlicher Stimme, dem Mittler erzaͤhlen.

Jſt es ſein goͤttlicher Wille, ſo wird er dich zu ſich berufen,

Du wirſt ihn ſehn, wie er iſt, die erniederte Herrlichkeit Gottes.

Jn-
[23]Erſter Geſang.
Jndem hatten die goͤttlichen Engel den Himmel verlaſſen,

Und ſich uͤberall ſchnell in der Welten Umkreis vertheilet.

Gabriel nur kam allein zur ſeligen Erden hernieder,

Die der benachbarte Kreis voruͤbergehender Sterne

Still mit einem allgegenwaͤrtigen Morgen begruͤßte.

Ringsum erſchallten zugleich die neuen Namen der Erde.

Gabriel hoͤrte die Namen: du Koͤniginn unter den Erden,

Augenmerk aller Geſchoͤpfe, vertrauteſte Freundinn des Himmels,

Anderer Wohnplatz der Herrlichkeit Gottes, unſterbliche Zeuginn

Jener geheimen erhabenen Thaten des großen Meßias!

Alſo ertoͤnte der Umkreis von engliſchen Stimmen belebet.

Gabriel hoͤrt es und kam mit verweilendem Fluge zur Erden.

Hier ſank Schlummer und Kuͤhlung noch in die Thaͤler hernieder,

Dunkle geſellige Wolken verhuͤllten noch ihre Gebirge.

Gabriel gieng in der Nacht, und ſuchte mit ſehnlichen Blicken

Seinen Meßias. Er fand ihn in einem niedrigen Thale,

Das ſich zwiſchen den Gipfel des himmliſchen Oelbergs hinabließ.

Hier war der goͤttliche Mittler, von tiefen Gedanken ermuͤdet,

Eingeſchlafen. Natur, du mußteſt zu ſeinem Haupte,

Alſo ſagt er dir ſchlummernd, leichttragende Blumen erſchaffen.

Gabriel ſah den Meßias in ſuͤßem luftigen Schlafe,

Stand voll Verwunderung ſtill, und ſah unverwandt nach der Schoͤnheit,

Die die vereinbarte Gottheit der menſchlichen Bildung ertheilte.

Ruhige Liebe, die Zuͤge des goͤttlichen Laͤchelns voll Gnade,

Huld und Milde, noch Thraͤnen der ewigtreuen Erbarmung,

Zeigten den Geiſt des Menſchenfreundes in einem Geſichte;
B 4Doch
[24]Der Meßias.

Doch war ſein Abdruck daſelbſt in Zuͤgen des Schlafes verdunkelt.

Alſo ſieht ein reiſender Seraph der bluͤhenden Erde

Halbunkenntliches Antlitz an Fruͤhlingsabenden liegen,

Wenn der Abendſtern ſchon am einſamen Himmel heraufgeht,

Und aus daͤmmernden Lauben den Weiſen, ihn anzuſchaun, herwinkt.

Endlich redte der Seraph nach langer Betrachtung und Stille.

O du, der du allwiſſend biſt, ſprach er mit zaͤrtlicher Stimme,

Der du mich hoͤrſt, obgleich dein ſterblicher Leib hier ruhet,

Deinen Befehlen hab ich mit getreuer Sorgfalt gehorchet.

Als ich dieß that, ſo eroͤffnete mir der Erſte der Menſchen,

Wie er dein Antlitz zu ſehn, unſterblicher Mittler, ſich ſehne.

Jtzo will ich, nach deines erhabenen Vaters Entſchließung,

Gleich von hier, deine Verſoͤhnung auch mit zu verherrlichen, eilen.

Unterdeß ſchweigt hier, o nahe Geſchoͤpfe! den fluͤchtigſten Anblick

Dieſer hineilenden Zeit, da euer Schoͤpfer noch hier iſt,

Muͤßt ihr fuͤr ſeliger, als viel lange Jahrhunderte halten,

Da ihr den Menſchen mit reger ſorgfaͤltiger Aemſigkeit dienet.

Schweig, Getoͤſe der Luft, in deinen aufruͤhriſchen Hoͤlen,

Oder erhebe dich ſanft mit ſtillem behutſamen Saͤuſeln.

Und du, nahes Gewoͤlk, o treufle du Segen und Waͤrme

Auf die kuͤhlenden Schatten aus deinen Schoͤſſen herunter.

Rauſche nicht, Ceder, ſchweig, heiliger Hain, vorm ſchlummernden Schoͤpfer!

Alſo verlohr ſich mit ſorgſamem Ton die Stimme des Seraphs.

Und drauf eilt er zu jener Verſammlung der heiligen Waͤchter,

Die als Vertraute der Gottheit und ihrer verborgenen Vorſicht,
Nebſt
[25]Erſter Geſang.

Nebſt ihm die Erde zugleich in geheimer Stille beherrſchten.

Dieſen ſollt er noch itzt, vor ſeiner Erhebung zur Sonne,

Jenes Verlangen der ſeligen Geiſter, die nahe Verſoͤhnung,

Und den zweyten erhabenen Ruhetag Gottes eroͤffnen.

Der du nach Gabriel itzt den Kreis der Erloͤſung beherrſcheſt,

Goͤttlicher Schutzgeiſt der Mutter ſo vieler unſterblichen Kinder,

Die ſie, wie ihre Begleiter, die ſchnellen Jahrhunderte, fluͤchtig,

Und unerſchoͤpflich am Reichthum, den hoͤhern Gegenden ſendet,

Und dann des ewigen Geiſtes in Truͤmmern zerfallne Behauſung

Unter verlaſſenen Huͤgeln in traurige Dunkelheit einſchließt;

O du dieſer verherrlichten Erden erwaͤhlter Beſchuͤtzer,

Seraph Eloa, verzeih dieß deinem zukuͤnftigen Freunde,

Wenn er deinen ſeit Edens Erſchaffung verborgenen Wohnplatz,

Von der heiligen Muſe gelehrt, den Sterblichen zeiget.

Hat er ſich iemals, voll einſamer Wolluſt, in tiefe Gedanken

Und in den hellen Bezirk der ſtillen Entzuͤckung verlohren;

Hat mit Gedanken der Geiſter ſich ſein Gedanke vereinet,

Und die enthuͤllete Seele der Goͤtter Rede vernommen;

O ſo hoͤr ihn, Eloa, wenn er, wie die himmliſche Jugend,

Kuͤhn und erhaben, nicht modernde Truͤmmern der Vorwelt beſinget,

Sondern den Buͤrgern der goͤttlichen Erde dein Heiligthum aufthut.

Jn dem ſtillen Bezirk des unbetrachteten Nordpols

Herrſchet die Mitternacht ewig einſiedleriſch. Dunkel und Wolken

Fließen von ihr, wie ein ſinkendes Meer, unaufhoͤrlich herunter.

So lag unter der Finſterniß Gottes, von Moſen gerufen,
B 5Ehmals
[26]Der Meßias.

Ehmals der Nil, in vierzehn Geſtade zuſammen gedraͤnget,

Und ihr, der Koͤnige Grab, unſterbliche Pyramiden.

Niemals hat noch ein Auge, von kleinern Himmeln umgraͤnzet,

Dieſe verlaßnen Gefilde geſehen, wo naͤchtliches Erdreich

Unbewohnt ruht, wo kein Laut von Menſchenſtimmen ertoͤnet,

Wo kein Todter begraben liegt, wo kein Auferſtehn ſeyn wird.

Aber zu tiefen Gedanken, und zur Betrachtung gewidmet,

Machen ſie Seraphim herrlich, wenn ſie auf ihren Gebirgen,

Orionen gleich, gehn, und in prophetiſche Stille

Sanft verloren, der Menſchen zukuͤnftige Seligkeit anſchaun.

Mitten in dieſen Gefilden erhebt ſich die engliſche Pforte,

Durch die der Erde Beſchuͤtzer zu ihrem Heiligthum eingehn.

Wie zur Zeit des belebenden Winters ein heiliger Feſttag

Ueber beſchneyten Gebirgen nach truͤben Tagen hervorgeht;

Wolken und Nacht entfliehen vor ihm, die beeiſten Gefilde

Hohe durchſichtige Waͤlder entnebeln ihr Antlitz, und glaͤnzen:

Alſo gieng Gabriel itzt auf den mitternaͤchtlichen Bergen,

Und ſchon ſtand ſein unſterblicher Fuß an der heiligen Pforte,

Die ſich vor ihm wie Fluͤgel der rauſchenden Cherubim, aufthat.

Schon war ſie hinter ihm wieder geſchloſſen. Nun gieng der Seraph

Jn den Tiefen der Erde. Da waͤlzten ſich Oceane

Um ihn mit langſamer Flut zum menſchenloſen Geſtade.

Alle Soͤhne der Oceane, gewaltige Fluͤſſe,

Floſſen, wie Ungewitter ſich aus den Wuͤſten heraufziehn,

Fern und rauhtoͤnend ihm nach. Er gieng, und ſein heiliger Wohnplatz

Zeigte ſich ſchon in der Naͤhe. Die Pforte von Wolken erbauet
Wich
[27]Erſter Geſang.

Wich ihm itzt aus, und zerfloß vor ihm hin, wie in him̃liſchen Schim̃er.

Unter dem Fuß des Unſterblichen zog ſich die fluͤchtige Daͤmmrung

Wallend hinweg. Weit hinter ihm, an den dunkeln Geſtaden,

Blieben wehende Flammen in ſeinem Fußtritt zuruͤcke.

Nunmehr hatte der Seraph den heiligen Wohnplatz betreten.

Da, wo ſich fern von uns die Erde zum Mittelpunkt kehret,

Woͤlbt ſich in ihr ein weiter Bezirk voll himmliſcher Luͤfte.

Mitten darinnen erhebt ſich, mit fluͤßigem Schimmer bekroͤnet,

Eine ſanftleuchtende Sonne. Von ihr fließt Leben und Waͤrme

Jn die Adern der Erden empor. Die oberſte Sonne

Bildet mit dieſer vertrauten Gehuͤlfinn den blumichten Fruͤhling,

Und den feurigen Sommer, von ſinkenden Halmen belaſtet,

Und dich, o Herbſt, auf Traubengebirgen. Jn ihren Bezirken

Jſt ſie niemals nicht auf und niemals untergegangen.

Um ſie laͤchelt in thauenden Wolken, ein ewiger Morgen.

Unterweilen thut der, der die Himmel zuſammen erfuͤllet,

Seine Gedanken den Engeln daſelbſt durch Zeichen in Wolken

Wunderbar kund; da erſcheinen alsdann die Folgen des Schickſals.

Alſo entdeckt ſich Gott, wenn nach wohlthaͤtigen Wettern

Ueber beſaͤnftigten Wolken der Regenbogen hervorgeht,

Und dir, Erde, den Bund und die Fruchtbarkeit Gottes verkuͤndigt.

Gabriel ließ itzo auf dieſer Sonne ſich nieder.

Um ihn verſammelten ſich der Koͤnigreiche Beſchuͤtzer,

Engel des Kriegs und des Todes, die im Labyrinthe des Schickſals

Bis zur goͤttlichen Hand den fuͤhrenden Faden begleiten;
Die
[28]Der Meßias.

Die im Verborgenen uͤber die Werke der Koͤnige herrſchen,

Wenn ſie damit triumphirend, als ihrer Schoͤpfung, ſich bruͤſten.

Dann die Huͤter der tugendhaften und wenigen Edlen,

Die den denkenden Weiſen in ſeiner Entfernung begleiten,

Wenn er das Menſchengewebe der irrdiſchen Seligkeit fliehet,

Und die Buͤcher der ewigen Zukunft im Stillen eroͤffnet.

Auch ſind ſie oft insgeheim bey einer Verſammlung zugegen,

Wo der feurige Chriſt die Herabkunft Gottes empfindet,

Wenn ein bruͤderlich Volk, durch das Blut des Bundes geheiligt,

Vor dem Verſohner der Menſchen in Jubellieder ſich ausgießt.

Wenn die Seelen entſchlafner Chriſten ihr todtes Antlitz

Und den Schweiß, und die traurigen Zuͤge des ſiegenden Todes,

Und die bezwungne Natur auf ihrem Leichnam erblicken:

So empfangen ſie dieſe Gefaͤhrten mit troͤſtendem Anblick:

Lieber, wir wollen dereinſt die Truͤmmern alle verſammlen!

Eben dieſe Behauſung der Sterblichkeit, dieſes Gebeine,

Durch die Hand des gewaltigen Todes ſo traurig entſtellet,

Soll mit dem Morgen des Richters zur neuen Schoͤpfung erwachen.

Kommt nur, des Himmels zukuͤnftige Buͤrger, ein helleres Anſchaun,

Selbſt die Umarmung des goͤttlichen Mittlers erwartet euch liebreich.

Auch die Seelen, die zarten kaum ſproſſenden Koͤrpern entflohen.

Sammelten ſich um den Seraph herum. Sie flohen mit Weinen,

Mit dem zaͤrtlichen Weinen der Kindheit. Jhr ſchuͤchternes Auge

Hatte die Oberflaͤche der Erde kaum ſtaunend erblicket;

Darum durften ſie ſich auf den groͤßern Schauplatz der Welten
Noch
[29]Erſter Geſang.

Noch ungebildet ſo bald hervorzutreten nicht wagen.

Jhre Beſchuͤtzer begleiten ſie zu ſich, und lehren ſie reizend,

Unter dem Klange belebender Harfen, in lieblichen Liedern:

Wie und woher ſie entſtanden; wie groß die menſchliche Seele

Von dem vollkommenſten Geiſte gemacht ſey; wie jugendlich heiter

Sonnen und Monde nach ihrer Geburt zum Schoͤpfer gekommen.

Euch erwarten vollendete Vaͤter; ein herrliches Anſchaun

Eures Erbarmers erwartet euch dort am ewigen Throne.

Alſo lehren ſie dieſe der Weisheit wuͤrdige Schuͤler,

Jener erhabenen Weisheit, nach deren fluͤchtigen Schatten

Durch ihr Glaͤnzen geblendet, die irren Sterblichen eilen.

Jtzo hatten ſie haͤufig die ſchimmernden Lauben verlaſſen,

Und ſich zu ihren Vertrauten, den Engeln der Erde, verſammelt.

Gabriel that itzo der ganzen Geiſterverſammlung

Alles das kund, was Gott ihm befahl vom Meßias zu ſagen.

Dieſe blieb wie entzuͤckt um den hohen goͤttlichen Lehrer,

Und ließ ihre Gedanken in tiefe Betrachtungen nieder.

Und ein liebenswuͤrdiges Paar, zwo befreundete Seelen,

Benjamin und Dudaim, umarmten einander, und ſprachen:

Jſt das nicht, o Dudaim, der holde vertrauliche Lehrer?

Jſts nicht Jeſus, von welchem der Seraph dieß alles erzaͤhlte?

Ach, ich weiß es noch wohl, wie er uns inbruͤnſtig umarmte,

Wie er uns an die klopfende Bruſt mit Zaͤrtlichkeit druͤckte.

Eine getreue leutſelige Zaͤhre, die ſeh ich noch immer,

Netzte ſein Antlitz, ich kuͤßte ſie auf, die ſeh ich noch immer.

Und
[30]Der Meßias.
Und drauf ſagt er, o Benjamin, unſern umſtehenden Muͤttern:

Werdet, wie Kinder, ſonſt koͤnnt ihr das Reich des Vaters nicht erben.

Ja, ſo ſagt er, Dudaim. Und der iſt unſer Erloͤſer;

Durch den ſind wir ſo ſelig, umarme mich, lieber Dudaim!

Alſo beſprachen ſie ſich mit Zaͤrtlichkeit unter einander.

Gabriel aber bereitete ſich zur neuen Geſandtſchaft,

Nahm ſein helles Gewand, mit dem er beym Engel der Sonne

Stets erſchien. Ein feſtliches niederwallendes Glaͤnzen

Floß, da er gieng, den Fuß des Unſterblichen praͤchtig herunter.

Alſo ſehen des Mondes Bewohner den Tag der Erde,

Jhren Naͤchten zu leuchten, in ſtillen thauenden Wolken

Auf die Gipfel von ihren Gebirgen herunterwallen.

Alſo geſchmuͤckt ſtand Gabriel auf, und unter dem Nachruf

Jauchzender Engel und Seelen betrat er den freyeren Luftkreis.

Rauſchend, wie Pfeile vom ſilbernen Bogen, zum Siege befluͤgelt,

Schoß er neben Geſtirnen vorbey, und eilte zur Sonne.

Jtzo ſank er auf Uriels Burg ſchon ſchwebend hernieder.

Hier fand er auf der Zinne der Burg die Seelen der Vaͤter,

Die unverwandt den feurigen Blick zu den Strahlen geſellten,

Die den weckenden Tag in Canaans Gegenden ſenden.

Unter den Vaͤtern war einer von hohem denkenden Anſehn,

Adam, der Sohn der erwachenden Erd und der Bildungen Gottes.

Gabriel, er, und der Herrſcher der Sonnen erwarteten ſehnlich,

Unter Geſpraͤchen vom Heile der Menſchen, den Anblick des Oelbergs.


Der
[[31]]

Der
Meſſias
.
Zweyter Geſang.


[[32]]

Jnhalt
des zweyten Geſangs.


Die Seelen der Vaͤter ſehen den Meßias, bey anbrechendem Tage,
erwachen, und begruͤßen ihn mit einem heiligen Liede. Jeſus
erfaͤhrt vom Raphael, dem Schutzengel Johannes, daß dieſer Juͤnger,
in den Graͤbern am Oelberge einen Beſeſſenen betrachte. Er gehet
dahin, und findet Samma, den Satan bey ſeiner Ankunft durch
Verzweiflung toͤdten will. Der Meßias antwortet der ſtolzen Anrede
Satans nicht; aber dieſer muß vor ihm entfliehen. Samma wird
von ſeiner Quaal befreyet. Jeſus bleibt mit Johannes allein in den
Graͤbern, Satan koͤmmt zur Hoͤlle, erzaͤhlt, was er von Jeſu weis,
und beſchließt ſeinen Tod. Einer von den gefallenen Engeln, Abdiel
Abbadona, widerſpricht Satan. Satan kann ihm vor Wut nicht
antworten. Adramelech thuts, und billigt die Entſchließung Satans.
Dieß thut hierauf die ganze Hoͤlle. Satan und Adramelech kehren
zur Erde zuruͤck, ihre Entſchließung auszufuͤhren. Abbadona folgt
ihnen von fern. Er ſieht bey der Pforte der Hoͤlle, Abdiel, einen
guten Engel, und ſeinen ehmaligen Freund. Er redet ihn von fern
wehmuͤthig an. Aber Abdiel will ihn nicht bemerken. Abbadona geht
fort, und beym Eintritte in die Welt, bejammerte er ſeine verlohrne
Herrlichkeit, und verzweifelt, Gnade zu finden. Nach einigen um-
ſonſt angewandten Bemuͤhungen, ſein Weſen zu vernichten, koͤmmt
er zur Erde. Satan und Adramelech nahen ſich auch der Erde.
Da Adramelech die Erde ſieht, redt er ſie an, und druͤckt ſeine ganze
Bosheit durch wuͤtend ausſchweifende Entſchließungen aus.
Er und Satan laſſen ſich auf den Oelberg
herunter.


[[33]]
Der
Meſſias
.
Zweyter Geſang.


Jtzo ſtieg uͤber die Cedernwaͤlder der Morgen herunter.

Jeſus erhub ſich, ihn ſahn in der Sonne die Seelen der Vaͤter.

Als ſie ihn ſahn, da ſangen zwo Seelen ſo gegeneinander,

Adams Seele, mit ihr die Seele der goͤttlichen Eva:

Schoͤnſter der Tage, du ſollſt vor allen kuͤnftigen Tagen

Feſtlich und heilig uns ſeyn, dich ſoll vor deinen Gefaͤhrten,

Kehrſt du wieder zuruͤck, die Seele des Menſchen, der Seraph

Und der Cherub, beym Aufgang und Untergange, begruͤſſen.

Steigſt du zur Erden herab; verbreiten dich Orione

Durch die Himmel; und gehſt du beym Throne der Herrlichkeit Gottes

Heilig hervor, ſo wollen wir dir in feyrendem Aufzug

Jauchzend mit Hallelujageſaͤngen entgegen ſegnen!
CDir
[34]Der Meßias.

Dir, unſterblicher Tag, der du unſern getroͤſteten Augen

Gott, den Meßias, auf Erden in ſeiner Erniedrung entdeckeſt!

Wie er ſo ſchoͤn iſt! O, unſer Meßias in menſchlicher Bildung!

Wie ſich in ſeinem erhabenen Anſehn die Gottheit enthuͤllet!

Selig biſt du und heilig, die du den Meßias gebahreſt,

Seliger als Eva, die Mutter der Menſchen. Unzaͤhlbar

Sind zwar die Soͤhne von ihr, doch zugleich unzaͤhlbare Suͤnder.

Aber du haſt einen, nur einen goͤttlichen Menſchen,

Einen gerechten, ach einen unſchuldigen theuren Meßias,

Einen Sohn Gottes, unſterbliche Tochter der Erde, gebohren!

Zaͤrtlich mit irrendem Blick ſeh ich zur Erden hernieder,

Dich, Paradies, dich ſeh ich nicht mehr. Du biſt in den Waſſern

Weggeſchwemmt, in Waſſern der allgegenwaͤrtigen Suͤndflut.

Deiner erhabnen umſchattenden Cedern, die Gottes Hand pflanzte,

Deiner friedſamen Lauben, der jungen Tugend Behauſung,

Hat kein Sturmwind, kein Donner, kein Todesengel geſchonet!

Bethlehem, wo ihn Maria gebahr, und ihn bruͤnſtig umarmte,

Sey du mir mein Eden; du Brunnen Davids, die Quelle,

Wo ich goͤttlich erſchaffen zuerſt mich ſahe; du Huͤtte,

Wo er weinte, ſey du mir die Laube der erſten Unſchuld!

Ach haͤtt ich dich in Eden gebohren, du Goͤttlicher! haͤtt ich

Gleich nach vollbrachter entſetzlichen That dich, Sohn, gebohren

Siehe, ſo waͤr ich mit dir zu meinem Richter gegangen;

Da, wo er ſtand, wo unter ihm Eden zum Grabe ſich aufthat,

Wo der Erkenntniſſe Baum mir fuͤrchterlich rauſchte, wo Stimmen

Seiner Donner des Fluchs gefuͤrchteten Richterſpruch ſprechen,
Wo
[35]Zweyter Geſang.

Wo ich im bangen Erbeben dahinſank, und ſterben wollte,

Da waͤr ich zu ihm gegangen: dich, Sohn, haͤtt ich weinend umarmet

Und an mein Herze gedruͤckt, und geſagt; Ach zuͤrne nicht, Vater!

Zuͤrne nicht mehr, ich habe den Mann Jehova gebohren!

Heilig biſt du, und anbetenswuͤrdig und ewig, o Erſter!

Der du dir deinen goͤttlichen Sohn von Ewigkeit zeugteſt,

Und ihn, nach deinem Bilde gezeugt, zum Erloͤſer der Menſchen,

Meines von mir beweinten Geſchlechts, erbarmend erwaͤhlteſt.

Gott hat meine Thraͤnen geſehen; ihr habt ſie geſehen,

Seraphim, und ſie gezaͤhlt; auch ihr, ihr Seelen der Todten,

Seelen meines entſchlafnen Geſchlechts, habt ſie alle gezaͤhlet.

Waͤreſt du nicht, o Meßias, geweſen, die ewige Ruhe

Haͤtte mir ſelbſt traurig, und ungenießbar geſchienen.

Aber in deinem goͤttlichen Umgang, von deiner Erbarmung,

Stifter des ewigen Bundes, ſanft uͤberſchattet, da lernt ich

Selbſt in zaͤrtlicher Wehmuth mehr Seligkeiten empfinden.

Und nun traͤgſt du ſein Bild, das Bild des ſterblichen Menſchen!

Gottmenſch Erloͤſer, dich bethen wir an! Vollende dein Opfer,

Das du fuͤr uns, unſterblicher Gott, zu vollenden herabſtiegſt.

Mache die Erde bald neu, die du zu verneuen beſchloſſeſt,

Dein und unſer Geburtsland. Komm bald gen Himmel zuruͤcke!

Komm, ſey gegruͤßet in deinen Erbarmungen, Gottmenſch Erloͤſer!

Alſo ertoͤnte mit maͤchtigem Klang die Stimme der Seelen

Durch die Gewoͤlbe der engliſchen Burg. Der Meßias vernahm ſie
C 2Fern
[36]Der Meßias.

Fern in der Tiefe. Wie mitten in heiligen Einſiedleyen,

Jn zukuͤnftige Folgen vertieft, prophetiſche Weiſen

Dich, von fern ſanftwandelnde Stimme des Ewigen, hoͤren.

Jeſus gieng den Oelberg hinab. An der Mitte des Oelbergs

Stand ein Palmbaum auf niedrigen Huͤgeln vor allen erhaben,

Von leichtſchimmernden Wolken des Morgennebels umfloſſen.

Unter dem Palmbaum vernahm der Meßias den Schutzgeiſt Johannes,

Raphael iſt ſein Name, der ihn hier betend verehrte.

Liebliche Winde zerfloſſen vom Palmbaum, und trugen die Stimme

Die ſonſt keine Geſchoͤpfe nicht hoͤrten, zum Mittler hernieder.

Raphael komm, rief ihm der Meßias mit freundlichem Anblick,

Wandle mir hier ungeſehen zur Seite. Wie haſt du die Nacht durch

Unſers lieben Johannes unſchuldige Seele bewachet?

Was fuͤr Gedanken, die deinen Gedanken, o Raphael, glichen,

Hatte ſie? Wo iſt er itzt? Jch bewacht ihn, ſagte der Seraph,

Wie man die Erſtlinge deiner Erwaͤhlten, o Mittler, bewachet.

Seinen eroͤffneten Geiſt umſchatteten heilige Traͤume,

Traͤume von dir. O haͤtteſt du ihn da ſchlummern geſehen,

Als er dich, Goͤttlicher, ſah! Ein heiliges Fruͤhlingslaͤcheln

Fuͤllte ſein Antlitz. Dein Seraph hat auch in Edens Gefilden

Adam geſehn, da er ſchlief, und das Bild der werdenden Eva

Und des bauenden Schoͤpfers vor ſeine Gedanken herabkam.

Aber ſo ſchoͤn war er nicht, wie dein goͤttlicher Juͤnger Johannes.

Doch itzt iſt er dort unten in traurigen naͤchtlichen Graͤbern,

Und klagt einen beſeſſenen Mann, der im Staube der Todten

Fuͤrchterlich bleich, wie ein bebend Gerippe, hin ausgeſtreckt lieget.
Jeſus,
[37]Zweyter Geſang.

Jeſus, du ſollteſt ihn ſehn, du ſollteſt den zaͤrtlichen Juͤnger

Neben ihm voller mitleidigen Kummers und Wehmuth erblicken,

Wie ihm vor Menſchenliebe ſein Herz erbarmend zerfließet,

Wie er erbebt. Mir ſelbſt drang eine wehmuͤthige Thraͤne

Zitternd ins Auge. Da wandt ich mich weg. Das Leiden der Geiſter,

Die du zur Ewigkeit ſchufſt, iſt mir ſtets durch die Seele gedrungen.

Raphael ſchwieg. Das Auge des Mittlers ſah zuͤrnend gen Himmel.

Großer Vater, erhoͤre mich itzt! Der Menſchenfeind werde

Deinen Gerichten ein ewiges Opfer, das jauchzend der Himmel,

Das voll Beſtuͤrzung und Schand und Schmach die Hoͤlle betrachte!

Alſo ſagt er, und naͤherte ſich den Graͤbern der Todten.

Unten am mitternaͤchtlichen Oelberge waren die Graͤber

Jn zuſammengebirgte zerruͤttete Felſen gehauen.

Dick und finſter verwachſene Waͤlder verwahrten den Eingang

Vor dem Blicke des fliehenden Wandrers. Ein trauriger Morgen

Stieg, wenn uͤber Jeruſalem ſchon der Mittag ſich ſenkte,

Zu den Graͤbern noch daͤmmernd mit kuͤhlem Schauer hinunter.

Samma, ſo hieß der beſeſſene Mann, lag neben dem Grabe

Seines juͤngſten geliebteſten Sohns in klaͤglicher Ohnmacht.

Satan ließ ihm die Ruh, ihn deſto ergrimmter zu quaͤlen.

Hier lag er bey den Gebeinen des Knabens in Moder und Aſche.

Neben ihm ſtand ſein anderer Sohn, und weinte zu Gott auf.

Jenen verſtorbenen, welchen der Vater und Bruder beweinten,

Hatte vordem die zu zaͤrtliche Mutter, durch Flehen erweichet,

Mit in die Graͤber zum Vater hinab gebracht, welchen Satan
C 3Unge-
[38]Der Meßias.

Ungeſtuͤm und voll grimmiger Wuth bey den Todten herumtrieb.

Ach mein Vater! ſo rief der kleine geliebte Benoni,

Und entfloh den Armen der Mutter, die aͤngſtlich ihm nachlief;

Ach mein Vater, umarme mich doch! und kruͤmmt um die Hand ſich,

Druͤckte ſie an ſein Herz. Der Vater umfaßt ihn, und bebte.

Da nun der Knabe mit kindlicher Jnbrunſt ihn zaͤrtlich umhalſte,

Da er mit ſtillem liebkoſenden Laͤcheln ihn jugendlich anſah,

Warf ihn der Vater an einen entgegenſtehenden Felſen,

Daß ſein zartes Gehirn an blutigen Steinen herabrann,

Und mit leiſem Roͤcheln entfloh die Seele voll Unſchuld.

Nunmehr klagt er ihn troſtlos, und faßt das kalte Behaͤltniß

Seiner Gebeine mit ſterbendem Arm. Mein Sohn, ach Benoni!

Ach Benoni, mein Sohn! ſo ſagt er, und jammernde Thraͤnen

Stuͤrzen vom Auge, das bricht und langſam ſtarrend erſtirbet.

Alſo lag er und aͤngſtigte ſich, da der Mittler hinabkam.

Joel, der andere Sohn, verwandte ſein thraͤnendes Antlitz

Von dem Vater, und ſah den Meßias im Grabmal dahergehn.

Ach! mein Vater, erhub er voll froher Verwundrung die Stimme,

Jeſus, der große Prophet, koͤmmt in die Graͤber hernieder.

Satan hoͤrt es, und ſahe beſtuͤrzt durch die Oeffnung des Grabmals.

So ſehn Gotteslaͤugner, der Poͤbel, aus duͤſtern Gewoͤlben,

Wenn das hohe Gewitter am donnernden Himmel heraufzieht,

Und der Rache gefuͤrchtete Wagen in Wolken ſich waͤlzen.

Satan hatte bisher nur Samma von ferne gepeinigt.

Aus den tiefſten entlegenſten Enden des naͤchtlichen Grabmals

Sandt er langſame Plagen hervor. Jtzt erhub er ſich wieder

Ruͤſtete ſich mit Todesſchrecken, und ſtuͤrzt auf Samma.
Sam-
[39]Zweyter Geſang.

Samma ſprang auf, dann fiel er von neuem ohnmaͤchtig darnieder.

Seine dem Tode noch kaum entgegenringende Seele

Trieb ihn, von dem moͤrdriſchen Feinde zum Unſinn empoͤret,

Felſenan. Hier wollt ihn vor deinen goͤttlichen Augen,

Großer Meßias, der Satan am ſchroffen Felſen zerſchmettern.

Doch du wareſt ſchon da, und deine voreilende Gnade

Trug dein verlaßnes Geſchoͤpf auf treuen allmaͤchtigen Fluͤgeln,

Daß er nicht ſank. Da ergrimmte der Geiſt des Menſchenverderbers

Und erbebte. Die kommende Gottheit erſchreckt ihn von ferne.

Jndem richtete Jeſus ſein helfendes Antlitz auf Samma.

Eine belebende goͤttliche Kraft, mit dem Blicke vereinbart,

Gieng von ihm aus. Da erkannte der arme verlaſſene Samma

Seinen Erloͤſer. Jns bleiche Geſicht voll Todesgeſtalten,

Kam die Menſchheit zuruͤck, er ſchrie, und weinte gen Himmel.

Jtzt wollt er reden, allein kaum konnt er von Freuden erſchuͤttert

Bebend ſtammeln. Doch breitet er ſich mit ſehnlichen Armen

Nach dem Ewigen aus, und ſah mit getroͤſteten Augen,

Voll von Entzuͤckung, nach ihm von ſeinem Felſen herunter.

Wie die Seele truͤbſinniger Weiſen, die, in ſich gekehret,

Und an der Ewigkeit ihrer zukuͤnftigen Dauer verzweifelnd,

Jnnerlich bebt; der Unſterblichen ſchauert vor ihrer Zernichtung;

Aber itzt nahet ſich ihr der weiſern Freundinnen eine,

Jhrer Unſterblichkeit ſicher, und ſtolz auf Gottes Verheißung,

Koͤmmt ſie zu ihr mit troͤſtendem Blick. Die truͤbe Verlaßne

Heitert ſich auf, und windet mit Macht vom jammernden Kummer

Ungeſtuͤm freudig ſich los; nun jauchzt die ewige ſegnend,

Wie im Triumph, uͤber ihrer verneuten unſterblichen Groͤße.
C 4Alſo
[40]Der Meßias.

Alſo empfand der beſeſſene Mann die Beruhigung Gottes.

Und drauf ſprach der Meßias mit maͤchtiger Stimme zu Satan:

Geiſt des Verderbens, wer biſt du, der du vor meinem Geſichte

Dieß zur Erloͤſung erwaͤhlte Geſchlecht, die Menſchen, ſo quaͤleſt?

Jch bin Satan, antwortet ein zorniges tiefes Gebruͤlle,

Koͤnig der Welt, die oberſte Gottheit unſclaviſcher Geiſter,

Die mein Anſehn zu etwas erhabnerm, als zu den Geſchaͤfften

Himmliſcher Saͤnger beſtimmt hat. Dein Ruf, o ſterblicher Seher,
(Denn Maria wird wohl Unſterbliche niemals gebaͤhren!)

Dieſer dein Ruf drang, wer du auch biſt, zur unterſten Hoͤlle.

Selbſt ich verließ ſie, ſey ſtolz auf deines Koͤnigs Bemuͤhung!

Dich, von himmliſchen Sclaven verkuͤndigten Heiland, zu ſehen.

Doch du wurdeſt ein Menſch, ein goͤttertraͤumender Seher,

Wie die, welche mein maͤchtiger Tod in die Erde begraben.

Darum gab ich nicht Acht, was die neuen Unſterblichen thaten.

Doch nicht muͤßig zu ſeyn, ſo plagt ich, das haſt du geſehen!

Deine Geliebten, die Menſchen. Da ſieh des Todes Geſtalten,

Meine Geſchoͤpf, auf dieſem Geſicht! Jtzt eil ich zur Hoͤlle.

Unter mir ſoll mein allmaͤchtiger Fuß das Meer und die Erde,

Mir anſtaͤndige Wege zu bahnen, gewaltſam verwuͤſten.

Dann ſoll die Hoͤll im Triumph mein koͤniglich Angeſicht ſchauen.

Willſt du was thun, ſo thu es alsdann. Jch kehre zuruͤcke,

Hier auf der Welt mein erobertes Reich, als Koͤnig, zu ſchuͤtzen.

Unterdeß ſtirb noch, Verlaßner, vor mir! So ſagt er, und ſtuͤrzte

Stuͤrmend auf Samma. Allein des ruhigſchweigenden Mittlers

Stille verborgne Gewalt kam, gleich der Allmacht des Vaters,

Wenn er Welten geheim und ſtill den Untergang zuwinkt,
Satan
[41]Zweyter Geſang.

Satan im Zorne zuvor; er floh, und vergaß im Entfliehen,

Unter allmaͤchtigem Fuße das Meer und die Erde zu ſchlagen.

Unterdeß ſtieg Samma von ſeinem Felſen hernieder.

Alſo entfloh vom hohen Euphrates Nebucadnezar,

Da ihm der Rathſchluß der heiligen Waͤchter die menſchliche Bildung

Wiederum gab, und ihn zum Anſchaun des Himmels erhoͤhte.

Gottes Schreckniſſe giengen nicht mehr, mit dem Rauſchen Euphrates,

Vor ihm in dunklen ſinaiſchen Donnerwettern voruͤber.

Nebucadnezar kam auf die ſtolzen Hoͤhen zu Babel,

Nicht mehr als Gott; er lag, von da gen Himmel verbreitet,

Dankbar im Staube gebeugt, den Ewigern anzubeten.

Alſo kam Samma zu Jeſu herab, und fiel vor ihm nieder.

Darf ich dir folgen, du heiliger Mann? ach laß mich mein Leben

Das du mir wieder geſchenkt, bey dir, Mann Gottes, vollenden!

Alſo ſagt er, und ſchlung ſich mit bruͤnſtigen zitternden Armen

Um den Erloͤſer, der ihm, mit menſchenfreundlichen Blicken,

Dieſes erwiederte: folge mir nicht, doch verweile dich kuͤnftig

Mehr als ſonſt um Golgathas Huͤgel, da wirſt du die Hoffnung

Abrahams und der Propheten mit deinen Augen erblicken.

Jndem Jeſus zu Samma ſo ſprach, da wandte ſich Joel

Zu Johannes, und ſagte zu ihm, mit ſchuͤchterner Unſchuld:

Ach du lieber Mann, fuͤhre du mich zum großen Propheten,

Daß er mich hoͤre, du kenneſt ihn ja. Der zaͤrtliche Juͤnger

Nahm ihn, und fuͤhrt ihn zu Jeſu, da ſagt er in ſeiner Unſchuld;

Gottes Prophet, ſo kann denn mein Vater und ich dir nicht folgen?

Aber, o darf ichs wohl ſagen, warum verweileſt du itzo
C 5Hier,
[42]Der Meßias.

Hier, wo mein jugendlich Blut vor den Graͤbern der Todten erſtarret?

Komm doch, du goͤttlicher Mann, in meines Vaters Behauſung.

Dich ſoll hier meine verlaſſene Mutter mit Demuth bedienen.

Milch und Honig, die lieblichſten Fruͤchte von unſeren Baͤumen,

Sollſt du genießen; die Wolle der juͤngſten Laͤmmer in Auen

Soll dich bedecken. Jch ſelber will dich, o Gottes Prophete,

Koͤmmt die Sommerszeit, unter die Schatten der Baͤume begleiten,

Die mein Vater im Garten mir gab. Mein lieber Benoni!

Ach Benoni, mein Bruder! dich laß ich im Grabe zuruͤcke.

Ach nun wirſt du mit mir die Blumen kuͤnftig nicht traͤnken!

Niemals wirſt du am kuͤhlenden Abend mich bruͤderlich wecken!

Ach Benoni! ach Gottes Prophet, da liegt er im Staube!

Jeſus ſah ihn erbarmungsvoll an, und ſprach zu Johannes:

Wiſche dem Knaben die Zaͤhren vom Antlitz; ich hab ihn viel edler

Und rechtſchaffner, als viele von ſeinen Vaͤtern, erfunden.

Alſo ſagt er, und blieb mit Johannes allein in den Graͤbern.

Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolken umhuͤllet,

Durchs Thal Joſaphat, uͤber das todte Meer finſter hinuͤber.

Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen Himmel.

Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den goͤttlichen Weltbau,

Daß er noch durch ſo viele Jahrhunderte, ſeit der Erſchaffung,

Jn der erſten von Gott ihm gegebnen Herrlichkeit glaͤnzte.

Gleichwohl ahmt er ihm nach, und aͤnderte ſeine Geſtalten

Durch aͤtheriſches Glaͤnzen, damit nicht die Morgenſterne

Ueberall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgebaͤu ſetzte,
Ueber
[43]Zweyter Geſang.

Ueber ſein finſtres Anſehn in ſtillem Triumphe ſich freuten.

Doch dieß helle Gewand war ihm bald unertraͤglich; er eilte,

Aus deu Bezirken der goͤttlichen Herrſchaft zur Hoͤlle zu kommen.

Jtzo hatt er ſich ſchon bey den aͤußerſten Weltgebaͤuden

Stuͤrmiſch herunter geſenkt. Unermeßliche daͤmmernde Raͤume

Thaten vor ihm wie unendlich ſich auf. Die nennt er den Anfang

Seiner von ihm durchherrſchten Bezirke. Hier ſah er von ferne

Fluͤchtigen Schimmer, ſo weit die aͤußerſten Sterne der Schoͤpfung

Noch das unendliche Leere mit matten Strahlen durchirrten.

Doch hier ſah er die Hoͤlle noch nicht; die hatte die Gottheit

Fern von ſich und ihren Geſchoͤpfen, den ſeligen Geiſtern,

Weiter hinunter in ewige Dunkelheit eingeſchloſſen.

Denn in unſerer Welt, dem Schauplatz ihrer Erbarmung,

War kein Raum fuͤr Oerter der Quaal. Der Ewige ſchuf ſie

Furchtbar, zum Verderben, zu ſeinem ſtrafenden Endzweck,

Praͤchtig und vollkommen. Jn drey erſchrecklichen Naͤchten

Schuf er ſie, und verwandte von ihr ſein Antlitz auf ewig,

Jenes, mit welchem er huldreich nach ſeinen Geſchoͤpfen herabſieht.

Zween von den heldenmuͤthigſten Engeln bewachten die Hoͤlle.

Dieß war Gottes Befehl, da er ſie mit maͤchtiger Ruͤſtung

Segnend umgab. Sie ſollten den Ort der dunklen Verdammniß

Ewig in ſeinen Bezirken erhalten, damit nicht Satan

Kuͤhn mit ſeiner verfinſterten Laſt die Schoͤpfung beſtuͤrmte,

Und das Antlitz der ſchoͤnen Natur durch Verwuͤſtung entſtellte.

Wo ſie beym Eingang der Hoͤlle mit herrſchendem Angeſicht ſitzen,

Von da ſenkt ſich ein ſtrahlender Weg, wie von Zwillingsquellen

Ein kryſtallener Strom, in geradefortlaufender Laͤnge
Gegen
[44]Der Meßias.

Gegen den Himmel gekehrt, nach Gottes Welten hinuͤber,

Daß es ihnen in ihrer Entfernung an frommen Vergnuͤgen,

Ueber die mannichfaltige Schoͤnheit der Schoͤpfung, nicht fehle.

Neben dieſem helleuchtenden Wege kam Satan zur Hoͤlle,

Und gieng unſichtbar durch die eroͤffneten Hoͤllenpforten.

Drauf hub er ſich in einem von Schwefel dampfenden Nebel

Langſam auf ſeinen gefuͤrchteten Thron. Jhn ſahe kein Auge

Unter den Augen, die Nacht und Verzweiflung truͤbe verſtellten.

Zophiel nur, ein Herold der Hoͤllen, entdeckte den Nebel,

Der die erhabenen Stufen hinaufzog, und ſagte zu einem,

Der gleich neben ihm ſtand: kehrt Satans oberſte Gottheit

Etwa zur Hoͤlle zuruͤck? Verkuͤndigt der dampfende Nebel

Seine von allen Goͤttern ſo lange gewuͤnſchte Zuruͤckkunft?

Jndem, da er noch ſprach, ſo floß der umhuͤllende Nebel

Ringsum von Satan; er ſaß auf einmal mit zornigem Antlitz

Fuͤrchterlich da. Gleich eilte der fluͤchtige ſclaviſche Herold

Gegen die Feuergebirge, die ſonſt mit Stroͤmen und Flammen

Satans Ankunft dem Abgrund in allen Gegenden kund thun.

Zophiel ſtieg auf Fluͤgeln des Sturms durch die Hoͤlen des Berges

Gegen die dampfende Muͤndung empor. Ein feuriges Wetter

Machte darauf den ganzen Bezirk der Finſterniß ſichtbar.

Jeder erblickte den ſchrecklichen Koͤnig in ſchimmernder Ferne.

Alle Bewohner des Abgrunds erſchienen. Die maͤchtigſten eilten

Neben ihm auf die Stufen des Throns ſich niederzuſetzen.

Die du entzuͤckt voll Feuer und Ernſt nach der Hoͤllen hinabſiehſt,

Weil du zugleich im Angeſicht Gottes Klarheit erblickeſt,
Und
[45]Zweyter Geſang.

Und Zufriedenheit uͤber ſich ſelbſt, wenn er Suͤnder beſtrafet,

Zeige ſie mir, Goͤttinn, doch laß die maͤchtige Stimme

Rauſchend, wie den Sturmwind, wie Gewitter Gottes, ertoͤnen.

Adramelech kam erſt, ein Geiſt, boshafter als Satan

Und verdeckter. Noch brannte ſein Herz von grimmigem Zorne

Wider Satan, daß dieſer zuerſt den Abfall gewaget;

Denn er hatte ſchon lange bey ſich den Abfall beſchloſſen.

Wenn er was that, ſo that ers nicht, Satans Reiche zu ſchuͤtzen;

Seinentwegen that ers. Seit langen undenkbaren Jahren

Hatt er darauf ſchon gedacht, wie er ſich zur Herrſchaft erhuͤbe,

Wie er Satan von neuem mit Gott zu kriegen bewegte,

Oder ihn in den unendlichen Raum auf ewig entfernte,

Oder zuletzt, waͤr alles umſonſt, durch Waffen bezwaͤnge.

Damals ſchon, als die gefallenen Engel vorm Donnerer flohen,

Sann er darauf. Als alle zuſammen die Hoͤlle ſchon einſchloß,

Kam er zuletzt, und trug vor ſeinem kriegriſchen Harniſch

Eine helleuchtende goldene Tafel, und rief durch den Abgrund:

Warum fliehen die Koͤnige ſo? Jn hohem Triumphe

Solltet ihr, o Krieger, fuͤr unſre behauptete Freyheit

Jn die neue Behauſung der Pracht und Unſterblichkeit einziehn!

Da der Meßias und Gott den neuen Donner erfanden,

Und im Kriegesgeſchaͤfte vertieft euch zornig verfolgten,

Stieg ich ins Allerheiligſte Gottes, da fand ich die Tafel

Voll vom Schickſal, das unſre zukuͤnftige Groͤße verkuͤndigt.

Sammelt euch! Seht die himmliſche Schrift! So redet das Schickſal:

Einer
[46]Der Meßias.
Einer von denen, die Gott als dienſtbare Geiſter beherrſchet,

Wird, daß er Gott ſey, erkennen, er wird den Himmel verlaſſen,

Und mit ſeinen vergoͤtterten Freunden im einſamen Raume

Wohnungen finden. Die wird er zwar erſt mit Abſcheu bewohnen;

Wie der Gott, der ihn vertrieb, eh ich ihm den Weltkreis erbaute,

Lange Zeit, dieß war mein Wille, des Chaos Tiefen bewohnte.

Aber er ſoll nur das Reich der Hoͤlle muthig betreten;

Denn aus ihr entſtehet dereinſt ein herrlicher Weltbau.

Den wird Satan erſchaffen, doch ſoll er den goͤttlichen Grundriß

Selber von mir vor meinen erhabenen Sitzen empfangen.

Alſo ſaget der Gott der Goͤtter, ich, der ich alleine

Alle Bezirke des Raums, mit ihren Goͤttern und Welten,

Ringsum, mit meiner vollkommenſten Welt, unendlich umgraͤnze!

Gott Jehovah, der Ewige, hoͤrte die Stimme der Laͤſtrung.

Sagt er zu ſich: ich bin Jehovah, und ewig mir ſelbſt gleich!

Auch der erſchuͤtterte Suͤnder iſt meiner Herrlichkeit Zeuge!

Aber, du Sclave des Elends, ſollſt ſehn, wen du itzo geſchmaͤht haſt!

Alſobald gieng das ernſte Gericht vom Angeſicht Gottes.

Tief in der innerſten Hoͤllen erhebt ſich ein leuchtender Klumpen

Aus dem Flammenmeer, und geht in des Todesmeer unter.

Der erhub ſich in donnernden Kreiſen aus ſeinen Bezirken,

Faßt Adramelech und fuͤhrt ihn ins Meer des Todes. Da wurden

Sieben Naͤchte, ſtatt einer; Die Naͤchte lag er im Abgrund.

Lange darauf erbaut er der oberſten Gottheit den Tempel,

Wo er als ihr Prieſter die goldnen Tafeln des Schickſals
Ueber
[47]Zweyter Geſang.

Ueber die hohen Altaͤre geſtellt hat. Hier ehret die Hoͤlle

Die dich, Jehova, verwarf, ein unendliches ewiges Unding.

Selber Satan erſcheinet hier oft, und fraget den Prieſter,

Wegen der Reiſ ins Unendliche, die er ſchon vielmal gewagt hat,

Doch nicht ſo weit, als Adramelech aus Herrſchſucht es wuͤnſchte.

Jtzo kam Adramelech vom Tempel, und ſaß auf dem Throne

Mit verborgenem Grimm, bey Satans linker Hand nieder.

Drauf kam Moloch, ein kriegriſcher Geiſt, von ſeinen Gebirgen,

Die er, wenn etwa der donnernde Krieger, ſo nennt er Jehova,

Jn die Gefilde der Hoͤlle, ſie einzunehmen, herabkaͤm,

Sich zu vertheidigen, ſtolz mit neuen Bergen umthuͤrmt hat,

Oft wenn der traurige Tag an des flammenden Oceans Ufern

Dampfend hervorſteigt, erblicken ihn ſchon der Hoͤlle Bewohner,

Wie er unter der Laſt, vom eiſernen Rauſchen umſtuͤrmet,

Muͤhſam geht, und ſich dem hohen Gipfel des Berges

Endlich naͤhert. Und wenn er alsdann die neuen Gebirge

Auf die Hoͤh, dem Gewoͤlbe der Hoͤllen entgegen gethuͤrmt hat,

Steht er in Wolken, und donnert daraus mit ſchwerer Arbeit

Langſam hervor. Jhn ſehen die Seelen der Erdenbezwinger

Unten erſtaunungsvoll an. Er rauſchte von ſeinen Gebirgen

Durch ſie gewaltig einher. Sie wichen auf beyden Seiten

Schuͤchtern hinweg. Er gieng, von ſeiner toͤnenden Ruͤſtung,

Dunkel, wie der Donner von ſchwarzen Wolken, umgeben.

Vor ihm bebte der Berg, und hinter ihm ſanken die Felſen

Zitternd herab. So gieng er, und kam zum Throne des Satans.

Nach
[48]Der Meßias.
Nach ihm erſchien Belielel. Er kam in trauriger Stille

Aus den Waͤldern und Auen, wo ſich die Baͤche des Todes

Dunkel aus nebelndem Quell nach Satans Throne zu waͤlzen.

Allda wohnt Belielel. Umſonſt iſt ſeine Bemuͤhung,

Ewig umſonſt, die Gegend des Fluchs nach den Welten des Schoͤpfers

Umzuſchaffen. Jhm ſiehſt du mit hohem erhabenen Laͤcheln,

Ewiger, zu, wenn er den furchtbar brauſenden Sturmwind

Sehnſuchtsvoll, mit ohnmaͤchtigem Arm, gleich kuͤhlenden Zephyrn,

Vor ſich am traurigen Bache voruͤber zu fuͤhren bemuͤht iſt;

Denn der brauſt unaufhaltſam dahin, die Schreckniſſe Gottes

Rauſchen auf ſeinen verderbenden Fluͤgeln. Die oͤde Verwuͤſtung

Bleibt ungeſtalt im erſchuͤtterten Abgrund hinter ihm liegen.

Grimmig denkt Belielel an jenen unſterblichen Fruͤhling,

Der die himmliſche Flur wie ein junger Seraph umlaͤchelt;

Jhn will er in den Wuͤſten der Hoͤlle von ferne nachbilden.

Doch er ergrimmt, und ſeufzet vor Wut; die traurigen Auen

Liegen vor ihm in entſetzlichem Dunkel unbildſam, und oͤde,

Ewig unbildſam, unendliche lange Gefilde voll Jammer.

Belielel kam traurig zu Satan. Noch brannt er vor Rachſucht

Wider den, der ihn von himmliſchen Auen zur Hoͤllen hinabſtieß,

Und ſie, ſo dacht er, mit jedem Jahrhundert, erſchrecklicher machte.

Auch du ſaheſt in deinen Gewaͤſſern die Wiederkunft Satans,

Magog, des todten Meeres Bewohner. Aus brauſenden Strudeln

Kamſt du hervor. Die Meere zerfloſſen in lange Gebirge,

Da ſein kommender Fuß die ſchwarzen Fluthen zertheilte.

Magog fluchte dem Herrn, der wilden Laͤſterung Stimme
Bruͤllt
[49]Zweyter Geſang.

Bruͤllt unaufhoͤrlich aus ihm. Seit ſeiner Verwerfung vom Himmel

Flucht er dem Ewigen. Voll von Rachſucht will er die Hoͤlle,

Braucht er auch Ewigkeiten dazu, doch endlich vernichten.

Jtzo, da er das Trockne betrat; da warf er verwuͤſtend

Noch ein ganzes Geſtade mit ſeinen Bergen in Abgrund.

Alſo verſammelten ſich die Fuͤrſten der Hoͤlle zu Satan.

Wie die Jnſeln des Meers aus ihren Sitzen geriſſen,

Rauſchten ſie hoch, unaufhaltſam einher. Der Poͤbel der Geiſter

Floß mit ihnen unzaͤhlbar, wie Wogen des kommenden Weltmeers

Gegen den Fuß vorgebirgter Geſtade, zum Sitze des Satans.

Myriaden von Geiſtern erſchienen. Sie giengen und ſangen

Eigene Thaten, zur Schmach und unſterblichen Schande verdammet.

Unterm Getoͤſe vom Donner geruͤhrter entheiligter Harfen

Sangen ſie. So rauſchen in mitternaͤchtlicher Stunde

Cedern, die der benachbarte Himmel im Donnerwetter

Spaltete, wenn brauſend auf ehernen Wagen der Nordwind

Ueber ſie faͤhrt, und Libanon bebt, und Hermon erzittert.

Satan ſah und hoͤrte ſie kommen. Vor wilder Entzuͤckung

Stand er mit Ungeſtuͤm auf, und uͤberſah ſie alle.

Fern, beym unterſten Poͤbel erblickt er in ſpoͤttiſcher Stellung

Gottesleugner, ein niedriges Volk. Jhr ſchrecklicher Fuͤhrer,

Gog, war darunter, erhabner als alle von Anſehn und Unſinn.

Daß das alles ein Traum ſey, ein Spiel verirrter Gedanken,

Was ſie im Himmel geſehen, Jehova erſt Vater dann Richter,

Faßten ſie leicht, labyrinthiſch in waͤhnende Schluͤſſe verloren.

Satan ſah ſie mit Hohn; denn mitten in ſeiner Verfinſtrung
DSah
[50]Der Meßias.

Sah er doch noch, daß der Ewige ſey. Bald ſtand er voll Tiefſinn,

Bald ſah er uͤberall langſam herum, und ſetzte ſich wieder.

Wie auf hohen unwirthbaren Bergen olympiſche Wetter

Langſam und verweilend ſich lagern, ſo ſaß er, und dachte.

Nun that ſein Mund ſich ungeſtuͤm auf, und tauſend Donner

Sprachen aus ihm, da er ſprach. Wenn ihrs, o furchtbare Schaaren,

Wenn ihrs noch ſeyd, die mit mir die drey erſchrecklichen Tage

Auf den himmliſchen Ebnen aushielten, ſo hoͤrt im Triumphe,

Was ich euch itzt von meiner Verweilung auf Erden eroͤffne.

Doch nicht die Nachricht allein, ihr ſollt auch den maͤchtigen Rathſchluß,

Unſere Gottheit dem Ewgen zur Schmach zu verherrlichen, hoͤren.

Eh ſoll die Hoͤlle vergehn, eh ſoll der ſeine Geſchoͤpfe,

Der, wie man ſagt, vor dieſem einmal im Chaos gebaut hat,

Um ſich vernichten, und wieder allein in der Einſamkeit wohnen,

Eh er uͤber die ſterblichen Menſchen die Herrſchaft uns raubet.

Goͤtter, ſtets unbeſiegt, unſclaviſch, die wollen wir bleiben,

Wenn er auch gegen uns ſeine Verſoͤhner zu tauſenden ſchickte,

Wenn er auch ſelbſt, ein Meßias zu werden, die Erde betraͤte.

Doch was erzuͤrn ich mich ſo? Wer iſt der niedre Meßias,

Der die erdichtete Gottheit im ſterblichen Koͤrper herumtraͤgt,

Daß daruͤber die Goͤtter ſo ſinnen, als wenn ſie von neuem

Hohe Gedanken von ihrer Vergoͤttrung und Schlachten erfaͤnden?

Sollte der Ewigen einer, um uns den Sieg zu erleichtern,

Aus den Schoͤſſen ſterblicher Muͤtter, die bald die Verweſung

Wird ergreifen, auf uns, die er kennt, zu kaͤmpfen hervorgehn?

Das ſey ferne! So handelt der nicht, den Satan bekrieget.

Zwar ſtehn einige hier, die vor ihm furchtſam entflohen,
Und
[51]Zweyter Geſang.

Und aus der morſchen Behauſung gequaͤlter Sterblichen wichen.

Furchtſame, zittert vor dieſer Verſammlung, umhuͤllt euer Antlitz

Mit verfinſternder Schaam! die Goͤtter hoͤrens, ihr flohet!

Warum flohet ihr ſo, Elende? Was nanntet ihr Jeſum

Euer und meiner unwuͤrdig den Sohn des ewigen Gottes?

Doch daß ihr wißt, wer er ſey, der unter den Jſraeliten

Auch gern ein Gott waͤr, ſo hoͤret von mir des Traͤumers Geſchichte.

Hoͤre dus auch im hohen Triumphe, Verſammlung der Goͤtter.

Unter dem Volke der Juden iſt ſeit undenkbaren Zeiten

Eine prophetiſche Sage geweſen; denn unter der Sonne

Hat dieß Volk vor allen Geſchlechten am meiſten getraͤumet.

Nach der Prophezeyung entſpringt von ihnen ein Heiland,

Der ſie von ihren umliegenden Feinden auf ewig erloͤſet,

Und vor allen Voͤlkern ihr Reich zum herrlichſten Reich macht.

Auch wißt ihr wohl, daß vor wenigen Jahren von unſrer Geſellſchaft

Einige kamen und ſagten, ſie haͤtten auf Tabors Gebirgen

Eine Verſammlung der Engel geſehn, die haͤtten den Namen,

Jeſus, unaufhoͤrlich voll Entzuͤckung und Ehrfurcht genennet,

Daß die Cedern davon bis in die Wolken erbebten,

Daß die Stimmen der Jubellieder die Palmenwaͤlder

Ganz durchrauſchten, und Jeſus allein den Tabor erfuͤllte.

Drauf gieng mit uͤbermuͤthigem Stolz, hoch, wie im Triumphe,

Gabriel vom Tabor zu der Jſraelitinnen einer,

Gruͤßte ſie, wie man Unſterbliche gruͤßt, und ſagt ihr voll Ehrfurcht,

Von ihr ſollt ein Koͤnig entſtehn, der die Herrſchaften Davids

Maͤchtig beſitzen und Jſraels Erbe verherrlichen wuͤrde.

Er hieß Jeſus, ſo ſollte ſie ihn, den Goͤtterſohn, nennen.
D 2Ewig
[52]Der Meßias.

Ewig ſollte die Macht des großen Koͤnigreichs dauern.

Dieſes vernahmt ihr. Warum erſtaunten die Goͤtter der Hoͤlle,

Da ſie dieß hoͤrten? Jch ſelber, ich habe viel mehr noch geſehen;

Doch mich erſchreckt nichts. Jch will euch alles treulich entdecken.

Nichts will ich euch verſchweigen, damit ihr ſehet, wie feurig

Sich mein Muth in Gefahren erhebt; finds anders Gefahren,

Wenn ſich auf unſerer Welt ein ſterblicher Traͤumer vergoͤttert.

Jch war auf Erden, und wartete dort auf des goͤttlichen Knabens

Hohe Geburt. Jtzt wird aus deinem Schoße, Maria,

Dacht ich, der Goͤttliche kommen. Geſchwinder als fliegende Blicke,

Schneller noch als die Gedanken der Goͤtter vom Zorne befluͤgelt,

Wird er gen Himmel erwachſen. Jtzt deckt er in ſeiner Erhoͤhung

Mit dem einen Fuße das Meer, mit dem andern den Erdkreis.

Jtzt waͤgt er in der erſchrecklichen Rechte den Mond und die Sonne,

Jn der Linken die Morgenſterne. Da koͤmmt er und toͤdtet!

Mitten in Stuͤrmen, die er aus allen Welten herbeyrief,

Rauſcht er zum Sieg unaufhaltſam daher. Ach fliehe nur, Satan!

Fliehe! damit er dich nicht mit ſeinem allmaͤchtigen Donner

Ungeſtuͤm faſſe, bis du durch tauſend Erden geworfen,

Sinnlos bezwungen, ja todt, im Unermeßlichen liegeſt.

Seht, ſo dacht ich, ihr Goͤtter; allein ihm gefiel es noch itzo,

Daß er ein Menſch blieb, ein weinendes Kind, wie die Soͤhne der Erde,

Die ſchon bey ihrer Geburt um ihre Sterblichkeit weinen.

Zwar ſang um ſeine Geburtszeit ein Chor der himmliſchen Geiſter.

Denn ſie kommen bisweilen hernieder, die Erde zu ſehen,

Wo wir herrſchen; da Huͤgel der Todten und Gruͤfte zu ſehen,

Wo vordem Paradieſe nur ſtunden: dann kehren ſie thraͤnend,
Und
[53]Zweyter Geſang.

Und ſich zu troͤſten, mit feyrenden Liedern gen Himmel zuruͤcke;

Alſo war es auch itzt. Sie eilten, und ließen den Knaben,

Oder hoͤrt ihrs ſo lieber, die weinende Gottheit, alleine.

Drauf entfloh er vor mir, ich ließ ihn immer entfliehen.

Einen ſo furchtſamen Feind zu verfolgen, war meiner nicht wuͤrdig.

Unterdeß ließ ich, nicht muͤßig zu ſeyn, durch meinen Erwaͤhlten,

Meinen Koͤnig, und Opferprieſter Herodes, zu Bethlem

Saͤuglinge wuͤrgen. Das rinnende Blut, der Sterbenden Winſeln,

Und die Verzweiflung untroͤſtbarer Muͤtter, der Ausfluß der Leichen,

Der, mit Seelen vermiſcht, mir wallend entgegendampfte,

Waren fuͤr meine befriedigte Gottheit ein liebliches Opfer.

Wandelt nicht dort der Schatten Herodes? Verworfene Seele,

War ichs nicht ſelbſt, der in dir den Gedanken, die Bethlehemiten

Umzubringen, erſchuf? Kann etwa des Himmels Bewohner

Seiner Bildungen muͤhſames Werk, die unſterblichen Seelen,

Vor mir beſchuͤtzen, daß ich ſie mit meiner verborgnen Begeiſtrung

Nicht umſchatte, und uͤber ſie nicht zum Verderben mich breite?

Ja, Verlaßner, dein klagendes Winſeln, dein banges Verzweifeln,

Und der Seelen Geſchrey, die du ſonſt noch unſchuldig erwuͤrgteſt,

Daß ſie ſuͤndigend ſtarben, und dir, und der Vorſehung fluchten,

Jſt nun deinem befriedigten Gott auch ein liebliches Opfer.

Als er ſtarb, verſammelte Goͤtter, da kehrte der Knabe

Aus Aegyptens Gefilden zuruͤck. Die Jahre der Jugend

Bracht er im Schoße der zaͤrtlichen Mutter, in weicher Umarmung

Unbekannt zu. Kein jugendlich Feuer, kein edles Erkuͤhnen

Trieb ihn zu Unternehmungen an, ſich furchtbar zu machen.

Doch, ihr Goͤtter, im einſamen Wald, am oͤden Geſtade,
D 3Wo
[54]Der Meßias.

Wo er oft war, da hat er vielleicht auf Dinge geſonnen,

Die, aus ſchrecklicher Ferne, der Hoͤlle den Untergang drohen,

Und die von uns verneuerten Muth und Wachſamkeit fordern?

Seht, dieß glaubt ich vielleicht, haͤtt er ſich mit tiefen Geb’anken

Mehr beſchaͤfftigt, als mit der Betrachtung der Blumen und Felder

Und der Kinder um ihn, und mit dem ſclaviſchen Lobe

Deß, der ihn mit den Wuͤrmern aus niedrigem Staube gemacht hat.

Ja, ich waͤre vor Ruh und langer Muſſe vergangen,

Haͤtte mir nicht der Menſchen Geſchlecht ſtets Seelen geopfert,

Die ich, vorm Himmel voruͤber, hieher zur Bevoͤlkerung ſandte.

Endlich ſchien es, als ſollt er auch einmal merkwuͤrdiger werden.

Gottes Herrlichkeit kam, als er einſt am Jordan herumgieng,

Praͤchtig vom Himmel. Sie hab ich mit dieſen unſterblichen Augen

Selbſt am Jordan geſehn; kein Bild, kein himmliſches Blendwerk

Hat mich getaͤuſcht; ſie wars, wie ſie vom Throne des Himmels

Durch die langen anbetenden Reihen der Seraphim wandelt.

Aber, warum, und ob ſie, dem Erdenkinde zu Ehren,

Oder um unſere Wachſamkeit auszuforſchen, herabſtieg,

Dieß weis ich nicht. Zwar hoͤrt ich dabey gewaltige Donner,

Donner mit dieſer Stimme vermengt: das iſt mein Geliebter

Und mein Sohn, der mir innig gefaͤllt! Der war wohl Eloa,

Oder ſonſt einer vom Throne, der, mich zu verwirren, dieß ausrief.

Gottes Stimme wars nicht; zum mindſten klang ſie viel anders,

Als er uns Goͤttern vordem den Sohn der Ewigkeit aufdrang.

Auch war ein finſtrer Prophet dabey, der dort in der Wuͤſte

Menſchenfeindlich die Felſen durchirrt; der rief ihm entgegen:

Siehe das Lamm Gottes, das der Erden Suͤnde verſoͤhnet!
Der
[55]Zweyter Geſang.

Der du von Ewigkeit biſt, der du lange ſchon vor mir geweſen,

Sey mir gegruͤßt! Aus dir, o du der Erbarmungen Fuͤlle!

Nehmen wir Gnad um Gnade. Durch Moſen gab Gott die Geſetze,

Aber durch den Geſalbten des Herrn koͤmmt Wahrheit und Gnade.

Jſt das nicht hoch und prophetiſch genug? So iſt es, wenn Traͤumer

Traͤumer beſingen, da bauen ſie ſich ein heiliges Dunkel.

Und ach! die armen unſterblichen Goͤtter ſind viel zu geringe,

Bis ins innre Gebaͤu der Geheimniſſe durchzuſchauen.

Will er uns nicht den hohen Meßias, den Koͤnig des Himmels,

Jenen Donnerer Gottes, der in der gewaltigen Ruͤſtung

Wider uns ſtritt, bis wir die neuen Welten erreichten,

Unſern wuͤrdigen Feind und erhabenen Widerſacher,

Will er den nicht in jene Geſtalt, die wir toͤdten, verkleiden?

Zwar er ſelber, das Erdengeſchoͤpf, von dem der Prophet traͤumt,

Duͤnkt ſich nicht wenig zu ſeyn. Bald hat er die Todten erwecket,

Die doch der Ewige muͤhfam, ja muͤhſam, ſonſt thaͤt ers wohl oͤfters!

Seine veraltete Macht nicht ganz zu vergeſſen, erwecket.

Bald will er gar das ganze Geſchlecht der ſterblichen Menſchen

Von der Suͤnd und vom Tode befreyn: von der Suͤnde, die allen

Eingepflanzt iſt, und immer empoͤrend und ungeſtuͤm immer

Gott in ihren unſterblichen Seelen entgegen ſich auflehnt,

Unbezwingbar der ſclaviſchen Pflicht: auch vom Tode, der alle,

Der das ganze Geſchlecht, ſo oft wir ihm winken, durchwuͤrget,

Will er ſie alle befreyn; euch auch, verworfene Seelen,

Die ich ſeit der Schoͤpfung zu mir, wie den Ocean, ſammle,

Wie die Geſtirne, wie Gott die anbetenden ſclaviſchen Saͤnger;

Ja, euch auch, die die ewige Nacht im Abgrunde quaͤlet,
D 4Und
[56]Der Meßias.

Und in der Nacht ein ſtrafendes Feuer, im Feuer Verzweiflung,

Jn der Verzweiflung ich! euch will er vom Tode befreyen.

Wir, wir werden alsdann, der Gottheit uneingedenk, ſclaviſch

Vor ihm liegen, vor ihm, dem neuen vergoͤtterten Menſchen.

Was der mit dem allmaͤchtigen Donner nie von uns erzwinget,

Wird der aus des Todes Bezirk unbewaffnet vollenden.

Armer Verwegner! befreye dich erſt, dann erwecke die Todten.

Er ſoll ſterben, ja ſterben! er, der das Geſchlechte der Menfchen

Eigenmaͤchtig vom Tode befreyte. Dich leg ich in Staub hin

Bleich und entſtellt, in den Staub der Todten! dann will ich den Augen,

Die nicht ſehen, die Dunkel und Nacht nun ewig umnebeln,

Sagen: ach ſeht, da erwachen die Todten; dann will ich den Ohren,

Die nicht hoͤren, die ewig dem Ton die Unfuͤhlbarkeit zuſchließt,

Sagen: ach hoͤrt! Es rauſchet das Feld, die Todten erwachen.

Und der Seele will ich, wenn ſie zur Hoͤllen entfliehet,
(Denn ſie ſoll noch von mir, und von Todesquaalen erſchuͤttert,

Suͤndigen und Gott ſchmaͤhn; ſo grauſam will ich ihn toͤdten!)

Dann will ich ihr, wenn ſie flieht, wenn ſie im furchtbaren Sturme

Gottes Verfolgungen treiben, mit donnernder Stimme nachrufen:

Eile, die du ſiegteſt, ja eil in deinem Triumphe!

Dich erwartet ein praͤchtiger Einzug, die Pforten der Hoͤlle

Thun vor dir einladend ſich auf! Dir jauchzet der Abgrund!

Gegen dich wallen in feyrenden Choͤren die Seelen und Goͤtter!

Doch du laͤßt ja die Gottheit zuruͤck! Jſts etwa der Leichnam,

Der ſie noch deckt? oder eilt ſie vielleicht ungeſehen gen Himmel?

Gott muß entweder itzt, da ich hier bin, den fliehenden Erdkreis

Mit ihm und dem Geſchlechte der Menſchen gen Himmel erheben:
Oder
[57]Zweyter Geſang.

Oder ich fuͤhr es hinaus, was ich maͤchtig bey mir beſchloſſen.

Er ſoll ſterben! So wahr ich des Todes Erhalter und Schoͤpfer

Unbeſiegt die Zukunft der Ewigkeiten durchlebe.

Er ſoll ſterben! Bald will ich von ihm den Staub der Verweſung

Auf dem Wege zur Hoͤlle, vorm Antlitz des Ewigen, ausſtreun.

Seht den Entwurf von meiner Entſchließung. So raͤchet ſich Satan!

So ſprach Satan. Die Hoͤlle blieb noch vor Verwunderung ſtille.

Unten am Throne ſaß einer einſiedleriſch, finſter und traurig,

Seraph Abdiel Abbadona. Er dachte der Zukunft

Und dem Vergangnen voll Seelenangſt nach. Vor ſeinem Geſichte,

Aus dem ein truͤbes entſetzliches Dunkel mit Schwermuth hervorbrach,

Sah er nur Quaalen auf Quaalen gehaͤuft in die Ewigkeit eingehn.

Jtzo erblickt er die vorigen Zeiten; da war er voll Unſchuld

Jenes erhabenen Abdiels Freund, der am Tage des Aufruhrs,

Nach dem Meßias, im Himmel die groͤßten Thaten vollfuͤhrte;

Denn er kehrte zu Gott allein und unuͤberwindlich

Wieder zuruͤck. Mit ihm, dem edelmuͤthigen Seraph,

War ſchon Abbadona den Blicken der Feinde Gottes

Faſt entgangen: allein die Kriegeswagenburg Satans,

Die, im Triumph ſie wieder zu holen, ſchnell um ſie herum kam,

Und der gewaltig einladende Lerm der Kriegespoſaunen,

Und die Heldenſchaar, jeder ein Gott, vor ihm ausgebreitet,

Uebermannten ſein Herz, und riſſen ihn ſtuͤrmiſch zuruͤcke.

Hier noch wollt ihn ſein Freund mit Blicken drohender Liebe

Fortzueilen bewegen, allein von kuͤnftiger Gottheit

Trunken und umnebelt ſah er die ſonſt maͤchtigen Blicke
D 5Sei-
[58]Der Meßias.

Seines Freundes nicht mehr. Er kam im Triumphe zu Satan.

Jammernd und in ſich verhuͤllt, denkt er an dieſe Geſchichte

Seiner heiligen Jugend, und an den lieblichen Morgen

Seiner Geburtszeit zuruͤck; der Ewige ſchuf ſie auf einmal.

Damals beſprachen ſie ſich mit angebohrner Entzuͤckung

Unter einander: ach, Seraph, was ſind wir? Woher, mein Geliebter?

Sahſt du zuerſt mich? Wie lange biſt du? Ach, ſind wir auch wirklich?

Komm, umarme mich, goͤttlicher Freund, erzaͤhle, was denkſt du?

Jndem kam die Herrlichkeit Gottes aus lichtheller Ferne

Segnend einher. Sie ſahen um ſich nicht zu zaͤhlende Schaaren

Neuer Unſterblichen wandeln. Ein wallend ſilbern Gewoͤlke

Hub ſie zum Ewigen auf: ſie ſahn ihn, und nannten ihn, Schoͤpfer.

Dieſe Gedanken zermarterten Abbadona, ſein Auge

Floß von jammernden Thraͤnen. So floß von Bethlehems Bergen

Rinnendes Blut, da die Saͤuglinge ſtarben. Er hatte den Satan

Schauernd gehoͤrt, doch ermuntert er ſich, und erhub ſich, zu reden.

Dreymal ſeufzt er noch, eh er was ſprach. Wie in blutigen Schlachten

Bruͤder, die ſich erwuͤrgt, und, da ſie ſterben, ſich kennen,

Neben einander aus roͤchelnder Bruſt ohnmaͤchtig erſeufzen.

Drauf fieng er an und ſprach: ob mir gleich dieſe Verſammlung

Ewig entgegen ſeyn wird, ich wills nichts achten, und reden!

Reden will ich, damit des Ewigen ſchwere Gerichte

Nicht ſo ungeſtuͤm uͤber mich kommen, wie uͤber dich, Satan!

Ja, ich haſſe dich, Satan, dich haß ich, Verruchter! Dieß Weſen

Dieſen unſterblichen Geiſt, den du dem Schoͤpfer entriſſeſt,

Fordr er, dein Richter, auf ewig von dir! Ein unendliches Wehe

Schreye die ganze Verſammlung der Geiſterwelt, die du verfuͤhrt haſt!
Ueber
[59]Zweyter Geſang.

Ueber dich, Satan! Jch habe kein Theil an dir, ewiger Suͤnder,

Gottesleugner! kein Theil, an deiner finſtern Entſchließung,

Gott den Meßias zu toͤdten. Ach! wider wen redeſt du, Satan?

Wider den, der, wie du ſelbſt zu bekennen gezwungen biſt, furchtbar

Maͤchtiger, als du, iſt? Jſt fuͤr die ſterblichen Menſchen

Eine Befreyung vorhanden, du wirſt ſie nicht hintertreiben!

Du willſt den Leib des Meßias, den willſt du, Satan, erwuͤrgen?

Kenneſt du ihn nicht mehr? Hat ſein allmaͤchtiges Donnern

Dich nicht genug an dieſer verwegnen Stirne bezeichnet?

Oder kann ſich Gott nicht vor uns Ohnmaͤchtigen ſchuͤtzen?

Wir, die die Menſchen zum Tode verfuͤhrten; ach wehe mir, wehe!

Jch that es auch! Wir wollen uns nun an ihrem Erloͤſer

Wuͤtend vergreifen? Den Sohn, den Donnergott, wollen wir toͤdten?

Ja, den Zugang zu einer vielleicht zukuͤnftigen Rettung,

Oder, zum mindſten zur Lindrung der Quaal, den wollen wir ewig

Uns, ſo vielen vordem vollkommnen Geiſtern, verſchließen?

Satan! ſo wahr wir alle die Quaal nur gewaltiger fuͤhlen,

Wenn du dieſe Behauſung der Nacht und der dunkeln Verdammniß

Koͤniglich nennſt, ſo wahr kehrſt du mit Schande belaſtet,

Statt des Triumphs, von Gott und ſeinem Meßias zuruͤcke!

Satan hoͤrt ihn voll grimmiger Ungeduld alſo reden.

Jtzt wollt er auf ihn donnern, allein die ſchreckliche Rechte

Sank ihm zitternd im Zorne dahin, er ſtampft und erbebte.

Dreymal bebt er vor Wut, dreymal ſah er Abbadona
Unge-
[60]Der Meßias.

Ungeſtuͤm an, und ſchwieg. Sein Auge ward dunkel vor Grimme,

Jhn zu verachten, ohnmaͤchtig; doch Abbadona blieb ernſthaft

Und unerſchrocken vor ihm mit traurigem Angeſicht ſtehen.

Aber Gottes, der Menſchen, und Satans Feind, Adramelech

Sprach: aus finſtern Wettern will ich mit dir reden, Verzagter,

Dir ſoll ein Ungewitter die Antwort entgegen donnern!

Darfſt du die Goͤtter ſo ſchmaͤhn? Darf einer der niedrigſten Geiſter

Wider Satan und mich aus ſeiner Tiefe ſich ruͤſten?

Wirſt du gepeinigt, ſo wirſt du von deinen niedern Gedanken,

Sclave, gepeinigt! Entfleuch, Verzagter, aus dieſen Bezirken

Unſrer Herrſchaft, wo Koͤnige ſind! Entfleuch in die Tiefe,

Laß dir von deinem Allmaͤchtigen dort ein Quaalenreich bauen!

Allda bring die Unſterblichkeit zu! Doch du ſtuͤrbeſt wohl lieber!

Stirb denn, vergeh, anbetend und ſclaviſch gen Himmel gebuͤcket!

Der du mitten im Himmel dein Goͤtterweſen erkannteſt,

Und dem berufnen Allmaͤchtigen kuͤhn, mit heiligem Zuͤrnen,

Widerſtandeſt, zukuͤnſtiger Schoͤpfer unzaͤhlbarer Welten,

Komm, Gott Satan, wir wollen den kleinen niedrigen Geiſtern

Unſern furchtbaren Arm durch Unternehmungen zeigen,

Die, wie ein Wetter, auf einmal ſie blenden und niederſchlagen!

Komm! Labyrinthe verborgener Liſt, zum Verderben verwirret,

Zeigen ſich mir! Der Tod iſt darinn. Kein oͤffnender Ausgang

Und kein Fuͤhrer ſoll ihn den Labyrinthen entreißen.

Doch entfloͤh er auch unſerer Liſt, gaͤbſt du im Olympus,

Uns zu entrinnen, ihm Goͤtterverſtand: ſo ſollen im Grimme
Feurige
[61]Zweyter Geſang.

Feurige Wetter ihn ſchnell vor unſern Augen verderben!

Wie die Wetter, womit wir vordem den Geliebteſten Gottes,

Seinen gluͤckſeligen Job, vorm Antlitz des Himmels beſtritten.

Fleuch, fleuch, Erde, wir kommen mit Tod und Hoͤlle bewaffnet!

Wehe dem, der auf unſerer Welt ſich wider uns auflehnt!

Alſo ſprach Adramelech. Nun fiel die ganze Verſammlung

Satan auf einmal mit Ungeſtuͤm bey. Gleich ſtuͤrzenden Felſen

Stampft ihr gewaltiger Fuß, daß die Tiefe darunter erbebte.

Jauchzend und ſtolz auf kuͤnftigen Sieg erregten ſie um ſich

Ein entſetzlich Getoͤſe von Stimmen. Die giengen vom Aufgang

Bis zum Niedergang hin; der Satane ganze Verſammlung

Willigt darein, den Meßias zu toͤdten. Dergleichen That ſahe

Seit der Schoͤpfung die Ewigkeit nicht. Jhr unſelger Erfinder,

Satan, und Adramelech, voll Rachſucht und grimmigen Tiefſinns,

Stiegen vom Throne. Die Stufen ertoͤnten, wie eherne Berge,

Da ſie giengen. Ein lauter zum Sieg empoͤrender Zuruf

Leitete ſie jauchzend bis zu den Pforten der Hoͤlle.

Abbadona, (der einzige war unbeweglich geblieben,)

Folgte von fern, entweder ſie noch von der Bosheit zu wenden,

Oder den Ausgang der ſchrecklichen Thaten mit anzuſehen.

Jtzo naͤhert er ſich mit ſaͤumendem Schritte den Engeln,

Die die Pforte bewachten. Wie war dir, Abbadona?

Da du Abdiel hier, den unuͤberwindlichern, ſaheſt!
Seuf-
[62]Der Meßias.

Seufzend ſchlug er ſein Angeſicht nieder. Jtzt wollt er zuruͤckgehn,

Jtzo wollt er ſich naͤhern, dann wollt er verlaſſen und ſchuͤchtern

Jns Unermeßliche fliehen; allein noch blieb er mit Zittern

Wehmuthsvoll ſtehn. Nun faßt er ſich ganz auf einmal zuſammen,

Gieng auf ihn zu. Jhm klopſte ſein Herz mit maͤchtigen Schlaͤgen;

Stille, den Engeln nur weinbare Thraͤnen bedeckten ſein Antlitz;

Seufzer aus tiefer erbebender Bruſt; ein langſamer Schauer,

Sterbenden ſelbſt unempfindbar, erſchuͤtterten Abbadona,

Jndem er gieng. Doch Abdiels ruhig eroͤffnetes Auge

Schaut unverwandt nach der Welt des Schoͤpfers, dem er getreu blieb;

Jhn ſah es nicht. Wie die Sonn in der Jugend, wie Fruͤhlingstage,

Die in den Schoß der kaum erſchaffnen Erde ſich ſenkten,

Glaͤnzte der Seraph, doch nicht fuͤr den traurigen Abbadona.

Dieſer gieng fort, und ſeufzte bey ſich verlaſſen und einſam:

Abdiel, mein Bruder, du willſt dich mir ewig entziehen!

Ewig willſt du mich ferne von dir in der Einſamkeit laſſen!

Weinet um mich, ihr Kinder des Lichts! Er liebt mich nicht wieder,

Ewig nicht wieder, ach weinet um mich! Verbluͤhet, ihr Lauben,

Wo wir von Gott und unſerer Freundſchaft uns zaͤrtlich beſprachen!

Himmliſche Baͤche, verſiegt, wo wir, in ſuͤßer Umarmung,

Gottes des Ewigen Lob mit reiner Stimme beſangen!

Abdiel, mein Bruder, der iſt mir auf ewig geſtorben!

Du mein finſterer Aufenthalt, Hoͤlle, du Mutter der Quaalen,

Ewige Nacht, beklag ihn mit mir! Ein naͤchtliches Jammern
Stei-
[63]Zweyter Geſang.

Steige, wenn mich Gott ſchreckt, von deinen Bergen herunter.

Abdiel, mein Bruder, der iſt mir auf ewig geſtorben!

Alſo jammert er ſeitwaͤrts gekehrt. Drauf ſtand er am Eingang

Jn die Welten. Jhn ſchreckte der Glanz und gefluͤgelte Donner

Gegen ihn wandelnder Orionen. Er ſahe die Welten

Weil er ſich ſtets, in ſein Elend vertieft, in Einſamkeit einſchloß,

Seit Jahrhunderten nicht. Er ſtand betrachtend, und ſagte:

Seliger Eingang, o duͤrft ich durch dich in die Welten des Schoͤpfers

Wiederkehren! Und niemals das Neich der dunkeln Verdammniß

Wiederbetreten! Jhr Sonnen, unzaͤhlbare Kinder der Schoͤpfung,

War ich nicht ſchon, da der Ewige rief, da ihr glaͤnzend hervorgiengt,

Heller als ihr, da ihr itzt aus der Hand des Schoͤpfers herabkamt?

Nun ſteh ich da in meiner Verfinſtrung, verworfen, ein Abſcheu

Dieſer herrlichen Welt! Und ach, du ſeliger Himmel,

Jtzo erbeb ich erſt, da ich dich ſehe! Dort ward ich ein Suͤnder!

Dort ſtand ich wider den Ewigen auf. Du, unſterbliche Ruhe,

Meine Geſpielinn im Thale des Friedens, wo biſt du geblieben?

Ach, an deiner Statt laͤßt mir mein Richter ein traurig Erſtaunen

Kaum noch uͤber ſein Weltgebaͤu zu! O duͤrft ichs nur wagen,

Ohne zu zittern, ihn Schoͤpfer zu nennen, wie willig und gerne

Wollt ich alsdann den zaͤrtlichen Vaternamen, entbehren,

Mit dem ihn ſeine Getreuen, die Seraphim, kindlich nennen.

O du Richter der Welt! dir darf ich Verlorner nicht flehen,
Daß
[64]Der Meßias.

Daß du mit einem Blicke mich nur im Abgrund hier anſaͤhſt.

Finſtrer Gedanke, Gedanke voll Quaal! Und du, wilde Verzweiflung!

Wuͤte, Tyranninn, ja wuͤte nur fort! … Wie bin ich ſo elend! …

Waͤr ich nur nicht! … Jch fluche dir, Tag, da der Schoͤpfung Gott ſagte:

Werde! Da er von Oſten mit ſeiner Herrlichkeit ausgieng!

Ja, dir fluch ich, o Tag, da die neuen Unſterblichen ſprachen:

Unſer Bruder iſt auch! Du, Mutter unendlicher Quaalen,

Warum gebahreſt du, Ewigkeit, ihn? Und mußt er ja werden,

Warum ward er nicht finſter und traurig, der ewigen Nacht gleich,

Jn der mit Ungewitter geruͤſtet der Donnerer auszieht,

Leer von Geſchoͤpfen, vom Zorn und Fluche der Gottheit belaſtet?

Aber, ach wider wen redeſt du hier im verlaſſenen Abgrund,

Laͤſtrer! Auf, Sonnen fallt uͤber mich her, bedeckt mich, ihr Sterne,

Vor dem grimmigen Zorn deß, der vom Throne der Rache

Ewig als Feind und Richter mich ſchreckt! Du, in deinen Gerichten

Ganz Unerbittlicher! iſt denn in deiner Ewigkeit kuͤnſtig

Nichts mehr von Hoffnungen uͤbrig? Ach, wird denn, goͤttlicher Richter,

Schoͤpfer, Vater, Erbarmer! … Ach, nun verzweifl ich von neuem,

Denn ich habe Jehova gelaͤſtert! Jhn hab ich mit Namen,

Die ich ohne Verſoͤhner nicht nennen darf, angeredet.

Jch entfliehe! Schon rauſchet von ihm ein allmaͤchtiger Donner

Durch das Unendliche furchtbar daher! Doch wohin? - - Jch entfliehe!

Alſo ſagt er, und ſahe betaͤubt in die Tiefe des Abgrunds.

Schaffe da Feuer, ein toͤdtendes Feuer, das Geiſter verzehre,

Gott, Verderber der Weſen, die du ohn ihr Wollen erſchufeſt!
Rief
[65]Zweyter Geſang.

Rief er im Hinabſehn, doch da wurde kein toͤdtendes Feuer.

Darum wandt er ſich um, und floh in die Welten zuruͤcke.

Jtzo ſtand er ermuͤdet auf einer erhabenen Sonne,

Schaute von da in die Tiefen hinab; da draͤngten Geſtirne

Andre Geſtirne, wie gluͤhende Seen. Ein irrender Erdkreis

Naͤherte ſich, ſchon dampft er, ſchon war ſein Weltgericht nahe.

Auf den ſtuͤrzte ſich Abbadona, mit ihm zu vergehen:

Doch er vergieng nicht, und ſenkte, betaͤubt vom ewigen Kummer,

Wie ein gebeinvoller Berg, wo vormals Menſchen ſich wuͤrgten,

Jm Erdbeben verſinkt, langſam zur Erde ſich nieder.

Unterdeß war Satan nebſt Adramelech der Erde

Auch ſchon naͤher gekommen. Sie giengen neben einander,

Jeder allein, und in ſich gekehrt. Jtzt ſahe den Erdkreis

Adramelech vor ſich in ferner Dunkelheit liegen.

Das iſt ſie alſo, ſo ſagt er bey ſich, ſo draͤngten Gedanken

Andre Gedanken, wie Wogen des Meers, wie der Ocean draͤngte,

Als er von drey Welten dich, fernes Amerika, losriß;

Das iſt ſie alſo, die ich, ſo bald ich Satan entfernet,

Oder mich uͤber ihn ſiegend vor allen verherrlichet habe,

Die ich alsdann, als Schoͤpfer des Boͤſen, allein beherrſche!

Aber warum nur ſie? Warum nicht auch jene Geſtirne,

Die zu lange ſchon ſelig, um mich, durch die Himmel daher gehn?

Ja, auch dort ſoll der Tod von einem Geſtirne zum andern

Bis an die Graͤnze des Himmels vorm Antlitz des Ewigen toͤdten!
EDann
[66]Der Meßias.

Dann wuͤrg ich nicht die vernuͤnftigen Weſen, wie Satan, mir einzeln;

Nein, zu ganzen Geſchlechtern! Die ſollen von mir ſich in Staub hin

Niederlegen, ohnmaͤchtig ſich kruͤmmen, und winden, und jammern.

Wenn ſie ſich winden und kruͤmmen und jammern, ſo ſollen ſie ſterben!

Dann will ich hier, oder dort, oder da, triumphirend und einſam

Sitzen, und mich umſehn. Die du nun deinen Geſchoͤpfen

Durch mich zum Grabe geworden, Natur, auf deine Verweſten,

Jn dein tiefes unendliches Grab will ich lachend hinabſehn!

Auch will ich ihn, wenn er flieht, wenn ihn das Anſchaun der Todten

Ueberall umringend vom alten Throne vertreibet,

Selbſt den Ewigen will ich alsdann auch lachend betrachten.

Oder gefaͤllts ihm vielmehr im duͤſtern Grabe der Welten

Neue Geſchoͤpfe zu baun, daß ich ſie von neuem verderbe:

Auch die will ich alsdann, mit eben der Allmacht, wie vormals,

Wieder von einem Geſtirne zum andern verfuͤhren und toͤdten.

Adramelech, das biſt du! Doch moͤcht es dir endlich gelingen,

Daß du auch das Sterben der Geiſter erfaͤndeſt, daß Satan

Durch dich vergieng, und von dir verderbt in ein Unding zerfloͤſſe!

Unter ihm ſollſt du kein Werk, das deiner nur wuͤrdig iſt, enden!

Maͤchtiger Geiſt, der du Adramelech beſeeleſt, erſchaffe!

Toͤdte die Geiſter, ich fluche dir, toͤdte ſie, oder vergehe!

Ja, vergehe, ſey lieber nicht mehr, eh du lebſt und nicht herrſcheſt!

Ja, ich will hingehn, gehn will ich, und alle meine Gedanken

Jn mir, wie Goͤtter, verſammeln, ſie ſollen erfinden und toͤdten.

Jtzt iſt es Zeit, worauf ich ſeit Ewigkeiten ſchon dachte,
Das
[67]Zweyter Geſang.

Das zu vollenden. Ja itzo, da Gott von neuem erwachet,

Und, wenn Satan nicht irrt, uns einen Erloͤſer der Menſchen,

Unſer erobertes Reich uns abzunehmen, herabſchickt.

Doch er mag immer nicht irren, der Menſch ſey der groͤßte Prophete

Unter den Propheten ſeit Adam, er heiße Meßias

Oder auch Gott, ſo ſoll er nur mir zur Verherrlichung da ſeyn!

Seine Beſiegung ſoll mich vor der ganzen Geiſterverſammlung

Zum Beſitze des hoͤlliſchen Thrones zum wuͤrdigſten machen:

Oder, was ich vielmehr von meiner Gottheit erwarte,

Was du vielmehr, unſterblicher Adramelech, vollendeſt,

Wenn ich Satan vor ihm noch verderbe, ſo ſey er der Erſtling

Meiner Beſiegten, mit deren Vernichtung mein neues Reich anfaͤngt.

Armer Satan, wie ſchwer wird dirs, den Leib des Meßias

Nur zu erwuͤrgen! Erwuͤrg ihn nur! Ja, ſo kleine Geſchaͤffte

Laß ich dir, eh du vergehſt: ich aber toͤdte die Seele!

Die vernicht ich; den ſterblichen Staub magſt du muͤhſam zerſtreuen!

Und wenn der Ewige ſie vor andern Seelen erwaͤhlte,

Wenn er ſie, ſich zu verherrlichen, ſchuf: ſo ſoll er voll Jammer

Um ſie in einſamer Ewigkeit klagen! Drey ſchreckliche Naͤchte

Soll er um ſie klagen! Wenn er ſich ins Dunkle verhuͤllt hat,

Soll drey ſchreckliche Naͤchte kein Seraph ſein Angeſicht ſehen!

Dann will ich durch die ganze Natur ein tiefes Geheule

Hoͤren, ein tiefes Geheul am dunkeln verfinſterten Throne,

Und ein Geheul in der Seelen Gefild, ein Geheul in den Sternen,

Da, wo der Ewige wandelt, das will ich hoͤren, und Gott ſeyn!

E 2Alſo
[68]Der Meßias.
Alſo verlohr ſich ſein Geiſt, vom wuͤnſchenden Herzen empoͤret,

Jn verruchte Gedanken. Gott, der die Zukunft durchſchaute,

Hoͤrt ihn, und ſchwieg. Voll ermuͤdenden Tiefſinns blieb Adramelech

Unvermerkt auf einer ſich um ihn ſammelnden Wolke,

Starr mit gluͤhender Stirn, die der Grimm durchfaltete, ſtehen.

Doch das Getoͤſe der wandelnden Erde, die itzt mit der Nacht kam,

Weckte den Verruchten von ſeinen ſchwarzen Gedanken.

Jtzo geſellt er ſich wieder zu Satan. Sie giengen und ſtuͤrmten

Gegen den Oelberg, den Mittler daſelbſt mit ſeinen Vertrauten

Grimmig zu ſuchen. So ſtuͤrzen zween rollend toͤdtende Wagen

Jn die Thaͤler, dem ruhigen Feldherrn des Feindes entgegen.

Jtzo ſandten ſie, hoch von himmelnahen Gebirgen,

Eherne Krieger; ſie rauſchen mit eiſernem wilden Getoͤſe

Ueber die Felſen, und krachen, und donnern, und toͤdten von ferne.

Alſo kam Adramelech und Satan zum Oelberg hernieder.


Der
[[69]]

Der
Meſſias
.
Dritter Geſang.


E 3
[[70]]

Jnhalt
des dritten Geſangs.


Der Meßias iſt noch in den Graͤbern. Die Leiden der Erloͤſung
nehmen in ſeiner Seele zu. Eloa ſteigt vom Himmel und
zaͤhlt ſeine Thraͤnen. Die Seelen der Vaͤter ſenden einen Seraph,
Selia, aus der Sonne, Jeſum zu betrachten, den ſie, weil es Nacht
iſt, nicht mehr ſehen. Der Meßias ſchlaͤft zum letztenmal ein.
Selia wird durch die Schutzengel der Juͤnger, die Jeſum um den
Oelberg ſuchen, von den Charaktern derſelben unterrichtet. Satan
erſcheint dem Jſcharioth unter der Geſtalt ſeines Vaters im Traume.
Der Meßias erwacht, und koͤmmt zu den Juͤngern, und redet von
ihrer nahen Trennung mit ihnen. Jſcharioth, der ſich ſeitwaͤrts
verborgen haͤlt, hoͤrt den Meßias, und faͤngt an, die Wirkungen
ſeiner eignen Bosheit und der Eingebungen Satans
bey ſich zu empfinden.


[[71]]
Der
Meſſias
.
Dritter Geſang.


Sey mir gegruͤßt! ich ſehe dich wieder, die du mich gebahreſt,

Erde, mein muͤtterlichLand, die du mich im kuͤhlenden Schoße

Einſt zu den Schlafenden Gottes begraͤbſt, und meine Gebeine

Sanft bedeckſt; doch dann erſt, dieß hoff ich zu meinem Erloͤſer,

Wenn von ihm mein heiliges Lied zu Ende gebracht iſt.

Alsdann ſollen die Lippen ſich erſt, die den Menſchenfreund ſangen,

Dann erſt ſollen die Augen, die ſeinetwegen vor Freuden

Oftmals weinten, ſich ſchlieſſen; dann ſollen erſt meine Freunde

Und die Engel mein Grab mit Lorbeern und Palmen umpflanzen,

Daß, wenn ich einſt nach himmliſcher Bildung vom Tode erwache,

Meine verklaͤrte Geſtalt aus ſtillen Hainen hervorgeh.

E 4Und
[72]Der Meßias.
Und du, die du zur Hoͤlle mich fuͤhrteſt, unſterbliche Muſe,

Und nun meinen noch bebenden Geiſt zuruͤcke gebracht haſt,

Du, die vom goͤttlichen Blick die ernſte Gerechtigkeit lernte,

Aber auch ihren Vertrauten mit ſuͤſſer Freundlichkeit laͤchelt,

Heitre die Seele, die noch von ihren Geſichten umgeben

Jnnerlich bebt, mit himmliſchem Licht auf, und lehre ſie ferner,

Jhren erhabnen Verſoͤhner, den beſten der Menſchen, beſingen.

Jeſus war noch allein mit Johannes im Grabmal der Todten.

Unter zerſtreuten Gebeinen, von Nacht und Schatten umgeben,

Saß er, und uͤberdachte ſich ſelber, den Sohn des Vaters,

Und den Menſchen zum Tode beſtimmt. Vor ſeinem Geſichte

Sah er die Suͤnden der Menſchen, die alle, die ſeit der Erſchaffung

Adams Kinder vollbrachten, auch die, ſo die ſchlimmere Nachwelt

Suͤndigen wird, ein unzaͤhlbares Heer, Gott fliehend, vorbeygehn.

Satan war mitten darinnen, und herrſchte. Vom Angeſicht Gottes

Trieb er, den Suͤnder, das Menſchengeſchlecht, und verſammelt es zu ſich,

Wie die Ebnen des Meers ein mitternaͤchtlicher Strudel

Rings um in ſich verſchlingt, und immer zum Untergang offen,

Unſichtbar unter den Wolken des niederſteigenden Himmels,

Alle zu ſichre Bewohner des Meers in die Tiefen hinabzieht.

Jeſus ſah die Suͤnden und Satan. Drauf ſah er zu Gott auf.

Gott, ſein Vater, ſah auch nach ihm tiefſinnig hernieder.

Zwar brach aus ſeinem erhabenen Blick das ernſte Gerichte

Langſam hervor; zwar donnerte Gott, und ſchreckt ihn von ferne.

Gleichwohl blieben noch Zuͤge des unausſprechlichen Laͤchelns

Jn dem Antlitz voll Gnade zuruͤck. Die Seraphim ſagen,
Da-
[73]Dritter Geſang.

Damals habe der ewige Vater die andere Thraͤne

Stille geweint. Er weinte die erſte, da Adam verflucht ward.

Alſo ſahn ſie ſich an. Jn feyrender Sabbathſtille

Neigt ſich vor ihnen die ganze Natur. Voll Ehrfurcht und wartend

Bleiben die Welten ſtehn, und, auf beyder Anſchaun gerichtet,

Geht der betrachtende Cherub in ſtillen Wolken voruͤber.

Auch kam Seraph Eloa, von himmliſchen Wolken umgeben,

Zu der Erden herunter, und ſah von Antlitz zu Antlitz

Den Meßias, und zaͤhlte die menſchenfreundlichen Thraͤnen,

Alle Thraͤnen, die Jeſus weinte. Drauf ſtieg er gen Himmel.

Als er hinaufſtieg, erblickt ihn Johannes. Jhm oͤffnete Jeſus,

Daß er den Seraph erblickte, die Augen. Er ſah ihn, und ſtaunte,

Und umarmte voll Jnbrunſt den Mittler, und nannt ihn mit Seufzern

Seinen Erloͤſer und Gott, mit unausſprechlichen Seufzern

Nannt er ihn ſo, und blieb bey ihm in ſuͤßer Umarmung.

Aber die uͤbrigen Eilfe, die Jeſum ſchon lange nicht ſahen,

Giengen im Dunkeln am Fuße des Oelbergs, und ſuchten ihn traurig.

Außer einem, der Jeſum, wie ſie, nicht mehr zaͤrtlich verehrte,

Waren ſie Maͤnner voll Unſchuld. Die Goͤttlichkeit ihrer Herzen

Kannten ſie nicht. Gott kannte ſie beſſer. Er ſchuf ſie zu Seelen,

Welche dereinſt des Ewigen Offenbarungen ſchauten.

Doch nicht jener zugleich, der, der himmliſchen Juͤngerſchaft unwerth,

Jeſum verrieth. Er konnte ſie ſchaun, verrieth er nicht Jeſum.

Jhnen wurden ſchon, eh ſie der Leib der Sterblichkeit einſchloß,

Neben den Stuͤlen der vier und zwanzig Aeltſten im Himmel

Goldene Stuͤle geſetzt; doch einer der goldenen Stuͤle
E 5Ward
[74]Der Meßias.

Ward einſt mit Wolken bedeckt, bald aber entflohen die Wolken,

Und ein lichtheller ewiger Glanz gieng wieder vom Stuhl aus.

Damals rief Eloa und ſprach! Er iſt ihm genommen,

Und iſt einem andern gegeben, der beſſer, als er iſt!

Jhre Beſchuͤtzer, zwoͤlf Engel der Erde, die unter der Aufſicht

Gabriels ſtehn, erhuben ſich itzt auf die Hoͤhen des Oelbergs,

Und betrachteten da mit freundſchaftsvollem Vergnuͤgen

Unſichtbar ihre Geſpielen, wie ſie den goͤttlichen Mittler

Ueberall thraͤnenvoll ſuchten. Da kam mit fluͤchtigen Schritten

Aus der Sonnen ein Seraph, und ſtund auf einmal bey ihnen.

Dieſer war einer von Vieren, die gleich nach Uriel herrſchen.

Selia, war ſein Name. Jtzt ſprach er alſo zu ihnen:

Sagt mir, himmliſche Freunde, wo iſt er, in welchen Gefilden

Wandelt er itzt, der große Meßias? Die Seelen der Vaͤter

Senden mich, ich ſoll ihn auf allen goͤttlichen Wegen

Still begleiten, und jede That der großen Erloͤſung

Achtſam bemerken; kein heiliges Wort, kein zaͤrtlicher Seufzer

Soll mir von ſeinem unſterblichen Mund ungehoͤret entfliehen;

Himmliſche Freunde, kein troͤſtender Blick, und keine der Zaͤhren,

Jener getreuen der Gottheit und Menſchheit ſo wuͤrdigen Zaͤhren,

Soll unangemerkt mir im goͤttlichen Auge ſich zeigen.

Ach zu fruͤh entziehſt du dem Blicke der heiligen Vaͤter,

Erde, dein ſchoͤnſtes Gefilde, wo Gott in Huͤllen der Menſchheit

Wandelt, und das Opfer des großen Mittleramts anfaͤngt!

Ach zu fruͤh entfliehſt du dem Tag und Uriels Antlitz,
Der
[75]Dritter Geſang.

Der nun ungern und traurig den unterſten Welttheil umleuchtet!

Dort iſt ihnen kein aͤnderndes Thal, kein erwachend Gebirge

Angenehm; denn hier wandelt er nicht, der große Meßias!

Selia endigte ſo. Jhm erwiederte Seraph Orion,

Simons Schutzgeiſt: dort unten, wo ſich die traurigen Graͤber

Oeffnen, und ſich ſinkend mit des Oelbergs Fuße vertiefen,

Dort ſteht, himmliſcher Freund, der hohe Meßias und denket.

Selia ſah ihn, und blieb unverwandt in ſtiller Entzuͤckung

Stehn. Schon waren mit eilendem Fluͤgel zwo fliehende Stunden

Ueber ſein Haupt mit der Stille der Nacht voruͤbergeflogen,

Als er noch ſtand. Jndem kam der letzte vertrauliche Schlummer

Jn das Auge des Mittlers herab. Die heilige Ruhe

Eilte, geſandt von Gott, vom Allerheiligſten Gottes,

Auf ihn, mit kuͤhlendem Saͤuſeln, in ſtillen Duͤften hernieder.

Jeſus ſchlief. Drauf wandte ſich Selia zu der Verſammlung,

Und trat mitten hinein und ſprach vertraulich zu ihnen:

Meldet mir, himmliſche Freunde, wer ſind die Maͤnner dort unten,

Die da wandeln, und wie verlaſſen, und traurig herumgehn?

Sehet, ein ſtiller einnehmender Schmerz deckt ihre Geſichter,

Doch entſtellt er ſie nicht. So druͤcken ſich edle Gemuͤther

Wehmuthsvoll aus. Sie weinen vielleicht um einen geliebten

Und entſchlafenen Freund, der ihnen an Tugenden gleich war.

Jhm erwiedert Orion: das ſind die Heiligen Zwoͤlfe,

Selia, die Jeſus ſich zu Vertrauten erwaͤhlte.
Ach,
[76]Der Meßias.

Ach, wie ſelig ſind wir, daß uns ihr Meiſter erleſen,

Jhre Beſchuͤtzer und Freunde zu ſeyn! Da ſehen wir immer,

Wie er mit ſuͤſſer geſelliger Liebe ſich ihnen eroͤffnet,

Wie er ſie lehrt, wie er bald mit maͤchtigen Reden den Eingang

Zu den hohen Geheimniſſen zeigt, bald in menſchlichen Bildern

Dich, unſterbliche Tugend, verklaͤrter und fuͤhlbarer zeiget,

Und nach und nach ihr empfindendes Herz zur Ewigkeit bildet.

O wie viel erlernen wir da! wie macht uns ſein Beyſpiel

Aufmerkſam, und wie reizet er uns, ihm anbetend zu folgen!

Selia, ſollteſt du ihn und ſeinen goͤttlichen Wandel,

Und ſein edles, des ewigen Vaters ſo wuͤrdiges Leben

Taͤglich ſehen, dein Herz zerfloͤß in ſtiller Entzuͤckung!

Auch iſt es ſchoͤn, und klinget auch ſelbſt in unſterblichen Ohren

Lieblich, wenn ſeine Vertrauten von ihm ſich zaͤrtlich beſprechen.

Freund, wie wir uns, ſo lieben ſie ihn. Jch hab es hier oͤfters

Jn der Verſammlung geſagt, und wiederhol es auch itzo:

Vielmals wuͤnſch ich von Adams Geſchlecht, ja ſelber auch ſterblich

Mit den Menſchen zu ſeyn; wenn anders ohne die Suͤnde

Eine Sterblichkeit ſeyn kann. Vielleicht verehrt ich ihn treuer.

Meinen Bruder von eben dem Fleiſch und Blute gebohren

Liebt ich vielleicht weit bruͤnſtiger noch. Mit welcher Entzuͤckung

Wollt ich ihn loben; mein ſchwaches Geſeufz, mein ſterbendes Stammeln

Sollte ſo harmoniſch, wie die hohen Lieder Eloa,

Wenn er am Throne vorbeygeht, im Ohre der Gottheit ertoͤnen.

Alsdann ſollteſt du, Selia, mir, oder einer von dieſen,
Sanft
[77]Dritter Geſang.

Sanft mit unſichtbarer Hand die gebrochnen Augen zudruͤcken,

Und die entfliehende Seele zum Thron des Ewigen fuͤhren.

Selia ſprach: wie ruͤhreſt du mich! Wie reizt mich dein Wuͤnfchen,

Auch ein Bruder der Menſchen zu ſeyn. Die Maͤnner dort unten

Die ſind alſo die heiligen Zwoͤlfe, die Freunde des Mittlers?

Welche zu ſeyn, ſelbſt Seraphim, auch mit der Sterblichkeit, wuͤnſchen.

Seyd mir geſegnet! Jhr ſeyd es auch wuͤrdig, Unſterbliche, denn euch

Liebt der Erloͤſer, wie Bruͤder, ihr werdet auf goldenen Stuͤlen

Sitzen, und den Weltkreis mit eurem Koͤnige richten.

Seraphim, nennet ſie mir! Jch will die Namen auch hoͤren,

Die ſchon lang im Buche des Lebens vorzuͤglicher glaͤnzen.

Nennt mir jenen zuerſt, der dort mit feurigen Augen

Um ſich blickt, und im ſchattichten Walde mit Ungeduld ſuchet;

Jeſum vielleicht. Muth, und ein kuͤhnes entſchloſſenes Weſen

Seh ich in ſeinem Geſicht. Aufrichtig ſagt es mir alles,

Was vom fuͤhlenden Herzen belebt die Seele gedenket.

Dieſer iſt Simon Petrus, erwiederte Seraph Orion

Einer der groͤßten. Mich waͤhlte der Mittler zu ſeinem Beſchuͤtzer.

Wie du ſagteſt, ſo iſt auch mein Freund. Du ſollteſt ihn immer

Nebſt mir in allem ſeinen Betragen, in Jeſu Geſellſchaft,

Wenn er inbruͤnſtig ihn hoͤrt, auch wenn er am fernen Geſtade

Von ihm getrennt, und von mir begleitet und von mir begeiſtert,

Schlummert und von Gott traͤumt, da ſollteſt du immer ihn ſehen,

Seraph, du wuͤrdeſt ſein fuͤhlendes Herz noch goͤttlicher nennen.
Juͤngſt
[78]Der Meßias.

Juͤngſt als Jeſus die Juͤnger befragte, fuͤr wen ſie ihn hielten,

Sprach er: du biſt Chriſtus, der Sohn des lebendigen Gottes!

Dieſes ſagt er, und weinte vor Freude. Wir weinten auch, Seraph,

Als er die Worte vor unausſprechlichen Seufzern kaum ganz ſprach.

Aber ach! haͤtt ich nur nicht ſelbſt aus dem Munde des Mittlers

Dieß von Petrus gehoͤrt: Du wirſt mich dreymal verleugnen!

Traurige Worte, was ſagtet ihr mir! Ach Simon, mein Bruder,

Hoͤrteſt du ſie? Und wenn du ſie hoͤrteſt, was dachte dein Herze?

Simon, du ſagteſt zwar kuͤhn: du wollteſt ihn niemals verleugnen,

Deinen Erloͤſer und Gott! Doch Jeſus ſagt es noch einmal.

Wenn du es wuͤßteſt, wie mir mein Herz fuͤr Wehmuth zerflieſſet,

Wenn ich dran denke, du ſtuͤrbeſt viel lieber, als daß du den beſten

Deinen getreuſten unſterblichen Freund unedel verkennteſt.

Doch du weißt ja, wie Jeſus dich liebt. Du ſahſt ja ſein Auge,

Das voll goͤttlicher Huld bey dieſen Worten dich anſah.

Simon Perus, du wirſt ihn doch nicht unedel verkennen.

Selia hoͤrt ihn. Den Seraph durchdrang ein zaͤrtlicher Kummer.

Nein, ſo ſagt er zu ihm, nein, theurer Orion, er wird nicht

Seinen getreuſten unſterblichen Freund unedel verleugnen!

Schau ihn nur an, welch redliches Herz dieß Angeſicht ausdruͤckt!

Aber, wer iſt jener, der dort auf maͤnnlicher Stirne

Feuer zur Tugend, und zuͤrnenden Haß der Laſter verbreitet,

Unerbittlich den ſclaviſchen Suͤndern, die Gott verkennen?

Jſt er nicht Simons Vertrauter? O wie er ſich um ihn beſchaͤfftigt!

Waͤr er ſein Bruder, ſo koͤnnt er ihm nicht vertrauter begegnen!

Sipha,
[79]Dritter Geſang.
Sipha, ſein Engel, nahm itzo das Wort: du irreſt nicht, Seraph,

Dieſer iſt Simons Bruder, Andreas. Sie wuchſen zugleich auf,

Und Orion, und ich, wir erzogen der Juͤnglinge Seelen

Neben einander mit Sorgſamkeit auf. Oft hab ich ihn damals,

Wenn mit Zaͤrtlichkeit beyde die bruͤnſtige Mutter umarmte,

Unvermerkt zu jener vollkommnern Liebe gebildet,

Die er dereinſt dem großen Meßias heiligen ſollte.

Als ihm Jeſus am Jordane rief, da war er noch einer

Von den Juͤngern Johannes. Noch klang ihm die Rede Johannes

Von dem kommenden Mittler in ſeinem aufmerkſamen Ohre;

Als ihn mit einem durchdringenden Blick, voll ſegnender Liebe,

Jeſus berief. Jch hab ihn geſehn, ein goͤttliches Feuer

Drang gewaltig in ihn, er flog dem Meßias entgegen!

Jtzo ſprach, Philippus Schutzgeiſt, Libaniel, alſo:

Den du dort unten um beyde geſellig und friedſam erblickeſt,

Dieſer iſt Philippus. Ein menſchenfreundliches Laͤcheln

Bildet die Zuͤge des ſtillen Geſichts. Ein treues Beſtreben

Alle, die Gott zum Bilde ſich ſchuf, wie Bruͤder zu lieben,

Jſt der geliebteſte Trieb in ſeinem goͤttlichen Herzen.

Auch hat ſein Schoͤpfer in ihn der ſuͤßen Beredſamkeit Gaben

Reichlich gelegt. Wie von Hermon der Thau, wenn der Morgen erwacht iſt,

Treufelt, und wie wohlriechende Luͤfte dem Oelbaum entflieſſen,

Alſo flieſſet die liebliche Rede vom Munde Philippus.

Selia ſprach weiter: der dort mit langſamen Schritten

Unter den Cedern heraufgeht, wer iſt der? Auf ſeinem Geſichte

Gluͤth
[80]Der Meßias.
Gluͤth die edle Begierde nach Ruhm. Da geht er, wie einer

Von den unſterblichen, welche der Nachwelt ihre Geſchaͤffte

Heiligen, und von Enkel zu Enkel unſterblicher werden.

Oft bleibt ihr Ruhm nicht auf Erden allein. Unbegraͤnzter und ewig

Geht er von einem Geſtirne zum andern. Und war ihr Geſchaͤffte,

Wuͤrdige Lieder von Gott und ſeinem Meßias zu ſingen,

Seraphim, ſo wißt ihr, wie wir ſie den Himmeln erzaͤhlen.

Seraph Adona ſprach itzt: Jakobus der Zebedaͤide

Jſt der, welchen du ſiehſt. Sein edelmuͤthiger Ehrgeiz

Jſt nur auf goͤttliche Dinge gerichtet. Vor jener Verſammlung

Aller Menſchen, vorm großen Gericht der erwachenden Todten,

Durch den Ausſpruch des ewigen Erſten und ſeines Geſalbten

Da noch verehrungswuͤrdig zu ſeyn, iſt ſein großes Beſtreben;

Weniger Ehre waͤr Schmach fuͤr ſeine goͤttliche Seele.

Wenn er den Mittler erblickt, ſo geht er entzuͤckt und befriedigt

Jhm entgegen, als gieng er ihm ſchon am ewigen Throne

Jauchzend entgegen. Jch hab ihn geſehn, da auf Tabors Gebirge

Gottes Geſandten, Elias und Moſes, dem Mittler erſchienen.

Siehe! der Himmel umzog ſich mit hellen umſchattenden Wolken.

Jeſus wurde verklaͤrt. Sein Antlitz war, wie die Sonne,

Wenn ſie allgegenwaͤrtig und hoch im Mittage glaͤnzet.

Seine Bekleidung war ſilbern, wie Licht. Da eilte Jakobus,

Wie ins Allerheiligſte Gottes der oberſte Prieſter,

Aron, zur Lade des Bundes zu Gott und dem Gnadenſtul eilte.

Alſo eilte Jakobus, erfuͤllt von der Ehre des Anſchauns,

Deß ihn Gott wuͤrdigte, kuͤhn der hohen Erſcheinung entgegen.
Unter
[81]Dritter Geſang.

Unter den heiligen Zwoͤlfen iſt dieſer der Maͤrtyrer Erſtling.

Alſo ſagen die Tafeln des Schickſals. Jhm iſt es beſtimmet,

Bald im Triumph auf den weiteren Schauplatz der Zukunft zu treten,

Und die Begierde des ewigen Geiſtes unendlich zu ſtillen.

Simon, der Kananite, den du dort ſitzend erblickeſt,

Sagte ſein Engel, Megiddon, war ehmals ein heiliger Schaͤfer.

Jeſus rief ihn vom Felde. Sein ſtilles unſchuldiges Weſen,

Und die Demuth, mit welcher er ihn voll Einfalt bediente,

Wandte das Herz des Erloͤſers ihm zu. Dann da er im Reiſen

Einſt zu ihm kam, ſo ſchlachtet er ihm mit ſorgſamer Eile

Gleich ein jugendlich Lamm, und ſtand, und dient ihm voll Unſchuld,

Segnete ſich, und die niedrige Huͤtte, wo Gottes Prophet war.

Jeſus aß ſo vergnuͤgt, wie er einſt im Haine zu Mamre

Mit zween Engeln und Abraham aß. Komm, folge mir, Simon,

Sagt er zu ihm, laß deinen Geſpielen die Heerden der Laͤmmer.

Jch bin der, von dem du das Lied der himmliſchen Schaaren,

Bey dem bethlehemitiſchen Quell, als ein Knabe, vernahmeſt.

Dort ſeh ich meinen Geliebten hervorgehn, ſprach Seraph Adoram.

Schau, Jakobus, der Alphaͤide! Dieß ernſte Geſichte,

Jſt verſchwiegene Tugend, die weniger ſaget, als ausuͤbt.

Kennt ihn der Ewige nur, wenn ihn von Nachwelt zu Nachwelt

Menſchen auch nicht kennten, wenn er uns auch unbekannt bliebe,

Dennoch wuͤrd er, vom Ruhm unbelohnt, ſtets Tugenden uͤben.

Umbiel ſprach ferner: der dort voll Gedanken und einſam

Tief im Walde ſich zeigt, iſt Thomas, ein feuriger Juͤngling.
FStets
[82]Der Meßias.

Stets zeugt ſein Geiſt aus Gedanken Gedanken, davon er das Ende

Vielmal nicht ſieht, wenn ſie, wie Meere, vor ihm ſich verbreiten.

Bald haͤtt er ſich im finſtern Gebaͤu ſadducaͤiſcher Traͤume

Klaͤglich verlohren; allein des Meßias gewaltige Wunder

Retteten ihn, er verließ das Bezirk labyrinthiſcher Jrren,

Und kam zu Jeſu. Doch wuͤrd ich mich ſeinentwegen noch oͤfters

Zaͤrtlich bekuͤmmern, haͤtt ihm zu dieſer denkenden Seele

Nicht die Natur ein redliches Herz und Tugend gegeben.

Jener iſt Matthaͤus, ſprach Seraph Bildai, ein Juͤnger,

Der, im Schoße beguͤterter Eltern wolluͤſtig erzogen,

Doch auch zugleich zum niedern Geſchaͤffte der Reichen verwoͤhnt ward,

Die des unſterblichen Geiſtes uneingedenk, niemals erſaͤttigt,

Wie fuͤr die Ewigkeit ſammeln. Allein die maͤchtigen Triebe

Seines Geiſtes erhuben ſich bald, da er Jeſum erblickte.

Jeſus rief ihn kaum zu ſich, ſo folgt er, und ließ die Geſchaͤffte,

Die ihn bisher zur Erde gedruͤckt, den Thieren zuruͤcke.

So entreißt ſich ein Held der Koͤnige weichlichen Toͤchtern,

Wenn ihn der Tod fuͤrs Vaterland ruft. Jns Feld hin, wo Gott ſteht,

Und dem Tode, geruͤſtet mit Rache, die Schuldigen zuzaͤhlt,

Ruft ihn mehr als ewiger Ruhm, die Stimme der Unſchuld.

Jhn wird dankbar und froh befreyter Voͤlker Mund ehren,

Denn ſein Krieg war gerecht. Und bleibt er, mitten im Wuͤrgen,

Da noch ein Menſch, ſo wollen wir ihn vor dem Ewigen ſingen.

Seraph Siona fuhr fort. Der dort mit dem ſilbernen Haupthaar

Jener freundliche Greis, iſt Bartholomaͤus, mein Juͤnger.
Schau
[83]Dritter Geſang.

Schau ſein frommes einnehmendes Antlitz. Die goͤttliche Tugend

Wohnet da gern. Den Sterblichen wird ihr ſtrenges Betragen,

Wenn er vor ihnen ſie uͤbt, weit liebenswuͤrdiger werden.

Du wirſt viel zu Jeſu verſammeln. Sie werden dein Ende

Sehen und ſich wundern, wenn du im Schweiße des Todes

Deinen Moͤrdern und Bruͤdern, gleich jungen Seraphim, laͤchelſt.

Wiſchet mit mir, wenn er ſtirbt, das Blut von ſeinem Geſichte,

Himmliſche Kraͤfte, damit ſein abſchiednehmendes Laͤcheln

Alle Verſammlungen ſehn, und ſich zu Jeſu bekehren.

Jener blaſſe verſtummende Juͤngling, ſprach Elim itzt weiter,

Jſt mein auserwaͤhlter Lebbaͤus. So zaͤrtlich und fuͤhlend,

Als die Seele des ſtillen Lebbaͤus, ſind wenig erſchaffen.

Da ich aus jenem Gefilde ſie rief, wo die Seelen der Menſchen

Vor des Leibes Geburt, ſich ſelbſt noch unbekannt, ſchweben,

Fand ich ſie im Truͤben naͤchſt einer rinnenden Quelle,

Die, wie von fern herweinende Stimmen, bangrauſchend ins Thal floß.

Hier hat einmal, wie die Engel erzaͤhlen, der traurige Seraph,

Abbadona geweint, als er einſt aus Eden zuruͤckkam,

Und das erſte Paar Menſchen der heiligen Unſchuld beraubt ſah.

Auch wißt ihr wohl, daß Seraphim oft hier die Seelen beklagen,

Denen ſie Gott zu Vertrauten erkohr, die aber auf Erden

Erſt die heilige Jugend mit frommer Unſchuld bekroͤnen,

Dann den Anfang des goͤttlichen Lebens entheiligen werden.

Ach, ſie wird, vom Laſter entſtellt, ein ſchreckliches Ende

Nehmen. Sie ſinds, um die vor ihrer unſelgen Geburtszeit

Bruͤderlich, mit Seufzern der himmliſchen Freundſchaft, mit Thraͤnen,
F 2Men-
[84]Der Meßias.

Menſchen unweinbar, die Seraphim klagen. Hier fand ich die Seele

Meines geliebten Lebbaͤus in ruhige Wolken gehuͤllet.

Alſo vernahm ſie den traurigen Ton mit ſchwacher Empfindung

Die nun ſo lang, als das ſtaͤrkre Gefuͤhl der Sinne ſie einnimmt,

Ausgeloͤſcht iſt, doch wieder erweckt wird und maͤchtiger wirket,

Wenn die Seele mit Lichte bekleidet dem Koͤrper entfliehet.

Doch blieb dieſes zwar leiſe Gefuͤhl der traurigen Stimmen

Maͤchtig genung, die erſte Geſtalt der Seele zu bilden.

Sie hab ich ſanft im Schoße leichtfließender Morgenwolken

Bis zur ſterblichen Huͤtte gebracht. Die Mutter gebahr ihn,

Unter den Palmen. Da kam ich vom Wipfel der rauſchenden Palmen

Unſichtbar her, und kuͤhlte den Knaben mit lieblichen Luͤften.

Aber er weinte ſchon dazumal mehr, als die Sterblichen weinen,

Wenn ſie mit dunkler Empfindung den Tod von ferne ſchon fuͤhlen.

Alſo bracht er bey jeder Thraͤne, die Freunde vergoſſen,

Zaͤrtlich geruͤhrt, beym leichteſten Schmerz der Menſchen empfindlich,

Seine wehmuͤthige Jugendzeit hin. So iſt er bey Jeſu

Jmmer geweſen. Wie ſehr bin ich deinentwegen bekuͤmmert!

Wenn der Erloͤſer erſt ſtirbt, da wirſt du, heiliger Juͤngling,

Unter der Laſt des Elends vergehn. Ach ſtaͤrk ihn, Erloͤſer,

Staͤrk ihn alsdann, erbarmender Heiland, damit er nicht ſterbe.

Siehe! dort koͤmmt er ſelbſt, tiefſinnig mit wankenden Schritten,

Zu uns herauf, hier kanſt du ihn, Seraph, naͤher betrachten,

Und von Antlitz zu Antlitz der Seelen zaͤrtlichſte ſehen.

Jndem, als er noch ſprach, da trat der ſtille Lebbaͤus

Unter ſie hin. Die hohe Verſammlung wich ungemerkt ſeitwaͤrts

Vor dem Sterblichen aus. So zertheilen ſich Fruͤhlingsluͤfte.
Durch
[85]Dritter Geſang.

Durch der Nachtigall klaͤglichen Ton, wenn ſie muͤtterlich jammert.

Jtzo umgaben ſie ihn, und ſtanden, wie Menſchen, voll Liebe,

Um ihn herum. Von keinem Geſchoͤpf, wie er glaubte, vernommen,

Klagte der ſtille Lebbaͤus, und ſchlug im zaͤrtlichen Klagen

Ueber ſein Haupt die Haͤnde zuſammen. So find ich ihn nirgends!

Schon iſt ein trauriger Tag, ſchon ſind zwo Naͤchte verfloſſen,

Daß wir ihn nicht ſehen! Ja ſeine verruchten Verfolger

Haben gewiß ihn endlich ergriffen! Jch armer Verlaßner

Kann noch leben, da Jeſus ſchon todt iſt? Dich haben die Suͤnder

Klaͤglich erwuͤrgt, du goͤttlicher Mann! Und ich ſah dich nicht ſterben!

Und ich habe nicht ſanft dein goͤttliches Auge geſchloſſen!

Sagt, Verruchte, wo wuͤrgtet ihr ihn? Jn welche Gefilde,

Ach! Jn welche veroͤdete Wuͤſte, zu welchen Gebeinen

Unter den Todten entfuͤhrtet ihr ihn, und nahmt ihm ſein Leben?

Ach wo liegſt du, goͤttlicher Freund? Ja, unter den Todten,

Bleich und entſtellt, der zaͤrtlichen Huld und des himmliſchen Laͤchelns,

Aller deiner erbarmenden Blicke von Moͤrdern beraubet,

Liegſt du! Und dich haben die Deinen nicht ſterben geſehen!

Ach daß dieſes bekuͤmmerte Herz mir nur nicht mehr ſchluͤge!

Daß mein zum Trauren erſchaffener Geiſt, wie dieß duͤſtre Gewoͤlke,

Tief in die Nacht des Todes entfloͤhe! Daß meine Gebeine

Felſen wuͤrden, und ewig hier ſtumm, und ewig hier einſam

Stuͤnden, und ein Denkmal der baͤngſten Traurigkeit wuͤrden!

Alſo klagt er, und ſank in Ohnmacht und Schlummer danieder.

Elim bedeckt ihn mit Sproͤßlingszweigen des ſchattenden Oelbaums,

Wehte zugleich mit waͤrmenden Luͤften ſein ſtarrendes Antlitz
F 3Unſicht-
[86]Der Meßias.

Unſichtbar an, und goß ihm Leben und ruhigen Schlummer

Ueber ſein Haupt. Er ſchlief und ſah im heiligen Traume,

Durch den Engel, den Mittler vor ſich lebendig herumgehn.

Selia hieng noch mit thraͤnendem Blick, und zaͤrtlichem Mitleid

Ueber ihm, als noch ein Juͤnger gleich gegen ihn uͤber heraufſtieg.

Nennet mir auch jenen, ſo ſagt er, da koͤmmt er am Berge

Zu uns herauf. Jhm faͤllt ein ſchwarzes lockichtes Haupthaar,

Ueber die breiten Schultern herab. Sein ernſtes Geſicht iſt

Voll von maͤnnlicher Schoͤne. Dieß Haupt, das uͤber die Haͤupter

Aller Juͤnger hervorragt, vollendet ſein maͤnnliches Anſehn.

Aber darf ichs wohl ſagen, und irr ich nicht, himmliſche Freunde?

Wenn ich in dieſem Zuge des Angeſichts Unruh entdecke,

Und in jenem nicht edles genung. Nein! er iſt ja ein Juͤnger,

Und er wird ja mit Jeſu dereinſt das Weltgericht halten!

Doch ihr ſchweiget, Unſterbliche? Keiner von meinen Geliebten

Sagt mir ein Wort? Ach warum ſchweigt ihr, himmliſche Freunde?

Hab ich euch etwa betruͤbt, daß ich dieſen Juͤnger verkannte?

Redet mit mir, ich habe geirrt. Und du, heiliger Juͤnger,

Zuͤrne du nicht; ich will, wenn du einſt als Maͤrtyrer Gott ehrſt,

Und im Triumph die Unſterblichen ſiehſt, da will ich den Fehler

Durch die zaͤrtlichſte Freundſchaft vor dieſen Seraphim gut thun.

Ach! ſo muß ich denn reden? ſprach Seraph Jthuriel ſeufzend,

Und gieng mit klaͤglich gerungenen Haͤnden dem Seraph entgegen,

Ach! ſo muß ich denn reden, mein Freund? Ein ewiges Schweigen

Waͤre fuͤr meine Betruͤbniß und deine Beruhigung beſſer!
Doch
[87]Dritter Geſang.

Doch du willſt es, ich red, o Seraph. Jſcharioth heißt er,

Welchen du ſiehſt. Ja, Seraph, ich wollte nicht uͤber ihn weinen,

Ungeruͤhrt wollt ich ihn ſehn, unbethraͤnt und ohne Betruͤbniß

Wollt ich ihn ſehn, und in heiligem Zorne den Strafbaren meiden;

Haͤtt ihm nicht Gott ein edles Gemuͤth, und ein tugendhaft Herze,

Und in der unentheiligten Jugend viel Unſchuld gegeben;

Haͤtt ihn nicht ſelbſt der Meßias der Juͤngerſchaft wuͤrdig geachtet,

Jn der er anfangs auch heilig und fromm und untadelhaft lebte.

Aber ach nun! - - Doch ich ſchweige, mein Leid nicht unendlich zu haͤufen!

Ja nun weis ich, warum, da wir uns von den Seelen der Juͤnger

Einſt vor des Leibes Geburt, vorm Antlitz Gottes, beſprachen;

Warum damals, auf goͤttliches Winken, Seraph Eloa

Traurig herabftieg, und einen der hohen goldenen Stuͤle,

Die den heiligen Zwoͤlfen Gott gab, mit Wolken bedeckte.

Auch iſt Gabriel traurig und mit verhuͤlltem Geſichte

Vor mir voruͤbergegangen, als ihn in unſeliger Stunde

Seine verlaſſene Mutter gebahr. Waͤrſt du nur nicht gebohren!

Haͤtte von deiner nun ewigen Seele kein Seraph geſprochen,

Armer verlohrner! dieß waͤre dir beſſer, als daß du den Mittler

Und der Juͤnger erhabnen Beruf unedel entheiligſt.

Seraph Jthuriel ſprachs, und blieb mit ſinkenden Blicken

Traurig vor Selia ſtehen. Mein ganzes Herz erbebt mir,

Und ein truͤbes Dunkel, wie Daͤmmruug, umnebelt mein Auge!

Sagt itzt Selia ſeufzend. Jſcharioth, einer der Zwoͤlfe,

Und dein Juͤnger, Jthuriel? Was der Unſterblichen keiner

Jemals geglaubt, was itzo ihr Mund vor Wehmuth kaum ausſpricht!
F 4Der
[88]Der Meßias.

Der entheiligt der Juͤnger Beruf und den goͤttlichen Mittler?

Doch was iſt denn ſein traurig Verbrechen? Was that der Verlohrne?

Das ihn vor Jeſu und dir und allen Geiſtern entehrte.

Sag es nur frey, zwar bebt mir mein Herz, doch, Jthuriel, ſag es!

Seraph, ein heimlicher Haß, ein feindſchaftvolles Beſtreben,

Sprach Jthuriel, hat den ungluͤckſeligen Juͤnger

Wider den goͤttlichen Mittler empoͤrt. Er haſſet Johannes,

Weil den Jeſus vor allen mit inniger Zaͤrtlichkeit liebet;

Und, was er noch vor ſich ſelbſt zu verbergen ſucht, auch den Erloͤſer.

Auch ſind in einer erſchrecklichen Stunde Begierden nach Reichthum

Noch dazu in ſeiner ſonſt edleren Seele gewurzelt.

Denn die kannt ich im Juͤnglinge nicht. Von ihnen verblendet,

Glaubt er, nun werde Johannes dereinſt vor den uͤbrigen Juͤngern,

Und auch beſonders vor ihm, im neuen Reiche des Mittlers

Schaͤtze, die herrlichſten Schaͤtze, des Reichthums Erſtlinge, ſammeln!

Dieß hab ich oft, wenn er, wie er glaubte, von keinem bemerket,

Einſam herumgieng, von ihm aus klagendem Munde vernommen.

Einſt als er auch, (dieß ſchreckliche Bild wird mir ewig vor Augen

Schweben, und ewig mein Herz mit ſtillem Kummer erfuͤllen!)

Einſt, als er auch im Thale Benhinnon voll Unruh dieß ſagte,

Und in Wuͤnſche voll Bosheit bey ſeiner Beſchuldigung ausbrach;

Als ich dabey, wie untroͤſtbar und wehmuthsvoll in mich gekehret

Stand, und mein Angeſicht aufhub, da ſah ich, wie Satan vorbey gieng,

Und mit bitterm Geſpoͤtt und triumphirendem Laͤcheln

Von Jſcharioth kam, und ſtolz mitleidig mich anſah.

Jtzt iſt ſein Herz dem Zugang des Laſters ſo bloß und eroͤffnet,
Daß
[89]Dritter Geſang.

Daß ich fuͤr jeden Gedanken, fuͤr jede Bewegung des Herzens

Jnnig beſorgt bin, daß ſie zum ſchnellen Verderben ihn fuͤhren.

Gott! Daß deine gefuͤrchtete Hand itzt im Abgrunde Satan

Mit diamantenen Ketten der tiefſten Finſterniß hielte

Daß die unſterbliche Seele, die du, erhabner Meßias,

Auch zu deiner Ewigkeit ſchufſt, von ihrer Verirrung

Wiederzukehren die theuren Minuten noch lange genoͤſſe!

Daß ſie, wuͤrdig der hohen Geburt und der ſchaffenden Stimme,

Mit der ſie Gott zur Unſterblichkeit rief, und zur Juͤngerinn weihte,

Jhrem ergrimmten Verderber unuͤberwindlich und furchtbar,

Gleich dem muthigſten Seraph, mit Heiligkeit widerſtuͤnde!

Theurer Seraph, was ſagt denn der Mittler, ſprach Selia ferner,

Ach was ſagt denn der goͤttliche Mittler von ſeinem Verlohrnen?

Kann er den Verruchten vor ſeinem Geſichte noch ſehen?

Liebt er ihn noch? Und wenn er ihn liebt, wie entdeckt er ſein Mitleid?

Selia, du zwingſt mich, ich muß dir alles entdecken,

Was ich ſo gern vor mir ſelbſt, vor dir, und den Engeln verbuͤrge.

Jeſus liebt den Unwuͤrdigen noch. Voll ſorgſamer Liebe,

Zwar mit Worten nicht, aber mit Blicken der goͤttlichſten Freundſchaft,

Sagt er ihm juͤngſt, bey einem zufriednen vertraulichen Mahle,

Vor der Verſammlung der Juͤnger, er ſey es, er werd ihn verrathen.

Theurer Seraph, er wird ihn verrathen! Der Strafbare fuͤhlte

Jeſu erbarmende Blicke nicht mehr. Er wird ihn verrathen!

Selia, ſiehe, da koͤmmt er herauf. Jch will den Verruchten

Ferner nicht ſehn, komm mit mir. Jthuriel ſagt es, und eilte.

Selia folgte betruͤbt. Johannes zweyter Beſchuͤtzer,
F 5Salem,
[90]Der Meßias.

Salem, ein himmliſcher Juͤngling, begleitete beyde von ferne.

Jeſus gab dem geliebten Johannes zween heilige Waͤchter,

Raphael, einer vom Throne, der hohen Seraphim einer,

Und aus Gabriels Ordnung, der ward ſein erſter Beſchuͤtzer.

Selia, und Jthuriel giengen beyde zu Jeſu

Jn die Graͤber. Da trat mit erheitertem Angeſicht Salem

Unter ſie hin, und blickte ſie an, und umarmte ſie zaͤrtlich.

Frohe beſaͤnftigte Zuͤge verklaͤrten das Angeſicht Salems,

Und ein jugendlich Laͤcheln umfloß die unſterbliche Stirne,

Da, wie die Pforten des lieblichen Morgens im Fruͤhling ſich oͤffnen,

Sich ſein heiliger Mund voll ſuͤßer Beredſamkeit aufthat,

Und von ſeinen Lippen die Stimme ſanfttoͤnend herabfloß:

Seraph, beruhige dich, der dort in den Graͤbern bey Jeſu,

Jener iſt Johannes der liebenswuͤrdigſte Juͤnger.

Schau ihn nur an, bald wirſt du nicht mehr an Jſcharioth denken!

Heilig, wie ein Seraph, ja wie der Unſterblichen einer,

Lebt er beym Meßias, der ſein Herz vor allen ihm oͤffnet,

Der ihn, mit goͤttlicher Huld, ſich zum vertrauteſten waͤhlte:

Wie die Freundſchaft des hohen Eloa und Gabriels Freundſchaft:

Oder wie Abdiels Liebe zu Abbadona geweſen,

Als er mit ihm in anerſchaffener Unſchuld noch lebte:

Alſo iſt Johannes und Jeſu goͤttliche Freundſchaft.

Und er iſt es auch wuͤrdig. Noch ward in heiligen Stunden

Keine ſo goͤttliche Seele vom großen Schoͤpfer gebildet,

Als die unſchuldige Seele Johannes. Jch hab es geſehen,

Da die Unſterbliche kam. Sie prieſen glaͤnzende Reihen

Himmliſcher Juͤnglinge ſelig, und ſangen von ihrer Geſpielinn:

Sey
[91]Dritter Geſang.
Sey uns gegruͤßt bey deinem Hervorgehn, unſterbliche Freundinn,

Heilige Tochter des goͤttlichen Hauchs, komm, ſey uns geſegnet!

Du biſt ſchoͤn und zaͤrtlich, wie Salem, wie Raphael, himmliſch

Und erhaben. Dir werden aus deiner heiteren Fuͤlle,

Wie aus der Morgenroͤthe der Thau, die Gedanken gebohren.

Und dein menſchliches Herz, dein Herz voll zaͤrtlicher Triebe

Fließt, wie der Seraphim Auge, das bey Erblickung der Tugend

Voller Entzuͤckungen weint, von ſuͤßen Empfindungen uͤber!

Tochter des goͤttlichen Hauchs, vertraulichſte Schweſter der Seele,

Die in ihrer unſchuldigen Jugend einſt Adam belebte,

Komm, wir fuͤhren dich itzt zu deinem Vertrauten, dem Koͤrper,

Den die Natur ſchoͤn bildet, damit du im Laͤcheln, o Seele,

Dein holdſeliges Weſen vom heitern Angeſicht redeſt.

Ja er wird ſchoͤn ſeyn, und deinem Leibe, Meßias, gleichen,

Den nun bald der goͤttliche Geiſt zum ſchoͤnſten der Menſchen

Bilden wird, zum ſchoͤnſten vor allen Kindern von Adam.

Ach daß dieſes dein zartes Gebaͤu in Staub hin ſich legen

Und verweſen muß! Aber dich wird bey den Todten dein Salem

Suchen und auferwecken, und wenn du erwacht biſt, verklaͤren!

Herrlich nach himmliſcher Bildung mit neuer Schoͤnhelt umkraͤnzet,

Wird er dich hoch in kommenden Wolken, du Richter der Menſchen,

Deinem Meßias entgegen, zu ſeinen Umarmungen fuͤhren.

Alſo ſang von meinem Johannes die himmliſche Jugend.

Salem ſagt es, und ſchwieg. Er und die Seraphim blieben

Um Johannes herum, voll ſuͤßer Zaͤrtlichkeit, ſtehen.

Alſo ſtehen drey Bruͤder um eine geliebteſte Schweſter
Zaͤrt-
[92]Der Meßias.

Zaͤrtlich herum, wenn ſie auf weich verbreiteten Blumen

Unbeſorgt ſchlaͤft, und in bluͤhender Jugend Unſterblichen gleichet.

Ach ſie weis es noch nicht, daß ihrem redlichen Vater

Seiner Tugenden Ende ſich naht. Jhr dieſes zu ſagen,

Kamen die Bruͤder; allein ſie ſahen ſie ſchlummern, und ſchweigen.

Unterdeß ſchliefen die uͤbrigen Juͤnger vom Kummer ermuͤdet

An den Hoͤhen des Oelberges ein. Der unter dem Oelbaum,

Wo er ſeinen bedeckenden Arm am tiefſten herabließ;

Jener im Thal, das ſich bey kleinen Huͤgeln verſenkte;

Dieſer am Fuße der himmliſchen Ceder, die hoch und erhaben

Staud, und mit leiſem Geraͤuſch vom ſtillen waldigten Wipfel

Schlummer und Thau auf die Ruhenden traͤufte. Viel ſchliefen in Graͤbern,

Welche die Kinder der moͤrdriſchen Stadt den Propheten erbauten.

Judas Jſcharioth war, nicht weit vom ſtillen Lebbaͤus,

Der ſein Verwandter und Freund war, aus Ungeduld eingeſchlafen.

Aber Satan, der ſeitwaͤrts in einer verborgenen Hoͤle

Alles, was die Engel von ihren Juͤngern erzaͤhlten,

Angehoͤrt hatte, brach zuͤrnend hervor, und ließ voll Gedanken

Zum Verderben erhitzt, ſich bey Jſcharioth nieder.

Alſo naht ſich die Peſt in mitternaͤchtlicher Stunde,

Schlummernden Staͤdten. Der Tod liegt auf ihren verbreiteten Fluͤgeln

An den Mauern, und hauchet um ſich verderbende Duͤnſte.

Jtzo liegen die Staͤdte noch ruhig: bey naͤchtlicher Lampe

Wacht noch der Weiſe; noch unterreden ſich goͤttliche Freunde

Unter den Roſen des Fruͤhlings beym unentheiligten Weine

Von der unſterblichen Dauer der Seelen und ihrer Freundſchaft:
Aber
[93]Dritter Geſang.

Aber bald wird ſich der furchtbare Tod am Tage des Jammers

Ueber ſie breiten, am Tage der Quaal und des ſterbenden Winſelns,

Wo mit gerungenen Haͤnden die Braut um den Braͤutigam jammert;

Wo nun aller Kinder beraubt die verzweifelnde Mutter

Wuͤtend dem Tag, an dem ſie gebahr und gebohren ward, fluchet;

Wo mit tiefen verfallenen Augen die Todtengraͤber

Durch die Leichname wandeln, bis hoch vom truͤben Olympus

Mit tiefſinniger Stirn der Todesengel herabſteigt,

Und ſich umſieht, und alles veroͤdet und ſtill und einſam

Sieht, und auf den Graͤbern voll ernſter Betrachtungen ſtehn bleibt.

Alſo kam uͤber Jſcharioth Satan zum nahen Verderben,

Und ließ einen verfuͤhrenden Traum in ſein offnes Gehirne.

Schnell empoͤrt er ſein klopfendes Herz zu Begierden der Bosheit;

Senkte zuerſt empfundne Gedanken, voll Feuer und ſtuͤrmend,

Jn die Seele. So wie ſich ein Donner in ſchweflichte Berge

Himmelab ſtuͤrzt, ſie entzuͤndt, neue Donner zu ſich verſammelt,

Dann durch die Tiefen, nunmehr ein ganzes Gewitter, ſich fortwaͤlzt.

Denn der Seraphim hohes Geheimniß, den Seelen der Menſchen

Edle Gedanken, der Ewigkeit wuͤrdige große Gedanken

Einzugeben, war Satan zu ſeiner groͤßern Verdammniß

Annoch bekannt. Zwar kam aus treuer ſorgſamer Ahndung

Seraph Jthuriel wieder zuruͤck, bey dem Juͤnger zu bleiben.

Aber da er wahrnahm, wie uͤber Jſcharioth Satan

Sich verbreitete, bebt er und ſtand, und ſahe zu Gott auf,

Und entſchloß ſich, vom Schlaf Jſcharioth aufzuwecken.

Dreymal ſchwebt er auf Fluͤgeln des Sturms durch brauſende Cedern

Ueber ſein Angeſicht hin, gieng dreymal mit maͤchtigen Schritten,
Bey
[94]Der Meßias.

Bey dem Juͤnger vorbey, daß des Bergs Haupt unter ihm bebte.

Aber Jſcharioth blieb, mit kalten erblaſſenden Wangen,

Wie in toͤdtlichem Schlummer. Der Seraph gieng ſeitwaͤrts, und ſeufzte.

Jndem erſchien dem Juͤnger im Traume ſein Vater, und ſah ihn

Troſtlos und kummervoll an, und ſprach mit bebender Stimme:

Und du ſchlaͤfſt, Jſcharioth, hier unbekuͤmmert und ruhig?

Und entfernſt dich ſo lange von Jeſu, als wenn du nicht wuͤßteſt,

Daß er dich haßt, und die uͤbrigen Juͤnger dir insgeſammt vorzieht!

Warum biſt du nicht immer bey ihm, und um ihn zugegen?

Warum ſucheſt du nicht von neuem ſein Herz zu gewinnen?

Wem uͤberließ, Jſcharioth, dich dein ſterbender Vater!

Gott! mit welcher Vergehung hab ichs, mit welchem Verbrechen

Hats mein Geſchlecht verdient, daß ich aus dem Reiche der Schatten

Kommen, und um Jſcharioth hier und ſein trauriges Schickſal

Weinen muß? Ach meynſt du, du werdeſt im Reiche des Mittlers,

Das er errichten wird, gluͤcklicher ſeyn; ſo betruͤgſt du dich, Aermſter!

Kenneſt du nicht Petrum, kennſt du die Zebedaͤiden,

Dieſe geliebteſten Juͤnger nicht mehr? Die ſind es, die werden

Groͤßer, als du, und herrlicher ſeyn! Die werden bey Jeſu

Schaͤtze, wie Stroͤme, zu ſich von des Landes Milde verſammeln.

Auch die uͤbrigen werden ein viel gluͤckſeliger Erbtheil,

Als du, verlaſſener Sohn! von ihrem Meßias empfangen.

Komm, ich will dir ihr Reich in ſeiner Herrlichkeit zeigen.

Steig den Berg auf! Wanke nicht, Sohn! Es iſt einmal dein Schickſal!

Sieheſt du dort vor uns das unendliche breite Gebirge,

Welches ins fruchtbare Thal verlaͤngerte Schatten hinabſtreckt?
Hier
[95]Dritter Geſang.

Hier wird unaufhoͤrlich, wie aus Ophiriſchen Jnſeln,

Gold gegraben; hier triefet das Thal, durch ſelige Jahre

Reich und unerſchoͤpflich, vom Ueberfluſſe des Segens.

Dieß iſt des auserwaͤhlten Johannes geſegnetes Erbe.

Jene mit hohen Traubengelendern umhangenen Huͤgel,

Dieſe von wallendem Korn weit uͤberfließenden Auen

Sind dem geliebteſten Petrus von ſeinem Meßias gegeben.

Siehſt du den ganzen Reichthum des Landes? Wie hier ſich die Staͤdte

Gleich der Koͤnigstochter, Jeruſalem, unter der Sonne

Glaͤnzend und hoch, voll unzaͤhlbarer Menſchen im Thale verbreiten!

Wie ſich neue Jordane dort, die Staͤdte zu waͤſſern,

Unter der Umwoͤlbung der hohen Mauern dahinziehn!

Gaͤrten, gleich dem befruchteten Eden, umſchatten den Goldſand

Jhrer Geſtade. Dieß ſind die Koͤnigreiche der Juͤnger.

Aber erblickſt du, Jſcharioth, auch in jener Entfernung

Dieſes kleine gebirgigte Land? Da liegt es veroͤdet,

Wild, unbewohnt und ſteinigt mit duͤrren Gehoͤlzen durchwachſen.

Auf ihm ruhet die Nacht in kalten weinenden Wolken,

Unter ihr Eis und nordiſcher Schnee in unfruchtbaren Tiefen,

Wo zur Einoͤd und Nacht und deiner Geſellſchaft verdammet,

Naͤchtliche Voͤgel die tauſendjaͤhrigen Eichen durchirren.

Dieſes iſt dein Erbtheil. Wie werden, verachteter Juͤnger,

Vor dir die uͤbrigen Eilfe mit triumphirender Stirne

Koͤniglich vorbeygehn, und kaum im Staube dich merken!

Juda, du weineſt vor Gram und edelmuͤthigem Zorne!

Sohn, du weineſt umſonſt, umſonſt ſind alle die Thraͤnen,

Die du in deiner Verzweiflung vergießt, wenn du ſelbſt dir nicht beyſtehſt!
Hoͤre
[96]Der Meßias.

Hoͤre mich an! Jch ſchließe dir ganz mein vaͤterlich Herz auf.

Siehe, der Meßias verzieht mit ſeiner Erloͤſung,

Und mit dem herrlichen Reich, das er aufzurichten verheißen.

Nichts iſt den Großen in Juda verhaßter, als dieſes Reich Jeſu!

Taͤglich ſinnen ſie ihm den Tod aus. Verſtelle dich, Juda.

Thu, als wollteſt du ihn in die Hand der wartenden Prieſter

Ueberliefern; nicht Rache zu uͤben, weil er dich haſſet,

Das ſey ferne von dir! er wuͤrd ihr ſpotten, und immer

Unuͤberwindlich dem Arm der Widerſacher entrinnen:

Sondern ihn nur dadurch zu bewegen, damit er ſich endlich

Jhrer Verfolgungen uͤberdruͤßig und furchtbarer zeige,

Und, ſie mit Schande, Beſtuͤrzung und Schmach zu Boden zu ſchlagen,

Sein ſo lang erwartetes Reich auf einmal errichte.

Alsdann waͤrſt du ein Juͤnger von einem gefuͤrchteten Meiſter!

Alsdann wuͤrdeſt du auch dein Erbtheil fruͤher erlangen!

Jſt es gleich klein; ſo kannſt du es doch, erlangſt dus nur fruͤher,

Endlich mit unermuͤdendem Fleiß, mit Wachen und Arbeit,

Durch Anbauung und Handeln bereichern, damit es der andern

Großen geſegnetem Erbe, wiewohl von ferne nur, gleiche.

Hierzu fuͤllen gewiß, fuͤr die Ueberlieferung Jeſu,

Dir die dankbaren Prieſter mit ihrem Reichthum die Haͤnde.

Dieß iſt der Rath, den dir dein bekuͤmmerter Vater ertheilet.

Schaue mich an! Jſt dieß nicht mein blaſſes erſtorbenes Antlitz?

Ja, aus dem Reiche der Schatten, da deinentwegen noch zaͤrtlich,

Komm ich hieher! Ein Engel des Lichts, der war wohl dein Schutzgeiſt,

Leitete mich zu dir, da zeigt ich dir dieſes im Traume.

Doch du erwacheſt. Verachte nicht, Sohn, die ermahnende Stimme
Dei-
[97]Dritter Geſang.

Deines Vaters, und laß mich nicht traurig in meine Behauſung

Unter die Seelen der Todten mit Herzeleid wiederkehren.

Satan richtete ſich, nach Vollendung ſeiner Geſichte

Ueber ihm auf. So richtet ſich hoch ein olympiſcher Berg auf,

Welcher ein Thal war, wenn Thaͤler um ihn, bey Erſchuͤttrung der Erde,

Mit unermeslichem ſinkenden Schritt in die Tiefe ſich ſtuͤrzen.

Judas erwacht und ſprang ungeſtuͤm auf. Ja, ſie war es, die Stimme

Meines verſtorbenen Vaters, ſo redt er, ſo ſah ich ihn ſterben!

Alſo iſt es gewiß, man haßt mich! Selbſt unter den Todten

Jſt es bekannt; was du immer voll Furcht, und zitternd vermuthet

Armer Verlaßner, das melden dir itzt die Seelen der Todten!

Nun wohlan! ſo will ich denn hingehn, und alles vollenden,

Was dieß hohe Geſicht mir befahl! Doch ſo handl ich ja untreu

An dem Meßias! Entfleuch, zu furchtſamer kleiner Gedanke!

Meinem Vater befahl es ein Geiſt; unfehlbar befahl es

Gott dem Geiſte; ſo thu ich, was Gott will; ſo handl ich nicht untreu!

Was ich thue, geſchieht ſelbſt zur Verherrlichung Jeſu!

Aber ich fuͤhle ja bey mir nach Reichthum heiße Begierden!

Heiße Begierden nach Rache! Was biſt du, Seele, ſo zaͤrtlich,

Und ſo empfindlich, mit ſchwachen Gedanken dich aͤngſtlich zu quaͤlen?

Gott ſchickt Geſichte; die hohen Geſichte befehlen dir Rache;

Wenn ſie der Ewige will, ſo iſt die Rache geheiligt!

Satan hoͤrt ihn, den Gottes Gerichte von ferne ſchon trafen,

Weil er die Unſchuld der Seele vorher entheiliget hatte,

Alſo reden. Er ſtand, und ſah mit ſchweigendem Stolze
GUnd
[98]Der Meßias.

Und mit wildem Antlitz auf ihn triumphirend herunter.

Alſo ſieht ein gefuͤrchteter Fels vom hohen Olympus

Jn das gebirgigte Meer auf ſchwimmende Leichname nieder!

Aber bald wird ihn der Donner faſſen; bald wird er zertruͤmmert

Tief im Meer ein Thal ſeyn, und liegen; ihn werden die Jnſeln

Fallen ſehn, und ringsum dem raͤchenden Donner zujauchzen.

Satan verließ den Oelberg, und gieng mit erhabenen Schritten

Ueber Jeruſalem hin, und ſucht in ſtillen Pallaͤſten

Kaiphas auf, den Feind und Hohenprieſter der Gottheit,

Ueber ſein boshaftes Herz noch viel boshaftre Gedanken

Auszugießen, und ihn mit dunkeln Geſichten zu taͤuſchen.

Judas Jſcharioth blieb noch, in irre Gedanken vertiefet,

Auf dem Gebirge. Der Morgen gieng itzt der ſchlummernden Welt auf.

Jeſus erwachte, Johannes mit ihm. Sie giengen zuſammen

Auf den Oelberg, und fanden daſelbſt die Juͤnger noch ſchlafend.

Jeſus ergriff den frommen Lebbaͤus bey ſinkenden Haͤnden,

Und ſprach, als er erwachte, zu ihm: da bin ich, und lebe,

Frommer Lebbaͤus! Der Juͤnger ſprang auf, umarmt ihn mit Thraͤnen,

Lief, und weckte die uͤbrigen Juͤnger, und brachte ſie Jeſu.

Als ſie ihn ringsum vertraulich umgaben, ſo ſprach er zu ihnen:

Komm, du heilige Schaar, wir wollen uns unter einander

Dieſen noch uͤbrigen Tag vor dem Abſchiedskuſſe vergnuͤgen!

Komm, itzt ſtehet uns Saron noch offen, itzt thaut noch der Himmel

Ueber uns, aus des Morgens Gewoͤlk, in die Segensgefilde.

Jtzt laͤßt die himmliſche Ceder, von meinem Vater erzogen,

Auf uns noch kuͤhlende Schatten herab. Noch ſeh ich den Menſchen
Von
[99]Dritter Geſang.

Von ſo goͤttlicher Bildung bey meinen Unſterblichen wandeln!

Aber bald wird dieß gar nicht mehr ſeyn! Bald wird ſich der Himmel

Dunkel mit ſchreckenden Wolken umziehn! Bald werden die Tiefen

Ungeſtuͤm erzittern, und dieſe Gefilde voll Segen,

Dieſe geliebten Gefilde verwuͤſten! Bald werden die Menſchen

Moͤrderiſch mich anſehn! Bald werdet ihr alle mich fliehen!

Weine nicht, Petrus, und du, mein zaͤrtlich bekuͤmmerter Juͤnger,

Weine du nicht! wenn der Braͤutgam noch da iſt, ſo weinet die Braut nicht.

Ach! ihr werdet mich wieder erblicken, ihr werdet mich ſehen,

Wie bey erwachenden Todten die Mutter ein theurer Sohn ſehn wird.

Dieſes ſagt er, und ſtand mit goͤttlich erheitertem Antlitz

Unter ihnen; allein in ſeinem Herzen empfand er

Jnnerlich Seelenangſt und der Erloͤſung erhabene Leiden.

Alſo gieng er, und wurde von allen vertraulich begleitet;

Nur von Jſcharioth nicht. Der hatt ihn unter den Schatten

Waldigter Wipfel von ferne gehoͤrt. So weis ers ja ſelbſt ſchon,

Sagt er vor ſich, da er Jeſu im weggehn von ferne noch nachſah,

Daß ihm ein Tag der Verfolgung bevorſteht; ſo wird ers auch wiſſen,

Wie er ſeinen Verfolgern begegnen, und unuͤberwindlich

Seine Verherrlichung endigen ſoll. Doch ſieht er auch, Juda,

Dich, als ſeinen Gehuͤlfen auf dieſem erhabenen Schauplatz?

Weis er dein Unternehmen auch ſchon? Du willſt ihn verrathen!

Ach wie ſind vor dem ſterblichen Auge des Ewigen Wege

Wunderbar! Wie unerforſchlich iſt Gott in ſeinen Gerichten!

Meinen Meßias, den ſoll ich, zu ſeiner Erhoͤhung, verrathen?

Aber, weñ mein Geſicht mich nun taͤuſcht? Weñ mein Traum mich betrieget?
G 2Taͤuſcht
[100]Der Meßias.

Taͤuſcht mich mein Traum; ſchickt Gott Geſichte, die Menſchen zu quaͤlen:

So ſey die Stunde verflucht, in der ich unmuthsvoll einſchlief,

Jn der uͤber mein Haupt des Vaters Schatten herabkam!

Jn ihr muͤſſe man auf den Gebirgen ein ſterbendes Winſeln

Hoͤren! Ein ſterbendes Winſeln in tiefen verfallenen Graͤbern

Muͤſſe man hoͤren; verflucht ſey der Ort, wo ich lag und einſchlief:

Allda muͤß ein entſetzlicher Sohn den Vater erwuͤrgen!

Allda fließe das Blut von meinem geliebteſten Freunde,

Wenn er verzweifelnd mit eignen Haͤnden daſelbſt ſich erwuͤrgt hat!

Juda, wohin verirreſt du dich? Ja wohin! Was zuͤrnſt du

Ueber dich ſelbſt? Du verirreſt dich nicht, wenn du alſo getaͤuſcht wirſt!

Lehrt mich ein goͤttlich Geſicht den hohen Meßias verrathen,

Und ich ſuͤndige dran: ſo ſeyſt du, unter den Tagen

Schrecklichſter Tag, auch verflucht! da mich der Meßias erwaͤhlte,

Da er voll Liebe mit holden einnehmenden Blicken mir ſagte:

Folge mir nach! Du muͤſſeſt umwoͤlkt und dunkel und Nacht ſeyn!

An dir muͤſſe die Peſt in Finſterniſſen herumgehn!

An dir muͤſſen verderbende Seuchen im Mittage toͤdten!

Dich, Tag, nenne kein Menſch! Gott vergeſſe dich unter den Tagen!

Ach! wie wird mir ſo angſt! mir zittern alle Gebeine!

Juda, wo biſt du? erwache! ſey ſtark! Was quaͤlſt du dich, Aermſter?

Gottes Geſichte betriegen dich nicht! Der Tag ſey geſegnet!

Wenn der Meßias durch dich ſein neues Koͤnigreich anfaͤngt.

Alſo ſagt er. Jndem war er, ſeit dem unſelgen Geſichte,

Zwo erſchreckliche Stunden der Ewigkeit naͤher gekommen.



[[101]]

Der
Meſſias
.
Vierter Geſang.


G 3
[[102]]

Jnhalt
des vierten Geſangs.


Kaiphas, der auch einen Traum vom Satan gehabt hat, verſammelt das Syne-
drium, den Tod Jeſu endlich voͤllig zu beſchließen. Er erzaͤhlt ſeinen Traum,
den er fuͤr eine goͤttliche Eingebung haͤlt. Philo, ein Phariſaͤer widerſpricht
ihm bierinn; verurtheilt aber Jeſum mit noch groͤßrer Heftigkeit zum Tode.
Gamaliel raͤth, die Sache Gott zu uͤberlaſſen. Nikodemus dankt ihm oͤffentlich
dafuͤr. Philo haͤlt eine ſehr heftige Rede wider den Meßias, wider Gamaliel
und Nikodemum, zu welcher ihn Satan zuvor ins Geheim einweihet, der mit
Jthuriel unſichtbar gekommen war, weil Judas ſich nahte, Jeſum zu verra-
then. Nikodemus antwortet dem Philo, und geht mit Joſeph aus der Ver-
ſammlung. Judas koͤmmt, und ſagt Kaiphas ſeine Abſichten ins Geheim, der
ſie der Verſammlung entdeckt, und den Verraͤther belohnt. Der Meßias
naht ſich Jeruſalem, und ſchickt Petrum und Johannem in die Stadt, das
letzte Abendmal fuͤr ſie zu bereiten. Petrus ſieht von dem Soͤller des Hauſes,
die Mutter Jeſu, Lazarum, den Auferweckten, Mariam, ſeine Schweſter,
und Cidli, Jairus Tochter, kommen, die Jeſum ſuchen. Dieſe ſehn Pe-
trum und kommen hinauf. Johannes ſagt, daß Jeſus bald, von Bethanien
her, kommen wuͤrde. Maria wartet. Jeder iſt ſtill. Die fromme Liebe
zwiſchen Lazarus und Cidli. Maria kann nicht mehr warten. Sie glaubt
ihren Sohn gewiß auf dem Wege von Bethanien zu finden. Jeſus nimmt
einen andern Weg, und verweilt ſich bey Golgatha. Er ſteht bey Joſephs
neuem Grabe, und denkt uͤber ſeinen Tod und uͤber ſeine Auferſtehung. Der
Abend iſt gekommen. Er geht auf Jeruſalem. Judas koͤmmt an den Mauren
der Stadt zu ihnen. Jthuriel redet den Meßias an, daß er des Verraͤthers
Schutzengel nicht mehr ſeyn koͤnnte. Er wird von Jeſu zu dem zweyten En-
gel Petri beſtimmt. Jeſus koͤmmt in die Stadt, und ſetzt ſich mit allen Juͤn-
gern zu Tiſche, redet von ſeinem Tode, nimmt von ihnen Abſchied, weißagt
von ſeinem Verraͤther, und ſtiftet das Gedaͤchtniß ſeines Todes. Johannes
faͤllt, da er den Kelch ſieht, zu Jeſu Fuͤſſen, und ſieht die Verſammlung der
gegenwaͤrtigen Engel. Judas will es Johanni nachthun; Jeſus heißt ihn
aufſtehen; und weißagt wieder von ſeinem Verraͤther. Judas geht fort. Es
war nunmehr Nacht. Seine Gedanken, da er zu Kaiphas geht. Nun iſt
die Verſammlung ganz heilig. Jeſus redet von ſeiner Verherrlichung. Petri
Kuͤhnheit, und die Verkuͤndigung ſeiner nahen Untreu. Jeſus betet kniend
unter ſeinen Juͤngern. Hierauf ſteht er auf, an den Oelberg, ins Gericht,
ſtatt der Menſchen, zu gehen. Da er ſich Kidron naͤhert, bleibt er an einem
Huͤgel ſtehen, und bezeichnet Gabriel einen einſamen Ort in Gethſe-
mane, wo er die Engel verſammeln ſoll.


[[103]]
Der
Meſſias
.
Vierter Geſang.


Kaiphas aber lag noch, nach Satans dunkelm Geſichte,

Voller Angſt auf dem Lager, von dem die Ruhe geflohn war.

Bald ſchlief er kurze Zeit ein, bald erwacht er wieder, u. warf ſich

Ungeſtuͤm, und voll Gedanken herum. Wie tief in der Feldſchlacht

Sterbend ein Gottesleugner ſich waͤlzt; der kommende Sieger,

Und das baͤumende Roß, der rauſchenden Panzer Getoͤſe,

Und das Geſchrey, und der Toͤdtenden Wut, und der donnernde Himmel

Stuͤrmt uͤber ihm; er liegt, und ſinkt mit geſpaltenem Haupte

Dumm und gedankenlos unter die Todten, und glaubt zu vergehen.

Drauf erhebt er ſich wieder, und iſt noch, und denkt noch, und fluchet,

Daß er noch iſt, und ſpritzt mit bleichen ſterbenden Haͤnden

Blut gen Himmel, Gott flucht er, und wollt ihn gerne noch leugnen.
G 4Alſo
[104]Der Meßias.

Alſo betaͤubt ſprang Kaiphas auf, und ließ die Verſammlung

Aller Prieſter und Aeltſten im Volke ſchnell zu ſich berufen.

Mitten im hohen Pallaſt war ein weiter Saal der Verſammlung,

Aus des erhabenen Libanons Hain ſalomoniſch erbauet.

Allda kamen die Prieſter und Aeltſten im Volke zuſammen.

Mit den Aeltſten kam Joſeph von Arimathaͤa, ein Weiſer!

Unter der ganzen entarteten Nachwelt des goͤttlichen Abrams

Von der Zahl der uͤbergebliebnen wenigen Edlen.

Still, wie der friedſame Mond in daͤmmernden Mitternachtswolken

Ueber uns wallt, ſo gieng in dieſen Verſammlungen Joſeph.

Auch kam Nikodemus, ein Freund des Meßias und Joſephs.

Kaiphas trat itzt herriſch hervor, und ergrimmt, und ſagte:

Endlich, ihr Vaͤter Jeruſalems, muͤſſen wir etwas beſchließen,

Und mit gewaltigem Arm den Widerſacher vertilgen:

Oder er fuͤhrt es hinaus, was er wider uns lange ſchon ausſann,

Und wir halten vielleicht itzo die letzte Verſammlung!

Ja dieß Prieſterthum Gottes, das, hoch auf Sinai, Gott ſelbſt

Durch den groͤßten Propheten der ganzen Nachwelt geſetzt hat,

Das in der langen Gefangenſchaft, ſelbſt babyloniſche Thuͤrme,

Das im Sturme der Waffen die ſchrecklichen ſieben Huͤgel

Nicht zu erſchuͤttern vermocht; das wird ein ſterblicher Seher,

Jſrael, uns, dem Tempel des Herrn zur Schande, vertilgen.

Jſt nicht Jeruſalem ſein? Sind nicht die Staͤdte Judaͤa

Sclavinnen ihres vergoͤtterten Traͤumers? Entfliehet das Volk nicht

Aberglaͤubiſch und blind dem Tempel weiſerer Vaͤter,

Seine verfuͤhrende Wunder in weit entlegenen Wuͤſten

Anzuſtaunen? Die Wunder, die Satan durch ihn verrichtet!
Und
[105]Vierter Geſang.

Und was blendet wohl mehr? Was iſt dem ſtaunenden Poͤbel

Wunderbarer? Als wenn er ſo gar Verſtorbne vom Tode,

Oder vielmehr ohnmaͤchtige Kranke, vom Schlummer erwecket!

Unterdeß ſind wir ruhig, und warten, wenn uns ſein Anhang

Jm entſetzlichen Aufruhr vor ſeinen Augen erwuͤrgt hat,

Daß er uns auch von den Todten erwecke! Ja! Vaͤter, ihr ſeht mich

Stumm und erſtaunungsvoll an! Koͤnnt ihr noch zweifeln? Ja, zweifelt,

Zweifelt nur, und ſchlummert! Nie rief ihn Judaͤa zum Koͤnig

Ungeſtuͤm aus! Das wißt ihr nicht! Nie hats die Wege mit Palmen

Jauchzend beſtreut! Nie haben ſie ihm Hoſanna geſungen!

Daß du ſtatt, Hoſanna! den Fluch des Ewigen hoͤrteſt!

Daß die Stimme des Donnerers dir im betaͤubten Ohre

Statt des Triumphtons erſchallte! Daß tief im Thore des Todes,

Koͤnige dir vom eiſernen Stul aufſtuͤnden, die Kronen

Niederlegten, und bitter und fpoͤttiſch, Hoſanna! Dir riefen!

Ja, unwuͤrdige Vaͤter des Volks! (Verzeiht mir die Rede,

Die itzt ergrimmt im heiligen Zorne, mein wuͤtender Geiſt that!)

Nicht die Klugheit allein, nein, viel was hoͤhers gebeut uns,

Gott gebeut uns, ihn ſchnell vom Antlitz der Erde zu tilgen!

Vormals redte der Herr durch offenbarende Traͤume

Unſern Vaͤtern. Seht, ob nicht dem Hohenprieſter Gottes

Himmliſche Traͤume geſandt ſind. Jch lag zur Mitternachtsſtunde

Sorgenvoll auf dem Lager, und dachte dem endlichen Ausgang

Dieſer neuen Empoͤrungen nach. So dacht ich, und ſchlief itzt

Unentſchloſſen und kummervoll ein. Da war ich im Traume

Jn dem Tempel, und eilte mit Gott das Volk zu verſoͤhnen.

Schon floß Blut der Opfer vor mir; ſchon gieng ich anbetend
G 5Gegen
[106]Der Meßias.

Gegen das Allerheiligſte Gottes; ſchon hatt ich den Vorhang

Aufgethan, da ſah ich (noch zittern mir alle Gebeine!

Noch faͤllt Gottes Schreckniß auf mich, wie toͤdtend, herunter!)

Aaron ſah ich, im heiligen Schmuck, mit drohender Stirne,

Auf mich zugehn, ſein Auge voll Feuer, von goͤttlichem Grimm voll

Toͤdtete! Sein Bruſtbild voll ernſter gewaltiger Stralen,

Blitzte, gleich Horeb, auf mich! Der Cherubim Fittige rauſchten

Fuͤrchterlich auf der Lade des Bundes! Auf einmal entfiel mir

Rauſchend mein Hohesprieſtergewand, wie Aſche, zur Erde.

Fleuch! rief Aaron mit ſchrecklichem Ton, du des Prieſterthums Schande,

Fleuch! Elender, dir ſag ich, daß du die heilige Staͤtte

Kuͤnftig nicht mehr, als Prieſter des Herrn, verwegen entheiligſt.

Biſt du es nicht? (Hier ſah er mich grimmig mit toͤdtendem Blick an,

Wie man auf einen Todfeind herabblickt, und lieber ihn wuͤrgte!)

Biſt du es nicht? Unwuͤrdiger! Der du jenen Verruchten,

Jenen entſetzlichen Mann, ungeſtraft das Heiligthum laͤſtern,

Meinen Bruder, Moſes, und mich, und Abraham ſchmaͤhen,

Und die Sabbathe Gottes mit ſtrafbarer Traͤgheit entweihn ſiehſt!

Geh, Elender! Damit dich nicht ſchnell, wenn du ferner verweileſt,

Dieſer Gnadenſtul Gottes mit heiligem Feuer verzehre.

Alſo ſagt er. Jch floh und kam mit zerfliegenden Haaren,

Und mit Aſch auf dem Haupte, gewandlos, ohn Urim und Thum̃im,

Unter das Volk. Da ſtuͤrmte das Volk, und wollte mich toͤdten.

Drauf erwacht ich. Drey Stunden voll Quaal, drey aͤngſtliche Stunden,

Hab ich ſeit dem, wie ſinnlos, im Todesſchweiße gelegen.

Und noch beb ich, noch zittert mein Herz von geheimen Schauer

Und, der Stimme beraubt, erſtarrt mir die Zung im Munde!
Er
[107]Vierter Geſang.

Er muß ſterben! Von euch, verſammelte Vaͤter, erwart ich,

Wie er ſterben ſoll, ſchleunigen Rath! - - - Mit ſtarrenden Blicke

Stand er hier ſprachlos. Zuletzt erwacht er wieder, und ſagte:

Beſſer, ſtirbt Einer, als daß das ganze Judaͤa verderbe!

Aber noch will die vorſichtige Weishelt. Die Tage des Feſtes

Muß er nicht ſterben, daß ihn ſein ſclaviſcher Poͤbel nicht ſchuͤtze.

Kaiphas ſchwieg. Kein Laut, noch Geraͤuſch von Redenden wurde

Durch die Verſammlung gehoͤrt. Sie blieben uͤberall ſchweigend,

Wie vom Donner geruͤhrt, und ſtarr, und unbewegt ſitzen.

Joſeph ſah die herrſchende Stille. Da wollt er fuͤr Jeſum

Jhn zu vertheidigen, reden; allein ein gefuͤrchteter Prieſter,

Seine Wut, mit der er auf einmal, zu reden hervortrat,

Hielten ihn ab. Philo, war des Prieſters Name. Noch hatt er

Nie von Jeſu geredet. Jhn hielten alle fuͤr weiſe,

Kaiphas ſelbſt, doch haßt ihn der phariſaͤiſche Philo.

Der ſtand auf. Sein tiefes und melancholiſches Auge

Funkelte, da ſprach er mit zornig gefluͤgelter Stimme:

Kaiphas! Du wagſt es, von hohen goͤttlichen Traͤumen

Vor uns zu reden, als wuͤßteſt du nicht, daß der Ewige niemals

Wolluͤſtlingen erſcheinen, daß heimlichen Sadducaͤern

Wohl kein Geiſt was verkuͤndigen wird. Entweder du leugſt uns,

Oder du haſt wirklich dieß Traumgeſichte geſehen.

Jſt das erſte, ſo zeigſt du dich deiner roͤmiſchen Staatskunſt

Und des erhandelten Prieſterthums wuͤrdig: und waͤr auch das letzte,

Hoherprieſter! So wiſſe, daß Gott, Verbrecher zu ſtrafen,

Sonſt auch taͤuſchende Geiſter zu falſchen Propheten geſandt hat.

Daß der Sclave von Jeſabels Baal, daß Ahab verduͤrbe,
Daß
[108]Der Meßias.

Daß des Unſchuldigen Blut, nicht laͤnger vergebens Gott flehte,

Stieg ein Todesengel vom Thron, und gab den Propheten

Falſche Prophezeyung! Und ſiehe, die rollenden Wagen

Trugen den ſterbenden Ahab zuruͤck. Er ſtarb, und ſein Blut floß

Jn das Feld hin, wo Nabot erwuͤrgt ward, ins Feld hin, wo Gott ſtand,

Und wo der Todesengel vor Gott des Suͤnders Blut hingoß.

Zwar es gebietet dein Traum, den Widerſacher zu ſtrafen!

Du haſt keinen gehabt! Doch haſt du mit Weisheit erfunden.

Aber! zitterſt du nicht, da dir der furchtbare Name

Eines Todesengels genennt wird? Vielleicht waͤgt ein ſolcher

Schon dein bald zu vergießendes Blut vor des Ewigen Thron ab.

Nicht, als wenn ich den ſchuldigen Jeſus fuͤr ſchuldlos erkennte!

Gegen ihn verglichen, biſt du ein kleiner Verbrecher!

Du entehrſt nur das Prieſterthum Gottes. Er will es vernichten!

Jhm iſt in der richtenden Wagſchal, die oft ſchon Verbrecher,

Oft ſchon aufgethuͤrmte Bezwinger der Voͤlker zu leicht fand,

Eh er wurde, ſein Blut, zum gewiſſen Tode, gewogen!

Er ſoll ſterben! Und ich, ich will es mit meinen Augen

Sehen, wenn er erblaßt! Vom Huͤgel, wo er erwuͤrgt wird,

Will ich Erde mit Blute bedeckt, ins Heiligthum tragen,

Oder, von ihm noch rauchende Steine beym hohen Altare

Niederlegen, den Jſraeliten ein ewiges Denkmal!

Niedrige Furcht, die uns lehrt den wankenden Poͤbel zu ſcheuen!

Kleinmuth, den Vaͤtern unabgelernet! Wofern wir dem Donner,

Gottes raͤchendem Donner zuvor zu kommen nicht eilen:

Wird Gott mit ihm uns zugleich zerſchmettern! Mit brechenden Augen

Werden wirs ſehn, wenn er ſtirbt, und unrein neben ihm ſterben!
Fuͤrch-
[109]Vierter Geſang.

Fuͤrchtete da der Thisbite den Poͤbel, die Prieſter zu wuͤrgen,

Als der ſchlafende Baal zu keinem Wetter erwachte?

Oder vertraut er dem mehr, der Feuer vom Himmel ihm ſandte?

Steht uns auch kein Gewitter nicht bey: ſo will ich allein mich

Unter das Volk hinſtellen! Und, weh dem! der unter dem Volke

Wider mich ſich auflehnt, und ſagt, der Leichnam des Traͤumers

Blute nicht Gott zu ehren! Den ſoll die ganze Gemeine

Steinigen, ſo bald ihr mein um ſich ſchauender Blick winkt.

Vor den Augen des ganzen Judaͤa, vorm Antlitz der Roͤmer,

Soll er ſterben! Wir wollen alsdann im Gerichte, wie Goͤtter,

Sitzen, und laut feyrend zu Gottes Heiligthum einziehn!

Philo ſprach dieß, und gieng mit aufgehabenen Armen

Vorwaͤrts in die Verſammlung, und ſtand, und rief von neuem:

Seliger Geiſt, wo du itzo auch biſt, wenn du, himmliſch bekleidet,

Neben Abraham ſitzeſt, und um dich Propheten verſammelſt,

Oder, wenn du vielleicht in deiner Kinder Verſammlung

Wuͤrdigſt einzukehren, und unter Sterblichen wandelſt:

Moſes Geiſt! Dir ſchwoͤr ich, bey jenem ewigen Bunde,

Den du, gelehrt von Gott, aus Donnerwettern uns brachteſt:

Jch will eher nicht ruhn, als bis dein großer Feind todt iſt!

Als bis ich von vergoſſenem Blute des Nazaraͤers

Volle Haͤnde zum hohen Altare des Suͤndopfers bringe,

Und ſie uͤber mein graues Haupt, Gott zu danken, erhebe!

Alſo ſagt er, und ſtand mit weit umſchauendem Auge

Vor der Verſammlung. Von Grimm und uͤbermannender Wut voll

Lehnt’ an ſeinen goldenen Stul ſich Kaiphas nieder,
Und
[110]Der Meßias.

Und erbebt’. Jhm gluͤhte ſein Antlitz. Er ſchaut auf den Boden

Sprachlos und ſtarr. Jhn ſahn die Sadducaͤer, und ſtanden

Gegen Philo mit Ungeſtuͤm auf. Wie tief in der Feldſchlacht

Kriegriſche Roſſe vorm eiſernen Wagen ſich Zuͤgellos heben,

Wenn die klingende Lanze daher bebt, dem rufenden Feldherrn,

Den ſie zogen, den Tod traͤgt, und unter ſie ihn blutathmend

Stuͤrzt. Sie wiehern hoch her, und drohn mit funkelnden Augen,

Stampfen die Erde, die bebt, und hauchen dem Sturmwind entgegen.

Jtzo haͤtte voll Wut ſich ſchnell die Verſammlung getrennet,

Waͤre nicht unter ihnen Gamaliel aufgeſtanden.

Heitre Vernunft erfuͤllte ſein Antlitz. Der weiſe Mann ſprach ſo:

Wenn in dieſem Sturme des grimmigen Zorns die Vernunft noch

Etwas vermag, wenn Weisheit euch lieb iſt, ſo hoͤret mich, Vaͤter.

Wenn der ewige Zwiſt ſtets wieder unter euch aufwacht,

Wenn Phariſaͤer, und Sadducaͤer, wenn dieſe Namen,

Ewig euch trennen, wie werdet ihr da den Propheten vertilgen?

Zwar Gott ſendet vielleicht die eiferſuͤchtige Zankſucht

Unter euch, Vaͤter, weil er dieß ſeinen hohen Gerichten

Vorbehielt, uͤber den Nazaraͤer ein Urtheil zu ſprechen.

Laſſet, Vaͤter, Gott ſein Gericht! Jhr moͤchtet zu ſchwach ſeyn,

Seinen Donner zu nehmen, und unter der maͤchtigen Ruͤſtung,

Vor der die Himmel erzittern, in niedrigen Staub hinſinken.

Schweigt ihr vor Gott, und hoͤret der Stimme des kommenden Richters

Still entgegen! Er wird bald reden, und ſeine Stimme

Wird der Erdkreis erſtaunt, vom Aufgang und Untergang hoͤren.

Spricht Gott zum Ungewitter: zerſchmettr ihn! und zu dem Sturmwind:

Hauche ſein ſinkend Gebein, wie Staub, in alle vier Winde!
Oder
[111]Vierter Geſang.

Oder zum blinkenden Schwert: auf wafne raͤchenden Haͤnde,

Trinke das Blut des Suͤnders! Gebeut er den Tiefen der Erde:

Thut euch auf, und verſchlingt ihn lebendig! So iſt er ſchuldig!

Aber wenn er durch himmliſche Wunder die Erde zu ſegnen

Maͤchtig fortfaͤhrt; wenn durch ihn der Blinde ſein Antlitz zur Sonne

Freudig erhebt, und mit ſehenden Augen den leitenden Vater

Staunend anblickt; wenn Tauben das Ohr der Stimme des Menſchen

Wider ſich oͤfnet, wenn es die Rede des ſegnenden Prieſters

Wieder vernimmt, und die Stimme der Braut, und die weinende Mutter,

Und das feyrende Chor, und die Hallelujageſaͤnge;

Wenn durch ihn die Todten dahergehn, und gegen uns zeugen,

Und mit wieder lebendigem Auge gen Himmel hin weinen,

Und dann goͤttlich zuͤrnend, auf uns ſehn; ihr Grabmal uns zeigen,

Und mit jenem Gericht uns drohn, vor dem ſie ſchon waren;

Wenn er, welches noch goͤttlicher iſt, untadelhaft fortfaͤhrt,

Vor uns zu leben, wenn er, mit ſeiner allmaͤchtigen Tugend,

Wunder thut, und Gott gleicht: ach, ſo beſchwoͤr ich euch, Vaͤter,

Beym lebendigen Gott: ſprecht, iſt er da nicht unſchuldig?

Alſo ſagt er. Jtzt gieng die erhabne mittaͤgliche Sonne

Ueber Jeruſalem hin. Um die Zeit nahte ſich Judas,

Jn die Verſammlung der Prieſter zu gehn. Vor ihm wandelten Satan

Und Jthuriel unſichtbar her, und ſtanden im Saale

Neben den Prieſtern, und ſahn ungeſehn in die tiefe Verſammlung.

Aber Nikodemus ſaß, und betrachtete ſchweigend

Aller Antlitz. So wie ein Mann, der ein Suͤnder iſt, zitternd

Daſteht, und bleich wird, wenn uͤber ihm nah der Olympus donnert,
Alſo
[112]Der Meßias.

Alſo war die Verſammlung. Selbſt Philo und Kaiphas ſchienen

Vor Gamaliels Weisheit zu zittern. Mit Furcht und Verachtung

Sah ſie Nikodemus, ſtand auf, und wagt es, zu reden.

Lang gebildet, ein Mann von menſchenfreundlichem Anſehn,

Stand er. Wehmuth und Ernſt erfuͤllten ſein Antlitz; und Adel,

Adel eines empfindenden unbefleckten Gewiſſens

Sprach ſein ganzes Geſicht. Sein treuer Zeuge, das Auge

Weint, und verbarg nicht die Thraͤnen. Er glaubt, er ſpraͤche vor Menſchen.

Alſo ſagt er: Geſegnet ſey, mir, Gamaliel, ewig

Unter den Maͤnnern! Geſegnet ſey, o Mann Gottes, die Rede

Deines Mundes! Es hat dich der Herr zum Helden geſetzet,

Und ein ſchneidendes Schwert in deinen Mund dir gegeben!

Noch bebt unſer Gebein, das deine Rede getheilt hat!

Noch ſinkt unſer ohnmaͤchtiges Knie! Noch decket Dunkel

Unſer Auge! Noch ſehen wir Gott in ſtrafenden Wettern,

Daß die Empoͤrer wider ſein Thun des Staubs ſich erinnern,

Der ſie gebar! Der Gott, der dieſe Weisheit dich lehrte,

Der dir, ein mehr als koͤniglichs Herz, und maͤnnlichen Mut gab!

Schuͤtze, Gamaliel, dich! Und iſt er der hohe Meßias,

Sey er auch dein Meßias, und deines Saamens Meßias!

Aber euch kann ich nicht ſegnen, die Gottes erhabnen Propheten

Alſo verfolgen! Philo, dich nicht! dich, Kaiphas, auch nicht!

Weinen kann ich vor euch! Wenn anders die Stimme des Weinens

Euerm Herzen hoͤrbar noch iſt! Und wenn, fuͤr die Unſchuld

Menſchlich vergoſſene Thraͤnen, noch eure Seele bewegen!

Jtzo klagt noch die Stimme der Thraͤnen, die Unſchuld zu retten.

Hoͤret ſie, Vaͤter. Jſt erſt ihr heiliges Blut vergoſſen:
Als-
[113]Vierter Geſang.

Alsdann rufet, gleich Gottes Wettern, erhabner die Stimme

Des vergoſſenen Bluts! Sie ruft, und ſteigt in den Himmel

Zu des Ewigen Ohr. Der wird ſie hoͤren, und kommen,

Und, im Gericht ohne Gnade, nach ſeinem Getoͤdteten fragen:

Juda, Juda! wo iſt dein Meßias? Und, wenn er nicht da iſt,

Wird er vom Aufgang herauf bis hin zum Niedergang toͤdten,

Alle Maͤnner des Bluts, die ſeinen Heiligen wuͤrgten.

Nikodemus trat ruͤckwaͤrts. Noch ſaß mit drohendem Auge

Philo da, und erbebte vor Wut und grimmigen Zorne

Jn ſich ſelber, und zwang ſich aus Stolz, den Zorn zu verbergen.

Aber er zwang ſich umſonſt. Sein Auge ward dunkel, und Nacht lag

Dicht um ihn her, und Finſterniß deckte vor ihm die Verſammlung.

Jtzo muſt er entweder ohnmaͤchtig niederſinken:

Oder ſein ſtarrendes Blut muſt auf einmal feuriger werden,

Und ihn von neuem gewaltig beleben. Es hub ſich, und wurde

Feuriger, und goß ſich vom hoch aufſchwellenden Herzen

Jn die Minen empor. Die Minen verkuͤndigten Philo.

Und er ſprang auf, und trat hoch aus ſeiner Reih, und ergrimmte.

So, wenn ſich auf unerſtiegnen Gebirgen ein nahes Gewitter

Furchtbar gelagert hat, reißet ſich eine der naͤchtlichſten Wolken

Mit den meiſten Donnern bewaffnet, im Schoß das Verderben,

Einſam hervor. Wenn andre den Wipfel der Ceder nur faſſen,

Wird ſie von einem Olympus zum andern, dichtwaldichte Berge,

Oder hochthuͤrmende Koͤnigsſtaͤdte, die meilenlang liegen,

Tauſendfach donnernd, entzuͤnden und in Ruinen begraben.

So riß ſich Philo hervor. Jhn ſahſt du, Satan, und ſagteſt

Bey dir ſelber: o ſey mir zu deiner Rede geweihet!
HWie
[114]Der Meßias.

Wie wir unten im Abgrunde weihn, ſo weih ich dich, Philo!

Gleich der Hoͤlle gefuͤrchteten Waſſern, ſo ſtroͤme ſie wild hin!

Stark, wie das flammende Meer! Wie vom Hauche der Donner gefluͤgelt,

Die mein Mund ſpricht, wenn er gebeut! Wie jemals im Abgrund

Menſchenfeindlich und zornig an ſeinen unendlichen Bergen

Von den Goͤttern hinuntergeſprochen ward, daß es die Stroͤme

Horchend lernten, und anderen Stroͤmen weit um ſich erzaͤhlten!

So ſprich, Philo! So fuͤhre dieß Volk im Triumphe gebunden!

Alſo denke! So fließe dein Herz von Empfindungen uͤber,

Derer ſich, waͤr er ein Menſch, ſelbſt Adramelech nicht ſchaͤmte.

Sprich dem Nazaraͤer den Tod! Jch will dich belohnen!

Und dein Herz mit Freuden der Hoͤlle, ſo bald du ſein Blut ſiehſt,

Ganz erfuͤllen! Und, koͤmmſt du zu uns, dein Fuͤhrer ſelbſt werden,

Und zu den Seelen dich fuͤhren, die Helden waren, und wuͤrgten!

So ſprach Satan vor ſich, und Seraph Jthuriel hoͤrt ihn.

Aber Philo ſtand da, ſah ernſt gen Himmel, und ſagte:

Altar des Bluts, wo Gott das Lamm der Verſoͤhnung gebracht wird,

Und ihr uͤbrigen hohen Altaͤre, wo vormals die Opfer,

Gott ein ſuͤßer Geruch, ſich unentheiligt erhuben!

Und du Allerheiligſtes ſelbſt! Du Lade des Bundes!

Und, ihr Cherubim, Todesengel! Du Gnadenſtul Gottes,

Wo, von Menſchen unangefeindet, der Ewige vormals

Saß, und uͤber die Suͤnder aus heiligem Dunkel Gericht hielt!

Tempel des Herrn, den Gott mit ſeiner Herrlichkeit fuͤllte!

Und, du Hoͤrer der goͤttlichen Stimmen, Moria! Moria!

Wenn euch der Nazaraͤer verwuͤſtet; wenn dieſe Maͤnner,

Dieſe zween Maͤnner der Bosheit euch unter ſeiner Beſchuͤtzung
Mit
[115]Vierter Geſang.

Mit verwuͤſten: ſo bin ich unſchuldig an eurer Verwuͤſtung!

Ja, unſchuldig, wenn unſere Kinder mit aͤngſtlichen Blicken,

Und mit bebendem Knie, und mit bang zerrungenen Haͤnden,

Gehn, und ihrer Vaͤter Gott tief in dem Heiligthum ſuchen,

Und ihn nicht finden! Wenn ſeinen Thron da der Traͤumer geſetzt hat,

Wo Gott uͤber den Cherubim ſaß! Wenn vor aller Antlitz

Goͤtzenſclaven dem Suͤnder da opfern und Rauchwerke bringen,

Wo der Vorhang ſonſt hieng! Wo ſonſt nur der Hoheprieſter

Mit verhuͤlltem Geſicht und betend zum Gnadenſtuhl hintrat!

Laß mich den Jammer nicht ſehn! Laß, Gott, mein ſterbendes Auge

Eher brechen, als dieſer Graͤul der Verwuͤſtung dein Volk trift.

Unterdeß, was ich noch thun kann, dem nahen Verderben zu wehren,

Dieſes thu ich vor Gott! Hier ſteh ich vor deinem Antlitz!

Hoͤre, Gott Jſrael, mich; wenn du jemals im Himmel gehoͤrt haſt,

Was von dir auf Erden ein Menſch im Staube gefleht hat!

Traf, auf Elias Gebet, die geſandten Moͤrder des Koͤnigs

Feuer vom Himmel, und fraß es ſie weg vom Gipfel des Carmels!

Riß der Abgrund, da Moſes dich bat, in ſeine Tiefen

Corah, und Dathan und Abiramiden lebendig hinunter:

O ſo hoͤre, Gott Jſrael, mich! Jch fluche den Maͤnnern,

Die dich ſchmaͤhn, und den Suͤnder, der Moſes Feind iſt, beſchuͤtzen.

Nikodemus! Dein Ende ſey, wie das Ende des Traͤumers!

Und dein Grab, wie das Grab des Empoͤrers! Nah unter den Moͤrdern,

Welche, fern von dem Tempel und Altar, geſteiniget werden!

Hart ſey dein Herz, wenn du ſtirbſt, und ununterwuͤrfig der Gottheit!

Thraͤnenlos ſey dein Auge! Das Weinen muͤß ihm verſagt ſeyn,

Wenn du zu Gott dich ſterbend bekehren willſt! Weil du geweint haſt.
H 2Einen
[116]Der Meßias.

Einen Verruchten zu ſchuͤtzen, und weil dein dienſtbares Auge

Wider den Ewigen ſtritt, und unheilige Thraͤnen dahingoß!

Auch du ſchuͤtzeſt den Traͤumer, Gamaliel! Finſterniß decke

Und entſetzliches Dunkel dein Auge! Dann ſitz und warte

Auf die Huͤlfe des Nazaraͤers, und ſchmachte vergebens!

Taubheit ſchließe dein Ohr, ein ſchreckliches Ende dein Leben!

Lieg dann, und harre, bis dich der Nazaraͤer erwecke!

Lieg, und verweſ und harre vergebens! Und, wenn du zum Poͤbel,

Der ihn, wie du, fuͤr wunderthaͤtig und goͤttlich haͤlt, ſagteſt:

Merket darauf, er wird mich erwecken! So trete der Poͤbel

Auf dein Grab hin und ſpotte daſelbſt des Propheten und deiner:

Warum liegt ihr ſo ſtill, der Auferſtehung Gebeine?

Warum ſchlaͤfſt du ſo ewig, Gamaliel? Komm doch, du Frommer!

Komm doch hervor! Dich rufet der Mann, der Meßias, ins Leben!

Hoͤrſt du uns nicht? Und traͤumſt du vielleicht, wie vormals im Leben?

Alſo trete der Poͤbel auf deine Gebeine mit Hohn hin!

Dann ſteh dein Geiſt vor dem ernſten Gericht, und hoͤre ſein Urtheil!

Heb auch deinen gefuͤrchteten Arm auf und ſchlage den Suͤnder,

Schlage Nikodemum, Gott! Und vollende die Fluͤche,

Die ich zu Ehren dir that! Den andern, der nebſt ihm ſein Knie bog,

Leg auch ihn in den Staub, Gamaliel hin, wo der Tod wohnt!

Aber deinen grimmigen Zorn, worunter die Hoͤlle,

Wenn du dahergehſt, worunter die Berge der Erden erzittern,

Deine Donner die vor dir, und nach dir, und um dich her donnern!

Nimm, Gott, und ſchlag den noch groͤſſeren Suͤnder, den Nazaraͤer!

Jch bin jung geweſen, und bin zum Greiſe geworden,

Habe dir ſtets nach der Weiſe der V[aͤt]er gedient und geopfert:
Aber,
[117]Vierter Geſang.

Aber, Gott, laͤßt du mein ſterbendes Auge den Jammer erblicken,

Daß der Traͤumer von Nazaret ſiegt! Daß dein ewiger Bund nichts,

Daß nichts mehr dein Heiligthum gilt, und dein Eid und dein Segen,

Den du Abraham ſchwurſt, und nach ihm, den Abrahamiden:

So entſag ich hiermit, vor dem Antlitz des ganzen Judaͤa,

Deinem Recht und Geſetz! So will ich ohne Gott leben!

Ohne Gott, ſoll mein graues Haupt ſich, ins Grabmal hin legen!

Ja, wenn du vom Antlitz der Erde den Traͤumer nicht wegtilgſt:

So biſt du nicht Moſes erſchienen! So war es ein Blendwerk,

Was er im heiligen Buſch am Fuße des Horeb erblickte!

So ſtiegſt du auf die Spitze des Sina nicht wunderbar nieder!

So klang keine Poſaune! Kein Donner! So bebte der Berg nicht!

So ſind unſere Vaͤter und wir, ſeit undenkbaren Zeiten,

Unter den Voͤlkern der Welt die beweinenswuͤrdigſten Menſchen!

So iſt kein himmliſch Geſetz! So biſt du Jſraels Gott nicht!

Philo ſprachs, und trat grimmig zuruͤck. Und Nikodemus

Stand mit niederſchauendem Angeſicht. So, wie ein Mann ſteht

Welcher von Laſterhaften erduldet, und bey ſich den Vorzug

Und die Erhabenheit ſeiner Tugend und Unſchuld empfindet.

Ernſt iſt in ſeinem Geſicht; tief in der Seele der Himmel!

Jtzo dachte der goͤttliche Mann voll Gedanken der Ehrfurcht

An die heilige Nacht, wo allein mit ihm der Meßias

Von der Ewigkeit ſprach und von den Geheimniſſen Gottes:

Wo er tiefſinnig, mit Minen voll Seele, mit himmliſchen Laͤcheln

Neben ihm ſtand, und ſprach. Er ſah ſein Antlitz voll Gnade

Und den mehr als menſchlichen Geiſt der goͤttlichen Augen,
H 3Und
[118]Der Meßias.

Und die Enthuͤllung der anerſchaffnen und erſten Unſchuld;

Lichthelle Zuͤge des ewigen Bildes, den Sohn des Vaters!

Nikodemus ſtand ſtillanbetend, zu ſelig, vor Menſchen

Sich noch zu fuͤrchten. Ein maͤchtiges Feuer, ein Schauer vom Himmel,

Hub ihn empor. Es war ihm, als wenn er vor Anſchaun der Gottheit,

Vor der Verſam̃lung des Menſchengeſchlechts, und vorm Weltgericht ſtuͤnde.

Auf ihn ſchaute die ganze Verſammlung. Sein Auge voll Ruhe,

Voll des unwiderſtehlichen Feuers der furchtbaren Tugend,

Schreckte die Suͤnder. Sie fuͤhlten ihn grim̃voll. Er zwang ſie; ſie hoͤrten:

Heil mir! Daß ich mit meinen Augen dich, Goͤttlicher, ſchaute!

Heil mir! Daß ich, die Hofnung der Vaͤter, den Retter, erblickte!

Welchen zu ſehn, im Haine zu Mamre ſelbſt Abraham oftmals

Einſam ſeufzte: Den David, der Mann zum Beten geſchaffen,

Gern aus den Armen des Vaters herunter gebetet haͤtte!

Den, im Staube gebuͤckt, Propheten mit Thraͤnen verlangten,

Die Gott ſammelt und zaͤhlte! Den uns Unwuͤrdigen Gott gab!

Ja, du haſt die Himmel getheilt! Du kameſt hernieder

Unter dein Volk, es zu ſegnen, du Erſtgeborner des Vaters!

Oder, wie dieſe Maͤnner dich nennen, du Traͤumer, und Suͤnder!

Ach, unſchuldiger Mann, wer ſind ſie, die alſo dich nennen?

Und, wenn haſt du Luͤgen getraͤumt? Wenn haſt du geſuͤndigt?

Stand er nicht vor dem Geſicht der verſammelten Jſraeliten?

Standſt du nicht, Philo! dabey? Und rief er nicht alſo? und ſagte:

Wer kann einer Suͤnde mich uͤberzeugen? Wo war da,

Philo! der grimmige Zorn auf dieſen Lippen der Laͤſtrung?

Warum ſtandſt du, und um dich herum dein Haufen, ſo ſprachlos?

Erſt war ein uͤberall herrſchendes Schweigen, und wartende Blicke!
Wilde
[119]Vierter Geſang.

Wilde Geſichter voll Freude! Geſichter von ſorgender Furcht voll!

Still und verſtummend ſtand die Verſammlung, und wartete, bis ſich

Einer erhuͤb, und wider ihn zeugte. Da aber nicht einer

Unter dieſer ſo dichten Verſammlung unzaͤhlbarer Menſchen,

Wider den Goͤttlichen aufſtand, und zeugte: da hub ſich die Stimme

Des zuſegnenden Volks von allen Seiten gen Himmel,

Daß Moria davon, daß des Oelbergs waldichte Gipfel,

Von der Stimme des Rufens erbebten! Da drangen die Blinden,

Und die vormals Tauben herzu, und dankten und jauchzten!

Da kam ein unzaͤhlbares Volk, das er wunderbar vormals

Jn den Wuͤſten geſpeiſt hat, und dankte dem Menſchenfreunde.

Da rief unter dem Volk mit lauter Stimme der Juͤngling,

Den er vor Nains Thoren erweckte, der rief, und ſagte:

Du biſt warlich mehr, als ein Menſch, ohne Suͤnd und unſchuldig!

Du biſt Gottes Sohn! Dieſe Hand, die ich gegen dich ſtrecke,

War mir erſtarrt! Dieß Auge, das weint, das dir, Goͤttlicher, zuweint!

War mir geſchloſſen! Die Seele, die freudig und dankbar dir betet,

War nicht bey mir! Man trug mich hinaus zum Grabe der Todten!

Aber du gabeſt der ſtarrenden Hand, du gabeſt dem Auge

Leben und Feuer! Jch ſahe von neuem die Erd und den Himmel,

Und die zitternde Mutter bey mir! Du riefeſt die Seele

Wieder zuruͤck! Man trug mich nicht mehr zum Grabe der Todten!

Du biſt warlich, mehr als ein Menſch, ohne Suͤnd und unſchuldig!

Du biſt des Ewigen Sohn! Die Hoffnung der Jſraeliten!

Alſo rief er. Du aber ſtandſt ſtill, und ſchwiegſt und ſahſt nieder!

Warum verſtummteſt du ſo vorm Antlitz des ganzen Judaͤa?

Philo! … Zwar, was erzaͤhl ich dieß hier? Jhr wißt es ja alle!
H 4Haͤt-
[120]Der Meßias.

Haͤtteſt du Augen, zu ſehn! Und Ohren zu hoͤren, und waͤre

Nicht dein Verſtand mit Dunkel umhuͤllt, und dein Herz voll Vosheit:

O, ſo haͤtteſt du lange den Sohn des ewigen Vaters

Jn ihm erkannt! Und waͤrſt du hierzu, zu niedrig geweſen

Haͤtteſt du Gott doch geſcheut! Und tief im Staube gewartet,

Bis ihn der Richter der Welt vom Himmel gerechtfertigt haͤtte:

Oder uͤber ſein Haupt dem Untergange gerufen.

Religion der Gottheit! Du heilige Menſchenfreundinn!

Tochter Gottes, der Tugend erhabenſte Lehrerinn, Ruhe,

Beſter Segen des Himmels, wie Gott dein Stifter, unſterblich!

Schoͤn wie der Seligen einer! Suͤß, wie das ewige Leben!

Schoͤpferinn hoher Gedanken! Der Froͤmmigkeit ſeligſter Urquell!

Oder wie ſonſt noch ein Seraph dich, Unausſprechliche! nennet;

Wenn dein lichtheller Stral in edlere Seelen ſich ſenket:

Aber ein Schwert in des Raſenden Hand! des Bluts und des Wuͤrgens

Prieſterinn! Tochter des erſten Empoͤrers! Nicht Religion mehr!

Schwarz, wie die ewige Nacht! Furchtbar, wie das Blut der Erwuͤrgten,

Die du ſchlachteſt, und uͤber Altaͤren auf Todten dahergehſt!

Raͤuberinn des Donners, den Gottes rechte Hand ſich nur

Vorbehielt! Dein Fuß ſteht, tief auf der Hoͤlle, dein Haupt droht

Gegen den Himmel empor; wenn dich die Seele des Suͤnders

Ungeſtalt macht, wenn ein Menſchenfeind dich, zur Abſcheulichen, umſchaft!

Religion der Gottheit! Du alſo lehrſt uns den wuͤrgen,

Ohne den du nichts waͤrſt, den deine goͤttlichſten Kinder

Sangen, eh du zu Menſchen noch kamſt, entheiligt zu werden,

Deinen Stifter zugleich und deinen goͤttlichen Jnhalt,

Religion! Den lehrteſt du wuͤrgen? Das lehreſt du uns nicht!
Das
[121]Vierter Geſang.

Das ſey ferne von dir, die du des Ewigen Kind biſt,

Stifterinn des Friedens! Heil Gottes! Bund! Ewiges Leben!

Meine Seele bewegt ſich in mir! Mein bebendes Knie ſinkt,

Schwermut, und Mitleid, und Angſt, erſchuͤttern meine Gebeine,

Wenn ich dieß alles in ernſten Betrachtungen uͤberdenke.

Und ein Abſcheu vor Menſchen, ein Schauer vor denen, die Gott ſchuf,

Ueberfaͤllt mich, ſo oft ich bedenke, wie wenig ihr dieſes

Bey euch empfindet, wie niedrig ihr ſeyd, nur menſchlich zu fuͤhlen;

Wie ohnmaͤchtig, die Religion, und die Mordſucht zu ſondern,

Und wie poͤbelhaft klein, die lichten Stralen der ſchoͤnen

Und der liebenswuͤrdigen Unſchuld, nur dunkel zu ſchauen!

Zwar was ſorget die Unſchuld, von euch geſehen zu werden!

Gott ſieht ſie, der Himmel mit Gott! Sie wird nicht erzittern,

Wenn ſie niedrige Suͤnder verdammen! Wenn Seraphim daſtehn,

Und ſie bewundern, wenn hoch vom Olymp ihr der Ewige laͤchelt;

Wenn wir alsdann, in unſerm einheimiſchen niedrigen Staube,

Stehn, und wider ſie zeugen: wie klein und verachtungswuͤrdig

Werden wir daſtehn, und wider ſie zeugen! Und wenn im Gericht einſt,

Wenn einſt vor der ganzen Verſammlung erwachender Todten,

Seraphim dahergehn, und da ſtehn, und wider uns zeugen;

Wenn die Stimme der Cherubim ruft, und auf uns donnernd,

Gottes Heilige nennt; wenn Gott ſpricht, und ſeine Gerechten

Zu ſich, im hohen Triumph, zu ſeiner Herrlichkeit, einfuͤhrt:

O, wie werden wir da den Huͤgeln flehen: Bedeckt uns!

Und den Bergen: Fallt uͤber uns her! Und den Meeren: Verſchlingt uns!

Und dem Verderben: Vernicht uns, Verderben! Daß die uns nicht ſehen,

Die wir verdammten! Daß ſie uns nicht ſehen die ſchrecklichen Frommen!
H 5Daß
[122]Der Meßias.

Daß uns der Vater ſo furchtbarer Kinder im Grimme nicht anſchau!

Staͤrke mich groſſer Gedanke, Gedanke vom Weltgerichte!

Sey mir ein Berg Gottes, zu dem ich fliehen kann, wenn mich,

Sterbender Meßias! Dein letzter Anblick erſchuͤttert.

Ach, ich fuͤhl es zu ſehr, wie meine Seele bewegt wird,

Welch ein zweyſchneidiges Schwert auf meinen Scheitel daher blinkt,

Wenn ich deinen annahenden Tod von ferne betrachte!

Ach vergebens, erhabner Gedanke! Vergebens erhoͤhſt du

Meine Seele! Dem fuͤhlenden Herzen, dem Herzen voll Mitleids,

Voll von Jammer, voll Angſt, ſind deine Donner nicht hoͤrbar!

Du ſollſt ſterben, du goͤttlicher Juͤngling! Du, welchen mein Arm hielt,

Als du ein Knabe noch warſt; umſchloſſen hielt dich mein Arm da,

Druͤckte dich an mein Herz, du aber ſagteſt voll Wehmut:

Wenn doch alle Menſchen durch mich gluͤckſeliger wuͤrden!

Um dich ſtanden die Weiſen herum, und hoͤrten dich lehren,

Und bewunderten dich! Unfehlbar ſtand auch der Himmel,

Aus den ewigen Pforten, zu Legionen, gegoſſen,

Um dich herum, und hoͤrte dich lehren, und jauchzte dir Lieder!

Dein Arm weckte die Todten, dein Auge gebot den Gewittern,

Und die Gewitter gehorchten dir gern. Da ruhte der Sturmwind!

Du erhubſt dich, und giengeſt daher, da ſanken die Waſſer,

Wie Gebirge, vor dir, und wurden Ebnen! Da giengſt du

Auf der Stille der Waſſer! Die Himmel ſahen dich wandeln,

Du ſollſt ſterben? … So ſtirb dann! Wenns deines erhabenen Vaters

Heiliger Rathſchluß iſt, ſtirb! Jch aber will gehen, und weinen

An dein Grab hin! Zum heiligen Quell der Bethlehemiten,

Wo dich Maria gebar, da will ich weinen und ſterben!
Beſter
[123]Vierter Geſang.

Beſter unter den Menſchen! Sohn Gottes! Engel des Bundes!

Theurer Juͤngling! … Mein Ende ſey, wie dein Ende! Mein Grab ſey,

Bey dem Grabe dieſes Gerechten! Nah bey den Gebeinen,

Die in Sicherheit ruhn, und zum ewigen Leben erwachen!

Doch, was ſaͤumet mein Fuß aus dieſer Verſammlung zu gehen?

Heilig und rein geh ich von euch hinaus! Gott hat mich gehoͤret!

Rein des gerechten unſchuldigen Bluts! Nun rufe mich zu dir,

Richter der Welt! Jch habe kein Theil am Rathe der Suͤnder!

Alſo ſpricht er, bleibt wiederum ſtehn, faͤllt nieder, und betet:

Der du vor Abraham warſt, Meßias! Sey du auch mein Zeuge,

An dem Tage des groſſen Gerichts! Dich bet ich, als Gott, an;

Und er ſtand auf, und redte zu Philo; ſein Antlitz war heiter,

Wie der Seraphim Angeſicht iſt. Du haſt mir gefluchet!

Aber ich ſegne dich, Philo! Der hats mich alſo gelehret,

Den ich, als Gott, anbetete. Philo, vernimm mich, und kenn ihn!

Wenn du nun ſterben willſt, Philo! Wenn itzt des Unſchuldigen Blut dich

Schreckt, und auf dich, wie ein Weltmeer herabſtuͤrzt! Wenn deinem Ohre,

Wie ein Wetter des Herrn, die Stimme der Rache donnert!

Wenn du nun hoͤren wirſt um dich herum im Dunkeln dahergehn

Gottes Fußtritt, den eiſernen Gang des wandelnden Richters,

Und den Kriegsklang der Panzer um ihn! Des blinkenden Schwerts Schlag,

Welches er wetzt, und den trunkenen Pfeil vom Blute der Suͤnder!

Wenn von Gottes Angeſicht her die Todesangſt ausgeht,

Und dich erſchuͤttert! Wenn mit ganz andern Gedanken die Seele

Jtzt erfuͤllt iſt! Und um dein ſtarres ſterbendes Auge

Lauter Gericht iſt! Wenn du dich alsdenn vor dem toͤdtenden Richter

Windeſt und kruͤmmſt, und mit bebender Stimme lautweinend zu Gott flehſt
Um
[124]Der Meßias.

Um Erbarmung: ſo hoͤre dich Gott, und erbarme ſich deiner!

Alſo ſagt er, und geht durch ſie hin. Jhn begleitete Joſeph.

Aber Jthuriel ſah Nikodemum, den goͤttlichen Mann, gehn.

Und der Seraph erhub ſich und gieng in hoher Entzuͤckung

Mit weit ausgebreiteten Armen. Sein freudiges Auge

Schaute gen Himmel nach Gottes Thron hin. Ein goͤttliches Laͤcheln

Hellte die ſelige Stirn, und unausſprechliche Freude

Floß um ſein Haupt, da er gieng. So, wie der Himmliſchen einer,

Der, als Waͤchter, zween Liebende ſchuͤtzt, die edler ſich lieben,

Tief verloren in ſeiner Entzuͤckung, auf bluͤhenden Huͤgeln,

Unten am ewigen Thron ſteht, wenn Seraph Eloa vor Gott ſingt,

Und der toͤnenden Harfe die himmliſche Sprache gebietet.

Von der Belohnung der Tugend, vom Widerſehen der Freunde

Und der Liebenden ſingt dann Eloa. Der laͤchelnde Seraph

Stehet entzuͤckt. Die Harfe toͤnt fort mit gefluͤgelten Stimmen,

Schlag auf Schlag, Gedank auf Gedanke! Der hoͤrende Juͤngling

Jauchzt, und zerfließt im ſuͤßen Gefuͤhl unausſprechlicher Freuden.

Alſo entzuͤckt ſtand Jthuriel da, und ſprach zu ſich ſelber:

Welche Seligkeit wird, nach des Mittlers Tode, dich kroͤnen;

Wenn du ſolche unſterbliche Seelen, o Menſchengeſchlecht, haſt!

Und nun bald die Chriſten ſo ſind, wie dieſer Gerechte!

Dieſes ſagt er, und achtet nicht Satan, ihn hoͤren zu laſſen,

Was er ſagt. Doch Satan erblickt ihn in ſeiner Entzuͤckung,

Und empfand den gewiſſen Triumph des erhabneren Seraphs.

Aber Nikodemus gieng neben Joſeph und ſagte,

Als er von ihm ſich wandte: du aber ſchaͤmteſt dich ſeiner,

Theurer Joſeph! Das gieng ihm durchs Herz. Der froͤmmere Joſeph
Hatte
[125]Vierter Geſang.

Hatte geheim ſchon geweint, daß er unentſchloſſen verſtummt war.

Zitternd gieng er von Nikodemus, und konnte vor Wehmut

Gar nicht ſprechen. Er hub nur ſein Auge voll Unſchuld gen Himmel.

Nikodemus ließ die Verſammlung ſtaunend zuruͤcke,

Und, auf den Tag des Gerichts, mit Wunden der Seele gebrandmarkt;

Wunden, deren Gefuͤhl ſie itzt zu betaͤuben ſich zwangen,

Aber die offen ſeyn werden, weit offen, den Tag der Vergeltung,

Ewig zu bluten, wenn nun der Zeuge nicht mehr betaͤubt wird,

Den der Richter der Welt ins Herz des Menſchen geſandt hat.

Alle ſchwiegen. Es haͤtte ſich itzt die Verſammlung getrennet;

Waͤre nicht eben ein Juͤnger von dem, den ſie haßten, gekommen.

Judas Jſchariot ward hereingefuͤhret. Sie ſahn ihn

Voll Verwundrung die Reihn der tiefen Verſammlung vorbeygehn,

Und mit ruhiger Mine dem Hohenprieſter ſich naͤhern.

Der empfieng ihn, und neigte ſein frohes Antlitz auf Judas.

Judas ſpricht ins Geheim mit dem Hohenprieſter. Der kehrt ſich

Zu der Verſammlung und ſagt: noch ſind in Jſrael uͤbrig,

Die ihr Knie vor dem Goͤtzen nicht beugen. Der Mann iſt ſein Juͤnger,

Und doch herzhaft genug, daß Geſetz der Vaͤter zu halten!

Er verdienet Belohnung! Jſchariot nahm die Belohnung.

Und, erfuͤllet von Stolz, daß ihn die Vaͤter ſo ehrten,

Gieng er aus der Verſammlung! Nur war ihm der Lohn zu geringe.

Doch ermuntert er ſich mit der Hoffnung, mehr zu beſitzen,

Wenn er mit Eifer und Weisheit die That erſt ausgefuͤhrt haͤtte.

Philo ſah den Juͤnger vorbeygehn, und haßt ihn. Daß einer

Von den Geringen des Volks an ſeiner Ehre den Antheil

Nehmen ſollte, das quaͤlt ihn. Doch ſah er mit winkendem Laͤcheln
Au
[126]Der Meßias.

Auf ihn herab, und feuert ihn an, unmenſchlich zu werden.

Lange ſchaut er Jſchariot nach. So ſchaut dem Erobrer,

Der in die Schlacht eilt, der Erſtling der Moͤrder, mit Spott u. Triumph nach.

Dieſer wars, der zuerſt ihn ruhige Grauſamkeit lehrte,

Und der Menſchlichkeit zartes Gefuͤhl zum Poͤbel herabſtieß.

Jtzo flattern Phantomen des ewigen Ruhms um ſein Auge!

Bluͤhende Lorbern entſproſſen des Siegers Stirne. Nur Menſchen,

Die, dem Unſterblichen nachzuahmen, auch Thiere, wie er, ſind,

Haͤlt er ſchaͤtzbar. Es fliegt der Loͤwe, den Tod zu gebieten.

Schon ertoͤnen ihm ſuͤß im Ohre des eiſernen Feldes

Dumpfe Gewitter! Schon hoͤrt er geſetzt der Sterbenden Winſeln!

Und erinnert ſich nicht, daß er auch ein Chriſt war geboren,

Und des Weltgerichts Donner auch ihn mit den Todten wird wecken!

Judas, vom Aug und den Wuͤnſchen des Phariſaͤers begleitet,

Und in goldene Traͤume vertieft, gieng, Jeſum zu ſuchen.

Jeſus koͤmmt aus den Schatten des nahen Kidron, und wandelt

Durch die Palmen im Thal. Er ſieht Jeruſalem liegen,

Und den Tempel, ſein Bild; ſieht ſeiner Feinde Verſammlung,

Und die Erſten der Chriſten. Seht da die Zeuginn! (So ſprach er

Zu den Juͤngern,) Jch weine nicht mehr um Jeruſalems Kinder.

Schaut der Heiligen Graͤber! Die alle hat ſie getoͤdtet.

Zwar von ihren Soͤhnen ſind viel, die werden einſt mein ſeyn,

Meine Zeugen mit euch! Jtzt will ich ruhig den Rathſchluß

Meines Vaters vollenden. Bald wird euch alles enthuͤllt ſeyn.

Geh du, Petrus, und du, Johannes, geht beyde zur Stadt hin.

Euch wird in Jeruſalems Mauern ein Juͤngling begegnen;

Einen Waſſerkrug traͤgt der Juͤngling, und ſieht ſich verwundernd
Oft
[127]Vierter Geſang.

Oft nach euch um, und liebet die beyden Fremdlinge! Folgt ihm,

Wo er hingeht. Und, kommt ihr ins Haus, ſo ſagt dem Bewohner:

Unſer Lehrer ſendet uns her, das Feſt hier zu feyern.

Und der redliche Mann wird auf einen erhabenen Saal euch

Eilig fuͤhren. Der iſt ſchon bereitet. .. Es fanden die Juͤnger

Alles ſo, und ließen das Lamm zum Male bereiten.

Petrus ſaͤumte ſich nicht, das Mal bereiten zu ſehen,

Eilt auf den hohen Soͤller des Hauſes, und ſchaute mit Sehnſucht

Nach der Seite der Stadt, die auf Bethanien fuͤhrte,

Jeſum kommen zu ſehn. Da er ſo mit gefluͤgeltem Blicke

Jede Ferne durcheilt, da ſieht er die liebende Mutter

Seines Meßias, von wenigen Freunden begleitet, dahergehn.

Muͤd und voll Schmerz, (ſie hatte den Sohn ſchon Tage geſuchet,

Vielmehr Naͤchte geweint!) Doch durch den Schmerz nicht entſtellet,

Gieng die hohe Maria, unwiſſend der eigenen Wuͤrde,

Die die Unſchuld ihr gab, und ſtrenge Tugend bewachte;

Reines Herzens, vom Stolz nie entehrt, die menſchlichſte Seele!

Wuͤrdig, wenns eine der Sterblichen war, der Toͤchter von Eva

Erſtgeborne zu ſeyn, waͤr Eva unſchuldig geblieben:

Hoch, wie ihr Lied, holdſelig, wie Jeſus, und von ihm geliebet.

Und ſie gieng von Freunden umgeben, die immer ihr folgten.

Lazarus, den der Meßias vor kurzem vom Tode erweckte,

Lazarus himmliſch geſinnt, und gewiß des ewigen Lebens,

Gieng am naͤchſten bey ihr. Sein niederſchauendes Auge

Schaute Tiefſinn herab, mit einer Hoheit vereinbart,

Die, unausſprechlich der Sprache des Menſchen, nur ſterbende Chriſten

Fuͤhlen, und durch Laͤcheln im Tode beym Namen ſie nennen.
Laza-
[128]Der Meßias.

Lazarus dachte den Tod, und die Auferſtehung vom Tode.

Da er, wie zu des Ewigen Anſchaun, zum großen Meßias,

Aus dem Staube, gefaßt vom Schauer Gottes, heraufſtieg.

Seine Schweſter, die junge Maria, die Hoͤrerinn Jeſu,

Die, in ihrer Unſchuld und Ruh vor ihn hingegoſſen,

Da den ewigern Theil zu ſeinen Fuͤßen erwaͤhlte,

Dieſe folgte dem himmliſchen Bruder. Jhr ruhiges Antlitz,

War mit Todesblaͤſſe bedeckt. Jm Auge voll Wehmut,

Hielt ſie die ruͤhrendſte Thraͤne zuruͤck, die jemals geweint ward.

Von Nathanael, ihrem Geliebten, dem Jeſus den Namen

Des Rechtſchaffenen gab, zu ihrem himmliſchen Bruder,

Welcher geſtorben, und ihr von den Todten wieder geſchenkt war,

Zitterten hin und wieder des heiligen Maͤdchens Gedanken.

Ruhig fuͤhlt ſie den kommenden Tod. Um Nathanaels willen,

Nur um ihres himmliſchen Bruders, um Lazarus willen,

Trauert ſie wegen der Blaͤſſe, von der die Geſpielinn oft redet.

Neben ihr gieng die ſittſame Cidli, die Tochter Jairus.

Still in Unſchuld waren ihr kaum zwoͤlf Jahre verfloſſen,

Als, aus dem jungen Leben wegbluͤhend, ſie heiter und freudig

Jn die Gefilde des Friedens hinuͤber ſchlummerte. Todt lag

Cidli vor dem Auge der Mutter. Da kam der Meßias,

Rief ſie aus dem Schlummer zuruͤck, und gab ſie der Mutter.

Heilig traͤgt ſie die Spuren der Auferſtehung; doch kennt ſie

Jene Herrlichkeit nicht, mit der ihr Leben gekroͤnt iſt,

Nicht die zart aufbluͤhende Schoͤnheit der werdenden Jugend

Noch ihr goͤttliches Herz, dir, edlere Liebe, gebildet.

So gieng, da ſie erwuchs, der Jſraelitinnen ſchoͤnſte,
Sula-
[129]Vierter Geſang.

Sulamith, als die Mutter ſie unter dem Apfelbanm weckte,

Wo ſie die Tochter gebar, die hernach hier auch Salomo weckte.

Sanft rief ſie der ſchlummernden Tochter; mit lispelnder Stimme

Rief ſie: Sulamith! Sulamith folgte der fuͤhrenden Mutter,

Unter die Myrrhen, und unter die Schauer einladender Schatten,

Wo, in Wolken ſuͤßer Geruͤche, die himmliſche Liebe

Unſichtbar ſtand, in ihr Herz die erſten Empfindungen hauchte,

Und das verlangende Zittern ſie lehrte, den Juͤngling zu finden,

Der, erſchaffen fuͤr ſie, dieß heilige Zittern auch fuͤhlte.

So gieng Cidli. Sie hieng an der Hand der jungen Maria.

Aber die Mutter Jeſu erhub ihr Antlitz und ſahe

Petrum ſtehn. Da eilte ſie ſchnell, den Meßias zu finden.

Petrus war in den Saal herunter gegangen, und kam ihr

Mit Johannes entgegen. Sie ſahn ſie kommen, und ſtaunten,

Als ſie ſie ſahn. So viel ſprach von dem Adel des Geiſtes

Jhre Bildung! So hatte ſie der mit Wuͤrde bekleidet,

Der, eh er Menſch ward, Schoͤpfer geweſen, und wieder es ſeyn wird,

Wenn er neue, nicht ſterbliche Leiber den ewigen Seelen

Aus dem Staube der Auferſtehung wird heißen hervorgehn?

Jhre Begleiterinnen, die unter den Toͤchtern Judaͤa

Zwo der liebenswuͤrdigſten waren, und werth, von der Mutter

Des Propheten geliebt, und uͤbertroffen zu werden,

Giengen mit ſanfter vertraulicher Demuth neben Maria.

Wie vor allen Bergen Judaͤa Tabor hervorragt,

Und ein Zeug iſt der Herrlichkeit Jeſu; zwar ruhet auch Sion

Lieblich vor Gott; zwar nahm auch der Oelberg den großen Meßias

Auf, wenn er rang im Gebet; zwar traͤgt auch die Stirne Moria
JHoch
[130]Der Meßias.

Hoch das allerheiligſte Gottes, und zittert darunter:

Aber vor allen Bergen Judaͤa iſt Tabor doch herrlich,

Tabor, verbreitet vor Gott, ein Zeuge der hohen Verklaͤrung.

Alſo war unter den goͤttlichen Frauen die hohe Maria.

Als ſie bey ſeinen geliebteſten Juͤngern Jeſum nicht ſahe,

Blieb ſie wehmutsvoll ſtehn …. Da ſie zu reden vermochte,

Wandte ſie gegen Johannes ihr Antlitz, und laͤchelte weinend:

Ach, den mein Arm getragen, der oft mit kindlichem Blicke

An mein Herz ſich geneigt hat, zwar zittr’ ich, Sohn ihn zu nennen!

Denn er iſt viel zu erhaben fuͤr eine ſterbliche Mutter!

Viel zu wunderthaͤtig und groß, von Maria gebohren,

Und geliebet zu ſeyn! Wo iſt er, theurer Johannes,

Wo iſt Gottes Sohn, unſer Prophet? Jch hab ihn ſchon lange

Ueberall aͤngſtlich geſucht, daß er nicht nach Jeruſalem komme,

Jn die entheiligte wuͤtende Stadt. Sie wollen ihn toͤdten!

Ach, ſie wollen ihn toͤdten, den meine Haͤnde getragen,

Meine Bruͤſte geſaͤugt, den meine weinenden Augen

Muͤtterlich angeblickt haben, als er ein bluͤhendes Kind war.

Sanft erwiedert der fromme Johannes: er hat uns befohlen,

Hier ihm ein Mahl zu bereiten, das Lamm des Bundes zu ſchlachten.

Bald wird er ſelbſt von Bethanien kommen. Erwart ihn, Maria!

Rede mit ihm, wenn er koͤmmt, was dir dein Herz dann gebietet,

Das ſo muͤtterlich iſt, ſo wuͤrdig unſers Propheten!

Alle ſchwiegen, und Lazarus Schweſter, die junge Maria,

Neigte ſich ſanft an ihre geliebteſte Cidli; ihr Bruder

Stand bey Cidli, und ſah mit ſchweigender Traurigkeit nieder.

Dieſe kannte den Schmerz, der lange ſchon Lazarus Herz traf,
Und
[131]Vierter Geſang.

Und ſie blickte ſeitwaͤrts ihn an, und ſah die Empfindung

Seiner Seelen im Auge voll Wehmut, ſahe die Hoheit,

Welche mit Zuͤgen der Himmliſchen ſchmuͤckt die leidende Tugend.

Da zerfloß ihr das Herz, und lispelte dieſe Gedanken:

Edler Juͤngling, um mich bringſt du dein Leben mit Wehmut,

Deine Tage mit Traurigkeit zu! Ach, war ichs auch wuͤrdig?

Daß du ſo himmliſch mich liebſt, wars deine Cidli auch wuͤrdig?

Lange ſchon wuͤnſch ich, die Deine zu ſeyn, und von dir zu lernen,

Wie ſie ſo ſchoͤn iſt, die ſelige Tugend! Dich zaͤrtlich zu lieben,

Wie zu den Zeiten der Vaͤter die Toͤchter Jeruſalems liebten;

Wie ein jugendlich Lamm um deine Winke zu ſpielen;

Gleich den Roſen im Thal, die der fruͤhe Tag ſich erziehet,

So in deiner reinen Umarmung gebildet zu werden,

Dein zu ſeyn, und dich ewig zu lieben! Ach, meine Mutter,

Warum geboteſt du doch das himmliſche ſtrenge Gebot mir?

Zwar ich ſchweig, und gehorche der Weisheit der liebenden Mutter,

Und der Stimme Gottes in ihr! Dem bin ich gewidmet!

Jch bin auferſtanden! Jch bin zu heilig, die Mutter

Sterblicher Soͤhne zu werden! Nur du muſt deine Betruͤbniß,

Deine zaͤrtlichen Klagen, du edler Juͤngling, auch mindern!

Wuͤrde doch meinem Leben der Troſt noch einmal gegeben,

Daß ich in deinem Geſicht das ſuͤße Laͤcheln erblickte,

Da du keine Thraͤnen noch kannteſt, als Thraͤnen der Freude,

Da du ein Knabe noch warſt, und ich aus dem ſchmeichelnden Arme

Deiner ſchoͤnen Schweſter, Maria, in deinen Arm hinflog.

Alſo denkt ſie. Es bricht ihr das Herz, ſie kann ſich nicht halten,

Stille Thraͤnen zu weinen. Es ſah ſie Lazarus weinen,
J 2Ob
[132]Der Meßias.

Ob ſie mit ihrem ſilbernen Schleyer ihr Antlitz gleich deckte.

Lazarus geht ſtill aus der Verſammlung, und da er hinauskoͤmmt,

Sieht er mit traurigem Angeſicht nieder, und denkt bey ſich ſelber:

Warum weint ſie? Jch konnte ſie laͤnger weinen nicht ſehen,

Denn es brach mir mein Herz! Ach, theure zaͤrtliche Thraͤnen,

Schoͤne Thraͤnen, ſo ſtill, ſo zitternd im Auge gebildet!

Waͤre nur eine von euch um meinentwillen geweinet;

O ſo wollt ich noch ſelig mich preiſen. Jch klage noch immer,

Jmmer um ſie! Mein Leben voll Quaal, mein trauriges Leben,

Jſt noch immer von ihr, ein einziger langer Gedanke!

O du! welches in mir unſterblich iſt, dieſer Huͤtte

Hohe Bewohnerinn, Seele, Hauch Gottes, Tochter des Himmels,

Des Erſchaffenden Bild, der nahen Ewigkeit Erbinn!

Oder wie ſonſt dich bey deiner Geburt die Unſterblichen nannten,

Red, ich frage dich, lehre du mich! Enthuͤlle das Dunkle

Meines Schickſals! Eroͤfne die Nacht, die uͤber mich herhaͤngt!

Red, ich frage dich, antworte mir! Jch bin muͤde, zu weinen!

Muͤd, in ewige Wehmut ergoſſen, mein Leben zu trauern!

Muͤde des unausſprechlichen Kummers! Der Todesangſt muͤde!

Warum fuͤhl ich in mir, wenn ich die Unſterbliche ſehe,

Oder, von ihrem himmliſchen Anblick entfernet, ſie denke,

Warum fuͤhl ich alsdann, im hoch aufwallenden Herzen,

Neue Gedanken, von denen mir vormals keiner gedacht war?

Bebende, ganz in Liebe zerfließende, große Gedanken!

Jeden von ihnen mit ſeligem Laͤcheln und Hoheit bekleidet!

Jeden mit Klarheit umſtralt, und der Unvergaͤnglichkeit wuͤrdig!

Tauſend bey tauſend ſteigen ſie auf, wie auf goldenen Stufen,
Hoch
[133]Vierter Geſang.

Hoch gen Himmel, ſich unter der Engel Gedanken zu miſchen.

Warum weckt von der Lippe der Cidli die ſilberne Stimme,

Warum vom Auge der maͤchtige Blick, mein ſchlagendes Herz mir

Zu Empfindungen auf, die mich allmaͤchtig ergreifen?

Die ſich rund um mich her, wie in helle Verſammlungen, draͤngen,

Jede, gleich einer ſchoͤnen That, edel, und rein, wie die Unſchuld!

Warum decket der Schmerz, mit mitternaͤchtlichem Fluͤgel

Ewig mein Haupt; und begraͤbt mich hinab in die Schlummer des Todes?

Ach, dann ſitz ich, und weine, hin auf mein Grabmal gebeuget,

Meinen Jammer. Mir horchet die ſchauernde Todesſtille.

Oft will ich dann mit gewaltigem Arm den Kummer beſtreiten.

Meine Seele verſammelt in ſich die Empfindungen alle,

Die ihr, von ihrer hohen Geburt, und Unſterblichkeit zeugen.

Sey, (ſo red ich ſie an,) ſey wieder dein, die du himmliſch,

Die du biſt unſterblich erſchaffen! So red ich ihr Hoheit

Und Standhaftigkeit zu. Sie aber verſtummt, ſich zu troͤſten,

Schaut auf ihre Wunden herab, und weinet, und zittert.

Warum bin ichs allein, der ſo ewig, ungeliebt, liebet?

Warum erhebt ſich mein Herz, auch uͤber die edelſten Herzen,

Groß und elend zu ſeyn? Was iſt, das in mir, das noch immer,

Sie beym Namen mir nennt? Will ich ihr Gedaͤchtniß vertilgen!

Welche Stimme Gottes iſt das? Die mit heiligem Lispeln,

Und mit Harmonien, den zaͤrtern Seelen nur hoͤrbar,

Meinem Herzen leiſe gebietet, ſie ewig zu lieben!

Und ſo will ich denn ewig dich lieben! Du ſeyſt noch ſo ſchweigend,

Noch ſo verſtummend vor mir! Ach, da ichs, Cidli, noch wagte,

Zitternd zu denken, du ſeyſt mir geſchaffen; wie war ich ſo ſelig!
J 3Welchen
[134]Der Meßias.

Welchen Himmel erſchuf ſich mein Geiſt, wenn du, Cidli, mich liebteſt!

Welche Gefilde der Ruh um mich her! O, darf ich noch einmal,

Suͤßer Gedanke, dich denken? Und wird dich mein Schmerz nicht entweihẽ?

Du warſt, Goͤttliche, mein! Durch keine kuͤrzere Dauer,

Als durch die Ewigkeit, mein! Das nannt ich, fuͤr mich geſchaffen!

Jeder Tugend erhabenen Wink, der mir unſichtbar ſonſt war,

Lernt ich durch deine Liebe verſtehn! Mit zitternder Sorgfalt

Folgte mein Herz dem gebietenden Winke. Die Stimme der Pflichten

Hoͤrt ich von fern! Jhr werdendes Lispeln, ihr Wandeln im Stillen,

Jhren goͤttlichen Laut, wenn keiner ſie hoͤrte, vernahm ich!

Und nicht umſonſt! Wie ein Kind voll Unſchuld, mit biegſamen Herzen,

Folgt ich dem leichten Geſetz, der ſanft gebietenden Stimme,

Daß ich deinen Beſitz, die du mir theurer, als alles,

Was die Schoͤpfung hat, warſt, durch keinen Fehltritt entweihte.

Gott ſelbſt liebt ich noch mehr, weil du ſein hohes Geſchenk warſt;

Weil ich, wie auf Fluͤgeln, von deiner Unſchuld getragen,

Naͤher dem Liebenswuͤrdigen kam, der ſo ſchoͤn dich gebildet,

Der ſo fuͤhlend mein Herz, und deins ſo himmliſch gemacht hat.

Wie, ganz in Entzuͤckungen aufgeloͤſt, deine Mutter,

Da du gebohren warſt, uͤber dir hieng, und wie ſie ſich neigte

Ueber dein Antlitz mit Todesangſt hin, da du ihrer Umarmung

Still entſchlummerteſt, und ſie den Schall der kommenden Fuͤße

Noch nicht vernahm, noch die lockende Stimme des Helfers in Juda:

So hat meine Seele ſich oft mit jeder Empfindung

Und mit jeder Entzuͤckung in ihr, die ſie maͤchtig erſchuͤttert,

Auf den großen Gedanken gerichtet: du ſeyſt ihr geſchaffen!

Ausgebreitet hieng uͤber ihn hin; die ſchauende Seele
Sah
[135]Vierter Geſang.

Sah ihn ganz, den Gedanken der Ewigkeit; ſahe den Endzweck

Jhres Daſeyns in ihm; von einer Seligkeit trunken,

Welche ſelten ins Herz des Menſchen vom Himmel herabſteigt.

Aber in Traurigkeit, welche kein Maß, kein endendes Ziel kennt,

Und in Schauer der Angſt ohne Namen, in Schlummer des Todes,

Loͤſte meine Seele ſich auf, wenn ich jenen Gedanken,

Jenen andern Gedanken der Nacht und der Einſamkeit, dachte!

Ach, dann war ich von allen verlaſſen! Dann war ich ganz einſam!

Du warſt mir nicht mehr da! Jch war allein in der Schoͤpfung!

O, bey allem, was heilig iſt! Um der Tugend und Liebe,

Um der Goͤttlichkeit willen, die deine Seele voll Unſchuld

Ueber den Staub der Erden erhoͤht: Und wenn was noch theurer,

Wenn was erhabner noch iſt: bey deinem Erwachen vom Tode,

Und bey jeder Unſterblichkeit, die du mit Lichte bekleidet,

Unter des Himmels Bewohnern wirſt leben! Ach, um der Kronen,

Um der Tugend Belohnungen willen, beſchwoͤr ich dich, Cidli!

Sage, was denkt da dein Herz? Was fuͤhlt es? Wie iſt es ihm moͤglich?

Dieß mein Herz, das ſo liebt, mein blutendes Herz zu verkennen!

Um die Mitternachtzeit, bey daͤmmernden traurigen Lampen,

Jn die Stille des Todes verhuͤllt, auf meinem Grabe,

Saß ich, und forſchte den baͤngſten Gedanken durch ihr Labyrinth nach,

Und verſtummte. Wie hat mich der Schmerz mit ehernen Mauren

Jn mich hinein verſchloſſen; und meinen bluͤhenden Jahren

Jhre Kronen geraubt; und das Antlitz der laͤchelnden Freude

Vor dem Verlaſſenſten unter den Menſchen auf ewig verborgen!

Schau her, der du mich ſchufſt! Jſt unter den baͤngſten der Schmerzen

Meinem Schmerz ein Schmerz zu vergleichen? Jch lag ja im Sichern,
J 4Zu
[136]Der Meßias.

Zu den Todten hinunter begraben, im Schoße der Erde,

Welche mit Mutterhaͤnden den muͤden Wanderer aufnimmt,

Seine Thraͤnen, und ihn! Wie iſt mein dauernder Jammer

Ohne Maß! Jch verkenne die Herrlichkeit meines Lebens!

Und die Stimme des Sohnes Gottes, die zu mir hinabkam

Jn die Graͤber! Vergebens vernahm ich den Fußtritt der Allmacht,

Jhren donnernden Gang, daß jeder gebeinvolle Huͤgel

Unter mir bebte, daß uͤber mir klangen die Halleluja

Derer, die niemals die Schauer der Auferſtehung empfanden.

Hier verſtummt er, und neigte ſein Haupt, und verhuͤllte ſein Antlitz.

Aber die Mutter Jeſu ſtand auf. Er koͤmmt nicht, Johannes,

Sagte ſie aͤngſtlich; ich eil ihm entgegen. Wenn ihn nun die Mordſucht

Seiner Feinde nicht ſchon zu den todten Propheten geſandt hat!

Wenn er noch lebt, wenn mein Sohn noch lebt, und wenn ich es werth bin,

Jhn noch einmal zu ſehn; mit meinen Augen zu ſchauen,

Des Propheten Geſtalt, und meines Sohnes Geberde!

Und dann ſein gnaͤdiges Antlitz auf ſeine Mutter noch einmal

Wuͤrdigt herunter zu laͤcheln; ſo will ich zitternd es wagen,

Hin zu ſeinen goͤttlichen Fuͤſſen … (Es hat ja begnadigt

Magdale Maria zu ſeinen Fuͤſſen geweinet,

Die doch ſeine Mutter nicht iſt!) Da will ich es wagen,

Zitternd mich nieder zu werfen! Jch will ſie feſt an mich halten,

Und laut weinen! Und wenn dann mein Auge ſich muͤde geweint hat,

Will ich muͤtterlich ihn in ſein Antlitz anſehn, und ſagen:

Um der Thraͤnen willen, der Erſtlinge deiner Erbarmung,

Die du, als du geboren warſt, weinteſt! Um jener Entzuͤckung,

Jener Seligkeit willen, die in mein Herze ſich ausgoß,
Da
[137]Vierter Geſang.

Da die Unſterblichen deine Geburt im Triumphe beſangen!

Wenn ich dir jemals bin theuer geweſen, und wenn du dran denkeſt,

Wie du mit kindlicher Huld der Mutter Freude belohnteſt,

Als ich nach bangem Suchen dich fand; an der heiligen Staͤtte,

Unter den Prieſtern, die dich mit ſtummer Bewunderung anſahn!

Wie ich jauchzend, mit offenen Armen, entgegen dir eilte,

Tempel und Lehrer nicht ſah, nur dich ans Herze gedruͤckt hielt,

Und anbetend mein Auge, zu dem, der ewig iſt, aufhub!

Ach, um dieſer himmliſchen Freude, der Ewigkeit Vorſchmack!

Aber du blickſt mich nicht an! .. Um deiner Menſchlichkeit willen,

Durch die du jeden begnadigſt! Um jener Entſchlafenen willen,

Die du auferweckt haſt! Erbarme dich meiner, und lebe!

Alſo ſpricht ſie, und eilt. So fliegt ein großer Gedanke

Feurig gen Himmel empor zu dem, von dem er gedacht war.

Und der ewige Sohn ſah ſeine Mutter dahergehn,

Nicht mit dem menſchlichen Auge; mit jenem Auge, mit dem er

Jedes Wurmes Geburt, den Staub, auf welchem er wohnet,

Den, wo ſein Leben verfliegt, und des Seraphs Gedanken, vorherſieht.

Ach, ich will mich deiner erbarmen! Noch mehr, als die Mutter

Eines Sohns ſich erbarmet, will ich mich deiner erbarmen,

Wenn ich auferweckt bin! So dacht er bey ſich, und nahm drauf

Einen anderen Weg. Die Abenddaͤmmerung kam itzt.

Alle ſchwiegen um ihn, auch die ungeſehnen Begleiter.

Alſo giengen ſie ſtill, und kamen mit langſamen Schritte

An den Huͤgel, der Golgatha heißt. Nicht fern von dem Huͤgel

War ein einſames Grab in hangende Felſen gehauen.

Noch kein Todter verweſte daſelbſt. Hier wollte der Weiſe,
J 5Joſeph
[138]Der Meßias.

Joſeph von Arimathaͤa, die Auferſtehung erwarten.

Jeſus ſteht bey dem Grabmal: er richtet auf Golgathas Huͤgel,

Blicke voll goͤttlichen Tiefſinns. Und alſo denket der Gottmenſch:

Nun entweichet der Tag. Sie koͤmmt mit ſchlummernden Luͤften,

Die erbetete Nacht ruht auf Gethſemane. Bald wird

Wieder ein Tag den Huͤgel erleuchten, der daͤmmernd dort aufſteigt;

Golgatha! Den das Gebein der niedrigſten Suͤnder bedecket!

Du biſt zum Altare geworden! Das Opfer iſt willig,

Auf dir geſchlachtet zu werden! Bald wird es bluten! Willkommen,

Tod fuͤrs Menſchengeſchlecht! Dann wird mein Vater mich ſehen,

Von dem Thron, wo ich war. Die Seraphim werden mich ſehen,

Und viel Zeugen von denen, fuͤr die ich ſterbe! Willkommen,

Tod, fuͤr die Erben des ewigen Lebens! Zur Rechte des Vaters

Saß ich mit Herrlichkeit uͤberkleidet, voll ſchoͤner Wunden,

Und der Freund der Erſchaffnen! Jch bin ihr Bruder geworden!

Auch mit Herrlichkeit uͤberkleidet, voll ſchoͤner Wunden,

Will ich mein Leben fuͤr ſie auf deinen Hoͤhen verbluten,

Golgatha! … Dann, (hier wandt er ſich um, und ſchaut auf das Grabmal.)

Dann will ich hier im ſtillen Gewoͤlbe des kuͤhlenden Grabes,

Wenige Tage, wie in den Gefilden der Seligen, ſchlummern,

Einen ſanfteren Schlaf, als der, den Adam ſich dachte,

Da das große Raͤthſel vom Tod ihm ſelber enthuͤllt ward,

Und er, an einem traurigen Abend, der heiligen Waͤchter

Hohen Rathſchluß vernahm: er ſollte ſich legen, und ſterben;

Viel Jahrhunderte ſchlafen; und uͤber ihn ſollten die Fuͤße

Seiner Nachkommen wandeln; er ihre Stimme nicht hoͤren!

Aber auch die ſind geſtorben, und uͤber ihren Gebeinen
Hat
[139]Vierter Geſang.

Hat der Nachkommen Fuß, mit ſaͤumendem Schritte, gewandelt!

Ach, iſt unter den Freuden der jauchzenden Ewigkeit eine

Meiner Seligkeit zu vergleichen? Sie werden erwachen!

All, an einem Tage der Wonne, des lauten Weinens,

Und des Triumphs, der Feyer, der Jubellieder erwachen!

Weil mein Koͤrper in dieſem Bezirke von Erde geſchlummert,

Und ich des Menſchenſohnes Gebein, zum Leben ohn Ende,

Auferweckt habe! Dann wird des zweifelnden Staubes Beſorgniß,

Jede Thraͤne wird ſchweigen. Der Tod wird werden des Laͤchelns

Und des Triumphs ein ſuͤßer Gedanke. Kein drohendes Grabmal,

Und kein Tod wird mehr ſeyn auf der neuen Erde Gefilden.

Sinn ich ihm nach, ſo zittert Entzuͤckung durch meine Gebeine,

Und der Menſchheit Empfindung verſtummt! Sie kommen und wandeln,

Hell, mit weißen Kleidern geſchmuͤckt. Viel tragen auch Wunden

Wie der Menſchenſohn, ſchimmernde Wunden! Sie jauchzen dem Sieger

Jubellieder! Und nennen ihn, Sohn! und nennen ihn, Bruder!

Wer kann auf Erden ſie zaͤhlen? Wer unter den Himmeln? Jhr Nam iſt

Myriade! Die alle ſind mein! Das Alt iſt vergangen!

Alles hab ich verjuͤngt zur erſten Unſchuld! … Doch erſt muß,

Golgatha ſterben mich ſehn, und dieſes Grabmal mich decken!

Alſo denkt er, und eilt. Jhn fand an Jeruſalems Mauren,

Judas, der in der Daͤmmerung ſtund. Er miſchte ſich ſchweigend

Unter die Heiligen; bildete ſchon die Mine der Unſchuld

Jm betruͤgenden heitern Geſicht. Doch ſchlug ihm ſein Herz noch.

Aber Jthuriel geht vor ihm her, und hoͤrt von dem Wipfel

Eines Oelbaums dem kommenden Fuß des Meßias entgegen.

Schluͤpft aus den Aeſten herunter, da Jeſus den Oelbaum vorbeygeht,
Wan-
[140]Der Meßias.

Wandelt neben ihm unſichtbar her, und redt, wie die Seele

Eines entſchlafenden Chriſten die letzten Empfindungen denket.

Sanft, mit leiſen Worten, ihn an: Jſchariots Elend

Jſt ſchon vor deiner Allwiſſenheit Auge voruͤber gegangen,

Und du kennſt des Unwuͤrdigen That. .. Er hat dich verrathen!

Er, den dein Wandel gelehrt, der deine Wunder geſehen,

Dem dein Mund das Geheimſte von jenem Leben enthuͤllt hat,

Den du wuͤrdigteſt, Juͤnger zu nennen! Er hat dich verrathen!

Noch ertoͤnt mir die fliegende Stimme des hohen Eloa

Suͤß im Ohre, noch oͤffnen ſich mir die Lippen des Seraphs,

Als er zu deinem Throne mich rief; auf die Erde zu eilen,

Und Jſchariots Engel zu ſeyn! Jtzt verlaß ich den Suͤnder!

Bin ſein Engel nicht mehr! Sein Zeuge, den Tag der Vergeltung,

Der will ich ſeyn! Und gegen ihn mit der Stimme der Donner

Meine Rede bewaffnen! Und zwiſchen den glaͤnzenden Stuͤlen

Derer, die wuͤrdiger waren, mit dir den Erdkreis zu richten,

Dunkel hervorgehn, und gegen die Nacht am Throne verbreitet,

Meine rechte Hand aufthun, und ſagen: bey dem, der geblutet;

Von den Hoͤhen des Kreuzes herab, ſein Leben geblutet!

Durch die Hand des Geliebten: Jſchariot hat ſich gebrandmarkt

Auf den furchtbaren Tag! Er ſelber hat das Verderben

Ueber ſein Haupt gerufen! Durch laute Thaten das Schickſal

Der Verworſnen gerufen! Er iſt es wuͤrdig, gerichtet,

Und von dem Antlitz des Menſchenſohnes verworfen zu werden!

Wuͤrdig, die Wege des ewigen Todes zu wandeln! Sein Blut ſey

Ueber ihn ſelber! Jch bin unſchuldig am Blute des Suͤnders!

Ach, ganz andre Gedanken, von einer helleren Ausſicht,
Hat’
[141]Vierter Geſang.

Hatt’ ich vor demvon dem Juͤnger des Menſchenfreundes! Du ſollteſt

Juda, von ſeinem Tode, durch ſchoͤne Wunder einſt zeugen,

Auch ein Maͤrtyrer ſeyn! Die hohen Lieder auch hoͤren,

Die wir ſingen den Ueberwindern! So waͤrſt du geſtorben!

Deine Seele, mit Lichte bekleidet, die haͤtte dein Freund dann,

Bey der Hand im Triumphe daher zum Meßias gefuͤhret,

Zu dem Erſten der Ueberwinder! Jch haͤtte von ferne

Unter den goldenen Stuͤlen der zwoͤlf erwaͤhlten des Mittlers,

Deinen erhabenen Stul dir gezeigt! Du waͤrſt in Entzuͤckung,

Bey dem Anblick des glaͤnzenden Stuls, und deß auf dem Throne,

Ueberfloſſen! Jch haͤtte dich, Freund, ich haͤtte dich, Bruder,

Ach, ich haͤtte mit ſuͤßer Stimme dich, Seraph, genennet!

Mein Jſchariot haͤtte mich dann im Geheimniß der Chriſten

Unterrichtet: was er in ſeiner Seele da fuͤhlte,

Da der Geiſt der Propheten auf ihn vom Himmel herabkam,

Da du den Muth, zu ſterben, empfiengſt; und vom Geiſte gelehret,

Beteteſt unausſprechliche Worte; nicht ſuͤndigen konnteſt,

Weil dein Herz zu der Unſchuld des Paradieſes verjuͤngt war.

Aber ſie ſind nun dahin der frommen Entzuͤckung Gedanken!

Wie ein laͤchelnder Fruͤhling verbluͤht, wie die Blume des Lebens,

Bald im hoffenden Juͤnglinge ſtirbt, vor der Reife der Jahre!

Alſo ſind ſie voruͤbergegangen. Mein Juͤnger verlaͤßt mich!

Kurz noch eines Heiligen Schutzgelſt|, wandl’ ich itzt einſam

Unter den Engeln, die um mich vor Wehmut verſtummen. Gebiete,

Großer Meßias! Soll ich mich von neuem zum Himmel erheben.

Oder bin ich gewuͤrdiget worden, dich ſterben zu ſehen?

Jeſus wandt auf den Seraph ſein ernſtes Antlitz, und ſagte:
Simon
[142]Der Meßias.

Simon Petrus wird auch von der Wut des Verderbers geſuchet.

Sey ſein Engel! Es hat mein Johannes zween heilige Waͤchter.

Petrus ſoll ſie auch haben. Er wird die Lieder einſt hoͤren,

Die den Ueberwindern ihr ſingt, und im Tode mir gleichen.

Kaum vernahm dieß der Seraph, ſo ſtralt er vor wallender Freude

Jn Orious Umarmung, der ihren Juͤnger beſchuͤtzte.

Jeſus eilte nunmehr, mit ſeinen Juͤngern das letzte

Feſtliche Mahl zu halten. Er gieng viel hohe Palaͤſte

Praͤchtiger Suͤnder vorbey, trat itzt in die ſtillere Wohnung

Eines verkannten und redlichen Manns. Sie legten ſich ſchweigend

Um das bereitete Lamm des Bundes. Zu naͤchſt am Meßias

Lag Johannes, und laͤchelte ſanft. Viel heitrer ſah Jeſus

Jn die Verſammlung herum. Von ſeinem Auge floß Ruhe,

Frohe, tiefſinnige Wehmut, und Seligkeit, in die Verſammlung.

So iſt, nach dem Gefuͤhl der erſten Entzuͤckungen, Joſeph

Unter ſeinen Bruͤdern geweſen, da itzo die Thraͤnen,

Da die lauten Thraͤnen im ſehenden Auge verſtummten,

Da die Sprache zuruͤckkam, nicht mehr, am Halſe des Bruders,

Benjamin hieng, und nun ſein alter Vater noch lebte.

Meld itzt, mein Lied, den Abſchied des Liebenden von dem Geliebten,

Und die Reden der trauernden Freundſchaſt. Wie damals der Juͤnger,

Der mit dem hohen Jakobus ein Sohn des Donners genennt ward,

Und in der einſamen Patmus die Offenbarung auch ſahe,

An der Bruſt des Meßias des vollen Herzens Empfindung

Sprach, und gen Himmel vom Auge des Liebenswuͤrdigen aufſah;

Alſo fließe mein Lied voll Empfindung und ſeliger Einfalt.

Jeſus ſprach, und ſein Auge ſah wehmutsvoll in die Verſammlung:
Mich
[143]Vierter Geſang.

Mich hat herzlich verlangt, mit euch dieß Mahl noch zu halten,

Eh ich leide. .. Bald ſind ſie erfuͤllt die Worte der Zeugen,

Welche von mir verkuͤndiget haben. Jhr kennt den Propheten,

Der gewuͤrdiget ward der Gottheit Erſcheinung zu ſehen,

Der der Seraphim Stimme vernahm, die den auf dem Throne

Mit dem feſtlichen Halleluja der Himmel empfiengen,

Daß vom Schalle der Lieder des Tempels Schwellen erbebten,

Und das Heiligthum ganz von Opferwolken erfuͤllt ward.

Damals war ich zugegen mit meinem Vater. Auch ich ward

Heilig! Heilig! genannt. Auch mir erhuben ſich Opfer

Von den goldnen Altaͤren! Auch mir erbebte der Tempel!

Denn ich bin lange vor Abram geweſen. Eh aus den Gewaͤſſern

Dieſes heilige Land mit Gottes Bergen hervorſtieg,

Eh die Welt war, bin ich geweſen! Doch dieſen Gedanken

Faßt ihr in ſeiner Groͤße noch nicht! .. Der himmliſche Seher,

Der des Vaters Herrlichkeit ſah, hat auch in der Zukunft

Einen Menſchen, wie ihr ſeyd, geſehn, und, vom Geiſte gelehret,

Alſo von ihm geweiſſagt: die Schoͤnheit des goͤttlichen Mannes,

Seine Geſtalt iſt vergangen! Das Laͤcheln der friedſamen Jahre

Jede Ruhe des Lebens iſt hin. Das Elend der Suͤnder

Jſt ganz uͤber ſein Haupt gekommen! Die Menſchen verſtummen,

Wenn ſie ſehen den Jammer in ſeiner Seele! Sie wenden

Von ihm ihr Angeſicht weg. Er aber hat unſere Schmerzen

Unſer Elend getragen, wir waͤhnten, er truͤge die Laſten

Seiner Schuld! Es haͤtte der Raͤcher den Suͤnder erſchuͤttert!

Aber um unſerntwillen ſind jene Wunden geoͤffnet,

Die er blutet. Wir ſind die Verbrecher! Die Hand des Verderbens
Hatt’
[144]Der Meßias.

Hat ihn um unſerntwillen ergriffen! Er leidet, daß Friede

Ueber uns komme, daß Heil mit ſeinen Fluͤgeln uns decke!

Denn wir wandelten alle den Weg der Jrre. Wir alle

Waren elend genung, uns ſelber Weisheit zu waͤhlen.

Darum hat unſere Schuld auf ihn der Raͤcher geleget!

Er iſt unſer Verſoͤhner, geht ins Gericht hin, und leidet,

Wird bis zum Tode gehorſam, und oͤffnet den goͤttlichen Mund nicht.

Wie ein verſtummendes Lamm zum Opferaltare gefuͤhrt wird;

Alſo geht er geduldig daher, und ſchweigt. .. Nun iſt er

Aus dem Gericht genommen! Wer kann nun ſeine Verſoͤhuten,

Wer die Schaaren der Heiligen zaͤhlen, die durch ihn gerecht ſind?

Weil er fuͤr die Suͤnder zum Opfer ſein Leben gebracht hat,

Werden ihm ganze Geſchlechter zur neuen Schoͤpfung erwachen,

Und ſein Leben wird Ewigkeit ſeyn! … So ſagt der Erloͤſer;

Schaut gen Himmel, und ſchweigt. Er hatte lange geſchwiegen,

Als er fortfuhr: es iſt das letztemal, daß wir zuſammen

So ein Abendmal halten! Jch werde mit meinen Geliebten

Nun nicht mehr das Gewaͤchs des frohen Weinſtocks genießen,

Noch die Laͤmmer im Thal. Doch in meines Vaters Behauſung,

Wo viel Wohnungen ſind, dort werdet ihr euern Meßias

Wiederſehen, und, nebſt den verſammelten Vaͤtern des Bundes,

Neue Feſte begehn, die kein Abſchiednehmen mehr trennet.

Jeſus ſchwieg, und die Juͤnger um ihn. So ſchwieg in den Hallen

Auf Moria das heilige Volk, da der goͤttlichſte Juͤngling

Unter den Soͤhnen von Abram, da Salomo bey den Altaͤren

Seine Krone vor dem, der ewig iſt, niedergeworfen,

Und der Einweihung Gebet vollendet hatte; da ſichtbar
Von
[145]Vierter Geſang.

Von den Wolken der Herrlichkeit Gottes der Tempel erfuͤllt ward,

Daß die ſchauenden Prieſter nicht mehr zu opfern vermochten,

Und der Jubelgeſang der Halleluja verſtummte.

Jeder ſchwieg. Nur daß unterweilen der Betenden einer,

Schnell vom heiligen Schauer ergriffen, ſein Angeſicht aufhub,

Gegen die Nacht der Erſcheinungen ſah, und mit bebender Stimme,

Heilig! Heilig! ſprach, und die Arme gen Himmel emporhielt.

Alſo ſchwiegen die Juͤnger, und alſo redte Lebbaͤus,

Da er mit leiſer Stimme ſich gegen Jſchariot wandte:

Ach, nun weis ichs gewiß! Der Sohn des Menſchen wird ſterben,

Was die uͤbrigen Juͤnger von ſeinen Reden auch denken,

Die er ſo oft vom Tod an uns haͤlt! Komm, Ruhe vom Elend,

Tod! Des muͤden Wanderers Schlaf, und erbarme dich meiner!

Wenn, wie ein Lamm zum Altar, der beſte der Menſchen gefuͤhrt wird;

Komm dann, mein einziger Troſt! .. Hier ſprach er lauter, und Seufzer

Unterbrachen die Rede des Juͤnglings. Jhn ſah der Meßias;

Dich, Jſchariot, auch. Mit menſchenfreundlicher Wehmut

Schaut er in der Verſammlung herum, und ſagte zu ihnen:

Ja, ich muß es euch ſagen! Hier, unter meinem Geliebten,

Jſt ein Juͤnger, der mich verrathen wird, einer der Zwoͤlfe!

Banges Erſtaunen ergriff die Verſammlung. Sie fragten ihn alle:

Herr, bin ichs. Der Meßias erwiedert: ja, einer der Zwoͤlfe!

Einer von euch, die mit mir das Mahl des Bundes itzt halten.

Zwar, (hier deckte ſein Antlitz die ernſte Mine des Richters!)

Zwar des Menſchen Sohn geht, wie es durch die Propheten geſagt iſt,

Seinen erhabenen goͤttlichen Weg: doch, wehe dem Menſchen!

Der ihn verraͤth. Es waͤre dir beſſer, du waͤrſt nicht geboren!
KJeſus
[146]Der Meßias.

Jeſus ſchaute voll Ernſt. Jhn fragte Judas noch einmal.

Jeſus erwiedert mit leiſerer Stimme: du ſageſt es ſelber.

Doch Gedanken voll Ruh erheiterten wieder den Mittler,

Suͤße Gedanken vom ewigen Heil. Er ſtand das, Gedaͤchtniß

Seines Todes zu ſtiften. Jtzt ſprach er die feyrlichen Worte,

Die ſo viele Prieſter der Chriſten, ſo viele Gemeinen

Kuͤhn entweihn, und in lauten Geſaͤngen das Urtheil des Todes

Ueber ſich rufen. Er kennet ſie nicht, der goͤttlicher lebte,

Und am Kreuze nicht ſtarb, fuͤr ewige Suͤnder zu buͤßen!

All empfiengen von ihm das Brodt, das er eingeweiht hatte,

Und den heiligen Kelch. Sie kamen alle mit Demut,

Und in trauernder Stille, von ſeiner Hand es zu nehmen.

Da Johannes hinzugieng, und auf den glaͤnzenden Kelch ſah,

Warf er zu Jeſu Fuͤßen ſich nied er, und kuͤßte ſie weinend,

Trocknete dann die Thraͤnen mit ſeinen fallenden Locken.

Laß ihn meine Herrlichkeit ſehn! Sprach Jeſus und ſchaute

Zu dem Vater empor. Johannes erhub ſich, und ſahe

Jn der Tiefe des Saals der Seraphim helle Verſammlung.

Und die Seraphim wußten, daß er ſie ſahe. Johannes

Stand in Entzuͤckung verloren. Er ſchaute Gabriels Hoheit

Starr, mit Ehrfurcht. Er ſchaute des himmliſchen Raphaels Glaͤnzen,

Und verehrt ihn. Er ſah auch Salem mit menſchlicherm Schimmer,

Und mit ausgebreiteten Armen entgegen ihm laͤcheln,

Und er liebte den Seraph. Er wandte ſich um, und erblickte

Jn des Meßias ruhigem Auge die Spuren der Gottheit!

Und er ſank verſtummend ans Herz des hohen Meßias.

Gabriel aber erhub ſich mit leiſen Luͤften, und ſagte
Feurig
[147]Vierter Geſang.

Feurig zu Jeſu: umarme mich auch, wie du dieſen umarmeſt,

Gottmenſch, Erloͤſer! Jhm ſagt der Meßias: du wirſt mir am Throne

Meiner Herrlichkeit dienen! Du wirſt auf dem glaͤnzenden Stule,

Wo Eloa war, ſtehn, am Allerheiligſten Gottes!

Gabriel betet’ ihn an. Zuletzt kam Judas, und warf ſich,

Wie Johannes, zu Jeſu Fuͤßen. Jhm ſagte der Gottmenſch:

Juda, ſteh auf! Und gab ihm den Kelch, des Todes Gedaͤchtniß!

Er empfieng ihn mit Ruh. Jhm ſah der Meßias ins Antlitz,

Ward erſchuͤttert im Geiſt, und ſprach mit erhabener Stimme:

Jch weis alle, die ich erwaͤhlet habe. Doch einer

Wird mich verrathen! Jch ſag es euch itzt, daß ihr glaubt, wenns geſchehn iſt.

Und daß ihr wiſſet, wie der belohnet wird, welcher getreu bleibt;

So vernehmet von mir die Wuͤrde der Ueberwinder:

Wer, wen ich ſend, aufnimmt, der nimmt mich ſelbſt auf! Wer aber

Alſo mich aufnimmt, der nimmt auch den auf, der mich geſandt hat!

Dieſe Kron empfaͤngt kein Verraͤther! Jch ſag es noch einmal:

Einer von euch wird gewiß den Sohn des Menſchen verrathen!

Jeder ſahe den andern von neuem mit ſorgender Angſt an.

Petrus winket Johannes. Der neigt ſich ans Herz des Meßias:

Herr, wer iſt es? So fragte, mit ſanfter Stimme, Johannes.

Dem ich dieß Brodt eintauche, dem ichs mit vertraulicher Liebe,

Und mit Bruderfreundlichkeit gebe, der iſt es, Johannes!

Alſo ſagt der Meßias, und reicht den Biſſen voll Freundſchaft

Judas Jſchariot hin. Johannes ſah dieß, und bebte.

Doch verſchwieg er, aus Menſchenliebe, den nahen Verraͤther.

Judas gieng mit Ungeſtuͤm fort. Die Nacht war gekommen.

Jhn umgaben die Schrecken der Nacht. Mit ſtarrenden Blicken
K 2Schaut
[148]Der Meßias.

Schaut er in die Finſterniß aus, und ſprach zu ſich ſelber:

Alſo weis ers gewiß! .. Nun wird es der ſanfte Johannes,

Der ſtets laͤchelt, wenn man um ihn zugegen iſt, ſagen;

Alles ſagen, was ihm an dem Herzen Jeſu vertraut iſt.

Alle werden es wiſſen! Es ſey! Die neuen Beherrſcher

Muͤſſen erſt fliehn, eh ſie Koͤnige werden! Vielleicht, daß Johannes

Bald ſein Laͤcheln verlernt, und Petrus in Banden nicht kuͤhn iſt!

Und ſelbſt Jeſus, wie ſtreng, wie hochgebietend befahl er:

Juda, ſteh auf! So gebietet er nicht dem Liebling, Johannes!

Zwar den Koͤnigen wird nicht befohlen! Jch will ſie noch ſehen,

Eh ſie Koͤnige ſind; in Banden will ich ſie ſehen!

Aber ihr Freund will ſterben! .. Was iſt das? Welch ein Gedanke

Jſt das Sterben fuͤr den, der ſelbſt die Todten erweckt hat?

Sterben! .. Will er mein Herz nur erweichen? Sey du nicht zu menſchlich,

Leidendes Herz! .. Wenn er ſtirbt, ſo iſts nur ein Zufall geweſen,

Daß er ſo oft den Feinden entgieng! So iſt er ein Traͤumer,

Und von Gott nicht geſandt! Auch unſre Prieſter ſind Weiſe,

Und geweihet von Gott. Sie haben ihn immer gehaſſet!

Und ſie handeln nach Moſes Geſetz: Jch bin ihr Vertrauter!

Aber er wird nicht ſterben! .. Doch will ich gebunden ihn ſehen,

Wie er da redet? Vielleicht, daß er dann der geliebteren Juͤnger

Hohe Wuͤrde vergißt, und den niedrigen Judas auch anſieht!

Doch ich muß eilen! Es warten auf mich Jeruſalems Herrſcher.

Alſo denkt er, und eilt zu des Hohenprieſters Behauſung.

Nunmehr war die Verſammlung ganz heilig. Wie damals der Frommen

Heiliges Volk, in reinerer Schoͤnheit, vorm Antlitz des Siegers,

Deſſen Wunden nun glaͤnzten, erſchien, da die Jugend der Chriſten,
Von
[149]Vierter Geſang.

Von dem Grab Ananias, der Gott log, wieder gekommen;

Und kein Unedler mehr war, der Heiligen Bund zu entweihen.

Jeſus, ſeiner Groͤſſe gewiß, und wegen der Naͤhe

Seiner Verſoͤhnung, ins Helle der Ewigkeit ausgebreitet,

Sprach mit goͤttlicher Hoheit und Ruh zu ſeinen Erwaͤhlten:

Nun iſt der Sohn des Menſchen verherrlicht! Und, ob er gleich Menſch iſt,

Dennoch iſt Gott durch ihn auch verherrlicht. Da durch ihn des Himmels

Hoͤchſtes Geheimniß, da durch ihn die Gottheit den Menſchen enthuͤllt wird;

So wird der Vater ihn auch, durch Erbarmung ohn Ende, verklaͤren.

Bald wird er ihn den Menſchen in ſeiner Schoͤnheit entdecken!

Eure Traurigkeit unterbricht mich. Was weinet ihr? Kinder.

Ja, es iſt wahr, ich werd euch verlaſſen! Jhr werdet mich ſuchen;

Aber nicht finden. Jhr koͤnnet den Weg, den ich gehe, nicht gehen.

Aber weinet nicht mehr. Jhr werdet mich wieder erblicken!

Kinder, ich geb euch ein neues Gebot, ein Gebot, das viel edler,

Viel erhabener iſt, als was die Satzungen lehren.

Liebet euch unter einander! Wie euer Meßias euch liebte;

Alſo liebet euch untereinander! Dann wiß es der Erdkreis,

Daß ihr mein ſeyd! Wenn ihr ſo untereinander euch liebet.

Simon Petrus ſtand auf, trat naͤher zu Jeſu, und ſagte:

Herr, wo geheſt du hin? Du kannſt mir itzo nicht folgen!

Sprach der Erloͤſer. Einſt wirſt du mir folgen, die Wege zu wandeln,

Die ich wandle. Hierauf erwiederte Petrus mit Feuer:

Warum ſollt ich dir itzo nicht folgen? Jch laſſe mein Leben

Fuͤr dein Leben! Du lieſſeſt dein Leben! Jch ſag es noch einmal:

Simon, du wirſt, vorm Anbruch des Tags, mich dreymal verleugnen!

Jeſus war aufgeſtanden. Er kniete nieder, zu beten.
K 3Um
[150]Der Meßias.

Um ihn knieten die Juͤnger. Seyd ihr auch alle zugegen?

Sprach der Erloͤſer mit Wehmut. Hier ſind wir! Sprachen die Juͤnger.

Eines Stimme hoͤr ich nicht mehr! Seyd ihr alle zugegen?

Judas Jſchariot fehlt! .. Sprach mit ſchwachem Laute Lebbaͤus,

Und ſank nieder. Der Gottmenſch erhub ſein Antlitz gen Himmel,

Betete mit erhabener Stimme: die Stund iſt gekommen,

Deinen Erſtgebornen in ſeiner Schoͤnheit zu zeigen!

Zeig ihn nun, Vater, daß du durch ihn auch verherrlichet werdeſt!

Denn du haſt ihm Gewalt uͤber alle Menſchen gegeben,

Daß er ſie auferwecke vom Tod, und ewiges Leben

Jhnen gebe. Das aber iſt ewiges Leben, dich, Vater,

Der du der Ewige biſt, und den du geſandt haſt, erkennen,

Jeſum, den Sohn und Koͤnig! Jch ſehe, Vater, im Geiſte

Schon, die Fuͤlle der ganzen Vollendung. Jch hab auf der Erde

Dich verherrlicht! Jch hab ihn vollfuͤhrt den Rathſchluß der Gottheit!

Nun erwarten mich Kronen zu deiner Rechte! Du wirſt mir

Wieder die Herrlichkeit geben, die mein war, eh wir erſchufen.

Deinen gefuͤrchteten Namen hab ich den Erwaͤhlten verkuͤndigt

Aus den Suͤndern. Du gabeſt ſie mir. Sie haben die Weisheit,

Die ich ſie lehrte, (ſelbſt ich bin ihr Zeuge!) mit Treue gehalten!

Nun erkennen ſie auch, daß, was ich habe, von dir iſt.

Denn ich habe ſie alles gelehrt, was du ſelber mich lehrteſt!

Alſo haben ſies aufgenommen! Die goͤttliche Wahrheit

Tief ins Herze gefaßt: daß ich vom Vater geſandt bin!

Fuͤr ſie bitt ich, nicht fuͤr die Suͤnder! Weil ſie auch dein ſind;

Weil wir in jedem Beſitz der Seligkeiten vereint ſind!

Vater ich bitte fuͤr ſie! Denn, auch durch ſie, bin ich herrlich!
Jch
[151]Vierter Geſang.

Jch verlaſſe die Erde; ſie aber ſind auf der Erde,

Sehn noch lange die Muͤhe der Suͤnder, und fuͤhlen ihr Elend!

Laß ſie, heiliger Vater, der hohen Erkenntniß getreu ſeyn,

Die ſie haben werden von dem, der itzo verſoͤhnt iſt.

Laß ſie eins ſeyn, wie wir; ein Haus voll Bruͤder! Jch ſorgte

Selber fuͤr ſie, da ich noch, gleich ihnen, ein Menſch war. Jch wachte

Ueber ihren unſterblichen Geiſt. Hier ſind ſie, mein Vater!

Keinen hab ich verloren! Nur hat der Sohn des Verderbens

Mich verlaſſen, und iſt den Propheten ein Zeuge geworden!

Nunmehr komm ich zu dir! Das ſag ich, da ich bey ihnen

Noch auf der Welt bin, damit ſie an meine Herrlichkeit denken,

Und ſich freuen, wie ich mich freue! Sie haben die Worte

Deines Lebens gehoͤrt. Der Suͤnder hat ſie gehaſſet,

Wie er mich haßte! Nicht bitt ich, daß du der Erde ſie nehmeſt!

Schuͤtze ſie nur vor ihrem Verfolger, dem Geiſt des Verderbens!

Denn ſie gehoͤren den Suͤndern nicht zu. Sie wandeln in Unſchuld,

Wie ich wandle. Die Welt hat kein Theil an deinen Verſoͤhnten,

Heilige ſie in deiner Wahrheit. Dein Wort iſt die Wahrheit!

Wie du in die Welt mich geſandt haſt, ſo ſend ich ſie wieder;

Laſſe mein Leben fuͤr ſie, damit ſie, rein und geheiligt,

Vor dem, der nun verſoͤhnt iſt, erſcheinen. Doch bitt ich, o Vater,

Nicht fuͤr die Juͤnger allein! Der neuen Schoͤpfungen Kinder,

Werden, wie aus dem Morgen der Thau, geboren mir werden!

Auch fuͤr dieſe bitt ich, mein Vater, daß alle ſie eins ſeyn,

Wie wir eins ſind! Und daß der Erdkreis endlich vernehme,

Daß du mich, Vater geſandt haſt! Und daß ich das ewige Leben,

Meine Herrlichkeit, denen gebe, die du mir geſchenkt haſt!
K 4Daß
[152]Der Meßias.

Daß ſie eins ſeyn, wie wir! Zu einem goͤttlichen Endzweck

Alle vollendet! Und daß es die Suͤnder der Erde vernehmen:

Jeſus ſey vom Himmel geſandt! Gott liebe die Kinder

Der Verſoͤhnung, wie er den Erſtling der Soͤhne geliebt hat.

Vater, es ſollen meine Verſoͤhnten ſich zu mir verſammeln,

Daß ſie ſeyn, wo ich bin, und meine Herrlichkeit ſehen.

Dich verkennet die Welt, gerechter Vater! Jch aber

Kenne dich! Meinen Erwaͤhlten hab ich das erhabne Geheimniß

Deiner Gottheit enthuͤllt, und wills noch naͤher enthuͤllen;

Daß die Liebe, mit der du mich liebteſt, ihr Herz auch ergreife,

Und den unſterblichen Geiſt nur ſein Verſoͤhner erfuͤlle.

Nun erhub ſich der Gottmenſch, dem Vater entgegen zu gehen,

Ueber Kidron in das Gericht. Jhm folgten die Juͤnger.

Als er naͤher den Bach, und das naͤchtliche Rauſchen des Oelbaums

Lauter vernahm, da ſtand er an einem Huͤgel, und ſagte:

Gabriel, in der Tiefe des Gartens, am ſteigenden Berge,

Jſt ein einſamer Ort von zwanzig Palmen umſchattet;

Gegen die hohen Wipfel der Palmen ſenkt ſich vom Himmel,

Gleich herhangenden Bergen, die Nacht; dort verſammle die Engel!

Alſo ſagt er, und nahete ſich erhabneren Thaten,

Als ſeit der Engel Geburt, als ſeit Erſchaffung der Erden

Und der Himmel geſchehn ſind; auf jeder Unendlichkeit Schauplatz,

Jemals geſchehn ſind! Er nahte ſich ſtill den goͤttlichen Thaten.

Aeuſſerliches Geraͤuſch, und Lerm, ſuͤßtoͤnend dem Eiteln,

Klein genung, den Thaten der Helden, die Staub ſind, zu folgen,

War nicht um den hohen Meßias! War nicht um den Vater,

Als er vor dem die kommenden Welten dem Unding entwinkte.



[[153]]

Der
Meſſias.

Fuͤnfter Geſang.


K 5
[[154]]

Jnhalt
des fuͤnften Geſangs.


Gott ſteigt auf Tabor herunter, Gericht uͤber den Meßias zu hal-
ten. Eloa folgt auf Gottes Befehl von ferne. Gott naht ſich
der Erde langſam. Beym Ausgange des Sonnenweges kommen ihm
die Seelen von ſechs morgenlaͤndiſchen Weiſen, die kaum geſtorben
ſind, entgegen. Eine von dieſen Seelen redet Gott an. Der Erſte
unter einem unſchuldigen und unſterblichen Geſchlechte von Menſchen,
redet zu ſeinen Kindern von Gott, da er ihn zornig vorbeygehn ſieht.
Gott iſt auf Tabor. Alle Suͤnden kommen vor ihn. Eloa rufet
den Meßias feyerlich zum Gericht. Eine neue Anrufung an den
heiligen Geiſt. Das Leiden hebt an. Der Meßias betet. Er fieht
die Quaalen der Verdammten. Adramelech koͤmmt, ſeiner zu ſpot-
ten; aber er bleibt ſinnlos ſtehn. Der Meßias koͤmmt zu den Juͤn-
gern. Nun iſt die erſte Stunde vorbey. Die Himmel, die den
zweyten großen Sabbat feyern, ſingen davon. Der Meßias geht
wieder ins Gericht. Abbadona koͤmmt. Er hatte den Meßias lan-
ge geſucht. Er entdeckt ihn nicht auf einmal. Endlich erkennt er
ihn, und redet ihn an. Der Meßias leidet, und betet. Abbadona
flieht zuletzt. Die zweyte Stunde iſt vorbey. Die Himmel ſingen
davon. Der Meßias geht zum drittenmal ins Gericht. Eloa wird
von Gott geſandt, ihm ein Triumphlied von ſeiner kuͤnftigen Herr-
lichkeit zu ſingen. Der Meßias wird auf einige Augenblicke heiter.
Darauf werden ſeine Leiden ſtaͤrker, als ſie vorher nicht geweſen wa-
ren. Alle Engel, auſſer Eloa und Gabriel, wenden ſich weg. Nun
iſt die dritte Stunde vorbey. Die Himmel beſingen ſie.
Und Gott kehrt zu ſeinem Throne zuruͤck.


[[155]]
Der
Meſſias.

Fuͤnfter Geſang.


Und Jehovah ſaß hoch und voll Ernſt auf dem ewigen Throne,

Neben ihm ſtand Eloa, und ſprach: wie iſt itzt dein Antlitz,

Ewiger, ſo furchtbar! Wie glaͤnzet aus deinem Auge

Lauter Gericht! Wie reden die Donner ſo laut ihre Stimme!

Die Myriade ſprach itzt! Gleich ſpricht die andre! Nun hoͤr ich

Schon das Rauſchen der dritten von fern! Dort wandelten Sterne.

Gott, kaum ſahſt du herab, da waren die Sterne geflohen!

Warum hoͤr ich nicht um mich herum die Geſaͤnge der Sphaͤren?

Wo du nur hinblickſt, weit um dich her, da ſchweigen die Sphaͤren!

Und kein Laut der Seraphim ſpricht, kein Cherub ſingt Lieder!

Keine von allen unuͤberzaͤhlbaren Myriaden

Singet ein Lied von dem ewigen Sohne? Gar keine von allen?

Sollt ich euch uͤberzaͤhlen, ich muͤßte Jahrhunderte zaͤhlen.
Jhr
[156]Der Meßias.

Jhr ſchweigt alle? Kein einziger ſingt von dem ewigen Sohne?

Alle Fluͤgel hat uͤber ſich her, und uͤber ihr Antlitz,

Bang die Natur verbreitet, den Ewigen anzubeten?

Willſt du dich, Gott, aufmachen, und uͤber eine der Erden

Weltgericht halten? Denn ſo iſt das Angeſicht eines Verderbers!

Dieß ſind Blicke des ernſten Gerichts! Oder haſt du beſchloſſen,

Satans Reich zu zerſtoͤren? Den Laͤſtrer Gottes zu ſchlagen?

Willſt du ausziehn, im Dunkeln daher, den ewigen Suͤnder

Zu vernichten? Und um ihn herum die Tiefen der Hoͤlle?

Soll ſein Name nicht mehr im Buche der Lebenden ſtehen,

Die du erſchufſt? Und er unter den Ewigen ganz vertilgt ſeyn?

Oder willſt du ihn nur, an ſeines Thrones Gebirgen,

Jhn und ſein Haupt zerſchmettern? Damit er ſinnlos im Staube

Vor dir liege, gedruͤckt von der Nacht, und deinem Donner?

Daß das Heulen ſeiner Verzweiflung die Hoͤll und der Himmel,

Und die Welten vernehmen, und ein Geſtirne dem andern

Jm Voruͤbergehn ſage: da liegt er verderbt, der Empoͤrer!

Wenn du das willſt, ſo wafne mich, Gott, und laß mich mit ausziehn,

Gegen des Schrecklichen Angeſicht! Gieb mir aus dieſen Gewittern

Tauſend Donner, und Nacht um mich her, und goͤttliche Staͤrke,

Daß ich, deinem Antlitz voruͤber, im Thore des Todes,

Deiner Feinde hochdrohende Haͤupter zu tauſenden ſchlage.

Ach wie ſchrecklich biſt du! Wie ſendet dein toͤdtendes Auge

Lauter Zorn und Gericht! Zorn, ohn Erbarmen, Jehovah!

Lange ſchon war ich, ich ſchau in Ewigkeiten zuruͤcke!

Als du wurdeſt, o Welt, da war ſchon manches Jahrhundert

Ueber mein Haupt voruͤbergefloſſen, und meine Tage
Sind
[157]Fuͤnfter Geſang.

Sind nicht eines Sterblichen Tage, der aufbluͤht, und Staub wird.

Ewigkeiten ſind es, daß ich, Jehovah, dich ſchaute:

Aber ſo hab ich noch nie dein furchtbares Antlitz geſehen!

Du haſt dein ganzes Gericht, und alle deine Verderben,

Ewiger, angezogen! Und dieſe Herrlichkeit Gottes,

Die ſonſt Liebe nur war, iſt ganz zu Zorne geworden!

Ach, ich habe mich unterwunden, mit dir, Gott, zu reden,

Der ich eine Wolke nur bin, woraus du mich, Gott, ſchufſt,

Und aus deinem Odem ein Hauch, ein endlicher Seraph!

Zuͤrne nicht, Vater, und ſchaue mich nicht mit dem ſchrecklichen Blick an,

Mit dem du zu der Erden hinunterblickſt, daß ich nicht ſterbe;

Und dann mein Name nicht mehr im Buche der Ewigen ſtehe;

Und mein Sitz nicht mehr ſey am Allerheiligſten Gottes!

Seraph, ich ſteig itzt herab, Gott den Meßias zu richten,

Der ſich, zwiſchen mich, und das Geſchlecht der Menſchen geſtellt hat,

Daſteht, und muthig mein ganzes Gericht, ein Gottmenſch, erwartet.

Folge mir, mein Geliebter, in deiner Schoͤne von fern nach.

Gott ſprach ſo, und ſtand hoch vom ewigen Thron auf. Der Thron klang

Unter ihm hin, da er aufſtand. Des Allerheiligſten Berge

Zitterten, und mit ihnen das Haupt am hohen Altare

Des Meßias, mit ihnen die Wolken des heiligen Dunkels.

Dreymal flohn ſie zuruͤck. Zum viertenmal bebte das Antlitz

Des erhabnen Gerichtſtuls, und ſeine furchtbaren Stufen

Sichtbar herror; und der Ewige ſtieg vom himmliſchen Throne.

So, wenn ein feſtlicher Tag durch alle Himmel gefeyrt wird,

Und mit allgegenwaͤrtigem Winke der Ewige winket,
So
[158]Der Meßias.

So ſtehn dann auf einmal, auf allen Sonnen und Sternen,

Glaͤnzend von ihren goldenen Stuͤlen, tauſend bey tauſend,

Alle Seraphim auf, da klingen die goldenen Stuͤle,

Und der Harfen Gebet, und die niedergeworfenen Kronen.

Alſo ertoͤnte der himmliſche Thron, da Gott von ihm aufſtand.

Gott gieng herab, und ſchwebte daher, durch den Sonnenweg, der ſich

Nach der Erde zu ſenkt. Jhm kam beym Ausgang der Sonnen

Von der Erden ein Seraph entgegen, der fuͤhrte ſechs Seelen,

Die ſeit kurzem der Erden und ihrem Koͤrper entflohen,

Sechs Gerechte. (Die Hoͤlle nahm mehr in die ewige Nacht ein!)

Dieſe verklaͤrt hier der Seraph, und goß unſterbliche Stralen

Um den neuen, leichtſchwebenden Leib. Sie waren die Seelen

Von ſechs morgenlaͤndiſchen Weiſen, die Jeſum zu Bethlem,

Von dem Sterne, dem Fuͤhrer, geleitet, als Gott, auch verehrten.

Hadad (ſo war der Name des erſten,) ließ ſeine Geliebte,

Seine Geliebte, die ſchoͤnſte der Toͤchter im Haine Bethurim.

Er entſchlief, und ſie weinte nicht um ihn. Dieß hatte ſie Hadad,

Einſt in einer heiligen Stunde der Liebe, geſchworen.

Jhrer und ſeiner Unſterblichkeit ſicher, vergaß ſie der Thraͤnen.

Aber ſie liebten ſich mehr, als ſonſt ſich Sterbliche lieben.

Selima hatte ſein Ungluͤck ertragen. Er ſtarb und ward gluͤcklich.

Simri lehrte das Volk. Das Volk entehrt ihn, und lebte

Laſterhaft fort. Doch bewegt er vor ſeinem Tode noch einen,

Daß er, gleich ihm, ein goͤttliches Leben fuͤhrte. Da ſtarb er.

Mirja erzog fuͤnf Soͤhne, die macht er tugendhaft. Reichthum

Ließ er den Tugendhaften nicht da. Sie ſahen ihn ſterben.

Beled druͤckte ſein Todfeind die laͤchelndbrechenden Augen
Thraͤ-
[159]Fuͤnfter Geſang.

Thraͤnenvoll zu. Es hatte ſich Beled durch Großmut gerochen,

Und ſein Koͤnigreich halb ihm gegeben. Der lebte, wie Beled.

Sunith ſang im Haine zu Parphar den Knaben von Bethlem,

Und drey goͤttliche Toͤchter mit ihm. Dich haben die Cedern,

Und am einſamen Ufer, die Baͤche Jedidoth, geweinet.

Ach! Dich haben, in Schleyer gehuͤllt, auf die Leyer herunter,

Deiner Toͤchter jungfraͤuliche Thraͤnen, o Sunith, geweinet.

Dieſe Seelen verklaͤrte der Seraph. Jhr helleres Auge

Sah weit um ſich, ein kuͤnftiger Schauer der Herrlichkeit Gottes.

Leichter und freyer erhuben ſie ſich, von zaͤrteren Sinnen,

Zu nichts geringern, als zu dem ewigen Leben gebildet.

Und die Herrlichkeit Gottes gieng hoch vor den Seelen voruͤber.

Und der Seraph bey ihnen rief tief anbetend, und ſagte:

Das iſt Gott! Und Selima wagte die neue Stimme,

Und da er ſprach, erſtaunt er vor ſeiner helltoͤnenden Stimme,

Die, mit ſilbernen Laut, wie in Geſaͤnge, dahinfloß.

O du, den ich erblicke, mit welchem Namen, o Erſter,

Ach, mit welchem wuͤrdigen Namen, mit welcher Entzuͤckung,

Nenn ich dich? Den mein Auge zuerſt, itzt zum erſtenmal, anſchaut!

Gott! Jehovah! Richter der Welt! Mein Schoͤpfer! Mein Vater!

Oder hoͤrſt du dich lieber, den Unausſprechlichen, nennen?

Oder, Vater des ewigen Sohns, der zu Bethlehem Menſch ward;

Den wir ſahn, und mit uns der Seraphim feyernde Schaaren.

Sey gegruͤſſet, des ewigen Sohns gleich ewiger Vater!

Halleluja! Mein Schoͤpfer! Dir jauchzt die unſterbliche Seele,

Deines Odems ein Hauch, die Erbinn des ewigen Lebens.
Seliger,
[160]Der Meßias.

Seliger, unausſprechlicher Schoͤpfer, dich hoͤrt ich die Liebe

Unter den Sterblichen nennen! Wie biſt du aber ſo ſchrecklich!

Wie iſt dein Auge zum Tode geruͤſtet! Dein Seraph verhieß mir,

Als ich geſtorben war, daß ich nicht ſollte dein ernſtes Gericht ſehn.

Aber du biſt furchtbar, ſehr furchtbar, o Gott, mein Erbarmer!

Doch du richteſt mich nicht! Das fuͤhlt ſie, die betende Seele,

Die du dir ſchufſt, ihr Ewigkeit gabſt, und deinen Erloͤſer!

Kamſt du, Richter der Welt, das Geſchlecht der Feinde zu toͤdten?

Soll die Staͤtte der Suͤnder nicht mehr vor deinem Antlitz,

Ewiger ſeyn? Und tilgſt du ſie weg, die den Sohn noch verkennen?

Ach, ſo wirſt du nicht richten! Auch ihnen haſt du den Gottmenſch,

Deinen erhabnen Meßias geſandt! So wirſt du nicht richten!

Sey gegruͤſſet, des ewigen Sohns gleich ewiger Vater!

Laß uns deiner Herrlichkeit Spur von ferne, Gott, anſchaun!

Selima ſprach ſo, und fiel mit den Seelen aufs Angeſicht nieder.

Auf der andern Seite des Sonnenwegs ſchwung ſich Eloa

Muthig auf ſeinem glaͤnzenden Wagen, auf dem er Elias

Zu dem Himmel erhub, auf dem er, ein Fuͤhrer der Engel,

Dothan, auf deinen Bergen entwoͤlkt, von Eliſa geſehn ward.

Seraph Eloa ſtand hoch auf dem Wagen. Jhm kam in ſein Antlitz,

Durch die Himmel ein tauſendſtimmiger Sturmwind, entgegen.

Da erklangen die goldenen Achſen, da flog ihm ſein Haupthaar

Und ſein Gewand, wie Wolken, zuruͤck. Mit muthiger Staͤrke

Stand des Seraphs Fuß da. Er hielt in der hohen Rechte

Ein Gewitter empor. Bey jedem erhabnen Gedanken

Donnert er aus dem Gewitter hervor, und folgte Jehovah.

Tauſend Sonnenwege, (der Raum von Sonne zu Sonne
Jſt
[161]Fuͤnfter Geſang.

Jſt von jedem das Maaß) die Entfernung folgte der Seraph.

Gott gieng itzt durch die Sterne, die wir die Milchſtraße nennen,

Aber bey den Unſterblichen heißt ſie, die Ruheſtatt Gottes.

Denn da der erſte himmliſche Sabbat vollendet die Welt ſah,

Stand Gott hier, und ſchaute von da den werdenden Sabbat.

Gott gieng nah an einem Geſtirne, wo Menſchen waren;

Menſchen, wie wir von Geſtalt, doch voll Unſchuld, nicht ſterbliche Menſchen.

Und ihr erſter Vater ſtand freudig, voll maͤnnlicher Jugend,

Obgleich hinter dem Ruͤcken des Juͤnglings Jahrhunderte waren,

Unter ſeinen unausgearteten Kindern. Sein Auge

War nicht dunkel geworden, die ſeligen Enkel zu ſchauen;

Noch zu Freudenthraͤnen verſiegt. Sein hoͤrendes Ohr war

Nicht verſchloſſen, die Stimme des Schoͤpfers, der Seraphim Stimme,

Und aus dem Munde der Enkel, dich, Vaternamen, zu hoͤren.

An der rechten Seite ſtand ihm die Mutter der Menſchen,

Seiner Kinder, ſo ſchoͤn, als wenn itzt der bildende Schoͤpfer

Jhres Mannes Umarmungen erſt die Unſterbliche braͤchte;

Unter ihren bluͤhenden Toͤchtern der Maͤnninnen ſchoͤnſte.

An der linken Seite ſtand ihm ſein erſtgeborner,

Wuͤrdiger Sohn, nach dem Bilde des Vaters, voll himmliſcher Unſchuld.

Weit verbreitet zu ſeinen Fuͤßen, auf lachenden Huͤgeln,

Und das lockichtwerdende Haar mit Blumen umkraͤnzet,

Und mit klopfenden Herzen, der Tugend des Vaters zu folgen,

Saßen die juͤngſten Enkel. Sie, brachten die Vaͤter und Muͤtter,

Jtzt ein Jahr alt, der erſten Umarmung des ſegnenden Vaters.

Und er hub von dem ſeligen Anblick ſein Auge gen Himmel,

Sah Gott wandeln, und neigte ſich tief, und rief, und ſagte:

LDas
[162]Der Meßias.
Das iſt Gott, verſammelte Kinder, der mich, und euch alle,

Zu Lebendigen ſchuf; der jene Thaͤler mit Blumen,

Dieſe Berge mit Wolken umkraͤnzte! Doch gab er dem Thal nicht,

Nicht den Bergen unſterbliche Seelen, die gab er euch, Kinder!

Auch gab er den Bergen und Thaͤlern die ſchoͤne Geſtalt nicht,

Die ihr habt, nicht die menſchliche Bildung, ſo maͤchtig, der Seele

Jnnerſtes Denken vom redenden Antlitz herunter zu ſagen:

Keinen freudigen Blick, der dankbar gen Himmel hinaufſchaut;

Keine Stimme, der Seraphim Lied mitanbetend zu ſingen.

Der erſchien mir im offenen Haine des Paradieſes,

Als er aus Erde zum Menſchen mich ſchuf, der fuͤhrte mich ſegnend

Eurer Mutter Umarmungen zu. Sprich, Ceder, und rauſche!

Sprich! Denn unter dir ſah ich ihn wandeln. Steh, reiſſender Strom, ſtill!

Steh dort! Denn da gieng er hinuͤber. Du, ſanfteres Lispeln

Stiller Winde, ſprich wieder von ihm wie du ehmals ſpracheſt,

Als der Unendliche laͤchelnd von jenen Huͤgeln herabkam.

Steh vor ihm, Erd, und wandle nicht fort, wie du ehmals ſtill ſtandſt,

Als er uͤber dir gieng, als ſein erhabneres Antlitz

Wandelnde Himmel umfloſſen, und ſeine goͤttliche Rechte

Sonnen hielt und wog, die linke Hand Morgenſterne.

Darf ich mich unterwinden, von neuem dich anzublicken,

Ewiger? Aber gebeut, daß jene Mitternacht fliehe,

Die dich, Vater, umgiebt! Ach, laß dein Auge nicht fuͤllen

Dieſen ſchrecklichen Ernſt; den kein Unſterblicher ſchaun kann!

Ach, wer muͤſſen die ſeyn? auf die dieß Antlitz ſich ruͤſtet,

Und dieß Auge voll Grimm! Wahrhaftig, keine Geſchoͤpfe,

Die du liebſt! Ein unſeliges Volk gefallener Geiſter,
Die
[163]Fuͤnfter Geſang.

Die es, was ich kaum denken kann, wagten, dich, Gott, zu erzuͤrnen!

Hoͤrt, verſammelte Kinder, mir zu! Jch verſchwieg es euch lange,

Eure ſelige Ruh durch keine Wehmut zu ſtoͤren.

Ferne von uns, auf einer der Erden, ſind Menſchen, wie wir ſind,

Nach der Bildung; allein der anerſchaffenen Unſchuld

Und des goͤttlichen Bildes beraubt, nicht unſterbliche Menſchen!

Jhr erſtaunt, und faſſet das nicht, wie ſterblich der ſeyn kann,

Der, unſterblich erſchaffen, ein Meiſterſtuͤck Gottes vorher war!

Nicht ihr Geiſt iſt ſterblich, der ewige Geiſt nicht: Der Leib nur

Wird zur Erde, woraus er gemacht war. Das nennen ſie, Sterben.

Seiner Schoͤnheit beraubt, der anerſchaffenen Unſchuld,

Tritt alsdann der fliehende Geiſt vor den Richterſtul Gottes,

Und hoͤrt ein erſchreckliches Urtheil. Doch, ernſter Gedanke!

Fleuch! Dich denke nur Gott, der Weſen Schoͤpfer und Richter!

Das iſt ſchon ſchrecklich genung fuͤr einen Unſterblichen, Sterben!

Das zu denken. Dem Sterbenden brechen die Augen, und ſtarren,

Sehen nicht mehr. Jhm ſchwindet das Antlitz der Erd und des Himmels

Tief in die Nacht. Er hoͤret nicht mehr die Stimme des Menſchen.

Noch der Freundſchaft zaͤrtliche Klagen. Er ſelbſt kann nicht reden,

Und mit bebender Zunge den bangen Abſchied kaum ſtammeln,

Athmet tiefer herauf! Ein kalter aͤngſtlicher Schweiß laͤuft

Ueber ſein Antlitz, das Herz ſchlaͤgt langſam, dann ſtehts, dann ſtirbt er.

Jn dem Arme der liebenden Mutter, die gern mit ihr ſtuͤrbe,

Und nicht ſterben kann, ſtirbt die Tochter. Umfaßt von dem Vater,

Und an ſein Herze gedruͤckt, ſtirbt ein aufbluͤhender Juͤngling,

Seines Vaters einziger Sohn. Vor jammernden Kindern

Sterben Aeltern, ihr Troſt, und die Stuͤtze der wankenden Jahre.
L 2Jn
[164]Der Meßias.

Jn ihr Elend vertieft, ſtirbt eine theure Geliebte

An der Bruſt des zaͤrtlichen Juͤnglings. Die himmliſche Liebe

Jſt bey nah nur allein, in paradieſiſcher Schoͤnheit,

Einer einſamen Zahl von edleren Sterblichen uͤbrig!

Aber nicht lange! Sie ſterben: Und Gott erbarmt ſich nicht ihrer!

Nicht des abſchiednehmenden Laͤchelns der frommen Geliebten,

Nicht der brechenden Augen, die gern noch weinten, der Angſt nicht,

Die ſie betet, und Gott, nur um eine Stunde noch, anfleht;

Nicht der Verzweiflung des bebenden Juͤnglings, der ſtumm ſie umarmet

Deiner auch nicht, bekuͤmmerte Tugend, zu welcher die Liebe

Und ihr zartes Gefuͤhl, die ſterblichen Beyden erhoͤhte.

Alſo ſagt er. Jhn unterbrach ein wehmuͤtiges Weinen

Seiner Kinder um ihn. Die Vaͤter druͤckten die Soͤhne,

Und die Muͤtter die Toͤchter, bethraͤnt, an die ſchlagenden Herzen.

Knaben faßten das Knie ſich niederbiegender Vaͤter,

Und entkuͤßten die maͤnnliche Thraͤne dem Auge der Vaͤter.

Hand in Hand ſaß Schweſter und Bruder und ſahen ſich bang an.

Und an die Bruſt der theuren Geliebten, hinſinkend und ſeufzend,

Legten unſterbliche Juͤnglinge ſich, und fuͤhlten das Leben

Von den Herzen der himmliſchen Maͤdchen gewaltiger ſchlagen.

Aber der Vater dieſes Geſchlechts ermannte ſich wieder,

Und die Mutter der Menſchen ſtand ſanftgelehnt an ihm, er ſagte:

Wenns nur dieſe nicht ſind, zu denen im Zorne Gott hingeht,

Gegen deren unheiliges Antlitz der Ewige wandelt.

Ach, ſie haben vielleicht zu ſehr den Richter entruͤſtet,
Und
[165]Fuͤnfter Geſang.

Und er iſt herunter geſtiegen, ſie alle zu toͤdten!

Unſer Brudergeſchlecht, vor dem auch unſterbliche Menſchen,

Wenn ihr es wuͤſtet, wie ſehr wir euch liebten, und unſere Wehmut

Ueber euch: ach, ſo haͤttet ihr nicht den Richter gezwungen,

Von dem Himmel herunter zu ſteigen, euch alle zu toͤdten.

Unſer Brudergeſchlecht! Wenn ja die Erde dein Grab wird,

Und auf einmal euch Gott in ihre Tiefen hinabgraͤbt:

O ſo wollen wir hier die Todten Gottes beweinen,

Und auf die Ruheſtatt ihrer Gebeine, die Erd, oft hinabſehn.

Aber du haſt ja dieſem Geſchlecht, o Vater, den Gottmenſch,

Deinen erhabnen Meßias geſandt: ach, willſt du ſie richten?

Davon ſagen die Seraphim alle, die oftmals hier wandeln,

Und die feyernden Himmel umher. Der ſoll ſie erloͤſen!

Deine Todten ſollen dereinſt zum Leben erwachen,

Und wir ſollen ſie ſehn! Ach, willſt du, Vater, ſie richten?

Seht, er wendet ſein Antlitz von mir, und ſteiget, noch furchtbar,

Jmmer noch furchtbar und ernſt, gerade zur Erden herunter.

Wunderbar ſind, Gott, deine Gerichte! Dein ewiger Weg iſt

Dunkel vor uns! Du aber biſt heilig, und ewig dir ſelbſt gleich!

Halleluja, mein Schoͤpfer! Dir beten unſterbliche Menſchen

Von der heiligen Erde! Dir beten ſterbliche Menſchen,

Die du toͤdteſt, im Staube gebuͤckt! Der weiſere Seraph

Betet dir, Gott, des Antlitz umhuͤllt, am ewigen Throne!

Alſo ſagt er, und ſah der Herrlichkeit Gottes von fern nach!

Und Gott nahte ſich itzo der Erden. Und Seraph Eloa

Sah, von einem Wolkengebirge, Gott, und den Meßias.

Und er hielt in den Wolken, ſtand da, und donnert, und ſagte:

L 3Sohn
[166]Der Meßias.
Sohn des Vaters! Wie groß mußt du ſeyn, dieß Gericht zu ertragen!

Ach, wenn in der Endlichkeit Raum die Erkenntniß doch graͤnzte,

Dieß Geheimniß zu faſſen, und dieſe Tiefen zu ſchauen,

Gottheit! Schweig, Eloa! Verhuͤlle dich, anzubeten!

Heil dir, Geſchlecht der Menſchen, Bald wirſt du ſelig, wie ich ſeyn!

So ſprach Seraph Eloa, und ſtand mit verbreiteten Armen,

Gegen die Erde gekehrt, und ſegnete bey ſich die Erde.

Aber Gott gieng nach Tabor herab, und ſchaute den Erdkreis

Aus der Mitternacht an, in die er einſam gehuͤllt war.

Und er ſah das Antlitz der Erde mit Goͤtzenaltaͤren

Und mit Suͤndern bedeckt; auf ihren weiten Gefilden

Den verbreiteten Tod, des Richters ewigen Zeugen.

Alle Suͤnden vom Anfang der Schoͤpfung, bis an den Gerichtstag.

Alle Suͤnden der Goͤtzenſclaven; der Diener Jehova;

Und die ſchrecklichern Suͤnden der Chriſten, erhuben ſich bebend

Jn die Wolken, dem ſchauenden Antlitz des Richters entgegen.

Hingeriſſen vor Gott, aus ihren Naͤchten entfaltet,

Aus dem Abgrund, in den ſie begraͤbt das Herz, der Empoͤrer,

Wider den, der es ſchuf, mit daurender Schande gebrandmarkt,

Kamen ſie alle. Nicht eine blieb aus, die im ſchnellen Gedanken,

Oder im duͤnnen Gewebe der zaͤrtſten Empfindung verdeckt war.

Und es fuͤhrten das naͤchtliche Heer die Suͤnden der hohen

Und weitgraͤnzenden Seelen, die dich in himmliſcher Schoͤnheit,

Fromme Tugend, erblickten; doch deinem Laͤcheln nicht folgten!

Zwar voll leiſen Gefuͤhls; dich doch entweichten! Sie giengen

Aufgethuͤrmet in Rieſengeſtalten, und naͤher dem Donner,

Alle die rief mit allmaͤchtiger Stimme das ernſte Gewiſſen,
Vor
[167]Fuͤnfter Geſang.

Vor den Richter, gab allen Namen die namenlos waren,

Unter dem Menſchengeſchlecht, das ſich taͤuſcht, und die Zeuginn verkennet,

Zwiſchen ihnen und Gott, des Todes nahenden Stunde.

Und durch den Himmel erhub ſich ein allgemeines Verklagen.

Auf den zitternden Fluͤgeln der Winde Gottes erklangen

Stille Seufzer der leidenden Tugend, ein einſames Jammern.

Gleich dem kommenden Meer, ertoͤnte der Sterbenden Winſeln,

Von dem Schlachtfeld herauf, und zeugte wieder Monarchen.

Und dem Blute der Maͤrtyrer ward die Stimme des Donners

Und der Gewitter Gottes gegeben, das rief durch die Himmel:

Der du ſtehſt auf dem Thron, und haͤltſt des Weltgerichts Wagſchal

Jn der gefuͤrchteten Hand, ich bin unſchuldig vergoſſen!

Jch bin heiliges Blut, um deinentwillen vergoſſen!

Aber Gott dachte ſich ſelbſt, die Geiſterwelt, die ihm getreu blieb;

Und den Suͤnder, das Menſchengeſchlecht. Da ergrimmt er, und ſtand itzt

Hoch auf Tabor, und hielt den tieferzitternden Erdkreis,

Daß er nicht vor ihm vergieng.

Drauf verwandt er ſein ſchauendes Antlitz auf Seraph Eloa,

Und der Seraph verſtand die Reden im Antlitz Jehova;

Stieg von Tabor gen Himmel. So hub, von der Huͤtte des Bundes,

Sich die Fuͤhrerinn weg, die himmelſtuͤtzende Wolke;

Wenn die ſichtbaren Zeugen von Bethlehems kuͤnftigem Sohne,

Jhre Gezelte von Wuͤſten zu Wuͤſten, auf Moſes Wink, trugen.

Still auf einer Mitternacht ſtand der Seraph, und ſchaute

Gegen den Oelberg herab, und nahm die hohe Poſaune,

Blies den donnernden Ton des Weltgerichts in die Poſaune,

Und rief gegen den Erdkreis, und ſprach: bey dem furchtbaren Namen,
L 4Deß,
[168]Der Meßias.

Deß, der ewig iſt, und der ſeiner Gerechtigkeit Dauer,

Mit Unendlichkeit maß! Der haͤlt die Schluͤſſel des Abgrunds,

Der mit ſtrafendem Feuer die Hoͤlle, mit Allmacht den Tod hat,

Und mit Gericht bewafnet! Wenn einer iſt unter den Himmeln,

Welcher, ſtatt des Menſchengeſchlechts, im Gericht will erſcheinen,

Dieſer komme vor Gott! So rief Eloa vom Himmel.

Und es ſchaute der Gottmenſch vom Oelberg dem Seraph ins Antlitz,

Hoͤrte den Klang der Poſaune! Da gieng er mit ſchnellerem Schritte

Tief in Gethſemane hin. Noch folgten ihm drey von den Juͤngern

Jn die ſchreckende Nacht. Er entriß ſich ihnen, und eilte

Ganz ins Einſame hin. Jehovah hub das Gericht an.

Jn das Heilige haſt du mich zwar, o Muſe, gefuͤhret,

Aber ins Allerheiligſte nicht. Und haͤtt ich die Hoheit

Eines Propheten, die ewige Seele des Menſchen zu faſſen,

Und mit gewaltigem Arm ſie fortzureißen; und haͤtt ich

Eines Seraphs erhabene Stimme, mit welcher er Gott ſingt;

Toͤnte von meinem eroͤfneten Munde die hohe Poſaune,

Die auf Sina erklang, daß des Bergs Fuß unter ihr bebte;

Spraͤchen Donner aus meiner Rechte, Gedanken zu ſagen,

Die zu ſagen, die himmliſche Harfe den Donnerton mißte:

Dennoch wuͤrd ich, Meßias, erſinken, dein Leiden zu ſingen;

Als mit dem Tode du rangſt, als ganz unerbittlich dein Gott war.

Der du des erſten Bundes Propheten, den kuͤhnſten Beter,

Als er bat, von Antlitz zu Antlitz Jehovah zu ſehen,

Seitwaͤrts in einer Hoͤle verbargſt, bis die Herrlichkeit Gottes

War voruͤber gegangen, und er von ferne die Schoͤnheit

Deß, der ewig iſt, ſah, und Gottes Stimm ihm von Gott ſprach:
Geiſt
[169]Fuͤnfter Geſang.

Geiſt des Vaters und Sohns, ich bin dem Tode beſtimmter,

Mehr, als Moſes, vom Staube; laß in der weitſten Entfernung,

Mich, von deinem umſchattenden Fluͤgel ins Dunkle geſichert,

Gott, den leidenden Sohn, in ſeiner Todesangſt ſehen.

Ueber den Staub der Erde gebuͤckt, die, bang vor dem Richter,

Gegen ſein Antlitz herauf mit ſtillen Schauern erbebte,

Und im Beben den Staub ſo vieler Kinder von Adam,

Alle verdorrten Gebeine der todten Suͤnder, bewegte,

Lag der Meßias, mit Augen, die ſtarr auf Tabor gerichtet,

Himmel und Erde nicht ſahn, des Richters Antlitz nur ſchauten,

Bang, mit Todesſchweiße bedeckt, mit gerungenen Haͤnden,

Sprachlos, aber gedraͤngt von Empfindungen. Stark, wie der Tod trift,

Schnell, wie Gottes Gedanken, erſchuͤtterten Schauer auf Schauer,

Auf Empfindung Empfindung, des ewigen Todes Empfindung,

Den, der Gott war und Menſch. Er lag, und fuͤhlt, und verſtummte.

Aber da immer die Bangigkeit baͤnger, gedraͤngter die Angſt ward,

Dunkler die Nacht, gewaltger der Klang der Donnerpoſaune;

Da ſtets heftiger bebte der Tabor unter Jehova;

Da, ſtatt des Todesſchweißes, von ſeinem Angeſicht Blut rann;

Hub er vom Staube ſich auf, und ſtreckte die Arme gen Himmel.

Thraͤnen floſſen ins Blut. Er betete laut zum Richter:

Vater, die Welt war noch nicht, bald ſtarb der erſte der Menſchen,

Bald ward jede der Stunden mit ſterbenden Suͤndern bezeichnet!

Ganze Jahrhunderte ſind, von deinem Fluche belaſtet,

Alſo voruͤbergegangen. Nun iſt ſie, Vater, gekommen;

Da die Welt noch nicht war, da noch kein Todter verweſte,

Wurde ſie ſchon die ſelige Stunde des Leidens beſtimmet:
L 5Und
[170]Der Meßias.

Und nun iſt ſie gekommen! Seyd mir, o Schlafende Gottes,

Seyd mir in euern Gruͤften geſegnet! Jhr werdet erwachen!…

Ach, wie fuͤhl ich der Sterblichkeit Loos! Auch ich bin geboren,

Daß ich ſterbe! Der du den Arm des Richters empor haͤltſt,

Und mein Gebein von Erde mit deinen Schrecken erſchuͤtterſt,

Laß die Stunde der Angſt mit ſchnellerm Fluge vorbeygehn!

Vater! es iſt dir alles moͤglich. Ach, laß ſie vorbeygehn!

Ganz von deinem Grimme, von deinen Schrecken gefuͤllet,

Haſt du, mit ausgebreiteter Hand, den Kelch der Leiden

Ueber mich ausgegoſſen. Jch bin ganz einſam, von allen,

Die ich liebe, den Engeln, von den noch geliebteren Menſchen,

Meinen Bruͤdern, von dir, von dir, mein Vater, verlaſſen!

Schau, wo du richteſt, ins Elend herab! Jehovah! wer ſind wir?

Adams Kinder, und ich! Laß ab, die Schrecken des Todes

Ueber mich auszugießen!.. Doch nicht mein Wille geſchehe!

Vater dein Wille geſchehe!.. Mein ſtarr geheftetes Auge

Schaut in die Mitternacht aus, kann nicht mehr weinen. Mein Arm bebt,

Starrt nach Huͤlfe gen Himmel empor. Jch ſink auf die Erde:

Sie iſt Grabmal. Es ruft, durch alle Tiefen der Seele,

Laut ein Gedanke dem andern: Jch ſey vom Vater verworfen!

Ach, da der Tod noch nicht war! Da noch die Stille des Vaters

Ruht auf dem Sohne! Da Adam gemacht ward, unſterblich zu leben!

Doch mein Gebein von Erde traͤgt auch die Gottheit! Jch leide!

Jch bin ewig, wie du! Es geſcheh, o Vater, dein Wille!

Alſo ſprach er, und richtete ſich von ſeinem Gebet auf,

Stuͤtzt auf ſeine Rechte ſich nieder, und ſchaut in die Nacht hin.

Und da giengen vor ſeinen Gedanken des ewigen Todes
Schre-
[171]Fuͤnfter Geſang.

Schreckende Bilder voruͤber. Er ſah die verworfenen Seelen,

Die dem Tage der Schoͤpfung, dem Seyn zur Ewigkeit, fluchten.

Hoͤrte das dumpfe Geheul des wiedertoͤnenden Abgrunds;

Donnernde Stroͤme von Felſen herab in die Tiefe geſchleudert,

Auf den donnernden Stroͤmen, der Angſt gefluͤgelte Stimme;

Sanftere Fluͤſſe, die taͤuſchend die Seelen zur Ruh einluden,

Zum Entſchlummern ins Nichts. Dann wuchs der Betrogenen Jam̃ern;

Dann, in einen unendlichen Seufzer der alten Verzweiflung

Ausgegoſſen, empoͤrte die Stimme des Menſchengeſchlechts ſich,

Klagte den Schoͤpfer der Schoͤpfung, der war, und ſeyn wird, des Daſeyns

Und der Ewigkeit an. .. Jhr Elend fuͤhlte der Gottmenſch!

Lange ſchon hatt auf ihn hin, von einem veroͤdeten Felſen,

Adramelech geſchaut. Jtzt ſtieg er den Felſen herunter,

Blickt auf die Erde. Da ſah er vor ſich, in ſeinem Blute,

Einen Moͤrder, der ſich erwuͤrgte. Der Ton der Verzweiflung,

Jammernde Seufzer der wiederkehrenden Menſchlichkeit fuͤllten

Jeden Huͤgel umher. Von dieſer Stimme begleitet,

Nahte ſich Adramelech, und ſtand, des Meßias zu ſpotten.

Mit vernichtendem Stolz im hohen Auge geruͤſtet,

Und im Meere verruchter Gedanken, ganz in ſich, verloren,

Stand er, und feurte ſich an, die Gedanken toͤnen zu laſſen,

Wie ein Strom ſich ergießt, wie die Donnerwolke daher rauſcht.

Aber es wandte der hohe Meßias ſein Antlitz, und ſah ihn

Mit der Mine des Weltgerichts an. Der Wuͤtende fuͤhlte,

Wer ihn anſah, und bebt’ in ſein Nichts ohnmaͤchtig zuruͤcke.

Mitten in einem verruchten, hoch aufgethuͤrmten Gedanken,

Blieb er gedankenlos ſtehn. Nur dieſe Leerheit empfand er.
Sah
[172]Der Meßias.

Sah den Himmel, die Erde nicht mehr, nicht mehr den Meßias;

Nur ſich ſelber. Zuletzt vermocht er kaum zu entfliehen.

Drauf verließ der Meßias der Leiden traurige Stille,

Wandte ſich gegen die ſchlafenden Juͤnger, nach ſo viel Leiden,

So viel einſamer Angſt, der Menſchen Antlitz zu ſehen.

Mit dem Anblick der Menſchen, mit dieſem Troſte zufrieden,

Gieng der Erloͤſer, und nahte ſich ſtill den ſchlafenden Juͤngern.

Aber ihm jauchzten die Himmel umher, und feyrten den Sabbat,

Seit der Schoͤpfung den zweyten, der heiliger iſt, als der erſte.

Wenn der Gerichtstag iſt untergegangen, wird aufgehn der dritte,

Ewigkeit, heiſſet ſein Maß, ſein erſter Feyrer, Meßias!

Jtzo feyrten die Himmel des Sabbats heiligſte Stunden.

Alle wußten, daß itzt der ewige Hoheprieſter

Jn dem Allerheiligſten war, die Verſoͤhnung zu ſtiften.

Denn es hatte der Vater geſagt, und alſo geſprochen:

Wenn wird toͤnen um euch der Pole Donnern, wenn vor euch

Wird der Geſang der Sphaͤren, in Stimmen der Meere verwandelt,

Brauſend vorbeygehn, und ſchnell die Reihen wandelnder Sterne,

Tauſend Sonnenmeilen herauf, und tauſend hinunter,

Durch die Unendlichkeit werden erzittern; wenn uͤber euch kommen

Schauer von Gott, und euerm Haupte die goldenen Kronen

Hoch entfallen, und unter euch ſinken die goldenen Stuͤle:

Dann ſind die Stunden des ernſten Gerichts! Dann leidet der Gottmenſch.

Jtzo ſangen die Himmel: ſie iſt, der erhabenſten Leiden

Erſte Stunde, die ewige Ruh den Heiligen bringet,

Jtzo iſt ſie voruͤbergegangen! So ſangen die Himmel.

Aber es ſtand der Meßias vor ſeinen Juͤngern, und ſah ſie
Tief
[173]Fuͤnfter Geſang.

Tief im Schlafe. Noch fuͤllte der Ernſt des hohen Jakobus

Gluͤendes Antlitz. So ſchlummert ein Chriſt, vor ſeinem Tode,

Ruhig und ernſt. An den ſanften Johannes lehnte ſich Petrus,

Nicht mit ſtillem Laͤcheln, wie er. Jhm rief der Meßias:

Simon Petrus, du ſchlaͤfſt! Vermagſt du mit mir, da ich leide,

Auch nicht eine Stunde zu wachen? Ach, bald wird die Ruhe,

Bald wird der Schlummer nicht mehr dein weinendes Auge bedecken.

Wachet, und betet, damit der Verſucher nicht uͤber euch komme.

Zwar ihr wolltet es gern. Allein auch ihr ſeyd von Erde!

Und den himmliſchen Geiſt druͤckt noch der Sterblichkeit Buͤrde.

Alſo ſah er die drey. Jn einer weiteren Ausſicht

Sah er mit einem, unendlichen Blick die Geſchlechter der Menſchen,

Aller derer, die ſuͤndigten, ſtarben, und auferſtehn werden!

Und gieng wieder hin ins Gericht, fuͤr alle zu leiden!

Aber ſeitwaͤrts um das Gebirge kam Abbadona

Jn den Huͤllen der ſchweigenden Nacht, und ſprach zu ſich ſelber:

Ach, wo werd ich endlich ihn finden, den Mann, den Verſoͤhner?

Zwar ich bin unwuͤrdig, zu ſehn den beſten Sohn Adams!

Aber ihn hat doch Satan geſehn! Wo ſoll ich dich ſuchen?

Und wo werd ich endlich dich finden, Mann Gottes, Verſoͤhner?

Alle Wuͤſten hab ich durchirrt! Jch bin zu den Quellen

Aller Fluͤſſe gegangen! Jn aller daͤmmernden Haine

Einſamkeit hat ſich mein Fuß mit leiſem Zittern verloren!

Zu der Ceder hab ich geſagt: verbirgſt du ihn, Ceder,

O ſo rauſche mir zu! Und zu der Huͤgel Haupt ſprach ich:

Neige dich, einſamer Huͤgel, nach meinen Thraͤnen herunter,

Daß ich ſehe den goͤttlichen Mann, der etwa dort ſchlummert!

Jhn hat, dacht ich, vielleicht ſein fuͤr ihn ſorgender Schoͤpfer,

Unter ſchattende Decken der Abendroͤthe verhuͤllet:

Jhn hat die Weisheit vielleicht und menſchenfliehender Tiefſinn

Jn die Hoͤlen der Erde gefuͤhrt. Doch ich fand ihn am Himmel,
Jn
[174]Der Meßias.

Jn der Erde Schooß nicht. Ja, ich bin unwuͤrdig, dein Antlitz,

Ach, unwuͤrdig, die Blicke zu ſehen, mit welchen du laͤchelſt,

Bild der Gottheit, unſterblicher Menſch! Du erloͤſeſt nur Menſchen.

Mich erloͤſeſt du nicht! Du hoͤrſt die jammernde Stimme

Meiner Ewigkeit nicht! Ach, du erloͤſeſt nur Menſchen!

Alſo ſagt er, und ſahe vor ſich die ſchlafenden Juͤnger.

Und es lag der ſchoͤne Johannes im laͤchelnden Schlummer

Nahe vor ihm. Er ſah ihn, und trat mit zitterndem Fuße

Furchtſam zuruͤck. Kaum wagt ers zuletzt, ſtill alſo zu ſagen:

Wenn du es biſt, den ich ſuche, wenn du der goͤttliche Menſch biſt,

Der ſein Geſchlecht zu erloͤſen, erſchien: ſo ſey mir mit Thraͤnen,

Sey mir in deiner holdſeligen Schoͤnheit, mit ewigen Thraͤnen,

Und mit bangen unſterblichen Seufzern, Erloͤſer, gegruͤſſet!

Warlich, in deinem Antlitz ſind Zuͤge der himmliſchen Unſchuld:

Laute Zeugen von einer bewundernswuͤrdigen Seele.

Ja, du biſt es! Dich hab ich geſucht! Wie athmet die Ruhe,

Deiner Tugend Belohnung, aus dir! Ein Schauer befaͤllt mich,

Da ich ſehe die Ruh, die aus voller Seele dir zuſtroͤmt.

Wende dein Antlitz von mir! Sonſt muß ich wegſehn, und weinen!

Jndem Adbadona ſo ſprach, da wandte ſich Petrus

Aengſtlich gegen Johannes, und ſprach, da er itzo erwacht war:

Ach, Johannes, ich ſah im Traume den Meiſter! Er ſah mich

Ernſt mit Blicken voll Drohungen an, mit Blicken voll Mitleids!

Dieſes vernahm der Seraph und blieb voll Bewunderung ſtehen.

Jhn umgab die Stille der Nacht, und er hoͤrte von fern her,

Durch die ſchauernde Stille, wie eines Sterbenden Stimme.

Und er neigte ſein forſchendes Ohr nach dem Orte der Stimme,

Wo ſie herkam, er neigte ſich tiefer, und hoͤrte die Stimme

Jmmer trauriger werden, und naͤher dem Tode. Da ſtand er

Bang und erſtaunt, da bebte ſein Herz von dieſen Gedanken:

Soll ich hingehn, zu ſchauen den Mann, der dort mit dem Tode,
Und
[175]Fuͤnfter Geſang.

Und mit Gedanken von jenem Gericht voll Seelenangſt ringet?

Soll ich ſehn des Erſchlagenen Blut? Er gieng vielleicht ruhig

Jn den Schatten der Nacht, und eilte, ſtammelnde Kinder

An dem Halſe der Mutter mit Vaterfreuden zu gruͤßen;

Da erſchlug ihn ein lauernder Feind, ein Unmenſch, im Dunkeln!

Und es war doch vielleicht ſein Wandel mit Unſchuld gekroͤnet,

Und ſein Thun mit Weisheit geſchmuͤckt! Ach, ſoll ich ihn ſehen?

Soll ich ſehen des Sterbenden Blut, und die brechenden Augen;

Und die Todesblaͤſſe der Wangen, die nun nicht mehr bluͤhen?

Soll ich hoͤren der Seufzer Getoͤn, den rufenden Donner

Seiner Stimme, mit welcher er ſtirbt? Ach Blut des Erſchlagnen!

Furchtbares Blut des unſchuldigen Manns! Auch du biſt ein Zeuge

Wider mich vor jenem Gericht, das Erbarmung nicht kennet.

Auch ich habe den Tod die Kinder Adams gelehret!

Ach, Blut! Blut unſchuldiger Menſchen! Das je ward vergoſſen,

Und noch kuͤnftig, durch manches Jahrhundert, vergoſſen wird werden,

Laß von mir ab! Jch hoͤre die Stimme, mit welcher du donnerſt!

Ach, ich hoͤre dein furchtbares Seufzen, mit dem du zu Gott ſchreyſt,

Rache forderſt, und mich der ewigen Rache dahin giebſt.

Jch muß ſchauen dahin, wo deine Verweſungen ruhen!

Kinder Adams, auf eure Gebeine, dahin muß ich ſchauen!

Mein Gewiſſen ergreift, wie ein Krieger, mein weggewandt Antlitz,

Wendet es um, und kehrt es gewaltig dahin, wo die Todten,

Die auch ich mit erſchlug, in ſtillen Graͤbern verweſen.

Todesſtille, Mich ſchauert vor dir! Er koͤmmt nicht im Stillen,

Nicht in dieſer ruhenden Nacht, der gegen mich wuͤtet:

Donnernd geht er in Wolken daher! Sein Schritt iſt ein Wetter.

Seines Mundes Geſpraͤch iſt der Tod; iſt Gericht ohn Erbarmen!

Alſo dacht er, und nahte ſich ſaͤumend des Sterbenden Stimme.

Jtzo ſah er von fern den Meßias, doch ſah er ſein Antlitz

Und die blutende Stirne noch nicht. Es lag der Meßias
Auf
[176]Der Meßias.

Auf dem Antlitz, und betete ſtill mit gerungenen Haͤnden.

Abbadona gieng fern und voll Furcht auf dem ruhenden Boden

Um den Meßias herum. Jndem trat Gabriel langſam

Aus den dichten Schatten hervor, in die er gehuͤllt war.

Abdiel zitterte ſchweigend zuruͤck. Der himmliſche Seraph

Trat hinzu, und neigte ſein Ohr nach dem Mittler herunter,

Und hielt im hinſchauenden Auge, voll tiefer Ehrfurcht,

Eine menſchliche Thraͤne zuruͤck, ſtand denkend und hoͤrte

Nach dem Meßias herab. Und mit dem Ohre, mit dem er,

Millionen Meilen entfernt, den Ewigen wandeln,

Und die jauchzenden Morgenſterne vom weiten ſonſt hoͤret,

Hoͤrt er das langſamwallende Blut des betenden Mittlers

Bang von Ader zu Ader fließen. Viel lauter vernahm er,

Aus den Tiefen des goͤttlichen Herzens, ſtillbetende Seufzer,

Unausſprechliche, himmliſche Seufzer, dem Ohre des Vaters

Mehr, als aller Geſchoͤpfe Geſang, die ewig ihn ſingen;

Herrlicher, als die Stimme, die ſchuf; ſo hoch, als ihm ſelber

Gott Jehovah, erklingt, wenn er, Jehovah ſich nennet!

Alſo vernahm des Meßias geheimes Leiden der Seraph.

Und er hub ſich von ihm empor, trat ſchauernd ſeitwaͤrts,

Faltete ſeine Haͤnde zu Gott, und ſahe gen Himmel.

Abdiel ſchlug ſein Auge kaum auf, da er Gabriel ſahe,

Da er auf einmal uͤber ſich ſahe der himmliſchen Schaaren,

Jhrer Augen Gebet, und ihres Schweigens Gedanken,

All ein Antlitz, auf dich, o Meßias, herunter gerichtet.

Abdiel ſchauerte nur, und richtete Blicke voll Ohnmacht

Auf den Meßias, der itzt aus dem noch blutigen Staube,

Und aus dem Todesſchweiße ſein Antlitz langſam empor hub.

Abdiel ſah den Meßias, ſein Auge ward dunkel, kaum dacht er.

Da er wieder zu denken vermochte, da dacht er alſo.

Bald verſchloß er die bangen Gedanken, bald ließ er ſie jammernd,
Durch
[177]Fuͤnfter Geſang.

Durch die Schauer der Nacht in vollen Seufzern ertoͤnen.

O du, der du vor mir mit dem Tode ringeſt, wer biſt du?

Einer vom Staube gebildet? Ein Sohn der niedrigen Erde,

Die verflucht ward, und reif zum Gericht, vor dem letzten der Tage

Und dem offenen Grabe der alten Vergaͤnglichkeit zittert?

Einer von dieſem Staube gebildet? Ja! Aber es decket

Deine Menſchheit ein Schimmer von Gott! Was hoͤhers, als Graͤber

Und Verweſung, redet dieß Auge! So iſt nicht das Antlitz

Eines Suͤnders! So ſchaut er nicht hin der Verworfene Gottes!

Du biſt mehr, als ein Menſch. Jn dir ſind Tiefen verborgen,

Deren Abgrund mir unſichtbar iſt, Labyrinthe der Gottheit!

Jmmer naͤher ſchau ich dich an! Wer biſt du? O wende,

Wende dein Antlitz von ihm, Verworfner! Ein ſchneller Gedanke

Trift, wie ein Donner, auf mich, ein ſchreckender, großer Gedanke!

Eine furchtbare Gleichheit erblick ich. Kalt gießet die Angſt ſich

Ueber mein Haupt, mein Antlitz umſtroͤmen die Schauer des Todes!

Ach, er gleichet dem ewigen Sohne, der ehmals vom Thron her,

Hoch vom Thron, auf den Fluͤgeln des dunkeln Gerichtſtuls getragen,

Donnernd uͤber uns kam, und dicht an unſere Ferſen

Heftete ſeine Verderben, und kein Erbarmen nicht kannte.

Da die Unſterblichkeit, Fluch, das Leben ein ewiger Tod ward.

Da die Unſchuld der Schoͤpfung, mit allen Freuden des Himmels,

Uns auf ewig entfloh, verloren ins Heer der Gerechten.

Da Jehovah nicht Vater mehr war! Jch wandte mein Antlitz

Einmal bebend herum, und ſah ihn hinter mir kommen;

Sah den furchtbaren Sohn, des Donners ſchauendes Auge!

Hoch ſtand er auf dem dunkeln Gerichtsſtul, die Mitternacht um ihn,

Um ihn der Tod! Jhn hatte der Vater mit Allmacht bekleidet,

Mit Verderben geruͤſtet, das Bild der erſten Erbarmung.

Seinen donnernden Gang, den Schwung der ſtrafenden Rechte

Bebte die bange Natur in allen Tiefen der Schoͤpfung
MSchau-
[178]Der Meßias.

Schauernd nach! Jch ſah ihn nicht mehr, mein Auge verlor ſich

Tief in die Nacht. So ſchlummert’ ich hin, durch Sturmwind und Donner,

Durch das Weinen der bangen Natur, im Gefuͤhl der Verzweiflung,

Und unſterblich. So ſah ich den Richter. Jhm gleichet das Antlitz

Dieſes Mannes im Staube gebuͤckt, der mehr als ein Menſch iſt.

Jſt er vielleicht des Ewigen Sohn, der gegebne Meßias?

Jener Richter? Wie aber er leidet! Er ringt mit dem Tode!

Er, der ſtand auf dem hohen Gerichtsſtul! Er ringt mit dem Tode!

Ohne Maß iſt die Angſt, die ſeine goͤttliche Seele

Rings um erſchuͤttert! Er jammert im Staube! Die ſteigenden Adern

Bluten Todesangſt aus! Jch, dem kein Jammer verdeckt iſt,

Der ich alle Stufen der Quaal und Verzweiflung hinabſtieg,

Weis mit keinem Namen die Angſt der Seele zu nennen,

Die er fuͤhlt! Mit keiner Empfindung ihm nachzuempfinden,

Dieſen dauernden Tod! … Jn tiefer, naͤchtlicher Ferne,

Seh ich neue Gedanken, voll wunderbarer Begriffe,

Und in Labyrinthe verflochten, ſich gegen mich naͤhern.

Jener Koͤnig des Himmels, der Sohn, Jehovah, des Vaters

Ewiges Bild, ſtieg vom Himmel in eines Menſchen Leib nieder,..

Leidet itzt fuͤr die Menſchen, ſtatt ſeiner ſterblichen Bruͤder

Geht er hin ins Gericht! Kann ich mich himmliſcher Dinge

Recht noch erinnern, ſo iſt mirs, als haͤtt ich von dieſem Geheimniß

Einſt was dunkles im Himmel gehoͤrt. Auch bekraͤftigt es Satan

Durch das, was er von ihm und ſeinen Reden erzaͤhlte.

Und wie naͤhern die Engel ſich ihm! Wie betet ihr Antlitz

Und die gefaltete Hand vor ihm an. Auch ſcheint die Natur hier

Ueberall ſtill zu ſchauern, als waͤre Gott wo zugegen.

Wenn du gehſt ins Gericht fuͤr deine ſterblichen Bruͤder,

Wann du biſt des Ewigen Sohn, ſo will ich entfliehen;

Daß du nicht, wenn du mich ſiehſt vor deinen Fuͤſſen hier zittern,

Gegen mich zornig erwachſt, und auf deinen Gerichtsſtul dich hebeſt.
Aber
[179]Fuͤnfter Geſang.

Aber du blickft mich nicht an! Doch kennſt du mein innerſtes Denken!

Darf ich dieſen Gedanken hinaus zu denken es wagen,

Deſſen erſtes Zittern ich fuͤhle? Du wardſt der Meßias

Fuͤr die Menſchen, und nicht der Meßias der hoͤheren Engel!

Ach, wenn du uns gewuͤrdiget haͤtteſt, ein Seraph zu werden,

Und laͤgſt uͤber die Felder des Himmels hinuͤber gebreitet,

Wie du hier im Staube itzt liegſt; und giengſt ins Gericht hin,

Unſerntwegen tief ins Gericht des ewigen Vaters;

Falteteſt ſo die Haͤnde zu Gott, und ſaͤhſt ſo zum Thron auf:

O wie wollt ich alsdann mit aufgehabenen Haͤnden

Gehen um dich herum, und mit Hallelujageſaͤngen,

Mit der Stimme der Harfenſpieler dich, Goͤttlicher, ſegnen!

Aber weil ihrs denn ſeyd, die ſuͤſſen Lieblinge Gottes,

Kinder Adams, ſo faſſe der Fluch mit ewigem Feuer

Jedes Haupt, das niedrig gnug denkt, den Sohn zu verkennen!

Jedes Herz, das, ſeiner nicht wuͤrdig, die Tugend entheiligt!

Die ihr kommen werdet, Geſchlechter ſo vieler Erloͤſten,

Wenn ihr entehret das Blut, das von dieſem Angeſicht rinnet,

So ſey es euch zum Tode vergoſſen, zum ewigen Tode!

Ja, euch mein ich, und nenn euch zugleich bey dem furchtbaren Namen,

Den euch der Unerſchaffne ſelbſt gab, unſterbliche Seelen,

Wenn nun uͤber euch auch das Bild von jenem Gedanken,

Mit der gefuͤrchteten Mine der ernſten Ewigkeit, ſtehn wird,

Jener Gedanke, daß ihr, gleich uns, verworfen von Gott ſeyd,

Von dem erſten und beſten der Weſen, auf ewig verworfen!

Dann will ich auf die offenen Wunden der ewigen Seelen,

Durch die Gefilde voll Elend und Nacht, herabſchaun und ſagen:

Heil dir, ewiger Tod, dich ſegn’ ich Jammer ohn Ende!

Zwar das Anſchaun, die ſelige Ruh der hohen Erloͤſten,

Die mit weiſerer Sorge durch Tugend der Ewigkeit lebten,

Wird mich vom Himmel herab, aus ihrer Herrlichkeit, ſchrecken.
M 2Doch
[180]Der Meßias.

Doch will ich auf die offenen Wunden der ewigen Seelen,

Durch die Gefilde voll Elend und Nacht, herabſchaun und ſagen:

Heil dir, ewiger Tod, dich ſegn’ ich Jammer ohn Ende!

Aus dem eiſernen Arm der Hoͤlle will ich mich reiſſen,

Gehn zum Throne des Richters, und rufen mit donnernder Stimme,

Daß es die Erden umher, und die Himmel alle vernehmen:

Jch bin ewig, wie er! Was that ich, daß du den Suͤnder,

Nur den menſchlichen Suͤnder allein, nicht den Engel, erloͤſteſt.

Zwar dich haſſet die Hoͤlle! Doch iſt ein Verlaßner noch uͤbrig;

Einer, der edler geſinnt iſt, und nicht dein Haſſer, Jehovah!

Einer, der blutende Thraͤnen, und Jammer, der nicht bemerkt wird,

Ach, zu lange vergebens, zu lange! Gott vor dir ausgießt,

Satt, geſchaffen zu ſeyn, und der bangen Unſterblichkeit muͤde!

Abdiel floh. Es ſtand der Meßias vom Staube der Erde

Jtzo zum zweytenmal auf, der Menſchen Antlitz zu ſehen.

Und es ſangen die Himmel: ſie iſt der erhabenſten Leiden

Zweyte Stunde, die ewige Ruh den Heiligen bringet;

Jtzo iſt ſie voruͤbergegangen! So ſangen die Himmel.

Und der Meßias verließ von neuem die ſchlummernden Juͤnger,

Gieng zum drittenmal hin, ſich dem zum Opfer zu geben

Der mit gefuͤrchtetem Arm noch immer die Wagſchal empor hielt,

Jmmer noch den Donner des Fluchs und des Weltgerichts ausſprach.

Ueber ihm hieng, da er litt, die Nacht vom Himmel herunter;

Eine ſchreckliche Nacht. So wird vor dem letzten der Tage,

Dunkel, von allen Himmeln herunter, die letzte Nacht haͤngen.

An ſie draͤngt ſich der eilende Tag; dicht an ſie! Der Donner

Der Poſaune wird bald, bald wird der Schwung der Gebeine,

Und das rauſchende Feld voll Auferſtehung, vom Thron her,

Jeſus, der auch ein Todter einſt war, zum Weltgericht rufen.

Aber es ſchaut auf den Sohn vom Tabor der Vater herunter,

Sah die Mine des ewigen Todes im Antlitz des Sohnes.
Unten
[181]Fuͤnfter Geſang.

Unten am Fuſſe des Bergs, in mitternaͤchtlicher Stille,

Stand Eloa. Er hatte ſein Haupt in Wolken verhuͤllet,

Und den denkenden Blick ſtarr auf die Erde gerichtet.

Gott rief aus den Wolken herunter: Eloa! Gleich eilte

Schweigend der Seraph ins Dunkle hinauf, und ſtand vor der Gottheit.

Und Gott ſprach zu Eloa: Haſt du die Leiden geſehen,

Die der Ewige litt? Geh, ſing dem Sohn ein Triumphlied,

Von den Scharen der Heiligen alle, durch Leiden des Todes,

Und mit Blute verſoͤhnt, vom Halleluja der Himmel,

Wenn er Koͤnig ſeyn wird, zur Rechten Gottes erhoben!

Zitternd erwiedert der Seraph: wie aber ſoll ich dich nennen?

Wenn ich gehe zum Sohn, die goͤttliche Bothſchaft zu bringen.

Gott ſprach: nenne mich, Vater! Mit tief anbetendem Blicke,

Und mit heilig gefalteten Haͤnden, ſprach Seraph Eloa:

Aber wenn ich, von Antlitz zu Antlitz, im blutigen Schweiſſe,

Und in die Leiden des Todes gehuͤllt, den Gottmenſch erblicke;

Wenn ich ſeh das Gericht in den ſonſt laͤchelnden Zuͤgen,

Unter den trauernden Zuͤgen nur dunkel, der Goͤttlichkeit Spuren!

Werd ich ſprachlos nicht ſtehn? Wird mir mein ſchlagendes Herz nicht

Auch den unmerklichſten Laut der himmliſchen Lieder verſagen?

Werden mich nicht die Schreckniſſe Gottes, die Bilder des Todes

Selbſt umſchatten? Und werd ich vor ihm im Staube nicht liegen?

Bater, ſende mich nicht! Jch bin zu gering, dem Meßias,

Viel zu endlich, dem leidenden Gottmenſch Triumphe zu ſingen.

Huldreich erwiederte Gott: wer hub hoch uͤber die Himmel

Deinen feurigen Muth? Wer gab dir da dein Triumphlied?

Als am Tage des erſten Gerichts das Heer der Verworfnen

Meine Donner verfolgten, du, auf den Fluͤgeln der Donner?

Wer ermannte dein Herz, den Tod des erſten der Menſchen,

Und mit ihm alle Tode der Kinder Adams zu ſehen?

Auf, ich fuͤhre dich ſelbſt! Und wenn du mehr auch erzitterſt,
M 3Bey
[182]Der Meßias.

Bey dem nahen Anſchaun des Sohns, ſo wird er dich lehren,

Unter die zitternden Stimmen den hohen Triumphton zu miſchen!

Gott ſprach ſo. Der Seraph gieng fort mit dem Rauſchen des Jordans,

Und mit dem Hauchen der Donner von Tabor. Jtzt ſtieg er den Oelberg

Bangſam herab. Ein furchtbarer Schauer von Mitternachtswinden

Trug ihm die betende Stimme des hohen Meßias entgegen.

Und ein ſtilles Zittern befiel den ſtaunenden Seraph.

Aber da er wahrnahm des Sterbenden Antlitz, die Blicke

Voller Gefuͤhl des Gerichts, den Sohn vom Vater verlaſſen;

Stand er auf die Erde geheftet, des himmliſchen Glanzes

Seiner Schoͤnheit beraubt, nicht mehr der unſterbliche Seraph,

Gleich dem Menſchen von Erde gemacht. Der groſſe Meßias

Richtete Blicke voll Hoheit auf ihn, und laͤchelte Gnade.

Mit dem Anblick empfieng der Seraph die Schimmer des Himmels,

Und der Unſterblichen Schoͤnheit von neuem. Er hub im Triumphe

Sich auf goldenen Wolken empor, und ſang aus den Wolken:

Sohn des Vaters, von welchem Gedanken erweckt mich dein Anſchaun!

Heil mir! Jch bin gewuͤrdiget worden dir nachzuempfinden,

Was du empfindeſt! Von ferne zu ſchaun der Gottheit Gedanken.

Ueber euch haͤnget die Decke der tiefſten Geheimniſſe! Himmel,

Ganze Himmel voll Nacht, der Einſamkeit Gottes Umſchattung,

Huͤllen euch ein! Kein Endlicher ſah euch, Gedanken der Gottheit!

Und ich bin gewuͤrdiget worden, von fern euch zu ſchauen;

Aus der gemeſſenen Endlichkeit Raum hinuͤber zu blicken,

Jch, ein kurzer Gedanke des Unerſchaffnen, ein Theilchen

Auf der Schoͤpfungen Schauplatz! Gleich einer Sonne, die aufgeht,

Einem Staube zu leuchten, der ſchwimmt, und Erde genennt wird.

Heil mir! Daß ich geſchaffen bin! Heil! Daß du ewig biſt! Heil dir!

Vater, und Sohn! Und ihr, die meine Seele noch fuͤllen,

Die mit dem Saͤuſeln der Gegenwart Gottes noch uͤber mich kommen,

Heilige Schauer, fahrt fort, aus meiner Endlichkeit Graͤnzen,
Mich
[183]Fuͤnfter Geſang.

Mich ins Dunkle der Herrlichkeit Gottes hinuͤber zu tragen!

Nun empfind ich ſie ganz, der Auferſtehung Gedanken!

Adams Geſchlecht, ſo wirſt du erwachen! Dieß Staunen, dieß Zittern,

Dieſes Jauchzen des ewigen Lebens wird uͤber dich kommen!

Dann wird ſtehn auf dem Throne, der hier im Staube gebuͤckt liegt,

Einen langen gefuͤrchteten Tag, ſein Weltgericht halten,

Und vollenden den Bund, durch dieſe Leiden geſtiftet.

O, mit welchem Gefuͤhl der neuen Schoͤpfung, wie ſelig,

Werden, die du erloͤſet haſt, dich auf dem Richterſtul anſchaun!

Deine ſchimmernden Wunden, das Bild der Liebe zum Tode,

Bis zum Tod am Kreuze, mit betenden Augen betrachten,

Und dir feyern, dir Halleluja der Ewigkeit ſingen!

Dann wird ſchweigen vor ihnen des Weltgerichts Donnerpoſaune,

Und die Stimme vom Thron. Es wird die Tiefe ſich buͤcken,

Und die Hoͤh gefaltete Haͤnde gen Himmel erheben.

Dann wird der letzte der Tage den ſtillverloͤſchenden Schimmer

Vor dem Throne der Ewigkeit niederlegen. Dann wirſt du

Deine Gerechten um dich zu deinem Anſchaun verſammeln,

Daß ſie dich ſehn, wie du biſt. Sie werdens fuͤhlen, und jauchzen,

Daß ſie ewig ſind, und den Gedanken des Lebens ohn Ende,

Weil du ſie liebeſt, erſt ganz in ſeiner Hoheit empfinden.

So ſagt der, den Jehovah, voll Ehrfurcht die Seraphim nennen;

Die Verworfenen, Richter; der ſelber Vater ſich nennet!

Alſo ſang Eloa vom Himmel. Es ſchaute der Gottmenſch

Sanft dem anbetenden Seraph ins Angeſicht, ſanfter auf Tabor.

Aber noch daurte das ernſte Gericht, die Baͤngſten der Leiden

Ueber ihn auszugießen, und kein Erbarmen zu kennen.

Und er neigte ſich tief, rang ſeine Haͤnde gen Himmel,

Und verſtummte. So windet ein Lamm, am Altare geſchlachtet,

Sich in ſeinem Blute; ſo lag, umſtroͤmt von den Wolken

Seiner Opfer, umſtroͤmt vom Blute, ſo neigte ſich Abel,
Als
[184]Der Meßias. Fuͤnfter Geſang.

Als er einſam entſchlief, und ſeinen Vater nicht ſahe.

Alle Seraphim, die den Meßias erſtaunungsvoll anſahn,

Und ihn bisher mit ſinkendem Blicke beobachtet hatten,

Konnten den Gottmenſch nicht mehr, und ſeine Todesangſt ſehen:

Fuͤhlten der Endlichkeit Loos, verwandten ihr Antlitz, und flohen.

Gabriel nur blieb ſtehn, und verhuͤllte ſich. Auch blieb Eloa,

Sank, und neigte ſein Haupt in eine Mitternachtswolke.

Und die Erde ſtand ſtill. Der Richter richtete. Dreymal

Bebte die Erde, zu fliehn, und dreymal hielt ſie Jehovah.

Jtzo erhub ſich der Gottmenſch, als Sieger, vom Staube der Erde.

Jtzo ſangen die Himmel: ſie iſt, der erhabenſten Leiden

Dritte Stunde, die ewige Ruh den Heiligen bringet;

Jtzo iſt ſie voruͤbergegangen! So ſangen die Himmel.

Und Gott wandte ſein Antlitz, und ſtieg zum ewigen Thron auf.

Ende des erſten Bandes.



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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Der Messias. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnv9.0