des
Systems der Biologie
bei Vandenhoek und Ruprecht
1805[.]
[]
Sed cum sit Ternarius communis rebus
divinis et mundanis, ubicunque is occurrit;
ſuperveniens mens humana, causarum ignara,
conspirationem hanc miratur.
Der Astronom von Leonsberg.
Dreifach also, o Freunde! ist der Wesen
Stufe — —
Die Natur soll der sichtbare Geist, der
Geist die unsichtbare Natur sein.
Der Philosoph von Leonsberg.
[[I]]
Meinem
Freund und ersten Lehrer
Joseph Anton Maier,
Professor
der Physik und Naturgeschichte
in
Baden-Baden.
[[II]][[III]]
Vorrede.
Was ist das Thierreich anders als der
anatomirte Mensch, das Makrozoon
des Mikrozoon? In jenem liegt offen
und in der schönsten Ordnung aus-
einander gewikelt, was in diesem,
zwar nach derselben schönen Ord-
nung, in kleine Organe sich gesam-
melt hat.
Wie die Blume alle Gliedmaſsen
der Pflanze in sich liebend und innig
aufnimmt, und sie, mit dem schim-
merndsten Gewande angethan, dem
Phöbos und der ewig fortschreiten-
den Göttinn des Lebens zum Opfer
* 2bringt,
[IV] bringt, so erhöht, vergeiſtigt der
Mensch alle Naturen, die, in nie-
drere fleischliche Hüllen eingeschlos-
sen, sich kärglich regen, und lehrt
sie in ihm ihre verklärte Auferste-
hung erkennen.
Nur der, dem die Hülle des
einzelnen Fleisches in Lichtgestalt
sich verwandelt, hat auch die Ge-
heimnisse des menschlichen Tem-
pels erblikt, er steht mitten in ihm,
dem Sichtbargewordenen in der
Durchsichtigkeit, hell und freund-
lich erscheint er dem Heiligen, der
in den Vorhöfen, in der Welt der
realen Gestalten, weilend nun erst
den kühnen Fuſs in das Innerste
sezt; jeder Wiederhall seiner eig-
nen ihm selbst noch nicht begrif-
fenen Tritte ist ihm eine himmli-
sche Entwirrung der unendlichen
Töne seines Wesens, das er zuvor,
sich
[V] sich unbewuſst, nur in den Gestal-
ten der Natur zerlegt kannte. Eine
fremde Furcht ergreift ihn beim
ersten Anstaunen der groſsen Har-
monie zwischen ihm und den Glie-
dern der Welt, kaum wagt er die
Augen aufzuheben zu dem All, dem
er gleich sein soll nach dem Aus-
spruche seiner Selbsterscheinung,
und doch mag er beschauen, was
er will, so stralt ihm überall sein
Antliz entgegen; endlich hat er alle
Stimmen der Welt als die seinigen
vernommen, er kann nichts Frem-
des mehr erforschen, und ruft nun
in freudigem Hochgefühle auf: du
hast die Organe des Alls in dir,
und dich in dem All gefunden!
Nur dem muſs die Naturphilo-
sophie, das innerste Wesen aller
Wesen, ein ewig dunkles Chaos
scheinen, und ihn vor jeder An-
* 3nä-
[VI] näherung zurükschröken, der tha-
tenlos und müſsig das äussere Le-
ben der Natur nicht erforschend,
sich zu ihrem Innern herandrängt,
um das, was sie in den kleinsten
Formen jungfräulich aufbewahrt, mit
einem an kolossalische Unformen
gewöhnten Auge zu betrachten;
nothwendig sieht er nur ein Chaos,
denn zu Bergen und Pallästen, zu
Inseln und Meeren sind hier die Or-
gane nicht angewachsen; Ebbe und
Flut, Stürme und Erdbeben sind
hier ein sanftes Wogen, ein feind-
liches Entzweien und Vereinen der
freundlichen Gegner. Erden und
Metalle, Luft und Schwefel, Was-
ser und Salz sind auch ruhende
Punkte, aber schon tragen sie den
Stempel des Lebens an sich, das
stätig beginnt, hier zum Korall, dort
zur Pflanze und in ihrer Mitte zum
Thier
[VII] Thier beseelt zu werden; so das
Todte in der Seele, und die Seele
im Todten zu sehen, ist die philo-
sophische Kunst.
Die Naturbeobachtung ist die
Mutter der Naturphilosophie, nicht
so der Vater. Wie der Mann im
Weibe immer nur sich selbſt erzeugt,
so ist die Naturphilosophie ewig ihr
eigner Schöpfer im Weibe. Dieses
bringt nichts zur künftigen Frucht
herbei als den bloſsen Anstoſs, der
nach dem Grade seiner Beschränkt-
heit dem Manne erlaubt, sich nun
selbst zu produciren, und in allen
Geburten immer nur seine Aufer-
stehung zu feyern. Wie der Zirkel,
den du mit dem Griffel auf die Ta-
fel zeichnest, nicht der Kreis ist,
sondern nur der Anstoſs, an dem
du die Idee des Kreises, die sich
nie mit dem Zirkel verunreinigt,
mit
[VIII] mit allen ihren Ausdrüken demon-
strirst, so demonstrirst du die Na-
turphilosophie an den empirisch ge-
fundenen Stoffen der Erde und des
Himmels. Die Einsicht in das noth-
wendige Dasein und Sosein die-
ser Stoffe ist die philosophische Ein-
sicht, welche ohne die empirische
Kenntniſs derselben schlechthin un-
möglich ist; nicht als wenn diese
Einsicht entstände aus der empiri-
schen Kenntniſs, sondern weil das
philosophische Wissen an den em-
pirischen Formen allein construirt
werden kann, so wie der Kreis am
Zirkel. Diesen erblikst du mit ma-
terialem Auge, aber nicht durch ihn,
sondern vielmehr durch ihn verges-
sen, nur an ihm gelangſt du zum An-
schauen des philosophischen Kreises.
Ich habe es deswegen versucht,
die Erfahrung mit der Wissenschaft
so
[IX] so innig zu vermischen, daſs man
nicht wissen möge, ist das Ganze
aus empirischen Quellen geflossen,
oder sind diese erst gegraben wor-
den, nachdem ihre Lagen durch Mes-
sungen gefunden waren. Ich weiſs,
daſs es mir nicht immer gelungen iſt,
ich weiſs aber auch, daſs es als der
erste Versuch nicht ganz gelingen
kann; wenn nur die Idee, nach der
ich die Natur ansehe, klar herausge-
hoben ist, so ist meine Absicht er-
reicht; die Zukunft wird für das Ue-
brige nicht müſsig bleiben.
Die Biologie ist eigentlich nur die
Naturphilosophie der organisirten
Leiber, da aber die organische Welt
durchaus das Abbild der unorgani-
schen ist[,] so müssen die Hauptfunc-
tionen und Hauptmaterien dieser auf-
gezählt und geordnet werden, um die
Eingeweide des Organischen schon
in dieser Welt zu erkennen, und sie
da-
[X] daher mit Beſtimmtheit aufzufinden
zu wissen. Dieses zwang mich, nicht
geradezu bei dem Ursprunge der or-
ganischen Welt zu beginnen, sondern
bis auf die erste Regung des Alls zu-
rükzugehen, und von dieser aus stuf-
fenweise die ganze Natur entstehen
zu lassen; aber doch habe ich das,
was eigentlich bloſs Naturphilosophie
des Unorganischen ist, nur kurz be-
rührt, ihre Theile nur an ihre Stel-
len gesezt, um das ganze Skelet des
Universums vor Augen zu haben, da-
gegen das, was der Naturphilosophie
des Organischen eigen ist, was Bio-
logie ist, total [herausgehoben].
“Inertia mors est Philosophiae:
Vivamus nos et exerceamur[”]!
Göttingen 1805.
Geo-
‘Geometria est Hiſtoria.’
(Pythagoras.)
Es giebt nur Eine Gewiſsheit, und diese
iſt die Mathematische. Die Mathesis selbſt
aber iſt nur der geiſtige Ausdruk deſſen,
was ſich in der Natur material darbietet.
Wüſsten wir daher alle Modificationen
der Matheſis, so wüſsten wir alle Sym-
bole der Natur und mit ihnen die Modi-
ficationen dieser selbſt. Die Modificatio-
nen beider sind endlos, aber in diesem
Wechsel der mathematischen Formen grün.
den ſich doch gewiſſe Hauptfiguren, die
unbeweglich ſtehen bleiben, und um die
ſich alle andern Formen, nur als Abkömm-
linge von ihnen, sammeln.
AWenn
[2]
Wenn nun die Matheſis und die Natur
Gleichbilder ſind, ſo müſſen auch in die-
ser dieselben Grundfunctionen herrschen,
welche in jener das centrale Ordnungs-
princip aller Nebenfiguren ausmachen.
Kennen wir daher die Hauptabschnitte,
die Grundactionen, die Centralpfeiler der
Matheſis in Zahl und Qualität, so wiſſen
wir beſtimmt, daſs dieselbe Zahl und Qua-
lität von Grundactionen, Hauptabschnitten,
in der Natur ſich wiederfinden müſſe.
Pythagoras hat zuerſt die Gleichheit
der Matheſis mit der Natur angeschaut,
er hat zuerſt zu den Grundfiguren jener
die Grundelemente dieser aufgesucht, und
die Pyramide als den geiſtigen Ausdruck
des Feuers, das Oktaeder der Luft, das
Ikosaeder des Waſſers, und den Kubus als
den der Erde beſtimmt.
Wer zu Pythagoras Zeiten eine ge-
troffene und vollſtändige Aufzeigung der
Gleichheiten der Natur und der Matheſis
verlangte, zu einer Zeit wo er selbſt sei-
nen Lehrsaz entdeken muſste, würde
ſich selbſt nicht verſtehen.
Es
[3]
Es iſt das Höchſte was in einem Men-
schen der Gedanken erringen kann, daſs
Er die Gleichheit ahnte, reiſst aber zur
wahrhaft göttlichen Verehrung hin, wenn
man Ihn betrachtet, wie Er diese Gleich-
heit selbſt nachzuweisen unternommen.
Wer mag noch grübeln, woher es gekom-
men sein möge, daſs Ihn seine Schüler
als eine göttliche Person verehrten, daſs
ſie in heiligem Glauben der Welt zurie-
fen „Er hats gesagt”!
Wer aber endlich gar meinte, Pytha-
goras habe die mathematischen Figuren
darum mit den Materien verglichen, weil
diese in ihrer äuſsern Form mit jenen ei-
nigermaſsen übereinkommen, weil das
Feuer ſich wie eine einfache Pyramide, die
Luft wie eine doppelte (?), das Waſſer wie
ein Ikosaeder (?) etc. zeige, dem wäre al-
les zu verzeihen, was er dem Pythagoras
Unſinniges und Gespieltes vorwerfen möch-
te. Es iſt gar kein Zweifel, daſs nicht
auch die Materien der Form nach den ma-
thematischen Figuren nachgebildet ſind,
aber deswegen das Feuer Pyramide nen-
nen, hieſse so viel als den Kreis darum
A 2Kreis
[4] Kreis nennen, weil dieses Wort eine ähn-
liche Geſtalt mit dieser Figur habe.
Der Keim der Matheſis, den Pytha-
goras gepflanzt, iſt mächtig emporgewach-
sen, der geometrische Stamm hat seine
Hauptzweige herausgetrieben, wir ſind im
Beſize der Algebra, der Kegelschnitte, der
Analyſis des Unendlichen.
Mit dieser Vollkommenheit der Ma-
theſis glaube ich, iſt die von Eschenmayer
aus tiefen Gründen so sehnlichſt gewünschte
Zeit gekommen, wo man das pythagoräi-
sche Orakel aus dem Traume weken
kann; Er hat seine Metempsychose er-
kannt, und ſicher wird Er ihr treu bleiben!
Bald ſind es vier Jahre, seit ich die
Grundfiguren der Matheſis zu ordnen, und
ihre Nachbilder in der Natur aufzuzei-
gen gesucht habe. Ungeachtet dieser nicht
müſsigen Zeit, kann ich doch nicht an-
ders als dieselbe Ordnung noch anzuerken-
nen, und die Naturfunctionen, obgleich
jezt vollſtändiger dieser Ordnung anzurei-
hen. Weder nach den Dimenſionen der
Zeit
[5] Zeit noch des Raums können diese Figuren
allein geordnet werden, da dieses nur eine
einzelne Eigenschaft von ihnen iſt; das
Princip liegt im ganzen Wesen der Figur
selbſt, in ihrem innern Charakter, in ih-
rer Einfachheit, in ihrer algebraischen For-
mel und in der Summe aller Lehrsäze,
die von jeder einzelnen möglich ſind.
Was mich leitete bei Aufzählung und
Anordnung der mathematischen Grundpfei-
ler, kann in dieser Schrift, wie Jedermann
einſieht, unmöglich ausführlich angegeben
werden. Sie kann keinen andern Zwek
haben, als darzulegen die Resultate des
Versuchs, die Gleichheit der Natur mit
der Matheſis aufzudeken.
[[6]]
Die Linie, der Kreis und die Ellipse
ſind die erſten Elemente der Matheſis,
oder der idealen Natur.
Die Linie iſt das Ideal der Zeit, der
Bewegung, der Staarheit, oder des Wider-
ſtandes ſich räumlich auszudehnen; der
Kreis aber das Ideal des Raums, des Be-
ſtehens, des Gegentheils der [Starrheit]; er
iſt der Linie direct entgegengesezt, da er
ein Punkt iſt, der in Einer Ebene nach
allen Richtungen ſich ausdehnt, hingegen
die Linie nur einer einzigen folgt.
Die Ellipse iſt die Verbindung der Li-
nie mit dem Kreise, daher die Mitte zwi-
schen Bewegung und Beſtehen, zwischen
Starrheit und Cohärenzloſigkeit. Dieses
läſst ſich sowohl durch algebraische For-
meln als durch geometrische Verzeichnung
ſtreng demonſtriren, kann aber hier nicht
gethan werden.
Diese drei Elementarfiguren ſtehen
auf der ersten Stuffe der Mathesis, und
wei-
[7] weiter keine andern, denn das Dreiek iſt
keine einfache Figur, sondern nur eine
anschauliche, aber unvollkommene Dar-
ſtellung des Kreises mit Linien, was von
allen Polygonen gilt.
Figuren, welche um eine Stuffe höher
ſtehen, als Linie, Kreis und Ellipse ſind
Parabel, Hyperbel und Eiform. Die Para-
bel hat im Ganzen wieder die Eigenschaf-
ten der Linie, aber nicht mehr in dersel-
ben Reinheit; ihre Starrheit läſst ſich schon
in einen Baum ausdehnen; eben ſo die
Hyperbel, als die zweite Stuffe des Krei-
ses, welche ſich nicht mehr ſo rein der
Starrheit entgegensezt; dasſelbe iſt von der
Eiform wahr, die das, was die Ellipse im
vollkommenſten Gleichgewicht hält, schon
mehr zerfallen läſst.
Die dritte Stuffe endlich, auf die die
Matheſis ſteigt, iſt die Synthese der beiden
vorigen, und so werden Linie und Parabel
zum Konus, Kreis und Hyperbel zur Sphä-
re, und in die Mitte dieser kömmt die
Synthese der Ellipse und Eiform. Mit die-
sen Figuren iſt die Matheſis geschloſſen,
ſie kann nicht mehr höher ſteigen: Es
gibt
[8] giebt keine Grundfigur mehr als diese neun,
alle andern ordnen ſich um diese herum,
und daher gehe ich nun sogleich zur Auf-
suchung der gleichen Elementarfunctionen
der Natur.
Wir haben sechs Figuren auf den
zwei erſten Stuffen, und drei auf der drit-
ten, der Synthese der beiden erſten. Die
sechs erſten Figuren sind in Bezug auf die
drei lezten einfache Formen, und die drei
lezten enthalten alles vereinigt in ſich,
was die erſten einzeln beſizen. So iſt der
Konus nicht nur die Vermählung der Linie
und des Kreises, sondern aller Figuren,
aber mit dem Uebergewichte des Linigen;
Eben so ſind alle Figuren in der Sphäre,
aber nur mit dem Uebergewichte des Krei-
ſigen, und so ſind alle in der neunten Fi-
gur mit dem Uebergewichte des Ellipti-
schen.
Ganz gleich iſt die [Natur]: ſie beſteht
aus sechs einfachen (in unserm Sinne, wie
es die Figuren ſind) Materien, und aus
drei zusammengesezten. Jene ſind unor-
ganische, diese die organischen. Ich ha-
be ſie so geordnet:
1.
[9]
| 1. | 3. | 2. |
| Linie. | Ellipſe. | Kreis. |
| Zeit. | . . . . . . . | Raum. |
| Cohäſion. | Schwere. | Feuer. |
| Erde. | Waſſer. | Luft. |
| 4. | 6. | 5. |
| Parabel. | Eiform. | Hyperbel. |
| Magnetismus. | Chymismus. | Electrismus. |
| Metall. | Salz. | Schwefel. |
| (Inflammabilien). | ||
| 7. | 9. | 8. |
| Konus. | Syntheſe beider. | Sphäre. |
| Galvanismus. | Animalism. | Vegetatismus. |
| Korall. | Thier. | Pflanze. |
Beim [erſten] Blicke zeigt es ſich, daſs
Erde und Luft ſich entgegengesezt ſind,
und das Waſſer ihre Indifferenz bildet,
eben so Metall und Schwefel, deren In-
differenz das Salz iſt, und endlich so Ko-
rallen und Pflanzen, deren höchſte Blüte
das Thier bildet.
Erde aber und Metall ſind homolog,
eben so Luft und Schwefel, Waſſer und
Salz, daher schlieſsen ſich diese Materien
auch so räthselhaft an einander, und schei-
nen
[10] nen ganz zu Einer Reihe zu gehören;
was wohl richtig iſt, aber nur zu einer
Reihe, die über mehre Stuffen läuft; so
ſind die Erden nur herabgezogene Metalle,
und diese hinaufgeschobene Erden, so die
Luft ein erniedrigter Schwefel, und dieser
erhöhte Luft, auch das Waſſer iſt Salz auf
einer niedrern Stuffe, und das Salz iſt
Waſſer auf der höhern.
Ich nenne die Entgegensezungen der
Elemente auf einer Stuffe direct oder ho-
mogen, wie Erde und Luft, Metall und
Schwefel, hingegen zwischen zwei Stuffen,
schief oder heterogen, als Erde und
Schwefel. Metall und Luft, die Glieder
einer Reihe aber, welcher zu einer Grund-
figur gehört, nenne ich homolog, wie
Erde, Metall, Korall, oder Luft, Schwefel,
Pflanze; und nun gehe ich zur Ausführung
dieses Schemas, wobei man aber nicht
aus dem Auge verlieren muſs, daſs ich
von dem Unorganischen nur so viel be-
rühre, als zur Totalität des Ganzen, und
[vorzüglich] zur Gründung des Organischen
unumgänglich nöthig iſt.
[11]
I. Stuffe.
1. Grundfigur.
Linie. — Cohæsion — Erde.
Wie die Linie dem ganzen Syſtem der
Matheſis zu Grunde liegt, und daher das
Primare, Poſitive iſt, so ſind die Erden
die Träger aller Materien. Sie ſind das
Erſte, aus ihnen hat ſich alles metamor-
phoſirt, ſie bilden den Kern, die Haupt-
maſſe unsers Planeten, zwischen der die
andern Materien, als Metalle, Schwefle,
Salze nur eingegoſſen, oder, wie die Luft
und das Waſſer, auf ſie aufgetragen ſind.
Sie ſind ferner die ſtarrſten Körper,
und suchen in ihrem lebendigen Zuſtande
immer die Form der Linie als Kryſtalle
zu behaupten. Es giebt keine kuglicht
kryſtalliſirte Erde, meiſtens ſind es Pyra-
miden und Säulen, die ſich auch in Kuben
abſtumpfen, oder in Tafeln spalten. Da-
her iſt die Kryſtallform das Wesentlich-
ſte für die Erden, und muſs bei ihrer sy-
ſte-
[12] ſtematischen Anordnung vorzüglich zu
Grunde gelegt werden.
Sie widerſtehen unter allen Materien
dem heftigſten Grade des Feuers, so sehr
ſind ſie der Ausdehnung entgegengesezt.
Sie haben die geringſte Compreſſibilität,
keine Dehnbarkeit, Ziehbarkeit, Verbrenn-
lichkeit, kurz ſie ſind als die Urmaterien,
als der [einfachſte] und erſte Repräsentant
der Starrheit die unbändigſten Körper der
Natur. Auf ſie gründet ſich die Theorie
des Stoſses, der Bewegung, also der leben-
digen Darſtellung der Linie, und genau
iſt das bekannte Grundgesez der Mecha-
nik: wenn einmal ein Körper in Bewegung
gebracht iſt, so behält er ins unendliche
dieselbe Richtung (nach der geraden Linie)
wenn er nicht durch eine andere Kraft
abgelenkt wird, — Gesez dieser Grundfi-
gur, Gesez der Linie, der Cohäſion, der
Erden.
Die Erden müſſen ihrer äuſſern Natur
nach nach den Formen der Kryſtallisation
eingetheilt werden; diejenigen Erden, die
nicht kryſtalliſirt ſind, ſind als todte me-
cha-
[13] chanisch gehäufte Maſſen zu betrachten,
und daher tritt hier die Charakteriſtik mit-
tels phyſischer und chymischer Eigenschaf-
ten ein.
Die innere Natur der Erden aber
muſs nach der Natur der Linie eingetheilt
werden, und so mag ſich wohl ein Pol
der Erden finden, der als reiner Kohlen-
ſtoff, im Diamant auftritt, durch Kiesel-
erde, Zirkon, Thon, Glykin, Yttererde,
zu Talk, und von da durch Strontian,
Baryt zu Kalcherde als dem expandirteſten
Pol dieses Momentes heraufſteiget, wie
es Steffens so schön durchgeführt hat. Da-
her verhält ſich die Alkalescenz gegen die
Kieselerde schon einigermaſsen negativ,
da beide ſich zu Glas neutralisiren. Die
Kalcherde iſt schon völlig in den Kreis
der thätigen Natur gezogen, ſie läſst ſich
bändigen; während die Kieselerde, als
das ewige Geripp des Planeten da ſteht,
bildet ſie das Geripp der organischen Welt,
und beweist auch für diese die Erſtheit
derjenigen Materie, die das Nachbild der
Linie iſt. Wie überall in der Starrheit
die Möglichkeit der Bewegung, die Zeit
liegt,
[14] liegt, so auch in den Knochen; ſie ſind
die Grundlage der organischen Bewegun-
gen. Nach demselben Hauptgange der
Geseze, welche die Erden hier befolgen,
werden diese auch da, wo ſie ſich unter
die organische Maſſe gemischt haben, ihre
Wirkungen, obgleich mit höherer Bedeu-
tung äuſsern, und daher werden die Ei-
genschaften des Knochensyſtems, und der-
jenigen Thiere, die vorzüglich diesem nach-
gebildet ſind, immer homolog in diese
Reihe fallen.
II. Grundfigur.
Kreis — Feuer — Luft.
Es iſt kaum nöthig zu berühren, daſs
der Kreis, das Schema der Expanſion, des
Negativen und überall das Entgegenge-
sezte der Linie, der Starrheit sei, welchem
im Materialen die Luft aufs genaueſte
entspricht.
Diese iſt das höchſte Extrem der Ent-
gegensezung mit den Erden, die Starrheit
iſt in ihr nicht nur aufgehoben, blos pri-
va-
[15] vative gesezt, wie im Waſſer, sondern
wirklich als negativ aller Starrheit wider-
ſtrebend iſt ſie das elaſtische, antikohären-
te Fluidum vorzugsweise. — Ich kann
diese Eigenschaft mit nichts paſſenderm
ausdrüken als mit Luftigkeit.
In ihr iſt schlechthin keine Bewegung
nach der Linie [hervorzubringen], ſie iſt
Nichts für jeden Stoſs, und die lebendige
Expanſibilität selbſt; wo ihr Raum geſtat-
tet iſt, erweitert ſie den Kreis, um ihre
Elasticität zum Troze der Erde zu zeigen,
dringt zwischen alles Feſte, und ruht so
auf diesem obschon sein Feind; als di-
recter Feind der Erden iſt ſie nothwen-
dig der Repräsentant des Kreises, denn
wie diese die Hauptmaſſe des Starren auf
dem Planeten bilden, so ſie die Haupt-
maſſe des Luftigen, ſie iſt eben so in ihrer
Reihe die Arbeitsſtätte ihrer homologen
Proceſſe, als des Feuers, der Electricität,
des Pflanzenwachsthums, als es die Erden
in der ihrigen ſind, nur mit dem Unter-
schiede, daſs auch selbſt die Erden der
Luft, mit allen ihren Proceſſen, noch zum
Grundpfeiler dienen.
In
[16]
In der Erde iſt die Kryſtallisation der
herrschende, lebendige Charakter, in der
Luft iſt es gerade das Gegentheil, was
kryſtalliſirbar iſt, iſt eben darum keine Luft.
Wie es verschiedene Erden giebt, so
giebt es auch verschiedene Luften, und
wie dort der Granit, als der Fokus aller
Erden gesezt werden kann, so hier [die] ath-
mosphärische Luft, als die Mutter aller
übrigen; da aber das Symbol der Erden
die Linie iſt, und ſie deswegen nach die-
ser einzutheilen ſind, so wäre es offenbar
falsch, wenn man auch die Luften nach
einer Linie darſtellen wollte, da ſie doch
die Abbilder der Theile des Kreises ſind,
daher auch nur so viele ſich finden kön-
nen, als dieser wesentliche Theile hat,
und zwar mit denselben Eigenschaften,
als die dieser Theile ſind.
Es wird ſich zeigen, daſs das Saur-
ſtoffgas keine Luft iſt, welche in die Na-
tur des Kreises gehört, sondern nur als
das geiſtige Schwerkraftsprincip, als das
in seinen Urzuſtand zurückgekehrte Waſſer,
als die wahre Waſſersäure, wie ſie Win-
terl
[17] terl so philosophisch nennt, in der At-
mosphäre schwebt.
Als die Hauptluftart kann das Stikgas
gerechnet werden, von dem alle andere,
wie die Erden von der Kieselerde, Meta-
morphosen sind. Das Expansissimum,
nemlich das rein Peripherische des Krei-
ses, ohne alles Starre des Diameters, er-
scheint als Wasserſtoffgas, das Contractis-
simum aber, das sich in das Centrum la-
gert, als Kohlensäure, die um ihre Con-
traction zu erreichen, schon Kohlenſtoff
zu Hülfe nehmen muſs; daſs sie aber blos
aus Kohlenſtoff und Saurſtoff beſtehe, hat
noch kein einziges chymisches Experiment
ſtreng bewiesen, und die prätendirten Zer-
legungen durch Phosphor verlieren alle
Kraft dadurch, daſs man ja beſtimmt weiſs,
daſs jeder Phosphor beim Verbrennen Koh-
lenſtoff absezt. Die andern Luftarten sind
Compositionen.
Die atmosphärische Luft kann ange-
sehen werden, als durch Säureprincip be-
geiſtetes Stikgas, das durch gröſsere Säu-
rung sich in Stikſtoffsäure verwandelt.
BWird
[18] Wird aber der Wasserſtoffpol des Stikga-
ses gesäurt, so entſteht Wasser, Regen,
der klarſte Beweis, daſs Wasserſtoffgas in
der Atmosphäre vorhanden, aber durch
gewöhnliche Desoxydation der Luft, durch
Verbrennen, nicht heraushebbar, sondern
in dem zwitterartigen Stikgas verschlun-
gen iſt, woraus es erſt wahrscheinlich
durch einen gewissen Grad des Electris-
mus bei Gewittern etc. gezogen, oder in
philosophischer Sprache, wozu das Stik-
gas polarisirt wird. Warum iſt denn das
Wasser, warum iſt die Salpetersäure flüs-
sig? soll doch jenes aus Wasserſtoff, die-
se aus Stikſtoff beſtehen.
Wenn die Luft nicht blos in mecha-
nischer Action bleibt, sondern zu ihrer
höchſten Thätigkeit sich erhebt, so er-
scheint sie als Feuer. Wie die Cohäsion,
Kryſtallisation, das Ideale der Erden, oder
wie der Magnetismus das Ideale des Ei-
sens oder der Metalle iſt, so das Feuer das
der Luft. Der Magnetismus iſt selbſt
nichts, als die Erscheinung der specifi-
schen, eigenthümlichen Thätigkeit der Me-
talle, oder die Metallthätigkeit, so
iſt
[19] iſt das Feuer die Luftthätigkeit, nemlich
das Active der Metalle nennen wir Magne-
tismus, das Active der Luft aber Feuer.
Ich seze das Feuer in dieselbe Bedeutung,
in der Magnetismus, Electrismus, Chy-
mismus etc. ſtehen, nemlich als bloſse
Action, die aber so specifisch als diese iſt,
und wie diese eigentlich bloſse Thätigkei-
ten der Natur sind, deren eine zu Metall,
die andere zu Schwefel, und die dritte zu
Salz erſtarrt, so wird auch die Feueraction,
wenn sie zu Materie erſtarrt, Luft. Die
magnetische Materie sind daher die Me-
talle, die electrische iſt der Schwefel mit
seinen Variationen, die chymische iſt das
Salz, und so iſt die Feuermaterie die
Luft. Dasselbe gilt auch von den Erden,
deren Action Cohäsion iſt, welche we-
sentlich vom Magnetismus verschieden,
das Allgemeine umfaſst, da dieser nur Co-
härenz-Action von beſtimmter, Rich-
tung iſt.
Das Feuer als das reinſte Abbild des
Kreises, als der in die Natur übergehende
Kreis, iſt nothwendig Duplicität, obgleich
gebunden an eine einfache Grundfigur;
B 2denn
[20] denn der Kreis iſt nicht mehr rein, wie
es die Linie war, er hat nicht blos Peri-
pherie, auch die Linie gehört nothwendig
zu seinem Wesen, daher scheidet sich das
Feuer in zwei Actionen, deren die eine
peripherisch, die andere central iſt. Die
peripherische Action iſt die rein Kreisige,
das rein Expansive mit der endlosen Ten-
denz den Raum zu erweitern, sie iſt die
Wärme.
Die centrale Action iſt die Linige im
Kreise, die diametrale oder radiale, mit
der Tendenz den Raum zu verengern, aber
Kreis muſs sie ewig bleiben, daher bringt
sie es nur zu einer Begränzung des Raums
durch Linien, sie macht den Kreis zum
Dreiek; die Thätigkeit der Natur aber, die
überall Linie producirt, und doch im Ex-
pansiven schwebt, die den Raum auf ideale
Weise begränzt, sich ideal in ihm kryſtal-
ſtallisirt, iſt das Licht; dieses daher wie-
der positiv, die Wärme negativ.
Wärme und Licht sind daher entge-
gengesezt, obgleich Actionen Einer Figur;
die Wärme iſt homolog mit dem Expan-
dir-
[21] dirteſten des Expansiven, das Licht aber
mit dem Contrahirteſten. Die Richtung
zur Peripherie iſt Wärme, die zum Cen-
trum iſt Licht.
Die Sonne iſt nur Licht, insofern eine
centrale Action in ihr iſt, insofern sie Pla-
neten an sich zu ziehen ſtrebt; jeder an-
dere Körper z. B. die Erde, an die Stelle
der Sonne gesezt, würde auch für die
Planeten leuchtend sein, daher hängt das
Licht der Sonne von gar keiner specifi-
schen Eigenschaft ihrer Materie ab, von
keinem Verbrennungsprocesse auf ihr, von
Saurſtoffatmosphäre, von Reibung etc.
sie kann ganz dieselben Stoffe auf sich
haben, wie unsere Erde, und doch leuch-
tet sie, ja auch das gröſste Feuer auf ihr
würde uns nicht als Sonnenlicht erschei-
nen, da ja dieses ein Weltphenomen, eine
Action eines Weltkörpersyſtems iſt, und
nicht eines Privatfeuers in der Sonne. Nur
im Gegensaze mit Planeten iſt sie Licht,
würden diese wegfallen, so wäre sie selbſt
in ewiger Finſterniſs begraben.
Das
[22]
Das Licht bewegt sich keinesweges
von der Sonne zu uns als solches, ſtatt
nach dem Grunde der ungeheuren Ge-
schwindigkeit des Herſtrömens des Lichts
zu fragen, müssen wir untersuchen, wie
viel Zeit es brauche, bis die [unterbroche-
ne] Centralaction der Sonne wieder von
der Erde so ſtark gehemmt werde, daſs
sie als Licht erscheint; vielmehr sollten
wir uns wundern über die Langsamkeit
dieser Hemmung. Die Sonne verliert
nicht das Geringſte durch das Licht, wenn
sie in alle Ewigkeiten ſtralt, denn das
Licht iſt ja kein Ausfluſs aus ihr. Für die
Immaterialität des Lichtes (in philosophi-
schem Sinne) nach Schelling noch ein
Wort sagen, hieſs das Licht beleuchten
wollen. Der neue Beweis vom Fallen des
electrischen Funkens, den Winterl für die
Ponderabilität des Lichts anführt, möchte
wohl mehr beweisen, als ihm selbſt lieb
iſt, nemlich daſs das Licht schwerer als
die Luft sei, was sicher diesem Erweker
der alten Chymie nie im Spasse einge-
fallen.
Es
[23]
Es iſt ein bekanntes Gesez der Phyſik,
daſs Gleiche sich abſtoſsen. Ungleiche sich
anziehen, so hier. Wärme wird von der
Luft, dem ihr Gleichartigſten abgeſtoſsen,
diese iſt bekanntlich ein Nichtleiter für je-
ne, hingegen leitet sie das Licht, als die
centrale, als die linige Action.
Dagegen leiten die ſtarren Erden und
Metalle die Wärme, weil sie peripherische
Action iſt, denn alles Leiten iſt nur gegen
das Fremde möglich — die Luft nemlich
als das Homogene mit der Wärme iſt ja
schon so viel als möglich ausgedehnt, in-
sofern sie sich aber noch ausdehnen läſst,
leitet sie allerdings, daher iſt Wasserſtoff-
gas der schlechteſte Leiter. Wasser aber,
als das Mittlere zwischen Erden und Luft,
iſt sowohl gegen Wärme als Licht gleich-
gültig, es läſst sie, so zu sagen, nur pas-
siv durch sich hindurch. Was iſt denn eine
Ferne von 679 Fuſs, über die hinaus das
reinſte Wasser nicht mehr durchsichtig iſt,
gegen die Ferne des Himmels, und was die
Erwärmung des Wassers gegen die einer Ei-
senſtange?
Wir
[24]
Wir scheinen hier in einen Widerspruch
mit dem Licht zu kommen; es wurde cha-
rakterisirt als centrale Action, und daher
leitbarer durch die Luft als peripherische
Materie, aber doch wird sie auch durch
die Kryſtalle, die doch die ſtarreſten Kör-
per der Natur sind, geleitet.
Die Antwort iſt leicht zu geben; eben
weil sie das Ideal der Starrheit sind, wer-
den sie dem Lichte, das doch nur eine
Kreisthätigkeit bleibt, wieder heterogen,
und daher seine Leiter. Deswegen hängt
auch die Durchsichtigkeit der Kryſtalle, des
Glases etc. schlechterdings von ihrer Ge-
ſtalt, von ihrem wirklichen Beſtehen in der
Kryſtallisation ab, wo sie am reinſten der
Starrheit folgen; so wie sie zu Pulver zer-
schlagen werden, iſt alle Durchsichtigkeit
verloren, denn da wo Cohärenzaction er-
ſtirbt, hört auch ihr Gegensaz gegen das
Licht auf, der Körper wird undurchsich-
tig, das heiſst; er sinkt zu dem Grade der
Cohärenz herab, welcher gleich iſt dem
Nisus des Lichts.
Der
[25]
Der Diamant iſt als der Repräsentant
der Cohärenzaction der durchsichtigſte Kör-
per, der eben deswegen auch das Licht
am ſtärkſten bricht, von ihm ſteigt die
Durchsichtigkeit herunter bis etwa zu Glas;
wie dieses sein kryſtallisches Gefüge ver-
liert, fängt es an, in Farben zu spielen,
und wird undurchsichtig, weil es homo-
gen mit dem Lichte wird. Die Luft leitet
daher das Licht, weil sie expandirter, die
Erdkryſtalle, weil sie contrahirter sind, als
eine Materie, die hierinn der Action des
Lichtes nahe kömmt.
Was Farbe iſt, verſteht sich nun von
selbſt. Sie iſt ein mehr oder minder homo-
gener Zuſtand des hemmenden Körpers mit
dem Lichte. Das Newtonische Prisma lehrt
uns sieben solcher Zuſtände kennen, über
die hinaus das Licht wieder in Durchsich-
tigkeit verschwindet, das Licht iſt daher
nichts Zusammengeseztes, die Farben sind
nur beſtimmte Hemmungspunkte desselben.
Eben so löst es sich nun von selbſt,
daſs das weiſse Licht aus dem Maximum
seiner Entgegensezung mit der Materie
ent-
[26] entſteht, daſs die reinen Erden ohne Un-
terschied weiſs sind; wo aber das Licht
seine homogene Materie findet, oder wo es
ungehindert zu Materie erſtarrt, erscheint
es grün; es wird sich mit Vergnügen an-
sehen lassen, wenn bewiesen iſt, daſs die
Pflanzenwelt in die homologe Reihe, aber
auf der dritten Stuffe, mit dem Lichte
fällt, was ich schon in dem von Anfange
gegebenen Schema angezeigt habe, und sie
daher durchgehends mit Grün bekleidet iſt.
Die um das Grün gelegten Farben,
sind zwar auch noch Homogeneiteten der
Materie mit dem Lichte, aber doch wei-
chen sie von ihm in beſtimmtem Grade
ab, und zwar auf der einen Seite mit ex-
pansiven Widersezungen durch Blau zu
Violet, welches erſte daher die Lieblings-
farbe der Luft iſt, ohne Zweifel müſste
eine Atmosphäre von Wasserſtoffgas violet
sein. Auf der andern Seite differenzirt
sich aber die Materie mit zunehmender
Starrheit, geht durch Gelb zu Roth, wel-
ches ohne Zweifel die erdigen Farben
sind.
Die-
[27]
Dieses sei genug zur Andeutung der
Farbentheorie.
Alle Planeten sind nur Differenzen des
Lichts, diese aber sind Farben, daher wird
auch das Planetensyſtem nach der Idee der
Farben geordnet sein. Es verſteht sich,
daſs deswegen nicht eben nur sieben Pla-
neten exiſtiren dürfen, weil so viele Far-
ben exiſtiren, dieses wäre eine kleinliche
Ansicht. Es iſt nur von Planetenproductio-
nen die Rede, die nach den Gesezen der
Spaltungen des Lichts sich richten muſsten,
ob nun zu Einer Production nur Ein Pla-
net oder deren mehre gehören, wie es oh-
ne Zweifel mit Ceres und Pallas der Fall
iſt, iſt für eine Sonne, zu der sich diese
nur wie kleine Kügelchen zu einer millio-
nenmal gröſsern Masse verhalten, natür-
lich gleichgültig.
III.
[28]
III. Grundfigur.
Ellipse — Schwere (Verbrennen) — Wasser.
Ueber das lezte iſt es unnöthig ein
Wort zu sagen; jedermann wird es als die
Indifferenz der Erde und der Luft ansehen;
wie jene die Pole der erſten Stuffe sind, auf
und in denen alles Uebrige der Erde ruht,
so gehört auch das Wasser zur erſten Pro-
duction der Natur, und zwar, da es Synthe-
se iſt, zu derjenigen, die alle andere Thä-
tigkeit vermittelt, selbſt die obgleich pri-
mare Erde kann nicht einen einzigen Pro-
ceſs ohne Wasser beginnen, in ihre eignen
Kryſtalle muſs sie es aufnehmen, eben so
wohnt es der Luft als Wassersäure (Saur-
ſtoffgas) bei, um dadurch ihren Processen
Leben einzuhauchen. Daher iſt der Saur-
ſtoff das Allesvermittelnde der Natur, da-
her ſteht er dem Verbrennen, dem Ath-
men, dem Verkalken vor, welches alles
bei weitem keine Lichtprocesse, sondern
wahre Processe dieser Grundfigur, der
Schwere, des Wassers sind.
Wird die Linie als Weltfunction be-
trachtet, so sind alle Weltkörper nur nach
Ei-
[29] Einer Richtung geworfen, in der sie ins
Unendliche fortſtrömen, nach dem Kreise
aber sind sie umgelenkt um ein Centrum,
wodurch diese beiden Tendenzen der Welt-
körper nothwendig zur Ellipse ausschlagen,
in der die Bewegung nach der Linie sowohl
als die nach dem Kreise, durch die Zwei-
heit der Focus erhalten iſt, und daher in
dieser Naturfigur die Schwerkraft hervor-
tritt.
Das Wasser iſt das Materiale der Schwer-
kraft oder die materialgewordene Schwer-
kraft selbſt, und daher gebe ich dieser auf
ihrer Stuffe dasselbe Verhältniſs zum Was-
ser, wie der Cohäsion zur Erde, dem Ma-
gnetismus zum Metall etc. Das Wasser
oder das Formlose, Synthetische der ganzen
materialen Natur iſt nothwendig die Ein-
heit des Gewichtes, was auch die Physiker
zu allen Zeiten [erkannt] haben.
Das Wasserbilden iſt bekanntlich der
Verbrennungsproceſs, und jedes Verbren-
nen iſt ein Waſſerwerden, daher sucht die
Natur, insofern ſie in der Form dieser Fi-
gur thätig iſt, alles in Wasser zu verwan-
deln,
[30] deln. Die Verkalkung der Metalle, das
Athmen etc. sind daher wahre Wasserpro-
cesse, Hydrogenationen in unserm Sinne.
Das Wasserbilden kann ganz getroffen der
Respirationsproceſs der Natur genannt
werden.
Der Verbrennungsproceſs iſt gänzlich
verschieden vom Feuerproceſs, der dem
vorigen Momente, der Luft angehört, denn
das Verkalken, Athmen, sind auch Ver-
brennen ohne Feuer. Der Verbrennungs-
proceſs iſt ein synthetischer und kein polarer
wie Cohäsion und Feuer.
Das Saurſtoffgas iſt durch Säureprincip
begeiſtetes Wasser, wie schon Prieſtley dar-
gethan; das Säureprincip selbſt aber iſt das
Phenomen der Schwerkraft, wie Licht das
Phenomen der Centralaction der Sonne, wie
die Richtung nach Norden das des Magne-
tismus, wie Abſtoſsen und Anziehen das
des Electrismus sind. Das Säurende iſt da-
her durchaus nichts Materiales — es giebt
überall keinen Saurſtoff im Sinne der Chy-
miker — dieser iſt wahre Wassersäure, nem-
lich Wasser durch Schwere begeiſtet, Was-
ser
[31] ser in der Bedeutung eines Weltphenomens,
wie Licht und Wärme das Weltphenomen
der Luft sind; die Schwere iſt das Erhalten-
de und Zerſtörende, das Ursynthetische
Weltprincip, eben so der Schwereſtoff, die
Wassersäure.
Man nennt in der Chymie alle Pro-
cesse, worin die innere Form eines Kör-
pers geändert wird, chymische, aber ganz
wider alle Begriffe des wahren Chymismus,
der keine allgemeine Auflösungsfunction der
Materie, sondern nur, wie sich zeigen
wird, ein ganz einfacher, specifischer Na-
turabschnitt, wie Feuer, Oxydation, Ma-
gnetismus etc. iſt. Der Oxydationsproceſs
iſt ganz und gar kein chymischer, viel-
mehr geht er allen chymischen direct vor-
her, wie es das Auflösen der Metalle in
Säuren beweiſt; ganz sicher müssen sich
auch die Erden vor der Auflösung in Säu-
ren oxydiren, obgleich dieses noch nicht
wahrgenommen iſt. Das Ausgedehntwer-
den der Körper durch Wärme iſt absolut
keine chymische Action; die erhizten Kör-
per verbrennen aber deswegen schneller,
weil sie der Schwere heterogener werden.
Daſs
[32] Daſs blos diese Heterogeneität und nicht
die Ausgedehntheit durch die Hize an der
leichtern Oxydation Schuld iſt, beweist
der Diamant, der als die ſtarreſte Erde,
eben weil er diese, folglich der indifferen-
ten Schwere am excessivſten entgegenge-
sezt iſt, unter allen Erden, die doch viel
mehr ausgedehnt sind, allein verbrennlich iſt.
Das Verquiken der Metalle, das Verer-
zen durch Schwefel iſt kein chymischer
Proceſs, so wenig als die Verbindung der
Kohlensäure mit den Erden. Wie jene
Verbindungen wechselseitige Tödtungen
wegen der Entgegengeseztheit sind, so
tödtet auch die Kohlensäure die Aezkraft
der Erden: dieses sind alles Folgen der
Verbindung heterogener Grundfiguren, wo-
mit der Chymismus nicht das Geringſte zu
thun hat.
Eben so wenig iſt der Oxydationspro-
ceſs weder ein expandirender noch contra-
hirender zu nennen, er ſteht zwischen bei-
den und hindert als Schwerkraft so wohl
die Luft vor zu groſser Expansion, als
die Erden vor zu groſser Starrheit. Der
Saur-
[33] Saurſtoff contrahirt ja die Luft zu Waſſer
oder Salpeterſäure daher diese sehr be-
ſtimmt Hydras nitrogenii, die Luft Hy-
dris nitrogenii, das Waſſer aber Hydras hy-
drogenii genennt werden könnte) — wie
er den Diamanten zu Luft verflüchtigt,
oder die Metalle zu Staub zerschlägt: die
Metalloxyde ſind Hydrates de métaux inso-
fern Sauerſtoff begeiſtetes Waſſer iſt.
Ich könnte über diese Figur noch
vieles sagen, wenn ich nicht vorzüglich
das organische weitläuftiger darzuſtellen
trachtete, zu diesem Zwecke iſt das Ge-
sagte genug, und ich kann jezt mit mehr
Zuverſicht als beim Anfang mit Lvcretivs
sagen:
moremur,
Principio Maria ac Terras Coelumqué
tuere.’
[34]
II. Stuffe.
1. Figur.
Parabel — Magnetismus — Metall.
Die Metalle ſind die secundaren Er-
den = Erden2, ſie ſind nur zwischen die-
se als geringe Maſſen eingesprengt, und
so zu sagen erſt aus ihnen ausgeschieden —
ſie ſind reducirte Erden im höheren Sinne.
Diese Homologeität iſt auffallend bei dem
Vergleichen der Metallkalke mit den Er-
den, und selbſt oft treten ſich ihre Ge-
wichte ziemlich nahe, obgleich man
ſtreng sagen kann, keine Erde iſt fünfmal
schwerer als das Urgewicht, das Waſſer,
aber wohl jedes Metall.
Die Erden als vorherrschend allem
Verbrennungsproceſs, [und] von ihm ent-
fernt durch die Luft, welche zunächſt in
diesen greift, und daher mit ihm in Con-
flict geräth, wiederſtehen diesem ſtandhaft;
die Metalle, obgleich in dieselbe Reihe ge-
hö-
[35] hörend, ſind schon unterjocht, verkalken
ſich aber doch meiſtens langsam und mit
Schwierigkeit, daher ſie im Ganzen un-
endlich weit von dem Waſſerſtoff und
Schwefel entfernt ſtehen.
Die Cohäſion iſt bei ihnen nicht mehr
auf eine unbiegsame, gerade Linie be-
schränkt wie bei den Erden; ſie laſſen ſich
durch Dehnbarkeit, Strekbarkeit etc. schon
dem Kreise näher bringen, auch iſt ihre
Kryſtallisation nicht mehr so scharf und
linig wie bei den Erden, ſie verzweigen
ſich mehr in Flächen, und ſind eben we-
gen dieser mindern Starrheit nicht mehr
durchſichtig, sondern meiſtens dem Lichte
homogener, daher das mannichfaltige Far-
benspiel ihrer Oxyde, Erze und selbſt der
Könige: der Glanz aber iſt vollkommenes
Zurükwerfen des Lichts, wie bei den wei-
ſsen Erden nur mit dem Unterschiede,
daſs dieses Phenomen zwischen zwei
schief entgegengesezten Functionen ſtatt
findet; es iſt ein Mangel des dynamischen
Verhältniſſes zum Lichte, daher ein me-
chanisches Zurückwerfen deſſelben, der
Glanz iſt für die Metalle das, was die
C 2wei-
[36] weiſse Farbe für die Erden iſt, er iſt me-
tallisches Weiſs.
Die Lage, welche Eisenfeilspäne um
einen Magnet annehmen, iſt deutlich pa-
rabolisch. Diese Form findet ſich selbſt
im Erdmagnetismus wieder, wo von Nor-
den nach Süden ein Schenkel über Aſien
Borneo etc., der andere über Amerika
läuft. Es iſt zu bemerken, daſs gerade da,
wo diese Linien ohne Abweichung der
Magnetnadel laufen, die beiden Erdconti-
nente liegen. Beim Zuge der Vögel wer-
de ich wieder darauf zurückkommen.
Die Metalle dürfen schlechterdings
nicht nach dem Princip der Linie geord-
net werden; denn ſie ſind ja keine Erden,
ſie ſind ja nicht die materialiſirte Linie der
Natur. Die hierüber gemachten Versuche
zeigen auch deutlich durch ihr Miſslingen,
daſs ſie nach einem andern Geseze geſtellt
sein wollen, denn Eisen und Quekſilber,
Gold, Platin, Silber, Kupfer, Blei, Arsenik
etc. liegen keinesweges zwischen zwei Po-
len einer Linie. Die Eigenschaften der
Parabel laſſen ſich in den Metallreihen
nicht
[37] nicht verkennen, da im Eiſen offenbar die
Linie, die Achse vorzugsweise, im Quek-
ſilber der Focus, in den andern Metallen
die Schenkel nachgebildet ſind. Daher iſt
Quekſilber das Centrale aller Metalle, wie
es die Alchymiſten schon als Merkurial-
waſſer mit tiefem Sinne erkannten, und
dennoch behauptet das Eisen als die ſtarre
Achse die Mitte der Metalle. Sie ſind alle
Metamorphosen des Quekſilbers: Das Ei-
sen selbſt iſt das erſtarrte, aber ohne alle
Differenzirung [erſtarrte] Quekſilber, es iſt
Hydrargyras martis, und so können ſie auch
Metamorphosen des Eisens heiſsen.
Wenn ich die Metalle die herauf ge-
ſtiegenen oder die reducirten Erden nenne,
so iſt es nicht zu verſtehen, als wenn die-
se ſich wirklich durch einen Proceſs in
Metalle verwandeln lieſsen. Diese Ver-
wandlung iſt nur bei der Urverwandlung,
bei der erſten Schöpfung geschehen, und
geschieht nimmermehr, ſo wenig als die
Linie ſich wirklich in Parabel umändert.
Aus der Idee der Mathematik löst ſich Li-
nie und Parabel, jedes als eine eigne Func-
tion los, ebenſo in der Natur Erden, Me-
tal-
[38] talle, Luft, Schwefel, doch aber ſo, daſs
ſie deutlich Erſtarrungen Einer Function
ſind, die bei ihrer erſten Production Erde,
bei der zweiten Metall hervorbrachte, die
entgegengeſezte Function war zuerſt Luft,
was in ihr übrig blieb, schied ſich als
Schwefel und endlich als Pflanze aus.
II Figur.
Hyperbel — Electrismus — Schwefel.
Daſs Schwefel als idiolectrischer Kör-
per mit allen seinen Modificationen der
Erdharze, der materiale Repräsentant des
Electrismus iſt, bedarf wohl keines Bewei-
ſes, ebenso wenig, daſs er den entgegen-
gesezten Pol der Metalle bildet, die er wo
es ihm nur möglich iſt, nicht durch chy-
mische, sondern durch electrische Action
gänzlich tödtet, wie im Kupferkies, Eiſen-
kies, Zinober etc. und eben daher in die
homologe Reihe mit der Luft fällt, nur
aber als secundare Materie dieser Reihe als
Luft2, da er nicht mehr so rein den Raum
als das Expanſivſte, wie die Luft darſtellt,
aber es gleich wohl durch seine Flüchtigkeit
zu erreichen sucht, auch nur eine den
drei
[39] drei Hauptmaſſen, Erden, Luft, Waſſer
untergeordnete Maſſe iſt, die ihre Wirk-
samkeit mittels dieser erhält.
Ich weise wieder zurück auf das Lei-
ten der Wärme und des Lichts, und glau-
be jenen Säzen noch dadurch Kraft zu
geben, daſs eben der Schwefel als das
Gleiche des Electrismus gegen dieſen ſich
als abſoluter Nichtleiter verhält, weil er
durch und durch selbſt der erſtarrte Elec-
trismus iſt, dagegen ſind die entgegenge-
sezten Metalle die vorzüglichſten Leiter
dieſer Function, wie ſie es mit ihren Er-
den auch der Wärme ſind.
Es iſt merkwürdig daſs der Schwefel
ſich der gelben Farbe bedient, um die
Stuffe seiner Exiſtenz darzuſtellen, und
mithin in Bezug auf die homologe Luft,
die mit der blauen Farbe gegen das Periphe-
rische neigt, ſich dem Rothen, dem ſtar-
reren Farbenpole nähert, zwischen welche
Farben dann ſich die Pflanze, als das
Dritte der Luft und des Schwefels, mit
dem die Indifferenz bildenden Grün ſezt.
Wie
[40]
Wie das Feuer eine innere Heteroge-
neität iſt, ſo auch der Electrismus; nur
iſt es dieser als eine Action der zweiten
Stuffe weniger innig, seine Pole heben
ſich nothwendig ſtärker heraus, ſie ſind
gleich der Hyperbel immer getrennt, ob-
schon vereinigt, und in diesem endlosen
Einigen und Trennen beſteht diese Func-
tion. Auch für ſie iſt die Luft ein Nicht-
leiter, weil ſie zu gleicher Reihe gehört,
und eben so der Schwefel für Licht und
Wärme. Das Waſſer aber behauptet auch
hier seine Indifferenz, doch iſt es des Elec-
trismus empfänglicher als der metallischen
Action, oder des Magnetismus. Dieser iſt
bekanntlich nur lebendig in der ſtarren
Welt, der Electrismus aber gleich dem
Lichte und der Wärme überall da, wo die
Starrheit zur Flüchtigkeit ſollicitirt wird,
aber eigenthümlich in Materien der zwei-
ten Stuffe. Ich sage nichts mehr [über]
Electrismus, da Schelling ihm seine Stelle
in der Walt wie dem Magnetismus und
Chymismus ſchon lange angewieſen und
nun Ritter seine Entgegengeseztheit mit
dem Magnetismus vollkommen bewährt
hat.
Die
[41]
Die Inflammabilien dürfen nun wie-
der nicht nach der bloſsen Linie einge-
theilt, oder gar zu andern Hauptmaterien
geworfen werden, da ſie erwiesen einen
ganz eignen Naturabschnitt bilden, nemlich
den electrischen, der denselben Werth
und dieselbe Eigenthümlichkeit hat als der
magnetische, der phlogiſtische oder Luft-,
der cohäſive oder Erd-Proceſs[.] Die In-
flammabilien müſſen nach den Theilen der
Hyperbel, deren Abbilder ſie ſind, einge-
theilt werden.
III. Figur.
Eiform — Chymismus — Salz.
Diese Function iſt die zweite Synthe-
se der Natur, die Schwereaction auf der
zweiten Stuffe, das Salz iſt das Waſſer2.
Wie dieſes die Erden und die Luften be-
herrscht, so das Salz zunächſt Metalle
und Schwefel, und eben daher auch die
untern Erden.
Waſſer und Salz, oder Meerwaſſer, iſt
das Generalagens der Natur; durch dieses
ſind alle Proceſſe vermittelt, die Erde er-
hält
[42] hält und erneuert ſich in ihm, und giebt
ihm seine unbrauchbar gewordenen Stoffe
zurük. Der Chymismus iſt der wahre
Verdauungsproceſs der Natur.
Es iſt oben schon berührt worden,
daſs viele Formänderungen der Materie
mit dem Namen des chymischen Proceſ-
ſes belegt werden, welches aber blos da-
her kömmt, daſs die Functionen der Na-
tur noch nie klar erkannt und von einan-
der geschieden wurden. Hier, wo der
Chymismus seine wahre Stelle erhalten,
wo er als eine einzelne, obgleich totale
Grundfunction charakteriſirt iſt, leuchtet
es von selbſt ein, daſs ſo genannte Auflö-
ſungen in Waſſer, wie Gummen, Erden, etc.
oder Harze in Weingeiſt, nichts mit dem
Chymismus gemein haben.
Der Repräsentant der Salze überhaupt
iſt das gemeine Kochsalz; es iſt nicht nur
das allgemeine Verdauungsmittel des Thier-
reichs, sondern auch das am allgemeinſten
verbreitete, und ein wesentlicher Beſtand-
theil des Meers, welche Mischung in die
groſse Oekonomie der Natur gehörend, an
kleine
[43] keine zufällige [Auflösung] einer Sandbank
durch das Meerwaſſer denken läſst, um
so weniger, so bald der Chymismus als ein
Weltphenomen gleich dem Magnetismus,
Electrismus etc. aufgefaſst wird.
Die Salzsäure iſt daher das Ideal der
Säuren, die reinſte Erhebung des Waſſers
zur chymischen Stuffe, ebendaher ihre Un-
bändigkeit in der Zerlegung und die Un-
gewiſsheit, in der ſie die Chymie über ih-
re Beſtandtheile läſst, obschon ſie die-
selben hie und da als Waſſerſtoff erbliken
lieſs, was ſie auch gemäſs der Reihe in
der ſie liegt, als höheres Waſſer ſicher ent-
hält, um in der Sprache der franzöſischen
Chymie zu reden, aber im wahren
Sinne so gut einfach als das Waſſer,
nemlich ein Erdelement iſt, nur wird
ſie nach Verschiedenheit der Begeiſtung
bald auf diesen bald auf jenen Pol ge-
bracht werden können, wie ſie denn wirk-
lich den Chymiſten schon Metall in Hän-
den lieſs; es iſt nicht unmöglich die Zeit
noch zu erleben, wo ſie auch Schwefel
darinn werden gefunden haben.
Da
[44]
Da diese Säure das Princip aller Säu-
ren iſt, so können diese nur Muriaten von
ihr sein. So kann man im höhern Sinne
die Schwefelſäure allerdings Murias sul-
phuris nennen, so die Stikſtoffsäure ſtatt
Hydras, Murias nitrogenii etc., denn alle
ſind ja nur Metamorphosen der Salzsäure.
Das Waſſer selbſt iſt eine Murias auf der
unterſten Stuffe.
Mit dieser Figur der Matheſis iſt das
lezte Element der Erde gefunden. Sechs
Elemente hat die Natur in ſich hervorge-
bracht, und sechs Grundqualitäten hat
ſie an diese Elemente gebunden. Jede
Function iſt eine eigne Qualität der Welt,
jede Qualität hat ſich aber in eine eigne
Materie gebildet, daher iſt Wesen und
Zahl der Materien auch Wesen und Zahl
der Qualitäten; diese ſind nicht von der
Materie verschieden, nichts ihr blos von
der Fremde her eingepflanztes, ſie hat kei-
ne Qualität, sondern ſie iſt Qualität; diese
kann nicht entzogen werden, ohne die Ma-
terie selbſt zu verwandeln, Qualität und
Materie und Function und Figur ſind eins.
[45]
III. Stuffe.
I. Figur.
Konus — Galvanismus — Korall.
Wir [befinden] uns nun in einer Welt,
in der alle sechs Elementaractionen ſich
vereinigen, um ein gemeinschaftliches
Product hervorzubringen, das aber, unge-
achtet dieser Totalität[,] doch die Functio-
nen der Starrheit am vortrefflichſten in
ſich ausgebildet trägt, die Erdigkeit und
Metallität ſind daher der Hauptcharakter
dieser Naturaction, aber beide ſind doch
nur thätig im Conflicte mit allen übrigen,
deswegen iſt diese Function begleitet von
Licht und Wärme, von Electricität, vom
Chymismus und nothwendig auch vom
magnetischen Proceſſe, obgleich noch nicht
bemerkt; ſie erſtikt, wenn ihr die Luft
entzogen wird, ebenso ohne Waſſer —
diese Action nennen wir Galvanismus.
Er
[46]
Er iſt alſo auch eine allgemeine und
eigne Naturaction, wie Electrismus und
Chymismus, er fällt in eine polare Reihe,
nemlich in die poſitive, und iſt so die
Cohäſions- oder magnetische Action auf der
dritten Stuffe, vermittelt durch die andern
Actionen, besonders durch den Chymismus.
Auf dieser Anſicht beruht die voltaische
Säule, ſie ſteht höher als Electrismus und
selbſt als der Chymismus, und erhält ihre
gröſste Energie durch Erbauung aus Me-
tallen.
So bald ſich die sechs Grundactionen
der Natur auf eine totale, innere Weise
vereinigt haben, iſt beſtändige Thätigkeit
in ihnen, und zwar in ununterbrochener
Kette — eine solche Synthese der Natur iſt
ein Organismus. Ritter hat es bewie-
sen, daſs ein beſtändiger Galvanismus den
Lebensproceſs begleite, auch umgekehrt
lieſs es ſich bewei[s]en, daſs der Lebenspro-
ceſs nichts als ein beſtändiger Galvanismus
sei.
Wir ſind daher mit dieser Figur zu
der organischen Welt aufgeſtiegen, und
hie-
[47] hiemit beginnt nun eigentlich unser Ge-
schäft.
Es iſt klar daſs eine einzelne Naturac-
tion, wie die vorhergehenden ſind, keine
lebendige Action im Kreise hervorbringen
könne, da ja eine solche nothwendig das
Wechselſpiel der andern erfordert, daher
ſind eben so nothwendig die verfloſſenen
Figuren Schemate von unorganischen Ma-
terien, und eben so klar ſieht man nun
ein, daſs es deren nur ſechs gehen kann,
nemlich dreimal zwei, weil zwei allein
keinen Kreis bilden und nicht organisch
sein können; so bald aber die Welt mit
den drei Reihen, mit der poſitiven, nega-
tiven und der synthetischen zur dritten
Stuffe geſtiegen iſt, wo jede Reihe ihr drit-
tes, eine Kette bildendes Glied erhält, so
beginnt der Puls, und das Leben iſt auch
im Individuellen erschaffen, da zuvor nur
der Weltorganismus lebendig war; der or-
ganisirte Leib iſt das Leben der einzelnen
Leben.
Ieder Organismus iſt eine Nachbildung
des Gesammtorganismus der Natur, aber nur
der
[48] der synthetische iſt das getreueſte Gleich-
bild, denn der auf der poſitiven Reihe iſt
zwar auch Nachbild, was Organität über-
haupt betrifft, aber dieses nur mit dem
Uebergewichte der Starrheit; so muſs es
einen Organismus geben mit dem Ueber-
gewichte der Negativität, der Anticohärenz,
welches, wie wir schon anticipirt haben,
die Pflanze iſt; der synthetische Organismus
endlich iſt der der Thierheit.
Das Vorbild dieses Naturmomentes iſt
eine Triplicität, nemlich zweier heteroge-
ner Metalle und der Flüſſigkeit; ebenso iſt
die materiale Production dieses Moments,
die Welt der Korallen auf die Dreiheit
gebaut; jeder Korallenſtamm beſteht aus
einer Triplicität der Stoffe, aus abwech-
selnden Lagen von Kalch, Horn und Gal-
lerte, in welcher die galvanische Action al-
lein durch Bewegung kann ſichtbar wer-
den. Dieses dritte synthetische Glied des
Koralls heiſst gewöhnlich Polyp oder Ko-
rallenblüte — ein Korallenſtamm iſt eine
lebendige galvanische Säule.
Die-
[49]
Diese galvanischen Organisationen ent-
sprechen vollkommen der Reihe der
Starrheit, ſie ſind als Erde3 kaum vom
Tode losgewundene Steine, ja ihr Fuſs
[coin]cidirt noch selbſt mit diesem Reiche;
ewig in dieses feſtgewurzelt erheben ſie
ſich in konischen Plattenpaaren durch-
ſtrömt vom Galvanismus der Natur, wel-
cher das Bewegliche in ihnen vorzüglich
belebt. Die Korallenblüten ſind ganz und
gar keine Thiere, auch keine Pflanzen,
sondern nur der Repräsentant der Flüſſig-
keit in der galvanischen Säule, welche
aber mittels der galvanischen Action ver-
mögend sind, sich zu verlängern und zu
verkürzen, andere Materien, Nahrung mit
sich zu vereinigen, sich in mehre Theile,
Körner etc. zu spalten, und so wieder
das flüſſige Zwischenglied eines andern
galvanischen Stammes zu werden.
Dieses iſt die ganze Fortpflanzungs-
weise der erſten Organismen, ein bloſses
Trennen ihrer selbſt; denn wie sollte in
ihnen Begattung möglich sein? da sie ja
selbſt nur Ein Pol der Organisation sind,
folglich den andern gar nicht kennen,
Ddie-
[50] dieser auch wirklich nicht in sie eingreift,
wodurch doch alle Begattung erſt mög-
lich wird, ja diese selbſt iſt nichts anders
als die Synthese der Hauptpole der Na-
tur — kein polarer Organismus kann sich
daher begatten und in der Welt der Ko-
rallen oder der Polypen giebt es nirgends
etwas Aehnliches.
Da diese gallertartige Subſtanz die gal-
vanische Flüſſigkeit, mithin das Syntheti-
sche der Polypenwelt iſt, aus dem diese
sich immer ersezet, aus der wieder ein
ganzer Korallenſtamm emporwächſt, da
ferner diese Organisation die erſte der Na-
tur iſt, und sie sich folglich zu den fol-
genden Organisationen verhält, wie die
Erden zu der übrigen unorganischen
Welt, nemlich als Entſtehungsprincip für
alle unorganische Materien; so iſt auch
diese gallertartige, körnige Subſtanz das Ur
aller Organismen — wie das Unorganische
aus der Erde entſtand, so das Organische
aus der Erde der dritten Stuffe, aus der
galvanischen Erde.
Die
[51]
Die körnichte Maſſe der Poly-
pen, oder wie wir es auch mit Ein-
willigung der Naturforscher nennen kön-
nen, die infusoriale Maſſe iſt das Ur
aller Begattung, sie geht aller nothwendig
vorher, ſie selbſt iſt in aller organischen
Entſtehung das Materiale, welches sich in
die organischen Gebilde metamorphosirt,
welches die unorganischen Maſſen der Er-
den, Luften, des Waſſers, der Metalle, der
Schwefle und der Salze sammelt und sie
zwingt, sich zum organischen Stamm zu
ordnen, den sie dann als das rein Leben-
dige bewohnt, freilich, nach Verschieden-
heit der Reihe, auf der das Gebäude
ſteht, bald als Korall, bald als Pflanze,
und endlich wenn sie sich zur Mitte zu
arbeiten vermochte, als Thier.
Von diesen erſten Organisationen der
positiven Reihe der Natur muſs alle Zeu-
gungstheorie ausgehen, und so die Zeu-
gung der beschränkten, individuellen An-
sicht entreiſſen, und sie zu einem gene-
ralen Weltphenomen erheben, zu dem
schon in der erſten Production der Ma-
terie die Anſtalten getroffen worden, um
D 2durch
[52] durch Erden und Metalle zu dem Uror-
ganismus zu gelangen, von dem die Na-
tur endlich, obgleich er nur einen Pol re-
präsentirt, doch durch Potenzirung der
entgegengesezten Reihe, der Luft und des
Schwefels zu der höchſten Production des
Geschlechtes, welches nur in der Syn-
these beider Pole möglich iſt, emporſteigt.
Wie die Welt verfahren habe, wie sie
ihre männlichen Geschlechtstheile durch
Erde, Metall zu Korall, ihre weiblichen
durch Luft, Schwefel zu Pflanze, und so
beide zum synthetischen Thier, das als
der einzige Zwitter beide Welten männ-
liche und weibliche in sich trägt, erho-
ben, habe ich in meiner Schrift über die
Zeugung ausführlich gezeigt, und überge-
he es daher hier billig, zufrieden damit,
daſs ich die Stelle angegeben habe, auf
der dieses [Naturphenomen] beginnt.
Der Ausdruk, die Erde und das Me-
tall sind [aufgeſtiegen] zu Korall, behauptet
so wenig, die Erde als solche habe sich
wirklich in das Korall verwandelt, als er
oben behauptete, sie sei zu Metall, oder
die
[53] die Luft zu Schwefel geworden, wo ich
doch mit vollem Rechte sagte, das Metall
iſt die höhere Erde, und die Luft iſt der
herabgesunkene Schwefel; ebenso sage ich
nun mit vollem Rechte, die organische
Welt iſt die über sich gehobene unorgani-
sche, die Korallenwelt iſt die Synthese des
Metalls und der Erde etc.; alles iſt im
philosophischen Sinne zu nehmen, und
dann jedem höchſt verſtändlich. Wer chy-
misch die Erde im Metall oder die Luft
im Schwefel suchen wollte, würde sie
freilich nicht finden, und daher diese Be-
hauptungen für falsch halten, in welchem
Sinne sie es allerdings sind, aber nicht
in dem Sinne, in dem die Alchymiſten be-
haupteten, das Queksilber sei das Radicale
aller Metalle, zu dem keine Chymie mehr
reicht.
Die Korallen sind wahrhaft weder
Thiere noch Pflanzen, ihre äuſſern Bede-
kungen so wohl als ihre innerſten Einge-
weide sind verſteinert, ihre lebende Natur
täuscht eben deswegen mit thierischem
und pflanzlichem Colorite, weil sie unter
beide erniedrigt, weil sie der Anfangspunkt
der
[54] der organischen Maſſen sind, und daher
den Keim zu Pflanzen und Thieren, ich
möchte mit den Evolutioniſten sagen, ein-
geschachtelt in sich pflegen. Es iſt beina-
he [unbegreiflich], daſs man die Polypen
vorzüglich deswegen für Thiere hält, weil
sie sogenannte [willkührliche] Bewegungen
äuſſern, als wenn die Bewegung nicht vor
aller Idee der Thierheit entſtände, als
wenn sie nicht grade eben das wäre, was
das eigentlich Unthierische in der Natur
iſt, als wenn sie nicht Phenomen der
ſtarren, polaren Reihe wäre, und eben
deswegen hervorbrechen muſs, wo die bei-
den ſtarren Elemente sich vereinigen, und
ebenda unterdrükt sein muſs, wo der Or-
ganismus dem (galvanischen) Bewegungs-
proceſs der Natur entgegenſteht, wie es in
den Pflanzen iſt.
Ihr Uebergehen in die Pflanzenwelt
erweist sich am unwidersprechlichſten
beim Entſtehen der Tremellen, bei dem
Wechsel der priestleyischen grünen Mate-
rie bald in Infusorien, bald in Kryptoga-
men. Diese sind so wenig Pflanzen, als
die Infusorien Thiere, aber den schon
ent-
[55] entschiedenen Uebergangspunkt in Pflan-
zen bezeichnen sie allerdings, und sind
eben daher keine Kryptogamen, sondern
wahre Agamiſten.
Da das Infuſorium in seiner vollende-
ten Exiſtenz als Korall auftritt, und die-
ses als eine Triplicität der Functionen
und Materien beſteht, welche sich als
Kreislauf ausdrükt, so sehen wir hier
schon zum [Voraus], daſs das, was in den
spätern vorkommenden Organisationen
als Kreislauf wird ausgebildet werden, ei-
gentlich ein Nachbild des Synthetischen
dieser Naturfunction, der Korallenwelt iſt.
Diese sind das erſte Lebendige der Natur
nur durch den Kreislauf, daher wird die-
ser in allen Organisationen das Lebendige
vorzugsweise, und wie Akermann gezeigt
hat, unabhängig von den andern Syſtemen
sein, und wegen seiner Erſtheit allen ü-
brigen als das Ernährende zu Grunde
liegen.
Das Flüssige hat keine eigne selbſt-
ſtändige Form, es wird nur durch das Fe-
ſte getragen, dieses aber, als einen Orga-
nis-
[56] nismus mit dem Flüssigen bildend, iſt
nothwendig Gefäſs; daher fangt jede Or-
ganisation mit dem Gefäſsbau an, ver-
mittelt durch erdische und metallische
Action.
Das Metall iſt die secundare Erde, es
iſt in diese wie eingegoſſen, da es nur nach
einer beſtimmten Richtung, nach der mag-
netischen projicirt iſt, die Erde aber iſt
das Universale aller Materien, die nur
durch ſie Haltung und Stelle erhalten, ſie
iſt das Behältniſs aller Materien, daher iſt
sie es auch in den organiſchen Reichen,
dem getreuen Nachbilde des groſsen Na-
turreichs. Gemäſs der Erdaction erhält
der Organismus seine [Begränzung], seine
Bedekung, gemäſs der Metallaction sein
determinirtes ſtarres Syſtem, und gemäſs
der galvanischen Function, oder dem ei-
gentlich Synthetischen der Korallenwelt,
das Gefäſssyſtem.
Bedekendes, ſtarres und Gefäſssyſtem
liegen also auf der positiven Seite der
Natur, dieſe hat aber in sich das Princip
der Zeit, der Bewegung, daher werden auch
die
[57] die drei genannten Syſteme im Organischen
die eigentlichen Organe der Bewegung
sein, und nun wird man einsehen, daſs
die Bewegung die Polypen nicht zu Thie-
ren ſtempelt.
Die Bewegung iſt nothwendig durch
das Synthetische vermittelt; das Gefäſssy-
ſtem iſt daher das primare Bewegungssy-
ſtem, das ſtarre aber und das bedekende
sind das secundare, man kann auch jenes
das active, dieses das passive nennen.
Es wird sich erſt später ganz deutlich
[zeigen], daſs das männliche Geschlecht die
positive Reihe der Natur in sich repräsen-
tirt, das weibliche die negative, wir kön-
nen daher die Korallenwelt im genaueſten
Sinne die männliche Organisation nennen,
und so fängt aller Organismus, ja selbſt
alle Natur mit der Männlichkeit an. „Das
männliche Geschlecht iſt durch die ganze
Natur das belebende oder zeugende. Dem
weiblichen iſt das Geschäft der Pflanze,
die Ausbildung durch den höhern Cohä-
ſionsproceſs übertragen”.
Die
[58]
Die Vermehrung der Polypen iſt da-
her als eine bloſs männliche Function auf-
zufaſſen; ſie zerfallen in einzelne Punkte,
ein wahres Zerflieſsen des männlichen
Samens in mehrere Theile, wo jeder
schon für sich das Synthetische des Orga-
nismus repräsentirt, und daher das Unor-
ganische sich aneignet, um so wieder ein
Polypenſtamm zu werden. Die Infusorien
sind daher der Samen für alle Organisatio-
nen, und ohne sie kann keine hervorge-
bracht werden.
Nach derselben Ansicht sind Bedekung,
feſtes und Gefäſssyſtem die männlichen Or-
gane; diese werden daher in dem männ-
lichen Geschlechte vorzugsweise ausgewirkt
sein, hingegen im weiblichen müssen sie
von den Organen der negativen, expan-
siven Reihe beherrscht werden.
II.
[59]
II. Figur.
Sphære — Vegetatismus — Pflanze.
Wie die Korallenwelt nur ruhet auf
Erde und Metall, so diese auf Luft und
Schwefel; alle Processe der Pflanze sind
entweder Luft Licht-Wärme- oder elec-
trische Proceſſe, denn Pflanze = Licht3
oder Schwefel2. Die Organe der erſten
Action sind die Oberflächen, die der lez-
ten aber die Blätter als die tafelförmigen
Electrophore, die jede electrische Verände-
rung der Natur aufs genaneſte anzeigen,
die Synthese endlich, welche der Gallerte
der Korallen entspricht, sind die Blüten;
sie gehen durch alle Differenzen des
Lichts und vermitteln die Vermehrung der
Pflanzen vorzugsweise.
Obgleich die Pflanze ganz der Luft hin-
gegeben iſt, und sie in unaufhörlichen
Luftproceſſen, in Einsaugungen und Aus-
dünſtuugen Leben erhält, so iſt ſie doch
als Organismus der negativen Reihe ge-
gründet auf die Erde, als das Erſte der
Materie, und daher in diese feſtgewurzelt,
wodurch sie alle Selbſtſtändigkeit verloren,
im-
[60] immer nur durch fremde Influenz wirksam
sein kann. Das Korall iſt zwar auch an
die Erde gefesselt, aber diese iſt ihm
nicht eine fremde Welt, es iſt ja die Erde
selbſt, nur zum Organismus geſteigert, da
hingegen die Pflanze die organisirte Luft
iſt.
Die Pflanze iſt ganz weibliche Natur;
iſt nun von selbſt klar, da sie das Entge-
gengesezte der Polypen, des Positiven,
des ursprünglich Activen iſt. Wenn sie in
der Blüte männliche Organe zeigt, ge-
schieht es auch blos wegen der Unselbſt-
ſtändigkeit dieser Naturreihe, die selbſt,
um nur auf weibliche Art wirken zu kön-
nen, die Influeuz der Infusorien nöthig
hat; die Stanbfäden ſind daher nur in so-
fern in der Pflanze, insofern das Negative
ohne Positives nicht beſtehen kann, inso-
fern der Diameter zum Wesen des Kreises
nothwendig iſt, Wegen dieser Fremdheit
werden auch die männlichen Geschlechts-
theile der Pflanzen sogleich abgeworfen, so-
bald sie die weiblichen in Action gesezt
haben, und nun iſt die Pflanze in der Sa-
men-
[61] menkapsel ein durchaus weiblicher Orga-
nismus.
Vom erſten Regen an iſt die Natur
schon wahrhaft doppeltes Geschlecht, aber
sie iſt es immer getrennt, und erſt in
dem Korall und in der Pflanze gelingt
es ihr, wenigſtens die Factoren Eines Ge-
schlechtscharakters zu vereinigen, bis es
ihr endlich erſt im Thiere ganz gelingt,
beide Geschlechter selbſt auf Einen Stamm
zu pfropfen. Weiter kann die Natur nichts
mehr hervorbringen, da sie ja die höchſte
Synthese hervorgebracht hat, und keine
Materien mehr enthält zu neuen Synthe-
sen, aber auch weiter zurük kann sie
nicht gehen, als auf zwei Factoren des
Geschlechts; so von den Korallen zu Me-
tall und Erde, von den Pflanzen zu
Schwefel und Luft, denn so bald zwei
solcher Factoren vereinigt sind, iſt ein Ge-
schlecht, iſt ein Organismus da: lägen vor
den Erden und der Luft noch mehr Na-
turmomente, so müſsten sie ja selbſt schon
Synthesen sein, und so wäre die Luft
schon der weibliche Organismus, folglich
die Pflanze, und mithin das dieser orga-
ni-
[62] nischen Luft zu Grunde Liegende schlecht-
hin nichts anders, als die eigentliche Luft
und der Schwefel. Es giebt daher absolut
nur sechs unorganische Naturmomente,
und ebenso nothwendig nur drei organi-
sche, da ja ihre erſte Vereinigung schon
Organismus iſt, die Synthesirung aber nur
drei Richtungen zuläſst, die männliche,
weibliche und einen Zwitter.
Wie in der Luft und im Schwefel das
Feuer seine Arbeitsſtätte hat, so wieder in
den Pflanzen; wie jene so sind aueh diese
Nichtleiter, und zwar für Wärme wie für
Licht sehr vollkommen, denn die grüne
Farbe iſt die totale Ruhe, die Mitte aller
Lichtaction; daſſelbe gilt von der Electri-
cität.
Insofern die Pflanze der Luft und der
Erde hingegeben iſt, kömmt ihr eine Func-
tion der Oberfläche, der Rinde, der Haut
zu; die Hantfunction iſt daher die erſte
in der weiblichen Reihe; Inſofern sie der
Electricität nachgebildet iſt, hat ſie beson-
ders den Blätterbau, der nothwendig von
der Function der Rinde verschieden iſt;
die
[63] die Synthese beider aber entspricht dem
Kreislauf der Korallen, iſt folglich das Ge-
fäſssyſtem, aber da der Pflanzencharakter
der entgsgengesezte des Galvanismus iſt,
und dieser nur in geschloſsener Kette
wirkt, so konnte das Gefäſssyſtem der Pflan-
zen nicht ein in sich selbſt zurükkehren-
des sein, sondern nur mit fremden Polen,
mit Luft und Erde einen Galvanismus
bilden. Nirgends zeigt sich die Feindschaft
des Galvanismus und der Pflanzen auf-
fallender, als wenn eine der leztern in die
Kette der voltaischen Säule gebracht wird;
ihr Wachsthum gewinnt dadurch nicht
nur nicht an Energie, sondern nimmt so-
gar eine umgekehrte Richtung, indem der
Vegetationsproceſs direct gehemmt wird:
Freilich sind die Versuche noch nicht mit
der gehörigen Abwechslung gemacht, daſs
man diesen Gegensaz in der Erfahrung für
conſtant annehmen könnte.
Man kann füglich das Kreislaufsyſtem der
Pflanzen ein Lymphsyſtem nennen, da nir-
gends für dieses ein Centralorgan iſt, welches
ihm galvanische Natur mittheilte, es iſt daher
ewig vergebens in den Pflanzen ein Herz
zu suchen, da dieses als ein Attribut des
Gal-
[64] Galvanismus nothwendig verschwindet, wo
er zerſtört iſt.
In den Pflanzen haben wir nun wie-
der drei Syſteme, das Haut-Blat- und
Lymphsyſtem. Das erſte iſt das direct
Heterologe der Bedekung, das zweite des
ſtarren Syſtems, das dritte endlich des
Kreislaufs. Da der Charakter des Lymph-
syſtems ein secundarer, ein weiblicher iſt,
so folgt unmittelbar, daſs es nicht das Ge-
schäft der Reproduction über sich hat, was
ſich in der Folge noch deutlicher zeigen
wird. Die Pflanzen ſind es auch gerade,
welche, freilich gegen die allgemein ange-
nommene Meinung, nicht eine Spur von
Reproduction zeigen, denn ein abgeschnit-
tener Theil, sei es Blatt, Zweig, Blüte
oder was ihr wollt, ſtellt ſich nimmermehr
her. Ein Fortwachsen ſind ſie, aber
kein Reproduciren irgend eines ver-
lezten Theils, ſtatt deſſen treiben andere
Schöſslinge hervor.
Die Eintheilung der Pflanzen kann
nicht zunächſt von den Geschlechtstheilen
ausgehen, sie muſs sich vorzüglich auf
die
[65] die Blüte und Blätter legen; im Ganzen
aber sind alle Pflanzen nur Metamorpho-
sen der Syngenesie hier iſt vereinigt, was
in den andern zerfallen blüht; die Bedeu-
tung der Fünfzahl, den Pflanzen so unab-
änderlich heilig, muſs auch noch in der
Mathesis ihre Auflösung finden, sie liegt
ohne Zweifel unter dem aus Pentagonen
beſtehenden Dodekaeder, als der kryſtal-
lisirten Sphäre, verborgen.
Wir haben nun vier organische Func-
tionen nachgewiesen, welche den vier un-
organi schen, polaren vollkommen entspre-
chen, die beiden synthetischen aber sind
schon der organischen Welt eigenthümlich,
der Kreislauf dem Korall, das Lymphsy-
ſtem der Pflanze.
Es fehlt uns nur noch ein Organis-
mus, der die Function des Waſſers und
des Salzes nebſt ihrer Synthese aufweist,
dieser aber kann, wie begreiflich, nur ein
synthetischer sein.
EIII.
[66]
III. Figur.
Synthese des Konus mit der Sphære,
Animslismus — Thier.
Diese Function iſt die Synthese des
Koralls und der Pflanze und mithin der
ganzen Natur. Es muſs sich daher alles
in ihr wiederholen, was wir bisher als po-
lare oder als indifferente Function gefun-
den haben. Sie iſt die höchſte, lezte Blüte
der Welt, sie sieht, indem sie sich er-
blikt, die vereinten Glieder der Natur,
und indem sie diese sieht, erblikt sie
ewig nur sich selbſt zerlegt.
Eigenthümliche Syſteme müſſen sein,
Bedekung, ſtarre Organe, Kreislauf, dann
Haut, electrisches Organ und Lymphsyſtem,
zu diesen müssen noch kommen der Pro-
ceſs der Waſſerbildung (Schwereproceſs),
der Chymismus und ihre Synthese, so daſs
diese neunte Function durch neun Grund-
syſteme vollendet, über aller Natur, über
allen einzelnen Syſtemen erhoben ſteht —
dieser Organismus heiſst Thier.
Eh
[67]
Eh ich weiter gehe, muſs ich auf das
Ideale des Thiers aufmerksam machen.
Ich habe gezeigt, daſs allen Hauptmate-
rien der Natur ein eigner Geiſt vorſteht,
der sich bei den Erden als Cohäsion, bei
der Luft als Feuer, beim Waſſer als Schwe-
re, beim Metall als Magnetismus, beim
Schwefel als Electrismus, und beim Salz
als Chymismus offenbaret, ja selbſt in dem
erſten Momente der organischen Welt sa-
hen wir die über dem Korall thronende
Naturthätigkeit als Galvanismus; in den
Pflanzen habe ich zwar das geiſtige Phe-
nomen der Pflanzenwelt Vegetatismus ge-
nannt, aber ich muſs es noch als Problem
ſtehen laſſen, welches diese eigne der
Pflanzenwelt entsprechende Naturthätig-
keit sei, indessen bin ich durch die Wis-
senschaft feſt überzeugt, daſs eine solche
müſſe vorhanden sein, aber in der Erfah-
rung finde ich durchaus keine Belege da-
zu, und selbſt nicht einmal eine Aeuſſe-
rung, wodurch man auf den Gedanken,
eine solche Action zu vermuthen, kommen
könnte. Mögen daher die Pflanzenphy-
siologen darauf bedacht sein, dieses Phe-
nomen aufzufinden.
E 2Bei
[68]
Bei dem Thiere aber halt ich dafür,
daſs der Mesmerismus (der unrecht und
ungerecht sogenannte thierische Magne-
tismus) dieser Geiſt sei, welcher als Ani-
malismus über dem Thierreiche schwebt
wie der Magnetismus über den Metallen,
und die bisher so geheimniſsvollen Pheno-
mene bei [Menschen][und] Thieren, wo-
hin ich vorzüglich den Trieb der Zugvö-
gel und der Zugfische, und den Trieb zum
Win terschlaf rechne, hervorbringt.
Es hebt ſich aus der Stelle, die das
Thier in der Welt einnimmt, von ſelbſt
heraus, daſs es beide Geschlechter zugleich
in ſich trage, da es die Synthese der männ-
lichen Korallen und der weiblichen Pflan-
zen iſt; auch iſt die Frage gelöst, warum
das Geschlecht an zwei Individuen geknüpft
sei, denn es iſt ja nichts anders als die
durch die ganze Natur greifende Zweiheit,
ja der Anfang der Natur ſelbſt iſt ſchon
getrenntes Geſchlecht, nur getrennter je
unorganiſcher ſie iſt. Der Act der Begat-
tung iſt daher die höchſte Synthese der
Natur als Geschlecht, und exiſtirt nur im
thierischen Organismus, der allein beide
Ge-
[69] Geschlechter unter Einer Form, obgleich
diese zerspalten, vereinigt, und daher der
alleinige Zwitter im philosophischen Sin-
ne iſt.
Die Geschlechtsfunction iſt keine po-
lare, ſondern eine wahrhaft totale, die
das ganze Thier in ſich faſst, aber doch
iſt ſie nicht die höchſte Synthese des
Thiers, da ſie immer und ihrem Weſen
nach an zwei gesonderte Organe gebun-
den iſt; ſie iſt die Totalität des Thier-
reichs, oder die Totalität des Thiers-
in der Differenz, wie das Thier selbſt
die höchſte Totalität in der Identität
ſein wird. Jene Totalität in der Diffe-
renz oder die Indifferenz iſt die ob-
verſe Identität des Thiers.
Die Begattung iſt der höchſte ſynthe-
tiſche Act des Thierreichs, in dem männ-
liches und weibliches Princip zu Einem
Individuum werden. Ich glaube zeigen
zu können, daſs die ſogenannten Ovula
in den weiblichen Hoden nicht die ge-
ringſte Analogie mit den Eiern der Vögel
haben, daſs das Amnion und Chorion
nicht
[70] nicht die präexiſtirenden Häutchen dieser
Eier seien, daſs nach dem Begattungsacte
zuerſt die Veſicula umbilicalis und die Al-
lantois entſtehen, nach dieſen Chorion
und Amnion, daſs aus der Veſicula umbili-
calis die Därme hervorwachſen, aus der
Allantois der Urachus, die Harnblaſe, die
Nierendrüsen und Nieren, daſs durch die-
se Organe die erſte Ernährung des Embryo
vermittelt sei, daſs mithin im ſtrengſten
Sinne der Emcryo erſt nach den Hüllen
entſtehe, daſs er wahrhaft aus der Nabel-
schnur hervorgewachſen, daſs er nur eine
Verlängerung, Erweiterung, Kryſtallisirung
dieser sei, daſs endlich der Verdauungs-
proceſs als Veſicula umbilicalis, der Ath-
mungsproceſs als Placenta uterina zuerſt
und auſſerhalb des Embryo vorhanden,
und deſſen Entſtehung allein durch diese
beiden Proceſſe möglich ſei; ſo ſind die
Synthesen der Natur, Magen und Lunge
die erſten Organe des Embryo, die aber
abgeworfen werden, so bald die Proceſſe
in dem nun gebildeten Embryo ſelbſt
möglich ſind.
Wir
[71]
Wir haben nun die Syſteme im Thie-
re nachzuweisen, was nach dem Voraus-
geſchikten nicht mehr ſchwer sein kann,
da wenigſtens die polaren zum Theil ge-
nannt ſind.
[72]
I. Stuffe.
1. Function.
Reflex der Erde — Bedekung.
Der Repräsentant der Erde, der Rinde
des Koralls, iſt die Bedekung. In allen
Thieren iſt diese deutlich als vollkommene
Erde ausgewirkt; die Röhre der Würme,
die Schale der Schneken, das Horn der
Inſecten, die Schuppen der Fiſche, die
Federn der Vögel, die Haare und das Ober-
häutchen der Säugthiere, welches nach
chymischer Analyse, nicht ohne Ueberra-
schung des [Eintreffens] der Natur mit un-
serm Syſteme, ganz aus derselben hornarti-
gen Masse, wie die Schuppen etc. be-
ſteht, ſind laute Beweise für diesen Saz.
Wenn die Materia medica eine wis-
senschaftliche Bedeutung erhalten soll, so
müssen die Pharmaka sich in so viele spe-
cifische Klassen theilen, als Materien in
der
[73] der Natur, und als Functionen im Thier-
reiche gefunden werden. Da aber alle Sy-
ſteme des Thiers Reflexe der unorganischen
find, so muſs es nothwendig für jedes Syſtem
ein homologes Pharmakon geben, welches
wir Specificum nennen wollen. Diejeni-
gen Materien, welche dem Vorbilde eines
organischen Syſtems entgegengesezt ſind,
müssen es auch diesem selbſt ſein; ſie
können in dieser Hinſicht Antidota ge-
nennet werden. Es zeigt ſich daher, daſs die
Naturphilosophie nicht, wie viele, die we-
der ihren Geiſt noch ihre einzelnen Glie-
der kennen, ihr voreilig zur Laſt legen
wollen, die Arzneimittellehre auf wenige
Mittel reducire, da ſie vielmehr gegen den
Willen der ihr feindlich entgegengeſez-
ten Meinung, weder bei der Brownischen
Zweiheit, noch bei irgend einer chymi-
schen Eintheilung ſtehen bleibt, ſondern
mit Ueberzeugung die von allen Zeiten,
vorzüglich aber von dem weisen Alterthum,
erkannten Specifica und Antidota hervor-
ruſt, ihnen aber eine Anordnung giebt,
welche mit der Gliederung der organischen
und unorganischen Syſteme zuſammenfällt,
und nicht von äussern zufälligen Aehn-
lich-
[74] lichkeiten, worinn gewiſſe Materien in
Farbe, Form. Härte, u. dergl. mit Orga-
nen des Thiers übereinkommen, welches
nur die erſten Spielereien der Wiſſenſchaft
waren, hergenommen ſind.
Als die gleichen Pharmaka für das Be-
dekungssyſtem der Thiere, müſſen nach
unserer Anſicht die Erden geſezt werden,
in die gleiche Reihe fallen die Metalle
als das zweite, und die Korallen als das
dritte Specificum, endlich dasjenige, was
in den Pflanzen und den Thieren als Er-
digkeit zurükgeblieben. Diese Pharmaka
ſind homogen mit dieser Function, und
werden ihr daher, je nachdem ſie ein nä-
heres oder ferneres Specificum ſind, mehr
oder minder Energie geben, aber immer
erhöht jedes dieser Mittel ihre Thätigkeit.
Das erſte Antidotum iſt die Luft, das
zweite der Schwefel, das dritte das Pflanz-
liche in der Pflanze. Diese, werden der
Energie dieses Organs entgegenwirken, ſie
werden es zur Thätigkeit, zum Widerſtand
aufreizen, ohne ihm selbſt einen Zuſchuſs
von Kraft zu geben.
II.
[75]
II. Function.
Reflex der Luft — Haut.
Das Nachbild der Luft, der Rinde
der Pflanze iſt die Haut, als das Ausdün-
ſtungsorgan des Organismns; es bedarf
keines Beweises, da diese hinlänglich als
solches bekannt iſt. In dem Hautorgan ge-
hen vorzüglich, die Wärme- und Electrici-
tätsproceſſe, wie auch die des Vegetatis-
mus vor ſich, ſie iſt durchaus ein Luft-
organ.
Das gleiche Pharmakon iſt Licht,
Wärme und Luft, das gleichliegende zweite
die Electricität und der Schwefel, das dritte
das Pflanzliche in der Pflanze, auch äthe-
riſche Oele, milde Oele, Harze, Kampfer,
etc., die ungleichen entgegengeſezten ſind
Erden. Metalle etc. Was die Metalle auf
die Haut vermögen, iſt jedem Arzte be-
kannt, so wie andererseits die Wirkungen
des Schwefels, der Schwefelbäder etc. auf
dieselbe. Die Hautkrankheiten, welche
durch Metalle, als Zink-Braunſtein-Quek-
ſilber- Wismuth- Oxyde geheilt werden.
müſſen
[76] müſſen aus luxurirender Hautfunction ent-
ſprungen sein, die aber, welche durch
ſchwefelartige Arzneien gehoben werden,
müſſen von unterdrükter Hautfunction
entſtanden ſein.
III. Function.
Reflex des Waſſers — Lunge.
Hier entſteht nun ein Organ, das noch
in keinem der vorigen Organismen gefun-
den wurde, es iſt das Gleichbild des
Schwere-Oxydations Waſſerproceſſes, aber
auch so deutlich als ſolcher dargeſtellt,
daſs man beim erſten Blike erräth, es iſt
die Lunge.
Diese iſt daher das erſte ſynthetiſche
und auch das erſte eigentlich thierische
Organ, weder Pflanzen noch Korallen ha-
ben dieſen Proceſs, da ſie vielmehr die
entgegengeſezten in ſich auszubilden su-
chen. Er iſt Repräsentant des ausgebrei-
tetſten, thätigſten Proceſſes der Natur,
durch den, wie wir sahen, alle Actionen
hindurch gehen müſsten; daher iſt auch
das Athmen der Hauptproceſs der Thiere,
und
[77] und ohne es ſteht der ganze Organismu-
ſtill, da kein Galvanismus ohne Flüſſigkeit
möglich, und doch der Waſſerbildungspro-
ceſs im Athmen zu einem Thierischen po-
tenzirt iſt.
Das Athmen iſt kein polarer oder
Luftproceſs, wie man ſich etwa denken
möchte, denn das Säureprincip, welches
die Luft begeiſtet, iſt wahrhaft ein Synthe-
tisches, und nur der Geiſt des Waſſers:
dieſer iſt es auch ohne Zweifel ganz allein,
welcher ans Blut tritt, und keineswe-
ges der ſogenannte Sauerſtoff oder die
Wassersäure selbst, denn die Luftver-
minderung während des Athmens kann
nebſt dem, daſs ſie noch lange nicht er-
wieſen iſt, sehr wohl daher kommen, weil
ſie durch die Entgeiſtung in einen andern
Schwere- und Cohäſione-Zuſtand versezt
wird, daher der Rükſtand Stikgas, als die
des Säure- oder Schwereprincips beraubte
Luft, und Kohlenſäure, als wahrſcheinli-
ches Product des Athmens, iſt. Das Stikgas
wird daher nicht in den Athmungsproceſs
aufgenommen, da es nur durch dieſen
erzeugt, erſt nachdem das Athmen vor-
über iſt, Stikgas iſt.
Ver-
[78]
Verſuche an Thieren und Erfahrungen
der Chymie über das arteriale und venose
Blut beweisen ſchon für ſich, daſs das Herz
eine doppelte Erregbarkeit beſize, daſs das
linke Herz nur von arterialem, das rechte
nur von venoſem Blute zu Contractionen ge-
reizt werden könne. Die beiden verwach-
senen Herzen, ſind wahrhaft zwei galvani-
sche Platten, wovon jede einen entgegen-
gesezten Pol repräsentirt: das rechte Herz
als die Zinkplatte, kann daher nicht durch
arteriales, das linke als die Silberplatte,
nicht durch venoses Blut erregt werden,
am widersprechenden aber iſt ein Herz, in
dem beide Blutmaſſen ſich vereinigen müſs-
ten, wie es die Anatomen und Phyſiolo-
gen von dem Herzen der Amphibien glau-
ben, obgleich unter allen man nur den
Bau des Herzens der Schildkröten erträg-
lich kennt, bei den andern aber, als Frö-
schen, Schlangen, Eidechsen, man darum
auf eine einzige Herzkammer ſchloſs, weil
die Zusammenziehungen bei lebendig ge-
öffneten nur eine solche einfache Höhle
zeigten. Eine genauere Anatomie, und
eine genauere Beobachtung des Kreislaufs
dieser Thiese, wird uns eines Beſſern be-
leh-
[79] lehren, wozu Plumier schon so vielver-
sprechende Thatsachen geliefert hat.
Die Pharmaka der Lunge ſind Sauer-
ſtoff, Waſſer, Salze, und die diesen ent-
sprechenden vegetabilischen und thierischen
Subſtanzen, als Gummen, ſchwache Säu-
ren, etc. daher ohne Zweifel die Sehnſucht
der Lungenſüchtigen nach säuerlichem Ge-
tränke, daher der ſtärkere Durſt bei ver-
mehrter Lungenaction etc.
Die Antidota ſind die Erden und die
Luften, auch Metalle und Schwefel, doch
ſind diese alle [nur] schiefe Entgegensezun-
gen, da der Oxydationsproceſs eine Syn-
these iſt. Waſſerſtoffgas, Kohlensäure zer-
ſtören den Reſpirationsprocess, Schwefel
beengt das Athmen, droht Erſtiken etc.
[80]
II. Stuffe.
IV. Function.
Reflex des Metalls — Knochen.
Das Nachbild der Metalle, des Kerns
der Korallen iſt das Knochensyſtem; seine
beſtimmte magnetische Form, sein Kryſtal-
liſirtsein im Innern, wo es von der erdigen
Bedekung umgeben iſt, sprechen genug
dafür. Wie die Bedekungen, die Röhren,
Schalen, Panzer noch ins Weite ſich ver-
aufen, so ſind die Knochen schon ganz
von determinirter Figur und metallischer
Geschmeidigkeit, da ſie die zweite Stuffe
der Erden abbilden: daher iſt es nur un-
eigentlch gesprochen, daſs die niedern
Thierklassen, wie Würme, Schneken und
Inſecten, ihr Knochensyſtem nach Auſſen
hätten, denn was man bei ihnen ein äus-
seres Knochensyſtem nennt, iſt nichts we-
niger als dieses, sondern das wahrhaft er-
dige Bedekungssyſtem — die Knochen
ſind
[81] sind in allen Thieren, wo sie sind, nach
Innen angeſchoſſen = Bedekung2.
Auf ihnen ruhet das ganze Syſtem der
weichen Organe des Thiers, sie geben den
Thieren die Totalform, welche sich vor-
züglich in ſymmetriſcher Anordnung aus-
prägt.
Die gleichen Pharmaka der Knochen
sind die Metalle, die entfernten die Er-
den etc., die Antidota sind Schwefel,
Luft etc.
V. Function.
Reflex des Schwefels — Leber.
Das Gleichbild des Schwefels, des
Electrismus, der Blattfunction ist im Thier-
reiche nicht so leicht nachzuweiſen; ich
nehme die Leber als das gallabſondernde
Syſtem dafür an, und gebe indeſſen zu
Gründen, die Galle, welche sich offenbar
an die Inflammabilien durch ihre Beſtand-
theile, durch ihre Harzigkeit, und selbst
durch die Inflammabilität des sogenannten
FGall-
[82] Gallſtoffes anſchlieſst, folglich ein Product
von electriſcher Natur iſt; dann die Ho-
mogeneität der Leber mit der Haut, welche
sich auffallend in der Gelbſucht, und eben
so in der Fettproduction, einem offenba-
ren Hautproceſs erweiſt, da nach Himly’s Un-
terſuchungen die Leber fetter Menſchen
und Thiere eine ähnliche Metamorphoſe
zu Fett, wie die Haut zu erleiden scheint;
nun gehört aber doch ohne Zweifel Fett
unter die Rubrik der Oele, folglich der
Inflammabilien, deren Ideal Schwefel ist.
Die Gallenruhren nach Hauterkältungen
bei groſser Hize sprechen auch für eine
sehr nahe Verwandſchaft dieſer Organe,
und endlich die Wirkung der Pharmaka,
wo die Inflammabilien, die doch zur elec-
triſchen Reihe gehören, als ätheriſche
Oele etc., so auffallend auf die Leber wir-
ken, dagegen die Metalle, als Mercuria-
lien, Antimonialien, ihre wahren Antidota
sind, worüber wir zuverſichtlich durch die
Metallverſuche, welche Marcus anſtellt,
in den Jahrbüchern der Medicin mehr Licht
erhalten werden. Später aber wird es sich
aus dem totalen Durchgreifen dieſes Or-
gans in derjenigen Thierklaſſe, welche vor-
zugs-
[83] zugsweiſe dieſe Stelle in der Natur einnimmt,
augenſcheinlicher zeigen, daſs die Leber =
Haut2 ist.
Die Specifica sind Inflammabilien, ver-
brennliche Luftarten und ihre Homologa.
Die Antitoda ergeben sich von selbst.
VI. Function.
Reflex des Salzes — Magen.
Das entſprechende Syſtem des Chymis-
mus, der Salze sind ohne Anſtand die Ver-
dauungsorgane. Der Magenſaft verhält sich
ganz und gar zum Organismus, wie die
Salze, wie das Meerwaſſer zu den übrigen
Materien der Natur, nemlich als auflöſen-
des, zerſtörendes, tödtendes Medium. Wie
der Chymismus das Synthetiſche, und da-
her der durchgreifende Proceſs auf der
zweiten Stuffe ist, so auch die Verdauung.
Durch sie bemächtigt sich der Organis-
mus der fremden Natur, und zwingt sie
in seinen eignen Dienst zu treten, sie ver-
F 2bin-
[84] bindet sich mit dem Athmen, mit dem
Oxydationsproceſſe, und unter der Leitung
dieſer beiden geſchieht alles, was in dem
Thier als bloſsem Organismus vorgeht.
Der Aſſimilationsproceſs ist anfänglich ein
blos chymiſcher, alle Qualitäten der Spei-
sen zerflieſsen in die Qualität des Magen-
saftes, doch ist aber dieſe Auflöſung, un-
geachtet sie unter der Function des thieri-
schen Chymismus steht, immer auf der
Seite der Weltmaterien, auf der die Spei-
sen vor ihrem Verſchluken waren, so wie
eine Goldauflöſung auch in ihrer durch-
sichtigſten Klarheit immer aufgelöſtes Gold
und nicht Blei oder Erde in dieſem Zu-
stande ist. Sobald der Chylus dem Blute
übergeben ist, verwandelt sich der chymi-
sirende Proceſs in den der Oxydation, und
so sind es diese beiden homologen, syn-
thetiſchen Proceſſe, durch die das Thier
wie die unorganiſche Natur erhalten wird:
Ernähren aber ist fortgeſetztes Erzeugen,
daher wird ein Licht auf obige Behaup-
tung znrükgeworfen, daſs der Embryo ur-
sprünglich aus dem in der That vor ihm
exiſtirenden Verdauungs- und Athmungs-
proceſſe hervorgebracht werde,
An
[85]
An den Verdauungsproceſs schlieſst sich
an die Action der Milz, und der Harn-
werkzeuge; da der Magen die aufgeſtiege-
ne Lunge, die Lunge2 iſt, so hat ihn der
Oxydationsproceſs wegen der chymiſchen
Function des Magenſaftes begleitet, und
dieſe Oxydation, dieſes Athmen des Magens
iſt vermittelt durch die Milz. Dieſe ist die
Lunge des Magens oder der Magen selbſt, in-
dem er noch Lungenfunction hat. Die Milz-
krankheiten sind daher wahre Lungen-
krankheiten, und wirken auch auf den
Organismus eben so, indem sie die Schwind-
sucht hervorbringen. Ohne Zweifel hängt
in sehr vielen Fällen Dispepsie, Ructus,
Vomitus etc. von unterbrochener oder auch
vor zu starker Athmung des Magens durch
die Milz ab, und häufig sind die soge-
nannten reinen Fieber Phenomene der so
treffend genannten, aber noch unmerkli-
chen Phthisis lienalis; die Fieber-
rinde scheint homolog mit der Milz zu
sein.
Die Milz scheint nur in denjenigen
Thieren vorhanden, welche nach Entſte-
hung der Lunge geformt sind, und ener-
gi-
[86] giſcher in denen, die nicht in die Rei-
he des Athmungsproceſſes fallen, alſo in
den Vögeln, Fiſchen und Säugethieren;
bei den Amphibien iſt sie noch im Streit,
da einige die am Gekrös hängende Drüſe
für Pankreas, andere für Milz halten,
wenn aber die Milz den Oxydationspro-
ceſs des Magens unterhält, so muſs sie
auch an dieſem hängen, oder wenigſtens
durch Gefäſse an ihn reichen, dieſes habe
ich aber nicht an der Gekrösdrüſe der Am-
phibien gefunden, und keine Zeichnung
spricht dafür; zudem iſt die Milz in allen
Thieren in der Nähe des Magens und com-
municirt mit ihm durch Gefäſse. Nebst
dieſer Gekrösdrüſe aber iſt noch ein ander-
res Organ in mehren Amphibien, wel-
ches theils an dem Magen, theils an den
Därmen feſtklebt, dieſes könnte wohl die
Stelle der Milz vertreten, aber in jedem
Falle iſt sie verhältniſsmäſsig klein, daher
der Magen der Amphibien, als die zweite
Potenz des Oxydationsproceſſes, dieſen
gröſstentheils in sich aufgenommen zu ha-
ben scheint, und so eine Verkleinerung der
Milz ertragen kann. Auch iſt dieſes da-
durch plauſibel, daſs der Speichel schon
so
[87] so viele tödtende Kraft besizt, die ihn ei-
ner fernern ſtarken Oxydation überhebt.
Mit den Nieren iſt es einigermaſsen
der umgekehrte Fall. Sie sind selbſt als
das Ende des Magenproceſſes auch eine
synthetiſche Function, und zwar, wie im
Magen die auflöſende Thätigkeit iſt, so iſt
in den Nieren die präcipitirende, jene So-
lutio, dieſe Praecipitatio. Nieren-
action und Nierenkrankheiten sind daher
homolog der Verdauungsaction und ihren
Abſtuffungen, wie aber hier der anfangen-
de Chymismus leidet, so dort der endende.
Wenn die Salze die Specifica des Magens
sind, so müſſen sie es auch für die Nie-
ren sein, aber in jedem Falle sind dieje-
nigen, welche dem Fällungsproceſſe des
Herns parallel gehen, andere als die, wel-
che die Verdauung erigiren.
Wie sich Verdauen und Athmen paral-
lel gehen, so auch Knochen und Bedekungs-
syſtem, welches sich erst in der Folge auf-
fallend zeigen wird; je mehr dieſe heraus-
gehoben, deſto unterdrükter die Hautfun-
ction. Auch Leber und Haut sind sich
pa-
[88] parallel, beſonders in den Thieren, welche
der Leber oder der Haut nachgebildet sind.
Die Salze sind nun als verdauungsbe-
fördernde Mittel bekannt, da sie homolog
mit dem Magen sind. Die Metalle aber
Erden, Schwefel und Licht sind die Fein-
de derselben; er sucht sie zu tilgen, da-
her weken sie ihn zur Thätigkeit auf, aber
machen ihn nicht energiſcher. Was die
Alten so Wohlthätiges in den Salzen für
den Magen sahen, muſs, ungeachtet des
abschrökenden Miſsbrauchs, der wegen zu
groſser Quantität damit getrieben wurde,
wieder zur Sprache gebracht werden. Na-
türlich wird der Magen durch zu viel
Salz geſchwächt weil es ihn zu viel Ma-
genſaft abzuſondern zwingt, und ihn so
erſchöpft. Aber müssen denn die Salze
immer lothweiſe gegeben werden? Ihr
heilt doch mit Kali aceticum, wenn
ihr mäſsig damit seid, die Waſſerſucht ganz
gegen eine Theorie; ihr müſst selbſt ge-
ſtehen, daſs die gedankenlos übertriebene
Laxiermethode doch nicht so viel gescha-
det hat, als das eben so gedankenlose
Opium Eingeben; — dieses mit den Grün-
den
[89] den der Wiſſenſchaft verbunden wird die
Salze in ihr altes Recht wieder einſezen,
aber vorſichtiger mit Maas und Gewicht
bezeichnet, als in verfloſſenen Zeiten.
III. Stuffe.
VII. Function.
Reflex des Koralls — Kreislauf.
Wir kommen nun zu den Organen
der dritten Stuffe, welche eigentlich dem
Korall und der Pflanze entſprechen. Das
Syſtem, welches dem erſten nachgebildet
ist, kennen wir schon als Kreislauf, als
den wahren thieriſchen Galvanismus.
In dem Kreislaufe liegt das Princip
des Lebens für das Thier; das Herz iſt
der galvaniſche Konus, der durch ſeine
heterogenen Platten als die beiden Herz-
kammern, und durch das Blut in raſtloſer
Thätigkeit erhalten wird. Die Herzkam-
mern sind sich heterogen, wie die beiden
Metallplatten der voltaiſchen Säule, und
können daher nie durch denſelben Reiz
zur Contraction gebracht werden; venoſes
Blut kann nicht für die linke Kammer,
ar-
[90] arterioſes nicht für die rechte Reiz sein;
daher kann es nicht nur kein Thier ge-
ben, in deſſen Herzen sich beiderlei Blut
miſchte, wie ich oben von den Amphibien
erzählte, sondern auch nie einen Zuſtand
irgend eines Thiers, wo dieſes Statt fin-
den sollte. Vom Fötus glauben viele, er habe
im ganzen Körper gleichartiges stark des-
oxydirtes Blut, das von allen Theilen in
die rechte Vorkammer flieſse, um sich da
zu miſchen, wovon ein Theil durch das
ovale Loch nach der linken Vorkammer
dringe, und so beide Herzen durch einer-
lei Reiz zur Contraction gebracht werden:
aber so wenig als gleichartige Metalle die
geringſte Action hervorbringen, so wenig
kann ein solches Herz in irgend einem
Leibe sein, und eben so wenig kann ein
Herz beſtehen, in dem blos Blut von Ei-
ner Natur vorhanden wäre, denn, wenn
durch es auch eine Vorkammer zur Con-
traction gezwungen würde, so müſste es
gerade deswegen in der andern stokend
den Kreislauf aufheben. Das Blut im
Fötus muſs daher nach allem, was nur
die Phyſiologie und die Chymie je Ratio-
nales herausgebracht haben, Säureprincip
in
[91] in der Placenta aufnehmen, und mit die-
sem nicht in die rechte Vorkammer, sondern,
wie es auch die Anatomie lehrt, geradezu
gröſstentheils in die linke gehen, wo es als
arterioſes Blut dieſe arterioſe Höhle reizt
und so fortgeſchafft wird; dagegen senkt
sich das venoſe Blut aus der obern Hohl-
ader allein die rechte Vorkammer, wodurch
nur der Kreislauf begreiflich und möglich
wird.
Daſſelbe muſs in den Amphibien ge-
schehen, und wenn es gleich wahr iſt, daſs
alle Kammern in der Schildkröte durch
Oeffnungen mit einander communiciren,
so müſſen dieſe Canäle so angebracht sein,
daſs durch sie doch keine Miſchung des
Blutes statt haben kann. Ich bin über-
zeugt, wenn man in dieſer Verausſezung
ein Amphibienherz anatomirt, wird man
die Canäle eben so finden, wie im Men-
ſchen, wo die untere Hohlader im Fötus
sich geradezu in die linke Vorkammer öff-
net und in die rechte nur einen Seitenca-
nal macht, wie ich es jedem in dem Her-
zen der Embryonen augenſcheinlich zeigen
kann.
Das
[92]
Das Herz iſt das Princip der Bewe-
gung, das ganze Syſtem des Kreislaufs iſt
nichts als Bewegungsſyſtem, daher sind die
Muskeln der lezte Pol des Gefäſsſyſtems,
der sich als actives Bewegungsorgan an die
paſſiven Knochen und die paſſive Bedekung,
wie Federn, Schuppen, Stacheln, Scha-
len etc. anlegt, um mit dieſen das ganze
Syſtem der Bewegung, beſtehend aus den
Organen der Erd-, Metall- und Korall-
function, zu vollenden.
Das Blut iſt das nothwendige Mittel-
glied des thieriſchen Galvanismus, und
obgleich Flüſſigkeit doch wahrlich kein
Waſſer; es unorganiſch nennen, heiſst ge-
rade soviel, als wenn man das Waſſer noch
unter das Unorganiſche herabſezen wollte,
denn dieſes iſt das Mittelglied ſeiner Welt
wie das Blut der organiſchen. Wer hat
es denn je bewieſen, daſs nur die feſte
Maſſe organiſch sein könne? geſagt finde
ich es wohl von hundert Stimmen, aber
nichts weiter. Hat denn das [Unorganische]
nicht auch eine beſtimmte Structur, oder
vielmehr, iſt dieſer starre Bau nicht eben
das Unorganiſche an der Maſſe überhaupt?
war-
[93] Warum bleibt man sich denn nicht conſe-
quent, und sagt auch, nur das Flüſſige iſt
unorganiſch, das Feſte aber organiſch?
was in Bezug auf das Waſſer und die Erde
nothwendig gelten müſste. Weder das
Feſte iſt organiſirt, noch das Flüſſige, bei-
de mit einander können nur ein organi-
sches Gebilde hervorbringen; wenn aber
doch eines von beiden organiſirt heiſsen
soll, so iſt es eher das flüſſige Blut, als
der starre Knochen, denn der Organismus
iſt synthetiſche Function.
Da der Kreislauf auf der dritten Stuffe
wieder die erſte Function iſt, so greifen
nothwendig alle untergeordnete sechs Fun-
ctionen in ihn ein, so das Verdauungsſy-
stem durch den Ductus thoracicus,
das Oxydationsſyſtem durch die Lunge,
der Electrismus durch die Leber, die Luft
durch die Vasa capillaria der Haut,
die Knochen endlich, die Parallelen der
Muskeln, als der magnetiſche Proceſs, und
die Bedekungen als die cohäſive Function
ohnehin, da sie Integranten des Kreislau-
fes sind.
Der
[94]
Der Kreislauf iſt der Ernährungspro-
ceſs, und zwar iſt er es allein; denn er iſt
das erſte organiſche Syſtem, entſprechend
den Polypen, den Urorganismen, die das
Princip aller Zeugung, folglich auch aller
Ernährung, der Vergröſserung des Gezeug-
ten sind. Das Blut enthält dieſe Uror-
ganismen in seiner Miſchung, und sezt sie
überall da ab, wo es in den desoxydirten
Zuſtand übergeht, nemlich in den Haarge-
fäſsen; die Ernährung iſt daher ein galva-
niſcher Proceſs.
Es gibt kein eignes Reproduc-
tionsſyſtem im Organismus, ja nicht
einmal iſt es eine eigne Function in ihm,
am wenigſten kann es zur Syntheſe der
organiſchen Thätigkeit, der Senſibilität und
Irritabilität gemacht werden: — Reprodu-
ction iſt Vollendung des Kreislaufs, ver-
möge der die bei dem Präcipitationsproceſſe
als edel zurükgebliebenen Materien an die
Stelle derjenigen geſezt werden, die durch
das Lymphſyſtem weggenommen wurden.
Die Pharmaka des Kreislaufs ſind das
Erdiſche, Metalliſche, Polypenmaſſe, und
die
[95] die dieſen gleichenden Pflanzen- und thie-
riſchen Stoffe. Die Antidota geben sich
von ſelbst.
VIII. Function.
Reflex der Pflanze — Lymphsystem.
Dieſe Function iſt das Nachbild der
Pflanzen und schon oben als Lymphſyſtem
aufgeführt. Es hat keinen geſchloſſenen
Kreislauf, vielmehr greift es in das Blut-
syſtem ein, [und] endet, ohne in sich zu-
rük zu kehren. Es iſt das wahre Wurzel-
syſtem im Thiere, das einerſeits in den
Verdauungscanal, wie jenes in die Erde,
andererſeits in die Oberfläche der Haut,
wie die Rinde der Pflanzen in die Luft,
eingetaucht ist.
Es iſt in allem dem Kreislauf entge-
gengeſezt, nicht nur in der äuſsern Form
als ungeſchloſſenes Syſtem, sondern selbſt
in seiner Action, da es nicht nur nicht
die ernährenden Stoffe an die beſtimmte
Stelle führt, auſser in den Kreislauf, son-
dern auch raſtlos der Ernährung entgegen
wir-
[96] wirkend, alles eingeſaugt und zerſtört, was
das Blut angeſezt hatte, aber eben darum
den Tod der abgeſezten Theile hindert,
da sie zu lange der Auſsenwelt ausgeſezt,
endlich dieſer unterliegen müſsten, wenn
nicht immer an ihre Stelle neue gebracht
würden. Dieſes Syſtem kann nicht das
reproductive genannt werden, da es
gerade das umgekehrte der Reproduction
iſt, und diejenigen Thiere, deren Leib
ganz von Lymphgefäſsen durchzogen iſt,
am allerwenigſten die abgeſchnittenen Thei-
le reproduciren, wie Fiſche und Inſecten.
Die Pharmaka des Lymphſyſtems sind
Luft, Schwefel, ätheriſche und andere
Oele etc. Antidota sind Erden, Metalle
etc.
IX.
[97]
IX. Function.
Reflex des Animalismus — Nervensyſtem.
Dieſes iſt die höchſte Syntheſe der or-
ganiſchen Welt, sie iſt das Charakteriſtiſche
des Thierreichs, durch sie allein wird das
Thier Thier, und was dieſe Syntheſe nicht
in sich trägt, iſt schlechterdings kein Thier,
und was kein Thier iſt, hat die Organe
dieſer Function schlechterdings nicht. Es
bedarf auch keines [ungewiſſen] Suchens,
um dieſes Organ aller Organe als das Ner-
venſyſtem, und so das Ende der Natur zu
finden, alle seine Reflexe als eigenthümli-
che Thierorgane zu erkennen, und so
die einzelnen Functionen des Nervenſy-
stems wieder zu charakteriſiren und zu ord-
nen.
Als Totalſyntheſe der Natur hat dieſes
Syſtem nothwendig so viele Functionen
und eigne Organe, als wir in der Natur
selbſt gefunden; wir gehen nun zur Nach-
weisung derſelben.
Die nächſten Pole des Thiers sind
Kreislauf und Lymphſyſtem, folglich zer-
Gfällt
[98] fällt es allerdings in drei Syſteme, wovon
das erſte den Namen des irritablen, das
dritte den des senſiblen behalten mag, aber
an die Stelle des bisher sogenannten repro-
ductiven muſs das Lymphſyſtem als vegeta-
tives geſezt werden. Wie wenig aber mit
dieſen dreien die Eintheilung des Organis-
mus erſchöpft sei, sieht jedermann, der
unſerer Conſtruction bis hieher gefolgt iſt;
sie begreifen nemlich nur den Kreislauf,
das lymphatiſche und nervoſe Syſtem, und
wiſſen weder von einer Lunge, noch von
Magen, Milz, Nieren, Leber etc.; über-
haupt iſt durch dieſe kaum der halbe Or-
ganismus, und folglich gar nichts von ihm
charaktcriſirt.
Nach den genannten höchſten Syſte-
men theilen sich die Nerven in Bewegungs-
und Lymphſyſtemsnerven, die erſten gehen
zu den Bedekungen, Knochen und zu dem
Gefäſsſyſtem, daher nothwendig zu den
Muskeln, den Bündeln der feinſten Ge-
fäſse; die zweiten verlaufen sich zur Haut.
Leber und zum Lymphſyſtem. Die zu den
niedern Syntheſen gehörenden Nerven ver-
ſorgen das Syſtem des Athmens, Verdauens,
und
[99] und der, obgleich duplexen, doch ſynthe-
tiſchen Geſchlechtsverrichtungen, und so
sind alle geordnet, welche zum blos Or-
ganiſchen des Thiers gehören.
Die Nerven sind nicht blos Eingriffe
des Thieriſchen in das blos Organiſche
deſſelben, sondern die Welt reflectirt sich
auch im Thieriſchen als solchem, und
inſofern sind die Nerven Abdrüke von
Actionen, wodurch die Welt sich nicht
nur im Organismus schlechthin, sondern
im Thieriſchen deſſelben wiedergebärt.
Dieſe Naturfunctionen zu eigentlichen
Thierfunctionen erhoben, heiſsen Sinne.
Das Centralorgan des Nervenſyſtems iſt
das Gehirn; als die höchſte Syntheſe iſt es
homolog mit dem Magen und den Lungen,
daher selbſt nur dieſe beiden Organe ver-
geiſtigt, in Form und Action noch kennt-
lich erhalten. Wenn Gall’s Entdekun-
gen nicht ein einziges Verdienſt hätten,
als das, durch die Entwiklung des Hirns
in ein ſakförmiges Organ dieſem Reſultate
der Wiſſenſchaft sogleich die anatomiſche
Nachweiſung zu geben, so wäre dieſes al-
G 2lein
[100] lein genug, seine weniger gelungenen Be-
hauptungen aufzuwiegen, und dieſem Ana-
tomen Achtung wiederfahren zu laſſen.
Die Nerven der blos organiſchen Sy-
ſteme haben so nothwendig ein Centralorgan,
als die Nerven der eigentlich thieriſchen
Functionen, ich nenne jenes das Hirn des
Rumpfes, dieſes das Hirn der Sinne.
Je mehr die Sinne in einer Thierklaſſe
hervortreten, deſto mehr muſs das Sinnen-
hirn über das Rumpfhirn, sowohl in Maſſe,
als Wirkung, dominiren, selbſt in den In-
dividuen gleicher Klaſſen wird das Sinnen-
hirn beträchtlicher entwikelt sein, wo des-
sen Functionen mehr in Uebung sind.
Das Rumpfhirn iſt das Cerebellum,
das Sinnenhirn das Cerebrum: läſst sich
vorzüglich an den Thieren demonſtriren.
Je mehr die Sinne zuſammenſchmelzen,
je kraftloſer die noch übrigen Spuren da-
von sind, deſto unbeträchtlicher iſt die
Maſſe des Cerebrum, deſto voluminoſer
aber die des Cerebellum, ja in den nie-
derſten Thierklaſſen iſt so gar nichts, als
das
[101] das Cerebellum nebſt den Nervenfäden
einiger Sinnorgane vorhanden. in den
Würmen, Inſecten und Schneken iſt das
Hirn von einem einzigen Ganglion gebil-
det, von demaus Nerven zu allen organi-
schen Theilen, und auch zu den vorhan-
denen Sinnen gehen — es iſt nichts als
das Cerebellum. In den höher organi-
sirten Thieren, wie im Vogel, Fiſche und
Amphibion, tritt zwar das Cerebrum
schon über das Cerebellum hervor, aber
kaum beträgt es drei bis viermal mehr
als das lezte, da es hingegen in den Säug-
thieren viel gröſser, ja wohl sechs, sieben,
achtmal, und im Menſchen neun, nach
andern gar eilfmal mehr Maſſe enthält.
Je mehr mithin die Organiſation mit Sin-
nesactionen verſehen iſt, deſto mehr iſt
das kleine Gehirn zurükgedrängt; unter
allen Thieren hat der Menſch das kleinſte
Cerebellum im Verhältniſs zum Cere-
brum. (Die Ausnahme, welche der Saï-
miri (Simia sciurea) machen soll,
muſs durch mehre Zerlegungen geprüft
werden).
Da
[102]
Da die Geſchlechtsorgane zwar nicht
zum Charakteriſtiſchen des Thiers gehören.
sie aber die Totalität der Differenz der
Organiſation sind, mithin auch alle orga-
niſche Functionen in sich begreifen, so
kann man das Hirn des Rumpfes das Hirn
der Geſchlechtsfunction nennen. Daher
es allerdings wahr iſt; je ausgebildeter das
kleine Gehirn, deſto mächtiger der Ge-
ſchlechtstrieb, aber dieſes vom Menſchen
ausgeſprochen, als wenn er das entwikelt-
ſte Cerebellum in Bezug auf das Ce-
rebrum hätte, iſt grundfalſch, und wider-
spricht der Thieranatomie aller Jahrhun-
derte. In den Thieren iſt das kleine Ge-
hirn durchgängig überwiegend, und
deſto überwiegender, je niedriger das Thier
in den Sinnen steht, daher auch der Ge-
schlechtstrieb in ihnen heftiger als im
Menſchen, daher ihr ganzer Organismus
nichts als Geſchlechtstrieb, selbſt der vor-
handene Sinn iſt ihm dienſtbar und nur
seiner wegen da, denn iſt er befriediget,
so haben sie ihren Endzwek erreicht und
sind bereit, den Sinn nebſt ihrem Leben
abzulegen.
Ein
[103]
Ein hervorſtehendes Hinterhaupt be-
weist nicht nur nicht einen stärkeren Ge-
schlechtstrieb, sondern caeteris pari-
bus nothwendig das Gegentheil, indem
es von einer groſsen voluminoſen Entwike-
lung des Sinnenhirns zeugt, wodurch das
kleinere Rumpfhirn zurükgedräugt wird.
Es iſt ja das Charakteriſtikon der Blödſinni-
gen, einen flach abgeſchnittenen Hinter-
schädel, und doch dabei einen exceſſiven,
wie zum Charakter gewordenen Geſchlechts-
trieb zu haben. Ihre Sinne sind bekannt-
lich nicht entwikelt, das Cerebrum iſt
klein, deswegen bleibt das Cerebellum
tief im Schädel ungeſtört liegen, und iſt
nun doch wegen der Niedrigkeit des Sin-
nenorgans allein herrſchend, obſchon es
das Hinterhaupt gar nicht herausdrükt.
Die Geſchlechtsfunction wurde oben
erkannt als Totalität des Thiers in der
Differenz, das Hirn iſt die Totalität in der
Identität, man kann daher die Geſchlechts-
theile sehr wohl das zerfallne Hirn, und
dieſes die verſchmolzenen Geſchlechtstheile
nennen, oder da die Geſchlechtsfunction
der Ausdruk der Identität der Thierheit,
die
[104] die Nervenfunction aber die Identität des
individuellen Thiers iſt, so sind die
Geſchlechtstheile das Hirn der Thierheit
überhaupt, das Hirn des Individuums aber
iſt die identiſch gewordene Geſchlechts-
function der Thierheit. “Wie die Pflanze
in der Blüthe sich schlieſst, so die ganze
Erde im Gehirn des Menſchen, welches
die höchſte Blüthe der ganzen organiſchen
Metamorphoſe iſt”.
Es gibt blos sechs Naturfunctionen,
die zu Thierfunctionen erhoben werden
können. Daher gibt es auch nur sechs
Sinne, und nothwendig sechs. Die Zahl
dieſer Sinne, ihre Stellung zu einander,
und die streng darauf gegründete Einthei-
lung der Thiere, wie ich es in meiner
Ueberſicht etc. der Theorie der Sinne dem
Publicum vorgelegt habe, finde ich, ob-
gleich nun seitdem mehre Jahre verfloſſen
sind, in denen ich raſtlos nach Berichtigung
forſchte, durch alle mir bekannt geworde-
nen Erfahrungen beſtättiget, so daſs ich
nun die folgende Darſtellung nicht nur als
der Wiſſenſchaft gemäſs, welche die Sinne
als die höchſten Widerſtralungen der Sinne
des
[105] des Univerſums erkennt, sondern auch
selbſt die Subſumtion jedes einzelnen
Sinnes, und jeder Thierklaſſe unter die
vorgebildete Naturfunction, als durch die
Erfahrung, so weit sie bis jezt reicht,
durchgängig nachgewieſen, anzugeben mich
im Stande sehe.
[106]
I. Stuffe.
I. Sinn.
Cohæsion — Bedekung — Gefühl.
Die Cohäſionsfunction der Natur im
Nervenſyſtem wiederholt, iſt der Sinn für
das Feſte, für den Widerſtand überhaupt.
Er abſtrahirt von aller Geſtalt, welche nur
eine kubiſche Bedeutung iſt, und von al-
len übrigen Eigenſchaften der Materie;
nur ihre Undurchdringlichkeit, der Grad
ihrer Starrheit wird ihm zum Object. Es
iſt der Gefühlſinn, der mit dem Taſtſinn
nicht für eins zu halten iſt. Dieſer Sinn
iſt keinesweges gleich zu achten dem Ge-
meingefühl (Coenaeſthesis), das über
den ganzen Körper verbreitet, nichts mit
dem Charakter eines Sinnes gemein hat,
sondern unter die Rubrik der Empfindung
gehört nach der man auch Magenſchmerz
etc. wahrnimmt, ohne doch dergleichen
Em-
[107] Empfindungen für Sinne halten zu können,
was sie auch in der That nicht sind, so-
bald es wahr iſt, daſs nur die Reflexe der
unorganischen Welt, und nicht die
Wahrnehmungen der eignen Zuſtände des
Thiers, Sinne zu nennen sind.
Dieſer Sinn für die Cohäſionsfunction der
Natur hat sich als eignes Organ conſtituirt in
den Saugwarzen der Würme, in den Palpen
der Inſecten, im Rüſſel der Säugthiere,
des Elephanten, Schweins, Tapirs, Nil-
pferdes etc., im Schnabel der Waſſervö-
gel etc., und endlich in den Lippen des
Menſchen. Sein Nerv iſt bekanntlich ein
groſser Theil des fünften Paars, und ei-
gens stark ausgebildet in den Rüſſelthie-
ren, in den Aenten, und nach Blumen-
bach im Ornithorhynchus. Ueber die
Bedeutung seiner Verbindung mit dem Hör-
nerven und mit dem sympathiſchen, kann
hier nichts geſagt werden, auſser daſs er
in Bezug auf das letztere als erſter Sinn
allen thieriſchen Functionen zum Grunde
liegt, wie die Erde den unorganiſchen.
Mit dem Lippenſinn öffnet sich die
Mundhöhle, und daraus folgt nothwendig,
daſs
[108] daſs Alles, was sich für ein Thier aus-
gibt, eine Mundhöhle vorweiſen muſs,
wenn es nicht soll ausgeſtoſsen werden,
aber nicht umgekehrt folgt, daſs die Poly-
pen Thiere sind, weil sie eine einzige
Oeffnung für die Ernährung haben, denn
als Radix dieſes Sinnes haben sie aus der-
selben Urſache nur Eine Schlundöffnung,
aus der die Pflanzen die Organe der Haut
haben, nemlich beide sind die Vorbilder
dieſer Organe.
Der geiſtige Charakter des Gefühlſin-
nes scheint Stumpfheit zu sein, welche
sich daher wohl da hervorthun wird, wo
der dieſem Nerven entſprechende Hirntheil
voluminos iſt: ob wulſtige, hängende Lip-
pen, als der externe Ausdruck dieſes Sinn-
organs, hieher gehören, will ich nicht
entſcheiden.
II.
[109]
II. Sinn.
Feuer — Haut — Aug.
Die Lichtfunction der Natnr im Ner-
venſyſteme abgemalt, iſt das Auge. Dieſes
sieht überall nur Farben oder gefärbte Flä-
chen, sonſt ganz und gar nichts, alles an-
dere iſt für dieſen Sinn schlechthin nicht
in der Welt, nichts Kubiſches, keine Dike
der Körper, keinen Widerſtand, keine Ent-
fernung, keine chymiſche Aenderung etc.
wird dem Auge zum Object; gefärbte Flä-
chen sind ihm seine Körper, und gerne
läſst es sich durch gemalte Kuben täu-
schen, die Entfernung lernt es erſt durch
Bewegung kennen, und eben so den ge-
malten Kubus vom wirklichen unterschei-
den. Der Bau des Auges iſt eine vor un-
seren Augen geschehende Verwandlung des
Lichtes zur organiſchen Form, er iſt die
höchſte Organiſirung der Haut (und der Le-
ber), verbunden mit den unorganiſchen
leitenden Kryſtallen und den indifferenten,
ich sollte sagen, den electriſchen, phos-
phoriſchen, die höchſte Galle darſtellenden
Flüſſigkeiten, die eben so in bis aufs höch-
ste ausgebildeten Häuten verſchloſſen
liegen.
Wie
[110]
Wie das Licht des Univerſums, so
sucht das Auge überall den unendlichen
Raum zu meſſen und zu begränzen, es
blikt starr die Sonne an, seine Mutter,
und hat keine andere Welt, so lange dieſe
in seiner Nähe iſt. “Das Auge sucht seine
Bilder in der unermeſslichen Ferne, und
braucht nur einen Augenblick, dieſe Ferne
zu durchdringen, welch ungeheure Sphäre
seiner Wirkſamkeit!” Alles verkündet, daſs
das Auge nur das kryſtalliſirte Licht sei.
Der geiſtige Charakter des Auges iſt
Muth, Tapferkeit, Stolz, Verachtung.
Das vollkommenſte Auge muſs mit dem
Weſen des Kreiſes erſcheinen. In den In-
secten sind die Faſetten nicht vergeblich
sechsſeitig. “Nam talis eſt factus oculus,
quia talis Mens (mathematica) eſt, non vi-
ciſſim”. Und von hier aus, von der Idee
des Kreiſes, des Lichts, der Luft, der
electriſchen Fläche, der Blume, der Haut
und der Leber wird der Licht erhalten
müſſen, der es unternehmen will, das Or-
gan des Lichtes als eignes so beſtimmt
pronuncirtes Gebilde zu conſtruiren.
III.
[111]
III. Sinn.
Schwere — Lunge — Tastsinn.
In dieſem findet sich die Schwerefunc-
tion im Nervenſyſtem befangen. Er iſt
das Organ für das Kubiſche der Natur, für
das eigentlich Körperliche, oder für die
Gestalt; dieſe kann nur aufgefaſst wer-
den durch eine Bildung, die selbſt eine
kubiſche Form iſt, mit dem Vermögen,
dieſe Form beliebig nach den Formen der
Körper zu ändern, das heiſst, dieſer Sinn
muſs selbſt aus beweglichen Organen be-
stehen. Die Finger können gegen einan-
der alle Geſtalten annehmen, und beson-
ders iſt der Daumen, der Radius in der
Ellipſe des Gravitationsſyſtems so geſtellt,
daſs er allzeit, wenn er mit den andern
Fingern wirkt, einen körperlichen Raum
einſchlieſst, daher iſt dieſes Sinnorgan das
eigentlich formloſe oder formwechſelnde,
wie das Waſſer, indem es sich allen Ge-
stalten anſchmiegt; dieſer geſtaltwechſelnde
und daher geſtalterkennende Sinn iſt der
Taſtſinn.
Durch dieſen Charakter unterſcheidet
er sich hinlänglich von dem Gefühlſinn,
der
[112] der nur den Widerſtand ohne alle Form
wahrnimmt: die Finger nehmen zwar auch
den Widerſtand wahr, aber nicht inso-
fern sie taſten, sondern insofern sie über-
haupt als körperliche Maſſe anſtoſsen, und
als thieriſche Maſſe empfinden, der Lip-
penſinn aber “nous procure la plus déli-
cieuſe de toutes les senſations du tou-
cher”, und lehrt die Rüſſelthiere meiſtens
allein ihre Speiſe erkennen, was ihnen mit
dem Taſtorgan, z. B. dem Elephanten, der
Aente etc. nicht so leicht gelingt, und wenn
auch, doch nur in anderer Rükſicht, oder
wegen andern Eigenſchaften der Speiſen.
Inſofern wir mit den Fingern bloſs Wider-
stand auffaſſen, tasten wir nicht, dieſes
tritt erſt ein, wenn wir in das Kubiſelſe
des Körpers eindringen, wenn wir eine
Vorſtellung von seiner Geſtalt, von seinem
Attribut, das ihm gemäſs der Schwere-
function eingeprägt iſt, haben wollen.
Der geiſtige Charakter dieſes Sinnes
scheint Vorsichtigkeit, Prüfung, Bedächt-
lichkeit zu sein.
Die
[113]
Die ausgesuchteſte Form dieſes Sinnes
iſt die elliptiſche, nicht nur die Umriſſe
der Hand, auch die der Finger sind nach
dieſer Figur gebildet, und wer die Natur
des Taſtorgans ergründen will, mag wohl
am klügſten mit der Gravitation der Welt-
körper, mit den Schellingiſch-Kepplerſchen
Geſezen beginnen, von der Ellipſe zu dem
allgeſtaltigen, gravitirenden Waſſer herab-
steigen, das Salz und die Lunge befra-
gen, um endlich die Finger als graviti-
rende Radien der Weltellipſe zu erkennen.
[114]
II. Stuffe.
IV. Sinn.
Magnetismus — Knochen — Ohr.
Der Magnetismus oder die Starrheit
der Natur widerhallt dem Thiere als Ge-
hör. Dieſes nimmt wahr das Streben der
Körper, in ihrer Starrheit zu bleiben, die
Form der magnetiſchen Action zu behaup-
ten, welches Streben sich als Zittern äus-
sert. Es iſt daher der freier gewordne Ge-
fühlſinn, der Gefühlſinn2, welcher den
Widerſtand der Körper selbſt in der Ferne
fühlt, und noch durch die Nervenverbin-
dung beider nahe Verwandſchaft beweiſt.
Wie das Aug eine Lichtfunction, das
Taſten eine Wiederholung der Schwere-
action, mittels der die Sonne die Planeten
wie mit Händen umfaſst, so iſt das Hören
ein wahrer magnetiſcher Proceſs, deſſen
Er-
[115] Erregung aus den Metallen übergeht in das
metalliſche Ohr. Gleich dem Farbenbilde,
welches die [Lichtaction] auf die Retina wirft,
wird ein magnetiſches Farbenbild auf den
Nervenbrei im Ohr geworfen, eben so re-
flectirt sich die Schwere in der Hand, und
alle Naturactionen auf ihren Sinnorganen.
Das Hörorgan iſt selbſt aus starren Thei-
len, sogar bei den niederſten Thieren zu-
sammengeſezt, und entſpricht so als der
einzige verknöcherte Sinn den Metallen,
seinem Vorbilde aufs vollkommenſte. Die
eigentliche Welt des Tons iſt in den Me-
tallen lebendig, und so sind dieſe und das
Ohr aufs genaueſte für einander geſchaffen.
Dieſer Sinn wirkt am stärkſten beim
Schlafe der übrigen Natur, beſonders des
Lichts; nur von unbeſtimmten Vorgängen
der Welt, von ihrem raſtloſen Bemühen,
die Starrheit zu zerſtören, und den hefti-
gen Schlägen dieſer in dieſem Kampfe,
dem Thiere Nachricht gebend, macht er
Furcht zum Charakter des Hörſinns, und
läſst sie da am ſtärkſten wirken, wo er am
meiſten herrſchend iſt, wie in der Klaſſe
der Vögel. Auch Geſchwäzigkeit und alle
H 2Sym-
[116] Symptome der Muthloſigkeit ſcheinen hie-
her zu gehören.
Die Natur hat das Ohr nach den Re-
geln der Parabel entworfen: Es iſt ſonder-
bar, daſs es eigentlich noch kein Phyſiker
unternommen, das Hör- und Sprachrohr
ganz allein nach der Form der Parabel zu
conſtruiren, da doch dieſes selbſt der ge-
meinen Theorie des Schalls nach die na-
türlichſte Form iſt. Die Organiſation des
Ohrs wird aber nur dann philoſophiſch be-
griffen sein, wann alle einzelne Theile deſ-
selben als Veredlungen der Metalle, der Ko-
rallen, (der Bedekung) und der Knochen er-
kannt ſind, wann die Ohrmuſchel als das
paraboliſche Hörrohr, das Paukenfell als
die parabelſchlieſsende Ebne, die Pauke
als die Wände, von der die Schallſtralen
als Radien gegen einen Focus, in dem viel-
leicht die Retina der Scarpaiſchen Nerven-
breiſäkchen liegt, und wann die Bogen-
gänge, Schneke etc, [auf] eine gleiche Weiſe
nachgewieſen sind, wozu aber die Hoff-
nung nicht sehr nahe liegt, da so selten
ein mathematiſcher Kopf die nöthigen
Kenntniſſe der Thieranatomie, und der
Anatom so selten die mathematiſchen beſizt.
V.
[117]
V. Sinn.
Electrismus — Leber — Nase.
Die electriſche Naturfunction wieder-
kehrt in dem Nervenſyſtem als Geruchſinn.
Es iſt überhaupt nicht schwer zu bewei-
sen, daſs der Geruch nicht durch das Me-
chanische der Berührung ausge-
dünſteter Theilchen hervorgebracht werde,
weil sonſt alles Geruch haben müſste, was
in die Naſe gezogen wird, dagegen be-
kanntlich alle Materien gerochen werden,
von denen es gewiſs iſt, daſs sie vorzüg-
lich electriſch sind, und dieſe Electricität
der Luft mittheilen, die dann, heterogen
mit unſerer Naſe electriſirt, diese in Thätig-
keit verſezt, wodurch sie so, wie das
Auge die Stralen des Lichts, die empi-
riſch noch zu findenden electriſchen Stralen
der Körper wahrnimmt. Riechen iſt der Ue-
bergang der so wenig als das Licht nur in
zwei specifiſche Actionen trennbaren, elec-
trischen Proceſſe der Natur in die Naſe,
welche durch ihre lamellenartige Form der
feinſte Electrometer geworden: Die Schnei-
derſche Haut iſt die Retina, worauf das
electrische Farbenbild von den Natur-
kör-
[118] körpern geworfen, und wo von dem Riech-
nerven die gehrochne Electricität, wie
vom Sehnerven das gebrochne Licht ange-
schaut wird. Als das Aug2 iſt die Bedeu-
tung der Verbindung der Ciliarnerven mit-
tels des Ganglion lenticulare mit dem
Riechorgan begreiflich; merkwürdig iſt es
aber, daſs nur die Nebennerven der ho-
mologen Sinne sich verbinden, wie der
Maxillaris superior mit der Portio dura,
die nebſt einem Faden zum Säkchen eines
Bogengangs nur die Paukenſaite abgibt,
und die Riechnerven nicht mit dem Seh-
sondern nur mit den Ciliarnerven.
Jedermann weiſs, wie sehr der Kam-
pher electriſch iſt, so daſs er auf Waſſer
geworfen, beſtändig angezogen und abge-
ſtoſsen wird. Ebenſo verhalten sich ande-
re riechbare Subſtanzen, bei der Electriſir-
maſchine entſteht Geruch, ja selbſt das
bloſse Reiben vieler Körper, von denen
doch nichts ausdünſten kann, wie das
Kupfer, bringt Geruch hervor, und zwar
sehr begreiflich, da durch das Reiben ihr
electriſcher Zuſtand aus dem Gleichge-
wicht
[119] wicht gebracht, dieſer Electricitätsgrad der
benachbarten Luft mitgetheilt wird, bis
endlich eine solche electriſche Luft auf die
Schneiderſche Haut wirkend, die Empfin-
dung eines beſtimmten Geruches erzeugt.
Die Verſchiedenheit der Gerüche hängt
ohne Zweifel von den verſchiedenen Zu-
ſtänden des Electrismus, wie die Farben
von den Brechungen des Lichts, und die
Töne von denen des Magnetismus ab. Die
Lehre der Phyſiker über die Electricität,
daſs aller ihr ſpecifiſcher Unterſchied nur
auf ihren zwei entgegengeſezten Aeuſse-
rungen beruhe, alles andere aber bloſs
quantitativ sei, kann unmöglich wahr sein,
zu welchem Schluſſe uns schon die Farben
und die Töne berechtigen, die doch alle
nicht quantitativ hervorgebracht sein sol-
len, da doch kein Menſch das Grün für
ein geſchwächtes Roth auszugeben wagen
wird — indeſſen will ich noch die Ver-
schiedenheit der Gerüche verſchieben, bis
ich über dieſe Eigenſchaft bei allen Sin-
nen reden kann.
Die
[120]
Die Schwefelreihe iſt das eigentliche
Object des Geruchs, wie die Farben des
Sehens, die Geſtalten des Taſtens, die Me-
talle des Hörens.
Die Welt der Electricität, die sich
dieſem Sinne aufthut, läſst den Ort der
veranlaſſenden Gegenſtände immer in Un-
gewiſsheit; das unaufhörliche Abſtoſsen
und Anziehen und das Hingleiten dieſer
Function über die bloſse Fläche scheint
bei höherer Vergeiſtigung die Schlauheit
zur Begleiterinn dieſes Sinnes zu machen.
Das vollkommenſte Riechorgan muſs
unter der Form der Hyperbel exiſtiren, die
Naſe muſs hyperboliſch sein, denn sie iſt
die höchſte Organiſirung der Leber und
des Schwefels, (der Haut = und Luft2).
VI.
[121]
VI. Sinn.
Chymismus — Magen — Zunge.
Der Chymismus iſt der Schmekſinn
der Natur, und folglich auch des Thiers,
eine Behauptung, die allgemein angenom-
men wird. Die Zunge iſt nur thätig,
wann sie feucht iſt, wann die schmekba-
ren Materien aufgelöſt sind, wo überhaupt
ein chymiſcher Proceſs auf der Zunge vor-
genommen werden kann. Was das Meer-
waſſer der Natur iſt, das iſt die Zunge dem
Nervenſyſtem. Die Salze sind die wahren
Objecte des Geſchmaks. Lekerheit, Geil-
heit iſt der geiſtige Charakter dieſes Sin-
nes, die Figur aber, nach der die Zunge
entworfen iſt, iſt die Eiform, der potenzir-
te Finger, oder Magen, (Lunge) etc.
Wir haben nun das Weſen aller Sinne,
ihre Stelle und Bedeutung in der Welt
und im Thiere erkannt, aber die einzelnen
Eingeweide eines jeden Sinnes sind uns
noch verborgen geblieben. Woher kömmt
es, daſs wir sieben specifiſch verſchiedne
Farben durch das Aug auffaſſen, woher
die qualitativ verſchiedenen Töne verſchie-
dener Inſtrumente, die vielartigen Gerüche
und
[122] und Geſchmäke? Eschenmayer hat
durch seine Conſtruction der Töne das Feld
für alle Sinne geöffnet, es wird sich sogleich
zeigen, daſs allerdings viel Wahres darinn
liege, daſs die Töne verſchiedener Inſtru-
mente nach einer geometriſchen Propor-
tion auf und abſteigen, und die Eines In-
ſtrumentes ebenſo ungefähr nach einer
arithmetiſchen; doch gehen wir sogleich
zur Conſtruction selbſt.
Jeder Ton iſt nichts als die zur Em-
pfindung gewordene Action der Parabel,
daher kann auch alle Tonverſchiedenheit
keine andere ſein, als die der Parabel. Die
magnetiſchen Verſchiedenheiten beruhen
sicher nicht auf bloſser Stärke und Schwä-
che, es müſſen gemäſs der mathematiſchen
Vorbilder wieder so viele Modi exiſtendi
unter den Actionen vorkommen, als die
Vorbilder selbſt Modi exiſtendi haben, die
zwar das Weſen dieſer Figuren nicht über-
schreiten, aber auch nicht bloſs quantita-
tiv verſchieden sein dürfen.
Nun kennt aber die Mathematik nur
drei Zuſtände der Parabel; sie wird ver-
län-
[123] längert oder verkürzt bei gleichbleibendem
Parameter, was alſo bloſs eine quantitative
Verſchiedenheit gibt, oder dieſe nämliche
Parabel wird potenzirt zu Parabel
was schon nicht mehr bloſs quantitativ
bleibt, da sich die Entfernung des Focus
vom Scheitel bei jeder Potenzirung ändert,
und endlich kann die Parabel einen an-
dern Parameter erhalten, wodurch ganz
qualitativ verſchiedne Eigenſchaften, ob-
gleich Parabel bleibend, hervorgrbracht
werden.
Es können daher auch nur dreierlei
Verſchiedenheiten der Töne exiſtiren. Ihr
erſter Zuſtand bezieht sich bloſs auf Stär-
ke und Schwäche eines und deſſelben Tons,
welches in der Parabel vorgebildet iſt durch
Verlängerung oder Verkürzung der Achſe —
je länger dieſe, deſto mehr werden paral-
lele Stralen in den Focus geſammelt, deſto
ſtärker der Ton.
Der zweite Zuſtand hängt ab von den
verſchiedenen Potenzen der nämlichen
Curve, wo sie mit den Exponenten 1, 2, 3, n,
geſezt wird, und mag die Tonleiter des
näm-
[124] nämlichen Inſtruments bezeichnen, daher
auch wegen dem beſtändigen Verrüken des
Focus eine Art specifiſchen Unterſchiedes
selbſt unter dieſen Tönen herrſcht, der
sich doch am meiſten an eine arithmeti-
sche Proportion anſchlieſst. Der Ton d
eines Inſtrumentes iſt nicht bloſs um einen
Grad höher geſtimmt, als der Ton c, es
iſt wirklich ein specifiſcher Unterſchied
zwiſchen beiden, daher man beide zugleich
hört, wenn sie angeſchlagen werden; d iſt
etwa = Parabel2, wenn c = Parabel1 iſt,
aber etwas ganz anders iſt es, wenn der-
selbe Ton c geſungen wird.
Dieſer dritte Zuſtand der Töne wird
hervorgebracht durch die Verſchiedenheit
des Parameters der Curven, in denen der
Focus schon urſprünglich geändert iſt, wo-
nach die Töne verſchiedner Inſtrumente,
die Eschenmayer nach geometriſcher
Proportion geordnet hat, sich richten; so
daſs aus dieſer Conſtruction klar hervor-
geht, jedes Inſtrument habe einen andern
Parameter, und es erſchaffe seine Tonlei-
ter wieder durch ein Potenziren dieſer Pa-
rabel zu höheren Ordnungen, die Stärke
aber
[125] aber durch Verlängerung der Achſe derſel-
selben. Vielleicht entſpricht die Vocalmu-
sik bloſs der so sehr regelmäſsigen Para-
bel, in der Parameter. Abſciſſe und Se-
miordinate gleich sind, die Inſtrumental-
muſik aber den abweichenden Parabeln.
Die Idee von der Conſtruction der
Töne muſs nothwendig für alle mathema-
tiſche Figuren gelten, und so werden ſich
auch die Farben nach den Proprietäten
des Kreiſes, die Gerüche nach denen der
Hyperbel, und die Geſchmäke nach denen
der Eiform richten. Alle Verſchiedenheit
iſt nichts als Varietät der Curve. Die ver-
schiedene Stärke des Schwefelgeruchs rich-
tet sich so nach der Zahl der Abſciſſen ei-
ner Hyperbel mit beſtimmtem Parameter,
wahrſcheinlich nach der gleichſeitigen, die
Geruchleiter des Schwefels aber, wohin
etwa die Hydroſulfure etc. gehören, steigt
mit den Exponenten zu höhern Ordnun-
gen der Hyperbel auf, so iſt vielleicht der
Schwefelgeruch = Hyperbel1, der der Hy-
drothionſäure aber = Hyperbel2 u. s. f.
Die eigentlich specifiſchen Gerüche sind
endlich determinirt durch die Verſchieden-
heit
[126] heit der Parameter, die aber auch, ob-
gleich unendlich varirend, doch nur be-
stimmte Abweichungen von der gleich-
seitigen electriſchen Curve ſein können.
Iſt Schwefelgeruch die Electricität der
gleichſeitigen Hyperbel, so wird Weingeiſt
nicht blos eine höhere Ordnung dieſer
sein, sondern er wird zu einem ganz an-
dern Parameter gehören.
Was hier von Tönen und Gerüchen
geſagt iſt, gilt natürlich zuerſt vom Mag-
netismus und Electrismus, woraus zu-
nächſt folgt, daſs dieſer beider Qualität
nicht bloſs [auf] dem einfachen Gegenſaze
zwiſchem poſitivem und negativem Pol be-
ruht, sondern die Qualität hängt ab von
dem verſchiedenen Modus exiſtendi bei-
der Pole gemäſs dem Weſen ihrer Cur-
ven, wobei ich nur an die Electricität des
Turmalins erinnern will. Wer Zeit und
Trieb hat, möge dieſes indeſſen weiter ent-
wikeln, und es auch auf den Geſchmak,
auf die Farben, aufs Taſten etc. aus-
dehnen.
Wir
[127]
Wir können nun die homologen Glie-
der der Organe der Sinne und des Rumpfs
zuſammenſtellen, und so finden wir, daſs
der Bedekung der Gefühlſinn, der Haut
der Lichtſinn, dem Oxydationsſyſtem der
Taſtſinn, den Knochen der Hörſinn, der
Leber der Geruchſinn, und endlich dem
Verdauungsſyſteme der Schmekſinn ent-
spreche. Weiter iſt homolog mit dem
Gefühlſinn der Hörſinn, beide sind Cohä-
sionsproceſſe, mit dem Auge der Geruch-
sinn, und mit dem Taſten der Schmek-
sinn, daher in allen die Nervenanaſtomo-
sen; die Zunge iſt eine verwachſene Hand,
um das Aufgelöſte zu taſten, die Finger
aber ſind die zerfallene Zunge, um wie
eine Flüſſigkeit die Geſtalten zu umgeben;
doch dieſes läſst ſich ganz deutlich über-
schauen im folgenden Schema.
I.
[128]
| 1. | 3. | 2. |
| Cohäſion. | Schwere. | Feuer. |
| Erde. | Waſſer. | Luft. |
| Bedekung. | Lunge. | Haut. |
| Gefühlsinn. | Taſtſinn | Lichtſinn. |
| 1. | 3. | 2. |
| Magnetismus. | Chymismus. | Electrismus. |
| Metall. | Salz. | Schwefel. |
| Knochen. | Magen. | Leber. |
| Hörsinn | Schmeksinn | Riechsinn |
| 1. | 3. | 2. |
| Galvanismus. | Animalism. | Vegetatismus. |
| Korall. | Thier. | Pflanze. |
| Kreislauf. | Nervensyſtem. | Lymphsyſtem. |
| . . . . | . . . . | . . . . |
Man wird sich wundern, warum ich
nicht auch noch drei Sinne für die dritte
Potenz aufſtelle, aber, da in dieſer keine
unorganiſchen Functionen mehr, sondern
blos eigentlich organiſche reflectirt wer-
den,
[129] den, so ſteigen die entſprechenden Ner-
venfunctionen über die Sinne hinaus in
eine höhere Welt, die ich hier unberührt
laſſen werde, und mithin die dritte Stuffe,
die Syntheſe der Sinne überſchlage.
Wenn die Natur die einzelnen Organe
nach so getreuen Geſezen producirte, so
muſs sie auch die ganze Thierwelt in der-
selben Ordnung hinſtellen, denn jede
Thierklaſſe iſt nichts, als der Träger die-
ses oder jenes Sinnes. Wie der Magnetis-
mus eine eigene materiale Welt, die Me-
talle zu seiner Wohnung wählte, so wird
auch im Thierreiche dieſelbe Action ihre
Wohnung gefunden haben; wie die Me-
talle, die Kinder des Magnetismus, in
mehre Gattungen zerfallen, so werden
auch die Thiere, in welchen die Natur zu
Ohr geworden, wieder Modificationen die-
ses Organs sein, wodurch eine ganze Klaſſe
von Hörſinnthieren gebildet wird, ebenſo
muſs es Riechſinns-Schmekſinns-Thiere etc.
geben
Wir wiſſen daher schon wieder zum
Voraus, daſs es sechs Thierklaſſen als Re-
präſentanten der Sinne geben müſſe, ohne
die Syntheſe davon, welche der dritten
Stuffe entſprechend die höchſte Klaſſe bildet.
[130]
I. Stuffe.
I. Klasse.
Cohæsion — Erde — Bedekung,
Gefühlsinn — Würme.
Das erſte wahrhafte Sinnenleben be-
wegt sich im Wurme, obgleich meiſtens
von einem ſteinernen Kerker bedekt, wie
die Serpulen, Sabellen, Dentalien etc., iſt
es ihm doch geſtattet, sich durch Verlän-
gerung, Bewegung, aus ſeiner Röhre in
die Welt hervorzuſtreken, und so den er-
ſten Sinn, der in seinem Nervenfaden aus-
geprägt iſt, als Gefühl zu üben. Unter
der erdigen Bedekung hat er eine feine
weiche Oberfläche, vorzüglich sind aber
dem Gefühlſinne beſtimmt die Stralen oder
Wärzchen, welche als Lippen das Maul
umgeben, die ich aus Mangel eines paſſen-
dern Wortes Palpen neune.
Alle höhern Sinne sind bei dieſen
Thieren noch nicht entwikelt, Augen, Oh-
ren etc. sind spätere Productionen der Na-
tur, eben so sind die dieſer Reihe hetero-
lo-
[131] logen Organe nicht vorhanden, z. B. Leber;
das Verdauungsſyſtem iſt ein einfacher Ka-
nal, das Athmungsorgan aber fällt, wie es
Cuvier gezeigt hat, mit der Oberfläche
des Leibes zuſammen. Ihre Fortpflanzung
iſt in vielen ganz den Polypen gleich,
nemlich ein Glied löſt sich um das andere
ab, und wächſt wieder zu einem ganzen
Wurm, alſo eine blos männliche Vermeh-
rung, wie es sich gemäſs der Reihe, in
die sie fallen, vorausſehen läſst. Dagegen
iſt der ihnen parallele Kreislauf so sehr
herausgehoben, daſs sogar die meiſten,
nach Redis, Swammerdams, La
Marks und Cuviers Beobachtungen,
gefärbtes Blut haben, welches bald roth,
bald violet, bald blau nach Verſchieden-
heit der Thiere vorkömmt.
Die Definition dieſer Thierklaſſe grün-
det sich natürlich auf den Gefühlſinn, den
sie ohne Ausbildung der andern Sinne al-
lein besizen. Bei allen Definitionen, die
ich von Thieren gebe, welche nicht Säug-
thiere sind, nehme ich auf dieſe aus
Gründen, die sich von selbſt ergeben wer-
den, gar keine Rüksicht, sondern gebe
I 2zu-
[132] zunächſt nur das Unterſcheidende von den
Thieren an, welche unter den Säugthie-
ren ſtehen, und wie sich zeigen wird, nur
durch Einen vorragenden Sinn charakteri-
sirt sind.
Der Charakter des Wurms muſs dem-
nach folgendermaſsen ausgedrükt werden:
Vermis = animal unisensuale, palpis
labialibus, aut palpis-labiis (totum pal-
pans, alteris sensibus depressis).
Es gibt kein anderes Thier, deſſen
Palpen zugleich die Lippen, und deſſen
Lippen zugleich wahre Palpen wären; wo
wir auch Palpen finden, sind sie immer
bloſse Anhängſel der Lippen, oder gehören
auch kaum zu ihnen, wie Leztes in den
Inſecten, Erſtes in den Fiſchen, nebſtdem
daſs weder dieſe noch jene eigentlich so
etwas haben, was man Lippen nennen
könnte, nemlich ein bewegliches, palpi-
rendes, speiſeergreifendes Organ. Auch
den Vögeln und Amphibien hat die Zooto-
mie die Lippen mit Recht abgeſprochen,
und so haben wir den Würmen dieſen
Sinn
[133] Sinn als ein ausſchlieſsliches Eigenthum
gerettet.
Dieſe Thiere müſſen nach den Orga-
nen des Gefühlſinnes eingetheilt werden,
was auch meiſtens von den Naturforſchern
geſchehen iſt, da sie die Wärzchen am
Maul gröſstentheils zum Charakteriſtikon
gewählt haben.
Die Stumpfheit dieſes Sinnes charakte-
riſirt die Würme hinlänglich.
II. Klasse.
Feuer — Luft — Haut.
Lichtsinn — Insecten.
Das Inſect hat sich zu seiner Bedekung
eine feinere Maſſe auserleſen als der Wurm,
nur von Horn in gelenkige Schienen ge-
gliedert will es umfangen sein, wie jene
noch Sclaven ihrer Hülſen, so iſt hier der
Panzer der Sclave des Leibes, er folgt
nicht nur allen Bewegungen des Thiers,
sondern iſt selbſt gezwungen, sich los-
zutrennen und ihm als Flügel in die
Luft zu helfen, so sehr iſt die Bedekung
schon
[134] schon von der Haut verdrängt. Die Flü-
gel der Inſecten sind keine Verflächungen
des Taſtſinnes wie beim Vogel, deſſen
Vorderfüſse sich wirklich in Flügel ver-
wandelt haben Das Insect hat noch keine
Füſse zum Taſtſinn, und daher sind seine
Flügel bloſse abgelöſte Deken seines Lei-
bes, wahre Elytra. Streng genommen ha-
ben die Inſecten weder Flügel noch Füſse,
obſchon sie deren mehr als andere Thiere
zu haben scheinen, ich verſtehe nemlich
unter Flügel und Fuſs Organe des Taſt-
ſinns, wenn auch gleich dieſer noch so
sehr wegen andern Functionen unterdrükt
ist.
Dieſe Klaſſe iſt überhaupt an die In-
fluenz der Sonne und der Luft gefeſſelt,
nur der Sommer, wo Licht und Wärme
die Erde beſeelen, iſt ihr Element, mit
diesem sterben sie und werden lebendig.
Der meiſten Inſecten Lebensdauer iſt nicht
weiter als auf Einen Sommer berechnet,
so sehr sind sie Ebenbilder des Lichts und
der Wärme, ja manche Gattungen unter
ihnen sind sogar wahre leuchtende Phos-
phore, von dem Farbenſpiele der Schmet-
ter-
[135] terlinge, überhaupt von der zur Fläche,
zum Kreiſe werdenden Form des ganzen
Thiers nicht zu reden.
Die Hautabſonderung iſt in ihnen sehr
stark hervorgebildet, besonders unter den
Flügeln, zwiſchen den Bauchringen, in
den Gelenken etc., der ſpecifiſche Geruch,
welchen so viele von sich geben, spricht
für eine ſtarke Ausdünſtung, ebenso die
mancherlei Säfte, welche in dieſer Klaſſe
ausgeſchieden werden.
Das Aug endlich iſt ihnen übermäſsig
zu Theil geworden, ihr ganzer Kopf iſt
zu Lichtſinn kryſtalliſirt, sie sind an die
Farben der Natur, an die Blumen gefeſſelt,
und so sehr mit dem Lichte identiſch,
daſs sie unermüdbar durch einen unwider-
ſtehlichen Trieb gezwungen, jedem zu-
fliegen, was leuchtet. Man öffne in einer
Sommernacht die Fenſter eines Gartenhau-
ses, seze ein Licht hinein, und ehe man
sichs versieht, flattern die Nachtfalter
schaarenweiſe mit einem unvertreibbaren,
aber wohl begreiflichen Eifer in die Flam-
me; wenn sie sich die Antennen, wenn
sie
[136] sie die Flügel schon verbrennt haben, laſ-
ſen sie doch nicht ab, von dem Streben,
sich mit dem Lichte zu vereinigen, sie
ſteigen am Leuchter hinauf, oder an einem
andern danebenſtehenden Gefäſs, und wenn
sie die Flamme erreichen zu können glau-
ben, wagen sie einen Sprung; fallen sie
auch gleichwohl hundertmal herab, so
hindert dieſes sie doch nicht, es von
neuem zu verſuchen, keine Welt exiſtirt
mehr für sie, als die des Lichts.
Wie ein Waldvogel sich das Hirn am
Fenſter einſtöſst, so arbeitet ein Gartenin-
ſect tagelang, um das Fenſterglas durchzu-
scharren, iſt das Zimmer gleichwohl er-
wärmt, so will es dennoch nicht zum
Ofen, sondern dem Lichte entgegen. Beim
Vogel iſt es offenbar das Auge, welches
ihn, das Glas durchſchauend, so unvor-
sichtig ans Fenſter treibt; die ganze Welt
würde lachen, wenn man dieſes leugnen
und etwa seinem Schnabel oder seinen
Klauen das Vermögen geben wollte, die
Durchſichtigkeit des Glaſes für bloſse be-
leuchtete Luft zu halten. Wenn es beim
Vogel das Auge thut, wie soll es beim In-
sect
[137] sect ein anderer Sinn thun können? Oder
iſt denn das Organ für das Licht nicht in
jedem Thiere der erſtarrte Lichtſtral?
Kann ein Sinn, der vielleicht der Cohä-
sion der Auſſenwelt entſpricht, oder der,
welcher die Körper der Erde, wie die
Schwerkraft die Planeten miſst, je sich so
traveſtiren, daſs er ſtatt seiner Natur zu
folgen, nun ein Lichtmeſſer wird? Wohl
gebe ich das zu, wenn ihr mir werdet be-
wieſen haben, daſs das Licht = Erde,
oder Waſſer oder Metall iſt, so lange ihr
aber dieses nicht könnt, so lange b [...]rdet
der Natur nicht auf, daſs die Luft Erde,
das Metall Waſſer sei, oder daſs der Ma-
gen hören die Zunge sehen, die Finger
riechen können! Beobachtet doch die
Schmetterlinge an einem schönen Sommer-
tage, wie schnell, wie in allen Richtungen
dieſe sich verfolgen, nie verliert ein Männ-
chen sein Weibchen, wendet sich dieſes
auch in den wunderlichſten Zikzak, iſt es
gleich zwanzig Schritte entfernt, es wird
sicher eingeholt. Seht dieſes und sehet ſie
im Lichte, und sehet sie am Fenſter, dann
werdet ihr nicht mehr, eingenommen
durch vorhergebaute Meinungen, einem
Thie-
[138] Thiere sein Eigenthum abſprechen, weil
Perrault glaubt, die niederſten Thier-
klaſſen müſsten nur Einen Sinn haben,
damit er eine schöne Leiter für die Natur
bekäme.
Das Hirn der Inſecten iſt nichts als
ein Cerebellum, aus dem zwei ungeheure
Sehnerven zu den Augen laufen, dieſe
reiſſen so alle Nervenmaſſen an sich, daſs
kaum noch einige feine Faden für die An-
tennen und die Palpen übrig sind. So
deutlich iſt in den Inſecten das ganze Ge-
hirn in zwei Sehnerven getheilt, so früh
finden wir schon einen Beweis, daſs das
groſse Gehirn nichts als der Zuſammenfluſs
der Sinnesnerven, hingegen das kleine das
Centrum für die Nerven des Rumpfes iſt.
Was den übrigen anatomiſchen Bau des
Auges der Inſecten betrifft, so iſt er durch
die geſchikteſten Zootomen so klar als eine
Zuſammenhäufung von unzähligen Sehor-
ganen bewieſen worden, daſs man die Ver-
suche, welche durch Beſchmieren der Au-
gen für ihr wirkliches Sehen angeſtellt
wurden, völlig entbehren kann.
Wir
[139]
Wir gehen zu den Organen über, wel-
che mit dem Auge parallel entwikelt, und
dann zu denjenigen, welche wegen der
Entgegenſezung unterdrükt sein müſſen.
Die Leber als das parallele Organ der
Haut und des Auges iſt in ihnen schon
ſtark ausgebildet, vorzüglich in den Kreb-
sen; und was sind die blinden Anhängſel
des Darmkanals als eine Leberfunction?
Die Gefäſse in ihnen treten der Natur des
Lymphſyſtems ganz nahe, auch der paral-
lele Geruchſinn iſt bedeutend entwikelt,
die übrigen Sinne sind auſser dem Gefühl
in den Palpen sehr zurükgedrängt, eben-
so das Athmungsſyſtem, welche ohne Zwei-
fel auf das Gefäſsnez um den Maſtdarm
reducirt iſt, denn die vielen und weiten
wie Silber glänzenden, meiſtens freilie-
genden Luftröhren, sind doch im Ganzen
nichts als Luftbehälter, wie die Knochen
der Vögel.
Der Darmcanal iſt voll blinder Anhän-
ge, die vier langen sogenannten Gallen-
gefäſse sind wahrſcheinlichſt Nahrungsge-
fäſse, durch die der Chylus in das Ge-
fäſs-
[140] fäſsſyſtem geführt wird, wofür vorzüglich
ihre Inſertion in das Gefäſsnez des Maſt-
darms spricht, denn daſs die Ernährung
durch bloſse Durchschwizung durch die
Wände, wie einige Alte und Neuere mein-
ten vor sich gehen soll, iſt bei einem
thieriſchen Körper, der doch mehr als ein
todter Schwamm iſt, um es gelinde zu
sagen, zu viel behauptet.
Der heterologe Kreislauf iſt in ihnen un-
gleich schwächer ausgebildet, als in den
Würmen, und neigt sich vollkommen zu
dem Charakter des Lymphſyſtems, denn so
viel mir bekannt, hat kein einziges Inſect
gefärbtes Blut, ſtatt des Herzens aber, wel-
ches man schon bei den Schneken so in-
dividualisirt findet, iſt eine gleichdike
Aorta in ihrem Leibe, und überhaupt fin-
det man das Gefäſyſtem nicht so ausge-
wirkt in Venen und Arterien, wie bei den
obgleich niederern Würmen.
Das Knochenſyſtem suchen wir verge-
bens, die ihm homologe Bedekung iſt eben-
so doch weniger zurükgedrängt, alles wie
es in dem erſten Thiere der anticohären-
ten Reihe sein muſs.
Der
[141]
Der Kunſttrieb der Inſecten geht auf
regelmäſsige kryſtalliſche Formen, und was
bedeutend iſt, meiſtens auf Sechseke, wel-
che dadurch entſtehen, daſs der Radius in
die Peripherie getragen, und so der voll-
kommenſte Kreis, inſofern er als Kryſtall
exiſtiren kann, dargeſtellt wird. Die Zel-
len der Bienen sind ein nach Auſſen kry-
ſtalliſirtes, polyödiſches Auge, deſſen sechs-
seitige Faſetten aufs bewundrungswürdigſte
in jeder Zelle erhalten sind. Das Kunſt-
product iſt das in der Auſſenwelt abgedruk-
te Sinnorgan, ich verändere daher das so
unedel herabgezogene Wort Kunſttrieb in
Sinntrieb, eigentlich kann man nur dem
Menſchen Kunſttrieb und seinen Produc-
ten den Namen Kunſtproduct beilegen.
Weil das Aug in die weibliche Reihe
der Natur fällt, so hat auch in dieſer Klaſſe
der weibliche Charakter das Uebergewicht,
meiſtens sind die Männchen kleiner, und
ſterben gleich den Staubfäden unmittelbar
nach der Begattung, die Weibchen dage-
gen sind sehr productiv, legen viele und
ſehr groſse Eier, ja die Blattläuſe pflanzen
sich lange auf blos weibliche Weiſe fort.
In
[142] In den Bienen endlich, in den Ameiſen
und Termiten hat sich sogar die Weiblich-
keit so energiſch entwikelt, daſs ihr Ein
Individuum nicht mehr hinreicht, sondern
sie muſs an die Königinn und an die ar-
beitenden Inſecten vertheilt werden, indem
jene blos die Eier, dieſe aber den Uterus
als Zellen, und die Bruſt als Honigbrei
hergeben; so überflieſsend, so alleinherr-
schend iſt der weibliche Leib in dieſer
Klaſſe!
Das herrlichſte und am tiefſten grei-
fende Phenomen, die Metamorphoſe von
der Larve zur Puppe und von dieſer zum
vollendeten Thier, iſt aus der Duplicität
dieſer Naturfunction zu erklären, wo sie
von der Form des Diameters zu der der
Peripherie und dann zur totalen Kreisform
übergeht, was sich im einzelnen Inſect
als Larve, Puppe und Vollendetes, in der
Klaſſe aber als Aptern, Schmetterlinge und
als Elytraten ausdrükt. Die Metamorphoſe
iſt eine Entwiklung des Kreiſes, ein herr-
liches, deutlich ausgeprägtes Spiel zwi-
schen Licht und Wärme, zwiſchen poſiti-
ver und negativer Electricität. Dieſe lezte
iſt
[143] iſt noch zu wenig bei den Inſecten unter-
sucht, ſicher sind sie für selbe sehr senſi-
bel, wie für die Aendrungen der Tempe-
ratur. Wann einſt dieſe Verhältniſſe ge-
nauer entwikelt ſind, so wird es sich
wohl von einer meteorologiſchen Araneologie
wiſſenſchaftlich sprechen laſſen, wenig-
ſtens so beſtimmt als von unſern unorga-
niſchen Thermo- und Electrometern.
Das Auge iſt das Organ des Muthes,
und wirklich iſt die Klaſſe der Inſecten,
die verwegenſte und muthvollſte, gemäſs
des Herrſcherſinns, der sie begeiſtert.
Die Definition des Inſects muſs von
den Augen hergenommen werden; wenn
ich auch nicht jede Faſette für ein Aug
halte, so ſteht wegen den Ocellis doch
folgender Charakter feſt:
Insectum = animal unisensuale, po-
lyops.
Dieſen Charakter kann wieder kein
einziges Thier aufweiſen, gehöre es zu
niederern oder höhern Klaſſen. Wo iſt ein
Fiſch, der mehr als zwei Horopter hätte,
wo
[144] wo ein solcher Vogel, ein Amphibion,
oder eine Sepia? Alles was Inſect iſt, hat
polyhoropteriſche Augen, und was solche
hat, muſs ohne weiteres, wäre auch der
übrige Bau des Rumpfes noch so abwei-
chend, hieher gerechnet werden. Nur
durch dieſe Definition kann die Unordnung
vertrieben werden, die seit einigen Jahren
in dieſer Klaſſe um sich gegriffen hat.
Die Haupteintheilung der Inſecten iſt
natürlich und nicht schwer nach den Au-
gen zu machen. Sie theilen sich in sol-
che, deren gröſsten Theil des Kopfes die
Augen ausmachen, und in andere, bei de-
nen es umgekehrt iſt: bei jenen sizen sie
entweder ganz mit ihrer Oberfläche feſt,
oder hängen nur an einem dünnen Fäd-
chen, sie sind ferner rund, oval oder der
sechſte Theil einer Sphäre, sie ſtehen vor
oder hinter den Antennen, oder dieſe selbſt
auf ihnen etc.
Bei den Spinnen hat sich sogar dieſe
Eintheilung den Naturforſchern schon auf
gedrungen, weil sie in der That keine an-
dern Charaktere fanden, als die Zahl und
den
[145] den wechſelnden Stand der Augen. Daſs
aber die Cruſtacea mit Unrecht von den
Inſecten getrennt werden, zeigt sich nach
unſerer Definition auffallend, wie auch
die ungeſchikte Hereinpreſſung fremder
Individuen, die weder den Körperbau,
noch die Gliedmaſsen, geſchweige das un-
endliche Aug mit dieſer Lichtklaſſe gemein
haben.
Es iſt natürlich, daſs bei dieſer Ein-
theilung weniger eigentliche Gattungen
herauskommen, aber auf die Zahl kömmt
es nicht an, sondern auf die Natur. Was
liegt denn daran, ob dieſes Inſect, das
übrigens seinen Augen nach zu einer be-
ſtimmten Gattung gehört, nun ein Gelenk
in einem Palpus oder in einem Fuſs mehr
hat? Soll es deswegen eine eigne Gattung
ausmachen? Man glaube aber nicht, daſs
ich hier das Geſez vor Augen habe: man
müſſe die Dinge nicht ohne Noth vermeh-
ren; dieſes auf unſere Inſecten angewen-
det, hätte gerade dieſelbe Bedeutung, als
wenn man sagte: man müſſe die Zahl der
Planeten nicht ohne Noth vermehren.
Nicht wir machen die Zahl, sondern die
KZahl
[146] Zahl macht uns, denen nichts bleibt als
die Verehrung und Anbetung derſelben
in pythagoräiſcher Andacht: wir müſſen so
viele Gattungen machen als deren sind,
oder um die Schwachheit nicht zu ver-
hehlen, so viel als wir nach unſerm Sy-
ſteme finden.
III. Klasse.
Schwere (Oxydationsproceſs) — Waſſer,
Lunge — Tastsinn — Schneken.
Ich glaube nicht, daſs über dieſe Zu-
ſammenſtellung irgend jemand einen Zwei-
fel haben wird. Das Waſſer iſt das Pro-
duct des Oxydationsproceſſes, das Athmen
iſt derſelbe im Thier, die Kiemen aber
sind in den Schneken am ungeheuerſten
ausgebildet, beſonders iu den zweiſchali-
gen liegen sie als vier ungeheure Hautlap-
pen an den Seiten des Körpers, so lang
und breit als dieſer selbſt, mit dem schön-
ſten Gefäſsneze, an dem sich der Blik
nicht genug sättigen kann, durchwebt.
Ebenſo ungeheuer iſt die Kieme der ein-
häuſigen Land- und Waſſerſchneken, sie
liegt
[147] liegt unter dem Rüken der Schale als eine
breite und lange Membran von den dikſten
Gefäſsſtämmen durchzogen, die sich sehr
deutlich verzweigen. Auch iſt es ja erwie-
sen, daſs die Schneken das Sauerſtoffgas
am reinſten aus der Luft vertilgen, so daſs
sie sogar von Vauquelin als Eudiometer
vorgeſchlagen wurden.
Ihre Taſtorgane sind zu ſtark ausge-
wirkt, als daſs ich dieſe wahren Finger
weiter berühren sollte: viele von ihnen
haben als synthetiſche Thiere Augen hin-
zugebracht, wie die Landſchneken, und
vorzüglich die Sepien.
In ihnen als der erſten Syntheſe des
Thierreichs iſt weder das Männliche noch
das Weibliche vorſtechend, ihr Gleichge-
wichtscharakter äuſſert sich so eigen, daſs
die meiſten wechſelſeitige Zwitter sind,
welches wenigſtens von den Landſchneken
und einigen Waſſerſchneken erwieſen, und
wovon ich mich selbſt an der Weiher-
ſchneke (Bulimus ſtagnalis, La Mark)
durch Beobachtung ihrer Begattung und
durch Anatomie überzeugt habe.
K 2Zu-
[148]
Zuweilen sieht man drei dieſer Schneken in
Einer Begattung; eine davon vertritt blos
die Stelle eines Weibchens, auf dem Rüken
ihrer Schale sizt eine andere, die der er-
ſten das männliche [Zeugungsglied] in die
Vulva bringt, auf dem Rüken dieſer [zwei-
ten] ſizt eine dritte, die ihr auch die männ-
liche Ruthe in der Vulva hält, während
sie die erſte befruchtet; so könnte die
dritte wieder von einer vierten u. s. f. be-
fruchtet werden, wo dann jede, selbſt die
erſte und lezte, wenn man dieſe Kette ge-
schloſſen denkt, zugleich männlich und
weiblich iſt, aber nicht wechſelſeitig, wie
bei den Landſchneken, sondern nur durch
eine dritte hinzukommende, sie sind
daher wahre Trikliniſten. Uebrigens
kann ich dieſe Behauptung, als befruch-
tete jede Schneke sich selbſt wegen dem
undurchborten Penis, und die Begattung
diene nur, Gott weiſs, zu welchem Kizel,
für falſch erklären, da der Penis wirklich,
auch in Helix Pomatia durchbort
iſt; von dem lächerlichen Abſchieſsen des
Liebespfeils, des ewigen Romans der Na-
turforſcher, sollte aber kein Wort mehr
verloren werden.
Der
[149]
Der parallele Verdauungsproceſs, die
Speichelabſonderung iſt scharf angezeich-
net; von zwei groſsen an der Speiſeröhre
liegenden Drüſen sieht man deutlich zwei
Speichelgefäſse, wie schon secirt, zum
Maul laufen; auch als synthetiſche und als
Athmungsthiere iſt der Kreislauf beſtimm-
ter als in den vorigen, er hat nemlich
schon einen Centralpunkt, ein wahres mus-
culoſes Herz. Das sogenannte Hepar in-
teſtinale iſt bei ihnen groſs entwikelt, ohne
Zweifel gehört es zum Verdauungsproceſs.
Ein Knochenſyſtem iſt auch noch nicht
auſſer einigen Zähnen zu finden, wie in
den beiden vorigen Klaſſen, was nach un-
serer Theorie sehr consequent iſt, da der
Knochen der Metallität angehört, ebenſo
sind die andern Sinne als Gehör, Geruch,
Gesicht, theils verdrängt, theils stark ins
Kleine gezogen; nur der homologe Schmek-
ſinn scheint schon einige Wirkſamkeit zu
haben.
Eine gewiſſe Bedächtlichkeit, Vorſicht
iſt bei den Schneken nicht zu verkennen.
Die
[150]
Die Definition dieſer Thiere iſt kurz fol-
gende, wobei zu bemerken, daſs ich unter
Schneke verſtehe, was man bisher unter dem
todten Worte Teſtacea begriffen hat, nebſt
einigen Molluſcis, welche gemäſs ihrer
Taſthörner von den Würmen geſchieden
sind, wie die Wegſchneke und Aplyſia.
Limax = animal unisensuale, tenta-
culatum.
Die Schneken sind nach den Taſtfä-
den zu ordnen; so wenig auch in dieſer
Klaſſe, auſser den einhäuſigen, hierüber
gethan iſt, und so wenig jemand, der
nicht am Meere wohnt, hierinn etwas
Vollſtändiges, beſonders wenn man in die
einzelnen Gattungen gehen wollte, leiſten
kann so iſt doch in dem Wenigen, was
vorhanden iſt, das Eigenthümliche des
Taſtſinns so hervorſtechend, daſs man
schon einige natürliche Ordnungen mit-
tels deſſelben erblikt.
Die Schneken mit zwei oder vier Fin-
gern am Kopfe gehören offenbar zuſam-
men, und doch sind sie in den Syſtemen
ge-
[151] getrennt, weil die einen nakt, die andern
behauſet sind; eine andere Ordnung hat die
Finger am Rande des Mantels, andere an
der Mündung der Athmungsröhre, so iſt
Taſten und Athmen eins geworden; end-
lich in den Sepien sizen sie im Kreiſe um
den Schnabel.
[152]
II. Stuffe.
IV. Klasse.
Magnetismus — Metall — Knochen,
Hörsinn — Vögel.
Auch hierin glaube ich, wird jeder
Naturhiſtoriker übereinſtimmen; einfach und
scharf iſt das Gerippe des Vogels ausge-
prägt; wie der Wurm ganz mit seiner
Röhre, von der reinſten Erde genommen,
verwachsen und so mit ihr eins geworden,
so iſt in den höheren Thieren der Vogel
ganz zu Knochen angeſchoſſen, nicht nur
nach Innen hat sich die kalchichte Maſſe
kryſtalliſirt, auch selbſt in der äuſſern Be-
dekung will sie sich als Federn erhalten,
ja das Maul iſt selbſt zur Erdröhre gewor-
den, die sich sogar über den ganzen Schä-
del in der Nahtloſigkeit ausgebreitet; kaum
iſt es noch den Naslöchern geſtattet, eine
andre Oeffnung durchzubrechen, als die
Mün-
[153] Mündung der Röhre iſt, die Löcher des
Siebbeins sind mit Knochenmaſſe verſchlos-
sen, das Rükgrat iſt steif geworden, die Arti-
culation verſchwunden, selbſt in dem Len-
denwirbeln und dem Schwanzbein; die Flü-
gelknochen sind äuſſerſt arm an Gelenken,
und an den Beinen sucht man die Knieſcheibe,
die Fibula und den Tarſus vergebens; auf-
fallend sind die magnetiſch geſtrekten
Beine fleiſchlos, und die meiſten Knochen
hohle Wurmgehäuſe; wohl iſt dieſes der
Grund ihres Hohlſeins ohne die Abſicht
zum Fluge!
Das Auge enthält einen blättrigen Kno-
chenring, ja selbſt die Zunge iſt zu Kno-
chen erſtarrt! Man [sehe] die Vergleichung
des Geripps der Vögel mit dem der Säug-
thiere, welche Blumenbach angeſtellt,
und man wird mit Erſtaunen wahrnehmen,
wie in ihnen alle Theile zu Einem metal-
liſchen Stüke verwachſen, nur der Hals
erhält bewegliche Wirbel, wodurch er ſich
gleich einem Wurme aus und einziehen
kann.
Der
[154]
Der Vogel hat unter allen Thieren,
selbſt die am höchſten ſtehenden Säugthie-
re, wenn man die Windung der Schneke
abrechnet, nicht ausgenommen, den aus-
gebildetſten Hörſinn, die Theile seines
Ohrs sind gegen die der Fiſche und der
Amphibien, mit denen er doch auf glei-
cher Stuffe ſteht, aufs vollkommenſte vor-
handen. Die Vögel beſizen die wahre an-
geborne Muſik, auch beweiſen sie ihre
Stelle [durch] die Liebe zu den Metallen,
und endlich durch das groſse Phenomen
des Wegziehens zu beſtimmter Zeit und
auf beſtimmten Wegen, welches Phenomen
durch das Zuſammenfallen mit dem Auf-
wachen und mit [der] Richtung der magne-
tiſchen Thätigkeit der Erde, allein be-
greiflich wird: ihre Reiſen sind Abſtoſsun-
gen und Anziehungen zwiſchen dem nörd-
lichen und ſüdlichen Pole, welche im
Frühjahr und im Herbſte nothwendig ein-
treten müſſen, da dann der Erdmagnetis-
mus die gröſsten Variationen erleidet —
die Vögel sind wie die Metalle Producte
des magnetiſchen Theils der Welt, und da-
her der ins groſse gehende Parallelismus.
Die
[155]
Die Ohrmuſchel des Vogels wird gebil-
det durch eigne, kleine, meiſtens ver-
schieden gefärbte, um die Oeffnung des
Hörgangs eingepflanzte Federchen. Aeus-
serſt bedeutend iſt es, daſs er allein
mit den Säugthieren ein offnes
äusseres Ohr hat, seine häutigen Bo-
gengänge sind nach Scarpa sehr deutlich
in den freiliegenden knöchernen einge-
ſchloſſen, die Schneke aber iſt zum hohlen
mit einer Scheidewand verſehenen Cylin-
der geworden, die Paukenhölen ſtehen
mit den Zellen des Kopfes, ja selbſt mit
denen des Schnabels in Verbindung, wo-
durch der ganze Schädel zur Paukenhöhle
wird. Dieſer herrliche Bau, “qui caracté-
rise éminemment l’organe de l’ouïe des oi-
seaux”, begleitet von einem doppelten
Kehlkopfe, muſs nothwendig durch dieſe
Vereinigung des Organs der Stimme und
des Gehörs den vollkommenſten Ton her-
vorbringen.
Die Ohren der Fiſche und Amphibien
sind ohne Ausnahme, nach den darüber er-
schienenen Monographien, nach Auſſen
nicht geöffnet, denn unter den sogenann-
ten
[156] ten Ohrdekeln des Toc-kai iſt die Haut
über den Hörgang geſpannt, wie beim
Froſch, die sogenannten Ohrlöcher der
Eidechſen aber braucht man nur anzuse-
hen, um sie als bloſse Vertiefungen der
Haut zu erkennen; ich weiſs daher nicht,
welche Amphibien La Cepède ausneh-
men mag, da er nur sagt, ihr äuſserer Ge-
hörgang sei gewöhnlich mit einer Haut
verschloſſen; denn selbſt beim Krokodil
verſchlieſst nicht nur der Ohrendekel den
Gehörgang ganz genau, sondern das Pau-
kenfell iſt ja noch unter dem Dekel mit
einer Haut überzogen, daher man ihnen
ein doppeltes Paukenfell beigelegt hat:
mehre Theile der Paukenhöhle, ja dieſe
selbſt, auch Organe des Labyrinths, wie die
Schneke, fehlen. Die Fiſche haben nur
Bogengänge und Steinſäkchen, welche in
der Hirnſchale selbſt, kaum mittels einer
dünnen Haut vom Hirn geſondert liegen,
man sprach ihnen sogar bis auf unſer Zeit-
alter dieſen Sinn ab, welches Loos auch
mehre Amphibien, namentlich das Kroko-
dil und die Schildkröten traf.
In
[157]
In den Inſecten hat man nur in dem
Krebſe die Spur eines Hörorgans entdekt,
in den Schneken nur bei den Sepien, in
den Würmen aber vollends gar nichts.
Die Vögel bleiben daher in dem Besize
dieſes Sinnes, kein anderes dieſer Thiere
macht ihnen denſelben streitig.
Den homologen Gefühlſinn, deſſen
Nerven bei den meiſten Thieren mit den
zum Ohr gehenden mittels des vidiani-
schen anaſtomoſiren, ja in den Fiſchen
beide nur aus Einem Stamme entſpringen,
haben viele Vögel sehr ausgezeichnet in
der Schnabelhaut; den entgegengeſezten
und sich später zeigenden Riechſinn haben
sie wirklich nur in geringem Grade, eben-
so den Schmekſinn, den man ihnen sogar
abgeſprochen, den Lichtſinn aber, als
schon in der Reihe der Sinne vor den
Vögeln entſtanden, haben sie nicht unbe-
deutend, doch iſt er mit drei Augenliedern
bedekt, was fern von den Inſecten ſteht,
die das Auge nakt tragen.
Vor allen Proceſſen iſt der ihnen ho-
mologe Kreislauf herausgehoben, sie haben
ein
[158] ein ganz doppeltes Herz, sehr warmes
Blut und mit einiger Einſchränkung ein
regelmäſsiges Gefäſsſyſtem wie die Säug-
thiere, wodurch sie sehr schön beweiſen,
so wohl, daſs sie dem Kreislaufe parallel,
als auch daſs dieſer in der ſtarren Reihe
zu liegen kömmt. Daher ihre Beweglich-
keit, ihre Muskelkraft, das Uebergewicht
der Männchen über die Weibchen, ja selbſt
der Verdauungsproceſs iſt bei einer gan-
zen Ordnung durch Bewegung vermittelt,
der Magen iſt, wie Döllinger so tref-
fend sagt, zum Zwerchfell geworden. Hier
iſt merkwürdig, daſs die Hörſinnsthiere
gleich den Wiederkäuern, auch einen
mehrfachen Magen, wenn wir nemlich
Kropf und Vormagen dazu rechnen, haben,
wodurch wir schon einen Wink bekom-
men, dieſe lezten an die Thiere mit aus-
gebildetem Ohr anzuſchlieſsen.
Bekanntlich hat sich die Furcht in den
Vögeln niedergelaſſen, auch sind sie dieje-
nigen, welche am allgemeinſten zu Scla-
ven werden, nimmt man noch der Wie-
derkäuer als der säugenden Hörsinnsthiere
leichte Bezähmbarkeit hinzu, so iſt wohl
kein
[159] kein Zweifel, daſs die Unterwürfigkeit auf
das Ohr berechnet sei.
Die Definition des Vogels heiſst so:
Avis = animal unisensuale, meatu au-
ditorio externo aperto.
Wer sollte glauben, der die weitläuf-
tigen und unbeſtimmten Beſchreibungen
der Syſtematiker, welche sie für Definitio-
nen der Vögel ausgeben, ansieht, daſs ein
solch kurzer und von allen andern Thie-
ren unterſcheidender Charakter möglich sei!
In unſerm hier gegebenen Charakter iſt
alles Zufällige, alles blos Organiſche weg-
gelaſſen, und nur das eigentlich Thieri-
sche, deſſen Abbild der Vogel iſt, der
Sinn iſt angegeben. Dieſer kurze, präciſe
Charakter möge zugleich dienen, als Beleg
für die durch unſer ganzes Syſtem durch-
geführte Behauptung, daſs die Sinne das
Einzige dem Thier Eigenthümliche, und
folglich das Princip aller Eintheilung sind.
Die Vögel sind nach dem Hörsinn zu
ordnen, wozu wohl der Schnabel mit
Recht gebraucht werden kann, da er, mit
den
[160] den Ohren durch Zellen in Verbindung
ſtehend, die Paukenhöhle erweitert, und
so den Ton verſtärken hilft. Die Natur-
beſchreiber haben in dieſer Klaſſe das Ein-
theilungsprincip am glüklichſten getroffen.
V. Klasse.
Electrismus — Schwefel — Leber.
Riechsinn — Fische.
Durch das Vorhergehende iſt gezeigt,
wie Electrismus, Schwefel und Riechsinn
eins und daſſelbe auf verſchiedenen Stuffen
sind. Die Fiſche aber als das Organ des
Riechsinns zu erkennen, iſt nicht schwer,
wenn man weiſs, daſs ihr ganzes groſses
Hirn nichts als Riechnervenknoten iſt, wel-
che sich in der Naſe der Knorpelfiſche auf
einer sehr gro[ſ]sen kammförmig, in den
Schuppenfiſchen aber ſtralenförmig gefalte-
ten Haut verlieren, eine Vorrichtung zur
Vergröſserung und zur Zartheit der Ge-
ruchswerkſtatt, die schlechterdings in kei-
nem andern Thiere sich wieder findet; daſs
die Naslöcher weiche verlängerbare Röh-
ren, und gewiſſermaſsen durch eine be-
weg-
[161] wegliche häutige Scheidewand verdoppelt
sind, und überhaupt ihre ganze Lebens-
weiſe auf den Geruch berechnet iſt, denn
die Durchsichtigkeit des Waſſers geht nur
auf einige hundert Fuſs, daſs der Fiſchfang
sich gröſstentheils durch den Geruch der
Fiſche erhalte, daſs dieſe Klaſſe allein in
den electriſchen Fiſchen lebendige Electro-
phore, und in ihrem faulenden Fleiſche
leuchtende Phosphore habe, [und] daſs end-
lich die Züge der Fiſche mit dem Welt-
electrismus, für den nun Ritter die nach
Oſten zeigende Nadel entdekt hat, wie die
der Vögel mit dem Magnetismus zuſam-
menhängen.
Dagegen fehlt den Vögeln sogar das
Siebbein, ihre Naslöcher sind enge, ja
oft ganz verwachſene Spalten; Scarpa’s
Verſuche über den Geruch der Vögel sezen
ihn sehr herab, aber, was für unſre Fiſche
spricht, unter ihnen sind es doch die Waſ-
ſervögel, welche den Geruch am vorzüg-
lichſten besizen.
Bei den Amphibien iſt dieſer Sinn nur
angezeigt, die Naslöcher durch keine Schei-
Lde-
[162] dewand verdoppelt, auch von keinem
wahren Dekel nach Auſſen [geſchloſſen], ob-
schon die Fröſche sie durch eigne Mus-
keln erweitern und verengern können,
und die Krokodile wirklich eine Art Dekel
haben, der aber nicht häuticht, wie in den
Fiſchen, und nur das Nasloch von Innen,
damit die zu schlukende Luft nicht heraus-
trete, zu verſchlieſsen fähig iſt, dagegen
die Naſendekel der Fiſche, unabhängig
von der Reſpiration, sowohl von Auſſen
als von Innen den Durchgang des Waſſers
untersuchen, aber die Löcher nicht gang
schlieſsen können, ferner iſt die Nashöle
ganz von der Athmungsfunction occupirt,
da sie hingegen bei den Fiſchen ganz und
gar allein dem Geruch beſtimmt iſt, und die
Naslöcher doch beweglicher als in jedem
andern Thiere sind. Auch iſt zu bemer-
ken, daſs caeteris paribus die Waſ-
ſeramphibien immer ein ausgebildeteres
Geruchorgan haben, als die, welche auf
dem Troknen leben.
Die Inſecten haben endlich als homo-
loge Thiere mit den Fiſchen Geruchſinn,
obgleich man das Organ noch nicht ent-
dekt
[163] dekt hat, wie weit es aber bei den Schne-
ken und Würmen reicht, iſt nicht bekannt,
nur jedenfalls unbedeutend gering.
Die andern Sinne sind beim Fiſche
um so weniger hervorgetrieben; das dem
Riechſinn homologe Auge iſt noch allein
bedeutend, und obgleich nicht polyödriſch
tritt es doch dem der Inſecten sehr nahe
durch den Mangel an Augenliedern, seine
Zunge iſt ein wahrer Knochen, der Taſt-
sinn verſchwunden, das Ohr verſchloſſen
und verſtümmelt, der Gefühlſinn noch ei-
nigermaſsen in der Schnauze, denn Lip-
pen darf man es nicht kek nennen, merklich.
Hier erſt kann die Leber als das wahre
Organ des Schwefels vindicirt werden.
Dieſe iſt nemlich als das homologe Organ
des Riechſinns bei den Fiſchen unter al-
len Organen des Rumpfes am vollkom-
menſten, am gröſsten entwikelt und zwar
vollkommner als in jedem andern Thier.
Der Darmkanal iſt ganz in die Leber vom
Magen bis zum After verwikelt und hängt
ihr überall feſt an, die Bauchhöhle selbſt
scheint nichts als Leber zu enthalten, dazu
L 2kömmt
[164] kömmt noch die ſtarke Hautfunction des
Fiſches, seine Seitenlinien von lauter Aus-
führungsgängen, die häufig unter der Haut
laufen, und die Anatomen lange in Thä-
tigkeit sezten.
Dieſes Zuſammentreffen aller homolo-
gen Organe im Fiſche, die Haut, die Le-
ber, das den ganzen Fiſchkörper einneh-
mende Lymphſyſtem, worüber man nur
Monro vergleichen möge, die Naſe sind
Gründe genug, die Leber an dieſe Stelle
zu ordnen, und sie zum Reflex des Schwe-
fels zu machen. Wenn wir [nun] vollends
die der Leber heterologen Organe verklei-
nert finden, so haben wir alle Wege be-
treten, auf denen Gründe für unſere Be-
hauptung liegen können.
In der That iſt in den Fiſchen der ih-
nen heterologe Kreislauf zurükgedrängt,
in dem Verhältniſs, wie das Lymphſyſtem
in ihnen herrſchend wird, daher auch die
schwächſte Reproduction in dieser Klaſſe;
sie haben nur ein halbes, nur ein blos ve-
noses Herz, das wenige Blut läuft aus den
Kiemen gerade in die Aorta, längs des
Rük-
[165] Rükgrats wie bei den Inſecten rükwärts;
auch der Oxydationsproceſs iſt nicht ihr
Hauptorgan, wie es sich aus der Kleinheit
ihrer Kiemen, aus der unbedeutenden
Wärme, und dem kaum verſchieden ge-
färbten Blute zeigt. Sie entziehen dem
Waſſer mittels der Kiemen das Säureprin-
cip, wie man vor undenklichen Zei-
ten glaubte, seit aber die Luftchymie die
Oberhand gewonnen, wagt niemand mehr,
der alten Meinung zu sein, von nun an
muſsten sie den Sauerſtoff der im Waſſer
mechaniſch vertheilten atmoſphäriſchen Luft
einathmen! — aber warum athmen ſie denn
nicht den Sauerſtoff der Atmoſphäre selbſt,
und wählen lieber den Tod als aus dieſem
Gefäſse die doch gleiche Speiſe zu ge-
nieſsen? Es iſt nicht abzusehen, warum
das Waſſer nicht auch solches Schwere-
oder Säureprincip enthalten könne, wel-
ches ihm [durch] Athmen oder durch Ko-
chen entzogen werden kann, wodurch die
Fiſche in ihm erſtiken; in verſchloſsnem
Waſſer aber dürfte sie wohl das durch den
Athmungsproceſs entſtehende Waſſerſtoff-
gas und die Kohlenſäure tödten, aber nicht
der Mangel der atmoſphäriſchen Luft.
Die
[166]
Die Speichelabſonderung, der Darm-
kanal sind auch weit hinter der Leber zu-
rük, der lezte aber wiederholt die blinden
Anhänge der Inſecten in den seinigen um
den Pylorus.
Das Knochenſyſtem iſt im Vogel zu
einem harten Stüke verwachſen, im Fiſche
hingegen in [unzählige] weiche Wirbel, in
einzelne Schädelknochen und in ein Heer
von Zähnen zerfallen, kaum kann man es
noch ein feſtes metalliſches Gebäude nen-
nen, viel näher tritt es der Holznatur der
den Fiſchen ſymmetriſchen Pflanzen. Auch
ihre Geſchlechtsfunction hat auf die weib-
liche Seite übergeſchlagen, die Zahl ihrer
Eier iſt Million, die Gröſse der Weibchen
aber gegen die Männchen so auffallend,
daſs schon geſchikte Naturforſcher aus bei-
den Individuen ganz eigne Gattungen mach-
ten, und es iſt nicht unmöglich, daſs noch
deren im Syſteme zu berichtigen sind.
Als Riechſinnsthiere geben sich endlich
die Fiſche auch kund durch ihre bekannte
Schlauheit, und als Symmetrica des Licht-
ſinns durch ihren Muth, der meiſtens an
Verwegenheit gränzt.
Das
[167]
Das Riechorgan der Fiſche kömmt
uns wieder auf eine ganz eigne Art geſtal-
tet entgegen, wie wir es in keinem Thiere
finden. Wie in den Inſecten die Augen,
so haben sich hier die Naslöcher verdop-
pelt. Alle Schuppenfiſche haben in jedem
Nasloche eine häutige, bewegliche Scheide-
wand, mittels der sie zum Theil das Loch
verſchlieſsen, nur der Aal und der Schleim-
fiſch sollen nach Scarpa eine Ausnahme
machen, wofür aber die Naslöcher einen
langen Tubulum bilden, doch wünſchte ich
diesen Bau ex professo untersucht zu wis-
sen. Die Knorpelfiſche haben, die runden
wie die platten, einen wahren beweglichen
Dekel vor den Naslöchern, da ihn die
Schuppenfiſche eigentlich darinn haben. Sie
können die Löcher immer verengern und
erweitern, als wenn sie athmeten, da es
doch ein bloſses Auffangen der Electrici-
tät iſt; andere tragen sogar die Löcher auf
beweglichen Stielen, die wahre Auslader
vorſtellen, der auffallendſte Unterſchied iſt
aber in der Lage der Löcher selbſt, da sie
bei den Schuppenfiſchen oben, bei den
Knorpelfiſchen aber unten am Rüſſel sich
befinden, von dem ungeheuern Wechſel
der
[168] der Länge des Oberkiefers, wie es schlecht,
hin in keiner andern Klaſſe vorkömmt,
und worauf man allein schon gröſstentheils
die Gattungen gründen könnte, will und
kann ich hier nichts Ausgedehntes sagen.
Nach dieſen Charakteren glaube ich
folgende Definition vom Fiſche geben zu
können; sollte ich das eigentlichſte Merk-
mal auch nicht getroffen haben, so bin
ich doch überzengt, daſs es in Zukunft,
wenn man einmal die Fiſche um dieser
Definition willen wird untersucht haben,
leicht sei, das etwa Mangelnde zu erſezen.
Piscis = Animal unisensuale, naribus
utrinque membrana mobili aut geminatis
aut dimidiatis.
Die syſtematiſche Eintheilung der Fi-
sche kann dem Hauptmomente nach von
keinem andern Sinne als von dem des Ge-
ruchs genommen werden, daher nicht von
Floſſen, Kiemendekeln, Kiemenlöchern,
Augen, Zunge u. d. gl. Nach unſerm
Princip scheiden sie sich von selbſt in zwei
naturliche Ordnungen, die man bisher nur
durch eine lange Beſchreibung einer Men-
ge
[169] ge unweſentlicher Charaktere von einander
zu trennen ſuchte. Der gröſste Theil der
Knorpelfiſche hat die Naslöcher unten an
dem über das Maul hinausragenden Ober-
kiefer, die Schuppenfiſche aber und viele
Branchiostegi haben sie oben vor den
Augen.
- a. Pisces naribus pronis = Chon-
dropterigii. - b. Pisces naribus supinis = Squam-
mosi etc.
VI. Klasse.
Chymismus — Salz — Magen.
Schmeksinn — Amphibien.
Dieſe Functionen der Natur und des
Thiers sind so weſentlich eins, daſs sicher
alle sind, wo sich eine findet. Die Zunge
der Amphibien iſt auf solchen hohen Grad
ausgebildet, daſs sie nicht nur als die fein-
ſte, weichſte, beweglichſte, schlüpfrichſte
Maſſe allen Zungen anderer Thiere vorgeht,
sondern sie verdoppelt sich sogar meiſtens,
und zugleich dient ihr der trefflichſte Spei-
chel zum Ziel ihrer Beſtimmung.
Das
[170]
Das Gift wohnt nur im Reiche der
Amphibien, der Zungenthiere, und da der
Schmeksinn dem Chymismus entſpricht,
dieſer aber das Alleszerſtörende der Natur
iſt, so muſs nothwendig der Schmeksinn
in dem Thier, welches ihm eigens gleich-
gebildet iſt, das Alleszerſtörende des Thier-
reichs sein; der Speichel iſt daher seinem
Wesen nach Gift, und in allen Thieren
ſteht er unter dieſer Rubrik, denn in allen
iſt er das erſte chymiſche Zerſtörungsmittel
der Speiſen, da aber die andern Thiere
auch mit andern Sinnen, und nicht allein
mittels des Schmeksinns die Speiſen an
sich reiſsen, und dieſer nicht aufs höchſte
getrieben iſt, so iſt ihr Speichel weniger
gefährlich, aber doch muſs alle Theorie
der Wirkung der Gifte auf das Weſen des
Schmekſinns gegründet werden.
Hoffentlich habe ich nicht nöthig zu
erinnern, daſs das Arſenik so wenig ein
Gift iſt, als ein glühendes Eiſen, das ihr
in den Magen ſteket; es wirkt chy-
miſch, [unabhängig] von der lebendigen
Eigenſchaft des Körpers, den es zerſtört;
das Speichelgift aber iſt Nichts auſser
der
[171] der Einwirkung auf einen lebenden
Körper, es zerſtört nur das Lebende
als Lebendes, das Arſenik aber zer-
ſtört den bloſsen Körper als eine chymiſch
afficirbare Materie, wobei jedoch die or-
ganiſche Gegenwirkung nicht auſſer Acht
zu laſſen iſt.
Wo der Speichel, der erſte Magenſaft,
so hoch ausgebildet iſt, iſt es auch der
übrige Verdauungsproceſs, sonſt wäre es
ja eine närriſche Anſtalt, wenn in die
Zunge die gewaltigſten Mittel zur Ver-
dauung gelegt, hingegen der Magen mehr
als in andern Thieren vernachläſſiget wäre.
Der Darmkanal dieſer Thiere iſt übri-
gens sehr einfach und nicht lang, wie es
bei den meiſten fleiſchfreſſenden Thieren
sich findet, die Leber iſt mäſsig, ebenso
die Gallblaſe.
Die homologe Lunge iſt gleichſam die
erſte Anlage zum Magen, sie iſt ein ath-
mender Darmkanal, denn so erſcheinen
dieſe beiden Luftblaſen, die sogar die Luft
wie die Speiſen schluken, und so sehen
wir
[172] wir am deutlichſten und herrlichſten die
Gleichheit der Form, welche die Natur
bei der Erbauung der Lunge, des Magens
und des Hirns vor Augen hatte.
Die Nieren als das lezte aber umge-
kehrte Organ des Verdauungsproceſſes, ſind
zwar in allen Thieren der zweiten Stuffe
vorhanden, aber in den Amphibien wirk-
lich mit Uebergewicht. Bei den Vögeln
findet sich keine Harnblaſe, bei vielen Fi-
schen ebenso, und die Nieren dieſer sind
so abweichend gebaut, und oft so sehr
hinter den After verdrängt, daſs man sie
lange leugnete, dagegen sie bei den Am-
phibien beſtimmte Umriſſe haben, an der
gewöhnlichen Stelle wie bei den Säugthie-
ren liegen und eine lange Streke der
Bauchhöhle einnehmen. Es gibt zwar
auch Amphibien, denen die Harnblaſe ab-
geht, aber in andern iſt sie ein ungeheu-
rer und zwar doppelter Sak, wie in den
Fröſchen und Schildkröten.
In den Thieren der erſten Stuffe sind
freilich die entſprechenden Organe nicht
so leicht zu finden, auch mögen sie den
po-
[173] polaren Klaſſen wirklich abgehen, aber in
den synthetiſchen, athmenden Schneken
scheint doch die Kalchproduction mit der
Harnabsonderung zuſammen zu hängen,
und das, eine graue Maſſe enthaltende, Or-
gan in der Athemhaut der zwei- und vier-
fingerigen Schneken hieher zu gehören.
Aus dem Charakter der Harnwerkzeuge
als dem Ende des Magenproceſſes, folglich
als dem Ende des höchſten organiſchen,
synthetiſchen Proceſſes erklärt sich die
Verwandſchaft dieſer Organe mit den Ge-
schlechtstheilen, die ebenfalls einer Syn-
theſe entſprechen, indem sie das Excre-
tionsſyſtem des ganzen Thiers wie die
Nieren das des Magens sind.
Die heterologen Proceſſe sind zwar
als in Thieren der zweiten Syntheſe alle
merklich angezeigt, aber doch iſt das
Hautſyſtem und die Leber weit von der
Vollkommenheit der Inſecten und Fiſche
entfernt, ebenso die Bedekung und das
Knochenſyſtem von den Würmen und Vö-
geln. Dieſes lezte iſt zwar nicht in so
viele einzelne Stüke zerfallen, wie bei den
Fi-
[174] Fiſchen, aber auch nicht so sehr anchylo-
sirt wie in den Vögeln, und so ſtellt es
sich sehr schön in die Mitte, was sich
auch von Leber, Haut und Bedekung sa-
gen läſst. Die Schale der Schildkröten
iſt sehr wohl eine Nachahmung des homo-
logen Schnekenhauſes.
Die Füſse der Amphibien, als der ho-
mologe Sinn des Schmekorgans, sind in
weiche zum Theil wohlgeſtaltete bewegli-
che Finger geſpalten, nur die Schlangen
machen hier eine sonderbare Ausnahme,
haben aber dagegen die doppelte Zunge,
Zähne und Gift zur Vergeltung erhalten.
Es finden sich auch alle Sinne in die-
ſer Klaſſe, und dieſes nothwendig, da sie
die lezte Syntheſe der einsinnigen
Thiere iſt, aber sie sind nicht im Gleich-
gewichte, sondern alle wegen der Zunge
zurükgeſchoben. Der Gefühlſinn hat aller-
dings seine Nerven, der Hörsinn iſt viel
beſſer ausgebildet als bei den Fiſchen, ob-
schon hierinn die Knorpelfiſche sehr nahe
kommen, aber das Ohr doch noch von
Auſſen geſchloſſen, obgleich es in den Ei-
dech-
[175] dechſen eine Vertiefung hat. Der Geruch
unbedeutend, auch selbſt der Bau der Na-
senmuſcheln arm, und das Aug iſt nur Die-
ner des Schmekſinns.
Die Natur hat hier eine ganz eigne
Sorge auf die Zunge verwendet, beinahe
in allen Amphibien hat sie sich verdop-
pelt, oder, da auch unſere Zunge ein dop-
peltes Organ iſt, wenigſtens die zwei Zun-
gen in den Amphibien getrennt gelaſſen;
sie iſt geſpalten in der ganzen Ordnung
der Schlangen, in den Eidechſen [und] Frö-
ſchen; dagegen haben die Fiſche statt der
Zunge einen bloſsen Knochen, und die
der Vögel iſt auch meiſtens an der Spize
knorplicht; die Thiere der erſten Stuffe
haben vollends kein ähnliches Organ, so
sehr iſt der Schmeksinn allen Thieren ent-
zogen, um ihn aufs reichlichſte den Am-
phibien mittheilen zu können. Die Zunge
des Fiſchs iſt Zahn, die des Vogels aber
Feder geblieben.
Einige wenige Amphibien sollen keine
geſpaltene Zunge haben, wie das Chamä-
lon, die Schildkröte, das Krokodil, die
Kröte
[176] Kröte, Stellio und Draco: auch vom Sa-
lamander hat man es behauptet, und so-
gar Latreille es nicht berichtiget, ob-
schon er ex profeſſo darüber geſchrieben,
auch Brogniart hat ihn unter die Am-
phibien mit ungeſpaltner Zunge gerechnet;
aber ich habe es nach der genaueſten ei-
gens deswegen angeſtellten Unterſuchung der
Salamandra terreſtris falſch gefunden,
denn sie iſt wirklich und zwar hinten wie
beim Froſch ausgerandet. Man muſs frei-
lich mit der Absicht an die Anatomie ge-
hen, die Gespaltenheit der Zunge und
nicht blos die Zunge überhaupt zu
unterſuchen; nur dann findet man es,
weil die Zunge obenhin angeſehen aller-
dings als ein runder, unförmiger breiwei-
cher Klumpen erſcheint, der ganz am Un-
terkieſer angewachſen iſt, wie es sogar der
genaue Swammerdam beim Froſch nicht
beſſer geſehen, aber, wenn man genau
Acht gibt, wird man finden, daſs dieſer
Klumpen wie ein Hutſchwamm in die
Höhe ſteigt, [und] rükwärts einen herzför-
migen Ausſchnitt hat. Ich muſs geſtehen,
daſs ich von dieſer Zeit an sehr zweifle,
ob die andern Amphibien, beſonders das
Kro-
[177] Krokodil, und der dem Salamander so
ähnliche Stellio eine wirklich ganz und
gar ungeſpaltene Zunge habe, wie es die
Anatomen behaupten. Würde sich dieſes
so wie beim Salamander finden, und wä-
ren vielleicht noch die Schildkröten, in
deren einer I. G. Schneider die unten
ganz (alſo wie beim Salamander) verwachs-
ne Zunge oben gefurcht, vielleicht ausge-
randet fand, dazu zu bringen, so könnte
man, den Chamäleon, Stellio und Draco
wahrſcheinlichſt nicht einmal ausgenommen,
es zum allgemeinen Charakter dieſer Klaſſe
machen, und so hätten wir die herrliche
Definition:
Amphibium = Animal unisensuale, lin-
gua geminata.
Ich weiſs sehr wohl, daſs die Phoken
auch eine ausgerandete Zunge haben, aber
sie sind genugſam von den Amphibien ge-
trennt, da sie nicht Animalia unisen-
sualia sind, was sich, um gleich das
auffallendſte Unterſcheidungszeichen zu
nennen, allein in [den] offenen Ohrgängen
darthut. Für einzelne Gattungen der Am-
Mphi-
[178] phibien hat sogar schon Brogniart die
Charaktere von der Zunge genommen, aber
unrichtig, wenigſtens nach Campers
Behauptung, dem Iguan eine ungeſpal-
tene gegeben.
So viel ich bis jezt in den Amphibien
gearbeitet habe, und in Betracht der wurm-
förmigen Zunge des Chamäleon, des Ver-
schloſſenſeins dieſer und der Schlangen-
zunge in einer Scheide, und der zwar
hinten freien, aber abgerundeten Zunge
der Kröte, die ich in Wahrheit nicht aus-
gerandet finden konnte, so sehr ich es
auch gewünſcht hatte, finde ich, ohne alle
Bedenklichkeit wegen den Schildkröten,
folgenden Charakter den durchgeführteſten:
Amphibium = Animal unisensuale, lin-
gua mollissima, secundum longitudinem
maxillae adnata (biſida).
Hieraus ergeben sich sogleich folgende
Ordnungen, die ich, doch ohne hier Voll-
ſtändigkeit im Auge zu haben, da es nur
darum zu thun iſt, die Idee anzugeben,
nach der dieſe Klaſſe wiſſenſchaftlich zu
ord-
[179] ordnen iſt, herſezen will. Ich nehme
hiebei auf einige Eidechſen, die nach den
bisherigen Kenntniſſen von ihnen, in der
Zunge von den andern abweichen, keine
Rüksicht.
Amphibia
- A. lingua undique subtus adnata =
Crocodilus. - B. lingua postice libera.
- a. obtusa = Bufo.
- b. biſida = Rana, Hyla.
- c. emarginata = Salamandra.
- C. lingua antice libera.
- a. bipartita = Serpens.
- b. bifida = Lacerta.
- c. obtusa = Testudo etc.
- d. vermiformis = Chamaeleon.
Wenn die Eintheilung einmal über die
Zunge erſchöpft iſt, wodurch die eigent-
lichen Gattungen beſtimmt werden, so
kann sie sehr wohl zu andern Sinnorga-
nen fortgehen, und dann erſt, wann es
auf ganz untergeordnete Arten ankömmt,
können auch die andern Organe benüzt
M 2wer-
[180] werden. Zu dem Schmekſinn gehören al-
lerdings auch die Zähne, und in dieſer
Klaſſe iſt es nicht nur erlaubt, ſie mit
zum Eintheilungsgrund zu nehmen, son-
dern es muſs selbſt gemäſs den Geſezen
der Wiſſenſchaft so geſchehen, aber auch
eben deswegen nicht in den andern Thie-
ren, die nicht Schmekſinnsthiere sind.
Hier wäre es wohl möglich, zwiſchen den
Schlangen und Eidechſen, sollten sie sich
wirklich durch die Zunge nicht gehörig
unterſcheiden, eine Trennung mittels der
Zähne zu machen, ebenso bei den Schlan-
gen in Bezug auf die [Giftzähne], doch in
dieſem Abſchnitte werde ich hierüber zu
weitläuftig.
Um die Charaktere der sechs einſinni-
gen Thierklaſſen ausführlich zu geben, und
sie von allen Seiten selbſt ihrem Habitus
nach zu beſchreiben, darf man zu der
poſitiven Definition nur noch die der an-
dern Thiere, aber negativ sezen. Wir
erhalten auf dieſe Art den ausführlichen
Charakter folgendermaſsen:
Ver-
[181]
- Vermis = Animal unisensuale, palpis-
labiis,- non polyops,
- non tentaculatum,
- non auribus apertis,
- non naribus utrinque geminatis,
- non lingua molli, adnata, bifida.
- Insectum = Animal unisensuale, polyops,
- non palpis-labiis,
- non tentaculatum,
- non auribus apertis,
- non naribus utrinque geminatis,
- non lingua molli, adnata, bifida.
- Limax = Animal unisensuale, tentacu-
latum,- non palpis-labiis,
- non polyops,
- non auribus apertis,
- non naribus utrinque geminatis,
- non lingua molli, adnata bifida.
- Avis = Animal unisensuale, auribus
apertis.- non palpis-labiis,
- non polyops,
- non tentaculatum,
- non naribus operculatis, utrinque
geminatis, protractilibus etc. - non lingua molli, adnata, biſida.
Pi-
[182]
- Piſcis Animal unisensuale, naribus
membrana mobili utrin-
que aut geminatis aut
dimidiatis,- non palpis-labiis,
- non polyops,
- non tentaculatum,
- non auribus apertis,
- non lingua molli, adnata, bifida.
- Amphibium = Animal unisensuale, lingua
mollissima adnata,
(bifida),- non palpis-labiis,
- non polyops,
- non tentaculatnm,
- non auribus apertis,
- non naribus membrana mobili
utrinque aut geminatis aut
dimidiatis.
Die scheinbaren Ausnahmen, wie die
Palpen der Inſecten, die Bartfaſern der
Fiſche sind, die erſten als nicht zu Lippen
gehörend, die lezten als freihängende,
auſſer dem Bewegungskreiſe des Fiſches
geſezte Organe nur scheinbare, und bei ge-
ringer Vergleichung sieht jedermann, daſs
dieſe
[183] dieſe weder zu Palpen noch zu Tenta-
cula gebracht werden dürfen, und wenn
auch, so sind sie ja durch ihren Sinn un-
terſchieden genug von Würmen und Schne-
ken. Wegen Einwürfen über die Palpen
der Würme, über die Form der Naslöcher
der Amphibien und Fiſche, über die soge-
nannten Tentacula des Lophius, über die
Zunge der Vögel, den Saugrüſſel der In-
secten etc. kann hier nichts mehr geſagt
werden, da ohne Zweifel genug geſagt iſt.
Dieſes sind nun die sechs Thierklas-
sen, deren Charakteriſtikon das Herr-
schen eines einzigen Sinnes iſt; mehr sol-
cher Einsinnsthiere kann es nach unſerer
Wiſſenſchaft nicht geben, und wenn es
deren mehr geben sollte, so iſt unſere
ganze Darſtellung falſch. Noch eine ein-
zige Thierklaſſe iſt übrig, die keinem Cha-
rakter der vorigen Thierklaſſen entſpricht;
wenn in dieſer etwa auch ein einziger
Sinn die andern beherrſchen sollte mit der
Alleinigkeit, wie in den vorigen, so müſs-
te sie sich freilich an dieſe anſchlieſen,
aber gemäſs ihres neuen den andern Klas-
sen
[184] sen unbekannten Sinnes widerſpräche sie
doch unſerm Syſtem, welches keinen ein-
fachen Sinn mehr und folglich auch keine
einſinnige Thierklaſſe mehr anerkennt, aber
geſchloſſen iſt es doch nicht, es ſteigt nun
von den zwei Stuffen hinauf zur dritten,
und fodert auf dieſer eine Thierklaſſe, wel-
che die Synthese aller vorigen in sich trägt,
bei welcher die Sinne alle vollendet sind
und neben und mit einander das Thier re-
gieren; dieſe Thiere sind demnach wahre
Allſinnsthiere.
Zur Nachweiſung bleiben uns keine
andern mehr übrig als die Säugthiere; es
iſt nun zu zeigen, ob in ihnen nur Ein
Sinn herausgehoben, oder ob jeder gleich-
ſtark vollendet iſt.
[185]
III. Stuffe.
Allsinnsthiere.
Ein Sinn kann in den Allsinnsthieren
nicht so gränzenlos entwikelt, nicht so
vervielfacht sein, als der einzelne es war
in derjenigen Klaſſe, die er charakteriſirte,
denn eine solche Verdoppelung iſt nur
möglich auf Koſten der andern. Vorzüg-
lich müſſen wir auf dieſe Verdoppelung
des Sinnes, wie es meiſtens bei den Ein-
ſinnigen iſt, Verzicht thun; so werden
wir zur Vollendetheit des Lichtsinns nicht
die Vieläugigkeit und die Menge von Ho-
roptern fodern können, welche in den In-
secten wohnt, ebenso wenig die doppelt
erscheinenden Naslöcher der Fiſche, die
doppelte Zunge der Amphibien, die Ver-
breitung der Paukenhöhle durch den gan-
zen Kopf wie im Vogel, welche beiden
lez-
[186] lezten Eigenſchaften doch stark in einigen
Säugthieren, wie im Elephanten angezeich-
net sind. Aber das werden wir fodern, daſs
jeder Sinn ausgebildeter sei als irgend ein
zurükgedrängter in den andern Klaſſen,
und daſs er wenigſtens den Hauptcharak-
ter des einzig herausgebildeten in sich dar-
ſtelle, wir werden nicht nur fodern, daſs
weder Zunge, Naſe, Gliedmaſsen, Aug
noch Lippen fehlen, sondern selbſt fodern
wir, daſs alle Lippen weich, daher nicht
ein wahrer Vogelſchnabel seien, daſs jedes
Aug so gut organiſirt sei, als das des Am-
phibions, Fiſches, Vogels und der Sepia,
aber nicht wie das des Inſects, daſs jedes
Gliedmaſsen habe, daſs keines ein geſchloſ-
ſenes Ohr wie das Amphibion, der Fiſch,
die Sepia, der Krebs, daſs jedes offene
Naslöcher, keines endlich eine knöcherne
Zunge habe.
Und dieſes finden wir wirklich so in
den Säugthieren. Ihre Bedekung, weit
entfernt dieſe Thiere auf einen feſten
Punkt zu feſſeln, umſchlieſst sie nicht ein-
mal mehr wie eine feſte Röhre, sie iſt
meiſtens zu Haaren verfeinert, als wenn
die
[187] die kalchichten an einander gebauten Stra-
len der Wurmröhre, die hornartigen Schup-
pen, die Blättchen der Federn sich ins
unendlich Kleine getrennt hätten, nur
wenigen sind Stacheln zurük geblieben,
und die gepanzerten Säugthiere haben
auch hinlänglich freie Auſſenſeite; kurz
die Säugthiere sind nicht nakt wie die
Schneken und die Amphibien, kein einzi-
ges iſt ganz haarlos, aber auch nicht ge-
panzert wie der Wurm oder der Vogel,
und so ſtellen sie sich schon bei den er-
ſten Organen in die höhere Mitte.
Von der Hautfunction läſst sich daſſelbe
sagen, sie dünſten aus und saugen ein,
aber eigne individualiſirte Hautorgane wie
die Inſecten und Fiſche, beſizen sie nicht.
Die Lunge beobachtet daſſelbe Geſez,
sie iſt deutlich eine Syntheſe der Kiemen
mit den weiten Blaſen der Amphibien.
Daſſelbe gilt vom Knochenſyſtem. Weit
entfernt zu der knorplichten Weichheit
der Fiſche und selbſt zu den Amphibien
herabzuſteigen, erreicht es aber auch nicht
die
[188] die schlanke Starrheit der Knochen des
Vogels, hingegen iſt es gelenkiger als dieſe,
umſchlieſst die Lungen mit einer mittlern
Zahl von Rippen, und hat ein Beken, wie
es sich bei keinem andern findet.
Die Leber iſt in allen vorhanden, aber
lange nicht so ungeheuer und so weich
wie in den Fiſchen, sie hat auch den an-
dern Organen Plaz gelaſſen.
Das Verdauungsſyſtem hat zwar keine
Gifte in seiner Macht, aber es bedarf auch
nicht der Trituration wie in manchem Vo-
gel, und einer Luftblaſe wie im Fiſche.
Merkwürdig iſt das Anſchlieſsen der eben-
falls gut hörenden und furchtſamen Thiere,
des Hafen, der Mäuſearten, und beſonders
der Wiederkäuer an die Vögel durch die
Mehrheit der Magen, dagegen nähern sich
die Fleiſchfreſſenden durch die Einfachheit
deſſelben, durch die Kürze der Därme und
die Viellappigkeit der Leber etc. beſtimmt
den Fiſchen.
Wir kommen nun zu Syſtemen, die
zwar in den untern Thierklaſſen vorhan-
den,
[189] den, aber in keinem aufs höchſte ausge-
bildet waren, nemlich auf die Syntheſe
ihrer einzelnen Functionen, auf Kreislauf,
Lymph- und Nervenſyſtem.
Vollkommen wird der Galvanismus erſt
im Säugthiere geſchloſſen; dieſes springt
in die Augen, wenn man den kümmerli-
chen Kreislauf der Fiſche und der Amphi-
bien anſieht, aber doch nicht ſo gegen den
des Vogels. Dieſem iſt es zwar erlaubt,
unter den sechs einſinnigen Klaſſen den
vollkommenſten Kreislauf zu haben, da er
mit ihm homolog iſt, aber dennoch kann
man ihn noch nicht so rein dynamiſch wie
in den Allſinnsthieren nennen, da der von
Blumenbach genau beſchriebene Mus-
kel in der rechten Herzkammer noch im-
mer ein mechaniſches Bedürfniſs des Kreis-
laufs bedeutet, welches in den Säugthie-
ren ganz weggefallen, und auch der Ge-
genſaz zwiſchen Arterien und Venen nicht
durch Heterogeneität der Häute, wie in
den lezten, herausgehoben iſt.
Auch das Lymphſyſtem erhält erſt im
Säugthier seine Vollendung. In dieſem
wurde
[190] wurde es zuerſt entdekt, und lange dauerte
es, bis es auch in den Thieren der zwei-
ten Stuffe erwieſen war; in den Fiſchen
wurde es endlich unter dieſen wieder am
höchſten gefunden, aber der Mangel an
Drüſen in dieſen Thieren sezt dieſes Sy-
ſtem weit unter das der Säugthiere.
Wie der Kreislauf unter ſich begreift
Vögel und Würme, so das entgegengeſezte
Lymphſyſtem nothwendig Fiſche und In-
secten, die Amphibien und Schneken neh-
men an beiden gleichen Antheil.
Das Nervenſyſtem, die höchſte Blüte
des Univerſums iſt endlich in den Säug-
thieren zur lezten Ausbildung gekommen;
und da sie Allſinnsthiere sind, folglich die
Sinnenheit ihr edelſter Charakter iſt, so
hat in ihnen das Sinnenhirn über das
Stammhirn ein ungleich beträchtlicheres
Uebergewicht, als in allen Klaſſen der ein-
sinnigen Thiere.
Wie die Organe des Rumpfes gleich
stark entwikelt sind, so auch die der
Sinne.
Alle
[191]
Alle haben weiche Lippen, der Ge-
fühlſinn aber iſt eigentlich charakteriſirt in
dem Rüſſel des Elephanten, in der Schnau-
ze des Schweins, Tapirs, der mäuſeartigen
Thiere etc.
Das Aug iſt vollkommen gebildet, doch
lebendiger in den muthigen fleiſchfreſſen-
den Kazen, Tigern, Löwen, im Luchs,
Hund, Marter etc., als in den Pflanzen-
freſſenden, es iſt nicht polyödriſch, aber
auch nicht von der gemeinſamen Haut be-
dekt, wie bei den meiſten Fiſchen und
Amphibien, nicht mit einer solchen Nik-
haut verſehen, wie bei den Vögeln etc.
Der Taſtſinn iſt wenigſtens in allen
durch wahre Gliedmaſsen kenntlich, selbſt
die Wallthiere und Phoken haben wahre
Arm- und Handknochen, die Pferde sind
wohl die ärmſten hierin, am reichſten aber
die Affen, Maki und Meerkazen.
Das Ohr iſt in allen ohne Ausnahme
durchbort, selbſt in den Wallthieren, wo-
durch sie sich aufs charakteriſtiſchſte von
den Fiſchen auszeichnen, welches Merk-
mal
[192] mal man bis auf heute noch nicht benüzte,
sondern lieber eine lange Umſchreibung,
selbſt die Anatomie zu Hülfe nahm, um
die Fiſche von den Wallthieren zu unter-
scheiden.
Die Naslöcher sind nirgends doppelt,
wie bei den Fiſchen, aber auch nirgends
verſchloſſene, unbewegliche Spalten wie
bei den Vögeln, und nicht ganz dem Ath-
mungsgeſchäfte, als eine Pumpmaſchine,
hingegeben wie bei den Amphibien, da
sie auch durch das Maul athmen können,
was den luftſchlukenden Amphibien un-
möglich iſt; die Zunge iſt überall weich
und beweglich, wenn sie auch gleich bei
einigen mit harten Warzen besezt, und bei
den Waltthieren groſsentheils an die Kinn-
lade verwachſen iſt.
So beweiſen dieſe Thiere, daſs sie alle
Sinne besizen, und wenn sie auch nicht
gezeigt hätten, daſs sie durch keinen aus-
ſchlieſslich charakterisirt sind, indem sie
keinen verdoppeln, so folgte es schon aus
dem Beiſammenſein, welches nur durch
ein getroffenes Gleichgewicht möglich wird;
daſs
[193] daſs nicht ein einzelner, sondern eben
dieſe Totalität ihr wahrer Charakter iſt,
daſs sie im strengſten Sinne Allsinns-
thiere sind.
Die Definition des Säugthiers heiſst
demnach so:
- Animal omnisensuale,
- Labiis palpantibus,
- Oculis sphaericis (non polyödris),
nudis, mobilibus, - Manibus, (Membris) quatuor
articulatis, - Auribus apertis,
- Naribus mobilibus, binis,
- Lingua molli, carnosa.
Durch die weichen Lippen unterſchei-
den sie sich beſtimmt von den Vögeln,
auch von den Inſecten, und ſelbſt von den
Schneken, Fiſchen und Amphibien; durch
die unbedekten Augen von den meiſten
Fiſchen, auch, wenn wir die Nikhaut zum
Ueberbleibſel der Bedekung rechnen, von
Vögeln und Amphibien, von den niedern
Klaſſen ohnehin; durch die vier Glied-
Nmaſsen,
[194] maſsen, die immer mehre Gelenke haben,
von Fiſchen, Schlangen, Würmen etc.;
durch die geöffneten Ohren von den Am-
phibien und Fiſchen; durch die weichen,
beweglichen Naslöcher von den meiſten
Vögeln, durch ihre Einfachheit von Fi-
schen, durch die fleiſchichte Zunge end-
lich von den Fiſchen und Vögeln; von den
niedern Thieren unterſcheiden sie sich
durch jeden Sinn,
Die Säugthiere allein sind es, die sich
wieder nach den untergeordneten Thier-
klaſſen abtheilen und so dieſe in sich wie-
derholen, eben weil sie die Syntheſe aller
Klaſſen sind. Die Individuen jeder untern
Klaſſe aber können auf keine Weiſe die andern
Klaſſen in sich wiederholen, denn sie sind
ja nicht eine Syntheſe dieſer, sondern ein
einzelner Sinn wie jede ihr zur Seite ſtehenden
Klaſſe. Die Schneken und Amphibien kön-
nen allein, als die erſten Syntheſen, angrän-
zen an die Würme und Inſecten, Vögel
und Fiſche, aber dieſe doch nicht eigent-
lich in ſich wiederholen.
Aber
[195]
Aber Säugthiere, die in ihrer Klaſſe
wieder die Würme, Inſecten, Schneken etc.
sind, kann es geben und muſs es geben,
da die Säugthiere wirklich nichts als dieſe
Würme, und Inſecten und Schneken etc.,
alles in der höchſten Einheit darſtellen.
Ich gebe nur die erſte Eintheilung der
Säugthiere an, denn eine Eintheilung bis
in die Gattungen herunter, die bei den
Säugthieren nach dieſen Principien und
den bekannt gewordenen Erfahrungen bei-
nahe jezt schon möglich iſt, wäre hier
überflüſſig.
Es gibt erſtens Säugthiere, welche die
dem Kreislauf homologen Sinne in sich
gebildet tragen; dieſe ſtehen daher über
den Thieren des Hör- und Geruchſinns.
Sie sind furchtſam, bezähmbar, meiſtens
pflanzenfreſſend etc. Ich rechne hieher
die Wiederkäuer, alle Mäuſearten, Fleder-
mäuſe, Schweine, Hippopotamus, Wall-
thiere etc.
N 2Die
[196]
Die dem Lymphſyſtem parallelen Säug-
thiere wiederholen den Riech- und Licht-
ſinn, sie sind schlau, muthig, fleiſchfres-
send, Hund Fuchs, Muſtela, Viverra,
Löwe, Tiger, Luchs, Kaze, Fiſchotter etc.
Die Säugthiere, welche sich in die
Mitte ſtellen, und mithin den Taſt- und
Schmekſinn in sich wiederholen, sind Af-
fen, Bären, und wahrſcheinlich auf der
niederſten Stuffe die Phoken; sonderbar
iſt es immer, daſs alle synthetiſchen Thie-
re, selbſt die Amphibien, menſchenähnli-
che Frazen sind, ja sogar in der zwei-
oder vierfingerigen Schneke iſt etwas Omi-
noſes nicht zu verkennen.
Der einzige Repräsentant des
höchsten Mittelpunkts des Hirns
ist der Mensch.
Wir haben nun gezeigt, wie die urſprüng-
lich zerriſsne Natur sich bemühte, durch
Verbindung der einzelnen Glieder sich
wieder zu sammeln, um in einem ihrer
Weſen das zu werden, was sie vor der
ur-
[197] urſprünglichen Entzweiung in dem Ur
war. Alle Producte sind nur Annäherun-
gen zu dieſem Höchſten, Naturtragenden,
sie sind eigentlich nur Ausbildungen ein-
zelner Organe des Menſchen. Dieſe Aus-
bildungen sind keineswegs nach einer Li-
nie entworfen, sondern nach Hauptepochen,
in denen sie ausruhten, um wieder aufs
Neue Kräfte zu sammeln zu fernern Epo-
chen, bis endlich alle Organe erschaffen,
nun sich vereinigen konnten.
Die Natur ſtieg nicht auf von Erde zu
Metall und Korall und so fort, sondern
wenn sie auch linig begonnen, so ruft sie
sogleich den andern Pol hervor, wozu die
Syntheſe kam, um das erſte Kubiſche zu
bilden. Es gibt gar keine Natur syntheſe
in einer bloſsen Linie, wo sie iſt, iſt sie
schon kubiſch. Dieſes erſte kubiſche Ver-
hältniſs der Natur iſt Erde mit der gegeg-
neten Luft, die mithin schon nicht mehr
in Einer Linie liegen, aber vollends durch
das Waſſer die wahre Dike erhalten.
Dieſe drei bilden die erſte Periode der
Natur, sie iſt in ihnen zu einem Gleich-
ge-
[198] gewichte zuſammengeſunken, aber die in-
nere Entzweiung iſt noch nicht gehoben,
die organiſchwerden wollenden Keime drän-
gen raſtlos vorwärts, aus der rohen Erd-
maſſe wird das, ich möchte sagen, orga-
niſch begränztere Metall, aus der geſtalt-
haſſenden Luft der individualiſirtere Schwe-
fel; und beide fallen zum zweiten Kubus
[zuſammen] im Salze, mit dem mithin wie-
der die zweite Periode geendet iſt. In ihr
sind die Qualitäten alle beſtimmter und
mannigfaltiger, die unbiegſame, unſchmelz-
bare, unverbrennliche Erde wird zum ge-
schmeidigen, schmelzbaren, verbrennlichen
Metall, die form- farb- und geruchloſe
Luft wird zum geformten, gefärbten und
riechbaren Schwefel, das geſchmakloſe
Waſſer endlich zu dem schmekbaren Salz;
so zeigt sich schon die Veredlung der Na-
turproducte in der zweiten Epoche!
Aber auch hier iſt die edle Maſſe noch
nicht rein ausgeſchieden, die Natur öffnet
zum drittenmal ihren Schoos, und das
höchſte, lezte Ziel iſt erreicht, sie erblikt
in sich das Korall, die Pflanze und das
Thier, durch welches alle Differenz ge-
ho-
[199] hoben, und das am vollkommenſten Ku-
biſche erreicht iſt.
Der Kubus der Natur fällt am deut-
lichſten in folgendem Schema in die Au-
gen, obſchon auch hier auf dem flachen
Papier die eigentliche Pyramide nicht
darſtellbar iſt; man muſs sich nemlich die
dritte Periode denken, ſtehend auf den
beiden erſten:
Was iſt endlich die organiſche Welt
anders als die theilweiſe Geburt des Men-
schen? Iſt nicht das Inſect das noch los
schwebende Auge des Menſchen, iſt nicht
die
[200] die Schneke seine noch abgetrennte Hand,
der Vogel sein werdendes Ohr und so fort?
Als es die Natur verſuchte, eine Bedekung
und eine Lippe für den Menſchen zu pro-
duciren, iſt ihr der Wurm entſtanden, sie
wollte seine Haut und das Auge machen,
und ein Inſect geht ihr unter der Hand
hervor, die erſte Lunge und Hand erſchien
der Natur als Schneke, der erſte Knochen
und das Ohr als Vogel, die Naſe und die
Zunge der Natur sind endlich die Fiſche
und Amphibien. So entwikelt sich vom
unterſten Thiere herauf ein Organ um das
andere, nicht blos die der Sinne, sondern
auch die des Rumpfes, daher bricht in je-
dem Thiere mit jedem neuen Sinne auch
eine neue Function des Rumpfes hervor.
Jede Thierklaſſe bringt ein neues Organ
zu seinem Hirne, vom Wurme fängt dieſe
Entwiklung an und ſteigt bis dahin, wo
alle dieſe Organe vereinigt sind, aber nicht
in Einer Linie ſteigt ſie herauf, sondern
in dreien und doch nur einer zugleich.
Nach dem Getaſt iſt ein Ruhepunkt, von
dem die Sinne mit einer neuen Linie be-
ginnen, aber sobald das Ohr geformt iſt,
wird
[201] wird sie zerbrochen, und der andere Pol
breitet die Haut zum Geruch aus. Daher
iſt die Ansicht, welche die Sinne nur als
Eine blos quantitative Ausbildung Einer
Natur- oder Thierfunction betrachtet, grund-
falſch, nebſtdem daſs ihr alle Congruenz
mit den unorganiſchen Momenten fehlt,
die doch selbſt nichts anders als die herab-
gezognen, unorganiſch gewordnen Sinne
sind.
Iſt denn die Luft nicht das Auge der
Natur und das Licht das Sehen derſelben,
iſt das Metall nicht das Ohr der Welt und
der Magnetismus sein Gehör, iſt der Schwe-
fel nicht die unorganiſche Naſe und der
Electrismus sein Geruch, iſt nicht das Salz
die Zunge der Erde und der Chymismus
ihr Geſchmak? Aber wo iſt dieſe Con-
gruenz, wenn die Sinne nur Stuffen Einer
Linie sind? Oder iſt etwa das Unorgani-
sche nach einer Linie geboren? Sind et-
wa Erden, Metall, Schwefel, Salze, Was-
ser. Luft nur eine quantitative Stuffenlei-
ter? Vielleicht iſt es nach der Cohärenz
wahr, aber iſt denn etwa die ganze Natur
nur ein Cohäſionsproceſs? Welcher Cohä-
ſions-
[202] ſionsgrad iſt denn zwiſchen Grün, Rund,
Sauer und dem Tone c? Wer keine Qua-
lität in der Natur, wer nicht ihre Sexua-
lität vom erſten Schöpfungstage an bis zum
lezten, wer nicht das Stereotiſche erkennt,
klettert ewig auf einer Leiter auf und ab,
ohne je von seinem beſchränkten Horizon-
te zu kommen.
Dieſelbe Regelloſigkeit und Falſchheit
iſt in der Stellung der Thiere nah Einer
Reihe. Sind denn die Thiere etwas an-
ders als ihre Organe? etwas anders als
ihre Organe des Rumpfs und der Sinne?
Dieſe haben sich aber in ein dreifaches
Stereon geordnet, wie können sie daher
dann, wann sie blos unter einem andern
Namen, unter dem der Thiere aufgeführt
werden, eine andere Stellung annehmen?
Es iſt der Natur zuwider, daſs über
den Zoophyten die Würme, über dieſen die
[Schneken], dann die Inſecten, und nun
gar die Fiſche (wer sieht nicht den Sprung?)
darauf die Amphibien und endlich über
allen der Vogel ſtehe, der an das Säug-
thier, ich begreife nirgends wie, gränze,
da
[203] da er doch das Thier iſt, welches auf der
zweiten Stuffe offenbar am weitſten von
ihnen entfernt ſteht, da man hingegen noch
nicht gar lange Säugthiere mit Amphibien
verwechſelte, obſchon man nur nach der
Ohröffnung zu sehen nöthig gehabt hätte.
Der Standpunkt und die Verwandſchaf-
ten der Thiere zu einander und zu den
übrigen Producten der Natur möge in fol-
gendem Schema überſehen werden, damit
es sich sogleich zeige, daſs die Natur, we-
der nach einer bloſsen Leiter, noch nach
einem flachen Neze die Thiere geordnet
habe, sondern nach einem ſtereotiſchen
Neze, nach einer Leiter, deren Baſis ein
Nez iſt.
I.
[204]
| 1. | 3. | 2. |
| Linie. | Ellipse. | Kreis. |
| Cohäsion. | Schwere. | Feuer. |
| Erde. | Waſſer. | Luft. |
| Bedekung. | Lunge. | Haut. |
| Gefühlſinn. | Taſtsinn | Lichtſinn. |
| Wurm. | Schneke. | Insect. |
| 1. | 3. | 2. |
| Parabel. | Eiform. | Hyperbel. |
| Magnetismus. | Chymismus. | Electrismus. |
| Metall. | Salz. | Schwefel. |
| Knochen. | Magen. | Leber. |
| Hörsinn | Schmekſinn | Riechſinn |
| Vogel. | Amphibion. | Fiſch. |
| 1. | 3. | 2. |
| Konus. | Syntheſe. | Sphäre. |
| Galvanismus. | Animalismus. | Vegetatismus. |
| Korall. | Thier. | Pflanze. |
| Kreislauf. | Nervenſyſtem. | Lymphſyſtem. |
| . . . . | . . . . | . . . . |
[205]
| 1. | 3. | 2. |
| Gefühlſinn. | Taſtſinn. | Lichtſinn. |
| Wallthier. | . . . . | Muſtela, Viver- ra. |
| (Pachydermen). | (Affen). | (Feles). |
| (Schweinähnli- che). |
| 1. | 3. | 2. |
| Hörſinn. | Schmekſinn. | Riechſinn. |
| Mäuſe. | Phoken. | Lutra? |
| (Wiederkäuer). | (Bär). | (Hund). |
| 1. | 2. | 1. | 2. |
| Gefühlſinn. | Lichtſinn. | Hörſinn. | Riechſinn. |
| Elephant. | Löw. | Pferd. | Hund. |
| 3. | 3. | ||
| Taſtſinn. | Schmekſinn. | ||
| Aff. | . . . . . | Bär. | |
| . | |||
| . | |||
| . | |||
| Menſch. |
[206]
Hier wäre nun die Stelle von den Ab-
weichungen der Organiſation von ihrem
Typus, von dem Ueberwiegen einer Func-
tion über die andre im Menſchen — denn
im Thiere iſt dies nothwendiger Charak-
ter — von der Metamorphoſe einer Fun-
tion in die andre, und von dem Miſsver-
hältniſſe der organiſchen Functionen zu
den unorganiſchen, überhaupt von Krank-
heit, derſelben Formen, und den, ob-
gleich schon gelegenheitlich angeführten,
nach den Hauptorganen des Thiers und
der Natur zu ordnenden Pharmaka zu
sprechen, da ich aber die Gränzen dieſer
Schrift schon weit überſchritten habe, so
sei hier das Ziel.
Appendix A Errata.
- S. 88. Z. 6. seze Luft statt Licht.
- — — — 7. seze deſſelben statt derselben.
[][][]
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Abriß des Systems der Biologie. Abriß des Systems der Biologie. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnk9.0