[][][][][][][]
Gedichte


Nach der Dichterin Tode
nebſt ihrem Lebenslauff herausgegeben
von
Ihrer Tochter
E. E. v. Kl: geb: Karſchin.

[figure]

Berlin.
1792

gedruckt mit Ditericiſchen Schrifften.

[][[I]]

Ihro Koͤnigl. Hoheit
der
Frau Herzogin von York
geb. Prinzeſſin von Preußen

in unterthaͤnigſter Ehrerbietung zugeeignet
von
der Herausgeberin dieſer Sammlung.


[[II]][[III]]

Prinzeſſin!


als das eiſerne Geſchick

Der Atropos befahl: dem Leben

Der deutſchen Dichterin den letzten Augenblick

Durch ihrer Scheere Schnitt zu geben;

Da flog die Muſe her und ſeufzete: Apoll!

O Goͤttlichſter! wer ſoll

Nun meiner Saͤngerin bewahren ihre Leyer?

〟Die Erſte Grazie der Welt!〟 rief er,

〟Verhuͤlle ſie in ihren Schleyer!〟

Die erſte Grazie der Welt, ſprach ſie, o Sohn

Des Jupiters! ſchifft jetzt nach Albion —

* 2
[[IV]]
Apollo wandte ſich hinauf zum Sonnenthron —

Die Karſchin ſang als Schwan:

An Albion.


Wegen der Ueberfahrt Ihrer Koͤnigl. Hoheit
der
Prinzeſſin Friederike
vermaͤhlten Herzogin von York.



Herrſcherin des großen Waſſerreiches!

Tauſend Schiffe bringen Edelſtein,

Gold und Perlen, nur keins lud ein gleiches

Unſchaͤtzbares Kleinod ein.

Friedrich Wilhelms allererſte Blume

Seiner Liebe ſuͤßes erſtes Pfand,

Bringt Dein York zum Ewigeigenthume

An der holden Liebe Band.

[[V]]
Zart gebaut, und ſchoͤn, und geiſtbeflammet,

Sieheſt du mit feinem Kennerblick,

Wer Sie iſt, von wem Sie abgeſtammet:

Sie wird zweier Staaten Gluͤck!

Dieſer Bund, mit Ihrem York geſchloſſen,

Knuͤpft den Brennus- und den Brittenthron

So zuſammen, daß ihm die Genoſſen

Lucifers vergebens drohn.

Wer beſchreibt die Wonne der betagten

Wittwe Braunſchweigs, deren Muttergram

Oft die Engel Gottes mit beklagten,

Wenn er Kind auf Kind ihr nahm?

Wer vermag die Freude ganz zu ſagen

Deines alten Feldherrn Ferdinands,

Den Bourbon zu Boden wollte ſchlagen,

Und Er ſchlugs und uͤberwands.

Und wer hats ermeſſen und erwogen,

Was der Koͤniginnen Froͤmmſte *) fuͤhlt,

Welche hier die Blume hat erzogen,

Die den hoͤchſten Preiß erhielt?

* 3
[[VI]]
Wie vermag ich’s ſelbſt zu offenbaren,

Was mein altes mattes Herz belebt,

Welches jezt vor dreißig goldnen Jahren

Um Charlottens*) Schiff geſchwebt?


Alſo wird’s auf Lieb’- und Ehrfurchtſchwingen

Schweben um das ſanfte Seegelwehn

Dieſes Schiffs, das nicht mehr wiederhringen

Mir dies Kleinod wird zum ſehn.

A. L. K.

Hier, Fuͤrſtin! iſt die Leyer,

Die Saͤngerin die iſt nicht mehr —

Berlin,
im Sept. 1792.


C. L. von Klenke,
geb. Karſchin.


[[VII]]

Vorrede.


Eine Sammlung Gedichte, und einen Le-
benslauf von mir beſchrieben, verſprach ich, und
uͤbergebe hier beides; gewiſſe Nebenartikel meines
Verſprechens gehen ohne meine Schuld ab, und
man wird mir verzeihn. Epiſteln, auf welche
ich vorzuͤglich die Leſer einlud, fand ich, bei ge-
nauer Pruͤfung, unter einer ganzen Menge nur
wenige, welche ſich unter dieſen Namen mitthei-
len ließen. Anwendbare Gedichte, das hieß
bei mir ſolche, welche viel lehrreiches Salz ent-
halten, fand ich auch nicht ſo viel, als ich damals
zu finden dachte. Einfaͤlle (poetiſche) haͤtte ich
zwar mehrere einruͤcken koͤnnen; aber ein langes
Spiel ermuͤdet. Ich ſuchte mir alſo zu helfen, wie
ich konnte, und uͤbergebe hier dasjenige, was mir
unter tauſend Stuͤcken das beſte duͤnkte. Iſt es
nicht gut genug, oder gar aus der Mode, ſo kann
ich nicht dafuͤr. Die ehrerbietigſte Achtung fuͤr
die Allerdurchlauchtigſten und glaͤnzendſten Na-
men, welche der Sammlung vortraten, hat mich
bewogen, das Buch zuſammenzutragen, welches
hier dem Publikum uͤbergeben wird. Zur Samm-
lung ſelbſt lieferte mir der Herr Graf von Stoll-
* 4
[VIII] berg-Wernigerode, Domdechant von Halberſtadt,
aus ſeinem Archiv einen dreyßigjaͤhrigen Vor-
rath; Seine Hochfuͤrſtliche Durchlaucht, der
verewigte Herzog Ferdinand von Braunſchweig-
Luͤneburg, einen Vorrath von zwanzig Jahren; der
Herr Doktor Kruͤnitz, dem ich auch die letzte Kor-
rektur des gegenwaͤrtigen Werks verdanke, welche
derſelbe bei ſeinen gedraͤngten Geſchaͤften freiwillig
uͤbernommen hat, eine Sammlung von dreißig
Jahren, und ſo andre mehr. Die große Menge
Beitraͤge ließ mir ſo viel zur Auswahl, daß ich es
wagen konnte, die Gedichte in Klaſſen zu thei-
len. Bei den Oden iſt aber ein Verſehn geſchehn,
indem ſich welche davon unter eine Menge ande-
rer Papiere verſchoben hatten, ich fand ſie, als es
ſchon zu ſpaͤt war, und fuͤgte ſie unter die, welche
nur Gedichte heißen. Vielleicht geb ich dadurch
der Kritik etwas zu laͤcheln, indem ich zwiſchen der
erſten und zweiten Klaſſe einen Unterſchied machte.
Einige ſchwaͤchliche Bruchſtuͤcke, welche ſich in der
Sammlung mitunter befinden, ſind bloß um ihrer
verehrungswuͤrdigen Namen, welchen ſie gelten,
mit einrangirt worden, und als Opfer einer ab-
geſchiedenen Freundin hoffe ich, daß man ſie nicht
beſchaͤmen wird.


So viel von dem poetiſchen Inhalte dieſes
Buchs. Was den Lebenslauf betrifft, welcher von
mir ſelbſt aufgeſetzt iſt, ſo hab ich viel gewagt, ihn
noch einmal zu erzaͤhlen, da er bereits von guter
[IX] Feder zweimal im Publikum erſchienen war. Noch
mehr aber wagte ich, daß ich zum erſtenmal vor
einer ſo hohen Buͤhne, als das deutſche Publikum
iſt, mich in den Erzaͤhlungston einlaſſen wollte, auf
welchen ich mich noch niemals geuͤbt hatte. Was
mich dazu reitzte, war, daß ich mehrere kleine
Umſtaͤnde aus dem Leben der Dichterin bekannt
machen konnte, als bisher bekannt worden ſind,
wodurch ich wenigſtens die Reugier zu befriedi-
gen hoffte. Uebrigens iſt mir die kleine Erzaͤhlung
nicht leicht geworden, wie man es auch durch-
gaͤngig an dem gezwungenen Styl ſehen wird, wel-
cher gar nicht den ruhigen Ton hat, den die Er-
zaͤhlung haben muß, wenn ſie uͤberzeugen ſoll.
Waͤr ich geuͤbter, und waͤren die Hauptumſtaͤnde
nicht ſchon ſo allgemein bekannt, ſo wuͤrde mir
vielleicht die Arbeit beſſer gerathen ſeyn; und ich
koͤnnte alsdann den Leſern dieſelbe ruhiger uͤberge-
ben, als ich jetzt thue. Auch wird es Leſer geben,
welche mich dabei des Enthuſiasmus, der Vorliebe
und Prahlerei beſchuldigen moͤchten, ſie werden aber
nicht immer Recht haben, weil ich von der Wahrheit
nirgends abgewichen bin, oblich gleich geſtehen muß,
daß mir mein Selbſtgefuͤhl ſagt, daß ich wegen Unge-
uͤbtheit in der Eile der Erzaͤhlung oft zu ſelbſtent-
ſcheidend mich ausgedruͤckt haben kann. Noch muß
ich befuͤrchten, daß gewiſſe Verhaͤltniſſe, die darinn
aufgeklaͤrt ſind, mir manche meſſende Seitenblicke
und das Laͤcheln des hoͤhern Eigenduͤnkels zuziehen
* 5
[X] werden; allein, eine geſunde Philoſophie ſcheuet
ſich nicht davor, und die Wahrheit, welche meine
Feder geleitet hat, wird niemanden ein Anſtoß
ſeyn, welcher mit mir weiß und glaubt, daß wir
nicht den Zuͤgel unſeres Schickſals in Haͤnden ha-
ben, noch unſer Loos nach unſern Wuͤnſchen wer-
fen koͤnnen.


Und nun noch ein Wort wegen des von mir
verſprochenen Kupferſtichs zur gegenwaͤrtigen
Sammlung. Man habe die Guͤte, die kleine, ob-
gleich blendende Zahl der Intereſſenten zu uͤber-
zaͤhlen, ſo wird man wiſſen, warum ich keinen
Kupferſtich liefern kann. Der Kuͤnſtler arbeitet
nicht umſonſt, und verſprechen konnt ich ihm nichts.


Alles was ich leiſten konnte, hab ich gethan,
und um doch dem Buche wenigſtens eine kleine
Verzierung zu geben, ließ ich den Titel in Kupfer
ſtechen, und von dem Pettſchaft der Dichterin die-
jenige Seite, womit ſie zu ſiegeln pflegte, darun-
ter ſetzen.


Geſchrieben im Sept. 1792.


An Deutſchland.


War ſie, was ſie dir hieß, ſo muß ſie’s immer ſeyn,

O Vaterland! warum ſagſt du nun ſchweigend: „Nein?“

C. L. von Klenke.
geb. Karſchin.


[[XI]]

Subſcribenten- und Praͤnumeranten
Verzeichniß.


  • Ihro Majeſtaͤt, die verwittwete Koͤnigin von Preußen.
  • Se. Koͤnigl. Hoheit, der Prinz Heinrich, Onkel des Koͤ-
    nigs von Preußen. 6 Exemplar.
  • Se. Koͤnigl. Hoheit, der Kronprinz von Preußen.
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Heinrich, geborne
    Prinzeſſin von Heſſen-Kaſſel.
  • Se. Koͤnigl. Hoheit, der Prinz Ludwig von Preußen, Bru-
    der des Kronprinzen.
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Auguſte, Tochter
    des Koͤnigs von Preußen. 2 Exempl.
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Louiſe, Tochter des
    Prinzen Ferdinands von Preußen. 3 Exempl.
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die verwittwete Frau Herzogin von
    Braunſchweig-Wolfenbuͤttel, geborne Prinzeſſin von
    Preußen. 4 Exempl.
  • Se. Koͤnigl. Hoheit, Prinz Ludewig, Sohn des Prinzen
    Ferdinand, Onkel des Koͤnigs von Preußen.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der Herzog Friedrich von Braun-
    ſchweig.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der regierende Fuͤrſt von Anhalt-
    Deſſau. 10. Exempl.
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die regierende Fuͤrſtin von Anhalt-
    Deſſau, geborne Prinzeſſin von Brandenburg-Schwedt,
    4 Exempl.
  • Se. Durchlaucht, der Fuͤrſt Haus Juͤrge v. Anhalt-Deſſau.
    6 Exempl.
  • Se. Durchlaucht, der Erbprinz von Anhalt-Deſſau.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der regierende Herzog von Sach-
    ſen-Weymar. 10 Exempl.
  • Ihro Hochfuͤrſtl. Durchl. die regierende Frau Herzogin
    von Sachſen-Weymar, geborne Prinzeſſin von Heſſen-
    Darmſtadt.

[XII]
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Eliſabeth von Braun-
    ſchweig.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der regierende Herzog von Sach-
    ſen Coburg-Saalfeld.
  • Ihro Hochfuͤrſtl. Durchl. die regierende Frau Herzogin
    von Sachſen Coburg-Saalfeld, geborne Herzogin von
    Braunſchweig-Luͤneburg. 4 Exempl.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. Franz Friedrich Anton, Herzog
    zu Sachſen Coburg.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl Chriſtian Franz, Herzog zu Sach-
    ſen Coburg.
  • Ihro Hochfuͤrſtl. Durchlaucht, die regierende Frau Her-
    zogin von Wuͤrtemberg-Stuttgard.

A.


  • Herr Ahe, wirklicher Geheimer Sekretair bey der Staatskanzley
    in Berlin.

B.


  • Demoiſelle Wilhelmine Bachmann.
  • — — Chriſtiane Bachmann, zu Langenberg im Her-
    zogthum Bergen.
  • Herr Benzler, Bibliothekar Sr. Excellenz des regierenden Gra-
    fen von Wernigerode.
  • Herr Bieber, aus Hamburg.
  • Herr Bieſter, Doktor der Rechte und Koͤnigl. Bibliothekar in
    Berlin.
  • Madame Bieſter.
  • Herr Bode, Regiments-Quartiermeiſter in Berlin.
  • Demoiſelle Bones, in Berlin.
  • Herr Boyſen, in Hamburg.
  • Herr Bruͤggemann, Gold- und Silberhaͤndler in Berlin.
  • Herr Bucenius, Inſtizrath in Kottbus.
  • Herr Ober-Conſiſtorialrath Buͤſching in Berlin.

C.


  • Herr Daniel Chodowiecki in Berlin.
  • Herr Eduart von Clermont, in Aachen.
  • Herr Ernſt von Clermont, Referendarius, Erbherr auf
    Lenzerwiſche in Berlin.
  • Fraͤulein Chriſtiane von Clermont in Aachen.

[XIII]
  • Herr Cords in Hamburg.
  • Herr Coulon, Jugendlehrer zu Berlin.
  • Die verwittwete Frau Prediger Cruciger in Berlin.

D.


  • Herr Geheimer Oberhofbuchdrucker Decker in Berlin.
  • Herr Johann Philipp Dettmars, Doktorand und Rek-
    tor bei der Friedrichsſchule zu Frankfurt an der Oder.
  • Herr Deutſch, Koͤnigl. Preußiſcher Hofpoſtſekretair in Berlin.
  • Herr Baron von Diebitſch, auf Groß-Wießewitz.

E.


  • Herr Landrath von Eckartsberg.
  • Herr Profeſſor Eck. in Leipzig. 10 Exempl.
  • Herr Poſtſekretair Emmerich in Frankfurt.
  • Frau Geheime Finanzraͤthin Engelbrecht, geb. Thalwit-
    zer
    , in Berlin.

F.


  • Herr Hofkonditor Fechter in Berlin. 3 Exempl.
  • Herr General-Inſpektor Forckert in Berlin.
  • Herr Profeſſor Fromm in Frankfurth an der Oder.

G.


  • Ihro Excellenz die verwittwete Frau Miniſterin von Gaudt,
    geborne von Vieregg, Gonvernante der regierenden Koͤ-
    nigin von Preußen Majeſtaͤt.
  • Die Frau Apothekerin Gaßert, geb. Guͤldenhaupt zu
    Magdeburg.
  • Herr Oberkonſiſtorialrath Gedicke in Berlin.
  • Herr Girard, d. R. B. in Frankfurt.
  • Herr Kanonikus Gleim in Halberſtadt. 10 Exempl.
  • Herr Kriegesrath von Goͤcking in Wernigerode.
  • Der Herr Miniſter von Goͤrne, Excellenz.
  • Herr Licentiat Graͤulich in Hamburg.
  • Herr Grell in Hamburg.
  • Herr Gruner, Haushofmeiſter bei des Ruſſiſchen Geſandten
    Excellenz.
  • Herr Gulde, Doktor und Buͤrgermeiſter in Kottbus
    Madame Gruner.

H.


  • Herr von Halmann, Kapitain vom General von Lignows-
    kyſchen Regiment.

[XIV]
  • Herr Kantor Haupmann in Schleſien.
  • Herr Heins in Hamburg.
  • Herr Hellmann daſelbſt.
  • Demoiſelle Herbſt in Berlin.
  • Herr Herterich in Hamburg.
  • Se. Excellenz der Koͤnigl. Preußiſche Miniſter, Herr Graf von
    Hertzberg
    .
  • Madame Hoffmann.
  • Mademoiſelle Wilhelmine Hoffmann.

K.


  • Herr Kirchenpauer in Hamburg.
  • Herr von Kleiſt in Kahren bei Kottbus.
  • Herr von Knoblauch, auf Peßin bei Nauen.
  • Frau Hauptmaͤnnin von Knobelsdorf, geb. Komteſſe von
    Reuß
    , in Berlin.
  • Der Koͤnigl. Kammerherr und Juſtizrath, Freyherr v. Kott-
    witz
    , auf Boyadel.
  • Herr Baron von Kottwitz auf Parchau.
  • Die Freyin von Kottwitz auf Pulpenau.
  • Herr J. D. Krahmer, Rektor in Kottbus.
  • Die Frau Graͤfin von Krockow, auf Krockow.
  • Frau Hauptmaͤnnin Krowke, geb. Luther, in Bernau.
  • Herr Doktor Kruͤnitz in Berlin.
  • Frau Doktorin Kruͤnitz.
  • Herr Mahler Kuͤhl in Berlin.

L.


  • Herr Langerhans, Schauſpieler in Hamburg.
  • Herr von Leſtewitz in Schleſien.
  • Herr Senatar Liepner in Loͤwenberg. 5 Exempl.
  • Frau Erneſtine Graͤfin von Lottum, geb. von Cler-
    mont
    , in Berlin.
  • Herr Hauptmann von Luͤderitz.
  • Demoiſelle Dorothee Luther in Berlin.
  • Herr von Luͤtke in Schleſien.

M.


  • Herr Kriegesrath Marpurg in Berlin.
  • Herr J. H. Meyer in Hamburg.
  • Se. Excellenz der Herr Generallieutenant von Moſch.
  • Se. Excellenz der Herr von Moͤllendorff, Generallieute-
    nant der Infanterie, Gouverneur hieſiger Reſid. ꝛc. in Berlin.

[XV]
  • Herr Carl Ludewig Muͤller, d. R. Bfl. in Halle.
  • Madame Muͤller, Gouvernante bei der Prinzeſſin Auguſte,
    K. H. in Berlin.
  • Madame Muͤller, geb. Thalwitzer.

N.


  • Herr von Nikolai, Kabinetsſekretair und Bibliothekar Sr.
    K. H. des Großfuͤrſten aller Reußen, in Petersburg.
  • Demoiſelle Sophie Niklas, Koͤnigliche Saͤngerin in Berlin.
  • Herr Doktor Nießen in Hamburg.
  • Madame Nowachin aus Karge.

O.


  • Herr Oelrichs, Geheimer Legationsrath und akkreditirter Re-
    ſident zu Berlin.

P.


  • Herr Pehmuͤller in Hamburg.
  • Herr von Platen, auf Peitzig.
  • Ihro Gnaden die Frau von Prinz in Berlin. 2 Exempl.
  • Herr Hauptmann von Prittwitz.
  • Fraͤulein von Prittwitz in Cummerow bei Beeskow.
  • Frau Doktorin Pyl in Berlin.

R.


  • Herr Raͤbell, Zinngießer in Trebbin.
  • Madame Rehbeld, in Berlin.
  • Fraͤulein Erneſtine von Rexin, in Lauenburg.
  • Herr Juſti zamtmann Richter in Kottbus.
  • Herr Hofpoſtſekretair Richter in Berlin.
  • Herr Riſch in der Klaprothſchen Apotheke in Berlin.
  • Herr Rothlieb in Hamburg.
  • Herr Johann Heinrich Roͤding, Schullehrer in Ham-
    burg und gelehrtes Ehrenmitglied zu Helmſtaͤdt.
  • Herr Elias Roͤding, ebend.
  • Herr Peter Roͤding, ebend.

S.


  • Fraͤulein Wilhelmine von Schlieben in Kroſſen.
  • Herr Graf und Obriſter von Schmettau in Berlin.
  • Frau Juſtiz-Hofraͤthin Schmidt in Berlin.
  • Herr Juſtizkommiſſionsrath Schueider in Schleſien.
  • Madame Schobinger, geborne Decker, in Berlin.
  • Herr Bandagiſt Schropp in Berlin.

[XVI]
  • Herr von Schweinichen in Berlin.
  • Herr Subkonrektor Seidel in Berlin.
  • Herr Muſikus Seidel in Berlin.
  • Herr Siemers in Hamburg.
  • Herr Profeſſor Spalding in Berlin.
  • Frau Paſtorin Stein in Hamburg.
  • Herr von Stentſch, Landrath in Schleſien.
  • Die verwittwete Frau Poſtmeiſterin Stiller in Berlin.
  • Madame Stolz, Gold- und Silberhaͤndlerin in Berlin.

T.


  • Madame Tauſch, geb. von Hamm, in Berlin.
  • Frau Praͤſidentin von Tevenar, geb. Stahl in Magdeburg.
  • Herr Kriegs- und Steuerrath Teudtſch.
  • Herr Thieme, Konrektor beim grauen Kloſter in Berlin.
  • Frau Sophie, verwittwete Graͤfin von Truchſes.

U.


  • Ungenannter von der Koͤnigl. Poſt-Expedition in Berlin.
  • Ungenannter in Hamburg.

V.


  • Herr Vogel in Hamburg.

W.


  • Herr Landrath von Wagener in Schleſien.
  • Herr Weißbeck, Kammerrath Sr. Koͤnigl. Hoheit des Prinzen
    Heinrichs.
  • Se. Hochwuͤrdige Excellenz, der regierende Graf von Stollberg-
    Wernigerode, Domdechant zu Halberſtadt und Ritter des
    Johanniter-Ordens ꝛc. 2 Exemplar.
  • Fraͤulein Dorothea von Wobeſer zu Luͤbben in Pommern.
  • Herr Peter Friedrich Wolf in Frankfurt.
  • Fraͤulein von Wolffen in Berlin.
  • Se. Excellenz, der wirkliche Koͤnigl. Preußiſche Staats-Miniſter,
    Herr von Woͤllner. 2 Exemplar.

Z.


  • Madame Zangen, geborne Heitfeldt in Potsdam. 2 Exempl.
  • Herr Geheime Kaͤmmerier Zeiſing in Potsdam.

Inhalt.
[XVII]

Inhalt.


Vorberichtender Lebenslauf der Dichterin Anna
Louiſe Karſchin, geb. Duͤrbach.


Gedichte von Anna Louiſe Karſchin.
Oden.


  • Seite
  • An die Stadt Berlin wegen Sr. Koͤnigl. Hoheit
    des Prinzen und Feldherrn Heinrichs. 3
  • An die Mnemoſine, bey dem allerhoͤchſten Feſte,
    welches Se. Koͤnigl. Hoheit Prinz Heinrich dem
    Koͤnige gab. 5
  • An die Clio wegen des Koͤnigs. 7
  • Bei dem jubelvollen Empfange der Koͤnigin 9
  • Dem Vater des Vaterlandes, Friedrich dem Gro-
    ßen ꝛc. 11
  • Ueber die Vorzuͤge des Prinzen Friedrichs von
    Braunſchweig. 14
  • An die Najade. 18
  • An den klagenden G * d. 20
  • Ueber die Begierden und Wuͤnſche. 22
  • An den General-Lieutenant von Seydlitz. 24
  • Jupiter und ſein Adler. 26
  • An den Apoll, daß er die Leyer zuruͤcknehmen moͤchte. 28
  • Seite
  • An die Leda. 30
  • An den Herrn Grafen v. Stollberg-Wernigerode. 32
  • An den Phoͤbus Apollo ꝛc. 34
  • An Herrn Profeſſor E. 37
  • Auf die Geburt des jungen Prinzen von Preuſſen. 38
  • Der ſichere Fromme. 41
  • Gedichte.
    An Ihro Majeſtaͤt die Koͤniginn ꝛc. 45
  • An die Muſe, daß ſie den Abend der großen Illumi-
    nation ſingen ſolle. 48
  • Aufforderung an die Muſe, daß ſie dem Philoſoph
    zu Sans-Souci nachfliehen ſoll. 52
  • An den juͤngſtgebornen Prinz Friedrich Carl Ludwig
    von Preuſſen in Seiner Wiege. 55
  • Sr. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht dem Herzog Ferdinand
    von Braunſchweig-Wolfenbuͤttel ꝛc. 57
  • Lied der Clio. 59
  • An Se. Hochwuͤrden Gnaden, den Herrn Dom-
    dechant Freyherrn von Spiegel. 61
  • Das Tuͤrkiſche Bacchusfeſt. 63
  • An den Phoͤbus. 66
  • An Venus, uͤber die ſtolze Phyllis. 67
  • An die Frau Doktorin M. 68
  • An den einjaͤhrigen Wilhelm von K. 70
  • An den Herrn Kanonikus Gleim. 72
  • An einen jungen Freund. 76
  • An eine Dichterin, welche das Klavier ſpielte. 78
  • Seite
  • Ueber den Unbeſtand des Ruhms. 80
  • Warnung an den jungen Herrn v. H * ſt. 82
  • Das Lob des Eſſens. 84
  • Ueber die Begierde des Saͤuglings. 86
  • Ermahnung an einen jungen Freund 88
  • An Phyllis. 90
  • An den Freyherrn von A. aus Coͤthen ꝛc. 92
  • Lied an Se. Fuͤrſtl. Durchl. den jungen Prinzen von
    Anhalt. 95
  • An den kleinen von K. ꝛc. 98
  • An Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Mutter des Preußi-
    ſchen Thronfolgers. 101
  • An die Koͤniginn. 104
  • An die Melpomene, wegen des Prinzen Heinrichs
    des juͤngern ꝛc. 107
  • An den regierenden Reichsgrafen von Stollberg-Wer-
    nigerode ꝛc. 110
  • Bey dem Eheverbuͤndniß meines juͤngern Bruders
    Ernſt Daniel Hempel. 113
  • Troſtgeſang fuͤr Neu-Ruppin bey den Ruinen. 117
  • An die Sonne ꝛc. 121
  • Lob der ſchwarzen Kirſchen. 125
  • Als ſie des Sonntags zu einer Luſtreiſe nach Char-
    lottenburg eingeladen wurde ꝛc. 127
  • An Gott bei dem Ausruf des Friedens. 129
  • Geſang auf eine Hochzeit ꝛc. 131
  • Gebet eines Kindes. 134
  • Seite
  • Lobgeſang nach toͤdtlichem Schmerz unter meinen
    Kindern geſungen. 136
  • Danklied am drey und ſechzigſten Geburtstage ꝛc. 138
  • Loblied bei dem fuͤnf und ſechzigſten Jahresſchluß. 141
  • Epiſteln und Erzaͤhlungen.
    An die Prinzeſſin Heinrich. 145
  • An Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. den Herzog Ferdinand
    von Braunſchweig-Luͤneburg. 149
  • An Ebendeſſelben Hochfuͤrſtl. Durchl. 152
  • An den Hrn. von M * p * n in Braunſchweig. 156
  • An die verwittwete Madame R * ldt ꝛc. 159
  • An den Herrn Kanonikus Gleim. 163
  • An den Herrn Baron von Kottwitz zu Boyadel. 165
  • An eine adliche Schuldnerin ꝛc. 168
  • An meinen Freund, den Akteur H. 174
  • Skizze einer Epiſtel an Herrn Sekretaͤr K * ch. 177
  • Des 24ſten Januars muſikaliſche Feier ꝛc. 180
  • Aufforderung an die Dichterin von Herrn Doktor
    Kruͤnitz. 182
  • Antwort der Dichterin. 183
  • An die Koͤnigl. Hof-Bauadminiſtration ꝛc. 188
  • Die klagenden Muſen und Apoll. 191
  • Der Liebhaberhut. 193
  • An den beruͤhmten Maler, Herrn Rode. 195
  • Belloiſens Lebenslauf. 197
  • Der Paͤchter und der arme Schaͤfer. 199
  • An Lehnchen R ** uͤber einen Zuckermann. 202
  • Seite
  • Eine Romanze. 204
  • Die Nadelſtichsheilung. 207
  • An Herrn von G., den Officier und Dichter. 209
  • Duldmanns Rache. 212
  • Skizze einer Epiſtel an Herrn Ober-Conſiſiorialrath
    Buͤſching. 215
  • Die Waſſersnoth bei Frankfurt an der Oder. 217
  • An den beruͤhmten Chodowiecky. 221
  • Das beſtaͤndige Einerlei. 224
  • Nachricht an den Grafen von Stollberg-Wernige-
    rode wegen des Rinderhirtens Joh. Chriſt. Grafes. 226
  • Jeremias Klage bei dem Anblick der Flucht ſeines
    Volkes aus dem Elſas. 229
  • Vermiſchte Gedichte.
    Verſuch einer Dankſagung an Koͤnig Friedrich Wil-
    helm den Vielgeliebten. 235
  • An Ihro Koͤnigl. Hoheit der Prinzeſſin Louiſe ꝛc. 237
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit der Fuͤrſt in von Anhalt-Deſſau ꝛc. 239
  • Verſuch eines Geſanges zur Geburtsfeier Sr. Excel-
    lenz des Koͤnigl. Preußiſchen Kabinets-Miniſters
    Grafen von Hertzberg. 241
  • Ein Gebet an den Mars. 244
  • An den Herrn Ober-Conſiſtorialrath Gedicke. 246
  • An die Frau von Reichmann. 248
  • Ueber die Vergleichung. An Nantchen. 250
  • Die goͤttlichverkannte Phillis im Walde. 252
  • Lied einer alten reichen Wittwe ꝛc. 254
  • Seite
  • Duett zu einer Operette. 256
  • An die juͤngſte Demoiſelle St*hl. 257
  • Das Andenken des Herrn Hofrath Stahl bei ſeinem
    Grabe. 260
  • Zuruf an den Fremdling beim Marmorſarge Frie-
    drichs des Großen. 263
  • An Mademoiſelle Sack 266
  • Ob Sappho fuͤr den Ruhm ſchreibt? 268
  • An die Oſterſonne. 270
  • Der Skorpion, die Schildkroͤte und die Sans. 273
  • Der Adler und die Pfeifvoͤgel. 275
  • Dorimoͤn und Amariethe in ihrer neuen Wohnung. 276
  • Phillis, die Helferin. 279
  • Lieder der Liebe.
    Wegen Milon. 287
  • An Milon 288
  • An Denſelben. 290
  • An den jungen Tytirus uͤber eine Roſenknoſpe. 292
  • An Milon. 294
  • Elegie auf die Geduld. 296
  • An Milons Billet. 298
  • An eine Freundin. 300
  • An einen Ingenieur, Liebhaber der Phyllis. 301
  • Klagen uͤber eine geſtorbene Roſe an meinen Freund R. 303
  • Eine Rede zu Gott uͤber die Kuͤrze der Zeit. 306
  • Seite
  • Gedichte nach vorgeſchriebenen Endreimen.
    309
  • Begebenheit zu Wien in der Kaiſerlichen Burg. 311 313
  • Die Habſucht der Koͤnige. 314
  • Der Zorn uͤber Thyrſis. 315
  • Eigenſchaften der Sapho. 316 317 318
  • Einfaͤlle.
    Neujahrs-Geſundheit. 320
  • An Herrn D. K. 320
  • Ueber ein Gemaͤlde. 321
  • An Herrn Doktor Kruͤnitz wegen ihres Pettſchafts. 322
  • Unterſchied eines Schmauſes und einer kleinen ver-
    gnuͤgten Mahlzeit. 322
  • Guter Rath ꝛc. 323
  • Eine Geſundheit. 324
  • An Quitungsſtatt geſchrieben. 324
  • Ueber Friedrichs Weisheit. 325
  • Mittags, als die Dichterin mit bei dem Domde-
    chant Spiegel zu Halberſtadt ſpeiſte. 326
  • Als ſie eine zum Scherz verfertigte Ordre an den
    Kanzleidirektor Brandhorſt und ein Executoriale
    auf einem Tiſch fand. 326
  • An einen, der das Klavier ſpielte. 328
  • Ueber den Aktien-Handel. 328
  • Geſundheit. 328
  • An einen Alten. 329
  • Seite
  • An den Wein. 329
  • Recept zur Staͤrkungschokolade. 330
  • An meine Freundin. 331
  • Die neue Verſicherung. 332
  • An einen jungen Herrn von Baronoff. 332
  • An Montan. 333
  • An das kommende Jahr. 333
  • Die große That des Julius Caͤſars. 334
  • An ein gluͤckliches Volk. 334
  • Bei Erinnerung ihres erſten Freundes. 335
  • An den Frieden. 335
  • Aus einer Bußtagspredigt des Hrn. O. C. R. Spalding. 336
  • Anhang
    von Proben ihrer allererſten Dichtart.

    Neujahrswunſch an den Rinderhirten. 339
  • An das Fraͤulein von Moſe. 341
  • An ihren erſten Mann. 343
  • Eine Satire auf die Verfaſſung von Schleſien. 345
  • Arie. 350
  • An Se. Majeſtaͤt, den Koͤnig von Polen. 352
  • Das Schickſal. 358
  • Der 13te Mai 1758, als der Tag des Schreckens in
    Glogau. 362
  • Schleſiſches Bauerngeſpraͤch. 376
  • Die goͤttliche Vorſehung. 389
Vor-
[[1]]

Vorberichtender
Lebenslauf
der Dichterin
Anna Louiſe Karſchin,
geb. Duͤrbach
.


a
[[2]][[3]]

So bekannt der Name der Dichterin Karſchin iſt,
ſo dunkel iſt der Urſprung ihres Stammes, und in
ihrem ſonſt gluͤcklichen Gedaͤchtniſſe konnte ſie denſelben
nicht weiter zuruͤckzaͤhlen, als bis auf ihren Großvater
muͤtterlicher Seite, welcher ein ſtudierter wohlhabender
Amtmann geweſen war. Von dem Vater ihres Vaters
iſt ihr nichts bekannt worden; ſie aͤußerte aber oft die
Vermuthung, daß er wol die lezte Sproſſe eines aus-
gehenden edlen Stammes moͤchte geweſen ſeyn, ſo wie
auch ihre Mutter, deren Vorfahren durchaus nicht ge-
ringe ſeyn mußten, weil die wenigen noch bekannten
Verwandten ſtudierte und wohlhabende Leute waren,
welches in der einſamen Gegend, welche ſie bewohnten,
nicht geweſen ſeyn wuͤrde, wenn ihre Geburt es nicht
erfordert haͤtte. Ihrer Mutter Vater war ein Foͤrſter
und Weidmann bei dem Herrn von Moſe geweſen;
ſein Name hieß Kuchel, und er heirathete die Amt-
mannstochter ſeiner Herrſchaft, Namens Ferke. Dieſe
hatte noch einen Bruder, welcher ſtudierte, und nach-
her Amtmann wurde. Er iſt derjenige Großonkel der
a 2
[4] Dichterin, welchem ſie in ihrer erſten Sammlung vom
Jahr 1763 das ſchoͤne Lied geſungen hat: 〟Kommt
herauf geſtiegen aus dem Sande ꝛc.〟 Der Foͤrſter
Kuchel ſtarb bald, und hinterließ ſeiner Witwe drei
unerzogene Toͤchter. Zwei dieſer Toͤchter haben ihr
Leben in einem ſo unbekannten Zuſtande beſchloſſen,
als ſie an vorzuͤglichen Eigenſchaften arm waren;
allein die dritte, welche nachher die Mutter unſerer
Dichterin wurde, verdient wohl ſchon in dieſer Ruͤck-
ſicht bemerkt zu werden. Sie war die juͤngſte ihrer
Geſchwiſter und eine Pathe derer Fraͤuleins Moſe.
Als ihr Vater ſtarb, wurde ſie auf das adeliche Schloß
genommen und von ihren Pathinnen erzogen. Die
reinen Sitten jenes Zeitalters, die einſame Lage des
herrſchaftlichen Gutes, und die ehrwuͤrdige Geſellſchaft,
in welcher ſie ihre taͤgliche Bildung erhielt, wuͤrden
dieſem Maͤdchen ſchon Anſtand eingefloͤßt und ihre Be-
griffe verfeinert haben, wenn ſie gleich zu denen Mit-
telmaͤßigen ihres Geſchlechts gehoͤrt haͤtte; allein, wie
ſehr mußte ſie an feinem Schimmer hier gewinnen, da
ſie nach denen Fraͤuleins die erſte Perſon im Schloſſe,
an Wuchs und Bildung ſchoͤn, an Tugend und vor-
zuͤglichen Eigenſchaften unvergleichlich war. In der
Beſchreibung von ihr kommt Jeder uͤberein, der ſie
gekannt hat, ſo wohl in der Ausſage der Dichterin,
als in der Nachrede der untruͤglichen Einfalt. Vermoͤge
[5] ihres Charakters, welchen ſie ihr ganzes Leben hindurch
bis an das Ende ihrer Tage unausgeſetzt behauptet
hat, laͤßt ſich ſchließen, daß der Geiſt dieſer außer-
ordentlichen Frau roͤmiſch, ihr Gefuͤhl griechiſch, und
ihr Herz deutſch geweſen ſei. So ſchnell und zaͤrtlich
ſie empfand, ſo feſt hielt ſie, ſelbſt ihre Gedanken, un-
ter der Herrſchaft der Tugend; und ihrem ſonſt ſo em-
pfaͤnglichen Herzen wurde ſchon durch eine unziemende
Geberde, oder durch ein niedriges Wort bis zum Ab-
ſcheu kalt und ekel. Nichts uͤbertraf die Strenge in
ihren Sitten und die Reinigkeit ihrer Handlungen.
Selbſt gegen ſich dachte ſie verſchaͤmt, und durch einen
milden aber ernſthaften Anſtand welchen ſie ſich zu
geben wußte, entfernte ſie alle unlautere Abſichten
Anderer, indem ſie Allen, mit welchen ſie umging, zu-
gleich Liebe und Ehrfurcht einfloͤßte. Ihre Soͤhne
ſprechen nie ohne Ruͤhrung von dem muſterhaften
Wandel ihrer Mutter und von dem Nachruhm, in
welchem noch ihr Andenken bei den Nachkommen des
ganzen Staͤdtchens, worin ſie wohnte, lebt. Dieſe
charakteriſtiſche geiſtige Vorzuͤge, welche ſo ſelten den
erſten Preis erhalten, wuͤrden auch vielleicht an dieſer
Frau nicht glaͤnzen, wenn ſie nicht bei ihr von
ſo viel aͤußern Vorzuͤgen waͤren unterſtuͤzt und hervor-
gehoben worden. Ihre Perſon war von laͤnglichter
ſchlanker Mittelgroͤße, und in ihrem Wuchs herrſchte
a 3
[6] ein mit Ausdruck vermiſchter Anſtand. Ihre Bil-
dung war nicht regelmaͤßig ſchoͤn, allein doch fein und
angenehm. Ihr Auge war blau und ſprechend, ihre
Haut weiß, und das Haar glaͤnzend ſchwarz.


Zu dieſem aͤußern Anſehn fuͤgte ſie zwei Talente,
welche ſo vollkommen geweſen ſeyn ſollen, daß ſie ihr
ſogar von der Dichterin auf eine gutmuͤthige Weiſe
beneidet wurden. Es waren dieſe: die Kunſt zu tan-
zen und die Gabe der allervortrefflichſten Singſtimme.
Wer dieſe wunderbare Frau in ihrem fuͤnf und ſech-
zigſten Jahre hat tanzen geſehn, der iſt noch bezaubert
von ihr. Sie hat, wie der Vogel uͤber dem Waſſer,
gleichſam nur uͤber dem Boden geſchwebt, und mit
den ſittſamſten Blicken und Anſtande die leichteſten
Wendungen ausgefuͤhrt, welche ſie mehrentheils ſelbſt
angab, weil die gewoͤhnlichen Taͤnze ihr zu unbedeu-
tend waren. Wenn es bekannt wurde, daß ſie zu
einem Tauf- oder Hochzeitsſchmauſe erſcheinen wuͤrde,
ſo ſtroͤhmten auch die Zuſchauer des ganzen Staͤdtchens
dem Feſthauſe zu, und ſtunden hoch uͤbereinander in
den Fenſtern, um ſie nur tanzen zu ſehen. Dennoch,
ſo weit die Seele die Reize des Koͤrpers uͤbertrifft, ſo
weit uͤbertraf ihre Singſtimme ihre Kunſt zu tanzen.
Nur mit Thraͤnen in den Augen wird von ihren Kin-
dern dieſe Stimme geruͤhmt; ja, ſie koͤnnen keine
Worte finden, um ihr eine Abſchilderung zu geben.
[7] Auch noch in ihrem fuͤnf und ſechzigſten Jahre, wo
Alter, Hinfaͤlligkeit und der grauſamſte haͤusliche Zu-
ſtand ihr feines Nervengewebe beinahe zerruͤttet hat-
ten, konnte ſie ſo ſingen, daß keine Nachtigall ſie uͤber-
traf. Die hoͤchſten Schwierigkeiten, welche ihr eige-
nes Genie ihr in die Kehle gab, fuͤhrte ſie mit der Leich-
tigkeit der im Fluge ſingenden Lerche aus; und mit
der aͤußerſten Hoͤhe der Toͤne vereinigte ſie zugleich ein
Adagio, welches jeden, der ſie hoͤrte, bis zu Thraͤnen
durchdrang. Sie konnte mit unglaublicher Leichtigkeit
in lauter kleinen Ringelkreiſen die Stimme bis zum
hoͤchſten Triller erheben, und in lauter neuen uner-
hoͤrten Toͤnen ſchwebte ſie allmaͤhlig wieder herab und
ſchmolz in einen Seufzer zuruͤck *). Zugleich konnte ſie
bei froher Laune theils in ihrer Kehle jedes Inſtrument
auf das vollkommenſte nachahmen. Dieſes that ſie theils
pfeifend oft aus Taͤndelei, und war eben ſo gluͤcklich in
dieſer Nebenvollkommenheit, als es nachher ihre Tochter
als Dichterin wurde, wenn ſie die Funken ihres herrli-
chen Genies in Impromptuͤes ausſtreuete. Auch Dichte-
rin war die Saͤngerin, ob ſie gleich nicht ſchreiben konnte.
a 4
[8] Ihr Gefuͤhl war ſo fein, daß ihr jene Volkslieder alle
zu gemein waren, und ſie pflegte ſich oft andere ſo ge-
nannte Arien nach ihrem beſſern Geſchmack auszuden-
ken, welche ſie aber nicht aufſchreiben konnte, weil ſie
nicht ſchreiben gelernt hatte, und alſo nur in ihrem
Gedaͤchtniß blieben. Auch andre Melodieen pflegte ſie
ſich oft auf ihre Lieblingslieder auszudenken, und die
ſchlechteſte Weiſe wurde durch ihre Stimme zur vor-
trefflichſten. Man ſollte glauben, daß ſo viele innere
und aͤußere Vollkommenheiten, als in ihr vereiniget
waren, ohnmoͤglich ſie im Staube haͤtten laſſen muͤſ-
ſen; allein ſie war leider ſechzig Jahre zu fruͤh gebo-
ren, wo weder Talente gekannt noch geſucht wurden;
und welche auch wegen der einſamen Lage ihres Wohn-
ortes nicht einmal entdeckt werden konnten *).


Ihre Beſcheidenheit und Unbefangenheit, ihre
aͤußerſt ſittſamen Neigungen ließen ihr auch nicht zu,
[9] weder ihre Vorzuͤge zu kennen, noch eitel oder erobe-
rungs- und gewinnſuͤchtig darauf zu ſeyn. So erhaben
und fein die Stimmung ihrer Seele war, ſo erhob ſie
ſich mit derſelben doch nie außer der ihr angewieſenen
Sphaͤre. Wuͤnſche nach einem ſolidern Stande, als der,
in welchen ſie treten mußte, und nach einem Gatten,
welcher ihren feinen Gefuͤhlen angemeſſen waͤre, ſchei-
nen freilich durch ihr ganzes Betragen durch; und
eine beſtaͤndige Unzufriedenheit, welche ſie ſelbſt in den
guten Tagen ihres rohen Standes aͤußerte, zeugen von
dieſen verborgenen Wuͤnſchen; allein ihre Tugenden,
welche unzertrennliche Gefaͤhrten ihres Weſens waren,
ließen ſie nie unerlaubte noch unlautere Wuͤnſche thun.
Sie ward in allen das Opfer ihrer ſtrengen Grund-
ſaͤtze, und trieb dieſelben, ſelbſt gegen ſich, faſt bis zur
Grauſamkeit, ohne daß ſie jemals eine Reue daruͤber
geaͤußert haͤtte. In ihrem jungfraͤulichen Stande
konnte ſie von den Edelleuten, welche den Hof beſu-
chen kamen, nicht ganz unbemerkt bleiben, ſo ſehr ſie
ſich auch zu verbergen ſuchte; allein alles, was ihr von
ſolchen Herren Galantes wiederfuhr, oder geboten
wurde, (ob es gleich nur hoͤchſt zufaͤlliger Weiſe ge-
ſchehen konnte, weil ſie ſich jeder Gelegenheit dazu ent-
zog) entdeckte ſie ihren Fraͤuleins offenherzig und frei-
willig, welches der ſicherſte Weg war, wo ſie weder
ſtraucheln noch fallen konnte.


a 5
[10]

In dieſer Lage wurde ſie ſieben und zwanzig Jahr
alt; ihre Wuͤnſche gingen allerdings auf eine Heirath
hinaus, allein auf eine ehrliche Heirath. So gern ſie
vielleicht einen Mann von einiger Diſtinktion genom-
men haͤtte, ſo wurde ihr doch kein ſolcher bekannt,
welcher ſie zur Frau geſucht haͤtte. Als ſie end-
lich in ihr acht und zwanzigſtes Jahr gekommen
war, meldete ſich der Duͤrbach*), welcher von
den Fraͤuleins Moſe den unter ihre Herrſchaft ge-
hoͤrigen Hammer pachtete. Dieſer ſo genannte
Hammer war eigentlich eine Meyerei, worin eine
Bier- und Brandtweinbrauerei befindlich war, und in
einem leimernen mit Stroh gedecktem Wirthshauſe
fuͤr Durchreiſende beſtand, an welches nur noch einige
entfernte Fiſcherhuͤtten graͤnzten. Uebrigens lag der
Ort in einem wuͤſten Flecken, hinter welchem ein klei-
nes Erlenwaͤldchen ſtand, und gehoͤrte zum Zuͤllichauer
und Schwiebuſer Kreiſe.


Dieſen Pachter und Brauer Duͤrbach nun hei-
rathete das vollkommenſte Maͤdchen jener Zeit. Von
ihm iſt zu ruͤhmen, daß er im ganzen Kreiſe, und noch
uͤber die Graͤnze hinaus bis in das brandenburgiſche
[11] Gebiet wegen ſeines ſtarken und weinaͤhnlichen Bieres,
welches er brauete, beruͤhmt und beliebt war, Ueber-
haupt war er ein biederer Mann, welcher ſeiner Wirth-
ſchaft pflichtmaͤßig vorſtand und fuͤr die Seinigen
Schutzherr und Freund war. In ſeiner Perſon ver-
einigte er einen edlen Anſtand, und ſein Geſicht, wel-
ches eine freundliche Wuͤrde hatte, war mit einem
Stuzbaͤrtchen uͤber der Oberlippe und am Kinne, nach
damaliger Mode geziert, welches ihm ein recht herri-
ſches Anſehn gab. Die Hochzeit des Duͤrbachs mit
der Jungfer Kucheln wurde auf dem adelichen
Schloſſe unter den vornehmſten Bekannten der Herr-
ſchaft vollzogen, und aus dieſem ſtillen und freien Zu-
ſtande folgte die junge Frau Duͤrbach ihrem Manne
auf den Hammer, wo er der Bierbrauerei und der
Gaſtſtube vorſtand, und wo ſie die Aufſicht uͤber die
Viehzucht und die Zubereitung der abgezogenen Waſ-
ſer, und die Ordnung uͤber vielerlei Geſinde, nebſt
einer großen Haushaltung zu beſorgen hatte. So ſehr
ihr Mann ſie liebte, ſo wohl es ihr ging, und ſo gut
ſie ſich in alle dieſe Geſchaͤfte zu ſchicken wußte, ſo ſehr
litt ſie innerlich durch die ungeſitteten Durchreiſen-
den, welche taͤglich im Wirthshauſe einkehrten und zu
halben Naͤchten bei ihren Kruͤgen und Glaͤſern vor
ihr laͤrmen ſaßen. Dabei geſchah es oft, daß ihr
Mann ſich an ſeinem wohlſchmeckenden Biere ein
[12] Raͤuſchchen trank, wodurch er zwar niemals un-
gezogen wurde, allein ihre Delikateſſe und ihre allzu-
maͤßigen Neigungen wurden doch dadurch gekraͤnkt.
Sie gab es ihm oft durch Stillſchweigen zu ver-
ſtehn, er konnte ſolche ſtumme Verweiſe nicht leiden,
und ſo machte ſich dieſe vortreffliche Frau die erſten
Unruhen ihres Eheſtandes, welche zwar keine Ge-
witter brachten, aber doch meiſt finſter und truͤbe
waren. In dieſer Verfaſſung hatte ſie ihrem Manne
zwei ſchoͤne Kinder geboren, welche aber fruͤh ſtar-
ben. Das dritte Kind, welches ſie zur Welt brach-
te, war unſere Dichterin.


Sie gebahr dieſelbe im Jahre 1722 am 1ſten Decbr.
Nach der Dichterin eigenen Beſchreibung iſt ſie als ein
heßliches Kind zur Welt gekommen; die runzlichte Haut
der Stirn hat ihr uͤber die Augen gehangen, welche
finſter und tief im Kopfe lagen, und das vermagerte
Geſicht hat eine widerwaͤrtige Ernſthaftigkeit gehabt.
Ihr Koͤrper war eben ſo gelb und ſchrumpfigt, als
ihre Geſichtshaut. Der Mutter feines Auge, welches
durch ihre erſten ſchoͤnen Kinder verwoͤhnt war, wen-
dete ſich mit Widerwillen von ihrem neugebornen
Geſchoͤpfe weg, und ſie ſtieß den bittern Scherz aus:
daß man ſie von dem heßlichen Kinde befreyen, und
es in den Muͤhlenfluß tragen ſollte. Indeß iſt anzu-
merken: daß die Dichterin nachher nichts weniger als
[13] haͤßlich aufwuchs, und haͤtte ſie ihren Koͤrper und ihr
Mienenſpiel in der Gewalt gehabt, ſo wuͤrde ſie bis
zu ihrem Tode beinahe fuͤr ſchoͤn haben gelten koͤnnen.
Sie hatte einen wohlgeordneten feinen Wuchs mitt-
lerer Groͤße, ſchoͤne und daurende Geſichtsfarbe, hell-
braunes Haar, die ſchoͤnſte menſchliche Stirn, welche
jemals geſehn worden iſt, auf welcher ganz das Licht
ihres großen Geiſtes ausgebreitet lag; die ſtrahlenvoll-
ſten, hellſten, ſprechendſten blauen Augen, beſtaͤndig
rothe Lippen, und bei guter Laune herzlichen Froh-
ſinn in den Mienen. Allein, wenn ſie ihren Forſch-
blikk hatte, welcher die meiſte Zeit in ihrem Geſichte
herrſchte, ſo war ſie ſchwer auszuhalten, und man
wuͤrde nicht mit ihr haben Umgang pflegen koͤnnen,
wenn ihre Gedanken und ihr Thun nicht leicht waͤ-
ren abzulenken geweſen, durch Zerſtreuung, welche
oft der Augenblikk wuͤrkte. Die Augenlieder zogen
ſich bei ſolchem Blikk zuſammen, das Auge wurde
kleiner, und ſeine Strahlen ſchoſſen, gleichſam wie
die Sonne in einem Brennpunkt, auf ſeinen Ge-
genſtand, zuſammen. Es war ein verzehrender
Blick; lenkte der Gedanke ihn ab, ſo ſah er ſeit-
waͤrts, und ging in eine laͤchelnde Bewegung des
Mundes uͤber, welche nicht weniger Scheidewaſſer
als der Blikk ſelbſt hatte. Die Dichterin, welche
nichts von dieſem Mienenſpiele wußte, hat ſich un-
[14] zaͤhlige Verdruͤßlichkeiten dadurch zugezogen, und ei-
gentlich kann man es die Grundlage aller ihrer Un-
gluͤksfaͤlle nennen.


Nach laͤndlicher Sitte wurde nun die kleine Duͤr-
bach der Großmutter zur Wartung gegeben. Sie
war ein ſtilles, in ſich verſchloßnes Kind, welches
weder im Schlaf noch im Wachen jemanden Unruhe
machte, und ſo blieb ſie bis in ihr ſechſtes Jahr.
Sie kroch unter den Baͤnken der Gaſtſtube herum,
und ſaß zu halben Tagen, wie ein Gedanke, ganz
ſtill vor ſich weg, ohne auf etwas zu merken, was
um ſie her vorging. Vermuthlich hatten die Ge-
ſpraͤche der Bauern und gemeinen Gaͤſte des Wirths-
hauſes keinen Reiz fuͤr ihr Ohr, und ihren Eltern
fehlte die Zeit, ſich mit ihr zu unterhalten. Indeſ-
ſen verrieth ſie doch dann und wann Lebhaftigkeit,
wenn es Vorfaͤlle gab, welche ſelten genug waren,
auf das verborgene Feuer ihres Verſtandes zu wuͤr-
ken. So geſchah es zum Beweiſe einsmals, daß
ſie als ein dreijaͤhriges Kind auf dem Arme ihrer
Großmutter der Hinrichtung eines Delinquenten zu-
ſahe, und als ſein Kopf mit einem Schwerdtſtreich
des Nachrichters abflog, klopfte ſie in die Haͤnde,
und rief von einer ploͤtzlichen Empfindung getrieben:
Schwabb, war er ab!“ Mit dieſem Reime
entſprang der erſte Funken ihres dichteriſchen Genies,
[15] wovon die Umſtehenden, welche herzlich lachten, zwar
nichts vermutheten, allein den Ausſpruch eines Kin-
des doch fuͤr ſo merkwuͤrdig fanden, daß ſie ihn ihren
Bekannten wiederholten, und ihn ſo im Andenken
erhielten.


Sie war im ſechſten Jahre, als ihre Mutter Witt-
we wurde. Dieſe vortreffliche Frau, welcher nun die
großen Geſchaͤfte des Gaſthoſes allein oblagen, fuͤhlte
ſich ſo belaſtet, daß ſie an die Bildung ihres Kindes
unmoͤglich denken konnte. In der ganzen umliegen-
den Gegend war keine Schule, wo ſie ſie zum Unter-
richt haͤtte hinſchicken koͤnnen, ſelbſt die Kirche war
uͤber eine Meile weit entlegen. Es war eine traurige
Lage, in welcher ſie ſich befand, und ihr Kind wuͤrde
in voͤlliger Unwiſſenheit haben aufwachſen muͤſſen, wenn
nicht gerade zu dieſer Zeit ihrer Mutter Bruder, der
ſtudierte Amtmann, Wittwer geworden waͤre. Dieſer
brauchte jezt eine Haushaͤlterin in ſeiner Wirthſchaft,
und er faßte den Entſchluß, ſeine Schweſter, die Groß-
mutter der kleinen Duͤrbach, zu ſich zu nehmen. In
dieſer Abſicht kam er, ſeine verwittwete Nichte zu be-
ſuchen. Hier fand er das kleine Maͤdchen, und ent-
deckte bald an ihr einen hellen Kopf und ein vortreff-
liches Gedaͤchtniß. Er begriff, daß ſo gute Gaben
unter dem rohen Umgang mit Bauern und unter einer
vernachlaͤßigten Erziehung erſticken muͤßten, und that
[16] ihrer Mutter den Vorſchlag, daß er ſie mit ſeiner
Schweſter zugleich mitnehmen wollte. Die Mutter
willigte mit frohem Herzen ein.


Seine kleine Nichte gewann ihren Großonkel ſo-
gleich von ganzer Seele lieb, und je feiner er mit ihr
umging, je oͤftrer er mit ihr Geſpraͤche fuͤhrte, je ver-
traulicher wurde ſie zu ſeinem Unterrichte. Jezt wurde
ſie gleichſam erſt wach fuͤr ihr Leben, denn jezt erſt
lernte ſie durch die Gegenſtaͤnde, welche die Lehren ih-
res Oheims ihrem Verſtande zum Wirken gaben, den-
ken und empfinden. Sie konnte halb buchſtabiren, als
er ſie zu ſich nahm, und in weniger als einen Monat
hatte ſie von ihm leſen gelernt. Sobald ſie dies
konnte, wurden ihre Begriffe zu Feuerſunken, welche
ſich an alles hefteten, was ihnen Nahrung geben konn-
te. Sie bekam eine unaufhoͤrliche Neigung zu den
Buͤchern und lag halbe Tage lang auf der Bibel mit
ihren Augen wie angeheftet. Am Abend ſagte ſie ih-
rem lieben Oheim ganze Stellen daraus vor, welche
ihr durch bloßes Leſen im Gedaͤchtniß geblieben waren,
und ihr Vetter machte ſichs zum Vergnuͤgen, ihr
Stunden lang Erklaͤrungen uͤber die geleſenen Stellen
zu geben.


Ihr Lieblingsſtudium wurde das Buch der Mak-
kabaͤer. Das Heldenmuſter des Judas Makkabaͤus
gab ihrem Geiſte die ſtaͤrkſte Nahrung, weil dieſer am
liebſten
[17] liebſten bey Bildern verweilte, die ihm auſſerordentlich
und unerreichbar ſchienen; denn gewoͤhnliche Gegen-
ſtaͤnde hatten ſchon fruͤh zu wenig Nahrung fuͤr ſein
gewaltiges Feuer. Dieſes kanoniſirte Heldengedicht
hatte ſogar Wuͤrkungen auf ihre Einbildungskraft; ſie
vertraute ſich ganz mit demſelben, und wollte kein
Maͤdchen mehr ſeyn. Man hatte ihr zum Jahrmarkt
eine Puppe gekauft, dieſe warf ſie in den Wipfel eines
Birnbaums, und mit ihr jede Neigung zu kindiſchen
Spielen. Wenn ſie nicht las, oder lernte, ſo ging ſie
in den Garten, nahm ein Haſelſtrauchſtaͤbchen, und
zog damit auf die Neſſeln, wie auf eine Legion Feinde
los. Ganzen Feldern voll hieb ſie die Koͤpfe ab, und
durch dieſen taͤglichen kriegeriſchen Zeitvertreib waren
die Neſſeln ausgerottet, ehe noch der Sommer ver-
ging. Mit den Uebergaͤngen der Jahrszeit veraͤnderte
ſie auch ihre kriegeriſchen Diſpoſitionen. Statt der
Neſſeln wurden nun Armeen von Erbſen und Bohnen
auf den Tiſch geſtellt, welche auf einander losgehn
mußten. Oder draußen im Freyen wurden kleine Kie-
ſel geſammlet, in Reihe und Glieder geſtellt, und mit
groͤßeren Steinen darauf losgefeuert.


Ihre Großmutter, welche ſchlechterdings keine
Pſychologin war, ſchuͤttelte zu ſolchen Zeitvertreiben
murrend den Kopf, und ſchalt uͤber das viele Leſen
ihrer Enkelin. Als ſie aber ſah, daß ſie ſogar ſchreiben
b
[18] lernte, ſo ward ſie uͤber die Verſtoßung der Sitte ih-
rer muͤtterlichen Vorfahren ganz entruͤſtet. Sie ſchob
die Suͤnde ihrem Bruder in ſein Gewiſſen, und ſagte:
Er wuͤrde es einmal zu verantworten haben, wenn
das Maͤdchen durch ihr Leſen und Schreiben allerley
Muͤßiggang und Untugend lernte. „Daß dich der
Krankſch derſchluͤge! rief ſie oft in ihrem gutmuͤthigen
Eifer, das Maͤdel ſoll mir durchaus nicht ſchreiben
lernen; durchaus nicht! ein Maͤdel muß nicht ſchrei-
ben koͤnnen, ſie hat anders zu thun, wenn ſie ne Frau
wird, als Schreiben. Das verfuͤhrt ſie nur zu Lie-
besbriefen, zu weiter nichts Guts. Sie ſoll durchaus
nicht ſchreiben lernen.“


Allein, je mehr die Großmutter eiferte, je hefti-
ger wurde die Begierde der Kleinen, ſchreiben zu koͤn-
nen. Sobald ſie die Buchſtaben nachmahlen konnte,
blieb kein leerer Raum mehr ſicher vor ihrer Kreide,
ſie beſchrieb jeden Klotz, jedes Stuͤckchen Brett, wel-
ches ſie auffinden konnte. Ihr lieber Oheim fing nun
das Rechnen mit ihr an, und auch hierin nahm ſie
die ſchnellſten Fortſchritte. Eben ſo leicht wuͤrde ſie
weibliche Handarbeit begriffen haben, wenn zu einem
Unterrichte Gelegenheit geweſen waͤre. Stricken
lehrte ihr die Großmutter; aber dabey hatte ſie keine
Geduld, weil es ein ewiges Einerley war. Sie hat
[19] oft erzaͤhlt, daß ſie in ihrem ganzen Leben nicht mehr
als anderthalb Struͤmpfe geknittet hat.


Ihr Vetter wußte ihr nun ferner nichts zu thun
zu geben; ſein Vorrath von deutſchen Buͤchern war
klein, ſeine meiſte Bibliothek beſtand in lateiniſchen
und andern Sprachen. Er wußte alſo ſeine wißbe-
gierige Nichte mit keinem Unterrichte mehr zu be-
ſchaͤftigen, und doch plagte ſie ihn, um etwas zu ler-
nen. Er fing alſo beynahe Scherzweiſe an, ſie in der
lateiniſchen Sprache zu unterweiſen. Er lehrte ihr
leſen, und gab ihr nachher Vocabeln auf. In Zeit
von vierzehn Tagen konnte ſie ihm viele hundert latei-
niſche Woͤrter aus dem Gedaͤchtniſſe herſagen, und er
ging ſchon ſo weit, durch Zuſammenſetzung ſolcher
Woͤrter ihr einen Autor verſtehen zu lernen. Aber
welcher Graͤuel war das vor den Ohren der Großmut-
ter! Ihre Geduld riß dabei ganz aus. Weil aber
ihre Widerſpruͤche ſtets fruchtlos geblieben waren, ſo
ſahe ſie keinen andern Ausweg, als daß ſie heimlich
ihrer Tochter einen Wink gab und ihr ſagen ließ: daß
wenn ſie ihr Kind lieb haͤtte, ſo ſollte ſie es von ihrem
Bruder wegnehmen; denn der ginge gerade darauf
aus, das Maͤdchen verruͤckt zu machen, indem er ihr
nun gar Lateiniſch lehrte. Die Mutter der kleinen
Duͤrbach, welche in der Zeit ſich zum zweitenmale ver-
heirathet hatte, und jezt in den Umſtaͤnden war, daß
b 2
[20] ſie wieder die Welt vermehren ſollte, ſah es zwar nicht
ungern, daß ihre Tochter Leſen, Schreiben und Rech-
nen gelernt hatte, allein wegen des Lateiniſchen war
ſie mit ihrer Mutter ganz einerlei Meinung. Um
alſo einer Hirnzerruͤttung vorzubeugen, eilte ſie ſelbſt
zu ihrem Vetter, um ihre Tochter, welche jezt ins zehnte
Jahr ging, wieder zu ſich zu holen. Unter dem Vor-
wande, daß ſie dieſelbe naͤchſtens bei der Wiege brau-
chen wuͤrde, halfen alle Bitten und alle Gegenvorſtel-
lungen des Oheims nichts; ſie glaubte hier nach Pflicht
und beßrer Einſicht zu handeln, und die Trennung
zwiſchen Onkel und Nichte geſchah nicht ohne Schmerz
und Thraͤnen, wie man leicht denken kann. Seit die-
ſem Augenblicke gehen die widrigen Schickſale der
Dichterin an, nnd dieſe Eine Trennung hatte Folgen,
deren Uebel noch uͤber ihr Grab hinaus dauern.


Kaum war ſie einige Monathe zu Hauſe, als ihre
Mutter ihr einen Bruder zur Welt brachte, welchen
ſie wiegen, warten und tragen mußte. Ihre Mutter
gab ihr dieſes Geſchaͤft blos, um ihr etwas zu thun zu
geben, denn ſie befand ſich vor jezt noch in ſo guten
Umſtaͤnden, daß ſie dem Kinde wol eine Magd haͤtte
halten koͤnnen. Die kleine Duͤrbach, deren Herz, von
ihrem lieben Oheim getrennt, eine große Leere em-
pfand, gewann ihren Stiefbruder lieb, ſo viele Laſt
und Unruhen er ihr auch machte. Er ſoll als ein huͤb-
[21] ſches Kind zur Welt gekommen und nachher der ſchoͤnſte
Knabe und Juͤngling im Staͤdtchen geweſen ſeyn.
Das Aeußere, welches ſogleich zu empfehlen pflegt,
machte auch Eindruck auf die Dichterin, und ſie hef-
tete ihre zaͤrtlichſten Neigungen auf dieſen ihren Stief-
bruder, ob er gleich noch vor ſeiner Geburt die Urſach
war, daß ſie an ihren geiſtigen Fortſchritten gehindert
wurde, ſo wie er in der Folge die Sorgenquelle ihrer
letzten dreißig ſonſt goldenen Jahre geworden iſt.


Nachdem dieſer Menſch etwa ein Jahr alt war,
geſchah ihrem Hauſe ein Unfall, welcher den Wohl-
ſtand der ganzen Familie umſtuͤrzte. Ihr Stiefvater
Hempel, welcher ein Paͤchter und Jaͤger war, und
ein aufbrauſendes brutales Weſen hatte, konnte ſich
nicht, wie ſein Vorfahr, der Brauer Duͤrbach, in die
Geſellſchaft der Gaſtſtube ſchicken. Wenn er die ge-
meinen Reiſenden noch von fern ſah angewandert
kommen, ſo ſchmaͤhlte er ſchon auf ſie, und begegnete
ihnen veraͤchtlich, wenn er ſie bedienen ſollte. Dieſes
kam bald zu den Ohren der Herrſchaft, und ein junger
Kruͤger im adelichen Dorfe, welcher laͤngſt einen Wunſch
nach der Pacht des Hammers gehabt hatte, machte
ſich die Brutalitaͤt des neuen Paͤchters zu Nutze, und
pachtete ihn bei der Herrſchaft aus. Die Eltern der
jungen Duͤrbach wurden alſo aus ihrem erſten Wohn-
orte verdraͤngt, wo ſie funfzehn Jahr ſo geſeegnet wa-
b 3
[22] ren und einige tauſend Thaler Vermoͤgen geſammlet
hatten. Sie zogen einige Meilen davon in eine kleine
polniſche Stadt, Tirſchtiegel genannt, wo ſie wieder
einen Gaſthof pachteten, in welchem ſie aber gar kein
Gluͤck hatten, auch wegen des brauſenden Charakters
des Hempels keines haben konnten. In dieſer neuen
Haushaltung gebahr die beklagenswuͤrdige ehrwuͤrdige
Frau Hempelin den zweiten kleinen Hempel, eben
denjenigen, welcher ihre bewundernswuͤrdige Stimme
geerbt hatte, die ihm aber ſo wenig Vortheile geſchafft
hat als ſeiner Mutter, weil er ebenfalls mit ſeinem
Talente zu fruͤh geboren war. Auch dieſen ihren juͤng-
ſten Bruder trug die Dichterin groß. Bald darauf
brachte ihre Mutter noch eine Tochter zur Welt, welche
ſie ebenfalls warten mußte. Als endlich auch dieſe
nicht mehr gewiegt werden durfte, wußte ſie ſich mit
nichts zu beſchaͤftigen, weil ihr Unterricht und Buͤcher
fehlten. Aus langer Weile uͤbte ſie alſo ihre kriegeri-
ſchen Zeitvertreibe, wie ſie vormals bei dem lieben On-
kel gethan hatte. Ihre Mutter, welcher jeder Muͤ-
ßiggang zuwider war, hatte weder Zeit noch Geduld,
ihr eine nuͤtzliche Beſchaͤftigung zu geben. In der
Zeit war auch ihr Oheim geſtorben, und die Groß-
mutter kam wieder zu ihrer Tochter zuruͤck. Dieſes
war eine alte arbeitſame Frau, und der jungen Duͤr-
bach blieb alſo noch weniger zu thun uͤbrig. Um ſie
[23] nun vor gaͤnzlichen Muͤßiggang zu bewahren, wurden
ihr von der Mutter drei Rinder vertraut, welche ſie
taͤglich auf die Weide, die weit entfernt lag und zu
ihrer Pacht gehoͤrte, treiben mußte. So unwuͤrdig
ein ſolches Geſchaͤft fuͤr eine Karſchin ſcheint, ſo erin-
nerte ſie ſich deſſelben doch niemals ohne Vergnuͤgen,
und hielt die Jahre ihrer Hirtenſchaft fuͤr die ſchoͤn-
ſten ihres Lebens. Die Freiheit, welcher ſie hier ge-
noß, die herrliche bluͤhende Natur um ſie her, die mit
Baͤchen durchſchlungenen Wieſen, und die liebliche
Ruhe, welche hier uͤberall ausgebreitet lag — erfuͤll-
ten ihre Seele mit tauſend ſchoͤnen Bildern, von wel-
chen ſie ſelbſt die Schoͤpferin war. Und welcher Stand
befriedigt auch wol mehr das Herz, als der Hirten-
ſtand, in welchem die Patriarchen Koͤnige waren, und die
hoͤchſten Dichter ſich das goldene Zeitalter traͤumten?


Sie war im dreizehnten Jahre, als ſie mit ihrer
kleinen Heerde zuerſt die graßreichen Triften betrat.
Hier empfand ſie mehr als jemals den Drang denken-
der Vorſtellungen, welchen ſie ſo gern in Bilder uͤber-
getragen, wenn ſie nur gewußt haͤtte, wie? Sie
hatte weder ein Buch zum Leſen, noch Geraͤth zum
Schreiben, noch jemanden, an welchen ſie ihre Gedan-
ken haͤtte richten koͤnnen. So brachte ſie ihre Zeit
in Geſellſchaft ihrer Rinder mit bloßen Phantaſien hin.
Eines Tages aber, als ſie ſo in ſich ſelbſt vertieft ihren
b 4
[24] empfindſamen Traͤumen nachdenkt, entlaͤuft ihr ploͤtz-
lich ein Rind, welches im blinden Eifer uͤber eine
Waſſergraben ſezt, der die Graͤnze einer andern Weide
war. In aller Angſt wathet die kleine Hirtin den
Graben durch und ihrem Rinde nach; die zwei uͤbri-
gen folgten ihr von ſelbſt. Sie mußte eine lange
Strecke laufen, ehe ſie daſſelbe einholen konnte; end-
lich gelang es ihr. Indem ſie nun ein wenig ausru-
hen wollte, ſahe ſie um ſich herum und bemerkte, daß
ſie ſich auf einer ganz fremden Trift befand, als ſie in
einiger Ferne einen Hirtenknaben gewahr wurde, wel-
cher unter einem Baume ſaß, und — o wundervolles
Gluͤck! in einem Buche las. Ihr Herz ſchlug
laut vor Freude, und mit dem zweiten Gedanken war
ſie auch ſchon bei dem Knaben. Drei Worte, in drei
Augenblicken geſagt, machten einander auf immer be-
kannt, und eine gegenſeitige Neigung zum Leſen ſchloß
ſogleich das Band der Freundſchaft um ihre Herzen.
Jezt haͤtte ein Jupiter vom Himmel ſteigen und in eins
ihrer Rinder ſich verwandeln koͤnnen, die Dichterin
wuͤrde es nicht bemerkt haben, ſo ſehr war ihre Be-
gierde auf das Buch geheftet, welches der junge Hirte
las. Es war dieſes [Buch] eins von den Originalen,
welche damals die Ehre der deutſchen Schriftſteller
ausmachten. In dieſe Klaſſe gehoͤrten: die ſchoͤne
Meluſine, der gehoͤrnte Siegfried, Peter mit dem
[25] goldnen Schluͤſſel, die politiſche Kolika, Tauſend und
eine Nacht, die Aſiatiſche Baniſe, Robinſon Kruſoe,
und andere, welche noch ungleich ſeichter waren.


Der Knabe war ungefaͤhr zwei Jahre aͤlter als ſie,
und ein Bewohner deſſelben Staͤdtchens, wo ihre El-
tern lebten. Seine Geſtalt konnte, ohne Uebertvei-
bung geſagt, das paſſendſte Muſter zu der Abbildung
eines Aeſops abgeben, ſogar die Schwere der Zunge
und die Heiſerkeit der Sprache jenes griechiſchen Fa-
beldichters fehlten ihm nicht. Indeſſen war es in ſei-
nem Kopfe heller, als in allen Buͤrgerkoͤpfen ſeines
Geburtsortes, und ſein Herz war mit ſeinem Ver-
ſtande in einer ſchoͤnen Ordnung. Ihm fehlte nur
Erziehung und Umgang, ſo wuͤrde ſein Name vielleicht
jezt unter den Philoſophen unſers Jahrhunderts
glaͤnzen, anſtatt daß er nun als ein armer Pfluͤger
ein verachtetes und hoͤchſt duͤrftiges Leben vielleicht
ſchon beſchloſſen hat. Er hatte eine große Anlage zum
Mechanikus, und verfertigte ſich ſelbſt eine hoͤlzerne
Uhr, und bei ſeiner Feldarbeit taͤglich allerlei kuͤnſtli-
ches Schnizwerk, worin er niemals einen Unterricht
gehabt hatte. Wie eigen und feſt ſein Charakter und
wie lakoniſch er in den Ausdruͤcken ſeiner Meinungen
war, ſehe man aus folgendem Briefe, welchen er der
Dichterin in ihrem gluͤcklichen Zuſtande ſchrieb, als er
b 5
[26] etwa vierzig Jahr alt war. Ein Charakter, welcher,
ohne daß er’s ſucht, gewiß Hochachtung einfloͤßt.


Gott mit uns werthe und geehrte Freundin!


„Gegenwaͤrtige Blaͤtter werden Sie uͤberzeugen, daß
ich Ihr Schreiben erhalten habe. Sie aber meyne
nicht etwa, als ob ich Sie geringe ſchaͤtze, indem ich
mich ſo ſchlechten Papiers bediene; haͤtte ich beſſers ge-
habt, ſo wuͤrde ichs wohl genommen haben. Ihr Brief-
chen zu beantworten, moͤgen zuvoͤrderſt Ihre Verſe re-
den. Betreffend den Endſchluß zu heirathen, ſo bin
ich keinmal ohne Liebſte geweſen. Die guͤnſtigen Mu-
ſen *) haben zwei der vortheilhafteſten Heirathen mir
anempfohlen. Ich haͤtte nur bei einer meine Religion
veraͤndern ſollen; bei der andern ſtand mir ein Maͤdchen
im Wege, die mir von Herzen gewogen und von allen
Mitteln entbloͤßt war, und an der hing mein Herz. Es
hat aber nichts daraus werden koͤnnen, indem mich
bald darauf die Ruſſen von allen Mitteln entbloͤßt, das
Hemde auf dem Leibe, welches nichts nutz, blieb mir
nur uͤbrig; ich danke Gott, daß ich meine Geſundheit
noch erhalten habe. Brod, Kleider, Waͤſche, Pflug
und Zug, ſamt Getreide, alles muß mit fort, mein mit
Muͤhe geſammeltes Geld und drei Pferde, daß ich nun
ganz nackend und alles Verdienſtes beraubt bin; doch
hat Gott, ihm ſei Dank, dieſem Maͤdel einen Mann
gegeben und ſie verſorgt. Ich aber habe mich die Zeit
[27] uͤber mit meinem Schnizwerk erhalten muͤſſen, welches
nicht viel eintraͤgt. So viel ich aus Ihrem Schreiben
erſehen, gehet es Ihr außerordentlich wohl, des freue
mich von Herzen. Gott erhalte Sie in allem Wohlſeyn.
Die vergnuͤgte Zufriedenheit erhaͤlt dennoch mich bei
meinen betruͤbten Umſtaͤnden ꝛc.


Schwiebus,
den 2ten Oſtertag 1762.


Ihr allzeit guter Freund
Joh. Chriſt. Grafre.


So unangenehm das Auge der jungen Duͤrbach
auf dem Geſicht ihres Hirten ruhete, ſo gern ſahe ſie
doch der Bewegung ſeines großen Mundes zu, wenn
er ihr etwas aus einem Buche vorlas. Dieſes that
er ſehr gern’ und that es daher oft. Ihr Wunſch war,
daß der Sommer ewig dauern moͤchte, allein er ver-
ging; und nun, in ihrer Heimath, durfte nur ganz
verſtohlen geleſen werden, weil es ihre Muͤtter nicht
litten. Von ihrem Hirten wurden ihr oft Buͤcher
geliehen, welche ſie ſorgfaͤltig in dem Garten unter
einem Hollunderſtrauch verſteckte. Abends holte ſie
dieſelben wieder und verbarg ſie unter ihr Kopfkuͤſſen,
damit ſie mit Anbruch des Tages, wenn man glaubte,
daß ſie noch ſchliefe, leſen koͤnnte. Auch ging ſie in
das vaͤterliche Haus des Hirten, ſo oft ſie ſich dahin
ſtehlen konnte, und las die Buͤcher bei ihm ſelbſt. Es
ward endlich wieder Sommer und der junge Hirt ver-
ſchoͤnerte ihn ſeiner Hirtin durch immer neue Buͤcher,
[28] welche er mit aͤußerſter Muͤhe habhaft zu werden ſuch-
te. Zwar bekam ihr Geiſt keine Schwingen durch
dieſe Lektuͤre, in welcher oft ein geſunder Gedanke in
einem Strohm von ermuͤdendem Witze und fremden
Sprachwoͤrtern erſaͤuft lag; allein ihre Empfindungen
gewonnen doch dadurch mehr Spielraum, und ihre
Ideen verfeinerten ſich durch das Leſen, und durch den
freundſchaftlichen Umgang ihres tugendhaften Hirten-
knaben. Vielleicht wurden die drei Sommer ihres
Hirtenſtandes die Quelle, welche ihre Dichterader ſo
weit ausdehnte und ſo ſtark anfuͤllte; denn hier be-
gnuͤgte ſich ihre Wißbegierde nicht nur an den Buͤchern,
ſondern machte ſie auch mit den Gegenſtaͤnden der
Natur bekannt. Sie lernte die mannichfaltigen Arten
der Voͤgel und der laͤndlichen Inſekten kennen; ſie er-
forſchte den Unterſchied der Baumarten, der Pflanzen
und Blumen, und in ihrem unvergleichlichen Gedaͤcht-
niſſe fand das vergeſſenſte Kraͤutchen ſeinen Namen
wieder. Auf gleiche Weiſe wurden ihr die Veraͤnde-
rungen der Jahreszeiten, ſo wie der Elemente bekannt,
und der geſtirnte Himmel mit ihrem Geiſte vertraut.
Daher ſammlete ſie alle die ſchoͤnen Farben zu den
herrlichen Bildern der Natur, welche ihren Meiſter-
ſtuͤcken einen Vorzug geben, den ſie vielleicht in ihrer
Art einzig hat. Haͤtte ſtatt dieſes Hirtenlebens die
Dichterin das Gluͤck einer gekuͤnſtelten Erziehung
[29] genoſſen und die Buͤcher unſrer Tage gehabt, ſo wuͤrde
ſie kaum ihr Talent zn der Hoͤhe geſchwungen haben,
in welcher es allgemein bekannt iſt. Ein wirkliches
Genie kann wol nicht dadurch leiden, wenn es lange
ſich nur ſelbſt uͤberlaſſen iſt; denn die Kunſt, welche
ihm zu fruͤh die erhabenſten Muſter vorlegt, macht es
dadurch ſcheu und zaghaft, ſelbſt den Flug zu wagen.
Daher wird ein fruͤh ausgebildetes Talent ſich ſelten zu
dem kuͤhnen Schwung erheben, welchen die wilde freie
Kraft eines ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Genies mit Leich-
tigkeit ausfuͤhrt, weil es die ihm unbekannten Regeln
der Kunſt nicht zu ſcheuen hat, ob es gleich auch Ge-
fahr laͤuft, im Waͤlzen ſeines Strohms hie und da
eine Regel umzuſtoßen, oder etwas mit ſich fortzureißen,
welches es nicht wieder an die rechte Stelle bringt.


Nachdem der dritte Sommer dieſer gluͤcklichen
Epoche vor ſie voruͤber war, bedachte nun ihre Mut-
ter, daß das Maͤdchen ſich dem Ende ihres funfzehn-
ten Jahres naͤherte, und noch war ſie von aller haͤus-
lichen Kenntniß zuruͤck, welche ihrer kuͤnftigen Beſtim-
mung zur Hausfrau ſo nothwendig war. Nach der
dortigen Sitte pflegte man die Maͤdchens zu verheyra-
then, ſobald ſie erwachſen waren, und die Augen der
jungen Duͤrbach ſagten, daß ſie wider dieſe Gewohn-
heit nichts einzuwenden haben wuͤrde. Es ward alſo
beſchloſſen, ſie zuerſt noch im Naͤhen unterrichten zu
[30] laſſen, und alsdann ſie in der Hauswirthſchaft anzu-
lernen. Damit man aber verhinderte, daß ſie nicht,
ihrer Gewohnheit nach, leſen, in den Gaͤrten und auf
den Wieſen herumtraͤumen, oder gar ſich bey dem
Buͤcherſchaft ihres litterariſchen Schaͤfers vergeſſen
koͤnnte; ſo wurde ſie von Hauſe ganz entfernt, und
einige Meilen weit davon in die Koſt einer Muͤllers-
Frau gethan, welche die Geſchicklichkeit im Ausnaͤhen
vorzuͤglich beſaß. Das Gedaͤchtniß der Duͤrbach glich
dem Wachs; was ſie lernen ſollte, das druͤckte ſich
den Augenblick unausloͤſchlich in ihre Begriffe. So
ganz ſie Phantaſie und Gedanke war, ſo war ſie kaum
ein Vierteljahr in der Lehre, als ſie ſchon ihrer Lehr-
meiſterin alle Kuͤnſte ihrer feinen Nadel auf das ſau-
berſte nachmachen konnte. Sie war auf anderthalb
Jahre in dieſe Lehre bedungen, und die Muͤllersfrau,
welche ihrer Schuͤlerin nichts mehr lernen konnte, miß-
brauchte in der uͤbrigen Zeit die folgſame Gemuͤths-
art der Duͤrbach, nebſt der entfernten Lage von ihren
Eltern, und ließ ihr mehrentheils Magddienſte ver-
richten. Dabei blieb es nicht allein, ſondern ſie mußte
auch oft das Amt einer Vorpoſt beſtehen: denn die
Muͤllerin, welche jung und huͤbſch war; hatte Bekannt-
ſchaft mit einem Huſaren-Rittmeiſter, welcher hier auf
Graſung ſtand. Er kam mehrentheils wenn der Muͤller
auf der Muͤhle war, und bey jedem ſolchen Beſuche wur-
[31] de der Duͤrbach aufgetragen, auf des Muͤllers etwanige
Zuruͤckkunft Achtung zu geben, und Bericht davon
abzulegen. Die Langeweile, welche ſie auf dieſem Poſten
hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Dieſe Be-
ſuche und dieſe heimlichen Anſtalten kamen ihr freilich
beſonders vor, um ſo mehr, da bey ihrer liebenswuͤr-
digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil
aber ihre Phantaſie gern einen Schwung machte, ſo
bildete ſie ſich aus dieſen Zuſammenkuͤnften eine Rit-
tergeſchichte, je nach den Muſtern, wie ſie dieſelben in
den Buͤchern bei ihrer Heerde geleſen hatte. Der
Muͤller war haͤßlich; der Ritter huͤbſch und artig; die
Muͤllerin ſchoͤn und jung: konnte ſie nicht von dem
unanſehnlichen Muͤller geraubt, oder durch Liſt zu einer
Heirath mit ihm gezwungen ſeyn? Und konnte nun
der Rittmeiſter nicht der edle Ritter ſeyn, der ſie wie-
der erloͤſen wuͤrde? So waren ihre Vorſtellungen von
dieſen beiden Perſonen, und ihre Einbildungskraft
fand eine angenehme Unterhaltung darin, ſich dieſe
beiden Liebenden als zwei Ungluͤckliche zu denken, welche
durch ein grauſames Schickſal getrennt waren, und
bei ſolchen Zuſammenkuͤnften einander ihre Leiden
klagten. Sie ward von dieſer Meinung ſo eingenom-
men, daß ſie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu-
ſiaſmus entflammte, ſie trat auf die Seite der beiden
vermeinten Ungluͤcklichen, und — ergriff ihre erſte
[32] Feder
— mit welcher ſie wie mit einer ritterlichen
Lanze, in beweglichen Klagen auf das harte Schickſal
loszog. Es iſt Schade, daß von dieſem erſten Fluͤ-
gelſchwunge ihres Geiſtes keine Probe mehr vorhanden
iſt; und dieſe Epiſode wuͤrde daher unbedeutend ſeyn,
wenn man nicht in ihr die fortwachſende Dichterin
bemerkte. Ihren Poſten beſtand ſie ſtets ſonder Feh-
de, ſie ward ſogar dafuͤr von dem Rittmeiſter beſchenkt,
und die Haushaltung des Muͤllers befand ſich wohl
dabei, ſo wie bei den vollen Kammern auch der Haus-
friede ſich befand. Allein der Zufall, welcher kein Ver-
gnuͤgen ungeſtoͤhrt laſſen mag, that es auch hier. Ei-
nes Tages, als eben der Rittmeiſter im Begriff war,
zu ſeiner Schoͤnen zu gehn, kommt ploͤtzlich eine Kut-
ſche vor ſeine Hausthuͤr gerollt, und wer daraus er-
ſcheint, ſind — ſeine Gemahlin und ſeine beiden klei-
nen Soͤhne. Zaͤrtlich hingen ſie ihm an Hals und
Knieen, ehe er noch ein Wort ſprechen konnte; und
er, ein ſonſt guter Mann und Vater, empfand, daß
er von den Banden der Natur umſchlungen wurde,
und — weggewiſcht aus ſeiner Seele war das Bild
der Kokette. Ohne von ihr Abſchied zu nehmen, eilte
er am andern Morgen fruͤh mit den Seinigen nach
ſeinem Standquartier zuruͤck, und ſeine ſanfte Frau
machte ihm keinen Vorwurf, daß er ſo lange uͤber die
Zeit der Graſung weggeblieben war.


In
[33]

In der Muͤllerſchen Behauſung war die Nachricht,
daß der Rittmeiſter abgereiſt ſey, ein betaͤubender
Schlag! Die Lebhaftigkeit der Muͤllerin artete nun in
eine uͤble unleidliche Laune aus, und bei dem Muͤller
in Schelten und Pochen; denn jezt fuͤrchtete er kei-
nen Rittmeiſter mehr. Er ſtrafte ſein treuloſes Weib
durch die ſtrengſte Genauigkeit, und gab ihr nur den
duͤrftigſten Unterhalt. Am uͤbelſten dabei fuhr die
junge Duͤrbach, welche nun noch zu mehreren Frohn-
dienſten gebraucht wurde, und dafuͤr nur halb ſatt zu eſ-
ſen bekam. Ihr Zuſtand war druͤckend, und niemanden
konnte ſie ihn klagen, weil ſie von den Ihrigen ſo
entfernt war. Einen einzigen Vortheil hatte ſie, wel-
cher in ihrer Mutter Wohnort ihr nicht werden konn-
te, weil dort keine Kirche war. Hier war eine,
und hier wurde ſie bei dem Prediger zur Vorbereitung
geſchickt. Nach einem halben Jahre wurde ſie einge-
ſegnet und zur Kommunion gelaſſen. Dieſen Schritt
haͤlt eine ſittliche Jugend ſtets fuͤr ſehr wichtig, weil ſie
denn gleichſam erſt unter die Menſchen aufgenommen
wird. Auch die Duͤrbach empfand ihn ſo und freuete ſich
darauf. An dem nehmlichen Morgen, als ſie zur erſten
Kommunion gehen ſollte, weckte die Muͤllersfrau ſie
fruͤher als gewoͤhnlich, nicht etwa, damit ſie eine
Selbſtpruͤfung uͤber die genoſſenen Lehren und ihr
Verhalten dagegen mit ſich vornehmen ſollte; nein,
c
[34] weil noch ein halber Scheffel Weitzen nach der Muͤhle
zu tragen war, welchen ſonſt Niemand Zeit hatte, fort-
zuſchaffen, als die Duͤrbach. Ihr wurde alſo ein Sack
mit dieſer Laſt gefuͤllt auf den Ruͤcken geladen, und ſie
mußte ihn drey Viertel Weges weit nach der Muͤhle
tragen. So ſehr die Laſt ihre ſchwachen Rippen
beugte, ſo eilte ſie doch ſo gut ſie konnte damit fort,
um wieder zuruͤck zu kommen, ehe die Kirche anginge,
welches auch geſchah. Die Dichterin erwaͤhnte in
ihren Geſpraͤchen dieſes Vorfalls oft, wenn ſie, wie
der Held von ſeinen Narben, von ihrem uͤberſtande-
nen Ungemach redete. Bald darauf wurde ſie aus die-
ſer Sklaverey erloͤſt, durch einen unvermutheten Be-
ſuch ihres Stiefvaters, welcher ziemlich erſtaunt war,
ſie in einer ſo unverantwortlichen Lage zu finden. Die
Muͤllersfrau entſchuldigte ſich ſo gut ſie konnte mit
Liſt und Unwahrheiten, und die erloͤſete Duͤrbach fuhr
mit ihrem Stiefvater in ihr Elterliches Haus zuruͤck.


Als ſie hier angekommen war, eilte ſie, ſobald
ſichs thun ließ, in die berauchte Huͤtte ihres Hirten;
dieſe Huͤtte und ſein roſtiges Buͤcherbrett waren fuͤr
ſie ein wieder aufgeſchloßnes Paradies; ſie wuͤhlte in
den Buͤchern wie der Reiche in ſeinen Schaͤtzen, ob ſie
etwas Neues darunter faͤnde, und aus Beduͤrfniß zu
leſen, wurde ihr auch das neu, was ſie ſchon zehnmal
geleſen hatte. Eines Tages fuͤgte es der Zufall, daß
[35] ſie gluͤcklicher in ihrem Hauſe, als bey dem Hirten
war, denn ſie fand auf ihrem Soͤller (Vorfluhr) ei-
nige Blaͤtter voll Verſe von dem bekannten Johann
Franke
, welche uͤber allerlei Gegenſtaͤnde geſchrie-
ben waren. Dieſer neue Fund ſchlug einen Funken in
ihr an, welcher in ſeiner Neuheit etwas Bezaubern-
des fuͤr ſie hatte. Noch niemals waren ihr andere
Poeſien als die Lieder im Geſangbuche vor Augen ge-
kommen; aus dieſen Blaͤttern ſahe ſie, daß man auch
andere Gedanken als geiſtliche in Verſe bringen konn-
te; der Takt des Sylbenmaßes war unausſprechlich
ſchmeichelhaft fuͤr ihr Gefuͤhl; ſie empfand, daß die
Sprache in Verſen einen vorzuͤglichen Unterſchied vor
der gemeinen Sprache hatte — Sie flog zu ihrem
Hirten, entdeckte ihm den Schatz, den ſie gefunden
hatte, und brannte nun von keiner geringern Begier-
de, als von der: auch Verſe machen zu koͤnnen. Die-
ſes wuͤnſchen und auch verſuchen, war eins, und von
Stund an keimte ihr Dichtertalent aus dem Verbor-
genen hervor. Sie ſchrieb Verſe an den Hirten von
der Art, wie ſie im Anhange dieſer Sammlung zur
Probe mitgetheilt ſind, und ahndete nicht, daß ſie
damit etwas Edleres that, als wenn ſie vormals hin-
ter ihrer kleinen Heerde mit dem Staͤbchen in der Hand
herging. Auch wurde ſie nicht ſtolzer auf ihr Talent,
als es ſchon ihren Namen beruͤhmt gemacht hatte.


c 2
[36]

Der ehrgeizige Rinderphiloſoph blieb ihr nichts
ſchuldig, er verſuchte, ihr in Reimen wieder zu ant-
worten, ob ihm gleich das Steigen in die Dichterſphaͤre
herzlich ſauer wurde, weil er nicht wie ſeine Freundin
zur Dichtkunſt geboren war.


Jezt aber war ſie nicht mehr das kinderhafte Maͤd-
chen auf der Weide, ſondern eine werdende Jungfrau
im ſechzehnten Jahre, welcher in jeder Nerve Empfin-
dung gluͤhete. Zwar konnte der arme Rinderhirt mit
ſeinen zuſammengedraͤngten Unannehmlichkeiten ihr
keine zaͤrtlichen Wuͤnſche ablocken; die Ritterideale aus
ſeinen Buͤchern hatten ihre Phantaſie erhoͤht, ihren
Geſchmack verfeinert, und ihr Auge ekelnd gemacht;
ſie lernte aber einen Nachbarsſohn kennen, einen wohl-
gewachſenen und wohlgebildeten jungen Menſchen,
welcher ganz artige Manieren hatte, und ſogar Verſe
zu lieben ſchien. Fuͤr dieſen wurde ſie eingenommen,
und vielleicht wuͤrde ſie mit ihm einen ziemlich leidlichen
Eheſtand gefuͤhrt haben, wenn ſie zu einer Heirath
mit ihm ſeiner Mutter Bewilligung haͤtte erlangen
koͤnnen. Allein dieſer Frau war das Maͤdchen darum
aufs aͤußerſte zuwider, weil ſie — leſen und ſchreiben
konnte, und weil ſie damals, vermoͤge ihres in ihr
wirkenden Dichterfeuers ſelten mit den Augen gerade
ſah, ſondern beinahe ſchielte. Sie eiferte heftig wider
jede Zuſammenkunft mit ihrem Sohne, und kraͤnkte
[37] ſogar die gute Mutter der Dichterin mit ſpitzen und
anzuͤglichen Reden wider ihre Tochter. Dieſe wuͤrdige
Frau, welche ſich ſchon durch einen Schatten von Ta-
del an ihrer Ehre gekraͤnkt fuͤhlte, und welche auf einen
guten Ruf mehr hielt als auf alles Gluͤck in der Welt:
verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unſegens,
jeden Umgang mit dieſem jungen Menſchen; und um
dieſelbe vor allen Unfaͤllen, welche jungen feurigen Dir-
nen begegnen koͤnnen, zu ſichern, beſchloß ſie, ſobald
als moͤglich ihr ſelbſt einen Mann zu waͤhlen. Ob das
Maͤdchen dabei gluͤcklich oder nicht ſeyn wuͤrde, konnte
ſie nicht berechnen, weil ſie den Grundſatz ihrer Vor-
muͤtter hatte, daß ein Maͤdchen gluͤcklich genug ſey,
wenn ſie bald einen Mann bekaͤme, der ihr Schutz und
Brod gaͤbe. Sie ſelbſt war in ihren beiden Ehen nicht
nach den Wuͤnſchen ihres Herzens verheirathet, aber
ſie war doch eine rechtſchaffne Frau: dieſer Name be-
friedigte zugleich ihre uͤbrigen Wuͤnſche.


Unter den verſchiedenen Freyern, welche ſich um
ihre Tochter bewarben, meldete ſich auch ein junger
Tuchweber und Tuchhaͤndler aus Schwiebus, Namens
Hirſekorn, welcher zehn Meilen weit im Umkreiſe fuͤr
den beſten Wirth, aber auch fuͤr einen heftigen und
zornigen Menſchen bekannt war. Der Eigennutz war
ſeine erſte Hauptleidenſchaft; er hatte, ehe er in die
Fremde ging, vernommen, daß die junge Duͤrbach
c 3
[38] tauſend Thaler Vatergut zu hoffen haͤtte, und wie ihm
dieſes ein großes Kapital ſchien, ſo beſchloß er, ſie zu
heirathen, ſo bald ſie herangewachſen ſeyn wuͤrde. Al-
lein die Umſtaͤnde von des Maͤdchens Mutter waren
durch die ſchlechte Nahrung an dieſem neuen Wohn-
orte, und durch den Muͤßiggang des brutalen Hempels
ſo verfallen, daß dies Vatergut laͤngſt dabei hatte zu-
geſetzt werden muͤſſen. Es blieb aber vor den Leuten
verborgen, weil die gute Mutter ihre Leiden niemand
klagte, und ihre Art zu wirthſchaften nach wie vor
ordentlich trieb. Der Hirſekorn konnte alſo nichts
weniger als Mangel hier vermuthen, und ohnerachtet
ihm das Maͤdchen halb zuwider war, freyete er doch
um ſie aus Gewinnſucht. Die Mutter, welche keine
Heuchelei vermuthete und ihr Kind ſehr gluͤcklich dach-
te, weil ein ſo bekannter guter Wirth und fleißiger
Arbeiter ſie zur Frau begehrte, willigte mit Freuden
in ſein Geſuch, und fuͤgte nur die Vorſtellung hinzu:
daß er bei ihrer Tochter keine Mitgabe ſich verſprechen
muͤßte, ſie bekaͤme eine Ausſtattung und weiter nichts.
Der Freyer, welcher glaubte, die kluge Frau wollte
ihn mit ſolchen Reden nur auf die Probe ſtellen, ver-
ſicherte ihr ſchmeichelhaft und feierlich: daß er nichts
anders ſuchte, als ein ehrliches und folgſames Maͤd-
chen, und daß er dieſelbe nur deshalb begehre, weil ſie
eine ſo wuͤrdige Mutter haͤtte. Die Mutter, in deren
[39] Herzen kein Arges wohnte, glaubte dem Heuchler,
blieb aber immer dabei, daß ihre Tochter wirklich kein
Vermoͤgen haͤtte, und daß er ſich betruͤgen wuͤrde, wenn
er welches vermuthete. Freilich haͤtte ſie ihm deutlicher
ihre wahren Umſtaͤnde entdecken ſollen, allein dazu
glaubte ſie noch immer Zeit zu haben, indem ſie nicht
dachte, daß er bloß nach Gelde freyete. Sie gab ihm
alſo ihr muͤtterliches Jawort und rief ihre Tochter
herein, welche in der Kuͤche hinter der Thuͤr faſt jedes
Wort gehoͤrt hatte, was unter beiden vorgefallen
war. Der junge Mann wurde ihr als Braͤutigam
angekuͤndiget, und weil er ſchoͤn und wohl gewachſen
war, und von ihrer Mutter ihr angetragen wurde,
ſo gab ſie ihm ihr Jawort mit ihrem Herzen zugleich.
Die Verlobung wurde bald veranſtaltet, und der Name
Braut war ihr ſo angenehm, als neu zu hoͤren. Der
Braͤutigam reiſete wieder nach Schwiebus zuruͤck, in-
deſſen hier unter der braͤutlichen Einrichtung die we-
nigen Zwiſchenwochen bis zur Hochzeit nur allzubald
verfloſſen, ohne daß die beiden Verlobten einander
beſſer kennen lernten; denn an dieſem Orte werden
die Toͤchter mehrentheils zur Ehe wie die Laͤmmer zur
Schlachtbank gefuͤhrt; und es iſt einmal Sitte, ſie ih-
rem fernern Schickſale zu uͤberlaſſen, wenn ſie nur mit
einem Manne getrauet ſind. Ob ihre Geſinnungen fuͤr
einander geſtimmt ſind, das wird gar nicht gefragt,
c 4
[40] und die große Jugend, in welcher beide Theile faſt
immer verheirathet werden, kann wol nichts anders
als uͤble Folgen nach ſich ziehn, weil ſie bei reiferm Ver-
ſtande erſt einſehen, wie ſie mehrentheils in ihrer
Wahl gefehlt haben.


Ein ſolches Schickſal wartete auch unſerer Dichte-
rin; weil ihr Braͤutigam meilenweit entfernt wohnte,
ſo konnte ſie weder ihn, noch er ſie beſſer kennen [...]ler-
nen, ob ſie ſich zur Ehe fuͤr einander ſchickten. Der
Mutter zwar wurde es geſagt, daß er ein geiziger und
jachzorniger Mann waͤre; allein ſie, welche glaubte,
daß man wol fuͤr die Tugend etwas leiden koͤnnte,
hoͤrte weiter nicht auf ſolche Reden, ſondern antwor-
tete: „Wenn der Mann ſchlimm waͤre, ſo muͤßte die
Frau deſto nachgebender ſeyn, denn ginge es immer
gut. Sie wuͤßte, daß ihre Tochter ein nachgebendes
Gemuͤth haͤtte, alſo mache ſie ſich weiter keinen Kum-
mer, als dieſelbe an einen ordentlichen Mann zu brin-
gen, und das waͤre ihr kuͤnftiger Schwiegerſohn.„
Dergeſtalt ging denn die Hochzeit vor ſich.


Die Braut war ein ſchlankes, noch nicht voll ſech-
zehnjaͤhriges Maͤdchen mit bluͤhendem Geſicht, laͤndlich-
freundlichen Mienen und feuervollen blauen Augen.
Ihre unbeſchreiblich ſchoͤne Stirn trug keine gepuderte
Locken, ſondern ihr ſtark kaſtanienbraunes Haar war
nach Art der Koͤpfe franzoͤſiſcher Schweizermaͤdchen,
[41] in Flechten aufgeſchlagen. Statt des Kranzes trug
ſie nach damaliger Sitte eine kleine Fontange von
Spitzen, welche auf ein goldenes Laͤppchen getollet
waren. Ueber einen großen Fiſchbeinrock blaͤhete ſich
der Brautrock von ſchwarzer Charge. Den ſchmalen
Leib zierte ein Kamiſoͤlchen vom nehmlichen Zeuge, ein
goldner Latz ſchimmerte vor der Bruſt, und goldge-
ſtickte Pantoffeln, nebſt rothen Struͤmpfen mit bunten
Zwickeln paradirten an den Fuͤßen; weiße zwirnene
Handſchuh und ein kleiner Zobelmuff ſchmuͤckten die
feine Hand. So ſtand ſie vor dem Traualtar, wo ſie
fuͤr einen ungluͤcklichen Eheſtand eingeſeegnet wurde.


Nach dreytaͤgiger Hochzeitfeyer wurde ſie von ih-
rem Manne heimgefuͤhrt, und in ihr Joch geſpannt.
Sobald er ſie ganz allein in ſeiner Gewalt hatte, warf
er die Larve ab, und ließ es durch den unertraͤglichſten
Geitz ihr empfinden, daß er in Abſicht der Mitgabe
ſich betrogen hatte; denn ſie hatte wirklich nichts mit-
bekommen, als eine Ausſtattung von etwas Schmuck,
Kleidern und Hausgeraͤthe, und ſtatt der eingebilde-
ten tauſend Reichsthaler nur hundert. Darzu kam,
daß ſie wegen ihrer großen Jugend und Vergeßlich-
keit noch ganz unerfahren in der Wirthſchaft war,
und daß ſelbſt ihre Bereitwilligkeit und ihr ſtrengſter
Gehorſam in ihren Pflichten kein Verdienſt an ihr
ſchienen, weil ihr die Wirthſchaftlichkeit ganz und gar
c 5
[42] nicht kleidete, indem ſie durchaus nicht zu ſolchen Ge-
ſchaͤften geboren war. Allein, den woͤchentlichen Faden
ihrer Pflichten ſelbſt, ſie mochten auch noch ſo muͤh-
ſam ſeyn, lernte ſie bald abſpinnen, weil ihr Verſtand
zu allem faͤhig war; und ſie uͤbertraf darin ſtets ihren
Meiſter, nur mit ſtiller und geſetzter Ordnung konnte
ſie nichts verrichten, weil ſie ſich uͤberall vergaß. Das
verdroß ihren eigenſinnigen Mann gar ſehr, und er
wurde deswegen ſchon im erſten Jahre ihrer uͤber-
druͤßig. Haͤtte er aber gewußt, welches edle Feuer in
ihr wirkte, ſo wuͤrde er aus Eigennutz und Ehrgeiz ſie
beſſer geſchaͤtzt und gehalten haben; denn bey aller
ſeiner uͤblen Laune hielt er doch auf den Punkt der
Ehre, und in dieſem Fall war ihm das Geld nicht zu
lieb; ja, er wuͤnſchte nur deswegen reich zu werden,
ſich mit Ehre ſehn laſſen zu koͤnnen. In beſſern
Gluͤcksumſtaͤnden waͤre dieſer Mann gut geweſen, an-
ſtatt daß er bey wenigem Einkommen ein boͤſer Be-
herrſcher der Seinigen wurde.


Das arme junge Weibchen war zu bedauren; bey
dem beſten Willen, welchen ſie hatte, ihrem Manne
alles nach Wunſche zu thun, konnte ſie doch nicht das
Geringſte handhaben, wobei ſie nicht etwas verſchuͤt-
tete, im Wege liegen ließ, auf etwas trat, oder etwas
verkehrt machte. Ihr Mann konnte daruͤber ſo boͤſe
werden, daß er oft handgreiflich wuͤthete. Dadurch
[43] entſtand eine Furcht und eine Bloͤdigkeit gegen ihn,
welche faſt ſklaviſch war, wodurch ſie ihm noch mehr
mißfiel. Ihre große Unerfahrenheit, und die man-
cherley Gedanken, welche in ihr wirkten, machten,
daß ſie nie das rechte Mittel waͤhlen konnte, wodurch
ſie ihn haͤtte geneigter machen koͤnnen. Rathgeber
fehlten ihr auch, weil ſie ſich unter lauter fremden
Leuten in einer fremden Stadt befand. Eine einzige
Frau, die Mutter ihres Mannes, war ihre Freundin,
und dieſes war in der That der groͤßte Troſt fuͤr ſie.


In ſolcher traurigen Lage, welche ſie bloß durch die
Unbefangenheit ihrer großen Jugend bekaͤmpfte, ge-
bahr ſie ihren erſten Sohn, als ſie noch nicht voͤllig
ſiebzehn Jahr alt war. Sie liebte ihren Mann ſo
zaͤrtlich, daß ſie durchaus wollte, daß der Knabe das Mi-
niaturbild ſeines Vaters ſey; allein er war es nicht, ob
er gleich weit ſchoͤner war, als ſein Vater. Daruͤber
betruͤbte ſich die Woͤchnerin bis zu Thraͤnen, und wenn
das Knaͤbchen an ihrer Bruſt lag, ſo weinte ſie uͤber
ihn, weil er ſeinem Vater nicht aͤhnlich ſah. Ihr
Mann war gegen ihr zaͤrtliches Gefuͤhl ſo unerkenntlich,
daß ſie ihm ſogar es verbergen mußte, weil er ihr dro-
hete, wenn ſie weinen wollte, woran auch wol Schuld
war, daß ihr das Weinen nicht kleidete. Beym Ein-
wiegen und Stillen ihres Kindes pflegte ſie in einem
Buche zu leſen, welches ſie irgendwo geliehen bekom-
[44] men hatte; allein wenn der Mann ſie leſen ſah, ſo
litt er es auch nicht. Mit dem Kinde auf dem
Schooße, oder neben ſich, verlas ſie die Wolle zum
Tuch und verrichtete mehrere dergleichen Geſchaͤfte,
welche zur Profeßion gehoͤrten, indeß ihre feinen Ge-
fuͤhle in tauſend ſelbſt gemachten Vorſtellungen her-
umflatterten. Ganz natuͤrlich war es daher, daß ſie
nicht ihre Handlung in gehoͤriger Ordnung hinter ein-
ander her verrichten konnte, wodurch der Mann im-
mer von neuem aufgebracht wurde.


Als ihr erſter Sohn ſechs Vierteljahr alt war,
gebar ſie den zweyten. Ihr zum Geize ſo ſehr geneigter
Mann ward nun um ſo ſparſamer, je mehr ſeine
Hausſorgen zunahmen. Er dachte redlich gegen die
Seinigen, und ſparte ſeinen eigenen Fleiß beym Ge-
werbe nicht, allein er haͤtte ſich zuweilen gern eine
frohe Stunde gemacht, und auch gern vor den Leuten
mehr Aufwand gezeigt; dieſes aber fiel weg, ſobald er
mehrere Menſchen zu ernaͤhren hatte, welche ihm
das, was ſie koſteten, nicht wieder einarbeiteten. Als
ein guter Rechner, wie er einer war, mußte ihm eine
ſolche Haushaltung allerdings uͤble Laune machen, be-
ſonders da er ein ſo ſtuͤrmiſches ungeduldiges Tempe-
rament hatte. Grauſam aber war es von ihm, daß
er ſeine boͤſe Launen an dem unſchuldigen Geſchoͤpf, an
ſeiner fleißigen und folgſamen Frau ausließ, und das-
[45] jenige, was er erſparen wollte, ihren Beduͤrfniſſen ab-
zog; denn er gab ihr weder recht ſatt zu eſſen noch zu
trinken. Oft, [wenn] ſie in ihren gluͤcklichen Tagen den
Wein nicht genießen konnte, welcher ihr uͤberfluͤßig
angeboten wurde, erinnerte ſie ſich jenes darbenden
Zuſtandes, wo ſie als Amme ihrer Kinder oft nach
einem Trunk Bier hat ſchmachten muͤſſen, welches ihr
harter Mann vor ihren Augen trank, ohne ihr etwas
davon anzubieten. Durch dieſe Haͤrte verleitete er ſie,
daß ſie ihm dann und wann kleine Muͤnze zu entwen-
den ſuchte, damit ſie ſich, wenn er etwa ausginge,
heimlich Bier holen und ihren Durſt laben konnte;
welches dann zu andern Unordnungen und Unruhen
Anlaß gab, weil ihm nichts verborgen blieb, und weil
ſie auch durchaus keine Heimlichkeit verbergen konnte,
und dieſelbe ſchon durch ihre ſchuͤchternen Mienen
verrieth.


Von ihrer guten Schwiegermutter, welche im naͤch-
ſten Hauſe wohnte, ward ſie oft erquickt und unter-
ſtuͤtzt, aber auch das mußte heimlich geſchehen, weil er
mit ſeinen Eltern ſo hart umging, wie mit ſeiner Frau.
Klagen und Vermahnungen halfen bei ihm nicht, er
wußte als Mann und Hausvater ſich immer mit ſei-
nem Haberecht zu beſchoͤnigen und auszureden; allein
ſie beklagte ſich auch gegen niemand, weil ſie nicht
wußte, ob ihr Schickſal je anders ſeyn koͤnnte? Selbſt
[46] ihre Mutter, wenn ſie auch um ihr geweſen waͤre,
wuͤrde ihr nicht geholfen haben, weil die junge Frau
nichts als Geduld noͤthig hatte, und uͤbrigens auf alle
Weiſe mit einem ſonſt braven Manne verſorgt war.
Ihre knechtiſche Furcht vor ihn verdarb ihr Schickſal
noch mehr, als es ſonſt geſchehn ſeyn wuͤrde; er konnte
dieſe unregelmaͤßige Schuͤchternheit nicht leiden, welche
ihren Mienen und Handlungen wirklich viel Unange-
nehmes gaben. Was ſie durch eine ernſte Bitte leicht
bei ihm haͤtte bewirken koͤnnen, das verdarb die Furcht,
mit welcher ſie ihm ihr Anliegen verhehlte, und wel-
ches ſie hernach doch aus Beduͤrfniß durch heimliche
Mittel zu erreichen ſuchte, wodurch ſtets neue Ver-
druͤßlichkeiten entſtanden. Wie gedruͤckt ſie ſich in die-
ſer Lage fuͤhlen mußte, laͤßt ſich leicht denken, beſon-
ders da ſie, wenn er nicht auf Meſſen war, die ganze
Woche durch an ſeine Befehle und Launen gefeſſelt
ward. Allein der Sonntag gab ihr mehr Freiheit;
da pflegte er nach Tiſche auszugehen und vor ſpaͤten
Abend nicht wieder zu kommen. Da nahm ſie denn,
ihre Kleinen neben ſich, ein Buch oder eine Feder in
der Hand, und erleichterte ihren Geiſt in dem freien
Felde ihrer Ideen. Hier ſtaͤrkte ſie ſich in einem Buche
fuͤr die ganze kuͤnftige Woche, hier ſchrieb ſie ſogar
Verſe, welche mehrentheils geiſtlich abgefaßt, oder
auch im Styl jener Volkslieder waren, welche man
[47] Arien nannte, wie davon im Anhang eine Probe zu
finden iſt. Sie dachte ſich dieſelben in der Woche aus,
und an dem Sonntag, wenn ihr Mann abweſend war,
ſchrieb ſie ſie auf, indem ſie dieſelben nach irgend einer
Melodie aufs Papier zu ſingen pflegte, welche Gewohn-
heit ſie noch im ſpaͤten Alter hatte. Sie meinte, daß
ihr durch dieſes Abſingen das Silbenmaaß leichtflie-
ßender wuͤrde. Auch an ihren Mann machte ſie Ver-
ſe, wie die Probe im Anhange beweiſt; er pflegte gut-
launig daruͤber zu laͤcheln, weil er ganz dunkel den
Vorzug fuͤhlte, welchen ſeine Frau in dieſer Gabe vor
andern hatte; allein da er es nicht voraus ſehen konn-
te, daß jemals ſolche Arbeit Geld bringen wuͤrde, ſo
machte er weiter nichts daraus. Indeß wurde ſie doch
mit dieſer Gabe in der Stadt Schwiebus bekannt, und
wen ſie kannte, der wurde von ihr mit ſolchen Proben
ihrer Reimluſt beſchenkt, weil ſie jeden Gegenſtand er-
griff, woran ihr Feuer Nahrung fand. Einer ſagte
dem andern davon, und es kam bald vor die benach-
barten Edelleute, daß ſie Verſe machen koͤnnte. Man
ward neugierig, ſich ſelbſt davon zu uͤberzeugen, und
ſie wurde zuweilen zu ſolchen Herrſchaften gerufen,
welche ſie alsdann mit etwas Muͤnze dafuͤr zu beſchen-
ken pflegten. Einsmals ließ man ſie in eins der be-
nachbarten Doͤrfer in eine adliche Aſſemblee kommen,
wo ſie mit vieler Gegenwart des Geiſtes jedem der
[48] Anweſenden einen Vers aus dem Stegreife herſagte,
welches ihnen ein Wunder ſchien, ſo ſchlecht die Reime
auch waren. Nachdem ſie beurlaubt worden, wurde
ſie von der Dame des Hauſes mit einigen Ellen halb-
ſeidenen Zeuge beſchenkt, welches damals fuͤr ſie eine
Koͤnigliche Aufmunterung war. Sie eilte mit dem
Geſchenk nach Hauſe, und bekam dafuͤr von ihrem
Manne das erſte freundliche Eheſtandsgeſicht. Wenn
ſie taͤglich oder auch nur woͤchentlich ſolche Gewinn-
und Ehrenzeichen haͤtte aufweiſen koͤnnen, alsdenn
haͤtte ſie den beſten Mann gehabt. Aber leider! das
Laͤndchen Schwiebus war nicht der Ort, wo die Mor-
genroͤthe ihres Geiſtes benutzt werden konnte: der
Buͤrger unterſchied ſich hier nur von dem Bauer durch
Fluͤche, und der Adel von dem Buͤrger durch Trunk
und Unwiſſenheit. Indeß gab es doch politiſche Kan-
negießer unter den Buͤrgern, welche zuweilen in der
Feyerſtunde nachbarlich heruͤber kamen, und mit ihrem
Manne von dem großen Wunderſtern, dem Koͤnige
von Preußen redeten, welcher gleich beim Antritt ſei-
ner Regierung Schleſien eingenommen, und jezt Sou-
verain uͤber das Laͤndchen Schwiebus war. Die Her-
ren wußten ſich viel damit, daß ſie von einem ſo ſieg-
haften Monarchen beherrſcht wurden, welchem ſie ein-
ſtimmig die Ehre anthaten, ihn mit dem weiſen Sa-
lomo zu vergleichen, weil ſie kein hoͤheres Lob fuͤr ihn
kannten.
[49] kannten. Alles war fuͤr ihn von einem Enthuſiaſmus
beſeelt, alles liebte ihn und betete ihn an! und nie
war ihnen ſo wohl, als wenn ſie ein: Vivat der Koͤ-
nig von Preußen! trinken konnten. Die Dichterin,
welche bei dieſen Geſpraͤchen nicht darein reden durf-
te, fuͤhlte ſich ſo enge um’s Herz, wenn ſie bei ihrer
Arbeit von dieſem Wunderkoͤnige reden hoͤrte; ſie
gluͤhte vor Verlangen, ihn ſingen zu koͤnnen. Allein
voͤllig unbekannt mit jeder Art eines Heldengeſangs,
kehrte nur ihr Verlangen unbefriedigter in ſie zuruͤck,
ohne daß ſie es gewagt haͤtte, ein Wort zu des Koͤnigs
Ruhm zu ſchreiben. Im Anhange befindet ſich das
Stuͤck uͤber die Kaiſerliche Regierung, worin ſie, wie
die ſchuͤchterne Liebe, es nur entfernt wagte, gleichniß-
weiſe ihre Verehrung gegen ihn zu verrathen. Zu die-
ſer Zeit kam auch ihr litterariſcher Hirt nach Schwie-
bus; er hatte hier von einem Verwandten ein Stuͤck
Land und eine Huͤtte geerbt, welche er als Eigenthum
bezog, indem er ſeiner alten Mutter die wenigen
Einkuͤnfte ſeines vaͤterlichen Ackers in Tirſchtiegel al-
lein uͤberließ. Jezt war ſie beſſer geborgen, als jemals,
denn nun hatte ſie den Freund, der fuͤr ihren Sonntag
vollauf ſorgte. So ſehr indeß das Leſen den Druck
ihres haͤuslichen Zuſtandes erleichterte, ſo zog es ihr
doch auch manchen Verdruß zu, wenn ſie ſich nicht
enthalten konnte, auch zuweilen in der Woche ein Buch
d
[50] in die Hand zu nehmen, indem ſie etwa juſt ein Kind
zu warten hatte. Ihrem Manne ſchien dies große
Unordnung zu ſeyn, und zuweilen blieb es nicht beim
Schelten allein, ſondern er brauchte Gewalt, riß ihr
das Buch aus den Haͤnden, und warf es ins Feuer.
Noch ein Uebel, welches aus dem Leſen und aus dem
Verſemachen bei ihrem Wollrade entſtand, war das,
daß ſie immer vergeßlicher, und von innerm Feuer
uͤberſichtiger wurde, wodurch manche haͤusliche Unord-
nung entſtand, welches die Abneigung ihres Mannes
vermehrte. Ihr dieſe Abneigung in ihrer ganzen
Staͤrke zu zeigen, bettete er ſich aus dem gemeinſchaft-
lichen Ehebette weg, als ſie zum drittenmale Mutter
wurde, und ſchlief in der Nebenkammer. Dieſe Hand-
lung war wider alle dort eingefuͤhrte eheliche Sitte,
und gleichſam eine Vorſtimme der Scheidung ihrer
Gemuͤther. Seine Frau, welche ſo innig an ihn hing,
ſahe dieſe Abſonderung als dasjenige Ungluͤck an, wel-
ches es fuͤr ſie ward. Sie fuͤhlte die Schmach, welche
er ihr dadurch anthat, auf das ſchrecklichſte, und zer-
floß faſt vor ihm in Bitten und Thraͤnen: daß er doch
den Leuten kein ſolch Aergerniß geben ſollte und ſich
von ihr betten. Allein der Mann hatte einen Sinn
wie Felſen, er blieb unbeweglich und unveraͤnderlich in
ſeinem Entſchluß.


[51]

Eine ſo unerhoͤrte Haͤrte, welche ihr ſchwerer zu
tragen war, als jede an ihr ausgeuͤbte Mißhandlung,
ſetzte denn auch einige Kaͤlte in ihr Herz. Sie wur-
den einander immer fremder, ob er gleich nicht maͤßi-
ger in ſeinem ungeſtuͤmen Betragen gegen ſie ward.
Er legte es uͤberall darauf an, daß ſie des Bandes mit
ihm uͤberdruͤßig werden und es trennen ſollte; allein
ihre Geduld war unermuͤdet, denn ſie liebte ihn. Auch
hatte ſie wegen ihrer Geſchaͤfte nicht Zeit, Rathgeber
und Aufhetzer anzuhoͤren; und bei ihrer Mutter wußte
ſie, daß ſie ſich keinen Troſt zu holen hatte, theils weil
dieſelbe in eigenen haͤuslichen Kummer immer tiefer
verwickelt wurde, theils weil ſie uͤber den Namen Ehe-
frau die ſtrengſten Grundſaͤtze hielt.


So, unter beſtaͤndigen Gewitterwolken, vergingen
ihr die Jahre einer feuervollen Jugend, in welchen
ſonſt das Genie den gluͤcklichſten Schwung zu machen
pflegt, weil zu ſolcher Zeit alle Kraͤfte des Einbildungs-
vermoͤgens ſich vereinigen. Sie erreichte endlich das
eilfte Jahr ihres Eheſtandes. Ihres Mannes ſtets
zunehmender Widerwille gegen ſie ward jezt ſo rucht-
bar, daß es bis zu den Ohren ihrer Mutter kam,
welche bisher mit jeder Klage war verſchont worden.
Dieſe bedauernswuͤrdige Frau lebte ſelbſt in dem lei-
denvollſten Zuſtande, welcher eine feine Seele druͤcken
kann. Sie war von ihrem zweiten Manne Wittwe
d 2
[52] geworden, und hatte, wegen der zu erziehenden Kinder,
ſich einem dritten Manne vertraut, welcher die Wohl-
redenheit aus dem Grunde beſaß, im Herzen aber
ein Schalk und Tirann war. Er glaubte Vermoͤgen
mit ihr zu heirathen, und als er ſie hatte, brachte er
ihr noch das Wenige durch, was ſie im Vermoͤgen
hatte. Als ſie nun durch ihn ganz arm war, machte
er aus ihren Kindern, wider ihren Willen, Profeſſio-
niſten, und ſeine wuͤrdige Frau behandelte er wie das
niedrigſte Geſchoͤpf. Wie haͤtte hier ihre gleichleidende
Tochter Troſt finden wollen? Abſcheulich war es, daß
der zweite Stiefvater ihre wuͤrdige Mutter mit der
Tochter Schickſal quaͤlte, und wiederum die Tochter
durch die Vorwuͤrfe ihres Mannes wegen der Mutter
dritten Heirath gequaͤlt wurde.


In ſolcher Lage kam ſie jedennoch in den Zuſtand,
daß ſie zum viertenmale die Welt vermehren ſollte.
Dieſe Entdeckung brachte ihn ſo auf, daß ſie es kaum
mehr aushalten konnte, und einmal gezwungen war,
acht Tage lang ſich bei ihrer guten Schwiegermutter
aufzuhalten, um ſich vor ſeiner wuͤthenden Laune zu
ſchuͤtzen. Das Zureden dieſer alten braven Frau be-
ſaͤnftigte ihn zwar ſo weit, daß ſeine furchtſame Gat-
tin ſich wieder zu ihm wagte und eine Weile im Frieden
bei ihm lebte, allein es hatte nicht lange Beſtand.
Eines Tages war er ausgegangen und kam ſpaͤt des
[53] Abends mit einem Raͤuſchchen zuruͤck, welches ihn
ſonſt immer gutes Muths machte. Bei dem Herein-
treten warf er mit einer luſtigen Art den Hut auf den
Tiſch, ſchwung ſich auf einem Beine herum und rief:
Vivat! es lebe der Koͤnig von Preußen! darauf ſagte
er zu ſeiner Frau: Hoͤre, Louiſe! weißt du ganz was
Neues? Der Koͤnig von Preußen hat in ſeinen Lan-
den die Erlaubniß zur Eheſcheidung gegeben; was
meynſt du, wenn wir die erſten waͤren, die ſich ſchei-
den ließen? Seine aͤußerſt erſchrockne Frau konnte ihm
hierauf nichts antworten, und er fuhr fort: Na, du
haſt doch nichts dawider, wenn wir den Anfang ma-
chen? Ach Gott, du wirſt doch das nicht thun, war
ihre Antwort. Ja, ja! das werd’ ich wol thun, er-
wiederte er; und was iſt denn fuͤr ein Ungluͤck dabei?
wenn man einander nicht leiden kann, iſts nicht beſſer,
als davon. Die Frau weinte jaͤmmerlich, aber er fuhr
fort: Hoͤre, Louiſe, weine nur nicht, das Weinen kann
zu nichts helfen, es wird nicht anders, ich habe mei-
nen Sinn darauf geſetzt, daß ich mich ſcheiden laſſe.
Du biſt freilich ein recht gutes, fleißiges und folgſames
Weib, aber es muß mir angethan ſeyn; genug, ich
kann dich nicht zum Weibe leiden, und kann dich im-
mer weniger leiden, was ſoll uns ein ſolch Marter-
leben? gieb nur gutwillig dich darein, denn es wird
nicht anders, ich gehe auf die Scheidung. Hiermit,
d 3
[54] ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er in ſeine
Kammer.


Ihr Zuſtand war ſchrecklich; ſie liebte ihren Mann
und hatte Brod und Anſehn von ihm; ihre Mutter
konnte ihr keinen Schutz geben, weil ſie ſelbſt in der
niederdruͤckendſten Lage war, und dazu lieber den Tod
an ihr Herz geſchloſſen haͤtte, als eine durch die Schei-
dung an ihrem Namen gebrandmarkte Tochter. Das
alles fuͤhlte die Dichterin, ihr war es nicht unbekannt,
welche Schande auf dem Worte Scheidung lag;
man nagte und quaͤlte ſich lieber in einer lebenslangen
Ehe, als daß man an eine vernuͤnftige Trennung un-
ter beiden Theilen haͤtte denken wollen. Und ſolcher
Schande ſollte ſie ſich vor allen im Lande zuerſt Preis
geben? dazu kam noch die Laſt ihres leiblichen Zuſtan-
des; und keinen Zufluchtsort, keinen Freund, kein
Obdach, keinen gewiſſen Unterhalt! — Alle dieſe Vor-
ſtellungen zuſammengedraͤngt warfen auf das Vorha-
ben ihres Mannes ſo etwas Unmenſchliches, daß es
ihr unmoͤglich ſchien, daß er ſo abſcheulich ſeyn und es
ausfuͤhren koͤnnte. Dieſer Schluß beruhigte ſie eini-
germaßen bis am Morgen. Sobald ſie ihren Mann
anſichtig wurde, bat ſie ihn mit den ruͤhrendſten Aus-
druͤcken des Schmerzes und mit allen Vorſtellungen
ihres Zuſtandes: daß er doch den Gedanken zur Schei-
dung aufgeben moͤchte, ſie zerfloß faſt in Thraͤnen vor
[55] ihm; allein er blieb unbeweglich. „Er koͤnnte ſie ein-
mal nicht leiden“ — dabei blieb’s. Des andern Ta-
ges ſetzte er ſich in ſeine Kaleſche, und fuhr nach Groß-
Glogau, um dort die Scheidung zu veranſtalten. Mit
welchen guͤltigen Gruͤnden er ſein Geſuch unterſtuͤtzte,
da er wider ihr haͤusliches Betragen gar keine Urſach
zu klagen hatte, iſt unbekannt. Genug, ſein Wille
ward niedergeſchrieben, und nach einiger Zeit wurden
beide Theile nach Großglogau zum erſten Termin citirt.
Er ſetzte ſich mit ihr in ſeinen Wagen, und gab ihr
unterwegs die ſchoͤnſten Schmeichelworte: daß ſie doch
gutwillig in die Scheidung einſtimmen moͤchte, denn
der Widerſtand wuͤrde ihr zu nichts helfen, als ſeine
Abneigung gegen ſie zu vermehren. Ohnerachtet ſie
vor Kummer kaum ſich ſelber bewußt war, ſo verſprach
ſie es ihm doch aus Gutmuͤthigkeit und Unerfahrenheit.
Sie ging alles ein, was er von ihr verlangte, und
willigte darin, alles ſo zu bejahen, wie er es haben
wollte. Eben ſo verhielt ſie ſich beim letzten Termin,
wo ſie zur wirklichen Scheidung abermals in einem
Wagen nach Glogau fuhren. Als ſie angekommen,
und an dem Rathhauſe, wo ihr Termin abgehoͤrt wer-
den ſollte, ausgeſtiegen waren, eilte er zuerſt hinauf,
und hieß ſie unten warten. Jezt war ſie allein; das
Graͤßliche ihres Zuſtandes fiel lebhaft auf ihr Herz;
ſie weinte, daß eine Thraͤne die andere ſchlug. Ein
d 4
[56] junger Soldat, welcher hier Schildwacht ſtand, ſahe
ſie weinen, frug ſie aber nicht warum? ſondern zog
ein Stuͤck Kreide aus ſeiner Taſche, und ſchrieb an die
Rathhausthuͤr:


〟Geduld, Vernunft und Zeit, das ſind gar ſchoͤne

Sachen,

〟Die, was unmoͤglich ſcheint, noch moͤglich koͤnnen

machen.

Darauf nahm er ſie bei der Hand und ſagte: Hier,
junge Frau, kann ſie leſen? ſie ſchlug ihre naſſen Au-
gen auf, las, und wurde geſtaͤrkt; denn ſie hielt dieſe
Worte fuͤr eine gluͤckliche Weißagung, daß der Himmel
ihre jetzigen unverſchuldeten Leiden ihr wieder mit
Freude vergelten wuͤrde. Es ahndete ihr aber nicht,
daß, ehe dieſes geſchaͤhe, ſie noch weit groͤßere Kum-
merberge zu uͤberſteigen haben wuͤrde.


Nun ward ſie zum Scheidungsverhoͤr gerufen, alle
Punkte wurden zum Beſten des Mannes verfuͤgt, und
die Scheidung bewilliget. Der Mann wurde nun
nicht allein ſeine Frau los, ſondern alle vortheilhafte
Bedingungen, welche Liſt und Eigennutz erſinnen
koͤnnen, wurden ihm noch bey der Trennung zugeſtan-
den. Alles dasjenige, was ſie ihm als Ausſtattung
zugebracht hatte, behielt er an ſich, als ein Muttergut
fuͤr ſeine beiden noch lebenden Kinder, welche, weil es
Soͤhne waren, in ſeiner Verſorgung blieben. Das
[57] dritte, womit ſie ging, ſchloß er von ſeinem Erbtheil
aus, ſo wie die beiden, welche er behielt, von ihrem
etwanigen Vermoͤgen. Weil ſie ganz keinen Beyſtand
und keinen Rathgeber hatte, ſo glaubte ſie, daß ſie
dieſes alles ſo eingehen muͤßte, wie ers verlangte, und
ſo ließ ſie es geduldig geſchehen. Beide fuhren nun
wieder in einem Wagen nach Hauſe. Zwar ſuchte er
ihr Muth einzuſprechen; aber Reue uͤber das Elend,
in welches er ſie ſtuͤrzte, kam ihm nicht in den Sinn.
Sobald ſie zuruͤckgelangt waren, hieß es ihr die Pflicht,
daß ſie ſein Haus meidete; aber wohin ſie ihre Zuflucht
nehmen ſollte, das war ihr unbekannt. Sie nahm
das Buͤndelchen Kleider, welche er ihr gutwillig ließ,
unter ihren Arm, und ſo zwiſchen Mangel und
Schmach, verſtoßen von einem Manne, welchen ſie
liebte, getrennt von ihren Kindern, ohne Beyſtand,
ohne zu wiſſen, wo ſie kuͤnftig ihr Haupt wuͤrde koͤn-
nen ruhen laſſen, wankte ſie aus ihrem Hauſe, zu ih-
rer guten Schwiegermutter, welche ſie mit offenen Ar-
men aufnahm, aber nicht lange behalten konnte, weil
eine geſchiedene Frau in ihrer Huͤtte, dem ganzen
Staͤdtchen ein Aergerniß war. Als der Scheidungs-
brief endlich ankam, der ſie nun aller Hoffnung be-
raubte, mußte ſie auch einen Ort verlaſſen, wo jeder
Gegenſtand ſie an ihr ſchmachvolles Elend erinnerte.
Sie nahm alſo eines Tages ihr Buͤndelchen Sachen,
d 5
[58] und ging damit zu dem naͤchſten Thore hinaus, ohne
zu wiſſen, wohin? Ihre Schwiegermutter gab ihr
das Geleite drei Viertelmeilen weit. Dieſe ſchluchzte
und weinte neben ihr her, ſtreckte oft ihre gefalteten
Haͤnde vor ſich aus und rief: „Ach, meine liebe
Schwiegertochter! daß Gott ſich erbarme! du wirſt
recht aus dem Hauſe geſtoßen. Mein gottloſer Sohn!
es wird ihm nicht wohl gehn; aber du wirſt noch
Freude erleben. Es muͤßte kein Gott im Himmel ſeyn,
wenn du ſo verlaſſen bleiben ſollteſt. Meine liebe Toch-
ter! es wird dir noch wohl gehn, denke an mich! es
muß dir noch wohl gehn, es muß dir noch wohl gehn
— —„ Der Abend fing an zu daͤmmern, und ſie
mußten ſich trennen. Es war ein herbes, bittres
Lebewohl, was ſich beide ſagten, und niemals ſahen
ſie einander wieder.


Jezt ſchlug ſie ihre verweinten Augen auf, und
ſahe ſich nach einem Orte um, wo ſie herbergen koͤnn-
te. In einiger Ferne entdeckte ſie die friedlichen Stroh-
daͤcher eines Dorfs, darauf eilte ſie zu, und nahm
darin ihre Nachtruhe. Das Doͤrfchen graͤnzte zwiſchen
Schwiebus, wo ihr Mann, und zwiſchen Tirſchtiegel,
wo ihre Mutter wohnte. Ihre von Kummer muͤde
Seele, welche nichts als den Tod zur Rettung aus ih-
rem Elende vor ſich ſah, ſehnte ſich nach der Mutter,
nach den Wohnungen ihrer Jugend, wo ſie unter un-
[59] ſchuldigen Freuden nichts von den Elendsketten, an
welchen die Menſchheit ſchmiedet, gewahr worden war.
Dort wuͤnſchte ſie zu ſterben. Aber daran war leider
ſo wenig zu denken, als daß ſie in Schwiebus bleiben
konnte; denn ihrer ſchon hoͤchſtbedraͤngten Mutter hatte
die Schmach, in welche der Name ihrer Tochter durch
die Scheidung verſunken war, den letzten toͤdtlichen
Schlag gegeben. Sie, welche das allerzarteſte Gefuͤhl
fuͤr die Ehre in allen Handlungen ihres Lebens beob-
achtet hatte, wurde nun durch das Ungluͤck ihres eig-
nen Kindes daran aufs hoͤchſte gekraͤnkt. Von Jeder-
mann, den ſie ſahe, glaubte ſie getadelt und beſpottet
zu werden, und von ihrem dritten boͤſen Manne mußte
ſie taͤglich Seelen verwundende Worte daruͤber anhoͤ-
ren. So ſchwere innere und aͤußere Leiden auf einmal
wuͤrkten ſo heftig auf ſie, daß ſie in eine Auszehrung
verfiel, an welcher ſie jedoch, vermoͤge ihrer ſtarken
Natur, einige Jahre krankte, ehe ihre ſchoͤne Seele
von dem unbefleckten Koͤrper ſich trennte und eine Welt
verließ, welche eines ſolchen Kleinods nicht werth war.


Zu einer ſo gekraͤnkten Mutter konnte alſo die Toch-
ter nicht Zuflucht nehmen, welche ſo viel Urſach an
ihren Leiden hatte. Sie ſchrieb daher nur an dieſelbe
und bat ſie um Verzeihung wegen des großen Herze-
leides, welches ſie ihr haͤtte machen muͤſſen. Die Mut-
ter verzieh ihr, und ſchickte ihre Soͤhne dann und wann
[60] zu ihr, daß ſie ihr einige Unterſtuͤtzung braͤchten. Auch
von ihrer Schwiegermutter bekam ſie zuweilen etwas
geſchickt. Dieſe Erquickungen, die Ruhe, in welcher
ſie jezt lebte, und vorzuͤglich ihr ſtarker Geiſt, welcher
ſich leicht uͤber Gram und Kummer hinwegſchwung,
milderte endlich ihre traurige Lage in ſo weit, daß ſie
ſich beruhigte und ihr ferneres Schickſal dem Himmel
uͤberließ. Sie ſang und dichtete Troſt- und Hoffnungslie-
der, und wenn ſich ihr Herz durch ſich ſelbſt wieder er-
leichtert hatte, wußte ſie nicht mehr, daß ihr etwas fehlte.


Sie brachte nun das Kind zur Welt, welches ſein
Vater nicht kennen wollte; es war ein Sohn, der ein-
zig uͤbrig Gebliebene von ſeinen Bruͤdern, die alle ge-
ſtorben ſind. Waͤre es ein Maͤdchen geworden, ſo
haͤtte es die Schwiegermutter zur Erziehung zu ſich ge-
nommen; allein mit einem Sohn konnte ſich die alte
Frau nicht belaſten. So blieb denn ſeiner verlaßnen
Mutter auch dieſe Sorge zu beſtreiten, ohne zu wiſſen,
wie ſie ſelbſt ihr Leben friſten wuͤrde. Sie befand ſich
aber in ihrem Wochenbette ſo wohl, daß ſie bluͤhete
wie eine Roſe, und ſang wie ein Vogel auf gruͤnem
Zweige. Die Geſundheit und Ruhe erſetzten ihr man-
chen Mangel, auch fanden ſich gute Herzen, welche ihr
Huͤlfe leiſteten, und als ſie aus dem Kindbette war,
ſuchte ſie Gelegenheiten auf, wo ſie durch Schreiben
ſich etwas erwerben konnte.


[61]

So waren drei Vierteljahre vergangen, ohne daß
ſie eben ſonderlich einen beſſern Zuſtand wuͤnſchte,
als der Zufall den Karſch, welcher auf ſein Metier
reiſete, durch das Dorf fuͤhrte, wo er ſich bei dem
Kruͤger etwas zu trinken geben ließ. Die Dichterin,
welche ſich in dieſem Hauſe befand, fiel ihm mit ihrem
ſaͤugenden Kinde auf; er frug, wer ſie waͤre? und
als man ihm ihr Schickſal erzaͤhlte, empfand er ſo-
gleich Mitleid und Zuneigung gegen ſie, und beſchloß
ſie zu heirathen, um durch ſeinen Namen wenigſtens
das Andenken der Scheidung auszuloͤſchen, wenn er
ſie auch nicht auf andere Weiſe gluͤcklich machen koͤnn-
te. War in den Umſtaͤnden, worin er ſich befand, der
Gedanke, eine Haushaltung zu errichten, Leichtſinn,
ſo zeigte er doch eine gute Seite des Herzens, und war
deswegen nicht ganz zu verwerfen. So bald dieſer
Gedanke in ihm aufgeſtiegen war, trug er ihn auch
der jungen Frau vor, und ſchwor, daß er alles thun
wollte, um ſie ihres Elendes vergeſſen zu machen. Der
Dichterin aber war ſein Antrag zuwider, ſeine Phy-
ſiognomie mißfiel ihr im hoͤchſten Grade, und ſie ſah
es ihm an, daß die Liebe zum Trunk ihm ſchon ſeine
Geſichtszuͤge verſtellt hatte, ob er gleich noch ein junger
Mann war. Indeſſen hatte ſie doch, vermoͤge ihrer
Gemuͤthsart, nicht den Muth, ihm gradesweges zu
ſagen, daß ſie ihn nicht haben wollte. Ueberhaupt
[62] wankte ſie zwiſchen Wollen und nicht Wollen. Einen
Mann haͤtte ſie freilich gern gehabt, weil ſie dadurch
ihre jetzige uͤble Lage ausloͤſchte; allein dieſen, mit ſei-
ner ihr widrigen Geſichtsbildung, wollte ſie ungern
nehmen. Sie verwieß ihn alſo mit ſeinem Anliegen
an ihre Mutter in Tirſchtiegel, indem ſie gewiß glaub-
te, daß dieſe ſeine Phyſiognomie eben ſo abſchreckend
finden ſollte, als ſie: allein ſie irrte ſehr.


Karſch eilte auf ihr Wort ſo ſchnell er konnte, zu
ihrer Mutter hinuͤber, ſagte, daß ihre Tochter Willens
waͤre, ihn zu heirathen, und bat um ihre Einwilligung.
Die ehrliebende Frau, welche erfreut war, daß ihr Kind
wieder in Schutz kommen ſollte, gab ihm von ganzem
Herzen ihr Jawort, und mit dieſer Nachricht kam er
zu ſeiner Erwaͤhlten zuruͤck. Sie erſchrak heftig dar-
uͤber, als ſie hoͤrte, daß ihre Mutter ihre Bewilligung
gegeben haͤtte, ſie konnte es kaum glauben, und ent-
ſchloß ſich, ſelbſt zu ihrer Mutter zu gehn und ſie zu
fragen: ob der Karſch wahr geſagt habe? leider war
es nur zu wahr, und die kluge Mutter, welche wohl
wußte, daß ſich zu ihrem geſchmaͤheten Kinde nicht
leicht wieder ein Mann finden wuͤrde, der ſie heirathen
wollte, drang mit Drohung ihres muͤtterlichen Un-
ſeegens darauf, daß ſie ihn nehmen ſollte. Sie ſagte
dabei: Seine Profeſſion wuͤrde ſie nicht verlaſſen, ſie
koͤnnte ihm darinn helfen, und ſo wuͤrde ſie doch wieder
[63] eine ehrliche Frau. Die Tochter folgte alſo, weil
die Mutter es ſo wollte, oder vielmehr, weil ihr
Schickſal ſie auf dieſen neuen Kummerberg trieb.
Sie kam mit ſchwerem Herzen ins Dorf zuruͤck, und
verlobte ſich mit ihrem Freyer. Beide nahmen dar-
auf ihre wenigen Habſeligkeiten, nebſt dem kleinen
drei vierteljaͤhrigen Hirſekorn, und wanderten auf gut
Gluͤck nach Frauſtadt in Polen’, wo er ſich wohnhaft
niederließ, und mit ſeiner Braut getraut wurde. Nach-
dem er ihr Mann geworden war, fand ſie ihn aus
Vernunft ertraͤglich, und ihre Ehe wuͤrde ziemlich leid-
lich geweſen ſeyn, wenn er nicht zuweilen den Trunk
geliebt haͤtte. Da ihr erſter Mann aͤußerſt maͤßig
gelebt hatte, ſo war ihr die Untugend des Karſches
um ſo mehr zuwider; und weil ſie, theils durch Naͤ-
hen, theils durch Briefſchreiben, zu welchem ſich in
Frauſtadt oͤfters Gelegenheit fand, ihn ernaͤhren half,
ſo glaubte ſie ein Recht zu haben, ihm wegen ſeiner
Luſt zu trinken, Verweiſe geben zu koͤnnen, beſon-
ders da er im erſten halben Jahre ihres Eheſtandes
nicht zum Trunke ausgegangen war, und Zeiten hatte,
wo er dieſe ſchaͤdliche Gewohnheit lange laſſen konnte.
Maͤnner laſſen ſich nicht gern predigen; auch Karſch
empfand die Vorwuͤrfe ſeiner Frau uͤbel, und um ih-
nen zu entgehen, ging er abermals ſich betrinken. Nun
vermehrten ſich die Vorwuͤrfe von beiden Seiten: Er
[64] hielt ihr beſtaͤndig vor, daß er ihr ſeinen Namen ge-
geben haͤtte, und Sie ſagte ihm, daß ſie ihm keinen
Dank dafuͤr wuͤßte, weil er durch die Neigung zum
Trunk ſie in neue Sorgen ſtuͤrzte. Dabei blieb es noch
eine Weile, ohne daß es zu Mißhandlungen kam, denn
er liebte wirklich ſeine Frau.


Nach einer beinahe zweijaͤhrigen Ehe brachte ſie
eine kleine Karſchin zur Welt. Der haͤusliche Zu-
ſtand war ſo beſchaffen, daß dies Kind kaum in Win-
deln gewickelt werden konnte, und wirklich eine neue
Laſt fuͤr ihre Mutter wurde. Indeſſen hatte die Dich-
terin ſchon einige Bekanntſchaften gemacht, welche
wohlhabend genug waren und ſie in ihrem Wochen-
bette unterſtuͤtzten. Sie bat einige von guter Familie
poetiſch zu Gevattern, und man gab ihr nach damali-
ger Weiſe artige Pathengeſchenke. Karſch, welchem
in ſeinem Kinde der Abgott ſeines Herzens geboren
war, der es mit vaͤterlicher Zaͤrtlichkeit liebte, konnte
doch hingehen und das meiſte von dem Pathengelde
vertrinken. Einsmals hatte ſeine Frau dem Kinde
Zeug zu einem Pohlrock gekauft, auch dieſes verſetzte
er heimlich, und betrunk ſich dafuͤr. So irrt der
Menſch in ſeinen Leidenſchaften.


Nach der Geburt dieſer Tochter wurde die Dichte-
rin ſo arm, daß ſie kaum aͤrmer werden konnte. Man-
chen Tag hatte ſie nicht das Brod, den Hunger ihres
Soͤhn-
[65] Soͤhnchens zu befriedigen. Sie erzaͤhlte oͤfters, daß
ſie eines Tages, als ſie ihre Tochter an der Bruſt hat-
te, vor Kummer zur Nachbarin heruͤber gegangen ſey;
ſie fand die Leute eben beim Mittagseſſen, welches vor
ihnen in einer großen Schuͤſſel voll gebackenen Obſt
mit Kloͤßen und geraͤuchertem Fleiſche rauchte. Sie
gruͤßte die Nachbarn, welche ihr dankten und ſie ſtehn
ließen, ohne ihr etwas anzubieten. Ihr Hunger ward
durch den Reiz der vollen Schuͤſſel aufs aͤußerſte em-
poͤrt; aber ſie bekam nichts, und mit Thraͤnen des
Mangels und der Beſchaͤmung ging ſie wieder an ih-
ren leeren Heerd zuruͤck.


Mit ihren Kleidern war es eben ſo beſchaffen, wie
mit ihrer Kuͤche; ſie hatte kaum ſich nothduͤrftig zu
bedecken, und ging deswegen nur immer in den Fruͤh-
predigten in die Kirche, wo ſie ſich hinter einen Pfei-
ler ſtellte, weil ſie ſich vor den Leuten ihrer Armuth
ſchaͤmte. Dennoch war ſie gluͤcklich, wenn ſie bei Froſt
und Mangel nur den Prediger hoͤren konnte. Voll
von ſeiner ſanften Rede kam ſie dann nach Hauſe, und
ſetzte dasjenige, was ſie aus ſeiner Predigt behalten
hatte, in Verſe. Dies that ſie lange fuͤr ſich ſelbſt,
aus bloßem Drang zum Schreiben; allein einsmals
kam ſie auf den Gedanken, eine ſolche verſificirte Pre-
digt dem Paſtor zu uͤbergeben, aber auf welche Weiſe?
Sie, welche ſich vor andern Leuten wegen ihres arm-
e
[66] ſeligen Aufzugs ſchaͤmte, war noch weit ſchuͤchterner,
ſich vor dem hochwuͤrdigen Pfarrer ſehn zu laſſen. Um
alſo doch ihren Wunſch zu erfuͤllen, nahm ſie das be-
ſchriebene Papier, ſchlich damit unter dem Altare weg,
und warf es in den Beichtſtuhl, ohne daß ihr Name
darauf geſchrieben war. Dies wiederholte ſie einige-
male hinter einander, bis der Prediger neugierig wur-
de und aufmerkte: wer doch die Verſe in den Beicht-
ſtuhl wuͤrfe. So bald er ſie entdeckte, redete er ſie an.
Ihr aͤußeres Anſehn und ihre niedergeſchlagene Schuͤch-
ternheit machten ihm ſogleich ihren traurigen Zuſtand
bekannt. Er noͤthigte ſie in ſein Haus, und wurde
bald ihr aufmunternder Freund. Er ſchaffte ihr die
Bekanntſchaft eines Rektor Rikkerts, Pruͤvers,
des Burgemeiſters Greiffenhagen, und des
Doktor Neugebauers in Frauſtadt. Dieſe Her-
ren empfohlen ſie ihren Freunden in Pohlniſch Liſſa,
welche ihren Ruf bald bis nach Groß-Glogau
brachten, wo die Dichterin ſchon Freunde hatte, ehe
ſie dieſelben kennen lernte.


Jezt bekam ſie wieder Nahrung fuͤr ihren Geiſt,
denn dieſe Herren liehen ihr diejenigen deutſchen Buͤ-
cher, welche ſie ſelbſt beſaßen, unter andern die
Geſpraͤche im Reiche der Todten
, wodurch
ſie Helden und Philoſophen der alten und neuern
Zeiten kennen lernte. Sie fanden ihr Genie aus
[67] dem Staube heraus, welcher es bedeckte, und mun-
terten ſie durch Gaſtfreiheit und kleine Geſchenke auf,
ihr Talent zu uͤben. Dankbarkeit und Geiſtesfeuer
wuͤrden ſie ſchon hier zur Dichterin gemacht haben,
waͤre ſie auch nicht ſo ſehr von der Nothwendigkeit ge-
drungen worden. Nun war die Bahn geoͤffnet, nun
ſahe ſie den Weg vor ſich, auf welchem ſie ſich allen-
falls vor den groͤßten Mangel ſchuͤtzen konnte. Sie
ergriff jede Gelegenheit, woruͤber ſich Verſe machen
ließen, und indem es ihr die Armuth hieß, alles mit-
zunehmen, wodurch ſie etwas gewinnen konnte, uͤbte
ſie zugleich die Kraͤfte ihres Genies und wurde mit je-
dem Tage ſtaͤrker darin. Frauſtadt allein konnte ihr
nicht Gelegenheiten genug geben, um ſich etwas zu
verdienen; ſie bereiſete alſo die benachbarten Staͤdte
und Doͤrfer, wo ſie ſich den vornehmſten Einwohnern
bekannt machte, unter ihren Augen die Verſe nieder-
ſchrieb, welche man von ihr verlangte, und mit Ge-
ſchenken wieder in ihre Heimath zuruͤckkehrte. Keine
Wallfahrt duͤnkte ihr zu muͤhſam, welche ſie in dieſer
Abſicht machte, und keine Jahrszeit hielt ſie davon zu-
ruͤck, ſo bald der Drang der Nahrungsſorgen ihr kein
andres Mittel uͤbrig ließ. Sie beſang Hochzeiten,
Kindtaufen, Namens- und Geburtstage und allerlei
Vorfaͤlle im menſchlichen Leben, und ſang mit Freu-
den, wenn ſie nur dadurch den Unterhalt eines Tages
e 2
[68] ſchaffen konnte. Dieſe mancherlei kleinen Huͤlfsquellen
kamen auch allerdings ihrer Haushaltung wohl zu
ſtatten und wuͤrden ſie ziemlich kummerfrei gemacht
haben, wenn ihr Mann ſolche Einkuͤnfte ordentlich an-
gewandt haͤtte. Allein jemehr ſie erwarb, jemehr fuͤrch-
tete er ſich vor ihren Vorwuͤrfen, welche ſie nun einmal
nicht laſſen konnte, und je mehr ging er ins Trinkhaus.
Auf die Weiſe fielen ſie oft wieder in den traurigſten
Mangel zuruͤck, und ehe Gelegenheit kam, wo die Dich-
terin etwas gewinnen konnte, waren ſchon mehrere
Schulden gemacht, als ihr Verdienſt einbrachte. Dazu
wuchſen taͤglich die haͤuslichen Mißhelligkeiten mehr
an: je mehr ſie ſich Freunde erwarb, je mehr lernte ſie
ſich fuͤhlen. Sie ſahe nun ein, daß ſie allein im Stande
war, ſich zu ernaͤhren und Ehre zu erwerben; und um
ſo mehr war ihr Mann eine uͤberlaͤſtige Perſon in ih-
rer Haushaltung. Er ſetzte Kinder in die Welt, welche
ſie ernaͤhren mußte, weil er weder große Geſchicklich-
keit noch Luſt zum Arbeiten hatte. Warf ſie ihm dies
vor, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß ſie, wenn er
trunken war, gemißhandelt wurde, und je mehr ſie ſich
beſchwerte, je uͤbler verfuhr er mit ihr. Dennoch blie-
ben ſie beiſammen und ſie gebahr ihm die zweite Toch-
ter, ein Engelgleiches Kind, welches wegen ſeiner klei-
nen Mitleid fodernden Geſtalt ſogleich das ganze Herz
der Mutter gewann. Sie hatte es nicht allein vor-
[69] zuͤglich lieb, ſondern es wurde ihr Alles, ihre Freude,
ihr Wunſch und das Leben ihres Lebens! Allein die
Vorſicht, welche der Dichterin das Gluͤck großer Ehre
zugedacht hatte, nahm ihr das Gluͤck ihres Herzens
durch den Tod. Das geliebte Kind ſtarb, als es ſieben
Jahr alt war, zu Groß-Glogau.


Bis dahin verlebte ſie noch ein paar kummervolle
Jahre in Frauſtadt. Einsmals, als ſie das Kind ih-
res Herzens noch an der Bruſt traͤnkte, war ſie wegen
Geldmangel genoͤthiget, eine Reiſe nach Pohlniſch
Liſſa zu thun, wo einer ihrer vornehmen Freunde
Hochzeit machte. Es war im kalten Februar, und die
Dichterin hatte nichts als ein luftiges Sommergewand
anzuziehn. Ein Nord mit Schneegeſtoͤber brauſete
hinter ihren eiligen Schritten her, und in ihrer Taſche
befand ſich kein Heller, wodurch ſie ihre halberſtarr-
ten Glieder haͤtte wieder erwaͤrmen koͤnnen. Sie kam
aber gluͤcklich zur rechten Zeit nach Liſſa, wo man ſie
denn deſto reichlicher erquickte und beſchenkte, auch ſie
wieder nach Hauſe fahren ließ. Allein von der Erkaͤl-
tung, welche das bis zu ihrer Wiederkunft halb ver-
ſchmachtete Kind durch die Milch einſog, ward es ſehr
krank und bekam ein toͤdtliches Fieber, welches die
Dichterin ſich ſtets mit Wehmuth erinnerte.


So mußte ſie jede Gelegenheit ergreifen, um ſich
etwas mit ihrer Muſe zu erwerben; und die Noth,
e 3
[70] welche jede widerſetzende Schwierigkeit uͤberwand,
machte ſie fuͤr jeden Gegenſtand dreiſt. Sie wurde gar
ſo kuͤhn, bei einer Durchreiſe des Koͤnigs von Polen,
ihm in Verſen ihre Noth vorzutragen; das Gedicht iſt
im Anhange abgedruckt, allein es iſt nicht bis zu Seiner
Majeſtaͤt gelangt, [und] hat ihr alſo auch nichts weiter
geholfen.


Indeſſen nahm ſie in ihrer Geiſtesſtaͤrke immer
zu, und ihr Ruf verbreitete ſich durch mehrere Staͤdte
bis nach Großglogau. Ihre Frauſtaͤdtiſchen Goͤnner
riethen ihr daher, daß ſie nach Glogau reiſen moͤch-
te, und dort ihr beſſeres Gluͤck verſuchen. Weil ſie
in Frauſtadt nichts zu verlieren hatte, ſo folgte ſie
dem Rath, und zog mit den Ihrigen nach Großglogau.


Es war im Jahre 1755, als ſie ſich mit ihrem
Manne und drei Kindern in dieſer Feſtung wohnend
niederließ. Hier brachte ſie nichts mit her, als die
bitterſte Armuth. Indeſſen wirkten die Empfehlungs-
ſchreiben ihrer Pohlniſchen Goͤnner ihr ſogleich zwei
vortrefliche Haͤuſer aus, welche nicht allein Kenner
des Talents waren, ſondern auch ihre wahren Freun-
de wurden. Das erſte dieſer Haͤuſer war der noch zu
Berlin lebende Herr Geheime Finanzrath Engelbrecht,
damaliger Kriegesrath in Glogau; das zweite der da-
malige reformirte Hofprediger Doͤbel. Da dieſe
Haͤuſer großen Einfluß hatten, ſo ſchloſſen ſich mehrere
[71] Goͤnner fuͤr die Dichterin an dieſelben an. Sie wurde
der Graͤflich Roͤderſchen Familie vorgeſtellt, und ge-
noß ihrer Gnade; dem Herrn von Cocceji, von
Schlabrendorff
, dem Kommandanten von Haak,
und mehrern dergleichen, welche alle unermuͤdet in
Aufmunterungen fuͤr ſie waren und blieben. Mehrere
Perſonen von allen Staͤnden ſuchten ihre Neugier in
ihrer Bekanntſchaft zu befriedigen, und munterten
durch ihre Guͤtigkeit ihr Talent auf. Der Krieg hielt
hier einen Zuſammenfluß von Fremden beiſammen,
welche ihr manchen Nutzen brachten. Hier lag die
Feſtungsgarniſon, hier war ein Schloß, ein Rath-
haus, mehrere Departements, und, fuͤr die Dichterin
das vorzuͤglichſte von allen, ein Buchladen. In die-
ſem Buchladen bekam ſie bald freien Zutritt; ſie ging
alſo, ſo oft ſie ihrem ſchweren Hausſtande eine
Stunde entreißen konnte, in demſelben leſen. Hier
fand ſie die Ueberſetzung eines Youngs, eines Hora-
zes, Gedichte einer Unzerin und anderer angehenden
deutſchen Gelehrten, welche nach und nach entſtanden.
Auch von dem Koͤniglichen Philoſophen von Sans-
ſouci, welcher der Held ihres Buſens war, fielen ihr
Ueberſetzungen ſeiner Oden und Epiſteln in die Haͤn-
de; welche ſie, aus Vergoͤtterung fuͤr ihn, bei naͤcht-
licher Lampe, wenn rund um ſie alles ſchlief, in Verſe
etzte; wodurch ſie ſich ſelbſt die vortreflichſte Uebung
e 4
[72] in der poetiſchen Sprache verſchaffte. Welche Quelle
fuͤr ihren ſo lange durſtigen Geiſt war das! Sie
las nicht, ſie verſchlang, was ſie las, mit der Seele;
und der Funke ihres Genies ward zum Gluthball da-
von. Jetzt waͤre ſie gluͤcklich geweſen, wenn ſie keinen
Mann und keine Kinder gehabt haͤtte; denn hier fand
ſie das Feld, wo die Saat ihres Geiſtes aufgehen und
Frucht bringen ſollte. Hier verbreiteten die mancher-
lei Auftritte des Krieges, welche der Koͤnig von Preuſ-
ſen mit allen Maͤchten Europa’s fuͤhrte, taͤglich neue
Wunder, Sagen und politiſche Fragen; Hohe und
Niedere, Weiber und Kinder, alles ſprach, wie von ei-
nem elektriſchen Drath beruͤhrt, von Friedrich dem
Zweyten; niemand fuͤhlte ganz keinen andern Kum-
mer, als um den Koͤnig.


Welch ein aufblaſender Windſtoß waren alle dieſe
vereinigten Gegenſtaͤnde fuͤr ihre ſo lange verhaltenen
gluͤhenden Wuͤnſche: den Koͤnig ſingen zu koͤnnen!
Hier, wo ſie taͤglich Nachrichten von ihm hoͤrte, ſo,
als ob er beinahe gegenwaͤrtig waͤre; hier, wo ſie des
Geſanges empfaͤngliche Seelen kannte; wo Friedrichs
Siege mit Kanonendonner und heiligen Jubelgeſaͤn-
gen gefeiert wurden. — Hier ſtreuete ſie nicht mehr
Funken ihres Genies umher, ſondern ſchoß Flammen
empor! Freilich zuerſt nur noch, wie ein lang verhalte-
nes Feuer, wenn es zwiſchen Rauch und Dunkel aus-
[73] bricht: ohne Einſchraͤnkung und gefaͤllige Regeln; al-
lein doch ſo, daß man ſah, daß es ſchoͤn und gefaͤllig
werden wollte. Sie ward die Siegesſaͤngerin des Koͤ-
nigs; je groͤßer ſeine Siege wurden, je hoͤher griff ſie
die Saiten ihrer Leier, und jedermann ſtaunte. Weit
und breit wurde dies Wunder von Weibe bekannt,
welches ſo tief unter der Huͤlle der Armuth verborgen,
einen goͤttlichen Koͤnig in goͤttlichen Toͤnen beſang. Aus-
waͤrtige hoͤrten ſie, hoͤrten ſie mit Entzuͤcken, und konn-
tens nicht glauben, bis ſie durch reiſende Fremden von
der Wahrheit verſichert wurden.


Dennoch brachten ihre Arbeiten ſelten ſo viel ein,
daß ſie den andern Morgen ohne Kummer haͤtte er-
warten koͤnnen; denn es fehlte oft an Gelegenheit,
welche Nutzen brachte; und ihres Mannes Gewerbe
ging hier noch ſchlechter fort als in Frauſtadt, weil
hier die Mode eigenſinniger war als dort. Auch mied
er nur eine Weile lang den Trunk, und ſetzte die uͤble
Gewohnheit zu trinken auch in dieſer Stadt von Zeit
zu Zeit fort, ob er gleich hier mehrere Aufpaſſer ſei-
ner Sitten hatte, als zu Frauſtadt. Dieſes verhin-
derte die Ordnung der Haushaltung, und vernichtete
allen aufkeimenden Wohlſtand derſelben.


Als ſich die Familie ein Jahr in Glogau befunden
hatte, gebahr die Dichter in dem Karſch ihr drittes
e 5
[74] Kind, ein gutherziges Maͤdchen, welches mit vier Jah-
ren ſtarb. Die Vermehrung derjenigen, welche Nah-
rung und Kleider begehrten, machten ihren Hausſtand
immer bekuͤmmerter und laͤſtiger. So fleißig und wil-
lig ſie arbeitete, ſo empfand ſie doch das Ueberwiegende
ihrer Sorgenbuͤrde uͤberſchwenglich. Wann ſie nun
geſchrieben hatte, bis oft der Waͤchter den Tag abſang;
alsdann mußte ſie nach einigen Stunden ſorgenvollen
Schlafs, aus welchem ſie noch zuweilen von ihrem
trunkenen und noch durſtigen Karſch geſtoͤrt wurde,
am daͤmmernden Morgen im Winter mit halbbedeckten
Gliedern gehn und eine lange Straße weit ein Buͤn-
delchen Holz zum Einheitzen borgen. Auch die Beduͤrf-
niſſe zum Morgenbrod und zu des Tages uͤbrigen Un-
terhalt holte ſie mit gleich beſchaͤmenden Aengſten her-
bei, und die alleraͤußerſten Nothwendigkeiten konnten
nur mit der groͤßten Sorge herbeigeſchafft werden.
Ihre Kinder wurden die kleinen Sklaven ihrer Noth,
und gingen ſo armſelig gekleidet, wie diejenigen,
welche das oͤffentliche Mitleid anflehen. Armuth, Zank,
Mißhandlungen, alles was man Elend nennt, war in
ihrer Haushaltung vereiniget, und ſie wuͤrde, trotz des
Talents der Dichterin bald zur niedrigſten Race ver-
ſunken ſeyn, wenn ihres Mannes Stolz nicht gluͤckli-
cher Weiſe noch ein gewiſſes Gefuͤhl von Ehre gehabt
haͤtte, welches ihm noch von ſeiner genoßenen Erzie-
[75] hung anklebte. Er ſtammte von Muͤtterlicher und
Großelternlicher Seite von der franzoͤſiſchen Kolonie
ab. Jedermann kennt die vortreflichen Grundſaͤtze
und Sitten, in welchen ſich ſeit laͤnger als hundert
Jahren dieſes edle Voͤlkchen in den brandenburgiſchen
Landen fortpflanzt. Auch Karſch war nach dieſen
Grundſaͤtzen erzogen, und wuͤrde denſelben gewiß treu
geblieben ſeyn, wenn nicht deutſche ſittenloſe Kamme-
raden ihn verdorben haͤtten. Dennoch hatten Leicht-
ſinn, Verfuͤhrung und die Gewohnheit des Trunks,
das eingepraͤgte Gute nicht ganz in ihm erſticken koͤn-
nen. So feſt haften die erſten Grundlagen der [Er-
ziehung]
. So lange er nuͤchtern war, war er ein
guter Mann und Vater. Er bildete durch vernuͤnfti-
ge Reden das Herz ſeiner Kinder; er hielt ſie zu Ord-
nung und Gebet an; unterrichtete ſie von Gott, und
lehrte ſie, ihn fuͤrchten, lieben und vertrauen. Er
fuͤhrte ſie in die Kirche, gab Acht, daß ſie gehoͤrig auf-
merkten, und bei ſeiner Arbeit gab er ihnen Erklaͤrung
von Tugend und Sitte. Er hielt ſie zum Fleiß an,
und lehrte ihnen ſelber leſen und ſchreiben; gab ihnen
auch allerlei Lectionen zum Auswendiglernen auf, wel-
che ſie ihm wieder herſagen mußten. Er munterte ſie
durch Lob, Ernſt und Liebe zu allem Guten auf. Er
hielt ſie von dem Umgang unſittlicher Kinder ab, und
ſah vor allen bei ihnen darauf, daß ſie ein verſchaͤm-
[76] tes Gefuͤhl behielten. — Alles dieſes dankt dem Vater
im Grabe noch ſeine einzige Tochter!


Dieſes zur Beherzigung, daß es nirgends Schat-
tenſeiten giebt, wo nicht auch Licht waͤre, wenn man
nur nicht durch Vorurtheile blind dafuͤr iſt.


Je groͤßer aber das Dunkel war, in welches die
Armuth die Dichterin inſchloß, je heller prallten die
Lichtſtrahlen ihres Geiſtes hervor, und je ſtaͤrker wirkte
ihr Abglanz. Alle Fremden von Geſchmack, welche
nach Glogau kamen, ſuchten ſie auf, und wer da kam,
fand ſie in dem Zuſtande, welchen der Ruf von ihr
herum trug. Um ſich authentiſch davon zu uͤberzeugen,
leſe man dieſen Brief, welchen ein damaliger durch-
marſchirender Feldprediger, Namens Kletke, an
einen ſeiner Freunde von ihr ſchrieb.


„Ich war im Jahre 1758 Feldprediger, und muſte
mit einem Transport von Reconvaleſcirten nach Sachſen
zur Armee gehen. Da wir ohnweit Glogau, gerade an
einem Sonntage, Raſttag hatten, forderte mich der da-
malige Regimentsquartiermeiſter des loͤbl. von Moſelſchen
Regiments auf, ihn bei einem Beſuche zu dieſer Dichte-
rin zu begleiten, und ich ließ mich nicht lange bitten.
Wir fanden ſie in einer armſeligen Wohnung. Zwey ih-
rer Kinder, die aͤlteſten, gingen in zerrißnen Kleidern in
der Stube umher, das dritte ſaß vor ihr und das vierte
ganz klein auf ihrem Schooß. Sie ſelbſt aber ſaß unter
[77] dem Getuͤmmel dieſer Kinder, und brachte eine Predigt,
die ſie eben in der reformirten Kirche gehoͤrt hatte, in
Verſe. Indeß wir uns mit ihr unterhielten, hatte ſie ei-
nen halben Bogen ergriffen, mit dem ſie uns beim Weg-
gehen beſchenkte. Hier iſt ſein Inhalt:


Ihr Freunde von den Wiſſenſchaften!

Ihr kamet, mich zu ſehn, von der Ihr viel gehoͤrt.

Ihr ſaht die Duͤrftigkeit. — Ich wurde nie belehrt,

Und keine Regel bleibt mir im Gedaͤchtniß haften,

Ich bin nur von Natur, der zweiten Schoͤpferin,

Von ihr allein nur bin ich was ich bin.

Vier Kinder ſtoͤhren mich; doch das Geraͤuſch von Kindern,

Kann nicht den Trieb in mir und nicht das Feuer mindern.

Mein Gluͤck iſt klein, doch groß genug fuͤr mich,

Und im Geſang iſt mir der Gram nicht hinderlich.

Ihr Freunde, die Ihr Euch die große Muͤhe nahmet,

Und mich ſo niedres Weib zu ſehn nach Glogau kamet,

Euch geb’ ein ſolches Gluͤck freundſchaftlich das Geleit,

Als Euer Herz verdient und Eure Redlichkeit,

Die ich aus Euren Augen kenne,

Und die ich mich bereit zu Euren Dienſten nenne

Anna Louiſe Karſchin.


Dieſer armſeelige Zuſtand hielt Niemanden ab, ſie
zu ſehn; man eiferte um ihre Verſe, und theilte die-
ſelben ſeinen entfernten Freunden als Seltenheiten
mit; man wuͤnſchte, von ihr beſungen zu werden, und
[78] die Edlen im Lande, und ſelbſt im Auslande, ſuchten
ihre ſchriftliche Bekanntſchaft. Der Generallieutenant
von Seidlitz ſchrieb aus dem Felde an ſie, in
Ausdruͤcken der innigſten Verehrung ihres Genies;
und als die Dichterin ihm, wie auf die Sprache der
Großen, antwortete; ſchrieb er ihr bald in einem an-
dern Briefe zuruͤck: er wuͤnſchte, daß ſie ungluͤcklich
ſeyn moͤchte, damit er das Vergnuͤgen haben koͤnnte,
ihr Erſter Freund zu werden. Vermuthlich hatte der
General nicht genaue Kundſchaft von ihrem Schickſal,
ſondern ſtellte zu dem Feuer ihrer Geſaͤnge ein ſchoͤnes,
junges, feuriges Weib, ein Bild ſeiner Einbildungs-
kraft. Als er hernach von ihrem Selbſt naͤher unter-
richtet worden, hoͤrte der feurige Briefwechſel auf,
und ſchloß ſich zuletzt in Stillſchweigen.


Indeſſen wuchs die Zahl ihrer gegenwaͤrtigen und
auswaͤrtigen Bewunderer immer mehr an, ob ſie gleich
nur noch weitſcheifige und in mancher Ruͤckſicht un-
wichtige Gedichte machte. Allein, jedes verrieth das
Original-Genie, und dieſer Stempel fand uͤberall ſeine
Kenner. Ihr Ruf war auch nach Berlin erſchollen.
Verſchiedene von den Einwohnern dieſer Stadt ſchrie-
ben an die Dichterin, aus Verlangen, Briefe von ihr
zu leſen, vorzuͤglich eine Generalin von Wreech, welche
nachher Anlaß gab, daß ſie nach Berlin gefuͤhrt ward.
Aber die Dichterin kannte nichts von der Seltenheit
[79] des Talentes, welches alle Welt an ihr ruͤhmte; ihre
Beſcheidenheit begehrte keinen Ruhm: Brod war
das einzige, warum ſie ihre Kunſt uͤbte; Brod und
Ruhe! Sie war fuͤr keinen haͤuslichen Zuſtand ge-
boren, und jetzt, je mehr ſie ſich ihrem Genie uͤberließ,
je druͤckender wurden ihr die Pflichten einer Haus-
frau, Mutter und Magd; denn dies war ſie zu-
gleich. Ihr Geiſt wollte keine Feſſeln leiden, und
ihre Brodſorgen legten ihr taͤglich ſchwerere Ket-
ten an. Daher ſtand taͤglich die Klage auf ihrem
Munde und die Thraͤne in ihrem Auge. Ihre Ge-
duld, deren ſie viel hatte, ſo lange ihre Gedanken
mit andern Gegenſtaͤnden beſchaͤftiget waren, weil ſie
ſtets in Gedanken war, und auf Nebenumſtaͤnde
wenig verweilte, dieſe Geduld riß dennoch aus, ſo
bald ſie ſich zu den Hausgeſchaͤften herablaſſen ſoll-
te. Je mehr nun ihre Sorgen wuchſen, je mehr nahm
ihre Ungeduld zu, der Mann bekam mehr Vorwuͤrfe,
und er ging mehr trinken. Bei ſeiner Nachhauſekunft
raͤchte ſich ſein aufgeſparter Zorn, und da geſchahen
denn Auftritte, die erſchrecklich und Jedermann, der
davon hoͤrte, ein Graͤuel waren. Ihre Haushaltung
wurde taͤglich zerruͤtteter; ſie ſah ihren Drangſalen
kein Ende, und der Tod gab ihrem Herzen noch die
ſchwerſte Wunde, indem er ihr das Kind ihrer Liebe
entriß. Sie war an dem Zeitpunkte, wo ſie glaubte
[80] daß ſie es nicht mehr aushalten koͤnnte — — Da kam
eine unerwartete Erloͤſung.


Ein bedeutender Herr, welcher von der Tirannei
ihres Ehejoches gehoͤrt hatte, vermittelte durch ſein
Anſehn, daß ſie davon frei ward, ohne daß es die Weit-
laͤuftigkeit der Klage koſtete. Die Vermittelung ging
freilich nicht den Weg Rechtens, allein die Dichterin
ward dadurch frei, und ihrer ſchwerſten Sorgenbuͤrde
entladen.


Jetzt bekam ihr Geiſt ſeine eigene Schwungkraft.
Zwar dichtete ſie noch immer um Brod, aber der
ſanfte Friede um ſie her, den ſie noch nicht geſchmeckt
hatte, gab ihr alle die Staͤrke, welche ſie vorher in
Sorgen und Unterdruͤckung hatte verſenfzen muͤſſen.
Alles, was ſie nun dichtete, athmete dieſen Frieden,
und ward zum Lobgeſang. Doch war ſie vor neuen
Sorgen nicht ſicher; denn die Entfernung ihres Man-
nes war ungewiß, er konnte jederzeit wiederkommen.
Es geſchah auch wirklich, was ſie beſorgte: er ward
auf einige Zeit wieder zu ihr gelaſſen. Eine Weile
ließ er den Trunk, und mit demſelben die Vergehung
gegen ſie, allein es dauerte nicht lange; und da ward
er ſeinem Schickſale auf immer uͤbergeben.


Nachdem ſie ihn wieder los war, brachte ſie noch
etwa dreiviertel Jahr in der Gluͤckſeligkeit eines freien
Zuſtandes hin, als eines Tages ein Diener in ihre
Woh-
[81] Wohnung koͤmmt, von ſeinem Herrn, dem Baron
von Kottwitz, einen Gruß bringt, und ihr eine be-
ſchriebene Karte uͤberreicht. Das Blatt kam von der
Frau Generalin von Wreech aus Berlin, welche den
Baron erſucht, „daß er ſich doch nach der Dichter in
in Glogau erkundigen moͤchte und Nachricht von ih-
ren Umſtaͤnden einziehn; indem ſie gar nicht wuͤßte,
wie es zuginge, daß ſie in ſieben Monaten keinen Brief
von ihr erhalten haͤtte“. Die Dichterin, beſchaͤmt
von der zuvorkommenden Guͤte der Generalin, ſetzte
ſich in Gegenwart des Dieners hin, und ſchrieb, ihrer
Gewohnheit nach, ſogleich einen Brief in Verſen an die
Dame und ein poetiſches Billet an den ihr ganz fremden
Baron. Der Diener, welcher ihr voll Verwunderung
zugeſehn, wie ſchnell ſie ſchrieb, bringt das Paket ſei-
nem Herrn und iſt ganz Erſtaunen uͤber die ſeltſame
Frau. Sein Herr, welcher Lektuͤre und poetiſchen Ge-
ſchmack hatte, fand den Bericht des Dieners durch
das Schreiben der Dichterin beſtaͤtigt und ward neu-
gierig, ſie kennen zu lernen. Am andern Morgen ließ
er ſie zu ſich rufen; ſie erſchien in ihrer gewoͤhnlichen
Buͤrgertracht, mit einer zwar freundlichen aber faſt
einfaͤltigen Bloͤdigkeit. Seine Augen ließen ihn zwei-
feln, ob es die Frau waͤre, welche eine ſo ſeltne Gabe
beſaͤße? Allein ihre Antwort auf ſeine erſte Frage uͤber-
zeugte ihn bald, denn ſie erwiderte ihm in einem recht
f
[82] artigen Verſe. Sie bat hierauf um Schreibzeug, und
ſetzte waͤhrend einer halben Stunde ein angenehmes
Gedicht an den Baron auf. Als man ſie beurlaubte,
ward ſie genoͤthigt, am andern Tage wieder zu kommen,
wo der Baron ſie einigen ſeiner Freunde vorſtellen
wollte. Kaum war ſie ein paar Stunden wieder zu Hau-
ſe, als der Bediente des Barons kam, und ihr im Na-
men ſeines Herrn einen beſſern Kopfaufſatz und einige
andere feine Kleidungsſtuͤcke brachte, womit er bitten
ließ, daß ſie am andern Tage darin erſcheinen moͤchte.
Es iſt unmoͤglich, daß der Zaarin Peters des Erſten
die Krone mehr ſuͤßen Stolz gegeben hat, als die Dich-
terin uͤber dieſe geſchenkten Kleidungsſtuͤcke empfand;
jedes war ihr ein Zeichen, daß ſie wirklich geehrt wur-
de, und jedes machte ſie vor Freude trunken. So,
durch ſeine Hand geſchmuͤckt, ging ſie zu ihrem guͤtigen
Baron; hier fand ſie die Fremden ſchon anweſend,
und die Freude, welche ſie begeiſterte, gab allem, was
ſie der Geſellſchaft ſagte, etwas Blendendes. Als ſie
ſich wieder entfernte, beſchenkte ſie der Baron mit einer
ſchoͤnen emaillirten Doſe nach damaliger neuſten Mo-
de; noch nie hatte man ihr ſo artig begegnet; ſie fuͤhlte
in dem angenehmen Geſchenk das Edle des Gebers; er
duͤnkte ihr mehr als andere Menſchen zu ſeyn. Sie
eilte damit nach Hauſe, und wie ſie nichts auf dem
Herzen behalten konnte, ſo zeigte ſie dieſelbe ſogleich
[83] ihrer naͤchſten Nachbarin. Dieſe, nachdem ſie die
Doſe um und um beſehn und bewundert, macht
den Deckel auf und ſagt: Hierin iſt ſchoͤner Taback!
Karſchin, nehme ſie doch eine Priſe! der Taback iſt
mit Gold vermengt. Die ſchoͤnerſchrockne Dichterin
fand es wirklich ſo, wie die Frau ſagte, und es waren
ſechs Auguſtd’ore unter den Taback gemiſcht. Sie
gluͤhete ihren Dank in Geſaͤngen aus; der Baron ward
davon bezaubert, und ſtellte ihr frei, daß ſie von ihm
etwas bitten ſollte, was zu ihrem Gluͤcke beitragen
koͤnnte. Sie, welche noch immer die Zuruͤckkunft ih-
res Mannes fuͤrchtete, beſann ſich augenblicklich und
bat: daß er ſie mit nach Berlin, (wohin dieſer Hert
auf einer Reiſe begriffen war, um ſich daſelbſt zu ver-
heirathen) nehmen moͤchte, wo ſie vor der Nachfol-
gung ihres Mannes ſicher zu ſeyn gedaͤchte. Nichts
duͤnkte dem guͤtigen Herrn leichter, als das, und in
Zeit von vierzehn Tagen war die Sache beſchloſſen und
gethan.


Welchen ſeeligen Taumel verbreitete dieſe Ausſicht
in dem Herzen der Dichterin! Ganz Glogau wurde
von Lobliedern fuͤr ihren Wohlthaͤter erfuͤllt; Alles
ward ihn zu bewundern und zu verehren aufgefordert.
Als haͤtte ſie mit der vorhabenden Reiſe einen unver-
ſiegbaren Schatz in Beſitz zu nehmen, ſo wohl war
ihr. Sie ſchenkte alles weg, was ſie an Moͤbeln und
f 2
[84] Hausgeraͤth beſaß, und behielt nichts als ihre Kleider
und ihre zwei Kinder. Vor Erwarten der Dinge, die
da kommen ſollten, ward in der Nacht zum letzten
Morgen in Glogau nicht geſchlafen, ſondern auf ihren
Knieen dichtete ſie Danklieder, bis endlich der Waͤch-
ter die letzte ihrer Kummernaͤchte abrief: da kam der
Wagen des Barons, worauf ſich die Dichterin mit ih-
ren beiden Kindern ſetzte — O Gott! wer nicht elend,
nicht bedraͤngt geweſen iſt, der kann das nicht empfin-
den, was hier ſo unausſprechlich empfunden ward!
Dieſer Wagen, welcher nicht Ueberwundene, ſondern
Ueberwinder jedes Leidens fuͤhrte, war gewiß vor den
Morgenſternen glaͤnzender, als irgend ein Triumph-
wagen der ſtolzen Sieger zu Rom — — Seegen, un-
ſterblichen Dank der Aſche des Edlen Barons! Viele
Großen wurden nachher bewaͤhrte Freunde der Dich-
terin; aber Einer nur hatte den Muth, ſie aus der
Tiefe der Armuth zu reißen; und dieſer war der Ba-
ron von Kottwitz. Unvergaͤnglich bluͤhe dafuͤr ſein
erhabenes Geſchlecht! und nie muͤſſe es ſeinem edlen
menſchenfreundlichen Stamme an jeder Freudenfuͤlle
mangeln, welche des Daſeyns Gluͤckſeligkeit iſt!


Die Reiſe nach Berlin ging uͤber Boyadel, den
Hauptadelſitz des Barons, ſie kamen daſelbſt in Einem
Tage an. Ihr Wohlthaͤter war voraus gereiſet, und
[85] empfing ſie auf ſeinem Schloſſe, wo ſchon alles fuͤr ſie
und die Ihrigen aufs beſte bereitet war. Ihre Gluͤck-
ſeligkeit wurde immer wirklicher, ſie ſahe, daß es kein
Traum war, denn ſie erwachte jeden Morgen zu neuer
Freude und Ehre. Der Baron hatte Einige von dem
nachbarlichen Adel zu ſich gebeten, und die Dichterin
ward hier zum erſtenmale an eine adliche Tafel gezo-
gen. Zwei Tage und drei Naͤchte brachte ſie hier wie
in einem ihr gehoͤrigen Zauberſchloſſe zu. Der Tag
der Abreiſe kam; zwoͤlf Stunden zuvor reiſete der Ba-
ron nach Berlin ab, der Dichterin Sohn ward auf Be-
ſchluß des guͤtigſten Herrn zu dem Amtmann des Gutes
in die Koſt gethan, von welchem er zur Schule und
allem Guten angehalten wurde; die Tochter ward mit
nach Berlin genommen.


Auf der ganzen Reiſe bis dahin ſahe ſie ihren Wohl-
thaͤter nicht, aber auf jeder Hauptſtation wurde gehal-
ten und uͤbernachtet. Die vorzuͤgliche Bequemlichkeit,
welche die Befehle ihres Herrn ſie uͤberall genießen
ließen, machten ihren Zuſtand zu etwas Ueberirdiſchem.
Sie dachte ſich ihre muͤhſamen Fußreiſen nach Liſſa
und jenen umliegenden Doͤrfern; das Kuͤmmerliche ih-
rer Mahlzeiten und Lagerſtaͤtten auf ſolchen Wallfahr-
ten: welch ein Kontraſt! wenn ſie hier in jedem Wirths-
hauſe nach der vorzuͤglichſten Bewirthung, auf fein-
uͤberzogenen Daunenbetten mit ihren Kindern ſich
f 3
[86] ſchlummern legte. Sie hatte nur Einen Gedanken:
ihren Wohlthaͤter! alles was ihr wiederfuhr, alles
was ihre Sinne beruͤhrte, ſchien von ſeinem Einfluſſe
beſeelt zu ſeyn. Sie ſah in allem nur ihn, und in ihm
die wunderthaͤtige Hand Gottes. So oft ſie allein war,
lag ſie auf ihren Knieen, und ihre Dankgefuͤhle floſſen
in Thraͤnen uͤber.


Doch, wie Schiffe noch im Hafen ſcheitern koͤnnen,
ſo drohete auch hier der Dichterin im Hafen ihrer Gluͤck-
ſeligkeit ein zuruͤckſchlagender Sturm, denn in Kroſſen
fand ſie ihren Mann. Der Schreck betaͤubte ſie auf:
einige Augenblicke, da ſie ihn gewahr wurde und er ſich
ihr naͤherte; weil ſie aber in hochfreiherrlichem Schutze
reiſete ſo war auf des Mannes Seite auch Furcht,
und er, anſtatt zu wuͤthen, fiel ihr um den Hals mit
freundlichen Worten und Thraͤnen der Reue. Er nahm
ſeine Zuflucht zu Bitten und Vorſtellungen, ſo ruͤhrend
es ihm moͤglich war. Haͤtte ſie nicht adeliche Bedek-
kung gehabt, ſo wuͤrde ſie aus Furcht ihn erhoͤrt ha-
ben; allein da ſie die Uebermacht gegen ihn in Haͤnden
hatte, ſo antwortete ſie mit gleicher Freundlichkeit und
eben ſo dringenden Vorſtellungen von ihrer Seite:
daß es ſo wenig moͤglich als nuͤtzlich waͤre, ſich wieder
mit ihm zu vereinigen. Dennoch ließ er mit Bitten
und Weinen bis auf den Augenblick ihrer Abreiſe nicht
nach, wo er aber auch ſeinen Ton nicht aͤnderte, ver-
[87] muthlich in der Hoffnung, daß ſie ſich wol noch in Ber-
lin zu ſeinem Beſten beſinnen wuͤrde. Als ſie auf den
Reiſewagen ſtieg, nahm er ſeine kleine einzige, und
ihm liebſte Tochter auf die Arme und rief unter Thraͤ-
nenguͤſſen: 〟Ach, wenn ich nur wenigſtens dich behal-
ten koͤnnte, dich, an der mein ganzes Leben haͤngt!〟
Aber der Kutſcher und Diener des Barons trieben zur
Abfahrt; er ſetzte ſein Kind auf den Wagen, indem er
es ſegnete, ihm tauſend Lebewohl wuͤnſchte und in der
Geſtalt eines Verzweifelten, den ſelbſt die Hoffnung
verlaͤßt, blieb er hinter dem Wagen zuruͤck. —


Die Dichterin kam gluͤcklich, und ferner unverfolgt
in Frankfurt an, wo ſie auf die ſanfteſte Weiſe uͤber-
nachtete; von da ging es nach dem pallaͤſte-reichen
Berlin.


Es war am 25. Januar 1761, als ſie hier erſchien.
Ihre Aufnahme geſchah im Hauſe des Wiener Ge-
ſandten, Herrn Grafen von Gotter, woſelbſt auch der
Baron von Kottwitz logirte. Hier war, wie uͤberall,
ſchon alles zu ihrer Ankunft auf das beguͤnſtigſte be-
reitet, und weil es Mittag war, ſo wurde auch ſogleich
ihr und ihrer Tochter ein Tiſch mit fuͤnf auserleſenen
Schuͤſſeln vorgetragen. Wer mags beſchreiben, wie
ihr bei dieſer Mahlzeit zu Muthe war?


Sie hatte im December 1760 ihr 38ſtes Jahr voll-
endet. Dieſes Alter, in welchem die mehreſten
f 4
[88] Frauenzimmer nach gerade von der glaͤnzenden Buͤhne
abtreten, um jungen Schoͤnen fuͤr die Bewunderung
Platz zu machen, ward, trotz allen nur moͤglichſten
Leiden, durch welche die Dichterin bis zur dieſer Epo-
che gekommen war, der Zeitpunkt, wo ſie erſt auf-
bluͤhte, bemerkt und bewundert wurde.


Sobald man hoͤrte, die Karſchin ſey angekom-
men, ſo eiferte auch alles, was Geſchmack haben woll-
te, um die Wette, dieſes Wunder von Frau zu ſehen.
So buͤrgerlich ſie auch noch in den erſten Tagen ein-
her ging, ſo wurden ihr doch verſchiedene Equipagen
geſchickt, um ſie in die vorzuͤglichſten Geſellſchaften
abzuholen. Es gereicht wirklich den Herzen, wie dem
Verſtande der edlen Berliner zur Ehre, daß ſie nicht
zu ſtolz waren, weder der Dichterin ihren gemeinen
Stand noch Anzug entgelten zu laſſen, ſondern ihr
mit aller der Aufmerkſamkeit und Feinheit begegneten,
welche ihrem Talente zukamen. Vorzuͤglich bemuͤhete
ſich der fuͤr die ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſo warme Freund,
der damalige noch junge Herr Doktor Kruͤnitz (jetzt
beruͤhmter Verfaſſer der Encyklopaͤdie), der erſte zu
ſeyn, der es ſich zum Vergnuͤgen machte, ihr Freunde
anzuwerben. Er fuͤhrte ſie in die Haͤuſer eines Oberkon-
ſiſtorialraths Koͤppen, eines Geheimerath Buchholz,
Hofrath Stahl, Ober-Hofprediger Sack, Rektor
Wippel, und mehrerer dergleichen, ein, wo ſie denn
[89] Gelegenheit hatte, nach und nach alle die uͤbrigen ihr
vortheiihaften Bekanntſchaften zu machen.


Nach einigen Tagen ihres unausſprechlich gluͤck-
lichen Hierſeyns ward die Dichterin eines Morgens,
nebſt ihrer Tochter, in eine Kutſche des Barons ge-
ſetzt, und in die praͤchtige breite Straße gefahren. Die
Karſchin, welche zwar nicht die Urſach davon wußte,
ahndete dennoch etwas Gutes, weil ſie von ihrem
Herrn lauter Huld gewohnt war. Die Kutſche hielt
vor einem großen Galanterieladen, welche der Haiſche-
kornſche hieß. Hier mußte ſie mit ihrer Tochter ausſtei-
gen und in den Laden gehn, aus welchem ſie bald eine
aͤltliche Franzoͤſin, der ein Dienſtmaͤdchen folgte, in
ein Putzzimmer fuͤhrte. Madame, ſagte die Franzoͤ-
ſin, hier auf dieſem Tiſch ſehen ſie Kleidungsſtuͤcke
fuͤr ſich und ihre Tochter liegen; ſie koͤnnen ſich der-
ſelben bedienen, und mein Maͤdchen wird ſie anklei-
den helfen. Herr Gott! rief die erſtaunte Dichterin,
und vermochte weiter nichts zu ſagen. Die Demoiſelle
entfernte ſich, und die angenehme Metamorphoſe ging
vor ſich, indem das Dienſtmaͤdchen beide Perſonen
Stuͤck vor Stuͤck auskleidete, und in dem neuen An-
zug modelirte. So fremd der Dichterin jede Bedie-
nung war, ſo ließ ſie doch alles geſchehn, was das
Maͤdchen mit ihr vornahm, denn die Freude hatte ſie
zu beſtuͤrzt gemacht. Beider Perſonen neue Klei-
f 5
[90] dungsſtuͤcke waren von modernem Zuſchnitt, und ſei-
nem Zeuge: und beiden Staatsanzuͤgen, wo von Kopf
bis zu Fuß kein Stuͤck vergeſſen war, folgten in aͤhn-
licher Ordnung zwei Anzuͤge von ſchlechterm Zeuge,
welche das Maͤdchen zuſammenpakte und in die Kut-
ſche legte, ohne daß die wohlthaͤtige Hand genannt
wurde, von welcher dies alles kam. Der Wagen rollte
mit den beiden gluͤcklichſten Geſchoͤpfen, welche es viel-
leicht an dem Tage in Berlin gab, nach Hauſe. Nie-
mand ließ ſich ſehen, der daruͤber einen Dank erwar-
tet haͤtte; allein ein Diener kam, und noͤthigte die
Dichterin zur Graͤflich Gotterſchen Mittagstafel. Bis
zur Stunde der Mahlzeit ſtroͤmte der Dank der Dich-
terin in mehr als einem Liede hin, ohne zu wiſſen,
wem ſie dankte. Sie rieth nur auf den Baron. Bei
der Tafel fand ſie ihn, ſie zieh ihn poetiſch ſeiner ſchoͤ-
nen That, er laͤchelte nur, und ſchwieg.


Kein Name fuͤr ihren Herrn war ihr nun wich-
tig genug, um dadurch das auszudruͤcken, was ſie em-
pfand; nicht Wohlthaͤter, Retter, Freund: Vater
nannte ſie ihn, und in dieſem Namen fand ihr dank-
bares Herz einige Ruhe.


Jetzt konnte ſie ſich mit Anſtand in den vorneh-
men Zirkeln zeigen, und man ſchonte ihrer zu keiner
Stunde des Tages, um ſie zu ſehen. War ſie nicht
aus, ſo war ſie von Beſuch umringt, welche alles, was
[91] ſie wollten, mit ihr ſprachen, indem ſie zugleich ihrem
Schreiben zuſahen, in welchem nichts ſie hindern
konnte, als das einzige, wenn eine Perſon ihr vorſetz-
lich auf die Hand ſah.


Ihre Beſchaͤftigungen wurden nun einzig: Schrei-
ben und Leſen; ſie ging vom Schreibpult in die Ge-
ſellſchaft, um dort wieder zu ſchreiben und Impromp-
tuͤes zu ſagen; und von dieſen wieder zum Schreiben.
Durch die taͤgliche Uebung, durch die Ruhe und Eh-
renvolle Aufmunterung, welche ſie hier von allen Sei-
ten genoß, ſetzte ſich ihr Geiſt zu einer maͤnnlichen
Staͤrke, und zu einem unermeßlichen Schwung. Sie
machte bald die Bekanntſchaft des Herrn Profeſſor
Kamler, welcher ſchon damals als deutſcher Horaz
bekannt wurde. Von ihm lernte ſie ihre weitſchwei-
figen Sylbenmaaße, an welche ſie durch ihre ehemali-
gen einfaͤltigen Leſereien gewoͤhnt war, in vier Zeilen
einſchraͤnken, und ihm den Gang der Ode nachahmen.
Mit ihrem reichen Genie, deſſen Adel ſelbſt dieſer
eigenſinnige Richter anerkannte, haͤtte ſie in ſeiner
Schule eine Pindarin werden koͤnnen, wenn ihr Geiſt
die Feſſeln der Kunſt haͤtte dulden wollen. Ein vor-
gelegter Plan laͤhmte ihre Schwungkraft; ſie konnte
es durchaus nicht denken: ſo willſt du anfangen, und
ſo wieder endigen, ſondern wie der Zufall ihr einen
Gegenſtand entgegen fuͤhrte, ſo faßte ihr Feuer ihn
[92] auf, und fuͤhrte ihn leuchtend fort; unbekuͤmmert,
wo er ſeinen Ruhepunkt nehmen wuͤrde.


Sie lernte Sulzern kennen, dieſen ſtrengen Phi-
loſophen; auch er ward ihr Freund und der waͤrmſte
Aufmunterer ihrer Muſe. Allein obgleich dieſe beiden
Maͤnner, nebſt Mendelsſohn, damals unter den Ge-
lehrten zu Berlin die Sterne der erſten Groͤße wa-
ren, fuͤr welche die Karſchin mehr als Hochachtung
hatte, ſo war ſie doch zu ſehr Genie, um ihnen zu
folgen; ſie ging ihren eigenen Gang.


Die vornehmſten Privathaͤuſer, die feinſten Fa-
milien nahmen ſie in ihre Geſellſchaft und Freund-
ſchaft auf; und das war ihr beinahe nothwendiger,
als der Umgang mit Gelehrten, weil ſie ihre Auf-
munterung und ihren Privatnutzen befoͤrderten! denn
bei ihrem Wohlthaͤter, den Baron von Kottwitz, hatte
ſie zwar Wohnung und Bequemlichkeit fuͤr ſich und
ihre Tochter, allein auf eine kurze und unbeſtimmte
Weiſe; denn dieſer Herr war im Begriff, ſich zu ver-
maͤhlen. Er kaufte zu ſolchem Ende ein Haus, welches
dazu eingerichtet ward. Unterdeſſen er ſeinem Vor-
haben immer naͤher kam, ward er ploͤtzlich krank. Die
Krankheit ließ eine ſchwere Hypochondrie zuruͤck, wel-
che ihn auf einige Zeit alles Gebrauchs der Freude
am Leben beraubte. Die Heirath ging zuruͤck, und
er reiſete nach ſeinen Guͤtern, um dort ſeine Beſſe-
[93] rung abzuwarten. In der Zeit, welches ein Zwi-
ſchenraum von ſechs Monaten war, ſahe ſich die Dich-
terin zwar in allen glaͤnzenden Zirkeln Berlins einge-
fuͤhrt, allein ihren Beduͤrfniſſen war nichts weniger
als abgeholfen. Den guͤtigen Baron verhinderte
ſeine Krankheit, daß er ſich ferner reell um ſie be-
kuͤmmern konnte, und als er auf ſeine Guͤter gereiſet
war, blieb ihr, weil ſie von Niemanden etwas forder-
te, nichts als die Wohnung, welche ſie in ſeinem Hauſe
hatte. Fuͤr ſie war nun wohl kein Kummer, weil ſie,
wegen ihres Rufs, uͤberall willkommen war; allein
ihre Tochter brauchte Pflege und Erziehung, und
ſolche um ſo mehr, jemehr die Mutter von der feinen
Welt gekannt und geſchaͤtzt wurde. Ihr ſelbſt fehlten
nun ſchlechterdings alle Kraͤfte, welche zur Erziehung
erfordert werden; denn ihr Zuſtand war abhaͤngig,
und ihr Geiſt viel zu unruhig, als daß er ſich in die
Regeln der Erziehung eines Kindes haͤtte einſchraͤn-
ken koͤnnen. Sulzer war der erſte, welcher es ihr
zum dringenden Geſchaͤft machte, ihre Tochter, an
welcher er Faͤhigkeiten bemerkte, in ordentliche Auf-
ſicht zu bringen. Das war nun freilich leichter ge-
ſagt als gethan. Er ſelbſt wuͤrde zwar wohl die erſte
Hand dazu geboten haben, allein er hatte ſeine ei-
gene großen Familienſorgen. Unter der Dichterin
reichen Bekannten war keiner, welcher fuͤr ſie haͤtte
[94] mehr thun wollen, als den Genuß eines fluͤchtigen
Ohrenſchmauſes, welchen ſie gab, ihr durch Gaſtfrei-
heit und andere kleine Artigkeiten zu verguͤtigen. Es
hielt alſo ſchwer, und aͤußerſt ſchwer, daß ſie von die-
ſer Sorge entladen wurde. Sie gab manchem ihrer
großen Freunde ihren Wunſch in Verſen zu erkennen,
allein ſie blieben taub. Ein beruͤhmter Mechanikus,
Namens Holefeld, welchem die kleine Tochter der
Karſchin ſehr hoffnungsvoll ſchien, unternahm es,
bei dem Hofrath und Doktor, Herrn Stahl, einen
Verſuch ihrentwegen zu machen. Dank ſei ſeiner
Aſche! Auch Sulzer und mehrere edle Maͤnner un-
terſtuͤtzten ſeinen Vorſpruch bei dem menſchenfreund-
lichen Stahl. Dieſer verehrungswuͤrdige Reiche
glaubte den Ueberſchuß ſeines Vermoͤgens nicht beſſer
anwenden zu koͤnnen, als wenn er den Armen Erleich-
terung, und verlaſſenen Waiſen Unterſtuͤtzung wieder-
fahren ließ. Leicht ward alſo ſein fuͤr fremde Noth
ſtets offenes Ohr gewonnen, und von ihm der Dich-
terin die Laſt der Erziehung ihres Kindes abgenom-
men. Fuͤr ſeinen wohlthaͤtigen Vorſchuß ward das
Maͤdchen in die Koſt der Realſchule gegeben, wo man
ſie zur Religion, Ordnung und weiblichen Handar-
beit fuͤnf Jahre lang erzog.


Nun war die Dichterin voͤllig frei; ihre beiden Kin-
der waren in Pflege und Aufſicht; und ihr blieb vor
[95] der Hand kein Kummer, als der, ſich ihre Freunde zu
erhalten. Durch ſo ganz vollkommne Ruhe ward ſie
weder uͤbermuͤthig, noch ſtolz, noch traͤge. Gemeinig-
lich fand die Morgenroͤthe ſie ſchon wach am Schreib-
tiſch. Die Erinnerung an ihren vorigen Stand behielt
ſie immer gegenwaͤrtig, und die ſtets anwachſende Zahl
ihrer Bewunderer ruͤhrte ihr Herz nur in ſo weit, daß
es dankbarer gegen die Vorſicht und gegen jedes Gute
wurde, welches ihr wiederfuhr. Gegenſtaͤnde zu ſin-
gen, fand ſie uͤberall, und ihrer Muſe ſchien nichts ſo
gering, woruͤber ſie nicht etwas Meiſterhaftes haͤtte
ſagen koͤnnen. Beſonders ruͤhmten Kenner ihre Staͤrke
in Impromtuͤes und in Ausfuͤllung der Endreime,
welche ihr in Geſellſchaften vorgeſchrieben wurden.
Hier brachte jedesmal die außerordentliche Gegenwart
ihres Geiſtes die Anweſenden zum Erſtaunen, wenn
ſie, ſchneller, als man etwas Gemeines ſagen konnte,
einen ſinnreichen Vers uͤber etwas ausdachte und her-
ſagte; oder wenn man ihr, mitten im Geraͤuſch einer
verſammelten Geſellſchaft, eine Reihe ganz widerſpre-
chender Reime vorſchrieb, um ſie zu verſuchen, ob ſie
nicht einen Galimathias daraus machen wuͤrde, und
ſie jedesmal ſolche Endreime mit ſchoͤnen Gedanken
ausfuͤllte, welche ordentlich wie nach einem Plan gear-
beitet waren. Man hatte Beiſpiele von Poeten, welche
dergleichen mit guter Muße auch gut ausgefuͤhrt hat-
[96] ten; auch einige, die faͤhig waren, in Geſellſchaften
nach Einfaͤllen zu reimen; allein im Augenblick ſolche
dichteriſche Jouwelen zu ſehn, wie ſie ausſtreuete,
welche ſchnell einnahmen und der kaͤltern Pruͤfung be-
ſtanden, hatte man noch kein Beiſpiel. Und das kam
aus dem Kopfe eines Weibes, welches ſo ſchaͤtzbare
Schoͤnheiten keiner Erziehung, Anleitung, noch frem-
der Feile zu danken hatte! Ihre meiſterhaften Stuͤcke,
welche ſie bei ſtiller Muße niederſchrieb, koſteten ihr
kaum eine Stunde Arbeit; und dauerte es laͤnger, ſo
wars durch Abſchreiben und wieder Abſchreiben; doch
wurden diejenigen Stuͤcke niemals die beſten, welche
ſie oft abſchreiben mußte, ſondern ihr ſchnellſter Ent-
wurf pflegte immer die ſchoͤnſten und feuervollſten
Bilder zu haben; und bei allem Feuer hatten ihre
Bilder eine Wahrheit und Natur, daß, ſo erhaben
ſie auch oft geſtellt waren, ſie doch immer deutlich
blieben. Gemeiniglich pflegten ihre damaligen Arbei-
ten das Herz zu ruͤhren, indem ſie den Verſtand be-
zauberten. Ein Vorzug, welchen die erhabene Dicht-
kunſt nur ſelten erreicht!


Nachdem ihre Tochter in Penſion gekommen war,
rieth man ihr an, ſich den Halberſtaͤdtern zu zeigen,
welche Verlangen hatten, ſie kennen zu lernen. Sie
reiſete alſo dahin, wo der Saͤnger, der (nach der
Dichterin eigenen Worten) in ſeiner Jugend Anakreon
war,
[97] war, und nun als Preuſſiſcher Grenadier mit Frie-
drichs Siegen wetteiferte, ſie gaſtfreundlich in ſeinem
Hauſe aufnahm. Er fuͤhrte ſie bei ſeinen Freunden
ein, ſchaffte ihr die Gewogenheit des Hochgraͤflich
Stollberg-Wernigerodiſchen Hauſes; ſo wie des Herrn
Dom-Dechanten Freiherrn von Spiegel. Dieſer,
die Muſen und jede Kunſt ſo eifrig liebende Baron,
welcher die beruͤhmten Spiegelberge bei Halberſtadt
mit unglaublichen Schwierigkeiten und Koſten bepflan-
zen ließ, that zur Veredlung des Namens der Dichte-
rin vorzuͤgliche Schritte. Er miſchte ſie unter die Zahl
ſeiner Freunde, und ließ dieſelbe faſt taͤglich mit ihnen
einerlei Ehre genießen. Er gab ihrentwegen zuweilen
beſondere Gaſtmale, und munterte ſie mit Geſchenken
der Großmuth auf, gab ihr auch den Adel ihres Ta-
lents in einem Pettſchaft zu erkennen, welches er aus
Kriſtall fuͤr ſie verfertigen ließ, und drei Seiten zeigt:
Auf der einen ihr verzogener Geburtsname, auf der
andern der Kopf der Sappho, auf der dritten die Leier
im goldenen Felde, uͤber welcher ein Lorbeerkranz
ſchwebt. Das Haus des regierenden Grafen von Wer-
nigerode that noch mehr: es gab der Dichterin ein
jaͤhrliches beſtimmtes Taſchengeld mit Fortſetzung der
huldreichſten Geneigtheit; und der erhabene Erbe hat
den goldnen Faden noch bis jezt nicht abgeſchnit-
ten —


g
[98]

Nach einem kurzen hoͤchſtgluͤcklichen Aufenthalt in
Halberſtadt reiſete ſie nach Magdeburg; dort nahm
ſie die Gemahlin des damaligen Kommendanten, die
Frau von Reichmann, auf, und machte ſie in ih-
rem Hauſe zur dritten Perſon. Das dankbare Herz
der Dichterin hatte in dieſer Dame einen neuen Ge-
genſtand zur Bewunderung. An jedem Morgen ward
ihre Wohlthaͤterin mit einem neuen Liede begruͤßt, und
die Frau Kommendantin war ſinnreich genug, ihr jeden
Tag einen neuen Plan zu neuer Arbeit zu geben. Der
Koͤnig kaͤmpfte noch im Felde; der Preußiſche Hof war
zu Magdeburg, und die Erwartung zwiſchen Krieg
und Frieden lag auf der kritiſchen Waage. Gegen-
ſtaͤnde genug fuͤr ſie, welche Friedrichs Schickſale
zur Dichtkunſt begeiſtert hatten! Sie ſang vortrefli-
che, nie geſungene Lieder zu Magdeburg, und die vor-
treflichſten mit der ihr eigenen Geſchwindigkeit. Sie
mußten gedruckt werden, denn jedermann wollte ſie
haben, und nur zu bald waren ſie vergriffen. Der Hof
hoͤrte von ihr, die gnaͤdigſte Koͤnigin ließ ſie rufen, und
wiederholentlich rufen; Ihrer Majeſtaͤt folgten die
uͤbrigen hoͤchſten Perſonen, und es war ein neues
Wunder, daß ein ſeit eilf Monaten aus dem tiefſten
Staube hervorgezogenes Weib vor den Erſten Ver-
wandten des Throns mit einer Gegenwart des Geiſtes,
und zugleich mit einer Dreiſtigkeit beſtand, welche eben
[99] ſo gefaͤllig als ehrfurchtsvoll war; ſie wußte ihre Re
den zu ſchminken, ohne daß man ſie der Schmeichelei
beſchuldigen konnte.


Je mehr ſie ſo auf die außerordentlichſte Weiſe auf-
gemuntert ward, je mehr arbeitete ſie, und ihr Genie
verlor nichts durch die Menge ſeiner Geburten. Je-
des Stuͤck, auch das kleinſte, gab ihm eine neue Schim-
merſeite, gleich wie die Brillantirung dem Edelſteine,
indem ſie uͤberall ihm etwas zu berauben ſcheint, ihn
dadurch nur ſtrahlender macht.


Von Magdeburg eilte ſie wieder einmal nach Hal-
berſtadt zu Gleim, welchen ſie den Sohn des Apollo
nannte, und deſſen Beifall ſie zum Ziele ihrer Ehrſucht
machte. Er wurde der Freund ihres Schickſals; ſie
machte ihn zum Freunde ihres Herzens, und Niemand
war es auch wuͤrdiger als Er. Nirgends fand ſie al-
les, was Geiſt und Herz erheben konnte, ſo beiſam-
men, als in Gleims Muſaͤum und im Zirkel ſeiner
Freunde. Er, der Vater der Dichter in Friedrichs
Staaten, welcher ſeine Dichtkunſt aus ſeinem men
ſchenfreundlichen Herzen ſchoͤpft, und die Philoſo-
phie des Lebens in angenehmer Beredſamkeit aus-
ſtroͤmt, war gewiß der Mann, unter deſſen Anlei-
tung die Flamme der Dichterin goͤttlich werden muß-
te, ob ſie gleich auch ſeiner kritiſchen Feile nicht
ſtill halten konnte. Er machte ſie mit Horaz und
g 2
[100] Pindar vertraut; mit Homer und Sappho. Gern
haͤtte ſie mit allen den Adlerſchwingen geflogen; aber
ihre Hoͤhe ſchien ihr unerreichbar. Lieber und leich-
ter duͤnkte ihr der Schwung der Sappho: ſie verſuchte
ihn, waͤhlte ſtatt Phaon, den Dichter, als Thyrſis,
und ſang dieſen zum zweitenmal unſterblich. Thyrſis
blieb, wie Phaon auf der Flucht, nicht fuͤr ihre Lieder,
aber fuͤr die Saͤngerin kalt. Ein neuer Kummer fuͤr
ſie, welchen ſie bis dahin noch nicht gekannt hatte —
Thyrſis that indeſſen zu ihrem aͤußern Gluͤcke die
feurigſten Schritte; und indem ſie bald von Hal-
berſtadt nach Magdeburg, bald von da wieder zu-
ruͤck abwechſelnde Reiſen machte, entwarf er einen
Plan, durch welchen die Kinder ihrer Muſe ihr nicht
allein Ehre, ſondern auch Nutzen bringen ſollten. Er
ſammelte nehmlich ihre Gedichte, machte eine Auswahl
davon, und foderte das Publikum zu einem Vorſchuß
fuͤr die Sammlung auf, welche Auffoderung in Deutſch-
land ſo neu, als die Dichterin merkwuͤrdig war; und
welchem Vorſchritt nachher viele Schriftſteller und
Buchhaͤndler nach folgten *). Gleims edler Vorſatz war,
durch den Vorſchuß ſo viel zuſammen zu ſchaffen,
daß ſie in Zukunft ſo ziemlich unabhaͤngig leben
[101] koͤnnte; und der Plan wuͤrde gelungen ſeyn, wenn
ihn nicht der Rath eines andern Freundes durchgeſtri-
chen haͤtte, welcher anrieth: die Exemplare der Samm-
lung in zwei Klaſſen abzutheilen, in eine theure und
eine wohlfeile. Sie ließ ſich den Vorſchlag blen-
den, indem ſie nichts dadurch zu verlieren, wol
aber zu gewinnen glaubte, und ehe Gleim es hindern
konnte, war das Avertiſſement fuͤr die Abaͤnderung
ſchon abgedruckt und im Umlauf. Da die mehreſten
nur ihre Neugier befriedigen wollten, ſo war es ihnen
einerlei, ob ſie das Ganze auf feinem oder gemeinem
Papier, mit oder ohne Vignetten, hatten, wenn es
nur eine Sammlung von den Gedichten der Karſchin
war. Daher praͤnumerirte der groͤßte Theil der In-
tereſſenten auf den geringſten Preiß; indeß ging die
Sache gut genug von ſtatten, und nach Abzug aller
Koſten behielt die Dichterin zwei tauſend Thaler in
gutem Golde Ueberſchuß. Gleims Plan ging auf fuͤnf
tauſend, und es wuͤrde gelungen ſeyn, wenn man ihm
gefolgt haͤtte. Doch ſie, die immer Genuͤgſame! wel-
che deſto weniger begehrte, je weniger ſie rechnen
konnte, hielt ſich durch das kleine Kapital ſchon fuͤr reich.


Die Sammlung war noch nicht zu Stande, als ſie
mit einem Freunde eine Beſuchsreiſe nach Berlin
machte, um ihre hieſigen Freunde und ihre Tochter
einmal wieder zu ſehn. Sie glaubte bald nach Mag-
g 3
[102] deburg zuruͤckzukehren; allein ihr Schickſal hatte es
anders beſchloſſen. Kaum war ſie zwei Monat in
Berlin, als ſie zufaͤlliger Weiſe erfuhr, daß ihr aͤl-
teſter Bruder, derjenige, welchen ſie zuerſt wiegen
und warten mußte, und den ſie ſo lieb gewonnen hat-
te, gegenwaͤrtig ſei; dieſes hoͤren und ihn aufſuchen
war Eins. Sie hatten einander in vierzehn Jahren
nicht geſehn, und ihre Freude, ihn in ihrem Gluͤck
wieder zu finden, war ohne Graͤnzen. Jetzt em-
pfand ſie zum erſtenmal, daß ihr Gluͤck nicht ohne
Stachel ſei; denn, indem ſie ihren Bruder betrach-
tete, welcher, ob ihm gleich nichts mangelte, doch in
ſeiner Sphaͤre tief unter ihr ſtand, ſeufzte ſie, daß ſie
allein gluͤcklich war, und daß es nicht in ihrer Macht
ſtand, ihn ſogleich mit gluͤcklich zu machen. Um
dennoch ihren feurigen Wunſch einigermaßen zu be-
friedigen, zog ſie von einer Freundin, bei welcher ſie
als Gaſt immer wohnte, weg, und ließ ihren Bruder
ein Logis miethen, welches ſie mit ihm bezog, um al-
les, was das Gluͤck ihr von nun an zuwerfen wuͤr-
de, mit ihm zu theilen. Wegen des endlich erfolgten
Friedens waren die Haͤuſer mit Einwohnern uͤber-
haͤuft, und es war in der Eil keine andere Wohnung
zu bekommen, als die Dachſtube eines großen Eckhau-
ſes, welches diejenige Wohnung war, von welcher die
Dichterin dem großen Koͤnig ſagte, daß ſie einer
[103] Baſtillenkammer gliche
. Haͤtte ſie einigen
Stolz gegen ſich gehabt, ſo wuͤrde ſie weder in ein ſol-
ches Quartier gezogen ſeyn, da ſie es nichts weniger
als noͤthig hatte, noch ihren Bruder zu ſich genommen
haben, welcher ihr zu nichts nuͤtzen konnte. Allein ſie
folgte allezeit nur ihrem Herzen, und dachte nie uͤber
die Folgen nach, die ihr Wille haben koͤnnte. Auch
hier kamen allzu bald die traurigen Folgen ihres ploͤtz-
lich durchgeſetzten Entſchluſſes zum Vorſchein; ja, es
wurde durch die Aufnahme ihres Bruders, aus der
Pflanze ihrer Ruhe und ihres Wohlſtandes das Herz
gebrochen. Sie, welche noch ſelbſt abhaͤngig war, in-
dem ſie noch keinen Thaler beſtimmte Einkuͤnfte zu he-
ben hatte, machte ſich durch dieſen Schritt verbindlich,
eine Haushaltung zu fuͤhren, welche, ſo klein ſie war,
doch jeden Tag Forderungen auf ihre Sorgen machte.
Allerdings mochten in den erſten Augenblicken ihres en-
thuſiaſtiſchen Entſchluſſes ihr alle die Schwierigkeiten
nicht beigefallen ſeyn; nun wars geſchehn, und nun
mußte ſie ſich ſo gut zu helfen ſuchen, als ſie konnte.
Sie hatte verſprochen, ihn ſo lange bei ſich zu behal-
ten, bis ſie ihn auf irgend eine Weiſe gluͤcklich machen
koͤnnte. Darauf wartete er denn von einem Jahre
zum andern, ohne daß der Wunſch ihr gelungen waͤre.
Jetzt mußte ſie aus Nothwendigkeit, die beſtimmte
Ausgaben zu befriedigen, den Schneckengang, von wel-
g 4
[104] chem der edelmuͤthige Kottwitz ſie befreiet hatte, wie-
der zuruͤckgehen. Gelegenheitsgedichte gaben gewiſ-
ſes Einkommen, zu ſolchen ließ ſie ſich, aus Noth-
wendigkeit, wieder herab. So verſchnitt die erſte
Dichterin Deutſchlands, ihr herrliches Talent, ihr
Meer von Gedanken, in lauter kleine verſiegende
Baͤche, und empfand es nicht, daß ſie ſich etwas be-
raubte, weil ſie zu gutmuͤthig war.


Unterdeſſen war die Sammlung, welche Herr Sul-
zer
und Herr Kanonikus Gleim beſorgte, zu Stande
gekommen. Auch hatte ſie ſchon die Ehre der Unter-
redung mit Friedrich dem Einzigen gehabt *). Der Mo-
narch hatte ihr Verſorgung verſprochen. Darauf ver-
ließ ſie ſich vorzuͤglich, als ſie die kleine Haushaltung
mit ihrem Bruder anfing; allein, es ſchlug fehl. Frie-
drich hielt ſein Koͤnigliches Wort nicht, ſie bekam von
ihm ein Gnadengeſchenk von 50 Thalern mit dem Be-
deuten, daß ſie ſich wieder melden moͤchte. Ehe ſie
dies wagte, hatte eine vormalige Freundin von ihr,
mit welcher ſie uneinig geworden war, (jene Phillis,
bei der ſie wohnte, als ſie ihren Bruder fand, und
welcher ſie die unter dieſem Namen in gegenwaͤrtiger
Sammlung befindlichen Lieder gedichtet hat) den Sta-
chel der Verleumdung wider ſie gebraucht. Einige
Große, die zunaͤchſt um den Koͤnig waren, kannten
[105] die Phillis, und das ſuͤße Gift ihrer Beredſamkeit
wuͤrkte: die verſprochene und gehoffte Verſorgung der
Dichterin ging zuruͤck. Von dem, was ihre Freunde
fuͤr die Sammlung zuſammengebracht hatten, blieben,
durch die Vorſchuͤſſe, wie geſagt, nach Abzug aller Koſten,
2000 Thaler in gutem Golde, nebſt noch ein paar hun-
dert, wovon ſie ſich etablirte. Das Kapital wurde
auf Intereſſen gethan, und durch das Anſehn ihrer
Freunde beinahe eiſern gemacht, aus Furcht, daß es
in ihren Haͤnden drauf gehn moͤchte. Weil ſie als
Dichterin um Rechnungen ſich nicht bekuͤmmern konn-
te, ſo war dieſe Vorſicht von ihren Freunden hoͤchſt
noͤthig. Von den zweitauſend Thalern zog ſie jaͤhrlich
hundert Thaler in Golde Intereſſen, und das war frei-
lich wenig Fond fuͤr eine Haushaltung in Berlin.
Dennoch ſuchte ſie nach einiger Zeit eine anſtaͤndigere
Wohnung fuͤr ſich aus, dichtete taͤglich und ging taͤg-
lich in Geſellſchaften zu ihren Freunden. Jahrelang
behielt ſie den ſchoͤnen Traum, daß der Koͤnig ſich noch
eines Beſſern beſinnen und ihr eine Penſion geben
wuͤrde; allein ihre Hoffnung blieb getaͤuſcht. Der
einzige Herzog Friedrich von Braunſchweig dachte
großmuͤthiger, als der Koͤnig, ſein Oheim. Seine
Durchlaucht gaben aus eigener hoher Bewegung ihr
jaͤhrlich ein kleines Gnadengehalt, und haben
daſſelbe fortgeſetzt bis ſie ſtarb. Auch der Oheim
g 5
[106] Seiner Durchlaucht, der unſterbliche Herzog Ferdi-
nand von Braunſchweig-Luͤneburg
ward mit ih-
rem Talente bekannt, und munterte ſie zwanzig
Jahr hindurch mit den fuͤrſtlichen Beweiſen ſei-
ner bekannten Großmuth auf. Noch ein paar
kleine Penſionen von edlen auswaͤrtigen Freunden
wurden ihr jaͤhrlich geſchickt, welches mit den Inter-
eſſen zuſammen etwa 200 Thaler beſtimmte Ein-
kuͤnfte fuͤr das Jahr betrug. Eine ſolche Summe
konnte nicht die Haͤlfte ihrer beſtimmten Hausſor-
gen beſtreiten, es war daher natuͤrlich, daß ſie in
die immerwaͤhrende Sprache des Lamento’s verfal-
len mußte. Sie wagte es noch oft den Koͤnig an
ſein Verſprechen zu erinnern; allein, war der Mo-
narch fuͤr Andere oft auf einem Ohre taub, ſo war er
es fuͤr die Deutſche Dichterin auf beiden.


Wie es aber auch mit dem Innern ihrer Lage
ſtand, ſo verlor ihr Anſehn nichts dadurch. Ihr
Name war durch die Sammlung ihrer Gedichte ge-
macht, und ihr Ruhm allgemein feſtgeſetzt. Von al-
len Enden Deutſchlands, aus allen Hauptſtaͤdten Eu-
ropens entſtanden fuͤr ſie Freunde, Bewunderer und
ſchriftliche Verehrer. Man ſah nur auf ihr Genie,
ſchaͤtzte an ihr das Werk der Natur, und forderte
nicht von ihr was ihr an Lebenston mangelte, und
[107] immer mehr zu mangeln anfing, je allmaͤhliger der
neue, vermehrte Druck ihrer Sorgen den erhabenen
Fittig ihres Geiſtes wieder herabſenkte. Man hatte
Geduld und Nachſicht mit ihr, man wuͤnſchte ſie gluͤck-
lich zu ſehen, und zeigte unermuͤdet, daß ſie Freunde
und Wohlwoller hatte.


Als ſie noch in der Baſtillenkammer wohnte, war
der Baron von Kottwitz geſtorben, und ihr Sohn kam
von Boyadel zu ihr zuruͤck. Dieſe neue Laſt mit ei-
nem noch unerzogenen Knaben machte ihr großen Kum-
mer, beſonders da ſie ſchon ihren Bruder zu ernaͤhren
hatte. Sie erleichterte aber ihr Herz durch die Gabe
der offenherzigen Klage ihrer Bekuͤmmerniſſe. Ue-
berall, wo ſie erſchien, pflegte ſie ihre Sorgen mit-
zunehmen, und ſolche vor ihren Freunden auszuſchuͤt-
ten. Eines Tages befand ſie ſich in einer großen
Ball-Geſellſchaft, wo ſie das nehmliche that, und die
Verlegenheit, von welcher ſie jetzt eben wegen ihres
Sohnes bedraͤngt war, in Verſe ſetzte. Ein junger
Herr von R * hr, welcher gegenwaͤrtig war, ſah ihr
mit aufmerkſamen Wohlgefallen zu, wie ſie mitten un-
ter dem Geraͤuſch des Tanzes und der Muſik unge-
ſtoͤrt ihre Verſe niederſchrieb. Er fluͤſterte ihr einige
Worte der Bewunderung zu, und nannte ihr ſeinen
Namen. Solche Erſcheinungen waren ihr gar nichts
[108] neues, und ſie bemerkte auch dieſe nur in ſo weit,
daß ihr der edle Ernſt in dem Aeußern dieſes Cavalliers
gefiel. Am andern Morgen fruͤh kommt eine Magd
in ihre Wohnung, welche ihr von fremder ungenann-
ter Hand ein Billet uͤbergab, folgenden Inhalts:
Man wuͤnſcht wohl geſchlafen zu haben, und durch
Ueberbringerin zu wiſſen, worinnen man ihr dienen
koͤnnte, indem jemand nichts angenehmeres wuͤßte, als
zu ihren Dienſten bereit zu ſeyn.“ Sie antwortete
augenblicklich und mit Freimuͤthigkeit, daß ſie jetzt
kein dringenderes Anliegen haͤtte, als ihren Sohn loß
zu werden, und ihn in Zucht zu ſehen. Die Magd
ging mit der Antwort fort, und nach acht Tagen er-
ſchien dieſelbe wieder mit einem zweiten Billet, wor-
innen ſtand, „daß es fuͤr eine gewiſſe Perſon ein ſuͤ-
ßes Vergnuͤgen ſei, ihr in einem ſo loͤblichen Anliegen
dienen zu koͤnnen; ſie moͤchte ſich nur, nebſt ihrem
Sohn, auf die Realſchule bemuͤhn, wo ſie zu ſeiner
Aufnahme in Penſion ſchon alles veranſtaltet finden
wuͤrde.“ Die hoͤchſterfreute Dichterin gab hierauf
eine ſo ſchnelle und feurige Dankſagung, wie es die
ſchoͤne That verdiente. Nun ging ſie mit ihrem Sohn
auf die Realſchule, und fand es ſo gethan, wie ge-
ſagt, ohne daß ſie den Namen ihres Wohlthaͤters er-
fahren konnte. Sie rieth zwar auf den oben benann-
ten von R * hr, allein ſie iſt niemals davon uͤberzeugt
[109] worden. Ihr Sohn genoß unter guter Aufſicht einen
Unterricht von zwei Jahren, und nach Verlauf der-
ſelben ward ihr von der nehmlichen fremden Hand
die ſchriftliche Frage zugeſchickt: wozu ſie nun ihren
Sohn zu beſtimmen gedaͤchte? Sie hatte daruͤber noch
niemals nachgedacht, und verwieß die Antwort an den
jungen Menſchen ſelbſt. Er bezeigte Luſt zum Stu-
dieren, und wollte ſich der Theologie widmen; man
pruͤfte ihn daruͤber, und befand, daß er dazu am faͤ-
higſten waͤre. Ihr ward alſo abermals von jener
fremden Hand angekuͤndigt: Welchen Entſchluß ihr
Sohn genommen haͤtte, und nun wollte man ihn aufs
Gymnaſium thun, und alsdann auf freie Koſten nach
Halle auf die Univerſitaͤt ſchicken. Sie, welche ſonſt
jedes angebotne Gute, auch das kleinſte mit unend-
licher Erkenntlichkeit annahm, widerſprach doch hier,
wo es auf das lebenslange Gluͤck ihres Sohnes an-
kam. Sie gab zur Urſach an, daß er ihr ein Billet
geſchrieben haͤtte, in welchem weder Styl noch Ge-
danke waͤre; und ſie koͤnnte ſich nicht entſchließen, ei-
nen Menſchen von ſechzehn Jahren, der noch kein
Billet an ſeine Mutter ſchreiben koͤnnte, auf fremde
Koſten ſtudieren zu laſſen. Es iſt aber wahrſchein-
lich zu vermuthen, daß ſie hierbei nicht ihrem eige-
nen Rath gefolget hat. Der Wohlthaͤter ſchien
die Weigerung uͤbel genommen zu haben, und ihr
[110] Sohn ward ihr zuruͤckgeſchickt, ohne daß ſich jemals
wieder eines Menſchen Guͤte um ihn bekuͤmmert haͤt-
te. Sie gab ihn darauf in eine Handlung zur Lehr-
probe, weil er aber ſeinen Sinn aufs Studieren ge-
ſetzt hatte, wovon er ſich fuͤr immer abgeriſſen ſah,
ſo hielt er nirgends aus, wurde bald hieher, bald dort-
hin gethan, und zuletzt ward wenig oder nichts aus
ihm, ob er gleich immer ordentlich und fleißig war,
und Faͤhigkeit und Geſchicklichkeit hatte. Auf die
Weiſe ſah er ſein Gluͤck fuͤr immer verſchnitten, und
nahm halb nothgedrungen vor zwoͤlf Jahren eine Schul-
lehrer-Stelle in Ruppin an, wo er rohe Kinder zu
braven Menſchen erzieht und bildet, die Liebe der Eltern
hat, und von ſeinen Obern ſchon mehreremale oͤffent-
lich in gedruckten Blaͤttern gelobt worden iſt. Auch
ihm iſt eine baldige Belohnung fuͤr ſeine Amtstreue
zu wuͤnſchen.


So das Schickſal des Sohnes; der Tochter ihr
Loos fiel ſchlimmer. Sie kam nach fuͤnfjaͤhriger, ſitt-
licher Aufſicht von der Realſchule wieder zur Mutter
nach Hauſe. Die Mutter, welche niemals mit ihren
Kindern ſich Rath gewußt hatte, glaubte nicht beſſer
thun zu koͤnnen, als wenn ſie ihr Kind ihrem Bruder
in Aufſicht uͤbergaͤbe. Er, welcher ganz und gar nicht
auf Charakter- und Geiſtesſtimmung ſich verſtand, be-
[111] handelte das Maͤdchen nach dem gemeinen Schlag eines
ihm untergebenen Geſchoͤpfes. Er nahm ihre große Un-
ſchuld fuͤr Albernheit, ihre Zuruͤckhaltung fuͤr Ver-
ſtellung, ihren feinen Stolz fuͤr laͤcherlichen Hoch-
muth und ihre etwanigen Aeußerungen von Klugheit
und Verſtand fuͤr kindiſche Superklugheit. Er war
von Jugend auf gewoͤhnt geweſen, despotiſch uͤber die-
jenigen zu regieren, welche er um und neben ſich ge-
habt hatte, und ſo verfuhr er auch hier. Er riß das
Maͤdchen von ihren vornehmen Bekanntſchaften ab,
unter dem Vorwande, daß ſie die Wirthſchaft lernen
muͤßte, verfuhr ohngefaͤhr mit ihr nach dem Exempel,
wie ſich die Muͤllersfrau gegen ihre Mutter verhal-
ten hatte, und ließ ſie keinem anſtaͤndigen Menſchen
mehr vor Augen. Sein Plan, welchen er dabei hatte,
zeigte ſich nicht eher, als bis ſie heran reifte, da
ſagte er der Mutter, daß er wol ihre Tochter haben
moͤchte. Die Mutter, welche Niemanden etwas ab-
ſchlagen konnte, glaubte auch hier nichts einwenden
zu duͤrfen, ob er gleich noch kein Brod fuͤr eine Frau
hatte. Die Tochter wurde weiter nicht um ihren Wil-
len gebeten: weil ſie nicht blendende Reize hatte, ſo
glaubten beide, daß ſie kein Unrecht thaͤten. Mehr
davon zu ſagen, wuͤrde wie Repreſſalien klingen, und
hier am unſchicklichen Orte ſtehn. Genug, er bekam eine
kleine Bedienung, das Maͤdchen ward ſeine Frau, und die
[112] zu nachgebende und fuͤr ihn zu ſcheue Schweſter nahm
die ganze Laſt der neuen Haushaltung auf ihre Schul-
tern. Aus Vernunft, welche ſie den eingepraͤgten
guten Grundſaͤtzen der Erziehung zu danken hatte
fand ſich die Tochter in ihre Beſtimmung, allein, es
half nicht; und ſie ward endlich nach einer laͤnger als
neunjaͤhrigen Nachſicht mit ihrem unleidlichen Schick-
ſale, gezwungen, ſich davon zu befreyen. Sie ver-
heirathete ſich nachher zum zweitenmal, und wegen
ihres Mannes boͤſen Verwandten auch diesmal nicht
beſſer. Die Dichterin hat alſo die Freude niemals
erlebt, Eins von ihren Kindern gluͤcklich zu ſehen.


Durch ſolche zerruͤttende Schickſale fiel Tochter
und Enkel in ihre Hauptfuͤrſorge wieder zuruͤck,
und ſie trug alles, ohne zu glauben, daß es ihr beſ-
ſer gehen muͤßte. Ließ man ihr nur die Freiheit zu
klagen, und gab man ihr in ihren Vorurtheilen
Recht; ſo war ſie zufrieden, was auch ihr ſpaͤtes
Loos von Sorgen mit ſich brachte. Dinge, welche
ſie freilich durch eine kleine Wendung, oder durch
Annehmung eines guten Raths haͤtte zum Beſten
verwandeln koͤnnen, hielt ſie, wenn ſie verſehen waren,
fuͤr unvermeidliches Uebel, und troͤſtete ſich dann mit
einer nothwendigen Philoſophie und mit dem ſuͤßen
Glau-
[113] Freundſchaft. Einige ihrer Freunde blieben ihr auch
in der That treu: ihre Beſcheidenheit wird ihre
Namen nicht genannt haben wollen, aber der ſterben-
den Dichterin Dank hat ſie geſegnet. — Man durfte
wenig fuͤr ſie thun, wenn man nur freundlich und
aufmerkſam gegen ſie war. Mit einer heitern Miene
und kleinen hoͤflichen Bewirthung konnte man ſie uͤber-
aus vergnuͤgt machen, und ſie glich hierin den Kin-
dern, deren Hand immer fordert, aber auch bald ge-
fuͤllt iſt.


Durch ihre Genuͤgſamkeit, Offenherzigkeit, Erin-
nerung an verlebte Leiden, und Glauben an Freunde
geſtaͤrkt, trat ſie ruhig in die Jahre des ermuͤdenden
Alters; nichts erwartete ſie weniger, als noch ein be-
ſonderes Gluͤck, welches ihr wiederfahren ſollte. Sie
hatte nicht verfehlt, den großen Koͤnig noch oͤfter an
ſein Koͤnigliches Wort zu erinnern; zuweilen antwor-
tete er ihr durch kleine, ein edles Talent zuruͤckſchrek-
kende Geſchenke; und einmal ſchickte er ihr, vermuth-
lich um ſie dadurch ganz abzuweiſen, zwei Thaler auf
der Poſt zu. Das empfand die Dichterin, wie ſie
ſollte; ſie ſchrieb das bekannte Impromptuͤ: Zwei
Thaler giebt kein großer Koͤnig ꝛc., ſiegelte die zwei
Thaler in das beſchriebene Blatt, und unterſtand ſich,
dem Koͤnige ſein Gnadengeſchenk wieder zuruͤckzuſchik-
ken. Der Einfall ward Koͤniglich belacht. — Friedrich
h
[114] der Einzige ward endlich zu ſeinen Vaͤtern geſammlet.
Die Sonne des neuen Monarchen ging ſo ſanft und
wohlthaͤtig auf, daß alle Welt die Karſchin aufmunter-
te, die allgemeine Gnade zu benutzen; allein ihr fehlte
Muth und Unbilligkeit; ſie behauptete: der junge Koͤnig
haͤtte in ſeinen Staaten Tauſende, welche durch Tha-
ten fuͤrs Vaterland auf Belohnung Anſpruch machen
koͤnnten; die Dichter muͤßten die letzten ſeyn. Beſon-
ders haͤtte ſie gar kein Recht zu des Monarchen Gna-
de, weil er ihr nie etwas verſprochen haͤtte. So blieb
es eine Weile, indeß der Koͤnig immermehr durch neue
Huld einen Thron befeſtigte, welchen er ſich in den
Herzen ſeiner Unterthanen aufrichtete.


Eine verwittwete Freundin der Dichterin hatte ein
Naturalienkabinet, welches ſie mit guter Art zu ver-
kaufen wuͤnſchte, weil es fuͤr ſie ein unbrauchbarer
Schatz war. Sie glaubte, daß vielleicht einer unter
den Hoheiten der jungen Koͤniglichen Familie es kau-
fen wuͤrde, wenn man eine Vorſprache erhalten koͤnn-
te. Die Karſchin machte ſich den Wunſch ihrer Freun-
din zum Anliegen; ſie, welche fuͤr ſich keine Bitte wa-
gen wollte, ſuchte eilends den Weg zur Gnadenthuͤr,
ſobald es darauf ankam, jemanden dienen zu koͤnnen.
Menſchen zu dienen, und ihnen mit ihrer Gabe ge-
faͤllig zu ſeyn, war uͤberhaupt ihre feurigſte Leiden-
ſchaft. Wenn es darauf ankam, ſo ließ ſie die noth-
[115] wendigſten Geſchaͤfte deswegen liegen, und ſchonte
keine Muͤhe und kein Anhalten; und ſie hatte auch
immer die Freude, ihre Bitte erfuͤllt zu ſehen, nur in
ihren eigenen Angelegenheiten gelang es ihr nicht ſo.
Diesmal ging es anders. Sie wendete ſich wegen
ihrer Freundin an die damalige Oberhofmeiſterin der
erſten Prinzeſſin Tochter des Koͤnigs, an das Fraͤu-
lein von Vieregg, jetzt verwittwete Miniſterin von
Gaudi, und Gouvernante der regierenden Koͤnigin
von Preußen. Dieſer menſchenfreundlichen Dame
trug die Dichterin den Wunſch ihrer Freundin vor,
allein, ſie kam damit um acht Tage zu ſpaͤt. „Der
Koͤnig, ſagte die Dame, wird nun dergleichen nicht
mehr kaufen, es ſind der Ausgaben zu viel. Seine
Majeſtaͤt bezahlen alle Schulden des verſtorbenen
Koͤnigs.“ Alle Schulden? alle? ruft die Dichterin
ihr zu; beim Himmel! dann haben mir ſeine Maje-
ſtaͤt auch eine Schuld zu bezahlen. Sein Oheim hat
mir vor 24 Jahren eine Verſorgung verſprochen;
man verſicherte mir eine Penſion von jaͤhrlich 200
Thalern. Haͤtte ich die Summe von 24 Jahren zu
heben, ſo waͤr es ſchon ein Kapitaͤlchen, wofuͤr ich mir
ein Haͤuschen kaufen koͤnnte. „Gut, antwortete die
laͤchelnde Gouvernantin, ſetzen ſie das Anliegen ſo
auf, wie ſie da ſagen, und wir wollen ſehen, ob
wir es dem Koͤnige vorbringen koͤnnen.“ Die Dich-
h 2
[116] terin ließ ſich einen ſo liebreichen Vorſchlag nicht zwei-
mal ſagen, ſie eilte nach Hauſe, und ſchrieb eine poe-
tiſche Schuldforderung an den Koͤnig, und richtete
ſolche an die Prinzeſſin Friederike Koͤnigl. Hoheit
Die hoͤchſtguͤtige Gouvernante uͤberreichte ſie ſogleich,
und die engelmuͤthige Prinzeſſin las das Schreiben
dem Koͤnige ihrem Vater vor, als Seine Majeſtaͤt
ſich eben mahlen ließen. Der huldreichſte Monarch
laͤchelte des Einfalls der Dichterin, er ſteckte das
Schreiben zu ſich, und nicht lange darauf gab Seine
Majeſtaͤt dem Herrn Miniſter von Woͤllner den un-
erwarteten hoͤchſtgnaͤdigen Befehl: der Karſchin
anzukuͤndigen, daß ihr ein Haus gebaut
werden ſollte; ausgeziert mit allen Al-
legorien der Muſen
.


Die Dichterin, welche bloß einen verlornen
Wunſch gethan zu haben glaubte, dachte an nichts
weniger, als an eine ſolche Wirkung. Eines Tages
gegen Abend ward ſie in ihrer Nachbarſchaft, in
das Haus des Herrn Geheimen Oberhofbuchdruckers
Decker zu kommen, genoͤthigt. Weil dies zu ihren
freundſchaftlichen Haͤuſern gehoͤrte, ſo glaubte ſie,
daß man ein kleines poetiſches Anliegen an ſie habe,
und eilte ſogleich wie ſie war in ihrem Haushabit
dahin. Aber wie erſtaunte ſie, als man ſie in den
ganz erleuchteten Saal des Hauſes fuͤhrte, wo eine
[117] große glaͤnzende Geſellſchaft verſammlet war. Ein
Herr von ſtattlichem Anſehn, in ſchwarz ſammtnen
Kleide, woran ein Kreutz befeſtigt flimmerte, kam
ihr entgegen und trat vor ſie hin, indem er ſie ſo
anredete:


Freu’ Dich, Deutſchlands Dichterin!

Freu’ Dich hoch in Deinem Sinn;

Der Koͤnig hat befohlen mir,

Ein neues Haus zu bauen Dir.

Es war Se. Excellenz, der Herr Miniſter von
Woͤllner
*), welcher dieſes Impromptuͤ ſelbſt ausge-
dacht hatte, um ſie dadurch deſto angenehmer zu uͤber-
raſchen. Die frohe Beſtuͤrzung der Dichterin bei
dieſer Anrede iſt unmoͤglich zu beſchreiben, und man
thut beſſer, daß man ſich dieſelbe denkt. Sie kam
nach Hauſe, vor Freude ganz matt, und Tages
darauf ward aller Welt verkuͤndigt, was da geſchehn
ſollte. Alle Zeitungen wurden mit der fuͤr ſie ſo eh-
renvollen Nachricht erfuͤllt. Von allen Freunden der
Muſe ward der Koͤnig fuͤr dieſe That geſegnet.


Das beſtimmte Haus als Gnadengeſchenk ward
auf dem Haakſchen Markt gebauet, wo es die eine
Ecke von vier andern beſchließt, welche den Eigen-
thuͤmern ebenfalls als Gnadengeſchenke ſind bewilliget
worden. Das Haus ſelbſt ward nur ein Haͤuschen,
h 3
[118] und nicht ſo ausgefuͤhrt, wie Jedermann der vorzuͤg-
lichen Ankuͤndigung gemaͤß es erwartet hatte; auch
kamen die Allegorien der Muſen in Vergeſſen-
heit; allein ſie hatte doch nun eine ſchoͤn ausgebauete
eigene Wohnung, und nach Abzug jaͤhrlicher Abgaben
fuͤr Servis, Einquartirung u. d. gl. noch etwa hun-
dert Thaler Ueberſchuß. Freilich bekam dadurch ihr
immer muͤder werdendes Alter noch keine Ruhe, da
ihre beiden Kinder ſo ſchlecht verſorgt waren, und
zwei Kindeskinder von ihr Unterſtuͤtzung verlangten;
allein es war doch immer ein unerwartetes Gluͤck fuͤr
ſie, und ſie ward nicht muͤde, den beſten Koͤnig dafuͤr
zu loben. Kaum konnte ſie’s erwarten, ihr Koͤnigli-
ches Muſaͤum bald genug zu beziehn. Schon ſeit
vielen Jahren her hatte ſie gekraͤnkelt, und ahndete,
daß ſie nicht lange mehr da ſeyn wuͤrde. Der Wunſch,
noch einige Jahre in dem Hauſe zu leben, welches
der beſte Koͤnig ihr zur Ehre, und Stuͤtze des Alters
hatte aufbauen laſſen, war unglaublich, und ſie be-
zog es, als es eben ausgetuͤncht war. Man rieth ihr
zwar, wenigſtens noch ein Jahr zu warten, ehe ſie
bei ihrer großen Schwaͤchlichkeit einzoͤge; allein ſie
folgte, wie immer, auch hier ihrem Willen. Dadurch
nahm allerdings ihre Schwaͤche zu, welche ſich in die
Vorboten einer Abzehrung verwandelte. Wie hinfaͤl-
lig aber auch ihr Koͤrper ward, ſo blieb ihr Geiſt doch
[119] freudig und ſtark. Noch immer blieb ſie halbe Tage
an den Schreibtiſch gefeſſelt, und ging die uͤbrige Zeit
in die kleinen Zirkel ihrer liebſten Freunde. Mehren-
theils kam ſie durch die Zerſtreuung ermuntert und
geſtaͤrkt nach Hauſe. Jeden, den ſie ſprach, Alle, an
welche ſie ſchrieb, wurden von ihr gebeten, daß ſie
kommen moͤchten, ihr niedliches Haus zu beſchauen;
und die feurigſten Gluͤckwuͤnſche von Freunden, von
Auswaͤrtigen und Einheimiſchen, wurden ihr daruͤber
geſagt und zugeſandt. Ihr Ruhm gewann dadurch
noch einen abendlichen Strahl, ſie wurde von neuem
bemerkt, weil ſie gluͤcklicher zu ſeyn ſchien.


Jetzt dachte ſie ihre Ehrenrolle ausgeſpielt zu haben,
als ihr noch eine beſonders vorzuͤgliche Begebenheit wie-
derfuhr. Es war im Sommer 1790, als eines Nach-
mittags ein Bedienter eine Karte brachte, auf welche
einer der edelmuͤthigſten Grafen (welchen Deutſchland
als Soldat und Schriftſteller kennt) die Einladung
geſchrieben hatte: „daß die große Dichterin Karſchin
am andern Morgen bei dem Hofjaͤger im Thiergarten
auf ein Dejeuner erſcheinen moͤchte, woſelbſt Ihro
Koͤnigl. Hoheiten, der Prinz Ferdinandſche Hof ſich
gegenwaͤrtig befinden wuͤrden.“ Wer die Hoheit die-
ſes mit den Erſten Thronen der Welt ſo nahe ver-
wandten Hauſes meſſen mag, der wird es empfinden
koͤnnen, wie die Ehre einer ſolchen Einladung auf die
h 4
[120] ſo tief im Staube geborne Dichterin wuͤrkte. — Oft
zwar hatte ſie ſchon des Vorzuges genoſſen, von Aller-
hoͤchſten Perſonen gerufen, und mit beſondern Gna-
denaͤuſſerungen behandelt zu werden; allein, ſo wie
Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeßin Ferdinand, durch
dieſe Einladung ſie ehrte, das ging zu weit uͤber alles,
was jemals ihren Stolz gereizt hatte. Die Großen
beduͤrfen nur wenig zu thun, um jemand in Erfahrung
zu ſetzen: „wie man vor Freude ſterben kann.“ Auch
die Dichterin wuͤrde vor Freuden uͤber die Erwartung
zum andern Morgen vielleicht ſterbend krank gewor-
den ſeyn, wenn ſie nicht den Koͤniglich-denkenden
Hof des Prinzen Ferdinands K. H. ſchon mehrma-
len beiſammen geſehen und geſprochen haͤtte. Sie
erſchien alſo am beſtimmten Morgen vor dem Gar-
ten des Hofjaͤgers, wo ihr der Herr Graf als Wirth
entgegen kam, und ſie zu den Allerhoͤchſten Herrſchaf-
ten, welche ſchon verſammlet waren, einfuͤhrte. Man
ließ ſie auf einen Stuhl niederſitzen, welcher zur Rech-
ten der Gemahlin des Prinzen Ferdinand K. H. fuͤr
ſie ledig gelaſſen war. Die unvergleichliche Prinzeſſin
Tochter legte der Dichterin mit eigener ſchoͤner Hand
vor, und alle die hoͤchſten Anweſenden ließen ſich herab,
die Geſpraͤche auf lauter Gegenſtaͤnde zu lenken, welche
der Karſchin angenehm ſeyn konnten. Sie glaubte
ſich hier wirklich ſchon unter den guten Goͤttern zu
[121] befinden, und ſie hatte Recht. — — Drei Tage dar-
nach wurde ſie abermals durch ein Paket, welches ihr
der Herr Graf ſchickte, auf das angenehmſte uͤber-
raſcht: ſie fand darinnen das verbindlichſte [Schreiben]
von der Hand des Herrn Grafen, und eine Anden-
kens-Aſſe mit der ausgeſuchten Deviſe: Wandle auf
Koſen
, und Vergiß mein nicht. Auſſer der Kott-
witziſchen Doſe in Glogau, war ihr niemals ein Ge-
ſchenk willkommner und werther geweſen.


Nach dieſer Ehrenbegebenheit, welche ſie zu
ſtark empfunden hatte, ſchwaͤchelte ſie mehr als
jemals, ihr Geiſt aber blieb munter, ſo wie die
Begierde, ſich ihren Freunden mitzutheilen. Sie
hatte ſich ſeit dreyßig Jahren her ſo ſehr auſſer dem
Hauſe gewoͤhnt, daß ſie auch bei ihrer aͤußerſten Hin-
faͤlligkeit das Gehn zu Andern nicht laſſen konnte.
Sie glaubte ſich dadurch zu ſtaͤrken, allein ſie ſchadete
ſich offenbar; denn durch das Vergnuͤgen der Mit-
theilung ward ſie bei dem Glaſe Wein, welches ſie
trank, wie gewoͤhnlich zu poetiſchen Einfaͤllen verleitet,
welches ſie unvermerkt angriff. Denn ihr Geiſt war
kein Feuer mehr, ſondern hielt nur noch Funken in
ihr verborgen; holte ſie dieſelben durch Anſtrengung
der Gedanken zuſammen, ſo war es natuͤrlich, daß
der entkraͤftete Koͤrper ganz dadurch erſchoͤpft werden
mußte. Dennoch konnte ſie weder das eine noch das
h 5
[122] andere laſſen, und ohne Geſellſchaft hieß bei ihr ohne
Element leben. Sie wuͤrde dieſen Zuſtand weit ſchwe-
rer ausgehalten haben, wenn ſie nicht ihren Enkel,
Heinrich Wilhelm Hempel, um ſich gehabt haͤtte,
welcher ihre letzte Liebe beſaß, und ihr letzter Kummer
war. Er ſpielte ihr etwas auf dem Klaviere vor, in-
dem ſie entweder im Plutarch, in der Roͤmiſchen Ge-
ſchichte, oder im Julius Caͤſar las, welche Lektuͤre
ihr nur der Tod aus der Hand nahm, ſo lieb hatte
ſie dieſelbe. Ihr Enkel entſchloß ſich endlich zum
Studiren (welche Laſt auf ihre Schultern ſank), er
ging im Maͤrz 1791 nach Frankfurt an der Oder als
Befliſſner der Rechte. Sie verlohr durch ſeinen
Abſchied die letzte Ruhe ihres Herzens; und ſeine
Abweſenheit war ihr unertraͤglich. Sie reiſete ihm
zu Ende des Juni nach, ohnerachtet ihrer auszehren-
den Schwaͤche. Laͤngſt war ſie nach Tirſchtiegel, ihrer
Vaterſtadt, zu kommen gebeten worden, daſelbſt hatte
der Paſtor Senior Herr Sturzel, ihr aus Verlan-
gen ſie zu ſehn, ſein Haus zur Aufnahme bereitet,
und ſelbſt die Gemeine auf ihre Ankunft erwartend
gemacht. Auch der Dichterin einzige Schweſter, die
verwittwete Frau Eleonore Borngraͤbern, geborne
Hempeln, ſehnte ſich, ihre geehrte Schweſter ein-
mal bei ſich zu ſehn, ehe das Alter ſie beide fuͤr die
Freude des Wiederſehns zu ſtumpf machte; ſie hatte
[123] feſten Vorſatz, diesmal den Wunſch ihrer Vaterſtadt
zu erfuͤllen, da ſie auf dem halben Wege war, allein
in Frankfurt nahm ihre Schwaͤche ſo zu, daß ſie kaum
noch wanken konnte. Waͤhrend eines Aufenthalts
von drei Monaten konnte ſie nur wenig Beſuche ge-
ben, und war faſt immer bettlaͤgerig, oder ſaß matt
auf dem Stuhle *). Dennoch unterlag ihr Geiſt
nicht, ſondern richtete ſogar durch ſeine immer wie-
der empor ſteigende Flamme den einſinkenden Koͤrper
[124] zuweilen wieder auf, und ſie war oft ſo munter, daß
ſie Verſe machte, wie in ihrer Jugend. Ihr letztes Ge-
dicht verfertigte ſie noch in Frankfurt; es war das,
auf die Abreiſe der eben vermaͤhlten Herzogin von
York K. H., welches in der Zueignung eingeruͤckt
iſt. Mit dieſem kleinen Geſange loſch die Flam-
me ihrer dichteriſchen Denkkraft auf ewig in ihr
aus. Der Herbſt war da, ſie wollte die Fuͤrſtin ihres
Herzens, die Schoͤpferin ihres letzten irdiſchen Gluͤckes
vermaͤhlen ſehn, und wagte ſich alſo in ihrer Todes-
ſchwaͤche auf die Ruͤckreiſe nach Berlin, wo ſie am
letzten September 1791 zu aller Menſchen Erſtaunen
gluͤcklich in ihrem Hauſe ankam, ohne daß ſie den
Wunſch, ihre Vaterſtadt noch einmal zu ſehen, hatte
befriedigen koͤnnen. Drittehalb Tage hielt ſie ſich
noch auſſer dem Bette, und wuͤrde vielleicht laͤnger
ohne Niederlage geblieben ſeyn, wenn ſie nicht, aus
Begierde eine nachbarliche Freundin zu beſuchen, der
beſtellten Portechaiſe vorgeeilt, und am Arme des
Dienſtmaͤdchens zu ihr heruͤber gewandert waͤre. Der
muͤhſame, obgleich kleine Gang auf den Steinen ſchien
ſie vollends erſchoͤpft zu haben. Zwar ſaß ſie noch
anderthalb Tage in ihrem Lehnſtuhle auf, allein faſt
ohne Gedanken. Am dritten Tage legte ſie ſich, und
konnte nie wieder aufſtehn. Sie war voͤllig von
Kraftloſigkeit erſtarrt. Dennoch blieh ihr Geiſt noch
[125] lebhaft, und ſelbſt im Fieber ſich gegenwaͤrtig. Ihre
Geſpraͤche waren wie in den geſunden Tagen, und ſie
ſchien hinter einem Schirme mehr eine Unterhaltende
als Kranke zu ſeyn. Noch am letzten Nachmittage
ihres Lebens war ſie ſo geſpraͤchig mit ihrer Tochter,
daß ſie derſelben jede Frage aus der vor- und gegen-
waͤrtigen Zeit mit einer jugendlichen Gedaͤchtnißkraft
beantwortete; und obgleich der herannahende Tod ſich
ſchon durch das Schwerwerden ihrer Zunge in einem
Schlagfluß meldete, welcher nach vier Uhr Nachmittags
eintrat, wodurch ihre Sprache von Stunde zu Stunde
lallender wurde; ſo ſprach ſie doch mit jedem, der vor
ihr Bette trat, im leichten, geſellſchaftlichen Ton, und
mit beſtaͤndiger Gegenwart des Geiſtes. Daher ſie auch
nicht zu ſterben glaubte, ſondern ſogar den Anweſenden
verſicherte, daß ſie durch die Limonade, welche ihr letz-
ter Erquickungstrank war, beſſer wuͤrde, und nun wol
noch eine drei Jaͤhrchen leben koͤnnte. Mit dem Ge-
danken arbeitete ſie ruhiges Herzens, obgleich ſchweres
Athems und roͤchelnd dem Tode entgegen. Um halb
zehn Uhr begehrte ſie noch einmal zu trinken, und die
Todestropfen fielen hell in den labenden Trank. —
Dreiviertel auf Zehn trat der Steckfluß ein, woran ſie
zehn Minuten arbeitete, und mit dem Schlage zehn,
als eben der Waͤchter die Nacht verkuͤndigte, ward ihr
Geiſt abgerufen. Sie ſtarb am12ten October 1791.


[126]

Ihr Herz hatte, wie ihr Geiſt, ſeine unvergleichliche
Seiten; war oft ſchwach in Vorurtheilen und Leiden-
ſchaften; aber an unermuͤdeter Gefaͤlligkeit, Dankbar-
keit, Offenheit und Wahrheitsliebe — einzig, ganz
einzig
! Seegen vieler Hunderte, denen ſie durch
ihr bereitwilliges Talent mit Vorbitten geholfen,
ſchwebt um ihren gruͤnen Huͤgel, und der Geiſt alles
Geiſtes wird ihren Geiſt dafuͤr erfreuen. —


Sie hinterlaͤßt zwei Kinder, einen Enkel, eine
Enkelin, zwei Bruͤder und eine Schweſter; keinen
glaͤnzenden Stammbaum, keine beneidenswerthe Guͤ-
ter, aber einen Namen, welchem (bei aller Kaͤlte, mit
der man jetzt große Todten in Vergeſſenheit bringt)
die Hoͤchſten der Erde noch achtbar begegnen. Ihro
Majeſtaͤt, die verwittwete Koͤnigin von Preu-
ßen
, gaben nicht allein ihren allerhoͤchſten Namen
zur Krone dieſer Sammlung, ſondern ließen aus
allerhuldreichſter eigener hoͤchſter Bewegung fra-
gen: „ob die Zerausgeberin dieſes Werks Bei-
traͤge verlangte, welche ſich etwa noch in dem
Archiv Ihrer Majeſtaͤt vorfinden moͤchten
:“
Eben ſo verhielt ſich Seine Hochfuͤrſtliche Durch-
laucht, der nunmehr verewigte Herzog Ferdinand von
Braunſchweig und Luͤneburg. Se. Koͤnigl. Hoheit,
[127] Prinz Heinrich der Große, antwortete der Herausge-
berin (indem dieſelbe dieſem goͤttlichen Prinzen ihre
Furcht, Se. Hoheit zum Subſkribenten eines deut-
ſchen Buchs einzuladen, geaͤußert hatte): „Le vrai
génie s’exprime bien dans toutes les langues,
sans entrer en discussion sur la preférence des
langues les unes sur les autres etc.
Worte, welche
durch ihren Seitenblick die ehrenvollſte Erklaͤrung ge-
ben. Auf aͤhnliche Weiſe erklaͤrten ſich alle die hoͤch-
ſten, hohen und edlen Perſonen, welche dieſe Samm-
lung mit ihren Namen beehrten. Auch die Muſen ha-
ben ihr Grab gekraͤnzt, und nicht die kleinſten des
Vaterlandes; ihre Namen zieren die erſten Jour-
nale Deutſchlands. Die Dichterin achtete der Loblie-
der nicht, welche im Leben ihr zuſtroͤmten, ſelbſt Eines
hat ſie ſich nicht mehr erinnert, (ſo wenig eitel war ſie);
Eines von dem erſten der Dichter. (Es exiſtirt viel-
leicht nur noch einmal, und befindet ſich im Archiv
des Reichsgrafen von Stollberg.) Wer den Dichter
errathen will, der muß ein lauſchendes Ohr haben.
Hier iſt das Gedicht:


An die Frau Karſchin.



Ein neues Alles blickt auf uns

Im Wiederſchein aus deiner Seele,

[128]
Du reinrer Spiegel der Natur!

Viel ſchoͤner bluͤhet dir die Roſe,

Weit zaͤrtlicher weint dir ein Pylades,

Und heldenmuͤthiger in Wunden

Stirbt dir ein Held, noch mehr, ein Kleiſt.

Weit gruͤner winket dir die Aue,

Und lauter ſingt die Lerche dir,

Und ſchmachtender ſeufzt Philomele,

Wenn ſie dir ihr Geheimniß ſagt,

Daß ſie um ihren Gatten klagt,

Und willſt Du Zaͤrtlichkeit und Kuß vermaͤhlt beſchreiben;

So kuͤßt nicht Damon ſeine Phyllis,

Nein, beide kuͤſſet die Natur —

Die meiſten Dichter ſind nur Traͤumer,

Fuͤr ſie liegt die Natur im tiefen Schlaf,

Fuͤr dich erwachet ſie, wenn du ſie gruͤßeſt,

Und reicht dir, wuͤrdiger, die Hand,

Und zeigt Dir die geheimen Wunder.

Fuͤr dich entfaltet ſie der Roſe Blaͤtter,

Fuͤr Dich zieht ſie der Wolken Flor vom Himmel,

Fuͤr dich entlarvt ſie das geputzte Laſter

Und zeigt die Tugend dir im aͤchten Glanze,

Und endlich laͤßt in Andachtsvollen Stunden

Die ewge Wahrheit und die ewge Liebe

Fuͤr dich, anbetende geruͤhrte Karſchin,

Den Schleyer fallen — Heilig iſt ihr Name! —

Entfern dich, Muſe, ſtoͤhre ſie anbetend nicht!

Dieſe wahre dichteriſche Apologie von ihrem Selbſt
werfe den goͤttlichen Strahl der Wahrheit auf dieſe
Lebensbeſchreibung, und kroͤne der Dichterin Ruhm
mit Unſterblichkeit.


C. L. von Klenke, geb. Karſchin.


Gedichte
[[1]]

Gedichte
von
Anna Louiſe Karſchin
.


Oden.


A
[[2]][[3]]

An
die Stadt Berlin
wegen
Sr. Koͤnigl. Hoheit
des

Prinzen und Feldherrn Heinrichs.



Die Du der goldnen Zeit zu Dir gewuͤnſchte Tage

Mit Freudenſpiel und Tanz empfaͤngſt,

Und oft mit wiederholter Frage

Dich um des Tuͤrken weißbewundne Stirne

draͤngſt; *)

A 2
[4]
Sieh Du, Neugierige! wie dort in Feuerſtroͤmen

Die Sonne vor Geſtirnen glaͤnzt,

So glaͤnzt vor allen Diademen,

Der Siegeslorbeerſchmuck, der einen Helden

kraͤnzt,

Den ein bezwungnes Volk mit Blumen warf, und neue

Geluͤbde fuͤr Ihn ausgedacht;

Dem niemals Tadel oder Reue

Nach einer kuͤhnen That die Wange roth gemacht;

Der kein Lucullus war den tragenden Soldaten,

Die ihrer Waffen Laſt gedruͤckt;

Und wegen ſeiner großen Thaten

Nie einen Kriegesknecht veraͤchtlich angeblickt;

Der alle Fabier mit den geſchonten Heeren

Zuruͤcke ſtrahlet — O Berlin!

Sey dankbar, ſetze zu Altaͤren

Sein Bild an Friedrichs Bild, und rufe:

Flaminin

War nicht ſo werth, als Er, zu glaͤnzen wie die Goͤtter

In ihrer Tempel Ueberſchrift;

Rom hatte niemals einen Retter,

Den Heinrichs großer Geiſt nicht dreymal

uͤbertrift.

[5]

An die Mnemoſyne,
bey dem
allerhoͤchſten Feſte, welches Se. Koͤnigl. Hoheit
Prinz Heinrich
Sr. Majeſtaͤt dem Koͤnige gab.



O Goͤttin, die, vom hoͤchſten Jupiter geliebt,

Die keuſche Muſen hat gebohren,

Wen dir der Fama Lob zur Aufbewahrung giebt,

Derſelbe Held bleibt unverlohren.

Durch deiner Toͤchter hohe Lobgeſaͤnge lebt

Einſt Friedrich nach zehn tauſend Sonnen,

So lebet Heinrich, Den der Voͤlker Lob erhebt,

Von welchen Er den Sieg gewonnen.

Ihm dampfet Weihrauch, weñ Er durch die Laͤnder reiſt,

Von andern Adlern uͤberſchattet;

Und in dem Lande, wo ihr, Muſen, Seinen Geiſt

Zu eurer Unterweiſung hattet.

A 3
[6]
Er wird verehrt, und mit Bewundrung angeblickt,

Es ſey, daß Er die Legionen

Im Treffen ordnet, oder Freudenfeſte ſchmuͤckt,

Hier, wo ihr euch entſchloßt, zu wohnen.

Es ſey, daß ſich um Ihn ein laͤndlich Maͤdchenchor

Mit vollen Blumenkoͤrben draͤnget;

Es ſey auch, daß Er hier in Taͤnzen ſtrahlt hervor,

Und Scherz in Seine Blicke menget.

Ihm mag gleich Purpur, oder weiches Waͤldermooß

Zum Seſſel dienen; Ihn empfange

Sein Pallaſt, oder auch Sein Landhaus: Er iſt groß,

Als Menſchenfreund, zum Wettgeſange

Fuͤr deine Kinder, du Gedaͤchtnißgoͤttin! Er

Wird mehr geliebt von Seinem Bruder,

Dem Koͤnige, als ſelbſt Sein ſieggewohntes Heer,

Sein Lorbeer, und Sein Staatenruder.

[7]

An die Clio
wegen des Koͤniges



Die einſt zu jedem honigſuͤßen Liede

Euripides um Beyſtand rief,

Dich, Muſe, fuͤhl ich ganz, jetzt, da mein Tyndaride

Drey hundert Naͤchte ruhig ſchlief.

Jetzt, da kein kalydoniſch Ungeheuer

Zum Kampfe fuͤr Ihn uͤbrig iſt,

Und kein verdeckter Haß; und nicht des Neides Geyer

An Seines Nachbars Leber frißt;

Und nur noch Alexander große Todten

Unruhig macht durch ein Geſchrey:

〟Daß, von des Orients Geſchenkbeladnen Bothen

〟Gegruͤßt Sein Ueberwinder ſey;

〟Daß von dem Eißmeer bis zu Herculs Saͤulen,

〟Vom Belt bis zu dem Helleſpont,

〟Dem Koͤnig Ruhm erſchallt, dem Zevs von ſeinen Keilen

〟Die blitzbeſchwungenſte vergont;

A 4
[8]
〟Den unter ſeinen Lorbeerkraͤnzen neiden

〟Perikles wuͤrde, der Athen

〟Neunmahl verfochten, und in praͤchtigen Gebaͤuden

〟Hieß ſeine goldne Goͤtter ſtehn;

〟Und in der Hand ein Horn des Ueberfluſſes

〟Geſchuͤttelt auf das Volk herab,

〟Als ſelbſt Minerva die Befehle ſeines Schluſſes

〟Zum Aufbau des Odeons gab,

〟Und einer Burg, die nach drey tauſend Tagen

〟Noch dem Pallaſt nicht aͤhnlich ſchien,

〟Zu welchem Friedrich laͤßt den Marmorboden tragen

〟Von Starken, die zu Felde ziehn,

〟Wenn gegen ſtolzerhobne Feindes Stirne

〟Der Held die Waffen nehmen heißt,

〟Den jeder liebt, und den ſein gluͤckliches Geſtirne

〟Hervorgebracht mit dieſem Geiſt,

〟Der unerſchrocken bliebe, wenn Typhonen

〟Beſtuͤrmen wollten ſeinen Sitz,

〟So feſt wie der Olymp, auf dem die Goͤtter wohnen,

〟Beſchuͤtzt genug durch ihren Blitz.〟

[9]

Bei
dem jubelvollen Empfange
der Koͤnigin
.



Die ihr euch nie den Nordwind laßt entkleiden,

Ihr Tannenwipfel, buͤcket euch;

Empfangt die Koͤnigin, und ſeht des Volkes Freuden,

Und rauſcht mit ihm zugleich!

Unuͤberzaͤhlbar waͤlzet ſich die Menge

Dicht aneinander durch das Thor.

Von zehen tauſend Zungen ſteigt, wie Lobgeſaͤnge,

Ein frommer Zank empor.

Welch ein Getuͤmmel! Aller Blicke wollen

Auf einmal in Ihr Angeſicht,

Jetzt kommt Sie; ſehet da den Strom von Thraͤnen

rollen,

Der mehr als Worte ſpricht!

A 5
[10]
Vermiſchte Stimmen rufen unaufhoͤrlich:

〟Der Friede ſchwebet uͤber Ihr;

〟Der Sieger kommt; Sein Thron, Sein Land bleibt

unzerſtoͤhrlich;

〟Gluͤckſelig bleiben wir!〟 —

Und ich vergeſſe meines Saitenſpieles

Gewohnte Toͤne; mich entreißt

Den Muſen, dem Apoll, der Aufruhr des Gefuͤhles.

Ich werde lauter Geiſt,

Und ſchwimme durch die Wellen des Gedraͤnges,

Zum Purpurſeſſel, der Sie traͤgt:

Sie laͤchelt mir, und horcht, wie ſtark mein viel zu enges

Durchdrungnes Herze ſchlaͤgt.

[11]

Dem
Vater des Vaterlandes
Friederich dem Großen,
bei triumphirender Zuruͤckkunft
geſungen
im Namen Seiner Buͤrger
.



Der Du den Tempel Deines neuen Freundſchaftbandes

Mit diamantnen Bogen woͤlbſt;

O Koͤnig! Vater! Schutzgott des begluͤckten

Landes!

Uns gegenwaͤrtig biſt Du ſelbſt.

Dich, mit vermehrten Siegeskraͤnzen Ausgeſchmuͤckter!

Empfaͤngt der juͤngſte Fruͤhlingswind,

Erfuͤllt mit Jauchzen Deiner Buͤrger, die entzuͤckter

Jetzt fuͤhlen, daß ſie Menſchen ſind.

[12]
Zu lange ſuchten Dich befluͤgelte Gedanken,

Und Seufzer Deines Volkes dort,

Wo um das Schlachtfeld ſich die Helden ſtandhaft

zanken,

Und Kriegesdonner iſt ihr Wort.

Zu lange bliebeſt Du, verſteckt in ſchwarzen Wettern,

Rund um Dich werfend Deinen Blitz,

Wir aber wankten gleich verwelkten Lindenblaͤttern,

Um Deinen wuͤſten goldnen Sitz.

Vor unſers nebelvollen Geiſtes Blicke ſchliefen

Die Schoͤpfung ſelbſt und die Natur;

Wir fuͤhlten nicht den Reiz der beſten Welt; wir riefen

Dich aller Welten Wunder! nur.

Das Klaggeſchrey, die Thraͤnenſtroͤhme rauſchten

maͤchtig

Bis an den Himmel und zu Dir;

Du kommſt, und Dein Triumph iſt mehr als Roͤmiſch

praͤchtig:

Nicht uͤber Sclaven jauchzen wir;

Nicht uͤber nachgefuͤhrte fremde Koͤnigsſchaͤtze

Und Kronen, die der Sieger nahm;

Nein uͤber Dich, Monarch, in welchem der Geſetze

Beſchuͤtzer, glorreich wieder kam.

[13]
In Deinen Augen ging aus tauſend Mitternaͤchten

Ein uns geſchaffnes Sonnenlicht

Hervor, und ſtrahlet nun ſo lieblich Deinen

Knechten,

Als Deines Gottes Angeſicht,

Das uͤber Dir daher geleuchtet und gelaͤchelt,

In undurchdringlicher Gefahr,

Wenn oft das Vaterland wie Sterbende geroͤchelt,

Und zitternd fuͤr Dein Leben war.

O! laß Dein in der Schlacht nie wankend Knie umfaſſen,

Du Ueberwinder! und verſprich,

Nicht mehr Dein bittend Land verwaiſet zu verlaſſen.

Und fodern neue Feinde Dich;

Dann gieb uns Waffen, laß Dein Volk zu Felde ziehen,

Du aber, unſre Wolluſt! bleib

In Sans-Souci, und wer von uns wird ſchimpflich

fliehen;

Den toͤdte ſein beherztes Weib.

[14]

Ueber
die Vorzuͤge
des
Prinzen Friedrichs
von Braunſchweig
.



Soll ich zuerſt beſingen den Befreyer,

Den Retter Braunſchweigs? oder das

Gefuͤhl

Des großen Herzens und des ſchoͤnen Geiſtes Feuer:

Was waͤhleſt du mein Saitenſpiel?

Den Heldenmuth des Prinzen, oder Seine

Suͤßredneriſche Suada, die voll Geiſt

Von ſeinen Lippen rauſcht, ſo wie durch Blumenhayne

Der Quell auf goldnem Sande fleußt.

[15]
Dem Afrikaner Scipio, dem jungen

Pompejus und dem Sieger uͤber ihn,

Dem Caͤſar ſelbſt, iſt niemahls eine That gelungen,

Die mehr des Lorbeers wuͤrdig ſchien

Als dieſe That des kuͤhnen jugendlichen

Beſchuͤtzers von der Aeltervaͤter Grab;

Ihm guͤrteten, nachdem des Feindes Macht entwichen,

Die Grazien den Degen ab,

Und kuͤßten Seine Kranzumwundne Schlaͤfe,

Und ordneten Sein ſtaubbepudert Haar,

Und frugen, welcher Held und Halbgott uͤbertraͤfe

Den Juͤngling? der noch gluͤhend war

Von einem Kampf, in welchem tauſend Stoͤße

Sein ſchlanker Arm mit ſchnellgezuͤcktem Speer

Den Feinden gab. Und jetzt ſchrieb Er: zu welcher Groͤße

Das alte Rom geſtiegen waͤr

Zur Zeit, als von dem pflugzerrißnen Acker

Beſtaͤubt und braun, jedweder Roͤmer kam,

Und fuͤr das Vaterland mit ſchnellem Eifer, wacker

Die roſtbefreyte Waffen nahm.

[16]
Da liefen ſelbſt des Sonnen-Wagens Raͤder

Nicht ſchneller als der Roͤmer Siegesgluͤck.

Wolluͤſtig flog noch nicht in ſalbenreiche Baͤder

Ihr Feldherr aus der Schlacht zuruͤck.

Als aber die Luculle, die Verſchwender

Sich bruͤſteten an Tafeln groß zu ſeyn,

Da ward die Herrſcherin der unterworfnen Laͤnder

In reichgewordnen Buͤrgern klein.

Als im Senat die Clodiuſſe ſprachen,

Und redend Gold ſich um das Conſulat

Tief unterm Volk bewarb, und der erwuͤrgten Grachen

Vergoßnes Blut um Rache bat:

Da ward durch ihrer eignen Kinder Wuͤten,

Geſtuͤrzt das ſtolze, hochgeſeßne Rom,

Die Koͤnigin der Welt, vor welcher Voͤlker knieten

Vom Euphrat bis zum Donauſtrom.

Nun donnert ſie den fernentlegnen Thronen

Nicht Schrecken mehr durch ihres Nahmens Klang,

Ihr ſonſt beruͤhmter Strom ſieht Maͤnner um ſich

wohnen,

Gewoͤhnt zu weibiſchem Geſang.

Sie
[17]
Sie ſpricht nicht mehr die Sprache der Lateiner,

Und hoͤrt in ihrer neuen Mundesart

Durch Friedrichs waͤlſches Buch erzaͤhlen, daß

ſie kleiner

Aus einer Frau zur Sclavin ward,

Und fraͤgt erſtaunt, 〟ob Taſſo von den Schatten

Gekommen, oder Pluto der Monarch

Des Orcus, ſich bezwang, die Reiſe zu verſtatten

Dem Lauraſuchenden Perrarch?〟

B
[18]

An
die Najade.



Melpomene, die ſelbſt den Fiſchgeſchlechtern,

Selbſt deinen Schwaͤnen Stimme giebt,

Empfing am Havelſtrom von allen Fuͤrſtentoͤchtern

Die Schoͤnſte, die der Halbgott liebt,

Den Pallas und Dein erſter Schutzheld auferzogen;

Und jezt befiehlt die Muſe mir

Geſang an Dich: Komm! unter jenen Ehrenbogen

Von Myrten ſing ich Dir.

Sie koͤmmt — Sie koͤmmt, o goͤttliche Najade!

Die neue Deidamia!

So kam mit Grazien aus ihrem Silberbade

Die Venus Acidalia;

So braͤutlich ward die Jugendgoͤttinn Hebe

Dem Sohn Alkmenens zugefuͤhrt,

Und ſo liebreizend iſt Apollens Schweſter Phoͤbe,

Wenn ſie die Naͤchte ziert.

[19]
Ihr Auge gleicht dem hellen Morgenſterne,

Der im Azurnen Aether ſchwimmt,

Zum Troſt des Steuermanns, der noch vom Hafen ferne

Die Fahrt durch wilde Wellen nimmt.

In ſuͤßen Blicken ſpricht Sie mit des Prinzen Seele,

Der feurigen Gefuͤhles voll

Dem jungen Helden gleicht, der einſt in Cirons Hoͤhle

Beſchenkt ward vom Apoll.

Er geizet gleich der Thetis tapferm Sohne

Mehr nach dem Herzen Seiner Braut,

Als kuͤnftig nach dem Glanz der diamantnen Krone,

Die Ihm das Schickſal anvertraut,

Wenn Friedrich, den der Erde Koͤnige verehren,

Sein fernefunkelnd Ziel erreicht,

Und, die bekannte Zahl der Goͤtter zu vermehren,

Nach dem Olympus fleucht:

Nachdem Sein Blick von jungen Antoninen,

Und Marc Aurelen, ſeinen Thron

Genug umgeben ſieht, die mit den Juͤnglingsmienen

Und ſtolzen Maͤnnerſtirnen drohn

Den Feinden Deines Ruhms, und Muth zum Siege

fuͤhlen;

Und wenn der Friede, Land und Heer

Mit Ruhe traͤnket, des Achilles Leyer ſpielen,

So [h]ochgeſtimmt als Er!

B 2
[20]

An
den klagenden G*d.



Sprich, welcher Gott ſoll Dich beſchuͤtzen,

Ob Phoͤbus, oder Jupiter?

Du ſchwoͤrſt, Dein Herz wird keine mehr beſitzen,

Und wenn ſie ſchoͤn wie Venus waͤr.

Du fuͤrchteſt nicht den Bogentraͤger,

Dem doch kein Weiſer widerſtand,

Der unterm Loͤwenfell den Hyderſchlaͤger,

Den Sohn Alkmenens, uͤberwand?

Verbirg Dich unter Leichenhuͤgeln,

Und wirf Dich auf den Marmorſtein,

Den unſichtbar zween Genius verſiegeln

Und Elyſaͤer Blumen ſtreun;

[21]
Doch ſchleichet ſich in Deinem Herzen

Empfindung ein, die Du verſchwurſt,

Als Du, betaͤubt von Tyrannei der Schmerzen,

Unbillig mit Dir ſelbſt verfuhrſt.

Du, von des Greiſes Alter ferne,

Folgſt Adelgundens Schatten nicht,

Dich reizen noch zween Augenſterne,

Dich lockt ein bluͤhend Angeſicht.

Dir laͤchelt des Verſtandes Morgen

Aus faltenloſer Stirne zu,

In jedem Blick iſt Amors Pfeil verborgen,

Und jeden Blick empfindeſt Du.

Erzittre G*d! ich weißage

Mehr als Apollo’s Pythia,

Die vor des Gottes Tempel ohne Frage

Des Weltbezwingers Namen ſah,

Auf jugendlicher Stirn geſchrieben,

Und rief: 〟Wer kann dir widerſtehn?〟

Und durch die Thuͤr, die ſonſt verſperrt geblieben,

Ihn zum Altar ließ opfern gehn.

B 3
[22]

Ueber
die Begierden und Wuͤnſche.
An

den jungen Herrn von der H*ſt.


O glaube mir, der Du im Juͤnglingsfuße

Die Fluͤchtigkeit des Rehes haſt,

Du wuͤnſcheſt viel, und biſt doch im Genuſſe,

Was Du erwuͤnſcheſt, ſatt.

Der Garten lockt; Du girreſt gleich der Taube,

Die lange Zeit verlaſſen ward:

〟Freund, laß mich gehn zum Roſenſtock — 〟Erlaube,

〟Mein lieber Eberhard?〟

Er wird beſiegt durch ſuͤße Schmeicheleyen,

Wie von der Juno Jupiter,

Du huͤpfeſt fort, und alſobald erfreuen

Die Blumen Dich nicht mehr.

[23]
Dir ekelt vor dem Honigduft der Roſe,

Wie Jakobs Enkeln vor dem Mann;

Dein Auge blickt gleich einem Graͤbermooſe

Die gruͤne Myrthen an.

Dein Buſen ſchwillt von neuen Wuͤnſchen ſchwanger

Bis an das glatte Kinn herauf,

Der Sommertag iſt dir ein leerer, langer

Beſchwerter Stundenlauf.

Dein Fuͤhrer braucht bey mancher ungeſtuͤmen

Begierde, die Dein Buſen fuͤhlt,

Mehr Kraft, als Neſtor, der die Lenkungsriemen

Der ſcheuen Roſſe hielt,

Da Diomed wie Mars daher gefahren

Vor Ilium, bis ſeinem Drohn

Des Donnergottes Blitze ſchrecklich waren

Und er zuruͤckgeflohn.

B 4
[24]

An
den General-Lieutenant von Seydlitz.
Auf das Erzgebirge zu Freyberg.


Da liegen ſie, verſteckt in Felſenloͤchern,

Die Feindeshaufen, welche Du

Heruntertriebſt, als floͤg’ aus zehentauſend Koͤchern

Der Tod auf ihre Koͤpfe zu.

Das blaſſe Schrecken und der Hunger ſitzen

Auf ihrer Stirne. Jeder flucht

Dem Kriegesgotte nach, der in der Schlacht mit Blitzen

Des großen Auges ſie geſucht.

Du aber laͤchelſt von der Wange wieder

Des Pirrhus Miene; dieſer Blick,

Der ſchrecklich vor Dir her den Reuter ſtuͤrzte nieder,

Kam in Dein Auge nicht zuruͤck.

[25]
Jezt winde von den Schlaͤfen an den Degen

Des wohlverdienten Lorbeers Pracht,

Und eil’ im Myrthenkranz Aſterien entgegen,

Von Liebesgoͤttern Dir gebracht,

Und laß ihr fuͤhlen, welch ein Ueberwinder

Sein Haupt an ihren Buſen neigt,

Und gieb dem Vaterlande maͤnnlich ſchoͤne Kinder,

Als haͤtte Mavors ſie gezeugt

Mit Jupiters dem Schaum entſtiegnem Kinde,

Das auf der Muſchel fuhr daher,

Und Huldigungen nahm vom Wallfiſch, von dem Winde,

Und ihr zu Fuß gefallnem Meer.

B 5
[26]

Jupiter und ſein Adler.
An

den Verfaſſer des Geſanges Ptolomaͤus und
Berenice.



Freund! des Olympus Goͤtter leerten

Juͤngſt ihre Nektarſchaalen nicht,

Sie ließen ſich herab und hoͤrten,

Auf Wolken lauſchend, Dein Gedicht.

Die Wonnelaͤchelnde Cythere

Trat zur Olympia, und ſprach:

Welch Sterblicher ſingt mir zur Ehre

So lieblich dem Apollo nach?

Wie einſt Homer ihm nachgeſungen,

Als er des Donnergottes Trieb

Und neue ſuͤße Schmeichelungen

Und meines Guͤrtels Macht beſchrieb?

[27]
So ſagte Venus, und die große

Verfolgerinn des Herkuls ſchwieg,

Als von des Wolkenlenkers Schooße

Selbſt Ganimed zur Erde ſtieg;

Und ſelbſt der Adler von dem Sitze

Des Gottes ſich erhub, und kuͤhn

Zuruͤckwarf die getragnen Blitze,

Und auf dem Haine vor Berlin

Sein ewig glaͤnzendes Gefieder,

Indem er horchte, niederſank,

Und Jupiter ihm rief: Komm wieder!

Und bringe mir zum Goͤttertrank

Das goldne Trinkgefaͤß, und bringe

Des Dichters Lied darin gelegt,

Daß der Latona Sohn es ſinge,

Wenn er vor uns die Cyther ſchlaͤgt;

Und trag’ in deiner rechten Klaue

Der Berenice Locke, die

Ich dir auf immer anvertraue;

Statt meiner Blitze fuͤhre ſie!

[28]

An
den Apoll,
daß er die Leyer zuruͤcknehmen moͤchte.


[Als ſie zu Berlin wegen Mangel an Quartieren einige
Zeitlang in einer Dachſtube wohnen mußte.]


1763.

Apoll! nimm deine Leyer wieder,

Des Flakkus Toͤne fehlen ihr,

Er ſang im dunklen Walde Lieder

Und vor ihm ſtaunete das Thier.

Die Woͤlfinn ging fuͤr ihre Jungen

Nach Nahrung, und vergaß den Raub,

Und horchte was Horaz geſungen,

Und nagte, gleich der Ziege, Laub.

Der Tiger und der Loͤwe ließen

Ein lange Zeit verfolgtes Reh,

Und hoͤrten den geſungnen, ſuͤßen,

Reizvollen Namen: Lalage.

[29]
Ich aber kann durch dieſe Leyer

Nicht oͤffnen deines Friedrichs Ohr;

Mir ſtellt der Traum oft Ungeheuer

In meiner dunklen Kammer vor.

In ihr ſeufz’ ich oft mitternaͤchtlich

Herauf zum nachbarlichen Mond,

Daß ich dem Poͤbel bin veraͤchtlich,

Der Gold beſitzt und beſſer wohnt.

Mich in dem Winkel unterm Dache

Nennt er ein ſchlechtgebornes Weib;

Und fordert, daß er vornehm lache,

Von mir ein Lied zum Zeitvertreib.

O helfender Apoll! geſchaͤndet

Wirſt du, wenn deine Vaterhand

Mir nicht die goldnen Saiten ſendet,

Die der Sabiner aufgeſpannt,

Wenn mich des dritten Caͤſars Rechte

Nicht uͤber Gluͤck und Poͤbel hebt,

Weit unter dem Bezirk der Naͤchte

Hoch, wie der Tiberſchwan geſchwebt.

[30]

An die Leda.


Von dem Olympus zogeſt du ihn nieder,

O Leda! deinetwegen traͤgt

Der Donnergott ein lilienweiß Gefieder,

Der ſonſt mit Keulen um ſich ſchlaͤgt.

Er theilt die Wolken, ſeine Fluͤgel trennen

Den Aether und den Sonnenſtrahl,

Er kommt, und deines Auges Blicke brennen,

Dein Antlitz bluͤhet wie das Thal.

Dein Buſen ſchwillt, wie kleine Flocken Huͤgel,

Wenn Boreas durch Fluren blaͤſt

Und jeder Bach verwandelt wird zum Spiegel,

Und das geſtorbne Laub verweſt.

[31]
Du laͤchelſt mit der fein geſchnitzten Lippe

Dem Schwane, der den Hals erhebt

Und nach der weißen Alabaſter-Klippe

Wolluͤſtig mit dem Schnabel ſtrebt.

Sein maulbeerfarbnes Auge redet Liebe,

Die ganze Macht der Buhlerei,

Den innern Aufruhr ſchlau verſteckter Triebe

Verraͤth der Schwan durch Schmeichelei.

Er will dich kuͤſſen, ſterbliche Begluͤckte!

Beneidenswerthe Leda! dich

Umfaßt mit beiden Fluͤgeln der entzuͤckte,

Beflammte Gott, und wuͤnſchet ſich

Den ſuͤßen Rauſch der Kuͤſſenden auf Erden,

Und fuͤhlet Amors ſtaͤrkſten Pfeil,

Und trinket mit ſuͤßlachenden Geberden

Des Liebes-Nektars lezten Theil.

[32]

Nach der 14ten Ode aus dem 2ten Buche
des Horaz.


An
den Herrn Grafen
von Stollberg Wernigerode.


Es rinnen dahin die fluͤchtigen Jahre,

Die Froͤmmigkeit ſelber verzoͤgert, o Freund!

Nicht Runzeln des Alters, und ſilberne Haare,

Und jenen noch nimmer gezaͤhmeten Feind.

Gelobteſt du gleich zehntauſend Geſaͤnge

Auf heiliger Harfe; doch wuͤrde dein Spiel

Den Pluto nicht ruͤhren, dem niemals die Menge

Heißrollender Thraͤnen zum Opfer gefiel.

Der ſeinen Bezirk mit Wogen umſchloſſen,

Die jeder beſchiffen muß, welcher die Luft

Getrunken, und Fruͤchte der Erde genoſſen,

Von der ihn das eiſerne Schickſal entruft.

Es
[33]
Es mag ihm ein Land gehorchen und dienen,

Es beten bezwungene Voͤlker ihn an;

Ihm moͤgen auch wenige Furchen nur gruͤnen,

Er ſey gleich ein armer, muͤhſeeliger Mann.

Wir ſcheuen umſonſt in herbſtlichen Tagen

Die ſchaͤdlichen Winde; vergebens entgehn

Wir tobenden Wellen, und ſchrecklichem Schlagen,

Des blutigen Mavors, wo Furien ſtehn.

Wir muͤſſen Welt, Haus und Freunde verlaſſen,

Und bluͤhender Gaͤrten balſamiſchen Duft;

Die falbe Cypreſſe folgt einzig dem blaſſen

Zu kurzen Gebieter in traurige Gruft.

Sein Erbe holt den durch zehnmal zehn Schloͤſſer

Verwahrten Tokayer; dann ſtroͤmet der Saal

Begoſſen vom Weine, den ſelber nicht beſſer

Der Pontifex ſchmauſet bei feſtlichem Mahl.

C
[34]

An
den Phoͤbus Apollo
wegen

des ihr von dem Freyherrn Dohmdechanten
von Spiegel
geſchenkten dreyſeitigen Pettſchafts.



Der du mir dieſes Saytenſpiel beſpannteſt,

Daß es die Seelen ruͤhren ſoll,

Und mir juͤngſt zum Geſchenk ein dreyfach Wappen

ſandteſt,

O guͤtiger Apoll!

Erſchienſt du nicht im Traume deinem Spiegel,

Der dich in meinen Liedern liebt,

Und oftmals meinem mattgewordnen Geiſte Fluͤgel

Durch ſeine Freundſchaft giebt?

[35]
Ja, Phoͤbus! ſeinem Geiſte vorgemahlet

Haſt du die Bilder alſo fein;

Du, deſſen gruͤnumkraͤnzte Locke praͤchtig ſtrahlet

Von Sonnenſchein.

Der Griechinn Kopf, die von Leukadens Klippe

In kalte tiefe Fluthen ſprang,

Und noch mit todtenblaſſer halberſtorbner Lippe

Von Liebe ſang;

Ein Saytenſpiel, von ihr allein erfunden,

Und dir geopfert, daß es ſey

Einſt nach Jahrtauſenden mit Roſen friſch umwunden

Fuͤr mich wie neu;

Den Lorber, den ich ſo wie ſie erſungen,

Der uͤber dieſer Leyer ſchwebt;

Und meines Vaters Namen, wie er ſich geſchlungen

In meinen webt:

Dies alles ſeh ich — o du Gott der Muſen!

Sprich, ob mein Herz nicht ſchwellen ſoll?

So hoch ſchwoll vormals nicht des Sylla ſtolzer Buſen

Von Freude voll,

C 2
[36]
Wenn er ſein blaues Auge lachend wandte

Auf ſeinen großen Siegelring,

Auf deſſen Schnitte man den Koͤnig Bachus kannte,

Der treulos fing

Den Gatten ſeines Kindes, und ihn brachte

Gefeſſelt in des Roͤmers Hand,

Der den Jugurtha, den ein Heer nicht zittern machte,

Jezt uͤberwand,

Und im Triumph zum erſtenmal gefuͤhret

Den Sklaven, der ſonſt Kronen trug,

Auf Purpur ſchlief, und unumſchraͤnkt regieret,

Und Helden ſchlug.

[37]

An
Herrn Profeſſor E.


Bey den Unſterblichen zu ſeyn

Wuͤnſch ich, o Freund! da wollt’ ich nieder

Von dem Olympus ſehn; Du wuͤrdeſt Blumen ſtreun

Dem Ueberreſt der Geiſtverlaßnen Glieder.

Ich ſaͤhe zu, wie auf mein Grab

Dein Finger junge Myrthen pflanzte:

Der Schatten des Achills ſah nicht ſo ſtolz herab,

Als Philipps Sohn bey ſeiner Aſche tanzte

Und gluͤcklich pries der Thetis Sohn:

Daß ihm in ſeinem Heldenleben

Ein wahrer Freund, und da ſein Kriegesgeiſt entflohn,

Ein Herold ſeinen Thaten ward gegeben.

C 3
[38]

Auf
die Geburt
des
jungen Prinzen von Preuſſen
Koͤnigl. Hoheit
.



Meine Seele taumelt, nicht berauſcht vom Weine,

Im bemoosten Faſſe hergebracht vom Rheine,

Oder uͤber’s Meer geſandt;

Ich bin wonnetrunken, mich erfuͤllen deine

Freuden — liebes Vaterland!

Alle Kinder jauchzen, alle Greiſe gluͤhen;

Friedrich Dein Erhalter, wiegt auf ſeinen Knieen

Dieſen Koͤniglichen Sohn,

Den Er dir zum Herrſcher weislich wird erziehen,

Und der Zoͤgling horchet ſchon.

[39]
„Liebling meines Herzens, ſpricht der große Weiſe,

〟Wie der muͤde Wandrer ſchmachtend Trank und

Speiſe,

〟Wie der Steuermann den Rand

〟Tiefer Fluthen wuͤnſchet auf der weiten Reiſe;

〟Alſo wuͤnſchte Dich das Land.

〟Heil mir, daß Du kameſt, Heil ſey Deiner keuſchen

Jugendlichen Mutter, die das Sehnſuchts-

heiſchen

〟Meines Volkes hat geſtillt.

〟Du wirſt meine Hofnung nimmer, nimmer taͤuſchen;

〟Sie wird ganz in Dir erfuͤllt.

〟Fruͤh wirſt Du erkennen, daß man auf der Erde,

〟Durch die Tugend jenem Herrſcher aͤhnlich werde,

〟Deſſen Herrſchaft ewig iſt;

〟Und daß Du dem Hirten bey der kleinſten Heerde

〟Deine Guͤte ſchuldig biſt.

〟Deine hoͤchſte Wolluſt wirſt Du mit Entzuͤcken

〟In der Uebung finden, Menſchen zu begluͤcken,

〟Und dafuͤr geliebt zu ſeyn.

〟Keinem als dem Schmeichler wirſt Du zornig blicken,

〟Und ihm nie Dein Ohr verleihn.„

C 4
[40]
Alſo redet Friedrich, ſeine Thraͤnen feuchten

Dieſe Stirne, welche dermaleinſt wird leuchten

Ueber uns voll Gnad und Huld.

Wohl uns, daß wir unſrer Wuͤnſche Ziel erreichten,

Nach ſo langer Ungeduld.

Die verlebten Maͤnner nebſt den grauen Muͤttern,

Sprechen: „Wohl Euch Enkel! Eure Kinder zittern

〟Nie vor dem Erobrungsgeiſt!

〟Keine Donner werden dieſen Thron erſchuͤttern!

Friedrichs Thron wird nie verwayſt!

〟Toͤchter, ſtreuet Blumen, bringet Opfergaben

〟Um die goldne Wiege; kleine muntre Knaben

〟Macht ein Singechor, und ſprecht:

〟Ach! Du ſollſt zum Opfer unſre Herzen haben,

Kind von goͤttlichem Geſchlecht!

[41]

Der ſichere Fromme.
Aus einer Predigt des Herrn Ober-Conſiſtorialrath
Spalding.



Wer nie der ſonnenhellen Wahrheit widerſtrebt

Und ſtets in unveraͤnderlicher

Rechtſchaffenheit und Tugend lebt,

Derſelbe Menſch lebt ſicher.

Es moͤgen uͤber ihm die Himmel, und umher

Die feuerſchwangern Berge krachen,

Es mag das ausgerißne Meer

Noch eine Suͤndfluth machen;

C 5
[42]
Der Sturmwind tobe, daß der tauſendjaͤhrge Wald

Und ſelbſt die Felſen niederſinken;

Das Erdreich berſte Spalt an Spalt

Zur Rechten und zur Linken;

Der Seuchen fliegend Gift und das gefraͤßge Schwert

Des Krieges, moͤgen ploͤtzlich kommen:

Das Schrecken und die Zagheit faͤhrt

Nicht in die Bruſt des Frommen.

Denn ihn beſchuͤtzet, ſtaͤrket, muntert und erhaͤlt

Gott, der des Chriſten Werke zaͤhlet,

Wenn ihm der Beyfall einer Welt

Bey ſeiner Tugend fehlet.

[[43]]

Gedichte.


[[44]][45]

An
Ihro Majeſtaͤt
die Koͤniginn
am Tage

nach Ihrem glorreichen Einzuge in den Koͤnigl.
Pallaſt.



Ich ſahe Dich, Vortrefflichſte Gekroͤnte,

Und uͤber Deinen Wagen flog

Ein Engel, der die Frau verſoͤhnte,

Die wider Friedrichen das Schwert zu lange zog.

Ich ſahe Dich herauf, in Deine goldne Zimmer

Getragen, und es warf der Abendſonne Glanz

Dir einen purpurfarbnen Schimmer

[46]
Auf den Pallaſt, und als das Volk zu Spiel und Tanz

Mit Jubelrufen lief, und tauſend Reyhen machte;

Da ward in ſeinem nur geborgten kleinen Prachte

Der halbe Mond beſchaͤmt, und blaͤſſer im Geſicht.

Rings um Dich her war alles Licht.

Es zitterten die Fackelflammen

Schoͤn in der Luft, das Volk flog noch einmal zuſammen;

Und uͤber alle Sphaͤren drang

Das jauchzende Geſchrey vom Frieden.

Gott ſelber, der den Streit der Koͤnige entſchieden,

Vernahm den beſten Lobgeſang.

Der Armuth ungezwungnes Weinen,

Ihr freudig O! ihr dankend Ach!

Klang lieblich in ſein Ohr, als wenn auf gruͤnem Dach

Der bunten Erde ſich die Voͤgel fruͤh vereinen,

Und ſingend vor Gewuͤrm und Korn

Ihm danken, daß der Ton von ihren Simphonien

Bis uͤber Wolken dringt, wo tauſend Sonnen gluͤhen.

So klang das Lobgeſchrey dem Gotte, der den Zorn

Der Erdengoͤtter ließ entbrennen,

Zu ſtrafen ſeine Welt, in der die Bosheit ſtieg;

Und zu bezeugen, daß den Sieg

Von ihm allein erwarten koͤnnen

[47]
Die Helden, wenn ihr Herr umringt,

Von aufgeſchwollnen Feindeskraͤften

Auf allen Seiten iſt, und taͤglich in Geſchaͤften

Des Wuͤrgens, mit dem Tode ringt.

Zu matt, o Koͤniginn! iſt alles was der beſte

Nachahmer eines Pindars ſingt;

Bey Friedrichs großem Friedensfeſte;

Wenn mitten aus dem Pomp der Seligen herab

Die Schatten eurer Muͤtter blicken,

Und ſich umarmen und den Himmel mit Entzuͤcken

Mehr fuͤhlen, weil er Friede gab.

[48]

An
die Muſe,

daß ſie
den Abend der großen Illumination ſingen ſolle.



Die du das Feld des Krieges uͤberflogeſt,

Durch Schwefelduft und Kugelregen drangſt,

Zum Sieger, und mit ihm durch Ehrenpforten zogeſt,

Und ſeines Einzugs Jubel ſangſt,

O Muſe! ſinge nun auch kuͤhn den ſtolzen Abend,

Der von des Sturmwinds Fluͤgeln loß,

Den Sternenmantel um ſich habend,

Herabſah, auf Berlin, das ſeinen Koͤnig groß,

Und ſeinen Frieden ewig nannte,

Und, von der Kunſt beflammt, den Sphaͤren aͤhnlich

brannte,

Ganz aͤhnlich jenem Pomp der praͤchtigen Natur.

Haſt
[49]
Haſt du ſie nachgezaͤhlt, die hundert tauſend

Flammen,

Durch deren Glanz der Sieger fuhr?

Sanftlaͤchelnd, wie ſein Gott, wenn, auf der Weizen-

Flur

Von tauſend Schnittern froh zuſammen

Die Stimmen miſchen ſich in ein harmoniſch Lied,

Und jeder Buſen dankbar gluͤht!

Und jeder Blick emporgehoben,

Den Erndtegeber wuͤnſcht zu ſehen und zu loben,

Und ſeiner Guͤte Bild weit ausgebreitet ſieht:

So ausgebreitet, alſo maͤchtig fortgeriſſen,

Drang Freude ſich von Bruſt zu Bruſt;

Es ſtaunte, trunken von des Patrioten Luſt,

Das Auge, wenn den Hercul der beſchuͤtzten Preuſſen,

Des Amphitrions Sohn mißguͤnſtig vor ſich ſah,

Wild, trozend, ſtand das Bild des Stierbekaͤmpfers da,

Und ſchwang, mit Rieſenarm die knotenreiche Keule;

Du glaubteſt, daß der Schlag geſchah,

Und bebteſt vor dem Zungenpfeile

Des ſiebenkoͤpfigen, gekruͤmmten, ſchlangengleich

Geformten Thieres, das ihm drohte,

Und groͤßer wuchs nach jedem Streich;

O! dich erſchreckte ſelbſt die todte

D
[50]
Giftloſe Hyder, an dem Fuß

Des Halbgotts, der ſich tief verbeugen

Vor Friedrichs Goͤttergroͤße muß.

Wenn Malerei und Dichtkunſt ſchweigen;

So redet von dem Vater mehr, als von dem Held,

Sein Landvolk, das ein oͤdes Feld

Nun wieder tief in Furchen ziehet;

Aus Vorrathshaͤuſern Korn empfaͤngt;

Und Huͤtten, die der Feind verſengt,

Aus ihrer Aſche ſteigen ſiehet.

Ihm toͤnet Lob der Mildigkeit

Erhabner, aus der Kinder Munde,

Als Siegsgeſaͤnge, nach dem Streit,

Der jedes Lorbeerblatt erkauft mit einer Wunde

Des Koͤniglichen Herzens hat.

O Muſe! hoͤrſt du nicht das arme Volk der Stadt?

Es jauchzt, und tanzt umher, mit heiterm Angeſichte,

Und feiert uͤber ſeinem Hunger großen Sieg,

Preißt den Geſchmack der Friedensfruͤchte,

Und tilget jeglichen Gedanken an den Krieg

Mit dem Gedanken ſeiner Freude,

Den goͤttlich Sorgenden zu ſehn;

Der ſeine Feinde zwang, die Herzen umzudrehn;

[51]
Und Sieg vergaß, und frug, ob ſchweren Mangel leide

Sein Volk, bey deſſen Zaͤrtlichkeit

Sein großes Herz ſich mehr erfreut,

Als wenn Berlin, dem Ueberwinder, und dem Frieden

Coloſſen aufgebaut, und mit der Lampen Pracht,

Auf weißen Marmorpyramiden,

Dreimal den Mond beſchaͤmt gemacht.

D 2
[52]

Aufforderung an die Muſe,
daß ſie
dem Philoſoph zu Sans-Souci
nachfliehen ſoll
.



Du Saͤngerin, tonvolle Muſe flieh;

Erato, ſchwinge dich jezt leichter jezt geſchwinder!

Sey wie des Helden Blick, und ſieh:

Von Seinem Thron nach Sans-Souci,

Ging Friederich der Ueberwinder;

Nahm mit ſich die Philoſophie,

Und Ihn begleiteten Apollo’s ſchoͤnſte Kinder,

Calliope, Melpomene,

Thalia warfen ihre Kraͤnze

Ihm an die Bruſt; und bey der Spree

Stritt die Najade mit dem Lenze,

Daß Er mit keiner gruͤnen Pracht

Dem groͤßten Koͤnige das Ufer ſchoͤn gemacht.

[53]
Der Fruͤhling wandte ſich, und ließ die Nymphe klagen,

Und laͤchelte dem Helden nach,

Der von dem Streitroß ward getragen,

Das mit Ihm durch die Feldſchlacht brach

Bey Liegnitz und bey Torgau, ſchnaubend

Aus ſeiner Naſe Dampf und Glut,

Und donnernd mit dem Huf, wenn heiße Feindeswut

Nach Friedrichs Lorbeer grif, Ihm in Gedanken
raubend.

Dies edle Roß, von Menſchenblut

Oft roth gefaͤrbt, bis an die Maͤhne,

Trug den Monarchen jezt durch Fluren, wo die Thraͤne

Des Wolkenhimmels, in der Nacht

Den Staub geloͤſchet und mooßweiche Bahn gemacht,

Und Veilchen ſchnell hervorgebracht,

Auf beyden Seiten Ihm zu bluͤhen.

Er kam, und Phoͤbus fuhr in aller ſeiner Pracht

Dicht uͤber Friedrichs Ruh. Jezt ſchuͤttelten
Statuͤen

Ihr ſteinern Haupt, verwundrungsvoll,

Da, wo in goldner Zeit ſein Saitenſpiel erſcholl.

Pompejus neigte den Caͤſaren

Die Stirne zu, vergaß in dieſem Augenblick,

Daß beyde ſeines Ruhms und Hauſes Feinde waren;

D 3
[54]
Und frug: „Wie? Kommt der Held zuruͤck?

〟Verberget euch mit mir, o Roͤmer! alle Celten,

〟Ambronen, Gallier, und was aus beyden Welten

〟Sich jemals wider Rom erkuͤhnt!

〟Bezwungne Parther, Thracier und Scythen,

〟Die grimmig noch zu ſeyn gefeſſelt ſich bemuͤhten;

〟Denn jeglicher Triumph verdient

〟Nicht mehr den Namen; ſeht die groͤßern Lorbeerreiſer

〟Um unſers Ueberwinders Haupt —„

Er ſprachs: da buͤckten ſich Roms hochberuͤhmte Kayſer;

Pompejens Lobſpruch ward geglaubt.

Die Caͤſars ſchwiegen, und die Griechen

Vom Agamemnon an bis zum Leonidas,

Belegten ſeiner nun verſoͤhnten Feindin Haß,

Laconiſch mit ſchuldloſen Fluͤchen,

Weil Sie, durch ihren dritten Krieg,

Den Ruhm des Siegers, der ſchon alles uͤberſtieg,

Bis zur Unſterblichkeit erhoben —

O Muſe! ſangſt du Seinen Sieg,

So kenn auch deine Pflicht, Thereſien zu loben!

[55]

An
den juͤngſtgebornen Prinz
Friedrich Carl Ludwig von Preuſſen

in Seiner Wiege.



Zweyter Sohn der kinderreichen

Friederika, ſey gegruͤßt!

Welchem Helden ſoll ich dich vergleichen,

Welchen jungen Gott umſchließt

Dieſer Adern zart Gewebe,

Dieſe ſammetweiche Haut?

Biſt du nicht der milden Phoͤbe

Schoͤnem Bruder gleich gebaut?

D 4
[56]
Ha! Du blickeſt wie der weiſe

Große Vater Friederich. —

Bey der Tafel liegſt du einſt dem Greiſe

An der Bruſt, und juͤngerlich

Haͤngſt Du an Ihn mit den Augen,

Laͤſſeſt Deinen Nektar ſtehn,

Um die Reden einzuſaugen

Die aus Seinem Munde gehn.

Laͤchle Ihm und beyden Muͤttern

Deiner frohen Aeltern zu:

Laß uns nicht fuͤr Deine Tage zittern.

Denn Geliebter, ehe Du

Dieſen Gliederbau bezogen,

Iſt ſchon mancher junge Fuͤrſt

Von dem Throne fortgeflogen,

Den Du mitbeſchuͤtzen wirſt. —

Theurer Prinz bleib auf der Erde,

Wo Du ſehr willkommen biſt;

Bleib bey Deinem Bruder hier, und werde

Ihm dereinſt, was Heinrich iſt

Seinem Bruder unſerm Koͤnig

Unſerm vaͤterlichen Freund,

Dem ein Seculum zu wenig

Zeit zum Thatenraume ſcheint.

[57]

Sr. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht
dem

Herzog Ferdinand von Braunſchweig-
Wolfenbuͤttel,

im Koͤniglichen Garten zu Schoͤnhauſen
unterthaͤnigſt gewidmet.



Dugroßer Ferdinand, ich brannte Dich zu ſehn

Dort wo die Koͤniginn jezt wohnet

Und mußte mit Geſang erſt zu dem Gotte flehn,

Der durch Geſundheit Deine Tugenden belohnet.

〟Sohn des Apollo, (rief mein aͤngſtlich bittend Lied)

〟O mache mich geſund, verſtatte

〟Daß bald mein Auge den beruͤhmten Guelfen ſieht,

〟Der deines Vaters Schutz in Kriegsgefahren

hatte.

D 5
[58]
Da half mir Aeſculap, des Fiebers Tuͤck und Macht

Entwich vor einem ſeiner Blicke;

So wich vor Deinem Blick in mehr als einer Schlacht

Aus Deinen Kriegern Furcht und Zagemuth

zuruͤcke.

Ich fand mich ſtark genug, und flog dem Garten zu,

Wo Deine Schweſtern Dich genoſſen;

Und ſahe Dich, und ſprach: O Muſe, ſage du,

War dieſe lichte Stirn mit Heldenſchweiß um-

floſſen?

Hat dieſes Augenpaar, worinnen Liebe ſitzt,

Und Freundlichkeit und holde Guͤte

Dem Feinde Schrecken in ſein ſtolzes Herz geblitzt,

So, daß er waffenlos vor ſeinem Sieger kniete?

Die Muſe laͤchelte und ſprach: 〟Iſt nicht Apoll

〟Auch freundlich auf des Tages Wagen,

〟Und ſchrecklich wenn er zuͤrnt, und ſeinen Koͤcher voll

Mit Todespfeilen auf der Schulter pflegt zu

tragen?

[59]

Lied der Clio.


Sr. Durchlaucht
dem
Herzog Ferdinand von Braunſchweig.


Den 12. Jenner 1771.

Als die Mutter zwoer Koͤniginnen

Ihren Ferdinand gebar,

Wußten alle Caſtalinnen,

Daß ein Held geboren war.

Alle wandten gierig ihr Geſichte

Nach der Clio, welche ſchon

Seine kuͤnftige Geſchichte,

Sang in ihrer Laute Ton.

[60]
Schweſtern, ſang ſie, dieſer unterwindet

Sich ſo viel als Mars zu thun,

Seiner Jahre Mittag findet

Ihn im Lorbeerſchatten ruhn.

Euch gewogen, theilt Er Blumenkraͤnze

Euren Kindern aus, und lebt

Dann noch andre funfzig Lenze,

Bis Ihn Vater Zevs erhebt.

Ewig, ewig ſingen Ihm die Muſen

Auf der Inſul Albion;

So beſang der Syracuſen

Loblied den Timoleon.

Ihre Dichter toͤnten in die Leyer:

〟Enkel ſingt mit uns ein Lied,

〟Dem Corinther, dem Befreyer,

〟Der jezt vom Olympus ſieht.

[61]

An
Se. Hochwuͤrden Gnaden
den
Herrn Domdechant
Freyherrn von Spiegel

zur Feyer des 22ſten Februars 1765.


Siehſt Du den alten hochbeſchneyten Brocken

O Freund? ſein Haupt, ſo blendend weiß,

Wie Neſtors dreymal hundertjaͤhrge Locken,

Verhuͤllt ſich jezt in wolkig Eis.

Jezt ſpare nicht der grau gewordnen Eichen

Zerſpaltne Wipfel am Kamin,

Wirf Knoten nach, vom Stamme, der den Streichen

Des ſchaͤrfſten Beils zu trotzen ſchien,

Und fordre Wein, den Hochheims Kelter preßte,

Als Friedrichs Stirn drey Kraͤnze trug,

Und Er den Feind wie trockne Fichtenaͤſte

Bey Keſſelsdorf zu Boden ſchlug.

[62]
Genieß des gegenwaͤrtgen Tages Stunden,

Der kuͤnftge bleibt noch ungewiß.

Haſt Du nicht ſchon des Schickſals Arm empfunden,

Der grimmig Dir am Herzen riß?

Ward nicht Dein Auge zweymal ſchon verſchleyert

Vom Todes Dunkel? ſah nicht juͤngſt

Dein G *, der Dich bey Hundert Bechern feyert,

Den Weg, den Du beynahe gingſt?

Sah nicht Dein Geiſt ſchon jene Lorbeerhaine,

Wo Pindar an Homerens Hand

Vertraulich geht, und Sapho’s Schatten keine

Ganz duͤſtre Trauergrotte fand?

Ein Gott, ein Gott befreyte von dem Grabe

Den deutſchen Tirteus, welcher nur

Sein Leben ſchaͤtzt, als eine neue Gabe

Der allbeſeelenden Natur,

Weil er Dich funfzig Lenze zu genießen

Noch hoffet, und von Dir gefuͤhrt

Durchs Blumenthal den Balſamduft der ſuͤßen

Bethauten Roſe ſtaͤrker ſpuͤrt.

[63]

Das Tuͤrkiſche Bacchusfeſt.


Dem Obriſten von Anhalt
geſungen
.


1763.

Aus allen himmliſchen Bezirken

Verſammleten die Buͤrger juͤngſt

Sich in der Luft zu ſehn, wie Du mit jungen Tuͤrken

Die Bacchanalien begingſt.

Du, der bey rauſchenden Pokaͤlen

So tapfer iſt, und ſo geuͤbt

Als einer Legion den Angriff zu befehlen,

Wenn Mars die Looſung ſchrecklich giebt.

Du, von dem Koͤnig und dem Volke

Zugleich geliebter Anhalt! ſprich,

Ob nicht Lyaͤus ſelbſt in einer Weinduftwolke

Umſchwebte Deinen Tiſch und Dich?

[64]
Ob nicht der ſchoͤne Goͤtterſchenke

In Deinem Achmet ſich verſteckt,

Der Eure Becher voll gegoſſen mit Getraͤnke,

Das koͤſtlich wie der Nektar ſchmeckt.

Die Muthempoͤrende Trompete,

Der laͤrmeriſchen Pauken Schall

Beflammten das Geſicht mit hoher Purpurroͤthe,

Als hoͤrtet ihr Kanonenknall.

Ihr ſpranget auf mit Trinkerhitze,

So ſprang der Thracier, und flog

Voll Feuer in der Stirn bis an des Heeres Spitze,

Das feindlich ihm entgegen zog.

Ihr folgt mit Fackeln durch die Straßen;

Ein junger Hirſch fliegt kaum ſo ſchnell,

Der ſtolz auf ſein Geweyh die Mutter hat verlaſſen

Und ſelber ſuchet Gras und Quell.

Euch folgten alle Turbantrager,

Centauren waret Ihr, und lieft

An alle Thuͤren Sturm; das Maͤdchen ſprang vom Lager

Und bebte, wenn Ihr Huſſay! rieft.

Umarmte
[65]
Umarmte Maͤnner fuhren ploͤtzlich

Von heißgekuͤßten Lippen ab,

Und horchten das Geſchrey, dem Gott des Weins

ergoͤtzlich,

Der maͤchtig Euch Befehle gab.

Im Glanz des Morgenſterns gekleidet

Trat Venus ſchon Auroren vor.

Mit diamantnem Blick, der Nacht und Tag entſcheidet,

Beſahe ſie das Bachuschor,

Und ſagte laͤchelnd zu Lyaͤen:

Vernimm, o Lieber! dies Geſchrey

Von Helden, welche ſonſt der Schlacht entgegen ſtehen,

Und frag: wer jezt ihr Feldherr ſey?

Nicht Mavors, der ſie vormals weckte,

Wenn ihn Bellonens Wagen trug;

Nein, du! dem Cerberus die Fuͤße freundlich leckte,

Du, der die Himmelsſtuͤrmer ſchlug!

Du ſuͤßer, ſuͤßer Gott der Reben!

Begeiſterſt ſelbſt des Roſſes Tritt,

Der nach dem Takte faͤllt, daß Baͤume ſich erheben,

Und alle Pfeiler huͤpfen mit.

E
[66]

An
den Phoͤbus.



Du laͤchelſt, Phoͤbus! dieſe nackten Ruͤmpfe

Der hingeſtreckten Blumenſtengel an,

Willſt du den Weinſtock kuͤſſen, der die Nymphe

Nicht mehr vor dir verſtecken kann?

Soll in bedorrter Zweige Wurzel dringen

Dein warmer Blick, dem Winter zum Verdruß,

Daß tauſendblaͤttrig ſeine Reize bringen

Der Roſenſtock zu Kraͤnzen muß?

Nein, zu gewaltig wirſt du hingeriſſen

Von jener Phillis. Großer Phoͤbus! gluͤh’

Vergebens, ihrer Lippen Pracht zu kuͤſſen:

Der Hirt Alexis kuͤſſet ſie.

[67]

An Venus,
uͤber die ſtolze Phillis
.



Die du den goldnen Apfel hingeriſſen

Zu dir, mit ſchoͤner Augen Macht,

O Venus! du wirſt zuͤrnen muͤſſen;

Mehr als Ein Apfel ward der Phillis dargebracht.

Mehr als Ein Schaͤfer wirſt ſich vor ihr nieder;

Ein reicher Graf umfaßt ihr Knie

Und ſchmeichelt ihr, und bittet wieder

Wie ſonſt um Zaͤrtlichkeit, um Gegenliebe ſie.

An ihrem andern ausgeſtreckten Fuße

Liegt Deutſchlands groͤßte Saͤngerin,

Und ſinget von dem ſanften Kuſſe,

Den ihre Phillis giebt, ein zaͤrtlich Lied dahin.

Indeſſen laͤßt die Stolze durch den Diener

Die ſchwarzen Locken wickeln ſich,

Und wird den Graf zu ſpotten kuͤhner,

Und heißt der Saͤngerin ein hoͤhniſch Lied an dich.

E 2
[68]

An
die Frau Doktorin M.


Frau, der das Leben niemals bitter

Bey irgend einem Zufall iſt:

Die Du die Zaͤrtlichſte der Muͤtter

Und der Gattinnen waͤrmſte biſt;

Und in Entzuͤckung aller Sinnen

Umarmeſt den geliebten Mann,

Und ſprichſt: Ihr Lebensſpinnerinnen,

Fangt ſeinen Faden taͤglich an —

O Freundin! hilf mir deine Freuden

Vertheidigen in einer Welt,

Wo man nicht glaubt, daß zum Beneiden

Dein Gluͤcke Glanz genug enthaͤlt.

Mein Freund, ein Schuͤler von Apollen,

Ein Meiſter in der Homelie, *

Glaubt, daß die Tauben kuͤſſen wollen

Aus Zaͤrtlichkeit und Harmonie.

[69]
Nur warme Buſen aͤltrer Ehen,

Als die der Hochzeitmonath ſieht,

Die ſetzt er in das Reich der Feen

In ein Ovidianiſch Lied.

Und in die nie vorhandnen Staaten

Des Plato, der im hohen Styl

Den Juͤnglingen weis anzurathen

Ein leeres geiſtiges Gefuͤhl.

Sey Richterin, und uͤberfuͤhre

Den Freygeiſt, der die Liebe lobt,

Und dennoch ſtoiſch wieder ihre

Gluͤckſeeligkeit mit Laͤugnen tobt.

Dein Freund, Dein Liebling, Dein Getreuer,

Lad’ ihn auf einen Abendſchmaus;

Dann athme Du der Ehe Feuer

In hundert ſanften Kuͤſſen aus,

Und ſprich: Neun Lenze ſind voruͤber,

Und meine Flamme ward nicht matt,

Und meinem Gatten ward ich lieber,

Seitdem er mich beſeſſen hat.

E 3
[70]

An
den einjaͤhrigen Wilhelm von K.


Du kennſt noch nicht den Regenbogen

Und nicht die Sonnenſtrahlen, Kind!

Dein erſtes Jahr iſt hingeflogen,

Wo Deiner Vaͤter Jahre ſind;

Und niemals ward der ſchoͤne Morgen

Von Dir bemerkt, von Dir gedacht,

Wenn ihn Dein Herz gleich ohne Sorgen

Aus offnen Augen angelacht.

Die große Kraft zu unterſcheiden,

Liegt in der Seele noch verhuͤllt;

Und dennoch wird ſie ſchon mit Freuden

Und auch mit Traurigkeit erfuͤllt.

Ein ſtiller Gram ſchwaͤcht Deine Blicke,

Und zieht von Deines Mundes Rand

Dein ſuͤßes Laͤcheln oft zuruͤcke

Ins Herz, das den Verluſt empfand.

[71]
Dem Juͤnglinge, dem unwillkommen

Der Tod ſein liebes Maͤdchen nahm;

Dem Reichen ward nicht mehr genommen,

Wenn in ſein Haus ein Raͤuber kam,

Als Dir in Deinem erſten Gluͤcke

In jener ſo geliebten Bruſt;

Seitdem erſtarb in Deinem Blicke

Das Feuer und des Lachens Luſt.

O holder angenehmer Knabe!

Noch mancher Kummer wartet Dein

Bis Du geſtuͤtzt an einem Stabe

Dich Deiner Nachwelt wirſt erfreun.

Du lerneſt Welt und Menſchen kennen,

Und ſeufzend wirſt Du laut und ſchwer

Oft Welt und Menſchen ſchrecklich nennen,

Wenn keine Tugend in ihr waͤr;

Und uͤber ihr ein Gott nicht wohnte,

Der ſeine Frommen kennt und liebt,

Und ſtille Tugenden belohnte,

Und nach dem Kummer Freuden giebt.

E 4
[72]

An
den Herrn Kanonikus
Gleim.



Sie eilt, wir muͤſſen ſie haſchen

O Freund, die fliehende Zeit,

Komm zum befruchteten Garten,

Der Herbſt hat Freuden fuͤr uns.

Brich dieſe lockende Aepfel:

Sie laͤcheln unter dem Laub,

Wie Wangen bluͤhender Maͤdchen,

Fuͤr Dich gereifet, hervor.

[73]
Die ſchlanken, neidiſchen Aeſte,

Fuͤr Deine Griffe zu hoch;

Hilf mit dem huͤpfenden Fuße

Der Hand, und pfluͤcke die Frucht.

Du haſt ſie. Lohnender Arbeit

Verrichtung nennen wir Luſt.

Wie viel beſtrebten ſich Haͤnde

Nach Deinem Herzen umſonſt!

Sieh dieſen hoͤckrigten Apfel:

Wie ſeine Bruͤder gebluͤht

Hat er in waͤhrender Bildung,

Und dennoch ward er ein Zwerg.

In ſeinem Fleiſche genaͤhret

Ward der fortfreſſende Wurm:

So waͤchſt mit kommenden Tagen

Im Knaben Bosheit herauf,

Der nicht vom Hauche des Lebens,

Als ein kaum werdender Menſch,

Zu großen ſchoͤnen Gedanken

Beſeelt geworden, wie Du.

E 5
[74]
Sieh der hartſchaͤligen Nuͤſſe

Herunterfallen vom Baum:

Ihn zwingt der ſchlagende Juͤngling,

Sonſt wuͤrf er keine herab.

So ſchließt der Geizige treulich

Ans Herz geſammeltes Gold,

Verſchließt die kargende Rechte

Dem Armen, welcher ihn fleht.

Darbt im Beſitze des Reichthums,

Schmeckt nie den koͤſtlichen Wein,

Und nie den ſuͤßeren Nektar

Der Freundſchaft, die er nicht fuͤhlt.

Laß ihm die magere Wolluſt.

Er ruh auf todtem Metall:

Wir, in der deckenden Laube,

Beneiden Koͤnige nicht.

Genieß mit Augen des Geizes

Das bald hinſterbende Gruͤn

Im Garten unter den Baͤumen.

Schon macht der naͤchtliche Reif

[75]
Die Blaͤtter alle zu Kranken:

So reißt die maͤchtige Zeit,

Und ein durchdringendes Fieber

Den Reiz vom Menſchen dahin.

Spaͤt in dem Sommer des Lebens

Sind wir, ſie fliehen zu ſchnell

Die Stunden, brauche ſie froͤlich,

Uns macht das Alter zu Eis.

[76]

An
einen jungen Freund.



Der Tugend Freund! der Wahrheit Redner, Du —

Lobſt mein Talent, ſchreibſt der Natur es zu.

Sie iſt es werth, und ihr gebuͤhrt die Ehre,

Ihr dank ich Einfall, Ausdruck, Geiſt und Schwung;

Mir gab die Kunſt niemals Bereicherung,

Und nie nahm ich von einem Meiſter Lehre.

Mein Vater, der nicht Geld in Kaſten wog,

Der war nicht groß, und wo man mich erzog,

War keiner, der das Unterweiſen kannte.

Ich ſpielte laͤndlich, baute mir im Sand

Oft einen Thurm, er war der Gegenſtand

Von einer Wuth, mit der ich ihn berannte.

[77]
So kriegeriſch, und doch ein Maͤdchen ſeyn?

Ja! doch ich lud oft Schaͤferinnen ein

Zur friſchen Milch, zu Tanz und Spielen.

Von ungefaͤhr fand ich als Kind ein Blatt,

Von Franken, der ehmals gedichtet hat,

Und las den Vers, und lernte fuͤhlen.

O, die Geſchichte meiner Jugend iſt

Zu ſonderbar; und weil Du guͤtig biſt,

So darf ich Dich zu meinem Freunde waͤhlen:

Dann werd’ ich Dir, Du ſchoͤner Dichter! nur

Empfindungsvoll zur Ehre der Natur,

Wie ſie mich ausgebildet hat, erzaͤhlen.

[78]

An
eine Dichterin,

welche das Klavier ſpielte.



Des Jovis, der Latona Sohn

Hat mir ein Saitenſpiel gegeben;

Du aber kannſt im ſuͤßen Ton

Die Stimme zum Geſang erheben.

Dein Finger huͤpfet wie der Weſt,

Der an dem ſchoͤnſten Tag des Mayen

In jugendliche Blumen blaͤſt,

Die Deines Lieblings Blick erfreuen.

Hoͤr auf, geliebte Zauberin!

Hoͤr auf zu ſingen und zu ſpielen;

Ich brenne, da ich weiblich bin,

Was wird nicht dieſer Juͤngling fuͤhlen,

[79]
Der uͤber Deine Schultern ſieht,

Bald Deinen weißen Hals betrachtet

Bald dieſes Auge, welches gluͤht

Und redet, und im Sprechen ſchmachtet?

Hoͤr auf, o Maͤdchen! jeder Schlag

Dringt tiefer in des Juͤnglings Buſen,

Und das, was Dein Klavier vermag,

Vermag kaum eine von den Muſen.

[80]

Ueber
den Unbeſtand des Ruhms.



Sollt’ ich, vom Stolz verblendet, glauben,

Daß mich einſt loben wird die ſpaͤtgeborne Welt?

Sprich, Freundin! ob Dir noch das Muſter an den

Hauben

Der Aeltermuͤtter wohlgefaͤllt?

Im Putz und Hausrath herrſcht die Mode,

Sie herrſcht nicht minder in dem Reich der Wiſſenſchaft;

Der Kenner lobte vormals Guͤnthers Heldenode,

Und jezt nennt er ſie poͤbelhaft.

Beruͤhmt war Neukirch, und bewundert

Ward Broks, der Laub und Gras, Inſekt und Blumen

ſang:

Und Beider Anſehn fiel, eh noch ein ganz Jahrhundert

Vollfuͤhrt den fluͤgelſchnellen Gang.

Die
[81]
Die Zieglerin, im Lorbeerkranze

Schoͤn abgebildet, war beruͤhmt, als kaum an mir

Das Auge ward gebaut; und jetzo ſpricht die ganze

Gelehrte Welt nicht mehr von ihr.

Nur Pindar und Horatz, und jener

Unnachahmbare Mann, der Trojens Untergang

Beſchrieben, und auch der, den von dem Gottverſoͤhner

Ein Engel lehrte den Geſang;

Kleiſt, Ramler, Hagedorn und Haller,

Gleim, Gellert, Weiße, Utz, Duſch, Bodmer, Pope,

Young:

Die trotzen dem Geſchmack der ſtrengſten Kunſt, und

aller

Verfeinerten Veraͤnderung.

Ich aber bin vielleicht vergeſſen,

Wenn unſrer Enkelinnen Kopfputz dem Geſicht,

Den Schlaͤfen und der Stirn iſt beſſer angemeſſen,

Und der Karkaſſe widerſpricht.

Ob ich ein laͤngres Lob erſtrebet,

Das iſt mein Kummer nicht; die Freundſchaft ſey mein

Stolz,

Sie weinet, wenn ich gnug geſungen und gelebet,

Noch Ruhm auf meines Sarges Holz.

F
[82]

Warnung
an den jungen Herrn von H*ſt.
1764
.
Als derſelbe der Mahlerey den Vorzug vor der Dichtkunſt
ertheilte.


Der Du den Pinſel des Apelles

Viel eher wuͤnſcheſt als den Trank des Muſenquelles

Und Pindars Saitenſpiel;

Sey doch ein Muſenfreund, und hoͤre,

Dem feineren Geſchmack zur Ehre,

Die Lieder mit Gefuͤhl.

Du biſts — Getreulich unterwieſen

Von Deinem Mentor *, kennſt Du ſchon des Parnaß

Rieſen

Und lachſt der Zwerge ſchon;

Und ſprichſt von jeglichem Gedichte

Mit viel bedeutendem Geſichte

Im richterlichen Ton.

[83]
Ich lobe Dich, Du Freund der Lieder,

Doch bleib auf Deiner Hut, und ſuͤndige nicht wider

Den richtigen Geſchmack,

Sonſt wird Dein Eberhard ergrimmen

Und Gottſcheds Werke Dir beſtimmen

Auf einen ganzen Tag.

F 2
[84]

Das Lob des Eſſens.



Das Lob des Rebenſaftes ward

Von keinem Dichter je vergeſſen,

Doch keiner ſang mit gleicher Art

Das Lob vom guten Eſſen.

O, wenn wir von dem Hunger ſtark

Getrieben ſind zum vollen Tiſche,

Erregt alsdann des Rindes Mark,

Der Bruſtkern, und die Fiſche,

Das Feldhuhn, oder von dem Reh

Der wohlgebratne zarte Ruͤcken,

Und ſelbſt der Hummer aus der See,

Dem Gaumen kein Entzuͤcken?

[85]
Wie? waͤre nicht aus Calekut

Der Hahn, und eines Hammels Lende

So liederwerth, als Traubenblut,

Das ich vortrefflich faͤnde?

Sprich, Quintus! wenn Du muͤd und matt

Ins Lager kamſt von Kriegesthaten,

Wie reizte Dich das Schulterblatt

Des Ebers friſch gebraten!

Mit welcher Wolluſt des Geſchmacks

Verzehrteſt Du, ſtatt der Melonen

Und Pfirſichen, den trocknen Lachs

Betraͤufelt von Citronen!

Und wenn Dir noch anjezt Cothen

Nichts darf verbieten, nichts befehlen,

Siehſt Du mit Luſt die Schuͤſſeln ſtehn

Und lobſt ſie vor Pokaͤlen.

F 3
[86]

Ueber
die Begierde des Saͤuglings.



Ob Weizen reift zu Semmel oder Kuchen,

Daruͤber ſorgt der Saͤugling nicht,

Der einen Buſen weiß zu ſuchen,

Und lallend mit der Amme ſpricht.

Er bittet nicht um Regen oder helle

Vom Lerchenchor durchſungne Luft,

Wenn ſelbſt die halbverſiegte Quelle

Zum Jupiter um Naͤſſe ruft.

Er kennet keine Guͤter, des Beſtrebens,

Des Wunſches ſeiner Seele werth,

Ihm iſt das ganze Gluͤck des Lebens

Die volle Bruſt, die ihn ernaͤhrt.

[87]
Nach ihr verlangt er heißer als die Schaaren

Der Roͤmer bey dem Marc Anton

Nach Waſſer, als ſie ſchmachtend waren,

Und kaͤmpfend vor den Parther flohn.

An dieſe Bruſt faͤllt er mit groͤßerm Geize

Als ein verliebter Juͤnglingsmund

An Lippen, die durch ihre Reize

Sein junges Herze machten wund.

Und wenn er nun dies erſte Gluͤck verlieret

Und ſeinen erſten Kummer weint,

Wird ſeine Mutter tief geruͤhret,

Mit ihm zur Traurigkeit vereint.

Es duͤnkt ihr hart, den Saͤugling ſo zu quaͤlen,

Und doch iſts ein nothwendig Muß:

So weislich laͤßt der Himmel fehlen

Uns Groͤßern oft den Ueberfluß.

Er thaͤt es nie, wenn nicht Sein Auge wuͤßte,

Was jedem Menſchen nuͤtzlich ſey,

Er nimmt die Nahrung unſrer Luͤſte

Und legt uns etwas Beßres bey.

F 4
[88]

Ermahnung
an einen jungen Freund
.



Juͤngling, blaß ſind Deine Wangen,

Leichenblaß,

Ach, Du biſt voll Tugendhaß

Oft der Wolluſt nachgegangen.

Kehre wieder, kehre wieder,

Wirf in Dir

Das ernaͤhrte wilde Thier

Der verdorbnen Neigung nieder.

Maͤßigkeit und reine Sitten

Fuͤhren ſchon

In ſich ſelber ihren Lohn,

Wenn Du keinen Arzt darfſt bitten.

[89]
Eine fromm genoßne Jugend,

Froͤhlichkeit

Die dem Tritte Roſen ſtreut,

Mit Bewilligung der Tugend:

Ein Gewiſſen ohne Wunden,

Und ein Blick,

Ohne Schaam und Reu zuruͤck,

Auf des Lebens Mittagsſtunden;

O das iſt ein Gluͤck auf Erden,

Und wird hier,

Wenn Du Greishaar traͤgeſt, Dir

Schon zum Freudenhimmel werden!

F 5
[90]

An Phillis.


Eine Einladung zu den Ruinen bey Potsdam.


1765.

Durch deines Lagers Ueberhang

Iſt nicht des Tages Blick gedrungen,

O Phillis! als mich zum Geſang

Mein klopfend Herz ſchon aufgezwungen.

Ich nahm die Leyer, dachte dich,

Und frug, ob meine Muſe wuͤßte,

Daß Phillis lieblich traͤumend ſich

Mit mir und ihrem Schaͤfer kuͤßte?

Komm, meine Freundin! kuͤſſe mich,

Und laß mich deine Rechte fuͤhren

Zum Huͤgel, den ſo ſchauerlich

Die Zeichen der Vernichtung zieren.

[91]
Ein halb zerſtoͤhrter Tempel ragt

Hervor, als haͤtte man vor Zeiten

Hier den Apoll um Rath gefragt

Beim Waffengriff, zu Krieg und Streiten.

Uns duͤnkt, als ob die Pythia

Noch in den dunklen Thaͤlern ſaͤße,

Und murmelte was jezt geſchah,

Und das Zukuͤnftige vergaͤße.

Komm, meine Phillis! wenn der Tag

So heiter bleibt, und fuͤhle Trauer,

Wie damals, da Dein Daphnis lag

Vor Dir im lezten Todesſchauer.

Nein, nicht ſo grauſam fuͤhle ſie,

Dich muͤſſe zaͤrtlich nur durchdringen

Bei Birken die Melancholie,

Und dich zu ſanften Thraͤnen zwingen.

[92]

An
den Freyherrn von A. aus Coͤthen
uͤber
die Winterluſtbarkeiten
in Berlin
.


Du, deſſen Auge nichts verraͤth

Vom Stolze, den ſo manche Bruſt bewirthet,

Durch Ordensbaͤnder aufgeblaͤht,

Womit ſie ward umguͤrtet.

O A*! Dein Herz verſchließt

Sich nimmer, wenn die Freuden Dich umgeben,

Der Weiſe braucht ſie, und verſuͤßt

Sich gern dadurch das Leben.

Dich reizt Dein Landgut, wenn im May

Die Voͤgel aus den ſchattigen Gebuͤſchen

Mit eines Schaͤfers Feldſchalmei

Ihr tonreich Lied vermiſchen.

[93]
Und Deine Rinderheerde ſatt

Im Blumenthal beim Bache lieblich bruͤllet:

Jezt aber reizt Dich Friedrichs Stadt

Mit Spiel und Tanz erfuͤllet.

Jezt ladet Dich der Singe-Saal

Des Helden ein, der uͤber andre glaͤnzet,

Wie Phoͤbus, wenn der goldne Strahl

Sein lokkigt Haupt bekraͤnzet

Die Sterne ringsumher beſchaͤmt;

Hier herrſchen hohe koͤnigliche Freuden,

Und ſelbſt der Buͤrger, der ſich graͤmt,

Verſtaunt hier ſeine Leiden;

Vergißt den Mangel, der ihn druͤckt,

Und ſtuͤrzt ſich mit der zahlenloſen Menge

Ans Schauſpielhaus, und wird erquickt

Vom Wohlklang der Geſaͤnge.

Auch Du betaͤubeſt jezt in Dir

Des Laͤndereibeſitzers kleinſte Sorgen,

Bald aber lokket Dich von hier

Des Hornungs erſter Morgen,

[94]
An welchem ſich die Lerche ſchon

Hoch uͤber Deine Saatenfelder ſchwinget,

Da ſagt Dir ihrer Hymnen Ton

Mehr als der Saͤnger ſinget,

Dem Menſchenkunſt die Noten ſchrieb,

Und Koͤnige zu ihrer Luſt gedungen;

Der ungeruͤhrt bei Trillern blieb,

Die jedes Ohr durchdrungen:

Und einer Orgelpfeife gleicht

Die ſchmeichleriſch den Hoͤrer uͤberwindet,

Und bis zu Thraͤnen ihn erweicht

Und ſelber nichts empfindet.

[95]

Lied
an Se. Fuͤrſtl. Durchl.
den
jungen Prinzen von Anhalt,
Enkel

des regierenden Herrn Grafen von Wernigerode
zum
Erſten Jahrstage
.



Prinz, der von Seiner Mondenzahl

Den erſten Umlauf hat vollendet,

Und ſich in Seiner Lieblingswahl

Zu ſchoͤnen Kleinigkeiten wendet,

O zarte Frucht von hohem Stamm,

Jezt ſpielſt Du noch mit goldnen Pferden

Und nimmſt Dein kunſtgemachtes Lamm,

Und willſt ein Schaͤfer werden.

[96]
Bald aber, wenn Du groͤßer wirſt,

Bey vorgekeimeten Verſtande,

Begreift Dein Geiſt, daß Du der Fuͤrſt,

Der Erbe biſt von einem Lande,

Worinnen Milch und Honig fleußt:

Dann werden Schmeichler Dich umgeben,

Die Deinen witzbegabten Geiſt

Bis an die Stern erheben.

Dann ſey auf Deiner Hut, o Kind,

Bey dem Geſange der Sirenen,

Die lieblich und betaͤubend ſind,

Und oftmals in den Fuͤrſtenſoͤhnen

Die beſten Seelen ſchlimm gemacht;

Sie gleichen jener bunten Schlangen,

Die liſtig und mit Redepracht

Das erſte Weib gefangen.

Laß nicht in Deiner jungen Bruſt

Den Trieb zur ſtolzen Herrſchſucht ſteigen!

Sey ſanft, und finde Deine Luſt,

Wenn Du Dich fuͤrſtlich kannſt bezeigen,

Großmuͤthig, zaͤrtlich, voll Gefuͤhl

Des Mitleids und der Menſchenliebe,

So daß Dein Herz im Kinderſpiel

Schon fromme Pflichten uͤbe.

Jedoch
[97]
Jedoch warum ermahnt mein Lied

Dich, der zu Tugenden geſchaffen,

Das groͤßte Beyſpiel vor ſich ſieht:

Dein Vater, welcher einſt in Waffen,

Und jetzt im Frieden als ein Chriſt

Des Himmels Augen wohlgefallen,

Lehrt Dich, ſo bald Du denkend biſt,

Auf ebnem Pfade wallen.

G
[98]

An
den kleinen von K.

uͤber
die Landkarte von Perſien, Griechenland
und
ganz Aſien.


Mein Wilhelm! Strecke nicht die zarte

Die kaum gebaute Kinderhand

Nach dieſer kunſtbezognen Karte,

Du kenneſt weder See noch Land.

Wenn ſieben Sommer ſind entwichen

Und Dein Verſtand begreifen kann,

Da ſtaunſt Du bey den feinen Strichen

Des Alexanders Feldzug an.

[99]
Dir zeiget Deiner Mutter Finger

Viel Koͤnigreiche, die der Gang

Und Anblick von dem Staͤdtezwinger

Schnell unter ſeine Fuͤße zwang.

Du ſiehſt den Helleſpont und hoͤreſt

Von Xerxes ſtolzen Uebermuth,

Du ſiehſt Thermopylaͤ und ehreſt

Der Griechen edle Heldenwuth.

Das Vaterland der alten Dichter,

Die ſchon Jahrtauſende geglaͤnzt

Wie um den Mond die Sternenlichter,

Von der Unſterblichkeit gekraͤnzt.

Athen und Lesbos ſiehſt Du Knabe,

Und Theben und Lacedaͤmon,

Und fragſt nach des Homerus Grabe,

Und fragſt: Wo ſchlaͤft Anacreon?

Wo Sophoeles? Achill? und jener

Beruͤhmte Pindar? und Socrat,

Der Philoſoph, der als ein ſchoͤner

Erhabner Geiſt im Tode that?

G 2
[100]
Wo ſchlummern Helden? wo die Weiſen,

Von welchen die Geſchichte ſagt,

Nach welchen auf entfernten Reiſen

Des Juͤnglings Neubegierde fragt?

O beſte Mutter! alle dieſe

Beruͤhmte Maͤnner ſind dahin,

Wie Herbſtgras von gemaͤhter Wieſe;

Nichts ſchont des Schickſals Eigenſinn.

Nichts blieb zuruͤck als ihre Tugend

Und ihres großen Geiſtes Ruhm —

Geliebte! Treib Du meine Jugend

Stets in der Weisheit Heiligthum!

[101]

An
Ihro Koͤnigl. Hoheit
die

Mutter des Preußiſchen Thronfolgers.



Die Du gleich einem andern Menſchenkinde

Des Tages Schoͤnheit nicht gekannt,

Als man zuerſt die goldne Fuͤrſtenbinde

Um Deine Stirne wand;

Du wurdeſt von zwe’n Himmliſchen bewundert,

Die Deinen erſten Schlaf bewacht.

Sie ſprachen von dem kuͤnftigen Jahrhundert,

Und von der Krone Pracht,

Die Deines Sohnes Schlaͤfe wuͤrde ſchmuͤcken,

Und wenn er ſaͤß auf ſeinem Thron,

Dann ſegneten die Voͤlker mit Entzuͤcken

Die Mutter und den Sohn.

G 3
[102]
Prinzeßin, alſo ſprachen mit einander

Zwe’n Engel, welche ſich vergnuͤgt,

Daß nicht in Dir ein zweyter Alexander,

Ein Pyrrhus ward gewiegt;

Daß nicht in Dir tief eingewickelt laͤge

Ein Prinz, der einſt voll Kriegeswut

Durch Feld und Wald bezeichnete die Wege

Mit der Erſchlagnen Blut.

Sie ſahen alle Zuͤge, die gezwungen

Dein Freund, Dein Koͤnig, muſte thun,

Und Schlachten, die den Feinden mißgelungen,

Eh Friedrich konnte ruhn;

Und Deinen Sohn bekleidet mit dem Panzer,

Den Heldendegen in der Hand,

Und voller Glut, als waͤr in Ihm Sein ganzer

Sonſt ſanfter Geiſt entbrannt.

O Fuͤrſtin! Die Beſchuͤtzer Deiner Wiege

Begleiteten Ihn durch Gefahr,

Als Er bey Friedrichs leztem großen Siege

An den Sudeten war.

[103]
Sie brachten dieſen Stolz des Vaterlandes

An Deine Bruſt, und laͤcheln einſt,

Wenn wegen eines ſchoͤn verſchraͤnkten Bandes

Du Deine Freude weinſt;

Wenn Er mit Deinen Tugenden gezieret

Die reizendſte Prinzeßinn ſieht,

Und wenn Er Sie bey Seiner Hand gefuͤhret

An Deinen Buſen zieht,

Und Ihren Geiſt und Ihres Herzens Schoͤne

Mehr als der Wange Bluͤhten liebt,

Und Seinen ewigſichern Staaten Soͤhne,

Nachfolger Friedrichs, giebt.

G 4
[104]

An
die Koͤniginn.



OKoͤniginn! an allen Enden

Der Erde wirſt Du nun die Groͤßeſte genannt,

So weit ſich Phoͤbus kann auf goldnem Wagen wenden,

So weit iſt Friedrich auch bekannt.

Der Wilde ſchnitzt Sein Bild aus Holze,

Vom Cocosbaum, und nennet ihn den erſten Sohn

Des Jupiters; und zeigt mit einem edlen Stolze,

Den Altar ſeiner Nation.

Da tanzen Hand in Hand geſchlungen

Mit Muſchelſchaalen und mit Perlen ausgeſchmuͤckt

Um ihren neuen Gott die Greiſe mit den Jungen;

Sind bis zur Raſerey entzuͤckt;

[105]
Und werfen ihre Blumenguͤrte

Nach ihm, und ſingen: 〟daß er Loͤw und Hyder ſchlug,

〟Und daß im Kriege ſelbſt ſein gluͤcklich Volk die Myrthe

〟Beym Gaſtmahl um die Schlaͤfe trug.〟

So feyren ihn durch ihre Taͤnze

Die Inſeln und der Strand des weiten Oceans;

Der Indianer bringt die Beute vieler Lenze,

Zum Opferdufte dieſes Pans,

Und ruft ihn an, eh er den Bogen

Und volle Koͤcher nimmt: 〟verleihe mir den Sieg!

〟O du, vor welchem ſtets das Schrecken hergezogen,

〟Dein Gluͤck zieh mit mir in den Krieg.〟

So betet, mit der Stirn zur Erde,

Der wilde Canibal von Friedrichs Ruhme voll,

Und wuͤnſcht ſich Fluͤgel, wuͤnſcht ſich Titans Purpur-

Pferde,

Den Mars zu ſehn, und den Apoll,

Von welchen aller Voͤlker Zungen

Geſchichterzaͤhler ſind; der Goͤtterlieder hoͤrt

In allen Sprachen; und von Dichtern wird beſungen,

Bis einſt der Weltbau wird zerſtoͤrt.

G 5
[106]
Auch Dich mit Glanz Umgebne! werden

Virgile ſingen, bis die Felſen nicht mehr ſtehn,

Und keine wollenreiche weiße Laͤmmerheerden

In blumenvollen Thaͤlern gehn.

Du biſt, um Deines Herzens wegen,

Geſangeswuͤrdiger, als Berenice war,

Die fuͤr den Ptolomaͤus erbat den Waffenſegen,

Und angelobt ihr lockig Haar

Dem Gott des Kriegs, und als der ferne

Siegreiche Koͤnig kam, den Hauptſchmuck dargebracht,

Der zum Olymp entruͤckt zu einem neuen Sterne,

Ihr zur Belohnung ward gemacht.

[107]

An
die Melpomene

wegen des
Prinzen Heinrichs des juͤngern
Koͤniglichen Hoheit
.


[Verſtorbenen Bruder Seiner Majeſtaͤt des Koͤnigs.]


Den 30ſten December 1763.

Juͤngſt bat ich von dem Schoͤpfer aller Toͤne,

Von dem Apoll, das Saitenſpiel

Des Sophocles, und rief, o Melpomene!

Dich an mit tragiſchem Gefuͤhl.

Dich lud ich ein zum klagenden Geſange,

Denn Preußens großer Genius

Gab mit verhuͤllter thraͤnenvoller Wange

Dem kranken Heinrich ſeinen Kuß.

[108]
Und ſtuͤrmte des Olymp-Beherrſchers Ohren,

Wenn er fuͤr dieſen Prinzen bat,

Der ſchoͤn iſt, wie das Antlitz von Auroren,

So ſchoͤn war nicht Aleibiad;

Den Soerates platoniſch feurig liebte,

Und kuͤſſend ihn zur Weisheit riß;

So ſchoͤn war nicht Pompejus der Verliebte,

Den in die Lippe Flora biß.

O Muſe! deine Schweſtern ſenkten alle

Mit aufgebundnem Haar und Kranz

Sich uͤber ihn, und riefen: Wenn er falle;

Dann ſchwiegen Saitenſpiel und Tanz.

Dann wuͤrde wie bey Kriegesdonnerwetter

Der Saal verſchloſſen, wo die Nacht

Den Koͤnig ſieht, der Siegeslorbeerblaͤtter

Verſteckt in friſcher Myrthen Pracht.

Und bey der Symphonien ſuͤßem Tone

Die Groͤße ſeines Ruhms vergißt,

Und froher, als auf rund umknieten Throne

In ſeiner Freunde Zirkel iſt.

[109]
Und jezt Empfindung laͤchelt in die Scene,

Wenn hoch des Saͤngers Buſen bebt;

Und lieblich ſpricht zur preußiſchen Alcmene:

Daß ihr Alcides wieder lebt.

Daß Aesculap und die Natur verbunden,

Ihn riſſen aus des Charons Kahn,

Und ſeinen Blick die Parce ſelbſt empfunden,

Die an dem goldnen Faden ſpann.

[110]

An
den regierenden Reichsgrafen
von

Stollberg-Wernigerode
uͤber
die Freude, Seinen einzigen Enkel gluͤcklich vermaͤhlt
zu ſehen.



Du, den ich lange ſchon verehrte

Im Sohne, der Dir aͤhnlich ſieht,

Und hundertmal mein Lied mit Wohlgefallen hoͤrte,

Vernimm jezt auch mein Lied.

Graf, der in aufgeklaͤrten Mienen

Dem Patriarchen gleichend iſt,

Vor deſſen Angeſicht der Herr Dein Gott erſchienen,

Dem Du gewidmet biſt.

[111]
Du liebenswuͤrdiger Gebieter

Des Volkes, das Dich 〟Vater〟 gruͤßt,

O Du begluͤckter Greis, der dieſes Lebens Guͤter

Im hohen Grad genießt.

Was muß Dein Herz fuͤr Freude ſchmecken!

So froh war vormals Abraham,

Als ſeiner Sarah Sohn vertraulich mit Rebeccen

In ihre Huͤtte kam.

So froh war Jacob einſt in Goſen,

Wenn Joſeph kam, und neben ihn,

Die Asnath ſein Gemahl, den Alten liebzukoſen,

Der ganz entzuͤcket ſchien.

Dein juͤngſter lieber Stammerhalter,

Dein Enkel Chriſtian, der Graf,

Der tauſend Juͤnglinge von einem gleichen Alter,

An Weisheit uͤbertraf;

Bringt ſeine ſchoͤne Neuvermaͤhlte,

Mit allen Reizungen geziert,

Und mit mehr Tugenden, als ſie ſchon Jahre zaͤhlte,

An Seinen Arm gefuͤhrt.

[112]
Jezt ſchlaͤgt Dein Herzenspuls geſchwinder,

Jezt laͤchelſt Du Sie liebreich an,

Und ſprichſt: 〟kommt naͤher, kommt in meinen Arm,

Ihr Kinder,

〟Daß ich Euch ſeegnen kann.

〟Komm her, Du Dritte meiner Toͤchter,

〟Du, wie des Fruͤhlingsblume, ſchoͤn,

〟Wachs in viel Tauſende, bis Thronen und Ge-

ſchlechter

〟Auf Erden untergehn.

„Und Du, mein Sohn, der Du den Namen

〟Des Gottes Deiner Vaͤter ehrſt:

〟Der Herr behuͤte Dich, damit Du Deinem Saamen

〟Einſt ſeine Wege lehrſt.“

Be[y]
[113]

Bey
dem Eheverbuͤndniß

meines juͤngſten Bruders
Ernſt Daniel Hempel.



Du traueſt, mein geliebter Bruder,

Dem Herrſcher, der die Fluren traͤnkt

Aus ſeinem Himmel, und das große Steuerruder

Von aller Menſchen Schickſal lenkt.

Du denkſt in feierlicher Stunde

Zuruͤck an Deiner Jugend Pfad;

Die Dornen machten Dir ſchon eine tiefe Wunde,

Als kaum Dein Fuß die Welt betrat.

H
[114]
Als ſich Dein Arm um meinen Nacken

Noch kindiſch wand, als Du den Sarg

Des Vaters nicht gekannt, wo ihre naſſe Backen

Die Mutter unterm Flor verbarg.

Du wuchſeſt mancher Noth entgegen,

Zu fruͤh verwaiſet warſt Du ſo

Zur Sklaverei beſtimmt, wie Iſrael zu Schlaͤgen

Im Frohndienſt eines Pharao.

Dich armen laſtbeladnen Knaben

Zog oftmahls die Melancholie

Zum Gottesacker, wo Dein Vater ward begraben,

Da ſeufzteſt Du: 〟ich kannt’ ihn nie.〟

Da ſankſt Du traurig auf den Huͤgel,

Der Deiner Mutter Staub bedeckt,

Bis ein Poſaunenſchall des Grabes Thor und Riegel

Zerſprenget, und die Todten weckt.

Du weinteſt laut auf jenem Sande,

Der unſern Herzen heilig heißt,

Nahmſt einen Stab und giengſt in unbekannte Lande

Muͤhſelig, wie ein Wandrer reiſt.

[115]
Der Mutter ſterbendes Gebete,

Ihr lezter Seufzer ging mit Dir

Durch Labyrinthe fort, durch Waͤlder, Meer und Staͤdte,

Ihr Engel brachte Dich zu mir,

Zu einer Schweſter, die den Finger

Des hoͤchſten Weltregierers kennt,

Und ſeine Fuͤhrung preiſt, und taͤglich ſich geringer

Als tauſend andre Menſchen nennt.

O Bruder, truͤge meine Toͤne

Der Nachhall bis zur Sternenwelt,

Wuͤrd’ unſrer Mutter jezt das Bildniß ihrer Soͤhne

Mit Blumenkraͤnzen vorgeſtellt,

Und dieſes Beiſpiel einer aͤchten

Getreuen Liebe, Deine Braut:

Dann fuͤhlte ſie noch mehr die Wonne des Gerechten,

Der Gottes Angeſichte ſchaut.

Ich hoͤre Fluͤgel ſich bewegen,

Mein Bruder, horche doch, es bringt

Vielleicht ein Engel von dem Himmel einen Seegen,

Den unſre Mutter jezt erringt.

H 2
[116]
Dein Herze fuͤhlet ſtaͤrkre Schlaͤge

Von Hoffnung und von Zuverſicht,

Und Du befiehlſt getroſt dem Herren Deine Wege.

Und ſorgeſt fuͤr die Zukunft nicht.

Und ſiehſt auf ihn, der alle Neſter

Verlaßner Raben unterhaͤlt,

Und Deine tief in Staub herabgeworfne Schweſter

Zum Wunder machte vor der Welt.

[117]

Troſtgeſang fuͤr Neu-Ruppin
bey den Ruinen



Blick auf! blick auf von deinem Aſchenhuͤgel,

Hinauf zum Herrn, den keiner fragen darf,

Warum er ſchnell durch ſeines Sturmwinds Fluͤgel

In deinen Kranz den Feuerwirbel warf?

Im vollen Schmuck ſah dich der Mittag ſchimmern,

Und traurig ſah die Abendſonne ſich

Noch einmal um, du lagſt bei deinen Truͤmmern

Verhuͤllt in Dampf, und weinteſt bitterlich.

H 3
[118]
Gott hoͤrt die Brut verlaßner Waldesneſter,

Er hoͤrt nach Brod auch deine Kinder ſchreyn;

Er haucht in deine koͤnigliche Schweſter,

In ſein Berlin, den Geiſt des Mitleids ein.

Blick auf! und ſchau dahin nach jener Seite,

Da kam der Sturm, gewaltig wie das Meer,

Und ſtuͤrzte dich zum Staub herab, und heute

Koͤmmt wie vom Himmel Troſt fuͤr dich daher.

Da kommen Wagen dir ſo vollgehaͤufet *),

Wie Wagen, die das Erndtevolk regiert,

Wenns Weizen, den die Sonnenglut gereiſet,

Mit Lobgeſang ins frohe Doͤrfchen fuͤhrt.

Die Maͤnner und die Frauen frommer Sitte

Die theilten ihren Kleiderſchrank mit dir,

Vom Pallaſt an bis zu der kleinſten Huͤtte

Herrſcht Thaͤtigkeit fuͤr deine Huͤlfbegier,

[119]
Kaum kann der Mai mehr auszuſchuͤtteln haben,

Wenn ihn die Zeit ſein Fuͤllhorn ſchwingen laͤßt;

Kaum giebt der Herbſt uns mehr Erquickungsgaben,

Als dir Berlin zum ſuͤßen Labefeſt.

Im Umfang ihrer Mauern wohnet keiner,

Der nicht fuͤr dich zum Wohlthun ward geruͤhrt;

Die Nation gedenkt auch thaͤtig deiner,

Die maͤchtig aus Egypten ward gefuͤhrt *). —

Nimm was da koͤmmt, und eile Dank zu ſagen

(Im Tempel, den die Flamme nicht beruͤhrt)

Der Vaterhand, die dich ſo hart geſchlagen,

Und dir zum Heil die Herzen jezt regiert.

Sie hats der Flamme, hats dem Sturm geboten:

Bis hieher und nicht weiter ſollt ihr gehn,

Sie heißt im Glanz, wie auferweckte Todten,

Die Haͤuſer und die Tempel neu entſtehn.


H 4
[120]
Du wirſt es ſehn, wirſt nicht die Hand verkennen,

Wenn hoͤher dich dein Koͤnig hebt empor;

Dann werden dich die Schweſtern ſchoͤner nennen,

Und ſeliger dich preiſen wie zuvor.

Sie ſeufzen alle mit in deine Klagen,

Und ſtellen einen edlen Wettlauf an,

Dir wie auf [Windesfluͤgeln] zuzutragen

Troſt, der dich wieder freudig machen kann.

[121]

An die Sonne
bei
dem Leichenbegaͤngniſſe Friedrichs des Groͤßten



Geliebte Fuͤrſtin der Natur,

O Sonne! huͤlle dich in Schleyerwoͤlkchen nur,

Und nicht in eine ſchwere finſtre Wolke,

Du ſchoͤne Himmelsmajeſtaͤt!

Bleib freundlich dieſem Trauervolke.

Sieh, dieſer Zug, der langſam geht,

Der Koͤnigliche Leichenwagen,

Bedeutet mehr, als je dein Blick geſehn,

Wenn Weltbeherrſcher fortgetragen

In Gruͤfte wurden, wo kein Klagen,

H 5
[122]
Kein Opferbringen, und kein Flehn

Den Hingetragnen weckt, wo duͤſter die Verweſung

Auf ewig kaltem Throne ſitzt,

Wenn Jahr an Jahr zur Neugeneſung

Dein milder Fruͤhlingsſtrahl erhitzt

Die winterkrank geweſne Erde,

Daß Baum und Pflanze wieder bluͤhn,

Und Berg und Thal bekleidet werde

Mit wiederfriſchem Jugendgruͤn:

Nur Gras und Blumen kannſt du wecken

Und Wurm und Schwalben, die ihr Haupt,

Ihr leblos Haupt, im Sumpf verſtecken;

Mehr iſt dir nicht erlaubt —

Die Koͤnige, die dir geglichen

An Groͤße, Mildigkeit und Macht,

Und ſo wie Laub und Gras verblichen,

Die werden nicht hervorgebracht

Aus ihren Graͤbern, wenn die Schwalbe

Durch deine Wuͤrkung wieder lebt,

Und baͤte dich darum die halbe

Verwayßte Welt, die mit begraͤbt

Ihr bluͤhend Gluͤck, und Stolz, und Wonne,

Du biſt ohnmaͤchtig ihrem Ruf —

Du ſiehſt nicht mehr als Morgenſonne

[123]
Den Fruͤherwachten, der ſchon in Gedanken ſchuf,

Was Millionen Menſchen nuͤtzte,

Wenn deinem Glanz die Lerch entgegen ſang —

Du ſiehſt nicht mehr den Helden, der uns ſchuͤtzte,

Der mit viel Feinden fuͤr uns rang.

Du wirſt in Seiner Hand nicht mehr Sein Schwerdt

verguͤlden,

Er gab es Seinem Folgefuͤrſt,

Den du dereinſt in Schlachtgefilden

Zu Heldenkampf auch wecken wirſt,

Wenn gegen uns ein Feind ſich huͤbe

Vom Waffenlager fuͤrchterlich —

Ihn wird auch Landesvaterliebe

Nicht ruhen laſſen, wenn du dich

Schon zeigſt im roſenfarbnen Schleyer:

Dieß iſt Sein Vorſatz koͤniglich —

Er weint, Sein Vorbild war ſo groß, ſo lieb, ſo

theuer,

Und ach, du ſelber truͤbeſt ja

Dein Antlitz bei der Leichenfeyer,

Weils Seine Thraͤnen fließen ſah —

Zeuch Waſſer aus der Spree und aus der Hafelwelle,

Und aus der Oſtſee, wenn du willſt;

Noch weilt Er auf der Grabesſchwelle,

[124]
Und ſegnet Friedrichs Schlummerſtelle,

Indeß du dich in Trauer huͤllſt;

Noch toͤnt bei heiligen Gebeinen

Der Todtenſang zu dir empor —

Laß eher nicht den Himmel weinen,

Bis Saytenſpiel und Saͤngerchor

Genug geklagt, bis Alles ſchweiget

Und Alles aus dem Tempel wich,

Und nur ein ſtilles Ach noch ſteiget

Weit uͤber dich —

[125]

Lob
der ſchwarzen Kirſchen
.



Des Weinſtocks Saftgewaͤchſe ward

Von tauſend Dichtern laut erhoben;

Warum will denn nach Saͤngerart

Kein Menſch die Kirſche loben?

O die karfunkelfarbne Frucht

In reifer Schoͤnheit ward vor dieſen

Unfehlbar von der Frau verſucht,

Die Milton hat geprieſen.

Kein Apfel reizet ſo den Gaum

Und loͤſchet ſo des Durſtes Flammen;

Er mag gleich vom Chineſer-Baum

In aͤchter Abkunft ſtammen.

Der ausgekochte Kirſchenſaft

Giebt aller Sommerſuppen beſte,

Verleiht der Leber neue Kraft

Und kuͤhlt der Adern Aeſte;

[126]
Und wem das ſchreckliche Verboth

Des Arztes jeden Wein geraubet,

Der miſch ihn mit der Kirſche roth

Dann iſt er ihm erlaubet;

Und waͤre ſeine Lunge wund,

Und ſeine ganze Bruſt durchgraben:

So darf ſich doch ſein matter Mund

Mit dieſem Tranke laben.

Wenn ich den goldnen Rheinſtrandwein

Und ſilbernen Champagner meide,

Dann Freunde miſcht mir Kirſchblut drein

Zur Aug- und Zungenweide:

Dann werd’ ich eben ſo verfuͤhrt,

Als Eva, die den Baum betrachtet,

So ſchoͤn gewachſen und geziert,

Und nach der Frucht geſchmachtet.

Ich trink und rufe dreymal hoch!

Ihr Dichter ſingt im Ernſt und Scherze

Zu oft die Roſe, ſinget doch

Einmal der Kirſchen Schwaͤrze!

[127]

Als ſie
des Sonntags zu einer Luſireiſe nach Charlotten-
burg eingeladen wurde, und ſie ſich entſchuldigte,
weil ſie den Herrn Rath Spalding predigen
hoͤren muͤßte.



Gern fuͤhr’ ich auf der ſtillen Spree

In einem ſchoͤn beladnen Kahne,

Wo mit dem ſchlanken Arm Dein Neubau’r ruderte,

Vorbei an einem ſtolzen Schwane.

O Wilke! gerne waͤr ich da,

Wo laͤndlich wird geſchmauſet werden.

Der Baumentkleidende, reifreiche Herbſt kommt nah,

Dann bloͤken uns nicht mehr die Heerden.

Die Lerche ſchwingt ſich nicht empor,

Und in dem Garten, in dem Hayne

Iſt nichts Ergoͤtzendes fuͤr unſer Aug und Ohr

Bei mattgewordnem Sonnenſcheine.

[128]
Jezt iſt es billig, daß wir noch

Die lezten Sommertage geizend

Erhaſchen zum Gebrauch, dies weiß ich; aber doch

Mir ſind noch andre Scenen reizend.

Die Tempel Gottes oͤffnen ſich

Dem Edlen und dem Volke morgen;

Ein Spalding auf der Rednerbuͤhne lehret mich

Fuͤr mein unſterblich Theil zu ſorgen.

Den will ich hoͤren. Durſtig ſoll

Mein Geiſt in ſich die Worte ſchlingen,

Und einer Biene gleich, von Suͤßigkeiten voll,

Will ich mein Herz zuruͤcke bringen.

An
[129]

An Gott
bei
dem Ausruf des Friedens.



Was hoͤr ich? rauſchen goldne Fluͤgel?

Poſaunet in zertheilter Luft

Ein Seraph, welcher uͤber alle Grabeshuͤgel

Daher faͤhrt, und die Todten ruft?

Was reiſſet mich empor? ich fuͤhle

Den nahen Himmel; bin ich ſchon

Hoch uͤber der Gebuͤrge Gipfel, uͤber Stuͤhle

Der Zepterfuͤhrer weggeflohn?

Hoͤr ich, Du Gott der Erdengoͤtter

Dich loben durch den ganzen Raum

Der neuen Schoͤpfung, ſelbſt von Deines Glanzes

Spoͤtter,

Der Deine Wunder nannte Traum?

J
[130]
Erblick ich Myriaden Sterne

Um Deines Sonnesthrones Fuß?

Hellleuchtend, daß davor ich zitternd in der Ferne

Mein Angeſicht bedecken muß?

Horch ich erſtaunt dem hohen Liede,

Der Saͤnger Deines Namens zu?

Gott, welch ein Saytenſpiel! es toͤnet Friede!

Friede!

Und Kronengeber, den giebſt Du!!

Du laͤſſeſt Deinem Volke wieder

Die Ruhe ſchmecken, rufeſt laut

Uns aus dem Schmerzensſchlaf zum Jubel neuer Lieder

Bei den Altaͤren, Dir gebaut.

Wir lagen, gleich den Blumenſtengeln,

Wenn ſie der Nordoſt niederbeugt;

Du hebſt uns auf, und hoͤrſt dein Lob von allen Engeln,

Wenn unſre ſtumme Freude ſchweigt.

[131]

Geſang auf eine Hochzeit,
welchen
die Dichterin in der toͤdtlichen Schwaͤche ihrer
letzten Krankheit
zu Frankfurth an der Oder gedichtet.



Suͤß iſt die Liebe der Ehen,

Geheiliget wird ihre Glut,

Und nimmer kann ſie vergehen

In Herzen bieder und gut.

Von dieſer Liebe durchdrungen,

Preiswuͤrdige Schweſter! biſt Du,

Und W*ffen, der Dich errungen:

Euch jubeln wir Froͤhlichkeit zu.

Wer kann die Froͤhlichkeit ſchildern,

Die unſere Seelen durchdringt?

Kein Dichter mit reizenden Bildern,

So hoch, ſo herrlich er ſingt.

J 2
[132]
Wir ſehn, wir wiſſen auf immer

Dich gluͤcklich an traulicher Hand,

Die Jahre verſchwaͤchen Euch nimmer

Der Liebe roſiges Band.

Du unſre Herzensverwandte,

Vermaͤhlte Schweſter, Du machſt

Uns oft zu Onkel und Tante,

Wir bitten, daß Du nicht lachſt.

Viel weniger daß Du daruͤber

Das Stirnchen in Falten willſt ziehn;

Denn was iſt ſchoͤner und lieber

Als Fruͤchte der Ehe ſehn bluͤhn.

Du haͤngeſt das Koͤpfchen herunter?

Nun richt es nur wieder empor!

Sey lieblich laͤchelnd, ſey munter,

Dein Braͤutigam laͤchelt Dir vor.

Wir fuͤhlens mit ſtillem Entzuͤcken,

Daß Er verbruͤdert uns iſt;

Wir danken mit Worten und Blicken

Dir, wenn uns Sein Brudermund kuͤßt.

[133]
Er zeig’ uns die Brudergeſinnung,

Wie Dir die Liebe, unwandelbar veſt,

Bis Euch des Alters Beginnung

Nur mit Urenkelchen taͤndeln noch laͤßt.

Dann ruhet Euch unter der Laube,

Und ſehet die Spiele der Kindelein an,

Und labet mit ſaftiger Traube

Den Gaumen, der trocken zu werden begann.

Jezt ſeyd Ihr ſo ſaftig wie Trauben,

Jezt ſind Euch die Lippen ſo Pfirſichen weich;

Dem zaͤrtlichſten Paͤrchen der Tauben

Seyd Ihr an zarten Empfindungen gleich *).

J 3
[134]

Gebet eines Kindes.


Aller Menſchen Vater! hoͤre,

Merk auf mich dein lallend Kind,

Gieb mir deinen Geiſt, und lehre

Mich, was deine Wege ſind.

Dich zu fuͤrchten, dich zu ſcheuen,

Dich zu lieben und in dir

Mich der ſchoͤnen Welt zu freuen,

Schoͤpfer, dies verleihe mir!

Meinen Eltern Ehre geben,

Ihrem Wink gehorſam ſeyn,

Dir und ihnen dankbar leben,

Ohne Tadel, fromm und rein;

[135]
Vater, dieß ſind meine Pflichten;

Ach, ich wachſe wie ein Baum,

Der gepflanzet ward zu Fruͤchten

In des Gartens beſten Raum.

Laß mich gute Fruͤchte tragen,

Herr, du pruͤfeſt Herz und Sinn,

Ob ich in der Zukunft Tagen

Tugendhaft und gluͤcklich bin.

Sollt ich nicht — o dann erhoͤre

Mein verdoppelt kindlich Flehn,

Und laß mich zu deiner Ehre

Unſchuldsvoll dein Antlitz ſeyn.

Nimm mich fruͤh von dieſer Erde,

Daß mir nicht dein Auge feind,

Wegen meiner Suͤnden werde,

Wenn mein guter Engel weint.

J 4
[136]

Lobgeſang
nach toͤdtlichem Schmerz unter meinen Kindern

geſungen
am 6ten December 1789.


Lobet den Schoͤpfer, der Himmel und Erde gegruͤndet,

Der uns wohlthaͤtig die Fackel des Tages entzuͤndet,

Der fuͤr die Nacht flimmernde Sterne gemacht,

Lieblich den Monden geruͤndet.

Lobet den Helfer, den maͤchtigen Retter aus Noͤthen,

Feurige Pfeile des Todes, die wollten mich toͤdten;

Aber ich blieb, habe die Roſen ſchon lieb,

Die ſich mir kuͤnftig noch roͤthen.

Danket dem großen allguͤtigen Vater mein Leben,

Daß ich nun wieder dies Auge kann freudig erheben;

Feyert ein Feſt, daß er im Hauſe mich laͤßt,

Mir durch den Koͤnig gegeben.

[137]
Preiſet den Herrſcher, der Stroͤme mit Ufern um-

ſchraͤnket,

Der auch wie Baͤche die Herzen der Koͤnige lenket;

Preiſet ihn laut, daß er mir Gaben vertraut,

Daß er mir Freunde geſchenket.

Meine Gefuͤhle des Dankes die ſollen ihm gluͤhen,

Bis mir die lobende Seele vom Munde wird fliehen

Ueber den Mond, wo ſie Gefilde bewohnt

Ewig geſchaffen zum Bluͤhen.

J 5
[138]

Danklied
am
drey und ſechzigſten Geburtstage
nach langwieriger Krankheit
.


Mein Schoͤpfer, mein Erhalter,

Du kannteſt, eh’ du Menſchen ſchufſt,

Mich und mein ſinkend Alter,

Hilfſt meiner Schwachheit auf und rufſt

Allmaͤchtig mich vom Grabe,

Als ob ich wieder neu

Mit deiner Lebensgabe

Ans Licht geboren ſey.

[139]
Du giebſt zum Ewigheile

Zum Ewigwohlſeyn giebſt du mir

Noch laͤngre Lebensweile,

Daß meine Seele ſich zu dir

Erheben ſoll hiernieden

Wo ſie am Staube hing,

Und ganz von dir geſchieden

Verworrne Wege ging.

Sie grub zum Freudetrinken

Sich ſelber Bruͤnnlein ſuͤß und lieb,

Zur Rechten und zur Linken,

Vergaß dich Urquell, trank und blieb

Stets durſtig, und erkennet

Mit ungeloͤſchter Gier,

Daß ſie nur ſehnt und brennet,

Du Lebensborn nach dir.

Sie kehrt voll Schaam und Reue

Vom langen Irrſaal um, und dankt

Dir deine Vatertreue,

Die nimmer muͤdet, nimmer wankt;

Dich preißt ſie, der dem Suͤnder

Zeit umzukehren giebt,

Und, weil er irrt, nicht minder

Ihn in der Irre liebt.

[140]
Du liebteſt meine Seele,

Eh’ du der Erde Grund gelegt;

Du giebſt ſie nicht der Hoͤhle,

Worein man ihre Huͤlle traͤgt;

Der Odem deines Mundes

Belebte dies Gebein,

Kraft meines Hoffnunggrundes

Koͤmmt wieder Leben drein.

Aus meiner Aſche faͤhret

Ein Koͤrper, leicht wie reine Luft,

Zu dir empor gekehret,

Wenn deine Stimme Todten ruft.

Mich kleideſt du mit Schimmer,

Ich ſelber werd es ſeyn,

Ich will Dich ſehn und immer

Mich deiner Liebe frenn!

[141]

Loblied
bei

dem fuͤnf und ſechzigſten Jahresſchluß.


Wenn ich mit Lob und Dank mein Auge ruͤckwaͤrts hin

Bis auf den erſten Schritt des Erdenwandels lenke,

Dann ſtaun’ ich, daß ich bin,

Daß ich noch weiter fort zu wandeln hoff und denke.

Der Truͤbſal ward mir viel gewogen von dem Herrn,

Und ſeine Weisheit wirft noch Kummer in die Wage,

Und dennoch zaͤhl’ ich gern

Bei grau gewordnem Haupt des muͤden Alters Tage.

[142]
Denn Freundſchaftsſuͤßigkeit legt ſeine Vaterhuld

Mit jedem Tage mir vollwichtig in die Schaale,

Und giebt mir viel Geduld,

Und ſo wird mir die Welt zu keinem Diſtelthale.

Ein jeder Seelengruß von fernher oder nah,

Iſt eine Roſe mir, die Laufbahn zu verſchoͤnern,

Bis ich, Halleluja!

Dort oben ſing im Chor mit Gottes Jubeltoͤnern.

[[143]]

Epiſteln
und
Erzaͤhlungen
.


[[144]][145]

An
die Prinzeſſinn Heinrich.



Durchlauchtigſte Prinzeſſinn
Gnaͤdigſte Frau!

Ich befinde mich außer den Umſchanzungen Magde-
burgs, an dem Tage, der die Pallaͤſte erleuchtet von
dem Glanz der Feierlichkeit, wovon Ew. Koͤnigl.
Hoheit die Urſache ſind; aber meine Erinnerung iſt
nichts deſto weniger lebhaft. An dieſe Feſtlichkeit
gedenk ich und wuͤnſche mir, in derſelben die Prin-
K
[146] zeſſinn zu ſehen, die im leicht flatternden Morgen-
gewand alle Reizungen einer Bezauberung hat; ich
beneide meinen Freund, aus deſſen Hauſe ich mir das
Gluͤck gebe, Ewr. Koͤnigl. Hoheit zu ſchreiben. Er
macht mir Beſchreibungen von dem Stolz, den er zu
bekaͤmpfen hatte, nach der Gnade, die ihm ein Zufall
gab: Sie kamen, gnaͤdigſte Prinzeſſinn! durch Hal-
berſtadt, und die veralterten Gemaͤuer zitterten Ihnen
Ehrfurcht entgegen.


Gruͤn wie der Fruͤhling war Dein Kleid;

Weiß, wie der Schnee zur Winterzeit,

Die Stirne, die voll Lieblichkeit

Herab zu allem Volke redte.

Die Grazien ſahn neidiſch nach,

Der Dichtergott Apollo ſprach:

Wer ſich in Dich verkleidet haͤtte.

Diana, ſprach er, ſtieg herab,

Und weil der Wald ihr keine Freuden

Fuͤr ihre Goͤtterſeele gab,

Gefiel es ihr ſich menſchlich einzukleiden;

Prinzeſſinn! alſo ſprach Apoll

Zu ſeinem Sohn den Kriegesdichter:

Indem erblickteſt Du hoch auf dem Dohm zween

Lichter,

[147]
Und forſchteſt nach, warum? Der Dichter ſprach:

es ſoll

Vor Alters ſich verirrt ein frommer Biſchof

haben,

Der ordnete alsdann vor kuͤnftige Gefahr

Die Lichter an, die nun fuͤnf hundert volle Jahr

Dem Wandrer in der Nacht getreu bezeichnet

haben

Die rechte Straße nach der Stadt.

Du laͤchelteſt und ſprachſt:

〟Der gute Biſchof hat

〟Das beſte Werk gethan, weil vor fuͤnf

hundert Jahren

〟Die Menſchen, wie die Zeit, ſo ganz ver-

finſtert waren.〟

Weich feiner Witz ſprach dazumal

Im Engelton aus Deinem Munde.

Und ſtolzer als mein Freund bin ich auf eine

Stunde,

In der mich Deiner Reime Wahl *)

K 2
[148]
Aufmunterte an Deiner Seite.

So gluͤcklich war die Griechinn nicht,

Die Sapho hieß, ſie ſang vor keinem Angeſicht,

Das Deiner Hoheit Strahlen um ſich ſtreute.

Ja in Wahrheit, gnaͤdigſte Prinzeſſinn, ich em-
pfinde einen Anſatz zum Stolz, ich ſetze dieſe gluͤckliche
Stunde Gleim entgegen, wenn er mir ſagt, wie er
Sie einſt im Nahmen des Herrn Dohm-Dechants
empfing, und eben jezt ruf ich ihm zu, daß er nicht
mit mehr Ehrfurcht Ewr. Koͤnigl. Hoheit ergeben iſt,
als Sapho.


[149]

An
Se. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht
den
Herzog Ferdinand von Braunſchweig-
Luͤneburg.



Wenn Dir, empfindungsvoller Held!

Ein dankbar Herz in meinem Liede

Mehr als die hohe Kunſt gefaͤllt,

O dann wird mir Dein Ohr nicht muͤde,

Dann iſt es meinem Saitenſpiel erlaubt,

Ohn’ Unterlaß Dir vorzutoͤnen,

Und niemals ſchuͤttelſt Du Dein lorbeerreiches Haupt,

K 3
[150]
Ob Du gleich von den Muſenſoͤhnen

In Pindars Ton beſungen biſt,

Und ich im Ton des kleinen Vogels ſinge,

Der, wenn der Tag erwacht, ſchon in den Luͤften iſt,

Damit er dem ein Opfer bringe,

Durch deſſen Einfluß die Natur

Der Menſchen und der Lerchen Speiſe

Hervorbringt auf der Weizenflur.

O Dir gefaͤllt auch dieſer leiſe

Stets wiederholte Lobgeſang,

Du hoͤrſt ihn oftmals Tagelang

Im Erndtemond, wenn Dich die Rebenlaube decket

In Deinem Garten, wo der ſelbſtgepflanzte Kohl

Vor Deinen Augen waͤchſt und Dir ſo koͤſtlich ſchmecket,

Als jenem Roͤmer, den in’s hohe Capitol

Der Siegeswagen trug, die Ruͤbe ſchmecken mochte,

Die er zur Friedenszeit ſich ſelbſt am Heerde kochte.

Mein Geiſt belauſchet Dich, erhabner Ferdinand!

Er ſiehet Dich Dein laͤndlich Haus bewohnen,

Da fuͤtterſt Du mit eigner Hand

Die Huͤhner die Dir durch ihr freundlich Kirren lohnen,

Und Ceres ſieht Dir laͤchelnd zu.

Kein Augur, der zu Rom die heilgen Huͤhner ſpeiſte,

Gefiel der Goͤttin ſo wie Du,

Denn keiner war von ſolchem Geiſte,

[151]
So tapfer und zugleich ſo ſanft und angenehm.

Und koͤnnt’ ich ſelber ſo bequem

Als wie mein Geiſt die Luft durchwandern,

Dann kaͤm ich oft Dir zuzuſehn.

Herr, Deine Maͤßigung fehlt vielen Alexandern,

Die Thaten, welche ſchon von Ihnen ſind geſchehn,

Nicht achten, und hoͤchſt unzufrieden leben,

Weil ſie der Welt von ſich nichts mehr zu reden geben.

K 4
[152]

An
Ebendeſſelben

Hochfuͤrſtl. Durchl.



Durchlauchter Fels, der ehemals den Wogen

Des Krieges maͤchtig widerſtand,

Warum iſt Dir nicht juͤngſt die Muſe zugeflogen,

Als ſie den bittern Schimpf empfand,

Den Koͤnig Friedrichs Kammerknechte

Ihr hoͤhniſch lachend angethan.

Ich ſchrieb an Ihn und ſprach: daß Er bedenken moͤchte,

Wie zehnmal ſchon auf ſeiner Bahn

Sich Phoͤbus umgewandt, ſeitdem mir Friedrich ſagte

Er wollte mein Verſorger ſeyn.

[153]
Ich hatte Recht, daß ich Ihn zu erinnern wagte,

Er aber ſchaͤtzt die Deutſchen klein.

Man ſiegelte auf Sein Befehlen

Zwo ganze Friedrichsthaler ein,

Und wollt’ es oͤffentlich erzaͤhlen,

Indem man auf den Umſchlag ſchrieb:

„Zwey Thaler zum genaͤdigen Geſchenke

〟Fuͤr Deutſchlands Dichterin.“ Dies that man, wie

ich denke,

Aus eignem ſchadenfreuden Trieb.

Ich faßte kurzen Schluß; ich laͤchelte catoniſch

Auf dies Geſchenk herab, und ſchrieb

Mit kaltem Blute ganz laconiſch,

Weil mir nichts weiter uͤbrig blieb:

〟Zwei Thaler giebt kein großer Koͤnig;

〟Ein ſolch Geſchenk vergroͤßert nicht mein Gluͤck,

〟Nein, es erniedrigt mich ein wenig,

〟Drum geb ich es zuruͤck.

A. L. K.

So ſprach ich, und ſo mußt’ ich ſprechen,

Und ſiegelte die Thaler ein,

Und ſandte ſie zuruͤck, und will ſich Friedrich raͤchen,

So mag Er Dir an Großmuth aͤhnlich ſeyn

Und mir ein Jahrgeſchenke geben.

Er ſuͤndigte bei Seinem Leben

K 5
[154]
An Seiner eignen Ehre durch die That,

Und ich betrug mich, wie ich ſollte,

Fuͤr mich war gar kein andrer Rath.

Denn wenn ich dies Geſchenk behalten wollte,

Mit ſolcher niedern Art geſandt,

Alsdann verdient’ ich kuͤnftig nimmer

Die Ehre, daß der große Ferdinand

Sich meiner kuͤhnen Sangart immer

Mit guͤnſtiglichem Auge neigt.

Ich folgte einem meiner Freunde,

Der ehrlich denkt und ehrlich ſich bezeigt,

Und ſchrieb dem Koͤnige, der tauſend neue Feinde

Mit tauſend neuen Doͤrfern ſich erſtrebt.

Der Freund hat’s gut gemeint, indem Er mich belebt,

Den Koͤnig an Sein Wort zu denken

Nach zehn verflogner Jahre Friſt,

Und ich bin ohne Philoſophengruͤnde

So ruhig wie ein Weiſer iſt.

Rings um mich her blick ich und finde

Viel Tauſend mir an Gluͤck nicht gleich,

Und auch nicht gleich an Ruhm und Wuͤrde.

Hab ich nicht eine Goldesbuͤrde,

So bin ich doch an Briefen reich,

Die mir mein goͤttlichgroßer Goͤnner,

Held Ferdinand von Herzen zugeſchickt,

[155]
Und ſtolzer bin ich drauf, als Weiber auf die Maͤnner,

Die ſie mit Steinchen ausgeſchmuͤckt

Und ihnen Titeldunſt gegeben —

Ich bruͤſte mich mit ganz erhabnem Geiſt,

So oft der Held, fuͤr den noch jezt die Franzen beben,

Mich 〟Seine liebe Karſchin〟 heißt.

[156]

An
den Herrn von M*p*n
in Braunſchweig
.


[Welcher ſich oͤffentlich fuͤr den Ritter ihrer Muſe erklaͤrt hatte.]


1791.

Verhelen kann ich Dir’s, o Ritter, nun nicht laͤnger,

Du ſtammſt in grader Linie

Von einem edlen Minneſaͤnger.

Dem thats im tapfern Herzen weh,

Wenn irgend ſich ein Ritter fand zum Tadel

Der Dame Seiner Huldigung —

Ich lobe Deinen Seelenadel

Und Deinen Geiſteswaffenſchwung,

Womit Du den haſt uͤberſtritten,

Der mit dahergeſchwatztem Ton

Den Angriff that auf Weiber-Witz und Sitten;

Es war ja nur ein Alltagshohn,

Ein hundertmal ſchon abgenutzt Geſpoͤtte,

Das Deinen ſtarken Widerſtand

Zur Haͤlfte kaum verdienet haͤtte.

Der Mann, den Du mit einer Hand

[157]
Gar leicht zu Falle konnteſt bringen,

Iſt ein armſeelig Ritterlein.

Der andre, welchen Dir die Muſe half bezwingen,

Von der ich ruͤhme, ſie ſey mein,

Iſt aller Ehren werth. Gruͤß Ihn von meinetwegen,

Und wenn Du nicht die ganze Welt

Nach Deinem Wunſch mir kannſt zu Fuͤßen legen,

So bleibt es Dir doch freigeſtellt,

Vom Sitz des Herzogs und des Helden

Zu reiſen in die Koͤnigliche Stadt,

Und bei der Dame Dich zu melden,

Die Dich ſo ganz bezaubert hat

Mit einem Reiz, der nie veraltet.

Im uͤbrigen hat die Natur

Sie zum Bezaubern nicht geſtaltet,

Befrag die Freundinn Campe nur,

Sie wird Dir Red und Antwort geben.

Sie ſpricht: das Aug’ iſt dunkelblau und klar,

Iſt ziemlich noch voll Geiſt und Leben.

Gefallen wuͤrd’ es, wenn das Haar

Der Augenwimpern laͤnger waͤr gezogen,

Auch fehlt dem Augenbram ein feingewoͤlbter Bogen.

Die Stirn iſt groß, die Schlaͤfe tief gedruͤckt,

Der Mund iſt viel zu platt geſchnitten,

Ob ihn gleich noch die Roͤthe ſchmuͤckt,

[158]
Die von den Jahren nichts gelitten,

Von acht und ſechzig Jahren nichts —

Das iſt beſonders, wirſt Du ſagen;

Doch nach der Bildung des Geſichts

Scheinſt Du, Herr Ritter, nicht zu fragen.

Du liebſt die Seele, die nicht ſtirbt,

Wenn ſich in der begrabnen Huͤlle

Ein Mottenſchwarm um Unterhalt bewirbt,

Wenn eine kalte Schlummerſtille

Den Kopf bedeckt, der ehedem

Gedanken ohne Zahl geboren,

Und nun den Geiſt, der ſie gedacht, verloren.

Du liebſt den Geiſt, das iſt mir angenehm,

Mehr als ein ſchwuͤlſtig Lobgedichte,

Dieß glaube veſt, und eile bald

Mit einem deutlichen Berichte,

Ob Du die drohende Gewalt

Des Ritter Zimmermans verhoͤhnteſt?

Und Deinen Helm, und Deinen Schild

Mit friſcherworbnem Lorbeer kroͤnteſt.

Dafuͤr verheiß ich Dir mein Bild

Als einen Dank, noch eh die Traube

Sich in der Kelter preſſen laͤßt,

Und Jacobs Enkel eine Laube

Sich bauen zum Gedaͤchtnißfeſt.

[159]

An
die verwittwete Madame R*ldt
nach Freyenwalde nachgeſchrieben.



Ach, es regnet unaufhoͤrlich,

Und es hat die Nacht geſtuͤrmt —

Manchen Wandrer fromm und ehrlich

Hat kein Regenſchirm beſchirmt

Auf der offnen Poſt nach Preußen,

Oder wie in unſrer Welt

All die Laͤnder moͤgen heißen,

Wo es naß vom Himmel faͤllt.

Ach, es iſt doch Jammerſchade,

Wenn der kalte Wolkenwind

Kranken aͤrgert, die zum Bade

Hoffnungsvoll gereiſet ſind,

[160]
Und nach Aeſkulaps Geſetzen

Ihre ſchwache Nerven nun

Nicht mit Waſſer duͤrfen netzen;

Denn das moͤchte Schaden thun,

Moͤchte noch die Gicht vermehren;

Darum laͤßt der Kranke gern

Sich von einem Arzt belehren,

Wie von ſeines Willens Herrn —

Liebe Freundin, du biſt endlich,

Gott ſey Dank, nun hingereiſt,

Weil man da ſo ſtill und laͤndlich

Unter viel Geſellſchaft ſpeiſt;

Menſchen kennen lernt im Gange

Unter Baͤumen hoch und breit,

Und mit Ihnen ſondern Zwange

Sich der ſchoͤnen Gegend freut,

Die du mir ſo ſchoͤn beſchrieben

Und nun nicht genießen wirſt.

Keine Wolke wird vertrieben,

Waͤre gleich der erſte Fuͤrſt

Auf der ganzen weiten Erde

Friedrich Maximus allda,

Spraͤch er, wie ein Gott, es werde

Licht am Himmel fern nnd nah —

Wuͤrd es dennoch duͤſter bleiben

Und
[161]
Und er muͤßte ſich im Schach

Langer Weile Druck vertreiben

Unterm Badezimmer-Dach,

Oder ließe vom gelehrten

Marquis Lucheſini ſich

Leſen, was die Roͤmer hoͤrten,

Wenn ihr Redner koͤniglich

Ueber ſie zu herrſchen wußte,

Daß vor ſeiner Stimme Ton

Ihre Seele zittern mußte,

Oder ſchmelzen, oder ſchon

Wieder lieben, wen ſie haßte.

Freundin! findet irgendwo

Sich in einem Badegaſte

Unter Euch ein Cicero,

Wie der große Mann geweſen,

Den ein Roͤmer umgebracht,

Dann braucht keiner vorzuleſen,

Was ein Caͤſar hat gedacht

Und gethan und ausgerichtet,

Oder was Horazius

Kuͤnſtlich noch dazu gedichtet

Fuͤr den Kayſerhuldgenuß —

Dieſer Cicero, der deutſche,

Machte, daß kein Badegaſt

L
[162]
Traurig waͤre beim Gepeitſche

Kalten Windes, der die Laſt

Armer muͤder Wandersleute

Schwerer macht, als ſie ſchon iſt —

Cicero verkuͤrzt mir heute

Da Du nicht vorhanden biſt,

Dieſes truͤben Tages Laͤnge,

Giebt mir einen Abendſchmaus;

Denn wenn’s ſieben ſchlaͤgt, dann gaͤnge

Ich vermuthlich in Dein Haus

Unter einem Leinwanddache;

Krebſe ſchmauſt’ ich da mit Dir.

Nun bleib ich daheim und mache

Ein Gedankenſchmaͤuschen mir.

〟Cicero, ſprech ich beim Leſen,

〟Eicero, du warſt begluͤckt,

〟Waͤrſt begluͤckter noch geweſen,

〟Haͤtte dich ein Weib beſtrickt,

〟Die ſich fuͤr dein Herz geſchickt —

[163]

An
den Herrn Kanonikus Gleim*).



Achill, der ſtampfende Held, ſprach mit dem wiehern-

den Pferde

In wildem gluthigem Zorn;

Er ſtieß ſein eiſernes Speer tief in die zitternde Erde

Und ſtach mit blutigem Sporn

Das ſich aufbaͤumende Roß, rief mit hochbruͤllender

Stimme:

Trag mich, befluͤgeltes Thier,

Hin zu dem Opferaltar, da wuͤrgt mit Furiengrimme

Ein Arm das Leben in mir,

Da wuͤrgt der Vater ſich ſelbſt im goͤtteraͤhnlichen Kinde.

Zu Eiſen macht ihn der Stolz,

Ihn ſchlacht’ ich bei dem Altar, wo ich die Blutende finde,

Und werf ihn zu ihr aufs Holz.

L 2
[164]
Er ſprachs, und ſchwang ſich herauf, flog ſchnell wie

kommende Pfeile,

So kommt mit Fluͤgeln der Sturm

Gebrauſt, da reißen am Schiff die Seegeltuͤcher und

Seile,

Da wankt der praͤchtige Thurm.

Mit dieſer Achilliſchen Geſchwindigkeit, liebſter
Freund, wollten Sie ſich auf Ihren Rappen ſchwin-
gen, mich zu begleiten, aber nicht mit eben ſo ſtuͤrmi-
ſcher Empfindung; nein, in dem Gefuͤhl der Freund-
ſchaft. O wie ſanft iſt dieſes Gefuͤhl! Aber warum
ließen Sie ſich zuruͤckrufen? Sie ſollten einen ganzen
Geſang haben; aber Ihr Bruder ließ mich zur Koͤni-
ginn fordern. Sie haͤtten ſehen ſollen, wie ſie in ih-
rem Schlafzimmer ſaß und mich anlaͤchelte und ver-
ſchiedene Fragen that, die ich beantwortete; ich empfahl
ihr meinen Herrn den Baron. Ich wuͤrde noch
viel von meinem Freunde reden, aber Ihr Bruder
verlangt nach dem Schreiben, die Kommendantin
nach mir,


Ihre ꝛc.


[165]

An
den Herrn Baron
von Kottwitz zu Boyadel,

Neffe desjenigen Freyherrn von Kottwitz, welcher
ſie aus Glogau fuͤhrte.



Kammerherr des Koͤniges,

Enkel tapferer Baronen!

Du verlangſt nur weniges

Von der Muſe, die mit Kronen

Des Geſanges, moͤchte lohnen

Dich, Du Folger des Barons,

Der mich aus dem Staube guͤtig

Hob, und ſchnell und edelmuͤthig

Zog zur großen Stadt des Throns.

Viel, ſehr viel hab ich zu ſagen;

L 3
[166]
Aber bald, bald ſchwingſt Du Dich

Auf den raſchen Reiſewagen,

Hinzueilen, wo man Dich

Ganze Tage lang wird fragen:

Was Du zu Berlin gehoͤrt,

Und geſehn mit dem Begleiter,

Deſſen Liebe Dich verehrt,

Der Dich uͤbers Meer und weiter

Gern begleitete, wenn nicht

Dich und Ihn ſo manche Pflicht

Hinderten am Reiſewillen

Und am Vorſatz, hier zu ſeyn

Laͤnger noch als wenig Tage,

Wo ich kuͤhn zu hoffen wage,

Daß wir uns bei aͤchterm Wein

Und ganz unter uns allein

Herzlich freun.

Denn der Wein war eine Luͤgen,

War gekeltert nicht am Rhein,

Schwoͤre Dir’s bei dem Vergnuͤgen,

Bey der Ehre, die Du mir

Zugedacht, daß ich mit Dir

Und mit Conrad ſpeiſen ſollte *),

[167]
Aber wenn ich feuerheiß

Mich der Ehre freuen ſollte,

Muſte kein ſo großer Kreiß

Horchen, was ich ſchwatzen wollte,

Was ich leicht zu reimen weiß.

Darum hoff ich, Muſenvetter!

Daß wir Drei beiſammen nur

Flammen bei dem kalten Wetter,

Bei des Schneegeſtoͤbers Spur,

Welche kaͤrglich Deine Flur

Deckt, ſo daß die wollnen Heerden

Saaten ſchmauſen werden

Auf dem Tiſche der Natur.

L 4
[168]

An
eine adliche Schuldnerin,

fuͤr welche ſich die Dichterin verbuͤrgt hatte.



Weg iſt nun eine Woche ſchon,

Zwei Wochen werden auch verſchwinden —

Nach Deiner Kummerbitte Ton

Verſchwand die erſte Woche ſchon,

Woher ſoll ſich Bezahlung finden?

Du macheſt ein Geheimniß mir

Aus der vorgeblich großen Sache,

Ein Abgeſandter kam von Dir,

Der ſagte das Geheimniß laut,

Weil ich ihn frug, worauf die Hoffnung ſey gebaut?

Da nannt’ er ein Arcanum mir, und prahlte

Er ſey ſelbſt bei der Sache intreſſirt,

Er, deſſen alt Gewand kein Menſch mit Dank bezahlte,

Der nicht den Stab des Mangels fuͤhrt —

[169]
Wahrhaftig, wenn Dein magrer Bote

Ein Mann von den drei Maͤnnern iſt,

Mit welchen Du geſchaͤftig biſt,

An dem Arcanum, das von aͤchtem Korn und Schroote

Dir blanke Thaler bringen ſoll:

Dann ſteht es mißlich um die Leute,

Die ſich verließen hoffnungsvoll,

Daß Deine Miene Gold bedeute,

Wenn Du Dir ſolch ein Anſehn gabſt,

Als ob Du große Renten ſicher

Aus großen hohen Haͤnden habſt —

Sprich, was ſtudierſt Du doch fuͤr Buͤcher:

Von deutſcher Wolle willſt Du nun

Die feinſte Spanſche Wolle machen?

Du willſt ein Wunderwerkchen thun?

Ich lache bei ſehr wenig Sachen,

Doch bei dem Wunder muß ich lachen — —

Zwingt Dich die Drangſaal nicht zu ſchon gewohnter

Liſt;

So wird Dirs dennoch gehn wie manchem Alchimiſt,

Der Tag und Nacht darauf verwendet,

Und wenn er nun das lezte Werk vollendet,

Wenn nun das Wunder ſoll geſchehn,

Veredeltes Metall im Tiegel

Mit rothem Goldesglanz zu ſehn,

L 5
[170]
Ach, dann bekommt der Koͤnig Fluͤgel,

Flieht aus dem Laber’torium

In alle Luͤfte ringsherum

Und nichts bleibt als ein Aſchenhuͤgel.

Der Laborant wird kummerſtumm —

Daß Gott erbarm! ſo kann Dir’s auch ergehen,

Dann giebſt Du Deinem Schickſal Schuld,

Und alle Glaͤubiger verlieren die Geduld,

Und ich ſoll fuͤr die Summa ſtehen,

Die Du bei St*zen aufgeborgt.

Nie darf ich’s wagen unbeſorgt

Vor innerlicher Schaam dies Haus noch zu betreten,

Wo Du Dir Silber ausgebeten,

Weil Dich mein redlich Herz empfahl.

Gewoͤhne Dich zur Wahrheit doch einmahl

Jezt in den Jahren des Verſtandes —

Was hilft Dir jeder blaue Dunſt;

Du wollteſt ja den Flachs des Landes

Verwandeln auch durch eine Kunſt

In wuͤrklich reine weiße Seide.

Du wollteſt ja durch Liebesfreude

Dein Gluͤck auf Deiner Tochter Gluͤck

Feſt gruͤnden wie auf einem Fels im Meere.

Du bliebſt dabei noch bis zum lezten Augenblick,

Daß Dirs vollkommen kundig waͤre,

[171]
Wie Guſta mit dem Oberhirt Montan

Sich insgeheim gar wohl verſtaͤnde,

Nun hat die ſchoͤne Truglegende,

Hat die Vorſpiegelung ein Ende;

Nicht nur der Schein iſt wider Dich,

Es ſind vorſaͤtzliche Thatſachen,

Und jede fraͤgt halbrichterlich:

„Wer hieß Dich Staat auf fremde Koſten machen?

〟Wer zwang Dich zum Bedientenlohn?

〟Zur Wagendingung, und dergleichen?

〟Ha, der vornehme, große Ton,

〟Geziemt ſich nur allein den gold- und ſilberreichen,

〟Nicht denen, die von Tag zu Tag

〟Sich um die Nothdurft kuͤmmern muͤſſen;

〟Man wage nur, was man vermag,

〟Und ſchone ſein Gewiſſen“ —

So reden ohne Schmeichelei

Die wirkliche Thatſachen,

Sie ſchreien laut, und dies Geſchrei

Wird Deinem Wappen Schande machen;

Und fliſtern muß ich Dir ins Ohr:

Die Redlichkeit geht allen Wappen vor,

Und allem Glanz von tauſend Jahren.

Ich ließe mich oft gern bei meine Freunde fahren,

Denn ſauer wird mir jeder Gang,

[172]
Mein Eingeweid iſt ſchwach, ich fuͤhls bei jedem Tritte,

Muß ruhen unterwegs oft Viertelſtunden lang;

Und dennoch macht ich mirs zur Sitte

Kein Geld zu borgen, um dem Lohngedungnen Mann

Zu zahlen, der durch Vorgeſpann

Mich ganz bequem zu Freunden braͤchte.

Noch weniger borgt ich mir Geld,

Damit man mich bemerken moͤchte,

Wenn vorgefahren wird, und wenn der Kutſcher

haͤlt —

Ich kenne ſchon, ſeit fuͤnf und zwanzig Jahren,

Ein wirklich edles Weib *), das zwei Paar Kinder hat,

Es ließ ſich ehedem in vaͤterlicher Stadt,

Und hier zu groß Berlin im eignen Wagen fahren;

Weils aber ganz wahrhaftig edel denkt,

Hat ſichs in ſeinen Wittwen-Jahren

Gebuͤhrlich eingeſchraͤnkt —

Wenns Gichtſchmerz in den Fuͤßen leidet,

Alsdann bleibts gern daheim, und meidet

Geſellſchaft von der beſten Art;

Und wenn der Schmerz vertrieben ward,

Dann gehts zu Fuß, wie ich, dann ſcheint es zu

vergeſſen,

[173]
Daß der Gemahl Major geweſen iſt —

Dafuͤr empfindet es auch nie das Drangſalpreſſen,

In welches Du gerathen biſt.

Bey Gott! zu dieſes Weibes Fuͤßen

Da moͤchten Du und ich, und hundert andre ſich

Noch ſetzen, und gutmuͤthiglich

Der Weisheit Unterricht genießen —

Denn ohne Prahlerei im Gluͤck,

Und ohne Zittern, ohne Zagen,

Beim widerwaͤrtigen Geſchick,

Bei truͤben Kummertagen

Bleibt dieſes Edlen Weibes Geiſt

Gleich ſtark um alles zu ertragen;

Und wenns die Scheelſucht bitterlich verdreußt,

So darf, ſo will, ſo muß ichs dennoch ſagen:

In dieſes Weibes Herz verlaͤugnete ſich nie

Die thaͤtigſte Philoſophie! —

[174]

An
meinen Freund, den Akteur

H**.



Mein lieber H**, glaube kuͤnftig

Dem Munde, dem’s die Freundſchaft heißt,

Wenn er Dich warnen will, beſcheiden und vernuͤnftig,

Und ſey nicht mehr ein ſtolzer Geiſt,

Sey nicht ein Trozkopf, weils nicht immer

Nach Deinem Wunſch und Sinne geht;

Sey furchtſam bei des Gluͤckes Schimmer,

Denn wenn die Sonn am hoͤchſten ſteht,

[175]
Ziehn Ungewitter ſich zuſammen —

Gedenke ſtets an meinen Rath,

Nie wieder eine Stadt deswegen zu verdammen,

Weil der und jener nicht nach Deiner Hoffnung that,

Und weil nicht tauſend Haͤnde laͤrmen

Beim Auf- und Abtritt in dem Spiel.

Wer wird ſich um den Schall des Lobgeklatſches

haͤrmen!

Haſt Du der Kenner fein Gefuͤhl

Der klugen Leute Ruhm erſtrebet,

Was fraͤgſt Du nach des Poͤbels Preis,

Der ſeine Stimme laut erhebet

Und nicht den Grund zu ſagen weiß,

Warum er klatſcht und bravo ſchreyet,

Warum er kalt iſt, oder heiß,

Warum er ſich betruͤbt, kraͤnkt, aͤrgert und erfreuet —

Sey uͤber Viel hinweg, verdopple Deinen Fleiß,

Verfeinre Deine Kunſt, und reiße keine Poſſen

Zum Lachen fuͤr die Gallerie.

Leg alles ab, was mich verdroſſen;

Es koſtet Dich ja keine Muͤh

Dem Pfade der Natur beſtaͤndig treu zu bleiben,

Mit guter Art ihr nachzugehn;

Wie wird es mich erfreun, wenn große Richter

ſchreiben:

[176]
Der H ** ſpielet wahr und ſchoͤn —

Du haſts in Deiner Macht, es wird in Deinem Willen,

In Deinem Folgewillen ſtehn,

Die beſten Wuͤnſche zu erfuͤllen,

Die Deine Freunde fuͤr Dich thun —

Vor allen Dingen iſts vonnoͤthen,

Im Gluͤck und Mißgluͤck voll Gelaſſenheit zu ruhn,

Und nimmer die Geduld zu toͤdten,

Und nimmer die Beſcheidenheit,

In guter und in boͤſer Zeit. —

Skizze
[177]

Skizze einer Epiſtel
an
Herrn Sekretair K*ch
. *)



Geheimer Sekretaͤr, beim hochgeliebten Bruder

Des Fuͤrſten, der durch Huld ſich als ein Fuͤrſt beweiſt:

Ich bin erfreut, daß Charons Ruder

Mich nur geſchreckt, daß ich nicht aus der Welt gereiſt,

Eh Vogler nach Berlin gekommen,

Und fuͤr ſein wundervolles Spiel

Das Lob der Maͤnner eingenommen,

Und Weiberkuͤſſe viel, ſehr viel!

Ich ſelber gab auf beyde Wangen

Ihm Einen Muſenkuß dafuͤr,

Daß Er im Tempel iſt gegangen,

Wo der Soldat und Officier

Auf Kanzelrede merken muͤſſen,

M
[178]
Da hat Dein Vogler ſo geſpielt,

Daß alle Seelen hingeriſſen

Der Orgel Majeſtaͤt gefuͤhlt —

Und droben unterm Himmels-Chore

Hat ſelbſt Caͤcilia ſich halb herabgeneigt,

Und Ihn behorcht mit Einem Ohre,

Und ihren Schweſtern angezeigt,

Daß Vogler doppelt Ruhm verdiente;

Zuerſt von wegen ſeiner Kunſt,

Die ſich des hoͤchſten Flugs erkuͤhnte;

Dann wegen ſeiner frommen Buſenbrunſt,

Ein armes Voͤlklein zu erquicken,

Das bei der Waſſersnoth verarmt

Und ſterben muß vom Hungerdruͤcken,

Wenn ſich das Mitleid nicht erbarmt.

Das Mitleid *) nun hieß Voglern ſpielen

Im Tempel unſrer Garniſon,

Da ward er laut gelobt von Vielen;

Doch ſeiner Muͤhe ſchoͤnſter Lohn

War’s Opfer fuͤr die Mangelklager,

War aber nicht, wie er’s gehofft,

War ſeinem Wunſche viel zu mager —

Das Gabenheiſchen koͤmmt zu oft.

[179]
Selbſt Fuͤrſtentoͤchter uͤbertrafen

Die buͤrgerlichen Toͤchter nicht,

Die unter niederm Dache ſchlafen —

Zwar Voglers ſchoͤne Menſchenpflicht

War ganz erfuͤllt, war ſehr zu preiſen,

Und eigenmuͤndig wird er’s Dir

Erzaͤhlen, wenn er ſeine Reiſen

Beſchreibt, und Du voll Neubegier

Ihm gegenuͤber, ihm zur Seite

Die Rede ſeines Mundes trinkſt,

Und oft, nach Art verliebter Leute,

Mit Funkelaugen Beifall blinkſt.

Dann laß Dir auch von mir noch ſagen:

Daß ich, ein Weib mit deutſchem Sinn,

Troz meinen altgewordnen Tagen,

Noch munter und gar freudig bin.

u. ſ. w.


M 2
[180]

Des
24ſten Januars muſikaliſche Feier
in der Darletſchen Wohnung.



Juͤngſt als im Goͤtterrath beſchloſſen

Die Ruh der Erde war, und Becher uͤberfloſſen,

Zu voll geſchenkt vom Ganymed,

Der hinterm Jupiter am goldnen Stuhle ſteht;

Da flog Merkurius unruhig hin und wieder,

Trat ploͤtzlich vor das Goͤtterchor,

Und alle wurden lauter Ohr,

Und alle ließen ſich auf Luftgewoͤlken nieder

Und ſchwebten uͤber jenem Saal,

Wo Friedrichs Lob erſcholl im Saitenſpiel und Liede.

Die Goͤtter ſahen ſich nicht muͤde,

Da hing des Helden Bild! Sein Auge glich dem Strahl

Des maͤchtgen Donnergotts, wenn er in ernſter Strenge

Die Menſchen ſchelten muß; und aus der Stirne ſprach

Der Kriegesgott, der durch die Menge

Von Agamemnons Heere brach,

[181]
Und in des Mundes Laͤcheln ſaßen

Die Huldgoͤttinnen und Apoll,

So daß hier ganz erſtaunensvoll

Die Goͤtter den Olymp vergaßen,

Und fragten: welcher zweite Graun

Des Liedes Ton erſchuf? Da nannte jemand Uden*),

Und Goͤtter und Goͤttinnen luden

Sich ein zu dem Concert.

Wenn Friedrich nach dem

Bau’n

Des Eintrachttempels kommt nach Sansſouci zuruͤck:

Dann ſinget die Muſik Ihn und des Volkes Gluͤck.

M 3
[182]

Aufforderung an die Dichterin
von
Herrn Doktor Kruͤnitz
.


[Als in Sansſouci der Koͤnig mit ihr geſprochen hatte.]


Den 24. Okt. 1763.

Zu lange miedeſt Du, o Sappho! dieſes Zimmer;

Verwoͤhnt an Sansſouci, verblend’t von Koͤnigs

Schimmer!

Monarch klingt zwar ſehr ſchoͤn; doch nicht ſo ſchoͤn

als: Freund;

Dein warten Blatt und Kiel; ſchreib, wie’s Dein Herze

meynt!

[183]

Antwort der Dichterin.
Geſchichte der Unterredung
mit

dem Philoſophen zu Sansſouci.


Freund, wenn mir vor dem Schritt zum Leben

Nicht von der guͤtigen Natur

Schon ein Befehl zur Demuth ward gegeben,

Dann wuͤrd ich kleine Creatur

Mit innerm Stolz mich hoch erheben,

Und Dir erzaͤhlen, daß in Friedrichs Marmor-Saal

Mein falticht Antlitz ſich beſpiegelt,

Und aus der Bruſt das Herz befluͤgelt

Auf meine Lippen trat, und meiner Worte Wahl

Und den Accent geregelt haͤtte,

Indem der Koͤnig mit mir redte,

M 4
[184]
Der groͤßre Redekunſt beſitzt,

Als Marc Anton, der vor dem Volke

Des Caͤſars Moͤrder bald verklaget, bald beſchuͤtzt.

Er kam, und uͤber Ihm in einer goldnen Wolke

Sah ich den ſchwebenden Apoll.

Er ſprach, und in mein Ohr erſcholl

Mit Seiner ſchnell geſprochnen Frage

Der Donner Jupiters, und Seines Auges Blick

War wie der Blitz am Erndtetage:

Doch, Freund! ich ſtaunte nicht zuruͤck.

Ich ſagte, welcher Mann mich zeugte,

Und welcher Staub mich niederbeugte:

Wie mein Genie herauf geſtrebt,

In welchem Dunkel ich der Jugend Zeit verlebt,

Und daß ich nicht der Kunſt geſchriebne Regeln wuͤßte:

Und daß mein Liebling, der Plutarch,

Oft einen finſtern Blick von mir vertragen muͤßte,

Denn in ihm ſaͤnd ich nie den Sieger, den Monarch,

Den Menſch und Philoſoph vereinet,

Ob Alexander gleich geſieget und geweinet,

Und Caͤſar ſelbſt zufrieden ſchien,

Wenn er jedweden Tag bezeichnet mit Verſchonen,

Und einem Brutus ſelbſt verziehn,

Der mit dem Dolch ihm ſollte lohnen,

Doch faͤnd ich auf der Griechen Thronen,

[185]
Und auf der Roͤmer Kampfplatz nichts

Vergleichendes mit dem, der Seines Angeſichts

In Winterluͤften nicht geſchonet,

Und wenn der Lenz gebluͤht das Kriegeszelt bewohnet,

Von Freuden und vom Throne fern.

Und mehr den Vater als den Herrn

Zuruͤckgebracht aus ſo viel Schlachten.

Er frug: wer lehrte dich Geſang?

Wer unterwies dich in Apollens Saytenzwang?

Held! ſprach ich, die Natur und Deine Siege

machten

Mich ohne Kunſt zur Dichterin.

Er laͤchelte, und wollte wiſſen

Woher ich Nahrung naͤhm; da ſagt’ ich: Freunde muͤſſen

Mich naͤhren, taͤglich geh ich hin

Zum niemals ſtolzen Stahl, der ſtets mich gerne ſiehet,

Und eine zweyte Saͤngerin

In meiner Tochter Dir erziehet.

Ich ſprach’s, und Friedrichs Blick ſchien meinen

Freund zu loben.

Nach meiner Wohnung frug er mich.

Monarch! ſprach ich, die Sterne graͤnzen nachbarlich

Mit meinem Winkel unterm Dache hoch erhoben.

Wenn Du nicht zuͤrnteſt, wuͤrd’ ich Dich

Kniebeugend bitten, daß Du meine Kammer daͤchteſt,

M 5
[186]
Wie einen Winkel der Baſtille zu Paris,

In welche Ludewig viel Menſchen bringen ließ,

Die Du als Krieger brauchen moͤchteſt,

Weil ſie oft tapfer ſind und treu.

Der Koͤnig lachte laut, und ich, beherzt und frey

Wie eine Roͤmerin, ich zog der Stirne Falten

Sanft aus einander, lachte ſo

Wie einer, den ein Brett hat in dem Meer erhalten,

Und izt die Sonne ſieht, und ihren Strahlen froh

Entgegen blickt und vor Entzuͤcken

Das Laͤcheln auf der Lippe traͤgt,

Wenn ihm das Herz ſo laut, als mir das meine,

ſchlaͤgt.

Und er mit Worten ſich nicht halb weiß auszudruͤcken.

Des Vaterlandes Vater ſprach

Zulezt: Er wuͤrde mir das Leben ſorglos machen,

Und alle Muſen ſprachens nach;

Und Grazien ſah ich in ſeinem Munde lachen,

Der tauſendmal Befehle rief

Zum Angriff oder zum Verſchonen eines Heeres,

Das ganz zerſtreut in Waͤlder lief,

Und fiel, wie ſtolzgeſchwollne Wellen eines Meeres,

Dem Zevs mit ſeinem Finger droht.

Ich ging zuruͤck; o Freund! nun gluͤhte Purpurroth

Auf meiner ſonſt ſo blaſſen Wange;

[187]
Mich gruͤßte Lentulus und ihn

Hab ich verwirrt gedankt, ich taumelte, ich ſchien

Den trunknen Menſchen gleich im Reden und im

Gange;

Und dennoch ſchwoͤr ich dir beym heiligſten Geſange:

Wenn Friedrich mir von Cedernholz

Ein Haus durch Kuͤnſtler bauen ließe,

Doch wuͤrde nicht dadurch der Sappho Seele ſtolz,

Denn ihr iſt nur die Freundſchaft ſuͤße.

[188]

An
die Koͤnigl. Hof-Bauadminiſtration
wegen
ein paar geſchenkter eiſerner
Spahroͤfen.



Verzeihung von der Koͤniglichen

Adminiſtration, bitt’ ich,

Weil mancher Tag ſchon fortgewichen,

Und auch des Winters Laͤnge ſich

So nach und nach hinweg geſchlichen,

Eh die dankbare Karſchin ſich

Mit großem Dank hat abgefunden

Fuͤr ein paar Oefchen, ihr geſchenkt.

Sie zaͤhlte gar viel kranke Stunden,

War halb ſchon aus der Welt gelenkt

In andre nicht bekannte Welten,

Wo man Beſtrafung und Vergelten

Fuͤr gut’ und boͤſe That empfaͤngt —

[189]
Waͤr nicht mein Geiſt von ſeltner Staͤrke,

Er waͤre laͤngſt hinweggedraͤngt,

Denn ſchwach ſind nur die Außenwerke,

Sie werden wahrlich keinen Schmaus

Fuͤr irgend einen Grabwurm geben,

Man traͤgt nur Haut und Bein ins finſtre Leichenhaus.

Ich denk es ohne grauſes Beben.

Warum ſollt ich betruͤbt ein Achgeſchrey erheben

Beim Anblick meines Bleichgeſichts?

Kalt iſt das Grab, davon empfindet nichts

Das Weſen, welches in mir denket,

Sein Feuer widerſprichts —

Und daß ſich’s dermaleinſt an Lethens Ufer traͤnket;

Dieß glaube wer da mag und kann,

Ich nehme dieſen Wahn nicht an,

Weil ich durchaus nicht will vergeſſen,

Was mir hienieden Guts geſchehn;

Weil ich auch dort noch will ermeſſen,

Welch Auge mich hier gern geſehn,

Und welche Hand mirs leichter machte

Zu wallen auf dem Lebenspfad,

Wo oft mein Fuß auf Dornen trat —

Selbſt da der beſte Koͤnig dachte,

Daß meine Laufbahn bis ans Ziel,

Nun Roſen ohne Dornen brachte,

[190]
Denn ſo befahls Sein Koͤniglich Gefuͤhl —

Wie der Befehl ward ausgerichtet,

Iſt Jedermann zur Augenſchau,

Der auf der neuen Bruͤcke Bau

Die Sphinx betrachtet, die erdichtet

Von großen Fabeldichtern ward.

Er darf nur rechter Hand ſich drehen,

Da wird er mit Verwundrungsart

Das Eckchen meines Hauſes ſehen —

Das ein recht hochgewachsner Mann,

Wie weiland Potsdams Gardemaͤnner,

Mit ſeinem Arm umſpannen kann.

Indeſſen lad’ ich meine Goͤnner

Und Goͤnnerinnen freundlich ein,

Nicht auf ſechs Schuͤſſeln, nicht auf Wein:

Nein, meine Wohnung nur zu ſchauen,

Lad ich Sie ein,

Und kann’s Euch ſchwoͤren mit Vertrauen,

Daß ihre Niedlichkeit Sie reizt,

So wahr mit wenig Glut das Eiſenoͤfchen heizt.

[191]

Die
klagenden Muſen und Apoll.


Juͤngſt ſah ich der Latona Sohn

Hoch auf dem ſteilen Helicon

Und alle Muſen vor ihm knieen.

Sie baten: Sag uns, Pythius!

Kennſt Du die Nymphe dort an deines Berges Fuß?

Wenn ward ihr deine Gunſt verliehen?

Wenn gabſt du ihren Schlaͤfen Glanz?

Sie prahlt mit einem Lorbeerkranz,

Den ſie ſchon deiner Huld entriſſen;

Ihr Stolz erfrechet ſich ſo gar,

Und ſagt es oͤffentlich der weiſen Menſchenſchaar:

Es kaͤmen Muſen ſie zu kuͤſſen.

[192]
Sie leugts zu unſrer aller Hohn,

Urania weiß nichts davon,

Polymnia wird dir mit Schwuͤren

Beim Styx betheuern, daß ſie nicht

Den Mund, der viel zu kuͤhn, viel zu verwegen ſpricht,

Gewuͤrdiget hat anzuruͤhren.

Da laͤchelte der Gott und ſprach;

Steht auf, Geliebten! eure Schmach

Wird ohne meinen Arm gerochen;

Die ganze Welt, die fuͤhlen kann,

Und fein zu horchen weiß, hoͤrts ihren Toͤnen an,

Daß nie mein Geiſt aus ihr geſprochen;

Daß keine Muſe ſie gekuͤßt,

Und daß ſie ſo verblendet iſt

Wie Ixion, der einſt entzuͤcket

In ſeinen Arm die Wolke zog,

Und dann geſchwaͤtzig von der großen Juno log,

Er haͤtte ſie ans Herz gedruͤcket.

Der
[193]

Der Liebhaberhut.


Eine wirkliche Begebenheit.


In einer weltbekannten Stadt,

Die rate Kaufmannswaaren

Und wunderſchoͤne Weiber hat,

Kam ſchnell ein Mann gefahren,

Eh ſich’s ſein Weibchen vorgeſtellt,

Und voller Furcht und Schrecken

Entwich ihr junger Liebesheld;

Ach aber zum Entdecken

Der Heimlichkeit gab’s viel Gefahr,

Weil er, zu ſehr getrieben,

Raſch aus dem Fenſter ſprang, ſo war

Sein Hut noch da geblieben,

Lag auf dem Tiſchchen unverhuͤllt,

Viel Argwohn zu erregen,

Doch ſie, mit Weiberliſt erfuͤllt,

Springt ſchlau dem Mann entgegen,

N
[194]
Und ruft: Willkommen, ſuͤßer Mann!

Du ſollſt den Hut probieren,

Ein Troͤdelweib bot mir ihn an;

Er iſt mit goldnen Schnuͤren

Reich eingefaßt und noch ganz neu,

Und ward aus Noth vergeudet. —

Dem Mann gefaͤllt die Schmeichelei,

Er kuͤßt das Weib und leidet

Daß ſie auf ſein Tuppe den Hut

Im Puderhaare druͤcket,

Ruft ſelber aus: er laͤßt mir gut!

Und dankt ihr halb entzuͤcket,

Indem ſein Aug’ im Spiegel gafft,

Den Zierrath ſeines Kopfes,

Den ſie ihm heimlich angeſchafft. —

Sie lacht des armen Tropfes

Sehr oft auf ihres Lieblings Schooß,

Und ſpricht mit loſem Muthe:

Mein Schatz! wir kamen wohlfeil los

Mit dem vergeßnen Hute.

[195]

An
den beruͤhmten Maler
Herrn Rode.


Auch Goͤtter aͤrgern ſich. Von eines Aergers Glut

Wird Amor ſelbſt einmal entbrannt,

Und ſchwarze Galle kocht ſein roſinfarbnes Blut,

Und ſein Geſicht iſt braun, und ſchwach iſt ſein Verſtand.

O Himmel, Himmel! ſeufzt die arme Venus ſchon,

Ach ich verliere meinen Sohn!

Mit ſchnellen Schritten kommt der Doctor Aeskulap

Und ſtehet vor des Knaben Bette,

Begreifet ſeinen Puls, ſpricht ihm das Leben ab,

Begreift ihn noch einmal, beſinnt ſich, ſpricht: 〟ich rette

Den kleinen allerliebſten Sohn

Und mehr als einen Kuß verlang ich nicht zum Lohn;

Es iſt ein kleines Gallenfieber,

In einem Tag iſt es voruͤber.

N 2
[196]
Ein Kribbelkoͤpfchen iſt der kleine liebe Sohn,

Nicht ſelten laͤuft die Gall ihm uͤber,

Allein er ſtirbt doch nicht davon,

Vielmehr verduͤnnt ſie ihm den dickgewordnen Saft,

Macht ſeine Nieren rein, und giebt ihm neue Kraft.

Bedaͤchtig ſprach alſo der Goͤtter Medicus;

Der Knabe ward geſund, und Venus gab den Kuß!

Die Goͤtter ſpotteten, da ſie den Kuß ihm gab.

Mit Dank nahm er ihn an und bat um einen noch,

Und lachend, wie ein Schalk, rief Amor: Sehet doch,

Die Mutter kuͤßt den Aeskulap.

Mein Rhode ſage mir, was willſt Du lieber malen:

Wie ernſthaft Aeskulap beim kranken Amor iſt?

Wie? oder wie ihn Venus kuͤßt?

Mit einem Kuſſe ſoll Belinde Dich bezahlen.

[197]

Belloiſens Lebenslauf.


Ich ward geboren ohne feierliche Bitte

Des Kirchſpiels ohne Prieſterflehn

Hab ich in ſtrohbedeckter Huͤtte

Das erſte Tageslicht geſehn,

Wuchs unter Laͤmmerchen und Tauben

Und Ziegen bis ins fuͤnfte Jahr,

Und lernt’ an einen Schoͤpfer glauben,

Weil’s Morgenroth ſo lieblich war,

So gruͤn der Wald, ſo bunt die Wieſen,

So klar und ſilberſchoͤn der Bach.

Die Lerche ſang fuͤr Belloiſen,

Und Belloiſe ſang ihr nach.

Die Nachtigall in Elſenſtraͤuchen

Erhub ihr ſuͤßes Lied, und ich

Wuͤnſcht’ ihr im Tone ſchon zu gleichen.

Hier fand ein alter Vetter mich

Und ſagte: du ſollſt mit mir gehen.

Ich ging und lernte bald bei ihn

Die Buͤcher leſen und verſtehen,

Die unſern Sinn zum Himmel ziehn.

Vier Sommer und vier Winter flogen

Zu ſehr befluͤgelt uns vorbei;

Des Vetters Arm ward ich entzogen

N 3
[198]
Zu einer Bruderwiege neu.

Als ich den Bruder groß getragen,

Trieb ich drei Rinder auf die Flur,

Und pries in meinen Hirtentagen

Vergnuͤgt die Schoͤnheit der Natur,

Ward fruͤh ins Ehejoch geſpannet,

Trugs zweimal nach einander ſchwer,

Und haͤtte mich wol nicht ermannet,

Wenn’s nicht den Muſen eigen waͤr,

Im Ungluͤck und in bittern Stunden

Dem beizuſtehn, der ihre Huld

Vor der Geburt ſchon hat empfunden.

Sie gaben mir Muth und Geduld,

Und lehreten mich Lieder dichten,

Mit kleinen Kindern auf dem Schooß.

Bei Weib- und Magd- und Mutterpflichten,

Bei manchem Kummer, ſchwer und groß,

Sang ich den Koͤnig und die Schlachten,

Die Ihm und ſeiner Heldenſchaar

Unſterblichgruͤne Kraͤnze brachten,

Und hatte noch manch ſaures Jahr,

Eh frei von andrer Pflichten Drang

Mir Tage wurden zu Geſang! *)

[199]

Der Paͤchter und der arme Schaͤfer.


Eine Doſenmalerei-Geſchichte.


Dem reichen Paͤchter Schinkenrund

Gefiel im naͤchſten Dorfe

Des ſchoͤnſten Maͤdchens Roſenmund.

Sein Herz hatt’ gleich dem Torfe

Geglommen, als er ſie geſehn,

Es war in Brand gerathen

Und wollte nicht um Rettung flehn,

Denn Dorchens Blicke thaten

Ihm immer tapfern Widerſtand.

Er konnte nichts gewinnen

Bei ihrem Laͤcheln, denn er fand

Der Tugend Sprache drinnen.

[200]
Einſt ſaß er in dem Traubenmond

Vor ſeiner Thuͤr und zechte —

Er war des Zechens ſehr gewohnt;

Ein Paͤchter trinkt mit Rechte

Den jungen Moſt, den alten Wein

Aus einer großen Kanne,

Die Glaͤſer ſind ihm viel zu klein,

Die ſind dem Buͤrgersmanne

Nur angemeſſen, nur geſund,

Nach kluger Aerzte Sagen —

Aus Kannen trinket Schinkenrund,

Sein Kopf kann Wein vertragen.

Claus Aermlich, Dorchens Vater, koͤmmt

Recht zu gelegner Stunde,

Auf ſeinen Schaͤferſtab geſtaͤmmt,

Und gruͤßt mit trocknem Munde

Den Paͤchter und Gevattersmann;

Der horcht mit ſchlauem Ohre,

Dankt ihm ſo freundlich als er kann,

Und fraͤgt nach ſeiner Dore,

Und trinkts dem alten Weißkopf zu

Mit Bitte, mit Bedingen

Ihm morgen um die Mittagsruh

Sein Dorchen herzubringen.

Er wollt ihr einen Vorſchlag thun,

[201]
Der werth ſey anzunehmen;

Auch ſollte Claus im Alter ruhn,

Und ohne Noth und Graͤmen

Sein Brod genießen, ſeinen Wein,

Das Herz damit zu laben, —

Claus Aermlich hoͤrts und ſaget nein,

Ich will, ich mag nichts haben.

Behaltet euren Labetrank,

Ich trinke reines Waſſer

Und bin Zeitlebens, Gott ſey Dank!

Des Laſterlebens Haſſer.

N 5
[202]

An
Lehnchen R**
uͤber einen Zuckermann.



Lehnchen, dieſer Zuckermann

War ein Menſch, wie andre Leute,

Der auf Liebsgeſchichten ſann

Und ſich auf ein Maͤdchen freute,

Huͤbſch und niedlich von Geſtalt;

Aber ach! Er war ſchon alt,

War ſchon ziemlich ſteif an Fuͤßen,

Und es war zur Winterszeit,

Wo das Eis von Waſſerguͤſſen,

Ueber Nacht ſehr oft verſchneyt,

Truͤglich iſt, und Urſach giebet,

Daß der Kluͤgſte wankt und faͤllt:

[203]
Alſo ging es unſrem Held,

Der zum Sterben war verliebet.

Voll Gedanken und voll Trieb,

Seine Schoͤne bald zu gruͤßen,

Und das Herzchen aufzuſchließen,

Das ihm noch verſchloſſen blieb;

Voller Hoffnung trippelt er

Auf der Straße, glatt wie Spiegel,

Glitſchte ſchnell, und ſtuͤrzte ſchwer,

Wie ein Baum ins Thal vom Huͤgel.

Amor ſchlug mit ſeinem Fluͤgel

Dreymal uͤber ihn zum Spott,

Weil er einen Arm zerknickte;

Dreimal ſprach der kleine Gott,

Daß der alte Buntgeſchmuͤckte

Sich zu keinem Maͤdchen ſchickte,

Und daß er zu ſeiner Schmach

Auf dem Eiſe muſte wallen,

Niederfiel, und ſich im Fallen

Einen Arm zerbrach.

[204]

Eine Romanze.


Bei Reichenberg, nach Friedrichs Sieg,

Beſah mein Freund mit Klagen

Die Menſchen, die der boͤſe Krieg

Gottsjaͤmmerlich erſchlagen.

Dort lag ein Kopf — hier Arm und Bein,

Erbaͤrmlich anzuſchauen.

Ich bilde mir dies Schlachtfeld ein

Und mir faͤngt an zu grauen.

Ein Korporal aus Habſpurgs Heer

Lag unter tauſend Leichen,

Sein Koͤrper, groß und ſtark und ſchwer,

Zerfezt von Saͤbelſtreichen,

War hingefallen in der Schlacht.

Ihm lag nach guter Beute,

Die irgend ein Huſar gemacht,

Noch ein Papier zur Seite.

[205]
Mein Freund neugierig, was das ſey,

Hubs auf mit ſeinem Degen,

Zogs an der Spitze ſchnell herbei,

Und fings an zu zerlegen;

Da raſſelte nun das Papier,

Und er ward Schrecken-voller,

Als ſelbſt im Treffen, denn das Thier,

Sein Pferd, bekam den Koller.

Papier und Degen fiel im Sand,

Er durfte nicht verſaͤumen,

Dies wilde Pferd mit raſcher Hand

Zu zuͤgeln und zu zaͤumen;

Doch Zaum und Zuͤgel thatens nicht,

Haͤtt er nicht ſanft geſprochen,

Wie er mit mir zuweilen ſpricht,

Haͤtts ihm den Hals gebrochen —

Jezt lenkt ers wieder um, und nahm

Ganz ſtill Papier und Degen;

Las nicht, bis er ins Feldhaus kam,

Da wollt er wunderswegen

Erfahren, was geſchrieben waͤr,

Da fand ſichs auf dem Blatte,

Daß es ein Maͤdchen wehmuthsſchwer

Aus Wien geſchrieben hatte.

[206]
Viel ſchoͤne Namen waren hier

In ſuͤßem Liebsgeſchwaͤtze;

Es ward erzaͤhlt, wie vielmal ihr

Ein Traum das Herz ergoͤtze,

Wie vielmal ſich auch Furcht und Pein

In ihre Bruſt ergoſſen,

Es muͤſten wol Geſpenſter ſeyn,

Ward jeder Vers geſchloſſen.

Nun loͤßte ſich das Raͤthſel auf,

Warum der Fuß des Thieres

Davon gerannt, im Fluͤgellauf,

Beim Raſſeln des Papieres;

Der Geiſt vom armen Korporal

Wird da geſpucket haben,

Weil er gewollt man ſollt einmal

Dies Blaͤttchen mit begraben.

[207]

Die Nadelſtichsheilung.



Ditmar ſpielte mit Minetten

Und ſie war ihm zugewandt,

Als ob Beyde ſich gekannt

Mondenlang ſchon haͤtten.

Auf ſein Knie hub er das Kind,

Und wie nun die Kinder ſind,

Raſch und leicht wie Mayenwind,

Fluͤchtig wie des Rehes

Jugendlicher Sprung ins Gras,

War Minettchen, und da ſaß

Eine Nadel bei dem Spas

In dem Schuͤrzchen, und des Wehes

Von dem kleinen Nadelſtich

Schaͤmte Ditmars Finger ſich,

[208]
Hing herunter und verheilte

Sich mit ſeinem eignen Blut;

Ein halb Viertelſtuͤndchen weilte

Dieſes Schmerzes Wuth —

Aber wenn der Ditmar kuͤnftig

Mit erwachsnen Mienchens ſpielt,

Die ſchon groß ſind, und vernuͤnftig,

Wenn Er da Verwundung fuͤhlt,

Von des ſchoͤnſten Auges Blicken,

Von der Lippen Grazie;

O dann thuts im Herzen weh,

Und man muß ſich flehend buͤcken,

Daß Gott Amors Bruder eilt,

Der die Wunde heilt.

An
[209]

An
Herrn von G.

den Officier und Dichter.


Cyntia laͤchelt uns zu,

Dir vor allen, Apolliſcher Sohn,

Denn ſie waͤhnt, Du ſeyſt Endymion,

Er war nicht ſo angenehm als Du —

Dies ſchwazt’ ich geſtern, Corillas!

Und habe nicht gelogen;

Des Tagegottes Schweſter ſaß

Bei weggelegtem Bogen

Auf dem Olympus in dem Kreiß

Der dienſtbeſtellten Nymphen,

Und ihre Stirne ſilberweiß

Die fing ſich an zu ruͤmpfen,

Ihr ſchoͤnes Auge zog ſich klein,

Wie ſich ein Auge ziehet,

O
[210]
Wenn man, um recht gewiß zu ſeyn,

Tief in die Ferne ſiehet,

Wo etwas wankt, Menſch oder Thier —

Sie wollte Dich erkennen,

Und fing voll inniger Begier

Im Buſen an zu brennen,

Und ſeufzte laut: Endymion! —

Du haſt es nicht vernommen,

Mir aber iſt der Seufzerton

Sehr klaͤglich vorgekommen,

Denn ich gab auf die Goͤttinn Acht.

Sie ward, indem wir gingen,

Im Antliz feuerroth gemacht,

Das Herz wollt ihr zerſpringen

Vor Schaam und Reue, daß ſie Dich

Geſehen und verkannte

Und mit Endymion verglich —

Und eine Nymphe nannte,

Zu deſto groͤßeren Verdruß

Ihr ſchalkhaft Deine Minne,

Da goß des Schamroths Ueberfluß

Urploͤtzlich von dem Kinne

Sich auf der Goͤttinn Buſenraum;

Denn ach die Nymphe ſagte,

Daß Amors Mutter ſelber kaum

[211]
Sich zu vergleichen wagte

Mit Deiner ſchoͤnen Schaͤferinn,

Die blond wie Ceres waͤre,

Da ſank das Haupt der Luna hin,

Und eine bittre Zaͤhre

Floß zitternd auf ihr Purpurpfuͤhl,

Bis Morpheus ſich erbarmte,

Bis durch ſein ſuͤßes Gaukelſpiel

Ihr Schaͤfer ſie umarmte.

O 2
[212]

Duldmanns Rache.


Wie Duldmann ſich gerochen,

Als ihm in ſein Gebiet

Ein Weiberdieb gebrochen,

Dies ſey mein lehrend Lied

An’s ganze Mannsgeſchlechte,

Und wen von ungefaͤhr

Sein Schickſal treffen moͤchte,

Der mach es ſo wie er.

Sein boͤſer Engel brachte

Zur ungelegnen Zeit

Ihn in ſein Haus und machte,

Daß er mit Haſtigkeit

Nach ſeinem Weibchen fragte.

Stellt euch ſein Schrecken vor,

Als ihm die Koͤchin ſagte:

Bei ihr ſey Coridor.

[213]
Im Puz- und Oberſtuͤbchem

Auf weichem Sofa war

Sein angetrautes Liebchen;

Er fand ſie offenbar

Mit ihrem Zeitvertreiber,

Wie einſt der Schmiedegott

Die Koͤniginn der Weiber

Zu aller Goͤtter Spott —

Was meint ihr? Was begonnte

Des Mannes Grimmgefuͤhl,

Der Stoff uns geben konnte

Zum Mord- und Trauerſpiel,

So ſchrecklich wie’s den Britten

Der große Shakſpear ſang

Vom Mohren, den kein Bitten

Und keine Thraͤne zwang?

Ihr denkt an Dolch und Meſſer,

An Pulver und an Blei,

An giftgemiſcht Gewaͤſſer,

Und an die Barbarei,

Sie beide zu durchboren

Mit einem Degenſtich;

Ihr haͤttet drauf geſchworen,

Daß Mund an Mund verblich.

O 3
[214]
Ihr irrt euch in der Sache:

Herr Duldmann nahm ſein Beil

Und hieb, voll heißer Rache,

Ein großes Mauertheil

Von ſeinem Kuͤchenheerde,

Lief in ein Bacchushaus,

Und trank auf die Beſchwerde

Zwo Quart Burgunder aus.

Drauf ging er heim, und machte

Durch ſuͤßen tiefen Schlaf,

Daß er nicht mehr dran dachte.

Was aber Sie betraf,

Sie bebte vor der Luͤcke

Mit Schaudern, Furcht und Scheu

Ihr Lebelang zuruͤcke

Und blieb dem Manne treu.

[215]

Skizze einer Epiſtel
an
den Herrn Ober-Conſiſtorialrath Buͤſching.



Ehrwuͤrdiger, und Liebenswerther,

Und immer thaͤtiger, beruͤhmter, großer Mann!

Die Krankheit wuͤthet oft, wie Dolche, Pfeil und

Schwerdter,

Greift aber nicht den Geiſt, greift nur den Koͤrper an,

In Menſchen, die viel Geiſt beſitzen —

Drei Sommer fanden Dich ſchon auf der Kran-

kenbahn,

Und doch kannſt Du der Welt noch nuͤtzen,

Und haſt ſchon viel fuͤr ſie gethan;

Der junge Morgen koͤmmt und ſiehet

Dich heiter in Geſchaͤftigkeit,

Ob gleich der Schlaf vom Auge fliehet,

Der ſonſt den Kranken Kraft verleiht;

Ob Du gleich unter tauſend Buͤchern

Die Nacht hindurch zu wandeln pflegſt,

O 4
[216]
Und die Geduld im glaubensſichern,

Gott unterworfnem Herzen traͤgſt;

So ſchoneſt Du Dich doch mit nichten,

Du giebſt ein Beyſpiel rund herum,

Und bleibſt nun bald ein Viertel-Sekulum

Treu den Direktor-Pflichten

Im Kloſter-Stift Gymnaſium —

Selbſt, da Dirs nicht erlaubt geweſen

Hinab zu gehn im Klaſſenſaal,

Haſt Du mit Worten auserleſen,

Was Vaterliebe Dir befahl,

In Deinem eignen Muſenſaal,

Den Juͤnglingen geſagt, ſo munter,

Als waͤreſt Du nicht krank einmal;

Mein Tochterſohn war mit darunter! — u. ſ. w.


[217]

Die
Waſſersnoth bei Frankfurth an der Oder
im April 1785.


Vom Gebirge ſtroͤmte das Verderben

Ins Gefilde weit und breit,

Saat und Blumenkeime wollten ſterben

Unterm Waſſerwogenſtreit,

Zarte Laͤmmer, junge Buſenkinder

Heiſchten Rettung aus der Fluth —

Hungerleiden bruͤllten magre Rinder,

Die des Landmanns einzig Gut

In der niedern Armuthshuͤtte waren.

Groͤßer ſchien die Waſſersnoth

Als ein Feldzug fremder Kriegesſchaaren,

Der mit Schwerd und Feuer droht

Und mit Pluͤnderung dem platten Lande,

Das ſein Rauſchen hoͤrt und zagt,

Wenn der Zug vom aͤußern Graͤnzenrande

Schrecken vor ſich hergejagt —

O 5
[218]
Jenem Waffenraſſeln widerſtehet

Heldenklugheit, Heldenmuth;

Aber wenn ſich fuͤrchterlich erhoͤhet

Ausgetretner Stroͤme Wuth,

Kann der Koͤnig ſelber nicht gebieten,

Der mit ſiegesreicher Hand

Sieben Jahre lang dem Waffenwuͤten

Vieler Feinde widerſtand.

Rettung nur war moͤglich, war zu wagen,

Und wenn ſie gelang, alsdann

War kein Dichter ſtark genug, zu ſagen

Wonne, die der Held gewann.

Leopold, ein junger, Menſchenlieber

Guelfenſohn, hat es gewagt —

Menſchlich Mitleid riß ihn maͤchtig uͤber

Alle Warnung laut geſagt.

Ueber alle Todesfurcht erhaben,

Sprang er in den Kahn, und ſprach:

〟Rudert ruͤſtig fort, ihr Schifferknaben,

〟Folgt der Jammerſtimme nach,

〟Die ſo klaͤglich Huͤlfe fodert druͤben,

〟Hoͤrt die Todesangſt und eilt!

〟Schon zu lange ſeyd ihr kalt geblieben,

〟Habt zu lange ſchon geweilt,

[219]
〟Habt nur hier die Wellen angegaffet,

〟Die der Bruͤcke Halbtheil ſchon

〟Angegriffen und hinweggeraffet —

〟Fuͤrchtet nicht dies Waſſerd[r]ohn,

〟Ich bin Menſch, wie ihr zur Welt gekommen,

〟Wagt doch, was ich wagen kann,

〟Seht, da wo die Haͤuſer weggeſchwommen,

〟Kommts auf Menſchenrettung an —

Alſo ſprach der Fuͤrſtenſohn und brannte

Von Begierde, da zu ſeyn,

Wo ſich zu dem Sturmgebieter wandte

Nothgedraͤngter Menſchen Schreyn.

Bald hinuͤber war die Fahrt gelungen,

Als ein Windſtoß ſie ergriff,

Ach, von einer Welle Wuth gedrungen,

Scheiterte das kleine Schiff

An der Wurzel einer alten Weide

Und die wilde Fluth verſchlang

Frankfurts Stolz und Ruhm und Augenfreude[!]

Mit dem Waſſertode rang

Leopold nur wenige Minuten

Seine Seele ſtieg empor

Schoͤner als durch vieler Wunden Bluten

In der Heldenſeelen Chor —

[220]
Und die Buͤrger und die Muſenſoͤhne

Und die Kriegesmaͤnner all

Klagen Ihn, und ihre Klagetoͤne

Wiederholt der Wiederhall,

Daß es alle Luͤfte hoͤren muͤſſen,

Und ein Kuͤnſtler groß und mild *)

Macht der Folgezeit die That zu wiſſen

Durch der Thatbeginnungs-Bild.

[221]

An
den beruͤhmten Chodowiecky.


Der Du mein Auge gut getroffen,

So, daß Dirs meine Muſe dankt,

O Chodowieck ich will doch hoffen,

Daß ſich des Dichters Kopf nicht mit dem Kopfe zankt,

Der mit ihm in Geſellſchaft reiſet,

Er iſt ſo groß — ich bin ſo klein,

Ich ſing’ ein Lied, das nichts beweiſet,

Er ſingt, um ewig hier zu ſeyn,

Und jede Welt zu uͤberfuͤhren,

Daß Ihn Apollo Sohn genannt;

Mein Bischen Ruhm wird ſich verlieren,

Wenn ich ins Geiſtervaterland

Hinweggeflattert bin — und Seiner wird beſtehen.

Ich bin ein Weib, Er iſt ein Mann,

Mein Verschen weiß nur deutſch zu gehen,

Wenn Sein Vers nach dem Takt des Roͤmers tan-
zen kann,

[222]
Der fuͤr die Jugend Roms ein Jubellied gedichtet,

Und fuͤr den Caͤſar und fuͤr ſich

Ein dauernd Denkmahl aufgerichtet;

Auch Du errichteſt eins fuͤr Dich

In den Figuren, die mit Blicken,

Und mit Geberden ſprechend ſind.

Der Paſtor Sebald*) weiß ſein Leiden auszudruͤcken,

Sein todtes Weib, ſein ſtarres Kind,

Und ſeine Tochter Mariane,

Der Bauer und ſein Freund, der von der Reiſebahne

Befluͤgelt ihm zu troͤſten kam,

Sind insgeſammt ſo wahr gezeichnet, daß der Gram

Mich ſelbſt ergreift, wenn ich ſie ſehe —

Und wann die Frau von Hohenauf

Das arme Maͤdchen ſchreckt — dann fuͤhl’ ich
Schauerlauf

Vom Haupte bis zum Fuß, und flehe

Die Goͤtter fuͤr das junge Paar,

Das in der ſchoͤnen Sommerlaube

So keuſch verliebt, ſo zaͤrtlich war;

Ich bin getaͤuſcht, ich denk und glaube,

Daß alles wirklich vor mir ſey,

Der Juͤngling und die boͤſe Tante;

[223]
Mir duͤnkt, mein Ohr hoͤrt ihr Geſchrey,

Und jedes Afterwort der Zunge, die da brannte

Vom Grimm, der aus dem Herzen fuhr,

Wie Flammen aus dem Hoͤllenſchlunde;

Ich haſſe dieſe Kreatur,

Mit ihrem Mops-geſtalten Munde,

Und fuͤhle ganz des Saͤuglings Schmerz,

Der faſt verſteinert iſt im Starren,

Die Stirn herunter haͤngt aufs Herz,

Den Handſchuh fallen ließ, weil er vor einen Narren

In Folio geſcholten ward,

Vor einen blinden, dummen Knaben,

Der ſichs im Kopf geſetzt, ein Maͤdchen ſolcher Art,

Ein ſtaubgebornes Kind, zur aͤchten Frau zu haben —

Dies kraͤnkt mich und die Furcht des Maͤdchens,

das ſo zart,

So fein geſchaffen iſt, ſo wuͤrdig ihn zu lieben,

Ich hoffe, daß er ſie bekoͤmmt,

Wenn ihr Verhaͤngniß ſie genug herumgetrieben,

Und Beyder Wuͤnſche gnug gehemmt,

So wird es endlich ausgeſoͤhnet,

Und Deine Kunſt zeigt uns alsdann die frohe Braut,

Wie Hymen ihre Schlaͤfe kroͤnet,

Vom Neide haͤmiſch angeſchaut.

[224]

Das beſtaͤndige Einerlei.



Aſpan, ein Edelmann, gewohnt zum Zeitvertreib,

Verirrte dann und wann ſich zu des Dieners Weib,

Denn ſie war jung und ſchoͤn — Wie? Was trieb denn

Aſpanen

Zu Weibern ſeiner Unterthanen?

Hat er denn ſelbſt kein Weib? Ja, er hat eine Frau;

Doch welcher Menſch wird alt und grau,

Ohn’ mehr als einerlei von Speiſe zu genießen?

Wer kann denn ewig nur auf Einem Munde kuͤſſen?

Zum wenigſten kann dieſes nicht Aſpan.

Einſt trift ſein Diener ihn bei ſeinem Weibe an:

Herr! ſpricht er, ſagt mir doch, was euch zu Andern

treibet,

Warum ihr mit dem Kuß bei eurer Frau nicht bleibet?

Der Edelmann lacht laut und ſpricht: du biſt ein Thor,

Ein neuer Kuß kommt uns wie neue Speiſe vor,

Der Wechſel iſt gewiß das ſchoͤnſte Ding auf Erden,

Denn immer einerlei muß uns zum Ekel werden.

Hans hoͤrt es an und ſchuͤttelt mit dem Kopf,

Denn Hanns der war ein dummer Tropf.

Sein
[225]
Sein Herr war liſtig und verſchlagen,

Er heißt dem Koch, zu Hannſens Mittagsmahl

Die beſten Aalpaſteten tragen.

Das Eſſen war fuͤr Hannſens Wahl,

Er aß ſein Tage nicht vom Aal;

Das Ding war ihm ſo neu, wie alle neue Dinger.

Genug er ißt und leckt die Finger *).

Der Koch traͤgts wieder auf den andern, dritten Tag.

So lange bis es Hanns gar nicht mehr eſſen mag.

Er ſitzt und ſtochert mit dem Meſſer:

Wo blieb nun der Paſteteneſſer?

Sein Herr tritt hinter ihn und ſpricht

Und fraͤgt: wie iſts, Hanns! ſchmeckt die Aalpaſtete

nicht?

O! ſpricht der gute Hans mit ziemlichem Erroͤthen,

Wer Henker ißt denn gern nur immer Aalpaſteten?

Man ſehnt ſich auch einmal nach Fleiſch und Zugemuͤß!

Ho ho! ſpricht Hannſens Herr, Veraͤnderung iſt ſuͤß;

Wie du nicht jeden Tag magſt Aalpaſtet genießen,

So mag auch ich mein Weib nicht alle Tage kuͤſſen.

Hanns haͤngt den Kopf, ſchaͤmt ſich und ſchweigt,

Und krazt ſich hinter beiden Ohren,

Ganz von der Wahrheit uͤberzeugt,

Daß wir zum Wechſel ſind geboren!

P
[226]

Nachricht
an den
Grafen von Stollberg-Wernigerode
wegen des Rinderhirtens
Johann Chriſtoph Grafes
in Schwiebus, zween Meilen von Zuͤllichow.



Der Rinderhirte lebt noch dort,

Wo er mir Fruͤchte gab und Kraͤnze;

Nicht Gram, nicht Mangel trieb ihn fort,

Er zaͤhlte ſechs und vierzig Lenze,

Vielleicht ſeit ſeinem Kinderlauf,

Vielleicht auch druͤber oder drunter.

Sein Auge blickt nicht reizend auf,

Iſt nicht beflammt, nicht groß, nicht munter,

Sein Lippenpaar verlocket nicht

Zur Luͤſternheit nach einem Kuſſe —

O Graf! Sein ganzes Angeſicht

Empfing nichts von dem Honigguſſe

Der Grazien, die an der Braut

Des Fuͤrſten, der Dich Vater nennet,

Mund, Auge, Stirn und Bruſt gebaut.

In dieſes Menſchen Miene kennet

[227]
Man nichts von dem, was die Natur

Ihm mitgegeben zum Geſchenke,

Als er der Dunkelheit entfuhr.

Man ſieht nicht, daß er beſſer denke

Wie mancher, den ſie ſchoͤn gemacht.

Er ſcheinet uns ſo gar zuwider,

So bald er freundlich thut und lacht.

Und doch verdient er funfzig Lieder

Von wegen ſeiner Froͤmmigkeit.

Die Tugend hat von ſeinen Thaten

Gewiß noch keine nicht geſcheut.

Den Weg, auf den die Spoͤtter traten,

Vermied er immer, und die Bahn

Der Gottsvergeßnen und die Freuden

Der Juͤnglinge, die Luſt auf Luſt

Verſchlucken und ihr Auge weiden

An Dingen die vergaͤnglich ſind.

Er ſpannte ſein ererbtes Rind

Am Pflug, den er ſich ſelber machte,

Genoß, was Feld und Garten brachte,

War ſtets zufrieden, war vergnuͤgt

Mit ſeinen ſelbſtgezeugten Ruͤben

Bis Rußlands Voͤlker uns bekriegt

Und manchen Landmann fortgetrieben.

Da ward ſein kleines Gluͤck zerſtoͤrt.

P 2
[228]
O Menſchenfreund! Du haſt ſein Klagen

Mit unverſchloßner Bruſt gehoͤrt,

Und ihn zu retten beygetragen.

Jezt draͤngt ein nachbarlicher Feind

Sein frommes Herz zu neuer Klage;

Reiß ihn heraus, Du Tugendfreund!

Er wendet ſeine Lebenstage

Zu mancher Schnizwerkarbeit an,

Wenn er im Winter nicht die Erde

Mit ſcharfem Pflug durchwuͤhlen kann.

Hilf, Goͤnner! daß er gluͤcklich werde!

Sein Feind, ſein Widerſacher nimmt

Ihm einen Theil von ſeinem Erbe.

Er iſt auf ſeine Stadt ergrimmt,

Laß zu, daß er in Deiner ſterbe,

Und glaube, daß der Hirte frei,

Nicht unterthaͤnig, nicht gebunden

An irgend einem Herren ſey.

Empfinde, was Du oft empfunden,

Wenn Du denjenigen erquickt,

Der bittend Dir durchs Herz geblickt.

[229]

Jeremias Klage
bei

dem Anblick der Flucht ſeines Volkes
aus dem Elſas.


Jeremias, der vor Zeiten

Der Chaldaͤer Kriegesgrauſamkeiten

Und den Jammer Zions ſang —

Jeremias in dem Himmel

Miſchte Klagen unterm Harfenklang,

Da vom Elſaß ein Getuͤmmel

Und ein Angſtgeſchrei empor

Drang bis in das Seraphchor,

Da des Aufruhrs fuͤrchterliche Rotte

Seinem Volke ſchrecklich war.

Nackend, unter bittrem Spotte

Trieb die wuthbeflammte Schaar

P 3
[230]
Das beraubte Volk von hinnen,

Und es konnte durch die Flucht

Lebensrettung kaum gewinnen

Fuͤr den Grimm der Raͤuberſucht.

〟Gott, du biſt die Liebe ſelber,

Rief der Klageſaͤnger aus

〟Goß dies Volk ſich goldne Kaͤlber?

〟Lief es in ein Goͤtzenhaus?

〟Trat es dein Geſetz mit Fuͤßen?

〟Baute ſichs Altaͤre dort,

〟Ein Trankopfer auszugießen?

〟Sprachs zu Holz und Stein: Du Hort

〟Meines Heils! Hilf mir, und neige

〟Doch dein Ohr zu meinem Flehn!〟

〟Gott, warſt du des Frevels Zeuge?

〟Hat dein Auge dies geſehn?

〟Und haſt du im Zorn befohlen,

〟Daß wie ein geſchenchtes Reh,

〟Ohne Athemholen

〟Dieſes Volk mit Ach und Weh

〟Fliehen ſoll an der Welt Ende? —

〟Gott, Erbarmer! ſiehe drein;

〟Mache, daß der Zorn ſich wende!

〟Laß wie vormals maͤchtig ſeyn

〟Deine Liebe, dein Erbarmen!

[231]
〟Siehe, ſiehe da, die Armen,

〟Weib und Greis und Kinder fliehn

〟Voller Todesfurcht und Schrecken:

〟Wer, o wer wird ſie bedecken?

〟Welche Huͤlfshand wird ſie ziehn

〟Von dem Rande des Verderbens?

〟Welches Zoar nimmt ſie auf

〟In der Angſt des Hungerſterbens?

〟Und wo endet ſich ihr Lauf? —

So ſprach der Prophet, und ſehet

Die Erbarmung wuͤrkte ſchon

Maͤchtig eh er ausgeflehet.

Zitternd war das Volk entflohn,

Bebend kam es an die Thore

Baſels, einer Schweizerſtadt,

Die ſonſt mit verſchloßnem Ohre

Sich hinweggewendet hat,

Wenn ſich ein Iſraelite

Nur von fernher merken ließ,

Daß er dort um Eingang bitte.

Aber nun wars ihr ſo ſuͤß,

Sich zu oͤffnen; und die Schwachen,

Und das Weib, das jetzt gebar,

Durch Erquickung ſtark zu machen.

Nun ward Baſel ein Altar

P 4
[232]
Frommer Toleranz, wo Speiſe,

Trank und Kleid geopfert ward

Auf Gott angenehme Weiſe.

Und nun ſcholl nach Davids Art

Lob aus des Propheten Munde,

Und auf Gottes Erdenrunde

Unter allen Himmeln weit

Toͤnt auch Baſels Menſchlichkeit.

[[233]]

Vermiſchte Gedichte.


[[234]][235]

Verſuch einer Dankſagung
an
Koͤnig Friedrich Wilhelm
den Vielgeliebten
.



Monarch und Schoͤpfer eines Gluͤcks,

Das meinem Alter Blumen ſtreuet,

Ich habe nur im Ausdruck meines Blicks

Die Sprache, die kein Woͤrterbuch verleihet,

Nur Thraͤnen hab’ ich, ſtatt des Tons,

Wenn ich Dir danken will, Dir Schutzgott auf der Hoͤhe

Des landesvaͤterlichen Throns —

Ich fuͤhl’s, daß ich auf Roſen gehe,

Auf Roſen ſchlummre leicht und ſuͤß,

Seitdem Dein Woͤllner mir’s verkuͤndet,

Was ihm ſein Koͤnig hieß:

[236]
Ein Haus, ein Haus wird mir gegruͤndet,

Wird aufgebauet, wird geſchmuͤckt,

Als waͤr’s ein Tempelchen der Muſen —

O wenn’s mein Auge nun erblickt,

Dann wird mein abgelebter Buſen

Zu enge fuͤr des Herzens Drang,

Es flammt bei dieſer Augenweide

Vielleicht nur Tage lang,

Wird wonnekrank

Und ſtirbt den ſchoͤnen Tod der Freude:

Sein lezter Schlag iſt Dank!

[237]

An
Ihro Koͤnigliche Hoheit
die
Prinzeſſinn Louiſe,
Tochter des Prinzen Ferdinand
von Preußen
K. H.
Als dieſe hoͤchſten Herrſchaften Bellevuͤe beziehen wollten.



Prinzeßin! die ſo lieblich bluͤhet,

So freundlich iſt wie ſchoͤner May —

Des naͤchſten Jahres Fruͤhling ſiehet

Dich wandeln, wenn der Morgen neu

Des Tannenhaynes Saͤnger weckte,

Und wie mit Diamanten-Glanz

Der Tau das Ufergras bedeckte,

Da wandelſt Du im Blumenkranz;

Und jede Dryas wird ſich neigen,

Und jedes Wieſenbluͤmchen Dir

Demuͤthig ſich zu Fuͤßen beugen —

Und: „Flora, Flora wandelt hier!“

Wird Nachtigall und Lerche ſingen.

[238]
Der Wandersmann verwundert ſich

Bei allen dieſen Wunderdingen;

Horcht die Geſaͤnge, ſiehet Dich,

Und ſieht das Landhaus koͤniglich

Emporgeſtiegen in dem Hayne

Auf Ferdinands Befehl ſo ſchoͤn!

An Seinem Arme ſieht Er Deine

Durchlauchte Theure Mutter gehn,

Und wuͤnſchet Heil dem Hohen Paare,

Dem Du gegeben worden biſt

Von einer Liebe die durch Jahre

Nicht kalt geworden iſt.

Aber wehe den Dryaden

Auf der Friedrichsfelder Flur,

Die umſonſt Euch zu ſich laden,

Ach! ſie leben kuͤnftig nur

Ihre Traurigkeit zu fluͤſtern.

Wer ſie ſieht, und ſonſt ſie ſah,

Siehts an ihren Reizverduͤſtern:

Ferdinand ſey nicht mehr da!

Stolz wird Ihn das Spreegeſtade

In der Sommerwohnung ſehn;

Und der Schwan wird Dich um Gnade

Deines holden Blickes flehn —

[239]

Ihro Koͤniglichen Hoheit
der
Fuͤrſtinn von Anhalt-Deſſau

gebornen Prinzeſſinn von Brandenburg-
Schwedt
am 24. September 1782.


Groß war vor Zeiten

Manch fuͤrſtlich Weib,

Im Kriegesſtreiten

Und im Betreib

Der Throngeſchaͤfte,

Die ſie begann,

Voll Geiſteskraͤfte,

Als waͤrs ein Mann —

[240]
Doch mehr als jene

Biſt Du mir groß!

Du Seelenſchoͤne!

Die Du Dein Loos,

Geliebt zu werden,

So ganz erfuͤllſt,

Und Grambeſchwerden

Der Armen ſtillſt,

Mit Gottesmilde

Ringsher um Dich —

Wie das Gefilde

Im Sommer ſich

Durch Thau erquicket,

Labt ſich Dein Land,

Wenn Dich’s erblicket

An Franzens Hand,

Der ſanft regieret,

Und Vater heißt,

Wenn’s Volk geruͤhret

Dich 〟Mutter〟 preiſt. —

Verſuch
[241]

Verſuch eines Geſanges
zur

Geburtsfeier Sr. Excellenz des Koͤniglich Preußiſchen
Kabinets-Miniſters
Grafen von Hertzberg.



Horcht immerhin auf Siegesboten-Ton

Ihr Barden des beruͤhmten Praters!

Ihr harret lange, lange ſchon

Auf Thaten eures Voͤlkervaters,

Und ruͤſtet euch zu hoher Ode Flug —

Ich ſinge nicht den Kaiſerzug;

Was kuͤmmert mich die Kriegesflotte,

Wohin ſie ihren Donner trug —

Ich ſinge Dank dem hoͤchſten Gotte

Fuͤr die Geburt des Erſten Koͤniglichen Raths

Zu Kriegs- und Friedenszeiten!

Q
[242]
Er blickt umher und merkt aufs Wohl des Staats,

Sein forſchend Auge ſieht von weiten

Am Horizont der Monarchien

Gewitterwoͤlkchen, eh ſie ſich zuſammenziehn.

Er weiß vorher zu uͤberdenken,

Wohin ſich ihre Blitze lenken

Weiß, ob ſie abzuleiten ſind,

Wenn ein Orcan, ein Wirbelwind

Die Wetterwolken naͤher braͤchte —

Ich aber fuͤhle nur, wie gern

Mein Lied die Weisheit ſingen moͤchte,

Die in ihm glaͤnzet wie ein Stern

Am Himmel dunkler Naͤchte.

Waͤr ich noch dreißig Sommer fern

Von der Matronenſtufe,

Haͤtt’ ich mein zwoͤlftes Luſtrum nicht

Schon uͤberlebt noch vor dem Rufe,

Dem Friedrich folgte zu der Stufe

Des Throns in Gottes Sonnenlicht:

Dann wollt ich einen Hymnus ſingen

Voll Jugend und voll Wonnegluth

Der Weisheit Herzbergs, und dem Muth,

Der beſſer kann durch Hinderniſſe dringen,

Als Cineas und als Maͤcen,

Zwo Staatsminiſter grauer Zeiten —

[243]
Ich bin zu ſchwach, die Stimme zu erhoͤhn,

Drum bet’ ich nur mit alten Leuten:

Gott! laß den Thron geſichert ſtehn,

Den Friedrich Wilhelm zum Beſitzen,

Befeſtiget von Friedrichs Hand,

Weit uͤber andre glaͤnzend fand.

Erhalte dieſes Thrones Stuͤtzen

Fuͤrs Vaterland!

Laß unerſchuͤttert, laß noch lange

Den Pfeiler Herzberg dicht am Fuß des Throns

Beſungen werden vom Geſange

Des hoͤchſten Dichtertons!

Q 2
[244]

Ein Gebet an den Mars.



Du Gott des Krieges, laß die Erde!

Dein Schritt, mit Blut bemerkt, iſt fuͤrchterlich, iſt

ſchwer,

Veraͤndre doch die ſchreckliche Gebaͤrde,

Und ſchuͤttle laͤnger nicht den Speer.

Dein wartet der Olymp, und Amor mit dem Bogen

Lauſcht an der Mutter Fuß. Steig von des Mordens

Bahn

Zur Goͤttin; dann betruͤg’ den ſchlafenden Vulkan,

Wie er vor Zeiten ward betrogen.

Von Waffenſchmieden iſt er matt,

Wie Venus, die nach dir ſechs Jahr geſchmachtet hat.

Wie reizend liegt ſie da im Eliſaͤer Lenze!

Die Nymphe windet dir und Venus Mirtenkraͤnze,

Mit Blumen untermengt. Schon gießt ſie Nectartrank

In goldne Schaalen ein; und wenn auch Goͤtter

krank

[245]
Fuͤr heißer Sehnſucht ſind, ſo iſt’s gewiß Cythere!

Horch im Getuͤmmel auf, ſie ſeufzet goͤttlich, hoͤre!

Begieb vom Kampfplatz dich zuruͤck,

Geharniſcht wie du biſt, an Haupt, an Arm und

Fuße.

Cupido zieht dich aus, und deinem erſten Kuſſe

Dankt unſre ganze Welt ihr Gluͤck.

Der Zorn in einer Frau rief, Mavors, dich hernieder,

Die Sehnſucht einer Frau hol’ dich den Goͤttern

wieder,

Und ewig komm’ uns nicht zuruͤck.

Q 3
[246]

An
den Herrn Ober-Conſiſtorialrath
Gedicke.



Was ich von Dir an Spaldings Herz geſchrieben,

War nicht Aufmunterung fuͤr Dich!

Mein Herzgefuͤhl hat mich dazu getrieben,

O mit Begeiſterung hab’ ich

Dein hohes Lied ſchon ſechsmal vorgeleſen,

Und jedes Auge rings um mich

Iſt thraͤnenvoll wie meins geweſen.

Du ſtellſt den Vater Friederich

So liebenswuͤrdig vor, ſo praͤchtig,

Daß unſre Seele niederfaͤllt

Und den anbetet, der ihn maͤchtig

Hat ausgeruͤſtet in der Welt

[247]
Mit allen Gaben, die vor Alters

Der Koͤnig Iſraels gehabt,

Der jede Nachwelt mit den Hymnen ſeines Pſalters

Und ſeines Harfenſpiels begabt,

Und ſtreitbar war und bei der Landesſtrafe

Sich tief gebuͤckt auf ſeiner Bahn,

Gen Himmel rief und frug: 〟Was haben dieſe Schafe

Dir Herzenskuͤndiger gethan?

Dir, du Vergelter! dir, du Raͤcher!

So ſprach der Koͤnig Iſraels, ſo ſpricht

Der Koͤnig Friedrich, wenn ein ſtolzer Friedenbrecher

Ihn in das Feld getrotzt, wo ihm das Herze bricht

Bei ſo viel Menſchenblutvergießen.

Vielleicht geſchiehts, daß dieſesmal

Sein Feind ihn um Verſoͤhnung wird begruͤßen,

Eh noch vom Blut ein Boͤhmerthal

Wird uͤberſchwemmt und Berge zittern

Vom Fall der Helden in der Schlacht,

Wie wenn aus Gottes Ungewittern

Der Bliz bald hier bald da die Baͤume niederkracht,

Mit der Gewalt des Sturms vereinet —

Alsdann ſingſt Du ein Wonnelied,

Woruͤber Braut und Mutter weinet,

Die ihren Liebling wiederſieht —

Q 4
[248]

An
die Frau von Reichmann,

Kommendantin zu Magdeburg.



Der Winter hauchet Froſt an dieſe duͤnne Wand;

Ich aber troz ihm in dem Bette.

Hier ſitz ich, und hier ſchreibt die kaltgewordne Hand

An Dich, und wenn der Nord durch meine Fenſter

redte

Gewaltiger als ſonſt, wenn dieſer Finger krumm

Von Froſt geworden waͤr, ſo wuͤrd ich doch nicht ſtumm,

Ich ſaͤnge Dir ein Lied, Dir! der ich alle Tage

Des Herzens erſten Gruß in einem Liede ſage.

Viel Kaͤlte ſtand ich aus, als Armuth mich gejagt

Fruͤh Morgens aus dem Bett, ſobald es nur getagt,

Wie aͤngſtlich lief ich da nach Holze,

Bei mir voruͤber ging das ſtolze

Und reiche Buͤrger-Volk, nicht vornehm, aber doch

Sehr aufgeblaͤht durch kluges Wiſſen

Des Geldbeſitzens, das ſie noch

Vielleicht, wie Rauch, verlieren muͤſſen.

[249]
Du haͤtteſt laut geweint, von Mitleid hingeriſſen,

Wenn ich bei Dir vorbeigegangen waͤr!

Der arme Koͤrper war inwendig kalt und leer,

Von außen war er ſchlecht behangen;

Ein Buͤndel Holz trug unter jedem Arm,

Das Weib, nach welcher izt ſo warm,

So eifrig Alt und Jung verlangen.

Ich ſchleppte muͤhſam mich und brach das Reiſicht klein,

Saß vor dem Ofen hin, und heitzte zitternd ein,

Die Kinder vor dem Froſt zu ſchuͤtzen;

O Dein Gedanke ſieht mich bei dem Ofen ſitzen,

Ein Topf mit Waſſer ſteht bei trockner Fichtengluth;

Er kocht, ich heb ihn ab, um Mehl darin zu ſchuͤtten,

Die Suppe, ſchlecht und ohne Schmalz, war gut.

Izt duͤrfte keiner mich darauf zu Gaſte bitten.

Seit dem beruͤhmten Sieg bei Leuthen tadle ich,

Den Kaffee, wenn er nicht ſo kraͤftig iſt, daß mich

Sein waͤrmend Oehl beſchuͤtzt vor einen boͤſen Huſten,

Den alle Suppen mir nicht zu vertreiben wuſten;

Jezt eben komm ich, Frau, und wenn ich Dich gekuͤßt,

So fraͤgt mein erſter Blick: ob Kaffee fertig iſt!

Q 5
[250]

Ueber
die Vergleichung.


An Nanntchen.


Den 5. Okt. 1779.

Laß Dich bey Leibe nicht vergleichen

Mit meiner Kleinigkeit,

Ich lief nur unter Haſelſtraͤuchen

In fruͤher Jugendzeit,

Wenn unter einer Bacchuslaube

Dein zartes Fuͤßchen ging,

Wo Dir die ſchoͤnſte Purpurtraube

Ins Roſenmaͤulchen hing —

Ich kannte nur die Nachtigallen;

Kein buntes Papchen ließ

Im Hauſe meinen Namen ſchallen,

Fuͤrs Futter fein und ſuͤß.

Mein Sopha war nur Wieſenerde:

Da ſchwatzete mein Mund

Mit Blumen und mit meiner Heerde,

Die trieb ich ohne Hund.

Mir horchten auf ein Wort drey Rinder,

Wie Dir Fidelchen Boll,

Ich pflegte meiner Mutter Kinder,

[251]
Wenn Du von Liebe voll

Auf Deinem Schoße Zuckerkuͤchlein

Dem Klaͤffer gabſt, und ihn

Das Maul mit einem ſeidnen Tuͤchlein

Verſtopfteſt, weil es ſchien,

Daß er Mamachen wecken moͤchte —

Du warſt geboren reich;

Ich bin vom Ackerbaugeſchlechte,

Darum iſt ein Vergleich

Nie zwiſchen Dir und mir zu machen.

Du ſingſt dem Mann allein,

Biſt groß, kannſt uͤber Fuͤrſten lachen;

Ich darf ſo ſtolz nicht ſeyn!

Doch dring ich nicht auf Marmorſtufen

An karger Fuͤrſten Ohr:

Der Koͤnig ſelber ließ mich rufen

Nach Sansſouci empor,

Ob er gleich nicht das Deutſche liebet;

Und was kann ich davor,

Daß Ferdinand mir Antwort giebet,

Der große Ferdinand!

So vielmal Ihm mein Herz geſchrieben,

Von aller Haabſucht rein:

Er muß bey hohen Heldentrieben

So ſtolz wie Du nicht ſeyn.

[252]

Die
goͤttlichverkannte Phillis im Walde.



Als juͤngſt der Hirſch voll Liebesflamme

Sein Thier verfolgte, das ihn floh,

Da ſtand an einem Birkenſtamme

Der alte Jaͤger Sylvio.

Ein Greis iſt er, und noch verſtocken

In ihm des Lebens Saͤfte nicht,

Ihm flattern taubenweiße Locken

Um roſenfarbnes Angeſicht.

Betrachtend ſtand vom Meſſerſchnitte

Verwachſen in den ſtarren Baum:

Da rauſchten meiner Phillis Tritte

Vorbei und ihres Kleides Saum.

Zuruͤck fuhr Sylvio der Alte,

Ihr Goͤtter! rief er, ja ſie rauſcht

An mir vorbei, die wohlgeſtalte

Diana, die das Wild belauſcht.

[253]
Welch eine Miene! welche Wangen!

O Phoͤbus! welch ein Angeſicht!

Sie kann den Hirſch durch Blicke fangen

Und brauchet Pfeil und Bogen nicht.

Fleuch nicht, Diana! bleib, ich ſchlachte

Zum Opfer dir ein junges Reh,

Das ich ſo zahm wie Laͤmmer machte,

So weiß iſt es wie neuer Schnee.

Ich will dir einen Eber wuͤrgen,

Der trotzig durch Moraͤſte brach,

Dem ich vergebens auf Gebirgen

Und in Gebuͤſchen ſpaͤhte nach.

Ich will ihn finden, o Diane!

Drei Liebesgoͤtter helfen mir.

Mein Wurfſpieß trift trotz ſeinem Zahne,

Zu Fuͤßen ſoll er bluten dir —

Ha! welch ein Blick! mich zu verachten?

Nun will ich dir auf dieſem Block

Kein weißes Reh zum Opfer ſchlachten,

Nein, einen ſchwarzen Ziegenbock.

[254]

Lied einer alten reichen Wittwe,
die gern Dame werden will.


Warum ſollt ich mich denn haͤrmen,

Hab ich doch Reichthum noch,

Junges Muths zu ſchwaͤrmen!

Reichthum, Reichthum ſoll mir geben

Einen Mann, der mich kann

Uebern Poͤbel heben —

Dann bin ich Hochwohlgeboren!

Fuͤr mein Geld, alle Welt

Staunt und ſpitzt die Ohren.

Freude wird mich uͤberladen,

Wenn die Magd ſchuͤchtern fragt;

„Was befehl’n Ihr’ Gnaden?“

[255]
Wenn ich ſie zum Dienſtvergelten

Ihrer Muͤh tolles Vieh,

Dumme Gans darf ſchelten;

Wenn Sie mich wird bitten muͤſſen

Oben drein, um Verzeihn,

Und den Rock mir kuͤſſen —

Hat ſie mich nun angekleidet,

Stuͤck vor Stuͤck, daß mein Blick

Sich im Spiegel weidet:

Dann traͤgt ein Geſpann von Rappen,

Im Gallop, hop, hop, hop!

Mich und auch mein Wappen!

Welche Wolluſt, welch Entzuͤcken!

Wenn im Saal mein Gemahl

Links und rechts mit Blicken

Zu verſtehn giebt, daß ſein Name

Stolz gebeut: ſeyd geſcheit

Kropzeug, weicht der Dame!

[256]

Duett zu einer Operette.


A
In dieſem ſtillen Hayne gatten

Sich Freiheit, Friede, Luſt und Ruh,

Hier eilen wir einander zu

Und ſuchen uns im dickſten Schatten,

Hier find’ ich Dich — mich findeſt Du —

B
Die Nachtigall in dieſen Straͤuchen

Gleicht im Geſeufz der Liebe mir,

In ſuͤßer Scherzluſt gleicht ſie Dir,

Und ſchluͤpft, uns beiden mehr zu gleichen,

In ſichern Schatten ſo wie wir.

A
Wie girren dort die Turteltauben;

Wer kann ihr Girren nicht verſtehn?

Und o wie kuͤſſen ſie ſo ſchoͤn:

Dir ſolchen Kuß auch zu erlauben,

Dies hab’ ich ihnen abgeſehn.

An
[257]

An
die juͤngſte Demoiſelle St*hl.



Die Du von eines Thronenſitzers Mund gekuͤßt,

Noch ſo beſcheiden bliebſt, ſo liebreich wie Du biſt,

O Freundin! die ſich nicht veraͤndern,

Nicht ſtolzer machen ließe, weil

Ein großer Herr von vielen Laͤndern

Dich liebte, Dir von ſeinem Glanz den halben Theil

Und ſeinen ganzen Namen gaͤbe,

Und ſchwuͤre, daß er Dir nur zu gefallen lebe,

Gefuͤhrt am ſtarken Liebesſeil,

Sprich: ob das moͤglich iſt, was uns Dein Vater ſaget,

Daß einen ſonſt ganz ſanft geſchaffnen Koͤnigsſohn

Die Herrſchſucht und der Geiz nach weitern Graͤnzen

naget,

R
[258]
So bald er auf dem goldnen Thron

Die Schwindel bringende zu ſteile Hoͤh beſtiegen,

Alsdann vereinet ſich die Ehre mit der Macht,

Der junge Herrſcher wuͤnſcht den Nachbar zu

bekriegen,

Am Tage denket er den Plan zu Feldeszuͤgen

Und traͤumet vor dem Zug die Schlacht,

Wirbt Juͤnglinge zu ſeinen Fahnen,

Legt Schatzung auf die Unterthanen,

Und glaubet keinen Gott als ſich,

Macht durch Befehl und ſchnelle Strafen

Sein Anſehn drohend fuͤrchterlich,

Und wird doch niemals froh wie Einer bei den

Schafen

Und Ziegen ſeines Landes lebt,

Der nie nach groͤßerm Raum des kleinen Ackers ſtrebt,

Zufrieden iſt mit ſeinem Garten

Und von dem unverſchnittnen hohen Apfelbaum

Die reifen Fruͤchte bricht und nicht des Weines

Arten

Zu unterſcheiden weiß wie Fuͤrſten mit dem zarten

Zur Kitzelung gewoͤhnten Gaum.

O Freundin, als die Welt noch keine Fuͤrſten

brauchte,

Als noch der Fruͤhlingswind in keine Blumen hauchte,

Die ein gedingter Arm begoſſen und gepflanzt,

[259]
Und noch die Menſchen vor einander

Sich nicht gefuͤrchtet und verſchanzt,

Da machte noch kein Alexander

Sich ſelbſt zum Gott, und kein Geſchrei

Des Treffens riß die Wolken von einander,

Da war ein Sterblicher dem andern noch getreu,

Die Maͤnner winkten ſich am Pfluge Freundſchaft zu,

Die Maͤdchen waren Schaͤferinnen,

Und ſangen auf der Trift und wußten ſo wie Du

Durch ſuͤßen Blick die Herzen zu gewinnen.

R 2
[260]

Dem Andenken
des
Herrn Hofrath Stahl
bei ſeinem Grabe.



Hier liegen ſie, die heiligen Gebeine

Des Menſchenfreundes, der zum Schooße Gottes

flog,

Komm, meine Tochter, komm und weine!

Hier gab der Mann, der dich erzog *),

Das ſtanbgewebte Kleid der Erde

Zuruͤck, und wird nicht mehr geſehn;

Sein Flug iſt ohne feurige Pferde,

Iſt ohne flammenden Wagen geſchehn,

Durch alle Sterne die uͤber uns glimmen

Wie Funken, und doch Welten ſind;

Ihm rufen tauſend klagende Stimmen:

Mein Vater! — mein Vater! — denn Er hat manch

verwayſetes Kind

[261]
Geſpeißt, gekleidet, auf immer begluͤcket,

Viel matte duͤrftige Kranken erquicket,

Erwaͤrmet, und wieder zum Leben erweckt;

Und ſeine ſanfte wohlthaͤtige Rechte

Vor ſeiner Linken verdeckt,

Damit es ihr unwiſſend bleiben moͤchte;

Sein Engel aber hat alles bemerkt,

Und in der letzten zielerſtrebenden Stunde

Die muͤdegewordene Seele geſtaͤrkt,

Die ſich vom freundlich geſchloſſenen Munde

Mit ihrem Begleiter gen Himmel erhob,

In welchem ſein frommer Gedanke laͤngſt ſchwebte;

O Tochter, beſinge du kuͤnftig ſein Lob:

Wie beyſpielleuchtend er lebte,

Wie unveraͤnderlich guͤtig Er blieh!

Ich kann es nicht ſingen,

Mich hindern Thraͤnen, Er war mir zu lieb.

Die Zeit kann Schaͤtze wiederbringen,

Und jedem gewaͤſſerverheereten Thal

Noch ſchoͤnere Blumen verleihen,

Nur mit dem redlichgeprieſenen Stahl,

Kann ſie nicht mehr die Herzen erfreuen

Die ſeine Tugend gewann.

Ihn klagen Spalding, Sulzer und Leßer,

Und Sack und Hermann vereint;

R 3
[262]
Sie alle kannten Ihn laͤnger und beſſer,

Den nimmer wankenden Freund,

Den immer heiteren Chriſten und Weiſen,

Der alles vertragen konnte, nur nicht

Geſchminkte Luͤgen, und heuchelndes Preiſen

Ins Angeſicht.

Sie alle gieſſen, ſtatt Honig und Weines,

Aus trauriger Pflicht

Ihm Thraͤnenopfer aufs Grab, und eines

Der groͤßeſten bringet der edele Mann,

Der aͤlteſten klagenden Tochter, ſie lehnet

Am Pfeiler des Grabes ſich an,

Das Auge zur Erde geheftet, und ſehnet

Sich nach dem Vater, und ſpricht:

„Komm juͤngere Schweſter, und miſche die Zaͤhren

〟Mit meinen; du ſaheſt Ihn nicht

〟Noch einmal *); und wirſt es vergebens begehren,

〟Bis dermaleinſt zum großen Gericht

〟Des Engels Poſaune die Todten vereinet,

〟Und Er gleich einem der Engel erſcheinet

〟Im ſeeligen Licht.“

[263]

Zuruf an den Fremdling
beim Marmorſarge
Friedrichs des Großen
am 18. Auguſt 1786
.


Wandrer, weile noch und ſteh,

Dich mit unſern Herzen zu betruͤben

Bei dem weißen Marmor, uͤberſchrieben:

Friedrich, der Alleinzige. —

Siehe nur, ſo viel iſt hier geblieben

Von dem Erſten aller Koͤnige —

Nur ein enges Beingehaͤuſe

Ward die Wohnung eines theuren Haupts,

Voll Gedanken! ſtark, und hoch, und weiſe!

Keine Nachwelt glaubts,

Was Ihm unter Seinen Zeitgenoſſen

Biographen, Redner, Dichter hier,

Als ein Todtenopfer, ausgegoſſen,

Da Sein Geiſt mit hoher Flugbegier

R 4
[264]
Ueber Laͤnder, Meere, Graͤber, Thronen,

Sich erhob ins unbekannte Reich

Zu den Koͤnigen, die ihre Kronen

Wohl geſchuͤtzet, und zugleich

Suͤßen Landesvaternamen

Lieber hoͤrten, als den Titelklang

Eines Ueberwinders, wenn ſie kamen

Aus dem Siegesthatendrang.

Vaterlandesvater war der Große,

Der Geprieſne, wenn Er weit

Von des Vaterlandes Schooße

Unter fuͤrchterlichem Streit,

Unter Kriegesblitz und Donnerſchlaͤgen,

In Gefahr wie Berg und Felſen ſtand. —

So viel Blicke, ſo viel Vaterſeegen

Gab Er Seinem Volke, wenn das Land

Friedensſeeligkeit genoſſen.

Ach, auf Seiner lorbergruͤnen Bahn

Iſt nie eine Tagesfriſt verfloſſen

Ohne daß Er Guts gethan —

Niemals kam ein junger Morgen,

Der in Seiner rechten Hand

Den Regierungsſtab nicht fand,

Schwer von Koͤniglichen Sorgen,

[265]
Oder großer Feldherrn Pflicht.

Immer war Sein Angeſicht

Vor der Morgenroͤthe munter,

Bis Sein Augenglanz ſich unter

Todesdunkelheit verlor —

Doͤrfer hieß Er aus der Erde ſteigen,

Wenig Tage noch zuvor,

Eh Sein Mund auf immer mußte ſchweigen:

Ihm zum Hymnus bluͤhen ſie empor!

R 5
[266]

An
Mademoiſelle Sack.


Du Prieſterkind! den Muſen nachzuſteigen,

Iſt eines Wandrers Muͤh, der, Berge die ſich zeigen,

Leicht zu erforſchen denkt, er gehet Tage lang

Und iſt noch nicht dem Berg am Fuß gekommen,

Von welchem er das Haupt ſo deutlich wahrgenommen:

Solch ein beſchwerlich Werk iſts, ehe der Geſang

Des Leſens wuͤrdig wird. Da murren ſelbſt die Soͤhne

Apollens auf den Mislaut ihrer Toͤne.

Eh bei mir ſelbſt mein Lied den halben Beifall fand,

Sind ſieben Lenze hingegruͤnet,

Und ob es bei der Welt den Beifall noch verdienet,

Bleibt mir noch zweifelhaft, noch immer unbekannt.

Von der Natur gewaltig fortgetrieben

Hab ich Gedanken hingeſchrieben,

[267]
Erſt niedrig, ohne Schmuck, und rauh,

Ich waͤhlte, ich verwarf; ſo wirft ein Kind den Bau

Von Karten auf dem Tiſche nieder,

Hebt ſchnell die Blaͤtter auf, und baut das Haͤuschen

wieder

Und freuet des Geſchoͤpfes ſich.

Ich baute eben ſo, war kuͤhn, blieb unverdroſſen,

Wenn gleich mein Lied nicht Meiſterliedern glich;

Du aber wurdeſt aͤrgerlich,

War Dir der Vers nicht halb gefloſſen.

Sei dankbar der Natur; ſie gab Dir Faͤhigkeit

Zu Werken, die ich nicht verſtehe.

Du machſt Dir ſelbſt im Anwand Deiner Zeit

Den weißen Puz, den ich im Laden ſuchen gehe.

Sei gluͤcklich in der Welt! ward nicht die Muſe Dein,

So ſoll ein Muſenfreund Dir mehr als Phoͤbus ſeyn!

[268]

Ob Sappho
fuͤr den Ruhm ſchreibt?


An
die Frau von Reichmann
den 10. Maͤrz 1762.


Frau, ſchreib ich fuͤr den Ruhm, und fuͤr die Ewigkeit?

Nein, zum Vergnuͤgen meiner Freunde!

O das Geruͤchte traͤgt nur eine kurze Zeit

Mit unſerm Ruhme ſich; ſobald wir von dem Feinde

Der Menſchheit uͤberwunden ſind,

Verflattert er ſo leicht wie Blaͤtter, die der Wind

In irgend einen Fluß gewaltig fortgetrieben,

Homer, Virgil, Horaz und Pindar ſind geblieben;

[269]
Die Griechin aber nicht, die meine Leyer trug,

So zaͤrtlich war wie ich, nach ihrem Phaon frug

Und nach dem Leben nicht; ſie flog zum Tode wieder.

Nichts blieb uns als ein Brief und zwey beflammte

Lieder.

Die andern ſchrieb der Neid ſich diebiſch heimlich ab,

Und endlich fanden ſie in einem Brand ihr Grab!

O Sapho war beruͤhmt! ihr Volk, ein Volk von Prinzen,

Trug ſeine Dichterin auf viel Gedaͤchtniß-Muͤnzen,

Und mancher Kuͤnſtler hieb ihr Bild in Marmor aus,

Und Kenner redeten ihr Lob bey jedem Schmauß.

Halb Goͤttin war das Weib; neun Buͤcher ſchrieb ſie voll

So ſchoͤn, als waͤren ſie geſchrieben vom Apoll.

Und ach! von alle dem, was ſie ſo ſchoͤn geſchrieben,

Iſt nur ein kleiner Reſt fuͤr unſre Zeit geblieben!

Frau, ſolch ein Schickſal trift auch meine Lieder einſt!

Wenn Du voll Zaͤrtlichkeit bey meiner Aſche weinſt.

Noch ehe ſich an mir die Wuͤrmer ſatt gefreſſen,

Dann, Frau, hat ſchon die Welt mich und mein Buch

vergeſſen ꝛc.

[270]

An die Oſterſonne.



Oſterſonne! du biſt ſchoͤn

Meiner Freundin aufgegangen,

Kinder werden um ſie ſtehn,

Ihren Seegen zu empfangen,

Und dazu ein buntes Ei,

Und ich hoffe, daß ſie heiter

Wie der Oſtermorgen ſey,

Hoffe, daß ſie mich noch weiter

Lieb behalten wird, ob ich

Gleich ihr Antlitz nicht mehr ſehe —

Oſterwaſſer laͤßt Sie ſich

Wol nicht ſchoͤpfen in der Naͤhe

Aus der Elbe, wo du dich

Dreymal huͤpfend haſt geſpiegelt,

Sie will nicht verſchoͤnert ſeyn —

Gruͤße hat Sie fortgefluͤgelt,

Und vielleicht iſt einer mein

Unter dieſen Oſtergruͤßen,

Und in dieſem Erdenthal

Werd ich heute Dich genießen

Ganz gewiß zum letztenmal;

Denn ich darf nichts mehr verſuchen

[271]
Vom gebratnen Oſterlamm,

Oder auch vom Oſterkuchen;

Ich bin wie ein Weidenſtamm,

Den der Wurm ganz hohl gefreſſen

Und die Fluth halb abgeſpuͤhlt

Von dem Raum, wo er geſeſſen.

Meine Seele lebt und fuͤhlt

Nur noch deinen Glanz, du milde

Suͤße Knoſpenoͤfnerin!

Nur mein Auge ſieht noch hin

Ins bebluͤmte Grasgefilde,

Bleibt noch munter, bis es bricht;

Brechen wirds eh du vorhanden

Wieder biſt, und ſingen hoͤrſt:

Von dem, den du huͤpfend ehrſt,

Er ſey auferſtanden —

Auferſtehen ſoll auch ich,

Aber ob mit dieſem Leibe,

Den du waͤrmeſt, wenn ich dich

Sehe durch die Fenſterſcheibe,

Ob mit dieſer welken Haut

Und mit dieſen morſchen Knochen?

Ob mein Grab wird durchgebrochen

Von dem Kopfe, der jezt ſich

In die Hoͤhe kann erheben,

Wenn die Nacht dem Tage wich

[272]
Und du Thaͤtigkeit gegeben

Einer halben Welt wie mir —

Ob du mich ſiehſt auferſtehen,

Oder ob auch deine Zier

Mit den Bergen untergehen,

Mit den Thuͤrmen ſtuͤrzen muß? —

Ach! dies kann kein Weiſer ſagen,

Und ich wills auch beim Genuß

Nicht ergruͤbeln, nicht erfragen,

Will genießen deinen Glanz

In des jungen Fruͤhlings Tagen,

Will mir einen Blumenkranz

Noch um meine Schlaͤfe winden,

Wo ſich hin und wieder nur

Laͤßt ein graues Haͤrlein finden,

Des geſtiegnen Alters Spur. —

Soll mir nun mein Auge brechen,

Ehe noch ein Jahr entſchluͤpft

Und von dir viel Chriſten ſprechen,

Daß du dreimal aufgehuͤpft

An des Oſtertages Morgen,

Dann hab’ ich den Engel lieb,

Der aus einer Welt voll Sorgen

Mich in eine beßre trieb —

Der
[273]

Der Skorpion,
die Schildkroͤte und die Gans.


Eine Traumfabel.


Am weidenreichen Spreegeſtade,

Wo die geſicherte Najade

Ihr lockigt Haupt noch ſtolzer trug,

Seitdem in Sachſenland Held Heinrich Feinde ſchlug;

Am Spreegeſtade kroch aus einem holen Baum

Ein Skorpion, das glaubt man kaum.

Giebts zu Berlin auch Skorpionen?

Ich dachte, daß ſie nur in heißen Laͤndern wohnen.

Mein Leſer, hoͤre doch, ich ſah ihn nur im Traum.

Er kroch am Ufer hin und wieder,

Und ſah, von bittern Neid bewegt,

Ins gruͤne Schilf ſcheelſuͤchtig nieder

Auf ein Geſchoͤpf, das ſich mit breitem Schilde traͤgt,

Und ſchmackhaft iſt am Fleiſch, und nach dem Tode

glaͤnzet

In ſeinem Deckel ſchoͤn polirt.

Der Skorpion mit Gift zum Schadenthun geſchwaͤnzet,

Von der Natur, und nicht geziert

S
[274]
Mit bunten Flecken, wie die Schlangen,

Der Skorpion kroch an das Schilf

Und ſprach: dir Freundin ſey geklaget mein Verlangen,

Dort uͤbern Strome will mein Bruder mich umfangen,

Und ſchwimmen kann ich nicht; du aber kannſt, ach hilf

Mit deinen Rudern mir heruͤber!

Die Kroͤte mit dem Schilde ſpricht:

Gefaͤlligkeit iſt meine Pflicht,

Und kein Geſchaͤfte war mir lieber

Als dies; mein Schild iſt breit genug.

Sie ſprichts: er ſetzt ſich auf und da ſie nun getreulich

Den giftigen Verraͤther trug,

Schwamm eine Gans daher und ſchlug

Mit beiden Fluͤgeln auf, und ſchrie: das iſt abſcheulich!

Jetzt floͤßt dir guten Schwimmerin

Der, den du traͤgſt, das Gift im Ruͤcken.

Verdammter! ſprach hierauf die treue Traͤgerin,

Mich panzert die Natur zu ſehr vor deinen Tuͤcken,

Dein Gift floß ſchadlos in den Fluß;

Sey du ihm nachgeſtuͤrzt! Hier tauchte ſie ihn nieder —

Der Skorpion hat noch viel Schweſtern und viel

Bruͤder.

O daß nicht jeder Menſch nach dem Verraͤther Kuß,

Den er gegeben hat, alſo erſaufen muß!

[275]

Der Adler und die Pfeifvoͤgel.


Eine Fabel.


Ein Adlererbe gab vor Zeiten

Der erſten Nachtigall den Preis,

Er hatte ſie behorcht von weiten

Schon manchen Mai, da noch der Greiß

Sein Vorfahr koͤniglich regierte,

Der auf ihr Lied nie Acht gehabt.

Jezt ward ſie oͤffentlich begabt

Mit Ehre, die ihr laͤngſt gebuͤhrte.

Ha! nun erhub ſich ein Geſchrei:

Der neue Felsbeſitzer ſey

Ein großer Freund des Singechores —

Da pfiffen Amſel, Droſſel, Staar,

Und Guͤmpel, und die ganze Schaar

Verſprach ſich auch des Adlerohres

Gehoͤr bei ihrem Schnabelſchall;

Er aber ließ herab befehlen:

Schont Eure Schnaͤbel, eure Kehlen!

Mein Ohr gehoͤrt der Nachtigall.

S 2
[276]

Dorimoͤn und Amariethe
in
ihrer neuen Wohnung.



Dorimoͤn.
Du Wonne meiner jungen Tage,

Du Leben meines Lebens, ſage,

Wie dieſe Huͤtte dir gefaͤllt?

Amariethe.
Wie einer von den Erdgoͤttinnen

Der allerhoͤchſte Thron der Welt!

Dorimoͤn.
Mein Vater wohnete darinnen

Viel ſchoͤne Sommer lang, und fand

Vergnuͤgen dran mit eigner Hand

Die zarten Baͤume zu begießen,

Die dazumal von mir ſich noch umſpannen ließen,

[277]
Und nun ſo hoch empor geſtrebt;

Hier hat mein Vater froh gelebt,

Wie in dem ſeligen Gefilde

Der erſte Menſch mit ſeiner Braut.

O du nach eines Engels Bilde

Fuͤr mich ſo liebenswerth gebaut,

Hier will ich leben dir zur Seite

So gluͤcklich wie der erſte Mann.

Amariethe.
Hier geb ich dir durch Blumen das Geleite

Vom kunſtgepflanzten Garten an

Bis in die wilden Roſen-Hecken.

Dorimoͤn.
Der Laube gruͤnes Dach ſoll dich und mich

verſtecken

So oft der Mittag gluͤht; hier will ich Roſenduft

In langen Zuͤgen geitzig trinken,

Und wann aus ungepaarten Finken

Die bange Liebe lockend ruft,

Und wann die Nachtigallen klagen,

Daß Fels und Huͤgel Antwort giebt,

Dann will ich im Entzuͤcken ſagen:

Ich bin geliebt!

S 3
[277]
Amariethe.
Und ich will mich von deinem Buſen ſtehlen

Des Morgens, wenn aus Lerchen-Kehlen

Das erſte Lied gen Himmel toͤnt;

Ich will die ſchoͤnſten Blumen pfluͤcken

Den kleinen Altar auszuſchmuͤcken,

Den deine Mutter oft gekroͤnt

Mit Roſen und mit Reben-Ranken;

Dann wecket dich mein ſanfter Kuß,

Dann folgſt du meinem Wink und knieſt mit mir

am Fuß

Des Opfer-Heerdes, dem zu danken,

Der alle Weſen kommen hieß,

Und uͤber unſern Haͤuptern Sonnen

Und um uns her die Flur entſtehen ließ,

Und dich erſchuf, den ich ſo zaͤrtlich lieb gewonnen,

Dich meines Herzens ſuͤßen Freund!

Dann beten wir und loben mit einander

Den guten Gott, der uns vereint,

Und unſer Lob ſteigt mit einander

Wie zween Flammen hoch empor

Und unſer Lob erreicht ſein Ohr!

[279]

Phillis, die Helferin.
Eine Idylle an Damon.
1763.


Hellaugigte, dem Fruͤhling aͤhnliche Tage wuͤnſch ich

O Damon! dir, und jeglichem zartfuͤhlenden Schaͤfer,

Dem ſein Schickſal verlieh eine Huͤtte von duͤnnen

Gewebten Widerſtand gegen die herbſtlichen Sturm-

winde,

Welche gefiedert mit Schneeflocken, oder mit peit-

ſchenden

Wolkenguͤſſen daher kommen, und in mitternaͤchtlicher

Stunde

Feindſeelig von deinem Auge verſcheuchen den Kraft

einfloͤßenden

Schlummer. Du laͤchelſt meinen Bedaurungen, denn

Deine zufriedne ruhige Seele ſchaͤtzt dich gluͤckſeelig

Gegen einer unzaͤhlbaren Menge von Menſchen, de-

nen nicht

Das gefraͤßige Raubthier, der Krieg, gelaſſen hat

das Fell

S 4
[280]
Eines Lammes, um ihre Schultern zu ſchuͤtzen vor

Dem Mauerdurchdringenden Nordwind, der

Die Waͤlder entbloͤßt, und abſtreift ſorgfaͤltig gepfle-

geten Baͤumen

Des ungezaͤuneten Gartens jegliches Blatt. Traurig

Stehen ſie da! gleich der nakkenden Armuth weinen

Sie von ihrer ſchmuckloſen Stirn herunter die Naͤſſe

Der dicken niederfallenden Luft, voll Schauer einhau-

chenden

Kaͤlte. Dieſer Anblick, o Damon! erinnertdeine Phillis

An das Bild einer ungluͤcklichen Hirtin. Hoͤre von mir

Du leiſefuͤhlender Schaͤfer! Dieſe das Herz angreifende

Geſchichte, und liebe noch anbetender Deine Phillis.

Sie bewohnte mit ihrer trauertragenden Mutter

Eine nicht weitraͤumichte Huͤtte auf wehrloſer Trift

In jenen ſchrecklichen Tagen, als Raͤuberheerden

Aus fernen Wuͤſteneyen gezogen kamen. Gleich den

Verderblichen Wetterwolken hagelten ſie Verwuͤſtung

Auf bluͤhende Fluren, nnd dichtverwachſene Weitzen-

furchen,

Und zerbiſſen mit ſchaͤumendem Zahn den grasgruͤnen

Apfel

Und die unvollkommene, ſteinharte Birn

Abgeriſſen von den widerſtrebenden Aeſten des un-

willigen

[281]
Baumes. Bruͤllend ſtuͤrzten ſie uͤber die Felder

Auf Pfeilſchnellen Roß. Ihr Anſehn war das furchtbare

Bild eines Thraciers oder Parthers, vor welchen in

alten Zeiten

Gezittert haben die Schaͤfer unter den Mandelbaͤumen

Und Weinſtoͤkken der immergruͤnenden Huͤgel

Und blumvollen Thaͤlern Italiens. Phillis troͤſtete

Mit uͤberredender Stimme ihre zaghafte Mutter;

Zaͤrtlich druͤckte ſie das bebende Herz an ihren kindlichen

Buſen, in welchem mehr maͤnnlicher Muth klopfte,

Und mehr Zuverſicht redete von den beſchuͤtzenden

Goͤttern.

Aber jetzt ward Phillis geſchreckt aus muͤtterlichen

Armen

Durch Tumult und Geſchrei, gleich dem Geheule eines

Wirbelwindes, der verwickelt geweſen in irgend ei-

nem alten

Gemaͤuer, und nun mit toͤſender Gewalt hervorbrauſet

Und in Grauen verhuͤllt die Seele des naͤchtlichen

Wandrers.

Phillis eilte dem Wirbel entgegen;

Ihr aufgeloͤſetes Haar flog in melancholiſcher Ordnung

Um den eleganteſten Nacken. Mit keichender

Bruſt draͤngte ſie ſich in einen wehklagenden

Zirkel des erſchrockenen Volks. Alle rungen uͤber

S 5
[282]
Beſtaͤubten Haͤuptern die Haͤnde, und in der Mitte

des Kreiſes

Lag ausgebreitet ein elendes Weib auf ihrem ſter-

benden

Mann. Er weidete Rinder unter den Haſelſtauden

Und Pappelbaͤumen, als die Wolke von Feinden

Daher gerauſchet kam. Einer, dem die Schwaͤrze

des Pluto

Die haarichte Wange bedeckte, trat vor dem Rin-

derhirten

Und frug mit der Stimme des Donners: ob jenſeits

Des Berges gelagert waͤren kriegeriſche Juͤnglinge

Zum deckendem Schilde der Heerde? Ihn verſtand

nicht

Der zuruͤckbebende Rinderhirte, und ploͤtzlich flog

Aus den rauhhaͤutigen Haͤnden des Barbaren

Der moͤrderiſche Wurfſpieß in das Eingeweide

Des Mannes, welcher nun ſchwimmend in ſeinem

Blute

Das Leben ausroͤchelte. Drei uͤbelgekleidete Kinder

Vermengeten ihre weinende Stimme in das Jammer-

Geſchrei ihrer Mutter, an deren Buſen ein dreitaͤgiger

Saͤugling einen Theil der Bitterkeit ihres Schmerzes

Verſchluckte. Die mitleidige Luft heulte ihre laute

Seufzer nach, und die Erde des Grabhuͤgels oͤffnete ſich

[283]
In großen Ritzen, aufzutrinken den ſalzigen Strom

ihrer Augen.

Dazumal rieſelten kleine Baͤche in dem Herzen der

Phillis

Und zween koſtbare Thraͤnen, gleich den Thautropfen,

Die auf Roſen zittern, floſſen auf den Aurorfarbnen

Wangen nieder in ihren Lilienbuſen. Huͤlfreich bot ſie

Ihre Rechte der mattgeaͤchzten Hirtin, und fuͤhrte ſie

Zuruͤck. Ihre Kinder wankten um ſie her. So kommen

Nach einem Wolkenbrechenden Platzregen unvermoͤ-

gende

Bloͤkende Laͤmmer hinter den Schaafmuͤttern, und

tragen

Den Tod in erſtarreten Knoͤcheln. Jezt waren Phillis

Und die Verlaßnen in einer armſeligen Huͤtte.

Sie zog aus ihrer Taſche hervor, Feigen, und Roſinen

Und zween erquickende Aepfel, und ſtaͤrkte mit Reden

Der Weisheit das verzweifelnde Weib, und ging von ihr,

Um das Herz der beſten Schaͤfer zum Mitleid

Gegen die Beduͤrftige zu ſchmelzen. Ein ſo edler Vorſatz

Gelung ihr. Die Schaͤfer gaben zuſammen, und Phillis

Vergaß nicht beizulegen ihr Theil zum Unterhalt

Derer, die alles verloren hatten. Unſere Vorfahren

Haben erzaͤhlet von einem Lautenſpieler, der die Wellen

Und die Meerfiſche horchend gemacht. Deine Geliebte,

[284]
Mein fernweidender Damon! traͤgt in ihrer Zunge

Ein gleich wunderbares wohlklingendes Saytenſpiel.

Sie oͤffnete die Lippen, und alles ſtand unter der Herr-

ſchaft

Ihrer Honigſtroͤhmenden Beredſamkeit. Nun wan-

delten

Sich die Klagen der ungluͤckſeligen Rinderhirtin

Zu einem Lobgeſang. Einsmals, da ſchon das Angeſicht

Der Nacht mit dunkelgrauem Schleyer verhangen war,

Und nur einige Sterne anzeigten ihre koͤnigliche Wuͤrde;

Da ſchlich die beſcheidene Phillis zu der ſchwarz-

balkigten

Huͤtte ihrer armen Hirtin. Sie lauſchte unter der

Niedrigen Huͤtte, und hoͤrte ſingen, und vernahm

Bald darauf einen betenden Ton. Auf ihren

Abgemergelten Knieen lag das muͤhſelige Weib,

Auf jeglicher Seite knieeten zween Kinder,

Und auf ihren beyden ausgeſtreckten Armen hielt ſie

Den Saͤugling. 〟Hoͤre mich! rief ſie, du Erſter,

Unſichtbarer,

All-Lebenſchaffender! es ſei, daß dich die Himmel Jupiter

Oder Apollo nennen, wie du auch heißeſt, ich fuͤhle

Daß du biſt; denn durch deinen unhoͤrbaren Zuruf

Ward mir gebracht jene helfende Phillis; eine Goͤttin

Muß ſie ſeyn, nachgebildet deiner Erbarmung. Ohne ſie

[285]
Waͤr ich nicht mehr, und dieſe Kinder muͤßten einen lang-

ſamen Tod leiden. Unter den Biſſen eines nagenden
Hungers

Zum Grabe herunterſchmachten wuͤrden ſie mir nach

Und ihrem verbluteten Vater. Wir athmen mit
geſaͤttigtem

Munde das Leben, das neue Geſchenk von dir, ein.

Du gabſt es uns durch ſie, an der du verwendet haſt

Alle Reitzungen, die du deinen Geſchoͤpfen zu geben
vermagſt.

Laß dieſe [Thraͤnen] und dieſes Wimmern meines Saͤug-
lings

Opfer und Hymne ſeyn vor dir; und wenn du Wohl-
gefallen haſt

Daran, daß dir nachahmen die Sterblichen;

So vergilt dieſer Erretterin, dieſer wohlthaͤtigen Phillis,

Ihre goͤttlichen Verrichtungen. Alle Gluͤckſeeligkeit

[Und] alle Freuden der Erden beſtimme fuͤr ſie;

Und wenn vor ihrem himmliſchglaͤnzenden Auge

Hundert Fruͤhlinge voruͤber gebluͤhet ſind, alsdann

Sei die bluͤhendſte Gegend in Elyſium bereitet

Zu ihren Empfang. Unter einer Laube von ewig gruͤ-
nenden

Myrthen will ich ſie finden; und noch mit Freude zit-
ternden

[286]
Armen umfaſſen will ich ihr Knie, und mit ſtam-

melnder

Zunge lobreden Dir, du Namenloſer, Unſterblicher!

Der die Fluren durch traͤufelnden Regen, und die

Herzen

Der Elenden erfriſchet durch Menſchen, welche wett-

eifern

Mit deiner Huͤlfe verbreitenden Liebe!

  • Anmerkung. Dieſe von der Dichterin im Idyllenton bear-
    beitete Geſchichte iſt eine wahre Anekdote aus den trau-
    rigen Begebenheiten des ſiebenjaͤhrigen Krieges.

[287]

Lieder der Liebe.


Wegen Milon.


Beim Geraͤuſch des Schauſpieltanzes

Wurden neulich durch die Hand

Unſres Taͤnzebilders Lanzes

Hundert Kerzen angebrannt.

Alle Goͤtter blickten nieder;

Denn es war olympiſch Licht,

Morgen (ſagt ich) ſeh ichs wieder;

Aber Milon, der ſo lieblich ſpricht,

Milon ſprach: „Verbrenne du nur nicht

〟Wenn die Flamme jener Kerzen

〟Dieſen Vorhang hier ergreift,

〟Und urploͤtzlich weiter laͤuft.“

[288]
Wuͤrd es wohl dem Manne ſchmerzen,

Der noch nie daran gedacht,

Daß die Glut in meinem Herzen,

Die ſein Laͤcheln angefacht,

Die er ungekuͤhlt laͤßt brennen,

Mich zum Aſchenhaͤufchen macht?

An Milon.


Einfaͤltig machte die Natur

Mein Herz und meine Sinnen;

Beſtaͤndig lieben kann ich nur,

Und alle mein Beginnen,

Mein Dichten, Trachten, Wunſch und Flehn

Beſtehet bloß darinnen

Dich aufzuſuchen und zu ſehn

Und Deinen Blick zu fuͤhlen.

Ich habe nie daran gedacht

Dir einen Streich zu ſpielen;

Doch geſtern hab ichs fein gemacht,

O laß Dirs nur geſtehen:

Die Roſe, die ich Dir gebracht

Fing ſchon an zu vergehen,

Sie
[289]
Sie fiel dir endlich aus der Hand.

Du hubſt ſie auf und blieſeſt

Den Staub von ihr, und ich empfand,

Was du ihr jetzt erwieſeſt,

Die Ehre, die ihr ward gethan.

Saß hinter dir mit Lauſchen

Scharfaugicht wie ein Falk, und ſan

Darauf, ſie umzutauſchen.

Und das gelang mir gar zu gut:

Sie lag vor meinem Blicke

Ganz ſaͤuberlich in deinem Huth;

Und mir zum großen Gluͤcke

Sprachſt du mit irgend einem Hirt.

Huſch fuhr ich zu, und raubte

Die Roſe, die mich ſtaͤrken wird,

Bey ſchon geſunknem Haupte.

Huſch legt ich eine groͤßre hin

Mit unverwelkten Blaͤttern,

Und dankete mit frohem Sinn

Herzinnig allen Goͤttern,

Daß ich den Streich ſo klug geſpielt,

Nicht ohne Furcht und Beben

Hab ich den ſuͤßen Raub erzielt,

Du wirſt mirs doch vergeben?

T
[290]

An Denſelben.


Milon, geſtern war ich ſelig,

Wie ein Sonnenbuͤrger iſt:

Ach mein Auge hat unzaͤhlig

Dieſe Stirne ſanft gekuͤßt,

Die der Mahler kaum ſo goͤttlich

Mahlen wird, als du ſie haſt.

Mache mir doch kuͤnftig ſpoͤttlich

Nicht die Tage mehr zur Laſt —

O was hab ich ausgeſtanden,

Als Zemire ward geſpielt,

Und mich deine Blicke fanden,

Und ich nicht den Troſt erhielt,

Daß du in der Naͤhe bliebeſt.

Sage mir, warum du ſo

Meiner Seele Kummer liebeſt?

Sprich, warum dein Fuß entfloh,

Daß ich deiner vollen Schlaͤfe

Feine Locken nicht mehr ſah?

Denke nur, wie mir geſchah,

Faſt als ob ein Blitz mich traͤfe,

[291]
Weinen wollt ich eine Fluth,

Durfte nicht und muſts erſticken,

Schmerz durchflammete mein Blut,

Wehmuth ſaß in meinen Blicken,

Bis Zemirens Roſe kam,

Und ich meine Roſen dachte,

Und der gar zu ſchwere Gram

Sich durch Thraͤnen leichter machte.

T 2
[292]

An
den jungen Tytirus

uͤber eine Roſenknoſpe.


Am Buſen iſt ſie mir geſtorben

Die Roſenknoſpe, die von dir

Mein Freund durch ſeinen Blick erworben,

Und kannſt du glauben, daß man ihr

Kein beßres Schickſal wuͤnſchen konnte,

Als dieſen Platz, den ich ihr gonnte,

Der bald vielleicht verdorren muß,

Von dem manch Maͤdchenherz entglommen.

Weißt du wo dieſe Roſe nun

Von meinem Buſen hingekommen?

Sie hat ſchon ihren Plaz genommen,

Wo mehr geſtorbne Blumen ruhn,

Die Milon alle mir gegeben.

[293]
In einer Kiſte liegt ſie ſtill

Bis auf den Tag, da ſich mein Leben

Beſchließen ſoll, und muß, und will.

Da heiß ich mir die Blumen geben,

Kuͤß eine nach der andern noch,

Und ſpreche dann zu meinen Kindern:

〟Ach Kinder, hoͤrt, ihr wiſſet doch,

〟Was meine Ruhe kann vermindern,

〟Wenn ihr mit Thraͤnen mich begrabt,

〟Mit Ausruf banger Klagelieder,

〟Und dieſe Blumen mir nicht mitgegeben habt:

〟Alsdann kommt meine Seele wieder

〟Und raſſelt um den Nachttiſch her,

〟Wird uͤber dieſer Kiſte ſchweben,

〟Als wenn es eine Taube waͤr,

〟Wird Achtung auf die Blumen geben,

〟Wie eines Geitzigen ſchwerabgeſchiedner Geiſt

〟Auf ſein vergrabnes Gold im Keller Achtung giebet,

〟Darum erfuͤllet gern, was euch die Mutter heißt,

〟Die noch im Tode liebet — —

Amarillis.


T 3
[294]

An Milon.


Zanken will ich nicht und klagen,

Aber eins muß ich dir ſagen:

Du, der du mein Herz gewannſt,

Milon, der du mich bewirthen

Durch ein freundlich Laͤcheln kannſt,

Du verſchmaͤhteſt juͤngſt die Myrthen,

Weil du dich nicht drauf beſannſt,

Daß dein Weigern mich betruͤbte,

Ach du wuſteſt nicht, daß ich

In die Veilchen mich verliebte,

Welche zum Beneiden ſich

Dir ans Herz gelegt befanden,

Tauſchen wollt ich gern mit dir,

Und du haſt mich nicht verſtanden.

Dieſe Veilchen waͤren mir

Heiliger noch als die andern,

Die dein Diener mir gebracht;

Und ſie ſollten mit mir wandern

In des finſtern Grabes Nacht.

O wie kannſt du das verachten,

Was dir meine Liebe beut;

[295]
Kannſt du nicht mein Herz betrachten

Bei der Blumen Kleinigkeit?

Pfluͤcke du mir auf dem Platze,

Wo dein Fuß zu wandeln pflegt,

Bluͤmchen, die der Grasraum traͤgt,

Und ich mache ſie zum Schatze.

Gaͤnſebluͤmchen naͤhm ich an,

Und ein Zweigchen von den Baͤumen,

Die ein jeder nutzen kann;

Wo in luͤgneriſchen Traͤumen

Sich der arme Kriegesmann

Ausgeſtreckt am Tiſche weidet,

Und noch hungert, wenn er wacht,

Und den Reichen noch beneidet,

Der ſich Promenaden macht. —

Solch ein Zweigchen, du mein Lieber!

Brich mir im Begegnen ab,

Und ich freue mich daruͤber,

Weil mirs Milon gab. —

T 4
[296]

Elegie auf die Geduld.


Nein laͤnger kann ichs nicht ertragen,

Das iſt zu viel, iſt gar zu ſchwer,

Das muͤßte mich zu Boden ſchlagen,

Wenn ich die Staͤrke ſelber waͤr.

Ich habe die Geduld verloren,

Die große Leidentraͤgerin,

Die bei mir war, als ich gebohren,

Und auferzogen worden bin;

Die nimmer noch von mir gewichen

In mancher jaͤmmerlichen Noth:

Ach die Geduld iſt nun verblichen,

Der falſche Milon ſchlug ſie todt.

Mit einem Herzverachtungsſtreiche

Ward ſie getroffen, und mein Herz

Weint Thraͤnen uͤber ihrer Leiche

Erſtarret unter ſeinem Schmerz.

[297]
Der ſtolze, ſproͤde Milon ſagte

Mir Veilchen zu, und taͤuſchte mich

Viel Tage lang, ſo oft ich fragte,

Mit Aug und Munde kuͤmmerlich.

Zuletzt kam er in meine Huͤtte,

Trug Veilchen bei ſich, ſchenkte ſie,

Ohn Ihren Wink, ohn ihre Bitte,

Der kleinen jungen Corally. —

O du Verraͤther meiner Treue,

Veraͤchter meiner Zaͤrtlichkeit,

Ich uͤbergebe dich der Reue,

Und mich der Leidvergeſſenheit.

Ich werde dich noch immer denken,

Ob du die Seele gleich verwarfſt,

Von der du nie mit Goldgeſchenken

Ein ſanftes Laͤcheln kaufen darfſt;

Auch werd ich ſtets dich ſehen wollen,

Ob meine Lieder gleich hinfort

Von meiner Liebe ſchweigen ſollen,

Von ihr hoͤrſt du das letzte Wort.

T 5
[298]

An Milons Billet.


Was ſeh ich! all ihr Thatenrichter!

Ihr Goͤtter! — Was erblick ich hier!

Ha, mein Geliebter ſpricht mit mir,

Er ſelbſt, er iſt der feine Dichter,

Der dieſe goldne Worte ſchrieb —

Nun wirds in meiner Seele lichter,

Nun hab’ ichs Leben wieder lieb —

O theures Blatt, wo willſt du bleiben;

Mein Herz verlangt dich Schlag auf Schlag

Mit heißen Foderungsbetreiben.

Es will du ſollſt dich Nacht und Tag

An ſeine linke Seite ſchmiegen. —

Ach allzuſuͤßes, ſchoͤnes Pfand

Hier koͤnnteſt du nicht lange liegen,

So haͤtte dich die Gluth verbrannt,

Die ſtets in dieſem Herzen lodert;

Auch wuͤrdeſt du nur gar zu oft

Von dieſem Munde hier gefodert,

Der dich noch dann zu kuͤſſen hofft,

[299]
Wenn er auf ewig ſich ſoll ſchließen.

Nein, nein, du muſt nicht untergehn,

Ich will dich ſehen und genießen,

So lange noch ein Wunſch im Herzen kann entſtehn.

Drey Tage ſoll dies Herz dich haben,

Und nach drey Tagen liegſt du dort,

Wo Milons Roſe ward begraben:

Da ſoll mein allererſtes Wort

Des Morgens fruͤh beim Sonnengruße

Die Frage ſeyn: wo iſt mein Schatz?

Und Abends ſpaͤt nehm ich nach ſiebenfachem Kuſſe

Von dir auf meinem Lager Platz. —

[300]

An
eine Freundin.


Dies Tantaluſſiſche Verlangen,

Der heiße Fieberdurſt in mir

Iſt nun, dem Himmel Dank! vergangen.

Nun, meine Freundin! kann ichs Dir

Wohl ſagen froh und unverholen,

Nun gluͤht mir Tag und Nacht der Mund

Nicht mehr wie angeflammte Kohlen,

Seitdem mir Milon hat befohlen:

〟Bleib ruhig, bleib geſund —

〟Sonſt kraͤnkſt du mich〟 —

Er ſprachs, und laͤßt mich denken:

Ihn, meinen Wunſch, mein Augenmerk,

Ihn, meinen Abgott! nicht zu kraͤnken,

That die Natur ein Wunderwerk —

[301]

An einen Ingenieur,
Liebhaber der Phyllis.



Du kennſt den Grund der Feſtungswerke.

Mit einem Blicke meſſeſt du

Der Schanzen und der Mauern Staͤrke;

Doch meine Muſe ruft dir zu:

So wahr, als Friedrich unvergeſſen

Bewundert wird in ſpaͤter Zeit,

So wahr iſt dies Unmoͤglichkeit

Des Herzens Tiefen auszumeſſen.

Sei klug, bedenke dich ſo ſchlau

Wie einſt Ulyſſes iſt geweſen,

Nie wirſt du der verſchmitzten Frau

Verborgenſte Gedanken leſen.

Sie decket ihre feinſte Liſt

Mit Blumen zu, bis du gefangen

Gleich einem Dohnenvogel biſt.

Sie ſchmachtet, ſeufzt, netzt ihre Wangen

Mit Thraͤnen, die ſie kuͤnftig weint.

[302]
Sie nennt dich oft in einer Stunde

Wohl tauſendmal den beſten Freund,

Und ſchwoͤrt mit ſchmeichleriſchem Munde

Beim Grabmal ihres Vaters, bei

Den Sternen und bei allen Goͤttern,

Bei Sonnenſchein und Donnerwettern,

Daß ihr dein Kuß noch ſuͤßer ſei,

Als Suͤßigkeit von jungen Bienen;

Und zaubert dich mit holden Mienen

An ihre giftbeſtrichne Bruſt

Und nennt dich ihre groͤßte Luſt,

Den erſten Abgott ihrer Seele,

Den reichſten Juͤngling von der Welt,

Den Menſchen, der in einer Hoͤhle

Mehr ihren Augen wohlgefaͤllt,

Als Prinzen, die ſo fein nicht fuͤhlen

Im Prunkſaal und auf goldnen Stuͤhlen

Und einer ſammtbezognen Bank.

Sie ſtellt ſich gar vor Liebe krank,

Und redet nur gebrochne Toͤne.

O ſanfter Juͤngling, glaub es nicht:

Es iſt die Stimme der Syrene,

Die ausſtudirte Worte ſpricht,

[303]

Klagen
uͤber eine geſtorbene Roſe
an meinen Freund

R. *)


Den gruͤbchenlaͤchelnden Juͤnks beſang neulich der

Kleine Birtyll, wegen des anmuthigen Getraͤnkes

Der Cacaobohne mit Zucker gemiſcht; ich ſinge

Dir daruͤber kein Lied, ich ſchmeichle Dir nicht

Wegen Deiner Geſchicklichkeit, denn unſern Halbgoͤttern

Und Goͤttinnen ſind jene Taͤfelchen bekannt, welche

Du fuͤr ihren unterſcheidenden Gaumen zubereiteſt,

Ihr freundlicher Lobſpruch beim Morgentrinktiſche

Gehet weit uͤber meinen Geſang;

Aber fragen will ich dich ehrlicher, gefaͤlliger Freund,

haſt

Du keinen aromatiſchen Blumengeiſt unter den

Wundern deiner Kunſt? Keinen, der meiner

[304]
Geſtorbenen Roſe ihren Geruch wieder geben kann?

O ſie war ſchoͤn, wie die

Innge Friedrika von Preußen;

Sie war eine Knoſpe. Milon brachte ſie

Mir friſch abgebrochen vom Roſenſtocke, welchen

Er ſelber gepflanzet, gepflegt und durch

Gottesfuͤrchtige Froͤmmigkeit vor ſchaͤdliche Taue

Bewahret hat. Ich kuͤßte die Knoſpe,

Die Milon mir gab, noch unaufgefaͤchelt vom

Luͤſternen Zephir, noch feſtverſchloſſen, wie

Ein gluͤhendes Herz, welches in ſich das Geheimniß

Der Liebe verbirgt. Ich erhielt ihr welkendes

Leben acht Tage lang in einem kleinen Gefaͤße

Mit Waſſer, wie deine labende Traͤnke,

Deine Cordialgewaͤſſer den ſterbenden

Kranken aufhalten, ſo erhielt ich die Roſe;

Denn ich gab ihr friſches Waſſer, wenn die

Morgenroͤthe mich weckte, und wenn der Sonnen.

Wagen hinter dem ſchattichten Hain im

Silbernen Schooß der Najade zu ſinken

Schien. — Am neunten Tage legt ich traurig

Meine geliebte Verblichne in eine Grabkiſte

Von Silber und Perlmutter. Ach! Ihre Farbe

gleichet

Der Farbe des Angeſichts eines geſtorbenen Maͤdchens,

Das
[305]
Das uͤber und uͤber bis auf die Lippen aͤhrengelb

Wird. Ich oͤffne die Kiſte dreimal des Tages, und

Klage die Roſe. Sie ſtarb! ihre ſuͤßen Geruͤche

Verflogen! aber nur eines von ihren Blaͤttern

Verlor ſie, Zephirus wollt’ es aufhaſchen, ich

Nahms ihm wieder mit einem Kuſſe des klagenden

Mundes,

Ich weinete Thraͤnen des zaͤrtlichſten

Kummers auf die geſtorbene Roſe; ſie verlor

Alles, Farb und Geruch — Verweſung duftet

Aus ihrem Grabe, Tod aus ihren vertrockneten

Blaͤttern. Ach! ſie verdienet beſſer die Klage

Der Muſen und die Balſamirung der

Apothekiſchen Kuͤnſte, als jene verderbliche

Schoͤnheit, jene Egyptiſche Koͤnigin,

Die am verzweifelnden Buſen ſich

Eine giftzungige Natter legte, zum

Erſtaunen des triumphirenden Caͤſars,

Deſſen Siegeswagen ſie ſchmuͤcken geſollt.

U
[306]

Eine Rede zu Gott
uͤber die Kuͤrze der Zeit.


Herr, der du uͤber uns des Tages Wagen lenken

Mit deinem Winke kannſt, Herr, lehre mich bedenken,

Daß ich davon muß aus der Zeit.

Mein Leben flieht dahin, iſt kurz, iſt nur ſo breit,

Als dieſe Hand, mit der ich ſchreibe;

O warum denk’ ich mir hier eine Ewigkeit

In einer Welt, in der ich vierzig, funfzig Jahr,

Wenns hoch koͤmmt, zweymahl vierzig Ernten bleibe!

Herr! wenn du fragen wirſt, wie lang ich Wandrer war

Hier unter dir auf deiner Erde?

Wie ich die Stunden angewandt?

O Gott! bey dem Gedank erzittert mein Verſtand,

Was ich dir Antwort geben werde.

Fruͤh oder ſpaͤt ſchlaͤgt meine Stunde mir,

Beſtimmt zur letzten meiner Stunden,

Eh ich gebildet ward von dir,

Zehntauſend werden wie erwuͤrgt befunden,

Zehntauſend bracht ich fuͤhlloß zu,

Ohn daß ich Guts ohn daß ich Boͤſes wollte,

[307]
Und viele Tauſende verſchlief ich in der Ruh,

Die mich zum Guten ſtaͤrken ſollte.

Wie wenig Stunden braucht ich wohl

Mich zu dem Schritt vorzubereiten,

Den ich heruͤber ſchreiten ſoll

Ins Thor der unumgraͤnzt — endloſen Ewigkeiten!

Die Zeit flieht ſchneller als ein Pfeil,

O moͤcht ich ihren kleinſten Theil

Noch haſchen um ihn anzuwenden!

Moͤcht’ ich den Tag mit deinem Umgang enden,

Und wenn die Sonne mich begruͤßt,

Erwachend danken, daß ſie meine Tage mißt;

Und wenn der Mond erleuchten kommt die Naͤchte,

Laß mich ihn ſehn und denken, daß

Er auch mir Zeit zur Vorbereitung meſſe!

Erinnre du mich ſelbſt, daß ich es nicht vergeſſe,

Mein Koͤrper welkt dahin wie Graß.

Seh ich die Graͤber, laß mich nicht erſchrecken,

Mich wird auch einſt ſolch kleiner Huͤgel decken,

Mich traͤgt man auch, die Hand voll Staub, zu Staub,

Und ich beſchuldige mir ſelber dieſen Raub

Der groͤſten Haͤlfte meiner Tage;

Nur daß dein Ausruf mirs nicht vor den Engeln ſage,

Du Urſprung alles deſſen, was da iſt.

Herr, der du aller Dinge Anfang biſt,

U 2
[308]
Laß mich, ſo oft ein Jahr vor mir herum gelaufen,

Nachrechnen meine durchgelebte Zeit,

Mit Vorſatz beſſer ſie zu kaufen,

Die Stunden, mir geſchenkt, um in die Ewigkeit

Zu gehn, die Seele anzuſchicken,

Und dieſen Geiſt der mir aus deinen Haͤnden ward,

Mit wahrer Tugend auszuſchmuͤcken,

Herauf zu dir in frommer Zuverſicht

Bey allen Handlungen des kurzen Lebens blicken:

O dann verſchwend ich meine Stunden nicht,

Mich holt der Tod zu dir, und tauſend Jahre werden,

Mir kuͤrzer ſeyn vor deinem Angeſicht,

Als jezt ein Tag auf Erden.

[309]

Gedichte
nach vorgeſchriebenen Endreimen.


Siege Lauf Kriege Auf? Minuten Wacht Bluten
Macht. Iliaden Heißt Schaden Beweis’t. Erhoͤhen,
Verſchließt Geſtehen Iſt Trachtet Fraß Geachtet
Vergaß Goͤttern Pflicht Errettern Nicht.


Was ſeh’ ich? Friedrichs ſtark erkaͤmpfte Siege,

Gezeichnet bei Planetenlauf,

Und ihn, den Helden, der die Lorbern ſeiner Kriege

Dem Phoͤbus opfert auf?

Nun wuchert Er mit Stunden, mit Minuten,

Wenn ſeine Weisheit fuͤr uns wacht,

Nun wird nicht mehr ſein Herz um ſeine Laͤnder bluten,

Befreit von Feindes Macht.

U 3
[310]
Er zuͤrnet auf den Stoff zu Iliaden,

Und ſeine Menſchenfreundſchaft heißt

Tyrann den Kriegesgott, der einer Welt zum Schaden

Sich wunderſam beweiſ’t.

Gluͤckſeligkeit wird ſeinen Thron erhoͤhen,

Er blickt herunter, und verſchließt

Verborgner Feinde Mund, die ganz verſtummt geſtehen,

Daß Friedrich furchtbar iſt.

Vergeblich ſeinem Leben nachge-trachtet

Ward von der Schlacht, die um ſich fraß,

Wenn Er, ganz Feldherr und ganz Held, nur uns geachtet

Und fechtend ſich vergaß.

Er wird uns neu gegeben von den Goͤttern

Und Lobgeſang iſt unſre Pflicht,

In Roms und Griechenlands triumphiſchen Errettern

Find’ ich Sein Urbild nicht.

[311]

Throne Krone Zopf Kopf Reußen Preußen Spott Gott


Begebenheit zu Wien in der Kaiſerlichen
Burg.


Vom hohen vaͤterlichen Throne

Kam juͤngſt Thereſia, warf Bruſtſchmuck hin und Krone

Und hing, mit aufgebundnem Zopf,

Bis auf die ſchoͤne Bruſt den gramerfuͤllten Kopf,

Und rief: Maria! ach, nun kuͤſſen wilde Reußen

Sich mit den kezriſchen mir ganz verhaßten Preußen!

Verlohren iſt der Krieg, zu meiner Enkel Spott,

Viel Maͤchte halfen mir, und Friedrichen half Gott!

Kroͤnen Toͤnen Sie Harmonie Maͤngel Engel Lied
Bluͤht Wallen Schallen Steht Poet


Den 17teneod.

Mich darf nicht ein Patent des Kaiſers heißen kroͤnen,

Mich darf nur Freundes Lob umtoͤnen,

Mein Lorber und mein Gluͤck ſind ſie.

Mit ihren Herzen fuͤhlt mein Herz viel Harmonie.

U 4
[312]
Sie uͤberblicken meine Maͤngel,

Denn wenn ich Sapho bin, ſo bin ich noch kein Engel,

Auch hat oft Fehler noch mein Lied.

Manch kleines Fleckchen hat die Roſe, wenn ſie bluͤht,

Mein Herz hoͤrt niemals auf zu wallen,

Auch hoͤret mein Geſang nicht auf euch vorzuſchallen,

So lange bis die Uhr des Lebens ſtille ſteht,

Dann ſeufz ich noch dreimal: Mein Schaͤfer! mein

Poet!

Geſang Lang Schlaf Graf Dacht Racht


Am 21. eod. Abends nach 11 Uhr.

Ich bin Empfindung und Geſang,

Geſungen hab ich euch, mir ward der Tag nicht lang.

Ihr folgt der Muͤdigkeit, gefangen nimmt der Schlaf

Mit ſuͤßen Feſſeln unſern Graf.

Nun ſchlummert alle ſanft, und du, den ich ge dacht,

Was ich auch immer ſchrieb, mein Thyrſis, gute Nacht.

[313]

Ehe Sehe Stand Brand Klage Plage Einerlei
Entzwei Denker Henker Qual Wahl.


Halberſtadt, den 21. Febr. 1762.

Verwuͤnſchte Heiligkeit der Ehe!

Ich zittre, wenn ich noch im Geiſt zuruͤcke ſehe,

Abſcheulich war der Sclavenſtand,

Ein nur mit Menſchenhaut bezogner Hoͤllenbrand

Trat herriſch vor mir hin und bruͤllte meine Klage

Mit bitterm Spotte nach, und war geborne Plage

Fuͤr mein ſo ſanftes Herz; mein ewig Einerlei

Blieb er zehn volle Jahr, riß oft ein Blatt entzwei,

Ganz von Gedanken voll, denn dieſer Mann, kein

Denker,

War fehlbar durch den Rauſch, war meines Lebens

Henker,

Sein Gang, ſein Wort, ſein Blick, war alles meine

Qual,

O Gott! behuͤte mich fuͤr eine Mannes-Wahl.

U 5
[314]

Ehe Sehe Paradieß Ließ Seide Freude Bruſt Luſt
Lachen Wachen Springt Singt.


Sey mir geſegnet, goldne Ehe,

Die ich in einem Traum mit Seelenaugen ſehe!

Du laͤchelſt und du biſt vielleicht das Paradieß,

Das nicht ein Gott verſchließen ließ.

Du knuͤpfeſt Herzen nur mit Banden weicher Seide,

Und ihr Geſchaͤft iſt nichts als Freude,

Aus beiden wird nur Eine Bruſt!

Des Lebens Stunden werden Luſt!

Ein jeder Tag erſcheint mit Lachen,

Der Naͤchte halber Theil wird zugebracht mit Wachen,

Jedweder Pulsſchlag ſcherzt und ſpringt,

Wer dich genießt, dem ziemt, daß er dich hoͤher ſingt!

Mein Dein Koͤnig Wenig Recht Geſchlecht Leben
Geben Scharf Darf.


Die Habſucht der Koͤnige.


Der Vater alles Zanks iſt das verhaßte Mein,

Gepaaret mit dem bittern Dein!

[315]
An einer halben Welt hat Geizes voll ihr Koͤnig

Noch ſeiner Erde Raum zu wenig.

Er fragt nach Goͤttern nichts, auch nicht nach Voͤlker-

Recht,

Aus Ehrgeiz ſchont er nicht das menſchliche Geſchlecht.

Er ſiehet hundert tauſend Leben

In einem Treffen aufgegeben,

Und ſieht die Mordthat nicht. Der Himmel ſieht ſie

ſcharf.

Heil ſey dem Koͤnig, der nicht mit ihm rechten darf!

Lieb Dieb Halten Kalten Mann Trennen Brennen
Dann Hoben Leben Sehr Mehr.


Der Zorn uͤber Thyrſis.

Bei dem Apoll ſchwoͤr ich: mich hat nicht Thyrſis lieb,

Er lauſchet auf mein Lied begierig wie ein Dieb,

Verſpricht zu kommen her und weiß nicht Wort zu

halten,

Bald nenn ich aufgebracht ihn zornig einen kalten

Empfindungsloſen Freund und einen harten Mann;

[316]
Bald nehm ichs heimlich vor, mein Herz halb abzu-

trennen

Von dem Undankbaren, nicht mehr fuͤr ihn zu

brennen,

Und aͤrgern ſoll er ſich alsdann,

Wenn ihn, den oft mein Lied zu Goͤttern hat erhoben,

Wenn ihn nicht mein Geſang wird loben.

Doch jezt empoͤret ſich in mir mein Herz zu ſehr:

Graf! ſag ihm nichts von Zorn, ich zuͤrne ſchon nicht

mehr.

Wollen Sollen Rollen Kleid Gequollen Moͤglichkeit
Aufgeſchwollen Wiederrollen Zollen Zeit.


Eigenſchaften der Sapho.


Nicht immer will ich ſo, wie andre Leute wollen,

Die nicht Geſetze geben ſollen

Der Sapho, der Empfindungsvollen,

Die um den ſchoͤnen Geiſt nicht traͤgt ein ſchoͤnes Kleid,

Der in den Adern iſt ein Dichter-Quell gequollen

Zu aller Lieder Moͤglichkeit,

Der hoch von Zaͤrtlichkeit der Buſen aufgeſchwollen,

Die aus den Augen oft laͤßt Thraͤnen nieder rollen,

[317]
Dem Himmel ihren Dank zu zollen

Fuͤr dieſen goldnen Theil in ihrer Lebenszeit.

Gedichtet in einer halben Viertelſtunde. Als ſie beim Aus-
fuͤllen dieſer Endreime mitſprechen wollte, und man ihr
ſagte, ſie haͤtte ja genug zu ſchreiben, antwortete ſie:


Aufblicken iſt ja kein Verbrechen;

Hier denken kann ich ſchon, und dort mit Thyrſis

ſprechen.

Anmerk. Man wird faſt aus allen der Dichterin vorge-
ſchriebenen Endreimen ſehn, daß man darauf ausging,
ſie zu einem Quodlibet zu verleiten, allein ihr ſtets ge-
genwaͤrtiger Geiſt wußte ſich auch hier augenblicklich
zu ordnen.


Ode Schwingt Tode Singt Stifte Bahn Laͤſte Schwan


Halberſtadt, den 18. Februar 1762.

Mein Geiſt und mein Gefuͤhl ſind die beflammte Ode,

Die auſſer mir ſich ſchwingt,

Von Freundſchaft, Zaͤrtlichkeit, von Krieg und Helden,

Tode

Und von dem Himmel ſingt.

Wenn ich als Saͤngerin ein Monument mir ſtifte,

So ſcheu ich nicht die letzte Bahn,

Die Welt bleibt unter mir, ich flieg in hohe Luͤfte,

Und ſinge Thyrſis, dir, als Schwan.

[318]

Geiſt Reiſt Denken Lenken Macht Racht Jugend
Tugend Wiz Siz Waͤhlen Quaͤlen Mund Kund
Sterben Erben Licht Bricht Wollen Sollen Bald
Kalt Thraͤnen Sehnen Herz Schmerz Loben Toben
Schuld Geduld Garten Warten Strebt Lebt
Umarmen Erbarmen Gewebt Gelebt.


Halberſtadt, den 20. Febr. 1762.

Das Thier hat bloß Inſtinkt; der Menſch hat

einen Geiſt,

Der mit Gedanken ſchnell die ganze Welt durchreiſt.

Ein Hund erinnert ſich; ein Biber ſcheint zu denken;

Doch keiner kann den Blick bis an den Himmel lenken.

Nicht zur Unſterblichkeit gemacht

Sind Adler groß und ſtolz; ihr Tod iſt tiefe Nacht.

Des Menſchen Seele nur fuͤhlt ewig ihre Jugend,

Erkennet Gott und ſich, die Welt, die ſchoͤne Tugend;

Iſt voll Empfindungen und fuͤr Vernunft und Wiz

Ein von des Schoͤpfers Hand fein ausgebauter Siz.

Sie liebet oder haßt, verwirft und weiß zu waͤhlen;

Ein Zufall macht ſie froh; ein Zufall kann ſie quaͤlen.

Sie denkt und ihr Begrif macht ſich durch unſern

Mund,

Durch unſers Auges Blick und in Geberden kund.

Sie freut des Lebens ſich und fuͤrchtet nicht zu ſterben;

Der Heiden Tugend ſelbſt hofft ein zukuͤnftigs Erben.

[319]
Und die Religion verbreitet helles Licht

In eines Chriſten Geiſt, der alle Zweifel bricht,

Die uͤber ihn ſich woͤlken wollen.

Wir wiſſen, daß wir einſt das Reich beſitzen ſollen,

Das uns bereitet iſt, wohin ſich alſobald

Die Seele ſchwingen wird, wenn nun der Koͤrper kalt

Blaß und benetzet liegt von unſrer Freunde Thraͤnen.

Wie aber geht es zu, daß Menſchen ſich nicht ſehnen

Nach dieſem Ueberſchritt? Warum ſtraͤubt unſer Herz

Sich vor dem Tode ſchon bey kleiner Krankheit

Schmerz?

Der Kanzelredner mag des Himmels Wonne loben;

Doch wird kein weiſer Mann fruͤh nach dem Eingang

toben.

Ein kurzes Leben iſt nie unſers Kummers Schuld,

Der Bettler ſelber traͤgt den Brodſack mit Geduld.

Ein Sklav in Tunis wuͤhlt in ſeines Raͤubers Garten,

In Feſſeln geht er gern Kameel und Eſel warten.

Ein an der Ruderbank verdammter Suͤnder ſtrebt

Aus Wellen an das Land, weil er ſo gerne lebt.

Doch alle muͤſſen fort. Das zaͤrtlichſte Umarmen

Verliebter Seelen reizt den Tod nicht zum Erbarmen.

Ich bin von Sterblichkeit zuſammen nur gewebt;

Wer gluͤcklich ward wie ich, der hat genug gelebt.

[320]

Einfaͤlle.


Neujahrs Geſundheit.


Freunde, wiederholt doch nur

Jenen Wunſch, den die Natur

Uns ins Herz geſchrieben:

Leben muͤſſe was uns ſchaͤtzt,

Leben ſoll was uns ergoͤtzt,

Leben muͤſſe was wir lieben!

An Herrn D. K.



Verſichre doch den Stahl, den Sohn des Hip-

pokrat’s,

Der Achtung, die ich fuͤr ihn habe;

Dem fuͤrchterlichen Tod, dem grauerlichen Grabe

Entging durch Wirkung ſeines Raths

Schon
[321]
Schon eine Menge, die noch lebet,

Und ob mein Herz nicht vor dem Tode bebet,

So ſprech ich doch, ſollt er einmal

Mir ohngefaͤhr von Mitkunft ſagen:

Wart, unverſchaͤmter Tod! ich muß noch erſt den Stahl

Von wegen dieſer Sache fragen;

Und haͤtte nicht der Tod Befehl von Oben her,

So ging er blaͤßer fort, als er gekommen waͤr.

Ueber ein Gemaͤlde.



Dies iſt in ihrem vollen Reitze

Die Flora, die mit Liebesgeitze

Wenn ſich Pompejus von ihr riß

Ihn feurig in die Lippen biß.

So lieblich aufgeſchwollen lachte

Ihr Mund; ſo ſchwamm ihr Augenpaar

In Wolluſt, ſo erhub ihr goldgelocktes Haar

Sich um die Schultern, wenn der Kuß ſie trunken machte

Und ihr Gefuͤhl Entzuͤckung war.

X
[322]

An Herrn Doktor Kruͤnitz
wegen ihres Pettſchafts.



Du druckeſt Dir das Siegel ab,

Das mir ein großer Mann geſchenket,

Und von dem Geiſt, den die Natur mir gab,

Der in mir lebt und in mir denket,

Iſt jedes Lied die Abkopie;

Du kleiner Geizhals ſammleſt ſie

Mit groͤßerm Eifer als die Prinzen

Zu Caͤſars Zeit geſchlagne Muͤnzen.

Der Unterſchied eines Schmauſes und einer
kleinen vergnuͤgten Mahlzeit.



O Lieber! ſprich, wann eſſen

Die Menſchen mehr als koͤniglich?

„Wenn ſie die ganze Welt vergeſſen,

〟Und ſo vergnuͤgt als Gleim, und Du und ich

[323]
〟Mit wenig Schuͤſſeln ſind, und niemand fuͤrchten

duͤrfen,

〟Und ihren Wein mit einer Zunge ſchluͤrfen,

〟Die frey und unbeurtheilt ſpricht.“

O ſolch ein Mahl, die Fuͤrſten habens nicht!

Guter Rath
wider das Aergerniß uͤber die Thorheit Anderer.


Um deinem Naͤchſten zu verzeihn,

Und ſeiner Thorheit nicht zu fluchen,

Mußt du die Sache ſelbſt verſuchen.

Trink einmal uͤbermaͤßig Wein,

Verliebe dich einmal, ſpiel einmal in der Karte,

Und dann bekenne mißvergnuͤgt:

Daß tief in uns verhuͤllt der Thorheit Saame liegt,

Und auf Gelegenheit nur warte.

X 2
[324]

Eine Geſundheit.



Vor alten Zeiten war’s Gebrauch,

Den Namen weltberuͤhmter Todten

Zu nennen bei den Gaſtgeboten.

Wir wollen die Gewohnheit auch

Bei unſerm Tafelrund erneuern.

Hebt eure Becher in die Hoͤh,

Den großen Namen hoch zu feiern:

Friedrich der Einzige

An Quitungsſtatt geſchrieben.



Seine Majeſtaͤt befahlen,

Mir, anſtatt ein Haus zu baun,

Doch drei Thaler auszuzahlen —

Der Monarchbefehl ward traun

Prompt und freundlich ausgerichtet,

Und zum Dank bin ich verpflichtet.

[325]
Aber fuͤr drei Thaler kann

Zu Berlin kein Hobelmann

Mir mein letztes Haus erbauen,

Sonſt beſtellt’ ich ohne Grauen

Heute mir ein ſolches Haus,

Wo einſt Wuͤrmer Tafel halten

Und ſich aͤrgern uͤbern Schmauß

Bei des abgegraͤmten, alten,

Magern Weibes Ueberreſt,

Die der Koͤnig darben laͤßt.

Ueber
Friedrichs Weisheit
.


Die Vorſicht giebt mit Fleiß an Trauben oftmals

wenig,

Um deſto beſſer ſchmeckt der Wein:

So ſparſam handelt ſtets der große weiſe Koͤnig,

Denn er will ihr Nachahmer ſeyn;

Indem ſein Officier und Diener klagen muß,

Bewahrt er beide vor dem ſatten Ueberdruß.

X 3
[326]

Mittags, als die Dichterin mit bei dem Dom-
Dechant Spiegel zu Halberſtadt ſpeiſte.



Wir Menſchen ſind ſo ſehr verſchieden:

Der eine liebt den ſtillen Frieden,

Der andre liebt den Ruhm, der dritte liebt den Scherz,

Und welcher Menſch kann fuͤr ſein Herz?

Dies hat ihm die Natur gegeben —

Der beſte Vorſatz muͤſſe leben!

Als ſie eine zum Scherz verfertigte Ordre
an den Kanzeleidirektor Brandhorſt, und ein Exe-
cutoriale auf einem Tiſch fand.



Da Mandloff, der einmal die Kanzelei regiert,

Und jetzt vom ganzen Kreis zu Potsdam Rechnung fuͤhrt,

Da dieſer, wie es uns vom Kammerſekretaire

B*mann eroͤffnet ward, ſo eigennuͤtzig waͤre

[327]
Und ein poetiſch Buch, das man ihm zugeſtellt,

Schon ſeit geraumer Zeit unartig vorenthaͤlt,

So oft man ihn auch ſchon erinnert, und geſagt:

Daß man es haben will — Als wird er hart verklagt,

Und nicht entſchuldiget. Es wird zugleich befohlen

Durch Execution das Buch von ihm zu holen.

Der Muͤller, der umher im Lande reiten muß,

Wird zu ihm hingeſchickt, er ſoll mit Ueberfluß

Sich ſpeiſen laſſen, ja, er ſoll ihm gar nichts ſchenken,

Bey Tiſche laß er ſich mit gutem Biſchof traͤnken,

Und weiche eher nicht, bis er das Buch gewiß

In ſeinen Haͤnden hat; auch mach’ er uͤberdies

Dem Mandloff noch bekannt, wie viel er ſich entzogen,

Daß er die Billigkeit nicht ganz genau erwogen!

Manch nagelneu Gedicht von ungemeiner Art

Iſt hier bekannt gemacht, das ihm verſchwiegen ward:

Und wird er kuͤnftig nicht die Buͤcher wieder geben,

So ſoll er ohne Wein und ohne Liebe leben.

X 4
[328]

An einen, der das Klavier ſpielte.


Was hoͤr ich? Iſt Apoll zu dir herabgeſtiegen

Und ordnet deiner Triller Lauf?

So lernt ein junger Adler fliegen

Dem Alten nach, der oft herauf

Zu Phoͤbus Wagen flog, und dem Olympus nah

Den Vogel Jupiters, den Pfau der Juno ſah.

Ueber den Aktien-Handel.


Wer Geld beſitzt, dem drohen Diebe,

Er ſchlummert nie in Sicherheit,

Viel ſichrer ſchlaͤft die Zaͤrtlichkeit

Bei Aktien der Liebe.

Geſundheit.


Was unſern Augen ward beraubt,

Was wir nicht zu erreichen wiſſen,

Soll leben! uns iſt doch erlaubt,

Daß wir es in Gedanken kuͤſſen.

[329]

An einen Alten.


Und haͤtteſt du gleich einen Bart

Wie Neſtor, als er in der Schlacht

Beim Diomed zum Kutſcher ward,

So wuͤrdeſt du doch angelacht

Von Sapho, welche ſtets an Juͤngling, Mann und

Greis

Des Herzens Reitz zu ſchaͤtzen weiß.

An den Wein.


Wein! ich moͤchte dich bald haßen,

Ich bin deiner Allmacht feind,

Denn du willſt mir meinen Freund

Immer nicht vom Becher laſſen.

Du biſt meiner Freuden Dieb,

Koͤnnt ich dich doch ganz verachten.

Milon hat dich gar zu lieb,

Und mich laͤßt er ſchmachten. —

X 5
[330]
Loben wollt ich die Begier,

Wein zu trinken halbe Naͤchte,

Wenn mein Milon nur mit mir

Manchen Abend zechte;

Aber nun trinkt er den Wein

Mit den Maͤnnern ganz allein.

Ha ihr Maͤnner, ha ihr Zecher,

Amor jag euch von dem Becher

Durch die Pfeile, die im Koͤcher

Aufgeſammlet ſind zur Pein

Aller Herzenbrecher.

Recept zur Staͤrkungschokolade.


Der Proviſor mengt geſchwinde

Euch zwo Theilchen Teufelsmiſt,

Und ein Theilchen Chinarinde,

Fein wie dies Gemengſel iſt,

Hier im Puͤlverchen zu ſchauen;

Ruͤhmenswerth iſt ſeine Kraft,

Weils den Maͤnnern und den Frauen

Wieder junge Kraͤfte ſchafft.

[331]
In ein Schaͤlchen Chokolade

Nehmt ihr einer Erbſe groß,

Daß es dem Geſchmack nicht ſchade.

Delicat und tadelloß

Schmeckt euch dieſe Chokolade,

Staͤrkt euch Nerven und Gebein,

Wenn ihr ſchon am Styxgeſtade

Schatten waͤhnt zu ſeyn.

An meine Freundin.



Deine Seele giebt mir immer

Neues Feuer, machet mich

Immer neu verliebt in dich,

Wie der helle Sternenſchimmer

In der ſchoͤnen Winternacht;

Wie der Fruͤhling mich geruͤhrter

Durch die ſchoͤne Roſe macht;

Wie der gruͤne Baum gezierter

Durch die Frucht mir mehr gefaͤllt;

So gefaͤllſt du mir vor allen,

Und wirſt noch in jener Welt

Bei den Engeln mir gefallen.

[332]

Die neue Verſicherung.



Bei dieſer Sonne ſchwoͤr ichs dir,

Vom Quell des Lichtes angezuͤndet,

Die treue Liebe flammt in mir;

Der kalte Winter findet

Mich gegen dich, ſo wie der Mai

Und Roſenmond mich fanden.

Mein Herz bleibt immer dir getreu

Und ſtirbt in deinen Banden.

An
einen jungen Herrn von Baronoff
,
jetzt Ruß. Kaiſerl. Kreisrichter in Ehſtland.



Wenn im Geſchlecht der Baronoffen

Seit viel Jahrhunderten der Sohn

Den Vater ſtets an Tugend uͤbertroffen,

Dann weißt du deine Pflichten ſchon,

Sie ſind nicht leicht, doch ſolcher Ehre willen

Suͤß zu erfuͤllen.

[333]

An Montan.


Tauch’ ich die Feder in den Wein:

So kann dich dieſer Irrthum lehren,

Wo mein Gedanke muͤſſe ſeyn;

O, koͤnnte doch ſein Ohr nur den Gedanken hoͤren!

An das kommende Jahr.


Als Gott der geiſtigen Monaden

Vorausgezaͤhlte Myriaden

Im Reich der Moͤglichkeit allſehend uͤberblickt;

Da ſahe dich, du Punkt der Zeiten,

Sein Auge, dem die Dunkelheiten

Mit tauſend Sonnen ſind geſchmuͤckt.

O kaͤmſt du doch mit vollen Schwingen,

Und braͤchteſt goldne Zeit, von der die Dichter ſingen,

Und faͤndeſt, außer Greis und Kind,

Noch Menſchen, die der goldnen Jahre wuͤrdig ſind!

[334]

Die große That des Julius Caͤſars.


Daß den Pompejus Caͤſar uͤberwunden:

Das war ein Werk des Gluͤcks und war der Goͤtter

Rath.

Doch daß er nach dem Sieg die Menſchlichkeit em-

pfunden,

Und jeden Tag ſich ſelbſt vor ſeine Feinde bat:

Dis war des Helden große That.

An ein gluͤckliches Volk.


Aleides ſtritt mit Loͤw und Hyder;

Und matt von Kaͤmpfen ward Achill;

Doch ein Monarche wird noch muͤder,

Der dir, zu muthig Volk, Geſetze geben will.

Der allerſchwerſte Kampf iſt leichter auszufuͤhren.

Als uͤber Gluͤckliche gebietend Herrſcher ſeyn:

Wird nicht ein Gott in dir regieren,

So iſt des Scepters Macht zu klein.

[335]

Bei Erinnerung ihres erſten Freundes.


Er iſt mein Wunſch, ich ſein Gedanke,

Ihn ſuch ich auf, wo er ſich immer hin begiebt,

Er wird gedacht, er wird geliebt

Bis ich zum Rand des Grabes wanke.

An den Frieden.


Du, den Germanien mit klagenden Geſaͤngen

Von dem Olympus niederzog!

Laß dich das Laſter nicht verdraͤngen,

Das fuͤr dem Kriege nicht entflog;

Laß keinen Griff nach einer Krone

Und keinen Fuͤrſten-Geiz nach einem leeren Throne

Dich kraͤnken, daß du wieder fliehſt

Und von den Himmeln den zerſtoͤrten Weltkreis ſiehſt.

[336]

Aus einer Bußtagspredigt
des Herrn O. C. R. Spaldings.



In Herrn Doct. Kruͤnitz Stammbuch.


Wenn alles alles muß zerrinnen,

Was ſich der Weltmann hier erſinnen,

Erringen und erſchleichen kann,

Wenn Ruhm und Guͤter von dem Reichen

Am Sterbebette treulos weichen:

Wie gluͤcklich lebt alsdann der Mann,

Der ſich die Furcht vor Gott zur beſten Weisheit

machte,

Und Boͤſes meiden, zum Verſtand,

Stets recht gethan, ſtets edel dachte,

Und in der Tugend Ruhe fand!

Anhang.
[[337]]

Anhang
von Proben ihrer allererſten Dichtart
,
wie dieſelbe von Zeit zu Zeit ohne Unterricht
und Huͤlfe ſich bis zu der Hoͤhe geſchwungen,
in welcher ſie beruͤhmt wurde.


Y
[[338]][339]

Neujahrswunſch
an den Rinderhirten
.



Geliebter Freund! des hoͤchſten Guͤte

Schenkt abermal ein neues Jahr,

Drum bringt dir mein erfreut Gemuͤthe

Die Pflicht ergebner Wuͤnſche dar.

Wenn Zeiten, Tag und Jahre ſchwinden,

So gruͤnet die Beſtaͤndigkeit;

Man wird ſie ſtets im Flore finden,

Sie aͤndert ſich nicht mit der Zeit:

Wenn ſich verwechſeln Jahr und Wochen,

So bleibt ſie doch ununterbrochen.

Wo Redlichkeit und Tugend bluͤhen,

Da iſt die Falſchheit ſchon verbannt,

Y 2
[340]
Es heißt vergebens ihr Bemuͤhen,

Sie findet einen Gegenſtand,

Der ihr von lauter Treue ſaget

Und alle Flatterei verjaget.

Ich kenne ſchon dein reines Weſen,

Du biſt von zarter Kindheit an

Mein tugendhafter Freund geweſen,

Drum nimm die treuen Wuͤnſche an,

Die zwar aus ſchlechter Feder fließen

Und ſich in dieſe Zeilen ſchließen:

Der Geber aller guten Gaben,

Der Herr, von deſſen Guͤtigkeit

Wir Seel- und Leibeswohlfahrt haben,

Der wolle bei erneuter Zeit

Dein Haupt mit Heil und Kraft belegen,

Er kroͤne dich mit reichen Seegen.

Er wende was dich kann betruͤben,

Und ſchenke was dein Wohlſeyn mehrt,

Er ſtuͤrze die dein Ungluͤck lieben;

Und wenn er meinen Wunſch erhoͤrt,

Laß er dich bald was Schoͤnes waͤhlen,

Und viel vergnuͤgte Jahre zaͤhlen.

[341]

An
das Fraͤulein von Moſe.



Hoch- und Wohlgebornes Fraͤulein!


Die Hoffnung ſchmeichelt mir, Sie werden permittiren,

Was Dero Dienerin ſich itzo unterfaͤngt:

Zwar kann ich meinen Vers mit wenig Anmuth zieren,

Weil kein Virgilius mir ſeine Silben ſchenkt;

Doch werden Sie darum die Zeilen nicht verachten,

Die meine Dankbarkeit zu Dero Fuͤßen legt.

Kann man dieſelben nicht als hoch gelehrt betrachten,

Genug, daß jedes Wort vollkommne Treue hegt.

Ein angenehmer Tag, ſo Dero Namen fuͤhret,

Ermuntert mein Gemuͤth zu der Ergebenheit,

Y 3
[342]
Womit ich Ihnen bin Zeit Lebens obligiret:

Drum obſervire ich itzt meine Schuldigkeit,

Und will durch dieſes Blatt gehorſamſt gratuliren,

Weil Sie der Herr der uͤber Erd und Himmel ſchwebt,

Durch ſeinen Vaterarm ſo treulich wollen fuͤhren,

Daß Sie begluͤckt und wohl dies Namensfeſt erlebt.

Es bleibe dieſer Herr noch ferner Dero Fuͤhrer,

Er unterſtuͤtze Sie mit ſeiner Allmachtskraft,

Er ſey Ihr Schild und Lohn, Ihr maͤchtiger Regierer,

Er ſtaͤrke Dero Geiſt mit ſuͤßem Lebensſaft,

Er laſſe niemals was ſo Widriges geſchehn,

Daß Ihre Gnaden kraͤnkt und Dero Ruhe ſtoͤrt.

Nein, nein, es muͤſſe Sie auf ewig wohl ergehen:

Es muͤſſe nur geſchehn, was Dero Freude mehrt,

Es muͤſſe Ihnen nichts an Gluͤck und Wohlſeyn fehlen,

Der hohe Himmel ſey Sie ewig zugethan,

Er laſſe Sie noch viel begluͤckte Jahre zaͤhlen,

Er ſchenke Ihnen mehr als ich nur wuͤnſchen kann.

[343]

An
ihren erſten Mann.



Erlaube, werther Schatz, daß ich fuͤr allen Dingen

Aus ganz beſonderm Trieb und dir ergebnen Pflicht,

Darf meine Schuldigkeit durch dieſe Zeilen bringen,

Weil ein erfreuter Tag erſcheint mit ſeinem Licht,

Ein Tag, an welchem du zuerſt die Welt erblicket,

Ein Tag, der uns zugleich auch deinen Namen zeigt,

Den haſt du abermals erlebet hoͤchſt begluͤcket,

Darum mein Herze ſich zugleich mit dir erfreut.

Dein Wohlergehen kann auch meinen Geiſt ergoͤtzen,

Y 4
[344]
Und dein Vergnuͤgen macht daß ſich der ſchwache Kiel

Mit tauſend Freuden thut in ſchwarzer Dinte netzen,

Wenn ich zu dieſen Tag dir gratuliren will.

Drum leg ich dieſen Wunſch zu deiner Freude bei:

Der Himmel kroͤne dich mit ſtetem Wohlergehen,

Er mache deinen Geiſt von aller Unluſt frei,

Und laſſe lauter Gluͤck an deiner Seite ſtehen.

Er laſſe dieſen Tag dich oftmals uͤberleben

Und uͤberſchuͤtte dich mit tauſend Guͤtigkeit;

Und endlich wolle dir der Hoͤchſte alles geben,

Was dir mein Herze wuͤnſcht, und dich nur ſelbſterfreut.

Indeſſen bitt ich nimm doch dieſes guͤtig an,

Was hier die treue Hand aus Liebe uͤberreicht,

Weil ich fuͤr dieſes mal nichts Beßres geben kann,

So nimm es guͤtig hin und bleibe mir geneigt.

[345]

Eine Satire
auf die
Verfaſſung von Schleſien,
waͤhrend der Kaiſerlichen Regierung.



Als Friedrichs große Macht in Schleſien marſchiret,

Da bin ich gleichfalls mit als Volontair paſſiret:

Mich trieb der Vorwitz und die Neubegierde an,

So daß ich meinen Weg ein wenig ſeitwaͤrts nahm.

Da ich mich von dem Marſch der Preuſſen abgetrennt,

Kam ich vor eine Stadt, die man Schwibus benennt,

Und als ich im Begriff daſelbſt hineinzugehn,

Sah ich ein Frauenbild bei einem Baume ſtehn.

Sie ließ die Traurigkeit aus allen Mienen blicken,

Die Haͤnde waren ihr gebunden auf den Ruͤcken〟

Die Augen thraͤnenvoll, die Haare ganz zerſtrent,

Und als ich naͤher kam wars die Gerechtigkeit.

Y 5
[346]
Ich fragte ganz beſtuͤrzt, was iſt euch denn geſchehen,

Madame, daß man ſie hier ſo betruͤbt ſoll ſehen;

Wenns nach den Rechten ging, ſo ſollet ihr ja ſchon

Heut auf dem Rathhaus ſeyn und bei der Seſſion.

Ach, hub ſie ſeufzend an, dem Himmel ſeys geklaget,

Man hat mich ſchon vorlaͤngſt aus dieſer Stadt verjaget,

Da lebt ein jeder ſo wie es ihm ſelbſt beliebt:

Das iſt es, was mir jetzt ſo Geiſt als Herz betruͤbt.

Bemuͤhet euch, mein Freund, ein wenig umzuſehn,

Da wird ein neues Haus vor jenem Thore ſtehen,

Da wohnt ein Herr vom Rath, ein Schalk in ſeiner

Haut,

Der mit Particken hat dies Haͤuschen aufgebaut.

Da geht der krumme Schalk, ſchaut wie er ſpekuliret,

Weil er Betrug und Liſt in ſeinem Schilde fuͤhret:

So ſieht er unter ſich nach Art der falſchen Welt,

Er ſucht die Schluͤſſel zu der Buͤrger Gut und Geld.

Nun wollt ich euch noch mehr von gleicher Gattung

zeigen;

Doch weil ſo Zeit als Ort mir itzt befiehlt zu ſchweigen,

So ſag ich nur noch dies: der Conſul und der Rath,

Die ſtimmen uͤberein ſowohl in Wort als That.

Der große Carolus, der noch in Schriften lebet,

Und deſſen theure Seel itzt bei der Gottheit ſchwebet,

Der gab aus Guͤtigkeit der Invalidenſchaar

Gewiſſes Gnadengeld zur Unterhaltung dar:

[347]
Es theilt ſich dieſes Volk in unterſchiedne Staͤdte,

Das war nun eben recht vor unſre Herren Raͤthe.

Sie delibrirten bald, und machten dieſen Schluß,

Daß man bei unſrer Stadt auch welche haben muß.

Indem ſie dieſes ſagt, vergoß ſie bittre Thraͤnen:

Ach weh, o Grauſamkeit, thaͤt ſie an mich erwaͤhnen,

Man hat genommen mir die Wage, welcher Werth!

Die Haͤnd gebunden mir, dazu geraubt das Schwerdt,

Die Großen legten an der Buͤrgerſchaft viel Gaben,

Und das zu dieſen Zweck, daß ſie nichts ſollten haben,

Ihr Guͤter brachten ſie an ſich mit Liſtigkeit,

Und die betrieben ſie faſt ſtets zu jeder Zeit.

Weil nun die Buͤrgerſchaft die Steur nicht mehr konnt

geben,

Alſo empfingen ſie dreihundert Mann auch eben,

Mit ſie ward bequartirt ein jeder Buͤrgersmann;

Doch wie es weiter ging hoͤrt mich nur ferner an:

Man richt ihm Zimmer zu, indem ſie gute Zahler,

Ein jeder geben muß des Jahres Mieth ſechs Thaler;

Und ob der meiſten gleich nicht hier war ihr Beſtand,

Indem ſie mußten weg heim in ihr Vaterland,

Jedennoch kamen ſie ihr Geld hier zu empfangen,

Und mußten auch ſobald alda das Miethgeld langen.

Ja dieſe hatten all die Großen unter ſich,

Kein einzger ihm zukam. Nun hoͤret ferner mich:

Sie bauten vor das Volk aus Stall und Winkel Haͤuſer

[348]
Darein zu ſetzen ſie, die nicht vor ſie der Kaiſer

Wohl aber dieſer Stadt, die in der Buͤrgerpflicht

Die Gaben rechnen dran und ſollten geben nicht.

Es konnten viele nicht nicht einen Mann erlangen,

Ob ſie gleich oft und viel zum Herren ſeyn gegangen;

Sie ſagten bald zu ihm: geht ihr habt eu’r Bericht

Nicht bei euch ſchickt es ſich, und ihr verſtehts auch nicht.

Sie machten ſich gar frey, daß ſie nichts durften geben,

Und alſo thaͤten ſie bei großen Guͤtern leben.

Es mußten ihre Werk und Thun ſtets ſeyn gerecht,

Auch trotz dem, der nur was wieder das aufbraͤcht.

Im Gaben mußten ſie die Buͤrger uͤbertragen,

Und dieſes konnten ſie auch keinem Rechten klagen:

So alſo bin ich hier aus dieſer Stadt verbannt,

Daß ich itzt und darin bin nun nicht mehr bekannt.

Ich ſprach, ſie ſey getroſt, man wird ſie wieder kennen,

Ein jeder Mann wird ſie ſein Schatz und Freundin

nennen:

Dem Koͤnige gehoͤrt mit Recht das ganze Land,

Der der wird geben ihr ihr Schwerdt in ihre Hand;

Und ob er gleich noch iſt in ſeiner Bluͤth der Jugend,

So ſind’t man doch an ihm das Muſter aller Tugend.

Er liebet Froͤmmigkeit, die reine Gotteslehr,

Und mit ihr zieht ins Feld Gott ſelbſt ſein Engelheer;

Ich ſelber werde ihm auch dieſes alles ſagen

Das was ſie ſo betruͤbt und was ſie mir thut klagen.

[349]
Mit ihr macht ers bald aus, es iſt geſchehn der Schluß,

Daß ſie ſich packen ſoll, daß ſie nun weichen muß.

Sie darf nunmehro nicht an keine Macht gedenken,

Sonſt wird der Koͤnig ſie gewißlich laſſen henken.

Ein jeder nehm ſich nur vor dieſem Weib in acht!

Auf daß er nicht mit ihr werd auf den Bau gebracht.

Sie glaub mir ſicherlich, ſie wird an ihm den finden,

Der ihre Haͤnde wird aufloͤſen und aufbinden:

Sie hoffe nur getroſt, indem ich weiter geh,

Sie leb indeß vergnuͤgt, ich ſage ein Adieu.

[350]

Arie.



Vergnuͤgte Einſamkeit! du biſt die Ruhe,

So meine ſtille Bruſt ſich laͤngſt erwaͤhlet,

Was ich hier unternehm, gedenk [und] thue,

Das wird der Weltcenſur nicht aufgeſtellt;

Bin ich gleich ſtets allein und ganz verborgen,

So bleibt mein freier Sinn doch ungekraͤnkt:

Ich lebe hoͤchſt content und ohne Sorgen,

Weil mir die Einſamkeit Vergnuͤgen ſchenkt.

Es giebt verſchiedene Art von Luſtbarkeiten,

So die galante Welt hoͤchſt ſchaͤtzbar preiſt;

Doch wenn mans uͤberlegt ſinds Eitelkeiten,

Drum ſag ich noch einmal: mein freier Geiſt

Ehrt mit gelaßnem Muth die ſtillen Stunden,

So das Verhaͤngniß mir hier zugezaͤhlt,

Es wird auch in der That ſonſt nichts gefunden,

Das mehr Vergnuͤgen giebt und mir gefaͤllt.

So magſt du denn o Welt, das Eitle loben,

Geh mache dir Plaͤſir wie dirs beliebt,

Mir iſt die groͤßte Luſt noch aufgehoben,

Die dort das hoͤchſte Gut den Seelen giebt.

[351]
Ach ich verlache nur das Weltgetuͤmmel,

Indem mein Herze ſich die Loſung ſetzt:

Mein beſter Theil mein Schatz iſt noch im Himmel,

Und hier iſt Einſamkeit was mich ergoͤtzt.

Ein Fraͤulein, Namens Evchen, will ihren Namen
nicht hoͤren, daruͤber wurde geſungen:


1742.


Engliſches Evchen, ach gieb dich zufrieden,

Movire dich doch nicht, wenn man dich ſo nennt;

Iſt dir der Name nun einmal beſchieden,

So leid ihn geduldig und lebe content:

Eva ward hoͤchſt vergnuͤgt, da es die Vorſicht fuͤgt,

Daß ſie der Adam ſein Schaͤtzchen genennt.

Nun denn, mein Evchen, ſo wird dirs auch gehen,

Ob dich dein Name gleich itzo verdrieſt;

Ich ſichre, da wirſt du ſchon freundlicher ſehen,

Wenn dich ein Adam einſt rufet und kuͤßt:

Dann wird recht buchſtabirt, geleſen und vexirt,

Wenn uns die Liebe den Namen verſuͤßt.

[352]

An
Se. Majeſtaͤt den Koͤnig von Polen.



Ein Blick, Durchlauchtigſter Auguſt!

Ein Blick nach dem erhabnen Sitze,

Auf welchen Du, der Voͤlker Schutz und Luſt,

Dem halben Monden ſanft die Spitze

Des Koͤniglichen Zepters neigſt,

Und Deines Geiſtes Groͤße zeigſt.

Ein ſolcher Blick entzuͤckt Gemuͤther,

Die Ruhe unterſtuͤtzt den Thron,

Der Friede ſpricht dem Blutdurſt Hohn,

Dein Lorbeer prangt mit Sicherheit. Fern weicht der

Zwietracht Ungewitter

Dein Land, das froh und ruhig iſt;

Schlaͤgt in den Buͤchern grauer Zeiten

Geſchichte nach, erſtaunt und ſieht und lieſt

Wie oft ein feindliches Verbreiten

Der Laͤnder Zier, der Staͤdte Pracht

Zur oͤden Wuͤſte hat gemacht:

Wie
[353]
Wie Greis und Juͤngling hingeſunken,

Ein Schaudern uͤberfaͤllt Dein Reich,

Als fuͤhlt es noch den Saͤbelſtreich;

Doch nein, es fuͤhlt des Friedens Reiz, und wird von

ſeiner Freude trunken.

Der Scyte kommt, man holt ihn ein,

Man draͤngt ſich um den rothen Bunde,

Der ihn bedeckt, vorzuͤglich nah zu ſeyn.

Sein Anſehn ſchlaͤgt uns keine Wunde,

Sein durch die Zeit beſchneites Haar

Zeigt den gefuͤrchteten Barbar

In einem freundſchaftlichen Bilde.

Das Volk ſteht da, und ſtaunt ihn an,

Und ſpricht: o ſeht, der Muſelmann

Iſt nicht ſo grauſam, als ihr denkt: das Gute blinket

durch das Wilde.

Man ſah ihn auf die Stufen gehn,

Die, Herr, zu Deinem Throne fuͤhren;

Doch, o Monarch! hier bleibt die Muſe ſtehn,

Nur ſtille Ehrfurcht muß ſie ruͤhren,

Im Geiſt hat ſie nur hingeblickt,

Wie Stambol ſich vor Dir gebuͤckt.

Die Luͤfte lispelten die Worte,

Z
[354]
Durch die der Fuͤrſt vom Morgenland

Sich neu an Deine Freundſchaft band:

Dein Adler, der die Schwingen hub, der uͤberſchattete

die Pforte.

O Koͤnig! — durchs Geraͤuſch betaͤubt

Vernahm die Muſe nicht das Sprechen,

Was feierlich ſich tief in Marmor ſchreibt,

Was auch die Zeit vergißt zu ſchwaͤchen:

Die Wahrheit und Religion,

Die beide ſtanden nah am Thron,

Und ſchrieben jeden Ausdruck nieder:

Die Eintracht und die fromme Ruh,

Die hoͤrten ſtill und laͤchelnd zu,

Selbſt Engel merkten den Vertrag und mengten ihn

in ihre Lieder.

Das rege Volk, die frohe Stadt,

Die lang nach Dir, o Herr! geſchmachtet,

Sieht nie an Dir und Deinem Blick ſich ſatt,

Der liebreich eine Schaar betrachtet,

Die dicht gedraͤngt mit kuͤhnem Schritt

Dem Wagen bald die Bahn vertritt,

Und Aug und Hand entzuͤckt erhebet.

Ihr Auge, was ſich hurtig dreht,

[355]
Bemerkt den Glanz der Majeſtaͤt,

Der dem Gehorſam zaͤrtlich winkt, vor dem die Untreu

furchtſam bebet.

Sie ſehn die Großen von dem Reich

Mit zarter Ehrfurcht Dich empfangen,

Sie ſehn den Kuß, und ihre Bruſt wird weich,

Die Zaͤhre rollt von ihren Wangen,

Nicht Zaͤhren banger Traurigkeit,

Nein Thraͤnen, die die Luſt gebeut,

Wodurch die Treu ſich ausgedruͤcket.

Herr, ſolche Thraͤnen weinen ſie

Und haben mit vereinter Muͤh

Vor Dich der Wolken Hoͤh beſtuͤrmt, Geluͤbd und Bit-

ten abgeſchicket.

Der Himmel wurde durchgepfeilt

Und ſichtbar ließ er Antwort leſen,

Das Regenmeer, die Wolke ward zertheilt,

Das Weltlicht, was verhuͤllt geweſen,

Wies ſeinen Strahl, ſobald Auguſt,

Sobald der Glanz von ſeiner Bruſt

Der Frauſtadt Gaſſen praͤchtig machte.

O moͤchte ſich doch auch durch ihn

Der Sorgen ſchwarz Gewoͤlk verziehn,

Was meinen Geiſt oft niederdruͤckt, indem ich bang

nach Nahrung ſchmachte.

Z 2
[356]
Monarch, dem tief der Pole dient,

Und den der Sachſe kindlich ehret,

So wahr der Kranz der hohen Raute gruͤnt,

So wahr Dein Beiſpiel Fuͤrſten lehret,

So wahr hat Dir mein niedrer Geiſt

Nur durch Natur den Trieb geweiſt,

Den mir die Huld des Schoͤpfers ſchenkte.

Dein Daſeyn riß den ſchuͤchtern Sinn

Mit ſtarkem Zug zum Throne hin.

O daß die Gnade durch den Blick, der himmliſch iſt,

ſich auf mich lenkte!

Herr, ſieh auf mich, die ich ein Staub,

Ein Atomus der Schoͤpfung heiße,

Der Kummer macht aus dem Gedank ein Raub,

Der ohne Wehen ohne Schweiße

Sich zum gebohren werden ſchickt;

Doch durch die Laſt des Grams erdruͤckt

Vergeht die Kraft, und unvollkommen

Hat, Herr, mein Geiſt von Dir gedacht:

Er mahlt nicht Deines Thrones Pracht,

Er ſchildert die nicht, die den Glanz von Deinem

Strahle hergenommen,

Von Deines Geiſtes Vorzugsrecht,

Vom ſanft und goͤttlichen Regieren;

[357]
Und wie ſich durch Dein groß und ſchoͤn Geſchlecht

Sicilien und Frankreich zieren.

Von Deinem Folger auf dem Thron,

Dem Dir nachahmend weiſen Sohn,

Von allen Sproßen Deiner Huͤfte:

Davon ſchwieg mein zu ſchwaches Lied;

Mein Blick, der ſchuͤchtern nach Dir ſieht,

Verdunkelte vor ſo viel Licht, und der Gedank

verflog in Luͤfte.

O Koͤnig, den die Huld bewohnt,

Gieb meiner muͤden Muſe Schwingen,

Sie wird den Held, den die Verweſung ſchont,

Den himmliſch großen Geiſt beſingen〟

Der Dir die theure Bruſt belebt,

Die nach dem Heil der Laͤnder ſtrebt,

Die mehr mit Sanftmuth als mit Schaͤrfe,

Den Fehlern ihre Strafen ſagt:

O Herr, gedenk an Deine Magd,

Die ich voll Hoffnung und voll Furcht vor Deinem

Thron mich niederwerfe.

Z 3
[358]

Das Schickſal.


Sr. Wohlehrwuͤrden
des
Herrn Feldprediger Klettke

bei Gelegenheit deſſen Nahmensfeſtes
geſungen.


1755.


O haͤtt ich jezt den Geiſt der Unzerin,

Das denkende und das erhabne Weſen,

Um feuriger und aufgeklaͤrt im Sinn

Begriff und Bilder auszuleſen,

Welch ein Gemaͤhld’ entwuͤrf ich da von dir,

O Schickſal! dein verborgnes Winken,

Und wie dein Wink der Dinge Gang regier,

Und wie dich der Vernuͤnftler Duͤnken

Mit ſchielem Blick unuͤberdacht verkennt,

[359]
Und wie dein Ausſpruch unſerm Leben

Die Reihen der Begebenheiten nennt;

Dies alles wuͤrd ich dann der Welt vorzuͤglich zu

betrachten geben.

Eh dies Gebaͤu, was jezt ſo praͤchtig ſteht,

Sich aus des Klumpens Unform riſſe,

Noch eh der Staub beſeelt ward und erhoͤht,

Und ſeines Schoͤpfers Abbild hieße;

Da ſahſt du ſchon Jahrhunderte entdeckt,

Du ſahſts entziffert vor dir liegen,

Wohin der Trieb und ſeine Folge zweckt,

Hier ordnete dein ewig Fuͤgen,

Der Reiche Fall, hier theilteſt du voraus,

Eh noch geborne Herrſcher waren,

Die theure Laſt der Koͤnig-Kronen aus,

Hier ſezteſt du den Zeitpunkt feſt, in welchem wir

uns offenbaren.

Dein Finger ſchreibt in Tafeln hell von Glanz

Die Ordnungen, die ſich erhalten,

Die Weſenheit bleibt durch dich immer ganz,

Die Welten muͤſſen nie veralten,

Du hießeſt ſie in ihren Kreiſen gehn,

In denen ſie ſich jezt noch winden,

Nicht ungefaͤhr kann was geſchieht entſtehn,

Z 4
[360]
Es fuͤgt dein uͤberdacht Verbinden

In einer Welt, die doch die beſte bleibt,

Das Einzle in Zuſammenhaͤnge,

Daß jens entſpringt, und daß es dies vertreibt,

Iſt darum, daß ſich nichts unachtſam durcheinander

menge.

Der Biſſen Zahl, wodurch der Menſch ſich naͤhrt,

Berechneſt du, eh er ſie iſſet,

Das Gluͤckliche, was Jeden widerfaͤhrt,

Iſt ſo, wie es dein Vorſehn miſſet;

Des Geiſtes Zier, der innern Gaben Zahl

Theilt die Natur nach deinem Wollen

Auf dein Geheiß, nach deiner weiſen Wahl

Muß die Vernunft uns Guͤter zollen;

Dem giebt ſie viel des innerlichen Lichts,

Und Jenem mittelmaͤßge Strahlen,

Der andre ſpuͤhrt vom heitern Witze nichts,

Und dieſer kann uns die Natur in ihrer ganzen

Schoͤne mahlen.

Der Forſchende, der unter dreymal Dreyn

Der Wuͤrdigſte zum Lehrer ware,

Sog durch dich Luſt zu Wiſſenſchaften ein,

Und daß der Fruͤhling Seiner Jahre

Den Tugenden die Augenblicke gab,

[361]
Hat dein verborgner Trieb gemachet,

Und deine Kraft hat von der Hoͤh herab

Die Bruſt zur Weisheit angefachet,

Noch wenn Er ſich in Einſamkeit verſchließt,

Um daß Er Andrer Heil bedenket,

So zeigt dein Wink wie wuͤrkſam daß du biſt,

Dein Wink, der Ihm erſt die Gedanken und auch

alsdann die Seelen lenket.

O lenk Ihm doch nur auch ein Herze zu,

Was zart an Seine Bruſt ſich bindet;

Du knuͤpfſt ja Viel, wolan ſtoͤhr Seine Ruh,

Mach daß dein Ordnen uͤberwindet.

Nur ſo ein Herz, dem du ein zwiefach Pfund

Von Tugend und Vernunft verliehen,

Nur ſolch ein Herz ſchickt ſich, in einen Bund

Des Klettkens freie Bruſt zu ziehen.

O laß Ihn doch die Lieb ein Grabmahl baun,

Man leſe auf dem leichten Steine:

Hier armen ſich die Huld und das Vertraun,

Hier ſchlummern, die das Schickſal hieß: daß ſie

ein Gleich-Gefuͤhl vereine!

Z 5
[362]

Der 13te Mai 1758,
als der

Tag des Schreckens in Glogau.


Mit einer ihren Gram erzaͤhlenden Gebaͤrde

Wirft Glogau noch den Blick zur Erde,

Und iſt an Schutt und Klagen reich.

Der Fremdling ſiehet noch den Staub vom Heiligthume,

Und wird, der Menſchlichkeit zum Ruhme,

Bey traurigen Ruinen weich.

Und mehr als er vom tiefen Schmerz bezwungen,

Vom ſtaͤrkern Mitleid mehr durchdrungen,

Sing ich die halb zerſtoͤhrte Stadt.

Und noch betaͤubt vom ſchwarzen Schreckens-Tage

Wird mein Geſang wie ihre Klage,

Und mein Gedank wie ihrer matt.

Beim Ueberreſt vom ihrem ſchoͤnſten Kleide,

Beim Aſchenhaufen ihrer Freude

Sitzt ſie, und weint, und iſt von Seufzen voll.

Troſt komm herab und trockne ihre Wange,

Und unterſtuͤtze mich, wenn ich ihr im Geſange

Den Tag des Schreckens ſchildern ſoll.

[363]
Betruͤbte! da du dich jedweder Luſt verzeihſt,

Und auf dein Haupt den Staub von deinem Schmucke

ſtreuſt,

Da ſing ich einen Tag, der dich voll Jammer machte,

Als deines Scheitels Pracht abſcheulich niederkrachte.

Ich ſinge Gottes Zorn, der uͤber dir entbrannt,

Da als ſein Knecht der Sturm ſich mit der Gluth

verband.

Auf Friedrichs Siege ſtolz, von keiner Furcht

zerſtreuet,

Und lachend hatteſt du dich zu dem Feſt geweihet,

Das man mit Mayen ſchmuͤckt bis an des Altars Horn,

Die Ahndung ſagte dir nichts von des Hoͤchſten Zorn,

Bis die Erſchrockenheit in deinen Gaſſen heulte,

Und der Zerſtoͤhrung Flug die Fluͤchtigen ereilte.

Welch ein verwirrt Geraͤuſch nahm deine Straßen ein!

Befluͤgelt von der Angſt lief unter hohlem Schreyn

Ein Schwarm von Buͤrgern hin, damit er auf die

Thuͤrme

Mit Waſſer und mit Muͤh der Gluth entgegen ſtuͤrme;

Vereitelt ward die Muͤh, vergroͤßert die Gefahr,

Unaufhaltſam die Gluth, der Buͤrger nahm es wahr.

Und nun entſchloß er ſich den Seinen zuzulaufen.

Wie, wann ein Schaͤferſtab den vollen Ameishaufen

Zerſtoͤhreriſch durchwuͤhlt, das ſammlende Inſekt

[364]
Mit banger Forſchbegier des Schreckens Grund

entdeckt,

Den Nachbarinnen winkt und um den Stab ſich haͤufet,

Dann ſeinem Vorrath nimmt und ſchnell die Flucht

ergreifet,

Und in dem oͤden Wald ſich andre Wohnung ſucht;

So wimmelnd, ſo beſtuͤrzt ergrif dein Volk die Flucht.

Nun wankten Wittwen fort, des Mitleids Gegenſtaͤnde!

Und Wayſen wanden ſich um ihrer Muͤtter Haͤnde;

Nun floh der beſte Mann, ihm loderte das Haus

Schon auf den Nacken nach, die Hitze trieb ihn aus.

Nur ſein geduldig Herz und ſeiner Gattin Schritte

Begleiteten ihn hin in eine fremde Huͤtte;

Dort brannte Dach und Wand, die Wuth der Flam-

men ſchlug

Dem feuchten Bette nach, das einen Kranken trug.

Die Traͤger liefen fort, der Vorwurf vom Erbarmen

Lag in der Ohnmacht da, wie in des Todes Armen;

Und weinend ward ſein Blick dem Himmel zugewandt,

Da er ermuntert ſich im fremden Hauſe fand.

Er rief: Ein Wunderwerk hat mich hieher getragen,

Und hoͤrte rund um ſich vom Tag des Schreckens ſagen.

Egyptens Finſterniß umwoͤlkte dieſen Tag,

Der wie die ſchwere Hand des Himmels auf dir lag.

Verbreitend ward die Furcht, das Schrecken und

die Flamme,

[365]
Der Saͤuling zitterte am Buſen ſeiner Amme;

Ein Greiß nahm ſeinen Sohn, der wie ein Schat-

ten ſchlich,

Und beyde ſtoͤhnten laut, und jeder wollte ſich

Dem ſchwarzen Dampf entziehn, der graͤßlich ſich

verdickte,

Der Sohn kroch in ein Haus, hier ſchlief er und

erſtickte;

Der Vater, ſtark von Angſt, entdraͤngte ſich der Noth,

Und fuͤhlte halb verbrannt noch mehr als einen Tod.

Sie flohn, ſie bebten fort aus vollgeflammten Gaſſen,

Die Buͤrger, die der Gluth den Vorrath muſten laſſen.

Die Flamme waͤlzte ſich und flog von Dach zu Dach,

Das naſſe Element ward nuͤtzenloß und ſchwach;

Die Winde wirbelten und ſpielten mit dem Bogen,

Der aus Maſchinen ſtieg, die du herbey gezogen.

Begierig fraß die Gluth ein Drittheil deiner Pracht,

Und ach! ihr Hunger ward nur hungriger gemacht,

Und unerſaͤttlich flog ſie uͤber Wall und Mauer,

Ihr Geitz fiel Haͤuſer an, um deren ewge Dauer

Der Vorwelt beſſrer Chriſt ſich fromme Sorgen gab,

Die Huͤtte Gottes fiel auf deiner Vaͤter Grab.

Altar und Lehrſtuhl ward der Vorwurf der Ver-

wuͤſtung,

Sieh hier die Wuͤrkſamkeit der goͤttlichen Entruͤſtung.

So ſchwarz, ſo grauenvoll wie eine Mitternacht,

[366]
Die ein gekreuzter Blitz erſchrecklich heiter macht,

So war der Kreis der Luft vom Dampf der großen

Huͤtte,

Die ihren Untergang bis auf den Eckſtein litte.

Der Schmerz durchbohrte dich, ſie fiel — — ach — —

und ihr Fall

Erſcholl in deinem Ohr ſo furchtbar wie der Knall,

Der zu dem Wetterſtrahl freundſchaftlich ſich geſellet,

Und ſchnell dem Atheiſt ſein Lehrgebaͤud zerſchoͤllet;

Er hoͤrt, erſchrickt und ſpricht zum Zweifel und

zum Spott:

Schweigt, o ihr Raſenden! im Donner ſchilt ein Gott.

So ſcheltend war fuͤr dich des Feuers rauhe Stimme,

So uͤberredend war ſie von des Hoͤchſten Grimme.

Die Redner, die dir oft von ſeinem Zorn geſagt,

Wenn du dich Schritt vor Schritt zur Unart haſt

gewagt,

Die ſahn mit ſtarrem Blick, wie ſich die Flamme

naͤhrte,

Und Zions Herrlichkeit im Augenblick verzehrte.

Ach! ihr gerechter Schmerz entkraͤftete die Hand,

Sie ließen Buch und Kleid der Gluth zum Gegenſtand;

Nur Kinder, die zu nah an ihrem Herzen lagen,

Hat Zaͤrtlichkeit und Augſt aus der Gefahr getragen.

[367]
Gott! Vater! zaͤrtlichſter und beſter Menſchenfreund!

Iſts moͤglich, wurdeſt du dem Opferberge feind?

Wie? oder haſt du nur den Altar umgeriſſen,

Daß unſre Herzen nun Altaͤre werden muͤſſen?

So ſprach der Schmerz in uns, da unſer Herz erwog,

Was in der Huͤtten Rauch uns fuͤr ein Gluͤck entflog;

Da das betoͤnte Erz im Schutt danieder ſchmelzte,

Und da ein Berg von Gram ſich uns in Buſen waͤlzte.

Die Haͤuſer loderten, wo ſonſt der Prieſter wohnt,

Und von der Flamme ward die Schule nicht verſchont;

Ihr zweiter Lehrer frug nach der, die ihn geboren,

Die alte Redliche, ach Gott! ſie war verloren.

Des Feuers ſtaͤrkrer Schritt hohlt ihre Schritte ein,

Ihr Sarg, ihr Grabmahl mußt ein Aſchenhaufen ſeyn,

Und ihre Aſche ward ein Spielwerk fuͤr die Winde.

So kamen Fromme um, da wegen ſeiner Suͤnde

Das juͤngre Tyrus fiel, da ſich die Erde hub

Und Liſſabonnens Stolz in ihren Riß begrub.

In dir, o Glogau! traf der Donnerſchlag der Strafe

Die Unſchuld wie die Schuld, den Hirten wie die

Schafe.

Gott fuhr auf Fittigen des Sturmes ſtark einher,

Und ſeiner Raͤder Gang war rollend wie das Meer,

Das den, der Schiffbruch litt und nach dem Ufer ſtrebet,

Bald an den Abgrund ſtoͤßt, bald an die Wolken hebet;

Und bald im Kreiſe dreht, und wann er Land gefuͤhlt,

[368]
Ihn grimmiger verfolgt, und dann zuruͤcke ſpuͤhlt.

Vor Angſt umher geſchwankt im tiefen Thraͤnenmeere

Kams unſern Herzen vor, als ob ſie kleiner waͤre,

Die fuͤrchterliche Gluth, doch ach! ihr Hinterhalt

Brach heftiger hervor mit praſſelnder Gewalt;

Sie machte Wendungen, an die wir nicht gedachten.

So greift der groͤßte Held, der Sieger in den Schlachten,

Den ſchon verwirrten Feind am ſichern Ruͤcken an,

Und ſchlaͤgt ihn bis aufs Haupt, eh er ſich wenden kann.

So wandte ſich die Gluth, die Haͤuſer zu entprachten,

Die ſtolz auf Stein und Kalk ihr nur entgegen lachten;

Nun wuͤtete ſie fort, ſo wie ein Loͤwe bruͤllt,

Der einen weiten Wald mit Furchtbarkeit erfuͤllt.

Und bruͤllend hoͤhnte ſie dem Loͤſchenden entgegen,

Und ſpottend fraß ihr Schlund der Buͤrger Schweiß

und Segen.

Mit einem ſauften Muth voll innerlicher Ruh

Sah der Verzehrerin der Blick des Frommen zu;

So ruhig unterwarf dem goͤttlichen Befehle

Sich einſt der Patriarch, der an des Sohnes Kehle

Das Meſſer ſetzen ſollt, ſo folgſam band er ihn

Und machte ſich geſchickt das Opfer zu vollziehn —

Hier opferte ſein Haus, das bis zur Schwelle brannte,

Der Fromme, der den Herrn, den Gott im Feuer

kannte.

Ihm gegen uͤber ſaß und raufte ſich ſein Haar

Der,
[369]
Der, dem des Morgens noch ſein Gut ein Abgott war.

Tiefſinnig ſaß er da, der durch die Gluth verſuchte,

Wie der im Lande Uz einſt ſeinen Tag verfluchte,

Und zagend nur den Tod und die Vernichtung rief,

Und den beneidete, der ſchon im Grabe ſchlief.

So melancholiſch hat die Ungeduld geſeſſen,

Die ihre Seeligkeit nach einem Gut gemeſſen,

Das jenſeits hinters Grab uns nicht begleiten mag,

Und dieſe Seeligkeit entwand ein halber Tag.

O Glogau! welch ein Tag war uͤber dich beſchloſſen,

Die Thraͤne der Natur waͤr gern herabgefloſſen;

Ach! unumwoͤlkt und hell und trocken blieb der Tag,

Der dich Gebeugte ſah, die in der Aſche lag.

Das große Vorrathshaus, gefuͤllt vom Held und

Weiſen

Sein ſtreitbar Heer im Feld mit Ueberfluß zu ſpeiſen,

Ward von der Gluth verſtoͤrt, gewaltig war der Brand,

Ein Berg von Korn und Mehl ward nun der Ge-

genſtand.

Nun fraß die Schreckliche des Hauſes Eingeweide,

Noch lange wird der Duft vom glimmenden Getreide

Durch deine Gaſſen ziehn, noch lange brennt das Haus,

Des Feuers Grauſamkeit ſpaͤht die Gewoͤlber aus,

Stuͤrmt alter Saͤrge Thuͤr, dringt zu den Aſchenkruͤgen

Und laͤßt die Todten nicht in ihren Kammern liegen.

A a
[370]
Hier, wo vor langer Zeit die Kanzel und Altar

In dem geweihten Schiff des Welterloͤſers war *):

Hier, wo einſt Froͤmmigkeit und Andacht niederknieten,

Und durch Gebaͤrd und Blick ihr betend Herz verriethen,

Hier loderte die Gluth, ſchon ward der Markt erhitzt,

Schon zitterte der Saal, wo die Verſammlung ſitzt,

Die vaͤterlich und treu dein wahres Wohl erwaͤget

Und im beſchloßnen Rath zum Grund dein Beſtes leget.

Schon ward der Thurm von ihr mit heißem Hauch

beruͤhrt,

Der weit entfernt von dir den Schritt des Wandrers

fuͤhrt.

Doch die ergrimmte Gluth, die ließ ſich nicht geluͤſten

Dir deinen Mittelpunkt das Rathhaus zu verwuͤſten.

Mit großen Schritten ging nun die Verderberin

Bis zum berufnen Thor und zu den Waͤllen hin,

Wo einſt mit kriegriſchen, erobernden Vergnuͤgen

Im Angeſicht der Nacht die Preuſſen dich erſtiegen.

Du ſtaunteſt, denn du ſahſt, es brannte Bruͤck und Thor

Und auf dem Lande ſtieg ein dicker Dampf empor.

Voll Angſt und Flammen ſtand das ſchoͤnſte deiner

Doͤrfer,

So wie ein feindlich Heer durch ſchnelle Feuerwerfer

[371]
Entlegene Haͤuſer trift, ſo traf der Gluth ihr Flug

Das ziemlich ferne Dorf. Der Strohhuth, den es trug

Der fing die Funken auf, die bald zu Flammen worden,

So wie ein ſchneller Blitz vom heißen Suͤd in Norden

Im Augenblicke faͤhrt, ſo fuhr auf Haus und Stall

Der ſich vergroͤßernde geſchwinde Feuerball.

Im kleinſten Punkt der Zeit brannt eine Haͤuſerreihe,

Das Feld erſchuͤtterte vom klaͤglichen Geſchreie.

Dort trug ein fliehend Weib ihr halb bekleidet Kind,

Hier lief ein bloͤkend Schaaf und dort ein bruͤllend Rind;

Nun kommt ein grauer Mann, ſchon nah am Sterbe-

bette,

Er eilt, daß er ſein Geld ſich zum Begraͤbniß rette;

Die niedre Huͤtte brennt, dort draͤngt er ſich hinein,

Das Eſtrich ſtuͤrzt auf ihn, hier muß ſein Kirchhof ſeyn.

Das ganze Dorf ging auf, nur Scheuern blieben ſtehen,

Der reichſte Bauer ſah ſich in die Armuth gehen;

Mitleidig blickteſt du des Dorfes Jammer an;

Du, die von jeglichem ſelbſt Mitleid fodern kann.

Dort, wo der Oderſtrom durch gruͤne Wieſen

ſchreitet,

War ein bekuͤmmert Heer von Buͤrgern hin verbreitet;

So lagern Bienen ſich auf einen breiten Aſt,

Wenn ihren hohlen Raum die Gluth hat angefaßt,

Wenn ihr Geſammeltes und ihre Zellen brennen,

A a 2
[372]
Und wenn die Fluͤchtlinge ihr kuͤnftig Haus nicht kennen.

Hier lag der Greiß, der Mann, der Juͤngling und das

Kind

Und die Geſchoͤpfe, die der Juͤngling lieb gewinnt,

Und Weiber, die der Gluth den Zierrath uͤberließen,

Die nur den beſten Mann ihr uͤbrig Kleinod hießen.

Weit von dem Stolz entfernt, ward hier nicht an die

Pracht,

Nicht an die Eitelkeit und nicht an Rang gedacht.

Der Reich und Arme ſah mit Furcht erfuͤllten Blicken,

Wenn nun der Pulverthurm in Millionen Stuͤcken

Durch Hitz und Gluth zerſprengt, wuͤrd in die Luͤfte

fliehn,

Gegruͤndet war die Furcht, die Flammen drohten ihn.

Doch da ſie noch einmal ſich ſchrecklich wenden wollten,

Ward von dem Ewigen ihr Schritt zuruͤck geſcholten.

Ihn jammerte des Volks, das draußen weinen ſaß

Und traurig ſeinen Zorn im Dampf und Feuer laß.

Er ſprachs: die Flamme ſtand, ſo ſtand im rothen Meere

Die zahmgewordne Fluth, bis die erſchrocknen Heere

Vom Hauſe Iſrael vor des Egypters Macht

Den unbenetzten Fuß ans trockne Land gebracht.

O du gebeugte Stadt! geſteh es Gott zur Ehre,

Sags deinen Kindern vor, daß es die Nachwelt hoͤre!

Sprich, daß der Herr dein Gott von ſeinem Zorne lies,

Und daß ein Blick von ihm der Gluth die Graͤnzen wies,

[373]
Die viel verwuͤſten kann im Zeitraum einer Stunde.

So ſchnell verderberiſch rollt aus dem offnen Schlunde

Des brennenden Veſuvs ein Schwefelſtrom herfuͤr

Und ſprudelt Meilen weit und ſaͤngt des Landes Zier

Die bunten Auen ab, und wird der Doͤrfer Schrecken,

Der Landmann ſieht ſein Feld mit heißem Gries be-

decken;

Er zittert, zagt und ſchreyt, vor Schrecken wankt ſein

Schritt,

Nun kommt der Feuerſtrom und nimmt ihn grimmig mit,

Und ziſchet durch die Flur, bis ſeine Wuth verkuͤrzet,

Sich brennend in den Schooß grundloſer Seen ſtuͤrzet.

In einen engen Raum, wo arm an Kalk und Stein,

Und reich an Holz und Leim die alten Haͤuſer ſeyn,

Da hat die Gluth vom Herrn ſchnell den Befehl ver-

nommen,

Bis hieher ſoll dein Schritt, nicht weiter ſoll er kommen,

Und dreimal buͤckte ſie vor ſeinem Wort ihr Haupt,

Und ihrer Staͤrke ward von nun an nicht erlaubt,

Des Waſſers Wuͤrkſamkeit ſo frech zu widerſtehen,

Sie eilte klein und matt zu ihrem Untergehen;

Und nun verließ das Volk ſein Lager vor dem Thor,

Nun richteten ihr Haupt die Klagenden empor.

In einem ſaͤuſelnden gelinden Windeswagen

So fuhr der Gott herauf, vor den wir betend lagen,

Und Engel laſen es in ſeinem Angeſicht,

A a 3
[374]
Was die Barmherzigkeit in ſeinem Herzen ſpricht;

Und Engel freuten ſich, daß ſeine Gnade wolle,

Daß deine Aſche ſich in Glanz verwandeln ſolle,

Und daß er im Gefuͤhl der ewgen Liebe ſchwur,

Er wollt in Zukunft nicht die Kraͤfte der Natur

Zu deinem Untergang mit ſtaͤrkern Waffen ruͤſten,

Kein feurig Zorngericht, kein loderndes Verwuͤſten

Sollt dein Zerſtoͤhrer ſeyn, du ſollteſt praͤchtig bluͤhn,

Bis Seraphs einſt mit ihm zum Weltgerichte ziehn.

Sein Laͤcheln, ſeine Huld, das ſoll dich neu geſtalten,

Sein volles Segensmaaß das ſoll dich ſchadlos halten.

Beſchraͤnke deinen Gram, entnaͤſſe deinen Blick,

Und ſieh betrachtungsvoll in jene Zeit zuruͤck,

Da deine Ahnen auch in Staub und Aſche ſaßen,

Und in der Zukunft doch Verluſt und Gram vergaßen;

Da aus den Schwellen, die ein großer Schutt begrub,

Gott eine ſchoͤnre Stadt als die verbrannte hub.

Er iſt noch eben der Allmaͤchtige und Große,

Stark, daß er in den Staub des Helden Feinde ſtoße,

Und wunderthaͤtig, daß er mitten in der Schlacht

Aus grimmigem Gefuͤhl den Trieb zum Frieden macht.

Er ſprichts, ſo ſinkt das Schwerdt, ſo ſchweigen die

Kartaunen,

Und ſein Geſalbter ſchließt, den Voͤlkern zum Erſtaunen,

Vertraͤge, die den Ruhm, den der Monarch erfocht,

Noch mehr verherrlichen, und Kraͤnze, die er flocht,

[375]
Wird ſich die Ewigkeit um ihre Scheitel winden,

Du aber wirſt dein Gluͤck in ſeiner Ruhe finden.

Da denket er an dich: ſo hat ein Gott gedacht,

Da aus dem Chaos ward die beſte Welt gemacht;

Und ſein Gedanke wird von einem Gott geſchaffen,

Der ſegnend auf dich blickt, als wie auf Friedrichs

Waffen.

Sey ruhig, ſchuͤttle Staub und Kohlen von dir los,

Und bluͤhe wieder neu und wachſe wieder groß.

Sey froh, doch ſey nicht frech, ſo daß auf Feuerwagen

Die Rache Gottes ſich zu dir herab muß tragen;

Sey praͤchtig, bis die Pracht der beſten Welt zerſchmelzt,

Bis in die Ewigkeit der lezte Tag ſich waͤlzt.

A a 4
[376]

Schleſiſches Bauerngeſpraͤch
zwiſchen
Vetter Hanß und Muhm Ohrten,
gehalten zu R .... bei Großglogau
im November 1758.


Muhm Ohrte.

Ih, lange nicht geſahn, und doch noch gut gekannt,
Willkommen Vetter Hans, mei Herz giebt dir die Hand,
Biſt du noch huͤbſch geſund? du ſcheinſt mir nich
recht munter;
J worum ſchlaͤgſt du dann die Augen ſo herunter?


Vetter Hans.

Die Zeiten ſeyn darnach. Wer kann doch luſtig ſeyn,
Der Krieg iſt noch nich gar; und nach dem prophezeyn
Soll er ſich eher nich als in fuͤnf Jahren ſchluͤßen.
Wie vielmal wird man da noch Haber liefern muͤßen;
Und Haber nich allein auch Stroh und Heu und Korn.


Ohrte.

Wer kann ſich helfen, wanns der liebe
Goot im Zorn
Nu ſo beſchloſſen hat, ſo muͤßen wir es tragen.
Doch jo fuͤrwohr! du darfſt dich uͤbern Krieg beklagen;
[377] Die andre Woche trug ich Butter in die Stadt,
Da laß des Buͤrgers Frau das Breßlau’r Zeitungsbladt,
Da magſt dus glaͤuben hat mich durch und durch
gefroren.
Die Ruſſen do ſie nu die große Schlacht verloren
Die haben auf der Flucht das Muͤthel ſich gekuͤhlt.
Man ſpricht daß der Coſack nur wie a Ochſe fuͤhlt,
Un wannn a nich wie wir im Ausſahn menſchlich waͤre
So daͤchte man a waͤr die Zucht von Zeidelbaͤre,
Und wie geſoht a Ruß, der muß kei Menſch nicht ſeyn
Sunſt kaͤm ihm doch auch mohl a bißel Mitleid ein
Sonſt wuͤrd a nimmermehr ſo ſengen und ſo brennen
Und ſo den armen Baur das Saamkorn naͤhmen koͤnnen.
Bedenk dirs nur a mahl wie dir zu muthe waͤr,
Wenn ſulch a Feind nu kaͤm der deine Scheuren leer
Und deine Speicher rein von Gruͤz und Graupe machte,
Dich ſchaͤndlich pruͤgelte, und wenn du flenteſt lachte,
Dir Kuͤh und Kaͤlber naͤhm; und Ochſen von dem Pflug
Dir fuͤr die Koͤpfe ſchluͤg, und dich den groͤſten Krug
Dan du im Hauſe haͤttſt, mit Brandwein fuͤllen hieße,
Und dir dan lezten Rock glat von dem Buckel riße.
Jo lieber Vetter Hans die Breßla’ur Zeitung ſoht
Es iß a Volk was niſcht nach Goot nach Menſchen froht,
Sie laßen einen nich a mohl das Hemd am Leibe;
Und mancher Man der muß mit ſeinem jungem Weibe
Su was beginnen ſahn was ſich nu gar nich ſchickt,
A a 5
[378] Man redt nich gern davon. Und wirklich man erſchrickt,
Wenn man die Dinge hoͤrt, es iß gar nich zum lachen,
Sie ſolns a wing zu arg mit jungen Frovolk machen.
Du Vetter Hans du haſt och noch a huͤbſches Weib,
Die waͤr fuͤr den Coſack a bißel Zeitvertreib,
Du argerteſt dich naͤrſch, und das in einer Stunde.


Hans.

Mit einer Senſe hieb ich ſieben ſolche Hunde
Recht in die Mitten duach. Muhm Ohrte, hohl mich
Goot
Mir ſolten nimmermehr a ſolch verdammter Spoot
Vom boͤſen Volk geſchehn, was? mir mein Weib
zu ſchaͤnden?
Zehn Kerls die muͤſten erſt vor mir das Leben enden.
Denn die ich nich erhieb, die ſpieſt ich an die Wand.


Ohrte.

Du armer Stuͤmper du, redſt wie Hans
Unverſtand.
Der Muſkowitter fragt dir viel nach deiner Senſe
A naͤhme dir dein Weib, und wenn du funfzehn Haͤnſe
Die auch ſo patzig thun noch zu Gehuͤlfen naͤhmſt,
Und wenn du hundertmal mit deiner Gabel kaͤmſt,
Wie wuͤrd a das Gewehr dir an dan Schaͤdel ſetzen,
Sein Saͤbel wuͤrde dir das kluge Maul zu fetzen,
Denn wo viel Hunde ſind da iß der Haaſen Todt.
Der liebe Goot bewahr uns weiter fuͤr der Noth,
Wir ſitzen hier gewiß noch wie im Roſengarten
[379] Du kanſt dein Ackerwerk wie ſichs gehoͤrt abwarten,
Dort in den Laͤndern wo der Krieg ſich tummeln geht,
Da pfluͤgt, da ſaͤt man nich; und was im Felde ſteht
Iſt fuͤr die Reuterey, es ab zu furagiren.


Hans.

Wans ſo iß darf mans nich erſt in die
Scheune fuͤhren.
Doch Spaß bei Seit geſetzt, Muhm Ohrte du redſt wahr,
Der gar zu ſchwere Krieg der kruͤmmt uns noch kei Haar,
A kommt uns dann und wan nur ſo a bißel nekken;
Verwichen kamen uns die Rußen och erſchroͤcken,
Doch haben wir da Schroͤck nich ſunderlich gefuͤhlt,
Es kam uns nur ſo fuͤr als wan ſichs Wetter kuͤhlt.
Denn Gott ſey Lob und Dank! ſie ſeyn noch nich
gekommen
Und haben uns von Stroh die Betten weggenommen;
Ich kann in Sicherheit noch meine Furchen ziehn
Und wenn ich hintern Pflug mich heiſcher gnug geſchrien,
Da denk ich Abends dann auch an das Ausgeſpanne,
Da fahr ich heim, und dann kommt meine liebe Anne
Und lacht mich freundlich an, und dreymal ſtreichelt ſie
Mich um das Kinn herum, und macht daß ich die Muͤh
Die mir der Pflug gemacht ſchon halb und halb vergeße,
Nu wird der Tiſch gedeckt, ich ſetze mich und eße
Mei Kaͤſenbrod mit ihr, und meinen Hirſchebrey
Und eine dicke Milch, das ſeyn der G’richte drey,
Die ſchmecken mir und ihr ſo gut und zehnmal beßer
[380] Als in der großen Stadt dem Leckerbißel Eßer
Das ausgeſchlurfte Ding, wie heſts doch immer mehr?
Wie wul ich mag es nich, denn mir graut viel zu ſehr.
A ſulcher Schnecken-Fraß iß nicht fuͤr unſer einen,
Der Staͤdter ſpuͤlt ſichs ab mit theuren Unger Weinen.
Ich wull ſo ſatt wie er trink Waſſer aus dem Quell,
Das ſchmeckt aufs Kaͤſenbrodt und iß ſo klar und hell,
Als wie der Himmel iß am ſchoͤnen Fruͤhjahr Morgen,
Ich trinke mich nich krank, und keiner Schulden Sorgen
Die ſchleichen mir a nach bei dem zu Bettegehn;
Und nu thut Annel erſt mit mir recht wunderſchoͤn.
So muͤd als ich auch bin ſo kan ſie doch nicht laßen,
Sie muß mit ihren Arm mich um den Naken ſaßen.
Wie lucker thut mir das, mich ſchlaͤffert wull recht ſehr,
Sie aber guſchelt mich und ſchmeichelt immer mehr,
Bis ich ihr gute Nacht mit großem Schmunzeln ſage,
Und nu verſchlafen wir des Tages Laſt und Plage.
Wir ſchnarchen ungeſtoͤrt, kein Krieg und Kriegsgeſchrei
Weckt mich und ſie vom Schlaf, der Morgen kommt
herbei.
Der Haushahn kraͤht zweimal und macht daß wir er-
wachen,
Ich gaͤhn a mal und heiß mei Annel Licht anmachen.
Sie iß a flinkes Weib, kaum hab ich ausgeredt
So ſpringt ſie eichel ganz und munter aus dem Bett.
Ich fahr ihr hurtig nach, und bet a Morgen-Seegen,
[381] So kurz als moͤglich iß; denn unſers Herr-Goots wegen
Verwendt man nicht viel Zeit. Verzeih mirs Goot!
wir ſeyn
Zum Flegel nur gemacht, und zu den Picheleyn.
Doch iß ihm auch vielleicht das kurze Stoßgebethe
Wohl angenehmer noch als wenn ich heilig thaͤte,
Als wie der Staͤdter thut, ders Auge wie a Kalb
Im Kopfe rummer draͤht, und doch ſei Harze halb
An ſeinen Wucher haͤngt, und halb an die Dukaten,
Wir Bauersleute thun was unſre Vaͤter thaten.
Wir beten kurz und gut, und gehn zur Arbeit hin:
Du kanſt mirs glaͤuben wenn ich in der Scheune bin
Und nu den Flegel ſo mit beiden Armen ſchwenke,
Daß ich bei jedem Schlag an lieben Goot gedenke.
Und wenn der Flegel nu den Hunger hat erweckt,
Dann fuͤhl ichs recht wie gut das warme Fruͤhſtuͤck
ſchmeckt.
Kein Talpatſch, kein Pandur und wie ſie alle heißen,
Kommt nicht um mir das Brodt vom Maule weg-
zureißen.
Ich habe Ruh und Brodt.


Ohrte.

J ja! erkenſt dus nu?
Vor hingſt du jo den Kopf als wenn du keine Ruh
Und keinen Bißen Brodt mehr in der Huͤtte haͤtteſt,
Als wenn du mit der Flucht dich fuͤr den Feinde retteſt.
Ja unſer Herr Goot machts euch Leuten keinmal recht,
[382] Es waͤr kein Wunder nich daß er euch ſtrafen moͤcht.
Ihr ſeyd wohl blind und taub und gar von Sin-
nen kommen,
Sonſt ſaͤht ihrs ja daß er uns hat in Schutz genommen.
Ihr ſchmaͤhlet auf den Krieg, da doch der Krieg
nich kam
Und euch durch Feur und Schwerdt noch das geringſte
nahm.
Das bißel Liefern iß nu alles was ihr traget
Woruͤber ihr nu gar a ſu abſcheulich klaget;
Doch keiner iß ſo klug, und keiner denket dran,
Daß oft der Kuͤnig kaum fuͤr Sorge eßen kann.
Och lieber Vetter Hans es iß nich auszuſogen,
Wie vielen Kummer och der große Herr muß trogen,
Er hat dir meiner Seel nich eine Stunde Ruh,
Wie manche Nacht thut er wohl nich a Auge zu.
Gedenk dir nur einmal, Er ſchlug die Mußcowitter
Und trieb ſie von uns weg als wie a ſchwer Gewitter
Zuruͤck getrieben wird, wenns Goot dem Winde ſogt,
Daß a wo anders hin die ſchwarzen Wolken jogt.
Und als Er fertig war muſt Er ſich jaͤhlig wenden,
Er ging nach Sachſen zu. Er muß an allen Enden
Mit an der Spitze ſeyn. Denn wo der Kuͤnig ſteht,
Da weis man ſchon wie gut die ganze Sache geht.


Hans.

Ach ja es geht ju doch nicht allemal zum beſten,
Den geſtern hoͤrt ich was von unſers Scholzes Gaͤſten;
[383] Sie kamen aus der Stadt bey ihn zur Kuͤrmes raus,
Doch ſie erzaͤhlten ihm die Sache nicht recht aus.
Von Oeſterreichern wars und och vom Ueberfalle,
Und do ich horchen wolt do wor das Ding ſchon alle.


Ohrte.

Ho, ho wenns ſunſt niſcht iß, das Ding
iß mir ſchon alt,
Und ich vergaß es nur, ſonſt haͤtt’ ich dir es bald
Von Anfang her erzaͤhlt, ich will dirs nur noch ſogen:
Bey tage wolte ſich kein Oeſterreicher ſchlogen.
Im Finſtern kamen ſie; ſo wie in mancher Nacht
Der Marder ſich a Loch an meiner Schwelle macht,
Und durchgekrochen komt die Huͤhner todt zu beißen,
Sie krochen uf den Bauch ins Lager zu den Preußen,
Da alles noch im Zelt und tiefem Schlafe lag,
Doch wacker wurden ſie bezahlet auf den Tag.
Gevatter Urßels Mann der hat es hergeſchrieben,
Daß gar a ſchmaͤhlich Volk iß auf den Plaz geblieben,
Viel Todten lagen da und niſcht gewonnen ſie,
Und gleichwohl thun ſie dick, es lohnt ſich fuͤr die Muͤh.
Das kommt mir bald ſo fuͤr als wie vor vierzehn Tagen
Des Kretſchmers Knecht im Schlaf da Hofeknecht ge-
ſchlagen.
A ſchlug ihn nur a mal, und der ſprang auf und ſchlug
Des Kretſchmers Knecht daß man ihn auf der Trage
trug.
Ich daͤchte, wenn ſie ſtill von ihren Thaten ſchwiegen,
[348[384]] Durch Großthun werden ſie die Schleſge doch nich
kriegen.
Es waͤr och gar nicht gut, doch das laͤſt Goot nich zu,
Gelt, lieber Vetter Hanß, du denkſt doch och a ſu?


Hanß.

J freilich denck ich ſu, denn wenns Goot
wollen haben,
So haͤtte ja der Krieg die Preuſſen ſchon begraben.
Das iß gar nich erhoͤrt, daß ſich a einzger Mann,
Der eine Crone traͤgt, mit fuͤnfen ſchlagen kann,
Und immer Plaz behaͤlt. Das Schlagen waͤhrt ſo lange,
A paar mahl kam a och ſchun ziemlich ins Gedrange.
Doch eh man ſichs verſoh kam Kuͤnig Friedrich rauß,
Und trieb ſie fuͤr ſich her; als wie jezund ums Haus
Der Wind die Blaͤtter treibt, die von dem Birnbaum
fielen.


Ohrte.

Sie purzeln fuͤr ihn hin wie Aepfel mit
den Stielen,
Wenn zu der Erndtezeit a ſtarker Regen gieſt,
Und wenn a grau Gewoͤlk mit weißen Kugeln ſchießt.
Es kan nicht anders ſeyn Goot iß auf ſeiner Seite,
Sonſt ſchaft ers nimmermehr. Das ſprechen alle Leute,
Die klug und ehrlich ſeyn.


Hanß.

Ich ſprech es ſelber auch;
Du Muhme kennſt mich ſchon, es iß nich mei Gebrauch,
Daß ich ſchmaruzen kann, ich rede wie ichs meine,
Mei
[385] Mei Herz iß wie mei Maul natuͤrlich wie das deine.
Bey meiner Guͤte ju, mei Herze ſoht es mir,
Daß unſer Herr Goot ſelbſt des Kuͤnigs Sache fuͤhr.


Ohrte.

J ja der Kuͤnig fuͤhrt des lieben Gottes
Sache,
Druͤm laͤſt ers nich geſchan daß man ihn klener mache.


Hanß.

Das muß och nich geſchan; wenn wir wolln
Gott vertraun,
Der wird des Kuͤnigs Stuhl vielleicht noch groͤßer baun.


Ohrte.

Das war doch noch a Wort, nu bin
ich Vetter Hanßen
Auch noch a mahl ſo gut, nu ſoll a ſeinen Banßen
Noch groͤßer muͤßen baun, wenn wieder Erndte iſt.
Doch ſog mirs Vetter Hans ob du nich hungrig biſt.
Mit dem Geſchwaͤtze hat man ja das bißel Eßen
Was dort im Ofen ſteht gar rein in Todt vergeßen,
Ich werde Kraut uf thun.


Hans.

Nei laß ihn ſtehn a Topf,
Die Kirmes ſteckt mir noch im Magen und in Kopf,
Erſt geſtern hat ſie ſich in unſern Dorf beſchloßen.
Muhm Ohrte hoͤr nur her es hat mich recht verdroßen,
Daß du auch nich a mahl zu mir zur Kirmes kahmſt.


Ohrte.

Das dacht ich daß du mirs recht ſehr
fuͤr uͤbel nahmſt,
B b
[386] Doch lieber Vetter Hans ich hat dirs nich verſprochen
Du weiſt doch daß ich erſt vor fuͤnf und zwanzig
Wochen
Den Mann begraben lies, und ſo verlaſſen blieb,
Das Leben ſelber iß mir vielmal nich mehr lieb.
Man iſt ſei bißel Brodt nu ſo allein mit Thraͤnen,
Wie ſulte man ſich doch nach Kirmes-Gaͤngen ſehnen.


Hans.

Was das fuͤr Poßen ſeyn du wunder
liches Ding,
Di Kirmes die vertreibt die Grillen noch a wing.
Du biſt noch [jung] und glauch, du wirſt doch ſo nich
bleiben?
Wer tauſend wuͤrde dir die lange Zeit vertreiben.
Ich glaͤube gar du flennſt, a ſcham dich doch ins
Herz,
Wer todt iß der iß todt.


Ohrte.

Ach mir kann menen Schmerz
Und meine Traurigkeit niſcht uf der Welt vertreiben,
Mir ſtarb a lieber Man ich muſt alleine bleiben,
A Man ſo friſch und roth voll wie a voller Mond,
Wie Kinder haben wir beyſammen ja gewohnt.
Ach die fuͤnf viertel Jahr die gingen wie fuͤnf Tage
Ja wie fuͤnf Stunden hin, ich hatte keine Klage.
Wie gut war der Begang, was ich wolt wolt auch er,
Es war als wenns ei Herz und eine Seele waͤr.
[387] A ſah mich manchmal an was ich fuͤr Augen machte,
[Und] wußt dirs uffen Taußt das was ich wuͤnſcht und
dachte.


Hans.

A war ne gude Haut, doch laß ihn im-
mer ruhn
Und eh du um den Man dir ſult a Leid anthun,
Eh wuͤſt ich andern Rath.


Ohrte.

Ach Vetter ſtillgeſchwiegen,
Das was verloren iß das werd ich nich mehr kriegen.


Hans.

Nu nu kumt Zeit kumt Rath, ufs Neu-
jahr haſt du mich,
Gewißlich wieder hie, nu Goot bewahre dich,
Bleib huͤbſch geſund.


Ohrte.

O nein ſo war ſie nich die Wette,
Ich daͤchte wenn man vor a wing gegaßen haͤtte.


Hans.

Muhm Ohrt es iß ſo gut als wenn es
war geſchahn.
Bei Freunden ſucht man nur a G’richte gern geſahn.
Mich hungert wirklich nich ich mag nich einen Bißen.


Ohrte.

Dein Eigenſinn der iſts, ich muͤſt es
gar nich wiſſen.
Nu nimm das Maßer raus, geh nicht ungeßen fort.


Hans.

Ich daͤcht du kenteſt mich und daß bei
mir a Wort
B b 2
[388] So viel als tauſend gilt, laß mich doch nich erſt ſchwoͤren,
Genug ich eße nich und wenns Lampreten waͤren,
Bleib nur derweil geſund.


Ohrte.

Iß kein erhalten mehr,
So kumm ufs neue Jahr ich bitte dich recht ſehr.
Wenn du zu Hauſe kumſt ſo gruͤße mir ganz ſchoͤne
Dei Annel, und dernach auch die Gevatter Lehne.


Hans.

Gevatter Lehne hat jezunder einen Gaſt,
Allein a iß ihr lieb, a wird ihr nich zur Laſt.
Ihr Bruder Martin iſts, du wirſt ihn doch wohl kennen,
Die Menſcher ſitzen uft a ganzen Abend flennen,
Wenn a vom Krieg erzaͤhlt, denn a beſchreibt diers recht.


Ohrte.

J machſt du doch daß ich ihn ſelber
hoͤren moͤcht.


Hans.

Wer weis bring ich ihn nich aufs neu Jahr
mit Muhm Ohrte,


Ohrte.

Topp, lieber Vetter Hans, ich halte
dich beym Worte.


[389]

Die goͤttliche Vorſehung.



Sey mein Geſang, du, die von Ewigkeit

Mit Jubelſchall die Morgenſterne lobten,

Allſehende! die eher als die Zeit

Und eher war als Meer und Kriege tobten,

Durchdringe du mit deiner Wahrheit Licht

Den dicken Schley’r, vor die Vernunft gebreitet,

Und ſey du ſelbſt mein großer Unterricht,

Wenn ſich mein Herz zu deinem Lob bereitet.

Dich laͤugnet frech der Unſinn und der Spott,

Der Wurm, den du aus ſeinem Nichts gezogen;

Die Luͤſte ſind ſein Himmel und ſein Gott,

Und in ihm baut das Laſter Ehrenbogen.

Sein duͤſtrer Wahn der taumelt blind vorbey,

Und die Natur wird nicht von ihm gehoͤret,

Die doch von dir mit zeugendem Geſchrey,

Mit Harmonie und tauſend Zungen lehret.

Eh du die Welt voll Ordnung und voll Pracht

Hervorgeruft und Menſchen werden ließeſt,

Noch ehe du den Staub beſeelt gemacht

Und ihn den Rang nach Engeln nehmen hießeſt,

Da lagen ſchon Jahrhunderte vor dir.

Du ſahſt das Buch der Weltbegebenheiten,

Und nannteſt ſchon die Menſchen, die in ihr

Wie Goͤtter ſeyn und auf die Thronen ſchreiten!

Eh die Natur in ihre Werkſtatt ging,

Und Gold und Stein den Glanz zu Kronen machte;

[390]
Eh Purpur noch um eine Schulter hing,

Und eh’ der Pomp den Herrſchern Laſten brachte,

Da kannteſt Du die Herrſcher und die Laſt,

Und Voͤlker, die ſich vor dem Scepter beugen:

Dein war das Heft, das der Regente faßt,

Du gabſt es ihm, um deine Macht zu zeigen.

Gemeßne Graͤnzen ſetzteſt du dem Meer;

Das Meer gehorcht, dich hoͤrt die ſtolze Welle,

Im Ungewitter brauſte ſie daher;

Sie ſtuͤrzt zuruͤck und uͤber ihr wirds helle!

So ſetzeſt du dem Uebel in der Welt

Den Graͤnzſtein hin. Es kennet ihn und ſchreitet

Nicht weiter fort. Sobald es dir gefaͤllt,

Bricht Schwerdt und Spieß, und Ruhe wird verbreitet.

Dein Griffel ſchrieb des Schickſals Tafeln voll

Dem hellſten Wiz der Sterblichen verborgen,

Steht alles da, was hier geſchehen ſoll;

Des Menſchen Gluͤck, Vergnuͤgen, Noth und Sorgen,

Kein Ohngefaͤhr macht unſre Fluren reich:

Kein Zufall bringt den Mangel und die Fuͤlle,

Nicht Kunſt, nicht Fleiß macht unſre Aecker weich;

Die Wolke thuts, und ihr befiehlts dein Wille.

Dich nennt der Blitz: der Donner nennt dich laut,

Und hoͤret ſich den Abgrund Antwort geben.

Die naſſe Pracht, die aus der Wolke thaut,

Laͤßt deinen Ruhm am kleinſten Graſe kleben;

Ein tauſendfarbig Thal lacht dir zum Preis;

Der Vogel ſingt, daß er dein Loblieb ſinge,

Die Schloſſe rauſcht; der Nordwind athmet Eis

Auf dein Gebot, Regiererin der Dinge!

[391]
Dich ſtille Gottheit prediget der Glanz,

Der uͤber uns in Feuermeeren brennet,

Der weite Raum — du uͤberſiehſt ihn ganz,

Und du erfuͤllſt den Himmel, der dich nennet

Er nennet dich, du namenloſe Macht!

Von dir erzaͤhlt der Morgen aller Tage:

Und ſtill erſcheint die ſtrahlenloſe Nacht

Daß ſie dein Lob mit tauſend Sternen ſage.

Ich hoͤre ſie und denk an jene Nacht,

In der ich lag, da du mich werden hießeſt;

Auf deinen Wink ward ich hervorgebracht.

Ich lebe noch, weil du mich leben ließeſt.

Dein war der Tag, der meine Kindheit ſah,

Dein waren ſie, die andern die ich zaͤhlte,

Vor deinen Blick ſteht ſchon mein letzter da,

Den deine Wahl zum Sterbetage waͤhlte.

Der Sterbliche, oft deiner Huld nicht werth,

Erhaͤlt von dir den Biſſen, den er iſſet.

Du giebſt das Gluͤck, das jedem wiederfaͤhrt,

In einem Maaß, das deine Weisheit miſſet.

Dem giebſt du viel des innerlichen Lichts;

Und jenem viel von Guͤtern dieſer Erde;

Der haͤuft das Gold, und Tauſenden gebrichts.

Doch keiner lebt, der nicht geſaͤttigt werde.

Oft iſt um mich der Sorgen Mitternacht

Wenn ich erwacht gewaltig hergezogen,

Und reich an Gram, hat dann mein Herz gedacht,

Du haͤtteſt mir nur Elend zugewogen.

Doch du befahlſt, und ſchnell verflog die Noth,

Wie uͤber uns die Wetterwolken fliehen,

[392]
Die nur geblitzt, und dann auf dein Gebot

Mit Guß und Schlag zu oͤden Waͤldern ziehen.

Noch eh die Hand und dieſe Nerve ward,

Die ſich itzt regt, wenn ich dein Lob beſchreibe,

Da ſahſt du ſchon mein Gluͤck und ſeine Art,

Wie wenig treu es meinen Tagen bleibe.

Du ſahſt den Weg, der mich nach deinem Rath

Durch Kruͤmmungen und Thaͤler ſollte leiten.

Und eh mein Fuß in Labyrinthe trat,

Gabſt du mir Muth, um herzhaft fortzuſchreiten.

Unendliche! du gabſt mir dieſen Geiſt,

Und dieſe Ruh, mit der er iſt durchdrungen,

Die ſtolz auf dich dem Gram die Stirne weiſt,

Und izt aus mir dein Loblied hat geſungen.

Du gabſt mir dieſes Herz, das deine Huld

In meinem Brodt und Waſſer ſchmeckt und fuͤhlet.

Und nie empoͤrt in mir die Ungeduld

Den Wunſch nach dem, wornach die Habſucht wuͤhlet.

Mein Gluͤck ſey klein, mir iſt es dennoch groß;

Es koͤmmt von dir, ich kuͤß es deinetwegen.

Mir faͤllt vielleicht auch noch ein lieblich Loos;

Vielleicht ergießt aus deiner See von Seegen,

Die grundlos iſt, ſich noch ein Bach auf mich.

Doch haſt du mir nichts weiter aufgehoben,

So gieb mir nur Zufriedenheit durch dich,

Und ſey mein Lied auf Erden und dort oben.

Ende.

[[393]]

Appendix A Berichtigungen.


Lebenslauf.

  • Seite 7 Zeile 15 ſtatt theils in ihre Kehle ꝛc.; in ihrer Kehls.
  • — 8 — in der Note lies ſtatt von, vor jedem ꝛc.
  • — 9 — 14 ſtatt in allen, in Allem.
  • — 29 — 14 ſtatt vor ſie, fuͤr ſie.
  • — 38 — 5 ſtatt dieſem, ihrem.
  • — 89 — 22 ſtatt in dem, in den.
  • — 91 — 12 ſtatt unermeßlich, unvergleichlich.
  • — 96 — 8 ſtatt fremder, fremden.
  • — 102 — 18 ſtatt immer, innen.
  • — 112 — 16 ſtatt der, Ihr Wunſch.
  • — — ganz unten leſe man: den ſuͤßen Glauben an Freund-
    ſchaft.
  • — 118 Zeile 19 ſtatt unglaublich, ungeduldig.
  • — 121 ſechste Zeile von oben, lies: Andenkens-Taſſe.
  • — 127 — 19 ſtatt Reichsgrafen, regierenden Grafen.
    Gedichte.
  • — 47 — 1 ſtatt Herr, Heer.
  • — 57 — 4 ſtatt Wolfenbuͤttel, Luͤneburg.
  • — 160 — 15 ſtatt ſondern, ſonder.
  • — 252 — 9 leſe man: betrachten ſtand er ꝛc.
  • — 281 — 17 ſtatt Ordnung, Unordnung.
  • — — — 18 ſtatt eleganteſten, alabaſternen ꝛc.
  • — 285 — 8 ſtatt Thraͤnen, Thraͤnen.
    Statt Seite 301 leſe man 287.
  • — 303 — 1 ſtatt Juͤnks, Junkes.
  • — 304 — 7 ſtatt Taue, Thaue.
  • — 307 — 12 ſtatt danken, denken.

[][]
Notes
*)
Ihre Majeſtaͤt die verwittwete Koͤnigin von Preußen.
*)
Das im Porſtenſchen Geſangbuche befindliche Lied: 〟Ach
wie nichtig, ach wie fluͤchtig iſt der Menſchen Leben〟 wel-
ches ihr Lieblingslied war, und woraus man auf ihre Den-
kungsart ſchließen kann, hat ſie noch in ihrem ſpaͤten Alter
mit einer ſo bewundernswuͤrdigen Anmuth geſungen, daß
ihre Kinder es nicht genug ausſagen koͤnnen.
*)
Ihr juͤngſter Sohn, welcher ein Tiſchlermeiſter iſt, hatte
ihre Stimme geerbt, verlor aber dieſelbe in ſeinem 24ſten
Jahre durch eine Verkaͤltung: dennoch konnte man in ſei-
nem 34ſten Jahre noch aus den Ueberbleibſeln ſchließen, was
ſie geweſen war. Die Fertigkeit ſeiner Toͤne, das Neue,
Saͤße und das Eigene, welches jederzeit eine Menſchen-
ſtimme von jedem Inſtrumente auszeichnen ſollte, wenn ſie
Stimme zu heißen verdiente — war noch weit im maͤnn-
lichen Alter hin in ſeinem Geſange, und alle ſeine Toͤne, ſo
kuͤnſtlich ſie zu ſeyn ſchienen, gingen ins Herz, weil es Na-
tur war, welche ſie ihm in die Kehle gab.
*)
Es iſt nicht entſchieden, ob er Duͤrbach oder Derbach
geheißen hat; die Dichterin ſchrieb ſich Duͤrbach, gleichwol
hat ſich eine ihrer erſten Poeſien aufgeſunden, in welcher
ſie ſich Derbach nennt.
*)
Er pflegte auch zuweilen Verſe zu machen.
*)
Dieſes iſt die Sammlung, welche unter dem Titel: Aus-
erleſene Gedichte von A. L. Karſchin
, 1763 zu
Berlin herausgekommen ſind.
*)
In den Gedichten S. 183. kann man davon ein Mehreres leſen.
*)
Damals Geheimerath.
*)
Hierbei iſt dankbarlich anzumerken, daß ſie dieſe drey Mo-
nathe durch in dem Hauſe eines Schweſterſohns des Kar-
ſches
Aufenthalt und Pflege genoß; ſein Name iſt: Peter
Friedrich Wolf, Buͤrger und Viktualienhaͤndler zu Frank-
furt. Es macht ihm nicht allein Ehre, daß er ſeine ſchwa-
che Tante bei ihrer langen Anweſenheit ſo kindlich behan-
delte, ſondern ſein biederes Herz nahm ihr auch die groͤßte
Laſt mit ihrem dort ſtudirenden Enkel ab, indem er dem-
ſelben in ſeinem Hauſe Tiſch und Wohnung giebt. So wun-
derbar nimmt das Schickſal die Wege zum Vergeltungs-
recht: dieſer Peter Wolf muß durch ſeinen edlen Sinn
wieder ausloͤſchen, was ſeiner Mutterbruder ſchlimm mach-
te! — Eben ſo erlebte ſie auf eine entgegengeſetzte Weiſe
das Vergeltungsrecht an ihres erſten Mannes Hirſekorns
aͤlteſtem Sohne aus der zweiten Ehe, welcher als ein zwan-
zigjaͤhriger Juͤngling bei ihr Huͤlfe ſuchte, indem er auf ſei-
ner Wanderſchaft durch Werber unter die Soldaten gerathen
war. Sein Vater und ſeine Mutter baten die Dichterin
in manchem flehentlichen Schreiben, daß ſie ſich fuͤr dieſes
ihr Lieblingskind beim Gouverneur verwenden ſollte; ſie
that es zu verſchiedenenmalen, allein es half nicht, er mußte
Soldat bleiben.
*)
Die Erſte Tuͤrkiſche Geſandtſchaft, welche ſich hier befand.
*
Herr Profeſſor E * b * d.
*
Herr Eberhard, jetziger Profeſſor auf der Univerſitaͤt zu
Halle.
*)
Es iſt bekannt, wie wetteifernd das Mitleid der Berli-
ner ſich gegen die verungluͤckten Ruppiner verhielt; nicht
allein die Großen und Edlen, ſondern auch die armen
Dienſtboten trugen zur Unterſtuͤtzung bei, und wol [...]me-
*)
Die loͤbliche Judenſchaft.
*)
mals ſahe man die angeborne Guͤte des menſchlichen Her-
zens ſo allgemein, als bei dieſer traurigen Gelegenheit.
*)
Da dieſes Lied ein bloßes Gelegenheitsgedicht iſt, ſo wuͤrd’
es hier nicht aufgenommen ſeyn, wenn nicht zu vermuthen
waͤre, daß man ſolchen Leſern einen Gefallen damit erzeig-
te, welche bei den letzten Zuckungen einer Genieflamme,
wie bei den ſichtbaren Herzensſchlaͤgen eines aufgeſpann-
ten Thierchens Anatomiſche Denker ſind.
*)
Ihro K. H. hatten der Dichterin Endreime vorgeſchrieben,
welche ſie mit ihrer gewoͤhnlichen Leichtigkeit im hoͤchſten
Beiſein der Prinzeſſin mit Gedanken ausfuͤllte.
*)
Der Dichter hatte ihr geſchrieben, daß er, wie Achill, ſei-
nen Rappen ſchon angeredet, ihn zur Dichterinn zu tragen
waͤre aber ploͤtzlich abgerufen worden.
*)
Der Herr Baron hatte die Dichterinn in einem Hotel zu
Tiſche geladen.
*)
Eine verwittwete Majorin von K**, an welche verſchie-
dene Gedichte in dieſer Sammlung gerichtet ſind.
*)
Wegen des beruͤhmten Abt Voglers.
*)
Der Herr Abt gab ſein Orgelſpiel zum Beſten derjenigen,
welche damals durch die groſſen Ueberſchwemmungen ver-
armt waren.
*)
Der Kammergerichtsrath und zugleich ein vortreflicher
Muſenſohn.
*)
Dies iſt eine Skizze von der Dichterin Lebenslauf, und
deshalb hier eingeruͤckt.
*)
Dieſer Skizze ſieht man es allzuleicht an, daß ſie nicht
wegen poetiſcher Schoͤnheit hier aufgenommen iſt, ſondern
bloß deswegen, weil ſie den Charakter des hierdurch an-
geredeten wuͤrdigen Gegenſtandes ſo natuͤrlich und wahr
ſchildert.
*)
Herr Daniel Chodowiecky.
*)
Sebaldus Nothanker, ein bekannter Roman des Herrn Ni-
kolai zu Berlin.
*)
Wen hier ekeln ſollte, der bedenke, daß es Hanns iſt.
*)
Nur die Urſach, daß kein beſſeres Gedicht, welches ſeines
Gegenſtandes wuͤrdiger waͤre, ſich vorgeſunden hat, muß
es entſchuldigen, daß dieſes in der Sammlung aufgenom-
men ward.
*)
Fuͤnf Jahre lang auf der Heckerſchen Realſchule.
*)
Weil dieſelbe damals zu Magdeburg war.
*)
Verſtorbenen Apotheker und Naturforſcher hierſelbſt,
*)
Das Koͤnigl. große Provianthaus, ehedem aber, und zwar
von 1643 bis 1651, war es unter der Benennung des
Schifflein Chriſti, eine Kirche fuͤr die Evangeliſche Gemeinde.
Notes
*)
Ihre Majeſtaͤt die Koͤnigin von England.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Holder of rights
Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Gedichte von Anna Louisa Karschin geb. Dürbach. Gedichte von Anna Louisa Karschin geb. Dürbach. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnhh.0