Schimmelreiter.
Verlag von Gebrüder Paetel.
1888.
[[IV]]
Alle Rechte, vornehmlich das der Ueberſetzung in fremde Sprachen,
vorbehalten.
[[V]]
Meinem Sohn
Ernſt Storm,
Rechtsanwalt und Notar
in Huſum
zugeeignet.
[[VI]][[VII]]
Für binnenländiſche Leſer.
- Schlick, der graue Thon des Meerbodens, der bei der Ebbe
bloßgelegt wird. - Marſch, dem Meere abgewonnenes Land, deſſen Boden
der feſtgewordene Schlick, der Klei, bildet. - Geeſt, das höhere Land im Gegenſatz zur Marſch.
- Haf, das Meer.
- Fenne, ein durch Gräben eingehegtes Stück Marſchland.
- Springfluthen, die erſten nach Voll- und Neumond ein-
tretenden Fluthen. - Werfte, zum Schutze gegen Waſſergefahr aufgeworfener
Erdhügel in der Marſch, worauf die Gebäude, auch
wohl Dörfer liegen. - Hallig, kleine unbedeichte Inſel.
- Profil, das Bild des Deiches bei einem Quer- oder
Längenſchnitt. - Doſſirung (oder Böſchung), die Abfall-Linie des Deiches.
- Intereſſenten, die wegen Landbeſitz bei den Deichen
intereſſirt ſind. - Beſtickung, Belegung und Beſteckung mit Stroh bei
friſchen Deichſtrecken. - Vorland, der Theil des Feſtlandes vor den Deichen.
[VIII]
- Koog, ein durch Eindeichung dem Meere abgewonnener
Landbezirk. - Priehl, Waſſerlauf in den Watten und Außendeichen.
- Watten, von der Fluth beſpülte Schlick- und Sandſtrecken
an der Nordſee. - Demath, ein Landmaaß in der Marſch.
- Peſel, ein für außerordentliche Gelegenheiten beſtimmtes
Gemach, in den Marſchen gewöhnlich neben der Wohn-
ſtube. - Lahnungen, Zäune von Buſchwerk, die zur beſſeren An-
ſchlickung vom Strande in die Watten hinausgeſteckt
werden.
Was ich zu berichten beabſichtige, iſt mir vor
reichlich einem halben Jahrhundert im Hauſe meiner
Urgroßmutter, der alten Frau Senator Fedderſen,
kund geworden, während ich, an ihrem Lehnſtuhl
ſitzend, mich mit dem Leſen eines in blaue Pappe
eingebundenen Zeitſchriftenheftes beſchäftigte; ich
vermag mich nicht mehr zu entſinnen, ob von den
„Leipziger” oder von „Pappes Hamburger Leſe-
früchten”. Noch fühl' ich es gleich einem Schauer,
wie dabei die linde Hand der über Achtzigjährigen
mitunter liebkoſend über das Haupthaar ihres Ur-
enkels hinglitt. Sie ſelbſt und jene Zeit ſind längſt
begraben; vergebens auch habe ich ſeitdem jenen
Blättern nachgeforſcht, und ich kann daher um ſo
weniger weder die Wahrheit der Thatſachen ver-
bürgen, als, wenn Jemand ſie beſtreiten wollte,
dafür aufſtehen; nur ſo viel kann ich verſichern,
daß ich ſie ſeit jener Zeit, obgleich ſie durch keinen
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 1
[2] äußeren Anlaß in mir aufs Neue belebt wurden,
niemals aus dem Gedächtniß verloren habe.
Es war im dritten Jahrzehnt unſeres Jahr-
hunderts, an einem October-Nachmittag — ſo
begann der damalige Erzähler — als ich bei ſtarkem
Unwetter auf einem nordfrieſiſchen Deich entlang
ritt. Zur Linken hatte ich jetzt ſchon ſeit über
einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh ge-
leerte Marſch, zur Rechten, und zwar in unbe-
haglichſter Nähe, das Wattenmeer der Nordſee;
zwar ſollte man vom Deiche aus auf Halligen und
Inſeln ſehen können; aber ich ſah nichts als die
gelbgrauen Wellen, die unaufhörlich wie mit Wuth-
gebrüll an den Deich hinaufſchlugen und mitunter
mich und das Pferd mit ſchmutzigem Schaum be-
ſpritzten; dahinter wüſte Dämmerung, die Himmel
und Erde nicht unterſcheiden ließ; denn auch der
halbe Mond, der jetzt in der Höhe ſtand, war
meiſt von treibendem Wolkendunkel überzogen. Es
war eiskalt; meine verklommenen Hände konnten
kaum den Zügel halten, und ich verdachte es nicht
den Krähen und Möven, die ſich fortwährend
krächzend und gackernd vom Sturm ins Land
[3] hinein treiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte
begonnen, und ſchon konnte ich nicht mehr mit
Sicherheit die Hufen meines Pferdes erkennen;
keine Menſchenſeele war mir begegnet, ich hörte
nichts als das Geſchrei der Vögel, wenn ſie mich
oder meine treue Stute faſt mit den langen Flügeln
ſtreiften, und das Toben von Wind und Waſſer.
Ich leugne nicht, ich wünſchte mich mitunter in
ſicheres Quartier.
Das Wetter dauerte jetzt in den dritten Tag,
und ich hatte mich ſchon über Gebühr von einem
mir beſonders lieben Verwandten auf ſeinem Hofe
halten laſſen, den er in einer der nördlicheren
Harden beſaß. Heute aber ging es nicht länger;
ich hatte Geſchäfte in der Stadt, die auch jetzt
wohl noch ein paar Stunden weit nach Süden
vor mir lag, und trotz aller Ueberredungskünſte
des Vetters und ſeiner lieben Frau, trotz der
ſchönen ſelbſtgezogenen Perinette- und Grand-
Richard-Aepfel, die noch zu probiren waren, am
Nachmittag war ich davongeritten. „Wart' nur,
bis Du ans Meer kommſt,” hatte er noch aus
ſeiner Hausthür mir nachgerufen; „Du kehrſt noch
wieder um; Dein Zimmer wird Dir vorbehalten!”
1*
[4]
Und wirklich, einen Augenblick, als eine ſchwarze
Wolkenſchicht es pechfinſter um mich machte, und
gleichzeitig die heulenden Böen mich ſammt meiner
Stute vom Deich herabzudrängen ſuchten, fuhr es
mir wohl durch den Kopf: „Sei kein Narr! Kehr'
um und ſetz' Dich zu Deinen Freunden ins warme
Neſt.” Dann aber fiel's mir ein, der Weg zurück
war wohl noch länger als der nach meinem Reiſe-
ziel; und ſo trabte ich weiter, den Kragen meines
Mantels um die Ohren ziehend.
Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen
mich heran; ich hörte nichts; aber immer deutlicher,
wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ,
glaubte ich eine dunkle Geſtalt zu erkennen, und
bald, da ſie näher kam, ſah ich es, ſie ſaß auf
einem Pferde, einem hochbeinigen hageren Schimmel;
ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern,
und im Vorbeifliegen ſahen mich zwei brennende
Augen aus einem bleichen Antlitz an.
Wer war das? Was wollte der? — Und jetzt
fiel mir bei, ich hatte keinen Hufſchlag, kein Keuchen
des Pferdes vernommen; und Roß und Reiter waren
doch hart an mir vorbeigefahren!
In Gedanken darüber ritt ich weiter; aber
[5] ich hatte nicht lange Zeit zum Denken; ſchon fuhr
es von rückwärts wieder an mir vorbei; mir war,
als ſtreifte mich der fliegende Mantel, und die
Erſcheinung war, wie das erſte Mal, lautlos an
mir vorüber geſtoben. Dann ſah ich ſie fern und
ferner vor mir; dann war's, als ſäh' ich plötzlich
ihren Schatten an der Binnenſeite des Deiches
hinuntergehen.
Etwas zögernd ritt ich hinterdrein. Als ich
jene Stelle erreicht hatte, ſah ich hart am Deich
im Kooge unten das Waſſer einer großen Wehle
blinken — ſo nennen ſie dort die Brüche, welche
von den Sturmfluthen in das Land geriſſen werden,
und die dann meiſt als kleine, aber tiefgründige
Teiche ſtehen bleiben.
Das Waſſer war, trotz des ſchützenden Deiches,
auffallend unbewegt; der Reiter konnte es nicht
getrübt haben; ich ſah nichts weiter von ihm.
Aber ein Anderes ſah ich, das ich mit Freuden
jetzt begrüßte: vor mir, von unten aus dem Kooge,
ſchimmerten eine Menge zerſtreuter Lichtſcheine zu
mir herauf; ſie ſchienen aus jenen langgeſtreckten
frieſiſchen Häuſern zu kommen, die vereinzelt auf
mehr oder minder hohen Werften lagen; dicht vor
[6] mir aber auf halber Höhe des Binnendeiches lag
ein großes Haus derſelben Art; an der Südſeite,
rechts von der Hausthür, ſah ich alle Fenſter er-
leuchtet; dahinter gewahrte ich Menſchen und
glaubte trotz des Sturmes ſie zu hören. Mein
Pferd war ſchon von ſelbſt auf den Weg am Deich
hinabgeſchritten, der mich vor die Thür des Hauſes
führte. Ich ſah wohl, daß es ein Wirthshaus war;
denn vor den Fenſtern gewahrte ich die ſogenannten
„Ricks”, das heißt auf zwei Ständern ruhende
Balken mit großen eiſernen Ringen, zum Anbinden
des Viehes und der Pferde, die hier Halt machten.
Ich band das meine an einen derſelben und
überwies es dann dem Knechte, der mir beim Ein-
tritt in den Flur entgegenkam. „Iſt hier Ver-
ſammlung?” frug ich ihn, da mir jetzt deutlich
ein Geräuſch von Menſchenſtimmen und Gläſer-
klirren aus der Stubenthür entgegendrang.
„Is wull ſo wat,” entgegnete der Knecht auf
Plattdeutſch — und ich erfuhr nachher, daß dieſes
neben dem Frieſiſchen hier ſchon ſeit über hundert
Jahren im Schwange geweſen ſei — „Diekgraf un
Gevollmächtigten un wecke von de annern In-
treſſenten! Dat is um't hoge Wåter!”
[7]
Als ich eintrat, ſah ich etwa ein Dutzend
Männer an einem Tiſche ſitzen, der unter den
Fenſtern entlang lief; eine Punſchbowle ſtand dar-
auf, und ein beſonders ſtattlicher Mann ſchien
die Herrſchaft über ſie zu führen.
Ich grüßte und bat, mich zu ihnen ſetzen zu
dürfen, was bereitwillig geſtattet wurde. „Sie
halten hier die Wacht!” ſagte ich, mich zu jenem
Manne wendend; „es iſt bös Wetter draußen; die
Deiche werden ihre Noth haben!”
„Gewiß,” erwiderte er; „wir, hier an der Oſt-
ſeite, aber glauben jetzt außer Gefahr zu ſein; nur
drüben an der anderen Seite iſt's nicht ſicher; die
Deiche ſind dort meiſt noch mehr nach altem
Muſter; unſer Hauptdeich iſt ſchon im vorigen
Jahrhundert umgelegt. — Uns iſt vorhin da
draußen kalt geworden, und Ihnen,” ſetzte er hin-
zu, „wird es ebenſo gegangen ſein; aber wir
müſſen hier noch ein paar Stunden aushalten;
wir haben ſichere Leute draußen, die uns Bericht
erſtatten.” Und ehe ich meine Beſtellung bei dem
Wirthe machen konnte, war ſchon ein dampfendes
Glas mir hingeſchoben.
Ich erfuhr bald, daß mein freundlicher Nachbar
[8] der Deichgraf ſei; wir waren ins Geſpräch ge-
kommen, und ich hatte begonnen, ihm meine ſeltſame
Begegnung auf dem Deiche zu erzählen. Er wurde
aufmerkſam, und ich bemerkte plötzlich, daß alles
Geſpräch umher verſtummt war. „Der Schimmel-
reiter!” rief einer aus der Geſellſchaft, und eine
Bewegung des Erſchreckens ging durch die Uebrigen.
Der Deichgraf war aufgeſtanden. „Ihr braucht
nicht zu erſchrecken,” ſprach er über den Tiſch hin;
„das iſt nicht bloß für uns; anno 17 hat es auch
Denen drüben gegolten; mögen ſie auf Alles vor-
gefaßt ſein!”
Mich wollte nachträglich ein Grauen über-
laufen: „Verzeiht!” ſprach ich, „was iſt das mit
dem Schimmelreiter?”
Abſeits hinter dem Ofen, ein wenig gebückt,
ſaß ein kleiner hagerer Mann in einem abgeſchabten
ſchwarzen Röcklein; die eine Schulter ſchien ein
wenig ausgewachſen. Er hatte mit keinem Worte
an der Unterhaltung der Anderen theilgenommen;
aber ſeine bei dem ſpärlichen grauen Haupthaar
noch immer mit dunklen Wimpern beſäumten
Augen zeigten deutlich, daß er nicht zum Schlaf
hier ſitze.
[9]
Gegen dieſen ſtreckte der Deichgraf ſeine Hand:
„Unſer Schulmeiſter,” ſagte er mit erhobener
Stimme, „wird von uns hier Ihnen das am beſten
erzählen können; freilich nur in ſeiner Weiſe und
nicht ſo richtig, wie zu Haus meine alte Wirth-
ſchafterin Antje Vollmers es beſchaffen würde.”
„Ihr ſcherzet, Deichgraf!” kam die etwas
kränkliche Stimme des Schulmeiſters hinter dem
Ofen hervor, „daß Ihr mir Euern dummen Drachen
wollt zur Seite ſtellen!”
„Ja, ja, Schulmeiſter!” erwiderte der Andere;
„aber bei den Drachen ſollen derlei Geſchichten am
beſten in Verwahrung ſein!”
„Freilich!” ſagte der kleine Herr; „wir ſind
hierin nicht ganz derſelben Meinung;” und ein
überlegenes Lächeln glitt über das feine Geſicht.
„Sie ſehen wohl,” raunte der Deichgraf mir
ins Ohr; „er iſt immer noch ein wenig hochmüthig;
er hat in ſeiner Jugend einmal Theologie ſtudirt
und iſt nur einer verfehlten Brautſchaft wegen
hier in ſeiner Heimath als Schulmeiſter behangen
geblieben.”
Dieſer war inzwiſchen aus ſeiner Ofenecke
hervorgekommen und hatte ſich neben mir an den
[10] langen Tiſch geſetzt. „Erzählt, erzählt nur, Schul-
meiſter,” riefen ein paar der Jüngeren aus der
Geſellſchaft.
„Nun freilich,” ſagte der Alte, ſich zu mir
wendend, „will ich gern zu Willen ſein; aber es
iſt viel Aberglaube dazwiſchen, und eine Kunſt,
es ohne dieſen zu erzählen.”
„Ich muß Euch bitten, den nicht auszulaſſen,”
erwiderte ich; „traut mir nur zu, daß ich ſchon
ſelbſt die Spreu vom Weizen ſondern werde!”
Der Alte ſah mich mit verſtändnißvollem
Lächeln an: „Nun alſo!” ſagte er. „In der Mitte
des vorigen Jahrhunderts, oder vielmehr, um
genauer zu beſtimmen, vor und nach derſelben, gab
es hier einen Deichgrafen, der von Deich- und
Sielſachen mehr verſtand, als Bauern und Hof-
beſitzer ſonſt zu verſtehen pflegen; aber es reichte
doch wohl kaum; denn was die ſtudirten Fachleute
darüber niedergeſchrieben, davon hatte er wenig
geleſen; ſein Wiſſen hatte er ſich, wenn auch von
Kindesbeinen an, nur ſelber ausgeſonnen. Ihr
hörtet wohl ſchon, Herr, die Frieſen rechnen gut,
und habet auch wohl ſchon über unſeren Hans
Mommſen von Fahretoſt reden hören, der ein Bauer
[11] war und doch Bouſſolen und Seeuhren, Teleskopen
und Orgeln machen konnte. Nun, ein Stück von
ſolch' einem Manne war auch der Vater des nach-
herigen Deichgrafen geweſen; freilich wohl nur ein
kleines. Er hatte ein paar Fennen, wo er Rapps
und Bohnen baute, auch eine Kuh graſ'te, ging
unterweilen im Herbſt und Frühjahr auch aufs
Landmeſſen und ſaß im Winter, wenn der Nord-
weſt von draußen kam und an ſeinen Läden
rüttelte, zu ritzen und zu prickeln, in ſeiner Stube.
Der Junge ſaß meiſt dabei und ſah über ſeine
Fibel oder Bibel weg dem Vater zu, wie er maß
und berechnete, und grub ſich mit der Hand in
ſeinen blonden Haaren. Und eines Abends frug
er den Alten, warum denn das, was er eben
hingeſchrieben hatte, gerade ſo ſein müſſe und nicht
anders ſein könne, und ſtellte dann eine eigene
Meinung darüber auf. Aber der Vater, der dar-
auf nicht zu antworten wußte, ſchüttelte den Kopf
und ſprach: „Das kann ich Dir nicht ſagen;
genug, es iſt ſo, und Du ſelber irrſt Dich. Willſt
Du mehr wiſſen, ſo ſuche morgen aus der Kiſte, die
auf unſerem Boden ſteht, ein Buch; einer, der Euklid
hieß, hat's geſchrieben; das wird's Dir ſagen!”
[12]
— — Der Junge war Tags darauf zu
Boden gelaufen und hatte auch bald das Buch
gefunden; denn viele Bücher gab es überhaupt
nicht in dem Hauſe; aber der Vater lachte, als
er es vor ihm auf den Tiſch legte. Es war ein
holländiſcher Euklid, und Holländiſch, wenngleich es
doch halb Deutſch war, verſtanden alle Beide nicht.
„Ja, ja,” ſagte er, „das Buch iſt noch von meinem
Vater, der verſtand es; iſt denn kein deutſcher da?”
Der Junge, der von wenig Worten war, ſah
den Vater ruhig an und ſagte nur: „Darf ich's
behalten? Ein deutſcher iſt nicht da.”
Und als der Alte nickte, wies er noch ein
zweites, halbzerriſſenes Büchlein vor. „Auch das?”
frug er wieder.
„Nimm ſie alle Beide!” ſagte Tede Haien;
„ſie werden Dir nicht viel nützen.”
Aber das zweite Buch war eine kleine
holländiſche Grammatik, und da der Winter noch
lange nicht vorüber war, ſo hatte es, als endlich
die Stachelbeeren in ihrem Garten wieder blühten,
dem Jungen ſchon ſo weit geholfen, daß er den
Euklid, welcher damals ſtark im Schwange war,
faſt überall verſtand.
[13]
Es iſt mir nicht unbekannt, Herr,” unterbrach
ſich der Erzähler, „daß dieſer Umſtand auch von
Hans Mommſen erzählt wird; aber vor deſſen
Geburt iſt hier bei uns ſchon die Sache von Hauke
Haien — ſo hieß der Knabe — berichtet worden.
Ihr wiſſet auch wohl, es braucht nur einmal ein
Größerer zu kommen, ſo wird ihm Alles aufgeladen,
was in Ernſt oder Schimpf ſeine Vorgänger einſt
mögen verübt haben.
Als der Alte ſah, daß der Junge weder für
Kühe noch Schafe Sinn hatte, und kaum gewahrte,
wenn die Bohnen blühten, was doch die Freude
von jedem Marſchmann iſt, und weiterhin bedachte,
daß die kleine Stelle wohl mit einem Bauer und
einem Jungen, aber nicht mit einem Halbgelehrten
und einem Knecht beſtehen könne, ingleichen, daß
er auch ſelber nicht auf einen grünen Zweig ge-
kommen ſei, ſo ſchickte er ſeinen großen Jungen
an den Deich, wo er mit andern Arbeitern von
Oſtern bis Martini Erde karren mußte. „Das
wird ihn vom Euklid curiren,” ſprach er bei
ſich ſelber.
Und der Junge karrte; aber den Euklid hatte
er allzeit in der Taſche, und wenn die Arbeiter
[14] ihr Frühſtück oder Vesper aßen, ſaß er auf ſeinem
umgeſtülpten Schubkarren mit dem Buche in der
Hand. Und wenn im Herbſt die Fluthen höher
ſtiegen und manch ein Mal die Arbeit eingeſtellt
werden mußte, dann ging er nicht mit den Andern
nach Haus, ſondern blieb, die Hände über die
Kniee gefaltet, an der abfallenden Seeſeite des
Deiches ſitzen und ſah ſtundenlang zu, wie die
trüben Nordſeewellen immer höher an die Gras-
narbe des Deiches hinaufſchlugen; erſt wenn ihm
die Füße überſpült waren, und der Schaum ihm
ins Geſicht ſpritzte, rückte er ein paar Fuß höher
und blieb dann wieder ſitzen. Er hörte weder das
Klatſchen des Waſſers noch das Geſchrei der Möven
und Strandvögel, die um oder über ihm flogen und
ihn faſt mit ihren Flügeln ſtreiften, mit den
ſchwarzen Augen in die ſeinen blitzend; er ſah
auch nicht, wie vor ihm über die weite, wilde
Waſſerwüſte ſich die Nacht ausbreitete; was er
allein hier ſah, war der brandende Saum des
Waſſers, der, als die Fluth ſtand, mit hartem
Schlage immer wieder dieſelbe Stelle traf und vor
ſeinen Augen die Grasnarbe des ſteilen Deiches
auswuſch.
[15]
Nach langem Hinſtarren nickte er wohl lang-
ſam mit dem Kopfe oder zeichnete, ohne aufzuſehen,
mit der Hand eine weiche Linie in die Luft, als
ob er dem Deiche damit einen ſanfteren Abfall
geben wollte. Wurde es ſo dunkel, daß alle Erden-
dinge vor ſeinen Augen verſchwanden und nur
die Fluth ihm in die Ohren donnerte, dann ſtand
er auf und trabte halbdurchnäßt nach Hauſe.
Als er ſo eines Abends zu ſeinem Vater in
die Stube trat, der an ſeinen Meßgeräthen putzte,
fuhr dieſer auf: „Was treibſt Du draußen? Du
hätteſt ja verſaufen können; die Waſſer beißen heute
in den Deich.”
Hauke ſah ihn trotzig an.
— „Hörſt Du mich nicht? Ich ſag', Du
hätt'ſt verſaufen können.”
„Ja,” ſagte Hauke; „ich bin doch nicht
verſoffen!”
„Nein,” erwiderte nach einer Weile der Alte
und ſah ihm wie abweſend ins Geſicht, — „dies-
mal noch nicht.”
„Aber,” ſagte Hauke wieder; „unſere Deiche
ſind nichts werth!”
— „Was für was, Junge?”
[16]
„Die Deiche, ſag' ich!”
— „Was ſind die Deiche?”
„Sie taugen nichts, Vater!” erwiderte Hauke.
Der Alte lachte ihm ins Geſicht. „Was denn,
Junge? Du biſt wohl das Wunderkind aus Lübeck!”
Aber der Junge ließ ſich nicht irren. „Die
Waſſerſeite iſt zu ſteil,” ſagte er; „wenn es ein-
mal kommt, wie es mehr als einmal ſchon ge-
kommen iſt, ſo können wir hier auch hinterm
Deich erſaufen!”
Der Alte holte ſeinen Kautabak aus der
Taſche, drehte einen Schrot ab und ſchob ihn
hinter die Zähne. „Und wieviel Karren haſt Du
heut' geſchoben?” frug er ärgerlich; denn er ſah
wohl, daß auch die Deicharbeit bei dem Jungen
die Denkarbeit nicht hatte vertreiben können.
„Weiß nicht, Vater,” ſagte dieſer; „ſo, was
die Anderen machten; vielleicht ein halbes Dutzend
mehr; aber — die Deiche müſſen anders werden!”
„Nun,” meinte der Alte und ſtieß ein Lachen
aus; „Du kannſt es ja vielleicht zum Deichgraf
bringen; dann mach' ſie anders!”
„Ja, Vater!” erwiderte der Junge.
Der Alte ſah ihn an und ſchluckte ein paar
[17] Mal; dann ging er aus der Thür; er wußte nicht,
was er dem Jungen antworten ſollte.
Auch als zu Ende Octobers die Deicharbeit
vorbei war, blieb der Gang [nordwärts] nach dem
Haf hinaus für Hauke Haien die beſte Unter-
haltung; den Allerheiligentag, um den herum die
Aequinoctialſtürme zu toſen pflegen, von dem wir
ſagen, daß Friesland ihn wohl beklagen mag, er-
wartete er, wie heut' die Kinder das Chriſtfeſt.
Stand eine Springfluth bevor, ſo konnte man
ſicher ſein, er lag trotz Sturm und Wetter weit
draußen am Deiche mutterſeelenallein; und wenn
die Möven gackerten, wenn die Waſſer gegen den
Deich tobten und beim Zurückrollen ganze Fetzen
von der Grasdecke mit ins Meer hinabriſſen, dann
hätte man Hauke's zorniges Lachen hören können.
„Ihr könnt nichts Rechtes,” ſchrie er in den Lärm
hinaus, „ſowie die Menſchen auch nichts können!”
Und endlich, oft im Finſtern, trabte er aus der
weiten Oede den Deich entlang nach Hauſe, bis
ſeine aufgeſchoſſene Geſtalt die niedrige Thür unter
ſeines Vaters Rohrdach erreicht hatte und darunter
durch in das kleine Zimmer ſchlüpfte.
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 2
[18]
Manchmal hatte er eine Fauſt voll Kleierde
mitgebracht; dann ſetzte er ſich neben den Alten,
der ihn jetzt gewähren ließ, und knetete bei dem
Schein der dünnen Unſchlittkerze allerlei Deich-
modelle, legte ſie in ein flaches Gefäß mit Waſſer
und ſuchte darin die Ausſpülung der Wellen nach-
zumachen, oder er nahm ſeine Schiefertafel und
zeichnete darauf das Profil der Deiche nach der
Seeſeite, wie es nach ſeiner Meinung ſein mußte.
Mit denen zu verkehren, die mit ihm auf der
Schulbank geſeſſen hatten, fiel ihm nicht ein; auch
ſchien es, als ob ihnen an dem Träumer nichts
gelegen ſei. Als es wieder Winter geworden und
der Froſt hereingebrochen war, wanderte er noch
weiter, wohin er früher nie gekommen, auf den
Deich hinaus, bis die unabſehbare eisbedeckte Fläche
der Watten vor ihm lag.
Im Februar bei dauerndem Froſtwetter wurden
angetriebene Leichen aufgefunden; draußen am offenen
Haf auf den gefrorenen Watten hatten ſie gelegen.
Ein junges Weib, die dabei geweſen war, als man
ſie in das Dorf geholt hatte, ſtand redſelig vor
dem alten Haien: „Glaubt nicht, daß ſie wie
Menſchen ausſahen,” rief ſie; „nein, wie die See-
[19] teufel! So große Köpfe,” und ſie hielt die aus-
geſpreizten Hände von Weitem gegen einander,
„gnidderſchwarz und blank, wie friſch gebacken
Brot! Und die Krabben hatten ſie angeknabbert;
die Kinder ſchrieen laut, als ſie ſie ſahen!”
Dem alten Haien war ſo was juſt nichts
Neues: „Sie haben wohl ſeit November ſchon in
See getrieben!” ſagte er gleichmüthig.
Hauke ſtand ſchweigend daneben; aber ſobald
er konnte, ſchlich er ſich auf den Deich hinaus; es
war nicht zu ſagen, wollte er noch nach weiteren
Todten ſuchen, oder zog ihn nur das Grauen, das
noch auf den jetzt verlaſſenen Stellen brüten mußte.
Er lief weiter und weiter, bis er einſam in der
Oede ſtand, wo nur die Winde über den Deich
wehten, wo nichts war als die klagenden Stimmen
der großen Vögel, die raſch vorüberſchoſſen; zu
ſeiner Linken die leere weite Marſch, zur andern
Seite der unabſehbare Strand mit ſeiner jetzt vom
Eiſe ſchimmernden Fläche der Watten; es war, als
liege die ganze Welt in weißem Tod.
Hauke blieb oben auf dem Deiche ſtehen, und
ſeine ſcharfen Augen ſchweiften weit umher; aber
von Todten war nichts mehr zu ſehen; nur wo
2*
[20] die unſichtbaren Wattſtröme ſich darunter drängten,
hob und ſenkte die Eisfläche ſich in ſtromartigen
Linien.
Er lief nach Hauſe; aber an einem der nächſten
Abende war er wiederum da draußen. Auf jenen
Stellen war jetzt das Eis geſpalten; wie Rauch-
wolken ſtieg es aus den Riſſen, und über das ganze
Watt ſpann ſich ein Netz von Dampf und Nebel,
das ſich ſeltſam mit der Dämmerung des Abends
miſchte. Hauke ſah mit ſtarren Augen darauf
hin; denn in dem Nebel ſchritten dunkle Geſtalten
auf und ab, ſie ſchienen ihm ſo groß wie Menſchen.
Würdevoll, aber mit ſeltſamen, erſchreckenden Ge-
bärden; mit langen Naſen und Hälſen ſah er ſie
fern an den rauchenden Spalten auf und ab ſpazieren;
plötzlich begannen ſie wie Narren unheimlich auf
und ab zu ſpringen, die großen über die kleinen
und die kleinen gegen die großen; dann breiteten
ſie ſich aus und verloren alle Form.
„Was wollen die? Sind es die Geiſter der
Ertrunkenen?” dachte Hauke. „Hoiho!” ſchrie er
laut in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten
ſich nicht an ſeinen Schrei, ſondern trieben ihr
wunderliches Weſen fort.
[21]
Da kamen ihm die furchtbaren norwegiſchen
Seegeſpenſter in den Sinn, von denen ein alter
Capitän ihm einſt erzählt hatte, die ſtatt des An-
geſichts einen ſtumpfen Pull von Seegras auf dem
Nacken tragen; aber er lief nicht fort, ſondern
bohrte die Hacken ſeiner Stiefel feſt in den Klei
des Deiches und ſah ſtarr dem poſſenhaften Un-
weſen zu, das in der einfallenden Dämmerung vor
ſeinen Augen fortſpielte. „Seid Ihr auch hier bei
uns?” ſprach er mit harter Stimme: „Ihr ſollt
mich nicht vertreiben!”
Erſt als die Finſterniß Alles bedeckte, ſchritt
er ſteifen langſamen Schrittes heimwärts. Aber
hinter ihm drein kam es wie Flügelrauſchen und
hallendes Geſchrei. Er ſah nicht um; aber er ging
auch nicht ſchneller und kam erſt ſpät nach Hauſe;
doch niemals ſoll er ſeinem Vater oder einem Anderen
davon erzählt haben. Erſt viele Jahre ſpäter hat
er ſein blödes Mädchen, womit ſpäter der Herrgott
ihn belaſtete, um dieſelbe Tages- und Jahreszeit
mit ſich auf den Deich hinausgenommen, und
dasſelbe Weſen ſoll ſich derzeit draußen auf den
Watten gezeigt haben; aber er hat ihr geſagt, ſie
ſolle ſich nicht fürchten, das ſeien nur die Fiſchreiher
[22] und die Krähen, die im Nebel ſo groß und fürchterlich
erſchienen; die holten ſich die Fiſche aus den offenen
Spalten.
Weiß Gott, Herr!” unterbrach ſich der
Schulmeiſter; „es gibt auf Erden allerlei Dinge,
die ein ehrlich Chriſtenherz verwirren können;
aber der Hauke war weder ein Narr noch ein
Dummkopf.”
Da ich nichts erwiderte, wollte er fortfahren;
aber unter den übrigen Gäſten, die bisher lautlos
zugehört hatten, nur mit dichterem Tabaksqualm
das niedrige Zimmer füllend, entſtand eine plötzliche
Bewegung; erſt Einzelne, dann faſt Alle wandten
ſich dem Fenſter zu. Draußen — man ſah es durch
die unverhangenen Fenſter — trieb der Sturm
die Wolken, und Licht und Dunkel jagten durch-
einander; aber auch mir war es, als hätte ich
den hageren Reiter auf ſeinem Schimmel vorbei-
ſauſen geſehen.
„Wart Er ein wenig, Schulmeiſter!” ſagte
der Deichgraf leiſe.
„Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Deich-
graf!” erwiderte der kleine Erzähler, „ich habe ihn
nicht geſchmäht, und hab' auch deſſen keine Ur-
[23] ſach';” und er ſah mit ſeinen kleinen, klugen
Augen zu ihm auf.
„Ja, ja,” meinte der Andere; „laß' Er ſein
Glas nur wieder füllen.” Und nachdem das ge-
ſchehen war, und die Zuhörer, meiſt mit etwas
verdutzten Geſichtern, ſich wieder zu ihm gewandt
hatten, fuhr er in ſeiner Geſchichte fort:
„So für ſich, und am liebſten nur mit Wind
und Waſſer und mit den Bildern der Einſamkeit
verkehrend, wuchs Hauke zu einem langen, hageren
Burſchen auf. Er war ſchon über ein Jahr lang
eingeſegnet, da wurde es auf einmal anders mit
ihm, und das kam von dem alten weißen Angora-
kater, welchen der alten Trien' Jans einſt ihr ſpäter
verunglückter Sohn von ſeiner ſpaniſchen Seereiſe
mitgebracht hatte. Trien' wohnte ein gut Stück
hinaus auf dem Deiche in einer kleinen Kathe, und
wenn die Alte in ihrem Hauſe herumarbeitete, ſo
pflegte dieſe Unform von einem Kater vor der
Hausthür zu ſitzen und in den Sommertag und
nach den vorüberfliegenden Kiebitzen hinauszu-
blinzeln. Ging Hauke vorbei, ſo mauzte der Kater
ihn an, und Hauke nickte ihm zu; die Beiden
wußten, was ſie mit einander hatten.
[24]
Nun aber war's einmal im Frühjahr, und
Hauke lag nach ſeiner Gewohnheit oft draußen am
Deich, ſchon weiter unten dem Waſſer zu, zwiſchen
Strandnelken und dem duftenden Seewermuth, und
ließ ſich von der ſchon kräftigen Sonne beſcheinen.
Er hatte ſich Tags zuvor droben auf der Geeſt
die Taſchen voll von Kieſeln geſammelt, und als
in der Ebbezeit die Watten bloßgelegt waren und
die kleinen grauen Strandläufer ſchreiend darüber
hinhuſchten, holte er jählings einen Stein hervor
und warf ihn nach den Vögeln. Er hatte das von
Kindesbeinen an geübt, und meiſtens blieb einer
auf dem Schlicke liegen; aber ebenſo oft war er dort
auch nicht zu holen; Hauke hatte ſchon daran ge-
dacht, den Kater mitzunehmen und als apportirenden
Jagdhund zu dreſſiren. Aber es gab auch hier
und dort feſte Stellen oder Sandlager; ſolchen-
falls lief er hinaus und holte ſich ſeine Beute
ſelbſt. Saß der Kater bei ſeiner Rückkehr noch
vor der Hausthür, dann ſchrie das Thier vor nicht
zu bergender Raubgier ſo lange, bis Hauke ihm
einen der erbeuteten Vögel zuwarf.
Als er heute, ſeine Jacke auf der Schulter,
heimging, trug er nur einen ihm noch unbekannten,
[25] aber wie mit bunter Seide und Metall gefiederten
Vogel mit nach Hauſe, und der Kater mauzte wie
gewöhnlich, als er ihn kommen ſah. Aber Hauke
wollte ſeine Beute — es mag ein Eisvogel geweſen
ſein — diesmal nicht hergeben und kehrte ſich nicht
an die Gier des Thieres. „Umſchicht!” rief er
ihm zu, „heute mir, morgen Dir; das hier iſt
kein Katerfreſſen!” Aber der Kater kam vorſichtigen
Schrittes herangeſchlichen; Hauke ſtand und ſah
ihn an, der Vogel hing an ſeiner Hand, und der
Kater blieb mit erhobener Tatze ſtehen. Doch der
Burſche ſchien ſeinen Katzenfreund noch nicht ſo
ganz zu kennen; denn während er ihm ſeinen
Rücken zugewandt hatte und eben fürbaß wollte,
fühlte er mit einem Ruck die Jagdbeute ſich
entriſſen, und zugleich ſchlug eine ſcharfe Kralle
ihm ins Fleiſch. Ein Grimm, wie gleichfalls eines
Raubthiers, flog dem jungen Menſchen ins Blut;
er griff wie raſend um ſich und hatte den Räuber
ſchon am Genicke gepackt. Mit der Fauſt hielt er
das mächtige Thier empor und würgte es, daß
die Augen ihm aus den rauhen Haaren vorquollen,
nicht achtend, daß die ſtarken Hintertatzen ihm
den Arm zerfleiſchten. „Hoiho!” ſchrie er und
[26] packte ihn noch feſter; „wollen ſehen, wer's von uns
Beiden am längſten aushält!”
Plötzlich fielen die Hinterbeine der großen
Katze ſchlaff herunter, und Hauke ging ein paar
Schritte zurück und warf ſie gegen die Kathe der
Alten. Da ſie ſich nicht rührte, wandte er ſich
und ſetzte ſeinen Weg nach Hauſe fort.
Aber der Angorakater war das Kleinod ſeiner
Herrin; er war ihr Geſelle und das Einzige, was
ihr Sohn, der Matroſe, ihr nachgelaſſen hatte,
nachdem er hier an der Küſte ſeinen jähen Tod
gefunden hatte, da er im Sturm ſeiner Mutter
beim Porrenfangen hatte helfen wollen. Hauke
mochte kaum hundert Schritte weiter gethan haben,
während er mit einem Tuch das Blut aus ſeinen
Wunden auffing, als ſchon von der Kathe her
ihm ein Geheul und Zetern in die Ohren gellte.
Da wandte er ſich und ſah davor das alte Weib
am Boden liegen; das greiſe Haar flog ihr im
Winde um das rothe Kopftuch: „Todt!” rief ſie,
„todt!” und erhob dräuend ihren mageren Arm
gegen ihn: „Du ſollſt verflucht ſein! Du haſt
ihn todtgeſchlagen, Du nichtsnutziger Strandläufer;
Du warſt nicht werth, ihm ſeinen Schwanz zu
[27] bürſten!” Sie warf ſich über das Thier und
wiſchte zärtlich mit ihrer Schürze ihm das Blut
fort, das noch aus Naſ' und Schnauze rann; dann
hob ſie aufs Neue an zu zetern.
„Biſt Du bald fertig?” rief Hauke ihr zu,
„dann laß Dir ſagen: ich will Dir einen Kater
ſchaffen, der mit Maus- und Rattenblut zu-
frieden iſt!”
Darauf ging er, ſcheinbar auf nichts mehr
achtend, fürbaß. Aber die todte Katze mußte ihm
doch im Kopfe Wirrſal machen; denn er ging, als
er zu den Häuſern gekommen war, dem ſeines
Vaters und auch den übrigen vorbei und eine
weite Strecke noch nach [Süden] auf dem Deich der
Stadt zu.
Inmittelſt wanderte auch Trien' Jans auf dem-
ſelben in der gleichen Richtung; ſie trug in einem
alten blaucarrirten Kiſſenüberzug eine Laſt in
ihren Armen, die ſie ſorgſam, als wär's ein Kind,
umklammerte; ihr greiſes Haar flatterte in dem
leichten Frühlingswind. „Was ſchleppt Sie da,
Trina?” frug ein Bauer, der ihr entgegenkam.
„Mehr, als Dein Haus und Hof,” erwiderte die
Alte; dann ging ſie eifrig weiter. Als ſie dem
[28] unten liegenden Hauſe des alten Haien nahe kam,
ging ſie den Akt, wie man bei uns die Trift-
und Fußwege nennt, die ſchräg an der Seite des
Deiches hinab- oder hinaufführen, zu den Häuſern
hinunter.
Der alte Tede Haien ſtand eben vor der Thür
und ſah ins Wetter: „Na, Trien'!” ſagte er, als
ſie puſtend vor ihm ſtand und ihren Krückſtock
in die Erde bohrte, „was bringt Sie Neues in
Ihrem Sack?”
„Erſt laß mich in die Stube, Tede Haien!
dann ſoll Er's ſehen!” und ihre Augen ſahen ihn
mit ſeltſamem Funkeln an!
„So komm' Sie!” ſagte der Alte. Was gingen
ihn die Augen des dummen Weibes an.
Und als Beide eingetreten waren, fuhr ſie fort:
„Bring' Er den alten Tabakskaſten und das
Schreibzeug von dem Tiſch — — Was hat er
denn immer zu ſchreiben? — — So; und nun
wiſch' Er ihn ſauber ab!”
Und der Alte, der faſt neugierig wurde, that
Alles, was ſie ſagte; dann nahm ſie den blauen
Ueberzug bei beiden Zipfeln und ſchüttete daraus
den großen Katerleichnam auf den Tiſch. „Da
[29] hat Er ihn!” rief ſie; „Sein Hauke hat ihn todt-
geſchlagen.” Hierauf aber begann ſie ein bitterliches
Weinen; ſie ſtreichelte das dicke Fell des todten
Thieres, legte ihm die Tatzen zuſammen, neigte
ihre lange Naſe über deſſen Kopf und raunte ihm
unverſtändliche Zärtlichkeiten in die Ohren.
Tede Haien ſah dem zu. „So,” ſagte er;
„Hauke hat ihn todtgeſchlagen?” Er wußte nicht,
was er mit dem heulenden Weibe machen ſollte.
Die Alte nickte ihn grimmig an: „Ja, ja;
ſo Gott, das hat er gethan!” und ſie wiſchte ſich
mit ihrer von Gicht verkrümmten Hand das Waſſer
aus den Augen. „Kein Kind, kein Lebigs mehr!”
klagte ſie. „Und er weiß es ja auch wohl, uns
Alten, wenn's nach Allerheiligen kommt, frieren
Abends im Bett die Beine, und ſtatt zu ſchlafen,
hören wir den Nordweſt an unſeren Fenſterläden
rappeln. Ich hör's nicht gern, Tede Haien, er
kommt daher, wo mein Junge mir im Schlick
verſank.”
Tede Haien nickte, und die Alte ſtreichelte das
Fell ihres todten Katers: „Der aber”, begann
ſie wieder, „wenn ich Winters am Spinnrad ſaß,
dann ſaß er bei mir und ſpann auch und ſah
[30] mich an mit ſeinen grünen Augen! Und kroch ich,
wenn's mir kalt wurde, in mein Bett — es
dauerte nicht lang, ſo ſprang er zu mir und legte
ſich auf meine frierenden Beine, und wir ſchliefen
ſo warm mitſammen, als hätte ich noch meinen
jungen Schatz im Bett!” Die Alte, als ſuche ſie
bei dieſer Erinnerung nach Zuſtimmung, ſah den
neben ihr am Tiſche ſtehenden Alten mit ihren
funkelnden Augen an.
Tede Haien aber ſagte bedächtig: „Ich weiß
Ihr einen Rath, Trien' Jans,” und er ging nach
ſeiner Schatulle und nahm eine Silbermünze aus
der Schublade — „Sie ſagt, daß Hauke Ihr das
Thier vom Leben gebracht hat, und ich weiß, Sie
lügt nicht; aber hier iſt ein Kronthaler von Chriſtian
dem Vierten; damit kauf' Sie ſich ein gegerbtes
Lammfell für Ihre kalten Beine! Und wenn unſere
Katze nächſtens Junge wirft, ſo mag Sie ſich das
größte davon ausſuchen; das zuſammen thut wohl
einen altersſchwachen Angorakater! Und nun nehm'
Sie das Vieh und bring' Sie es meinethalb an
den Racker in der Stadt, und halt' Sie das
Maul, daß es hier auf meinem ehrlichen Tiſch
gelegen hat!”
[31]
Während dieſer Rede hatte das Weib ſchon
nach dem Thaler gegriffen und ihn in einer kleinen
Taſche geborgen, die ſie unter ihren Röcken trug;
dann ſtopfte ſie den Kater wieder in das Bettbühr,
wiſchte mit ihrer Schürze die Blutflecken von dem
Tiſch und ſtakte zur Thür hinaus. „Vergiß Er
mir nur den jungen Kater nicht!” rief ſie noch
zurück.
— — Eine Weile ſpäter, als der alte Haien
in dem engen Stüblein auf- und abſchritt, trat
Hauke herein und warf ſeinen bunten Vogel auf
den Tiſch; als er aber auf der weiß geſcheuerten
Platte den noch kennbaren Blutfleck ſah, frug er,
wie beiläufig „Was iſt denn das?”
Der Vater blieb ſtehen: „Das iſt Blut, was
Du haſt fließen machen!”
Dem Jungen ſchoß es doch heiß ins Geſicht:
„Iſt denn Trien' Jans mit ihrem Kater hier
geweſen?”
Der Alte nickte: „Weshalb haſt Du ihr den
todtgeſchlagen?”
Hauke entblößte ſeinen blutigen Arm. „Des-
halb,” ſagte er; „er hatte mir den Vogel fort-
geriſſen!”
[32]
Der Alte ſagte nichts hierauf; er begann eine
Zeitlang wieder auf- und abzugehen; dann blieb
er vor dem Jungen ſtehen und ſah eine Weile
wie abweſend auf ihn hin. „Das mit dem Kater
hab' ich rein gemacht,” ſagte er dann; „aber, ſiehſt
Du, Hauke, die Kathe iſt hier zu klein; zwei Herren
können darauf nicht ſitzen — es iſt nun Zeit,
Du mußt Dir einen Dienſt beſorgen!”
„Ja, Vater,” entgegnete Hauke; „hab' der-
gleichen auch gedacht.”
„Warum?” frug der Alte.
— „Ja, man wird grimmig in ſich, wenn
man's nicht an einem ordentlichen Stück Arbeit
auslaſſen kann.”
„So?” ſagte der Alte, „und darum haſt Du
den Angorer todtgeſchlagen? Das könnte leicht noch
ſchlimmer werden?”
— „Er mag wohl recht haben, Vater; aber
der Deichgraf hat ſeinen Kleinknecht fortgejagt;
das könnt' ich ſchon verrichten!”
Der Alte begann wieder auf- und abzugehen
und ſpritzte dabei die ſchwarze Tabaksjauche von
ſich: „Der Deichgraf iſt ein Dummkopf, dumm
wie 'ne Saatgans! Er iſt nur Deichgraf, weil ſein
[33] Vater und Großvater es geweſen ſind, und wegen
ſeiner neunundzwanzig Fennen. Wenn Martini
herankommt und hernach die Deich- und Siel-
rechnungen abgethan werden müſſen, dann füttert
er den Schulmeiſter mit Gansbraten und Meth
und Weizenkringeln und ſitzt dabei und nickt, wenn
der mit ſeiner Feder die Zahlenreihen hinunter-
läuft, und ſagt: „Ja, ja, Schulmeiſter, Gott ver-
gönn's ihm! Was kann er rechnen!” Wenn aber
einmal der Schulmeiſter nicht kann oder auch
nicht will, dann muß er ſelber dran und ſitzt
und ſchreibt und ſtreicht wieder aus, und der
große dumme Kopf wird ihm roth und heiß, und
die Augen quellen wie Glaskugeln, als wollte das
bischen Verſtand da hinaus.”
Der Junge ſtand gerade auf vor dem Vater
und wunderte ſich, was der reden könne; ſo hatte
er's noch nicht von ihm gehört. „Ja, Gott
tröſt'!” ſagte er, „dumm iſt er wohl; aber ſeine
Tochter Elke, die kann rechnen!”
Der Alte ſah ihn ſcharf an. „Ahoi, Hauke”,
rief er; „was weißt Du von Elke Volkerts?”
— „Nichts, Vater; der Schulmeiſter hat's
mir nur erzählt.”
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 3
[34]
Der Alte antwortete nicht darauf; er ſchob
nur bedächtig ſeinen Tabaksknoten aus einer Backe
hinter die andere. „Und Du denkſt,” ſagte er
dann, „Du wirſt dort auch mitrechnen können.”
„O ja, Vater, das möcht' ſchon gehen,” er-
widerte der Sohn, und ein ernſtes Zucken lief um
ſeinen Mund.
Der Alte ſchüttelte den Kopf: „Nun, aber
meinethalb; verſuch' einmal Dein Glück!”
„Dank auch, Vater!” ſagte Hauke und ſtieg
zu ſeiner Schlafſtatt auf dem Boden; hier ſetzte
er ſich auf die Bettkante und ſann, weshalb ihn
denn ſein Vater um Elke Volkerts angerufen habe.
Er kannte ſie freilich, das ranke achtzehnjährige
Mädchen mit dem bräunlichen ſchmalen Antlitz
und den dunklen Brauen, die über den trotzigen
Augen und der ſchmalen Naſe in einander liefen;
doch hatte er noch kaum ein Wort mit ihr ge-
ſprochen; nun, wenn er zu dem alten Tede Volkerts
ging, wollte er ſie doch beſſer darauf anſehen, was
es mit dem Mädchen auf ſich habe. Und gleich
jetzt wollte er gehen, damit kein Anderer ihm die
Stelle abjage; es war ja kaum noch Abend. Und
ſo zog er ſeine Sonntagsjacke und ſeine beſten
[35] Stiefeln an und machte ſich guten Muthes auf
den Weg.
— Das langgeſtreckte Haus des Deichgrafen
war durch ſeine hohe Werfte, beſonders durch den
höchſten Baum des Dorfes, eine gewaltige Eſche,
ſchon von Weitem ſichtbar; der Großvater des
jetzigen, der erſte Deichgraf des Geſchlechtes, hatte
in ſeiner Jugend eine ſolche oſten der Hausthür
hier geſetzt; aber die beiden erſten Anpflanzungen
waren vergangen, und ſo hatte er an ſeinem
Hochzeitsmorgen dieſen dritten Baum gepflanzt,
der noch jetzt mit ſeiner immer mächtiger werdenden
Blätterkrone in dem hier unabläſſigen Winde wie
von alten Zeiten rauſchte.
Als nach einer Weile der lang aufgeſchoſſene
Hauke die hohe Werfte hinaufſtieg, welche an den
Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, ſah
er droben die Tochter des Hauswirths neben der
niedrigen Hausthür ſtehen. Ihr einer etwas hagerer
Arm hing ſchlaff herab, die andere Hand ſchien
im Rücken nach dem Eiſenring zu greifen, von
denen je einer zu beiden Seiten der Thür in der
Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, ſein
Pferd daran befeſtigen könne. Die Dirne ſchien
3 *
[36] von dort ihre Augen über den Deich hinaus nach dem
Meer zu haben, wo an dem ſtillen Abend die Sonne
eben in das Waſſer hinabſank und zugleich das bräun-
liche Mädchen mit ihrem letzten Schein vergoldete.
Hauke ſtieg etwas langſamer an der Werfte
hinan und dachte bei ſich: „So iſt ſie nicht ſo
döſig!” dann war er oben. „Guten Abend auch!”
ſagte er zu ihr tretend; „wonach guckſt Du denn
mit Deinen großen Augen, Jungfer Elke?”
„Nach dem,” erwiderte ſie, „was hier alle
Abend vor ſich geht; aber hier nicht alle Abend
juſt zu ſehen iſt.” Sie ließ den Ring aus der
Hand fallen, daß er klingend gegen die Mauer
ſchlug. „Was willſt Du, Hauke Haien?” frug ſie.
„Was Dir hoffentlich nicht zuwider iſt”, ſagte
er. „Dein Vater hat ſeinen Kleinknecht fortge-
jagt, da dachte ich bei Euch in Dienſt.”
Sie ließ ihre Blicke an ihm herunterlaufen:
„Du biſt noch ſo was ſchlanterig, Hauke!” ſagte
ſie; „aber uns dienen zwei feſte Augen beſſer als
zwei feſte Arme!” Sie ſah ihn dabei faſt düſter
an; aber Hauke hielt ihr tapfer Stand. „So
komm,” fuhr ſie fort; „der Wirth iſt in der
Stube, laß uns hineingehen!”
[37]
Am anderen Tage trat Tede Haien mit ſeinem
Sohne in das geräumige Zimmer des Deichgrafen;
die Wände waren mit glaſurten Kacheln bekleidet,
auf denen hier ein Schiff mit vollen Segeln oder
ein Angler an einem Uferplatz, dort ein Rind, das
kauernd vor einem Bauernhauſe lag, den Beſchauer
vergnügen konnte; unterbrochen war dieſe dauer-
hafte Tapete durch ein mächtiges Wandbett mit
jetzt zugeſchobenen Thüren und einen Wandſchrank,
der durch ſeine beiden Glasthüren allerlei Porzellan-
und Silbergeſchirr erblicken ließ; neben der Thür
zum anſtoßenden Peſel war hinter einer Glas-
ſcheibe eine holländiſche Schlaguhr in die Wand
gelaſſen.
Der ſtarke, etwas ſchlagflüſſige Hauswirth ſaß
am Ende des blankgeſcheuerten Tiſches im Lehnſtuhl
auf ſeinem bunten Wollenpolſter. Er hatte ſeine
Hände über dem Bauch gefaltet und ſtarrte aus
ſeinen runden Augen befriedigt auf das Gerippe
einer fetten Ente; Gabel und Meſſer ruhten vor
ihm auf dem Teller.
„Guten Tag, Deichgraf!” ſagte Haien, und
der Angeredete drehte langſam Kopf und Augen
zu ihm hin. „Ihr ſeid es, Tede?” entgegnete er,
[38] und der Stimme war die verzehrte fette Ente
anzuhören, „ſetzt Euch; es iſt ein gut Stück' von
Euch zu mir herüber!”
„Ich komme, Deichgraf,” ſagte Tede Haien,
indem er ſich auf die an der Wand entlang laufende
Bank dem Anderen im Winkel gegenüberſetzte.
„Ihr habt Verdruß mit Euerem Kleinknecht gehabt
und ſeid mit meinem Jungen einig geworden,
ihn an deſſen Stelle zu ſetzen!”
Der Deichgraf nickte: „Ja, ja, Tede; aber —
was meint Ihr mit Verdruß? Wir Marſchleute
haben, Gott tröſt' uns, was dagegen einzunehmen!”
und er nahm das vor ihm liegende Meſſer und
klopfte wie liebkoſend auf das Gerippe der armen
Ente. „Das war mein Leibvogel,” ſetzte er be-
haglich lachend hinzu; „ſie fraß mir aus der
Hand!”
„Ich dachte,” ſagte der alte Haien, das Letzte
überhörend, „der Bengel hätte Euch Unheil im
Stall gemacht.”
„Unheil? Ja, Tede; freilich Unheil genug!
Der dicke Mopsbraten hatte die Kälber nicht
gebörmt; aber er lag voll getrunken auf dem
Heuboden, und das Viehzeug ſchrie die ganze
[39] Nacht vor Durſt, daß ich bis Mittag nachſchlafen
mußte; dabei kann die Wirthſchaft nicht beſtehen!”
„Nein, Deichgraf; aber dafür iſt keine Gefahr
bei meinem Jungen.”
Hauke ſtand, die Hände in den Seitentaſchen,
am Thürpfoſten, hatte den Kopf im Nacken und
ſtudirte an den Fenſterrähmen ihm gegenüber.
Der Deichgraf hatte die Augen zu ihm gehoben
und nickte hinüber: „Nein, nein, Tede;” und er
nickte nun auch dem Alten zu; „Euer Hauke wird
mir die Nachtruh' nicht verſtören; der Schulmeiſter
hat's mir ſchon vordem geſagt, der ſitzt lieber
vor der Rechentafel, als vor einem Glas mit
Branntwein.”
Hauke hörte nicht auf dieſen Zuſpruch, denn
Elke war in die Stube getreten und nahm mit
ihrer leichten Hand die Reſte der Speiſen von dem
Tiſch, ihn mit ihren dunkeln Augen flüchtig ſtreifend.
Da fielen ſeine Blicke auch auf ſie. „Bei Gott und
Jeſus,” ſprach er bei ſich ſelber, „ſie ſieht auch ſo
nicht döſig aus!”
Das Mädchen war hinausgegangen: „Ihr
wiſſet, Tede,” begann der Deichgraf wieder, „unſer
Herrgott hat mir einen Sohn verſagt!”
[40]
„Ja, Deichgraf; aber laßt Euch das nicht
kränken,” entgegnete der Andere, „denn im dritten
Gliede ſoll der Familienverſtand ja verſchleißen;
Euer Großvater, das wiſſen wir noch Alle, war
Einer, der das Land geſchützt hat!”
Der Deichgraf, nach einigem Beſinnen, ſah
ſchier verdutzt aus: „Wie meint Ihr das, Tede
Haien?” ſagte er, und ſetzte ſich in ſeinem Lehn-
ſtuhl auf; „ich bin ja doch im dritten Gliede!”
„Ja ſo! Nicht für ungut, Deichgraf; es geht
nur ſo die Rede!” Und der hagere Tede Haien
ſah den alten Würdenträger mit etwas boshaften
Augen an.
Der aber ſprach unbekümmert: „Ihr müßt
Euch von alten Weibern dergleichen Thorheit nicht
aufſchwatzen laſſen, Tede Haien; Ihr kennt nur
meine Tochter nicht, die rechnet mich ſelber drei-
mal um und um! Ich wollt' nur ſagen, Euer
Hauke wird außer im Felde auch hier in meiner
Stube mit Feder oder Rechenſtift ſo Manches
profitiren können, was ihm nicht ſchaden wird!”
„Ja, ja, Deichgraf, das wird er; da habt Ihr
völlig Recht!” ſagte der alte Haien und begann
dann noch einige Vergünſtigungen bei dem Mieth-
[41] contract ſich auszubedingen, die Abends vorher
von ſeinem Sohne nicht bedacht waren. So ſollte
dieſer außer ſeinen leinenen Hemden im Herbſt
auch noch acht Paar wollene Strümpfe als Zu-
gabe ſeines Lohnes genießen; ſo wollte er ſelbſt
ihn im Frühling acht Tage bei der eigenen Arbeit
haben, und was dergleichen mehr war. Aber der
Deichgraf war zu Allem willig; Hauke Haien
ſchien ihm eben der rechte Kleinknecht.
— — „Nun, Gott tröſt' Dich, Junge,” ſagte
der Alte, da ſie eben das Haus verlaſſen hatten,
„wenn der Dir die Welt klar machen ſoll!”
Aber Hauke erwiderte ruhig: „Laß Er nur,
Vater; es wird ſchon Alles werden.”
Und Hauke hatte ſo Unrecht nicht gehabt;
die Welt, oder was ihm die Welt bedeutete, wurde
ihm klarer, je länger ſein Aufenthalt in dieſem
Hauſe dauerte; vielleicht um ſo mehr, je weniger
ihm eine überlegene Einſicht zu Hülfe kam, und je
mehr er auf ſeine eigene Kraft angewieſen war,
mit der er ſich von jeher beholfen hatte. Einer
freilich war im Hauſe, für den er nicht der Rechte
zu ſein ſchien; das war der Großknecht Ole Peters,
[42] ein tüchtiger Arbeiter und ein maulfertiger Geſelle.
Ihm war der träge, aber dumme und ſtämmige
Kleinknecht von vorhin beſſer nach ſeinem Sinn
geweſen, dem er ruhig die Tonne Hafer auf den
Rücken hatte laden und den er nach Herzensluſt
hatte herumſtoßen können. Dem noch ſtilleren,
aber ihn geiſtig überragenden Hauke vermochte er
in ſolcher Weiſe nicht beizukommen; er hatte eine
gar zu eigne Art, ihn anzublicken. Trotzdem ver-
ſtand er es, Arbeiten für ihn auszuſuchen, die
ſeinem noch nicht gefeſteten Körper hätten gefährlich
werden können, und Hauke, wenn der Groß-
knecht ſagte: „Da hätteſt Du den dicken Niß nur
ſehen ſollen; dem ging es von der Hand!” faßte
nach Kräften an und brachte es, wenn auch mit
Mühſal, doch zu Ende. Ein Glück war es für
ihn, daß Elke ſelbſt oder durch ihren Vater das
meiſtens abzuſtellen wußte. Man mag wohl
fragen, was mitunter ganz fremde Menſchen an
einander bindet; vielleicht — ſie waren beide ge-
borene Rechner, und das Mädchen konnte ihren
Kameraden in der groben Arbeit nicht verderben
ſehen.
Der Zwieſpalt zwiſchen Groß- und Kleinknecht
[43] wurde auch im Winter nicht beſſer, als nach
Martini die verſchiedenen Deichrechnungen zur
Reviſion eingelaufen waren.
Es war an einem Maiabend; aber es war
Novemberwetter; von drinnen im Hauſe hörte
man draußen hinterm Deich die Brandung donnern.
„He, Hauke,” ſagte der Hausherr, „komm herein;
nun magſt Du weiſen, ob Du rechnen kannſt!”
„Unſ' Weerth,” entgegnete dieſer; — denn
ſo nennen hier die Leute ihre Herrſchaft — „ich
ſoll aber erſt das Jungvieh füttern!”
„Elke!” rief der Deichgraf; „wo biſt Du,
Elke! — Geh' zu Ole, und ſag' ihm, er ſollte
das Jungvieh füttern; Hauke ſoll rechnen!”
Und Elke eilte in den Stall und machte dem
Großknecht die Beſtellung, der eben damit be-
ſchäftigt war, das über Tag gebrauchte Pferde-
geſchirr wieder an ſeinen Platz zu hängen.
Ole Peters ſchlug mit einer Trenſe gegen den
Ständer, neben dem er ſich beſchäftigte, als wolle
er ſie kurz und klein haben: „Hol' der Teufel den
verfluchten Schreiberknecht!” — Sie hörte die
Worte noch, bevor ſie die Stallthür wieder ge-
ſchloſſen hatte.
[44]
„Nun?” frug der Alte, als ſie in die Stube trat.
„Ole wollte es ſchon beſorgen,” ſagte die
Tochter, ein wenig ſich die Lippen beißend, und
ſetzte ſich Hauke gegenüber auf einen grobgeſchnitzten
Holzſtuhl, wie ſie noch derzeit hier an Winter-
abenden im Hauſe ſelbſt gemacht wurden. Sie hatte
aus einem Schubkaſten einen weißen Strumpf mit
rothem Vogelmuſter genommen, an dem ſie nun
weiterſtrickte; die langbeinigen Creaturen darauf
mochten Reiher oder Störche bedeuten ſollen. Hauke
ſaß ihr gegenüber in ſeine Rechnerei vertieft, der
Deichgraf ſelbſt ruhte in ſeinem Lehnſtuhl und
blinzelte ſchläfrig nach Hauke's Feder; auf dem
Tiſch brannten, wie immer im Deichgrafenhauſe,
zwei Unſchlittkerzen, und vor den beiden in Blei
gefaßten Fenſtern waren von außen die Läden vor-
geſchlagen und von innen zugeſchroben; mochte der
Wind nun poltern, wie er wollte. Mitunter hob
Hauke ſeinen Kopf von der Arbeit und blickte einen
Augenblick nach den Vogelſtrümpfen oder nach dem
ſchmalen ruhigen Geſicht des Mädchens.
Da that es aus dem Lehnſtuhl plötzlich einen
lauten Schnarcher, und ein Blick und ein Lächeln
flog zwiſchen den beiden jungen Menſchen hin und
[45] wieder; dann folgte allmälig ein ruhigeres Athmen;
man konnte wohl ein wenig plaudern; Hauke wußte
nur nicht, was. Als ſie aber das Strickzeug in
die Höhe zog, und die Vögel ſich nun in ihrer
ganzen Länge zeigten, flüſterte er über den Tiſch
hinüber: „Wo haſt Du das gelernt, Elke?”
„Was gelernt?” frug das Mädchen zurück.
— „Das Vogelſtricken?” ſagte Hauke.
„Das? Von Trien' Jans draußen am Deich;
ſie kann allerlei; ſie war vor Zeiten einmal bei
meinem Großvater hier im Dienſt.”
„Da warſt Du aber wohl noch nicht ge-
boren?” ſagte Hauke.
„Ich denk' wohl nicht; aber ſie iſt noch oft
ins Haus gekommen.”
„Hat denn die die Vögel gern?” frug Hauke;
„ich meint', ſie hielt es nur mit Katzen!”
Elke ſchüttelte den Kopf: „Sie zieht ja Enten
und verkauft ſie; aber im vorigen Frühjahr, als
Du den Angorer todtgeſchlagen hatteſt, ſind ihr
hinten im Stall die Ratten dazwiſchen gekommen;
nun will ſie ſich vorn am Hauſe einen andern
bauen.”
„So,” ſagte Hauke und zog einen leiſen Pfiff
[46] durch die Zähne, „dazu hat ſie von der Geeſt
ſich Lehm und Steine hergeſchleppt! Aber dann
kommt ſie in den Binnenweg; — hat ſie denn
Conceſſion?”
„Weiß ich nicht,” meinte Elke; aber er hatte
das letzte Wort ſo laut geſprochen, daß der Deich-
graf aus ſeinem Schlummer auffuhr. „Was Con-
ceſſion?” frug er und ſah faſt wild von Einem zu
der Andern. „Was ſoll die Conceſſion?”
Als aber Hauke ihm dann die Sache vor-
getragen hatte, klopfte er ihm lachend auf die
Schulter: „Ei was, der Binnenweg iſt breit genug;
Gott tröſt' den Deichgrafen, ſollt' er ſich auch
noch um die Entenſtälle kümmern!”
Hauke fiel es aufs Herz, daß er die Alte mit
ihren jungen Enten den Ratten ſollte preisgegeben
haben, und er ließ ſich mit dem Einwand ab-
finden. „Aber unſ' Weerth,” begann er wieder,
„es thät' wohl Dem und Jenem ein kleiner
Zwicker gut, und wollet Ihr ihn nicht ſelber
greifen, ſo zwicket den Gevollmächtigten, der auf
die Deichordnung paſſen ſoll!”
„Wie, was ſagt der Junge?” und der Deich-
graf ſetzte ſich vollends auf, und Elke ließ ihren
[47] künſtlichen Strumpf ſinken und wandte das Ohr
hinüber.
„Ja, unſ' Weerth,” fuhr Hauke fort, „Ihr
habt doch ſchon die Frühlingsſchau gehalten; aber
trotzdem hat Peter Janſen auf ſeinem Stück das
Unkraut auch noch heute nicht gebuſcht; im Sommer
werden die Stieglitzer da wieder luſtig um die
rothen Diſtelblumen ſpielen! Und dicht daneben,
ich weiß nicht, wem's gehört, iſt an der Außen-
ſeite eine ganze Wiege in dem Deich; bei ſchön
Wetter liegt es immer voll von kleinen Kindern,
die ſich darin wälzen; aber — Gott bewahr' uns
vor Hochwaſſer!”
Die Augen des alten Deichgrafen waren immer
größer geworden.
„Und dann” — ſagte Hauke wieder.
„Was dann noch, Junge?” frug der Deich-
graf; „biſt Du noch nicht fertig?” und es klang,
als ſei der Rede ſeines Kleinknechts ihm ſchon zu
viel geworden.
„Ja, dann, unſ' Weerth,” ſprach Hauke weiter;
„Ihr kennt die dicke Vollina, die Tochter vom
Gevollmächtigten Harders, die immer ihres Vaters
Pferde aus der Fenne holt, — wenn ſie nur eben
[48] mit ihren runden Waden auf der alten gelben Stute
ſitzt, hü hopp? ſo geht' allemal ſchräg an der
Doſſirung den Deich hinan!”
Hauke bemerkte erſt jetzt, daß Elke ihre klugen
Augen auf ihn gerichtet hatte und leiſe ihren Kopf
ſchüttelte.
Er ſchwieg; aber ein Fauſtſchlag, den der Alte
auf den Tiſch that, dröhnte ihm in die Ohren,
„da ſoll das Wetter dreinſchlagen!” rief er, und
Hauke erſchrak beinahe über die Bärenſtimme, die
plötzlich hier hervorbrach: „Zur Brüche! Notir' mir
das dicke Menſch zur Brüche, Hauke! Die Dirne
hat mir im letzten Sommer drei junge Enten weg-
gefangen! Ja, ja, notir' nur,” wiederholte er, als
Hauke zögerte; „ich glaub' ſogar, es waren vier!”
„Ei, Vater,” ſagte Elke, „war's nicht die
Otter, die die Enten nahm?”
„Eine große Otter!” rief der Alte ſchnaufend;
„werd' doch die dicke Vollina und Otter aus-
einander kennen! Nein, nein, vier Enten, Hauke —
Aber was Du im Uebrigen ſchwatzeſt, der Herr
Oberdeichgraf und ich, nachdem wir zuſammen in
meinem Hauſe hier gefrühſtückt hatten, ſind im
Frühjahr an Deinem Unkraut und an Deiner
[49] Wiege vorbeigefahren und haben's doch nicht ſehen
können. Ihr Beide aber,” und er nickte ein paar
Mal bedeutſam gegen Hauke und ſeine Tochter,
„danket Gott, daß Ihr nicht Deichgraf ſeid! Zwei
Augen hat man nur, und mit hundert ſoll man
ſehen. — — Nimm nur die Rechnungen über die
Beſtickungsarbeiten, Hauke, und ſieh ſie nach; die
Kerls rechnen oft zu liederlich!”
Dann lehnte er ſich wieder in ſeinen Stuhl
zurück, ruckte den ſchweren Körper ein paar Mal,
und überließ ſich bald dem ſorgenloſen Schlummer.
Dergleichen wiederholte ſich an manchem Abend.
Hauke hatte ſcharfe Augen und unterließ es nicht,
wenn ſie beiſammenſaßen, das Eine oder Andre
von ſchädlichem Thun oder Unterlaſſen in Deich-
ſachen dem Alten vor die Augen zu rücken, und
da dieſer ſie nicht immer ſchließen konnte, ſo kam
unverſehens ein lebhafterer Geſchäftsgang in die
Verwaltung, und die, welche früher im alten
Schlendrian fortgeſündigt hatten und jetzt uner-
wartet ihre frevlen oder faulen Finger geklopft
fühlten, ſahen ſich unwillig und verwundert um,
woher die Schläge denn gekommen ſeien. Und Ole,
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 4
[50] der Großknecht, ſäumte nicht, möglichſt weit die
Offenbarung zu verbreiten und dadurch gegen Hauke
und ſeinen Vater, der doch die Mitſchuld tragen
mußte, in dieſen Kreiſen einen Widerwillen zu
erregen; die Andern aber, welche nicht getroffen
waren, oder denen es um die Sache ſelbſt zu
thun war, lachten und hatten ihre Freude, daß
der Junge den Alten doch einmal etwas in Trab
gebracht habe. „Schad' nur,” ſagten ſie, „daß der
Bengel nicht den gehörigen Klei unter den Füßen
hat; das gäbe ſpäter ſonſt einmal wieder einen
Deichgrafen, wie vordem ſie da geweſen ſind; aber
die paar Demath ſeines Alten, die thäten's denn
doch nicht!”
Als im nächſten Herbſt der Herr Amtmann
und Oberdeichgraf zur Schauung kam, ſah er ſich
den alten Tede Volkerts von oben bis unten an,
während dieſer ihn zum Frühſtück nöthigte. „Wahr-
haftig, Deichgraf,” ſagte er, „ich dacht's mir ſchon,
Ihr ſeid in der That um ein Halbſtieg Jahre
jünger geworden; Ihr habt mir diesmal mit all'
Euern Vorſchlägen warm gemacht; wenn wir mit
alledem nur heute fertig werden!”
„Wird ſchon, wird ſchon, geſtrenger Herr Ober-
[51] deichgraf,” erwiderte der Alte ſchmunzelnd; „der
Gansbraten da wird ſchon die Kräfte ſtärken! Ja,
Gott ſei Dank, ich bin noch allezeit friſch und
munter!” Er ſah ſich in der Stube um, ob auch
nicht etwa Hauke um die Wege ſei; dann ſetzte er
in würdevoller Ruhe noch hinzu: „So hoffe ich
zu Gott, noch meines Amtes ein paar Jahre in
Segen warten zu können.”
„Und darauf, lieber Deichgraf,” erwiderte ſein
Vorgeſetzter ſich erhebend, „wollen wir dieſes Glas
zuſammen trinken!”
Elke, die das Frühſtück beſtellt hatte, ging
eben, während die Gläſer an einander klangen,
mit leiſem Lachen aus der Stubenthür. Dann
holte ſie eine Schüſſel Abfall aus der Küche und
ging durch den Stall, um es vor der Außenthür
dem Federvieh vorzuwerfen. Im Stall ſtand Hauke
Haien und ſteckte den Kühen, die man der argen
Witterung wegen ſchon jetzt hatte heraufnehmen
müſſen, mit der Furke Heu in ihre Raufen. Als
er aber das Mädchen kommen ſah, ſtieß er die
Furke auf den Grund. „Nu, Elke!” ſagte er.
Sie blieb ſtehen und nickte ihm zu: „Ja,
Hauke; aber eben hätteſt Du drinnen ſein müſſen!”
4*
[52]
„Meinſt Du? Warum denn, Elke?”
„Der Herr Oberdeichgraf hat den Wirth
gelobt!”
— „Den Wirth? Was thut das mir?”
„Nein, ich mein', den Deichgrafen hat er
gelobt!” Ein dunkles Roth flog über das Geſicht
des jungen Menſchen: „Ich weiß wohl,” ſagte er,
„wohin Du damit ſegeln willſt!”
„Werd' nur nicht roth, Hauke; Du warſt es
ja doch eigentlich, den der Oberdeichgraf lobte!”
Hauke ſah ſie mit halbem Lächeln an. „Auch
Du doch, Elke!” ſagte er.
Aber ſie ſchüttelte den Kopf: „Nein, Hauke;
als ich allein der Helfer war, da wurden wir nicht
gelobt. Ich kann ja auch nur rechnen; Du aber
ſiehſt draußen Alles, was der Deichgraf doch wohl
ſelber ſehen ſollte; Du haſt mich ausgeſtochen!”
„Ich hab' das nicht gewollt, Dich am mindſten,”
ſagte Hauke zaghaft, und er ſtieß den Kopf einer
Kuh zur Seite: „Komm', Rothbunt, friß mir nicht
die Furke auf, Du ſollſt ja Alles haben!”
„Denk' nur nicht, daß mir's leid thut, Hauke,”
ſagte nach kurzem Sinnen das Mädchen; „das iſt
ja Mannesſache?”
[53]
Da ſtreckte Hauke ihr den Arm entgegen: „Elke,
gib mir die Hand darauf!”
Ein tiefes Roth ſchoß unter die dunkeln Brauen
des Mädchens. „Warum? Ich lüg' ja nicht!”
rief ſie.
Hauke wollte antworten; aber ſie war ſchon
zum Stall hinaus, und er ſtand mit ſeiner Furke
in der Hand und hörte nur, wie draußen die
Enten und Hühner um ſie ſchnatterten und krähten.
Es war im Januar von Hauke's drittem
Dienſtjahre, als ein Winterfeſt gehalten werden
ſollte; „Eisboſeln” nennen ſie es hier. Ein
ſtändiger Froſt hatte beim Ruhen der Küſtenwinde
alle Gräben zwiſchen den Fennen mit einer feſten
ebenen Kryſtallfläche belegt, ſo daß die zerſchnittenen
Landſtücke nun eine weite Bahn für das Werfen
der kleinen mit Blei ausgegoſſenen Holzkugeln
bildeten, womit das Ziel erreicht werden ſollte.
Tag aus, Tag ein wehte ein leichter Nordoſt: Alles
war ſchon in Ordnung; die Geeſtleute in dem zu
Oſten über der Marſch belegenen Kirchdorf, die
im vorigen Jahre geſiegt hatten, waren zum Wett-
kampf gefordert und hatten angenommen; von
[54] jeder Seite waren neun Werfer aufgeſtellt; auch
der Obmann und die Kret'ler waren gewählt. Zu
letzteren, die bei Streitfällen über einen zweifel-
haften Wurf mit einander zu verhandeln hatten,
wurden allezeit Leute genommen, die ihre Sache
ins beſte Licht zu rücken verſtanden, am liebſten
Burſchen, die außer geſundem Menſchenverſtand
auch noch ein luſtig Mundwerk hatten. Dazu ge-
hörte vor allen Ole Peters, der Großknecht des
Deichgrafen. „Werft nur wie die Teufel,” ſagte
er; „das Schwatzen thu ich ſchon umſonſt!”
Es war gegen Abend vor dem Feſttag; in der
Nebenſtube des Kirchſpielkruges droben auf der Geeſt
war eine Anzahl von den Werfern erſchienen, um über
die Aufnahme einiger zuletzt noch Angemeldeten zu
beſchließen. Hauke Haien war auch unter dieſen; er
hatte erſt nicht wollen, obſchon er ſeiner wurfgeübten
Arme ſich wohl bewußt war; aber er fürchtete durch
Ole Peters, der einen Ehrenpoſten in dem Spiel
bekleidete, zurückgewieſen zu werden; die Niederlage
wollte er ſich ſparen. Aber Elke hatte ihm noch
in der elften Stunde den Sinn gewandt: „Er
wird's nicht wagen, Hauke,” hatte ſie geſagt; „er
iſt ein Tagelöhnerſohn; Dein Vater hat Kuh
[55] und Pferd und iſt dazu der klügſte Mann im
Dorf!”
„Aber, wenn er's dennoch fertig bringt?”
Sie ſah ihn halb lächelnd aus ihren dunkeln
Augen an. „Dann,” ſagte ſie, „ſoll er ſich den
Mund wiſchen, wenn er Abends mit ſeines Wirths
Tochter zu tanzen denkt!” — Da hatte Hauke ihr
muthig zugenickt.
Nun ſtanden die jungen Leute, die noch in
das Spiel hineinwollten, frierend und fußtrampelnd
vor dem Kirchſpielskrug und ſahen nach der Spitze
des aus Felsblöcken gebauten Kirchthurms hinauf,
neben dem das Krughaus lag. Des Paſtors
Tauben, die ſich im Sommer auf den Feldern
des Dorfes nährten, kamen eben von den Höfen
und Scheuern der Bauern zurück, wo ſie ſich jetzt
ihre Körner geſucht hatten und verſchwanden unter
den Schindeln des Thurmes, hinter welchen ſie
ihre Neſter hatten; im Weſten über dem Haf ſtand
ein glühendes Abendroth.
„Wird gut Wetter morgen!” ſagte der eine
der jungen Burſchen und begann heftig auf und
ab zu wandern; „aber kalt! kalt!” Ein zweiter, als
er keine Taube mehr fliegen ſah, ging in das
[56] Haus und ſtellte ſich horchend neben die Thür
der Stube, aus der jetzt ein lebhaftes Durch-
einander-Reden herausſcholl; auch des Deichgrafen
Kleinknecht war neben ihn getreten. „Hör', Hauke,”
ſagte er zu dieſem; „nun ſchreien ſie um Dich!”
und deutlich hörte man von drinnen Ole Peters
knarrende Stimme: „Kleinknechte und Jungens
gehören nicht dazu!”
„Komm,” flüſterte der Andere und ſuchte
Hauke am Rockärmel an die Stubenthür zu ziehen,
„hier kannſt Du lernen, wie hoch ſie Dich taxiren!”
Aber Hauke riß ſich los und ging wieder vor
das Haus: „Sie haben uns nicht ausgeſperrt, da-
mit wir's hören ſollen!” rief er zurück.
Vor dem Hauſe ſtand der Dritte der Ange-
meldeten. „Ich fürcht', mit mir hat's einen
Haken,” rief er ihm entgegen; „ich hab' kaum
achtzehn Jahre; wenn ſie nur den Taufſchein nicht
verlangen! Dich, Hauke, wird Dein Großknecht
ſchon herauskreteln!”
„Ja, heraus!” brummte Hauke und ſchleuderte
mit dem Fuße einen Stein über den Weg; „nur
nicht hinein!”
Der Lärm in der Stube wurde ſtärker; dann
[57] allmälig trat eine Stille ein; die draußen hörten
wieder den leiſen Nordoſt, der ſich oben an der
Kirchthurmſpitze brach. Der Horcher trat wieder
zu ihnen. „Wen hatten ſie da drinnen?” frug
der Achtzehnjährige.
„Den da!” ſagte Jener und wies auf Hauke;
„Ole Peters wollte ihn zum Jungen machen; aber
Alle ſchrieen dagegen. „Und ſein Vater hat Vieh
und Land,” ſagte Jeß Hanſen; „Ja, Land”, rief
Ole Peters, „das man auf dreizehn Karren weg-
fahren kann?” — Zuletzt kam Ole Henſen: „Still
da!” ſchrie er; „ich will's Euch lehren: ſagt nur,
wer iſt der erſte Mann im Dorf?” Da ſchwiegen
ſie erſt und ſchienen ſich zu beſinnen; dann ſagte
eine Stimme: „Das iſt doch wohl der Deichgraf!”
Und alle Andern riefen: „Nun ja; unſerthalb der
Deichgraf!” — „Und wer iſt denn der Deich-
graf?” rief Ole Henſen wieder; „aber nun bedenkt
Euch recht!” — — Da begann Einer leis zu
lachen, und dann wieder Einer, bis zuletzt nichts
in der Stube war, als lauter Lachen. „Nun, ſo
ruft ihn;” ſagte Ole Henſen; „Ihr wollt doch nicht
den Deichgrafen von der Thür ſtoßen!” Ich glaub',
ſie lachen noch; aber Ole Peters Stimme war
[58] nicht mehr zu hören!” ſchloß der Burſche ſeinen
Bericht.
Faſt in demſelben Augenblicke wurde drinnen
im Hauſe die Stubenthür aufgeriſſen, und: „Hauke!
Hauke Haien!” rief es laut und fröhlich in die
kalte Nacht hinaus.
Da trabte Hauke in das Haus und hörte
nicht mehr, wer denn der Deichgraf ſei; was in
ſeinem Kopfe brütete, hat indeſſen Niemand wohl
erfahren.
— — Als er nach einer Weile ſich dem Hauſe
ſeiner Herrſchaft nahte, ſah er Elke drunten am
Heck der Auffahrt ſtehen; das Mondlicht ſchimmerte
über die unermeßliche weiß bereifte Weidefläche.
„Stehſt Du hier, Elke?” frug er.
Sie nickte nur: „Was iſt geworden?” ſagte
ſie; „hat er's gewagt?”
— „Was ſollt' er nicht!”
„Nun, und?”
— „Ja, Elke; ich darf es morgen doch verſuchen!”
„Gute Nacht, Hauke!” Und ſie lief flüchtig die
Werfte hinan und verſchwand im Hauſe.
Langſam folgte er ihr.
[59]
Auf der weiten Weidefläche, die ſich zu [Oſten]
an der Landſeite des Deiches entlang zog, ſah man
am Nachmittag darauf eine dunkle Menſchenmaſſe
bald unbeweglich ſtille ſtehen, bald, nachdem zwei-
mal eine hölzerne Kugel aus derſelben über den
durch die Tagesſonne jetzt von Reif befreiten Boden
hingeflogen war, abwärts von den hinter ihr
liegenden langen und niedrigen Häuſern allmälig
weiter rücken; die Parteien der Eisbosler in der
Mitte, umgeben von Alt und Jung, was mit
ihnen, ſei es in jenen Häuſern oder in denen
droben auf der Geeſt Wohnung oder Verbleib
hatte; die älteren Männer in langen Röcken, be-
dächtig aus kurzen Pfeifen rauchend, die Weiber
in Tüchern und Jacken, auch wohl Kinder an
den Händen ziehend oder auf den Armen tragend.
Aus den gefrorenen Gräben, welche allmälig über-
ſchritten wurden, funkelte durch die ſcharfen Schilf-
ſpitzen der bleiche Schein der Nachmittagsſonne,
es fror mächtig; aber das Spiel ging unabläſſig
vorwärts, und Aller Augen verfolgten immer
wieder die fliegende Kugel; denn an ihr hing heute
für das ganze Dorf die Ehre des Tages. Der
Kret'ler der Parteien trug hier einen weißen, bei
[60] den Geeſtleuten einen ſchwarzen Stab mit eiſerner
Spitze; wo die Kugel ihren Lauf geendet hatte,
wurde dieſer, je nachdem, unter ſchweigender Aner-
kennung oder dem Hohngelächter der Gegenpartei
in den gefrorenen Boden eingeſchlagen, und weſſen
Kugel zuerſt das Ziel erreichte, der hatte für ſeine
Partei das Spiel gewonnen.
Geſprochen wurde von all den Menſchen wenig;
nur wenn ein Capitalwurf geſchah, hörte man
wohl einen Ruf der jungen Männer oder Weiber;
oder von den Alten einer nahm ſeine Pfeife aus
dem Mund und klopfte damit unter ein paar guten
Worten den Werfer auf die Schulter: „Das war
ein Wurf, ſagte [Zacharies] und warf ſein Weib
aus der Luke!” oder: „So warf Dein Vater auch;
Gott tröſt' ihn in der Ewigkeit!” oder was ſie
ſonſt für Gutes ſagten.
Bei ſeinem erſten Wurfe war das Glück nicht
mit Hauke geweſen: als er eben den Arm hinten aus-
ſchwang, um die Kugel fortzuſchleudern, war eine
Wolke von der Sonne fortgezogen, die ſie vorhin be-
deckt hatte, und dieſe traf mit ihrem vollen Strahl in
ſeine Augen; der Wurf wurde zu kurz, die Kugel fiel
auf einen Graben und blieb im Bummeis ſtecken.
[61]
„Gilt nicht! Gilt nicht! Hauke, noch einmal,”
riefen ſeine Partner.
Aber der Kret'ler der Geeſtleute ſprang dagegen
auf: „Muß wohl gelten; geworfen iſt geworfen!”
„Ole! Ole Peters!” ſchrie die Marſchjugend.
„Wo iſt Ole? Wo, zum Teufel, ſteckt er?”
Aber er war ſchon da: „Schreit nur nicht
ſo! Soll Hauke wo geflickt werden! Ich dacht's
mir ſchon.”
— „Ei was! Hauke muß noch einmal
werfen; nun zeig', daß Du das Maul am rechten
Fleck haſt!”
„Das hab' ich ſchon!” rief Ole und trat dem
Geeſt-Kret'ler gegenüber und redete einen Haufen
Gallimathias auf einander. Aber die Spitzen und
Schärfen, die ſonſt aus ſeinen Worten blitzten,
waren diesmal nicht dabei. Ihm zur Seite ſtand
das Mädchen mit den Räthſelbrauen und ſah
ſcharf aus zornigen Augen auf ihn hin; aber reden
durfte ſie nicht; denn die Frauen hatten keine
Stimme in dem Spiel.
„Du leierſt Unſinn,” rief der andere Kret'ler,
„weil Dir der Sinn nicht dienen kann! Sonne,
Mond und Sterne ſind für uns Alle gleich und
[62] allezeit am Himmel; der Wurf war ungeſchickt,
und alle ungeſchickten Würfe gelten!”
So redeten ſie noch eine Weile gegen einander;
aber das Ende war, daß nach Beſcheid des Ob-
manns Hauke ſeinen Wurf nicht wiederholen durfte.
„Vorwärts!” riefen die Geeſtleute, und ihr
Kret'ler zog den ſchwarzen Stab aus dem Boden,
und der Werfer trat auf ſeinen Nummer-Ruf
dort an und ſchleuderte die Kugel vorwärts. Als
der Großknecht des Deichgrafen dem Wurfe zuſehen
wollte, hatte er an Elke Volkerts vorbei müſſen:
„Wem zu Liebe ließeſt Du heut' Deinen Verſtand
zu Hauſe?” raunte ſie ihm zu.
Da ſah er ſie faſt grimmig an, und aller
Spaß war aus ſeinem breiten Geſichte verſchwunden.
„Dir zu Lieb!” ſagte er; „Denn Du haſt Deinen
auch vergeſſen!”
„Geh' nur; ich kenne Dich, Ole Peters!”
erwiderte das Mädchen ſich hoch aufrichtend; er
aber kehrte den Kopf ab und that, als habe er
das nicht gehört.
Und das Spiel und der ſchwarze und der
weiße Stab gingen weiter. Als Hauke wieder am
Wurf war, flog ſeine Kugel ſchon ſo weit, daß
[63] das Ziel, die große weiß gekalkte Tonne, klar in
Sicht kam. Er war jetzt ein feſter junger Kerl,
und Mathematik und Wurfkunſt hatte er täglich
während ſeiner Knabenzeit getrieben. „Oho, Hauke!”
rief es aus dem Haufen; „das war ja, als habe
der Erzengel Michael ſelbſt geworfen!” Eine alte
Frau mit Kuchen und Branntwein drängte ſich
durch den Haufen zu ihm; ſie ſchenkte ein Glas
voll und bot es ihm: „Komm,” ſagte ſie, „wir
wollen uns vertragen: das heut' iſt beſſer, als da
Du mir die Katze todtſchlugſt!” Als er ſie anſah,
erkannte er, daß es Trien' Jans war. „Ich dank'
Dir, Alte,” ſagte er; „aber ich trink' das nicht.”
Er griff in ſeine Taſche und drückte ihr ein friſch-
geprägtes Markſtück in die Hand: „Nimm das
und trink' ſelber das Glas aus, Trien'; ſo haben
wir uns vertragen!”
„Haſt recht, Hauke!” erwiderte die Alte, indem
ſie ſeiner Anweiſung folgte; „haſt recht; das iſt
auch beſſer für ein altes Weib, wie ich!”
„Wie geht's mit Deinen Enten?” rief er ihr
noch nach, als ſie ſich ſchon mit ihrem Korbe
fortmachte; aber ſie ſchüttelte nur den Kopf, ohne
ſich umzuwenden, und patſchte mit ihren alten
[64] Händen in die Luft. „Nichts, nichts, Hauke;
da ſind zu viele Ratten in Euren Gräben;
Gott tröſt' mich; man muß ſich anders nähren!”
Und ſomit drängte ſie ſich in den Menſchenhaufen
und bot wieder ihren Schnaps und ihre Honig-
kuchen an.
Die Sonne war endlich ſchon hinter den Deich
hinabgeſunken; ſtatt ihrer glimmte ein rothvioletter
Schimmer empor; mitunter flogen ſchwarze Krähen
vorüber und waren auf Augenblicke wie vergoldet,
es wurde Abend. Auf den Fennen aber rückte
der dunkle Menſchentrupp noch immer weiter von
den ſchwarzen ſchon fern liegenden Häuſern nach
der Tonne zu; ein beſonders tüchtiger Wurf mußte
ſie jetzt erreichen können. Die Marſchleute waren
an der Reihe; Hauke ſollte werfen.
Die kreidige Tonne zeichnete ſich weiß in
dem breiten Abendſchatten, der jetzt von dem
Deiche über die Fläche fiel. „Die werdet Ihr
uns diesmal wohl noch laſſen!” rief einer von den
Geeſtleuten; denn es ging ſcharf her; ſie waren
um mindeſtens ein halb Stieg Fuß im Vortheil.
Die hagere Geſtalt des Genannten trat eben
aus der Menge; die grauen Augen ſahen aus dem
[65] langen Frieſengeſicht vorwärts nach der Tonne;
in der herabhängenden Hand lag die Kugel.
„Der Vogel iſt Dir wohl zu groß,” hörte
er in dieſem Augenblicke Ole Peters Knarrſtimme
dicht vor ſeinen Ohren: „Sollen wir ihn um
einen grauen Topf vertauſchen?”
Hauke wandte ſich und blickte ihn mit feſten
Augen an: „Ich werfe für die Marſch!” ſagte er.
„Wohin gehörſt denn Du?”
„Ich denke, auch dahin; Du wirfſt doch wohl
für Elke Volkerts!”
„Beiſeit!” ſchrie Hauke und ſtellte ſich wieder
in Poſitur. Aber Ole drängte mit dem Kopf noch
näher auf ihn zu. Da plötzlich, bevor noch Hauke
ſelber etwas dagegen unternehmen konnte, packte
den Zudringlichen eine Hand und riß ihn rück-
wärts, daß der Burſche gegen ſeine lachenden
Kameraden taumelte. Es war keine große Hand
geweſen, die das gethan hatte; denn als Hauke
flüchtig den Kopf wandte, ſah er neben ſich Elke
Volkerts ihren Aermel zurecht zupfen, und die
dunkeln Brauen ſtanden ihr wie zornig in dem heißen
Antlitz.
Da flog es wie eine Stahlkraft in Hauke's
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 5
[66] Arm; er neigte ſich ein wenig, er wiegte die Kugel
ein paarmal in der Hand; dann holte er aus,
und eine Todesſtille war auf beiden Seiten; alle
Augen folgten der fliegenden Kugel, man hörte
ihr Sauſen, wie ſie die Luft durchſchnitt; plötzlich,
ſchon weit vom Wurfplatz, verdeckten ſie die Flügel
einer Silbermöve, die ihren Schrei ausſtoßend
vom Deich herüber kam; zugleich aber hörte man
es in der Ferne an die Tonne klatſchen. „Hurrah
für Hauke!” riefen die Marſchleute und lärmend
ging es durch die Menge: „Hauke! Hauke Haien
hat das Spiel gewonnen!”
Der aber, da ihn Alle dicht umdrängten,
hatte ſeitwärts nur nach einer Hand gegriffen; auch
da ſie wieder riefen: „Was ſtehſt Du, Hauke?
Die Kugel liegt ja in der Tonne!” nickte er nur
und ging nicht von der Stelle; erſt als er fühlte,
daß ſich die kleine Hand feſt an die ſeine ſchloß,
ſagte er: „Ihr mögt ſchon recht haben; ich glaube
auch, ich hab' gewonnen!”
Dann ſtrömte der ganze Trupp zurück, und
Elke und Hauke wurden getrennt und von der
Menge auf den Weg zum Kruge fortgeriſſen,
der an des Deichgrafen Werfte nach der Geeſt
[67] hinaufbog. Hier aber entſchlüpften Beide dem
Gedränge, und während Elke auf ihre Kammer
ging, ſtand Hauke hinten vor der Stallthür auf
der Werfte und ſah, wie der dunkle Menſchen-
trupp allmälig nach dort hinaufwanderte, wo im
Kirchſpielskrug ein Raum für die Tanzenden bereit
ſtand. Das Dunkel breitete ſich allmälig über
die weite Gegend; es wurde immer ſtiller um ihn
her, nur hinter ihm im Stalle regte ſich das
Vieh; oben von der Geeſt her glaubte er ſchon
das Pfeifen der Clarinetten aus dem Kruge zu
vernehmen. Da hörte er um die Ecke des Hauſes
das Rauſchen eines Kleides, und kleine feſte Schritte
gingen den Fußſteig hinab, der durch die Fennen
nach der Geeſt hinaufführte. Nun ſah er auch
im Dämmer die Geſtalt dahinſchreiten und ſah,
daß es Elke war; ſie ging auch zum Tanze nach
dem Krug. Das Blut ſchoß ihm in den Hals
hinauf; ſollte er ihr nicht nachlaufen und mit
ihr gehen? Aber Hauke war kein Held den Frauen
gegenüber; mit dieſer Frage ſich beſchäftigend blieb
er ſtehen, bis ſie im Dunkel ſeinem Blick ent-
ſchwunden war.
Dann, als die Gefahr ſie einzuholen vorüber
5 *
[68] war, ging auch er denſelben Weg, bis er droben
den Krug bei der Kirche erreicht hatte, und das
Schwatzen und Schreien der vor dem Hauſe und
auf dem Flur ſich Drängenden und das Schrillen
der Geigen und Clarinetten betäubend ihn um-
rauſchte. Unbeachtet drückte er ſich in den „Gilde-
ſaal”; er war nicht groß und ſo voll, daß man
kaum einen Schritt weit vor ſich hinſehen konnte.
Schweigend ſtellte er ſich an den Thürpfoſten und
blickte in das unruhige Gewimmel; die Menſchen
kamen ihm wie Narren vor; er hatte auch nicht
zu ſorgen, daß Jemand noch an den Kampf des
Nachmittages dachte, und wer vor einer Stunde
erſt das Spiel gewonnen hatte; jeder ſah nur auf
ſeine Dirne und drehte ſich mit ihr im Kreis
herum. Seine Augen ſuchten nur die Eine, und
endlich — dort! Sie tanzte mit ihrem Vetter,
dem jungen Deichgevollmächtigten; aber ſchon ſah
er ſie nicht mehr; nur andere Dirnen aus Marſch
und Geeſt, die ihn nicht kümmerten. Dann
ſchnappten Violinen und Clarinetten plötzlich ab,
und der Tanz war zu Ende; aber gleich begann
auch ſchon ein anderer. Hauke flog es durch den
Kopf, ob denn Elke ihm auch Wort halten, ob
[69] ſie nicht mit Ole Peters ihm vorbeitanzen werde.
Faſt hätte er einen Schrei bei dem Gedanken aus-
geſtoßen; dann — — ja, was wollte er dann?
Aber ſie ſchien bei dieſem Tanze gar nicht mit-
zuhalten, und endlich ging auch der zu Ende, und
ein anderer, ein Zweitritt, der eben erſt hier in die
Mode gekommen war, folgte. Wie raſend ſetzte
die Muſik ein, die jungen Kerle ſtürzten zu den
Dirnen, die Lichter an den Wänden flirrten.
Hauke reckte ſich faſt den Hals aus, um die
Tanzenden zu erkennen; und dort, im dritten
Paare, das war Ole Peters; aber wer war die
Tänzerin? Ein breiter Marſchburſche ſtand vor
ihr und deckte ihr Geſicht! Doch der Tanz raſ'te
weiter, und Ole mit ſeiner Partnerin drehte ſich
heraus; „Vollina! Vollina Harders!” rief Hauke
faſt laut und ſeufzte dann gleich wieder erleichtert
auf. Aber wo blieb Elke? Hatte ſie keinen Tänzer,
oder hatte ſie alle ausgeſchlagen, weil ſie nicht mit
Ole hatte tanzen wollen? — Und die Muſik ſetzte
wieder ab, und ein neuer Tanz begann; aber
wieder ſah er Elke nicht! Doch dort kam Ole,
noch immer die dicke Vollina in den Armen! „Nun,
nun,” ſagte Hauke; „da wird Jeß Harders mit
[70] ſeinen fünfundzwanzig Demath auch wohl bald
aufs Altentheil müſſen! — Aber wo iſt Elke?”
Er verließ ſeinen Thürpfoſten und drängte ſich
weiter in den Saal hinein; da ſtand er plötzlich
vor ihr, die mit einer älteren Freundin in einer
Ecke ſaß. „Hauke!” rief ſie, mit ihrem ſchmalen
Antlitz zu ihm aufblickend; „biſt Du hier? Ich
ſah Dich doch nicht tanzen!”
„Ich tanzte auch nicht,” erwiderte er.
— „Weshalb nicht, Hauke?” und ſich halb
erhebend, ſetzte ſie hinzu: „Willſt Du mit mir
tanzen? Ich hab' es Ole Peters nicht gegönnt;
der kommt nicht wieder!”
Aber Hauke machte keine Anſtalt: „Ich danke,
Elke,” ſagte er; „ich verſtehe das nicht gut genug;
ſie könnten über Dich lachen; und dann ...”
er ſtockte plötzlich und ſah ſie nur aus ſeinen
grauen Augen herzlich an, als ob er's ihnen über-
laſſen müſſe, das Uebrige zu ſagen.
„Was meinſt Du, Hauke?” frug ſie leiſe.
— „Ich mein', Elke, es kann ja doch der
Tag nicht ſchöner für mich ausgeh'n, als er's ſchon
gethan hat.”
„Ja,” ſagte ſie, „Du haſt das Spiel gewonnen.”
[71]
„Elke!” mahnte er kaum hörbar.
Da ſchlug ihr eine heiße Lohe in das An-
geſicht: „Geh!” ſagte ſie; „was willſt Du?” und
ſchlug die Augen nieder.
Als aber die Freundin jetzt von einem Burſchen
zum Tanze fortgezogen wurde, ſagte Hauke lauter:
„Ich dachte, Elke, ich hätt' was Beſſeres gewonnen!”
Noch ein paar Augenblicke ſuchten ihre Augen
auf dem Boden; dann hob ſie ſie langſam, und
ein Blick, mit der ſtillen Kraft ihres Weſens, traf
in die ſeinen, der ihn wie Sommerluft durch-
ſtrömte. „Thu', wie Dir ums Herz iſt, Hauke!”
ſprach ſie; „wir ſollten uns wohl kennen!”
Elke tanzte an dieſem Abend nicht mehr, und
als Beide dann nach Hauſe gingen, hatten ſie ſich
Hand in Hand gefaßt; aus der Himmelshöhe
funkelten die Sterne über der ſchweigenden Marſch;
ein leichter Oſtwind wehte und brachte ſtrenge
Kälte; die Beiden aber gingen, ohne viel Tücher
und Umhang, dahin, als ſei es plötzlich Frühling
worden.
Hauke hatte ſich auf ein Ding beſonnen,
deſſen paſſende Verwendung zwar in ungewiſſer
[72] Zukunft lag, mit dem er ſich aber eine ſtille Feier
zu bereiten gedachte. Deshalb ging er am nächſten
Sonntag in die Stadt zum alten Goldſchmied
Anderſen und beſtellte einen ſtarken Goldring.
„Streckt den Finger her, damit wir meſſen!” ſagte
der Alte und faßte ihm nach dem Goldfinger.
„Nun,” meinte er, „der iſt nicht gar ſo dick,
wie ſie bei Euch Leuten ſonſt zu ſein pflegen!”
Aber Hauke ſagte: „Meſſet lieber am kleinen
Finger!” und hielt ihm den entgegen.
Der Goldſchmied ſah ihn etwas verdutzt an;
aber was kümmerten ihn die Einfälle der jungen
Bauernburſchen: „Da werden wir ſchon ſo einen
unter den Mädchenringen haben!” ſagte er, und
Hauke ſchoß das Blut durch beide Wangen. Aber
der kleine Goldring paßte auf ſeinen kleinen Finger,
und er nahm ihn haſtig und bezahlte ihn mit
blankem Silber; dann ſteckte er ihn unter lautem
Herzklopfen, und als ob er einen feierlichen Act
begehe, in die Weſtentaſche. Dort trug er ihn ſeit-
dem an jedem Tage mit Unruhe und doch mit
Stolz, als ſei die Weſtentaſche nur dazu da, um
einen Ring darin zu tragen.
Er trug ihn ſo über Jahr und Tag, ja der
[73] Ring mußte ſogar aus dieſer noch in eine neue
Weſtentaſche wandern; die Gelegenheit zu ſeiner
Befreiung hatte ſich noch immer nicht ergeben wollen.
Wohl war's ihm durch den Kopf geflogen, nur
graden Wegs vor ſeinen Wirth hinzutreten; ſein
Vater war ja doch auch ein Eingeſeſſener! Aber
wenn er ruhiger wurde, dann wußte er wohl, der
alte Deichgraf würde ſeinen Kleinknecht ausgelacht
haben. Und ſo lebten er und des Deichgrafen
Tochter neben einander hin; auch ſie in mädchen-
haftem Schweigen, und Beide doch, als ob ſie all-
zeit Hand in Hand gingen.
Ein Jahr nach jenem Winterfeſttag hatte Ole
Peters ſeinen Dienſt gekündigt und mit Vollina
Harders Hochzeit gemacht; Hauke hatte recht ge-
habt: der Alte war auf Altentheil gegangen, und
ſtatt der dicken Tochter ritt nun der muntere
Schwiegerſohn die gelbe Stute in die Fenne und,
wie es hieß, rückwärts allzeit gegen den Deich
hinan. Hauke war Großknecht geworden, und ein
Jüngerer an ſeine Stelle getreten; wohl hatte der
Deichgraf ihn erſt nicht wollen aufrücken laſſen.
„Kleinknecht iſt beſſer!” hatte er gebrummt; „ich
brauch' ihn hier bei meinen Büchern!” Aber Elke
[74] hatte ihm vorgehalten: „dann geht auch Hauke,
Vater!” Da war dem Alten bange geworden, und
Hauke war zum Großknecht aufgerückt, hatte aber
trotz deſſen nach wie vor auch an der Deichgraf-
ſchaft mitgeholfen.
Nach einem andern Jahr aber begann er gegen
Elke davon zu reden, ſein Vater werde kümmer-
lich, und die paar Tage, die der Wirth ihn im
Sommer in deſſen Wirthſchaft laſſe, thäten's nun
nicht mehr; der Alte quäle ſich, er dürfe das nicht
länger anſeh'n. — Es war ein Sommerabend; die
beiden ſtanden im Dämmerſchein unter der großen
Eſche vor der Hausthür. Das Mädchen ſah eine
Weile ſtumm in die Zweige des Baumes hinauf;
dann entgegnete ſie: „Ich hab's nicht ſagen wollen,
Hauke; ich dachte, Du würdeſt ſelber wohl das
Rechte treffen.”
„Ich muß dann fort aus Eurem Hauſe,”
ſagte er, „und kann nicht wiederkommen.”
Sie ſchwiegen eine Weile und ſahen in das
Abendroth, das drüben hinterm Deiche in das
Meer verſank. „Du mußt es wiſſen,” ſagte ſie;
„ich war heut' Morgen noch bei Deinem Vater
und fand ihn in ſeinem Lehnſtuhl eingeſchlafen;
[75] die Reißfeder in der Hand, das Reißbrett mit
einer halben Zeichnung lag vor ihm auf dem
Tiſch; — und da er erwacht war und mühſam
ein Viertelſtündchen mit mir geplaudert hatte, und
ich nun gehen wollte, da hielt er mich ſo angſt-
voll an der Hand zurück, als fürchte er, es ſei
zum letzten Mal; aber ...”
„Was aber, Elke?” frug Hauke, da ſie fort-
zufahren zögerte.
Ein paar Thränen rannen über die Wangen
des Mädchens. „Ich dachte nur an meinen Vater,”
ſagte ſie; „glaub' mir, es wird ihn ſchwer an-
kommen, Dich zu miſſen.” Und als ob ſie zu dem
Worte ſich ermannen müſſe, fügte ſie hinzu: „Mir
iſt es oft, als ob auch er auf ſeine Todtenkammer
rüſte.”
Hauke antwortete nicht; ihm war es plötzlich,
als rühre ſich der Ring in ſeiner Taſche; aber
noch bevor er ſeinen Unmuth über dieſe un-
willkürliche Lebensregung unterdrückt hatte, fuhr
Elke fort: „Nein, zürn' nicht, Hauke! Ich trau',
Du wirſt auch ſo uns nicht verlaſſen!”
Da ergriff er eifrig ihre Hand, und ſie ent-
zog ſie ihm nicht. Noch eine Weile ſtanden die
[76] jungen Menſchen in dem ſinkenden Dunkel bei
einander, bis ihre Hände auseinanderglitten, und
jedes ſeine Wege ging. — Ein Windſtoß fuhr
empor und rauſchte durch die Eſchenblätter und
machte die Läden klappern, die an der Vorderſeite
des Hauſes waren; allmälig aber kam die Nacht,
und Stille lag über der ungeheueren Ebene.
Durch Elke's Zuthun war Hauke von dem
alten Deichgrafen ſeines Dienſtes entlaſſen worden,
obgleich er ihm rechtzeitig nicht gekündigt hatte,
und zwei neue Knechte waren jetzt im Hauſe. —
Noch ein paar Monate weiter, dann ſtarb Tede
Haien; aber bevor er ſtarb, rief er den Sohn
an ſeine Lagerſtatt: „Setz' Dich zu mir, mein
Kind,” ſagte der Alte mit matter Stimme, „dicht
zu mir! Du brauchſt Dich nicht zu fürchten; wer
bei mir iſt, das iſt nur der dunkle Engel des
Herrn, der mich zu rufen kommt.”
Und der erſchütterte Sohn ſetzte ſich dicht an
das dunkle Wandbett: „Sprecht Vater, was Ihr
noch zu ſagen habt!”
„Ja, mein Sohn, noch Etwas,” ſagte der
Alte und ſtreckte ſeine Hände über das Deckbett.
[77] „Als Du, noch ein halber Junge, zu dem Deich-
grafen in Dienſt gingſt, da lag's in Deinem Kopf,
das ſelbſt einmal zu werden. Das hatte mich an-
geſteckt, und ich dachte auch allmälig, Du ſeieſt
der rechte Mann dazu. Aber Dein Erbe war für
ſolch ein Amt zu klein — ich habe während Deiner
Dienſtzeit knapp gelebt — ich dacht' es zu ver-
mehren.”
Hauke faßte heftig ſeines Vaters Hände, und
der Alte ſuchte ſich aufzurichten, daß er ihn ſehen
könne. „Ja, ja, mein Sohn,” ſagte er, „dort
in der oberſten Schublade der Schatulle liegt das
Document. Du weißt, die alte Antje Wohlers
hat eine Fenne von fünf und einem halben Demath;
aber ſie konnte mit dem Miethgelde allein in
ihrem krüppelhaften Alter nicht mehr durch-
finden; da habe ich allzeit um Martini eine
beſtimmte Summe, und auch mehr, wenn ich es
hatte, dem armen Menſch gegeben; und dafür
hat ſie die Fenne mir übertragen; es iſt Alles
gerichtlich fertig. — — Nun liegt auch ſie am
Tode; die Krankheit unſerer Marſchen, der Krebs,
hat ſie befallen; Du wirſt nicht mehr zu zahlen
brauchen!”
[78]
Eine Weile ſchloß er die Augen; dann ſagte
er noch: „Es iſt nicht viel; doch haſt Du mehr
dann, als Du bei mir gewohnt warſt. Mög' es
Dir zu Deinem Erdenleben dienen!”
Unter den Dankesworten des Sohnes ſchlief
der Alte ein. Er hatte nichts mehr zu beſorgen;
und ſchon nach einigen Tagen hatte der dunkle
Engel des Herrn ihm ſeine Augen für immer zu-
gedrückt, und Hauke trat ſein väterliches Erbe an.
— — Am Tage nach dem Begräbniß kam
Elke in deſſen Haus. „Dank, daß Du einguckſt,
Elke!” rief Hauke ihr als Gruß entgegen.
Aber ſie erwiderte: „Ich guck' nicht ein; ich
will bei Dir ein wenig Ordnung ſchaffen, damit
Du ordentlich in Deinem Hauſe wohnen kannſt!
Dein Vater hat vor ſeinen Zahlen und Riſſen
nicht viel um ſich geſehen, und auch der Tod
ſchafft Wirrſal; ich will's Dir wieder ein wenig
lebig machen!”
Er ſah aus ſeinen grauen Augen voll Ver-
trauen auf ſie hin: „So ſchaff' nur Ordnung!”
ſagte er; „ich hab's auch lieber.”
Und dann begann ſie aufzuräumen: das Reiß-
brett, das noch da lag, wurde abgeſtäubt und auf
[79] den Boden getragen; Reißfedern und Bleiſtift und
Kreide ſorgfältig in einer Schatullen-Schublade
weggeſchloſſen; dann wurde die junge Dienſtmagd
zur Hülfe hereingerufen, und mit ihr das Geräthe
der ganzen Stube in eine andere und beſſere
Stellung gebracht, ſo daß es anſchien, als ſei die-
ſelbe nun heller und größer geworden. Lächelnd
ſagte Elke: „das können nur wir Frauen!” und
Hauke, trotz ſeiner Trauer um den Vater, hatte
mit glücklichen Augen zugeſehen; auch wohl ſelber,
wo es nöthig war, geholfen.
Und als gegen die Dämmerung — es war
zu Anfang des Septembers — Alles war, wie ſie
es für ihn wollte, faßte ſie ſeine Hand und nickte
ihm mit ihren dunkeln Augen zu: „Nun komm
und iß bei uns zu Abend; denn meinem Vater
hab' ich's verſprechen müſſen, Dich mitzubringen;
wenn Du dann heimgehſt, kannſt Du ruhig in
Dein Haus treten!”
Als ſie dann in die geräumige Wohnſtube des
Deichgrafen traten, wo bei verſchloſſenen Läden
ſchon die beiden Lichter auf dem Tiſche brannten,
wollte dieſer aus ſeinem Lehnſtuhl in die Höhe,
aber mit ſeinem ſchweren Körper zurückſinkend,
[80] rief er nur ſeinem früheren Knecht entgegen: „Recht,
recht, Hauke, daß Du Deine alten Freunde auf-
ſuchſt! Komm nur näher, immer näher!” Und
als Hauke an ſeinen Stuhl getreten war, faßte
er deſſen Hand mit ſeinen beiden runden Händen:
„Nun, nun, mein Junge;” ſagte er, „ſei nur ruhig
jetzt; denn ſterben müſſen wir Alle, und Dein Vater
war keiner von den Schlechtſten! — Aber Elke, nun
ſorg', daß Du den Braten auf den Tiſch kriegſt;
wir müſſen uns ſtärken! Es gibt viel Arbeit für
uns, Hauke! Die Herbſtſchau iſt in Anmarſch;
Deich- und Sielrechnungen haushoch; der neuliche
Deichſchaden am Weſterkoog — ich weiß nicht,
wo mir der Kopf ſteht; aber Deiner, Gott Lob,
iſt um ein gut Stück jünger; Du biſt ein braver
Junge, Hauke!”
Und nach dieſer langen Rede, womit der
Alte ſein ganzes Herz dargelegt hatte, ließ er ſich
in ſeinen Stuhl zurückfallen und blinzelte ſehn-
ſüchtig nach der Thür, durch welche Elke eben mit
der Bratenſchüſſel hereintrat. Hauke ſtand lächelnd
neben ihm. „Nun ſetz' Dich,” ſagte der Deich-
graf, „damit wir nicht unnöthig Zeit verſpillen;
kalt ſchmeckt das nicht!”
[81]
Und Hauke ſetzte ſich; es ſchien ihm Selbſt-
verſtand, die Arbeit von Elke's Vater mitzuthun.
Und als die Herbſtſchau dann gekommen war, und
ein paar Monde mehr ins Jahr gingen, da hatte
er freilich auch den beſten Theil daran gethan.”
Der Erzähler hielt inne und blickte um ſich.
Ein Mövenſchrei war gegen das Fenſter geſchlagen,
und draußen vom Hausflur aus wurde ein Trampeln
hörbar, als ob einer den Klei von ſeinen ſchweren
Stiefeln abtrete.
Deichgraf und Gevollmächtigte wandten die
Köpfe gegen die Stubenthür. „Was iſt?” rief der
Erſtere.
Ein ſtarker Mann, den Südweſter auf
dem Kopf, war eingetreten. „Herr,” ſagte er,
„wir Beide haben es geſehen, Hans Nickels und
ich: der Schimmelreiter hat ſich in den Bruch
geſtürzt!”
„Wo ſaht Ihr das?” frug der Deichgraf.
— „Es iſt ja nur die eine Wehle; in Janſens
Fenne, wo der Hauke-Haienkoog beginnt.”
„Saht Ihr's nur einmal?”
— „Nur einmal; es war auch nur wie
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 6
[82] Schatten; aber es braucht drum nicht das erſte
Mal geweſen zu ſein.”
Der Deichgraf war aufgeſtanden. „Sie wollen
entſchuldigen,” ſagte er, ſich zu mir wendend, „wir
müſſen draußen nachſehn, wo das Unheil hin
will!” Dann ging er mit dem Boten zur Thür
hinaus; aber auch die übrige Geſellſchaft brach auf
und folgte ihm.
Ich blieb mit dem Schullehrer allein in dem
großen öden Zimmer; durch die unverhangenen
Fenſter, welche nun nicht mehr durch die Rücken
der davor ſitzenden Gäſte verdeckt wurden, ſah man
frei hinaus, und wie der Sturm die dunklen
Wolken über den Himmel jagte. Der Alte ſaß
noch auf ſeinem Platze, ein überlegenes, faſt mit-
leidiges Lächeln auf ſeinen Lippen. „Es iſt hier
zu leer geworden,” ſagte er; „darf ich Sie zu mir
auf mein Zimmer laden? Ich wohne hier im
Hauſe; und glauben Sie mir, ich kenne die Wetter
hier am Deich; für uns iſt nichts zu fürchten.”
Ich nahm das dankend an; denn auch mich
wollte hier zu fröſteln anfangen, und wir ſtiegen
unter Mitnahme eines Lichtes die Stiegen zu einer
Giebelſtube hinauf, die zwar gleichfalls gegen Weſten
[83] hinauslag, deren Fenſter aber jetzt mit dunklen
Wollteppichen verhangen waren. In einem Bücher-
regal ſah ich eine kleine Bibliothek, daneben die
Porträte zweier alter Profeſſoren; vor einem Tiſche
ſtand ein großer Ohrenlehnſtuhl. „Machen Sie
ſich's bequem!” ſagte mein freundlicher Wirth und
warf einige Torf in den noch glimmenden kleinen
Ofen, der oben von einem Blechkeſſel gekrönt war.
„Nur noch ein Weilchen! Er wird bald ſauſen;
dann brau' ich uns ein Gläschen Grog; das hält
Sie munter!”
„Deſſen bedarf es nicht,” ſagte ich; „ich
werd' nicht ſchläfrig, wenn ich Ihren Hauke auf
ſeinem Lebensweg begleite!”
— „Meinen Sie?” und er nickte mit ſeinen
klugen Augen zu mir herüber, nachdem ich behaglich
in ſeinem Lehnſtuhl untergebracht war. „Nun, wo
blieben wir denn? — — Ja, ja; ich weiß
ſchon! Alſo:
Hauke hatte ſein väterliches Erbe angetreten,
und da die alte Antje Wohlers auch ihrem Leiden
erlegen war, ſo hatte deren Fenne es vermehrt.
Aber ſeit dem Tode, oder, richtiger, ſeit den
letzten Worten ſeines Vaters war in ihm Etwas
6 *
[84] aufgewachſen, deſſen Keim er ſchon ſeit ſeiner Knaben-
zeit in ſich getragen hatte; er wiederholte es ſich
mehr als zu oft, er ſei der rechte Mann, wenn's
einen neuen Deichgrafen geben müſſe. Das war
es; ſein Vater, der es verſtehen mußte, der ja der
klügſte Mann im Dorf geweſen war, hatte ihm
dieſes Wort wie eine letzte Gabe ſeinem Erbe bei-
gelegt; die Wohler'ſche Fenne, die er ihm auch
verdankte, ſollte den erſten Trittſtein zu dieſer Höhe
bilden! Denn, freilich, auch mit dieſer — ein Deich-
graf mußte noch einen andern Grundbeſitz auf-
weiſen können! — — Aber ſein Vater hatte ſich
einſame Jahre knapp beholfen, und mit dem, was
er ſich entzogen hatte, war er des neuen Beſitzes
Herr geworden; das konnte er auch, er konnte
noch mehr; denn ſeines Vaters Kraft war ſchon
verbraucht geweſen, er aber konnte noch jahrelang
die ſchwerſte Arbeit thun! — — Freilich, wenn er
es dadurch nach dieſer Seite hin erzwang, durch
die Schärfen und Spitzen, die er der Verwaltung
ſeines alten Dienſtherrn zugeſetzt hatte, war ihm
eben keine Freundſchaft im Dorf zu Wege gebracht
worden, und Ole Peters, ſein alter Widerſacher,
hatte jüngſthin eine Erbſchaft gethan und begann
[85] ein wohlhabender Mann zu werden! Eine Reihe
von Geſichtern ging vor ſeinem innern Blick vor-
über, und ſie ſahen ihn alle mit böſen Augen an;
da faßte ihn ein Groll gegen dieſe Menſchen, er
ſtreckte die Arme aus, als griffe er nach ihnen;
denn ſie wollten ihn vom Amte drängen, zu dem
von allen nur er berufen war. — Und die Ge-
danken ließen ihn nicht; ſie waren immer wieder
da, und ſo wuchſen in ſeinem jungen Herzen neben
der Ehrenhaftigkeit und Liebe auch die Ehrſucht
und der Haß. Aber dieſe Beiden verſchloß er
tief in ſeinem Innern; ſelbſt Elke ahnte nichts
davon.
— Als das neue Jahr gekommen war, gab
es eine Hochzeit; die Braut war eine Verwandte
von den Haiens, und Hauke und Elke waren
Beide dort geladene Gäſte; ja, bei dem Hochzeit-
eſſen traf es ſich durch das Ausbleiben eines näheren
Verwandten, daß ſie ihre Plätze neben einander
fanden. Nur ein Lächeln, das über Beider Antlitz
glitt, verrieth ihre Freude darüber. Aber Elke
ſaß heute theilnahmlos in dem Geräuſche des
Plauderns und Gläſerklirrens
„Fehlt Dir etwas?” frug Hauke.
[86]
— „O, eigentlich nichts; es ſind mir nur zu
viele Menſchen hier.”
„Aber Du ſiehſt ſo traurig aus!”
Sie ſchüttelte den Kopf; dann ſprachen ſie
wieder nicht.
Da ſtieg es über ihr Schweigen wie Eiferſucht
in ihm auf, und heimlich unter dem überhängenden
Tiſchtuch ergriff er ihre Hand; aber ſie zuckte
nicht, ſie ſchloß ſich wie vertrauensvoll um ſeine.
Hatte ein Gefühl der Verlaſſenheit ſie befallen, da
ihre Augen täglich auf der hinfälligen Geſtalt des
Vaters haften mußten? — Hauke dachte nicht daran,
ſich ſo zu fragen; aber ihm ſtand der Athem ſtill,
als er jetzt ſeinen Goldring aus der Taſche zog.
„Läßt Du ihn ſitzen?” frug er zitternd, während er
den Ring auf den Goldfinger der ſchmalen Hand ſchob.
Gegenüber am Tiſche ſaß die Frau Paſtorin;
ſie legte plötzlich ihre Gabel hin und wandte ſich
zu ihrem Nachbar: „Mein Gott, das Mädchen!”
rief ſie; „ſie wird ja todtenblaß!”
Aber das Blut kehrte ſchon zurück in Elke's
Antlitz. „Kannſt Du warten, Hauke?” frug ſie leiſe.
Der kluge Frieſe beſann ſich doch noch ein
paar Augenblicke. „Auf was?” ſagte er dann.
[87]
— „Du weißt das wohl; ich brauch' Dir's
nicht zu ſagen.”
„Du haſt recht,” ſagte er; „ja, Elke, ich kann
warten — wenn's nur ein menſchlich Abſeh'n hat!”
„O Gott, ich fürcht', ein nahes! Sprich nicht ſo,
Hauke; Du ſprichſt von meines Vaters Tod!” Sie
legte die andere Hand auf ihre Bruſt: „Bis dahin,”
ſagte ſie, „trag' ich den Goldring hier; Du ſollſt
nicht fürchten, daß Du bei meiner Lebzeit ihn zurück-
bekommſt!”
Da lächelten ſie Beide, und ihre Hände preßten
ſich in einander, daß bei anderer Gelegenheit das
Mädchen wohl laut aufgeſchrieen hätte.
Die Frau Paſtorin hatte indeſſen unabläſſig
nach Elke's Augen hingeſehen, die jetzt unter dem
Spitzenſtrich des goldbrokatenen Käppchens wie in
dunklem Feuer brannten. Bei dem zunehmenden
Getöſe am Tiſche aber hatte ſie nichts verſtanden;
auch an ihren Nachbar wandte ſie ſich nicht wieder;
denn keimende Ehen — und um eine ſolche ſchien
es ihr ſich denn doch hier zu handeln — ſchon
um des daneben keimenden Traupfennigs für ihren
Mann, den Paſtor, pflegte ſie nicht zu ſtören.
[88]
Elke's Vorahnung war in Erfüllung gegangen;
eines Morgens nach Oſtern hatte man den Deich-
grafen Tede Volkerts todt in ſeinem Bett ge-
funden; man ſah's an ſeinem Antlitz, ein ruhiges
Ende war darauf geſchrieben. Er hatte auch
mehrfach in den letzten Monden Lebensüberdruß
geäußert; ſein Leibgericht, der Ofenbraten, ſelbſt
ſeine Enten hatten ihm nicht mehr ſchmecken wollen.
Und nun gab es eine große Leiche im Dorf.
Droben auf der Geeſt auf dem Begräbnißplatz
um die Kirche war zu Weſten eine mit Schmiede-
gitter umhegte Grabſtätte; ein breiter blauer
Grabſtein ſtand jetzt aufgehoben gegen eine Trauer-
eſche, auf welchem das Bild des Todes mit ſtark
gezahnten Kiefern ausgehauen war; darunter in
großen Buchſtaben:
Es war die Begräbnißſtätte des früheren Deich-
grafen Volkert Tedſen; nun war eine friſche Grube
gegraben, wo hinein deſſen Sohn, der jetzt ver-
ſtorbene Deichgraf Tede Volkerts begraben werden
[89] ſollte. Und ſchon kam unten aus der Marſch der
Leichenzug heran, eine Menge Wagen aus allen
Kirchſpielsdörfern; auf dem vorderſten ſtand der
ſchwere Sarg, die beiden blanken Rappen des
deichgräflichen Stalles zogen ihn ſchon den ſandigen
Anberg zur Geeſt hinauf; Schweife und Mähnen
der Pferde wehten in dem ſcharfen Frühjahrswind.
Der Gottesacker um die Kirche war bis an die
Wälle mit Menſchen angefüllt; ſelbſt auf dem
gemauerten Thore huckten Buben mit kleinen
Kindern in den Armen; ſie wollten alle das Be-
graben anſeh'n.
Im Hauſe drunten in der Marſch hatte Elke
in Peſel und Wohngelaß das Leichenmahl gerüſtet;
alter Wein wurde bei den Gedecken hingeſtellt;
an den Platz des Oberdeichgrafen — denn auch er
war heut' nicht ausgeblieben — und an den des
Paſtors je eine Flaſche Langkork. Als Alles be-
ſorgt war, ging ſie durch den Stall vor die Hof-
thür; ſie traf Niemanden auf ihrem Wege; die
Knechte waren mit zwei Geſpannen in der
Leichenfuhr. Hier blieb ſie ſtehen und ſah,
während ihre Trauerkleider im Frühlingswinde
flatterten, wie drüben an dem Dorfe jetzt die
[90] letzten Wagen zur Kirche hinauffuhren. Nach
einer Weile entſtand dort ein Gewühl, dem eine
Todtenſtille zu folgen ſchien. Elke faltete die
Hände; ſie ſenkten wohl den Sarg jetzt in die
Grube: „Und zur Erde wieder ſollſt Du werden!”
Unwillkürlich, leiſe, als hätte ſie von dort es
hören können, ſprach ſie die Worte nach; dann
füllten ihre Augen ſich mit Thränen, ihre über
der Bruſt gefalteten Hände ſanken in den Schooß;
„Vater unſer, der Du biſt im Himmel!” betete
ſie voll Inbrunſt. Und als das Gebet des Herrn
zu Ende war, ſtand ſie noch lange unbeweglich,
ſie, die jetzige Herrin dieſes großen Marſchhofes;
und Gedanken des Todes und des Lebens begannen
ſich in ihr zu ſtreiten.
Ein fernes Rollen weckte ſie. Als ſie die
Augen öffnete, ſah ſie ſchon wieder einen Wagen
um den anderen in raſcher Fahrt von der Marſch
herab und gegen ihren Hof heran kommen. Sie
richtete ſich auf, blickte noch einmal ſcharf hinaus
und ging dann, wie ſie gekommen war, durch
den Stall in die feierlich hergeſtellten Wohn-
räume zurück. Auch hier war Niemand; nur durch
die Mauer hörte ſie das Rumoren der Mägde in
[91] der Küche. Die Feſttafel ſtand ſo ſtill und einſam;
der Spiegel zwiſchen den Fenſtern war mit weißen
Tüchern zugeſteckt und ebenſo die Meſſingknöpfe
an dem Beilegerofen; es blinkte nichts mehr in
der Stube. Elke ſah die Thüren vor dem Wand-
bett, in dem ihr Vater ſeinen letzten Schlaf gethan
hatte, offen ſtehen und ging hinzu und ſchob ſie
feſt zuſammen; wie gedankenlos las ſie den Sinn-
ſpruch, der zwiſchen Roſen und Nelken mit goldenen
Buchſtaben darauf geſchrieben ſtand:
Das war noch von dem Großvater! —
Einen Blick warf ſie auf den Wandſchrank; er
war faſt leer; aber durch die Glasthüren ſah ſie
noch den geſchliffenen Pocal darin, der ihrem
Vater, wie er gern erzählt hatte, einſt bei einem
Ringreiten in ſeiner Jugend als Preis zu Theil
geworden war. Sie nahm ihn heraus und ſetzte
ihn bei dem Gedeck des Oberdeichgrafen. Dann
ging ſie ans Fenſter; denn ſchon hörte ſie die
Wagen an der Werfte heraufrollen; einer um den
andern hielt vor dem Hauſe, und munterer, als
ſie gekommen waren, ſprangen jetzt die Gäſte von
[92] ihren Sitzen auf den Boden. Hände reibend und
plaudernd drängte ſich Alles in die Stube; nicht
lange, ſo ſetzte man ſich an die feſtliche Tafel,
auf der die wohlbereiteten Speiſen dampften, im
Peſel der Oberdeichgraf mit dem Paſtor; und
Lärm und lautes Schwatzen lief den Tiſch entlang,
als ob hier nimmer der Tod ſeine furchtbare
Stille ausgebreitet hätte. Stumm, das Auge auf
ihre Gäſte, ging Elke mit den Mägden an den
Tiſchen herum, daß an dem Leichenmahle nichts
verſehen werde. Auch Hauke Haien ſaß im Wohn-
zimmer neben Ole Peters und anderen kleineren
Beſitzern.
Nachdem das Mahl beendet war, wurden
die weißen Thonpfeifen aus der Ecke geholt und
angebrannt, und Elke war wiederum geſchäftig,
die gefüllten Kaffeetaſſen den Gäſten anzubieten;
denn auch der wurde heute nicht geſpart. Im
Wohnzimmer an dem Pulte des eben Begrabenen
ſtand der Oberdeichgraf im Geſpräche mit dem
Paſtor und dem weißhaarigen Deichgevollmächtigten
Jewe Manners. „Alles gut, Ihr Herren,” ſagte
der Erſte, „den alten Deichgrafen haben wir mit
Ehren beigeſetzt; aber woher nehmen wir den neuen?
[93] Ich denke, Manners, Ihr werdet Euch dieſer Würde
unterziehen müſſen!”
Der alte Manners hob lächelnd das ſchwarze
Sammetkäppchen von ſeinen weißen Haaren: „Herr
Oberdeichgraf,” ſagte er, „das Spiel würde zu
kurz werden; als der verſtorbene Tede Volkerts
Deichgraf, da wurde ich Gevollmächtigter und bin
es nun ſchon vierzig Jahre!”
„Das iſt kein Mangel, Manners; ſo kennt
Ihr die Geſchäfte um ſo beſſer und werdet nicht
Noth mit ihnen haben!”
Aber der Alte ſchüttelte den Kopf: „Nein,
nein, Euer Gnaden, laſſet mich, wo ich bin, ſo
laufe ich wohl noch ein paar Jahre mit!”
Der Paſtor ſtand ihm bei: „Weshalb,”
ſagte er, „nicht den ins Amt nehmen, der es
thatſächlich in den letzten Jahren doch geführt hat?”
Der Oberdeichgraf ſah ihn an: „Ich verſtehe
nicht, Herr Paſtor!”
Aber der Paſtor wies mit dem Finger in den
Peſel, wo Hauke in langſam ernſter Weiſe zwei
älteren Leuten Etwas zu erklären ſchien. „Dort
ſteht er,” ſagte er, „die lange Frieſengeſtalt mit
den klugen grauen Augen neben der hageren Naſe
[94] und den zwei Schädelwölbungen darüber! Er war
des Alten Knecht und ſitzt jetzt auf ſeiner eigenen
kleinen Stelle; er iſt zwar etwas jung!”
„Er ſcheint ein Dreißiger,” ſagte der Ober-
deichgraf, den ihm ſo Vorgeſtellten muſternd.
„Er iſt kaum vierundzwanzig,” bemerkte der
Gevollmächtigte Manners; „aber der Paſtor hat
recht: was in den letzten Jahren Gutes für Deiche
und Siele und dergleichen vom Deichgrafenamt in
Vorſchlag kam, das war von ihm; mit dem Alten
war's doch zuletzt nichts mehr.”
„So, ſo?” machte der Oberdeichgraf; „und
Ihr meinet, er wäre nun auch der Mann, um
in das Amt ſeines alten Herrn einzurücken?”
„Der Mann wäre er ſchon,” entgegnete Jewe
Manners; „aber ihm fehlt das, was man hier
„Klei unter den Füßen” nennt; ſein Vater hatte
ſo um fünfzehn, er mag gut zwanzig Demath
haben; aber damit iſt bis jetzt hier Niemand Deich-
graf geworden.”
Der Paſtor that ſchon den Mund auf, als
wolle er Etwas einwenden, da trat Elke Volkerts,
die eine Weile ſchon im Zimmer geweſen, plötzlich
zu ihnen: „Wollen Euer Gnaden mir ein Wort
[95] erlauben?” ſprach ſie zu dem Oberbeamten; „es
iſt nur, damit aus einem Irrthum nicht ein Un-
recht werde!”
„So ſprecht, Jungfer Elke!” entgegnete dieſer;
„Weisheit von hübſchen Mädchenlippen hört ſich
allzeit gut!”
— „Es iſt nicht Weisheit, Euer Gnaden; ich
will nur die Wahrheit ſagen.”
„Auch die muß man ja hören können, Jungfer
Elke!”
Das Mädchen ließ ihre dunkeln Augen noch
einmal zur Seite gehen, als ob ſie wegen über-
flüſſiger Ohren ſich verſichern wolle: „Euer Gnaden,”
begann ſie dann, und ihre Bruſt hob ſich in
ſtärkerer Bewegung, „mein Pathe, Jewe Manners,
ſagte Ihnen, daß Hauke Haien nur etwa zwanzig
Demath im Beſitz habe; das iſt im Augenblick
auch richtig; aber ſobald es ſein muß, wird Hauke
noch um ſo viel mehr ſein eigen nennen, als dieſer,
meines Vaters, jetzt mein Hof an Demathzahl
beträgt; für einen Deichgrafen wird das zuſammen
denn wohl reichen.”
Der alte Manners reckte den weißen Kopf
gegen ſie, als müſſe er erſt ſehen, wer denn eigentlich
[96] da rede: „Was iſt das?” ſagte er; „Kind, was
ſprichſt Du da?”
Aber Elke zog an einem ſchwarzen Bändchen
einen blinkenden Goldring aus ihrem Mieder:
„Ich bin verlobt, Pathe Manners,” ſagte ſie;
„hier iſt der Ring, und Hauke Haien iſt mein
Bräutigam.”
— „Und wann — ich darf's wohl fragen, da
ich Dich aus der Taufe hob, Elke Volkerts —
wann iſt denn das paſſirt?”
— „Das war ſchon vor geraumer Zeit; doch
war ich mündig, Pathe Manners,” ſagte ſie;
„mein Vater war ſchon hinfällig worden, und da
ich ihn kannte, ſo wollt' ich ihn nicht mehr damit
beunruhigen; itzt, da er bei Gott iſt, wird er ein-
ſehen, daß ſein Kind bei dieſem Manne wohl ge-
borgen iſt. Ich hätte es auch das Trauerjahr
hindurch ſchon ausgeſchwiegen; jetzt aber, um
Hauke's und um des Kooges willen, hab' ich reden
müſſen.” Und zum Oberdeichgrafen gewandt, ſetzte
ſie hinzu: „Euer Gnaden wollen mir das verzeihen!”
Die drei Männer ſahen ſich an; der Paſtor
lachte, der alte Gevollmächtigte ließ es bei einem
„Hmm, Hmm!” bewenden, während der Oberdeich-
[97] graf wie vor einer wichtigen Entſcheidung ſich die
Stirn rieb. „Ja, liebe Jungfer,” ſagte er endlich,
„aber wie ſteht es denn hier im Kooge mit den
ehelichen Güterrechten? Ich muß geſtehen, ich bin
augenblicklich nicht recht capitelfeſt in dieſem
Wirrſal!”
„Das brauchen Euer Gnaden auch nicht,”
entgegnete des Deichgrafen Tochter, „ich werde vor
der Hochzeit meinem Bräutigam die Güter über-
tragen. Ich habe auch meinen kleinen Stolz,”
ſetzte ſie lächelnd hinzu; „ich will den reichſten
Mann im Dorfe heirathen!”
„Nun, Manners,” meinte der Paſtor, „ich
denke, Sie werden auch als Pathe nichts dagegen
haben, wenn ich den jungen Deichgrafen mit des
alten Tochter zuſammengebe!”
Der Alte ſchüttelte leis den Kopf: „Unſer
Herr Gott gebe ſeinen Segen!” ſagte er andächtig.
Der Oberdeichgraf aber reichte dem Mädchen
ſeine Hand: „Wahr und weiſe habt Ihr geſprochen,
Elke Volkerts; ich danke Euch für ſo kräftige Er-
läuterungen und hoffe auch in Zukunft, und bei
freundlicheren Gelegenheiten als heute, der Gaſt
Eueres Hauſes zu ſein; aber — daß ein Deichgraf
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 7
[98] von ſolch junger Jungfer gemacht wurde, das iſt
das Wunderbare an der Sache!”
„Euer Gnaden,” erwiderte Elke und ſah den
gütigen Oberbeamten noch einmal mit ihren ernſten
Augen an, „einem rechten Manne wird auch die
Frau wohl helfen dürfen!” Dann ging ſie in den
anſtoßenden Peſel und legte ſchweigend ihre Hand
in Hauke Haien's.
[[99]]
Es war um mehrere Jahre ſpäter: in dem
kleinen Hauſe Tede Haien's wohnte jetzt ein rüſtiger
Arbeiter mit Frau und Kind; der junge Deichgraf
Hauke Haien ſaß mit ſeinem Weibe Elke Volkerts
auf deren väterlicher Hofſtelle. Im Sommer rauſchte
die gewaltige Eſche nach wie vor am Hauſe; aber
auf der Bank, die jetzt darunter ſtand, ſah man
abends meiſt nur die junge Frau, einſam mit einer
häuslichen Arbeit in den Händen; noch immer fehlte
ein Kind in dieſer Ehe; der Mann aber hatte
Anderes zu thun, als Feierabend vor der Thür zu
halten; denn trotz ſeiner früheren Mithülfe lagen
aus des Alten Amtsführung eine Menge unerledigter
Dinge, an die auch er derzeit zu rühren nicht für
gut gefunden hatte; jetzt aber mußte allmälig
Alles aus dem Wege; er fegte mit einem ſcharfen
Beſen. Dazu kam die Bewirthſchaftung der durch
ſeinen eigenen Landbeſitz vergrößerten Stelle, bei
7 *
[100] der er gleichwohl den Kleinknecht noch zu ſparen
ſuchte; ſo ſahen ſich die beiden Eheleute, außer am
Sonntag, wo Kirchgang gehalten wurde, meiſt nur
bei dem von Hauke eilig beſorgten Mittageſſen
und beim Auf- und Niedergang des Tages; es war
ein Leben fortgeſetzter Arbeit, doch gleichwohl ein
zufriedenes.
Dann kam ein ſtörendes Wort in Umlauf. —
Als von den jüngeren Beſitzern der Marſch- und
Geeſtgemeinde eines Sonntags nach der Kirche ein
etwas unruhiger Trupp im Kruge droben am Trunke
feſtgeblieben war, redeten ſie beim vierten oder
fünften Glaſe zwar nicht über König und Re-
gierung — ſo hoch wurde damals noch nicht ge-
griffen — wohl aber über Communal- und Ober-
beamte, vor Allem über Gemeindeabgaben und
-Laſten, und je länger ſie redeten, deſto weniger
fand davon Gnade vor ihren Augen, inſonders
nicht die neuen Deichlaſten; alle Sielen und
Schleuſen, die ſonſt immer gehalten hätten, ſeien
jetzt reparaturbedürftig; am Deiche fänden ſich
immer neue Stellen, die Hunderte von Karren
Erde nöthig hätten; der Teufel möchte die Ge-
ſchichte holen!
[101]
„Das kommt von Eurem klugen Deichgrafen,”
rief einer von den Geeſtleuten, „der immer grübeln
geht und ſeine Finger dann in Alles ſteckt!”
„Ja, Marten,” ſagte Ole Peters, der dem
Sprecher gegenüber ſaß; „recht haſt Du, er iſt
hinterſpinnig und ſucht beim Oberdeichgraf ſich 'nen
weißen Fuß zu machen; aber wir haben ihn nun
einmal!”
„Warum habt Ihr ihn Euch aufhucken laſſen?”
ſagte der Andre; „nun müßt Ihr's baar be-
zahlen.”
Ole Peters lachte. „Ja, Marten Fedders,
das iſt nun ſo bei uns, und davon iſt nichts
abzukratzen: der alte wurde Deichgraf von ſeines
Vaters, der neue von ſeines Weibes wegen.”
Das Gelächter, das jetzt um den Tiſch lief,
zeigte, welchen Beifall das geprägte Wort gefunden
hatte.
Aber es war an öffentlicher Wirthstafel ge-
ſprochen worden, es blieb nicht da, es lief bald
um im Geeſt- wie unten in dem Marſchdorf; ſo
kam es auch an Hauke. Und wieder ging vor
ſeinem inneren Auge die Reihe übelwollender Ge-
ſichter vorüber, und noch höhniſcher, als es ge-
[102] weſen war, hörte er das Gelächter an dem Wirths-
haustiſche. „Hunde!” ſchrie er, und ſeine Augen
ſahen grimm zur Seite, als wolle er ſie peitſchen
laſſen.
Da legte Elke ihre Hand auf ſeinen Arm:
„Laß ſie! die wären Alle gern, was Du biſt!”
— „Das iſt es eben!” entgegnete er grollend.
„Und,” fuhr ſie fort, „hat denn Ole Peters
ſich nicht ſelber eingefreit?”
„Das hat er, Elke; aber was er mit Vollina
freite, das reichte nicht zum Deichgrafen!”
— „Sag' lieber: er reichte nicht dazu!” und
Elke drehte ihren Mann, ſo daß er ſich im Spiegel
ſehen mußte; denn ſie ſtanden zwiſchen den Fenſtern
in ihrem Zimmer. „Da ſteht der Deichgraf!”
ſagte ſie; „nun ſieh ihn an; nur wer ein Amt
regieren kann, der hat es!”
„Du haſt nicht unrecht,” entgegnete er ſinnend,
„und doch ..... Nun, Elke; ich muß zur Oſter-
ſchleuſe; die Thüren ſchließen wieder nicht!”
Sie drückte ihm die Hand: „Komm, ſieh mich
erſt einmal an! Was haſt Du, Deine Augen ſehen
ſo ins Weite?”
„Nichts, Elke; Du haſt ja recht.” —
[103]
Er ging; aber nicht lange war er gegangen,
ſo war die Schleuſenreparatur vergeſſen. Ein anderer
Gedanke, den er, halb nur ausgedacht und ſeit
Jahren mit ſich umhergetragen hatte, der aber vor
den drängenden Amtsgeſchäften ganz zurückgetreten
war, bemächtigte ſich ſeiner jetzt aufs Neue und
mächtiger als je zuvor, als ſeien plötzlich die Flügel
ihm gewachſen.
Kaum daß er es ſelber wußte, befand er ſich
oben auf dem Hafdeich, ſchon eine weite Strecke
ſüdwärts nach der Stadt zu; das Dorf, das nach
dieſer Seite hinauslag, war ihm zur Linken längſt
verſchwunden; noch immer ſchritt er weiter, ſeine
Augen unabläſſig nach der Seeſeite auf das breite
Vorland gerichtet; wäre Jemand neben ihm ge-
gangen, er hätte es ſehen müſſen, welch' eindringliche
Geiſtesarbeit hinter dieſen Augen vorging. Endlich
blieb er ſtehen: das Vorland ſchwand hier zu einem
ſchmalen Streifen an dem Deich zuſammen. „Es
muß gehen!” ſprach er bei ſich ſelbſt. „Sieben
Jahr' im Amt; ſie ſollen nicht mehr ſagen, daß
ich nur Deichgraf bin von meines Weibes wegen!”
Noch immer ſtand er, und ſeine Blicke ſchweiften
ſcharf und bedächtig nach allen Seiten über das
[104] grüne Vorland; dann ging er zurück, bis wo auch
hier ein ſchmaler Streifen grünen Weidelands die
vor ihm liegende breite Landfläche ablöſte. Hart
an dem Deiche aber ſchoß ein ſtarker Meeresſtrom
durch dieſe, der faſt das ganze Vorland von dem
Feſtlande trennte und zu einer Hallig machte; eine
rohe Holzbrücke führte nach dort hinüber, damit
man mit Vieh und Heu- oder Getreidewagen hin-
über und wieder zurück gelangen könne. Jetzt war
es Ebbzeit, und die goldene Septemberſonne glitzerte
auf dem etwa hundert Schritte breiten Schlick-
ſtreifen und auf dem tiefen Priehl in ſeiner Mitte,
durch den auch jetzt das Meer noch ſeine Waſſer trieb.
„Das läßt ſich dämmen!” ſprach Hauke bei ſich
ſelber, nachdem er dieſem Spiele eine Zeit lang
zugeſehen; dann blickte er auf, und von dem Deiche,
auf dem er ſtand, über den Priehl hinweg, zog er
in Gedanken eine Linie längs dem Rande des ab-
getrennten Landes, nach Süden herum und oſtwärts
wiederum zurück über die dortige Fortſetzung des
Priehles und an den Deich heran. Die Linie aber,
welche er unſichtbar gezogen hatte, war ein neuer Deich,
neu auch in der Conſtruction ſeines Profiles, welches
bis jetzt nur noch in ſeinem Kopf vorhanden war.
[105]
„Das gäbe einen Koog von circa tauſend
Demath,” ſprach er lächelnd zu ſich ſelber; „nicht
groß juſt; aber ...”
Eine andere Calculation überkam ihn: das
Vorland gehörte hier der Gemeinde, ihren einzelnen
Mitgliedern eine Zahl von Antheilen, je nach der
Größe ihres Beſitzes im Gemeindebezirk oder nach
ſonſt zu Recht beſtehender Erwerbung; er begann
zuſammenzuzählen, wie viel Antheile er von ſeinem,
wie viele er von Elke's Vater überkommen, und
was an ſolchen er während ſeiner Ehe ſchon ſelbſt
gekauft hatte, theils in dem dunklen Gefühle eines
künftigen Vortheils, theils bei Vermehrung ſeiner
Schafzucht. Es war ſchon eine anſehnliche Menge;
denn auch von Ole Peters hatte er deſſen ſämmt-
liche Theile angekauft, da es dieſem zum Verdruß
geſchlagen war, als bei einer theilweiſen Ueber-
ſtrömung ihm ſein beſter Schafbock ertrunken war.
Aber das war ein ſeltſamer Unfall geweſen; denn,
ſoweit Hauke's Gedächtniß reichte, waren ſelbſt bei
hohen Fluthen dort nur die Ränder überſtrömt
worden. Welch' treffliches Weide- und Kornland
mußte es geben und von welchem Werthe, wenn
das Alles von ſeinem neuen Deich umgeben war!
[106] Wie ein Rauſch ſtieg es ihm ins Gehirn; aber er
preßte die Nägel in ſeine Handflächen und zwang
ſeine Augen, klar und nüchtern zu ſehen, was dort
vor ihm lag: eine große deichloſe Fläche, wer
wußt' es, welchen Stürmen und Fluthen ſchon in
den nächſten Jahren preisgegeben, an deren äußerſtem
Rande jetzt ein Trupp von ſchmutzigen Schafen
langſam graſend entlang wanderte; dazu für ihn
ein Haufen Arbeit, Kampf und Aerger! Trotz alle-
dem, als er vom Deich hinab und den Fußſteig
über die Fennen auf ſeine Werfte zuging, ihm
war's, als brächte er einen großen Schatz mit ſich
nach Hauſe.
Auf dem Flur trat Elke ihm entgegen: „Wie
war es mit der Schleuſe?” frug ſie.
Er ſah mit geheimnißvollem Lächeln auf ſie
nieder: „Wir werden bald eine andere Schleuſe
brauchen,” ſagte er; „und Sielen und einen neuen
Deich!”
„Ich verſteh' Dich nicht.” entgegnete Elke,
während ſie in das Zimmer gingen; „was willſt
Du, Hauke?”
„Ich will,” ſagte er langſam und hielt dann
einen Augenblick inne, „ich will, daß das große
[107] Vorland, das unſerer Hofſtatt gegenüber beginnt
und dann nach Weſten ausgeht, zu einem feſten
Kooge eingedeicht werde: die hohen Fluthen haben
faſt ein Menſchenalter uns in Ruh' gelaſſen; wenn
aber eine von den ſchlimmen wiederkommt und
den Anwachs ſtört, ſo kann mit einem Mal die
ganze Herrlichkeit zu Ende ſein; nur der alte
Schlendrian hat das bis heut' ſo laſſen können!”
Sie ſah ihn voll Erſtaunen an: „So ſchiltſt
Du Dich ja ſelber!” ſagte ſie.
— „Das thu' ich, Elke; aber es war bisher
auch ſo viel Anderes zu beſchaffen!”
„Ja, Hauke; gewiß, Du haſt genug gethan!”
Er hatte ſich in den Lehnſtuhl des alten Deich-
grafen geſetzt, und ſeine Hände griffen feſt um beide
Lehnen.
„Haſt Du denn guten Muth dazu?” frug
ihn ſein Weib.
— „Das hab' ich, Elke!” ſprach er haſtig.
„Sei nicht zu raſch, Hauke; das iſt ein Werk
auf Tod und Leben; und faſt Alle werden Dir
entgegen ſein, man wird Dir Deine Müh' und
Sorg' nicht danken!”
Er nickte: „Ich weiß!” ſagte er.
[108]
„Und wenn es nun nicht gelänge!” rief ſie
wieder; „von Kindesbeinen an hab' ich gehört, der
Priehl ſei nicht zu ſtopfen, und darum dürfe nicht
daran gerührt werden.”
„Das war ein Vorwand für die Faulen!”
ſagte Hauke; „weshalb denn ſollte man den Priehl
nicht ſtopfen können?”
— „Das hört' ich nicht; vielleicht, weil er
gerade durchgeht; die Spülung iſt zu ſtark.” —
Eine Erinnerung überkam ſie, und ein faſt ſchelmiſches
Lächeln brach aus ihren ernſten Augen: „Als ich
Kind war,” ſprach ſie, „hörte ich einmal die Knechte
darüber reden; ſie meinten, wenn ein Damm dort
halten ſolle, müſſe was Lebigs da hinein geworfen
und mit verdämmt werden; bei einem Deichbau
auf der andern Seite, vor wohl hundert Jahren,
ſei ein Zigeunerkind verdämmet worden, das ſie
um ſchweres Geld der Mutter abgehandelt hätten;
jetzt aber würde wohl Keine ihr Kind verkaufen!”
Hauke ſchüttelte den Kopf: „Da iſt es gut,
daß wir keins haben; ſie würden es ſonſt noch
ſchier von uns verlangen!”
„Sie ſollten's nicht bekommen!” ſagte Elke
und ſchlug wie in Angſt die Arme über ihren Leib.
[109]
Und Hauke lächelte; doch ſie frug noch einmal:
„Und die ungeheuren Koſten? Haſt Du das be-
dacht?”
— „Das hab' ich, Elke; was wir dort heraus-
bringen, wird ſie bei Weitem überholen, auch die
Erhaltungskoſten des alten Deiches gehen für ein
gut' Stück in dem neuen unter; wir arbeiten ja
ſelbſt und haben über achtzig Geſpanne in der
Gemeinde, und an jungen Fäuſten iſt hier auch
kein Mangel. Du ſollſt mich wenigſtens nicht um-
ſonſt zum Deichgrafen gemacht haben, Elke; ich
will ihnen zeigen, daß ich einer bin!”
Sie hatte ſich vor ihm niedergehuckt und ihn
ſorgvoll angeblickt; nun erhob ſie ſich mit einem
Seufzer: „Ich muß weiter zu meinem Tagewerk,”
ſagte ſie, und ihre Hand ſtrich langſam über ſeine
Wange; „thu' Du das Deine, Hauke!”
„Amen, Elke!” ſprach er mit ernſtem Lächeln;
„Arbeit iſt für uns Beide da!”
— — Und es war Arbeit genug für Beide,
die ſchwerſte Laſt aber fiel jetzt auf des Mannes
Schulter. An Sonntagnachmittagen, oft auch nach
Feierabend, ſaß Hauke mit einem tüchtigen Feld-
meſſer zuſammen, vertieft in Rechenaufgaben,
[110] Zeichnungen und Riſſen; war er allein, dann ging
es ebenſo und endete oft weit nach Mitternacht.
Dann ſchlich er in die gemeinſame Schlafkammer —
denn die dumpfen Wandbetten im Wohngemach
wurden in Hauke's Wirthſchaft nicht mehr ge-
braucht — und ſein Weib, damit er endlich nur
zur Ruhe komme, lag wie ſchlafend mit geſchloſſenen
Augen, obgleich ſie mit klopfendem Herzen nur auf
ihn gewartet hatte; dann küßt er mitunter ihre
Stirn und ſprach ein leiſes Liebeswort dabei, und
legte ſich ſelbſt zum Schlafe, der ihm oft nur beim
erſten Hahnenkraht zu willen war. Im Winter-
ſturm lief er auf den Deich hinaus, mit Bleiſtift
und Papier in der Hand, und ſtand und zeichnete
und notierte, während ein Windſtoß ihm die Mütze
vom Kopf riß, und das lange, fahle Haar ihm
um ſein heißes Antlitz flog; bald fuhr er, ſolange
nur das Eis ihm nicht den Weg verſperrte, mit
einem Knecht zu Boot ins Wattenmeer hinaus und
maß dort mit Loth und Stange die Tiefen der
Ströme, über die er noch nicht ſicher war. Elke
zitterte oft genug für ihn; aber war er wieder
da, ſo hätte er das nur aus ihrem feſten Hände-
druck oder dem leuchtenden Blitz aus ihren ſonſt
[111] ſo ſtillen Augen merken können. „Geduld, Elke,”
ſagte er, da ihm einmal war, als ob ſein Weib
ihn nicht laſſen könne; „ich muß erſt ſelbſt im
Reinen ſein, bevor ich meinen Antrag ſtelle!” Da
nickte ſie und ließ ihn gehen. Der Ritte in die
Stadt zum Oberdeichgrafen wurden auch nicht
wenige, und allem dieſen und den Mühen in
Haus- und Landwirthſchaft folgten immer wieder
die Arbeiten in die Nacht hinein. Sein Verkehr
mit anderen Menſchen außer in Arbeit und Ge-
ſchäft verſchwand faſt ganz; der ſelbſt mit ſeinem
Weibe wurde immer weniger. „Es ſind ſchlimme
Zeiten, und ſie werden noch lange dauern,”
ſprach Elke bei ſich ſelber, und ging an ihre
Arbeit.
Endlich, Sonne und Frühlingswinde hatten
ſchon überall das Eis gebrochen, war auch die
letzte Vorarbeit gethan; die Eingabe an den Ober-
deichgrafen zur Befürwortung an höherem Orte,
enthaltend den Vorſchlag einer Bedeichung des er-
wähnten Vorlandes, zur Förderung des öffentlichen
Beſten, infonders des Kooges, wie nicht weniger
der Herrſchaftlichen Kaſſe, da höchſtderſelben in
kurzen Jahren die Abgaben von ca. 1000 Demath
[112] daraus erwachſen würden, — war ſauber abge-
ſchrieben und nebſt anliegenden Riſſen und Zeich-
nungen aller Localitäten, jetzt und künftig, der
Schleuſen und Siele und was noch ſonſt dazu
gehörte, in ein feſtes Convolut gepackt und mit dem
deichgräflichen Amtsſiegel verſehen worden.
„Da iſt es, Elke,” ſagte der junge Deichgraf,
„nun gib ihm Deinen Segen!”
Elke legte ihre Hand in ſeine: „Wir wollen
feſt zuſammenhalten,” ſagte ſie.
— „Das wollen wir.”
Dann wurde die Eingabe durch einen reitenden
Boten in die Stadt geſandt.
„Sie wollen bemerken, lieber Herr,” unterbrach
der Schulmeiſter ſeine Erzählung, mich freundlich
mit ſeinen feinen Augen fixirend, „daß ich das
bisher Berichtete während meiner faſt vierzig-
jährigen Wirkſamkeit in dieſem Kooge aus den
Ueberlieferungen verſtändiger Leute, oder aus Er-
zählungen der Enkel und Urenkel ſolcher zuſammen-
gefunden habe; was ich, damit Sie dieſes mit
dem endlichen Verlauf in Einklang zu bringen
vermögen, Ihnen jetzt vorzutragen habe, das war
[113] derzeit und iſt auch jetzt noch das Geſchwätz des
ganzen Marſchdorfes, ſo bald nur um Allerheiligen
die Spinnräder an zu ſchnurren fangen.
Von der Hofſtelle des Deichgrafen, etwa fünf
bis ſechshundert Schritte weiter nordwärts, ſah
man derzeit, wenn man auf dem Deiche ſtand, ein
paar tauſend Schritt ins Wattenmeer hinaus und
etwas weiter von dem gegenüberliegenden Marſch-
ufer entfernt eine kleine Hallig, die ſie „Jeversſand”
auch „Jevershallig” nannten. Von den derzeitigen
Großvätern war ſie noch zur Schafweide benutzt
worden, denn Gras war damals noch darauf ge-
wachſen; aber auch das hatte aufgehört, weil die
niedrige Hallig ein paar Mal, und juſt im Hoch-
ſommer, unter Seewaſſer gekommen und der Gras-
wuchs dadurch verkümmert und auch zur Schaf-
weide unnutzbar geworden war. So kam es denn,
daß außer von Möwen und den andern Vögeln, die
am Strande fliegen, und etwa einmal von einem
Fiſchadler dort kein Beſuch mehr ſtattfand; und
an mondhellen Abenden ſah man vom Deiche aus
nur die Nebeldünſte leichter oder ſchwerer darüber
hinziehen. Ein paar weißgebleichte Knochengerüſte
ertrunkener Schafe und das Gerippe eines Pferdes,
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 8
[114] von dem freilich Niemand begriff, wie es dort hin-
gekommen ſei, wollte man, wenn der Mond von
Oſten auf die Hallig ſchien, dort auch erkennen
können.
Es war zu Ende März, als an dieſer Stelle
nach Feierabend der Tagelöhner aus dem Tede
Haienſchen Hauſe und Iven Johns, der Knecht des
jungen Deichgrafen, neben einander ſtanden und
unbeweglich nach der im trüben Mondduft kaum
erkennbaren Hallig hinüberſtarrten; etwas Auf-
fälliges ſchien ſie dort ſo feſtzuhalten. Der Tage-
löhner ſteckte die Hände in die Taſche und ſchüttelte
ſich: „Komm Iven,” ſagte er, „das iſt nichts
Gutes; laß uns nach Haus gehen!”
Der andere lachte, wenn auch ein Grauen
bei ihm hindurchklang: „Ei was! Es iſt eine lebige
Creatur, eine große! Wer, zum Teufel, hat ſie
nach dem Schlickſtück hinaufgejagt! Sieh' nur, nun
reckt's den Hals zu uns hinüber! Nein, es ſenkt
den Kopf; es frißt! Ich dächt', es wär' dort
nichts zu freſſen! Was es nur ſein mag?”
„Was geht das uns an!” entgegnete der Andere.
„Gute Nacht, Iven, wenn Du nicht mit willſt; ich
gehe nach Haus!”
[115]
— „Ja, ja; Du haſt ein Weib, Du kommſt
ins warme Bett! Bei mir iſt auch in meiner
Kammer lauter Märzenluft!”
„Gut' Nacht denn!” rief der Tagelöhner
zurück, während er auf dem Deich nach Hauſe trabte.
Der Knecht ſah ſich ein paar Mal nach dem Fort-
laufenden um; aber die Begier, Unheimliches zu
ſchauen, hielt ihn noch feſt. Da kam eine unter-
ſetzte, dunkle Geſtalt auf dem Deich vom Dorf her
gegen ihn heran; es war der Dienſtjunge des
Deichgrafen. „Was willſt Du, Carſten?” rief
ihm der Knecht entgegen.
„Ich? — nichts,” ſagte der Junge; „aber
unſer Wirth will Dich ſprechen, Iven Johns!”
Der Knecht hatte die Augen ſchon wieder nach
der Hallig: „Gleich; ich komme gleich!” ſagte er.
— „Wonach guckſt Du denn ſo?” frug der
Junge.
Der Knecht hob den Arm und wies ſtumm nach
der Hallig. „Oha!” flüſterte der Junge; „da geht
ein Pferd — ein Schimmel — das muß der Teufel
reiten — wie kommt ein Pferd nach Jevershallig?”
— „Weiß nicht, Carſten; wenn's nur ein
richtiges Pferd iſt!”
8*
[116]
„Ja, ja, Iven; ſieh nur, es frißt ganz wie
ein Pferd! Aber wer hat's dahin gebracht; wir
haben im Dorf ſo große Böte gar nicht! Viel-
leicht auch iſt es nur ein Schaf; Peter Ohm ſagt,
im Mondſchein wird aus zehn Torfringeln ein
ganzes Dorf. Nein, ſieh! Nun ſpringt es —
es muß doch ein Pferd ſein!”
Beide ſtanden eine Weile ſchweigend, die
Augen nur nach Dem gerichtet, was ſie drüben
undeutlich vor ſich gehen ſahen. Der Mond ſtand
hoch am Himmel und beſchien das weite Watten-
meer, das eben in der ſteigenden Fluth ſeine Waſſer
über die glitzernden Schlickflächen zu ſpülen be-
gann; nur das leiſe Geräuch des Waſſers, keine
Thierſtimme war in der ungeheuren Weite hier
zu hören; auch in der Marſch, hinter dem Deiche,
war es leer; Kühe und Rinder waren alle noch
in den Ställen. Nichts regte ſich; nur was ſie für
ein Pferd, einen Schimmel hielten, ſchien dort
auf Jevershallig noch beweglich. „Es wird heller,”
unterbrach der Knecht die Stille; „ich ſehe deutlich
die weißen Schafgerippe ſchimmern!”
„Ich auch,” ſagte der Junge, und reckte den
Hals; dann aber, als komme es ihm plötzlich,
[117] zupfte er den Knecht am Aermel: „Iven,” raunte er,
„das Pferdsgerippe, das ſonſt dabei lag, wo iſt es?
Ich kann's nicht ſehen!”
„Ich ſeh' es auch nicht! Seltſam!” ſagte
der Knecht.
— „Nicht ſo ſeltſam, Iven! Mitunter, ich
weiß nicht, in welchen Nächten, ſollen die Knochen
ſich erheben und thun, als ob ſie lebig wären!”
„So?” machte der Knecht; „das iſt ja Alt-
weiberglaube!”
„Kann ſein, Iven,” meinte der Junge.
„Aber, ich mein', Du ſollſt mich holen; komm,
wir müſſen nach Haus! Es bleibt hier immer doch
dasſelbe.”
Der Junge war nicht fortzubringen, bis der
Knecht ihn mit Gewalt herumgedreht und auf den
Weg gebracht hatte. „Hör', Carſten,” ſagte dieſer,
als die geſpenſterhafte Hallig ihnen ſchon ein gut
Stück im Rücken lag, „Du giltſt ja für einen
Allerweltsbengel; ich glaub', Du möchteſt das am
liebſten ſelber unterſuchen!”
„Ja,” entgegnete Carſten, nachträglich noch
ein wenig ſchaudernd, „ja, das möcht' ich, Iven!”
— „Iſt das Dein Ernſt? — dann,” ſagte
[118] der Knecht, nachdem der Junge ihm nachdrücklich
darauf die Hand geboten hatte, „löſen wir morgen
Abend unſer Boot; Du fährſt nach Jeversſand;
ich bleib' ſolange auf dem Deiche ſtehen.”
„Ja,” erwiderte der Junge, „das geht! Ich
nehme meine Peitſche mit!”
„Thu das!”
Schweigend kamen ſie an das Haus ihrer
Herrſchaft, zu dem ſie langſam die hohe Werft
hinanſtiegen.
Um die ſelbe Zeit des folgenden Abends ſaß
der Knecht auf dem großen Steine vor der Stallthür,
als der Junge mit ſeiner Peitſche knallend zu ihm
kam. „Das pfeift ja wunderlich!” ſagte Jener.
„Freilich, nimm Dich in Acht,” entgegnete der
Junge; „ich hab' auch Nägel in die Schnur ge-
flochten.”
„So komm!” ſagte der Andere.
Der Mond ſtand, wie geſtern, am Oſt-
himmel und ſchien klar aus ſeiner Höhe. Bald
waren Beide wieder draußen auf dem Deich und
ſahen hinüber nach Jevershallig, die wie ein Nebel-
fleck im Waſſer ſtand. „Da geht es wieder,” ſagte
[119] der Knecht; „nach Mittag war ich hier, da war's
nicht da; aber ich ſah deutlich das weiße Pferds-
gerippe liegen!”
Der Junge reckte den Hals: „das iſt jetzt
nicht da, Iven,” flüſterte er.
„Nun, Carſten, wie iſt's?” ſagte der Knecht.
„Juckt's Dich noch, hinüberzufahren?”
Carſten beſann ſich einen Augenblick; dann
klatſchte er mit ſeiner Peitſche in die Luft: „Mach'
nur das Boot los, Iven!”
Drüben aber war es, als hebe, was dorten
ging, den Hals, und recke gegen das Feſtland hin
den Kopf. Sie ſahen es nicht mehr; ſie gingen
ſchon den Deich hinab, und bis zur Stelle, wo
das Boot gelegen war. „Nun, ſteig nur ein!”
ſagte der Knecht, nachdem er es losgebunden hatte.
„Ich bleib', bis Du zurück biſt! Zu Oſten mußt
Du anlegen; da hat man immer landen können!”
Und der Junge nickte ſchweigend und fuhr mit
ſeiner Peitſche in die Mondnacht hinaus; der
Knecht wanderte unterm Deich zurück und beſtieg
ihn wieder an der Stelle, wo ſie vorhin geſtanden
hatten. Bald ſah er, wie drüben bei einer
ſchroffen, dunkelen Stelle, an die ein breiter Priehl
[120] hinanführte, das Boot ſich beilegte, und eine unter-
ſetzte Geſtalt daraus ans Land ſprang. — War's
nicht, als klatſchte der Junge mit ſeiner Peitſche?
Aber es konnte auch das Geräuſch der ſteigenden
Fluth ſein. Mehrere hundert Schritte nordwärts
ſah er, was ſie für einen Schimmel angeſehen
hatten; und jetzt! — ja, die Geſtalt des Jungen
kam gerade darauf zugegangen. Nun hob es den
Kopf, als ob es ſtutze; und der Junge — es war
deutlich jetzt zu hören — klatſchte mit der Peitſche.
Aber — was fiel ihm ein? er kehrte um, er ging
den Weg zurück, den er gekommen war. Das drüben
ſchien unabläſſig fortzuweiden, kein Wiehern war
von dort zu hören geweſen; wie weiße Waſſerſtreifen
ſchien es mitunter über die Erſcheinung hinzuziehen.
Der Knecht ſah wie gebannt hinüber.
Da hörte er das Anlegen des Bootes am
diesſeitigen Ufer, und bald ſah er aus der
Dämmerung den Jungen gegen ſich am Deich
heraufſteigen. „Nun, Carſten,” frug er, „was
war es?”
Der Junge ſchüttelte den Kopf. „Nichts war
es!” ſagte er. „Noch kurz vom Bootaus hatte
ich es geſehen; dann aber, als ich auf der Hallig
[121] war — weiß der Henker, wo ſich das Thier ver-
krochen hatte; der Mond ſchien doch hell genug;
aber als ich an die Stelle kam, war nichts da
als die bleichen Knochen von einem halben Dutzend
Schafen, und etwas weiter lag auch das Pferds-
gerippe mit ſeinem weißen, langen Schädel, und
ließ den Mond in ſeine leeren Augenhöhlen
ſcheinen!”
„Hmm!” meinte der Knecht; „haſt auch recht
zugeſehen?”
„Ja, Iven, ich ſtand dabei; ein gottvergeſſener
Kiewiet, der hinter dem Gerippe ſich zur Nachtruh'
hingeduckt hatte, flog ſchreiend auf, daß ich er-
ſchrak und ein paar Mal mit der Peitſche hinten-
nach klatſchte.”
„Und das war Alles?”
„Ja, Iven; ich weiß nicht mehr.”
„Es iſt auch genug,” ſagte der Knecht, zog
den Jungen am Arm zu ſich heran und wies
hinüber nach der Hallig. „Dort, ſiehſt Du etwas,
Carſten?”
— „Wahrhaftig, da geht's ja wieder!”
„Wieder?” ſagte der Knecht; „ich hab' die
ganze Zeit hinübergeſchaut; aber es iſt gar nicht
[122] fortgeweſen; Du gingſt ja gerade auf das Un-
weſen los!”
Der Junge ſtarrte ihn an; ein Entſetzen lag
plötzlich auf ſeinem ſonſt ſo kecken Angeſicht, das
auch dem Knechte nicht entging. „Komm!” ſagte
dieſer, „wir wollen nach Haus: von hier aus geht's
wie lebig, und drüben liegen nur die Knochen —
das iſt mehr, als Du und ich begreifen können.
Schweig aber ſtill davon, man darf dergleichen
nicht verreden!”
So wandten ſie ſich, und der Junge trabte
neben ihm; ſie ſprachen nicht, und die Marſch
lag in lautloſem Schweigen an ihrer Seite.
— — Nachdem aber der Mond zurückgegangen,
und die Nächte dunkel geworden waren, geſchah
ein Anderes.
Hauke Haien war zur Zeit des Pferdemarktes
in die Stadt geritten, ohne jedoch mit dieſem dort
zu thun zu haben. Gleichwohl, da er gegen Abend
heimkam, brachte er ein zweites Pferd mit ſich
nach Hauſe; aber es war rauhhaarig und mager,
daß man jede Rippe zählen konnte, und die Augen
lagen ihm matt und eingefallen in den Schädel-
höhlen. Elke war vor die Hausthür getreten, um
[123] ihren Eheliebſten zu empfangen: „Hilf Himmel!”
rief ſie, „was ſoll uns der alte Schimmel?” Denn
da Hauke mit ihm vor das Haus geritten kam
und unter der Eſche hielt, hatte ſie geſehen, daß
die arme Creatur auch lahme.
Der junge Deichgraf aber ſprang lachend von
ſeinem braunen Wallach: „Laß nur, Elke; es koſtet
auch nicht viel!”
Die kluge Frau erwiderte: „Du weißt doch,
das Wohlfeilſte iſt auch meiſt das Theuerſte.”
— „Aber nicht immer, Elke; das Thier iſt
höchſtens vier Jahr' alt; ſieh es Dir nur genauer
an! Es iſt verhungert und mißhandelt; da ſoll
ihm unſer Hafer gut thun; ich werd' es ſelbſt
verſorgen, damit ſie mir's nicht überfüttern.”
Das Thier ſtand indeſſen mit geſenktem Kopf;
die Mähnen hingen lang am Hals herunter. Frau
Elke, während ihr Mann nach den Knechten rief,
ging betrachtend um dasſelbe herum; aber ſie
ſchüttelte den Kopf: „So eins iſt noch nie in
unſerem Stall geweſen!”
Als jetzt der Dienſtjunge um die Hausecke
kam, blieb er plötzlich mit erſchrocknen Augen
ſtehen. „Nun, Carſten,” rief der Deichgraf, „was
[124] fährt Dir in die Knochen? Gefällt Dir mein
Schimmel nicht?”
„Ja — o ja, unſ' Weerth, warum denn nicht!”
— „So bring' die Thiere in den Stall; gib
ihnen kein Futter; ich komme gleich ſelber hin!”
Der Junge faßte mit Vorſicht den Halfter
des Schimmels und griff dann haſtig, wie zum
Schutze, nach dem Zügel des ihm ebenfalls ver-
trauten Wallachs. Hauke aber ging mit ſeinem Weibe
in das Zimmer; ein Warmbier hatte ſie für ihn
bereit, und Brod und Butter waren auch zur Stelle.
Er war bald geſättigt; dann ſtand er auf
und ging mit ſeiner Frau im Zimmer auf und ab.
„Laß Dir erzählen, Elke,” ſagte er, während der
Abendſchein auf den Kacheln an den Wänden ſpielte,
„wie ich zu dem Thier gekommen bin: ich war
wohl eine Stunde beim Oberdeichgrafen geweſen;
er hatte gute Kunde für mich — es wird wohl
dieß und jenes anders werden, als in meinen
Riſſen; aber die Hauptſache, mein Profil iſt accep-
tirt, und ſchon in den nächſten Tagen kann der
Befehl zum neuen Deichbau da ſein!”
Elke ſeufzte unwillkürlich: „Alſo doch?” ſagte
ſie ſorgenvoll.
[125]
„Ja, Frau,” entgegnete Hauke; „hart wird's
hergehen; aber dazu, denk' ich, hat der Herrgott
uns zuſammengebracht! Unſere Wirthſchaft iſt jetzt
ſo gut in Ordnung, ein groß' Theil kannſt Du
ſchon auf Deine Schultern nehmen; denk' nur um
zehn Jahr' weiter — dann ſtehen wir vor einem
anderen Beſitz.”
Sie hatte bei ſeinen erſten Worten die Hand
ihres Mannes verſichernd in die ihrigen gepreßt;
ſeine letzten Worte konnten ſie nicht erfreuen.
„Für wen ſoll der Beſitz?” ſagte ſie. „Du müßteſt
denn ein ander Weib nehmen; ich bring' Dir keine
Kinder.”
Thränen ſchoſſen ihr in die Augen; aber er
zog ſie feſt in ſeine Arme: „Das überlaſſen wir
dem Herrgott,” ſagte er; „jetzt aber, und auch
dann noch ſind wir jung genug, um uns der
Früchte unſerer Arbeit ſelbſt zu freuen.”
Sie ſah ihn lange, während er ſie hielt, aus
ihren dunklen Augen an. „Verzeih, Hauke,” ſprach
ſie; „ich bin mitunter ein verzagt' Weib!”
Er neigte ſich zu ihrem Antlitz und küßte
ſie: „Du biſt mein Weib und ich Dein Mann,
Elke! Und anders wird es nun nicht mehr.”
[126]
Da legte ſie die Arme feſt um ſeinen Nacken:
„Du haſt recht, Hauke, und was kommt, kommt
für uns Beide.” Dann löſte ſie ſich erröthend
von ihm. „Du wollteſt von dem Schimmel mir
erzählen,” ſagte ſie leiſe.
„Das wollt' ich, Elke. Ich ſagte Dir ſchon,
mir war Kopf und Herz voll Freude über die gute
Nachricht, die der Oberdeichgraf mir gegeben hatte;
ſo ritt ich eben wieder aus der Stadt hinaus, da,
auf dem Damm, hinter dem Hafen, begegnet mir
ein ruppiger Kerl; ich wußt' nicht, war's ein Vaga-
bund, ein Keſſelflicker oder was denn ſonſt. Der
Kerl zog den Schimmel am Halfter hinter ſich;
das Thier aber hob den Kopf und ſah mich aus
blöden Augen an; mir war's, als ob es mich um
Etwas bitten wolle; ich war ja auch in dieſem
Augenblicke reich genug. „He, Landsmann!” rief
ich, „wo wollt Ihr mit der Kracke hin?”
Der Kerl blieb ſtehen und der Schimmel auch.
„Verkaufen!” ſagte Jener und nickte mir liſtig zu.
„Nur nicht an mich!” rief ich luſtig.
„Ich denke doch!” ſagte er; „das iſt ein wacker
Pferd und unter hundert Thalern nicht bezahlt.”
Ich lachte ihm ins Geſicht.
[127]
„Nun,” ſagte er, „lacht nicht ſo hart; Ihr
ſollt's mir ja nicht zahlen! Aber ich kann's nicht
brauchen, bei mir verkommt's; es würd' bei Euch
bald ander Anſehen haben!”
Da ſprang ich von meinem Wallach und ſah
dem Schimmel ins Maul, und ſah wohl, es war
noch ein junges Thier. „Was ſoll's denn koſten?”
rief ich, da auch das Pferd mich wiederum wie
bittend anſah.
„Herr, nehmt's für dreißig Thaler!” ſagte
der Kerl, „und den Halfter geb' ich Euch darein!”
„Und da, Frau, hab' ich dem Burſchen in
die dargebotne braune Hand, die faſt wie eine
Klaue ausſah, eingeſchlagen. So haben wir den
Schimmel, und ich denk' auch, wohlfeil genug!
Wunderlich nur war es, als ich mit den Pferden
wegritt, hört' ich bald hinter mir ein Lachen, und
als ich den Kopf wandte, ſah ich den Slovaken;
der ſtand noch ſperrbeinig, die Arme auf dem
Rücken, und lachte wie ein Teufel hinter mir
darein.”
„Pfui,” rief Elke; „wenn der Schimmel nur
nichts von ſeinem alten Herrn Dir zubringt! Mög'
er Dir gedeihen, Hauke!”
[128]
„Er ſelber ſoll es wenigſtens, ſoweit ich's
leiſten kann!” Und der Deichgraf ging in den
Stall, wie er vorhin dem Jungen es geſagt hatte.
— — Aber nicht allein an jenem Abend
fütterte er den Schimmel; er that es fortan immer
ſelbſt und ließ kein Auge von dem Thiere; er
wollte zeigen, daß er einen Prieſterhandel gemacht
habe; jedenfalls ſollte nichts verſehen werden. —
Und ſchon nach wenig Wochen hob ſich die Haltung
des Thieres; allmälig verſchwanden die rauhen
Haare; ein blankes, blau geapfeltes Fell kam zum
Vorſchein, und da er es eines Tages auf der Hof-
ſtatt umherführte, ſchritt es ſchlank auf ſeinen
feſten Beinen. Hauke dachte des abenteuerlichen
Verkäufers: „Der Kerl war ein Narr oder ein
Schuft, der es geſtohlen hatte!” murmelte er bei
ſich ſelber. — Bald auch, wenn das Pferd im
Stall nur ſeine Schritte hörte, warf es den Kopf
herum und wieherte ihm entgegen; nun ſah er
auch, es hatte, was die Araber verlangen, ein fleiſch-
los Angeſicht; d'raus blitzten ein paar feurige
braune Augen. Dann führte er es aus dem Stall
und legte ihm einen leichten Sattel auf; aber
kaum ſaß er droben, ſo fuhr dem Thier ein
[129] Wiehern wie ein Luſtſchrei aus der Kehle; es flog
mit ihm davon, die Werfte hinab auf den Weg
und dann dem Deiche zu; doch der Reiter ſaß
feſt, und als ſie oben waren, ging es ruhiger,
leicht, wie tanzend, und warf den Kopf dem
Meere zu. Er klopfte und ſtreichelte ihm den
blanken Hals; aber es bedurfte dieſer Liebkoſung
ſchon nicht mehr; das Pferd ſchien völlig eins
mit ſeinem Reiter, und, nachdem er eine Strecke
nordwärts den Deich hinausgeritten war, wandte
er es leicht und gelangte wieder an die Hofſtatt.
Die Knechte ſtanden unten an der Auffahrt
und warteten der Rückkunft ihres Wirthes. „So,
John,” rief dieſer, indem er von ſeinem Pferde
ſprang, „nun reite Du es in die Fenne zu den
andern; es trägt Dich wie in einer Wiege!”
Der Schimmel ſchüttelte den Kopf und wieherte
laut in die ſonnige Marſchlandſchaft hinaus,
während ihm der Knecht den Sattel abſchnallte,
und der Junge damit zur Geſchirrkammer lief;
dann legte er den Kopf auf ſeines Herrn Schulter
und duldete behaglich deſſen Liebkoſung. Als aber
der Knecht ſich jetzt auf ſeinen Rücken ſchwingen
wollte, ſprang er mit einem jähen Satz zur Seite
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 9
[130] und ſtand dann wieder unbeweglich, die ſchönen
Augen auf ſeinen Herrn gerichtet. „Hoho, Iven,”
rief dieſer, „hat er Dir Leid's gethan?” und ſuchte
ſeinem Knecht vom Boden aufzuhelfen.
Der rieb ſich eifrig an der Hüfte: „Nein,
Herr, es geht noch; aber den Schimmel reit' der
Teufel!”
„Und ich!” ſetzte Hauke lachend hinzu. „So
bring ihn am Zügel in die Fenne!”
Und als der Knecht etwas beſchämt gehorchte,
ließ ſich der Schimmel ruhig von ihm führen.
— — Einige Abende ſpäter ſtanden Knecht
und Junge mit einander vor der Stallthür;
hinterm Deiche war das Abendroth erloſchen, inner-
halb desſelben war ſchon der Koog von tiefer
Dämmerung überwallt; nur ſelten kam aus der
Ferne das Gebrüll eines aufgeſtörten Rindes oder
der Schrei einer Lerche, deren Leben unter dem
Ueberfall eines Wieſels oder einer Waſſerratte endete.
Der Knecht lehnte gegen den Thürpfoſten und
rauchte aus einer kurzen Pfeife, deren Rauch er
ſchon nicht mehr ſehen konnte; geſprochen hatten er
und der Junge noch nicht zuſammen. Dem Letzteren
aber drückte etwas auf die Seele, er wußte nur
[131] nicht, wie er dem ſchweigſamen Knechte ankommen
ſollte. „Du, Iven!” ſagte er endlich, „weißt Du,
das Pferdsgeripp' auf Jeversſand!”
„Was iſt damit?” frug der Knecht.
„Ja, Iven, was iſt damit? Es iſt gar nicht
mehr da; weder Tages noch bei Mondſchein; wohl
zwanzigmal bin ich auf den Deich hinausgelaufen!”
„Die alten Knochen ſind wohl zuſammen-
gepoltert!” ſagte Iven und rauchte ruhig weiter.
„Aber ich war auch bei Mondſchein draußen;
es geht auch drüben nichts auf Jeversſand!”
„Ja,” ſagte der Knecht, „ſind die Knochen
auseinander gefallen, ſo wird's wohl nicht mehr
aufſtehen können!”
„Mach' keinen Spaß, Iven! Ich weiß jetzt;
ich kann Dir ſagen, wo es iſt!”
Der Knecht drehte ſich jäh zu ihm: „Nun,
wo iſt es denn?”
„Wo?” wiederholte der Junge nachdrücklich.
„Es ſteht in unſ'rem Stall; da ſteht's, ſeit es
nicht mehr auf der Hallig iſt. Es iſt auch nicht
umſonſt, daß der Wirth es allzeit ſelber füttert;
ich weiß Beſcheid, Iven!”
Der Knecht paffte eine Weile heftig in die
9 *
[132] Nacht hinaus. „Du biſt nicht klug, Carſten,” ſagte er
dann; „unſer Schimmel? Wenn je ein Pferd ein
lebig's war, ſo iſt es der! Wie kann ſo ein Allerwelts-
junge wie Du in ſolch' Altem-Weiberglauben ſitzen!”
— — Aber der Junge war nicht zu bekehren:
wenn der Teufel in dem Schimmel ſteckte, warum
ſollte er dann nicht lebendig ſein? Im Gegentheil,
um deſto ſchlimmer! — Er fuhr jedesmal erſchreckt
zuſammen, wenn er gegen Abend den Stall betrat,
in dem auch Sommers das Thier mitunter eingeſtellt
wurde, und es dann den feurigen Kopf ſo jäh nach
ihm herumwarf. „Hol's der Teufel!” brummte er
dann; „wir bleiben auch nicht lange mehr zuſammen.”
So that er ſich denn heimlich nach einem
neuen Dienſte um, kündigte und trat um Aller-
heiligen als Knecht bei Ole Peters ein. Hier fand
er andächtige Zuhörer für ſeine Geſchichte von dem
Teufelspferd des Deichgrafen; die dicke Frau Vollina
und deren geiſtesſtumpfer Vater, der frühere Deich-
gevollmächtigte Jeß Harders, hörten in behaglichem
Gruſeln zu und erzählten ſie ſpäter Allen, die gegen
den Deichgrafen einen Groll im Herzen oder die an
derart Dingen ihr Gefallen hatten.
[133]
Inzwiſchen war ſchon Ende März durch die
Oberdeichgrafſchaft der Befehl zur neuen Eindeichung
eingetroffen. Hauke berief zunächſt die Deichge-
vollmächtigten zuſammen, und im Kruge oben bei
der Kirche waren eines Tages alle erſchienen und
hörten zu, wie er ihnen die Hauptpunkte aus den
bisher erwachſenen Schriftſtücken vorlas: aus ſeinem
Antrage, aus dem Bericht des Oberdeichgrafen,
zuletzt den ſchließlichen Beſcheid, worin vor Allem
auch die Annahme des von ihm vorgeſchlagenen
Profiles enthalten war, und der neue Deich nicht
ſteil wie früher, ſondern allmälig verlaufend nach
der Seeſeite abfallen ſollte; aber mit heiteren oder
auch nur zufriedenen Geſichtern hörten ſie nicht.
„Ja, ja,” ſagte ein alter Gevollmächtigter,
„da haben wir nun die Beſcherung, und Proteſte
werden nicht helfen, da der Oberdeichgraf unſerem
Deichgrafen den Daumen hält!”
„Haſt wohl recht, Dethlev Wiens,” ſetzte ein
zweiter hinzu; „die Frühlingsarbeit ſteht vor der
Thür, und nun ſoll auch ein millionenlanger Deich
gemacht werden — da muß ja Alles liegen
bleiben.”
„Das könnt Ihr dies Jahr noch zu Ende
[134] bringen,” ſagte Hauke; „ſo raſch wird der Stecken
nicht vom Zaun gebrochen!”
Das wollten Wenige zugeben. „Aber Dein
Profil!” ſprach ein Dritter, was Neues auf die
Bahn bringend; „der Deich wird ja auch an der
Außenſeite nach dem Waſſer ſo breit, wie Lawrenz
ſein Kind nicht lang war! Wo ſoll das Material
herkommen? Wann ſoll die Arbeit fertig werden?”
„Wenn nicht in dieſem, ſo im nächſten Jahre;
das wird am meiſten von uns ſelber abhängen!”
ſagte Hauke.
Ein ärgerliches Lachen ging durch die Geſell-
ſchaft. „Aber wozu die unnütze Arbeit; der Deich
ſoll ja nicht höher werden als der alte,” rief
eine neue Stimme; „und ich mein', der ſteht ſchon
über dreißig Jahre!”
„Da ſagt Ihr recht,” ſprach Hauke, „vor
dreißig Jahren iſt der alte Deich gebrochen; dann
rückwärts vor fünfunddreißig, und wiederum vor
fünfundvierzig Jahren; ſeitdem aber, obgleich er
noch immer ſteil und unvernünftig daſteht, haben
die höchſten Fluthen uns verſchont. Der neue Deich
aber ſoll trotz ſolcher hundert und aber hundert
Jahre ſtehen; denn er wird nicht durchbrochen
[135] werden, weil der milde Abfall nach der Seeſeite
den Wellen keinen Angriffspunkt entgegenſtellt, und
ſo werdet Ihr für Euch und Euere Kinder ein
ſicheres Land gewinnen, und das iſt es, weshalb
die Herrſchaft und der Oberdeichgraf mir den
Daumen halten; das iſt es auch, was Ihr zu
Eurem eigenen Vortheil einſehen ſolltet!”
Als die Verſammelten hierauf nicht ſogleich
zu antworten bereit waren, erhob ſich ein alter
weißhaariger Mann mühſam von ſeinem Stuhle;
es war Frau Elke's Pathe, Jewe Manners, der
auf Hauke's Bitten noch immer in ſeinem Gevoll-
mächtigten-Amt verblieben war. „Deichgraf Hauke
Haien,” ſprach er, „Du machſt uns viel Unruhe
und Koſten, und ich wollte, Du hätteſt damit ge-
wartet, bis mich der Herrgott hätt' zur Ruhe
gehen laſſen; aber — recht haſt Du, das kann
nur die Unvernunft beſtreiten. Wir haben Gott
mit jedem Tag zu danken, daß er uns trotz unſerer
Trägheit das koſtbare Stück Vorland gegen Sturm
und Waſſerdrang erhalten hat; jetzt aber iſt es
wohl die elfte Stunde, in der wir ſelbſt die Hand
anlegen müſſen, es auch nach all' unſerem Wiſſen
und Können ſelber uns zu wahren und auf Gottes
[136] Langmuth weiter nicht zu trotzen. Ich, meine
Freunde, bin ein Greis; ich habe Deiche bauen
und brechen ſehen; aber den Deich, den Hauke
Haien nach ihm von Gott verliehener Einſicht
projectirt und bei der Herrſchaft für Euch durch-
geſetzt hat, den wird Niemand von Euch Lebenden
brechen ſehen; und wolltet Ihr ihm ſelbſt nicht
danken, Euere Enkel werden ihm den Ehrenkranz
doch einſtens nicht verſagen können!”
Jewe Manners ſetzte ſich wieder; er nahm
ſein blaues Schnupftuch aus der Taſche und wiſchte
ſich ein paar Tropfen von der Stirn. Der Greis
war noch immer als ein Mann von Tüchtigkeit
und unantaſtbarer Rechtſchaffenheit bekannt, und
da die Verſammlung eben nicht geneigt war, ihm
zuzuſtimmen, ſo ſchwieg ſie weiter. Aber Hauke
Haien nahm das Wort; doch ſahen Alle, daß er
bleich geworden. „Ich danke Euch, Jewe Manners,”
ſprach er, „daß Ihr noch hier ſeid, und daß Ihr
das Wort geſprochen habt; Ihr andern Herren Ge-
vollmächtigten, wollet den neuen Deichbau, der
freilich mir zur Laſt fällt, zum mindeſten anſehen
als ein Ding, das nun nicht mehr zu ändern ſteht, und
laſſet uns demgemäß beſchließen, was nun noth iſt!”
[137]
„Sprechet!” ſagte einer der Gevollmächtigten.
Und Hauke breitete die Karte des neuen Deiches
auf dem Tiſche aus: „Es hat vorhin Einer gefragt,”
begann er, „woher die viele Erde nehmen? —
Ihr ſeht, ſoweit das Vorland in die Watten
hinausgeht, iſt außerhalb der Deichlinie ein Streifen
Landes freigelaſſen; daher und von dem Vorlande,
das nach Nord und Süd von dem neuen Kooge
an dem Deiche hinläuft, können wir die Erde
nehmen; haben wir an den Waſſerſeiten nur eine
tüchtige Lage Klei, nach innen oder in der Mitte
kann auch Sand genommen werden! — Nun aber
iſt zunächſt ein Feldmeſſer zu berufen, der die
Linie des neuen Deiches auf dem Vorland abſteckt!
Der mir bei Ausarbeitung des Planes behülflich
geweſen, wird wohl am beſten dazu paſſen. Ferner
werden wir zur Heranholung des Klei's oder
ſonſtigen Materiales die Anfertigung einſpänniger
Sturzkarren mit Gabeldeichſel bei einigen Stell-
machern verdingen müſſen; wir werden für die
Durchdämmung des Priehles und nach den Binnen-
ſeiten, wo wir etwa mit Sand fürlieb nehmen
müſſen, ich kann jetzt nicht ſagen, wie viel hundert
Fuder Stroh zur Beſtickung des Deiches gebrauchen,
[138] vielleicht mehr, als in der Marſch hier wird ent-
behrlich ſein! — Laſſet uns denn berathen, wie
zunächſt dies Alles zu beſchaffen und einzurichten
iſt; auch die neue Schleuſe hier an der Weſtſeite
gegen das Waſſer zu iſt ſpäter einem tüchtigen
Zimmermann zur Herſtellung zu übergeben.”
Die Verſammelten hatten ſich um den Tiſch
geſtellt, betrachteten mit halbem Aug' die Karte
und begannen allgemach zu ſprechen; doch war's,
als [geſchähe es, damit] nur überhaupt Etwas
geſprochen werde. Als es ſich um Zuziehung des
Feldmeſſers handelte, meinte einer der Jüngeren:
„Ihr habt es ausgeſonnen, Deichgraf; Ihr müſſet
ſelbſt am beſten wiſſen, wer dazu taugen mag.”
Aber Hauke entgegnete: „Da Ihr Geſchworene
ſeid, ſo müſſet Ihr aus eigener, nicht aus meiner
Meinung ſprechen, Jacob Meyen; und wenn Ihr's
dann beſſer ſagt, ſo werd' ich meinen Vorſchlag
fallen laſſen!”
„Nun ja, es wird ſchon recht ſein,” ſagte
Jacob Meyen.
Aber einem der Aelteren war es doch nicht
völlig recht: er hatte einen Brudersſohn; ſo einer
im Feldmeſſen ſollte hier in der Marſch noch nicht
[139] geweſen ſein; der ſollte noch über des Deichgrafen
Vater, den ſeligen Tede Haien, gehen!
So wurde denn über die beiden Feldmeſſer
verhandelt und endlich beſchloſſen, ihnen gemein-
ſchaftlich das Werk zu übertragen. Aehnlich ging
es bei den Sturzkarren, bei der Strohlieferung und
allem Anderen, und Hauke kam ſpät und faſt er-
ſchöpft auf ſeinem Wallach, den er noch derzeit
ritt, zu Hauſe an. Aber als er in dem alten
Lehnſtuhl ſaß, der noch von ſeinem gewichtigen,
aber leichter lebenden Vorgänger ſtammte, war
auch ſein Weib ihm ſchon zur Seite: „Du ſiehſt
ſo müd' aus, Hauke,” ſprach ſie und ſtrich mit
ihrer ſchmalen Hand das Haar ihm von der Stirn.
„Ein wenig wohl!” erwiderte er.
— „Und geht es denn?”
„Es geht ſchon,” ſagte er mit bitterem Lächeln;
„aber ich ſelber muß die Räder ſchieben und froh
ſein, wenn ſie nicht zurückgehalten werden!”
— „Aber doch nicht von Allen?”
„Nein, Elke; Dein Pathe, Jewe Manners, iſt
ein guter Mann; ich wollt', er wär' um dreißig
Jahre jünger.”
[140]
Als nach einigen Wochen die Deichlinie ab-
geſteckt und der größte Theil der Sturzkarren
geliefert war, waren ſämmtliche Antheilbeſitzer
des einzudeichenden Kooges, ingleichen die Beſitzer
der hinter dem alten Deich belegenen Ländereien
durch den Deichgrafen im Kirchſpielskrug verſammelt
worden; es galt, ihnen einen Plan über die Ver-
theilung der Arbeit und Koſten vorzulegen und
ihre etwaigen Einwendungen zu vernehmen; denn
auch die Letzteren hatten, ſofern der neue Deich und
die neuen Siele die Unterhaltungskoſten der älteren
Werke verminderte, ihren Theil zu ſchaffen und
zu tragen. Dieſer Plan war für Hauke ein ſchwer
Stück Arbeit geweſen, und wenn ihm durch Ver-
mittelung des Oberdeichgrafen neben einem Deich-
boten nicht auch noch ein Deichſchreiber wäre zu-
geordnet worden, er würde es ſobald nicht fertig
gebracht haben, obwohl auch jetzt wieder an jedem
neuen Tage in die Nacht hinein gearbeitet war. Wenn
er dann todtmüde ſein Lager ſuchte, ſo hatte nicht wie
vordem ſein Weib in nur verſtelltem Schlafe ſeiner
gewartet; auch ſie hatte ſo vollgemeſſen ihre tägliche
Arbeit, daß ſie Nachts wie am Grunde eines tiefen
Brunnens in unſtörbarem Schlafe lag.
[141]
Als Hauke jetzt ſeinen Plan verleſen und die
Papiere, die freilich ſchon drei Tage hier im Kruge
zur Einſicht ausgelegen hatten, wieder auf den
Tiſch breitete, waren zwar ernſte Männer zugegen,
die mit Ehrerbietung dieſen gewiſſenhaften Fleiß
betrachteten und ſich nach ruhiger Ueberlegung den
billigen Anſätzen ihres Deichgrafen unterwarfen;
Andere aber, deren Antheile an dem neuen Lande
von ihnen ſelbſt oder ihren Vätern oder ſonſtigen
Vorbeſitzern waren veräußert worden, beſchwerten
ſich, daß ſie zu den Koſten des neuen Kooges hin-
zugezogen ſeien, deſſen Land ſie nichts mehr angehe,
uneingedenk, daß durch die neuen Arbeiten auch
ihre alten Ländereien nach und nach entbürdet
würden; und wieder Andere, die mit Antheilen
in dem neuen Koog geſegnet waren, ſchrieen, man
möge ihnen doch dieſelben abnehmen, ſie ſollten um
ein Geringes feil ſein; denn wegen der unbilligen
Leiſtungen, die ihnen dafür aufgebürdet würden,
könnten ſie nicht damit beſtehen. Ole Peters aber,
der mit grimmigem Geſicht am Thürpfoſten lehnte,
rief dazwiſchen: „Beſinnt Euch erſt, und dann
vertrauet unſerem Deichgrafen! der verſteht zu
rechnen; er hatte ſchon die meiſten Antheile, da
[142] wußte er auch mir die meinen abzuhandeln, und
als er ſie hatte, beſchloß er, dieſen neuen Koog zu
deichen!”
Es war nach dieſen Worten einen Augenblick
todtenſtill in der Verſammlung. Der Deichgraf
ſtand an dem Tiſch, auf dem er zuvor ſeine Papiere
gebreitet hatte: er hob ſeinen Kopf und ſah nach
Ole Peters hinüber: „Du weißt wohl, Ole Peters,”
ſprach er, „daß Du mich verleumdeſt; Du thuſt es
dennoch, weil Du überdies auch weißt, daß doch ein
gut Theil des Schmutzes, womit Du mich bewirfſt,
an mir wird hängen bleiben! Die Wahrheit iſt,
daß Du Deine Antheile los ſein wollteſt, und daß
ich ihrer derzeit für meine Schafzucht bedurfte; und
willſt Du Weiteres wiſſen, das ungewaſchene Wort,
das Dir im Krug vom Mund gefahren, ich ſei nur
Deichgraf meines Weibes wegen, das hat mich
aufgerüttelt, und ich hab' Euch zeigen wollen,
daß ich wohl um meiner ſelbſt willen Deichgraf
ſein könne; und ſomit, Ole Peters, hab' ich ge-
than, was ſchon der Deichgraf vor mir hätte thun
ſollen. Trägſt Du mir aber Groll, daß derzeit
Deine Antheile die meinen geworden ſind — Du
hörſt es ja, es ſind genug, die jetzt die ihrigen um
[143] ein Billiges feil bieten, nur weil die Arbeit ihnen
jetzt zu viel iſt!”
Von einem kleinen Theil der verſammelten
Männer ging ein Beifallsmurmeln aus, und der
alte Jewe Manners, der dazwiſchen ſtand, rief
laut: „Bravo, Hauke Haien! Unſer Herrgott wird
Dir Dein Werk gelingen laſſen!”
Aber man kam doch nicht zu Ende, obgleich
Ole Peters ſchwieg, und die Leute erſt zum Abend-
brote auseinandergingen; erſt in einer zweiten
Verſammlung wurde Alles geordnet; aber auch
nur, nachdem Hauke ſtatt der ihm zukommenden
drei Geſpanne für den nächſten Monat deren vier
auf ſich genommen hatte.
Endlich, als ſchon die Pfingſtglocken durch das
Land läuteten, hatte die Arbeit begonnen: un-
abläſſig fuhren die Sturzkarren von dem Vor-
lande an die Deichlinie, um den geholten Klei dort
abzuſtürzen, und gleicherweiſe war dieſelbe Anzahl
ſchon wieder auf der Rückfahrt, um auf dem Vor-
land neuen aufzuladen; an der Deichlinie ſelber
ſtanden Männer mit Schaufeln und Spaten, um
das Abgeworfene an ſeinen Platz zu bringen und
zu ebnen; ungeheuere Fuder Stroh wurden ange-
[144] fahren und abgeladen; nicht nur zur Bedeckung
des leichteren Materials, wie Sand und loſe Erde,
deſſen man an den Binnenſeiten ſich bediente,
wurde das Stroh benutzt; allmälig wurden einzelne
Strecken des Deiches fertig, und die Grasſoden,
womit man ſie belegt hatte, wurden ſtellenweis
zum Schutz gegen die nagenden Wellen mit feſter
Strohbeſtickung überzogen; beſtellte Aufſeher gingen
hin und her und, wenn es ſtürmte, ſtanden ſie
mit aufgeriſſenen Mäulern und ſchrieen ihre Befehle
durch Wind und Wetter; dazwiſchen ritt der Deich-
graf auf ſeinem Schimmel, den er jetzt ausſchließlich
in Gebrauch hatte, und das Thier flog mit dem
Reiter hin und wieder, wenn er raſch und trocken
ſeine Anordnungen machte, wenn er die Arbeiter
lobte oder, wie es wohl geſchah, einen Faulen
oder Ungeſchickten ohn' Erbarmen aus der Arbeit
wies. „Das hilft nicht!” rief er dann; „um
Deine Faulheit darf uns nicht der Deich verderben!”
Schon von Weitem, wenn er unten aus dem Koog
heraufkam, hörten ſie das Schnauben ſeines Roſſes,
und alle Hände faßten feſter in die Arbeit: „Friſch
zu! Der Schimmelreiter kommt!”
War es um die Frühſtückszeit, wo die Arbeiter
[145] mit ihrem Morgenbrot haufenweis beiſammen auf
der Erde lagen, dann ritt Hauke an den verlaſſenen
Werken entlang, und ſeine Augen waren ſcharf,
wo liederliche Hände den Spaten geführt hatten.
Wenn er aber zu den Leuten ritt und ihnen aus-
einanderſetzte, wie die Arbeit müſſe beſchafft werden,
ſahen ſie wohl zu ihm auf und kauten geduldig
an ihrem Brote weiter; aber eine Zuſtimmung
oder auch nur eine Aeußerung hörte er nicht von
ihnen. Einmal zu ſolcher Tageszeit, es war ſchon
ſpät, da er an einer Deichſtelle die Arbeit in
beſonderer Ordnung gefunden hatte, ritt er zu dem
nächſten Haufen der Frühſtückenden, ſprang von
ſeinem Schimmel und frug heiter, wer dort ſo
ſauberes Tagewerk verrichtet hätte; aber ſie ſahen
ihn nur ſcheu und düſter an, und nur langſam
und wie widerwillig wurden ein paar Namen ge-
nannt. Der Menſch, dem er ſein Pferd gegeben
hatte, das ruhig wie ein Lamm ſtand, hielt es
mit beiden Händen und blickte wie angſtvoll nach
den ſchönen Augen des Thieres, die es, wie ge-
wöhnlich, auf ſeinen Herrn gerichtet hielt.
„Nun, Marten!” rief Hauke; „was ſtehſt Du,
als ob Dir der Donner in die Beine gefahren ſei?”
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 10
[146]
— „Herr, Euer Pferd, es iſt ſo ruhig, als
ob es Böſes vorhabe!”
Hauke lachte und nahm das Pferd ſelbſt am
Zügel, das ſogleich liebkoſend den Kopf an ſeiner
Schulter rieb. Von den Arbeitern ſahen einige
ſcheu zu Roß und Reiter hinüber, andere, als ob
das Alles ſie nicht kümmere, aßen ſchweigend ihre
Frühkoſt, dann und wann den Möven einen Brocken
hinaufwerfend, die ſich den Futterplatz gemerkt hatten
und mit ihren ſchlanken Flügeln ſich faſt auf ihre
Köpfe ſenkten. Der Deichgraf blickte eine Weile
wie gedankenlos auf die bettelnden Vögel und wie
ſie die zugeworfenen Biſſen mit ihren Schnäbeln
haſchten; dann ſprang er in den Sattel und ritt,
ohne ſich nach den Leuten umzuſehen, davon; einige
Worte, die jetzt unter ihnen laut wurden, klangen
ihm faſt wie Hohn. „Was iſt das?” ſprach er
bei ſich ſelber. „Hatte denn Elke recht, daß ſie
Alle gegen mich ſind? Auch dieſe Knechte und
kleinen Leute, von denen Vielen durch meinen neuen
Deich doch eine Wohlhabenheit ins Haus wächſt?”
Er gab ſeinem Pferde die Sporen, daß es
wie toll in den Koog hinabflog. Von dem un-
heimlichen Glanze freilich, mit dem ſein früherer
[147] Dienſtjunge den Schimmelreiter bekleidet hatte,
wußte er ſelber nichts; aber die Leute hätten ihn
jetzt nur ſehen ſollen, wie aus ſeinem hageren Ge-
ſicht die Augen ſtarrten, wie ſein Mantel flog,
und wie der Schimmel ſprühte!
— — So war der Sommer und der Herbſt
vergangen; noch bis gegen Ende November war
gearbeitet worden; dann geboten Froſt und Schnee
dem Werke Halt; man war nicht fertig geworden
und beſchloß, den Koog offen liegen zu laſſen.
Acht Fuß ragte der Deich aus der Fläche hervor;
nur wo weſtwärts gegen das Waſſer hin die
Schleuſe gelegt werden ſollte, hatte man eine Lücke
gelaſſen; auch oben vor dem alten Deiche war der
Priehl noch unberührt. So konnte die Fluth, wie
in den letzten dreißig Jahren, in den Koog hinein-
dringen, ohne dort oder an dem neuen Deiche
großen Schaden anzurichten. Und ſo überließ man
dem großen Gott das Werk der Menſchenhände
und ſtellte es in ſeinen Schutz, bis die Frühlings-
ſonne die Vollendung würde möglich machen.
— — Inzwiſchen hatte im Hauſe des Deich-
grafen ſich ein frohes Ereigniß vorbereitet: im
neunten Ehejahre war noch ein Kind geboren worden.
10 *
[148] Es war roth und hutzelig und wog ſeine ſieben
Pfund, wie es für neugeborene Kinder ſich gebührt,
wenn ſie, wie dies, dem weiblichen Geſchlechte an-
gehören; nur ſein Geſchrei war wunderlich verhohlen
und hatte der Wehmutter nicht gefallen wollen.
Das Schlimmſte war, am dritten Tage lag Elke
im hellen Kindbettfieber, redete Irrſal und kannte
weder ihren Mann noch ihre alte Helferin. Die
unbändige Freude, die Hauke beim Anblick ſeines
Kindes ergriffen hatte, war zu Trübſal geworden;
der Arzt aus der Stadt war geholt, er ſaß am
Bett und fühlte den Puls und verſchrieb und ſah
rathlos um ſich her. Hauke ſchüttelte den Kopf:
„Der hilft nicht; nur Gott kann helfen!” Er hatte
ſich ſein eigen Chriſtenthum zurecht gerechnet; aber
es war Etwas, das ſein Gebet zurückhielt. Als
der alte Doctor davongefahren war, ſtand er am
Fenſter, in den winterlichen Tag hinausſtarrend,
und während die Kranke aus ihren Phantaſien
aufſchrie, ſchränkte er die Hände zuſammen; er
wußte ſelber nicht, war es aus Andacht oder war
es nur, um in der ungeheueren Angſt ſich ſelbſt
nicht zu verlieren.
„Waſſer! Das Waſſer!” wimmerte die Kranke.
[149] „Halt' mich!” ſchrie ſie; „halt' mich, Hauke!”
Dann ſank die Stimme; es klang, als ob ſie weine:
„In See, ins Haf hinaus? O, lieber Gott, ich
ſeh' ihn nimmer wieder!”
Da wandte er ſich und ſchob die Wärterin
von ihrem Bette; er fiel auf ſeine Kniee, umfaßte
ſein Weib und riß ſie an ſich: „Elke! Elke, ſo
kenn' mich doch, ich bin ja bei Dir!”
Aber ſie öffnete nur die fieberglühenden Augen
weit und ſah wie rettungslos verloren um ſich.
Er legte ſie zurück auf ihre Kiſſen; dann
krampfte er die Hände in einander: „Herr, mein
Gott,” ſchrie er; „nimm ſie mir nicht! Du weißt,
ich kann ſie nicht entbehren!” Dann war's, als
ob er ſich beſinne, und leiſer ſetzte er hinzu: „Ich
weiß ja wohl, Du kannſt nicht allezeit, wie Du
willſt, auch Du nicht; Du biſt allweiſe; Du mußt
nach Deiner Weisheit thun — o, Herr, ſprich nur
durch einen Hauch zu mir!”
Es war, als ob plötzlich eine Stille eingetreten
ſei; er hörte nur ein leiſes Athmen; als er ſich zum
Bette kehrte, lag ſein Weib in ruhigem Schlaf; nur
die Wärterin ſah mit entſetzten Augen auf ihn. Er
hörte die Thür gehen: „Wer war das?” frug er.
[150]
„Herr, die Magd Ann' Grethe ging hinaus;
ſie hatte den Warmkorb hereingebracht.”
— „Was ſieht Sie mich denn ſo verfahren
an, Frau Levke?”
„Ich? Ich hab' mich ob Eurem Gebet er-
ſchrocken; damit betet Ihr Keinen vom Tode los!”
Hauke ſah ſie mit ſeinen durchdringenden Augen
an: „Beſucht Sie denn auch, wie unſere Ann'
Grethe, die Conventikel bei dem holländiſchen Flick-
ſchneider Jantje?”
„Ja, Herr; wir haben beide den lebendigen
Glauben!”
Hauke antwortete ihr nicht. Das damals ſtark
im Schwange gehende ſeparatiſtiſche Conventikel-
Weſen hatte auch unter den Frieſen ſeine Blüthen
getrieben; heruntergekommene Handwerker oder
wegen Trunkes abgeſetzte Schulmeiſter ſpielten
darin die Hauptrolle, und Dirnen, junge und alte
Weiber, Faulenzer und einſame Menſchen liefen
eifrig in die heimlichen Verſammlungen, in denen
jeder den Prieſter ſpielen konnte. Aus des Deich-
grafen Hauſe brachten Ann' Grethe und der in ſie
verliebte Dienſtjunge ihre freien Abende dort zu.
Freilich hatte Elke ihre Bedenken darüber gegen
[151] Hauke nicht zurückgehalten; aber er hatte gemeint,
in Glaubensſachen ſolle man Keinem drein reden:
das ſchade Niemandem, und beſſer dort doch als im
Schnapskrug!
So war es dabei geblieben, und ſo hatte er
auch jetzt geſchwiegen. Aber freilich über ihn
ſchwieg man nicht; ſeine Gebetsworte liefen um
von Haus zu Haus: er hatte Gottes Allmacht
beſtritten; was war ein Gott denn ohne Allmacht?
Er war ein Gottesleugner; die Sache mit dem
Teufelspferde mochte auch am Ende richtig ſein!
Hauke erfuhr nichts davon; er hatte in dieſen
Tagen nur Ohren und Augen für ſein Weib; ſelbſt
das Kind war für ihn nicht mehr auf der Welt.
Der alte Arzt kam wieder, kam jeden Tag,
mitunter zweimal, blieb dann eine ganze Nacht,
ſchrieb wieder ein Recept, und der Knecht Iven
Johns ritt damit im Flug zur Apotheke. Dann
aber wurde ſein Geſicht freundlicher, er nickte dem
Deichgrafen vertraulich zu: „Es geht! Es geht!
Mit Gottes Hülfe!” und eines Tags — hatte nun
ſeine Kunſt die Krankheit beſiegt, oder hatte auf
Hauke's Gebet der liebe Gott doch noch einen Aus-
weg finden können — als der Doctor mit der
[152] Kranken allein war, ſprach er zu ihr, und ſeine
alten Augen lachten: „Frau, jetzt kann ich's getroſt
Euch ſagen: heut' hat der Doctor ſeinen Feſttag;
es ſtand ſchlimm um Euch; aber nun gehöret Ihr
wieder zu uns, zu den Lebendigen!”
Da brach es wie ein Strahlenmeer aus ihren
dunklen Augen: „Hauke! Hauke, wo biſt Du?”
rief ſie, und als er auf den hellen Ruf ins Zimmer
und an ihr Bett ſtürzte, ſchlug ſie die Arme um
ſeinen Nacken: „Hauke, mein Mann, gerettet! Ich
bleibe bei Dir!”
Da zog der alte Doctor ſein ſeiden Schnupf-
tuch aus der Taſche, fuhr ſich damit über Stirn
und Wangen und ging kopfnickend aus dem Zimmer.
— — Am dritten Abend nach dieſem Tage
ſprach ein frommer Redner — es war ein vom
Deichgrafen aus der Arbeit gejagter Pantoffel-
macher — im Conventikel bei dem holländiſchen
Schneider, da er ſeinen Zuhörern die Eigenſchaften
Gottes auseinanderſetzte: „Wer aber Gottes All-
macht widerſtreitet, wer da ſagt: ich weiß, Du
kannſt nicht, was Du willſt — wir kennen den
Unglückſeligen ja Alle; er laſtet gleich einem Stein
auf der Gemeinde — der iſt von Gott gefallen
[153] und ſuchet den Feind Gottes, den Freund der Sünde
zu ſeinem Tröſter; denn nach irgend einem Stabe
muß die Hand des Menſchen greifen. Ihr aber,
hütet Euch vor dem, der alſo betet; ſein Gebet
iſt Fluch!”
— — Auch das lief um von Haus zu Haus.
Was läuft nicht um in einer kleinen Gemeinde?
und auch zu Hauke's Ohren kam es. Er ſprach
kein Wort darüber, nicht einmal zu ſeinem Weibe;
nur mitunter konnte er ſie heftig umfaſſen und
an ſich ziehen: „Bleib mir treu, Elke! Bleib mir
treu!” — Dann ſahen ihre Augen voll Staunen zu
ihm auf: „Dir treu? Wem ſollte ich denn anders
treu ſein?” — Nach einer kurzen Weile aber hatte
ſie ſein Wort verſtanden: „Ja, Hauke, wir ſind
uns treu; nicht nur, weil wir uns brauchen.”
Und dann ging Jedes ſeinen Arbeitsweg.
Das wäre ſo weit gut geweſen; aber es war
doch trotz aller lebendigen Arbeit eine Einſamkeit
um ihn, und in ſeinem Herzen niſtete ſich ein
Trotz und abgeſchloſſenes Weſen gegen andere
Menſchen ein; nur gegen ſein Weib blieb er alle-
zeit der Gleiche, und an der Wiege ſeines Kindes
lag er Abends und Morgens auf den Knieen, als
[154] ſei dort die Stätte ſeines ewigen Heils. Gegen
Geſinde und Arbeiter aber wurde er ſtrenger; die
Ungeſchickten und Fahrläſſigen, die er früher durch
ruhigen Tadel zurecht gewieſen hatte, wurden jetzt
durch hartes Anfahren aufgeſchreckt, und Elke ging
mitunter leiſe beſſern.
Als der Frühling nahte, begannen wieder
die Deicharbeiten; mit einem Kajedeich wurde zum
Schutz der jetzt aufzubauenden neuen Schleuſe die
Lücke in der weſtlichen Deichlinie geſchloſſen, halb-
mondförmig nach innen und ebenſo nach außen;
und gleich der Schleuſe wuchs allmälig auch der
Haupt-Deich zu ſeiner immer raſcher herzuſtellenden
Höhe empor. Leichter wurde dem leitenden Deich-
grafen ſeine Arbeit nicht; denn an Stelle des im
Winter verſtorbenen Jewe Manners war Ole Peters
als Deichgevollmächtigter eingetreten. Hauke hatte
nicht verſuchen wollen, es zu hindern; aber anſtatt
der ermuthigenden Worte und der dazu gehörigen
zuthunlichen Schläge auf ſeine linke Schulter, die
er ſo oft von dem alten Pathen ſeines Weibes
eincaſſirt hatte, kamen ihm jetzt von dem Nach-
folger ein heimliches Widerhalten und unnöthige
[155] Einwände und waren mit unnöthigen Gründen
zu bekämpfen; denn Ole gehörte zwar zu den
Wichtigen, aber in Deichſachen nicht zu den Klugen;
auch war von früher her der „Schreiberknecht” ihm
immer noch im Wege.
Der glänzendſte Himmel breitete ſich wieder
über Meer und Marſch, und der Koog wurde
wieder bunt von ſtarken Rindern, deren Gebrüll
von Zeit zu Zeit die weite Stille unterbrach;
unabläſſig ſangen in hoher Himmelsluft die Lerchen;
aber man hörte es erſt, wenn einmal auf eines
Athemzuges Länge der Geſang verſtummt war.
Kein Unwetter ſtörte die Arbeit, und die Schleuſe
ſtand ſchon mit ihrem ungeſtrichenen Balkengefüge,
ohne daß auch nur in einer Nacht ſie eines Schutzes
von dem Interims-Deich bedurft hätte; der Herr-
gott ſchien ſeine Gunſt dem neuen Werke zuzuwenden.
Auch Frau Elke's Augen lachten ihrem Manne zu,
wenn er auf ſeinem Schimmel draußen von dem
Deich nach Hauſe kam: „Biſt doch ein braves
Thier geworden!” ſagte ſie dann und klopfte den
blanken Hals des Pferdes. Hauke aber, wenn ſie
das Kind am Halſe hatte, ſprang herab und ließ
das winzige Dinglein auf ſeinen Armen tanzen;
[156] wenn dann der Schimmel ſeine braunen Augen
auf das Kind gerichtet hielt, dann ſprach er wohl:
„Komm her; ſollſt auch die Ehre haben!” und er
ſetzte die kleine Wienke — denn ſo war ſie getauft
worden — auf ſeinen Sattel und führte den
Schimmel auf der Werft im Kreiſe herum. Auch
der alte Eſchenbaum hatte mitunter die Ehre; er
ſetzte das Kind auf einen ſchwanken Aſt und ließ
es ſchaukeln. Die Mutter ſtand mit lachenden
Augen in der Hausthür; das Kind aber lachte
nicht, ſeine Augen, zwiſchen denen ein feines
Näschen ſtand, ſchauten ein wenig ſtumpf ins
Weite, und die kleinen Hände griffen nicht nach dem
Stöckchen, das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete
nicht darauf, er wußte auch nichts von ſo kleinen
Kindern; nur Elke, wenn ſie das helläugige Mädchen
auf dem Arm ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit
ihr zugleich das Wochenbett beſtanden hatte, ſagte
mitunter ſchmerzlich: „Das Meine iſt noch nicht ſo
weit wie Deines, Stina!” und die Frau, ihren
dicken Jungen, den ſie an der Hand hatte, mit
derber Liebe ſchüttelnd, rief dann wohl: „Ja,
Frau, die Kinder ſind verſchieden; der da, der
ſtahl mir ſchon die Aepfel aus der Kammer, bevor
[157] er übers zweite Jahr hinaus war!” Und Elke ſtrich
dem dicken Buben ſein Kraushaar aus den Augen
und drückte dann heimlich ihr ſtilles Kind ans Herz.
— — Als es in den October hineinging, ſtand
an der Weſtſeite die neue Schleuſe ſchon feſt in
dem von beiden Seiten ſchließenden Hauptdeich,
der bis auf die Lücken bei dem Priehle nun mit
ſeinem ſanften Profile ringsum nach den Waſſer-
ſeiten abfiel und um fünfzehn Fuß die ordinäre
Fluth überragte. Von ſeiner Nordweſtecke ſah man
an Jevershallig vorbei ungehindert in das Watten-
meer hinaus; aber freilich auch die Winde faßten
hier ſchärfer; die Haare flogen, und wer hier aus-
ſchauen wollte, der mußte die Mütze feſt auf dem
Kopf haben.
Zu Ende November, wo Sturm und Regen
eingefallen waren, blieb nur noch hart am alten
Deich die Schlucht zu ſchließen, auf deren Grunde
an der Nordſeite das Meerwaſſer durch den Priehl
in den neuen Koog hineinſchoß. Zu beiden Seiten
ſtanden die Wände des Deiches; der Abgrund zwiſchen
ihnen mußte jetzt verſchwinden. Ein trocken Sommer-
wetter hätte die Arbeit wohl erleichtert; aber auch
ſo mußte ſie gethan werden; denn ein aufbrechender
[158] Sturm konnte das ganze Werk gefährden. Und
Hauke ſetzte alles daran, um jetzt den Schluß herbei-
zuführen. Der Regen ſtrömte, der Wind pfiff;
aber ſeine hagere Geſtalt auf dem feurigen Schimmel
tauchte bald hier, bald dort aus den ſchwarzen
Menſchenmaſſen empor, die oben wie unten an der
Nordſeite des Deiches neben der Schlucht beſchäftigt
waren. Jetzt ſah man ihn unten bei den Sturz-
karren, die ſchon weither die Kleierde aus dem
Vorlande holen mußten, und von denen eben ein
gedrängter Haufen bei dem Priehle anlangte und
ſeine Laſt dort abzuwerfen ſuchte. Durch das
Geklatſch des Regens und das Brauſen des Windes
klangen von Zeit zu Zeit die ſcharfen Befehlsworte
des Deichgrafen, der heute hier allein gebieten
wollte; er rief die Karren nach den Nummern
vor und wies die Drängenden zurück; ein „Halt!”
ſcholl von ſeinem Munde; dann ruhte unten die
Arbeit; „Stroh! ein Fuder Stroh hinab!” rief
er denen droben zu, und von einem der oben haltenden
Fuder ſtürzte es auf den naſſen Klei hinunter. Unten
ſprangen Männer dazwiſchen und zerrten es aus-
einander und ſchrieen nach oben, ſie nur nicht zu
begraben. Und wieder kamen neue Karren, und
[159] Hauke war ſchon wieder oben und ſah von ſeinem
Schimmel in die Schlucht hinab, und wie ſie dort
ſchaufelten und ſtürzten; dann warf er ſeine Augen
nach dem Haf hinaus. Es wehte ſcharf, und er
ſah, wie mehr und mehr der Waſſerſaum am Deich
hinaufklimmte, und wie die Wellen ſich noch höher
hoben; er ſah auch, wie die Leute trieften und
kaum athmen konnten in der ſchweren Arbeit vor
dem Winde, der ihnen die Luft am Munde ab-
ſchnitt und vor dem kalten Regen, der ſie über-
ſtrömte. „Ausgehalten, Leute! Ausgehalten!” ſchrie
er zu ihnen hinab. „Nur einen Fuß noch höher;
dann iſt's genug für dieſe Fluth!” Und durch alles
Getöſe des Wetters hörte man das Geräuſch der
Arbeiter: das Klatſchen der hineingeſtürzten Klei-
maſſen, das Raſſeln der Karren und das Rauſchen
des von oben hinabgelaſſenen Strohes ging unauf-
haltſam vorwärts; dazwiſchen war mitunter das
Winſeln eines kleinen gelben Hundes laut geworden,
der frierend und wie verloren zwiſchen Menſchen
und Fuhrwerken herumgeſtoßen wurde; plötzlich
aber ſcholl ein jammervoller Schrei des kleinen
Thieres von unten aus der Schlucht herauf.
Hauke blickte hinab; er hatte es von oben hinunter-
[160] ſchleudern ſehen; eine jähe Zornröthe ſtieg ihm
ins Geſicht. „Halt! Haltet ein!” ſchrie er zu den
Karren hinunter; denn der naſſe Klei wurde unauf-
haltſam aufgeſchüttet.
„Warum?” rief eine rauhe Stimme von unten
herauf; „doch um die elende Hunde-Creatur nicht?”
„Halt! ſag' ich,” ſchrie Hauke wieder; „bringt
mir den Hund! Bei unſerem Werke ſoll kein
Frevel ſein!”
Aber es rührte ſich keine Hand; nur ein paar
Spaten zähen Kleis flogen noch neben das
ſchreiende Thier. Da gab er ſeinem Schimmel die
Sporen, daß das Thier einen Schrei ausſtieß,
und ſtürmte den Deich hinab, und Alles wich vor
ihm zurück. „Den Hund!” ſchrie er; „ich will
den Hund!”
Eine Hand ſchlug ſanft auf ſeine Schulter,
als wäre es die Hand des alten Jewe Manners;
doch als er umſah, war es nur ein Freund des
Alten. „Nehmt Euch in Acht, Deichgraf!” raunte
der ihm zu. „Ihr habt nicht Freunde unter dieſen
Leuten; laßt es mit dem Hunde gehen!”
Der Wind pfiff, der Regen klatſchte; die Leute
hatten die Spaten in den Grund geſteckt, einige
[161] ſie fortgeworfen. Hauke neigte ſich zu dem Alten:
„Wollt Ihr meinen Schimmel halten, Harke Jens?”
frug er; und als jener noch kaum den Zügel in
der Hand hatte, war Hauke ſchon in die Kluft
geſprungen und hielt das kleine winſelnde Thier
in ſeinem Arm; und faſt im ſelben Augenblicke
ſaß er auch wieder hoch im Sattel und ſprengte
auf den Deich zurück. Seine Augen flogen über
die Männer, die bei den Wagen ſtanden. „Wer
war es?” rief er. „Wer hat die Creatur hinab-
geworfen?”
Einen Augenblick ſchwieg Alles; denn aus
dem hageren Geſicht des Deichgrafen ſprühte der
Zorn, und ſie hatten abergläubiſche Furcht vor
ihm. Da trat von einem Fuhrwerk ein ſtier-
nackiger Kerl vor ihn hin. „Ich that es nicht,
Deichgraf,” ſagte er und biß von einer Rolle
Kautabak ein Endchen ab, das er ſich erſt ruhig
in den Mund ſchob; „aber der es that, hat recht
gethan; ſoll Euer Deich ſich halten, ſo muß was
Lebiges hinein!”
— „Was Lebiges? Aus welchem Katechismus
haſt Du das gelernt?”
„Aus keinem, Herr!” entgegnete der Kerl,
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 11
[162] und aus ſeiner Kehle ſtieß ein freches Lachen;
„das haben unſere Großväter ſchon gewußt, die
ſich mit Euch im Chriſtenthum wohl meſſen durften!
Ein Kind iſt beſſer noch; wenn das nicht da iſt,
thut's auch wohl ein Hund!”
„Schweig' Du mit Deinen Heidenlehren!”
ſchrie ihn Hauke an; „es ſtopfte beſſer, wenn man
Dich hineinwürfe.”
„Oho!” erſcholl es; aus einem Dutzend Kehlen
war der Laut gekommen, und der Deichgraf gewahrte
ringsum grimmige Geſichter und geballte Fäuſte; er
ſah wohl, daß das keine Freunde waren; der Ge-
danke an ſeinen Deich überfiel ihn wie ein Schrecken:
was ſollte werden, wenn jetzt Alle ihre Spaten hin-
würfen? — Und als er nun den Blick nach unten
richtete, ſah er wieder den Freund des alten Jewe
Manners; der ging dort zwiſchen den Arbeitern,
ſprach zu Dem und Jenen, lachte hier Einem zu,
klopfte dort mit freundlichem Geſicht Einem auf die
Schulter, und Einer nach dem Andern faßte wieder
ſeinen Spaten; noch einige Augenblicke, und die
Arbeit war wieder in vollem Gange. — Was wollte
er denn noch? Der Priehl mußte geſchloſſen werden,
und den Hund barg er ſicher genug in den Falten
[163] ſeines Mantels. Mit plötzlichem Entſchluß wandte
er ſeinen Schimmel gegen den nächſten Wagen:
„Stroh an die Kante!” rief er herriſch, und wie
mechaniſch gehorchte ihm der Fuhrknecht; bald
rauſchte es hinab in die Tiefe, und von allen Seiten
regte es ſich aufs Neue und mit allen Armen.
Eine Stunde war noch ſo gearbeitet; es war
nach ſechs Uhr, und ſchon brach tiefe Dämmerung
herein; der Regen hatte aufgehört; da rief Hauke
die Aufſeher an ſein Pferd: „Morgen früh vier
Uhr,” ſagte er, „iſt Alles wieder auf dem Platz;
der Mond wird noch am Himmel ſein; da machen
wir mit Gott den Schluß! Und dann noch Eines!”
rief er, als ſie gehen wollten: „Kennt Ihr den
Hund?” und er nahm das zitternde Thier aus
ſeinem Mantel.
Sie verneinten das; nur Einer ſagte: „Der
hat ſich taglang ſchon im Dorf herumgebettelt;
der gehört gar Keinem!”
„Dann iſt er mein!” entgegnete der Deichgraf.
„Vergeſſet nicht: morgen früh vier Uhr!” und
ritt davon.
Als er heim kam, trat Ann' Grethe aus der
Thür; ſie hatte ſaubere Kleidung an, und es
11 *
[164] fuhr ihm durch den Kopf, ſie gehe jetzt zum
Conventikelſchneider: „Halt' die Schürze auf!” rief
er ihr zu, und da ſie es unwillkürlich that, warf
er das kleibeſchmutzte Hündlein ihr hinein: „Bring'
ihn der kleinen Wienke; er ſoll ihr Spielkamerad
werden! Aber waſch' und wärm' ihn zuvor; ſo
thuſt Du auch ein gottgefällig Werk; denn die
Creatur iſt ſchier verklommen.”
Und Ann' Grethe konnte nicht laſſen, ihrem
Wirth Gehorſam zu leiſten und kam deshalb heute
nicht in den Conventikel.
Und am andern Tage wurde der letzte Spaten-
ſtich am neuen Deich gethan; der Wind hatte ſich
gelegt; in anmuthigem Fluge ſchwebten Möven
und Avoſetten über Land und Waſſer hin und
wieder; von Jevershallig tönte das tauſendſtimmige
Geknorr der Rottgänſe, die ſich's noch heute an
der Küſte der Nordſee wohl ſein ließen, und aus
den weißen Morgennebeln, welche die weite Marſch
bedeckten, ſtieg allmälig ein goldner Herbſttag und
beleuchtete das neue Werk der Menſchenhände.
Nach einigen Wochen kamen mit dem Ober-
deichgrafen die herrſchaftlichen Commiſſäre zur
[165] Beſichtigung desſelben; ein großes Feſtmahl, das
erſte nach dem Leichenmahl des alten Tede Volkerts,
wurde im deichgräflichen Hauſe gehalten; alle
Deichgevollmächtigten und die größten Intereſſenten
waren dazu geladen. Nach Tiſche wurden ſämmtliche
Wagen der Gäſte und des Deichgrafen angeſpannt;
Frau Elke wurde von dem Oberdeichgrafen in die
Carriole gehoben, vor der der braune Wallach
mit ſeinen Hufen ſtampfte; dann ſprang er ſelber
hinten nach und nahm die Zügel in die Hand;
er wollte die geſcheidte Frau ſeines Deichgrafen
ſelber fahren. So ging es munter von der Werfte
und in den Weg hinaus, den Akt zum neuen Deich
hinan und auf demſelben um den jungen Koog
herum. Es war inmittelſt ein leichter Nordweſt-
wind aufgekommen, und an der Nord- und Weſt-
ſeite des neuen Deiches wurde die Fluth hinauf-
getrieben; aber es war unverkennbar, der ſanfte
Abfall bedingte einen ſanfteren Anſchlag; aus dem
Munde der herrſchaftlichen Commiſſäre ſtrömte das
Lob des Deichgrafen, daß die Bedenken, welche
hie und da von den Gevollmächtigten dagegen
langſam vorgebracht wurden, gar bald darin
erſtickten.
[166]
— Auch das ging vorüber; aber noch eine
Genugthuung empfing der Deichgraf eines Tages,
da er in ſtillem, ſelbſtbewußten Sinnen auf dem
neuen Deich entlang ritt. Es mochte ihm wohl die
Frage kommen, weshalb der Koog, der ohne ihn
nicht da wäre, in dem ſein Schweiß und ſeine
Nachtwachen ſteckten, nun ſchließlich nach einer der
herrſchaftlichen Prinzeſſinnen „der neue Carolinen-
koog” getauft ſei; aber es war doch ſo: auf allen
dahin gehörigen Schriftſtücken ſtand der Name, auf
einigen ſogar in rother Fracturſchrift. Da, als
er aufblickte, ſah er zwei Arbeiter mit ihren Feld-
geräthſchaften, der eine etwa zwanzig Schritte
hinter dem andern, ſich entgegenkommen: „So
wart' doch!” hörte er den Nachfolgenden rufen;
der Andere aber — er ſtand eben an einem Akt,
der in den Koog hinunterführte — rief ihm ent-
gegen: „Ein andermal, Jens! Es iſt ſchon ſpät;
ich ſoll hier Klei ſchlagen!”
— „Wo denn?”
„Nun hier, im Hauke-Haienkoog!”
Er rief es laut, indem er den Akt hinab-
trabte, als ſolle die ganze Marſch es hören, die
darunter lag. Hauke aber war es, als höre er
[167] ſeinen Ruhm verkünden; er hob ſich im Sattel,
gab ſeinem Schimmel die Sporen und ſah mit
feſten Augen über die weite Landſchaft hin, die zu
ſeiner Linken lag. „Hauke-Haienkoog!” wiederholte
er leis; das klang, als könnt' es alle Zeit nicht
anders heißen! Mochten ſie trotzen, wie ſie wollten,
um ſeinen Namen war doch nicht herumzukommen;
der Prinzeſſinnen-Name — würde er nicht bald
nur noch in alten Schriften modern? — Der
Schimmel ging in ſtolzem Galopp; vor ſeinen
Ohren aber ſummte es: „Hauke-Haienkoog! Hauke-
Haienkoog!” In ſeinen Gedanken wuchs faſt der
neue Deich zu einem achten Weltwunder; in ganz
Friesland war nicht ſeines Gleichen! Und er ließ
den Schimmel tanzen; ihm war, er ſtünde inmitten
aller Frieſen; er überragte ſie um Kopfeshöhe,
und ſeine Blicke flogen ſcharf und mitleidig über
ſie hin.
— — Allmälig waren drei Jahre ſeit der
Eindeichung hingegangen; das neue Werk hatte
ſich bewährt, die Reparaturkoſten waren nur gering
geweſen; im Kooge aber blühte jetzt faſt überall
der weiße Klee, und ging man über die geſchützten
Weiden, ſo trug der Sommerwind einem ganze
[168] Wolken ſüßen Dufts entgegen. Da war die Zeit
gekommen, die bisher nur idealen Antheile in
wirkliche zu verwandeln und allen Theilnehmern
ihre beſtimmten Stücke für immer eigenthümlich
zuzuſetzen. Hauke war nicht müßig geweſen, vor-
her noch einige neue zu erwerben; Ole Peters
hatte ſich verbiſſen zurückgehalten; ihm gehörte
nichts im neuen Kooge. Ohne Verdruß und
Streit hatte auch ſo die Theilung nicht abgehen
können; aber fertig war es gleichwohl geworden;
auch dieſer Tag lag hinter dem Deichgrafen.
Fortan lebte er einſam ſeinen Pflichten als
Hofwirth wie als Deichgraf und denen, die ihm
am nächſten angehörten; die alten Freunde waren
nicht mehr in der Zeitlichkeit, neue zu erwerben
war er nicht geeignet. Aber unter ſeinem Dach
war Frieden, den auch das ſtille Kind nicht ſtörte;
es ſprach wenig, das ſtete Fragen, was den auf-
geweckten Kindern eigen iſt, kam ſelten und meiſt
ſo, daß dem Gefragten die Antwort darauf ſchwer
wurde; aber ihr liebes, einfältiges Geſichtlein trug
faſt immer den Ausdruck der Zufriedenheit. Zwei
Spielkameraden hatte ſie, die waren ihr genug:
[169] wenn ſie über die Werfte wanderte, ſprang das
gerettete gelbe Hündlein ſtets um ſie herum, und
wenn der Hund ſich zeigte, war auch klein Wienke
nicht mehr fern. Der zweite Kamerad war eine
Lachmöve, und wie der Hund „Perle”, ſo hieß
die Möve „Claus”.
Claus war durch ein greiſes Menſchenkind
auf dem Hofe inſtallirt worden; die achtzigjährige
Trien' Jans hatte in ihrer Kathe auf dem
Außendeich ſich nicht mehr durchbringen können;
da hatte Frau Elke gemeint, die verlebte Dienſt-
magd ihres Großvaters könnte bei ihnen noch ein
paar ſtille Abendſtunden und eine gute Sterbe-
kammer finden, und ſo, halb mit Gewalt, war
ſie von ihr und Hauke nach dem Hofe geholt und
in dem Nordweſt-Stübchen der neuen Scheuer
untergebracht worden, die der Deichgraf vor einigen
Jahren neben dem Haupthauſe bei der Vergrößerung
ſeiner Wirthſchaft hatte bauen müſſen; ein paar
der Mägde hatten daneben ihre Kammer erhalten
und konnten der Greiſin Nachts zur Hand gehen.
Rings an den Wänden hatte ſie ihr altes Haus-
geräth: eine Schatulle von Zuckerkiſtenholz, dar-
über zwei bunte Bilder vom verlorenen Sohn, ein
[170] längſt zur Ruhe geſtelltes Spinnrad und ein ſehr
ſauberes Gardinenbett, vor dem ein ungefüger,
mit dem weißen Fell des weiland Angorakaters
überzogener Schemel ſtand. Aber auch was Lebiges
hatte ſie noch um ſich gehabt und mit hieher ge-
bracht: das war die Möve Claus, die ſich ſchon
jahrelang zu ihr gehalten hatte und von ihr gefüttert
worden war; freilich, wenn es Winter wurde, flog
ſie mit den anderen Möven ſüdwärts und kam erſt
wieder, wenn am Strand der Wermuth duftete.
Die Scheuer lag etwas tiefer an der Werfte;
die Alte konnte von ihrem Fenſter aus nicht über
den Deich auf die See hinausblicken. „Du haſt
mich hier als wie gefangen, Deichgraf!” murrte
ſie eines Tages, als Hauke zu ihr eintrat, und
wies mit ihrem verkrümmten Finger nach den
Fennen hinaus, die ſich dort unten breiteten.
„Wo iſt denn Jeversſand? Da über den rothen
oder über den ſchwarzen Ochſen hinaus?”
„Was will Sie denn mit Jeversſand?” frug
Hauke.
— „Ach was, Jeversſand!” brummte die Alte.
„Aber ich will doch ſehen, wo mein Jung mir
derzeit iſt zu Gott gegangen!”
[171]
— „Wenn Sie das ſehen will,” entgegnete
Hauke, „ſo muß Sie ſich oben unter den Eſchen-
baum ſetzen, da ſieht Sie das ganze Haf!”
„Ja,” ſagte die Alte; „ja, wenn ich Deine
jungen Beine hätte, Deichgraf!”
Dergleichen blieb lange der Dank für die
Hülfe, die ihr die Deichgrafsleute angedeihen ließen;
dann aber wurde es auf einmal anders. Der kleine
Kindskopf Wienke's guckte eines Morgens durch
die halbgeöffnete Thür zu ihr herein. „Na,” rief
die Alte, welche mit den Händen in einander auf
ihrem Holzſtuhl ſaß, „was haſt Du denn zu
beſtellen?”
Aber das Kind kam ſchweigend näher und ſah
ſie mit ihren gleichgültigen Augen unabläſſig an.
„Biſt Du das Deichgrafskind?” frug ſie
Trien' Jans, und da das Kind wie nickend das
Köpfchen ſenkte, fuhr ſie fort: „So ſetz' Dich hier
auf meinen Schemel! Ein Angorakater iſt's ge-
weſen — ſo groß! Aber Dein Vater hat ihn
todtgeſchlagen. Wenn er noch lebig wäre, ſo
könnt'ſt Du auf ihm reiten.”
Wienke richtete ſtumm ihre Augen auf das
weiße Fell; dann kniete ſie nieder und begann es
[172] mit ihren kleinen Händen zu ſtreicheln, wie Kinder
es bei einer lebenden Katze oder einem Hunde zu
machen pflegen. „Armer Kater!” ſagte ſie dann
und fuhr wieder in ihren Liebkoſungen fort.
„So,” rief nach einer Weile die Alte, „jetzt
iſt es genug; und ſitzen kannſt Du auch noch heut'
auf ihm; vielleicht hat Dein Vater ihn auch nur
um deshalb todtgeſchlagen!” Dann hob ſie das
Kind an beiden Armen in die Höhe und ſetzte
es derb auf den Schemel nieder. Da es aber
ſtumm und unbeweglich ſitzen blieb und ſie nur
immer anſah, begann ſie mit dem Kopfe zu
ſchütteln: „Du ſtrafſt ihn, Gott der Herr! Ja,
ja, Du ſtrafſt ihn!” murmelte ſie; aber ein Er-
barmen mit dem Kinde ſchien ſie doch zu über-
kommen; ihre knöcherne Hand ſtrich über das
dürftige Haar desſelben, und aus den Augen der
Kleinen kam es, als ob ihr damit wohl geſchehe.
Von nun an kam Wienke täglich zu der
Alten in die Kammer; ſie ſetzte ſich bald von
ſelbſt auf den Angoraſchemel, und Trien' Jans
gab ihr kleine Fleiſch- oder Brotſtückchen in ihre
Händchen, welche ſie allzeit in Vorrath hatte, und
ließ ſie dieſe auf den Fußboden werfen; dann
[173] kam mit Gekreiſch und ausgeſpreitzten Flügeln die
Möve aus irgend einem Winkel hervorgeſchoſſen
und machte ſich darüber her. Erſt erſchrak das
Kind und ſchrie auf vor dem großen, ſtürmenden
Vogel; bald aber war es wie ein eingelerntes
Spiel, und wenn ſie nur ihr Köpfchen durch den
Thürſpalt ſteckte, ſchoß ſchon der Vogel auf ſie
zu und ſetzte ſich ihr auf Kopf oder Schulter, bis
die Alte ihr zu Hülfe kam und die Fütterung
beginnen konnte. Trien' Jans, die es ſonſt nicht
hatte leiden können, daß einer auch nur die Hand
nach ihrem „Claus” ausſtreckte, ſah jetzt geduldig
zu, wie das Kind allmälig ihr den Vogel völlig
abgewann. Er ließ ſich willig von ihr haſchen;
ſie trug ihn umher und wickelte ihn in ihre Schürze,
und wenn dann auf der Werfte etwa das gelbe
Hündlein um ſie herum und eiferſüchtig gegen
den Vogel aufſprang, dann rief ſie wohl: „Nicht
Du, nicht Du, Perle!” und hob mit ihren Aermchen
die Möve ſo hoch, daß dieſe, ſich ſelbſt befreiend,
ſchreiend über die Werfte hinflog, und ſtatt ihrer
nun der Hund durch Schmeicheln und Springen
den Platz auf ihren Armen zu erobern ſuchte.
Fielen zufällig Hauke's oder Elke's Augen auf
[174] dies wunderliche Vierblatt, das nur durch einen
gleichen Mangel am ſelben Stengel feſtgehalten
wurde, dann flog wohl ein zärtlicher Blick auf
ihr Kind; hatten ſie ſich gewandt, ſo blieb nur
noch ein Schmerz auf ihrem Antlitz, den jedes
einſam mit ſich von dannen trug; denn das er-
löſende Wort war zwiſchen ihnen noch nicht
geſprochen worden. Da eines Sommervormittages,
als Wienke mit der Alten und den beiden Thieren
auf den großen Steinen vor der Scheunthür ſaß,
gingen ihre beiden Eltern, der Deichgraf ſeinen
Schimmel hinter ſich, die Zügel über dem Arme,
hier vorüber; er wollte auf den Deich hinaus und
hatte das Pferd ſich ſelber von der Fenne herauf-
geholt; ſein Weib hatte auf der Werfte ſich an
ſeinen Arm gehängt. Die Sonne ſchien warm
hernieder; es war faſt ſchwül, und mitunter kam
ein Windſtoß aus Süd-Süd-Oſt. Dem Kinde mochte
es auf dem Platze unbehaglich werden: „Wienke will
mit!” rief ſie, ſchüttelte die Möve von ihrem
Schooß und griff nach der Hand ihres Vaters.
„So komm'!” ſagte dieſer.
— Frau Elke aber rief: „In dem Wind?
Sie fliegt Dir weg!”
[175]
„Ich halt' ſie ſchon; und heut' haben wir
warme Luft und luſtig Waſſer; da kann ſie's
tanzen ſehen.”
Und Elke lief ins Haus und holte noch ein
Tüchlein und ein Käppchen für ihr Kind. „Aber
es gibt ein Wetter,” ſagte ſie; „macht, daß Ihr
fortkommt, und ſeid bald wieder hier!”
Hauke lachte: „Das ſoll uns nicht zu faſſen
kriegen!” und hob das Kind zu ſich auf den Sattel.
Frau Elke blieb noch eine Weile auf der Werfte,
und ſah, mit der Hand ihre Augen beſchattend,
die Beiden auf den Weg und nach dem Deich
hinübertraben; Trien' Jans ſaß auf dem Stein und
murmelte Unverſtändliches mit ihren welken Lippen.
Das Kind lag regungslos im Arm des Vaters;
es war, als athme es beklommen unter dem Druck
der Gewitterluft; er neigte den Kopf zu ihr:
„Nun, Wienke?” frug er.
Das Kind ſah ihn eine Weile an: „Vater,”
ſagte es, „Du kannſt das doch! Kannſt Du nicht
Alles?”
„Was ſoll ich können, Wienke?”
Aber ſie ſchwieg; ſie ſchien die eigene Frage
nicht verſtanden zu haben.
[176]
Es war Hochfluth; als ſie auf den Deich
hinaufkamen, ſchlug der Widerſchein der Sonne
von dem weiten Waſſer ihr in die Augen, ein
Wirbelwind trieb die Wellen ſtrudelnd in die
Höhe, und neue kamen heran und ſchlugen klatſchend
gegen den Strand, da klammerte ſie ihre Händchen
angſtvoll um die Fauſt ihres Vaters, die den
Zügel führte, daß der Schimmel mit einem Satz
zur Seite fuhr. Die blaßblauen Augen ſahen in
wirrem Schreck zu Hauke auf: „Das Waſſer, Vater!
das Waſſer!” rief ſie.
Aber er löſte ſich ſanft und ſagte: „Still,
Kind, Du biſt bei Deinem Vater; das Waſſer thut
Dir nichts!”
Sie ſtrich ſich das fahlblonde Haar aus der
Stirn und wagte es wieder, auf die See hinaus-
zuſehen. „Es thut mir nichts,” ſagte ſie zitternd;
„nein, ſag', daß es uns nichts thun ſoll; Du
kannſt das, und dann thut es uns auch nichts!”
„Nicht ich kann das, Kind,” entgegnete Hauke
ernſt; „aber der Deich, auf dem wir reiten, der
ſchützt uns, und den hat Dein Vater ausgedacht
und bauen laſſen.”
Ihre Augen gingen wider ihn, als ob ſie
[177] das nicht ganz verſtünde; dann barg ſie ihr auf-
fallend kleines Köpfchen in dem weiten Rocke
ihres Vaters.
„Warum verſteckſt Du Dich, Wienke?” raunte
der ihr zu; „iſt Dir noch immer bange?” Und
ein zitterndes Stimmchen kam aus den Falten des
Rockes: „Wienke will lieber nicht ſehen; aber Du
kannſt doch Alles, Vater?”
Ein ferner Donner rollte gegen den Wind
herauf. „Hoho!” rief Hauke, „da kommt es!” und
wandte ſein Pferd zur Rückkehr. „Nun wollen
wir heim zur Mutter!”
Das Kind that einen tiefen Athemzug; aber
erſt als ſie die Werfte und das Haus erreicht
hatten, hob es das Köpfchen von ſeines Vaters
Bruſt. Als dann Frau Elke ihr im Zimmer das
Tüchelchen und die Kapuze abgenommen hatte,
blieb ſie wie ein kleiner ſtummer Kegel vor der
Mutter ſtehen. „Nun, Wienke,” ſagte dieſe und
ſchüttelte ſie leiſe, „magſt Du das große Waſſer
leiden?”
Aber das Kind riß die Augen auf: „Es
ſpricht,” ſagte ſie; „Wienke iſt bange!”
— „Es ſpricht nicht; es rauſcht und toſet nur!”
Theodor Storm, Der Schimmelreiter 12
[178]
Das Kind ſah ins Weite: „Hat es Beine?”
frug es wieder; „kann es über den Deich kommen?”
— „Nein, Wienke; dafür paßt Dein Vater
auf, er iſt der Deichgraf.”
„Ja,” ſagte das Kind und klatſchte mit
blödem Lächeln in ſeine Händchen; „Vater kann
Alles — Alles!” Dann plötzlich, ſich von der
Mutter abwendend, rief ſie: „Laß Wienke zu
Trien' Jans, die hat rothe Aepfel!”
Und Elke öffnete die Thür und ließ das Kind
hinaus. Als ſie dieſelbe wieder geſchloſſen hatte,
ſchlug ſie mit einem Ausdruck des tiefſten Grams
die Augen zu ihrem Manne auf, aus denen ihm
ſonſt nur Troſt und Muth zu Hülfe gekommen war.
Er reichte ihr die Hand und drückte ſie, als
ob es zwiſchen ihnen keines weiteren Wortes be-
dürfe; ſie aber ſagte leis: „Nein, Hauke, laß mich
ſprechen: das Kind, das ich nach Jahren Dir ge-
boren habe, es wird für immer ein Kind bleiben.
O, lieber Gott! es iſt ſchwachſinnig; ich muß es
einmal vor Dir ſagen.”
„Ich wußte es längſt,” ſagte Hauke und
hielt die Hand ſeines Weibes feſt, die ſie ihm
entziehen wollte.
[179]
„So ſind wir denn doch allein geblieben,”
ſprach ſie wieder.
Aber Hauke ſchüttelte den Kopf: „Ich hab'
ſie lieb, und ſie ſchlägt ihre Aermchen um mich
und drückt ſich feſt an meine Bruſt; um alle
Schätze wollt' ich das nicht miſſen!”
Die Frau ſah finſter vor ſich hin: „Aber
warum?” ſprach ſie; „was hab' ich arme Mutter
denn verſchuldet?”
— „Ja, Elke, das hab' ich freilich auch ge-
fragt; den, der allein es wiſſen kann; aber Du
weißt ja auch, der Allmächtige gibt den Menſchen
keine Antwort — vielleicht, weil wir ſie nicht be-
greifen würden.”
Er hatte auch die andere Hand ſeines Weibes
gefaßt und zog ſie ſanft zu ſich heran: „Laß Dich
nicht irren, Dein Kind, wie Du es thuſt, zu
lieben; ſei ſicher, das verſteht es!”
Da warf ſich Elke an ihres Mannes Bruſt
und weinte ſich ſatt und war mit ihrem Leid
nicht mehr allein. Dann plötzlich lächelte ſie ihn
an; nach einem heftigen Händedruck lief ſie hinaus
und holte ſich ihr Kind aus der Kammer der alten
Trien' Jans, und nahm es auf ihren Schooß und
12 *
[180] hätſchelte und küßte es, bis es ſtammelnd ſagte:
„Mutter, mein' liebe Mutter!”
So lebten die Menſchen auf dem Deichgrafs-
Hofe ſtill beiſammen; wäre das Kind nicht da
geweſen, es hätte viel gefehlt.
Allmälig verfloß der Sommer; die Zugvögel
waren durchgezogen, die Luft wurde leer vom Ge-
ſang der Lerchen; nur vor den Scheunen, wo ſie
beim Dreſchen Körner pickten, hörte man hie und
da einige kreiſchend davonfliegen; ſchon war Alles
hart gefroren. In der Küche des Haupthauſes
ſaß eines Nachmittags die alte Trien' Jans auf
der Holzſtufe einer Treppe, die neben dem Feuer-
heerd nach dem Boden lief. Es war in den letzten
Wochen, als ſei ſie aufgelebt; ſie kam jetzt gern
einmal in die Küche und ſah Frau Elke hier
hantiren; es war keine Rede mehr davon, daß ihre
Beine ſie nicht hätten dahin tragen können, ſeit
eines Tages klein Wienke ſie an der Schürze hier
heraufgezogen hatte. Jetzt kniete das Kind an ihrer
Seite und ſah mit ſeinen ſtillen Augen in die
Flammen, die aus dem Heerdloch aufflackerten; ihr
eines Händchen klammerte ſich an den Aermel der
[181] Alten, das andere lag in ihrem eigenen fahlblonden
Haar. Trien' Jans erzählte: „Du weißt,” ſagte
ſie, „ich ſtand in Dienſt bei Deinem Urgroßvater,
als Hausmagd, und dann mußt' ich die Schweine
füttern; der war klüger als ſie alle — da war
es, es iſt grauſam lange her; aber eines Abends,
der Mond ſchien, da ließen ſie die Hafſchleuſe
ſchließen, und ſie konnte nicht wieder zurück in See.
O, wie ſie ſchrie und mit ihren Fiſchhänden ſich
in ihre harten ſtruppigen Haare griff! Ja, Kind,
ich ſah es und hörte ſie ſelber ſchreien! Die Gräben
zwiſchen den Fennen waren alle voll Waſſer, und
der Mond ſchien darauf, daß ſie wie Silber glänzten,
und ſie ſchwamm aus einem Graben in den anderen
und hob die Arme und ſchlug, was ihre Hände
waren, aneinander, daß man es weither klatſchen
hörte, als wenn ſie beten wollte; aber, Kind,
beten können dieſe Creaturen nicht. Ich ſaß vor
der Hausthür auf ein paar Balken, die zum Bauen
angefahren waren und ſah weithin über die Fennen;
und das Waſſerweib ſchwamm noch immer in den
Gräben, und wenn ſie die Arme aufhob, ſo
glitzerten auch die wie Silber und Demanten.
Zuletzt ſah ich ſie nicht mehr, und die Wildgänſ'
[182] und Möven, die ich all' die Zeit nicht gehört
hatte, zogen wieder mit Pfeifen und Schnattern
durch die Luft.”
Die Alte ſchwieg; das Kind hatte ein Wort
ſich aufgefangen: „Konnte nicht beten?” frug ſie.
„Was ſagſt Du? Wer war es?”
„Kind,” ſagte die Alte; „die Waſſerfrau war
es; das ſind Undinger, die nicht ſelig werden können.”
„Nicht ſelig!” wiederholte das Kind, und ein
tiefer Seufzer, als habe ſie das verſtanden, hob
die kleine Bruſt.
— „Trien' Jans!” kam eine tiefe Stimme
von der Küchenthür, und die Alte zuckte leicht
zuſammen. Es war der Deichgraf Hauke Haien,
der dort am Ständer lehnte: „Was redet Sie
dem Kinde vor? Hab' ich Ihr nicht geboten, Ihre
Mären für ſich zu behalten, oder ſie den Gänſ'
und Hühnern zu erzählen?”
Die Alte ſah ihn mit einem böſen Blicke an
und ſchob die Kleine von ſich fort: „Das ſind
keine Mären,” murmelte ſie in ſich hinein, „das
hat mein Großohm mir erzählt.”
— „Ihr Großohm, Trien'? Sie wollte es ja
eben ſelbſt erlebt haben.”
[183]
„Das iſt egal,” ſagte die Alte; „aber Ihr
glaubt nicht, Hauke Haien; Ihr wollt wohl meinen
Großohm noch zum Lügner machen!” Dann rückte
ſie näher an den Heerd und ſtreckte die Hände über
die Flammen des Feuerlochs.
Der Deichgraf warf einen Blick gegen das
Fenſter: draußen dämmerte es noch kaum. „Komm,
Wienke!” ſagte er und zog ſein ſchwachſinniges Kind
zu ſich heran; „komm mit mir, ich will Dir draußen
vom Deich aus etwas zeigen! Nur müſſen wir zu
Fuß gehen; der Schimmel iſt beim Schmied.”
Dann ging er mit ihr in die Stube, und Elke
band dem Kinde dicke wollene Tücher um Hals
und Schultern; und bald danach ging der Vater
mit ihr auf dem alten Deiche nach Nordweſt hin-
auf, Jeversſand vorbei, bis wo die Watten breit,
faſt unüberſehbar wurden.
Bald hatte er ſie getragen, bald ging ſie an
ſeiner Hand; die Dämmerung wuchs allmälig; in
der Ferne verſchwand Alles in Dunſt und Duft.
Aber dort, wohin noch das Auge reichte, hatten
die unſichtbar ſchwellenden Wattſtröme das Eis
zerriſſen, und, wie Hauke Haien es in ſeiner Jugend
einſt geſehen hatte, aus den Spalten ſtiegen wie
[184] damals die rauchenden Nebel, und daran entlang
waren wiederum die unheimlichen närriſchen Ge-
ſtalten und hüpften gegen einander und dienerten
und dehnten ſich plötzlich ſchreckhaft in die Breite.
Das Kind klammerte ſich angſtvoll an ſeinen
Vater und deckte deſſen Hand über ſein Geſichtlein:
„Die Seeteufel!” raunte es zitternd zwiſchen ſeine
Finger; „die Seeteufel!”
Er ſchüttelte den Kopf: „Nein, Wienke, weder
Waſſerweiber noch Seeteufel; ſo Etwas gibt es
nicht; wer hat Dir davon geſagt?”
Sie ſah mit ſtumpfem Blicke zu ihm herauf;
aber ſie antwortete nicht. Er ſtrich ihr zärtlich
über die Wangen: „Sieh nur wieder hin!” ſagte
er, „das ſind nur arme hungrige Vögel! Sieh
nur, wie jetzt der große ſeine Flügel breitet; die
holen ſich die Fiſche, die in die rauchenden Spalten
kommen.”
„Fiſche,” wiederholte Wienke.
„Ja, Kind, das Alles iſt lebig, ſo wie wir;
es gibt nichts Anderes; aber der liebe Gott iſt
überall!”
Klein Wienke hatte ihre Augen feſt auf den
Boden gerichtet und hielt den Athem an; es war,
[185] als ſähe ſie erſchrocken in einen Abgrund. Es war
vielleicht nur ſo; der Vater blickte lange auf ſie
hin, er bückte ſich und ſah in ihr Geſichtlein;
aber keine Regung der verſchloſſenen Seele wurde
darin kund. Er hob ſie auf den Arm und ſteckte
ihre verklommenen Händchen in einen ſeiner dicken
Wollhandſchuhe: „So, mein Wienke,” — und das
Kind vernahm wohl nicht den Ton von heftiger
Innigkeit in ſeinen Worten —, „ſo, wärm' Dich
bei mir! Du biſt doch unſer Kind, unſer einziges.
Du haſt uns lieb! ..” Die Stimme brach dem
Manne; aber die Kleine drückte zärtlich ihr
Köpfchen in ſeinen rauhen Bart.
So gingen ſie friedlich heimwärts.
Nach Neujahr war wieder einmal die Sorge
in das Haus getreten; ein Marſchfieber hatte den
Deichgrafen ergriffen; auch mit ihm ging es nah'
am Rand der Grube her, und als er unter Frau
Elke's Pfleg' und Sorge wieder erſtanden war,
ſchien er kaum derſelbe Mann. Die Mattigkeit
des Körpers lag auch auf ſeinem Geiſte, und Elke
ſah mit Beſorgniß, wie er allzeit leicht zufrieden
war. Dennoch, gegen Ende des März, drängte
[186] es ihn, ſeinen Schimmel zu beſteigen und zum
erſten Male wieder auf ſeinem Deich entlang zu
reiten; es war an einem Nachmittage, und die
Sonne, die zuvor geſchienen hatte, lag längſt ſchon
wieder hinter trübem Duft.
Im Winter hatte es ein paar Mal Hoch-
waſſer gegeben; aber es war nicht von Belang
geweſen; nur drüben am andern Ufer war auf
einer Hallig eine Heerde Schafe ertrunken und ein
Stück vom Vorland abgeriſſen worden; hier an
dieſer Seite und am neuen Kooge war ein nennens-
werther Schaden nicht geſchehen. Aber in der
letzten Nacht hatte ein ſtärkerer Sturm getobt;
jetzt mußte der Deichgraf ſelbſt hinaus und Alles
mit eignem Aug' beſichtigen. Schon war er unten
von der Süd-Oſtecke aus auf dem neuen Deich
herumgeritten, und es war Alles wohl erhalten;
als er aber an die Nord-Oſtecke gekommen war,
dort wo der neue Deich auf den alten ſtößt, war
zwar der erſtere unverſehrt, aber wo früher der
Priehl den alten erreicht hatte und an ihm ent-
lang gefloſſen war, ſah er in großer Breite die
Grasnarbe zerſtört und fortgeriſſen und in dem
Körper des Deiches eine von der Fluth gewühlte
[187] Höhlung, durch welche überdies ein Gewirr von
Mäuſegängen bloßgelegt war. Hauke ſtieg vom
Pferde und beſichtigte den Schaden in der Nähe:
das Mäuſeunheil ſchien unverkennbar noch unſichtbar
weiter fortzulaufen.
Er erſchrak heftig; gegen Alles dieſes hätte
ſchon beim Bau des neuen Deiches Obacht ge-
nommen werden müſſen; da es damals überſehen
worden, ſo mußte es jetzt geſchehen! — Das Vieh
war noch nicht auf den Fennen, das Gras war
ungewohnt zurückgeblieben, wohin er blickte, es
ſah ihn leer und öde an. Er beſtieg wieder ſein
Pferd und ritt am Ufer hin und her: es war
Ebbe, und er gewahrte wohl, wie der Strom
von außen her ſich wieder ein neues Bett im
Schlick gewühlt hatte und jetzt von Nordweſten
auf den alten Deich geſtoßen war; der neue aber,
ſoweit es ihn traf, hatte mit ſeinem ſanfteren
Profile dem Anprall widerſtehen können.
Ein Haufen neuer Plag' und Arbeit erhob
ſich vor der Seele des Deichgrafen: nicht nur der
alte Deich mußte hier verſtärkt, auch deſſen Profil
dem des neuen angenähert werden; vor Allem aber
mußte der als gefährlich wieder aufgetretene Priehl
[188] durch neu zu legende Dämme oder Lahnungen
abgeleitet werden. Noch einmal ritt er auf dem
neuen Deich bis an die äußerſte Nord–Weſt–Ecke,
dann wieder rückwärts, die Augen unabläſſig auf
das neu gewühlte Bett des Priehles heftend, der
ihm zur Seite ſich deutlich genug in dem bloß-
gelegten Schlickgrund abzeichnete. Der Schimmel
drängte vorwärts und ſchnob und ſchlug mit den
Vorderhufen; aber der Reiter drückte ihn zurück,
er wollte langſam reiten, er wollte auch die innere
Unruhe bändigen, die immer wilder in ihm aufgohr.
Wenn eine Sturmfluth wiederkäme — eine,
wie 1655 dageweſen, wo Gut und Menſchen un-
gezählt verſchlungen wurden — wenn ſie wieder-
käme, wie ſie ſchon mehrmals einſt gekommen
war! — Ein heißer Schauer überrieſelte den
Reiter — der alte Deich, er würde den Stoß
nicht aushalten, der gegen ihn heraufſchöſſe! Was
dann, was ſollte dann geſchehen? — Nur eines,
ein einzig Mittel würde es geben, um vielleicht
den alten Koog und Gut und Leben darin zu retten.
Hauke fühlte ſein Herz ſtill ſtehen, ſein ſonſt ſo feſter
Kopf ſchwindelte; er ſprach es nicht aus, aber in
ihm ſprach es ſtark genug: Dein Koog, der Hauken-
[189] Haienkoog müßte preisgegeben und der neue Deich
durchſtochen werden!
Schon ſah er im Geiſt die ſtürzende Hochfluth
hereinbrechen und Gras und Klee mit ihrem ſalzen
ſchäumenden Giſcht bedecken. Ein Sporenſtich fuhr
in die Weichen des Schimmels, und einen Schrei
ausſtoßend flog er auf dem Deich entlang und
dann den Akt hinab, der deichgräflichen Werfte zu.
Den Kopf voll von innerem Schreckniß und
ungeordneten Plänen kam er nach Hauſe. Er
warf ſich in ſeinen Lehnſtuhl, und als Elke mit
der Tochter in das Zimmer trat, ſtand er wieder
auf und hob das Kind zu ſich empor und küßte
es; dann jagte er das gelbe Hündlein mit ein
paar leichten Schlägen von ſich. „Ich muß noch
einmal droben nach dem Krug!” ſagte er, und
nahm ſeine Mütze vom Thürhaken, wohin er ſie
eben erſt gehängt hatte.
Seine Frau ſah ihn ſorgvoll an: „Was
willſt Du dort? Es wird ſchon Abend, Hauke!”
„Deichgeſchichten!” murmelte er vor ſich hin,
„ich treffe von den Gevollmächtigten dort.”
Sie ging ihm nach und drückte ihm die Hand,
denn er war mit dieſen Worten ſchon zur Thür
[190] hinaus. Hauke Haien, der ſonſt Alles bei ſich
ſelber abgeſchloſſen hatte, drängte es jetzt, ein Wort
von Jenen zu erhalten, die er ſonſt kaum eines An-
theils werth gehalten hatte. Im Gaſtzimmer traf
er Ole Peters mit zweien der Gevollmächtigten
und einem Koogseinwohner am Kartentiſch. „Du
kommſt wohl von draußen, Deichgraf?” ſagte der
Erſtere, nahm die halb ausgetheilten Karten auf
und warf ſie wieder hin.
„Ja, Ole,” erwiderte Hauke; „ich war dort;
es ſieht übel aus.”
„Uebel? — Nun, ein paar Hundert Soden
und eine Beſtickung wird's wohl koſten; ich war
dort auch am Nachmittag.”
„So wohlfeil wird's nicht abgehen, Ole,”
erwiderte der Deichgraf, „der Priehl iſt wieder
da, und wenn er jetzt auch nicht von Norden auf
den alten Deich ſtößt, ſo thut er's doch von
Nordweſten!”
„Du hätt'ſt ihn laſſen ſollen, wo Du ihn
fandeſt!” ſagte Ole trocken.
„Das heißt,” entgegnete Hauke, „der neue
Koog geht Dich nichts an; und darum ſollte er
nicht exiſtiren. Das iſt Deine eigne Schuld! Aber
[191] wenn wir Lahnungen legen müſſen, um den alten
Deich zu ſchützen, der grüne Klee hinter dem neuen
bringt das übermäßig ein!”
„Was ſagt Ihr, Deichgraf?” riefen die Ge-
vollmächtigten; „Lahnungen? Wie viele denn?
Ihr liebt es, Alles beim theuerſten Ende an-
zufaſſen!”
Die Karten lagen unberührt auf dem Tiſch.
„Ich will's Dir ſagen, Deichgraf,” ſagte Ole Peters
und ſtemmte beide Arme auf, „Dein neuer Koog
iſt ein freſſend Werk, was Du uns geſtiftet haſt!
Noch laborirt Alles an den ſchweren Koſten Deiner
breiten Deiche; nun frißt er uns auch den alten
Deich, und wir ſollen ihn verneuen! — Zum Glück
iſt's nicht ſo ſchlimm; er hat diesmal gehalten
und wird es auch noch ferner thun! Steig' nur
morgen wieder auf Deinen Schimmel und ſieh es
Dir noch einmal an!”
Hauke war aus dem Frieden ſeines Hauſes
hieher gekommen; hinter den immerhin noch ge-
mäßigten Worten, die er eben hörte, lag — er
konnte es nicht verkennen — ein zäher Widerſtand,
ihm war, als fehle ihm dagegen noch die alte Kraft.
„Ich will thun, wie Du es räthſt, Ole,” ſprach
[192] er; „nur fürcht' ich, ich werd' es finden, wie ich
es heut' geſehen habe.”
— Eine unruhige Nacht folgte dieſem Tage;
Hauke wälzte ſich ſchlaflos in ſeinen Kiſſen. „Was
iſt Dir?” frug ihn Elke, welche die Sorge um
ihren Mann wach hielt; „drückt Dich etwas, ſo
ſprich es von Dir; wir haben's ja immer ſo
gehalten!”
„Es hat nichts auf ſich, Elke!” erwiderte er,
„am Deiche, an den Schleuſen iſt was zu repariren;
Du weißt, daß ich das allzeit Nachts in mir zu
verarbeiten habe.” Weiter ſagte er nichts; er
wollte ſich die Freiheit ſeines Handelns vorbehalten;
ihm unbewußt war die klare Einſicht und der
kräftige Geiſt ſeines Weibes ihm in ſeiner augen-
blicklichen Schwäche ein Hinderniß, dem er unwill-
kürlich auswich.
— — Am folgenden Vormittag, als er
wieder auf den Deich hinauskam, war die Welt
eine andere, als wie er ſie Tags zuvor gefunden
hatte; zwar war wieder hohl' Ebbe, aber der Tag
war noch im Steigen, und eine lichte Frühlingsſonne
ließ ihre Strahlen faſt ſenkrecht auf die unabſehbaren
Watten fallen; die weißen Möven ſchwebten ruhig
[193] hin und wieder, und unſichtbar über ihnen, hoch
unter dem azurblauen Himmel, ſangen die Lerchen
ihre ewige Melodie. Hauke, der nicht wußte, wie
uns die Natur mit ihrem Reiz betrügen kann,
ſtand auf der Nordweſtecke des Deiches und ſuchte
nach dem neuen Bett des Priehles, das ihn geſtern
ſo erſchreckt hatte; aber bei dem vom Zenith herab-
ſchießenden Sonnenlichte fand er es anfänglich nicht
einmal; erſt da er gegen die blendenden Strahlen
ſeine Augen mit der Hand beſchattete, konnte er
es nicht verkennen; aber dennoch, die Schatten in
der geſtrigen Dämmerung mußten ihn getäuſcht
haben; es kennzeichnete ſich jetzt nur ſchwach; die
bloßgelegte Mäuſewirthſchaft mußte mehr als die
Fluth den Schaden in dem Deich veranlaßt haben.
Freilich, Wandel mußte hier geſchafft werden;
aber durch ſorgfältiges Aufgraben, und wie Ole
Peters geſagt hatte, durch friſche Soden und einige
Ruthen Strohbeſtickung war der Schaden auszu-
heilen.
„Es war ſo ſchlimm nicht,” ſprach er er-
leichtert zu ſich ſelber, „Du biſt geſtern doch Dein
eigner Narr geweſen!” — Er berief die Gevoll-
mächtigten, und die Arbeiten wurden ohne Wider-
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 13
[194] ſpruch beſchloſſen, was bisher noch nie geſchehen
war. Der Deichgraf meinte eine ſtärkende Ruhe
in ſeinem noch geſchwächten Körper ſich verbreiten
zu fühlen; und nach einigen Wochen war Alles
ſauber ausgeführt.
Das Jahr ging weiter, aber je weiter es ging
und je ungeſtörter die neugelegten Raſen durch die
Strohdecke grünten, um ſo unruhiger ging oder
ritt Hauke an dieſer Stelle vorüber, er wandte
die Augen ab, er ritt hart an der Binnenſeite
des Deiches; ein paar Mal, wo er dort hätte
vorüber müſſen, ließ er ſein ſchon geſatteltes Pferd
wieder in den Stall zurückführen; dann wieder,
wo er nichts dort zu thun hatte, wanderte er, um
nur raſch und ungeſehen von ſeiner Werfte fort-
zukommen, plötzlich und zu Fuß dahin; manchmal
auch war er umgekehrt, er hatte es ſich nicht zu-
muthen können, die unheimliche Stelle aufs Neue zu
betrachten; und endlich, mit den Händen hätte er Alles
wieder aufreißen mögen; denn wie ein Gewiſſens-
biß, der außer ihm Geſtalt gewonnen hatte, lag
dies Stück des Deiches ihm vor Augen. Und doch,
ſeine Hand konnte nicht mehr daran rühren; und
Niemandem, ſelbſt nicht ſeinem Weibe, durfte er
[195] davon reden. So war der September gekommen;
Nachts hatte ein mäßiger Sturm getobt und war
zuletzt nach Nordweſt umgeſprungen. An trübem
Vormittag danach, zur Ebbezeit, ritt Hauke auf
den Deich hinaus, und es durchfuhr ihn, als er
ſeine Augen über die Watten ſchweifen ließ; dort,
von Nordweſt herauf, ſah er plötzlich wieder, und
ſchärfer und tiefer ausgewühlt, das geſpenſtiſche neue
Bett des Priehles; ſo ſehr er ſeine Augen anſtrengte,
es wollte nicht mehr weichen.
Als er nach Haus kam, ergriff Elke ſeine
Hand: „Was haſt Du, Hauke?” ſprach ſie, als ſie
in ſein düſtres Antlitz ſah; „es iſt doch kein neues
Unheil? Wir ſind jetzt ſo glücklich; mir iſt, Du
haſt nun Frieden mit ihnen Allen!”
Dieſen Worten gegenüber vermochte er ſeine
verworrene Furcht nicht in Worten kund zu geben.
„Nein, Elke,” ſagte er, „mich feindet Niemand
an; es iſt nur ein verantwortlich' Amt, die Gemeinde
vor unſeres Herrgotts Meer zu ſchützen.”
Er machte ſich los, um weiteren Fragen des
geliebten Weibes auszuweichen. Er ging in Stall
und Scheuer, als ob er Alles revidiren müſſe;
aber er ſah nichts um ſich her; er war nur befliſſen,
13 *
[196] ſeinen Gewiſſensbiß zur Ruhe, ihn ſich ſelber als
eine krankhaft übertriebene Angſt zur Ueberzeugung
zu bringen.”
— — „Das Jahr, von dem ich Ihnen erzähle,”
ſagte nach einer Weile mein Gaſtfreund, der Schul-
meiſter, „war das Jahr 1756, das in dieſer Gegend
nie vergeſſen wird; im Hauſe Hauke Haien's brachte
es eine Todte. Zu Ende des Septembers war in
der Kammer, welche ihr in der Scheune eingeräumt
war, die faſt neunzigjährige Trien' Jans am Sterben.
Man hatte ſie nach ihrem Wunſche in den Kiſſen
aufgerichtet, und ihre Augen gingen durch die
kleinen bleigefaßten Scheiben in die Ferne; es mußte
dort am Himmel eine dünnere Luftſchicht über
einer dichteren liegen; denn es war hohe Kimmung,
und die Spiegelung hob in dieſem Augenblick das
Meer wie einen flimmernden Silberſtreifen über
den Rand des Deiches, ſo daß es blendend in die
Kammer ſchimmerte; auch die Südſpitze von Jevers-
ſand war ſichtbar.
Am Fußende des Bettes kauerte die kleine
Wienke, und hielt mit der einen Hand ſich feſt
an der ihres Vaters, der daneben ſtand. In das
Antlitz der Sterbenden grub eben der Tod das
[197] hippokratiſche Geſicht, und das Kind ſtarrte athem-
los auf die unheimliche, ihr unverſtändliche Ver-
wandlung des unſchönen, aber ihr vertrauten Ange-
ſichts. „Was macht ſie? Was iſt das, Vater?”
flüſterte ſie angſtvoll und grub die Fingernägel in
ihres Vaters Hand.
„Sie ſtirbt!” ſagte der Deichgraf.
„Stirbt!” wiederholte das Kind und ſchien
in verworrenes Sinnen zu verfallen.
Aber die Alte rührte noch einmal ihre Lippen:
„Jins! Jins!” und kreiſchend, wie ein Nothſchrei,
brach es hervor, und ihre knöchernen Arme ſtreckten
ſich gegen die draußen flimmernde Meeresſpiegelung:
„Hölp mi! Hölp mi! Du biſt ja båwen Wåter ….
Gott gnåd de Annern!”
Ihre Arme ſanken, ein leiſes Krachen der
Bettſtatt wurde hörbar; ſie hatte aufgehört
zu leben.
Das Kind that einen tiefen Seufzer und
warf die blaſſen Augen zu ihrem Vater auf:
„Stirbt ſie noch immer?” frug es.
„Sie hat es vollbracht!” ſagte der Deichgraf
und nahm das Kind auf ſeinen Arm: „Sie iſt nun
weit von uns, beim lieben Gott.”
[198]
„Beim lieben Gott!” wiederholte das Kind
und ſchwieg eine Weile, als müſſe es den Worten
nachſinnen. „Iſt das gut, beim lieben Gott?”
„Ja, das iſt das Beſte.” — In Hauke's
Innern aber klang ſchwer die letzte Rede der
Sterbenden. „Gott gnåd de Annern!” ſprach es
leiſe in ihm. „Was wollte die alte Hexe? Sind
denn die Sterbenden Propheten? — —”
— — Bald, nachdem Trien' Jans oben bei
der Kirche eingegraben war, begann man immer
lauter von allerlei Unheil und ſeltſamem Geſchmeiß
zu reden, das die Menſchen in Nordfriesland er-
ſchreckt haben ſollte; und ſicher war es, am Sonn-
tage Lätare war droben von der Thurmſpitze der
goldne Hahn durch einen Wirbelwind herabgeworfen
worden; auch das war richtig, im Hochſommer fiel,
wie ein Schnee, ein groß Geſchmeiß vom Himmel,
daß man die Augen davor nicht aufthun konnte,
und es hernach faſt handhoch auf den Fennen lag,
und hatte Niemand je ſo was geſehen; als aber
nach Ende September der Großknecht mit Korn
und die Magd Ann' Grethe mit Butter in die
Stadt zu Markt gefahren waren, kletterten ſie
bei ihrer Rückkunft mit ſchreckensbleichen Geſichtern
[199] von ihrem Wagen. „Was iſt? Was habt Ihr?”
riefen die andern Dirnen, die hinausgelaufen waren,
da ſie den Wagen rollen hörten.
Ann' Grethe in ihrem Reiſe-Anzug trat athem-
los in die geräumige Küche. „Nun, ſo erzähl'
doch!” riefen die Dirnen wieder, „wo iſt das Un-
glück los?”
„Ach, unſer lieber Jeſus wolle uns behüten!”
rief Ann' Grethe. „Ihr wißt, von drüben, überm
Waſſer, das alt' Mariken vom Ziegelhof, wir
ſtehen mit unſerer Butter ja allzeit zuſammen an
der Apotheker-Ecke, die hat es mir erzählt, und
Iven Johns ſagte auch, „das gibt ein Unglück!”
ſagte er; „ein Unglück über ganz Nordfriesland;
glaub' mir's, Ann' Greth! Und” — ſie dämpfte
ihre Stimme — „mit des Deichgrafs Schimmel
iſt's am Ende auch nicht richtig!”
„Scht! Scht!” machten die andern Dirnen.
— „Ja, ja; was kümmert's mich! Aber
drüben, an der andern Seite, geht's noch ſchlimmer,
als bei uns! Nicht bloß Fliegen und Geſchmeiß,
auch Blut iſt wie Regen vom Himmel gefallen;
und da am Sonntag Morgen danach der Paſtor ſein
Waſchbecken vorgenommen hat, ſind fünf Todten-
[200] köpfe, wie Erbſen groß, darin geweſen, und Alle
ſind gekommen, um das zu ſehen; im Monat
Auguſti ſind grauſige rothköpfige Raupenwürmer
über das Land gezogen und haben Korn und Mehl
und Brot und was ſie fanden, weggefreſſen, und
hat kein Feuer ſie vertilgen können!”
Die Erzählerin verſtummte plötzlich; keine
der Mägde hatte bemerkt, daß die Hausfrau in
die Küche getreten war. „Was redet Ihr da?”
ſprach dieſe. „Laßt das den Wirth nicht hören!”
Und da ſie Alle jetzt erzählen wollten: „Es thut
nicht noth; ich habe genug davon vernommen;
geht an Euere Arbeit, das bringt Euch beſſeren
Segen!” Dann nahm ſie Ann' Greth mit ſich in
die Stube und hielt mit dieſer Abrechnung über
ihre Marktgeſchäfte.
So fand im Hauſe des Deichgrafen das
abergläubige Geſchwätz bei der Herrſchaft keinen
Anhalt; aber in die übrigen Häuſer, und je länger
die Abende wurden, um deſto leichter drang es
mehr und mehr hinein. Wie ſchwere Luft lag es
auf Allen; und heimlich ſagte man es ſich, ein
Unheil, ein ſchweres, würde über Nordfriesland
kommen.
[201]
Es war vor Allerheiligen, im October. Tag
über hatte es ſtark aus Südweſt geſtürmt; Abends
ſtand ein halber Mond am Himmel, dunkel-
braune Wolken jagten überhin, und Schatten und
trübes Licht flogen auf der Erde durcheinander;
der Sturm war im Wachſen. Im Zimmer des
Deichgrafen ſtand noch der geleerte Abendtiſch; die
Knechte waren in den Stall gewieſen, um dort
des Viehes zu achten; die Mägde mußten im Hauſe
und auf den Böden nachſehen, ob Thüren und
Luken wohl verſchloſſen ſeien, daß nicht der Sturm
hineinfaſſe und Unheil anrichte. Drinnen ſtand
Hauke neben ſeiner Frau am Fenſter; er hatte eben
ſein Abendbrot hinabgeſchlungen; er war draußen
auf dem Deich geweſen. Zu Fuße war er hinaus-
getrabt, ſchon früh am Nachmittag; ſpitze Pfähle
und Säcke voll Klei oder Erde hatte er hie und
dort, wo der Deich eine Schwäche zu verrathen
ſchien, zuſammentragen laſſen; überall hatte er
Leute angeſtellt, um die Pfähle einzurammen und
mit den Säcken vorzudämmen, ſobald die Fluth den
Deich zu ſchädigen beginne; an dem Winkel zu
Nordweſten, wo der alte und der neue Deich zu-
ſammenſtießen, hatte er die meiſten Menſchen hin-
[202] geſtellt; nur im Nothfall durften ſie von den an-
gewieſenen Plätzen weichen. Das hatte er zurück-
gelaſſen; dann, vor kaum einer Viertelſtunde, naß,
zerzauſt, war er in ſeinem Hauſe angekommen, und
jetzt, das Ohr nach den Windböen, welche die in
Blei gefaßten Scheiben raſſeln machten, blickte er
wie gedankenlos in die wüſte Nacht hinaus; die
Wanduhr hinter ihrer Glasſcheibe ſchlug eben acht.
Das Kind, das neben der Mutter ſtand, fuhr zu-
ſammen und barg den Kopf in deren Kleider.
„Claus!” rief ſie weinend; „wo iſt mein Claus?”
Sie konnte wohl ſo fragen; denn die Möve
hatte, wie ſchon im vorigen Jahre, ſo auch jetzt
ihre Winterreiſe nicht mehr angetreten. Der Vater
überhörte die Frage; die Mutter aber nahm das
Kind auf ihren Arm. „Dein Claus iſt in der
Scheune,” ſagte ſie; „da ſitzt er warm.”
„Warum?” ſagte Wienke, „iſt das gut?”
— „Ja, das iſt gut.”
Der Hausherr ſtand noch am Fenſter: „Es
geht nicht länger, Elke!” ſagte er; „ruf' eine von
den Dirnen; der Sturm drückt uns die Scheiben
ein; die Luken müſſen angeſchroben werden!”
Auf das Wort der Hausfrau war die Magd
[203] hinausgelaufen; man ſah vom Zimmer aus, wie
ihr die Röcke flogen; aber als ſie die Klammern
gelöſt hatte, riß ihr der Sturm den Laden aus
der Hand und warf ihn gegen die Fenſter, daß
ein paar Scheiben zerſplittert in die Stube flogen
und eins der Lichter qualmend ausloſch. Hauke
mußte ſelbſt hinaus, zu helfen, und nur mit Noth
kamen allmälig die Luken vor die Fenſter. Als
ſie beim Wiedereintritt in das Haus die Thür
aufriſſen, fuhr eine Böe hinterdrein, daß Glas
und Silber im Wandſchrank durcheinander klirrten;
oben im Hauſe über ihren Köpfen zitterten und
krachten die Balken, als wolle der Sturm das Dach
von den Mauern reißen. Aber Hauke kam nicht
wieder in das Zimmer; Elke hörte, wie er durch
die Tenne nach dem Stalle ſchritt. „Den Schimmel!
Den Schimmel, John! Raſch!” So hörte ſie ihn
rufen; dann kam er wieder in die Stube, das
Haar zerzauſt, aber die grauen Augen leuchtend.
„Der Wind iſt umgeſprungen!” rief er —, „nach
Nordweſt, auf halber Springfluth! Kein Wind; —
wir haben ſolchen Sturm noch nicht erlebt!”
Elke war todtenblaß geworden: „Und Du
mußt noch einmal hinaus?”
[204]
Er ergriff ihre beiden Hände und drückte ſie
wie im Krampfe in die ſeinen: „Das muß ich,
Elke.”
Sie erhob langſam ihre dunkeln Augen zu
ihm, und ein paar Secunden lang ſahen ſie ſich
an; doch war's wie eine Ewigkeit. „Ja, Hauke,”
ſagte das Weib; „ich weiß es wohl, Du mußt!”
Da trabte es draußen vor der Hausthür. Sie
fiel ihm um den Hals, und einen Augenblick war's,
als könne ſie ihn nicht laſſen; aber auch das war
nur ein Augenblick. „Das iſt unſer Kampf!”
ſprach Hauke; „ihr ſeid hier ſicher; an dies Haus
iſt noch keine Fluth geſtiegen. Und bet' zu Gott,
daß er auch mit mir ſei!”
Hauke hüllte ſich in ſeinen Mantel, und Elke
nahm ein Tuch und wickelte es ihm ſorgſam um
den Hals; ſie wollte ein Wort ſprechen, aber die
zitternden Lippen verſagten es ihr.
Draußen wieherte der Schimmel, daß es wie
Trompetenſchall in das Heulen des Sturmes hinein-
klang. Elke war mit ihrem Mann hinausgegangen;
die alte Eſche knarrte, als ob ſie auseinanderſtürzen
ſolle. „Steigt auf, Herr!” rief der Knecht, „der
Schimmel iſt wie toll; die Zügel könnten reißen.”
[205] Hauke ſchlug die Arme um ſein Weib: „Bei
Sonnenaufgang bin ich wieder da!”
Schon war er auf ſein Pferd geſprungen; das
Thier ſtieg mit den Vorderhufen in die Höhe; dann
gleich einem Streithengſt, der ſich in die Schlacht
ſtürzt, jagte es mit ſeinem Reiter die Werfte hin-
unter, in Nacht und Sturmgeheul hinaus. „Vater,
mein Vater!” ſchrie eine klägliche Kinderſtimme
hinter ihm darein: „Mein lieber Vater!”
Wienke war im Dunkeln hinter dem Fort-
jagenden hergelaufen; aber ſchon nach hundert
Schritten ſtrauchelte ſie über einen Erdhaufen und
fiel zu Boden.
Der Knecht Iven Johns brachte das weinende
Kind der Mutter zurück; die lehnte am Stamme
der Eſche, deren Zweige über ihr die Luft peitſchten,
und ſtarrte wie abweſend in die Nacht hinaus, in
der ihr Mann verſchwunden war; wenn das Brüllen
des Sturmes und das ferne Klatſchen des Meeres
einen Augenblick ausſetzten, fuhr ſie wie in Schreck
zuſammen; ihr war jetzt, als ſuche Alles nur ihn
zu verderben, und werde jäh verſtummen, wenn
es ihn gefaßt habe. Ihre Kniee zitterten, ihre
Haare hatte der Sturm gelöſt und trieb damit
[206] ſein Spiel. „Hier iſt das Kind, Frau!” ſchrie
John ihr zu; „haltet es feſt!” und drückte die
Kleine der Mutter in den Arm.
„Das Kind? — Ich hatte Dich vergeſſen,
Wienke!” rief ſie; „Gott verzeih' mir's.” Dann
hob ſie es an ihre Bruſt, ſo feſt nur Liebe faſſen
kann, und ſtürzte mit ihr in die Kniee: „Herr
Gott und Du mein Jeſus, laß uns nicht Wittwe
und nicht Waiſe werden! Schütz' ihn, o lieber Gott;
nur Du und ich, wir kennen ihn allein!” Und der
Sturm ſetzte nicht mehr aus; es tönte und donnerte,
als ſolle die ganze Welt in ungeheuerem Hall und
Schall zu Grunde gehen.
„Geht in das Haus, Frau!” ſagte John;
„kommt!” und er half ihnen auf und leitete die
Beiden in das Haus und in die Stube.
— — Der Deichgraf Hauke Haien jagte auf
ſeinem Schimmel dem Deiche zu. Der ſchmale
Weg war grundlos; denn die Tage vorher war
unermeßlicher Regen gefallen; aber der naſſe,
ſaugende Klei ſchien gleichwohl die Hufen des
Thieres nicht zu halten, es war als hätte es
feſten Sommerboden unter ſich. Wie eine wilde
Jagd trieben die Wolken am Himmel; unten lag
[207] die weite Marſch wie eine unerkennbare, von un-
ruhigen Schatten erfüllte Wüſte; von dem Waſſer
hinter dem Deiche, immer ungeheurer, kam ein
dumpfes Toſen, als müſſe es alles Andere ver-
ſchlingen. „Vorwärts, Schimmel!” rief Hauke;
„wir reiten unſeren ſchlimmſten Ritt!”
Da klang es wie ein Todesſchrei unter den
Hufen ſeines Roſſes. Er riß den Zügel zurück; er
ſah ſich um: ihm zur Seite dicht über dem Boden,
halb fliegend, halb vom Sturme geſchleudert, zog
eine Schaar von weißen Möven, ein höhniſches
Gegacker ausſtoßend; ſie ſuchten Schutz im Lande.
Eine von ihnen — der Mond ſchien flüchtig durch
die Wolken — lag am Weg zertreten: dem Reiter
war's, als flattere ein rothes Band an ihrem Halſe.
„Claus!” rief er. „Armer Claus!”
War es der Vogel ſeines Kindes? Hatte er
Roß und Reiter erkannt und ſich bei ihnen bergen
wollen? — Der Reiter wußte es nicht. „Vorwärts!”
rief er wieder, und ſchon hob der Schimmel zu neuem
Rennen ſeine Hufen, da ſetzte der Sturm plötzlich aus,
eine Todtenſtille trat an ſeine Stelle; nur eine Se-
cunde lang, dann kam er mit erneuter Wuth zurück;
aber Menſchenſtimmen und verlorenes Hunde-Gebell
[208] waren inzwiſchen an des Reiters Ohr geſchlagen,
und als er rückwärts nach ſeinem Dorf den Kopf
wandte, erkannte er in dem Mondlicht, das her-
vorbrach, auf den Werften und vor den Häuſern
Menſchen an hochbeladenen Wagen umher hantirend;
er ſah, wie im Fluge, noch andere Wagen eilend
nach der Geeſt hinauffahren; Gebrüll von Rindern
traf ſein Ohr, die aus den warmen Ställen nach
dort hinaufgetrieben wurden. „Gott Dank! ſie
ſind dabei, ſich und ihr Vieh zu retten!” rief
es in ihm; und dann mit einem Angſtſchrei:
„Mein Weib! Mein Kind! — Nein, nein; auf
unſere Werfte ſteigt das Waſſer nicht!”
Aber nur ein Augenblick war es; nur wie
eine Viſion flog Alles an ihm vorbei.
Eine furchtbare Böe kam brüllend vom Meer
herüber, und ihr entgegen ſtürmten Roß und
Reiter den ſchmalen Akt zum Deich hinan. Als ſie
oben waren, ſtoppte Hauke mit Gewalt ſein Pferd.
Aber wo war das Meer? Wo Jeversſand? Wo
blieb das Ufer drüben? — — Nur Berge von
Waſſer ſah er vor ſich, die dräuend gegen den
nächtlichen Himmel ſtiegen, die in der furchtbaren
Dämmerung ſich über einander zu thürmen ſuchten
[209] und über einander gegen das feſte Land ſchlugen.
Mit weißen Kronen kamen ſie daher, heulend, als
ſei in ihnen der Schrei alles furchtbaren Raub-
gethiers der Wildniß. Der Schimmel ſchlug mit
den Vorderhufen und ſchnob mit ſeinen Nüſtern
in den Lärm hinaus; den Reiter aber wollte es
überfallen, als ſei hier alle Menſchenmacht zu
Ende; als müſſe jetzt die Nacht, der Tod, das
Nichts hereinbrechen.
Doch er beſann ſich: es war ja Sturmfluth;
nur hatte er ſie ſelbſt noch nimmer ſo geſehen;
ſein Weib, ſein Kind, ſie ſaßen ſicher auf der hohen
Werfte, in dem feſten Hauſe; ſein Deich aber —
und wie ein Stolz flog es ihm durch die Bruſt —
der Hauke-Haiendeich, wie ihn die Leute nannten,
der mochte jetzt beweiſen, wie man Deiche bauen
müſſe!
Aber — was war das? — Er hielt an dem
Winkel zwiſchen beiden Deichen; wo waren die
Leute, die er hieher geſtellt, die hier die Wacht zu
halten hatten? — Er blickte nach Norden den
alten Deich hinauf; denn auch dorthin hatte er
Einzelne beordert. Weder hier noch dort ver-
mochte er einen Menſchen zu erblicken; er ritt ein
Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 14
[210] Stück hinaus, aber er blieb allein; nur das
Wehen des Sturmes und das Brauſen des Meeres
bis aus unermeſſener Ferne ſchlug betäubend an
ſein Ohr. Er wandte das Pferd zurück; er kam
wieder zu der verlaſſenen Ecke und ließ ſeine Augen
längs der Linie des neuen Deichs gleiten; er er-
kannte deutlich: langſamer, weniger gewaltig rollten
hier die Wellen heran; faſt ſchien's, als wäre
dort ein ander Waſſer. „Der ſoll ſchon ſtehen!”
murmelte er, und wie ein Lachen ſtieg es in ihm
herauf.
Aber das Lachen verging ihm, als ſeine
Blicke weiter an der Linie ſeines Deichs entlang
glitten: an der Nordweſtecke — was war das dort?
Ein dunkler Haufen wimmelte durcheinander; er
ſah, wie es ſich emſig rührte und drängte — kein
Zweifel, es waren Menſchen! Was wollten, was
arbeiteten die jetzt an ſeinem Deich? — Und ſchon
ſaßen ſeine Sporen dem Schimmel in den Weichen,
und das Thier flog mit ihm dahin; der Sturm
kam von der Breitſeite; mitunter drängten die
Böen ſo gewaltig, daß ſie faſt vom Deiche in
den neuen Koog hinabgeſchleudert wären; aber Roß
und Reiter wußten, wo ſie ritten. Schon gewahrte
[211] Hauke, daß wohl ein paar Dutzend Menſchen in
eifriger Arbeit dort beiſammen ſeien, und ſchon
ſah er deutlich, daß eine Rinne quer durch den
neuen Deich gegraben war. Gewaltſam ſtoppte er
ſein Pferd: „Halt!” ſchrie er; „halt! Was treibt
Ihr hier für Teufelsunfug?”
Sie hatten in Schreck die Spaten ruhen laſſen,
als ſie auf einmal den Deichgraf unter ſich ge-
wahrten; ſeine Worte hatte der Sturm ihnen zu-
getragen, und er ſah wohl, daß mehrere ihm zu
antworten ſtrebten; aber er gewahrte nur ihre
heftigen Gebärden; denn ſie ſtanden Alle ihm zur
Linken, und was ſie ſprachen, nahm der Sturm
hinweg, der hier draußen jetzt die Menſchen mit-
unter wie im Taumel gegen einander warf, ſo
daß ſie ſich dicht zuſammenſcharten. Hauke maaß
mit ſeinen raſchen Augen die gegrabene Rinne und
den Stand des Waſſers, das, trotz des neuen
Profiles, faſt an die Höhe des Deichs hinauf-
klatſchte und Roß und Reiter überſpritzte. Nur
noch zehn Minuten Arbeit — er ſah es wohl —
dann brach die Hochfluth durch die Rinne und der
Hauke-Haienkoog wurde vom Meer begraben!
Der Deichgraf winkte einem der Arbeiter an
14 *
[212] die andere Seite ſeines Pferdes. „Nun, ſo ſprich!”
ſchrie er, „was treibt Ihr hier, was ſoll das
heißen?”
Und der Menſch ſchrie dagegen: „Wir ſollen
den neuen Deich durchſtechen, Herr! damit der alte
Deich nicht bricht!”
„Was ſollt Ihr?”
— „Den neuen Deich durchſtechen!”
„Und den Koog verſchütten? — Welcher Teufel
hat Euch das befohlen?”
„Nein, Herr, kein Teufel; der Gevollmächtigte
Ole Peters iſt hier geweſen; der hat's befohlen!”
Der Zorn ſtieg dem Reiter in die Augen:
„Kennt Ihr mich?” ſchrie er. „Wo ich bin, hat
Ole Peters nichts zu ordiniren! Fort mit Euch!
An Euere Plätze, wo ich Euch hingeſtellt!”
Und da ſie zögerten, ſprengte er mit ſeinem
Schimmel zwiſchen ſie: „Fort, zu Euerer oder des
Teufels Großmutter!”
„Herr, hütet Euch!” rief Einer aus dem Haufen
und ſtieß mit ſeinem Spaten gegen das wie raſend
ſich gebärdende Thier; aber ein Hufſchlag ſchleuderte
ihm den Spaten aus der Hand, ein Anderer
ſtürzte zu Boden. Da plötzlich erhob ſich ein
[213] Schrei aus dem übrigen Haufen, ein Schrei, wie
ihn nur die Todesangſt einer Menſchenkehle zu
entreißen pflegt; einen Augenblick war Alles, auch
der Deichgraf und der Schimmel, wie gelähmt; nur
ein Arbeiter hatte gleich einem Wegweiſer ſeinen
Arm geſtreckt; der wies nach der Nordweſtecke der
beiden Deiche, dort wo der neue auf den alten ſtieß.
Nur das Toſen des Sturmes und das Rauſchen
des Waſſers war zu hören. Hauke drehte ſich im
Sattel: was gab das dort? Seine Augen wurden
groß: „Herr Gott! Ein Bruch! Ein Bruch im
alten Deich!”
„Euere Schuld, Deichgraf!” ſchrie eine Stimme
aus dem Haufen: „Euere Schuld! Nehmt's mit
vor Gottes Thron!”
Hauke's zornrothes Antlitz war todtenbleich
geworden; der Mond, der es beſchien, konnte es
nicht bleicher machen; ſeine Arme hingen ſchlaff,
er wußte kaum, daß er den Zügel hielt. Aber
auch das war nur ein Augenblick; ſchon richtete
er ſich auf, ein hartes Stöhnen brach aus ſeinem
Munde; dann wandte er ſtumm ſein Pferd, und
der Schimmel ſchnob und raſ'te oſtwärts auf dem
Deich mit ihm dahin. Des Reiters Augen flogen
[214] ſcharf nach allen Seiten; in ſeinem Kopfe wühlten
die Gedanken: Was hatte er für Schuld vor
Gottes Thron zu tragen? — Der Durchſtich des
neuen Deichs — vielleicht, ſie hätten's fertig ge-
bracht, wenn er ſein Halt nicht gerufen hätte;
aber — es war noch eins, und es ſchoß ihm heiß
zu Herzen, er wußte es nur zu gut — im
vorigen Sommer, hätte damals Ole Peters' böſes
Maul ihn nicht zurückgehalten — da lag's! Er
allein hatte die Schwäche des alten Deichs erkannt;
er hätte trotz alledem das neue Werk betreiben
müſſen: „Herr Gott, ja ich bekenn' es,” rief er
plötzlich laut in den Sturm hinaus, „ich habe
meines Amtes ſchlecht gewartet!”
Zu ſeiner Linken, dicht an des Pferdes Hufen,
tobte das Meer; vor ihm, und jetzt in voller
Finſterniß, lag der alte Koog mit ſeinen Werften
und heimathlichen Häuſern; das bleiche Himmels-
licht war völlig ausgethan; nur von einer Stelle
brach ein Lichtſchein durch das Dunkel. Und wie
ein Troſt kam es an des Mannes Herz; es mußte
von ſeinem Haus herüber ſcheinen, es war ihm
wie ein Gruß von Weib und Kind. Gottlob, die
ſaßen ſicher auf der hohen Werfte! Die Andern,
[215] gewiß, ſie waren ſchon im Geeſtdorf droben; von
dorther ſchimmerte ſo viel Lichtſchein, wie er nie-
mals noch geſehen hatte; ja ſelbſt hoch oben aus
der Luft, es mochte wohl vom Kirchthurm ſein,
brach ſolcher in die Nacht hinaus. „Sie werden
Alle fort ſein, Alle!” ſprach Hauke bei ſich ſelber;
„freilich auf mancher Werfte wird ein Haus in
Trümmern liegen, ſchlechte Jahre werden für die
überſchwemmten Fennen kommen; Siele und
Schleuſen zu repariren ſein! Wir müſſen's tragen,
und ich will helfen, auch denen, die mir Leids
gethan; nur, Herr, mein Gott, ſei gnädig mit uns
Menſchen!”
Da warf er ſeine Augen ſeitwärts nach dem
neuen Koog; um ihn ſchäumte das Meer; aber in
ihm lag es wie nächtlicher Friede. Ein un-
willkürliches Jauchzen brach aus des Reiters Bruſt:
„Der Hauke-Haiendeich, er ſoll ſchon halten; er
wird es noch nach hundert Jahren thun!”
Ein donnerartiges Rauſchen zu ſeinen Füßen
weckte ihn aus dieſen Träumen; der Schimmel wollte
nicht mehr vorwärts. Was war das? — Das
Pferd ſprang zurück, und er fühlte es, ein Deich-
ſtück ſtürzte vor ihm in die Tiefe. Er riß die
[216] Augen auf und ſchüttelte alles Sinnen von ſich:
er hielt am alten Deich, der Schimmel hatte mit
den Vorderhufen ſchon darauf geſtanden. Unwill-
kürlich riß er das Pferd zurück; da flog der letzte
Wolkenmantel von dem Mond, und das milde
Geſtirn beleuchtete den Graus, der ſchäumend,
ziſchend vor ihm in die Tiefe ſtürzte, in den alten
Koog hinab.
Wie ſinnlos ſtarrte Hauke darauf hin; eine
Sündfluth war's, um Thier' und Menſchen zu
verſchlingen. Da blinkte wieder ihm der Lichtſchein
in die Augen; es war derſelbe, den er vorhin
gewahrt hatte; noch immer brannte der auf ſeiner
Werfte; und als er jetzt ermuthigt in den Koog
hinabſah, gewahrte er wohl, daß hinter dem
ſinnverwirrenden Strudel, der toſend vor ihm
hinabſtürzte, nur noch eine Breite von etwa
hundert Schritten überfluthet war; dahinter konnte
er deutlich den Weg erkennen, der vom Koog heran
führte. Er ſah noch mehr: ein Wagen, nein, eine
zweiräderige Carriole kam wie toll gegen den Deich
herangefahren; ein Weib, ja auch ein Kind ſaßen
darin. Und jetzt — war das nicht das kreiſchende
Gebell eines kleinen Hundes, das im Sturm
[217] vorüberflog? Allmächtiger Gott! Sein Weib, ſein
Kind waren es; ſchon kamen ſie dicht heran, und
die ſchäumende Waſſermaſſe drängte auf ſie zu.
Ein Schrei, ein Verzweiflungsſchrei brach aus der
Bruſt des Reiters: „Elke!” ſchrie er; „Elke!
Zurück! Zurück!”
Aber Sturm und Meer waren nicht barm-
herzig, ihr Toben zerwehte ſeine Worte; nur ſeinen
Mantel hatte der Sturm erfaßt, es hätte ihn bald
vom Pferd herabgeriſſen; und das Fuhrwerk flog
ohne Aufenthalt der ſtürzenden Fluth entgegen.
Da ſah er, daß das Weib wie gegen ihn hinauf
die Arme ſtreckte: Hatte ſie ihn erkannt? Hatte
die Sehnſucht, die Todesangſt um ihn ſie aus
dem ſicheren Haus getrieben? Und jetzt — rief
ſie ein letztes Wort ihm zu? — Die Fragen fuhren
durch ſein Hirn; ſie blieben ohne Antwort: von
ihr zu ihm, von ihm zu ihr waren die Worte
all' verloren; nur ein Brauſen wie vom Welten-
untergang füllte ihre Ohren und ließ keinen andern
Laut hinein.
„Mein Kind! O Elke, o getreue Elke!” ſchrie
Hauke in den Sturm hinaus. Da ſank aufs Neu'
ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe,
[218] und donnernd ſtürzte das Meer ſich hinterdrein;
noch einmal ſah er drunten den Kopf des Pferdes,
die Räder des Gefährtes aus dem wüſten Gräuel
emportauchen und dann quirlend darin untergehen.
Die ſtarren Augen des Reiters, der ſo einſam auf
dem Deiche hielt, ſahen weiter nichts. „Das Ende!”
ſprach er leiſe vor ſich hin; dann ritt er an den
Abgrund, wo unter ihm die Waſſer, unheimlich
rauſchend, ſein Heimathsdorf zu überfluthen be-
gannen; noch immer ſah er das Licht von ſeinem
Hauſe ſchimmern; es war ihm wie entſeelt. Er
richtete ſich hoch auf und ſtieß dem Schimmel
die Sporen in die Weichen; das Thier bäumte
ſich, es hätte ſich faſt überſchlagen; aber die Kraft
des Mannes drückte es herunter. „Vorwärts!”
rief er noch einmal, wie er es ſo oft zum feſten
Ritt gerufen hatte: „Herr Gott, nimm mich;
verſchon' die Andern!”
Noch ein Sporenſtich; ein Schrei des Schimmels,
der Sturm und Wellenbrauſen überſchrie; dann unten
aus dem hinabſtürzenden Strom ein dumpfer Schall,
ein kurzer Kampf.
Der Mond ſah leuchtend aus der Höhe; aber
unten auf dem Deiche war kein Leben mehr, als
[219] nur die wilden Waſſer, die bald den alten Koog
faſt völlig überfluthet hatten. Noch immer aber
ragte die Werfte von Hauke Haien's Hofſtatt aus
dem Schwall hervor, noch ſchimmerte von dort der
Lichtſchein, und von der Geeſt her, wo die Häuſer
allmälig dunkel wurden, warf noch die einſame
Leuchte aus dem Kirchthurm ihre zitternden Licht-
funken über die ſchäumenden Wellen.”
Der Erzähler ſchwieg; ich griff nach dem ge-
füllten Glaſe, das ſeit lange vor mir ſtand; aber
ich führte es nicht zum Munde; meine Hand
blieb auf dem Tiſche ruhen.
„Das iſt die Geſchichte von Hauke Haien,”
begann mein Wirth noch einmal, „wie ich ſie nach
beſtem Wiſſen nur berichten konnte. Freilich die
Wirthſchafterin unſeres Deichgrafen würde ſie Ihnen
anders erzählt haben; denn auch das weiß man
zu berichten: jenes weiße Pferdsgerippe iſt nach
der Fluth wiederum, wie vormals, im Mond-
ſchein auf Jevershallig zu ſehen geweſen; das
ganze Dorf will es geſehen haben. — So viel iſt
ſicher: Hauke Haien mit Weib und Kind ging
unter in dieſer Fluth; nicht einmal ihre Grab-
[220] ſtätte hab' ich droben auf dem Kirchhof finden
können; die todten Körper werden von dem ab-
ſtrömenden Waſſer durch den Bruch ins Meer
hinausgetrieben und auf deſſen Grunde allmälig
in ihre Urbeſtandtheile aufgelöſt ſein — ſo haben
ſie Ruhe vor den Menſchen gehabt. Aber der
Hauke-Haiendeich ſteht noch jetzt nach hundert
Jahren, und wenn Sie morgen nach der Stadt
reiten und die halbe Stunde Umweg nicht ſcheuen
wollen, ſo werden Sie ihn unter den Hufen Ihres
Pferdes haben.
Der Dank, den einſtmals Jeve Manners bei
den Enkeln ſeinem Erbauer verſprochen hatte, iſt,
wie Sie geſehen haben, ausgeblieben; denn ſo iſt
es, Herr: dem Sokrates gaben ſie ein Gift zu
trinken und unſeren Herrn Chriſtus ſchlugen ſie an
das Kreuz! Das geht in den letzten Zeiten nicht
mehr ſo leicht; aber — einen Gewaltsmenſchen
oder einen böſen ſtiernackigen Pfaffen zum Heiligen,
oder einen tüchtigen Kerl, nur weil er uns um
Kopfeslänge überwachſen war, zum Spuk und
Nachtgeſpenſt zu machen — das geht noch alle Tage.”
Als das ernſthafte Männlein das geſagt hatte,
ſtand es auf und horchte nach draußen. „Es iſt
[221] dort etwas anders worden,” ſagte er und zog die
Wolldecke vom Fenſter; es war heller Mondſchein.
„Seht nur,” fuhr er fort, „dort kommen die
Gevollmächtigten zurück; aber ſie zerſtreuen ſich,
ſie gehen nach Hauſe; — drüben am andern Ufer
muß ein Bruch geſchehen ſein; das Waſſer iſt
gefallen.”
Ich blickte neben ihm hinaus; die Fenſter hier
oben lagen über dem Rand des Deiches; es war,
wie er geſagt hatte. Ich nahm mein Glas und
trank den Reſt: „Haben Sie Dank für dieſen
Abend!” ſagte ich; „ich denk', wir können ruhig
ſchlafen!”
„Das können wir;” entgegnete der kleine Herr;
„ich wünſche von Herzen eine wohlſchlafende Nacht!”
— — Beim Hinabgehen traf ich unten auf
dem Flur den Deichgrafen; er wollte noch eine
Karte, die er in der Schenkſtube gelaſſen hatte,
mit nach Hauſe nehmen. „Alles vorüber!” ſagte
er. „Aber unſer Schulmeiſter hat Ihnen wohl ſchön
was weiß gemacht; er gehört zu den Aufklärern!”
— „Er ſcheint ein verſtändiger Mann!”
„Ja, ja, gewiß; aber Sie können Ihren eigenen
Augen doch nicht mißtrauen; und drüben an der
[222] anderen Seite, ich ſagte es ja voraus, iſt der Deich
gebrochen!”
Ich zuckte die Achſeln: „Das muß beſchlafen
werden! Gute Nacht, Herr Deichgraf!”
Er lachte: „Gute Nacht!”
— — Am andern Morgen, beim goldenſten
Sonnenlichte, das über einer weiten Verwüſtung
aufgegangen war, ritt ich über den Hauke-Haien-
Deich zur Stadt hinunter.
Appendix A
Pierer'ſche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel \& Co. in Altenburg.
[]
Appendix B Druckfehler-Berichtigung.
| Seite 17 | Zeile 4 | von oben ließ ſtatt | weſtwärts: nordwärts. |
| 〃 27 | 〃 14 | 〃 〃 〃 〃 | nach Oſten: nach Süden. |
| 〃 59 | 〃 1 | 〃 〃 〃 〃 | zu Norden: zu Oſten. |
| 〃 60 | 〃 14 | 〃 〃 〃 〃 | Zacharias: Zacharies. |
| 〃 138 | 〃 10 | 〃 〃 〃 〃 | geſchähe es nur, damit: geſchähe es, damit nur. |
Appendix C
In demſelben Verlage erſchienen außerdem folgende
Werke von Theodor Storm:
John Riew’.
Novelle.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
In St. Jürgen.
Zweite Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Zerſtreute Kapitel.
Zweite Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 4 Mark.
„Es waren zwei Königskinder.“
Novelle.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Bei kleinen Leuten.
Zwei Novellen.
Octav. Elegant gebunden 5 Mark 50 Pf.
Novellen.
Octav. Kartonirt mit Goldſchnitt 5 Mark.
Inhalt: In St. Jürgen. — Von Jenſeit des Meeres. — Eine Malerarbeit.
Zwei Novellen.
Octav. Elegant gebunden 5 Mark 50 Pf.
Inhalt: Schweigen. — Hans und Heinz Kirch.
Drei Novellen.
Zweite Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Inhalt: Späte Roſen. — Veronica. — Drüben am Markt.
Neue Novellen.
Octav. Elegant gebunden 5 Mark 50 Pf.
Inhalt: Renate. — Carſten Curator.
[]
In demſelben Verlage erſchienen außerdem folgende
Werke von Theodor Storm:
Drei neue Novellen.
Octav. Elegant gebunden 5 Mark 50 Pf.
Inhalt: Eekenhof. — Im Brauerhauſe. — „Zur Wald- und Waſſerfreude”.
Renate.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Im Schloß.
Zweite Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Schweigen.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Die Söhne des Senators.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
In der Sommer-Mondnacht.
Novellen. Vierte Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Im Sonnenſchein.
Drei Sommergeſchichten. Siebente Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
„Zur Wald- und Waſſerfreude.“
Novelle.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Zwei Weihnachtsidyllen.
Zweite Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Vor Zeiten.
Novellen. Octav. Elegant gebunden 10 Mark.
[]
In demſelben Verlage erſchienen außerdem folgende
Werke von Theodor Storm:
Auf der Univerſität.
Dritte Ausgabe.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Aquis submersus.
Novelle.
Zweite Auflage. Octav. Elegant gebunden 5 Mark 50 Pf.
Ein Bekenntnis.
Novelle.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Bötjer Baſch.
Novelle.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Ein grünes Blatt.
Zwei Novellen. Vierte Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Carſten Curator.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Zur Chronik von Grieshuus.
Zweite Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Zur Chronik von Grieshuus.
Octav-Ausgabe. Elegant gebunden 6 Mark 50 Pf.
Ein Doppelgänger.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Eekenhof. — Im Brauerhauſe.
Zwei Novellen.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
[]
In demſelben Verlage erſchienen außerdem folgende
Werke von Theodor Storm:
Der Herr Etatsrath.
Die Söhne des Senators.
Novellen. Octav. Elegant gebunden 5 Mark 50 Pf.
Der Herr Etatsrath.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Ein Feſt auf Haderslevhuus.
Novelle
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Gedichte.
Siebente vermehrte Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 6 Mark.
Hans und Heinz Kirch.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Hinzelmeier.
Eine nachdenkliche Geſchichte. Zweite Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Von Jenſeit des Meeres.
Novelle. Zweite Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
Immenſee.
Dreißigſte Auflage.
Miniatur-Format. Elegant gebunden mit Goldſchnitt 3 Mark.
John Riew’.
Ein Feſt auf Haderslevhuus.
Zwei Novellen. Octav. Elegant gebunden 6 Mark 50 Pf.
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- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Der Schimmelreiter. Der Schimmelreiter. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnsj.0