[][][][][][[I]]
Coſmologiſche Briefe
uͤber die
Einrichtung
des
Weltbaues


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Augſpurg:
Bey Eberhard Kletts Wittib.
1761.

[[II]][[III]]
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Vorrede.


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Eine gedoppelte Abſicht hat mich
veranlaßt, dieſe Sammlung
Coſmologiſcher Briefe uͤber die
Einrichtung des Weltbaues her-
aus zu geben, die ich deswegen
hier anzuzeigen fuͤr noͤthig er-

achte, weil ſie nothwendig nach der verſchiedenen Ge-
denkensart der Leſer bey denſelben verſchiedene Ein-
druͤcke machen muͤſſen, je nachdem ihnen die darinn
vorgetragene Saͤtze und beſonders ihre Beweiſe,
mehr, oder minder einleuchten werden.


a 2Ich
[IV]Vorrede.

Ich hatte in dem Hauptſtuͤcke der Photometrie,
welches von dem Lichte und Abſtande der Fixſterne
handelt, gelegentlich angemerkt, wie ich glaube, daß
man ſich die Austheilung derſelben durch den Welt-
raum am vernuͤnftigſten vorſtellen koͤnne. Die vor-
nehmſten Betrachtungen daruͤber zoge ich in die Kuͤr-
ze zuſammen, und begnuͤgte mich, ſie in einzeln Saͤ-
tzen und ohne Beweiſe vorzutragen, welche man
doch um deſto mehr von mir fordern konnte, weil die
Meynung, die ich angabe, unerwarteter ware, und
als eine Folge von mehreren Schluͤſſen angeſehen wer-
den konnte.


So emſig die neuern Aſtronomen ſind, die
Weltkugel unſeres Sonnenſyſtems in Ordnung zu
bringen, und jedem Cometen ſeine Laufbahn anzu-
weiſen, und ſeine kuͤnftige Ruͤckkehr vorher zu be-
ſtimmen, ſo wenig hat man es noch gewagt, etwas
wahrſcheinlicheres uͤber die Ordnung und Anlage der
Fixſterne zu finden. Was man hiebey gethan, iſt,
daß man ſuchte auszumachen, wie weit der naͤchſte
derſelben von der Sonne entfernt ſeye. Es iſt un-
ſtreitig, daß man hieraus noch lange nicht auf die
Ordnung ſchlieſſen kann, die ſie unter ſich haben.
Die Ausmeſſung iſt hiebey unzureichend, und man
muß nothwendig allgemeinere Betrachtungen daruͤ-
ber
[V]Vorrede.
ber anſtellen, welche zwar keine Geometriſche Schaͤr-
fe haben, aber dennoch zu einem hoͤhern Grad der
Wahrſcheinlichkeit koͤnnen gebracht werden.


Dieſe Betrachtungen machen den Innhalt von
den lezten Briefen dieſer Sammlung. Sie dehnen
ſich auf die Einrichtung des ganzen Weltgebaͤudes
aus. Die erſtere Briefe ſind zu einzelern Theilen
deſſelben, und beſonders zur Beſtimmung der Anord-
nung der Weltkugeln in unſerm Sonnenſyſtem ge-
wiedmet, welches uns theils jezt ſchon bekannter iſt,
theils durch kuͤnftige Obſervationen noch mehr be-
kannt werden wird. Die Abſicht, ſo ich dabey hat-
te, geht dahin, daß ich zeigte, daß die Cometen lan-
ge nicht ſo fuͤrchterlich ſeyen, als man ſie ſeit einiger
Zeit ausgeben wollte, daß unſer Sonnenſyſtem nicht
ſo oͤde ſeye, als man es wegen Mangel genugſamer
Obſervationen glauben moͤchte, und endlich, daß
die Cometen den Planeten an Wuͤrde, wo nicht vor-
gehen, doch im geringſten nichts nachgeben.


Ich weiß, daß ich bey allem deme viele neue Ge-
danken, und uͤber dieß mit einer zureichenden Drei-
ſtigkeit vortrage, ungefehr eben ſo, als wenn dieſe
Dreiſtigkeit das, was den Beweiſen an Schaͤrfe ab-
geht, ergaͤnzen ſollte. Dieſes war aber meine Mey-
nung nicht. Ich gebe zu, daß das meiſte von dem,


a 3was
[VI]
Vorrede.

was ich ſage, nur einen gewiſſen Grad von Wahr-
ſcheinlichkeit hat. Dieſe aber habe ich mich mit gu-
tem Vorbedachte, bemuͤht, ſo weit zu treiben, als es
moͤglich ware. Ich kehrte jede Sache auf alle Sei-
ten um, um von jeder derſelben, neue Gruͤnde zu ih-
rer Unterſtuͤtzung zu ſuchen, und den Beweiſen trach-
tete ich alle Manigfaltigkeit zu geben, und ſie der Ge-
wißheit ſo nahe zu bringen, als es ſich thun lieſſe.
Ich unterſuchte, was zur voͤlligen Gewißheit gehoͤr-
te, und legte die Gruͤnde zuſammen auf die Wag-
ſchal, um zu ſehen, wie viel ihnen am voͤlligen Ge-
wichte noch abgienge. Ich betrachtete ſie wiederum
in Abſicht auf die Leſer, und erforſchte, wie viel mir
jeder nach ſeiner Gedenkensart einraͤumen wuͤrde.
Dieſes iſt alles, was ich mit Saͤtzen thun konnte,
die nur wahrſcheinlich waren. Aber ich bemuͤhte
mich, es zu thun, um mir einen Vorrath von wahr-
ſcheinlichen Beweiſen aufs kuͤnftige zu ſammeln, den
ich gerne noch groͤſſer haben moͤchte. Hier iſt nun
meine zweyte Abſicht.


Ich habe mich ſeit vielen Jahren ſchon damit be-
ſchaͤftigt, daß ich ſo wohl von meinen eigenen als an-
derer ihren Erfindungen, nicht leicht eine vorbey lieſ-
ſe, da ich nicht geſucht haͤtte, die Kunſtgriffe und Re-
geln, ſo dabey vorkommen, zu abſtrahiren, und mir
eine
[VII]Vorrede.
eine Sammlung davon zu machen, die ich kuͤnftig als
Anmerkungen und Zuſaͤtze zur Vernunftlehre und Er-
findungskunſt heraus zu geben gedenke. Hierunter
gehoͤrt auch ein Theil, der den Argumenten gewied-
met iſt, in ſo ferne dieſe den Demonſtrationen, die
nach aller Strenge bewieſen, entgegen geſetzt ſind,
und als unzureichende Beweiſe angeſehen werden koͤn-
nen. Es iſt unnoͤthig, hier ihre verſchiedene Arten,
und wie weit jede derſelben reicht, anzufuͤhren. Hin-
gegen werden mir in erſt bemeldter Sammlung die
Beyſpiele davon deſto nuͤtzlicher ſeyen.


Es iſt fuͤr ſich klar, daß gegenwaͤrtige Briefe,
einen ziemlichen Vorrath dazu angeben. Man hat
in Abſicht auf die Vernunftlehre des Wahrſcheinli-
chen ſchon laͤngſten gewuͤnſcht, daß die, ſo viel mit
wahrſcheinlichen Dingen umgehen, Regeln und Bey-
ſpiele dazu anſchaffen moͤchten. Ich befinde mich in
dem Falle nicht, daß ich ſolche geben koͤnnte, die nach-
gehends im Gemeinen Leben koͤnnten gebraucht wer-
den. Da aber das gemeine Leben den Reichthum
der wahrſcheinlichen Gruͤnde nicht erſchoͤpft, und
viele derſelben auch in den Wiſſenſchaften noch zuruͤ-
cke bleiben, wo man lauter Gewisheit haben ſollte,
ſo geben dieſe Briefe Stoff zu einer gewiſſen Gat-
tung derſelben an, welche um deſto mehr nach aller
a 4Schaͤr-
[VIII]Vorrede.
Schaͤrfe gepruͤft zu werden verdient, weil die Teleo-
logie
uns in der Naturlehre nicht nur die Allgemein-
heit der Geſetze der Natur beweiſen muß, ſondern
auch fuͤrnehmlich zu Erfindung derſelben dienen ſollte.


Dieſen letztern Nutzen hat der Herr von Leib-
niz
ſchon angemerkt, und in dem Beweiſe von dem
Geſetze der Stralenbrechung ein Beyſpiel davon zu
geben geſucht. Der Herr von Maupertius bemuͤhte
ſich ebenfalls alle Geſetze der Bewegung aus der Te-
leologie
zu beweiſen. Ueberhaupt iſt es unſtreitig,
daß es in der Welt mehr als ein maximum und mini-
mum
geben muß. Es iſt nur zu bedauren, daß die
Unterſuchung derſelben noch ehender eine bloſe Glau-
bensſache
iſt, dabey jeder ſich das Recht vorbehaͤlt,
ſeinen Beyfall nach ſeiner Willkuͤhr einzurichten, und
daß die Beſorgnis der Ausnahmen der Allgemeinheit
der Teleologiſchen Saͤtzen in ſo ferne Abbruch thut,
daß man ſie lieber durch die Erfahrung beſtaͤtigt wiſ-
ſen, und vor dem Sehen nicht getroſt glauben will.
Dieſe Schwuͤrigkeit druͤckt die meiſten Beweiſe, de-
ren ich mich in dieſen Briefen bediene, daß ſie nicht
wie die Geometriſchen, den Beyfall abnoͤthigen, ſon-
dern es dem Leſer uͤberlaſſen, ob er ſie des Beyfalls
wuͤrdig finden werde. Viele Vorderſaͤtze, deren ich
mich in den Beweiſen bedient, ſind von den Abſich-
ten
[IX]Vorrede.
ten der Schoͤpfung hergenommen, und folglich te-
leologi
ſch. Mann kann ihre Allgemeinheit auf eine
gedoppelte Art in Zweifel ziehen. Einmal kann man
fragen, ob ſie nicht nothwendig eine ſehr ſtarke Ein-
ſchraͤnkung leyden, und wenn auch dieſes nicht iſt, ob
es nicht einzele Faͤlle giebt, wo andere Abſichten eine
Ausnahm daran machen. Das Lehrgebaͤude von den
Abſichten der Schoͤpfung iſt noch lange nicht ſo voll-
ſtaͤndig, daß man jede einzele Abſicht mit den uͤbrigen
vergleichen, ihre Subordination veſte ſetzen, die Ein-
ſchraͤnkungen und Ausnahmen beſtimmen, und da-
her auch jede vorkommende Faͤlle daraus beurtheilen
koͤnnte. So lange dieſes nicht iſt, wird ſich jeder Le-
ſer ein unumſchraͤnktes Recht anmaſſen, von teleo-
logi
ſchen Beweiſen ſo viel einzuraͤumen und zu ver-
werfen, als es ihme gefaͤllt. Man wird in dem 6ten
und 8ten Briefe Betrachtungen finden, die hieher
gehoͤren. In jenem wird die Beſchaffenheit einer
vollſtaͤndigen und ſtrenge erwieſenen Teleologie, in
dieſem aber das Recht unterſucht, das ſich jeder Le-
ſer nach ſeiner beſondern Gedenkart anmaßen kann,
an der hierinn beſchriebenen Einrichtung des Welt-
baues zu zweifeln.


Eine Hauptſchwuͤrigkeit, die den teleologiſchen
Beweiſen anhaftet, iſt die Endlichkeit der Welt. So
a 5groß
[X]Vorrede.
groß und ausgedehnt dieſelbe auch ſeyn mag, ſo wird
ſie dadurch auf endliche Zahlen eingeſchraͤnkt, und
von der Unendlichkeit der goͤttlichen Abſichten faͤllt da-
durch die Helfte weg. Ihre Summe kann nur der
Zeit nach als unendlich angeſehen werden, weil ſie
ſich durch die Ewigkeit erſtrecken, und daher dem Un-
endlichen immer naͤher kommen, ungeacht ſie es nie
erreichen. Dem Raume nach verhaͤlt es ſich anderſt.
Das Ganze hat hier ſeine Schranken, welche der All-
gemeinheit der teleologiſchen Saͤtze in ſo ferne Ab-
bruch thun, daß man immer die Bedingung hinzu-
ſetzen muß: So weit das Weltgebaͤude reicht.
Dadurch aber kann man ſie ſo unumſchraͤnkt nicht
vortragen, und es iſt leichte zu erachten, daß dieſes
Anlaß giebt, an der Zuverlaͤßigkeit ihrer Anwendung
zu zweifeln. So z. Ex. wenn man die Bewohnbar-
keit der Welt als eine Hauptabſicht der Schoͤpfung
anſehen, und Schluͤſſe daraus herleiten will, ſo kann
man ſie nicht ohne die ſo gar merkliche Einſchraͤnkung
annehmen, daß die bewohnbare Plaͤtze auf irgend ei-
ne endliche Zahl muͤſſen geſetzt werden. Man muß
immer dieſe Abſicht nur ſo vortragen: So weit das
Weltgebaͤude reicht, iſt es bewohnt
. Es iſt un-
ſtreitig, daß der Beweiß dieſes Satzes ſchwerer
wird, als wenn man an der Abſicht weder Ausnah-
me noch Einſchraͤnkung annehmen koͤnnte.


Ich
[XI]Vorrede.

Ich kann nicht ſagen, ob in allen teleologiſchen
Beweiſen, die in dieſen Briefen vorkommen, eine ſo
genaue Behutſamkeit gebraucht worden, weil ich die
meiſten Vorderſaͤtze ſchlechthin als gemein vorgetra-
gen habe, wie man es bey wahrſcheinlichen Bewei-
ſen zu thun gewoͤhnt iſt, um ihnen alle Staͤrke zu ge-
ben. Man kan ſie demnach als locos communes anſe-
hen, dergleichen man in dem gemeinen Leben haͤufig
gebraucht. Dieſe Form habe ich ihnen ohne Beden-
ken laſſen koͤnnen, weil uͤberhaupt die ganze Form
der Beweiſe darnach eingerichtet iſt. Die ſchaͤrfere
Unterſuchung jeder Arten dieſer Beweiſe verſchiebe
ich in die vorhin verſprochene Anmerkungen uͤber die
Vernunftlehre, ungeacht verſchiedene derſelben be-
reits in dieſen Briefen auf die Probe geſetzt werden.


Was ich dermalen hieruͤber ſagen kann, iſt,
daß ich Beweiſe von ſolcher Art aufgeſucht habe, die
in aͤhnlichen Faͤllen ſchon oͤfters gelungen ſind.

Man kann die Lehre von den Antipoden, die von
dem Umlaufe der Erde, die Gedanken des Seneca von
den Cometen, und ſeine Weiſſagungen hieruͤber, die
Lehre von den Einwohnern der Planeten, und meh-
rere dergleichen hieher rechnen, die die Erfahrung ent-
weder bereits bekraͤftigt und apodi[c]tiſch gewiß ge-
macht, theils zu einem noch hoͤhern Grad der Wahr-
ſchein-
[XII]Vorrede.
ſcheinlichkeit gebracht hat. Man ſollte gedenken, daß
Beweiſe von ſolcher Art, deren jeder fuͤr ſich betrach-
tet, zu ſchwach iſt, alle aber zuſammen genommen,
eine einleuchtende Staͤrcke haben, eine beſondere Art
von Gewisheit ausmachen, die zwar von der geo-
metri
ſchen verſchieden, aber nichts deſto weniger eben
ſo gewiß iſt, und vielleicht beruht der Unterſchied die-
ſer Gewisheit nur darauf, daß man ſolche Beweiſe
noch nicht in ihre gehoͤrige Form bringen, die Staͤr-
ke eines ieden noch nicht berechnen, und daher auch
noch nicht ſehen kann, ob ihre Summe ein ganzes
ausmacht, welches die voͤllige Gewißheit erfordert.
Dieſes unbeſtimmte kann allein genug ſeyn, um ei-
nen Beweis, der mehr als zureichend, oder gar viel-
fach waͤre, als unzureichend, oder wenigſtens als
zweifelhaft anſehen zu machen.


Um den teleologiſchen Gruͤnden, deren ich mich
bedient habe, ein mehreres Anſehen zu geben, habe
ich nicht unterlaſſen, auch ſolche Folgſaͤtze, daraus
herzuleiten, die die Erfahrung bereits gelehrt hat.
Man kann als ein unerwartetes Beyſpiel hieher rech-
nen, was in dem 6ten und 7ten Briefe uͤber die Be-
ſchaffenheit, Lage und Anzahl der Planeten und Co-
metenbahnen geſagt wird, wo ich aus der groͤſten
moͤglichen Bewohnbarkeit und geſchickten Ausweichen
der
[XIII]Vorrede.
der Weltkugeln in unſerm Sonnenſyſtem, und da-
her aus teleologiſchen Gruͤnden, auf eine nothwen-
dige Art herleite, daß es viel mehr Cometen als Pla-
neten geben, und uͤberdiß die Planeten in gleicher
Flaͤche liegen, und die obern Planeten weiter von ein-
ander abſtehen muͤſſen, juſt ſo, wie es uns die Er-
fahrung lehrt.


Indeſſen ſind nicht alle Gruͤnde die ich gebrau-
che, bloß teleologiſch. Das Geſetz der Schwere,
welches ich durch die ganze Welt ausdehne, giebt mir
ſolche an, die auf eine viel nothwendigere Art ſchlieſ-
ſen. Der Abſtand der Fixſterne von einander in dem
12ten Briefe, und das Ausweichen der Planeten und
Cometen in dem 3ten Briefe wi[r] daraus hergeleitet.
Nur muß ich in Anſehung des letztern hier noch erin-
nern, daß der Beweis, der daſelbſt uͤber die Frage
vorkoͤmmt, ob ſich ein Comet jemals in den Mond
haͤtte verwandeln koͤnnen, Kuͤrze halber ſo vorgetra-
gen wird, als wenn die Erde in einem Puncte ihrer
Bahn ſtehen geblieben waͤre, welches man unſtreitig
nicht annehmen kann. Der Mond beſchreibt in ſei-
nem wahren Laufe eine Cycloidallinie, in welcher er
ſich nicht viel geſchwinder bewegt, als die Erde. Bey
dem Neumonde iſt ſeine Bewegung ſo gar langſa-
mer. Da hingegen der Lauf eines Cometen, wenn
er
[XIV]Vorrede.
er ſo weit von der Sonne weg iſt, als die Erde, faſt
um die Helfte geſchwinder iſt, und da im Heranruͤ-
cken gegen die Erde dieſe Geſchwindigkeit nothwendig
haͤtte muͤſſen groͤſſer werden, ſo iſt es unmoͤglich, daß
er haͤtte haͤngen bleiben, und die Erde immerfort be-
gleiten koͤnnen, wie es der Mond thut. Eben ſo iſt
der Mond in einem Beharrungsſtande, in welchen
kein Comet haͤtte kommen koͤnnen, weil das Mittel,
einen Cometen in die Cycloidallinie des Mondes zu
bringen, ſchlechthin ins Unmoͤgliche faͤllt, und ſich
ohne ein wirkliches Wunder nicht gedenken laͤßt.
Dieſes ware hier anzumerken, um zu zeigen, wie der
wahre Beweis haͤtte eingerichtet werden muͤſſen.


Was ich ferner aus den gebrauchten teleologi-
ſchen und andern Gruͤnden herleite, habe ich mich be-
muͤht ſo weit zu treiben, daß das meiſte davon fruͤ-
her, oder ſpaͤther durch die Erfahrung und genaue
Obſervationen wird eroͤrtert werden koͤnnen. Hie-
her gehoͤrt, was ich von der Anzahl der Cometen
ſage, welche ich groſſentheils mit Vorbedachte ſo an-
ſehnlich machte, als es ſich thun lieſſe, um zu zeigen,
daß man allerdings Urſache habe, dieſe Weltkoͤrper
aus ihrem ehmaligen geringen Anſehen, darein ſie
Ariſtoteles und ſeine Anhaͤnger geſetzt, hervor zu
ziehen, und ſie ein fuͤr allemale in ihrer wahren Wuͤr-
de
[XV]Vorrede.
de zu betrachten, zumal da ich zeige, daß ſie zur Be-
wohnbarkeit des Sonnenſyſtems viel nothwendiger
und dienlicher ſind, als die Planeten, und uͤberdiß
eine groͤſſere Manigfaltigkeit in den Abwechslungen
haben, und daher nicht nur zur Vollſtaͤndigkeit, ſon-
dern auch zur Vollkommenheit des Sonnenſyſtems,
dieſes Theils des ganzen, das meiſte beytragen. Es
iſt genug, wenn man aus allem, was ich von ihrer
Anzahl ſage, nur ſo viel zugiebt, daß dieſelbe ſehr
anſehlich ſeyn muͤſſe, und das Licht und die Waͤrme
der Sonne recht ſehr genuͤtzt werde. Die wirkliche
Beſtimmung wird den kuͤnftigen Zeiten vorbehalten
ſeyn, wenn die Halleyſche Tafel, die ich den haͤufigen
Anmerkungen daruͤber mehr Licht zu geben, beyzufuͤ-
gen nuͤtzlich erachtet, zu einem vollſtaͤndigen Regiſter
derjenigen wird gemacht werden, die wir auf unſerer
Erde zu Geſichte bekommen. Von dieſen wird man
ſodann auf die ſchlieſſen koͤnnen, die weiter von der
Sonne wegbleiben, als das ſie uns jemals ſichtbar
werden koͤnnten, deren Anzahl ich wenigſtens 40. mal
groͤſſer ſetze, wenn auch kein Perihelium weiter von
der Sonne entfernt bleibe, als Saturn, der aͤuſſerſte
der uns ſichtbaren Planeten.


In der letztern Helfte dieſer Briefe habe ich mich
vorzuͤglich bemuͤht, dem Weltbaue eine anſehnliche


Groͤſſe
[XVI]
Vorrede.

Groͤſſe zu geben, und beſonders hierinn ſcheint eine
ziemliche Dreiſtigkeit den Mangel ſchaͤrferer Beweiſe
zu erſetzen. Ich kann es dem Leſer ganz anheim ſtel-
len, wie viel er davon zugeben will, zumal, wenn
ſich nicht jemand die Muͤhe nimmt, die vorgeſchlage-
nen Obſervationen und Berechnungen vorzunehmen,
oder wenn dieſe Bemuͤhung fruchtlos ſeyn ſollte.
Biß dahin finde ich dennoch keinen Grund, dieſe
gewagte Gedanken ganz zu verwerfen, ſo ſehr ſie
noch eine bloſe Glaubensſache ſeyn moͤgen, und thei-
le die uns ſichtbaren Fixſterne ohne Bedenken in be-
ſondere Syſtem ein, die zuſammen genommen, die
Milchſtraſſe ausmachen. Dieſe ſtellt mir ein ganzes
Syſtem vor, welches vermuthlich noch zu mehrern
andern gehoͤrt. Da ich indeſſen die Sache nur als
wahrſcheinlich angeben kann, und uͤberdiß die zweifel-
haftere Stuͤcke unbeſtimmt laſſe, ſo bleibt allerdings
noch ein weiteres Feld zu neuen Muthmaſſungen, die
jeder Leſer, der ſie der Unterſuchung nicht unwuͤrdig
achtet, nach Belieben weiter treiben kann.


Hiezu gebe ich in den letzten Briefen ſolche Anlaͤſ-
ſe, die ich Anfangs ſelbſten nicht vermuthet hatte,
weil ich bey dem 14ten Briefe ſtehen zu bleiben ge-
dachte, und die bis dahin vollendete Arbeit einige Zeit
hatte liegen laſſen. Von der wirklich beobachteten
Ver-
[XVII]Vorrede.
Verruͤckung in der Lage der Fixſterne unter einander,
ware mir nichts bekant. Ich hatte ſie nur aus all-
gemeinen Gruͤnden hergeleitet, die ich in dem 10ten
und folgenden Briefen anbringe. Man wird finden,
daß dieſe Gruͤnde faſt eben die ſind, aus welchen man
bereits ſchon mehrere Saͤtze in der Aſtronomie erwie-
ſen, oder doch wenigſtens zu einem einleuchtenden
Grade der Wahrſcheinlichkeit gebracht hatte. Man
trug ſie allgemein vor, und ich konnte auch nichts
finden, wodurch ihre Allgemeinheit eingeſchraͤnkt
wuͤrde. Um deſto mehr vergnuͤgte es mich, als ich
erfuhre, daß die daraus geſchloſſene Verruͤckung der
Fixſterne, wenigſtens bey vielen durch die Erfahrung
bekraͤftigt worden, und Herr Prof.Mayer, der ſich
mit dieſer Entdeckung, wie mit allen andern, die
wir ihme zu danken haben, viele Ehre machet, ſelbſt
an der Allgemeinheit und Guͤltigkeit der voͤlligen In-
du[c]tion
nicht zweifelt.


Da dieſe Beſtaͤtigung fruͤher eingetroffen, als
ich es ſelbſten vermuthet hatte, ſo verleitete ſie mich
meine bis dahin ungezwungen auf einander folgende
Schluͤſſe, ausfuͤhrlicher zu entwickeln, um zu ſehen,
was ſie etwann noch mehr aufdecken wuͤrden, wenn
ich ſie in gleicher Allgemeinheit beybehielte, und die
Analogie weiter fortſetzte.


bHier
[XVIII]Vorrede.

Hier werde ich es der voͤlligen Willkuͤhr der Le-
ſer uͤberlaſſen, zu urtheilen, ob ich mir ſelbſten eine
Dedu[c]tionem ad abſurdum errichtet habe, wenn die
auch hiebey vorgeſchlagenen Obſervationen, wozu
ich dermalen weder Zeit noch Anlaß habe, nicht nach
meiner Vermuthung ausfallen ſollten?


Was ich noch vor der angegebenen Pruͤfung
daruͤber denke, habe ich im 20ten Briefe in kurze Ar-
tikel zuſammen gezogen, und werde jedem Leſer voll-
kommen anheim ſtellen, was er davon zugeben, oder
weglaſſen will, weil es vor der Erfahrung ſchlechter-
dings eine Glaubensſache iſt, und das Unglaubliche
darinn nicht auf die Unmoͤglichkeit, ſondern bloß auf
das Unerwartete und Ungewoͤhnte faͤllt. Waͤren die
Erfahrungen bereits angeſtellt, ſo wuͤrde ich entwe-
der weggelaſſen, oder genauer erwieſen haben. So
aber finde ich nichts ungewoͤhnliches dabey, wenn ich
auf eine kuͤnftige Pruͤfung hin, eine Meynung wage,
und die dadurch veranlaßte Fragen aufwerfe, welche
die Erfahrung beantworten kann. Sie ſind ohne
dem von der Art, daß ihre Beantwortung, wie ſie
auch ausfallen mag, zu fernern Unterſuchungen An-
laß geben wird.


Saͤtze die nur wahrſcheinlich gemacht werden,
unterſcheiden ſich von ſolchen, die nach aller Schaͤrfe
erwie-
[XIX]Vorrede.
erwieſen ſind, vorzuͤglich dadurch, daß man ſich bey
den letztern ſelten genoͤthigt ſieht, an Beantwortung
der Einwuͤrfe zu gedenken, als welche mehrentheils
nur aus einem Misverſtande herruͤhren, da hingegen
bey den erſtern die Vorbeugung und Beantwortung
der Einwuͤrfe mehr zu ſagen hat, weil oͤfters der gan-
ze Beweis eines wahrſcheinlichen Satzes darauf be-
ruht, daß man zu zeigen ſucht, es laſſe ſich nichts,
oder wenigſtens nichts Erhebliches dawider einwen-
den. Ein richtig erwieſener Satz haͤngt mit den uͤbri-
gen Wahrheiten nothwendig und zureichend zuſam-
men, bey den wahrſcheinlichen iſt der Zuſammenhang
entweder nicht ganz nothwendig, oder er iſt unvoll-
ſtaͤndig, oder wenigſtens zeiget ſich nichts das ihn
Umſtoſſe. Sollten ſie genauer abgewogen werden,
ſo muß man entſcheiden, was zum vollſtaͤndigen Be-
weiſe noch fehle, wenn man dieſen auf die bequem-
ſten und leichteſten Data bringt, und ſodann, ob die-
ſes fehlende mehr, oder minder betraͤchtlich ſeye, und
wie ferne man es ohne ſtrengern Beweis zugeben
koͤnne?


Werden die Saͤtze, ſo in der letzten Helfte die-
ſer Briefe von allen Seiten betrachtet werden, auf
dieſe Wagſchal gelegt, ſo ergiebt ſich leicht, daß ſie
von verſchiedenem Gewichte ſind. Beſonders iſt der
b 2von
[XX]Vorrede.
von der Centralbewegung der Fixſterne ſo gut als
vollſtaͤndig erwieſen, weil er auf der Erfahrung, auf
den erſten Geſetzen der Bewegung, und auf der Er-
haltung des Weltbaues beruht. Die Erfahrung
zeigt, daß wirklich eine Bewegung da ſeye. Die Er-
haltung des Weltbaues ſchleußt die geradlinichte Be-
wegung aus, und die Grundſaͤtze der Mechanic nebſt
dem Geſetze der Schwere macht ſie vollends central.


Der andere Hauptſatz, daß nemlich die Milch-
ſtraſſe in kleinere Syſtemen von Fixſternen eingetheilt
und dieſe durch merkliche Zwiſchenraͤume von einan-
der abgeſoͤndert ſeye, laͤßt ſich allerdings nicht ſo
ſtrenge erweiſen. Was dabey fehlt, iſt daß wir die-
ſe Syſtemen nicht von allen Seiten her, ſondern nur
aus einem einigen Geſichtspuncte ſehen, in welchem
ſich zwar die Milchſtraſſe von den uͤbrigen Theilen
des Himmels deutlich abgeſchnitten, und hin und
wieder in kleinere Theile abgeſoͤndert zeigt. Allein,
eben dieſes ſollte ſich auch zeigen, wenn wir ſie von
andern Seiten her anſehen koͤnnten. Da aber die-
ſes nicht angeht, ſo muß die Luͤcke in dem Beweiſe
durch anderweite Betrachtungen ausgefuͤllt werden,
ſo weit es angehen kann.


Den dritten Hauptſatz habe ich nicht anders als
eine Aufgabe vortragen koͤnnen, und ſehe die Auf-
loͤſun-
[XXI]Vorrede.
loͤſungen davon als noch ſehr unvollſtaͤndig an. Es
fragt ſich nemlich, ob Coſmologiſche und Mechani-
ſche Gruͤnde es zulaſſen, daß ein Syſtem von Fix-
ſternen ſich nur um ſeinen Mittelpunct der Schwere
bewege, oder in dieſem, wie in denen von den klei-
nern Syſtemen, Koͤrper von zureichender Maſſe
ſeyn muͤſſen? Die mechaniſche Gruͤnde beruhen auf
dem Geſetze der Schwere, die Coſmologiſche aber auf
der Erhaltung und einfachen Ordnung des ganzen.
Bejaht man dieſe Frage, ſo kann man das Unge-
heure, das uͤber alle Einbildungskraft hinaus geht,
nicht wohl vermeyden, und wird es zugeben muͤſſen,
ſo bald die Frage bejaht werden muß. In dieſem
Fall hat man auch ein naͤheres, wiewohl nicht ganz
vollſtaͤndiges Recht auf die Autopſie zu dringen.
Kann aber die Frage nicht nothwendig bejaht wer-
den, ſo bleibt die Sache ſchlechterdings dahin geſtellt,
weil das Gegentheil an und fuͤr ſich nicht nothwendig
gemacht werden kann, da die kleinere Syſtemen
Exempla in contrarium enthalten. Und die Einbil-
dungskraft, welche dabey etwas zu ungeheures fin-
det, hat das angemaßte Recht, ihr Gebiet als Gren-
zen des Striches der Wahrheiten auszugeben, laͤngſt
ſchon und in weit wichtigern Stuͤcken verlohren. Es
ſcheint, ſie bleibe im groſſen wie im kleinen zuruͤcke.


b 3Was
[XXII]Vorrede.

Was ferner wahrſcheinliche Saͤtze noch mißli-
cher machen kann, iſt, wenn man ſie ſo heraus bringt,
daß ſo wohl die Gruͤnde, worauf man bauet, als
auch das, ſo man damit verbindet, eine bloſe Glau-
bensſache iſt. Dieſes macht ſie noch uͤberdiß hypo-
thetiſch, weil man voraus ſetzen muß, die gebrauch-
ten Gruͤnde werden ſich mit der Zeit erweiſen laſſen,
oder wenigſtens ohne viele Wiederrede als glaubwuͤr-
dig angenommen werden. Es iſt leicht zu erachten,
daß der erſt erwoͤhnte dritte Hauptſatz von dieſer Art
iſt. Er kann nur bedingnisweiſe unterſucht werden,
weil er die beyden erſtern als vollkommen richtig er-
wieſen voraus ſetzt. Wird z. Ex. die Eintheilung der
Fixſterne in Syſtemen noch nicht zugegeben, ſo kommt
die Frage, ob dieſe Syſtemen in ihrem Mittelpuncte
einen Koͤrper von zureichender Maſſe haben, gar
nicht vor, und noch viel weniger wird die Frage vor-
kommen, ob dieſe Koͤrper, als welche zuſammen ein
groͤſſeres Syſtem ausmachen wuͤrden, wiederum ei-
nen noch groͤſſern Koͤrper in ihrem Mittelpuncte ha-
ben muͤſſen?


So ſehr demnach dieſe Fragen dahin geſtellt
ſcheinen, und ſeyn moͤgen, ſo ſehr koͤnnen ſich Leſer,
welche das Ganze in dieſen Briefen genauer unter-
ſuchen wollen, uͤber die Dreiſtigkeit verwundern,
daß
[XXIII]Vorrede.
daß ich dieſe Fragen der Ordnung nach vorgetragen
habe, als wenn alles voraus geſetzte bereits unwider-
leglich, und durchaus ſchon angenommen waͤre. Ich
haͤtte koͤnnen inne halten, und bey den erſten ſtehen
bleiben, biß ſie waͤren vollends ausgemacht worden,
und vielleicht werden viele urtheilen, daß ich es haͤtte
thun ſollen. Allein, ich glaubte den Leſern mehr
Aufrichtigkeit ſchuldig zu ſeyn, ihnen, was ich ſelbſt
voraus ſahe, anzuzeigen, und die Fragen, ſo in ei-
ner Reyhe von ſelbſten auf einander folgen wuͤrden,
voraus anzuzeigen. Die letztern ſind unſtreitig noch
am weiteſten zuruͤcke, ſie moͤgen aber allerdings die-
nen, die erſtern der Unterſuchung wuͤrdiger zu ma-
chen. Ueberdiß nimmt der Grad der Wahrſchein-
lichkeit und Glaubwuͤrdigkeit derſelben nur ſtuffen-
weiſe ab, und auch aus dieſem Grunde fande ich we-
niger Urſache ſie irgend abzubrechen. Ich habe ſie
demnach vollends fortgeſetzt. Sie koͤnnen nicht an-
derſt als der Ordnung nach unterſucht und ins reine
gebracht werden, und ehe die erſtern bejaht ſind,
ſcheint es uͤberfluͤſſig, ſich uͤber die letztern zu zanken.
Werden ſie alle bejaht werden koͤnnen, ſo haben wir
einen vollſtaͤndigern Lehrbegriff von der Einrichtung
des Weltbaues, und dieſen habe ich vorausgeſetzt,
daß er richtig ſeye, in den drey letzten Briefen ge-
ſucht, in ſeiner vollſtaͤndigſten Harmonie vorzuſtellen.
b 4Sind
[XXIV]Vorrede.
Sind hingegen die Fragen nicht zu bejahen, ſo faͤllt
das Lehrgebaͤude mehr, oder minder weg, und es
bleibt uns das Vergnuͤgen, es werde noch ungleich
harmoniſcher ſeyn, nur daß wir es nicht kennen, und
es muͤhſamer finden muͤſſen.


In Anſehung des ganzen Weltbaues ſcheinen
wir dermalen das zu ſeyn, was vor Zeiten Pythago-
ras, P[hi]iolaus, Ariſtarcbus, Nicetas
und andere grie-
chiſche Weltweiſen in Abſicht auf unſer Sonnenſy-
ſtem waren. Sie wagten Muthmaſſungen daruͤber,
die ſie theils aus Gemaͤchlichkeit, theils aus Mangel
genugſamer Obſervationen nicht ganz ausfuͤhrten.
Vielleicht war auch das ſogenannte Ptolomaͤiſche
Syſtem noch nicht bekannt genug, daß man zurei-
chende Gruͤnde haͤtte daraus hernehmen koͤnnen, es
umzuſtoſſen. Alphonſus ſchiene ſchon mehr Anlaß zu
haben, daruͤber ungedultig zu werden, doch ohne
daß ihm einfiele, die Sache ganz umzuwenden.
Dieſes ware dem unſterblichen Copernico vorbehal-
ten, und Kepler und Newton muͤſſen es vollends ins
reine bringen. Wir erwarten noch die Copernicus, Keplers und Newtons fuͤr den ganzen Weltbau, und
koͤnnen uns eine aͤhnliche Vorherverkuͤndigung ent-
werfen, wie ſie Seneca in Abſicht auf die Cometen ge-
troffen
[XXV]Vorrede.
troffen hat. Es ſteht dahin, ob die Erfuͤllung fruͤ-
her eintreffen werde?


Ich haͤtte gewuͤnſcht, die Betrachtungen in
dieſen Briefen zu einem zweyten Theile der fonte-
nelliſchen Geſpraͤche von mehr als einer Welt

zu machen, wenn ich ihnen in dem Vortrage die
ſo ſchaͤtzbare Lebhaftigkeit haͤtte geben koͤnnen, und
die ſinnreichen Einfaͤlle mir eben ſo flieſſend und
reich geweſen waͤren. Wie ferne das, was ich
uͤber den Weltbau ſage, im Grunde als eine Fort-
ſetzung der Fontenelliſchen Gedanken dienen kann,
wird jeder Leſer, wenn er die Wirbel, die Fon-
tenelle
ſo gern gebrauchte, weglaͤßt, leichte beur-
theilen koͤnnen. Wie vielmal mehr, als eine
Welt wird man hier finden, wenn man Legionen
einraͤumt, die nur um unſere Sonne ſind, wenn
jeder Fixſtern ſo viele hat, wenn die Milchſtraſſe
ein ungezaͤhltes Heer, nicht bloß von einzeln Fix-
ſternen, ſondern von ganzen Syſtemen iſt, wenn
endlich die ganze Milchſtraſſe ſelbſten, noch zu un-
zaͤhlbaren andern Milchſtraſſen, oder Syſtemen von
gleicher Art gehoͤrt?


b 5So
[XXVI]Vorrede.

So weit werden unſtreitig die Fontenelli-
ſchen Betrachtungen zu einer gewiſſen Vollſtaͤn-
digkeit gebracht, wenn man je nicht weiter gehen,
und dieſes Heer von Milchſtraſſen, als einen ein-
zeln Theil von einem noch groͤſſern Syſtem anſe-
hen will, welches mit dem unendlichen vergli-
chen noch immer klein ſeyn wird. Weiter werde
ich die Einbildungskraft nicht ausdehnen, die mir
ohnehin zu enge iſt, als daß ich ſie gegen derje-
nigen, die dem Herrn von Fontenelle ſo lebhaf-
te Vorſtellungen angabe, abmeſſen ſollte. Ich
bleibe in engern Schranken, und habe aus die-
ſem Grunde mich lieber der Brief-form, als der
Geſpraͤche bedient, weil ich viele Betrachtungen
auf eine an einander haͤngende Art vortragen
mußte, und beſonders in denen Beweiſen, die et-
was ſchaͤrfer ſeyn ſollten, das Trockene nicht ver-
meyden konnte.


Ich mag es wohl der Critic uͤberlaſſen,
die Character der beyden Freunde, denen ich die-
ſe Briefe in die Feder gabe, zu vergleichen, oder
zu unterſuchen, wie ferne ich dabey geblieben bin.
In Sachen, wo die Materie immer das Haupt-
werk macht, wird hierauf ſo viel nicht geſehen.


Der
[XXVII]Vorrede.

Der Antwortende dieſer Freunde bleibt
ſich ſelbſt beſtaͤndiger gleich, der andere muß ſich
etwas aͤndern, weil er lernte, und zu an einan-
der haͤngenden Gedanken aufgelegter wurde. Freun-
de konnte ich ohne deme nicht von ſehr verſchiede-
ner Gedenkensart ſetzen, und den Grund, wa-
rum die Einwuͤrfe, die manchem Leſer heimfallen
werden, weggeblieben ſind, habe ich ſchon vor-
hin gegeben, weil ich vielmehr ſuchte, die Gruͤn-
de auf alle Seiten umzuwenden, und manigfal-
tig zu machen. Hieraus wird ſich erklaͤren, wa-
rum es dem Lernenden nicht Ernſt iſt, ſeine Ein-
wendungen ſtrenger zu treiben.


Die Brief-form erforderte Lobſpruͤche und
Hoͤflichkeiten, die ich allerdings wuͤrde weggelaſ-
ſen haben, wenn ich dieſe Betrachtungen als die
meinigen gegeben haͤtte. Man mag ſie als Ruhe-
plaͤtze anſehen, die muͤhſamere Unterſuchungen un-
terbrechen. Vorzuͤglich aber habe ich ſolche aus-
geſucht, die entweder Pflichten und Eigenſchaften
wahrer Freunde, und ihre Gedenkensart vorſtel-
len, oder in logiſchen Anmerkungen uͤber die Voll-
kom-
[XXVIII]Vorrede.
kommenheiten des Verſtandes beſtehen, die zwar
hier als Lobſpruͤche verſchwendet ſind, aber kei-
nem Leſer, der ſie beſitzt, anders als zur Ehre
gereichen koͤnnen, und die ihn als einen Freund
liebenswuͤrdig, und als einen Erforſcher der
Wahrheit verehrenswuͤrdig
machen.


[figure]

Erſter[[1]]
[figure]

Coſmologiſche Briefe
uͤber die
Einrichtung des Weltbaues.



Erſter Brief.


[figure]

Werden Sie es wohl glauben, mein
Herꝛ! daß ich nach Durchleſung
der Schriften, die Sie mir an-
gegeben haben, um etwas uͤbler
daran bin, als vorher nie? Ich

hoffte, meine Neugierde uͤber die Laufbahn der Plane-
ten und Cometen vollkommen zu ſtillen, und wuͤnſchte
mir zum voraus Gluͤck dazu, daß ich nunmehr auch
bald aus Gruͤnden wiſſen wuͤrde, wie es zugehe, daß
die letztern zu geſetzten Zeiten wiederkehren; Und die-
Aſes
[2]Coſmologiſche Briefe
ſes freute mich um ſo mehr, da wir im verwichenen
Jahre die erſte Ruͤckkunft eines ſo auſſerordentlichen
Sterns haben feyern koͤnnen. So weit muß ich Ih-
nen gewonnen geben. Ich durchlaſe dieſe Lehrbegriffe
mit groͤßter Begierde, und es faͤllt mir nun nichts
leichters, als den weiten Raum um die Sonne, alle
Raͤume zwiſchen den Planeten, und noch weit uͤber
den Saturn hinaus, mit Ovallinien auszufuͤllen, und
in jede einen Cometen, und wenn Sie wollen, einen
mit Satelliten zu ſetzen. Jedem Fixſtern gabe ich ei-
ne aͤhnliche Menge von ſolchen Koͤrpern, die von ih-
me Licht und Waͤrme haben ſollten, und auf allen ſtell-
te ich mir unzaͤhlbare Einwohner von allen moͤglichen
Arten und Geſtalten vor. Ich habe mir dabey die
Einbildungskraft zugleich mit den Weltgebaͤuden er-
weitert, und es giebt mir nun keine Muͤhe, den Ab-
ſtand von unſerer Sonne bis zu einem Fixſtern der
fuͤnfzigſten Groͤſſe, als einen Maaßſtab anzunehmen,
und denſelben Millionenweiſe umgeſchlagen, gegen die
Grenzen des Syſtems der Sterne zu meſſen, die wir
noch durch Teloſcopia ſehen, und die noch weit hinter
dieſen ſtehen. Ich gebrauche nun keinen Amboß mehr,
der zehn Tage zubringe, um aus dem Himmel auf die
Erde zu fallen. Der Raum, durch den er faͤllt, iſt
mir nun nur ein Punct, und ſeine Geſchwindigkeit
vergleiche ich mit dem Kriechen eines Wurmes, oder
mit dem Schleichen einer Schnecke. Solle ich Zeit
und Raum vergleichen, ſo iſt der Glanz, ſo der Blitz
in Augenblicken uͤber den Himmel ausbreitet, noch zu
langſam. Das Licht und ſein Weg dient mir nur
zum
[3]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
zum Maaße. In acht Minuten koͤmmt es von der
Sonne auf die Erde, und legt daher einen Weg zu-
ruͤck, den man mit Halbmeſſern der Erde ausmeſſen
muß, davon jeder 860. Meilen macht, und deren es
wenigſtens 20000. gebraucht, um den Abſtand der
Sonne dadurch zu beſtimmen. Dieſen Weg macht
das Licht in 8. Minuten, und dieſes iſt nun mein
Maaßſtab, mit dem ich die aͤuſſerſten Fixſterne aufſu-
che. Ich gebe dem Licht Jahrhunderte Zeit, bis es
von denſelben zu uns komme, und ſetze, daß es Fix-
ſterne gebe, von welchen das Licht in den naͤchſten
6000. Jahren noch nicht angelangt iſt, und die folg-
lich erſt unſere Nachkommen werden zu ſehen haben.
Die Nacht ſolle mir immer heller werden, und jeden
Abend freue ich mich uͤber das neuangelangte Licht von
andern Sternen. Mit allem deme ſehe ich, daß die-
ſe Entfernungen noch alle ihre Schranken haben, und
vielleicht von den Grenzen des Weltgebaͤudes noch
weit weg ſind.


Doch ich gerathe unvermerkt in eine Aſtronomi-
ſche Entzuͤckung, und ſage Ihnen, mein Herꝛ, Sa-
chen vor, die Ihnen nothwendig bekannt ſind. Neh-
men Sie ſie immer als eine Probe an, daß ich ihrem
Vorſchlage gefolgt habe, und ich will Ihnen nochmals
ſagen, daß ich bis dahin vieles Vergnuͤgen daran hat-
te. Aber ſagen Sie mir nun auch, iſt es denn nicht
moͤglich, anderſt als mit neuen Zweifeln und neuer
Unruhe zur Gewißheit zu kommen, oder aͤndern die
Zweifel nur ihre Natur, daß ſie anfangs einfaͤltiger
A 2ſind,
[4]Coſmologiſche Briefe
ſind, und nachher gelehrter werden, wenn man jene
gehoben hat? Ich fragte ſie anfangs nur, was es
mit dem Weltgebaͤude fuͤr eine Beſchaffenheit habe,
nunmehr weiß ich es, in ſo ferne mir noch die Frage
zu machen bleibt, was mit der Zeit aus demſelben,
und zugleich aus den Weltweiſen, die es ſo ſchoͤn aus-
gedacht haben, werden wird. Iſt es nicht ſo, die Co-
meten ſind nun nimmer durch ihre Bedeutung, ſondern
durch ihre Wirkung furchtbar? Ich kenne nun die
Kraͤften der Schwere, ſo die Weltkoͤrper gegeneinan-
der haben, genugſam. Jupiter vermag den Saturn
und ſeine Trabanten aus ſeiner Ordnung zu bringen,
und ſelbſt der Mond macht die Erde etwas wanken.
Er macht das Meer aufſchwellen und niederſinken.
Wie wuͤrde es uns gehen, wenn ein groſſer Comet der
Erde ſo nahe kaͤme, das Meer uͤber die Erdflaͤche
ſchwemmete, oder gar die Erde mit ſich fortriſſe?


Sagen Sie mir einmal, mein Herꝛ, ob man
alles, was die Weltweiſen hieruͤber ausgedacht, ſo
ſchlechthin als wahrſcheinlich halten koͤnne, oder mi-
ſchen ſie nicht ohne Bedenken unter die Wahrheit ſol-
che Moͤglichkeiten, davor man ſich fuͤrchten muͤßte,
wenn ſie wirklich ſeyn ſollten? In der That, nachdem
ich mir alles Ungeheure dabey vorgeſtellt, ſo habe ich
merklich nachgelaſſen, die Cometen ſo freygebig durch
den Weltraum auszuſtreuen, und ich ließ alle die weg,
die mit der Zeit Unheil anrichten koͤnnten. Allein da-
mit reiche ich nicht weit, weil ich die Cometen nehmen
muß, wie ſie wirklich ſind, und wenn ſie nicht ſelbſt fried-
ſame
[5]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſame Bahnen ſich machen, ſo haben wir immer Krieg
am Firmamente zu beſorgen.


Was meynen Sie hieruͤber? Kann man wohl
auſſer der bloßen Moͤglichkeit etwas Wahrſcheinliches
in ſolchen Verſtoͤrungen finden? Moͤgen wohl Jupi-
ter, Saturnus und die Erde ihre Trabanten auf eine
ſo kriegeriſche Art erhaſcht haben, daß ſie Cometen an
ſich zogen, und mit ſich fortriſſen, die doch ruhig in
ihren Ellipſen haͤtten einhergehen koͤnnen? Wie ſchi-
cken ſich die Einwohner eines Cometen in dieſe neue
Stelle? Und iſt es bey der Schoͤpfung der Erde und
bey der Suͤndfluth ſo zugegangen, wie Whiſton und
Burnet und andere es beſchreiben wollen? Ich ſage
es Ihnen aufrichtig, daß mir alles dieſes als ſehr ro-
manenmaͤßig vorkoͤmmt, das man bey Weltweiſen im
Ernſte nicht ſuchen ſollte. Der Verfaſſer des Noah
mag ſie immerhin gebrauchen, und Dichtern mag die
Freyheit bleiben, ihrer Einbildungskraft allen Lauf zu
laſſen. Da leſe ich ſie mit Vergnuͤgen, und ſetze den
Comet, das Luftſchiff und mehrere dergleichen Erfin-
dungen leicht in eine Claſſe. Ein Dichter begnuͤgt
ſich an der Moͤglichkeit, und in ſeiner Welt richtet er
alles, wie es ihm am ſchoͤnſten und wunderbarſten vor-
koͤmmt. Allein Weltweiſe ſollten mehr als die bloße
Moͤglichkeit ſuchen, und ich geſtehe Ihnen, daß ich
bey ſo vielen ſchoͤnen Wahrheiten nicht ſo viele Traͤu-
me geſucht haͤtte. Denn anders kann ich ſie doch
nicht nennen, bis ſie nicht wahrſcheinlicher gemacht
werden. Ich wuͤrde ſie ſchlechthin den Dichtern uͤber-
A 3laſſen,
[6]Coſmologiſche Briefe
laſſen, und wenn ich ihre Unwahrſcheinlichkeit erweiſen
koͤnnte, ſo wuͤrde ich alles thun, um die Philoſophen
davon abzuhalten. Allein ſie ſtellen uns alle die Sa-
chen ſo vor, daß ich weder Wahrſcheinliches noch Un-
wahrſcheinliches dabey finden kann, wollen eben nicht
gut dafuͤr ſtehen, ob nicht heute noch ein ſo boͤſer Co-
met koͤmmt, der uns den friedſamen Mond wegraubt,
oder der Erde ſelbſt einen Stoß giebt, daß ſie zu
Truͤmmern faͤhrt, oder wenigſtens einen guten Theil
ſeines Schweifes in unſerer Athmoſphaͤre zuruͤck laͤßt.
Den Chineſern, die ich ſo ofte verlacht hatte, gebe ich
nun bald Recht, daß ſie alle Naͤchte Wachten gegen
den Himmel ausſtellen, eben ſo, wie wir es gegen das
Feld thun, und daß ſie auf ihren Sternwarten aus-
ſpaͤhen laſſen, ob ſich nichts feindliches am Himmel zei-
get. Wie unbeſorgt war doch der gute Ptolomaͤus
bey ſeiner ruhenden Erde, und wie ruhig blieben ſeine
Anhaͤnger, bis Copernicus kame, und anfienge, die
Erde um die Sonne herum zu fuͤhren. Aber nun
geht es bunter zu, und Copernicus wuͤrde ſich auf ſei-
nen Triumph nicht viel zu gut halten, wenn er wuͤßte,
daß wir nun zu beſorgen haben, es moͤchte ein Comet
kommen, und die Erde bis jenſeits der Fixſterne mit
ſich fortſchleppen, oder wenigſtens uns alle erſaͤufen,
zerquetſchen, erſticken, verbrennen, und was derglei-
chen Unheil noch mehr iſt, das uns die Weltweiſen be-
fuͤrchten machen. Ich wuͤnſchte bald, daß die Come-
ten wieder ihre alte Bedeutung haͤtten, und Krieg und
alles Unheil vorherſagten, das uns ja ohnehin betrift,
und weniger allgemein iſt, als ſolche Wirkungen, die
nicht
[7]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
nicht nur einzelnen Laͤndern, ſondern der ganzen Erde
drohen, und die viel unerwarteter kommen, als alle
Kriege. Unſere Erde iſt ohnedem einer der kleinern
Planeten, und um deſto leichter kann ſie fortgeriſſen
werden. Und wer weiß es, ob nicht ſchon Planeten
mangeln, die aus dem weiten Raume, der zwiſchen
dem Mars und dem Jupiter iſt, hinweg gekommen
ſind. Geht es denn unter den Weltkoͤrpern, wie auf
der Erde, daß der ſtaͤrkere den ſchwaͤchern aufreibt,
und ſind Jupiter und Saturn nur dazu beſtimmt, daß
ſie immer Beute machen?


Sehen Sie nun, mein Herr, woran ich bin.
Sie muͤſſen alle dieſe fuͤrchterliche Drohungen noth-
wendig wiſſen, weil Sie mir die Schriften angewie-
ſen haben, darinn ich ſie gefunden; aber mit allem de-
me ſcheinen Sie mir viel ruhiger dabey. Iſt ihre
Ruhe nur ein geſetzter Muth, mit dem Sie unerſchro-
cken den Einſturz des Himmels erwarten, oder verla-
chen Sie ſolche Dinge als Spiele der Einbildungs-
kraft? Ich bin bereit, Ihnen in beydem zu folgen,
ſo bald ich weiß, woran Sie ſich halten. Ich ſchaͤtze
Ihre Gelaſſenheit, die Sie in allen Unfaͤllen auf die
Probe geſetzt haben, und ſtelle ſie mir zum Muſter
vor. Sagen Sie mir nur, worinn ich Ihnen hier
folgen ſolle, ich will es mit dem Eifer thun, mit dem
ich bis jenſeits des Grabes verharre
Mein Herr ꝛc.


A 4Zwey
[8]Coſmologiſche Briefe

Zweyter Brief.


Ihr Schreiben, mein Herr, welches ich mit Ver-
gnuͤgen durchgeleſen, zeigt mir, daß Sie ſich in
kurzer Zeit den Weltbau, und die Gewißheit

und Ungewißheit unſerer Weltweiſen bekannt gemacht,
und allem Anſehen nach mehr gefunden haben, als Sie
anfaͤnglich wiſſen wollten. Aber daruͤber befremden
Sie ſich nicht, daß neue Wahrheiten zu neuen Fragen
und Zweifeln Anlaß geben. Dieſes iſt der gemeine
Weg, durch den wir von einer Wahrheit zur andern
kommen, und es iſt nur zu bedauern, daß es damit et-
was langſamer zugeht, als wir es wuͤnſchten. Ge-
denken Sie aber je nicht, daß es bey dieſen Zweifeln
bleiben werde, und wir haben zu hoffen, daß man ſie
nach und nach eroͤrtern, aber auch zugleich neue Fra-
gen vorlegen werde, deren Beantwortung der Nach-
welt wird vorbehalten ſeyn. Begnuͤgen Sie ſich im-
mer mit dem, was wir gewiß wiſſen, und laſſen Sie
kuͤnftige Moͤglichkeiten den Nachkommen zu beſtimmen
uͤbrig, wenn es jezt noch nicht angehen will.


Doch vielleicht kommen Ihnen, mein Herr, die-
ſe Muthmaſſungen der Weltweiſen nur deßwegen ſo
foͤrchterlich vor, weil ſie Ihnen neuer ſind, und Sie
werden ſich unvermerkt an die Sprache von ſolchen
Moͤglichkeiten gewoͤhnen, die gewiß noch keinem den
Schlaf werden gebrochen haben. Allein laßt uns
auch das ſchlimmere ſetzen. Wenn gleich in wenig
Zeit der Erde ein ſolches Uebel bevorſtuͤnde, was wol-
len
[9]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
len Sie anfangen? Wuͤrden Sie nicht den Aſtrono-
men Dank wiſſen, und ſie als Propheten anſehen, die
geordnet waͤren, uns ſolche Vorfaͤlle vorher zu ſagen,
damit wir uns dazu gefaßt machen koͤnnten. Wie,
wenn die Erde ein Satellit eines Cometen werden ſoll-
te, der ſie mit ſich bis jenſeits der Sphaͤre des Sa-
turns wegfuͤhrte, oder ihre Flaͤche mit Waſſer uͤber-
ſtroͤmte; wuͤrden Sie nicht im erſten Fall ſich zu ei-
ner mehr als Syberiſchen Kaͤlte vorbereiten, und im
letztern ſich nach einem Schiffe umſehen?


Allein ich vermuthe immer das beſſere, und be-
trachte dieſe Moͤglichkeiten nicht ſo, daß ich dabey geden-
ken ſollte: Hic Deuſ nihil fecit. Die Erhaltung
ganzer Weltkoͤrper koͤmmt mir wenigſtens wichtiger vor,
als die von ſolchen Geſchoͤpfen, die ihre Geſchlechte
fortpflanzen, und von Jahr zu Jahr wieder neu wer-
den. Bey dieſen moͤgen die aͤltern zum Wachsthum
der juͤngern dienen, aber daß Welten aus Welten ent-
ſtehen, oder aus den Truͤmmern der erſten wieder neue
zuſammengeſetzt werden ſollten, dazu wird mehr erfor-
dert, und ihre Dauer mißt ſich nach Myriaden von
Jahrhunderten ab. Dieſe Verhaͤltniſſe finden Sie
bey Dingen, deren Entſtehen und Vergehen uns vor
Augen liegt. Die Dauer nimmt mit ihrer Groͤſſe zu,
und die Zeiten, innert welchen Tulpen bluͤhen und Ce-
dern wachſen, eben ſo wie die, ſo das Leben eines In-
ſects oder eines Menſchen ausmißt, haben bald keine
Verhaͤltnis gegen einander. Dieſes ſind Geſchoͤpfe,
die ihr Geſchlecht fortpflanzen, aber ihr Wohnort lei-
A 5det
[10]Coſmologiſche Briefe
det nur ſolche Veraͤnderungen, die ihn taͤglich und
jaͤhrlich erneuern, und zu groͤſſeren Abwechslungen ge-
hoͤren mehrere Jahrhunderte, als bey Gewuͤrmen ein-
zele Stunden.


Indeſſen kann ich die Moͤglichkeiten, ſo die Phi-
loſophen vielleicht mehr zu ihrer Beluſtigung als im
Ernſte ausgedacht, nicht alle ſchlechthin verwerfen,
und ich bin immer ſehr geneigt, noch mehrere derglei-
chen auszuſinnen, davon ich Ihnen einige ſchreiben
koͤnnte, wenn Sie nicht an den bisherigen ſchon mehr
als genug zu haben ſchienen. Was man unter allen
am leichteſten einraͤumen wird, ſind ſolche Veraͤnde-
rungen, dadurch die Weltkoͤrper in ihrer Bahn etwas
verruͤckt werden, und dieſe wiſſen Sie nun ſelbſten
ſchon aus den Beyſpielen, die Sie anfuͤhren. Dieſe
kleinere Verruͤckungen ſind allerdings Folgen von der
Schwere der Planeten und Cometen gegeneinander.
Und es iſt die Frage, ob man ſie ſchlechterdings nur
als kleine Ausnahmen von allgemeinen Geſetzen anſe-
hen ſolle, oder ob ſie in der That auch Nebenabſichten
ſind, wodurch der Lauf dieſer Koͤrper zugleich mehrere
Abwechslungen erhaͤlt, und dauerhafter wird.


Was meynen Sie, mein Herr, wenn man ſetzen
koͤnnte, daß dieſe Abwechslungen in der Laufbahn aus
guten Abſichten ſeyn muͤßten, und daß alle Planeten
und Cometen gerade diejenige Groͤſſe, Schwere, Lage,
Richtung und Geſchwindigkeit haͤtten, daß ſie, des be-
ſtaͤndigen Anziehens unerachtet, immer einander auf
die
[11]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
die geſchickteſte Art auswichen? Waͤre es nicht moͤg-
lich, daß ein Comet, der einmal ſehr nahe bey dem
Jupiter vorbey liefe, in ſeiner Bahn dergeſtalt abge-
lenkt wuͤrde, daß, da er vorhin rechter Hand um die
Sonne gienge, er nunmehr linker Hand um dieſelbe
laufen wuͤrde? Je ſtaͤrker eine ſolche Aenderung waͤ-
re, deſto wichtiger wuͤrden mir auch die Gruͤnde ſchei-
nen, die ſie erfoderten. Die Coſmologiſchen Lehren
von der Vollkommenheit der Welt, und die Teleologi-
ſchen Saͤtze, die wir aus der Erfahrung von den Ab-
ſichten natuͤrlicher Dinge haben, ſind Ihnen, mein
Herr, ſo wohl bekannt, daß ich nicht erſt fragen darf,
ob Sie bey der Einrichtung des Laufes der Weltkoͤr-
per nicht eben ſo weiſe Abſichten des Schoͤpfers anneh-
men werden, als wir ſie z. E. bey allen und auch den
kleinſten Theilen des menſchlichen Coͤrpers finden.
Es iſt wahr, daß wir die Abſichten in ſo groſſen Thei-
len eben nicht ſo leicht errathen koͤnnen, als es bey
kleinern geſchieht, wo wir die Folgen der Veraͤnderun-
gen uͤberſehen koͤnnen. Wir ſehen am Himmel noch
hoͤchſtens nur die Ausnahmen, und es wird Aeonen ge-
brauchen, bis ſich eine ganze Folge von Veraͤnderun-
gen wird uͤberſehen, und alle Theile derſelben unterein-
ander vergleichen laſſen. Dann erſt wird es ſich zei-
gen, was dieſe Summe von kleinern Abweichungen zu
bedeuten habe, und wie ſich die vorhergehenden Um-
ſtaͤnde zu den folgenden anſchicken.


Kann ich Ihnen, mein Herr, uͤbrigens glauben,
daß Sie bey allem dieſem nur die fuͤrchterliche Seiten
von
[12]Coſmologiſche Briefe
von den Wirkungen der Cometen betrachtet haben,
und daher auf ihre Erfinder in Ernſte boͤſe ſind? Ich
vermuthe nicht, daß die Weltweiſen dieſe Folgen aus
andern Abſichten ſo boͤſe vorgeſtellt haben, als um un-
ſerer Einbildungskraft etwas zu thun zu geben. Sie
wiſſen, was Ahndungen ſind, und bevorſtehende Un-
gluͤcksfaͤlle, die wir beſorgen, gehen uns allemal ſehr
nahe. Die Philoſophen wollten uns vorſtellen, daß
Cometen eben nicht bloß zum Anſtaunen am Himmel
erſchienen, ſondern auch etwas wirken koͤnnen. Es
war dieſes ein ſehr reicher Stoff, um die Einbildungs-
krafft rege zu machen, und es iſt bekannt, daß wir
nothwendig mehr Antheil nehmen, wenn man das Un-
heil in ſeinem hoͤchſten Grade vorſtellt. Erzaͤhlen Sie
nur jemanden, ein Comet koͤnne uns das Jahr laͤnger
oder kuͤrzer, und aus Sommer Winter machen, er
koͤnne das Waſſer aus dem Meere uͤber alle Berge
hinauf ziehen, er koͤnne uns den Mond wegrauben,
oder machen, daß wir kuͤnftig nur alle Jahre einmal
Vollmond und Neumond haben, oder hinwiederum,
daß wir alle 14. Taͤge eine Finſterniß bekommen, und
was dergleichen Veraͤnderungen mehr ſind; ſo erzaͤh-
len ſie lauter Moͤglichkeiten, die aber merkwuͤrdig ge-
nug ſind, um die Aufmerkſamkeit an ſich zu ziehen,
und die Einbildungskraft zu beſchaͤftigen.


Fragt man aber, ob ſich etwas dergleichen je-
mals zu tragen werde, ſo wird Ihnen kein Philoſoph
dafuͤr gut ſtehen wollen, weil wir nicht alle Cometen
noch ihre Bahnen noch ihre Zuſammenkuͤnfte wiſſen.
Sie
[13]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Sie werden hiebey leicht denken, daß wir auf ſolche
Art noch lange in der Ungewißheit bleiben werden,
wenn es nicht andere Gruͤnde giebt, woraus ſich et-
was Zuverlaͤßigers beſtimmen laͤßt. Ich habe Ihnen
ſchon vorhin die allgemeinen Coſmologiſchen Gruͤnde
vorgeſchlagen. Helfen Sie mir unterſuchen, wie weit
ſie ſich hier anwenden laſſen. Meines Erachtens aber
werden in dieſem Falle ſpecialere Gruͤnde erfordert,
und beſonders ſolche, die ſich aus dem Geſetz der
Schwere, nach welchem ſich doch alle Weltkoͤrper rich-
ten, und aus der Beſchaffenheit ihrer Laufbahn her-
leiten laſſen. Die Coſmologiſchen werden nur dienen,
um etwas von der Einrichtung der Weltſyſtemen uͤber-
haupt zu ſchlieſſen, aber die kleinern Uebel, die uns
die Philoſophen beſorgen machen, haͤngen auf eine naͤ-
here Art von dem Geſetze der Schwere ab, weil ſie in
der That nur aus dieſem alleine hergeleitet werden.


Ich will damit anfangen, daß ich Ihnen hieruͤ-
ber zwo Fragen vorlege, die Sie nach Durchleſung
der Schriften, ſo ich Ihnen angegeben, leicht werden
aufloͤſen koͤnnen. Unterſuchen Sie einmal, ob es
moͤglich iſt, daß zween Cometen oder ein Comet und
ein Planet jemals aneinander ſtoſſen koͤnnen, oder ob
ſie nicht vielmehr, wenn ſie ſo nahe zuſammen kom-
men ſollten, ſich zugleich um die Sonne und um einen
gemeinſamen Mittelpunct bewegen werden. Sie
werden hiebey leichte die Umſtaͤnde beyder Coͤrper be-
ſtimmen, und finden koͤnnen, wie nahe zum Exempel
ein Comet in den Wirkungskreyß der Erde kommen
muͤßte,
[14]Coſmologiſche Briefe
muͤßte, bis er daſelbſt hangen bliebe, und wo er muͤßte
durchgehen, um eine Ellipſe von gegebener Figur um
dieſelbe zu beſchreiben, wie wir es an dem Monde ſe-
hen. Sie begreifen leicht, daß dieſe Beſtimmung
von der Geſchwindigkeit abhaͤngt, die der Comet in
ſeiner erſten Laufbahn bey Annaͤherung der Erde hat.
Dieſe Geſchwindigkeit muß mit der kleinſten Entfer-
nungs des Cometen von der Erde nothwendig eine be-
ſtimmte Verhaͤltniß haben, und wenn der Comet nicht
juſt dieſen Weg nimmt, ſo wird die Erde weiter nichts
ausrichten, als daß die Bahn des Cometen mehr oder
minder geaͤndert wird. Achten Sie ſodann, wie ſchick-
lich die Umſtaͤnde ſeyn muͤßten, damit ſich eine ſolche
Begebenheit zutragen koͤnnte, und ob man nicht viel-
mehr einen Vorſatz als einen bloßen Zufall dabey zum
Voraus ſetzen muͤßte?


Die andere Frage iſt eben die, ſo ſie mir gemacht
haben, ob es vermuthlich ſeye, daß Jupiter und
Saturnus ihre Trabanten auf dieſe Art nach und
nach bekommen haben? Die Aufloͤſung der vorher-
gehenden Frage mag Ihnen auch hier dienen, und
die Umſtaͤnde, die wir bey den Satelliten antreffen
moͤgen, die Antwort leichter machen. Einmal bewe-
gen ſich alle Satelliten ſo, wie die Hauptplaneten von
Abend gegen Morgen. Setzen Sie nur, daß es Co-
meten geweſen waͤren, ſo ſind nur zween Faͤlle moͤg-
lich, wie ſie ſich im Netze des Hauptplaneten haͤtten
verſtricken koͤnnen. Entweder es waͤre geſchehen, in-
dem der Comet von dem Aphelio wieder zur Sonne
herunter
[15]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
herunter geſtiegen, oder ſich von der Sonne wieder
aufwaͤrts entfernt haͤtte. Im erſten Fall haͤtte der-
ſelbe die Bahn des Hauptplaneten auf der Oeſtlichen,
im andern Fall auf der Weſtlichen Seite durchſchnei-
den muͤſſen. Wie groß iſt hiebey die Wahrſcheinlich-
keit, daß das Gegentheil niemals eingetroffen. Denn
auf dieſe koͤmmt es an, wenn man hier ſchlechthin ei-
nen Zufall ſetzen will. Es ſind in allem zehen Satel-
liten, und von dieſen ſollten ſich wenigſtens fuͤnf von
Oſten gegen Weſten um den Hauptplanet drehen,
weil beyde Bewegungen als gleich moͤglich muͤſſen an-
geſehen werden. Ein Comet kann im Herauf- und
Herabſteigen einem Planeten eben ſo wohl auf der ei-
nen als auf der andern Seite zu nahe kommen, wenn
wir annehmen wollen, daß die Laufbahn derſelben ſo
aufs Ungefehr geſetzt iſt. Die Rechnung uͤber die
Wahrſcheinlichkeit iſt hier bald gemacht. Es iſt eben
ſo viel, als wenn zwiſchen Cajus und Titius zehenmal
das Loos gezogen wuͤrde, welches an ſich betrachtet ei-
nem ſo leicht fallen koͤnnte als dem andern, und man
ſetzte, Cajus waͤre alle zehenmal gluͤcklich geweſen.
Die Unwahrſcheinlichkeit iſt hiebey 1023.mal groͤßer
als die Wahrſcheinlichkeit. Und eben ſo waͤre es uͤber
1000.mal wahrſcheinlicher geweſen, daß von den Sa-
telliten einige ſich von Morgen gegen Abend bewegten,
wenn ihre Bewegung ein bloßer Zufall geweſen waͤre.
Eine andere Betrachtung, welche dieſe Unwahrſchein-
lichkeit noch weit groͤßer macht, giebt uns die geringe
Neigung, ſo die Bahnen der Satelliten gegen die von
den Hauptplaneten haben. Solle man hier anneh-
men,
[16]Coſmologiſche Briefe
men, daß alle Cometen, die ſich in Satelliten verwan-
delt haben, eine ſo gar geringe Neigung in ihrer vori-
gen Bahn hatten, und keiner derſelben uͤber oder un-
ter dem Hauptplanet vorbey gegangen waͤre, wenn ihn
dieſer nicht aufgefangen haͤtte?


Unſere Fernroͤhren ſind noch nicht hinreichend, die
Diameter der Trabanten des Jupiters und des Sa-
turns genau zu meſſen, ſonſt wuͤrde ich Sie einladen,
zu ſehen, ob nicht eine gewiſſe Ordnung darunter waͤ-
re, daß die entferntern merklich groͤßer ſind als die naͤ-
hern, wie dieſes auch bey den Hauptplaneten ziemlich
zutrift, und die Ausnahmen unmerklich ſind. Eben
dieſes muß ich auch in Abſicht auf ihre Umwaͤlzung um
ihre Axe unbeſtimmt laſſen, die wir nur von dem Mon-
de wiſſen. Aber dieſes einige Beyſpiel iſt genug, um
auch hierinn Abſichten und nicht Zufaͤlle zu vermuthen.
Woher moͤchte es doch kommen, daß unter allen Co-
meten, die bey der Erde haͤtten vorbeygehen koͤnnen,
derjenige hangen bliebe, der ſich ſo um ſeine Axe dre-
hete, daß er immer die gleiche Seite gegen uns kehr-
te? Solle hier ein Zufall ſeyn, ſo muß ich ſagen, daß
ſeine Wahrſcheinlichkeit kleiner iſt, als jede, die man
ſich gedenken kann. Die Abſicht, warum dieſe Um-
drehung juſt ſo iſt, kann ich nicht finden, aber noch
unendlichmal weniger laͤßt ſie ſich durch einen Zufall
erklaͤren. Wo ſich endlich bey der Suͤndfluth, nach
der Whiſtoniſchen Erklaͤrung der Mond hingefluͤchtet,
um vor einem Cometen ſicher zu ſeyn, durch deſſen
Dunſtkreyß die Erde durchgienge, das kann ich Ihnen
auch
[17]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
auch nicht eroͤrtern. Er haͤtte wenigſtens eine merk-
liche Breite oder doch eine große Aenderung in ſeinem
Laufe bekommen ſollen.


Sie ſehen hieraus, mein Herr, daß ich von
vielen Muthmaſſungen, ſo man uͤber die Wirkungen
der Cometen gemacht hat, theils die Moͤglichkeit,
fuͤrnemlich aber die Wahrſcheinlichkeit ſehr herunter
ſetze, ungeacht ich noch lange nicht alle laͤugnen, ſon-
dern die geringern immer zugeben, und die groͤßern
als ſehr ſelten anſehen werde, es ſeye, daß man ſie
in der Lehre von der Vollkommenheit der Einrichtung
des Weltbaues bloß als Ausnahmen anſehen muͤſſe,
oder daß ſie in der That dazu dienen, die Syſtem je-
der Fixſterne zu kuͤnftigen Veraͤnderungen vorzuberei-
ten. Ich hoffe, Sie werden nun weniger Urſach
finden, uͤber den braven Copernicus zu zoͤrnen, daß
er die Erde aus ihrer Ruhe verruͤckt, da Sie ſehen,
daß es jeder Comet thun koͤnnte, und daß vielleicht
ſchon verſchiedene etwas daran geaͤndert haben. Sie
koͤnnen aus dieſem auch abnehmen, daß wir vielleicht
noch nicht genug Copernicaniſch ſind, wiewohl ich gar
nicht der Meynung bin, daß wir es dadurch werden
koͤnnten, wenn wir annaͤhmen, die Erde werde mit
der Zeit ein Satellit eines Cometen werden. Ich
glaube vielmehr, daß Cometen und Planeten nach
der wahren Einrichtung des Weltgebaͤudes einander,
durch ganze Weltalter durch, geſchickt ausweichen koͤn-
nen, und daß dieſes Ausweichen eben durch ſolche klei-
nere Verruͤckungen immer moͤglich bleibe.


BDarinn
[18]Coſmologiſche Briefe

Darinn bin ich alſo mit Ihnen vollkommen
einig, daß Sie aus aͤhnlichen Gruͤnden angefan-
gen haben, aus ihrem Cometen-Syſtem alle die-
jenigen wieder wegzuſchaffen, die mit der Zeit Un-
heil anrichten koͤnnten. Ich weiß, daß ihr zaͤrt-
liches Herz ſein Mitleiden auch bis auf winſelnde
Thiere erſtreckt, und daß Sie kein Freund von
Zerruͤttungen ſind, ſondern, wo Sie nur im-
mer koͤnnen, Eintracht und Ruhe und ſtille Zu-
friedenheit ſtiften, und dadurch ihre Gewogenheit
und Freundſchaft ſo ſchaͤtzbar machen, daß gleichge-
ſinnte Gemuͤther und Menſchenfreunde die weſent-
lichſte Gluͤckſeeligkeit in Ihrem Umgange finden.
Dieſe haben Sie mir zu meinem groͤßten Vergnuͤ-
gen gegoͤnnet, und ich werde ſie immer neu em-
pfinden, da ich mit erwiedernder Treue verharre
Mein Herr ꝛc.


[figure]

Dritter
[19]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Dritter Brief.


Auf die Beſchreibung, die Sie mir, mein Herr,
von der Verfaſſung des Weltgebaͤudes ma-
chen, fange ich nun bald an, es mit andern

Augen anzuſehen, als es mir die Weltweiſen vorge-
malt hatten. Es haͤtte nicht viel gefehlt, daß ich
nicht die Aſtronomen als verordnete Propheten, und,
wenn ich es noch fuͤrchterlicher machen ſolle, die Er-
findung der Fernroͤhren und den ſchnellen Wachsthum
der Sternwiſſenſchaft als Vorbothen eines bevorſte-
henden Uebels betrachtet haͤtte. Wie, dachte ich, iſt
irgendwo ein Genius, der dem Copernicus den
Weltbau, dem Kepler ſeine Geſetze, und dem New-
ton
die ſo ſchreckbare Attra[c]tion, und die Lehre von
dem Lauf und der Wirkung der Cometen eingabe, da-
mit ſich alles zur Weiſſagung des Unheils anſchicken,
und die Bewohner der Erde ſich dazu gefaßt machen
moͤchten, damit nicht alle zu Grunde giengen, ſondern
ein Saame zur Fortpflanzung auf der ungeaͤnderten
Erde leben bliebe. Waͤre dieſes der Rathſchluß der
Vorſehung, die bey allen Unfaͤllen noch fuͤr die Erhal-
tung ihrer Geſchoͤpfe ſorget!


Allein Ihr Schreiben, mein Herr, dafuͤr ich Ih-
nen verbindlichſt danke, benimmt mir dieſe aͤngſtliche
Vorſtellung, da Sie ſolche Zufaͤlle, wo nicht ganz in
Abrede ſind, doch wenigſtens auf viele Jahrhunderte
hinaus ſetzen. Ihr Weltgebaͤude hat unſtreitig etwas
B 2Großes
[20]Coſmologiſche Briefe
Großes und der Weißheit des Schoͤpfers Wuͤrdiges.
Sie ſind auf eine weit hoͤhere und edlere Art auf die
Erhaltung der Geſchoͤpfe bedacht, als unſere Weltwei-
ſen, die nur auf Ungluͤck zu denken ſcheinen, oder ſich
wenigſtens damit beluſtigen, daß ſie uns eine Forcht
einjagen wollen.


Ich habe mit der aͤuſſerſten Begierde alle Stel-
len Ihres Schreibens zuſammen genommen, um mir
einen Begriff von einer Einrichtung zu machen, die
Sie mir als ein Werk des Weiſeſten angeben. Nun
ſtrenge ich meine Einbildungskraft und alles, was in
mir denkt, an, um Ihnen in Schluͤſſen zu folgen, die
Sie vermuthlich weiter getrieben haben, als Sie mir
es ſagen wollen, weil Sie mir ausdruͤcklich ſagen, ich
werde ohnehin ſchon mehr haben, als ich verlangte.
Nein, mein Herr, ich kehre nun um, weil Sie von
anders als von Zerruͤttungen reden, und zwiſchen den
Weltgebaͤuden eben die Harmonie einfuͤhren wollen, die
zwiſchen Freunden iſt, die ein innerer Trieb auch da
gegen einander zieht, wo ſie ſich in der Ferne ſehen,
und wo andere Beſtimmungen ihre Zuſammenkunft
nicht leiden. So naͤhern ſich die Weltkoͤrper gegen
einander, aber hoͤhere Befehle wollen, daß ſie ihren
Weg in die Ferne fortſetzen, und um die Erhaltung
der Ihrigen beſorgt ſeyen.


Nicht wahr, mein Herr, ſo ſtellen Sie ſich die
Welten vor. Ich finde ein wahres Vergnuͤgen daran,
und werde nun den ſchoͤnen Jupiter nicht mehr als ei-
nen
[21]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
nen raͤuberiſchen Tyrannen, ſondern als einen gelieb-
ten Vatter anſehen, der ſeine vier Kinder beſtaͤndig
um ſich hat, der ihre Naͤchte erleuchtet, und in ſeiner
friedſamen Bahn ungeſtoͤhrt mit ihnen einhergeht.
Jeder Comet, der in ſein Gebiet koͤmmt, beugt ſich
vor ihm, und lieber wird er ſeine Bahn aͤndern, als
kriegeriſches Unheil anrichten. Denn dieſes ſind die
Gedanken, die Sie mir, mein Herr angegeben haben,
und ich muß Sie dabey fragen, ob nicht ſchon alle die
Cometen, die nun von Morgen gegen Abend einher-
gehen, eine ſo edle Willfaͤhrigkeit gegen dieſen Fuͤrſten
der Planeten gehabt haben?


Ein ſolcher Lehrbegriff iſt zugleich angenehmer
und wahrſcheinlicher, und ich ſuche alles auf, um die
Gruͤnde, die Sie mir angegeben, mir immer klarer zu
machen. Ich laſſe nun mit Ihnen jeden Weltkoͤrper
das ſeyn, was er einmal iſt, und denke nicht mehr auf
den Untergang aller ſeiner Bewohner, der unvermeid-
lich waͤre, wenn die Verruͤckung in der Laufbahn un-
maͤßig groß wuͤrde. Sie troͤſten mich noch lange nicht
genug, wenn Sie ſagen, ich ſollte mich auf eine Sy-
beriſche und noch aͤrgere Kaͤlte gefaßt machen, wenn
ein Comet die Erde mit ſich wegfuͤhrte. Ein Winter,
der wenigſtens 70. Jahre waͤhren wuͤrde, wenn wir
auch mit dem Cometen von 1759. weg muͤßten, der
noch am geſchwindeſten wieder koͤmmt, ein ſolcher Win-
ter hat mit den Polarlaͤndern noch keine Vergleichung,
und die hollaͤndiſchen Schiffer, die ein halb Jahr bey
dem Pole zubringen muͤſſen, wuͤrden ſich auf die Ruͤck-
B 3kunft
[22]Coſmologiſche Briefe
kunft des Sommers nicht zu freuen haben, wenn die
Erde ſelbſt ſich von der Sonne entfernte. Wir ſind
fuͤr die Stelle geſchaffen, die die Erde wirklich hat,
und ſie muͤßte ewig oͤde bleiben, oder es muͤßte eine
neue Schoͤpfung geſchehen, wenn ſie ſollte weggeriſſen
werden.


So weit gehe ich nun in meinen fuͤrchterlichen
Vorſtellungen nicht mehr, und werde mich immer an
die Betrachtungen halten, die Sie, mein Herr, uͤber
die Satelliten angeſtellt. Dieſe habe ich von ganzem
Herzen durchgangen. Ich habe einen Cometen auf
alle Seiten umgewandt, um zu ſehen, ob er ſich in
unſern Mond haͤtte verwandeln koͤnnen. Dazu habe
ich die vortheilhafteſte Umſtaͤnde genommen, und da
ich dem Cometen einen Lauf geben muͤſſen, der uͤber
27mal langſamer waͤre als der von der Erde, ſo habe
ich geſetzt, der Ort des Vollmonds ſeye das Aphelium
des Cometen geweſen, und derſelbe habe ſich darinn
ungefehr ſo geſchwinde bewegt, als nun der Mond
thut. Allein die Ellipſe, die er zuvor haͤtte beſchrei-
ben muͤſſen, faͤllt ins Unmoͤgliche, und ihr Perihelium
waͤre innert der Sonne zu ſtehen gekommen. Ruͤcke
ich das Aphelium weiter hinaus, ſo waͤre der Comet
bey der Erde entweder geſchwinder gelaufen, und da-
mit haͤtte er nicht koͤnnen hangen bleiben, oder die El-
lipſe
waͤre noch unmoͤglicher geworden. Weiter habe
ich dieſe Betrachtung nicht anders als auf eine allge-
meine Art verfolgt. Ich fande gleich dabey, daß der
Comet entweder gleich anfangs den Weg um die Erde
haͤtte
[23]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
haͤtte finden muͤſſen, den jetzt der Mond nimmt, und
da ſehe ich gar nicht ein, wie er in dieſen Weg hat
kommen koͤnnen, da nun der Mond beſtaͤndig darinn
fortgeht, ohne ihn wieder zu verlaſſen: Oder ich haͤt-
te muͤſſen annehmen, daß ſich die Sache erſt nach und
nach ergeben habe, und der Comet erſt in der Folge
der Zeit in ſeinen Beharrungsſtand gekommen ſeye, in
welchem wir nun den Mond ſehen. Dieſes aber kann
ich mit den Geſetzen der Bewegung nicht zuſammen
reimen, weil es darauf ankoͤmmt, ob der Comet in ei-
nem einigen Puncte ſeiner Bahn die Geſchwindigkeit
gehabt habe, die ſich zu dem Abſtande dieſes Puncts
von der Erde ſchickte. Iſt dieſes geweſen, ſo laͤßt ſich
an keine Aenderung mehr gedenken, und der Behar-
rungsſtand iſt gleich von Anfang da. Im andern Fal-
le hat er ſich bey der Erde nicht aufhalten koͤnnen, und
hoͤchſtens iſt ſeine Bahn um die Sonne etwas geaͤn-
dert worden.


So ſtelle ich mir die Sache vor, und finde da-
bey noch keine Moͤglichkeit, aus einem Cometen einen
Satelliten, und wie ſie es anmerken, noch viel weni-
ger unſern Mond zu machen, der ſich ſo auſſerordent-
lich, und aus unergruͤndlichen Abſichten, in gleicher
Zeit um ſeine Axe und um ſeine Bahn herum dreht.
Die Unwahrſcheinlichkeit, die Sie, mein Herr, fuͤr die
Satelliten uͤberhaupt berechnet haben, leuchtet mir
vollkommen ein, und ich wuͤrde ſie ſo gut als eine mo-
raliſche Gewißheit anſehen, wenn ſie auch keine andere
Gruͤnde angefuͤhrt haͤtten, die mich mehr als genug
B 4uͤber-
[24]Coſmologiſche Briefe
uͤberzeugen. Ich wuͤnſchte nur, daß die Philoſophen,
an ſtatt uns ſo ſehr in Schrecken zu ſetzen, ſich auch
bemuͤhen moͤchten, die Welt eben ſo wie die kleinern
Geſchoͤpfe von der Seite zu betrachten, und endlich in
einem vollſtaͤndigern Lehrgebaͤude uns die Sprache der
Himmel zeigten, die uns etwas mehr als die Groͤße
und Allmacht des Schoͤpfers, ich meyne, auch ſeine
Weißheit und Guͤte lehren wuͤrde.


Wie uͤberwiegend iſt hierinn meine Wißbegierde,
und wie geringe hingegen die Hoffnung, ſie in kurzer
Zeit zu ſtillen! Ich habe alles angewandt, um die
Vergleichung zu machen, die Sie mir angerathen ha-
ben, und von den unzaͤhligen Abſichten, die wir bey
den Dingen auf der Erde finden, auf die zu ſchlieſſen,
ſo bey ganzen Weltkoͤrpern vorkommen. Ich durch-
gienge nachmals, wozu jeder Theil, jede Mußkel, je-
des Glied unſeres Leibes diente, warum es an dieſem,
und nicht an einem andern Orte ſtehe, wie vollkom-
men es zu ſeiner Abſicht eingerichtet iſt, was zu ſeiner
Erhaltung dienet, wie es vor jedem Unfall geſichert,
oder was bey jeder Beſchaͤdigung wieder zu ſeiner Her-
ſtellung beytraͤgt. Ich dehnte dieſe Betrachtung auf
jede Thiere, auf jede Inſecte aus, und ſuchte, wie
ſeine Gliedmaſſen eingerichtet ſind, daß dasjenige da-
durch geſchehen koͤnne, wozu es in der Welt gewied-
met iſt. Ich verfolgte ſeine Zufaͤlle durch jede Jahrs-
zeiten, und bemerkte, was es fuͤr Abwechslungen da-
bey leidet, wie es ſich in Hitz und Kaͤlte anſchickt. Ich
durchliefe ſelbſt jede Abaͤnderungen der Witterungen,
und
[25]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
und unterſuchte, wozu die Folgen derſelben in dem
Pflanzen- und Thierreiche dienen muͤſſen. Und bis
dahin waren mir Nieuwentüt und Derham er-
wuͤnſchte Lehrer. Allein ſo bald ich mich uͤber die At-
moſphaͤre hinauf ſchwingen, und ſolche Abſichten, ſol-
che Einrichtung, ſolche Mannigfaltigkeit an der Buͤh-
ne des Himmels finden wollte, da fieng an, vielmehr
zu erſtaunen, und in ſtiller Ehrfurcht zu bewundern,
als etwas beſtimmteres einzuſehen. Es ſeye, daß die
Ordnung, ſo hier herrſchet, zu weit ausſehend iſt,
als daß wir ſie faſſen koͤnnen, oder daß Jahrhunderte
erfordert werden, bis ſich uns eine Reihe von Veraͤn-
derungen zeigt, ſo geſtehe ich Ihnen gerne, daß ich
hier nicht weit kommen konnte.


Da Sie mir indeſſen dennoch die Coſmologiſchen
Gruͤnde anrathen, ſo habe ich neue Kraͤfte geſammelt,
um dieſelben hier anzuwenden, ungeacht ich dabey nur
ſehr allgemeine Betrachtungen hoffen konnte, wie Sie
es ſelbſten auch gedenken. Ich ſahe wohl, daß ich
den ganzen Weltbau uͤberhaupt als eine ſehr zuſam-
menſetzte Maſchine betrachten ſollte. Bey dieſer ſoll-
te ich erſtlich allgemeine Geſetze, aber bey jedem der-
ſelben tauſend kleinere Abwechslungen, und wieder
neue Anwendungen auf andere und verſchiedene Faͤlle
finden. Ich ſtellte mir z. E. das Licht vor, das uͤber-
haupt alle Fixſterne haben, das aber bey jedem derſel-
ben ſeine beſondere Staͤrke und Abwechslungen hat.
Da ſetzte ich, die Planeten und Cometen, ſo davon
erleuchtet werden, fordern dieſe Staͤrke, oder ihre Ab-
B 5aͤnderun-
[26]Coſmologiſche Briefe
aͤnderungen. Ich durchgienge die Geſetze der Schwe-
re, die eben ſo allgemein ſind, und daher fande ich
unzaͤhlige Mannigfaltigkeiten in dem Laufe der Plane-
ten, die um die Fixſterne herum ſind. Der Riß, den
die Weltweiſen ſchon laͤngſten daruͤber entworfen ha-
ben, iſt praͤchtig und groß, und es verurſacht eine ehr-
furchtsvolle Bewunderung, wenn man uͤberdenket, daß
der ganze Himmel, und alle Weltkugeln durch ein ei-
niges Geſetz bewegt werden, und in der That, wenn
kein anderes dabey ſtatt haͤtte, ſo wuͤrde dieſes allein
hinreichend ſeyn, um zu zeigen, daß dadurch alle Him-
mel mit einander in einer ſehr genauen Verbindung
ſtehen, daß die ganze Welt ein zuſammenhaͤngendes
Ganzes iſt, und daß ſie nicht aus einzelnen und abge-
brochenen Stuͤcken zuſammen geflickt ſeye. Dieſe
Saͤtze ſind allerdings groß und ſchoͤn, aber es iſt doch
noch ſo gar wenig Speciales dabey.


Da ich alſo auf dieſe Art nicht viel finden konn-
te, ſo kehrte ich um, und ſuchte bey der Erfahrung an-
zufangen, ſo unvollſtaͤndig ſie noch ſeyn mag. Ich
nahm daher die Halleyiſche Tafel von dem berechneten
Lauf der Cometen vor, die man bis zu ſeiner Zeit ge-
nau obſerviret hatte. Dieſe vergliche ich ſo unterein-
ander, daß ich ſehen wollte, ob ſie in gewiſſe Ordnun-
gen koͤnnten gebracht werden. In allem ſind es 24,
und eigentlich nur 21, weil einer dieſer Cometen drey-
mal, und ein anderer zweymal vorkoͤmmt. Ungeacht
ich mir wohl einbilden konnte, daß dieſe Zahl noch
ſehr geringe iſt, und daher in der Ordnung, die ich
ſuchte,
[27]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſuchte, noch viele Luͤcken bleiben wuͤrden, ſo vermu-
thete ich doch, daß unter dieſen 21. mehr als eine Art
ſeyn wuͤrde, weil ſie Halley nicht ausgeſucht, ſon-
dern genommen hat, wie er ſie haben konnte.


Schreiben Sie, mein Herr, dieſes Unternehmen
einer uͤberwiegenden Neubegierde zu, dazu mich Ihr
Brief aufgewecket hat. Ich werde Ihnen nun den
Erfolg und meine Schluͤſſe angeben, ſo ich dabey ge-
macht habe, und bitte mir von Ihnen aus, daß Sie
ſie weiter fortſetzen, und mir mittheilen moͤchten, wenn
ſie Ihnen der Muͤhe zu lohnen ſcheinen. Sie werden
doch immer daran ſehen, daß ich wuͤnſchte, in die A-
ſtronomiſchen Geheimniſſe einzudringen, und ich wuͤrde
vergnuͤgt ſeyn, wenn mich dieſe Bemuͤhungen auf ih-
re Spur braͤchten, auf deren Sie merkwuͤrdigere Um-
ſtaͤnde muͤſſen entdeckt haben, wie ich es aus ihrem
Briefe abnehme. Ich fienge bey den Periheliis dieſer
Cometen an, und fande unter allen 21. nur zween,
deren Perihelium weiter von der Sonne weg ware als
die Erde in ihrer mittlern Entfernung, und der Unter-
ſchied ware unerheblich. Die uͤbrigen 19. hatten ihr
Perihelium zwiſchen der Erde und der Sonne, und
zwar zwiſchen der Erde und der Venus giengen nur 2,
zwiſchen der Venus und dem Mercurius hingegen 11,
und zwiſchen dem Mercurius und der Sonne 6. durch.
Hieraus konnte ich nichts anders vermuthen, als daß
die Cometen, deren Perihelia weiter von der Sonne
weg und der Erdbahn nahe ſind, ſeltener geſehen wer-
den, oder wohl gar auch ſeltener wieder kommen.


Denn
[28]
Coſmologiſche Briefe

Denn ich ſollte doch wohl gedenken, daß es Cometen
gebe, die der Sonne nicht naͤher kommen, als z. E.
Mars oder einer der obern Planeten.


Sodann vergliche ich dieſe kleinſten Entfernun-
gen mit dem Neigungswinkel, und fande, daß die-
ſer bey allen den 6. Cometen, die ſich unter den Mer-
curius zu der Sonne ſenken, allezeit uͤber dreyßig
Grad, und bey vier derſelben uͤber 60. Grad wa-
re. Bey den uͤbrigen, die nicht ſo tief gehen,
fande ich alle Neigungswinkel ohne Unterſchied,
doch ſo, daß der kleinſte derſelben uͤber 5. Grade
ware. Ich weiß wohl, daß man hieraus ſchon
laͤngſten geſchloſſen, daß die Neigungswinkel deß-
wegen groͤſſer ſeyen, damit die Cometen den Pla-
neten ausweichen koͤnnen Allein warum hat man
uns dennoch dieſelbe ſo foͤrchterlich gemacht?


Endlich fand ich, daß die Cometen, ſo zum
zweyten- und drittenmale in der Tafel vorkom-
men, jedesmal eine andere Lage in ihrer Bahn
hatten, ungeacht die Aenderung nicht groß iſt, ſo
zeigt ſie mir doch, daß man von der jezigen Bahn ei-
nes Cometen auf ſeine kuͤnftige nicht ſo genau ſchlieſ-
ſen koͤnne.


Was glauben Sie hievon, mein Herr! Koͤnn-
te nicht der Comet von 1680, den man uns als
den
[29]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
den forchtbarſten vormahlt, vor ſeiner Ruͤckkunft an-
dere Cometen unterweges antreffen, denen er zu
Lieb ſeine Bahn aͤnderte, daß ſie nicht mehr ſo na-
he bey der Erdbahn vorbey gienge, als es 1680.
geſchahe?


Sie ſehen nun hier meine Entdeckungen,
nach welchen ich gerne mein Cometen-Syſtem ein-
richten wollte, wenn Sie mir dazu helfen. Je
naͤher ein Comet der Sonne kaͤme, deſto groͤſſer
wollte ich ſeinen Neigungswinkel machen, und die
kleinern Neigungswinkel muͤßten mir davon ausge-
ſchloſſen bleiben. Den uͤbrigen, die entfernter
bleiben, koͤnnte ich auch die Neigungswinkel groͤſ-
ſer und kleiner ſetzen, und ich wuͤrde acht haben,
daß ein Comet deſto mehr freyen Raum um ſich
haͤtte, je groͤſſer derſelbe waͤre. Denn ich ſehe die-
ſes auch an den Planeten, da Jupiter und Saturn
ſo weit von einander, und von den uͤbrigen weg
ſind. Glauben Sie, daß ich fuͤr ihre Laufbahn
auch Parabeln und Hyperbeln ſetzen koͤnne, oder
ſollen es lauter Ellipſen ſeyn? Es iſt ja bewieſen,
daß alle Kegelſchnitte gleich moͤglich ſind, wenn nur
die Sonne in ihrem Brennpuncte iſt. Was woll-
ten Sie nun aus ſolchen Cometen machen, die uns
nur einmal beſuchen, und ſodann auf ewig wieder
Abſchied nehmen. Gewiß, ich wollte den Comet
von 1680. gern in eine Hyperbel ſetzen, wenn er
uns nur mit Unheil drohen ſollte, wie man uns
vorgeben
[30]Coſmologiſche Briefe
vorgeben will. Aber bey Ihrem Syſtem, mein
Herr, waͤre es Schade, wenn er nicht oͤfters wie-
derkaͤme, weil er doch immer einer von den ſchoͤnſten
und ſehenswuͤrdigſten iſt.


Ich erwarte Ihre Antwort mit groͤßtem Ver-
langen; Wie gerne wuͤnſchte ich, einmal wieder
bey Ihnen zu ſeyn, ich wuͤrde weder Ellipſen noch
Hyperbeln ſuchen, um zu Ihnen zu kommen, und
die geraͤdeſte Linie muß immer der Weg der Freund-
ſchaft ſeyn, der mich am richtigſten zu Ihnen fuͤh-
ret, wenn es je das mir nur zu langſame Geſchi-
cke zulaͤßt. In dieſer angenehmen Hoffnung ver-
bleibe ich
Mein Herr ꝛc.


[figure]

Vierter
[31]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Vierter Brief.


Sie kommen mir, mein Herr, in ihren Betrach-
tungen uͤber die Verfaſſung des Weltbaues zu-
vor, und die Muͤhe, die Sie ſich haben geben

wollen, aus der Coſmologie und aus der Erfahrung
Gruͤnde dazu aufzuſuchen, und ſie mir guͤtigſt mitzu-
theilen, verbindet mich, nun auch meinen Gedanken
aufzubieten, um zu ſehen, ob ich etwas dazu beytra-
gen kann. Ihr Eifer hierinn ſolle mir zum Vorbilde
dienen, aber ſagen Sie mir, iſt es denn nur eine
freundſchaftliche Willfaͤhrigkeit, daß Sie mir keine
Einwuͤrfe wider mein Syſtem machen, oder wollen
Sie mit der naͤchſten Art, das Fuͤrchterliche aus der
Welt zu verbannen, zufrieden ſeyn? Sie ſind ja ſo
gut ein Philoſoph, als die, ſo dieſe Schreckniſſe ausge-
dacht haben, und das Recht, das uns die Weltweiß-
heit giebt, von jedem Vorgeben einen zureichenden
Grund zu fordern, iſt Ihnen, ich weiß es, in allem
ſeinem Umfange bekannt.


Ich geſtehe Ihnen gerne, daß mir mein Syſtem
nur deßwegen mehr einleuchtete, weil es mir vorkame,
daß es ſich fuͤr eine Welt beſſer ſchickte, die die voll-
kommenſte ſeyn ſolle, und aus dieſem Grunde ſchiene
mir auf die rechtmaͤßigſte Art zu folgen, daß die Ue-
bel deſto ſeltener ſeyn muͤſſen, je groͤſſer ſie ſind. Ich
fande keine Urſache, eine neue Schoͤpfung anzunehmen,
und noch viel weniger wollte ich ganze Weltgebaͤude
oͤde
[32]Coſmologiſche Briefe
oͤde und unbewohnt machen. Es wuͤrde dadurch eine
Seite der Welt immer unbetrachtet bleiben. Ein
Planet, der aus ſeinem Gleiſe weggeruͤckt wuͤrde, oder
einem Cometen nachfolgen muͤßte, ſchiene mir ſeiner
Zerſtoͤrung ſehr nahe zu ſeyn, und ich hielte alle ſeine
Einwohner ohne Hoffnung einer Erneuerung und Fort-
pflanzung, fuͤr immer verlohren und ausgetilgt. Ver-
ſetzen Sie die Thiere, die unter den Polen ihren Auf-
enthalt haben, und dazu ausgeruͤſtet ſind, in die Afri-
kaniſche Sandwuͤſten, oder die, ſo hier ihren Aufent-
halt finden, auf die Eisgebuͤrge der Polarlaͤnder, die-
ſe Verſetzung wuͤrde noch wenig zu ſagen haben. Laſ-
ſen ſie aber das Meer austrocknen, und geben ſie den
Fiſchen die Luft zu ihrem Wohnorte, ſo kommen wir
den Folgen, die die Verruͤckung eines Planeten nach
ſich ziehen wuͤrde, um ein merkliches naͤher. Aber die
Unwahrſcheinlichkeit ſteigt zugleich zu ihrem wahren
Grade empor.


Es iſt wahr, wenn ich ſetze, der Lauf der Welt-
koͤrper ſeye ſo eingerichtet, daß eben die kleinern Ver-
aͤnderungen, die ſie einander verurſachen, dazu dienen
muͤſſen, daß ſie einander immer ausweichen koͤnnen, ſo
nehme ich etwas an, das ſich eben ſo ſtrenge nicht er-
weiſen laͤßt. Ich nehme darinn die Weißheit des
Schoͤpfers in ihrem voͤlligen Umfange. Ich ſetze zu-
gleich, daß die Erhaltung der Weltkoͤrper und ihrer
Bewohner eine ſolche Abſicht der Schoͤpfung geweſen,
dabey keine Ausnahme zulaͤßig ware, die eine voͤllige
Zerſtoͤrung einſchloſſe. Laͤßt man dieſe Saͤtze gelten,
ſo
[33]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſo iſt doch immer mehr eine Bewunderung als ein voll-
ſtaͤndiger Beweis dabey, und man kann mir immer in
Zweifel ziehen, ob eine ſolche Einrichtung moͤglich ge-
weſen, geſetzt, daß auch die Erhaltung der Weltkoͤrper
und ihrer Einwohner keine Ausnahme haͤtte leiden
koͤnnen.


Sie ſehen hieraus, mein Herr, daß ich mein
Syſtem nicht ohne Zweifel gelaſſen, ungeacht ich die
Abſicht nicht habe, dieſelben ohne Noth zu vergroͤſſern.
Ich muß Ihnen aber doch ſagen, was ſich dabey ge-
denken laͤßt. Sie weichen ohnedeme aus richtigen
Gruͤnden den Redensarten aus, die einen bloßen Zu-
fall in den Dingen der Welt in ſich ſchlieſſen. So
z. E. wenn der Comet von 1680. ſo nahe bey der
Erdbahn vorbey gegangen, daß er von derſelben nicht
weiter weg geweſen, als der Mond von der Erde iſt,
ſo ſind Sie, mein Herr, ſchon laͤngſten gewoͤhnt, den
Ausdruck zu vermeiden: Es iſt ein Gluͤck, daß ſich
die Erde damals nicht daſelbſt befunden. Denn in der
That faͤllt hier Gluͤck und Zufall weg, ſo bald man die
Sache als eine Folge von der Einrichtung der Welt
einſieht, und es wird eine Abſicht des Schoͤpfers heiſ-
ſen, daß er fuͤr die Erhaltung der Erde und des Co-
meten auf dieſe Art ſorgen wollte. Wir muͤſſen ohne-
deme nothwendig alles, was wirklich geſchieht, als Mit-
tel und Abſichten anſehen, die in den ewigen Rath-
ſchluͤſſen auf die allerweiſeſte Art unter einander geord-
net ſind.


CLaͤßt
[34]Coſmologiſche Briefe

Laͤßt ſich ferner aus den Geſetzen der Schwere be-
weiſen, daß es unmoͤglich iſt, daß zween Weltkoͤrper
aneinander ſtoſſen koͤnnen, oder daß, wenn es je ein-
mal geſchehen wuͤrde, ihre Laufbahn aus Vorſatz dazu
muͤßte eingerichtet worden ſeyn, weil es vollkommen
individuale Umſtaͤnde dabey erfordert, ſo haben wir
im erſten Falle fuͤr die Erhaltung der ganzen Koͤrper
keine Sorge zu tragen, bey dem andern aber wuͤrde
immer der Beweis auf die fallen, die es behaupten
wollten, weil ich hier allen Zufall ſchlechterdings aus-
ſchlieſſe, und ſicher annehmen kann, daß ſo individua-
le
Umſtaͤnde weſentliche Ausnahmen von allgemeinen
Abſichten des Schoͤpfers ſind. So weit wir noch jezt
die Laufbahn der Cometen kennen, finden ſich noch kei-
ne ſolche Durchſchnitte, die einſtens dergleichen Zer-
ruͤttung nach ſich ziehen koͤnnten, und was Sie, mein
Herr, uͤber die Halleyſche Tafel anmerken, daß die
zum zweyten- und drittenmale wiedergekommene Co-
meten allezeit eine geaͤnderte Bahn hatten, mag ſchon
zeigen, daß, wenn auch dergleichen Durchſchnitte ein-
mal waͤren, ſie noch lange nicht unveraͤndert bleiben.


Das Aneinanderſtoſſen der Weltkoͤrper ſcheint
mir noch immer von den Abſichten der Schoͤpfung am
weiteſten entfernt, weil jede geringe Aenderung in der
Bahn eines Cometen zureichend iſt, es auszuweichen.
Und die Betrachtung, die Sie gemacht haben, daß
Cometen keine Satelliten werden koͤnnen, beweißt zu-
reichend, daß Satelliten vom Anfange her Satelliten
geweſen ſind. Ich ſchlieſſe kurz daraus, jede Plane-
ten,
[35]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ten, Satelliten und Cometen ſeyen an dieſem, und
nicht an einem andern Orte, weil ſie an denſelben ge-
ſetzt worden, und weil ihre Bewohner alle dazu einge-
richtet ſind. Was wuͤrden wir auſſerhalb dem Sa-
turn und in einem mehr als 70jaͤhrigen Winter anfan-
gen? Denn dieſer Winter waͤre, wie Sie es anmer-
ken, unter allen denen, ſo Cometen auszuſtehen ha-
ben, noch der kuͤrzeſte.


Ich weiß wohl, daß dieſe Betrachtungen, die
ich mir in Menge gemacht habe, nur abgebrochene
Stuͤcke des Beweiſes ſind, den man fuͤr mein Syſtem
fordern kann. Aus unſern kurzen Erfahrungen kann
man noch nicht auf die kuͤnftigen ſchlieſſen, und die
Coſmologiſchen Gruͤnde laſſen ſich hier noch nicht bis
zur Vollſtaͤndigkeit entwickeln. Ich wuͤnſchte mit Ih-
nen, daß ſich die Weltweiſen darinn etwas Muͤhe ge-
ben moͤchten, ob man die Erhaltung ganzer Weltkoͤr-
per unter die Abſichten des Schoͤpfers rechnen koͤnne,
die keine Ausnahmen leiden. Wenigſtens achte ich
mich hierinn befugt, dieſe Ausnahmen ſo geringe zu ſe-
tzen, daß ſie als unendlich klein koͤnnen angeſehen wer-
den; und mein Syſtem von dem Weltbaue wird hoͤch-
ſtens darinn fehlen, daß ich es vollkommener annehme,
als es moͤglich ſcheinen moͤchte. Der Umfang der All-
wiſſenheit und der Weißheit des Schoͤpfers iſt unend-
lich, und ich werde mich immer huͤten, derſelben Schran-
ken zu ſetzen. Dieſes wuͤrde geſchehen, wenn ich eine
Vollkommenheit, ohne Beweiß eines nothwendigen
Widerſpruches, fuͤr unmoͤglich und fuͤr zu groß anſe-
C 2hen,
[36]Coſmologiſche Briefe
hen, oder das, was wir in Kleinem bewundern, in
dem Ganzen miſſen wollte.


Ich habe die Betrachtungen, die Sie, mein
Herr, uͤber Halleys Tafel angeſtellt, mit vielem
Vergnuͤgen durchgeleſen, und ſie mit der Tafel vergli-
chen. Sie koͤnnen mit gutem Grunde fortfahren, den
Raum um die Sonne nach denen Regeln, die Sie ſich
entworfen haben, mit Ellipſen auszufuͤllen, und die
Urſachen, die Sie angeben, warum die Cometen in
der Tafel ſeltener ſind, die nicht ſo nahe zur Sonne
kommen, leuchten mir vollkommen ein. Es iſt faſt
nothwendig, daß die Cometen, die ſich bis unter den
Mercurius herunter ſenken, entweder im Heranruͤcken
oder in ihrer Ruckkehr auf der Erde geſehen werden,
und der einige Fall, wo diß nicht wohl angeht, iſt,
wenn der laͤngere Theil der Ellipſe ſich abwaͤrts neigt,
denn alsdann werden ſie mehrentheils nur jenſeits des
Aequators geſehen werden koͤnnen, weil ſie uns in ih-
ren beſten Umſtaͤnden unter dem Horizonte bleiben.
Eben ſo geht es mit denen, die zwiſchen der Sphære
der Venus und des Mercurius durchgehen. Sie ge-
brauchen etliche Monate, um dieſen Weg um die Son-
ne zu machen, und haben ein ſtaͤrkeres Licht von der
Sonne, und groſſen Theils auch einen anſehnlichen
Schweif, weil ſich dieſer bey ihrer Annaͤherung gegen
die Sonne verlaͤngert, wie uns der Comet von A. 1744.
ein deutliches Beyſpiel davon gegeben. Die Erde
mag zu ſolcher Zeit in Oppoſition oder in Conjun-
[c]tion
mit dem Cometen und der Sonne ſtehen, ſo ſind
etliche
[37]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
etliche Monate genug, um denſelben entweder des A-
bends oder des Morgens zu ſehen. Dieſer Grund iſt
hinreichend, um zu zeigen, warum unter den 21. Co-
meten, der Halleyſchen Tafel, 17. waren, die inner-
halb der Venus, und unter dieſen 6. die innerhalb
des Mercurius ihr Perihelium hatten.


Hingegen iſt es ganz anders mit denen Come-
ten, deren Perihelium ſo weit oder noch weiter, als
die Erde von der Sonne entfernt iſt. Ihre groͤßte
Erleuchtung iſt ſchwaͤcher, ihre Schweif nicht ſo groß,
und die Erde muß in ſehr vortheilhaften Umſtaͤnden
ſeyn, wenn wir ſie ſehen ſollen, und auch ihre Sicht-
barkeit waͤhrt hoͤchſtens einige Tage, oder wenige Wo-
chen. Kommen ſie der Erde ſehr nahe, ſo iſt ihr
ſcheinbarer Lauf ſehr geſchwinde, und ſie legen am
Himmel taͤglich 10, 20, und mehr Grade zuruͤck. Da-
her werden ſie in kurzer Zeit kleiner, und verlieren ſich
aus dem Geſichte. Und da ihre kleinſte Entfernung
ſo groß iſt, ſo mag man leicht eine laͤnglichte Ellipſe
annehmen, und ihre Ruͤckkehr wird auf viele Jahrhun-
derte hinaus geſetzt. Dieſes mag wiederum etwas
beytragen, um ihre Erſcheinung ſeltener zu machen.
Ich vermuthe aber nicht, daß es viel austrage, und
die vorigen Betrachtungen ſind guͤltigere Gruͤnde.
Denn da ſich der Raum um die Sonne mit dem Ab-
ſtande vergroͤſſert, ſo haben auch mehrere Ellipſes da-
ſelbſt Platz, und deſto mehrere Cometen koͤnnen wieder
erſcheinen, ob gleich jeder derſelben laͤnger ausbleibt.


C 3Ich
[38]Coſmologiſche Briefe

Ich rechne faſt alle die Cometen zu dieſer Claſſe,
die man nur wenige Naͤchte, aber dagegen faſt alle
Jahre andere ſieht. Die Zeit ihrer Sichtbarkeit iſt
oͤfters zu kurz, um ihre Laufbahn daraus zu beſtimmen.
Viele darunter werden uns von den Wolken bedeckt,
und wenn man erſt Fernroͤhre gebrauchen muß, ſie zu
entdecken, ſo iſt leicht zu erachten, daß es ſich eben
nicht ſo ofte zutragen, ſondern mehrentheils nur gele-
gentlich geſchehen werde. Da die Cometen uͤberdiß
wegen ihrer groͤſſern Atmoſphære einen geringern
Glanz haben, ſo iſt es nicht vermuthlich, daß wir ſie
ſehen koͤnnen, ſo bald ſie ſich niemals unter den Mars
herunter ſenken, weil wir auch die ſichtbaren in dieſer
Entfernung von der Sonne ſchon wieder anfangen aus
den Augen zu verlieren. Der Comet von 1759.
haͤlt ſich faſt 5. Jahre inner dem Kreyſe des Saturns
auf, uns aber iſt er kaum ſo viele Monate ſichtbar.


Halleys Tafel, wie Sie es, mein Herr, an-
merken, giebt uns nur noch einen kleinen Anfang von
der Lage der Cometenbahnen, darinn noch nicht alle
Arten derſelben ſind. Nehmen Sie nur die Perihelia
zum Beyſpiele. Wir wollen ſie noch nicht entfernter
ſetzen als die Erde, ſondern inner dieſen Schranken
bleiben, und die, ſo doppelt und dreyfach darinn vor-
kommen, nur einmal rechnen. Unter allen dieſen Di-
ſtanz
en ſind 7. und daher der dritte Theil von allen,
die zwiſchen die Zahlen 50000. und 60000. fallen.
Ich ſollte daraus vermuthen, daß dieſes die Umſtaͤnde
eines Cometen ſeyen, deſſen Sichtbarkeit auf unſerer
Erde
[39]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Erde am meiſten moͤglich iſt. Zwiſchen 70000. und
80000. findet ſich in der Tafel keiner, ungeacht der
Raum zwiſchen dieſen beyden Diſtanzen viel groͤſſer iſt
als der zwiſchen den beyden erſtern. Wenn wir auch
ſetzen, der Comet von 1680. komme unter allen der
Sonne am naͤchſten, ſo laſſen ſich noch wenigſtens fuͤnf
oder ſechs andere gedenken, die eben ſo nahe kommen
koͤnnen, ohne einander zu ſtoͤren. So koͤnnen 12.
und mehr andere doppelt ſo weit wegbleiben, und ich
haͤtte uͤberhaupt gute Luſt, die Anzahl der Cometen
wie die Quadrate des Abſtandes ihres Perihelii an-
wachſen zu machen, und dieſen Abſtand bis ziemlich
weit uͤber den Saturn hinaus zu erſtrecken. Ich muß
Ihnen doch ein kleines Muͤſtergen von meinem Ent-
wurfe geben, und dabey werde ich ſo gemaͤßigt verfah-
ren, als mir immer moͤglich iſt.


Ich nehme nach Ihrer Anmerkung uͤber die Hal-
leyiſche Tafel nicht mehr als 6. Cometen an, die zwi-
ſchen dem Mercur und der Sonne durchgehen. Die-
ſes iſt unſtreitig ſehr maͤßig. Denn wenn ich die Luͤ-
cken in der Halleyiſchen Tafel ausfuͤllen wollte, ſo wuͤr-
den etliche hundert, und vielleicht mehr als tauſend
nicht zureichen. Aber ich bleibe bey den 6, die in der
Tafel ſtehen. Sodann will ich die Perihelia nicht
weiter hinaus ruͤcken, als die Bahn des Saturns iſt,
ungeacht noch auſſerhalb Raum genug dazu bliebe,
weil der naͤchſte Fixſtern wenigſtens 50000mal weiter
von unſerer Sonne weg iſt, als Saturn. Sie ſehen
demnach, wie ſachte ich gehe. Wenn ich nun nach-
C 4rechne,
[40]Coſmologiſche Briefe
rechne, ſo finde ich das Quadrat bey dem Abſtande des
Saturns bey 600mal groͤſſer als des Mercurs. Und
jenen Raum ſetze ich nicht dichter mit Periheliis von
Cometen angefuͤllt als dieſen. Die Rechnung iſt nun
bald gemacht. Denn ich werde wohl nicht weniger
als 6mal 600, das iſt in die 3600. Cometen heraus
bringen. Sollten Sie wohl gedenken, daß wir bey
unſerer Sonne ſo viele Nachbarn haͤtten? Allein die-
ſes ſcheint mir noch immer viel zu wenig. Denn neh-
me ich an, daß wir alle die nicht zu ſehen bekommen,
deren Perihelium weiter als Mars von der Sonne
weg iſt, deſſen Laufbahn 40mal weniger Flaͤche hat
als die vom Saturn, ſo rechne ich wiederum, daß wir
von dieſen 3600. Cometen nur den 40ſten Theil, und
daher nicht mehr als 90. zu Geſichte bekommen.


Dieſe Zahl iſt unſtreitig zu klein. Schlagen
Sie einmal eine Verzeichnis von den wirklich geſehe-
nen Cometen auf. Werden Sie nicht finden, daß
man ſchon uͤber etliche hundert geſehen, die Lufterſchei-
nungen nicht mit gerechnet, die man in den aͤltern Zei-
ten damit vermengt hat? Dieſe Zahl muͤſſen Sie we-
nigſtens doppelt nehmen, theils weil viele unter Ta-
gen, viele andere bey truͤben Naͤchten, und noch mehr
andere wegen der ſuͤdlichen Breite nicht geſehen wor-
den. Dadurch erſetzen Sie diejenigen genugſam, die
mehr als einmal zu uns gekommen, welches ſo ofte
nicht geſchieht, weil die meiſten viele Jahrhunderte
ausbleiben, und eben nicht bey jeder Ruͤckkunft ſicht-
bar ſind. Sie haben ſelbſt aus den 24, ſo in Hal-
leys
[41]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
leys Tafel ſtehen, aus dieſem Grunde nur 3. wegge-
ſchaft, und es iſt ſehr vermuthlich, daß Cometen um
die Sonne gehen, die ſeit der Suͤndfluth kaum einmal
bey uns geweſen ſind. Ueberdiß wird nicht leicht ein
Jahr vergehen, darinn man nicht wenigſtens einen Co-
meten ſehen koͤnnte, wenn es ſo leicht waͤre, die, ſo
weniger ſichtbar ſind, aufzuſpuͤhren, und man, wie die
Chineſer, jede Nachtwachten gegen den Himmel aus-
ſtellen wollte.


Wenn ich den Cometen von 1680. zum Maaß-
ſtab annehme, ſo wuͤrde ich alle die 3600. Cometen
allein innert den Mercur bringen koͤnnen. Denn ſein
Perihelium war uͤber 60mal naͤher bey der Sonne als
die Bahn dieſes Planeten. Quadriren Sie 60, ſo
wird ordentlich 3600. herauskommen, und nach die-
ſem Maaße haͤtte ich innert dem Saturn 600mal
3600, folglich uͤber zwo Millionen Cometen. Und
da neben dem Cometen von 1680. noch gut 2. oder
3. andere ſeyn koͤnnen, ſo wuͤrde ich fuͤnf Millionen an-
nehmen. Glauben Sie, mein Herr, daß dieſes zu
viel waͤre?


Der Lauf eines Cometen in einer Parabel, eben
ſo wie der in einem Circul, iſt an ſich betrachtet, ſo
gut moͤglich, wie der in Hyperbeln und Ellipſen, aber
die Natur leidet eine ſo vollkommene Regelmaͤßigkeit
nicht. Sie wiſſen, mein Herr, wie nahe dieſe Linien
aneinander grenzen, und wie wenig es gehraucht, um
einen Circ[u]l in eine Ellipſe, und eine Parabel in eine
C 5Hyper-
[42]Coſmologiſche Briefe
Hyperbel, oder auch in eine Ellipſe zu verwandeln.
Setzen Sie nun, einer der Planeten waͤre wirklich
in einem Circul herum gelaufen, ſo werden Sie leicht
finden, daß jeder Comet, der in ſeine Naͤhe koͤmmt,
ſeine Bahn aͤndern, und den Circul etwas ablang ma-
chen koͤnne. Er wird alſo nicht lange darinn bleiben.
Und wenn Saturn gleich in einem Circul einher ge-
gangen waͤre, ſo wuͤrde die naͤchſte Conjun[c]tion mit
Jupiter denſelben in eine Ellipſe verwandelt ha-
ben. Eben dieſes gilt auch bey den Parabeln; Es
iſt phyſicaliſch-unmoͤglich, daß ſie ſich nicht in kur-
zer Zeit in Ellipſen oder Hyperbeln haͤtten verwandeln
ſollen.


Es iſt wahr, bey den Circuln haben ſo kleine
Veraͤnderungen nichts zu ſagen, der Planet wird im-
mer bey unſerer Sonne bleiben, wenn gleich ſeine El-
liptiſche Bahn bald groͤſſer, bald kleiner wird. Hin-
gegen bey den Parabeln wird der Unterſchied merkli-
cher. Denn wird eine Paraboliſche Bahn in eine El-
lipſe verwandelt, ſo bleibt der Comet bey unſerer
Sonne, und bekoͤmmt einen Periodiſchen Lauf. Ent-
ſteht aber eine Hyperbel daraus, ſo ſehen wir ihn
nicht mehr, weil er ſich nothwendig von der Sonne
immer entfernt. Ich will Ihnen eben nicht behaup-
ten, ob es ſolche Laufbahne gebe, aber wenn es der-
gleichen giebt, ſo iſt nothwendig, daß der Comet
nach und nach in das Gebiet einer andern Sonne
koͤmmt, und vermuthlich viele tauſend Jahre unter-
weges zubringt. Naͤhert er ſich aber dem Fixſtern,
gegen
[43]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
gegen welchen er ſich von unſerer Sonne entfernt
hat, ſo gilt auch dorten das allgemeine Geſetz der
Schwere, und er wird um dieſen Stern eine von
den vorgenannten krummen Linien zu ſeiner Laufbahn
bekommen, folglich entweder daſelbſt bleiben, oder
ſich aufs neue wieder gegen andere Fixſterne wen-
den. Das letztere iſt nothwendig, ſo lange ſeine
Bahn nicht durch irgend einen Cometen oder Plane-
ten in eine Ellipſe verwandelt wird, und dieſe Ver-
wandlung iſt leichter oder ſchwerer, je nachdem die
Hyperbel, die er daſelbſt zu beſchreiten angefangen,
von der Parabel weniger oder mehr verſchieden iſt.
Auf dieſe Art lieſſen ſich Weltkoͤrper oder Cometen
gedenken, die bey keinem Fixſtern blieben, ſondern
dazu geordnet waͤren, einen nach dem andern zu
beſuchen.


Ich habe mich ſchon oͤfters mit der Betrach-
tung ſolcher Cometen aufgehalten, und ware um ih-
re Einwohner beſorgt. Rathen Sie, mein Herr,
was fuͤr welche ich dazu beſtimmt haͤtte? Werden
Sie es wohl gedenken, ich haͤtte lauter Aſtronomen
aus denſelben gemacht, die dazu geſchaffen waͤren,
den Bau des Himmels, die Stellung jeder Son-
nen, die Lage und Laufbahn ihrer Planeten, Satel-
liten und Cometen in ihrem ganzen Zuſammenhange
zu betrachten. Jenes waͤre in dem langen Zeitlaufe
geſchehen, den ihr Wohnort zubringt, von einer
Sonne zur andern zu gehen, und dieſes wuͤrde ge-
ſchehen, wenn ſie im Begriffe waͤre, um eine Son-
ne
[44]Coſmologiſche Briefe
ne herum einen neuen Weg zu ſuchen, um jede Him-
mel von neuen Seiten zu betrachten. Ihnen muͤſ-
ſen Jahrhunderte, wie uns einzele Stunden vorbey
gehen, und die Unſterblichkeit muͤßte ihr Erbtheil
ſeyn, weil ſich die Zeit nach ihren Verrichtungen
ausmißt, wie es auf unſerer Erde Inſecten giebt,
deren ganzes Leben ſich innert dem Verlaufe weniger
Stunden anfaͤngt und endigt, weil ihre Geſchaͤfte
nicht laͤngere Zeit fordern.


Glauben Sie nicht, mein Herr, daß das Welt-
gebaͤude auch von dieſer groſſen Seite muͤſſe betrachtet
werden? oder ſollte der Allerweiſeſte, der die Wel-
ten angeordnet hat, nur in den kleinern Theilen, wie
es von uns geſchehen kann, bewundert werden, und
die Einrichtung und Anordnung aller Sonnen und
Irrſterne unbetrachtet bleiben. Ich gedenke das letz-
tere. So wie wir auf jedem Staube eine belebte
Welt, und in jedem Tropfen ein Meer voll Creatu-
ren durch die Vergroͤſſerungsglaͤſer entdecken, ſo fin-
den dieſe Aſtronomen Himmel voll groſſe Weltkoͤr-
per. Und wie uns bey unſeren Betrachtungen einze-
le Stunden vergehen, ſo vergehen denſelben bey Be-
trachtung ganzer Sonnenſyſtemen Jahrtauſende. Sie,
mein Herr, wiſſen ohnedeme, daß Zeit und Raum
weder groß noch klein ſind, ſondern nur in ihrer Ver-
haͤltnis gegen einander muͤſſen betrachtet werden, weil
beyde mit einander groͤſſer und kleiner werden. Ein
Schiffer, der in Indien faͤhrt, iſt laͤngſten ſchon da-
zu gewoͤhnt, daß er ſeine Reiſe nicht nach Stunden,
ſondern
[45]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſondern nach Monaten abmißt, und die taͤgliche Er-
fahrung lehrt uns, daß uns Jahre vergehen koͤnnen,
wie einzele Tage, und hingegen Stunden uns laͤnger
als Tage ſcheinen, ſo ofte wir wuͤnſchen muͤſſen, daß
ſie doch bald vorbey waͤren. So zaͤhle ich mit Sehn-
ſucht jede Augenblicke, die mir zu Jahren werden,
ſeit dem ich Sie nimmer ſehe. Sie verkuͤrzen ſich
bey Durchleſung Ihrer Schreiben, und wann ich an
Ihren Umgang und die vormals ſo kurzen Stunden
gedenke, die uͤber unſeren Unterredungen vorbey eil-
ten. Ich ſehne mich darnach, daß ſie wieder kom-
men, die erwuͤnſchten Stunden, da ich Ihnen mit
tauſend Freuden werde bezeugen koͤnnen, daß ich nie-
mals aufhoͤren werde zu ſeyn,
Mein Herr ꝛc.


[figure]

Fuͤnfter
[46]Coſmologiſche Briefe

Fuͤnfter Brief.


Ihr Weltgebaͤude, mein Herr, iſt mir viel zu an-
genehm, als daß mir Einwuͤrfe dawider ſo
leicht einfallen ſollten, und wenn mir je der-

gleichen in Sinne kaͤmen, ſo wuͤrde ich ſie Ihnen alle-
mal lieber als Fragen vorlegen, die Ihnen zu noch
mehrerer Aufklaͤrung deſſelben dienen koͤnnten. Aber
dafuͤr bin ich nicht beſorgt. Sie muͤſſen allerdings
noch weiter hinaus gedacht haben, als Sie es noch ſa-
gen wollten, als Sie mir die Schriften zu leſen gaben,
die daruͤber herausgekommen ſind. Und endlich recht
betrachtet, was ſollte ich Ihnen einwenden? Wieder
Ihre Hauptabſicht? Dieſes wuͤrde mir auch in dem
ungereimteſten Traume nicht einfallen. Sie geht ja
dahin, daß Sie im ganzen Weltbaue eben die Ord-
nung, Harmonie, Mannigfaltigkeit und Abwechslung,
Zuſammenhang, Vollkommenheit, Schoͤnheit, Mittel
und Abſichten finden wollen, die wir auf der der Erde
auch in den kleinſten Theilen bewundern. Sie ſuchen
die Ausnahmen unendlich klein zu machen, und noch
gar in Zweifel zu ziehen, ob es Ausnahmen ſind, oder
ob ſie nicht vielmehr als Mittel angeſehen werden muͤſ-
ſen, dadurch die Abwechslung mannigfaltiger und die
Ordnung in dem Laufe der Weltkoͤrper vollkommener
und dauerhafter wird. Sie verbannen alles, was ei-
nem blinden Ungefehr nahe kaͤme, und das, was wir
ſonſt, ohne daran zu denken, ein Gluͤck nennen, machen
Sie zu einer Folge von der Einrichtung der Welt, und
zu
[47]uͤber die Einrichtugg des Weltbaues.
zu einer Probe der Weisheit und Guͤte des Schoͤp-
fers, der unter allen Welten die vollkommenſte waͤhl-
te, und ſchuf.


Laſſen Sie es immer gelten, daß es Weltalter
gebrauchen werde, bis ſich die Folgen dieſer Einrich-
tung aufklaͤren, und darthun werden, daß die Welt
nicht fuͤr Augenblicke geſchaffen ſeye, wie Gewuͤrme,
die nur Stunden gebrauchen, um die kurze Veraͤnde-
rung auf unſerer Erdflaͤche herfuͤrzubringen, wozu ſie
gewiedmet, und wozu alle ihre Gliedmaßen eingerich-
tet ſind. Was Sie, mein Herr, von ganzen Welt-
ſyſtemen ſagen, iſt ihrer Groͤße, ihrer Pracht, ihrer
Dauer und Beſtimmung gemaͤß, und der Zweifel, den
Sie ſich ſelbſten uͤber die Moͤglichkeit einer ſolchen Ein-
richtung machen, verſchwindet, wenn man das Unend-
liche in dem Umfange der Allwiſſenheit, Macht, Weis-
heit und Guͤte des Schoͤpfers uͤberdenkt.


Woran wollen Sie denn ferner zweifeln? Iſt
es nicht ſo, die Hauptfrage koͤmmt darauf an: ob alle
Cometen und Planeten einander auf immer auswei-
chen koͤnnen? Fordern Sie hieruͤber meine Einwuͤrfe?
da ich von Anfang ſchon, auf die Weltweiſen zuͤrnte,
daß ſie ſich nur mit dem ſchlimmſten, das je moͤglich
ware, aufhielten, und uns bald haͤtten zu glauben ge-
geben, die Welt ſeye juſt ſo eingerichtet, daß wir in
kurzem mit einem Cometen davon muͤßten: Sie, mein
Herr, nehmen doch unter allen Moͤglichkeiten, die
wahrſcheinlichſte an, weil ſie unter allen die weiſeſte
und


[48]Coſmologiſche Briefe

und guͤtigſte iſt, die in den Schaͤtzen der Allwiſſenheit
GOttes waren. Halten Sie ſich immer an den groſ-
ſen Satz? Die ganze Welt iſt eine fortdaurende Wir-
kung aller goͤttlichen Vollkommenheiten zuſammen-
genommen, was werden Sie dabey anders als Liebe,
Guͤte, Allmacht, Weisheit, Vorſicht und Erhaltung
des Ganzen, Ordnung, Dauer und Vollkommenheit
heraus bringen? Werden Sie nicht nothwendig dar-
aus folgern, daß die Dauer des Ganzen ewig fortwaͤh-
ren, und die Erhaltung jeder Theile der Ewigkeit deſto
naͤher kommen muͤſſe, je groͤſſer ſie ſind, und je naͤher
ſie dem Ganzen kommen. Iſt es nicht ſo, was ſterb-
lich iſt, pflanzt ſein Geſchlecht fort, und was der Ver-
aͤnderung unterworfen iſt, erneuert ſich? Wo finden
Sie Ausnahmen an dieſen ewigen Geſetzen, und wenn
Sie keine finden, wo wollen Sie denn auch nur
Scheingruͤnde fuͤr die Zerruͤttung der Weltſyſtemen
aufſuchen? Sie gebrauchen ja zu ihrem Weltbaue das
Geſetz der Schwere, das irgend ein Genius dem New-
ton
in einer Entzuͤckung geoffenbahrt hat, und die
Bahnen der Weltkoͤrper ſind dabey nicht willkuͤhrlich,
ſondern gerade und umgekehrt erwieſen. Sollte ich
noch unwahrſcheinlichere Umſtaͤnde zuſammentraͤumen,
um zu verſuchen, ob ein Comet haͤtte ein Satellit wer-
den koͤnnen, und zehen Cometen juſt ſo laufen machen,
daß ſie endlich um den Saturn, Jupiter und unſere
Erde alle in ſolchen Bahnen einhergehen konnten, die
von Circuln ſo gar wenig unterſchieden ſind, wie die
Bahnen der Hauptplaneten ſelbſten? Nein, mein Herr,
gedenken Sie ja nicht, daß ich ſo weit ausſchweifen
werde,
[49]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
werde, um Einwuͤrfe zu ſuchen, und das Wahrſchein-
lichſte mit dem Unwahrſcheinlichſten zu beſtreiten. Ich
bleibe einmal dabey, daß Satelliten immer Satelliten
geweſen ſind, und die Aehnlichkeit zwiſchen ihrem Laufe
und dem Laufe der Hauptplaneten ſowohl in Anſehung
der Richtung, als der Neigung und Ruͤndung ihrer
Bahnen zeigt mir immer mehr eine Anordnung, die
ein Vorſatz des groſſen Schoͤpfers, und nicht die Frucht
von Zufaͤllen und Verwirrungen iſt.


Je mehr ſich Ihr Weltgebaͤude meinem Ver-
ſtande entwickelt, deſto geringer wird der Abſtand mei-
ner Coſmologie von demſelben, und ich ſehe nun vor-
aus, daß ich bald aufhoͤren werde, mich uͤber die All-
gemeinheit der Gruͤnde dieſer Wiſſenſchaft zu beklagen.
Ich wuͤnſchte nur noch mehrere Tafeln zu haben, wie
des Halley ſeine iſt. Wie gerne wuͤrde ich ſie Ihnen
zuſchicken, und wie wichtige Anmerkungen und Ver-
gleichungen haͤtte ich daruͤber von Ihnen zu gewarten.
Aber ſagen Sie mir doch, mein Herr, getraueten Sie
ſich wohl in Ernſte, noch mehr als fuͤnf Millionen Co-
meten heraus zu bringen? Denn Sie geben mir dieſen
Ueberſchlag nur als ein Muͤſtergen ihres Entwurfes
an. Ich geſtehe Ihnen, daß ich mich bey dieſer Stelle
ihres Schreibens ziemlich aufgehalten habe. Sind
Sie denn hierinn nicht zu freygebig, und was wollen
Sie doch aus einer ſo ungeheuren Zahl von Cometen
machen? Sie wiſſen ja, daß viele von den Weltweiſen
ſie fuͤr unreife Planeten gehalten, und gezweifelt ha-
ben, ob ſie als Cometen bewohnt ſeyn koͤnnen. Nehmen
DSie
[50]Coſmologiſche Briefe
Sie den Comet von 1680. zum Beyſpiele. Den
8ten Dec. ſelbigen Jahres ware er der Sonne 160.
mal naͤher als die Erde. Dieſes vergroͤſſert die Hitze
der Sonne 25600. mal, da ſie umgekehrt zunimmt,
wie das Quadrat des Abſtandes. Setzen Sie nun, das
beſte Brennglaß koͤnne die Sonnenſtralen 2000. mal
verſtaͤrken, welches ehender zu viel als zu wenig iſt, ſo
iſt die Rechnung bald gemacht, daß die Hitze von 12.
der beſten Brennglaͤſern auf einen Punct gerichtet,
kaum ſo groß ſeyn werde, als diejenige, deren dieſer
Comet bloßgeſetzt ware. Ich mache die Rechnung lie-
ber auf dieſe Art, weil ſie richtiger iſt, als wenn ich
den erhitzten Cometen mit einem gluͤenden Eiſen ver-
gleichen, oder ſetzen wollte, er wuͤrde in den naͤchſten
50000. Jahren nicht wieder erkaͤlten. Ich will eben
die Hitze, die er wirklich erlangt hat, nicht beſtimmen,
aber das weis ich, daß ich doch noch lieber mit dem
Cometen von 1759. einen 70. Jaͤhrigen Winter, als
mit dem von 1680. eine ſolche Hitze aushalten wollte.
Einen ſo ausgegluͤheten Cometen haben die Philoſo-
phen mit der Zeit von ſeiner Bahn ablenken, und zum
Planeten machen wollen, und eben ſo ſtellet uns Whi-
ſton
die Crde vor, als ſie noch ein Cahos ware.


Was fuͤr ein reiches Magazin von unreifen Pla-
neten, die noch erſt ausgegluͤhet werden muͤßten, haͤt-
ten Sie noch in Vorrathe! aber ich beſinne mich. Sie
laſſen in ihrem Weltbaue jeden Koͤrper das ſeyn, was
er einmal iſt, und ſo wenig Sie zugeben, daß Come-
ten ſich in Satelliten verwandeln koͤnnen, ſo wenig
werden
[51]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
werden Sie auch Hauptplaneten aus denſelben machen
wollen; von jeder neuen Schoͤpfung ziehen Sie Ihre
Gedanken ab, und unbewohnt wollen Sie doch auch
die Cometen nicht laſſen. Ich muß nochmals fragen,
ob Sie der Sache nicht zu vielthun, und ihr Syſtem
unwahrſcheinlich machen? Sie kehren ja die ganze
Welt um, und da Sie den Krieg am Firmamente ver-
meyden wollen, ſo verfallen Sie auf Erden mit den
Philoſophen in Streitigkeit. Gewiß, Ovid hat keine
auſſerordentlichere Metamorphoſe ausgedacht, als die
Cometen bey den Weltweiſen ausgeſtanden haben.
Ariſtoteles hielte ſie fuͤr Meteoren. Kepler, He-
vel
, und andere machten Himmelswolken daraus. Bis
dahin war alles bey ihnen vergaͤnglich. Bald aber
fiengen die Cometen an, den Planeten ihre Wuͤrde und
das Alterthum ihrer Herkunft ſtreitig zu machen, und
erhoben ſich wirklich zum Range der Weltkoͤrper, und
behaupteten dieſes Recht mit tuͤchtigen Gruͤnden. Aber
kann ich Ihnen, mein Herr, unbedingten Beyfall geben,
wenn Sie aus den Cometen den Haupttheil des ganzen
Sonnenſyſtems machen? Wie ſehr fallen die Planeten
von ihrem vormaligen Anſehen herunter, und wie we-
nig werden ſie es, da ſie, die Satelliten mitgerechnet,
nur 16. an der Zahl ſind, gegen Legionen von Come-
ten behaupten koͤnnen? Wo bleibt hier unſere Erde,
die ſich doch vormals als Koͤnigin auf den Thron ge-
ſchwungen, Sonne und Mond als ihre zween Leuchter
anſahe, und Planeten und Fixſterne als Trabanten
um ſich her wandlen ließen, und den Cometen kaum
einen kurzen Aufenthalt in der Luft goͤnnete?


D 2Nun
[52]Coſmologiſche Briefe

Nun werden Sie mir, mein Herr, nicht mehr
den Vorwurf machen, daß ich wider Ihr Weltgebaͤud
nichts einwende. Doch vielleicht habe ich mich hie-
bey uͤbereilt. Ich weiß gar zu wohl, daß Sie wi-
derſinniſche Saͤtze nicht ohne gute Gruͤnde behaupten.
Allein hier kann ich doch alle meine Fragen nicht eroͤr-
tern, und will Sie um die Aufloͤſung derſelben gebethen
haben. Wie angenehm iſt es mir, daß ich Ihnen auch
hier eine Probe geben kann, daß Ihre Gruͤnde mir ein-
leuchten werden. Sehen Sie einmal, woran ich An-
ſtand finde. Glauben Sie, daß Cometen und Plane-
ten Koͤrper von verſchiedener Art ſeyen, oder daß Sie,
des Unterſchieds in ihrem Anſehen und in ihrer Lauf-
bahn ungeachtet, in eine Claſſe gehoͤren, nicht nur in
ſo ferne ſie Nachbarn ſind, und um eine Sonne laufen,
ſondern auch in andern beſtimmtern Abſichten. Wenn
Sie, mein Herr, das erſte annehmen, ſo muß ich wie-
der fragen, woher Sie glauben, daß ſo gar wenige
Planeten, und hingegen ſo viele Cometen ſind? Dieſe
Frage ſcheint mir die ſchwerſte.


Sodann laſſe ich etliche hundert, und wenn Sie
wollen, tauſend Cometen gelten, und wenn die Sache
von meinem Beyfalle abhienge, ſo wuͤrde ich Ihnen alle
5. Millionen ohne Bedenken einraͤumen, und ich wuͤrde
mich auch an dem Einfall nicht aufhalten, daß dadurch
der ganze Raum um die Sonne nicht bloß mit den
Koͤrpern der Cometen, ſondern fuͤrnemlich mit ihren
Athmoſphæren und Schweifen ausgefuͤllt wuͤrde.
Denn ich gebe Ihnen zu, daß beyde nur alsdenn
groͤſſer
[53]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
groͤſſer werden, wenn die Cometen nahe zur Sonnen
kommen, wie man es an denen von 1680. und 1744.
und andern mehr offenbahr geſehen.


Um Ihnen aber zu zeigen, daß ich auch die
Gruͤnde zu dieſem Beyfall aufgeſuchet habe, ſo habe
ich Ihre Rechnung ordentlich zergliedert. Ich wun-
derte mich anfangs daruͤber, warum Sie die Anzahl
der Cometen nicht gar wie die Cubos des Abſtandes
ihres Perihelii von der Sonne anwachſen ließen, weil
Sie doch ſo ſehr auf ihre Vermehrung bedacht waren.
Sie wiſſen ja, daß die Perihelia in jedem ſphæriſchen
Raume, den Sie ſich um die Sonne gedenken koͤnnen,
alle moͤgliche Lagen haben koͤnnen. Setzen Sie nun
dieſelben auf eine einfoͤrmige Art vertheilt, ſo waͤchst
ihre Zahl unſtreitig wie die Cubi des Abſtandes. Al-
lein ich ſahe bald, daß Sie auch darauf dachten, wie
Sie die Durchſchnitte der Bahnen vermeyden, und
jedem Comet eine ruhige Laufbahn geben koͤnnten.
Mein Einfall wuͤrde angehen, wenn die Cometen
ſaͤmtlich in ihren Perihelien blieben. Da ſie aber eine
Laufbahn um die Sonne haben, ſo fallen viele Perihe-
lia
und mit denſelben eben ſo viele Laufbahnen weg.
Jede Laufbahn ſehen Sie hier nicht als eine geometri-
ſche Linie an, ſondern Sie nehmen den ſtaͤrkern Theil
des Wirkungskreyſes des Cometen dazu, in welchen kein
anderer Comet eintreten ſolle. Dadurch aber verfallen
Sie richtig auf Quadrate des Abſtandes. Ich ſtelle
mir hiebey Stangen vor, die als Radii gegeneinander
gerichtet werden. Es ſind nur 12, die am naͤchſten
D 3gegen
[54]Coſmologiſche Briefe
gegen den Mittelpunct kommen. Da ſie aber alle von
demſelben divergiren, ſo bleibt noch Raum uͤbrig, 12.
andere dazwiſchen zu ſchieben. Dieſe laſſen wiederum
neuen Raum fuͤr folgende, die aber von dem Mittel-
punct immer weiter weg bleiben. Ihre Anzahl wird
nur wie die Quadrate des Abſtandes vom Mittelpunct
und nicht wie die Cubi zunehmen.


So weit finde ich an ihren Gruͤnden nichts aus-
zuſetzen, aber, wenn Sie mir, mein Herr, erlauben zu
ſagen, ſo beweiſen Sie dadurch nur die Moͤglichkeit,
daß ſo viele Cometen ſeyn koͤnnen. Gibt es aber auch
in der That ſo viele? Dieſes koͤnnen Sie doch nicht
wohl anders als aus Coſmologiſchen Betrachtungen
herleiten, und wenn Sie es in Ernſte behaupten wol-
len, ſo werde ich Ihre Abſicht leicht erachten. Es iſt
offenbar, Sie muͤſſen den Abſcheu, den die Natur vor
dem leeren Raume hat, ſo weit treiben, daß ſie einen
leeren und einen unbewohnten Raum in eine Claſſe ſez-
zen, und beyde ſchlechthin verbannen. Sie haben mir
ja ſonſt ſchon behauptet, daß wir mit den beſten Ver-
groͤſſerungsglaͤſern in einem Waſſertropfen nur noch
die Wallfiſche, und auf einem Staͤubchen hoͤchſtens nur
die Elephanten ſehen. Auf dieſe Art begreife ich gar
wohl, daß Sie am ganzen Firmamente keine Laufbahn
moͤglich laſſen werden, in die Sie nicht einen Weltkoͤr-
per ſetzen, der auf jedem Staͤubchen eine Welt und in
jedem Tropfen ein Meer von Geſchoͤpfen habe. Sie
machen den großen und kuͤhnen Schluß: Entweder die
Erde iſt allein bewohnt, oder in jedem Puncte des gan-
zen
[55]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
zen Weltgebaͤudes ſind Einwohner und Creaturen. Da
ich Ihnen dieſen Schluß zugebe, ſo ſehen Sie hieraus,
daß es nicht an meinem Beyfall liegen wird, Ihr Welt-
gebaͤud in Aufnahme zu bringen. Aber ehe ich darinn
weiter gehe, ſo bitte ich Sie nochmals um die Aufloͤ-
ſung meiner Fragen uͤber die Vergleichung zwiſchen den
Cometen und Planeten.


Bey den Anmerkungen, die Sie, mein Herr, uͤber
den hyperboliſchen Lauf der Cometen gemacht haben,
finde ich nicht den geringſten Anſtand. Ich ſehe nun
uͤberhaupt ein, daß Ihre Abſicht iſt, dasjenige in Ih-
rem Syſtem, ſo unſere zu kurze Erfahrung unbeſtimmt
laͤßt, aus Betrachtung der Abſichten der Schoͤpfung zu
beſtimmen. Sie gebrauchen hier wiederum einen
Satz, welcher verdient ausfuͤhrlich ins Licht geſetzt zu
werden. Sie fordern, die Welt ſolle in ihrem ganzen
Umfange und Zuſammenhange von Geſchoͤpfen betrach-
tet werden, wie wir das, was auf unſerer Erde iſt, in
kleinem betrachten. Unſere Augen ſind zu kleinern
Gegenſtaͤnden eingerichtet, und wir haben genugſames
Licht von der Sonne, um ſie deutlich zu ſehen. Kaum
fangen wir an, Vergroͤßerungsglaͤſer und Fernroͤhren
zu gebrauchen, und was ſich unſern Augen dadurch
entdeckt, iſt nur fuͤr wenige, die alle Muſe dazu haben,
und die ein innerlicher Trieb fuͤhrt, auch die kleinſten
und groͤßten Welten, die Elemente und das Ganze
zu unterſuchen. Uns bleibt der ganze Weltbau und
ſeine Einrichtung noch eben ſo gut als verborgen.
Solle er aber deswegen allen Geſchoͤpfen ein Geheim-
D 4nis
[56]Coſmologiſche Briefe
nis bleiben, oder iſt die Ordnung und Vollkommenheit
deſſelben nicht ſo ſchoͤn, nicht ſo bewunderungs- und
anbethenswuͤrdig, als in den unendlich mal kleinern
Gegenſtaͤnden unſerer Sinnen? Erſchoͤpft die Erde den
Reichthum der Allwiſſenheit, Allmacht, Weisheit und
Guͤte des Urhebers aller Dinge, der ſie ſeinen Fußſche-
mel, die Himmel aber ſeinen Thron nennt? Uns zeigt
der Hoͤchſte, daß er auch im Kleinen groß und unend-
lich iſt, und eben dieſes werden auch die Einwohner an-
derer Planeten, auf eine immer abwechſelnde Art fin-
den. Aber naͤhert man ſich ſeiner Unendlichkeit nicht
ungleich mehr, wenn man ihn aus dem Grundriſſe des
ganzen Weltgebaͤudes kennen lernt. Ich wenigſtens
geſtehe gerne, daß ich nicht gewußt habe, was Raum,
Groͤſſe, Abſtand und Umfang in dem Werke des All-
maͤchtigen ſagen will, ehe ich gelernt habe, die Wege
des Lichtes zum Maaßſtabe zu nehmen, und die Vorur-
theile der Kindheit zu verbannen, die die Geſtirne kaum
uͤber die Wolken erheben, und den Himmel inner dem
Bezirke weniger Meilen auf der Erde aufſtehen machen.
Welche Muͤhe, wie viele Schluͤſſe gebraucht es nicht, um
aus ſo engen Grenzen, mit denen uns die Sinnen ein-
ſchraͤnken, bis zu den Grenzen des Sonnenſyſtems hin-
auszudringen, und wie weit bleiben wir auch hier
noch zuruͤcke?


Ich gebe den Aſtronomen, die Sie, mein Herr,
auf ſolche Weltkoͤrper ſetzen, den erſten Rang. Ihr
Weg geht von Sonnen zu Sonnen, wie wir auf der
Erde von Stadt zu Stadt gehen, und wie uns dabey
einzele
[57]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
einzele Tage vorbey eilen, ſo zaͤhlen ſie Myriaden von
unſern Jahren. Sie ſind beſtimmt, den Grundriß des
Weltbaues zu bewundern, und in ſeiner Grundlage
und Anordnung die Reyhen der goͤttlichen Rathſchluͤſſe
uͤber ihre Beſtimmung einzuſehen. Unſere groͤßte
Maaße ſind ihre Differentialien, und unſere Millionen
moͤgen kaum ihr Einmal eins ſeyn. Sie kennen die
Waͤrme und die Klarheit jeder Sonnen, und mit einem
Schluſſe beſtimmen ſie die allgemeine Beſchaffenheit
der Einwohner jeder Planeten, die in jedem Abſtande
um dieſelben herum ſind. Ihr Jahr iſt die Zeit von
einer Sonne zur andern. Ihr Winter faͤllt in die Mit-
te des Zwiſchenraumes oder des Weges, den ſie dahin
machen, und ſie feyern den Zeitpunct, wo die vorige
Bahn ſich in eine neue umwendet. Das Perihelium
von jeder Bahn iſt ihr Sommer. Ihr Wohnort iſt zu
jedem Abſtande von den Sonnen geſchaffen, und jede
Stuffen der Waͤrme wirkt auf ihm das Herfuͤrwachſen
von ſolchen Pflanzen, die ihnen zum Muſter derjenigen
dienen, ſo auf Planeten und Cometen bey gleichem Ab-
ſtande von den Sonnen herfuͤrkommen. Jeder Ein-
tritt in ein neues Sonnenſyſtem iſt ihr Fruͤhling, und
den Herbſt feyern ſie, wenn ſie es wieder verlaſſen.


Doch ich muß abbrechen, weil ich mich eben ſo,
wie Sie, mein Herr, bey der Betrachtung dieſer Welt-
koͤrper, ſehr lange aufhalten koͤnnte. Es freuet mich
ungemein, daß es doch auch ſolche Geſchoͤpfe giebt, die
das Ganze in dem Weltbaue uͤberſehen, und ich wuͤnſch-
te mit der Zeit den Weg um etliche Millionen von
D 5Sonnen


[58]Coſmologiſche Briefe

Sonnen mit dieſen Aſtronomen zuruͤcke zu legen. Wie
reich wuͤrde ich dadurch an der Erkenntnis des Welt-
baues werden! Aber dieſer Wunſch bleibt ausgeſetzt,
und zufrieden mit meiner jetzigen Beſtimmung, werde
ich ſie unermuͤdet aus der Ferne betrachten. Die
Reyhe von Schluͤſſen, die Sie, mein Herr, gemacht
haben, hat Sie ſo groſſen Koͤrpern ſchon nahe gebracht,
Sie wiſſen, daß ich Ihnen folge, wohin Sie fortſchrei-
ten. Zeigen Sie mir die neuen Wege, die Sie in die
Reviere der Himmel eroͤfnet haben. Ich will ſie mit
Ihnen wandeln, und Ihnen bey jedem Schritte ſagen,
daß Sie auf das aͤuſſerſte verbinden.


Mein Herr ꝛc.


[figure]

Sechſter
[59]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Sechster Brief.


Die Coſmologiſche Gruͤnde, die Sie mir, mein
Herr, zu Unterſtuͤtzung meines Syſtems an-
gegeben haben, ſind mir deſto angenehmer

geweſen, weil ich eben im Begriffe ware, daſſelbe von
dieſer Seite, auf eine genauere Art zu unterſuchen.
Ich bedaure nur, daß Sie ſo bald abgebrochen haben.
Verlaſſen Sie ſich vielleicht ſo ſehr auf die Harmonie
unſerer Gedenkensart, daß Sie glauben, ich muͤſſe
mit Ihnen nothwendig bey einerley Anlaͤſſen einerley
Vorſtellungen haben? So ſehr ich mich jederzeit be-
muͤht habe, mich dieſer vollkommenen Uebereinſtim-
mung zu naͤhern, ſo finde ich doch immer, daß andere
Gegenſtaͤnde andere und nicht vorgeſehene Eindruͤcke
machen, und das Vergnuͤgen haͤuft ſich bey dieſer Man-
nigfaltigkeit, da es genug iſt, wenn Freunde in jeden
Grundſaͤtzen einig ſind, weil ſie ſodann jede neue Fol-
gen von dieſen Grundſaͤtzen einander mittheilen, und ſie
auch da noch harmonirend finden werden. So finde ich
die mir ſo angenehmen Anmerkungen in Ihrem Schrei-
ben, und ſo hoffe ich, daß Sie auch meine Antworten
auf die Fragen finden werden, die Sie mir vorgelegt
haben. Wir beſtreben uns immermehr, Lieblinge der
edlen Wahrheit zu werden, die uns ihre Grundſaͤtze an-
gabe, und ſo ſehr wir auch anfangs verſchieden dach-
ten, ſo nahe werden wir nach der Unterſuchung des Un-
terſchiedes zuſammen treffen, und jede neue Entdeckung
zu einem feſten Grunde neuer harmonirender Gedanken
machen.
[60]Coſmologiſche Briefe
machen. Wie ſehr vergnuͤgt mich die angenehme Vor-
ſtellung, daß nichts unſere Gedanken werde trennen
koͤnnen. Dieſer reizenden Harmonie kann ich es zu-
ſchreiben, daß Sie, mein Herr, zum voraus auf die
Gruͤnde gefallen, die ich zu meinem Syſtem gebrauche.
Sie legen ſie mir als ausgemachte Wahrheiten vor,
die ſich durch das ganze Weltgebaͤude ausdehnen, und
geben mir den erwuͤnſchten Anlaß, um nach aller
Schaͤrfe zu unterſuchen, wie ferne ſie ſich werden mit-
einander verbinden laſſen, damit ich darauf bauen, und
weiter gehen koͤnne. Ich muß Ihnen doch ſagen, wo
ich gewuͤnſcht haͤtte, damit hinauszulangen.


Ich betrachtete den Weltbau als nach unzaͤhligen
allgemeinen und ſpecialern Geſetzen und Abſichten auf-
gefuͤhrt, und dieſes ſchiene mir der Begriff von der
hoͤchſten Vollkommenheit zu fordern, die die Welt ha-
ben ſollte. Die allgemeinſten von dieſen Geſetzen ſahe
ich als Hauptabſichten an, die gar keine Ausnahme lit-
ten, und die ſpecialern ſollten ſich durch dieſe einſchraͤn-
ken. Da ich mir vornahme, den Weltbau im Ganzen
zu betrachten, ſo fielen die Geſetze, ſo Ausnahmen ley-
den, aus meinen Betrachtungen weg, und ich ſahe
wohl, daß ich ſie deſto weniger wuͤrde gebrauchen koͤn-
nen, je ſpecialer ſie waͤren. Eben ſo ſahe ich, daß mir
alle die unentbehrlich wuͤrden, die gar keine Ausnahme
haben ſollten. Dieſes ware mein Entwurf, und Sie
werden leicht erachten, daß die erſte Frage hiebey dieſe
ware, woran man ſolche Ausnahms-freye Geſetze erken-
nen, und wo man ſie finden ſolle?


Dieſe
[61]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Dieſe ſchwere Frage loͤßte ſich bey mir nach und
nach in verſchiedene andere auf. In dem Weltgebaͤude
ſollten lauter Aehnlichkeiten, aber bey jeder Aehnlichkeit
unzaͤhlige Abwechslungen und Mannigfaltigkeiten ſeyn.
Dieſe Abwechslungen mußte ich bey Seite ſetzen, und
die Aehnlichkeiten ſo weit allgemeiner machen, bis ich
ſie auf jede Weltkoͤrper anwenden konnte. Was konn-
ten mir hier anders als die abſtracteſten Begriffe blei-
ben, da ich alles, was individual iſt, weglaſſen muͤßte.
Dieſe abſtracten Begriffe muͤßten noch ſo von verſchie-
dener Art ſeyn, daß ſie ſich dieſer Verſchiedenheit un-
geachtet, dennoch miteinander verbinden lieſſen, und in
ſoferne gedachte ich fuͤr jeden ein allgemeines Geſetz an-
zunehmen, das keine Ausnahme haͤtte.


So betrachtete ich z. Ex. die Bewegung, und
dehnte das Geſetz der Schwere auf alle Weltkoͤrper oh-
ne Ausnahme aus, weil es, wie Sie, mein Herr, in
ihrem vorhergehenden Schreiben anmerken, das Welt-
gebaͤude zu einem zuſammenhaͤngenden ganzen macht.
Es iſt noch nich bewieſen, daß dieſes Geſetz nothwendig
iſt, ſo bald man ſich Koͤrper gedenkt, und wir kennen
die Natur des Stoffes, daraus die wirkliche Welt be-
ſteht, noch nicht genug, um zu beurtheilen, ob zu die-
ſem Stoffe kein anderes Geſetz haͤtte ſeyn koͤnnen?
Genug, daß ich die Welt nehme, wie ſie wirklich iſt,
und ich ſchlieſſe mit Ihnen, daß dieſelbe ein Stuͤckwerk
wuͤrde, wenn kein allgemeines Geſetz jede Theile mit-
einander verbaͤnde. Newton, der dieſen Zuſamm-
menhang uns gelehrt hat, gab ſich die Muͤhe, noch an-
dere
[62]Coſmologiſche Briefe
dere Geſetze der Schwere zu unterſuchen, und ihre
Diſſonanzen zu zeigen. Spiral-Linien, in welchen
die Planeten von ihren Sonnen immer wegflohen, oder
zuletzt in ſelbige ſich einſenkten, ſind Folgen davon.
Die Auswahl des Allerweiſeſten fiel auf das einfachſte,
das zugleich ewige Harmonie und Ordnung hatte, und
wobey jeder Weltkoͤrper das bleiben konnte, wozu alle
ſeine Einwohner geordnet waren.


Auf eine aͤhnliche Art durchforſchte ich die Be-
wohnbarkeit der Welt, und machte allerdings den kuͤh-
nen Schluß, daß ich keinen Raum derſelben weder oͤde
noch unbewohnt laſſen wollte. Sie ſollte ein Abdruck,
oder wie Sie es, mein Herr, nennen, eine fortdaurende
Wirkung aller goͤttlichen Vollkommenheiten zuſammen
genommen ſeyn. Konnte ich wohl hiebey einen Ge-
ſichtspunct[,] aus dem man dieſe Vollkommenheiten be-
trachten kann, oͤde laſſen? oder konnte die Welt eine
Wirkung des unendlich wirkſamen Schoͤpfers ſeyn, oh-
ne daß in jeder Stelle derſelben Leben und Wirkſam-
keit, Gedanken und Triebe in den Geſchoͤpfen waͤren?
Sollte ich wohl die Vollkommenheit in einer beſtaͤndi-
gen und unerſchoͤpflichen Abwechslung von Aehnlichkei-
ten beſtehen machen, und dennoch dabey leere Stellen
uͤbrig laſſen, wo nichts dergleichen vorgienge, wo keine
Theile eines Ganzen waͤren, das unendlich vollſtaͤndig
ſeyn ſollte? Solche Luͤcken konnte ich nun nicht zulaſ-
ſen, und ich truge kein Bedenken, jedes Sonnenſyſtem
ſo ſehr mit bewohnbaren Weltkoͤrpern anzufuͤllen, als die
vortrefliche Ordnung, die in ihrem Laufe eingefuͤhrt iſt,
nur
[63]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
nur immer leyden machte. Auf unſerer Erde, die wir
nun ſeit der Erfindung der Vergroͤſſerungsglaͤſer, auch
in den kleinſten Theilen betrachten koͤnnen, finden wir
alles ſo voller Einwohner, daß wir nicht laͤnger mehr
zweifeln koͤnnen, die Bevoͤlkerung und Belebung jeder
Theile der Welt als eine Abſicht der Schoͤpfung anzu-
ſehen, die keine Ausnahme leydet. Im Kleinen lehrt
es uns nun der Augenſchein ſelbſten, und die Stuffen,
dadurch wir bey der Verbeſſerung der Vergroͤſſerungs-
glaͤſer gehen, laſſen uns ſicher den Schluß machen, daß
wir die kleinſten Geſchoͤpfe noch lange nicht entdeckt ha-
ben. Sollten wir denn dieſem Schluſſe ſogar enge
Grenzen ſetzen, wenn wir ihn auf die Anzahl der Welt-
koͤrper ausdehnen wollen?


Nach der Bewegung und Bewohnbarkeit ver-
gliche ich Zeit und Raum, und die ganze Welt diente
mir zum Beyſpiele, daß beyde miteinander zunehmen,
und daß die kleinen Veraͤnderungen durch ihre Summe
das erſetzen, was in einzeln groͤſſern nur einfach iſt.
Eine kleine Veraͤnderung iſt bald herfuͤr gebracht, aber
deſto oͤfter kehrt ſie abgewechſelt wieder, und die Sum-
me von ihren Mannigfaltigkeiten wird dennoch be-
traͤchtlich. So kehrt ſich unter unſern Fußtritten der
Staub um, und die kleinen Welten, aus denen er be-
ſteht, veraͤndern ſich in neue. Sollen aber Staͤdte ge-
baut, und Waͤlder gepflanzt werden, ſo gebraucht es
Jahre dazu, und die Zeit, darinn die Weltkoͤrper um
die Sonne laufen, waͤchst mit ihrem Raume bis auf
viele Jahrhunderte. Sie wird noch tauſendfach groͤſ-
ſer,
[64]Coſmologiſche Briefe
ſer, wenn ein Koͤrper von einer Sonne zu einer andern
fortgehet, und wird ſich durch unſere Jahre nicht mehr
fuͤglich ausdruͤcken laſſen, wenn wir die Veraͤnderung
ganzer Sonnenſyſtemen dadurch beſtimmen ſollen.


Fuͤr die Beſchaffenheit der Einwohner jeder Welt-
koͤrper ware ich nicht beſorgt, weil ich uͤberhaupt an-
nehmen konnte, daß jeder derſelben zu der Stelle, wo
er ſich befindet, werde eingerichtet ſeyn. Was wir auf
der Erde finden, richtet ſich ohne Ausnahme nach dieſem
Geſetze. Wir finden Thiere, ſo fuͤr die Polarlaͤnder,
andere, die fuͤr die heißen Erdſtriche, wieder andere, ſo
fuͤr die hoͤchſten Alpen, und noch andere, die fuͤr die
Tiefen der Erde gemacht ſind. Jedes findet an ſeinem
Wohnorte ſeine angemeſſene Waͤrme, Luft und Nah-
rung, und jedes iſt nach allen ſeinen Gliedmaſſen dazu
eingerichtet. Die Betrachtung wird augenſcheinlicher,
wenn wir Erde, Waſſer und Luft miteinander verglei-
chen. Wer wuͤrde an die Bewohnbarkeit des Waſſers
denken, wenn die Fiſche und andere Waſſerthiere uns
nicht von Kindheit auf bekannt waͤren? Wir wuͤrden
es aus aͤhnlichen Gruͤnden fuͤr unmoͤglich halten, aus
denen wir dem Feuer die Bewohnbarkeit abſprechen,
und der Unterſchied wuͤrde nur auf das verbrennen und
erſaͤufen ankommen. Es iſt wahr, das Feuer auf un-
ſerer Erdflaͤche iſt nicht ſo ausgebreitet, wie das Waſ-
ſer, daß es einen beſtaͤndigen Wohnort abgeben ſollte.
Allein, wenn es unter der Erde ſeinen fortdaurenden
Sitz haͤtte, wie viele Naturlehrer behaupten, ſo fiele
dieſer Grund weg. Vielleicht ſind die Einwohner des
Feuers
[65]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Feuers unſern Augen unſichtbar, und die Wirkſamkeit
des Feuers in Aufloͤſung der uns bekandten Materien
fordert entweder Koͤrper von Asbeſt, oder ſolche, die
ſich nicht weiter trennen laſſen. Doch hiebey halte
ich mich nicht auf. Die Stru[c]tur ſolcher Geſchoͤpfe mag
uns immer verborgen bleiben, aber ihre Moͤglichkeit
laͤßt ſich noch nicht ſo leichte umſtoſſen.


Die Berechnung, die Sie, mein Herr, uͤber
den Cometen von 1680. angeſtellt haben, iſt eben ſo
deutlich, als die, ſo man insgemein davon angiebt,
und in Anſehung der Richtigkeit geht ſie ungleich wei-
ter. Es hat mich oͤfters gewundert, daß die gemeine,
die man in ſo vielen Schriften findet, ſo leicht und
ohne weitere Unterſuchung nachgeſchrieben worden, und
allem Anſehen nach wuͤrde es weniger geſchehen ſeyn,
wenn nicht die Au[c]toritaͤt des Newtons, der ſie doch
nur als einen beylaͤuftigen Ueberſchlag angegeben, ſtatt
der Gruͤnde gedient haͤtte. Von der Hitze, die der
Comet wirklich erlangt hat, laͤßt ſich vollends nichts
ſchlieſſen, und alles, was man dabey thun kann, iſt,
daß man die Dichtigkeit der Sonnenſtralen beſtimme,
welche in ſeine Athmoſphaͤre einfielen, und hiezu iſt
Ihre Vergleichung mit den Brennglaͤſern hinreichend
und faßlich. Wenn unſere Erde dieſen Weg nehmen,
und von jetzt an in eine ſolche Naͤhe der Sonne kom-
men ſollte, ſo iſt unſtreitig, daß die Wirkung von der-
jenigen, die 12. der beſten Brennſpiegel zuſammen-
genommen, verurſachen koͤnnen, eben nicht ſo viel ver-
ſchieden ſeyn wuͤrde. Das ganze Meer muͤßte ſich in
Eeine
[66]Coſmologiſche Briefe
eine hohe und dichte Athmoſphære von Duͤnſten ver-
wandeln, und ungeachtet dieſe die Sonnenſtralen merk-
lich zuruͤckhalten und ſchwaͤchen wuͤrde, ſo wuͤrde ich
doch nicht gut ſtehen, ob dieſe Decke zureichen moͤchte,
die Erdflaͤche zu ſchirmen. So viel iſt gewiß, daß das
Licht der Sonne, wenn ſie am Horizonte iſt, durch un-
ſere jezige Athmoſpæhre gut uͤber 2000. mal ſchwaͤcher
wird. Die Athmoſphære des Cometen von 1744.
war bey 8000. Meilen hoch. Sie mag daher noch
viele 1000. mal mehr Licht auffangen und zuruͤckwerf-
fen. Die Hitze eines gluͤhenden Eiſens laͤßt ſich nicht ſo
leicht beſtimmen, ungeacht ſie nicht viel uͤber 4. mal
groͤſſer ſeyn wird, als die Sommerwaͤrme der Erde.
Newton hat bey dieſer Berechnung den Grad der ab-
ſolut
en Kaͤlte noch lange nicht tief genug angenommen.
Ein Koͤrper, der 50000. Jahre gebraucht, um wieder
zu erkaͤlten, haͤtte auch eben ſo viele Jahre noͤthig ge-
habt, um dieſe Hitze zu erlangen. Endlich iſt auch ein
jeder Koͤrper nur eines beſtimmten Grads der Waͤrme
faͤhig. Der Comet von 1680. muͤßte demnach eine
ganz beſondere und von allen Koͤrpern unſerer Erde ver-
ſchiedene Natur gehabt haben, wenn er haͤtte 2000 mal
heißer werden ſollen, als ein gluͤhendes Eiſen, weil
auch dieſes ſchon nicht mehr als gluͤhend werden kann,
und bey groͤſſerer Hitze ſich in Glaß und Aſche verwan-
delt. Es moͤchte ihn nun ſeine Athmoſphære vor der
Sonnenhitze geſchirmt haben, oder ſeine Stru[c]tur der-
ſelben proportionirt geweſen ſeyn, ſo kam er bey der
Sonne durch, und ich zweifle nicht, daß ſeine Einwoh-
ner nicht ſollten unbeſchaͤdigt geblieben ſeyn. Vielleicht
ſind
[67]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſind ſie von ſolcher Beſchaffenheit, daß Froſt und Hitze
keinen Eindruck auf ſie macht. Nur die Einwohner
der Planeten, und daher auch wir ſelbſten, ſind ſo zarte
gewoͤhnt, daß wir eine temperirte Waͤrme gebrauchen.
Wir taugten nicht, den Weg dieſes und anderer Come-
ten zu machen. Sollte ich aber je eine Vergleichung
anſtellen, ſo ſind die Bewohner der Planeten gegen die
von den Cometen ungefehr das, was die Gewaͤchſe un-
ter dem Æquator gegen die in den noͤrdlichen Erdſtri-
chen ſind. Dieſe halten alle Abwechslung der Witte-
rung aus, dahingegen jene in warmen Gewaͤchshaͤuſern
muͤſſen gepflegt werden, wenn ſie in unſern Laͤndern
beſtehen ſollen.


Die Frage, die Sie mir, mein Herr, uͤber den
Unterſchied der Planeten und Cometen vorgelegt ha-
ben, werde ich wohl nicht vollſtaͤndig aufloͤſen koͤnnen,
doch habe ich daruͤber verſchiedene Betrachtungen an-
geſtellt, die zu der Aufloͤſung dienen moͤgen. Einmal,
da ich ſezte, daß beyde bewohnt ſeyen, und das bleiben,
was ſie von Anfang her geweſen ſind, ſo faͤllt dieſer
Hauptunterſchied in meinem Syſtem ganz weg. Ich
laſſe dabey nichts unreifes, und noch vielweniger wuͤrde
ich ein Magazin von unreifen Planeten zugeben. Das
aͤuſſerliche Anſehen, welches in unſern Augen einen be-
trachtlichen Unterſchied zu machen ſcheint, beſteht in ih-
rem groͤſſern Dunſtkreyſe und in ihrem Schweife, die
wir bey den Planeten und ihren Satelliten anderſt ſe-
hen. Aber an dieſem halten Sie ſich nicht auf, weil
Dunſtkreyß und Schweif nur alsdenn groͤſſer werden,
E 2wenn


[68]Coſmologiſche Briefe

wenn ſie der Sonne naͤher kommen. Ich achte nicht,
daß dieſe Vergroͤſſerung nur eine zufaͤllige Wirkung
von der Waͤrme der Sonne ſeye. Der Dunſtkreyß
mag einen weſentlichen Nutzen haben, und vermuthlich
dient er zum Schirme wider die allzugroſſe Hitze. Un-
ſere Erde mag in gleicher Abſicht die Wolken gebrau-
chen, obgleich dieſe noch lange nicht ſo nothwendig ſind,
um die Hitze zu vermindern. Auf eine vorzuͤglichere
Art ſcheint die Erdflaͤche einen Schirm wider die Kaͤlte
des Winters noͤthig zu haben, und dafuͤr dient ihr der
Schnee zur Decke. Da alſo der Dunſtkreyß der Co-
meten nur wenige Monate groͤßer iſt, ſo werde ich den
Aufenthalt ihrer Bewohner noch lange nicht, als mit
beſtaͤndigem Nebel und Dampfe eingehuͤllt anſehen, da-
durch ſie ſollten verhindert werden, das Weltgebaͤud
deutlich zu betrachten. Unſere Athmoſphære wird
zwar niemals ſo groß, als die von Cometen werden
kann, aber ſie bleibt uns beſtaͤndig, und die Helfte un-
ſerer Lebenszeit iſt uns der Himmel mit Wolken bedeckt.
Auf eine aͤhnliche Art bedeckt uns des Winters der
Schnee die Erdflaͤche. Bleibt uns aber deswegen
Himmel und Erde unbekandt, wenn wir die Zeit ge-
brauchen wollen, wo ſie ſich beyde wieder aufdecken?


Dieſes Aufſchwellen der Athmoſphære der Co-
meten iſt demnach als eine Folge von ihrer elliptiſchen
Laufbahn anzuſehen, und mag in Abſicht auf ihre Be-
ſchirmung nothwendig ſeyn. Aber deswegen ſind Pla-
neten und Cometen noch nicht anders als in Abſicht auf
ihre Laufbahn verſchieden. Bey jenen iſt ſie beynahe
circular,
[69]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
circular, bey dieſen aber ſehr ablang. Es koͤmmt alſo
die Frage darauf an, ob dieſe Circul und lange Ellipſen
ſich nicht durch unzaͤhlige Stuffen einander naͤhern?
Dieſe Frage laͤßt ſich nicht leicht durch die Erfahrung
beſtimmen. Wir ſind ſo nahe bey der Sonne, daß wir
nur den innern Theil ihres ganzen Syſtems zu ſehen be-
kommen. Auſſer dem Saturn erblicken wir keinen Pla-
neten mehr, und er muͤßte dem bloſſen Auge nothwen-
dig unſichtbar bleiben, wenn er nur merklich kleiner als
Saturn ware. Von den Cometen ſehen wir ebenfalls
nur ſolche, die ſich unter dem Mars herunter ſenken,
und die ſichtbarſten muͤſſen der Sonne um die Helfte
naͤher kommen, als die Erde, wie ich dieſes in meinem
letzten Briefe ſchon angemerkt. Es iſt demnach ver-
muthlich, daß wir unter allen Koͤrpern unſers Sonnen-
Syſtems nur die beyden Extrema, ich meyne diejenigen
ſehen, deren Bahn entweder die rundeſte oder die ab-
langſte iſt. Innert den Mercur kommt kein Comet,
deſſen Bahn nicht ſehr ablang waͤre, ungeacht das Ge-
gentheil an ſich betrachtet, nicht unmoͤglich iſt. Der
Grund hievon iſt, weil die Cometen uͤberhaupt ſehr
lange ausbleiben. Der von 1759. ſcheinet unter al-
len noch am geſchwindeſten wiederzukommen, er ge-
braucht aber dennoch 75. Jahre. Wenn Sie dieſe
Zahl quadriren, und aus dem Quadrate die Cubic-
Wurzel ausziehen, ſo finden ſie den mittlern Abſtand
eines Cometen von der Sonnen, der in 75. Jahren
wiederkoͤmmt. Die Rechnung giebt, daß dieſer mitt-
lere Abſtand 17[¾].mal weiter von den Sonnen weg iſt,
als die Erde. Das doppelte davon ader 35 ½. giebt die
E 3laͤngere
[70]Coſmologiſche Briefe
laͤngere Axe ſeiner Ellipſe. Wie ſchmal muß ſie dem-
nach werden, wenn das Perihelium naͤher iſt, als der
Mercur, und wie viel noch ſchmaͤler, wenn der Comet
noch laͤnger ausbleibt. Wenn auch ein Comet in 75.
Jahren wiederkaͤme, deſſen Perihelium ſo weit als die
Erde von der Sonne hinweg waͤre, ſo wuͤrde ſeine Lauf-
bahn noch allezeit 3.mal laͤnger als breit ſeyn. Aber
es iſt ſehr vermuthlich, daß ſolche Cometen Jahrhun-
derte zu ihrer Ruͤckkehr gebrauchen.


Sie ſehen, mein Herr, daß dieſer Beweis aus
der Erfahrung und aus dem Geſetze der Schwere her-
geleitet iſt, und daß ich demnach nothwendig die Lauf-
bahnen der uns ſichtbaren Cometen als ſehr ablang an-
ſehen kann. Sie ſind daher auch von den Circuln un-
ter allen am meiſten verſchieden, und ich kann ſetzen,
daß wir nur die beyden Extrema zu Geſichte bekom-
men. Ruͤcken Sie aber die Perihelien der Cometen
weiter von der Sonne weg, ſo moͤgen auch die Ellipſen
etwas ruͤnder werden, und ich wuͤrde die Bahn des
aͤuſſerſten Cometen von einem Circul nicht viel unter-
ſchieden ſetzen. So groß auch der Raum um die Sonne
und ihr Wirkungskreyß iſt, ſo hat er dennoch in Abſicht
auf die Cometen, ſo um dieſelbe laufen ſollen, ſeine
Grenzen. Ich kann keinen derſelben ſo weit entfer-
nen, daß er dem Wirkungskreyß einer andern Sonne
zu nahe kaͤme. Seine Schwere gegen unſere Sonue
muß immer ſtark genug bleiben, daß die Schwere, ſo er
gegen jeden Fixſtern hat, dagegen fuͤr unmerklich zu
achten. Ich will eben nicht beſtimmen, ob er unſerer
Sonne
[71]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Sonne 100, oder 1000mal naͤher bleiben muͤſſe als dem
Fixſtern. Der naͤchſte dieſer Sterne mag 500000mal
entfernter ſeyn als die Erde von der Sonne. Ge-
ben Sie dem aͤuſſerſten Cometen nur den 1000ten
Theil dieſes Abſtandes, ſo wird er noch immer ſich
500mal weiter von der Sonne entfernen als die Erde.
Liefe er nun in einem Circul, ſo waͤre dieſer Abſtand
ſeine halbe Axe, und die Zeit ſeines Umlaufes wuͤrde
ſich auf 11180. Jahre erſtrecken, und kaum um ⅔.
kuͤrzer ſeyn, wenn gleich der Comet bis inner die Bahn
des Mercurs ſich herabließe.


Aus dieſen Gruͤnden laͤßt ſich vermuthen, daß es
auſſer dem Saturn noch Laufbahne geben, die von den
Circularen nicht merklich verſchieden waͤren. Aber
nach meinem Syſtem muͤßten es ſehr wenige ſeyn, und
die ablangen Ellipſen behalten bey mir einen Vorzug,
der die Anzahl der Planeten nothwendig ſehr klein ma-
chen muß. Dieſes iſt die Frage, die Sie mir vorge-
legt haben, und dieſes wird auch die letzte Beantwor-
tung ſeyn, die ich daruͤber finden kann. Urtheilen
Sie, mein Herr, wie ferne ſie Ihnen Genuͤgen leiſtet.
Ich leite ſie aus den beyden Grundſaͤtzen meines Sy-
ſtems her, die Sie mir eingeraͤumt haben. Die An-
zahl der Weltkoͤrper, die um unſere Sonne laufen, ſolle
ſo groß ſeyn, als es immer moͤglich iſt, und in ihrem
Laufe ſollen Sie einander immer ausweichen koͤnnen.
Sie wiſſen, mein Herr, daß ich dieſes letztere Geſetz
als ſchlechthin nothwendig anſehe, und nach dieſem
ſolle ſich die Anzahl und Beſchaffenheit der Cometen
E 4und
[72]Coſmologiſche Briefe
und Planeten richten. Sie haben mir ſelbſt ange-
merkt, daß ich aus dieſem Grunde ihre Anzahl nicht
wie die Cubos, ſondern nur wie die Quadrate des Ab-
ſtandes der Perihelien anwachſen ließe. Nun werde
ich beweiſen, warum die circulare Bahnen die unſchick-
lichſten ſind.


Das Geſetz der Schwere bringt als eine noth-
wendige Folge mit ſich, daß, wenn Cometen oder Pla-
neten in einem Circul um die Sonne laufen ſollen,
dieſe nothwendig in dem Mittelpunct des Circuls ſeyn
muͤſſe. Sezten Sie demnach, alle Cometen ſollen in
Circuln um die Sonne laufen, ſo ſind dieſe Circul ein-
ander concentriſch. Da die Cometen ferner einander
ausweichen ſollen, ſo erinnern Sie ſich aus ihrem
Schreiben, daß dieſe Circul nicht als geometriſche Li-
nien muͤſſen angeſehen, ſondern zu jedem der ſtaͤrkere
Theil des Wirkungskreyſes des Cometen mitgenommen
werden. Verwandeln Sie demnach Ihre Stangen in
Circul von ſolcher Groͤße, daß einer in den ander[n]
paſſe, und alle concentriſch bleiben. Ihr Syſtem wird
ungefehr ausſehen, wie eine Sphæra armillaris, mit
dem Unterſchiede, daß Sie nicht mehrere gleichgroſſe
Circul beybehalten koͤnnen. Wie nimmt nun hier die
Anzahl ihrer Circul zu? Nicht wahr, ſchlechthin wie
ihr Abſtand vom gemeinſamen Mittelpunct, weil ſie
um jeden Circul den naͤchſt groͤſſern anlegen? Es iſt
hier gleich viel, ob Sie die Circul in eine Flaͤche ſetzen,
oder denſelben verſchiedene Neigungswinkel gegeneinan-
der geben. Denn da ſie concentriſch bleiben muͤſſen, ſo
werden
[73]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
werden ſich die naͤchſten immer in zween Puncten be-
ruͤhren, und jeder Raum, der leer bleibt, iſt hier vol-
lends uͤberfluͤſſig. Rechnen Sie wiederum nur 6. Co-
meten innert dem Mercur, ſo werden Sie bis zum Sa-
turn kaum 150. herausbringen. Ich brachte hinge-
gen 3600. heraus. Der Unterſchied iſt allerdings
ſehr merklich.


Die Haupthinderniß liegt hier darinn, daß alle
Circul concentriſch ſeyn muͤſſen, und dieſe Hindernis
faͤllt bey den Ellipſen deſto mehr weg, je mehr ſie ab-
lang ſind. Die Sonne iſt in ihrem Brennpunct, und
kaum entfernt ſich der Comet von ſeinem Perihelio, ſo
wird auch ſein Abſtand von der Sonne groͤſſer, und
laͤßt zu einem neuen Perihelio genugſamen Raum.
Das Bild, ſo Sie ſich mit geradlinichten Stangen ent-
worfen haben, koͤmmt dieſen ablangen Ellipſen viel naͤ-
her, und wenn Sie die Stangen in ſolche Ellipſen ver-
wandeln, ſo werden Sie ungleich mehrere um einan-
der herumlegen, und nach allen Lagen in einander ver-
ſchrenken koͤnnen, als wenn Sie concentriſche Circul
daraus machen.


Hieraus ſehen Sie, mein Herr, wie mein Sy-
ſtem der Natur ſo nahe koͤmmt. Ich habe vorhin er-
wieſen, daß die Laufbahn der Cometen ſehr ablang ſeye,
die bis innerhalb der Sphære des Mercurs zur Sonne
kommen, und es erhellet uͤberhaupt aus dieſen Betrach-
tungen, daß die Abſicht des Schoͤpfers geweſen ſeye,
das Sonnenſyſtem ſo vollſtaͤndig zu machen, als es im-
E 5mer
[74]Coſmologiſche Briefe
mer moͤglich ware. Daher haben wir ſo wenig Pla-
neten, und hingegen Legionen von Cometen, und ich
mache den Schluß daraus, daß beyde in eine Claſſe
gehoͤren, und daß die Cometen, wo nicht den vornehm-
ſten, doch den zahlreichſten und anſehnlichſten Theil des
Sonnenſyſtems ausmachen, der uns ſichtbar iſt. Bald
wuͤrde ich vielmehr fragen, warum noch einige Plane-
ten um unſere Sonne herum ſind. Wenn es nicht
bloß deswegen iſt, weil zwiſchen den Ellipſen, ſo die
Cometen beſchreiben, einiger Raum bliebe, ſo werde ich
den Grund ſchlechterdings darinn ſuchen, daß auch Ein-
wohner um die Sonne ſeyn ſollten, die einer immer
gleich gemaͤſſigten Waͤrme beduͤrften. Alſo mußte uns
Zaͤrtlingen zu gefallen, die Erde in einer faſt circula-
ren Bahn einhergehen. Ich vermuthe aber, beyde
Gruͤnde werden hiebey zuſammentreffen, weil die Man-
nigfaltigkeit und Bewohnbarkeit in dem Weltgebaͤude
ſich paaren muͤſſen. Und eine dieſer Abſichten mag die-
nen, die andere zu beſtimmen. Vielleicht laͤßt ſich auch
hieraus der Grund angeben, warum die Bahnen der
Planeten alle faſt in gleicher Flaͤche liegen. Denn die-
ſes waͤre, um den Cometen uͤber und unter dieſer Flaͤche
vollkommen freyen Raum zu laſſen. Die Durchſchnitte
der Cometen und Planetenbahnen werden dadurch ein-
facher, und es erhellet hieraus zugleich der Grund,
warum die Planeten ſo weit voneinander entfernt ſind,
weil zwiſchen ihren Bahnen noch Raum zu allen Durch-
ſchnitten der Cometenbahnen bleiben ſollte. Und da
dieſe Durchſchnitte bey ſehr ablangen und ſchief incli-
ni
rten Ellipſen, weiter von der Sonne abſtehen, ſo laͤßt
ſich
[75]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſich daraus angeben, warum Saturn, Jupiter und
Mars am weiteſten voneinander weg ſind. Waͤren
auſſerhalb dem Saturn noch etliche Planeten, ſo wuͤrde
allem Anſehen nach ihr Abſtand noch viel groͤſſer ſeyn,
weil die Anzahl der Durchſchnitte der Cometenbahnen
daſelbſt noch haͤufiger wird.


Dieſes ſind die Betrachtungen, die ich uͤber die
Aufloͤſung Ihrer Frage gemacht habe. Schreiben
Sie mir, mein Herr, was Sie daruͤber gedenken, und
wie ferne ſie Ihnen zureichend vorkommen. Es wuͤr-
de mir ſehr angenehm ſeyn, wenn Sie mir dabey neuen
Anlaß geben wuͤrden, noch mehrern Zuſammenhang in
meinem Syſtem zu finden, denn was ich dermalen ge-
funden, habe ich Ihren Anmerkungen zu danken, die
mir in jeden Faͤllen nuͤtzlich und verbindlich geweſen
ſind. Ich weis, daß Sie unerſchoͤpflich ſind, wenn
Sie auf Mittel denken, ihre Freunde zu verpflichten,
und wie viele Proben haben Sie mir beſonders davon
gegeben. Ich bitte Sie, die meinigen, ſo gut ſie von
meinen Kraͤften abhaͤngen, als Wirkungen und Zeichen
der unzertrennbaren Freundſchaft anzuſehen, die unſere
Herzen auch in der Ferne vereinigt, und mit welcher
ich verbleibe
Mein Herr ꝛc.



Siebenter
[76]Coſmologiſche Briefe

Siebenter Brief.


Es iſt ausgemacht, mein Herr, Ihr Weltbau wird
ſich in langen Reihen von kuͤnftigen Beobach-
tungen bewaͤhrt finden laſſen, weil Sie alle

Quellen zuſammen nehmen, daraus die Gruͤnde zur
Auffuͤhrung und Unterſtuͤtzung deſſelben nur immer
flieſſen koͤnnen. Sie forſchen den Regeln der Voll-
kommenheit nach, die keine Ausnahme leyden koͤnnen,
weil Sie nothwendig richtig annehmen, die Welt ſeye
unter allen die vollkommenſte, da ſie ein Werk des Al-
lerweiſeſten iſt. Sie beſtimmen die Eigenſchaften und
Kennzeichen dieſer Regeln und Geſetze, um ſie in der
wirklichen Welt aufzuſuchen. Allgemeine Mittel ma-
chen Sie zu allgemeinen Abſichten, und geben dieſen
fuͤr jede einzele Umſtaͤnde alle moͤgliche Abwechslungen.
Sie breiten die Macht, die Ordnung, das Leben, die
Wirkſamkeit, die Weisheit und Guͤte des groſſen Schoͤp-
fers durch das ganze Weltgebaͤud aus, weil Sie es in
jeden kleinſten Theilchen als eine Wirkung aller dieſer
Vollkommenheiten zuſammengenommen anſehen koͤn-
nen. Wie vollſtaͤndig, wie harmoniſch wird bey ſolchen
Betrachtungen alles, was man bisher nur ſchuͤchtern und
ſtuͤckweiſe zu behaupten bemuͤht ware, und wie reichlich
fuͤllen Sie die Luͤcken ſolcher Beweiſe aus, die kaum auf
einzelne Theile gehen. Sollte es denn Kuͤhnheit heißen,
wenn Sie ſuchen, ſolche abgebrochene Stuͤcke, ſolche
kaum gewagte Beweiſe in ihrer wahren Vollſtaͤndigkeit
vorzutragen, oder was nothwendig allgemein ſeyn muß,
wirklich allgemein zu machen?


Es
[77]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Es iſt wahr, die Folgen von Ihren Gruͤnden
ſcheinen das ganze Sonnenſyſtem umzukehren, aber
dieſe Verwandlung geht nur in unſerm Verſtande vor.
So kehrte vormals Copernicus daſſelbe um, oder viel-
mehr, er machte den Anfang dazu, aber Sie, mein Herr,
ſcheinen es zu vollenden, oder wenigſtens den Weg da-
zu zu bahnen, daß es durch kuͤnftige Erfahrungen vol-
lendet werden koͤnne. Denn von dieſen wird es abhaͤn-
gen, jeden Cometen ihre Bahn zu beſtimmen; Sie, mein
Herr, begnuͤgen ſich dieſen ſpaͤten Zeiten durch eine Art
von Divination zuvorzukommen, und uns die Grund-
lage und das Allgemeine in dem ganzen Syſtem zu zei-
gen, und vorherzuſagen, was man kuͤnftig entwickeln
werde. Der geringe Vorrath von unſern Erfahrungen
giebt Ihnen nur ſehr kleine und abgebrochene Stuͤcke,
Sie vergleichen dieſelben, Sie entdecken die mangelden
Theile, und machen den Schluß, wie das Ganze aus-
ſehen muͤſſe. Die Harmonie, die in Ihren Gedanken
herrſcht, die mein Vergnuͤgen und das Band unſerer
Freundſchaft iſt, leitet Sie bis in die Ordnung des
Weltbaues, und breitet ſich auch hierinn durch alle
Theile aus.


Was ſollte ich Ihnen an dem kuͤhnen und weit-
ausſehenden Schluſſe laͤugnen, den Sie machen? Die
Sonne ſolle der groͤßten moͤglichen Anzahl von Welt-
kugeln Licht und Waͤrme geben, und dieſe ſollen ein an-
der immer ausweichen koͤnnen, folglich muͤſſen unzaͤh-
lige mal mehr Cometen als Planeten ſeyn. Solle ich
an den Vorderſaͤtzen zweifeln, oder ſetzen, die Sonne
daͤrfe


[78]Coſmologiſche Briefe

daͤrfe ihr Licht und Waͤrme unnuͤtzer Weiſe verſchwen-
den. Es iſt mir genug, daß noch ſo viel Licht durch-
faͤllt, als noͤthig iſt, damit auch die Bewohner ande-
rer Sonnen-Syſtemen ſehen koͤnnen, daß unſere Son-
ne, und damit auch unſer ganzes Syſtem in der Welt
iſt. Der Anblick des geſtirnten Himmels, und beſon-
ders des Sirius iſt mir zu angenehm, als daß ich ſei-
nen Bewohnern den ſchoͤnen Glanz unſerer Sonne ent-
ziehen ſollte, die ihnen als ein anderer Sirius durch ih-
re Naͤchte leuchtet. Entziehen Sie mir, mein Herr,
nur den geſtirnten Himmel nicht, ſo will ich Ihnen
Weltkugeln um unſere Sonne zugeben, ſo viel Sie
verlangen koͤnnen. Ich finde die Erde im Kleinen zu
ſehr bewohnt, als daß ich nicht eben ſo viele groſſe
Wohnplaͤtze gerne annehmen ſollte. So wie ein
Schwarm von emſigen Bienen ſich um ihre Koͤnigin
herum ſchwingt, ſo, und noch Millionenmal mehr ſol-
len mir Weltkugeln um die Sonne gehen. Sie ge-
hen friedſam und einig, und keine ſolle feindſchaftlich
den geſetzten Lauf der andern ſtoͤren, weil ſie ſaͤmtlich
erhalten werden ſollen.


Ich habe den Beweis Ihres Satzes ausfuͤhrlich
durchgangen, weil er die Aufloͤſung einer Frage ſeyn
ſollte, die ich in meinem letztern Schreiben fuͤr die
ſchwerſte hielte. Ich nahm meine Stangen, und bo-
ge ſie in Circul. Aber dieſe konnte ich nicht zugleich
concentriſch und von einerley Groͤſſe ſetzen, ohne daß
ich haͤtte Einſchnitte darein machen, und ſie ſo in ein-
ander fuͤgen ſollen, wie an der Sphaera armillari der
Aequa-
[79]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Aequator und die Coluri in einander gefuͤgt ſind.
Dieſes hieſſe ſo viel, als Cometen annehmen, deren
Laufbahne einander durchſchneiden. Es iſt wahr, die
Perioden ſolcher Cometen waͤren gleich groß geweſen,
aber ſie wuͤrden es doch nicht lange geblieben ſeyn,
weil immer kleine Verruͤckungen in der Bahn vorge-
hen, und uͤber diß waͤren ſie zu einfoͤrmig geworden.
In der Welt ſolle alle moͤgliche Mannigfaltigkeit, die
die allgemeinen Geſetze zulaſſen koͤnnen, angebracht
werden, weil ihre Vollkommenheit dadurch groͤſſer
wird.


Hingegen boge ich meine Stangen zu Ellipſen,
und machte etliche davon gleich groß. Ihren Brenn-
punct machte ich zum gemeinſamen Mittelpuncte. Die
eine ließ ich abwaͤrts, die andere aufwaͤrts, und noch
etliche andere queer gehen, und ſie wuͤrden ordentlich
durch einander verſchrenkt. Jede gienge gegen eine
beſondere Gegend, und ſie verbreiteten ſich divergi-
rend von dem Mittelpunct aus. Es bliebe immer
groͤſſerer Raum fuͤr folgende Ellipſen, die ſich durch
die erſtern ordentlich verſchrenken konnten.


Ich haͤtte noch wohl zwiſchen dieſen Ellipſen
Raum zu einigen Circuln oder ruͤndern ovalen gefun-
den, aber es ſchiene mir immer, als wenn einige laͤn-
gere Ellipſen dieſen zu Gefallen wegbleiben muͤßten.
Doch habe ich die Unterſuchung ſo weit nicht getrieben,
weil ich wohl denken konnte, daß meine verſchraͤnkten
Ellipſen von einem Muſter zum Weltbaue noch unend-
lich
[80]Coſmologiſche Briefe
lich weit entfernt blieben. Ich glaube doch aber nicht,
daß Sie, mein Herr, den Planeten nur unter dem
Titel der Toleranz einen Platz in der Welt laſſen.
Ich wuͤrde wenigſtens unſerer Erde zu Gefallen etliche
von den fuͤnf Millionen Cometen aufopfern. Der Ver-
luſt waͤre ſo unmerklich. Doch Sie haben allem Ver-
muthen nach das Vorrecht, ſo ehemals die Planeten
hatten, nur deßwegen ſo gar ſehr verringert, damit
Sie zeigen moͤchten, daß man die Cometen aus einem
hoͤhern und wichtigern Geſichtspunct, und nicht als
unreife, oder gar als veraltete und abgenuͤtzte Plane-
ten anſehen ſolle. Denn nach Ihrem Syſtem ſind ſie
zur Bewohnbarkeit und Bevoͤlkerung des Weltgebaͤu-
des auf eine weit vorzuͤglichere Art dienlich als die
Planeten.


Der Beſchluß von Ihrem Schreiben zeigt mir,
daß Sie noch eine gute Menge von Folgerungen aus
Ihrem Satze von der Anzahl und Vergleichung der
Planeten und Cometen haͤtten herleiten koͤnnen. A-
ber Sie begnuͤgten ſich, einige davon aufeinander zu
haͤufen, und kurz anzuzeigen. Wenn Sie etwan da-
bey an das Sapienti pauca gedacht haͤtten, ſo muß ich
Ihnen geſtehen, daß ich gewuͤnſcht haͤtte, Sie moͤch-
ten dabey ein wenig laͤnger ſtehen geblieben ſeyn. Ha-
ben Sie es vielleicht auf gelegenere Zeit verſchoben,
oder trauen Sie mir zu, daß ich in ſo kurzem ſo ſtarke
Progreſſe in dieſer Wiſſenſchaft muͤſſe gemacht haben,
wie ich es wuͤnſchte? Im erſten Fall werde ich die
Ausfuͤhrung mit Verlangen erwarten, und was ich
fuͤr
[81]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
fuͤr den andern Fall nun thun werde, ſolle nur dienen,
um Ihnen zu zeigen, daß ich Ihre Schluͤſſe aller Auf-
merkſamkeit wuͤrdig achte, und Sie mir, wie alle Ih-
re Gedanken, zu eigen zu machen ſuche. Urtheilen
Sie, mein Herr, wie ferne es mir hierinn gelungen?


Sie ſchlieſſen z. E. alle Bahnen der Planeten
muͤſſen ungefehr in gleicher Flaͤche liegen, denn es iſt
fuͤr ſich klar, daß es wegen der kleinern Verruͤckungen
niemals vollkommen zutreffen wird. Den Grund von
dieſer Lage werden Sie unſtreitig daraus herleiten,
damit Sie eine deſto groͤſſere Anzahl von Cometen in
das Sonnen-Syſtem hinein bringen koͤnnen. Dieſes
ſolle Ihnen, ſo viel es moͤglich iſt, bewohnbar ſeyn.
Ich fienge daher an, das Gegentheil anzunehmen,
und gabe jeder Bahn der Planeten eine ſchiefe Lage.
Die Erde ließ ich in der Eccliptic, die Bahnen des
Mercurs und der Venus durchſchnitten ſich in dem
Pole des Thierkreyſes recht winklicht. Die uͤbrigen
neigte ich gegen jede von dieſen unter verſchiedenen
Winkeln. Sodann ſchaute ich, wie nun die Ellipſen,
ſo die Cometen beſchreiten, zwiſchen dieſen rundern
Ellipſen der Planeten koͤnnten durchgezogen werden.
Fuͤr die ſechs Planeten hatte ich nun ſchon ſechs Flaͤ-
chen, in welche ich keinen Cometen ſetzen konnte, der
naͤher zur Sonne kaͤme, als der Planet, der in dieſer
Flaͤche einher gienge. Saturn und Jupiter nahmen
mir um deſto mehrere hinweg, weil ich mehrer als eine
laͤnglichte Ellipſe in eine gleiche Flaͤche legen wollte,
eben ſo wie nun die Planeten ſaͤmtlich in der Flaͤche
Fdes
[82]Coſmologiſche Briefe
des Thierkreyſes ſind, wenn ſie auch gleich ein wenig
gegen einander inclinirt waͤren. Ich fienge daher
bald an, die Kreyſe der Planeten wiederum der Ec-
cliptic
zu naͤhern, weil mich auf dieſe Art alle ſechs
nicht mehr hinderten, als vorhin ein jeder derſelben,
und ich fande, daß eben die Flaͤchen, die Sie mir fuͤr
fuͤr die Cometen unnuͤtz machten, nunmehr mit Ellipſen
von Cometen beſetzt werden konnten. Von dieſen El-
lipſ
en, die ich in eine Flaͤche legte, mußten die innern
laͤnglicht ſeyn, damit ich die andern um dieſelben her-
umlegen konnte, weil doch die Sonne der gemeinſame
Brennpunct von allen ſeyn mußte. Die herumgeleg-
ten mußten ſich nach und nach mehr ausbreiten, damit
ein Zwiſchenraum fuͤr die Durchſchnitte derjenigen El-
lipſ
en bliebe, die in andern Flaͤchen lagen.


Vergliche ich die zwey Oerter, wo die Ellipſen
der Cometen die Flaͤche der Eccliptic durchſchneiden,
ſo ſahe ich wol, daß es vortheilhafter ware, den einen
Durchſchnitt viel weiter von der Sonne wegzuſetzen
als den andern. Denn wollte ich die Ellipſe ſo ſtel-
len, daß beyde Durchſchnitte gleich groß wuͤrden, ſo
kamen beyde nahe zur Sonne, wo ohnedeme der Raum
enger iſt, und geſpahrt werden muß. Auf die andere
Art aber kam nur ein Durchſchnitt der Sonne naͤher,
und fuͤr den andern konnte ich noch einen Cometen an-
bringen. Das Syſtem wurde dadurch doppelt reicher
an Weltkugeln. Denn bey den entfernten Durch-
ſchnitten bliebe noch immer Raum genug. Die mei-
ſten derſelben wuͤrden bis zu den obern Planeten hin-
aus
[83]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
aus geruͤckt, wo ich noch Raum fuͤr viele neue Come-
ten fande, weil bis zu den Fixſternen noch weit hinaus
neue Laufbahnen koͤnnen geſetzt werden.


Die Durchſchnitte, ſo die Ellipſen der Cometen
ſelbſt unter einander machen, habe ich nicht unterſucht.
Denn weil ſelbige ſich von ihrem Perihelio an bis zu
der kleinern Axe ausbreiten, und dieſe Axe vielleicht
bey allen auſſert den Saturn faͤllt, ſo ſchiene mir das
Ausweichen der Cometen unter einander viel moͤgli-
cher, weil ich die beyden Helften jeder Ellipſe von der
Sonne aus als ziemlich geſtreckt anſehen, und ſie da-
her mit den Stangen in meinem vorhergehenden Brie-
fe vergleichen konnte.


Sie ſehen hieraus, mein Herr, wie ferne ich
Ihnen nachgekommen bin. Ich begreife nun vollkom-
men, daß in Ihrem Syſtem die Durchſchnittspuncten
der Ellipſen in der Eccliptic ſo zerſtreut ſeyn muͤſſen,
wie es uns die auch noch ſo unvollſtaͤndige Erfahrung
lehrt, und aus denen uns nun bekandteren Laufbahnen
der Cometen beweißt.


Hieraus erklaͤren Sie auch, warum die Ellipſen,
deren Perihelia nahe bey der Sonne ſind, ſehr ablang
ſeyn muͤſſen, und wiederum, warum wenige Planeten,
und warum dieſe wenige in einer Flaͤche, und die obe-
ren von einander mehr entfernt ſind. Alles dieſes
fleußt aus ihrem Satze, daß das Sonnen-Syſtem ſo
wenig oͤde ſeyn muͤſſe, als moͤglich iſt. Aber warum
F 2kehren
[84]Coſmologiſche Briefe
kehren Sie nun dieſe Schluͤſſe nicht auch um? Finden
Sie die Folge nicht ſtrenge genug, wenn ſie nun hin-
wiederum aus ſo vielen Uebereinſtimmungen mit der
Erfahrung die Richtigkeit des Grundſatzes veſte ſetzen
ſollen? Doch ich ſehe nun Ihre Art zu beweiſen.
Den Grundſatz leiten Sie aus den Abſichten der
Schoͤpfung her, und was je noch an deſſen Allgemein-
heit von Ausnahmen zweifelhaft bleiben koͤnnte, dieſes
erſetzen Sie durch die Erfahrung. Der Beweis aus
der Erfahrung wuͤrde fuͤr ſich betrachtet zureichen,
wenn wir ein vollſtaͤndiges Regiſter von allen Cometen
haͤtten, oder wenn die Halleyiſche Tafel auf alle aus-
gedehnt waͤre. Da wir aber kaum den Anfang davon
haben, ſo gebrauchen Sie teleologiſche Gruͤnde, um
das Mangelnde zu erſetzen, und vorher zu ſagen, was
die kuͤnſtigen Erfahrungen lehren werden. Aus der
Teleologie leiten Sie die Abſichten her, und aus der
Erfahrung finden Sie, daß die Mittel zu ſolchen Ab-
ſichten vorhanden ſind. Auf dieſe Art geben Ihnen
die Abſichten Anlaß, den Mitteln nachzuforſchen, und
die Mittel leiten Sie dahin, daß Sie die Abſichten
finden, und ihre Allgemeinheit beurtheilen koͤnnen.
Sie ruͤcken beyde naͤher zuſammen, und Ihr Beweis
wird dadurch vollſtaͤndig. So hatte ich in meinem
letzten Schreiben gewuͤnſcht, die abſtra[c]ten Gruͤnde
der Coſmologie und die Verfaſſung der wirklichen
Welt auf eine naͤhere Art zu verbinden, weil ich da-
durch hoffen konnte, in den Schluͤſſen ungleich weiter
zu gehen.


Es
[85]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Es freuete mich, daß meine Berechnung uͤber
die Hitze des Cometen von 1680, Ihnen, mein Herr,
Gelegenheit gabe, an die Bewohnbarkeit dieſer Welt-
koͤrper auf eine beſtimmtere Art zu denken, wenn Sie
je nicht laͤngſt vorhin daran gedacht haben. Ihre Be-
trachtungen daruͤber waren mir immer neu, und ſehr
angenehm. Sie wiſſen, wie viele Schwierigkeiten
man an dieſer Sache gefunden. Allem Anſehen nach
kamen dieſe Schwierigkeiten daher, weil man die Ver-
gleichung zwiſchen der Erde und den Weltkoͤrpern zu
weit ausdehnte. So fande Columbus nach einer
weiten Schiffart eine neue Welt, und bracht die Nach-
richt zuruͤck, daß ſie bewohnt waͤre. Man konnte ihn
mit Grunde fragen, ob es Menſchen daſelbſt gebe?
Das Land ware auf der Erdflaͤche, und daher fuͤr
Menſchen bewohnbar. Entdeckte aber ein Aſtronome
in dem Monde, der Venus und andern Planeten,
Berge, Meere, Atmoſphæren, ꝛc. und ſchloße dar-
aus, daß es Einwohner daſelbſt geben muͤſſe, ſo gien-
ge dieſe Folgerung an, aber man wuͤrde zu weit ge-
hen, wenn man gleich Menſchen aus ihnen machen
wollte. Man wuͤrde eben ſo gut Menſchen in der
Tiefe des Meeres ſuchen muͤſſen. Wir ſind uͤber-
haupt zu ſehr daran gewoͤhnt, alles individual zu ſe-
tzen, und der allgemeine Begiff, den wir uns von
den Einwohnern der Welt uͤberhaupt machen ſollten,
iſt noch viel zu enge eingeſchraͤnkt, weil wir keine an-
dere Mannigfaltigkeiten geſehen haben, als die, ſo um
uns her auf der Erde ſind. Es iſt wahr, ihre Anzahl
reicht bis ins Unendliche; ſollte ſie aber die Schaͤtze
F 3der
[86]Coſmologiſche Briefe
der Allwiſſenheit GOttes erſchoͤpfen? So wenig als
die Erde das ganze Weltgebaͤude iſt. Wie ſchwer iſt
es uns, ein denkendes Weſen, ein vernuͤnftiges Ge-
ſchoͤpf uns vorzuſtellen, ohne ihme ſogleich zwo Haͤnde,
zween Fuͤſſe, einen Kopf und andere dem Menſchen
aͤhnliche Glieder zu geben. Wenn wir weit gehen,
ſo legen wir noch etwan Fluͤgel bey, weil wir fuͤhlen,
daß uns die Kunſt zu fliegen fehlt. Wir wuͤrden eben
ſo Floßfedern hinzu fuͤgen, wenn das Schwimmen
dem Menſchen unmoͤglich, und der Tod nicht eine Fol-
ge des Erſaͤufens waͤre.


Indeſſen muß ich doch ſagen, daß mir das Licht
viel zu allgemein durch die ganze Welt verbreitet
ſcheint, als daß es den Erdbewohnern alleine dienen
ſollte. Ich will damit nicht ſagen, daß eben alle Be-
wohner aller Welten Augen haben muͤſſen, wie die
unſrige. Es koͤnnen noch mehrere Wege ſeyn, wo-
durch die Bilder der ſichtbaren Dinge ſich der Seele
denkender Geſchoͤpfe vorſtellen, ſo ſehr wir daran ge-
woͤhnt ſind, die Stralenbrechung und das Bild auf
dem Netzhaͤutgen als nothwendig anzuſehen. Die
Natur des Lichtes, ſeine Wirkungen, die Gemeinſchaft
zwiſchen der Seele und dem Leibe ſind uns entweder
noch gar nicht, oder doch nur in ſo ferne bekannt, als
wir die Eindruͤcke, ſo das Licht auf uns macht, empfin-
den, und das uͤbrige durch Schluͤſſe zu erſetzen ſuchen,
zu welchen wir doch keine andere Grundſaͤtze haben, als
die wir durch unſer Sehen erlangen. Uebrigens kann
es doch ſeyn, daß viele unter den Bewohnern anderer
Welt-
[87]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Weltkugeln Augen haben, die den unſrigen in ſo fer-
ne aͤhnlich ſind, als es die Beſchaffenheit der Koͤrper,
daraus ſie beſtehen, zulaͤßt.


Eine andere Wirkung, die mit dem Lichte un-
ſerer Sonne, und daher auch mit dem von andern
Sonnen verknuͤpft ſcheinet, iſt die Waͤrme, und ih-
re Abwechslungen. Ich weiß wohl, daß man da-
bey noch viele Fragen als unaufgeloͤßt anſieht. Iſt
z. E. Licht und Waͤrme nothwendig beyſammen, oder
wird dieſe durch die Bewegung des Lichtes nur wirk-
ſamer gemacht? Hat die Erde eine Grundwaͤrme,
die ihr gleichſam angeboren iſt, und dient die Wir-
kung der Sonne nur zu den jaͤhrlichen Abwechslungen
derſelben, und zu Erſetzung deſſen, was von der
Erd- und Waſſerflaͤche beſtaͤndig durch die Luft auf-
fleugt und weggeht? Sollten in dieſem Falle Come-
ten, die ſo nahe zur Sonne kommen, und ſich wie-
der auf viele Jahre hin von derſelben entfernen, ei-
nen ſolchen Grad von Grundwaͤrme haben, daß die
Abaͤnderung, die in jedem von ihren Umlaͤufen von
der Sonne herruͤhrt, dadurch eine unmerklichere
Verhaͤltnis [bekoͤmmt]? Das Aufſchwellen von der
Athmoſphære dieſer Weltkoͤrper laͤßt ſich doch wohl
nicht anders als von der Waͤrme herleiten, die ſich
allerdings merklich verſtaͤrken muß, wenn der Co-
met nahe zur Sonne koͤmmt. Ich finde es ſehr
wahrſcheinlich, daß dieſe Athmoſphære den Cometen
zur Decke dient. Sie iſt uns faſt eben ſo ſichtbar
als der Koͤrper ſelbſten, und muß daher das Licht in
F 4groſſer


[88]Coſmologiſche Briefe

groſſer Menge aufhalten. Der Comet, von der
Erde betrachtet, hat keine Phaſes, wie die Venus
und der Mercur. Seine von der Sonne weggekehr-
te Flaͤche ſcheint nur ſo helle als die, auf welche das
Sonnenlicht gerade faͤllt. Auf dieſer haben die Be-
wohner des Cometen einen wirklichen Tag, und auf
jener eine Demmerung, die dem Tage an Klarheit
nichts nachgibt. So haben wir den Tag des Mor-
gens, wenn die Sonne einen halben Grad unter und
uͤber dem Horizonte iſt. So, aber noch heller ha-
ben ihn die Bewohner des Cometen in der Naͤhe der
Sonne, und ſo ſahen wir ihn an dem von 1744.
Der Durchmeſſer ſeiner Athmoſphære war neun- bis
zehenmal groͤſſer als der von dem Koͤrper. Sie
konnte demnach das Licht der Sonne merklich ſchwaͤ-
chen, und mußte es uͤber den ganzen Koͤrper zer-
ſtreuen. Durch dieſe Zerſtreuung allein wurde es
viermal ſchwaͤcher, wenn ich auch ſetze, daß alles
auf die Oberflaͤche des Cometen waͤre gebrochen wor-
den, welches noch lange nicht iſt. Die Zerſtreuung
des Lichts in der Athmoſphære mag hoͤchſtens nur
dienen, um dieſe zu erwaͤrmen, und noch mehr aus-
zudehnen, aber die Waͤrme fleugt aufwaͤrts, und
ſucht die kaͤltern Gegenden. Sie muß demnach von
dem Cometen und von der Sonne weg, und ver-
muthlich reißt ſie in ihrem ſtarken Strome einen Theil
der Athmoſphære mit ſich fort, welche den Schweif
des Cometen ausmacht. Dieſer Strom iſt unge-
mein ſchnell, da ſich die Laͤnge des Schweifes
merklich veraͤndert, und der Comet dadurch bey
jeder
[89]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
jeder Ruͤckkehr zur Sonne etwas von ſeiner Ath-
moſphære
verleurt, ſo wenig es auch ſeyn mag.


Ungeacht ich nicht glaube, daß er dadurch
an Stoff merklich aͤrmer werden ſollte, ſo wuͤnſch-
te ich doch Mittel zu der Erſetzung zu finden.
Ich vermuthe nicht, daß die Sonnen-Athmo-
ſphære
aus zuruͤckgelaſſenen Schweifen der Come-
ten beſtehe. Die Materie dieſer Schweife mag
bleiben, wo ſie will, ſo werde ich ſie doch nicht aus dem
Sonnen-Syſtem weglaſſen. Sie bleibt noch im-
mer ſchwer gegen die Sonne, und mag irgendwo
ein Gleichgewicht finden. Es koͤnnte ſeyn, daß
eine Maße von ſolcher Materie durch die Him-
melsluft vertheilt iſt, da die Cometen im Durch-
fahren, und beſonders im Wiedererkaͤlten ſich neuen
Vorrath ſammeln. Dieſe Moͤglichkeit lehrt uns
wenigſtens die Erfahrung auf unſerer Erde. Die
Veraͤnderung in den Duͤnſten richtet ſich ungleich
mehr nach den Abwechslungen, als nach den wirk-
lichen Graden der Waͤrme und Kaͤlte. So wird
der Schweif eines Cometen fuͤrnemlich alsdenn
laͤnger, wenn er ſich geraͤder gegen die Sonne
ſenkt. Faͤhrt er aber durch ſein Perihelium, ſo
aͤndert ſich ſein Abſtand von der Sonne nicht ſo
merklich, der Schweif wird kuͤrzer, und vertheilt
ſich in Aeſte, und der Comet wuͤrde zu ſeinem
Beharrungsſtande kommen, wenn er ſich vom Pe-
rihelio
an nicht wieder von der Sonne aufs neue
F 5entfernte.
[90]Coſmologiſche Briefe
entfernte. Aber auch durch dieſe Entfernung muß
der Schweif kuͤrzer werden, weil die Waͤrme nach-
laͤßt und abnimmt. Sammlete der Comet im
Weggehen von der Sonne neuen Vorrath zu ſei-
ner Athmoſphære, ſo wuͤrde ich auſſer dem Licht
und Waͤrme noch eine andere Materie annehmen,
die den Weltkugeln um unſere Sonne gemeinſam
waͤre. Allein ſo weit habe ich nicht noͤthig zu ge-
hen, weil ſich hierinn wenig beſtimmen laͤßt. Ich
ſehe dieſe Koͤrper uͤberhaupt als ſehr mannigfaltig
an, und ſetze den Unterſchied derſelben groͤſſer, je
mehr ihre Laufbahnen verſchieden ſind. Ich ach-
te es ſehr ſchwer zu eroͤrtern, wie weit unter al-
len eine Aehnlichkeit ſtatt hat, wenn man die Un-
terſuchung bis auf jede einzele Materien erſtrecken
will. Das Allgemeine, ſo wir kennen, mag in
den Geſetzen der Bewegung, und in der Austhei-
lung des Lichts und Waͤrme beſtehen. Aber hier-
aus laͤßt ſich fuͤr die Beſchaffenheit der Einwoh-
ner noch nicht viel herleiten. Ich glaube doch
immer, daß die von den Cometen ein ſtarkes
Temperament fuͤr alle Abwechslungen der Waͤrme
und Kaͤlte haben muͤſſen; und gebe Ihnen, mein
Herr, hierinn allen moͤglichen Beyfall, daß wir
dazu viel zu zaͤrtlich waͤren. Die angenehme
Sonnenwaͤrme mußte fuͤr uns beſtaͤndiger bleiben,
und ich vergleiche die Erde, unſern Wohnort, mit
der
[91]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
der edlen Freundſchaft, die alle Unbeſtaͤndigkeit
verbannet. So iſt die, die Sie mir gegoͤnnet
haben. Wie ſehr wuͤnſchte ich auch, die ande-
re Vergleichung in Erfuͤllung zu bringen, daß ich
wieder zu Ihnen kommen, und beſtaͤndig bey Ih-
nen bleiben koͤnnte. Ich bitte Sie, durch Ih-
re geſchaͤtzte Schreiben den Verluſt Ihrer lehrrei-
chen Unterredungen zu erſetzen. Ich erwarte Sie
mit groͤßtem Verlangen, und verbleibe
Mein Herr ꝛc.


[figure]

Achter
[92]Coſmologiſche Briefe

Achter Brief.


Nun muß ich Sie, mein Herr, auch fragen, ob
ich nicht gute Gruͤnde gehabt haͤtte, an das
Sapientipauca zu gedenken? Konnte ich wohl

an Ihrer Fertigkeit, alles leichte zu begreifen, nach ſo
vielen Proben, einigen Zweifel haben? Ihr ganzes
Schreiben haͤtte ihn auf das vollſtaͤndigſte gehoben.
Wie leicht iſt es Ihnen, noch ungleich ſchwerere Lehr-
begriffe auch ſogar durch ſinnliche Bilder den Augen
vorſtellig zu machen? Wie nett und ausfuͤhrlich druͤ-
cken Sie dadurch meine abgebrochene Schluͤſſe aus.
Ich weiß, daß Ihnen dieſes alles keine Muͤhe gekoſtet,
und wuͤrde meine dunkle Kuͤrze bereuen, wenn ich haͤtte
denken ſollen, daß Sie Ihnen ſchwer geweſen waͤre.
Doch muß ich Ihnen ſagen, daß mir die verſchiedene
Schluͤſſe, die ſo kurz geriethen, nur gelegentlich bey-
fielen, und daß ich ſie noch anhenkte, um zu zeigen,
daß Sie mit der Erfahrung uͤbereinſtimmen. Sie
werden daran ſehen, daß ich einige davon noch weiter
haͤtte unterſuchen ſollen. Aber die Erlaͤuterung, ſo
Sie mir daruͤber gegeben, ſtellt mir nun die Sache in
ihrer voͤlligen Deutlichkeit vor: Eben ſo deutlich ſchil-
dern Sie die Art, wie ich gedachte, meine Beweiſe ein-
zurichten. Ich geſtehe gerne, daß man an allem deme,
was ich aus den Abſichten der Schoͤpfung herleite, die
Allgemeinheit in Zweifel ziehen kann, wenn man Be-
weiſe nach geometriſcher Schaͤrfe fordert. Man wird
mir die Moͤglichkeit zugeben, und endlich auch noch ein-
raͤumen,
[93]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
raͤumen, daß die Folgen aus meinem Syſtem der Er-
fahrung nicht zuwider ſind. Dieſes iſt auch alles,
was ich nach der groͤßten Strenge verlangen kann.
An den Abſichten, die ich zum Grunde lege, findet
man keine Ausnahmen, ſo weit die Erfahrung geht.
Will ich Sie aber weiter ausdehnen, als wir bisher
wirklich erfahren haben, ſo kann man allerdings noch
einwenden, ob nicht eben hier die Ausnahmen anfan-
gen? Was kann ich hiebey thun? Wer alles erſt ſehen
will, ehe er es glaubt, wird auf dieſer Frage feſte be-
harren, und es wird immer Jahrhunderte gebrauchen,
bis die Erfahrungen, darauf ich mich berufen kann, voll-
ſtaͤndiger werden. Ich konnte alſo nicht wohl weiter
gehen, als bloß, daß ich aus meinen Gruͤnden dieſe
Erfahrungen zuvorzuſehen trachtete.


Es kommt hiebey auf die Verſchiedenheit der
Einſicht und der Gedenkensart an. So z. Ex. wer
nicht einmal die Planeten als bewohnt anſieht, der
wird die Einwohner auf den Cometen eben ſo wenig,
und noch weniger zugeben. Er wird ſie immer vor-
her ſehen wollen, dazu aber ſind unſere Fernroͤhren
noch lange nicht hinreichend. Doch Sie, mein Herr,
wiſſen ſchon, daß ich nicht noͤthig habe, mich mit Ein-
wendungen von dieſer Art aufzuhalten, und unter Ver-
ſtaͤndigen wird die Bewohnbarkeit der Weltkoͤrper ohne
viele Ausnahmen zugegeben werden. Wer aber hie-
von die Gruͤnde zugiebt, der wird mich hoͤchſtens nur
als verwegen anſehen, daß ich die Anzahl der Koͤrper in
unſerm Sonnenſyſtem ſo gar ſehr vermehre, und der-
ſelben
[94]Coſmologiſche Briefe
ſelben ſo viele ſetze, als nur immer moͤglich ſind. Hie-
bey koͤmmt allerdings die Hauptfrage darauf an, ob man
eben die Gruͤnde, die man fuͤr die Planeten giebt, ſo
weit ausdehnen, und aus denſelben ſchlieſſen koͤnne,
daß wir kaum noch den geringſten Theil der Welt-
Koͤrper unſeres Sonnenſyſtems geſehen haben. Dieſe
Frage laͤßt ſich nicht wohl mit einem einigen Schluſſe,
ſondern nur Stuͤckweiſe beantworten, und es bleibt im-
mer zu ſehen, wie weit ihre Aufloͤſung zur Vollſtaͤndig-
keit koͤmmt? Die verſchiedene Stuͤcke dieſes Beweiſes
habe ich ſchon in meinen vorhergehenden Briefen vor-
getragen, und ich kann noch alle die dazu rechnen, die
Sie ſich die Muͤhe gegeben, denſelben beyzufuͤgen.


Von dieſen einzeln Beweiſen wird man mir eini-
ge auch nach aller Strenge zugeben. Man wird z. E.
einraͤumen, daß in der That weit mehr Cometen am
Himmel ſind als Planeten. In Halleys Tafel ſtehen
ſchon 21. Die von 1742. und 1744, deren Lauf
ebenfalls berechnet worden, finden ſich nicht darunter.
Wenn man ferner ſetzt, daß der von 1759. die kuͤr-
zeſte Periode habe, ſo iſt ſie immer von 75. Jahren.
Hieraus folgt, daß alle Cometen, die ſeit 1682. ge-
ſehen worden, voneinander unterſchieden waren, weil
innert dieſer Zeit keiner zweymal bey uns geweſen.
Die meiſten aber gebrauchen etliche hundert Jahre,
und daher muͤſſen von denen, ſo ſeit der Erneuerung
der Wiſſenſchaften geſehen worden, nur wenige, wegen
ihrer zweymaligen Zuruͤckkunft und noch weniger we-
gen ihrer mehrmaligen Erſcheinung abgezogen werden.
Wenn
[95]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Wenn man uͤberdiß bedenkt, wie ſchicklich alle Umſtaͤnde
ſeyn muͤſſen, bis ein Comet recht ſichtbar ſeyn ſolle, und
wie viel ſchicklicher noch, wenn auch ſolche ſollen ent-
deckt werden, die uns nur wenige Tage ſichtbar ſind, ſo
wird man allerdings viele hundert zugeben, die von der
Erde wenigſtens koͤnnten geſehen werden, wenn nicht
viele unter Tagen, viele andere bey truͤbem Wetter,
und noch eben ſo viele deswegen nicht bemerkt werden,
weil man ſie nicht aufſucht. Alle dieſe muͤſſen der
Sonne ziemlich nahe kommen, und da ſehe ich nicht
ein, mit welcher Wahrſcheinlichkeit man behaupten
wollte, es bleibe kein Comet weiter von der Sonne
weg, als z. Ex. Mars, zumal, da die ganze Sphære
dieſes Planeten gegen den Wirkungskreyß der Sonne
faſt fuͤr nichts zu achten.


Eben ſo wird man mir zugeben, daß die laͤnglich
ten Ellipſen, ſo die Cometen beſchreiben, viel tauglicher
ſind, um die Anzahl derſelben zu vermehren, und daß
zugleich dadurch die Mannigfaltigkeit und Abwechslung
in den Weltkoͤrpern unſers Sonnenſyſtems weit groͤſſer
wird. Man wird einraͤumen, daß, ſo bald die Anzahl
dieſer Koͤrper mit Beybehaltung des Geſetzes der
Schwere und des Laufes derſelben unter allen die
groͤßte ſeyn ſolle, die ſehr ablangen Ellipſen dabey
nothwendig ſind, und in groͤſſerer Menge vorhanden
ſeyn muͤſſen. Warum ſind ſie es aber in der That
auch? Es iſt ſehr vermuthlich, daß das Geſetz der
Schwere, die Bewohnbarkeit des Sonnenſyſtems, die
Mannigfaltigkeit und periodiſchen Abwechslungen in
den
[96]Coſmologiſche Briefe
den Weltkugeln in einer ſolchen Verbindung miteinan-
der ſtehen, daß ſie zuſammengenommen, ein Maximum
ausmachen. Man kann noch nicht erweiſen, warum
vielmehr das Newtoniſche Geſetz der Schwere als ir-
gend ein anderes in der Welt angebracht iſt. Von
verſchiedenen andern Geſetzen hat Newton die Folgen
und ihre Unſchicklichkeiten unterſucht. Wenn es aber
nach aller Strenge ſollte bewieſen werden, ſo vermuthe
ich ſehr, die Bewohnbarkeit des Sonnenſyſtems und
die Mannigfaltigkeit in dem Laufe wuͤrde mit unter die
Gruͤnde gehoͤren. Die Spiralen, deren ich letzthin ge-
dacht, haͤtten eben ſo vielen Raum weggenommen, als
jetzt unzaͤhlige Ellipſen. So aber, wenn ein Weltkoͤrper
in ſeiner Ellipſe einhergeht, ſo bleibt aller Raum um
dieſelbe frey, und noch unzaͤhlige andere Ellipſen koͤn-
nen in gleicher und in andern Flaͤchen angebracht wer-
den. Jede Spiral wuͤrde eine ganze Flaͤche weggenom-
men haben, und waͤren die Umgaͤnge derſelben nahe bey-
ſammen geweſen, wie dieſes bey der Sonne nothwendig
wuͤrde geſchehen ſeyn, ſo waͤre nicht einmal Raum zu
den Durchſchnitten fuͤr andere Spiralen geblieben. Je-
der Koͤrper, der in ſolchen ſich bewegt haͤtte, wuͤrde fuͤr
jeden Abſtand von der Sonne haben muͤſſen eingerich-
tet ſeyn, ungeachtet er nur einen Augenblick in ſolchem
Abſtande geblieben waͤre.


Wie viel ſchicklicher iſt hingegen das Newtoniſche
Geſetz der Schwere zur Bewohnbarkeit und Mannig-
faltigkeit in jedem Sonnenſyſtem! Wie viel harmoni-
ſcher iſt die Wiederkehr der Ordnung in jedem periodi-
ſchen
[97]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſchen Kreyßlaufe! Wie viele einander dennoch aͤhnli-
che Mannigfaltigkeiten unter allen Weltkugeln, die
um die Sonne bleiben! Es ſind immer Ellipſen, ge-
ſetzte Perioden, Abwechslungen der Jahrszeiten von
jeder Dauer, die auf jedem Weltkoͤrper die ihme an-
gemeſſene Veraͤnderung herfuͤrbringen.


Sollen aber je noch hoͤhere Abſichten erreicht, der
Abſtand von Sonne zu Sonne gemeſſen, der Weltbau,
das Syſtem der Fixſterne im Ganzen, der Grundriß
der Welt und ſeine Anordnung betrachtet werden, ſo
dient eben dieſes Geſetz der Schwere, und giebt noch
den kuͤrzeſten Weg dazu. Verwandeln Sie nur die
Ellipſen in Hyperbeln, ſo bleibt der Koͤrper, ſo ſich in
denſelben bewegt, nicht bey einer Sonne. Er kruͤmmt
kaum ſeine Bahn, um ſie gegen andere Sonnen zu
wenden. Zu dieſem Umwege gebraucht er die kuͤrzeſte
Zeit, weil er ſich da am geſchwindeſten bewegt. So-
dann naͤhert er ſich ſeiner Aſymtote, und tritt in ge-
rader Linie in das Gebiet einer andern Sonne, wo ſei-
ne Geſchwindigkeit wieder zunimmt, um bald wieder
neue Syſtemen aufzuſuchen. Koͤnnte man hiezu ſchick-
lichere Wege als die Hyperbeln, und in allen Abſichten
ein tauglicheres Geſetz der Schwere ausſinnen, als das,
ſo die Kegelſchnitte, die einfachſten unter allen krum-
men Linien, erfordert, von welchen die eine Helffte pe-
riodi
ſche, die andere aber immer neue Mannigfaltig-
keiten giebt, und unter beyden alle moͤglichen Abaͤnde-
rungen ſtatt haben?
GIch


[98]Coſmologiſche Briefe

Ich glaube, hieraus ſchlieſſen zu koͤnnen, daß
dieſe Abaͤnderungen in der Welt nicht bloß moͤglich ge-
blieben ſind. Die Mannigfaltigkeit hat in der Lehre
von der Vollkommenheit viel zu viel zu ſagen, als daß
ich den groͤßten Theil derſelben aus dem Weltgebaͤude
weglaſſen ſollte. Dieſes wuͤrde geſchehen, wenn ich
die Anzahl der Cometen auf wenige Hundert ein-
ſchraͤnkte, ungeacht bey Millionen moͤglich ſind, ohne
einander zu ſtoͤren. Von Cometen, deren Perihelia
von der Sonne gleich weg ſind, koͤnnen die einen laͤn-
ger ausbleiben als die andere, weil die laͤngere Axe der
Ellipſe von der Focaldiſtanz nicht abhaͤngt. Wiede-
rum koͤnnen verſchiedene Cometen einerley Perioden,
aber ſehr ungleiche Abwechslungen in ihren Jahrszei-
ten haben, weil die laͤngere Axe allein die Zeit ihres
Umlaufes beſtimmt, der Brennpunct aber in jedem
Puncte derſelben ſeyn kann. Wie viele Abwechslun-
gen und Mannigfaltigkeiten ſind alſo hier moͤglich!
Sollte ich denn weit den groͤßten Theil davon aus-
ſchlieſſen? Dazu habe ich gar keine Gruͤnde, hingegen
fordert die groͤßte Vollkommenheit auch zugleich die
groͤßte Vollſtaͤndigkeit. Sie ſoll alles haben, was ſie
haben kann. Wie viel wird alſo noch der Abſtand des
Wirklichen von dem Moͤglichen betragen koͤnnen, und
was wird bey meinem Syſtem noch fehlen, als das
vollſtaͤndige Regiſter von allen Cometen, wenn man
dieſe Schluͤſſe vor der Erfahrung nicht als zulaͤnglich
anſehen will?


Es iſt wahr, wir haben alle Urſachen, in der
Natur-
[99]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Naturlehre ſchuͤchtern zu ſeyn, und die Erfahrung
macht ſich in dieſer Wiſſenſchaft auf eine vorzuͤgliche
Art nothwendig. Man iſt laͤngſt ſchon daran ge-
woͤhnt, Schluͤſſe nur als wahrſcheinlich anzuſehen, die
ſich nicht in ihrem ganzen Umfange auf die Erfahrung
gruͤnden, und die groſſen Theils nur aus allgemeinen
Betrachtungen hergeleitet ſind. So hielte man in
den aͤltern Zeiten die Figur der Erde, nachgehends ih-
ren Umlauf, und hernach die Einwohner der Planeten,
nicht wohl fuͤr mehr als wahrſcheinlich erwieſen, und
fuͤr die letztern mangelt noch dermalen die Autopſie,
fuͤr alle, die ohne Sehen nicht glauben, und denen all-
gemeine Beweiſe nicht einleuchten. Ich kann alſo
mein Syſtem nur fuͤr wahrſcheinlich angeben, aber die-
ſen Vortheil habe ich dabey, daß man nun immer mehr
bemuͤht iſt, keinen Cometen unbeobachtet vorbey zu
laſſen. Das Regiſter wird vollſtaͤndiger, und wer
meine Schluͤſſe des Beyfalls wuͤrdig findet, wird zuge-
ben, daß dieſes Regiſter erſt in vielen Jahrhunderten
ihre Richtigkeit wird bekraͤftigen koͤnnen. Jeder Co-
met, der von den vorhergehenden verſchieden iſt, ge-
hoͤrt mit auf die Waagſchal, die in kuͤnftigen Zeiten
augenſcheinlich uͤberwiegen ſolle.


Mit allem deme wird ein ſolches Regiſter noch
in gedoppelter Abſicht unvollſtaͤndig bleiben. Einmal
fehlen darinn nothwendig alle Cometen, die uns nicht
nahe genug kommen, um geſehen zu werden, und da-
her meines Erachtens der groͤßte Theil, weil ich gar
keinen Grund finde, warum auſſer unſerer Geſichts-
G 2ſphaͤre
[100]Coſmologiſche Briefe
ſphaͤre keine Cometen ſeyn ſollten. Diejenigen, ſo
man gelegentlich durch Teloſcopien erblickt, moͤgen
groſſen Theils in dieſe Claſſe gehoͤren. Sodann wenn
ich ſetze, daß es auch hyperboliſche Laufbahnen von Co-
meten gebe, ſo ſehen wir alle dieſe nur einmal. Man
kann zwar durch genauere Berechnung die Laufbahn
beſtimmen, und daher dieſe Cometen von den Ellipti-
ſchen unterſcheiden, wenn der Unterſchied in der That
merklich iſt. Ich vermuthe aber, daß ſolche Cometen
nicht ſo nahe zu unſerer Sonne kommen, oder daß es
wenigſtens ſehr ſelten geſchehe, weil die Ellipſen nicht
ſo weit reichen, daß ſie dem Wirkungskreiſe einer an-
dern Sonne zu nahe kommen ſollten, ſo ſcheinet, daß
der Raum auſſer denſelben fuͤrnemlich zu den Hyper-
beln diene. Doch laͤßt ſich hieruͤber nichts beſtimmtes
ſagen, und das erſtere bleibt immer moͤglich. Gien-
gen aber ſolche hyperboliſche Laufbahnen auch naͤher
bey unſerer Sonne durch, ſo wuͤrde ich allerdings eine
ſolche Anordnung in dem Weltbaue annehmen, und ihr
Herannahen in ſolche Zeiten ſetzen muͤſſen, daß ſie den
Weg ungeſtoͤrt zuruͤck legen koͤnnten, weil ich den Be-
wohnern jeder Weltkoͤrper den fuͤr ſie beſtimmten Ge-
ſichtpunct zur Betrachtung des Weltgebaͤudes laſſen
wollte. Kleinere Verruͤckungen werde ich immer zu-
geben, die groͤſſern ſind an ſich betrachtet moͤglich, aber
ich ſetze in der Welt keinen bloßen Zufall, ſondern Ab-
ſichten, Ordnung und die weiſeſte und guͤtigſte Einrich-
tung. Hierinn mag man mich zu freygebig anſehen,
wer aber das Gegentheil einraͤumen will, mag unter-
ſuchen, wie fern er neue Schoͤpfungen behaupten kann.
Denn
[101]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Denn ich wuͤrde keinen Weltkoͤrper zugeben, der auf
ewig hin oͤde und zerſtoͤrt bleiben muͤßte. Ich glaube
wohl nicht, daß ein Weltkoͤrper ſich ſelbſten bevoͤlkern
koͤnne, oder daß, wenn die Erde ein Comet werden
ſollte, der Saame zu tuͤchtigen Bewohnern in ihr ver-
borgen laͤge, und ſodann aufkeimen wuͤrde. Im Ge-
gentheil, was ich in meinen vorhergehenden Schreiben
von der Anordnung der Planeten und Satelliten an-
gemerkt habe, dient mir zu einem nothwendigen Be-
weiſe ihrer Beſtaͤndigkeit. Sie laufen alle von Abend
gegen Morgen, ihre Bahnen ſind ſaͤmtlich ſehr rund,
und ſie ſind ſo viel, als es die kleinern Verruͤckungen
zulaſſen, in einer Flaͤche, wie ſie es ſeyn muͤſſen,
wenn Raum zu mehrern Cometen bleiben ſolle. Die-
ſes heiſſe ich vorgeſetzte Anordnung, die Abſichten zum
Grunde hat, und nicht ein Zufall, wo alle Abſichten
fehlen. Dieſe Anordnung dehne ich ohne Bedenken
auf die hyperboliſchen Laufbahnen der Weltkoͤrper
aus. So unbewieſen ſie ſcheinen mag, ſo ſehr kann
man ſie der unendlichen Weißheit des Schoͤpfers zu-
trauen, und ſo ſehr wird ſie uns Stoff zur Ehrfurchts-
vollen Bewunderung geben. Auf wie unzaͤhlig viele
Arten hat er nur auf der Erdflaͤche fuͤr uns geſorgt?
Sollte ſeine Fuͤrſorge fuͤr den Staub unermeßlich, fuͤr
den ganzen Weltbau aber hinlaͤßig ſeyn, der ſie durch
Ewigkeiten durch noͤthig hat, da wir ſie kaum Stun-
den gebrauchen? Doch ich muß wieder zur Sache keh-
ren, die ich theilsweiſe pruͤfen wollte.


Ich merke alſo noch an, daß man mir zugeben
G 3wird,
[102]Coſmologiſche Briefe
wird, das Sonnen-Syſtem ſeye viel bewohnbarer,
wenn weniger Planeten ſind, und dieſe wenige ſich in
einer gleichen Flaͤche bewegen. Dem Beweiſe dieſes
Satzes haben Sie, mein Herr, alle Deutlichkeit gege-
ben, daß ich nun nicht noͤthig habe, dieſelbe erſt zu ſu-
chen. Dieſes einige iſt mir noch daruͤber beygefal-
len. Sie wiſſen, daß die Sonne ſich um ihre Axe
bewegt, und ihr Aequator unter einem Winkel von
7½. Grad gegen die Eccliptic inclinirt iſt. Da die
Bahnen aller Planeten faſt in gleicher Flaͤche liegen,
ſo iſt die Neigung des Sonnen-Aequators gegen alle
ſehr geringe, und phyſicaliſch zu reden kann man den
Aequator der Sonne und die Bahnen der Planeten
ſo gut als in eine Flaͤche ſetzen, denn die kleinern
Verruͤckungen in den Bahnen der Planeten leiden kein
geometriſches Ebenmaaß. Welcher Zufall mag die-
ſe Uebereinſtimmung herfuͤrgebracht haben, oder er-
langen die Planeten dadurch ein Vorrecht vor den Co-
meten? Von Zufaͤllen iſt bey mir niemals die Rede.
In meinem Syſtem ſollten die Planeten alle in glei-
cher Flaͤche herum laufen, und wenn ich eine Flaͤche
haͤtte waͤhlen ſollen, ſo wuͤrde die von dem Sonnen-
Aequator dazu gewiedmet worden ſeyn. Ich ſehe
zwar keinen andern Grund davon noch ein, als weil
dieſes ein Anfang zu der Harmonie des Syſtems ge-
weſen waͤre; Indeſſen zweifle ich nicht, daß noch
andere Abſichten dabey ſeyn werden. Die, ſo mir
davon einfaͤllt, werde ich unter die geringſten ſetzen,
weil ich nicht beweiſen kann, daß ſie erheblich waͤre.
Ich muͤßte annehmen, daß die Sonne auf einzeln Thei-
len
[103]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
len ihrer Oberflaͤche merkliche Veraͤnderung des Lichtes
leiden koͤnnte. Eine ſtarke Veraͤnderung in dem Lichte
braͤchte auch eine eben ſo ſtarke in der Erwaͤrmung der
Planeten herfuͤr. Durch den Umlauf der Sonne um
ihre Axe wird ſie unter den Planeten gleichfoͤrmiger aus-
getheilt; weil dieſen alle Tage andere Theile der Ober-
flaͤche der Sonne zu Geſichte kommen. Dieſes wuͤrde
nicht ſo ordentlich geſchehen, wenn die Planeten in einer
gegen den Sonnen-Aequator ſtark inclinirten oder gar
ſenkrechten Flaͤche liefen. Bey den Cometen hat dieſes
weniger zu ſagen, weil dieſe ohnehin zu ſtaͤrkern Ab-
wechslungen der Waͤrme gewoͤhnt ſind. Wie wenn die
Waͤrme der Sonne, in ſoferne ſie von dem Lichte un-
terſchieden iſt, ſich eben ſo wie die Athmoſphære der-
ſelben nach der Flaͤche ihres Aequators ausbreitete, o-
der dieſe Athmoſphære ſelbſten zur Ausbreitung der
Waͤrme diente, ſo wuͤrden die Planeten allerdings davon
einen einfoͤrmigen Nutzen ziehen, als wenn ihre Bahnen
gegen den Aequator der Sonne ſtaͤrker inclinirt waͤren.


Fuͤr die Bewohner der Weltbuͤrger ware ich nicht
ſehr beſorgt, weil ich wohl ſahe, daß unſere Begriffe
nicht reich genug waͤren, um jede nach ihren Umſtaͤnden
und nach der Beſchaffenheit ihres Wohnorts auszubil-
den. Die Betrachtungen, die Sie, mein Herr, daruͤber
gemacht haben, waren mir ſehr angenehme. Ich ſehe
mit Ihnen den Gebrauch des Lichtes als ſehr allgemein
an, und wuͤrde auf jedem Weltkoͤrper den Einwohnern
eine Empfindung deſſelben zugeben, dieſe moͤchte nun
vermittelſt der Augen oder auf andere Arten ſich bis in
ihre Seelen fortpflanzen. Hierinn beſtimme ich gleich-
G 4falls
[104]Coſmologiſche Briefe
falls nichts, weil wir von keinem andern Mittel uns
einen Begriff machen koͤnnen.


Es koͤnnte ſeyn, daß auſſer dem Lichte noch mehr
andere Materien entweder vielen oder allen Weltkoͤr-
pern gemeinſam, und nur in ihren Modificationen ver-
ſchieden waͤren. Wir wiſſen noch nicht, auf wie vieler-
ley Arten jede Materie ihre Geſtalt aͤndern kann, zumal
wenn ſie mit andern vermiſcht wird. Ueberhaupt kann
ich ſetzen, daß diejenigen gemeinſam ſind, die ſich durch
das Sonnen-Syſtem oder durch den Weltraum verbrei-
ten. Die Dunſtkreyſe der Cometen moͤgen ſaͤmtlich et-
was aͤhnliches haben, beſonders wenn ſie im Ruͤckkehren
von der Sonne den Abgang wieder erſetzen. Denn bey
den Weltkoͤrpern bin ich mit Ihnen, mein Herr, auf die
Erhaltung des Ganzen bedacht. Das Waſſer auf un-
ſerer Erde loͤßt ſich in Duͤnſte, die Duͤnſte in reine Luft,
und dieſe vielleicht noch ſubtiler auf. Die feineſten
Aufloͤſungen koͤnnen wieder den Ruͤckweg nehmen, und
ſich in Waſſer verwandeln. So kann es auch mit den
Cometen gehen. Sollten auf dieſen fluͤſſige Materien
ſeyn, die unſerm Waſſer aͤhnlich waͤren, ſo wuͤrde ich,
um es fluͤſſig zu erhalten, den Cometen eine merkliche
Grundwaͤrme geben, und die Aufloͤſung deſſelben in
Duͤnſte muͤßte ihnen zum Schirm wider die Sonnenhitze
dienen. Indeſſen koͤnnen wir von der Beſchaffenheit
dieſer Koͤrper kein ſicheres Urtheil faͤllen. Der Dunſt-
kreyß der Cometen bleibt immer durchſichtig, weil wir
durch denſelben, auch wenn er 8000. Meilen hoch iſt,
noch den Koͤrper ſelbſten ſehen koͤnnen. Dieſer muß dem-
nach noch ſtark erleuchtet ſeyn, wenn er nahe zur Sonne
koͤmmt,
[105]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
koͤmmt, ungeacht ich ebenfalls vermuthe, daß die daherruͤh-
rende Waͤrme durch die Athmoſphære aufwaͤrts faͤhrt,
weil ſich doch das Licht in derſelben ſo ſehr zerſtreut.


Sie ſehen hieraus, mein Herr, daß ich es nicht viel
wage, in meinem Syſtem etwas individuales, ſondern
nur einen Grundriß von ſeiner Einrichtung anzubringen,
der dem Wahren am naͤchſten kaͤme. Die Verſchieden-
heit bey jeden Weltkugeln muß uͤberhaupt groß ſeyn,
weil der Schoͤpfer das Auserleſenſte aus den Reichthuͤ-
mern ſeiner Allwiſſenheit durch das Weltgebaͤude ver-
breitet. Seine Guͤte und Weißheit muß nothwendig
bey jedem Weltkoͤrper dasjenige zuſammen gerichtet ha-
ben, was ſeiner Laufbahn angemeſſen und dienlich ware,
ihn auf das vollſtaͤndigſte auszubilden. So ſehen wir
die Proben davon auf unſerer Erde, und eben ſo, aber
mit unendlich vielerley Abaͤnderungen, werden ſie ſich auf
jedem Weltkoͤrper den denkenden Weſen, ſo ſie bewoh-
nen, kennbar und anbetenswuͤrdig zeigen. Ich verehre
beſonders darinn auch die ewige Guͤte, daß ſie harmo-
niſch geſtimmte Seelen, wie die unſrigen ſind, der Zeit
und dem Orte nach zuſammenbringt. Moͤchte Ihr
freundſchaftlicher Wunſch erfuͤllt werden, daß der ſo
kleine Unterſchied des Ortes uns nimmermehr trennte!
Ich hoffe es, und ſehe dem Zeitpunct mit Verlangen
entgegen, der meiner Freude den voͤlligen Ausbruch ge-
ſtatten wird, die ich geſchwaͤchter empfinde, ſo lange ich
in der Entfernung mich nennen muß,
Mein Herr ꝛc.


[G] 5Neunter
[106]Coſmologiſche Briefe

Neunter Brief.


So ruhen Sie denn niemals, mein Herr, wenn
es um Gruͤnde zu thun iſt, Ihr Welt-Syſtem
auch den Unglaͤubigſten annehmenswuͤrdig zu

machen? In Ihrem vorhergehenden Schreiben unter-
ſuchten Sie, wie ferne die allgemeinen Abſichten der
Schoͤpfung, mit unſern Erfahrungen verglichen, die
Beweiſe zur Vollſtaͤndigkeit bringen koͤnnten. Und
nun erwaͤgen Sie die verſchiedenen Geſichtspuncten,
aus welchen die Einrichtung und Bewohnbarkeit der
Welt betrachtet werden. Ich gebe Ihnen vollkommen
recht, daß diejenige, ſo noch an den Einwohnern der
Planeten zweifeln, oder ſie durchaus laͤugnen, noch
zuweit zuruͤcke bleiben, und in ihrem Verſtande zu ſehr
eingeſchraͤnkt ſind, weil ſie auſſer den Augen kein ander
Mittel kennen, den Beyfall abzunoͤthigen, und daher
von allgemeinen Beweiſen, und von der moraliſchen
Gewißheit nichts hoͤren wollen. Es iſt auch nicht noͤ-
thig, daß alle alles einſehen, und es mag unter den Erd-
bewohnern in kleinem ein aͤhnlicher Unterſchied ſeyn,
wie der, ſo zwiſchen den Einwohnern verſchiedener
Weltkoͤrper iſt. Die, ſo in hyperboliſchen Laufbahnen
einhergehen, und von Sonne zu Sonne wandeln, deh-
nen ihre Betrachtungen auf das Ganze aus, da wir
hoͤchſtens bey der Erde ſtehen bleiben. Unſer Geſichts-
kreyß iſt uͤberhaupt enger eingeſchraͤnkt. Aber wie
unzaͤhlig viele kleinere Stuffen hat er nicht? Die mei-
ſten kennen nur einzele Doͤrfer, ihren Geburtsort, an-
dere
[107]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
dere moͤgen groͤſſere Erdſtriche geſehen haben. Wenige
ſchwingen ſich in ſchaͤrfern Betrachtungen uͤber die Luft,
und noch weniger dringen durch die Tiefe des Firma-
mentes. Sie, mein Herr, ſind dadurch gedrungen,
und nun erforſchen Sie, wie Sie Ihre Entdeckungen
jeder eingeſchraͤnktern Einſicht begreiflich machen, und
jeden Geſichtskreyß da erweitern koͤnnen, wo er naͤher
an ihre Betrachtungen grenzet.


Von mir koͤnnen Sie, mein Herr, verſichert
ſeyn, daß es mir nicht an Trieben fehlen wird, Ihnen
zu folgen, und meinen Geſichtskreyß durch alle Welten
auszudehnen, wenn Sie in Ihren Schluͤſſen auch noch
bis jenſeits der uns ſichtbaren Fixſterne, bis jenſeits des
wunderbaren Lichtes, ſo Derham und andere in dem
Orion entdekt haben, fortſchreiten wollen. Mein er-
ſtes Schreiben ſolle Ihnen zum Beweiſe dienen, daß ich
mich ſchon viel beſchaͤftiget habe, den Maßſtab fuͤr ſolche
Entfernungen zu gebrauchen, und auf jedem Lichtſtral
mich durch alle Welten zu ſchwingen. Ich habe ein
ausnehmendes Vergnuͤgen daran, den Zuſammenhang
einzuſehen, den Sie allem Anſehen nach noch auf das
Ganze erſtrecken werden. Es iſt Ihnen nicht genug,
daß die Welt durch das Geſetz der Schwere allein zu ei-
nem aneinanderhangenden Ganzen gemacht ſeye. Sie
verbinden noch jede Sonnen-Syſtemen auch dadurch
mit einander, daß keines von dem andern ſo getrennt
bleibe, daß ſeine Weltkugeln alle insgeſamt bey ihm
bleiben ſollen. Dieſes geben ſie hoͤchſtens nur fuͤr die
Helfte, oder gar noch fuͤr einen viel kleinern Theil zu,
und


[108]
Coſmologiſche Briefe

und den andern Theil laſſen Sie, zu weit hoͤhern
Betrachtungen gewiedmet, von Sonne zu Sonne
laufen.


Wie ſehr wird die Welt bewohnter, als man es
vor weniger Zeit gedacht hatte! Wir finden Welten
auf jedem Staube, in jedem Tropfen, und bald wird
kaum der Staub ſo zahlreich ſeyn, als die Weltkugeln
am Firmamente. Es iſt unſtreitig, mein Herr, wer die
Einwohner in den Planeten zugiebt, hat keinen neuen
Schritt mehr zu thun, um Ihnen ſo viele Weltkoͤrper
einzuraͤumen als Sie wollen. Denn er wird zugeben,
die Welt habe nicht oͤde bleiben ſollen, und es muͤße
mehr Leben als todte Maſſen in derſelben ſeyn. Der
Schoͤpfer, die ewige Quelle alles Lebens, iſt viel zu
wirkſam, als daß er nicht in jedes Staͤubchen Leben
und Kraͤfte und Wirkſamkeit gepraͤgt haͤtte. Wie ſoll-
te man denn Ihr Unternehmen als verwegen anſehen,
da Sie, mein Herr, weiter nichts thun, als daß Sie
zeigen, man muͤſſe die Abſicht GOttes, das ganze Welt-
gebaͤude bewohnt zu machen, und keinen Theil, keine
Seite deſſelben unbetrachtet zu laſſen, in ihrem wah-
ren Umfange zum Grunde legen, um ſich von der Welt
einen rechten Begriff zu machen. Das einige, was
man wider die Allgemeinheit dieſer Abſicht einwenden
kann, iſt die Beſorgnis, es moͤchten hoͤhere und uns
unbekandte Gruͤnde verhindert haben, ſo viele Weltku-
geln um jede Sonne einherwandeln zu laſſen. Wer
dieſes beſorgt, wird allerdings auf das vollſtaͤndige Re-
giſter von allen Cometen warten, und dazu gebraucht
es
[109]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
es viele Jahrhunderte, und mit allem deme wird man
es nie als vollſtaͤndig ausgeben.


Ich habe mir einen beylaͤuftigen Ueberſchlag die-
ſes Regiſters gemacht. Von 1500. bis 1600. hat
man uͤber 40. Cometen geſehen, von welchen allem An-
ſehen nach keiner in dieſen 100. Jahren zum zweyten-
male erſchiene, weil ich den von 1759. noch immer als
den geſchwindeſten anſehe, und den uͤbrigen mehr als
100. Jahr, den meiſten aber viele Jahrhunderte zu ih-
rem Umlaufe zugebe. Nach dieſer Rechnung wuͤrde ich in
400. Jahren 4mal 40. oder 160. Cometen bekommen.
Ich ſetze, es ſeyen 60. unter denſelben zwey- und mehr-
malen wieder gekommen, ſo bleiben noch 100. Fuͤr dieſe
100. muß ich aber wenigſtens 300. ſetzen, weil der
Sichtbarkeit eines Cometen ſo viele Hinderniſſe im
Wege ſtehen, daß ich annehmen kann, daß wir von
denen, die wir ſehen koͤnnten, kaum den dritten Theil
wirklich ſehen. Alſo haͤtte ich wenigſtens 300. Come-
ten, die ſich bis in unſere Geſichts-Sphære herablaſſen.
Dieſe iſt aber, wie Sie es, mein Herr, in einem vor-
hergehenden Schreiben anmerken, 40mal kleiner, als
die vom Saturn, folglich muͤßte ich dieſe 300. Come-
ten noch 40mal nehmen, um alle die herauszubringen,
die bis innert die Sphære des Saturns kommen. Die
Rechnung gibt 12000. Cometen. Ungeacht dieſe
Zahl noch lange nicht auf 5. Millionen reicht, ſo iſt
ſie dennoch eine Legion, und die Anzahl der Planeten
wird dagegen unerheblich. Indeſſen glaube ich wohl
nicht, daß das Regiſter der uns ſichtbaren Cometen ſich
nur
[110]Coſmologiſche Briefe
nur auf 300. belaufen ſollte. Im Gegentheil vermu-
the ich, daß es ſich auf etliche 1000. erſtrecken werde.
Halleys Tafel giebt uns eine ſolche Verſchiedenheit in
der Lage der Cometenbahnen an, die uns ſehr merkliche
Luͤcken darinn vermuthen laͤßt. So z. Ex. hatten die
Cometen von 1672. und 1698. in ihren Perihelien
einen faſt gleichen Abſtand von der Sonne, ſie waren
aber in allen uͤbrigen Stuͤcken voͤllig von einander ver-
ſchieden. Und eben dieſes gilt auch von den Cometen,
ſo man in den Jahren 1532. und 1596. geſehen.
Man kann alſo alle moͤgliche Verſchiedenheiten zuſam-
menpaaren, und die Luͤcken, ſo in der Halleyiſchen Ta-
fel bleiben, werden dadurch augenſcheinlich. Dieſe
12000. Cometen kommen noch alle naͤher zur Sonne
als Saturn. Es hindert aber nichts, daß es nicht
ſolche geben ſollte, die uͤber 10mal weiter wegbleiben,
und die Bewohnbarkeit der Welt fordert, daß ſie da-
ſelbſt noch eben ſo dichte ſeyen, als ſie es naͤher bey der
Sonne ſind. Auf dieſe Art muͤßte ich dieſe 12000.
noch mit 100. vermehren, und ich wuͤrde 1200000.
Cometen herausbringen, wenn auch das Regiſter der-
jenigen, die uus ſichtbar ſeyn koͤnnen, ſich nicht uͤber
300. erſtreckte.


Die Cometen, ſo nahe zur Sonne kommen, laſ-
ſen außerhalb dem Saturn noch ſo vielen Raum, daß
ich kein Bedenken truͤge, die groͤßten Cometen in dieſe
aͤußere Revier zu ſetzen, und denſelben Satelliten zu
geben. Denn ich glaube nicht, daß uns jemals ein
Comet mit Satelliten zu Geſichte kommen werde. Je
naͤher
[111]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
naͤher ſie zur Sonne kommen, deſto enger wird der
Raum, und deſto mehr muß er geſpahrt werden. Ein
Comet, der Satelliten um ſich hat, hat einen ſehr
groſſen Wirkungskreyß, er muß aber dennoch andern
Cometen Raum laſſen. Dieſes iſt aber viel moͤglicher,
wenn er weiter von der Sonne wegbleibt. Denn ich
gedenke, wie Sie, mein Herr, daß Ordnung, Mannig-
faltigkeit, Bewohnbarkeit und das Geſetz der Schwere
in jedem Sonnen-Syſtem einander beſtimmen, und
dieſes iſt nothwendig der Grund, warum Sie nur das
Allgemeine betrachten, weil die Individualien aus der
Erfahrung muͤſſen entdeckt werden.


Ich geſtehe Ihnen aber dennoch, mein Herr,
daß unſer Sonnen-Syſtem, ſo weit es uns jetzo noch
bekannt iſt, ſchon genug bewunderungswuͤrdiges zeigt.
Denn ſo nenne ich auch das, wovon wir die Gruͤnde
nicht voͤllig einſehen. Die Planeten ſcheinen mir den-
noch etwas beſonderes an ſich zu haben. Ihre Bah-
nen ſind in einer Flaͤche, und zwar, wie Sie es an-
merken, in der Flaͤche des Æquators der Sonne, und
alle, nebſt ihren Satelliten laufen von Abend gegen
Morgen, und zwar wiederum in ſolchen Ellipſen, die
von Circuln ſo gar wenig unterſchieden ſind. Die
Cometen hingegen laufen uͤberqueer durcheinander,
und haben alle moͤgliche Richtungen in ihrem Laufe.
Dieſer Unterſchied muß ſeine gute Gruͤnde haben, weil
dieſe vierfache Ordnung und Uebereinſtimmung in den
Planeten nothwendig allen Zufall ausſchleußt. Nie
habe ich vollſtaͤndiger eingeſehen, daß Cometen keine
unreife
[112]Coſmologiſche Briefe
unreife Planeten ſind, und daß ſie nicht durch eine
Verruͤckung in ihrem Laufe ſich in ſolche verwandeln.
Es iſt 65536mal wahrſcheinlicher, daß unter 16.
Cometen, die ſich in Planeten und Satelliten haͤtten
verwandeln ſollen, wenigſtens einer ſich von Morgen
gegen Abend wuͤrde bewegt haben. Die Unmoͤglichkeit
wird noch unendlichmal groͤſſer, wenn ich berechnen
ſollte, wie wenig es wahrſcheinlich waͤre, daß alle 16.
Cometen ſich juſt ſo verruͤckten, daß ſie endlich in einer
gleichen Flaͤche, und noch uͤberdiß juſt in der Flaͤche
des Æquators der Sonne einhergehen mußten. Aller
Zufall verſchwindet hier nothwendig, und wir muͤßen
die Anordnung der Planeten als die Folge eines Ge-
ſetzes anſehen, das ſeine tuͤchtige Gruͤnde und Abſich-
ten hat, ſo verborgen dieſe uns noch ſeyn moͤgen.
Daß die Laufbahnen der Planeten von einem Circul
wenig verſchieden ſind, laͤßt ſich endlich noch daraus be-
greifen, wenn man ſetzt, die Mannigfaltigkeit der Be-
wohner in dem Sonnen-Syſtem fordere auch ſolche, die
einer gemaͤſſigten und immer gleich groſſen Erwaͤrmung
und Erleuchtung noͤthig hatten. Daß ſie ſaͤmtlich in
einer Flaͤche laufen, haben Sie, mein Herr, daraus
hergeleitet, weil dadurch die Bewohnbarkeit des Son-
nen-Syſtems groͤſſer wird. Daß ſie ſich aber alle
von Abend gegen Morgen bewegen, davon laͤßt ſich al-
lem Anſehen nach nicht ſo leicht ein Grund angeben.
Das Geſetz der Schwere ſcheint hiezu nicht hinreichend,
weil es Cometen giebt, die eine ganz entgegen geſetzte
Richtung in ihrem Laufe haben, wie z. E. der von
A. 1759. Man hat ſich auch dieſes Grundes bedient,
um
[113]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
um die Carteſiſchen Wirbel umzuſtoſſen. Sollte dieſe
allen Planeten gemeinſame Bewegung damit eine Ver-
bindung haben, daß ſie in der Flaͤche des Sonnen-Ae-
quator
s ſind, oder liegt etwan hier noch ein ander Ge-
ſetz des Weltbaues verborgen, daß die Planeten ſo wohl
in ihrer Bahn als um ihre Axe ſich nach eben der Rich-
tung wenden muͤſſen, nach welcher die Sonne ſelbſt
ſich um ihrer Axe wendet? Etwas ſo gar Allgemeines
ſetzt einen allgemeinen Grund und ein allgemeines Ge-
ſetz zum voraus, und dieſes Geſetz ſcheinet nur bey den
Planeten, nicht aber bey den Cometen nothwendig zu
ſeyn, weil dieſe nicht alle von Abend gegen Morgen
laufen. Denn ich gedenke nicht, daß allein das ge-
ſchickte Ausweichen der Weltkoͤrper unter einander eine
ſolche Uebereinſtimmung in dem Laufe der Planeten er-
forderte, oder daß jetzt einige Cometen nur deßwegen
ſich von Morgen gegen Abend bewegen, weil ſie etwan
vom Jupiter oder von einem entferntern groſſen Co-
meten ſo ſind abgelenkt worden, daß ſie nunmehr dieſe
Richtung haben. Es iſt dieſes zwar nicht unmoͤglich.
Die Einwohner der Cometen ſcheinen ohnehin gegen
Waͤrme und Kaͤlte unempfindlich, und ein laͤngerer
oder kuͤrzerer Winter hat bey ihnen nicht ſo viel zu be-
deuten, als bey uns. Dieſes waͤren aber nur Aus-
nahmen, welche in ſehr geringer Anzahl ſeyn muͤſſen.
Ich wuͤrde demnach dieſe Entſcheidung verſchieben, bis
das Regiſter von den Cometen vollſtaͤndiger wuͤrde.
Denn man muͤßte daraus ſehen, ob in der That nur
wenige Cometen von Morgen gegen Abend laufen,
oder ob es faſt eben ſo viele ſind als die, ſo eine entge-
Hgen
[114]Coſmologiſche Briefe
gen geſetzte Richtung haben? Indeſſen ſcheinen mir
ſo ſtarke Verruͤckungen noch deßwegen ſehr unwahr-
ſcheinlich, weil ich gerne jeden Weltkoͤrper dasjenige
wollte ſeyn laſſen, was er einmal iſt. Ich wuͤrde ſonſt
bald wieder beſorgen, die Erde moͤchte auch eine ſolche
Verruͤckung leiden, die ihr mit Zerruͤttungen drohte.
Dieſes laſſe ich aber nicht gelten, weil die Erde ſo wie
die uͤbrigen Planeten niemals Cometen geweſen ſind,
und um deſto weniger noch ſich in ſolche verwandeln
werden, weil ſie dazu gar nicht taugen. Hieruͤber bin
ich nun vollkommen beruhiget, und werde mich unver-
aͤndert an die Gruͤnde halten, die Sie mir in Ihren
vorhergehenden Schreiben gegeben.


Wie vorzuͤglich wird das Newtoniſche Geſetz der
Schwere durch die Betrachtungen, die Sie, mein Herr,
daruͤber angeſtellt haben, und wie genau verbinden Sie
es mit den uͤbrigen Abſichten der Schoͤpfung, nach wel-
chen Sie die Einrichtung des ganzen Sonnen-Syſtems
beurtheilen, und gleichſam zum voraus verkuͤndigen,
was erſt die Nachwelt in Erfahrung bringen wird.
Ich wuͤnſchte, das Maximum beſtimmen zu koͤnnen,
von welchem Sie hiebey Erwaͤhnung thun. Sie haͤn-
gen das Geſetz der Schwere mit der Bewohnbarkeit
und Mannigfaltigkeit der Weltkoͤrper ſo zuſammen,
daß dieſe allgemeinen Abſichten der Schoͤpfung aller-
dings dieſes Geſetz zu foͤrdern ſcheinen, welches auch
ohnedem das einfachſte iſt, und uns die Beſtimmung
der Laufbahn jeder Weltkoͤrper ſo ſehr erleichtert. Wie
bewunderungswuͤrdig wird dabey die Einrichtung und
Ord-
[115]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Ordnung in dem ganzen Sonnen-Syſtem, und wel-
che mannigfaltige Verſchiedenheit und Abwechslung
breitet dieſes Geſetz durch die Welt aus. Dadurch er-
hellet die auserleſenſte unter allen Ordnungen, die uns
nothwendig eine Unordnung zu ſeyn ſcheinen wuͤrde,
wenn wir ohne dieſes Geſetz zu wiſſen, das Sonnen-
Syſtem mit einem Anblicke ſo uͤberſehen koͤnnten, daß
uns jede Planeten und Cometen in die Augen fielen.
In der That wuͤrde es uns nicht anders als ein ver-
wirrter und ohne Ordnung zerſtreuter Haufe von Ku-
geln vorkommen, die ohne Ruͤckſicht auf ihre Groͤſſe
unter einander waͤren. Wir wuͤrden keinen Grund
finden koͤnnen, warum ihre Entfernungen von ihrer
Lage unter einander ſo ungleich, und dem Anſchein
nach unſchicklich waͤre. Ich kann mir die Einbildungs-
kraft nicht genug anſtrengen, um mir die Lage dieſer
Weltkugeln ſo vorzuſtellen, wie ſie zum Exempel in
dieſem Augenblicke iſt, und jeden Cometen in ſeiner
Bahn aufzuſuchen. So viel aber gedenke ich, daß es
mir vorkommen wuͤrde, als wenn ſich alle verirrt haͤt-
ten, und an einem Orte viele beyſammen, am andern
aber faſt gar keiner waͤre.


Nehme ich aber das Geſetz der Schwere, und die
daher ruͤhrende Ordnung in dem Laufe der Weltkoͤr-
per, ſo um unſere Sonnen ſind, ſo verſchwindet dieſe
verwirrte Vorſtellung auf einmal. Denn dieſes leh-
ret mich, daß ich nicht die Weltkoͤrper fuͤr ſich, ſon-
dern zugleich auch ihre Laufbahn, und das Geſetz ihrer
Bewegung betrachten muͤſſe, und dadurch finde ich al-
H 2lerdings
[116]Coſmologiſche Briefe
lerdings die trefliche Harmonie, die Sie, mein Herr,
in Ihrem Schreiben ſo wuͤrdig erheben. Wie klar er-
hellet auch hieraus der groſſe Satz: Die Unordnung
in der Welt iſt nur ſcheinbar, und wo ſie am groͤßten
zu ſeyn ſcheinet, da iſt die wahre Ordnung noch weit
herrlicher, uns aber nur mehr verborgen. Wir wuͤr-
den fehlen, wenn wir die Koͤrper des Sonnen-Syſtems
nur dem Raume und ihrem Orte nach betrachten, und
dabey ungefehr eine Ordnung ſuchen wollten, wie ſie
in einer wohleingerichteten Bibliothec iſt, wo man nur
auf den Ort ſieht, um jedes Buch gleich zu finden.
Dieſe Ordnung waͤre in der Welt viel zu einfach. Hier
muß Raum und Zeit mit einander verbunden, und die
Ordnung auf beyde ausgebreitet werden. Wie voll-
kommen harmoniſch geſchieht dieſes in dem Laufe der
Weltkoͤrper um die Sonne, die dem Raume nach be-
trachtet, keine Ordnung zu haben ſcheinen.


Was glauben Sie, mein Herr, laſſen ſich dieſe
Betrachtungen nicht auch auf die Fixſterne ausdehnen?
Ich habe noch geſtern Abend in dieſer Abſicht den ge-
ſtirnten Himmel betrachtet, weil ich doch niemals eine
gewiſſe Symmetrie in ſeiner ſcheinbaren Geſtalt hatte
finden koͤnnen. Ich ſuchte ſie nochmals vergebens.
Denn ich fande die Sterne der erſten, zweyten und
folgenden Groͤſſe ſo gar ungleich ausgetheilt, daß bald
viele der groͤßten dichte beyſammen, hingegen an an-
dern Orten des Himmels groſſe leere Raͤume, und in
dieſelbe kaum etliche Sterne der ſechſten Groͤſſe waren.
So zerſtreut, dachte ich, wuͤrde uns das Sonnen-Sy-
ſtem
[117]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſtem vorkommen, wenn wir alle Planeten und Come-
ten deſſelben auf einmal ſehen koͤnnten. Aber bey die-
ſem wiſſen wir doch, daß in der That eine ausnehmen-
de Ordnung darinn iſt, ſo ſehr es uns anders vorkom-
men wuͤrde. Nach welchen Geſetzen mag denn der
Allerweiſeſte dieſe ewigen Leuchter durch die ungemeſſe-
nen Tiefen des Firmamentes, durch die herrlichen Vor-
hoͤfe ſeiner Wohnung ausgeſaͤet haben? Solle ich auch
hier Zeit und Raum mit einander verbinden, und Fix-
ſterne nicht mehr als Fixſterne, ſondern als Sonnen
anſehen, die in majeſtaͤtiſchen Kreyſen einher wandeln,
und Weltalter gebrauchen, um einen Schritt zu thun,
oder einen Grad ihrer Bahn zu durchlaufen?


Am meiſten hielte ich mich bey der Milchſtraſſe
auf. Dieſer lichte Bogen, der ſich um das Firma-
ment ganz herum zieht, und den Weltbau gleich ei-
nem mit Brillanten beſetzten Ringe ſchmuͤcket, erweckte
Erſtaunen und Bewunderung in mir. So ſehen wir
auf der Erde den Regenbogen uns in unzaͤhlbaren
Tropfen das Bild der Sonne vorſtellen, ſo ſcheinet
der groſſe Schoͤpfer die Tropfen des Lichtes, in wel-
chem er wohnet, um den Himmel herum ausgebreitet
zu haben. Wie dichte, wie unermeßlich dichte ſind
ſie hier beyſammen, und wie oͤde ſcheinet der Himmel
auſſerhalb dieſem lichten Streifen! Hier wurde ich
recht irre, und ich muß Ihnen, mein Herr, ſagen,
daß ich bald wieder angefangen haͤtte, an der Allge-
meinheit Ihres Grundſatzes zu zweifeln, daß die
Welt ſo viel, als moͤglich iſt, bewohnbar und be-
H 3wohnt


[118]Coſmologiſche Briefe

wohnt ſeyn ſollte. Wie, wenn in dieſem ſo ſchmalen
Striche ſo undenkbar viele Sonnen ſeyn konnten, wo
mag es gefehlt haben, daß nicht der ganze Himmel
eben ſo dichte damit beſetzt iſt? Sehen Sie, es geht
mir nun vollkommen, wie den Philoſophen, die ich in
meinem erſten Schreiben beſtraft hatte. Ich werde
unvermerkt auf ihre Spur gebracht, und fange nun
bald an, Fragen und Zweifel auf einander aufzuhaͤu-
fen. Doch hoffe ich, meine Zweifel werden nicht ſo
fuͤrchterlich ſeyn, und wenn uns nur die Cometen in
Ruhe laſſen, ſo bin ich nicht beſorgt, daß uns etwa
ein Fixſtern beſuchen werde. Er muͤßte dem ganzen
Sonnen-Syſtem den Krieg ankuͤnden, dieſes aber wer-
de ich wohl niemals einraͤumen.


Was gedenken Sie aber hieruͤber, und wie fer-
ne getrauen Sie ſich, mein Herr, Ihren Grundſatz
von der Bewohnbarkeit des Weltgebaͤudes zu rechtfer-
tigen, und auch da noch zu zeigen, daß er mit der
Ordnung in der Einrichtung des Ganzen und mit
dem Geſetze der Schwere zuſammenhaͤngt? Wie
wunderbar muß es doch in der Milchſtraſſe ausſe-
hen! Glauben Sie, daß die Sterne in dieſem
lichten Streife in der That dichter beyſammen ſind,
oder liegen ſie nur in unendlich langen Reihen hin-
ter einander? Es mag aber das erſte oder das
letzte ſeyn, ſo komme ich immer wieder auf mei-
ne vorige Frage, warum es nur in dieſen eini-
gen Streifen iſt? So unzaͤhlbar die Sterne auſ-
ſer
[119]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſer der Milchſtraſſe ſind, ſo ſind ſie gegen denen
in dieſem Circul kaum wie ein Tropfen Waſſers
gegen den Ocean. Unſere beſten Fernroͤhren rei-
chen nicht zu, ſie uns dichte genug vorzuſtellen,
und alles, was ſich daran unterſcheiden laͤßt,
koͤmmt ſchlechthin auf die groͤſſern Sterne, ſo in
der Milchſtraſſe ſtehen, und auf die Figur dieſes
Streifens an, ſo wie ſie uns in die Augen faͤllt.
Der aͤuſſere Umriß derſelben iſt ſehr irregular, ih-
re Breite ſehr ungleich, und an einigen Orten
kaum 3. Grad, an andern aber 25. bis 30. Grad.
Sie ſcheint wie aus Stuͤcken zuſammengeſetzt, und
einige dieſer Stuͤcke ſcheinen ſeitwaͤrts ſich von den
uͤbrigen zu entfernen, als ob ſie geſpalten oder auf-
geriſſen waͤre.


Koͤnnen Sie, mein Herr, bey dieſer ſcheinba-
ren Irregularitaͤt eine Harmonie und Ordnung finden.
Und wie wollen Sie hiebey Zeit und Raum mit ein-
ander verbinden, damit ſich alles dieſes nach einem all-
gemeinen Geſetze richte? Denn nichts leuchtet mir
klaͤrer ein, als daß auch hier ſolche Geſetze und eine
weiſe Einrichtung ſeyn muͤſſe, und ich werde mir nie
vorſtellen koͤnnen, daß, da jede Theile die vollkom-
menſte Ordnung haben, dieſe Ordnung in dem Gan-
zen ſollte vermißt werden. Der Weltbau iſt ein Gan-
zes, und muß daher nothwendig durch allgemeine Ge-
ſetze zuſammenhaͤngen. Ich erwarte hieruͤber Ihre
Gedanken mit mehrerem Verlangen, als uͤber alles,
was ich noch von unſerm Sonnen-Syſtem wiſſen
H 4moͤchte.
[120]Coſmologiſche Briefe
moͤchte. Dieſes wird ſich doch in kurzem von ſelbſt
mehr aufklaͤren, und Ihre Vorherverkuͤndigung in
Erfuͤllung bringen. Aber in welchen kuͤnftigen Jahr-
tauſenden werden die Nachkommen leben, die eine
Veraͤnderung in der Lage der Fixſterne, und daraus
die Geſetze des ganzen Firmamentes entdecken werden?
Sie koͤnnen mir, mein Herr, ihre Betrachtungen
daruͤber deſto dreiſter ſagen, weil ich uͤber das Urtheil
einer ſo ſpaͤten Nachwelt nicht beſorgt bin. Ich
weiß, daß Sie doch allemal auf das wahrſcheinlichſte
verfallen, und dieſes iſt fuͤr unſere Zeiten in einer ſo
weitausſehenden Sache ſchon etwas recht Groſſes. Ich
werde es mit der vollkommenen Erkenntlichkeit anneh-
men, die ich Ihnen fuͤr ſo viele andere Gefaͤlligkeiten
ſchuldig bin, und immer lebhafter empfinden werde,
ſo lange ich lebe, oder mich werde nennen koͤnnen
Mein Herr ꝛc.


[figure]

Zehnter
[121]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Zehnter Brief.


Sie geben mir, mein Herr, einen erwuͤnſchten
Anlaß, meiner Einbildungskraft ungehemm-
ten Lauf zu laſſen, und wollen mich noch da-

zu berechtigen, weil die Erfahrung, wodurch man
mich widerlegen koͤnnte, noch weit ausgeſetzt iſt. Al-
lein Sie wiſſen, daß ich zu ſehr diejenige Wahrſchein-
lichkeit liebe, die auch bey ſtrengerer Unterſuchung noch
zulaͤſſig iſt, und ich werde es den Dichtern uͤberlaſſen,
aus meinen Betrachtungen uͤber den Weltbau vollends
einen aſtronomiſchen Roman zu machen. Es werden
ihn viele ohnedem ſchon fuͤr nichts beſſers anſehen.
Ich will dennoch verſuchen, wie weit hiebey die Schluͤſ-
ſe reichen moͤgen, und das uͤbrige durch Vermuthun-
gen ergaͤnzen, weil die genaue Eroͤrterung ihrer vor-
gelegten Fragen allem Anſehen nach den kuͤnftigen Zei-
ten vorbehalten ſeyn wird. Es iſt mir indeſſen ein
wahres Vergnuͤgen, daß Sie, mein Herr, nun auch
anfangen, ihrer edlen Wißbegierde nicht mehr Schran-
ken zu ſetzen, ſondern dieſelbe durch das ganze Welt-
gebaͤude auszudehnen, und ewige Geſetze und weiſe
Ordnung da zu ſuchen, wo lauter Verwirrung zu ſeyn
ſcheinet. Werfen Sie mir nur immer Fragen auf,
weil mich Ihre Unterſuchung zu weiterm Nachdenken
verleitet. Aber helfen Sie mir auch meine Betrach-
tungen erweitern, und ſie durch das, ſo Ihnen dabey
noch einfaͤllt, vollſtaͤndiger machen.
H 5Ich


[122]Coſmologiſche Briefe

Ich will dabey anfangen, daß ich die Fixſterne
aus ihrer Stelle ruͤcke, und ſie ungefehr eben ſo wie
die Planeten und Cometen in geſetzten Bahnen einher
wandeln mache. Sie haben mir, mein Herr, bereits
in einem vorhergehenden Schreiben, einen Grund da-
zu angegeben, weil Sie das Geſetz der Schwere durch
das ganze Weltgebaͤude verbreiteten, und behaupte-
ten, daß die Welt und alle ihre Theile dadurch auf
das engſte mit einander verbunden, und zu einem zu-
ſammenhaͤngenden Ganzen wurde. Dieſes Geſetz al-
lein gibt aber nichts anders als eine vim centripe-
tam,
und wenn es alleine waͤre, ſo muͤßten alle Welt-
koͤrper nach und nach wieder in einen Klumpen zuſam-
men fallen. In 64. Tagen waͤre die Erde ſchon in
der Sonne. Allein ſo wuͤrde fuͤr die Erhaltung die-
ſer Koͤrper ſchlecht geſorgt, und es iſt alſo nothwen-
dig, daß das Geſetz der Schwere durch ein anderes ſo
eingeſchraͤnkt werde, daß ſie fortdauren koͤnnen. Die-
ſes iſt die Bewegung, und die daher ruͤhrende vis
centrifuga.
Dieſe beyden Kraͤften halten einander
ein geſetztes Gleichgewicht, und die Ordnung in den
Weltkoͤrpern wird dadurch beſtaͤndig. Es moͤgen nun
die Fixſterne entweder nur gegen einander oder gegen
einen gemeinſamen Mittelpunct ſchwer ſeyn, ſo blei-
ben ſie nicht in Ruhe, ſondern muͤſſen durch eine zwey-
fache Kraft in Kreyſen bewegt werden.


Den andern Grund haben Sie, mein Herr, in
ihrem letzten Schreiben vorgetragen. Sie finden in
der Lage der Fixſterne keine Symmetrie dem Raum
und
[123]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
und Orte nach, und hieraus ſchlieſſen Sie, die Ord-
nung muͤſſe Raum und Zeit mit einander verbinden,
und daher vollkommener ſeyn, weil ſie zuſammengeſetz-
ter iſt. Dieſes erlaͤutern Sie durch das Sonnen-Sy-
ſtem,
welches uns allerdings verwirrt vorkommen
wuͤrde, wenn wir alle Weltkugeln, ſo um die Sonne
gehen, ſehen koͤnnten, und bey dem bloſſen Anblicke
ſtehen blieben. Wie wollten Sie aber, daß die Fix-
ſterne der Zeit nach eine Ordnung unter ſich haͤtten,
wenn zwiſchen Zeit und Raum keine Verhaͤltnis, kein
allgemeines Geſetz waͤre? Dieſes aber ſetzt nothwen-
dig eine Bewegung zum voraus, und ich ſchlieſſe mit
Ihnen, die Fixſterne ſeyen lange nicht ſo unbewegt,
als man ſie ausgegeben, ſondern es ſeyen Sonnen,
die in geordneten Laufbahnen einher wandeln.


Dieſe Bewegung der Fixſterne muß nothwendig
in ihrem ſcheinbaren Abſtande von einander in die Laͤn-
ge der Zeit eine Veraͤnderung herfuͤr bringen. Ich
kann nicht ſagen, ob man ſeit dem Hipparchus,
welcher den erſten Catalogum der Fixſterne verfertigt,
eine ſolche Veraͤnderung bemerkt hat. So viel iſt ge-
wiß, daß dieſe alten Obſervationen mit den neuern
nicht uͤbereinkommen, und man hat die Urſache allein
in den weniger genauen Inſtrumenten, und ſodann
auch darinn geſucht, weil die Stralenbrechung, die
Abirrung des Lichtes und die Nutation der Erde den
Alten unbekannt ware. Koͤnnte man dieſe Fehler
verbeſſern, oder wenigſtens unterſuchen, ob der Unter-
ſchied zwiſchen den aͤltern und neuern Obſervationen
merkli-
[124]Coſmologiſche Briefe
merklicher iſt, als der, ſo von dieſen Fehlern hekoͤmmt,
ſo wuͤrde die Frage entſchieden. Es iſt klar, daß man
fuͤrnemlich die Lage der groͤſſern Fixſterne unter einan-
der vergleichen muͤßte, weil dieſe wahrſcheinlicher Wei-
ſe unſerer Sonne am naͤchſten ſind. Dermalen habe
ich die Zeit nicht, dieſe Unterſuchung anzuſtellen, da-
her bleibe ich bey den allgemeinen Gruͤnden, die ich
vorhin angefuͤhrt habe. Dieſe ſcheinen mir zurei-
chend, um zu beweiſen, daß die Fixſterne ihren Ort
unter einander aͤndern muͤſſen, und weiter wuͤrde ſich
aus der erſtbemelten Unterſuchung nicht viel ſchlieſſen
laſſen. Ich bleibe auch hier, wie bey den Cometen,
nur bey der allgemeinen Einrichtung ſtehen.


Dieſe Bewegung der Fixſterne kann auf eine ge-
doppelte Art betrachtet werden. Denn da das Geſetz
der Schwere dabey vorkoͤmmt, ſo laufen, ſo viele ih-
rer zuſammen gehoͤren, um ihren gemeinſamen Mittel-
punct der Schwere, wie dieſes auch in unſerm Son-
nen-Syſtem ſtatt hat. Es koͤmmt alſo die Frage
nur darauf an, ob man dieſen Mittelpunct ganz oͤde
laſſen, oder in denſelben einen ſo groſſen Koͤrper ſetzen
ſolle, der gegen die Fixſterne, ſo ſich um denſelben
herumdrehen, eben das iſt, was die Sonne in Ver-
gleichung mit den Weltkugeln, die um ſie laufen?
Waͤre dieſer Mittelpunct ganz leer, ſo wuͤrde der Lauf
der Fixſterne ſehr langſam ſeyn muͤſſen, weil ſie gegen
denſelben keine andere vim centripetam haͤtten, als
die, ſo von ihnen ſelbſt herruͤhrt, da ſie gegen einan-
der ſchwer ſind. Dieſe Schwere aber waͤre wegen
des
[125]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
des groſſen Abſtandes ſehr geringe, und daher koͤnnte
die vis centrifuga, und folglich auch die Geſchwindig-
keit nicht groß ſeyn. So wuͤrden die Planeten und
Cometen unſeres Syſtems ſich um ihren gemeinſamen
Mittelpunct der Schwere bewegen, wenn auch gleich
die Sonne nicht da waͤre. Aber ihre Geſchwindigkeit
waͤre ungleich langſamer, weil ſie ſich ſonſt zerſtreuen
wuͤrden.


Setze ich aber in den gemeinſamen Mittelpunct
der Fixſterne, die zuſammen ein Syſtem ausmachen,
einen Koͤrper, gegen welchen ſie insgeſamt ſchwer ſind,
ſo muß ich dieſem Koͤrper eine ungeheure Groͤſſe ge-
ben, und ſeine Maſſe ſo aufhaͤufen, daß auch die ent-
fernteſten Fixſterne des Syſtems gegen denſelben noch
eine betraͤchtliche Schwere haben koͤnnen, weil dieſe
allezeit der Maſſe proportional iſt. Wollte ich hier
einen Roman ſchreiben, ſo wuͤrde ich ſetzen, dieſer Koͤr-
per habe entweder gar kein - oder doch nur ein ſehr
ſchwaches eigenes Licht. Ich wuͤrde die Welt ſo ein-
richten, daß die kleinern dunklern Koͤrper, wie z. E.
die Planeten um die leuchtenden Sonnen, dieſe aber
wieder um dunkle Koͤrper herum laufen. Denn die
Sonnen haͤtten kein ander Licht noͤthig, weil ſie ſelb-
ſten von ſo ſtarkem Glanze ſind, hingegen koͤnnte der
dunkle Koͤrper, um welchen ſie ſich bewegen, von den
Sonnen, ſo zunaͤchſt um ihn laufen, noch zureichend
erleuchtet werden. Allein von einer ſolchen Einrich-
tung kann ich keinen andern Grund als die bloſſe Moͤg-
lichkeit angeben. Sie wiſſen aber, mein Herr, daß
die
[126]Coſmologiſche Briefe
die Moͤglichkeit nur in der Poetiſchen, nicht aber in
der Philoſophiſchen Welt als hinlaͤnglich angeſehen
wird. Ich laſſe es demnach unentſchieden, ob ein Sy-
ſtem
von Fixſternen ſich nur um einen gemeinſamen
Mittelpunct herum dreht, oder ob in dieſem Mittel-
punct in der That ein Koͤrper von einer ungeheuren
Maſſe iſt, gegen welche die Fixſterne ſchwer ſind?


Eine andere Betrachtung, die ſich uͤber die Be-
wegung der Fixſterne machen laͤßt, gruͤndet ſich auf die
Frage, ob die Bewegung eines Weltkoͤrpers um ſeine
Axe mit ſeiner Bewegung in der Laufbahn nothwendig
verbunden iſt, und ob die mechaniſche Einrichtung des
Weltbaues die eine von der andern abhaͤngig macht?
Die Verhaͤltnis zwiſchen dieſen beyden Bewegungen
hat man noch nicht aus allgemeinen Gruͤnden beſtim-
men koͤnnen. Ließe ſie ſich aber erweiſen, ſo wuͤrde
ich mit dem Schluſſe bald fertig ſeyn: Die Sonne be-
wegt ſich um ihre Axe, folglich muß ſie auch in einer
Laufbahn einhergehen.


So viel iſt ausgemacht, daß ſich unſere Sonne,
nebſt ihren Planeten, Satelliten und Cometen um den
gemeinſamen Mittelpunct der Schwere bewegt. Die-
ſes folgt aus dem, daß alle dieſe Coͤrper gegeneinander
ſchwer ſind. Allein der Circul, den die Sonne aus
dieſem Grunde beſchreibt, iſt nothwendig ſehr klein,
und man kann hieraus noch nicht ſchlieſſen, daß ſich
ſein Mittelpunct nach und nach verruͤcke. Es wuͤrde
immer ſehr langſam zugehen. Ich leite demnach die
Bewe-
[127]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Bewegung der Fixſterne lieber aus den beyden erſten
Gruͤnden her, welche ſie merklicher und nothwendiger
machen.


Was Sie mir, mein Herr, uͤber die Milch-
ſtraſſe ſchreiben, hat mich ſchon oͤfters auch in Ver-
wunderung geſetzt. Es ſcheinet unſtreitig, daß dieſer
Streife weit hinter den andern Fixſternen iſt, die wir
auſſerhalb demſelben ſehen, und die groͤſſern Fixſterne
in dieſem Circul muͤſſen uns alle ungleich naͤher ſeyn,
weil wir die, ſo eigentlich die Milchſtraſſe ausmachen,
nur durch Fernroͤhren deutlicher ſehen. Sind ſie aber
ſo unermeßlich entfernt, ſo ſcheinet allerdings, daß ſie
unſerer Sonne an Groͤſſe und an Glanz nichts nach-
geben, und daher auch einen merklichen Abſtand von
einander haben muͤſſen.


Fangen Sie demnach bey unſerer Sonne an,
in Gedanken gegen einen Fixſtern der erſten Groͤſſe,
von dieſem zu einem entferntern, von dieſem zu denen,
die der Ordnung nach entfernter ſind, gerade fortzu-
gehen, ſo werden Sie vielfach fruͤher zu den aͤuſſerſten
kommen, wenn Sie den Weg auſſer der Milchſtraſſe
nehmen, als wenn er durch dieſelbe durchgeht. Ich
ſetze den naͤchſten Stern, ſo eigentlich zur Milchſtraſ-
ſe gehoͤrt, vielmal weiter von uns weg, als der aͤuſ-
ſerſte von den uͤbrigen, die nicht dazu gehoͤren. Denn
da ich annehme, die Sterne in dieſen Streifen ſeyen
ſo weit von einander entfernt, als irgend einer der
naͤchſten Fixſterne von unſerer Sonne, ſo muß ich ſie
noth-


[128]Coſmologiſche Briefe

nothwendig in unbegreiflich langen Reihen hinter ein-
ander ſetzen, und daraus folgere ich, daß das ganze
Syſtem der uns ſichtbaren Fixſterne nicht ſphæriſch,
ſondern flach iſt, ungefehr wie eine Scheibe, deren
Durchmeſſer vielfach laͤnger als ihre Dicke iſt. Denn
ich muß hier eine phyſicaliſche Flaͤche nehmen, die ei-
ne gewiſſe Dicke hat. In dieſer Flaͤche liegt die
Milchſtraſſe und alle ſichtbaren Sterne auſſer derſel-
ben, ſie iſt gleichſam die Eccliptic, darinn ſich alle
Fixſterne bewegen.


Aber damit reiche ich noch nicht aus. Die
Milchſtraſſe unterſcheidet ſich von dem uͤbrigen Theile
des Himmels zu deutlich. Wenn ich alſo gleich alle
andere Fixſterne zuſammen nehme, ſo muß ich die
Milchſtraſſe von demſelben ganz abſondern, und auch
dieſen Streifen in unzaͤhlige kleinere Theile zerfaͤllen.
Viele von dieſen Theilen zeigen ſich uns dadnrch, daß
ſie von den uͤbrigen getrennt erſcheinen. Die uͤbrigen
bedecken einander, weil eines hinter dem andern liegt.
Jedes von dieſen Theilen ſehe ich als ein beſonder Sy-
ſtem
von Fixſternen an. Wir ſelbſten befinden uns
in einem ſolchen, und zu dieſem rechne ich alle Ster-
ne, die uns ſichtbar ſind, und auſſer der Milchſtraſſe
liegen, wie auch die groͤſſern, ſo dieſen Bogen des
Himmels bedecken. Die uͤbrigen Syſtemen liegen in
der Flaͤche der Milchſtraſſe um uns herum. Jedes
ſetze ich unſerm Sonnen-Syſtem darinn aͤhnlich, daß
alle Fixſterne oder Sonnen, die dazu gehoͤren, ſich um
einen gemeinſamen Mittelpunct herum bewegen, und
ich
[129]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ich waͤre geneigt zu glauben, daß alle dieſe Syſtemen,
oder die ganze Milchſtraſſe einen gemeinſamen Mittel-
punct habe, um welche ſie laufen.


Sie ſehen hieraus, mein Herr, daß ich nach der
Analogie ſchlieſſe. So z. E. gehoͤren die Trabanten
zu den Haupt-Planeten, dieſe zur Sonne, die Son-
ne zu ihrem Syſtem, und dieſes zum Syſtem der gan-
zen Milchſtraſſe. Weiter reichen unſere Augen nicht,
und ich laſſe es unbeſtimmt, ob nicht die uns ſichtbare
Milchſtraſſe zu noch unzaͤhligen andern gehoͤrt, und
mit denſelben wieder ein ganzes Syſtem ausmacht.
Vielleicht iſt das Licht dieſer ſo unermeßlich entfernten
Milchſtraſſe ſo ſchwach, daß wir es nicht ſehen koͤnnen.
Denn die naͤchſten Fixſterne moͤgen dennoch ein ſchwa-
ches Licht durch unſere Luft ausbreiten, weil wir des
Nachts zumal bey hellem Himmel noch ſehen koͤnnen.
Dieſe ſo ſchwache Klarheit kann unſtreitig eine noch
ſchwaͤchere verdunkeln und unempfindbar machen, und
ich ſchlieſſe aus dem, daß die Milchſtraſſe noch ſichtbar
iſt, wie unzaͤhlig viele Sonnen in dieſem Streifen
ſeyn muͤſſen. Dem bloſſen Auge entziehen ſich die
Sterne der ſiebenden und der folgenden Groͤſſen, und
ſie werden uns nur alsdenn ſichtbar, wenn viele der-
ſelben dichte beyſammen ſind. Wir ſehen dieſes an
den ſogenannten neblichten Sternen. Die Fernroͤh-
ren lehren uns, daß ſie nichts anders als ein Haufen
von Sternen ſind, die die Entfernung kleiner macht,
als daß wir ſie mit bloſſem Auge unterſcheiden koͤnn-
ten. Wenn ſich aber das Licht von vielen zuſammen
Ipaaret,
[130]Coſmologiſche Briefe
paaret, ſo wird es ſtaͤrker, und daher unſern Augen
empfindbar. Dieſes iſt der Grund, warum wir die
Milchſtraſſe ſehen.


So ſieht das Firmament aus, wie ich mir es
vorſtelle, aber ich geſtehe Ihnen gerne, mein Herr,
daß ich die Gruͤnde dazu noch nicht genugſam entwi-
ckelt habe. Es wird mir ſehr lieb ſeyn, wenn Sie
mir helfen wollen, daſſelbe genauer zu unterſuchen.
Da ich hierinn Zeit und Raum mit einander verbinde,
ſo hoffe ich, Sie werden ſich damit nicht aufhalten,
daß nicht der ganze Himmel ſo dichte mit Sternen be-
ſaͤet iſt, als die Milchſtraſſe. Sie haben mir ſchon
darinn Beyfall gegeben, als ich die Anzahl der Come-
ten nicht wie die Cubos, ſondern nur wie die Quadra-
te des Abſtandes ihrer Perihelien anwachſen lieſſe, weil
Sie ſelbſt einſahen, daß ich Raum zur Bewegung laſ-
ſen mußte. Koͤnnte ich nicht auch hieraus umgekehrt
ſchlieſſen: Der Himmel auſſer der Milchſtraſſe ſcheint,
mit dieſem Ringe verglichen, leer und oͤde zu ſeyn,
folglich iſt daſelbſt Raum zur Bewegung aufbehalten,
und es muͤſſen die Fixſterne und alle ihre Syſtemen
geſetzte Laufbahnen haben? Denn Sie werden aus al-
len meinen vorhergehenden Schreiben abnehmen koͤn-
nen, daß ich nicht mehr Weltkoͤrper zulaſſe, als es
Laufbahnen geben kann; aber wo noch Raum zu die-
ſen iſt, da trage ich kein Bedenken, einen Weltkoͤrper
hinzuſetzen, und folglich in ſo weit die Welt damit an-
zufuͤllen. Die Bewegung ſcheint mir zur Vollkom-
menheit der Welt weſentlich, denn dadurch entſtehen
Abwechs-
[131]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Abwechslungen, und mit den Abwechslungen immer
neue Mannigfaltigkeiten. Die Bewegung bringt
dieſe Mannigfaltigkeiten hervor, die Geſetze der Ver-
aͤnderungen ſind allgemein und einfach, und daher ha-
ben wir die Uebereinſtimmung des Mannigfaltigen,
das iſt, die Vollkommenheit. Auf dieſe Art bekraͤf-
tigt auch die Coſmologie meinen Satz von der Bewe-
gung der Fixſterne.


Sie haben mir, mein Herr, bereits geholfen,
das Newtoniſche Geſetz der Schwere durch die ganze
Welt, und daher auch durch jede Syſtemen von Fix-
ſternen auszubreiten. Eben ſo weit breiten ſich noth-
wendig die Circul und Ellipſen aus, in welche die
Fixſterne ſich um den Mittelpunct ihres Syſtems her-
nm bewegen. Je naͤher ein Stern dieſem Mittel-
punct iſt, deſto geſchwinder laͤuft er in ſeiner Bahn,
und in deſto kuͤrzerer Zeit koͤmmt er darinn herum.
Ich habe ſchon vorhin angemerkt, daß ich die Sterne,
ſo auſſer der Milchſtraſſe ſind, in ein Syſtem zuſam-
men nehme, ſo groß auch ihre Zahl ſeyn wag. Es
iſt natuͤrlich, und der Analogie gemaͤß, daß Zahl,
Raum und Zeit zugleich mit dem Syſtem wachſen.
Die Erde hat nur einen Trabanten, Jupiter 4, Sa-
turn 5, die Sonne mag bey Millionen Weltkoͤrper
um ſich haben, weil ihre Maſſe groͤſſer, und ihr Licht
und ihre Waͤrme von allgemeinerm Nutzen iſt. Solle
ich demnach ein Syſtem von Sonnen zuſammen ſetzen,
ſo reichen Millionen noch lange nicht zu. Es muß
ungleich zahlreicher werden, wenn es in der Verhaͤlt-
I 2nis
[132]Coſmologiſche Briefe
nis wachſen ſolle, wie die Trabanten des Saturns zu
der Anzahl der Koͤrper des Sonnen-Syſtems, die ich
in einem meiner vorhergehenden Schreiben auf Mil-
lionen geſetzt habe.


Ich kann nicht beſtimmen, ob unſere Sonne na-
he bey dem Mittelpunct des Syſtems iſt, zu welchem
ſie gehoͤrt, oder ob ſie weiter davon weg iſt. So
viel laͤßt ſich ausmachen, daß ſie nicht an den aͤuſſer-
ſten Grenzen iſt, wenn ich nach dem vorhin beſchriebe-
nen Entwurfe ſchlieſſen kann. Denn ich ſetze zwi-
ſchen dieſem Syſtem und den uͤbrigen, die in der Flaͤ-
che der Milchſtraſſe um daſſelbe herum liegen, einen
weiten Raum, wodurch die Syſtemen von einander
abgeſoͤndert werden. Waͤre nun unſere Sonne an
den Grenzen, ſo wuͤrden wir nur auf der einen Helfte
des Himmels Fixſterne von der erſten, zweyten, und
folgenden Groͤſſe ſehen. Dieſes iſt aber nicht, weil
uns der geſtirnte Himmel aller Orten ſolche Sterne
zeigt. Daher iſt unſere Sonne naͤher bey dem Mit-
telpunct ihres Syſtems.


Hingegen kann es ehender ſeyn, daß dieſes gan-
ze Syſtem nicht mitten in der Flaͤche liegt, welche
durch die Milchſtraſſe geht. Denn waͤre dieſes, ſo
muͤßte die Milchſtraſſe auf der Himmelskugel als ein
groͤßter Circul erſcheinen, und folglich von den Polen
des Aequators und des Thierkreyſes gleich abſtehen,
den Aequator und den Thierkreys ſelbſt in zween glei-
che Teile theilen. Dieſes geſchieht aber nicht. Da-
her
[133]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
her ſtellt die Milchſtraſſe einen kleinern Circul vor,
und unſer Syſtem liegt auſſerhalb der Flaͤche, die mit-
ten durch die Milchſtraſſe geht. Da inzwiſchen die
ſcheinbare Figur dieſes Streifens von einem groͤßten
Circul der Sphære ſehr wenig verſchieden iſt, ſo kann
auch unſer Syſtem von beſagter Flaͤche nicht viel ent-
fernt ſeyn. Vielleicht liegt es eben ſo auſſerwaͤrts,
wie die Stuͤcke, die wir von der Milchſtraſſe ſeitwaͤrts
herfuͤr ragen ſehen. Wenn es weiter entfernt waͤre,
ſo wuͤrden wir die Milchſtraſſe viel breiter ſehen. Ih-
re mittlere Breite mag aber nur ungefehr zehen Gra-
de betragen.


Dieſe Betrachtungen habe ich noch nicht weiter
verfolgt, und ſie daher auch hier nicht ausfuͤhrlicher
vortragen koͤnnen. Ich gebe ſie alſo nur fuͤr willkuͤhr-
lich aus, und vielleicht habe ich ſie undeutlich und ohne
die behoͤrige Ordnung beſchrieben. Allein Sie wiſſen,
mein Herr, wie ſchwer es iſt, Ordnung uͤber eine Sache
auszubreiten, wozu uns noch die meiſten Stuͤcke fehlen.
Sie werden mich ſehr verbinden, wenn Sie mir Ihre
Gedanken daruͤber mit der Ihnen gewoͤhnlichen Deut-
lichkeit mittheilen wollen, weil ich weiß, daß Sie eine
vorzuͤgliche Klarheit in allen Ihren Vorſtellungen ha-
ben. Ihre Beyhuͤlfe wird mir eine neue und unver-
geßbare Probe der Freundſchaft ſeyn, die Sie mir ge-
goͤnnet haben, und die mir immer die angenehmen Em-
pfindungen erneuert, mit denen ich bin,
Mein Herr ꝛc.


I 3Eilfter
[134]Coſmologiſche Briefe

Eilfter Brief.


Nun ſehe ich einmal in allem Umfange ein, war-
um Sie, mein Herr, immer ſagten, daß wir
noch lange nicht genug Copernicaniſch denken.

Es ware nicht genug, die Erde aus ihrer Ruhe zu ſtoͤ-
ren, ſondern am ganzen Firmamente ſolle kein Koͤrper
in Ruhe bleiben. Die Sonne mag immerhin im
Mittelpuncte ihres Syſtems ſeyn, und die Planeten
und Cometen um ſich her wandeln laſſen. Sie iſt es
nicht mehr als Jupiter und Saturn in Abſicht auf ih-
re Trabanten. Daß ſie aber im Mittelpunct des
ganzen Weltgebaͤudes ſeye, das iſt noch lange nicht
ausgemacht; und wenn ſie es auch einmal waͤre, ſo
wuͤrde ſie bald wieder daraus weggeruͤckt werden.
Kurz: die Ruhe iſt aus der Welt verbannt, weil ſie
zu einfoͤrmig waͤre. Die Mannigfaltigkeit fordert
Abwechslungen, und dieſe koͤnnen ohne Bewegung
nicht vorgehen. Die Bewegung wird demnach we-
ſentlich, und das allgemeine Geſetz der Schwere wuͤr-
de genug ſeyn, um zu zeigen, daß wirklich alles in Le-
ben und Bewegung iſt. Kein Punct des ganzen Welt-
gebaͤudes bleibt, auch nicht einen Augenblick, in einer
abſoluten Ruhe. Die vollſtaͤndigſte Symmetrie muß
Zeit und Raum mit einander verbinden, und jede tode
Maſſe wird ſchlechterdings aus der Welt ausgeſchloſ-
ſen, und ohne eine durchgaͤngige Bewegung waͤre die
Welt eine Maſchine, die nicht gebraucht wuͤrde, eine
abgelaufene Uhr.


So
[135]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

So weit raͤume ich Ihnen, mein Herr, gerne
alles ein. Es iſt alſo nur die Frage, die Art dieſer
Bewegung genauer zu beſtimmen. Fuͤr unſer Son-
nen-Syſtem haben Sie bereits zureichend geſorgt, und
aus dem allgemeinen Begriffe ſeiner Einrichtung
gleichſam zum voraus geſagt, was die Erfahrung je
laͤnger je mehr bekraͤftigen wird. Eben ſo kann ich
Ihnen zugeben, daß ſie aus dem Geſetze der Schwere,
welches ſich unſtreitig durch die ganze Welt ausbreitet,
und ſie zu einem zuſammenhaͤngenden Ganzen macht,
richtig auf eine Central-Bewegung der Fixſterne
ſchlieſſen, ſo wenig ſie uns noch merkbar iſt. Dieſe
ſind ſo weit entfernt, daß ſie unermeßlich groſſe Raͤu-
me durchlaufen koͤnnen, ehe wir ihren ſcheinbarn Ort
um etliche Minuten verruͤckt ſehen, und zur Beſtim-
mung dieſer ſo kleinen Verruͤckung ſcheinen die Obſer-
vation
en der aͤlteſten Sternſeher zu vielen andern
Fehlern unterworfen, als daß man ſie mit den neuern
verglichen, ſo genau ſollte erkennen koͤnnen. Indeſ-
ſen lohnte es ſich doch der Muͤhe, die Unterſuchung
anzuſtellen.


Was Sie, mein Herr, in Ihrem Schreiben
noch ſelbſten als willkuͤhrlich anſehen, betrift die Ein-
theilung der Fixſterne in beſondere Syſtemen, und da-
zu haben Sie mir einige Gruͤnde angegeben, die ich
geſucht habe, mir ſo deutlich vorzuſtellen, als es mir
moͤglich ware. Der erſte dieſer Gruͤnde iſt die Analo-
gie,
welche man uͤberhaupt betrachtet in der Naturleh-
re ſehr weit ausdehnen kann. Denn alles in der Na-
I 4tur
[136]Coſmologiſche Briefe
tur iſt nach allgemeinen Geſetzen eingerichtet. Sie
machen demnach aus dem ganzen Weltbaue ein ganzes
Syſtem. Dieſes theilen Sie in einzele, und jedes
derſelben wieder in kleinere, bis ſie endlich auf unſer
Sonnen-Syſtem, und auch noch von dieſem auf die
Syſtemen der Planeten kommen, welche nur wenige
Trabanten um ſich haben. Hiebey raͤume ich Ihnen
ein, daß die Erde mit dem Monde, Jupiter und Sa-
turn mit ihren Trabanten die einfachſten Syſtemen
ausmachen, daß die Sonne mit allen ihren Weltku-
geln ein merklich groͤſſeres Syſtem iſt, daß dergleichen
groͤſſere Syſtemen um jede Fixſterne herum ſind, daß
endlich die ganze Welt zuſammen genommen ein Gan-
zes oder das vollſtaͤndigſte Syſtem iſt. Der Begriff,
den wir uns von einem Syſtem machen, und die Kennt-
nis, ſo wir von der uns ſichtbaren Welt haben, for-
dert, daß jedermann dieſes zugeben wird. Die Fra-
ge iſt demnach nur, ob wir nicht einen erſtaunlich
groſſen Sprung machen, wenn wir von dem Sonnen-
Syſtem ſogleich zu dem Syſtem des ganzen Weltbaues
fortſchreiten, und ob nicht die Fixſterne ſelbſten noch
muͤſſen in Claſſen, und dieſe Claſſen ſtuffenweiſe noch
in allgemeinere Claſſen gebracht werden? Denn ſo
haͤtten wir nur noch drey Stuffen: Das Syſtem je-
der Planeten, das Syſtem jeder Sonnen, und das
Welt-Syſtem. Wie, wenn ſtatt dieſer drey Stuf-
fen unzaͤhlige waͤren, wenn dieſe drey die Subordina-
tion
der Syſtemen nicht vollſtaͤndig genug machten,
wenn zwiſchen der Anzahl der Planeten und Cometen
um eine Sonne und der Anzahl aller Sonnen keine
Propor-
[137]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Proportion waͤre, ſo muͤßten wir unſtreitig noch meh-
rere Stuffen zugeben. Ich wenigſtens truͤge kein
Bedenken, weil mir eine Kette von drey Gliedern viel
zu kurz ſcheint, und aller Orten, wo wir Stuffen in
der Natur antreffen, da ſind mehrere.


Hier fangen Sie, mein Herr, an, zu unterſu-
chen, ob man nicht von ſolchen mehrern Stuffen Spu-
ren antrift, und dieſe Unterſuchung fuͤhrt Sie dahin,
daß Sie die Milchſtraſſe in unzaͤhlige Theile einthei-
len. Jedes von dieſen Theilen machen Sie zu einem
beſondern Syſtem von Fixſternen oder Sonnen. Alle
liegen in einer Flaͤche, und dieſe geht durch die Milch-
ſtraſſe. Unſere Sonne liegt in einem ſolchen Syſtem,
zu welchem Sie alle Sterne rechnen, die nicht eigent-
lich zur Milchſtraſſe, oder zu denen Syſtemen gehoͤ-
ren, ſo uns dieſer Streife des Himmels vorſtellt.
Dieſe entferntern Syſtemen ſoͤndern Sie durch einen
merklichen Zwiſchenraum von dem unſrigen ab, und
der Grund, den Sie hievon angeben, iſt dieſer, weil
ſich die Milchſtraſſe von den uͤbrigen Theilen des Him-
mels gar zu deutlich unterſcheidet. Dieſes iſt alſo die
Einrichtung des unſern Augen ſichtbarn Weltbaues,
und Sie ſagen, daß Sie in dieſer Vorſtellung noch
viel Willkuͤhrliches finden. Ich habe mir Muͤhe ge-
geben, dieſes Willkuͤhrliche aufzuſuchen, weil ich be-
gierig ware, mir von dem ganzen Zuſammenhange ei-
nen lebhaften Begriff zu machen, und Ihnen, mein
Herr, in ſo weitlaͤuftigen Schluͤſſen nachzufolgen. Ur-
theilen Sie, wie ferne es mir hierinn gerathen, und
I 5wie


[138]Coſmologiſche Briefe

wie ferne Sie dabey Anlaß nehmen koͤnnen, noch wei-
ter zu gehen.


Die Hauptfrage ſcheint mir darauf anzukommen,
ob die Sterne, ſo wir durch Fernroͤhren in der Milch-
ſtraſſe ſehen, wenigſtens ſo weit von einander entfernt
ſind, als die naͤchſten Fixſterne von unſerer Sonne?
Denn wenn dieſes iſt, ſo wird bald ausgemacht ſeyn,
daß ſie in unbeſchreiblich langen Reihen hinter einan-
der liegen muͤſſen. Ich nehme z. E. zween derglei-
chen Sterne aus der Milchſtraſſe, die nur eine Se-
cunde von einander entfernt ſcheinen. Setze ich, ſie
ſeyen von uns gleich weit weg, ſo haͤtte ich einen
gleichſchenklichten Triangel, deſſen zwo laͤngern Sei-
ten einen Winkel von einer Secunde machen, die kuͤr-
zere aber der Abſtand dieſer beyden Sterne waͤre.
Die Trigonometrie giebt, daß jede der laͤngern
206265mal groͤſſer ſeyn muͤßte als dieſe. Dieſe iſt
aber wenigſtens 500000mal groͤſſer, als der Abſtand
der Erde von der Sonne. Daher muͤßten ſolche Ster-
ne 200000mal 500000. oder 100000000000.
das iſt hundert tauſend Millionenmal weiter von uns
entfernt ſeyn als die Sonne. Da ich mir nicht vor-
ſtellen kann, daß wir ſie noch ſollten ſehen koͤnnen, ſo
ſchlieſſe ich lieber, daß die Sterne der Milchſtraſſe ent-
weder naͤher bey einander, oder in langen Reihen hin-
ter einander liegen muͤſſen. Das erſtere leuchtet mir
nicht ſo wohl ein. Einmal wuͤrde ich gar keinen
Grund finden, alle Sterne der Milchſtraſſe in eine
gleiche Entfernung zu ſetzen, und wenn ich es auch
thun
[139]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
thun wollte, ſo muͤßte ich annehmen, daß ſie ſehr
klein waͤren, und ſo wuͤrden wir ſie wegen ihres groſ-
ſen Abſtandes allem Vermuthen nach nicht mehr ſehen
koͤnnen. Im Gegentheile ſehe ich jede Fixſterne als
ſo viele Sonnen an, deren Licht und Waͤrme vielen
Millionen dunkler Weltkoͤrper dienen ſolle. Dieſes
aber fordert einen groſſen Wirkungskreyß, darinn ſol-
che Planeten und Cometen ſich bewegen koͤnnen, und
daher auch einen groſſen Abſtand der Fixſterne von
einander. Sehen Sie, mein Herr, ſo gebrauche ich Ih-
ren Grundſatz von der Bewohnbarkeit der Welt, um
den Abſtand der Fixſterne zu beſtimmen, und ſie durch
den unermeßlichen Raum aus einander zu ſetzen. Ich
wollte keinen Fixſtern bloß zum Anſchauen ſtehen laſ-
ſen, ſondern das Licht, die Waͤrme, und ſeine Schwe-
re ſolle dienen, ein ganzes Syſtem von Weltkugeln
um denſelben einher wandeln zu machen, die Nutzen
davon haͤtten. Mittel ohne Abſichten ſcheinen mir
nichts zu taugen, und ich ſchlieſſe ſie von der Welt
aus. Jeder Fixſtern muß zu aͤhnlichen Abſichten die-
nen, zu welchen wir unſere wolthaͤtige Sonne ge-
wiedmet ſeheu. Dieſe hat ein ihrer Majeſtaͤt ange-
meſſenes Gebiet, und jeder Fixſtern verdient, nicht aͤr-
mer oder gar ungebraucht zu ſeyn. Sein Licht und
ſeine Waͤrme ſind Mittel, und dieſe ſollen gebraucht
werden, wie wir das Licht und die Waͤrme unſerer
Sonne gebrauchen. Jedem Fixſtern raͤume ich dem-
nach ein anſehnlich Gebiet ein, ſo weit ſich ſein Wir-
kungskreyß erſtreckt. Dadurch aber muß ich aller-
dings den Abſtand zwiſchen jeden ungefehr ſo groß als
den
[140]Coſmologiſche Briefe
den vom Sirius von unſerer Sonne ſetzen, und die
Fixſterne muͤſſen Reihenweiſe hinter einander liegen.


Bis dahin glaube ich, daß ich Ihnen, mein
Herr, ordentlich gefolgt bin, und die Sache nur nach
meinen Begriffen eingerichtet habe. Allein Sie ſind
noch viel weiter gegangen, und ich muß Ihnen ſagen,
daß ich etwas Muͤhe hatte, von da an noch neue
Schritte zu thun. So weit begriffe ich noch wohl,
daß ich dieſe Reihen von Fixſternen durch die Milch-
ſtraſſe unzaͤhlige mal weiter hinaus ſtrecken mußte, als
auſſerhalb derſelben, weil ich mir nicht vorſtellen konn-
te, daß auſſerhalb, wo wir den Himmel ziemlich leer
ſehen, an ſtatt leuchtender Sonnen lauter dunkle und
unſichtbare Weltkugeln ſeyn ſollten; oder daß ſolche
leere Raͤume mit eitel hyperboliſchen Laufbahnen von
Cometen angefuͤllt waͤren. Setze ich demnach auſſer
der Milchſtraſſe vielfach kuͤrzere Reihen von Fixſter-
nen, ſo folgt allerdings Ihr Schluß daraus, das ge-
ſamte Syſtem von Sternen, die wir ſehen koͤnnen,
muͤſſe nicht ſphæriſch, ſondern flach ſeyn, und die
Milchſtraſſe ſeye ſo zu reden die Eccliptic derſelben.
Ich ſahe ſie daher als einen ſehr flachen Cylinder, oder
als eine Sphærois an, und wenn ich der Dicke nach
eine Reihe von 100. Fixſternen ſetzte, ſo muͤßte ich
der Laͤnge nach eine Reihe von Millionen annehmen,
damit die Milchſtraſſe, welche dieſe Sphærois vor-
ſtellt, dichte genug mit Sternen beſetzt ſcheinen
moͤchte.


Hieran
[141]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Hieran hielte ich mich alſo nicht lange auf. Hin-
gegen konnte ich nicht ſogleich einſehen, warum Sie,
mein Herr, zwiſchen der Milchſtraße und unſerm Fix-
ſternen-Syſtem einen Zwiſchenraum lieſſen. Sie ga-
ben mir hievon keinen andern Grund an, als daß Sie
ſagen, die Milchſtraße unterſcheide ſich zu ſehr von den
uͤbrigen Theilen des Himmels, oder der Abſatz falle zu
ſtark in die Augen. Hieruͤber haͤtte ich gewuͤnſcht, daß
Sie ſich etwas laͤnger aufgehalten haͤtten. Dieſer
Vorderſatz ſchiene mir von dem Schlußſatze zu weit
entfernt, und um die Mittelſaͤtze zu finden, mußte ich
ein Problem aufloͤſen, das mir ſehr raͤthſelhaft vorkam.
Ich bin noch lange kein Oedipus. Indeſſen ſtrengte
ich doch meine Kraͤfte an, um mir die Sache faßlich zu
machen. Ich weis, wie geſchwinde Sie fortſchreiten,
aber es ſolle mir nie an Proben fehlen, um Ihnen zu
zeigen, daß ich mich bemuͤhe, nicht zuruͤcke zu bleiben.


Ich fienge demnach an, dieſen Raum, den Sie,
mein Herr, leer laſſen, eben ſo dichte als den uͤbrigen
mit Fixſternen zu beſetzen, und um mir die Einbildungs-
kraft nicht gar zu ſehr auszudehnen, ſo zoge ich die
Sache in ein kleines Bild zuſammen, und ſuchte mir
einen illuminirten Platz vorzuſtellen, auf welchem die
Leuchter ungefehr ſo geſetzt waͤren, wie die Fixſterne in
der Flaͤche der Milchſtraße. Ich fienge bey dem Bo-
den an, und ſtellte mir auf demſelben etliche tauſend
Reihen von Lichtern vor, die in gleicher Entfernung
ſtuͤnden. In gleicher Hoͤhe uͤber denſelben ſetzte ich ei-
ne eben ſo weit ausgebreitete Schichte, und uͤber dieſen
noch
[142]Coſmologiſche Briefe
noch 100. andere Schichten. So wurde die Luft auf
dem ganzen Platze mit Lichtern angefuͤllt, und der Platz
praͤchtiger illuminirt alo es je geſchehen ſeyn kann.
Nun ſtellte ich mich mitten in dieſen Raum, und ſchau-
te, wie es ausſehen wuͤrde. Schaute ich gerade auf-
waͤrts oder unterwaͤrts, ſo fande ich nur 50. Lichter.
Je mehr ich aber mit dem Auge gegen den Horizont
ruͤckte, deſto mehr Lichter ſahe ich in einer Reyhe; Ih-
re Anzahl nahm aber allmaͤhlich, anfangs langſamer,
nachgehends aber ſtaͤrker zu, ungefehr wie die Secanten
der Winkel zunehmen. Aber nirgends fande ich einen
Abſatz, wie wir ihn an der Milchſtraße ſehen. Ich
folgte demnach Ihrem Schluſſe, mein Herr, und ließ die
naͤchſten Lichter um mich ſtehen, aber zwiſchen dieſen und
den entferntern nahm ich einen großen Kreyß davon
weg, und uͤberſchaute ſodann die Illumination noch-
mals. Nunmehr waren die Lichter, ſo zunaͤchſt um
mich geblieben, an Groͤſſe und Deutlichkeit kenntlich.
Die entferntern waren bloſſer, undeutlicher und dichter
beyſammen, und der Abſatz fiel ſtark in die Augen.


So machte ich mir von Ihrem Schluſſe ein ſinn-
liches Bild, welches mir zwar die Einbildungskraft be-
ſchaͤftigte, aber dieſelbe doch nicht ſo ſtark mitnahme,
als wenn ich mir die wirkliche Illumination, die am
Firmamente iſt, haͤtte vorſtellen wollen. Nun aber
kann ich es auch thun, weil ich auf dieſe Art Ihren
Schluß habe angefangen, ausfuͤhrlicher einzuſehen.
Allerdings wuͤrde die Dichtigkeit der Sterne in der
Milchſtraße nicht auf einmal abgebrochen, ſondern all-
maͤhlich
[143]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
maͤhlich abzunehmen ſcheinen, wenn zwiſchen derſelben
und unſerm Fixſternen-Syſtem kein weiter Zwiſchen-
raum waͤre.


Aus allem dieſem ſchlieſſe ich nun auch, daß Sie,
mein Herr, unter allen Erklaͤrungen, die man von der
Milchſtraße gegeben, auf die natuͤrlichſte verfallen, weil
Sie viel naͤhere Gruͤnde zur Wahrſcheinlichkeit ange-
ben, als bloſſe Moͤglichkeiten. In den aͤltern Zeiten
hat man hoͤchſtens muthmaſſen koͤnnen, ob dieſer
Streife aus zuſammenfallendem Lichte von kleinern
Sternen beſtehe? Die Fernroͤhren haben es auſſer
Zweifel geſetzt und man war nun nur bemuͤht, zu ſehen,
was man daraus machen wollte. Bey allen Muthmaſ-
ſungen, die man daruͤber gewagt hat, bliebe noch beſtaͤn-
dig die Frage uneroͤrtert, warum nur dieſer Streife ſo
dichte voll Sternen ſcheine? Dieſes iſt eben die Frage,
die ich Ihnen, mein Herr, in meinem letzten Schreiben
vorgelegt hatte. Setzt man, die Sternen ſeyen darinn
ſehr nahe beyſammen, ſo fragt ſich, warum nur in die-
ſem Striche? Setzt man, ſie haben ſtaͤrkeres Licht, und
die meiſten auſſer der Milchſtraße koͤnnen, wegen des
ſchwaͤchern oder gar mangelnden Lichtes nicht geſehen
werden, ſo koͤmmt eben dieſe Frage wieder vor. Der-
gleichen Erklaͤrungen ſind nicht nur willkuͤhrliche Moͤg-
lichkeiten, ſondern, wenn man Gruͤnde davon geben will,
ſo muß man ſagen, es ſeye ſo, weil es ſo ſeye, das iſt,
man koͤnne noch keinen Grund finden.


So weit gebe ich Ihnen, mein Herr, gerne zu,
daß
[144]Coſmologiſche Briefe
daß mir Ihre Erklaͤrung der Wahrheit ſehr nahe zu
kommen ſcheint, und ich hoffe, Sie werden noch meh-
rere Gruͤnde dazu finden. Wie ſehr wuͤrde es mich
vergnuͤgen, wenn die Betrachtungen, die ich daruͤber
angeſtellt habe, Ihnen etwas dienen koͤnnten. Ich
bitte Sie beſonders zu ſehen, wieferne die erſten Gruͤn-
de Ihres Syſtems zu aller erforderlichen Deutlichkeit
koͤnnen gebracht werden. Meines Erachtens wird der
Weltbau, der uns in die Augen faͤllt, durch einen noth-
wendigen Schluß flach gemacht werden, ſobald genug-
ſam erwieſen iſt, daß die Fixſterne in der Milchſtraße
hintereinander liegen, und daß jeder von dem andern
ſo weit abſtehe, als die naͤchſten Fixſterne von uns ent-
fernt ſind. Ich habe geſucht, es aus dem Nutzen her-
zuleiten, den das Licht der Fixſterne eben wie das von
unſerer Sonne haben ſolle. Unſere Sonne leuchtet
auch durch die Naͤchte der Einwohner, die um den Si-
rius, Ar[c]turus
und andere Fixſterne herum ſind. Aber
ſie hat noch einen naͤhern Nutzen, der ſich uͤber alle
Weltkugeln ihres Syſtems, und daher auch uͤber unſere
Erde verbreitet. Setze ich demnach um jeden Fixſtern
ein Syſtem von Koͤrpern, die ſein Licht und ſeine Waͤrme
nutzen ſollen, ſo muß ich nothwendig den Fixſternen ei-
nen anſehnlichern Abſtand geben, und dieſer Abſtand
waͤchßt unſtreitig zugleich mit der Groͤße des Sterns,
weil ſein Wirkungskreyß ſeiner Maſſe proportional iſt.
Daß aber die Sterne in der Milchſtraße unſerer Son-
ne an Groͤſſe und Klarheit wenig nachgeben, das haben
Sie, mein Herr, daraus geſchloſſen, weil ſie, ihres groſ-
ſen Abſtandes ungeacht, noch ſichtbar ſind. Es wird
mich
[145]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
mich ſehr freuen, wenn Sie dieſe Beweiſe noch ſchaͤrfer
zu machen ſuchen wollen. Ihre Betrachtungen uͤber
dieſe ſo weitlaͤuftige und noch ganz unentwicklete Ma-
terie haben alle Wahrſcheinlichkeit, und Sie geben mir
auf die Hauptfrage, die ich Ihnen vorgelegt hatte, ei-
nen Grund an, der mit mehrern andern eine genaue
Verbindung hat. Es wird mir ſehr klar, daß am
Himmel oͤde Plaͤtze ſeyn muͤſſen, damit Raum zur Be-
wegung bleibe, weil die Bewegung in der Welt weſent-
lich iſt. Sie zeigen dieſes auch aus der Analogie in
unſerm Sonnen-Syſtem, wo in einer gleichen Laufbahn
nicht mehrere Weltkugeln ſind. Sie zeigen, daß da-
durch die Harmonie in der Welt vollſtaͤndiger wird,
weil ſie ſich auf Zeit und Raum erſtreckt. Und nun
vermiſſe ich die Symmetrie in der ſcheinbaren Lage der
Fixſterne nicht mehr, weil ich deutlich begreife, daß un-
ſer Sonnen-Syſtem nicht ordentlicher ausſehen wuͤrde,
wenn alle Koͤrper deſſelben ſichtbar waͤren. Die Stuf-
fen, durch welche die Syſtemen immer groͤſſer, anſehn-
licher, und der Zeit und dem Raume nach majeſtaͤtiſcher
werden, und zu dem ganzen Welt-Syſtem empor wach-
ſen, ſind der Analogie, die wir in der ganzen Natur
ſehen, vollkommen gemaͤß. Ich theile alſo mit Ihnen,
mein Herr, die Milchſtraſſe in unzaͤhlige kleinern Syſte-
m
en ein, von welchen ſich vielleicht einige, die von den
andern abgeſoͤndert ſind, unterſcheiden laſſen. Da alle
dieſe Syſtemen in Bewegung ſind, und ihre geſetzte
Laufbahnen haben muͤſſen, ſo halte ich mich nun an der
irregulaͤren Figur der Milchſtraſſe auch nicht mehr auf.
Die Ordnung beſteht in der Einrichtung dieſer Laufbah-
Knen,
[146]Coſmologiſche Briefe
nen, ungeacht ſie uns noch lange wird verdeckt bleiben,
weil uns Zahl und Maß zu Beſtimmung ſo ungeheurer
Raͤume und Zeiten fehlen. Indeſſen kann man ſicher
ſchlieſſen, daß ſie nichts deſto weniger wirklich iſt, weil
ſich Ordnung und Vollkommenheit nothwendig durch
die ganze Welt verbreitet.


Ungeacht ich aber zugebe, daß alle dieſe Syſtemen
in einer Flaͤche liegen, und auch ſetze, dieſe Flaͤche habe
eine anſehnliche Breite, ſo bleibt mir doch hiebey noch
eine Frage unaufgeloͤst, weil es mir vorkoͤmmt, die Lage
der Syſtemen der Milchſtraſſe muͤſſe eine andere Ein-
richtung haben, als die Weltkugeln unſeres Sonnen-
Syſtems. Erinnern Sie ſich, mein Herr, daß Sie
aus guten Gruͤnden bewieſen, es koͤnnen mehr Welt-
kugeln um unſere Sonne ſeyn, wenn ihre Bahnen nicht
in gleicher Flaͤche liegen, ſondern alle moͤgliche Neigung
gegen einander haben. Ich wuͤrde alſo faſt ſchlieſſen
koͤnnen, die Anzahl der Syſtemen, ſo die Milchſtraſſe
ausmachen, ſeye lange nicht die groͤßte, die moͤglich
waͤre. Ich weis wohl, daß dieſer Schluß noch nicht
nothwendig folgt, weil es unbekannt iſt, wohin ſich alle
dieſe Syſtemen mit der Zeit durch ihren Kreyßlauf wen-
den werden. Dieſes einige waͤre alſo das unbegreif-
lichſte dabey, daß wir eben in der Zeit leben, in wel-
cher uns dieſe Syſtemen ungefehr in gleicher Flaͤche zu
liegen ſcheinen. Oder wollten Sie die ganze Milch-
ſtraſſe in Abſicht auf das Weltgebaͤud nur mit dem Sy-
ſtem
des Saturns oder des Jupiters vergleichen, de-
ren Trabanten auch in gleicher Flaͤche ſind? Sie reden
mir
[147]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
mir ohnedem noch von andern Milchſtraſſen, die auſſer der
uns ſichtbaren ſind, und die mit der unſrigen zuſammen
genommen, ein groͤſſeres Syſtem ausmachen ſollen. Ich
vermuthe nun bald, daß Sie das blaſſe Licht, ſo man
im Orion ſieht, als eine ſolche Milchſtraſſe anſehen
werden, welches die ſeyn wuͤrde, die der unſrigen noch
am naͤchſten iſt. Aber ich ſehe in dieſer Sache noch ſo
wenigen Anſchein, auſſer allgemeinen Betrachtungen, et-
was beſtimmteres durch Schluͤſſe herauszubringen, daß
ich mich zum Voraus begnuͤgen werde, nur das allge-
meine davon zu uͤberſehen. Doch gedenke ich wohl,
daß man hierinn noch mehr als nur den erſten Schritt
werde thun koͤnnen, und ich ſehe das, was Sie mir,
mein Herr, uͤber die Lage unſeres Syſtems ſchreiben,
als Proben davon an. Wenn Sie auch Ihre Gedan-
ken uͤber dieſe Sache nur als eine Hypotheſe angeben,
ſo lohnt es ſich auch immer der Muͤhe, dergleichen
Folgſaͤtze in groͤſſerer Menge daraus herzuleiten. Eine
Hypotheſe wird doch endlich zur Wahrheit, wenn alle
Erſcheinungen ſich auf eine natuͤrliche und in die Au-
gen fallende Art daraus herleiten laſſen, wenn alle dieſe
Folgen unter ſich und mit allgemeinen Gruͤnden zuſam-
menhangen, kurz, wenn ſie in allen ihren Theilen mit
ſich ſelbſt beſteht. Wenn in dem Gebaͤude der Wahr-
heiten irgendwo eine Luͤcke bleibt, und man findet ein
Syſtem von Gedanken, welches genau in dieſe Luͤcke
paſſet, ſo wird es ſehr wahrſcheinlich, wenn man es
gleich nicht ſo geſchwinde mit allen uͤbrigen Wahrheiten
zuſammenhaͤngen kann. Es koͤmmt der Wahrheit am
naͤchſten, wenn ſich neue Phænomena daraus herleiten
K 2und


[148]
Coſmologiſche Briefe

und vorherſehen laſſen. Sie wiſſen, mein Herr, daß
es mit dem Copernicaniſchen Weltbaue ſo gegangen, an
welchem nun kein Aſtronome mehr zweifelt. Da Sie
den ganzen Weltbau vollends recht copernicaniſch zu
machen ſuchen, ſo bauen Sie auf aͤhnliche Gruͤnde, und
ich ſehe es als ein gutes Zeichen an, daß es Ihnen im
Fortgange eben ſo gelingen werde. Es wird mich ver-
gnuͤgen, wenn ich auch nur einen Handlanger bey Ihrem
Baue werde abgeben koͤnnen. Sie wiſſen, wie wenig
es mir an der bewaͤhrteſten Bereitwilligkeit hiezu feh-
len wird, und wie ſehr ich mir jederzeit angelegen ſeyn
laſſe, Ihnen durch immer neue Proben zu zeigen, daß
ich lebenslang verharre
Mein Herr ꝛc.


[figure]

Zwoͤlfter
[149]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Zwoͤlfter Brief.


Was ich von Ihrer Freundſchaft, mein Herr,
erwartet, und mir in meinem letzten Schrei-
ben ausgebethen hatte, das gewaͤhren Sie

mir zu meinem groͤßten Vergnuͤgen. Ich geſtehe Ih-
nen gerne, daß ich uͤber die Lage der Fixſterne Schluͤſ-
ſe gemacht hatte, die vielmehr eine Folge von Einfaͤl-
len, als von einer vorbedachten Ueberlegung waren.
Sie haben mich daher ſehr verbunden, da Sie ſich die
Muͤhe gegeben, dieſe Schluͤſſe in Ordnung zu brin-
gen, und die Staͤrke und Schwaͤche derſelben zu pruͤ-
fen, und ich ſehe nunmehr erſt deutlich ein, wie weit
ich damit reiche, und wo ich zuruͤcke bleibe. Ich
muß Ihnen doch ſagen, wie ich zu dieſem Cahos von
Gedanken kommen bin, ſo viel ich mich deſſen noch
erinnern kann.


An einem hellen Abend ſaß ich am Fenſter, und
da die Gegenſtaͤnde auf der Erde allen Reitz zur Auf-
merkſamkeit fuͤr den folgenden Tag aufbehielten, ſo
bliebe mir noch der geſtirnte Himmel, als der wuͤrdig-
ſte unter allen Schauplaͤtzen zur Betrachtung. Sie
wiſſen, wie viele Stunden ich ihme von Kindheit an
geopfert, und wie wenig die Gewohnheit noch bisher
vermocht hatte, das Angenehme in dieſer Betrach-
tung zu ſchwaͤchen, oder zu einer abgenuͤtzten Alltags-
ſache zu machen. Es ſeye, daß das Sternenreich
immer neue Seltenheiten entdeckt, oder daß die Man-
K 3nigfal-
[150]Coſmologiſche Briefe
nigfaltigkeit in demſelben unerſchoͤpflich iſt, oder das
ſchimmernde Licht der Sterne etwas den Augen ſehr
Angenehmes und Reizendes hat, oder endlich ein aſtro-
nomiſches Auge deßwegen nie muͤde wird, weil es ein
beſtaͤndiges plus ultra findet, und ihm der Himmel
immer neuen Stoff zum entzuͤckenden Erſtaunen, und
zu Betrachtungen giebt, die die Stille der Nacht ſam-
meln hilft, und lebhafter macht; Alle dieſe Gruͤnde
vereinigen ſich bey mir, wenn ich dieſe glaͤnzenden
Leuchter in dem Tempel der Gottheit betrachte. Da
nehme ich Fluͤgel des Lichtes, und ſchwinge mich durch
alle Raͤume der Himmel durch. Nie komme ich weit
genug, und immer waͤchßt die Begierde, noch weiter
zu gehen. In ſolchen Betrachtungen ſtellte ſich mir
die Milchſtraſſe vor. Ich erſtaunte nochmals uͤber
das Heer der kleinen Sterne in dieſem Bogen, und
vermißte ſie auſſer demſelben. So gar nahe, dachte
ich, ſind dieſe Sterne nicht beyſammen, daß ſie ein-
ander faſt beruͤhren ſollten. Sie muͤſſen hinter einan-
der liegen, und die Reihen von Sternen muͤſſen durch
die Milchſtraſſe durch vielfach laͤnger ſeyn, als auſſer-
halb derſelben. Waͤren ſie aller Orten gleich lange,
ſo muͤßte der ganze Himmel ſo helle ſcheinen, wie jezt
die Milchſtraſſe. Aber auſſer dieſem Streifen ſehe
ich faſt nur leere Raͤume. Kurz, das Fixſternenge-
baͤude iſt nicht ſphæriſch, ſondern flach, und ſehr ſtark
abgeplattet.


Hier bliebe ich den erſten Abend beym Anſtaunen
ſtehen, und zugleich auch bey dem letzten Schluſſe.
Etwas
[151]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Etwas Zeit nachher fiel mir erſt in die Augen, daß die
Milchſtraſſe von den uͤbrigen Theilen des Himmels ſo
ſtark unterſchieden ſeye, und da fieng ich an, dieſelbe
weiter hinaus zu ruͤcken, und den leeren Raum zu
laſſen, den Sie, mein Herr, ſo nett in ein ſinnli-
ches Bild gebracht haben. Alle uͤbrigen Sterne faß-
te ich in ein Syſtem zuſammen, aber die Milchſtraſſe
bliebe noch viele Tage uneingetheilt. Nachgehends
wunderte ich mich, daß ich nicht gleich anfangs dar-
auf gefallen, weil ſich die Abtheilung von ſelbſten zeigt.
Allein auſſer, daß uns faſt immer unbemerkte Sachen
vor Augen ſchweben, ſo konnte hier noch ein anderer
Grund ſeyn. Der Theil der Milchſtraſſe, der geſpal-
ten iſt, ſtunde nicht dem Fenſter gegenuͤber. Da mir
aber doch die Begierde bliebe, zu ſehen, ob ich dieſe
Gedanken weiter wuͤrde fortſetzen koͤnnen, ſo uͤberſahe
ich einmal die ganze Milchſtraſſe, und beſonders ihre
Figur. Und da ſchloße ich erſt, daß ich dieſelbe in
einzele Theile abſoͤndern ſollte, und daß jeder Theil
demjenigen, in welchem wir uns befinden, aͤhnlich zu
achten ſeye. So entſtunden alſo unvermerkt meine
Fixſternen-Syſtemen.


Es kann ſeyn, daß mir allmaͤhlich noch mehrere
Betrachtungen daruͤber eingefallen waͤren, weil ich ſie
noch nicht aufgegeben hatte. Allein es waͤre allem
Vermuthen nach langſam geſchehen, weil wir uͤber un-
ſere Einfaͤlle nicht gebieten koͤnnen. Dieſe werden
vorzuͤglicher erweckt, wenn andere Anlaͤſſe dazu kom-
men, und Sie, mein Herr, haben mir unter allen
K 4ſolchen
[152]Coſmologiſche Briefe
ſolchen Anlaͤſſen den erwuͤnſchteſten gegeben, da Sie
mir eben dieſe Frage vorlegten, und nun in Ihrem
letzten Schreiben meine bis dahin noch undeutliche
Vorſtellungen in Ordnung brachten, und behoͤrig aus
einander ſetzten. Ich nehme Ihren Vorſchlag mit
Vergnuͤgen an, und werde nun trachten, zu unterſu-
chen, was zu einem vollſtaͤndigen Beweiſe erfordert
wuͤrde, was mir noch dabey mangelt, um ihn vollſtaͤn-
dig zu machen, und wie ferne ſich die Luͤcken durch
Wahrſcheinlichkeit ausfuͤllen laſſen.


Erſtlich iſt unſtreitig, daß meine Hypotheſe noth-
wendig wuͤrde entweder bewaͤhrt oder verworfen wer-
den, wenn wir ein Mittel haͤtten, den Abſtand jeder
Fixſterne genau auszumeſſen, weil man ſodann ihre
Lage gewiß wiſſen wuͤrde, die ich durch andere Be-
trachtungen zu beſtimmen geſucht habe. Die jaͤhrli-
che Parallaxe der Erde iſt zu dieſer Abſicht viel zu un-
merklich, daher faͤllt das Mittel weg, welches uns die
Geometrie in andern Faͤllen anbeut. Das Geſetz
der Schwere und die Bewegung der Fixſterne giebt
ein ander Mittel, allein dieſe Bewegung iſt ſo gerin-
ge, und ihre Beſchaffenheit ſo unbeſtimmt, daß wir in
vielen Jahrhunderten damit nichts ausrichten werden.
Dermalen laͤßt es ſich nur bey den Koͤrpern unſeres
Sonnen-Syſtems anbringen. Das einige, was dem-
nach uͤbrig bleibt, iſt das Licht und die Groͤſſe der Fix-
ſterne, welche beyde Stuͤcke ſo wohl fuͤr ſich als dem
Augenſchein nach betrachtet werden muͤſſen, wenn man
daraus auf den Abſtand der Sterne ſchlieſſen will.
Ein
[153]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Ein Fixſtern ſcheint uns groͤſſer als andere, nicht nur
je groͤſſer und je naͤher er in der That iſt, ſondern auch
je heller er iſt. Wir ſehen dieſes des Nachts auch an
den Lichtern, deren ſcheinbare Groͤſſe mit dem Abſtande
zunimmt, und die ebenfalls groͤſſer ſcheinen, wenn ſie
heller ſind. Der Grund hievon haͤngt von der Oef-
nung des Augenſterns, von der Undeutlichkeit des Bil-
des auf dem Augennetze, und der Zerſtreuung des Lich-
tes auf demſelben ab. Die Fixſterne ſcheinen durch
die beſten Fernroͤhren nur als lichte Puncte, weil da-
durch das zerſtreute und falſche Licht weggebrochen
wird. Aus aͤhnlichen Gruͤnden ſcheint auch ein Stern
heller als andere, beſonders aber wenn er in der That
heller iſt. Es laͤßt ſich ferner vermuthen, daß das
Licht der Fixſterne etwas geſchwaͤcht werde, bis es zu
uns koͤmmt. Daß es ſich in unſerer Athmoſphære
ſchwaͤchet, iſt unſtreitig, wir ſehen es auch an der
Sonne. Es kann aber auch in der Himmelsluft zum
Theil aufgefangen werden, ſo rein auch dieſe ſonſten
ſeyn mag. Die Athmoſphære der Sonne faͤngt
nothwendig viel von ihrem Lichte auf. Es kann Fix-
ſterne geben, die noch groͤſſere Athmoſphæren haben,
und der Raum zwiſchen denſelben iſt noch lange nicht
vollkommen leer. Aus dieſem Grunde muß ein Stern
blaſſer ſcheinen, je weiter er entfernt iſt. Waͤre aber
dieſe Entfernung bey allen gleich, ſo fiele dieſer Grund
weg, weil das Licht von allen auf eine proportionale
Art geſchwaͤcht wuͤrde.


Wenn alle Fixſterne an ſich betrachtet gleiche
K 5Groͤſſe
[154]Coſmologiſche Briefe
Groͤſſe und gleiche Klarheit haͤtten, ſo wuͤrde noth-
wendig folgen, daß die kleinern weiter entfernt ſeyn
muͤßten. Waͤren ſie aber gleich weit entfernt, ſo muͤß-
te man annehmen, daß die kleinern auch zugleich
ſchwaͤcheres Licht haͤtten. Denn die Anzahl der Ster-
ne der erſten, zweyten und folgenden Groͤſſen waͤchßt
ungefehr wie das Quadrat der Groͤſſe. Von der er-
ſten Groͤſſe zaͤhlt man 18, von der zweyten 68, von
der dritten 209, von der vierten 453. ꝛc. Sie ſe-
hen ſchon, mein Herr, daß ſich dieſe Progreſſion viel
beſſer zu dem verſchiedenen Abſtande ſchickt. Ich will
zwar gar nicht ſetzen, daß alle Sterne gleich groß und
gleich glaͤnzend ſeyen. Denn ſo wuͤrde ich nicht uͤber
12. Sterne der erſten Groͤſſe, oder 48. der zweyten,
oder 108. der dritten ꝛc. bekommen. Es koͤnnen et-
liche der naͤchſten Sterne kleiner und dunkler, hingegen
mehrer von den entferntern heller und groͤſſer ſeyn, und
uͤberhaupt ſchickt ſich auch eine ſolche Verſchiedenheit
beſſer zu meiner Hypotheſe, da ich die Sterne in Be-
wegung ſetze, ſo koͤnnen ſie nach und nach ihre Lage
und ihren Abſtand aͤndern.


Dieſe Bewegung haben Sie, mein Herr, als
in der Welt nothwendig, zugegeben, und ich ſehe nicht,
was man dawider einwenden koͤnnte. Die Vollkom-
menheit der Welt, und die Verbindung von Raum
und Zeit erfordert ſie, und das Geſetz der Schwere,
welches die ganze Welt zuſammenhaͤngt, zeigt, daß ſie
wirklich aller Orten da iſt. Ich ſchlieſſe hieraus ohne
Bedenken, daß die Fixſterne ungleich entfernt ſeyn
muͤſſen.
[155]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
muͤſſen. Ein gleicher Abſtand waͤre zu einfoͤrmig.
Die Central-Kraͤfte laſſen ihn nicht zu. Weil die
Fixſterne um einen Mittelpunct laufen muͤſſen, ſo koͤn-
nen ſie ſich nicht in der Flaͤche einer Sphære bewegen.
Sie wuͤrden ſich durchkreuzen und aneinander ſtoſſen.
Die Weltſyſtemen ſollen erhalten werden, daher kann
keine Laufbahn die andere durchſchneiden. Ich kann
alſo nicht wohl anders, als um jeden Fixſtern einen
Raum laſſen, der ſeinem Wirkungskreyß angemeſſen
iſt. Man kann aus der Geometrie zeigen, daß z. E.
um den Wirkungskreyß unſerer Sonne zwoͤlf andere
angelegt werden koͤnnen, die gleiche Groͤſſe haben.
Damit aber haͤtte ich nur 12. Sterne. Es ſind aber
unzaͤhlige, folglich muͤſſen die uͤbrigen Reihenweiſe
weiter hinaus liegen. Jeder Stern hat einen Wir-
kungskreyß, weil er ſchwer iſt. Jeder muß ferner
Raum zu ſeiner Laufbahn haben. Alles leitet mich
demnach zu dem Schluſſe, daß ſie durch den ganzen
Weltraum verbreitet ſind. Nehme ich noch die Be-
trachtung dazu, daß in dem Wirkungskreyſe eines je-
den Sterns, ein Syſtem von Millionen Cometen und
Planeten iſt, die ſein Licht und ſeine Waͤrme gebrau-
chen, damit es auf eine naͤhere Art nuͤtze, ſo ſehe ich
nicht, was man zum Beweiſe noch ferner als die Au-
topſie
fordern kann.


Indeſſen will ich noch dieſe Betrachtung machen,
die nothwendig ſchluͤſſig iſt, weil man den Fixſternen
ſo wenig als unſerer Sonne die Schwere abſprechen
kann. Setzen Sie, zween Sterne, deren ſcheinbarer
Abſtand
[156]Coſmologiſche Briefe
Abſtand nur eine Secunde betraͤgt, ſeyen von uns
gleich weit entfernt, ſo iſt ihr wahrer Abſtand von ein-
ander der 200000te Theil ihres Abſtandes von unſe-
rer Sonne. Der naͤchſte Stern mag 500000mal
weiter von uns weg ſeyn als die Sonne. Wenn ich
demnach dieſen beyden Sternen einen ſolchen Abſtand
gebe, ſo wuͤrden ſie 2½mal weiter von einander abſte-
hen, als die Erde von der Sonnen. Da ſie nun ge-
gen einander ſchwer ſind, ſo muͤßten ſie entweder ſchon
laͤngſten zuſammen gefallen ſeyn, oder da dieſes nicht
iſt, eine Kreyßbewegung um ihren gemeinſamen Mit-
telpunct haben. Dieſe Kreyßbewegung muͤßte uns
nothwendig durch Fernroͤhren ſichtbar werden, weil ſie
eine gar nicht lange Periode haben wuͤrde. Man
muͤßte demnach eine beſtaͤndige Veraͤnderung in der La-
ge dieſer Sterne wahrnehmen, der eine muͤßte bald
vor, bald nach dem andern ſtehen. Von allem die-
ſem bemerkt man nicht das geringſte, und die Veraͤn-
derung in der Lage der Fixſterne iſt ſeit des Hipparchus
Zeiten bis auf unſere kaum zu erkennen. Hieraus
folgere ich demnach nothwendig, daß ſolche Sterne ei-
nen ſehr ungleichen Abſtand von unſerer Sonne haben
muͤſſen. Sie koͤnnen leicht erachten, daß in der
Milchſtraſſe alles wimmeln muͤßte, wenn die Sterne
in derſelben nicht in unbegreiflich langen Reihen hinter
einander laͤgen. Eben dieſes wuͤrde man auch an
den ſogenannten neblichten Sternen ſehen.


Fuͤgen Sie, mein Herr, dieſem noch bey, daß
wir gar keinen Grund haben, in Anſehung des Rau-
mes
[157]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
mes in der Welt ſo ſparſam zu ſeyn. Denn haͤtte
derſelbe ſollen geſpart werden, ſo wuͤrden die Schwere,
die Central-Kraͤfte, und uͤberhaupt alle Bewegung
weggeblieben ſeyn. Unſere Erde haͤtte muͤſſen an ei-
nem Orte ſtille bleiben, und ihre Laufbahn waͤre mit
andern Planeten beſetzt worden. Aber auf dieſe Art
fiele das Schoͤnſte und Mannigfaltigſte aus der Welt
weg. Zu ihrer Vollkommenheit iſt die Bewegung
viel zu nothwendig; wo aber Bewegung iſt, da muß
Raum bleiben. Und es iſt fuͤr ſich klar, daß die Cen-
tral
-Kraͤften, die Laufbahnen, die Sonnenſyſtemen
um jede Fixſterne ſolche fordern.


Hier haben Sie, mein Herr, die Beweiſe, die
ich fuͤr den erſten Satz habe aufbringen koͤnnen, daß
nemlich die Fixſterne, und beſonders auch die, ſo in
der Milchſtraſſe ſind, hinter einander liegen, und ihr
Abſtand von einander ſehr anſehnlich, und dem Wir-
kungskreyſe proportional ſeyn muͤſſe. Der Schluß,
den ich daraus ziehe, iſt dieſer, daß auſſerhalb der
Milchſtraſſe in gleicher Entfernung keine ſolche Fixſter-
ne ſeyen, und zwar deßwegen, weil die uͤbrigen Theile
des Himmels leere Plaͤtze zu haben ſcheinen. Da ich
dieſe leeren Raͤume zu dem Kreyßlaufe der Fixſternen-
ſyſtemen als nothwendig anſehe, ſo trage ich kein Be-
denken, ſie als wirklich leer anzunehmen, und in eine
ſolche Nacht wuͤrde ich ohne allen Grund dunkle und
unbeleuchtete Syſtemen von Weltkugeln ſetzen. Es
muß Raum zur Bewegung bleiben, ſo langſam dieſe
auch ſeyn mag.
Wenn


[158]Coſmologiſche Briefe

Wenn ich nun hieraus ſchlieſſe, das unſern Au-
gen ſichtbare Sterngebaͤude ſeye nicht ſphaͤriſch, ſon-
dern ſehr flach und abgeplattet, ſo iſt dieſer Schluß
weiter nichts als eine Anwendung bekannter geometri-
ſcher Saͤtze. Sie, mein Herr, haben die Sache
durch Ihren illuminirten Platz ſo deutlich gemacht,
daß ich nur nicht noͤthig habe, mich lange dabey auf-
zuhalten. Die Abſonderung der Milchſtraſſe von un-
ſerm Syſtem haben Sie dadurch ebenfalls erlaͤutert,
und ich glaube nicht, daß Sie Schwierigkeiten finden
werden, wenn ich die ganze Milchſtraſſe in ſolche klei-
nere Syſtemen eintheile, die in derſelben hinter einan-
der liegen. Die Anzahl ſolcher Syſtemen beſtimme
ich nicht, ſie muß aber allem Anſehen nach unbeſchreib-
lich groß ſeyn. Ich habe dieſes ſchon in meinem letz-
ten Schreiben aus der Analogie geſchloſſen, da ich
bey dem Syſtem des Jupiters anfieng, von dieſem zu
dem Syſtem unſerer Sonne, und von dieſem zu un-
ſerm Fixſternenſyſtem fortſchritte. Anzahl, Raum,
Groͤſſe und Zeit waͤchßt mit einander.


Sodann, da ich unſer Fixſternenſyſtem von de-
nen, ſo in der Milchſtraſſe erſcheinen, abſoͤndere, ſo
laſſe ich auch zwiſchen dieſen einen aͤhnlichen Zwiſchen-
raum. Sie liegen ungefehr in einer Flaͤche. Da-
her kann ich nicht mehr als ſechs annehmen, die zu-
naͤchſt um uns ſind, wenn ich ihren Abſtand von ein-
ander ungefehr gleich ſetze. Die uͤbrigen alle muß ich
nach und nach weiter hinaus ruͤcken. Der ſcheinbare
Diameter der naͤchſten Syſtemen der Milchſtraſſe mag
kaum
[159]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
kaum ihrer mittlern Breite gleich, und daher nicht uͤ-
ber 10. Grad ſeyn. Nehme ich alſo den wahren Dia-
meter eines ſolchen Syſtems zum Maßſtabe an, ſo
wird er 6. und mehrmal muͤſſen umgeſchlagen werden,
um den Abſtand eines Syſtems von dem naͤchſt an-
grenzenden zu finden. Ich vermuthe aber, der ſchein-
bare Durchmeſſer werde weniger als 10. Grad, und
vielleicht kaum 5. oder 6. Grad betragen, und wuͤrde
daraus ſchlieſſen, ein Syſtem ſeye von dem naͤchſten
10. bis 12mal weiter entfernt, als es breit iſt. Da
aber die Milchſtraſſe ganz an einander haͤngt, ſo muͤſ-
ſen unzaͤhlige dergleichen Syſtemen hinter einander lie-
gen, um jede Zwiſchenraͤume zu bedecken, welche die
naͤchſten wuͤrden leer laſſen.


Indeſſen iſt ihre Anzahl beſtimmt, und die Milch-
ſtraſſe hat irgendwo ihre Grenzen. Ich hatte dieſes
in meinem letzten Schreiben aus der Analogie geſchloſ-
ſen, da ich auſſer dieſem Streifen noch unzaͤhlige an-
dere Milchſtraſſen ſetzte, weil es mir nicht wahrſchein-
lich iſt, daß ſich der Weltbau dabey einſchraͤnke, ſo we-
nig ich im Gegentheil zugebe, daß er unendlich ſeyn
ſollte. Es laͤßt ſich davon reden, wenn Sie, mein
Herr, fragen, ob nicht das blaſſe Licht im Orion, wel-
ches Derham als eine Oeffnung in das Caelum
empyreum
anſieht, die naͤchſte von ſolchen Milch-
ſtraſſen ſeye, und ich wuͤrde mich damit nicht aufhal-
ten, daß man in ſeiner ſcheinbaren Geſtalt eine Aen-
derung will bemerkt haben. Es ſcheinet zu weit ent-
fernt, als daß man es durch unſere Luft und durch
jede
[160]Coſmologiſche Briefe
jede Fernroͤhren immer gleich deutlich ſollte ſehen
koͤnnen.


Vielleicht laͤßt es ſich am richtigſten aus der
ſcheinbaren Figur der Milchſtraſſe ſchlieſſen, daß ſie
engere Grenzen hat. Waͤre ſie unermeßlich ausge-
dehnt, ſo muͤßte ſie uns als ein groͤßter Circul der
Sphære erſcheinen. Dieſes iſt aber nicht. Ihre
ſcheinbare Figur iſt vielmehr ein Ovale. Vom Nord,
pol ſteht ihre Mitte 35. Grad, vom Suͤdpol nur 25.
Grad ab. Hingegen durchſchneidet ſie den Aequator
in zween ziemlich gleiche Theile. So erſcheinet dem
Auge ein Ring, wenn es zugleich auſſer demſelben und
auſſer ſeiner Axe iſt. Unſer Fixſternenſyſtem ſcheint
alſo nicht nur etwas auſſer der Flaͤche der Milchſtraſſe,
ſondern auch naͤher bey ihrem Umfange als bey der
Mitte zu liegen. Die kleinern Irregularitaͤten in
ihrer ſcheinbaren Figur laſſen hiebey keine genauere
Beſtimmung zu.


Seit dem iſt mir noch ein ander Mittel beyge-
fallen, dadurch man wenigſtens einen Verſuch machen
koͤnnte, ob die Fixſterne unſeres Syſtems, und daher
auch unſere Sonne, gegen einen Koͤrper ſchwer iſt,
der in dem Mittelpuncte dieſes Syſtems liegt, oder ob
ſie ſich nur um den gemeinſamen Mittelpunct der
Schwere des ganzen Syſtems bewegen? Waͤre das
erſte, und unſere Sonne haͤtte gegen einen ſolchen
Koͤrper eine betraͤchtliche Schwere, ſo muͤßten auch die
Planeten eine ſolche Schwere haben. Auf dieſe Art
iſt
[161]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
iſt z. E. der Mond nicht nur gegen unſere Erde, ſon-
dern auch gegen die Sonne ſchwer, und die Aſtrono-
men beklagen ſich uͤber die kleinern, aber doch ſehr
merklichen Irregularitaͤten, die hieraus entſtehen.
Solchen kleinern Irregularitaͤten muͤſſen auch die Pla-
neten, und daher auch unſere Erde in ihrem jaͤhrlichen
Umlaufe unterworfen ſeyn. Es iſt demnach die Fra-
ge, ob man dergleichen jaͤhrliche Anomalien durch ge-
naue Obſervationen bemerken koͤnne, ob der obſervirte
Ort der Sonne mit dem berechneten bis auf Secunden
durch das ganze Jahr uͤbereinſtimme, ob die Verruͤ-
ckung der Aphelien und Knotenlinien in der Laufbahn
der Planeten ſich daraus wuͤrde herleiten laſſen, ob die
Veraͤnderung in der Obliquitaͤt der Eccliptic nicht
auch zum Theile daher ruͤhren koͤnne? Verruͤcket ſich
die Flaͤche der Laufbahn der uͤbrigen Planeten, ſo hat
man gar keinen Grund, die Flaͤche der Erdbahn un-
verruͤckt zu laſſen, weil ſie nichts wenigers als der
Maaßſtab der uͤbrigen iſt. Die Neigung der andern
Laufbahnen werden nur deßwegen auf die von unſerer
Erde oder auf die Eccliptic bezogen, weil dieſe fuͤr
unſere Rechnungen die bequemſte iſt, und weil man ſie
doch immer unter einander vergleichen muß.


Koͤnnte man hieruͤber etwas beſtimmen, ſo wuͤr-
de unſtreitig folgen, daß die Laufbahnen der Planeten
eben ſo wenig vollkommene Ellipſen ſind, als die von
dem Monde, daß der Abſtand der Sonne auf eine ge-
doppelte Art veraͤndert werde, wie der von dem Mon-
de. Man will bereits ſchon bemerkt haben, daß die
Laſtrono-
[162]Coſmologiſche Briefe
aſtronomiſchen Tafeln den Ort der Sonne oͤfters ſo
angeben, daß die Obſervation faſt eine ganze Minute
davon abweicht. Es waͤre demnach nur zu ſehen, ob
dieſes zu geſetzten Zeiten geſchieht, und von dieſer Ur-
ſache herkoͤmmt?


Sie ſehen hieraus, mein Herr, daß es auch Mit-
tel giebt, meine Betrachtungen uͤber die Kreyßbewegung
unſerer Sonne durch Obſervationen zu pruͤfen, wenn je
ihre Schwere gegen den gemeinſamen Mittelpunct ih-
res Syſtems betraͤchtlich genug iſt. Man koͤnnte dar-
aus die Gegend dieſes Mittelpuncts finden, weil alle
Planeten, und beſonders auch unſere Erde, gegen den-
ſelben ſchwer ſind, und die kleinern Anomalien ſich dar-
nach richten muͤſſen, wie ſich die von dem Monde nach
der Sonne richten. In meinem letzten Schreiben hatte
ich die Frage aufgeworfen, ob man in dieſem Mittel-
punct einen dunkeln Koͤrper von einer ungeheuren Maſ-
ſe ſetzen muͤſſe, oder ob man dafuͤr nur den gemeinſamen
Mittelpunct der Schwere des Fixſternenſyſtems anneh-
men ſolle? Vielleicht lieſſe ſich dieſe Frage durch ſolche
Obſervationen eroͤrtern, oder wenigſtens wuͤrde man
daraus ſchlieſſen koͤnnen, wie ſchwer jeder Planet, und
daher auch die Sonne gegen dieſen Mittelpunct iſt.
Dieſe Schwere iſt allerdings ſehr geringe, weil die Ir-
regularitaͤten in der Bewegung der Erde, die etwan da-
her ruͤhren moͤchten, noch nicht zufaͤlliger Weiſe bemerkt
worden, ſondern erſt noch durch ſehr genaue Obſervatio-
nen beſtimmt und unterſucht werden muͤßten. Bey dem
Monde fande man aͤhnliche Abweichungen, die von der
Sonne herruͤhren, viel ehender. Denn die Rechnung
wollte
[163]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
wollte mit der Obſervation nie genau zuſammentreffen,
und die Abweichungen fielen ſo zu reden in die Augen,
weil ſie ſich auf mehrere Minuten beliefen. Bey der
Erde ſcheinen ſie kleiner als eine Minute zu ſeyn, wie
ich es ſchon vorhin angemerkt habe. Eben dieſes laͤßt
ſich auch aus der langſamen Bewegung der Aphelien
und der Knotenlinien ſchlieſſen, beſonders wenn man
ihr Fortruͤcken nicht von den Aequinoctien, ſondern von
einem Fixſtern an rechnet.


So weit habe ich nun, mein Herr, Ihrem Rathe
folgen koͤnnen, den Lehrbegriff meiner Fixſternenſyſtemen
auseinander zu ſetzen. Ich reiche damit noch lange
nicht an Ihre Deutlichkeit, und glaube, daß ich noch vie-
les von dem erſten Cahos meiner Einfaͤlle in Verwir-
rung gelaſſen habe. Ich werde demnach inne halten,
noch mehrere Schluͤſſe aufzuhaͤufen, bis ich ſehen werde,
was Sie bey den bisherigen anzumerken finden. Ge-
denken Sie je nicht, daß ich Ihnen voreile. Sie zei-
gen mir doch immer, wie weit der Weg richtig geht,
und wie ferne ich bloße Einfaͤlle von ſtrengen Schluͤſſen
zu unterſcheiden habe. Ich wiederrufe lieber alles,
wenn Sie es mit Ihren Gedanken nicht harmonierend
finden, weil ich dieſer ſo ſchaͤtzbaren Harmonie alle mei-
ne Syſtemen aufopfern wuͤrde. Dieſe ſolle mir ewig
der Grund meines Vergnuͤgens, und der vollkommenen
Freundſchaft und Ergebenheit bleiben, mit welcher ich
verharre
Mein Herr ꝛc.


L 2Drey-
[164]Coſmologiſche Briefe

Dreyzehnter Brief.


Wie angenehm wuͤrde es mir ſeyn, wenn ich Ih-
nen, mein Herr, Anlaß geben koͤnnte, Ihre
Betrachtungen uͤber den Grundriß der Welt

zu aller Vollſtaͤndigkeit zu bringen. Ich hoffe, Sie
werden aus allen meinen Schreiben ſehen, daß dieſe
Sache mich immer mehr aufmerkſam macht, und zu
einem ernſtlichen Nachdenken verleitet. Ich empfinde
alles Vergnuͤgen bey der Betrachtung des geſtirnten
Himmels, welches Sie mir ſo lebhaft ſchildern, und
wuͤnſchte nun, daß ich fruͤher angefangen haͤtte, dieſe
praͤchtige Schaubuͤhne mit aſtronomiſchen Augen anzu-
ſehen. Allein deſto eifriger werde ich dieſe Verſaͤum-
nis einholen, und mich wenigſtens in Stand zu ſetzen
ſuchen, Ihnen geſchickte Fragen vorzulegen. Denn
dieſe Fragen beunruhigen mich nun nicht mehr, weil ich
wohl einſehe, daß ſie nicht ſo fuͤrchterlich ſind, als die,
ſo man uͤber die Wirkungen der Cometen, mehr fuͤr
die lange Weile, als aus ertraͤglichen Gruͤnden ge-
macht hatte.


Sie haben mich, mein Herr, durch die Beſchrei-
bung, wie Sie zu Ihrem Lehrgebaͤude gekommen, ſehr
verpflichtet. So ſehr Sie Ihre erſten Einfaͤlle hier-
uͤber als ein Cahos anſehen wollen, ſo muß ich Ihnen
doch ſagen, daß ſie ſehr natuͤrlich waren, und ich finde
nichts darinn, welches von Ihren uͤbrigen gluͤcklichen
Einfaͤllen unterſchieden waͤre. Ich weiß, daß Sie
doch
[165]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
doch immer auf das Wahrſcheinlichſte verfallen, und
wenn es zur Pruͤfung koͤmmt, ſo bleibt eben nicht viel
auszubeſſern. So iſt das Syſtem Ihrer Gedanken
eingerichtet, daß ſich unvermerkt nur diejenigen zuſam-
men paaren, die ſich in der That zuſammen ſchicken.
Sie fuͤhlen jede Luͤcke, die noch darinn bleibt, und je-
der neue Anlaß dient Ihnen, eine und mehrere davon
auszufuͤllen, weil Sie jeder neuen Erfahrung ihre Stel-
le in dem Syſtem anzuweiſen wiſſen.


An dem verſchiedenen Abſtande der Fixſterne ha-
be ich nun keinen erheblichen, oder vielmehr gar keinen
Zweifel, wenn ich die Gruͤnde, die Sie, mein Herr,
davon angeben, zuſammen nehme. Man hat es ſchon
laͤngſten als etwas Einfaͤltiges angeſehen, daß die Al-
ten dieſelben ſaͤmtlich an die Flaͤche einer Sphære gleich-
ſam anhefteten, weil ſie dadurch ihr primum mobile
oder die taͤgliche Umdrehung des Firmamentes erklaͤren
wollten. In der That muͤßte es ungefehr ſo ſeyn,
wenn dieſe Umdrehung nicht ſcheinbar waͤre, und nicht
der Erde muͤßte zugeſchrieben werden, eben ſo wie die
laugſame Veraͤnderung der Sterne um die Pole der
Eccliptic. Es iſt nun zureichend bewieſen, daß alle
Bewegung, die das ganze Firmament zu haben
ſcheint, allein von der Erde herruͤhrt, und uͤberhaupt
auch alle die, ſo ſich nach einem einfoͤrmigen Geſetze
richten, und alle Jahre oder alle Monden wieder kom-
men, dergleichen die Abirrung des Lichtes und die Nu-
tation
der Erde iſt. Da dieſes der einige Grund wa-
re, den die Ptolomaͤicker angeben, die Fixſterne an ei-
L 3ne
[166]Coſmologiſche Briefe
ne Sphære anzunageln, und ihre Entfernung gleich zu
ſetzen, ſo faͤllt derſelbe vollkommen weg, und es bleibt
gar keiner mehr uͤbrig.


Hingegen haben wir unzaͤhlige Gruͤnde, dieſe
Entfernung ungleich, und die Sterne in langen Rei-
hen hinter einander zu ſetzen. Einmal ſind es Son-
nen, die ein Syſtem von Legionen Weltkugeln um ſich
haben, denen ſie Licht und Waͤrme, und abwechslende
Jahrszeiten geben, und daraus ein Wohnort von le-
benden Geſchoͤpfen machen. Ein ſolches Syſtem for-
dert einen Raum, ſo groß der Wirkungskreyß jeder
dieſer Sonnen iſt. Dieſer Wirkungskreyß muß aber
nothwendig ſehr groß ſeyn, und dem von unſerer Son-
ne nichts nachgeben, weil wir die Sterne ihres groſſen
Abſtandes ungeacht mit einem ſolchen Glanze funkeln
ſehen. Dazu gehoͤrt eine Maſſe von Licht und Dich-
tigkeit und Groͤſſe, wie die von unſerer Sonne, und
daher ein gleich groſſer Wirkungskreyß. Keine Son-
ne kann in dem Wirkungskreyſe einer andern ſeyn, oh-
ne daß ſie ſich um dieſelbe, oder beyde um ihren ge-
meinſamen Mittelpunct der Schwere bewegten, und
dieſe Bewegung muͤßte nothwendig in wenigen Jahren
auch uns ſichtbar ſeyn. Hieraus ſchlieſſen Sie, mein
Herr, mit Rechte, daß in der Milchſtraſſe und in den
neblichten Sternen alles wimmeln muͤßte. Es iſt die-
ſes eine Sache, die in weniger Zeit durch Erfahrung
ausgemacht werden kann, und Sie koͤnnen ſich auf die-
ſelbe, wie in verſchiedenen andern Stuͤcken, ſicher be-
rufen. Bey den groͤſſern Sternen iſt es ausgemacht,
daß
[167]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
daß ſie in vielen hundert Jahren ihre Stelle unter ein-
ander nicht merklich geaͤndert haben, und man muͤßte
aus dem Ptolomaͤiſchen Catalogo, mit den neuern ver-
glichen, ſehen, ob man eine Veraͤnderung heraus brin-
gen koͤnne. Dieſes Mittel, die Entſcheidung der Sa-
che auf den Augenſchein ankommen zu laſſen, haben
Sie, mein Herr, bereits in ihrem vorigen Schreiben
angegeben.


Caſſini hat es als eine Folge der jaͤhrlichen Pa-
rallaxe
der Erde angeſehen, daß der erſte Stern im
Widder zu gewiſſen Zeiten doppelt erſchiene. Um die-
ſes auszumachen, muͤßte man unterſuchen, ob die Er-
ſcheinung alle Jahre wieder eintrift, oder ob die ver-
ſchiedene Durchſichtigkeit der Luft es nicht leidet, daß
man dieſen Stern beſtaͤndig doppelt oder als wirklich
zween verſchiedene Sterne ſehen kann, und ob ſie eine
geaͤnderte Lage unter ſich haben? Eben dieſes bleibt
auch bey dem mittlern Stern im Schwerte des Orions
zu unterſuchen, von welchem Huygens gefunden,
daß er aus 12. kleinern beſteht. Auf dieſe Art wuͤrde
ſich ausmachen laſſen, ob es in der That Fixſterne
giebt, die ſich in einem gemeinſamen Wirkungskreyſe
befinden, und in kurzer Zeit um den Mittelpunct ih-
rer Schwere gehen?


Allein bis dieſes ausgemacht iſt, koͤnnen Sie,
mein Herr, ſicher bey ihrem Syſtem bleiben, weil ich
nichts dergleichen erwarte. Hingegen ſcheinen mir die
andern Obſervationen, die Sie in Abſicht auf die Pla-
L 4neten,


[168]
Coſmologiſche Briefe

neten, und beſonders auch unſere Erde vorgeſchlagen
haben, von groͤſſerm Nutzen, weil ſich daraus verſchie-
denes von der Lage der Sonne in unſerm Fixſternen-
ſyſtem und von ihrer Bewegung beſtimmen lieſſe, und
was Sie von den kleinern Abweichungen in den Ta-
bellen von dem Laufe der Sonne ſagen, ſcheint aller-
dings Hoffnung zu geben, daß dieſe Unterſuchung nicht
fruchtlos ſeyn werde. Noch vorzuͤglicher waͤre es,
wenn ſich die Verruͤckung der Aphelien, der Knotenli-
nien, und der Inclination jeder Planetenbahnen dar-
aus herleiten lieſſen. Die Cometen koͤnnen zwar zu
ſo kleinen Verruͤckungen allerdings auch etwas beytra-
gen, wenn ſie einem Planete zu nahe kommen; allein
dieſes waͤre nicht allgemein, und beſonders ſcheint es
nicht, daß ſo groſſe Planeten, wie Jupiter und Sa-
turn ſind, etwas davon leiden ſollten. Demnach blie-
be das Ordentliche in dieſen Bewegungen allezeit von
dem Mittelpunct unſeres Fixſternenſymens abhaͤngig,
und muͤßte daraus hergeleitet werden.


In dieſer Abſicht ſetzen Sie, mein Herr, jeder
Planet ſeye ungefehr aͤhnlichen Anomalien in ſeinem
Umlaufe unterworfen, welche der Mond bey der Son-
ne leidet. Sie betrachten hier die Sonne als einen
Koͤrper, der gegen den Mittelpunct des Fixſternenſy-
ſtems ſchwer iſt, und die Planeten und Cometen ſehen
Sie als ihre Trabanten an. So ſchwer die Sonne
gegen dieſen Mittelpunct iſt, ſo ſchwer iſt auch jeder
Planet gegen denſelben. Daher muß er allerdings
bald geſchwinder, bald langſamer laufen, als es geſche-
hen
[169]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
hen wuͤrde, wenn er allein gegen die Sonne ſchwer
waͤre. Allein wenn ich dieſe Vergleichung weiter trei-
be, ſo finde ich eine Schwierigkeit dabey, die ich nicht
ſogleich heben kann. Sie betrift die Richtung in der
Bewegung der Knotenlinien. Dieſe geht bey dem
Monde wider die Ordnung der Zeichen, bey den Pla-
neten aber folgt ſie dieſer Ordnung. Woher glauben
Sie, mein Herr, daß dieſes kommen mag, oder wie
lieſſe es ſich aus der allgemeinen Schwere unſeres
Sonnenſyſtems gegen den Mittelpunct des Fixſternen-
ſyſtems erklaͤren?


Sodann haben Sie, mein Herr, in Ihrem vor-
hergehenden Schreiben aus dem, daß wir rings um
uns her zerſtreute Fixſterne ſehen, geſchloſſen, unſere
Sonne muͤſſe nicht an den Grenzen, ſondern mehr ge-
gen die Mitte des Fixſternenſyſtems liegen, zu wel-
chem ſie gehoͤrt. Dieſes macht unſtreitig ihren Lauf
geſchwinder, und ihre Schwere gegen den Mittelpunct
groͤſſer, und um deſto ehender muͤßte ſie auch bey den
Planeten merkbar ſeyn. Da die daher entſtehenden
Anomalien aber dennoch ſehr geringe ſind, ſo werden
Sie doch immer unſerer Sonne noch einen ſehr groſſen
Abſtand von dieſem Mittelpunct geben muͤſſen, zumal
wenn in demſelben ein dunkler Koͤrper von einer unge-
heuren Maſſe ſeyn ſollte, gegen welchen auch noch die
aͤuſſerſten Sonnen des Syſtems ſchwer waͤren. Denn
in der That wuͤrde ein ſolcher Koͤrper nicht viel nuͤtzen,
wenn ſein Diameter nicht faſt ſo groß waͤre als der
Wirkungskreyß unſerer Sonne, oder der ganze Um-
L 5fang
[170]Coſmologiſche Briefe
fang unſeres Sonnenſyſtems iſt. Wenn die Fixſterne
auſſerhalb der Milchſtraſſe ſich in mehr als ein Syſtem
eintheilen lieſſen, ſo wuͤrde ich bald den Entſchluß faſ-
ſen, ſolche dunkle Koͤrper dahin zu ſetzen, wo die Aſtro-
nomen neue Fixſterne geſehen haben, und andere ver-
ſchwunden ſind. Denn ſo lieſſe ſich dieſes Erſcheinen
und Verſchwinden der Fixſterne ungefehr wie die Fin-
ſterniſſe erklaͤren. Allein es wird immer beſſer ſeyn,
wenn man vorher durch genaue Obſervationen unter-
ſucht, ob die Schwere der Sonne gegen den Mittel-
punct des Syſtems betraͤchtlich iſt, weil ſich dadurch
etwas naͤher wird beſtimmen laſſen, welche unter die-
ſen Moͤglichkeiten wahr ſind.


Da ich die Bewegung der Fixſterne und ihren
ungleichen Abſtand von uns, nach den Beweiſen, die
Sie, mein Herr, davon gegeben haben, als moraliſch
gewiß anſehe, ſo habe ich verſucht, einen Ueberſchlag
von ihrer Geſchwindigkeit zu machen. Ich ſetzte an-
fangs, der naͤchſte Fixſtern habe ſich ſeit des Hippar-
chus
Zeiten, oder eine runde Zahl genommen, ſeit
2000. Jahren um einen ¼. Grad bewegt. Dieſes
konnte ich wohl annehmen, weil des Ptolomaͤus Cata-
logus
der Sterne nicht leicht genauer ſeyn wird. Ich
nahme hierauf den Abſtand der Erde von der Sonne
zum Maaßſtabe an, und ſetzte, dieſer Fixſtern ſeye
500000mal weiter entfernt. Dieſe Zahl als den
Halbmeſſer eines Circuls angeſehen, fande ich, daß
auf ¼. Grad ungefehr 4000. ſolcher Maaßſtaͤbe gehen,
welche demnach der Stern innert 2000. Jahren muͤßte
durch-
[171]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
durchlaufen haben. Daher wuͤrde er in einem Jahr
zween ſolcher Maaßſtaͤbe oder einen Raum durchlau-
fen, der ſo groß als der Durchmeſſer der Erdbahn iſt.
Da dieſer Durchmeſſer nur der ⅓. von der Bahn der
Erde iſt, ſo wuͤrde ich finden, daß die Geſchwindigkeit
eines ſolchen Sterns dreymal kleiner als die von der
Erde waͤre. Dieſe Rechnung gienge an, wenn die
Sonne inzwiſchen unverruͤckt geblieben waͤre, und der
Stern ſich um dieſelbe in einem Circul bewegt haͤtte.
Wenn ich aber ſetze, die Sonne bewege ſich auch, ſo
koͤmmt hiebey nur eine relative Geſchwindigkeit her-
aus, welche groͤſſer oder kleiner wird, je nachdem ich
die Richtung in dem Laufe aͤndere. Aus einem aͤhnli-
chen Grunde ſcheinen uns die Planeten bald gerade,
bald ruͤcklaͤufig, bald ſtille ſtehend. Es kann demnach
Fixſterne der erſten Groͤſſe geben, die ihren Ort nicht
merklich veraͤndert haben, und andere, bey welchen die
Veraͤnderung des Ortes merklicher iſt. Da ich aber
die merklichſte Veraͤnderung nur auf einen ¼. Grad ſe-
tze, ſo muß ich dabey die Umſtaͤnde nehmen, die ſie am
groͤßten machen, und dieſe ſind, wenn die Sonne und
der Stern eine entgegengeſetzte Richtung haben. Die-
ſes bringt aber die Geſchwindigkeit des Sterns auf die
Helfte, und demnach wuͤrde ich ſie ſechsmal kleiner ſe-
tzen als die von der Erde. Hiedurch wird aber die
Schwere des Sterns gegen den Mittelpunct des Sy-
ſtems ſehr geringe, wenn ich betrachte, wie groß die
Ellipſen und Circul ſind, in welchen die Sterne ſich
um dieſen Mittelpunct bewogen. Indeſſen iſt ſie den-
noch vielfach groͤſſer, als die, ſo zween der naͤchſten
Fixſterne
[172]Coſmologiſche Briefe
Fixſterne gegen einander oder gegen unſere Sonne ha-
ben. Denn da die Geſchwindigkeiten der Planeten
ſich umgekehrt wie die Quadratwurzeln ihres Abſtan-
des von der Sonne verhalten, ſo muͤßte ein Stern,
der 500000mal weiter entfernt iſt als die Erde,
700mal langſamer laufen. Nach vorigen Betrach-
tungen aber laͤuft er nur 6mal langſamer, und daher
bey 120mal geſchwinder, als wenn ſeine Central-
Kraͤfte von unſerer Sonne abhiengen. Eine groͤſſere
Geſchwindigkeit fordert in allweg eine groͤſſere Schwe-
re, wenn ſich der Koͤrper in ſeiner Bahn erhalten ſolle.
Ich wuͤrde demnach allerdings hieraus ſchlieſſen, daß
die Schwere in dem Mittelpunct des Fixſternenſyſtems
ſehr groß ſeyn muͤſſe. Allein es iſt uͤberfluͤſſig, dieſen
beylaͤuftigen Ueberſchlag weiter fortzuſetzen, weil der
Satz, worauf er ſich gruͤndet, nemlich die Groͤſſe der
Verruͤckung der Fixſterne ſeit des Ptolomaͤus Zeiten,
erſt noch muß ausgemacht werden.


Noch eine Frage muß ich Ihnen, mein Herr,
vorlegen. Da Sie die Syſtemen in der Milchſtraſſe
von dem unſrigen durch einen 6. bis 10mal groͤſſern
Zwiſchenraum abſoͤndern, und dadurch dieſelben ſo gar
weit entfernen, ſo kann ich noch nicht einſehen, wie
wir die Sterne, ſo in dieſem Streifen ſind, durch
Fernroͤhre noch voneinander unterſcheiden koͤnnen?
Sie muͤſſen die naͤchſten derſelben doch wenigſtens etli-
che hundertmal weiter hinaus ſetzen, als Sirius. Daß
wir in dieſem Striche mit bloßen Augen nur ein ver-
miſchtes Licht ſehen, kann ich noch ſehr wohl daraus
herlei-
[173]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
herleiten, weil ſich die Bilder dieſer Sterne auf dem
Augennetze vermiſchen, und uns daher nothwendig un-
deutlich ſcheinen muͤſſen. Unſere Athmoſphære mag
auch etwas dazu beytragen, und vielleicht thut es auch
die Zerſtreuung des Lichtes in der Himmelsluft. Wie
genaue muͤſſen denn die Fernroͤhren alles fremde Licht
wegbrechen, wenn uns die Sterne in ſolchen Entfer-
nungen noch als leuchtende Puncte deutlich abgeſoͤn-
dert erſcheinen ſollen?


Uebrigens ſehe ich ſehr wohl, daß, da die Anzahl
der Fixſterne ungefehr wie das Quadrat ihrer Groͤſſe
zunimmt, dieſes Geſetz ſich viel ſchicklicher durch ihren
verſchiedenen Abſtand erklaͤren laͤßt, weil die Oberflaͤ-
chen der Sphaͤren in einer ſolchen Verhaͤltnis zuneh-
men. Und uͤberdiß wuͤrde man auch hieraus ſchlieſſen
koͤnnen, daß die Fixſterne in unſerm Syſtem noch ziem-
lich gleichfoͤrmig ausgetheilt ſind, weil ihre Anzahl bey-
laͤuftig wie die Flaͤchen der Sphaͤren zunehmen, deren
Halbmeſſer 1, 2, 3, 4. ꝛc. ſind. Die Bewegung der
Sterne leidet keine groͤſſere Gleichfoͤrmigkeit, weil ſie
nach und nach ihren Ort aͤndern. Daher glaube ich
auch nicht, daß ſich dieſes Geſetz viel weiter erſtrecken
werde, weil die teloſcopiſchen Sterne an einigen Orten
des Himmels viel dichter ſind, als an andern. Be-
ſonders iſt die Gegend um den Orion herum bis zur
Verwunderung mit groſſen und kleinen Sternen be-
ſetzt. Das Sternbild des groſſen Hundes, und das
Schiff Argos ſcheint ebenfalls ſehr reich an Sternen.
Sie liegen in einem gleichen Striche an der Milchſtraſ-
ſe,
[174]Coſmologiſche Briefe
ſe, und wenn unſere Sonne von dem Mittelpunct des
Syſtems merklich entfernt iſt, ſo ſollte ich faſt glauben,
daß dieſe Sternbilder jenſeits des Mittelpunctes liegen,
weil dadurch die Reihe von Fixſternen verlaͤngert wird,
daß wir folglich mehrere neben und hinter einander lie-
gend ſehen koͤnnen.


Auf dieſe Art wuͤrde ich fuͤr die Lage unſerer
Sonne in dem Fixſternenſyſtem ſorgen, zu welchem ſie
gehoͤrt, da Sie, mein Herr, die Lage dieſes Syſtems
in Abſicht auf alle Syſtemen der Milchſtraſſe ausfuͤn-
dig zu machen bemuͤht ſind. Ich habe die Figur die-
ſes Streifens auf der Himmelskugel betrachtet. Un-
geacht derſelbe nicht voͤllig circular iſt, ſo weicht er
doch von den Polen ungleich ab, und ſo, daß er viel-
mehr eine Ovale vorſtellt, wie Sie es, mein Herr,
anmerken. Ich ſollte faſt glauben, daß wir dem
Theile der Milchſtraſſe naͤher ſind, welcher den Colu-
rus des Steinbocks durchſchneidet, wo ſie zugleich ei-
ne doppelte Breite hat, und zertheilt ſcheint. Durch
dieſen Theil ſcheint die kuͤrzere Axe der Ovale zu ge-
hen. Er ſteht ungefehr dem Sternbilde des Orions
gegen uͤber, von welchem ich vorhin unſere Sonne
weiter hinweg rucken wollte, damit die Reihe hinter
einander liegender Sterne darinn deſto laͤnger wuͤrde.


Zu allen dieſen Beſtimmungen fehlt uns noch
Zahl und Maas, welches man vermuthlich erſt in den
folgenden Zeiten nach und nach finden wird. Es iſt
aber ſchon immer genug, die Lage der Sternſyſtemen
nur
[175]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
nur beylaͤuftig zu wiſſen, und den Ort, wo wir uns
in dem Weltgebaͤude befinden, einiger maſſen zu be-
ſtimmen, wenn es auch nur auf eine verneinende Art
ſeyn ſollte. Z. E. Unſere Erde iſt nicht im Mittel-
puncte des Sonnenſyſtems, ſondern ſie dreht ſich um
die Sonne. Die Sonne iſt nicht im Mittelpuncte
ihres Fixſternenſyſtems, ſondern dieſer Mittelpunct
liegt in der Gegend des Orions oder des groſſen Hun-
des. Endlich iſt dieſes Syſtem weder in der Flaͤche,
noch in dem Mittelpuncte der Milchſtraſſe, ſondern
etwas uͤber dieſelbe hervor ragend, und naͤher bey dem
Theile der Milchſtraſſe, der durch den Colurus des
Steinbockes geht, wo er eine doppelte Breite hat.
Wo nun aber die Milchſtraſſe liege, wenn ſie mit noch
unzaͤhligen andern Milchſtraſſen ſolle verglichen wer-
den, dieſes wird ſich ſo leicht nicht ausmachen laſſen,
weil ſie wegen ihrer ungeheuren Entfernung uns un-
ſichtbar ſind. So viel deucht mich aber, daß, wenn
das ſchwache Licht im Orion eine ſolche entfernte
Milchſtraſſe iſt, dergleichen noch mehrere ſollten durch
Fernroͤhren entdeckt werden, wenn man ſie aufſuchen
wollte. Denn daß man dieſe im Orion entdeckt hat,
wird vermuthlich daher ſeyn, weil dieſes Sternbild
unſtreitig das ſchoͤnſte iſt, und wegen der Menge von
Sternen, die Aſtronomen zu deſto fleißigerer An-
ſchauung deſſelben angelockt hat. Ungeacht es in den
kaͤlteſten Naͤchten am helleſten funkelt, ſo beſchaue ich
es doch jeden Winter mit neuer Luſt, und ich gedenke
mit Vergnuͤgen an die Abendſtunden, die ich mit Ih-
nen, mein Herr, in Betrachtung dieſer praͤchtigſten
Gegend
[176]Coſmologiſche Briefe
Gegend des Himmels zugebracht habe. Es ſcheint
uns gleichſam aufzumuntern, etwas wichtiges daſelbſt
zu ſuchen, und nach den vorigen Betrachtungen wuͤr-
de ſo wohl der Mittelpunct unſeres Fixſternenſyſtems,
als der von der ganzen Milchſtraſſe in dieſer Gegend
liegen. Wie vergnuͤgt wuͤrde ich ſeyn, wenn dieſe
Anmerkung Ihren Beyfall verdiente. Schreiben Sie
mir, mein Herr, was Sie hieruͤber gedenken. Ich
erwarte Ihre Antwort mit groͤßter Begierde, weil ich
darinn die Aufloͤſung der Fragen hoffe, die ich Ihnen
vorgelegt habe, und die ich, wie alle Gefaͤlligkeiten,
ſo von Ihnen bekommen, mit der Erkenntlichkeit an-
nehmen werde, mit welcher ich Ihnen verbunden
bleibe,
Mein Herr ꝛc.


[figure]

Vier-
[177]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Vierzehnter Brief.


Ihr geſchaͤtzteſtes Schreiben, mein Herr, iſt eine
mir ſehr erfreuliche Probe, daß Sie groſſe
Schritte thun, um den Weg durch das Firma-

ment zuruͤck zu legen, und in einer ſo wuͤrdigen Bahn
immer weiter zu gehen. Sie fuͤhlen den ganzen Nach-
druck der Ovidiſchen Worte:


Os homini ſublime dedit, caelumque tueri
Iuſſit et ere[c]tos ad ſidera tollere vultus.
()

In der That iſt auch nichts dem Menſchen anſtaͤndiger,
als daß er auch dahin ſehe, wohin die Natur ſeine Au-
gen gerichtet, und die Stelle kennen lerne, die ihme
der Allerweiſeſte in der Welt angewieſen. So klein
wir in der Betrachtung dieſes unermeßlichen Gebaͤu-
des unſern Koͤrper finden, ſo groß wird unſer Geiſt,
wenn wir uns gewoͤhnen, ihn durch das ganze Firma-
ment auszubreiten, und von ſolchen Groͤſſen auf die
Groͤſſe und Majeſtaͤt des Schoͤpfers zu ſchlieſſen. Sie
wiſſen, mein Herr, in allem Umfange, was dieſes ſa-
gen will, und raͤumen der Aſtronomie unter den
menſchlichen Wiſſenſchaften die erſte Wuͤrde ein, weil
ſie, und was dahin dient, die einige iſt, die durch alle
Ewigkeiten fortdauert, und die Himmel auch nach dem
Tode uns die Ehre GOttes erzaͤhlen, und die Veſte
ſeiner Haͤnde Werk uns verkuͤndigen ſolle.


Ich wende mich mit Vergnuͤgen zu der Unterſu-
Mchung


[178]
Coſmologiſche Briefe

chung der Fragen, die Sie mir vorgelegt haben, und
werde bey derjenigen anfangen, die Sie uͤber die
Kennbarkeit der Sterne in der Milchſtraſſe machen,
wenn wir ſie durch Fernroͤhren anſehen. Ich geſtehe
Ihnen gerne, daß dieſe Unterſuchung ſehr ſchwer iſt,
und daß ſie auf Gruͤnden beruht, die man in der
Optic noch nicht genug entwickelt hat. Indeſſen
werde ich doch einen Verſuch thun, um zu ſehen, wie
weit es mir darinn gelingen wird. Es koͤmmt dabey
auf folgende Saͤtze an, welchen ich den Beweis nicht
vollſtaͤndig beyfuͤgen werde, um Sie nicht ohne Noth
damit aufzuhalten.


So lange wir mit bloßem Auge einen Gegen-
ſtand deutlich ſehen, ſcheint er uns ohne Ruͤckſicht auf
ſeine Lage und Entfernung ungefehr gleich helle. Ich
ſage ungefehr. Denn die Veraͤnderung in der Oef-
nung des Augenſterns mag hiebey etwas veraͤndern.
Da man aber dieſes allezeit in die Rechnung einbrin-
gen kann, ſo werde ich dieſe Oefnung als beſtaͤndig an-
nehmen, und da ſchlieſſe ich, daß wir jedes Obje[c]t in
ſeiner wirklichen Klarheit ſehen, ſo lange ſein Bild
im Auge deutlich iſt. Auf dieſe Art wuͤrde uns die
Sonne zwar kleiner, aber dennoch gleich helle ſcheinen,
wenn wir auf dem Saturn oder in einer noch groͤſſern
Entfernung dieſelbe anſchaueten.


Iſt aber ein Gegenſtand ſo weit entfernt, daß
wir auf ſeiner Flaͤche nichts deutlich ſehen koͤnnen, ſo
kommen hiebey zween Faͤlle vor. Einmal wenn das
ſchein-
[179]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſcheinbare Bild merklich groß iſt. In dieſem Fall
vermiſcht ſich das Licht jeder Theile unter einander,
und es ſtellt uns das Mittel aus allen einzeln Klarhei-
ten vor. Dieſes Mittel iſt wiederum beſtaͤndig gleich,
wenn ſich auch die Entfernung merklich aͤndert. So
ſehen wir eine entfernte Mauer gleich helle, wenn ſie
von der Sonne unter einerley Winkel beleuchtet wird,
wir moͤgen naͤher oder weiter davon weg ſeyn. Und
eben ſo wuͤrde uns der Mond groͤſſer, aber nicht heller
ſcheinen, wenn er naͤher bey der Erde waͤre. Denn
ungeacht in dieſem Falle mehr Licht in das Aug faͤllt,
ſo breitet es ſich auf dem Augennetze in gleicher Ver-
haͤltnis mehr aus. Dieß iſt auch der Grund, warum
wir die Gegenſtaͤnde durch erhabene oder Hohlglaͤſer
gleich helle ſehen.


Scheint hingegen der Gegenſtand undeutlich,
und nur wie ein Punct, ſo verhaͤlt es ſich anderſt, weil
ſein Bild auf dem Augennetze einen groͤſſern Raum
einnimmt, als es einnehmen wuͤrde, wenn wir es
deutlich ſaͤhen. Die Stralen zerſtreuen ſich, und
ſind zween dergleichen Puncte nahe beyſammen, ſo
vermiſcht ſich das zerſtreute Licht unter einander, und
wir ſehen beyde Puncte als einen an. Auf dieſe Art
ſehen wir die Fixſterne ſchwaͤcher glaͤnzen, als wenn
wir ſie mit bloßem Auge deutlich ſehen koͤnnten.
Denn in dieſem Falle muͤßten ſie ſo helle ſcheinen als
die Sonne, und zwar wiederum ohne Ruͤckſicht auf
ihren Abſtand.


M 2Dieſe
[180]Coſmologiſche Briefe

Dieſe Deutlichkeit ſuchen wir durch Fernroͤhren
zu erhalten, bey welchen in Abſicht auf die Klarheit
eben das gilt, was ich vorhin von dem Auge geſagt
habe, nur mit dem Unterſchiede, daß dieſelbe hier
nicht ſo faſt von der Oefnung des Augenſterns, als
von derjenigen abhaͤngt, die man dem Obje[c]tiv-Glaſe
geben muß. Daher ſtellen uns die Fernroͤhren die
Obje[c]te nicht ſo helle vor, als ſie mit bloßem Auge
geſehen wuͤrden, wenn man ſie eben ſo deutlich ſehen
koͤnnte, aber ſie vermindern jede Klarheit auf eine
proportionale Art, und wiederum ohne Ruͤckſicht auf
den ungleichen Abſtand. Wenn man demnach die
Klarheit der Planeten unter einander vergleichen will,
ſo muß es durch Fernroͤhre geſchehen, die ſie uns
deutlich vorſtellen.


Hieraus folgere ich nun, daß, wenn wir durch
ein Fernrohr einen Fixſtern, der an ſich betrachtet ſo
helle waͤre als unſere Sonne, deutlich und als eine
runde Kugel ſehen koͤnnten, ſein Glanz uns durch das
Fernrohr eben ſo helle ſcheinen wuͤrde, als wenn wir
durch dieſes Fernrohr die Sonne anſchaueten. Da
aber der wahre ſcheinbare Diameter des naͤchſten Fix-
ſterns kaum ¼. Tertie eines Grades iſt, ſo iſt alle
Hoffnung verlohren, einen Fixſtern durch Fernroͤhren
vollkommen rund zu ſehen. Er nimmt daher noch
immer einen groͤſſern Raum auf dem Augennetze ein,
als er einnehmen wuͤrde, wenn wir ihn deutlich ſehen
koͤnnten.


Setze
[181]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Setze ich demnach, ein Fernrohr vergroͤſſere
120mal, ſo wird dieſe ¼. Tertie zu 30. Tertien oder
½. Secunde. Ich glaube nicht, daß das Aug einen
Punct, der unter einem ſo kleinen Winkel erſcheint,
deutlich ſehen koͤnne. Dann das Licht, das von dem
Fixſtern auf einen ſo kleinen Punct des Augennetzes
faͤllt, iſt noch allemal ſo ſtark als das, ſo darauf fal-
len wuͤrde, wenn wir die Sonne durch ein ſolches
Fernrohr anſchauen wollten. Da es alſo eine ſtarke
Bewegung auf dem Nervennetze des Auges verur-
ſacht, ſo theilt ſich dieſe Bewegung den anliegenden
Nerven mit, und dadurch wird das Bild des Sterns
groͤſſer.


Da indeſſen die Fernroͤhren dazu dienen, daß ſie
jeden Punct deutlicher machen, und ſein Bild auf
dem Augennetze naͤher zuſammen bringen, ſo laͤßt ſich
daraus erklaͤren, warum die Fixſterne deſto kleiner,
aber auch deſto funkelnder ſcheinen, je beſſer das Fern-
rohr iſt. Nach der vorigen Betrachtung ſollte das
Bild ½. Secunde ſeyn. Ich will ſetzen, es breite ſich
wegen der mitgetheilten Bewegung durch 5. Secunden
aus, ſo iſt es doch vielfach kleiner, als wenn man den
Stern mit bloßem Auge anſchaut. Sein ſcheinbarer
Diameter wird immer wenigſtens 2. Minuten, und
folglich 24mal groͤſſer ſeyn, als durch das Fernrohr.
Sein Licht muß alſo dem bloßen Auge bey 600mal
ſchwaͤcher ſcheinen. Und wenn ich bey der ½. Secun-
de
bleibe, ſo iſt es 60000mal ſchwaͤcher.


M 3In
[182]Coſmologiſche Briefe

In Anſehung der Fernroͤhren hat der verſchiede-
ne Abſtand der Fixſterne nichts zu ſagen, weil er ſo
gut als unendlich entfernt angeſehen werden kann.
Hingegen vermindert derſelbe die ſcheinbare Groͤſſe der
Sterne. Ich will ſetzen, ein Fernrohr ſeye ſo voll-
kommen, daß es parallele Strahlen im Auge auf ei-
nen Punct braͤchte, ſo wuͤrde allerdings das Bild der
entfernten Sterne kleiner ſeyn, aber deßwegen immer
gleiche Klarheit behalten. Die ganze Sache koͤmmt
demnach darauf an, wie klein ein Punct auf dem Au-
gennetze ſeyn muͤſſe, bis ein ſo ſtarkes Licht, wie das
von den Sternen, keinen Eindruck mehr darauf ma-
chen koͤnne, wenn es auf dieſen Punct allein faͤllt?
So zart und klein auch die Geſichtsnerven ſeyn moͤ-
gen, ſo muͤßte dieſer Punct immer unzaͤhligemal klei-
ner ſeyn, damit das darauf fallende Licht die Maſſe
des Nervens in keine empfindbare Bewegung zu ſetzen
vermoͤgend waͤre.


Ungeacht aber weder die Fernroͤhre, noch unſere
Augen ſo vollkommen ſind, daß jeder geometriſche
Punct auf dem Augennetze wieder als ein ſolcher Punct
erſcheinen ſollte, ſo naͤhern ſie ſich doch dieſer Vollkom-
menheit ſehr merklich, weil ſich das Fernrohr nach den
Augen einrichten laͤßt. Dadurch laͤßt ſich ein Punct
erkennen, deſſen ſcheinbarer Durchmeſſer, durch das
Fernrohr betrachtet, kaum eine Secunde betraͤgt.
Das Fernrohr ſtellt die Sache ſo vor, als wenn wir
ihr Bild in der Entfernung von 8, 10. oder 12. Zoll
ſaͤhen. In dieſem Abſtande wuͤrden wir nach Herꝛn
Muß-
[183]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Mußſchenbroecks Erfahrung einen ſeidenen Faden\frac {1}{1948}.
Zoll dick deutlich erkennen koͤnnen. Sein ſcheinbarer
Diameter iſt kleiner als eine Secunde. Ein kleines
Fuͤnkchen, welches im Erloͤſchen am helleſten iſt, wuͤr-
de uns eben ſo deutlich erſcheinen, wenn es auch nicht
dicker als ein ſolcher Faden waͤre.


Da alſo die Staͤrke des Lichtes der Fixſterne,
wenn ſie durch Fernroͤhren geſehen werden, von ihrem
verſchiedenen Abſtande nicht geaͤndert wird, ſondern
nur ihre ſcheinbare Groͤſſe, ſo kann ich einen Stern
viele tauſendmal weiter hinaus ruͤcken, und er muß
ſich durch das Fernrohr noch immer erkennen laſſen.
Sein Licht wird noch immer ſtark genug ſeyn, um in
dem Auge eine Empfindung zu erregen. Hieruͤber
mache ich noch folgende Betrachtung.


Wenn das Bild eines Sterns auf dem Augen-
netze kleiner iſt als ein Geſichtsnerve, ſo ſetzt es den-
ſelben dennoch ganz in Bewegung, und da durch dieſe
Bewegung der Begriff von ſeiner Groͤſſe in der See-
le entſteht, ſo wuͤrde ich daraus ſchlieſſen, daß uns je-
de Sterne, durch ein gleiches Fernrohr betrachtet,
gleich groß, nemlich ſchlechthin als leuchtende Puncte
erſcheinen muͤßten. Hingegen wuͤrde ſich in ihrer
Klarheit ein Unterſchied finden, weil die Erſchuͤtterung
des Nervens deſto ſchwaͤcher wuͤrde, je weiter der
Stern hinweg iſt. Es iſt leicht zu erachten, daß die-
ſe Erſchuͤtterung durch unzaͤhlige Stuffen abnehme,
ehe ſie unempfindbar wird. Und da wir ſie noch des
M 4Nachts
[184]Coſmologiſche Briefe
Nachts empfinden, weil wir auch da noch die Gegen-
ſtaͤnde ſehen, ſo koͤnnen wir daraus auf den Grad der
Empfindlichkeit der Geſichtsnerven einen Schluß ma-
chen. Wir wuͤrden einen Stern noch empfinden koͤn-
nen, wenn ſein Licht vielfach ſchwaͤcher waͤre, als das
von einem Hauſe, oder von einem Papiere, auf wel-
ches der Mond ſcheint. Das Licht des Mondes iſt
bey 500000mal ſchwaͤcher als das von der Sonne
oder von einem Fixſtern, und die Klarheit des Pa-
piers, ſo vom Monde beleuchtet wird, iſt kaum der
100000te Theil von der Klarheit des Mondes. Al-
ſo koͤnnte das Licht eines Fixſterns 50000. Millionen-
mal geſchwaͤcht werden, und es wuͤrde uns dennoch
noch eben ſo helle ſcheinen als ein Papier, das von
dem Vollmonde beleuchtet wird. Machen Sie nun,
mein Herr, den Ueberſchlag, wie weit man den Si-
rius entfernen koͤnnte, bis ſein Bild, durch ein Fern-
rohr betrachtet, ſo ſchwach wuͤrde, als das Licht eines
ſolchen Papiers.


Sodann thun uns die Fernroͤhren nicht ſo faſt
den Dienſt, daß ſie das fremde und zerſtreute Licht
wegbrechen, welches uns das Bild der Sterne un-
deutlich macht. Denn auf dieſe Art wuͤrde nothwen-
dig der groͤßte Theil des Lichtes wegfallen, und ein
Stern muͤßte gar nicht funkelnd erſcheinen. Im Ge-
gentheil aber vereinigen ſie alles dieſes Licht in einen
Punct, und zwar deſto genauer, je vollkommener ſie
ſind. Dadurch behaͤlt dieſer Punct alle Klar-
heit, und dieſe muß nothwendig deſto lebhafter
werden,
[185]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
werden, je genauer er auf dem Augennetze ausge-
druͤckt iſt.


Wir ſehen es an den Trabanten des Jupiters
und Saturns, die dem bloßen Auge unſichtbar blei-
ben, weil ſich ihr Licht zu ſehr zerſtreut. Die Fern-
roͤhren ſammeln es, und bringen das Bild dieſer Tra-
banten beynahe zu einer voͤlligen Deutlichkeit, daß wir
ſie faſt eben ſo hell als ihren Hauptplaneten ſehen.
Wir wuͤrden ſie vollends eben ſo helle ſehen, wenn die
Fernroͤhren zureicheten, ſie ganz deutlich vorzuſtellen.


Sie koͤnnen, mein Herr, aus dieſen Betrach-
tungen ſchlieſſen, daß ich ohne Bedenken Fixſterne als
kenntbar anſehen kann, die viele tauſendmal weiter
von uns entfernt ſind, als die von der erſten Groͤſſe.
Ich gebe Ihnen gerne zu, daß die Syſtemen, welche
ich in der Milchſtraſſe hinter einander ſetze, eine ſolche
Entfernung fordern. Ein leichter Ueberſchlag wird
dieſes offenbahr zeigen. Galilaͤus hat zwiſchen dem
Schwert und der Gurt des Orions bey 400. Sterne
gezaͤhlt. Der Diſtri[c]t mag ungefehr 10. Quadrat-
Grade betragen. Der ganze Himmel hat, wie jede
Kugelflaͤche 41253. ſolcher Grade. Daher auf ei-
nen Grad 40. Sterne gerechnet, in allem 1650120.
Sterne heraus kommen wuͤrden, wenn ſie aller Orten
ſo dichte beyſammen waͤren. Setze ich nun 12. Ster-
ne zunaͤchſt um unſere Sonne, 4mal 12. in der zwey-
ten, 9mal 12. in der dritten Diſtanz, und laſſe fuͤr
jede folgende Diſtanz die Anzahl wie die Quadrate
M 5.anwach-
[186]Coſmologiſche Briefe
anwachſen, ſo finde ich, daß, unſere Sonne mitge-
rechnet, 75. ſolcher Diſtanzen hinter einander ſeyn
muͤſſen, bis die Summe von allen Sternen auf
1650120. koͤmmt. Demnach haͤtten wir in unſerm
Syſtem Fixſterne der 75ten Groͤſſe, ungeacht wir
nur die von der 6ten Groͤſſe mit bloßen Augen ſehen
koͤnnen. Nehme ich nun den Abſtand des Sirius
von unſerer Sonne zum Maaßſtabe an, ſo muß ich
ihn 150mal umſchlagen, um den Diameter unſeres
Syſtems auszumeſſen. Setze ich nach meinem letz-
tern Schreiben das naͤchſte Syſtem in der Milchſtraſſe
noch 10mal weiter hinweg, ſo komme ich ſchon auf
1500. ſolcher Maaßſtaͤbe, welche folglich ungefehr
den innern Diameter der Milchſtraſſe ausmachen wuͤr-
den. Der aͤuſſere Diameter laͤßt ſich durch eine ſo
kleine Zahl nicht beſtimmen, weil ich, um dieſen Strei-
fen ſo dichte mit Syſtemen auszufuͤllen, derſelben gut
viele Hundert hinter einander ſetzen muß.


Uebrigens glaube ich wohl nicht, daß unſere be-
ſten Fernroͤhren zureichen, uns die aͤuſſerſten Sterne
der Milchſtraſſe noch kenntlich ſehen zu laſſen. Sie
muͤſſen ſich wegen ihrer unermeßlichen Kleinheit noth-
wendig allmaͤhlich verlieren, und ein zuſammenfallen-
des ſehr ſchwaches Licht ausmachen, zumal wenn ſich
das Licht der Sterne in der Himmelsluft nach und
nach ſchwaͤchen ſollte, wie es nach dem, ſo ich in
meinem letzten Schreiben angemerkt, ſehr vermuth-
lich iſt.


Die
[187]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Die andere Frage, die Sie mir, mein Herr, vor-
gelegt haben, betrift die Schwere der Planeten gegen
den Mittelpunct unſeres Fixſternenſyſtems. Sie wer-
den aus meinen vorhergehenden Briefen ſehen, daß ich
es noch dahin geſtellt ſeyn laſſe, ob dieſe Schwere be-
traͤchtlich genug iſt, um in der Laufbahn der Planeten
bemerkbare Anomalien zu verurſachen, welche denjeni-
gen ſehr aͤhnlich ſeyn muͤßten, die wir an dem Monde
beobachten, und von der Schwere des Mondes gegen
die Sonne herruͤhren. Man muͤßte ſehen, ob die
Erde zum Exempel in einer einfachen Ellipſe einher-
geht, oder ob ſie jaͤhrlich eben ſo davon abweicht, wie
der Mond von einer Conjun[c]tion zur andern? Ich
hatte ebenfalls die Frage aufgeworfen, ob ſich nicht
das allmaͤhlige Fortruͤcken der Aphelien und Knotenli-
nien in den Planetenbahnen aus der Schwere der Pla-
neten gegen den Mittelpunct des Fixſternenſyſtems
herleiten lieſſe? Wenn dieſes waͤre, ſo muͤßte dieſe
Schwere ſehr geringe ſeyn, nicht weil ſie in dem Mit-
telpunct ſelbſten geringe waͤre, ſondern weil der Ab-
ſtand unſerer Sonne von demſelben ſehr groß iſt. Es
koͤmmt hier darauf an, ob die Diameter der Planeten-
bahnen gegen dieſen Mittelpunct eine erhebliche Ver-
haͤltnis haben. Denn es iſt ausgemacht, daß auch
der Mond viel betraͤchtlichere Anomalien leiden wuͤr-
de, wenn ſeine Bahn um die Erde groͤſſer waͤre, weil
dieſe Anomalien ſich fuͤrnemlich nach den Abaͤnderun-
gen in ſeinem Abſtande von der Sonne richten.


Sodann wuͤrden dieſe Anomalien in der Lauf-
bahn


[188]
Coſmologiſche Briefe

bahn der Planeten bey jedem Umlaufe derſelben wie-
derkommen. Sie richten ſich nach einem gedoppelten
Umſtande. Einmal muͤſſen ſie bey den obern Plane-
ten in jedem Umlaufe groͤſſer ſeyn, weil ihre Laufbahn,
und folglich der Unterſchied ihres Abſtandes von dem
Mittelpunct des Fixſternenſyſtems groͤſſer iſt. Hin-
gegen kommen ſie bey den obern Planeten deſto lang-
ſamer wieder, weil dieſe zu ihrem Umlaufe laͤngere
Zeit brauchen. Dieſes bringt die Perioden der Ver-
ruͤckungen der Aphelien und Knotenlinien mehr zur
Gleichheit.


Daß ſich aber die Knotenlinien der Planeten
nach der Ordnung der Zeichen, die vom Monde hin-
gegen ruͤckwaͤrts bewegen, daruͤber laſſen ſich verſchie-
dene Anmerkungen machen, welche als eben ſo viele
Arten angeſehen werden koͤnnen, den Zweifel aufzuloͤ-
ſen, den Sie mir, mein Herr, vorgelegt haben.
Denn da wir die Richtung in dem Kreyßlaufe der
Sonne noch nicht wiſſen, ſo werden Sie leicht erach-
ten koͤnnen, daß es fuͤr jetzt genug ſeyn wird, wenn
ich die Moͤglichkeiten anzeige, deren es hiebey mehre-
re giebt.


Einmal habe ich ſchon angemerkt, daß die Nei-
gungen der Planetenbahnen nur deßwegen auf die
Erdbahn bezogen werden, weil die Aſtronomen ihre
Berechnungen dadurch erleichtern koͤnnen. Eben die-
ſes werden auch die Aſtronomen auf den uͤbrigen Pla-
neten thun. Sie ſehen die Flaͤche ihrer Laufbahn als
unbe-
[189]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
unbeweglich an, und auf dieſe reduciren ſie die Lauf-
bahnen der uͤbrigen Planeten. Sie haben demnach
ganz andere Knotenlinien als wir, und nur darinn
ſtimmen wir mit ihnen uͤberein, daß die Knotenlinien,
die ſie unſerer Erdbahn geben, eben die Lage hat, die
wir der ihrigen geben, weil es eine und eben dieſelbe
Durchſchnittslinie beyder Bahnen iſt. Allein die
Verruͤckung dieſer Linie iſt umgekehrt, wenn ſie auf
die Bahn eines Planeten oder auf unſere Erdbahn be-
zogen wird.


So aber muß ſie nicht betrachtet werden, ſon-
dern wenn man ihre wahre Verruͤckung finden will,
muß man ſie bis an die Fixſterne verlaͤngern, und folg-
lich von ihrer jaͤhrlichen Bewegung von dem Anfange
des Widders die Præceſſion der Aequinoctien abzie-
hen. Nehme ich die Bewegung der Knotenlinien,
wie ſie Kepler angegeben, und ziehe von jeder die
Bewegung der Fixſterne ab, die ſie um die Pole der
Eccliptic zu haben ſcheinen, ſo werden die Knotenli-
nien des Saturns und Mercurs unter den Fixſternen
nach der Ordnung, bey den uͤbrigen Planeten aber
wider die Ordnung der Zeichen laufen.


Dieſes waͤre einem allgemeinen Geſetze noch
mehr zuwider. Allein es iſt zu bemerken, daß man
hiebey nicht die Durchſchnitte betrachten muͤſſe, die
die Planetenbahnen unter ſich machen, ſondern dieje-
nigen, die ſie ſaͤmtlich mit der Flaͤche machen, in wel-
cher ſich die Sonne um den Mittelpunct des Fixſter-
nen-
[190]Coſmologiſche Briefe
nenſyſtems bewegt, welche aber erſt noch muß gefun-
den werden. Ueberhaupt ſcheint es zwar, als wenn
dieſe Flaͤche gegen der Eccliptic keine ſtarke Neigung
habe. Sie mag auch von der Flaͤche des Sonnen-
Aequators wenig verſchieden ſeyn. Doch laͤßt ſich
hieruͤber durch bloße Vermuthungen nichts beſtimmen,
weil alle Umſtaͤnde muͤſſen zuſammengenommen wer-
den, wenn man den Mittelpunct des Fixſternenſyſtems,
die Flaͤche, in welcher die Sonne ſich um denſelben
bewegt, den Abſtand dieſes Mittelpuncts, und ſeine
Schwere ausfuͤndig machen will.


Ehe man aber ſo weit geht, iſt es das rathſam-
ſte, vorher durch genaue Obſervationen die Laufbahn
unſerer Erde zu unterſuchen, ob ſie in der That voll-
kommen elliptiſch iſt, oder ob ſie an verſchiedenen Or-
ten davon abweicht, und entweder geſchwinder oder
langſamer lauft, als es das Kepleriſche Geſetz mit
ſich bringt? Denn haͤtte ſie eine betraͤchtliche Schwe-
re gegen den Mittelpunct der Fixſterne, ſo wuͤrde ſie
da geſchwinder laufen, wo ſie mit der Sonne und die-
ſem Mittelpuncte in Conjun[c]tion und in Oppoſition
iſt, wie wir dieſes auch an dem Monde ſehen, wenn
er neu oder voll iſt. Dieſes waͤre die naͤchſte Metho-
de,
ungefehr den Ort dieſes Mittelpuncts zu beſtim-
men, welchen Sie, mein Herr, aus andern Betrach-
tungen in die Gegend des Orions ſetzen, weil es aller-
dings ſcheint, daß die Reihen von Fixſternen in dieſer
Gegend viel laͤnger ſind. Bis zu einer genauern Be-
ſtimmung trage ich kein Bedenken, die Syſtemen der
Fixſterne
[191]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Fixſterne ſo anzunehmen, wie Sie es zu Ende Ihres
Schreibens vorſtellen, und den Mittelpunct unſeres
Syſtems und den von der Milchſtraſſe in der Gegend
des Orions zu ſuchen. Dermalen ſehe ich noch nicht
ein, daß ſich hierinn etwas beſtimmteres finden lieſſe,
und ich beſorge nur, man moͤchte dieſes ſchon als zu
verwegen anſehen. Doch daran halte ich mich nicht
auf. Ich weiß zu wohl, daß, wenn man eine Hypo-
theſe auf die Bahn bringen will, es beſſer iſt, wenn
man ſie vollends ausſchmuͤckt, und ſie in ihrem Umfan-
ge darlegt. Da ich die Mittel zur Pruͤfung derſelben
angegeben, ſo iſt dieſes alles, was man fordern kann,
und nach einer ſolchen Pruͤfung wird es ſich zeigen,
was man dabey auszubeſſern haben wird. Dieſe Mit-
tel beruhen zwar alle auf der Frage, ob die Sonne
gegen das Centrum des Fixſternenſyſtems eine ſolche
Schwere habe, daß ſich die Wirkungen an den Plane-
ten bemerken laſſen, ſo klein ſie auch ſeyn moͤgen? Iſt
dieſe Schwere nicht ſo groß, ſo reichen auch die ange-
gebenen Mittel nicht zu, die Frage bleibt unentſchie-
den, und die genauere Beſtimmung von der Lage un-
ſerer Sonne und ihrem Kreyßlaufe wird nicht ſo leicht
zu Stande gebracht werden.


Indeſſen bleibe ich bey den Gruͤnden der Analo-
gie,
worauf ich die Eintheilung der Fixſterne in beſon-
dere Syſtemen gebaut habe, ungeacht ich damit nicht
weiter, als auf einen gewiſſen Grad der Wahrſchein-
lichkeit reiche, welchen jeder nach Verſchiedenheit ſei-
ner Einſicht beſtimmen kann. So viel ſcheint mir
klar
[192]Coſmologiſche Briefe
klar genug zu ſeyn, daß man die Milchſtraſſe nicht
wohl auf eine ſchicklichere Art wird betrachten koͤnnen,
als wenn man ſie in einzele Syſtemen von Fixſternen
eintheilt, und ſie zu einem zuſammengeſetzten Syſtem
macht. Ihre Figur ſelbſten giebt uns die naͤchſte An-
leitung dazu. In denen Betrachtungen, die ich dar-
uͤber gemacht habe, finde ich noch keinen Widerſpruch.
Sie gruͤnden ſich auf ſolche Saͤtze, die ſich noch zurei-
chend erweiſen laſſen. Die Bewegung der Fixſterne
wird durch das Geſetz der Schwere ſo viel als noth-
wendig. Der anſehnliche Abſtand, der zwiſchen den
naͤchſten Fixſternen ſeyn muß, wenn ſie ſo wie unſere
Sonne mit ihrem Lichte und ihrer Waͤrme nutzen ſol-
len, macht, daß man ſie in langen Reihen hinter ein-
ander ſetzen muß, und dadurch wird das ganze Syſtem
der Milchſtraſſe nothwendig flach, weil die Reihen von
Sternen in dieſem Streifen allerdings vielfach laͤnger
ſeyn muͤſſen. Ueberhaupt finde ich alſo nicht den ge-
ringſten Grund, von denen Schluͤſſen abzugehen, die
mich nach und nach zu dieſer Vorſtellung geleitet ha-
ben.


Weiter bin ich hierinn nicht gegangen, ungeacht
ich oͤfters Luſt hatte, einen Verſuch zu thun, wie fer-
ne ſich die Syſtemen in der Milchſtraſſe von einander
unterſcheiden lieſſen, weil wir dieſelbe doch hin und
wieder zertheilt ſehen. Allein da ich ſo viele Syſte-
men in dieſem Streifen hinter einander ſetze, daß ſie
in unſeren Augen ein zuſammenhaͤngendes Ganzes aus-
machen, ſo habe ich mir noch nicht getrauet, etwas
hierinn
[193]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
hierinn zu beſtimmen. Und ehe ich weiter gehe, ſo
wuͤnſchte ich, daß man vorher durch genaue Obſerva-
tionen die vorgeſchlagene Pruͤfung anſtellete, beſon-
ders aber unterſuchte, wie viel ſeit des Ptolomaͤus
Zeiten die Fixſterne ſich unter einander moͤchten ver-
ruͤcket haben? Sodann koͤnnte man auch unterſuchen,
ob ſich die Bewegung der Aphelien und Knotenlinien
in den Planetenbahnen aus den angegebenen Gruͤnden
herleiten lieſſe? Da dieſe Unterſuchung fuͤr ſich kann
vorgenommen werden, ſo moͤchte es leicht geſchehen,
daß ich damit eine Probe machte. Allein die Arbeit
erfordert mehr Muße, als ich ſie dermalen habe. In-
deſſen wird es mir immer ein Vergnuͤgen ſeyn, wenn
Sie ſich, mein Herr, die Muͤhe geben wollen, die
Sache noch ferner zu uͤberdenken, und mir Ihre Be-
trachtungen daruͤber mitzutheilen. Aber noch weit
groͤſſer wird es ſeyn, wenn es Ihnen Zeit und Um-
ſtaͤnde zulaſſen, wieder zu uns zu kommen. Ich hof-
fe es mit groͤßtem Verlangen, und freue mich zum
voraus, wie angenehm es mir ſeyn wird, Ihnen ſelb-
ſten wieder zu zeigen, daß keine Ergebenheit vollkom-
mener iſt, als die, mit welcher ich verbleibe,
Mein Herr ꝛc.


NFuͤnf-
[194]Coſmologiſche Briefe

Fuͤnfzehnter Brief.


Es wird mir immer vielmehr an Kraͤften als an
Begierde fehlen, der wuͤrdigen Aufmunterung
zu folgen, die Sie mir, mein Herr, in Ih-

rem wertheſten Schreiben geben, jede Himmel zum
Gegenſtande meiner Betrachtungen zu machen, und
mich in Gedanken zu den entfernteſten derſelben hin-
aus zu ſchwingen. Sie koͤnnen verſichert ſeyn, daß
ich nichts mehr wuͤnſchte, als ein aſtronomiſcher Ma-
gellan
zu werden, und ſollte es viele Jahre gebrau-
chen, die ſchnelleſten meiner Gedanken durch den aͤuſ-
ſerſten Umkreyß des Weltbaues herumlaufen zu ma-
chen, ſo wuͤrde ich vergnuͤgt zuruͤck kommen, und an-
dere Zahlen von Fixſternenſyſtemen und Milchſtraſſen
in mein Tagregiſter bringen, als die ſind, welche die
Inſeln des Indianiſchen und ſtillen Meeres ausdruͤ-
cken.


Allein ſo weit reichen meine Kraͤften nicht, und
immer werde ich vergnuͤgt ſeyn, wenn ich Ihnen,
mein Herr, in allem nachkommen kann. Ich weiß,
daß Sie ſich nicht begnuͤgen, der Einbildungskraft un-
gehemmten Lauf zu laſſen, welche uns nach aufgehaͤuf-
ten Gebuͤrgen von Millionen weiter nichts als die
Groͤſſe eines Raumes angeben wuͤrde, der ein leeres
Bild vom Umfange der Welt, oder vielleicht auch nur
von einem Theile derſelben waͤre. Sie bemuͤhen ſich
vielmehr, den Weg gebaͤhnt zu machen, ſo weit ſie
ihn
[195]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ihn gegen die Tiefen des Firmamentes zuruͤck legen,
und Gedanken, die leicht verfliegen koͤnnten, durch
Schluͤſſe zuſammen zu haͤngen. So finden ſie jedes-
mal, wie weit Sie gekommen, und jedesmal finden
Sie den Ruͤckweg, wenn Sie innehalten, das bereits
Zuruͤckgelegte wieder durchgehen, oder zum weitern
Fortſchreiten ſich bereit machen wollen.


Wie angenehm iſt mir ins beſondere dieſe Be-
hutſamkeit, die Sie langſam eilen macht, daß ich den
Weg gebaͤhnt finde, und Ihnen, mein Herr, folgen
kann. Sie raͤumen mir die Hinderniſſe weg, die mich
aufhalten wuͤrden, indem ſie ſich die Muͤhe geben,
meine Fragen zu eroͤrtern. So entfernt Sie die
Sterne in der Milchſtraſſe ſetzen, ſo leiten Sie doch
das Licht derſelben in unſere Gegenden, und heben
mir den Zweifel, den ich uͤber ihre Sichtbarkeit hatte,
mit ausfuͤhrlichen Gruͤnden. Ich ſehe nun, daß,
wenn dieſes Licht je etwas geſchwaͤcht wird, dieſes nicht
ſo faſt unſern Fernroͤhren, als vielmehr der Himmels-
luft und den Athmoſphaͤren der Fixſterne zuzuſchreiben
iſt, und daß die Fernroͤhren uns jede Sterne in ihrer
wahren Klarheit vorſtellen wuͤrden, wenn ſie ihr Bild
ganz vollkommen deutlich machen koͤnnten. Da Sie
es aber dennoch dieſer Deutlichkeit ſehr nahe bringen,
und die Himmelsluft allem Anſehen nach ſehr rein
ſeyn muß, ſo habe ich nun in Anſehung der Sichtbar-
keit der Sterne keinen Anſtand mehr.


N 2Eben
[196]Coſmologiſche Briefe

Eben ſo bin ich durch Ihre Betrachtungen uͤber
die Bewegung der Knotenlinien der Planetenbahnen
auſſer allen Zweifel, zumal da Sie mehrere Arten an-
zeigen, wie die vorgelegte Frage eroͤrtert werden koͤn-
ne, und Sie verſchieben es bis auf eine ſchaͤrfere Un-
terſuchung, zu beſtimmen, welche von dieſen Moͤglich-
keiten wirklich ſtatt hat. Inzwiſchen iſt es genug,
daß mehrere Faͤlle moͤglich ſind, um die Schwierigkeit,
die mir einfiele, aufzuheben, und es dient mir zum
neuen Beweiſe, daß wir auch hierinn noch nicht genug
Copernicaniſch daͤchten, wenn wir die Flaͤche der Erd-
bahn zur Grundlage von der Neigung der uͤbrigen
Planetenbahnen machen wollten, weil dieſes ungefehr
eben ſo wegen der Bequemlichkeit der Rechnung ge-
ſchieht, wie wir in der ſphaͤriſchen Aſtronomie anneh-
men, das ganze Firmament drehe ſich in 24. Stun-
den um die Axe der Erde. Ich ſehe nun vollkommen
ein, daß, ſo bald die Knotenlinien ſich verruͤcken, die
Erdbahn von der vermeynten Unbeweglichkeit eben
ſo gut ausgeſchloſſen iſt, als die Bahnen der uͤbrigen
Planeten.


Da Sie die genauere Beſtimmung dieſer Ver-
ruͤckung nochmals als einen Anlaß anſehen, wodurch
die Einrichtung unſeres Sonnenſyſtems, und beſon-
ders der Kreyßlauf unſerer Sonne, welchen ich aus
den allgemeinen Betrachtungen, ſo Sie daruͤber an-
geſtellt, als zureichend erwieſen anſehen wuͤrde, zugleich
auch a poſteriori dargethan werden koͤnnte: ſo iſt es
mir ein wahres Vergnuͤgen, da ich Ihnen hieruͤber ei-
ne
[197]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ne Nachricht mittheilen kann, die mir einer meiner
Freunde gegeben. Erinnern Sie ſich, mein Herr,
daß Sie die Frage gemacht haben, ob nicht aus Ver-
gleichung der alten und neuen Catalogen erwieſen wer-
den koͤnnte, daß die Fixſterne ihren Ort unter einan-
der aͤndern, und ſich nach und nach aus ihrer Stelle
verruͤcken. Sie koͤnnen dieſe Frage in Abſicht auf
viele Sterne als eroͤrtert anſehen. Mein Freund ſag-
te mir, daß ſich der Herr Prof.Mayer zu Goͤttin-
gen, dem wir ſo viele andere Erfindungen zu verdan-
ken haben, die Muͤhe gegeben, dieſe Unterſuchungen,
die ſchon vor ihme ſeyn angeſtellt worden, weiter zu
treiben. Er habe die Sache zureichend eroͤrtert, und
ſeye auf den Schluß gebracht worden, daß man nicht
zu zweifeln habe, man wuͤrde nach einer allgemeinern
Pruͤfung finden, daß ſich alle Fixſterne mehr oder min-
der verruͤckt haben.


Bilden Sie ſich ein, wie ſehr mir dieſe Nach-
richt angenehm geweſen, und wie begierig ich noch der-
malen bin, die Schrift ſelbſten zu ſehen, die eine fuͤr
die ganze Aſtronomie, und fuͤr die voͤllige Veſtſetzung
ihres Syſtems ſo wichtige Erfahrung enthaͤlt. Ich
nahm inzwiſchen die Erfahrung mit Freuden an, und
bothe allen meinen Kraͤften auf, um zu ſehen, was
ich wuͤrde daraus ſchlieſſen koͤnnen.


Ich fienge dabey an, den Ruͤckweg zu nehmen,
und hiezu verhalfen mir Ihre vorhergehende Schreiben
nach Wunſche. Denn Sie, mein Herr, hatten die-
N 3ſe


[198]
Coſmologiſche Briefe

ſe allmaͤhliche Verruͤckung aus dem Geſetze der Schwe-
re hergeleitet, weil dieſes Geſetz jeder Maſſe von Ma-
terie anhaftet, und daher nicht nur durch die ganze
Welt ausgebreitet iſt, ſondern auch fuͤrnemlich dazu
dient, daß es die Welt zu einem zuſammenhaͤngenden
Ganzen macht. Dieſes Geſetz ſchiene Ihnen mit gu-
tem Grunde auch eine vim centrifugam zu fordern,
weil die Erhaltung der Weltkoͤrper in ihrem angemeſ-
ſenen Abſtande darauf beruht. So brachten Sie bey-
de Central-Kraͤften heraus, und aus dieſen ware ſo-
dann die Verruͤckung der Fixſterne eine nothwendige
Folge.


Nunmehr kann ich dieſen Beweis, welcher voll-
kommen ſynthetiſch iſt, in einen analytiſchen umkeh-
ren, da ſich der letzte Schlußſatz in eine ungezweifelte
Erfahrung verwandelt, die ſich nun zum Grunde le-
gen laͤßt. Ich getraue mir die Central-Kraͤfte auf
eine nothwendig ſchluͤſſige Art daraus herzuleiten, und
werde nun dieſen Verſuch Ihrem Urtheile, welches ich
allzeit hoch achte, unterwerfen.


Da ſich vermoͤg dieſer Erfahrung die Fixſterne
bewegen, ſo iſt nothwendig dieſe Bewegung entweder
geradlinicht, oder ihr Lauf kruͤmmet ſich. Die gerad-
linichte Bewegung faͤllt ins ungereimte. Denn ent-
weder iſt ſie bey allen Sternen conuergent, ſo muͤßte
man annehmen, die Welt ſeye ſo geſchaffen, daß ſie
nach und nach in ein Cahos zuſammen fallen muͤſſe;
Dieſes iſt der Erhaltung zuwider, folglich ungereimt.
Iſt
[199]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Iſt die Bewegung diuergent, ſo faͤhrt wiederum die
ganze Welt nach und nach auseinander, und ihre
Theile zerſtreuen ſich ins Unendliche hinaus. Das
Ganze wird zertruͤmmert, ſein gemeinſames Band faͤllt
weg, die Ordnung verſchwindet, kurz, die diuergente
Bewegung wird ungereimt.


Ich kann noch beyfuͤgen, daß die geradlinichte
Bewegung viel zu einfoͤrmig waͤre, als daß ſie in ei-
ner ſo ſehr zuſammengeſetzten Maſchine ſtatt haben
koͤnnte. Allein ſie iſt ſchon ungereimt genug, um ſie
bey den Weltkoͤrpern vollkommen auszuſchlieſſen.
Nach dem mechaniſchen Grundſatze, daß jeder bewegte
Koͤrper ſeine urſpruͤngliche Richtung behaͤlt, wenn er
nicht von ſeiner Bahn durch irgend eine neue Kraft
abgelenkt wird, folgt nun nothwendig, daß die Fix-
ſterne von der geraden Linie immer abgelenkt werden.
Soll nun auch hiebey die Welt nicht auseinander fah-
ren, ſo werden nicht nur die Central-Kraͤfte, ſondern
auch ein ſolches Gleichgewicht unter denſelben noth-
wendig, welches ſie in geſetzten Laufbahnen erhaͤlt.
Es muß bey jeden Sternen eine Kraft da ſeyn, die ſie
immer wieder dem Mittelpuncte naͤher bringt, von dem
ſie ſich durch die Bewegung entfernen wuͤrden.


Nunmehr dehne ich das Newtoniſche Geſetz der
Schwere durch die ganze Welt aus, es mag nun dem
Stoffe, woraus die Weltkoͤrper beſtehen, als eine ei-
genthuͤmliche Folge nothwendig anhaͤngen, oder nur
der vortrefflichſten Harmonie zu gefallen eingefuͤhrt
N 4ſeyn,
[200]Coſmologiſche Briefe
ſeyn, die Sie, mein Herr, in einem Ihrer Briefe in
ihr wahres Licht geſetzt haben. Liegt die Schwere als
eine anziehende Kraft in dem Koͤrper ſelbſten, ſo ſind
jede Fixſterne unſerer Sonne viel zu aͤhnlich, als daß
ſie nicht eben ſo wie dieſe anziehen ſollten. Haͤngt
aber die Schwere von dem Drucke des Aethers ab, ſo
breite ich ihn wieder eben ſo weit aus als immer die
Lichtſtralen gehen moͤgen. Und wenn beyde Urſachen
zuſammentreffen, ſo ſind ſie in ihrer Wirkung wieder
durchgehends aͤhnlich, und der Erfolg muß einerley
ſeyn, weil ein gleiches Geſetz jede Syſtemen der Welt
unter einander verbinden ſolle.


Zu dieſen Betrachtungen habe ich noch die fol-
gende gemacht. Weil die Fixſterne ſich bewegen, ſo
haben ſie auch einen ungleichen Abſtand von uns.
Denn ſonſt muͤßten ſie ſich auf der Flaͤche einer Sphæ-
re
bewegen. Dieſes aber faͤllt eben ſo ins ungereim-
te, wie Sie, mein Herr, erwieſen haben, daß die Lauf-
bahnen der Cometen nicht gleichgroſſe Circul ſeyn koͤn-
nen. Ueberdiß hat jeder Fixſtern ein Gefolg von Pla-
neten und Cometen, die er erleuchtet und erwaͤrmet,
um deſto weniger wuͤrde auf der Flaͤche einer Sphære
Raum genug ſeyn.


Es wird mir ein wahres Vergnuͤgen ſeyn, wenn
Sie, mein Herr, die Muͤhe nehmen wollen, dieſe
Schluͤſſe weiter zu treiben. Denn ich bin zum vor-
aus uͤberzeugt, daß Sie aus der Verruͤckung der Fix-
ſterne, die Sie aus allgemeinern Betrachtungen her-
geleitet
[201]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
geleitet haben, vielleicht nur deßwegen keine weitere
Folgen gezogen, weil Sie dieſelbe, nach der Ihnen ſo
gewoͤhnlichen Sorgfalt, erſt wollten durch die Erfah-
rung bekraͤftigt ſehen; Und aus dieſem Grunde haben
Sie die Sache nur als eine Frage vorgelegt, deren
Eroͤrterung auf der Vergleichung der alten und neuen
Catalogen der Fixſterne beruhete, eben ſo wie Sie es
auf kuͤnftige genauere Obſervationen ankommen laſſen,
ob die Bahn der Erde von den uͤbrigen Planeten da-
durch eine bemerkbare Veraͤnderung leide? Da nun
aber die Erfahrung das erſte bereits bekraͤftigt, ſo ſehe
ich nicht, was ihre Folgſaͤtze aufhalten ſollte, und ich
bitte nur, daß Sie mir dieſelben mittheilen moͤchten.


Indeſſen da ich ſie mit der groͤßten Begierde er-
warte, ſo muß ich Ihnen noch ſagen, daß mich dieſe
Erfahrung dreiſte gemacht hat, von allen Seiten her
Gruͤnde und Betrachtungen zu ihrem Syſtem aufzu-
ſuchen. Ich wuͤnſchte, nach und nach auf Ihre Spur
zu kommen, und die Art zu ſchlieſſen, die Sie hiebey
gebrauchen, mir voͤllig anzugewoͤhnen. Denn ich ſe-
he ſchon, daß ich dadurch in Stand geſetzt wuͤrde,
kuͤnftige Erfahrungen zuvor zu ſehen, und ſie getroſt
als Proben meiner Schluͤſſe zu erwarten. Ungeacht
ich nun damit nicht voͤllig ausreiche, ſo muß ich Ih-
nen, mein Herr, doch ſagen, wie ich angefangen ha-
be, und weiß, daß Sie mir bey der Fortſetzung helfen
werden. Es betrift nicht die Syſtemen der Fixſterne,
denn dieſe muß ich Ihnen ganz uͤberlaſſen, bis ich et-
wan weitere Uebung erlange. Dermalen kehre ich zu
N 5unſerm
[202]Coſmologiſche Briefe
unſerm Sonnenſyſtem zuruͤck, um ſeine Einrichtung,
wenn es mir moͤglich iſt, noch genauer kennen zu ler-
nen. Sie werden mir zugeben, daß es ſich der Muͤ-
he lohne, weil es uns ein naͤheres und bekandteres
Bild von jeden andern Sonnenſyſtemen iſt. Die
Halleiſche Tafel, die mir wieder in die Haͤnde fiele,
gabe mir Anlaß dazu. Und da ſie eben ſo viele be-
reits ausgemachte Erfahrungen enthaͤlt, ſo wird ſie
meinen Betrachtungen zum Ziele dienen, wohin ich ſie
leiten ſolle.


Da ich nun zureichend weiß, daß die Beſtim-
mung der Bahn eines Cometen von 6. Stuͤcken ab-
haͤngt, welche dieſelbe nothwendig von jeder andern
Bahn unterſcheiden, ſo habe ich die Cometen in Ab-
ſicht auf jedes dieſer Stuͤcke in Claſſen gebracht, und
wollte die Geſetze ſuchen, wie ſie in jeder Claſſe ver-
theilt waͤren.


Die erſte Claß, welche den Abſtand der Perihe-
lien betrift, haben Sie, mein Herr, bereits durchgan-
gen, und zum Grunde gelegt, daß die Anzahl der Co-
meten wie die Quadrate des Abſtandes ihrer Perihe-
lien zunehme. Sie hatten mir ferner angemerkt,
daß, da Halley die Cometen nicht ausgeleſen, ſondern
ſie genommen, wie er ſie hat haben koͤnnen, ſeine Ta-
fel gleichſam ein Muſter von ihrer Austheilung
abgeben wuͤrde, daß dieſes aber in Abſicht auf ihre
Sichtbarkeit eine Ausnahme litte, weil allerdings die-
jenigen Cometen unter einer ſo kleinen Anzahl haͤufi-
ger
[203]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ger ſeyn muͤſſen, deren Umſtaͤnde ſie am leichteſten
ſichtbbar machen. Ich ſahe alſo wohl, daß ihr Ge-
ſetz in Abſicht auf die Diſtanz der Perihelien bey Hal-
leys Tafel nicht durchgehends gefunden werden konnte.
Indeſſen trift es fuͤr die Cometen, ſo ihr Perihelium
naͤher als die Venus haben, ziemlich genaue zu. Die
Bahn der Venus iſt ungefehr 3mal groͤſſer als die
vom Mercur, und die Tafel gibt 17. Cometen, ſo in-
ner der Venus und nur 6, ſo innert dem Mercur ihr
Perihelium hatten. Nun verhaͤlt ſich 17. zu 6. un-
gefehr wie 3. zu 1, und daher wie die Quadrate des
Abſtandes dieſer beyden Planeten.


Dieſes Beyſpiel, welches Sie mir gegeben,
verleitete mich ebenfalls, ſolche Geſetze fuͤr die uͤ-
brige Beſtimmungsſtuͤcke der Cometen zu ſuchen.
Ich ſchritte daher zu der Neigung ihrer Bahn ge-
gen die Eccliptic, und wollte ſehen, ob alle Nei-
gungswinkel gleich moͤglich ſind. Dieſe Winkel
nahm ich von 10. zu 10. Grad, und ſchaute,
wie viele von den 21. Cometen, ſo die Tafel ent-
haͤlt, zu jeder Abtheilung gehoͤren, und wie viele
dazu nach der Rechnung gehoͤren ſollten. Das
Produ[c]t nebſt dem Unterſchiede brachte ich in fol-
gende Tafel.


Neigung
[204]Coſmologiſche Briefe

Da alſo die berechnete Zahl bald etwas groͤſſer, bald
etwas kleiner ware, ſo ſchloße ich, daß, wenn Halleys
Tafel ſtatt 21. Cometen etliche hundert enthielte, der
Unterſchied nicht viel merklicher ſeyn wuͤrde, und daß
ich folglich die Cometen ſo abtheilen koͤnne, daß alle
Neigungswinkel gleich moͤglich ſind, und daher auch
in gleicher Anzahl vorkommen.


Die Lage der Knotenlinie vertheilte ich ebenfalls
durch die Zeichen des Thierkreyſes. Dieſe Austhei-
lung ſchiene mir in Abſicht auf jede einzele Zeichen
nicht ſo ordentlich. Im ♋ und ♌ fanden ſich keine,
dagegen aber waren im ♊ 5, und in der ♍ 3, in
der ♎ keine, im ♏ wieder 2, und ſo ſahe ich wohl,
daß die aufeinander folgenden Zeichen einander com-
penſi
rten, weil in den 4. erſten Zeichen 9, in den 8.
erſten 14. waren.


Die
[205]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Die Breite der Perihelien, oder ihre Erhoͤhung
uͤber die Eccliptic ſollen wie die Zonen der Sphære,
und folglich wie die Sinus latitudinis zunehmen, wenn
ſie durch die Sphære gleich ausgetheilt ſind, oder alle
moͤglichen Lagen haben, und dieſes traf in der Tafel
deſ Halley ſehr ordentlich zu.


Hingegen verhielte es ſich mit der Longitudo Perihe-
lii heliocentrica
anderſt. Ich vermuthete anfangs,
ſie ſollten durch alle Zeichen gleich ausgetheilt ſeyn,
allein, die 6. noͤrdlichen Zeichen des Thierkreyſes hat-
ten juſt doppelt ſo viele als die 6. ſuͤdlichen. In jene
trafen 14, in dieſe aber nur 7.


In Anſehung der Monate, in welchen die Co-
meten in ihren Perihelien geweſen, hatte das Gegen-
theil ſtatt, indem die Anzahl derer, die in den 6. Win-
termonaten durch ihr Perihelium gegangen, doppelt ſo
groß ware, als die, welche ihre groͤßte Sonnennaͤhe
in den 6. Sommermonaten gehabt haben. Von jenen
waren 16, von dieſen aber nur 8.


Ich
[206]Coſmologiſche Briefe

Ich ſollte hieraus vermuthen, daß die Sichtbar-
keit zu dieſem Unterſchiede etwas beytrage. Da wir
die Cometen nur alsdenn ſehen, wenn ſie zu ihrem Pe-
rihelio
kommen, und da wir ſie ferner nur des Nachts
ſehen koͤnnen, ſo muß die Anzahl derer, ſo des Win-
ters ſichtbar ſind, groͤſſer ſeyn, als die Anzahl derer, die
ſich des Sommers ſehen laſſen, und zwar in Verhaͤlt-
nis von der Laͤnge der Naͤchte. Dieſe aber ſind bey
uns im Winter noch einmal ſo lange als im Sommer,
und daher iſt es auch des Winters zweymal ſo moͤglich,
einen Cometen zu ſehen, als des Sommers. Aus die-
ſem Grunde nehme ich allerdings an, daß die Perihe-
li
en auch in Abſicht auf ihre Longitudo heliocentrica
alle moͤgliche Lage haben, ungeacht ihre Sichtbarkeit ei-
nem andern Geſetze folget.


Endlich bliebe mir noch die Richtung des Laufes,
um zu ſehen, wie viele Cometen rechtlaͤufig oder ruͤck-
laͤufig ſind. Ungeacht Halley dieſes in der Tafel nicht
angezeigt hatte, ſo ließ es ſich dennoch aus ſeinen Da-
tis
ſchlieſſen, weil er die Lage des aufſteigenden Knoten
und zugleich auch angezeigt hatte, ob das Perihelium
auſtral
oder boreal ware. Denn iſt es auſtral, ſo
laͤuft der Comet vom Perihelio gegen den aufſteigenden
Knoten. Iſt aber das Perihelium boreal, ſo laͤuft er
von dieſem Knoten gegen das Perihelium. Hieraus
ergabe ſich die Richtung des Laufes, und nachdem ich
die Muſterung angeſtellt, fand ich, daß unter den
21. Cometen der Tafel 11. ruͤcklaͤufig und 10. gerad-
laͤufig waren, und daß man folglich von beyden Arten
gleich
[207]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
gleich viele annehmen koͤnne. Dieſes macht die Ein-
foͤrmigkeit, die wir bey den Planeten ſehen, noch um
deſto merkwuͤrdiger, da alle Planeten einerley Rich-
tung haben.


Bey den Cometen iſt beydes ſo vollkommen ei-
nerley, daß ich keinen Umſtand fande, der etwas daran
aͤnderte. Bey den ruͤcklaͤufigen waren 5. auſtrale und
6. boreale, bey den geradlaͤufigen waren 5. auſtrale
und eben ſo viele boreale, und gerad und ruͤcklaͤufige
hatten alle moͤgliche Inclinations-Winkel und Abſtaͤnde
der Perihelien.


Aus dieſen Betrachtungen konnte ich nun den
allgemeinen Schluß machen, daß die Cometen um die
Sonne in ihren Bahnen alle moͤgliche Lagen und Ver-
ſchiedenheiten haben, und Halleys Tafel von allen
Muſter aufweißt, aber dabey auch ungemein viele leere
Stellen und Luͤcken laͤßt, welche noch muͤſſen ausgefuͤllt
werden, wenn ſie dereinſtens vollſtaͤndig ſeyn, und alle
uns ſichtbare Cometen enthalten ſolle.


Ich ſehe gar wohl, daß, wenn dieſe Betrachtun-
gen brauchbar ſeyn ſollen, dabey eine gewiſſe Art aus
Wahrſcheinlichkeiten zu ſchlieſſen, angewandt werden
muͤſſe, die ich noch nicht voͤllig entwickeln kann. Ich
nehme z. Ex. als einen Grundſatz an, daß wirklich alle
moͤglichen Lagen bey den Cometenbahnen ſtatt haben,
und hieraus laͤßt ſich unmittelbar herleiten, wie die
Cometen in Abſicht auf jede Beſtimmungsſtuͤcke ausge-
theilt


[208]
Coſmologiſche Briefe

theilt werden muͤſſen. Alle Neigungswinkel ſind gleich
moͤglich. Jede Zeichen des Thierkreyſes haben eine
gleiche Anzahl von Knotenlinien und Perihelien. Die
Anzahl der Cometen in Abſicht auf die Latitudinem
perihelii heliocentricam
muß zunehmen, wie die Si-
nus latitudinis,
und daher immer langſamer, bis ſie
mit dem 90ten Grad der Breite aufhoͤrt, und vollſtaͤndig
wird. Endlich nimmt eben dieſe Anzahl zu, wie die
Quadrate des Abſtandes des Perihelii von der Sonne.


Nach dieſen hypothetiſchen Biſtimmungen wende
ich mich zu der Halleyſchen Tafel, um zu ſehen, ob ſie
ſich nach derſelben richtet, oder unverwerfliche Spuren
davon darbeut. Die Neigung der Bahnen, ihre Kno-
tenlinien und die Breite der Perihelien gehen nach
Wunſche. Hingegen weicht die Diſtanz der Perihelien
und ihre Longitudo heliocentrica, wie auch die Mo-
nate ihrer Erſcheinung von dem aus der Hypotheſe her-
geleiteten Satze ab, doch aber ſo, daß ſich dieſe Abwei-
chung aus der Betrachtung der Sichtbarkeit ordentlich
erklaͤren laͤßt, wenn man die an ſich moͤglichen Faͤlle in
diejenigen verwandelt, die der Sichtbarkeit noch mehr
oder minder moͤglich ſind. Dieſe Verwandlung habe
ich in Abſicht auf den Abſtand der Perihelien noch nicht
genau beſtimmen koͤnnen, weil ſie von ſehr vielerley
Umſtaͤnden abzuhaͤngen ſcheint. Indeſſen iſt es mir
genug, daß ſich die Cometen, ſo faſt nothwendig ſicht-
bar ſeyn muͤſſen, darnach richten, und eben ſo auf die
zu ſchlieſſen, die nicht ſo leichte geſehen werden koͤnnen.


Die
[209]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Die Beſtimmung der Wahrſcheinlichkeit, die
hiebey vorkoͤmmt, ſcheint ſich nun darauf zu gruͤnden.
Ich muß annehmen, daß bey der Halleyſchen Tafel
keine Auswahl vorkoͤmmt. Denn eben dieſes iſt, was
die Sache auf die Theorie der Wahrſcheinlichkeit an-
kommen macht, wie es bey den Looßen geſchieht. Fer-
ner muß ich annehmen, die Wiederkehr der Cometen
richte ſich nach einer ſo ſehr zuſammengeſetzten Ord-
nung, daß ſie eben ſo auf einander folgen, als wenn
alle Faͤlle gleich moͤglich waͤren, daß aber dennoch der-
jenige die Oberhand behalte, der am wahrſcheinlich-
ſten iſt.


Dieſes vorausgeſetzt, ſtelle ich mir die Sache ſo
vor. Ich nehme ein allgemeines Geſetz an, und aus
demſelben beſtimme ich ſechs beſondere Geſetze fuͤr eben
ſo viele Beſtimmungsſtuͤcke der einzeln Faͤlle. Von
dieſen einzeln Faͤllen nehme ich 21. ſo, wie ſie kom-
men, und ohne Auswahl, und vergleiche ſie mit jedem
dieſer ſechs beſondern Geſetze. Sie treffen ordentlich
zu. Wenn man nun ſtatt dieſer 21. Faͤlle alle die,
ſo wirklich ſtatt haben, zuſammen naͤhme, ſo fragt ſich,
wie groß die Wahrſcheinlichkeit ſeye, daß ſie ſich gar
nicht nach dieſen ſechs Geſetzen richten ſollten, die
ſaͤmtlich aus einem allgemeinen Geſetze flieſſen?


Ungeacht ich dieſe Frage noch nicht aufloͤſen kann,
und ſie uͤberdiß eine nicht wenig weitlaͤuftige Rechnung
zu erfordern ſcheint, ſo ſehe ich doch ſo viel ein, daß,
weil Halleys Tafel ſich nach dieſen Geſetzen ſehr or-
Odentlich
[210]Coſmologiſche Briefe
dentlich richtet, die darinn mangelnde Cometen, und
daher alle insgeſamt eben dieſen Geſetzen folgen muͤſ-
ſen, weil es unmoͤglich zu ſeyn ſcheint, daß nicht von
den meiſten, wo nicht gar von allen, dieſer Geſetze
nahmhafte Ausnahmen in der Tafel vorkommen wuͤr-
den, wenn die ganze Anzahl aller Cometen auf eine
andere Art ausgetheilt waͤre. Denn wie haͤtte es ge-
ſchehen koͤnnen, daß dieſe 21. Cometen in allen dieſen 6.
verſchiedenen Abſichten juſt uns zu taͤuſchen erſchienen
und obſervirt worden waͤren?


Es wuͤrde ſich meines Erachtens der Muͤ-
he lohnen, dieſe Betrachtung voͤllig ins Licht zu ſetzen,
wenn ſie Anlaß geben koͤnnte, die Luͤcken der Halley-
ſchen Tafel zu beſtimmen. Allein da Sie, mein Herr,
hiezu bereits den Abſtand der Perihelien gebraucht ha-
ben, und dieſer Umſtand der ſchicklichſte iſt, ſo wuͤrde
ich nur eine Aehrenleſe nach der Erndte vornehmen,
wenn ich es aus den uͤbrigen Stuͤcken ſuchen wollte.
Am beſten ſcheint mir noch die Lage der laͤngern Axen
der Laufbahnen hieher zu dienen. Die zwo, die in
der Tafel einander am naͤchſten kommen, machen ei-
nen Winkel von ungefehr 7. Grad mit einander.
Theile ich ſie durch die ganze Flaͤche der Sphære nach
dieſem Maaße aus, ſo muß ich 41253. Quadratgra-
de, als den Innhalt der Flaͤche durch 49. Quadrat-
grade theilen, und da bekomme ich 842. uns ſichtbare
Cometen, welche noch alle innert den Mars kommen,
und 40mal ſo viel oder 33680. welche innert den
Saturn kommen. Die Anzahl waͤre wieder ſehr be-
traͤcht-
[211]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
traͤchtlich. Allein dieſe Rechnung iſt lange nicht ſo
ſchluͤſſig, wie die, ſo Sie von den Perihelien herge-
nommen haben, weil die Perihelien den Wirkungs-
kreyß eines Cometen auf eine naͤhere Art inbegreifen,
als die bloße Lage der laͤngern Axen.


Was mir aber bey allem dieſem merkwuͤrdiger
ſcheint, iſt, daß alle Neigungswinkel gleich moͤglich
ſind, weil ich immer gedacht hatte, daß ſie bey den
Cometen merklich groͤſſer ſeyn wuͤrden, als die von den
Planeten. Allein Halleys Tafel ſelbſt enthaͤlt ſol-
che, deren Neigungswinkel nicht uͤber 5. oder 6. Gra-
de, und daher nicht groͤſſer ſind als der vom Mercur,
welchen Kepler auf 6. Grad, 54. Minuten ſetzt.
So nahe grenzt demnach die Cometen- und Plane-
tenwelt aneinander, daß ſie ſich ſtuffenweiſe vermengt,
und allem Anſehen nach werden die Neigungswinkel
der naͤchſten aneinander liegenden Cometenbahnen nicht
viel groͤſſer ſeyn; weil ſie ſich doch eben ſo unter
einander ausweichen muͤſſen, wie ſie den Planeten
ausweichen. Eine ſo geringe Neigung ſcheint aber
anzuzeigen, daß der Wirkungskreyß der Cometen eben
nicht betraͤchtlich ſeyn muͤſſe, und unter den uns ſicht-
baren Weltkugeln wuͤrden Jupiter und Saturn noch
immer den Vorzug behalten. Wenn alſo die Come-
ten nur bey dieſen gluͤcklich durchkommen, ſo bin ich
fuͤr die uͤbrigen Zufaͤlle nicht beſorgt.


Schreiben Sie mir, mein Herr, wiederum,
wie ferne die Anlaͤſſe, die ich aufzubringen ge-
O 2ſucht
[212]Coſmologiſche Briefe
ſucht habe, Ihnen dienen koͤnnen, noch fernere
Schluͤſſe daraus herzuleiten, beſonders aber hoffe ich,
Sie werden mir Ihre Anmerkungen und Folgſaͤtze
uͤber die Verruͤckung der Fixſterne mittheilen, wo-
fuͤr ich Ihnen aͤuſſerſt werde verbunden ſeyn. Se-
hen Sie dieſen Brief als eine Probe der Bemuͤ-
hungen an, die ich mir gebe, auf Ihren Wegen
einher zu gehen, und Ihre Gedenkensart in den
aſtronomiſchen Geheimniſſen eben ſo wie in den Ge-
ſinnungen der wahren Freundſchaft zu eigen zu ma-
chen ſuche, mit welcher ich verbleibe,
Mein Herr ꝛc.


[figure]

Sech-
[213]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Sechzehnter Brief.


Es war mir ein ausnehmendes Vergnuͤgen, aus
Ihrem geſchaͤtzteſten Schreiben zu ſehen, wie
Sie, mein Herr, alles anwenden, um neuen

Stoff zu unſern aſtronomiſchen Betrachtungen zu
ſammeln, und dieſelben nicht nur in allen Abſichten
gewiſſer, ſondern auch in jeden einzeln Theilen be-
ſtimmter zu machen. Ich geſtehe Ihnen gerne, daß
ich mich am Ende meiner Einfaͤlle zu ſeyn glaubte,
und es bald auf kuͤnftige Umſtaͤnde verſchoben haͤtte,
weiter zu gehen. So wenig koͤnnen wir unſern Gedanken
gebieten, wenn wir Glieder zu einer langen und zuſam-
menhaͤngenden Reihe von Schluͤſſen finden ſollen.
Bald verlieren wir die zu neuen Saͤtzen fruchtbare
Seite der Sache aus dem Geſichte, bald bemerken
wir nicht gleich, was uns daran dienlich ſeyn kann,
und bald fehlen uns die Vorderſaͤtze, die wir damit
verbinden ſollten, um neue Schluͤſſe heraus zu brin-
[g]en. Das meiſte hierinn haͤngt von Zeit und Umſtaͤn-
den ab, und laͤßt uns warten, bis ſich die Aufloͤſung
der Fragen etwan von ſelbſten darbeut. So gelegent-
lich geht es mit unſern Unterſuchungen, und ſo aufge-
legt muͤſſen wir ſeyn, die dienlichen Gelegenheiten und
Anlaͤſſe gleich zu erkennen, und anzuwenden.


Wie ſehr wuͤnſchte ich, die Nachricht uͤber die
nun auſſer Zweifel geſetzte Verruͤckung der Fixſterne
ſo gluͤcklich gebrauchen zu koͤnnen, die Sie mir mitge-
O 3theilt
[214]Coſmologiſche Briefe
theilt haben, und die Schluͤſſe, die Sie, mein Herr,
bereits daraus gezogen, noch weiter zu treiben. Sie
haben alle Urſache von der Welt, dieſe Erfahrung fuͤr
die ganze Aſtronomie als ſehr wichtig anzuſehen. Was
je in unſerm Sonnenſyſtem auch nur der langſamſten
Veraͤnderung unterworfen iſt, das hat man bisher
immer dadurch veſte zu ſetzen geſucht, daß man es mit
den Fixſternen vergliche. Was bey der Schiffahrt die
Ufer und Vorgebuͤrge ſind, das waren die Fixſterne in
der Aſtronomie; Man gedachte ſich da immer wieder
zurecht zu finden. Allein da es nun vollends ausge-
macht iſt, daß die Fixſterne ſich verruͤcken, ſo muß man
auf andere Mittel denken, die aſtronomiſchen Oerter,
die man obſervirt, in den folgenden Zeiten wieder zu
finden. Der Mond, der jezt einen Fixſtern bedeckt,
wird ihn, wenn er auch wieder in gleiche Stelle
koͤmmt, in den kuͤnftigen Jahrhunderten nicht mehr
bedecken.


Ungeacht ich meine allgemeine Gruͤnde fuͤr die
Verruͤckung der Fixſterne fuͤr zureichend anſahe, an
derſelben nicht zu zweifeln, ſo hatte ich dagegen viel-
mehr den Anſtand, ob ſich dieſe Verruͤckung bereits be-
merken laſſe. Daher hatte ich auch die Vergleichung
der alten und neuen Catalogen vorgeſchlagen. Da
ſie aber Herr Prof. Mayer betraͤchtlich gefunden, ſo iſt
es unſtreitig, daß ich nun ihrem Vorſchlage folgen,
und ſehen kann, was ſich fuͤr Schluͤſſe dabey machen
laſſen.


So
[215]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

So viel ſehe ich wohl voraus, daß ſich aus ei-
ner ſolchen Vergleichung nicht ſo faſt die Groͤſſe als
die Wirklichkeit dieſer Verruͤckung genauer eroͤrtern
laͤßt. Denn dieſe Verruͤckung muß merklich groͤſſer
ſeyn, als daß man ſie den fehlerhaften Obſervationen
der aͤlteſten Aſtronomen allein zuſchreiben koͤnnte, und
dieſes iſt fuͤr ſich betrachtet ſchon genug. Die aſtro-
nomiſchen Inſtrumente ſind dermalen in ſolcher Voll-
kommenheit, daß man in viel kuͤrzerer Zeit dieſe Ver-
ruͤckung genauer wird beſtimmen koͤnnen, als es aus
der Vergleichung der alten und neuen Catalogen ge-
ſchehen kann.


Iſt ſie aber einmal beſtimmt, ſo laͤßt ſich aller-
dings die Rechnung daruͤber machen, die Sie, mein
Herr, in einem ihrer vorhergehenden Schreiben als
einen vorlaͤufigen Ueberſchlag angeſtellt haben. Sie
nahmen z. E. an, der naͤchſte Stern habe ſich um ¼.
Grad verruͤckt, und daraus berechneten Sie die Ge-
ſchwindigkeit ſeiner Bewegung, und ſchloßen, daß ſie
nicht von der Schwere deſſelben gegen unſere Sonnen
herruͤhren koͤnne. Grund genug, um einen andern
Mittelpunct fuͤr unſer Fixſternenſyſtem zu ſuchen, und
noch um deſto mehr, weil die Verruͤckung allem Anſe-
hen nach groͤſſer als ¼. Grad ſeyn wird, welches ich
aber inzwiſchen dahin geſtellt ſeyn laſſe, bis mir die
Schrift des Herrn Prof. Mayers zu Geſichte kommt.


Sodann haben Sie, mein Herr, in eben dem
Schreiben bereits angemerkt, daß dieſe Verruͤckung
O 4nur
[216]Coſmologiſche Briefe
nur relativ ſeye. Denn da Sie richtig annehmen
koͤnnen, unſere Sonne bleibe eben ſo wenig an glei-
cher Stelle als die Fixſterne, ſo vermiſcht ſich die Aen-
derung ihres Ortes mit der ſcheinbarn Veraͤnderung
der Lage der Sterne, und es iſt unſtreitig, daß man
hiebey das Optiſche von dem Phyſiſchen unterſcheiden
muͤſſe, wie es in der ganzen Aſtronomie ſchon laͤngſten
eingefuͤhrt iſt.


Um aber dieſe Sache in ihr wahres Licht zu ſe-
tzen, ſo muß ich Ihnen ſagen, daß ich nun um die
Beſtimmung des Abſtandes der Fixſterne unter einan-
der gar nicht mehr beſorgt bin. Sie wiſſen, wie vie-
le Muͤhe man ſich gegeben, die Parallaxe der Erdbahn
dazu zu gebrauchen, nur um den Abſtand eines der
naͤchſten zu finden, und daß der halbe Diameter die-
ſer Bahn bald keine Verhaͤltnis zu dieſem Abſtande
behaͤlt, weil er wenigſtens 500000mal groͤſſer iſt.
Aber nun haben wir eine ganz andere Parallaxe, wel-
che uns nach und nach die Lage der Fixſterne genauer
angeben wird. Es iſt die Parallaxe der Sonnenbahn,
die ſie um den Mittelpunct des Fixſternenſyſtems
durchlaͤuft, und wir werden nun in Abſicht auf die
Fixſterne eben die Kunſtgriffe gebrauchen koͤnnen, de-
ren ſich die Aſtronomen im Monde in Abſicht auf die
Hauptplaneten bedienen muͤßten, wenn ſie die Sonne
nie ſehen wuͤrden. Es iſt natuͤrlich, daß es uns meh-
rere Zeit gebraucht. Die Groͤſſe und Wuͤrdigkeit der
Sache fordert ſie.


Den
[217]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Den Theil der Bahn, ſo unſere Sonne in etli-
chen hundert Jahren durchlaͤuft, kann man als eine
Standlinie anſehen, und auf dieſe muͤßte die Verruͤ-
ckung der Fixſterne bezogen werden. Wir befinden
uns in einem aͤhnlichen Fall, wenn wir aus drey Ob-
ſervationen eines Cometen die Bahn deſſelben finden
wollen. Der Unterſchied, der die Schwierigkeit ver-
groͤſſert, koͤmmt darauf an, daß wir den Mittelpunct
des Fixſternenſyſtems noch nicht wiſſen. Denn auf
dieſen muͤßte man jeden Winkel beziehen.


In meinen vorhergehenden Schreiben habe ich
zur Ausfindung dieſes Punctes verſchiedene Mittel
vorgeſchlagen, und laſſe es bis zu weiterer Unterſu-
chung noch dahin geſtellt ſeyn, ob ſie zureichen oder
nicht. Da indeſſen die ſcheinbare Verruͤckung der
Fixſterne eben ſo wohl von der Bewegung der Sonne
als von ihrer eigenen Bewegung abhaͤngt, ſo lieſſe
ſich vielleicht daraus herleiten, gegen welche Gegend
die Sonne ihren Lauf nimmt. Es iſt unſtreitig, wie
Sie es, mein Herr, bereits in Ihrem vorhergehen-
den Briefe angemerkt, daß einige Fixſterne muͤſſen
ruͤcklaͤufig, andere geradlaͤufig, und noch andere ſtille-
ſtehend erſcheinen. Die Bewegung unſerer Sonne
mengt ſich bey allen ein, und bringt dabey eine opti-
ſche Irregularitaͤt hervor, aus welcher ſich die wahre
Bewegung dennoch nach und nach muß erkennen laſ-
ſen.


Ueberdiß ſtelle ich mir das Fixſternenſyſtem, zu
welchem unſere Sonne gehoͤrt, nicht anderſt vor, als


O 5unſer
[218]
Coſmologiſche Briefe

unſer Sonnenſyſtem. Dieſes iſt gleichſam das ver-
juͤngte Bild von jenem. Es iſt faſt bis zur Gewiß-
heit vermuthlich, daß die Bahnen der Fixſterne nicht
nur alle moͤgliche Lage unter einander haben, ſondern
auch Ellipſen von allen Arten ſeyn werden. Das er-
ſte erhellet daraus, weil wir die Fixſterne aller Orten
um uns herum ausgetheilt ſehen, welches nicht ſeyn
wuͤrde, wenn ſie, wie die Planeten, in gleicher Flaͤ-
che laͤgen. Das andere ſcheint mir, wie bey den Co-
meten, die Mannigfaltigkeit und die Vergroͤſſerung
ihrer Anzahl zu fordern. Denn Sie werden ſich,
mein Herr, noch erinnern, daß die laͤnglichten El-
lipſen zur Vermehrung der Anzahl tauglicher ſind.
Dieſe mache ich aber wiederum aus dem Begriffe der
Bewohnbarkeit nothwendig. Jeder Fixſtern hat ein
Gefolg von Cometen und Planeten. Sollen dieſe
zahlreicher werden, ſo muß man auch jene vermehren,
und daher in dem Fixſternenſyſtem die groͤßte moͤgliche
Zahl anbringen, die es faſſen kann. Es muß ſich
demnach aus kuͤnftigen Obſervationen eroͤrtern laſſen,
ob unſere Sonne in einer laͤnglichten oder ruͤndern El-
lipſe einhergeht, und ob ihre Bahn gegen die Flaͤche
der Milchſtraſſe mehr oder minder inclinirt iſt.


Die wahre Geſchwindigkeit der Bewegung der
Fixſterne iſt unſtreitig ſehr ungleich, und deſto kleiner,
je mehr ſie von dem Mittelpunct des Syſtems ent-
fernt ſind. Ich habe letzthin ſchon angemerkt, daß
unſere Sonne dem Mittelpuncte naͤher ſeyn muͤſſe,
und dieſes macht die Geſchwindigkeit ihrer Bewegung
groͤſſer.
[219]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
groͤſſer. Hingegen mag es irgendwo Fixſterne der
ſechſten Groͤſſe geben, die ſich viel langſamer bewegen.
Dahin rechne ich die, ſo dem Mittelpunct gegen uͤber
zu ſtehen ſcheinen, oder in Oppoſition mit demſelben
ſind. Dieſes wuͤrde wieder ein Mittel abgeben, die
Gegend des Centri des Syſtems beylaͤuftig zu be-
ſtimmen.


Dieſes ſind ungefehr die Betrachtungen, ſo mir
uͤber die nunmehr eroͤrterte Frage von der Verruͤckung
der Fixſterne beygefallen. Sie koͤnnen daraus leicht
ſehen, daß ſie faſt alle dahin zielen, wie man ſich ins
kuͤnftige dieſe Beobachtungen zu Nutze machen koͤnne,
und in dieſer Abſicht haͤtte ich ſie allerdings umſtaͤndli-
cher auseinander geſetzt, wenn ich gedaͤchte, daß man
in kurzer Zeit etwas beſtimmteres finden koͤnnte. So
aber kann ich die hiezu etwan dienlichen Methoden
ausgeſtellt ſeyn laſſen, und mich mit dem begnuͤgen,
was zur Bekraͤftigung der Theorie von der Einthei-
lung der Fixſterne in beſondere Syſtemen dienlich
ſeyn kann, und dazu haben Sie, mein Herr, bereits
die Gruͤnde angegeben. Es wird auf dieſe Stuͤcke
ankommen: Die Fixſterne bewegen ſich in Laufbah-
nen. Die Central-Kraͤfte kommen dabey vor. Sie
ſind nicht gegen die Sonne, ſondern zugleich mit der
Sonne gegen den Mittelpunct des Syſtems ſchwer,
und um dieſen bewegen ſie ſich in Laufbahnen, die alle
moͤgliche Lage unter einander haben.


Haben Sie hiebey Luſt, der Einbildungskraft
freyen
[220]Coſmologiſche Briefe
freyen Lauf zu laſſen, ſo ſehen Sie, ob es unter die-
ſen Laufbahnen auch Hyperbeln gebe? Auf dieſe Art
werden Sie Sonnen finden, die ihren Lauf von Sy-
ſtem zu Syſtem, oder gar von Milchſtraſſe zu Milch-
ſtraſſe fortſetzen. Hier wird Zahl und Maaß fehlen,
und aus allem wird erhellen, daß die Welt nicht fuͤr
Augenblicke geſchaffen ſeye. Es wird die Frage ſeyn,
ob ein Platoniſches Jahr zureiche, bis unſere Sonne
einmal in ihrem Kreyſe herum koͤmmt; oder ob ſie in
einem ſolchen Jahre kaum ein Zeichen von ihrem Thier-
kreyſe durchlaufe? Da die Sonne nahe bey dem Mittel-
puncte des Syſtems iſt, ſo mag dieſes Jahr noch klein ſeyn
gegen demjenigen, welches die aͤuſſerſten Sonnen des
Syſtems zu ihrem Umlaufe gebrauchen. Wie wird
erſt das Jahr ausſehen, in welchem ein Syſtem her-
um koͤmmt; und in welcher Zeit wollen wir die Milch-
ſtraſſe im Kreyſe herum fuͤhren? Zeiten von dieſer
Dauer wollen wir Augenblicke der Ewigkeit nennen.
Sie fangen bald an, ein Verhaͤltnis zu derſelben zu
haben.


Ich gebe Ihnen, mein Herr, vollkommen Bey-
fall, wenn Sie ſagen, daß unſer Sonnenſyſtem ein
Bild von jeden andern iſt, weil aͤhnliche Mittel aͤhn-
liche Abſichten voraus ſetzen. Ich wuͤrde hierinn noch
weiter gehen, und ſetzen, daß es auch ein Bild von ei-
nem Fixſternenſyſtem iſt, in ſo ferne die Austheilung
und Laufbahnen der Fixſterne eine ſehr aͤhnliche Ein-
richtung haben, und in jeden einerley Central-Kraͤfte
angebracht ſind, um ſie in einem geſetzten Laufe zu er-
halten.
[221]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
halten. Nur darinn kann ich noch nicht auskommen,
ob ich den gemeinſamen Mittelpunct des Syſtems oͤde
laſſen, oder in denſelben einen ungeheuer groſſen dun-
keln Koͤrper ſetzen ſolle, deſſen Maſſe ſchwer genug
waͤre, um jede Fixſterne des Syſtems eben ſo in ihren
Bahnen zu erhalten, wie es unſere Sonne in Abſicht
auf die Planeten und Cometen thut. Wir koͤnnen
noch nicht ſagen, wie dichte ein Koͤrper ſeyn muͤßte,
wenn er gar keine Zwiſchenraͤumungen mehr behielte.
Vielleicht iſt das Gold, der dichteſte unſerer irrdiſchen
Koͤrper, mit einem ſolchen verglichen, nur noch als
ein Schwamm anzuſehen. Ich bin daher um die
Groͤſſe und Maſſe eines Koͤrpers, der ein ganzes Fix-
ſternenſyſtem um ſich herum lenken koͤnnte, nicht viel
beſorgt. Aber noch immer finde ich mehr Gruͤnde,
demſelben alles Licht zu benehmen, und ihn von der
naͤchſten Sonne, die um ihn herum laͤuft, erleuchten
zu laſſen. Waͤre er leuchtend, ſo wuͤrde in einem
weiten Raum um ihn herum jede Sonne uͤberfluͤſſig
ſeyn, weil ich das Licht nur als ein den dunkeln Koͤr-
pern dienliches Mittel anſehe.


Setze ich aber, der Mittelpunct des Fixſternen-
ſyſtems ſeye ganz oͤde, ſo haben dieſelben keine andere
Schwere, als die, ſo ein jeder gegen alle uͤbrigen hat.
Die, ſo naͤher bey der Mitte des Syſtems ſind, wuͤr-
den gegen jede aͤuſſern, und folglich in entgegen geſetz-
ten Richtungen ſchwer ſeyn, und da ſehe ich nicht,
wie eine Central Kraft und eine einfoͤrmige Bewe-
gung daraus erfolgen koͤnnte. Die mittlere Richtung
der
[222]Coſmologiſche Briefe
der Schwere waͤre bey jedem Stern aus Millionen
einzeln Richtungen zuſammen geſetzt, und daher jeden
Augenblick veraͤnderlich. Die Ordnung in dem Laufe
waͤre viel zu verwickelt, als daß ſie ſich zu einem Sy-
ſtem ſchickte, deſſen Groͤſſe und Dauer etwas ſehr ein-
faches erfordert. Wie wenig und wie ſelten ſtoͤren
ſich die Cometen und Planeten unter einander, und
wie ſehr wird ihre Bewegung durch die kraͤftige Wir-
kung der Sonne einfach gemacht. Wir ſehen dieſe
kleinern Verruͤckungen als Ausnahmen an, die viel-
leicht auch ihren Nutzen haben koͤnnen, allein deſſen
unerachtet bleiben ſie Ausnahmen, weil ſie Abweichun-
gen von einem allgemeinen Geſetze ſind. Laſſe ich
demnach den Mittelpunct eines Fixſternenſyſtems oͤde,
ſo deucht mich, daß ich in den Geſetzen ſeiner Bewe-
gung alles Allgemeine wegnehme, und nichts als ſol-
che Ausnahmen zuruͤcke laſſe. Die Ordnung wuͤrde
als eine beſtaͤndige Vermiſchung von Millionen einze-
ler Wirkungen muͤſſen angeſehen werden, ungefehr
eben ſo wie es in dem Laufe der Dinge auf unſerer
Erde geſchieht. Allein ſo ſehe ich die Einrichtung des
Weltbaues nicht an. Je naͤher ein Syſtem dem Gan-
zen koͤmmt, deſto einfacher muͤſſen die Geſetze ſeiner
Veraͤnderungen ſeyn.


Fuͤgen Sie, mein Herr, dieſem noch bey, daß,
da die naͤchſten Fixſterne ſo weit von einander entfernt
ſind, dieſelben nicht nur fuͤr ſich, ſondern mit ihrem
ganzen Gefolge in einander wirken. Sie haben mir
in Ihrem letzten Schreiben nochmals einen Ueberſchlag
von
[223]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
von der Anzahl der Cometen vorgelegt. Ich weiß
nicht, ob Ihnen etwan die 5. Millionen, die ich Ih-
nen vorgerechnet hatte, nicht annoch zu viel ſcheinen.
Ich verlange die Sache gar nicht zu uͤbertreiben. Al-
lein wie Sie es auch immer angreifen, um die Luͤcken
der Halleyſchen Tafel auszufuͤllen, werden Sie noch
immer genug Cometen heraus bringen. Ich ſetze
derſelben ohne Bedenken ſo viel nur immer ungeſtoͤhrt
neben einander einhergehen koͤnnen. So viel Sie
aber auch zugeben wollen, ſo wird doch die Maſſe von
allen Planeten und Cometen zuſammen genommen
viel groͤſſer ſeyn als die Maſſe der Sonne. Um de-
ſto betraͤchtlicher wird auch die Schwere eines ganzen
Sonnenſyſtems gegen das andere, und um deſto mehr
iſt darauf zu denken, daß ſie einander nicht mehr ſtoͤ-
ren, als das Syſtem des Saturns vom Syſtem des
Jupiters geſtoͤrt wird. Wie wollen ſie dieſe nothwen-
dige und heilſame Abſicht erreichen, ohne den Mittel-
punct des Fixſternenſyſtems mit einem Koͤrper von un-
geheurer Maſſe auszufuͤllen?


Iſt aber ein ſolcher Koͤrper in dem Mittelpuncte
eines Fixſternenſyſtems, ſo wird dieſes in Abſicht auf
ſeine Einrichtung unſerm Sonnenſyſtem vollends aͤhn-
lich, und der Unterſchied wird nur darinn beſtehen, daß
in dem einen dunkle Weltkugeln um eine leuchtende,
in dem andern aber die leuchtenden mit ihrem Gefolge
um eine dunkele laufen.


Dieſe Aehnlichkeit der Einrichtung voraus ge-
ſetzt,
[224]Coſmologiſche Briefe
ſetzt, ſind die Betrachtungen, die Sie, mein Herr,
uͤber die von unſerm Sonnenſyſtem gemacht haben,
ſehr dienlich, uns beyde naͤher bekannt zu machen.
Sie erſetzen dadurch vollſtaͤndig, was ich in meinen
vorhergehenden Anmerkungen uͤber die Halleyſche Ta-
fel aus der Acht gelaſſen hatte. Sie laͤßt ſich aller-
dings in denen ſechs Abſichten unterſuchen, die von
den Beſtimmungsſtuͤcken jeder Laufbahn hergenommen
ſind, und ich hatte ſie nur in einer dieſer Abſichten,
und zwar noch ſehr unvollſtaͤndig unterſucht. So viel
ſahe ich wohl ein, daß, wenn man die Luͤcken der Ta-
fel ausfuͤllen ſollte, die Gruͤnde dazu am bequemſten
von dem Abſtande der Perihelien hergenommen wuͤr-
den. Allein ich ſahe auch bald, daß ſich hiebey ver-
ſchiedene Unvollſtaͤndigkeiten einmengen, die von der
Sichtbarkeit eines Cometen herruͤhren.


Die Moͤglichkeit, einen Cometen auf unſerer
Erde zu ſehen, haͤngt in Abſicht auf den Abſtand ſei-
nes Perihelii von verſchiedenen Umſtaͤnden ab. Vor-
zuͤglich iſt es ſein kleinſter Abſtand von der Sonne und
von der Erde, die er hat, wenn er des Nachts uͤber
unſerm Horizonte iſt. Iſt er da zu weit von der Son-
ne hinweg, ſo ſieht man ihn wegen des ſchwachen Lich-
tes nicht. Bleibt er zu weit von der Erde hinweg,
ſo verleurt er ſich wegen der allzukleinen ſcheinbarn
Groͤſſe. Beyde Umſtaͤnde muͤſſen zuſammentreffen,
wenn er kenntlich und lange genug ſichtbar ſeyn ſolle,
daß man ihn mehrmalen obſerviren, und ſeine Lauf-
bahn beſtimmen koͤnne.
Die


[225]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Die Berechnung, welche man hieruͤber anſtellen
koͤnnte, wird allerdings ſehr weitlaͤuftig, und ſcheint
mir eben nicht ſo gar nothwendig, weil allgemeine Be-
trachtungen hier zureichend ſind, dergleichen ich in ei-
nem meiner vorhergehenden Schreiben bereits ange-
ſtellt habe. Ich ſchloße daraus, daß uns alle Come-
ten ſichtbar ſeyn muͤſſen, die der Sonne naͤher kom-
men als Venus, und bis dahin nimmt in der Halley-
ſchen Tafel ihre Anzahl zu, wie das Quadrat des Ab-
ſtandes. Bleiben ſie aber weiter von der Sonne weg,
ſo werden die Umſtaͤnde ihrer Sichtbarkeit nach und
nach mehr eingeſchraͤnkt, die Zeit ihres Aufenthaltes
in unſerer Geſichts-Sphære kuͤrzer, und die Lage der
Erde in ihrer Bahn beſtimmter. Aus Halleys Tafel,
als aus der Erfahrung zu ſchlieſſen, kommen dieſe
Hinderniſſe ſehr ſchnelle zuſammen, weil unter 21.
Cometen nur 4. waren, die weiter von der Sonne
wegblieben als Venus.


Indeſſen iſt es mir genug, daß die uͤbrigen 17,
welche nothwendig ſichtbar ſeyn muͤßten, mit dem Ge-
ſetze der Quadrate des Abſtandes uͤbereinſtimmen. Da
es ſich alſo von der Sonne bis zur Venus richtig fin-
det, ſo ſehe ich keinen Grund, warum es ſich nicht
eben ſo gut bis zum Saturn und noch weiter hinaus
erſtrecken ſollt[e], ungeacht ich zur Bekraͤftigung keine
andere als teleologiſche Gruͤnde weiß, die ich ſchon zu-
reichend aus einander geſetzt habe.
PDie


[226]Coſmologiſche Briefe

Die uͤbrigen Abſichten, in welchen Sie, mein
Herr, die Halleyſche Tafel durchgangen haben, ſind
wegen der Sichtbarkeit nicht ſo vielen Schwierig-
keiten unterworfen. Sie haben die allgemeinen Ge-
ſetze fuͤr jedes Beſtimmungsſtuͤck genau entwickelt, und
ich geſtehe Ihnen, daß ich ehender vermuthet haͤtte,
Halleys Tafel wuͤrde noch viel betraͤchtlicher davon
abweichen, weil ſie nur 21. Cometen enthaͤlt. Sie
bekraͤftigen alſo das allgemeine Geſetz, daß ihre Bah-
nen alle moͤglichen Lagen haben, auf eine ſolche Art,
daß jeder Zweifel dawider nothwendig unerheblich
wird. Ich achte es fuͤr unnoͤthig, die Unwahrſchein-
lichkeit auszurechnen, die Sie hiebey vorgeſchlagen ha-
ben, weil ſie ſo, wie Sie, mein Herr, die Frage vor-
ſtellen, von ſich ſelbſten und eben ſo ſtark in die Augen
faͤllt. Denn nehmen Sie an, die wirkliche Austhei-
lung aller Cometen richte ſich nach einem andern Geſe-
tze, ſo koͤnnte es zwar ſeyn, daß die 21. Cometen der
Halleyſchen Tafel mehr oder minder davon abweichen,
aber dieſe Abweichung wuͤrde ganz unordentlich ſeyn,
und man wuͤrde nothwendig dieſe 21. haben ausleſen
muͤſſen, damit ſie ſich nach ſechs beſondern und von
den wahren verſchiedenen Geſetzen richten muͤßten. Ich
ſehe es demnach ſo gut als ausgemacht an, daß Ihre
Betrachtungen uͤber Halleys Tafel deſto genauer wer-
den befunden werden, je mehr man ſie nach und nach
zur Vollſtaͤndigkeit bringen wird.


Daß aber uͤbrigens hiebey eine Berechnung der
Wahrſcheinlichkeit vorkomme, iſt allerdings unſtreitig,
und
[227]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
und die beyden Gruͤnde, die Sie, mein Herr, dazu an-
gegeben haben, ſcheinen mir zureichend. Man kann
die Wahrſcheinlichkeit allezeit da gebrauchen, wo Zu-
faͤlle nach einer ſehr zuſammengeſetzten Ordnung auf
einander folgen. Die wirkliche Erfahrung, zumal
wenn ſie lange fortgeſetzt wird, weicht von dem hoͤch-
ſten Grade der Wahrſcheinlichkeit immer etwas ab, und
gibt bald zu viel, bald zu wenig, aber niemals ſo,
daß ſie unkenntlich wird, oder ſich nach ganz verſchie-
denen Geſetzen richten ſollte. Sie laͤßt noch allemal
ſehr deutliche Spuren von den Geſetzen, nach welchen
die Zufaͤlle unter einander folgen. Nehmen Sie z. E.
die Todtenliſten einer Stadt von verſchiedenen Jahren.
Wenn Sie alle Jahre vollkommen einerley waͤren, ſo
wuͤrde man unſtreitig auf eine Nothwendigkeit ſchlieſ-
ſen koͤnnen. So aber laͤßt das Zufaͤllige kleinere Un-
terſchiede zu, aber niemals ſo, daß in dem einen Jahr
gar kein Todtesfall, im andern hingegen doppelt oder
mehrmal ſo viele waͤren, als es die Anzahl der Ein-
wohner zulaͤßt. Ein Jahr kann toͤdtlichere Umſtaͤnde
zuſammenhaͤufen als das andere, allein niemals ſo,
daß es zu den uͤbrigen alle Verhaͤltnis verleurt. Alle
Urſachen, die dazu beytragen, laufen zu ſehr unter ein-
ander, als daß ſie mit einem male alle fehlen, oder al-
le beyſammen ſeyn ſollten.


Es iſt wahr, daß die Ruͤckkehr der Cometen
nicht von ſo vielen Urſachen abhaͤngt. Dagegen aber
ſind ihre Perioden incommenſurabel, und die Stelle,
die ſie in einem vorgegebenen Augenblicke, z. E. zur
P 2Zeit


[228]
Coſmologiſche Briefe

Zeit der Schoͤpfung haben muͤßten, iſt aus unzaͤhli-
gen Abſichten beſtimmt, die von der ſchicklichſten Ein-
richtung des ganzen Weltbaues, und von allen Ver-
aͤnderungen deſſelben abhaͤngen. Nehmen Sie z. E.
nur an, der Ort und Umlauf jeder Weltkugeln ſeye
ſo eingerichtet, daß ſie ſich, des beſtaͤndigen Anziehens
ungeacht, dennoch auf immer ausweichen koͤnnen, ſo
werden ſie bald finden, daß aller Zufall hiebey zwar
nothwendig ausgeſchloſſen ſeye, daß aber die Sache ſo
verwickelt ſeyn muͤſſe, als wenn es ein bloßer Zufall
waͤre. Dadurch wird die Anwendung der Wahrſchein-
lichkeit zulaͤßig, und iſt es auch wirklich bey allen indi-
vidualen Begebenheiten, bey welchen dennoch allge-
meine Geſetze mit vorkommen. Dieſe behalten im-
mer die Oberhand, und man wird ſie aus Vergleichung
vieler einzeln Faͤlle ungeacht ihrer ſcheinbaren Unord-
nung immer heraus bringen koͤnnen. Oder wenn ſie
ſich, wie bey den Cometen, aus allgemeinen Betrach-
tungen herleiten laſſen, ſo wird ſich auch dieſe Ver-
gleichung deſto genauer finden, je groͤſſer der Vorrath
von wirklichen Obſervationen iſt.


Sie haben allerdings Urſache, daß Sie ſich,
mein Herr, uͤber der gleichfoͤrmigen Moͤglichkeit der
Neigungswinkel der Cometenbahnen gegen die Ec-
cliptic
aufhalten, und die Beſtaͤtigung aus der Hal-
leyſchen Tafel als merkwuͤrdig anſehen. Sie haben
mir zugleich dadurch Anlaß gegeben, die Sache noch
mehr zu uͤberdenken, und ich geſtehe Ihnen gerne, daß
ich mich noch nicht darein finden kann. Die kleinern
Neigungs-
[229]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Neigungswinkel kommen in der Tafel als Erfahrun-
gen vor, und an ſtatt ſie in Zweifel zu ziehen, muͤſ-
ſen ſie vielmehr zum Grunde gelegt werden, um, wie
Sie, mein Herr, bereits gethan, auf den geringen
Wirkungskreyß der Cometen einen Schluß zu ma-
chen. Es iſt fuͤr ſich klar, daß dieſer Schluß zugleich
auch darauf beruht, daß die Weltkugeln einander ſo
wenig als moͤglich iſt, ſtoͤren ſollen, weil dieſe Ausnah-
men geringe ſeyn muͤſſen.


Ungeacht ich alſo die kleinern Neigungswinkel
zugebe, weil ſie aus der Erfahrung offenbahr ſind, ſo
habe ich einen ganz andern Anſtand. Setze ich nem-
lich, die Bahnen der Cometen haben alle moͤgliche La-
ge, ſo ſcheint daraus zu folgen, daß nicht alle Nei-
gungswinkel gleich moͤglich ſind, ſondern daß der groͤſ-
ſern mehr ſeyn muͤſſen als der kleinern. Sehen Sie
hier meinen Beweis.


Die Lage einer Flaͤche kann auf die Lage einer
einigen Linie reducirt werden, welche auf der Flaͤche
ſenkrecht ſteht. Da nun die Flaͤche jeder Cometen-
bahnen durch die Sonne geht, ſo koͤnnen wir an ſtatt
der Flaͤche eine auf derſelben ſenkrecht ſtehende Linie
aus der Sonne ziehen, und dieſe Linie bis zu den Fix-
ſternen hinaus verlaͤngern. Der Ort, wo ſie hin-
trift, iſt ein Punct, der ſich auf der Himmelskugel
zeichnen laͤßt, und den wir den Pol der Cometenbahn
nennen koͤnnen, eben ſo wie unſere Erdbahn den Pol
der Eccliptic hat. Auf dieſe Art koͤnnen wir die Flaͤ-
P 3che
[230]Coſmologiſche Briefe
che und Linie weglaſſen, weil der Pol jeder Cometen-
bahn ihre Lage vollſtaͤndig beſtimmt.


Setzen Sie nun, die Bahnen der Cometen
haben alle moͤgliche Lage unter einander, ſo iſt
nothwendig, daß ihre Pole auf der ganzen Ku-
gelflaͤche gleichfoͤrmig ausgetheilt ſeyn muͤſſen, eben
ſo wie Sie die Perihelien ausgetheilt haben. So
weit der Pol einer Cometenbahn von dem Pol
der Eccliptic abſteht, ſo groß iſt auch der Nei-
gungswinkel dieſer beyden Flaͤchen gegen einander,
und das Complement dieſes Winkels zu 90° iſt
der Abſtand des Pols der Cometenbahn von der
Eccliptic Nun werden Sie, wie bey den Pe-
rihelien, finden, daß die Anzahl der Pole zuneh-
men muͤſſe, wie der Sinus dieſes Complementes,
und daher wie der Coſinus des Neigungswinkels.
Dieſes ſcheint mir demnach das Geſetz zu ſeyn,
nach welchen ſich die Neigungswinkel, oder ihre
Complemente richten. Nehmen Sie nun die Com-
plemente von 10. zu 10. Grad, und ihre Sinus
ſo, daß der Sinus totus der Anzahl der Cometen
der Tafel gleich oder 21. ſeye, ſo finden Sie fol-
gende Tabelle:
Compl.


[231]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Es iſt augenſcheinlich, daß die Unterſchiede zwiſchen
der obſervirten und berechneten Anahl nicht nur viel
groͤſſer ſind, als in der Tabelle, die Sie gegeben ha-
ben, ſondern daß der Fehler hier bey allen auf eine
Seite faͤllt. Alle berechnete Zahlen ſind groͤſſer als
die obſervirten, da Sie hingegen in ihrer Tabelle bald
groͤſſer, bald kleiner waren.


Was wollen Sie hieraus ſchlieſſen? Es iſt un-
ſtreitig, daß, wenn man das Geſetz von der Lage der
Cometenbahnen aus Halleys Tafel a poſteriori haͤtte
herleiten ſollen, ſo wuͤrde man darauf verfallen ſeyn,
daß alle Neigungswinkel gleich moͤglich ſind. Neh-
me ich hingegen an, die Cometenbahnen haben alle
moͤgliche Lagen, ſo findet ſich ganz ein anderes Geſetz,
und es muͤſſen mehr groͤſſere als kleinere Neigungs-
P 4winkel
[232]Coſmologiſche Briefe
winkel ſeyn. Dieſes koͤmmt aber mit Halleys Tafel
ſehr wenig uͤberein.


Ich glaube nicht, daß die Sichtbarkeit hier-
inn etwas aͤndern mag. Denn ich muͤßte anneh-
men, die Cometen ſeyen viel ſichtbarer, wenn ſie
einen kleinen Neigungswinkel gegen die Eccliptic
haben, als wenn dieſer Winkel groͤſſer iſt. Die-
ſes moͤchte angehen, wenn die beſten Umſtaͤnde der
Sichtbarkeit in die ſuͤdliche Halbkugel fallen, weil
uns ſodann der Comet unter dem Horizont bliebe.


Da Sie, mein Herr, die Perihelien eben
ſo auf der Kugelflaͤche ausgetheilt haben, wie ich
die Pole der Cometenbahnen austheile, und hin-
gegen ihre Berechnung mit der Tafel viel genauer
uͤbereinſtimmt, ſo habe ich gezweifelt, ob nicht ei-
nes dem andern im Wege ſtehe. Wenn dieſes
waͤre, ſo behielten die Perihelien unſtreitig den
Vorzug, und die Ausnahme muͤßte auf die Ver-
theilung der Pole fallen. Gienge aber beydes an,
und die Sichtbarkeit machte ebenfalls keine Aus-
nahm, ſo muͤßte man faſt ſchlieſſen, daß die Ec-
cliptic
oder die Flaͤche der Planetenbahnen in Ab-
ſicht auf die Neigungswinkel etwas beſonders haͤt-
te. Vielleicht muͤßte man auch warten, bis die
Halleyſche Tafel merklich vollſtaͤndiger wuͤrde, wel-
ches noch aus verſchiedenen andern Abſichten zu
wuͤnſchen iſt.
Es


[233]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Es waͤre mir ein wahres Vergnuͤgen, wenn
Sie, mein Herr, in der Aufloͤſung dieſes etwas
verwickelten Zweifels einen gluͤcklichen Einfall haͤt-
ten. Ich hoffe und erwarte es, wie die fernern
Anmerkungen, die Ihnen uͤber die noch ſehr un-
reifen Gedanken dieſes Schreibens beyfallen wer-
den, und mit welchen ſie aͤuſſerſt verbinden wer-
den den, der mit wahrer Ergebenheit die Ehre
hat zu ſeyn.
Mein Herr ꝛc.


[figure]

P 5Sieben-
[234]Coſmologiſche Briefe

Siebenzehnter Brief.


So glaubten Sie denn, mein Herr, in Ernſte
am Ende Ihrer guten und ſchicklichen Ein-
faͤlle uͤber die Einrichtung des Weltgebaͤudes

zu ſeyn? Das werde ich mir nie vorſtellen, und Ihr ge-
ſchaͤtzteſtes Schreiben iſt gewiß keine Probe davon.
Es ware Beſcheidenheit und neue Aufmunterungen,
daß Sie ſich meiner beylaͤuftigen Berechnungen uͤber
die Geſchwindigkeit des Laufes der Fixſterne und eini-
ger andern von meinen Betrachtungen haben bedienen
wollen, um den Anfang zu Ihren fernern Schluͤſſen
zu machen. Sie haben mir dadurch auf eine ſehr ver-
bindliche Art gezeigt, wie ich meine eigene Gedanken
weiter haͤtte fortſetzen ſollen, und dadurch geben Sie
mir einen erwuͤnſchten Leitfaden, da Sie mir zeigen,
wie mich eben dieſe Gedanken zur Hauptſache, die ich
noch nicht ſahe, haͤtten fuͤhren koͤnnen. Da ich indeſ-
ſen nichts ſo ſehr wuͤnſche, als nach und nach ſelbſten
einige ſichere Schritte zu thun, und mir die Mittel
und Wege immer bekannter zu machen, die man an
dem Firmamente einſchlagen muß, ſo freuet es mich,
daß dieſer erſte Verſuch Ihren Beyfall erhalten, und
daß Sie mir die Fortſetzung davon haben anzeigen
wollen.


Ich ſehe nun vollkommen ein, daß das Haupt-
werk bey der entdeckten Verruͤckung der Fixſterne auf
die Parallaxe der Sonnenbahn ankoͤmmt, und um mir
ſie
[235]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſie deſto lebhafter vorzuſtellen, ſo habe ich die Aſtrono-
mie, die im Monde ſtatt haben wuͤrde, wenn die Son-
ne unſichtbar waͤre, unterſucht. Um der Sache ihre
voͤllige Aehnlichkeit zu geben, mußte ich annehmen,
die Aſtronomen des Mondes wuͤßten ſchon, daß der
Mond um die Erde, und die Erde um irgend einen
Mittelpunct herum liefe, um welchen ſich auch die uͤ-
brigen Planeten bewegten. Ferner konnte ich anneh-
men, daß ihnen das Geſetz der Schwere, die kleinern
Anomalien, ſo daher in der Bewegung des Mondes
entſtehen, und die Nothwendigkeit der Kegelſchnitte
und die Kepleriſchen Geſetze bekannt waͤren. Aus
dieſen Stuͤcken mußte ich nun herleiten, wie ſie es an-
greifen wuͤrden, um den Ort des gemeinſamen Mittel-
puncts der Planeten oder der ihnen unſichtbaren Son-
ne in kurzer Zeit wenigſtens beylaͤuftig zu finden. Hie-
zu konnte ihnen der Lauf des Mondes und der von
den uͤbrigen Planeten dienen. Ich kann annehmen,
die Ellipſe, ſo der Mond ohne die Mitwirkung der
Sonne um die Erde beſchreiben wuͤrde, ſeye ihnen be-
kannt, und da muͤßten ſie die Stellen ſuchen, wo die
Abweichung, ſo von der Sonne verurſacht wird, z. E.
in der Geſchwindigkeit, ſich am ſtaͤrkſten aͤuſſert. Die-
ſes waͤren die Stellen, wo der Mond kurz vorher in
Conjun[c]tionoder in Oppoſition mit der Sonne ge-
weſen, und hiedurch wuͤrde die Lage der Sonne bey-
laͤuftig beſtimmt.


Das andere Mittel waͤre von den Planeten her-
zunehmen. Die Aſtronomen des Mondes muͤßten ihre
Stelle
[236]Coſmologiſche Briefe
Stelle etliche male obſerviren, und mit Huͤlfe der Ke-
pleriſchen Geſetze lieſſe ſich ihr wahrer Ort, ungefehr
eben ſo, jedoch etwas muͤhſamer finden, als wir es
bey den Cometen thun. Der Abſtand des Mondes
von der Erde und ſein Umlauf um dieſelbe wuͤrde ih-
nen eine monatliche Parallaxe geben, welche ſie beque-
mer gebrauchen koͤnnten, als wir die Parallaxe der
Erdbahn in Abſicht auf die Fixſterne. Hingegen wuͤr-
de ihnen dieſe letztere Parallaxe in Abſicht auf die Pla-
neten und Cometen, die Dienſte thun, die wir von
der Parallaxe der Sonnenbahn zu gewarten haben.


Die Mittel, ſo wir in Abſicht auf die Lage der
Fixſterne zu gebrauchen haben, ſind dieſen ganz aͤhn-
lich. Der gemeinſame Mittelpunct des Fixſternenſy-
ſtems iſt uns unſichtbar, ſeine Lage muß durch Schluͤſ-
ſe heraus gebracht werden, die wir nicht wohl anderſt
als daher leiten koͤnnen, wenn die Erde in ihrem jaͤhr-
lichen Laufe kleinen Abweichungen unterworfen iſt,
oder daß wir es aus der optiſchen Ungleichheit der
ſcheinbarn Verruͤckung der Fixſterne herleiten.


Ungeacht dieſes eben nicht ſo bald genaue geſche-
hen wird, ſo koͤnnen wir dennoch dieſer Abſicht immer
naͤher kommen, und nach und nach wird ſich der wah-
re Maaßſtab zur Ausmeſſung des Abſtandes der Fix-
ſterne finden laſſen, welcher die Entfernung unſerer
Sonne vom Mittelpunct des Fixſternenſyſtems iſt,
zu welchem ſie gehoͤrt. Unſere Sonne iſt nicht
in dieſem Mittelpunct. Sie wird aber kaum
um
[237]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
um den Abſtand etlicher Fixſterne davon entfernt
ſeyn.


Ungeacht es aber hiezu Zeit und Weile gebraucht,
ſo vergnuͤgt es mich doch, daß es auch Mittel geben
wird, die Einrichtung des Fixſternenſyſtems genauer
kennen zu lernen, und vielleicht ſind die Nachkommen,
die ich gut in das fuͤnfzigſte Saeculum geſetzt haͤtte,
gar nicht weit von unſerer Zeit entfernt. Ehe ich
Ihr Syſtem kannte, werden Sie ſich, mein Herr,
erinnern, daß ich Sie zur Dreiſ[t]igkeit aufmunterte,
weil ich uͤber das Urtheil einer ſo ſpaͤten Nachwelt
nicht beſorgt waͤre. Allein Ihr Syſtem gebrauchte
keine Dreiſtigkeit, und wenn wir ſelbſten unvermu-
thet dieſe Nachwelt waͤren, ſo wuͤrde ich nun nicht be-
ſorgt ſeyn, daß es weſentliche Veraͤnderungen leiden
werde. Es wird nichts als eine individualere Beſtim-
mung fordern, die man von der Erfahrung hernehmen
muß. Fuͤr das Allgemeine in dieſer Einrichtung ha-
ben Sie zureichend geſorgt. Die Aehnlichkeit zwi-
ſchen demſelben und unſerm Sonnenſyſtem ſehe ich
nun vollkommen ein.


Aber ich muß mich doch ein wenig bey dem dun-
keln Koͤrper aufhalten, den Sie, mein Herr, in den
Mittelpunct des Fixſternenſyſtems ſetzen wollten, und
woruͤber Sie zwar noch einigen Anſtand finden, aber
dennoch Beweiſe dazu aufſuchen, die man eben nicht
unbetrachtet uͤbergehen kann. Wiſſen Sie, woran
ich mich aufhalte? Fuͤrnemlich an den Folgen Ihrer
Beweiſe.


[238]
Coſmologiſche Briefe

Beweiſe. So ſcharf Sie dieſe Beweiſe machen, ſo
glaube ich, daß ſie mit eben dieſer Schaͤrfe ſich auch
auf den Mittelpunct der ganzen Milchſtraſſe, und folg-
lich aller Fixſternenſyſtemen zuſammen genommen aus-
dehnen laſſen. Sie ordnen dennoch der ganzen Milch-
ſtraſſe ebenfalls eine Laufbahn, weil Sie mich fragen,
in welcher Zeit wir ſie herum fuͤhren wollen? Und die
Aehnlichkeit, die von Syſtem zu Syſtem geht, das
Geſetz der Schwere, welches alle mit einander verbin-
det, und die Welt zu einem zuſammenhaͤngenden Gan-
zen macht, die Harmonie und Vollkommenheit, wel-
che Zeit und Raum zuſammen faßt, und daher Bewe-
gung fordert, kurz, alle Gruͤnde, woraus Sie die Be-
wegung einzeler Fixſterne geſchloſſen haben, und nun
durch die Erfahrung bekraͤftigt werden, laſſen die
Milchſtraſſe nicht ruhen.


Wenn ſie aber eine Laufbahn hat, ſo laſſen ſich
Ihre Gruͤnde von dem dunkeln Koͤrper im Mittel-
punct des Fixſternenſyſtems eben ſo gut darauf anwen-
den. Setzen Sie den Mittelpunct der Milchſtraſſe
ganz oͤde, ſo wird ihre Bewegung aus lauter kleinen
Ausnahmen beſtehen, weil ihre einzeln Syſtemen kei-
ne gemeinſame und uͤberwiegende Richtung der Schwe-
re haben, welche ihre Bewegung ſo einfoͤrmig machte,
als es bey groſſen Weltſyſtemen erfordert wird. Ein
jedes Fixſternenſyſtem der Milchſtraſſe begreift Mil-
lionen Sonnen, und um jede Sonne eben ſo viele
Planeten und Cometen. Nehmen ſie alle dieſe Coͤr-
per zuſammen, wie betraͤchtlich muß ihre gemeinſame
Schwere
[239]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Schwere werden, und wie unordentlich ihr Lauf, wenn
nichts iſt, welches allen gebietet, in einer ſehr einfa-
chen Laufbahn zu bleiben?


Ich glaube, daß ich in der Anwendung Ihrer
Gruͤnde, ordentlich verfahren bin. Solle ich ſie nun
als nothwendig ſchlieſſend anſehen, ſo werde ich auch
einen dunkeln Coͤrper annehmen muͤſſen, welcher Maſ-
ſe genug habe, um die Milchſtraſſe in einfacher Ord-
nung zu halten, und nehmen Sie, mein Herr, an,
daß die Milchſtraſſe zu noch unzaͤhligen andern gehoͤrt,
ſo geben Sie mir Stoff zu einem noch vielfach ſchwe-
rern und groͤſſern Koͤrper, welcher wider alle Milch-
ſtraſſen Geſetze und Ordnung geben muß. So weit
Sie nun hierinn gehen wollen, ſo kommen Sie doch
endlich auf den Mittelpunct des ganzen Weltbaues,
und hier finde ich meinen letzten Koͤrper, der die gan-
ze Schoͤpfung um ſich herum lenkt.


Hier finde ich Stoff fuͤr meine Einbildungskraft,
und zaͤhle die Augenblicke der Ewigkeit, in welchen
die aͤuſſerſten Grenzen der Schoͤpfung im Kreyſe her-
um kommen. Da iſt der Thron, dem alle Syſtemen
als ſo viele Trabanten aufwarten, die Hauptſtadt, die
dem Reiche der Wirklichkeit Geſetze giebt, und alle in
Ordnung und vollſtaͤndigſter Harmonie erhaͤlt, das
Ganze zum Ganzen macht, alle Ausſchweifungen ver-
bannet, der Empoͤrung und Zerſtreuung jeder fluͤchti-
gen Theile Einhalt thut, und ſie in ihre behoͤrige
Stelle zuruͤck lenkt.


Allein
[240]Coſmologiſche Briefe

Allein unvermerkt verdunkele ich meine Schwie-
rigkeit durch dieſe Entzuͤckung, die mir der Anblick ei-
ner ſo praͤchtigen Stelle verurſacht. Ein Dichter haͤt-
te hier einen reizenden Anlaß, ſie vollends auszuſchmuͤ-
cken, und ſie unſerer Einbildungskraft bis zur voll-
kommenſten Glaubwuͤrdigkeit vorzumalen, und einneh-
mend zu machen. Aber philoſophiſch davon zu reden,
ſo geſtehe ich gerne, daß mir die ungeheure Groͤſſe die-
ſer dunkeln Koͤrper ganz im Wege ſteht. Sie faͤllt
mir ins unglaͤubliche. Es iſt wahr, daß ſie ſich viel-
leicht ins Kleine ziehen laſſen, wenn wir annehmen,
daß wenigſtens der Kern derſelben von einer abſoluten
Dichtigkeit ſeye, wenn ſich die Schwere nothwendig
nach der Maſſe richtet, oder die Dichtigkeit des Ae-
thers gegen den Mittelpunct des Weltgebaͤudes, und
eben ſo auch gegen den von jeden groͤſſern Syſtemen
zunimmt. Was wir bey unſern irrdiſchen Koͤrpern
wahrnehmen, ſo ſcheint das erſtere ſtatt zu haben,
weil wir finden, daß ſich die Schwere nach der Maſſe
richtet, und ſo ſcheint es immer noch, daß man dieſen
dunkeln Koͤrpern einen bis zum Erſtaunen groſſen Um-
fang geben muͤſſe.


So ſehr ich mich aber hiebey aufhalte, ſo kann
ich doch nicht in Abrede ſeyn, daß Ihre Beweiſe mir
bey naͤherer Unterſuchung etwas mehr einleuchteten.
Ich habe nur eine Probe in Kleinem davon gemacht.
Ich nahme die Sonne aus unſerm Syſtem weg, und
daher auch die ſo kraͤftig gegen den Mittelpunct zie-
hende Schwere. Aber gleich mußte ich auch die vim
centri-
[241]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
centrifugam oder die Geſchwindigkeit jeder Planeten
und Cometen vermindern, wenn ich dafuͤr ſorgen woll-
te, daß nicht alle und jede nach einer tangentialen
Richtung auseinander fuͤhren, und das ganze Syſtem
ſich gegen jede Fixſternen hinaus zerſtreute. Allein
damit richtete ich nichts aus. Denn Jupiter, welchen
die Philoſophen als einen Cometenraͤuber vorgeſtellt
hatten, wurde es nun in der That. Jede Cometen,
die in ſeiner Nachbarſchaft waren, fiengen an, El-
lipſen um denſelben zu beſchreiben. Sein Gebiet wur-
de nach und nach anſehnlicher. Die Planeten erga-
ben ſich ebenfalls, und ſelbſt Saturn konnte ſich mit
ſeinen Trabanten nicht widerſetzen. Anfangs gienge
es, wie bey einer Empoͤrung, unordentlich zu. Aber
die Sonne war einmal weggeſchaft. Jupiter ſahe
ſich nach und nach von allen Seiten her mit Weltku-
geln umringt. Der gemeinſame Mittelpunct der
Schwere aller dieſer Weltkugeln, welcher Anfangs
vom Jupiter ſehr entfernt und veraͤnderlich ware, kam
ihm immer naͤher, und endlich traf er mit ſeinem Mit-
telpuncte zuſammen. Die Schwere der Weltkugeln
gegen einander bliebe ohne Wirkung, weil die von den
naͤhern wegen den entgegengeſetzten Richtungen ent-
kraͤftet, und ſo gut als aufgehoben, und die von den
entferntern mit ihrer Schwere gegen den Jupiter ver-
einigt ware. So kame das Syſtem unter einem klei-
nern Regenten in Beharrungsſtand. Wuͤrde ich nun
den Jupiter auch wegſchaffen, ſo glaube ich, daß Sa-
turn das naͤchſte Recht zur Regierung haͤtte, und es
auf eine aͤhnliche Art erlangen wuͤrde. Allein durch
Qſolche
[242]Coſmologiſche Briefe
ſolche Veraͤnderungen wuͤrde das Syſtem viel unan-
ſehnlicher, und die guͤldene Zeit wuͤrde mit der Sonne
aufhoͤren.


Urtheilen Sie nun, mein Herr, ob ich dieſes
Bild richtig entworfen habe, und wie fern es ſich auf
ein Fixſternſyſtem anwenden laſſe. Ich glaube ſchlieſ-
ſen zu koͤnnen, daß, ohne den dunkeln Koͤrper im Mit-
telpuncte zu laſſen, die maͤchtigſte unter den Sonnen
des Syſtems ſich die Oberherrſchaft zueignen, daß
aber das ganze Syſtem an Groͤſſe, Geſchwindigkeit
und einfacher Ordnung viel unanſehnlicher werden
wuͤrde. So viel iſt gewiß, daß unter der Regierung
des Jupiters Saturn ein ſehr maͤchtiger Vaſall waͤre,
welchem eine ziemliche Anzahl von kleinern Fuͤrſten
das Gleichgewichte halten muͤßte, damit er keine Un-
ruhe anrichte. So aber kann es mit der Ordnung
in den Laufbahnen nicht gehen, daß dem Saturn, wel-
cher, wo er ſich befindet, ein Uebergewicht geben wuͤr-
de, eine deſto groͤſſere Anzahl von Cometen und Pla-
neten gegen uͤber ſeyn ſollte, die den Jupiter eben ſo
kraͤftig gegen ſich zoͤgen, als er vom Saturn auf die
andere Seite gezogen wuͤrde. Unſere Sonne hat
dieſes lange nicht ſo noͤthig, und das Uebergewicht,
welches Jupiter und Saturn zuſammen genommen
der einen Seite des Syſtems geben, wird gegen die
ſtarke Kraft der Sonne, und bey ſo vielen Cometen,
die auf allen Seiten um ſie herum ſind, vollends un-
merklich. Der gemeinſame Mittelpunct des ganzen
Sonnenſyſtems ſcheint mir bey ſo bewandten Sachen
von
[243]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
von dem Mittelpunct der Sonne vielleicht kaum eines
Zolles breit entfernt ſeyn zu koͤnnen.


So wenig ich demnach dem Jupiter oder Sa-
turn die Regierung unſeres Syſtems laſſen wuͤrde, ſo
unſchicklich ſcheint es mir, daß ein Fixſternenſyſtem von
einem Fixſtern regiert werde. Als ein Fixſtern muͤßte
er ein eigenes Gefolg von Cometen und Planeten ha-
ben, dieſes waͤren aber nur ſeine Hausgenoſſen, und
ich glaube, daß er damit genug zu thun habe, als daß
er noch ein Herr von andern Fixſternen, die doch mit
ihm zu paaren gehen, regieren koͤnnte. Die Ober-
herrſchaft muß deſpotiſcher ſeyn, weil ſie maͤchtiger
ſeyn muß. Und damit verfalle ich allerdings auf ei-
nen Koͤrper, der jeden Fixſtern mit ſeinem ganzen Ge-
folge im Zaume halten kann.


Daß dieſer Koͤrper dunkel ſeye, aber von einer
Sonne beleuchtet werde, geht mir wohl ein. Nur
dieſes iſt noch der Anſtand, den ich dabey habe. Waͤ-
re ein ſolcher Koͤrper von ſo ungeheurer Groͤſſe und
beleuchtet, ſo deucht es mich immer, daß ſich einige
Spur ſollte davon finden laſſen, zumal da unſere Son-
ne eben nicht am aͤuſſerſten Ende des Syſtems, ſon-
ern naͤher bey dem Mittelpuncte, und daher naͤher
bey dieſem Koͤrper iſt. Eſ koͤnnte alſo einen betraͤcht-
lichen ſcheinbaren Diameter haben, und ſein Licht, ſo
ſchwach es iſt, wuͤrde unterwegen nicht ſo ſtark ge-
ſchwaͤcht, daß wir es nicht durch Fernroͤhren entdecken
koͤnnten. Da die Sonne, die ihn beleuchtet, zunaͤchſt
Q 2um
[244]Coſmologiſche Briefe
um ihn herumlaͤuft, ſo muͤßte er Phaſes haben, und
daher bald voll, bald ganz verfinſtert ſeyn. Haͤtte er
wie die uͤbrigen Weltkugeln Flecken, ſo wuͤrde ſich ſei-
ne ſcheinbare Geſtalt auch dadurch aͤndern. Glauben
Sie, mein Herr, daß wir einige Hoffnung haben koͤn-
nen, etwas dergleichen zu entdecken? Ich wuͤnſchte,
daß es geſchehe, weil die Anwendung unſerer Mond-
aſtronomie dadurch merklich erleichtert wuͤrde. Es
waͤre dabey nicht mehr nothwendig, voraus zu ſetzen,
daß die Aſtronomen des Mondes zur Errichtung ihres
Copernicaniſchen Syſtems den Ort der Sonne erſt
durch Umwege ſuchen muͤßten. Doch da ich es dahin
geſtellt ſeyn laſſe, ſo halte ich mich dabey nicht auf,
was in dieſem Falle zu thun waͤre, um die Lage der
Fixſterne unſeres Syſtems nach und nach zu beſtim-
men. Uebrigens kann ich nicht laͤugnen, daß es mich
ſehr freuen wuͤrde, wenn ſich bald Mittel und Wege
dazu finden lieſſen.


Die Anmerkungen, die Sie, mein Herr, uͤber
meine Einrichtung des Cometenſyſtems gemacht ha-
ben, ſind mir deſto angenehmer geweſen, weil ich ſie
als die erſte Probe anſehen kann, die ich gemacht ha-
be, um mir Ihre Art zu ſchlieſſen anzugewoͤhnen.
So viel ſehe ich nun daraus, daß mir doch von ſechs
Stuͤcken fuͤnf gelungen ſind, und Ihren Beyfall er-
halten haben, und beſonders auch, daß Sie meine
Betrachtungen uͤber die Berechnung der Wahrſchein-
lichkeit, die dabey vorkoͤmmt, und daruͤber ich mir et-
was zu gut hielte, nicht nur billigen, ſondern noch
durch
[245]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
durch mehrere Betrachtungen ins Licht ſetzen. Aber
bey dem ſechſten Stuͤcke laſſen Sie mich in Zweifel,
und vielleicht an ſtatt es mir rund zu ſagen, daß ich
mich dabey geirrt habe, wollen Sie mir lieber eine
nuͤtzliche Beſchaͤftigung geben, indem Sie mir die Sa-
che als ein Problem vorlegen, an deſſen Aufloͤſung ich
mich uͤben koͤnnte. Ich liebe und ſuche die Wahrheit,
und wie Sie mir dieſelbe auch vorlegen, verbinden
Sie mich. So werde ich ſie auch annehmen, wenn
ich die Aufloͤſung zu Ende bringen kann, ohne darauf
zu ſehen, ob ich mich ſelbſt widerlege, und das, ſo ich
zuvor gedacht hatte, wieder aͤndern muß.


Die Schwierigkeit, die Sie mir vorlegen, be-
ſteht darinn. Ich hatte alle Neigungswinkel der Co-
metenbahnen als gleich moͤglich angeſehen, und zwar
weil ſie mir als ein von den uͤbrigen unabhaͤngiges
Beſtimmungsſtuͤck vorkamen, und Halleys Tafel mich
noch mehr dazu verleitete, ſo gern ich die kleinern Nei-
gungswinkel ganz haͤtte ausſchlieſſen wollen. Allein
die Tafel verboth es, weil ſie Exempla in contrarium
enthaͤlt. Und dieſes ware eben, woran ich mich in
meinem letzten Schreiben aufhielte, und wobey Sie
mir zeigten, wie die Sache von einer andern Seite
betrachtet werden koͤnne.


An den Schluͤſſen, die Sie, mein Herr, dabey
machen, habe ich deſto weniger auszuſetzen, weil ſie
auf eine viel nothwendigere Art aus dem zum Grunde
gelegten allgemeinen Geſetze flieſſen, daß die Cometen-
Q 3bahnen
[246]Coſmologiſche Briefe
bahnen alle moͤgliche Lage haben. Sie bringen die
Lage einer jeden Bahn auf eine Linie, und endlich noch
kuͤrzer auf einen Punct der Sphære, und dieſe Pun-
cten muͤſſen auf der Flaͤche der Sphære gleich vertheilt
ſeyn. Es verſteht ſich von ſelbſten, daß hier von ei-
ner phyſicaliſchen Gleichheit die Rede iſt. Hieraus
leiten Sie her, es muͤſſen mehr groͤſſere als kleinere
Neigungswinkel ſeyn. Dieſer Schluß ware mir in
Abſicht auf die Eccliptic erwuͤnſcht, ungeacht er eben
ſo gut auf jede andere Flaͤche bezogen wird. Indeſ-
ſen bin ich doch noch immer fuͤr die Planeten und un-
ſere Erde mehr beſorgt als fuͤr die Cometen, die ſich
in alle Verruͤckungen beſſer ſchicken, und alle Unfaͤlle
beſſer aushalten koͤnnen.


Sodann vergleichen Sie Ihre Rechnung mit
der Halleyſchen Tafel, mit welcher ſie ordentlich uͤber-
einſtimmen ſollte, aber dennoch davon ſehr betraͤchtlich,
und zwar durchgehends auf gleiche Seite abweicht,
dahingegen meine Rechnung damit ordentlich zutrifft.
Der Unterſchied zwiſchen der Tafel und unſern beyden
Geſetzen iſt faſt einerley mit dem Unterſchiede zwiſchen
den Geſetzen ſelbſt.


Es iſt unſtreitig, wenn es dabey bleiben ſollte,
ſo wuͤrde ich Recht haben, und auf dieſes hin haben
Sie, mein Herr, bereits den Schluß angegeben, den
Sie machen wuͤrden: Es muͤßte nemlich die Eccliptic
hierinn etwas beſonderes haben. Allein bedenken
Sie, worinn dieſes beſondere beſtehen wuͤrde. Es
waͤre
[247]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
waͤre juſt ſo, als wenn den Planeten zum Trotze mehr
Cometen kleinere Neigungswinkel haͤtten, als es na-
tuͤrlicher Weiſe noͤthig geweſen waͤre. Was wollen
Sie hieraus machen. Sind etwan Cometen und
Planeten ſo gute Freunde, oder haben Jupiter und
Saturn verſchiedene Cometen ſchon ſo nahe zu ſich
gezogen, daß nun die Bahnen nicht mehr ſo ſtark in-
clinirt ſind?


Sie ſehen, mein Herr, ſchon voraus, daß ich
Ihnen hieruͤber meine alte Klaglieder anſtimmen wuͤr-
de, weil Sie noch andere Mittel aufſuchen, dieſe
Schwierigkeit zu heben. Die Perihelien ſehen Sie
als auf der Sphære gleich vertheilt an, und ſo ſtellet
ſie auch Halleys Tafel vor, und dabey fragen Sie,
ob nicht dieſe Vertheilung der Vertheilung der Pole
von den Cometenbahnen im Wege ſtehen moͤchte? Ich
habe dieſes nicht finden koͤnnen. Denn wo ich den ei-
nen dieſer Puncte hinſetze, da bleibt mir fuͤr den an-
dern ein ganzer Circul auf der Kugelflaͤche, in welchen
ich ihn ſetzen kann, wo es am ſchicklichſten, und der
gleichfoͤrmigen Vertheilung nach nothwendig iſt.


Ich halte mich daher lieber an den andern
Grund, den Sie, mein Herr, angeben, daß nemlich
die Sichtbarkeit denen Cometen, die ſtaͤrkere Nei-
gungswinkel haben, mehr im Wege ſtehe, weil ſie uns
in ihren beſten Umſtaͤnden viel leichter unter dem Ho-
rizonte bleiben koͤnnen. Sie ſehen ſchon, daß dieſes
meine Regel umſtoͤßt, allein ich opfere ſie der Wahr-
Q 4heit


[248]Coſmologiſche Briefe

heit um deſto lieber auf, weil ich die Planeten dabey
ruhiger laſſe, als wenn ich mehrere kleine Neigungs-
winkel annehmen ſollte. Ich habe demnach geſucht,
ob nicht die Halleyſche Tafel einige Spuren dieſer Hin-
dernis angebe, die von der Sichtbarkeit herruͤhrt.


Zu dieſem Ende nahme ich an, die beſten Um-
ſtaͤnde der Sichtbarkeit eines Cometen fallen auf den
Theil ſeiner Bahn, welcher zwiſchen ihren beyden Kno-
ten liegt, und um die Sonne geht, oder auf die Sei-
te des Perihelii. Es wird dieſes wohl bey den mei-
ſten zutreffen, ungeacht es auch einige Ausnahmen ha-
ben kann.


Hieraus folgerte ich nun, daß, wenn das Peri-
helium auſtral
iſt, der Comet in ſeinen beſten Umſtaͤn-
den der Sichtbarkeit deſto leichter unter unſerm Hori-
zonte bleiben koͤnne, je groͤſſer der Neigungswinkel ſei-
ner Bahn gegen die Eccliptic iſt. Hingegen wenn
das Perihelium in die noͤrdliche Halbkugel faͤllt, ſo
hindert die Groͤſſe des Neigungswinkels die Sichtbar-
keit nicht, im Gegentheil wird der Comet deſto mehr
uͤber unſern Horizont erhoͤht.


Ich theilte demnach die Cometen in dieſe zwo
Claſſen, und fande fuͤr die Borealiſchen die Neigungs-
winkel 18, 31, 32, 32, 32, 55, 64, 79, 83, 83.
hingegen fuͤr die Auſtraliſchen die Winkel 5, 6, 11,
21, 29, 37, 60, 65, 74, 79. Die Minuten und
Secunden laſſe ich Kuͤrze halber weg. Hieraus ſahe
ich
[249]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ich wohl, daß die Neigungswinkel der Auſtraliſchen
durchgehends kleiner waren, hingegen bey den Borea-
liſchen der kleinſte ſich auf 18. Grad beliefe. Bey je-
nen war der groͤßte 79°. bey dieſen aber liefen noch
zween bis auf 83. Grad.


Bey dieſer Eintheilung finden ſich nun in jeder
Claſſe weniger Cometen, und daher mehr Luͤcken, ſo
daß ich ſie nun nicht von 10. zu 10. Grad, ſondern
nur von 0. bis 60. und von 60. bis 90°. vergliche.
Denn nach der Regel, die Sie, mein Herr, gegeben,
ſollten in dieſen beyden Intervallen gleich viele ſeyn.
Bey den 11. Noͤrdlichen ſind 6. von 0. bis 60. Grad,
und 5. von 60. bis 90. Grad. Bey den Suͤdlichen
aber ſind 6. von 0. bis 60. Grad, und nur 4. von
60. bis 90, weil bey dieſen die groͤſſern Neigungs-
winkel ſeltener vorkommen.


Ich trage demnach kein Bedenken, meine Re-
gel aufzugeben, die mir ohnehin anſtoͤſſig ware, und
den Grund, warum ſie mit der Tafel noch ziemlich zu-
trafe, darinn zu ſuchen, daß die Sichtbarkeit der groͤſ-
ſern Neigungswinkel, wenn die Cometen Suͤdlich ſind,
im Wege ſtehe. Auf dieſe Art hat zwar die Eccli-
ptic
nichts zum voraus, aber die Anzahl der kleinern
Neigungswinkel wird geringer, und dieſes ſcheint mir
auch des Ausweichens halber viel dienlicher zu ſeyn.
Das Unerwartete hiebey iſt, daß die verſchiedene
Stuffen der Sichtbarkeit der wirklichen Vertheilung
der Pole von den Cometenbahnen juſt ſo Abbruch
O 5thun,
[250]Coſmologiſche Briefe
thun, daß in der Halleyſchen Tafel ſtatt Ihrer Regel
die meinige vorkoͤmmt, und dieſe Vermiſchung beyder
Umſtaͤnde mich zur Annehmung der gleich moͤglichen
Neigungswinkel verleitet hat. Indeſſen iſt es un-
ſtreitig, daß ſich die Sache noch mehr aufklaͤren wird,
wenn dieſe Tafel wird vollſtaͤndiger gemacht werden.
Ein und eben derſelbe Comet iſt nicht bey jeder Ruͤck-
kunft gleich ſichtbar, und man muß ſie jedesmal in
ihren beſten Umſtaͤnden der Sichtbarkeit in die Tafel
bringen.


Der Abſtand der Perihelien von der Sonne mag
auch etwas zu der Vertheilung der Neigungswinkel
beytragen. Ein Comet, wie der von 1680, muß
faſt nothwendig einen groͤſſern Neigungswinkel gegen
die Eccliptic haben, weil ſeine Ellipſe ungemein
ſchmal wird. Aus der Halleyſchen Tafel erhellt uͤber-
haupt, daß die Neigungswinkel groͤſſer ſind, je naͤher
das Perihelium bey der Sonne iſt. Iſt daſſelbe wei-
ter hinweg, ſo finde ich in der Tafel alle Neigungs-
winkel. Die Lage der Bahn eines Cometen wird de-
ſto willkuͤhrlicher, je mehr ſein Perihelium von der
Sonne entfernt iſt. Seine Ellipſe breitet ſich mehr
aus, und um deſto leichter kann ſie ſich von der Flaͤ-
che der Planetenbahnen, und uͤberhaupt von jeder an-
dern entfernen.


Dieſes iſt die Aufloͤſung, die Sie mir, mein
Herr, haben vorlegen wollen, ſo gut ich ſie habe fin-
den koͤnnen. Habe ich ſie vollſtaͤndig getroffen, ſo ſtoͤßt
ſie
[251]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſie meine Regel um, und ich opfere ſie der Sicherheit
unſerer Erde, die Sie, mein Herr, viel ungeſtoͤrter
machen, und daher zugleich auch der Harmonie unſe-
rer Gedenkensart mit Freuden auf, weil ich die Re-
gel, ſo Sie gegeben, genauer erwieſen, und die Hin-
derniſſe weggeſchaft, die ſie unwahrſcheinlicher mach-
ten. Es wird mir jedesmal ein Vergnuͤgen ſeyn,
wenn Sie mir ſo wohl neue Wege zeigen, als auch
mich wieder darauf fuͤhren, wenn ich in meinen nach
und nach kuͤhnern Unterſuchungen davon abgehen ſoll-
te. Ich kann es von Ihrer Freundſchaft erwarten,
und jede neue Probe wird mir den verbindlichſten Dank
vergroͤſſern, in den Sie mich ſchon ſo ofte geſetzt ha-
ben, und mit welchem ich alle Anlaͤſſe ergreifen werde,
um zu zeigen, daß ich mit vollkommenſter Ergebenheit
verbleibe,
Mein Herr ꝛc.


[figure]

Acht-
[252]Coſmologiſche Briefe

Achtzehnter Brief.


So lange Sie, mein Herr, fortfahren werden,
zu Fortſetzung meiner Gedanken uͤber die Ein-
richtung des Weltbaues ſolche Anlaͤſſe zu ge-

ben, wie Sie dieſelben in Ihren Schreiben bisher auf-
gehaͤuft haben, werde ich mich wohl nicht uͤber den
Mangel fernerer Einfaͤlle zu beſchweren haben, und es
iſt mir eine wahre Freude, daß Sie mich immer auf-
muntern, die Tiefen des Firmamentes noch mehr zu
durchforſchen. Stoff, Beytraͤge, Fragen und Zwei-
fel, kurz, alles, was Sie mir dazu angeben wollen,
werde ich ſuchen ſo anzuwenden, daß wir noch mehre-
res finden koͤnnen, und daß das bisher Gefundene im-
mer mehr zuſammenhangend werde. Aber beklagen
Sie ſich nicht daruͤber, als wenn es Ihnen nicht ge-
lingen ſollte, ſelbſt etwas hierinn zu finden. Die
Schluͤſſe, die Sie aus denen ziehen, ſo ich gemacht
habe, um einen dunkeln Koͤrper in den Mittelpunct
jedes Fixſternenſyſtems zu ſetzen, und die Sie ſogleich
auch allgemeiner machen, und auf jede Milchſtraſſen
und groͤſſere Syſtemen, ja endlich bis auf die ganze
Schoͤpfung ausdehnen, ſind offenbare Proben, daß
es Ihnen weder an der Allgemeinheit noch an der
Staͤrke der Erkenntniskraͤfte und ihrer Anwendung in
dieſer Sache fehle. Sie reichen ja bis zu den ſcharf-
ſinnigern Fragen und Zweifeln, und ſuchen Mittel,
auch dieſe noch zu heben, um noch weiter fortzugehen,
und dazu fordern Sie mich nun auf. Sie verlang-
ten,
[253]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ten, daß ich Sie fuͤhren ſollte, und, ſehen Sie, nun
bringen Sie mich unvermerkt zu dem Mittelpunct des
ganzen Reiches der Wirklichkeit. Entzuͤckt uͤber die
Pracht, Groͤſſe, Majeſtaͤt und Schoͤnheit dieſer Stel-
le, die Ordnung und Geſetze durch die ganze Schoͤp-
fung ausbreitet, wohin jede einzele Theile zielen, und
um welchen ſie ſaͤmtlich ihren Lauf richten, und in ge-
ſetzten Bahnen zuruͤck gehalten werden, fordern Sie
einen Dichter auf, der ſeine Farben darleihe, uns die-
ſe Stelle reizend genug zu ſchildern, wo das erſte
Triebrad jeder Bewegung der Weltſyſtemen iſt. Von
da aus ſchwingen Sie ſich gegen die aͤuſſerſten Grenzen
des Weltbaues, und uͤberdenken die Zeit des Umlau-
fes der entfernteſten Syſtemen um dieſen Ort, der je-
de einzeln Theile durch allgemeine Kraͤfte verbindet,
und ſie zum Ganzen macht.


Allein ich kehre mit Ihnen wieder zu philoſophi-
ſchen Unterſuchungen zuruͤcke. Sie erſtaunen uͤber
die ungeheure Groͤſſe ſolcher Koͤrper, die ganze Fixſter-
nenſyſtemen, ganze Milchſtraſſen, und kurz, die gan-
ze Schoͤpfung in Ordnung halten ſollen. Ungeacht
dieſes Erſtaunen Sie bald dahin verleitet, daß Sie
gerne etwas dergleichen ſehen moͤchten, ſo glaube ich
doch, daß Sie es nicht aus Gruͤnden thun, wie die,
die in viel leichtern Sachen zum Glauben die Autopſie
fordern. Sie wollen deßwegen ſehen, weil Sie ver-
muthen, es werde moͤglich ſeyn, und Koͤrper von ſo
ungeheurer Groͤſſe, wenn ſie auch nicht mehr erleuch-
tet waͤren, als es Jupiter oder Saturn iſt, muͤßten
noch
[254]Coſmologiſche Briefe
noch einen ſolchen ſcheinbaren Diameter haben, daß
man wenigſtens den naͤchſten durch Fernroͤhren entde-
cken ſollte. Sie ſtellen ſich zum voraus ſeine Phaſes
und Flecken vor, und beſtimmen die Abwechslungen in
ſeiner ſcheinbaren Geſtalt. Es wundert mich, daß ſie
nicht das bloße Licht im Orion wieder von der Claſſe
der Milchſtraſſe ausſchloßen, und daſſelbe zu einem
hellern Theile eines ſolchen Koͤrpers machten. Sie
wußten ja, daß Derham es nicht als ein wahres
Licht, ſondern nur als eine Art von Wiederſchein an-
ſehen wollte, den man wie durch eine Oefnung, als ei-
nen Abglanz des Caeli empyrei ſehe. Dieſe Be-
ſchreibung ſchickte ſich beſſer fuͤr einen erleuchteten, als
fuͤr einen leuchtenden Koͤrper. Eben ſo wußten Sie,
daß man die ſcheinbare Geſtalt dieſes blaſſen Lichtes
veraͤndert gefunden, welches in ſo wenigen Jahren
von einer Milchſtraſſe nicht wohl kann geſagt, oder
wenigſtens nur dadurch erklaͤrt werden, wenn man
den Grund von der groͤſſern oder kleinern Durchſich-
tigkeit unſerer Luft hernehmen koͤnnte. Die Sonne,
die einen ſolchen Koͤrper erleuchtet, mag uns als ein
ſehr kleiner Fixſtern vorkommen, wenn nur der Koͤr-
per groß genug iſt, um einen merklich groſſen ſchein-
barn Diameter zu haben, und nicht zu gar weit ent-
fernt, als daß ſein Licht durch die Himmelsluft ganz
ſollte geſchwaͤcht werden, ſo thun uns die Fernroͤhren
hierinn die behoͤrigen Dienſte. Dieſes ſchwache Licht
iſt uͤberdiß im Orion, in welcher Gegend Sie ohnede-
me den Mittelpunct unſeres Fixſternenſyſtems haben
ſuchen wollen.
Ich


[255]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Ich habe daſſelbe noch nicht durch ein Fernrohr,
ſondern nur im Kupfer gezeichnet geſehen. Da etli-
che Fixſterne vor demſelben ſtehen, ſo kann ich, aller
dieſer Gruͤnde ungeacht, nicht in Abrede ſeyn, daß es
mir zu groß vorkomme, ſo ungeheuer auch die Groͤſſe
des Koͤrpers ſeyn mag, den ich in den Mittelpunct ei-
nes Fixſternenſyſtems ſetze. Indeſſen aber, da man
es veraͤnderlich gefunden hat, ſo gebraucht es wenige
Jahre, um zu ſehen, ob ſich in ſeinen Veraͤnderungen
ſo etwas einfoͤrmiges zeigt, das man aus einer Bewe-
gung um die Axe und aus dem Umlaufe einer Sonne
um daſſelbe erklaͤren koͤnnte. Ich wuͤnſchte mit Ih-
nen, mein Herr, daß es ſo befunden, oder daß uͤber-
haupt ein ſolcher Koͤrper entdeckt wuͤrde, weil es un-
ſtreitig eine betraͤchtliche Erleichterung fuͤr die naͤhere
Beſtimmung des Fixſternenſyſtems waͤre. Ich wuͤr-
de ſodann die Beweiſe, die ich fuͤr das Daſeyn ſolcher
Koͤrper aufgeſucht habe, ſo weit ausdehnen, als Sie
nur immer wollten.


Da es aber inzwiſchen unausgemacht bleibt, ſo
kehre ich zu dieſen Beweiſen zuruͤck, um genauer zu
pruͤfen, worauf ſie ſich gruͤnden, und wie weit ſie rei-
chen, und da finde ich wieder an den netten Bildern,
die Sie ſich, mein Herr, daruͤber entworfen haben,
ein erwuͤnſchtes Huͤlfsmittel, meine Beobachtungen
ordentlicher einzurichten. Nachdem es nun einmal
ausgemacht iſt, daß die Fixſterne ſich verruͤcken, und
man es als eben ſo ausgemacht anſehen kann, daß ih-
re Bewegung nicht geradlinicht, ſondern kreyßfoͤrmig
iſt,
[256]Coſmologiſche Briefe
iſt, und daher die Central-Kraͤfte dabey vorkommen,
ſo wird die Hauptfrage dieſe ſeyn, die Sie, mein Herr,
bereits gemacht haben, ob man das Regiment eines
ganzen Fixſternenſyſtems einem einigen Fixſtern anver-
trauen koͤnne? Sie haben dieſe Frage in eine aͤhnli-
che verwandelt, da Sie die Sonne wegnahmen, und
ſchauten, wie die Unordnung und Zerſtreuung in un-
ſerm Planeten- und Cometenſyſtem wuͤrde muͤſſen ver-
mieden und gehoben werden. Dieſe Frage zeigte Ih-
nen ſogleich, daß Jupiter, oder wenn dieſer auch weg-
kaͤme, Saturn ſich auf den Thron ſchwingen wuͤrde,
weil dieſe beyden Koͤrper, wenigſtens unter allen, die
uns zu Geſichte kommen, die maͤchtigſten Kraͤfte ha-
ben.


Setze ich demnach, ein Fixſternenſyſtem ſeye in
dem gemeinſamen Mittelpunct ganz oͤde, oder es habe
darinn keinen ſolchen Koͤrper, der es ganz regieren,
und jeden Fixſtern mit ſeinem Gefolge in Ordnung
halten koͤnne, ſo laſſen ſich folgende Betrachtungen ma-
chen. Da die Fixſterne ſich nicht in geraden Linien
bewegen ſollen, ſo muͤſſen ſie davon abgelenkt werden,
und ihre Geſchwindigkeit muß dieſer Ablenkung ange-
meſſen ſeyn, damit ſie immer ein Syſtem ausmachen.
Denn dieſe Subordination laͤßt ſich nicht aufheben,
ſie iſt fuͤr die Einrichtung des Weltbaues viel zu noth-
wendig.


Was nun die Sterne von der geraden Linie ab-
lenken kann, iſt hier nichts anders als die Schwere,
die
[257]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
die ſie gegen jede andere haben, und die Ablenkung
ſelbſt geſchieht nach der mittlern Directionslinie, wel-
che entſteht, wenn man jede einzele Richtungen zu-
ſammenſetzt. Sie iſt demnach alle Augenblicke veraͤn-
derlich, und ſchon dieſes macht ſie ſehr unglaͤublich, und
der Analogie widerſprechend. In der That, in unſerm
Sonnenſyſtem iſt dieſe Richtung bey jeden Planeten
und Cometen ſo gut als einfach, die wenigen Faͤlle
ausgenommen, wo zweene derſelben ſehr nahe bey ein-
ander vorbey laufen. Bey den Fixſternen, deren je-
der wegen ſeines ganzen Gefolges viel ungeſtoͤrter
ſeyn muß, ſollte nun eine ſo einfache Richtung nicht
ſtatt haben, ſondern eine andere, die aus Millio-
nen kleinerer zuſammengeſetzt, und jede Augenbli-
cke veraͤnderlich iſt? Dieſes wird nicht wohl ange-
hen.


Ferners laͤßt ſich wohl begreifen, daß in ſolchem
Fall die mittlere Richtungslinie der Schwere bey den
aͤuſſerſten Fixſternen des Syſtems ziemlich ordentlich
gegen den Mittelpunct gehen wuͤrde, und daß, weil
die einzelnen Richtungen alle auf eine gleiche Seite
fallen, die Summe von allen merklicher waͤre, und
daher auch die Geſchwindigkeit des Laufes groͤſſer ſeyn
muͤßte. Nehme ich hingegen einen Fixſtern in
der Mitte des Syſtems, ſo iſt er gegen alle Sei-
ten hinaus ſchwer. Die Schwere in jeden entgegen-
geſetzten Richtungen hebt ſich auf, ihre Wirkung
faͤllt weg, und der Stern iſt ſo gut, als wenn
er gar keine oder eine unmerklich kleine Schwere
Rhaͤtte.


[258]
Coſmologiſche Briefe

haͤtte. Da er alſo entweder gar nicht, oder ſehr
wenig von der geraden Linie abgelenkt wuͤrde, ſo
koͤnnte er auch faſt gar keine Geſchwindigkeit ha-
ben. Kurz, die Ordnung waͤre nicht nur unend-
lich zuſammengeſetzt, ſondern vollends umgekehrt.
Die aͤuſſerſten Sterne des Syſtems wuͤrden ſich
am geſchwindeſten, die inneren aber deſto langſa-
mer bewegen, je naͤher ſie bey dem Mittelpuncte
waͤren. Alles dieſes aͤndert ſich, und die Ord-
nung wird harmoniſch und einfach, wenn ich wie-
der den dunkeln Koͤrper in den Mittelpunct ſetze.


Hiezu rechne ich noch, daß ich nicht gedenke
ein Fixſternenſyſtem in gleicher Stelle zu laſſen.
Es gehoͤrt zu einer Milchſtraſſe, und ſein Mittel-
punct ſolle um den Mittelpunct der Milchſtraſſe
eine ſehr ordentliche Laufbahn haben. Dieſes
fordert die Analogie, die von Syſtem zu Syſtem
fortgeht, und jede Geſetze der Bewegung immer
einfacher macht, je groͤſſer ein Syſtem iſt. Neh-
men Sie z. E. nur den Jupiter weg, wie bald
werden ſeine Trabanten zerſtreut werden? Solle
ſich ein ganzes Syſtem in einer Laufbahn bewe-
gen, und beyſammen bleiben, ſo muß im Mit-
telpunct ein Koͤrper ſeyn, der es mit ſich herum
fuͤhrt.


Fuͤr die Groͤſſe ſolcher Koͤrper bin ich eben nicht
beſorgt. Sind ſie wegen der Erhaltung einer einfa-
chen und geſetzten Ordnung nothwendig, ſo muͤſſen ſie
ihre
[259]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ihre angemeſſene Groͤſſe haben, ſo erſtaunungswuͤrdig
dieſe uns vorkommen mag. Ich finde uͤberhaupt, daß
wir uns in der Aſtronomie immer mehr zu groͤſſern
Dingen gewoͤhnen, und die Maaßſtaͤbe weglaſſen muͤſ-
ſen, die wir auf der Erde gebrauchen. Sie fallen
ins unendlich Kleine, und verſchwinden vor unſern
Augen, wenn wir aſtronomiſche Blicke in das Firma-
ment thun. Fangen wir bey den Satelliten an, und
gehen zu den Hauptplaneten und Cometen, und von
dieſen zu den Sonnen, ſo ſind die Sonnen in der
Sprache des Himmels nur noch Koͤrper vom dritten
Range. So blieben wir, wie bey den Syſtemen, zu-
ruͤcke, aber wir muͤſſen dieſe Rangordnung bey beyden
als noch viel vollſtaͤndiger anſehen. Den vierten
Rang haben die Koͤrper, welche ganze Fixſternenſyſte-
me regieren, und dieſe ſind die Grundlage zu den
Milchſtraſſen, deren jede ſich um einen Koͤrper vom
fuͤnften Range bewegt. Und ſo weiter, bis wir end-
lich zu dem kommen, der die ganze Schoͤpfung als ſein
Gebiet beherrſchet, und gegen ſich ſchwer macht.


Aber ich muß Ihnen, mein Herr, noch auf eine
andere Art zeigen, daß wir noch wenig wiſſen, was
groß oder klein iſt. So lange wir nicht wiſſen, wie
weit die Sonne von dem Mittelpunct des ganzen Welt-
gebaͤudes entfernt iſt, und in wie viel Zeit ſie um den-
ſelben herum koͤmmt, koͤnnen wir nicht ſagen, wie ge-
ſchwinde ſich die Erde oder jeder anderer Planet be-
wegt. Die Ellipſen, in welchen wir die Planeten und
Cometen einherwandeln machen, ſind eine bloße Er-
R 2dich-
[260]Coſmologiſche Briefe
dichtung, und nicht beſſer, als wenn wir in der ſphaͤ-
riſchen Aſtronomie annehmen, der Himmel drehe ſich
um die Erde. Es iſt noch weit gefehlt, daß das Co-
pernicaniſche Syſtem etwas mehr als eine nuͤtzliche und
brauchbare Hypotheſe ſeyn ſollte. Sehen Sie, ich
kehre nun vollends alles um, allein ich werde Ihnen
andere und beſſere Beweiſe geben, als es die Ptolo-
maͤicker und Tychonianer thun.


Um bey einem Beyſpiele anzufangen, welches
zunaͤchſt bey uns, und ſchon bekannt iſt, ſo ſetzt man,
der Mond bewege ſich in einer Ellipſe um die Erde,
und in dieſer komme er ungefehr in 27. Tagen herum.
Dieſes wuͤrde angehen, wenn die Erde unbewegt blie-
be. Allein nimmt man an, die Erde laufe in einer
Ellipſe um die Sonne, ſo faͤllt die Ellipſe des Mon-
des ganz weg, und nunmehr lauft der Mond in einer
Cycloidal-Linie um die Sonne, und zwar etwas ge-
ſchwinder als die Erde, weil er Umwege zu nehmen
hat, und dennoch in gleicher Zeit herumkoͤmmt. Die-
ſes geht wieder an, ſo lange man annimmt, die Son-
ne ſeye unbewegt. Allein ſie aͤndert ihren Ort ſo gut
als jede Fixſterne. Setzt man, ſie bewege ſich in ei-
ner Ellipſe um den Mittelpunct des Fixſternenſyſtems,
zu welchem ſie gehoͤrt, ſo faͤllt die Ellipſe der Erde
und die Cycloidal-Linie des Mondes weg, und beyde
verwandeln ſich in Cycloidal-Linien, die Erde laͤuft
in einer vom erſten, und der Mond in einer vom
zweyten Grade. Es iſt fuͤr ſich klar, daß die Ge-
ſchwindigkeit immer zunimmt.
Dieſes


[261]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Dieſes geht wieder an, ſo lange der Mittelpunct
des Fixſternenſyſtems oder der vorhin ſogenannte Koͤr-
per vom vierten Range unbewegt bleibt. Da aber
nirgends Ruhe in der Welt iſt, ſo wird wieder muͤſſen
geſetzt werden, dieſer Koͤrper habe einen Kreyßlauf,
und ſo wird die Sonne in einer Cycloidal-Linie vom
erſten, die Erde vom zweyten, und der Mond vom
dritten Grade einhergehen. Aber alles dieſes ſind
noch immer Hypotheſen, bis wir zu dem Koͤrper kom-
men, der die ganze Schoͤpfung um ſich lenkt. Waͤre
dieſer vom 1000ten Range, ſo wuͤrde die Erde eine
Cycloide vom 998ten Grade beſchreiben, und die
Geſchwindigkeit, die dabey heraus kaͤme, waͤre ihre
wahre Geſchwindigkeit. Wie groß wird dieſe ſeyn,
und wer wird die Natur dieſer Cycloide, ihre tau-
ſendfache Wendungen und ihren Umfang beſtimmen?


Was ich hier von dem Monde geſagt habe, gilt
von jedem Satelliten, das von der Erde erſtreckt ſich
auf jede Planeten und Cometen, und das, ſo ich von
der Sonne ſagte, von jeden andern Sonnen, und ſo
weiter. Die Ordnung wird zuſammengeſetzter, je nie-
driger der Rang der Koͤrper iſt, und die Art, wie ſie
zuſammengeſetzter wird, richtet ſich nach einem glei-
chen Geſetze, oder nach den Stuffen der Cycloidal-
Linien, die ſie durchlaufen.


Wie gefaͤllt Ihnen, mein Herr, dieſer Beweis?
Ich geſtehe Ihnen gerne, daß ich mich dabey verwirre,
wenn ich die Folgen davon mir vorſtellen will. Allein
R 3Sie
[262]Coſmologiſche Briefe
Sie wiſſen ſich ſchon zurecht zu helfen. Ich werde
ſie demnach nur angeben. Im eigentlichſten Verſtan-
de laͤuft unſere Erde, und uͤberhaupt jeder Weltkoͤrper
um den Mittelpunct der Schoͤpfung. Mit der Son-
ne hat ſie weiter nichts zu thun, als daß ſie dieſelbe
begleitet, beſtaͤndig in ihrer Nachbarſchaft bleibt, um
ihr Licht und ihre Waͤrme zu nutzen. Hiezu gebraucht
ſie einen Umweg, weil das Geſetz der Schwere kein
ander Mittel leidet, zween und mehrere Koͤrper bey-
ſammen zu behalten. Ich will nicht beſtimmen, wie
viele Koͤrper zu jedem Range gehoͤren, aber aus jedem
Range nehme ich einen, zu welchem unſere Erde ge-
hoͤrt, und gegen welchen ſie nothwendig eine Schwere
hat. Sie iſt gegen die Sonne ſchwer, damit ſie in
der Cycloide um ſie bleibe. Mit der Sonne zugleich
iſt ſie gegen den Koͤrper vom vierten Range ſchwer,
damit beyde in deſſelben Naͤhe und unter ſeinem Ge-
folge bleiben. Dieſer Koͤrper, die Sonne und die
Erde ſind gegen den Koͤrper vom fuͤnften Range
ſchwer, der die Milchſtraſſe regiert, wiederum damit
ſie ſich nicht zerſtreuen. Auf dieſe Art ſchreite ich wei-
ter fort, und bey jedem Schritte bekoͤmmt die Cycloi-
dal-
Linie der Erde neue und groͤſſere Wendungen zu
den kleinern, die ſie nimmer behaͤlt. Es ſcheint, als
wenn die Satelliten uns zum Muſter deſſen dienten,
was im Groſſen vorgeht. Die Cycloidal-Linien,
die wir bisher bey ihnen angenommen haben, zeigen
uns, daß wir eben nicht bey den Ellipſen ſtehen blei-
ben ſollen, wenn wir den wahren Lauf der Weltkoͤrper
uns vorſtellen wollen, und beyde ſind viel zu einfach
fuͤr
[263]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
fuͤr Koͤrper von ſo niedrigem Range. Die Ellipſen
kommen nur denen zu, die unmittelbar von dem Re-
genten des Weltbaues abhaͤngen, und demſelben ſo
ſubordinirt ſind, daß ſie ſeine erſten Befehle unter ſich
vertheilen, und ſie durch ihre unmittelbar Untergebe-
nen weiter ausbreiten. Dieſe muͤſſen ſich ſchon et-
was mehr Muͤhe geben, und in Cycloiden vom erſten
Grade laufen, wie wir ſie bisher dem Monde zugeeig-
net haben.


Sie ſehen, mein Herr, hierinn einen kurzen
Entwurf von der Subordination, die in der Welt
herrſcht. Hatte ich Unrecht, zu ſagen, daß alles ein-
facher werde, je naͤher es dem Ganzen koͤmmt? Oder
ſolle ich meine dunkeln Koͤrper, die ich zu Regenten
der Fixſternenſyſtemen, der Milchſtraſſen, der Syſte-
men von Milchſtraſſen ꝛc. geſetzt hatte, wieder abſchaf-
fen, und in dem Weltbaue eine Democratie einfuͤh-
ren? Er iſt viel zu groß dazu, und wenn nicht jeder
Theil ohne Ordnung thun ſolle, was er will, ſo muͤſ-
ſen kraͤftigere Gruͤnde da ſeyn, ihn in geſetzter Ord-
nung zu halten, und den Weltbau zu einem durch vie-
le Stuffen durch wohleingerichteten und harmoniſchen
Ganzen zu machen.


Da wir die wahre Cycloide, ſo die Erde durch-
laͤuft, allem Anſehen nach niemals kennen werden, ſo
haben wir die Wahl, in den Hypotheſen ſo weit zu ge-
hen, als wir wollen. So lange wir nur Planeten
und Cometen zu berechnen haben, wuͤrden wir ohne
R 4Grund
[264]Coſmologiſche Briefe
Grund von der Copernicaniſchen abweichen. Sie iſt
viel zu bequem zu dieſen Rechnungen. Eben ſo koͤn-
nen wir es bey einer Cycloide vom erſten Grade be-
wenden laſſen, wenn wir nur unſer Fixſternenſyſtem
genauer beſtimmen wollen. In etlichen tauſend Jahr-
hunderten mag es vielleicht Zeit ſeyn, an eine Cycloi-
de
vom zweyten Grade zu denken, um die Syſtemen,
ſo die Milchſtraſſe ansmachen, in Ordnung zu bringen.
So unerſchoͤpflich iſt die Aſtronomie, daß wir uns
nothwendig mit Hypotheſen begnuͤgen muͤſſen, und nun
nur ſo viel einſehen, wie dieſe Hypotheſen nach und
nach weiter ausgebreitet und zuſammengeſetzter ge-
macht werden muͤſſen. Sie gehen durch unzaͤhlige
Stuffen naͤher zum Wahren, und mit jeder Stuffe
faͤngt ein neuer Maaßſtab von Raum und Zeit an.
Unſer dermaliger Maaßſtab iſt fuͤr den Raum der
Halbmeſſer der Erdbahn in der Copernicaniſchen Hy-
potheſe,
fuͤr die Zeit aber ein Jahr, oder die Dauer
des Umlaufes der Erde. Da wir Hoffnung haben,
nun bald zur zweyten Hypotheſe zu gelangen, ſo wer-
den wir den Abſtand der Sonne von dem Mittelpunct
des Fixſternenſyſtems und die Zeit ihres Umlaufes um
denſelben als Maaßſtaͤbe annehmen koͤnnen. Die
dritte Epoche, die noch groͤſſere Maaßſtaͤbe erfordert,
beſtimme ich nicht, und noch viel weniger die darauf
folgenden.


Wie bequem iſt uns indeſſen dieſe Auswahl der
Hypotheſen, da wir die zuſammengeſetztern immer in
die einfachern aufloͤſen koͤnnen. So thun wir es be-
reits
[265]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
reits bey dem Monde, fuͤr deſſen Laufbahn wir hoͤch-
ſtens nur alsdenn eine Cycloide vom erſten Grad an-
nehmen, wenn wir die von der Wirkung der Sonne
herruͤhrende Abweichungen und Ungleichheiten ſeines
Laufes eroͤrtern ſollen. In jedem andern Falle laſſen
wir ihme eine Ellipſe gelten, weil ſie einfacher iſt, und
auf dieſe ſuchen wir die Ungleichheiten auf eine ſchickli-
che Art zu ſchieben, um die Berechnung ſeines Laufes
deſto leichter zu machen. Auf eben dieſe Art werden
wir die Bahnen der Planeten und Cometen Ellipſen
ſeyn laſſen, wenn gleich der Umlauf der Sonne einige
Ungleichheiten darinn wird entdecken laſſen.


Wir haben uns ohnedem ſchon vollkommen an
die Sprache des Copernicaniſchen Syſtems gewoͤhnt,
und es iſt eine viel zu bequeme Hypotheſe, als daß
wir von Cycloiden reden ſollten, wo es nicht beſonde-
re Umſtaͤnde erfordern, dergleichen z. E. die Beſtim-
mung von den Ungleichheiten in dem Umlaufe der Er-
de und anderer Planeten, oder die von der Lage der
Fixſterne mit der Zeit ſeyn wird. In allen uͤbrigen
Faͤllen bleiben wir bey den Ellipſen, wir laſſen die
Sonne unbewegt, und fuͤhren die bisher gewoͤhnliche
Sprache, weil wir die wahre dennoch niemals werden
auf eine beſtimmtere Art fuͤhren koͤnnen.


Ich werde ſie nun ebenfalls wieder annehmen,
da ich noch auf die uͤbrigen Stellen Ihres Schreibens
zu antworten habe. Sie behaupten, mein Herr, aus
guten Gruͤnden, daß unſere Sonne bey der groſſen
R 5Anzahl
[266]Coſmologiſche Briefe
Anzahl von Cometen viel ruhiger bleibt, und ihr Mit-
telpunct von dem Mittelpuncte des Syſtems weniger
abweichen kann, als wenn die Planeten allein waͤren.
Sie behaͤlt gegen den Jupiter und Saturn noch alle-
zeit eine ſehr betraͤchtliche Schwere, welche zureichend
waͤre, ſie in einem Circul herum zu ziehen, deſſen
Halbmeſſer ungefehr ſo groß als der Durchmeſſer der
Sonne waͤre. Dieſer Circul waͤre noch uͤberdiß vie-
len kleinen Abweichungen unterworfen, die ungefehr
eine Periode von 20. Jahren, als der Zeit einer groſ-
ſen Conjun[c]tion haͤtten. Dieſes aber hat nun nicht
ſtatt, weil aller Orten um die Sonne herum eine be-
traͤchtliche Anzahl von Cometen iſt, deren jeder die
Sonne etwas gegen ſich zieht, und eben dadurch weicht
ſie ſo gut als gar nicht. Ich bleibe noch immer da-
bey, daß die groͤßten Cometen nicht nahe zur Sonne,
und daher auch nicht in unſern Geſichtskreyß kommen.
Wir hatten dieſes aus der Oeconomie des Raumes,
der nahe bey der Sonne geſpahrt werden muß, und
aus der ungeſtoͤhrten Ruhe der Planeten und Come-
ten hergeleitet; und nun koͤnnte es auch daraus ge-
folgert werden, daß die Sonne ſelbſt ungeſtoͤrt blei-
ben muͤſſe. Erinnern Sie ſich hiebey, mein Herr, daß
ich in der Sprache der Copernicaniſchen Hypotheſe
rede. Denn an ſich betrachtet, wird die Sonne ge-
nug beſchaͤftigt, weil ſie in ihrer Cycloidal-Linie vom
997ten Grade noch eben ſo vielen Befehlshabern
Folge leiſten muß. Denn ich bleibe nun bey die-
ſer Subordination, ſo unzureichend ſie bewieſen ſeyn
mag. Sie iſt viel zu harmoniſch, als daß ich ſie bis
zu
[267]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
zu einer kuͤnftigen Erfahrung ohne Sehen nicht an-
nehmen ſollte.


Sie haben mich Ihnen, mein Herr, durch die
Aufloͤſung der Frage von den Neigungswinkeln der
Cometenbahnen ſehr verbunden. Sie ſetzten dabey,
Ihrer Gewohnheit nach, meine Unterſuchung daruͤber
in ein mehreres Licht, und was ich noch jedesmal an
Ihnen hochzuſchaͤtzen gefunden habe, ſo fuͤhren Sie
dieſelbe, ohne Ruͤckſicht auf Ihre eigene Meynung,
ſo fort, daß Sie zur Wahrheit kommen wollen, auch
wenn Sie Ihre eigene Gedanken umkehren muͤßten.
Sie koͤnnen immer verſichert ſeyn, daß Sie ſich dieſe
edle Abſicht, ohne mein Zumuthen, vorſetzen, weil
ich in der That die Sache im Zweifel lieſſe, und die
ſo gar ordentliche Uebereinſtimmung Ihrer Rechnung
mit der Halleyſchen Tafel mir ein Hauptanſtoß fuͤr
meine Meynung ware. Waͤre dieſe richtig, ſo wuͤr-
de ich mich an die verſchiedene Sichtbarkeit halten,
und mich verwundern, daß dieſe vermoͤgend waͤre, ein
leichtes Geſetz in ein noch leichteres zu verwandeln,
und die Neigungswinkel, deren Anzahl ich wie die
Coſinus derſelben zu nehmen machte, in der Tafel
ſchlechthin als gleichfoͤrmig ausgetheilt vorzuſtellen.
Waͤren ſie aber in der That gleich ausgetheilt, ſo ver-
fiele ich wieder auf die Perihelien, weil ich ohnedem
ſehe, daß ihr Abſtand von der Sonne einen ſehr ſtar-
ken Einfluß in die Beſtimmung der Anzahl und Lage
der Cometenbahnen hat.
Da


[268]
Coſmologiſche Briefe

Da alſo hiebey vielerley Umſtaͤnde vorkommen,
und, wie Sie es, mein Herr, ſelbſt anmerken, die
ganze Sache nicht die wirkliche, ſondern nur die
wahrſcheinliche Vertheilung der Cometenbahnen an-
giebt, ſo habe ich auch die Unterſuchung meiner Fra-
gen nicht weiter verfolgt, und werde es dahin geſtellt
ſeyn laſſen, bis die Verzeichnis der Cometen vollſtaͤn-
diger wird. Es koͤnnte dennoch ſeyn, daß die Ec-
cliptic
hierinn etwas voraus haͤtte, es mag nun von
der Sichtbarkeit, oder von irgend einer andern Urſa-
che herruͤhren. Vielleicht hat der Kreyßlauf der Son-
ne um den Mittelpunct unſeres Fixſternenſyſtems auch
etwas dabey zu ſagen. Wir koͤnnen uͤberhaupt noch
wenig Gruͤnde angeben, warum die Flaͤche der Plane-
tenbahnen, die von dem Aequator der Sonne und
die von ihrer Athmoſphære zuſammentreffen.


Da ich dieſen Kreyßlauf der Sonne nun in al-
les einmenge, was ihro zugehoͤrt, ſo habe ich noch vor
wenigen Tagen wiederum das Zodiacal-Licht, oder
die Athmoſphære der Sonne betrachtet, und dabey
waͤre ich bald wieder auf die Theorie der Wirbel ver-
fallen, die man ſich in die Wette bisher bemuͤht hat,
bey jeden Syſtemen einzufuͤhren, und wieder umzu-
ſtoſſen, und ſie in tauſend verſchiedene Formen zu
gieſſen. Daß die Sonne ihre Athmoſphære, ſo
ſchnell auch ihr Kreyßlauf ſeyn mag, deſſen uneracht
bey ſich behalte, dieſes wunderte mich nicht, weil wir
es auch an unſerm eigenen Wohnorte an der Erde ſe-
hen. Daß aber dieſe Athmoſphære ſich von der
Sonne
[269]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Sonne wenigſtens bis zu der Erdbahn erſtrecke, und
daher die beyden untern Planeten, oder Venus und
Mercur, ſich in derſelben bewegen, dieſes verleitete
mich faſt zu dem Schluſſe, daß die Sonne alle Mate-
rie
und Koͤrper, die um ſie herum ſind, gleich als in
einem Wirbel mit ſich forttrage. Ich weiß wohl,
daß man die Athmoſphære der Sonne nicht ſelbſt als
den Wirbel anſehen kann, und daß ein Koͤrper, der
ſich darinn bewegt, einen ihm eigenen Kreyßlauf um
die Sonne hat, welchen man den Theilgen der Ath-
moſphære
nicht wohl zuſchreiben kann; allein deſſen
uneracht bleibt alles beyſammen, und das ganze Son-
nenſyſtem waͤlzt ſich mit der Sonne und ihrer Ath-
mſphære
fort. Dieſe wird man allerdings als eine
ſehr duͤnne fluͤſſige Materie anſehen muͤſſen, damit ſie
durch ihren Druck gegen die Sonne, ungefehr eben ſo
wie unſere Erdluft, zuſammen haͤnge, und einen Koͤr-
per ausmache, widrigen Falls wuͤrde ich fuͤr ihre Zer-
ſtreuung nicht gut ſtehen, und es koͤmmt mir ohnede-
me vor, daß ihre Figur nicht circular, ſondern ablang
ſeye. Die aͤuſſerſte Spitze des Zodiacal-Lichtes ſieht
man oͤfter bis 100. und mehr Grade von der Sonne
entfernt. Ihre Figur mag nun ausſehen wie ſie will,
ſo ſcheinet es mir, daß man annehmen muͤſſe, die aus
dem Auge an dieſe Spitze gezogene Linie ſeye eine Tan-
gente daſelbſt. Die Athmoſphære der Sonne ſcheint
in eine Spitze auszulaufen, weil wir die aͤuſſerſte
Schaͤrfe davon ſehen, ungefehr wie ein auf beyden
Seiten erhabenes Brennglas, wenn das Aug in ſeiner
Flaͤche liegt. Ziehen Sie nun einen Triangel, deſſen
drey
[270]Coſmologiſche Briefe
drey Ecken, die Sonne, die Spitze oder der Beruͤh-
rungspunct am Zodiacal-Lichte und das Aug des Zu-
ſchauers iſt. Dieſer Triangel wird in dem Auge ei-
nen ſtumpfen Winkel von 100. Grad haben, daher
muß jeder der beyden uͤbrigen kleiner als 90. Grad
ſeyn. So klein Sie nun den Winkel in der Sonne
machen, ſo wird der, ſo an dem Beruͤhrungspuncte iſt,
immer kleiner als 80. Grad ſeyn. Dieſes iſt unmoͤg-
lich, wenn die Figur oder der aͤuſſere Umriß des Zo-
diacal-
Lichtes, nach ſeinem Aequator genommen,
circular und mit der Sonne concentriſch waͤre. So-
dann iſt die Seite, die dem ſtumpfen Winkel gegen uͤ-
ber ſteht, groͤſſer als jede der beyden andern. Man
ſchließt daraus allerdings richtig, daß die Spitze des
Zodiacal-Lichtes weiter von der Sonne weg ſeyn
muͤſſe, als die Erde, wenn ſie mehr als 90. Grad von
der Sonne abſteht. Zu andern Zeiten, und vermuth-
lich zu andern Jahrszeiten betraͤgt dieſer Abſtand kaum
50. bis 60. Grad. In dieſem Falle iſt die Spitze in-
nerhalb der Erdbahn. Man hat daraus geſchloſſen,
die Sonnen-Athmoſphære muͤſſe ſehr veraͤnderlich
ſeyn, und dieſer Schluß iſt nothwendig, ſo bald man
annehmen kann, ihre Figur ſeye circular und der
Sonne concentriſch. Allein nimmt man dieſes an, ſo
bleibt kein Mittel, zu erklaͤren, wie die aͤuſſerſte Spi-
tze von der Sonne 100. und mehr Grade abſtehen
koͤnne. Die Erde wuͤrde ſich darinn befinden, weil
ſich dieſe Athmoſphære uͤber die Erdbahn hinaus er-
ſtreckte. Daraus aber folgt nothwendig, daß man das
Zodiacal-Licht uͤber den ganzen Himmel verbreitet ſe-
hen
[271]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
hen muͤßte, diß will nicht mehr ſagen, als daß es ſich
mit der Demmerung vollkommen vermiſche. Man
wird keine wohl abgeſchnittene und in eine Spitze zu-
laufende Figur davon ſehen.


Dieſer Unterſchied aͤuſſert ſich bey uns nach den
Jahrszeiten. Wir ſehen das Zodiacal-Licht vom An-
fange des Herbſtes und den Winter durch bis zu An-
fang des Fruͤhlings. Im Sommer laͤßt es ſich nicht
ſehen, und man hat groſſen Theils der Demmerung
Schuld gegeben. Allein vermuthlich ohne voͤllig zu-
reichenden Grund. Da ich ſeine Figur ablang und
der Sonne nicht concentriſch ſetze, ſo werde ich ſie Kuͤr-
ze und mehrerer Deutlichkeit halber als eine laͤnglichte
Ellipſe anſehen, in deren Brennpunct die Sonne iſt.
Das Aphelium iſt auſſerhalb, und das Perihelium
innerhalb der Erdbahn. Unſere Erde geht demnach
in den Sommermonaten bey dem Aphelio der Son-
nen-Athmoſphære durch dieſelbe. In den Winter-
monaten geht ſie bey ihrem Perihelio vorbey, aber
auſſerhalb demſelben.


Es wuͤrde etliche Jahre von Obſervationen er-
fordern, die man in dieſer Abſicht anſtellen muͤßte, um
zu ſehen, wieferne ſich die Figur des Zodiacal-Lichtes
vermittelſt ſolcher Tangentenlinien beſtimmen lieſſe,
und wieferne die Veraͤnderlichkeit der Sonnen-Ath-
moſphære
in die ſcheinbare Geſtalt und Laͤnge derſel-
ben einen Einfluß haben kann: Es deucht mich noch
immer am ſchwerſten zu ſeyn, einen Grund anzugeben,
woher
[272]Coſmologiſche Briefe
woher es komme, daß die Spitze dieſes Lichtes 100.
und noch mehr Grade von der Sonne abſtehen koͤnne,
wenn es ſich nicht ſollte aus der laͤnglichten Figur der
Sonnen-Athmoſphære herleiten laſſen. Waͤre aber
dieſe Figur laͤnglicht, ſo wuͤrde ich nicht wohl einen
andern Grund davon ſuchen, als den Kreyßlauf der
Sonne und ihre Schwere gegen den Mittelpunct des
Fixſternenſyſtems. Doch bis zu mehreren Erfahrun-
gen und Obſervationen hieruͤber laſſe ich die Sache
ausgeſtellt. Die Theorie der Sonnen-Athmoſphære
ſcheint mir noch nicht genug entwickelt zu ſeyn, wenig-
ſtens ſo weit ſie mir bekannt iſt.


Ich habe Ihnen, mein Herr, dieſe Schwierigkei-
ten, daraus ich noch nichts beſtimmtes ſchlieſſe, nur des-
wegen angefuͤhrt, weil ich, wie Sie es leicht ſehen koͤn-
nen, von allen Seiten her neuen Stoff aufſuche, dar-
aus ſich etwan mit der Zeit etwas zu mehrerer Aufklaͤ-
rung unſerer Lage in der Welt koͤnnte ſchlieſſen laſſen,
oder der wenigſtens Anlaß zu fernern Unterſuchungen
geben koͤnnte. Finden Sie daruͤber und uͤberhaupt uͤ-
ber das, ſo in dieſem Schreiben vorgetragen, einige
gluͤckliche Einfaͤlle und ſchicklichere Vorſtellungsart, ſo
werden Sie, mich dadurch aͤuſſerſt verbinden. Ich
weiß, daß Sie hierinn niemals Mangel haben. Ich
erwarte Ihre Betrachtungen mit der erneuerten Ver-
ſicherung der freundſchaftlichſten Ergebenheit, mit wel-
cher ich bin
Mein Herr ꝛc.


Neun-
[273]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.

Neunzehnter Brief.


Nun werden wir doch einmal genug Copernica-
niſch ſeyn, oder wir werden es niemals wer-
den, oder wir haͤtten es nie ſeyn ſollen, denn

bald weiß ich mich vollends nimmer darein zu finden,
nachdem Sie mir, mein Herr, von Cycloidal-Linien
vom 1000ten Grad, von Weltkoͤrpern vom 1000ten
Range, von einer tauſendgliedrigen Reihe von Hypo-
theſen, und von eben ſo vielen Sprachen reden, die
man in der Aſtronomie wird gebrauchen, und allem
Anſehen nach bey jeden Unterſuchungen und Streitig-
keiten zuvorderſt ausmachen muͤſſen, welche Sprache
man gebrauchen, oder aus welchem Tone man ſprechen
wolle. Wie ſehr wird die Welt umgekehrt! Anfangs
ruhete die Erde. Dann fieng ſie an zu laufen, und
die Sonne ſetzte ſich in Ruhe. Nun laͤuft ſie auch,
und der Koͤrper vom vierten Range ruht. Er wird
aber auch geſtoͤhrt werden, und die Ruhe wird an den
vom fuͤnften Grade kommen, und ſo weiter, bis die
Ordnung an den letzten koͤmmt, welcher nicht hypothe-
tiſch, ſondern in der That in Ruhe iſt.


Es gefaͤllt mir uͤberaus wohl, daß wir die Wahl
behalten, jeden von dieſen Koͤrpern in Ruhe oder in
Bewegung zu ſetzen. Diß heißt nun eben ſo viel,
als den Ton geben, aus welchem man anſtimmen will.
Ruht die Erde, ſo bleiben wir bey der ſphaͤriſchen
Aſtronomie, auf welche alle Erſcheinungen des Him-
Smels
[274]Coſmologiſche Briefe
mels muͤſſen gebracht werden. Diß geſchieht durch
eine Ueberſetzung aus jeder aſtronomiſchen Sprache in
die gemeine. Ruht die Sonne, ſo haben wir es mit
unſern Planeten, Satelliten und Cometen zu thun,
und ſprechen von Ellipſen und Hyperbeln allein. Soll
es weiter gehen, ſo geht es unſere benachbarten Son-
nen oder Fixſternen an, da kommen neue Ellipſen und
Hyperbeln, und die Sprache dehnt ſich auf Cycloiden
vom erſten Grade aus. Auf dieſe werden die vom
zweyten, dritten und den folgenden Graden kommen.


Aber ich kehre wieder auf meine erſte Frage zu-
ruͤck, ob wir nun Copernicaniſch ſind, oder wie es da-
mit gehe? Wenn ich mir die Sache recht vorſtelle, ſo
wird es dahinaus laufen. Ptolomaͤus bliebe bey der
popularen oder gemeinen Sprache. Copernicus fieng
an, den erſten Schritt zu thun, und lehrte uns die
Buchſtaben der erſten aſtronomiſchen Sprache kennen.
Aber er wußte nicht, daß ſie nur hypothetiſch ware,
und uns durch viele Stuffen erſt zu der wahren fuͤh-
ren wuͤrde. Tycho Brahe verſah ſich dabey, und ver-
wechſelte den Vocal mit einem Conſonanten, allein man
fand bald, daß die Ausſprache dabey litte, und gar
nicht flieſſend ware. Kepler und Newton hoben
dieſe Verwechslung vollends auf, und fanden Mittel,
die bis dahin noch etwas rohe Sprache zu ihrer wah-
ren Feinheit zu bringen, und ihre Heldengedichte nach
der Mythologie ihrer Zeiten einzurichten. Allein die
Zeiten aͤndern ſich, und unſere naͤchſten Nachkommen
werden dieſe Sprache nur noch in Gedichten gelten
laſſen,
[275]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
laſſen, oder ſie zur Abkuͤrzung der Ausdruͤcke gebrau-
chen, wo es nichts wird zu bedeuten haben. Aber wo
es etwas auf ſich hat, werden ſie aus einem hoͤhern
Tone ſprechen.


So muß ich mir nun die Sache entwickeln. In
ſo ferne Copernicus den erſten Schritt that, bleiben
uns und unſern Nachkommen noch tauſend andere zu
thun, und in ſo ferne werden wir noch lange nicht
vollkommen Copernicaniſch werden. In ſo ferne wir
aber wiſſen, daß der letzte dieſer Schritte ſich bey dem
Koͤrper endigen werde, der die ganze Schoͤpfung um
ſich herum lenkt, glaube ich doch, daß wir genug Co-
pernicaniſch denken; oder wollen Sie, mein Herr, von
da noch weiter gehen? Ich finde vollends nicht, wo
Sie noch hin wollten. Oder haͤtten wir etwann nie
Copernicaniſch ſeyn ſollen? Dieſes wuͤrde doch nicht
wohl anderſt angehen, als wenn wir veſte geglaubt
haben, die Sonne bleibe ein - fuͤr allemal an ihrer
Stelle, und bewege ſich nur um ihre eigene Axe. Ich
gebe Ihnen zu, daß dieſes ein Irrthum iſt, den wir
haͤtten vermeiden ſollen, weil die Sonne, ſo wenig als
die Fixſterne, an ihrer Stelle bleibt. Die Scene
verwandelt ſich, und es wird eine Zeit kommen, wo
das Sternbild des Orions vielleicht ſo ausſehen wird,
wie jezt das von dem groſſen Baͤren.


Ich gedenke wohl bey der Copernicaniſchen
Sprache zu bleiben, weil ſie am leichteſten in die ge-
meine uͤberſetzt werden kann, und wie Sie es, mein
S 2Herr,
[276]Coſmologiſche Briefe
Herr, anmerken, wird man die naͤchſt darauf folgen-
de mit derſelben ſo verbinden, daß man die Anomalien
der Cycloiden auf die Ellipſen bringt, wie wir es bey
dem Monde thun. Ich glaube, die Aſtronomen des
Mondes haben viel leichter auf dieſe verſchiedene
Sprachen verfallen koͤnnen, ungeacht ſie einen Schritt
mehr zu thun hatten, weil ſie einen Satelliten bewoh-
nen. Ihre gemeine Sprache lautet allerdings ſo, als
wenn der Mond keine Bewegung haͤtte. Allein da
ſie die Erde beſtaͤndig auf einem gleichen Fleck ihres
Himmels ſehen, ſo mußte ſie ihnen entweder ganz,
oder doch faſt unbeweglich vorkommen, oder keine an-
dere Bewegung, als die um ihre Axe zu haben ſchei-
nen. Es ware ihnen natuͤrlicher, zur andern Spra-
che fortzuſchreiten, und den Umlauf des Mondes um
die Erde veſt zu ſetzen. Allein ſie mußten bald beyde
zugleich um die Sonne herum laufen machen, und bey
dieſer doppelten Analogie konnten ſie mit gutem
Grunde auch an der Ruhe der Sonne zweifeln, und
uͤberhaupt vollends alles aus der Ruhe ſtoͤren. Waͤ-
ren irgend auſſer dem Saturn Planeten oder Come-
ten, deren Satelliten noch eigene Satelliten um ſich
haͤtten, ſo wuͤrden die Aſtronomen dieſer letztern drey
Schritte zu thun haben, bis ſie die Sonne koͤnnten
herumlaufen machen, aber dieſe drey Schritte waͤren
ihnen noch natuͤrlicher, weil ihre Beweiſe ſie faſt noth-
wendig weiter hinaus verleiten wuͤrden.


Ungeacht ich aber bey der Copernicaniſchen
Sprache bleibe, ſo habe ich doch geſucht, mir von et-
lichen
[277]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
lichen der naͤchſt darauf folgenden einen Begriff zu
machen, um mir die Ueberſetzung daraus einiger maſ-
ſen vorzuſtellen. Ich konnte die verſchiedene Stuffen
der Cycloiden mit nichts genauer vergleichen, als mit
den Wellen des Waſſers. Wird es von irgend einer
Urſache bewegt, ſogleich wird ſeine Oberflaͤche uneben.
Es entſteht eine Reihe von auf einander folgeuden
Wellen, und zwiſchen jeden zwoen derſelben bleibt ei-
ne Tiefe, welche wieder ausgefuͤllt wird, wenn die
Wellen ſich legen. Dieſe aufeinander folgende Erhe-
bung und Vertiefung bildet im Durchſchnitte auf der
Flaͤche des Waſſers eine Art von Schlangenlinie, und
ſtellt mir das Bild der Cycloiden vor. Sind die Wel-
len klein, ſo iſt auch die Erhebung und Vertiefung nur
einfach, und da habe ich eine Cycloide vom erſten Gra-
de. Werden ſie aber merklich groͤſſer, ſo beſteht eine
groſſe Welle aus ſehr vielen kleinern. Die kleinern
Kruͤmmungen bleiben zwar, allein ſie ziehen ſich nach
den Wendungen der groͤſſern Welle in die Hoͤhe, und
von da wieder in die Tiefe. Es ſcheint, die Natur
muͤſſe zu dergleichen Wellenlinien und Oſcillationen ei-
ne groſſe Luſt haben, weil wir ſie faſt in allen Bewe-
gungen finden. So faͤhrt ein Schiff durch eine Reyhe
von ſolchen Wellenfoͤrmigen Schwankungen uͤber das
Meer. Je groͤſſer es iſt, deſto groͤſſer muß die Wage
ſeyn, die es heben und ſinken machen kann. Ein klei-
ner Kahn folgt ſchon den kleinen und groͤſſern Erhebun-
gen zugleich, und indem ſich das Orlogſchiff einmal er-
hebt und ſinkt, leydet der Kahn mehrere kleinere Erhe-
bungen und Senkungen, die zuſammen genommen, die
S 3groſſe


[278]
Coſmologiſche Briefe

groſſe ausmachen. So ſcheinen jede Weltkugeln durch
den Raum des Weltgebaͤudes zu laufen. Alle kommen
endlich um ſeinen Mittelpunct herum, aber je groͤſſer
jede iſt, deſto weniger giebt ſie nach, und deſto einfacher
ſind ihre Schwangungen. Es iſt natuͤrlich, daß es
dabey ruhiger und einfoͤrmiger zugehen muͤſſe, als auf
dem Meere. Der allgemeine Wind, ſo jede forttreibt,
iſt ordentlicher und ſich ſelbſt beſtaͤndiger gleich, als der
Oſtwind zwiſchen den Windecirculn unſerer Erde; Und
an der Erhaltung eines Weltkoͤrpers iſt mehr gelegen,
als an der von einem Schiffe, zu deſſen Erſetzung im-
mer neuer Stoff nachwaͤchßt.


Wenn ich die Cycloidal-Linie, die unſer Mond
in der Copernicaniſchen Hypotheſe beſchreibt, zum
Muſter nehme, ſo iſt ihre Kruͤmmung ſehr geringe.
Die Laͤnge von einer Erhoͤhung und Vertiefung zu-
ſammen genommen betraͤgt beynahe 30. Grad unſerer
Erdbahn, und daher ungefehr den vierten Theil ihres
Diameters; da hingegen die Erhoͤhung und Vertie-
fung zuſammen kaum den 365ten Theil dieſes Diame-
ters ausmachen. Die Cycloide iſt demnach bey
90mal laͤnger als breit.


Solle ich nun die zweyte Sprache annehmen,
welche die Sonne in einem Kreyſe herum laufen laͤßt,
ſo verwandle ich die Ellipſe der Erdbahn in eine Cy-
cloide
vom erſten Grade, und dieſe muß allem Anſe-
hen nach noch vielfach laͤnger als breit ſeyn. Es bleibt
zwar noch unausgemacht, ob die Sonne ſeit des Hip-
parchus
[279]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
parchus Zeiten, oder eine runde Zahl genommen, ſeit
2000. Jahren einen Grad ihrer Bahn durchlaufen,
und wie lang ein ſolcher Grad iſt. Indeſſen aber hat
die Erde 2000. Schwangungen in ihrer Cycloide ge-
macht, und Saturn 70. in der ſeinigen. Ein Come-
te, der erſt in etlichen Jahrhunderten wieder koͤmmt,
hat noch eine geringere Anzahl. Deſſen uneracht
wuͤrde ich alle die Cycloides in die Laͤnge ziehen. Al-
les haͤngt von der Geſchwindigkeit des Laufes un-
ſerer Sonne ab. Setze ich dieſe nur etliche mal
groͤſſer als die von der Erde in dem Copernicaniſchen
Syſtem, ſo werden die Cycloiden ſehr laͤnglicht, und
ihre Wendungen geringe.


Es ſcheint aber nicht, daß dieſes nothwendig ſeyn
muͤſſe, und die Satelliten des Jupiters und Saturns
beſchreiben in dem Copernicaniſchen Syſtem ſolche Cy-
cloiden, die ſich mit den Wellen des Waſſers nicht ver-
gleichen laſſen. Weil ſie in ihren Ellipſen geſchwin-
der laufen als die Hauptplaneten in den ihrigen, ſo
laufen ſie in der That ruͤckwaͤrts, wenn ſie zwiſchen
den Hauptplanet und die Sonne kommen, und ihre
Cycloiden durchkreuzen ſich.


Ich kann ihre Figur unter keinem bekanntern
Bilde vorſtellen, und uͤberhaupt verwirre ich mich un-
vermerkt in allen dieſen Laufbahnen. Bald werden
die Zuͤge, ſo die Schreibmeiſter um ihre Buchſtaben
herum ziehen, nicht ſo verwickelt ausſehen, als die
wahren Bahnen der Weltkoͤrper. Ich wollte die von
S 4einem
[280]Coſmologiſche Briefe
einem Cometen verfolgen, deſſen Laufbahn um unſere
in Ruhe geſetzte Sonne, eine Hyperbel iſt, allein ich
kam damit nicht zu Stande, und ich mußte mich mit
der Vorſtellung begnuͤgen, daß er ein Koͤrper ſeye,
den die Sonne in ihrem Umlaufe irgend antrafe, ſei-
ne Laufbahn um ſich herum kruͤmmete, und ihn ſo-
dann wieder neues Gluͤck ſuchen, und gehen lieſſe.
Bald haͤtte ich die praͤchtige Vorſtellung davon ver-
geſſen, die wir uns ehedeme gemacht hatten.


Wie wunderbar muß es in dem Weltbaue aus-
ſehen? Ich finde da zwo Claſſen von Ordnungen.
In dem Laufe der Dinge auf unſerer Erde iſt die Un-
ordnung ſcheinbar, weil dem erſten Anſehen nach alles
durcheinander geht. Ueberſieht man das Ganze, ſo
kommen die allgemeinen Geſetze, und mit dieſen die
Ordnung zum Vorſchein. Am Firmamente iſt es
umgekehrt. Die einfache Ordnung iſt die ſcheinbare.
In der That, was kann ordentlicher ſcheinen, als der
taͤgliche Umlauf, Auf- und Untergang der Sonne und
jeder Fixſterne. Mit einem male dreht ſich der gan-
ze Himmel um die Erde herum, und des Nachts ſcheint
der Mond der Anfuͤhrer des ganzen Sternenheeres zu
ſeyn. Laͤßt man ſich Zeit und Weile, dieſer Scene
genauer nachzuſchauen, ſo fangen kleine Abweichungen
an, ſich herfuͤr zu thun. Der Mond wandelt von
Stern zu Stern ruͤckwaͤrts, und die Planeten fangen
auch an, zu zeigen, daß ſie ihrem eigenen Sinne fol-
gen, ſo ſehr ſie auch der allgemeine Strom mit ſich
fortreißt. Dieſe Unordnung zu heben, faͤngt der Zu-
ſchauer
[281]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſchauer an, Copernicaniſch zu denken, und bringt Pla-
neten und Cometen in eine ſolche Ordnung, die nicht
auserleſener ſeyn koͤnnte. Allein nach und nach zei-
gen auch die Fixſterne, daß ſie nicht todte Maſſen ſind,
ſondern eigenes Leben und Bewegung haben. Ein
neuer Grund, auch die Ordnung der Planeten als er-
dichtet anzuſehen, und zugleich ein fuͤr allemale zu
ſchlieſſen, daß die wahre Ordnung die allerzuſammen-
geſetzteſte iſt, und von uns nie erreicht werden wird.
Der Weltbau im Ganzen betrachtet hat tauſend Trieb-
raͤder, ſo ineinander gerichtet, daß jedes groͤſſere in
die naͤchſtkleinern, und dieſe in die folgenden eingrei-
fen, und in den kleinſten unzaͤhlige Schwankungen
verurſachen.


So ſind Zeit und Raum durch die Bewegung
jeder Koͤrper des Weltbaues mit einander verbunden,
daß die ſcheinbare Ordnung die einfachſte ſeyn muͤßte,
und daß wir eine deſto zuſammengeſetztere nehmen muͤſ-
ſen, je mehr die Zeit groͤſſer wird, deren Ablauf wir
vergleichen ſollen. Wie ordentlich und genaue mißt
uns die taͤgliche Umdrehung des Himmels die Tage
und Stunden und ihre Theile vor, die wir zu jeder
Verrichtung eingetheilt haben muͤſſen! Kein genauer
Uhrwerk als der taͤgliche Umlauf jeder Fixſterne! Ge-
braucht es Zeiten von laͤngerer Dauer; Solle der
Umlauf der Cometen und Planeten, die an der erſten
Ordnung die fruͤheſte und ſichtbarſte Ausnahm machen,
ausgemeſſen werden, ſo muͤſſen wir das naͤchſte Trieb-
rad mit in die Rechnung ziehen, und koͤnnen wieder
S 5bey
[282]Coſmologiſche Briefe
bey einer ausbuͤndigen Ordnung bleiben, die uns Co-
pernicus vorgezeichnet hat. Kommen aber Zeiten von
vielen Jahrhunderten vor, ſo aͤuſſern ſich auch in die-
ſer Ordnung neue Abweichungen, die man ebenfalls
wieder in eine neue Ordnung bringen muß. Man
muß zu dem dritten Triebrade fortſchreiten, welches
ſeinen Umlauf nach Platoniſchen Jahren mißt. So
haben wir durch bloß ſcheinbare Ordnungen genaue
Uhrwerke, fuͤr Stunden, Tage, Jahre, Jahrtauſen-
de, und jede andere Zeiten, die Schritt fuͤr Schritt
Millionenmal groͤſſer werden als die naͤchſt vorherge-
henden.


Ich erſtaune nochmals uͤber dieſe Einrichtung.
Die allerzuſammengeſetzteſte unter allen Ordnungen
muß uns einen ſehr einfachen Schein zeigen, damit
wir unſere Zeit meſſen, eintheilen, und richtig anwen-
den koͤnnen. Wie nothwendig iſt uns dieſe Abſicht des
Schoͤpfers! Ackerleute mußten uns die Aſtronomie
lehren, weil es ihnen nothwendig ware, die Jahrszeit
zu jeder Feldarbeit zu wiſſen, um nicht zur Unzeit aus-
zuſaͤen, und allgemeine Theurungen zu vermeiden, die
in den aͤlteſten Zeiten bloß daher ſo ofte vorgefallen
ſind, weil die Hoffnung der reifen Erndte aus Man-
gel der Kenntnis der Jahrszeit fehlgeſchlagen hatte.
Vielleicht wird es Gruͤnde geben, auch die Jahrtau-
ſende ſo genau zu kennen, wie dermalen die Jahrszei-
ten, aber fuͤr dieſe Zeitpuncten bin ich nicht beſorgt,
und kann es bey der Wißbegierde bewenden laſſen.
Sie wird bey mir von Tag zu Tag groͤſſer, und je
mehr
[283]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
mehr ich nun den Weltbau anſehe, deſto mehr bieten
ſich mir Fragen an, die ich gerne eroͤrtern moͤchte.


Indeſſen vergnuͤgt es mich, die Einrichtung des
Ganzen einzuſehen, ſo unbeſtimmt auch jede einzele
Umſtaͤnde bleiben. Wo ſind wir nun in der Welt?
Wie weit ſteht unſere Erde von jedem der Koͤrper ab,
um welchen ſie ſich herum ſchwingt? Wie viele einze-
le Wendungen gebraucht ſie zu der naͤchſt groͤſſern,
und wie viele von dieſen zu der noch groͤſſern? Wie
nahe kann ſie zu dem Mittelpunct der Schoͤpfung kom-
men, und wie weit kann ſie ſich in ihrer Cycloide von
tauſend groͤſſern Wendungen davon entfernen? In
welchem Puncte von jeder Wendung laͤuft ſie jezt?
Wie groß iſt ihre wahre Geſchwindigkeit, oder ſteht
ſie vielleicht dieſen Augenblik ganz ſtille, indem ſie wie-
der den Ruͤckweg zu nehmen anfaͤngt, oder hat ſie ihre
groͤßte moͤgliche Geſchwindigkeit, welche die Summe
der Geſchwindigkeiten in jeden Ellipſen ausmacht, ſo
die Koͤrper von jedem Range, zu welchem ſie gehoͤrt,
durchlaufen wuͤrden, wenn der von dem naͤchſt hoͤhern
Range in Ruhe bliebe? Faͤllt dieſe Geſchwindigkeit
nicht faſt ins unendliche, oder wird ſie dadurch gemaͤſ-
ſigt, daß einige dieſer Koͤrper vorwaͤrts, die andere
ruckwaͤrts, noch andere herauf, und andere herunter
laufen? So wuͤrde bey den Luſtfeuern kein Schwaͤr-
mer in der Luft wunderbarere Wendungen machen,
als die Erde oder jede andere Weltkugel durch die Tie-
fen des Firmamentes. Und bey dieſer unausdenkba-
ren Kruͤmmung ihrer Bahn mußte dennoch unſern Au-
gen
[284]Coſmologiſche Briefe
gen die einfachſte, und bey dem erſten Gebrauche des
Verſtandes eine eben ſo ſchoͤne Ordnung dabey zu ſeyn
ſcheinen!


Sehen Sie hieraus, mein Herr, wie ich mich
nun gewoͤhne, ein ganzes Regiſter von Fragen zu ma-
chen. Allein ich fuͤrchte mich nicht mehr dabey. So
auſſerordentlich auch alle Weltkoͤrper durch einander
laufen, ſo bin ich nun wegen ihres Ausweichens vol-
lends auſſer Sorgen. Ich ſehe genaue ein, wie bey
der Schoͤpfung jedem derſelben eine Maſſe von be-
ſtimmter Groͤſſe, ein ihm und allen denen Koͤrpern,
denen er ſubordinirt iſt, vollkommen angemeſſener
Grad von Geſchwindigkeit, und die behoͤrige Richtung
hat gegeben werden muͤſſen, damit bey dieſer faſt un-
endlich zuſammengeſetzten Ordnung jeder Planet ein
vollkommen richtiges Uhrwerk haben koͤnnte, welches
ihm Zeitraͤume von jeder Dauer anzeigte, und mit
zunehmendem Zeitraume ſich neue Triebraͤder zur Aus-
meſſung aͤuſſerten. Denn ich verwundere mich noch-
mals daruͤber, daß bey dieſem allem die einfachſte Ord-
nung nur ſcheinbar, die wahre aber ſo ſehr zuſammen-
geſetzt iſt, als es nur immer ſeyn kann. Die wahre
werden wir nie ganz uͤberſehen koͤnnen, und in ſo fer-
ne wuͤrde ſie uns nie dienen, wenn ſie auch unter al-
len die einfachſte waͤre. Aber ſo bequemt ſie ſich nach
unſerm Gebrauche, und ſo weit wir ſie noͤthig haben,
ſtellt ſie ſich uns unter der einfachen Geſtalt vor.
Vielleicht iſt dieſer Schein ſo weſentlich, daß bloß um
denſelben zu erhalten, die wahre Ordnung ſo ſehr hat
verwickelt
[285]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
verwickelt werden muͤſſen. Eben die Sonnen, um
welche Planeten und Cometen laufen muͤßten, ſollten
ſchwer ſeyn, oder Kuͤrze halber mit Newton zu reden,
eine anziehende Kraft haben. Sogleich hebt dieſes
ihre Ruhe auf, ſo wenig es auch anfangs betragen
mochte. Um die Bewegung in einfachere Ordnung
zu bringen, und das Ganze dauerhaft zu machen, muß-
ten die Sonnen in Claſſen gebracht, oder in Syſtemen
eingetheilt, und jedem Syſtem ein Regent gegeben
werden. Allein da mehrere Syſtemen waren, ſo fiel
eben dieſe Schwierigkeit vor, und die Regenten muß-
ten ſelbſt wieder einen Oberherrn haben, der ſie mit
ihrem Gefolge herum lenke. Dieſes alles war noch
zu wenig, und dieſe Subordination mußte mehrere
Stuffen haben. Je mehr Stuffen hinzu kamen, de-
ſto zuſammengeſetzter wurde der Lauf der erſtern Welt-
kugeln, allein das Scheinbare darinn bliebe einfach,
wie es ſeyn ſollte, wenn das Firmament einem jeden
Planeten das vollkommenſte Uhrwerk vorſtellen ſollte.


Sie haben mich, mein Herr, nun in die Haupt-
ſtadt gefuͤhrt, und die Anlage des Ganzen ſehen laſſen.
Allein wiſſen Sie, was mir noch dabey fehlt? Erin-
nern Sie ſich, daß Sie mir vorwarfen, als wenn ich
ohne ſehen nicht glauben wollte? In der That, was
getrauen Sie ſich aus dem ſchwachen Lichte im Orion
zu machen? Sie haͤufen mir ſo viele Betrachtungen
auf einander, daß ich es bald als den hellern Theil von
dem Regenten unſeres Fixſternenſyſtems anſehen wuͤr-
de. Denn ich glaube faſt, daß es Ihnen damit Ernſt
iſt,
[286]Coſmologiſche Briefe
iſt, und Sie ſuchen nur andere Gruͤnde auf, um die
Autopſie als nothwendig vorzuſtellen. Derham woll-
te es nicht fuͤr ein eigenes Licht anſehen, ſondern nur
fuͤr einen Wiederglanz? Es ſchiene ihme zu gleichfoͤr-
mig helle, und ſo genau abgeſchnitten, als wenn es ei-
ne Oefnung waͤre, durch welche man in einen erleuch-
ten Ort ſehen koͤnnte? Was kann genauer auf eine
erleuchtete Flaͤche paſſen, deren reflectirtes Licht noch
durch die Himmelsluft geſchwaͤcht, und dadurch noch
viel blaſſer und einfoͤrmiger wird? Ferner, man hat
ſeine Geſtalt veraͤndert gefunden? Sollte man dieſes
von der Undurchſichtigkeit unſerer Erdluft herleiten,
daß der Rand dieſes Lichtes ſich nicht allmaͤhlich ins
Dunkle verleurt, ſondern deutlicher abgeſetzt iſt? Ich
bedaure wirklich, daß es mehrere Obſervationen ge-
braucht, um aus dieſen Veraͤnderungen etwas zu ſchlieſ-
ſen. Ich wuͤrde mir bald ſuchen aus der Sache zu
helfen.


Doch ich will mich dabey noch gedulten. Aber
den Grund, den Sie, mein Herr, von der ſcheinbaren
Groͤſſe dieſes Lichtes hernehmen, um es nicht als einen
von ihren dunkeln Koͤrpern anzuſehen, haben Sie viel-
leicht nur angefuͤhrt, weil ich mich bey dieſer Groͤſſe in
meinem vorhergehenden Schreiben aufgehalten hatte.
Ich hatte ja nur den Schluß daraus gezogen, daß man
wenigſtens den naͤchſten von dieſen Koͤrpern mit den
Fernroͤhren ſollte aufſpuͤhren koͤnnen. Nehmen Sie
nur ſelbſten, welche Maſſe zu einem Koͤrper gehoͤrt,
der ein ganzes Fixſternenſyſtem in Ordnung halten
ſolle.
[287]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſolle. Sie ſagen mir ja dabey, daß wir noch nicht
wiſſen, was groß oder klein iſt, und daß wir uns im-
mer mehr an groͤſſere Dinge gewoͤhnen muͤſſen. Was
iſt die Erde gegen der Sonne, und was mag die Son-
ne gegen einen ſolchen Koͤrper ſeyn? Der Diameter
der Sonne iſt gut zweymal groͤſſer als der Diameter
der Mondbahn um die Erde. Koͤnnte nicht der
Durchſchnitt eines ſolchen Koͤrpers noch groͤſſer ſeyn
als die Bahn des Saturns um die Sonne? Ich ſoll-
te wohl gedenken, daß er ſichtbar waͤre. Wir ſind
allem Anſehen nach kaum um den Abſtand etlicher Fix-
ſterne davon entfernt, und die Fixſterne, die man in
dieſem Lichte des Orions ſieht, muͤſſen nothwendig in
ungleichen Entfernungen hinter einander liegen, weil
ſie zu nahe beyſammen zu ſeyn ſcheinen. Allein ich
will es mit Ihnen auf die Erfahrung ankommen laſ-
ſen, und ich hoffe, daß Zeit und Umſtaͤnde es geben
werden, daß wir ſie beyſammen anſtellen koͤnnen.


Inzwiſchen kann ich von der Moͤglichkeit, einen
ſolchen Koͤrper zu ſehen, noch nicht abgehen, und
wann das Licht, ſo ſie reflectiren, an ſich nicht ſchwach
waͤre, wenn es in dem unermeßlich weiten Wege,
denn es durch die Himmelsluft zuruͤcke zu legen hat,
nicht ſehr merklich ſchwaͤcher wuͤrde, wenn endlich un-
ſere Luft von dem Lichte jeder Fixſterne des Nachts
nicht einen gewiſſen Grad von Klarheit haͤtte, ſo wuͤr-
de ich dreiſte genug ſeyn, zu glauben, daß wir auch
den Koͤrper, der unſere Milchſtraſſe regiert, und
uͤberhaupt alle die, um welche die Erde ihre Cy-
cloide


[288]Coſmologiſche Briefe

cloide herum kruͤmmet, ſehen wuͤrden, und ihr
ſcheinbarer Diameter noch groß genug dazu waͤre.


Mein Beweis iſt aus der Analogie hergenom-
men, und vermoͤg dieſer ſchlieſſe ich, der Koͤrper,
der ein Syſtem regiert, muͤſſe auch an den aͤuſſerſten
Grenzen deſſelben einen wenigſtens mit Fernroͤhren
noch ſehr ſichtbaren Diameter haben. Bey den Sa-
telliten in unſerm Sonnenſyſtem iſt es ausgemacht.
Sie ſehen ihren Hauptplaneten ſo groß, daß er ihre
Naͤchte erleuchten kann. Saturn, der aͤuſſerſte der
Planeten, ſieht die Sonne noch unter einem Winkel
von mehr als 3. Minuten. Der Comet von 1759.
in ſeiner groͤßten Entfernung ſieht ſie noch unter ei-
nem Winkel von einer Minute. Ein Comet, der
ſich noch 60mal weiter entfernen wuͤrde, koͤnnte die
Sonne noch unter einem Winkel von einer Secunde
ſehen, welches durch ein gutes Fernrohr noch 2. und
mehr Minuten betragen mag. Ich glaube ſchwer-
lich, daß je ein Comet, der wieder kommen, oder in
einer Ellipſe laufen ſolle, ſich ſo weit entferne. Die
kuͤrzeſte Zeit ſeines Umlaufes waͤre uͤber 35000.
Jahre, weil er 2200mal weiter wegbliebe als die
Erde.


Wiederum die anziehende Kraft eines Koͤrpers
nimmt ab, wie das Quadrat des Sinus ſeines ſchein-
baren Halbmeſſers. Solle ſie nicht vollends unmerk-
lich oder ſo geringe werden, daß ſie die Oberhand
nicht mehr behaͤlt, ſo kann man dieſen ſcheinbaren
Halb-
[289]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Halbmeſſer nicht unmerklich annehmen, er muß noch
eine kenntliche Groͤſſe behalten. Denn Sie geben zu,
mein Herr, daß ein Koͤrper, der ein Syſtem regie-
ren ſolle, bis zu den Grenzen des Syſtems ſeine Herr-
ſchaft mit Nachdrucke zeigen muͤſſe, oder umgekehrt,
daß ſein Syſtem ſich nicht uͤber den kraͤftigern Theil
ſeines Wirkungskreyſes ausdehne. Um deſto mehr
muß er auch an dem Umfange deſſelben einen noch be-
traͤchtlichen ſcheinbaren Diameter haben.


Sie werden leicht ſehen, wo dieſes hinaus will?
Unſere Erde gehoͤrt zu ſtuffenweis groͤſſern Syſtemen.
Sie iſt demnach in dem Wirkungskreyſe jeder Koͤrper,
ſo dieſelbe regieren, daher in dem von der Sonne, in
dem von dem Regenten unſeres Fixſternenſyſtems, in
dem von dem Regenten unſerer Milchſtraſſe, und ſo
fort. Jeder dieſer Koͤrper ſollte demnach einen noch
kennbaren Raum an unſerm Himmel einnehmen, und
daher wenigſtens durch Fernroͤhren ſichtbar ſeyn, wenn
keine andere Hinderniſſe dabey waͤren. Allein ich
glaube nicht, daß wir mehr als einen davon werden
ſehen koͤnnen, weil die Schwaͤchung des Lichtes durch
die Himmelsluft und die naͤchtliche Klarheit unſerer
Erdluft, ein Licht, das nur reflectirt iſt, und einen
ſo ungeheuren Weg zuruͤcke legen muß, nothwendig
unſern Augen entziehen, ſo gute Dienſte auch die
Fernroͤhren uns hiebey thun koͤnnen.


Welche Merkwuͤrdigkeiten geben Sie uns noch
am Firmamente zu entdecken? Oft findet man erſt,
[T]wenn
[290]Coſmologiſche Briefe
wenn man ungefehr weiß, was man ſuchen ſolle.
Ich bin je laͤnger je mehr geneigt zu glauben, daß
Derham auch nicht einmal im Traume an das Cae-
lum empyreum
gedacht haͤtte, wenn er gewußt haͤt-
te, daß man Koͤrper von ſolcher Groͤſſe auch noch hin-
terhalb etlichen Fixſternen ſuchen muͤßte, und eben ſo
wenig wuͤrde ich an eine Milchſtraſſe gedacht haben.
Aber nun iſt es bey mir veſte geſetzt. Ich werde Zeit
und Anlaͤſſe dazu ſuchen, etwas aus dieſer Entdeckung
zu machen, und bringe ich den Regenten unſers Fix-
ſternenſyſtems heraus, ſo gebe ich Ihnen jede andere
zu, ſo ungewoͤhnt uns ihre Groͤſſe vorkommen mag.


So viel ſehe ich gar wohl ein, daß auf dieſe
Art, wie Sie ſich, mein Herr, den Weltbau vor-
ſtellen, alles einfacher wird, je naͤher man dem Gan-
zen koͤmmt. Die Ellipſen, die wir in dem Coperni-
caniſchen Syſtem an den Planeten und Cometen als
eine ungemein ordentliche und einfache Einrichtung
bewundern, fallen deßwegen aus dem Weltgebaͤude
nicht weg; Sie werden als die einfachſten nur an
wuͤrdigere Stellen verſetzt, und die Koͤrper, die un-
mittelbar von dem Regenten der Schoͤpfung abhaͤn-
gen, bewegen ſich in denſelben, mit einer ihrem Ran-
ge angemeſſenen einfachen und ernſthaften Majeſtaͤt.
Naͤchſt dieſem folgen Cycloiden vom erſten, zweyten,
dritten und folgenden Graden, bis wir endlich auf die
von den Satelliten kommen. So verbreitet ſich ein
einfaches Geſetz durch jede Stuffen uͤber das Ganze,
daß wir eben die Ordnung, die von innen heraus in
der
[291]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
der That herrſcht, und ſich von dem erſten Regenten
auf ſeine naͤchſt ſubordinirten, von dieſen auf die fol-
genden und ſo weiter ausbreitet, bey jedem ſubordi-
nirten Regenten, und wenn er auch der tauſendſte in
der Ordnung waͤre, hypothetiſch annehmen, und ſei-
ne naͤchſt Untergebenen in den ſo einfachen und beque-
men Ellipſen einher wandeln laſſen koͤnnen.


Ich geſtehe Ihnen gerne, mein Herr, daß mir
dieſe Ordnung ſo ſehr einleuchtet, daß ich nichts har-
moniſchers und nichts vollſtaͤndigers ausſinnen kann.
Sie gleicht einer Reihe, daran jedes Glied nach ei-
nerley Geſetz aus dem naͤchſt vorhergehenden formirt
wird, und unter denen Reihen, die man recurrentes
nennt, iſt ſie die einfachſte und vollkommenſte. Ich
kann mich nicht genug dabey aufhalten, und wuͤrde ſie
bereuen, wenn je die Regenten, bloß wegen ihrer
ungeheuren Groͤſſe, ſollten gelaͤugnet werden.


Ich nehme z. E. die Reihe 1, 1, 2, 3, 5, 8,
13, 21, 34, 55, ꝛc. ziehe ich jedes Glied von dem
naͤchſt folgenden ab, ſo bleibt 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13,
21, 34, ꝛc. welches wieder eben dieſe Reihe iſt,
und daher wieder eben dieſe Verwandlung leidet.
Aber jedesmal faͤllt das erſte Glied weg. Diß iſt
eben ſo viel, als wenn ich den Koͤrper, der in einer
Ellipſe laufend angenommen worden, in Ruhe ſetze.
Gleich werden jede von ihm abhaͤngende Cycloiden um
einen Grad einfacher, aber die Reihe bleibt. Wir
koͤnnen dieſes ſo weit treiben, bis ein Koͤrper von ge-
T 2gebenem
[292]Coſmologiſche Briefe
gebenem Range ruht, oder in einer Ellipſe laͤuft.
Und ſo machen wir es in dem Copernicaniſchen
Syſtem, wo wir die Sonne in Ruhe ſetzen, da-
mit Planeten und Cometen in Ellipſen laufen moͤ-
gen.


Was Sie, mein Herr, von der Figur der
Athmoſphære der Sonne ſagen, ſcheint mir der Un-
terſuchung wuͤrdig zu ſeyn. Von verſchiedenen Be-
ſchreibungen, die ich davon geleſen, giebt mir noch
keine einen zureichenden Grund, warum ihr aͤuſſerſter
Stand oder die Spitze des Zodiacal-Lichtes uͤber
100. Grad von der Sonne abſtehen koͤnne, und ſo
deutlich abgeſchnitten erſcheine, wenn ſeine wahre Fi-
gur circular und der Sonne concentriſch ſeyn ſollte.
Hingegen ſollte ſich dieſe durch die Tangenten, die
Sie ziehen, ordentlicher beſtimmen laſſen, und wo
ich mich recht entſinne, hat man bereits angemerkt,
daß ſich die ſcheinbare Geſtalt des Zodiacal-Lichtes
ſehr nach unſern Jahrszeiten richtet. Ich glaube
aber, daß wir in Europa daſſelbe niemals in jeden
Theilen ſeines Umfanges ſehen. Im Herbſte ſieht
man es nur des Morgens, im Fruͤhlinge nur des A-
bends, folglich beyde male nur den Theil, der gegen
den Colur der Sommerſonnenwende liegt. Im
Winter wird es Morgens und Abends, und folglich
der Theil geſehen, der gegen die beyden Aequino-
[c]tial-
Puncte des Thierkreyſes hinaus geht. Der
vierte Theil, welcher gegen den Steinbock liegt, koͤmmt
uns nicht zu Geſichte, und im Sommer, wenn nem-
lich
[293]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
lich die Erde in dieſem Zeichen Zeichen iſt, ſehen wir
gar nichts von dieſer Athmoſphære. Ihre Nei-
gung gegen die Eccliptic ſetzt man 7½. Grad,
und ihre Knotenlinie geht durch den 8ten Grad
der Zwillinge und des Scorpions. Dieſes ſind
juſt die Umſtaͤnde, welche machen, daß ſich die
Erde des Sommers innert dieſer Athmoſphære
befinden kann, ſo daß ſich ihr Licht uͤber den Him-
mel ausbreitet, und wo ich mich nicht irre, ha-
ben einige franzoͤſiſche Aſtronomen ſo gar in Chi-
na, vielleicht auch aus dieſem Grunde, dieſes
Licht fuͤr eine zweyte Demmerung ausgeben wol-
len.


Iſt dieſe Athmoſphære gegen das Zeichen
des Steinbocks, und daher dem Orion gegenuͤber
laͤnger gedehnt als auf der andern Seite, ſo wuͤr-
de ich einen neuen Grund finden, meinen ſo ſehr
gewuͤnſchten dunkeln Koͤrper im Orion zu ſuchen.
Dieſe Athmoſphære wuͤrde etwas den Cometen-
ſchweifen ſehr aͤhnliches haben, welche auch von
dem Brennpunct ihrer Ellipſe faſt immer in gera-
der Linie abſtehen. Die Obſervationen, die hie-
zu noch erfordert werden, wie die von dem Lichte
im Orion, laſſen ſich etliche Winter durch zu
Stande bringen. Ich bin auf beyde ſo begierig,
daß ich alles aufſuchen werde, um ſie mit Weile
anzuſtellen, und hoffe, daß ich es mit Ih nen,
mein Herr, werde thun koͤnnen. Wir werden
nun den Orion mit andern Augen anſtaunen, als
T 3es
[294]Coſmologiſche Briefe
es vormals geſchahe, und wenn wir etwas da
finden, mit ungleich groͤſſerm Vergnuͤgen.


Aber wollen Sie, mein Herr, in Ernſte die
Wirbel wieder aufbringen? Muß ein Wirbel kei-
nen groſſen Koͤrper als einen Regenten in ſeinem
Mittelpuncte haben? Wenn dieſes nicht noͤthig
iſt, ſo verliere ich bald wieder die Hoffnung, im
Orion etwas zu entdecken. Sie werden doch ei-
nen Wirbel nicht ſich ſelbſten uͤberlaſſen. Ich
glaube, er waͤre zu unordentlich, wie die, ſo in
der Luft oder im Waſſer entſtehen, und wieder
vergehen. Die Ordnung in dem Weltbaue muß
viel geſetzter und einfoͤrmiger ſeyn. Es deucht
mich, die Erfindung der Wirbel ſeye eine zu miß-
liche Sache, und ich weiß, daß Sie, mein Herr,
lieber bey dem bloßen Geſetze der Schwere, als
bey einer richtigen Erfahrung bleiben, als daß
Sie auf einen Mechaniſmum ſinnen ſollten, fuͤr
den man eben deßwegen nicht gut ſtehen kann,
weil man immer zweifeln wird, ob nicht noch meh-
rere moͤglich ſind.


Doch ich muß zum Beſchluſſe eilen. Sie
ſehen hieraus, mein Herr, wie ich mir Ihre Sy-
ſtemen auf allen Seiten vorzuſtellen geſucht habe.
Vielleicht habe ich dabey der Einbildungskraft zu
freyen Lauf gelaſſen, denn die Aſtronomie erweckt
mir ſie immer mehr. Aber ich weiß, daß Sie
mich
[295]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
mich wieder zuruͤck fuͤhren werden, wo ich abge-
wichen bin. Ich erwarte Ihre Gedanken hieruͤ-
ber mit Sehnſucht. Nichts wuͤrde mich mehr ver-
gnuͤgen, als wenn ich bald zu den Obſervationen
ſchreiten koͤnnte, die ich mir nun vorgeſetzt habe.
In der angenehmen Hoffnung, daß es mit Ih-
nen, mein Herr, geſchehen werde, verbleibe ich
mit unverletzlicher Ergebenheit
Mein Herr ꝛc.


[figure]

T 4Zwan-
[296]Coſmologiſche Briefe

Zwanzigſter Brief.


Sie haben, mein Herr, alle Urſache, mich zu
fragen, wo ich noch weiter hinaus wollte,
wenn es mir etwann einfiele, daß das bis-

herige noch nicht genug waͤre. Der Weltbau iſt ja
nun ein zuſammenhaͤngendes, und nach einem allge-
meinen Geſetze harmoniſch eingerichtetes Ganzes.
Wollten Sie, daß ich noch Stuͤcke anflicken ſollte,
die nicht dazu gehoͤren? Und recht betrachtet, bin ich
nicht etwann bereits ſchon uͤber die Grenzen des
Glaubwuͤrdigen hinaus geſchweift? Ich machte Schluͤſ-
ſe, und zwar Schluͤſſe ohne jedesmal zulaͤngliche Er-
fahrung dazu in Vorrathe zu haben, und ohne gleich
zu wiſſen, wie weit ſie fuͤhren wuͤrden. Aber Ihr
letzters Schreiben, welches mir in allen Abſichten
ſehr angenehm und verbindlich geweſen, ſtellt mir nun
das Ganze in ſeinem Zuſammenhange und auf allen
Seiten vor, und zeigt mir, wie weit ich gegangen bin.
Iſt es nicht ſo, bis zum Unglaͤublichen?


An den netten Vorſtellungen, die Sie, mein
Herr, von dieſer Einrichtung des Weltbaues machen,
wird es gewiß nicht liegen, wenn ſie nicht wahrſchein-
lich ſeyn ſollte. Sie zeichnen die Ordnung, die ſich
darinn durch tauſend Stuffen verbreitet, mit ſo leb-
haften und einnehmenden Zuͤgen, daß man bald fra-
gen moͤchte, ob eine andere Ordnung da ſeyn koͤnne,
ohne wider die Analogie zu verſtoſſen, und wenn die-
ſes
[297]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
ſes im Zweifel bliebe, ſo wuͤrde man mit den Welſchen
ſagen: Se non é vero, é ben truovato.


Es iſt in der Naturlehre ſchwer, ſo gar aus
Erfahrungen richtige Schluͤſſe zu ziehen, zumal wenn
man daraus ein Syſtem ohne Hypotheſen errichten
ſolle. Wie viel ſchwerer muß es ſeyn, wenn man
die Erfahrung gar nicht zu Rathe zieht, ſondern ſich
mit allgemeinen Betrachtungen begnuͤgt! Dieſes iſt
der Fall, in welchem ich mich befinde. Ich mache
nicht etwann einen einigen, ſondern eine lange und
vielfache Reihe von Schluͤſſen. Solche Reihen ſind
wie weitlaͤuftige Rechnungen, wobey es rathſam iſt,
von Theil zu Theil eine Probe anzuſtellen, ob man
ſich nicht uͤberrechnet habe, ehe man aufs Ungewiſſe
weiter fortrechnet. Solche Proben bey meinen Schluͤſ-
ſen haͤtten Erfahrungen ſeyn ſollen. Allein ich habe
mich begnuͤgt, ſie nur anzugeben, und inzwiſchen ge-
troſt fortgeſchloſſen, als wenn alles auſſer allem
Zweifel, und jede Erfahrung ſchon laͤngſten angeſtellt
waͤre.


Ich kann demnach meine Schluͤſſe als ein Mu-
ſter einer nicht geringen Verwegenheit anſehen, zu-
mal da ich in Zeiten lebe, wo die Freyheit, die Na-
tur nach ſeinem Sinne einzurichten, ganz verbannt
iſt. Und ich richte nicht etwann einzele Theile, ſon-
dern die ganze Natur, den ganzen Umfang der
Schoͤpfung nach meinem Sinne ein! Kann man drei-
ſter ſeyn? Wer hat mir die Waagſchal gegeben, je-
T 5de


[298]
Coſmologiſche Briefe

de Gruͤnde zu pruͤfen, und jede Schluͤſſe genaue ab-
zuwaͤgen, oder die Weltkoͤrper darauf zu legen, um
zu ſehen, wie viel Gewicht ich ihnen zugeben daͤrfe,
da ich ohne Bedenken die Erde zum Sandkorn ma-
che? Mag der Grund, daß wir nicht wiſſen, was
groß oder klein iſt, das Recht geben, Koͤrper von je-
der Groͤſſe dahin zu ſetzen, wo man ſie noͤthig hat,
um das Syſtem vollends aufzufuͤhren? Sind ſie
darinn eben ſo nothwendig, und iſt das Syſtem bis
dahin ſo ſtrenge erwieſen, daß man ſie nicht mehr
weglaſſen kann? Muß das Gebaͤude der Welt ſolche
Eckſteine und Pfeiler haben, um durch jede Zeiten
durch dauerhaft zu ſeyn? Solle man ſie ſo ungeſehen
zugeben? Wer iſt jenſeits der Milchſtraſſe geweſen,
um ſie in Augenſchein zu nehmen, und das Maaß
davon zuruͤck zu bringen? Woher das Recht, Ver-
muthungen fuͤr buͤndige Schluͤſſe, und Erdichtungen
fuͤr Wahrheiten auszugeben, und erſt das Recht,
groſſe dahin zu ſetzen, wo wir es nie werden ſehen
koͤnnen, und wo wir folglich auch nie ſehen werden,
ob nicht das Gegentheil oder ganz was anders
ſtatt finde? Wo ſind die Beweiſe, wenn wir ohne
Sehen glauben, und ſtatt deſſen ſie gleiche Dienſte
thun ſollen?


Sehen Sie, mein Herr, ich trete nun vor
den Richterſtuhl der Vernunft. Dieſes iſt ihre
Stimme, und ſie fordert die Pruͤfung meines Sy-
ſtems und meiner Gruͤnde als ihr Eigenthum. Sie
wird, was irrig iſt, verwerfen, was uͤbertrieben iſt,
behoͤrig
[299]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
behoͤrig einſchraͤnken, was unreif iſt, auf mehrere
Erfahrungen ausſetzen, das Bewieſene gutheiſſen, zu
dem Beweisbaren tuͤchtige Gruͤnde geben, das Un-
vollſtaͤndige ergaͤnzen, die Luͤcken ausfuͤllen, jede Thei-
le verbinden, die zu engen Schranken bis zum Gan-
zen erweitern, und dieſes in einen durchgaͤngigen und
veſten Zuſammenhang bringen.


So billig iſt dieſe Richterin, wo ſie herrſchet,
daß ich mit Vergnuͤgen vor ſie trete, weil ich jeden
Eigenſinn verbanne, mein Syſtem ihrer Pruͤfung
ganz unterwerfe, und da, wo ich geirrt habe, fuͤr
den Irrthum Wahrheit erwarten kann. Jedesmal
iſt mir dieſer Tauſch erwuͤnſcht geweſen, und immer
wird er mir noch angenehmer werden. Sie haſſet
den falſchen Schmuck, mit welchem die Advocaten
des Irrthums denſelben einnehmend zu machen ſuchen.
Sie fordert, daß man zweifele, wo die Gruͤnde nicht
zureichen, daß man jede Gruͤnde entbloͤßt von allem,
was ſie ſcheinbar macht, vorzeige, und da will ſie
nachhelfen, wenn aͤchte Mittel da ſind, und behaͤlt
ſich vor, den Ausſpruch zu thun, oder wenn ſie ihn
aufſchiebt, noch anzuzeigen, was erfordert wird, zum
Schluſſe zu ſchreiten.


Sie haben mir, mein Herr, zu Errichtung
meines Syſtems ſo viele Anlaͤſſe gegeben, daß ich
bey jedem vorhergehenden Schreiben nicht wußte,
was mir zu dem darauf folgenden einfallen wuͤrde.
Und auf dieſe Art kam ich unvermerkt weiter, da
Sie
[300]Coſmologiſche Briefe
Sie mir ſelbſt anzeigten, wie weit mich meine
Schluͤſſe fuͤhren wuͤrden. Nun uͤberſehe ich ſie ganz,
und finde jeden Schritt, den ich dabey gethan habe.
Ich werde ſie nun in ihrer Staͤrke und Schwaͤche vor-
ſtellen. Urtheilen Sie ſodann, mein Herr, wie
weit ſie reichen. Sie haben der Vernunft die voͤlli-
ge Einrichtung des Syſtems ihrer Gedanken uͤberlaſ-
ſen. Ihr Ausſpruch kann nicht davon abweichen, und
ich werde dabey ſehen, wie ferne mein Weltgebaͤude
nach jeder erforderlichen Pruͤfung gut geheiſſen oder
geaͤndert werden muß. Sehen Sie nun das Regi-
ſter der Fragen, in die ich es einkleide, um vor ei-
nem ſo ſchaͤtzbaren Richterſtuhl unterſucht zu wer-
den.


  • 1°. Ob die Fixſterne durch Central-Kraͤfte bewegt
    werden?
    Daß ſie ſich bewegen, iſt aus der Erfah-
    rung. Es iſt alſo die Frage, ob ihre Be-
    wegung geradlinicht, oder aber gebogen und
    ordentlich ſeye?
  • 2°. Ob das Newtoniſche Geſetz der Schwere ſich
    durch die ganze Welt ausbreite, und ſie zu
    einem zuſammenhaͤngenden Ganzen mache?
    Es iſt die Frage, ob es der Materie oder
    der allgemeinen Himmelsluft eigenthuͤmlich
    ſeye? Uebrigens ſolle die Welt ein Gan-

zes,
[301]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
  • zes, und nicht ein Flickwerk ſeyn, und ihre
    Theile ſollen eine naͤhere Verbindung ha-
    ben, die Zeit und Raum in ſich ſchlieſſe.
  • 3°. Ob man die Milchſtraſſe in einzele Fixſternen-
    ſyſtemen eintheilen ſolle, und ob die Fixſterne
    auſſer der Milchſtraſſe ein ſolches Syſtem aus-
    machen?
    Der Anblick der Milchſtraſſe gibt Anlaß,
    das erſte zu vermuthen, weil ſie an meh-
    rern Orten wie in kleine Woͤlklein vertheilt
    ſcheint. Das andere ſcheint daraus zu fol-
    gen, weil der Rand der Milchſtraſſe zu
    deutlich abgeſchnitten iſt.
  • 4°. Ob die Sonne auch einen Kreyßlauf habe?
    So gut als andere Fixſterne.
  • 5°. Ob in dem jaͤhrlichen Umlauf der Erde und
    Planeten kleine Abweichungen, und ob die
    Verruͤckungen der Knotenlinien und Aphelien
    daher entſtehen?
    Dieſes koͤmmt bey dem Monde in Abſicht
    auf die Sonne vor. Bey den Hauptpla-
    neten muß es auch ſeyn. Man wird aber
    ſehen muͤſſen, ob die Abweichungen bemerk-
    bar ſeyen, und was bey den Aphelien und

Kno-
[302]Coſmologiſche Briefe
  • Knotenlinien den Cometen muͤſſe zugeſchrie-
    ben werden. Das beſtaͤndige darinn mag
    von dem Kreyßlaufe der Sonne herruͤhren.
  • 6°. Ob die wahren Laufbahnen der Planeten und
    Cometen Ellipſen ſind?
    Sie waͤren es, wenn die Sonne in Ruhe
    bliebe. In der That aber ſind es Cycloi-
    dal-
    Linien.
  • 7°. Ob man die Ellipſen dennoch beybehalten koͤnne?
    Eben ſo wie bey dem Monde und den uͤbri-
    gen Satelliten.
  • 8°. Ob in dem Mittelpuncte eines Fixſternenſy-
    ſtems ein Koͤrper ſeye, welcher daſſelbe eben
    ſo in Ordnung erhalte, wie unſere Sonne ih-
    re Planeten und Cometen?
    Es ſcheint der Analogie gemaͤß, und die
    Ordnung in dem Umlaufe der Fixſterne des
    Syſtems wird einfacher. Es bleibt zu ſe-
    hen, ob dieſes nicht das einige Mittel iſt,
    einen Beharrungsſtand zu erhalten?
  • 9°. Ob ein ſolcher Koͤrper groß und leuchtend ſeyn
    muͤſſe?

Er
[303]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
  • Er muß eine anſehnliche Maſſe haben. Die
    Groͤſſe richtet ſich nach der Dichtigkeit der
    Materie. Beydes muß der Groͤſſe des
    Syſtems angemeſſen ſeyn. Er mag ein
    ſchwaͤcheres eigenes Licht haben, oder von
    einer Sonne naͤchſt um ihn beleuchtet wer-
    den. Sind die Sonnen nur zum leuchten
    beſtimmt, ſo bleibt er dunkel, und wird er-
    leuchtet.
  • 10°. Ob man im letzten Fall den Koͤrper entdecken
    koͤnne, der in dem Mittelpunct unſeres Fix-
    ſternenſyſtems iſt?
    Iſt ſeine Maſſe nicht vielfach dichter als
    die von der Sonne oder den Planeten, ſo
    mag es angehen, weil er auch an den Gren-
    zen des Syſtems noch einen betraͤchtlich
    ſcheinbaren Diameter haben wird.
  • 11°. Ob er Phaſes haben werde?
    Wenn eine Sonne um ihn laͤuft, und ihn
    erleuchtet. Und die Geſtalt aͤndert ſich,
    wenn er Flecken hat, und ſich um ſeine Axe
    drehet, wie dieſes allgemein zu ſeyn ſcheint.
  • 12°. Ob das ſchwache Licht im Orion ſolche Abaͤnde-
    rungen zeige, und ob man es ſodann fuͤr einen
    ſolchen Koͤrper anſehen koͤnne?

Das
[304]Coſmologiſche Briefe
  • Das muß die Erfahrung lehren. Richten
    ſich die Abaͤnderungen nach einer einfachen
    oder doppelten Periode, und nach der Theo-
    rie
    der Phaſen, ſo laͤßt es ſich nicht anderſt
    auslegen.
  • 13°. Wenn die Fixſternenſyſtemen ſolche Koͤrper zu
    Regenten haben, ob ſie nicht wieder zuſam-
    men ein groͤſſeres Syſtem ausmachen, in deſ-
    ſen Mittelpunct wieder ein Regent iſt, der
    ſeinen Wirkungskreyß durch dieſes groͤſſere
    Syſtem ausbreitet?
    Die Syſtemen zuſammen genommen ma-
    chen bereits die Milchſtraſſe aus. Findet
    ſich, daß jedes, oder wenigſtens nur eines
    derſelben einen Regenten habe, ſo mag die
    Analogie ſicher fortgehen, und die Milch-
    ſtraſſe hat auch einen, der ſie ganz beherr-
    ſche und herum lenke.
  • 14°. Ob dieſer Regent der Milchſtraſſe nicht eine
    noch betraͤchtlichere Groͤſſe habe?
    Seine Groͤſſe wird ſeinem Gebiete angemeſ-
    ſen ſeyn.
  • 15°. Ob dieſer Regent der letzte ſeye, von dem man
    nicht weiter gehen koͤnne?

Die
[305]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
  • Die Milchſtraſſe mag zu noch mehrern an-
    dern wie zu einem noch groͤſſern Syſtem ge-
    hoͤren. Iſt dieſes, ſo wird die Analogie
    fortgeſetzt. Sie faͤngt aber an, willkuͤhr-
    lich zu werden, weil ſie uͤber unſere Geſichts-
    Sphære hinaus laͤuft. Sie wird allem An-
    ſchein nach mehr Stuffen haben. Allein
    die erſtern muͤſſen zuvor, ſo viel moͤglich,
    aus der Erfahrung veſtgeſetzt werden, zu-
    mal was die Regenten der Syſtemen be-
    trift.

Auf dieſe Art gedaͤchte ich zu capituliren, wenn
die Unterſuchung des Gewiſſen und Ungewiſſen oder
bloß Wahrſcheinlichen in meinem Syſtem etwas ſchaͤr-
fer angeſtellt werden ſollte. Ich haͤtte noch mehr
Fragen aufhaͤufen koͤnnen, allein dieſe ſcheinen mir die
vornehmſten, und zu einer Probe zureichend zu ſeyn.
Sie, mein Herr, halten ſich am liebſten bey der Sub-
ordination
auf, die in dieſem Syſtem von Stuffe zu
Stuffe geht, und uns die bequeme Wahl laͤßt, aus
Cycloiden von jedem Grade Ellipſen zu machen, und
die uns zu jedem Zeitraume und ſeinem Maaße neue
Triebraͤder dieſes vollkommenſten Uhrwerkes aufdeckt,
und gebrauchen laͤßt. Beyde Bequemlichkeiten ha-
ben Sie auf eine ſo lebhafte Art ins Licht geſetzt, daß
ich hoͤchſtens nur den Schatten dazu hergeben koͤnnte,
wenn ich mich laͤnger dabey aufhalten wollte. Ich
muͤßte zeigen, daß jede andere Einrichtung weder ſo
vollkommen, noch ſo einfach, noch ſo bequem und har-
Umoniſch
[306]Coſmologiſche Briefe
moniſch waͤre als dieſe, und daß die Analogie ganz
wegfallen wuͤrde, wenn die groͤſſeren Syſtemen nicht
nach dem Modelle, ſo wir in den kleinern ſehen, ein-
gerichtet waͤren. Dieſes ſcheint doch wenigſtens da-
her nothwendig zu ſeyn, weil in allen einerley Cen-
tral-
Kraͤfte vorkommen, und die Ordnung in den
groͤſſern ehender einfacher als zuſammengeſetzter wer-
den ſolle. So lange man die Sonne und jede Fix-
ſterne noch als ruhend angeſehen, hat ſich niemand
daran geſtoſſen. Die Ruhe ſchiene ihrer majeſtaͤti-
ſchen Groͤſſe angemeſſen. Sollten je noch groͤſſere
Koͤrper zum Vorſcheine kommen, ſo wuͤrden auch die-
ſe mehr Anſpruch auf die Ruhe haben. Ich kann uͤ-
berhaupt noch nicht davon abgehen, die Bewegung de-
ſto einfoͤrmiger zu ſetzen, je groͤſſer der Koͤrper und
ſein Gefolge iſt.


Die Berechnung der Art, wie die Fixſterne ei-
nes Syſtems, ohne einen Regenten, um den ge-
meinſamen Mittelpunct ihrer Schwere einen Kreyß-
lauf haben koͤnnten, faͤllt ins unendlich Weitlaͤuftige,
wenn man jede Faͤlle mitnehmen will, weil die An-
zahl ſo gar groß iſt. Nimmt man nur zween Koͤr-
per, die in einer gleichen Flaͤche laufen ſollen, ſo gibt
es allerdings Mittel, ſie in Ellipſen oder Circuln um
den gemeinſamen Mittelpunct ihrer Schwere zu len-
ken, ſo daß ſie immer einerley Laufbahn um dieſen
Punct behalten. Dieſer Mittelpunct wird der Brenn-
punct beyder Ellipſen ſeyn. Ihre laͤngern Axen lie-
gen in gerader Linie, aber die Aphelien gegen einan-
der
[307]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
der uͤber, und die Koͤrper muͤſſen ſich ſo darinn bewe-
gen, daß ſie mit dem gemeinſchaftlichen Brennpunct
immer in gerader Linie ſind. Daher kommen ſie in
gleicher Zeit herum. Eben ſo wenn drey und mehre-
re Koͤrper in concentriſchen Circuln laufen ſollen,
kann man ſie ſo ſetzen, daß ſie vermoͤg der Central-
Kraͤfte in gleicher Zeit umlaufen. Aber eine ſo voll-
kommene Gleichheit der Zeit iſt in der Natur ſo gut
als unmoͤglich. Nimmt man ſie aber ungleich, oder
ſolle die Bewegung in verſchiedenen Flaͤchen und Rich-
tungen geſchehen, ſo habe ich noch nicht finden koͤn-
nen, daß Ordnung und Dauer dabey ſtatt haben wuͤr-
de. Es iſt immer beſſer dafuͤr geſorgt, wenn ſie ei-
nen Koͤrper in dem gemeinſchaftlichen Brennpuncte
haben, wie es die Sonne in Abſicht auf die Planeten
und Cometen iſt, die ſie ſaͤmtlich, ſo viel ihrer ſeyn
moͤgen, in beſtimmter Ordnung erhaͤlt. Und ich kann
mit Ihnen, mein Herr, fragen, wie ſich ohne die
Sonne ein Comet dem Jupiter nahen duͤrfte? Ich
habe die Abſicht nicht, die Bewegung der himmliſchen
Koͤrper durch Wirbel zu erklaͤren, ungeacht ich dieſel-
ben zugeben kann, ſo wenig es uns noch gelungen iſt,
ihre mechaniſche Einrichtung einzuſehen. Es koͤmmt
hiebey, wie in der Naturlehre uͤberhaupt, auf eine
Art analytiſcher Schluͤſſe an, die man gebrauchen
muß, wenn man ohne eine Hypotheſe anzunehmen,
aus dem, was uns die Erfahrung lehrt, die wahre
Einrichtung heraus bringen will. Auſſer der Aſtro-
nomie haben wir noch ſehr wenige Beyſpiele von die-
ſer Methode, und man iſt noch ſo wenig daran ge-
U 2woͤhnt,


[308]
Coſmologiſche Briefe

woͤhnt, daß, da Newton ſie gebrauchte, um das
Geſetz der Schwere zu erfinden, die meiſten daſſelbe
fuͤr nichts beſſers als eine willkuͤhrliche Hypotheſe an-
ſahen, und die, ſo die Staͤrke des Beweiſes fuͤhlten,
faſt immer erinnern mußten, es ſeye keine Hypothe-
ſe,
ſondern eine Erfahrung. Newton ſelbſten
ſcheinet das Allgemeine in ſeiner Methode nicht ein-
geſehen zu haben, ſo ſehr er auch wußte, daß er auf
ſeine Schluͤſſe bauen konnte; Und da er es uͤberdiß
mit dem Namen der Attra[c]tion belegte, ſo veranlaß-
te er ſelbſt, daß man ſeine Erfindung unter die da-
mals ſchon voͤllig veraltete Qualitates occultas rech-
nete, und deſto geneigter wuͤrde, ſie zu verwerfen.
Da er uͤberdiß den Raum leer ſetzte, ſo hatten die
Carteſianer, die alles dichte ausfuͤlleten, deſto mehr
ſcheinbare Gruͤnde, die ganze Erfindung als etwas
Willkuͤhrliches anzuſehen. Ihre Wirbel lagen ihnen
zu ſehr am Herzen, als daß ſie dieſelben ſo leicht auf-
opfern ſollten.


Es iſt wahr, daß man mit dieſer Methode
nicht weit koͤmmt, und dabey leicht ungedultig wird,
da man bey Hypotheſen die Schluͤſſe durch ganze Lehr-
gebaͤude durch fortſetzen kann, und ſich bey dieſem
Vergnuͤgen nicht beſinnet, daß in wenigen Jahren
das ganze Lehrgebaͤude den Weg aller Erdichtungen
gehen werde, die man hoͤchſtens nur wieder herfuͤr
zieht, um ſie aufs neue zu verwerfen. In dieſer
Abſicht haben Aeſops Fabeln betraͤchtliche Vorzuͤge
vor den phyſiſchen Hypotheſen. Jene erhaͤlt das
Sinn-
[309]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Sinnreiche in der Erdichtung und die Sittenlehre,
dieſe fallen hin, ſo bald man weiß, daß ſie nicht wahr
ſind.


Ich glaube inzwiſchen, daß bey der Bewegung
der Weltkugeln allerdings ein Mechaniſmus ſtatt ha-
be, und es muͤßte ſtrenge bewieſen werden, daß Koͤr-
per in einem vollkommen leeren Raume, und ohne
Zwiſchenkunft einer Materie ſo in einander wirken
koͤnnen, wie Newtons Anhaͤnger die Attra[c]tion er-
klaͤren. Wir ſind viel zu ſtark daran gewoͤhnt, bey je-
der Wirkung ein mittelbares oder unmittelbares Be-
ruͤhren voraus zu ſetzen, als daß wir daſſelbe ohne
ſtrenge Beweiſe jemals ſollten weglaſſen koͤnnen.


Wie man aber immer einen Wirbel annimmt,
ſo zweifle ich ſehr, ob man ſeinen Mittelpunct werde
leer laſſen koͤnnen. Man gebraucht ſie, um von
zwoen Erfahrungen Rechenſchaft zu geben. Entwe-
der ein Wirbel, zum Exempel der von der Sonne,
ſolle nur dienen, um die Planeten gegen die Sonne
zu druͤcken, und in dieſem Falle haben die Planeten
ihre vim centrifugam oder ihre Geſchwindigkeit fuͤr
ſich, und ohne Ruͤckſicht auf den Wirbel. Oder die-
ſer ſolle die Planeten voͤllig im Kreyſe herum fuͤhren,
und in dieſem Falle bildet der Wirbel den Kreyß ſchon
ab, weil die Materie deſſelben fuͤr ſich dieſen Weg
nimmt, und den Planeten wie ein Strom mit ſich
fortreißt. Dieſes wuͤrde angehen, wenn der Lauf je-
der Planeten und Cometen circular und concentriſch
U 3waͤre,
[310]Coſmologiſche Briefe
waͤre, und uͤberdiß alle in gleicher Flaͤche laͤgen, und
alle auf gleicher Seite herum getrieben wuͤrden. Da
es aber eben ſo viele ruͤcklaͤufige Cometen als gerad-
laͤuftige gibt, ſo muͤßte der Strom des Wirbels ſich
nach der Bahn eines jeden richten, der Wirbel wuͤrde
aus ſo vielen einzeln Stroͤmen beſtehen, als es Bah-
nen von Cometen und Planeten giebt, und wie Sie,
mein Herr, ihre Elliptiſchen Stangen durch einander
verſchrenkt haben, ſo muͤßten dieſe Stroͤme durch ein-
ander laufen, und die Geſchwindigkeit muͤßte ſich an
jeden Orten nach den Kepleriſchen Geſetzen richten.
Was wird nun dieſen Stroͤmen Lauf, Ordnung und
Richtung geben? Die Frage koͤmmt immer wieder.


Verwandelt man aber den Strom in einen
Druck, ſo hat dieſer Druck entweder an jedem Orte
die Richtung, die der Strom wuͤrde gehabt haben,
um den Koͤrper fortzutreiben, wenn dieſer fuͤr ſich kei-
ne Geſchwindigkeit haben ſolle. Hiebey iſt wiederum
nichts einfaches, und die vorige Frage koͤmmt noch-
mals vor. Richtet ſich aber der Druck ſchlechthin ge-
gen den Mittelpunct oder gegen die Sonne, ſo haben
wir in eigentlichem Verſtande keinen Wirbel. Der
Druck koͤnnte ſich aͤuſſern, wenn auch die Materie in
Ruhe bliebe. Es kaͤme auf die verſchiedene Stuffen
ihrer Dichtigkeit und Schnellkraft an, die vom Mit-
telpunct aus muͤßte ſtaͤrker werden. Ich weiß wohl,
daß Liebhaber der Wirbel dieſen Druck durch verſchie-
dene Arten von Bewegungen haben erklaͤren wollen.
Allein ich glaube nicht, daß wir noch genug Erfah-
rungen
[311]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
rungen haben, um etwas hierinn veſte zu ſetzen, und
die Erklaͤrung, wie dieſer Druck geſchehe, wird immer
der Knote der Schwierigkeit bleiben, wenn er richtig
erwieſen ſeyn ſolle.


Inzwiſchen kann man ihn zum Grunde ſetzen,
und die Wirkung der Schwere einer Materie zuſchrei-
ben, ſo die Planeten, welche ihre eigene Geſchwin-
digkeit haben, von der geraden Linie gegen die Son-
ne ablenkt. Man wird ſodann auf die Frage verfal-
len: Ob dieſe Materie, die in dem Wirkungskreyſe
der Sonne ihren Druck aͤuſſert, mit der Sonne in
ihrer Laufbahn herum koͤmmt, oder ob die Sonne,
wo ſie ſeyn mag, ſich gleich wieder einen Wirkungs-
kreyß errichtet. Im letzten Falle haͤngt der Druck
der Materie oder des Wirbels von der Sonne ab, wie
es auch immer damit zugehe, und da ſetze ich aller-
dings in jeden Wirbel einen Koͤrper, der ihn beherr-
ſche, und aller Orten verurſache. Iſt das erſte, ſo
verfallen wir allem Anſehen nach wieder auf Stroͤme,
und muͤſſen ſie bey Planeten und Cometen wieder vor-
nehmen, bloß mit dem Unterſchiede, daß hiebey nur
ein Theil des Stroms den Wirbel ausmacht. Der
andere iſt in Bewegung, weil er ausweichen muß.
Die Frage, woher der Koͤrper ſeine Bewegung hat,
wird nun in die verwandelt, woher ſie der Wirbel ha-
be, und iſt alſo ſo gut unaufgeloͤßt, wie die erſte.
Da die Stroͤme ſo gar unſchicklich ſind, ſo wuͤrde ich
bey dem letzten verbleiben, und den Druck der
Schwere von jedem Koͤrper ſelbſt abhaͤngen machen,
U 4ſo
[312]Coſmologiſche Briefe
ſo wenig ſich auch der Mechaniſmus davon erklaͤren
laͤßt.


Der Druck richtet ſich ſo genaue nach der Maſ-
ſe des Koͤrpers, daß ich ohne einen Koͤrper keinen
Wirbel zugeben kann. Der Wirbel eines ganzen
Fixſternenſyſtems muͤßte von einer ganz andern Art
ſeyn, wenn ſein Druck nicht auch von einem Koͤrper
abhienge, gegen welchen jede Fixſterne, wie die Pla-
neten gegen die Sonne, ſchwer waͤren. Man hat
die Wirbel ausgeſonnen, um eine einfoͤrmige Einrich-
tung durch den Weltbau zu verbreiten. Allein es
ſcheint noch nicht Zeit zu ſeyn, an das Mechaniſche
darinn zu gedenken. Es koͤnnen mehrere Arten moͤg-
lich ſeyn, und wir haben noch gar zu wenige Data,
um eine Auswahl zu treffen.


Da unſere Sonne einen eigenen Lauf, und ver-
muthlich in einer ſehr zuſammengeſetzten Cycloidal-
Linie hat, ſo wird ſich der Copernicaniſche Weltbau
nicht wohl anderſt als eine Hypotheſe erweiſen laſ-
ſen, und unſere ſphaͤriſche und theoriſche Aſtronomie
unterſcheiden ſich nur dadurch, daß man in jener die
Erde, in dieſer aber die Sonne in Ruhe ſetzt. Es
wundert mich, wie eine nach aller Strenge erwieſene
Aſtronomie ausſehen muͤſſe. Es ſcheint, als wenn
man darinn durch eine Reihe von Hypotheſen zur
Wahrheit gelange, und jede vorhergehende umſtoſſe,
um die folgende anzunehmen, und wieder wegzulaſ-
ſen. Dieſes iſt wenigſtens der Weg, durch welchen
man
[313]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
man wirklich gegangen iſt, und es iſt die Frage, ob
ſich ein anderer finden laſſe. Jede dieſer Hypotheſen
berechtigt ſich dadurch, daß ſie den Schein der Sache
aus einer Reihe von Geſichtspuncten vorſtellt, und es
iſt unſtreitig, daß man ſie ſicher annehmen koͤnne,
aber nicht weiter ausdehnen muͤſſe, als es der Schein
zulaͤßt, auf welchen ſie ſich gruͤndet. Man nimmt
an, der ganze Himmel drehe ſich um die Erde, und
hieraus muß man herleiten, die Erde drehe ſich um
ihre Axe. Dieſes bleibt nun wahr. Aber da man
damit nicht ausreicht, ſo nimmt man an, die Erde
laufe um die ruhende Sonne, und daraus muß ſich
ergeben, die Sonne ruhe nicht, ſondern ſie veraͤnde-
re ihre Stelle, und ſo weiter. Es bleibt mir unaus-
gemacht, ob man hierinn ohne mechaniſche und coſ-
mologiſche Gruͤnde auskommen koͤnne, oder ob man
ſich nur mit einer Aufhaͤufung von Fragmenten einze-
ler Beweiſe aushelfen muͤſſe, die zwar die Sache auſ-
ſer Zweifel ſetzen, aber die in Abſicht auf den Zuſam-
menhang und Schaͤrfe viel ſchoͤner ſeyn ſollten.


Mit coſmologiſchen Gruͤnden wuͤrde man ſich
hiebey bald aushelfen. Nehmen Sie, mein Herr, an,
es ſeye in dem ganzen Weltbaue nichts in einer abſo-
luten Ruhe, ſo ſtoͤren wir gleich Erde, Sonne und
Fixſterne auf, und ſie muͤſſen herum laufen. Neh-
men Sie ferner an, in dieſen Bewegungen muͤſſe al-
le moͤgliche Verſchiedenheit in Abſicht auf Zeit und
Raum ſeyn, ſogleich dreht ſich die Erde um ihre Axe,
damit die ſo gar gleiche Umdrehung jeder Fixſterne in
U 524.
[314]Coſmologiſche Briefe
24. Stunden wegfalle, und der Abſtand jeder himm-
liſchen Koͤrper wird ungleich. Eben ſo wenn Sie an-
nehmen, daß hiebey Ordnung und allgemeine Geſetze
ſeyn muͤſſen, ſo werden bald Syſtemen entſtehen, die
Planeten in eine Claſſe gebracht, und die Fixſterne
ſelbſten in Haufen abgetheilt werden.


Ich will eben nicht gutſtehen, ob man dieſe
Schluͤſſe fuͤr wahr halten wuͤrde, wenn ſie nicht auch
aus andern Gruͤnden bewieſen waͤren, ſo geringe iſt
noch das Anſehen der coſmologiſchen Saͤtze! Die me-
chaniſchen Beweiſe hat man bereits ſchon verſucht.
Die abgeplattete Figur der Erde ſolle eine unverwerf-
liche Anzeige ihrer Bewegung um die Axe ſeyn, und
ich ſehe auch nicht, was man dawider einwenden kann.
Die elliptiſchen Laufbahnen der Planeten und Come-
ten um die Sonne, die man, wenn die Sonne in
Ruhe geſetzt iſt, mechaniſch aus dem Geſetze der
Schwere beweiſen kann, gehoͤren ebenfalls hieher.
Nun aber kann ich nicht ſagen, nach welcher Ord-
nung dieſer Beweis ſolle vorgetragen werden. Der
Umlauf der Sonne iſt gewiß genug, aber noch nicht
a poſteriori erwieſen, welches doch nothwendig zu
ſeyn ſcheint. Die Ellipſen ſind nur hypothetiſch wahr,
und es ſteht dahin, wie man ſie ohne angenommene
Saͤtze erweiſen koͤnne.


Es ſcheinet, wir ſeyen in der Aſtronomie gluͤck-
lich auf die wahre Spur gekommen, und haben den
Schein, ſo bald wir ihn unter der erſten Geſtalt er-
kannt
[315]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
kannt haben, ſo weit hinaus geruͤckt, bis er ſich wie-
der aufs neue und unter einer andern Geſtalt ſehen
lieſſe, um noch weiter hinaus geruͤckt zu werden. Und
dabey werden wir vermuthlich bleiben muͤſſen, weil
es noch mehrere Entfernungen deſſelben erfordern
wird.


Indeſſen kann ich mich mit Ihnen, mein Herr,
nicht genug dabey aufhalten, daß dieſer Schein je-
desmal eine ſo einfache Ordnung zeigt, und in Abſicht
auf den Gebrauch, den wir davon zu machen haben,
ſo gar bequem iſt. Der Unterſchied, den Sie zwi-
ſchen demſelben und dem Laufe der Dinge auf unſerer
Erde finden, wo der Schein lauter Unordnung zeigt,
ruͤhret fuͤrnemlich daher, weil das Firmament ſich
nach einem einigen Geſetze richtet, welches zwar die
Bewegung durch jede Stuffe zuſammengeſetzter macht,
aber immer auf eine gleiche Art, wie Sie es durch
Ihre Seriem recurrentem erlaͤutern. Hingegen bey
uns ſind mehrere und ſehr verſchiedene Geſetze, Urſa-
chen und Triebfedern, die ſich ſo durch einander men-
gen, daß es viele Zeit und das Ueberſehen einer gan-
zen Reihe von Veraͤnderungen erfordert, bis ſich et-
was Allgemeines darinn entdeckt. In dieſer Abſicht
kennen wir den Himmel beſſer als die Erde, und viel-
leicht werden wir ehender die Fixſterne in Ordnung
bringen, und die Veraͤnderungen in ihrem Laufe be-
ſtimmen koͤnnen, als die Veraͤnderungen des Wetters
und die Bewegungen des Barometers. Hier ſind zu
viele Urſachen, und jede haͤngt von unzaͤhligen Um-
ſtaͤnden,
[316]Coſmologiſche Briefe
ſtaͤnden, und man kann ſagen, von jeder Un-
gleichheit der Erdflaͤche ab. Jeder Berg, jedes
Thal, jede Quelle, jede Beſchaffenheit des Bodens
traͤgt dazu bey.


Wir koͤnnen auch hieraus ſchlieſſen, das Fir-
mament habe dauerhafter ſeyn muͤſſen, als die
Dinge auf unſerer Erde und die Reiche der Welt.
Es ſollte ein Uhrwerk ſeyn, welches fuͤr jede Zeit-
raͤume neue Triebraͤder und Zeiger haͤtte, und je-
dem Weltkoͤrper ſollte dieſes Uhrwerk auf eine ih-
me angemeſſene Art dienen. Jedes Triebrad ſoll-
te ſich erſt hervor thun. Wenn die bereits ver-
floſſene Zeit anfaͤngt, eine bemerkbare Verhaͤlt-
nis zu ſeinem Umlaufe zu haben. Wir kennen
noch hoͤchſtens nur den Secunden- und Minuten-
zeiger dieſes Uhrwerkes, oder unſere Tage und Jah-
re haben noch viel weniger zu ſagen, wenn ich die
Fragen uͤberdenke, die Sie, mein Herr, hieruͤ-
ber aufgehaͤuft haben, und zu denen Sie ſich ge-
woͤhnen, verſichert, es werde an dieſem Werke
des Allerweiſeſten kein Triebrad ins Stecken kom-
men, wie es nur zu ofte an unſern Uhren ge-
ſchicht.


Es vergnuͤgt mich ſehr, daß Sie, mein
Herr, die Figur der Sonnen-Athmoſphære meh-
rerer Unterſuchung wuͤrdig achten, und noch mehr,
daß Sie mir Hoffnung machen, die dahin gehoͤri-
gen
[317]uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
gen Obſervationen, wie auch die uͤber unſeren
Koͤrper im Orion mit mir anzuſtellen. Wenn ich
mich recht entſinne, hat man noch mehrere der-
gleichen lichte Stellen am Himmel bemerkt. Es
wird ſich ſodann zeigen, was ſich aus denſelben
und aus jeden andern Merkwuͤrdigkeiten, die man
an den Fixſternen entdeckt hat, wird machen laſ-
ſen; nachdem wir nun einmal auf die Spur ge-
kommen ſind, den Weltbau unter einer Geſtalt an-
zuſehen, die vermuthlich von der wahren ſo gar
ſehr nicht wird verſchieden ſeyn. Setzt uns die
Ordnung, die wir darinn gefunden haben, ſo wie
ſie iſt, in Bewunderung, ſo muͤßte, wenn dieſe
noch nicht die wahre waͤre, diejenige, die es iſt,
nur noch verdeckter, aber noch um deſto bewunde-
rungswuͤrdiger ſeyn. Ich meines Theils bleibe
nun bey dieſer, und werde nicht weiter gehen,
bis ſie durch Obſervationen gepruͤft, und daher ent-
weder richtig befunden, oder ausgebeſſert werden
wird. Sie wiſſen, mein Herr, wie viel ich auf
ſcharfe Beweiſe halte. Ich haͤtte gute Luſt, die
vorhin gedachte Probe zu machen, wie ferne ſich
die Aſtronomie, die uns bisher gluͤcklich gelun-
gen iſt, nach aller Strenge erweiſen laſſe. Aber
nach unſeren Obſervationen wird es ſich beſſer und
vollſtaͤndiger thun laſſen. Ich halte mich nicht
auf, Ihnen, mein Herr, alles Vergnuͤgen zu
beſchrei-


[318]
Coſmologiſche Briefe ꝛc.

beſchreiben, ſo ich dabey empfinden werde. Aber
bey ihrer Ankunft ſolle es mir an Worten und
Werken nicht fehlen, die Empfindungen der Freu-
de und unveraͤnderlichen Ergebenheit zu zeigen, mit
welcher ich verbleibe
Mein Herr ꝛc.


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[[319]]
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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Lambert, Johann Heinrich. Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bntz.0