[][][][][]
Clariſſa,
Die
Geſchichte
eines vornehmen Frauenzimmers,

von demjenigen herausgegeben, welcher die
Geſchichte der
Pamela
geliefert hat:
und
nunmehr aus dem Engliſchen in das Deutſche
uͤberſetzt.

Achter Theil

welcher die Zuſaͤtze enthaͤlt.

[figure]

GOETTJNGEN: ,
Verlegts Abram Vandenhoecks; ſeel. Witwe.
1753.

Mit Roͤm. Kayſerlichen, Koͤnigl. Großbrit. und Churf.
Braunſchw. wie auch Koͤnigl. Pohln. u. Churf. Saͤchſ.
allergnaͤdigſten Privilegiis.
[][]

Vorrede
des Ueberſetzers.


Gegenwaͤrtiger achter Theil
der Geſchichte der Clariſſa
liefert die Zuſaͤtze und Ver-
beſſerungen, welche in der dritten und
vierten Ausgabe dieſes vortreflichen
Werks hinzugekommen ſind. Es er-
ſchienen dieſelben in Engelland nach
einander, nach dem unſre Ueberſetzung,
die man aus der erſten Ausgabe ver-
fertiget, ſchon vollendet war. Man
hat um ſo weniger Bedenkengetragen,
auch
[] auch dieſe Zuſaͤtze dem Deutſchen Le-
ſer in die Haͤnde zu geben, da dieſelben
auch in Engelland zum Vortheil derer,
welche ſich die erſte Ausgabe des Werks
angeſchaft, beſonders bekannt gemacht
worden; und die Deutſche Ueberſetzung
ohne dieſelben unvollſtaͤndig geblieben
ſeyn wuͤrde. Der Leſer wird uͤberdem,
auſſer der Aenderung einiger Stellen,
die der Verfaſſer zu machen fuͤr noͤthig
erachtet, verſchiedne wichtige Stuͤcke
darin finden, welche ihn mit einigen
Haupt-Charackteren dieſer Geſchichte
naͤher bekannt machen; und in dieſen
einzelnen Stellen uͤberall den Geiſt
des Verfaſſers entdecken.


Zuſaͤtze
[[1]]

Zuſaͤtze
Zur Geſchichte der Clariſſa.


Th. I. Bl. 299. L. 10. nach den Worten:
geſchonet haben muͤſſe.


Am allerwenigſten kann ich Jhre Anmer-
kungen uͤber meine Mutter vertragen.
Wie wenn ihre Sanftmuth nicht ſoll-
te belohnet werden? Giebt denn der Mangel
der Belohnung oder Erkenntlichkeit uns ein
Recht, das aus der Acht zu laſſen, was wir
fuͤr unſre Pflicht halten? Eben meines Vaters
Lebhaftigkeit war es, die ihm zuerſt einen Platz in
ihrem Herzen verſchaffte, und dieſelbe Lebhaftig-
keit, wenn ſie auf ihn ſelbſt wuͤrket, macht ihn,
wie ich ſchon angemerkt habe, ſo ungeduldig,
wenn die ſchmerzhafte Krankheit ihn befaͤllt. Er
hat meine Mutter allezeit geliebet; und ſollte
es nicht zu entſchuldigen, oder vielmehr zu lo-
Zuſaͤtze zur Cl. Aben
[2]
ben ſeyn, daß eine gutgeartete Frau, die eine
beſtaͤndige Zeugin ſeiner Schmerzen iſt, welche
er bei ſeinen Zufaͤllen leidet, die dazu immer
haͤufiger und ſtaͤrker werden, daß die, ſage ich,
ihrem eignen Willen und Wuͤnſchen entſaget,
um einem Ehemann gefaͤllig zu ſeyn, der ſo
viel ausſtehen muß, und deſſen Liebe gegen ſie
allezeit außer allen Zweifel geweſen iſt? Wenn
das aber iſt, war es denn nicht natuͤrlich, (denn
Menſchen ſind nicht vollkommen, mein Kind,)
daß ein Mann, dem ſo von ſeiner Frau nach-
gegeben worden, unfaͤhig werden mußte, von
irgend jemanden Widerſpruch zu leiden, am
wenigſten von ſeinen Kindern?


Wollen Sie alſo meinen hoͤchſten Unwillen
vermeiden, ſo muͤſſen Sie meiner Mutter ſcho-
nen; und gewiß, Sie werden mirs nicht aus-
reden wollen, daß ich nebſt ihr nicht nur Mit-
leiden mit meinem Vater habe, ſondern daß
ich ihn auch liebe und ehre.


Jch habe außer Sie keinen Freund, auf deſ-
ſen Urtheil ich mich berufen kan, oder gegen
den ich klagen duͤrfte. Jn den ungluͤcklichen
Umſtaͤnden, darin ich bin, iſt es nur gar zu
warſcheinlich, daß ich mich beklagen werde, weil
es ebenfals mehr als warſcheinlich iſt, daß man
mir immer mehr Urſachen dazu geben wird.
Wenn ich es aber thue, ſo laſſen Sie es Jhre
Sorge ſeyn, mein aufgebrachtes Gemuͤth und
meinen Unwillen zu beſaͤnftigen: um ſo viel
mehr
[3]
mehr, da Sie wiſſen, wie viel Jhr Zureden
bei mir vermag, und alſo leicht einſehen, daß
die Freiheit, die Sie ſich uͤber meine Verwand-
ten nehmen, keine andre Wuͤrkung haben kan,
als die Ueberzeugung von meiner Verbindlich-
keit gegen dieſelbe zu ſchwaͤchen, ohne daß es
mir ſelbſt von dem geringſten Nutzen iſt.


Jch kann zwar nicht leugnen u. ſ. w.


Th. I. Bl. 494. L. 10. nach den Worten:
Vorſchlag ſchriftlich geben wollt, lies
ſtatt des naͤchſten Abſchnitts:


Mein lieber Bruder,

Jch hoffe, meiner Schweſter ſolche Vor-
ſchlaͤge gethan zu haben, welche man anneh-
men wird. Ja ich bin gewiß, daß es geſche-
hen wird, wenn es euch gefaͤllt, ſie zu unter-
ſtuͤtzen. Um Gotteswillen bitte ich euch hierum.
Jch halte mich recht ungluͤcklich, daß ich euch
misfallen habe. Keine Schweſter kann ihren
Bruder mehr lieben als ich. Jch bitte euch,
leget doch meine Vorſchlaͤge nicht aufs ſchlimm-
ſte, ſondern aufs beſte aus, wenn ſie euch er-
oͤfnet werden. Jn Warheit, meine Meinung
iſt die beſte. Jch habe keine Ausfluͤchte, keine
Liſten, keine Abſichten, ich werde ſie nach dem
Buchſtaben erfuͤllen. Setzet ihr alles ſelbſt
ſchriftlich auf, ſo nachdruͤcklich als ihr koͤnnet,
und ich will es unterſchreiben: und wenn die
Geſetze es nicht buͤndig genug machen, ſo ſoll
A 2es
[4]
es mein Wille und meine Entſchließung
thun: daß ich nemlich keines Menſchen Antrag
annehmen will, ohne meines Vaters ausdruͤck-
liche Einwilligung. Es ſoll mich auch kein
Menſch, keine Betrachtung bewegen, es zu wie-
derrufen. Jhr koͤnnet mehr als ſonſt jemand
dazu beitragen, daß ich mit meinen Aeltern und
Oncles ausgeſoͤhnet werde. Laßt mich dieſe ſo
gewuͤnſchte Geneigtheit eurer bruͤderlichen Fuͤr-
ſprache zu verdanken haben, ſo werdet ihr euch
auf ewig verbinden


eure betruͤbte Schweſter.
Cl. Harlowe.


Was meinen Sie u. ſ. w.


Th. I. Bl. 496. L. 1. nach den Worten:
nachfolgen wird.


Doch damit ihr nicht denket, daß ich eurer
Ausſoͤhnung auf ſo artige Bedingungen, wie
dieſe ſind, zuwider bin; ſo will ich wol dies
einzige mal euer Bote ſeyn, und hoͤren, was
mein Vater dazu ſagt; ob ich euch gleich zum
voraus verſichern kan, daß dieſe Vorſchlaͤge die
Hauptſache nicht befoͤrdern werden.


Damit gieng ſie hinunter. Aber es ſcheinet,
die Tante Harvey und Oncle Harlowe ſind
weggegangen geweſen, und da ſie ſich alle ver-
bunden haben, in der Sache einſtimmig zu
verfahren, ſo ſind ihnen Boten nachgeſchickt,
die ſie zum Fruͤhſtuͤck auf Morgen einladen ſollen.


Montags
[5]

Montags Nachts um eilf Uhr.


Jch fuͤrchte, man wird mich nicht wuͤrdig
halten ‒ ‒


Eben wie ich fuͤrchtete, daß man mich kei-
ner Antwort wuͤrdigen wuͤrde, klopfet Eliſa-
beth
an meine Thuͤr, und ſagt, wenn ich noch
nicht zu Bette waͤre, ſo haͤtte ſie einen Brief an
mich. Jch hatte nur eben das obige Geſpraͤch
niedergeſchrieben, und gieng, mit der Feder in
der Hand, nach der Thuͤr zu ‒ ‒ Jmmer im
ſchreiben, Fraͤulein! ſagte das verwegne Weib-
ſtuͤck. Es iſt zu verwundern, wie Sie das ſo
wegbringen koͤnnen, was Sie ſchreiben. Es
muͤſſen doch wol, wie man ſagt, die Heren all-
zeit bei der Hand ſeyn, den Verliebten zu hel-
fen ‒ ‒ Sie gieng ſo geſchwind wieder fort,
daß, wenn ich auch dazu aufgeraͤumt geweſen
waͤre, ich doch dieſe Verwegenheit nicht ſo ahn-
den konnte, wie ſie es verdiente.


Jch lege meines Bruders Brief bei. Er
hat mir zeigen wollen, daß ich von ſeiner Gut-
heit nichts zu hoffen haben ſollte. Doch wird
man ihm wenigſtens nicht alles zugeſtehen, was
er ſucht. Die Zuſammenkunft meiner Ver-
wandten auf Morgen iſt ein gutes Zeichen, und
dies ſowol, als daß meine Vorſchlaͤge ſo billig
ſind, laͤßt mich etwas hoffen. Jetzt will ich
verſuchen, ob ich wol ſo gluͤcklich ſeyn ſollte,
die uͤbrige Nacht ein wenig auszuruhen.


A 3An
[6]
An Fraͤulein Clariſſa Harlowe.

(in dem vorhergehenden eingeſchloſſen)


Eure Vorſchlaͤge werden von eurem Vater,
Mutter, und allen euren Verwandten Mor-
gen fruͤhe uͤberleget werden. Wie viele Unru-
he macht uns allen eure ſchaͤndliche Verwegen-
heit? Mich wundert, wie ihr u. ſ. w.


Th. I. S. 498. L. 10. nach den Worten:
hohen Tone zu reden.


Nichts deſto weniger, wie ich 'ſchon' geſagt
habe, will ich etwas beßers von denen erwar-
ten, die nicht ſo vielen Vortheil davon haben,
dieſe ungluͤcklichen Zwiſtigkeiten zu unterhalten,
als mein Bruder.


Haͤtten Sie nicht, ſowol als ich, gedacht,
meine liebe Fraͤulein, daß meine Vorſchlaͤge
haͤtten angenommen werden muͤſſen? Und daß
mein Bruder, nach dem lezten Theil ſeines ſo
wenig bruͤderlichen Briefes, worin er drohet,
nach Schottland zu gehen, wenn man mich
hoͤren ſollte, ſelbſt der Meinung geweſen waͤre,
daß es geſchehen wuͤrde?


Jch fuͤr mein Theil, nachdem ich den har-
ten Brief mehr als einmal durchgeleſen hatte,
machte mir uͤberhaupt Rechnung, daß auf Be-
dingungen, die mir ſelbſt ſo nachtheilig waren,
und welche nicht leicht eine andere Perſon in
meinem Falle, wie ich mich zu behaupten ge-
traue, wuͤrde angeboten haben, eine Ausſoͤh-
nung
[7]
nung der Erfolg der Berathſchlag[u]ng von die-
ſem Morgen ſeyn muͤßte. Jn dieſer Zuverſicht
fieng ich ſchon an, mir neue Unruhe zu machen,
wie ich es anzufangen haͤtte, wenn dieſe Schwie-
rigkeit gehoben waͤre, den Herrn Lovelace
daruͤber zu befriedigen, daß ich mich anheiſchig
gemacht hatte, allen Briefwechſel mit ihm auf-
zuheben, es waͤre denn daß meine Verwand-
ten, durch die Vermittlung ſeiner vermoͤgſa-
men Freunde, und durch andre Bedingungen,
die ſie etwa machen moͤchten, (welche er aber ei-
gentlich an die Hand geben muͤßte, da ſichs fuͤr
mich nicht ſchickte) zur Aenderung ihrer Ent-
ſchlieſſungen bewogen wuͤrden.


So unterhielt ich mich, und wie Sie leicht
denken koͤnnen, eben auf keine angenehme Art,
weil ich mit ſo heftigen Gemuͤthern zu thun
hatte, als die Zeit des Fruͤhſtuͤcks herannahe-
te, und meine Richter nach einander anlangten.


Und o! wie ſchlug mir mein Herz, wie ich
die Kutſchen hintereinander durch den Hof raſ-
ſeln hoͤrte, und einen jeden, ſo wie er ausſtieg,
an ſeinem Tritt erkannte, um ſich auf den
fuͤrchterlichen Gerichtsplatz nieder zu ſetzen, den
mir meine Einbildung fuͤr ſie und meine uͤbri-
gen Richter vorſtellte!


Dies, dachte ich, iſt meine Tante Harvey!
Der mein Oncle Harlowe! Jetzt kommt mein
Oncle Anton! Und nun dachte ich mir die
vierte Kutſche fuͤr den verhaßten Solmes, ob
A 4ſichs
[8]
ſichs gleich fuͤgte, daß er diesmal nicht da
war.


Nun ſind ſie alle verſammlet, und jetzt for-
dert mein Bruder meine Schweſter auf, ihren
Bericht abzuſtatten! Jetzt vermiſcht die harte
Arabella ihre Rede mit Schimpfworten! Jetzt
hat ſie ihren Vortrag geendigt! Jetzt rathſchla-
gen ſie daruͤber! Nun wird mein Bruder hi-
tzig! Er drohet, nach Schottland zu gehen!
Jetzt bekoͤmmt er Verweiſe, und jetzt beſaͤnftigt
man ihn wieder!


Dann durchlief meine. Einbildung die ganze
Verſammlung, und machte einem jeden ſeine
Reden fuͤr und wider mich, bis ſie endlich alle
darin uͤbereinkamen, wie ich mir ſchmeichelte,
meine Bedingungen anzunehmen, und eine
Schrift aufſetzen zu laſſen, wodurch ich mich zu
einer guten Auffuͤhrung verpflichten ſollte: Jn-
dem ich vorausſetzte, ſie wuͤrden gleichfals ein-
muͤthig beſchlieſſen, dem Solmes eine Frau zu
geben, die ſeiner in allem Verſtande wuͤrdiger
waͤre, und mit ihr die Verſprechung von mei-
nes Großvaters Guͤtern, im Fall ich entweder
ſtraffaͤllig werden, oder unverheirathet ſterben
ſollte: da er einmal den artigen Vorſchlag thut,
auf das Gut durch mich ein Recht zu be-
kommen.


Und nun, dachte ich, erhalte ich Befehl, hin-
unter zukommen, um meine gethanen Vorſchlaͤ-
ge fuͤr die meinigen zu erkennen. Wie werde
ich
[9]
ich meine ſchrecklichen Richter anſehen! Wie
werde ich die Fragen des einen, den finſtern
Stolz der andern, und die wiederkehrende Lie-
be einer oder zwoer Perſonen aushalten! Wie
werde ich bewegt werden!


Dann weinte ich: dann trocknete ich mir
die Augen: dann uͤbte ich mich vor dem Spie-
gel, eine froͤlichere Mine anzunehmen, als mein
Herz war.


Nun endlich, ſo wie ſich etwas ruͤhrete,
kommt meine Schweſter, mir den Ausgang der
Sache bekannt zu machen! Wiederum floſſen
Thraͤnen, mein Herz ſchlug mir, wie ein Vo-
gel gegen ſeinen Kaͤfig. Jmmer trocknete ich
meine Augen wieder, aber umſonſt.


So, meine liebe Freundin, halten Sie doch
meiner Einbildung die Weitlaͤuftigkeit zu gute,
war ich beſchaͤftiget, dies waren meine Gedan-
ken und meine Einbildungen, als ich den ganz
verſchiedenen Ausgang der Verſammlung er-
fuhr, wovon ich ſo viel gehoffet hatte.


Denn um zehen Uhr kam meine Schweſter
herauf, mit einer grauſam triumphirenden Mi-
ne, (leichtfertig bewegte ſie ihre Hand)


Gehorſam ohne einzige Widerrede wird von
euch verlangt, Claͤrgen!


Mein Vater iſt mit recht boͤſe auf euch, daß
ihr euch herausnehmet, ſeinem Willen zu wi-
derſprechen, und ihm Bedingungen vorzulegen.
Er weiß euer Beſtes: und weil ihr ſelbſt geſte-
A 5het,
[10]
het, daß die Sachen zwiſchen euch und dem ver-
haßten Lovelace ſchon weit gekommen ſind, ſo
wollen ſie nichts von dem glauben, was ihr ſagt,
auſſer wenn ihr euch entſchlieſſet, den einzigen
Beweis zu geben, der ſie an der Aufrichtigkeit eu-
rer Verſprechungen weiter nicht zweifeln laͤßt.


Wie, Kind! ihr werdet beſtuͤrzt? ‒ ‒ koͤnnt
ihr nicht reden? ‒ ‒ Jhr habt alſo, wie es ſchei-
net, einen ganz andern Ausgang erwartet? nicht
wahr? ‒ ‒ wunderlich genug! ‒ ‒ Mit allen eu-
ren offenherzigen Bekenntniſſen, die bei eurer
bekannten Verſchlagenheit ſo vielen Glau-
ben verdienen! ‒ ‒


Jn der That war ich eine Zeitlang ſprachlos.
Meine Augen ſtarrten, und hoͤrten auf, zu wei-
nen. Aber wie die harte Arabella mit ihren
trotzigen Minen fortfuhr; So habe ich mich be-
trogen! ſagte ich, gewiß betrogen! denn in euch,
Arabella! erwartete ich, hoffte ich, eine Schwe-
ſter ‒ ‒


Was? unterbrach ſie mich, konntet ihr bei
aller eurer artigen Bitterkeit, bei euren veraͤcht-
lichen Minen erwarten, daß ich euch zu gute
Unwarheiten ſagen wuͤrde? Glaubet ihr, da
man meine Meinung von der Aufrichtigkeit eu-
rer Erklaͤrungen zu wiſſen verlangte, ich wuͤrde
ihnen nicht ſagen: wie weit ihr euch mit
eurem Liebhaber eingelaſſen haͤttet?
Da
man darauf bedacht iſt, euren Eigenſinn zu ſei-
ner Pflicht zu zwingen, glaubet ihr, ich wuͤrde
ſie
[11]
ſie hintergehen? Jch ſollte ſie bewegen, euch her-
unter zu rufen, damit ihr alles widerlegen moͤch-
tet, was ich euch zum Beſten etwa ausgedacht
hatte?


Gut, gut, Arabella! deſto weniger Verbind-
lichkeit habe ich euch, mehr ſage ich nicht. Wie
gerne haͤtte ich mich uͤberredet, daß ich noch ei-
nen Bruder und eine Schweſter haͤtte, aber ich
ſehe, ich habe geirret.


Die artige Mopsaͤugigte Seele! das war ihr
Ausdruck. Haͤtte ſie ſich doch gerne uͤberredet,
daß ſie noch einen Bruder und Schweſter haͤt-
te? Warum gehet ihr nicht weiter, Claͤrgen?
wobei ſie meinen halb weinenden Ton nachmach-
te, ich dachte auch, ich haͤtte noch einen Vater,
eine Mutter, zween Oncles, und eine Tante;
aber ich habe ge ‒ ‒ ir ‒ ‒ ret, mehr ſage ich nicht.
‒ ‒ Kommt Claͤrgen, ſagt das, denn zum Theil
wird es die Wahrheit ſeyn, weil ihr euch ihrem
Anſehen entzogen hat, und einen elenden Kerl
hoͤher haltet, als ſie alle.


Wie habe ich das von euch verdienet, Schwe-
ſter? Doch ich will nichts ſagen, ich bedaure
euch.


Und zwar mit der veraͤchtlichen Mine!
Claͤrgen! Nur ſich nicht ſo in die Bruſt ge-
worfen! Nur nicht ſo ein hochmuͤthiges Mit-
leiden, Maͤdgen! wenn ich bitten darf.


Dies Betragen iſt euch ganz natuͤrlich, ge-
wiß! Arabella? ‒ ‒ Was fuͤr neue Gaben
entdeckt
[12]
entdeckt es nicht an euch! ‒ ‒ Aber fahret nur
fort, wenn ihr ein Vergnuͤgen daran findet,
fahret nur fort, Arabella. Und wenn ich euch
nicht bedauren darf, ſo will ich mich ſelbſt be-
dauren, weil doch ſonſt niemand Mitleiden mit
mir haben wird.


Weil ihr es nicht ‒ ‒ ſagte ſie.


Still! Arabella! indem ich ſie unterbrach,
weil ich es nicht verdiene. Nicht wahr? das
wolltet ihr ſagen? Jch will in allen Dingen
ſprechen, wie ihr, denn das iſt doch der Weg,
euch zu gefallen.


So ſagt denn: daß Lovelace ein Boͤſe-
wicht iſt.


Das will ich thun, ſo bald ich ihn dafuͤr
halte.


Alſo haltet ihr ihn nicht dafuͤr?


Nein in Warheit! Jhr auch nicht von je
her, Arabella!


Und was, Claͤrgen, meinet ihr damit? in-
dem ſie auf mich zuflog. Sagt, was meinet
ihr mit der Anmerkung?


Warum nennet ihr es eine Anmerkung? ‒ ‒
Was ſagte ich denn?


Du biſt ein bittres Maͤdgen. ‒ ‒ Aber was
ſagt ihr denn zu den zwei oder drei Schlaͤge-
reien des Kerls?


Jch weiß nicht, was ich dazu ſagen ſoll, ſo
lange ich die Gelegenheiten nicht weiß, die ſie
veranlaſſet haben.


So
[13]

So haltet ihr uͤberhaupt einen Zweikampf
fuͤr erlaubt?


Das wol nicht, ſo wenig ich dafuͤr kann, daß
er ſich geſchlagen hat.


Wollt ihr wol hinunter gehen, und euren Ei-
genſinn gegen eure Mamma brechen?


Jch antwortete nicht.


Soll ich Euer Gnaden hinunter fuͤhren? (ſie
wollte mich bei der Hand faſſen)


Wie? mich nicht einmal einer Antwort zu
wuͤrdigen?


Jch wandte mich ſtillſchweigend von ihr.


Was? ihr kehret mir auch den Ruͤcken zu? ‒ ‒
Soll ich eure Mutter zu euch herauf bringen,
liebes Kind! indem ſie mir folgte, und meine
ſtraͤubende Hand ergriff. Sprichſt du noch
nicht? Komm, du ernſthaftes, ſtummes Puͤpp-
gen! Sprich mir nur ein Wort zu ‒ ‒ Du
mußt doch bald zwei Worte zu Herrn Sol-
mes
ſprechen. So viel kan ich dich verſichern.


Das ſollen dann, ſagte ich mit einem Strom
von Thraͤnen, den ich nicht laͤnger zuruͤck halten
konnte, die lezten Worte ſeyn, die ich je ſpre-
chen werde.


Gut! gut! verſetzte ſie in einem ſpoͤttiſchen
Ton, (wobei ſie mein weggekehrtes Geſicht mit
ihrem Schnupftuch abwiſchte, und mit der
andern Hand die meinige hielt) ich freue
mich nur, daß etwas iſt, welches euch zur Spra-
che bringen kan. Alſo glaubt ihr doch, ihr koͤn-
net
[14]
net dazu gebracht werden, dieſe zwei Worte
zu ſprechen? ‒ ‒ Nur ſollen es die letzten ſeyn! ‒ ‒
Das war recht, wie eine Verliebte geſprochen,
wenn ihr das zarte Herz blutet!


Laͤcherliche Arabella!


Unverſchaͤmtes Claͤrgen! (hier veraͤnderte
ſie ihren hoͤniſchen Ton in einen gebieteriſchen)
Aber koͤnntet ihr euch wol herablaſſen, zu eurer
Mutter hinunter zu gehen?


Jch mag ſolch Zeug nicht laͤnger anhoͤren.
Sagt mir nur, Arabella, ob meine Mutter
mich wuͤrdigen wird, mich zu ſehen.


Ja, wenn ihr nur endlich zu eurer Pflicht
zuruͤck kehren koͤnnet.


Das kann ich, und das will ich auch.


Aber was nennet ihr eure Pflicht?


Meine eigne Neigung aufzugeben, ‒ ‒ da
habt ihr wieder ein Wort, das ihr zum beſten
geben koͤnnt ‒ ‒ aus Gehorſam gegen meiner
Aeltern Befehle, und zu bitten, daß ich nicht
mit einem Mann ungluͤcklich gemacht werde,
der ſich fuͤr eine jede andere beſſer ſchickt, als
fuͤr mich.


Fuͤr mich, meinet ihr, Claͤrgen?


Warum nicht? weil ihr doch die Frage thut.
Jhr habt von ihm eine beßre Meinung, als ich.
Meine Verwandten werden ihn doch hoffent-
lich fuͤr mich nicht zu gut halten, und fuͤr euch
nicht gut genug? ‒ ‒ Aber koͤnnt ihr mir
nicht ſagen, was uͤber mich beſchloßen iſt, ohne
mich
[15]
mich ſo zu beleidigen, Arabella? ‒ ‒ Wenn
man mir ſo begegnen muß, ſo denket, daß, wenn
ich einer Kuͤhnheit ſchuldig werde, die Art, wie
man mit mir umgehet, es rechtfertigen wird.


So, Claͤrgen, denkt ihr ſchon auf einen
Vorwand, wie ich ſehe, etwas zu entſchuldigen,
das euch ſchon lange, wie wir nicht gezweifelt
haben, im Kopfe herumgehet.


Wenn das ſeyn ſollte, ſo ſcheinet ihr an eurer
Seite, ſo wie mein Bruder an der ſeinigen,
entſchloſſen zu ſeyn, zu machen, daß es mir an
keiner Entſchuldigung fehlen moͤge. ‒ ‒ Aber in
Warheit, Arabella, ich kan die Wiederholung
des ſchlimmſten Theils der geſtrigen Zuſammen-
kunft nicht laͤnger aushalten. Jch verlange,
mich zu meines Vaters und meiner Mutter
Fuͤßen zu werfen, und von ihnen mein Urtheil
zu hoͤren. Wenigſtens werde ich dadurch den
Trotz vermeiden, womit ihr mir begegnet, und
der ſich ſo wenig fuͤr eine Schweſter ſchickt.


Ei! Ei! Wie? Seid ihr das! meine ſanft-
muͤthige Schweſter Claͤrgen?


Ja, das bin ich, Arabella, und ich werde
auf den Schutz einen rechtlichen Anſpruch ma-
chen, der einem Kinde im Hauſe gebuͤhret. We-
nigſtens will ich wiſſen, warum man ſo mit mir
umgehet, da ich mir nichts als das Recht vor-
behalte, eine abſchlaͤgige Antwort geben zu
duͤrfen, welches meinem Geſchlecht zukommt;
und da ich, meinen Aeltern zu gefallen, meine
Wahl
[16]
Wahl aufgebe. Bisher habe ichs geſchehen
laſſen, daß ich die Befehle aus der zweiten Hand,
und die Beleidigungen aus der erſten Hand be-
kommen. Jhr ſeid nur meine Schweſter, und
mein Bruder iſt mein Oberherr nicht. So lan-
ge ich einen Vater und Mutter im Leben habe,
will ich eine ſolche Begegnung von einem Bru-
der, und Schweſter, und ihren Bedienten nicht
laͤnger dulden, die mir alle zuſetzen, mich, wie es
ſcheinet, zur Verzweiflung, oder ſonſt zu einer
kuͤhnen That zu bringen. ‒ ‒ Kurz, Schweſter,
ich will wiſſen, warum ich ſo eingeſperret wer-
de? ‒ ‒ was man damit haben will? ‒ ‒ und
ob ich als ein Kind oder als ein Sclave be-
trachtet werden ſoll?


Sie erſtaunte, weil ich dies ſagte, theils aus
einer wuͤrklichen, theils aus einer angenomme-
nen Beſtuͤrzung.


Seid ihr das? Seid ihr es wuͤrklich? ‒ ‒


Jn der That, Claͤrgen, ich erſtaune uͤber
euch! Aber weil ihr doch ſo ein Verlangen habt,
euch ſelbſt an euren Vater und Mutter zu wen-
den, ſo will ich hinunter gehen, und ihnen er-
zaͤhlen, was ihr ſagt. Eure Verwandten ſind
vermuthlich noch nicht fort: Sie ſollen ſich wie-
der verſammlen, und dann moͤget ihr herunter
kommen, und ſelbſt fuͤr eure Sache reden.


Laßt mich alſo, ‒ ‒ aber daß mein Bruder und
ihr nicht gegenwaͤrtig ſeid. Jhr habt euch zu
partheiiſch gegen mich gewieſen, als daß ihr mei-
ne
[17]
ne Richter ſeyn koͤnntet. Eben ſo wenig ver-
lange ich weder eure noch ſeine Vermittelung.
Jch bin gewiß, ihr habet das nicht vorgeſtellt,
wozu ich mich ſo deutlich erboten hatte, unmoͤg-
lich. Es kan euch unmoͤglich aufgetragen ſeyn,
mir ſo zu begegnen.


Gut, gut, ich will meinen Bruder herauf
rufen. Das will ich ‒ ‒ Er ſoll ſich ſelbſt und
mich rechtfertigen.


Jch verlange meinen Bruder nicht zu ſehen,
es ſei denn, daß er als ein Bruder kommt, und
das Anſehen bei Seite ſetzt, daß er ſich unge-
rechter Weiſe uͤber mich herausgenommen hat.


Alſo, Claͤrgen, haͤtte er nichts dabei zu ſa-
gen, ich auch nicht, daß unſere Schweſter der
ganzen Familie Schande macht? Nicht wahr?


Wie? Schande machen? Arabella? ‒ ‒
der Mann, den ihr ſo dreiſt mit nehmet, iſt von
edler Herkunft und Vermoͤgen, er hat groſſe
Eigenſchaften, und vornehme Verwandten. ‒ ‒
Vordem ward er eurer wuͤrdig gehalten, und
der Himmel weiß, ich wuͤnſche, ihr haͤttet ihn
bekommen. Meine Schuld war es gewiß nicht,
daß ihr ihn nicht bekommen habt, ob ihr gleich
ſo mit mir umgehet!


Dies ſetzte ſie in Feuer, ich wuͤnſchte, es nicht
geſagt zu haben. O wie wuͤtete die arme Ara-
bella!
Ein par mal dachte ich, ſie wuͤrde mich
ſchlagen; auch betheurete ſie, ihre Finger juͤck-
ten ſie, es zu thun ‒ ‒ doch ich waͤre ihres Zor-
Zuſaͤtze zur Cl. Bnes
[18]
nes nicht wuͤrdig, und doch blieb ſie in einer
Hitze.


Man mochte gehoͤret haben, daß wir laut
wurden, denn Eliſabeth kam von meiner Mut-
ter, und brachte meiner Schweſter Befehl, zu
ihr zu kommen. Sie gieng alſo hinunter, und
drohete, es allen Leuten zu ſagen, daß ſie es er-
fahren haͤtte, was ich fuͤr ein heftiges Menſch
waͤre.


Dienſtag Mittags den 21. Maͤrz.


Bisher habe ich noch nichts weiter von mei-
ner Schweſter gehoͤret, und ich habe nicht Muth
genug, darauf zu beſtehen, daß ich vor meinem
Vater und Mutter einen Fußfall thun wollte,
wozu ich mich in der erſten Hitze faͤhig hielt.
Jch bin nun ſo ruhig geworden, als jemals,
und ſollte Arabella wieder herauf kommen, ſo
wuͤrde ſie mich eben ſo gut, wie vorher, zum
beſten haben koͤnnen.


Es thut mir wuͤrklich leid, daß ich ſie ſo auf-
gebracht von mir gehen ließ. Aber mein Va-
ter ſetzt mich durch ſeinen Brief, worin er mir
mit meines Oheims Antons Hauſe und Capel-
le drohet, in eine gewaltige Angſt. Aus ihrem
Stillſchweigen fuͤrchte ich, daß ſich etwa ein
neues Wetter zuſammen ziehet.


Aber was fange ich mit dem Lovelace an?
Jch habe nur eben durch die unverdaͤchtige Oef-
nung in der Mauer, wovon ich durch die Han-
na
in meinem Briefe erwehnte, einen Brief von
ihm
[19]
ihm erhalten. ‒ ‒ Er iſt ſo unruhig, daß ich mich
endlich fuͤr den Herrn Solmes zu erklaͤren ge-
zwungen werden moͤchte; ſo voll Drohungen,
wenn dies geſchaͤhe; ſo empfindlich uͤber meine
Begegnung, die ich ausſtehe; (denn ich weiß
nicht wie ers macht, aber er muß nothwendig
von allem Nachricht haben, was in unſerm Hau-
ſe vorgehet) ſolche Verſichrungen ſeiner ewi-
gen Treue und Hochachtung; ſolche Geluͤbde,
ſich zu beſſern; ſo dringende Gruͤnde, warum
ich aus dieſer unangenehmen Gefangenſchaft
entwiſchen muͤßte ‒ ‒ O meine liebe Freundin,
was ſoll ich doch mit dem Lovelace anfan-
gen? ‒ ‒


Th. II. S. 21. L. 12. nach den Worten:
Thorheiten verdienen.


Sie keifen mit mir, mein Schatz, wegen der
Freiheiten, die ich mir uͤber Verwandte genom-
men habe, welche ihnen naͤher und werther ſind,
als Oncles, oder Bruder und Schweſter. Sie
ſollten mich lieber ohne Verweis meinem Kopfe
haben folgen laſſen. Muͤſſen nicht dieſe Frei-
heiten natuͤrlicher Weiſe durch die Sache veran-
laſſet werden, woruͤber wir ſchreiben? Und
von wem ruͤhret doch die Sache ſelbſt her? Koͤn-
nen Sie ſich wol nur eine viertel Stunde an
meine Stelle ſetzen, oder an die Stelle derer,
die bei der Sache gleichguͤltiger ſeyn koͤnnen,
als ich? ‒ ‒ Wenn Sie das koͤnnen, ‒ ‒ doch,
ob ich gleich nicht oft den Vortheil uͤber Sie
B 2habe,
[20]
habe, ſo will ich doch nicht zu ſtark in Sie
dringen.


Erlauben Sie mir inzwiſchen hinzuzuſetzen:
Freilich mag Jhr Vater Jhre Mutter mit Recht
lieben, wie ſie ſagen. Eine Frau, die keinen
Willen hat, als den ſeinigen! Aber glauben
Sie nicht, daß ohne das Podagra, im Anfan-
ge mannigmal kleine Zwiſtigkeiten unter ihnen
geweſen ſind? ‒ ‒ Jhre Frau Mutter hatte, da
ſie noch unverheirathet war, wie ich gehoͤret ha-
be, und wie auch ſehr warſcheinlich iſt, einen
guten Theil der Lebhaftigkeit, die ihr in Jhrem
Vater gefiel. Nun aber hat ſie ſie nicht mehr.
Wie hat ſie ſie denn verlohren? ‒ ‒ Ach, mein
Kind, ich glaube, ſie hat ſich zu lange in des
Trophonius Hoͤle aufgehalten. (*)


Da ich ſo vieles u. ſ. w.


Th. II. S. 33. L. 20. zu den Worten:
meiner Mutter Haus, ſetze folgende
Note.


Vielleicht wird es unnoͤthig ſeyn, den Leſer
zu erinnern, daß Herr Lovelace, ob er gleich
oben der Fraͤulein Howe vorſchlaͤgt, daß ihre
ſchoͤne Freundin ſich in den Schutz der Frau
Howe begeben muͤßte, wenn ſie weiter getrie-
ben wuͤrde, er doch durch ſeinen Unterhaͤndler
in der Harlowiſchen Familie, mit vieler Liſt
dafuͤr geſorget hatte, nicht nur die Familie ge-
gen
[21]
gen ſie aufzubringen, ſondern ſie auch des Schu-
tzes der Frau Howe und aller andern Perſonen
zu berauben, weil er vom Anfange entſchloſſen
war, ſie dahin zu bringen, daß ſie durchaus
von ihm abhangen ſollte. S. im erſten Theile
den 31. Brief.


Th. II. S. 200. L. 19. nach den Worten:
iſt jetzt mein Kummer.


O mein allerliebſtes Kind! Aber ſind nicht
ſelbſt Jhre Entſchuldigungen Geſtaͤndniß genug,
daß Jhre Entſchuldigungen nicht zu entſchuldi-
gen ſind? Jch weiß nicht, was ich ſchreibe! ‒ ‒
Sie haͤtten auf ihrem Wege einen Bedienten an-
getroffen? So wahr GOtt im Himmel lebt!
der Bediente war gewiß nicht da, er durfte, er
konnte nicht da ſeyn! ‒ ‒ Verwuͤnſcht ſei die ge-
ſetzte Ueberlegung, worauf ſie ſich berufen,
warum Sie mich einer ſo entzuͤckenden Erwar-
tung beraubt haben!


Laßen ſich die Sachen u. ſ. w.


Th. II. S. 218. am Ende, nach den Wor-
ten: betruͤbet hatte, gehoͤren folgen-
de Briefe.


Herr Hickmann an Frau Howe.


Madame,

Es geſchiehet mit der aͤußerſten Bekuͤmmer-
niß, daß ich mich verbunden zu ſeyn glaube,
B 3meine
[22]
meine Beforgniß ſchriftlich zu wiederholen, daß
es mir ewig unmoͤglich ſeyn wird, die Gunſt
Jhrer geliebten Fraͤulein Tochter zu erhalten.
Moͤchte es nur nicht allen Leuten, ja gar unſern
eignen Bedienten ſo deutlich in die Augen fallen,
wie mir, daß meine Liebe gegen ſie, und meine
beſtaͤndigen Bemuͤhungen zu gefallen, mich eher
ihrer Verachtung ausſetzen; (vergeben Sie mir
das harte Wort, Madame) als daß ſie mir eine
Begegnung erwerben ſollten, die ein Mann bil-
lig fordern kan, deſſen Antrag mit Jhrer Be-
willigung geſchehen iſt, und der ſie uͤber alles
Frauenzimmer in der Welt liebet!


Freilich wuͤrde die Aufrichtigkeit meiner Liebe
zweifelhaft werden, wenn ich, ſo wie Herr Sol-
mes
gegen die warhaftig bewundernswuͤrdige
Fraͤulein Clariſſa Harlowe fortfahren koͤnnte,
mich um Fraͤulein Howe zu bewerben, da ich
ſehe, daß ich ihr misfalle. Doch wie theuer
wird es mich zu ſtehen kommen, wenn ich auf-
hoͤren ſoll, es zu thun!


Erlauben Sie mir indeſſen, theureſte, wuͤr-
digſte Frau, Jhnen zu wiederholen, was ich am
Montag Abends bei Frau Larkins ſagte, da
mir mein Herz vor Traurigkeit brechen wollte:
Es waͤre die Begegnung an dem Tage nicht noͤ-
thig geweſen, mich zu uͤberzeugen, daß Fraͤulein
Howe mich jetzo, ja daß ſie mich ewig nicht, mit
ihrem guten Willen, lieben wird. Wie kann ich
hoffen, daß ein Frauenzimmer jemals den als
einen Ehemann hochachten wird, den ſie, als ei-
nen
[23]
nen Liebhaber, verachtet hat? Wird nicht eine
jede Gefaͤlligkeit eines ſolchen Mannes fuͤr eine
weibiſche Zaghaftigkeit ausgeleget werden, und
ihr ein Recht geben, ihn noch mehr zu verach-
ten? ‒ ‒ Mein Herz iſt zu voll. Vergeben Sie
mirs alſo, wenn ich ſage, der Fraͤulein Ho-
we
Auffuͤhrung gegen mich macht weder ihrer
Erziehung, noch ihrem ſcharfſinnigen Verſtan-
de Ehre.


Weil es alſo zu offenbar iſt, daß ſie mich
nicht hochachten kan; und weil, wie ich die vor-
trefliche Fraͤulein Clariſſa Harlowe habe an-
merken hoͤren, die Liebe keine freiwillige Leiden-
ſchaft iſt; wuͤrde es nicht niedrig gehandelt ſeyn,
eine ſo werthe Tochter dem Unwillen einer Mut-
ter auszuſetzen, von welcher ſie mit ſo vielem
Rechte zaͤrtlich geliebet wird? und Sie, Mada-
me, die Sie ſo guͤtig geweſen ſind, ſich mei-
ner anzunehmen, unruhig zu machen? Wenn
ich auch gewiß waͤre, endlich durch Jhre ge-
neigte Partheilichkeit meine Abſichten zu errei-
chen; ſollte ich denn wuͤnſchen, eine Perſon un-
gluͤcklich zu machen, welche meine ganze Seele
liebet? Denn wenn wir nicht beide gluͤcklich
ſeyn koͤnnen, ſo muͤſſen wir beide auf Zeitle-
bens ungluͤcklich ſeyn.


Meine beſten Wuͤnſche ſollen die theure, die
ewig werthe Fraͤulein begleiten! Moͤchte ſie doch
eine gluͤckliche Heirath treffen! Das wird ſie
gewiß thun, wenn ſie einen Mann heirathet,
den ſie ihrer Liebe wuͤrdigen kann. Doch das
B 4will
[24]
will ich ſagen, der gluͤckliche, der zu gluͤckliche
Mann mag ſeyn, wer er will, ſo wird er ſie
nie heftiger, nie aufrichtiger lieben, als ich.


Nehmen Sie noch, liebe Madame, meinen
erkenntlichen Dank an, fuͤr Jhre beſondre Ach-
tung, die mich allein ſo kuͤhn gemacht hat, mich
um ein Gluͤck zu bewerben, das ich nunmehr
aufgebe, da ich gar nichts mehr hoffen darf.
Eine Achtung, von der ich einzig etwas hoffte,
da ich von meinen Verdienſten nichts erwarte-
te, die mir aber, wie ich ſehe, nicht nuͤtzlich
ſeyn kann. Es wird mir bis an die letzte Stun-
de meines Lebens ein Vergnuͤgen ſeyn, zu ge-
denken, daß, wenn Jhre Gewogenheit, Jhre
Fuͤrſprache Gewicht genug gehabt haͤtte, eine
Abneigung zu uͤberwinden, welche unuͤber-
windlich zu ſeyn ſcheinet, ich der gluͤcklichſte
Mann von der Welt geworden waͤre.


Jch bin, wertheſte Madame, mit unveraͤn-
derlicher Hochachtung


Jhr
gehorſamſt-verbundenſter Diener
Carl Hickmann.


Frau Howe an Herrn Carl Hickmann.


Jch muß freilich geſtehen, Herr Hickmann,
Sie haben Urſache, unzufrieden zu ſeyn, ‒ ‒
uͤbel aufgeraͤumt, ‒ ‒ misvergnuͤgt, mit meiner
Aenngen ‒ ‒ Aber auf mein Wort; Doch in
der
[25]
der That ‒ ‒ was ſoll ich ſagen? ‒ ‒ Doch das
will ich ſagen, daß Sie gute junge Herren
unſer Geſchlecht ganz und gar nicht kennen.
Soll ichs Jhnen ſagen? ‒ ‒ Aber warum ſoll
ich? Doch ich will Jhnen ſagen, wenn mein
Aenngen nicht uͤberhaupt gut von Jhnen daͤch-
te, ſo iſt ſie zu grosmuͤthig, als daß ſie Jh-
nen ſo frei begegnen ſollte, wie ſie thut. ‒ ‒
Halten Sie ſie denn nicht fuͤr dreiſt genug, daß
ſie mir ſagen wuͤrde, ſie wollte Sie nicht mehr
ſehen, und daß ſie ſich weigern wuͤrde, Sie zu
keiner Zeit zu ſehen, da ſie weiß, in welcher
Abſicht Sie kommen, wenn ſie Jhnen nicht im
Herzen ein bisgen gut waͤre? ‒ ‒ Fy! Daß ich
Jhnen das ſo deutlich ſchreiben muß, da ich es
Jhnen wol hundert und hundertmal muͤndlich
zu verſtehen gegeben habe!


Aber, wenn Sie gleichguͤltig ſind, Herr
Hickmann, ‒ ‒ wenn Sie meinen, daß Sie
ſich ihrer wunderlichen Einfaͤlle wegen von ihr
trennen koͤnnen. ‒ ‒ Wenn meine Gutheit fuͤr
Sie ‒ ‒ Jch muß Jhnen ſagen, Herr Hick-
mann,
mein Aenngen iſt wol werth, daß man
ihr etwas zu Gute haͤlt. Wenn ſie wunderlich
iſt, ‒ ‒ wem haben wir das zu danken? Nicht
wahr, ihrem Witze? Laſſen Sie ſich das ſagen,
mein Herr, wenn Sie das Gute haben wol-
len, ſo muͤſſen Sie das Schlimme mit vorlieb
nehmen. Welcher Handwerksmann hat nicht
gerne ein ſcharfes Werkzeug, damit zu arbei-
ten? Aber iſt ein ſcharfes Werkzeug nicht ge-
B 5faͤhr-
[26]
faͤhrlicher als ein ſtumpfes? Und welcher Hand-
werksmann wird ein ſcharfes Werkzeug weg-
werfen, weil er ſich die Finger damit verletzen
kann? Der Witz kan mit einem ſcharfen Werk-
zeuge verglichen werden, und es iſt wuͤrklich
ſo etwas artiges in dem Witze, das muß ich
Jhnen ſagen. Oft, ſehr oft habe ich zu ihren
ſchalkhaften Einfaͤllen uͤber mich laͤcheln muͤſ-
ſen, wenn ich ſie haͤtte darum ſchlagen koͤnnen.
Und muß ich nicht mein Theil mit ihr aus-
ſtehen? Aber warum das? Weil ich ſie liebe.
Und wuͤnſchten Sie nicht, daß ich Jhre Liebe
gegen ſie nach der meinigen beurtheilen ſollte?
Und Sie wollten nichts von ihr hinnehmen?
Sie lieben das Maͤdgen doch auch, obgleich
mit einer andern Art von Liebe, ſo wol als
ich? Jch verſichre Sie, mein Herr, wenn
ich wuͤßte, daß Sie das nicht thaͤten ‒ ‒ Doch
es iſt offenbar, daß Sie ſie nicht lieben! Jſt es
aber offenbar? ‒ ‒ Nun wolan, ſo muͤſſen Sie
thun, was Sie fuͤr das Beſte halten!


Freilich muͤßte man an der Aufrichtigkeit
Jhrer Liebe zweifeln, ſagen Sie, wenn Sie
gleich dem Herrn Solmes ‒ ‒ Kikel ‒ Kakel!
Sie ſind ein verfaͤnglicher Menſch, glaube
ich! ‒ ‒ Hat mein Aenngen Jhnen wol ſo
deutlich einen Korb gegeben, als Fraͤulein Claͤr-
gen
dem Herrn Solmes? Liebet mein Aenn-
gen
eine andre Mannsperſon mehr, als Sie,
ob ſie gleich Jhnen ihre Liebe nicht ſo ſehr zei-
gen, wie Sie wuͤnſchen. Wenn ſie das thaͤte;
ſo
[27]
ſo muß ich Jhnen ſagen, wuͤrden wir es alle
bereits von ihr ſelbſt wiſſen ‒ ‒ Was ſind denn
das fuͤr elende Vergleichungen!


Doch es kan ſeyn, daß Sie endlich uͤber-
druͤßig geworden ſind. Vielleicht haben Sie
eine andre Perſon geſehen, ‒ ‒ vielleicht haben
Sie Luſt, Jhre Geliebte gegen des wilden Kerls,
des Lovelace, ſeine zu vertauſchen. Es koͤnn-
te auch kommen, daß in dem Fall, es meinem
Aenngen auch nicht leid ſeyn wuͤrde, den Lieb-
haber zu verwechſeln. ‒ ‒ Die warhaftig be-
wundernswuͤrdige
Fraͤulein Clariſſa Har-
lowe!
und die vortrefliche Fraͤulein Cla-
riſſa Harlowe!
‒ ‒ Habe ich mein Tage! ‒ ‒
Nehmen Sie ſich doch in Acht, Herr Hick-
mann,
daß Sie kein lebendiges Frauenzimmer,
ſie mag ſo bewundernswuͤrdig, ſo vortreflich
ſeyn, als ſie will, uͤber Jhr Maͤdgen erheben.
Kein Menſch von Lebensart wird das thun, in
Warheit! Und huͤten Sie ſich auch, daß Sie
das Maͤdgen oder mich nicht uͤberreden, daß es
mit Jhrem Zorne ein Ernſt iſt ‒ ‒ Ob es gleich
wol ſeyn kan, ſo weit es Zorn iſt ‒ ‒ Nicht um
tauſend Pfund wollte ich, daß mein Aenngen
wuͤßte, Sie koͤnnten ſich ſo leicht von ihr tren-
nen, wenn Sie eine ſo groſſe Liebe gegen ſie
haben, wie Sie vorgeben. Wo Sie Jhre Par-
thie noch nicht voͤllig genommen haben, ſo ver-
heelen Sie ja Jhrem eignen Herzen, den Jn-
halt Jhres Briefes, wenn ichs ſagen darf.


Jhre
[28]

Jhre Auffuͤhrung gegen Sie, ſagen Sie,
macht ihrer Erziehung und ihrem ſcharfſinnigen
Verſtande keine Ehre. Das war ein rechter
Stich! Jn Warheit! Dem ungeachtet ſage ich
das auch. Aber hat das Maͤdgen nicht mehr Nach-
rede davon, als Sie? Jch kan verſichern, alle
Leute tadeln ſie deswegen. Und warum tadelt
man ſie? ‒ ‒ Warum? weil man glaubt, Sie
verdienen von ihr eine beſſere Begegnung, und
macht Jhnen das nicht Ehre? Werden Sie nicht
von jederman bedauret, und meine Tochter ge-
tadelt? Haben die Bedienten, wenn ſie ihre
wunderliche Auffuͤhrung ſehen, wie Sie anmer-
ken, deswegen fuͤr Sie weniger Achtung? Sie-
het mans ihnen nicht an, daß ſie Jhrentwegen
bekuͤmmert ſind? Geben ſie ſich nicht doppelte
Muͤhe, Jhnen Ehrerbietung und Dienſte zu er-
weiſen? Mit vielem Vergnuͤgen habe ich das
wahrgenommen.


Aber Sie ſind beſorgt, man wuͤrde Sie etwa
fuͤr feig halten, wenn Sie verheirathet waͤren.
Daß man Sie nicht maͤnnlich ‒ tapfer genug hal-
ten wuͤrde! Ei man ſehe doch! Das war des
guten Herrn Howe Beſorgniß auch, und die
herrſchſuͤchtige Beſorgniß hat uns beiden man-
chen Zwiſt gekoſtet, GOtt weiß es! Gewiß,
mehr als noͤthig war, und mehr, als billig haͤt-
te ſeyn ſollen, haͤtte er mehr zu ertragen und
nach zugeben
gewußt; wie es denn die Schul-
digkeit derer iſt, die den meiſten Verſtand ha-
ben wollen. ‒ ‒ Und wer ſollte doch wol, Jhrer
Mei-
[29]
Meinung nach, den meiſten Verſtand haben,
die Frau oder der Mann?


Wolan, mein Herr, was iſt nun noch uͤbrig,
wenn Sie mein Aenngen wuͤrklich ſo ſehr lie-
ben, wie Sie vorgeben? ‒ ‒ Gut, das uͤberlaſſe
ich ihnen. Sie koͤnnen, wenn Sie wollen, mor-
gen mit mir fruͤhſtuͤcken. Aber mit keinem vol-
len Herzen,
mit keinen zornigen Minen, das
rathe ich Jhnen, es waͤre denn, daß Sie es aus-
keifen koͤnnten. Das habe ich auch mannigmal
mit meinem Mann gethan, wenn er mich boͤſe
machte. Aber bei meiner Tochter gewinne ich
nichts damit, vielweniger Sie. Den Rath hielt
ich fuͤr noͤthig, Jhnen zu geben, Sie koͤnnen
ſich darnach richten.


Jhre Freundinn,
Annabella Howe.


Th. II. S. 252. L. 24. Zu den Worten:
einziehen moͤchten, ſetze folgende Note:


Man wird aus dem 34. Briefe des erſten
Theils ſchen, daß Herr Lovelace eine doppelte
Urſache hatte, ſein Roſenknoͤspgen nicht zu ver-
fuͤhren. Einmal war ſeinem Stolze dadurch
geſchmeichelt, daß die Großmutter ihn gebe-
ten, ihre Enkelin zu ſchonen. “Manches klei-
„nen ſchelmiſchen Maͤdgens, ſagt er in dem
„Briefe S. 385, wuͤrde ich geſchonet haben,
„wenn mein Vermoͤgen, es zu verfuͤhren, er-
„kannt, und ich fruͤhe genug um Barmherzig-
„keit gebeten waͤre. Mein Wahlſpruch ſoll im-
„mer
[30]
„mer das debellare ſuperbas ſeyn, wenn ich
„mich wieder in eine neue Liebe einlaſſen kann.


Sein zweiter Bewegungsgrund zeiget ſich in
der folgenden Stelle, in demſelben Briefe,
S. 386. “Jch bin lange Zeit nicht ſo tugend-
„haft geweſen; ich kan wol ſagen, ſeit dem ich
„inſcribiret bin. Es iſt mir auch zu rathen,
„daß ich tugendhaft bin. Mein Auffenthalt in
„dieſem kleinen Wirthshauſe koͤnnte auf eine o-
„der andre Weiſe ausgekundſchaftet werden;
„und man koͤnnte glauben, daß mein Roſen-
„knoͤspgen der Magnet waͤre, der mich hieher
„zoͤge. Wenn mir ſo liebenswuͤrdige und ein-
„faͤltige Leute ein Zeugniß geben, ſo kann ich da-
„durch ein ander Herz gewinnen. u. ſ. w.„


Der Leſer wird auch hernach warnehmen, wie
Herr Lovelace aus dem Erfolg geſehen hat,
daß durch die Liſt, die er durch ſeinen Unterhaͤnd-
ler Joſeph Lemann ins Werk ſetzte, (der, wie
oben gemeldet, mit Eliſabeth Barnes ein
Verſtaͤndniß hatte) ſeine ganze Erwartung er-
fuͤllet wurde; ob er gleich nicht wiſſen konnte,
was desfals zwiſchen den beiden Fraͤulein vor-
gieng.


Dieſe Erklaͤrung war um ſo viel noͤthiger,
da verſchiedne unſrer Leſer, aus Mangel gehoͤ-
riger Aufmerkſamkeit, dem Herrn Lovelace,
aus ſeinem Betragen gegen ſein Roſenknoͤspgen
ein groͤſſeres Verdienſt machen, als ihm zu-
kommt; und uͤberdem ſich einbilden, es waͤre
unwarſcheinlich, daß ein Mann, der faͤhig war,
in
[31]
in dieſem Fall, wie ſie vorausſetzen, ſo gros-
muͤthig zu handeln, ſich irgend einer unerhoͤr-
ten Niedertraͤchtigkeit ſchuldig machen koͤnnte.
Sie bedenken aber nicht, daß er ſeinem eignen
Geſtaͤndniß (in dem 31. Briefe des erſten Theils)
nach, aus Liebe, Stolz und Rache zuſammen-
geſetzet war, welche alle gleich ſtark auf ihn wuͤrk-
ten; und daß der Widerſtand ihn noch mehr
anfeuerte.


Th. III. S. 63. L. 15. zu den Worten:
ihm folgen ſollte, ſetze folgende Note:


Man hat der Fraͤulein Clariſſa einen Feh-
ler daraus gemacht, daß ſie in ihrer erſten Un-
terredung zu St. Albans, auch hernach, zu
zuruͤckhaltend, ja gar ſtolz gegen den Herrn Lo-
velace
gethan haͤtte. Aber diejenigen, welche
ſie deswegen tadelnswuͤrdig gehalten, haben ge-
wiß nicht die gehoͤrige Aufmerkſamkeit auf die
Geſchichte gewand. Denn wie zeitig erinnert
er ſie nicht, (wie man oben, und aus dem gleich
folgenden, ſiehet) an die Bedingung, die ſie ihm
vorgeſchrieben hatte, ehe ſie noch in ſeiner Ge-
walt war, daß er ſich nemlich in einer ehrerbie-
tigen Entfernung von ihr halten ſollte, in der
Hoffnung, zur Verſoͤhnung mit ihren Ver-
wandten, die ihr ſo ſehr am Herzen lag, einen
Weg offen zu laſſen. Und mit wie vieler Liſt
verſpricht er nicht ungebeten, die Bedingung
zu erfuͤllen, welche ſie ihm, dem Rath der Fraͤu-
lein Howe zufolge, in ihren gegenwaͤrtigen Um-
ſtaͤnden
[32]
ſtaͤnden gerne geſchenkt haben wuͤrde. Nicht
zu gedenken, daß es nothwendig war, ihm we-
gen der Art, wie er ſie weggebracht hatte, ihre
Empfindlichkeit zu zeigen, damit er uͤberzeuget
wuͤrde, es waͤre ihr ein Ernſt geweſen, als ſie
es ihm abſchlug, mit ihm fortzugehen. Man
ſehe ihre eigne Meinung hieruͤber in ihrem fol-
genden Briefe an die Fraͤulein Howe.


Th. III. S. 99. L. 20. ſtatt der Zeile: be-
huͤte GOtt,
lies:


Behuͤte GOtt! wie ungeduldig iſt ſie! wie
donnert ſie gegen die Thuͤr! ‒ ‒ Den Augen-
blick, Mamma! ‒ ‒ Jch weiß nicht, wie ich dazu
komme, daß ich mich abſchlieſſe! Wo mag ich
den Schluͤſſel gelaſſen haben! ‒ ‒ Der Henker
hole den Schluͤſſel! Liebe Mamma! Sie koͤn-
nen einem recht angſt machen!



Sie koͤnnen denken, mein Kind, daß ich erſt
meine Papiere auf die Seite brachte, ehe ich
die Thuͤr aufſchloß. Wir haben eine artige
Unterredung gehabt. ‒ ‒ Sie flog ganz erboſt
zur Thuͤr hinaus. ‒ ‒


Was iſt nun zu machen?


Jezt eben erhalte ich u. ſ. w.


Th. III. S. 138. L. 16. nach den Worten:
ſprengen ſollte.


Und wer weiß, was ein Berliebter fuͤr Ge-
legenheiten an die Hand geben kann, die ihm
nachthei-
[33]
nachtheilig ſind? Wenn er ſeinen Rock oder
Weſte veraͤndert, mag er leicht etwas vergeſ-
ſen. Jch habe desfals ſchon einmal gelitten.
Damit du alſo gegen die Neugierde des ganzen
Geſchlechts auf deiner Hut ſtehen moͤgeſt, darf
ich dich nur daran erinnern, daß Eva ihrer
aller Stamm-Mutter geweſen iſt.


Noch eines iſt u. ſ. w.


Th. III. S. 140. L. 6. nach den Worten:
auf Ruhm.


Habe ich nicht ſelbſt einmal auf der Gaſſe in
London ein wolgekleidetes huͤbſches Maͤdgen ge-
ſehen, welches lachte, und ſich in die Bruſt
warf, und der man es recht anſehen konnte,
wie ſie ſich uͤber den Beifall eines ſchwarzen
Hundes, eines Feuereſſen-Kehrers, freuete, der,
mit ſeinem ledigen Sack uͤber die Schulter, ihr
auswich, ſtill ſtand, und vor Bewunderung
ihrer Artigkeit ſeinen Beſen und Schaufel in die
Hoͤhe hielt! ‒ ‒ Bei meiner Seele, Maͤdgen,
dachte ich, ich, als Herr Lovelace, verachte
dich. Aber waͤre ich der Feuereſſen-Kehrer,
und koͤnnte es nur ſo weit bringen, daß ich an
dich kaͤme, mein Leben wollte ich gegen deine
Tugend ſetzen, ich wollte dich haben.


So vergnuͤgt war ich u. ſ. w.


Th. III. S. 157. faͤngt der funfzehende
Brief eigentlich ſo an:


Du haͤtteſt nicht noͤthig gehabt, Bruder, ſo
ein groß Weſen daraus zu machen, wie die
Zuſaͤtze zur Cl. CMaͤdgen
[34]
Maͤdgen ſagen, wenn ich wuͤrklich ſtarke
Schritte zu meiner Bekehrung gethan haben
ſollte. Denn du ſieheſt leicht, indem ich Tag
und Nacht mit ſolcher Emſigkeit dies einzige
bezaubernde Maͤdgen verfolge, daß ich unend-
lich weniger zu verantworten habe, als ich ſonſt
gehabt haͤtte. Laß ſehen, wie viel Tage und
Naͤchte? Vierzig, glaube ich, ſind ſchon nach
eroͤfneten Laufgraͤben, bloß auf das Untergra-
ben angewand, und iſt noch nicht eine Mine
geſprungen!


Ein Dutzend Raubvoͤgel, wenn ich nur we-
nig rechne, moͤchten leicht gefallen ſeyn, indem
ich nur verſucht habe, dieſe einzige Lerche zu fan-
gen; und doch ſehe ich noch nicht, wie ich ſie
auf meinen Vogelheerd bringen will. Dis ſind
alſo ſo viel unſchuldige Tage mehr! ‒ ‒ Doch
wenn ich meine herumirrende freie Lebensart
aͤndre, das wird hoffentlich die ſicherſte Art
ſeyn, alle meine Endzwecke zu erreichen, ob es
gleich langſam damit zugehen wird.


Dann wirſt du auch ein Verdienſt haben,
Bruder, daß du meine Feder beſchaͤftigeſt, weil
doch ſonſt deine Zeit ſchlimmer angewendet wer-
den wuͤrde. Und wer weiß endlich, vielleicht
wird noch wol eine wuͤrkliche Bekehrung dar-
aus, wenn wir auf Unkoſten unſrer alten Ge-
wohnheiten neue ſchaffen.


Jch habe mein Wort von mir gegeben, und ich
glaube, es muß doch ein Vergnuͤgen darin ſeyn,
wenn man fromm iſt; das Gegentheil von dem,
was
[35]
was die Unſinnigen beim Nathaneel Lee em-
pfinden, ein Vergnuͤgen,
das bloß der Fromme kennet.


Sieheſt du nicht aus dieſem allen, daß es
aus zwanzig Urſachen weit beſſer iſt, einem ſchwer
zu erhaſchenden Wildpret nachzuſtellen, als ei-
nem, das leicht zu fangen iſt. Mit dieſem Ver-
gnuͤgen moͤchte ich dich gar zu gerne recht be-
kannt machen, und dich lehren, edlere Thiere
verfolgen, als Raben, Kraͤhen und Elſtern. Jch
habe vor, dir von Zeit zu Zeit in der Folge un-
ſers Briefwechſels, den du uͤber dieſe große Un-
ternehmung ſo ſehnlich mit mir zu unterhalten
wuͤnſcheſt, zu zeigen, daß dieſe erhabnen Fraͤu-
lein koͤnnen erniedrigt werden. Zugleich will
ich einem von den Einwuͤrfen begegnen, die du
mir bei unſrer letzten Zuſammenkunft machteſt,
daß nemlich das Vergnuͤgen, welches uns die-
ſe edleren Unternehmungen gewaͤhren, die Muͤ-
he nicht belohnte, die damit verknuͤpft iſt. Denn
du elender Kerl wollteſt zugleich behaupten, ein
Frauenzimmer ſei nicht beſſer, als das andre.


Du weißt nichts, Bruder, von der feinen
Wolluſt, die ein verwirrter Liebes-Handel ver-
ſchafft. Nichts von der Ehre, die Klugheit der
Witzigen und Wachſamen zu uͤbertreffen: Von
den Freuden, die das Herz eines ſchlauen und
erfindſamen Geiſtes erfuͤllen, wenn er uͤberlegt,
was fuͤr ein Netz er ausſtellen will, eine hoch-
muͤthige Schoͤne zu beſtricken, die ihm vorher,
da die Reihe an ihr war, unzaͤhlige Qual an-
C 2gethan
[36]
gethan hat. ‒ ‒ Da du gleich einem Haushunde
dich begnuͤgeſt, an einem Knochen zu nagen, den
man dir vorwirft, ſo kannſt du auch von den Ver-
gnuͤgungen der Jagd nichts wiſſen, wo wir das
Wild durch unwegſames Geſtraͤuche verfolgen.
Jch will mich bemuͤhen, dich dazu aufzumun-
tern, und du wirſt doppelte und dreifache Urſa-
chen haben, mir zu danken, ſo wol deines ge-
genwaͤrtigen Vergnuͤgens wegen, als in Anſe-
hung deiner Ausſichten jenſeits der Sterne.


So weit hatte ich geſchrieben, bloß um mich
zu beſchaͤftigen, ehe ich bei meiner Schoͤnen vor-
gelaſſen ward. Aber nun kann ich dir ſagen,
daß ich mich in meiner Muthmaſſung nicht be-
trogen hatte, ſie wuͤrde entſchloſſen ſeyn, ſich al-
lein wohin zu begeben, und mich zu verlaſſen.
Denn ſie hat mir weitlaͤuftig genug geſagt,
daß dies ihre Entſchlieſſung waͤre. Weißt du
warum? weil ich, um offenherzig mit mir zu
ſeyn, je mehr ſie von mir und meiner Auffuͤhrung
ſaͤhe, ihr immer weniger gefiele.


Das gieng mir durch die Seele! ‒ ‒ zwar
weinte ich nicht; ‒ ‒ waͤre ich ein Weibsbild
geweſen, ich wuͤrde geweint haben, und das recht-
ſchaffen. Aber ich zog ein weißes feines Schnupf-
tuch hervor. Das ſtand mir zu Gebote, aber
nicht meine Thraͤnen.


Sie hat an meinen Verſicherungen, an mei-
nen Geſtaͤndniſſen, an meinen Geluͤbden etwas
auszuſetzen. Jch darf keinem Bedienten flu-
chen, (das einzige Vorrecht, wobei man einen
Herrn
[37]
Herrn erkennet) weil ſie ſagt: ich ſchwoͤre wie
ein Landsknecht.
(*) ‒ ‒ Jch darf nicht ſa-
gen: bei meiner Seele! oder ſo wahr ich ſeelig
zu werden gedenke! Was das wunderlich iſt,
Bruder! will ſie denn nicht, daß ich denken
ſoll, ich habe eine Koſtbare Seele, ſo wol als
ſie? ‒ ‒ Wenn ſie glaubt, daß fuͤr mich keine
Hofnung iſt, ſeelig zu werden, was den Teu-
fel! ‒ ‒ (wieder ein Wort, das ſie nicht leiden
kann!) nimmt ſie ſich denn vor, mich zu bekeh-
ren! Sieheſt du, ſo wird mir kein einziger feu-
riger Ausdruck verſtattet!


Was kann man mit einem u. ſ. w.


Th. III. S. 157. L. 14. nach den Worten:
Herzen gegeben wird.


Du ſieheſt alſo wol, Bruder, es iſt hohe Zeit,
meine Maasregeln zu veraͤndern. Jch muß
noch wol etwas ſtaͤrkere Schritte zur Gottes-
furcht
thun, als ich mir vorgenommen hatte.


Wie traurig wuͤrde es ſeyn, wenn ich nach
dieſem allen ſo wol ihre Perſon als ihre gute
Meinung von mir verlieren ſollte! Das wuͤr-
de das einzige mal ſeyn, da mich eine naͤhere
Bekanntſchaft, ohne das ich etwas gewagt, oder
einen Argwohn gegeben haͤtte, jemals in eines
Frauenzimmers Gewogenheit herunter ſezte!
Eine verfluchte Demuͤthigung! ‒ ‒ Das iſt aus-
gemacht, ich habe keinen Vorwand, ſie zu hal-
C 3ten,
[38]
ten, wenn ſie gehen will. ‒ ‒ Gewalt darf ich gar
nicht brauchen, ja ich darf mir nicht einmal
nur etwas davon merken laſſen. Der Him-
mel geleite uns nur ſicher nach London! ‒ ‒
Das iſt alles, was ich jetzo zu machen weiß.
Und doch muß das noch der kleinſte Theil mei-
ner Rede ſeyn.


Warum will aber u. ſ. w.


Th. III. S. 162. L. 4. zu den Worten:
Nachricht bekommt, ſetze folgende
Note:


Herr Lovelace haͤtte ſeine Beſorgniß hieruͤ-
ber ſparen koͤnnen. Denn viele von dem ſchoͤ-
nen Geſchlecht, die bei der erſten Bekanntma-
chung dieſer Geſchichte, ſo weit, ja nur bis an
die erſte Entweichung der Fraͤulein, geleſen hat-
ten, ſind, (ſo ungerne wir dies auch ſagen,)
williger geweſen, ſie einer uͤbertriebenen Zaͤrt-
lichkeit zu beſchuldigen, (wie wir oben S. 31.
dieſer Zuſaͤtze in einer Note angemerkt,) als ihn
wegen ſeiner Liſt und ſeiner Freude daruͤber zu
verdammen, die eben ſo undankbar und grauſam,
als niedertraͤchtig und einer Mannsperſon un-
anſtaͤndig war.


Th. III. S. 166. L. 18. zu den Worten:
ungluͤcklich machen koͤnnen, ſetze fol-
gende Note:


Man bittet diejenigen von dem ſchoͤnen Ge-
ſchlechte, die lieber zu ihrem Zeitvertreibe, als
zu
[39]
zu ihrem Unterricht leſen, dieſen Brief des Hrn.
Lovelace, ihrer beſondern Aufmerkſamkeit zu
wuͤrdigen.


Th. III. S. 224. lies ſtatt des Schluſſes
dieſes Briefes nach den Worten: gewa-
get habe:


Haͤtte ich geſtanden, daß ich uͤberraſchet, und
gegen meine Abſicht gezwungen waͤre, wegzu-
gehen, koͤnnten ſie dann nicht, zum Beweiſe der
Warheit meines Vorgebens, gefordert haben,
ich ſollte ſogleich wieder zu ihnen kommen? Und
wenn ich nicht zuruͤck kehrete, haͤtten ſie dann
nicht mit Grunde glauben koͤnnen, daß ich mei-
nen Entſchluß, (wo es mir anders jemals da-
mit ein Ernſt geweſen waͤre,) nunmehr geaͤn-
dert haͤtte, oder daß es nicht in meiner Macht
ſtuͤnde, zuruͤck zu kehren? ‒ ‒ Dann aber, wenn
ich zuruͤck kehren wollte, haͤtte es nicht auf die
Bedingungen geſchehen muͤſſen, die ſie mir wuͤr-
den vorgeſchrieben haben? keine Bedingun-
gen mit einem Vater!
iſt bei meinem Va-
ter und meinen Oncles ein Grundſatz. Wollte
ich aber gehen, ſo haͤtte ſich Herr Lovelace
dagegen geſetzt. So haͤtte ich entweder unter
ſeiner Gewalt ſeyn, oder von ihm weglaufen
muͤſſen, wie man glaubt, daß ich von Harlo-
we-Burg zu ihm
gelaufen waͤre. Was
fuͤr eine ſeltſame Geſtalt wuͤrde mir dieſes ge-
geben haben! ‒ ‒ Haͤtte er mich eingeſperret,
wie konnte ich dann einen Anſpruch auf den
C 4Schutz
[40]
Schutz meiner Verwandten machen, ohne eben
die Folgen zu veranlaſſen, welche zu vermeiden,
ich mich in ein ſo ſchreckliches Ungluͤck geſtuͤr-
zet habe. Freilich verwegen genug von mir,
daß ich es unternahm, zwiſchen ſo hitzigen Ge-
muͤthern eine Mittelsperſon abzugeben!


Aber muß es nicht endlich mein Gemuͤth
aufs aͤußerſte bekuͤmmert machen, daß ich das
Anſehen gewinne, als wenn ich nachher ein
Verfahren gebilliget haͤtte, worin ich mit ſo
vieler Liſt verwickelt wurde, und zu welchem ich
ſo feſt entſchloſſen war, nimmer zu ſchreiten;
und mich alſo genoͤthiget ſehe, es dadurch gleich-
ſam zu heiligen?


Daß ein Uebel das andere veranlaſſet, die-
ſes wird leider nur gar zu ſehr beſtaͤtigt durch


Jhre
ewig ergebne.


Th. III. S. 248. lies ſtatt der ſieben erſten
Abſchnitte, folgendes:


Ach was das fuͤr ein Mann iſt! mein Kind!
Wir haben hitziger gegen einander geſprochen,
als jemals. Jch finde, wenn ich ordentlich mit
ihm daruͤber ſpreche, ſo darf ich ihn nicht fuͤrch-
ten. Aber er iſt ſo ein wilder, ſo ein unbaͤn-
diger Menſch, (und der ſollte ſich bekehren!)
daß ich mich halb vor ihm fuͤrchte.


Als ich ihm eroͤfnete, wie unruhig ich daruͤ-
ber ſei, daß er ſich hier bei mir aufhielte, that
er
[41]
er von neuen den Vorſchlag, ich moͤchte mich
in den Schutz der Lady Eliſabeth Lawran-
ce
begeben; denn er glaubte, er koͤnnte mich
nicht bei der Frau Sorlings laſſen, weil ich
da nicht ſicher waͤre; und da ich ihm dieſes aus
den Gruͤnden abſchlug, die ich Jhnen in meinem
letzten Briefe ſchrieb, (*) ſo drang er in mich,
daß ich mein Gut fordern ſollte.


Er wuͤſte wol, ſagte ich ihm, daß ich meinen
Entſchluß ſchon gefaßt haͤtte, keinen Rechts-
handel mit meinem Vater anzufangen.


Dazu wollte er mich auch nicht bereden, ant-
wortete er, wenn es nicht das aͤußerſte waͤre,
wozu ich greifen muͤßte. Wenn aber meine
Grosmuth mir nicht erlauben wollte, jeman-
den verbunden zu ſeyn, wie ich es nennte,
und doch meine Verwandten mir ferner mein
Eigenthum vorenthielten; ſo wuͤſte er nicht,
wie ich dieſe Grosmuth wuͤrde behaupten koͤn-
nen, ohne in Verlegenheit zu gerathen; und
das wuͤrde ihn unendlich unruhig machen, ‒ ‒
es waͤre ‒ ‒ es waͤre ‒ es waͤre denn, ſagte er
ſtotternd, als wenn er fuͤrchtete, es heraus zu
ſagen, es waͤre denn, das ich das einzige Mit-
tel ergreifen wollte, zum Beſitz meines Eigen-
thums zu gelangen, das ich ergreifen koͤnnte.


Was iſt das fuͤr ein Mittel?


Gewiß ſahe mirs der Menſch an, wie er
mit ſeinem langſamen: es waͤre denn ankam,
daß ich ſeine Meinung errieth.


C 5Ach
[42]

Ach! gnaͤdige Fraͤulein, kan es Jhnen wol
ſchwer fallen, zu wiſſen, was das fuͤr ein Mit-
tel iſt? ‒ ‒ Sie werden einem Gemal das
Recht nicht ſtreitig machen, was ſie ihnen
nicht zuſtehen.


Warum ſagte er: einem Gemal, an ſtatt
zu ſagen: ihm? Doch ſahe er ſo aus, als wenn
er aufgemuntert zu werden wuͤnſchte, mehr zu
ſagen.


So wollten ſie, Herr Lovelace, daß ich
einen Advocaten annehmen ſollte? wollten ſie
das? ungeachtet ich mich, den Rechtshandel mit
meinem Vatter betreffend, genug erklaͤret
habe?


Nein das wollte ich nicht, allerliebſtes Kind,
(er ergrif meine Hand, und druͤckte ſie an ſei-
ne Lippen) außer wenn ſie mich zum Advoca-
ten annehmen wollten.


Haͤtte er das: mich gleich Anfangs geſagt,
ſo haͤtte ich nicht noͤthig gehabt, mich zu ver-
ſtellen, und einen Advocaten zu nennen.


Jch erroͤthete. Der Menſch verfolgte dieſen
Vorwurf unſrer Unterredung nicht ſo hitzig,
daß es nicht leichter oder natuͤrlicher geweſen
waͤre, ihn zu verlaſſen, als ſich weiter dabei
aufzuhalten.


Wollte der Himmel, er haͤtte es gethan, oh-
ne mich zu beleidigen! ‒ ‒ Aber ich wußte ihn
ſo in Furcht zu ſetzen. ‒ ‒ (ſo in Furcht zu
ſetzen,
Sie ſagen doch, daß ich das kann,
mein Kind!) Und ſo ließ der in Furcht geſetzte,
der
[43]
der bloͤde Mann den Vorwurf fahren, und
wiederholte ſeinen Vorſchlag, ich moͤchte mein
Gut wieder fordern, oder es einem Rechtsver-
ſtaͤndigen auftragen, wenn ich es nicht (ſagte
er zwiſchen durch) einem gluͤcklichern Mann auf-
tragen wollte, es wieder zu fordern. Doch
koͤnnte es nicht ſchaden, meinte er, wenn ich
es meinen beiden Vormuͤndern eroͤfnete, daß
ich mein Gut ſelbſt annehmen wollte.


Jch wuͤrde beſſer wiſſen, ſagte ich, was ich
zu thun haͤtte, wenn er ſich von mir entfernet
haben wuͤrde, und andre Leute wuͤßten, daß er
nicht mehr bei mir waͤre. Jch denke doch,
wenn mein Vater meine Ruͤckkehr vorſchlaͤgt,
und mir verſpricht, daß er mir weder Sol-
mes,
noch ſonſt einen Menſchen, ohne meine
Einwilligung nennen will, und ich auf die Be-
dingung eingehe, nicht mehr an ſie zu denken,
daß ſie damit zufrieden ſeyn werden.


Jch wollte ihn gar zu gerne auf die Probe
ſtellen, ob er gegen alle meine ehemaligen Er-
klaͤrungen ſo viele Achtung haͤtte, als er gegen
einige zu haben vorgab.


Er wurde ganz beſtuͤrzt.


Was ſagen ſie, Herr Lovelace? Sie wiſſen
alles was ſie vorhaben, iſt zu meinem Beſten.
Gewiß, ich bin doch frei? gewiß, ich werde ſie
doch nicht um Erlaubniß bitten duͤrfen, was
ich fuͤr mich fuͤr Bedingungen zu machen gut
finde, ſo lange ich diejenigen nicht breche, die
ich mit ihnen gemacht habe?


Er
[44]

Er raͤusperte zwei bis dreimal-Wie, Fraͤulein?
wie gnaͤdige Fraͤulein? Jch kann nicht ſagen.
‒ ‒ Dann hielt er wieder ein ‒ ‒ und endlich ſtand
er mit einer frechen Bewegung auf, und ſagte:
ich ſehe die Urſache deutlich genug, warum kei-
ne von meinen Vorſchlaͤgen angenommen wer-
den koͤnnen. Zuletzt werde ich doch wol das
Opfer der Verſoͤhnung mit ihrer unverſoͤhnli-
chen Familie ſeyn muͤſſen!


Es iſt allezeit ihre ehrerbietige Art geweſen,
Herr Lovelace, meine Familie ſo frei herum-
zu nehmen. Aber ich bitte ſie, wenn ſie andre
Leute
unverſoͤhnlich nennen, ſo nehmen ſie ſich
in Acht, daß ſie ſelbſt nicht den Tadel ver-
dienen.


Er muͤßte freilich ſagen, daß er einigen von
meiner Familie eben ſo gewogen waͤre, wie ſie
ihm waͤren; aber er haͤtte doch das von ihnen
nicht verdienet, was ſie von ihm verdienet
haͤtten.


Wenn ſie ſelbſt Richter ſind?


Nein, alle Welt, ſie ſelbſt, gnaͤdige Fraͤulein,
koͤnnen Richter ſeyn.


So muß ich ihnen denn ſagen, wenn ſie
meine Familie weniger gereizet haͤtten, ſo wuͤr-
de ſie auch nicht ſo ſehr wider ſie aufgebracht
ſeyn. Aber das iſt unerhoͤrt, daß eine offenba-
re Verachtung der Verwandten einer Perſon
eine geziemende Ehrenbezeugung fuͤr die Perſon
ſelbſt, oder fuͤr ihre Familie, ſeyn ſoll.


So
[45]

So viel weiß ich gewiß, gnaͤdige Fraͤulein,
dieſer Leute Bosheit gegen mich gehet ſo weit,
daß, wenn ſie ſich entſchließen, mich aufzuop-
fern, ihre Ausſoͤhnung ſogleich wird genehmi-
get werden.


Und ſo viel weiß ich, wenn ich meinem Va-
ter das Recht zu ſtehe, ihnen meine Perſon zu
verſagen, und er will ſich damit begnuͤgen laſ-
ſen, ſo thue ich weiter nichts, als meine Pflicht.
Und wenn ich mir daſſelbe Recht vorbehalte,
ſo werde ich keine von den Pflichten verletzen,
die ich ihnen ſchuldig bin.


Jhre Pflicht gegen ihren eigenſinnigen Bru-
der, meinen Sie, und nicht gegen ihren Vater!


Wenn auch der Streit zuerſt zwiſchen mir
und meinem Bruder waͤre, Herr Lovelace, ſo
ſtehet es doch einem Vater frei, weſſen Parthei er
nehmen will.


Das ſtehet ihm frei, gnaͤdige Fraͤulein, aber
es macht ihn dem ungeachtet nicht vom Tadel
frei, wenn er die Parthei deſſen nimmt, der
Unrecht hat. ‒ ‒


So wie die Leute verſchieden ſind, Herr Lo-
velace,
ſo werden ſie auch verſchiedentlich uͤber
Recht und Unrecht urtheilen. Sie urtheilen
wie ſie es gut finden. Sollen das andere Leu-
te nicht auch thun, wie es ihnen gut deucht.
Und wer hat ein Recht, das Urtheil eines Va-
ters zu meiſtern, das er in ſeiner eignen Fami-
milie, und zwar uͤber ſein eigen Kind, faͤllet?


Jch
[46]

Jch weiß, gnaͤdige Fraͤulein, mit ihnen iſt
uͤberall nicht gut ſtreiten. Doch haͤtte ich ge-
hoffet, ein kleines Verdienſt um ſie zu haben,
daß ich wenigſtens nicht das vorlaͤufige Opfer
ihrer Ausſoͤhnung ſeyn duͤrfte.


Jhre Hofnung wuͤrde beſſern Grund haben,
wenn ſie bei der Entweichung aus meines Va-
ters Hauſe meine Einwilligung gehabt haͤtten. ‒ ‒


Muß ich denn immer und ewig daran er-
innert werden, daß ſie den verdammten Sol-
mes
wuͤrden gewaͤhlet haben ‒ ‒ lieber als daß ‒ ‒


Nicht ſo hurtig! nicht ſo kuͤhn! Herr Lo-
velace!
Jch bin uͤberzeuget, daß man nicht die
Abſicht hatte, mich dem Solmes den Mittwo-
chen anzutrauen.


So, hoͤre ich, geben ſie nun vor, um ſich
auf ihre Koſten zu rechtfertigen. Alle Men-
ſchen auf der Welt ſind ihnen verbunden, daß
ſie ſo guͤtig denken, außer mich.


Entſchuldigen ſie mich, guter Herr Love-
lace,
(ich bewegte meine Hand mit einer bit-
tenden Stellung) daß ich ſo gerne das Beſte
von meinem Vater denke.


Reizendes Kind, ſagte er, mit was fuͤr ei-
ner bezaubernden Artigkeit iſt das geſagt! ‒ ‒
Er wollte mit der Hitze, die ihm eigen iſt, mei-
ne Hand ergreifen; aber ich zog ſie zuruͤck, weil
ich ihm recht boͤſe war.


Jch dachte, gnaͤdige Fraͤulein, meine Leiden,
die ich ihrentwegen ausgeſtanden, haͤtten mir
einiges Recht auf ihre Gewogenheit gegeben.


Wenn
[47]

Wenn ich meine Leiden, die ich ihres ungeſtuͤ-
men Betragens halber ausgeſtanden, gegen ihre
Leiden ſetze, die ſie meinetwegen erduldet haben,
ſo nehme ich mir die Freiheit, zu glauben, daß
ich keine große Schuldnerin von ihnen bin.


Himmel! gnaͤdige Fraͤulein! (Er nahm ei-
nen hoͤniſchen Ton an) Was wollten ſie eben
ausgeſtanden haben! ‒ ‒ Nichts, was ſie nicht
leicht vergeben koͤnnten! Sie ſind nur in ihres
Vaters Hauſe zur Gefangenen gemacht, um ſie
ihrer Klugheit wegen in den Ruf zu bringen.
Man hat nur ein unſchuldiges und treues Maͤd-
gen aus ihren Dienſten gejagt, weil ſie es zu
leiden hatten. ‒ ‒ Man hat nur ihrer Schweſter
Maͤdgen und Vertraute uͤber ſie geſetzt, und ihr
Erlaubniß gegeben, ihnen allen empfindlichen
Verdruß anzuthun.


Schoͤn! vortreflich! Herr Lovelace!


Sie haben nur einen uͤbermuͤthigen Bruder
gehabt, der es auf ſich nahm, ſie als eine Scla-
vin zu mishandeln, und eine eben ſo uͤbermuͤ-
thige Schweſter, die ſie bei allen Leuten verhaßt
zu machen ſuchte, unter dem Vorwand, damit
ſie nicht in andre Haͤnde gerathen moͤchten, die,
wenn ſie noch ſo ſchlimm ſind, als ſie nieder-
traͤchtiger Weiſe vorgeben, doch nicht halb ſo
ſchlimm und grauſam ſind, als ihre eignen.


Fahren ſie fort, wenn ich bitten darf!


Sie ſind nur verfolget, damit man ſie noͤthi-
gen moͤchte, einen garſtigen Menſchen zu hei-
rathen, gegen welchen ſie ihren Haß erklaͤret hat-
ten,
[48]
ten, und den jederman verachtet! Man hatte
nur den Trauſchein ſchon ausgewuͤrket! Der
Prediger war nur ſchon beſtellet! Der Tag,
und zwar ein naher, ein ſehr naher Tag war
nur ſchon angeſetzet! Man wollte nur ihre Klei-
der durchſuchen, um ihre Briefe zu finden, und
ſie noch enger einſperren, bis der Tag herankaͤ-
me; damit man ihnen alle Mittel benehmen moͤch-
te, den Fallſtricken zu entfliehen, die man ih-
nen gelegt hatte! ‒ ‒ Aber das alles koͤnnen ſie
vergeben! Sie koͤnnen wuͤnſchen, daß ſie das al-
les erwartet haͤtten; ſo unvermeidlich es war,
daß man ſie wuͤrde gezwungen haben, alles ein-
zugehen! ‒ ‒ Und der Mann, der ſie, mit Ge-
fahr ſeines Lebens, von aller dieſer Qual befreiet
hat, iſt die einzige Perſon, der ſie nicht ver-
geben koͤnnen!


Koͤnnen ſie nicht noch ein wenig fortfahren?
Sie ſehen, ich habe Geduld, ſie anzuhoͤren?
Koͤnnen ſie nicht fortfahren?


Jch kann fortfahren, gnaͤdige Fraͤulein, wenn
ich meine Leiden erzaͤhlen will, die ich freilich
nicht erwehnen ſollte, wenn ich nur zuletzt die
Belohnung erwarten koͤnnte, darauf ich mir
Hofnung gemachet habe.


Jhre Leiden alſo, wenn es Jhnen beliebet,
Herr Lovelace!


Daß man mir ſchimpflicher Weiſe ihres
Vaters Haus verboten, nachdem man mich
ſchon einmal gut aufgenommen hatte, ohne
eine Urſache zu ihrer Rechtfertigung anzuge-
ben,
[49]
ben, die ſie nicht vorher ſchon gewußt haͤtten!
Daß man mich zu einem Zweikampf genoͤthi-
get, den ich zu vermeiden gewuͤnſcht habe, den
erſten, den ich jemals, wenn man mich ſo ſehr
gereizet hatte, zu vermeiden gewuͤnſcht! Und
zwar, weil der Boͤſewicht ihr Bruder war!


Boͤſewicht! und mein Bruder! Das konnte
mir kein Menſch auf der Welt unter die Au-
gen ſagen, als der, mit dem ich jetzt rede!


Um Vergebung, gnaͤdige Fraͤulein! ‒ ‒ Aber
o! wie unwuͤrdig iſt er doch, ihr Bruder zu
ſeyn! ‒ ‒ Auf eine alte Univerſitaͤts-Feind-
ſchaft, wo jedermann weiß, daß er der angrei-
fende Theil geweſen iſt, einen neuen Zank zu
gruͤnden; und dieſe aus Abſichten hervor zu
ſuchen, die ſowol fuͤr ſie als fuͤr mich nieder-
traͤchtig und beleidigend waren! ‒ ‒ Dem-
jenigen das Leben zu ſchenken, der es mir gerne
genommen haͤtte!


Das war ihre Grosmuth! Herr Love-
lace,
und nicht ihre Leiden. Noch ein wenig
mehr von ihren Leiden, wenn ſie belieben! ‒ ‒
Jch denke doch, ſie werden es nicht bereuen,
daß ſie meinen Bruder nicht ermordet haben!


Meiner ganzen Auffuͤhrung nachgeſpuͤret!
Mein Leben und Wandel als gottlos ausge-
ſchrieen! Von Leuten angeklagt, deren einige
auch nicht die beſten ſind!


Das iſt eine Verlaͤumdung!


Spionen hinter mir hergeſchickt, mich zu be-
obachten! Einen darunter gedungen, meinen
Zuſaͤtze zur Cl. Deignen
[50]
eignen treuen Bedienten zu beſtechen! Vielleicht
mich endlich zu vergiften, wenn der ehrliche Kerl
nicht ‒ ‒


Keine Muthmaßungen! Herr Lovelace!
‒ ‒ Koͤnnen ſie denn keine wuͤrklich geſchehene
Dinge anfuͤhren, wenn ſie ihre Leiden erzaͤhlen?
‒ ‒ Kein Vielleicht! wenn ich bitten darf!


Taͤglich allen Leuten Drohungen und Ausfor-
derungen gegen mich in den Mund gegeben!
Mich zu noͤthigen, in Verkleidung herum zu
kriechen! ‒ ‒ alle Stunden zu wachen. ‒ ‒


Und bei allem Wetter! nicht wahr? ‒ ‒
Jch erinnere mich, das war ehedem ihre Kla-
ge! ‒ ‒ bei allem Wetter! (*) Und daß alles die-
ſes Ungemach von ihnen ſelbſt herruͤhret, und
ihnen nicht von mir aufgelegt iſt!


Gleich einem Diebe, oder Horcher, fuhr er fort.
Da ich doch weder in Anſehung meiner Geburt
noch meiner Familie ihrer Verwandſchaft un-
wuͤrdig bin, wie ſehr ichs auch in Anſehung
ihrer bewundernswuͤrdigen Tochter ſeyn mag;
Deren ſie alle, keinen ausgenommen, wenig-
ſtens eben ſo unwuͤrdig find! ‒ ‒ Das nenne
ich Leiden! gnaͤdige Fraͤulein! Mit Recht
nenne ich es ſo, wenn ich doch zuletzt einer un-
vollkommnen Ausſoͤhnung aufgeopfert werden
ſoll. ‒ ‒ Einer unvollkommnen Ausſoͤhnung,
ſage ich. Denn koͤnnen ſie, nach allem, was
vorgegangen iſt, erwarten, daß ſie mit einem
ſolchen Bruder und mit einer ſolchen Schwe-
ſter
[51]
ſter unter demſelben Dache ein ertraͤgliches Le-
ben fuͤhren werden?


O Herr Lovelace! Herr Lovelace! was
haben ſie fuͤr Leiden ausgeſtanden? Und alles
meinetwillen, meinen ſie doch! ‒ ‒ Jch kann ſie
wol nimmer dafuͤr belohnen! ‒ ‒ Denken ſie
nicht weiter an mich, ich bitte ſie ‒ ‒ Wie koͤn-
nen ſie noch Geduld mit mir haben? ‒ ‒ Nichts
haben ſie ihrer eigenen Auffuͤhrung zu danken,
denke ich! Nichts ihren Gegenausforderungen!
Nichts ihrer Entſchlieſſung, die ſie mehr als
einmal erklaͤret haben, daß ſie mit einer Fami-
lie durchaus verwand ſeyn wollten, ohne ſich
ſo weit herunter zu laſſen, daß ſie dieſe Ver-
bindung auf eine geziemende Art zu ſuchen daͤch-
ten. Nichts den Mitteln, die ſie angewand
haben, weswegen ſie jederman tadelte, und
woruͤber ſie es doch nicht der Muͤhe werth ach-
teten, ſich zu rechtfertigen. Haͤtte ich nicht ge-
glaubt, daß man ihnen auf eine unanſtaͤndige
Art begegnet waͤre, wie ich ihnen ſchon ge-
ſagt, nimmer haͤtte ich mich mit ihnen in ei-
nen Briefwechſel eingelaſſen. (*) Der Brief-
wechſel machte ſie, in ihren Gedanken, ſi-
cher, und ſie trotzten nach ihrer Grosmuth mei-
nen Verwandten deſto mehr. Dies erweckte,
(vielleicht nicht unverſchuldet) meines Vaters
Unwillen gegen mich, ohne welchen es meinem
Bruder, bei ſeinem beſondern Haß, und eigen-
nuͤtzigen Abſichten, an einem rechtmaͤßigen Vor-
D 2wande
[52]
wande wuͤrde gefehlet haben, ſo zu verfahren.
Jch habe alſo die ganze Begegnung, die ich
nachher erlitten, und all ihr vieles bedeutendes:
Nur ihnen hauptſaͤchlich zu danken, ſo wie ſie
ihre eigne Leiden, das ſchwere Leiden!
gleichfals ſich ſelbſt zu danken haben. ‒ ‒
Wenn ſie alſo, geſpraͤchiger Herr! einiges Ver-
dienſt darauf gruͤnden, ſo ſeyn ſie ſo gut, und
nehmen es wieder zuruͤck; Und ſehen ſie mich
mit meinem verlohrnen guten Namen als die
einzige
Perſon an, die gelitten hat ‒ ‒ Denn
worin ‒ ‒ Jch bitte, hoͤren ſie mich aus! (Denn
er wollte reden) Worin haben ſie gelitten, auſ-
ſer was ihr Stolz gelitten hat? Jhr guter Na-
me konnte nicht leiden. Das war ja weit un-
ter ihnen, darum bekuͤmmert zu ſeyn. Und
waͤren ſie nicht ein Mann geweſen, der ſich gar
nicht ſagen laͤßt, ſo wuͤrde ich nicht zu dem Aeuſ-
ſerſten geſchritten ſeyn, welches ich jetzt jede
Stunde, ſo wie ſie vorbeigehet, beweine. ‒ ‒
Denn ich muß mir ſelbſt noch den Verweis ma-
chen, daß ich uͤbel gethan habe, einen Brief-
wechſel anzufangen, oder da ich ihn angefan-
gen hatte, ihn fortzuſetzen, mit einem Man-
ne, der es nicht der Muͤhe werth hielt, ſeinen
Charackter meinetwillen zu beßern, oder ſei-
ner ſelbſt willen
ſich gegen meinen Vater her-
abzulaſſen, in einer Sache, wo einem Vater
frei ſtehen muß, zu waͤhlen. ‒ ‒


Sie koͤnnen aus Finſterniß Licht, und aus
Licht Finſterniß machen, bei meiner Seele! So
wie
[53]
wie ſie es haben wollen. O Gebieterin meines
Herzens! (er ergriff meine Hand und druͤckte
ſie, auf eine recht wilde Art, zwiſchen ſeinen
beiden Haͤnden, an ſeine Lippen) Nehmen ſie,
nehmen ſie mich ganz zu ſich. Vilden ſie mich,
wie ſie mich haben wollen. Jn ihren Haͤnden
bin ich Wachs. Druͤcken ſie ihr Bild in mich.
Das ſoll das Siegel ſeyn, daß ich ewig der Jh-
rige bin. ‒ Wir waren fuͤr einander gebohren!
‒ ‒ Sie, mich gluͤcklich zu machen, und eine
Seele zu retten. ‒ ‒ Jch bin lauter Jrthum,
lauter Verbrechen. Jch ſehe, was ich haͤtte
thun ſollen. ‒ ‒ Aber koͤnnen ſie ſich vorſtellen,
gnaͤdige Fraͤulein, daß ich mit guten Herzen
darein willigen kann, einer partheiiſchen Aus-
ſohnung aufgeopfert zu werden, wo ich ſo viel,
ſo unerſetzlich viel, zu verlieren habe? ‒ ‒ Alles
in der Welt, nur dies nicht. ‒ ‒ Schlieſſen ſie
mich in ihre Bedingungen mit ein. Schrei-
ben ſie mir vor, verſprechen ſie in meinem Na-
men, was ſie wollen. ‒ ‒ Thun ſie mir einen
Strick um den Hals, und fuͤhren ſie mich da-
bei; nur daß ich Bergebung erhalte, wenn ich
mich dieſer harten Buſſe, und eben ſo ſclavi-
ſchen Erniedrigung in ihres Vaters Gegenwart
unterwerfe. Nur daß ihr Bruder nicht zuge-
gen iſt! Jch will vor den Knien ihres Herrn
Vaters um ſeine Einwilligung bitten, und,
wenn er mich nur nicht mit Fuͤſſen tritt, alles
ertragen, weil er ihr Vater iſt. Aber ſie auf
kalte gleichguͤltige Bedingungen aufzugeben!
D 3ich
[54]
ich will verdammt ſeyn! (ſagte der fuͤrchterliche
Boͤſewicht) wenn ich das thun will, oder kann.


Dies waren ſeine Worte, ſo genan ich mich
derſelben erinnern kann; denn ſein Betragen,
war ſo gewaltig wild und hitzig, daß ich ganz
erſchrocken wurde. Jch dachte, er haͤtte meine
Hand verſchlungen, und wuͤnſchte, tauſend
Meilen von ihm entfernt zu ſeyn.


Jch ſagte ihm, daß ich ſein heftiges Weſen
auf keine Art billigte. Er waͤre ein gar zu un-
geſtuͤmer Menſch, als daß er mir gefallen koͤnn-
te. Aus der Unterredung, die wir eben gehabt
haͤtten, ſaͤhe ich nunmehr, wie weit ſeine Ach-
tung gegen meine Befehle gienge, deren er ſich
geruͤhmet, und er ſollte bald finden, daß
ich meine Maasregeln darnach nehmen wuͤrde.
Mit einer halbfurchtſamen Ernſthaftigkeit bat
ich ihn hierauf, daß er weggehen, und mich al-
lein laſſen moͤchte.


Er gehorchte, und zwar mit einer ſehr hoͤfli-
chen Art, auf ſeine Weiſe. Aber eine ſtarke
Roͤthe ſtieg ihm ins Geſicht, und das Misver-
gnuͤgen ſahe ihm aus den Augen.


Aber, wenn ich alles wieder uͤberdenke, was
vorgieng, ſo ſehe ich deutlich, daß er gar nicht
willens iſt, wenn ers aͤndern kann, mir die Frei-
heit zu laſſen, daß ich ſeine Hand nicht anneh-
me; ob ich mir gleich das Recht, dieſes zu
thun, vorbehalten hatte. Er ſiehet mich viel-
mehr als die Seinige an, aus einer wunderli-
chen Art von Verbindlichkeit, weil ich nemlich
mit
[55]
mit ihm, wider meinen Willen, weggelaufen
bin.


Jnzwiſchen ſehen Sie, er beruͤhret die Ver-
heirathung nur mit ſpitzen Fingern. Und das
thut er gemeiniglich zu einer Zeit, da er mich
aufgebracht, oder in Furcht geſetzt hat; ſo daß
ich ihm keine entſcheidende guͤnſtige Antwort ge-
ben kann. Doch dies kan gewiß wol ſeine Abſicht
nicht ſeyn. ‒ ‒ Jndeſſen gleicht es ſeinem Be-
tragen gegen meine Schweſter, (*) da er ſie
nemlich reizte, ihm eine abſchlaͤgige Antwort zu
geben, und ſich dieſelbe ſo demuͤthig gefallen ließ.
‒ ‒ Wiewol er darf nicht. ‒ ‒ Doch was kann
man von einem ſo veraͤnderlichen Menſchen ſa-
gen? ‒ ‒ Jch weiß mich nun wieder nicht in ihn
zu finden. Jch wuͤnſchte, mit guter Manier
aus ſeinen Haͤnden zu ſeyn.


Er hat dreimal heraufgeſchickt, und gebeten,
daß ich ihn vorlaſſen moͤchte; die beiden letzten
male ernſthafter als ſonſt. Jch habe ihm aber
ſagen laſſen, daß ich erſt mit meinem Schreiben
fertig ſeyn wollte.


Noch weiß ich nicht, was ich zu thun habe,
um dieſen Ort zu verlaſſen. Jch wuͤnſchte von
ganzen Herzen, hier zu bleiben, wie ich ihm
auch geſagt habe. Die Frau im Hauſe und ih-
re Toͤchter wuͤnſchen auch, daß ichs thun moͤch-
te, ob es ihnen gleich nicht bequem fallen mag,
wie ich glaube. Aber ich ſehe, er wird nicht
D 4von
[56]
von mir gehen, wenn ich es thue. ‒ ‒ Jch
muß mich alſo wol anders wohin begeben.


Jch bin mir ſelbſt ſchon laͤngſt zur Laſt gewe-
ſen, und bin es jetzt noch immer mehr. Laſſen
ſie mich nur die gute Meinung nicht verlieren,
die Sie von mir haben. Der Verluſt waͤre
die hoͤchſte Staffel des Ungluͤcks von


Jhrer ergebnen
Clariſſa Harlowe.

(*)
Siehe Th. III. S. 240.
(*)
Siehe Th. III. S. 65.
(*)
Siehe Th. III. S. 64.
(*)
Siehe Th. I. S. 18.

Sonntag Abends den 16. April.


Jch darf Jhnen doch ſchreiben; ob es Jh-
nen gleich unterſagt iſt, mir zu ſchreiben; darf
ich nicht? ‒ ‒ Denn das iſt doch kein Brief-
wechſel,
nicht wahr? wo die Briefe nicht be-
antwortet werden?


Jch weiß ganz und gar nicht mehr, was ich
von dem Mann denken ſoll. Er iſt ein voll-
kommner Proteus. Jch muß mich in meinen
Briefen immer nach der verſchiedenen Geſtalt
richten, die er annimmt. Glauben Sie nicht,
ich bitte ſehr, daß ich die veraͤnderliche Perſon
bin, wenn ich in einem Briefe dem widerſpre-
che, was ich in einem andern geſchrieben habe,
ja wenn es ſcheinet, daß ich dem widerſpreche,
was ich in demſelben Briefe ſchreibe. Denn
er iſt ein vollkommnes Cameleon; oder vielmehr
noch veraͤnderlicher. Denn vom Cameleon ſagt
man, es koͤnne die rothe und weiße Farbe nicht
annehmen; aber dieſer kan es. Und ob gleich
Schwarz
[57]
Schwarz ſeine natuͤrliche Farbe zu ſeyn ſchei-
net, ſo hat er ſich doch viele Muͤhe gegeben, daß
ich ihn fuͤr ganz weiß halten ſoll.


Wiewol Sie ſollen ſelber uͤber ihn urtheilen,
ſo wie ich fortfahre. Nur bitte ich, wenn ich
Jhnen irgendwo zu leichtglaͤubig ſcheine, daß
Sie mich zurechte weiſen. Denn Sie ſind der
Zuſchauer bey meinem Spiele, wie Sie in ei-
nem Jhrer Briefe ſagen. (*) ‒ ‒ Wollte der
Himmel, ich haͤtte nicht noͤthig, zu ſpielen!
Denn ich denke, ich habe mich in ein verzwei-
feltes Spiel eingelaſſen.


Ehe ich mein letzteres Schreiben an Sie en-
digen konnte, ſchickte er noch zweimal herauf,
um Erlaubniß, mich zu ſehen. Jch ließ ihm
antworten, daß ich ihn ſehen wollte, wenn es
mir gelegen waͤre. Er ſollte ſo wenig wider
meinen Willen kommen, als mir etwas vor-
ſchreiben.


Da ich uͤberlegte, wie wir auseinander ge-
ſchieden waren, und daß ich ihm ſein Verhoͤr,
(wie er es zuweilen nennet,) hinausgeſetzt haͤt-
te, erwartete ich nicht, daß er eben gut auf-
geraͤumt ſeyn wuͤrde, wenn ich ſeinen Beſuch
annaͤhme, und aus dem, was ich ſchrieb, wer-
den Sie ſchließen, daß ichs auch nicht war.
Doch ward ich es bald, wie ich ſeine große De-
muth bei ſeinem Eintrit in das Zimmer ſahe,
und hoͤrte, was er mir zu ſagen hatte.


D 5Jch
[58]

Jch habe einen Brief, ſagte er, von Lady
Eliſabeth Lawrance, und noch einen von
meiner Baſe Charlotte Montague. Doch
davon wollen wir gleich reden. Jetzt komme
ich, Jhnen wegen deſſen, was ganz kuͤrzlich zwi-
ſchen uns vorgefallen iſt, meine demuͤthige Ab-
bitte zu thun.


Jch ſchwieg, und wunderte mich, wo er da-
mit hinaus wollte.


Jch bin ein hoͤchſt ungluͤckliches Geſchoͤpf,
fuhr er fort, hoͤchſt ungluͤcklich durch meine ge-
waltige Hitze, die ich nicht bezwingen kann. ‒ ‒
Sie bringt mich allezeit zu einer wolverdienten
Demuͤthigung. Doch iſt es loͤblicher, ſeinen
Fehler zu geſtehen, als darin zu verharren, wenn
man die Macht der Ueberzeugung fuͤhlet.


Jch ſchwieg noch ſtill.


Jch habe uͤberlegt, gnaͤdige Fraͤulein, was
ſie mir vorgeſchlagen haben, daß ich mir nem-
lich die Bedingungen gefallen laſſen ſollte, wel-
che ſie, eine Ausſohnung mit ihren Verwand-
ten auszuwuͤrken, gut finden.


Gut, Herr Lovelace!


Und ich finde, an ihrer Seite iſt alles recht,
alles billig; und an meiner Seite lauter Unge-
duld, lauter Unbedachtſamkeit.


Jch erſtaunte, wie Sie leicht denken koͤnnen.
Woher dieſe Veraͤnderung, Herr Lovelace?
Und zwar ſo bald?


Jch bin ſo ſehr uͤberzeugt, daß Sie in allen
dem, worauf Sie zu beſtehen fuͤr gut finden,
Recht
[59]
Recht haben, daß ich inskuͤnftige mir ſelbſt nicht
trauen will. Jch werde, wenn es moͤglich iſt,
ſo oft ich mit ihnen nicht uͤbereinkomme, eine
Stunde Zeit nehmen, es zu uͤberdenken, ehe
ich mich von der Hitze hinreißen laſſe, worin
mich ein Widerſpruch, wozu ich nicht gewoͤhnet
worden, nur gar zu oft verſetzet.


Das iſt alles ſehr gut. Aber wohin zielet es
denn?


Wohin es zielet? gnaͤdige Fraͤulein? Als ich
anfieng, zu uͤberlegen, was ſie mir, in Anſe-
hung der Bedingungen einer Ausſoͤhnung mit
ihren Verwandten, eroͤfneten, und ich mir zu
Gemuͤthe fuͤhrete, daß ſie ſich allezeit die Frei-
heit vorbehalten hatten, mich anzunehmen, oder
zu verwerfen, nachdem ich es verdienen
wuͤrde, oder nicht;
So ſahe ich deutlich ein,
daß es vielmehr eine guͤtige Herablaſſung von
ihnen geweſen war, da ſie meine Einwilligung
zu dieſen Bedingungen verlangten, als ein neues
Geſetz, das ſie mir aufgelegt haͤtten. Jetzo bit-
te ich, gnaͤdige Fraͤulein, vergeben ſie mir mei-
nen Ungeſtuͤm. Alles, was ſie einzugehen gut
finden, um eine Ausſoͤhnung mit ihrer Familie
zu treffen, und wodurch ſie in den Stand ge-
ſetzt werden, ihre Verſprechung, die ſie mir nicht
anders, als unter einer Bedingung, gemacht ha-
haben, zu erfuͤllen, alles dieſes belieben ſie ſich
gefallen zu laſſen. Und wenn ich ſie verliere,
ſo unertraͤglich mir auch der Gedanke iſt, ſo
werde ich doch, weil es dann durch meine eigne
Schuld
[60]
Schuld geſchehen muͤßte, es niemanden, als
mir ſelbſt, zu danken haben.


Was denken Sie, liebſte Freundin? ‒ ‒ Glau-
ben Sie, daß da eine Abſicht hinter ſtecken koͤnn-
te? ‒ ‒ Jch ſehe keine, die er haben moͤchte, und
hielt es daher fuͤr das beſte, da er es ſo offenher-
zig vorbrachte, mir nicht den geringſten Zweifel
an der Aufrichtigkeit ſeines Geſtaͤndniſſes merken
zu laſſen, und es alſo in ſo ferne anzunehmen.


Darauf las er mir einen Theil des Briefes
der Lady Eliſabeth Lawrance vor. Aber den
Anfang ſchlug er ein, weil er darin, wie er ſag-
te, zu ſcharf mitgenommen waͤre, als daß ich
ihn ſehen ſollte. Und aus der Schreibart zu
urtheilen, glaube ich auch, daß der uͤbrige Theil
voller Verweiſe war.


Es waͤre zu offenbar, ſagte ich, daß er groſſe
Laſter an ſich haben muͤßte, weil kein einziger
ſeiner Verwandten an ihn ſchreiben koͤnnte, oh-
ne einen Verweis uͤber eine boͤſe Handlung mit
einflieſſen zu laſſen.


Es iſt aber eben ſo offenbar, mein liebſtes
Leben, ſagte er, daß ſie, die ſie doch keines von
dieſen Laſtern anders, als durch einen Argwohn
kennen, eben ſo bereit ſind, mich zu verurthei-
len. ‒ ‒ Wird denn die Menſchenliebe ihnen
nicht erlauben, zu muthmaſſen, daß jener ihre
Beſchuldigungen nicht beſſer gegruͤndet ſind?
‒ ‒ Daß mein vornehmſter Fehler eine Sorglo-
ſigkeit fuͤr meinen guten Namen iſt, und daß
ich zu wenig bekuͤmmert geweſen bin, mich zu
recht-
[61]
rechtfertigen, wenn man mich verlaͤumdet hat?
Denn, ich verſichre ſie, ſo verhaͤlt es ſich.


Die Lady Eliſabeth u. ſ. w.


Th. III. S. 256. am Ende, nach den Wor-
ten: nie ſchlimm geweſen waͤre.


Ein feiner Gedanke! Eine artige Hofnung
fuͤr liederliche Leute! Und ich fuͤrchte, mein
Kind, daß ſie durch den groͤſſeſten Theil unſers
Geſchlechts nur gar zu ſehr dazu aufgemun-
tert werden!


Dies brachte uns auf ein par ernſthaftere
Vorwuͤrfe. Sie werden daraus ſehen, was
ein ungebundener Freigeiſt fuͤr ein Geſchoͤpf
iſt.


Jch fragte ihn, ob er wol wuͤßte, daß das,
was er geſagt haͤtte, mit einer Stelle des be-
ſten Buchs uͤberein kaͤme? Es wird mehr
Freude im Himmel ſeyn
‒ ‒


Er nahm mir die Worte aus dem Munde.


Ueber einen Suͤnder, der Buſſe thut,
vor neun und neunzig Gerechten, die der
Buſſe nicht beduͤrfen,
(*) ſagte er.


Ja, gnaͤdige Fraͤulein, ich dachte daran, ſo
bald ich es ſagte, aber nicht eher. Jch habe
die Geſchichte von dem verlohrnen Sohn gele-
leſen,
[62]
leſen, das koͤnnen ſie glauben: Und kuͤnftig
einmal, wenn ich, wie ich hoffe, zur Ruhe
komme, will ich ein dramatiſches Stuͤck daruͤ-
ber verfertigen. Jch habe es dann und wann
ſchon vorgehabt, und vielleicht ſind zu willig/
mir zuzugeſtehen, daß ich mich dazu ſchicke.


Es iſt nicht lange, Herr Lovelace, wie ſie
bei einem Worte einen Anſtoß funden, mit wel-
chem ſie beſſer bekannt ſeyn muͤſſen, ehe ſie ſich
voͤllig dazu ſchicken, einen ſolchen Vorwurf aus-
zufuͤhren. Jch erſtaune, daß ſie das gering-
ſte von der Schrift wiſſen ſollten, da ſie das
Wort ſo wenig kennen. (*)


O, gnaͤdige Fraͤulein, ich habe die Bibel ge-
leſen, als ein ſehr gutes Buch in der alten
Geſchichte. ‒ ‒ Aber, ſo wahr ich ſeelig zu wer-
den hoffe! ſie hat mich vor wenig Jahren ſo un-
ruhig gemacht, wenn ich von ungefaͤhr uͤber ge-
wiſſe Stellen derſelben gerieth, daß ich genoͤ-
thiget wurde, mich ſogleich durch Muſik, oder
Geſellſchaft zu zerſtreuen.


Armer Menſch! (ich hub meine Augen und
Haͤnde in die Hoͤhe)


Die Ankuͤndigungen der Schrift kommen
einem ſo ploͤtzlich, mit ſo wenigen Umſtaͤnden,
ohne einmal, wenn ichs ſagen darf, ein Vor-
ſehn!
eines groben Saͤnftentraͤgers in London
voran zu ſchicken, daß ſie einen Menſchen mit
ſamt dem Pferde uͤbern Haufen werfen, wie
Sanct
[63]
Sanct Paulus uͤbern Haufen geworfen ward.
Das heißt auch aus der Schrift geſprochen!
Kurz, das Licht, das er ſahe, iſt zu hell, als
daß man es ertragen koͤnnte.


O! braucht es denn Umſtaͤnde mit ih-
nen, wenn man ſie zur Buſſe und zu ih-
rer Rettung bringen will?
Und ſagen ſie
mir doch, Herr Lovelace, denken ſie uͤberall
etwas dabei, wenn ſie ſo oft bei ihrer Seele
ſchwoͤren, oder etwas mit den Worten: So
wahr ſie ſeelig zu werden hoffen,
bekraͤf-
tigen?


Ach liebſte Fraͤulein! (er veraͤnderte ſeinen
Stuhl) Laſſen ſie uns von andern Sachen
reden!


Wie, mache ich etwa nicht auch Umſtaͤn-
de
genug mit ihnen?


Allerliebſte Fraͤulein! Laſſen ſie mich nur
jetzo. Jch bin nur noch in meinen Lehrlings-
Jahren. Jhr Grund muß Stein vor Stein
gelegt werden. Sie werden in dem guten
Werke, das ſie bei mir foͤrdern wollen, den
Fortgang hindern, wenn ſie auf einmal mit ei-
nem beladenen Wagen uͤber mich herfallen.


Hilf GOtt! dachte ich, was fuͤr ein Menſch
iſt doch ein Freigeiſt! ‒ ‒ Was bin ich, die ich
das, was ich gewagt habe, mit einem ſolchen
Menſchen gewagt habe! ‒ ‒ Welch ein groſſes
Werk habe ich vor mir, wenn ich ferner hof-
fen darf, einen ſo wilden Jndianer zu be-
kehren, als dieſer iſt! ‒ ‒ Ja, noch aͤrger als
ein
[64]
ein wilder Jndianer! Denn ein Menſch, der
mit ofnen Augen und wider ſeine Ueberzeugung
irret, iſt um ſeiner Erkenntniß willen tauſend-
mal ſchlimmer, und weit ſchwerer wieder zuruͤck
zu rufen, als wenn er ganz und gar unwiſſend
geweſen waͤre.


Jch aͤrgerte mich ſo ſehr an ihm, als ich
fuͤr ihn beſorgt war, und da ich ſo wenige
Steine (um ſein Gleichniß zu behalten) gele-
get hatte, die dazu noch ſo ſchlecht verbunden
waren; ſo wuͤnſchte ich eben ſo ſehr, als der un-
bedachtſame fluͤchtige Menſch, von andern Sa-
chen zu reden, wie er es nannte; zu dem, da
in meinen zweifelhaften Umſtaͤnden andre Sa-
chen mir naͤher am Herzen lagen.


Jch fagte, ich ſetzte u. ſ. w.


Th. III. S. 260. L. 10. zu den Wor-
ten: bei ihnen aufhalten koͤnnen,
ſetze folgende Note:


Vielleicht iſt es nicht noͤthig, den Leſer zu
erinnern, daß er vom Anfange dafuͤr geſorget
hatte, (Siehe Th. I. S. 331. 332.) ſie des
Schutzes der Frau Howe ganz zu berauben.
Man ſehe in ſeinem naͤchſten Briefe die wie-
derholte Erzaͤhlung ſeiner Liſt, und die Freude
uͤber ſeine Erfindung, wodurch er zwei ſo wach-
ſame Frauenzimmer, als Fraͤulein Clariſſa
und Fraͤulein Howe waren, betrogen hatte.


Th. III.
[65]

Th. III. S. 272. L. 26. nach den Worten:
muͤrriſch gegen mich zu ſeyn.


Jch merke es gar leicht, daß meine Goͤttin
ernſthafter, als zu andrer Zeit, iſt, wenn ſie
von dem kleinen Brummbart einen Brief er-
halten und geleſen hat. Aber da das artige
Kind, ſelbſt dann, mehr eine tiefe Traurigkeit
zu leiden ſcheinet, als einen wuͤrklichen Unwil-
len zeiget, ſo hoffe ich, daß ſie vielmehr win-
ſelt, als auf neue Anſchlaͤge denket. Und wo-
zu ſollte ſie auch endlich neue Anſchlaͤge machen?
Da ich ein Bekehrter geworden bin, und mich
ſtuͤndlich in meiner Lebensart beßere? ‒ ‒ Doch
dem ungeachtet muß ich auf eine oder andre
Art hinter ihren Briefwechſel zu kommen ſu-
chen. ‒ ‒ Nur um zu ſehen, wie die Maͤdgen
ſchreiben; Weiter zu nichts.


Allein ich darf jetzo u. ſ. w.


Th. III. S. 274. L. 7. nach den Worten: wenn
ich wollte.


  • Bei dem Theile des Briefes, wo die Fraͤu-
    lein erzaͤhlet, daß ſie mit einer bitten-
    den Stellung ganz hoͤniſch geſagt haͤt-
    te: Entſchuldigen ſie mich, guter
    Herr Lovelace, daß ich ſo gern
    das Beſte von meinem Vater
    denke
    (*), macht er eine Beſchrei-
    bung
    Zuſaͤtze zur Cl. E
    [66]
    bung von ihrer Mine, und Anſtand,
    die ſehr zu ihrem Vortheil iſt, und ſagt:

Jch konnte mich hiebei kaum enthalten, ſie
zu umarmen, trotz einem Ungewitter, das ich
zu befuͤrchten hatte. So viel Witz, ſo viel
Schoͤnheit, ſolche lebhafte Manieren, ſo unge-
meine Scharfſinnigkeit und Einſicht! O Bel-
ford!
Sie darf keinem Manne eigen werden,
als mir. Nunmehr kan ich den Befehl des He-
rodes
erklaͤren, und rechtfertigen, daß man
ſeine Mariamne ermorden ſollte, wenn er von
feiner Unterredung mit dem Caeſar nicht le-
bendig zuruͤck kaͤme. Denn ſollte ich es mir nur
als warſcheinlich denken, daß irgend ein andrer
Mann dies bezaubernde Maͤdgen beſitzen wuͤr-
de, und ſollte es auch nach meinem Tode ſeyn,
ſo wuͤrde mich der Gedanke allein ſchon reizen,
ihm die Kehle abzuſchneiden, und wenn er ein
Koͤnig waͤre!


Dieſe Fraͤulein mag mich einen wilden, einen
ungeſtuͤmen Liebhaber ſchelten, ‒ ‒ und mag mich
deswegen weniger leiden koͤnnen: Aber alle uͤbri-
ge Fraͤulein, die ich angetroffen habe, mochten
auch gern ein Ungewitter erregen, und ſichs
dann zu Nutze machen. Doch haben ſie nie ein
Ungewitter erregt, daß ichs mir nicht auch zu
Nutze gemacht haͤtte! ‒ ‒ Der Himmel geleite
uns nur einmal gluͤcklich nach London!


  • Herr Lovelace macht von ſeiner heftigen
    Entzuͤckung, mit welcher er ihre Hand
    ergrif-
    [67]
    ergriffen, und ſie, nach ihrem Ausdru-
    cke (*), mit einer recht wilden Art,
    in ſolches Schrecken gejagt hatte, fol-
    gende Beſchreibung:

Jch ſchwur, ſie koͤnnte aus Finſterniß Licht
und aus Licht Finſterniß machen. Sie koͤnnte
mich von allem uͤberzeugen, wovon ſie wollte.
Jch waͤre nichts als Jrthum, und ſie lauter
Vollkommenheit. Jch ergrif ihre Hand, und
that mehr, als ſie kuͤßen, ich haͤtte ſie verſchlin-
gen moͤgen. Es war, deucht mich, eine Art von
Verruͤckung in meinem Betragen, die ſie in ein
ſolches Schrecken ſetzte: Vielleicht ſo wie das
Schrecken der Semele, da der Donnerer in
aller ſeiner Majeſtaͤt, mit zehn tauſend himmli-
ſchen Brenn-Spiegeln umgeben, uͤber ſie kam,
um ſie zu Aſche zu verbrennen.



Haͤtte mich mein Herz nicht gewarnet, und
haͤtte ich mich nicht, noch zu rechter Zeit, beſon-
nen, daß ſie nicht ſo ſehr in meiner Gewalt waͤ-
re, ſondern mich verlaſſen koͤnnte, wenn es ihr
beliebte, da ſie in dem Hauſe mehr Freunde hat-
te, als ich: So wuͤrde ich mich den Augenblick
wozu entſchloſſen haben, das die Sache auf ei-
ne oder andre Art voͤllig entſchieden haͤtte. ‒ ‒
Jch fuͤrchtete, daß ich in der Hitze meine Ab-
ſicht ſchon zu deutlich moͤchte verrathen haben,
und gab daher der Sache eine andre Wen-
E 2dung.
[68]
dung. ‒ ‒ Meine Goͤttin mochte wol wenig dar-
an denken, auf was Weiſe ſie oder ich dem
ploͤtzlichen Sturm meiner Hitze entgehen koͤnn-
ten, der mich warſcheinlicher Weiſe (wie der
Ausgang vielleicht haͤtte zeigen koͤnnen) in ihre
Arme gewehet haben ſollte. Sie waͤre, ſagte
ich, gebohren, mich gluͤcklich zu machen, und
eine Seele zu retten.



  • Er erzaͤhlet den uͤbrigen Theil ſeiner hefti-
    gen Rede faſt ganz mit den Worten der
    Fraͤulein. Darauf faͤhret er fort:

Jch ſahe, daß ſie erſchrocken war, und ſie
haͤtte Urſache gehabt, es zu ſeyn, wenn die Sce-
ne in London, und zwar das Haus in London
geweſen waͤre, wo ich ſie hinzubringen gedenke.
Sie beſtaͤtigte meine Furcht, daß ich ſie zu ſehr
erſchreckt haͤtte. Sie ſagte, ſie ſaͤhe nun wol,
wie weit meine ſo ſehr geruͤhmte Achtung gegen
ihre Befehle gienge. Sie wollte ſchon, wie ich
bald erfahren ſollte, die gehoͤrigen Maasregeln
darnach nehmen. Mein heftiges Weſen ſei ihr
abſcheulich, und ich muͤßte, wenn ich die gering-
ſte Gewogenheit von ihr hofte, den Augenblick
weggehen, und ſie allein laſſen, damit ſie ſich
erholen koͤnnte.


Sie ſprach dieſes auf eine Art, die deutlich
zeigte, daß ſie es darauf geſetzt hatte: Und da
ich jetzt eben vergeſſen, die manierliche und
hoͤfliche Perſon zu ſpielen, welche ich, meinen
letzten Verpflichtungen nach, ſpielen ſollte; ſo
hielt ich einen geſchwinden Gehorſam fuͤr die
beſte
[69]
beſte Verſoͤhnung. Jn der That fand ich mich
auch durch ihren Zorn und durch ihren Wider-
ſtand ſo ſehr geruͤhret, daß ich ſelbſt Zeit brauch-
te, mich zu beſinnen. Und ſo gieng ich mit
der Ehrerbietung weg, mit welcher ein Unter-
than weggehet, der ſeinem Koͤnige eine Bitt-
ſchrift uͤbergeben hat. Aber, o Belford!
Haͤtte ſie doch nur die geringſte Geduld mit mir
gehabt! ‒ ‒ Haͤtte ſie mir nur Anlaß gegeben,
zu denken, daß ſie dieſe erſte Hitze vergeben wuͤr-
de! ‒ ‒ Gewiß, ſie wird doch nicht immer ſo
bewachet ſeyn?


Jch warkeinen Augenblick allein geweſen, als
es mich ſchon verdroß, daß ich mich meines
neu angenommenen Charackters halb verluſtig
gemacht hatte. Du ſieheſt, wie gewaltig ſchwer
es einem ehrlichen Mann faͤllt, ſich zu verſtellen,
nach dem Ausſpruch des Dichters:


Naturam expellas furca, tamen vsque

recurret.

Jch erinnerte mich, daß das, worauf ſie ge-
drungen hatte, wuͤrklich ein Theil ihres Wil-
lens ſei, ſo wie ſie ihn, vor der Entweichung
aus ihres Vaters Hauſe, ausdruͤcklich erklaͤret;
gegen welchen ich, ſie zu kraͤnken, bei einer an-
dern Gelegenheit, eine unverbruͤchliche Achtung
zu hegen vorgab. Und da ich mich ihrer Wor-
te erinnerte, daß ſie die gehoͤrigen Maas-
regeln nehmen wuͤrde,
entſchloß ich mich,
einen Arm oder Bein daran zu wagen, um al-
les wieder ins feine zu bringen, ehe ſie Zeit haͤt-
E 3te,
[70]
te, uͤber die neuen Maasregeln mit ſich eins zu
werden.


Wie ſehr kamen doch die Briefe meiner Tan-
te und Baſe zu rechter Zeit, um mein Vorha-
ben zu befoͤrdern!



Jch habe einmal uͤber das andere hineinge-
ſchickt, und geflehet, daß ſie mich vorlaſſen
moͤchte. Aber ſie will erſt einen Brief ſchlieſ-
ſen, den ſie an Fraͤulein Howe ſchreibt, ‒ ‒ ver-
muthlich, ihr von dem, was eben vorgegan-
gen iſt, Nachricht zu geben.



Verflucht ſei ihr tyranniſcher Eigenſinn!
Wie laͤßt ſie mich nach einer demuͤthigen Auf-
wartung ſeufzen, ob ſie gleich ſchon mit ihrem
Schreiben fertig iſt! Wenn ein Fuͤrſt vor mir
auf den Knien laͤge, und fuͤr ſie baͤte, ſo ſoll-
te er mich nicht bewegen, ſie zu verſchonen. Moͤch-
te ich ſie nur erſt nach London bringen koͤnnen!
‒ ‒ Verflucht! Bruder! Jch glaube, ich habe
mir aus Unmuth durch die Lippen gebiſſen.
‒ ‒ Doch es kommt die Zeit, da die ihrigen
es dafuͤr empfinden ſollen!


  • Herr Lovelace macht einen neuen Abſatz,
    und erzaͤhlet, wie er vorgelaſſen ſei, und
    was er fuͤr eine Unterredung mit ihr
    gehabt haͤtte. Weil dieſe Nachricht nur
    in der Schreibart von der unterſchieden
    iſt, welche die Fraͤulein in dem naͤch-
    ſten
    [71]
    ſten Briefe davon giebt, ſo haben wir
    ſie weggelaſſen.

Er fuͤhret hierauf u. ſ. w.


Th. III. S. 276. L. 18. nach den Worten:
und ſie heirathen ſollen.


Wiewol, wenn ich es von neuen uͤberlege,
ſo wuͤrde weder die Gegenwart ihrer Norton,
noch ihrer Tante, oder ſelbſt ihre Mutter das
liebe Kind gerettet haben, wenn ich ihren Fall
beſchloſſen haͤtte.


Wie ungluͤcklich iſt u. ſ. w.


Th. III. S. 282. am Ende, nach den Wor-
ten: mit Jhnen ſehnet.


Sie ſind wuͤrkich alle mit einander Jhre
ſehr groſſen Bewunderer. Der Lord M.
freuet ſich ſo ſehr uͤber Sie, und uͤber das Zu-
trauen, wie er es nennet, das Sie in ſei-
nen Vetter geſetzet haben, daß er geſchworen
hat, er will ihn enterben, wenn er es nicht
ſo belohnet, wie er ſollte. Sie muͤſſen ſich in
Acht nehmen, daß ſie es nicht mit beiden Fa-
milien verderben.


Der Frau Norton iſt, wie ich hoͤre, ver-
boten, wo ihr anders an der Gewogenheit der
andern Familie etwas gelegen waͤre, einen
Briefwechſel mit Jhnen, oder mit mir zu un-
terhalten. ‒ ‒ Die armen Geſchoͤpfe! ‒ ‒ Wie
wol es ſind Jhre ‒ ‒ Doch es ſind nicht Jhre
E 4Ver-
[72]
Verwandten, keiner von ihnen, glaube ich.
Waͤren Sie von einer andern Perſon geſaͤugt
worden, ſo wuͤrde ich denken, man haͤtte Sie
ausgetauſcht. Jch muß von ihrer niedertraͤch-
tigen Bosheit leiden. ‒ ‒ Nehmen Sie mirs
alſo nicht uͤbel.


Sie erhalten wuͤrklich den Mann bei ſeiner
guten Auffuͤhrung mit mehr Herzhaftigkeit, als
ich Jhnen zutrauete: Vornemlich, wenn ich
Sie nach der Sanftmuth beurtheilte, deren
Sie ſich immer befliſſen, und die in Jhren
Gedanken dem weiblichen Herzen beſonders ei-
genthuͤmlich ſeyn ſoll; oder nach der Liebe, die
Sie gewiß, Sie moͤgen denken, was Sie
wollen, fuͤr ihn haben. Sie koͤnnen auf die-
ſe Beſchuldigung vielmehr ſtolz als ungehal-
ten ſeyn, da Sie das einzige Frauenzimmer
ſind, das ich kenne, oder davon ich je geleſen
oder gehoͤret, deren Liebe ſo ſehr durch Klug-
heit regieret wird. Doch die Gleichguͤltigkeit
eines Ehemannes wird einmal an die Stelle
der Hitze eines Liebhabers treten, und dann
wird die Reihe an Sie kommen. Denn ich
muͤßte mich ſehr irren, wenn dieſer Mann, der
einzige unter denen, die ich kenne, und die kei-
ne junge ſuͤſſe Herren ſind, welcher in ſich ſelbſt
verliebt iſt, nicht zu ſeiner Zeit vielmehr von
Jhnen Ehrfurcht erwarten, als Sie Jhnen
erweiſen ſollte.


Jhre artigen Ehemaͤnner, mein Kind, ma-
chen dem Herzen einer Frau oft genug Bekuͤm-
merniß.
[73]
merniß. Und ob Sie gleich wenigſtens ein
eben ſo ſchoͤnes Frauenzimmer ſind, als er ei-
ne ſchoͤne Mannsperſon iſt; ſo wird er doch
ſich ſelbſt zu ſehr gefallen; und glauben, er
habe Jhnen fuͤr Jhre Geneigtheit weniger
Verbindlichkeit, als Sie ihm fuͤr ſeine vorzuͤg-
liche Wahl ſchuldig waͤren. Doch kein Mann
auf der Welt, wenn ich Jhre ſchoͤne Perſon
und Jhr noch vortreflicheres Gemuͤth zuſammen
nehme, iſt Jhrer wuͤrdig. Sie muͤſſen alſo
zufrieden ſeyn, wenn das Kleinod nicht nach
Wuͤrden bezahlet wird; und da es nicht an-
ders geſchehen kann, ſo heirathen Sie, wen
Sie wollen. Vielleicht werden Sie denken,
daß ich dergleichen Anmerkungen uͤber die
Narciſſen unter den Mannsperſonen nach-
haͤnge, um die Wahl meiner Mutter, die ſie
von Herr Hickmann fuͤr mich gemacht hat, bei
mir ſelbſt zu unterſtuͤtzen. ‒ ‒ Jch weiß nicht,
es kann ſo etwas daran ſeyn; wenigſtens ſo
viel, das dieſe Anmerkung veranlaſſet hat.


Jch weiß gegen ihre Reiſe u. ſ. w.


Th. III. S. 285. L. 18. nach den Worten:
nichts davon zu wiſſen.


Wir haben alle unſre Maͤngel. Wir ſind oft
uͤber den beſondern Fehler ſolcher Leute betruͤbt
geweſen, denen wir Ehrerbietung ſchuldig
ſind, und die uns doch ſo deutlich in die Augen
fielen, daß wir haͤtten blind ſeyn muͤſſen, um
ſie nicht warzunehmen.


E 5Jch
[74]

Jch erinnere mich, was Sie einmal zu mir
ſagten, eine ſchoͤne Lehre! Laßen Sie uns, lieb-
ſte Freundin, (waren Jhre Worte) Laſſen Sie
uns, die wir von den Fehlern der Leute frei
ſind, welche wir tadeln, gegen andere und
groͤſſere Fehler auf unſrer Hut ſeyn, die uns
ſelbſt eigen ſeyn moͤgen. Dem ungeachtet
muß ich Jhnen ſagen, daß mich meine Mut-
ter noch ganz kurzens durch einige Proben ih-
res behutſamen Eigennutzes ein wenig gequaͤ-
let hat. Jch will ihnen eine davon zum beſten
geben, ob ich es gleich anfangs verſchweigen
wollte. Sie wollte dreißig Guineen von mir
leihen, bis ſie ſich eine Bank-Note auszahlen
ließe. Jch ſagte, ich koͤnnte ihr nur acht bis
zehen vorſtrecken. Acht bis zehen waͤren nicht
genug; ſie haͤtte gedacht, daß ich viel reicher
waͤre. Jch haͤtte ihr ſagen koͤnnen, daß ich zu
klug waͤre, als daß ich ihr mein Capitaͤlgen
entdecken ſollte. Jetzt da ich mein Geld uͤber-
zaͤhle, finde ich noch fuͤnf und neunzig Gui-
neen, die alle von ganzen Herzen zu Jhren
Dienſten bereit ſind.


Jch glaube, Jhr Oncle Anton hatte ihr die
weiſe Erfindung angegeben. Denn ſie war
gleich eine Stunde nachher, da er weggegan-
gen war, gar nicht in Caſſe. Sollte es von
ihm herkommen, ſo ſehen Sie, man ſucht Sie
durch Geld-Mangel in Verlegenheit zu ſetzen;
und ich wuͤnſchte, daß ſie es thaͤten, wenn es
Sie reizen koͤnnte, Jhr Eigenthum den Weg
Rech-
[75]
Rechtens zu fordern. Denn, wenn man Sie
noͤthigt, den Weg zu gehen, ſo wird ſolches
die Nothwendigkeit rechtfertigen, daß Sie von
ihnen gegangen ſind. Da es uͤberdem fuͤr Jh-
ren guten Namen nicht vortheilhaft iſt, zu ge-
ſtehen, daß man Sie gegen Jhre Abſicht mit
Liſt weggebracht hat, ſo wird dies eine Urſache
Jhrer Entweichung an die Hand geben, wo-
von ich ſehr guten Gebrauch machen wuͤrde.
Sie ſehen, daß ich hierin des Herrn Lovela-
ce
Rath billige. Jch kan Jhrer Antwort, die
Sie ihm darauf gegeben haben, nicht die Ge-
rechtigkeit wiederfahren laſſen, die ihr vielleicht
gebuͤhret. (*)


Sie muͤſſen ſich uͤber die Erfindungen dieſes
Mannes, wegen ſeiner ungemeinen Gaben, we-
niger verwundern. Jn allem, worauf er ſich
nur geleget haͤtte, wuͤrde er es weit gebracht,
und außerordentliche Dinge gethan haben. Man
ſagt, daß er rachgierig ſei! Eine ſehr boͤſe Ei-
genſchaft! Jch glaube in der That, er hat mit
dem Teufel alles gemein, außer den Kuhfuß!
‒ ‒ Dies bleibt alſo immer mein Rath: Ma-
chen Sie nicht, daß er zu ſehr wider Sie auf-
gebracht wird. Aber nehmen Sie ihm ſeine
Ketten, und laſſen ihn los auf Jhrer Schwe-
ſter garſtige Eliſabeth, und Jhres Bruders
Joſeph Lemann. Das iſt freilich eine nie-
drige
Rache: Aber ich weiß, an wen ich ſchrei-
be,
[76]
be, ſonſt wollte ich ihm eine vorſchlagen, die
viel erhabner waͤre. Das verſichre ich Sie.


Jhr naͤchſter Brief wird u. ſ. w.


Th. III. S. 304. L. 17. nach den Worten:
als meine Mutter weiß.


Sie ſind in Sorgen, meine Mutter wird
mich daruͤber zur Rede ſtellen, und da glauben
Sie, daß ich die Warheit bekennen muͤßte. ‒ ‒
Aber ſo wenig ich auch eine Liebhaberin von
Zweideutigkeiten bin, und ſo wenig Nachſicht
Sie in dieſem Stuͤck gegen Jhre Anne Howe
haben, ſo muͤßte es ſchlimm ſeyn, geſetzt, daß
man noch ſo hart in mich dringen wollte, wenn
ich nicht etwas ſollte zu ſagen wiſſen, womit ich
mich durchhelfen kann, ohne meine Liebe zur
Warheit zu beleidigen.


Was werden Sie mit u. ſ. w.


Th. III. S. 324. ſetze folgenden Abſchnitt
am Ende des vierzigſten Briefes.


Wegen des Geldes, das Sie mir ſo oft mit
ſolcher Grosmuth anbieten, muß ich Jhnen noch
einmal ſagen, ‒ ‒ werden Sie nicht boͤſe auf
mich, mein Kind! ‒ ‒ wie ſehr ich wuͤnſche,
daß Sie im Stande bleiben, die reine Warheit,
ohne Umſchweife und Ausfluͤchte, zu geſtehen,
daß nemlich nichts dergleichen zwiſchen uns vor-
gefallen iſt. Jch weiß, wie ſcharf Jhre Frau
Mutter fragen kann, wenn ſie etwas heraus ha-
ben will. Doch verſpreche ich, wenn es die
Noth
[77]
Noth erfordert, ſo will ich keinem Menſchen, als
Jhnen, Verbindlichkeit haben.


Th. III. S. 356. bis 365. ſtatt der abge-
kuͤrzten Briefe des Joſeph Lemanns
und des Herrn Lovelace.


An Junker Robert Lovelace,
ſeine Knaden.


Knediger Herr,

Jch wullt hiedurch Jhrer Knaden ein biſſel
Nachricht erdeilen, von einer Sache, wozu ich
mich habe mißen brauchen laſſen, die ich kerne
von mir abkelehnet hette, wenn es miglig ke-
weßt waͤre. Jch habe bei einem jungen Men-
ſchen, den ſie erfahren haben, daß er fon mei-
ner Kroße Mutter mit mir ferwant iſt, der ſich
kar kirzlich hier in der Kaͤgend aufhelt, nach
einen infamen Streich erkuͤndigen mißen, wie
mein junger Herr es nennet, den Jhre Kna-
den ſullen keſpielet haben. Kott bewahre, daß
ich ich es ſo nennen ſullte, ohne Jhre Knaden
Erlaubnuß. Es kemmt einen ſo einfeltigen
Kerl als ich bin, nicht zu, daß er fornaͤhme
Leite tackſiret. Es betrifft eine kewiſſe Junfer
Betterton, von Nottingam, das ein recht
ſchenes Menſch keweßt iſt.


Jhre Knaden hetten ſie durch einen falſchen
Prief in ihre Hende bekummen, den ſie in ihrer
Waſe ihren Namen keſchribben hetten, die ſie
ſaͤhr
[78]
ſaͤhr liebte, als wenn ſie auf der Reiſe were,
ſie zu beſuchen, und were underwaͤges kranck
wurden. Und ſo were die Junfer Better-
ton
in einer Schaͤſe dahin kereiſet, mit einem
Maͤdgen, daß ſie ihre Waſe us dem Wirz-Hus
abholen wullte, wo ſie ihrer Meinung nach
krank were, und das Maͤdgen waͤre uͤberliſti-
get, und hette die Schaͤſe widder zuruck bracht;
aber von Junfer Betterton hette man in ei-
nem Monat nichts keheret, wo ſie were. Als
ihre Freinde ſie hernach uffgefunden hetten, und
ihre Knaden verklagen wullten, da weren ih-
re Knaden us dem Land kangen. Und ſo
hette ſie ein klenes Kind kekrigt, wenn mer ſo
reden darff, eher daß ihre Knaden widder zu-
ruck kamen. Und ſie hette ſich in ihrem Wu-
chenbette verkeltet, und were unbaß wurden,
und bald daruf keſtorben. Und das Kind laͤ-
bete noch, und ihre Knaden hetten ſich nicht
das keringſte darum bekimmert. Und dies
und derkleichen infame Streiche mehr hatte
Juncker Solmes der knaͤdigen Froͤlen ſagen
wullen, wenn ſie ihn hette vor ſich kelaſſen,
eher wir ihre ankeneme Keſellſchaft verlohren
haben, wenn ich ſo reden darf.


Jch hoffe, ihre Knaden werden mirs nicht un-
knedig nemen. Denn ich war kenetiget, alles
herus zu ſagen, was ich heerte, weil daß ſie
meinen Fetter bei ſich hatten, und er keſagt
hette, das er es mir alles hette erzehlen kedahn.
So durfte ich kein ſpitz Mul machen, weil daß ſie
mich
[79]
mich ſonſt fort kejagt hetten, ihre Knaden wer-
den mirs nicht voribel nemen.


Jhre Knaden haben mich an fiel karſchtige
Hiſtorien kehulfen, die ich meiner jungen Her-
ſchaft erzelen that, kaͤgen Jhre Knaden, aber
ſie haben niemalen hierfon etwas beriret.


Jch mus ihre Knaden demitig bitten, daß
ſie mit meiner lieben jungen Froͤlen manirlich
und gut umgehen, und daß ſie ihr drei verblai-
ben, nun ſie ſie haben, oder ich wirde mir Laid
antun, daß ich ſulche Dinge gethan hette, und
ihre Knaden kehulfen hette, ſie zu krigen. Jch
bitte ſaͤhr, lieber knediger Herr, ſain ſie pillig!
ich bitte kar zu ſaͤhr! ‒ ‒ So wahr ſie Kott hel-
fen ſull! Thun ſie das! Jch kan kaͤgenwertig
nicht mehr ſchreiben aus Furcht und Bekimmer-
niß. ‒ ‒


Nun kumme ich widder zu main Schreiben.
Jhre Knaden werden ſo kitig ſayn, und mir
Nachricht erdeilen, ob ihre Knaden Laͤben wegen
der Affaͤhre in Kefaar iſt; denn main Fetter iſt
exbreß Kemiedet, daß er ſehen ſull, ob er der
Junfer Betterton ihre Freinde ufririſch machen
kan. Denn ihre Knaden miſſen wiſſen, daß er
lange in der Bettertonſchen Fummilie keweßt
iſt, zu der Zeit, und daß man ihn zu ein Zai-
gen brauchen kuͤnnt, und ſo was.


Jch hoffe, daß es ſo kar ſchlimm nicht iſt,
als Titus ſagt, daß es were. Denn er ſagt,
daß ſie die Junfer zuerſt kenodzichtiget hetten,
wenn ihre Knaden nicht uͤbel nemen wullen.
Und
[80]
Und mein Fetter Titus iſt ein aͤhrlicher junger
Kerl, ſo kut als einer. Das iſt ſein Waͤſen,
und deshalber habe ich ihn deſto lieber fuͤr mai-
nen Fetter erkleret, nachdaͤm ich ihn keſchpro-
chen hab.


Wenn ihre Knaden Laͤben ſullte in Kefaar
kummen, ſo hoffe ich, daß ſie nicht ſullen ke-
hangen werden, als wir kemenen Leite. Mer wird
ihnen den Kopf herunter ſchlagen, und weiter
nichts. Es wirde mir indeſſen ſaͤhr laid thun,
wenn ſo ein Kopf, als ihre Knaden ihrer, ſullte
herunter keſchlagen werden. Aber wenn es ſo
wait kummen ſullte, welches Kott verhite! ſo
ſain ſie ſo kitig, und dencken an ihren dreien
Joſeph Lemann, eher daß ihnen der Kopf
abgeſprochen wird. Denn mer ſagt, wenn
das Urdel keſprochen iſt, ſo wird der Kenig
oder die Kerichte alles wecknaͤhmen.


Jch habe kedacht, daß es das Beſte were, ih-
re Knaden dies zu berichten, und daß ſie mir
befaͤhlen, wenn ich ihre Knaden worunter die-
nen, und Uncklick ferhiten kan, mit mainen
Fetter Titus, wenn er widder fon Nottin-
gam
zuruͤck kuͤmmt, eher daß er ſein Bericht
abſtattet.


Jch habe ihm ſchon was hinters Ohr keſte-
cket. Denn was ſull das, Fetter Titus,
ſagte ich zu ihn, daß wir Ehl ins Feier gieſ-
ſen und ein Schpecktackel machen, damit rei-
che fornaͤhme Leite uneins werden, und ſich die
Helſe brechen, und ſo derkleichen?


Es
[81]

Es iſt kanz war, ſagte der kleine Titus,
und dies kiebet mir Hofnung von ihm, wenn
ihre Knaden wullen, und mir ein bißel Anlai-
tung kaͤben. Kott wais! ich bin ſaͤhr arm an
Erfindung. Jch habe nur ain kut Kemiet, Un-
klick zu ferhiten. Das iſt mein Haubt-Ent-
ſweck, und iſt es immer keweßt, ſo wahr Kott laͤ-
bet! Jch hette ſunſt zu mainer Zeit mehr Un-
klick anrichten kuͤnnen, als irgend ain andrer
Bedienter. Jhre Knaden rihmen ſonſt dann
und wann maine Erfindung. Ach! ihr Kna-
den, was fuͤr Erfindungen kuͤnnen doch ſo ein-
faͤltige Leite haben, als ich bin! ‒ ‒ Aber, wenn
ihre Knaden mich mit ihrer artigen Erfindung
auf die Spur helfen thun, ſo thue ich main
Deil. Jn Warheit, ich wullte fon Haͤrzen
kerne ihre Knaden Kitigkeit ferdienen, wenn
es miglich were.


Zwei Tage, mag ich wul ſagen, ab und zu,
hab ich an dieſen langen Priff keſchribben, und
habe doch nicht alles keſagt, was ich ſagen wul-
te. Denn ich muß ihre Knaden noch zu wiſſen
thun, daß ich den Cabidaͤn Singelton nicht
leiden kan, wofon ich in mainen letzten beeden
Prieffen keſchribben. Er und mein junger Herr
ſtecken immerzu die Koͤpfe zuſammen. Jch fuͤrch-
te ſaͤhr, daß ſie was Beſes im Schilde fuͤhren,
zumal, weil daß main aelteſte Froͤlen zuwailen
mit im Konſelje iſt.


Die letzte Wuche ſagte mein junger Herr in
mainer Kaͤgenwart: Mein Plut ſtaiget mir
Zuſaͤtze zur Cl. Fzu
[82]
zu Kopfe, Cabdaͤn Singelton, das muß
ich raͤchen.
Und er kab ihre Knaden ain Aeh-
rendittel, den ſo ein Menſch, als ich bin, nicht
nachſagen darf. Cabidaͤn Singelton fliſterte
ihm ins Ohr, daß ich derbei were. Da ſagte
mein junger Herr: Vor den Joſeph kuͤnnen
ſie alles ſagen, denn ob er kleich ausſicht,
wie ein Kalbskopf, ſo hat er doch ſo ain
kut Haͤrze, und ſo ain kuten Kopf, als
alle Bedienten in der Weld haben ſull-
ten.
Mein Kebiſſen rihrete ſich derbei. Aber
warum ſoll es ſich rihren? Alles, was ich thue,
keſchicht, Unklick zu ferhiten, und weil ich ſehe,
daß ihre Knaden fiel mehr Kedult haben, als
mein junger Herr, ſo trage ich auch kein Beden-
ken, ihre Knaden alles zu hinderbringen.


Jberdem habe ich ſo ain kroß Ferlangen, ih-
re Knaden Kitigkeit zu ferdienen, daß ich nichts
forbei laſſen werde, ihnen zu melden, Unklick zu
ferhiten. Dernaͤben haben ihre Knaden die Ki-
te kehabt, waͤgen das Wirz-Hus in blauen Eber,
wor ich ſo fiel kutes fon keheert habe! ‒ ‒ Jch
ferſichere, daß ich ihre Knaden Zeitlaͤbens dafuͤr
werde obbelgat ſeyn.


Aber der blaue Eber iſt es doch noch nicht
alle. Denn mit ihrer Knaden Ferkinſtigung,
die kleene artige Sau (Kott ferkaͤbe mir maine
Suͤnde, daß ich bei einer ſo ſerieſen Sache ſpot-
ten thue) dobet mir immer im Kopfe herum.
Jch klaube, ich werde das Maͤdgen lieber haben,
als es ihre Knaden kut finden, denn ſie faͤngt
an
[83]
an, freindlicher und aufkereimter' zu werden, und
wenn ich fon dem blauen Eber und fon ſo was
rede, ſo hurcht ſie, als wenn ſie in den Bohnen
kinge.


Jch bitte, ihre Knaden nemen es ſo einem
armen ainfeltigen Mann, als ich bin, nicht un-
knedig, daß ich ein bißel ſchpaße. Wir keme-
nen Leite haben ſo wul unſre Luſt, mit ihrer Kna-
den Erlaubniß, als rechtliche Leite, und wenn
wir underweilen usgehunzet werden, ſo finden
wir immer Leite, die wir widder ushunzen kuͤn-
nen, und wenn das nicht iſt, ſo kuͤnnen wir etwa
ein Weib nehmen, und der den Puckel foll ſchel-
ten. So ſind wir doch auch uf eine oder andre
Art Herren.


Aber ich misbrauche ihre Knaden Kedult!
‒ ‒ Bediente werden ihre Freide zu Tag legen,
und ſullte es auch imbertinent ſeyn, wenn ſie
ufgemuntert werden.


Haben ſie die Kite, und befehlen ſie, wie ich
ſchon kebaͤten, wenn ich ihre Knaden oder mei-
ner lieben jungen Froͤlen dienen kan. Kott kaͤ-
be es! Denn ich bin ihrenthalber beſurgt, da ich
heere, was die Leite ſprechen. Jhre Knaden
werden ihr doch ſicherlich kein Laid anthun, wie
mancher ſagen muͤchte. Doch ich waiß, ihre
Knaden mißen einer ſo vuͤrdreflichen jungen Froͤ-
len kut ſeyn. Was kuͤnnen ſie dafuͤr? ‒ ‒ Mein
Kebiſſen baißt mich hier ein bißel, daß mein al-
ter knediger Herr und meine alte knedige Frau,
und die beeden alten Junkers nicht halb ſo hart
F 2wirden
[84]
wirden keweßt ſeyn, wenn ich ihnen nicht ei-
nige Hiſtorjen erzehlt hette, die mir ihre Kna-
den unter den Fus kekeben haben, mein junger
Herr und meine Froͤlen hetten auch ſagen ke-
mucht, was ſie wulten.


Und das iſt eben das Unklick. Sie kuͤnnen
mit meiner lieben jungen Froͤlen nicht ſprechen,
und hinter die Affaͤhren kummen, weil ich uf
ihre Knaden Befaͤhl habe ſagen miſſen, daß ich
das alles von ihrer Knaden Wilhelm fuͤr Keld
erfahren hette, und daß das kain Menſch wiſſen
mißte, ſonſt wirden ihre Knaden mich mit ſamt
dem armen Teifel ermurden, und den, der das
Keld herkaͤben hette, proſchtituiren! ‒ ‒ Ach ih-
re Knaden! Jch fuͤrchte, daß ich ein Spitzbub
keweßt bin. Kott erbarm es! ich dachte es nicht.


Aber wenn maine liebe junge Froͤlen zu Falle
kommen ſullte, und mit ihrer Knaden Ferkin-
ſtigung aus dem blauen Eber nichts werden
ſullte. ‒ ‒ Doch Kott behite uns fuͤr allen beſen
Jbel! und fuͤr einem beſen Ende! Das iſt mai-
ne Bitte! Denn ob kleich ihre Knaden ſo kitig
keweßt ſind, und mir den irdiſchen Dreck reich-
lich kekaͤben haben, ſo ſagt doch die hailige Schrift,
wenn es ihre Knaden nicht unknaͤdig nemen wul-
len: Was kan der Menſch kaͤben, damit
er ſeine Seele errette!


Doch hoffe ich kuͤnftig, noch einmal Buße
zu thun, wenn ich jo aus Unwiſſenheit ſindige,
da ich noch jung bin. Jhre Knaden ſind ein
fornaͤhmer Herr, und haben kroßen Ferſtand,
und
[85]
und ich bin ein armer nichtswirdiger Kerl, ſo
kuͤnnen ihre Knaden alles uf ſich nemen.


Unterdeſſen bin ich doch
ihre Knaden
dreieſter Knecht zu allen Dienſten

den 15. und 16. Abrill.
Joſeph Lemann.


Antwort
von
Herrn Lovelace an Joſeph Lemann.



Ehrlicher Joſeph,

Jhr habet eine ſchlechtere Meinung von eu-
rer Erfindung, als ihr haben ſolltet. Jch muß
ſie noch einmal ruͤhmen. Unter den einfaͤltigen
Leuten kenne ich nicht viele, die einen ſo guten
Kopf haben, als ihr. Wie oft hat eure Vor-
ſicht und Behutſamkeit meinen Wuͤnſchen in ſol-
chen Faͤllen ein Genuͤge gethan, die ich nicht
vorher ſehen konnte, weil ich nicht wußte, wie
meine Haupt-Ordres ablaufen wuͤrden, oder
was ſich etwa bei deren Ausfuͤhrung zutragen
moͤchte! Jhr trauet euren eignen Geſchicklich-
keiten gar zu wenig, ehrlicher Joſeph, das iſt
euer Fehler. Aber da dieſer Fehler aus eurer
natuͤrlichen Beſcheidenheit herruͤhret; ſo ſeid
ihr desfals mehr zu bedauren, als zu tadeln.


Die Sache mit der Jungfer Betterton war
ein Jugend-Streich. Jch mag meiner Erfin-
F 3dung
[86]
dung gar zu gerne etwas zu thun geben. Jch
verſichre euch, Joſeph, die Erfindung meiner
Streiche hat mir allezeit mehr Vergnuͤgen ge-
macht, als der Ausgang. Jch ſuche kein ſinn-
liches Vergnuͤgen, ſondern nur meinen Ver-
ſtand zu zeigen. ‒ ‒ Ein Maͤdgen iſt ſo gut als
das andre. ‒ ‒ Jhr verſtehet mich, Joſeph.
‒ ‒ Auf der Jagd macht uns ein Haſe das mei-
ſte Vergnuͤgen, der die Hunde am weiteſten her-
umziehet. Ein Huhn, das auf dem Hofe herum-
laͤuft, iſt beſſer zu eſſen. Nun habt ihr
mich gewiß eingenommen, Joſeph.


Jungfer Betterton war nur eines Kauf-
manns Tochter. Die Familie war wuͤrklich reich
geworden, und wollte alſo gerne geadelt ſeyn.
Sie waren thoͤricht genug, zu erwarten, daß
ich ſie heirathen wuͤrde. Dazu habe ich dem
Maͤdgen nie Hofnung gemacht. Sie hat es
mir nahe gelegt. Sie nahm es uͤbel: Sie
wollte vor ſich leben, und ward von ihren
Freunden eingeſchraͤnket. Eine kleine unſchul-
dige Liſt war noͤthig, ſie fortzubringen. ‒ ‒
Aber es iſt keine Nothzucht dabei vorgefallen,
Joſeph, ‒ ‒ wuͤrklich nicht. Sie liebte mich:
Jch liebte ſie. Da ich ſie nach dem Wirths-
hauſe brachte, habe ich ſie in Warheit nicht
ausgefraget. Es iſt grauſam, von einem be-
ſcheidenen Frauenzimmer ihre Einwilligung zu
verlangen. Daß heißt beiden Theilen die Sa-
che ſchwer machen. Haͤtten ihre Verwandten
ſich nicht darein gemiſchet, ſo wuͤrde ich ihr,
ſo
[87]
ſo viel ich weiß, bis auf dieſen Tag beſtaͤndig
treu geblieben ſeyn.. ‒ ‒ Denn alsdann haͤtte
ich meinen Engel nicht kennen lernen.


Jch bin nicht ihrentwegen aus dem Lande
gegangen. Sie liebte mich zu ſehr, als daß
ſie gegen mich eine Klage haͤtte anſtellen wol-
len. Sie wollte nicht einmal eine Schrift un-
terzeichnen, die man aufgeſezt hatte, um da-
rauf eine Klage zu grunden. Die grauſamen
Geſchoͤpfe wollten ihr daher nicht einmal eine
Hebamme zu Huͤlfe geben, bis ihr Leben in
Gefahr war, und das mag wol, wie ich glau-
be, Schuld an ihrem Tode ſeyn!


Jch habe um ſie Trauer angeleget, ob ich
gleich damals außer Landes war. Eine beſon-
dre Achtung, die ich allezeit den wuͤrdigen
Maͤdgen erzeiget habe, die von mir ſchwanger
waren, wenn ſie im Kindbette ſtarben!


Jn meinen Liebeshaͤndlen bin ich immer ſehr
zaͤrtlich geweſen. Dies waren die Regeln, die
ich mir ſelbſt vorſchrieb, als ich in die groſſe
Welt gieng: Die Mutter hinlaͤnglich zu ver-
ſorgen, wenn ihre Verwandten grauſam waͤ-
ren, und ich ihr keinen Mann verſchaffen
koͤnnte, der ihrer wuͤrdig ſei: Gemeine Huren
zu meiden; eine Art von Gerechtigkeit, die ich
unſchuldigen Maͤdgen ſo wol als mir ſelber
ſchuldig war! Ein Maͤdgen vorher zu verhei-
rathen, wenn es moͤglich waͤre, ehe ich ein
neues zulegte: Dahin zu ſehen, daß es ihr
im Kindbette an nichts mangelte: Das Kind
F 4zu
[88]
zu verſorgen, wenn es am Leben bliebe, ſo
wie es dem Stande der Mutter gemaͤß waͤre.
Um die Mutter, wenn ſie ſtuͤrbe, Trauer an-
zulegen. Und das Verſprechen war fuͤr die
artigen Dinger ein groſſer Troſt, wenn ſie ih-
rer Niederkunft nahe kamen!


Alle meine Vergehungen, alle mein Auf-
wand iſt mit und um der Maͤdgen willen ge-
macht, So konnte ich mein Gewiſſen befrie-
digen, indem ich ſo ehrlich mit ihnen verfuhr,
und zugleich in meinen Ausgaben, behutſam
ſeyn.


Alle Mannsperſonen lieben Maͤdgen. Brin-
ge mir einen, wenn du kannſt, Joſeph, der
in dieſem Stuͤcke rechtſchaffener zu Werke gien-
ge, als ich.


Kein Wunder alſo, daß mich die Maͤdgen
ſo ſehr lieben!


Aber jetzt bin ich ein Mann von ſtrenger
Tugend. Jch bin bekehret, und das bin ich
ſchon lange liebe Zeit geweſen; da ich den
Entſchluß gefaßt habe, zu heirathen, ſo bald
ich das bewundernswuͤrdigſte von allem Frauen-
zimmer dahin bewegen kann, mich zu nehmen.
Jch denke an keine andre, es waͤre mir unmoͤg-
lich. Jch habe um ihrent willen manches
huͤbſche Maͤdgen geſchonet. Jn Warheit!
Joſeph! Darum koͤnnt ihr euer ehrliches Herz
beruhigen. ‒ ‒ Jhr ſehet, wie viel Muͤhe ich
mir gebe, euch eure Grillen auszureden.


Was
[89]

Was aber die Jungfer Betterton anlangt,
‒ ‒ das war keine Nothzucht. Nothzuͤchtigen
iſt ein unnatuͤrliches Verbrechen, und ſeltner,
als man denket, Joſeph. ‒ ‒ Jch wuͤrde es
muͤde werden, wenn man mich ſo weit treiben
ſollte. Es iſt auch nie geſchehen. Jungfer
Betterton ward wider ihren eignen Willen
von mir weggenommen. Und in dieſem Falle
begiengen ihre Verwandten, und nicht ich, die
Nothzucht.


Jch habe es ſo gekartet, daß ich den Kna-
ben ohne der Tante Wiſſen, zweimal geſehen
habe. Sie nimmt ſich ſeiner an; ſie liebet ihn,
und wuͤrde ihn jetzt um alles in der Welt nicht
miſſen. Der Junge iſt ein feiner Junge,
GOtt ſei Dank! Kein Vater duͤrfte ſich ſeiner
ſchaͤmen. Es wird ſchon fuͤr ihn geſorget
werden. Wenn das nicht waͤre, ſo wollte ich
es thun. Es wird ſeiner Mutter Vermoͤgen
bekommen. Sie fluchen dem Vater, die un-
dankbaren Boͤſewichter! Und den Jungen ha-
ben ſie lieb! ‒ ‒ Kurz, bei allen den Dingen iſt
nichts infames an meiner Seite, aber wol an
der Seite der Bettertons.


Mache dir nur alſo keine Sorgen, Jo-
ſeph,
meines Kopfes, oder deines Halſes
willen, oder wegen des blauen Ebers, oder
oder wegen deiner artigen Sau. ‒ ‒


Jch kann euren Spaß wol leiden. Spaſ-
ſen ſchickt ſich fuͤr einen armen Mann beſſer, als
Grillen fangen. ‒ ‒ Jch mag euch wol ſpaſſen
F 5hoͤren.
[90]
hoͤren. Alles was wir ſagen, alles wir thun,
alles was wir wuͤnſchen, iſt ein Spaß. Wer
das Leben nicht ſelbſt zum Spaß machet, iſt ein
trauriger Burſche, und hat es deſto ſchlimmer.


Jch zweifle nicht, Joſeph, daß ihr nicht
ſo wol eure Luſt gehabt habt, wie ihr ſagt,
als rechtliche Leute. Jch wuͤnſche, daß ihr
immer mehr eure Luſt haben moͤget, ehrlicher
Joſeph. ‒ ‒ Wer einem armen Manne ſeine
Freude nicht goͤnnet, ſollte billig ſelbſt keine
Freude haben. Spaſſet ihr alſo nur fort! Jch
wiederhole es noch einmal: Spaſſen iſt beſſer
als Grillen fangen.


Jch hatte nicht noͤthig, euch etwas von
der Jungfer Betterton zu erzaͤhlen. Habe
ich euch nicht ohne dem genug Hiſtorien gegen
mich an die Hand gegeben, um euch bei euren
verſchlagnen Herren mehr Zutrauen zu erwer-
ben? Es war mir uͤberdem verdrieslich, die
Jungfer Betterton zu erwaͤhnen, da ihre
Verwandten alle lebten, und im Anſehen ſtun-
den. Zudem liebte ich ſie, denn ſie ward
durch ihre grauſamen Verwandten von mir
genommen, da unſre Freude kaum angegan-
gen war.


Doch genug von der werthen Jungfer
Betterton. Werth, ſage ich, denn der
Tod macht uns eine Perſon recht werth!
GOtt gebe ihr eine ſanfte Ruhe in der Erde! ‒ ‒
Hier, Joſeph, gieng ein tiefer Seufzer nach
meiner guten Jungfer Betterton hin!


Was
[91]

Was die Reiſe des kleinen Titus betrift,
(ich erinnere mich jetzo des Kerls bei ſeinem
Namen) laßt das ſeinen Gang gehen. Ein
Frauenzimmer, das vor achtzehen Monaten im
Kindbette geſtorben iſt, da man bei ihrem Le-
ben keine Klage angeſtellet hat, die in ihrem
Leben kein Zeugniß gegen mich ablegen wollte,
‒ ‒ das ſind ſchoͤne Umſtaͤnde, mich wegen ei-
ner Nothzucht zu belangen!


Wegen eurer jungen Fraͤulein, der ewig
anbetungswuͤrdigen Fraͤulein Clariſſa Har-
lowe,
muß ich euch ſagen, ich habe ihr alle-
zeit als meiner kuͤnftigen Frau aufgewartet.
Andre erwarteten mehr, daß ich ſie heirathen
ſollte, von der Eitelkeit ihrer eignen Herzen,
als von meinen Verſprechungen. Denn ich
habe allezeit dahin geſehen, mein Verſprechen
zu erfuͤllen. Jhr wiſſet, Joſeph, daß ich
an euch mehr gethan habe, als ich verſprochen
hatte. Und ſo mache ichs mit allen Leuten.
Warum? Das iſt der beſte Weg zu zeigen, daß
ich kein Pinſel oder Knicker bin. Ein Ver-
ſprechen iſt eine Verpflichtung. Ein ehrli-
cher Mann haͤlt ſein Wort, aber ein
großmuͤthiger Mann thut noch mehr,
als er verſpricht.
Das iſt meine Regel.


Jhr zweifelt, ob ich es mit eurer jungen
Fraͤulein ehrlich meine? Das iſt mehr, als ſie
ſelber thut. Wenn ſie das daͤchte, ſo wuͤrde
ſie nicht eine Stunde bei mir bleiben. Jch ha-
be das beſtaͤndigſte Herz von der Welt. Haſt
du
[92]
du nicht Urſache, das zu glauben? Warum
thuſt du denn ſo albern, ehrlicher Joſeph?


Doch das kommt daher, weil du ehrlich
biſt, und ſo vergebe ichs dir. Wer meine
goͤttliche Clariſſa liebet, der liebet mich auch.


Der Junker Harlowe mag mir fuͤr Ehren-
Titul
geben, welche er will. Seiner Schwe-
ſter wegen will ichs ertragen. Sei nur fuͤr
mich nicht bange. Jhre Gunſt wird mir das
reichlich erſetzen. Sein eignes niedertraͤchtiges
boshaftes Herz wird ihm das Blut zu aller
Zeit zu Kopfe treiben. Und wenn das ge-
ſchiehet, glaubſt du, daß ich mir daruͤber ein
Gewiſſen machen werde? ‒ ‒ Und wenn ich
mir kein Gewiſſen daruͤber mache, warum willſt
du es denn thun? Ach! Joſeph! Joſeph!
Was fuͤr ein wunderlicher beſchwerlicher Gaſt
iſt dein Gewiſſen! Solch ein Gewiſſen, das ei-
nen ehrlichen Menſchen beunruhiget, wenn er
aus der beſten Abſicht handelt, das iſt
Schwachheit, und kein Gewiſſen.


Sage nur, was du willſt, und ſchreibe mir
alles, was du weißt und hoͤreſt. Jch will mit
allen Leuten Geduld haben. Warum ſollte ich
auch nicht, da es mir ſo ſehr, als dir, an Her-
zen liegt, Ungluͤck zu verhuͤten?


Nunmehro, Joſeph, da ich mir alle die-
ſe Muͤhe gegeben habe, dein Gewiſſen zu be-
ruhigen, deine Zweifel zu beantworten, und
alle deine Furcht zu verbannen, will ich auf
einen neuen Punkt kommen.


Eure
[93]

Eure und meine Bemuͤhungen, die wir uͤ-
bernommen haben, da wir ſo um den Brei
herum gegangen ſind, um alles, ſelbſt gegen
Willen der hartnaͤckigſten, ins Feine zu brin-
gen, haben den Endzweck nicht erreichet, den
wir beide hofften, wie wir ſehen, ſondern ha-
ben vielmehr die ungluͤcklichen Zwiſtigkeiten zwi-
ſchen unſern Familien nur vermehret. Allein
das iſt weder eure noch meine Schuld. Das
haben wir dem pechſchwarzen Blute eures gif-
tigen jungen Herrn zu danken, welches ihm,
wie er ſagt, zu Kopfe ſteigt, daß unſre
rechtſchafnen Allſichten bisher fruchtlos abge-
laufen ſind.


Doch wir muͤſſen auf demſelben Wege fort-
gehen. Wir werden ſie endlich ermuͤden, und
ſie werden uns Bedingungen vorſchlagen: Und
wenn ſie das thun, ſo ſollen ſie ſehen, wie bil-
lig weine Borſchlaͤge ſind, ſo wenig ſie es auch
von mir verdienen.


Fahre alſo fort, Joſeph, ehrlicher Jo-
ſeph,
fahre fort. So unſchicklich dir auch
die Mittel vorkommen, ſo werden wir doch zu-
letzt unſern Endzweck erreichen.


Wir koͤnnen jetzo weiter nichts dazu thun,
als daß wir unſer Werk auf dem Wege durch-
ſetzen, den wir betreten haben. Denn da mei-
ne Geliebte, wie ich euch in meinem letzten
Briefe ſagte, euch nicht trauet, ſo wird ſie euch
fortiagen, wenn ſie nicht die meinige wird.
Wird ſie es aber, ſo kann und will ich euch
beſchuͤ-
[94]
beſchuͤtzen. Wenn ſie dann ja euch in ihren
Gedanken noch fuͤr ſchuldig haͤlt, ſo muß ſie
euch doch, weil es vielmehr meine als eure
Schuld iſt, vergeben; und um ihres guten
Namens willen ihres Mannes Geheimniſſe ver-
borgen halten: Sonſt wuͤrde ſie ſich gewaltig
wider ihre Pflicht vergehen. Nun wolan,
Joſeph, ihr habet einmal die Hand an den
Pflug geleget, ihr muͤſſet ſie nicht wieder ab-
ziehen.


Und was folget aus dieſem allen? Noch ei-
ne Arbeit, das wird alles ſeyn, was euch noch
anheim faͤllet, wenigſtens, die etwas zu bedeu-
ten haͤtte.


Meine Geliebte iſt entſchloſſen, gar nicht an
das Heirathen zu gedenken, bis ſie verſucht hat,
ob ſie ihre Freunde zu einer Ausſoͤhnung bewe-
gen kann. Jhr wiſſet, ſie ſind ſchon des feſten
Entſchluſſes, ſich nimmer zu verſoͤhnen. Sie
hat ſichs in den Kopf geſetzet, wie ich nicht zweif-
le, daß ich mich den Leuten unterwerfen ſoll, die
ich haſſe, und thaͤte ich das, ſo wuͤrden ſie mich
mehr beſchimpfen, als meine Herablaſſung an-
nehmen, wie ſie ſollten. Ja ſie geſtehet, daß
ſie mir entſagen will, wenn ihre Verwandten
darauf beſtehen; wenn ſie nur den Solmes
aufgeben wollen. So bin ich, aller Warſchein-
lichkeit nach, ſo weit als je von der Gluͤckſeelig-
keit entfernet, ſie die meinige zu nennen. Jn
der That, es iſt jetzt mehr, als jemals, war-
ſcheinlich, daß ich ſie verliere, wenn ich nicht
etwas
[95]
etwas ausdenke, mir die gegenwaͤrtigen criti-
ſchen Umſtaͤnde zu Nutze zu machen; und dann,
Joſeph, wird alles, was ich ausgedacht, und
ihr ins Werk gerichtet habet, nichts heiſſen.


An dem Orte, wo wir jetzo ſind, koͤnnen wir
nicht lange verborgen bleiben. Die Wohnung
iſt fuͤr uns unbequem, ſo lange wir beide bei
einander ſind, und ſie es abſchlaͤgt, mich zu hei-
rathen. Sie moͤchte gerne, daß ich mich von ihr
entfernete. Zu London ſind Wohnungen,
die in meinen Augen auſſerordentlich bequem
ſind, wo wir nicht ausgekundſchaftet, und al-
les Ungluͤck verhuͤtet werden koͤnnte. Sind wir
dort, wo ich ſie noch dahin bringe, ſo wird ſie
darauf beſtehen, daß ich ſie verlaſſen ſoll. Die
Fraͤulein Howe giebt ihr immer neue Anſchlaͤ-
ge ein. Dieß iſt die Urſache, wie ihr wiſſet,
warum ich genoͤthiget war, durch eure Vermit-
telung die Familie zu Harloweburg gegen die
Frau Howe, und die Frau Howe gegen ihre
Tochter aufzuwiegeln. ‒ ‒ Ach Joſeph! ‒ ‒
Wie wenig habt ihr noͤthig, fuͤr meinen Engel
beſorgt zu ſeyn. Jch allein bin in Gefahr. ‒ ‒
Aber waͤre ich wuͤrklich der Menſch von einer
freien Lebensart, wie man mich ausſchreiet, ſo
koͤnnte ich uͤber das alles auf den Zaͤhen weg-
gehen,
wie man im Spruͤchworte redet.


Doch ihr habt mir durch eine von euren Nach-
richten auf die Spruͤnge geholfen, daß ich ein
Mittel ausgedacht, welches der ganzen Sache
abhelfen, und euren Ruhm, der ſchon ſo hoch
geſtie-
[96]
geſtiegen iſt, noch mehr erhoͤhen wird. Der
Singleton, hoͤre ich, iſt ein Kerl, der große
Unternehmungen liebt. Seine Abſicht iſt, den
Junker Jacob Harlowe zu bewegen, daß er
hauptſaͤchlich auf ſeine Koſten ein Schif ausruͤ-
ſten moͤchte, welches er gern commandiren woll-
te. Das wird wol der Vorwurf ihrer gegen-
waͤrtigen geheimen Unterredungen ſeyn.


  • Den Schluß dieſes Briefes Siehe Th.
    III. S. 362. L. 12. von den Wor-
    ten: weil Singleton an, bis Sei-
    te 365. zu Ende.

Th. III. S. 379. L. 18. nach den Worten:
deine Frau zu werden.


Hat ſie es nicht gezeiget, daß ſelbſt die hoͤch-
ſten Beleidigungen nicht hinlaͤnglich waͤren, ſie
von ihrer Schuldigkeit gegen ihre Aeltern abzu-
bringen? Eine Schuldigkeit, die uns gleichſam
angebohren iſt, und zu welcher wir daher mehr
ohne unſre Einwilligung verpflichtet ſind! Und
iſt dies nicht ein vortreflicher Buͤrge, daß ſie ei-
ne noch hoͤhere Schuldigkeit heilig erfuͤllen wird,
in welche ſie ſich, durch feierliche Geluͤbde, und
voͤllig freiwillig, einzulaſſen gedenket, wenn ſie ſich
ja hineinlaͤßt.


Sie liebet dich ganz gewiß u. ſ. w.


Th. III. S. 404. L. 18. nach den Worten:
ſchaͤumet ſolche Fluͤche aus, lies
ſtatt
[97]
ſtatt des naͤchſtfolgenden bis L. 29. an die
Worte: ſich dergeſtalt entruͤſten.


Wenn Sie dieſen Fluch gehoͤrig betrachten,
ſo muß und wird eine Perſon von ihrer Froͤm-
migkeit mit Jhrem unbedachtſamen Vater eher
Mitleiden haben, und fuͤr ihn beten, als ſich
ſelbſt daruͤber bange machen. Niemand als
GOtt kann fluchen. Aeltern, oder andre, wer
ſie auch ſind, koͤnnen ihn nur bitten, daß er flu-
chen moͤge; und ſolche Gebete koͤnnen bei einem
gerechten und hoͤchſt vollkommnen Weſen keine
Erhoͤrung finden, welche die Unbilligkeit ein-
giebt, und die einen grauſamen Endzweck haben.


Hat uns nicht GOtt geboten, zu ſeegnen und
nicht zu fluchen? Bitten Sie alſo fuͤr Jhren
Vater, daß ihn der Fluch nicht treffen moͤge,
den er Jhnen angekuͤndiget hat. Denn er hat,
wie Sie ſehen, ein warhaftig goͤttliches Gebot
uͤbertreten, und Sie werden dadurch, daß ſie
das Gebot ausuͤben, welches uns befiehlet, fuͤr
die zu bitten, die uns verfolgen und fluchen, den
Fluch in einen Seegen verwandeln.


Meine Mutter ſelbſt iſt u. ſ. w.


Th. III. S. 422. ſtatt des Abſchnitts der
ſich anhebt: Jch will das nicht wie-
derholen.


Sie nehmen, ſagt ſie, mein Kind, Jhre ge-
woͤhnliche und allezeit aufgeweckte Schreibart
an, da Sie Jhr Urtheil uͤber die beiden Herren
Zuſaͤtze zur Cl. Gfaͤllen,
[98]
faͤllen, wie unſchicklich ſie nemlich in Jhren Au-
gen gewaͤhlet haͤtten, Herr Hickmann, daß er
ſich an Sie gemacht, und Herr Lovelace, daß
er mich ausgeſucht hat. Allein ich habe große
Luſt zu glauben, ſo ſehr zwei ſanfte Gemuͤther
in Abſicht auf die Gluͤckſeeligkeit beider Perſo-
nen uͤbereinkommen, ſo werden es zwei heftige
Gemuͤther leicht verderben, wenn ſie beide zu
gleicher Zeit heftig ſind, und nicht nachgeben.
Sie beiden wuͤrden zwar ziemlich miteinander
fertig werden. Aber doch ſcheinet Herr Hick-
mann
mit ſeinem hoͤflichen Weſen fuͤr Sie ge-
macht zu ſeyn, wenn Sie es nicht zu arg mit
ihm treiben. Thun Sie das, ſo waͤre es bei
ihm eine Zaghaftigkeit, es zu ertragen, die
einen Mann veraͤchtlicher machen wuͤrde, als
es Herr Hickmann jemals zu werden verdienen
kann. Auch einem braven Mann iſt es nicht
unanſtaͤndig, vorher ſehr demuͤthig und gehor-
ſam zu ſeyn, da er weiß, was ihm ein Frauen-
zimmer nachher geloben muß.


Halten Sie es denn fuͤr des Herrn Lovela-
ce
Charackter fuͤr eine Ehre, daß er beleidigend
und heftig ſeyn kann? Unterwirft er ſich nicht,
wie alle ſolche Gemuͤther thun muͤſſen, der Noth-
wendigkeit, ſeine Ausſchweifungen durch demuͤ-
thige Abbitten wieder gut zu machen, die ein
ſtolzes Herz mehr demuͤthigen, als die Herab-
laſſung, welche hitzige Gemuͤther einem ſolchen
Mann, wie Herr Hickmann iſt, nur gar zu
gern zu einer Schwachheit auslegen?


Jch
[99]

Jch muß Jhnen ſagen, mein Schatz, Herr
Hickmann iſt ein Mann, der von einem Frau-
enzimmer lieber eine Beleidigung hinnimmt, als
daß er ſie beleidiget. Jch getraue mich, zu be-
haupten, er wird lieber ſehen, daß ſie eine Ge-
legenheit hat, ihn um Vergebung zu bitten, als
daß er ſie darum bitten ſollte. Wiewol, Sie
haben Jhre erſte Liebe uͤberlebet!
Und waͤ-
re der zweite Liebhaber ein Engel geweſen, ſo
haͤtten Sie ihn doch nur mit Gleichguͤltigkeit
angeſehen.


Die Urſachen, um welcher u. ſ. w.


Th. III. S. 423. L. 11. nach den Worten:
zum zweiten mal anbringen.


Jch ſehe mit großer Bekuͤmmerniß, daß Jh-
re Frau Mutter unſerm Briefwechſel unbeweg-
lich entgegen iſt. Was ſoll ich dabei machen?
‒ ‒ Es iſt mir zuwider, ihn fortzuſetzen, oder zu
wuͤnſchen, daß Sie die Gutheit haben, und mir
antworten. ‒ ‒ Doch habe ich meine Sachen
ſo angefangen, daß ich, auſſer Sie, keinen Freund
habe, mit dem ich etwas uͤberlegen kann. Es
waͤre, zu dem Wunſche, mit dieſem Manne ver-
heirathet zu ſeyn, ſo verkehrt er auch iſt, ſchon
genug, daß er wuͤrdige Verwandtinnen hat, un-
ter denen ich einige Freundinnen zu finden hoffe.
Und wenn ich einige habe, ſo koͤnnte ich viel-
leicht mehrere bekommen. ‒ ‒ Denn wie man
von dem Gelde ſagt, daß es Geld macht, ſo
vermehret der Umgang mit Leuten von gutem
G 2Cha-
[100]
Charackter die Zahl unſrer Freunde. Hingegen
wer nichts hat, der bekommt auch nichts. ‒ ‒
Mein Herz ſpricht dagegen, daß ich Sie bitten
ſoll, Jhren Briefwechſel mit mir aufzuheben; ‒ ‒
und doch leidet es mein Gewiſſen nicht, ihn ge-
gen das Verbot Jhrer Frau Mutter fortzuſetzen.
Doch ich darf nicht alle Gruͤnde dagegen anfuͤh-
ren, die ich ſagen koͤnnte, ‒ ‒ und warum? Aus
Furcht, Sie zu uͤberzeugen; und ſo wuͤrden
Sie mich, gleich meinen uͤbrigen Freunden ver-
laſſen. Jch ſtelle es alſo Jhnen anheim, dies
auszumachen. ‒ ‒ Mir muß man das nicht auf-
geben, das merke ich. Aber laſſen Sie alle
Schuld, und alle Straffe mein ſeyn, wenn es
ſtrafwuͤrdig iſt! ‒ ‒ Und das muß es gewiß
ſeyn, wenn es ſolche gar zu hitzige Ausſpruͤche
veranlaſſen kann, als die ſind, womit Sie den
Brief beſchlieſſen, den ich vor mir habe, und
woruͤber ich Sie kuͤnftig nicht weiter auskeifen
darf, weil Sie es verbeten haben.


Auf den zweiten Brief u. ſ. w.


Th. III. S. 430. L. 26. nach den Wor-
ten: ob du recht haſt.


Noch eine Regel, wenn du willſt. ‒ ‒ Daß
du niemals gegen die Staͤrke, die eine tugend-
hafte Erziehung uͤber das Gemuͤth eines Frauen-
zimmers haben ſollte, etwas einwendeſt, und
dich bemuͤheſt, die Schwachheiten der Maͤdgen
mit unſern Schwachheiten zu entſchuldigen!
Denn ſind wir nicht einer des andern Teufel?
Sie
[101]
Sie verſuchen uns, und wir verfuchen ſie. Weil
wir Maͤnner der Verſuchung nicht widerſtehen
koͤnnen, iſt das eine Urſache, daß es die Maͤd-
gen nicht thun duͤrfen, da ihre ganze Erziehung
nichts anders iſt, als Lehre und Warnung ge-
gen unſre Angriffe? Geben ihnen ihre Groß-
muͤtter nicht eine leichte Lehre? Die Maͤnner
muͤßen fordern ‒ ‒ und die Maͤdgen muͤſ-
ſen verſagen.


Jch komme wieder auf den u. ſ. w.


Th. III. S. 439. L. 14. nach den Worten:
kein geſchriebenes leſen kann.


Du haſt Recht, es wuͤrde ein Wunder ſeyn,
wenn dieſe Fraͤulein ſich retten kann. ‒ ‒ Und
da ich ſo weit gegangen bin, wie kann ich zu-
ruͤck gehen? Wo ſollte denn meine Rache an
den Harlowes bleiben! ‒ ‒ Mit ihrer Toch-
ter weggelaufen zu ſeyn, um ſie zur Frau Lo-
velace
zu machen! Sie in eine Familie zu brin-
gen, die uͤber die ihrige ſo weit erhaben iſt!
Was fuͤr ein Triumph (wie ich ſchon angemerket)
wuͤrde das fuͤr ſie ſeyn! ‒ ‒ Aber mit ihr weg-
zulaufen, und ſie in einer andern Geſtalt auf
meinen Heerd zu bekommen: Wie wird das ih-
ren Stolz demuͤthigen! Wie wird es den mei-
nigen befriedigen!


Dann ſind dieſe Weibsbilder immer an mir
heraus. Dieſe Maͤdgen, die mich ſonſt, ehe
meine ganze Seele und alle Sinnen in der Lie-
be dieſer einzigen Goͤttin verſenket waren, al-
G 3lezeit
[102]
lezeit mit den Blumen und den erſten Fruͤch-
ten ihres Gartens zu beſchenken pflegten! Jn
Warheit, in Warheit, meine Goͤttin ſollte in
London dies Haus der Witwe nicht gewaͤh-
let haben! ‒ ‒ Doch kann ich ſagen, wenn ich
es gewaͤhlet haͤtte, ſo haͤtte ſie ſich dagegen ge-
ſetzet. Wenn Leute ſo gern widerſprechen, ſo
muͤſſen ſie dafuͤr buͤſſen. Und durch die Fol-
gen unſrer eignen Wahl geſtraffet werden, was
ſteckt darin nicht fuͤr eine Moral! Wie viel
Gutes kann ich nicht durch ein kleines Uebel
ſtiften!


Dorcas iſt ein angenehmes u. ſ. w.


Th. III. S. 468. gegen das Ende, nach den
Worten: Freundſchaft einzulaſſen,
lies ſtatt der drei folgenden Zeilen des
Abſchnitts:


Er drang noch weiter darauf, daß ich mein
Urtheil daruͤber faͤllen ſollte.


Jch koͤnnte nicht ſagen, daß mir eine von
dem jungen Frauenzimmer ſonderlich gefiele,
ſo wenig als ihre Tante, und wenn auch mei-
ne Umſtaͤnde noch ſo gluͤcklich waͤren, ſo wuͤr-
den ſie mir doch zu luſtig ſeyn.


Es wunderte ihn nicht, ſagte er, dies von
mir zu hoͤren. Er kennete kein einziges Frauen-
zimmer, die gewohnt waͤre, an den Luſtbarkei-
ten der Stadt Theil zu nehmen, die mir nur
ertraͤglich ſcheinen koͤnnte. Schweigen und
Erroͤthen, gnaͤdige Fraͤulein, ſind bei unſern
feinen
[103]
feinen Stadt-Damen keine Annehmlichkeiten
mehr. Sie erſcheinen ſo oft oͤffentlich, und
ſind ſo abgehaͤrtet, daß ſie ſich eben ſo ſehr ſchaͤ-
men wuͤrden, wenn man ſie dieſer Schwach-
heiten beſchuldigen koͤnnte, als die Mannsper-
ſonen.


Vertheidigen ſie dieſe zwei Frauenzimmer
durch die Anmerkungen uͤber die Haͤlfte ihres
Geſchlechts? Doch Herr Lovelace, ſie muͤſ-
ſen mein Verlangen unterſtuͤtzen, das ich habe,
(ſo ungern ich auch mag, daß man mich fuͤr
eigen halten ſoll) allein zu fruͤhſtuͤcken, und A-
bends zu ſpeiſen, wenn ich ja ſpeiſen werde.


Er ſagte, wenn ich es u. ſ. w


Th. III. S. 471. L. 7. nach den Worten:
kein Unmenſch iſt.


Wiewol, wie konnte eine Perſon, die ge-
gen ſich ſelbſt unhoͤflich war, und einem Mann
Gelegenheit gab, mit ihm wegzulaufen, von
eben dieſem Mann einen hohen Grad von hoͤfli-
cher Begegnung erwarten?


Aber warum, werden meine liebſte Freun-
din Jhre Clariſſa fragen, warum denn eben
jetzt ſolche traurige Betrachtungen, da ſich an-
genehmere Ausſichten zu oͤfnen ſcheinen?


Warum? meine liebſte Freundin? Koͤnnen
Sie darum noch ein Maͤdgen fragen, das in
den Augen der Welt, unter die thoͤrichten und
unbedachtſamen gerechnet wird; das unter dem
Fluche eines Vaters liegt, und mit den grau-
G 4ſamen
[104]
ſamen Ungewisheiten zu kaͤmpfen hat, die na-
tuͤrlicher Weiſe aus den Gedanken entſtehen
muͤſſen, daß es ſich ſelbſt gegen ihre Pflicht
und Einſichten in die Gewalt eines Mannes
begeben hat, der ein Boͤſewicht iſt? Muß nicht
die Empfindung ihrer Unbedachtſamkeit, ihre
hofnungsvolleſten Ausſichten verdunkeln? Muß
die nicht alsdann am ſtaͤrkſten auf ein nach-
denkendes Gemuͤth wuͤrken, wenn ihre Hof-
nungen die ſchoͤnſten ſind? Selbſt ihre Ver-
gnuͤgungen, wenn ja der Mann beſſer werden
ſollte, als ſie hoffet, verlieren ungemein: So
wie bei Menſchen, welche bei dem Beſitz uͤbel
erworbener Guͤter, es alsdann auf die empfind-
lichſte Weiſe erfahren muͤſſen, (wo anders
thr Gewiſſen einer Ueberlegung faͤhig, und
nicht ganz unempfindlich geworden iſt) wenn
ſie nach der Erfuͤllung aller ihrer Wuͤnſche
(doch ich glaube nicht, daß alle Wuͤnſche ſol-
cher Leute erfuͤllet werden koͤnnen) ſich hinſetzen,
in der Hofnung, ihr unrecht erworbenes Gut
zu genieſſen; und dann finden, daß ihre eignen
Betrachtungen, ihnen zur groͤſſeſten Marter
werden.


Jch wuͤnſche daß Sie nie u. ſ. w.


Th. III. S. 474. am Ende, nach den Wor-
ten: ſelbſt gar nicht maͤchtig.


„Was meineſt du? ‒ ‒ Der kleine Teufel,
„die Sally ſagte, es waͤre ihr nicht moͤglich, zu
„leben, wenn ich auf ſie zuͤrnete, und wollte
„in
[105]
„in Ohnmacht fallen. Aber, da ich ſahe, daß
„fie Anſtalten dazu machte, gieng ich aus der
„Stube, und da hielt ſie es nicht mehr der
„Muͤhe werth.


  • Er erzaͤhlet hierauf auf ſeine Art,
    was ſeine Abſicht geweſen waͤre,
    da er der Fraͤulein verſprochen,
    ſich von ihr zu entfernen:

Was das betrift, daß ich ſie verlaſſen ſoll,
ſo habe ich mein Verſprechen gehalten, wenn
ich nur eine Nacht weggehe. Wenn ſie das
aber nicht denket, ſo kann ich brummen und
poltern, und mich wieder beſaͤnftigen laſſen,
und mir ein Verdienſt daraus machen; und
dann, weil es mir unmoͤglich waͤre, ohne ih-
re Geſellſchaft zu leben, bald wieder zuruͤck
kommen. Jm Grunde ſind auch die Maͤdgen
niemals ungehalten, wenn man ihnen aus ei-
ner uͤbermaͤßigen Liebe nicht gehorchet. Sie
lieben eine Leidenſchaft, die ſich nicht regieren
laͤßt. Sie moͤgen es wol haben, daß man ih-
nen jede Gunſt mit Gewalt raubet, und daß
ſie von einem gierigen Liebhaber ganz aufge-
geſſen und getrunken werden. Kenne ich die
Maͤdgen nicht? ‒ ‒ Doch noch nicht ganz, we-
nigſtens meine Clariſſa nicht! Aber dem ſei,
wie ihm wolle, meine oͤftern Anfaͤlle, die ich
auf ſie thue, werden mich in ihren Augen al-
lezeit neu machen, und uns beiden etwas zu
thun geben. Wenigſtens darf ich ſie gewiß
kuͤſſen, wenn ich weggehe, und wiederkomme.
G 5Und
[106]
Und werden nicht dieſe gelegentlichen Freihei-
ten, welche die Hoͤflichkeit enſchuldiget, meine
Schoͤne immer mehr dazu gewoͤhnen?


Aber, Bruder, was fange ich mit meinem
Oncle, und Tanten, und Baſen an? Denn
ich hoͤre, daß ſie mehr eilen, mich zu verheirathen,
als ich ſelbſt.


  • Th. III. S. 481. ſtatt des Abſchnitts, der
    ſich anhebt: Herr Lovelace meldet,
    und des folgenden, bis an die Worte:
    Sieges-Lied anſtimmen.
  • Herr Lovelace giebt in ſeinem naͤch-
    ſten Briefe Nachricht von ſeiner
    geſchwinden Wiederkunft; wie er
    ſolche gegen die Fraͤulein entſchul-
    diget; wie ſie ihr Misfallen be-
    zeiget, und darauf gedrungen haͤt-
    te, daß er ſich entfernen ſollte, da
    ſie wegen der Lage des Hauſes ſi-
    cher genug waͤre, wenn ſie nicht
    durch ſeine haͤufigen Beſuche auf-
    gefunden wuͤrde.

Jch ward gewaltig verwirrt dabei, ſagt er,
vornemlich wie ſie darauf beſtand, ich ſolte ein
Anerbieten, das ich gar zu hurtig that, nemlich
nach Berks zu gehen, und meine Baſe Char-
lotte Montague
herzubringen, die bei ihr blie-
be, ſogleich ins Werk ſetzen. Jch machte jaͤm-
merliche Ausfluͤchte, und da ich fuͤrchtete, daß
man ſie gewaltig ahnden wuͤrde, weil ſie anfieng,
daruͤ-
[107]
daruͤber boͤſe zu werden, daß ich ſagte, Char-
lotte Montagne
waͤre ein wenig eigen; (denn
das verſtand ſie gewaltig unrecht) ſo ſahe ich
mich genoͤthiget, mich hinter die feierlichſten und
ausdruͤcklichſten Erklaͤrungen zu verſtecken.


  • Er wiederholet dieſe Erklaͤrungen, auf
    eben die Art, wie ſie es erzaͤhlet
    hatte.

Als ich anfieng, ſagt er, meine Erklaͤrun-
gen zu machen, nahm ich mir vor, meine ruhm-
wuͤrdige Lebensart beſtaͤndig in den Augen zu
behalten. Aber es gieng mir, wie jenem Red-
ner im Unterhauſe, von dem man erzaͤhlet, daß
er mehr als einmal in einer langen Rede, ſich
ſelbſt, ſo wie er fortfuhr, uͤberzeuget, und ge-
gen die Seite geſtimmet habe, fuͤr welche er zu
reden angefangen hatte: Jch ſprach auch in dem
Fortgang meiner Rede mit ganzem Ernſt, oh-
ne alle Einſchraͤnkung, fuͤr den Eheſtand, ſo we-
nig ich auch an dieſen Stand dachte, den ich
ihr mit ſo vieler Staͤrke und Deutlichkeit anpries.


  • Er freuet ſich uͤber den Aufſchub, den
    ſein Vorſchlag, ein Haus zu mie-
    then, und einzurichten, machen
    muͤßte.
  • Er wanket in ſeiner Entſchlieſſung, ob
    er bei einem ſo erhabnen Verdienſt
    ehrlich verfahren wollte, oder
    nicht.
  • Er iſt ſehr mit ſich ſelbſt zufrieden,
    wegen ſeiner eignen Zaͤrtlichkeit,

    da
    [108]
    da er ſeinen Unwillen gegen ihre
    Verwandten ausgedruͤckt hatte,
    weil ſie ſich etwas eingebildet; ei-
    ne Sache, die, wie er vorgiebt,
    ſeine ganze Seele wider ſie aufge-
    bracht haͤtte, daß ſie ſich derglei-
    chen zu denken unterſtanden.

Aber habe ich nicht Urſache, ſagt er, boͤſe
zu ſeyn, daß ſie dieſe meine Zaͤrtlichkeit nicht
ruͤhmet, da ſie ſo hurtig iſt, mich fuͤr jedes Ver-
ſehen in Kleinigkeiten zur Rechenſchaft zu zie-
hen? Jnzwiſchen kann ich ſie, denke ich, ent-
ſchuldigen, wenn ich grosmuͤthig uͤberlege, (denn
grosmuͤthig bin ich, das iſt ſicher, weil es ge-
gen mich ſelbſt gehet) daß, weil ihr Gemuͤth
die Quinteſſenz von aller Zaͤrtlichkeit iſt, ihr der
geringſte Mangel derſelben anſtoͤßig ſeyn muß;
denn was mir ſo ſehr auſſerordentlich vorkommt,
wenn ich es finde, das iſt ihr zu bekannt, als
daß ſie es, als etwas auſſerordentliches, bemer-
ken ſollte.


  • Er bildet ſich auf ſeine Geſchichte von
    dem Hauſe, und der jungen Wit-
    we etwas ein, die die Eigenthuͤ-
    merin davon waͤre, und welche er
    Fretchville nennet. Er laͤſſet den
    Herrn Belford im Zweifel, ob es
    etwas wuͤrkliches oder erdichtetes
    iſt.
  • Er meldet ſeine verſchiednen Vorſchlaͤ-
    ge, die er wegen der Trauung mit

    ſolchem
    [109]
    ſolchem Ernſt gethan, und geſte-
    het, daß er mit gutem Vorbedacht
    vermieden haͤtte, den Tag zu be-
    nennen.

Und nun, ſagt er, hoffe ich bald eine Ge-
legenheit zu finden, daß ich meine Unternehmun-
gen anfangen kann, weil alles Wind-Stille
und Sicherheit iſt.


Es iſt unmoͤglich, des lieben Kindes ſanfte
und ſtille Verwirrung zu beſchreiben, wie ich
den Eheſtand beruͤhrete.


Sie mag zweifeln. Sie mag fuͤrchten. Wei-
ſe Leute werden bei allen wichtigen Vorfaͤllen
zweifeln, und fuͤrchten, bis ſie ſicher ſind. Aber
ihre anſcheinende Bereitwilligkeit, von einem
ſo erfindſamen und durchtriebnen Kopfe gut zu
denken, iſt fuͤr mich eine gluͤckliche Vorbedeu-
tung. O dieſe klugen Damen! Wie ſehr lie-
be ich dieſe klugen Damen! ‒ ‒ Es iſt alles aus
mit ihnen, wenn die Liebe ſich einmal in ihre
Herzen geſchlichen hat. Denn ſo werden ſie
allen ihren kluͤgelnden Verſtand dazu anwenden,
die Auffuͤhrung eines zweifelhaften Liebhabers
eher zu entſchuldigen, als zu tadeln; der aͤuſ-
ſerliche Anſchein mag noch ſehr gegen ihn ſeyn.


Mowbray, Belton, und Tourville ha-
ben ein Verlangen, meinen Engel zu ſehen, und
werden hier ſeyn. Sie hat mir abgeſchlagen,
Geſellſchaft zu machen, aber ſie muß dem un-
geachtet. Ein ſo grosmuͤthiger Geiſt, wie ich,
kann ſeine Gluͤckſeeligkeit nicht genieſſen, ohne
ſie
[110]
ſie mitzutheilen. Wenn ich nicht euren Neid
und Bewunderung zugleich rege mache, ſo wird
die Freude, eine ſo ſchoͤne Fliege in meinem Ge-
webe gefangen zu haben, nur halb ſeyn. Sie
muß nachgeben, und du mußt kommen. Dann
will ich dir die Krone und die Ehre der Har-
lowiſchen
Familie, meiner unverſoͤhnlichen
Feinde, zeigen, und du ſollſt an meinem Triumphe
uͤber ſie alle Antheil nehmen.


Noch weiß ich nicht, was das Schickſal meiner
eigenſinnigen Schoͤnen ſeyn wird; derowegen
moͤchte ich gern, daß du ſie ſaͤheſt und bewun-
derteſt, da ſie noch heiter und voll Hofnung
iſt; ehe ihre Beſorgniſſen wahr werden, wenn
ſie ja wahr werden ſollen, und ſie wuͤrklich et-
was uͤbels von mir befuͤrchtet; ehe ihre ſtrah-
lenden Augen ihren Glanz verlieren; dieweil ihr
reizendes Geſicht mit allen ſeinem jungfraͤuli-
chen Schein umringt iſt; und ehe ihre fehl-
geſchlagene Hofnung uͤber jeden liebenswuͤrdi-
gen Zug, die Furchen des Kummers gezogen
hat.


Wenn ich euch dieſe Ehre u. ſ. w.


Th. III. S. 483. L. 12. nach den Worten:
ſeine Goͤttin anzubeten, lies ſtatt
des folgenden, bis auf die naͤchſte Sei-
te L. 5. an die Worte: darauf heißt
es:


Praͤget es, das rathe ich euch, euren dum-
men Koͤpfen recht tief ein, daß gar ſo eine Fraͤu-
lein
[111]
lein in der Welt nicht iſt, als Fraͤulein Clariſ-
ſa Harlowe,
und daß ſie nichts mehr und nichts
weniger iſt, als Frau Lovelace; ob ſie gleich
noch jetzo, (zu meiner Schande ſei es geſagt!)
eine Jungfer iſt.


Denket auch daran, daß eure alte Mutter,
nach dem Namen ihrer Mutter, da ſie noch un-
verheirathet war, Sinclair heißt: Daß ihr
Mann Obriſt-Lieutenant war; und alles, was
ihr, Belford, aus des ehrlichen Dolemanns
Briefe erſehen habet, das macht euren Bruͤdern
bekannt.


Dem Mowbray und Tourville, den groͤſ-
ſeſten Dummkoͤpfen von euch vieren, gebe ich
es zu, daß ſie die Witwe und ihrer Schweſter
Toͤchter kennen, weil ſie mit dom Obriſt-Lieute-
nant bekannt geweſen ſind. Denn ſie werden
ſich nicht enthalten koͤnnen, ſo vertraulich mit
ihr zu thun, daß man leicht ſehen kann, ſie ſind
laͤnger als einen Tag mit ihr bekannt geweſen.
So habe ich die Rollen nach eines jeden Faͤhig-
keit ausgetheilet.


Sie koͤnnen die Witwe und ihren ſeeligen
Mann als ſehr rechtſchafne Leute loben, aber
nicht zu grob; und daß ſie es nicht ſo weit
treiben, daß ſie ſich verdaͤchtig machen!


Die Mutter wird euch Gelegenheit geben,
auf ihr und ihres Mannes Lob zu kommen,
und Mowbray und Tourville moͤgen es
beide beſtaͤttigen. ‒ ‒ Jch, und Belton muͤſ-
ſen es nur nach dem Hoͤrenſagen bekraͤftigen.


Weil
[112]

Weil Armuth uͤberhaupt verdaͤchtig iſt, muß
alles bei der Witwe huͤbſch eingerichtet ſeyn, und
ihr koͤnnt denken, daß ich dafuͤr geſorget habe.
Die Nettigkeit ihres Hauſes und Hausraths,
und die geſchwinde Bezahlung aller Waren,
die ſie nimmt, welches ſie ziemlich praleriſch
bewerkſtelliget, und welches macht, daß alle ih-
re Nachbaren, wie ich voraus ſetze, ſie deswe-
gen lieber zu leiden haben, werden dies bewei-
ſen. Sie wird ſagen, daß ſie an ihren bei-
den Schweſter-Toͤchtern wol thun will. Sal-
ly
wird bald verheirathet werden ‒ ‒ an einen
wolhabenden Tuchmacher im Strande, wenn
es euch ſo gefaͤllt, denn dort ſind wol fuͤnf bis
ſechs dergleichen Leute.


Nach den beiden Schweſter-Toͤchtern koͤnnt
ihr, Mowbray und Tourville, fragen, weil
ſie abweſend ſeyn werden, als nach Perſonen,
die ihr um ihres ſeeligen Oneles, des wuͤrdigen
Mannes, willen hoch ſchaͤtzet.


Gebet ſorgfaͤltig auf jede Wendung meines
Koͤrpers, auf jede Bewegung meiner Augen,
Acht; denn in meinen Augen, und in meiner
Stellung, werdet ihr eine vollkommene Vor-
ſchrift finden. Jch brauche euch nicht zu be-
fehlen, daß ihr gegen mich ſehr demuͤthig thun
muͤſſet. Euer Eid der Treue verbindet euch da-
zu. Und wer kann mich endlich anſehen, oh-
ne ehrerbietig gegen mich zu ſeyn?


Priscilla Partington, (weil ſie ſo un-
ſchuldig ausſiehet, und bei ihrem ſanften We-
ſen
[113]
ſen ſo viele Einſicht hat) iſt ein Maͤdgen, darauf
man ſich vollkommen verlaſſen kann. Sie wird
die Mutter begleiten; ſie wird koſtbar geklei-
det ſeyn, und alle Juwelen des Juden werden
an ihr blitzen. Sie wird erſt die Fraͤulein zum
ſprechen bringen, und ſie hernach unterſtuͤtzen.
Sie weiß das Zeichen, wann ſie anfangen ſoll,
und ich hoffe, meine Schoͤne ſoll noch ihre Be-
kanntſchaft ſuchen.


Die Geſchichte der Jungfer Partington iſt
folgende: Sie iſt die Tochter von dem Schwa-
ger des Obriſten Sinclair: Der Schwager
war ein Kaufmann, der nach der Tuͤrkei han-
delte, oder ſonſt wohin es euch beliebet, wel-
cher abſcheulich viel Vermoͤgen hinterlaſſen hat.
Der Obriſt war einer von ihren Vormuͤndern.
Daher kommt ihre Achtung gegen die Alte, da-
her nennet ſie Frau Sinclair Mamma, ob ſie
gleich ihre Vormuͤnderin nicht iſt.


Sie iſt eben gekommen, ein par Tage hier
zuzubringen, und dann wieder nach ihrem noch
lebenden Vormund zu Barnet zu reiſen.


Jungfer Partington hat etwa ein hundert
Partheien, denn ihre Grosmutter, eines Al-
dermanns
Witwe, hat ihr auch noch ein groſ-
ſes Vermoͤgen hinterlaſſen. Sie darf, ohne
eine alte Aufſeherin, die fuͤr eine verſtaͤndige
Frau bekannt iſt, nicht aus ihres Vormundes
Hauſe kommen, außer zu ihrer Mamma, Sin-
clair;
bei welcher ſie dann und wann die Er-
laubniß erhaͤlt, eine ganze Woche zuzubringen.


Zuſaͤtze zur Cl. HPris-
[114]

Priscilla wird die Frau Sinclair uͤber das
andre Mamma betiteln, und ſich bei ihrer
Aufſeherin Muͤhe geben, daß die ihr das Ver-
gnuͤgen erlaubet, eine Woche bei ihr zu blei-
ben. Herr Eduard Holden, ſo koͤnnte er wol
heißen, wenn euer einfaͤltiges Gehirn nicht durch
ſo viele Umſtaͤnde verwirret wird. Vielleicht
koͤmmt Frau Holden auch mit, denn ſie fand
allezeit in ihrer Mamma Sinclair Geſellſchaft
ein großes Vergnuͤgen, und ſpricht von ihr,
und ihrem guten Betragen des Tages wol zwan-
zigmal.


Du, Bruder, der du ein anſehnlicher Bur-
ſche biſt, und nach Weisheit trachteſt, laß das
dein Hauptgeſchaͤft ſeyn, deine nichtswuͤrdigen
Cameraden zu bewahren, daß ſie mir den Han-
del nicht verderben! Denn das haſt du gewiß
ſchon aus meinen Briefen angemerkt, daß wir
mit der wachſamſten und ſcharfſinnigſten Fraͤu-
lein von der Welt zu ſchaffen haben. Eine
Fraͤulein, die werth iſt, daß man ſie betriegt!
Aber deren Augen eure ſeichten Koͤpfe durch und
durch ſiehet, ſo bald ihr das Maul aufthut.
Setze du dich alſo zwiſchen Mowbray und
Tourville, daß du ihnen mit den Fuͤßen ein
Zeichen geben, und ſie commandiren kannſt,
wenn ſie etwas verſehen; und mit den Ellenbo-
gen, wenn ſie es gut machen.


Ueberhaupt in eurem Betragen, keine Ver-
ſtellung! Die haſſe ich, und meine Goͤttin auch.
Wenn ich mich darauf befliſſen haͤtte, ich glau-
be,
[115]
be, ſo haͤtte ich auch einen Heuchler abgeben
koͤnnen. Aber mein Haupt-Charackter iſt ſo
bekannt, daß man mich auf einmal verdaͤchtig
gehalten haben wuͤrde, wenn ich mich haͤtte zu
weiß brennen wollen. Doch was haͤtten wir
auch noͤthig, uns zu verſtellen? Es waͤre denn,
daß der groͤßeſte Theil des ſchoͤnen Geſchlechts
uns wegen unſrer liederlichen Auffuͤhrung einen
Korb geben wollte. Die beſten unter ihnen
wollen gern die Ehre haben, uns zu beſſern.
Laß die guten Seelen es verſuchen: Wenn ſie
nichts ausrichten, ſo iſt doch ihre Abſicht gut
geweſen. Das wird ihr Troſt ſeyn. Wir
aber, wir werden ein leichteres Werk haben,
und unſrer Suͤnden werden weniger ſeyn. Nur
ein wenig brauchen wir ihnen nachzuhelfen, ſo
werden ſie ſich ſelbſt in die Falle bringen. Wir
werden ein Dutzend verfluchter Falſchheiten er-
ſparen, und Engeln und Menſchen ſo in die
Augen fallen, wie wir ſind. Jnzwiſchen wer-
den ihre eignen Grosmuͤtter uns freiſprechen,
mit ihrem: Wer was eingebrockt hat, der
muß es auch auseſſen,
und ihnen vorwer-
fen, daß ſie gegen ihre Einſicht gehandelt, und ge-
gen den offenbaren Anſchein ſich gewaget haben.
Was waͤre es dann fuͤr ein Unſinn, wenn Leute
von unſerm Charackter ſich verſtellen wollten!


Daß du mir nur die andern recht unterrich-
teſt, und dich ſelbſt in Acht nimmſt, unzuͤchti-
ge Reden zu fuͤhren! Jhr wiſſet, ich habe es
nie leiden koͤnnen. Dazu iſt Zeit genug, wenn
H 2wir
[116]
wir alt werden, und nichts mehr koͤnnen, als
unzuͤchtig reden. Ueberdem muͤßt ihr beden-
ken, daß es Priscillgens angenommener
Charackter, und der wuͤrkliche Charackter mei-
ner Goͤttin nicht leidet. Keine unzuͤchtige Re-
den alſo! die verbitte ich: ja nicht einmal ſo
etwas, als eine Zweideutigkeit! Kann man
denn nicht einem Frauenzimmer an das Herz
kommen, ohne die Ohren zu verletzen?


Es iſt noͤthig, daß ihr ſchlimmer ſcheinet,
als ich. Das werdet ihr nicht anders koͤn-
nen, ſagt ihr. Gut, deſto weniger braucht
ihr euch darin zu zwingen. ‒ ‒ Je weniger
Zwang, deſto natuͤrlicher. ‒ ‒ Und wenn Bel-
ton
ſeine Leib-Materie von Maitreſſen hal-
ten
aufs Tapet bringt, ſo will ich es auf mich
nehmen, ihn zu widerlegen. Doch ſei nicht
bange! Jch will meinen Gruͤnden nicht alle
Staͤrke geben, die ich kann.


Sie wird doch ein wenig neugierig ſeyn, den-
ke ich, meine guten Freunde kennen zu lernen.
Sie erwartet nicht, Heilige an euch zu finden.
Seid ihr nicht alle Leute, die ein großes Ver-
moͤgen geerbt haben, ob ihr gleich nicht alle
Maͤnner von großen Gaben ſeid? Wer iſt doch
wol in dieſer Sterblichkeit, den der Reichthum
nicht verfuͤhret? Und weil er den Menſchen das
Vermoͤgen giebt, Uebel anzurichten, braucht
es denn nicht eine große Tugend, ſich des Ver-
moͤgens nicht zu bedienen? Sagt man nicht,
der Teufel ſei der Gott dieſer Welt, und wir
Kinder
[117]
Kinder der Welt? Wol, ſo muß ich dir meine
Meinung ſagen: Nemlich, wenn es nicht we-
gen der Armen, und der Perſonen vom Mit-
telſtande willen geſchaͤhe, ſo wuͤrde die Welt
warſcheinlicher Weiſe ſchon lange mit Feuer
vom Himmel verzehret ſeyn. So ſind die uͤbri-
gen, wirſt du ſagen, undankbare Boͤſewichter,
die jenen armen Leuten ſo ſchlechten Dank dafuͤr
abſtatten, wie ſie gemeiniglich thun!


Dieſes liebe Kind u. ſ. w.


Th. III. S. 484. L. 19. nach den Worten:
den bevorſtehenden Montag.


Noch eins. Auf jeden kleinen Umſtand muͤſ-
ſet ihr Acht geben, ihr moͤget denken, daß es
vernuͤnftig iſt, oder nicht. Meine Meinung
liegt oft tief, gleich dem Gold-Erz, und iſt
werth, daß ihr darnach grabet. Ein Wink von
der kleineſten Wichtigkeit, wie es euch vor-
kommen moͤchte, bringt oft Sachen von der
groͤßeſten Wichtigkeit hervor. Jhr muͤßt euch
aufs Rathen legen. Bin ich nicht euer Gene-
ral? Habe ich euch jemals angefuͤhret, daß ich
euch nicht ſicher und mit gutem Erfolg wegge-
bracht haͤtte, oft zu eurer eignen dummen Ver-
wunderung?


Du biſt ſchon wieder u. ſ. w.


Th. III. S. 493. ſtatt des Abſchnitts, der
ſich anhebt: Abermals ein Auſſen-
werk gewonnen,
bis an die Worte
H 3des
[118]
des naͤchſten Abſchnitts: uͤber meine
Beute zu hoͤren.


Abermals ein Auſſenwerk gewonnen, allein
ſo ſehr wider Willen meines Kindes, daß ſie
mir gedrohet hat; weil ich gelitten haͤtte, daß
Jungfer Partington wider ihre Erlaubniß
zu ihr gefuͤhret waͤre. Dies ſetzte ſie in eine
Nothwendigkeit, einem ſo artigen jungen Frauen-
zimmer eine dringende Bitte entweder abzuſchla-
gen, oder zuzugeſtehen, da ſie verſprochen hat-
te, uns bei dem Schmauſe mit ihrer Gegenwart
zu beehren, wenn meine Liebſte in der Geſell-
ſchaft ſeyn wuͤrde.


Daß ſie ſich genoͤthigt ſaͤhe, vor meinen Freun-
den eine andere Perſon vorzuſtellen, als ſie wuͤrk-
lich waͤre! ‒ ‒ Sie beſtand darauf, ich ſollte dem
Frauenzimmer im Hauſe die Warheit der gan-
zen Sache bekannt machen, und nicht ferner
Geſchichte ausbreiten, die ſie unterſtuͤtzen muͤß-
te, weil ſie ſonſt Theil an meinem Verbrechen
naͤhme.


Doch was wird meine Beſtaͤndigkeit nicht
noch gewinnen? vornemlich wenn ich mich hin-
ter die Gewohnheit der Parther verſtecke, die
jetzt fliehen, und dann wieder zum Treffen zu-
ruͤckkehren. Erhalten die Maͤdgen nicht auf die-
ſelbe Art alles von den Mannsperſonen? Soll-
te ich mit ihnen ſo frei umgegangen ſeyn, und
nichts von ihnen gelernet haben? Haſt du je ge-
hoͤret, daß es einem Maͤdgen etwas geholfen
hat, mir die geringſte oder groͤßeſte Gunſt zu
verſa-
[119]
verſagen, wenn ich meinen Kopf darauf geſe-
tzet hatte, ſie zu erhalten? Je hartnaͤckiger ſie
iſt, deſto ſtandhafter bin ich. Das iſt meine
Regel.


Aber da ich dies letzte ſo ſehr wider ihren
Willen erhalten habe, ſo zweifle ich, ob du an
ihr mehr eine ernſthafte als gefaͤllige Schoͤne
finden wirſt. Denn da Jungfer Partington
weggegangen war, „was ſie die Jungfer Par-
„tington
angienge? Jn ihren gegenwaͤrtigen
„Umſtaͤnden brauchte ſie keine neue Bekannt-
„ſchaft. Und wozu ſie in ihrer jetzigen Ver-
„faſſung meine vier Freunde kennen lernen ſoll-
„te? Sie wollte mich verſichern, wenn ich je-
„mals„ ‒ ‒ Da hielt ſie ein, und ſchlug ein
Knipgen.


Wenn wir zuſammen kommen, ſo will ich
dir einen Wink geben, und dir in ihrer Ge-
genwart die Bewegung zeigen. Sie war gar
zu ſchoͤn! ganz neu! und doch habe ich ſchon
manche hundert Knipgen von andern Schoͤ-
nen geſehen! Wie allgemein reizend es ſei, ein
Maͤdgen, das Verſtand hat, und dem man
nicht angetrauet iſt, in Zorn zu bringen, das
beweiſet der Beifall, womit dergleichen See-
nen, worin brav gezanket wird, in unſern
Schauſpielen aufgenommen werden. Nimm
dich in Acht, mein liebes Kind, da es nun
mit dir ſo weit gekommen iſt, daß mich deine
zornigen Knipgen ergoͤtzen, daß du mich nicht
verſucheſt, dich zu mehrern zu reizen! weil ich
H 4ſehe,
[120]
ſehe, daß eine jede Bewegung, eine jede Mi-
ne, die du machſt, ſo viel Verſtand und ſo
viel Geiſt hat.


Wiewol, das reizende Kind mag zornig o-
der zufrieden ſeyn, ſie iſt immer ganz liebens-
wuͤrdig. Alle ihre Geſichtszuͤge ſind harmo-
niſch, und einer fuͤr den andern gemacht. Kein
einziger Geſichtszug koͤnnte an die Stelle ei-
nes einzigen der ihrigen geſetzet werden, ohne
ihr von ihrer Vollkommenheit etwas zu beneh-
men. Wie ſollte ich denn nicht ein Verlangen
haben, euer Urtheil uͤber meine ſchoͤne Beute
zu hoͤren?


Wenn ihr gluͤende Wangen u. ſ. w.


Th. III. S. 494. ſtatt des Abſchnitts, der
ſich anhebt: die Fraͤulein ruͤhmt:


Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.


Da Herr Lovelace in ſeinen lezten
Briefen das vornehmſte erzaͤhlet,
was in dieſem Briefe enthalten
iſt, ſo hat man hier nur folgende
Auszuͤge mittheilen wollen.


Sie erzaͤhlet beinahe eben ſo, wie er,
was zwiſchen ihnen vorgefallen
war, da ſie ſich entſchloß, in die
Kirche zu gehen, und er ihr St.

Pauls
[121]
Pauls vorſchlug, mit der Bitte,
daß er ſie begleiten duͤrfte. Sie
ruͤhmt ſein gutes Betragen in der
Kirche, ſeine Geſpraͤche, und den
Prediger, deſſen Rede ſich recht
auf ihren Zuſtand geſchickt haͤtte.
Sie erzaͤhlet die Unterredung, die
ſie hernach mit ihm gehalten, und
ruͤhmt ſeine guten Anmerkungen
uͤber die Predigt.


Jch bin geneigt, ſagt ſie, etwas von ihm
zu hoffen, aber ich weiß ſo wenig, wie weit ich
mich darauf verlaſſen kann, wenn er eine gan-
ze Stunde ernſtaft iſt, daß alles, was ich
hierin zu ſeinem Vortheil erzaͤhle, einer Mil-
derung bedarf.


Da er mir ſo ſehr mit Bitten zuſetzte, ſo
wußte ich nicht, wie ich es abſchlagen ſollte,
mit der Witwe und ihren Schweſter-Toͤchtern
den Mittag zu ſpeiſen. Sie haben mir noch
beſſer gefallen, als ich dachte. Jch muß es
mir ſelbſt verweiſen, daß ich ſo bereit bin, ſtren-
ge zu urtheilen, wo der gute Name darunter
leiden kann. Wenn man der Leute Art zu den-
ken, ihr Weſen, ihr Temperament, und Er-
ziehung, und die Gelegenheiten, die ſie gehabt
haben, in Betrachtung ziehet, ſo koͤnnen man-
che, ſo viel ich weiß, tadelfrei ſcheinen, wel-
che andere Leuten von verſchiedenem Tempera-
ment und Erziehung gar zu leicht tadeln, die
dann von jenen, aus demſelben Fehler mit
H 5eben
[122]
eben der Fertigkeit wieder getadelt werden. Jch
werde mir alſo vor das kuͤnftige eine Regel
daraus machen, nach dem aͤuſſerlichen Anſchein
nie ein entſcheidendes Urtheil zu faͤllen. Doch
das muß ich von dieſen Leuten anmerken. Jch
wuͤrde ſie nicht zu meinem vertrauten Umgang
waͤhlen, und ihre Art zu denken gefaͤllt mir
auch nicht. Wiewol in ihrem Stande werden
ſie noch mit ziemlichen Anſehen durch die Welt
kommen.


Herr Lovelace hat ſich ſo gegen mich be-
zeiget, daß ich dieſen Tag, ſoweit er vorbei iſt,
einen vergnuͤgten Tag nennen kann. Doch
wenn ich von ſeiner Seite am ruhigſten bin;
So nimmt der Gedanke, wie ich mit meinen
Verwandten ſtehe, mein Gemuͤth ein, und
dringt mir manche Zaͤhren ab.


Die Leute im Hauſe gefallen mir noch beſſer,
da ſie mit Leuten vom Range bekannt ſind, die
ſie beſuchen.


Sonntag Abends.


Noch bin ich mit des Herrn Lovelace Be-
tragen ganz wol zufrieden. Wir haben eine
ziemlich ernſthafte Unterredung zuſammen ge-
habt. Er hat wuͤrklich richtige und gute Be-
griffe. Er bekannte, wie ſehr er ſich uͤber die-
ſen Tag freuete, und hofte, mehr dergleichen
zu erleben. Doch war er ſo offenherzig, mich
vor ihm ſelber zu warnen, wenn ſeine ungluͤck-
liche Lebhaftigkeit wieder kommen ſollte. ‒ ‒ Doch
zweifelte er nicht, daß er durch mein Exempel
und
[123]
und meinen Umgang zuletzt geſetzter werden
wuͤrde.


Er hat mir von den vier Herren, die er
morgen Abend ſehen wird, eine luſtige Erzaͤh-
lung gemacht. Luſtig, meine ich, wegen
ſeiner ſcherzhaften Beſchreibung ihrer Perſonen
Manieren u. ſ. w. die zwar nicht ſehr zu ihrem
Vortheil war, aber wobei er doch keine andre
Abſicht hatte, als meine Traurigkeit zu zer-
ſtreuen, und nicht, ſie herunter zu ſetzen. Jm
Grunde, mein Kind, hat er, wie ich glaube,
ein gutes Herz, aber er iſt ſeiner Jugend ver-
dorben, weil man ihn nicht ſcharf genug ge-
halten hat.


Jch muß alſo dieſen ganzen Tag, ſoweit es
meine Umſtaͤnde erlauben, einen gluͤcklichen
Tag nennen. Jn Warheit, ich denke, ich
koͤnnte ihn allen Mannsperſonen vorziehen, die
ich kenne, wenn er allezeit ſo wie heute waͤre.
Sie ſehen, wie willig ich bin, alles zu geſte-
hen, deſſen Sie mich beſchuldiget haben, wenn
ich es ſelbſt an mir finde. Zuweilen faͤllt es
wol einem jungen Maͤdgen, die im Stande iſt,
mit ſich ſelbſt zu Rathe zu gehen, ſchwer, zu
wiſſen, wann ſie liebet, und wann ſie haſſet:
Doch ich bin entſchloſſen, meine Liebe und mei-
nen Haß, ſo viel moͤglich, nach den Handlun-
gen zu beſtimmen, die den Mann derſelben
entweder wuͤrdig oder unwuͤrdig machen.


Sie machet einen neuen Abſatz u. ſ. w.


Th. III.
[124]

Th. III. S. 539. L. 14. nach den Worten:
als Maͤdgen zu fangen, lies ſtatt des
naͤchſten Abſchnitts:


Jch will die Vergleichung fortſetzen. ‒ ‒
Wenn das Ungluͤck eines gefangnen Maͤdgens
ſehr groß iſt, ſo wird ſie freilich drohen, wie
ich geſagt habe: Ja ſie wird gar eine Zeitlang
keine Nahrung zu ſich nehmen wollen, vor-
nemlich, wenn ihr ſie viel bittet, und ſie den-
ket, daß euch ihre Weigerung unruhig macht.
Aber der Appetit wird ſich bei dem lieben er-
zuͤrnten Kinde bald wieder einfinden. Es iſt
artig zu ſehen, wie ſie ſich nach gerade giebt.
Durch ihren Hunger gezwungen, wird ſie viel-
leicht heimlich ein Stuͤck Brod mit Thraͤnen
zu ſich nehmen: Dann wird ſie ſo weit gebracht
werden, in eurer Gegenwart ein bisgen zu
pierken, und zu ſeufzen, ‒ ‒ und zu ſeufzen, und
zu pierken, ‒ ‒ wobei ſie dann und wann, wenn
das Fleiſch nicht ſchmackhaft genug iſt, eine oder
ein par ſchmackhafte Zaͤhren mit verſchluckt.
Dann ißt und trinkt ſie, euch zu gefallen.
Dann entſchließt ſie ſich, eurentwillen zu le-
ben. ‒ ‒ Dann werden ſich gleich darauf ihre
Wehklagen in Schmeicheleien, und ihre hef-
tigen Vorwuͤrfe, in ein ſanftes Murren ver-
wandeln: Wie haben ſie ſichs unterſtehen
koͤnnen? Verraͤther! ‒ ‒ Wie konnten ſie es
uͤbers Herz bringen? mein Liebſter! ‒ ‒ Sie
wird euch zu ſich ziehen, an ſtatt euch weg zu
ſtoſſen. Sie wird euch nicht laͤnger mit her-
vorge-
[125]
vorgeſtreckten Klauen widerſtehen: Sondern,
gleich einem artigen ſpielenden jungen Kaͤtzgen,
mit ſanften Pfoten, und eingezogenen Klauen,
euren Nacken ſtreicheln, und mit untermiſchten
Laͤcheln, und Thraͤnen, und Liebkoſungen euch
flehen, ſich ihrer anzunehmen, ‒ ‒ und ihr beſtaͤn-
dig
zu bleiben. ‒ ‒ Alle Gutheit, worum ſie euch
dann zu bitten hat! ‒ ‒ Und, waͤre es nur ei-
nem Manne gegeben, ſich mit einem Gegen-
ſtand begnuͤgen zu laſſen, ſo iſt dies die Zeit,
da er einen ſolchen Tag gluͤcklicher, als alle uͤ-
brigen Tage iſt.


Belford! Sollte ich nunmehr bei meiner
liebſten Clariſſa Harlowe nicht weiter gehen,
als ich gegangen bin, wie ſoll ich denn den Un-
terſchied zwiſchen ihr und einem andern Vogel
kennen lernen? Sie nunmehr fliegen zu laſſen,
was wuͤrde das fuͤr ein artiger Spaß ſeyn!
Wie kann ich denn wiſſen, wenn ich es nicht
verſuche, ob ich ſie nicht dahin bringen kann,
mir ein artiges Lied zu pfeifen, und eben ſo ver-
gnuͤgt dabei zu ſeyn, wie andre Voͤgel, die ich
auch ſo weit gebracht habe; ob gleich einige dar-
unter ziemlich ſcheu waren.


Aber laß uns jetzt einmal ein wenig uͤber die
verzweifelte Partheilichkeit von uns menſchli-
chen Geſchoͤpfen nachdenken. Jch kann von
der Grauſamkeit der Mannsperſonen und des
Frauenzimmers, gegen andre Creaturen, die
vielleicht eben ſo viel werth, wenigſtens noch
unſchuldiger waren als ſie, zwei bis drei gemei-
ne
[126]
ne Exempel anfuͤhren, die abſcheulich ſeyn
wuͤrden, wenn ſie nicht ſo gemein waͤren. Bei
meiner Seele! Bruder, in der menſchlichen
Natur ſteckt mehr wilde Grauſamkeit, als man
gemeiniglich denket. So iſt es ja kein groſſer
Fehler, daß wir zuweilen die unſchuldigen
Thiere an unſerm eignen Geſchlecht raͤchen.


Jch will dir die Exempel geben.


Wie gewoͤhnlich iſt es nicht, daß Maͤnner
und Maͤdgen, (ich will mein Exempel von dem
Vogel behalten) ohne den geringſten Gewiſ-
ſensbiß, einen beſiederten Saͤnger fangen, in
ein Bauer einſperren, ihn martern, und ihm
gar mit gluͤhenden Nehnadeln die Augen aus-
ſtechen, der gleichwol im Verhaͤltniß mit ſei-
ner Groͤſſe, mehr Leben hat, als ſie ſelbſt,
(denn ein Vogel iſt lauter Seele) und alſo auch
mehr Gefuͤhl hat, als ein menſchliches Ge-
ſchoͤpf! Und zu derſelben Zeit, wenn ein ehr-
licher Kerl das Gluͤck hat, durch die hoͤflichſte
Ueberredung und ſanfteſten Kuͤnſte, ein einge-
ſperrtes Maͤdgen zu bewegen, daß ſie zu ihrer
Flucht mit die Hand bietet, und ſie damit eins
iſt, dem Bauer zu entfliehen, und ſich in die
alles-erquickende freie Luft zu begeben, Him-
mel! welch ein Geſchrei wird gegen den er-
hoben!


Recht ſo, wie wir beide einmal in einem
elenden Dorfe bei Chelmsford ſahen, da ein
armer hungriger Fuchs der Gelegenheit war-
nahm, eine hagere Gans beim Halſe kriegte,
und
[127]
und damit fortlief. Wir ſahen das ganze Dorf,
Jungen und Maͤdgen, alte Kerls und alte Wei-
ber, deren Runzeln dasmal voll Vosheit wa-
ren; die alten Kerls mit Prangen, Miſtga-
beln, Keulen und Pruͤgeln; die alten Weiber
mit Scheuerwiſchen, Beſen, Feuerſchaufeln
und Zangen; die junge Mannſchaft mit Koth,
Steinen und Ziegeln. Der Haufen vergroͤſ-
ſerte ſich gleich einem fortrollenden Schneeball,
und verfolgte den Dieb, der mit allen Kraͤften
auszog; alle Bauerhunde aus der umliegenden
Gegend hau! hau! hau! hinter ihnen drein,
die den graͤßlichen Chorus voll machten!


Erinnerſt du dich der Scene noch wol? Ge-
wiß, du mußt es noch wiſſen! Meine Einbil-
dungskraft, die durch ein zaͤrtliches Mitleiden
fuͤr die Gefahr des gluͤcklichen Raͤubers aufge-
bracht wurde, ſtellt es meinen Augen noch ſo
gegenwaͤrtig vor, als wenn es geſtern geſchehen
waͤre. Erinnerſt du dich nicht der grosmuͤthi-
gen Freude, die wir hatten, als wenn wir der
ehrliche Reinecke geweſen, da er durch Huͤlfe
des Zaunes, der zum Gluͤck im Wege ſtand,
und uͤber welchen junge und alte uͤbereinander
herfielen, und durch eine Wendung in ſeinem
Lauf, ihrer grauſamen Wuth und fliegenden Pruͤ-
geln entrann. Wir folgten ihm, mit unſrer
Einbildung, in ſeine unausgeſpaͤhete Hoͤle; und
uns deuchte, als wenn wir ſaͤhen, wie der un-
erſchrockne Dieb, ſeine theuer erjagte Beute mit
einem
[128]
einem Vergnuͤgen verzehrte, das ſeiner uͤber-
ſtandnen Gefahr gleich war.


Jch habe einmal einer kleinen artigen Grau-
ſamen das Vergnuͤgen recht eingetrieben, das
ihr ein grauſames Spiel verurſachte, welches
ihr buntes Favorit-Kaͤtzgen mit einer niedlichen
Maus trieb, ehe es ſie verzehrete. Meiner
Seele! mein Kind! ſagte ich bei mir ſelbſt, wie
ich da ſaß, und meine Betrachtungen daruͤber
anſtellte, ich habe mir feſt vorgenommen, auf
eine bequeme Gelegenheit zu lauren, da ich ver-
ſuchen kann, wie dir das gefallen wird, wenn
ich ich dich uͤber meinen Kopf werfe, und wie-
der erhaſche! wie dir das gefallen will, wenn
ich dich mit meinen Pfoten von mir ſtoſſe, und
wieder zu mir ziehe! Doch will ich dir lieber
das Leben geben, als nehmen, wie dies grau-
ſame vierfuͤßige Thier doch zuletzt ſeiner Beute
gethan hat. Hernach, wie zwiſchen meinem
Maͤdgen und mir alles vorbei war, erinnerte
ich ſie an den Vorfall, der meine Entſchlieſſung
veranlaſſet hatte.


Zu einer andern Zeit hatte ich eben ſo we-
nig Barmherzigkeit mit der Tochter eines al-
ten Epicurers, der das Maͤdgen gelehret hat-
te, See-Krebſe lebendig zu kochen; ein Fer-
ken zu Tode zu peitſchen; Karpfen abzuſchup-
pen, ſie in einen Keſſel ſpringen zu laſſen, und
ſie ſtatt der Bruͤhe in ihrem eignen Blute zu
kochen. Und das alles aus Wolluſt, und Ap-
petit zu machen, den ich damals auf meine
Art
[129]
Art eben hatte, ohne daß ich dergleichen Rei-
zung bedurfte, und zwar einen ſehr gefraͤßigen
Appetit, das kannſt du glauben.


Noch vielmehr dergleichen Exempel koͤnnte
ich dir anfuͤhren, wenn ich dir ſelbſt nichts uͤ-
berlaſſen wollte; um zu zeigen, daß die Beſten
ſich dieſelben und vielleicht noch ſchlimmere Frei-
heiten mit andern Creaturen nehmen, die wir
gegen andre gebrauchen. Es ſind doch alle
Creaturen! und zwar ſolche, wie ich oben an-
gemerckt, die ein hartes Leben und ein empfind-
liches Gefuͤhl haben! ‒ ‒ Wenn alſo Leute Barm-
herzigkeit verlangen, ſo ſollten ſie in allen ih-
ren Handlungen Barmherzigkeit zeigen. Jch
habe irgendwo geleſen: Der Barmherzige
erbarmet ſich auch ſeines Viehes.


So viel vorjetzo auf den Theil deines Brie-
fes, worin du mir die Gruͤnde zum Mitleiden
mit der Fraͤulein ans Herz legſt.


Jch kann leicht errathen u. ſ. w.


Th. III. S. 542. am Ende, nach den Wor-
ten: uns mit einander verbinden.


Wenn ich deinen dummen Rath annehmen
und heirathen wollte, was fuͤr eine Figur wuͤr-
de ich dann in den Geſchichtbuͤchern der Boͤſe-
wichter machen! Die Fraͤulein in meiner Ge-
walt, die doch nicht willens war, ſich in meine
Gewalt zu geben! Die gegen die Liebe predigt,
und ihre Herrſchaft nicht erkennen will! So
viele Vorſicht und Behutſamkeit! Kein Ver-
Zuſaͤtze zur Cl. Jtrauen
[130]
trauen auf meine Ehre! Jhre Familie glaubt,
daß das Aergſte ſchon geſchehen iſt! Sie ſelbſt
ſcheinet zu erwarten, daß das Aergſte wird ver-
ſucht werden! (Und da ſoll mir Priscilla Par-
tington
vortrefliche Dienſte thun!) Wie? woll-
teſt du denn, daß ich meinem Charackter nicht
gemaͤß handeln ſoll?


Aber warum nenneſt du die Fraͤulein un-
ſchuldig?
Und warum ſagſt du, daß ſie mich
liebet?


Unſchuldig? Jn Anſehung meiner, wenn ich
es nicht uͤberhaupt als ihren Charackter nehme,
gebe ich es nicht zu, daß ſie das iſt. Kann
ſie unſchuldig ſeyn, die ſie wuͤnſchet, mich in
dem Fruͤhling meiner ruhmvollen Jugend zu
feſſeln, mich, der ich eine ſolche Geſchicklichkeit
zu recht ruhmwuͤrdigen Uebelthaten beſitze, (*)
und die meine Verdammung gewiſſer machen
will, wenn ich, wie ich glaube, wol geſchehen
moͤchte, das feierlichſte Geluͤbd breche, das ich
machen kann? Kein Menſch muß auch nur ei-
nen gemeinen Eidſchwur thun, wenn er denket,
daß er ihn nicht halten kann, pflege ich zu ſa-
gen. Das iſt Gewiſſen! Das iſt Ehre! ‒ ‒
Und ſo bald ich denke, ich kann ein Ehe-Ge-
luͤbd halten, dann wird es Zeit ſeyn, zu hei-
rathen.


Jch zweifle nicht daran u. ſ. w.


Th. III.
[131]

Th. III. S. 543. L. 13. nach den Worten:
mit deinen Bruͤdern.


Jch ward ein wenig unterbrochen, nun will
ich fortfahren.


Daß die Grundſaͤtze dieſer Fraͤulein umadel-
haft ſind, das iſt eine Betrachtung, welche die
Schuld an beiden Seiten vermindern wird. Und
wenn ſie nur, nach ihrem Falle, Tugend und
Liebe miteinander zu vermitteln weiß, ſo wird
ſie eine Frau fuͤr mich ſeyn. Denn vor jetzt
bin ich uͤberzeugt, es ſei kein Frauenzimmer in
der Welt, die gegen die Verſuchungen der Lie-
be und der Liſt beſtehen kann, wenn ſie es nicht
iſt.


Stelle dir nun einmal vor, (wenn ich mei-
ne Schoͤne uͤberwunden habe) du ſieheſt mich
nachlaͤßig mit uͤbereinander geſchlagenen Knien
auf meinem Canape ſitzen, der Gott der Liebe
tanzet mir in den Augen herum, und freuet ſich
uͤber einen jeden ihrer aufſchwellenden Geſichts-
zuͤge; der ſuͤße loſe Schalk, der kurzens noch
ſo ſtolz und ſproͤde that, iſt voͤllig in meiner Ge-
walt, koͤmmt langſam zu mir, wenn ich ihm
winke; Schwellende Seufzer, halb geſtammlete
Vorwuͤrfe kommen von ihren murrenden Lip-
pen; ſie reibet ſich das Auge, und verdoppelt
ihre Schritte, wenn ich rufe: Komm hieher,
liebſtes Kind!


Eine Hand halte ich in die Seite, die andre
ſtrecke ich aus, ihre ſchamhafte Annaͤherung zu
beſchleunigen. ‒ ‒ Gieb mir ein Maͤulgen,
J 2mein
[132]
mein Schatz. Suͤß, ſagt Bruder Belford,
ſind die Freuden, die aus willigem Her-
zen kommen.


Sie bietet mir ihren purpurnen Mund;
(denn ihre Corallnen Lippen werden dann lau-
ter Purpur ſeyn) Seufze nicht ſo, mein Engel!
‒ ‒ Gluͤcklichere Stunden ſollen deine nachge-
bende Liebe beſeeligen, als dein ſtolzer Wider-
ſtand that.


Noch einmal druͤcke deinen glaͤnzenden weiſ-
ſen Nacken an meine heißen Lippen, den du
noch neulich ſo hoch trugeſt! ‒ ‒


Ach! mein Schatz!


Noch einmal! ‒ ‒


Liebenswuͤrdige Gefaͤlligkeit! ‒ ‒


O meine ewig-bluͤhende Schoͤne! ‒ ‒ Jch
habe dich genug verſucher! ‒ ‒ Die morgende
Sonne ‒ ‒


Dann ſtehe ich auf, und druͤcke den ſchlagen-
den Buſen meiner Goͤttin an mein beredtes Herz.


Nunmehr bekennt doch dein gedemuͤthigter
Stolz ſeine Verbindlichkeit gegen mich! ‒ ‒


Die morgende Sonne ‒ ‒ Dann reiſſe ich
mich von der ſchamrothen ſtummen Schoͤnen
loß, und gehe im Zimmer herum; die morgen-
de Sonne ſoll mit ihren guͤldenen Strahlen den
Altar erleuchten, vor welchem ich dir meine Ge-
luͤbde bezahlen will!


Dann, Bruder, welche Entzuͤckung! Dann
trinken die Sonnenſtrahlen, die aus ihren froͤ-
lichen Augen hervorſchieſſen, auf einmal die
koſtba-
[133]
koſtbaren Perlen, die an ihrem Halſe herunter
rollen. Dann werden die Haͤnde feurig gedruͤckt;
ihre Augen ſcheinen zu ſagen: Der Himmel ſee-
gne meinen Lovelace! weil die Freude ihren
Mund verſchloſſen haͤlt. Jhre Entzuͤckungen
ſind zu ſtark, ihr Ausdruck zu ſchwach, ihre
dankbare Seele zu zeigen! Alle ‒ ‒ Alle ihre
Bemuͤhungen ‒ ‒ Alle Bemuͤhungen ihres kuͤnf-
tigen Lebens ſind gewidmet, und geheiliget, (wenn
ſie reden kann) ihre ewige Erkenntlichkeit zu be-
kennen und zu zeigen!


Koͤnnte ich meine Goͤttin dazu bringen, wuͤr-
de das nicht das Erwuͤnſchteſte von allen Wuͤn-
ſchen ſeyn? ‒ ‒ Jſt es nicht werth, es zu ver-
ſuchen? ‒ ‒ Wie ich geſagt habe, ich kann ſie
heirathen, wann ich will. Sie kann weder
aus Scham, noch durch Wahl, noch durch
Liſt einem andern eigen werden, als mir. Denn
wird wol jemand, der mich kennet, glauben,
daß das Aergſte, was ſie fuͤrchtet, noch erſt
zu fuͤrchten iſt?


Jch habe, das weißt du, die hoͤchſte Mei-
nung, die ein Menſch haben kann, von dem
Verdienſt und den Vollkommenheiten dieſes be-
wundernswuͤrdigen Frauenzimmers, auch von
ihrer Tugend und Ehrlichkeit, ob du gleich, in
einem deiner vorigen Briefe der Meinung biſt,
daß ſie uͤberwunden werden koͤnnte. Bin
ich denn alſo nicht genoͤthiget, weiter zu gehen,
um dich zu widerlegen; und, wie ich ſchon oft
angefuͤhret habe, um ſicher zu ſeyn, daß ſie das
J 3iſt,
[134]
iſt, wofuͤr ich ſie halte, und was ich, wenn ich
ſie jemals heirathen ſollte, an ihr zu finden hoffe?


Dieſe Fraͤulein kann ebenfals unſern Leiden-
ſchaften gebieten. Keine einzige hat je die Kunſt,
das Herz zu ruͤhren, in ſolcher Vollkommenheit
beſeſſen. Das weiß ihre ganze Familie, und
deswegen haben ſie ſie auch gefuͤrchtet und geeh-
ret. Das weiß ich auch, und zweifle nicht, es
immer mehr und mehr zu erfahren. Wie be-
zaubernd muß nicht dies goͤttliche Kind, wenn
ihr die rechte Urſache dazu gegeben wird, ihre
wolklingenden Klaglieder ſingen! ‒ ‒ Ein wei-
nendes Auge hat unendliche Schoͤnheiten! Jch
lehrte zuerſt die beiden Nymphen unten im Hau-
ſe, die verſchiedenen Toͤne des Klaͤglichen, ſo
wie ſich die Urſachen zu klagen veraͤndern, zu
unterſcheiden; Und wie viel vortreflicher der ei-
ne Ton ſich zum Ungluͤck ſchickt, als der andre.


Doch ich komme auf deine Einwuͤrfe. ‒ ‒


Jhr werdet mir antworten u. ſ. w.


Th. III. S. 548. L. 26. nach den Worten:
Eitelkeiten zu verunehren.


Doch behauptet er, er habe keinen andern
Stolz, als mir gefaͤllig zu ſeyn, und ſpricht
immer von ſeiner Ehrfurcht und Demuth, und
dergleichen Geſchwaͤtze. Allein davon bin ich
gewiß, daß er, wie ich das erſtemal, da ich
ihn ſahe, anmerkte, zu viel Hochachtung gegen
ſeine eigne Perſon hat, als daß er ſeine Frau
ſehr hochhalten ſollte, er mag heirathen, wel-
che
[135]
che er will. Jch muͤßte blind ſeyn, wenn ich
nicht ſaͤhe, wie erſtaunend eitel er auf ſeine
aͤuſſerlichen Vorzuͤge, und Geſchicklichkeit iſt,
die er doch, wenn es ja bei Leuten, die auf das
Aeuſſerliche ſehen, ein Verdienſt heiſſen kann,
mehr ſeiner zuverſichtlichen Eitelkeit, als ſonft
irgend einer Sache zu danken hat.


Haben Sie nicht geſehen u. ſ. w.


Th. IV. S. 12. ſtatt des Abſchnitts, der ſich
anhebt: Du ſieheſt, daß die Par-
theien:


Du ſieheſt, daß die Partheien bei unſerm
Streite gleich ſind. Du mußt mir deswegen
zu ihrer Vertheidigung weder ihre Jugend,
noch ihre Schoͤnheit, noch ihre Familie und
Vermoͤgen anfuͤhren. Sage mir nichts von
ihrer Leichtglaͤubigkeit: Die findeſt du an ihr
gar nicht. Und was ihre Jugend betrift, bin
ich nicht ſelbſt noch ein junges Blut? Mit
ihrer Schoͤnheit? Jch bitte dich, Belford,
zwinge mich nicht, unverſchaͤmt zu ſeyn, und
mache ſelbſt zwiſchen meiner Clariſſa, als ei-
nem Frauenzimmer, und deinem Lovelace,
als einer Mannsperſon, eine Vergleichung.
Jhre Familie? Das weiß ich, die iſt in der Ge-
gend noch vor hundert Jahren nicht bekannt ge-
weſen, und ſie ausgenommen, haſſe ich ſie al-
le. Habe ich nicht Urſache? ‒ ‒ Sage mir
nichts von ihrem Vermoͤgen: Das hat mich
nur allezeit gereizet, doch nicht, weil ich ſchlecht
J 4denke.
[136]
denke. Schmuͤcken ſich die reichen Maͤdgen
nicht, um unſre Aufmerkſamkeit auf ſich zu zie-
hen? Suchen ſie uns nicht zu fangen? Ver-
laſſen ſie ſich, in den Abſichten, die ſie auf uns
haben, nicht gemeiniglich mehr auf ihren Reich-
thum, als auf ihre Verdienſte? Sollen wir ſie
des Vorzuges berauben, worauf ſie ſich haupt-
ſaͤchlich verlaſſen? ‒ ‒ Kann ich vor meine Per-
ſon, ein jedes Maͤdgen heirathen, welches wuͤn-
ſchet, von mir bemerkt zu werden?


Wenn alſo, zur Beſtaͤttigung der freien
Grundſaͤtze, um derentwillen uns keine von die-
ſen artigen muntern Schelmen haſſet, ein rei-
ches Maͤdgen dahin gebracht iſt, ihrem Kaiſer
zu huldigen; ſo mag dieſe Unterwerfung fuͤr
Folgen haben, welche ſie will, allezeit wird ein
ſolches Kind durch ihr Vermoͤgen ſowol vor
Beleidigungen und Verachtung, als vor Man-
gel, geſichert ſeyn. ‒ ‒ Alles, woruͤber alſo mei-
ne Liebſte und ich noch ſtreiten koͤnnen, iſt dies:
wer von uns beiden mehr Klugheit und Be-
hutſamkeit hat. Und das muͤſſen wir noch ver-
ſuchen.


Es iſt dieſes fuͤr ſie u. ſ. w.


Th. IV. S. 14. gegen das Ende, nach den
Worten: unmoͤglich abſehen kann, lies
ſtatt des folgenden, bis S. 15. L. 10. an
die Worte: niemand gehalten hat.


Aber Beſtaͤndigkeit iſt mein Ruhm, und Ge-
duld meine Aufwaͤrterin, wenn ich einen Vor-
wurf
[137]
wurf habe, der meiner Verſuche wuͤrdig iſt.
Was verlohnt ſich eine leichte Eroberung die
Muͤhe? Hudibras fraͤgt gar ſchoͤn:


Wer endigte wol je

Durch Stahl und Strick ſein Leben,

Um eine Dulcinee,

Die willig ſich gegeben?

Nun merke auf die Geſchichte u. ſ. w.


Th. IV. S. 27. L. 28. nach den Worten:
nur einige Hofnung geben wol-
len,
lies ſtatt des uͤbrigen Theils dieſes
Briefes, und des Anfangs vom naͤch-
ſten, bis S. 28. L. 19. an die Worte:
unſers Geſchlechts halten muß.


Jch will mich entſchlieſſen, ihn auf ewig zu
verlaſſen.


O mein Kind! er iſt ein ſtolzer, thoͤrichter,
uͤbermuͤthiger Menſch! ‒ ‒ Und ich erwarte in
Warheit kaum, daß wir uns vertragen koͤn-
nen.
Wie viel ungluͤcklicher bin ich bereits
mit ihm, als meine Mutter jemals mit mei-
nem Vater nach ihrer Verheirathung geweſen
iſt! Da er, und zwar ohne einigen Grund, o-
der Vorwand, ſich eine Freude daraus macht,
mir das Herz zu brechen, ehe ich noch die Sei-
nige bin, und da ich noch in meiner Gewalt
bin, oder doch ſeyn ſollte! O wie klage ich
meine Thorheit an, daß ichs nicht bin!


J 5Bis
[138]

Bis ich gewiß ſeyn kann, ob mir meine
Freunde einige Hofnung geben wollen, oder
nicht, muß ich etwas thun, was ich vorher in
keinem Fall zu thun gedachte. Jch muß mich
nemlich bemuͤhen, daß unſer Streit nicht ge-
ſchlichtet wird. Und doch wird es mich in mei-
nen eignen Augen
veraͤchtlich machen, weil
ich dabei einen Endzweck haben muß, den ich
nicht geſtehen darf. Aber dies iſt eine von
den Folgen eines Schrittes, den ich gethan
habe, und ewig beweinen werde. Eine natuͤr-
liche Frucht einer Verbindung, wo die Gemuͤ-
ther ſich ganz und gar nicht fuͤr einander
ſchicken.


Dies ſoll eine Warnung ſeyn, die ich allen
Perſonen meines Geſchlechts immer geben will.
Bewahret euer Auge! Es wird immer gegen
euren Verſtand in einer Verſchwoͤrung ſeyn!
Wenn ihr unter zwoen Partheien zu waͤhlen
habet, ſo wird der Verraͤther allezeit die
ſchlimmſte ergreifen!


Fragen Sie mich, mein Kind, wie ſich die-
ſe Warnung fuͤr mich ſchicket? So muß ich
Jhnen ein Geheimniß ſagen, daß ich nach ei-
ner Selbſt-Pruͤſung erſt ganz kuͤrzlich ausge-
funden habe, ob Sie es gleich, wie es ſchei-
net, laͤngſt entdecket haben moͤgen: Waͤre nem-
lich mein thoͤrichtes Auge nicht zu ſehr gefeſſelt
geweſen; nimmer haͤtte ich mich mit der Em-
ſigkeit bemuͤhet, einem Ungluͤck zwiſchen ihm
und einigen von unſrer Familie vorzubauen.
Dies
[139]
Dies veranlaßte zuerſt den Briefwechſel mit
ihm, und brachte das gefuͤrchtete Ungluͤck mit
doppeltem Gewicht uͤber mich ſelbſt. Meine
Eitelkeit und Selbſt-Betrug koͤnnen, ſo viel
ich weiß, auch an dieſer Unbedachtſamkeit
Theil gehabt haben. Denn ſiehet es nicht aus,
als wenn ich mich in meiner Familie fuͤr die
geſchickteſte gehalten haͤtte, Schwierigkeiten zu
heben?


Aber Sie muͤſſen nicht denken, mein Kind,
daß mein Herz jetzt noch mit meinem Auge im
Buͤndniß ſtehet. Das betrogne Auge ſiehet
nunmehr ſeinen Fehler klaͤrlich ein, und das
verfuͤhrte Herz verachtet es deswegen. Daher
will ich mich auch an meinen Oncle wenden.
Daher kommt es, daß ich mit Warheit, ge-
wiß mit Warheit! ſagen kann, ich wollte fuͤr
meinen Fehler eine jede Genugthuung leiſten,
und ſollte es auch ein oder etliche Glieder an
meinem Leibe koſten, wenn es damit ausge-
macht waͤre!


Leben Sie wol, meine theureſte Freundin;
‒ ‒ Moͤchte Jhr Herz nimmer den hundertſten
Theil der Angſt fuͤhlen, die ich gegenwaͤrtig
empfinde! Das iſt der Wunſch


Jhrer
ewig ergebnen
Clariſſa Harlowe.


Fraͤu-
[140]

Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.



Jch will ſchreiben! Keine Mannsperſon
ſoll fuͤr mich ſchreiben. (*) Kein Frauenzim-
mer
ſoll mich hindern, zu ſchreiben. Jch bin
doch gewiß ſo alt, daß ich vernuͤnftige Gruͤn-
de, und Eigenfinn unterſcheiden kann? Jch
ſchreibe doch an keine Mannsperſon, nicht wahr?
‒ ‒ Wenn ich mit einem Liebhaber einen Brief-
wechſel unterhielte, den meine Mutter nicht
leiden koͤnnte, und dem ich mit Vernunft keine
Hofnung geben duͤrfte, ſo wuͤrde mich meine
eigne Ehre und Pflicht zum Gehorſam verbin-
den. Aber da in dieſem Fall ein ſo gewaltiger
Unterſchied iſt, ſo bitte ich, ſagen Sie mir da-
von kein Wort mehr.


Jch billige Jhren Entſchluß ſehr, den Boͤſe-
wicht zu verlaſſen, wenn Sie ſich mit ihrem
Oncle verſoͤhnen koͤnnen. Jch haſſe den Men-
ſchen, von ganzen Herzen haſſe ich ihn, weil er
Sie ſo martert. Selbſt Jhre Erzaͤhlung ſeiner
Streiche quaͤlt mich ſchon, wenn ich ſie leſe,
faſt ſo ſehr, als Sie. Moͤchten Sie doch ei-
ne guͤnſtige Gelegen haben, dem naͤrriſchen
Kerl zu entfliehen!


Jch
[141]

Jch habe noch andre Urſachen, dies zu wuͤn-
ſchen. Denn ich habe nur eben mit jemanden
Bekantſchaft gemacht, der einen groſſen Theil
ſeiner geheimen Geſchichte weiß. Der Menſch
iſt wuͤrklich ein Boͤſewicht! ein abſcheulicher
Boͤſewicht! wenn alles wahr iſt, was ich ge-
hoͤret habe, und doch hat man mir noch mehr
beſondere Nachrichten verſprochen.


Jch verſichre Jhnen u. ſ. w.


Th. IV. S. 64. L. 11. lies ſtatt des Schluſ-
ſes dieſes Briefes: dieſes bezeuget Jh-
re Anna Howe.


Hernach mag er mir ſagen, wenn er das Herz
haͤtte, oder wollte, daß er diejenige Perſon un-
ter ſeine Fuͤſſe gedemuͤthiget, welche zu erhoͤ-
hen ſeine wahre Ehre geweſen waͤre.


Erleichtern Sie inzwiſchen Jhren Kummer
mit Betrachtungen, die Jhrer wuͤrdig ſind?
Sind Sie gleich mit Liſt in die Gewalt dieſes
Mannes gebracht, ſo brauchen Sie ſich doch
nicht unter dieſelbe zu erniedrigen. Sie gebie-
ten ſeiner Ehrerbietung, oder, wie ich wol ſa-
gen mag, Sie begeiſtern ihn damit. Denn
man hat nie geſehen, daß er vor etwas Gutem
je eine Ehrerbietung gehabt haͤtte, bis Sie zu
ihm gekommen ſind. Er bekennet auch dann
und wann, er werde durch Jhr Beyſpiel in
ſolcher Ehrfurcht gehalten, und ſo geruͤhret,
daß es die Gewalt uͤber ihn haben wuͤrde, ihn
auf den rechten Weg zu bringen.


Sie
[142]

Sie werden allerdings ein ſchweres Geſchaͤft
haben, wenn Sie ihn ſo weit bringen; Doch
deſto groͤſſer wird Jhre Ehre ſeyn, wenn Sie
ſeine Beſſerung bewuͤrken. Jch fuͤr mein Theil
glaube auch, wenn Sie dieſen groſſen, dieſen
glaͤnzenden Betrieger, der, moraliſch zu reden,
eine ſolche Anzahl Jahre vor ſich hat, zuruͤck
rufen koͤnnen, ſo werden Sie eine Menge un-
ſchuldiger Seelen vom Verderben retten. Denn
die ſcheinen mir die Beute geweſen zu ſeyn,
fuͤr welche er ſeine gottloſen Schlingen gelegt
hat. Und wer weiß, vielleicht mag, haupt-
ſaͤchlich dieſes Vorhabens willen, die Vorſe-
hung es zugelaſſen haben, daß eine Perſon ſich
verirrete, die nie mit ihrem Herzen und Willen
irrete, und ſich ſelbſt ſo viele Vorwuͤrfe macht, daß
ſie, wie ſie glaubet, uͤberhaupt geirret hat.


Leben Sie wol, wertheſte Freundin.


Anna Howe.


Th. IV. S. 96. L. 29. nach den Worten:
an den Lord M. ſchreibe.


Er wollte mir die Wahl uͤberlaſſen, ob der
ſchleunige Tag, deſſen Ankunft er ernſtlich haͤt-
te wuͤnſchen ſollen, beſchleuniget, oder aufge-
ſchoben werden ſollte!


Jch dachte bei mir ſelbſt u. ſ. w.


Th. IV. S. 97. L. 21. nach den Worten:
noch aufſchieben koͤnnten, lies ſtatt
des naͤchſten Abſchnitts:


Jch
[143]

Jch ſchwieg.


Den Tag darauf, gnaͤdige Fraͤulein, wenn
es morgen nicht ſeyn ſoll.


Haͤtte er mir Zeit gegeben, zu antworten,
ich haͤtte nicht ja ſagen koͤnnen. Das werden
Sie doch einſehen? ‒ ‒ Allein er fuhr in demſel-
ben Odem fort: oder den darauf folgenden Tag?
‒ ‒ Wobei er meine beiden Haͤnde ergrif, und
mich ſo ſtarr anſahe, daß ich halb verwirrt wur-
de. ‒ ‒ Wuͤrden Sie wol ſo viel Geduld mit
ihm gehabt haben, mein Kind?


Nein Herr Lovelace u. ſ. w.


Th. IV. S. 98. L. 6. nach den Worten:
Dank ſchuldig waͤre.


Jſt es nicht klar, mein Kind, daß er wil-
lens iſt, mich zu quaͤlen, und herum zu fuͤhren?
Der aufgeblaſene, und zugleich der niedertraͤch-
tige, thoͤrigte Menſch! ‒ ‒ Doch ſie ſagen, ich
darf mich gar an keinen Kleinigkeiten mehr ſtoſ-
ſen. O warum giebt er ſich Muͤhe, ein Herz
zur Verſtellung zu bringen, das einzig und al-
lein, und zwar zu meinem und ſeinem Beſten,
wuͤnſchet, den gehoͤrigen Wolſtand zu beobachten!


Um nicht unbeſcheiden u. ſ. w.


Th. IV. S. 100. L. 13. zu den Worten:
Meinung ausbitte, ſetze folgende
Note:


Wir koͤnnen nicht umhin, hiebei anzumerken,
daß die Fraͤulein, ſelbſt von einigen ihres Ge-
ſchlechts,
[144]
ſchlechts, beſonders getadelt iſt, daß ſie in den
obigen Unterredungen ihre Zaͤrtlichkeit uͤbertrie-
ben haͤtte. Allein dies kommt nothwendig da-
her, daß man auf die Umſtaͤnde, darin ſie
ſich befand, auf ihren eignen Charackter, und
den Charackter des Mannes, mit welchem
ſie zu ſchaffen hatte,
nicht aufmerkſam ge-
nug geweſen iſt. Denn ob ſie gleich freilich
von ſeinen Abſichten nicht ſo viel wiſſen konnte,
als der Leſer aus ſeinen Briefen an den Herrn
Belford erfahren hat: So war ſie doch von
ſeinen boͤſen Grundſaͤtzen zu ſehr uͤberzeuget;
und ſahe aus ſeinem ganzen Betragen gegen ſie
die Nothwendigkeit ein, einen ſolchen Wag-
hals,
wie ſie ihn zuweilen nennet, in einer
Entfernung zu halten. Jm Th. III. S. 268.
wird der Leſer ſehen, daß ſie, bei einigem guͤn-
ſtigen Anſchein, ſich ſelbſt tadelt, ſie ſei zu fer-
tig geweſen, ihn verdaͤchtig zu halten. Doch
ſagt ſie: Wie viel iſt an den Grundſaͤtzen
zu tadeln, nach denen er handelt? Er iſt ſo
leichtſinnig, ſo veraͤnderlich, ſo ſtolz, daß
er ſich ſelbſt in zwo verſchiedenen Stun-
den nicht aͤhnlich iſt. Jch habe jetzt keinen
Schutz-Engel um mich, keinen Vater,
keine Mutter; und muß mich blos auf
GOtt und meine Vorſichtigkeit verlaſ-
ſen.
Jm Th. III. S. 116. am Ende, ſagt ſie:
Waͤre es nicht ein Selbſt-Verrath, wenn
ich bei einem ſolchen Menſchen nicht wach-
ſam und argwoͤniſch waͤre?


Jetzt
[145]

Jetzt aber, wird der Leſer ſehen, daß ſie noch
viel wichtigere Urſachen hatte, wachſam und
argwoͤhniſch zu ſeyn. Und Herr Lovelace
wird dem ſchoͤnen Geſchlecht ſelbſt die Lehre ge-
ben: (Th. V. S. 9.) Die Frauenzimmer, wel-
che uͤber die erſten Freiheiten nicht emp-
findlich werden, ſind nothwendig verloh-
ren. Denn die Liebe iſt eine Betruͤgerin,
die immer mehr Eingriffe zu thun ſuchet.
Sie trachtet immer weiter. Nichts, als
die letzte Gunſt, kann ſie befriedigen, wenn
ihr einmal etwas eingeraͤumet iſt.


Aber vielleicht iſt der Leſer zu geneigt, der
Clariſſa Betragen in bedenklichen Umſtaͤnden
nach des Herrn Lovelace Beſchwerden uͤ-
ber ihre Kaltſinnigkeit zu beurtheilen;
und
bedenket nicht, was er fuͤr Abſichten hatte, und
daß ſie als ein Muſter vorgeſtellet wird. Denn
daher muß man ihr in ihren Verſuchungen und
Ungluͤck nicht erlauben, daß ſie diejenigen Re-
geln aus der Acht laͤſſet, an welche vielleicht ei-
nige ihres Geſchlechts, wenn ſie in ihren bedenk-
lichen Umſtaͤnden geweſen waͤren, nicht ge-
glaubt haͤtten, ſich ſo genau binden zu duͤrfen.
Und doch wuͤrde ein Lovelace, wenn ſie ſie
nicht beobachtet haͤtte, alles erhalten haben,
was er ſuchte.


Th. IV. S. 101. L. 23. nach den Worten:
Schoͤnheiten zu ſchmuͤcken.


Zuſaͤtze zur Cl. KJch
[146]

Jch will dir wol vorher ſagen, wie ſich mei-
ne Schoͤne in dem Fall gebaͤrden wird. ‒ ‒
Sie wird zu verſchiedenen Zeiten auf die Sa-
che zu reden kommen, und wieder darauf kom-
men; Aber ich will ſie nicht verſtehen. Zu-
letzt, nachdem ſie ein halb Dutzend mal ge-
raͤuspert hat, wird ſie genoͤthiget ſeyn, ganz
auszuſprechen: ‒ ‒ ich meine, Herr Love-
lace ‒ ‒ ich meine, Herr ‒ ‒ ich meine, ſie
haͤtten vor einigen Tagen geſagt. ‒ ‒ Jch

werde ſtock ſtill ſchweigen. ‒ ‒ Jch ſitze gegen ihr
uͤber; ihre Augen ſind auf meine Schuhſchnal-
len geheftet. ‒ ‒ Maͤdgen, wenn man ſie ſo
weit hat, bewundern allezeit die Schuhſchnal-
len einer Mannsperſon, oder vielleicht einige
beſondere Schoͤnheiten in dem Fuß-Teppig.
Jch meine, ſie ſagten, daß Frau Fretch-
ville.
‒ ‒ Dann rollet eine cryſtallne Zaͤhre jede
rothe Wangen herunter. Sie aͤrgert ſich, daß
man ihrem jungfraͤulichen Stolz ſo wenig zu
Huͤlfe kommt. Aber komm nur, ſpreche ich zu
mir ſelbſt, mein Kind, mit deinem Meinen!
Erinnere dich, was ich um dich und von dir
ausgeſtanden habe! Jch werde deinen thraͤnen-
vollen Pauſen nicht aushelfen. Sprich nur
aus, mein Schatz! ‒ ‒ O welche angenehme
Verwirrung! Kann ich mich ſelbſt ſo man-
cher Schoͤnheiten, die in dieſem Kampf zum
Vorſchein kommen, durch ein uͤbereiltes, naͤr-
riſches, weibiſches Mitleiden berauben, wodurch
ein hoͤflicherer Mann, (du weißt, mein Engel,
daß
[147]
daß ich kein hoͤflicher Mann bin!) den ſeine
eigne Zaͤrtlichkeit verraͤth, und der zu weibli-
chen Thraͤnen nicht gewoͤhnt iſt, uͤberwunden
ſeyn wuͤrde? Jch werde bei dieſer Gelegenheit
eine Unentſchloſſenheit annehmen, damit ſie
mich nicht ganz verabſcheuet; ‒ ‒ damit in mei-
ner Abweſenheit ihre Betrachtungen uͤber die-
ſen Auftrit ſie an einige meiner Schoͤnheiten
erinnern moͤgen, die ich dabei gezeiget habe.
Eine ehrerbietige, ehrfurchtsvolle, demuͤthige
Unentſchloſſenheit, die beredter ſeyn wird, als
alle Worte ſie auszudruͤcken vermoͤgen! Sprich
nur aus, mein Schaz, nur ganz aus!


Wer eine freie Lebensart u. ſ. w.


Th. IV. S. 108. L. 11. nach den Worten:
Unvollkommenheit herrſchet.


Das Ende von allem, was ich geſchrieben
habe, iſt dies: Entweder heirathen Sie, mein
Kind, oder entfernen Sie ſich von ihnen allen,
und von ihm auch.


Sie gedenken das letztere zu thun, werden
Sie ſagen, ſo bald Sie eine Gelegenheit finden,
Dieſe hoffe ich Jhnen, wie ich ſchon oben zu
verſtehen gegeben, bald genug zu verſchaffen;
und dann werden Sie mit ſich ſelbſt zu kaͤm-
pfen haben.


Dies ſind eben die Herren, die wir Maͤdgen
von Natur nicht haſſen. Wir wiſſen nie, was
in unſrer Macht ſtehet, zu thun, oder nicht.
Wenn ein Haupt-Vorwurf, den wir lange im
K 2Geſicht
[148]
Geſicht gehabt haben, ſo bedenklich wird, daß
wir ihn nothwendig entweder waͤhlen, oder ver-
werfen muͤſſen; ſo ſehen wir uns vielleicht um:
Wir erſchrecken uͤber die wilde und ungewiſſe
Ausſicht, die ſich uns oͤfnet, und nach einigem
Kampfe und Bekuͤmmerniß verwerfen wir den
neuen Liebhaber, den wir nicht gepruͤft ha-
ben; ziehen unſre Hoͤrner ein, und entſchlieſ-
ſen uns, in dem Pfade fortzukriechen, mit dem
wir bekannt ſind.


Jch erwarte Jhren naͤchſten u. ſ. w.


Th. IV. S. 109. L. 27. nach den Worten:
die Seinige zu nennen.


Wie viele Urſachen wuͤrdeſt du gehabt ha-
ben, beſorgt zu ſeyn, wenn ſie ſich durch unge-
reimte, oder ſchwache Gruͤnde haͤtte bewegen
laſſen, wodurch ein Mann ſo gut als der an-
dre ſie wuͤrde uͤberredet haben, wenn er mit
Ungeſtuͤm angehalten haͤtte?


Was du fuͤr ein erfindſamer Geiſt biſt, das
wiſſen wir alle. Wir ſind alle uͤberzeuget, daß
du einen Kopf haſt, Raͤnke auszuſinnen,
und ein Herz, ſie auszufuͤhren.
Habe ich
dich nicht den groͤßeſten Spitzkopf auf dem Erd-
boden genennet? Dafuͤr kannte ich dich. Was
willſt du mehr? Warum ſoll dein Kopf eben der
boshafteſte ſeyn, ſo wie er der geſchickteſte
iſt? ‒ ‒ Heirathe die Fraͤulein, und erzaͤhle ihr
hernach, was fuͤr eine Menge Streiche du ihr
noch zu ſpielen bereit geweſen waͤreſt. Bitte ſie,
daß
[149]
daß ſie dich fuͤr dieſe Entdeckung nicht haſſen
moͤchte; und verſichre ſie, daß du ſie aus Ge-
wiſſens-Angſt, und um ihren auſſerordentlichen
Verdienſten Gerechtigkeit wiederfahren zu laſ-
ſen, aufgegeben haͤtteſt; und laß ihr die Freu-
de, daß ſie ſich ſelbſt Gluͤck wuͤnſchet, ein Herz
bezwungen zu haben, das ſo geſchickt iſt zu
ruhmwuͤrdigen Uebelthaten,
wie du es nen-
neſt. Das wird ihr Gelegenheit geben, zu trium-
phiren, und dir nicht weniger: Jhr, daß ſie
uͤber dich, dir, daß du uͤber dich ſelbſt geſieget
haſt.


Bedenke wie viel u. ſ. w.


Th. IV. S. 117. L. 23. nach den Worten:
wenn ich mich verheirathete, lies
ſtatt des naͤchſtfolgenden Abſchnitts:


Ein Menſch kann nicht alles. Sie Herr
Belford, ſind ein Gelehrter. Jch bin ein
Pair. Schaͤrfen Sie ihm, auf was Art, das
wiſſen Sie am beſten, die weiſen Spruͤchwoͤr-
ter ein, die ich noch anfuͤhren will, und die ich
ſchon beigebracht habe. Aber mit ſo viel Vor-
ſicht, daß er nicht merket, Sie haben mit mei-
nem Kalbe gepfluͤget.
Hier ſind ſie: Gluͤck-
lich iſt der Mann, der ſeine Thorheiten
in der Jugend erkennet. Wer gut le-
bet, der lebet lange.
Noch eins: Wer
ein Jahr uͤbel lebt, wird ſieben Jahre
Leid darum tragen.
Und noch eins, das
bei den Spaniern gebraͤuchlich iſt: Wer
K 3wol
[150]
wol lebet, der ſiehet weit. Freilch weit,
denn er ſiehet in die Ewigkeit, wie man ſagen
koͤnnte. Hier iſt noch eine ſchoͤne Sentenz:
Wer in unnoͤthiger Gefahr umkommt,
iſt des Teufels Maͤrtyrer.
Ein anderes
Spruͤchwort habe ich in Madrid aufgefangen,
als ich den Lord Lerington auf ſeiner Ge-
ſandſchaft nach Spanien begleitete, welches
meinen Vetter mehr Barmherzigkeit und Mit-
leiden lehren wird, als er ſchwerlich vermoͤge
ſeines Naturels zeigen kann. Es heißt ſo:
Wer mit einem andern Mitleiden hat, der
hat ſelbſt Gut davon.
Von dem, was
folget, wird er ſelbſt wol hundertmal die War-
heit erfahren haben: Wer da thut, was er
will, thut ſelten, was er ſoll.
Dies iſt
auch noch anmerkens-werth: Was man in
der Jugend eingebrocket hat, muß man
im Alter auseſſen.
Mein verteufeltes Po-
dagra! GOtt helfe mir! ‒ ‒ Doch ich will nicht
ſagen, was ich noch ſagen wollte.


Jch erinnere mich, daß Sie, die Sie mir
wegen meiner kraͤftigen und weiſen Spruͤchwoͤr-
ter oft ein Compliment gemacht haben, ſelbſt
einmal etwas ſagten, welches mir eine groſſe
Meinung von Jhnen beibrachte. Leute von
Gaben,
ſagten Sie, werden eher durch
kurze Sentenzen uͤberzeuget, als durch
lange Predigten, weil die kurzen Senten-
zen von ſelbſt ans Herz dringen und darin
bleiben, lange Reden aber, wenn ſie noch

ſo
[151]
ſo gut ſind, die Aufmerkſamkeit ermuͤ-
den; und immer das eine gute das andre
vertreibt, bis ſie alle vergeſſen werden.


Wenn doch ihr guter Rath u. ſ. w.


Th. IV. S. 128. L. 23. nach den Wor-
ten: grosmuͤthig ertragen ſollſt.


Aber biſt du auch gewiß, Bruder, daß es
der kalte Brand iſt? Mein Oncle gab ein-
mal Hofnung, daß die Krankheit ſchon ſein
innerſtes Mark angegriffen haͤtte, aber ſo iſt
leider! ein kleiner Anſtoß von Podagra daraus
geworden; und da hatte ich, ſtatt ſeiner, den
kalten Brand. ‒ ‒ Jch habe gehoͤrt, daß eine
gute Portion China einen kalten Brand ver-
hindern wird, daß er nicht weiter um ſich
greifet, und ihn zuletzt gar wegnimmt. Gieb
deines Oncles Wund-Arzt zu verſtehen, daß,
wenn ihm ſeine Ohren lieb ſind, er ſich nicht
unterſtehen ſoll, ihm ein Gran China zu ge-
ben.


Jch wollte, daß mein Oncle u. ſ. w.


Th. IV. S. 156. ſtatt des Abſchnitts, der
ſich anhebt: Der naͤchſte Brief nach
dieſem,
lies folgendes:


Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.


Jch wollte nicht gern, wenn ich es aͤndern
koͤnnte, die dunkle und ſchwarze Geſtalt mei-
K 4nes
[152]
nes Schickſals ſo beſtaͤndig betrachten, daß ich
dadurch, weil doch die ganze Natur und jedes
Ding eine helle und eine dunkle Seite hat,
fuͤr unfaͤhig gehalten wuͤrde, mich an einer
Hofnung zu vergnuͤgen. Und dies nicht allein
meinetwegen, ſondern auch Jhrentwillen, da
Sie an allem, was mich trift, ſo grosmuͤthig
Antheil nehmen.


Laſſen Sie ſich alſo erzaͤhlen, mein Kind,
daß ich in Betracht meiner Umſtaͤnde vier und
zwanzig Stunden ziemlich vergnuͤgt zugebracht
habe.


Sie erzaͤhlet darauf u. ſ. w.


Th. IV. S. 157. L. 12. nach den Worten:
in London antreffen ſollte, lies
ſtatt des Schluſſes dieſes Briefes:


Selbſt Dorcas, ſagt ſie, misfaͤlt mir we-
niger, als zuvor, und ich muß Mitleiden mit
ihr haben, daß ſie in der Erziehung verſaͤumt
iſt, da ſie ſelbſt ſo ſehr Urſache hat, es zu
bedauren. Sonſt wuͤrde es nicht viel zu be-
deuten haben. Denn Leute von niedrigem
Stande, und ohne Gelehrſamkeit dienen dem
gemeinen Weſen am meiſten; (ſolche machen
nemlich die arbeitſamſten Mitglieder derſelben
aus) und es iſt nur gar zu gewoͤhnlich, daß
eine gelehrte Erziehung Leute uͤber die Pflicht
andern zu dienen erhebet, wodurch doch die
Geſchaͤfte dieſer Welt ausgerichtet werden muͤſ-
ſen. Jch zweifle nicht, wenn wir die ganze
Welt
[153]
Welt durchgehen, daß unter den Unſtudierten
zwanzig gluͤckliche Leute gegen einen von denen
ſind, die in den Schulen erzogen worden.


Jnzwiſchen laͤßt ſich hieraus nichts gegen
das Studieren, oder die Wiſſenſchaften ſchlieſ-
ſen. Denn man wird doch gern diejenigen,
die Faͤhigkeit haben, und deren Familie man
hochachtet, oder deren Dienſte man belohnen
will, ein wenig zu unterſcheiden ſuchen, und
von ihnen glauben, daß ſie der Welt auf eine
artigere Art nuͤtzlich ſind.


Wenn mein Gemuͤth ganz ruhig waͤre, koͤnn-
te ich vielleicht hieruͤber noch mehr nuͤtzliches ſa-
gen, weil ich dieſer Sache mit ſo viel Ueberlegung
nachgedacht habe, als meine Jahre, und wenige
Erfahrung verſtatten wollen.


Aber die gewaltige Unwiſſenheit und Unge-
ſchicklichkeit dieſes Maͤdgens iſt erſtaunend, da
es ihr an Neugierde nicht fehlet. Denn ſie ſchei-
net lehrbegierig zu ſeyn, und kann in andern
Dingen leicht etwas begreifen. Dies beſtaͤti-
get mich noch mehr in der Anmerkung, die ich
einmal gehoͤret habe, daß fuͤr eine jede Perſon
eine Zeit iſt, wo ſie unterwieſen werden muß;
eine Zeit des Lernens, wie man ſie nennen
koͤnnte; wo man das Gemuͤth Schritt vor
Schritt von dem leichten zu dem ſchweren fuͤh-
ren, und es Jahr vor Jahr ausbeſſern kann.
Mit wie vieler Sorgfalt ſollten dieſe Zeiten
von den Aeltern, Vormuͤndern, und andern,
denen die Erziehung und Unterweiſung der Ju-
K 5gend
[154]
gend anvertrauet iſt, in Acht genommen wer-
den! Denn wenn ſie einmal vorbei ſind, ohne
daß man einen Grund gelegt hat, ſo werden
ſie ſchwerlich je wiederkommen. Und doch muß
man geſtehen, daß es Genies giebt, die, gleich
gewiſſen Fruͤchten, erſt ſpaͤt reif werden. Ein
anhaltender Fleiß wird auch Wunder-Dinge
thun. ‒ ‒ Aber wenn jemand zum Exempel im
zwanzigſten Jahre die erſten Grundſaͤtze lernen
ſoll, die andre im zehenden Jahre gelernet ha-
ben, und die ſie ſelbſt in dem Alter haͤtten faſ-
ſen koͤnnen, welche muͤhſame Arbeit iſt das!


Sie haben allezeit gewuͤnſcht, daß ich der-
gleichen Anmerkungen einſtreuen moͤchte, ſo
wie ſie mir einfallen. Aber es iſt dies auch ein
Zeichen, daß ich ein wenig beſſere Ausſichten
vor mir ſehe, ſonſt wuͤrde ich unter ſo vielen
wichtigern Dingen, die mein Gemuͤth ſeit ei-
niger Zeit einnehmen, nicht ruhig genug gewe-
ſen ſeyn, ſie zu machen.


Jetzt will ich Jhnen ſagen, was ich fuͤr
beſſere Hofnungen vor mir habe.


Vors erſte weiß ich es beſſer, als vorher,
zu erklaͤren, warum es mit der Miethung des
Hauſes ſo lange waͤhret. ‒ ‒ Die arme Frau
Fretchville! ‒ ‒ Sie dauret mich, ob ich ſie
gleich nicht kenne. Hernach macht das eine
gute Mine, daß er dem Frauenzimmer, vor
dieſer Unterredung mit ihnen, ſeine Abſicht be-
kannt gemacht hat, hier im Hauſe zu bleiben,
wenn ich das andre bezogen haͤtte. Dem Ton
ſeiner
[155]
ſeiner Stimme nach ſchien er daruͤber beſorgt
zu ſeyn, was ich uͤber dieſen neuen Aufſchub
denken wuͤrde.


Jungfer Martin druͤckte ſich uͤber meine
Perſon ſo wol aus, daß es mir faſt leid iſt, daß
ich das erſte mal, da ich ſie ſahe, ſo hart von
ihr geurtheilet habe. Freie Leute koͤnnen wol
mannigmal einen weiten Jrweg gehen, ohne
ſich ganz zu verirren. Denn wie ſie gemeinig-
lich nicht auf ihrer Hut, uͤbereilend, und fluͤch-
tig ſind, ſo kann ihnen auch dieſelbe Veraͤnder-
lichkeit und Fluͤchtigkeit des Geiſtes zu Huͤlfe
kommen, und ſie wieder zum Nachdenken und
zu ihrer Pflicht zuruͤck bringen, wenn das Herz
nicht verdorben iſt.


Seine Urſachen, warum er nicht ſelbſt hin-
gehen will, ſeine Fraͤulein Baſen hieher zu ho-
len, weil nemlich mein Bruder und Singleton
ihm noch immer nachſtellen, ſcheinen auch nichts
uͤbels anzuzeigen. Und es laͤſſet ſich um ſo viel
eher erklaͤren, warum ſie es erwartet haben,
daß ein ſo ſtolzer Menſch, als er, in Perſon
kommen, und ſie darum erſuchen ſollte, da er
ſie zuweilen als Fraͤulein beſchreibet, die ſehr
auf das Ceremoniel ſehen.


Jch will Jhnen noch einige andre Gruͤnde
ſagen, warum ich jetzt ruhiger bin, als vorher,
ehe ich ihn in ſeiner Unterredung behorchet hatte.


Dahin rechne ich ſeine Nachricht, die er von
der Schifsbedienung des Singletons erhalten
hat, welches nur gar zu ſehr mit dem uͤberein-
kommt,
[156]
kommt, was Sie mir in Jhrem Briefe vom
10. Mai meldeten.


Daß er nicht willens iſt, es mir bekannt zu
machen.


Die Vorſicht, welche die Bedienten brauchen
ſollen, wenn der Schiffer kommt, und nach
uns fraͤgt.


Sein Entſchluß, nicht der angreifende Theil
zu ſeyn, wenn er entweder meinen Bruder oder
dieſen Singleton antraͤfe; und die leichte Art,
die er ausgefunden hat, in dem Fall Ungluͤck
zu vermeiden, weil ich nur nicht noͤthig haͤtte,
zu laͤugnen, daß ich die Seinige waͤre. Wie-
wol ich wuͤrde mich in meinen Gedanken fuͤr ſehr
ungluͤcklich halten, wenn ich dahin getrieben
wuͤrde, mich noch gegen andre Leute dafuͤr ſtill-
ſchweigend zu bekennen, bis ichs wuͤrklich bin;
ob ich mich gleich, ſo ſehr wider meinen Willen,
bewegen laſſen, die Meinung der Leute unten
im Hauſe zu unterſtuͤtzen, daß wir verheirathet
waͤren.


Nachdem, was am Mittwochen zwiſchen mir
und dem Herrn Lovelace vorgefallen iſt, und
was ich gehoͤret habe, als ich ihn behorchte,
halte ich mich verbunden, mit ihm in die Co-
moedie zu gehen; um ſo vielmehr, da er ſo vor-
ſichtig war, und mir vorſchlug, daß mich eine
von den Jungfern im Hauſe begleiten ſollte.


Jch muß auch geſtehen, wie vergnuͤgt ich
daruͤber bin, daß ich erfahren, er habe wuͤrk-
lich an den Lord M. geſchrieben.


Jch
[157]

Jch habe verſprochen, den Aufſatz des Herrn
Lovelace zu beantworten, ſo bald ich Jhre
Meinung daruͤber gehoͤret.


Jn meinem naͤchſten Briefe hoffe ich, Ur-
ſache zu haben, dieſen guͤnſtigen Anſchein zu be-
kraͤftigen. Guͤnſtigen Anſchein muß ich wol
ſagen, da ich einmal Schifbruch erlitten!


Jch hoffe in dem Kampfe, den ich ihrer
Meinung nach mit mir ſelbſt anſtellen muß,
(wie Sie ſich ausdruͤcken) wenn mich ſeine Auf-
fuͤhrung nicht noͤthiget, ihn zu verlaſſen, mich ſo
bezeigen zu koͤnnen, daß ich mich in Jhren Augen
nicht herunterſetze. Und das iſt alles, was ich
jetzo wuͤnſchen kann. Aber, wenn ich ihn wuͤrk-
lich ſo hoch halte, wie Sie ſo guͤtig ſind, zu
behaupten, ſo wird doch, denke ich, der Kampf
mir ſo ſchwer nicht ſeyn, als Sie ſich einbil-
den, wenn ich von ihm gehe; im Fall mir nur
die Mittel zu meiner Entweichung gegeben wer-
den. Aber wie werde ich mich betragen, wenn
ich von ihm gegangen, und ſchwach genug bin,
mich gleich den ehemaligen Jſraeliten nach
meiner Egyptiſchen Gefangenſchaft zu ſehnen!


Es wird, denke ich, dieſes guͤnſtigen An-
ſcheins ungeachtet, nicht ſchaden, daß Sie
den Entwurf (er ſei beſchaffen wie er wolle)
ausfuͤhren, den Sie fuͤr mich ausgedacht ha-
ben, mir im Fall der Noth eine Freiſtadt aus-
zumachen. Herr Lovelace iſt in der That ein
unergruͤndlicher und gefaͤhrlicher Menſch. Die
Klugheit erfordert es alſo, wachſam zu ſeyn,
und
[158]
und ſich auf das Aergſte gefaßt zu machen!
Hilf Himmel! mein Kind, wozu bin ich ge-
bracht! Haͤtte ich jemals denken koͤnnen, daß
ich in Umſtaͤnde gerathen wuͤrde, wo ich genoͤ-
thiget waͤre, mich bei einem Mann aufzuhal-
ten, an deſſen Ehrlichkeit gegen mich ich nur
den Schatten von einem Zweifel haben koͤnn-
te! ‒ ‒ Doch ich will ins Kuͤnftige hinausſehen,
und das beſte hoffen.


Jch bin gewiß, daß Jhre Briefe nicht auf-
gefangen werden. Seyn Sie desfals nur ruhig.


Herr Lovelace wird ſich nie mit gutem Wil-
len meiner Geſellſchaft entſchlagen. Sonſt zwei-
fle ich nicht, daß ich die Freiheit habe, aus und
einzugehen, wann es mir beliebet; und wuͤrde
es auch, wenn ich es noͤthig hielte, und mich
nicht vor meinem Bruder, oder dem Capitain
Singleton fuͤrchtete, oͤfter verſuchen.


Th. IV. S. 201. L. 12. nach den Worten:
wenn ich es nicht demuͤthige, lies
ſtatt der naͤchſten Worte, bis: gefaͤhr-
lichſten Menſchen haͤlt:


Jn einem andern Briefe ſagt die kleine Fu-
rie: daß ſie ſchreiben will, und keine
Mannsperſon fuͤr ſie ſchreiben ſoll,
‒ ‒ als
wenn ihr etwas dergleichen an die Hand gege-
ben waͤre. Sie billigt das Vorhaben ih-
rer ſchoͤnen Freundin, mich zu verlaſſen,
wenn ihre Verwandten ſie aufnehmen
wollen.
Jch bin ein Boͤſewicht, ein naͤr-
riſcher
[159]
riſcher Kerl! Sie haſſet mich meiner
verfluchten Erfindungen willen. Sie
hat nur eben mit jemandem Bekannt-
ſchaft gemacht, der einen groſſen Theil
meiner geheimen Geſchichte weiß.
Ver-
flucht ſei ſie, und ihr Geſchichtſchreiber! ‒ ‒
Der Menſch iſt wuͤrklich ein Boͤſewicht,
ein abſcheulicher Boͤſewicht!
Hole ſie der
Teufel!


Wenn ich ein zehnfaches u. ſ. w.


Th. IV. S. 208. L. 10. nach den Wor-
ten: zu pfaͤnden.


Ob ſie gleich mit Liſt, ſagt ſie ihr, in
die Gewalt dieſes Mannes gebracht waͤ-
re, ſo brauchte ſie ſich doch nicht unter
dieſelbe zu erniedrigen.
Es iſt noch, wie
es ſcheinet Hofnung zu meiner Bekehrung,
weil ich ſo ehrerbietig gegen ſie bin, denn
vorher haͤtte ich nie vor etwas Gutem
eine Ehrerbietung gehabt. Jch bin ein
groſſer, ein glaͤnzender Betruͤger!
Das
mag darum ſeyn! Dafuͤr ſoll ſie Dank haben!
Sie meinet, es koͤnnte noch ein guter mo-
raliſcher Nutzen dadurch geſtiftet wer-
den, daß ich ſie bewogen haͤtte, zu irren.

Jch freue mich, wenn aus meinen Handlun-
gen etwas gutes entſtehet.


Bei dieſem Briefe liegt u. ſ. w.


Th. IV.
[160]

Th. IV. S. 212. L. 13. nach den Worten:
Jſt das zu genieſſen.


Solche Leute, als ich, das waͤren eben
die Herren, welche die Maͤdgen von Na-
tur nicht haßten.
‒ ‒ Das iſt ſo wahr, wie
das Evangelium, Bruder! Endlich iſt die
Warheit heraus. Habe ichs dir nicht allezeit
geſagt? Suͤſſe Geſchoͤpfe und wahre Chriſten
ſind dieſe jungen Maͤdgen! Sie lieben ihre
Feinde. Aber in ihren Herzen ſind ſie alle
Boͤſewichter. Gleich und gleich geſellet ſich
gern, das iſt die Sache. Waͤre ich nicht von
der Warheit dieſer Anmerkung des kleinen
Brumbarts gewiß, ſo wuͤrde ich mir die Muͤ-
he gegeben haben, wo nicht ein guter Mann,
doch wenigſtens mehr ein Heuchler zu ſeyn, als
ich noͤthig fand.


Heute erhielt ſie wieder u. ſ. w.


Th. IV. S. 224. L. 6. nach den Wor-
ten: Fleck darauf habe, lies ſtatt
des naͤchſten Abſchnitts:


Denken Sie nicht, mein Kind, daß ich Ur-
ſache habe, erzuͤrnt auf ihn zu ſeyn, wenn ich
meine Umſtaͤnde betrachte? Bin ich nicht gleich-
ſam gezwungen, mit ihm zu zanken, wenig-
ſtens, ſo oft ich ihn ſehe? Keine Sproͤdigkeit,
keine Kuͤnſte, keine Tyrannei iſt in meinem
Herzen, oder in meinem Betragen gegen ihn,
das weiß ich. Keine angenommene Verzoͤge-
rung, ich ſtrebe nur nach dem Wolſtande. Es
iſt
[161]
iſt ſo wol ſein Nutzen, wenigſtens ſollte er ſo
denken, als der meinige, daß er den beobachtet.
Jch bin zu ſehr in ſeiner Gewalt, und durch
die Grauſamkeit meiner Verwandten ihm in
die Arme geworfen. Jch habe keinen andern
Schutz, zu dem ich fliehen koͤnnte, als den
ſeinigen. Es iſt ein ebener Weg vor uns;
und doch ſolche Hinderniſſe, ſolche Schwierig-
keiten, ſolche Urſachen zum Zweifel, zu Spitz-
findigkeiten, zur Unruhe! Wenn eine gehoben
iſt, ſo kommt eine andre, und nicht durch mei-
ne Schuld. ‒ ‒ Jch weiß nicht, wie ſie kommt.
‒ ‒ Was fuͤr Vergnuͤgen kann ich hoffen, wenn
ich einen ſolchen Boͤſewicht bekomme.


Bringen Sie doch, meine allerliebſte Fraͤu-
lein Howe, den freundſchaftlichen Vorſchlag
mit der Frau Townsend zu Stande; ſo will
ich den Menſchen verlaſſen.


Mein Temperament hat ſich, wie ich glau-
be, verſchlimmert; es waͤre auch kein Wunder.
Jch zweifle, ob ich jemals wieder ſo munter
werde, als ich geweſen bin. Doch ich kann
ihn durch dieſe Veraͤnderung nicht halb ſo un-
ruhig machen, als ich ſelber bin. Sehen Sie
nicht, wie er mir Schrit vor Schrit naͤher
kommt? ‒ ‒ Jch zittere, wenn ich auf ſeine
Freiheiten zuruͤck ſehe, die er ſich bereits genom-
men hat. Und jetzt giebt er mir Urſache, noch
mehr Boͤſes von ihm zu fuͤrchten, als
mein Unmuth mir auszudruͤcken erlaubt!

‒ ‒ O bringen Sie doch, mein Kind, Jhren
Zuſaͤtze zur Cl. LEntwurf
[162]
Entwurf zu Stande, und laſſen Sie mich ei-
nem ſo abſcheulichen Kerl entfliehen!


Doch erſt von meinen Freunden nach ihm
hin entlaufen zu ſeyn, wie die Welt glaubet! und
nun von ihm wieder wegzulaufen! ‒ ‒ Zu wen?
das weiß ich nicht! ‒ ‒ Wie hart iſt das fuͤr eine
Perſon, die allezeit geſtrebet hat, verwirrte We-
ge zu vermeiden! Doch er muß gewiß, daß er
ſo mit mir zankte, Abſichten gehabt haben, die
er nicht geſtehen darf! Wiewol, was koͤnnen
es fuͤr Abſichten ſeyn? ‒ ‒ Jch erſchrecke, wenn
ich daran denke!


Laſſen Sie mich nur von ihm kommen! ‒ ‒
Mein guter Name leidet freilich, wenn ich ihn
verlaſſe! ‒ ‒ Doch der hat fuͤr mich ſchon zu
viel gelitten. Jch kann nun um nichts mehr
bekuͤmmert ſeyn, als wie ich ſo handeln will,
daß mir mein eigen Herz keine Vorwuͤrfe macht.
Das Urtheil der Welt muß ich freilich ertragen.
Ein ungluͤcklicher Vergleich indeſſen! Wie ha-
be ich an meinen Guͤtern Schifbruch gelitten,
daß ich genoͤthiget worden, ſo viele Koſtbarkei-
ten uͤber Bord zu werfen, um das einzige
Koſtbare zu erhalten! Wie wuͤrde es ehedem
mein Herz gebrochen haben, wenn ich nur einmal
im geringſten einen Zufall gefuͤrchtet haͤtte, wo-
bei ich einen ſolchen Vergleich eingehen muͤßte!


Jhnen, mein Kind, konnten meine geheimen
Vergehungen nicht verborgen ſeyn, ob Sie mir
gleich nichts davon ſagen wollten. Wie ſtolz
ward ich nicht uͤber meinen allgemeinen Beifall!
Welch
[163]
Welch ein Stolz war das ſchon, zu glauben,
daß ich keinen Stolz haͤtte! ‒ ‒ Und der ver-
ſteckte ſich meinem Herzen, daß ſich ſelbſt nicht
pruͤfte, unter dem Schleier der Demuth, da
ich mir doch aus der liebreichen Art, mit wel-
cher ich Wolthaten erwies, (die ich mir ſelbſt
ſo wol zuſchrieb, als ſie andre Leute an mir
ruͤhmten) ein doppeltes Verdienſt machte. Und
dennoch hatte ich nicht das geringſte Verdienſt,
weil mich das Vergnuͤgen, ſo mir meine klei-
nen Gutheiten gewaͤhrten, reichlich und uͤber-
fluͤßig bezahlte, und ich uͤberdem durch meine
Neigung dazu angetrieben wurde, die mir ver-
liehen war ‒ ‒ wozu? ‒ ‒ mir nichts darauf
einzubilden.


Kurz, daß ich eine ſolche Begierde hatte, als
ein Muſter angeſehen zu werden! Eine Eitel-
keit, die mir meine partheiiſchen Bewunderer
in den Kopf ſetzten! Und daß ich in meiner eig-
nen Tugend ſo ſicher war!


Jch bin fuͤr dieſe meine Eitelkeit genug ge-
ſtrafet, genug gedemuͤthiget! ‒ ‒ Jch hoffe, ge-
nug, ‒ ‒ wenn es demjenigen Weſen ſo gefaͤllt, das
es mir aufgeleget hat, und welches lauter Guͤ-
te iſt. Denn jetzt verachte ich mich in wahrem
Ernſt mehr wegen meiner uͤbermuͤthigen Sicher-
heit, als ich mich vorher jemals wegen meiner gu-
ten Neigungen heimlich gelobet habe. Heimlich,
muß ich doch ſagen. Denn ich hatte mir in War-
heit nicht Zeit genug gelaſſen, daruͤber nachzuden-
ken, bis ich ſo gedemuͤthiget war, wie unvoll-
L 2kommen
[164]
kommen ich ſei, und wie ſehr wahr es waͤre,
was die Gottesgelehrten ſagen: daß die
Suͤnde unſre beſten Handlungen begleitet.


Wiewol ich war ſehr jung. ‒ ‒ Doch hier
habe ich von neuen Urſache, uͤber mich ſelbſt zu
wachen. Denn liegt nicht in den vier Worten:
ich war ſehr jung eine Entſchuldigung heim-
lich verborgen, die hinlaͤnglich iſt, meinen Ent-
deckungen und Bekenntniſſen alle Kraft zu be-
nehmen?


Welche wunderliche unvollkommne Geſchoͤpfe
ſind wir doch! ‒ ‒ Allein der Eigennutz, der
bei allen unſern Handlungen und Wuͤnſchen
zum Grunde liegt, iſt hier der große Verfuͤhrer.


Jch will dieſe ernſthaften Betrachtungen ge-
gen Sie nicht entſchuldigen, mein Kind. Sind
ſie nicht hinlaͤnglich, ein ungluͤckliches Maͤdgen
zu bewegen, daß es in ſich ſelbſt hineinſchauet,
und ſich zu entdecken ſuchet? Ein Maͤdgen, das,
ſeinem eignen Stolz und Einbildungen uͤberlaſ-
ſen durch einen unbedachtſamen Schrit, von
einem ſo erhabnen Ruhm in die fuͤrchterlichen
Umſtaͤnde hinuntergeſtuͤrzet iſt, worin ich mich
befinde!


Laſſen Sie mich dem ungeachtet ins Kuͤnfti-
ge hinein ſehen. Wenn ich verzweifelte, ſo wuͤr-
de ich Suͤnden mit Suͤnden haͤufen. Und wen
habe ich, der mich aufrichten, der mich troͤſten
koͤnnte, wenn ich mich ſelbſt aufgebe? ‒ ‒ Du,
mein Vater, der du mich nicht aufgegeben, mir
noch nicht gefluchet haſt! ‒ ‒ Denn ich bin die
Deini-
[165]
Deinige. ‒ ‒ Doch meine ſtille Betrachtung mag
das uͤbrige hinzuſetzen. ‒ ‒



Es verdroß mich ſo ſehr u. ſ. w.


Th. IV. S. 252. gegen das Ende, nach
den Worten: nicht weiter kommen.


Doch ich ſehe, ich ſehe es, ſie haſſet mich
nicht! ‒ ‒ Wie wuͤrde das meine Eitelkeit de-
muͤthigen, wenn ich daͤchte, es waͤre ein Maͤd-
gen in der Welt, vornemlich dieſes, das mich
haſſen koͤnnte! ‒ ‒ Es iſt offenbar, fuͤr einen
ſo groſſen Boͤſewicht ſie mich auch haͤlt, ſo wuͤr-
de ich doch kein verhaßter Boͤſewicht ſeyn,
wenn ich nur zuletzt aufhoͤren koͤnnte, es in ei-
nem einzigen Stuͤck zu ſeyn! Sie wuͤrde es,
ich ſahe es in ihren Augen, ſo entſchloſſen ſie
auch in ihren Gedanken ſeyn mochte, nicht ei-
nen Augenblick haben aushalten koͤnnen, wenn
ich mich bemuͤhet haͤtte, ihre Furcht auf meinen
zu gelenkigen Knien, wie ſie ſie nennet, zu
zerſtreuen. Denſelben Augenblick, da die rau-
he Decke, welche meine ihr angethanen Drang-
ſalen uͤber ihre Neigung ausgebreitet haben, voͤl-
lig weggenommen wird, werde ich ohne Zwei-
fel im Grunde alles wie Sammet und Seiden,
alles ſanft, klar und reizend finden.


Jch war allzu verdrieslich u. ſ. w.


Th. IV. S. 265. am Ende, nach den Wor-
ten: einmal uͤberwunden iſt.


L 3Unſre
[166]

Unſre Alte und ihre Nymphen ſagen, ich
waͤre eine recht feige Memme, und kein Love-
lace,
und faſt denke ichs ſelbſt. Aber dies Kind
laͤchelt und zieret ſich nicht, wie ich andre ge-
funden habe, wenn ich ſo von ferne auf gewiſ-
ſe kitzliche Materien gekommen bin. Zwei bis
dreimal habe ich es mit ihr verſucht. Die Alte
mußte ſie aufs Tapet bringen, als wir drei nur
beiſammen waren; weil ſie als ein Frauenzim-
mer gegen eine ihres Geſchlechts eher dergleichen
Reden fuͤhren durfte. Aber ſie iſt uͤber den
Zwang erhaben, daß ſie ſich ſtellet, als verſtuͤn-
de ſie euch nicht. Sie zeiget vielmehr durch
ihr Misvergnuͤgen, und einen Stolz, der ih-
rem Auge nicht natuͤrlich iſt, daß ſie nach einem
unreinen Munde ein unreines Herz beurtheilet;
und toͤdtet die Hofnungen eines dreiſten Liebha-
bers, ehe ſie gebohren werden; wenn ſie ſich
noch ſo fern zeigen, und ehe ein bedeutendes
Wort zu einer Zweideutigkeit werden kann.


Warhaftig Bruder u. ſ. w.


Th. IV. S. 310. ſtatt des Abſchnitts,
der ſich anhebt: Herr Lovelace ſucht
in dem naͤchſten,
lies folgenden Brief:


Herr Lovelace an Herrn Johann
Belford.

Nunmehr, da meine Liebſte in ihrem Netz
ſicher zu ſeyn ſcheinet, ſoll mein Anſchlag auf
den kleinen Teufel, die Fraͤulein Howe, und ihre
Mutter
[167]
Mutter ausgefuͤhret werden. Das gefaͤllige
Herrn-Kerlgen Hickmann ſoll vor ſeinen Theil
auch mit hineinkommen.


Aber, warum denn auf ihre Mutter, wirſt
du ſagen, die wider ihr Wiſſen nur auf deinen
Antrieb, durch deinen Unterhaͤndler Joſeph
Lemann,
ſich bei dem naͤrriſchen Oncle Anton
geſchaͤftig erwieſen hat?


Das thut der Sache nichts. Sie glaubt
nach ihrer eignen Einſicht zu verfahren, und
verdienet geſtraft zu werden, weil ſie Einſichten
haben will, da ſie doch gar keine hat. ‒ ‒ Ein
jeder Menſch auf dem Erdboden, auſſer mich,
das verſichre ich dich, ſoll geſtraft werden, wenn
er mit einer ſo anbetungswuͤrdigen Fraͤulein
entweder grauſam oder nicht ehrerbietig umge-
het. ‒ ‒ Was iſt ſie uͤbel daran! Jſt es nicht
genug, daß ſie von mir in Perſon gequaͤlet und
gemartert wird?


Jch habe mit unſern drei Verſchwornen die
Sache uͤberhaupt ſchon abgeſprochen, und ſie
ihnen als einen Anſchlag vorgetragen, der aber
noch nicht feſtgeſetzet iſt. Doch wiſſen ſie, daß,
wenn es darauf ankommt, einen Streich zu
ſpielen, bei mir die Ausfuͤhrung mit ihren ſchnel-
len Fuͤßen, ſelten weiter als drei Schritte hin-
ter den Entwurf hertrabet, der an ſeiner Seite
auch nicht hinket.


Mowbray iſt nicht dagegen. Er ſagt: es
iſt ein Anſchlag, der unſer wuͤrdig iſt, und
L 4wir
[168]
wir haben in langer Zeit nichts gethan, das
ein wenig Laͤrmen gemacht hat.


Belton iſt freilich noch ein wenig zweifel-
haft, weil die Sachen zwiſchen ihm, und ſeiner
Thomaſine nicht zum beſten ſtehen; und der
arme Teufel hat noch nicht Muth genug, ſeine
Wunde recht beſichtigen zu laſſen.


Tourville hat was neues auf der Spur,
und zuckte die Achſeln. Er wollte jetzt nicht
gerne, wenn ich damit zufrieden waͤre,
auſſer Landes gehen. Denn der Anſchlag iſt ſo
beſchaffen, daß ich fuͤrchte, wir muͤſſen ſo lan-
ge auf Reiſen gehen, bis ſich das Ding todt
geblutet hat.


Mir vor meine Perſon iſt ein Land ſo gut
als das andre, und ich werde ſo, denke ich,
bald Luſt bekommen, dieſe elende Juſul zu ver-
laſſen; es waͤre denn, daß die Gebieterin mei-
nes Schickſals ſich entſchlieſſet, mir im Lan-
de
beizuwohnen, und ſie mich nicht noͤthiget,
ſie in auswaͤrtigen Landen zu uͤberraſchen.
Reiſen, wie du weißt, giebt beiden Geſchlech-
tern vortrefliche Gelegenheit, vertraut mit ein-
ander zu werden. Sehr wenige Tage und
Naͤchte muͤſſen die Sache zwiſchen mir und mei-
ner unnachahmlichen Schoͤnen entſcheiden.


Dolemann, der hierin nur die Stelle ei-
nes Kammer-Raths vertreten kann, wird
uns durch Briefe, von allem, was in unſrer
Abweſenheit vorfaͤllt, Nachricht geben. Denn
ſeine rechte Hand und rechte Seite iſt noch nicht
gelaͤh-
[169]
gelaͤhmet, und an ſeiner linken Seite faͤngt er
auch an, ſich zu erholen.


Was dich betrift, ſo moͤchten wir dich lie-
ber bei uns haben, als hier laſſen. Denn,
ob du gleich ein jaͤmmerlicher Burſche biſt, et-
was auszuſinnen; ſo biſt du doch bei der Aus-
fuͤhrung unerſchrocken. Aber weil es bei dei-
nen gegenwaͤtigen Verbindungen ungewiß iſt,
ob wir dich haben koͤnnen, ſo beſtehe ich nicht
ſo ſehr darauf, dir in dieſem Spiel eine Haupt-
rolle zu geben; ſondern ich will es dir uͤberlaſ-
ſen, daß du uns folgeſt, wenn wir außer Lan-
des ſind. Lange, weiß ich doch, kannſt du oh-
ne uns nicht leben.


Mein Anſchlag iſt kuͤrzlich dieſer: ‒ ‒ Frau
Howe hat auf der Jnſul Wight eine aͤltere
Schweſter, die neulich Witwe geworden iſt.
Jch habe ſichre Nachricht, daß die Mutter und
Tochter vor Verheirathung der letzteren, bei
dieſer Dame einen Beſuch abſtatten werden,
welche reich iſt, und die Fraͤulein zur Erbin
einzuſetzen gedenket. Jnzwiſchen hat ſie ihr bei
ihrer bevorſtehenden Verheirathung anſehnliche
Hochzeits-Geſchenke zugedacht, und Frau Ho-
we,
welche, außer ihrer Perſon, Geld uͤber al-
les in der Welt liebet, hat zu jemandem von
meiner Bekanntſchaft geſagt, daß es gut mit-
zunehmen
waͤre.


Nun iſt weiter nichts noͤthig, als ein leich-
tes wolausgeruͤſtetes Schif zu miethen, wel-
ches acht oder vierzehen Tage vor der Aus-
L 5fuͤhrung
[170]
fuͤhrung zwiſchen Portsmouth, Spithead,
und der Jnſul Wight nach Gefallen hin und
her ſegeln kann. Weil nun Frau Howe gern
ſo wolfeil reiſen wird, als ſie kann, ſo kann
der Schifs-Capitain Befehl haben, von ihr
zu nehmen, was ſie geben will, als eine Er-
goͤtzlichkeit, die ihm die Jnhaber des Schifs
goͤnnen wollen. Der Schifs-Capitain mag
heiſſen, wie er will, Ganmore, daͤchte ich,
diesmal. Denn ich kenne einen Buben dieſes
Namens, der nicht noͤthig hat, zu ſagen, wo
er her iſt, ſo wenig als wir.


Wol, wir ſtellen uns alſo vor, wir ſind am
Bord. Jch will in Verkleidung da ſeyn.
Von euch vieren, geſetzt daß du mit dabei ſeyn
koͤnnteſt, da der Entwurf ſo allerliebſt iſt, ken-
nen ſie keinen.


Es muͤßte mit dem Henker zugehen, wenn
wir keinen Sturm haͤtten, oder machen koͤnn-
ten.


Vielleicht werden ſie See-krank. Doch
wenn das auch nicht iſt, ſo werden ſie ſich doch
in der Cajuͤte halten.


Da wird alſo Fraͤulein Howe ſeyn, ihre
Mutter, Herr Hickmann, ein Maͤdgen, und
ein Bedienter, wie ich glaube; und da wollen
wir unſre Sachen ſo einrichten:


Jch weiß, es wird ſchlecht Wetter ſeyn, das
weiß ich gewiß. Ehe ſie alſo den geringſten
Verdacht haben koͤnnen, ſind wir im Geſicht
von Guernſey, Jerſey, Dieppe, Cherbourg,
oder
[171]
oder ſonſt einem Orte an der Franzoͤſiſchen
Kuͤſte, wie wir es mit den Winden abreden
koͤnnen, daß ſie uns hinwehen. Dann wird
der Bediente in Haft genommen, und die
Weibsleute von einander getrennet. Einer
von uns, nachdem ihn das Loos trift, das
wir ziehen wollen, ſoll ſich entweder mit Guͤte
oder mit Gewalt des Dienſtmaͤdgens bemaͤchti-
gen. Das wird nicht ſchwer fallen, und ſie iſt
ein artiges Weibſtuͤck; ich habe ſie oft geſehen.
Einer der Frau Howe: Das kann auch nicht
viel Muͤhe koſten; denn ſie iſt geſund und voll-
bluͤtig, und lange eine Witwe geweſen. Der
dritte (das, ſagt der koͤnigliche Loͤwe, muß ich
ſeyn!) ihrer naſeweiſen Tochter; die zu ſehr er-
ſchrecken wird, als daß ſie groſſen Widerſtand
thun koͤnnte. (Die heftigen Gemuͤther bei dem
Geſchlechte haben ſelten wahren Muth ‒ ‒ Es
iſt nur, wo ſie koͤnnen.) Wenn wir nun drei
bis vier Tage zu unſrer Ergoͤtzlichkeit, und um
unſrer Sache gewiß zu ſeyn, an der Kuͤſte
herum geſegelt ſind, bis unſre traurigen Voͤ-
gel anfangen, zu eßen und zu trinken; ſo wol-
len wir ſie irgendwo ans Land ſetzen, wo es uns
am bequemſten deucht; das Schif verkaufen,
(an die Agenten der Frau Townsend, von
Herzen gern! oder ſonſt an einen Zollbetruͤger)
oder es dem Ganmore ſchenken, und unſre
Reiſen ſo lange fortſetzen, und in der Fremde
bleiben, bis man von der Sache nicht mehr
reden hoͤret.


Nun,
[172]

Nun, weiß ich, wirſt du Schwierigkeiten
machen, wie das deine Art iſt; inzwiſchen daß
ich mich bemuͤhen muß, ſie zu uͤberwinden.
Meine uͤbrigen Vaſallen haben mir auch ihre
Zweifel vorgeleget, und ich bin ſo gnaͤdig ge-
weſen, ſie zu heben. Das will ich dir auch thun,
wenn ich deine Einwuͤrfe nur jetzt erſt, auf dei-
ne mir wolbekannte phlegmatiſche Art vorge-
ſtellet habe.


Vors erſte wirſt du fragen: was ſoll mit
dem Hickmann angefangen werden? welcher
in vollem Anzuge, geſchmuͤckt und geputzt da
ſeyn wird, um der alten Tante zu zeigen, was
fuͤr ein verteufeltes huͤbſches Buͤrſchgen ſie
zum Vetter bekommen wird.


Das will ich dir ſagen. ‒ ‒ Hickmann wird
nach ſeiner Hoͤflichkeit das Frauenzimmer al-
lein in der Cajuͤte laſſen, und um ſeine Lebens-
art und Muth zugleich zu zeigen, auf dem
Verdeck ſeyn.


Wol, wenn er das nun waͤre?


Wenn er das nun waͤre? ‒ ‒ Wie? ich hof-
fe doch, es wird dem Ganmore oder ſonſt ei-
nem, oder mir ſelbſt, (wenn ja ein andrer Be-
denken traͤgt) leicht ſeyn, daß ich in meinem
Bruſtlatz und groſſem Nachtrocke, wenn er da
ſtehet, und als ein junger Lehr-Burſche das
Maul aufſperret, und gaffet, auf ihn zu ſtol-
pere, und ihn uͤber Bord werfe! Ein herr-
licher Einfall! Nicht wahr? Belford! ‒ ‒
Denn der Kerl iſt in dem Briefwechſel der bei-
den
[173]
den Fraͤulein bis zum Eckel geſchaͤftig, und
traͤgt, wie ich hoͤre, zwiſchen der Mutter und
Tochter den Baum auf beiden Schultern, weil
er ſich vor beiden fuͤrchtet. Sieheſt du ihn
nicht, Bruder? ‒ Jch ſehe ihn ‒ ‒ wie er im
Waſſer auf und niederſchieſſet, wie ſeine Pe-
ruque und Hut neben ihm ſchwimmet, wie er
im Waſſer mit den Pfoten ſchlaͤgt und plaͤt-
ſchert, als ein Pudel, dem im Waſſer bange
wird. ‒ ‒ Jch fuͤrchte, er hat es nie gewagt,
ſchwimmen zu lernen.


Aber willſt du den armen Schelm erſaufen?
Das willſt du doch wol nicht?


Nein! nein! Das iſt zu meinem Anſchlage
nicht noͤthig. Jch haſſe es, uͤberfluͤßiges Un-
gluͤck anzurichten. Das Voot ſoll zu ſeiner Ret-
tung bereit gehalten werden, in dem das Schif
fortgehet. Er ſoll mit Verluſt der Peruque,
des Hutes, und der Haͤlfte ſeines kleinen Witzes
davon kommen, und an dem Orte, wo er zur
See gegangen, oder ſonſt an einem andern ans
Land geſetzet werden.


Gut, aber ſind wir nicht in Gefahr, fuͤr
drei ſolche entſetzliche Nothzuͤchtigungen gehan-
gen zu werden, geſetzt auch, Hickmann ſollte mit
einem Vauchvoll Seewaſſer davon kommen?


Ja, daran iſt kein Zweifel, wenn ſie uns
kriegen! ‒ ‒ Aber iſt das wol im geringſten
warſcheinlich? ‒ ‒ Sind wir nicht uͤberdem
ſchlimmerer Verbrechen willen ſchon ſonſt in
Gefahr geweſen? ‒ ‒ Und was bedeutet denn
das,
[174]
das, nur in Gefahr zu ſeyn? ‒ ‒ Wenn wir
uns wuͤrklich am hellen Tage in Engelland ſe-
hen lieſſen, ehe die Sache geſchlichtet waͤre, ſo
iſt es warſcheinlicher, daß das Frauenzimmer
uns nicht verklagen wird, als daß ſie es
thun.
Jch meines Theils wuͤnſche, ſie thaͤ-
tens. Sollte nicht ein braver Kerl mit vie-
lem Vergnuͤgen in einer ſolchen Klage vor
Gericht erſcheinen, wo er mit Frauenzimmer
verhoͤret wird, die ſeiner kuͤhnen That Ehre ma-
chen? Das Vaterland iſt in den Faͤllen barm-
herziger, als in allen andern, und deswegen
moͤchte ich lieber in mein Vaterland zuruͤck-
gehen.


Weil ich einmal die Sache uͤberlege, ſo
vergoͤnne mir noch einige Anmerkungen uͤber
das Aergſte, was uns, deiner Meinung nach,
begegnen kann. Jch will ſetzen, du waͤreſt ei-
ner von uns, und wir fuͤnfe wuͤrden bei dieſer
Gelegenheit vor Gericht gefuͤhret. Wie mu-
thig werden wir ins Gericht gehen? Jch an
eurer Spitze, ein jeder ſo angekleidet, als an
ſeinem Vermaͤhlungs-Tage! Jhr koͤnnt gewiß
glauben, daß alles Frauenzimmer, alt und
jung, auf eurer Seite iſt. ‒ ‒ Was fuͤr brave
Kerls! ‒ ‒ Was fuͤr feine Herren! ‒ ‒ Da
gehet ein reizender wolgemachter Herr!

Damit meinen ſie mich, das verſteht ſich! Wie
koͤnnen ſie es uͤbers Herz bringen, ſolche Her-
ren zu henken?
ſagt eine Dame leiſe, die etwa
dem Secretair zur Seite ſitzet: (denn ich ſetze,
daß
[175]
daß der Schauplatz in London iſt) Jndem ei-
ne andre nicht glauben will, daß ein Frauen-
zimmer im Ernſt gegen mich einen Eid ablegen
koͤnnte. Alle werden ſich hinter mir verſamm-
len. Es wird euer Gluͤck ſeyn, wenn ihr ja
ungefaͤhr euch ſchaͤmen ſolltet, daß man euch
nicht bemerken wird. Man wird mich fuͤr den
groͤſſeſten Verbrecher erkennen, und meine Ret-
tung, fuͤr welche ſich alle Stimmen erklaͤren
werden, wird die eurige ſeyn.


Aber dann kommt der Triumph aller Trium-
phe, wo der Angeklagte in die Hoͤhe ſehen, und
die Anklaͤger mit Scham werden bedecket werden!


Platz da! ‒ ‒ Zur Seite! ‒ ‒ Zuruͤck!
‒ ‒ Einer bekoͤmmt einen Schlag, der andre
einen Lungenhieb, der dritte ein halb Schock
Rippen-Stoͤſſe.


Nun kommen die Anklaͤger mit nachlaͤßigen
Schritten, verhuͤlltem Angeſicht, und nieder-
geſchlagenen Augen. ‒ ‒


Zuerſt die Witwe, mit kummervollen Geber-
den, halb verhuͤllet, und bedauret ihre Tochter,
mehr als ſich ſelbſt. Das Volk, vornemlich die
Weibsleute, die bei dieſer Gelegenheit fuͤnf
Sechstheile der Zuſchauer ausmachen werden,
verweiſen es ihnen. ‒ ‒ Jhr werdet euch
doch ſicher ein Gewiſſen machen, fuͤnf
ſolche brave Herren um nichts und wie-
der nichts henken zu laſſen!


Zunaͤchſt koͤmmt das arme Dienſtmaͤdgen ‒ ‒
die vielleicht ſchon zwanzigmal genothzuͤchtiget
iſt
[176]
iſt, und jetzt nur um der Geſellſchaft willen vor
Gericht erſcheinet. Sie zieret ſich, laͤchelt, und
weinet eins ums andre, und weiß nicht, ob ſie
traurig oder freudig ſeyn ſoll.


Aber aller Augen ſind auf die Fraͤulein gehef-
tet! ‒ ‒ Siehe! ſiehe! der wolgemachte
Herr verneiget ſich vor ihr?


Das verſtehet ſich, ich werde mich bis an die
Erde verneigen, und ihr einen Kuß zuwerfen.


Siehe! wie ſie ſich ſchaͤmet! Siehe!
ſie wendet ſich von ihm weg! Ach,
ſchreiet
ein loſer Vogel, das macht, weil es hier
im oͤffentlichen Gericht iſt!
Jndem andre ſie
bewundern. ‒ ‒ Ach! das Maͤdgen iſt noch
wol werth, ſeinen Hals darum zu wagen!


Dann werden wir gelobet werden. ‒ ‒ Selbſt
die Richter, und die helle Verſammlung der
Beiſitzer werden uns in ihren Herzen losſpre-
chen, und ein jeder wuͤnſchen, an meiner Stelle
geweſen zu ſeyn. ‒ ‒ Die Weibsbilder werden
indeſſen die Klage misbilligen, wenn es ihre
eigne Sache waͤre. Jn der That, Belford,
der leidende Theil kann hiebei nicht halb ſo mun-
ter ausſehen, als wir.


Was wird dann die Sache fuͤr ein Geraͤuſch
machen! Stelle dir vor, wir gehen von dem
Gefaͤngniß nach dem Gericht. ‒ ‒ (*) Jſt es
fuͤr
[177]
fuͤr ein edles Herz nicht genug, es ganz gros-
muͤthig in den Wind zu ſchlagen, wenn man
zu ſeinem Verhoͤr ein anſehnlich Gefolge von
Wachen, und Officieren hat, deren einige in
kriegriſcher Mine und Anſehen einhertreten, an-
dre nicht! Alle ihre Sorgen ſind auf uns gerich-
tet! Jn ihren Haͤnden tragen ſie Waffen, ei-
nige polirte, andre roſtige, die ſowol wegen ih-
res Alterthums, als wegen ihrer Unbrauchbar-
keit ehrwuͤrdig ſind! Andre, von einer anſehn-
lichern Ausſicht, ſtrotzen vor uns her, mit ſchoͤ-
nen vermahlten Staͤben! Uns folget eine Men-
ge Volks. ‒ ‒ Wer iſt der, gegen den die
junge Fraͤulein auftrit!
Dann moͤgen wir
unter uns, uͤber uns, um uns ſehen, wo wir
hin wollen, ſo ſehen wir alle Thuͤren, Laͤden,
Fenſter, eiſerne Gitter, und Gallerien (die Er-
ker, Dachrinnen, und Schornſteine mit einge-
rechnet) alle voller weiſſer Kappen, ſchwarzer
Schleier, Peruquen, geſchorner Koͤpfe, die
unbeweglich ſind! Die uͤbrigen, die in den
Straſſen hin und her herum ſchwaͤrmen, und
uns an einem Platze vorbeigehen ſehen, laufen
mit ausgerecktem Halſe, und aufgeſperrten Au-
gen, durch die Quergaſſen, und pflanzen ſich
einan-
(*)
Zuſaͤtze zur Cl. M.
[178]
einander auf die Schultern an andre Oerter, wo
wir noch nicht hergekommen ſind, um uns noch
einmal zu betrachten. Jede Gaſſe ſchickt einen
neuen Schwarm Leute, die zu ſpaͤt kommen,
den fortrollenden Schneeball vergroͤſſern, und
zufrieden ſind, ſich unſre Perſon, Betragen
und Anſtand von denen beſchreiben zu laſſen,
die ſo gluͤcklich waren, und zeitig genug kamen,
uns zu ſehen!


Wuͤrklich, Bruder, wenn wir nach un-
ſern Grundſaͤtzen und nach unſrer Lebensart ur-
theilen wollen, ſo ſehe ich nicht, warum wir
bei unſerm Aufzuge, wenn uns dies widerfuͤh-
re, nicht eben ſo erhaben einhertreten ſollten,
als andre bei Gelegenheiten, die den Poͤbel am
meiſten herbei ziehen. ‒ ‒ Zum Exempel ein
Lord Maire in ſeinem bunten Pomp! ein
ſiegreicher Feldherr, oder ein Geſandter bei ſei-
nem oͤffentlichen Einzuͤge! oder, (denn ich ha-
be bei den geringſten angefangen) ein Koͤnig,
bei dem feierlichſten Aufzuge, den man ſich
denken kann, bei ſeiner Kroͤnung! Denn
macht nicht bei allen dieſen die koͤnigliche Wa-
che, die heroiſch-bewafneten Buͤrger-Com-
pagnien, das Gedraͤnge der Zuſchauer, die an
den Haͤuſern von oben bis unten hinunter haͤn-
gen, und ihre Koͤpfe hin und her bewegen, o-
der in den Gaſſen laufen, wie ich oben beſchrie-
ben habe, den vornehmſten Theil der ſchoͤnen
Raritaͤt
aus?


Hoͤre
[179]

Hoͤre einmal, glaubeſt du nicht, daß der
Maire, der Geſandte, oder der General an
ihren Galla-Tagen eine traurige Figur machen
wuͤrden, wenn nicht die Pauken und Trom-
peten den Poͤbel zuſammen riefen, daß der ſie
angafte? ‒ ‒ Und doch wuͤrden wir unter den
Helden vielleicht nicht die groͤſſeſten Verbrecher
ſeyn. Denn wer weiß, wie der Lord-Maire
ſeine guͤldene Kette erhalten hat? Der General
kehret warſcheinlicher Weiſe von Mordthaten
zuruͤck, welche nur die Gewonheit heiliget. ‒ ‒
Man erzaͤhlet vom Caeſar, er habe in ſeinem
ſechs und funfzigſten Jahre, da er ermordet
wurde, funfzig Haupt-Schlachten gewonnen,
ungefaͤhr tauſend Staͤdte mit Sturm erobert,
und 1200000 Menſchen getoͤdtet. Jch glau-
be, die nicht mitgerechnet, die an ſeiner Seite
fielen, da ſie jene umbrachten. Sind wir bei-
den, Bruder, du und ich, nicht unſchuldige
Maͤnner, und Windel-Kinder, gegen den Cae-
ſar,
oder ſeinen Vorlaͤufer auf der Helden-
Bahn, den Alexander betrachtet, der fuͤr ſein
Rauben und Morden den Beinamen, der
Große,
erhalten hat?


Der vornehmſte Unterſchied, der mir bei
der Vergleichung zwiſchen uns, und dem Mai-
re,
dem Abgeſandten und dem General in die
Augen leuchtet, iſt dieſer. Der Poͤbel macht
in dem einen Fall ein groͤſſeres Geraͤuſch, ein
lauteres Freuden-Geſchrei, als in dem andern,
welchen ſie den freudigen Zuruf nennen, und
M 2der
[180]
der ſich oft in einem haut gout endigt, indem
ſie einander mit todten Hunden und Katzen
werfen, ehe ſie ſich zerſtreuen; (*) wobei ſie
oft eben ſo viele Freude haben, als bei dem er-
ſten Theil des feierlichen Aufzuges. Uns hin-
gegen erwarten ſie mit allen Zeichen einer ehr-
furchtsvollen oder ſtillſchweigenden Hochach-
tung; aufs hoͤchſte reden ſie einander leiſe zu.
Sie ſperren das Maul auf, als wenn ſie ge-
knebelt waͤren, machen groſſe Kalbs-Augen,
und ihre Stimmen verlieren ſich in eine allge-
meine Bewunderung.


Aber geſetzt, wir werden verurtheilet, ſo ha-
ben wir nichts mehr zu thun, als bei Zeiten
unſre Guͤter fortzubringen, damit die She-
riffs
ſich nicht mit unſrer Beute luſtig machen.
Wir brauchen nicht zu fuͤrchten, daß man uns
um ein ſolches Verbrechen henken wird, ſo lan-
ge wir Geld und Freunde haben. Setze end-
lich das alleraͤrgſte, daß zween oder drei von
uns den Hals hergeben muͤßten, kann nicht
ein jeder von uns ſo gluͤcklich ſeyn und davon
kommen? Denn das muͤßte der Teufel ſeyn,
wenn ſie fuͤnfe darum henken wollten, daß
drei genothzuͤchtiget worden.


Jch weiß, ich komme ſtatt eines von euch
davon, ‒ ‒ ſollte es nur meiner Familie halber
ſeyn; und da ich ein ſchoͤner Kerl bin, ſo wer-
de ich ein oder ein par Dutzend junge Maͤdgen
haben,
[181]
haben, die alle, weiß gekleidet, nach Hofe ſtei-
gen, und um Gnade fuͤr mich flehen. ‒ ‒ Was
werden ſie fuͤr ein artig Schauſpiel geben, mit
ihren weißen Schleiern, weißen Andriennen,
weißen Unterroͤcken, weißen Scherfen, weiſ-
ſen Handſchuhen! Wenn ſie ſich mit weißen
Schnupftuͤchern die Augen reiben, und in zwo
ſchoͤnen Reihen fuͤr mich knien! Wenn ſeine
Majeſtaͤt durch ſie hinſpatzieret, und ihnen um
ihrentwillen meinen Pardon zuwinkt! ‒ ‒ Bin
ich denn einmal begnadigt, ſo iſt alles vorbei.
Denn, Bruder, in dergleichen Verbrechen gilt
kein Appelliren, wie bei Mordthaten.


So ſieheſt du das Schlimmſte, was ge-
ſchehen kann, wo wir nicht bei dieſer Gelegen-
heit die groſſe Reiſe vornehmen, ſondern hier
bleiben, und unſer Urtheil erwarten. Aber es
iſt ungemein warſcheinlich, daß ſie uns uͤberall
nicht anklagen werden. Thun ſie es aber, ſo
laufen wir an unſrer Seite keine Gefahr, nur,
daß wir, wenn es arg kommt, uns auſſer Lan-
des vergnuͤgen, Freunde hier laſſen, die unſer
muͤde ſind, und nach einiger Zeit zu dieſen Freun-
den zuruͤckkehren, nachdem die Abweſenheit uns
ihnen, und ſie uns, werther gemacht hat.


Dies iſt mein Entwurf, Bruder, ſo wie ich
ihn zuerſt fluͤchtig uͤberdacht habe. Jch weiß,
daß er noch eine Verbeſſerung leidet. ‒ ‒ Zum
Exempel: ich kann dieſe Damen in Frankreich
ans Land ſetzen, und nach Engelland uͤberſte-
chen, ehe ſie ein Schif zur Ruͤckreiſe finden, oder
M 3ehe
[182]
ehe Hickmann ſich von ſeinem Schrecken erho-
let hat, und dadurch ein Mittel finden, meine
Liebſte mit Liſt an Bord zu kriegen. ‒ ‒ So
wird alles ſeine Richtigkeit haben, und ich be-
kuͤmmere mich nicht darum, wenn ich auch nie
wieder nach Engelland komme.


  • Nota bene! wol zu uͤberlegen! ‒ ‒ Ob
    ich nicht, meine Rache vollſtaͤndig
    zu machen, es ſo einrichten kann,
    daß ich entweder den Junker Jakob
    Harlowe,
    oder den Solmes, oder
    beide zugleich wegkapere, und ſie nach
    Jndien ſchicke? Bruder, ein ehrli-
    cher Kerl wird nicht um nichts und
    wieder nichts das Land raͤumen.

Th. IV. S. 312. gegen das Ende, nach
den Worten: dein Drohen wahr zu
machen.


Alles was mich, mitten unter meinen Anſchlaͤ-
gen, darauf ich mir ſo viel weiß, beunruhiget,
iſt dies, daß es einen traurigen Burſchen in
der Welt giebt, der ſich unterſtehet, die Frage
aufzuwerfen, ob die Beute, wenn ich ſie er-
halte, alle die Muͤhe werth ſei, die ſie mich ge-
koſtet hat. Der doch weiß, mit wie viel Ge-
duld und Muͤhe ein Vogelſteller einen ganzen
Morgen Landes mit ſeinen Schlingen und Net-
zen beleget, ſeine Glaͤſer und Maſchinen be-
reit haͤlt, ſeine Lock-Voͤgel hinſetzet, und den
Schwarm des Gefluͤgels mit ſeiner Pfeife locket;
da
[183]
da doch ſeine ganze Beute und die Belohnung
ſeiner Arbeit in dem ganzen Morgen oft aus
einem ſchlechten Finken beſtehet!


Ernſthaft zu reden, Belford, muß ich ge-
ſtehen, daß alles, wornach wir uns von der
Kindheit an, bis in unſre maͤnnlichen Jahre,
beſtreben, nur Kleinigkeiten von verſchiede-
ner Art und Wichtigkeit ſind, die zu unſern
Jahren und Abſichten eine Verhaͤltniß haben.
Aber iſt nun nicht ein huͤbſches Maͤdgen, die
edelſte Kleinigkeit, die ein Mann jemals er-
halten hat, oder erhalten koͤnnte? Und wie
koͤnnte es heiſſen, daß er ſie erhielte, wenn
es nicht auf die Art iſt, die er wuͤnſchet? Wenn
ſie vielmehr den Mann, als der Mann ſie
zur Belohnung bekoͤmmt.


Was meineſt du, Bruder, u. ſ. w.


Th. IV. S. 321. L. 5. nach den Worten:
in Vergeſſenheit.


Doch ich muß dir noch einige beſondre Nach-
richten von unſrer Unterredung mittheilen, die
wir hatten, da wir uns in der Kutſche herum-
rollen lieſſen.


Sie haͤtte geſtern vermuthlich von Fraͤulein
Howe Briefe gehabt?


Sie antwortete nicht. Wie gluͤcklich wuͤrde
ich mich halten, wenn ich an ihrem Briefwech-
ſel Theil nehmen koͤnnte! Jch wuͤrde ihr dage-
gen mit Freuden meine Briefe mittheilen.


M 4Ob
[184]

Ob ich gleich nicht glaubte, daß ſie mir ſol-
ches zugeſtehen wuͤrde; (und wie wenig dachte
ſie wol, daß ich darin ohnedem ſo gluͤcklich ge-
weſen waͤre!) ſo dachte ich doch, es koͤnnte nicht
ſchaden, darauf zu dringen; und zwar aus ver-
ſchiedenen Urſachen. Unter andern, damit ſie
begreifen moͤchte, warum ich immer ſitze und
ſchreibe. Denn ſo wird ſie ihren Argwohn fah-
ren laſſen, als wenn unſer Briefwechſel uͤber
ſie gefuͤhret wuͤrde; und wenn ſie ihre Briefe
geheim haͤlt, ſo kann ich es rechtfertigen, daß
ich ihr die meinigen auch nicht zeige.


Jch fuhr alſo fort. ‒ ‒ Jch liebte Briefe un-
ter vertrauten Freunden, wie ich ihr ſchon oft
geſagt haͤtte, mehr als alle andre Arten Schrif-
ten. Das hieſſe, aus dem Herzen ſchreiben,
ohne die Feſſel, welche Kunſt und Regeln den
Gedanken anlegen. Ja nicht das Herz al-
lein, die ganze Seele zeigte ſich in den Brie-
fen. Nichts vom Koͤrper, wenn ein Freund
dem andern ſchreibt, weil die Seele den Fin-
gern, als ihren Vaſallen unumſchraͤnkt gebie-
tet. Das hieſſen Documente der Freundſchaft;
Verſicherungen der Freundſchaft unter Hand
und Siegel; Beweiſe, daß beide Theile nicht
fuͤrchteten, ſich durch die Laͤnge der Zeit, oder
durch irgend ein Schickſal zu veraͤndern, weil
ſie ſo haͤufige Zeugniſſe von ſich ſtellten, die im
Fall einer Untreue, oder Verletzung der Freund-
ſchaft, allezeit gegen ſie gebraucht werden koͤnn-
ten. Fuͤr mich waͤre es in ihrer Abweſen-
heit
[185]
heit der vornehmſte Zeitvertreib geweſen. Haͤt-
te ich das unſchuldige Vergnuͤgen nicht ge-
habt, ſo wuͤrde mir die Entfernung, die ſie mir
mannigmal aufgelegt haͤtte, unertraͤglich gefal-
len ſeyn.


Sally merkte, wo ich hinaus wollte, und
ſagte: ſie haͤtte die Ehre gehabt, zwei bis drei
von meinen und des Herrn Belfords Briefen
zu ſehen, und ſie waͤren ſo munter geſchrieben,
als ſie ſie je geleſen haͤtte.


Mein Freund Belford, ſagte ich, hat eine
gluͤckliche Gabe im Briefſchreiben, und zwar
uͤber alle Materien.


Jch erwartete, meine Liebſte wuͤrde auf die
Materien vorwitzig geweſen ſeyn. Aber ſie ſaß
und laurete, wie ich ſahe, und ſprach nicht ein
Wort. Jch beruͤhrte den Artikel alſo ſelbſt.


Wir ſchrieben ſehr weitlaͤuftig uͤber verſchie-
dene Dinge an einander. Zuweilen uͤber ge-
lehrte Sachen; (da horchte ſie recht) zuweilen
uͤber die oͤffentlichen Luſtbarkeiten; zuweilen
theilten wir aus dem Briefwechſel, den wir mit
guten Freunden auſſer Landes unterhielten, ein-
ander Nachrichten mit; zuweilen uͤber die
Schwachheiten und Tugenden unſrer vertrau-
teſten Freunde; zuweilen uͤber unſre gegenwaͤr-
tigen und zukuͤnftigen Hofnungen; zuweilen
ſuchten wir witzig zu ſchreiben, und einander auf-
zuziehen. ‒ ‒ Es wuͤrde freilich nach Eitelkeit
ſchmecken, wenn ich glauben wollte, eine Fraͤu-
lein von ihrer feinen Einſicht, koͤnnte an meinen
M 5Briefen
[186]
Briefen ein Vergnuͤgen finden; aber das muͤß-
te ich doch ſagen: vielleicht wuͤrde ſie bei weiten
nicht ſo hart uͤber mich geurtheilet haben, als
es wol mannigmal geſchienen haͤtte, wenn ſie
die Briefe zwiſchen Herrn Belford und mir
ſehen ſollte. (Jch hoffe, Bruder, du weißt zu
wol zu leben, als daß du mich Luͤgen ſtrafen
ſollteſt, und geſchaͤhe es auch nur in deinem
Herzen.)


Darauf ſprach ſie: Erſt verbat ſie mein
Compliment, ſo wie es nur die Perſon thun
konnte, die es verdienete. Sie fuͤr ihre Per-
ſon, ſagte ſie, haͤtte mich allezeit fuͤr einen ver-
ſtaͤndigen Mann gehalten, (Ein verſtaͤndiger
Mann! Bruder! wie geizig iſt das Maͤdgen in
ſeinem Lobe!) und hofte alſo, daß ich noch beſ-
ſer ſchreiben wuͤrde, als ich ſpraͤche. Denn
das waͤre unmoͤglich, die Briefe moͤchten in ei-
ner noch ſo leichten und vertraulichen Schreib-
art abgefaſſet ſeyn, ſo muͤßten ſie doch, weil
man ſich dazu hinſetzte, einen Vortheil haben,
den man der geſchwinden Rede nicht allemal
geben koͤnnte. Es wuͤrde ſie alſo befremden,
wenn meine Briefe nicht geiſtreich waͤren, und
eben ſo ſehr wuͤrde ſie ſich wundern, wenn ich
mit gutem Bedacht zu frei ſchriebe; denn eine
gar zu groſſe Freiheit koͤnnte nur durch die Un-
bedachtſamkeit entſchuldiget werden; und die
brauchte ſelbſt einer Entſchuldigung. ‒ ‒ Aber
wenn des Herrn Belfords und meine Briefe
uͤber ſo allgemeine Vorwuͤrfe geſchrieben waͤ-
ren,
[187]
ren, deren einige, wie ſie nicht zweifelte, mun-
ter und erbaulich ſeyn muͤßten, ſo koͤnnte ſie
nicht laͤugnen, daß ſie einige gern ſehen moͤch-
te; vornemlich die, welche Jungfer Martin
geſehen und geruͤhmet haͤtte.


Das war mir nahe gelegt!


Jch ſahe ſie an, ob ich nicht ein bisgen Ei-
ferſucht in den letzten Worten entdecken koͤnnte,
daß nemlich Jungfer Martin etwas geſehen
haͤtte, was ich ihr nicht zu zeigen fuͤr gut ge-
funden. Aber ſie lies nicht das geringſte bli-
cken. Jch ſagte alſo nur: Jch wuͤrde mir
eine groſſe Ehre daraus machen, ihr nicht al-
lein dieſe, ſondern auch alle uͤbrigen zu zeigen,
die ich mit Herrn Belford gewechſelt. Doch
muͤßte ich ſie erinnern, daß ſie doch die Be-
dingung wuͤßte?


Bedingung? Nein! Sie ließ ihren ſproͤden
und ſchoͤnen Mund haͤngen. Ein wenig lie-
benswuͤrdige Verachtung blickte mit hervor,
die nur bei einer ſo bluͤhenden Jugend, und
einer ſo goͤttlich-erhabnen Schoͤnheit liebens-
wuͤrdig ſeyn kann!


Wie wuͤnſche ich, eine ſolche Bewegung
noch einmal zu ſehen, die ihr Mund allein zu
machen weiß!


Doch ich bin naͤrriſch vor Liebe. Dennoch
wird ſie ewig von mir entfernet bleiben, ſo lan-
ge ich ſie um den Kauf zu erhalten gedenke.
Meine Seele iſt bald Feuer, bald Eis, und
blaͤſet doch beſtaͤndig, wenn ich ſo reden darf.
Vergeb-
[188]
Vergeblich iſt indeſſen alle Bemuͤhung, auszu-
loͤſchen, was uͤberall unausloͤſchlich iſt.


Jch bitte, Belford, halte mir meinen Un-
ſinn und meine Metaphoren aus des Vulca-
nus
Werkſtaͤtte zu gute. ‒ ‒ Habe ich dir nicht
geſagt, daß ich vor Liebe nicht krank, ſondern
naͤrriſch waͤre? Warum brachte ich einen ſol-
chen Engel in ein ſolches Haus? in ſolche Ge-
ſellſchaft? Und warum verſtopfte ich meine
Ohren nicht gegen die Sirenen, welche meine
Abneigung vor den Eheſtand kennen, und be-
ſtaͤndig die Saite beruͤhren?


Es waͤre mir nicht lieb, daß ſie mir das ſo-
gleich abgeſchlagen haͤtte. Denn ich wuͤßte ge-
wiß, was zwiſchen zwo ſo jungen Fraͤulein (ſo
werthen, einander vom Himmel geſchenkten
Freundinnen) vorgienge, koͤnnte vor jedermanns
Augen kommen. Jch haͤtte noch mehr als je-
mand Urſache, zu wuͤnſchen, daß ich ihre und
der Fraͤulein Howe Briefe leſen moͤchte. Denn
ich glaubte gewiß, daß ſie voll vortreflicher Leh-
reu ſeyn muͤßten, zumal da eine von den wer-
then Correspondentinnen die Guͤte gehabt haͤt-
te, meine voͤllige Bekehrung zu wuͤnſchen.


Sie ſahe mich an, als wenn ſie mich durch-
ſehen wollte. Mich deuchte, ich fuͤhlte es,
wie ein Strahl ihrer Augen nach dem andern
mein zitterndes Eingeweide durchdrang. ‒ ‒
Aber ſie ſchwieg, und ihre Worte hatten auch
nicht noͤthig, ihren Augen zu Huͤlfe zu kom-
men.


Doch
[189]

Doch (nachdem ich mich ein wenig erho-
let) ich hofte nicht, daß der Fraͤulein Howe
oder ihrer Frau Mutter ein Ungluͤck begegnet
waͤre. Daß man den geſtrigen Brief durch ei-
nen Expreſſen geſchickt, und ſie ihn mit einer
groſſen Bewegung geoͤfnet hatte, als wenn ſie
ihn eher vermuthen geweſen waͤre, ‒ ‒ das mach-
te mich in der That beſorgt!


Wir waren eben bei Muzzle-Hill. Eine
ſchoͤne Gegend, ſo weit man ſehen kann!

war ihre Anmerkung gegen Polly, an ſtatt
mir zu antworten.


Doch ich lies mich damit nicht abſpeiſen.
‒ ‒ Jch erwartete gewiß von zwo ſolchen Fe-
dern vortrefliche Anmerkungen und Charack-
tere. Jch hofte doch, daß zwiſchen Fraͤulein
Howe und Herrn Hickmann alles gut ſtuͤn-
de? Jhre Mutter waͤre ſehr fuͤr die Heirath.
Herr Hickmann haͤtte ſeine Verdienſte; Er
waͤre das, was ſie Fraͤulein einen geſetzten
Mann nenneten. Doch muͤßte ich ſagen, ich
glaubte, Fraͤulein Howe verdiente einen Mann
von ganz anderm Schlage.


Dies, dachte ich, ſollte uns auf ein Geſpraͤch
fuͤhren, wodurch ich etwas heraus bringen
koͤnnte. ‒ ‒ Denn Herr Hickmann iſt einer
von ihren Lieblingen ‒ ‒ Warum? das kann
ich nicht rathen, es moͤchte denn ſeyn, weil
ſein Charackter dem Charackter ihrer braven
Freundin ganz entgegengeſetzt iſt.


Aber
[190]

Aber ſie fertigte mich kurz ab, mit einem
Blick, der ihr Misfallen zeigte, mit noch einer
gleichguͤltigen Anmerkung uͤber eine entfernte
Gegend, und einer Frage: Wie weit hal-
ten ſie, Jungfer Horton, jenen Buſch
von hier,
welchen ſie zugleich aus der Kutſche
ſche wies. ‒ ‒ So war ich fertig.


Hier endigt ſich alles, was ich von unſrer
Unterredung bey der angenehmen Spatzierfarth
zu berichten habe.


Jn der ganzen Zeit u. ſ. w.


Th. IV. S. 330. am Ende, nach den Wor-
ten: mit mir umgegangen.


Es iſt wahr, ich habe es mehr als einmal
geſtanden, daß mir Herr Lovelace vor allen
Mannsperſonen haͤtte gefallen koͤnnen. Jch
erinnere mich des Streites, den wir beiden zu-
weilen daruͤber hatten, wenn ich ſo gluͤcklich
war, Jhr Gaſt zu ſeyn. Sie pflegten zu ſa-
gen, und haben es einmal geſchrieben: Unſer
Geſchlecht haßte Maͤnner von ſeinem Schlage
von Natur nicht; und ich behauptete, dem
moͤchte ſeyn, wie ihm wollte, ſolche Maͤnner
waͤren diejenigen doch nicht, die uns gefallen
ſollten. Doch was das Verfahren meiner
Verwandten an einer, und ſein ungluͤcklicher
Charackter, und liſtigen Anſchlaͤge an der an-
dern Seite, fuͤr einen Einfluß in meine Ent-
ſchlieſſung gehabt haben, daruͤber habe ich jetzt
nicht Luſt, mein Herz zu unterſuchen. Dies
erin-
[191]
erinnert mich an eine Stelle in einem Jhrer
vorigen Briefe, (*) die ich hier herſetzen will,
ob ſie gleich im Scherz geſchrieben war: Jſt
es nicht moͤglich,
ſagen Sie, da Sie mit
ſo wunderlichen Koͤpfen zu thun gehabt
haben, daß Sie ſelbſt nicht darauf mer-
ken koͤnnen, wenn Jhnen das Herz ſtaͤr-
ker geſchlagen hat? Oder, da Jhnen
das Herz um zwei ganz verſchiedener Ur-
ſachen willen hat ſchlagen koͤnnen, iſt es
nicht moͤglich, daß Sie die gefuͤhlten
Schlaͤge aus der unrichtigen Urſache her-
geleitet haben?
Ob ich mich gleich auf die
Stelle beſann, da ich noch gegen Herrn Lo-
velace
am wenigſten einzuwenden hatte, habe
ich ihr doch alle Wuͤrkung genommen, wenn
er mich zu quaͤlen, und zu martern ſuchte, und
mir Gelegenheit zum Argwohn gab. Denn
Herr Lovelace, mein Kind, iſt doch, wenn
wir alles zuſammen nehmen, nicht in ſeiner
ganzen Auffuͤhrung weiſe. Und ſollten wir
uns nicht bemuͤhen, ſo viel moͤglich, (wenn
wir nicht durch natuͤrliche Bande gefeßelt waͤ-
ren) zu lieben oder zu haſſen, wie es die Ver-
nunft befiehlet, und es der Vorwurf verdienet
oder nicht? Wenn das, was wir Liebe nen-
nen, unſre ungereimteſten Thorheiten hinlaͤng-
lich entſchuldigen kann, und die Daͤmme durch-
brechen darf, die uns eine ſorgfaͤltige Erziehung
geſetzt hat, was ſoll denn die Lehre von der Be-
zwin-
[192]
zwingung unſrer Leidenſchaften heißen? ‒ ‒
Aber, meine liebſte Freundin, bin ich nicht ei-
nes ſtrafbaren Fehlers ſchuldig, wo ich den
Mann, der lauter Fehler iſt, lieben ſollte? Und
hat mich mein eigen Herz nicht betrogen, da ich
dachte, ich liebte ihn nicht? Und was muß
das fuͤr eine Liebe ſeyn, die nicht einige reine
Abſichten hat? Jch erſchrecke, wenn ich an ei-
nige Stellen in meines Vetters Morden Brie-
fe denke. (*) Doch warum fliehe ich ſolche
Vorwuͤrfe, die, wenn ich ſie recht betrachtete,
mein Herz beſſern und reinigen koͤnnten? Jch
fuͤrchte, ich habe mir hievon uͤbertriebene Be-
griffe gemacht, nicht fuͤr andre, ſondern fuͤr
mich, wenn ich darnach handeln ſoll. ‒ ‒ Doch
halten Sie mich nicht der Verſtellung ſchuldig.
Denn haͤtte ich mein Herz eher ausgeforſcht,
oder haͤtte er ihm dazu Ruhe genug gelaſſen, ich
wuͤrde Jhnen mein Bekenntniß eher abgelegt
haben.


Jch kann Jhnen indeſſen u. ſ. w.


Th. IV. S. 365. L. 8. nach den Worten:
oft in meinem Kopfe.


Mein Gewiſſen, ſollte ich denken, darf mir
doch keine Liſt vorwerfen, da ſie durch die Liſten
zwoer ſolcher Maͤdgen, als dieſe ſind, gerecht-
fertiget werden. Eine von ihnen (die vortref-
lichſte von den beiden!) habe ich mir immer als
ein
[193]
ein Muſter zur Nachahmung vorgeſtellet, und
ich denke, daß ſie ſolches ſelbſt billiget.


Aber hier iſt das Ding, Bruder, das mich
entſchloſſen macht, und mein Herz in Diamant
einſchlieſſet: Jch finde in der Fraͤulein Howe
Briefen, daß die Schuld daran iſt, warum
ich mit meiner bluͤhenden Schoͤnen nicht weiter
komme. Sie liebet mich. Der Streich mit
dem Jpecacuanha uͤberzeugt mich, daß ſie
mich liebet. Wo Liebe iſt, da muß auch Zu-
trauen ſeyn, oder ein Verlangen, daß man Ur-
ſache zum Zutrauen haben moͤchte. Sie haͤlt
mich fuͤr grosmuͤthig, und darauf gruͤndet ſich
ihre Grosmuth, die ihr Herz eingenommen hat.
Soll ich denn jetzt nicht ſehen, (da ich ewig un-
gluͤcklich ſeyn muß, wenn ich ſie heirathe, ehe
ich alles, alles, verſucht habe!) was ich aus ih-
rer Liebe, und kuͤrzlich entſtandenem Zutrauen
machen kann? ‒ ‒ Wird es nicht zu meiner Eh-
re gereichen, wenn ich meinen Endzweck erhal-
te? und ihr, und ihrem Geſchlechte zum Ruhm,
wenn ich nicht ſo weit kommen kann? Wem
wird es denn etwas ſchaden, wenn ich den Ver-
ſuch mache? Und kann ich nicht, wie ich oft
geſagt habe, ſie belohnen, wenn ich will, und
ſie nemlich heirathe?


Es iſt ſchon ſehr ſpaͤt u. ſ. w.


Th. IV. S. 389. L. 12. nach den Worten:
wechſelsweiſe zu helfen, lies ſtatt
des naͤchſten Abſchnitts:


Zuſaͤtze zur Cl. NEs
[194]

Es muß mir angenehm ſeyn, ſo wenig ich
auch zuweilen an die Leute im Hauſe denke, daß
ein ſo guter Mann, als Capitain Tomlinſon,
gut
von ihnen redete, wie ich ihn fragte.


Jch halte hier eine Minute ein, mein Kind,
um in Gedanken Jhre freundſchaftlichen Gluͤck-
wuͤnſche anzunehmen.


Jch hoffe in meinem naͤchſten es zu bekraͤfti-
gen, was ich von meinen gegenwaͤrtigen ange-
nehmen Umſtaͤnden geſchrieben, und noch ange-
nehmere Hofnungen mitzutheilen. Jnzwiſchen
ſeyn Sie verſichert, daß mir unmoͤglich ein Gluͤck
begegnen kann, welches ich mit demjenigen Ver-
gnuͤgen betrachten werde, das ich in Jhrer
Freundſchaft finde.


Empfelen Sie mich Jhrem guten Herrn
Hickmann, deſſen guͤtigen Vermittelung bei die-
ſer Gelegenheit ich ſo vielen Dank ſchuldig bin,
aufs verbindlichſte, und glauben Sie, meine
liebſte Fraͤulein Howe, daß ich ſei


Jhre ewig-ergebne und verbundne
Cl. Harlowe.


Th. IV. S. 392. L. 22. nach den Worten:
willigſt zugeſtanden.


Jhre Wuͤnſche, daß ich ſie oft nach der Kir-
che begleiten moͤchte, da ich in St. Pauls,
in ihrer Geſellſchaft ſo aufmerkſam geweſen waͤ-
re, gab ſie mir artig zu verſtehen, und ich ver-
pflichtete mich den Augenblick dazu. Jch ver-
ſicherte
[195]
ſicherte ſie, ich haͤtte die ganze Geiſtlichkeit uͤber-
haupt, und beſonders einige von ihnen, als
ihren D. Lewen zum Exempel, allezeit ausneh-
mend hochgehalten. Wenn auch die Feierung
des oͤffentlichen Gottesdienſtes keine Pflicht der
Religion waͤre, ſo hielte ich es doch (wie ich
dir auch einmal geſagt habe) fuͤr das angenehm-
ſte Schauſpiel, alle, Reiche und Arme, gleich-
ſam in Geſellſchaft einmal in der Woche an ei-
nem Orte, und Maͤnner und Weiber in ih-
rem beſten Schmuck, verſammlet zu ſehen, um
den GOtt zu verehren, der ſie gemacht hat. Es
koͤnnte auch fuͤr einen wolerzogenen Menſchen
keine Beſchwerde ſeyn, ſich bei einer ſo feierli-
chen Gelegenheit einzufinden, und die Predigt
eines gelehrten Mannes anzuhoͤren, (ob das
gleich nicht, wie es gemeiniglich angeſehen wuͤr-
de, der vornehmſte Theil des oͤffentlichen Got-
tesdienſtes waͤre,) der allezeit etwas neues zu ſa-
gen haben muͤßte, weil er die goͤttlichen War-
heiten fuͤr ſich uͤberdacht haͤtte, und ſie alſo auf
eine ihm eigne Art vortruͤge.


Sie ſchuͤttelte den Kopf, und wiederholte die
Worte: etwas neues. Doch ſahe ſie ſo aus,
als wenn ſie bereit waͤre, mit dieſer Antwort
zufrieden zu ſeyn. Wuͤrklich, Bruder, ſie denkt,
in der Hofnung, mich zu bekehren, ſeiner Sa-
taniſchen Majeſtaͤt einen rechten Poſſen zu ſpie-
len. Kein Wunder alſo, wenn er ſich aufmacht,
ihr zuvor zu kommen und ſich zu raͤchen. ‒ ‒
Doch wie faͤlt mir der Gedanke ein? ‒ ‒ Jch
N 2bin
[196]
bin immer wider mich ſelbſt. ‒ ‒ Es wird ein
Tag kommen, bilde ich mir ein, da ich mich
ſelbſt darum haſſen werde, wenn ich mich erin-
nere, was ich dieſen Augenblick zu thun vor-
habe. Doch ſo lange muß ich warten. Wir
muͤſſen alle etwas thun, das wir hernach zu be-
reuen haben.


Sie machte ſich noch eine u. ſ. w.


Th. IV. S. 395. L. 3. nach den Worten:
in ihren Jahren.


Doch in Warheit, ich weiß nichts, wovon
ſie nicht ausnehmend zutreffend ſpricht. So
ſehr, daß, wenn ich meine Vorurtheile gegen
den Eheſtand uͤberwinden, und mich entſchlieſ-
ſen koͤnnte, auf dem tollen betretenen Wege mei-
ner Vorfahren einherzugehen, ich der gluͤcklich-
ſte von allen Menſchen ſeyn wuͤrde. ‒ ‒ Und
wenn ich es nicht kann, ſo bin ich vielleicht zehn-
mal mehr zu bedauren, als ſie.


Meinem Herzen, Belford, meinem Herzen
iſt nicht zu trauen. ‒ ‒


Jch breche ab u. ſ. w.


Th. V. S. 9. L. 8. nach den Worten:
Zaͤrtlichkeit zu erregen.


Doch nie, glaube ich, iſt in einer menſchli-
chen Seele eine ſo wahre, ſo zaͤrtliche Beſchei-
denheit geweſen, als bei dieſer Fraͤulein. Und
dies hat mich allezeit ſicher gemacht, und wird
mich, Trotz der Rathſchlaͤge, welche ihr die
Fraͤu-
[197]
Fraͤulein Howe eingiebt, ferner ſicher machen.
Denn wenn ihre Zaͤrtlichkeit ein Fehler iſt, ſo
wird ſie ſolche eben ſo wenig uͤberwinden, als
ich meine Abneigung gegen den Eheſtand. Ge-
wohnheit, Gewohnheit, ſieheſt du das nicht,
Bruder? wird uns beide zu Schwachheiten ver-
fuͤhren. Und ſollte ſie nicht ſo wol gegen mich,
als gegen ſie Menſchenliebe haben?


Es iſt wahr, ich habe u. ſ. w.


Th. V. S. 504. L. 17. nach den Worten:
wie es ausſehen moͤchte.


So bin ich hier in meinem Speiſe-Saal,
und habe nichts zu thun, als zu ſchreiben, bis
ſie wiederkommen.


Und was, denkeſt du, wird mein Vorwurf
ſeyn? ‒ ‒ Was? der alte abgenutzte Vorwurf,
ganz gewiß ‒ ‒ Ein Kampf mit mir ſelber ‒ ‒
bei einer Gewiſſens-Angſt, die nur eine Zeit-
lang dauret! Denn da der Streich noch nicht
geſchehen iſt, ſo verdoppelt ihr Schutz-Engel
ſeine Bemuͤhungen, ſie zu retten.


Wenn der es nicht iſt, (und doch, was ſoll-
te ihr Schutz-Engel fuͤr Macht uͤber mich ha-
ben?) ſo weiß ich nicht, was es ſeyn kann, das
meiner Ruhe einen Zuͤgel anlegt, ſo oft ich ge-
gen eine ſo erhabne Tugend auf Verraͤtherei
denke. Mein Gewißen iſt todt und fort, wie
ich dir ſagte; das kann es alſo wol nicht ſeyn.
Ein junges Gewiſſen, das gleich dem Phoe-
nix,
aus der Aſche des alten hervorkaͤme, kann
N 3es
[198]
es ſicher auch nicht ſeyn. Und wenn es das
waͤre, ſo waͤre es verzweifelt, wenn ich ein
junges Gewiſſen nicht beſiegen koͤnnte!


Wol, es muß alſo der Gott der Liebe ſeyn,
denke ich. Der Gott der Liebe ſelbſt, der
mich gegen einen ſo anbetungswuͤrdigen Ge-
genſtand mit Liebe beſeelet. ‒ ‒ Jch kann jetzt
wol deinen Gruͤnden eine kleine Aufmerkſamkeit
widmen, wodurch du mich zum Mitleiden ge-
gen das Kind bewegen willſt.


Wolan, der Gott der Liebe ſei es denn,
der mich begeiſtert. Das gebe ich deſto eher
zu, weil es natuͤrlich iſt, daß dieſer dem Lieb-
haber es zuwider macht, dem Gegenſtand ſei-
ner Flammen zu misfallen. Da er weiß, daß
eine vorher uͤberdachte Beleidigung ſie toͤdtlich
verletzen wird, iſt es ihm unertraͤglich, daß ich
einen ſolchen Gedanken gegen ſie haben ſollte.


Komm alſo du Gott der Liebe, und laß
uns uͤber die Sache ein wenig mit einander
ſprechen! ‒ ‒ Es ſei nun das junge Gewißen,
oder die Liebe, oder du ſelbſt, Bruder.
‒ ‒ Du ſieheſt, ich bin dafuͤr, einem jeden Hol-
lunken
Gehoͤr zu geben. Doch dies muß der
letzte Streit uͤber die Materie ſeyn. Denn iſt
ihr Schickſal nicht gewißer Maſſen in den Um-
ſtaͤnden, da es brechen muß? Und muß nicht
mein naͤchſter Schritt unwiederruflich ſeyn, er
fuͤhre mich auch, wohin er will?



Nun iſt unſer Streit ausgemacht.


Tauſend
[199]

Tauſend artige Sachen (denn der Cupido
iſt hoͤflicher als das Gewißen) hat der kleine
Bube zu ihrem Vortheil geſagt.


Er behauptete, er kennete unſer beider Her-
zen, und daß meine Liebe, ſo gewaltig ſtark
und maͤchtig ſie auch ſeyn moͤchte, und ob ſie
gleich das Verdienſt anfuͤhren koͤnnte, ihr vie-
le Monate treue Dienſte geleiſtet, und mit un-
endlichen Schwierigkeiten gekaͤmpfet zu haben,
doch noch nicht die rechte Art von Liebe
waͤre.


Die rechte Art von Liebe! ‒ ‒ Der Narr!
‒ ‒ Aber mit aller Ehrerbietung gegen Eure
Goͤttliche Majeſtaͤt geſprochen, ſagte ich, wie
hat die Fraͤulein ſich denn um Euch verdient
gemacht, daß Jhr ihre Parthei nehmet? Jſt
denn ihre Liebe, bedenket es doch, die rechte
Art von Liebe?
Jſt es uͤberall Liebe? Das
behauptet ſie ſelber nicht. Sie erkennet Eure
Herrſchaft im geringſten nicht. Was, den
Teufel! bewegt Euch, ſo ernſtlich fuͤr einen Re-
bellen zu ſprechen, der Eure Macht verachtet?


Darauf kam er mit ſeinen Wenn, und
Und und Aber, und ſagte, es wuͤrde Liebe,
und zwar eine Art von erhabener Liebe, gewe-
ſen ſeyn,
und wuͤrde es noch ſeyn, wenn ich
ſie durch die rechte Art von Liebe auf-
muntern wollte, wovon er ſpraͤche. Und ſei-
ne Meinung zu rechtfertigen, fuͤhrte er ihre
eignen Geſtaͤndniſſe, ſowol die von geſtern, als
von dieſem Morgen an. Ja er gieng ſoweit
N 4zuruͤck
[200]
zuruͤck bis an die Krankheit von dem Jpe-
eacuanha.


Nie habe ich mit ſeiner Gottheit vorher ſo
vertraut geſchwatzet. Du kannſt alſo glauben,
daß mir ſeine Sprache ſehr fremd in den Ohren
klang. Darauf ſagte er mir, wie oft ich
kaltes Waſſer in die ſchoͤnſte Flamme gegoſſen
haͤtte, die je eines Frauenzimmers Bruſt er-
waͤrmet, da ſie noch ſo jung und kaum aufge-
ſtiegen waͤre.


Jch forderte eine Erklaͤrung von der rech-
ten Art von Liebe.
Er verſuchte es, ſie
mir zu geben, aber es gieng ihm jaͤmmerlich
von der Hand. Und ich will des Henkers
ſeyn! ich konnte mich nicht uͤberzeugen, daß
das, was er zu erheben glaubte, Liebe
ſei.


Kurz, wir hatten uͤber die Sache einen
merkwuͤrdigen Streit, worin er auf das un-
vergleiche Verdienſt der Fraͤulein drang. Doch
ich uͤberwand ihn. Denn er ward auf einmal
ganz ſtumm, da ich, ohne ihren gegenwaͤrtigen
Eigenſinn anzufuͤhren, womit ich alle ſeine
Gruͤnde hinlaͤnglich haͤtte beantworten koͤnnen,
behauptete, und es durch tauſend Exempel, die
mir den Augenblick einfielen, zu beweiſen ver-
ſprach, daß Liebe nie durch das Verdienſt re-
gieret wuͤrde, oder unter der Macht der Klug-
heit und der uͤbrigen Kraͤfte des Verſtandes
ſtuͤnde. Wenn ja die Fraͤulein einer Liebe faͤ-
hig waͤre, ſo waͤre ſie doch von ſolcher Art, wo-
mit
[201]
mit er nichts zu ſchaffen haͤtte, und die vorhin
nie in ein weibliches Herz gekommen ſei.


Jch fragte ihn, was er davon daͤchte, daß
ſie von mir zu einer Zeit entflohen waͤre, da
mich ſeine rechte Art von Liebe ſchon halb
bezwungen hatte? ‒ ‒ Dann zeigte ich ihm den
Brief, welchen ſie ſchrieb, und fuͤr mich zuruͤck
ließ, gewiß in der Abſicht, mir das Herz durch-
aus zu brechen, oder mich zu reizen, daß ich
mich haͤngen, erſaufen, oder erſchieſſen ſollte.
Nicht zu gedenken der Menge ihrer Erklaͤrun-
gen, worin ſie ſeiner Macht trotzete; und al-
les, was in ihrem Betragen gegen mich der
Liebe aͤhnlich ſaͤhe, der Verfolgung und Ver-
werfung ihrer Vewandten zuſchriebe; wobei
ſie mich nur als die letzte Triebfeder betrachtete.


Der Gott der Liebe gab ſie alſo auf.
Der Brief, ſagte er, verdiente weder Verzei-
hung noch Entſchuldigung. Er haͤtte nicht
geglaubt, daß er ſich eines ſo offenbaren Re-
bellen angenommen. Jm uͤbrigen wuͤrde er an
den Rechten ſeiner Herrſchaft zum Verraͤther
werden, wenn das, was ich angefuͤhret, wahr
waͤre, und er doch noch fuͤr ſie ſprechen wollte.


Jch ſchwur, es ſei alles die lautere War-
heit. Und diesmal ſchwur ich die Warheit,
welches ich ſonſt vielleicht nicht allezeit thue.


Was denkeſt du nun, wird aus der Fraͤu-
lein werden, da der Gott der Liebe ſie ſelbſt
aufgiebt, und das Gewiſſen nicht fuͤr ſie ſpre-
chen kann?


N 5Th. V.
[202]

Th. V. S. 554. am Ende, ſtatt des Ab-
ſchnitts, der ſich anhebt: Jch ſchickte
meiner Geltebten.


Jch ſchickte meiner Geliebten den Brief durch
Frau Bevis hinauf, mit der wiederholten Bit-
te, daß ſie mich vorlaſſen, und daruͤber ſprechen
moͤchte. Aber auch dies half mir nichts. Jch
glaube, ſie dachte, das hieſſe mir die Folgen
zugeſtehen, die man natuͤrlicher Weiſe, nach
Erhaltung des Trauſcheins, erwarten koͤnnte,
wenn ſie mir erlaubte, ſie uͤber den Jnhalt des
Briefes zu ſehen, da ſie mir die Ehre vorher, ehe
ich ihn hinaufſchickte, abgeſchlagen hatte. ‒ ‒
Man kann ſie gar nicht uͤberraſchen! Nicht den
geringſten Vortheil davon ziehen, daß ſie etwa
auf die kleinſten Umſtaͤnde nicht Acht gaͤbe!


Nun Belford gehe ich u. ſ. w.


Th. V. S. 640. nach den Worten: nicht
uͤbel nehmen.


Du wirſt neugierig ſeyn, zu wiſſen, was
dieſe Frauenzimmer fuͤr Perſonen ſind, die ich
ſo hoch zu beehren gedenke. Mich deucht, ich
habe ſie vorher noch nicht im geringſten nach ih-
rem Charackter beſchrieben.


Frau Moore iſt eine Witwe von etwa fuͤnf
und dreißig Jahren, die durch Ungluͤcksfaͤlle ein
wenig mitgenommen iſt. Doch das ſind oft
die luſtigſten Leute, wenn ſie warm werden.
Sie hat noch gute Zuͤge, und iſt das, was
man eine Dame nennet, die zu leben weiß; ſehr
nett
[203]
nett in ihrem Anzuge. Jch glaube, ſie hat
alle Gedanken auf unſer Geſchlecht aufgegeben.
Aber wenn die gluͤende Aſche, um das halb
verbrannte Scheitholz zuſammen geſchuͤret
wird, ſo wird es noch ſo viel Feuer geben, daß
es wieder anbrennet, und einen halb erfrornen
Menſchen, der dabei ſtehet, hinlaͤnglich er-
waͤrmet.


Frau Bevis hat ein gutes Anſehen, ſie iſt
nemlich ſtark von Perſon. Sie liebt das Lu-
ſtige, und ich getraue mich zu behaupten, daß ſie
nie eine ganze Woche traurig geweſen iſt. Sie
mag etwa fuͤnf und zwanzig Jahre alt ſeyn.
Mowbray, denke ich, wird nicht viel Muͤhe
mit ihr haben, denn einer kann nicht alles al-
lein thun. Jndeſſen gewaͤhren zuweilen Frauen-
zimmer von einem ſo freien Weſen, wenn es
zur Hauptſache kommt, weniger, als ihr ange-
nehmes Zudraͤngen einer Mannsperſon zu ver-
ſprechen ſchien, die eine Abſicht darauf hat.


Jungfer Rawlins iſt ein junges Maͤdgen,
das Annehmlichkeiten genug beſitzet, ob ſie gleich
nicht fuͤr ſchoͤn gelten kann. Sie hat Verſtand,
und will dafuͤr angeſehen ſeyn, daß ſie die Welt
kennet,
wie man zu ſagen pfleget. Aber ſie
hat ihre Kenntniß mehr aus Buͤchern, als aus
der Erfahrung. Eine elende Kenntniß, Bru-
der, die fuͤr ABCſchuͤtzen gehoͤret, und allezeit
eine Perſon, welche ihr zu viel trauet, zu der
Zeit im Stiche laͤſſet, da ſie ihr die meiſten Dien-
ſte thun ſollte! Denn ſolche junge Damen ver-
laſſen
[204]
laſſen ſich ſo ſehr auf ihren Verſtand und Be-
hutſamkeit, ſind ſo weit uͤber alle Vorſicht er-
haben, daß ein Menſch, der nicht einmal alles
verſuchet, ſeine Abſichten bei ihnen erreichen kann.
Gemeiniglich aber werden ſie durch ihre Einbil-
dung uͤber den Haufen geworfen, wenn ein
Mann von Erfahrung ſie angreift, der ihrer
Eitelkeit zu ſchmeicheln, und ihre Weisheit zu
erheben weiß, damit er von ihrer Thorheit ei-
nen Vortheil ziehe. Doch, wenn ich zu der
Kenntniß der Jungfer Rawlins ein wenig
Erfahrung hinzuthun kann, was fuͤr eine
vollkommne Perſon wird ſie dann werden! ‒ ‒
Wie ſehr wird ſie mir verbunden ſeyn! Und
nicht allein Sie, ſondern alle diejenigen, die
ſich die Lehren zu Nutze machen koͤnnen, welche
zu geben ſie ſich jetzt ſchon ſo geſchickt haͤlt!


Recht ſehr gerne, Bruder, mag ich mit de-
nen Weibesleuten zu thun haben, die Lehren ge-
ben, oder fuͤr Muſter angeſehen ſeyn wollen.


Du ſieheſt, Belford, ob gleich in keinem
von dieſen Charactern etwas auſſerordentliches
iſt, ſo koͤnnen wir doch, im Fall der Noth, ei-
nen luſtigen Nachmittag mit ihnen haben, wenn
wir ſie bei Tiſch durch wolluͤſtige Speiſen weich
gemacht, und ſie hernach mit unſerm Frauen-
zimmer zum Tanzen bringen koͤnnen. Alle Maͤd-
gen lieben den Tanz, und alle Mannsperſonen
ſollten ſie daher um ihrer beider willen dazu
aufmuntern.


Wenn
[205]

Wenn alſo Tourville ſingt, Belton gei-
get, Mowbray auf ſeine grobe Weiſe, und ich
auf meine feine Art ihnen liebkoſe, (und du, Bru-
der, wirſt doch den Tag auch deine Perſon gut
ſpielen) ſo muͤßte es der Teufel ſeyn! wenn
wir ſie nicht nach unſerm Gefallen in alle For-
men bilden; vornemlich, da die Maͤdgen hier
im Hauſe durch ihre Freiheiten und ausgelaſ-
ſenes Gelaͤchter ſie reizen werden, daß ſie die
gewoͤhnliche Zuruͤckhaltung bei Seite ſetzen.
Denn du weißt, daß fuͤr Maͤdgen keine aͤrgere
Verfuͤhrer ſind, als Maͤdgen! Wenn ihre Her-
zen voͤllig erhitzet worden, ſo mag keine der an-
dern, wenn ſie ſich Freiheiten herausnimmt,
etwas nachgeben.


Die erſte Schwierigkeit wird gewiß die zu-
faͤllige Abweſenheit meiner theuren Frau Lo-
velace
abgeben, der ſie hauptſaͤchlich ihren
Beſuch zugedacht haben. Doch wenn wir ſie
nur luſtig machen koͤnnen, ſo werden ſie nicht
wuͤnſchen, ſie zu ſehen. Und ich kann von ei-
ner Stunde zur andern zwanzig Hinderniſſe
und Entſchuldigungen erdenken, warum ſie
nicht kommt, bis eine jede ihren Vorwurf hat,
der alle ihre Gedanken einnimmt.


Jch ſchmachte von Herzen u. ſ. w.


Th. V. S. 782. L. 12. nach den Wor-
ten: Fußtapfen zu treten.


Eben komme ich von dieſen Teufels-Maͤdgen.


Jch ſahe mich genoͤthiget, die Alte hinun-
ter
[206]
ter zu fuͤhren, weil ſie mit ihren hoͤniſchen Aus-
rufungen gegen mich ankam, mich ſo durchca-
techiſirte, und mir mit ſolcher Verwegenheit
Vorwuͤrfe machte, als wenn ich ihr Geld ſchul-
dig waͤre.


Endlich machte ich, daß ſie von mir hinauf
lief. Gewaltige Verwuͤnſchungen ſtieſſen wir
gegeneinander aus, wie ſie gieng. Rathe ein-
mal, ich will dirs ſagen. Sie wuͤnſchte, daß
ich verheirathet, auf meine Frau eiferſuͤchtig,
und mein erſter Erbe das Kind eines andern
Mannes ſeyn moͤchte! Jch raͤchte mich an ihr
mit einem eben ſo entſetzlichen Fluche. Wie
das moͤglich iſt? Hoͤre nur. Jch wuͤnſchte, daß
ihr Gewiſſen einmal aufwachen moͤchte! ‒ ‒
Denn ich ſchlieſſe aus den Stichen, die mir das
meinige jede halbe Stunde verſetzet, daß ſie dann
verfluchte Tage haben wird.


Sally und Polly thaten auch recht groß.
Jhre erſten Gunſtbezeugungen waͤren mir auf-
geopfert. ‒ ‒ Wenn die Maͤdgen auf die Gunſt-
bezeugungen trotzen, die ſie ſo willig waren,
mitzutheilen, als ich, ſie anzunehmen, wie al-
bern iſt das! Sie warfen mir Undankbarkeit,
und weibiſche Feigheit vor. Jch ſelbſt waͤre an
allen den Schwierigkeiten mit meinem Engel
ſchuld, weil ich meine Streiche nicht verfolgte,
und zugaͤbe, daß die ſtolze Fraͤulein ihren eignen
Willen, und ſich ſelbſt nichts vorzuwerfen haͤt-
te. Alle kamen ſie darin uͤberein, daß die Traͤn-
ke, deren ich mich bei einer gewiſſen Gelegenheit
gegen
[207]
gegen ſie bedienet, zu ſtark gewuͤrket haͤtten, als
daß ſie oder ich urtheilen koͤnnten, was ihr Wil-
le geweſen ſeyn wuͤrde, wenn es auf die Haupt-
ſache angekommen waͤre. Darauf beſchuldig-
ten ſie einander, und ich fluchte ihnen allen.


Endlich machten ſie den Schluß, ich wuͤrde
gewiß verheirathet, und ein verlohrner Mann
werden. Sally ſchlug mit einem angenomme-
nen boshaften Gelaͤchter ein Knipgen gegen mich,
und ſtreckte zween Finger von jeder Hand ge-
gen mich aus; wobei ſie mich an die Verſe er-
innerte, die ich ihr einmal aus meinem Leib-
Poeten dem Dryden, wie ſie den beruͤhmten
Dichter zu nennen pflegt, zeigte:


Wir Maͤdgen eilen hin zu ungeſeh’nen

Freuden:

Die Liebe fuͤhrt uns an; die Stapfen

ſieht man nicht.

Da andre Guͤter ſich ſonſt merklich un-

terſcheiden,

Die, die das Herz erſeufzt, entfliehn

doch dem Geſicht.

Sie ſagen mir oft u. ſ. w.


Th. VI. S. 161. ſetze folgende Nachſchrift
zu dem Briefe der Fraͤulein Howe.


Jch bitte Sie, mein allerliebſtes Kind, noch
einmal, vergeben Sie mir die grauſamen Spoͤt-
tereien in meinem Briefe vom 5ten. Doch kaum
kann ich mirs ſelbſt vergeben! Wie konnte ich
ſo
[208]
ſo grauſam ſeyn, da ich Sie ſo wol kenne! Wo-
her kam mir doch die niedertraͤchtige Ungeduld!


Th. VI. S. 162. faͤngt der Brief der Cla-
riſſa
eigentlich alſo an:


Jch ſoll Jhnen vergeben, mein Schatz!
‒ ‒ Von ganzen Herzen ‒ ‒ Wollen Sie mir
auch einige ſcharfe Zuͤge vergeben, die ich
in meiner Beantwortung Jhres wertheſten
Schreibens mit einflieſſen laſſen? Sie haͤtten
mich nicht ſo ſehr lieben koͤnnen, wie Sie thun;
Sie haͤtten nicht die Beſorgniß fuͤr meine Eh-
re haben koͤnnen, die Sie allezeit gezeiget; waͤ-
ren Sie nicht mit meinem Vetragen aͤußerſt
misvergnuͤgt geweſen, ſo wie es Jhnen zu der
Zeit vorkommen mußte, da ich Jhnen ſchrieb.
Jch danke Jhnen herzlich, meine beſte, meine
einzige Freundin, daß Sie mir zur Rechtferti-
gung meines Verfahrens Gelegenheit gegeben,
und mit ſolcher Grosmuth bereit geweſen ſind,
mich von der zugedachten Beſchuldigung los zu
ſprechen, ſo bald Sie meine traurige Erzaͤh-
lung geleſen haben.


Jch laſſe mir den Weg u. ſ. w.


Th. VI. S. 177. L. 7. nach den Worten:
meines Vaters Fluch, lies ſtatt der
uͤbrigen Zeilen dieſes Abſchnitts:


Davon der Theil, welcher mein zeitliches
Schickſal angehet, ſo wunderbar und ſo nach
dem Buchſtaben eingetroffen iſt! ‒ ‒ Doch, wenn
mein
[209]
mein Gemuͤth eben recht ſtark iſt, ſo kann ich nicht
denken ‒ ‒ Wiewol, was lehret die Geſchichte von
Jſaac, Jakob, und Eſau, welchen letzte-
ren die Rebecca, aus Liebe zu dem Jakob, um
den Seegen betrog, der ihm zugedacht war; die
in dem 27. Cap. des 1. B. Moſis beſchrieben
ſtehet. Mein Vater pflegte, wie ich mich noch
wol erinnere, die Lehren, welche daraus herge-
leitet werden koͤnnen, ſeinen Kindern aus vie-
len Gruͤnden einzuſchaͤrfen. Wenigſtens muß
er alſo glauben, daß der Fluch, den er mir an-
gekuͤndiget, eine groſſe Kraft habe. Sollte
ich denn nicht bekuͤmmert ſeyn, ſeinen Wieder-
ruf zu erhalten, damit ich mir kuͤnftig meiner
ſelbſt willen, keine Gedanken mache, daß er
ihn nicht wiederrufen hat?


Nun will ich nichts mehr u. ſ. w.


Th. VI. S. 209. am Ende, nach den
Worten: juͤngern Frauenzimmer
erzwang,
lies ſtatt der uͤbrigen Zeilen
dieſes Abſchnitts:


Haͤtten dieſe mit einem Burſchen, der mir
an Unerſchrockenheit gliche, und erſt ihre Gunſt
gewonnen, in einer ſolchen Angelegenheit, dar-
uͤber wir redeten, zu thun bekommen, ſie wuͤr-
den vielleicht nicht einen ſolchen Umweg, wie
meine Geliebte, genommen haben. Junge
Maͤdgen, wie ich bei hundert Gelegenheiten
angemerkt, fuͤrchten fuͤr ſich ſelbſt nicht halb ſo
viel, als ihre Muͤtter fuͤr ſie. Aber hier wa-
Zuſaͤtze zur Cl. Oren
[210]
ren die Maͤdgen genoͤthiget, ernſthafte Minen
anzunehmen, und boͤſe zu thun, weil die Alten
die Sache hoͤchſt wichtig machten. Aber Zorn und
Mitleiden ſaß nur ſo leicht auf der Oberflaͤche
ihres Herzens, daß ſie genoͤthiget waren, den
Mund einzuziehen, um das Laͤcheln zu unter-
druͤcken, welches ich dann und wann zu erha-
ſchen ſuchte. Die Aeltern, welche ſelbſt Ro-
ſen (das iſt zu ſagen, Toͤchter) von ihrem eignen
Stocke gehabt, und wiſſen, wie die Manns-
perſonen auf dergleichen Kleinigkeiten geſteuert
ſind, wuͤrden es freilich ſehr ungerne geſehen
haben, wenn jemand ſie in der Knospe gebro-
chen, und nicht einmal, mit ihrer Erlaub-
niß, Frau Roſenſtrauch,
zu der Mutter ge-
ſagt haͤtte.


Der naͤchſte Punct u. ſ. w.


Th. VI. S. 239. L. 7. nach den Worten:
gepluͤndert habe.


Und wie kann ich ihr eine groſſe Beleidi-
gung zufuͤgen, da ſie ſo leicht mit ein par Zau-
ber-Formeln wieder gut zu machen ſtehet: Jch
Robert nehme dich Clariſſa zur Frau,
und ich Clariſſa nehme dich Robert
zum Mann;
nebſt dem uͤbrigen Taſchenſpie-
ler-Geſchwaͤtz, welches alle das Unrecht, das
himmelſchreiende Unrecht! das ich der Fraͤulein
Harlowe
angethan habe, in lauter Guͤte und
Gewogenheit gegen die Frau Lovelace ver-
wandeln wird?


Sollte
[211]

Sollte dies geſchehen u. ſ. w.


Th. VI. S. 311. L. 2. nach den Worten:
eignen Fehler mishandelt.


Dorcas, die mit dem Kerl bekannt iſt, und
ihn mir zum Boten vorſchlug, hat ſich von
dem Trinkgelde, ſo ſie von dir erwarteten, ei-
nen Theil, wie es ſcheinet, ausbedungen.
Wenn ſie ſein Trinkgeld nothwendig haͤtte mit
ihm theilen muͤſſen, ſo wuͤnſchte ich, du haͤtteſt
ihm alle Knochen am Leibe zerſchlagen.


Unter was fuͤr aͤrgerlichen u. ſ. w.


Th. VI. S. 381. am Ende, nach den
Worten: haͤtte es anders gewußt,
lies ſtatt des naͤchſten Abſchnitts:


Das iſt ein reizendes Maͤdgen! Die Fraͤu-
lein Howe! Jhre Lebhaftigkeit, ihre angeneh-
me Lebhaftigkeit! ‒ ‒ Nicht an ſie verheirathet
zu ſeyn! ‒ ‒ Wie ſehr wuͤnſche ich, den lebhaf-
ten Vogel in mein Bauer zu bekommen! Wie
ſollte ſie darin herum flattern und fliegen! bis
ſie an jedem Drat des Bauers eine Feder ſitzen
ließe!


Haͤtte ich bei ihr angefangen, ich bin gewiß,
wie ich ſchon geſagt, ich wuͤrde bei ihr nicht
die halbe Schwierigkeit, wie bei ihrer ſchoͤnen
Freundin, gefunden haben. Denn dieſen hef-
tigen Maͤdgen ſchlaͤgt der Puls ſtark, und ein
tuͤchtiger Kerl kann, weil ſie ſich ſelbſt ſo wenig
gleich ſind, mit ihnen ſpielen, wie er will. Bald
O 2ſind
[212]
ſind ſie zu hoch, bald zu niedrig. Jhr duͤrfet
ſie nur eins ums andre zum Zorn reizen, und
wieder beſaͤnftigen; etwas mit ihnen aushal-
ten und Gedult haben; ſie quaͤlen, und um
Bergebung bitten. Zuweilen muͤſſet ihr euch
ein Verdienſt daraus machen, daß ihr von ih-
nen leidet. Wenn ihr ſie dann in dem Augen-
blick ergreifet, da ſie euch dies zugeſtehen, und
ſich ihres uͤbeln Betragens gegen euch bewußt
ſind, ſo werden ſie ſich euch ganz uͤberlaſſen.


Aber dieſe geſetzten, nachdenkenden Maͤdgen,
die nie, als mit Grunde, aus ihrer Gelaſſen-
heit kommen, werden euch, wenn ihr ihnen
Urſachen dazu gebet, ſchwerlich verzeihen, oder
euch eine andre Gelegenheit verſchaffen, ſie zu
beleidigen.


Gewiſſer maſſen bewegte mich auch die Furcht,
es moͤchte mir mit meiner theuren Fraͤulein Har-
lowe
ſo gehen, ſie an einen Ort zu bringen,
wo ſie mir unmoͤglich entwiſchen koͤnnte, wenn ich
gleich in meinen erſten Verſuchen nicht gluͤcklich
ſeyn ſollte. Sonſt waͤre der Witwe Sorlings
Haus fuͤr mich ſo gut geweſen, als das Haus
der Witwe Sinclair. Denn das ſahe ich bald
ein, ſie hatte keine Leichtglaͤubigkeit, worauf ich
bauen koͤnnte; ich wuͤrde vergeblich verſuchen,
mir durch wehmuͤthige Klagen ihr Zutrauen zu
erwerben. Sie iſt gegen verliebte Ueberredung
hinlaͤnglich verwahrt. Jhre Liebe iſt mit Ver-
nunft und Einſicht begleitet. Jhr durchdrin-
gender richtig denkender Geiſt macht ihr alle
Com-
[213]
Complimente verhaßt, welche die Warheit und
das Herz nicht macht. Was haͤtte ich mit ihr an
einem jeden andern Ort anfangen ſollen? Und
doch wie lange hat ſie mich nicht ſelbſt da, trotz
der natuͤrlichen Reizung, und unnatuͤrli-
chen Verfuͤhrungen,
(wie ich ſie mir jetzt den-
ke) in Ehrfurcht gehalten, bloß durch die Kraft
der angebohrnen Wuͤrde, und unverſtellten
Reinigkeit ihres Geiſtes und ihrer Sitten, die
einen jeden mit Ehrerbietung, wo nicht mit
heiliger Liebe (wie du es nenneſt) erfuͤllen,
ſo bald er ſie ſiehet! ‒ ‒ Denkeſt du nicht, daß
es mir ſonſt leicht geweſen waͤre, einen artigen
Cavalier,
oder einen zaͤrtlichen, wenigſtens
einen ſcheinbaren und ſchmeichelnden Lieb-
haber abzugeben?


Lady Sarah Sadlair und Lady Eliſabeth
Lawrance
ſind im Begrif, wieder nach ihren
Guͤtern abzureiſen, da ſie finden, daß der Track-
tat, der, ihrer naͤrriſchen Einbildung nach, den
erwuͤnſchten Erfolg haben ſoll, ſich warſcheinli-
cher Weiſe in die Laͤnge ziehen wird. Jch ha-
be ihnen die beſte Sicherheit, die die Natur der
Sache leidet, nemlich mein Wort, geben muͤſ-
ſen, die Fraͤulein zu heirathen, wenn ſie mich
haben will.


Aber mich deucht, du fraͤgſt: willſt du denn
endlich doch ihr die Erſtattung thun, wo du
anders noch im Stande biſt, ſie zu leiſten?


Jch muß geſtehen, Bruder, mein Herz macht
dann und wann einige Bewegungen, als wenn
O 3es
[214]
es zuruͤckgehen wollte, wenn ich an die unwie-
derrufliche Ceremonie mit Ernſt denke. Wir
geben nicht leicht das Verlangen unſrer Herzen
auf, oder das, was wir zu unſrer Gluͤckſelig-
keit weſentlich halten; die Hofnung, es zu er-
reichen, mag, nach andrer Meinung, noch ſo
unvernuͤnftig und ungereimt ſeyn. Es wird
noch Ruͤckfaͤlle geben, eingewurzelte Begier-
den, die bei einem jeden entfernten guͤnſtigen
Anſchein, ſo ſehr ihn auch vorher ein uͤbler Er-
folg niedergeſchlagen und zuruͤckgetrieben hat,
doch ſich erheben, und alles Vergnuͤgen erſti-
cken werden, welches wir ſonſt aus einem ent-
gegengeſetzten Betragen ſchoͤpfen ſollten.


Es iſt einem Cavalier unanſtaͤndig, Bru-
der, gegen einen Cavalier eine Luͤge zu ſagen. ‒ ‒
Aber doch liebe ich den Eheſtand nicht recht
von Herzen
‒ ‒ waͤre es auch mit einer Cla-
riſſa.
‒ ‒ Doch es iſt mein Ernſt, ſie zu hei-
rathen.


Wiewol ich denke oft, wenn nun dies liebe
Kind durch die Zeit, durch meine Reue, durch
die Bitten meiner Verwandten, und die wei-
ſen Betrachtungen der Fraͤulein Howe dahin
gebracht wuͤrde, ihre Empfindlichkeit zu mil-
dern, (denn von der Rache ſelbſt haſt du ſie
auf eine feine Art freigeſprochen) ihre bekaͤmpfte
Neigung zuruͤck zu rufen, und mit mir vor den
Altar zu treten. Wie wird ſie dann alle deine be-
redten Verwuͤnſchungen vereiteln! Wie viele
von ihren eignen artigen Ausrufungen wird ſie
verder-
[215]
verderben! Was fuͤr ein artiges Paar alter Pa-
triarchen werden wir abgeben, wenn wir, gleich
einem Pferde in der Muͤhle, immer im Zirkel
herumgehen; Soͤhne und Toͤchter zeugen; ih-
nen zuerſt Ammen, und hernach Hofmeiſter und
Hofmeiſterinnen zu verſchaffen ſuchen; ihnen
Lehren geben, die der Vater niemals ausgeuͤ-
bet und die die Mutter, wie die Groß-Aeltern
ſagen werden, ſich nicht zu Nutze gemacht hat!
‒ ‒ Endlich wenn unſer Leben in eine unwuͤrkſa-
me nuͤchterne Stille uͤbergehet, und ich ein Ver-
langen bekomme, alle meine ehemaligen Schel-
mereien zu vergeſſen, was fuͤr troſtreiche Be-
trachtungen werde ich dann anſtellen, wenn ich
ſie vielleicht alle mit eben ſo vieler, oder vermuth-
lich noch groͤſſerer Unruhe und Aufwand in ſo
vielen jungen Buben, die ſich Lovelace nen-
nen, wieder aufleben ſehe: Wenn die Maͤdgen,
meine Toͤchter, mit nichtswuͤrdigen Kerln davon
laufen, die vielleicht nicht halb ſo viel Verſtand
haben, als ich; mit Dummkoͤpfen, wie leicht
geſchehen kann, die ihre Schwachheiten mit nichts
rechtfertigen koͤnnen, als mit den elenden Ent-
ſchuldigungen, daß ihr Geſchlecht und die Na-
tur
ſie dazu verleitet habe! ‒ ‒ O Belford,
wie kann ich den Gedanken ertragen! ‒ ‒ Vor-
nemlich in den Jahren, darin ich bin, und bei
der Geſchicklichkeit zu boͤſen Haͤndeln!


Davon bin ich voͤllig uͤberzeuget, daß, wenn
ein Mann jemals zu heirathen, und in Ruhe
ſich ſeinen eignen Betrachtungen zu uͤberlaſſen
O 4geden-
[216]
gedenket, wobei er weder eine Wiedervergeltung,
noch die Folgen ſeines eignen Beiſpiels zu fuͤrch-
ten haben will, niemals ein Boͤſewicht ſeyn muß.


Dies ſiehet einem Gewiſſen aͤhnlich! Nicht
wahr Belford? ‒ ‒


Alles was ich in meiner u. ſ. w.


Th. VI. S. 384. L. 14. nach den Worten:
jemals lieben kann, lies ſtatt der bei-
den naͤchſtfolgenden Abſchnitte:


Jedermann weiß, daß die Mutter, (ſo ſproͤ-
de die Tochter gegen ihn iſt) einen Narren in
ihn gefreſſen hat. Sie iſt eine der heftigſten
Frauenzimmer in ganz Engelland. Jhr ver-
ſtorbener Ehemann war dem ehelichen Zwiſt:
wer Recht haben ſollte? nicht gewachſen;
Sondern ſchlich ſich allemal davon, weil er we-
der nachzugeben, noch zu ſiegen wußte.


Eine trefliche Reizung fuͤr einen Menſchen,
der zu Liebeshaͤndeln geneigt iſt, wenn er Urſache
hat, zu glauben, daß die Frau, auf die er ſein Ab-
ſehen gerichtet, ihren Mann nicht liebe! Was fuͤr
gute Grundſaͤtze muß die Frau haben, welche
da, wo keine Zuneigung ſie haͤlt, durch die Em-
pfindung von ihrer Pflicht und gelobten Treue,
gegen die Verſuchungen beſtehet!


Jch bitte dich, gieb uns ganz genaue Nach-
richt, wie es dem armen Belton gehet. ‒ ‒ Er
iſt ein ehrlicher Kerl. ‒ ‒ Es ſcheinet ihm etwas
mehr, als ſeine Thomaſine, auf dem Herzen zu
liegen.


Du
[217]

Du haſt ihm doch wol nicht von Gewiſſen
und Bekehrung vorgeprediget? ‒ ‒ Billig ſoll-
teſt du dir dergleichen Freiheiten gegen ihn nicht
nehmen, wo du nicht glaubeſt, daß er durch-
aus nicht wieder davon kommen kann. Ein
Menſch, der krank, und ſeines Lebens muͤde iſt,
kann nicht, ſo wie du, mit dieſen ernſthaften Din-
gen ſpielen, ohne beſſer oder ſchlimmer dadurch
zu werden. ‒ ‒ Die Buſſe, wie mir eben einfaͤlt,
Bruder, ſollte billig geſchehen, wenn ein Menſch
ſeine Geſundheit und Munterkeit hat. Denn
wozu iſt er doch geſchickt, wenn er nicht mehr
derſelbe, und der Kraͤfte ſeiner Seelen Meiſter
iſt? Wenigſtens gewiß nicht, ein neues Werk
anzufangen! Daher kommt es, wie ich glau-
be, daß man eine Bekehrung auf dem Todbette
als etwas erbetteltes und fruchtloſes anſiehet.


Jch fuͤr meine Perſon hoffe, noch eine ziem-
lich lange Zeit vor mir zu haben, da ich doch
willens bin, kuͤnftig einmal ein Bekehrter zu
werden. Dann und wann habe ich ganz ernſt-
hafte Gedanken. Doch fuͤrchte ich halb, daß
meine Goͤttin recht hat, da ſie mir einſt ſag-
te: ein Menſch koͤnnte ſich nicht bekehren,
wenn er wollte.
Jch glaube, ſie verſtand
dies von einer dauerhaften Bekehrung! Denn
ſo bei Stoͤſſen habe ich meine Vergehungen wol
tauſendmal bereuet. Aber es war, wie die Ab-
wechſelungen von Hitze und Froſt im Fieber!


Jndem ich meine Augen auf die beiden vor-
hergehenden Abſaͤtze werfe, kommt es mir vor,
O 5als
[218]
als wenn etwas widerſprechendes darin waͤre.
Aber ich will es nicht noch einmal uͤberdenken.
Die Materie iſt ſehr ernſthaft. Vorjezt verſte-
he ich ſie nicht vollkommen. Jch will dir lieber
noch etwas Luſtiges ſchreiben.


Tourville, Mowbray und ich u. ſ. w.


Th. VI. S. 395. L. 22. nach den Wor-
ten: in dieſelben zu ſeyn.


Was ſollen wir von der Zaͤrtlichkeit fuͤr eine
Urſache angeben, die ein vermeinter Vater
oft gegen die Kinder eines andern Mannes zei-
get? Sage mir doch, was iſt das, was wir
Natur, und natuͤrliche Zuneigung nen-
nen? Und wie kann ein Mann ſich ſeiner Ein-
ſicht und Verſchlagenheit ruͤhmen, da er eben
ſo leicht dahin gebracht wird, die Kinder, wel-
che ein Verbrecher mit ſeinem Weibe oder Mai-
treße gezeuget hat, zu beſchuͤtzen, zu erziehen,
und gar zu lieben, oft aber ſeinen eignen vor-
zuziehen, wie eine Henne, oder Gans die Eier
von einem andern Geſchlecht ausbruͤtet, und
ſo gar die Jungen noch liebet?


Ja, ich frage dich, wenn der Trieb, wie
man es nennet, die Thiere nicht faͤhig macht;
ihre eignen Jungen zu unterſcheiden, wie viel
ſchwerer wird unſre geruͤhmte Vernunft, und
Scharfſinnigkeit es in dieſem zarten Punkte zu
thun vermoͤgend ſeyn?


Moͤchten doch einige Menſchen, die Weiber
von einer nur zweifelhaften Tugend haben,
dies
[219]
dies gehoͤrig bedenken! Jch glaube, ihre auſ-
ſerordentliche Hitze nach Gewinn wuͤrde ein gu-
tes Theil abgekuͤhlet werden; Da zwar ihre
Weiber, aber nicht ſie, gewiß ſeyn koͤnnen,
fuͤr weſſen Kinder ſie arbeiten, ſchwitzen, ſchar-
ren, zuſammen kratzen, und vielleicht diejenigen
betriegen, welche mit den Kindern als Freun-
de, oder Nachbaren, oder noch als weit naͤhere
Anverwandten, wenigſtens von der Mutter
Seite, in einer Verbindung ſtehen.


Doch ich mag dieſen Gedanken nicht ſo weit
treiben, als ich koͤnnte. Er moͤchte, wenn er
gemeiner wuͤrde, zu Folgen Anlaß geben, die
den natuͤrlichen und geſellſchaftlichen Nei-
gungen nachtheilig waͤren. Vielleicht moͤch-
ten auch tugendhafte Frauen von dem ei-
ferſuͤchtigen Mistrauen ihrer Maͤnner, die ein
boͤſes Herz und ein naͤrriſches Gehirn haͤtten,
mehr leiden muͤßen, als diejenigen, welche ſich
der Entdeckung durch Kuͤnſte und Verſtellung
zu entziehen verſtehen, zu welchen Frauen von
Tugend ihre Zuflucht nicht nehmen koͤnnen.
Und doch, wenn man dieſen Gedanken gehoͤ-
rig und allgemeiner erwoͤge, wuͤrde er keine uͤble
Wuͤrkungen hervorbringen. Eine gute Erzie-
hung, gute Neigungen, und eine geſetzte Tu-
gend, und nicht Geld, wuͤrden die vornemſten
Eigenſchaften ſeyn, die ein Mann ſuchte, der
nicht durch die aͤußerlichen Reizungen einer
Perſon gefeßelt waͤre, wenn er ſich nach einer
Theilnehmerin ſeiner Guͤter, und nach einer
Mutter
[220]
Mutter ſeiner zukuͤnftigen Kinder umſaͤhe, die
das Seinige dereinſt erben, und die Fruͤchte
ſeines Fleißes genieſſen ſollen.


Aber wieder auf den armen Belton zu
kommen.


Wo ich euren u. ſ. w.


Th. VI. S. 398. L. 23. nach den Wor-
ten: Leben zuruͤck zu ſehen.


Es wird die Reihe bald an euch kommen,
an einen jeden von euch, wo die Gerichte des
Landes ſich nicht dazwiſchen legen.


Du biſt der einzige Boͤſewicht von denen,
mit welchen wir in Geſellſchaft geweſen ſind,
wo du mich ſelbſt nicht etwa auch ausnimmſt,
der ſeine Geſundheit und Vermoͤgen voͤllig be-
halten hat.


Mowbray hat es in der That ſeiner ſtar-
ken Leibesbeſchaffenheit zu danken, daß er an
ſeiner Geſundheit noch nicht gelitten. Aber
ſein Vermoͤgen wird von Jahr zu Jahr
kleiner.


Drei Biertheile von Tourvilles ſehr an-
ſehnlichen Guͤtern ſind bereits verſchwendet, und
das letzte Viertel wird den uͤbrigen dreien
warſcheinlicher Weiſe bald folgen.


Mit dem armen Belton ſehen wir, wie es
gehet. ‒ ‒ Sein einziges Gluͤck iſt, daß er
ſchwerlich ſeinen Mangel erleben wird.


Du biſt zu ehrgeizig, und zu klug, als daß
du je in Duͤrftigkeit gerathen ſollteſt. Ja
du
[221]
du haſt, um dir Gerechtigkeit wiederfahren
zu laſſen, ein Gemuͤth, das ſeinen Freunden
beiſtehen wird, wenn ſie herunter kommen, und
wirſt es auch thun, wenn du alsdann noch le-
ben ſollteſt. Aber doch mußt du, denke ich,
viel eher, als du dir einbildeſt, zur Rechenſchaft
gefordert werden. ‒ ‒ Vielleicht entſcheidet einer
von den Freunden der Perſonen, die du belei-
digt haſt, dein Schickſal. Denn wenn du ſolches
nicht von der Harlowiſchen Familie erfaͤh-
reſt, ſo wirſt du doch die Gefahren und die Ra-
che reizen, bis du jemand findeſt, der ſich raͤ-
chet; und dies wird geſchehen, du magſt ver-
heirathet ſeyn oder nicht. Denn ich zweifle,
ob der Eheſtand, wenn nicht das Alter hinzu
trit, dich jemals von deiner Liebe zu Raͤnken
heilen wird, die Trotz deiner beſſern Einſicht
und voruͤberfahrenden Entſchlieſſungen, mit dir
beſtaͤndig fortrennet.


Wolan, ich will einmal ſetzen, daß du ru-
hig zu deinen wuͤrdigern Vaͤtern verſammlet
wirſt.


Aber laß mich jetzt einmal zum voraus ei-
nen Blick auf Mowbrays und Tourvilles
Ende werfen, (Belton wird vielleicht vor dir
zu Staub verwandelt werden) geſetzt, daß dein
fruͤhes Ableben es hindert, daß ſie nicht ge-
henket werden.


Wenn ſie warſcheinlicher Weiſe durch lieder-
liche Verſchwendung in Duͤrftigkeit gerathen
ſind; ſo ſiehe, wie ſie in ein garſtiges Loch
oder
[222]
oder auf einen ſchmutzigen Erker fliehen, und
ſich genoͤthiget ſehen, mit der Aufwartung ei-
nes ſchmierigen alten Weibes vorlieb zu neh-
men, die nur ihre Armuth beweget, ſolchen
Kerln die letzten Dienſte zu erweiſen, die unter
den jungen Weibern eine ſo aͤrgerliche Verwuͤ-
ſtung angerichtet haben!


Wie klaͤglich werden ſie dann ſchreien und
winſeln! Jhre groben ſtarken Stimmen ſind in
wimmernde Wehklagen verwandelt, die um
Mitleiden flehen! Wie huͤlflos werden ihre jetzt
fuͤrchterlichen Klauen ſeyn! ‒ ‒ Jhre jetzt erhab-
nen Nacken verſagen den mit Schmerz erfuͤllten
Haͤuptern die Stuͤtze, und dieſe Koͤpfe voll Bos-
heit wackeln auf ihren zitternden Schultern!
Wie werden ſie dann die Geſichter verdrehen!
Jhr Herz macht ihrem Kopfe Vorwuͤrfe! Jh-
re ausgetrocknete Maͤuler ſtehen voneinander!
Eingefallne Wangen! Ein herabhaͤngender Un-
terkinn! Sie grunzen wie die Schweine, denen
ſie im Leben aͤhnlich waren! O was fuͤr ein nie-
driger Boͤſewicht bin ich geweſen! O koͤnn-
te ich mein Leben wieder zuruͤck rufen!
‒ ‒
Sie beichten einem alten Weibe, die ſie nicht los-
ſprechen kann! Schreckbilder von Geiſtern ent-
ehrter Jungfrauen, befleckter Matronen, ſchwe-
ben ihnen vor den ſtarren Augen herum! Und
ihr Schrecken recht voll zu machen, laͤchelt ein
alter Satan boshaft hinter einem Spiegel, den
er ihnen vorhaͤlt, um ſie mit dem Grauſen zu
erfuͤllen, das in ihren Geſichtern erſcheinet.


Kann
[223]

Kann ich meines Theils u. ſ. w.


Th. VI. S. 422. L. 6. nach den Worten:
betrogen finden.


Da war eine Jungfer Dorrington, (viel-
leicht kennen ſie ſie nicht) die mit ihres Vaters
Lackeien davon lief, weil er ſie an einen in Pen-
ſion ſtehenden Officier nicht geben wollte, in
den ſie ſich, da ſie ihn zum erſtenmale unter ih-
rem Fenſter vorbeigehen ſahe, ſterblich verliebt
hatte.


Da war eine Jungfer Savage. Die hei-
rathete ihrer Mutter Kutſcher, weil ihre Mut-
ter ihr eine Reiſe nach Wales nicht erlauben
wollte; aus Furcht, ſie moͤchte ſich dort mit ei-
nem weitlaͤuftigen Vetter von ungleichen Ver-
moͤgen verbinden, den ſie nicht wenig lieb ge-
wann, als er ſie auf eine Woche in ihrem Hau-
ſe beſuchte.


Da war die junge Witwe Sanderſon, die
eben wie Sarah Stout, auf die Gedanken
gerieth, ſich zu erſaͤufen, weil ſie glaubte, daß
ein juͤngerer Bruder aus einer edlen Familie
ihre Liebe verſchmaͤhet habe.


Jungfer Sally Anderſon, (ſie haben ge-
wiß von ihr gehoͤret) bekam von ihrem Oncle
Verweiſe, daß ſie einem Liebhaber Hofnung
machte, der unter ihr war. Aus Verdruß
warf ſie ſich in die Arme eines heslichen Hun-
des, eines Schuſter-Jungens, und lief mit ihm
in einem Paar Schuhen davon, die er eben fuͤr
ſie
[224]
ſie gemacht hatte, ob ſie gleich den Burſchen
vorher nie geſehen, und nachher allezeit haßte.
Endlich nahm ſie ein ſtarkes Opium, um ih-
re Thorheit auf ewig zu vergeſſen.


Aber kann ein ſtaͤrkeres u. ſ. w.


Th. VI. S. 432. L. 25. nach den Worten:
hinein fliegen ſehen.


Mowbray und Tourville haben dir jeder
einen Brief zugedacht, und ich uͤberlaſſe es die-
ſen groben Geſellen, dich fuͤr das aͤrgerliche
Gemaͤlde von ihrem letzten Ende zu handha-
ben, wie du es verdieneſt. Man kann daraus
ſehen, daß deine eignen vergangnen Verbrechen
dir recht vor den Augen geſtanden ſind, und
dir, der du dir deines verdienten Lohns bewuſt
wareſt, bei dieſen verzweifelten Zuͤgen die Hand
gefuͤhret haben. Jch freue mich, daß du den
alten boͤſen Feind ſo bald angetroffen, dir den
Spiegel vors Geſicht zu halten. Du mußt
es doch ſicher im Ernſt, und aus einer wahren
Ueberzeugung von deinen Bosheiten geſchrie-
ben haben? Denn was fuͤr ein verhaͤrteter
Boͤſewicht muͤßte der ſeyn, der ein ſolches Ge-
maͤlde, als dieſes, im Scherz und blos zur
Luſt ſchildern koͤnnte!


Was deinen Vorſatz u. ſ. w.


Th. VI. S. 459. L. 2. nach den Worten:
recht geiſtlichem Stolze.


Eine
[225]

Eine von meinen Maͤdgen in Paris war ei-
ne Heilige. Sie gab ſich groſſe Muͤhe, mich
zu bekehren. Jch lies zum Beſten meiner
Seele ihren guͤtigen Bemuͤhungen Raum. Sie
glaubte, etwas gewonnen zu haben, wenn ſie
mich bewegen koͤnnte, mich zu einer Religion
zu bekennen. Die Catholiſche hat ihre Be-
quemlichkeiten. Jch erlaubte ihr, einen ihrer
geiſtlichen Vaͤter zu mir zu fuͤhren. Meine
Bekehrung wuchs, daß es eine Luſt war. Der
ehrliche Vater machte ſich gute Hofnung von
mir. Er lobte ihren Eifer, und ich auch. Und
wie, meineſt du, endigte ſich das Ding? ‒ ‒
Kein Maͤdgen in Engelland wuͤrde ſo weit le-
ſen, ohne es zu errathen! ‒ ‒ Mit einem Wor-
te: ſehr gluͤcklich! Denn ſie brachte mir nicht
allein einen Vater, ſondern ſie machte mich auch
dazu. Wir waren einer mit des andern Bekeh-
rung zufrieden, und nahmen verſchiedene We-
ge; ſie nach Navarra, ich nach Jtalten,
und hatten beide groſſe Luſt, die guten Lehren
auszubreiten, die wir einander ſo ſchoͤn bei-
gebracht.


Ein Troſt erwaͤchſet u. ſ. w.


Th. VI. S. 597. L. 18. nach den Worten:
dir heraus gelaſſen haſt.


Aber du ſieheſt, Bruder, da ſie ſo wenig von
Hickmann, als der Fraͤulein Howe, Geld an-
nehmen will, daß die ausſchweifende Schoͤne
ein Vergnuͤgen daran findet, ſeltſam zu handeln,
Zuſaͤtze zur Cl. Pweil
[226]
weil ſie lieber um nichts und wieder nichts ihre
Kleider verkaufen will. Denkeſt du nicht, daß
ſie zuweilen ein wenig niedergeſchlagen iſt? Jch
fuͤrchte es. Ein kleines Ueberbleibſel der Ver-
ruͤckung, die ſie in der erſten Woche, als ich bei
ihr zum Werke zu ſchreiten anfieng, in einem
hoͤhern Grade hatte, greift ſie jetzt noch an, wie
ich vermuthe. Jhre Verachtung des Lebens,
ihre durcheinander laufenden Vorſtellungen, ih-
Weigerung, ſich zu verheirathen, oder ſelbſt
von ihren vertrauteſten Freunden Geld anzuneh-
men, ſind noch Spuren davon, und laſſen ſich,
wie ich glaube, ſonſt nicht erklaͤren.


Jhr Apotheker iſt ein guter ehrlicher Kerl.
Er gefaͤllt mir ſehr. Aber das Lied, das ewi-
ge Lied von ſterben, welches meine wunderliche
Schoͤne immerzu ſinget, bringet mich aus aller
meiner Geduld. Jch hoffe, dieſer melancholi-
ſche Unſinn ruͤhret blos daher, daß ich ſie in ei-
nem Wege fuͤhren wollte, der ihr ſo neu iſt, als
dir die Schoͤnheiten der Bibel. Kein Wunder
alſo, daß ſie nicht weiß, was ſie aus ſich ma-
chen ſoll, und ſich einbildet, mit jedem Odem-
zuge den Tod her zu ziehen, da der Ausgang ge-
rade das Gegentheil hervorbringen wird.


Du biſt in deinen Anmerkungen uͤber die Er-
ziehung und den Werth der jungen Herren und
Stutzer von dem Orden der Boͤſewichter ein trau-
riger Burſche, wenn du mit den Wir und Uns
mich oder dich ſelbſt meineſt. Denn ich behaup-
te, daß Uns das Bildniß nicht gleich ſiehet,
die
[227]
die wir Beleſenheit haben, und die Welt ken-
nen. Den meiſten Narren und Stutzern in der
Stadt moͤchte es eher aͤhnlich ſeyn, und das
glaube ich auch. Allein die moͤgen ſich das zur
Lehre nehmen! Wenn es aber mich nicht angehet,
wozu verſchieſſeſt du denn deine Pfeile? ‒ ‒ Fin-
deſt du aber durch Huͤlfe des neuen Lichtes, das
deinen Verſtand erleuchtet, ſeit dem du die Eh-
re haſt, mit dieſem vortreflichen Kinde umzu-
gehen, daß die Kappe auf deinen Kopf paſſet,
ei ſo nimm ſie nach der Regel: qui capit, ca-
piat,
und ſetze ſie auf. Jch will ein Paar Schel-
len daran haͤngen, ſo kannſt du in einem Spann
von Dummkoͤpfen das erſte Pferd abgeben.


Ob ich gleich eben dieſem Knaben, dem
Hickmann, ein parmal das Wort geredet ha-
be, ſo kann ich dir doch ſagen, ich moͤchte ihn
(um eine von meines Lords gemeinen Redens-
arten zu gebrauchen) wol mit einem Koͤrn-
gen Salz auffreſſen,
wenn ich daran denke,
daß er ſo unverſchaͤmt geweſen iſt, meine Goͤt-
tin bei ſeinem Abſchiede zweimal zu kuͤßen.
Und noch weniger kann ichs der Fraͤulein ver-
geben, daß ſie ſich unterſtanden, ihm ihre Wan-
gen und ihre Lippe (du ſchreibſt nicht, wel-
che?) hinzuhalten, und ſeine ungeſchickte Fauſt
zwiſchen ihre ſchoͤnen Haͤnde zu druͤcken. Eine
Ehre, die ſo viel werth iſt, als die Ranzion
eines Koͤnigs! und die ich drum geben wollte
‒ ‒ Ja was wollte ich nicht drum geben, dieſe
Ehre zu haben! ‒ ‒ Und daß er ſie wieder aus
P 2Erkennt-
[228]
Erkenntlichkeit, wie du ſageſt, an ſein fuͤhllo-
ſes Herz gedruͤckt hat, welches gewiß zu der
Zeit empfindlicher, als jemals, geweſen iſt!


Aus deiner Beſchreibung von ihrem Ab-
ſchiede ſehe ich, daß du mit der Zeit ein zaͤrtli-
cher Bube werden wirſt. Was mich bei dem
Unwillen der Fraͤulein verdrießt, iſt, daß du
durch ihren Umgang einen neuen Glanz be-
kommſt. Jch beneide dich, daß du die Gele-
genheit haſt, ſie zu ſehen, und dich daraus zu
beſſern. Der letzte Abſatz deines Briefes hat
bei mir einen ſolchen Eindruck gemacht, daß
ich nicht ſo bald Luſt bekommen werde, mich
zu bekehren, als du. Was wuͤrden wir dann
fuͤr ein Paar klaͤglicher Narren abgeben, wenn
wir einander unſre mistoͤnenden Recitative ent-
gegen heulten!


Laß mich den Gedanken ausarbeiten, und
ſetzen, wir waͤren ein Paar Einſiedler geworden.
Wir haben die beiden alten Hoͤlen zu Horn-
ſey
wieder geoͤfnet, oder ein par neue einge-
hauen. Ein jeder hat zum Vorwurf ſeiner
Betrachtung in ſeiner Zelle einen Todtenkopf
und ein Stundenglaß aufgeſtellet. Jch habe
einſt ſolche ein Gemaͤlde geſehen. Aber hatte
der alte busfertige Huren-Hengſt nicht einen
langen grauen Bart, vor welchem er kaum
Odem holen konnte? Was fuͤr Figuren wuͤrden
ein par Stutzer in ihren ſeidenen und beſetzten
Kleidern, und mit ihren verdrieslichen halb
aufgeſpannten Geſichtern, und halb verſchloſ-
ſenen
[229]
ſenen Augen machen, wenn ſie gegen einander
uͤber knieten, und ſich ihre veruͤbten Schelme-
reien erzaͤhleten? Wollten wir dieſe Lebensart
nur verſuchen, und hernach zu unſern alten
Streichen zuruͤckkehren, ſo koͤnnte ſie uns weit
eher, als des Horners Leben in der Land-
wirthin,
den Nutzen ſchaffen, daß die artigen
Huren uns zuliefen.


Halt! Der Verfaſſer des Hudibras hat ir-
gendwo eine Beſchreibung, die auf uns paſſen
wuͤrde, wenn wir in unſern Hoͤlen zuſammen
ſaͤſſen, und ein trauriges Concert machten.
Hier iſt ſie. So beſchreibt er deinen Love-
velace:


Wie er auf ſeinem Steis dort melancho-

liſch ſitzt.

Wie er das ſchwere Haupt mit beiden Haͤn-

den ſtuͤtzt.

Und neben ihm, allein, in einer andern

Hoͤle

Sitzt Beford, die betruͤbte Seele!

Jch weiß, du haͤlteſt mich fuͤr zu ſpashaft.
Jch denke es ſelbſt. Aufrichtig zu reden, iſt
es auch nur ein gezwungener Spas. Denn
alle meine Leidenſchaften ſind ſo geſpannet, daß
ich entweder lachen oder weinen muß: Gleich
dem ehrlichen Saufaus, dem Jacob Da-
ventry.
(Der arme Teufel! ‒ ‒ was nahm er
fuͤr ein ungluͤckliches Ende!) Du weißt, ich
pflegte es anzumerken, wenn er aus einer lu-
P 3ſtigen
[230]
ſtigen Geſellſchaft aufbrach, welches er nie that,
ohne einen Rauſch zu haben, ſo war es ſeine
Art, ſo bald er die Thuͤr auf dem Ruͤcken hat-
te, ſich, gleich einer Taube, die man eben flie-
gen laͤſſet, umzuſehen, und ſeinen Weg auszu-
ſpaͤhen. Dann zog er die Hacken nach ſich, und
lief den ganzen Weg, oft eine bis zwo Meilen
nach Hauſe, da er kaum ſtehen konnte, und
alle Augenblicke auf die Naſe gefallen ſeyn
wuͤrde, wenn er verſucht haͤtte, langſam zu ge-
hen. Jn dieſem meinen unbekehrten Zuſtan-
de mag dies meine Entſchuldigung ſeyn, daß
ich den wuͤrdigen Schluß deines dritten Briefes
ſo unwuͤrdig beantworte.


Was habe ich ſchon fuͤr ein langes Geſchmie-
re gemacht?


Und ſo bezahle ich dir u. ſ. w.


Th. VI. S. 792. L. 7. nach den Worten:
Gaͤnſekielen zu ſchlagen.


Eigentlich, wenn du nur deine Gaben ſelbſt
kennen moͤchteſt, biſt du doch gemacht, ſchon
durch deine Figur das Lachen zu erwecken, und
wuͤrdeſt deine Perſon noch halb einmal ſo gut
vorſtellen, wenn du deine Bruͤder, die Baͤren, zu
Hockley in der Hoͤle, nach der Muſik einer
Schottiſchen Sackpfeife tanzen ließeſt. Jch
ſehe dich deine vierſchroͤtigen Glieder ſchuͤtteln:
(und alle deine Zuſchauer desgleichen). Dein
dicker Kopf ſchlaͤgt ganz munter auf deinen
Saͤnftentraͤger-Schultern den Tact dazu, bald
zur
[231]
zur Rechten bald zur Linken; wie ich dirs ein-
mal zu Preſton bei einer Sackpfeife abgeſe-
hen habe. Erinnerſt du dich der Luſtbarkeit
noch wol? Jch habe wol hundertmal daran ge-
dacht, weil ich dich nie ſo in deinem Weſen,
das dich am beſten kleidet, geſehen.


Aber ich weiß, was ich mir hiedurch zuziehe.
Du wirſt nur deine merkwuͤrdige Anmerkung
wiederholen, daß dein Aeußerliches an dir das
Schlimmſte, und an mir das Beſte ſei. Es
mag darum ſeyn. Du magſt mir von der Art
ſchreiben, was du willſt, ich werde es nicht
uͤbel nehmen.


Jch werde dich im Ernſt u. ſ. w.


Th. VII. S. 229. ſetze zu dem Briefe des
Herrn Lovelace folgende Nachſchrift:


Charlotte hat einen Anſtoß von Zaͤrtlichkeit
bekommen, indem ſie ungehalten iſt, daß ich
dir den eingeſchloſſenen Brief geſchicket. ‒ ‒ Daß
ihre Handſchrift, (ei man ſehe doch!) in die
Haͤnde einer ledigen Mannsperſon kommen ſollte!


Das iſt Aufmunterung fuͤr dich, Belford!
Ein gewiſſes Zeichen, daß du das Maͤdgen ha-
ben kannſt, wenn du willſt! Und doch haͤtte
ich es nicht gedacht, daß ſie nach dir liebaͤugel-
te, bis ſie mir dieſen untriegbaren Beweis ge-
geben hat. Jch habe ihr oft im Scherz geſagt,
daß ich eine ſolche Sache aufs Tapet bringen
wollte. Aber es war nie mein Ernſt, weil ſie
wuͤrklich ein zartes Maͤdgen iſt. Und du biſt
P 4ſo
[232]
ſo ein plumper Burſche, deinem Coͤrper nach,
daß ich ihr eben ſo leicht einen Rhinoceros, als
dich, zum Ehemann goͤnnen wollte. Aber die
armen, kleinen, lieben Dinger! Sie muͤſſen
warten, bis ihre Zeit gekommen iſt! Sie moͤch-
ten dieſen nicht zum Mann haben, und moͤch-
ten jenen nicht zum Mann haben, ſo lange ſie
zwiſchen ſiebenzehn und fuͤnf und zwanzig ſind.
Aber dann werden ſie beſorgt, daß GOtt ſie,
wie man zu reden pflegt, vergeſſen habe; und
weil ſie finden, daß ihre Bluͤte zu verwelken an-
faͤngt, ſo ſind ſie froh, was fuͤr einen ſie erhal-
ten, und es gehet ihnen, wie dem Pfarrer mit
den Birnen.


Th. VII. S. 237. gegen das Ende nach den
Worten: Briefe finden werden.


  • Noch ein Wort von einer gelehrten Materie.
    Denn ich weiß doch, daß Sie es gerne ſe-
    hen, wenn ich dergleichen mit einſtrene, und
    mich dabei aufhalte. Herr Doctor Lewin
    hatte einſt in Jhrer Gegenwart (wie Sie,
    hoher Goͤnner, ſich ohne Zweifel erinnern
    werden) einen heftigen Streit mit mir, wo-
    rin er es auf ſich nahm, die Parentheti-
    ſche
    Schreibart, (wie ich ſie nenne,) zu ver-
    werfen. Er war ein ſehr gelehrter, verſtaͤn-
    diger Mann, das iſt ſicher, und eine Zierde
    unſers heiligen Amts. Doch kann ich nicht
    umhin, zu behaupten, daß es eine Schreib-
    art iſt, die mir ſehr gefaͤllt; und der gute
    Doctor war nicht mehr in ſeinen jungen Jah-
    ren, und hatte einfolglich bereits die Zeit
    ſeines Lebens zuruͤckgeleget, in welcher ein
    frucht-
    [233]
    fruchtbares Gehirn, und eine reiche Ein-
    bildungskraft,
    einem Schriftſteller die J-
    deen ſo zudraͤngen, daß man oft Parenthe-
    ſen zu gebrauchen ſich genoͤthiget ſiehet, (und
    zwar ſo wol der Kuͤrze, als der Deutlich-
    keit
    wegen) um dem Leſer die Muͤhe zu er-
    ſparen, daß er eine Stelle mehr als einmal
    leſen muß. Ein jeder hat ſeine beſondre Ga-
    be.
    (wie ich oben geſagt habe) Wir ſind
    gar zu geneigt, unſre natuͤrlichen Faͤhigkei-
    ten
    zu allgemeinen Regeln zu machen, daß
    ich mich um ſo viel weniger uͤber des wuͤrdi-
    gen Doctors Eigenſinn wunderee, den er bei
    dieſer Gelegenheit zeigte. Er laͤchelte mich
    an,
    (wie Sie ſich, mein Herr, erinnern wer-
    den) aber, ob ich recht oder unrecht daran
    that, das weiß ich nicht, ſo viel iſt gewiß,
    ich laͤchelte ihn wieder an. Und Sie,
    mein hoher Goͤnner, (wie ich zu meiner groſ-
    ſen Zufriedenheit bemerkte) ſchienen auf meiner
    Seite zu ſeyn. Aber war es nicht wunder-
    lich, daß der alte ehrliche Mann, und ich
    ſo weit von einander unterſchieden waren, da
    wir doch beide einen Endzweck (nemlich die
    Deutlichkeit, oder Klarheit) vor Augen
    hatten? Doch was ſoll man dazu ſagen? ‒ ‒
    Errare eſt hominis, non perſiſtere.

Jch denke ich habe u. ſ. w.


Th. VII. S. 245. L. 18. nach den Wor-
ten: ſo gieng ich von ihnen.


Schreibe mir, ob du mit dem, was du von
deiner ſchoͤnen Baſe ſageſt, wuͤrklich etwas mei-
neſt. Jch bin nicht ſo eitel, zu gedenken, daß
ich eine ſolche Fraͤulein, als Fraͤulein Monta-
P 5gue
[234]
gue iſt, verdiene, und wuͤrde mich daher nicht
gern ihrer Verachtung oder ihrem Spott aus-
ſetzen. Allein, waͤre ich vor dieſen beiden ſicher,
ſo wuͤrde ich dir bald geſtehen, daß ich keine Muͤ-
he, und Aufwartungen ſparen wollte, mich bei
einer ſolchen Fraͤulein in Gunſt zu ſetzen.


Aber ich kenne dich zu gut, als daß ich auf
etwas, ſo du von dergleichen Dingen ſchreibeſt,
bauen ſollte. Es iſt deine Luſt, deine Freunde
bei den Fraͤulein laͤcherlich zu machen, und dein
eitles (in dieſem Fall mag ich wol ſagen, dein
kleines) Herz verleitet dich zu der Einbildung,
daß der ſchwache Schimmer deiner Freunde dir
einen groͤſſern Glanz giebt.


Fiengeſt du nicht einmal ſo ein Spiel an,
zwiſchen dem plumpen Mowbray und der Fraͤu-
lein Hatton, bis der arme Schelm nicht wuß-
te, wie er vorwaͤrts, oder zuruͤck gehen ſollte?


Th. VII. S. 253. lies ſtatt der beiden er-
ſten Abſchnitte in dem Briefe des Obri-
ſten Morden, bis L. 22. an die Wor-
te: Kuͤnftige hinausſehen.


Meine wertheſte Baſe.

Jch haͤtte billig keine vierzehen Tage in En-
gelland zubringen ſollen, ohne mir entweder die
Ehre zu nehmen, Jhnen perſoͤnlich aufzuwar-
ten, oder Jhnen zu ſchreiben; wenn ich nicht
die ganze Zeit, in der Hofnung, Jhnen mei-
nen Beſuch oder Brief angenehmer zu machen,
zu
[235]
zu Jhren Dienſten geſchaͤftig geweſen waͤre. Wie-
wol ich habe Urſache, mir zu ſchmeicheln, daß
ſo wol meine allzeit aufrichtige Liebe gegen Sie,
als die Achtung, womit Sie mich jederzeit beeh-
ret, Jhnen beides angenehm gemacht haben
wuͤrde.


Wie wenig dachte ich, daß ſo viele Tage noͤ-
thig waͤren, meine gut gemeinte Abſicht zu er-
reichen, wo an der einen Seite eine ſo heftige
Liebe ſeyn ſollte, und wo, wie ich voͤllig uͤber-
zeuget bin, das erhabenſte Verdienſt, an der
andern Seite noch iſt!


Jch bin bei dem Herrn u. ſ. w.


Th. VII. S. 399. L. 17. lies ſtatt des Ab-
ſchnitts, der ſich anhebt: Die Briefe
des Herrn Brand,
folgende Briefe.


Von
Herrn Brand an Herrn Johann Walton
Lieber Herr Walton.


Sonnabend Abends den 2. September.


Jch bin Jhnen fuͤr den artig ſtiliſirten
(und nett geſchriebenen) Brief ſehr verbun-
den, welchen Sie an mich abgelaſſen, um dem
Charackter der juͤngern Fraͤulein Harlowe
Gerechtigkeit
zu verſchaffen. Und doch muß
ich Jhnen ſagen, daß ich, vor Erhaltung
deſſelben,
bereits Urſache hatte, zu glauben,
(und auch gewiß uͤberzeugt zu ſeyn) daß wir
alle ihr zu viel gethan haͤtten. Jch habe daher
den
[236]
den groͤſſeſten Theil dieſer Woche zugebracht,
meinem hohen Goͤnner, dem Herrn Johann
Harlowe,
einen apologetiſchen Brief dieſer-
halb zu ſchreiben, um zwiſchen mir und ihnen,
und (ſo viel ich koͤnnte) zwiſchen ihnen und
der Fraͤulein alles ins Feine zu bringen. Jch
brauchte alſo bei dem Empfang Jhres geehrte-
ſten weiter nichts, als einen Zuſammenhang
hinein zu bringen, und ihn ins reine zu ſchrei-
ben, ſo daß obgedachter Herr Harlowe ihn
morgen fruͤhe, und ſie die Copei davon nebſt
dieſem Briefe am Montag fruͤhe erhalten
werden.


Sie koͤnnen nicht glauben, wie leid es mir
ſei, daß Sie, Frau Walton, Frau Barker
und ich ſelbſt, bei Sachen ſo wenig gruͤndlich
verfahren ſind, (die wir leider! nach dem aͤuſ-
ſerlichen Anſchein, und nach Muthmaſſungen
beurtheilten) wo der Charackter und gute
Name
leiden koͤnnen. Es iſt wahr, was Ho-
raz
ſagt:


Et ſemel emiſſum volat irreuocabile verbum.

Das heißt: Worte, die einmal geſpro-
chen ſind, koͤnnen nicht wieder zuruͤckge-
rufen werden.
Doch kann man ihnen durch
andre Worte widerſprechen; und wir moͤ-
gen nur bekennen, daß wir eines Verſehens
ſchuldig ſind; anbei unſre Unruhe uͤber dies
Verſehen zu erkennen geben; neben der Ent-
ſchlieſſung, daß unſer Verſehen uns aufs
kuͤnftige zu einer Warnung dienen ſoll. Und
das
[237]
das iſt alles, was man thun kann, und was
ein jedes braves Gemuͤth thun wird, und
was niemand williger ſeyn kann, zu thun,
als wir vier unwiſſende Beleidiger; (wie
ich an Jhrer Seite aus Jhrem Briefe ſe-
he, und Sie an der meinigen aus der ange-
bogenen Copei
erſehen werden,) welches mir,
wenn es ſo aufgenommen wird, wie ich denke,
daß es billig ſollte, (und wie ich glaube, daß
es geſchehen wird) eine ſchleunige Gelegen-
verſchaffen wird, Sie zu ſehen, wenn ich
meinen Beſuch bei der Fraͤulein abſtatte,

zu der ich (wie Sie in dem Briefe ſehen wer-
den) mit dem Oelzweige abgeſand zu werden
hoffe.


Die Sache, worin wir alle geirret haben,
iſt, wie wir geſtehen muͤſſen, ſehr delicat,
und (wenn man des Herrn Belfords Cha-
rackter in Erwegung ziehet) ſo war aller aͤuſ-
ſerlicher Anſchein
ſehr gegen die Fraͤulein.
Aber dies dienet, zu zeigen, daß in zweifel-
haften Faͤlleu die weiſeſten Leute betro-
gen werden koͤnnen.
Denn der Poet
ſagt:


Fallitur in dubiis hominum ſolertia rebus.

Wenn es die Gelegenheit giebt, ſo koͤnnen
Sie (gleich als als aus eigner Bewegung,
ohne mein Wißen
) dem Herrn Belford den
Einſchluß zeigen, der (wie Sie mir ſchreiben)
die Sache hoch aufnimmt. Nur laſſen ſie
ihn die Worte nicht ſehen, oder leſen hoͤren,
die
[238]
die ihn betreffen, in dem Abſchnitte auf der
Mitte der zweiten Seite der ſich anhebt: Doch
bleibe ich dabei
bis zu Ende des Abſchnitts.
Denn einer mag ſich nicht gern, wie Sie
wiſſen, Feinde machen, und ich habe Urſache
zu glauben, daß Herr Belford ein eben ſo hi-
tziger
und gefaͤhrlicher Mann iſt, als Herr
Lovelace. Wie ſehr iſt es zu bejammern, daß
die Fraͤulein keinen wuͤrdigern Beſchuͤtzer
finden konnte! Sie koͤnnen dieſe Zeilen mit
blauen oder ſchwarzen Papier bekleben, ehe
er den Brief ſiehet, und wenn er darauf be-
ſtehet, eine Abſchrift von meinem Briefe zu
nehmen, (denn er, oder jedermann, der ihn
ſiehet, oder leſen hoͤret, wird ohne Zweifel
gern eine Abſchrift von einem Briefe haben
wollen, der ſo voller Grundſaͤtze der beſten
Scribenten des Alterthums
iſt, die ſich,
(wie ich mir die Freiheit nehme zu behaupten)
ſo ſehr zu der abgehandelten Sache ſchi-
cken
) Wenn er alſo, ſage ich, darauf beſtehet,
eine Abſchrift von dem Briefe zu haben, ſo laſ-
ſen Sie ſich von ihm die ſtaͤrkſten Verſiche-
rungen
geben, daß er ihn unter keinem Vor-
wand
drucken laſſen will, und ich habe Jhnen
eben die Bitte zu thun, daß Sie ihn nicht
durch den Druck gemein machen moͤgen. Denn
wenn die Werke eines Gelehrten das Licht
ſehen ſollen, muß nicht billig blos der Au-
tor
den Vortheil ziehen? Denn wenn die
Zuſchauer, die Schwaͤtzer, die Unterſu-
cher,
[239]
cher, die Aufſeher, und andre artig geſchrie-
bene Wochenblaͤtter in ihren Mottos auf je-
dem ihrer Blaͤtter mit einem einzigen Verſe
ſtrotzen,
und andre Autoren ſich ſelbſt etwas
darauf einbilden, zu den Tituln ihrer Buͤcher
einen Vers oder Spruͤchwort aus den Claſ-
ſiſchen Schriftſtellern
auszufinden, und ſie
damit zu verſchoͤnern; Was fuͤr eine herrli-
che Figur wuͤrde denn ein ſolcher Brief, als
der eingeſchloſſene
iſt, machen, der mit vor-
treflichen Lehren,
und ſchicklichen Cita-
tionen
aus den beſten Scribenten ſo reich-
lich angefuͤllet iſt!


Man hat mir erzaͤhlet, daß ein gewiſſer
Lord, der fuͤr einen groſſen Miniſter eine
Schutzſchrift verfertigen wollte, nachdem
er ſich lange vergeblich unendliche Muͤhe ge-
geben, ein Lateiniſches Motto dazu zu fin-
den, einem ſeiner Freunde auftrug, demjeni-
gen, der ihm nur an eines helfen koͤnnte, das
ſich recht paßete, wenn es nur aus einer o-
der ein par Zeilen beſtuͤnde, einen Korb des
ſchoͤnſten rothen Weins
zu verſprechen. So
kamen ihre Herrlichkeiten an ein Motto aus
dem Juvenal, welches ſie zum Ungluͤck nicht
verſtanden, (da ſie nicht wuſten, daß Juve-
nal
ein Poet ſei) und es als eine proſaiſche
Sentenz
auf den Titul drucken lieſſen.


Wenn alſo eine oder zwo Zeilen ſo viel
werth waren (einen ganzen Korb rothen
Weins!
Denken Sie einmal!) von was fuͤr
einem
[240]
einem unſchaͤtzbaren Werth wuͤrde dann ſolch
ein Brief, wie der meinige, gehalten wer-
den? Und wer weiß, ob nicht dieſer Lord
(der noch am Leben iſt) wenn er einen Brief,
der mit einer ſolchen Kette von Edelge-
ſteinen
glaͤnzet, zu Geſicht bekommen ſollte,
den Verfaſſer in ſeine Dienſte nehmen wuͤr-
de, um ihn immer bei der Hand zu haben;
und auf die Art ein Mittel abgaͤbe, auf eine
oder andre Art, bekannt zu werden? Und ich
nehme mir die Freiheit zu ſagen, daß (in die-
ſer jetzigen argen Welt) ein Mann von gruͤnd-
licher Gelehrſamkeit,
nur eine ſolche Em-
pfelung
gebrauchet, um ſein Gluͤck zu machen.


Jch hoffe, wertheſter Freund, daß die Fraͤu-
lein nicht ſterben wird. Denn es wuͤrde mir
ſehr nahe gehen, um ſo viel mehr, weil ich
ungluͤcklicher Weiſe ihre Auffuͤhrung nach-
theilig
beſchrieben habe. Sie wuͤrden, nebſt
ihren Aeltern und Verwandten, ſich die
Sache aus eben dem Grunde, zu Gemuͤthe zie-
hen. Es ſind in der That ſehr reiche und
ſehr wuͤrdige Edelleute!


Jch muß Jhnen aber gleich ſagen, ſie hat-
ten die Sache gegen die Fraͤulein ſo weit ge-
trieben, daß ich in meinem Herzen verſichert
bin, wie lieb es ihnen geweſen ſeyn muß, in
meinem Bericht ihre Rechtfertigung zu fin-
den; und daß ſie wuͤrden weniger mit mir
zufrieden geweſen ſeyn, wenn ich vortheil-
haft
berichtet haͤtte, da ſie ſie doch in ihren
Herzen
[241]
Herzen ſehr lieben. Wiewol jetzt ſind ſie alle
(wie ich hoͤre) geneigt, wieder ihre Freunde
zu ſeyn, und ihr zu verzeihen, der Bruder
ſo wol als die uͤbrigen.


Aber ihr Vetter, der Obriſt Morden, ein
ſehr feiner Cavalier,
hat mit ihnen einen ſo
heftigen Wortwechſel gehabt, daß ſie nicht
wiſſen, wie ſie nachgeben ſollen, ohne das An-
ſehen zu gewinnen, als wenn ſie ſich aus Furcht
zu einem Vergleich bequemet haͤtten. Daher
habe ich mir eben deſto groͤſſere Freiheit genom-
men, ihre Ausſoͤhnung zu preßiren, und, wie
ich hoffe, zu ſo gelegener Zeit, daß ſie alle da-
von zufrieden ſeyn werden. Denn koͤnnten ſie
einen beſſern Handel treffen, ihren Stolz zu
ſchonen, als durch meine Vermittelung?
Denn das kann ich ihnen ſagen (inter nos, un-
ter uns geſagt) daß ſie alle ſehr ſtolz ſind.


Durch dieſe erlaubten Mittel, (denn durch
unerlaubte Mittel moͤchte ich nicht Erzbiſchof
von Canterbury werden) hoffe ich jedermann
zu gefallen. Erſtlich hoffe ich, von der Fraͤu-
lein Verzeihung zu erlangen (zumal da ſie eine
Liebhaberin von der Gelehrſamkeit und von
Gelehrten iſt, und ich alſo groſſe Gelegenhei-
ten habe, ſie mir verbindlich zu machen. ‒ ‒
Denn als ſie von ihres Vaters Hauſe weggieng,
hatte ich nur eben die Ehre, mit ihr bekannt zu
werden, und mein Umgang ſchien ihr uͤber die
maſſen
zu gefallen) Zunaͤchſt hoffe ich, daß ih-
re Aeltern und ihre ganze Familie mir danken,
Zuſaͤtze zur Cl. Qund
[242]
und mich hochachten wird, wie ich (GOtt ſei
Dank!) von meinem theuren Freunde, dem Herrn
Johann Harlowe, hochgehalten werde, wel-
cher in der That ein Mann iſt, der vor Gelehr-
ten
eine groſſe Achtung bezeuget, und der (wie
ich weiß, mit beſondern Vergnuͤgen) mit mir
die eitirten Stellen durchgehen, und ſich uͤber
mein Gedaͤchtniß ſo wol, als uͤber den gluͤckli-
chen Anſatz,
wundern wird, den ich habe,
meinen eignen Gedanken durch die Worte der
groͤſſeſten und weiſeſten Maͤnner des Al-
terthums
den Nachdruck zu geben.


Halten Sie mir, wertheſter Freund, meine
anſcheinende Eitelkeit zu gute. Der groſſe
Cicero (Sie muͤſſen es von ihm gewiß gehoͤ-
ret haben) hatte eine viel groͤßeredoſin davon,
und ſchrieb einen langen Brief, worin er bat,
und bettelte, daß man ihm ſchmeicheln moͤch-
te. Aber wenn ich von mir ſelber weniger
ſage, als andre Leute (die mich kennen) von
mir
ſagen, ſo glaube ich, das rechteMe-
dium
zwiſchen Eitelkeit und falſcher Beſchei-
denheit
zu treffen, welche letztere ſich oft ſelbſt
Luͤgen ſtraffet, wenn ſie die Complimente ab-
lehnet,
die ihr jedermann machet, weil er ſie
ihr ſchuldig zu ſeyn glaubet. Dies iſt ſo wol
eine Heuchelei, als Thorheit, die ich (wie ich
hoffe) zu ſehr verachte, als daß ich jemals da-
rin verfallen ſollte.


Jch habe noch eine Urſache, (die ich Jhnen
als meinem alten Schul-Cameraden wol
ver-
[243]
vertrauen kann) warum ich dieſer wackern
Fraͤulein Wiederherſtellung
und voͤllige
Beſſerung
wuͤnſche. Es iſt nemlich, daß ich
(ſo ganz von weiten) von Herrn Johann
Harlowe
gehoͤret habe, es waͤre ſehr zu ver-
muthen (da man ihr einmal den Streich ge-
ſpielet haͤtte) daß ſie ſich entſchlieſſen wuͤrde, ih-
re Tage vor ſich, in Buſſe und Reue zuzu-
bringen ‒ ‒ und wuͤrde alſo warſcheinlicher Wei-
ſe (wenn ſie auf ihr Gut zoͤge) einen Capel-
lan
halten, der ihr in ihrer Andacht, und in
ihren Buß-Uebungen beiſtuͤnde. ‒ ‒ Thut ſie
das, wie koͤnnte ſich denn einer beſſer ſtehen,
als ich? ‒ ‒ Und da ich (ſo wol aus ihrer als
aller Leute Erzaͤhlung) finde, daß ſie, was ihre
Abſichten anbetrift, unſchuldig, und gewillet iſt,
an den Herrn Lovelace nicht mehr zu geden-
ke: Wer weiß, was ſich (mit der Zeit) bege-
ben koͤnnte? ‒ ‒ Und doch muͤßte es erſt nach
Herrn Lovelace Tode geſchehen, (welcher
moͤglicher Weiſe eher erfolgen koͤnnte, als er
denket, ſeiner verfluchten Lebensart willen)
Denn das iſt ausgemacht, ein Mann, der dem
gemeinen Weſen nuͤtzlich iſt, darf nicht (um
das artigſte Frauenzimmer in der Welt) ſeine
Kehle der Barmherzigkeit eines Menſchen
vertrauen, der weder GOtt noch den Teufel
ſcheuet.


Jch bitte, laſſen Sie dieſe Muthmaſſung
auſſer Sie ſelbſt, niemanden, als Dero Frau
Gemahlin,
und die Frau Barker erfahren,
Q 2in
[244]
in deren und Jhre Haͤnde ich mein Leben
vertrauen wollte. Es haben ſich ſchon (wie ich
Jhnen ſagen kann) weit unwarſcheinlichere
Dinge zugetragen, und zwar mit reichen Wit-
wen,
(deren einige in der That vom Range
geweſen ſind) die bei der Wahl in ihren er-
ſten Vermaͤhlungen
bloß auf ihre Bequem-
lichkeit
und (wenn ich ſo reden darf) auf
bloſſe Koͤrperlichkeiten geſehen; allein wel-
che bei ihrer zweiten Verheirathung die koͤr-
perlichen
und geiſtigen Abſichten verbun-
den
haben; welches ohne Zweifel die beſte Wahl
fuͤr Weſen iſt, die von beiden zuſammenge-
ſetzet ſind, als Mann und Frau allerdings ſind.


Denken Sie auch nicht, mein Herr, daß wenn
ſich etwas dergleichen begeben ſollte, einer von
uns dabei gefaͤhret werden duͤrfte, ſintemal
die Fraͤulein einen Mann von feiner Her-
kunft
und einen Gelehrten heirathen wuͤrde.
Und was meine eigne Ehre anlangt, ſo wuͤr-
de der Bock, den ſie gemacht hat, ihre groſ-
ſen Mittel
mit meinem geringen Vermoͤ-
gen
in ein Gleichgewicht bringen. (wenn man
nemlich allein das Vermoͤgen, und nicht das
Verdienſt in Betrachtung zoͤge) Anerwogen
das Leben dieſer Fraͤulein (weder durch die
Laͤnge der Zeit,
noch durch einen gottloſen
Wandel
) noch keinen ſo groſſen Schandfleck
bekommen, daß man ſie mit den keuſchen Abi-
gails uͤber einen Kamm ſcheren
duͤrfte, die
(wie GOtt bekannt) nur gar zu oft, gar zu oft
fuͤr
[245]
fuͤr einen jungen Geiſtlichen gut genug ge-
halten werden, dem man vielleicht durch eine
ſchlechte Pfarre das Netz uͤber die Hoͤr-
ner gezogen
hat; und welcher (wenn das lie-
derliche Menſch
nicht ganz abgenutzet iſt)
immer aͤrmer und aͤrmer wird, durch eine Ver-
mehrung der Familie,
wovon er nicht weiß,
ob er ſie guten Theils ſich ſelbſt, oder ſei-
nem edlen Goͤnner, (unedlen, ſollte ich ſagen)
zu danken hat.


Aber alles dies unter uns, und im Vertrauen.


Jch weiß, Sie haben auf Schulen nur we-
nig in den Sprachen profitiret. Derentwe-
gen ich mich auch vieler Erlaͤuterungen aus
den Autoribus claſſicis enthalten habe, womit
ich ſonſt dieſen Brief (ſo wie den angebogenen)
haͤtte anfuͤllen koͤnnen. Zudem, da ich ſo weit
von Jhnen entfernt bin, kann ich Jhnen die
Stellen nicht erklaͤren, wie ich meinem Freun-
de,
dem Herrn Johann Harlowe, thue, wel-
cher (wenn man die Warheit ſagen will) mir
Urſache hat, verbunden zu ſeyn, daß ich ihn
auf ſo viele Schoͤnheiten der Autoren gewieſen,
die ich citiret habe, und die ſonſt ihm ſo wol als
jedem gemeinen Leſer verborgen geblieben ſeyn
wuͤrden. ‒ ‒ Aber auch dies inter nos. ‒ ‒ Denn
er wuͤrde es nicht gut aufnehmen, daß es an-
dre wuͤßten. ‒ ‒ Kraͤhen (Sie wiſſen das,
mein alter Schul-Camerade, Kraͤhen, nicht
wahr?) werden ſich gern in Pfauen-Fe-
dern bruͤſten.


Q 3Doch
[246]

Doch wo gerathe ich hin! Wenn ich auf ge-
lehrte Materien
komme, ſo kann ich nie ein
Ende finden. Und bei dem allen kann ich Jh-
nen den Namen eines Gelehrten nicht zuge-
ſtehen. Jndeſſen ſind Sie ein Mann, der Ge-
fuͤhl
hat, und muͤſſen (als ein ſolcher) an Ge-
lehrten
und ihren Schriften ein Vergnuͤgen
finden.


Jn dieſem Zutrauen, mein Herr Walton,
unter meiner ergebnen Empfelung an die wer-
theſten Damen (Dero Frau Gemahlin und
Frau Schweſter) bin ich in Hofnung, der jun-
gen Fraͤulein zum beſten, dieſem langen, lan-
gen Briefe bald, in Perſon, zu folgen


Dero
ergebner und treuer Freund,
Elias Brand.


P. S. Vielleicht werden Sie ſich, werther Herr
Walton, wundern, was die Striche unter
vielen Worten und Sentenzen
zu bedeuten
haben, und wenn meine Briefe gedruckt werden
ſollten, ſo muͤßten dieſe in andere Lettern ge-
ſetzet werden. Sie muͤſſen aber wiſſen, mein
Herr, wir Gelehrten thun dies, um die Le-
ſer, die nicht ſo gelehrt ſind, auf den Haupt-
Grund
zu weiſen, worauf unſer Beweis ge-
bauet iſt, und ihm den Nachdruck zu zeigen,
den er, im Leſen, dieſen Worten geben muß,
wodurch er deſto leichter unſre Meinung und
die Buͤndigkeir des Beweiſes faſſen wird. Ge-
wiſſe pragmatiſche Leute haben geſagt, daß ein
Autor, der dies haͤufig thut, entweder ſeinen
Leſer
[247]
Leſer dadurch einen Narren ſchilt, oder ſtillſchwei-
gend ſeine eigne Schreibart tadelt, als wenn
er glaubte, ſie waͤre ohne die Striche dunkel,
und ſeine ganze Staͤrke laͤge nur in den Wor-
ten.
Allein alle die, mit denen ich einen gelehr-
ten
Umgang gepflogen, denken, wie ich. Und
ihnen eine artige, obgleich gemeine, Erlaͤute-
rung
hievon zu geben, ſo habe ich allezeit die
Seite eines Buches, worauf ich die verſchiede-
nen Lettern
erblicke, als ein gruͤnes Feld be-
betrachtet, das mit Butter-Blumen und andern
Sommer-Bluͤmgen uͤberſtreuet iſt. Das verglei-
chen die Poeten mit dem Schmelzwerk. Ha-
ben Sie nicht in den Poeten von dem Schmelz
der bunten Wieſen
und ſo dergleichen geleſen?


Von
Herrn Brand an Herrn Johann
Harlowe.



Hochwolgebohrner Herr,

Jch bin nicht wenig daruͤber bekuͤmmert,
daß ich (ungluͤcklicher Weiſe) eine Gelegenheit
ſeyn ſollte, (da ich doch gewiß bin, nichts der-
gleichen im Sinne gehabt zu haben) durch ei-
nen zu fluͤchtig eingeholten und miszudeu-
tenden Bericht, Mishelligkeiten zu ver-
groͤſſern,
da es die Pflicht meines heiligen
Amtes
iſt, (und auch eben ſo ſehr mit meiner
Neigung uͤberein kommt) zu heilen und zu
verſoͤhnen.


Q 4Jch
[248]

Jch habe zween Briefe erhalten, die mich
eines andern belehret. Einen von einem ge-
nauen Bekannten,
(dem ichs aufgetragen,
ſich nach des Herrn Belfords Charackter zu er-
kundigen) und der kam am letzten Dienſtage;
worin er mir berichtet, daß Dero ungluͤckli-
chen Bruders-Tochter
in der Erzaͤhlung,
die man von ihr gemacht hatte, gewaltig zu
nahe geſchehen ſei. (Denn ich hatte ihm da-
von geſagt, und zwar, wie Sie glauben koͤn-
nen, mit groſſer Bekuͤmmerniß, weil ich
ich beſorgte, daß es wahr waͤre.) Derowegen
habe ich mich ſogleich niedergeſetzet, Jhnen
zu ſchreiben, und meinen Jrthum zu beken-
nen.
Jch hatte bereits einen guten Theil ge-
ſchrieben, da der zweite Brief (ein ſehr ar-
tiger
Brief, ſowol was die Sachen, als
die Stiliſirung anbetrift) von meinem Freun-
de, dem Herrn Walton, anlangte, (wiewol
ich ſicher glaube, daß es ſein Aufſatz nicht
ſeyn kann) worin er ſowol ſeiner als gleicher-
weiſe ſeiner Frauen und Schwiegerin Beſorg-
niß ausdruͤckt, daß ſie die Urſache geweſen waͤ-
ren, mich in meiner Nachricht von der bereg-
ten jungen Fraͤulein auf den Jrweg zu fuͤh-
ren,
von welcher ſie nunmehr, (nach eingezo-
gener weitern Erkundigung
) ſagen, daß
ſie gefunden haͤtten, ſie ſei die untadelhafte-
ſte, kluͤgſte,
und (wie es ſchiene) die gottſe-
ligſte
junge Fraͤulein, die jemals einmal in ih-
rem Leben einen groſſen Fehltrit begangen;
wie
[249]
wie der ihrige allerdings war, indem ſie ſo
wuͤrdige Aeltern und Verwandten um ei-
nen ſo niedertraͤchtigen Menſchen, als Herr
Lovelace iſt, verließ. Doch was ſoll man
ſagen? Sagt uns nicht der goͤttliche Vir-
gil:


Improbe Amor, quid non mortalia pecto-
ra cogis?

Jch meines Theils war nur gar zu ſehr in
Sorgen, (denn wir haben, wie Ew. Hochwol-
gebohren leicht denken koͤnnen, auf Akade-
mien groſſe Gelegenheiten,
die menſch-
liche Natur
aus Buͤchern zu kennen, wel-
che die ſtille Frucht der Weisheit weiſer
Maͤnner
ſind, wie ich es wol nennen mag,
(Haurit aquam cribro, qui diſcere vult
ſine libro)

ohne von dem Geraͤuſch und den Eitelkeiten
unterbrochen
zu werden, welche ſich in den
perſoͤnlichen Umgang miſchen, den man (in
dieſer unruhigen Welt) nicht genieſſen kann,
als bei einem Glaſe Wein, wo man hun-
dert naͤrriſche Dinge
gegen eines hoͤret, das
angemerket zu werden verdienet. Jch, ſage ich,
war nur gar zu ſehr in Sorgen, daß einem ſo
groſſen Fehltrit
noch groͤſſere und aͤrgere
folgen moͤchten. Denn Dero Horaz und
mein Horaz, der angenehmſte Scribent, der
je unter den Heiden gelebet hat, (in der Ly-
riſchen Art der Dichtkunſt
zu ſagen; Denn
ſonſt muͤßten freilich Homer und Virgil in
Q 5ihrer
[250]
ihrer Art erſt genannt werden) merket ſehr
wol an, (und wer kannte die menſchliche Na-
tur
beſſer als er?)


Nec vera virtus, cum ſemel excidit,
Curat reponi deterioribus.

Und Ovid merket nicht minder weislich an:


Et mala ſunt vicina bonis. Errore ſub illo
Pro vitio virtus crimina ſaepe tulit.

Welcher Menſch, der die Weisheit aus
ihrer erſten Quelle, nemlich aus den Wer-
ken der Weiſen des Alterthums
ſchoͤpfen
kann, (ſo wie ſie durch die gelehrten Noten
der Neuern verbeſſert ſind) wuͤrde nicht allen
andern das ſtille ruhige Leben vorziehen,
welches die nachdenkenden Menſchen an den
Oertern fuͤhren, wo die Gelehrſamkeit ih-
ren Sitz
hat, wenn ſie nicht (ihrer geweihe-
ten Beſtimmung
gemaͤß) zum Dienſt und
Unterricht der Welt abgerufen wuͤrden.


Noch ein andrer von meinen Leibpoeten,
(und der darum nicht weniger mein Leib-
poet
iſt, daß er ein Chriſt geweſen iſt) ſagt
uns, es ſei die Gewonheit einiger Leute, wenn
ſie einen Fehler begangen, ihn andern Leu-
ten auf den Hals zu ſchieben


‒ ‒ Hominum quoque mos eſt,

Quae nos cumque premunt, alieno impo-

nere tergo.

Mant.

Doch ich, ob ich gleich (in dieſem Fall) verlei-
tet
bin, (wiewol bei allen dem aus guter Mei-
nung,
[251]
nung, theils bei dem Verleiter, als bei dem
Verleiteten, die daher ein Recht haben, ſich
damit zu ſchuͤtzen, wenn einer je ein Recht da-
zu haben kann) will indeſſen nicht unter dieſe
Leute gerechnet werden, die ihre Fehler zu ver-
kleinern ſuchen, ſondern gegentheils allezeit den
Vers in Gedanken behalten, der uns bei einem
Jrthum ſowol troͤſtet, als unterrichtet,
und den ich in meinem letztern Schreiben an-
fuͤhrte:


Errare eſt hominis, ſed non perſiſtere‒ ‒

und bekennen, daß es eine groſſe Uebereilung
von mir war, mich mit Muthmaſſungen
und aus bloſſen Warſcheinlichkeiten ge-
zogenen Folgen
zu begnuͤgen, beſonders in
einer Sache, wo der Charackter einer ſo ar-
tigen Fraͤulein
leiden koͤnnte.


Credere fallaci grauis eſt dementia famae.
MANT.

Dem ungeachtet iſt Fraͤulein Clariſſa Har-
lowe
(wie ich mich zu behaupten getraue) die
einzige junge Fraͤulein, wovon ich jemals
gehoͤrt (ja gar geleſen) haͤtte, die, da ſie einen
ſolchen Fehltrit
begangen, ſich ſo bald
(gleichſam aus eigner Bewegung) wieder auf-
gerichtet, und ihre Liebe zu einem Betruͤ-
ger
beſieget hat; (Ein groſſer Sieg, in War-
heit!) und die ihn fliehet, und entſchloſſen iſt,
lieber zu ſterben, als die Seinige zu ſeyn.
Denn ſo ſtehet zu ihrer unſterblichen Ehre
(wie ich verſichert bin) die Sache. ‒ ‒ Und
ihr
[252]
ihr Gerechtigkeit zu thun, bin ich (wiewol zu
meinem nicht geringen Verdruß) bereit, den
Vers des Ovids auf mich ſelbſt zu deuten:


Heu! patior telis vulnera facta meis.

Doch bleibe ich dabei, daß der ganze Theil
meiner Nachricht, den ich ſelbſt perſoͤnlich er-
kundiget
habe, und den Herrn Belford und
deſſen Charackter angehet, dem Buchſta-
ben
nach wahr iſt. Denn man wird nirgend
einen Mann von freiern Grundſaͤtzen in An-
ſehung des Frauenzimmers antreffen, den
Herrn Lovelace ausgenommen, als ihn.


Ew. Hochwolgebohren muß alſo gehorſamſt
bitten, daß Sie meine Abſicht nicht im ge-
ringſten
zu tadeln geruhen; ſintemal Dieſel-
ben ſehen, wie bereit ich bin, mich ſelbſt des-
fals anzuklagen, daß ich einer uͤbereilten
Erkundigung
(wovon ich freilich nicht wuß-
te, daß ſie zu uͤbereilt waͤre) ſo leichtſinnig Ge-
hoͤr gegeben. Denn ich verließ mich um ſo
viel mehr darauf, weil die Leute, von denen
ich ſie einholte, ein ſehr nuͤchternes und
maͤßiges Leben fuͤhren, und GOtt vor Au-
gen haben.
Sie werden auch, wenn ich die
Ehre habe, Denenſelben aufzuwarten, aus
ihrem Briefe ſehen, daß ſie gute gewiſſenhaf-
te
Leute ſind. Weswegen ich mir von Jhnen
und ihrer ganzen werthen Familie die
Geneigtheit ausbitte, daß ich auf den Vers
meines zuletzt angezogenen Poeten einen An-
ſpruch machen darf:


Aſpera
[253]
Aſpera confeſſo verba remitte reo.

Jetzo laſſen Sie mich (wie ſichs dann zu mei-
nem heiligen Amte beſſer ſchickt) an ſtatt in
der Geſtalt eines Anklaͤgers, oder zu dreiſten
Tadlers
zu erſcheinen, (wofuͤr ich in meinem
Herzen nie geglaubt habe, daß ich angeſehen zu
werden verdiente) den Charackter eines Ver-
ſoͤhners
annehmen, und den Vorſchlag thun,
daß ich (gleich als zur Poen fuͤr mein Ver-
ſehen
) als ein Friedensbote zu der gotts-
fuͤrchtigen jungen Fraͤulein
abgeſand werde.
Denn ſie ſchreiben mir auf ihr Wort zuver-
laͤßig,
(und im Herzen glaube ich, daß es
wahr iſt) daß die Aerzte ſie aufgegeben haben,
und ſie nicht leben kann! Ach! Ach! Was wuͤr-
de das fuͤr eine betruͤbte Sache ſeyn, wenn der
arme Bogen, den man nur die Abſicht hat-
te, (wie ich gar wol weiß, und voͤllig verſi-
chert
bin) zu ſpannen, brechen ſollte!


Laſſen Sie es nicht, mein wertheſter Goͤn-
ner, bei der Welt das Anſehen haben, als
wenn in Jhrer Empfindlichkeit (die, ſo lan-
ge Sie dadurch die Perſon zu ihrer Pflicht zu
bringen gedacht, recht und billig geweſen iſt)
etwas ſei, daß einer Gewaltthaͤtigkeit, oder
heftigem Zorne, oder einer Unerbittlichkeit
aͤhnlich ſaͤhe; (wie es einigen Leuten ſcheinen
moͤchte, wenn ſie nach einer Reue, Zerknir-
ſchung
und Demuͤthigung, an der Seite der
ſchoͤnen Suͤnderin, aufs aͤuſſerſte angetrie-
ben werden ſollte) Denn dieſe ganze Zeit her,
iſt
[254]
iſt ſie (wie es ſcheinet) eine andre Magda-
lene
in ihrer Reue geweſen, ob ſie gleich in ih-
ren Vergehungen nicht ſo ſchlimm, als Mag-
dalene
geweſen iſt. (Einer Vergehung, das
weiß der liebe GOtt! hat ſie ſich freilich einmal
ſchuldig gemacht,


Nam vitiis nemo ſine naſcitur: optimus
ille eſt,
Qui minimis vrgetur
‒ ‒ ſagt Horaz)’

Sollte ich demnach zu dieſem ſeeligen Ge-
ſchaͤft ernennet werden, (denn Seelig ſind, die
Frieden machen!
) ſo will ich nach London ei-
len, und (wie ich weiß, daß die Fraͤulein al-
lezeit eine groſſe Achtung gegen das heilige Amt
geheget hat, das ich zu fuͤhren gewuͤrdiget bin)
ſo zweifle ich nicht, mich der Fraͤulein angenehm
zu machen, und ihr durch geſunde Gruͤnde
und guten Rath, einen Geſchmack an einer
Lebensart beizubringen, welche der erſte
Schrit
zu ihrer Bekehrung ſeyn muß. Denn
wenn das Gemuͤth erſt beruhiget iſt, ſo wird
der Coͤrper nicht lange leiden; und die Lie-
be zum Leben
iſt eine natuͤrliche Neigung,
die leicht wieder lebendig wird, wenn ſich
das Gluͤck wendet, und uns zulaͤchelt:


Viuere quisque diu, quamuis egenus \&
aeger,
Optat ‒ ‒ovid.

Und der liebliche Lucan bemerket ſehr rich-
tig:


‒ ‒ Fa-
[255]
‒ ‒ Fatis debentibus annos
Mors inuita ſubit ‒ ‒

Erlauben Sie mir nunmehr, hoher Goͤnner,
daß ich Jhnen den Jnhalt meiner Vorſtel-
lungen
und troſtreichen Betrachtungen
vor Augen lege, die ich an die gnaͤdige Fraͤu-
lein gelangen zu laſſen gedenke, da ſie, wie ich
wol ſagen mag, ein gelehrtes Frauenzim-
mer
iſt, und ich ihr dieſe Sentenzen er-
klaͤren
kann, wovon ihr die Conſtruction
unmoͤglich ſo gelaͤufig iſt: Damit Ew. Hoch-
wolgebohren uͤberzeuget werden, (wenn Sie oh-
nedem meine Gaben nicht kenneten) wie ſehr
ich mich zu dem chriſtlichen Werke ſchicke,
zu welchem ich mich ſelbſt vorzuſchlagen, mir
die Freiheit nehme.


Vors erſte, werde ich ihr den gemeinen
Lauf der Dinge
in dieſer unterirdiſchen
Welt
zu Gemuͤthe fuͤhren, in welcher Freu-
de
und Leid, Leid und Freude einander
wechſelsweiſe folgen, um ſie zu uͤberzeugen,
daß der gemeine Lauf der Dinge auch ihren
Kummer ſo mit ſich gebracht hat:


Gaudia poſt luctus veniunt, poſt gaudia
luctus.

Zweitens will ich ſie an ihre eigne merk-
wuͤrdige Beſchreibung erinnern, die ſie von
der Betruͤbniß gab, da man ſie aufforderte,
daß ſie den Unterſchied zwiſchen Betruͤbniß,
Schmerz
und Melancholei angeben ſoll-
te,
[256]
te, welches ſie ex tempore that, und zwar
nach ihren Wirkungen, auf eine ſo warhaf-
tig vortrefliche Weiſe, daß jedermann ſehr da-
mit zufrieden war. Jch haͤtte es ſelbſt, wenn
ich daruͤber ſtudiret haͤtte, nicht beſſer oder
conciſer unterſcheiden koͤnnen ‒ ‒ Die Betruͤb-
niß,
ſagte ſie, ertraͤgt, der Schmerz zer-
reißt,
aber die Melancholei giebt gute
Worte.


Daraus werde ich ich ihr dieſen Schluß zie-
hen, daß, wenn eine gluͤckliche Ausſoͤhnung
Platz finden wird, ſo wird der Schmerz ver-
bannet werden, die Betruͤbniß ihren Abſchied
bekommen, und bloß die ſuͤſſe Melancholei
uͤbrig bleiben, ihrem busfertigen Herzen zu
ſchmeicheln und nachzugeben, damit ſie
der ganzen Welt ihre Reue uͤber ihren groſſen
Jrthum zeigen koͤnne.


Drittens, daß ihre Freuden,(*) wenn
ſie ihre Geſundheit und die Liebe ihrer Anver-
wandten
[257]
wandten wieder bekommen hat, um ſo viel
groͤſſer ſeyn werden, je tiefer ihr Schmerz
war;


Gaudia, quae multo parta labore, placent.

Viertens, daß ſie, da ſie ſich doch wuͤrk-
lich
eines großen Verſehens ſchuldig ge-
macht hat, die Verweiſe und den Zorn mit
Geduld ertragen muͤßte, womit man ihr be-
gegnet waͤre.


Leniter, ex merito quidquid patiare,
ferundum eſt.

Fuͤnftens, daß die Tugend durch Ge-
duld
beſieget werden muͤſſe, wie Prudenz
ſaget:


Haec virtus vidua eſt, quam non patien-
tia firmat.

Sechſtens, daß, nach den Worten des
Horaz, ſie beßre Zeiten erwarten muͤßte,
als ſie vor kurzen noch zu hoffen Urſache gehabt
haͤtte.


Grata ſuperueniet, quae non ſperabitur,
hora.

Siebentens, daß ſie jetzt wuͤrklich auf dem
Wege iſt, gluͤcklich zu werden, ſintemal ſie, nach
der Meinung des Ovids, alle ihre Leiden
zaͤhlen kann:


Felix, qui patitur, quae numerare poteſt.
Und in dieſen troſtreichen Zeilen heißt es:
Eſtque ſerena dies poſt longos gratior
imbres,
Et poſt triſte malum gratior ipſa ſalus.


Zuſaͤtze zur Cl. RAch-
[258]

Achtens, daß, nach den Worten des
Mantuanus, ihre Aeltern und Oncles
ſie doch die ganze Zeit haͤtten lieben muͤſſen,
da ſie erzuͤrnt auf ſie geweſen waͤren.


Aequa tamen ſemper mens eſt, \& amica
voluntas,
Sit licet in natos facies auſtera parentum.

Neuntens, daß das Uebel, ſo ſie ausge-
ſtanden, (durch den guten Gebrauch, der davon
zu machen ſtuͤnde) zu ihrem ewigen Wol
ausſchlagen koͤnnte. Denn


Cum furit atque ferit, Deus olim parce-
re quaerit.

Zehentens, daß ſie geſchickt ſeyn wird, al-
len jungen Fraͤulein von ihrer Bekannt-
ſchaft, feine (ſehr feine) Lehren
zu ge-
ben, uͤber die Eitelkeit von dem Gluͤck er-
hoben
zu werden, und uͤber die Unbeſtaͤn-
digkeit,
daß man in Ungluͤck verſenket
werden kann: Sintemal keiner ſo hoch ſtehet,
der nicht erniedriget werden koͤnnte, und kei-
ner ſo niedrig iſt, der noͤthig haͤtte, zu ver-
zweifeln.
Zu welchem Ende Auſonius den
Rath giebt:


Dum fortuna iuuat, caueto tolli,
Dum fortuna tonat, caueto mergi.

Jch werde ihr ſagen, daß Lucan Recht
hat, wenn er das Ungluͤck das Element
der Geduld
nennet


‒ ‒ Gaudet patientia duris.

und daß


For-
[259]
Fortunam ſuperat virtus, prudentia fa-
mam.

und daß, dieweil ſchwache Seelen von dem
Gluͤck zerſchmettert werden, ein tapfres
Gemuͤth dieſer unbeſtaͤndigen Goͤttin ſelbſt ein
Schrecken einjagt.


Fortuna fortes metuit, ignauos premit.

Eilftens, daß, wenn ſie den Rath des
Horaz annimmt:


Fortiaque aduerſis opponite pectora re-
bus.

ihr es kuͤnftig ein Vergnuͤgen machen wird, (wie
Virgil ſagt) ſich ihrer uͤberſtandnen Ungluͤcks-
faͤlle zu erinnern:


‒ ‒ Forſan \& haec olim meminiſſe iuuabit.

Und Juvenal ſagt zu eben dem Endzweck,
wenn er von der Freude der Seefahrer redet,
die ſie nach uͤberſtandnen Gefahren emp-
finden, wenn ſie ſich davon unterreden.


Gaudent ſecuri narrare pericula nautae.

Da ſich dies zu dieſem Fall ſo wol ſchickt, ſo
werden Sie es nicht ungnaͤdig nehmen, daß ich
es in Engliſche Reime uͤberſetze, da der
Ueberſetzungs-Trieb (verzeihen Sie mir
das neue Wort, ungeachtet wir Gelehrten
nicht gern neue Woͤrter autoriſiren) mich
ungerufen uͤberfaͤlt.


R 2The
[260]
The Seaman, ſafe on ſhore, with joy doth
tell,
What cruel dangers him at ſea befell.
(*)

Mit dieſen, und noch hundert andern
weiſen Spruͤchen, die ich allezeit auf den
Fingern her erzaͤhlen
kann, will ich (wenn
ich ſie erſt in eine Form und Zuſammenhang ge-
bracht habe) die Fraͤulein unterhalten, und da
ſie eine wol beleſene und (wie ich wol ſagen
mag, wenn ich dieſen einen groſſen Fehltrit aus-
nehme) eine weiſe junge Fraͤulein iſt, ſo zweif-
le nicht, daß ich ſie, wo nicht durch meine
eignen,
doch durch die Gruͤnde der witzigen
und faͤhigen Geiſter, die mit ihrem Genie,
wenn ich ſo reden darf, eine Verwandſchaft
haben, bewegen werde, daß ſie folgendes zu
Herzen nimmt.


- Nor of the Laws of fate complain,
Since, tho’it has been cloudy, now’t clears
up again.
(**)

O was
[261]

O was ſteckt doch in den edlen claßiſchen
Schriftſtellern
fuͤr Weisheit! Ein wei-
ſer
Mann, wird (wenn er fleißig in ihnen nach-
forſchet) allezeit finden, daß ſie ſeine Gedanken
uͤber Menſchen und andre Vorfaͤlle ausdruͤcken!
Daher kommt es, daß ſie ſich ſo hurtig bei je-
der Gelegenheit meinem Gedaͤchtniß darſtellen.
‒ ‒ Ob dies gleich den Anſchein einer Eitelkeit
haben koͤnnte, ſo iſt es doch zu wahr, als daß
ichs uͤbergehen ſollte. Und ich ſehe nicht ein,
wie ein Mann nicht die Vollkommenheiten
an ſich ſelbſt warnehmen
ſoll, die jeder-
mann
an ihm warnimmt, und von ihm ruͤh-
met,
der, dem ungeachtet, vielleicht in andern
Materien nicht halb ſo viel weiß, als er.


Jch weiß nur einen Einwurf, den Ew.
Hochwolgebohren gegen meine Geſandſchaft an
die Fraͤulein machen koͤnnten, den Jhnen Dero
guͤtige Vorſorge fuͤr die Sicherheit mei-
ner Perſon
an die Hand geben duͤrfte, im Fall
der heftige und fuͤrchterliche Menſch, der
gottloſe Lovelace (vor dem ſich jederman fuͤrch-
tet) mir in den Weg kommen ſollte; wie er denn
leicht entſchloſſen ſeyn moͤchte, es zu verſuchen,
ob er in der Geneigtheit der Fraͤulein wieder fe-
ſten Fuß
zu ſetzen vermoͤchte: Doch ich will
wegen meiner Sicherheit der Vorſehung
vertrauen, da ich in einer Sache gebraucht wer-
de, die meines heiligen Amts ſo ſehr wuͤr-
dig
iſt. Um ſo viel mehr verlaſſe ich mich auf
R 3den
[262]
den Schutz Gottes, da ich hoͤre, daß Herr Lo-
velace
ein Gelehrter iſt.


Es iſt wunderbar genug, daß ſo ein nieder-
traͤchtiger Boͤſewicht
(ich hoffe, er wird
dies nimmer zu Geſicht bekommen!) ein Ge-
lehrter
ſeyn ſoll. Jch will ſo viel ſagen, daß
ein Gelehrter ſich ſo viel abmuͤßigen kann,
ein Boͤſewicht zu ſeyn; obgleich, moͤglicher
Weiſe, ein Gelehrter ein ſchlauer Suͤnder
ſeyn, und die Gelegenheiten ergreifen kann, wie
ſie ihm eben in den Weg kommen.
‒ ‒
Welches ich gleich wol, wie ich in Warheit
verſichre, nie gethan habe!


Jch ſage noch einmal, daß ich, da er ein Ge-
lehrter iſt, meine claßiſche Waffenruͤſtung
(wenn ich ſo reden darf) anlegen werde, und
etwa mit ihm ganz ſanftmuͤthig (denn Tapfer-
keit
und Sanftmuth ſind Eigenſchaften, die
ſehr wol mit einander beſtehen,
und bei
keinem in ſolchem Glanze ſcheinen, als in der
chriſtlichen Geiſtlichkeit) und etwa, ſage
ich, mit ihm ganz ſanftmuͤthig vom Ovid an-
fangen:


Corpora magnanimo ſatis eſt proſtrâſſe
leoni.

So daß, fals ich hinter dem Schilde mei-
ner eignen Klugheit
nicht ſicher ſeyn ſollte,
ich doch gewiß hinter dem Schilde der ewig-
vortreflichen claßiſchen Schriftſteller

ſicher ſeyn werde; beſonders des Horaz, der,
weil er ſelbſt ein Boͤſewicht (und zwar ein
Boͤ-
[263]
Boͤſewicht von Einfaͤllen) war, bei allen
gelehrten Boͤſewichtern ein groſſes Gewicht
haben muß.


Und wer weiß, ob ich nicht dieſen Goliath
in der Bosheit,
wiewol ich von Perſon
nur ein kleiner David bin, (wenn ich mich
mit der Schleuder und den Steinen der
Weiſen des Alterthums
bewafnet habe)
zu einem gehoͤrigen Gefuͤhl ſeiner Vergehungen
bringe? Und was wuͤrde das fuͤr ein Sieg ſeyn!


Jch koͤnnte hier, hoher Goͤnner, um die Al-
legorie von David und Goliath fortzuſetzen,
Jhnen einige von den Steinen geben, (Star-
ke Gruͤnde
kann man wol Steine nennen,
weil ſie einen hartnaͤckigen Gegner zu Bo-
den werfen
) womit ich ihn zu treffen geden-
ke, wenn er gegen mich in Eifer kaͤme, und
zwar, damit ich Jhnen alle Furcht fuͤr mein
Leben und meine Knochen benehmen moͤch-
te. Doch ich will ſie bei mir behalten, bis
Dieſelben ſie von mir abfordern, wenn ich
die Ehre habe, Jhnen in Perſon aufzuwarten.


Und nun, was bleibt noch uͤbrig, als daß,
nachdem ich gezeigt habe, (wiewol Sie, wie ich
glaube, daran nicht gezweifelt haben werden)
wie wol qualificirt ich ſei, der gnaͤdigen Fraͤu-
lein, mit dem Oelzweige in der Hand, auf-
zuwarten, Ew. Hochwolgebohren ich gehorſamſt
bitte, mich damit, ſo bald moͤglich, abzu-
ſenden. Denn wenn es ſo ſehr ſchlecht mit
ihr iſt, und ſie nicht ſo lange leben ſollte, die
R 4Ver-
[264]
Vergebung zu erhalten, welche, (ſo viel ich
weiß) Dero ganze geehrteſte Familie ihr zuge-
dacht hat, wie ſehr wird das Sie alle betruͤ-
ben! Und was werden ihr dann die Lob-Lie-
der
helfen, die Sie, vielleicht alle, ihr zu Ehren
anſtimmen werden? Denn, wie Martial weiß-
lich anmerket


- Poſt cineres gloria ſera venit.

Zudem, wie Auſonius, mit eben der Rich-
tigkeit
feſtſetzet, daß die Wolthaten, die
man jemanden hurtig erweiſet, die an-
genehmſten und verbindlichſten ſind;

So ſagt auch Ovid zu eben dem Ende:


Gratia ab officio, quod mora tardat, abeſt.

Und, Sie moͤgen thun, was Sie wollen,
ſo laſſen Sie die Fraͤulein ſo voͤllig und mit
ſolchem guten Herzen Vergebung erlangen,
als ſie wuͤnſchen kann, damit ich im Stande
ſei, ihr zu ſagen, daß Sie ihr dieſelbe mit Hand
und Mund und mit Jhrem ganzen Herzen
ertheilet haben. Denn ſo ſagt der Lateiniſche
Vers (und ich bin ſo ſtolz zu denken, daß ich
durch meinen unterthaͤnigen Rath ſeinen Sinn
nicht geſchwaͤchet habe)


Dat bene, dat multum, qui dat cum
munere vultum.

Da ich nunmehr, hoher Goͤnner, dieſen lan-
gen Brief uͤberſehe, (*) ob er mir gleich als ein
Schmelz-
[265]
Schmelzwerk oder als eine ſchoͤne Wieſe
vorkommt, die mit den Blumen des Fruͤh-
lings oder Sommers
gleichſam ausgelegt,
und vortreflich anzuſehen iſt) ſo fange ich an,
beſorgt zu werden, daß meine Laͤnge Jhnen
verdrieslich fallen moͤchte, und zwar mit ſo viel
mehr Warſcheinlichkeit, da ich bei demſelben nicht
die Ordnung und die Regeln der Kunſt
beobachtet habe, welche meiner Meinung nach
das Schoͤne in guten Schriften ausmachen:
Wiewol ſich die Ueberſchreitung dieſer Ord-
nung
oder Regeln eher in einem vertrau-
lichen
Briefe, (wie man dieſen nennen koͤnn-
te, und Sie, hoher Goͤnner, mir vergeben
werden, daß ich ihn auf eine vertrauliche
Art
ſo nenne) entſchuldigen ließe. Doch
muß ich geſtehen, daß es ſich bei dem gegen-
waͤrtigen
nicht voͤllig thun laͤßt, weil dies ein
R 5Brief
(*)
[266]
Brief, oder daß ich recht ſage, eigentlich kein
Brief
iſt, ſondern viel mehr eine Art einer kur-
zen
und buͤndigen Abhandlung, worin
verſchiedene und beſondere Materien be-
ruͤhret werden, davon eine jede ſich ſchickte,
ein ganzes Buch anzufuͤllen, wenn man ſie
weiter ausfuͤhren wollte. Wenn alſo dieſe E-
piſtoliſche Abhandlung,
(wie ich es nen-
nen moͤchte) Dero Beifall erhalten ſollte (wie
ich geneigt bin, mir zu ſchmeicheln, in Abſicht
auf die Grundſaͤtze und kurzen Spruͤche
der Weiſeſten des Alterthums, welche die-
ſelbe gleich ſo vielen ſpielenden Sonenſtrah-
len durchglaͤnzen
) ſo will ich (wenn es mei-
ne Muße zulaͤßt) ſie zu einer ordentlichen
Abhandlung
ausarbeiten, und ſie vielleicht
einmal, nebſt einer Zuſchrift an meinen Hoch-
geneigten Goͤnner
(wofern Ew. Hochwol-
gebohren es gnaͤdigſt erlauben) dem Druck uͤ-
bergeben; und zwar erſtlich allein, (jedoch
nicht eher, bis ich zwei bis drei Schriften von
geringerer Wichtigkeit, ohne meinen Na-
men vorzuſetzen, in die Welt fliegen laſſen, de-
ren gute Aufnahme mir in der gelehrten Welt
meinen Rang anweiſen wird) und hernach in
meinen Werken. ‒ ‒ Jedoch dieſes nicht aus
Eitelkeit, (wie ich wol ſagen mag) ſondern
zum Beſten des Publici. Denn (wie ein
gewiſſer Autor gar wol anmerket) obgleich
die Ehre allezeit der Tugend folget, ſo
ſollte ſie doch nur als ihr Schatten be-
trachtet werden.

Con-
[267]
Contemnit laudem virtus, licet vsque ſe-

quatur

Gloria virtutem, corpus vt vmbra ſuum.

Ein ſehr artiger Spruch der von allen Men-
ſchen bewundert zu werden verdienet!


Und nunmehr, Hochwolgebohrner Herr,
wertheſter Freund und Goͤnner, nachdem ich
die ganze Sache Dero, Deroſelben beiden
Herren Bruͤder,
und des jungen Herrn
Harlowe
Ueberlegung, nicht minder der wei-
ſen Ueberlegung der guten Madame Harlo-
we
und Deroſelben vortreflichen Fraͤulein
Tochter, Arabella Harlowe,
uͤbergeben,
nehme ich mir die Freiheit, mich fuͤr denjeni-
gen zu unterſchreiben, der ich wuͤrklich bin,
und der ich mich, in allen Faͤllen, und zu
allen Zeiten zu ſeyn, ein Vergnuͤgen ma-
chen werde,
als nemlich


Ew. Hochwolgebohren
und Dero hohen Hauſes

ſowol bereitwilligſten und ge-
horſamſten als getreueſten
Diener,
Elias Brand.


Th. VII. S. 562. L. 21. nach den Wor-
ten: wol fluͤchtiger voruͤberge-
hen.


Nunmehr, Lovelace, laß mich wiſſen, ob
ich das Wort Gnade wol ſchreiben darf, ohne
von
[268]
von dir, und deinen Geſellen, eine hoͤniſche
Anmerkung zu befuͤrchten. Jch geſtehe, es
klang mir ſelber vordem ganz fremd in den Oh-
ren. Aber ich werde nie vergeſſen, was einſt ein
ernſthafter Mann uͤber dies Wort ſagte: Es waͤ-
re bei ihm das Schiboleth(*) der Boͤſewich-
ter. Er machte ſich allezeit noch Hofnung von
einem Menſchen, der es ertragen koͤnnte, wenn
man dies Wort nennete, ohne es laͤcherlich zu ma-
chen; aber er gaͤbe allezeit jemanden auf ewig ver-
lohren, der entweder mit dem Worte ſelbſt, oder
mit dem, der es brauchte, ſeinen Spott triebe.


Werde nicht boͤſe u. ſ. w.


Th. VII. S. 726. am Ende, nach den
Worten: ziehen wollteſt.


Herr Belford ſchreibt auf den vor-
hergehenden Brief eine ernſthafte Ant-
wort, welche nicht eingeruͤckt iſt.


Er wuͤnſchet darin ganz ernſthaft, daß
er ſich ohne die Folgen zu ſcheuen, dem
Herrn Lovelace in ſeinen ſo ausgear-
beiteten boͤſen und undankbaren Unterneh-
mungen widerſetzet haben moͤchte, die er ſo
lange Zeit, und mit ſolcher Standhaf-
tigkeit, gegen eine Fraͤulein verfolget, de-
ren Verdienſt und Unſchuld ihr ein Recht
auf den Schutz eines jeden Mannes gab,
der im geringſten auf den Namen eines
Cavaliers einen Anſpruch machen wollte,
ja
[269]
ja welche ſo gar verdiente, daß das Pu-
blicum
ſich ihrer angenommen haͤtte.


Er tadelt ſich ſelbſt mit der aͤußerſten
Strenge, wegen ſeiner falſchen Begriffe
von Ehre, zu welcher er ſich, bei dieſer
Gelegenheit, gegen ſeinen Freund ver-
pflichtet geachtet, und erinnert ſich deſſen,
was ihm die Fraͤulein hieruͤber geſagt, wie
er es ſelbſt Th. VI.. 358. 359. erzaͤhlet,
und worauf ſich auch Herr Lovelace,
der beides der Verfuͤhrer und der Anklaͤ-
ger war, zu ſeinem eignen Verdruß und
zu ſeiner Schande, beziehet. Jndeſſen
macht er doch einen Unterſchied unter
einer unerſetzlichen Beleidigung, die man
gegen eine CLARJSSA im Sinne
gehabt, und unter einer Beleidigung, die
man denjenigen Perſonen des ſchoͤnen
Geſchlechts zuzufuͤgen gedacht, welche
durch ihre Schwaͤche und Thorheit ihren
Fall befoͤrdern; denen man alſo mit
Recht einen groſſen Theil der Schuld zu-
ſchreiben kann, welche das Verbrechen
begleitet.


Er verlangt gar nicht, wie er ſagt, die
Laſter zu beſchoͤnigen oder zu verringern,
deren er ſich ſelbſt ſchuldig gemacht. Doch
beklagt er, aus Liebe gegen Herrn Love-
lace,
daß derſelbe ihm, ohne ſelbſt geruͤh-
ret zu werden, in einer ſo luſtigen und
poßierlichen Schreibart ſo viele nuͤtzliche
Lehren
[270]
Lehren und Warnungen ertheilet. Dem
ungeachtet iſt er entſchloſſen, alle ſeine
Bemuͤhungen dahin anzuwenden, wie er
ihn verſichert, daß ſie bei ihm ſelber kraͤf-
tig werden moͤgen, und wuͤrde ſich mehr
als gluͤcklich ſchaͤtzen, wenn er in den
Stand kaͤme, in ſeiner Perſon ein Bei-
ſpiel zu geben, das einen Mann wieder
auf den rechten Weg bringen koͤnnte, der
ihm von ſeiner erſten Bekanntſchaft an je-
derzeit ſo werth geweſen; und der faͤhig
waͤre, ſo richtig und ſo gruͤndlich zu den-
ken, ob er ſich gleich ſo wenig darnach
beſſerte, und durch ſeine Erkenntniß ſei-
ne Verdammniß nur vergroͤſſerte.


Th. VII. S. 747. L. 11. nach den Wor-
ten: Rache nachgehen ſollte.


Um ſo viel mehr, da er wegen einer Abwe-
ſenheit von ſechs Jahren (ohngeachtet die ſehr
vortheilhafte Erzaͤhlung, die man ihm von
ihr mit Recht gemacht, und das, was ihre
fruͤhe Jugend von Kindheit an verſprach, ſeine
Hochachtung gegen ſie noch vergroͤſſert) ihre
vortreflichen Eigenſchaften bis jetzt nicht halb
kennen lernen konnte. ‒ ‒ Bis jetzt! ‒ ‒ O daß
wir eine ſo bewundernswuͤrdige Perſon verloh-
ren, auf ewig verlohren haben!


Allein ich will mich ſelbſt u. ſ. w.


Th. VII. S. 754. L. 17. nach den Wor-
ten: ſo viel bei ihr, als lies ſtatt des
uͤbri-
[271]
uͤbrigen Theils, dieſes Abſchnitts, und
und des ganzen naͤchſtfolgenden:


‒ ‒ eine Mutter billig gelten ſollte. Fraͤulein
Howe iſt in der That ein Frauenzimmer von
feiner Einſicht. Aber es gehoͤret ein hoher
Grad des Verſtandes ſowol, als ein ſanftes
und zartes Gemuͤth und große Klugheit dazu,
wenn eine erwachſene Tochter zeigen will, daß
ſie Hochachtung und Liebe gegen eine Mutter
zuſammen verbindet, die in ihren Eigenſchaf-
ten ſo ſichtbarlich unter ihr iſt.


Fraͤulein Howe iſt offenherzig, freigebig
und edelmuͤthig. Die Mutter hat nicht ei-
ne einzige von dieſen Vollkommenheiten. Ael-
tern ſollten, um bei ihren Kindern die Ehrer-
bietung zu erhalten, billig groſſe Sorge tra-
gen, daß ſie dieſelben in ihrer Auffuͤhrung, oder
Betragen, oder in ihren Grundſaͤtzen nichts ſe-
hen lieſſen, was ſie ſelbſt an andern nicht bil-
ligen werden.


Herr Hickmann kann ſich indeſſen mit dem
Gedanken troͤſten, daß eben die Lebhaftigkeit,
von welcher er leidet, der Fraͤulein Howe eig-
ne Mutter zuweilen eben ſo empfindlich
macht. Und da er hievon vorher Proben ge-
nug ſiehet, ſo wird er, wenn ſie als Frau ſo
lebhaft ſeyn ſollte, wie ſie als ſeine Geliebte
geweſen iſt, mehr Urſache haben, ſich ſelbſt zu
tadeln, als die Fraͤulein, daß er bei ſo drohen-
dem Anſchein fortgefahren, ſich um ſie zu be-
werben, und ſie zu heirathen.


Es
[272]

Es iſt auch noch ein andrer Umſtand, den
Mannsperſonen von guten Herzen, wenn ſie
ſich auch mit einem lebhaften Frauenzimmer
verbinden, zum voraus mit Vergnuͤgen be-
trachten koͤnnen: Ein Umſtand, der gemeinig-
lich den Stolz der Damen erniedriget, und ſie,
wenn ichs ſo nennen darf, zahm macht, und
ins Haus gewoͤhnet.
Sollte der ſich zutra-
gen, ſo wird er aus dem Herrn Hickmann
und der Fraͤulein Howe ein ſchicklichers Paar
machen, und dieſer wuͤrdige Cavalier wird dop-
pelte Urſache haben, ſich desfals Gluͤck zu
wuͤnſchen.


Bei dem allen aber u. ſ. w.


Th. VII. S. 804. am Ende, nach den
Worten: wird dieſes beſtaͤtigen, lies
ſtatt der drei naͤchſtfolgenden Ab-
ſchnitte:


Jn ihrem Anzuge war ſie unnachahmlich
nett, und alle Fraͤulein in der Nachbarſchaft
kleideten ſich nach ihrer Mode, ohne daß ſie
dieſe Abſicht zu haben ſchien, oder ſich etwas
darauf einbildete.


Von Perſon war ſie mehr lang, als von
mittler Groͤſſe. Jn ihrem Blick hatte ſie et-
was Groſſes, das die Seele verrieth, welche
jeden Geſichtszug belebte.


Dies angebohrne erhabne Weſen, wie ich
es wol nennen mag, verleitete einige ſeichte
Koͤpfe, die nicht wußten, wie ſie die Ehrerbie-
tung
[273]
tung erklaͤren ſollten, die ſich bei ihrem Anblick
ihrer Herzen, wider ihren Willen, bemeiſterte,
ihr einen Stolz beizumeſſen. Allein dieſe Leute
waren ſich bewußt, daß ſie ſelbſt ſchon auf ei-
ne
ihrer Vollkommenheiten ſtolz ſeyn wuͤrden.
Weil ſie alſo nach ihrem eingeſchraͤnkten Geiſte
urtheilten, ſo hielten ſie es fuͤr unmoͤglich, daß
eine Fraͤulein, die ſo viele Vollkommenheiten
beſaͤße, ſich nicht in ihren Gedanken uͤber ſie alle
hinweg ſetzen ſollte.


Jch habe wuͤrklich ihr edles Anſehen tadeln
und urtheilen hoͤren, daß es einen Stolz und
Verachtung andrer anzeigte. Aber Leute, denen
nur ihr eigen Gewiſſen den demuͤthigenden Ge-
danken eingiebt, daß ſie weit unter andern Per-
ſonen ſind, werden allezeit, ſie moͤgen Recht
oder Unrecht haben, an denen etwas zu tadeln
finden, die durch die richtige Art, mit welcher
ſie denken und handeln, ihrem Herzen, das ſich
nicht viel gutes bewußt iſt, eine Furcht einjagen.
Allein in dem boͤſen Verſtande wußte Fraͤulein
Clariſſa nicht, was Stolz ſei.


Sie koͤnnen, wenn Sie dieſe u. ſ. w.


Th. VII. S. 807. L. 23. nach den Worten:
es zu verdammen.


Jch weiß ſie mir, in einer ſtarken Geſellſchaft
von Fraͤulein, noch recht zu denken, wo eine
jede, und ich ebenfals nebſt den uͤbrigen, eine
Unbedachtſamkeit, die das allgemeine Geruͤcht
von einer jungen Fraͤulein erzaͤhlet, getadelt
Zuſaͤtze zur Cl. Shatte.
[274]
hatte. „Kommen Sie, ſagte ſie, meine liebe
„Fraͤulein Howe,” (denn wir hatten es unter
uns abgeredet, daß wir einander unſre Fehler
vorhalten wollten, wenn eine von uns daͤchte,
daß die andre es verdiente; und wenn wir da-
durch, daß wir einander tadelten, der ganzen
Geſellſchaft
einen Verweis zu geben dachten,
den man, wie ſie zu ſagen pflegte, nicht ohne
den Schein eines zuverſichtlichen Stolzes ſo
geradezu geben koͤnnte) „Kommen Sie, ſag-
„te ſie, meine liebe Fraͤulein Howe, laſſen Sie
mich die Fraͤulein Fanny Darlington ſeyn.”
Darauf trat ſie aus unſerm Cirkel, und ſtand
auf. ‒ ‒ „Hier ſtehe ich, ſagte ſie, weil ich mich
„unwuͤrdig halte, unter der uͤbrigen Geſellſchaft
„zu ſitzen, bis ich mich gerechtfertiget habe. Und
„nun ſetzen Sie, ich ſei die Fraͤulein, laſſen
„Sie mich Jhre Beſchuldigungen hoͤren, und
„hoͤren Sie wieder an, was die arme Ange-
„klagte zu ihrer Vertheidigung vorbringen
„kann.” Dann beantwortete ſie alle Umſtaͤn-
de, die ſich bloß auf Muthmaſſung und kei-
nen Beweis
gruͤndeten, durch Umſtaͤnde, die
mit eben der Warſcheinlichkeit vortheilhaft
fuͤr ſie waren, und brachte alſo die Fraͤulein,
welche der Gegenſtand unſers Tadels geweſen,
im Triumph davon. Jederman war ſo ver-
gnuͤgt daruͤber, daß ſie ganz feierlich wieder
nach ihrem Stuhl gefuͤhret wurde, und durch
einmuͤthige Stimmen einen doppelten Rang in
der Geſellſchaft bekam, einmal als die wieder
einge-
[275]
eingeſetzte Fraͤulein Fanny Darlington, und
als Fraͤulein Clariſſa Harlowe.


„Wenige Perſonen, pflegte ſie zu ſagen, wuͤr-
„den in einer Geſellſchaft von Frauenzimmer
„verurtheilet, oder nur angeklaget werden, wenn
„ſie gegenwaͤrtig waͤren. Es iſt alſo großmuͤ-
„thig, ja nichts mehr als gerecht und billig, ſich
„des Abweſenden anzunehmen, wenn er nicht
„offenbar ſchuldig iſt.”


Aber ob ſie gleich auf die Weisheit, ſo zu
reden, ein angebohrnes Recht hatte, ſo hat-
te ſie doch noch nicht Jahre genug, ſich eine ſol-
che Erfahrung zuzueignen, die ſie aus der
Nothwendigkeit geſetzet haͤtte, ihre Meinung
von Perſonen und Sachen zuweilen zu aͤndern.
Aber, wenn ſie ſich genoͤthiget ſahe, dies zu
thun, ſo nahm ſie ſich wol in Acht, daß die
unverdiente Wuͤrde, die ſie einer Perſon aus
Jrthum zugeſchrieben hatte, ihre allgemeine Lie-
be nicht umſchraͤnken, und in einen allgemeinen
Zweifel und Argwohn zuſammen ziehen moͤchte.
Jch erinnere mich gleich eines Exempels hievon.


Sie muͤſſen allenthalben u. ſ. w.


Th. VII. S. 808. L. 6. nach den Worten:
weggieng als vorher.


Und doch war ſein Betragen in ihrer Gegen-
wart zu ſcheinbar, als daß ein Frauenzimmer
viel wider ihn einzuwenden haben konnte, die
einen geringern Grad der reizenden Zaͤrtlichkeit
S 2und
[276]
und der Einſicht beſaß, welche die Fraͤulein un-
ter ihrem Geſchlechte ſo ſehr erhob.


Um den Befehlen u. ſ. w.


Th. VII. S. 808. L. 27. nach den Worten:
ſeinen Abſchied zu geben.


Sie hatte es auf eine ungemeine Art in ihrer
Gewalt, ihre Gedanken mit aller Annehmlich-
keit zu ſagen, deren ſie faͤhig waren. Selbſt
die Hand, die ſie ſchrieb, war ſchoͤn, gleich und
geſchwind; die Zuͤge der Buchſtaben nett und
frei, (ſo ſehr uͤber alle gewungne Kuͤnſtelei,
wie ihr Gemuͤth) und ſie wußte in der Recht-
ſchreibung, ja gar in den Unterſcheidungs-Zei-
chen eine ſolche Genauigkeit zu beobachten, daß
ſie ſich auch dadurch von den meiſten Perſonen
ihres Geſchlechts unterſchied, und keine von de-
nen, die hierin am ſorgfaͤltigſten waren, ſie zu
uͤbertreffen vermochte.


Jhre Aufrichtigkeit, einen u. ſ. w.


Th. VII. S. 809. ſtreiche den erſten Ab-
ſchnitt weg, und lies nach dem Ende
des zweiten, L. 22. nach den Worten:
Klugheit beſtehen koͤnne:


Wenn ſie irgend eines Jrthums, oder Ver-
ſehens uͤberfuͤhret wurde, ſo war niemand ſo
bereit und ſo aufrichtig, ſeinen Fehler zu geſte-
hen, als ſie, es mochte auch ihrem erſten Urthei-
le und Einſicht noch ſo nachtheilig ſcheinen. „Es
„waͤre beinahe ein ſo groſſes Verdienſt, pfleg-
„te
[277]
„te ſie zu ſagen, ſeinen Fehler freimuͤthig zu
„bekennen, als ihn zu vermeiden, und ſich in
„einer ſtrafbaren Sache entſchuldigen zu wollen,
„waͤre das ungezweifelte Zeichen eines falſchen
„und verkehrten Herzens.”


Doch muß ich hiebei noch hinzuſetzen, ſo groß
ihre Menſchenliebe war, etwas zu entſchuldi-
gen, wo der Charackter leiden, und eine Ent-
ſchuldigung Platz finden konnte: ſo ſtrenge be-
wies ſie ſich in ihrem Tadel, wenn ihn eine
wiſſentliche und ausſtudierte Niedertraͤch-
tigkeit verdiente. Wie haͤtte ſie denn dem ab-
ſcheulichen Menſchen vergeben koͤnnen, der ſie
durch eine vorſetzliche Bosheit in ſein Netz ge-
zogen hatte!


Wo ſie der Schoͤnheiten u. ſ. w.


Th. VII. S. 810. L. 19. nach den Worten:
erniedriget ſind.


Dann werden ſie (wenn ich eine Anmerkung
hinzuſetzen darf) ſteif und ſchwer, und verfallen
in einen trocknen und unangenehmen Zwang.
Die eine Art von dieſen Gelehrten nimmt ei-
ne Schreibart an, die ſo rauh iſt, als oͤfters
ihre Sitten zu ſeyn pflegen. Sie ſchmuͤcken
ihre Schriften mit dem Flitter-Golde der Me-
taphoren.
Sie verſteigen ſich in praͤchtig
klingende
Redensarten, und da ſie das Er-
habne
in den Worten und nicht in den Ge-
danken
ſetzen, ſo bilden ſie ſich ein, dann am
erhabenſten zu ſchreiben, wenn ſie am wenigſten
S 3verſtan-
[278]
verſtanden werden. So ſetzen ſie ſich hin, und
uͤber die maſſen mit ihren Arbeiten zufrieden,
nennen ſie ſolches eine maͤnnliche Schreibart.
Eine zweite Art ſchnappet nach dem Witze,
und laͤſſet ſich von dieſem Boͤſewicht verfuͤhren,
allen Anſpruch auf die Beurtheilungskraft
aufzugeben. Die dritte Art verſinket in die
Grube der claßiſchen Schriftſteller,
wo
ſie herumwuͤhlen, und kratzen, ohne daß ſie ih-
ren eignen Geiſt zu zeigen ſuchen. Jhr ganzes
Leben wird darauf verwand, die ausgeſuchten
Stellen in ihre Faͤcher zu bringen. Sie ſind
allein geſchickt, uͤber andrer Leute Texte, No-
ten
und Auslegungen zu ſchreiben. Kurz
ihr ganzer Stolz iſt der, daß ſie die Schoͤnhei-
ten, welche vor zwei tauſend Jahren geſagt ſind,
in einer andern Sprache kennen, die ſie in ih-
rer eignen nur bewundern, aber nicht nach-
ahmen
koͤnnen.


Und das muͤſſen wol warlich rechte Gelehr-
te,
und Veraͤchter unſers abgeſchmackten
Geſchlechts ſeyn!


Jch habe nicht einmal noͤthig, zu erwehnen,
daß meine geliebte Freundinn allezeit (ſo wie
ich auch thue) bei Maͤnnern von geſunder Ge-
lehrſamkeit, von gutem Geſchmack, und erwei-
terten Faͤhigkeiten eine Ausnahme machte; be-
ſonders, daß ſie vor den Geiſtlichen eine Ach-
tung bezeugte, die bis zur Ehrerbiethung gieng;
wie man gewiß aus jeder Stelle ihrer Briefe
ſehen wird, wo ſie der Geiſtlichkeit Meldung
thut.
[279]
thut. So verdienten auch der fromme D. Le-
win,
der wuͤrdige D. Blome, der aufgeweck-
te Herr Arnold, und Herr Tompkins, deren
ſie in ihrem Teſtament, als gelehrter Geiſtlichen,
erwehnet, mit welchen ſie auch einen fruͤheiti-
gen Briefwechſel unterhalten, ihre beſondre
Hochachtung vollkommen; weil ſie viele ihrer
nuͤtzlichen Geſchicklichkeiten deren Umgange und
Briefwechſel zu danken hatte.


Die kleinen loſen Zuͤge, mit welchen ſie man-
nigmal (wenn ſie, wie ich geſtehen muß, mich
zur Anfuͤhrerin hatte) die bloſſen Gelehrten be-
zeichnete, (unter denen ihr einfaͤltiger pedanti-
ſcher Bruder ſeine Stelle behauptete) die nicht
nur unſer Geſchlecht, ſondern auch alle dieje-
nigen verachten, welche nicht ſo gluͤcklich waren,
wie ſie, die acht Theile einer Rede (ich weiß
nicht, wie ich mich von dieſen Pedanten pe-
dantiſch genug ausdruͤcken ſoll) und die todten
Sprachen kennen zu lernen, ruͤhrten keines we-
weges aus der Geringſchaͤtzung her, die einige
Leute gegen die Dinge annehmen, die ſie nicht
zu lernen vermocht. Denn ſie hatte eine un-
gemeine Leichtigkeit, Sprachen zu lernen, und
las die Schriften der Jtaliaͤner, und Fran-
soſen
mit groſſer Fertigkeit. Sie hatte auch
ſchon in dem Latein einen Anfang gemacht;
worin ſie gar leicht eine Meiſterin geworden
ſeyn wuͤrde, da ſie nicht allein eine critiſche
Kenntniß ihrer Mutterſprache beſaß, ſondern
auch die beiden andern gruͤndlich erlernet hatte.


S 4Eine
[280]

Eine kleine Lehre u. ſ. w.


Th. VII. S. 811. L. 23. nach den Wor-
ten: Anſehen gewinnet, lies ſtatt
des naͤchſten Abſchnitts:


„Man laſſe ein Frauenzimmer, pflegte ſie
„zu ſagen, wenn ſie ſich hieruͤber weitlaͤuftiger
„erklaͤrte, alles lernen, was ſie außer der
„Kenntniß, die ihrem Geſchlecht eigenthuͤmlich
„ſeyn ſoll, lernen kann. Dies wird zeigen,
„daß ſie einmal eine gute Hausfrau werden
„wird, und keinen engen und eingeſchraͤnkten
„Geiſt hat. Aber dann muß ſie um dieſer willen
„nicht jene noͤthigere Beſchaͤftigungen verſaͤu-
„men, die aus der Urſache fuͤr ſie nicht zu klein
„ſind; und welche ſie zu einer guten Frau im
„Hauſe,
zu einer guten Ehefrau, und zu ei-
„ner guten Mutter machen. Denn was
„kann einer Frau unanſtaͤndiger ſeyn, als wenn
„ſie, aus einer Nachlaͤßigkeit in ihrer Kleidung,
„in einem gelehrten Schmutz einhergehet,
„oder, aus Unwiſſenheit in der Haußhaltung,
„das Hausweſen nicht zu regieren weiß?”


Sie fuͤhrete mir hiebei beſonders zwo Frauen
zum Beiſpiel an, davon die eine, weil ſie in
der Geſellſchaft ihres Mannes und ſeiner ge-
lehrten Freunde, gern uͤber ſchwere und zwei-
felhafte Stellen des Virgils oder Horaz ih-
re
Meinung ſagen mochte, ſich nicht mit der
noͤthigen Annehmlichkeit und Nettigkeit zu klei-
den wußte, welche ihr die Liebe ihres Gemals
und
[281]
und die Hochachtung aller andern Leute erhal-
ten ſollte. Die andre, die eben ſo gelehrt, wie
die Mannsperſonen, ſeyn wollte, wußte keine
beßre Art, dieſen Anſpruch zu behaupten, als
durch die Verachtung ihres eignen Geſchlechts;
und verlohr alſo dieſe dem Frauenzimmer eigne
feine Art zu denken, deren Verluſt keine andre
Vollkommenheit erſetzen kann.


Zuweilen brachte ſie der uͤble Gebrauch, den
das gelehrte Frauenzimmer gar oft von ihrer
ſonſt hochzuachtenden Kenntniß machet, auf
die Gedanken, es ſei nicht viel daran gelegen,
wenn ſich das ſchoͤne Geſchlecht auch nach nichts
beſtrebte, als die Schoͤnheiten und Annehmlich-
keiten ihrer Mutterſprache in ihrer Gewalt zu
haben. Und einmal ſagte ſie: „Dies waͤre
„ſchon ein weites Feld fuͤr ein Frauenzimmer,
„und wenn ſie ſich in ein noch weiters wagte,
„ſo liefe ſie leicht Gefahr, ihrer Familie weni-
„ger nuͤtzlich zu ſeyn.” Allein ich konnte dar-
in
nie mit ihr uͤbereinkommen, weil ich glau-
be, daß unſer Geſchlecht dem andern in keiner
Sache weichen darf, als in dem Mangel an
Gelegenheiten, deren uns die eigennuͤtzigen
Maͤnner mit Fleiß berauben, damit wir ſie nicht
in den Geſchicklichkeiten, worauf ſie ihren Vor-
zug am meiſten gruͤnden, ſo ſehr uͤbertreffen,
wie wir es ihnen in den Annehmlichkeiten einer
feinen Einbildung zuvor thun. Doch war ich
darin voͤllig ihrer Meinung, daß das Frauen-
zimmer, welches ſich bemuͤhete, die Kenntniß
S 5oder
[282]
oder Gelehrſamkeit zu beſitzen, die ſie ihrer Mei-
nung nach, in Geſellſchaften von geſchickten
Leuten wichtiger machen wuͤrde, und ſich nun-
mehr einbildete, daß es uͤber die nuͤtzlichern
Beſchaͤftigungen in der Haushaltung weg waͤ-
re, die Verachtung verdiente, der es ſchwer-
lich je entgehen koͤnnte.


Vielleicht werden Sie es nicht u. ſ. w.


Th. VII. S. 812. L. 8. nach den Wor-
ten: in derſelben ſahen, lies ſtatt des
uͤbrigen Theils dieſes Abſchnitts, und
des ganzen naͤchſtfolgenden:


Jhr Grosvater wollte, daß man zur Ehre
ihrer Geſchicklichkeit in der Viehzucht, und der
Reinlichkeit, mit welcher ſie alle damit ver-
bundnen Geſchaͤfte verſahe, ſein Gut, das ſonſt
unter dem Namen des Hayns bekannt war,
die Hollaͤnderei nennen ſollte. Sie hatte ei-
nen leichten, bequemen, und artigen Anzug
verfertigen laſſen, den ſie anlegte, ſo oft ſie
ſich mit dieſen Arbeiten beſchaͤftigte. Und man
wußte von ihr, daß ſie in derſelben Stunde,
da ſie das zierlichſte und netteſte Milchmaͤdgen
abgegeben hatte, wenn ſie ſich umkleiden ſollte,
als die feinſte Fraͤulein erſcheinen konnte, wel-
che jemals einer Verſammlung Reiz und An-
muth gegeben.


Jhr Grosvater, Vater, Mutter, Oncles,
Tante, und ſelbſt ihr Bruder und ihre Schwe-
ſter beſuchten ſie dort zum oͤftern, und vergnuͤg-
ten
[283]
ten ſich daran, daß ſie die Arbeiten, in der
Stille, mit ſolcher Leichtigkeit und Ungezwun-
genheit verrichtete. Denn ſie mochte aus Be-
ſcheidenheit, und um die Bedienten nicht mis-
vergnuͤgt zu machen, deren Verrichtung es ei-
gentlich war, lieber Hand mit anlegen, als
befehlen.


Jederman mochte ſich auf ihrer Hollaͤn-
derei
gern von ihr bewirthen laſſen. Jhre
Mutter und Tante Harvey pflegten ſie ge-
meiniglich ſtillſchweigend zu bewundern, um
ihrer Schweſter keinen Anlaß zum Misvergnuͤ-
gen zu geben; Ein naſeweiſes, verkehrtes Ding,
das nichts gutes nachzuahmen Luſt hatte, und
ſie die ganze Zeit gewoͤhnlich mit einem ſtum-
men Neide betrachtete! Jnzwiſchen oͤfnete ein
abgedrungnes ſparſames Lob dem ſauerſehenden
Geſchoͤpf dann und wann die Lippen gleichſam
mit Gewalt; wiewol ſie zu gleicher Zeit eine
Mine machte, wie Saul, da er den David,
die Krone ſeines Landes, an die Wand zu
ſpieſſen im Sinne hatte. Und jetzt deucht mich,
ich ſehe, wie meine engliſche Freundin, die zu
groß war, auf ihre ſaure Mine Achtung zu
geben, ſie mit aller Hoͤflichkeit bat, eine Schale
mit Buttermilch von ihren noch weißern Haͤn-
den anzunehmen.


Jhre Geſchicklichkeit in allen Theilen der
Haushaltung ſcheinet unter ihren unzaͤhligen
Vollkommenheiten die einzige zu ſeyn, welche
ſie ihrer Familie zu danken hatte, deren eigen-
nuͤtzige
[284]
nuͤtzige Seelen, die bei ihrem unermeslichen
Reichthum unermeslich gierig waren, es am
erſten vertragen konnten, daß ſie ſich mit allem
Fleiß auf dieſe Art der Wiſſenſchaft legte: Jn-
dem ihre aͤltere Schweſter, eine Kleider-Naͤr-
rin, ohne daß ihr eine Kleidung wol anſtand!
eine Fraͤulein von Lebensart ſeyn wollte,
welches ſie doch nimmer werden konnte; und
welches ihre Schweſter war, ohne ſich darauf
zu bemuͤhen, und ohne daß ſie ſchien, es zu
wiſſen.


Wenn man Geſellſchaft erwartete, ſo war
es bei der einen Schweſter gewoͤhnlich, den hal-
ben Morgen auf ihren Anputz zu verwenden,
indem die andre die Tafel und alles beſorgte,
was den Tag in der Haushaltung geſchehen
ſollte. Dann gieng ſie in ihr Putzzimmer, und
ehe man ſie vermiſſen konnte, weil ſie alle ih-
re Sachen in der vortreflichſten Ordnung hat-
te, kam ſie wieder herunter, und empfieng die
Geſellſchaft mit einem ſo freundlichen, freien,
und ungeſchaͤftigen Weſen, als wenn ſie ſonſt
an nichts zu denken gehabt haͤtte.


Lange nach ihr, wenn etwa die Stunden
vorbei waren, da man zu der Gaſterei Anſtalt
machet, kam mit einem groſſen Geraͤuſch und
Laͤrmen die praͤchtig aufgeputzte ungeſchickte
Arabella, welche die wenige Faſſung, die ſie
noch hatte, bei dem Anblick ihrer heitern Schwe-
ſter verlohr, und ihren finſtern Neid nicht ver-
bergen konnte, wenn ſie ſich mit ſo weniger
Muͤhe,
[285]
Muͤhe, und vielleicht mit dem ſechsten Theil
der Zeit, von ihr ſo weit uͤbertroffen ſahe.


Gleichwol beſaß dies bewundernswuͤrdige
Frauenzimmer alle die haͤuslichen Eigenſchaf-
ten, ohne die geringſte Miſchung von Karg-
heit. Sie wuſte zwiſchen der noͤthigen Tugend,
der Sparſamkeit, und dem heslichen Laſter,
der Knickerey, das Mittel zu treffen, und
pflegte zu ſagen: „Wenn man die wahre Frei-
„gebigkeit beſchreiben wollte, ſo muͤßte ſie die
„gluͤckliche Mittelſtraſſe zwiſchen der Sparſam-
„keit und Verſchwendung genannt werden.”


Sie war die angenehmſte Leſerin, die ich
kenne. Wenn ſie ihren Freundinnen vorlas,
ſo verſchoͤnerte ſie durch ihre wolklingende Stim-
me die ſchoͤnen Stellen in einem Buche, und
wußte auch ſelbſt die Stellen angenehm und
bedeutend zu machen, wo ſie keine Schoͤnhei-
ten fand. Jhre Stimme hatte nichts Singen-
des und nichts Weinendes. Sie ſetzte den Ton
allemal vortreflich, und gab, wo es die Sa-
che erfoderte, einer jeden Stelle ihren gehoͤri-
gen Nachdruck. Sie ließ ſich durch keine praͤch-
tige oder bewegliche Stellen in den Trauerſpie-
len verfuͤhren, und doch blieb die Poeſie eine
wahre Poeſie, wenn ſie ſie las.


Aber wenn ihre Stimme wolklingend war,
wenn ſie las, ſo war ſie lauter Harmonte,
wenn ſie ſang. Und das Vergnuͤgen, mit
welchem man ihre fertigen Laͤufe anhoͤrete, ward
durch die Annehmlichkeit ihrer Minen und Ma-
nieren,
[286]
nieren, und durch ihre verbindliche Munter-
keit, noch mehr erhoͤhet.


Doch mochte ſie gemeiniglich lieber andre ſin-
gen und ſpielen hoͤren, als ſelbſt ſingen und
ſpielen.


Sie fand ein Vergnuͤgen darin, ein verdien-
tes Lob zu ertheilen. Aber ſie that es auf eine
ſolche Art, daß man nicht den geringſten Ver-
dacht auf ſie warf, als wenn ſie es thaͤte, um
wieder gelobet zu werden; ſo ſehr ſie es nach
dem allgemeinen Urtheil auch verdiente.


Sie hatte eine Gabe, auſſerordentliche Din-
ge mit einer ſo leichten Art zu ſagen, daß je-
derman dachte, er wuͤrde daſſelbe geſagt ha-
ben, obgleich Witz und Genie dazu gehoͤrte, ſie
zu ſagen.


Auch ernſthafte Dinge erhielten von der
freundlichen Mine, mit welcher ſie ſolche vor-
brachte, und durch die augenſcheinlich gute
Abſicht, eine muntere Geſtalt, ohne etwas von
ihrer Staͤrke zu verlieren.


Wir koͤnnen am richtigſten von Leuten ur-
theilen, wenn wir auf ihr Betragen bei den
gemeinſten Gelegenheiten Acht geben. Jch will
ein par Exempel anfuͤhren, wo ſie die Gutheit
hatte, mich bei einer ſolchen Gelegenheit zu recht
zu weiſen.


Da ich noch ſehr jung war, hatte ich den Feh-
ler der Leute, die ſich gern viel noͤthigen laſſen,
wenn ſie ſingen ſollen. Sie heilte mich davon,
gleich im Anfange unſrer gluͤcklichen Vertrau-
lichkeit,
[287]
lichkeit, durch ihr eignes Beiſpiel, und durch
nachſolgende Erinnerungen, die ſie mir bei Ge-
legenheit, wiewol in geheim, machte.


„Wolan, liebes Kind, ſollen wir Sie bei
„ihrem Worte halten? Sollen wir glauben,
„daß Sie nur ganz mittelmaͤßig ſingen? Jſt
„aber die Gefaͤlligkeit, eine ſo wuͤrdige Geſell-
„ſchaft zu verbinden, nicht der Geſchick-
„lichkeit im Singen
vorzuziehen? Und ſoll
„ein junges Frauenzimmer ſich nicht bemuͤhen,
„einen Mangel ihrer Erziehung dadurch gut zu
„machen, daß ſie ſich in einer andern Vollkom-
„menheit hervorthut?”


Wiederum ſagte ſie: „Sie muͤſſen wenigſtens
„einen Verſuch machen, um uns zu uͤberzeu-
„gen, daß Sie nicht ſingen koͤnnen; und
„dann wollen wir Jhnen ſo wenig jetzo als
„kuͤnftig mit unſerm Bitten weiter beſchwerlich
„fallen.”


Ein andres mal: „Jch weiß, Sie werden
„uns den Gefallen gleich thun. Denn was
„richten Sie mit ihren Entſchuldigungen aus?
„Nichts als daß Sie unſre Erwartung vermeh-
„ren, und es ſich ſelbſt ſchwerer machen, ſie zu
„vergnuͤgen.”


Zu einer andern Zeit: „Jſt dieſe Geſchick-
„lichkeit nicht ein Theil Jhrer Erziehung,
„liebſte Freundinn? Wie ſollen wir denn, oh-
„ne Jhnen zunahe zu thun, Jhre Entſchuldi-
„gungen erklaͤren?”


Einſt
[288]

Einſtmals, da ich eine Heiſerkeit vorſchuͤtzte,
die gewoͤnliche Entſchuldigung derer, die ſich
gern noͤthigen laſſen, ‒ ‒ „Singen Sie im-
„mer, ſagte ſie, mein Kind, ſo gut Sie koͤn-
„nen.
Je ſchwerer es Jhnen wird, deſto groͤſ-
„ſere Urſache hat die Geſellſchaft, Jhnen ver-
„bunden zu ſeyn. Glauben Sie denn unter
„ſolchen Perſonen zu ſeyn, die keine Nachſicht
„zu brauchen wiſſen? Sie ſollten ſingen, mein
„Schatz, damit niemand von uns denken moͤ-
„ge, daß Jhre Entſchuldigungen aus einem
„angenommenen Zwang herruͤhren.”


Zu einer andern Zeit, da ich ganz wol an-
gemerkt hatte, daß eine andre junge Fraͤulein,
die gegenwaͤrtig war, beſſer ſang, als ich, und
ich desfals vor derſelben nicht ſingen mochte, zog
ſie mich auf die Seite, und ſagte: „Fy! lie-
„bes Kind, iſt das nicht Stolz? Siehet das
„nicht aus, als wenn Sie andern nur haupt-
„ſaͤchlich desfals gefaͤllig ſind, um Beifall zu
„gewinnen? Ein edelgeſinntes Gemuͤth wird
„ſich kein Bedenken machen, Leuten von
„Verdienſten
den Vorzug zuzugeſtehen, und
„ſollte es ihm ſelbſt ein wenig nachtheilig
„ſeyn. Und doch wird es ſelbſt dadurch ſchon
„ein Verdienſt haben. Setzen Sie, dieſe Per-
„ſon, welche Sie uͤbertrift, waͤre abweſend,
„wer ſollte denn, wenn man Jhrem Beiſpiel
„folgen wollte, nach Jhnen fingen? Sie wiſ-
„ſen, daß ſonſt alle andre nur dazu dienen,
„Jhre Geſchicklichkeit zu erhoͤhen. Jn War-
„heit,
[289]
„heit, ich muß noch machen, daß Sie in die-
„ſen kleinern Dingen ſo ſehr uͤber die andern
„Fraͤulein wegkommen, wie Sie es in groͤſ-
„ſern
ſchon ſind.” ‒ ‒ So beliebte es ihr, zu
meiner Beſchaͤmung zu ſagen.


Sie war eben ſo weit u. ſ. w.


Th. VII. S. 813. L. 4. nach den Worten:
erweitern konnte, lies ſtatt der beiden
naͤchſten Abſchnitte:


Sie hatte eine ſchoͤne Hand im Zeichnen, un-
geachtet ſie nur eine kurze Zeit darin unterwie-
ſen worden. Denn ihre Zeit war zu ſehr be-
ſetzt, als daß ſie die Aufmerkſamkeit darauf
haͤtte verwenden koͤnnen, durch welche man es
allein in einer ſo feinen Kunſt weit bringen
kann, und pflegte zu ſagen: „Sie moͤchte ſich
„nicht gern mit zu vielen Dingen abgeben, aus
„Furcht, daß ſie nicht in einem einzigen er-
„traͤglich ſeyn duͤrfte.”


Fuͤr ihre Jahre, und da ſie ſo wenige Ge-
legenheiten gehabt hatte, war ſie eine groſſe
Kennerin von Mahlerei. Die Natur ver-
trat hierin ſowol als in andern Dingen bei ihr
die Stelle der Kunſt, und ihre Kunſt die
Stelle der Natur. Sie mahlte ſelbſt auch
ganz artig. Daher vermachte ihr Großvater
ihr alle Familien-Gemaͤlde. Jhre Einbil-
dungskraft war vortreflich, und jeder Zug ih-
res Pinſels war ſo frei und ſchoͤn, als die Zuͤ-
ge ihrer Feder. Doch urtheilte ſie noch beſſer,
Zuſaͤtze zur Cl. Tals
[290]
als ſie ſelbſt mahlte. Sie hatte zu dem letztern
nicht Uebung genug. Es war auch unmoͤg-
lich, daß ſie in allen Dingen vortreflich ſeyn
konnte. Aber uͤberhaupt wußte ſie, was ein je-
der Vorwurf ſeiner Natur nach erforderte, o-
der in andern Worten: Jhr Urtheil, wie ei-
ne Sache ſeyn ſollte,
war allezeit un-
trieglich.


Um zum Beſten des jungen Frauenzimmers
nur ein gemeines Exempel anzufuͤhren, ſo beo-
bachtete ſie ſchon, von ſich ſelbſt, als ein ganz
kleines Kind,
daß Sonne, Mond, und Ster-
ne nie zugleich am Himmel erſchienen, und al-
ſo nie zugleich auf ein Stuͤck gemahlet werden
muͤßten: Daß Baͤren, Tiger, und Loͤwen nicht
in Engelland zu finden, und alſo auf einer
Engliſchen Landſchaft nicht zu mahlen waͤren.
Daß dieſe Verwuͤſter des Waldes ſich nicht
mit Laͤmmern, Boͤcken, und Rehen vertruͤgen,
ſo wenig wie Habichte, Falken und Geier, mit
Tauben, Rebhuͤnern und Faſanen.


Und o! das wußte ſie, ehe ſie neunzehen Jah-
re alt war! Aus einer ungluͤcklichen Erfahrung
lernte ſie, daß alle dieſe Raubthiere und Raub-
voͤgel, von der Grauſamkeit verraͤtheriſcher
Mannsperſonen uͤbertroffen wuͤrden! von nie-
dertraͤchtigen, barbariſchen, liſtigen, verderbli-
chen Mannsperſonen! Die unendlich weniger
zu entſchuldigen ſind, als jene Thiere, da ſie
aus Muthwillen und zur Luſt zerſtoͤren, was
dieſe aus Hunger und Noth thun!


Leute,
[291]

Leute, die bloß das Anſehen haben wollten,
in den Theilen der Wiſſenſchaften erfahren zu
ſeyn, worauf ſie ſich legte, wußte ſie, allein
von der Natur gelehret, zu entdecken. Das
Schickliche einer jeden Sache, um ein an-
dres Wort fuͤr Natur zu gebrauchen, war,
wie ich ſchon geſagt, ihr Geſetz, ſo wie es der
Grund aller wahren Beurtheilung iſt. Doch
war ſie allezeit misvergnuͤgt, wenn das, was
ſie ſagte, dieſe Leutgen, ſelbſt in ihrer Abwe-
ſenheit,
dem Gelaͤchter lebhafter Perſonen
ausſetzte.


Unſre heutigen Fraͤulein, die nicht eine ih-
rer ungemeinen Eigenſchaften beſitzen, die ge-
meiniglich aus Tag Nacht machen, und jenen
ſo verkuͤrzen, wie ſie dieſe verlaͤngern; deren
ganze Zeit auf den Anputz, Beſuche, Karten,
Spiele, Opern, und muſicaliſche Luſtbarkeiten
verwand wird, moͤgen ſich daruͤber wundern,
was ich geſchrieben habe, und noch ferner
ſchreiben werde. Sie moͤgen es immer als et-
was unglaubliches betrachten, da ſie, in einem
reifern Alter, ſich keiner einzigen ihrer Vollkom-
menheiten ruͤhmen koͤnnen, daß eine ſo junge
Fraͤulein geweſen ſeyn ſoll, die ſo viele beſeſſen
hat.


Allein dieſe muͤſſen nicht wiſſen, wie ſie ihre
Zeit anwendete, und koͤnnen ſich nicht den ge-
ringſten Begrif davon machen, was man in
den Stunden ausrichten kann, da ſie in den
T 2Schat-
[292]
Schatten des Todes (ſo pflegte ſie den Schlaf
zu nennen) eingehuͤllet liegen.


Aber ehe ich erzaͤhle, wie ſie ihre Zeit ge-
woͤhnlich eintheilte, muß ich noch von einer an-
dern Sache ein par Worte ſagen, worin ſie al-
le jungen Fraͤulein uͤbertraf, die ich jemals
gekannt habe.


Jhre Geſchicklichkeit im Naͤhen u. ſ. w.


Th. VII. S. 814. L. 9. nach den Worten:
keine Geſchenke, lies ſtatt des naͤchſt-
folgenden bis L. 17. an die Worte:
das hohe Spiel.


Aus dem, was ich von ihren Geſchicklichkei-
ten erwehnet habe, wird man ſehen, was ihre Er-
goͤtzlichkeiten geweſen ſeyn muͤſſen. Sie war
gar keine Liebhaberin von Karten, der Mode-
Schwachheit der heutigen Fraͤulein. So hat-
te ſie auch, wie man aus dem, ſo ich bereits
geſagt, und noch ferner ſagen werde, abneh-
men wird, nicht viel Zeit zum Spiel. Daher
ſie niemals Anlaß gab, daß man ſie dazu noͤ-
thigte, und oft die Geſellſchaft unvermerkt da-
von abbrachte, indem ſie dieſelbe auf ein ange-
nehmes Geſpraͤch zu leiten wußte, ſo oft ſie es
thun konnte, ohne das Anſehen zu gewinnen,
als wenn ſie etwas beſonders vorſtellen wollte.


Wenige von ihren genauen Bekanntinnen
hatten auch Luſt, ein Spiel vorzuſchlagen, wenn
ſie ſie bewegen konnten, zu leſen, zu ſprechen,
den Fluͤgel zu ſchlagen, oder zu ſingen, wenn
etwa
[293]
etwa ein neues Buch, oder neue Muſicalien
von London gekommen waren. Aber wenn
die Geſellſchaft ſo zahlreich war, daß das Ge-
ſpraͤch nicht ſo angenehm werden konnte, als
es oft unter vier oder fuͤnf Freunden von glei-
chen Jahren wird, und es alſo gewiſſer maßen
noͤthig ſchien, einige davon abzuſondern, damit
die uͤbrigen ſich beſſer unterhalten koͤnnten: ſo
ſchlug ſie es nicht aus, zu ſpielen, wenn ſie das
Loos traff. Und dann zeigte ſie, daß ihre Ab-
neigung vor den Karten bloß die Wirkung ih-
res Geſchmacks war, und daß ſie ein jedes ar-
tiges Spiel verſtand. Aber dann erklaͤrte ſie
ſich allezeit wieder das hohe Spiel.


Kleinigkeiten ausgenommen u. ſ. w.


Th. VII. S. 815. L. 2. nach den Worten:
Naͤchſten Gut zu begehren, lies ſtatt
der vier naͤchſten Abſchnitte, bis S.
816. L. 3.


Sie war uͤber die maßen mildthaͤtig; die
einzige von ihrer Familie, die das Wort verſtand!
Und zwar in Anſehung des Leibes und und der
Seele der Leute, die ſie zu Vorwuͤrfen ihrer
Mildthaͤtigkeit kluͤglich ausgewaͤhlet hatte. Sie
hielt eine Liſte von denen, welche ſie ihre Ar-
men
zu nennen pflegte, und ſetzte auf dieſelbe
allemal einen neuen, wenn einer von ihnen ſtarb,
oder auf andre Weiſe verſorget wurde. Doch
legte ſie immer etwas zuruͤck, um im Fall der
Noth jemanden in unvermutheten Ungluͤcksfaͤl-
T 3len
[294]
len beizuſtehen. Man muß bekennen, daß ſie
in der klugen Austheilung ihrer Gutheiten we-
der ein Beiſpiel noch ihres gleichen hatte.


Alte Leute, Blinde, Lahme, Wittwen, Wai-
ſen und ſolche, die bei ihrem Fleiß nicht fort-
kommen konnten, nahmen beſonders Theil dar-
an. Sie fand ihr groͤßeſtes Vergnuͤgen darin,
wenn ſie fuͤr einige das Schulgeld bezahlte;
wenn ſie die Kinder nothduͤrftiger Arbeitsleute
entweder bei Kaufleuten, oder in Familien, un-
terbrachte, und ſie an dem Ende ihrer Dienſte
in den Stand ſetzte, ihr eigen zu werden; an-
dern gute Buͤcher zu ſchenken, oder, wenn ſie Ge-
legenheit hatte, die aͤrmeſten unter ihren guten
ehrlichen Nachbaren, oder ihres Vaters Pach-
tern, zu unterweiſen, was fuͤr einen Gebrauch
ſie davon machen muͤßten. “Dieſe Mildthaͤ-
„tigkeit, ſagte ſie, die ſo wol fuͤr die Ausbeſ-
„ſerung der Seele, als fuͤr die Maͤngel des Lei-
„bes armer Leute ſorget, verſchaffet dem gemei-
„nen Weſen einen doppelten Vortheil, weil ſie
„die Zahl ſeiner Hofnungsvollen Glieder vergroͤſ-
„ſert, in dem ſie die Zahl der ruchloſen verrin-
„gert. Und kann, waren oͤfters ihre Worte,
„in den Augen GOttes, der nichts ſo ſehr als
„gutthaͤtige Handlungen von uns fordert, eine
„wuͤrdigere Mildthaͤtigkeit ſeyn?”


Jhr Oncle Anton ſagte oft, da er aus Jn-
dien mit ſeinen großen Reichthuͤmern, die er
dort gewonnen hatte, zuruͤck kam, um ſich in
Engelland niederzulaſſen: „Dies Maͤdgen wird
„durch
[295]
„durch ihre Allmoſen uns allen den Seegen
„GOttes zu wege bringen.” Und man muß
geſtehen, daß ſie ſich auf dieſe Hofnung wacker
verließen.


Wiewol ich brauche hievon nichts mehr zu
ſagen, und vielleicht waͤre auch dies ſchon nicht
einmal noͤthig geweſen, da ihre mildthaͤtigen
Vermaͤchtniſſe in ihrem Teſtament genug zeigen,
wie weit ſie es in dieſer Pflicht gebracht hat.


Jn ihrer Diaͤt war ſie ungemein maͤßig. Sie
ſagte: „Jm Eſſen und Trinken muͤſſe man ſich
„mehr vor der Menge als vor der Beſchaf-
„fenheit der Speiſen
in Acht nehmen. Ein
„voller Tiſch ſei ein groſſer Feind des Studie-
„rens und der Arbeit. An einem gut gebaue-
„ten Hauſe brauchte man nicht viel zu beſſern.”


Durch dieſe Maͤßigung genoß ſie bei ihrem
zarten Koͤrper eine beſtaͤndige Geſundheit; Sie
war immer heiter, lebhaft, und gemeiniglich
gut aufgeraͤumt. Jch weiß nicht, daß ſie mehr
als eine Krankheit ausgeſtanden hat. Sie be-
kam dieſelbe von einer gewaltigen Verkaͤltung,
da ſie in einer ofnen Chaiſe, bei einem ploͤtzlich
entſtandnen mit Hagel und Regen vermiſchten
Sturm, unbedeckt ſaß. Dies verurſachte ihr
ein Fieber, das mit gefaͤhrlichen Zufaͤllen ver-
knuͤpft war, die aber ohne Zweifel durch ihre
Maͤßigkeit gehoben wurden.


T 4Jhre
[296]

Jhre Verwandte, die damals ihren Werth
kannten, waren fuͤr ſie in groſſen Aengſten. (*)


Jn allem, was ſie las, und in ihren Unter-
redungen daruͤber mochte ſie lieber Schoͤnheiten
als Flecken finden, und gerne, wenn ſie nur im
geringſten Grund hatte, dem Verfaſſer und
dem Buche ihr Lob ertheilen. Jedoch pflegte
ſie zu beklagen, daß gewiſſe Schriftſteller der
erſten Ordnung, die im Stande waͤren, die Tu-
gend
[297]
gend zu erhoͤhen, und das Laſter zu beſchaͤmen,
ſich nur allzuoft mit bloſſen Werken der Einbil-
dungskraft beſchaͤftigten; mit Vorwuͤrfen, wo
es auf eine bloſſe Betrachtung des Verſtandes
ankaͤme, die keinen Einfluß in die Sitten haͤt-
ten, und nichts zur Erbauung beitruͤgen; wo-
raus man keine gute Lehre, oder Beiſpiel neh-
men koͤnnte.


Beſonders traf ihr ſtrenger Tadel die Schrif-
ten, die auf eine leichtſinnige und unehrba-
re
Art geſchrieben waren; welche die Sitten der
Jugend verderben, unflaͤtige Bilder erwecken,
und der Religion entweder ſelbſt, oder ihren
Lehrern nachtheilig ſeyn konnten. Und dies that
ſie, ohne auf den Ruhm des Verfaſſers, oder
auf den Witz zu ſehen, mit welchem er ſie noch
ſo vortreflich ausgearbeitet haben mochte. Sie
bedaurete oft, daß der beruͤhmte Dechant Swift
ſeine vortrefliche Feder ſo gemisbrauchet haͤtte,
daß ein reines Auge ſich fuͤrchten muͤßte, in ſei-
ne Schriften zu ſehen, und ein reines Ohr, ei-
ne Stelle daraus anfuͤhren zu hoͤren. „Der-
„gleichen Schriftſteller, pflegte ſie zu ſagen, waͤ-
„ren ihren eignen Gaben nicht getreu, und ge-
„gen den GOtt undankbar, der ſie ihnen
„verliehen haͤtte.” Sie ließ auch hierin ihre
Schoͤnheiten keinesweges als eine Entſchuldi-
gung gelten, ſondern behauptete vielmehr, es
vergroͤſſere ihr Verbrechen, wenn diejenigen,
die ſo geſchickt waͤren, das Herz zu beſſern,
nur in einigen Stellen verriethen, daß das ih-
T 5rige
[298]
rige verdorben ſei. Denn dies muͤßte den
Nutzen ihrer guten Schriften ſchwaͤchen, und
hieſſe, das mit einer Hand niederreiſſen, was
man mit der andern gebauet haͤtte.


Alles, was ſie redete und verrichtete, war
mit einem natuͤrlichen, ungezwungenen und er-
habenen Weſen begleitet. Dies ſetzte ſie uͤber
allen angenommenen Schein, und den Ver-
dacht davon, ſo weit hinaus, daß der Fehler,
welcher gemeiniglich dem gelehrten Frauenzim-
mer, zu ihrem Nachtheil, beigemeſſen wird, ihr
nie zur Laſt geleget wurde. Denn bei allen ih-
ren treflichen Vorzuͤgen war ſie williger zu hoͤ-
ren,
als zu reden, und daher kam ohne Zwei-
fel kein geringer Theil ihres Wachsthums.


Ob ſie gleich in den Engliſchen, Franzoͤ-
ſiſchen
und Jtaliaͤniſchen Dichtern ſehr be-
leſen war, und die Lateiniſchen Schriftſteller
des Alterthums aus den beſten Ueberſetzungen
kannte, ſo pflegte ſie doch ſelten, weder in ih-
ren Briefen, noch in ihren Geſpraͤchen, etwas
daraus anzufuͤhren, ſo ſehr gluͤcklich und gut
ihr Gedaͤchtniß auch war. Sie that ſolches
hauptſaͤchlich aus Beſcheidenheit, und um nicht
ſonderbar zu ſcheinen, wie man dem gelehr-
ten Frauenzimmer Schuld giebt.


Herr Wyerley ſagte einſt von ihr: „Sie
„waͤre ſo reich an eigner Kenntniß, und machte
„gemeiniglich ſo feine Anmerkungen uͤber die
„Menſchen und andre Vorfaͤlle, daß ſie ſelten
„eines fremden Beiſtandes beduͤrfte.” „Denn,
„ſetzte
[299]
„ſetzte er nach ſeiner gemeinen Art zu reden hin-
„zu, ſie ſei ſo klug, daß ſie es dem Ei an-
„ſehen koͤnnte, was fuͤr ein Vogel darin
„ſteckte.


Man ſahe aus ihrer ganzen Auffuͤhrung und
Betragen deutlich, daß ſie nicht eine ſo gute
Meinung von ſich ſelber hatte, wie ſie es ver-
diente. Dann wenn man ſie noͤthigte, ihre
Meinung woruͤber zu eroͤfnen, ſo ſchien ſie,
obgleich alles, was ſie zu ſagen noͤthig fand,
klar und verſtaͤndlich war, zu eilen, daß ſie aus-
geſprochen haben moͤchte. Dies that ſie, wie
ich weiß, aus einer zwiefachen Urſache: Da-
mit ſie nicht, wenn ſie zu lange redete, den
Vortheil verlieren moͤchte, andrer Leute Mei-
nungen zu hoͤren, und (das waren ihre Wor-
te) damit ſie nicht durch das Lob andrer verfuͤh-
ret wuͤrde, geſchwaͤtzig zu werden, und ſich
alſo um die gute Meinung braͤchte, die man
allemal bei ſeinen Freunden erhaͤlt, wenn man
die Zeit weiß, da man genug geſagt hat. Kurz
es war bei ihr eine Regel: „man muͤßte lie-
„ber dahin ſehen, daß die, ſo uns zuhoͤreten,
„wuͤnſchten, wir haͤtten mehr geſagt, als ih-
„nen Anlaß geben, daß ſie durch den Mangel
„der Aufmerkſamkeit ihr Misvergnuͤgen daruͤber
„verriethen, daß man ſo viel geſagt haͤtte.”


Sie ſind begierig u. ſ. w.


Th. VII. S. 816. L. 20. nach den Worten:
und Geſchlechte hervorthat.


Was
[300]

Was ſage ich: von ihrem Geſchlechte?
Was fuͤr Ehre wuͤrde ich dadurch dem andern
Geſchlecht
zugeſtehen! Da ich doch den ſtol-
zeſten Pedanten unter ihnen allen herausfor-
dern kann, daß er mir ſagen ſoll, ob aller Un-
terricht, den er von ſeinen Wiſſenſchaften ge-
noſſen, ihn zu einer groͤſſern Vollkommenheit
habe bringen koͤnnen, als dieſe durch die bloße
Staͤrke ihres Genies und ihres Fleiſſes erreich-
te. Doch man kann es allen denen, die auf
die Perſonen, welche ſie von beiden Geſchlech-
tern kennen, gehoͤrige Achtung zu geben ver-
ſtehen, begreiflich machen, ſo viel ſich auch ei-
nige mit ihren ſehr mittelmaͤßigen Eigenſchaf-
ten wiſſen, daß ein Frauenzimmer von acht-
zehen Jahren, wenn wir die ganze Welt durch-
gehen, kluͤger und umgaͤnglicher iſt, als eine
Mannsperſon in ihrem fuͤnf und zwanzigſten.
Jch koͤnnte es durch neunzehen Exempel unter
zwanzigen von meiner Bekanntſchaft beweiſen.
Wie wichtig wiſſen ſich inzwiſchen dieſe armen
Praler mit den Vortheilen zu machen, welche
ihnen ihre Erziehung gewaͤhret! Wer ſollte
nicht einige von ihnen geſehen haben, die eben
von Akademien kommen, welche veraͤchtlich laͤ-
cheln, wenn ein Frauenzimmer etwa einmal
das unrechte Wort ſagt, oder uͤbel aus-
ſpricht,
obgleich ihre Meinung deutlich, und
ihr Urtheil richtig iſt; da dieſe doch ſelbſt nicht
einen Gedanken hervorbringen koͤnnen, der werth
waͤre, wiederholet zu werden; wo ſie ihn nicht
von
[301]
von den Schriftſtellern entlehnet, die man ſie
durchzuſtudieren genoͤthigt hat, um ihrem nie-
drigen kriechenden Genie ein muͤhſames Ge-
ſchaͤft zu geben? Doch wie ſchweife ich aus!


Sie pflegte zu ſagen u. ſ. w.


Th. VII. S. 822. L. 7. nach den Wor-
ten: ebenfals ihre Regeln.


Bloß aus Nachſicht gegen meine Schwach-
heiten, weil ich des Muͤßigganges ein wenig ge-
wohnter war. Denn ich bin ebenfalls, ob ich gleich
ſo gluͤcklich war, ein Exempel vor mir zu ſehen,
das ich ſo ſehr bewunderte, noch gar zu ſehr
nach dem heutigen Fuß. Jn Anſehung des
fruͤhen Aufſtehens aber aͤnderte ich mich zur
Sommerszeit, da ich einen ſolchen Vorgaͤn-
ger hatte. Jch kann bezeugen, wie zutraͤglich
ich dieſes zu meiner Geſundheit, und vielen
andern nuͤtzlichen Dingen gefunden, welche ich
durch dieſes Mittel leicht und mit Vergnuͤgen
auszurichten vermochte.


Jn ihrem Rechnungsbuche u. ſ. w.


Th. VII. S. 823. L. 13. nach den Wor-
ten: dafuͤr haben ſollte, lies ſtatt
des naͤchſtfolgenden Abſchnitts:


Meinem Temperamente nach war ich wuͤrk-
lich zu ungeduldig, als daß ich mir ſelbſt von
meinen Handlungen ſo regelmaͤßig Rechnung
thun ſollte. Jch begnuͤgte mich damit, die
ganze Summe zu ziehen, wenn ich mir ſelbſt,
bei Erinnerung meiner Handlungen einer ver-
gangnen
[302]
gangnen Woche, wozu ſie mich doch gewoͤhnet
hatte, keine ſtarke Vorwuͤrfe machen durfte.


Sie pflegte auf ihre gewoͤhnliche liebreiche
Art zu ſagen. „Jch halte nicht alles, was ich
„thue, fuͤr einen andern zu thun noͤthig, ja
„nicht einmal fuͤr mich ſelbſt. Da es mir a-
„ber angenehmer iſt, eine ſolche Rechnung zu
„halten, als ſie liegen zu laſſen: warum ſollte
„ich denn nicht in meinen uͤberfluͤßig guten
„Werken fortfahren? ‒ ‒ Es kann kein Scha-
„de daraus entſtehen. Es erhaͤlt meine Auf-
„merkſamkeit auf Rechnungen; und dies kann
„mir vielleicht einmal in wichtigern Faͤllen
„Dienſte thun. Diejenigen, die keine genaue
„Rechnung halten wollen, halten ſelten lange
irgend eine Rechnung. Jch verſaͤume kei-
„ne nuͤtzlichere Beſchaͤftigung damit, und es
„lehret mich, auf die Zeit geizig zu ſeyn, die
„einzige Sache, auf die man auf eine erlaub-
„te Weiſe geizen kann! Denn wir leben in
„dieſer Welt nur einmal, und wenn wir aus
„derſelben gegangen ſind, ſo ſind wir auf ewig
„heraus gegangen.”


Sie wußte ſich in die Nothwendigkeit, wel-
che ihr dieſe Unordnungen auflegten, dann und
wann ihre gewoͤhnlichen Beſchaͤftigungen zu
unterbrechen, allezeit zu ſchicken, indem ſie ſag-
te: „Das Spruͤchwort: Wer bei den Woͤl-
„fen iſt, der muß mit ihnen heulen,
litte
„einen guten Verſtand, und lehrete auch gute
„Sitten. Jn Sachen, worin man jemand
„ge-
[303]
„gefaͤllig ſeyn koͤnnte, ohne ſeine Tugenden,
„oder wuͤrdige Gewonheiten in Gefahr zu ſe-
„tzen, ſich leicht bereden laſſen, das ſei eine
„Apoſtoliſche trefliche Eigenſchaft. Denn wenn
„man darin nachgaͤbe, um ſeines Freundes
„Gunſt zu erwerben, damit er uns wieder in
„Sachen von groͤſſerer Wichtigkeit folgen moͤch-
„te, ſo ahmete man das Beiſpiel des Mannes
„nach, der allen allerlei geworden waͤre,
„damit er etliche gewoͤnne.
” Es iſt auch
nicht zu zweifeln, wenn GOtt ihr Leben ver-
laͤngert haͤtte, ihr freundliches Weſen und ihre
heitere Froͤmmigkeit, wuͤrde Tugend und Reli-
gion in einer ſo liebenswuͤrdigen Geſtalt gezei-
get haben, daß ſowol die Gemuͤther als die
Sitten derer wuͤrden gebeſſert worden ſeyn, die
die Ehre gehabt haͤtten, mit ihr umzugehen.


O Herr Belford u. ſ. w.


Th. VII. S. 878. L. 11. nach den Wor-
ten: Auffuͤhrung uͤberlegten, lies
ſtatt der beiden naͤchſten Abſchnitte:


Und zwar um ſo viel weniger, da die un-
troͤſtbare Mutter nicht eher ruhete, bis ſie
durch den Obriſt Morden weitlaͤuftige Auszuͤ-
ge aus einigen Briefen, die dieſe Geſchichte
beſchreiben, erhalten hatte. Dieſe uͤberzeugten
ſie alle, daß eben der Briefwechſel, den Cla-
riſſa,
da ſie noch bei ihnen war, mit dem Herrn
Lovelace wieder angefangen, mehr um ihrer
Familie
als um ihrer ſelbſt willen erneuert
ſei:
[304]
ſei: Daß ſie ihm keine Aufmunterung gegeben,
die mit ihrer Pflicht oder mit der Klugheit nicht
beſtehen koͤnnen, wodurch ſie ſich ſo fruͤhzeitig un-
terſchied: Daß, wenn ſie ihrer Klugheit, woran
ſie nie, wie ſie geſtehen, gezweifelt, vertrauet
haͤtten, ſie ſich ſelbſt ſamt ihnen aus allen Schwie-
rigkeiten in Anſehung des Lovelace heraus-
gewickelt haben wuͤrde: (wie ſie auch einſt ih-
rer Mutter den Vorſchlag that) daß ſie, wo
es je einem Frauenzimmer moͤglich geweſen, ein
ruhmwuͤrdiges Beiſpiel von einer durch Ver-
nunft und Religion, wo nicht voͤllig bezwunge-
nen, doch unterdruͤckten Liebe gegeben haͤtte; da
der Mann einen zu gottloſen Wandel fuͤhrete,
als daß man ihn ohne Bedingung lieben
konnte.


Die ungluͤcklichen Aeltern und Oncles ſahen
aus dieſen Auszuͤgen, fuͤr ihre Ruhe, nur gar
zu deutlich: Daß man es bloß dem Geiz, dem
Stolz, dem Neide ihres unverſoͤhnlichen Bru-
ders und ihrer Schweſter; der unvernuͤnftigen
Verſchwoͤrung der ganzen Familie, ſie zu zwin-
gen, daß ſie einem Mann ihre Hand geben
ſollte, den ſie verachten mußte, wo ſie nicht
aufhoͤren wollte, eine CLARJSSA zu ſeyn;
und endlich den Verfolgungen, womit man ihr
zugeſetzt, ‒ ‒ daß man dieſem allen lediglich den Ge-
danken, ihres Vaters Haus zu verlaſſen, zu-
zuſchreiben haͤtte. Ferner, daß ſie zuerſt, da ihr
dieſes einfiel, die Abſicht hatte, wenn es moͤg-
lich
[305]
lich waͤre, ſich ſelbſt eine Freiſtadt bei der Frau
Howe, oder ſonſt an einem ſichern Orte (aber
nicht bei Herrn Lovelace, oder einer ſeiner
Fraͤulein Baſen, die ſie doch eingeladen hatten)
auszumachen, und von dorther Bedingungen
vorzuſchlagen, die man haͤtte annehmen muͤſ-
ſen, und die mit ihrer Pflicht gar nicht ſtritten.
‒ ‒ Daß, ob ſie ſich gleich in der Hofnung, eine
ſolche Zuflucht, oder Schutz zu finden, betro-
gen ſahe, ſie doch bei der Zuſammenkunft mit
dem Herrn Lovelace gar nicht Willens gewe-
ſen, ſich in ſeine Gewalt zu begeben; weil al-
les, was ſie durch dieſen Schritt zu erreichen
ſuchte, darauf hinauslief, daß ſie ſich bemuͤ-
hen wollte, ein ſo heftiges Gemuͤth zu frieden
zu ſprechen, damit er nicht (wie er wuͤrklich vor
hatte) bei ihren Verwandten einen Beſuch ab-
legen moͤchte, der ungluͤckliche Folgen gehabt
haben koͤnnte: Aber daß ſie von ihm durch ein
falſches Schrecken ſo liſtig weggebracht worden,
daß man billig eher Mitleiden mit ihr haben,
als ſie tadeln ſollen.


Dieſe Auszuͤge uͤberfuͤhrten ſie noch weiter,
daß ſie in der That und nicht blos zum Schein
daruͤber bekuͤmmert geweſen, wie ſie fand, es
ſtuͤnde noch in langer Zeit nicht in ihrer Gewalt,
den Menſchen zu heirathen; und daß ſie zuletzt,
da ſich eine einzige Gelegenheit darbot, durch
ihre unnatuͤrliche Grauſamkeit (da ſie ſich von
neuen an ihre Tante Harvey gewendet, um
Gnade und Vergebung zu erlangen) unfaͤhig
Zuſaͤtze zur Cl. Ugemacht
[306]
gemacht worden, auf ſein Erbieten ſeine Hand
anzunehmen, und ſich alſo genoͤthiget ſahe, den
Tag aufzuſchieben, den ſie nicht laͤnger aufzu-
ſchieben gedachte, bis ſie wieder hergeſtellet waͤre.


Sie ſahen, mit gleichem Abſcheu vor dem
Lovelace, und ihrer eignen Grauſamkeit, und
mit der groͤſſeſten Bewundrung ihres Betra-
gens: Daß ihre majeſtaͤtiſche Tugend den ver-
wegenſten Geiſt in einer ſolchen Ehrfurcht ge-
halten, daß er ſich nicht unterſtand, ſein boͤſes
Vorhaben auszufuͤhren, bis er vorher, durch
gottloſe Traͤnke, ihre Sinnen aufgeopfert hatte.


Aber wie beteten ſie gewiſſer maſſen ihr Ge-
daͤchtniß an! Wie uͤberhaͤuften ſie ſich einer den
andern mit Vorwuͤrfen! da ſie ſahen, daß ſie
ſich nicht allein gegen eine zweite Entehrung
durch das ruhmwuͤrdigſte und unerſchrockenſte
Bezeigen, zum Trotz und zur aͤuſſerſten Beſchaͤ-
mung ſeiner freigeiſteriſchen Begriffe, geſchuͤtzet,
ſondern auch den Muth beſeſſen hatte, ihn be-
ſtaͤndig mit einer edlen Verachtung zu verwer-
fen. ‒ ‒ Und wen? ‒ ‒ Und wie? ‒ ‒ So, daß
der Mann, den ſie ehedem haͤtte lieben koͤnnen,
auf ſeinen Knien um Vergebung flehete, und
bat, daß ſie ihm erlauben moͤchte, ihr die beſte
Erſtattung zu leiſten, die in ſeinem Vermoͤgen
ſtand, nemlich ſie zu heirathen. Sein Ver-
moͤgen war groß, und nicht verſchwendet! Sie
eine Zeitlang ſeine Gefangne in einem ſchaͤndli-
chen Hauſe! Von ihren Verwandten verwor-
fen! nach einer wiederholten Bitte um Gnade
und
[307]
und Vergebung verworfen! ‒ ‒ Um welche ſie
doch noch nachher nebſt dem letzten Seegen fle-
hete, damit ſo wol jene bei ihren kuͤnftigen Ge-
wiſſensbiſſen eine Erleichterung, und ihr eignes
frommes Herz einen Troſt faͤnde! ‒ ‒ Dennoch,
ob ſie gleich mit einer wilden Grauſamkeit ab-
gewieſen wurde, weil man glaubte, ſie ſei ih-
rem Ende nicht ſo nahe, als man vorgeſtellet
hatte, verſchied ſie, indem ſie allen ihren Be-
leidigern verziehe, und ſie ſegnete!


Dann bedachten ſie, daß ihre Briefe, die
nach ihrem Tode bekannt wurden, ſtatt der Ver-
weiſe, mit Troͤſtungen angefuͤllet waren: Daß
ſie ſich in ihrem letzten Willen ſie alle, auf ihre
Art, verbindlich gemacht hatte, ohngeachtet ſie
es weder verdienten, noch erwarteten, als wenn
ſie die Ungerechtigkeit wieder gut machen woll-
te, die ſie, nach den Begriffen einer eigennuͤtzi-
gen Partheilichkeit einiger ihrer Verwandten,
ihnen bei ihrem Großvater durch ſein Teſtament
zugefuͤget haͤtte.


Dieſe Nachrichten und Betrachtungen gaben
beſtaͤndig Anlaß, ſich einander alles zur Laſt zu
legen; erhoͤheten ihre Betruͤbniß uͤber den Ver-
luſt eines Kindes, welches die Ehre ihrer Fami-
lie geweſen, und machten nicht ſelten, daß einer
den andern zu der Zeit, da ſie ſich ſonſt zu ver-
ſammlen pflegten, vermied, um den gegenſeiti-
gen Verweiſen zu entgehen, die ſie einander in
den Augen laſen, wenn auch der Mund nicht
redete. ‒ ‒ Die Stacheln in ihren Gewiſſen wur-
U 2den
[308]
den durch die Zeit geſchaͤrfet! Was fuͤr eine un-
gluͤckliche Familie war dieſe! Mit Recht konn-
te der Obriſt Morden, mit den Worten des
Juvenals, alle andre ungluͤckliche Familien
auffordern, ein ſolches taͤglich zunehmendes
Elend aufzuweiſen, wie man in der Harlowi-
ſchen Familie (die noch wenige Monathe vor-
her ſo gluͤcklich geweſen war!) antreffen koͤnnte.


Humani generis mores tibi noſſe volenti
Sufficit vna domus: paucos conſume
dies, \&
Dicere te miſerum, poſtquam illinc ve-
neris, aude.

Frau Harlowe lebte etwa noch zwei und ein
halbes Jahr, nach dem hoͤchſt bejammerten To-
de ihrer Clariſſa.


Herr Harlowe hatte die Betruͤbniß mehr,
ſeine Gemahlin ein halbes Jahr zu uͤberleben,
deren Tod ſeine ehemalige Gewiſſens-Angſt und
Bekuͤmmerniß wieder aufweckte, und den ſeini-
gen beſchleunigte.


Beide troͤſteten ſich u. ſ. w.


Th. VII. S. 882. L. 18. nach den Worten:
wuͤrdiger machen werden, lies ſtatt
des naͤchſten Abſchnitts:


Da die beiden Schweſtern in der Bosheit,
Sally Martin und Polly Horton, ſo wol
Faͤhigkeiten als eine Erziehung hatten, deren
ſich gemeiniglich Perſonen von ihrem Schlage
nicht
[309]
nicht ruͤhmen koͤnnen; und da ihre Geſchichte
in den vorhergehenden Briefen, worin ihrer oft
Meldung geſchiehet, uͤbergangen iſt: So wird
es dem neugierigen Leſer ohne Zweifel angenehm,
und dem guten Endzweck, den man durch die
Bekanntmachung dieſes Werks zu erreichen ſu-
chet, vortheilhaſt ſeyn, von ihrem Herkommen,
und Erziehung eine kurze Nachricht zu geben,
welche ſie gleichſam zu dieſer niedertraͤchtigen Le-
bensart vorbereitete; wobei wir ihre Schickſale
nach dem fuͤrchterlichen Tode der ſchaͤndlichen
Sinclair mit erwehnen wollen.


Sally Martin war die Tochter eines Sei-
den-Kraͤmers in London ohnweit dem Schloſſe,
welchem ihre Mutter, die Tochter eines Gewuͤrz-
Haͤndlers, ein ziemliches Vermoͤgen zubrachte.
Da ſie beide ein aufgeraͤumtes Gemuͤth hatten,
und die Moden liebten, die ſie um ihres Han-
dels willen einfuͤhreten, und welche die Weiber
und Toͤchter der vornehmſten Kaufleute, beſon-
ders in dem Theil der Stadt, gern nachma-
chen: So war es kein Wunder, daß ſie auch
ihre Tochter eben ſo erzogen, die ein muntres
und witziges naſeweiſes Maͤdgen war, und fuͤr
eine ſehr artige Perſon von feiner Lebensart ge-
halten wurde; welche es alſo bei ſolchen Bei-
ſpielen jedes Jahr weiter darin bringen mußte.


Sie ſahe ſehr fruͤhe, daß ſie ihrem eignen
Willen uͤberlaſſen ſei. Alles was ſie that, war
wolgethan, und alles, was ſie ſagte, ward be-
wundert. Fruͤhe, ſehr fruͤhe verlernte ſie es,
U 3roth
[310]
roth zu werden, weil ſie nicht zweifeln konnte,
daß ſie es immer gut machte; und in Geſell-
ſchaften zu ſchweigen, man mochte reden, wo-
von man wollte, war ihr ſo fremd, als das
Mistrauen auf ihre Vollkommenheiten.


Als ſie das neunte Jahr zuruͤckgelegt, ward
ſie von keiner Luſtbarkeit weggelaſſen, und zur
Ehre ihrer geſpraͤchigen Zunge ward ſie auf
den Gaſtmalen, und Ergoͤtzlichkeiten als die
Haupt-Perſon betrachtet, welche ihre Aeltern,
die ein wolluͤſtiges Leben liebten, in der Abſicht
gaben, um durch die Vermehrung ihrer Be-
kanntſchaft ihren Handel zu vergroͤſſern. Die
guten Leute uͤberlegten nicht gehoͤrig, daß die
Perſon, welche ſie ihr bei den Gelegenheiten zu
ſpielen erlaubten, die zu ihren Nutzen veran-
ſtaltet wurden, warſcheinlicher Weiſe ein Mit-
tel ſeyn wuͤrde, ihre Begierden zu ſtaͤrken, und
die Sitten einer Tochter gaͤnzlich zu verderben,
zu deren Beſten ſie ſich doch, weil es ihr ein-
ziges Kind war, beſtrebten, Reichthuͤmer zu
erwerben.


Da ſie als Kind ſchon ſo ſehr ein Frauen-
zimmer war, was mußte ſie nicht ſeyn, als ſie
wuͤrklich ein Frauenzimmer wurde?


Jm funfzehenden oder ſechzehenden Jahre,
ſuchte ſie, ſowol in Kleidung als Manieren, den
groͤſſeſten Affen unter den Perſonen vom Stan-
de nachzuaͤffen. Die reichſten Stoffe in ihres
Vaters Laden waren fuͤr ſie nicht zu reich. Bei
allen oͤffentlichen Luſtbarkeiten war ſie die An-
fuͤhre-
[311]
fuͤhrerin, (an ſtatt ſich anfuͤhren zu laſſen) von
allem Frauenzimmer, die mit ihr verwand oder be-
kannt waren, wenn ſie gleich ein Drittheil Jah-
re mehr hatten. Bei einem oͤffentlichen Schau-
ſpiel, wo alles beſetzt war, wuſte ſie ſich durch
die ſauren Geſichter der Leute, die ihren Sitz
ſchon vorher genommen hatten, mit einem groſ-
ſen Geraͤuſch durchzudraͤngen, und ſich und ih-
ren bloͤdern Gefaͤhrtinnen Platz zu machen. Je-
derman, der nahe bei ihr ſaß, erſtaunte uͤber
ihre Zuverſichtlichkeit, und wunderte ſich, daß
ſie keinen Bedienten haͤtte, den Platz fuͤr ſie zu
belegen; er fragte darauf ſeinen Nachbar leiſe,
wer ſie waͤre, und dann ſetzte er ſich voller Ver-
wunderung uͤber ihre Dreiſtigkeit nieder.


Sie machte ſich durch allerlei Gefaͤlligkeiten
bei den vornehmſten Comoedianten und Actri-
cen wichtig, welche ſich wieder an ſie machten,
als eine ihrer Goͤnnerinnen, die ihren Stuͤcken
Zulauf verſchaffen koͤnnte. Sie wußte ſo wol
den Tauf- als Zunamen von einem jeden arti-
gen jungen Herren, der die oͤffentlichen Plaͤtze
beſuchte, und ſuchte etwas darin, ſie bei dem
erſten Namen zu nennen, wenn ſie von ihnen
redete.


Diejenigen, welche dem Wink ihrer Augen,
mit denen ſie ſie alle aufforderte, ſie bei ihrer
Ankunft, oder ehe ſie Platz nahm, zu bemer-
ken, nicht gehorchet hatten, wurden mit groſſer
Erhabenheit Carls oder Ferdinands genen-
net. Jhre Lieblinge hingegen hieſſen mit einer
U 4ange-
[312]
angenommenen allerliebſten Vertraulichkeit und
einem artigen Ton, Caͤrlgens und Ferdinaͤnd-
gens;
und wenn ſie recht hoch bei ihr angeſchrie-
ben ſtunden, ſo waren es allerliebſte Teufel,
und verliebte Kroͤten.


Sie hielt uͤber die Handlungen und Auffuͤh-
rung eines jeden Mannes oder Frauenzimmers,
die vom Stande, oder nach der Mode waren,
ordentliches Gericht, wenn das Geſpraͤch auf
ſie fiel; und da war ſie eine unerbittliche Rich-
terin. Sie hatte eine tiefe Kenntniß von den
geheimen aͤrgerlichen Geſchichten. Ein jeder
Charackter, ein jedes Lob, oder Tadel mußte,
wie ſie es vorbringen konnte, dazu dienen, ſich
ſelbſt zu erhoͤhen. Sie wuͤrde ſich ſo nicht
wegwerfen, daß ſie dergleichen begienge!

‒ ‒ Oder, das ſei ihre Weiſe auch; gera-
de, wie ſie es auch zu machen pflegte!
und
indem ſie ihren Werth nach den Niedrigſten ih-
res Geſchlechts beurtheilte, ſo ſtreichelte ſie ſich
das Kinn, und, mit ihrer eigenen Tugend ſehr
zufrieden, ſetzte ſie ſich in der Geſellſchaft
nieder.


Sie hatte ihre Saͤnfte, die auf ſie wartete,
wo ſie hingieng, und vornehmere Perſonen
fand; ſo wie ſich ihr Stolz mannigmal ernie-
drigte, die ſchlechteſten Leute von der Welt auf-
zumuntern, daß ſie ihr die Aufwartung machen
moͤchten.


Sie verſtand alle Kunſtgriffe des Karten-
Spiels. Ein wahres Spartaniſches Maͤd-
gen,
[313]
gen, die bei Gelegenheiten Muth genug beſaß,
eine Betruͤgerei zu leugnen, wobei ſie entdecket
wurde. Es war die unvermeidliche Folge ih-
res oͤftern Spielens, daß ſie Nacht zu Tag und
Tag zu Nacht machte, und ſpaͤt zu Hauſe kam.
Jhre Aeltern freueten ſich recht, daß ihre Sal-
ly
ſo ſtark waͤre, etwas auszuſtehen, und ſo
lange ſie nicht an ihrer Geſundheit litte, waren
ſie um ihre Auffuͤhrung unbekuͤmmert.


Die Nehnadel haßte ſie, und machte die fei-
nen Arbeiten beſtaͤndig laͤcherlich, womit ſich
das Frauenzimmer des vorigen Jahrhundertes
beſchaͤftiget haͤtte, um ſich vor dem Muͤßig-
gang, der Schwelgerei und den Ausſchweifun-
gen zu bewahren, und ſich, wenn ſie keine an-
dre Arbeiten hatten, zu Hauſe zu halten; da
noch keine Vauxhalls, Ranelaghs, Mary-
bones,
und andre Plaͤtze zu oͤffentlichen Luſt-
barkeiten waren, auf die man ſich putzen, und
welche man beſuchen konnte.


Jn der Haushaltung war ſie gaͤnzlich un-
erfahren. Jhre Aeltern verlangten auch nicht,
daß ſie dieſelbe im geringſten verſtehen ſollte.
Sie betrachtete es auch als eine Geſchicklich-
keit, die nur fuͤr Dienſtboten, und Leute von
niedriger Geburt gehoͤrte, und der Aufmerk-
ſamkeit einer heutigen Dame, die Welt haͤtte,
voͤllig unwuͤrdig waͤre.


Obgleich ihr Vater einen ſtarken Handel
trieb, ſo konnte er doch nicht denken daß er,
bei einer ſo koſtbaren und vornehmen Haus-
U 5haltung,
[314]
haltung, ihr ein Vermoͤgen hinterlaſſen wuͤrde,
welches mit ihrer Erziehung uͤbereinkaͤme. Da
es ihnen gar nicht eingefallen war, daß in je-
der Haushaltung eine Sparſamkeit zu beobach-
ten ſei, ſo konnten ſie ſie ſich auch nicht wieder
einziehen, und ihre Tochter ſchien es auch nicht
zu wuͤnſchen. Sie glaubten, daß ein glaͤnzen-
der und pralender Aufzug einen guten Namen
machte. Das hieſſen ſie auf einen artigen
Fuß leben.
Und da ſie einmal ihr Haupt uͤber
ihre Nachbaren erhoben hatten, ſo glaubten
ſie, es wuͤrde ihrem Credit nachtheilig ſeyn,
wenn ſie in ihrem Staat mehr zuruͤck als vor-
waͤrts giengen. Sie ſchmeichelten ſich ſelbſt,
und ihrem Maͤdgen, die voͤllig ihrer Meinung
war, daß ſie Reizungen und Witz genug be-
ſaͤſſe, einen Mann vom Range oder wenigſtens
von groſſen Reichthuͤmern an ſich zu ziehen.
Denn dieſe Tochter eines Kraͤmers, und eines
Kraͤmers Tochter konnte den Gedanken nicht
ertragen, einen ſchlechten Buͤrger zu nehmen,
und ſie unterhielt ihre Hofnungen mit einigen
wenigen, wenigſtens in Vergleichung ſehr we-
nigen, Exempeln, (die ſie in ihrer Einbildung
als ganz gemeine Vorfaͤlle betrachtete) von
Maͤdgen, die ihr am Stande, an Gaben, Er-
ziehung, und ſelbſt an Mitteln weit nachſtehen
muͤßten, und denen es gegluͤckt waͤre, ‒ ‒ wie
ſie nicht zweifelte, daß es ihr auch gluͤcken wuͤr-
de. Artige Renten, und eigne Kutſche und
Pferde, dieſe Kleinigkeiten, welche die Eitel-
keit
[315]
keit der Maͤdgen vom Mittelſtande ſo ſehr rei-
zen! waren das geringſte, was ſie erwartete.
Aber bei allen dieſen bedachten weder ihre Ael-
tern, noch ſie ſelbſt, daß ſie mit den Begierden
kaͤmpfen muͤßte, denen man zu ſehr nachgege-
ben hatte; daß ſie eine Erziehung genoſſen,
und ein feuriges Temperament beſaͤſſe, welches
ſie zu einer Maitreſſe geſchickter, als zu einer
Ehefrau machte: da ſie nicht durch geſunde
Grundſaͤtze und durch ein gutes Beiſpiel ver-
wahret war.


Jhr zwanzigſtes Jahr war zu ihrer groſſen
Verwunderung und Verdruß unvermerkt zu-
ruͤck gelegt, ohne daß ihr ein Antrag geſchehen
waͤre, den ihr Stolz ihr anzunehmen verſtat-
tet haͤtte. Ein Maͤdgen zwiſchen funfzehen und
achtzehen, deren Schoͤnheit dann anfaͤngt zu
bluͤhen, wird, als ein neues Ding, die Augen
der Mannsperſonen auf ſich ziehen: Aber wenn
ſein Geſicht auf den oͤffentlichen Plaͤtzen zu
oft erſcheinet, ſo wird ſie finden, daß neue Ge-
ſichter mehr Aufmerkſamkeit erwecken, als
huͤbſche Geſichter, die man beſtaͤndig ſiehet.
Die Politick ſollte alſo, wenn es auch keine
andre Betrachtung waͤre, ſchon eine junge
Schoͤnheit bewegen, wenn ſie ihre Eitelkeit zaͤh-
men koͤnnte, daß ſie ſich nur eben zeigte, und
wenn man kaum von ihr zu reden anfienge,
gleich als aus Beſcheidenheit weggienge. (und
es wuͤrde doch auch in der That eine Beſchei-
ſcheidenheit ſeyn) Sie ſollte lieber erwarten, daß
ſie
[316]
ſie geſucht wuͤrde, als Anlaß geben, zu den-
ken, daß ſie andre ſuchte. Nur dann und wann
koͤnnte ſie ihr Gedaͤchtniß erneuern, und zuwei-
len an oͤffentlichen Oertern erſcheinen, wenn ſie
es fuͤr warſcheinlich hielte, daß man ſie vergeſ-
ſen haben koͤnnte; So wuͤrde ſie alsdann im-
mer wieder neu ſeyn. Doch ein junges Frauen-
zimmer muͤßte billig allezeit dieſe Anmerkung in
ihrem Herzen haben, daß ſie es ſchwerlich je-
mals erwarten kann, ihre Eitelkeit zu vergnuͤ-
gen, und zu gleicher Zeit die Bewundrung der
Perſonen zu gewinnen, die wuͤrdig waͤren, daß
ſie ſich mit ihnen auf Zeitlebens verbaͤnde. Kurz,
ſie koͤnnen an oͤffentlichen Oertern viele Be-
wunderer
haben, aber nicht einen Liebhaber.


Sally Martin wußte von dieſer Lehre nichts.
Jhre Schoͤnheit war in ihrer Bluͤte, und doch
fand ſie ſich nicht geachtet. „Sally Martin,
„des Kraͤmers Tochter; ſie iſt hier gar
„nicht zu fehlen!
” war die Antwort nebſt der
Anmerkung, die man allezeit auf die Frage er-
theilte: wer die Dame ſei?


Endlich langte ihr Schickſal heran. Auf ei-
ner Masquerade ſahe ſie zuerſt den muntern,
den wolgemachten Lovelace, der eben von ſei-
nen Reiſen zuruͤckgekommen war. Sie fand
ſich gleich durch ſeine Figur, und durch die ar-
tigen Dinge getroffen, die ſie von ſeinen Lippen
hoͤrete, da es ſich fuͤgte, daß er nahe bei ihr
ſaß. Er, der ſich damals nicht nach einer Ge-
mahlin umſahe, ward von dem freien Weſen,
und
[317]
und der Mine der Sally eingenommen, die es
ihm verrieth, daß ſie bei ihrer Lebensart viele
Selbſt-Zufriedenheit beſaͤſſe. Nachdem ſie ſich
von beiden Seiten Zeichen gegeben, daß ſie ein-
ander gefielen, fand er keine Schwierigkeit mehr,
zu erfahren wo er ſie den naͤchſten Tag beſu-
chen koͤnnte. Und doch war es fuͤr eine Perſon
von ihrem Ehrgeiz und vornehmen Aufzuge ei-
nige Demuͤthigung, daß ſie ſich ſo weit herab-
laſſen, und einem ſo artigen jungen Herrn ſa-
gen ſollte, daß ſie nichts weiter, als eines Kra-
mers Tochter ſei. So natuͤrlich iſt es einem
Maͤdgen, das, wie Sally, erzogen worden,
ſich bei Gelegenheiten derer zu ſchaͤmen, deren
Thorheit ſie uͤber ſich ſelbſt weggeſetzet hat.


Es mochte der Sally noch ſo ſauer ankom-
men, ihm dieſes zu ſagen, ſo war Herr Love-
lace
an ſeiner Seite nicht uͤbel zufrieden, daß
ſeine Geliebte von keinem hoͤhern Range war;
weil er ſie bald in den niedrigſten Zuſtand zu
verſetzen hofte, in welchen ein ungluͤckliches
Maͤdgen nur verfallen kann.


Allein da Jungfer Martin Nachricht ein-
gezogen, daß ihr Liebhaber der Schweſter-Sohn
und vermuthliche Erbe des Lord M. ſei, ſo hielt
ſie ihn eben fuͤr den Mann, nach welchem ſie ſo
lange mit ſolcher Ungeduld ausgeſehen hatte,
und fuͤr welchen es der Muͤhe werth waͤre, ihr
Netz aufzuſtellen. Es wird nicht uͤbel ſeyn,
hier anzumerken, wie wahrſcheinlich es ſei, daß
Herr Lovelace die Sally Martin, und viel-
leicht
[318]
leicht noch zwei oder drei Maͤdgen, in Gedanken
hatte, die durch die Hofnung, daß er ſie heira-
then wuͤrde, in ihr Verderben gezogen waren,
da er in einem Briefe an ſeinen Freund Bel-
ford,
der in die vorhergehende Sammlung nicht
mit eingeruͤckt iſt, folgendes luſtige Gemaͤhlde
ſchilderte.


„Mich deucht, ſagt er, ich ſehe ein junges
„Paar ſich einander verliebte Schmeicheleien
„ſagen, die beide auf einander eine Abſicht haben.
„Das Maͤdgen weiſet den Liebhaber ab, wie ſie
„gemeiniglich thun, wenn es ihr Ernſt nicht
„iſt: Sie iſt, ſo wie ſie jetzt iſt, ſehr gluͤck-
„lich. Sie kann nicht gluͤcklicher werden:
„Sie hat keine Luſt, ihren ledigen Stand
„zu vertauſchen.
Wir wollen ſetzen, der
„Juͤngling iſt von denen, die es nicht aus-
„druͤcklich bekennen,
daß ſie eben nicht groß
„verlangen, daß ſie es thun ſollte. Sie haͤlt
„unter ihrer Schuͤrze ein Netz bereit, und er
„eines unter ſeinem Rocke. Ein jeder hat die
„Abſicht, es dem andern uͤber den Kopf zu wer-
„fen; ſie uͤber den ſeinigen, wenn ihr Stolz
„befriedigt iſt, und ſie denket, ſie ſei ſeiner ge-
„wiß; er uͤber den ihrigen, wenn der guͤnſtige
„Augenblick, auf den er gelauret, ihre Ein-
„willigung zu weit getrieben hat. ‒ ‒ Nun laſ-
„ſet uns ſetzen, es begiebt ſich, daß er der ge-
„ſchwindeſte unter den zweien iſt, und ſie in
„ſeinem Netze faͤngt, ehe ſie ihn in dem ihrigen be-
„ſtricken kann: Da moͤchte ich nun gerne wiſſen,
„wie
[319]
„wie ſie ein Recht haben kann, uͤber Grauſam-
„keit, Barbarei, Betrug, und Opfer zu ſchreien,
„und allen den wehklagenden Unſinn auszu-
„ſchuͤtten, mit welchem die artigen Naͤrrinnen,
„in ſolchem Fall, ihren Eroberern die Ohren
„gellend machen? Was meineſt du, wenn ſie
„da Goͤtter und Menſchen zu Richtern anru-
„fen, iſt es nicht gerecht, daß Goͤtter und Men-
„ſchen uͤber ſie lachen, ihnen ihre eignen ſpitz-
„buͤbiſchen Abſichten unter die Naſe reiben, und
„ihr ſagen, daß ſie ſich in ihr wohlverdientes
„Ungluͤck in Gedult ſchicken moͤchten?


Kurz, Sallys Aeltern ſowol, als ſie ſelbſt,
munterten den Herrn Lovelace auf, ſie fleißig
zu beſuchen. Sie glaubten, ſich auf die Klug-
heit ihrer Tochter ſicher verlaſſen zu koͤnnen, und
dieſe war zu weiſe, als daß ſie ſelbſt ein Mis-
trauen darin ſetzen ſollte. Daß ſie Ehrgeiz hat-
te, das wußte ſie: Und der pflegt, in dieſen
Faͤllen, oft Klugheit genannt zu werden. ‒ ‒
Der Himmel moͤchte den Maͤdgen gnaͤdig ſeyn,
ſagt Lovelace, wenn ſie keinen Ehrgeiz haͤt-
ten! ‒ ‒ Am wenigſten argwohnten ſie Gefahr
bei dem groſſen Schein der Aufrichtigkeit, und
der Artigkeit in den Sitten, die er annehmen,
oder bei Seite ſetzen konnte, wenn es ihm be-
liebte.


Die zweite Masquerade, welche erſt ihre
dritte Zuſammenkunft außer Hauſe war, machte
ihren Untergang vollkommen; und das that
dieſer ſo ausgelernte, obgleich ſo junge, Be-
truͤger,
[320]
truͤger, ehe ſie einmal recht wußte, daß ſie in
Gefahr waͤre. Denn nachdem er ſie beredet
hatte, mit ihm gegen zwoͤlf Uhr zu ſeiner Tan-
te Forbes, einer vornehmen und reichen Da-
me, zu gehen, welcher er halb und halb ver-
ſprochen haͤtte, ihr ihre kuͤnftige Niece vorzu-
ſtellen, (dies war die einzige Spur von der Hei-
rath, die er ihr jemals gegeben) ſo brachte er
ſie nach dem Hauſe des gottloſen Weibes, wel-
che in dieſen Briefen den Namen der Sinclair
fuͤhret: Hier erhielt er durch Verſprechungen,
die ſie in einem guͤnſtigen Verſtande auslegte,
(denn wenn ein Frauenzimmer liebt, ſo iſt es
nie fuͤr ſeine Sicherheit genug beſorgt) einen
leichten Sieg uͤber eine Tugend, die ohnedem
wenig mehr, als den Namen hatte.


Er fand keine Schwierigkeit, ſie zu bereden,
daß ſie dieſen gottloſen Umgang fortſetzte, bis
die Wuͤrkungen davon zu ſehr in die Augen fie-
len, als daß er verborgen bleiben konnte. Jh-
re Aeltern jagten ſie darauf in der erſten Wut,
und Eifer uͤber ihre betrogne Hofnung, einen
ſolchen Schwiegerſohn zu bekommen, aus dem
Hauſe.


Da ihre Schande auf die Art bekannt gewor-
den war, verhaͤrtete ſie ſich; und durch ihren Ver-
fuͤhrer, deſſen Favorit-Maitreſſe ſie damals war,
unterſtuͤtzet, faßte ſie fuͤr dieſe Begegnung, die
ſich ſo wenig zu ihrem Stolze, und dem Eigen-
ſinn, in welchem ſie ſie aufgezogen hatten, ſchick-
te, einen ſolchen Unwillen gegen ihre Aeltern,
daß
[321]
daß ſie nicht wieder zu ihnen zuruͤckkehren woll-
te, ob dieſe gleich ihre erſte Hitze bereueten, und
ſich wieder mit ihr auszuſoͤhnen begehrten. Da
ſie zugleich die Favorit-Tochter ihrer Mutter
Sinclair geworden, ſo ließ ſie ſich von dieſem
verruchten Weibe uͤberreden, ihr Kind abzu-
treiben, ob ſie ſchon in ihrer Schwangerſchaft
bereits ſo weit gekommen war, daß es ſie bei-
nahe das Leben gekoſtet haͤtte.


So war ihr erſtes Verbrechen Unkeuſchheit,
ihr zweites eine Mordthat, und nun verlohr ſie
alles Gefuͤhl des Gewiſſens. Es konnte nicht
fehlen, weil ſie jung war, ihren Betruͤger lieb-
te, und von einer ſo abgefeimten Lehrmeiſterin
angefuͤhret wurde, daß ſie ſich nicht bald uͤber al-
le Bedenklichkeiten wegſetzte, das Vergnuͤgen
eines Menſchen mit allen ihren Kraͤften zu be-
foͤrdern, der ſie ins Verderben geſtuͤrzet hatte;
und mit einer teufeliſchen Geſinnung andere
zu beſtricken, daß ſie ihrem Exempel folgen
mußten. Man kann kaum glauben, wie viel
Ungluͤck von dieſer Art ſie angerichtet, da man
ſich auf ſie, als ein Frauenzimmer, das Muth
genug beſaß, verlaſſen konnte; und ſie, bei ih-
rer groſſen Liſt, einen glaͤnzenden Schein anzu-
nehmen wußte.


Sally Martin machte ſich, wenn es moͤg-
lich iſt, dies zu gedenken, noch einer nieder-
traͤchtigern Bosheit ſchuldig.


Als ihr Vater ſtarb, that ihre Mutter, in
Hofnung, wie ſie es nennete, ſie von ihrem
Zuſaͤtze zur Cl. Xgottlo-
[322]
gottloſen Wege abzubringen, ihr den Vorſchlag:
Sie moͤchte das Haus der ſchaͤndlichen Sinclair
verlaſſen, ſich mit ihr auf das Land begeben,
wo ihre gottloſe Lebensart nicht bekannt waͤre,
und ſich dort nur aͤuſſerlich ehrbar auffuͤhren.
Die einzige Tugend, welche ſie je ihre Tochter
gelehret hatte, nebſt der, daß ſie ſich mehr be-
muͤhen muͤßte, andre zu betriegen, als ſich be-
triegen zu laſſen!


Sally willigte darein, aber in keiner andern
Abſicht, wie ſie oft, gleichſam triumphirend,
bekannte, als ihre Mutter um den groͤſſeſten
Theil ihres Vermoͤgens zu betriegen, und ſich
dadurch an ihr zu raͤchen, daß ſie in ihre Ver-
ſtoſſung aus ihres Vaters Hauſe gewilliget, und,
wie ſie ihr Schuld gab, ihren Vater beredet
haͤtte, ſie in ſeinem Teſtament gaͤnzlich zu ent-
erben.


Dieſe unnatuͤrliche Bosheit vollfuͤhrete ſie,
in einer Zeit von einem halben Jahre; und da
flohe die liſtige Schlange mit ihrem Raube wie-
der in ihre Hoͤle, wo ſie ſich uͤber ihren Betrug
luſtig machte: Ja ſelbſt nachdem die Mutter
vor Gram und Wemuth wenig Monate nach-
her aus der Welt gegangen war. Eine harte
aber gerechte Strafe fuͤr die ſchlechte Erziehung,
welche ſie ihr gegeben hatte!


Jch muß noch hinzuſetzen, daß dies eine Bos-
heit war, deren ſie ſich ſelbſt in des Herrn Lo-
velace,
oder ſeiner Freunde, Gegenwart nicht
ruͤhmen durfte. Sie konnten es nicht ertragen.
Sie
[323]
Sie verwieſen es ihr, ſo oft ſie es that, und
verdammten es mit einmuͤthiger Stimme. Es
iſt auch gewiß, daß dieſe und andre Exempel
ihrer unergruͤndlichen Gottloſigkeit ſie gar bald
dem Lovelace zuwider machten, und wenn ſie
ihm in ſeinen andern Vorhaben nicht nuͤtzlich
geweſen waͤre, ſo wuͤrde er ſie nicht haben aus-
ſtehen koͤnnen. Denn wenn er von ihr gegen
ſeine Freunde ſprach, ſo pflegte er zu ſagen: Daß
ſich niemand unterſtehet, Bruder, uns etwas
vorzuwerfen: Alle Bosheit iſt gering ge-
gen der Weiber Bosheit!
(*)


Man muß geſtehen, daß eine uͤble Erzie-
hung die Vorbereitung dazu war; und das hat-
te Sally Martin ihren Aeltern zu danken;
ſo wie dieſe ſich die Folgen ſelbſt zuzuſchreiben
hatten. Gleichwol wenn ſie keinen Lovelace
angetroffen haͤtte, ſo wuͤrde ſie keiner Sinclair
in die Haͤnde gefallen ſeyn. Sie waͤre gleich
dem meiſten Theil der Frauen, die ſo erzogen
find, vielleicht noch immer ziemlich gut durch-
gekommen, und die Mutter von Kindern gewor-
den, die man auch, ſo wie ſie, weggejaget, und
ihrem Schickſal in der Welt uͤberlaſſen haͤtte:
Von Kindern, die gleich dem weichen Wachs,
den erſten Eindruck annehmen, den man ihnen
giebt; die weder gluͤcklich noch ungluͤcklich, und
alles, auſſer brauchbare Glieder des gemeinen
Weſens, ſind; und von Gluͤck zu ſagen haben,
wenn ſie nicht in das aͤußerſte Elend gerathen.


X 2Polly
[324]

Polly Horton war die Tochter einer Frau
von Stande, und gutem Herkommen; deren
Ehemann, ein Mann von Familie und Anſe-
hen, Hauptmann unter der Koͤniglichen Leib-
Garde war.


Er ſtarb, da Polly ungefaͤhr ihr neuntes
Jahr erreichet, und hinterließ ſie, nebſt einem
hinlaͤnglichen Vermoͤgen fuͤr ſie beide, der Vor-
ſorge ihrer Mutter, einer lebhaften jungen Da-
me von etwa ſechs und zwanzig Jahren.


Die Mutter liebte ihre Polly uͤber die ma-
ßen; aber es war ihr nicht gegeben, durch ei-
ne genaue Aufſicht und ſorgfaͤltige Erziehung,
die wahre und aͤchte Liebe einer Mutter zu zeigen.
Sie putzte ſich, gab Beſuche, und ward wie-
der von den munterſten Perſonen ihres Ge-
ſchlechts beſucht. Jhre Augen ſchweiften al-
lenthalben herum, gleich einer Frau, die Luſt
hat, ihr Gluͤck im Eheſtande zum zweiten mal
zu verſuchen.


Dies gewoͤhnte ſie zu ſolchen Manieren, und
zu einer Liebe von ſolchen Luſtbarkeiten, die ei-
ne junge Wittwe, von dem lebhaften Weſen,
zu aller Erziehung, ſelbſt ihrer eignen Tochter,
ganz und gar ungeſchickt machen.


Frau Horton hatte von Jugend auf eine
Neigung zur Muſic und zur Leſung ſolcher Buͤ-
cher gehabt, welche fuͤr junge Gemuͤther nur
eine fruͤhere Art von Ausſchweifungen iſt, die
ſie zu groͤſſern in reifern Jahren zubereitet, nem-
lich zu Romanen, verliebten Hiſtoͤrgen, Liedern
und
[325]
und Comoedien, welche ſie ohne Unterſcheid las,
ſo wie ſie ihr in die Haͤnde fielen; ſie mochten
zur Befoͤrderung oder zum Verderb der guten
Sitten geſchrieben ſeyn. Sie brachte daher
ihrer Tochter eben den Geſchmack bei, und pfleg-
te in den Stunden, da ſie keinen geſchaͤftigern
und lebhaftern Zeitvertreib hatte, oder die Zeit
toͤdten konnte, wie es einige nennen, die Jung-
fer Horton ſich vorleſen zu laſſen. Gluͤcklich
genug, in ihrer Einbildung, daß ſie zu derſel-
ben Zeit, da ſie ihre Ohren ergoͤtzte, und zuwei-
len, nachdem das Stuͤck war, ihr eignes, und
zugleich ihres Kindes, Herz verderbte, das jun-
ge Maͤdgen leſen lehrete, und ihren Verſtand
ausbeſſerte! Es war auch bei dem Thee des
Nachmittags das ewige Ruͤhmen: daß Jung-
fer Horton im Leſen, was den Ton und
den Nachdruck betraͤfe, den man den
Worten geben muͤßte, es allen jungen
Fraͤulein von ihrem Alter zuvor thaͤte.

Zu einer andern Zeit, bekam die mit ihrer Toch-
ter ſehr vergnuͤgte Mutter das Compliment:
Himmel! Madame, mit welcher erſtau-
nenden Anmuth lieſet die Jungfer Hor-
ton! Sie weiß recht in den Sinn des Ver-
faſſers hinein zu gehen! Das konnte ſie
nicht leicht von jemanden lernen, als von
Jhnen!
Dies ſollte freilich ein Lob fuͤr ſie ſeyn,
da es doch, nach der Beſchaffenheit des Buchs,
in dem Munde eines Feindes eine ſtarke Saty-
re geweſen ſeyn wuͤrde! ‒ ‒ Die Mutter, wel-
X 3che
[326]
che von ihrer Tochter auf eine unbedachtſame
Art verliebt war, pflegte indeſſen auszurufen:
Ja, das muß ich ſagen, Jungfer Hor-
ton macht ihrer Lehrmeiſterin Ehre!
und
dann zu dem Kinde: Komm hier, mein gu-
tes liebes Kind!
(wobei ſte ihren Beifall
durch einen Kuß zu erkennen gab) Wie wuͤr-
de ſich dein lieber Papa gefreuet haben,
mein Puͤppgen, wenn er ſo lange gelebt
haͤtte, zu ſehen, wie du zunimmſt!
‒ ‒
Darauf beſchloß ſie die Unterredung mit einem
zufriednen Seufzer, und lies ihre Augen die
ganze Geſellſchaft herumgehen, um ihr ſtillſchwei-
gendes Lob einzuſammlen! Aber wie wenig dach-
te die Mutter vor ihrer thoͤrichten Liebe, was
fuͤr eine Pflanze aus dieſem Saamen aufwach-
ſen muͤßte! Sie ſtellte ſich wol nichts weniger
vor, als daß dieſe feine Erziehung zu ihrem und
ihres Kindes Untergang gereichen ſollte. Am
allerwenigſten, daß in einer einzigen ungluͤckli-
chen Stunde beides die Ehre der Mutter und
Tochter der Liſt eines angreifenden Feindes zum
Opfer dienen wuͤrde.


Da das muntre Maͤdgen ihrem uͤbeln
Schickſal uͤberlaſſen war, und ſie nebſt ihrer
Schweſter Sally und andern ſich den Anfang
ihrer Liebeshaͤndel, den Fortgang derſelben, und
ihren Fall zu Gemuͤthe fuͤhreten, pflegten ſie oft
zu erzaͤhlen, daß ſie auf dieſe Art aufgewachſen
und erzogen waͤren.


Sie
[327]

Sie ſahe uͤberdem eine Menge unterthaͤniger
Diener, die ſich einander abloͤſeten, um ihre
Mutter herum ſchwaͤrmen; welche ſich auf der-
gleichen Aufwartungen nur gar zu viel einbil-
dete. Was war dies fuͤr ein Exempel fuͤr ein
Maͤdgen, das, gleich dem Zunder, bereit war,
Feuer zu faſſen; vornemlich da ihr Schickſal
beſchloß, daß ſie einem Freigeiſte von eiſerner
Stirn, und ſteinernem Herzen, zuletzt in die
Haͤnde fallen ſollte!


Kurz, da die junge Dame bei dem Eindruck,
den eine ſolche Anfuͤhrerin, und ſo leichtfinnig
und froſtig geſchriebne Vuͤcher auf ihr Herz ma-
chen mußten, heranwuchs; und die Muſie, die
Concerte, Opern, Spiele, Aſſembleen, Baͤl-
le, und der uͤbrige Poͤbel von unſerm heutigen
Zeitvertreibe ihr feuriges Temperament noch
mehr erhitzten: So iſt es kein Wunder, daß ſie,
gleich einer fruͤhzeitigen Frucht bald reif wurde,
um von der Hand eines hinterliſtigen Liebha-
bers gebrochen zu werden.


Jn ihrem funfzehenden Jahre, wie ſie ſelbſt
geſtand, koſtete ſie es keine Muͤhe, ſich einzu-
bilden, daß ſie die Heldin eines jeden verliebten
Abentheuers, oder einer jeden Comoedie ſei, die
ſie las; ſo wol mußte ſie in den Sinn des
Verfaſſers hinein zu gehen!
Sie gluͤhete vor
Begierde, der Gegenſtand der Flamme eines
Helden zu werden, und wuͤnſchte im Ernſt, ei-
nen Liebes-Handel anzufangen, und gar von
einem muthigen Liebhaber entfuͤhret zu werden.
X 4Doch
[328]
Doch hatte ſie nicht zu fuͤrchten, daß ihre un-
vorſichtige Mutter ſie einſperren, oder zuruͤck-
halten
wuͤrde; welchen Umſtand ſie gleichwol
durchaus nothwendig hielt, eine Partheniſſa
abzugeben.


Bei allen dieſen feinen Eigenſchaften nach
dem heutigen Fuß, legte ſie doch das neun-
zehnte Jahr zuruͤck, ehe ihr ein Antrag geſcha-
he, der von Folgen geweſen waͤre. Die Haͤlf-
te von ihren Bewunderern fuͤrchtete ſich vor ih-
rer Liebe zu einer luſtigen Lebensart bei einem
mittelmaͤßigen Vermoͤgen zu ſehr, als daß er
fich im Ernſt um ihre Gunſt bewerben mochte.
Andere wurden durch ihr erhabnes Weſen, das
ſie annahm, in einer Entfernung gehalten:
Wieder andre mochten die Schwachheiten der
Mutter und Tochter nicht genau einſehen, und
wurden durch den Gedanken zuruͤckgehalten, daß
ſie von der erſten zu ſorgfaͤltig bewachet wuͤrde.


Aber da ſie den Mann fand, der den Muth
und die Geſchicklichkeit zu Liebes-Haͤndeln beſaß,
die ſie ſich bei ihrem Helden gedacht hatte, ſo
iſt wol nie eine Heldin ſo leicht bezwungen, nie
eine Goͤttin ſo zeitig ihrer himmliſchen Vorzuͤge
beraubt! Denn in der Oper, wo weder ſie noch
ihre Mutter zu fehlen war, ſahe ſie den glaͤn-
zenden Lovelace; Sie ſahe ihn in der Geſtalt
eines aufgebrachten Helden, da er an zween Ca-
valieren eine geringe Beleidigung ahndete, die
ſie ſeiner Sally Martin, welche ſie in ihrem
bluͤhenden Zuſtande gekannt hatten, zugefuͤget.
Den
[329]
Den einen ſchickte Herr Lovelace mit einigen
Wunden am Kopfe, die er ihm mit ſeinem
Degen-Knopf verſetzet, und den andern mit ei-
ner blutigen Naſe, nach Hauſe. Man kannte
die beiden Herren vermuthlich ſchon, daß ſie
fertiger waren, jemanden zu beleidigen, als
ſich zu wehren, wenn ſie zur Verantwortung
gezogen wurden.


Die Tapferkeit dieſer Handlung machte alle,
die dabei ſtanden, dem Helden geneigt. O der
brave Cavalier!
rief Polly Horton ihrer
Mutter in einer Art von Entzuͤckung zu, wie
noͤthig iſt doch den Schoͤnen der Schutz
braver Maͤnner!
Dies letzte ſagte ſie mit ei-
ner ſanften Stimme, worauf ſie ſich geuͤbt hat-
te, um eine Heldin, wie ſie ſich zu ſeyn einbil-
dete, recht nachzuahmen.


Eine Rede, die ſo ſehr zu ſeinem Vortheil
war, konnte der Aufmerkſamkeit eines Mannes
nicht entwiſchen, der die Vortheile mehr als
zu ſehr empfand, welche ihm ſeine wolgemach-
te Perſon, und edles Anſehen, uͤber zarte Her-
zen verſchafte; der das Auge eines jeden Maͤd-
gen bewachte, und ſein Ohr einer jeden ange-
nommenen zaͤrtlichen Stimme offen hielt! Denn
das war eines von ſeinen Merkmalen, woran
er erkannte, ob er in ſeinen Verſuchen bei einer
Perſon gluͤcklich ſeyn wuͤrde. ‒ ‒ Alles ge-
zwungne Weſen,
pflegte er zu ſagen, iſt
ein gewiſſes Zeichen eines verkehrten Kop-
fes, und eines ſchwachen Verſtandes:

X 5Und
[330]
Und auf einen ſolchen Grund habe ich nie
vergeblich gebauet.
‒ ‒


Den Augenblick beſchloß er, mit dem jun-
gen Dinge bekannt zu werden, das ſo heftig
fuͤr ihn eingenommen zu ſeyn ſchien. Nie hat
ein Mann eine ſchnellere Erfindung gehabt, al-
le Arten von Ungluͤck anzurichten. Er gab ſei-
ner Sally ihr Zeichen. Er nannte ſie Schwe-
ſter,
ſo laut, daß jene es hoͤreten. Und Sal-
ly
erzaͤhlte, gleich als aus eigner Bewegung,
die beſondern Umſtaͤnde von der ihr angethanen
Beleidigung, der jungen Dame und ihrer Mut-
ter ins Ohr; wobei ſie ſich in einen Engel des
Lichts verſtellte, um den Charackter ihres he-
roiſchen Bruders in einem praͤchtigern Glanze
zu zeigen. Vornemlich ruͤhmte ſie ſeinen be-
kannten und bewaͤhrten Muth; und miſchte in
ihre Lobes-Erhebungen ſolche Umſtaͤnde von ſei-
ner Geburt, ſeinem Reichthum und uͤbrigen
Vorzuͤgen, daß ihm gleichſam nichts uͤbrig zu
bleiben ſchien, als in die verliebte Polly ver-
liebt zu werden.


Herr Lovelace ſahe alsbald, wie das, was
ſie ſagte, zu verſtehen ſei: So ein braver
Mann! bei ſo angenehmen hoͤflichen Ma-
nieren!
und errieth den Geſchmack der jungen
Dame; da ſie hingegen nicht argwohnen konn-
te, was ein ſolches aͤußerliches Anſehen fuͤr ein
Herz bedeckte! Das war der Mann! der
nehmliche Mann!
fliſterte ſie ihrer Mutter
zu. Da die Oper geendigt war, mußte ſein
Diener
[331]
Diener eine Kutſche bereit halten, und er bat
ſich aus, daß er nebſt ſeiner vorgegebenen
Schweſter ſie nach ihrem Hauſe fuͤhren moͤch-
te, ob es gleich von dem ſeinigen weit entfer-
net waͤre. Als ſie dort ankamen, lieſſen ſie ſich
bereden, auszuſteigen, und eine ſchlechte Mal-
zeit vorlieb zu nehmen.


Sally noͤthigte ſie, daß ſie ſo guͤtig ſeyn,
und ſie bei ihrer Tante Forbes wieder beſu-
chen moͤchten. Sie hofte dieſe Ehre zu haben,
ehe ihr Bruder nach ſeinem Landgut reiſete.


Sie verſprachen es, und nannten zugleich
den Abend.


Man hielt ein koͤſtliches Gaſtmal bereit. Die
Gaͤſte kamen, nachdem ſie inzwiſchen erfahen,
daß alles wahr ſei, was man ihnen von ſei-
nem Namen, Familie und Guͤtern geſagt hat-
te. Sich nach ſeiner Auffuͤhrung zu erkun-
digen, fiel Leuten, die in ihrer eignen Auffuͤh-
rung ſo wenig ſtrenge waren, nicht ein.


Muſic und Tanz ward bei dieſer Luſtbar-
barkeit nicht vergeſſen. Dieſe oͤfneten ihre Her-
zen, welche die Liebe ſchon halb geoͤfnet hatte, und
die Tante Forbes, nebſt des Liebhabers Schwe-
ſter, ſuchten ſie durch ihr eignes Beiſpiel of-
fen zu erhalten. Der Held ſang, that Ver-
heißungen und Geluͤbde. Jhre Dankbarkeit
ward geruͤhret; ihre angenehmen Empſind[u]n-
gen vermehret; ihre Hofnung wuchs; ſie fien-
gen an, vertraulich zu werden; alle ihre Be-
gierden ſtanden in Waffen; die koſtbaren Wei-
ne
[332]
ne thaten das ihrige; ſie wurden ganz außer
Stand geſetzt, auf ihrer Hut zu ſeyn, und da
ſie nicht ſo viel Nachdenken uͤbrig behalten,
daß ſie nur einen Argwohn faſſen koͤnnen; ſo
fiel die junge Schoͤne, welche durch die Sally
von ihrer Mutter getrennet ward, dem gluͤck-
lichen Betruͤger zum Opfer anheim.


Die Witwe ſelbſt, die durch kuͤnſtliche Traͤn-
ke ſchon halb vergiftet, und erhitzet, und von
der Liebe in Flammen geſetzet war, begieng, ehe
ſie ſichs verſahe, den Fehltrit ihrer Tochter mit
einem von Lovelacens beſtaͤndigen Geſellen
in der Bosheit, der ihr nachſtellte, und ſich die
Gelegenheit, allein bei ihr zu ſeyn, welche von
den uͤbrigen veranſtaltet wurde, mit groſſer
Hitze zu Nutze machte. Die Folgen davon
wurden nach einiger Zeit ſichtbar. Kummer,
Scham und Reue bemaͤchtigten ſich, da ihre
eigene Vergehung ihr nicht erlaubte, die Aus-
ſchweifungen ihrer Tochter zu beſtrafen, ihres
Herzens dergeſtalt, daß ſie ihre Niederkunft
nicht uͤberlebte. Polly ward auch eines Kin-
des entbunden, und gerieth nachher, da ſie ih-
ren Betruͤger zu ſehr liebte, als daß ſie ihm ent-
ſagen ſollte, ohngeachtet ſie ſich von ihm be-
trogen fand, in ein ausſchweifendes liederliches
Leben. Jhr Vermoͤgen verzehrte ſie in gar
kurzer Zeit, und hatte es noch als eine hohe
Gnade anzuſehen, daß ſie, nebſt der Sally,
und noch einer liederlichen Weibesperſon, mit
der
[333]
der verfluchten Sinclair den ſchaͤndlichen Ge-
winn theilte.


Das uͤbrige, was von der Geſchichte dieſer
ungluͤcklichen Maͤdgen anzufuͤhren noͤthig iſt,
laͤſſet ſich mit wenigen erzaͤhlen.


Nach dem Tode der u. ſ. w.


Th. VII. S. 893. L. 7. zu den Worten: es
ihm verſagen,
ſetze folgende Note:


Verſchiedne wuͤrdige Perſonen haben gewuͤn-
ſchet, daß die Abſcheulichkeit der gewoͤhnlichen
Duell, etwa in einer Note, an dem Ende ei-
nes Werks, welches geſchrieben iſt, die erha-
benſten und wichtigſten Lehren des Chriſtenthums
anzupreiſen, in einem ſtaͤrkern Lichte vorgeſtel-
let ſeyn moͤchte. Wir nehmen uns die Freiheit
zu ſagen, daß dieſe braven Leute vielleicht nicht
auf das genug Achtung gegeben haben, was
hievon bereits in dem 2. Theile im 10. Briefe,
und im 7. Th. im 69. 93. 94. 95. Briefe ge-
ſagt iſt.


Th. VII. S. 894. lies ſtatt der fuͤnf erſten
Abſchnitte des Anhanges bis S. 895.
gegen das Ende, an die Worte: Be-
lohnung erlangt.


Da der Verfaſſer zu verſchiedenen Zeiten die
Theile dieſes Werks herausgegeben, ſo hat er
unter der Zeit die Ehre gehabt, viele Briefe von
Ungenannten zu empfangen, in welchen die
Perſonen, von denen ſie geſchrieben ſind, ihre
Wuͤn-
[334]
Wuͤnſche, in Anſehung deſſen, was ſie von der
Entwicklung des Knotens beſorgt, auf verſchied-
ne Weiſe ausgedruͤckt haben.


Die meiſten ſind von dem ſchoͤnen Geſchlecht
an ihn abgelaſſen, und gehen dahin, daß ſie
gerne einen gluͤcklichen Ausgang, wie man
es nennet, haben wollen. Einige von dieſen,
welche, wie ſie geſtehen, von dem Charackter
unſrer Heldin eingenommen ſind, wuͤnſchen ei-
frigſt, ſie gluͤcklich zu ſehen. Andre, die mit
ihnen voͤllig uͤbereinſtimmen, behaupten uͤber-
dem, daß die poetiſche Gerechtigkeit dieſes
nothwendig erfordere. Denn, ſchreibt eine
dieſer ſinnreichen Correspondentinnen, ohne Zwei-
fel aus einem guten und menſchenfreundlichen
Herzen; „Wenn es ausgemacht iſt, daß es in
„eines Verfaſſers Gewalt ſtehet, ſeine Geſchichte
„endigen zu laſſen, wie es ihm beliebet, war-
„um ſollte er nicht viel lieber dem Leſer ein Ver-
„gnuͤgen, als unangenehme Empfindungen er-
„wecken, den er fuͤr die Hauptperſonen ſo ſehr
„eingenommen hat?”


Andre, und zwar einige Herren, erklaͤren
ſich gegen das Trauerſpiel uͤberhaupt, und ge-
ben, faſt mit den Worten des Herrn Lovela-
ce,
den Luſtſpielen den Vorzug, der in ſeinem
Geſchmack von allem Frauenzimmer in dem
Hauſe der Sinclair, und von der Sinclair
ſelbſt unterſtuͤtzet wuͤrde. „Jch habe zu viele
„Empfindung, ſagt er. (*) Es iſt ohnehin
genug
[335]
„genug Elend in der Welt, ohne daß wir noͤ-
„thig haͤtten, das Traurige mit in unſre Ver-
„gnuͤgungen zu mengen, und fremdes Elend zu
„dem unſrigen zu machen.”


Und wie haͤtte dieſer gluͤckliche Ausgang koͤn-
nen veranſtaltet werden? Nichts iſt leichter zu
erfinden, da es ſchon von andern Schriftſtel-
lern dieſer Art genug gebraucht worden. Lo-
velace
haͤtte ſich nur bekehren, und die Clariſſa
heirathen duͤrfen. ‒ ‒ Man duͤrfte deswegen,
und zwar zum Vergnuͤgen der zaͤrtlichgeſinn-
ten Leſerinnen, keine von ihren Verſuchungen
oder von ihren Leiden weglaſſen, die letzte Ent-
ehrung ausgenommen. Denn damit haͤtte
man ſie, theils den Lovelace nicht gar zu ab-
ſcheulich vorzuſtellen, theils weil die Delicateße
dadurch beleidigt wuͤrde, gerne verſchonet.


Allein dies Werk mag fuͤr ein Schickſal er-
leben, was es will, ſo war der Verfaſſer doch
entſchloſſen, einen andern Weg zu gehen. Er
hat immer dafuͤr gehalten, daß ploͤtzliche Be-
kehrungen,
vornemlich ſolche, wo man es der
Aufrichtigkeit des Leſers uͤberlaͤßt, ob er ſie
glauben und rechtfertigen will, weder Kunſt,
noch Natur, noch Warſcheinlichkeit haͤt-
ten, und uͤberdem ein boͤſes Veiſpiel gaͤben. Er
konnte ſich mit dem Gedanken nicht vertragen,
daß ein Lovelace eine Reihe von Jahren in
ſeiner Bosheit triumphiren, und denken ſollte,
er haͤtte weiter nichts zu thun, als, gleichſam
aus Gnaden und Gutheit, ſeine Hand hinzuhal-
ten,
[336]
ten, wenn es ihm beliebte, um die Beſte un-
ter dem ganzen ſchoͤnen Geſchlecht anzunehmen:
Daß er ſich einbilden ſollte: Die Heirath wuͤr-
de fuͤr ſeine abſcheulichen Vergehungen ſowol
gegen andre, als gegen die Clariſſa, eine hin-
laͤngliche Genugthung ſeyn. So iſt auch, wie
er in einem andern Werke gewieſen hat, weder
ein ſchoͤnes Geſicht, noch eine wuͤrkliche Liebe
zu ſeinem Gegenſtande, noch das gute Herz ei-
ner Gemalin, oder gar ihr Exempel, ein ſich-
rer Buͤrge, daß die Bekehrung dauerhaft ſeyn
wird, wenn das Herz des Ehemannes nicht
von dem Finger der goͤttlichen Gnade geruͤhret
iſt.


Wenn man auf unſre Zeiten Achtung giebt,
ſo wird man ſehen, daß der Verfaſſer ſich ei-
nen groſſen Endzweck vorgeſetzet hat. Er hat
es erlebt, daß man oft einen allgemeinen Zwei-
fel an aller Warheit, und den Unglauben, oͤf-
fentlich bekannt, und ſich ſo gar bemuͤhet hat,
ihn durch Schriften auszubreiten: Daß man
die groſſen Lehren des Evangelii zweifelhaft zu
machen geſucht; Daß man die Pflichten der
Selbſtverleugnung und der Bezwingung ſei-
ner Luͤſte aus dem Verzeichniß der ehriſtlichen
Tugenden vertilget: Und daß endlich ein Ge-
ſchmack an oͤffentlichen Luſtbarkeiten und Schwel-
gereien, der bis zu einer aͤrgerlichen Liederlich-
keit geſtiegen iſt, und durch den faſt alle ſowol
haͤusliche Tugenden, als auch diejenigen, die
das Beſte des gemeinen Weſens fordert, ver-
draͤnget
[337]
draͤnget ſind, unter ſeinen Landesleuten von
dem hoͤchſten Range bis zu dem niedrigſten
Poͤbel mit Fleiß unterhalten worden.


Bei dieſer allgemeinen Verderbniß, da ſelbſt
die Canzeln ein groſſes Theil ihres Gewichts
verlohren haben, und die Geiſtlichkeit als ein
Stand betrachtet wird, der aus lauter eigen-
nuͤtzigen Leuten beſtehet, glaubte der Verfaſſer
es bei ſeinem eignen Herzen verantworten zu
koͤnnen, wenn er, der Erfolg moͤchte ſeyn, wel-
cher er wollte, zu der ſo noͤthigen Verbeſſerung
der Sitten ſein Schaͤrflein mit beitruͤge. Zu-
gleich uͤberredete er ſich, wenn es ihm in ei-
nem Jahrhundert, welches der Luſtbarkeit und
dem Zeitvertreibe Preis gegeben iſt, gluͤckte, ſich
gleichſam einzuſtehlen, und die wichtigen Leh-
ren des Chriſtenthums unter der Verkleidung
eines Zeitvertreibers nach der Mode einzuſchaͤr-
fen, daß er vielleicht ſeine Abſicht erreichen wuͤr-
de. Er dachte dabei an die Worte des Dich-
ters:


Vielleicht ruͤhrt ein Gedicht den, der die

Predigt ſcheuet,

Daß er die Luſt bezwingt, und ihn die

Bosheit reuet.

Demnach entſchloß er ſich, einen Weg zu be-
treten, wo er keinen Vorgaͤnger hat. Die
meiſten Tragiſchen Dichter, dachte er, haben
ihre Helden eben ſo ſelten zu wahren Gegenſtaͤn-
den des Mitleidens gemacht, als die Charack-
tere der Comiſchen Dichter wuͤrdig ſind, nach-
Zuſaͤtze zur Cl. Ygeahmt
[338]
geahmt zu werden: Und noth ſeltener laſſen ſie
ſie in ihrem Tode auf eine zukuͤnftige Hof-
nung
hinausſehen. Sie ſcheinen alſo, wenn
ſie ſterben, gaͤnzlich zu vergehen, und da muß
der Tod eine fuͤrchterliche Geſtalt gewinnen, und
als das groͤßeſte Uebel betrachtet werden. Aber
warum wird der Tod in ein ſo ſchreckliches Licht
geſetzet, da er das gemeine Loos der Sterbli-
chen iſt?


Freilich hat er es fuͤr ſchicklich gehalten, den
Tod der Gottloſen ſo ſchrecklich abzubilden, wie
er konnte. Hingegen aber bemuͤhet er ſich, den
Tod der Frommen ſo reizend und liebenswuͤr-
dig abzumahlen, daß bei den gottloſeſten Ge-
muͤthern der Wunſch aufſteigen ſollte, daß ihr
Ausgang aus der Welt dem Ende unſrer Hel-
din aͤhnlich ſeyn moͤchte.


Und endlich was iſt die poetiſche Gerech-
tigkeit,
wofuͤr einige ſo ſehr ſtreiten, wie ſie
von den meiſten Dichtern gehandhabet wird,
anders, als eine andre Art der goͤttlichen Haus-
haltung, die von derjenigen ganz unterſchieden
iſt, welche uns die Offenbahrung lehret: Daß
GOtt nemlich fuͤr gut gefunden, die Menſchen
zu uͤben, und uns hier nur in einen Stand der
Pruͤfung geſetzet hat, worin Gutes und Boͤſes
ſo untermengt iſt, damit wir genoͤthiget wuͤr-
den, nach einer gleichern Austheilung von bei-
den, in die Zukunft hinauszuſchauen?


Der Verfaſſer der Geſchichte, oder vielmehr
der dramatiſchen Erzaͤhlung von der Clariſſa,
iſt
[339]
iſt alſo durch den Lehrbegrif des Chriſtlichen
Glaubens hinlaͤnglich gerechtfertigt, daß er die
leidende Tugend nicht eher herausreißet, bis
ſie ihre vollkommenſte Belohnung erlangt.


Allein wir haben nicht noͤthig u. ſ. w.


Th. VII. S. 902. L. 10. ſtatt der Wor-
te: So weit Herr Addiſon, lies
folgendes:


Dieſe Materie iſt noch weiter in einem Vrie-
fe an den Zuſchauer abgehandelt. (*)


„Jch finde, ſagt der Verfaſſer deſſelben, daß
„Jhre Meinung uͤber das neuerfundne Kunſt-
„wort, die Poetiſche Gerechtigkeit, von ei-
„nigen groſſen Kunſtrichtern beſtritten wird.
„Jch habe noch einige uͤbrige Gruͤnde aufge-
„ſetzt, um Jhrer Meinung, mehr Staͤrke zu
„geben, und mich bemuͤhet, den Grund der
„Sache zu beruͤhren.”


„Auch der vollkommenſte Menſch hat noch
„Laſter genug, ſich Strafen uͤber den Hals zu
„ziehen, und die Vorſehung bei allem Elende,
„was ihn befallen kann, außer Schuld zu
„ſetzen. Daher kann ich mirs nicht anders
„denken, als daß die Lehre und Moral viel fei-
„ner ſeyn muß, wenn ein ziemlich tugendhaf-
„ter Held in Noth geraͤth, und an dem Ende
„eines Trauerſpiels unter den Streichen des
„Gluͤcks erlieget, als wenn er gluͤcklich vorge-
Y 2„ſtellet
[340]
„ſtellet wird. Ein ſolches Beiſpiel bringt den
„Stolz der menſchlichen Natur zu rechte; es
„erweichet das Gemuͤth des Zuſchauers mit Er-
„barmen und Mitleiden; es ſtaͤrket ihn in ſeinen
„eignen Drangſalen, und lehret ihn, daß man
„die Tugend der Menſchen nicht nach ihrem
„Gluͤck abzumeſſen habe. (*) Jch kann mich
„in dem ganzen Alterthum auf keinen Helden
„beſinnen, der ſo weit uͤber die menſchlichen
„Schwachheiten erhaben waͤre, daß man ihn
„nicht in einer Tragoedie ſehr warſcheinlich in
„Ungluͤck und Elend koͤnnte fallen laſſen. Der
„Dichter wird noch immer eine herrſchende Lei-
„denſchaft oder Unbeſonnenheit in ſeinem Cha-
„rackter zu entdecken, und ſie auf eine ſolche
„Art zu zeigen wiſſen, welche die Vorſehung
„von aller Ungerechtigkeit bei ſeinem Leiden
„losſprechen wird. Denn wie Horaz bemer-
„ket, (**) ſo iſt der beſte Menſch fehlerhaft, ob-
„gleich nicht in einem ſo hohen Grade, wie die-
„jenigen, die wir uͤberhaupt Laſterhafte
„nennen.”


”Wenn eine ſolche Poetiſche Gerechtig-
„keit,
als einige Herren durchaus fordern, in
„dieſer Kunſt beobachtet werden muß, ſo iſt
„keine
[341]
„keine Urſache anzugeben, warum ſie nicht bei
„einem Heldengedicht eben ſo wol in Acht zu
„nehmen ſei, als in einem Trauerſpiele. Gleich-
„wol hat ſie Homer ſo ſchlecht beobachtet,
„daß ſein Achill auf dem Gipfel der Ehre und
„des Gluͤcks vorgeſtellet wird, obgleich ſein Cha-
„rackter moraliſch laſterhaft, und wenn ich
„mich mit unſern neuen Kunſtrichtern ausdruͤ-
„cken darf, nur poetiſch gut iſt. Die Ae-
„neis
iſt voller Perſonen, die bei ihrer Unſchuld
„ungluͤcklich ſind. Niſus und Euryalus,
„Lauſus
und Pallas nehmen alle ein ungluͤck-
„liches Ende. Der Dichter beobachtet ſo gar
„eigentlich, daß bei der Zerſtoͤrung von Troja
„Ripheus,
der der Gerechteſte von allen Tro-
„janern
geweſen, gefallen ſei:


- Cadit \& Ripheus, iuſtiſſimus vnus

„Qui fuit in Teucris, \& ſeruantiſſimus

„aequi.

„Diis aliter viſum eſt.

„Und daß Pantheus weder durch ſeine un-
„gemeine Gottesfurcht, noch durch die heiligen
„Kraͤnze des Apollo, deſſen Prieſter er war,
„erhalten werden koͤnnen:


„- Nec te tua plurima, Pantheu

„Labentem pietas, nec Apollinis infula

„texit.

„Jch koͤnnte hier noch die Gewonheit der al-
„ten Griechiſchen und Lateiniſchen Dichter erweh-
„nen: allein da Sie ſchon im obgemeldeten
„Blatte dieſelbe beruͤhret haben, ſo uͤbergehe
Y 3„ich
[342]
„ich ſie hier mit Stillſchweigen. Jch koͤnnte
„auch fuͤr meine Meinung etliche Stellen aus
„dem Ariſtoteles anfuͤhren. Denn wenn er
„an einem Ort ſaget, daß ein ganz tugendhaf-
„ter Mann nicht als ganz ungluͤcklich vorge-
„ſtellet werden ſoll, ſo entſchuldiget dies noch
„niemanden, der es gut findet, einen ganz voll-
„kommen tugendhaften Held auf die Schau-
„buͤhne zu bringen. Diejenigen, die Ariſto-
„teles
Art zu ſchreiben kennen, wiſſen ſehr wol,
„daß er oftmals, um den ganzen Umfang ſei-
„nes Satzes in eine Zergliederung zu bringen,
„auch eingebildete Faͤlle ſetzet, die in einem Ge-
„dicht nicht zu brauchen ſind.”


„Jch ſchlieſſe mit der Anmerkung: Un-
„geachtet das oberwehnte Stuͤck des Zuſchauers
„in ſo weit wider die poetiſche Gerechtigkeit
„ſtreitet, daß es behauptet: es koͤnnen auch
„fromme Leute in einem Trauerſpiele einen wi-
„drigen Ausgang ihres Schickſals erfahren, ſa-
„get es dennoch nicht, daß die Boͤſen ungeſtraft
„davon kommen ſollen. Die Urſache hievon
„iſt ſehr klar, nemlich, weil noch die beſten
„unter den Menſchen, wie ich oben geſagt, Feh-
„ler genug haben, die Vorſehung bei dem Un-
„gluͤck, das ſie befaͤllt, zu rechtfertigen; hin-
„gegen viele Menſchen, ſo ſtrafbar ſind, daß ſie
„auf keine Gluͤckſeligkeit den geringſten ſchein-
„baren Anſpruch machen koͤnnen. Der beſte
„Menſch von der Welt kann noch immer Stra-
„fe
[343]
„fe verdienen, allein der aͤrgſte Boͤſewicht ver-
„dienet nicht, gluͤcklich zu ſeyn.”


Herr Addiſon, wie wir oben geſehen, ſagt:
Ariſtoteles mache bei ſeiner Abhandlung uͤber
beide Arten von Trauerſpielen, die Anmerkung,
daß diejenigen, die einen ungluͤcklichen Aus-
gang haͤtten, allezeit den Beifall des Volks er-
halten, und bei dem oͤffentlichen Wettſtreit un-
ter den Theatraliſchen Schriftſtellern, vor de-
nen, die ſich gluͤcklich endigten, den Preis da-
von getragen.


Unſere unpartheiiſchen Leſer u. ſ. w.


Th. VII. S. 904. L. 5. nach den Worten:
ſo vortheilhaft iſt.


Und wir bitten unſre Leſer um Verzeihung,
daß wir den Schluß, den wir daraus ziehen,
noch einmal einſchaͤrfen. Nemlich wenn die zeit-
lichen Leiden der Frommen und Tugendhaften
nach den Grundſaͤtzen der heidniſchen Weltwei-
ſen erklaͤret und gerechtfertiget werden koͤnnen;
ſo werden einem Chriſtlichen Leſer weit mehrere
und unendlich ſtaͤrkere Gruͤnde beifallen, dasje-
nige, was man den ungluͤcklichen Ausgang
nennet, aus der Betrachtung der Lehre von Zu-
kuͤnftigen Belohnungen
mit der Weisheit
GOttes zu vereinigen. Und dies iſt allenthal-
ben in der Geſchichte der Clariſſa mit aller
Staͤrke vorgeſtellet.


Ein ſinnreicher noch lebender Schriftſteller,
(um nur ein Exempel zu geben) den ſein Rang
Y 4ſo
[344]
ſo ſehr unterſcheidet, als er ſich noch vielmehr
durch ſeine vortreffliche Vertheidigung der wich-
tigſten Lehren des Chriſtenthums beruͤhmt ge-
macht, ſcheinet hievon in dem Schluß einer be-
weglichen Trauer-Ode uͤberzeuget zu ſeyn, die
erſt kuͤrzlich bekannt geworden iſt. Nachdem er
darin den Verluſt einer vortrefflichen Gattin,
wie ein Mann, beweinet hatte, der (mit den
Worten der Schrift zu reden) keine Hofnung
hat,
troͤſtet er ſich wieder folgender geſtalt:


Doch, o meine Seele! hemme dein
„aufſchwellendes Murren, und erkuͤhne
„dich nicht, dem allweiſen Regierer etwas
„vorzuſchreiben, oder gegen ſeinen hoͤch-
„ſten Rathſchluß gottloſe Klagen auszu-
„ſchuͤtten! Daß deine Freuden, die nur
„eben in voller Bluͤte ſtanden, voͤllig ver-
„welken ſollten, war ſein gerechter Wil-
„le. Dieſem Willen gehorche!


Wie! Sollte deine zarte Liebe die
„Gnade des Himmels gegen ſie einſchraͤn-
„ken, und in dieſen niedrigen Wohnungen
„der Suͤnde und des Schmerzens, ihre
„reine erhoͤhete Seele, ungerecht und
„aus einem partheiiſchen Eigennutz zu-
„ruͤck halten? Nein! ‒ ‒ Lieber beſtrebe
„dich, deinen kriechenden Geiſt zu iener
„Flamme, die keine Wolke bedeckt, zu jenem
„himmliſchen Strahl eines ewigen Lichts
„zu erheben, wo ſie jetzt thronet, und mit-
„leidig ſiehet, wie ſchwach, wie unſicher,

„wie
[345]
„wie klein die Gluͤckſeligkeit aller Sterb-
„lichen ſei!


Aber von unendlich groͤſſerem Gewichte als
alles, was bisher hievon angefuͤhret, ſind die
Worte des Aſſaphs: (*)


„Jch haͤtte ſchier geſtrauchelt mit meinen Fuͤſ-
„ſen, mein Tritt haͤtte beinahe geglitten. Denn
„es verdroß mich auf die Ruhmraͤthigen, da
„ich ſahe, daß es den Gottloſen ſo wol gieng.
„Denn ſie ſtehen feſt, wie ein Pallaſt. Sie ſind
„nicht im Ungluͤck, wie andere Leute, und werden
„nicht wie andere Menſchen geplagt. ‒ ‒ Jhre
„Perſon bruͤſtet ſich, wie ein Wanſt; ſie haben
„mehr, als ihr Herz wuͤnſchen kann. ‒ ‒ Solls
„denn umſonſt ſeyn, daß ich meine Haͤnde in
„Unſchuld waſche? Und bin geplaget taͤglich?
„und meine Strafe iſt alle Morgen da? Jch
„gedachte ihm nach, daß ichs begreifen moͤchte,
„aber es war mir zu ſchwer. Bis daß ich gieng
„in das Heiligthum GOttes, und merkte auf
„ihr Ende. ‒ ‒ Du leiteſt mich, HErr, nach dei-
„nem Rath, und nimmſt mich endlich mit Eh-
„ren an.„


Dies iſt der Troſt, womit ſich der goͤttliche
Dichter beruhigte. Soll denn der Menſch ſich
herausnehmen, den gemeinen Lauf der Natur
zu veraͤndern, und, ſo weit er kann, die Ord-
nung zu unterbrechen, woran die ſchwachen
Sterblichen durchaus gebunden ſind? Darf er
ſich einbilden, daß er eine beſſere Haushaltung
Y 5anrich-
[346]
anrichten kann, und ſeinen Tadel der goͤttlichen
Regierung
unter dem Namen der poetiſchen
Gerechtigkeit
verſtecken?


Man hat ſich um ſo viel mehr Muͤhe gege-
ben, den Einwuͤrfen, die von dem Begrif der
poetiſchen Gerechtigkeit hergenommen ſind,
zu begegnen, da die Lehre, welche man darauf
bauet, allgemein angenommen iſt; und man
geſtehen muß, daß ſie durch die Menſchen-
liebe
und ein gutes Herz unterſtuͤtzet zu wer-
den ſcheinet.


Dennoch aber iſt der Verfaſſer u. ſ. w.


Th. VII. S. 906. L. 7. nach den Wor-
ten: belohnet werden koͤnnten.


Es iſt noch uͤbrig, daß wir, unſerm Ver-
ſprechen gemaͤß, die uͤbrigen Einwuͤrfe, die uns
bekannt geworden ſind, beantworten. Man
hat geſagt: Weil dies Werk eine Geſchichte
des menſchlichen Lebens und der Sitten ſeyn
ſollte, ſo muͤßten billig die Characktere, die
man zum Muſter vorſtellen wollen, ſo weni-
gem Tadel unterworfen ſeyn, als es die Abſicht
des ganzen Werks, und die menſchliche Natur
nur immer zulieſſe.


Verſchiedne haben die Heldin getadelt, als
wenn ſie zu kaltſinnig in ihrer Liebe, zu ſtolz,
und zuweilen gar bitter ſei. Allein wir koͤn-
nen ohne Bedenken behaupten, daß dieſer Ein-
wurf von einem Mangel der Aufmerkſamkeit
auf die Geſchichte, auf den Charackter der Cla-
riſſa,
[347]
riſſa, und ihre beſondern Umſtaͤnde herruͤhre,
darin ſie ſich befand.


Man hat ſie gar nicht ſo vorſtellen wollen,
als wenn ſie in Herrn Lovelace verliebt ge-
weſen, ſondern nur, daß ſie ihn vor andern
Mannsperſonen leiden koͤnnen, wenn man
dies, als ein von der Liebe unterſchiednes Wort,
annehmen will. Man glaubt es, eben um ſie
zum Muſter vorzuſtellen, in der ganzen Ge-
ſchichte allenthalben genug angedeutet zu haben,
daß ſie den Herrn Lovelace, wegen ſeines boͤ-
ſen Wandels nimmer geheirathet haben wuͤrde,
wenn ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen geweſen waͤre;
und daß man ihren Untergang hauptſaͤchlich
der Verfolgung ihrer Verwandten zuſchreiben
mußte.


Was man nur gar zu gewoͤhnlich Liebe
nennet, muß vielleicht eben ſo oft mit einem
andern Namen genennet werden. So wie ei-
nige Frauensperſonen, und zwar ſelbſt vom
Stande, ſich bei ihrer ſo genannten Liebe be-
wieſen haben, waͤren Geilheit und ein Ve-
neriſcher Trieb
keine zu harte Namen, ſie an de-
ren Stelle zu ſetzen, ſo unangenehm ſie auch
zaͤrtlichen Ohren klingen moͤgen. Aber laßt uns
das Wort Liebe in dem gelindeſten und ehr-
wuͤrdigſten Verſtande nehmen, ſo werden es
einige hoͤchſt unwarſcheinlich finden, daß Cla-
riſſa
faͤhig geweſen waͤre, eine ſolche Herrſchaft
uͤber ihre Leidenſchaften zu zeigen, als ſie in ih-
rem Charackter vorzuͤglich blicken laͤßt, wenn
ſie
[348]
ſie ſo heftig verliebt geweſen waͤre, wie gewiſſe
feurige und heftige Perſonen ſich einbilden. Jn
dieſen Zuſaͤtzen hat man, am gehoͤrigen Orte,
etliche Noten hinzugefuͤget, um dieſen Ein-
wuͤrfen zu begegnen, oder vielmehr die fluͤchti-
gen Leſer zu erinnern, auf welche Stellen ſie am
aufmerkſamſten ſeyn ſollten. Unſre Heldin
kommt ſelber dieſem Einwurf zuvor, indem ſie
der Fraͤulein Howe ihre veraͤchtliche Begeg-
nung gegen Herrn Hickmann aufruͤcket. Es
fehlet ſo viel, daß ſie ſich deſſelben Fehlers ſchul-
dig gemacht haͤtte, daß ſie es vielmehr bei al-
len Gelegenheiten an ihrer Freundin tadelt, und
da ſie nicht mehr einen Tag zu leben hatte,
noch erklaͤret, ſie wuͤrde es thun, ſo oft dieſe
ſich ſelbſt vergaͤſſe. (*)


„O meine liebe Freundin, ſagt ſie, waͤre mir
„doch das Gluͤck zu Theil geworden, da es mir
„nicht erlaubt war, ledig zu bleiben, daß ich an
„einen Mann gerathen waͤre, gegen den ich
„haͤtte edelmuͤthig und frei handeln koͤnnen!”


„Herr Lovelace tadelte meine Auffuͤhrung
„gegen ihn, als ein ſteifes und fremdes Be-
„zeigen; in der Abſicht, wie nun am Tage
„liegt, damit er einen Vorwand gegen mich
„haben moͤchte. Sie glaubten einmal, daß
„ich mich einer gewiſſen Art der Sproͤdigkeit
„ſchuldig machte. Unter bedenklichen Um-
„ſtaͤnden, bei welchen oft die Gelegenheiten zu
„unguͤtigen Urtheilen unvermeidlich ſind, ſollte
„man
[349]
„man einer jeden Perſon etwas zu gute hal-
„ten. Jch verdiente keinen Vorwurf von
dem, der meine Umſtaͤnde bedenklich mach-
„te: und Sie, meine wertheſte, ſollten gefun-
„den haben, wenn ich mit einem andern Man-
„ne zu thun gehabt, oder er nur halb die gu-
„ten Eigenſchaften beſeſſen haͤtte, die Herr
Hickmann beſitzet, daß meine Werke ſich in
„dieſem Stuͤck nach meinen Lehrſaͤtzen gerich-
„tet haben wuͤrde.” Man leſe den ganzen
Brief, wie auch den Brief des Herrn Lovela-
ce Th. VII. Num. III. wo er kurz vor ihrem
Tode ihre Auffuͤhrung in dieſem Stuͤck von al-
lem Tadel frei ſpricht.


Einige wuͤrdige und ſinnreiche Perſonen ha-
ben gemeinet, daß, wenn Lovelace als ein
Unglaͤubiger, oder als ein Religions-Spoͤtter
vorgeſtellet waͤre, ſein Charackter, nach dem
Geſchmack unſrer mehr als Sceptiſchen Zeiten
natuͤrlicher geweſen ſeyn wuͤrde. Doch es iſt
nur gar zu bekannt, wie viele Leute es von
dieſem Schlage giebt, deren Handlungen mit
ihrem Glauben nicht uͤbereinſtimmen. Und
ſagt nicht die heilige Schrift ſelbſt von den
Teufeln, daß ſie glauben und zittern?


Wiewol der Leſer hat auch warnehmen muͤſſen,
daß man durch das ganze Werk einen ſtarken,
und, wie wir hoffen, guten Gebrauch davon
gemacht hat, daß Herr Lovelace als ein Un-
glaͤubiger bloß in ſeinem Wandel geſchildert
iſt. Und dies ſo wol in den Gruͤnden ſeines
Freun-
[350]
Freundes Belfords, als in den Vorwuͤrfen,
die ihm ſein eigen Gewiſſen zuweilen auf kurze
Zeit macht, und in ſeinen letzten Auftritten;
welches nicht haͤtte geſchehen koͤnnen, wenn man
einen von ihnen als einen Menſchen, der zu ſei-
nem Unglauben Gruͤnde zu haben denket, ab-
mahlen wollen. Zu geſchweigen, daß Clariſ-
ſa,
deren groͤſſeſter Anſtoß an der Perſon des
Herrn Wyerley daher ruͤhrete, daß er ein
Spoͤtter war, ganz und gar nicht zu entſchul-
digen geweſen waͤre, wenn ſie den Herrn Lo-
velace
auch dafuͤr erkannt, und ſeinen Antrag
der geringſten Aufmerkſamkeit gewuͤrdiget haͤt-
te. Sie troͤſtet ſich im Gegentheil, ſo oft ſie
denket, daß ſie noch die Seinige werden wird,
folgender Geſtalt: (*) „Noch bleibt mir der ei-
„nige Troſt, er iſt kein Unglaͤubiger und Frei-
„geiſt; waͤre er ein Unglaͤubiger, ſo haͤtte man
„keine Hofnung mehr fuͤr ihn, ſondern (wie er
„auf ſeine Erfindung ſtolz ſeyn wuͤrde) er waͤre
„ganz und gar verfallen, nicht zu bekehren, und
„verwildert.” Man muß auch noch anmer-
ken, daß Religions-Spoͤtter in ihren eignen
Gedanken zu witzig ſind, oder, mit andern Wor-
ten, ſich auf ihre Bosheit zu viel einbilden, als
daß ſie trachten ſollten, ſie zu verbergen.


Haͤtte uͤberdem Herr Lovelace bei ſeiner uͤ-
brigen freien Lebensart auch noch den Fehler ge-
habt, einen unflaͤtigen Scherz mit der Reli-
gion zu treiben, ſo wuͤrden die Freiheiten zwi-
ſchen
[351]
ſchen ihm und ſeinem Freunde von einer wuͤrk-
lich hoͤlliſchen Natur geweſen ſeyn. Auch hat
man dies als eine Folge zu verſtehen geben wol-
len, daß ein Menſch, der ſich entweder in Wor-
ten oder Handlungen Freiheiten verſtattet, de-
ren ſich Herr Lovelace ſchaͤmte, um viel aͤr-
ger iſt, als Lovelace. Daher haͤlt er ſelbſt
allenthalben, einen Scherz mit heiligen Dingen
zu treiben, wenn es auch Heiden mit ihren Goͤt-
tern thaͤten, fuͤr ein ungezweifeltes Kennzeichen
einer uͤbeln Erziehung; unflaͤtige Bilder und
Reden, fuͤr Freiheiten, die zu ſchaͤndlich waͤren,
als daß ſelbſt Boͤſewichter ſich dieſelben erlau-
ben ſollten; und eine Ungerechtigkeit gegen ſei-
ne Glaͤubiger, oder in Sachen, die das Mein
und Dein betreffen, als Verbrechen, die weit
unter ihm waͤren, ſich derſelben ſchuldig zu
machen.


Einige haben gegen die Sanftmuth, oder
wie ſie es nennen, gegen die Feigheit in dem
Charackter des Herrn Hickmanns etwas ein-
zuwenden. Und doch geſtehet Herr Lovela-
ce,
daß er in der Unterredung, ſo er mit ihm
hielt, ſehr hitzig gegen ihn aufgefahren ſei, da
er glaubte, daß man nur verſteckter Weiſe et-
was zum Nachtheil der Fraͤulein Howe ſa-
gen wollte; (*) Nicht weniger bald darauf,
da er ſich einbildete, daß man ihm veraͤchtlich
begegnete. (**) Man muß bekennen, daß
Fraͤulein
[372[352]]
Fraͤulein Howe, welches ihr eben zu keiner
ſonderlichen Ehre gereichet, ihn bei verſchiede-
nen Gelegenheiten laͤcherlich macht. Aber das
thut ſie ihre Mutter auch. Und vielleicht wuͤrde
eine Fraͤulein von ihrem lebhaften Weſen, einem
jeden Mann ſo wunderlich begegnet haben, auſ-
ſer einem Lovelace. Herr Belford ſpricht
von Hickmann mit Ehre und Hochachtung. (*)
Herr Obriſt Morden desgleichen, (**) und
Clariſſa bei jeder Gelegenheit. Ja alles, was
Fraͤulein Howe ſelber von ihm ſagt, gereicht
mehr zu ſeiner Ehre, als Verachtung, (***)
wie ihr Clariſſa zu Gemuͤthe fuͤhret. (****)


Des Herrn Lovelace Betragen gegen ihn
betreffend, wird der Leſer wahrgenommen ha-
ben, daß es ſeine Art war, jederman mit Ver-
achtung zu begegnen, theils um ſich ſelbſt zu
zu erheben, theils ſeinem aufgeweckten und lu-
ſtigen Weſen, das ihm natuͤrlich war, nachzu-
haͤngen. Er ſagt ſelbſt zu Belford:(*****) „Du
„weißt, Bruder, ich bin ihm nicht gut; und
„wem wir nicht gut ſind, dem koͤnnen wir nichts
„vorzuͤgliches zugeſtehen: vielleicht nicht einmal
„den Vorzug, der ihm billig ſollte zugeſtanden
„werden.” „Beſcheidene Leute, die ſich ſelbſt
„nicht zu viel trauen, ſchreibt Herr Belford
an
[353]
„an Lovelace, zum Lobe des Herrn Hick-
„manns,
legen nicht leicht das umſtaͤndliche
„Weſen in Kleinigkeiten ab, woruͤber dreiſte
„Leute, wo ſie es ja an ſich haben, im Augen-
„blick weggehen.”


Aber ſo wie Fraͤulein Howe eben ſo frei mit
ihrer Mutter, als mit ihrem Liebhaber umge-
het, ſo nimmt ſich Herr Lovelace viel groͤße-
re Freiheiten mit dem Herrn Belford, als mit
dem Herrn Hickmann, in Abſicht auf ſeine
Perſon, Anſtand und Manieren, wie Herr
Belford Hickmannen ſelber zu verſtehen giebt.
(*) Und doch glaubt man ihm, zum Nachtheil
des Herrn Belfords, wenigſtens faſt alles
Frauenzimmer, nicht ſo, als wenn er den Herrn
Hickmann zu nachtheilig beſchreibt. Woher
mag dieſe Partheilichkeit ruͤhren?


Herr Belford iſt ein Boͤſewicht gewe-
ſen; aber er war auf dem Wege ſich zu
bekehren.


Herr Hickmann iſt allezeit ein guter
Mann geweſen.


Und Herr Lovelace ſagt mit groſſer Zu-
verſicht: (**)Den Maͤdgen gefaͤllt eine
Liebe gegen ihr Geſchlecht, die ſich auf
die Kenntniß deſſelben gruͤndet.


Dem ungeachtet muͤſſen wir geſtehen, daß
man ſich nicht vorgeſetzet hat, den Herrn Hick-
mann
Zuſaͤtze zur Cl. Z
[354]
mann als einen Mann zu ſchildern, den die
Schoͤnen uͤberhaupt warſcheinlicher Weiſe lie-
ben werden. Wenn dies waͤre, ſo wuͤrde die
Guͤte des Herzens, die Hoͤflichkeit in den
Manieren,
eine große Beſtaͤndigkeit in ſei-
nen Aufwartungen,
und eine unverletzte
beſcheidne Liebe
nicht als Eigenſchaften an-
geſehen ſeyn, die allein hinlaͤnglich waͤren, ihn
dem ſchoͤnen Geſchlecht zu empfehlen. Man
haͤtte ihm nicht das geringſte von ſeiner Sorg-
falt in Kleinigkeiten,
und im Ceremoniel ge-
geben, ob man gleich dieſe Maͤngel leicht ſeiner
Ehrerbietung vor dem Gegenſtande ſeiner Liebe
zuſchreiben koͤnnen. Aber man hatte die Abſicht,
an ſeinem Charackter zu zeigen, daß ein Mann
nicht alles ſeyn koͤnnte; und dem ſchoͤnen Ge-
ſchlecht einen Wink zu geben, daß ſie bei der
Wahl eines Geſellſchafters auf Zeitlebens, lie-
ber das redliche Herz eines Hickmanns vorzie-
hen ſollten, welchen ſie ganz zu eigen haben wuͤr-
den; als daß ſie die Gefahr liefen, das fluͤch-
tige gefaͤhrliche Herz eines Lovelace vielleicht
mit ganzen Dutzenden, und warſcheinlicher Wei-
ſe, wenigſtens mit einigen der liederlichſten Per-
ſonen ihres Geſchlechts zu theilen. Kurz, daß
ſie, wenn ihre Wuͤnſche auf eine dauerhafte
Gluͤckſeeligkeit gehen, mehr nach einem tugend-
haften Gemuͤth, als nach dem Anſehen der Per-
ſon oder ſeiner Geſchicklichkeit waͤhlen, und Be-
denken tragen ſollten, einen guten Mann, aus
einer Partheilichkeit gegen einen ſchlimmen, zum
Beſten
[355]
Beſten zu haben, der ſie und ihr ganzes Ge-
ſchlecht vielleicht wieder zum Beſten haben wird.


Man hat indeſſen aus Gefaͤlligkeit in dieſe
Zuſaͤtze zween Briefe eingeruͤckt, die vielleicht
des Herrn Hickmanns Charackter bei den Schoͤ-
nen erhoͤhen werden, welche bei einer Manns-
perſon. Muth fordern, und lieber dadurch lei-
den, als ihn entbehren wollen. ‒ ‒


Ein kuͤhner Geiſt gefaͤllt den Schoͤnen,


Die die Natur uns zu gehorchen ſchuf.
ſagt Waller, und Herr Lovelace mit ihm.


Einige haben gewuͤnſcht, daß die Geſchichte
in der Art zu erzaͤhlen, die bei dergleichen zum
Vergnuͤgen und Zeitvertreibe erdichteten Hiſto-
rien gewoͤhnlich iſt, und nicht in Briefen von
den Perſonen ſelbſt, deren Begebenheiten man
beſchreibt, geſchrieben ſeyn moͤchte.


Obgleich der Verfaſſer weiß, daß er dem Ge-
ſchmack andrer nicht vorſchreiben darf, ſo glau-
bet er doch, daß er die Freiheit hat, ſeinem eig-
nen zu folgen. Vielleicht trauete er ſeiner Ge-
ſchicklichkeit in der erzaͤhlenden Schreibart nicht
ſo viel. Zudem hatte er das Gluͤck gehabt, ſchon
vorher in einer in Briefen verfaßten Geſchich-
te zu gefallen. Eine Geſchichte, dachte er, wo-
rin ſo viele Leute von verſchiednen Charackteren
und mannigfaltigen Umſtaͤnden, entweder als
Haupt- oder Neben-Perſonen verwickelt ſind;
die in einer Reihe von Briefen verſchiedner
Perſonen fortgehet, ohne Ausſchweifungen und
Epiſoden, die mit dem Haupt-Endzweck keine
Z 2Ver-
[356]
Verbindung haben, einzuſtreuen, wuͤrde ſelbſt
um ihrer Neuigkeit willen, vornemlich in den
jetzigen Zeiten, da man das Neue liebet, gut
aufgenommen werden.


Doch ungeachtet wir uns bereits oben und
in der Vorrede hieruͤber weitlaͤuftiger erklaͤret
haben, ſo wird doch das folgende Urtheil eines
ſinnreichen Auslaͤnders, das er mit groſſer Auf-
richtigkeit uͤber dieſe Art Schriften faͤllet, hier
eine Stelle verdienen.


„Der Verfaſſer hat bei der Geſchichte der
Clariſſa eben den Weg gewaͤhlet, den er in
„dem Leben der Pamela betreten. Beide wer-
„den von den Perſonen, welche die Geſchichte
„angehet, in vertraulichen Briefen erzaͤhlet, die
„zu derſelben Zeit geſchrieben ſind, da die Be-
„gebenheiten geſchahen. Dies gab dem Ver-
„faſſer groſſe Vortheile, die ihm keine andre
„Art der Erzaͤhlung verſchaffen konnte. Die
„kleinſten beſondern Umſtaͤnde; die Empfin-
„dungen der Perſonen; und ihre Unterredungen
„werden nach dieſem Plan, mit aller der Hitze
„und dem Geiſt mitgetheilet, welche ein Affeckt,
„den man ſich zu der Zeit bei den Verfaſſern
„der Briefe, als ſehr ſtark, denken muß, erre-
„gen konnte; und mit den eignen Zuͤgen bezeich-
„net, die das Gedaͤchtniß bei einer ganz kuͤrz-
„lich geſchehenen Begebenheit an die Hand ge-
„ben kann.”


„Romanen uͤberhaupt, und beſonders des
„Herrn von Marivaux ſeine, verlieren gaͤnz-
„lich
[357]
„lich ihre Warſcheinlichkeit, weil ſie voraus-
„ſetzen, daß die Hiſtorie nach einer Reihe von
„Begebenheiten geſchrieben iſt, da ſie ſchon ih-
„ren Ausgang erreichet hatte. Denn dies iſt
„ein Umſtand, der bei den Perſonen, die ſie er-
„lebet haben, eine Staͤrke des Gedaͤchtniſſes er-
„fordert, die ihres gleichen nicht hat, und alle
„Warſcheinlichkeit uͤberſteiget, weil es dieſelben
„in den Stand ſetzen muß, nach einer Zeit von
„Jahren, bei einer kurzen Unterredung nicht
„einen kleinen Umſtand vorbei zu laſſen. Oder
„es ſetzet auch eine noch unwarſcheinlichere Ver-
„traulichkeit zwiſchen allen dieſen Perſonen und
„dem Verfaſſer voraus.”


„Jndeſſen bleibt bei einer Geſchichte, die in
„Briefen erzaͤhlet wird, eine Schwierigkeit.
„Es iſt nemlich nothwendig, ſich bei allen Cha-
„rackteren einen ungemeinen Geſchmack am
„Briefſchreiben zu gedenken, und ſich vorzu-
„ſtellen, daß ſie keinen Umſtand, keine merk-
„wuͤrdige Unterredung vorbeigehen laſſen, ohne
„es unmittelbar niederzuſchreiben. Allein was
„die Aufbewahrung der Briefe betrift, die ein-
„mal geſchrieben ſind,
dafuͤr hat der Autor
„mit groſſer Scharfſinnigkeit geſorget, dieſen
„Umſtand hoͤchſt warſcheinlich zu machen.” (*)


Z 3Wir
[358]

Wir nehmen uns die Freiheit zu behaupten,
daß das, was unſer Kunſtrichter von den Schwie-
rigkeiten ſagt, welche bei einer Geſchichte, die in
Briefen erzaͤhlet wird, anzutreffen waͤre, unſre
Geſchichte nicht treffen wird. Man hat ſehr gu-
te Urſachen davon angegeben, wie die beiden
Schoͤnen, welche die Hauptperſonen ausmachen,
dazu gekommen ſind, ein ſo groſſes Vergnuͤgen
am Briefſchreiben zu finden. Die Vorwuͤrfe,
woruͤber ſie ſchreiben, ſind kein bloſſer Zeitver-
treib, ſondern vielmehr fuͤr beide ſehr wichtig.
Doch giebt es verſchiedene Damen, die, wenn
ſie von einander entfernet leben, einen loͤblichen
Briefwechſel uͤber Dinge unterhalten, die ihre
gegenſeitige Wolfarth und Freundſchaft viel
weniger angehen, als die, woruͤber dieſe bei-
den Fraͤulein ſchreiben. Die beiden vornehm-
ſten Mannsperſonen in dieſer Geſchichte trieb
ihr aufgeraͤumtes Weſen, und ihre eitle Ehrbe-
gierde dazu an. Man wird uͤberhaupt finden,
daß Leute, welche die Gabe haben, vertrau-
liche Briefe zu ſchreiben, die man dieſen
Cor-
(*)
[359]
Correspondenten beilegt, ihre Feder bei Gele-
genheiten von geringerer Wichtigkeit beſchaͤfti-
gen werden. Dieſe Viere, deren Geſchichte
mit einander verbunden iſt, thun ſich unter der
groſſen Menge Characktere, welche damit ver-
wickelt ſind, beſonders in der Gabe, Briefe zu
ſchreiben, hervor. Die uͤbrigen ſchreiben nur
bei Gelegenheit, und ſind, wegen der Verhaͤltniſſe,
worin ſie mit den vier Hauptperſonen ſtehen,
mehr aus Noth als aus Wahl hineinge-
bracht.


Wider die Weitlaͤuftigkeit u. ſ. w.


Th. VII. S. 907. gegen das Ende,
nach den Worten: wirkſam gemacht
wird.


Andre ſind wiederum, und unter denſelben
einige von dem ſchoͤnen Geſchlecht, welche wol-
len, daß man die vortreflichen Eigenſchaften
der Heldin dieſer Geſchichte ſo groß vorgeſtel-
let, daß ſie alle Warſcheinlichkeit verloͤhren,
und uͤber die Nachahmung erhaben waͤren. Al-
lein man muß bedenken, wie die Erziehung der
Clariſſa von ihrer erſten Kindheit an, ihr
zu einem ſehr groſſen Vortheil gereichet, ſo wie
ſie zu ihren vortreflichen Vorzuͤgen den Grund
legte: Und man hoffet, daß man dieſes, um
der Lehre willen, welche man dadurch einzuſchaͤr-
fen gedacht, erwegen wird.


Sie hatte eine gottesfuͤrchtige, wol beleſene
Perſon, die von keiner niedrigen Geburt war,
Z 4zur
[360]
zur Amme, welche ihr, wie Frau Harlowe
ſagt, (*)das mit der Milch einfloͤßte, was
ihr keine andre haͤtte einfloͤſſen koͤnnen.

Sie war ſehr fruͤhe ſo gluͤcklich, mit ihrem ge-
lehrten und wuͤrdigen Doctor Lewen, und
mit andern Geiſtlichen, deren ſie in ihrem Te-
ſtament erwehnet, nicht nur einen Umgang zu
haben, ſondern auch einen Briefwechſel zu unter-
halten. Jhre Mutter war, uͤberhaupt genom-
men, eine gute Frau, die ihrer Geburt und
Vermoͤgen Ehre machte. Und beide Aeltern
vergnuͤgten ſich an ihrem Fortgang, und Wachs-
thum in den Vollkommenheiten, die ihr, und
durch ſie ihnen, eine ſolche beſondre Achtung
zuwege brachte, daß man Urſache hatte zu ſagen:
Die Familie wuͤrde, nun ſie davon getren-
net waͤre, nichts mehr, als eine gemeine Fa-
milie ſeyn.
(**) Sie war uͤberdem eine Fraͤu-
lein vom Lande, und fand, wie wir in der Fraͤu-
lein Howe Abſchilderung geſehen haben, (***)
in der Land-Wirthſchaft und haͤuslichen Verrich-
tungen ein groſſes Vergnuͤgen, ob ſie gleich ſo
groſſe Eigenſchaften beſaß, der anſehnlichſten
Geſellſchaft eine Zierde zu geben.


Das muͤſſen wir freilich geſtehen, daß man
keine Clariſſen unter denen ſuchen muß, wel-
che ſich beſtaͤndig in Ranelagh und Vauxhall
finden laſſen, oder unter denen, welche man Bei-
ſitze-
[361]
ſitzerinnen des Spieltiſches nennen koͤnnte.
Thun wir dieſes, ſo kann man man mit Recht
den Charackter unſrer Heldin nicht nur fuͤr un-
warſcheinlich, ſondern auch fuͤr unnachahmlich
halten. Doch wir haben jetzt weder Raum
noch Luſt, einen ſo verhaßten Vorwurf zu ver-
folgen. Wir laſſen ihn alſo, nach der wieder-
holten Erklaͤrung, fahren, daß wir es zuverlaͤßig
wiſſen; Es ſind, und zwar in den Brittiſchen
Staaten (oder man moͤchte ſie ſonſt ſchwerlich
in ganz Europa finden) einige, und wie wir
hoffen, noch mehrere, als wir kennen, wel-
che bei den Gelegenheiten, wo es darauf ankam,
eine aͤhnliche Demuth und Beſcheidenheit,
und doch eine ſtandhafte und brauchbare Tugend
zu zeigen, die Vollkommenheiten einer Clariſſa
erreichet haben.


Nachdem wir ſolchergeſtalt kuͤrzlich die vor-
nehmſten Einwuͤrfe beruͤhret, die gegen verſchie-
dene Theile dieſer Geſchichte gemacht worden,
ſo wird man uns hoffentlich erlauben, dies hin-
zuzuſetzen: Wenn wir geglaubt haͤtten, es ſtuͤnde
uns frei, von ſo vielen Briefen Abſchriften mitzu-
theilen, die von der andern Seite den Ausgang
der Geſchichte, und die ganze Ausfuͤhrung des
Werks billigen, und von den beruͤhmteſten Ken-
nern aller Arten von Schriften in den ſchoͤnen
Wiſſenſchaften geſchrieben ſind; ſo haͤtten wir
vieles, was in dieſem Anhange beigebracht iſt,
weglaſſen koͤnnen.


Z 5Den
[362]

Den Haupt-Anſtoß haben die mehreſten an
der Laͤnge des Werks gefunden. Wir wollen
daher demjenigen, was wir zu unſrer Verthei-
digung hieruͤber geſagt haben, noch die Worte
eines unſrer Correspondenten hinzufuͤgen:


Wenn in der Geſchichte u. ſ. w.


Ende
der Zuſaͤtze zur Geſchichte
der Clariſſa.



[][][][][][][]
Notes
(*)
Dies beziehet ſich auf eine Stelle im Zu-
ſchauer.
(*)
Siehe Th. III. S. 74.
(*)
Siehe Th. III. S. 109.
(*)
Siehe Luc. XV. 7. Es iſt das Gleichniß von
den neun und neunzig Schafen, und nicht das
von dem verlohrnen Sohne, wie Herr Love-
lace
ſich irriger Weiſe einbildet.
(*)
Das Wort Gnade. Siehe Th. III. S. 217.
218.
(*)
Siehe oben S. 46.
(*)
Siehe oben S. 53.
(*)
Siehe Th. III. S. 254.
(*)
Siehe Th. III. S. 207.
(*)
Clariſſa hatte der Fraͤulein vorgeſchlagen, daß
Herr Hickmann ſtatt ihrer ſchreiben moͤchte.
Siehe Th. III. S. 519.
(*)
Seit wenigen Jahren iſt von den Gefaͤngniſ-
ſen nach dem Gericht ein Gang gemacht, durch
welchen die Miſſethaͤter dahin gefuͤhret wer-
den,
(*)
den, ohne durch die Gaſſe zu gehen. Die
Freude des Lovelace uͤber den Weg, den
ſie nehmen wuͤrden, zeiget, wie weislich die-
ſes geaͤndert iſt.
(*)
Eine Gewonheit des Poͤbels in London bei
dergleichen Auflauf.
(*)
Siehe Th. I. Seite 109.
(*)
Siehe Th. III. S. 550.
(*)
Ew. Hochwolgebohren erlauben mir, hier in
einer Note anzumerken, daß die Freude mit
der Melancholei gewiſſer maſſen wol beſte-
hen kann, eine ſanfte gemaͤßigte Freude,
nicht eine wilde oder tobende Freude: Son-
dern eine ſolche Freude, die ſie auf eine
Zeitlang
aus ihrer ſuͤßen Melancholei auf-
richten, und ſie dann wieder in dieſelbe auf
eine ſanfte Art verfallen laſſen wird. Denn
das iſt gewiß, ihre Ueberlegung wird ma-
chen, daß ſie uͤberhaupt ihr Leben in einer
Melancholei zubringet.
(*)
Dieſe Ueberſetzung iſt ungefaͤhr ſo ſchoͤn, als
dieſe deutſche ſeyn wuͤrde:
Der ſichre Schiffer ſpricht mit Freuden von Gefahren,
Die er zur See erfuhr, und uͤberſtanden waren.
(**)
Wiederum eine eben ſo ſchoͤne Ueberſetzung
eines von den weiſen Spruͤchen des Herrn
Brands:
Was dir das Schickſal ſchickt, nimm hin, und nicht

bewein.

Denn obs gleich regnigt iſt, folgt wieder Sonnen-

ſchein.
(*)
Erlauben Sie mir, hier in einer Note zu ver-
ſichern, daß keine Heilige Rede, die ich je-
mals
(*)
mals verfertiget, mich halb ſo viele Muͤ-
he,
als dieſer Brief gekoſtet hat. ‒ ‒ Aber
ich kenne Jhre groſſe Begierde nach der
Weisheit der Alten, und weiß, wie ſehr Sie
ſolche bewundern; wie Sie denn ſolche mit
Recht der Weisheit der Neuern vorziehen.
Und, die Warheit zu geſtehen, bin ich mit
Jhnen darin einerlei Meinung, daß die neue-
re
von jener nur entlehnet iſt, (ſo wie der
Mond ſein Licht von der Sonne borget)
wenigſtens, daß wir ſie in keinem Stuͤck uͤber-
treffen,
und daß uͤberhaupt zu reden, un-
ſre beſten Gedanken in jenen weit beſſer
eingekleidet und ausgedruͤckt gefunden
werden.
(*)
Siehe B. der Richter Cap. XII. 6.
(*)
Jn ihrem Handbuche hat ſie uͤber ihre Beſſe-
rung von dieſem Fieber, in ihrer letzten Krank-
heit, folgende Anmerkung gemacht:
„Jn einer gefaͤhrlichen Krankheit, die mich
„wenige Jahre vorher uͤberfiel, ehe ich dieſen
„undankbaren Menſchen kennen lernte! (Woll-
„te der Himmel, ich waͤre darin geſtorben!)
„war mein Bette von allen meinen werthen Ver-
„wandten umgeben. ‒ ‒ Vater, Mutter, Bru-
„der, Schweſter, und meine beiden Oncles,
„knieten weinend um mich herum, und thaten
„dem Himmel ihre Geluͤbde um meine Wieder-
„herſtellung. Jch ſelbſt, weil ich fuͤrchte-
„te, ich moͤchte einen oder andern meiner be-
„kuͤmmerten Freunde mit mir ins Grab ziehen,
„wuͤnſchte und betete ihrentwillen um meine Ge-
„ſundheit. ‒ ‒ O! wie wenig koͤnnen Aeltern
„in ſolchen Faͤllen wiſſen, was ſie wuͤnſchen;
„Wie gluͤcklich fuͤr ſie und fuͤr mich, waͤre ihr
„Gebet unerhoͤrt geblieben! Aber jetzt bin ich
„dieſer Sorge enthoben. Alle dieſe theuren Ver-
„wandten leben noch; ‒ ‒ Aber keiner von ih-
„nen (ſo verhaßt iſt mein Fehltrit in ihren Au-
„gen!) wuͤrde jetzt meinen Tod beklagen, ſon-
„dern ſich vielmehr uͤber die Nachricht freuen.”
(*)
Sirach. Cap. XXV. 25.
(*)
Siehe Th. IV. S. 149
(*)
Siehe den Zuſchauer Th. VII. Num. 548.
(*)
Dieſelbe Warnung giebt uns der geſegnete
Heiland bei dem Ungluͤck der 18. Perſonen,
die durch den Fall des Thurms zu Siloa er-
ſchlagen wurden. Luc. XIII. 4.
(**)
Vitiis nemo ſine naſcitur: optimus ille,
Qui minimis vrgetur.
(*)
Pſalm LXXIII.
(*)
Siehe Th. VII. S. 134.
(*)
Siehe Th. IV. S. 387. 388.
(*)
Siehe Th. VI. S. 418. 419.
(**)
Siehe Th. VI. S. 424.
(*)
Siehe Th. VI. S. 531. 532. 533.
(**)
Siehe Th. VII. S. 753.
(***)
Siehe Th. II. S. 5 - 13. und Th. III. S.
308.
(****)
Siehe Th. II. S. 81. 82.
(*****)
Siehe Th. VI. S. 401.
(*)
Siehe Th. VII. S. 666. 667.
(**)
Siehe Th. V. S. 327.
(*)
Dieſe Stelle iſt aus einer Critick der Ge-
ſchichte der Clariſſa
uͤberſetzet, welche im
Franzoͤſiſchen geſchrieben, und zu Amſter-
dam
herausgekommen iſt. Die ganze Critick
hat
(*)
hat man im Engliſchen ins Gentleman’s Ma-
gazine
in die Monate Junius und Auguſt
vom 1749. Jahre eingeruͤckt. Der Verfaſ-
ſer hat darin von dieſem Werke ſehr vortheil-
haft geurtheilet. Weil man in gedachter Mo-
nats-Schrift die Critick mit Anmerkungen
begleitet hat, worin man auf verſchiedne Ein-
wuͤrfe dieſes redlichen Auslaͤnders antwortet,
die er gegen einige Stellen der Clariſſa macht,
ſo will man den Leſer dahin verweiſen.
(*)
Siehe Th. IV. S. 52.
(**)
Siehe Th. VII. S. 76.
(***)
Siehe Th. VII. S. 811. 812.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Clarissa. Clarissa. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnsh.0