buͤrgerliches Trauerſpiel
in fuͤnf Aufzuͤgen
in der Schwaniſchen Hofbuchhandlung,
1784
[][]
Perſonen:
- Praͤſident von Walter
, am Hof eines deutſchen Fuͤr-
ſten. - Ferdinand
, ſein Sohn, Major.
- Hofmarſchall von Kalb.
- Lady Milford
, Favoritin des Praͤſidenten.
- Wurm
, Hausſekretair des Praͤſidenten.
- Miller
, Stadtmuſikant, oder wie man ſie an eini-
gen Orten nennt, Kunſtpfeifer. - Deſſen Frau.
- Louiſe
, deſſen Tochter.
- Sophie
, Kammerjungfer der Lady.
- Ein Kammerdiener des Fuͤrſten.
- Verſchiedene Nebenperſonen.
Erſter Akt.
Erſte Szene.
ſeine Violonzell auf die Seite. An einem Tiſch
ſizt Frau Millerinn noch im Nachtge-
wand, und trinkt ihren Kaffe.
Einmal fuͤr allemal. Der Handel wird ernſt-
haft. Meine Tochter kommt mit dem Baron
ins Geſchrei. Mein Haus wird verrufen. Der Praͤ-
ſident bekommt Wind, und — kurz und gut, ich
biete dem Junker aus.
Du haſt ihn nicht in dein Haus ge-
ſchwazt — haſt ihm deine Tochter nicht nachge-
worfen.
AMiller.
[2]
Hab ihn nicht in mein Haus geſchwazt
— hab ihm's Maͤdel nicht nachgeworfen; wer nimmt
Notiz davon? — Ich war Herr im Haus. Ich
haͤtt meine Tochter mehr koram nehmen ſollen. Ich
haͤtt dem Major beſſer auftrumpfen ſollen — oder
haͤtt gleich alles Seiner Exzellenz dem Herrn Papa
ſteken ſollen. Der junge Baron bringts mit einem
Wiſcher hinaus, das muß ich wiſſen, und alles
Wetter kommt uͤber den Geiger.
Poſſen! Ge-
ſchwaͤz! Was kann uͤber dich kommen? Wer kann dir
was anhaben? Du gehſt deiner Profeßion nach,
und rafſt Scholaren zuſammen, wo ſie zu kriegen
ſind.
Aber, ſag mir doch, was wird bei dem
ganzen Kommerz auch herauskommen? — Nehmen
kann er das Maͤdel nicht — Vom Nehmen iſt gar
die Rede nicht, und zu einer daß Gott erbarm? —
Guten Morgen! — Gelt, wenn ſo ein Musje von,
ſich da und dort, und dort und hier ſchon herum-
beholfen hat, wenn er, der Henker weiß was als?
geloͤß't hat, ſchmekts meinem guten Schluker freilich,
einmal auf ſuͤß Waſſer zu graben. Gib du acht! gib
du acht! und wenn du aus jedem Aſtloch ein Auge ſtrek-
teſt, und vor jedem Blutstropfen Schildwache ſtaͤn-
deſt, er wird ſie, dir auf der Naſe, beſchwazen,
dem Maͤdel eins hinſezen, und fuͤhrt ſich ab, und
das Maͤdel iſt verſchimpfiert auf ihr Lebenlang, bleibt
ſizen,
[3] ſizen, oder hat's Handwerk verſchmekt, treibts fort.
Jeſus Chriſtus!
Gott behuͤt uns in Gnaden!
Es hat ſich zu behuͤten. Worauf kann
ſo ein Windfuß wohl ſonſt ſein Abſehen richten? —
Das Maͤdel iſt ſchoͤn — ſchlank — fuͤhrt ſeinen net-
ten Fus. Unter'm Dach mags ausſehen, wie's will.
Daruͤber kukt man bei euch Weibsleuten weg, wenn's
nur der liebe Gott par Terre nicht hat fehlen laſſen
— Stoͤbert mein Springinsfeld erſt noch dieſes Ka-
pitel aus — heh da! geht ihm ein Licht auf, wie
meinem Rodney, wenn er die Witterung eines Fran-
zoſen kriegt, und nun muͤſſen alle Segel dran, und
drauf los, und — ich verdenks ihm gar nicht.
Menſch iſt Menſch. Das muß ich wiſſen.
Solteſt nur die wunderhuͤbſche Billeter
auch leſen, die der gnaͤdige Herr an deine Tochter
als ſchreiben thut. Guter Gott! Da ſieht man's ja
ſonnenklar, wie es ihm pur um ihre ſchoͤne Seele
zu thun iſt.
Das iſt die rechte Hoͤhe. Auf den Sak
ſchlagt man; den Eſel meynt man. Wer einen Gruß
an das liebe Fleiſch zu beſtellen hat, darf nur das
gute Herz Boten gehen laſſen. Wie hab ich's ge-
macht? Hat man's nur erſt ſo weit im Reinen, daß
die Gemuͤther topp machen, wutſch! nehmen die
Koͤrper ein Exempel; das Geſind machts der Herr-
A 2ſchaft
[4] ſchaft nach und der ſilberne Mond iſt am End nur
der Kuppler geweſen.
Sieh doch nur erſt die praͤchtigen Buͤcher
an, die der Herr Major ins Haus geſchaft haben.
Deine Tochter betet auch immer draus.
Hui da! Betet! Du haſt den
Wiz davon. Die rohe Kraftbruͤhen der Natur ſind
Ihro Gnaden zartem Makronenmagen noch zu hart.
— Er muß ſie erſt in der hoͤlliſchen Peſtilenzkuͤche der
Bellatriſten kuͤnſtlich aufkochen laſſen. Ins Feuer
mit dem Quark. Da ſaugt mir das Maͤdel — weiß
Gott was als fuͤr? — uͤberhimmliſche Alfanze-
reien ein, das laͤuft dann wie ſpaniſche Muken ins
Blut und wirft mir die Handvoll Chriſtentum noch
gar auseinander, die der Vater mit knapper Noth
ſo ſo noch zuſammen hielt. Ins Feuer ſag ich. Das
Maͤdel ſezt ſich alles Teufels Gezeug in den Kopf;
uͤber all dem Herumſchwaͤnzen in der Schlaraffen-
welt findet's zulezt ſeine Heimat nicht mehr, vergißt,
ſchaͤmt ſich, daß ſein Vater Miller der Geiger iſt,
und verſchlaͤgt mir am End einen wakern ehrbaren
Schwiegerſohn, der ſich ſo warm in meine Kundſchaft
hineingeſezt haͤtte — — Nein! Gott verdamm mich
Gleich muß die Paſtete auf den
Heerd, und dem Major — ja ja dem Major will
ich weiſen, wo Meiſter Zimmermann das Loch ge-
macht hat.
Frau.
[5]
Sei artig Miller. Wie manchen ſchoͤ-
nen Groſchen haben uns nur die Praͤſenter — —
Das Blutgeld meiner Tochter? — Schier dich zum
Satan infame Kupplerin! — Eh will ich mit mei-
ner Geig' auf den Bettel herumziehen, und das Kon-
zert um was Warmes geben — eh will ich mein Vio-
lonzello zerſchlagen, und Miſt im Sonanzboden
fuͤhren, eh ich mirs ſchmeken laß von dem Geld,
das mein einziges Kind mit Seel und Seeligkeit ab-
verdient. — Stell den vermaledeyten Kaffe ein,
und das Tobakſchnupfen, ſo brauchſt du deiner Toch-
ter Geſicht nicht zu Markt zu treiben. Ich hab mich
ſatt gefreſſen, und immer ein gutes Hemd auf dem
Leib gehabt, eh ſo ein vertrakter Tauſend Sa Sa
in meine Stube geſchmekt hat.
Nur nicht gleich mit der Thuͤr ins Haus.
Wie du doch den Augenblik in Feuer und Flammen
ſtehſt! Ich ſprech ja nur, man muͤß den Herrn Ma-
jor nicht disguſchthuͤren, weil Sie des Praͤſidenten
Sohn ſind.
Da liegt der Haas im Pfeffer. Da-
rum, juſt eben darum, muß die Sach noch heut
auseinander. Der Praͤſident muß es mir Dank wiſ-
ſen, wenn er ein rechtſchaffener Vater iſt. Du wirſt
mir meinen rothen pluͤſchenen Rok ausbuͤrſten, und
ich werde mich bei Seiner Exzellenz anmelden laſſen.
Ich werde ſprechen zu Seiner Exzellenz: Dero Herr
A 3Sohn
[6] Sohn haben ein Aug auf meine Tochter; meine
Tochter iſt zu ſchlecht zu Dero Herrn Sohnes Frau,
aber zu Dero Herrn Sohnes Hure iſt meine Tochter
zu koſtbar, und damit baſta! — Ich heiſſe Miller.
Zweite Szene.
Ah guten Morgen, Herr Sekertare.
Hat man auch einmal wieder das Vergnuͤgen von
Ihnen?
Meinerſeits, Meinerſeits, Frau Baſe.
Wo eine Kavaliersgnade einſpricht, kommt mein
buͤrgerliches Vergnuͤgen in gar keine Rechnung.
Was Sie nicht ſagen, Herr Sekertare!
Des Herrn Majors von Walter hohe Gnaden ma-
chen uns wohl je und je das Blaͤſier, doch verachten
wir darum niemand.
Dem Herrn einen Seßel,
Frau. Wollen's ablegen, Herr Landsmann?
Nun! Nun! Und wie befindet ſich denn meine Zu-
kuͤnftige — oder Geweſene? — Ich will doch nicht
hoffen — kriegt man ſie nicht zu ſehen. — Mamſell
Louiſen?
Danken der Nachfrage Herr Sekertare.
Aber meine Tochter iſt doch gar nicht hochmuͤthig.
Weib!
Frau.
[7]
Bedauern's nur, daß ſie die Ehre nicht
haben kann vom Herrn Sekertare. Sie iſt eben in
die Meß, meine Tochter.
Das freut mich, freut mich. Ich
werd einmal eine fromme chriſtliche Frau an ihr
haben.
Ja — aber
Herr Sekertare —
Ohren)
Weib!
Wenn Ihnen unſer Haus ſonſt irgend-
wo dienen kann — Mit allem Vergnuͤgen Herr Se-
kertare —
Sonſt irgend-
wo! Schoͤnen Dank! Schoͤnen Dank — Hem!
hem! hem!
Aber — wie der Herr Sekertare ſelber
die Einſicht werden haben —
ßend)
Weib!
Gut iſt gut, und beßer iſt beßer, und
einem einzigen Kind mag man doch auch nicht vor
ſeinem Gluͤk ſeyn.
Sie werden mich
je doch wohl merken Herr Sekertare?
Ohren und zupft an Manſchetten und Chapeau)
Mer-
ken? Nicht doch — O ja — Wie meynen Sie denn?
A 4Frau.
[8]
Nu — Nu — ich daͤchte nur — ich
meyne
Weil eben halt der liebe Gott meine
Tochter barrdu zur gnaͤdigen Madam will haben —
Was ſagen Sie da?
Was?
Bleiben ſizen! Bleiben ſizen Herr Se-
kretarius. Das Weib iſt eine alberne Gans. Wo
ſoll eine gnaͤdige Madam herkommen? Was fuͤr ein
Eſel ſtrekt ſein Langohr aus dieſem Geſchwaͤze?
Schmaͤl du ſo lang du wilſt. Was ich
weis, weis ich — und was der Herr Major geſagt
hat, das hat er geſagt.
Wilſt du dein Maul halten? Wilſt das Violonzello
am Hirnkaſten wiſſen? — Was kannſt du wiſſen?
Was kann er geſagt haben? — Kehren Sich an das
Geklatſch nicht Herr Vetter — Marſch du in deine
Kuͤche — Werden mich doch nicht fuͤr des Dumm-
kopfs leiblichen Schwager halten, daß ich obenaus
woll mit dem Maͤdel? Werden doch das nicht von
mir denken Herr Sekretarius?
Auch hab ich es nicht um Sie verdient
Herr Muſikmeiſter. Sie haben mich jederzeit den
Mann von Wort ſehen laſſen, und meine Anſpruͤ-
che auf Ihre Tochter waren ſo gut, als unterſchrie-
ben. Ich habe ein Amt das ſeinen guten Haushaͤl-
ter naͤhren kann, der Praͤſident iſt mir gewogen,
an Empfehlungen kanns nicht fehlen, wenn ich mich
hoͤher
[9] hoͤher poußieren will. Sie ſehen, daß meine Abſich-
ten auf Mamſell Louiſen ernſthaft ſind, wenn Sie
vielleicht von einem adelichen Windbeutel herumge-
hohlt — —
Herr Sekertare Wurm! Mehr Reſpekt,
wenn man bitten darf —
Halt du dein Maul ſag ich — Laſſen
Sie es gut ſeyn, Herr Vetter. Es bleibt beim al-
ten. Was ich Ihnen verwichenen Herbſt zum Be-
ſcheid gab, bring ich heut wieder. Ich zwinge meine
Tochter nicht. Stehen Sie ihr an — wol und gut,
ſo mag ſie zuſehen, wie ſie gluͤklich mit Ihnen wird.
Schuͤttelt ſie den Kopf — noch beßer — — in Got-
tes Namen wolt ich ſagen — ſo ſteken Sie den Korb
ein, und trinken eine Bouteille mit dem Vater —
Das Maͤdel muß mit Ihnen leben — ich nicht —
warum ſoll ich ihr einen Mann, den ſie nicht ſchme-
ken kann, aus purem klarem Eigenſinn an den Hals
werfen? — Daß mich der boͤſe Feind in meinen
eisgrauen Tagen noch wie ſein Wildpret herumheze
— daß ichs in jedem Glas Wein zu ſaufen — in je-
der Suppe zu freſſen kriege: Du biſt der Spizbube
der ſein Kind ruinirt hat!
Und kurz und gut — ich geb meinen
Konſenz abſolut nicht; meine Tochter iſt zu was ho-
hem gemuͤnzt, und ich lauf in die Gerichte, wenn
mein Mann ſich beſchwazen laͤßt.
Willſt du Arm und Bein entzwei ha-
ben, Wettermaul?
A 5Wurm.
[10]
Ein vaͤterlicher Rath ver-
mag bei der Tochter viel, und hoffentlich werden
Sie mich kennen, Herr Miller?
Daß dich alle Hagel! 'sMaͤdel muß
Sie kennen. Was ich alter Knaſterbart an Ihnen
abkuke, iſt juſt kein Freſſen fuͤrs junge naſchhafte Maͤ-
del. Ich will Ihnen aufs Haar hin ſagen, ob Sie
ein Mann fuͤrs Orcheſter ſind — aber eine Weiber-
ſeel iſt auch fuͤr einen Kapellmeiſter zu ſpizig. — Und
dann von der Bruſt weg, Herr Vetter — ich bin
halt ein plumper gerader teutſcher Kerl — fuͤr mei-
nen Rath wuͤrden Sie ſich zu lezt wenig bedanken.
Ich rathe meiner Tochter zu keinem — aber Sie
misrath' ich meiner Tochter, Herr Sekretarius. Laſ-
ſen mich ausreden. Einem Liebhaber, der den Vater
zu Hilfe ruft, trau ich — erlauben Sie, — keine hole
Haſelnus zu. Iſt er was, ſo wird er ſich ſchaͤmen,
ſeine Talente durch dieſen altmodiſchen Kanal vor ſei-
ne Liebſte zu bringen — Hat er 'sKourage nicht, ſo
iſt er ein Haſenfus, und fuͤr den ſind keine Louiſen
gewachſen — — Da! hinter dem Ruͤken des Vaters
muß er ſein Gewerb an die Tochter beſtellen. Ma-
chen muß er, daß das Maͤdel lieber Vater und Mut-
ter zum Teufel wuͤnſcht, als ihn fahren laͤßt — oder
ſelber kommt, dem Vater zu Fuͤßen ſich wirft,
und ſich um Gottes willen den ſchwarzen gelben Tod,
oder den Herzeinzigen ausbittet, — Das nenn ich
einen Kerl! Das heißt lieben! — und wer's bei
dem Weibsvolk nicht ſo weit bringt, der ſoll — —
auf ſeinem Gaͤnſekiel reiten.
Wurm.
[11]
mer hinaus)
Obligazion, Herr Miller.
Fuͤr was?
Fuͤr was? Haben Sie ja doch nichts genoſſen, Herr
Sekretarius.
Nichts hoͤrt er und
hin zieht er — — Iſt mirs doch wie Gift und Oper-
ment, wenn ich den Federnfuchſer zu Geſichte krieg.
Ein konfiſzierter widriger Kerl, als haͤtt ihn irgend
ein Schleichhaͤndler in die Welt meines Herrgotts
hineingeſchachert — Die kleinen tuͤkiſchen Mausau-
gen — die Haare brandroth — das Kinn heraus-
gequollen, gerade als wenn die Natur fuͤr purem
Gift uͤber das verhunzte Stuͤk Arbeit meinen Schlin-
gel da angefaßt, und in irgend eine Eke geworfen
haͤtte — Nein! Eh ich meine Tochter an ſo einen
Schuft wegwerfe, lieber ſoll ſie mir — Gott ver-
zeih mirs —
Der Hund! — Aber
man wird dir's Maul ſauber halten.
Du aber auch mit deinem peſtilenziali-
ſchen Junker — Haſt mich vorhin auch ſo in Harniſch
gebracht — Biſt doch nie dummer, als wenn du um
Gotteswillen geſcheid ſeyn ſolteſt. Was hat das Ge-
traͤtſch von einer gnaͤdigen Madam und deiner Toch-
ter da vorſtellen ſollen? Das iſt mir der Alte. Dem
muß man ſo was an die Naſe heften, wenns mor-
gen am Marktbrunnen ausgeſchellt ſeyn ſoll. Das
iſt juſt ſo ein Musje, wie ſie in der Leute Haͤuſern
herum riechen, uͤber Keller und Koch raͤſonnieren,
und
[12] und ſpringt einem ein naſenweiſes Wort uͤber's Maul
— Bumbs! habens Fuͤrſt und Matreß und Praͤſi-
dent, und Du haſt das ſiedende Donnerwetter am
Halſe.
Dritte Szene.
Hand. Vorige.
und druͤkt ihm die Hand)
Guten Morgen lieber Vater.
Brav meine Louiſe — Freut
mich, daß du ſo fleißig an deinen Schoͤpfer denkſt.
Bleib immer ſo, und ſein Arm wird dich halten.
O ich bin eine ſchwere Suͤnderin, Va-
ter — War er da Mutter?
Wer mein Kind?
Ah! ich vergaß, daß es noch außer
ihm Menſchen gibt — Mein Kopf iſt ſo wuͤſte —
Er war nicht da? Walter?
Ich dachte, meine
Louiſe haͤtte den Namen in der Kirche gelaſſen?
ſehen)
Ich verſteh Ihn Vater — fuͤhle das Meſſer,
das er in mein Gewiſſen ſtoͤßt; aber es kommt zu
ſpaͤt. — Ich hab keine Andacht mehr Vater — der
Himmel und Ferdinand reiſſen an meiner blutenden
Seele, und ich fuͤrchte — ich fuͤrchte —
Pauſe)
Doch nein, guter Vater. Wenn wir ihn uͤber
dem
[13] dem Gemaͤlde vernachlaͤßigen, findet ſich ja der Kuͤnſt-
ler am feinſten gelobt. — Wenn meine Freude uͤber
ſein Meiſterſtuͤk mich ihn ſelbſt uͤberſehen macht,
Vater, muß das Gott nicht ergoͤzen?
Da
haben wirs! Das iſt die Frucht von dem gottloſen
Leſen.
Wo er
wol jezt iſt? — Die vornehmen Fraͤulein, die ihn
ſehen — ihn hoͤren ——— ich bin ein ſchlechtes ver-
geſſenes Maͤdchen
ihrem Vater zu)
Doch nein! nein! verzeih er mir.
Ich beweine mein Schikſal nicht. Ich will ja nur we-
nig ——— an ihn denken — das koſtet ja nichts.
Dis Bischen Leben — duͤrft ich es hinhauchen in ein
leiſes ſchmeichelndes Luͤftchen, ſein Geſicht abzukuͤh-
len! — Dis Bluͤmchen Jugend — waͤr es ein Veil-
chen, und Er traͤte drauf, und es duͤrfte beſcheiden
unter ihm ſterben! — Damit genuͤgte mir Vater.
Wenn die Muͤke in ihren Stralen ſich ſonnt — kann
ſie das ſtrafen, die ſtolze majeſtaͤtiſche Sonne?
und bedekt das Geſicht)
Hoͤre Louiſe — Das Bißel Bo-
denſaz meiner Jahre, ich gaͤb es hin, haͤtteſt du den
Major nie geſehen.
Was ſagt er da? Was?
— Nein! er meynt es anders der gute Vater. Er
wird nicht wiſſen, daß Ferdinand mein iſt, mir ge-
ſchaffen, mir zur Freude vom Vater der Lieben-
den
[14] den
Als ich ihn das erſtemal
ſah —
und mir das Blut in die Wangen
ſtieg, froher jagten alle Pulſe, jede Wallung ſprach,
jeder Athem liſpelte: Er iſts, und mein Herz den
Immermangelnden erkannte, bekraͤftigte, Er iſts,
und wie das wiederklang durch die ganze mitfreuen-
de Welt. Damals — o damals gieng in meiner
Seele der erſte Morgen auf. Tauſend junge Gefuͤhle
ſchoßen aus meinem Herzen, wie die Blumen aus
dem Erdreich, wenns Fruͤhling wird. Ich ſah kei-
ne Welt mehr, und doch beſinn ich mich, daß ſie
niemals ſo ſchoͤn war. Ich wußte von keinem Gott
mehr, und doch hatt' ich ihn nie ſo geliebt.
Louiſe — theures — herrliches Kind — Nimm mei-
nen alten muͤrben Kopf — nimm alles — alles! —
den Maior — Gott iſt mein Zeuge — ich kann dir ihn
nimmer geben.
Auch will ich ihn ja jezt nicht mein
Vater. Dieſer karge Thautropfe Zeit — ſchon ein
Traum von Ferdinand trinkt ihn wolluͤſtig auf. Ich
entſag ihm fuͤr dieſes Leben. Dann, Mutter —
dann, wenn die Schranken des Unterſchieds einſtuͤr-
zen — wenn von uns abſpringen all die verhaßte Huͤl-
ſen des Standes — Menſchen nur Menſchen ſind —
Ich bringe nichts mit mir, als meine Unſchuld, aber
der Vater hat ja ſo oft geſagt, daß der Schmuk und
die praͤchtigen Titel wolfeil werden wenn Gott
kommt, und die Herzen im Preiſe ſteigen. Ich wer-
de
[15] de dann reich ſeyn. Dort rechnet man Traͤnen fuͤr
Triumphe, und ſchoͤne Gedanken fuͤr Ahnen an.
Ich werde dann vornehm ſeyn Mutter — Was haͤt-
te er dann noch fuͤr ſeinem Maͤdchen voraus?
Louiſe! Der Major!
Er ſpringt uͤber die Planke. Wo verberg ich mich
doch?
Bleib ſie doch
Mutter.
Mein Gott! Wie ſeh ich aus. Ich muß
mich ja ſchaͤmen. Ich darf mich nicht vor Seiner
Gnaden ſo ſehen laſſen.
Vierte Szene.
einen Seßel — er bleibt vor ihr ſtehn — ſie
ſehen ſich eine Zeitlang ſtillſchweigend
an. Pauſe)
Du biſt blaß Louiſe?
Es
iſt nichts. Nichts. Du biſt ja da. Es iſt voruͤber.
fuͤhrend)
Und liebt mich meine Louiſe noch? Mein
Herz iſt das geſtrige, iſts auch das Deine noch?
Ich fliege nur her, will ſehn ob du heiter biſt, und
gehn und es auch ſeyn — Du biſts nicht.
Doch, doch, mein Geliebter.
Ferdin.
[16]
Rede mir Wahrheit. Du biſts nicht.
Ich ſchaue durch deine Seele, wie durch das klare
Waſſer dieſes Brillanten,
Hier wirft ſich kein Blaͤschen auf, das ich nicht merk-
te — kein Gedanke tritt in dis Angeſicht, der mir
entwiſchte. Was haſt du? Geſchwind! Weis ich nur
dieſen Spiegel helle, ſo laͤuft keine Wolke uͤber die
Welt. Was bekuͤmmert dich?
an, dann mit Wehmut)
Ferdinand! Ferdinand!
Daß du doch wuͤßteſt, wie ſchoͤn in dieſer Sprache
das buͤrgerliche Maͤdchen ſich ausnimmt —
Was iſt das?
Maͤd-
chen! Hoͤre! Wie kommſt du auf das? — Du biſt
meine Louiſe. Wer ſagt dir, daß du noch etwas
ſeyn ſolteſt. Siehſt du Falſche, auf welchem Kalt-
ſinn ich dir begegnen muß. Waͤreſt du ganz nur Lie-
be fuͤr mich, wann haͤtteſt du Zeit gehabt eine Ver-
gleichung zu machen. Wenn ich bei dir bin, zer-
ſchmilzt meine Vernunft in einen Blik — in einen
Traum von dir, wenn ich weg bin, und Du haſt
noch eine Klugheit neben deiner Liebe? — Schaͤme
dich! Jeder Augenblik, den du an dieſen Kummer
verlorſt, war deinem Juͤngling geſtolen.
telt)
Du wilſt mich einſchlaͤfern Ferdinand — wilſt
meine Augen von dieſem Abgrund hinwegloken, in
den ich ganz gewiß ſtuͤrzen muß. Ich ſeh in die Zu-
kunft — die Stimme des Ruhms — deine Entwuͤrfe —
dein
[17] dein Vater — mein Nichts
ſeine Hand fahren)
Ferdinand! ein Dolch uͤber dir
und mir! — Man trennt uns!
Trennt uns!
Wo-
her bringſt du dieſe Ahndung Louiſe? Trennt uns?
— Wer kann den Bund zwoer Herzen loͤſen, oder
die Toͤne eines Accords auseinander reiſſen? — Ich
bin ein Edelmann — Laß doch ſehen, ob mein
Adelbrief aͤlter iſt, als der Riß zum unendlichen
Weltall? oder mein Wappen guͤltiger als die Hand-
ſchrift des Himmels in Louiſens Augen: Dieſes
Weib iſt fuͤr dieſen Mann? — Ich bin des Praͤſi-
denten Sohn. Eben darum. Wer, als die Liebe,
kann mir die Fluͤche verſuͤßen, die mir der Landes-
wucher meines Vaters vermachen wird?
O wie ſehr fuͤrcht ich ihn — Dieſen
Vater!
Ich fuͤrchte nichts — nichts — als
die Graͤnzen deiner Liebe. Laß auch Hinderniſſe wie
Gebuͤrge zwiſchen uns treten, ich will ſie fuͤr Trep-
pen nehmen und druͤber hin in Louiſens Arme flie-
gen. Die Stuͤrme des widrigen Schikſals ſollen mei-
ne Empfindung emporblaſen, Gefahren werden mei-
ne Louiſe nur reizender machen. — Alſo nichts mehr
von Furcht meine Liebe. Ich ſelbſt — ich will uͤber
dir wachen wie der Zauberdrach uͤber unterirrdiſchem
Golde — Mir vertraue dich. Du brauchſt keinen
Engel mehr — Ich will mich zwiſchen dich und das
Schikſal werfen — empfangen fuͤr dich jede Wunde —
Bauffaſ-
[18] auffaſſen fuͤr dich jeden Tropfen aus dem Becher der
Freude — dir ihn bringen in der Schaale der Liebe.
An dieſem Arm ſoll meine
Louiſe durchs Leben huͤpfen, ſchoͤner als er dich von
ſich lies ſoll der Himmel dich wieder haben, und mit
Verwunderung eingeſtehn, daß nur die Liebe die
lezte Hand an die Seelen legte —
Nichts mehr! Ich bitte dich, ſchweig! — Wuͤßteſt
du — Laß mich — du weiſt nicht, daß deine Hoff-
nungen mein Herz, wie Furien, anfallen.
Louiſe? Wie! Was!
Welche Anwandlung?
Ich hatte dieſe Traͤume vergeſſen und war
gluͤklich — Jezt! Jezt! Von heut an — der Friede
meines Lebens iſt aus — Wilde Wuͤnſche — ich weis es
— werden in meinem Buſen raſen. — Geh —
Gott vergebe dirs — Du haſt den Feuerbrand in
mein junges friedſames Herz geworfen, und er wird
nimmer nimmer geloͤſcht werden.
Er folgt ihr ſprachlos nach)
Fuͤnfte Szene.
Der Praͤſident, ein Ordenskreuz um den Hals, einen
Stern an der Seite, und Sekretair Wurm
treten auf.
Ein ernſthaftes Attachement! Mein
Sohn?
[19] Sohn? — Nein Wurm, das macht er mich nim-
mermehr glauben.
Ihro Exzellenz haben die Gnade mir
den Beweis zu befehlen.
Daß er der Buͤrgerkanaille den Hof
macht — Flatterien ſagt — auch meinetwegen Em-
pfindungen vorplaudert — Das ſind lauter Sachen,
die ich moͤglich finde — verzeilich finde — aber —
und noch gar die Tochter eines Muſikus ſagt er?
Muſikmeiſter Millers Tochter.
Huͤbſch? — Zwar das verſteht ſich.
Das ſchoͤnſte Exemplar einer
Blondine, die, nicht zu viel geſagt, neben den er-
ſten Schoͤnheiten des Hofes noch Figur machen wuͤrde.
Er ſagt mir Wurm — er
habe ein Aug auf das Ding — das find ich. Aber
ſieht er mein lieber Wurm — daß mein Sohn Ge-
fuͤhl fuͤr das Frauenzimmer hat, macht mir Hoff-
nung, daß ihn die Damen nicht haſſen werden. Er
kann bei Hof etwas durchſezen. Das Maͤdchen iſt
ſchoͤn, ſagt er, das gefaͤllt mir an meinem Sohn,
daß er Geſchmak hat. Spiegelt er der Naͤrrin ſolide
Abſichten vor? Noch beſſer — ſo ſeh ich, daß er
Wiz genug hat, in ſeinen Beutel zu luͤgen. Er kann
Praͤſident werden. Sezt er es noch dazu durch?
Herrlich! das zeigt mir an, daß er Gluͤk hat. —
Schließt ſich die Farçe mit einem geſunden Enkel —
Unvergleichlich! ſo trink ich auf die guten Aſpekten
B 2mei-
[20] meines Stammbaums eine Bouteille Malaga mehr,
und bezale die Skortazionsſtrafe fuͤr ſeine Dirne.
Alles was ich wuͤnſche, Ihr' Exzellenz,
iſt, daß Sie nicht noͤtig haben moͤchten dieſe Bou-
teille zu Ihrer Zerſtreuung zu trinken.
Wurm, beſinn Er ſich,
daß ich, wenn ich einmal glaube, hartnaͤkig glaube,
raſe, wenn ich zuͤrne — Ich will einen Spaß daraus
machen, daß er mich aufhezen wolte. Daß er ſich
ſeinen Nebenbuler gern vom Hals geſchaft haͤtte,
glaub ich Ihm herzlich gern. Da er meinen Sohn bei
dem Maͤdchen auszuſtechen Muͤhe haben moͤchte, ſoll
ihm der Vater zur Fliegenklatſche dienen, das find
ich wieder begreiflich — und daß er einen ſo herrli-
chen Anſaz zum Schelmen hat, entzuͤkt mich ſogar —
Nur mein lieber Wurm, muß er mich nicht mit prel-
len wollen. — Nur verſteht er mich, muß er den
Pfiff nicht bis zum Einbruch in meine Grundſaͤze
treiben.
Ihro Exzellenz verzeihen. Wenn auch
wirklich — wie Sie argwohnen — die Eiferſucht
hier im Spiel ſeyn ſolte, ſo waͤre ſie es wenigſtens
nur mit den Augen und nicht mit der Zunge.
Und ich daͤchte, ſie bliebe ganz weg.
Dummer Teufel, was verſchlaͤgt es denn ihm, ob
er die Karolin friſch aus der Muͤnze, oder vom Ban-
quier bekommt. Troͤſt er ſich mit dem hieſigen Adel;
— Wiſſentlich oder nicht — bei uns wird ſelten eine
Mariage geſchloſſen, wo nicht wenigſtens ein halb
Duzend
[21] Duzend der Gaͤſte — oder der Aufwaͤrter — das
Paradies des Braͤutigams geometriſch ermeſſen kann.
Ich mache hier gern den
Buͤrgersmann, gnaͤdiger Herr.
Ueberdis kann er mit naͤchſtem die
Freude haben, ſeinem Nebenbuler den Spott auf die
ſchoͤnſte Art heimzugeben. Eben jezt liegt der An-
ſchlag im Kabinet, daß, auf die Ankunft der neuen
Herzogin, Lady Milford zum Schein den Abſchied er-
halten, und, den Betrug vollkommen zu machen,
eine Verbindung eingehen ſoll. Er weiß Wurm,
wie ſehr ſich mein Anſehen auf den Einfluß der Lady
ſtuͤzt — wie uͤberhaupt meine maͤchtigſten Spring-
federn in die Wallungen des Fuͤrſten hineinſpielen.
Der Herzog ſucht eine Parthie fuͤr die Milford. Ein
anderer kann ſich melden — den Kauf ſchließen,
mit der Dame das Vertrauen des Fuͤrſten anreiſſen,
ſich ihm unentbehrlich machen — damit nun der
Fuͤrſt im Nez meiner Familie bleibe, ſoll mein Fer-
dinand die Milford heuraten — — Iſt Ihm das
helle?
Daß mich die Augen beiſſen — —
Wenigſtens bewies der Praͤſident hier, daß der Va-
ter nur ein Anfaͤnger gegen ihn iſt. Wenn der Ma-
jor Ihnen eben ſo den gehorſamen Sohn zeigt, als
Sie ihm den zaͤrtlichen Vater, ſo doͤrfte Ihre An-
foderung mit Proteſt zuruͤkkommen.
Zum Gluͤk war mir noch nie fuͤr die
Ausfuͤhrung eines Entwurfes bang, wo ich mich mit
B 3einem:
[22] einem: Es ſoll ſo ſeyn, einſtellen konnte. — Aber
ſeh er nun Wurm, das hat uns wieder auf den vo-
rigen Punkt geleitet. Ich kuͤndige meinem Sohn
noch dieſen Vormittag ſeine Vermaͤlung an. Das
Geſicht, das er mir zeigen wird, ſoll ſeinen Arg-
wohn entweder rechtfertigen, oder ganz widerlegen.
Gnaͤdiger Herr, ich bitte ſehr um Ver-
gebung. Das finſtre Geſicht, das er Ihnen ganz zu-
verlaͤßig zeigt, laͤßt ſich eben ſo gut auf die Rechnung
der Braut ſchreiben, die Sie ihm zufuͤhren, als der-
jenigen, die Sie ihm nehmen. Ich erſuche Sie um
eine ſchaͤrfere Probe. Waͤhlen Sie ihm die untade-
lichſte Parthie im Land, und ſagt er ja, ſo laſſen
Sie den Sekretair Wurm drei Jahre Kugeln ſchleifen.
Teufel!
Es iſt nicht anders. Die Mutter —
die Dummheit ſelbſt — hat mir in der Einfalt zu-
viel geplaudert.
zuruͤk)
Gut! Dieſen Morgen noch.
Nur vergeſſen Ewr Exzellenz nicht, daß
der Major — der Sohn meines Herrn iſt.
Er ſoll geſchont werden, Wurm.
Und daß der Dienſt, Ihnen von einer
unwillkommenen Schwiegertochter zu helfen —
Den Gegendienſt werth iſt, Ihm zu
einer Frau zu helfen? — Auch das Wurm.
Wurm.
[23]
Ewig der Ihrige,
gnaͤdiger Herr.
Was ich Ihm vorhin vertraut habe
Wurm
Wenn er plaudert —
So zeigen Ihr Exzellenz mei-
ne falſchen Handſchriften auf.
Zwar Du biſt mir gewis. Ich halte
dich an deiner eigenen Schurkerei, wie den Schroͤter
am Faden.
Hofmarſchall
von Kalb —
Kommt, wie gerufen. — Er ſoll
mir angenehm ſeyn
Sechste Szene.
ſchmakloſen Hofkleid, mit Kammerherrnſchluͤſſeln, zwei
Uhren und einem Degen, Chapeau-bas und friſiert
à la Hériſſon. Er fliegt mit großem Gekreiſch auf
den Praͤſidenten zu, und breitet einen Biſam-
geruch uͤber das ganze Parterre.
Praͤſident.
Ah guten Mor-
gen mein Beſter! Wie geruht? Wie geſchlafen? —
Sie verzeihen doch, daß ich ſo ſpaͤt das Vergnuͤgen
habe — dringende Geſchaͤfte — der Kuͤchenzettel —
Viſitenbillets — das Arrangement der Parthien auf
die heutige Schlittenfarth — Ah — und denn mußt
B 4ich
[24] ich ja auch bey dem Lever zugegen ſeyn, und Seiner
Durchleucht das Wetter verkuͤndigen.
Ja Marſchall. Da haben Sie frei-
lich nicht abkommen koͤnnen.
Oben drein hat mich ein Schelm
von Schneider noch ſizen laſſen.
Und doch fix und fertig?
Das iſt noch nicht alles. — Ein
Malheur jagt heut das andere. Hoͤren Sie nur.
Iſt das moͤglich?
Hoͤren Sie nur. Ich ſteige kaum
aus dem Wagen, ſo werden die Hengſte ſcheu, ſtam-
pfen und ſchlagen aus, daß mir — ich bitte Sie! —
der Gaſſenkoth uͤber und uͤber an die Beinkleider ſpruͤzt.
Was anzufangen? Sezen Sie Sich um Gotteswillen
in meine Lage Baron. Da ſtand ich. Spaͤt war es.
Eine Tagreiſe iſt es — und in dem Aufzug vor Sei-
ne Durchleucht! Gott der Gerechte! — Was faͤllt
mir bei? Ich fingiere eine Ohnmacht. Man bringt
mich uͤber Hals und Kopf in die Kutſche. Ich in
voller Karriere nach Haus — wechsle die Kleider —
fahre zuruͤk — Was ſagen Sie? — und bin noch
der erſte in der Antiſchamber — Was denken Sie?
Ein herrliches Inpromtu des menſch-
lichen Wizes — Doch das beiſeite Kalb — Sie ſpra-
chen alſo ſchon mit dem Herzog?
Zwanzig Minuten und
eine halbe.
Praͤſident.
[25]
Das geſteh ich! — und wiſſen mir
alſo ohne Zweifel eine wichtige Neuigkeit?
gen)
Seine Durchleucht haben heute einen Merde
d'Oye Biber an.
Man denke — Nein Marſchall, ſo
hab ich doch eine beſſere Zeitung fuͤr Sie — daß La-
dy Milford Majorin von Walter wird, iſt Ihnen
gewiß etwas neues?
Denken Sie! — Und das iſt
ſchon richtig gemacht?
Unterſchrieben, Marſchall — und
Sie verbinden mich, wenn Sie ohne Aufſchub dahin
gehen, die Lady auf ſeinen Beſuch praͤparieren, und
den Entſchluß meines Ferdinands in der ganzen Re-
ſidenz bekannt machen.
O mit tauſend Freu-
den mein Beſter — Was kann mir erwuͤnſchter kom-
men? — Ich fliege ſogleich —
Leben
Sie wol — In Dreiviertelſtunden weiß es die gan-
ze Stadt.
Man ſa-
ge noch, daß dieſe Geſchoͤpfe in der Welt zu nichts
taugen — — Nun muß ja mein Ferdinand wollen,
oder die ganze Stadt hat gelogen.
kommt)
Mein Sohn ſoll hereinkommen.
geht ab. Der Praͤſident auf und nieder gedankenvoll.)
B 5Siebente
[26]
Siebente Szene.
gleich abgeht.
Sie haben befolen, gnaͤdiger Herr
Vater —
Leider muß ich das, wenn ich mei-
nes Sohns einmal froh werden will — Laß er uns
allein, Wurm. — Ferdinand, ich beobachte dich
ſchon eine Zeit lang, und finde die offene raſche Ju-
gend nicht mehr, die mich ſonſt ſo entzuͤkt hat. Ein
ſeltſamer Gram bruͤtet auf deinem Geſicht — Du
fliehſt mich — Du fliehſt deine Zirkel — Pfuy! —
Deinen Jahren verzeiht man zehn Ausſchweifungen
vor einer einzigen Grille. Ueberlaß dieſe mir, lie-
ber Sohn. Mich laß an deinem Gluͤk arbeiten, und
denke auf nichts, als in meine Entwuͤrfe zu ſpielen.
— Komm! Umarme mich Ferdinand.
Sie ſind heute ſehr gnaͤdig mein
Vater.
Heute du Schalk — und dieſes heu-
te noch mit der herben Grimaſſe?
Ferdi-
nand! — Wem zu lieb hab ich die gefaͤrliche Bahn
zum Herzen des Fuͤrſten betreten? Wem zu lieb bin
ich auf ewig mit meinem Gewiſſen und dem Himmel
zerfallen? — Hoͤre Ferdinand —
meinem Sohn)
— Wem hab ich durch die Hinweg-
raͤumung meines Vorgaͤngers Plaz gemacht — eine
Geſchichte, die deſto blutiger in mein Inwendiges
ſchnei-
[27] ſchneidet, je ſorgfaͤltiger ich das Meſſer der Welt
verberge. Hoͤre. Sage mir Ferdinand: Wem that
ich dis alles?
Doch mir
nicht mein Vater? Doch auf mich ſoll der blutige
Wiederſchein dieſes Frevels nicht fallen? Beim all-
maͤchtigen Gott! Es iſt beſſer, gar nicht geboren
ſeyn, als dieſer Mißethat zur Ausrede dienen.
Was war das? Was? Doch! ich
will es dem Romanenkopfe zu gut halten — Ferdi-
nand — ich will mich nicht erhizen vorlauter Kna-
be — Lohnſt du mir alſo fuͤr meine ſchlafloſen Naͤch-
te? Alſo fuͤr meine raſtloſe Sorge? Alſo fuͤr den
ewigen Skorpion meines Gewiſſens? — Auf mich
faͤllt die Laſt der Verantwortung — auf mich der
Fluch, der Donner des Richters — Du empfaͤngſt
dein Gluͤk von der zweiten Hand — das Verbrechen
klebt nicht am Erbe.
Feierlich entſag ich hier einem Erbe, das mich nur
an einen abſcheulichen Vater erinnert.
Hoͤre junger Menſch, bringe mich
nicht auf. — Wenn es nach deinem Kopfe gienge,
Du kroͤcheſt dein Lebenlang im Staube.
O, immer noch beſſer, Vater, als
ich kroͤch um den Tron herum.
Hum! —
Zwingen muß man dich, dein Gluͤk zu erkennen.
Wo zehn andre mit aller Anſtrengung nicht hinauf-
klimmen,
[28] klimmen, wirſt du ſpielend, im Schlafe gehoben.
Du biſt im zwoͤlften Jahre Faͤhndrich. Im zwanzig-
ſten Major. Ich hab es durchgeſezt beim Fuͤrſten.
Du wirſt die Uniform ausziehen, und in das Mi-
niſterium eintreten. Der Fuͤrſt ſprach vom Gehei-
menrath — Geſandſchaften — außerordentlichen
Gnaden. Eine herrliche Ausſicht dehnt ſich vor dir.
— Die ebene Straſſe zunaͤchſt nach dem Trone —
zum Trone ſelbſt, wenn anders die Gewalt ſo viel
werth iſt, als ihre Zeichen — das begeiſtert dich
nicht?
Weil meine Begriffe von Groͤße
und Gluͤk nicht ganz die Ihrigen ſind — Ihre
Gluͤkſeligkeit macht ſich nur ſelten anders als durch
Verderben bekannt. Neid, Furcht, Verwuͤnſchung
ſind die traurigen Spiegel, worinn ſich die Hoheit
eines Herrſchers belaͤchelt. — Traͤnen, Fluͤche, Ver-
zweiflung die entſezliche Malzeit, woran dieſe ge-
prieſenen Gluͤklichen ſchwelgen, von der ſie betrunken
aufſtehen, und ſo in die Ewigkeit vor den Tron Got-
tes taumeln — Mein Ideal von Gluͤk zieht ſich ge-
nuͤgſamer in mich ſelbſt zuruͤk. In meinem Herzen
liegen alle meine Wuͤnſche begraben. —
Meiſterhaft! Unverbeßerlich! Herr-
lich! Nach dreißig Jahren die erſte Vorleſung wie-
der! — Schade nur, daß mein fuͤnfzigjaͤhriger Kopf
zu zaͤh fuͤr das Lernen iſt! — Doch — diß ſeltne Ta-
lent nicht einroſten zu laſſen, will ich dir jemand an
die Seite geben, bey dem du dich in dieſer buntſche-
kigen
[29] kigen Tollheit nach Wunſch exerzieren kannſt. — Du
wirſt dich entſchließen — noch heute entſchließen —
eine Frau zu nehmen.
Mein Vater?
Ohne Komplimente — Ich habe
der Lady Milford in deinem Namen eine Charte ge-
ſchikt. Du wirſt dich ohne Aufſchub bequemen, da-
hin zu gehen, und ihr zu ſagen, daß du ihr Braͤu-
tigam biſt.
Der Milford mein Vater?
Wenn ſie dir bekannt iſt —
Welcher Schand-
ſaͤule im Herzogthum iſt ſie das nicht! — Aber ich
bin wol laͤcherlich, lieber Vater, daß ich Ihre Laune
fuͤr Ernſt aufnehme? Wuͤrden Sie Vater zu dem
Schurken Sohne ſeyn wollen, der eine privilegierte
Bulerin heuratete?
Noch mehr. Ich wuͤrde ſelbſt um ſie
werben, wenn ſie einen Fuͤnfziger moͤchte — Wuͤr-
deſt du zu dem Schurken Vater nicht Sohn ſeyn
wollen?
Nein! So wahr Gott lebt!
Eine Frechheit, bei meiner Ehre!
die ich ihrer Seltenheit wegen vergebe —
Ich bitte Sie Vater! laſſen Sie
mich nicht laͤnger in einer Vermutung, wo es mir
unertraͤglich wird, mich ihren Sohn zu nennen.
Junge biſt du toll? Welcher Menſch
von Vernunft wuͤrde nicht nach der Diſtinkzion gei-
zen,
[30] zen, mit ſeinem Landesherrn an einem dritten Orte
zu wechſeln?
Sie werden mir zum Raͤzel mein
Vater. Diſtinkzion nennen Sie es — Diſtinkzion,
da mit dem Fuͤrſten zu theilen, wo er auch unter
den Menſchen hinunterkriecht?
Sie koͤnnen lachen — und ich will
uͤber das hinweggehen Vater. Mit welchem Geſicht
ſoll ich vor den ſchlechteſten Handwerker treten, der
mit ſeiner Frau wenigſtens doch einem ganzen Koͤr-
per zum Mitgift bekommt? Mit welchem Geſicht vor
die Welt? Vor den Fuͤrſten? Mit welchem vor die
Bulerin ſelbſt, die den Brandfleken ihrer Ehre in
meiner Schande auswaſchen wuͤrde?
Wo in aller Welt bringſt du das
Maul her, Junge?
Ich beſchwoͤre Sie bei Himmel und
Erde! Vater, Sie koͤnnen durch dieſe Hinwerfung
Ihres einzigen Sohnes ſo gluͤklich nicht werden, als
Sie ihn ungluͤklich machen. Ich gebe Ihnen mein
Leben, wenn das Sie ſteigen machen kann. Mein
Leben hab ich von Ihnen, ich werde keinen Augenblik
anſtehen, es ganz Ihrer Groͤße zu opfern. — Meine
Ehre, Vater — wenn Sie mir dieſe nehmen, ſo
war es ein leichtfertiges Schelmenſtuͤk mir das Leben
zu geben, und ich muß den Vater wie den Kuppler
verfluchen.
Praͤſident.
[31]
klopft)
Brav, lieber Sohn. Jezt ſeh ich, daß du ein
ganzer Kerl biſt, und der beſten Frau im Herzog-
thum wuͤrdig. — Sie ſoll dir werden — Noch dieſen
Mittag wirſt du dich mit der Graͤfin von Oſtheim
verloben.
Iſt dieſe Stun-
de beſtimmt, mich ganz zu zerſchmettern?
Wo doch hoffentlich deine Ehre nichts einwenden
wird?
Nein mein Vater. Friderike von
Oſtheim koͤnnte jeden andern zum Gluͤklichſten ma-
chen.
Was ſeine
Bosheit an meinem Herzen noch ganz lies, zerreißt
ſeine Guͤte.
Ich warte auf deine Dankbarkeit, Ferdinand —
die Hand)
Vater! Ihre Gnade entflammt meine
ganze Empfindung — Vater! meinen heißeſten
Dank fuͤr Ihre herzliche Meynung — Ihre Wahl iſt
untadelhaft — aber — ich kann — ich darf — Be-
dauern Sie mich — Ich kann die Graͤfin nicht
lieben.
Holla!
Jezt hab ich den jungen Herrn. Alſo in dieſe Falle
gieng er, der liſtige Heuchler — Alſo es war nicht
die Ehre, die dir die Lady verbot? — Es war nicht
die
[32] die Perſon ſondern die Heurath die du verabſcheu-
teſt? —
er auf, und will fortrennen.)
Wohin? Halt! Iſt das der Reſpekt
den du mir ſchuldig biſt?
Du biſt bey der Lady gemeldet. Der Fuͤrſt hat mein
Wort. Stadt und Hof wiſſen es richtig. — Wenn du
mich zum Luͤgner machſt, Junge — vor dem Fuͤrſten
— der Lady — der Stadt — dem Hof mich zum
Luͤgner machſt — Hoͤre Junge — oder wenn ich hin-
ter gewiſſe Hiſtorien komme — Halt! Holla!
Was blaͤßt ſo auf einmal das Feuer in deinen Wan-
gen aus?
Wie? Was?
Es iſt gewiß nichts, mein Vater!
tend)
Und wenn es was iſt — und wenn ich die Spur
finden ſollte, woher dieſe Widerſezlichkeit ſtammt?
— — Ha Junge! der bloſe Verdacht ſchon bringt
mich zum Raſen. Geh den Augenblik. Die Wach-
parade faͤngt an. Du wirſt bei der Lady ſeyn, ſobald
die Parole gegeben iſt — Wenn ich auftrete, zittert
ein Herzogtum. Laß doch ſehen, ob mich ein Starr-
kopf von Sohn meiſtert.
mal wieder)
Junge, ich ſage dir, du wirſt dort ſeyn,
oder fliehe meinen Zorn.
Ferdin.
[33]
Iſt er weg? War das eines Vaters Stimme? —
Ja! ich will zu ihr — will hin — will ihr Dinge
ſagen, will ihr einen Spiegel vorhalten — Nichts-
wuͤrdige! und wenn du auch noch dann meine Hand
verlangſt — Im Angeſicht des verſammelten Adels,
des Militaͤrs und des Volks — Umguͤrte dich mit
dem ganzen Stolz deines Englands — Ich verwer-
fe dich — ein teutſcher Juͤngling!
[34]
Zweiter Akt.
zur rechten Hand ſteht ein Sofa,
zur linken ein Fluͤgel.
Erſte Szene.
Haare noch unfriſiert, ſizt vor dem Fluͤgel und phan-
taſiert; Sophie, die Kammerjungfer
kommt von dem Fenſter.
Die Officiers gehen auseinander. Die
Wachparade iſt aus — aber ich ſehe
noch keinen Walter.
Gang durch den Saal macht)
Ich weis nicht, wie ich
mich heute finde, Sophie — Ich bin noch nie ſo ge-
weſen — Alſo du ſahſt ihn gar nicht? — Freilich wol
— Es wird ihm nicht eilen — Wie ein Verbrechen
liegt es auf meiner Bruſt — Geh Sophie — Man
ſoll mir den wildeſten Renner herausfuͤhren, der im
Marſtall iſt. Ich muß ins Freie — Menſchen ſehen
und blauen Himmel, und mich leichter reiten ums
Herz herum.
Wenn Sie ſich unpaͤßlich fuͤhlen, Mi-
lady — berufen Sie Aßemblee hier zuſammen. Laßen
Sie den Herzog hier Tafel halten, oder die l'Hom-
bretiſche
[35] bretiſche vor Ihren Sofa ſezen. Mir ſollte der Fuͤrſt
und ſein ganzer Hof zu Gebote ſtehn, und eine Gril-
le im Kopfe ſurren?
Ich bitte, ver-
ſchone mich. Ich gebe dir einen Demant fuͤr jede
Stunde, wo ich ſie mir vom Hals ſchaffen kann.
Soll ich meine Zimmer mit dieſem Volk tapezieren?
— Das ſind ſchlechte erbaͤrmliche Menſchen, die ſich
entſezen, wenn mir ein warmes herzliches Wort ent-
wiſcht, Mund und Naſen aufreiſſen, als ſaͤhen ſie
einen Geiſt — Sklaven eines einzigen Marionetten-
draths, den ich leichter als mein Filet regiere. —
Was fang ich mit Leuten an, deren Seelen ſo gleich
als ihre Sakuhren gehen? Kann ich eine Freude
dran finden, ſie was zu fragen, wenn ich voraus
weis, was ſie mir antworten werden? Oder Worte
mit ihnen wechſeln, wenn ſie das Herz nicht haben,
andrer Meynung als ich zu ſeyn? — Weg mit ih-
nen! Es iſt verdruͤßlich, ein Roß zu reiten, das
nicht auch in den Zuͤgel beißt.
Aber den Fuͤrſten werden Sie doch
ausnehmen Lady? Den ſchoͤnſten Mann — den feu-
rigſten Liebhaber — den wizigſten Kopf in ſeinem
ganzen Lande!
Denn es iſt ſein Land
— und nur ein Fuͤrſtenthum, Sophie, kann mei-
nem Geſchmak zur ertraͤglichen Ausrede dienen —
Du ſagſt, man beneide mich. Armes Ding! Be-
klagen ſoll man mich vielmehr. Unter allen, die an
C 2den
[36] den Bruͤſten der Majeſtaͤt trinken, kommt die Favo-
ritin am ſchlechteſten weg, weil ſie allein dem großen
und reichen Mann auf dem Bettelſtabe begegnet —
Wahr iſts, er kann mit dem Talisman ſeiner Groͤße
jeden Geluſt meines Herzens, wie ein Feenſchloß,
aus der Erde rufen. — Er ſezt den Saft von
zwei Indien auf die Tafel — ruft Paradieſe aus
Wildnißen — laͤßt die Quellen ſeines Landes in ſtol-
zen Boͤgen gen Himmel ſpringen, oder das Mark
ſeiner Unterthanen in einem Feuerwerk hinpuffen —
— Aber kann er auch ſeinem Herzen befehlen, ge-
gen ein großes feuriges Herz groß und feurig zu
ſchlagen? Kann er ſein darbendes Gehirn auf ein
einziges ſchoͤnes Gefuͤl exequieren? — Mein Herz
hungert bei all dem Vollauf der Sinne, und was
helfen mich tauſend beßre Empfindungen, wo ich
nur Wallungen loͤſchen darf?
Wie lang
iſt es denn aber, daß ich Ihnen diene, Milady?
Weil du erſt heute mit mir bekannt
wirſt? — Es iſt wahr, liebe Sophie — ich habe
dem Fuͤrſten meine Ehre verkauft, aber mein Herz
habe ich frei behalten — ein Herz, meine Gute, das
vielleicht eines Mannes noch werth iſt — uͤber wel-
ches der giftige Wind des Hofes nur wie der Hauch
uͤber den Spiegel gieng — Trau es mir zu, meine
Liebe, daß ich es laͤngſt gegen dieſen armſeligen Fuͤr-
ſten behauptet haͤtte, wenn ich es nur von meinem
Ehrgeiz erhalten koͤnnte, einer Dame am Hof den
Rang vor mir einzuraͤumen.
Sophie.
[37]
Und dieſes Herz unterwarf ſich dem
Ehrgeiz ſo gern?
Als wenn es ſich nicht ſchon
geraͤcht haͤtte? — Nicht jezt noch ſich raͤchte? ———
Sophie
ſel fallen laͤßt)
Wir Frauenzimmer koͤnnen nur zwi-
ſchen Herrſchen und Dienen waͤhlen — aber die
hoͤchſte Wonne der Gewalt iſt doch nur ein elender
Behelf, wenn uns die groͤßere Wonne verſagt wird,
Sklavinnen eines Manns zu ſeyn, den wir lieben.
Eine Wahrheit, Milady, die ich von
Ihnen zulezt hoͤren wollte!
Und warum, meine Sophie? Sieht
man es denn dieſer kindiſchen Fuͤhrung des Zepters
nicht an, daß wir nur fuͤr das Gaͤngelband tau-
gen? Sahſt du es denn dieſem launiſchen Flatter-
ſinn nicht an — dieſen wilden Ergoͤzungen nicht an,
daß ſie nur wildere Wuͤnſche in meiner Bruſt uͤber-
lermen ſollten?
Lady?
Befriedige dieſe! Gib mir
den Mann, den ich jezt denke — den ich anbete —
ſterben, Sophie, oder beſizen muß
Laß
mich aus ſeinem Mund es vernehmen, daß Traͤnen
der Liebe ſchoͤner glaͤnzen in unſern Augen, als die
Brillanten in unſerm Haar
und ich werfe
dem Fuͤrſten ſein Herz und ſein Fuͤrſtenthum vor die
Fuͤße, fliehe mit dieſem Mann, fliehe in die entle-
genſte Wuͤſte der Welt — —
C 3Sophie.[38]
Himmel! was
machen Sie? Wie wird Ihnen Lady?
Du entfaͤrbſt dich? ——— Hab
ich vielleicht etwas zu viel geſagt? — O ſo laß mich
deine Zunge mit meinem Zutrauen binden — hoͤre
noch mehr — hoͤre alles —
Ich fuͤrchte
Milady — ich fuͤrchte — ich brauch es nicht mehr
zu hoͤren.
Die Verbindung mit dem Major —
Du und die Welt ſtehen im Wahn, ſie ſei eine Hof-
kabale — Sophie — erroͤthe nicht — ſchaͤme dich
meiner nicht — ſie iſt das Werk — meiner Liebe.
Bei Gott! Was mir ahndete!
Sie ließen ſich beſchwazen, Sophie —
der ſchwache Fuͤrſt — der hofſchlaue Walter — der
alberne Marſchall — Jeder von ihnen wird darauf
ſchwoͤren, daß dieſe Heurath das unfehlbarſte Mittel
ſei, mich dem Herzog zu retten, unſer Band um ſo
feſter zu knuͤpfen. ——— Ja! es auf ewig zu tren-
nen! auf ewig dieſe ſchaͤndliche Ketten zu brechen!
— Belogene Luͤgner! Von einem ſchwachen Weib
uͤberliſtet! — Ihr ſelbſt fuͤhrt mir jezt meinen Ge-
liebten zu. Das war es ja nur was ich wollte — Hab
ich ihn einmal — hab ich ihn — o dann auf immer
gute Nacht abſcheuliche Herrlichkeit —
Zwei
[39]
Zweite Szene.
Schmukkaͤſtchen traͤgt. Die Vorigen.
Seine Durchlaucht der Her-
zog empfehlen Sich Milady zu Gnaden, und ſchiken
Ihnen dieſe Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen ſo
eben erſt aus Venedig.
ken zuruͤk)
Menſch! was bezahlt dein Herzog fuͤr
dieſe Steine?
Sie ko-
ſten ihn keinen Heller.
Was? Biſt du raſend? Nichts: —
und
du
wirfſt mir ja einen Blik zu, als wenn du mich durch-
bohren wolteſt — Nichts koſten ihn dieſe unermeß-
lich koſtbaren Steine?
Geſtern ſind ſiebentauſend
Landskinder nach Amerika fort — Die zahlen alles.
raſch durch den Saal, nach einer Pauſe zum Kammerdiener)
Mann, was iſt dir? Ich glaube, du weinſt?
licher Stimm, alle Glieder zitternd)
Edelſteine wie dieſe
da — Ich hab auch ein paar Soͤhne drunter.
Doch keinen Gezwungenen?
C 4Kammer-
[40]
O Gott —
Nein — lauter Freiwillige. Es traten wol ſo etliche
vorlaute Burſch' vor die Front heraus, und fragten
den Oberſten, wie theuer der Fuͤrſt das Joch Men-
ſchen verkaufe? — aber unſer gnaͤdigſter Landesherr
lies alle Regimenter auf dem Paradeplaz aufmar-
ſchieren, und die Maulaffen niederſchießen. Wir
hoͤrten die Buͤchſen knallen, ſahen ihr Gehirn auf
das Pflaſter ſpruͤzen, und die ganze Armee ſchrie:
Juchhe nach Amerika! —
Gott!
Gott! — Und ich hoͤrte nichts? Und ich merkte
nichts?
Ja gnaͤdige Frau — warum
mußtet Ihr denn mit unſerm Herrn gerad auf die
Baͤrenhaz reiten, als man den Lermen zum Aufbruch
ſchlug? — Die Herrlichkeit haͤttet Ihr doch nicht
verſaͤumen ſollen, wie uns die gellenden Trommeln
verkuͤndigten, es iſt Zeit, und heulende Waiſen dort
einen lebendigen Vater verfolgten, und hier eine
wuͤtende Mutter lief, ihr ſaugendes Kind an Bajo-
neten zu ſpießen, und wie man Braͤutigam und
Braut mit Saͤbelhieben auseinander riſſ, und wir
Graubaͤrte verzweiflungsvoll da ſtanden, und den
Burſchen auch zulezt die Kruͤken noch nachwarfen in
die neue Welt — Oh, und mitunter das polternde
Wirbelſchlagen, damit der Allwiſſende uns nicht ſolte
beten hoͤren —
Lady.
[41]
Weg mit die-
ſen Steinen — ſie blizzen Hoͤllenflammen in mein
Herz
Maͤßige dich armer
alter Mann. Sie werden wieder kommen. Sie
werden ihr Vaterland wieder ſehen.
Das weiß
der Himmel! Das werden Sie! — Noch am Stadt-
thor drehten ſie ſich um, und ſchrieen: „Gott mit
Euch, Weib und Kinder — Es leb unſer Landesvater
— am juͤngſten Gericht ſind wir wieder da!„ —
Abſcheulich! Fuͤrchterlich! — Mich beredete man,
ich habe ſie alle getroknet die Traͤnen des Landes —
Schreklich, ſchreklich gehen mir die Augen auf —
Geh du — Sag deinem Herrn — Ich werd ihm
perſoͤnlich danken
ihm ihre Goldboͤrſe in den Hut)
Und das nimm, weil
du mir Wahrheit ſagteſt —
zuruͤk)
Legts zu dem uͤbrigen.
Sophie, ſpring
ihm nach, frag ihn um ſeinen Namen. Er ſoll ſeine
Soͤhne wieder haben.
und nieder. Pauſe. Zu Sophien, die wieder kommt)
Gieng
nicht juͤngſt ein Geruͤchte, daß das Feuer eine Stadt
an der Grenze verwuͤſtet, und bei vierhundert Fa-
milien an den Bettelſtab gebracht habe?
Wie kommen Sie auf das? Aller-
dings iſt es ſo, und die mehreſten dieſer Ungluͤklichen
C 5dienen
[42] dienen jezt ihren Glaͤubigern als Sklaven, oder ver-
derben in den Schachten der fuͤrſtlichen Silberberg-
werke.
Was befehlen Milady?
Daß das ohne
Verzug in die Landſchaft gebracht werde! — Man
ſoll es ſogleich zu Geld machen, befehl ich, und den
Gewinſt davon unter die Vierhundert vertheilen,
die der Brand ruiniert hat.
Milady, bedenken Sie, daß Sie die
hoͤchſte Ungnade wagen.
Soll ich den Fluch ſeines
Landes in meinen Haaren tragen?
dienten, dieſer geht)
Oder wilſt du, daß ich unter
dem ſchreklichen Geſchirr ſolcher Traͤnen zu Boden
ſinke? — Geh Sophie — Es iſt beſſer falſche Ju-
weelen im Haar, und das Bewußtſeyn dieſer That
im Herzen zu haben.
Aber Juweelen, wie dieſe! Haͤtten
Sie nicht Ihre ſchlechtern nehmen koͤnnen. Nein
wahrlich Milady! Es iſt Ihnen nicht zu vergeben.
Naͤrriſches Maͤdchen! Dafuͤr werden in
einem Augenblik mehr Brillanten und Perlen fuͤr
mich fallen, als zehen Koͤnige in ihren Diademen ge-
tragen, und ſchoͤnere —
Major von Wal-
ter —
Gott! Sie
verblaſſen —
Lady.
[43]
Der erſte Mann der mir Schreken macht
— Sophie — Ich ſei unpaͤßlich Eduard — Halt —
Iſt er aufgeraͤumt? Lacht er? Was ſpricht er? O
Sophie! Nicht wahr, ich ſehe haͤßlich aus?
Ich bitte Sie Lady —
Befehlen Sie, daß ich ihn abweiſe?
Er ſoll mir willkommen ſeyn.
Sprich Sophie — Was ſag ich
ihm? Wie empfang ich ihn? — Ich werde ſtumm
ſeyn. — Er wird meiner Schwaͤche ſpotten — Er
wird — o was ahndet mir — Du verlaͤſſeſt mich
Sophie? — Bleib — Doch nein! Gehe! — So
bleib doch.
Sammeln Sie ſich. Er iſt ſchon da.
Dritte Szene.
Wenn
ich Sie worinn unterbreche, gnaͤdige Frau —
In nichts,
Herr Major, das mir wichtiger waͤre.
Ich komme auf Befehl meines
Vaters.
Ich bin ſeine Schuldnerin.
Und ſoll Ihnen melden, daß wir
uns heurathen — So weit der Auftrag meines
Vaters.
Lady.
[44]
Nicht Ihres ei-
genen Herzens?
Miniſter und Kuppler pflegen das
niemals zu fragen.
verſagen.)
Und Sie Selbſt haͤtten ſonſt nichts beizu-
ſezen?
Noch ſehr viel, Milady.
Darf ich Ihnen dieſen Sofa anbieten?
Ich werde kurz ſeyn, Milady.
Nun?
Ich bin ein Mann von Ehre.
Den ich zu ſchaͤzen weis.
Kavalier.
Kein beßrer im Herzogthum.
Und Offizier.
Sie beruͤhren hier Vor-
zuͤge, die auch andere mit Ihnen gemein haben.
Warum verſchweigen Sie groͤſere, worin Sie ein-
zig ſind?
Hier brauch ich ſie nicht.
Aber fuͤr
was muß ich dieſen Vorbericht nehmen?
Fuͤr
den Einwurf der Ehre, wenn Sie Luſt haben ſolten,
meine Hand zu erzwingen.
Lady.
[45]
Was iſt das Herr Major?
Die Sprache meines Her-
zens — meines Wappens — und dieſes Degens.
Dieſen Degen gab Ihnen der Fuͤrſt.
Der Staat gab mir ihn, durch
die Hand des Fuͤrſten — Mein Herz Gott — mein
Wappen ein halbes Jahrtauſend.
Der Name des Herzogs —
Kann der Herzog Geſeze der
Menſchheit verdrehen, oder Handlungen muͤnzen,
wie ſeine Dreier? — Er ſelbſt iſt nicht uͤber die
Ehre erhaben, aber er kann ihren Mund mit ſeinem
Golde verſtopfen. Er kann den Hermelin uͤber ſei-
ne Schande herwerfen. Ich bitte mir aus, davon
nichts mehr Milady — Es iſt nicht mehr die Rede
von weggeworfenen Ausſichten und Ahnen — oder
von dieſer Degenquaſte — oder von der Meinung
der Welt. Ich bin bereit, dis alles mit Fuͤßen zu
treten, ſobald Sie mich nur uͤberzeugt haben werden,
daß der Preiß nicht ſchlimmer noch als das Opfer
iſt.
Herr Ma-
jor! Das hab ich nicht verdient.
Vergeben Sie.
Wir reden hier ohne Zeugen. Der Umſtand, der
Sie und mich — heute und nie mehr — zuſammen
fuͤhrt, berechtigt mich, zwingt mich, Ihnen mein
geheimſtes Gefuͤhl nicht zuruͤk zu halten. ——— Es
will mir nicht zu Kopfe, Milady, daß eine Dame
von
[46] von ſo viel Schoͤnheit und Geiſt — Eigenſchaften,
die ein Mann ſchaͤzen wuͤrde — ſich an einen Fuͤrſten
ſollte wegwerfen koͤnnen, der nur das Geſchlecht
an Ihr zu bewundern gelernt hat, wenn ſich dieſe
Dame nicht ſchaͤmte, vor einen Mann mit ihrem
Herzen zu treten.
Reden Sie
ganz aus.
Sie nennen ſich eine Brittin. Er-
lauben Sie mir — ich kann es nicht glauben, daß
Sie eine Brittin ſind. Die freigeborene Tochter des
freieſten Volks unter dem Himmel — das auch zu
ſtolz iſt, fremder Tugend zu raͤuchern, — kann
ſich nimmermehr an fremdes Laſter verdingen. Es
iſt nicht moͤglich, daß Sie eine Brittin ſind, —
oder das Herz dieſer Brittin muß um ſo viel kleiner
ſeyn, als groͤßer und kuͤhner Britanniens Adern
ſchlagen.
Sind Sie zu Ende?
Man koͤnnte antworten, es iſt
weibliche Eitelkeit — Leidenſchaft — Temperament
— Hang zum Vergnuͤgen. Schon oͤfters uͤberlebte
Tugend die Ehre. Schon manche, die mit Schan-
de in dieſe Schranke trat, hat nachher die Welt
durch edle Handlungen mit ſich ausgeſoͤhnt, und das
haͤßliche Handwerk durch einen ſchoͤnen Gebrauch ge-
adelt ——— Aber woher denn jezt dieſe ungeheure
Preſſung des Landes, die vorher nie ſo geweſen? —
Das war im Namen des Herzogthums. — Ich bin
zu Ende.
Lady.
[47]
Es iſt das er-
ſtemal, Walter, daß ſolche Reden an mich gewagt
werden, und Sie ſind der einige Menſch, dem ich
darauf antworte — — Daß Sie meine Hand verwer-
fen, darum ſchaͤz ich Sie. Daß Sie mein Herz laͤ-
ſtern, vergebe ich Ihnen. Daß es Ihr Ernſt iſt,
glaube ich Ihnen nicht. Wer ſich herausnimmt, Be-
leidigungen dieſer Art einer Dame zu ſagen, die
nicht mehr als eine Nacht braucht, ihn ganz zu ver-
derben, muß dieſer Dame eine große Seele zu-
trauen, oder — — von Sinnen ſeyn — — Daß Sie
den Ruin des Landes auf meine Bruſt waͤlzen,
vergebe Ihnen Gott der Allmaͤchtige, der Sie und
Mich und den Fuͤrſten einſt gegeneinander ſtellt. — —
Aber Sie haben die Englaͤnderin in mir aufgefo-
dert, und auf Vorwuͤrfe dieſer Art muß mein Va-
terland Antwort haben.
Ich bin
begierig.
Hoͤren Sie alſo, was ich, außer Ihnen,
noch niemand vertraute, noch jemals einem Men-
ſchen vertrauen will. ——— Ich bin nicht die Aben-
theurerin, Walter, fuͤr die Sie mich halten. Ich
koͤnnte groß thun und ſagen: Ich bin fuͤrſtlichen Ge-
bluͤts — — aus des ungluͤklichen Thomas Norfolks Ge-
ſchlechte, der fuͤr die ſchottiſche Maria ein Opfer
war — Mein Vater, des Koͤnigs oberſter Kaͤmme-
rer wurde bezuͤchtigt, in verraͤthriſchem Vernehmen
mit Frankreich zu ſtehen, durch einen Spruch der
Parla-
[48] Parlamente verdammt, und enthauptet. — Alle
unſre Guͤter fielen der Krone zu. Wir ſelbſt wurden
des Landes verwieſen. Meine Mutter ſtarb am Tage
der Hinrichtung. Ich — — ein vierzehenjaͤhriges Maͤd-
chen — flohe nach Teutſchland mit meiner Waͤrterin
— einem Kaͤſtchen Juweelen — und dieſem Fami-
lienkreuz, das meine ſterbende Mutter mit ihrem
lezten Seegen mir in den Buſen ſtekte.
mere Blike auf die Lady.)
Krank — — ohne Namen — — ohne Schuz und Vermoͤ-
gen — eine auslaͤndiſche Wayſe kam ich nach Ham-
burg. Ich hatte nichts gelernt, als das Bischen
Franzoͤſiſch — ein wenig Filet, und den Fluͤgel —
deſto beſſer verſtund ich auf Gold und Silber zu ſpei-
ſen, unter damaſtenen Deken zu ſchlafen, mit einem
Wink zehen Bediente fliegen zu machen, und die
Schmeicheleien der Großen Ihres Geſchlechts aufzu-
nehmen. — Sechs Jahre waren ſchon hingeweint.
— Die lezte Schmuknadel flog dahin — Meine
Waͤrterin ſtarb ——— und jezt fuͤhrte mein Schikſal
Ihren Herzog nach Hamburg. Ich ſpazierte damals an
den Ufern der Elbe, ſah in den Strom, und fieng eben
an zu phantaſieren, ob dieſes Waſſer oder mein
Leiden das tiefſte waͤre? — — Der Herzog ſah mich,
verfolgte mich, fand meinen Aufenthalt, — lag zu
meinen Fuͤßen, und ſchwur, daß er mich liebe.
mit weinender Stimme)
Alle Bilder meiner gluͤkli-
chen
[49] chen Kindheit wachten jezt wieder mit verfuͤhrendem
Schimmer auf — Schwarz wie das Grab grau’te
mich eine troſtloſe Zukunft an — Mein Herz brann-
te nach einem Herzen — Ich ſank an das ſeinige
Jezt verdammen Sie mich!
ſie zuruͤk)
Lady! o Himmel! Was hoͤr ich? Was
that ich? — — Schreklich enthuͤllt ſich mein Frevel
mir. Sie koͤnnen mir nicht mehr vergeben.
ſucht)
Hoͤren Sie weiter. Der Fuͤrſt uͤberraſchte
zwar meine wehrloſe Jugend — aber das Blut der
Norfolk empoͤrte ſich in mir: Du eine geborene
Fuͤrſtin, Emilie, rief es, und jezt eines Fuͤrſten
Konkubine? — Stolz und Schikſal kaͤmpften in mei-
ner Bruſt, als der Fuͤrſt mich hieher brachte, und
auf einmal die ſchauderndſte Szene vor meinen Au-
gen ſtand. — Die Wolluſt der Großen dieſer Welt iſt
die nimmer ſatte Hyaͤne, die ſich mit Heißhunger
Opfer ſucht. — Fuͤrchterlich hatte ſie ſchon in dieſem
Lande gewuͤtet — hatte Braut und Braͤutigam zer-
trennt — hatte ſelbſt der Ehen goͤttliches Band zer-
riſſen — — hier das ſtille Gluͤk einer Familie ge-
ſchleift — dort ein junges unerfahrnes Herz der
verheerenden Peſt aufgeſchloſſen, und ſterbende Schuͤ-
lerinnen ſchaͤumten den Namen ihres Lehrers unter
Fluͤchen und Zukungen aus — Ich ſtellte mich zwi-
ſchen das Lamm und den Tyger; nahm einen fuͤrſt-
lichen Eid von ihm in einer Stunde der Leiden-
Dſchaft,
[50] ſchaft, und dieſe abſcheuliche Opferung mußte auf-
hoͤren.
den Saal)
Nichts mehr Milady! Nicht weiter!
Dieſe traurige Periode hatte einer noch
traurigern Plaz gemacht. Hof und Serail wimmel-
ten jezt von Italiens Auswurf. Flatterhafte Pari-
ſerinnen taͤndelten mit dem furchtbaren Zepter, und
das Volk blutete unter ihren Launen — Sie alle er-
lebten ihren Tag. Ich ſah ſie neben mir in den
Staub ſinken, denn ich war mehr Kokette, als ſie
alle. Ich nahm dem Tyrannen den Zuͤgel ab, der
wolluͤſtig in meiner Umarmung erſchlappte — dein
Vaterland, Walter, fuͤhlte zum erſtenmal eine Men-
ſchenhand, und ſank vertrauend an meinen Buſen.
O daß der Mann,
von dem ich allein nicht verkannt ſeyn moͤchte, mich
jezt zwingen muß, groß zu pralen, und meine ſtille
Tugend am Licht der Bewunderung zu verſengen! —
Walter, ich habe Kerker geſprengt — habe Todesur-
theile zerriſſen, und manche entſezliche Ewigkeit auf
Galeeren verkuͤrzt. In unheilbare Wunden hab ich
doch wenigſtens ſtillenden Balſam gegoſſen — maͤch-
tige Frevler in Staub gelegt, und die verlorne
Sache der Unſchuld oft noch mit einer buleriſchen
Traͤne gerettet — Ha Juͤngling! wie ſuͤß war mir
das! Wie ſtolz konnte mein Herz jede Anklage mei-
ner fuͤrſtlichen Geburt widerlegen! — Und jezt
kommt der Mann, der allein mir das alles belo-
nen
[51] nen ſollte — der Mann, den mein erſchoͤpftes Schik-
ſal vielleicht zum Erſaz meiner vorigen Leiden ſchuf
— der Mann, den ich mit brennender Sehnſucht
im Traum ſchon umfaſſe —
erſchuͤttert)
Zuviel! Zuviel! Das iſt wider die Ab-
rede, Lady. Sie ſollten ſich von Anklagen reinigen,
und machen mich zu einem Verbrecher. Schonen
Sie — ich beſchwoͤre Sie — ſchonen Sie meines
Herzens, das Beſchaͤmung und wuͤtende Reue zer-
reiſſen —
Jezt oder nimmer-
mehr. Lange genug hielt die Heldin ſtand — Das
Gewicht dieſer Traͤnen muſt du noch fuͤhlen
lichſten Ton)
Hoͤre Walter — wenn eine Ungluͤkliche
— unwiderſtehlich allmaͤchtig an Dich gezogen —
ſich an Dich preßt mit einem Buſen voll gluͤender
unerſchoͤpflicher Liebe, — Walter — und Du jezt noch
das kalte Wort Ehre ſprichſt — Wenn dieſe Ungluͤkliche
— niedergedruͤkt vom Gefuͤl ihrer Schande — des La-
ſters uͤberdruͤßig — heldenmaͤßig empor gehoben vom
Rufe der Tugend — ſich ſo — in Deine Arme wirft
Durch Dich
gerettet — durch Dich dem Himmel wieder geſchenkt
ſeyn will, oder
ler bebender Stimme)
Deinem Bild zu entfliehen,
dem fuͤrchterlichen Ruf der Verzweiflung gehorſam,
in noch abſcheulichere Tiefen des Laſters wieder hin-
untertaumelt —
D 2Ferdin.
[52]
ſten Bedraͤngniß)
Nein, beim großen Gott! Ich kann
das nicht aushalten — Lady, ich muß — Himmel
und Erde liegen auf mir — ich muß Ihnen ein Ge-
ſtaͤndniß thun, Lady.
Jezt nicht! Jezt
nicht, bei allem was heilig iſt — In dieſem entſezli-
chen Augenblik nicht, wo mein zerriſſenes Herz an
tauſend Dolchſtichen blutet — Sey‘s Tod oder Leben
— ich darf es nicht — ich will es nicht hoͤren.
Doch, doch beſte Lady. Sie muͤſſen
es. Was ich Ihnen jezt ſagen werde, wird meine
Strafbarkeit mindern, und eine warme Abbitte des
Vergangenen ſeyn — Ich habe mich in Ihnen betro-
gen, Milady. Ich erwartete — ich wuͤnſchte, Sie
meiner Verachtung wuͤrdig zu finden. Feſt entſchloſ-
ſen Sie zu beleidigen, und Ihren Haß zu verdienen,
kam ich her — Gluͤklich wir beide, wenn mein Vor-
ſaz gelungen waͤre!
ſer und ſchuͤchterner)
Ich liebe Milady — liebe ein
buͤrgerliches Maͤdchen — Louiſen Millerin — eines
Muſikus Tochter.
er faͤhrt lebhafter fort)
Ich weiß, worein ich mich ſtuͤr-
ze; aber wenn auch Klugheit die Leidenſchaft ſchwei-
gen heißt, ſo redet die Pflicht deſto lauter — Ich bin
der Schuldige. Ich zuerſt zerriß ihrer Unſchuld gol-
denen Frieden — wiegte ihr Herz mit vermeſſenen
Hoffnungen, und gab es verraͤtheriſch der wilden
Leidenſchaft Preiß. — Sie werden mich an Stand
— an
[53] — an Geburt — an die Grundſaͤze meines Vaters
erinnern — aber ich liebe — Meine Hoffnung ſteigt
um ſo hoͤher, je tiefer die Natur mit Konvenienzen
zerfallen iſt. — Mein Entſchluß und das Vorur-
theil! — Wir wollen ſehen, ob die Mode oder die
Menſchheit auf dem Plaz bleiben wird.
ſich unterdeß bis an das aͤußerſte Ende des Zimmers zuruͤk-
gezogen, und haͤlt das Geſicht mit beiden Haͤnden bedekt.
Er folgt ihr dahin)
Sie wolten mir etwas ſagen,
Milady?
Nichts
Herr von Walter! Nichts, als daß ſie Sich und Mich
und noch eine Dritte zu Grund richten.
Noch eine Dritte?
Wir koͤnnen miteinander nicht gluͤklich
werden. Wir muͤßen doch der Voreiligkeit Ihres
Vaters zum Opfer werden. Nimmermehr werd ich
das Herz eines Mannes haben, der mir ſeine Hand
nur gezwungen gab.
Gezwungen Lady? Gezwungen
gab? und alſo doch gab? Koͤnnen Sie eine Hand
ohne Herz erzwingen? Sie einem Maͤdchen den
Mann entwenden, der die ganze Welt dieſes Maͤd-
chens iſt? Sie einen Mann von dem Maͤdchen reiſ-
ſen, das die ganze Welt dieſes Mannes iſt? Sie
Milady — vor einem Augenblik die bewundernſ-
wuͤrdige Brittin? — Sie koͤnnen das?
Weil ich es muß.
Meine Leidenſchaft, Walter, weicht meiner Zaͤrtlich-
D 3keit
[54] keit fuͤr Sie. Meine Ehre kanns nicht mehr —
Unſre Verbindung iſt das Geſpraͤch des ganzen Lan-
des. Alle Augen, alle Pfeile des Spotts ſind auf
mich geſpannt. Die Beſchimpfung iſt unausloͤſchlich,
wenn ein Unterthan des Fuͤrſten mich ausſchlaͤgt.
Rechten Sie mit Ihrem Vater. Wehren Sie ſich
ſo gut Sie koͤnnen. — Ich laß alle Minen ſprengen.
ſtarrung ſtehn. Pauſe. Dann ſtuͤrzt er fort durch die Fluͤ-
gelthuͤre.)
Vierte Szene.
Ich habs ja zuvor
geſagt!
Was, Vater,
Was?
Meinen
Staatsrok her — hurtig — ich muß ihm zuvorkom-
men — und ein weiſſes Manſchettenhemd! — Das
hab ich mir gleich eingebildet!
Um Gotteswillen! Was?
Was gibts denn? Was iſts denn?
Nur
gleich zum Friſeur das! — Was es gibt?
Spiegel geſprungen)
Und mein Bart iſt auch wieder
Fingerslang — Was es gibt? — Was wirds geben,
du
[55] du Rabenaas? — Der Teufel iſt los, und dich ſoll
das Wetter ſchlagen.
Da ſehe man! Ueber mich muß gleich
alles kommen.
Ueber dich? Ja blaues Donnermaul
und uͤber wen anders? Heute fruͤh mit deinem dia-
boliſchen Junker — Hab ichs nicht im Moment ge-
ſagt? — Der Wurm hat geplaudert.
Ah was! Wie kannſt du das wiſſen?
Wie kann ich das wiſſen? — Da! —
unter der Hausthuͤre ſpukt ein Kerl des Miniſters,
und fragt nach dem Geiger.
Ich bin des Todes.
Du aber auch mit deinen Vergißmeinnichts-
augen
Das hat ſeine Richtigkeit,
wem der Teufel ein Ey in die Wirthſchaft gelegt hat,
dem wird eine huͤbſche Tochter geboren — Jezt hab
ichs blank!
Woher weißt du denn, daß es der Louiſe
gilt? — Du kannſt dem Herzog rekommendirt wor-
den ſeyn. Er kann dich ins Orcheſter verlangen.
Daß dich
der Schwefelregen von Sodom! — Orcheſter! —
Ja, wo du Kupplerin den Diskant wirſt heulen,
und mein blauer Hinterer den Konterbaß vorſtellen.
Gott im Himmel!
Mutter!
Vater! Warum wird mir auf einmal ſo bange?
D 4Miller.
[56]
Aber ſoll
mir der Dintenklekſer einmal in den Schuß laufen?
Soll er mir laufen? — Es ſei in dieſer oder in jener
Welt — Wenn ich ihm nicht Leib und Seele brey-
weich zuſammen dreſche, alle zehen Gebote und alle
ſieben Bitten im Vaterunſer, und alle Buͤcher Moſis
und der Propheten aufs Leder ſchreibe, daß man die
blaue Fleken bei der Auferſtehung der Toden noch
ſehen ſoll —
Ja! fluch du und poltre du! Das wird
jezt den Teufel bannen. Hilf heiliger Herregott!
Wohinaus nun? Wie werden wir Rath ſchaffen?
Was nun anfangen? Vater Miller, ſo rede doch!
Auf der Stell zum Miniſter will ich.
Ich zuerſt will mein Maul aufthun — Ich ſelbſt will
es angeben. Du haſt es vor mir gewußt. Du haͤt-
teſt mir einen Wink geben koͤnnen. Das Maͤdel haͤtt
ſich noch weiſen laſſen. Es waͤre noch Zeit geweſen
— aber Nein! — Da hat ſich was makeln laſſen;
da hat ſich was fiſchen laſſen! Da haſt du noch Holz
obendrein zugetragen! — Jezt ſorg auch fuͤr deinen
Kuppelpelz. Friß aus, was du einbrokteſt. Ich
nehme meine Tochter in Arm, und marſch mit ihr
uͤber die Graͤnze.
Fuͤnfte
[57]
Fuͤnfte Szene.
Athem ins Zimmer. Die Vorigen.
War mein Vater da?
Sein Vater!
allmaͤchtiger Gott!
Der Praͤ-
ſident! Es iſt aus mit uns!
Gottlob! Gott-
lob! Da haben wir ja die Beſcheerung!
in die Arme)
Mein biſt du, und waͤrfen Hoͤll' und
Himmel ſich zwiſchen uns.
Mein Tod iſt gewis — Rede weiter —
Du ſprachſt einen ſchreklichen Namen aus — dein
Vater?
Nichts. Nichts. Es iſt uͤberſtan-
den. Ich hab dich ja wieder. Du haſt mich ja wie-
der. O laß mich Athem ſchoͤpfen an dieſer Bruſt.
Es war eine ſchrekliche Stunde.
Welche? Du toͤdeſt mich!
Eine Stunde, Louiſe, wo zwiſchen mein Herz und
Dich eine fremde Geſtalt ſich warf — wo meine Liebe vor
D 5meinem
[58] meinem Gewiſſen erblaßte — wo meine Louiſe auf-
hoͤrte, Ihrem Ferdinand alles zu ſeyn — —
ſel nieder.)
los mit ſtarrem Blik vor ihr ſtehen, dann verlaͤßt er ſie
ploͤzlich, in großer Bewegung)
Nein! Nimmermehr!
Unmoͤglich Lady! Zuviel verlangt! Ich kann Dir
dieſe Unſchuld nicht opfern — Nein beim unendli-
chen Gott! ich kann meinen Eid nicht verlezen, der
mich laut wie des Himmels Donner aus dieſem bre-
chenden Auge mahnt — Lady blik hieher — hieher
du Rabenvater — Ich ſoll dieſen Engel wuͤrgen?
Die Hoͤlle ſoll ich in dieſen himmliſchen Buſen ſchuͤt-
ten?
Ich will ſie fuͤh-
ren vor des Weltrichters Tron, und ob meine Liebe
Verbrechen iſt, ſoll der Ewige ſagen.
der Hand, und hebt ſie vom Seſſel)
Faſſe Muth meine
Theuerſte! — Du haſt gewonnen. Als Sieger
komm ich aus dem gefaͤhrlichſten Kampf zuruͤk.
Nein! Nein! Verhehle mir nichts.
Sprich es aus das entſezliche Urtheil. Deinen Va-
ter nannteſt du? Du nannteſt die Lady? — Schauer
des Todes ergreifen mich — Man ſagt, ſie wird
heiraten.
der)
Mich, Ungluͤkſelige!
Lady.
[59]
Ton und ſchreklicher Ruhe)
Nun — was erſchrek ich
denn? — Der alte Mann dort hat mirs ja oft
geſagt — ich hab es ihm nie glauben wollen
ſe, dann wirft ſie ſich Millern laut weinend in den Arm)
Vater, hier iſt deine Tochter wieder — Verzeihung
Vater — Dein Kind kann ja nicht dafuͤr, daß die-
ſer Traum ſo ſchoͤn war, und — — ſo fuͤrchterlich
jezt das Erwachen — —
Louiſe! Louiſe! — O Gott ſie iſt von
ſich — Meine Tochter, mein armes Kind — Fluch
uͤber den Verfuͤhrer! — Fluch uͤber das Weib, das
ihm kuppelte!
Ver-
dien ich dieſen Fluch, meine Tochter? Vergebs Ih-
nen Gott, Baron — Was hat dieſes Lamm ge-
than, daß Sie es wuͤrgen?
heit)
Aber ich will ſeine Kabalen durchboren —
durchreiſſen will ich alle dieſe eiſerne Ketten des Vor-
urtheils — Frei wie ein Mann will ich waͤhlen, daß
dieſe Inſektenſeelen am Rieſenwerk meiner Liebe hin-
aufſchwindeln
Bleib!
Bleib! Wohin willſt du? — Vater — Mutter —
in dieſer bangen Stunde verlaͤßt er uns?
Der
Praͤſident wird hieher kommen — Er wird unſer
Kind
[60] Kind mishandeln — Er wird uns mishandeln —
Herr von Walter, und Sie verlaſſen uns?
Verlaͤßt uns! Frei-
lich! Warum nicht? — Sie gab ihm ja alles
hin!
Louiſen faſſend)
Geduld Herr! der Weg aus meinem
Hauſe geht nur uͤber Dieſe da — Erwarte erſt dei-
nen Vater, wenn du kein Bube biſt — Erzaͤhl es
ihm, wie du dich in ihr Herz ſtahlſt, Betruͤger,
oder bei Gott
und heftig)
Du ſollſt mir zuvor dieſen wimmern-
den Wurm zertreten, den Liebe zu Dir ſo zu Schan-
den richtete.
in tiefen Gedanken)
Zwar die Gewalt des Praͤſidenten
iſt gros — Vaterrecht iſt ein weites Wort — der
Frevel ſelbſt kann ſich in ſeinen Falten verſteken — er
kann es weit damit treiben — Weit! — Doch aufs aͤuſer-
ſte treibts nur die Liebe — Hier Louiſe! Deine Hand
in die meinige
So wahr mich
Gott im lezten Hauch nicht verlaſſen ſoll! — Der
Augenblik, der dieſe zwo Haͤnde trennt, zerreißt auch
den Faden zwiſchen Mir und der Schoͤpfung.
Mir wird bange! Blik weg! Deine
Lippen beben. Dein Auge rollt fuͤrchterlich —
Nein Louiſe. Zittre nicht. Es iſt
nicht Wahnſinn was aus mir redet. Es iſt das
koͤſtliche Geſchenk des Himmels, Entſchluß in dem
geltenden Augenblik, wo die gepreßte Bruſt nur durch
etwas
[61] etwas Unerhoͤrtes ſich Luft macht — Ich liebe dich
Louiſe — Du ſollſt mir bleiben, Louiſe — Jezt zu
meinem Vater
den Praͤſidenten.)
Sechste Szene.
Vorige.
Da iſt er ſchon.
Im
Hauſe der Unſchuld.
Wo der Sohn Gehorſam gegen den
Vater lernt?
Laſſen Sie uns das — —
Er iſt
der Vater?
Stadtmuſikant Miller.
Sie die Mutter?
Ach ja! die Mutter.
Vater, bring er die
Tochter weg — Sie droht eine Ohnmacht.
Ueberfluͤßige Sorgfalt. Ich will ſie
anſtreichen
Wie lang kennt Sie den
Sohn des Praͤſidenten?
Dieſem habe ich nie nachgefragt. Fer-
dinand von Walter beſucht mich ſeit dem November.
Betet ſie an.
Praͤſident.
[62]
Erhielt Sie Verſicherungen?
Vor wenig Augenbliken die feier-
lichſte im Angeſicht Gottes.
Zur Beichte
deiner Thorheit wird man dir ſchon das Zeichen
geben
Ich warte auf Antwort.
Er ſchwur mir Liebe.
Und wird ſie halten.
Muß ich befehlen, daß du ſchweigſt?
— Nahm Sie den Schwur an?
Ich erwiederte ihn.
Der Bund iſt
geſchloſſen.
Ich werde das Echo hinauswerfen
laſſen
Aber er bezahlte Sie doch
jederzeit baar?
Dieſe Frage verſtehe ich
nicht ganz.
Nicht? Nun!
ich meyne nur — Jedes Handwerk hat, wie man
ſagt, ſeinen goldenen Boden — auch Sie, hoff
ich, wird ihre Gunſt nicht verſchenkt haben — oder
wars Ihr vielleicht mit dem bloſen Verſchluß ge-
dient? Wie?
Hoͤlle! was
war das?
Herr von Walter, jezt ſind Sie frei.
Ferdinand.
[63]
Vater! Ehrfurcht befiehlt die Tu-
gend auch im Bettlerkleid.
Eine luſtige Zumu-
tung! Der Vater ſoll die Hure des Sohns re-
ſpektiren.
O Himmel und Erde!
dem er den Degen nach dem Praͤſidenten zuͤkt, den er
aber ſchnell wieder ſinken laͤßt)
Vater! Sie hatten ein-
mal ein Leben an mich zu fodern — Es iſt bezahlt
Der Schuldbrief der kindli-
chen Pflicht liegt zerriſſen da —
ſtanden, tritt hervor in Bewegung, wechſelsweis fuͤr
Wut mit den Zaͤhnen knirſchend, und fuͤr Angſt damit
klappernd)
Ewr Exzellenz — Das Kind iſt des Va-
ters Arbeit — Halten zu Gnaden — Wer das
Kind eine Maͤhre ſchilt, ſchlaͤgt den Vater an's Ohr,
und Ohrfeig um Ohrfeig — Das iſt ſo Tax bei
uns — Halten zu Gnaden.
Hilf Herr und Heiland! — Jezt bricht
auch der Alte los — uͤber unſerm Kopf wird das
Wetter zuſammenſchlagen.
Regt
ſich der Kuppler auch? — Wir ſprechen uns gleich
Kuppler.
Halten zu Gnaden. Ich heiſſe Miller,
wenn Sie ein Adagio hoͤren wollen — mit Buhl-
ſchaften
[64] ſchaften dien ich nicht. So lang der Hof da noch
Vorrath hat, kommt die Lieferung nicht an uns
Buͤrgersleut'. Halten zu Gnaden.
Um des Himmels willen, Mann! Du
bringſt Weib und Kind um.
Sie ſpielen hier eine Rolle mein
Vater, wobei Sie ſich wenigſtens die Zeugen haͤt-
ten erſparen koͤnnen.
Teutſch
und verſtaͤndlich. Halten zu Gnaden. Ewr Exzel-
lenz ſchalten und walten im Land. Das iſt meine
Stube. Mein devoteſtes Kompliment, wenn ich
dermaleins ein pro memoria bringe, aber den un-
gehobelten Gaſt werf ich zur Thuͤr hinaus — Halten
zu Gnaden.
Was? — Was iſt
das?
Das war nur
ſo meine Meynung, Herr — Halten zu Gnaden.
Ha Spizbube! In's
Zuchthaus ſpricht dich deine vermeſſene Meynung —
Fort! Man ſoll Gerichtsdiener hohlen
Gefolg gehen ab; Der Praͤſident rennt voll Wut durch
das Zimmer)
Vater ins Zuchthaus — an den Pran-
ger, Mutter und Maͤtze von Tochter! — Die Ge-
rechtigkeit ſoll meiner Wut ihre Arme borgen. Fuͤr
dieſen Schimpf muß ich ſchrekliche Genugthuung ha-
ben — Ein ſolches Geſindel ſolte meine Plane zer-
ſchlagen,
[65] ſchlagen, und ungeſtraft Vater und Sohn aneinan-
der hezen? — Ha Verfluchte! Ich will meinen
Haß an eurem Untergang ſaͤttigen, die ganze Brut,
Vater, Mutter und Tochter, will ich meiner bren-
nenden Rache opfern.
hin)
O nicht doch! Seyd auſſer Furcht! Ich bin
zugegen
Keine
Uebereilung mein Vater! Wenn Sie ſich ſelbſt
lieben, keine Gewalthaͤtigkeit — Es gibt eine Ge-
gend in meinem Herzen, worinn das Wort Vater
noch nie gehoͤrt worden iſt — Dringen Sie nicht
bis in dieſe.
Nichtswuͤrdiger! Schweig! Reize
meinen Grimm nicht noch mehr.
ſich ſelbſt)
Schau du nach deinem Kinde, Frau.
Ich laufe zum Herzog. Der Leibſchneider — das
hat mir Gott eingeblaſen! — Der Leibſchneider
lernt die Floͤte bei mir. Es kann mir nicht fehlen
beim Herzog
Beim Herzog ſagſt du? — Haſt
du vergeſſen, daß ich die Schwelle bin, woruͤber
du ſpringen oder den Hals brechen muſt? — Beim
Herzog du Dummkopf? — Verſuch' es, wenn du,
lebendig todt, eine Thurmhoͤhe tief, unter dem Bo-
den im Kerker liegſt, wo die Nacht mit der Hoͤlle
liebaͤugelt, und Schall und Licht wieder umkehren,
Eraßle
[66] raßle dann mit deinen Ketten und wimmre:
Mir iſt zuviel geſchehen!
Siebente Szene.
todt in den Arm faͤllt)
Louiſe! Hilfe! Rettung! Der
Schreken uͤberwaͤltigte ſie.
Hut auf, und macht ſich zum Angriff gefaßt.)
entbloͤßend)
Legt Hand an im Namen des Herzogs —
Weg von der Maͤze, Junge — Ohnmaͤchtig oder
nicht — Wenn ſie nur erſt das eiſerne Halsband
um hat, wird man ſie ſchon mit Steinwuͤrfen auf-
weken.
Erbarmung Ihro Exzellenz! Erbarmung!
Erbarmung!
Knie
vor Gott alte Heulhure, und nicht vor — — Schel-
men, weil ich ja doch ſchon ins Zuchthaus muß.
Du kannſt dich
verrechnen, Bube. Es ſtehen noch Galgen leer
Muß ich es noch einmal
ſagen?
vor
[67] vor ſie, grimmig)
Wer will was?
gen ſammt der Scheide, und wehrt ſich mit dem Gefaͤß)
Wag es, ſie anzuruͤhren, wer nicht auch die Hirn-
ſchale an die Gerichte vermiethet hat
Schonen Sie Ihrer ſelbſt. Treiben Sie mich nicht
weiter mein Vater.
Wenn euch euer Brod lieb iſt, Memmen —
Tod und alle Teufel! Ich ſage:
Zuruͤk — Noch einmal. Haben Sie Erbarmen mit
ſich ſelbſt. Treiben Sie mich nicht aufs aͤuſerſte,
Vater.
Iſt das euer Dienſteifer, Schurken?
Wenn es denn ſeyn muß
den Degen zieht, und einige von denſelben verwundet)
ſo verzeih mir, Gerechtigkeit!
Ich will doch ſehen,
ob auch ich dieſen Degen fuͤhle
zerrt ſie in die Hoͤh und uͤbergibt ſie einem Gerichtsknecht)
Vater, Vater,
Sie machen hier ein beiſſendes Pasquill auf die
Gottheit, die ſich ſo uͤbel auf ihre Leute verſtund,
und aus vollkommenen Henkersknech-
ten ſchlechte Miniſter machte.
Fort mit ihr!
E 2Ferdin.
[68]
Vater, ſie ſoll an den Pranger
ſtehn, aber mit dem Major, des Praͤſidenten Sohn
— Beſtehen Sie noch darauf?
Deſto poßierlicher wird das Spekta-
kel — Fort!
Vater! ich werfe meinen Offiziers-
Degen auf das Maͤdchen — Beſtehen Sie noch
darauf?
Das Port d'Epee iſt an Deiner
Seite des Prangerſtehens gewohnt worden — Fort!
Fort! Ihr wißt meinen Willen.
Louiſen mit einem Arm, mit dem andern zuͤkt er den
Degen auf ſie)
Vater! Eh Sie meine Gemahlin be-
ſchimpfen, durchſtoß ich ſie — Beſtehen Sie noch
darauf?
Thu es, wenn deine Klinge auch
ſpizig iſt.
terlich zum Himmel)
Du Allmaͤchtiger biſt Zeuge!
Kein menſchliches Mittel lies ich unverſucht — ich
muß zu einem teufliſchen ſchreiten — Ihr fuͤhrt ſie
zum Pranger fort, unterdeſſen
Ohr rufend)
erzaͤhl' ich der Reſidenz eine Geſchichte,
wie man Praͤſident wird
Was iſt das?
— Ferdinand — Laßt ſie ledig
nach)
[69]
Dritter Akt.
Erſte Szene.
Der Streich war verwuͤnſcht.
Wie ich befuͤrchtete gnaͤdiger Herr.
Zwang erbittert die Schwaͤrmer immer, aber be-
kehrt ſie nie.
Ich hatte mein beſtes Vertrauen in
dieſen Anſchlag geſezt. Ich urtheilte ſo: Wenn das
Maͤdchen beſchimpft wird, muß er, als Offizier,
zuruͤktreten.
Ganz vortreflich. Aber zum Be-
ſchimpfen haͤtt' es auch kommen ſollen.
Und doch — wenn ich es jezt mit
kaltem Blut uͤberdenke — Ich haͤtte mich nicht ſollen
eintreiben laſſen. Es war eine Drohung, woraus
er wol nimmermehr Ernſt gemacht haͤtte.
Das denken Sie ja nicht. Der gereiz-
ten Leidenſchaft iſt keine Thorheit zu bunt. Sie ſa-
gen mir, der Herr Major habe immer den Kopf zu
ihrer Regierung geſchuͤttelt. Ich glaubs. Die
Grundſaͤze, die er aus Akademien hieherbrachte,
wollten mir gleich nicht recht einleuchten. Was ſol-
E 3ten
[70] ten auch die fantaſtiſchen Traͤumereien von Seelen-
groͤße und perſoͤnlichem Adel an einem Hof, wo die
groͤſte Weisheit diejenige iſt, im rechten Tempo, auf
eine geſchikte Art, Gros und Klein zu ſeyn. Er iſt
zu jung und zu feurig, um Geſchmak am langſamen
krummen Gang der Kabale zu finden, und nichts
wird ſeine Ambizion in Bewegung ſezen, als was
gros iſt und abenteuerlich.
Aber was wird dieſe
wohlweiſe Anmerkung an unſerm Handel verbeſſern?
Sie wird Ewr. Exzellenz auf die Wun-
de hin weiſen, und auch vielleicht auf den Verband.
Einen ſolchen Karakter — erlauben Sie — haͤtte
man entweder nie zum Vertrauten, oder niemals
zum Feind machen ſollen. Er verabſcheut das Mit-
tel, wodurch Sie geſtiegen ſind. Vielleicht war es
bis jezt nur der Sohn, der die Zunge des Verraͤ-
thers band. Geben Sie ihm Gelegenheit, jenen
rechtmaͤßig abzuſchuͤtteln. Machen Sie ihn durch wie-
derholte Stuͤrme auf ſeine Leidenſchaft glauben,
daß Sie der zaͤrtliche Vater nicht ſind, ſo dringen
die Pflichten des Patrioten bei ihm vor. Ja, ſchon
allein die ſeltſame Phantaſie, der Gerechtigkeit ein
ſo merkwuͤrdiges Opfer zu bringen, koͤnnte Reiz ge-
nug fuͤr ihn haben, ſelbſt ſeinen Vater zu ſtuͤrzen.
Wurm — Wurm — Er fuͤhrt mich
da vor einen entſezlichen Abgrund.
Ich will Sie zuruͤkfuͤhren, gnaͤdiger
Herr. Darf ich freymuͤtig reden?
Praͤſident.
[71]
Wie ein
Verdammter zum Mitverdammten.
Alſo verzeihen Sie — Sie haben,
duͤnkt mich, der biegſamen Hofkunſt den ganzen
Praͤſidenten zu danken, warum vertrauten Sie ihr
nicht auch den Vater an? Ich beſinne mich, mit
welcher Offenheit Sie ihren Vorgaͤnger damals zu
einer Partie Piquet beredeten, und bey ihm die hal-
be Nacht mit freundſchaftlichem Burgunder hinweg-
ſchwemmten, und das war doch die naͤmliche Nacht
wo die groſe Mine losgehen, und den guten Mann
in die Luft blaſen ſolte — Warum zeigten Sie ih-
rem Sohne den Feind? Nimmermehr haͤtte dieſer
erfahren ſollen, daß ich um ſeine Liebesangelegenheit
wiſſe. Sie haͤtten den Roman von Seiten des
Maͤdchens unterhoͤlt, und das Herz ihres Sohnes
behalten. Sie haͤtten den klugen General geſpielt,
der den Feind nicht am Kern ſeiner Truppen faßt,
ſondern Spaltungen unter den Gliedern ſtiftet.
Wie war das zu machen?
Auf die einfachſte Art — und die
Karten ſind noch nicht ganz vergeben. Unterdruͤken
Sie eine Zeitlang, daß Sie Vater ſind. Meſſen
Sie ſich mit einer Leidenſchaft nicht, die jeder Wi-
ſtand nur maͤchtiger machte — Ueberlaſſen Sie es
mir, an ihrem eigenen Feuer den Wurm auszubruͤ-
ten, der ſie zerfrißt.
Ich bin begierig.
E 4Wurm.
[72]
Ich muͤßte mich ſchlecht auf den Baro-
meter der Seele verſtehen, oder der Herr Major iſt
in der Eiferſucht ſchreklich, wie in der Liebe. Ma-
chen Sie ihm das Maͤdchen verdaͤchtig — — Wahr-
ſcheinlich oder nicht. Ein Gran Hefe reicht hin,
die ganze Maſſe in eine zerſtoͤrende Gaͤhrung zu jagen.
Aber woher dieſen Gran nehmen?
Da ſind wir auf dem Punkt — Vor
allen Dingen, gnaͤdiger Herr, erklaͤren Sie ſich mir,
wie viel Sie bei der fernern Weigerung des Majors
auf dem Spiel haben — in welchem Grade es ih-
nen wichtig iſt, den Roman mit dem Buͤrgermaͤd-
chen zu endigen, und die Verbindung mit Lady
Milford zu Stand zu bringen?
Kann er noch fragen Wurm? —
Mein ganzer Einfluß iſt in Gefahr, wenn die Par-
thie mit der Lady zuruͤkgeht, und wenn ich den Ma-
jor zwinge, mein Hals.
Jezt haben Sie die Gnade
und hoͤren. — Den Herrn Major umſpinnen wir
mit Liſt. Gegen das Maͤdchen nehmen wir ihre
ganze Gewalt zu Hilfe.Wir diktieren ihr
ein Billetdoux an eine dritte Perſon
in die Feder, und ſpielen das mit gu-
ter Art dem Major in die Haͤnde.
Toller Einfall! Als ob Sie ſich ſo
geſchwind hin bequemen wuͤrde, ihr eigenes Todesur-
theil zu ſchreiben?
Wurm.
[73]
Sie muß, wenn Sie mir freie Hand
laſſen wollen. Ich kenne das gute Herz auf und
nieder. Sie hat nicht mehr als zwo toͤdliche Sei-
ten, durch welche wir ihr Gewiſſen beſtuͤrmen koͤn-
nen — ihren Vater und den Major. Der leztere
bleibt ganz und gar aus dem Spiel, deſto freier
koͤnnen wir mit dem Muſikanten umſpringen.
Als zum Exempel?
Nach dem, was Ewr. Exzellenz mir
von dem Auftritt in ſeinem Hauſe geſagt haben,
wird nichts leichter ſeyn, als den Vater mit einen
Halsprozeß zu bedrohen. Die Perſon des Guͤnſt-
lings und Siegelbewahrers iſt gewiſſermaſen der
Schatten der Majeſtaͤt — Beleidigungen gegen je-
nen ſind Verlezungen dieſer — Wenigſtens will ich
den armen Schaͤcher mit dieſem zuſammengeflikten
Kobold durch ein Nadeloͤhr jagen.
Doch — ernſthaft duͤrfte der Han-
del nicht werden.
Ganz und gar nicht — Nur in ſo weit
als es noͤtig iſt, die Familie in die Klemme zu trei-
ben — Wir ſezen alſo in aller Stille den Muſikus
feſt — Die Noth um ſo dringender zu machen, koͤnn-
te man auch die Mutter mitnehmen, — ſprechen von
peinlicher Anklage, von Schaffot, von ewiger Ve-
ſtung, und machen den Brief der Tochter zur ein-
zigen Bedingniß ſeiner Befreiung.
Gut! Gut! Ich verſtehe.
E 5Wurm.
[74]
Sie liebt ihren Vater — bis zur Lei-
denſchaft moͤcht ich ſagen. Die Gefahr ſeines Le-
bens — ſeiner Freiheit zum mindeſten — Die Vor-
wuͤrfe ihres Gewiſſens den Anlaß dazu gegeben zu
haben — Die Unmoͤglichkeit, den Major zu beſi-
zen — endlich die Betaͤubung ihres Kopfs, die ich
auf mich nehme — Es kann nicht fehlen — Sie
muß in die Falle gehn.
Aber mein Sohn? Wird der nicht
auf der Stelle Wind davon haben? Wird er nicht
wuͤtender werden?
Das laſſen Sie meine Sorge ſeyn,
gnaͤdiger Herr — Vater und Mutter werden nicht
eher frei gelaſſen, bis die ganze Familie einen koͤr-
perlichen Eid darauf abgelegt, den ganzen Vorgang
geheim zu halten, und den Betrug zu beſtaͤtigen.
Einen Eid? Was wird ein Eid
fruchten, Dummkopf?
Nichts bei uns gnaͤdiger Herr. Bei
dieſer Menſchenart alles — Und ſehen Sie nun,
wie ſchoͤn wir beide auf dieſe Manier zum Ziel kom-
men werden — Das Maͤdchen verliert die Liebe
des Majors, und den Ruf ihrer Tugend. Vater
und Mutter ziehen gelindere Saiten auf, und durch
und durch weich gemacht von Schikſalen dieſer Art,
erkennen ſie's noch zulezt fuͤr Erbarmung, wenn ich
der Tochter durch meine Hand ihre Reputation wie-
der gebe.
Praͤſident.
[75]
Ja! ich
gebe mich dir uͤberwunden, Schurke. Das Geweb
iſt ſataniſch fein. Der Schuͤler uͤbertrift ſeinen Mei-
ſter — — Nun iſt die Frage, an Wen das Billet
muß gerichtet werden? Mit Wem wir ſie in Ver-
dacht bringen muͤßen?
Nothwendig mit jemand, der durch
den Entſchluß Ihres Sohnes alles gewinnen oder alles
verlieren muß.
Ich weiß
nur den Hofmarſchall.
Mein Geſchmak waͤr
er nun freilich nicht, wenn ich Louiſe Millerin hieße.
Und warum nicht? Wunderlich!
Eine blendende Garderobe — eine Atmosphaͤre von
Eau de mille fleurs und Biſam — auf jedes alberne
Wort eine Handvoll Dukaten — und alles das ſolte
die Delikateſſe einer buͤrgerlichen Dirne nicht endlich
beſtechen koͤnnen? — O guter Freund. So ſcrupuloͤs
iſt die Eiferſucht nicht. Ich ſchike zum Marſchall.
Unterdeſſen, daß Ewr Exzellenz die-
ſes, und die Gefangennehmung des Geigers beſor-
gen, werd ich hingehen, und den bewußten Liebes-
brief aufſezen.
Den er
mir zum Durchleſen heraufbringt, ſobald er zu
Stand ſeyn wird.
ſich
[76] ſich zu ſchreiben; ein Kammerdiener kommt; er ſteht auf,
und gibt ihm ein Papier)
Dieſer Verhaftsbefehl muß
ohne Aufſchub in die Gerichte — ein andrer von euch
wird den Hofmarſchall zu mir bitten.
Der gnaͤdige Herr ſind ſo
eben hier angefahren.
Noch beſſer — Aber die Anſtalten
ſollen mit Vorſicht getroffen werden, ſagt ihr, daß
kein Aufſtand erfolgt.
Sehr wol, Ihr' Exzellenz.
Verſteht ihr? Ganz in der Stille.
Ganz gut, Ihr' Exzellenz.
Zweite Szene.
Nur en paffant mein
Beſter — Wie leben Sie? Wie befinden Sie ſich? —
Heute Abend iſt große Opera Dido — das ſuͤperbeſte
Feuerwerk — eine ganze Stadt brennt zuſammen —
Sie ſehen ſie doch auch brennen? Was?
Ich habe Feuerwerks genug in mei-
nem eigenen Hause, das meine ganze Herrlichkeit in
die Luft nimmt — Sie kommen erwuͤnſcht, lieber
Marſchall, mir in einer Sache zu rathen, thaͤtig
zu helfen, die uns beide poußiert oder voͤllig zu
Grund richtet. Sezen Sie ſich.
Machen Sie mir nicht Angſt,
mein Suͤßer.
Praͤſident.
[77]
Wie geſagt — poußiert oder ganz
zu Grund richtet. Sie wiſſen mein Projekt mit dem
Major und der Lady. Sie begreifen auch, wie un-
entbehrlich es war, unſer beider Gluͤk zu fixieren.
Es kann alles zuſammenfallen Kalb. Mein Ferdi-
nand will nicht.
Will nicht — will nicht — ich
habs ja in der ganzen Stadt ſchon herumgeſagt.
Die Mariage iſt ja in Jedermanns Munde.
Sie koͤnnen vor der ganzen Stadt
als Windmacher da ſtehen. Er liebt eine andere.
Sie ſcherzen. Iſt das auch wol
ein Hinderniß?
Bei dem Trozkopf das unuͤberwind-
lichſte.
Er ſollte ſo wahnſinnig ſeyn,
und ſein Fortune von ſich ſtoßen? Was?
Fragen Sie ihn das und hoͤren Sie,
was er antwortet.
Aber mon Dieu! Was kann er
denn antworten?
Daß er der ganzen Welt das Ver-
brechen entdeken wolle, wodurch wir geſtiegen ſind
— daß er unſere falſchen Briefe und Quittungen an-
geben — daß er uns beide an's Meſſer liefern wolle
— Das kann er antworten.
Sind Sie von Sinnen?
Das hat er geantwortet. Das war
er ſchon Willens ins Werk zu richten — Davon hab
ich
[78] ich ihn kaum noch durch meine hoͤchſte Erniedrigung
abgebracht. Was wiſſen Sie hierauf zu ſagen?
Mein
Verſtand ſteht ſtill.
Das koͤnnte noch hingehen. Aber
zugleich hinterbringen mir meine Spionen, daß der
Oberſchenk von Bok auf dem Sprunge ſei, um die
Lady zu werben.
Sie machen mich raſend. Wer
ſagen Sie? Von Bok ſagen Sie? — Wiſſen Sie
denn auch, daß wir Todfeinde zuſammen ſind? Wiſ-
ſen Sie auch, warum wir es ſind?
Das erſte Wort, das ich hoͤre.
Beſter! Sie werden hoͤren und
aus der Haut werden Sie fahren — Wenn Sie ſich
noch des Hofballs entſinnen — — es geht jezt ins
ein und zwanzigſte Jahr — wiſſen Sie, worauf
man den erſten Engliſchen tanzte, und dem Grafen
von Meerſchaum das heiße Wachs von einem Kron-
leuchter auf den Domino troͤpfelte — Ach Gott! das
muͤßen Sie freilich noch wiſſen!
Wer koͤnnte ſo was vergeſſen?
Sehen Sie! Da hatte Prinzeſ-
ſin Amalie in der Hize des Tanzes ein Strumpf-
band verloren. — Alles kommt, wie begreiflich iſt,
in Allarm — von Bok und Ich — Wir waren noch
Kammerjunker — wir kriechen durch den ganzen Re-
doutenſaal, das Strumpfband zu ſuchen — endlich
erblik Ichs — von Bok merkts — von Bok darauf
zu
[79] zu — reißt es mir aus den Haͤnden — ich bitte Sie!
— bringts der Prinzeßin und ſchnappt mir gluͤklich
das Kompliment weg — Was denken Sie?
Impertinent!
Schnappt mir das Kompliment
weg — Ich meyne in Ohnmacht zu ſinken. Eine
ſolche Malice iſt gar nicht erlebt worden. — Endlich
ermann ich mich, naͤhere mich Ihrer Durchlaucht
und ſpreche: Gnaͤdigſte Frau! von Bok war ſo
gluͤklich, Hoͤchſtdenenſelben das Strumpfband zu
uͤberreichen, aber wer das Strumpfband zuerſt er-
blikte, belohnt ſich in der Stille und ſchweigt.
Bravo Marſchall! Braviſſimo!
Und ſchweigt — Aber ich werds
dem von Bok bis zum juͤngſten Gerichte noch nach-
tragen — der niedertraͤchtige kriechende Schmeichler!
— und das war noch nicht genug — Wie wir beide
zugleich auf das Strumpfband zu Boden fallen,
wiſcht mir von Bok an der rechten Friſur allen Pu-
der weg, und ich bin ruiniert auf den ganzen Ball.
Das iſt der Mann, der die Mil-
ford heuraten, und die erſte Perſon am Hof wer-
den wird.
Sie ſtoßen mir ein Meſſer ins
Herz. Wird? Wird? Warum wird er? Wo iſt die
Notwendigkeit?
Weil mein Ferdinand nicht will,
und ſonſt keiner ſich meldet.
Hofmarſchall.
[80]
Aber wiſſen Sie denn gar kein
einziges Mittel, den Major zum Entſchluß zu brin-
gen? — — Seys auch noch ſo biſarr! ſo verzwei-
felt! — Was in der Welt kann ſo widrig ſeyn, das
uns jezt nicht willkommen waͤre, den verhaßten von
Bok auszuſtechen?
Ich weiß nur eines, und das bei
Ihnen ſteht.
Bei mir ſteht? Und das iſt?
Den Major mit ſeiner Geliebten zu
entzweyen.
Zu entzweyen? Wie meynen
Sie das? — und wie mach ich das?
Alles iſt gewonnen, ſobald wir ihm
das Maͤdchen verdaͤchtig machen.
Daß ſie ſtehle, meynen Sie?
Ach Nein doch! Wie glaubte er
das? — daß ſie es noch mit einem andern habe.
Dieſer andre?
Muͤßten Sie ſeyn, Baron.
Ich ſeyn? Ich? — Iſt ſie von
Adel?
Wozu das? Welcher Einfall! —
eines Muſikanten Tochter.
Buͤrgerlich alſo? Das wird nicht
angehen. Was?
Was wird nicht angehen? Narrens-
poſſen! Wem unter der Sonne wird es einfallen,
ein
[81] einfallen, ein paar runde Wangen nach dem Stamm-
baum zu fragen?
Aber bedenken Sie doch, ein
Ehmann! Und meine Reputazion bei Hofe!
Das iſt was anders. Verzeihen
Sie. Ich hab das noch nicht gewußt, daß Ihnen
der Mann von unbeſcholtenen Sitten mehr iſt als
der von Einfluß. Wollen wir abbrechen?
Seien Sie klug Baron. Es
war ja nicht ſo verſtanden.
Nein — nein! Sie haben
vollkommen recht. Ich bin es auch muͤde. Ich laſſe
den Karren ſtehen. Dem von Bok wuͤnſch ich Gluͤk
zum Premierminiſter. Die Welt iſt noch anderswo.
Ich fodre meine Entlaſſung vom Herzog.
Und Ich: — Sie haben gut
ſchwazen, Sie! Sie ſind ein Stuttierter! Aber Ich:
— Mon Dieu! Was bin dann ich, wenn mich Sei-
ne Durchleucht entlaſſen?
Ein Bonmot von Vorgeſtern. Die
Mode vom vorigen Jahr.
Ich beſchwoͤre Sie, Theurer,
Goldner! — Erſtiken Sie dieſen Gedanken! Ich
will mir ja alles gefallen laſſen.
Wollen Sie ihren Namen zu einem
Rendezvous hergeben, den Ihnen dieſe Millerin
ſchriftlich vorſchlagen ſoll?
Im Namen Gottes! Ich will
ihn hergeben.
FPraͤſi-
[82]
Und den Brief irgend wo heraus-
fallen laßen, wo er dem Major zu Geſicht kom-
men muß.
Zum Exempel auf der Parade
will ich ihn als von Ohngefehr, mit dem Schnupf-
tuch herausſchleudern?
Und die Rolle ihres Liebhabers ge-
gen den Major behaupten?
Mort de ma vie! Ich will ihn
ſchon waſchen! Ich will dem Naſeweis den Appetit
nach meinen Amouren verleiden.
Nun gehts nach Wunſch. Der
Brief mus noch heute geſchrieben ſeyn. Sie muͤſſen
vor Abend noch her kommen, ihn abzuholen, und
ihre Rolle mit mir zu berichtigen.
Sobald ich ſechszehn Viſiten
werde gegeben haben, die von allerhoͤchſter Impor-
tance ſind. Verzeihen Sie alſo, wenn ich mich oh-
ne Aufſchub beurlaube
Ich zaͤle auf Ihre Ver-
ſchlagenheit, Marſchall.
Ah mon Dieu!
Sie kennen mich ja.
Drit-
[83]
Dritte Szene.
Der Geiger und ſeine Frau ſind gluͤk-
lich und ohne alles Geraͤuſch in Verhaft gebracht.
Wollen Ewr. Exzellenz jezt den Brief uͤberleſen?
Herrlich! Herrlich
Sekretair! Auch der Marſchall hat angebiſſen! — Ein
Gift, wie das muͤßte die Geſundheit ſelbſt in eiternden
Auſſaz verwandeln — Nun gleich mit den Vorſchlaͤ-
gen zum Vater, und dann warm zu der Tochter.
Vierte Szene.
Ich bitte dich, hoͤre auf. Ich glaube
an keine gluͤkliche Tage mehr. Alle meine Hoffnun-
gen ſind geſunken.
So ſind die meinigen geſtiegen.
Mein Vater iſt aufgereizt. Mein Vater wird alle
Geſchuͤze gegen uns richten. Er wird mich zwingen,
den unmenſchlichen Sohn zu machen. Ich ſtehe
nicht mehr fuͤr meine kindliche Pflicht. Wut und
Verzweiflung werden mir das ſchwarze Geheimniß
ſeiner Mordthat erpreſſen. Der Sohn wird den
Vater in die Haͤnde des Henkers liefern — Es iſt
F 2die
[84] die hoͤchſte Gefahr — — und die hoͤchſte Gefahr
mußte da ſeyn, wenn meine Liebe den Rieſenſprung
wagen ſolte. — — Hoͤre Louiſe — ein Gedanke,
gros und vermeſſen wie meine Leidenſchaft draͤngt
ſich vor meine Seele — Du Louiſe und ich und die
Liebe! — Liegt nicht in dieſem Zirkel der ganze
Himmel? oder brauchſt du noch etwas Viertes
dazu?
Brich ab. Nichts mehr. Ich erblaſ-
ſe uͤber das, was du ſagen wilſt.
Haben wir an die Welt keine Fo-
derung mehr, warum denn ihren Beifall erbetteln?
Warum wagen, wo nichts gewonnen wird und al-
les verloren werden kann? — Wird dieſes Aug
nicht eben ſo ſchmelzend funkeln, ob es im Rhein
oder in der Elbe ſich ſpiegelt oder im baltiſchen
Meer? Mein Vaterland iſt, wo mich Louiſe liebt.
Deine Fußtapfe in wilden ſandigten Wuͤſten mir in-
tereſſanter, als das Muͤnſter in meiner Heimat —
Werden wir die Pracht der Staͤdte vermiſſen? Wo
wir ſeyn moͤgen, Louiſe, geht eine Sonne auf, eine
unter — Schauſpiele, neben welchen der uͤppigſte
Schwung der Kuͤnſte verblaßt. Werden wir Gott
in keinem Tempel mehr dienen, ſo ziehet die Nacht
mit begeiſternden Schauern auf, der wechſelnde
Mond predigt uns Buße, und eine andaͤchtige Kir-
che von Sternen betet mit uns. Werden wir uns
in Geſpraͤchen der Liebe erſchoͤpfen? — Ein Laͤcheln
meiner Louiſe iſt Stoff fuͤr Jahrhunderte, und der
Traum
[85] Traum des Lebens iſt aus, bis ich dieſe Traͤne er-
gruͤnde.
Und haͤtteſt du ſonſt keine Pflicht mehr,
als deine Liebe?
Deine Ruhe iſt
meine heiligſte.
So ſchweig und verlaß
mich — Ich habe einen Vater, der kein Vermoͤgen
hat, als dieſe einzige Tochter — der morgen ſechzig
alt wird — der der Rache des Praͤſidenten gewiß
iſt. —
Der uns begleiten
wird. Darum keinen Einwurf mehr, Liebe. Ich
gehe, mache meine Koſtbarkeiten zu Geld, erhebe
Summen auf meinen Vater. Es iſt erlaubt einen
Raͤuber zu pluͤndern, und ſind ſeine Schaͤze nicht
Blutgeld des Vaterlands? — Schlag ein Uhr
um Mitternacht wird ein Wagen hier anfahren. Ihr
werft euch hinein. Wir fliehen.
Und der Fluch deines Vaters uns
nach? — ein Fluch Unbeſonnene, den auch Moͤr-
der nie ohne Erhoͤrung ausſprechen, den die Rache
des Himmels auch dem Dieb auf dem Rade haͤlt,
der uns Fluͤchtlinge, unbarmherzig, wie ein Ge-
ſpenſt, von Meer zu Meer jagen wuͤrde? — Nein
mein Geliebter! Wenn nur ein Frevel dich mir er-
halten kann, ſo hab ich noch Staͤrke, dich zu ver-
lieren.
F 3Ferdinand.
[86]
Wirk-
lich?
Verlieren! — O ohne Graͤnzen
entſezlich iſt der Gedanke — Graͤßlich genug, den
unſterblichen Geiſt zu durchboren, und die gluͤende
Wange der Freude zu bleichen — Ferdinand! dich
zu verlieren! — Doch! Man verliert ja nur, was
man beſeſſen hat, und dein Herz gehoͤrt deinem
Stande — Mein Anſpruch war Kirchenraub, und
ſchauernd geb ich ihn auf.
terlippe nagend)
Gibſt du ihn auf.
Nein! Sieh mich an lieber Walter.
Nicht ſo bitter die Zaͤhne geknirrſcht. Komm! Laß
mich jezt deinen ſterbenden Mut durch mein Beiſpiel
beleben. Laß mich die Heldin dieſes Augenbliks
ſeyn — einem Vater den entflohenen Sohn wieder
ſchenken — einem Buͤndniß entſagen, das die Fu-
gen der Buͤrgerwelt auseinander treiben, und die
allgemeine ewige Ordnung zu Grund ſtuͤrzen wuͤrde
— Ich bin die Verbrecherin — mit frechen thoͤ-
rigten Wuͤnſchen hat ſich mein Buſen getragen —
mein Ungluͤk iſt meine Strafe, ſo laß mir doch
jezt die ſuͤße ſchmeichelnde Taͤuſchung, daß es mein
Opfer war — Wirſt du mir dieſe Wolluſt mis-
goͤnnen?
Violine ergriffen, und auf derſelben zu ſpielen verſucht
— Jezt zerreißt er die Saiten, zerſchmettert das Inſtru-
ment
[87] ment auf dem Boden, und bricht in ein lautes Gelaͤch-
ter aus.)
Walter! Gott im Himmel! Was ſoll
das? — Ermanne dich. Faſſung verlangt dieſe
Stunde — es iſt eine trennende. Du haſt ein
Herz, lieber Walter. Ich kenne es. Warm wie
das Leben iſt deine Liebe, und ohne Schranken,
wie's Unermeßliche — Schenke ſie einer Edeln und
Wuͤrdigern — ſie wird die gluͤklichſten ihres Ge-
ſchlechts nicht beneiden — —
mich ſolſt du nicht mehr ſehn — Das eitle betroge-
ne Maͤdchen verweine ſeinen Gram in einſamen
Mauren, um ſeine Traͤnen wird ſich niemand be-
kuͤmmern — Leer und erſtorben iſt meine Zukunft
— Doch werd ich noch je und je am verwelkten
Strauß der Vergangenheit riechen
abgewandten Geſicht ihre zitternde Hand gibt)
Leben
Sie wol Herr von Walter.
Ich entfliehe, Louiſe. Wirſt du mir wirklich nicht
folgen?
niedergeſezt, und haͤlt das Geſicht mit beiden Haͤnden be-
dekt)
Meine Pflicht heißt mich bleiben und dulden.
Schlange, du luͤgſt. Dich feſſelt
was anders hier.
Bleiben Sie bei dieſer Vermutung — ſie macht viel-
leicht weniger elend.
F 4Ferdinand.
[88]
Kalte Pflicht gegen feurige Liebe!
— Und mich ſoll das Maͤrchen blenden? — Ein
Liebhaber feſſelt dich, und Weh uͤber dich und ihn,
wenn mein Verdacht ſich beſtaͤtigt
Fuͤnfte Szene.
ſtumm in dem Seſſel liegen, endlich ſteht ſie auf,
kommt vorwaͤrts, und ſieht furchtſam herum.)
Wo meine Eltern bleiben? — Mein Vater
verſprach in wenigen Minuten zuruͤk zu ſeyn, und
ſchon ſind fuͤnf volle fuͤrchterliche Stunden voruͤber
— Wenn ihm ein Unfall — Wie wird mir? —
Warum geht mein Odem ſo aͤngſtlich?
tergrund ſtehen, ohne von ihr bemerkt zu werden)
Es iſt nichts wirkliches — Es iſt nichts als das
ſchaudernde Gaukelſpiel des erhizten Gebluͤts — Hat
unſre Seele nur einmal Entſezen genug in ſich ge-
trunken, ſo wird das Aug in jedem Winkel Ge-
ſpenſter ſehn.
Sechste Szene.
Guten Abend Jung-
fer.
Louiſe.
[89]
Gott! Wer ſpricht da?
um, wird den Sekretair gewahr, und tritt erſchroken zu-
ruͤk)
Schreklich! Schreklich! Meiner aͤngſtlichen
Ahndung eilt ſchon die ungluͤkſeligſte Erfuͤllung nach!
Su-
chen Sie etwa den Praͤſidenten? Er iſt nicht mehr
da.
Jungfer, ich ſuche Sie.
So muß ich mich wundern, daß Sie
nicht nach dem Marktplaz giengen.
Warum eben dahin?
Ihre Braut von der Schandbuͤhne ab-
zuholen.
Mamſell Millerin, Sie haben einen
falſchen Verdacht —
Was ſteht Ih-
nen zu Dienſten?
Ich komme, geſchikt von Ihrem Va-
ter.
Von meinem Vater? — Wo
iſt mein Vater?
Wo er nicht gern iſt.
Um Gotteswillen! Geſchwind! Mich
befaͤllt eine uͤble Ahndung — Wo iſt mein Vater?
Im Thurm, wenn Sie es ja wiſſen
wollen.
Das
noch! das auch noch! — — Im Thurm? Und
warum im Thurm?
F 5Wurm.
[90]
Auf Befehl des Herzogs.
Des Herzogs?
Der die Verlezung der Majeſtaͤt in der
Perſon ſeines Stellvertreters —
Was? Was? O ewige Allmacht!
Auffallend zu ahnden beſchloſſen hat.
Das war noch uͤbrig! Das! — frei-
lich, freilich, mein Herz hatte noch außer dem Ma-
jor etwas theures — Das durfte nicht uͤbergangen
werden — Verlezung der Majeſtaͤt — Himmliſche
Vorſicht! Rette, o rette meinen ſinkenden Glauben!
— und Ferdinand?
Waͤlt Lady Milford oder Fluch und
Enterbung.
Entſezliche Freiheit! — und doch —
doch iſt er gluͤklicher. Er hat keinen Vater zu ver-
lieren. Zwar keinen haben iſt Verdammniß ge-
nug! — Mein Vater auf Verlezung der Majeſtaͤt
— mein Geliebter die Lady oder Fluch und Enter-
bung — Warlich bewundernswerth! Eine vollkom-
mene Buͤberei iſt auch eine Vollkommenheit — Voll-
kommenheit? Nein! dazu fehlte noch etwas — —
Wo iſt meine Mutter?
Im Spinnhaus.
Jezt iſt es
voͤllig! — voͤllig, und jezt waͤr ich ja frei — Abge-
ſchaͤlt von allen Pflichten — und Traͤnen — und
Freuden. Abgeſchaͤlt von der Vorſicht. Ich brauch
ſie
[91] ſie ja nicht mehr —
Ha-
ben Sie vielleicht noch eine Zeitung? Reden Sie
immerhin. Jezt kann ich alles hoͤren.
Was geſchehen iſt, wiſſen Sie.
Alſo nicht, was noch kommen wird?
unten anſieht)
Armer Menſch! Du treibſt ein trauri-
ges Handwerk, wobei du ohnmoͤglich ſeelig werden
kannſt. Ungluͤkliche machen iſt ſchon ſchreklich ge-
nug, aber graͤßlich iſts, es ihnen verkuͤndigen —
Ihn vorzuſingen den Eulengeſang, dabei zu ſtehn,
wenn das blutende Herz am eiſernen Schaft der
Nothwendigkeit zittert, und Chriſten an Gott
zweifeln. — Der Himmel bewahre mich! und wuͤr-
de dir jeder Angſttropfe, den du fallen ſiehſt, mit
einer Tonne Golds aufgewogen — ich moͤchte nicht
Du ſeyn — — Was kann noch geſchehen?
Ich weiß nicht.
Sie wollen nicht wiſſen? — Dieſe
lichtſcheue Bothſchaft fuͤrchtet das Geraͤuſch der Wor-
te, aber in der Grabſtille Ihres Geſichts zeigt ſich
mir das Geſpenſt — Was iſt noch uͤbrig — Sie
ſagten vorhin, der Herzog wolle es auffallend ahn-
den? Was nennen Sie auffallend?
Fragen Sie nichts mehr.
Hoͤre Menſch! Du giengſt beim Henker
zur Schule. Wie verſtuͤndeſt du ſonſt, das Eiſen
erſt langſam-bedaͤchtlich an den knirrſchenden Gelen-
ken
[92] ken hinaufzufuͤhren, und das zukende Herz mit dem
Streich der Erbarmung zu neken? — Welches
Schikſal wartet auf meinen Vater? — Es iſt Tod
in dem, was du lachend ſagſt, wie mag das ausſe-
hen, was du an dich haͤltſt? Sprich es aus. Laß
mich ſie auf einmal haben die ganze zermalmende
Ladung. Was wartet auf meinen Vater?
Ein Kriminalprozeß.
Was iſt aber das? — Ich bin ein un-
wiſſendes unſchuldiges Ding, verſtehe mich wenig
auf eure fuͤrchterliche lateiniſche Woͤrter. Was heißt
Kriminalprozeß?
Gericht um Leben und Tod.
So dank ich Ihnen!
eilt ſchnell in ein Seitenzimmer)
Wo will das hin-
aus? Sollte die Naͤrrin etwa? — Teufel! ſie
wird doch nicht — Ich eile nach — ich muß fuͤr ihr
Leben buͤrgen
Verzeihen Sie, Sekretair. Ich ſchließe das Zim-
mer.
Und wohin denn ſo eilig?
Zum Herzog
Was? Wo hin?
zuruͤk)
Zum Herzog. Hoͤren Sie nicht? Zu
eben dem Herzog, der meinen Vater auf Tod und
Leben will richten laſſen — Nein! Nicht will —
muß
[93] muß richten laſſen, weil einige Boͤswichter wollen;
der zu dem ganzen Prozeß der beleidigten Majeſtaͤt
nichts hergiebt, als eine Majeſtaͤt und ſeine fuͤrſtliche
Handſchrift.
Zum Herzog!
Ich weiß, woruͤber Sie lachen — aber
ich will ja auch kein Erbarmen dort finden — Gott
bewahre mich! nur Ekel — Ekel nur an meinem
Geſchrei. Man hat mir geſagt, daß die Großen
der Welt noch nicht belehrt ſind, was Elend iſt —
nicht wollen belehrt ſeyn. Ich will ihm ſagen was
Elend iſt — will es ihm vormahlen in allen Ver-
zerrungen des Todes, was Elend iſt — will es ihm
vorheulen in Mark und Bein zermalmenden Toͤ-
nen, was Elend iſt — und wenn ihm jezt uͤber der
Beſchreibung die Haare zu Berge fliegen, will ich ihm
noch zum Schluß in die Ohren ſchreyn, daß in der
Sterbeſtunde auch die Lungen der Erdengoͤtter zu
roͤcheln anfangen, und das juͤngſte Gericht Majeſtaͤ-
ten und Bettler in dem naͤmlichen Siebe ruͤttle.
Gehen Sie, o ge-
hen Sie ja. Sie koͤnnen warlich nichts kluͤgeres
thun. Ich rathe es Ihnen, gehen Sie, und ich
gebe Ihnen mein Wort, daß der Herzog willfahren
wird.
Wie ſagen Sie?
—
Sie rathen mir ſelbſt dazu?
Hm! Was will ich denn? Etwas abſcheuliches
muß
[94] muß es ſeyn, weil dieſer Menſch dazu rathet —
Woher wiſſen Sie, daß der Fuͤrſt mir willfahren
wird?
Weil er es nicht wird umſonſt thun
duͤrfen.
Nicht umſonſt? Welchen Preiß kann
er auf eine Menſchlichkeit ſezen?
Die ſchoͤne Supplikantin iſt Preiſes
genug.
Laut)
Allgerechter!
Und einen Vater werden Sie doch,
will ich hoffen, um dieſe gnaͤdige Taxe nicht uͤber-
fodert finden?
Ja! Ja!
Es iſt wahr. Sie ſind verſchanzt eure Großen —
verſchanzt vor der Wahrheit hinter ihre eigene Laſter,
wie hinter Schwerdter der Cherubim — Helfe dir
der Allmaͤchtige, Vater. Deine Tochter kann fuͤr
dich ſterben, aber nicht ſuͤndigen.
Das mag ihm wohl eine Neuigkeit
ſeyn dem armen verlaſſenen Mann — „Meine
Louiſe„ ſagte er mir „hat mich zu Boden gewor-
fen. Meine Louiſe wird mich auch aufrichten„ —
Ich eile Mamſell, ihm die Antwort zu bringen.
Bleiben
Sie! Bleiben Sie! Geduld! — Wie flink dieſer
Satan iſt, wenn es gilt, Menſchen raſend zu ma-
chen!
[95] chen! — Ich hab ihn niedergeworfen. Ich muß
ihn aufrichten. Reden Sie! Rathen Sie! Was
kann ich? Was muß ich thun?
Es iſt nur ein Mittel.
Dieſes einzige Mittel?
Auch Ihr Vater wuͤnſcht —
Auch mein Vater? — Was iſt das
fuͤr ein Mittel?
Es iſt Ihnen leicht.
Ich kenne nichts ſchwerers als die
Schande.
Wenn Sie den Major wieder frey
machen wollen?
Von ſeiner Liebe? Spotten Sie mei-
ner? — Das meiner Willkuͤhr zu uͤberlaſſen, wozu
ich gezwungen ward?
So iſt es nicht gemeynt, liebe Jung-
fer. Der Major muß zuerſt und freiwillig zuruͤk-
treten.
Er wird nicht.
So ſcheint es. Wuͤrde man denn wol
ſeine Zuflucht zu Ihnen nehmen, wenn nicht Sie
allein dazu helfen koͤnnten?
Kann ich ihn zwingen, daß er mich
haſſen muß?
Wir wollen verſuchen. Sezen Sie
ſich.
Menſch! Was bruͤteſt du?
Wurm.[96]
Sezen Sie ſich. Schreiben Sie!
Hier iſt Feder, Papier und Dinte.
Was ſoll ich ſchreiben? An wen ſoll ich ſchreiben?
An den Henker Ihres Vaters.
Ha! du verſtehſt dich darauf, Seelen
auf die Folter zu ſchrauben
„Gnaͤdiger Herr„
—
„Schon drei unertraͤgliche Tage ſind
voruͤber — — ſind voruͤber — und wir ſahen uns
nicht„
An wen iſt
der Brief?
An den Henker Ihres Vaters.
O mein Gott!
„Halten Sie ſich deßwegen an den
Major — an den Major — der mich den ganzen
Tag wie ein Argus huͤtet„
Buͤberei, wie noch keine
erhoͤrt worden! An wen iſt der Brief?
An den Henker Ihres Vaters.
Nein!
Nein! Nein! Das iſt thyranniſch o Himmel!
Strafe Menſchen menſchlich, wenn ſie dich reizen,
aber warum mich zwiſchen zwei Schroͤkniſſe preſſen?
Warum
[97] Warum zwiſchen Tod und Schande mich hin und
her wiegen? Warum dieſen blutſaugenden Teufel
mir auf den Naken ſezen? — Macht was ihr wollt.
Ich ſchreibe das nimmermehr.
Wie Sie wollen,
Mademoiſelle. Das ſteht ganz in Ihrem Belieben.
Belieben, ſagen Sie? In meinem
Belieben? — Geh Barbar! haͤnge einen Ungluͤkli-
chen uͤber dem Abgrund der Hoͤlle aus, bitt ihn um
etwas, und laͤſtre Gott, und frag ihn, obs ihm
beliebe? — O du weiſt allzugut, daß unſer Herz
an natuͤrlichen Trieben, ſo feſt als an Ketten liegt
— Nunmehr iſt alles gleich. Diktieren Sie weiter.
Ich denke nichts mehr. Ich weiche der uͤberliſten-
den Hoͤlle
„ Den ganzen Tag wie ein Argus huͤ-
tet„ — Haben Sie das?
Weiter! Weiter!
„Wir haben geſtern den Praͤſidenten
„ im Haus gehabt. Es war poßirlich zu ſehen, wie
„ der gute Major um meine Ehre ſich wehrte“
O ſchoͤn, ſchoͤn! o herrlich! — Nur
immer fort.
„Ich nahm meine Zuflucht zu einer
„Ohnmacht — zu einer Ohnmacht — daß ich nicht
„laut lachte„
O Himmel!
GWurm.
[98]
„Aber bald wird mir meine Maske
unertraͤglich — unertraͤglich — Wenn ich nur los-
kommen koͤnnte —
der, den Kopf geſenkt, als ſuchte ſie was auf dem Bo-
den; dann ſezt ſie ſich wiederum, ſchreibt weiter)
„Los-
kommen koͤnnte„
„Morgen hat er den Dienſt — Paſ-
„ſen Sie ab, wenn er von mir geht, und kom-
„men an den bewußten Ort„ — Haben Sie
bewußten?
Ich habe alles.
„An den bewußten Ort zu Ihrer zaͤrt-
lichen ..... Louiſe„
Nun fehlt die Adreſſe noch.
„An Herrn Hofmarſchall von
Kalb„
Ewige Vorſicht! ein Name, ſo fremd
meinen Ohren, als meinem Herzen dieſe ſchaͤndlichen
Zeilen
lang mit ſtarrem Blik das Geſchriebene, endlich reicht
ſie es dem Sekretair, mit erſchoͤpfter hinſterbender Stimme)
Nehmen Sie mein Herr. Es iſt mein ehrlicher Na-
me — es iſt Ferdinand — iſt die ganze Wonne
meines Lebens, was ich jezt in Ihre Haͤnde gebe —
Ich bin eine Bettlerin!
O Nein doch! Verzagen Sie nicht,
liebe Mademoiſelle. Ich habe herzliches Mitleid mit
Ihnen.
[99] Ihnen. Vielleicht — wer weiß? — Ich koͤnnte mich
noch wol uͤber gewiſſe Dinge hinwegſezen — War
lich! Bei Gott! Ich habe Mitleid mit Ihnen.
Re-
den Sie nicht aus mein Herr. Sie ſind auf dem
Wege ſich etwas Entſezliches zu wuͤnſchen.
Ge-
ſezt, es waͤre dieſe niedliche Hand — Wie ſo liebe
Jungfer?
Weil ich dich in
der Brautnacht erdroſſelte, und mich dann mit Wol-
luſt aufs Rad flechten ließe
aber ſchnell zuruͤk)
Sind wir jezt fertig mein Herr?
Darf die Taube nun fliegen?
Nur noch die Kleinigkeit Jungfer. Sie
muͤſſen mit mir, und das Sakrament darauf neh-
men, dieſen Brief fuͤr einen freiwilligen zu erkennen.
Gott! Gott! und du ſelbſt muſt das
Siegel geben, die Werke der Hoͤlle zu verwahren?
[100]
Vierter Akt.
Erſte Szene.
kommt ſtuͤrmiſch durch eine Thuͤre, durch eine andre
ein Kammerdiener.
War kein Marſchall da?
Herr Major, der Herr Praͤ-
ſident fragen nach Ihnen.
Alle Donner! Ich frag, war kein
Marſchall da?
Der gnaͤdige Herr ſizen oben
am Pharotiſch.
Der gnaͤdige Herr ſoll im Namen
der ganzen Hoͤlle daher kommen.
Zweite Szene.
herumſtuͤrzend.)
Es iſt nicht moͤglich. Nicht moͤglich. Dieſe
himmliſche Huͤlle verſtekt kein ſo teufliſches Herz — —
Und doch! doch! Wenn alle Engel herunter ſtiegen,
fuͤr ihre Unſchuld buͤrgten — wenn Himmel und Erde,
wenn Schoͤpfung und Schoͤpfer zuſammen traͤten,
fuͤr
[101] fuͤr ihre Unſchuld buͤrgten — Es iſt ihre Hand —
ein unerhoͤrter ungeheurer Betrug, wie die Menſch-
heit noch keinen erlebte! — Das alſo wars, warum
man ſich ſo beharrlich der Flucht widerſezte! — Da-
rum — o Gott! jezt erwach ich, jezt enthuͤllt ſich mir
alles! — Darum gab man ſeinen Anſpruch auf mei-
ne Liebe mit ſo viel Heldenmut auf, und bald bald
haͤtte ſelbſt mich die himmliſche Schminke betrogen!
nachdenkend ſtill.)
Mich ſo ganz zu ergruͤnden! — Jedes kuͤhne
Gefuͤhl, jede leiſe ſchuͤchterne Bebung zu erwiedern,
jede feurige Wallung — An der feinſten Unbeſchreib-
lichkeit eines ſchwebenden Lauts meine Seele zu faſſen
— Mich zu berechnen in einer Traͤne — Auf jeden
gaͤhen Gipfel der Leidenſchaft mich zu begleiten, mir
zu begegnen vor jedem ſchwindelnden Abſturz — Gott!
Gott! und alles das nichts als Grimaſſe: — Gri-
maſſe? — O wenn die Luͤge eine ſo haltbare Farbe hat,
wie gieng es zu, daß ſich kein Teufel noch in das Him-
melreich hineinlog?
Da ich ihr die Gefahr unſrer Liebe entdekte,
mit welch uͤberzeugender Taͤuſchung erblaßte die Fal-
ſche da! Mit welch ſiegender Wuͤrde ſchlug ſie den
frechen Hohn meines Vaters zu Boden, und in eben
dem Augenblik fuͤhlte das Weib ſich doch ſchuldig —
Was? hielt ſie nicht ſelbſt die Feuerprobe der Wahr-
heit aus — die Heuchlerin ſinkt in Ohnmacht. Welche
Sprache wirſt du jezt fuͤhren, Empfindung? Auch
G 3Koket-
[102] Koketten ſinken in Ohnmacht. Womit wirſt Du dich
rechtfertigen Unſchuld — Auch Maͤzen ſinken in
Ohnmacht.
Sie weiß, was ſie aus mir gemacht hat. Sie
hat meine ganze Seele geſehn. Mein Herz trat beim
Erroͤthen des erſten Kuſſes ſichtbar in meine Augen
— und ſie empfand nichts? Empfand vielleicht nur
den Triumph ihrer Kunſt? — Da mein gluͤklicher
Wahnſinn den ganzen Himmel in ihr zu umſpannen
waͤhnte? Meine wildeſten Wuͤnſche ſchwiegen? Vor
meinem Gemuͤth ſtand kein Gedanke als die Ewig-
keit und das Maͤdchen — Gott! da empfand ſie nichts?
Fuͤhlte nichts, als ihren Anſchlag gelungen? Nichts,
als ihre Reize geſchmeichelt? Tod und Rache! Nichts,
als daß ich betrogen ſei?
Dritte Szene.
Sie haben
den Wunſch bliken laſſen, mein Beſter —
Einem
Schurken den Hals zu brechen.
Marſchall,
dieſer Brief muß Ihnen bei der Parade aus der Ta-
ſche gefallen ſeyn — und ich
war zum Gluͤk noch der Finder.
Sie?
Durch den luſtigſten Zufall. Ma-
chen Sie's mit der Allmacht aus.
Hofmar-
[103]
Sie ſehen, wie ich erſchrecke,
Baron.
Leſen Sie! Leſen Sie!
weggehend)
Bin ich auch ſchon zum Liebhaber zu
ſchlecht, vielleicht laß ich mich deſto beſſer als Kupp-
ler an.
nimmt zwei Piſtolen herunter.)
will ſich davon machen)
Verflucht!
Geduld,
lieber Marſchall. Die Zeitungen duͤnken mich ange-
nehm. Ich will meinen Finderlohn haben.
er ihm die Piſtolen.)
Sie werden
vernuͤnftig ſeyn, Beſter.
Mehr als zuviel um einen Schelmen, wie Du biſt,
in jene Welt zu ſchiken!
auf, zugleich zieht er ſein Schnupftuch)
Nehmen Sie!
dieſes Schnupftuch da faſſen Sie! — Ich habs von
der Bulerin.
Ueber dem Schnupftuch? Ra-
ſen Sie? Wohin denken Sie?
Faß dieſes End' an ſag ich. Sonſt
wirſt du ja fehl ſchießen Memme! — Wie ſie zittert
die Memme! Du ſolteſt Gott danken, Memme, daß
du zum erſtenmal etwas in deinen Hirnkaſten kriegſt.
Sachte! Da-
G 4fuͤr
[104] fuͤr wird gebeten ſeyn.
Thuͤre.)
Auf dem Zimmer, Baron?
Als ob ſich mit Dir ein Gang vor
den Wall verlohnte? — Schaz, ſo knallts deſto lau-
ter, und das iſt ja doch wol das erſte Geraͤuſch,
das Du in der Welt machſt — Schlag an!
Und Sie
wollen Ihr koſtbares Leben ſo ausſezen, junger hoff-
nungsvoller Mann?
Schlag an, ſag ich. Ich habe
nichts mehr in dieſer Welt zu thun.
Aber ich deſto mehr, mein Al-
lervortreflichſter.
Du Burſche? Was Du?
— Der
Nothnagel zu ſeyn, wo die Menſchen ſich rar ma-
chen? In einem Augenblik ſiebenmal kurz und ſie-
benmal lang zu werden, wie der Schmetterling an
der Nadel? Ein Regiſter zu fuͤhren uͤber die Stuhl-
gaͤnge deines Herrn, und der Miethgaul ſeines
Wizes zu ſeyn? Eben ſo gut. Ich fuͤhre dich, wie
irgend ein ſeltenes Murmelthier mit mir. Wie ein
zahmer Affe ſollſt du zum Geheul der Verdammten
tanzen, apportieren und aufwarten, und mit deinen
hoͤfiſchen Kuͤnſten die ewige Verzweiflung beluſtigen.
Was Sie befehlen, Herr, wie
Sie belieben — Nur die Piſtolen weg!
Ferdin.
[105]
Wie er da ſteht der Schmerzens-
ſohn! — Da ſteht, dem ſechsten Schoͤpfungstag zum
Schimpfe! Als wenn ihn ein Tuͤbinger Buchhaͤndler
dem Allmaͤchtigen nachgedrukt haͤtte! — Schade nur,
ewig Schande fuͤr die Unze Gehirn, die ſo ſchlecht in
dieſem undankbaren Schaͤdel wuchert. Dieſe einzige
Unze haͤtte dem Pavian noch vollends zum Menſchen
geholfen, da ſie jezt nur einen Bruch von Vernunft
macht — Und mit dieſem ihr Herz zu theilen? —
Ungeheuer! Unverantwortlich! — Einem Kerl,
mehr gemacht, von Suͤnden zu entwoͤhnen, als da-
zu anzureizen.
O! Gott ſei ewig Dank! Er
wird wizig.
Ich will ihn gelten laſſen. Die
Toleranz, die der Raupe ſchont, ſoll auch dieſem zu
gute kommen. Man begegnet ihm, zukt etwa die
Achſel, bewundert vielleicht noch die kluge Wirth-
ſchaft des Himmels, der auch mit Traͤbern und Bo-
denſaz noch Kreaturen ſpeißt; der dem Raben am
Hochgericht, und einem Hoͤfling im Schlamme der
Majeſtaͤten den Tiſch dekt — Zulezt erſtaunt man
noch uͤber die große Polizei der Vorſicht, die auch
in der Geiſterwelt ihre Blindſchleichen und Taran-
deln zur Ausfuhr des Gifts beſoldet. — Aber
ſeine Wut ſich erneuert)
an meine Blume ſoll mir
das Ungeziefer nicht kriechen, oder ich will es
Marſchall faſſend und unſanft herumſchuͤttelnd)
ſo und
ſo und wieder ſo durcheinander quetſchen.
G 5Hofmar-
[106]
O mein
Gott! Wer hier weg waͤre! Hundert Meilen von
hier im Biçetre zu Paris! nur bei dieſem nicht!
Bube! Wenn ſie nicht rein mehr
iſt? Bube! Wenn du genoßeſt, wo ich anbetete:
Schwelgteſt, wo ich einen Gott mich
fuͤhlte?
Dir
waͤre beſſer, Bube, du floͤheſt der Hoͤlle zu, als daß
dir mein Zorn im Himmel begegnete! — Wie weit
kamſt du mit dem Maͤdchen? Bekenne!
Laſſen Sie mich los. Ich will
alles verrathen.
O! es muß reizender ſeyn mit die-
ſem Maͤdchen zu bulen, als mit andern noch ſo
himmliſch zu ſchwaͤrmen — Wolte ſie ausſchweifen,
wolte ſie, ſie koͤnnte den Werth der Seele herunter
bringen, und die Tugend mit der Wolluſt verfaͤl-
ſchen.
Wie weit kamſt du mit ihr? Ich druͤke ab, oder
bekenne!
Es iſt nichts — iſt ja alles nichts.
Haben Sie nur eine Minute Geduld. Sie ſind ja
betrogen.
Und daran mahnſt du mich Boͤſe-
wicht? — Wie weit kamſt du mit ihr? Du biſt des
Todes, oder bekenne!
Mon Dieu! Mein Gott! Ich
ſpreche ja — So hoͤren Sie doch nur — Ihr Vater
— Ihr eigener leiblicher Vater —
Ferdin.
[107]
Hat ſeine Tochter an
Dich verkuppelt? Und wie weit kamſt du mit ihr?
Ich ermorde dich, oder bekenne!
Sie raſen. Sie hoͤren nicht.
Ich ſah ſie nie. Ich kenne ſie nicht. Ich weiß gar
nichts von ihr.
Du ſahſt ſie nie?
Kennſt ſie nicht? Weiſt gar nichts von ihr? — Die
Millerin iſt verloren um deinetwillen, du laͤugneſt
ſie dreimal in Einem Athem hinweg? — Fort ſchlech-
ter Kerl.
ſtoͤßt ihn aus dem Zimmer)
Fuͤr Deinesgleichen iſt kein
Pulver erfunden!
Vierte Szene.
einen ſchreklichen Gedanken entwikeln.)
Verloren! Ja Ungluͤkſeelige! — Ich bin es.
Du biſt es auch. Ja bei dem großen Gott! Wenn
ich verloren bin, biſt du es auch! — Richter der
Welt! Fodre Sie mir nicht ab Das Maͤdchen iſt
mein. Ich trat dir deine ganze Welt fuͤr das Maͤdchen
ab, habe Verzicht gethan auf deine ganze herrliche
Schoͤpfung. Laß mir das Maͤdchen. — Richter der
Welt! Dort winſeln Millionen Seelen nach dir —
Dorthin kehre das Aug deines Erbarmens — Mich
laß allein machen, Richter der Welt!
lich die Haͤnde faltet)
Solte der reiche vermoͤgende
Schoͤpfer
[108] Schoͤpfer mit einer Seele geizen, die noch dazu die
ſchlechteſte ſeiner Schoͤpfung iſt? — Das Maͤdchen
iſt mein! Ich einſt ihr Gott, jezt ihr Teufel!
Eine Ewigkeit mit Ihr auf ein Rad der Ver-
dammniß geflochten — Augen in Augen wurzelnd —
Haare zu Berge ſtehend gegen Haare — Auch unſer
holes Wimmern in eins geſchmolzen — Und jezt zu
widerholen meine Zaͤrtlichkeiten, und jezt ihr vorzu-
ſingen ihre Schwuͤre — Gott! Gott! Die Vermaͤ-
lung iſt fuͤrchterlich — aber ewig!
aus. Der Praͤſident tritt herein.)
Fuͤnfte Szene.
O! — Mein Vater!
Sehr gut, daß wir uns finden,
mein Sohn. Ich komme, dir etwas angenehmes zu
verkuͤndigen, und etwas, lieber Sohn, das dich ganz
gewiß uͤberraſchen wird. Wollen wir uns ſezen?
Mein
Vater!
Hand faſſend)
Mein Vater!
ihm niederfallend)
O mein Vater!
Was iſt dir mein Sohn? Steh auf.
Deine Hand brennt und zittert.
Ver-
zeihung fuͤr meinen Undank mein Vater! Ich bin
ein
[109] ein verworfener Menſch. Ich habe ihre Guͤte mis-
kannt. Sie meynten es mit mir ſo vaͤterlich — O!
Sie hatten eine weißagende Seele — Jezt iſts zu
ſpaͤt — Verzeihung! Verzeihung! Ihren Seegen,
mein Vater!
Steh
auf mein Sohn! Beſinne dich, daß du mir Raͤzel
ſprichſt.
Dieſe Millerin mein Vater — O
Sie kennen den Menſchen — Ihre Wut war damals
ſo gerecht, ſo edel, ſo vaͤterlich warm — Nur ver-
fehlte der warme Vatereifer des Weges — Dieſe
Millerin!
Martre mich nicht mein Sohn. Ich
verfluche meine Haͤrte! Ich bin gekommen dir ab-
zubitten.
Abbitten an mir! Verfluchen an
mir! — Ihre Mißbilligung war Weisheit. Ihre
Haͤrte war himmliſches Mitleid — — Dieſe Mille-
rin, Vater —
Iſt ein edles, ein liebes Maͤdchen.
— Ich widerrufe meinen uͤbereilten Verdacht. Sie
hat meine Achtung erworben.
Was? auch
Sie? — Vater! auch Sie? — Und nicht wahr, mein
Vater, ein Geſchoͤpf wie die Unſchuld? — und es iſt
ſo menſchlich, dieſes Maͤdchen zu lieben?
Sage ſo: Es iſt ein Verbrechen, es
nicht zu lieben.
Ferdin.
[110]
Unerhoͤrt! Ungeheuer! — Und Sie
ſchauen ja doch ſonſt die Herzen ſo durch! Sahen
Sie noch dazu mit Augen des Haſſes! — Heuchelei
ohne Beiſpiel — Dieſe Millerin, Vater —
Iſt es werth meine Tochter zu ſeyn.
Ich rechne ihre Tugend fuͤr Ahnen, und ihre Schoͤn-
heit fuͤr Gold. Meine Grundſaͤze weichen deiner Liebe
— Sie ſei dein!
Das fehlte noch! — Leben Sie wol mein Vater.
Bleib! Bleib! Wo-
hin ſtuͤrmſt du?
Sechste Szene.
Alſo ſahſt du ſie? Wird ſie kommen?
Dieſen Augenblik. Sie war noch im
Hausgewand, und wollte ſich nur in der Geſchwin-
digkeit umkleiden.
Sage mir nichts von ihr — Stille —
wie eine Verbrecherin zittre ich, die Gluͤkliche zu ſe-
hen, die mit meinem Herzen ſo ſchreklich harmoniſch
fuͤhlt — Und wie nahm ſie ſich bei der Einladung?
Sie ſchien beſtuͤrzt, wurde nachden-
kend, ſah mich mit großen Augen an, und ſchwieg.
Ich hatte mich ſchon auf ihre Ausfluͤchte vorbereitet,
als
[111] als ſie mit einem Blik, der mich ganz uͤberraſchte,
zur Antwort gab: Ihre Dame befiehlt mir, was ich
mir morgen erbitten wolte.
Laß mich Sophie. Bekla-
ge mich. Ich muß erroͤthen, wenn ſie nur das ge-
woͤhnliche Weib iſt, und wenn ſie mehr iſt, ver-
zagen.
Aber Milady — Das iſt die Laune
nicht, eine Nebenbulerin zu empfangen. Erinnern
Sie ſich wer Sie ſind. Rufen Sie Ihre Geburt,
Ihren Rang, Ihre Macht zu Hilfe. Ein ſtolzeres
Herz muß die ſtolze Pracht Ihres Anbliks erheben.
Was ſchwazt die Naͤrrin
da?
Oder es iſt vielleicht
Zufall,
daß eben heute die koſtbarſten Brillanten an Ihnen
blizen? Zufall, daß eben heute der reichſte Stoff Sie
bekleiden muß — daß Ihre Antiſchamber von Heidu-
ken und Pagen wimmelt, und das Buͤrgermaͤdchen
im fuͤrſtlichſten Saal Ihres Pallaſtes erwartet wird?
Verwuͤnſcht!
Unertraͤglich! Daß Weiber fuͤr Weiberſchwaͤchen ſol-
che Luchsaugen haben! — — Aber wie tief, wie
tief muß ich ſchon geſunken ſeyn, daß eine ſolche
Kreatur mich ergruͤndet!
Mamſell Mil-
lerin —
Hinweg du! Entferne dich!
Hinweg! Ich befehl es.
Gut!
[112] Gut! Recht gut, daß ich in Wallung kam. Ich
bin, wie ich wuͤnſchte.
Die
Mamſell mag hereintreten.
wirft ſich in den Sofa, und nimmt eine vornehm-nachlaͤ-
ßige Lage an.)
Siebente Szene.
ner großen Entfernung von der Lady ſtehen; Lady hat
ihr den Ruͤken zugewandt, und betrachtet ſie eine
Zeit lang aufmerkſam in dem gegenuͤber ſte-
henden Spiegel.
Gnaͤdige Frau, ich erwarte ihre Be-
fehle.
eben mit dem Kopf, fremd und zuruͤkgezogen)
Aha! Iſt
Sie hier? — Ohne Zweifel die Mamſell — eine ge-
wiſſe — Wie nennt man ſie doch?
Miller nennt ſich
mein Vater, und Ihro Gnaden ſchikten nach ſei-
ner Tochter.
Recht! Recht! Ich entſinne mich — die
arme Geigerstochter, wovon neulich die Rede war.
Sehr intereſſant, und
doch keine Schoͤnheit —
Trete ſie
naͤher mein Kind.
Augen, die ſich
im Weinen uͤbten — Wie lieb' ich ſie, dieſe Augen!
Nur naͤher — Nur ganz nah — Gu-
tes Kind, ich glaube, du fuͤrchteſt mich?
Louiſe.
[113]
Nein
Milady. Ich verachte das Urtheil der Menge.
Sieh doch! — und dieſen
Trozkopf hat ſie von ihm.
Man hat ſie mir
empfohlen, Mamſell. Sie ſoll was gelernt haben,
und ſonſt auch zu leben wiſſen — Nun ja. Ich
wills glauben — auch naͤhm ich die ganze Welt
nicht, einen ſo warmen Fuͤrſprecher Luͤgen zu ſtra-
fen.
Doch kenn ich niemand, Milady,
der ſich Muͤhe gaͤbe, mir eine Patronin zu ſuchen.
Muͤhe um die Klientin oder
Patronin?
Das iſt mir zu hoch, gnaͤdige Frau.
Mehr Schelmerei, als dieſe offene Bil-
dung vermuthen laͤßt! Louiſe nennt ſie ſich? Und
wie jung, wenn man fragen darf?
Sechszehn geweſen.
Nun iſts heraus!
Sechs-
zehen Jahre! Der erſte Puls dieſer Leidenſchaft! —
Auf dem unberuͤhrten Klavier der erſte einweihende
Silberton! — Nichts iſt verfuͤhrender — Sez
dich, ich bin dir gut, liebes Maͤdchen — Und auch
Er liebt zum erſtenmal — Was Wunder, wenn
ſich die Stralen Eines Morgenrots finden?
freundlich, und ihre Hand ergreifend)
Es bleibt dabei,
ich will dein Gluͤk machen, liebe — Nichts, nichts
als die ſuͤße fruͤheverfliegende Traͤumerei
Hdie
[114] die Wange klopfend)
Meine Sophie heirathet. Du
ſolſt ihre Stelle haben — Sechszehn Jahr! Es kann
nicht von Dauer ſeyn.
Ich danke
fuͤr dieſe Gnade Milady, als wenn ich ſie anneh-
men duͤrfte.
Man ſehe
die große Dame! — Sonſt wiſſen ſich Jungfern
ihrer Herkunft noch gluͤklich, wenn ſie Herrſchaften
finden — wo will denn Sie hinaus, meine Koſt-
bare? Sind dieſe Finger zur Arbeit zu niedlich?
Iſt es Ihr Bischen Geſicht, worauf Sie ſo trozig
thut?
Mein Geſicht, gnaͤdige Frau, gehoͤrt
mir ſo wenig, als meine Herkunft.
Oder glaubt Sie vielleicht, das werde
nimmer ein Ende nehmen? — Armes Geſchoͤpf,
wer dir das in den Kopf ſezte — mag er ſeyn, wer
er will — er hat euch beide zum Beſten gehabt.
Dieſe Wangen ſind nicht im Feuer vergoldet. Was
dir dein Spiegel fuͤr maßiv und ewig verkauft, iſt
nur ein duͤnner angeflogener Goldſchaum, der dei-
nem Anbeter uͤber kurz oder lang in der Hand blei-
ben muß — Was werden wir dann machen?
Den Anbeter bedauern, Milady, der
einen Demant kaufte, weil er in Gold ſchien
gefaßt zu ſeyn.
Ein Maͤd-
chen von ihren Jahren hat immer zween Spiegel
zu-
[115] zugleich, den Wahren und ihren Bewunderer —
Die gefaͤllige Geſchmeidigkeit des leztern macht die
rauhe Offenherzigkeit des erſtern wieder gut. Der
eine ruͤgt eine haͤßliche Blatternarbe. Weit gefehlt,
ſagt der andere, es iſt ein Gruͤbchen der Grazien.
Ihr guten Kinder glaubt jenem nur, was euch die-
ſer geſagt hat, huͤpft von einem zum andern, bis
ihr zulezt die Auſſagen beider verwechſelt — Warum
begaft ſie mich ſo?
Verzeihen Sie gnaͤdige Frau — Ich
war ſo eben im Begriff, dieſen praͤchtig blitzenden
Rubin zu beweinen, der es nicht wiſſen muß, daß
ſeine Beſizerin ſo ſcharf wider Eitelkeit eifert.
Keinen Seitenſprung, Loſe!
— Wenn es nicht die Promeſſen Ihrer Geſtalt ſind,
was in der Welt koͤnnte Sie abhalten, einen Stand
zu erwaͤhlen, der der einzige iſt, wo Sie Manieren
und Welt lernen kann, der einzige iſt, wo Sie ſich
ihrer buͤrgerlichen Vorurtheile entledigen kann?
Auch meiner buͤrgerlichen Unſchuld,
Milady?
Laͤppiſcher Einwurf! Der ausgelaſſenſte
Bube iſt zu verzagt, uns etwas beſchimpfendes zuzu-
muthen, wenn wir ihm nicht ſelbſt ermunternd ent-
gegen gehn. Zeige Sie, wer Sie iſt. Gebe Sie
ſich Ehre und Wuͤrde, und ich ſage ihrer Jugend
fuͤr alle Verſuchung gut.
Erlauben Sie, gnaͤdige Frau, daß ich
mich unterſtehe, daran zu zweifeln. Die Pallaͤſte
H 2ge-
[116] gewiſſer Damen ſind oft die Freiſtaͤtten der frechſten
Ergoͤzlichkeit. Wer ſolte der Tochter des armen Gei-
gers den Heldenmuth zutrauen, den Heldenmuth,
mitten in die Peſt ſich zu werfen, und doch dabei
vor der Vergiftung zu ſchaudern? Wer ſolte ſich
traͤumen laſſen, daß Lady Milford ihrem Gewiſſen
einen ewigen Skorpion halte, daß ſie Geldſummen
aufwende, um den Vortheil zu haben, jeden Au-
genblik ſchamroth zu werden? — Ich bin offen-
herzig, gnaͤdige Frau — Wuͤrde Sie mein Anblik
ergoͤzen, wenn Sie einem Vergnuͤgen entgegengien-
gen? Wuͤrden Sie ihn ertragen, wenn Sie zuruͤk-
kaͤmen? — — O Beſſer! Beſſer! Sie laſſen
Himmelsſtriche uns trennen — Sie laſſen Meere
zwiſchen uns fließen! — Sehen Sie ſich wol fuͤr,
Milady — Stunden der Nuͤchternheit, Augenblike
der Erſchoͤpfung koͤnnten ſich melden — Schlan-
gen der Reue koͤnnten ihren Buſen anfallen, und
nun — welche Folter fuͤr Sie, im Geſicht ihres
Dienſtmaͤdchens die heitre Rube zu leſen, wo-
mit die Unſchuld ein reines Herz zu belohnen pflegt
Noch einmal, gnaͤdige
Frau. Ich bitte ſehr um Vergebung.
Unertraͤglich, daß Sie mir das ſagt! Unertraͤgli-
cher, daß ſie recht hat!
ſtarr in die Augen ſehend)
Maͤdchen, du wirſt mich
nicht uͤberliſten. So warm ſprechen Meynungen
nicht. Hinter dieſen Maximen lauert ein feurigeres
In-
[117] Intereſſe, das dir meine Dienſte beſonders abſcheu-
lich mahlt — das dein Geſpraͤch ſo erhizte — das
ich
entdeken muß.
Und wenn Sie es
nun entdekten? und wenn ihr veraͤchtlicher Ferſen-
ſtoß den beleidigten Wurm aufwekte, dem ſein
Schoͤpfer gegen Mishandlung noch einen Stachel gab?
— Ich fuͤrchte Ihre Rache nicht, Lady — Die ar-
me Suͤnderin auf dem beruͤchtigten Henkerſtuhl lacht
zu Weltuntergang. — Mein Elend iſt ſo hoch geſtie-
gen, daß ſelbſt Aufrichtigkeit es nicht mehr vergroͤſ-
ſern kann.
Sie wol-
len mich aus dem Staub meiner Herkunft reiſſen.
Ich will ſie nicht zergliedern dieſe verdaͤchtige Gnade.
Ich will nur fragen, was Milady bewegen konnte,
mich fuͤr die Thoͤrin zu halten, die uͤber ihre Her-
kunft erroͤthet? Was ſie berechtigen konnte, ſich
zur Schoͤpferin meines Gluͤks aufzuwerfen, ehe ſie
noch wußte, ob ich mein Gluͤk auch von ihren Haͤn-
den empfangen wolle? — Ich hatte meinen ewigen An-
ſpruch auf die Freuden der Welt zerriſſen. Ich hat-
te dem Gluͤk ſeine Uebereilung vergeben — Warum
mahnen Sie mich aufs neu an dieſelbe? — Wenn
ſelbſt die Gottheit dem Blik der Erſchaffenen ihre
Stralen verbirgt, daß nicht ihr oberſter Seraph vor
ſeiner Verfinſterung zuruͤkſchaure — warum wollen
Menſchen ſo grauſambarmherzig ſeyn? — Wie
kommt es Milady, daß Ihr geprieſenes Gluͤk das
Elend ſo gern um Neid und Bewunderung anbet-
H 3telt?
[118] telt? — Hat ihre Wonne die Verzweiflung ſo noͤ-
thig zur Folie? — O lieber! So goͤnnen Sie mir
doch eine Blindheit, die mich allein noch mit mei-
nem barbariſchen Loos verſoͤhnt — Fuͤhlt ſich doch
das Inſekt in einem Tropfen Waſſers ſo ſelig, als
waͤr es ein Himmelreich, ſo froh und ſo ſelig, bis
man ihm von einem Weltmeer erzaͤlt, worinn Flot-
ten und Wallfiſche ſpielen! — — — Aber gluͤk-
lich wollen Sie mich ja wiſſen?
ploͤzlich zur Lady hintretend und mit Ueberraſchung ſie fra-
gend)
Sind Sie gluͤklich, Milady?
ſchnell und betroffen, Louiſe folgt ihr, und haͤlt ihr die
Hand vor den Buſen)
Hat dieſes Herz auch die lachen-
de Geſtalt Ihres Standes? Und wenn wir jezt
Bruſt gegen Bruſt, und Schikſal gegen Schikſal aus-
wechſeln ſolten — und wenn ich in kindlicher Un-
ſchuld — und wenn ich auf ihr Gewiſſen — und
wenn ich als meine Mutter Sie fragte — Wuͤrden
Sie mir wol zu dem Tauſche rathen?
Unerhoͤrt! Unbegreiflich! Nein Maͤdchen! Nein!
Dieſe Groͤße haſt du nicht auf die Welt gebracht, und
fuͤr einen Vater iſt ſie zu jugendlich. Luͤge mir nicht.
Ich hoͤre einen andern Lehrer —
Es ſolte mich doch wundern, Milady, wenn Sie
jezt erſt auf dieſen Lehrer fielen, und doch vorhin
ſchon eine Kondizion fuͤr mich wußten.
Lady.
[119]
Es iſt nicht auszuhalten!
— Ja denn! weil ich dir doch nicht entwiſchen kann
Ich kenn ihn — weiß alles — weiß mehr als ich
wiſſen mag
Heftigkeit, die nach und nach bis beinahe zum Toben ſteigt)
Aber wag' es, Ungluͤkliche — wag es, ihn jezt noch
zu lieben, oder von ihm geliebt zu werden — Was
ſage ich? — Wag es an ihn zu denken, oder einer
von ſeinen Gedanken zu ſeyn — Ich bin maͤchtig,
Ungluͤkliche — fuͤrchterlich — So wahr Gott lebt!
du biſt verloren!
Ohne Rettung Milady, ſo-
bald Sie ihn zwingen, daß er Sie lieben muß.
Ich verſtehe dich — aber er ſoll mich
nicht lieben. Ich will uͤber dieſe ſchimpfliche Leiden-
ſchaft ſiegen, mein Herz unterdruͤcken, und das dei-
nige zermalmen — Felſen und Abgruͤnde will ich
zwiſchen euch werfen; eine Furie will ich mitten
durch euren Himmel gehn; mein Name ſoll eure
Kuͤſſe wie ein Geſpenſt Verbrecher auseinander ſcheu-
chen; deine junge bluͤhende Geſtalt unter ſeiner Um-
armung welk wie eine Mumie zuſammenfallen —
Ich kann nicht mit ihm gluͤklich werden — aber Du
ſolſt es auch nicht werden — Wiſſe das Elende!
Seligkeit zerſtoͤren iſt auch Seligkeit.
Eine Seligkeit, um die man Sie ſchon
gebracht hat, Milady. Laͤſtern Sie ihr eigenes Herz
nicht. Sie ſind nicht faͤhig das auszuuͤben, was
Sie ſo drohend auf mich herabſchwoͤren. Sie ſind
H 4nicht
[120] nicht faͤhig ein Geſchoͤpf zu quaͤlen, das Ihnen nichts
zu Leide gethan, als daß es empfunden hat, wie
Sie — Aber ich liebe Sie um dieſer Wallung wil-
len, Milady.
Wo bin ich? Wo
war ich? Was hab ich merken laſſen? Wen hab
ichs merken laſſen? — O Louiſe, edle, große,
goͤttliche Seele! Vergibs einer Raſenden — Ich
will dir kein Haar kraͤnken, mein Kind. Wuͤnſche!
Fodre! Ich will dich auf den Haͤnden tragen, dei-
ne Freundin, deine Schweſter will ich ſeyn — Du
biſt arm — Sieh!
Ich will dieſen Schmuk verkaufen — meine Garde-
robe, Pferd und Wagen verkaufen — Dein ſei al-
les, aber entſag ihm!
Spottet
Sie einer Verzweifelnden, oder ſolte Sie an der bar-
bariſchen That im Ernſt keinen Antheil gehabt ha-
ben? — Ha! So koͤnnt ich mir ja noch den Schein
einer Heldin geben, und meine Ohnmacht zu einem
Verdienſt aufpuzen
dann tritt ſie naͤher zur Lady, faßt ihre Hand und ſieht
ſie ſtarr und bedeutend an)
Nehmen Sie ihn denn hin
Milady — Freiwillig tret ich Ihnen ab den Mann,
den man mit Haken der Hoͤlle von meinem bluten-
den Herzen riß. — — Vielleicht wiſſen Sie es
ſelbſt nicht, Milady, aber Sie haben den Himmel
zweier Liebenden geſchleift, voneinander gezerrt zwei
Herzen, die Gott aneinander band; zerſchmettert
ein
[121] ein Geſchoͤpf, das ihm nahe gieng, wie Sie, das
er zur Freude ſchuf, wie Sie, das ihm geprieſen hat,
wie Sie, und ihn nun nimmermehr preiſen wird —
Lady! Ins Ohr des Allwiſſenden ſchreit auch der lez-
te Krampf des zertretenen Wurms — es wird ihm
nicht gleichguͤltig ſeyn, wenn man Seelen in ſeinen
Haͤnden mordet! Jezt iſt er Ihnen! Jezt Milady
nehmen Sie ihn hin! Rennen Sie in ſeine Arme!
Reiſſen Sie ihn zum Altar — Nur vergeſſen Sie
nicht, daß zwiſchen ihren Brautkuß das Geſpenſt
einer Selbſtmoͤrderin ſtuͤrzen wird — Gott wird
barmherzig ſeyn — Ich kann mir nicht anders hel-
fen
Achte Szene.
der Thuͤre gerichtet, durch welche die Millerin weg-
geeilt, endlich erwacht ſie aus ihrer Betaͤubung)
Wie war das? Wie geſchah mir? Was ſprach
die Ungluͤkliche? — Noch o Himmel! noch zerreiſ-
ſen ſie mein Ohr die fuͤrchterlichen mich verdammen-
den Worte: Nehmen Sie ihn hin! — Wen
Ungluͤkſelige? Das Geſchenk deines Sterberoͤchelns
— das ſchauervolle Vermaͤchtniß deiner Verzweif-
lung! Gott! Gott! Bin ich ſo tief geſunken — ſo
ploͤzlich von allen Tronen meines Stolzes herabge-
ſtuͤrzt, daß ich heißhungrig erwarte, was einer Bett-
H 5lerin
[122] lerin Großmuth aus ihrem lezten Todeskampfe mir
zuwerfen wird? — Nehmen Sie ihn hin,
und das ſpricht ſie mit einem Tone, begleitet ſie
mit einem Blike — — Ha! Emilie! Biſt du dar-
um uͤber die Graͤnzen deines Geſchlechts weggeſchrit-
ten? Mußteſt du darum um den praͤchtigen Namen
des großen brittiſchen Weibes buhlen, daß das pra-
lende Gebaͤude deiner Ehre neben der hoͤheren Tu-
gend einer verwahrloſten Buͤrgerdirne verſinken ſoll?
— Nein ſtolze Ungluͤkliche! Nein! — Beſchaͤmen
laͤßt ſich Emilie Milford — doch beſchimpfen nie!
Auch ich habe Kraft, zu entſagen.
Verkrieche dich jezt weiches leidendes Weib —
Fahret hin ſuͤße goldene Bilder der Liebe — Groß-
muth allein ſei jezt meine Fuͤhrerin! — — Dieſes
liebende Paar iſt verloren, oder Milford muß ihren
Anſpruch vertilgen, und im Herzen des Fuͤrſten er-
loͤſchen!
Es iſt geſchehen!
— Gehoben das furchtbare Hinderniß — Zerbrochen
alle Bande zwiſchen mir und dem Herzog, geriſſen
aus meinem Buſen dieſe wuͤtende Liebe! — — In
deine Arme werf ich mich, Tugend! — Nimm ſie
auf, deine reuige Tochter Emilie! — Ha! wie mir
ſo wohl iſt! Wie ich auf einmal ſo leicht! ſo geho-
ben mich fuͤhle! — Groß, wie eine fallende Son-
ne, will ich heut vom Gipfel meiner Hoheit herun-
terſinken, meine Herrlichkeit ſterbe mit meiner Liebe,
und
[123] und nichts als mein Herz begleiten mich in dieſe
ſtolze Verweiſung
Jezt gleich muß es geſchehen — jezt auf der Stelle,
ehe die Reize des lieben Juͤnglings den blutigen
Kampf meines Herzens erneuren.
Neunte Szene.
Hofmarſchall. zulezt Bediente.
Hofmarſchall von Kalb ſtehen
im Vorzimmer mit einem Auftrag vom Herzog.
Auftaumeln
wird ſie die fuͤrſtliche Drahtpuppe! Freilich! der
Einfall iſt auch drollig genug, ſo eine Durchlauchtige
Hirnſchaale auseinander zu treiben! — Seine Hof-
ſchranzen werden wirbeln — Das ganze Land wird
in Gaͤhrung kommen.
Der, Hofmar-
ſchall, Milady —
Wer? Was? — Deſto
beſſer! Dieſe Sorte von Geſchoͤpfen iſt zum Saktra-
gen auf der Welt. Er ſoll mir willkommen ſeyn.
Wenn ich
nicht fuͤrchten muͤßte, Milady, es waͤre Vermeſſen-
heit
Die Millerin ſtuͤrzte
außer ſich durch den Vorſaal — Sie gluͤhen — Sie
ſprechen
[124] ſprechen mit ſich ſelbſt
Ich
erſchreke — Was muß geſchehen ſeyn?
der Lady tauſend Verbeugungen; da ſie ihn nicht bemerkt,
kommt er naͤher, ſtellt ſich hinter ihren Seſſel, ſucht den
Zipfel ihres Kleids wegzukriegen und druͤkt einen Kuß
darauf, mit furchtſamen Liſpeln)
Serenißimus —
durchfliegt)
Er wird mir ſchwarzen Undank zur Laſt
legen — Ich war eine Verlaſſene. Er hat mich aus
dem Elend gezogen — Aus dem Elend? — Ab-
ſcheulicher Tauſch! — Zerreiſſe deine Rechnung,
Verfuͤhrer! Meine ewige Schaamroͤthe bezahlt ſie
mit Wucher.
allen Seiten umgangen hat)
Milady ſcheinen etwas di-
ſtrait zu ſeyn — Ich werde mir wol ſelbſt die Kuͤhn-
heit erlauben muͤſſen.
Sereniſſimus ſchi-
ken mich, Milady zu fragen, ob dieſen Abend Vaux-
hall ſeyn werde, oder teutſche Komoͤdie?
Eins von beiden,
mein Engel — Unterdeſſen bringen Sie ihrem Her-
zog dieſe Charte zum Deſert!
Du,
Sophie, befiehlſt, daß man anſpannen ſoll, und
rufſt meine ganze Garderobe in dieſen Saal zu-
ſammen. —
O Himmel!
Was ahndet mir? Was wird das noch werden?
Sie ſind echauffiert meine Gnaͤ-
dige?
Lady.
[125]
Um ſo weniger wird hier gelogen ſeyn
— Hurrah Herr Hofmarſchall! Es wird eine Stelle
vakant. Gut Wetter fuͤr Kuppler
nen zweifelhaften Blik auf den Zettel wirft)
Leſen Sie,
leſen Sie! — Es iſt mein Wille, daß der Inhalt nicht
unter vier Augen bleibe.
Bedienten der Lady im Hintergrund)
„Gnaͤdigſter Herr,
„Ein Vertrag, den Sie ſo leichtſinnig bra-
„chen, kann Mich nicht mehr binden. Die Gluͤk-
„ſeligkeit Ihres Landes war die Bedingung meiner
„Liebe. Drei Jahre waͤhrte der Betrug. Die Binde
„faͤllt mir von den Augen; ich verabſcheue Gunſtbe-
„zeugungen, die von den Traͤnen der Unterthanen
„triefen. — Schenken Sie die Liebe, die ich Ihnen
„nicht mehr erwiedern kann, ihrem weinenden Lan-
„de, und lernen von einer brittiſchen Fuͤrſtin Er-
„barmen gegen Ihr teutſches Volk. In einer
„Stunde bin ich uͤber der Graͤnze.
Johanna Norfolk.
Ueber der Graͤnze?
Tiſch)
Behuͤte der Himmel, meine Beſte und Gnaͤ-
dige! Den Ueberbringer muͤßte der Hals eben ſo
juͤken, als der Schreiberin.
Das iſt deine Sorge du Goldmann —
Leider weiß ich es, daß Du und Deinesgleichen am
Nach-
[126] Nachbeten deſſen, was andre gethan haben, erwuͤr-
gen! — Mein Rath waͤre, man bakte den Zettel
in eine Wildpretpaſtete, ſo faͤnden ihn Sereniſſimus
auf dem Teller —
Ciel! Dieſe Vermeſſenheit! —
So erwaͤgen Sie doch, ſo bedenken Sie doch, wie
ſehr Sie ſich in Disgrace ſezen, Lady!
und ſpricht das folgende mit der innigſten Ruͤhrung)
Ihr
ſteht beſtuͤrzt guten Leute, erwartet angſtvoll, wie
ſich das Raͤzel entwikeln wird? — Kommt naͤher,
meine Lieben — Ihr dientet mir redlich und warm,
ſahet mir oͤfter in die Augen, als in die Boͤrſe,
euer Gehorſam war eure Leidenſchaft, euer Stolz —
meine Gnade! — — Daß das Andenken eurer Treue
zugleich das Gedaͤchtniß meiner Erniedrigung ſeyn
muß! Trauriges Schikſal, daß meine ſchwaͤrzeſten
Tage eure gluͤklichen waren!
Ich entlaſſe euch meine Kinder — — Lady Milford iſt
nicht mehr, und Johanna von Norfolk zu arm, ih-
re Schuld abzutragen — Mein Schazmeiſter ſtuͤrze
meine Schatulle unter euch — Dieſer Pallaſt bleibt
dem Herzog — Der Aermſte von euch wird reicher
von hinnen gehen als ſeine Gebieterin.
Haͤnde hin, die alle nacheinander mit Leidenſchaft kuͤſſen)
Ich verſtehe euch meine guten — Lebt wol! Lebt
ewig wol!
Ich hoͤre
den Wagen vorfahren.
der
[127] der Hofmarſchall verrennt ihr den Weg)
Mann des Er-
barmens, ſtehſt du noch immer da?
Geiſtesbankerott auf den Zettel ſah)
Und dieſes Billet ſoll
ich Seiner Hochfuͤrſtlichen Durchlaucht zu hoͤchſteige-
nen Haͤnden geben?
Mann des Erbarmens! zu hoͤchſteigenen
Haͤnden, und ſolſt melden zu hoͤchſteigenen Ohren,
weil ich nicht baarfuß nach Loretto koͤnne, ſo werde
ich um den Taglohn arbeiten, mich zu reinigen von
dem Schimpf, ihn beherrſcht zu haben.
Alle uͤbrigen gehen ſehr bewegt auseinander.)
[128]
Fuͤnfter Akt.
Muſikanten)
Erſte Szene.
ſterſten Winkel des Zimmers, den Kopf auf den Arm ge-
ſunken. Nach einer großen und tiefen Pauſe kommt
Miller mit einer Handlaterne, leuchtet aͤngſtlich im
Zimmer herum, ohne Louiſen zu bemerken,
dann legt er den Hut auf den Tiſch
und ſezt die Laterne nieder.
Hier iſt ſie auch nicht. Hier wieder
nicht — Durch alle Gaſſen bin ich gezogen, bei al-
len Bekannten bin ich geweſen, auf allen Thoren
hab ich gefragt — Mein Kind hat man nirgends
geſehen
Geduld armer
ungluͤklicher Vater. Warte ab, bis es morgen
wird. Vielleicht kommt deine Einzige dann an‘s
Ufer geſchwommen — — Gott! Gott! Wenn ich
mein Herz zu abgoͤttiſch an dieſe Tochter hieng? — Die
Strafe iſt hart. Himmliſcher Vater, hart! Ich
will nicht murren, himmliſcher Vater, aber die
Strafe iſt hart
Stuhl)
Louiſe.
[129]
Du thuſt
recht, armer alter Mann! Lerne bei Zeit noch
verlieren.
Biſt du da mein Kind?
Biſt du? — Aber warum denn ſo einſam und oh-
ne Licht?
Ich bin darum doch nicht einſam.
Wenns ſo recht ſchwarz wird um mich herum, hab
ich meine beſten Beſuche.
Gott bewahre dich! Nur der Gewiſ-
ſenswurm ſchwaͤrmt mit der Eule. Suͤnden und
boͤſe Geiſter ſcheuen das Licht.
Auch die Ewigkeit Vater, die mit der
Seele ohne Gehilfen redet.
Kind! Kind! Was fuͤr Reden ſind
das?
Ich hab
einen harten Kampf gekaͤmpft. Er weiß es Vater.
Gott gab mir Kraft. Der Kampf iſt entſchieden.
Vater! man pflegt unſer Geſchlecht zart und zerbrech-
lich zu nennen. Glaub Er das nicht mehr. Vor
einer Spinne ſchuͤtteln wir uns, aber das ſchwarze
Ungeheuer Verweſung druͤken wir im Spaß in die
Arme. Dieſes zur Nachricht Vater. Seine Louiſe
iſt luſtig.
Hoͤre Tochter! Ich wollte du heulteſt.
Du gefielſt mir ſo beſſer.
Wie ich ihn uͤberliſten will, Vater
Wie ich den Tyrannen betruͤgen will! — Die Liebe
Jiſt
[130] iſt ſchlauer als die Bosheit und kuͤhner — das hat
er nicht gewußt, der Mann mit dem traurigen
Stern — O! ſie ſind pfiffig, ſo lang ſie es nur mit
dem Kopf zu thun haben, aber ſobald ſie mit dem
Herzen anbinden, werden die Boͤswichter dumm —
— Mit einem Eid gedachte er ſeinen Betrug zu ver-
ſiegeln? Eide, Vater, binden wol die Lebendigen,
im Tode ſchmilzt auch der Sakramente eiſernes
Band. Ferdinand wird ſeine Louiſe kennen — Will
er mir diß Billet beſorgen, Vater? Will er ſo gut
ſeyn?
An Wen, meine Tochter?
Seltſame Frage! Die Unendlichkeit
und mein Herz haben miteinander nicht Raum ge-
nug fuͤr einen einzigen Gedanken an ihn — Wenn
haͤtt ich denn wol an ſonſt jemand ſchreiben ſollen?
Hoͤre Louiſe! Ich erbreche
den Brief.
Wie Er will, Vater — aber Er wird
nicht klug daraus werden. Die Buchſtaben liegen
wie kalte Leichname da, und leben nur Augen der
Liebe.
„Du biſt verrathen, Ferdi-
nand — ein Bubenſtuͤk ohne Beiſpiel zerriß den
Bund unſrer Herzen, aber ein ſchroͤklicher Schwur
hat meine Zunge gebunden, und dein Vater hat
uͤberall ſeine Horcher geſtellt. Doch wenn du Muth
haſt, Geliebter — ich weiß einen dritten Ort, wo
kein Eidſchwur mehr bindet, und wohin ihm kein
Horcher
[131] Horcher geht „
in‘s Geſicht.)
Warum ſieht Er mich ſo an? Leſ‘ Er
doch ganz aus, Vater.
„ Aber Muth genug muſt du haben,
eine finſtre Straſſe zu wandeln, wo dir nichts leuch-
tet, als deine Louiſe und Gott — Ganz nur Liebe
muſt du kommen, daheim laſſen all deine Hofnun-
gen, und alle deine brauſenden Wuͤnſche; nichts
kannſt du brauchen als dein Herz. Willſt du —
ſo brich auf, wenn die Gloke den zwoͤlften Streich
thut auf dem Karmeliterthurm. Bangt dir — ſo
durchſtreiche das Wort ſtark vor deinem Geſchlechte,
denn ein Maͤdchen hat dich zu ſchanden gemacht „
ſchmerzlichen ſtarren Blik vor ſich hinaus, endlich kehrt
er ſich gegen ſie, und ſagt mit leiſer gebrochener Stimme)
Und dieſer dritte Ort, meine Tochter?
Er kennt ihn nicht, Er kennt ihn
wirklich nicht, Vater? — Sonderbar! Der Ort
iſt zum Finden gemahlt. Ferdinand wird ihn fin-
den.
Hum! Rede deutlicher.
Ich weiß ſo eben kein liebliches Wort
dafuͤr — Er muß nicht erſchreken Vater, wenn
ich ihm ein haͤßliches nenne. Dieſer Ort —
O warum hat die Liebe nicht Namen erfunden! Den
ſchoͤnſten haͤtte ſie dieſem gegeben. Der dritte Ort,
J 2guter
[132] guter Vater — aber Er muß mich ausreden laſſen
— Der dritte Ort iſt das Grab..
O mein
Gott!
Nicht
doch mein Vater! Das ſind nur Schauer, die ſich
um das Wort herum lagern — Weg mit dieſem,
und es liegt ein Brautbette da, woruͤber der Mor-
gen ſeinen goldenen Teppich breitet, und die Fruͤh-
linge ihre bunte Guirlanden ſtreun. Nur ein heu-
lender Suͤnder konnte den Tod ein Gerippe ſchelten;
es iſt ein holder niedlicher Knabe, bluͤhend, wie ſie
den Liebesgott mahlen, aber ſo tuͤkiſch nicht — ein
ſtiller dienſtbarer Genius, der der erſchoͤpften Pilge-
rin Seele den Arm bietet uͤber den Graben der
Zeit, das Feenſchloß der ewigen Herrlichkeit auf-
ſchließt, freundlich nikt, und verſchwindet.
Was haſt du vor, meine Tochter? —
Du willſt eigenmaͤchtig Hand an dich legen.
Nenn Er es nicht ſo mein Vater. Ei-
ne Geſellſchaft raͤumen, wo ich nicht wol gelitten
bin — An einen Ort vorausſpringen, den ich
nicht laͤnger miſſen kann — Iſt denn das Suͤnde?
Selbſtmord iſt die abſcheulichſte mein
Kind — die einzige, die man nicht mehr bereuen
kann, weil Tod und Miſſethat zuſammenfallen.
Entſezlich!
—
Aber ſo raſch wird es doch nicht gehn. Ich will in
den Fluß ſpringen, Vater, und im Hinunter-
ſinken
[133]ſinken Gott den Allmaͤchtigen um Erbarmen
bitten.
Das heißt, du wilſt den Diebſtal be-
reuen, ſobald du das Geſtohlene in Sicherheit weiſt
— Tochter! Tochter! gib acht, daß du Gottes nicht
ſpotteſt, wenn du ſeiner am meiſten vonnoͤthen haſt.
O! es iſt weit! weit mit dir gekommen! — Du
haſt dein Gebet aufgegeben, und der Barmherzige
zog ſeine Hand von dir.
Iſt lieben denn Frevel, mein Va-
ter?
Wenn du Gott liebſt, wirſt du nie
bis zum Frevel lieben — — Du haſt mich tief ge-
beugt, meine Einzige! tief, tief, vielleicht zur Gru-
be gebeugt. — Doch! ich will dir dein Herz nicht
noch ſchwerer machen — Tochter! ich ſprach vorhin
etwas. Ich glaubte allein zu ſeyn. Du haſt mich
behorcht, und warum ſolt ich's noch laͤnger geheim
halten? Du warſt mein Abgott. Hoͤre Louiſe,
wenn du noch Plaz fuͤr das Gefuͤhl eines Vaters
haſt — Du warſt mein Alles. Jezt verthuſt du
nicht mehr von deinem Eigenthum. Auch Ich hab
alles zu verlieren. Du ſiehſt, mein Haar faͤngt an
grau zu werden. Die Zeit meldet ſich allgemach bei
mir, wo uns Vaͤtern die Kapitale zu ſtatten kom-
men, die wir im Herzen unſrer Kinder anlegten —
Wirſt du mich darum betruͤgen, Louiſe? Wirſt du
dich mit dem Haab und Gut deines Vaters auf und
davon machen?
J 3Louiſe.
[134]
rung)
Nein mein Vater. Ich gehe als Seine große
Schuldnerin aus der Welt, und werde in der Ewig-
keit mit Wucher bezalen.
Gib acht, ob du dich da nicht ver-
rechneſt, mein Kind?
Wer-
den wir uns dort wol noch finden? — — Sieh!
Wie du blaß wirſt! — Meine Louiſe begreift es
von ſelbſt, doß ich ſie in jener Welt nicht wol mehr
einholen kann, weil ich nicht ſo fruͤh dahin eile,
wie ſie
ergriffen — Er druͤkt ſie mit Feuer an ſeine Bruſt und
faͤhrt fort mit beſchwoͤrender Stimme)
o Tochter! Toch-
ter! Gefallene, vielleicht ſchon verlorene Tochter!
Beherzige das ernſthafte Vaterwort! Ich kann
nicht uͤber dich wachen. Ich kann dir die Meſſer neh-
men, du kannſt dich mit einer Striknadel toͤdten.
Fuͤr Gift kann ich dich bewahren, du kannſt dich
mit einer Schnur Perlen erwuͤrgen. — Louiſe —
Louiſe — nur warnen kann ich dich noch — Wilſt
du es darauf ankommen laſſen, daß dein treuloſes
Gaukelbild auf der ſchroͤklichen Bruͤke zwiſchen Zeit
und Ewigkeit von dir weiche? Wilſt du dich vor
des Allwiſſenden Tron mit der Luͤge waͤgen: Dei-
netwegen, Schoͤpfer, bin ich da! wenn deine ſtraf-
bare Augen ihre ſterbliche Puppe ſuchen? — Und
wenn dieſer zerbrechliche Gott deines Gehirns,
jezt Wurm wie du, zu den Fuͤßen deines Rich-
ters ſich windet, deine gottloſe Zuverſicht in die-
ſem
[135] ſem ſchwankenden Augenblik Luͤgen ſtraft, und
deine betrogene Hofnungen an die ewige Er-
barmung verweißt, die der Elende fuͤr ſich ſelbſt
kaum erflehen kann — Wie dann?
lauter)
Wie dann Ungluͤkſelige?
blikt ſie eine Weile ſtarr und durchdringend an, dann
verlaͤßt er ſie ſchnell)
Jezt weiß ich nichts mehr
aufgehobener Rechte)
ſtehe dir, Gott Richter! fuͤr dieſe
Seele nicht mehr. Thu was du wilſt. Bring dei-
nem ſchlanken Juͤngling ein Opfer, daß deine Teufel
jauchzen, und deine guten Engel zuruͤktreten — Zieh
hin! Lade alle deine Suͤnden auf, lade auch dieſe,
die lezte, die entſezlichſte auf, und wenn die Laſt
noch zu leicht iſt, ſo mache mein Fluch das Gewicht
vollkommen — Hier iſt ein Meſſer — durchſtich dein
Herz, und
das
Vaterherz!
Halt!
Halt! O mein Vater! — Daß die Zaͤrtlichkeit
noch barbariſcher zwingt, als Tyrannenwuth! —
Was ſoll ich? Ich kann nicht! Was muß ich
thun?
Wenn die Kuͤſſe deines Majors heißer
brennen als die Traͤnen deines Vaters — ſtirb!
Feſtigkeit)
Vater! Hier iſt meine Hand! Ich will —
Gott! Gott! was thu ich? was will ich? — Va-
ter ich ſchwoͤre — Wehe mir, wehe! Verbrecherin
J 4wohin
[136] wohin ich mich neige! — Vater es ſei! — Fer-
dinand — Gott ſieht herab! — So zernicht' ich
ſein leztes Gedaͤchtniß
Das iſt meine Tochter! — Blik auf! Um einen
Liebhaber biſt du leichter, dafuͤr haſt du einen gluͤk-
lichen Vater gemacht.
umarmend)
Kind! Kind, daß ich den Tag meines
Lebens nicht werth war! Gott weiß, wie ich ſchlech-
ter Mann zu dieſem Engel gekommen bin! — Mei-
ne Louiſe, mein Himmelreich! — O Gott! ich
verſtehe ja wenig vom Lieben, aber daß es eine
Quaal ſeyn muß, aufzuhoͤren — ſo was begreif ich
noch.
Doch hinweg aus dieſer Gegend mein
Vater — Weg von der Stadt, wo meine Geſpie-
linnen meiner ſpotten, und mein guter Name da-
hin iſt auf immerdar — Weg, weg, weit weg von
dem Ort, wo mich ſo viele Spuren der verlorenen
Seligkeit anreden — Weg, wenn es moͤglich
iſt —
Wohin du nur wilſt, meine Tochter.
Das Brod unſers Herrgotts waͤchſt uͤberall, und
Ohren wird er auch meiner Geige beſcheeren. Ja!
Laß auch alles dahingehn — Ich ſeze die Geſchich-
te deines Grams auf die Laute, ſinge dann ein Lied
von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr
Herz zerriſſ' — wir betteln mit der Ballade von
Thuͤre
[137] Thuͤre zu Thuͤre, und das Allmoſen wird koͤſt-
lich ſchmeken von den Haͤnden der Weinenden —
Zweite Szene.
Millern laut ſchreiend um den Hals)
Gott! Da iſt er!
Ich bin verloren.
Wo? Wer?
Major, und druͤkt ſich feſter an ihren Vater)
Er! Er
ſelbſt! — Seh er nur um ſich Vater — Mich zu
ermorden iſt er da.
Was? Sie
hier Baron?
ſen gegenuͤber ſtehn, und laͤßt den ſtarren forſchenden Blik
auf ihr ruhen, nach einer Pauſe)
Ueberraſchtes Gewiſ-
ſen, habe Dank! Dein Bekenntniß iſt ſchreklich
aber ſchnell und gewiß, und erſpart mir die Folte-
rung. — Guten Abend Miller.
Aber um Gotteswillen! Was wollen
Sie Baron? Was fuͤhrt Sie her? Was ſoll die-
ſer Ueberfall?
Ich weiß eine Zeit, wo man den
Tag in ſeine Sekunden zerſtuͤkte, wo Sehnſucht nach
mir ſich an die Gewichte der zoͤgernden Wanduhr
J 5hieng,
[138] hieng, und auf den Aderſchlag lauerte, unter dem
ich erſcheinen ſolte — Wie kommts, daß ich jezt
uͤberraſche?
Gehen Sie, gehen Sie Baron —
Wenn noch ein Funke von Menſchlichkeit in Ihrem
Herzen zuruͤkblieb — Wenn Sie die nicht erwuͤrgen
wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie,
bleiben Sie keinen Augenblik laͤnger. Der Seegen
war fort aus meiner Huͤtte, ſobald Sie einen Fuß
darein ſezten — Sie haben das Elend unter mein
Dach gerufen, wo ſonſt nur die Freude zu Hauſe
war. Sind Sie noch nicht zufrieden? Wollen
Sie auch in der Wunde noch wuͤhlen, die Ihre un-
gluͤkliche Bekanntſchaft meinem einzigen Kinde
ſchlug?
Wunderlicher Vater, jezt komm ich
ja, deiner Tochter etwas erfreuliches zu ſagen.
Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen
Verzweiflung? — Geh Ungluͤksbote! Dein Ge-
ſicht ſchimpft deine Waare.
Endlich iſt es erſchienen, das Ziel
meiner Hoffnungen! Lady Milford, das furchtbar-
ſte Hinderniß unſrer Liebe, floh dieſen Augenblik
aus dem Lande. Mein Vater billigt meine Wahl.
Das Schikſal laͤßt nach, uns zu verfolgen. Unſre
gluͤklichen Sterne gehen auf — Ich bin jezt da,
mein gegebenes Wort einzuloͤſen, und meine Braut
zum Altar abzuholen.
Miller.
[139]
Hoͤrſt du ihn meine Tochter? Hoͤrſt
du ihn ſein Geſpoͤtte mit deinen getaͤuſchten Hoff-
nungen treiben? O wahrlich Baron! Es ſteht
dem Verfuͤhrer ſo ſchoͤn, an ſeinem Verbrechen ſei-
nen Wiz noch zu kuͤzeln.
Du glaubſt, ich ſcherze. Bei mei-
ner Ehre nicht! Meine Auſſage iſt wahr, wie die
Liebe meiner Louiſe, und heilig will ich ſie halten,
wie Sie ihre Eide — Ich kenne nichts heiligers —
Noch zweifelſt du? Noch kein freudiges Erroͤthen
auf den Wangen meiner ſchoͤnen Gemahlin? Son-
derbar! Die Luͤge muß hier gangbare Muͤnze ſeyn,
wenn die Wahrheit ſo wenig Glauben findet. Ihr
mißtraut meinen Worten? So glaubt dieſem ſchrift-
lichen Zeugniß.
Marſchall zu)
blaß nieder)
Was ſoll das bedeuten, Baron? Ich verſtehe Sie
nicht.
Deſto
beſſer hat mich dieſe verſtanden!
O Gott! meine
Tochter!
Bleich wie der Tod! — Jezt erſt
gefaͤllt ſie mir deine Tochter! So ſchoͤn war ſie nie
die fromme rechtſchaffne Tochter — Mit dieſem
Leichengeſicht — — Der Odem des Weltgerichts,
der
[140] der den Firniß von jeder Luͤge ſtreift, hat jezt die
Schminke verblaſen, womit die Tauſendkuͤnſtlerin
auch die Engel des Lichts hintergangen hat — Es
iſt ihr ſchoͤnſtes Geſicht! Es iſt ihr erſtes wahres
Geſicht! Laß mich es kuͤſſen
Zuruͤk! Weg! Greife nicht an das
Vaterherz, Knabe! Vor deinen Liebkoſungen konnt
ich ſie nicht bewahren, aber ich kann es vor deinen
Mißhandlungen.
Was wilſt du Graukopf? Mit
dir hab ich nichts zu ſchaffen. Menge dich ja nicht
in ein Spiel, das ſo offenbar verloren iſt — oder biſt
du auch vielleicht kluͤger, als ich dir zugetraut habe?
Haſt du die Weißheit deiner ſechzig Jahre zu den
Buhlſchaften deiner Tochter geborgt, und diß ehr-
wuͤrdige Haar mit dem Gewerb eines Kupplers ge-
ſchaͤndet? — O! wenn das nicht iſt, ungluͤklicher
alter Mann, lege dich nieder und ſtirb — Noch iſt
es Zeit. Noch kannſt du in dem ſuͤßen Taumel ent-
ſchlafen: Ich war ein gluͤklicher Vater! — einen
Augenblik ſpaͤter, und du ſchleuderſt die giftige Nat-
ter ihrer hoͤlliſchen Heimat zu, verfluchſt das Ge-
ſchenk und den Geber, und faͤhrſt mit der Gotteslaͤ-
ſterung in die Grube.
Sprich Ungluͤkſe-
lige! Schriebſt du dieſen Brief?
Um Gotteswillen
Tochter! Vergiß nicht! Vergiß nicht!
O dieſer Brief mein Vater —
Daß er in die unrechte Haͤnde fiel?
— Geprieſen ſei mir der Zufall, er hat groͤßere Tha-
ten
[141] ten gethan als die kluͤgelnde Vernunft, und wird
beſſer beſtehn an jenem Tag als der Wiz aller Wei-
ſen — Zufall ſage ich? — O die Vorſehung iſt
dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo
ein Teufel entlarvt werden ſoll? — Antwort will
ich! — Schriebſt du dieſen Brief?
Stand-
haft! Standhaft meine Tochter! Nur noch das ein-
zige Ja, und alles iſt uͤberwunden.
Luſtig! Luſtig! Auch der Vater
betrogen. Alles betrogen! Nun ſieh, wie ſie da-
ſteht die Schaͤndliche, und ſelbſt ihre Zunge nun ih-
rer lezten Luͤge den Gehorſam aufkuͤndigt! Schwoͤre
bei Gott! bei dem fuͤrchterlich wahren! Schriebſt du
dieſen Brief?
ſie durch Blike mit ihrem Vater geſprochen hat, feſt und
entſcheidend)
Ich ſchrieb ihn.
Louiſe
— Nein! Sowahr meine Seele lebt! du luͤgſt —
Auch die Unſchuld bekennt ſich auf der Folterbank
zu Freveln, die ſie nie begieng — Ich fragte zu
heftig — Nicht wahr Louiſe — Du bekannteſt nur,
weil ich zu hefti gfragte?
Ich bekannte was wahr iſt.
Nein ſag ich! Nein! Nein! Du
ſchriebſt nicht. Es iſt deine Hand gar nicht — Und
waͤre ſie's, warum ſolten Handſchriften ſchwerer
nachzumachen ſeyn, als Herzen zu verderben? Re-
de mir wahr Louiſe — oder nein, nein, thu es
nicht,
[142] nicht, du koͤnnteſt Ja ſagen, und ich waͤr verloren
— Eine Luͤge Louiſe — eine Luͤge — O wenn du
jezt eine wuͤßteſt, mir hinwaͤrfeſt mit der offenen
Engelmiene, nur mein Ohr, nur mein Aug uͤber-
redeteſt, dieſes Herz auch noch ſo abſcheulich taͤuſch-
teſt — O Louiſe! Alle Wahrheit moͤchte dann mit
dieſem Hauch aus der Schoͤpfung wandern, und
die gute Sache ihren ſtarren Hals von nun an zu einem
hoͤfiſchen Buͤkling beugen!
Schriebſt du dieſen Brief?
Bei Gott! Bei dem fuͤrchterlich wah-
ren! Ja!
tiefſten Schmerzens)
Weib! Weib! — Das Geſicht,
mit dem du jezt vor mir ſtehſt! — Theile mit die-
ſem Geſicht Paradieſe aus, du wirſt ſelbſt im Reich
der Verdammniß keinen Kaͤufer finden — Wußteſt
du, was du mir wareſt, Louiſe? Ohnmoͤglich!
Nein! Du wußteſt nicht, daß du mir Alles warſt!
Alles! — Es iſt ein armes veraͤchtliches Wort, aber
die Ewigkeit hat Muͤhe, es zu umwandern, Welt-
ſyſteme vollenden ihre Bahnen darinn — Alles!
Und ſo frevelhaft damit zu ſpielen — O es iſt
ſchreklich —
Sie haben mein Geſtaͤndniß Herr von
Walter. Ich habe mich ſelbſt verdammt. Gehen
Sie nun! Verlaſſen Sie ein Haus, wo Sie ſo
ungluͤklich waren.
Ferdin.
[143]
Gut! Gut! Ich bin ja ruhig —
ruhig, ſagt man ja, iſt auch der ſchaudernde Strich
Landes, woruͤber die Peſt gieng — ich bins
einigem Nachdenken)
Noch eine Bitte Louiſe — die
lezte! Mein Kopf brennt ſo fieberiſch. Ich brau-
che Kuͤhlung — Wilſt du mir ein Glas Limonade
zurecht machen
Dritte Szene.
lang auf den entgegengeſezten Seiten des Zimmers
auf und ab)
Major mit trauriger Miene)
Lieber Baron, kann es
Ihren Gram vielleicht mindern, wann ich Ihnen
geſtehe, daß ich Sie herzlich bedaure?
Laß er es gut ſeyn Miller
einige Schritte)
Miller, ich weiß nur kaum noch,
wie ich in ſein Haus kam — Was war die Veran-
laſſung?
Wie Herr Major? Sie wolten ja Lek-
zion auf der Floͤte bei mir nehmen? Das wiſſen
Sie nicht mehr?
Ich ſah ſeine Tochter
derum einige Pauſen)
Er hat nicht Wort gehalten,
Freund. Wir akkordierten Ruhe fuͤr meine einſa-
me
[144] me Stunden. Er betrog mich, und verkaufte mir
Skorpionen
Nein!
Erſchrik nur nicht alter Mann
Du biſt nicht ſchuldig.
Das weiß der
allwiſſende Gott!
Gruͤbeln verſunken)
Seltſam o unbegreiflich ſeltſam
ſpielt Gott mit uns. An duͤnnen unmerkbaren Sei-
len haͤngen oft fuͤrchterliche Gewichte — Wuͤßte
der Menſch, daß er an dieſem Apfel den Tod eſſen
ſolte — Hum! — wuͤßte er das?
nieder, dann Millers Hand mit ſtarker Bewegung faſſend)
Mann! ich bezahle dir dein Bischen Floͤte zu theuer
— — und du gewinnſt nicht einmal — auch du
verlierſt — verlierſt vielleicht alles
weggehend)
Ungluͤkſeliges Floͤtenſpiel, das mir nie
haͤtte einfallen ſollen.
Die
Limonade bleibt auch gar zulang auſſen. Ich denke,
ich ſehe nach, wenn Sie mirs nicht fuͤr uͤbel neh-
men —
Es eilt nicht lieber Miller
hin murmelnd)
zumal fuͤr den Vater nicht — Bleib
er nur — Was hatt ich doch fragen wollen? —
Ja! — Iſt Louiſe ſeine einzige Tochter? Sonſt hat
er keine Kinder mehr?
Habe ſonſt keins mehr Ba-
ron — wuͤnſch mir auch keins mehr. Das Maͤdel
iſt
[145] iſt juſt ſo recht, mein ganzes Vaterherz einzusteken
— hab meine ganze Baarſchaft von Liebe an der
Tochter ſchon zugeſezt.
Ha! — — Seh
Er doch lieber nach dem Trank, guter Miller.
Vierte Szene.
Das einzige Kind! — Fuͤhlſt du das, Moͤrder?
Das einzige! Moͤrder! hoͤrſt du, das einzige? —
Und der Mann hat auf der großen Welt Gottes
nichts, als ſein Inſtrument und das einzige — Du
willſt's ihm rauben?
Rauben? — Rauben den lezten Nothpfenning
einem Bettler? Die Kruͤke zerbrochen vor die Fuͤße
werfen dem Lahmen? Wie? Hab ich auch Bruſt fuͤr
das? — — Und wenn er nun heimeilt, und nicht
erwarten kann, die ganze Summe ſeiner Freuden
vom Geſicht dieſer Tochter herunter zu zaͤhlen, und
hereintritt, und ſie da liegt die Blume — welk —
todt — zertreten, muthwillig die lezte, einzige, un-
uͤberſchwengliche Hoffnung — Ha! und er da ſteht
vor ihr, und da ſteht, und ihm die ganze Natur
den lebendigen Odem anhaͤlt, und ſein erſtarrter Blik
die entvoͤlkerte Unendlichkeit fruchtlos durchwandert,
Gott ſucht, und Gott nicht mehr finden kann, und
leerer zuruͤk kommt — — Gott! Gott! aber auch
mein Vater hat dieſen einzigen Sohn — den einzi-
Rgen
[146] gen Sohn, doch nicht den einzigen Reichthum —
Doch wie? was verliert er denn?
Das Maͤdchen, dem die heiligſten Gefuͤhle der Liebe
nur Puppen waren, wird es den Vater gluͤklich ma-
chen koͤnnen? — Es wird nicht! Es wird nicht!
Und ich verdiene noch Dank, daß ich die Natter zer-
trete, ehe ſie auch noch den Vater verwundet.
Fuͤnfte Szene.
Gleich ſollen Sie bedient ſeyn, Baron.
Draußen ſizt das arme Ding, und will ſich zu Tode
weinen. Sie wird Ihnen mit der Limonade auch
Traͤnen zu trinken geben.
Und wol, wenns nur Traͤnen
waͤren! — — Weil wir vorhin von der Muſik ſpra-
chen Miller
Ich bin noch ſein
Schuldner.
Wie? Was? Gehen Sie mir Baron!
Wofuͤr halten Sie mich? Das ſteht ja in guter Hand,
thun Sie mir doch den Schimpf nicht an, und ſind
wir ja, wills Gott, nicht das leztemal bei einander.
Wer kann das wiſſen? Nehm er
nur. Es iſt fuͤr Leben und Sterben.
O deßwegen Baron! Auf
den Fall, denk ich, kann mans wagen bei Ihnen.
Man wagte wirklich — Hat er nie
gehoͤrt, daß Juͤnglinge gefallen ſind — Maͤdchen und
Juͤng-
[147] Juͤnglinge, die Kinder der Hoffnung, die Luftſchloͤſ-
ſer betrogener Vaͤter — Was Wurm und Alter nicht
thun, kann oft ein Donnerſchlag ausrichten — Auch
ſeine Louiſe iſt nicht unſterblich.
Ich hab ſie von Gott.
Hoͤr er — Ich ſag ihm, ſie iſt nicht
unſterblich. Dieſe Tochter iſt ſein Augapfel. Er hat
ſich mit Herz und Seel an dieſe Tochter gehaͤngt.
Sei er vorſichtig Miller. Nur ein verzweifelter Spie-
ler ſezt alles auf einen einzigen Wurf. Einen Wag-
hals nennt man den Kaufmann, der auf ein Schiff
ſein ganzes Vermoͤgen ladet — Hoͤr er, denk er der
Warnung nach — — Aber warum nimmt er ſein
Geld nicht?
Was Herr? Die ganze allmaͤchtige
Boͤrſe? Wohin denken Euer Gnaden?
Auf meine Schuldigkeit — Da!
fallen)
Ich kann den Quark nicht eine Ewigkeit ſo
halten.
Was beim großen Gott?
Das klang nicht wie Silbergeld!
und ruft mit Entſezen)
Wie um aller Himmel willen
Baron? Baron? Wo ſind Sie? Was treiben Sie
Baron? Das nenn ich mir Zerſtreuung!
mengeſchlagenen Haͤnden)
Hier liegt ja — oder bin ich
verhext, oder — Gott verdamm mich! Da greif
ich ja das baare gelbe leibhafte Gottesgold — — Nein
Satanas! Du ſolſt mich nicht daran kriegen!
R 2Ferdin.
[148]
Hat er Alten oder Neuen getrun-
ken, Miller?
Donner und Wetter! Da ſchauen
Sie nur hin! — Gold!
Und was nun weiter?
Ins Henkers Nahmen — ich ſage —
ich bitte Sie um Gottes Chriſti willen — Gold!
Das iſt nun freilich etwas merk-
wuͤrdiges.
mit Empfindung)
Gnaͤdiger Herr, ich bin ein ſchlich-
ter gerader Mann, wenn Sie mich etwas zu einem
Bubenſtuͤk anſpannen wollen — denn ſo viel Geld laͤßt
ſich, weiß Gott, nicht mit etwas Gutem verdienen.
Sei er ganz getroſt, lie-
ber Miller. Das Geld hat er laͤngſt verdient, und
Gott bewahre mich, daß ich mich mit ſeinem guten
Gewiſſen dafuͤr bezahlt machen ſollte.
Mein alſo! Mein! Mit des guten Gottes Wiſſen
und Willen, mein!
Weib! Tochter! Viktoria! Herbei!
Aber du lieber Himmel! wie komm ich denn ſo auf
einmal zu dem ganzen grauſamen Reichthum? Wie
verdien ich ihn? Lohn ich ihn? Heh?
Nicht mit ſeinen Muſikſtunden,
Miller — Mit dem Geld hier bezahl ich ihm
Schauern ergriffen haͤlt er inn)
bezahl ich ihm
einer
[149] einer Pauſe mit Wehmut)
den dreimonatlangen gluͤk-
lichen Traum von ſeiner Tochter.
Gnaͤ-
diger Herr! Waͤren Sie ein ſchlechter geringer Buͤr-
gersmann —
und mein Maͤdel liebte Sie
nicht? Erſtechen wollt ich's, das Maͤdel
Geld, darauf niedergeſchlagen)
Aber da hab ich ja nun
alles, und Sie nichts, und da werd ich nun das
ganze Gaudium wieder heraus blechen muͤßen?
Heh?
Laß er ſich das nicht anfechten,
Freund — Ich reiſe ab, und in dem Land, wo ich
mich zu ſezen gedenke, gelten die Stempel nicht.
das Gold hingeheftet, voll Entzuͤkkung)
Bleibts alſo
mein? Bleibts? — Aber das thut mir nur leid,
daß Sie verreiſen — Und wart, was ich jezt auftre-
ten will! Wie ich die Baken jezt voll nehmen will!
Und
auf dem Markt will ich meine Muſikſtunden geben,
und Numero fuͤnfe Dreikoͤnig rauchen, und wenn
ich wieder auf den Dreibatzenplaz ſize, ſoll mich der
Teufel holen.
Bleib Er! Schweig Er! und ſtreich
Er ſein Geld ein.
Nur dieſen Abend
noch ſchweig Er, und geb Er, mir zu Gefallen,
von Nun an keine Muſikſtunden mehr.
faſſend voll inniger Freude)
Und Herr! meine Tochter!
R 3(ihn
[150]
Geld macht den Mann nicht —
Geld nicht — Ich habe Kartoffeln gegeſſen oder ein
wildes Huhn; ſatt iſt ſatt, und dieſer Rok da iſt
ewig gut, wenn Gottes liebe Sonne nicht durch den
Ermel ſcheint — Fuͤr mich iſt das Plunder — Aber
dem Maͤdel ſoll der Seegen bekommen, was ich ihr
nur an den Augen abſehen kann, ſoll ſie haben —
Stille, o Stille —
Und ſoll mir Fran-
zoͤſiſch lernen aus dem Fundament, und Menuet-
tanzen, und Singen, daß mans in den Zeitungen
leſen ſoll; und eine Haube ſoll ſie tragen wie die Hof-
rathstoͤchter, und einen Kidebarri, wie ſies heiſſen,
und von der Geigerstochter ſoll man reden auf vier
Meilen weit —
ſten Bewegung)
Nichts mehr! Nichts mehr! Um Got-
tes willen, ſchweig er ſtill! Nur noch heute ſchweig
er ſtill, das ſei der einzige Dank, den ich von ihm
fordre.
Sechste Szene.
Stimme, indem ſie dem Major das Glas auf einem Teller
bringt)
Sie befehlen, wenn ſie nicht ſtark genug iſt?
dreht ſich raſch gegen Millern)
O beinahe haͤtt ich das
vergeſ-
[151] vergeſſen! — Darf ich Ihn um etwas bitten lieber
Miller? Will Er mir einen kleinen Gefallen thun?
Tauſend fuͤr einen! Was befehlen — —
Man wird mich bei der Tafel er-
warten. Zum Ungluͤk hab ich eine ſehr boͤſe Laune.
Es iſt mir ganz unmoͤglich, unter Menſchen zu
gehn — Will Er einen Gang thun zu meinem Vater
und mich entſchuldigen?
Den Gang
kann ja Ich thun.
Zum Praͤſidenten?
Nicht zu ihm ſelbſt. Er uͤbergibt
ſeinen Auftrag in der Garderobe einem Kammerdie-
ner — Zu ſeiner Legitimazion iſt hier meine Uhr —
Ich bin noch da, wenn er wieder kommt. — Er
wartet auf Antwort.
Kann denn Ich das
nicht auch beſorgen?
Halt,
und noch etwas! Hier iſt ein Brief an meinen Vater,
der dieſen Abend an mich eingeſchloſſen kam — Viel-
leicht dringende Geſchaͤfte — Es geht in einer Be-
ſtellung hin —
Schon gut, Baron!
ſten Bangigkeit)
Aber mein Vater, dis alles koͤnnt
ich ja recht gut beſorgen.
Du biſt allein, und es iſt finſtre Nacht
meine Tochter,
K 4Ferdin.
[152]
Leuchte deinem Vater, Louiſe.
tritt er zum Tiſch, und wirft Gift in ein Glas Limonade)
Ja! Sie ſoll dran! Sie ſoll! Die obern Maͤchte ni-
ken mir ihr ſchrekliches Ja herunter, die Rache des
Himmels unterſchreibt, ihr guter Engel laͤßt ſie
fahren —
Siebente Szene.
nieder, und ſtellt ſich auf die entgegen geſezte Seite
vom Major, das Geſicht auf den Boden geſchla-
gen, und nur zuweilen furchtſam und verſtohlen
nach ihm heruͤber ſchielend. Er ſteht auf der an-
dern Seite, und ſieht ſtarr vor ſich hinaus.)
Auftritt ankuͤndigen muß.
Wollen Sie mich akkompagnieren Herr
von Walter, ſo mach ich einen Gang auf dem For-
tepiano.
Sie ſind mir auch noch Revange auf
dem Schachbrett ſchuldig. Wollen wir eine Parthie
Herr von Walter?
Herr von Walter, die Brieftaſche, die
ich Ihnen einmal zu ſtiken verſprochen — Ich habe
ſie
[153] ſie angefangen — Wollen ſie das Deſſein nicht
beſehen?
O ich bin ſehr elend!
Das
koͤnnte wahr ſeyn.
Meine Schuld iſt es nicht, Herr von
Walter, daß Sie ſo ſchlecht unterhalten werden.
Denn
was kannſt du fuͤr meine bloͤde Beſcheidenheit?
Ich hab es ja wol gewußt, daß wir
jezt nicht zuſammen taugen. Ich erſchrak auch gleich,
ich bekenne es, als Sie meinen Vater verſchikten —
Herr von Walter, ich vermuthe, dieſer Augenblik
wird uns beiden gleich unertraͤglich ſeyn — Wenn
Sie mirs erlauben wollen, ſo geh ich, und bitte ei-
nige von meinen Bekannten her.
O ja doch, das thu. Ich will auch
gleich gehn, und von den meinigen bitten.
Herr von
Walter?
Bei meiner Ehre!
Der geſcheideſte Einfall, den ein Menſch in dieſer La-
ge nur haben kann. Wir machen aus dieſem ver-
druͤßlichen Duett eine Luſtbarkeit, und raͤchen uns
mit Hilfe gewiſſer Galanterien an den Grillen der
Liebe.
Sie ſind aufgeraͤumt, Herr von Wal-
ter?
K 5Ferdin.
[154]
Ganz außerordentlich, um die
Knaben auf dem Markt hinter mir herzujagen!
Nein! in Wahrheit Louiſe. Dein Beiſpiel bekehrt
mich — Du ſollſt meine Lehrerin ſeyn. Thoren
ſinds, die von ewiger Liebe ſchwazen, ewiges Einer-
lei widerſteht, Veraͤnderung nur iſt das Salz des
Vergnuͤgens — Topp Louiſe! Ich bin dabei — Wir
huͤpfen von Roman zu Romane, waͤlzen uns von
Schlamme zu Schlamm — Du dahin — Ich dort-
hin — Vielleicht, daß meine verlorene Ruhe ſich in
einem Bordell wieder finden laͤßt — Vielleicht, daß
wir dann nach dem luſtigen Wettlauf, zwei modern-
de Gerippe, mit der angenehmſten Ueberraſchung
von der Welt zum zweitenmal aufeinander ſtoßen,
daß wir uns da an dem gemeinſchaftlichen Familien-
zug, den kein Kind dieſer Mutter verlaͤugnet, wie
in Komoͤdien wieder erkennen, daß Ekel und Schaam
noch eine Harmonie veranſtalten, die der zaͤrtlichſten
Liebe unmoͤglich geweſen iſt.
O Juͤngling! Juͤngling! Ungluͤklich
biſt du ſchon, wilſt du es auch noch verdienen?
Ungluͤklich bin ich? Wer hat dir das geſagt? Weib,
du biſt zu ſchlecht, um ſelbſt zu empfinden — womit
kannſt du eines andern Empfindungen waͤgen? —
Ungluͤklich, ſagte ſie? — Ha! dieſes Wort koͤnnte
meine Wut aus dem Grabe rufen! — Ungluͤklich
mußt ich werden, das wußte ſie. Tod und Ver-
dammniß! das wußte ſie, und hat mich dennoch
verrathen — Siehe Schlange! Das war der einzige
Flek
[155] Flek der Vergebung — Deine Auſſage bricht dir den
Hals — Biß jezt konnt ich deinen Frevel mit deiner
Einfalt beſchoͤnigen, in meiner Verachtung waͤrſt
du beinahe meiner Rache entſprungen.
ſtig das Glas ergreift)
Alſo leichtſinnig warſt du nicht
— dumm warſt du nicht — du warſt nur ein Teu-
fel
Die Limonade iſt matt, wie deine
Seele — Verſuche!
O Himmel! Nicht umſonſt hab ich
dieſen Auftritt gefuͤrchtet.
Verſuche!
trinkt)
den Mund ſezt, mit einer ploͤzlichen Erblaſſung weg, und
eilt nach dem hinterſten Winkel des Zimmers.)
Die Limonade iſt gut.
geſchuͤttelt)
Wohl bekomms!
O wenn
Sie wuͤßten, Walter, wie ungeheuer Sie meine Seele
beleidigen.
Hum!
Es wird eine Zeit kommen, Walter —
O! Mit
der Zeit waͤren wir fertig.
Wo der heutige Abend ſchwer auf Ihr
Herz fallen duͤrfte —
ruhigter zu werden, indem er Schaͤrpe und Degen von ſich
wirft)
Gute Nacht, Herrendienſt!
Louiſe.
[156]
Mein Gott! Wie wird Ihnen?
Heiß und enge — will mirs beque-
mer machen.
Trinken Sie! Trinken Sie! Der Trank
wird Sie kuͤhlen.
Das wird er auch ganz gewiß —
Die Maͤze iſt gutherzig, doch! das ſind alle!
ihm in die Arme eilend)
Das deiner Louiſe, Fer-
dinand?
Fort! Fort!
Dieſe ſanfte ſchmelzende Augen weg! Ich erliege.
Komm in deiner ungeheuren Furchtbarkeit, Schlan-
ge, ſpring an mir auf, Wurm — krame vor mir
deine graͤßliche Knoten aus, baͤume deine Wirbel
zum Himmel — So abſcheulich als dich jemals der
Abgrund ſah — Nur keinen Engel mehr — Nur jezt
keinen Engel mehr — es iſt zu ſpaͤt — Ich muß dich
zertreten, wie eine Natter, oder verzweifeln — Er-
barme dich!
O! Daß es ſo weit kommen mußte!
Die-
ſes ſchoͤne Werk des himmliſchen Bildners — Wer
kann das glauben? — Wer ſollte das glauben?
Hand faſſend und emporhaltend)
Ich will dich nicht zur
Rede ſtellen, Gott Schoͤpfer — aber warum denn
dein Gift in ſo ſchoͤnen Gefaͤſſen? — — Kann das
Laſter in dieſem milden Himmelſtrich fortkommen?
— O es iſt ſeltſam.
Louiſe.
[157]
Das anzuhoͤren, und ſchweigen zu
muͤſſen!
Und die ſuͤße melodiſche Stimme —
Wie kann ſo viel Wohlklang kommen aus zerriſſenen
Saiten?
lend)
Alles ſo ſchoͤn — ſo voll Ebenmaas — ſo goͤtt-
lich vollkommen! — Ueberal das Werk ſeiner himm-
liſchen Schaͤferſtunde! Bei Gott! als waͤre die große
Welt nur entſtanden, den Schoͤpfer fuͤr dieſes Mei-
ſterſtuͤk in Laune zu ſezen! — — Und nur in der
Seele ſolte Gott ſich vergriffen haben? Iſt es moͤg-
lich, daß dieſe empoͤrende Mißgeburt in die Natur
ohne Tadel kam?
Oder
ſah er einen Engel unter dem Meiſſel hervorgehen,
und half dieſem Irrthum in der Eile mit einem de-
ſto ſchlechteren Herzen ab?
O des frevelhaften Eigenſinns! Ehe
er ſich eine Uebereilung geſtaͤnde, greift er lieber den
Himmel an.
Noch einmal Louiſe — Noch einmal, wie am Tag
unſers erſten Kuſſes, da du Ferdinand ſtammelteſt,
und das erſte Du auf deine brennende Lippen trat —
O eine Saat unendlicher unausſprechlicher Freuden
ſchien in dem Augenblik wie in der Knoſpe zu lie-
gen — Da lag die Ewigkeit wie ein ſchoͤner Maitag
vor unſern Augen; goldne Jahrtauſende huͤpften,
wie Braͤute, vor unſrer Seele vorbei — — Da war
ich der Gluͤkliche! — O Louiſe! Louiſe! Louiſe! Wa-
rum haſt du mir das gethan?
Louiſe.
[158]
Weinen Sie, weinen Sie Walter.
Ihre Wehmut wird gerechter gegen mich ſeyn, als
Ihre Entruͤſtung.
Du betruͤgſt dich. Das ſind ihre
Traͤnen nicht — Nicht jener warme wolluͤſtige Thau,
der in die Wunde der Seele balſamiſch fließt, und
das ſtarre Rad der Empfindung wieder in Gang
bringt. Es ſind einzelne — kalte Tropfen — das
ſchauerliche ewige Lebewol meiner Liebe.
feierlich, indem er die Hand auf ihren Kopf ſinken
laͤßt)
Traͤnen um deine Seele, Louiſe — Traͤnen
um die Gottheit, die ihres unendlichen Wohlwollens
hier verfehlte, die ſo muthwillig um das herrlichſte
ihrer Werke kommt — O mich daͤucht, die ganze
Schoͤpfung ſolte den Flor anlegen, und uͤber das
Beiſpiel betreten ſeyn, das in ihrer Mitte geſchieht —
Es iſt was gemeines, daß Menſchen fallen, und
Paradieſe verloren werden; aber wenn die Peſt un-
ter Engel wuͤthet, ſo rufe man Trauer aus durch
die ganze Natur.
Treiben Sie mich nicht aufs aͤuſerſte,
Walter. Ich habe Seelenſtaͤrke ſo gut wie eine —
aber ſie muß auf eine menſchliche Probe kommen.
Walter, das Wort noch, und dann geſchieden — —
Ein entſezliches Schikſal hat die Sprache unſrer
Herzen verwirrt. Duͤrft ich den Mund aufthun,
Walter, ich koͤnnte dir Dinge ſagen — ich koͤnnte — —
aber das harte Verhaͤngniß band meine Zunge, wie
meine Liebe, und dulden muß ichs, wenn du mich
wie eine gemeine Maͤze mishandelſt.
Ferdin.
[159]
Fuͤhlſt du dich wohl, Louiſe?
Wozu dieſe Frage?
Sonſt ſolte mirs leid um dich thun,
wenn du mit dieſer Luͤge von hinnen muͤßteſt.
Ich beſchwoͤre Sie Walter —
Nein!
Nein! zu ſataniſch waͤre dieſe Rache! Nein! Gott
bewahre mich! in jene Welt hinaus will ichs nicht
treiben — Louiſe! Haſt du den Marſchall geliebt?
Du wirſt nicht mehr aus dieſem Zimmer gehen.
Fragen Sie was Sie wollen. Ich ant-
worte nichts mehr.
Sorge fuͤr deine unſterb-
liche Seele, Louiſe! — Haſt du den Marſchall ge-
liebt? Du wirſt nicht mehr aus dieſem Zimmer
gehen.
Ich antworte nichts mehr.
ihr nieder)
Louiſe! Haſt du den Marſchall geliebt?
Ehe dieſes Licht noch ausbrennt — ſtehſt du — vor
Gott!
Jeſus!
Was iſt das? — — — und mir wird ſehr uͤbel.
Schon? — Ueber euch Weiber und
das ewige Raͤzel! Die zaͤrtliche Nerve haͤlt Freveln
feſt, die die Menſchheit an ihren Wurzeln zerna-
gen; ein elender Gran Arſenik wirft ſie um —
Louiſe.
[160]
Gift! Gift! O mein Herrgott!
So fuͤrcht ich. Deine Limonade
war in der Hoͤlle gewuͤrzt. Du haſt ſie dem Tod zu-
getrunken.
Sterben! Sterben! Gott Allbarm-
herziger! Gift in der Limonade und ſterben! —
O meiner Seele erbarme dich Gott der Erbarmer!
Das iſt die Hauptſache. Ich bitt
ihn auch darum.
Und meine Mutter — mein Vater —
Heiland der Welt! mein armer verlorener Vater!
Iſt keine Rettung mehr? Mein junges Leben und kei-
ne Rettung! und muß ich jezt ſchon dahin?
Keine Rettung, muſt jezt ſchon
dahin — aber ſei ruhig. Wir machen die Reiſe
zuſammen.
Ferdinand auch du! Gift Ferdinand!
Von dir? O Gott vergiß es ihm — Gott der Gna-
de, nimm die Suͤnde von ihm —
Sieh du nach deinen Rechnun-
gen — Ich fuͤrchte, ſie ſtehen uͤbel.
Ferdinand! Ferdinand! — O —
Nun kann ich nicht mehr ſchweigen — der Tod —
der Tod hebt alle Eide auf — Ferdinand — Himmel
und Erde hat nichts ungluͤkſeligers als dich — Ich
ſterbe unſchuldig, Ferdinand.
Ferdin.
[161]
Was ſagt ſie da? —
Eine Luͤge pflegt man doch ſonſt nicht auf dieſe
Reiſe zu nehmen?
Ich luͤge nicht — luͤge nicht — hab nur
einmal gelogen mein Lebenlang — Huh! Wie das
eiskalt durch meine Adern ſchauert — — als ich den
Brief ſchrieb an den Hofmarſchall —
Ha! dieſer Brief! — Gottlob!
Jezt hab ich all meine Mannheit wieder.
fangen an gichteriſch zu zuken)
Dieſer Brief — Faſſe
dich, ein entſezliches Wort zu hoͤren — Meine Hand
ſchrieb, was mein Herz verdammte — dein Vater hat
ihn diktiert.
langer todter Pauſe hingewurzelt, faͤllt endlich wie von
einem Donnerſchlag nieder)
O des klaͤglichen Mißverſtands — Fer-
dinand — Man zwang mich — vergib — deine
Louiſe haͤtte den Tod vorgezogen — aber mein Va-
ter — die Gefahr — ſie machten es liſtig.
Gelobet
ſey Gott! Noch ſpuͤr ich den Gift nicht
Degen heraus)
Weh! Was beginnſt du? Es iſt dein Vater —
LFerdin.
[162]
Moͤrder und Moͤrdervater! — Mit muß er,
daß der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen
raſe
Sterbend vergab mein Erloͤſer — Heil
uͤber dich und ihn
bende Bewegung gewahr und faͤllt in Schmerz aufgeloͤßt
vor der Todten nieder)
Halt! Halt! Entſpringe mir
nicht Engel des Himmels!
und laͤßt ſie ſchnell wieder fallen)
Kalt, kalt und feucht!
Ihre Seele iſt dahin
Gott
meiner Louiſe! Gnade! Gnade dem Verruchteſten
der Moͤrder! Es war ihr leztes Gebet! — —
Wie reizend und ſchoͤn auch im Leichnam! Der ge-
ruͤhrte Wuͤrger gieng ſchonend uͤber dieſe freundliche
Wangen hin — Dieſe Sanftmuth war keine Larve
— ſie hat auch dem Tod ſtand gehalten
Pauſe)
Aber wie? Warum fuͤhl ich nichts? Will
die Kraft meiner Jugend mich retten? Undankbare
Muͤhe! Das iſt meine Meinung nicht
nach dem Glaſe)
[163]
Lezte Szene.
te welche alle voll Schreken ins Zimmer ſtuͤrzen,
darauf Miller mit Volk und Gerichts-
dienern, welche ſich im Hinter-
grund ſammeln.
Sohn,
was iſt das? — Ich will doch nimmermehr glau-
ben —
So ſieh Moͤrder!
Eine ſchroͤkhafte Pauſe)
Mein Sohn! Warum haſt
du mir das gethan?
O ja freilich!
Ich haͤtte den Staatsmann erſt hoͤren ſollen, ob der
Streich auch zu ſeinen Charten paſſe? — Fein und
bewundernswerth, ich geſteh's, war die Finte, den
Bund unſrer Herzen zu zerreiſſen durch Eiferſucht —
Die Rechnung hatte ein Meiſter gemacht, aber
ſchade nur, daß die zuͤrnende Liebe dem Draht
nicht ſo gehorſam blieb, wie deine hoͤlzerne Puppe.
Krais herum)
Iſt hier niemand, der um einen troſt-
loſen Vater weinte?
L 2Miller.[164]
Laßt mich
hinein! Um Gotteswillen! Laßt mich!
Das Maͤdchen iſt eine Heilige —
fuͤr ſie muß ein anderer rechten
Thuͤre, der mit Volk und Gerichtsdienern hereinſtuͤrzt)
Mein
Kind! Mein Kind! — Gift — Gift, ſchreyt
man, ſey hier genommen worden — Meine Toch-
ter! Wo biſt du?
und Louiſens Leiche)
Ich bin unſchuldig — Danke
dieſem hier.
O Jeſus!
In wenig Worten Vater — ſie
fangen an mir koſtbar zu werden — Ich bin buͤ-
biſch um mein Leben beſtohlen, beſtohlen durch Sie,
Wie ich mit Gott ſtehe, zittre ich — doch ein Boͤſe-
wicht bin ich niemals geweſen. Mein ewiges Loos
falle, wie es will — auf Sie fall es nicht — Aber
ich hab einen Mord begangen
Stimme)
einen Mord, den Du mir nicht zumuthen
wirſt allein vor den Richter der Welt hinzuſchlep-
pen, feierlich waͤlz ich dir hier die groͤßte graͤßlichſte
Haͤlfte zu, wie du damit zurecht kommen magſt,
ſiehe du ſelber
Hier Bar-
bar! weide dich an der entſezlichen Frucht deines Wi-
zes, auf dieſes Geſicht iſt mit Verzerrungen Dein
Name
[165] Name geſchrieben, und die Wuͤrgengel werden ihn
leſen — Eine Geſtalt, wie dieſe, ziehe den Vor-
hang von deinem Bette, wenn du ſchlaͤfſt, und gebe
dir ihre eiskalte Hand — Eine Geſtalt, wie dieſe,
ſtehe vor deiner Seele, wenn du ſtirbſt, und draͤnge
dein leztes Gebet weg. — Eine Geſtalt, wie dieſe,
ſtehe auf deinem Grabe, wenn du auferſtehſt — und
neben Gott, wenn er dich richtet
Bediente halten ihn)
gegen den Himmel)
Von mir nicht, von mir nicht,
Richter der Welt, fodre dieſe Seelen von Dieſem!
Von Mir?
Verfluchter von Dir! Von Dir
Satan! — Du, du gabſt den Schlangenrath —
Ueber Dich die Verantwortung — Ich waſche die
Haͤnde.
Ueber mich?
lachen)
Luſtig! Luſtig! So weiß ich doch nun auch,
auf was Art ſich die Teufel danken. — Ueber mich
dummer Boͤſewicht? Wa es mein Sohn? War
ich dein Gebieter? — Ueber mich die Verantwor-
tung? Ha! bei dieſem Anblik, der alles Mark in
meinen Gebeinen erkaͤltet! Ueber mich ſoll ſie kom-
men! — Jezt will ich verlohren ſeyn, aber Du
ſolſt es mit mir ſeyn — Auf! Auf! Ruft Mord
durch die Gaſſen! Wekt die Juſtiz auf! Gerichts-
L 3diener
[166] diener bindet mich! Fuͤhrt mich von hinnen! Ich
will Geheimniſſe aufdeken, daß denen, die ſie hoͤren,
die Haut ſchauern ſoll
Du wirſt doch nicht, Raſender?
Ich wer-
de, Kamerad! Ich werde — Raſend bin ich, das
iſt wahr — das iſt dein Werk — ſo will ich auch
jezt handeln wie ein Raſender — Arm in Arm mit
Dir zum Blutgeruͤſt! Arm in Arm mit Dir zur
Hoͤlle! Es ſoll mich kizeln, Bube, mit Dir ver-
dammt zu ſeyn
ſens Schooß geſunken, in ſtummem Schmerze gelegen hat,
ſteht ſchnell auf und wirft dem Major die Boͤrſe vor die
Fuͤße)
Giftmiſcher! Behalt dein verfluchtes Gold!
— Wolteſt du mir mein Kind damit abkaufen?
ſtuͤrzt aus dem Zimmer)
Geht ihm
nach! Er verzweifelt — Das Geld hier ſoll man
ihm retten — Es iſt meine fuͤrchterliche Erkenntlichkeit
Louiſe — Louiſe — Ich komme — — Lebt wol —
— Laßt mich an dieſem Altar verſcheiden —
nem Sohn)
Sohn Ferdinand! Soll kein Blik mehr
auf einen zerſchmetterten Vater fallen?
wird neben Louiſen niedergelaſſen)
Ferdi-
[167]
Gott dem Erbarmenden gehoͤrt die-
ſer lezte.
niederfallend)
Geſchoͤpf und Schoͤpfer verlaſſen mich
— Soll kein Blik mehr zu meiner lezten Erquikung
fallen?
Er vergab mir!
Jezt euer Gefangener!
Gerichtsdiener folgen ihm, der Vorhang faͤllt.)
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Kabale und Liebe. Kabale und Liebe. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnf4.0