der
Deutschen Rechtswissenschaft.
Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht. Band I.
Verlag von Duncker \& Humblot.
1895.
[[III]]
Verwaltungsrecht.
Verlag von Duncker \& Humblot.
1895.
[[IV]]
Das Recht der Übersetzung vorbehalten.
Pierer’sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel \& Co. in Altenburg.
[[V]]
Meinem lieben Vetter
Dr. Heinrich Hoseus,
Unterstaatssekretär z. D.
zugeeignet.
[[VI]][[VII]]
Vorwort.
Wenn ich ein deutsches Verwaltungsrecht schreiben sollte, so
muſste ich dabei den Anforderungen zu entsprechen suchen, welche
ich in meiner Theorie des Französischen Verwaltungsrechts an eine
derartige Arbeit gestellt habe. Das bot aber hier ganz andere
Schwierigkeiten.
Dort hatte ich den Einheitsstaat vor mir mit schlechthin na-
tionalem Recht. Hier die Mannigfaltigkeit der Landesrechte, ihrer-
seits wieder in verschiedenem Maſse dem Einflusse fremden, d. h. des
französischen Rechtes unterliegend.
Dort ein neues Recht aus einem Gusse, wie es aus dem Schmelz-
ofen der Revolution hervorging. Hier allmähliche Übergänge und
alles durchzogen von stehengebliebenen Resten des Alten.
Dort, auf diese Voraussetzungen gegründet, eine wohlgefestigte
Lehre mit einer verblüffenden Gleichartigkeit der Schriftsteller. Ich
konnte damals aufrichtig schreiben, ich sei bloſs Berichterstatter über
die Thaten der französischen Juristen. Alle Rechtsbegriffe waren
fertig gegeben; ich hatte nur eine andere Ausdrucksweise und An-
ordnung hinzuzuthun. Wer möchte behaupten, daſs unsere deutsche
Verwaltungsrechtswissenschaft auch nur annähernd zu einem ähn-
lichen Abschlusse gekommen sei?
Wäre es nach meinen Gedanken gegangen, so würde dieses Buch
wohl nicht geschrieben worden sein. Es müſste damit gewartet
werden, meinte ich, bis eine gründlichere Durcharbeitung der ein-
zelnen Materien den Weg geebnet hätte. Monographien sollten die
Losung sein. Ich hatte mich selbst schon daran gemacht, dazu
meinen Beitrag zu leisten. Als aber vor nun sieben Jahren die Auf-
forderung an mich erging, in dieser Sammlung für das Handbuch des
deutschen Verwaltungsrechts einzustehen, glaubte ich mich nicht ver-
sagen zu dürfen. Vielleicht war es doch das Richtige, mutig das
[VIII]Vorwort.
Ganze anzufassen, um es einheitlich nach gemeinsamen, groſsen Ge-
sichtspunkten aufzubauen. Da hab’ ich denn gesagt: in Gottes Namen,
und mein Bestes gethan.
Dieser erste Band enthält den allgemeinen Teil und von dem
besonderen die Lehre von den Rechtsinstituten der Polizeigewalt und
Finanzgewalt, die in ihrer strengen Einseitigkeit die Eigenart des
öffentlichen Rechtes so entschieden zur Schau tragen.
Der zweite Band bringt dann die Lehre vom öffentlichen Sachen-
recht, von den besonderen öffentlichrechtlichen Schuldverhältnissen:
öffentlichrechtliche Dienstpflicht, öffentliche Lasten, Verleihung öffent-
licher Unternehmungen, Anstaltsnutzung mit ihren Gegenleistungen
u. s. w., und von den juristischen Personen des öffentlichen Rechts,
soweit sie dem Verwaltungsrechte angehören — alles mit öffentlich-
rechtlichen Seitenstücken entsprechender Rechtsinstitute des Civilrechts
erfüllt. Auch dieser Band ist im Manuskript vollendet und wird als-
bald erscheinen. —
Eine allgemeine Bemerkung möchte ich hier nur noch machen,
was die Terminologie anlangt.
Die deutsche Rechtssprache ist ja gerade für unser Gebiet noch
ziemlich unfertig und mangelhaft.
Das öffentliche Recht ist in groſsem Maſse darauf angewiesen,
Anlehen zu machen beim Civilrecht und dessen Ausdrücke zu ge-
brauchen für seine entsprechenden Begriffe. Davor habe ich mich
nun am wenigsten gescheut. Ich bin mir bewuſst, den Gegensatz der
beiden Rechtsgebiete überall so kräftig festzuhalten, daſs eine Ver-
schleppung fremdartiger Grundauffassungen auch beim Gleichklang
der Ausdrucksweise nicht zu befürchten ist.
Schlimmer ist die Thatsache, daſs eine groſse Anzahl von Wörtern,
die unsere wichtigsten Begriffe bezeichnen, in mehrfachem Sinne ge-
braucht zu werden pflegt, zur Bezeichnung verschiedener Begriffe.
Alle Ausdrücke z. B., welche staatliche Thätigkeiten bezeichnen, be-
deuten im übertragenen Sinne die Stelle, von der diese ausgehen,
haben also, wie man sagen mag, auſser dem sachlichen noch einen
persönlichen Sinn. Das ist z. B. der Fall bei den Wörtern: Regierung,
Verwaltung, Gesetzgebung, Polizei. Manche erhalten wieder einen
besonderen Sinn dadurch, daſs sie in bestimmtem Gegensatze gedacht
sind: Regierung und Volksvertretung. Die geschichtliche Entwicklung
giebt ihnen überdies noch einen verschiedenen Sinn für die verschie-
denen Stufen. Das kann ich nicht ändern. Es wird für jedes dieser
Wörter ein Kernbegriff festzustellen sein, der ihm eigentlich zugehört.
[IX]Vorwort.
Wenn ich es dazwischen, dem Gebrauche mich fügend, in anderem
Sinne anwende, muſs das aus dem Zusammenhange erkennbar sein;
sonst wäre es allerdings ein Fehler. Aber schulmeistern dürfen wir
uns hier nicht.
Etwas ganz anderes ist es, wenn ein Wort in verschiedenem
Sinne gebraucht wird deshalb, weil man über den dahinter stehenden
Begriff selbst verschiedener Meinung ist; Rechtsstaat, vollziehende
Gewalt, Verwaltungsrechtspflege, öffentliches Eigentum sind Beispiele
dafür. Da giebt es natürlich kein Zweierlei, sondern das einmal Er-
kannte muſs unverändert beibehalten und durchgeführt werden.
Ich habe mich auch bemüht, einer Reihe von häufig vorkommenden
Ausdrücken, die man in einer gewissen Unbestimmtheit und Ver-
schwommenheit zu verwenden gewohnt ist, ein schärferes Gepräge zu
geben, indem ich sie an einen festen juristischen Begriff band. Da
trete ich in einen Widerspruch mit dem herrschenden Sprachgebrauch,
dem ich zumute, sich einzuschränken. Dem wäre leicht auszuweichen
gewesen, wenn ich jedesmal ein ganz neues Wort gewählt hätte, am
besten ein auf seinen Sinn ohnehin nicht so genau nachprüfbares
Fremdwort. Aber ich habe geglaubt, es darauf ankommen lassen zu
sollen, ob nicht der richtig erkannte Begriff genügende Anziehungs-
kraft auf den nächstliegenden Ausdruck bewährt. Das wäre wenigstens
der natürliche Weg für die so notwendige weitere Ausbildung unserer
Rechtssprache. Die Hauptsache wird immer sein, daſs der unter diese
Bezeichnung gestellte Begriff selbst etwas taugt, d. h. geeignet ist,
die Erscheinungen, welche die Wirklichkeit des Rechtes uns bietet,
verständlicher und übersichtlicher zu machen.
Straſsburg, den 3. Oktober 1895.
Otto Mayer.
[[X]][[XI]]
Inhaltsverzeichnis.
- Einleitung.
- Seite
- § 1. Der Begriff der Verwaltung 3
- § 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft 13
- Allgemeiner Teil.
- Erster Abschnitt.
Die geschichtlichen Entwicklungsstufen des deutschen Ver-
waltungsrechts. - § 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte 23
- § 4. Der Polizeistaat 38
- § 5. Der Rechtsstaat 53
- Zweiter Abschnitt.
Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. - § 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt 67
- § 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes 81
- § 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes 94
- § 9. Öffentliche Rechte 104
- § 10. Quellen des Verwaltungsrechts 119
- § 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht 134
- Dritter Abschnitt.
Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. - § 12. Das Beschwerderecht 148
- § 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung 161
- § 14. Fortsetzung; Arten der Verwaltungsstreitsachen 178
- Seite
- § 15. Fortsetzung; Umfang der Rechtskraft 196
- § 16. Zuständigkeit der Civilgerichte gegenüber der Verwaltung 211
- § 17. Fortsetzung; civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen 226
- Besonderer Teil.
- Erstes Buch.
- Erster Abschnitt.
Die Polizeigewalt. - § 18. Begriff der Polizei 245
- § 19. Grenzen der Polizeigewalt 257
- § 20. Der Polizeibefehl 271
- § 21. Die Polizeierlaubnis 287
- § 22. Die Polizeistrafe 306
- § 23. Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung 326
- § 24. Fortsetzung; unmittelbarer Zwang 346
- § 25. Fortsetzung; Zwang durch Gewaltanwendung insbesondere 358
- Zweiter Abschnitt.
Die Finanzgewalt. - § 26. Staatshaushaltsgesetz und Finanzgewalt 378
- § 27. Die Steuerpflicht; Arten der Steuerauflage 386
- § 28. Fortsetzung; die abgeschwächte Steuerpflicht 406
- § 29. Fortsetzung; Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht 418
- § 30. Der Finanzbefehl 432
- § 31. Die Finanzstrafe 447
- § 32. Der Finanzzwang 470
[[XIII]]
Abkürzungen.
- C.Pr.O. = Civilprozeſsordnung für das deutsche Reich.
- Gew.O. = Gewerbeordnung für das deutsche Reich.
- G.V.G. = Gerichtsverfassungsgesetz für das deutsche Reich.
- Stf.G.B. = Strafgesetzbuch für das deutsche Reich.
- Stf.Pr.O. = Strafprozeſsordnung für das deutsche Reich.
- E.G. = Einführungsgesetz.
- Entw. d. B.G.B. = Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche
Reich. Erste Lesung. - Mot. = Motive.
- Pol.Stf.G.B. = Polizeistrafgesetzbuch.
- A.L.R. = Allgemeines Landrecht für die Preuſsischen Staaten.
- C. c. = Code civil.
- R.G. = Entscheidung des Reichsgerichts
Dazu: Samml. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen; heraus-
gegeben von den Mitgliedern des Gerichtshofes.
Samml. Stf.S. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen;
herausgegeben von den Mitgliedern des Gerichtshofes. - O.Tr. = Entscheidung des Preuſsischen Obertribunals.
- Str. = Archiv für Rechtsfälle, die zur Entscheidung des Königlichen Obertribunals
gelangt sind; herausgegeben von Striethorst. - Oppenhoff Rspr. = Die Rechtsprechung des Königlichen Obertribunals und des
Königlichen Ober- Appellationsgerichts in Strafsachen; herausgegeben von
Oppenhoff. - O.V.G. = Entscheidung des Preuſsischen Oberverwaltungsgerichts.
Dazu: Samml. = Entscheidungen des Königlichen Oberverwaltungsgerichts;
herausgegeben von Jebens u. A. - V.G.H. = Entscheidung des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes.
Dazu: Samml. = Sammlung von Entscheidungen des Königlich Bayrischen Ver-
waltungsgerichtshofes. - C.C.H. = Entscheidung des Preuſsischen Kompetenzkonfliktshofs.
- (Die entsprechenden Gerichtshöfe anderer Länder werden durch Zusätze bezeichnet.)
- J.M.Bl. = Justizministerialblatt.
- M. d. I. = Ministerium des Innern.
- O.L.G. = Oberlandesgericht.
- Ob. G.H. = Oberster Gerichtshof.
- Annalen = Annalen des deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und
Statistik. - Arch. f. öff. R. = Archiv für öffentliches Recht.
- Grünh. Ztsch. = Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart;
herausgegeben von Grünhut. - Wörterbuch = Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts; herausgegeben von
v. Stengel. - Ztschft. f. Ges. u. Pr. = Zeitschrift für Gesetzgebung und Praxis auf dem Gebiete
des deutschen öffentlichen Rechts; herausgegeben von Hartmann. - Ztsch. f. Stf.R.W. = Zeitschrift für Strafrechtswissenschaft.
- Bl. f. adm. Pr. = Blätter für administrative Praxis.
- Sächs. Ztschft. f. Pr. = Zeitschrift für Praxis und Gesetzgebung der Verwaltung
zunächst für das Königreich Sachsen. - Württemb. Arch. f. R. = Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwal-
tung mit Einschluſs der Administrativjustiz.
St.R. bedeutet in Citaten: Lehrbuch des Staatsrechts; V.R.: Lehrbuch des
Verwaltungsrechts. Das besondere Landesrecht ist durch einen Zusatz bezeichnet.
Einleitung.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 1
[[2]][[3]]
§ 1.
Der Begriff der Verwaltung.
Die Lehre vom Verwaltungsrecht findet ihren Gegenstand am
Staate. Der Staat kommt aber für die Rechtsordnung nach verschie-
denen Richtungen in Betracht. Der Begriff der Verwaltung bezeichnet
die Seite, von der er uns angeht.
I. Der Staat ist das handlungsfähige Gemeinwesen, zu welchem
ein Volk unter einer obersten Gewalt, der Staatsgewalt, zusammen-
gefaſst ist. Die Verwaltung ist Thätigkeit des Staates zur Ver-
wirklichung seiner Zwecke. Sie bildet als solche den Gegensatz zur
Verfassung, welche den Staat erst fertig stellt, damit er thätig
werden könne.
Verfassung ist die Ordnung, nach welcher das Volk abgegrenzt
und die oberste Gewalt gebildet ist. Der Begriff der Verfassung
hat aber, wie alle anderen, die uns hier beschäftigen, im Ver-
lauf der geschichtlichen Entwicklung eine besondere Zuthat erhalten.
Man nennt jetzt diese Ordnung nur dann Verfassung, wenn sie einer
Volksvertretung Anteil giebt an der Staatsgewalt durch Mitwirkung
bei der Gesetzgebung1. Ein also eingerichteter Staat heiſst ein Ver-
fassungsstaat, und der Inbegriff der Regeln, nach welchen er
eingerichtet ist, heiſst Verfassungsrecht. Wir werden sehen,
1*
[4]Einleitung.
wie gerade an den damit gegebenen Unterscheidungen innerhalb der
obersten Gewalt unser ganzes Verwaltungsrecht hängt (unten § 6 ff.)
Durch die verfassungsmäſsige Trägerschaft der obersten Gewalt
und unter ihr durch mancherlei Diener und mittelbare Vertreter wird
alsdann die Thätigkeit geübt, um deren willen der Staat da ist. Die
Verwaltung ist nur eine Art davon. Das Ganze stellt sich uns dar
in der üblichen Dreiteilung: Gesetzgebung, Justiz, Ver-
waltung. Im Zusammenhang dieser Nachbarbegriffe erhält die Ver-
waltung die bestimmte Abgrenzung, in der sie beim Verwaltungsrecht
gemeint ist.
Man nennt daneben als vierte Thätigkeitsart wohl noch die
Regierung. Allein der Begriff der Regierung, wie er sich nach
allen Wandlungen, die er schon erfahren, jetzt festgesetzt hat, fällt
völlig aus diesem Kreise heraus.
Mit diesem Namen wollte man ursprünglich die ganze staat-
liche Thätigkeit bezeichnen, also Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung
unausgeschieden. Die weitere Entwicklung vollzog sich in einer all-
mählichen Absonderung dieser Zweige. Zuerst scheidet aus die Justiz,
der Wirkungskreis der ordentlichen Gerichte: Regierungssachen und
Justizsachen bedeuten nunmehr Gegensätze. Mit der Ausbildung des
neuen Verfassungsrechts wird auch die Gesetzgebung, sofern sie jetzt
an die Mitwirkung der Volksvertretung gebunden ist, in Gegensatz
gestellt zu den sonstigen Staatsthätigkeiten. Zugleich kommt für
die übrige Staatsthätigkeit auſserhalb Gesetzgebung und Justiz, der
Name Verwaltung auf. Die ist dann ebenmäſsig nicht mehr gedacht
als ein bloſser Zweig der Regierung, sie soll ein Seitenstück der
Justiz sein und wie diese ein Gegenstück zur Regierung, von der sie
sich ablöst2.
Das Ergebnis ist für unsere heutige Auffassung, daſs alle un-
mittelbar wirksame Staatsthätigkeit an diese selbständigen Begriffe ver-
teilt ist. Für die Regierung ist nichts übrig geblieben, als das All-
gemeine, das darüber steht. Man begreift darunter die Ober-
leitung des Ganzen, das einheitliche Richtunggeben für die politischen
Geschicke des Staates und die Kulturentwicklung im Innern. Aus-
[5]§ 1. Der Begriff der Verwaltung.
gehend von der Centralstelle, vom Fürsten und seinen Gehülfen, be-
einfluſst sie alle Arten der eigentlich wirksamen Staatsthätigkeit, ist
aber für sich selbst rein geistiger, allgemeiner Natur. Sie kann gut
oder schlecht sein; rechtliche Bedeutung hat sie nur wegen der ver-
fassungsmäſsigen Verantwortlichkeiten, die sich daran knüpfen können.
Uns geht sie weiter nichts an3.
II. Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung sind allesamt Staatsthätig-
keiten zur Verwirklichung des Staatszweckes. Ihr Unterschied beruht
nur auf der Art, wie sie diesen Zweck zu verwirklichen bestimmt sind.
Diesen Unterschied darf man nicht suchen in den einfachen Wort-
bedeutungen. Es ist ja leicht, damit einen Begriff des Gesetzes, einen
Begriff der Justiz, Rechtspflege oder Rechtsprechung aufzustellen, aus
dem sich dann folgern läſst. Ebenso giebt das Wort Verwaltung, dem
man etwa noch durch den Begriff der Vollziehung aushilft, Aus-
scheidungsmöglichkeiten.
Die groſse Dreiteilung, wie sie nun einmal üblich ist, ist aber
nicht entstanden aus einer schulmäſsigen Entwicklung der Begriffe.
Sondern diese haben sich festgesetzt als Ergebnisse geschichtlicher
Vorgänge, deren Einflüsse im einzelnen nachzuweisen sind.
Wie sie geworden sind, so haben wir sie zu nehmen4.
1. Gesetzgebung bedeutete im älteren Recht die Thätigkeit
des Trägers der obersten Gewalt zur Aufstellung von verbindlichen
allgemeinen Regeln für die Unterthanen, von Rechtssätzen5.
[6]Einleitung.
Das Verfassungsrecht hat gerade für diese Art von Thätigkeit
seine neu geordnete Volksvertretung bestimmt. Daſs die Gesetz-
gebung nur geschehen könne unter Mitwirkung der Volksvertretung,
ist der grundlegende Gedanke. Dadurch bekommt dieser Begriff sein
eines Merkmal stärker ausgeprägt. Die Gesetzgebung bleibt Auf-
stellung von Rechtssätzen durch die oberste Gewalt,
aber die oberste Gewalt giebt sich jetzt nur zu erkennen durch die
Mitwirkung der Volksvertretung. In dieser Weise grenzt
sie sich ab gegen alle übrige Staatsthätigkeit, auch gegen die sonst
vielleicht inhaltsgleiche des Fürsten allein, und so ist das Wort
Gesetzgebung verstanden in jener Dreiteilung der Staatsthätigkeit6.
Das schlieſst nicht aus, daſs man an dem so gegebenen Begriffe
doch auch wieder eine Spaltung vornehmen kann, indem man das
eine oder das andere Merkmal ausschlieſslich betont. Es ist ein be-
kannter Sprachgebrauch, so zu verfahren, und die Rechtswissenschaft
hat danach die Begriffe von Gesetz im formellen und Gesetz im
materiellen Sinne unterschieden. Das giebt natürlich eine andere
Abgrenzungsreihe; das Wort Gesetz umfaſst jeweils einen gewissen
Überschuſs nach der einen oder anderen Seite hin, den wir nicht mehr
zur Gesetzgebung rechnen, sondern jenachdem der Rechtspflege und
vor allem der Verwaltung zuteilen müssen.
Der einmal geschaffene Gesetzgebungsapparat kann nämlich einer-
seits zu jeder anderen Art von Willensäuſserungen verwendet werden,
die keine Rechtssätze sein wollen. Es sind vor allem Verfügungen
für Einzelfälle, die da in Betracht kommen: Verleihungen von Eisen-
bahnunternehmungen, Naturalisationen, Zustimmung zur Veräuſserung
[7]§ 1. Der Begriff der Verwaltung.
von Staatsgrundstücken u. dergl. Man nennt das um seiner Form
willen immer noch ein Gesetz. Zugleich aber erkennt man darin Ver-
waltungsakte, Verwaltungsthätigkeit, Anteilnahme der Volksvertretung
an der Verwaltung, also den Gegensatz zur Gesetzgebung. Denn
diese setzt die Schaffung von Rechtssätzen voraus7.
Das Wort Gesetz wird andererseits auch gebraucht, um jede Art
von Rechtssatz zu bezeichnen, auch die auf Verordnungen, Statuten,
Gewohnheitsrecht beruhenden. Bei dem letzteren handelt es sich
überhaupt nicht um Staatsthätigkeit. Verordnungen und Statuten aber
gehören dem Gebiete der Verwaltung an. Gesetzgebung ist wie von
jeher nur die Äuſserung der obersten Gewalt8.
2. Justiz, Rechtspflege, Gerichtsbarkeit ist staatliche Thätigkeit
zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung mit obrigkeitlicher Gewalt.
Die dazu bestimmten staatlichen Behörden sind die Gerichte. Als sich
die Ausscheidung von Justiz und Verwaltung bei uns vollzog, be-
standen Gerichte nur für Civil- und Strafrechtspflege. Damit legte
sich der Begriff fest: Justiz ist die obrigkeitliche Thätigkeit
zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung bei den für
Civil- und Strafrechtspflege bestellten Gerichten. Alle
andere Thätigkeit unterhalb der Gesetzgebung gehört zur Verwaltung9.
[8]Einleitung.
Die Justiz ist in diesem Gegensatz nicht beschränkt auf den
engen Begriff der Rechtsprechung d. h. des obrigkeitlichen Aus-
spruches dessen, was im Einzelfalle Rechtens ist. Es gehört dazu
ebensowohl die ganze Prozeſsleitung, als die sogenannte frei-
willige Gerichtsbarkeit, sofern sie mit ihrer Beurkundung,
Bestätigung, Aufsichtsführung obrigkeitlicher Weise der Aufrecht-
erhaltung der Rechtsordnung dient. Es ist auch nicht bloſs das Justiz,
was der Richter persönlich macht, sondern es gehört dazu noch alles,
was im Zusammenhang mit ihm oder unterseiner Leitung
namens des Staates für diesen Zweck geschieht: Akte der Staats-
anwaltschaft, Zustellungsakte, Pfändungen und sonstige Zwangsmaſs-
regeln der gerichtlichen Vollstreckungsbeamten10.
Ausgeschlossen vom Gebiete der Justiz sind alle Thätigkeiten, denen
das eine oder das andere Stück des zusammengesetzten Begriffes fehlt.
Also einmal Geschäfte, welche wohl bei den Gerichten besorgt
werden, aber keine Rechtspflege, nicht obrigkeitliche Aufrecht-
erhaltung der Rechtsordnung sind. Dahin gehören insbesondere die
den Gerichten etwa übertragenen Geschäfte der Justizverwaltung
mit ihren Materialverwaltungen, Ernennungen u. s. w.
Sodann aber auch Thätigkeiten, welche wohl der Aufrechterhaltung
der Rechtsordnung mit obrigkeitlicher Gewalt zu dienen bestimmt sind,
aber nicht bei den für Civil- und Strafrechtspflege be-
stellten Gerichten stattfinden. Alle Beurkundungen, Be-
stätigungen, Beaufsichtigungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit haben
9
[9]§ 1. Der Begriff der Verwaltung.
ihre Seitenstücke in der Verwaltung; Rechtsprechung ist vielleicht die
Hälfte aller Verwaltungsakte, die Verwaltungsrechtspflege ist sachlich
völlig gleicher Natur wie die Civilrechtspflege. Die Ausscheidung ist
lediglich begründet durch den verschiedenen Ausgangspunkt der Thätig-
keit: was nicht von den Civilgerichten ausgeht, ist Verwaltung, auch
die Verwaltungsgerichte sind Verwaltungsbehörden11.
3. Aus der Art, wie die Begriffe Gesetzgebung und Justiz sich
bestimmt haben, folgt von selbst, daſs die Verwaltung nicht abgegrenzt
werden kann nach der besonderen Art ihrer Geschäfte. Ein be-
stimmter Ausgangspunkt ist für jene wesentlich; ganz das Nämliche,
wenn es nicht von der obersten Gewalt unmittelbar ausgeht, ist nicht
Gesetzgebung, sondern Verwaltung, und ebenso werden Thätigkeiten
zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung Verwaltung, sobald sie los-
gelöst erscheinen von den Civilgerichten.
Deshalb ist der Begriff Verwaltung in dieser Richtung nur ver-
neinend zu bestimmen als Thätigkeit des Staates, die nicht
Gesetzgebung oder Justiz ist12.
Aber nach anderer Seite hin muſs die Abgrenzung noch ge-
schehen; denn nicht alles, was weder Gesetzgebung noch Justiz ist,
ist Verwaltung. Zunächst bietet uns das Verfassungsrecht eine
Reihe von solchen Thätigkeiten. Das Verfassungsrecht soll den Staat
fertig stellen, damit er alsdann in Gesetzgebung, Justiz und Ver-
waltung seine Zwecke verfolgen könne. Diese Fertigstellung kann
aber nicht durch die ruhende Rechtsordnung allein geschehen; es
bedarf mancherlei Anordnungen und Geschäftsbesorgungen, um die
Verfassung in Bewegung zu setzen und in Gang zu halten: die Re-
gierung antreten, eine Regentschaft bestellen, Wahlen zur Volks-
vertretung ausschreiben und leiten, Mitglieder des Herrenhauses er-
nennen, den Landtag berufen und schlieſsen, ist alles weder Gesetz-
gebung noch Justiz und doch keine Verwaltung. Diese verfassungs-
rechtlichen Hülfsthätigkeiten, wie wir sie nennen mögen,
sind keine Thätigkeiten des fertigen Staates zur Verwirklichung seiner
[10]Einleitung.
Zwecke und fallen damit aus dem Gebiete dieser ganzen Begriffsreihe
von selbst heraus13.
Wichtiger noch ist eine zweite Gruppe. Bei dieser handelt es
sich wirklich um Thätigkeit des Staates zur Verfolgung seiner Zwecke
und doch ist es keine Verwaltung; Gesetzgebung oder Justiz sind
schon von vornherein auſser Frage. Es ist ein viertes Gebiet,
das wir vor uns haben. Der Grund der Ausscheidung liegt darin,
daſs auch der Begriff der Verwaltung noch seine besondere Zuthat
erhalten hat, einen Begriffsbestandteil, den wir gerade in diesem
Gegensatze erkennen. Im Gegensatz zu früheren Zuständen geht der
neuzeitliche Rechts- und Verfassungsstaat darauf aus, sein Verhältnis
zu den Unterthanen möglichst einer Rechtsordnung und zwar der von
ihm selbst gesetzten Rechtsordnung zu unterwerfen. Es ist nicht zu-
fällig, daſs gleichzeitig mit dem Auftreten dieser neuen staatsrecht-
lichen Ideen und Ordnungen auch der Ausdruck Verwaltung mehr
und mehr aufkommt, und damit ein besonderes Thätigkeitsgebiet sich
loslöst von der allmächtigen Regierung. Die Verwaltung ist von
vornherein gedacht als eine Thätigkeit des Staates, die unter
seiner Rechtsordnung sich vollzieht14.
Ausgeschlossen vom Begriff der Verwaltung sind demnach alle
Thätigkeiten des Staates zur Verwirklichung seiner Zwecke, mit
welchen dieser aus dem Bereiche seiner Rechtsordnung
heraustritt.
Das erste Beispiel giebt der diplomatische Verkehr. Ver-
tragsschlüsse mit fremden Staaten und diplomatische Schritte bei ihren
Regierungen, Vorstellungen, Beschwerden, Drohungen stehen nicht
mehr unter den Bedingungen unserer eigenen Rechtsordnung. Ihre
[11]§ 1. Der Begriff der Verwaltung.
rechtliche Regelung nach Grund und Wirkung erhalten sie in dem
alle Staaten verbindenden Völkerrecht. Darum ist das alles keine
Verwaltung15.
Ferner gehört hierher die Kriegführung. Wenn der Staat
seine Heere dem Feinde entgegen wirft zur Verteidigung des Vater-
landes, Menschenleben vernichtet und Städte zerstört und den fried-
lichen Bevölkerungen Kriegsleistungen auferlegt, so ist das die kraft-
vollste Verfolgung seiner Zwecke, ist weder Gesetzgebung noch
Rechtspflege, aber auch keine Verwaltung. Nicht unser Recht, sondern
das Völkerrecht giebt auch dieser Thätigkeit des Staates die äuſsere
Regelung. Das Gleiche gilt auch im Innern für den Fall des Bürger-
krieges. Aber auch die Niederwerfung der Empörung, die noch
nicht förmlich die Natur des Bürgerkrieges angenommen hat, steht
schon auſserhalb unserer Rechtsordnung; sie entlehnt die Freiheit
davon vom Bürgerkriege, ohne zugleich dessen völkerrechtliche Ge-
bundenheit dafür zu erhalten. Im Hinblick auf diese Verwendung ist
die ganze Heereseinrichtung auch innerlich gestaltet: das mili-
tärische Kommando, das den Kern davon bildet, ist seiner Natur
nach unbedingt und an keine Rechtsschranken gebunden, die Aus-
übung desselben folglich nicht Verwaltung16.
Verwaltung ist es endlich nicht, wenn die bestehende Rechts-
ordnung im höheren Staatsinteresse durchbrochen wird. Die ältere
Lehre hat uns dafür den Begriff des Staatsnotrechts überliefert.
Die Möglichkeit derartiger formloser Gewaltmaſsregeln ist auch im
Verfassungsstaate nicht ausgeschlossen; die Verantwortlichkeit käme in
Frage für den Fall, daſs die „Staatsnot“ nicht wirklich vorhanden war.
[12]Einleitung.
Verwaltung wäre es jedenfalls nicht17. Unsere Verfassungen pflegen
einen Ausweg zu geben durch Anerkennung eines Notverord-
nungsrechtes. Die Notverordnung im Gegensatz zur gewöhnlichen
Polizeiverordnung gehört nicht zur Verwaltung, weil sie die be-
stehende Rechtsordnung durchbricht; aber sie thut das in vorläufiger
Vertretung des Gesetzes; es ist Gesetzgebung, was da gemacht wird,
und gehört deshalb nicht in dieses vierte Gebiet.
Dagegen liefert der Verfassungsstaat selbst eine neue Art von
auſserordentlichen Maſsregeln. Das sind die Einzelverfügungen
in Gesetzesform. Gesetzgebung im Sinne dieser Grundeinteilung
sind sie nicht (oben Note 7); man bezeichnet sie durchweg als Ver-
waltungsakte. Das sind sie aber auch nicht notwendig. Vielmehr
ist zu unterscheiden. Es kann nach dem bestehenden Verwaltungs-
recht eine bestimmte Maſsregel, die im Einzelfall getroffen werden
soll, dem Gesetze vorbehalten sein z. B. die Anordnung einer Ent-
eignung, die Zustimmung zum Verkauf von Staatsgut. Da nimmt
dann das Gesetz einfach teil an der Verwaltung. Ebenso, wenn die
Regierung etwa freiwillig die Gesetzesform wählt für eine Maſsregel,
die sie eigentlich auch allein machen könnte. Es kann aber auch
sein, daſs in der bestehenden Rechtsordnung ein Vorbehalt nicht ge-
macht, die vorzunehmende Maſsregel überhaupt nicht als möglich
vorausgesetzt ist. Das Gesetz kann gleichwohl thun, was es will,
etwas Abweichendes, Auſserordentliches verfügen, eingreifen in die
Rechtsordnung für den Einzelfall. Das ist rechtlich unanfechtbar,
aber es ist nicht mehr Verwaltung. Sobald das Gesetz seine Sou-
veränetät gebraucht, ist es mit der begriffsmäſsig unter der Rechts-
ordnung stehenden Verwaltung zu Ende18.
[13]§ 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft.
III. Wir fassen unsere Ausführungen zusammen: Verwaltung
ist Thätigkeit des Staates zur Verwirklichung seiner
Zwecke unter seiner Rechtsordnung. Den Zusatz „auſser-
halb von Gesetzgebung und Justiz“ können wir dabei wohl ent-
behren; das „unter seiner Rechtsordnung“ ersetzt ihn. Denn in der
Gesetzgebung, wie wir sie verstanden, steht der Staat über seiner
Rechtsordnung; in der Justiz geschieht alles für die Rechtsordnung.
Das Verhältnis der Verwaltung zur Rechtsordnung, unter der sie
vor sich geht, ist ein freieres. Welcher Art es ist, das bildet gerade
unser erstes Problem.
Innerhalb der Verwaltung werden wieder Unterabteilungen ge-
macht; man unterscheidet Verwaltungszweige. Die Gruppen
sind zusammengefaſst nach Rücksichten zweckmäſsiger Geschäftsver-
teilung. Die bekannte Fünfzahl der Ministerien: für Äuſseres,
Krieg, Justiz, Finanzen, Inneres giebt die Grundlinien.
Dabei haben die drei ersten Verwaltungszweige, wie schon der
Name sagt, das Eigentümliche, daſs sie zum Kerne, um den sie sich
schlieſsen, jeweils eine bestimmte Art von Thätigkeit haben, die ihrer-
seits vom Begriff der Verwaltung ausgeschlossen ist; die entsprechende
Verwaltung ist immer nur, was dahinter und daneben geschieht.
Finanzverwaltung und Verwaltung des Inneren sind dem gegen-
über die reinen Verwaltungen.
Der Name Innere Verwaltung erklärt sich nur aus dem Gegensatz
zur Verwaltung des Äuſseren und aus dem Selbständigwerden der
anderen Zweige. Auch ihre rechtliche Natur läſst sich nicht wohl
anders bestimmen, als daſs sie eben Verwaltung ist und alles um-
faſst, was keinem der besonders ausgebildeten Verwaltungszweige
zugeteilt ist19.
§ 2.
Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft.
Verwaltungsrecht ist dem einfachen Wortsinne nach ein auf die
Verwaltung bezügliches, ihr zugehöriges Recht.
Recht setzt menschliche Machtverhältnisse voraus, die es ordnet,
Rechtssubjekte, welche sich gegenüber stehen und zwischen welchen
die Linie ihrer beiderseitigen Machtgrenzen gezogen werden soll.
[14]Einleitung.
Um welche Verhältnisse es sich hier handelt, ergiebt der Begriff
der Verwaltung. Verwaltung ist Thätigkeit des Staates. Damit ist
von den Rechtssubjekten, zwischen welchen das Verwaltungsrecht
gelten soll, das eine bestimmt als der Staat.
Dem verwaltenden Staat gegenüber steht die Masse der Einzelnen,
der Unterthanen; sie liefert das andere Rechtssubjekt. Ver-
waltungsrecht ist nur soweit denkbar, als ein Verhältnis der
Unterthanen zu dem Staate in Frage kommt, bestimmter
einzelner Unterthanen oder umfassenderer Kreise davon.
Aber nicht alles Recht, das für dieses Verhältnis maſsgebend
wird, ist deshalb schon Verwaltungsrecht. Vielmehr bedarf der Be-
griff noch einer genaueren Abgrenzung.
I. Das Verwaltungsrecht ist von vornherein gedacht als Gegen-
satz zum Verfassungsrecht. Zwischen beiden liegt aber ein ver-
mittelndes Gebiet.
Bevor man an die eigentliche Verwaltungsthätigkeit gelangt
handelt es sich darum, durch wen sie namens des Staates geführt
werden soll. Das Verfassungsrecht liefert dazu nur die oberste Ge-
walt, den Fürsten allein oder im Zusammenwirken mit der Volks-
vertretung. Darunter stehen nun erst in aller Mannigfaltigkeit die
Träger abgeleiteter Verwaltungsbefugnisse, die Verwaltungsbehörden,
unmittelbar namens des Staates handelnd oder namens einer da-
zwischen geschobenen juristischen Person, eines Selbstverwaltungs-
körpers.
Die Regeln über ihre Zuständigkeiten und Abhängigkeitsverhält-
nisse, über die Besetzung der Ämter und die persönliche Stellung
der dazu Berufenen bilden zusammen die Verwaltungsorganisa-
tion oder Behördenordnung.
Diese ist nicht notwendig Rechtsordnung. Sie ist Einrichtung,
Veranstaltung für die Besorgung der Verwaltungsgeschäfte.
Recht kommt aber doch bei ihr in verschiedener Weise zum
Vorschein, vor allem auch in der Weise, daſs dabei das Verhältnis
zwischen Staat und Unterthan bestimmt wird. Das ist dann Ver-
waltungsrecht.
Nach zweierlei Richtung ist das der Fall.
Zunächst kommt ein inneres Verhältnis in Betracht: zur
Gewinnung der Träger für die Verwaltungsthätigkeit nimmt der Staat
Beamte in seinen Dienst, ordnet er Selbstverwaltungskörper, erhalten
diese ihre Vertreterschaft und wird über alle diese Personen Dienstgewalt
und Aufsicht geführt. Das sind überall bestimmte Verhältnisse
zwischen diesen und dem Staate, für deren Ordnung das Verwaltungs-
[15]§ 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft.
recht die entsprechenden Rechtsinstitute entwickelt. Darüber unten
in der Lehre von der öffentlichen Dienstpflicht und von den juristischen
Personen des öffentlichen Rechtes.
Die also Berufenen sollen nun aber ihrerseits wieder thätig
werden nach auſsen, namens des Staates, des Selbstverwaltungs-
körpers den Unterthanen gegenüber. Ihre Ordnung bedeutet dem-
nach eine Form der Einwirkung der öffentlichen Gewalt auf den
Unterthanen und ist als solche wiederum verwaltungsrechtlich be-
deutsam. Die Gültigkeit der Verwaltungsmaſsregel kann bedingt sein
von der Beobachtung dieser Bestimmungen; es können sogar mit
Rücksicht auf die Art der Einwirkungen, die von ihr ausgehen sollen,
für die Schaffung der Behörde selbst gewisse Forderungen sich er-
geben1. Das verteilt sich aber wieder auf das ganze Verwaltungsrecht
als nebensächliche Stücke seiner verschiedenen Ordnungen.
Will man die Behördenordnung als einheitliches Ganze für sich
betrachten, so treten diese rein verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkte
in den Hintergrund. In rechtlichen Bedingtheiten, die sie dafür
schaffen, äuſsern ja auch die Verfassungsbestimmungen einen gewissen
Einfluſs auf das Verhältnis in der Verwaltung. Der Schwerpunkt
liegt aber bei ihnen in ganz anderen Abgrenzungen menschlicher
Willensmacht: auf die Machtstellung der Herrscherfamilie kommt es
an, auf die Ansprüche des Volkes und seiner Vertreter, auf politisch
bevorzugte Klassen. Das ist’s, was dem Verfassungsrecht seine eigne
Art giebt. Ganzähnlich steht es mit der Behördenordnung. Die Einzelnen,
die darnach zur Thätigkeit berufen werden, sind weit entfernt, bloſse
Werkzeuge zu sein. Sie haben eine gewisse Selbständigkeit im Ge-
brauch der Macht, die ihnen anvertraut ist; das Recht ist darauf ein-
gerichtet, diese zu sichern. Hinter ihnen stehen gewisse gesell-
schaftliche Mächte, aus denen sie der rechtlichen Ordnung ge-
mäſs hervorgehen, Berufsstände, wirtschaftliche Klassen, örtliche Ge-
meinschaften. Die Verwaltungsorganisation ist zugleich die Form, in
welcher diesen ihr Einfluſs und ihr Anteil an der Verwaltung zu-
gemessen wird. Nur in diesem Zusammenhang ist sie recht zu ver-
stehen. Es handelt sich hier um politisches Recht wie bei der
Verfassung2. Die Behördenordnung wird deshalb, wie es ja auch
[16]Einleitung.
häufig geschieht, am besten mit dem geistesverwandten Verfassungs-
recht zu einem „Staatsrecht“ verbunden. Jedenfalls bildet sie als
solche kein Stück des Verwaltungsrechts, sondern hat diesem gegen-
über ihre eigne Art3.
II. Recht und Rechtsordnung begleiten die Verwaltung auf allen
ihren Wegen. Nach der Verschiedenartigkeit ihrer Thätigkeiten be-
stimmen sich die Rechtssätze, die zur Anwendung kommen, bestimmt
sich Art und Umfang dieser Anwendung. Jedem einzelnen Ge-
schäftskreis entspricht ein ihm zugehöriger Kreis von
Rechtssätzen und demgemäſs auch eine Lehre von dem für ihn
geltenden Recht. Es wäre ja nicht undenkbar, daſs man auch die
den einzelnen Menschen umgebende Rechtsordnung in dieser Weise
einteilte und zur Darstellung brächte. Es gälte nur, die ver-
schiedenen Seiten seiner Lebensthätigkeit gesondert zu betrachten
und das dafür bestehende Recht zusammen zu stellen und zu zeigen,
wie es darauf zur Anwendung kommt. Wir erhielten dann ein Recht
des Ackerbaues, der litterarischen Thätigkeit, der Reisen und Ver-
gnügungen. Das würde allerdings meist als ein recht willkürliches
Zerreiſsen natürlicher Zusammenhänge und mehr als Spielerei be-
trachtet werden. Mit der Lebensthätigkeit des Staates, mit der Ver-
waltung ist es etwas anderes. Die einzelnen Seiten derselben ent-
falten sich in viel groſsartigerer Weise, in planmäſsig bestimmter Ge-
stalt und äuſserlich verteilt nach gesonderten Zuständigkeiten. Ein be-
sonderer Zweig der Staatswissenschaft, die Verwaltungslehre als
die Wissenschaft von dem Inhalt der Staatsthätigkeit, ordnet sie nach
ihrer stofflichen Bedeutung. Sie lehrt uns für jedes Stück, was that-
sächlich geschieht, warum es geschieht und was zweckmäſsiger Weise
geschehen sollte. In dieser Weise erhalten wir eine Lehre von der
inneren Verwaltung, eine Finanzwissenschaft, eine Lehre vom Heer-
[17]§ 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft.
wesen. Die inhaltsreiche innere Verwaltung läſst noch mannigfache
weitere Spaltungen zu nach einzelnen Gegenständen: Gewerbewesen,
Gesundheitswesen, Eisenbahnwesen, Armenwesen u. s. w. Überall
bilden die zugehörigen Rechtsordnungen ein Stück der Wirklichkeit,
die diese Lehre uns vorführt4.
Die Rechtswissenschaft, wenn sie sich nun des Gegenstandes be-
mächtigt, muſs ihrerseits den Schwerpunkt in dieses letztere Stück
verlegen. Die Verwaltungslehre giebt ihr überall nur äuſserliche An-
knüpfung, die notwendigen Einleitungen der Übersicht und des Zu-
sammenhanges halber. Die Aufweisung, Entwicklung und An-
wendung der für jeden einzelnen Zweig einschlagenden Rechtssätze
ist ihr allein das Wesentliche. So bildet sie neben den „Lehren“
und „Wesen“ der staatswissenschaftlichen Behandlungsweise die ent-
sprechenden Gruppen von rechtlichen Ordnungen: das Finanzrecht,
das Recht der inneren Verwaltung, und weiter: Gewerbe-
recht, Eisenbahnrecht, Wegerecht, Wasserrecht,
Armenrecht, und wie man sonst noch den Stoff zerlegen will. Wir
gewinnen auf diese Weise abgerundete, erschöpfende Darstellungen
des für jeden Zweig maſsgebenden Rechts, in einem einleuchtenden
übersichtlichen System geordnet5.
Das Recht, welches um einen solchen Verwaltungszweig sich
sammelt, ist natürlich in sich selbst verschiedener Art. Der stoffliche
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 2
[18]Einleitung.
Gesichtspunkt, der das staatswissenschaftliche System beherrscht und
die Einheit der einzelnen Gruppen bildet, ist gleichgültig dafür. Es
bilden sich, wie man mit einem treffenden Worte gesagt hat,
Konglomerate verschiedenartiger Rechtssätze, civilrechtlicher,
staatsrechtlicher, strafrechtlicher u. s. w.6. Sie verlieren alle ihre Art
nicht dadurch, daſs sie zu solchen Konglomeraten vereinigt sind.
Deshalb kann auch bei der Darstellung dieser Gruppen wegen aller
Rechtsarten, die ihre eigene rechtswissenschaftliche Disciplin ohne-
dies besitzen, kurz dorthin verwiesen werden, auf die Lehre vom
Civilrecht, Strafrecht u. s. w. Der Schwerpunkt legt sich von selbst
auf diejenige Art von Recht, die sonst nirgends daheim ist, auf das
Verwaltungsrecht.
III. Unter Verwaltungsrecht verstehen wir das der Ver-
waltung eigentümliche öffentliche Recht.
Die Wissenschaft des Verwaltungsrechtes hat sich geschichtlich
entwickelt durch Loslösung vom Staatsrechte. Das Staatsrecht
seinerseits ist stets anerkannt worden als eine besondere Rechtsart
und Gegenstand einer selbständigen-öffentlichrechtlichen-Disciplin.
Die Besonderheit liegt in den juristischen Grundideen, die ihm eigen
sind, und nach welchen dann auch der ganze innere Aufbau, die Ent-
faltung der einzelnen Teile sich eigentümlich gestaltet. Das macht
ja den Wert der Selbständigkeit der Disciplinen aus, daſs jede auf
diese Weise geführt ist von einem bestimmten einheitlichen Geiste, in
welchem sie ihre Rechtserscheinungen betrachtet.
Nun hat sich herausgestellt, daſs derjenige Teil des Staatsrechts,
welcher in der Verwaltung unmittelbar zur Anwendung kommt, an
Umfang und Bedeutung ganz gewaltig zugenommen hat. Wenn man
näher zusieht, ist auch das Verhältnis zwischen Staat und Unterthan,
das hier in Frage kommt, von einheitlichen juristischen Grundideen
beherrscht, die andere sind, als die des Verfassungsrechts und der
Behördenordnung. Deshalb behandeln wir den in der Verwaltung er-
scheinenden Teil des Staatsrechts jetzt selbständig.
Dadurch daſs wir ihn Verwaltungsrecht nennen, hat er seine
Natur nicht verloren. Das Verwaltungsrecht ist eine besondere Art
des öffentlichen Rechts und soll als solche zur Darstellung kommen7.
[19]§ 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft.
Der Anschluſs an die Verwaltungslehre ist dafür nicht notwendig.
Er bietet doch mancherlei Nachteile. Juristisch Zusammengehöriges
wird notwendig dabei auseinander gerissen und für manches rechtlich
Bedeutsame ist in diesem System überhaupt kein Platz zu finden8.
2*
[20]Einleitung.
Die Lehre des Verwaltungsrechts muſs gerade so auf sich selbst
stehen wie die des Civilrechts.
[[21]]
Allgemeiner Teil.
[[22]][[23]]
Erster Abschnitt.
Die geschichtlichen Entwicklungsstufen des
deutschen Verwaltungsrechts.
§ 3.
Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
Das heutige Verwaltungsrecht hat hinter sich seine Geschichte
wie jede Rechtsart. Die rechte Erkenntnis seiner Vorstufen ist aber
von einer ganz unvergleichlichen Wichtigkeit. Wir müssen uns nur
gegenwärtig halten, wie merkwürdig für die geschichtliche Betrachtungs-
weise der Punkt ist, auf welchem wir heute stehen. Wir können von
hier aus zurückblicken auf mehrere ungemein starke und tiefgehende
Umwälzungen, die sich in verhältnismäſsig kurzem Zeitraum vollzogen
und soeben erst ihren Abschluſs gefunden haben.
Die Rechtsgeschichte hat hier nicht wie sonst jene friedliche Fort-
entwicklung zu verzeichnen, wo der lebenskräftige Stamm nur neue
Sprossen treibt und alte absterben läſst; nicht ein langsames Wachsen
und Sichentfalten der einzelnen Gestalten, mit denen wir heute zu
thun haben, ist in Frage, sondern die gesamten Grundlagen
sind jedesmal geändert. Das Verhältnis zwischen der öffentlichen
Gewalt und den Unterthanen, um dessen Ordnung es sich im Ver-
waltungsrechte handelt, ist von vornherein ganz anders gedacht im
Staate der landesherrlichen Hoheitsrechte wie im Polizeistaate und
wieder anders im Rechtsstaate der Gegenwart. Mit der maſsvollen
Entwicklungsgeschichte der Civilrechtsinstitute ist da kein Vergleich.
Um eine gleiche Schroffheit der Gegensätze dort zu finden, müſste
man sich etwa vorstellen, es wäre eine Privatrechtsordnung von der
[24]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Art der gegenwärtigen zunächst durch die Verwirklichung eines
anarchistischen Ideals abgelöst worden und darauf wieder eine Ord-
nung im Sinne des Socialismus gefolgt.
Die Übergänge vollziehen sich nicht allerorten in Deutschland
gleichmäſsig und in einem Zuge; bald schreitet die eine, bald die
andere Staatengruppe voran und die übrigen bleiben daneben eine
Zeit lang noch auf der vorausgehenden Entwicklungsstufe stehen.
Im ganzen hat sich aber die ganze Entwicklung so rasch abgespielt,
daſs wir allgemeine Rechtszustände, die ganz auf den Grundlagen der
ersten Stufe stehen, noch fast mit der Hand erreichen können. Lang-
sam hatten sich die landesherrlichen Hoheitsrechte ausgebildet; einzelne
deutsche Staatswesen beharrten in dieser Grundform bis zur Auf-
lösung des alten Reichs zu Anfang dieses Jahrhunderts. Rasch und
mit gewaltiger Spannkraft war daneben der absolutistische Polizei-
staat emporgestiegen, um die alte Ordnung zu zerstören; im vorigen
Jahrhundert hat er seinen Höhepunkt erreicht. Im Zusammenhang
mit der Ausbildung des neuen Verfassungsrechts hat ihn erst im Ver-
laufe dieses Jahrhunderts die Idee des Rechtsstaates überwunden.
Diesem raschen Gange entspricht der Zustand, der uns vor
Augen liegt.
Das wirkliche Recht ist noch erfüllt mit Trümmern vorausgehender
Entwicklungsstufen, die als Widerspruch mit den Grundgedanken
des neuen Rechts dastehen und allmählich verschwinden oder sich
umbilden müssen.
Die Wissenschaft ihrerseits ist noch vielfach gebunden in
älteren Anschauungen, die zum neuen Rechte nicht mehr passen, und
hängt noch an Ausdrucksweisen, welche heute nur in gänzlich ver-
ändertem Sinne zu gebrauchen sind.
Wer sich hier zurechtfinden soll, für den ist die erste Be-
dingung, daſs er der geschichtlichen Gegensätze sich immer klar be-
wuſst bleibt.
I. Was wir jetzt Verwaltung nennen, hat seinen Ausgang ge-
nommen nicht vom deutschen Reich, sondern von den Territorien.
Für die Ordnung des Verhältnisses zwischen den Einzelnen unter ein-
ander war das römische Recht recipiert; für die Ordnung des Ver-
hältnisses zwischen dem Staat und den Unterthanen nicht also. Die
ihm eigentümliche Idee des allgewaltigen Staates ist verloren gegangen.
Die majestas populi Romani, in deren Namen der Wille der römischen
Magistrate dem Einzelnen stets als der höhere, rechtlich bindende gegen-
über trat, war noch in den Einrichtungen der römischen Kaiserzeit
[25]§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
lebendig geblieben1. Die germanischen Völker vermochten dieses Erb-
stück der alten Kultur nicht zu bewahren. Das fränkische Königtum
hatte noch im Zusammenhange damit eine bedeutende Machtfülle ge-
wonnen, die es über die Stellung des alten Stammeshauptes weit
hinaus hob2. Unter den Karolingern beginnt schon die Zersetzung.
Das deutsche Kaisertum, obwohl es ausdrücklich die Nachfolge bean-
sprucht und hier und da Anläufe nimmt, aus seinem Vorbild neue
Kraft zu ziehen, wird ihm fremd und fremder, zugleich auch immer
schwächer. Mit Ausgang des Mittelalters ist entschieden, daſs der
Schwerpunkt der staatlichen Entwicklung des deutschen Volkes in
die Einzelländer verlegt ist. In diesen aber baut sich die Staats-
gewalt auf ohne alle Anknüpfung an das Altertum, ohne Tradition.
Mühsam und langsam sammelt sie sich aus allerlei Stücken und in
der deutlich ausgeprägten Gestalt eines solchen Sammelwerkes stellt
sie sich uns zuerst dar. Aus dieser ihrer Natur bestimmt sich aber
auch ihr Verhältnis zum Unterthanen.
Es ist nicht der Staat, der den Unterthanen da gegenüber steht;
dieses Abstraktum hält erst später seinen Einzug und äuſsert dann
alsbald auch gewaltige Wirkung. Der Landesherr persönlich
ist allein in Frage. Der Landesherr hat seine Rechte wie ein anderer
Mensch. Er hat aber auch eine besondere Art von Rechten, die ihm
eigentümlich sind. Das sind solche, die Angelegenheiten des Gemein-
wesens betreffen und seine Stellung über dem Lande und den Unter-
thanen zum Ausdruck bringen. Sie heiſsen Hoheitsrechte und
ihre Gesamtheit bildet die Landeshoheit.
Diese Rechte sind nicht etwa, so wie wir jetzt von Rechten der
Staatsgewalt sprechen, Entfaltungen einer groſsen allgemeinen Macht-
stellung, sondern sie sind jedes besonders erworben, nach und nach auf
verschiedene Titel, erworben einerseits dem Reiche gegenüber durch
Abzweigung von der ursprünglich umfassenden Kaiserlichen Gewalt,
andererseits den Unterthanen gegenüber, welche gedacht sind als frei
und unbelastet von Haus aus und zu Gunsten des Landesherrn nur
beschränkt, soweit ein Rechtstitel für ihn vorliegt. Eben deshalb,
weil sie in solcher Weise Stück für Stück zusammen erworben ist,
hat auch die Landeshoheit thatsächlich hier und dort einen sehr ver-
schiedenen Umfang3.
[26]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Zu gröſserer Gleichmäſsigkeit und Fülle gelangt diese Landes-
hoheit unter dem Einfluſs des Naturrechts. Jene merkwürdige
Strömung, welche Jahrhunderte hindurch die gelehrte Welt beherrscht
mit dem festen Glauben an ein naturgegebenes Recht, das für alle
einzelnen Verhältnisse besteht und das von der Wissenschaft nur zu
erkennen, vom wirklichen Rechte nur durchzuführen ist, bemächtigt
sich vor allem auch dieses Gegenstandes. Die Gelehrten des 16. und
17. Jahrhunderts bereiten der Staatsidee den Weg, indem sie die Auf-
gaben und die Rechte des Fürsten unter den einheitlichen Gesichts-
punkt des Staatszweckes stellen. Der Fürst ist dazu da, die
gemeine Wohlfahrt zu schützen und zu fördern; alle besonderen
Rechte, die ihm zustehen, besitzt er nur zu diesem Zweck. Aber
dafür gilt auch umgekehrt der Satz: wenn etwas nützlich und er-
forderlich ist für die gemeine Wohlfahrt, so muſs der Fürst auch das
entsprechende Recht haben, um solches vorkehren zu können. Der
Umfang der Hoheitsrechte bestimmt sich daher aus dem Umfang der
Aufgaben, deren Erfüllung für das Gemeinwesen die Zeit für an-
gemessen hält. Mit dem Anschwellen solcher Aufgaben wachsen auch
die einzelnen Hoheitsrechte, Majestätsrechte, jura majesta-
tis seu regiminis, jura regia seu regalia. Ihre Aufzählung und ge-
schmackvolle Einteilung, immer wieder vermehrt und verbessert,
bildet auf lange Zeit hinaus ein stehendes Stück der Staatsrechtslehre4.
Die Naturrechtslehre sagt damit freilich nur, was sein soll; sie
macht nicht unmittelbar Recht; das wirkliche Recht mag von vorn-
herein mit dem, was sie als das Selbstverständliche aufstellt und
namentlich auch dem Fürsten an neuen Befugnissen zuspricht, nicht
überall stimmen. Aber die Fürstenmacht steht als die groſse That-
sache dahinter; sie leiht diesem jeweiligen Programm willig den
starken Arm, um es zur Wirklichkeit zu machen und noch zu über-
bieten. So hat die Naturrechtslehre wenigstens mittelbar das neue
Recht schaffen helfen5.
[27]§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
Die ganze Bewegung war nicht auf Deutschland beschränkt.
Namentlich hatte auch in Frankreich frühzeitig die Machtstellung des
Königs sich durch ein solches Ansammeln von Hoheitsrechten ausge-
bildet und unserer Naturrechtslehre Vorbilder geliefert. In Deutschland
traf sie von vornherein auf die Neigung zu langsamerer Entwicklung;
dazu aber gab die doppelte Gestalt, in welcher hier Staatsgewalt er-
schien, als die des Kaisers und als die des Landesherrn, Anlaſs
zu tiefgehenden Besonderheiten.
Auf welche von beiden Seiten soll der Zuwachs gehören, den
das Naturrecht immer reichlicher erzeugt? Zur lebenskräftigeren
natürlich. Das ist seit dem westfälischen Frieden ganz zweifellos die
Landeshoheit. Das Schicksal des Reiches ist eigentlich schon damit
besiegelt, daſs seitdem der Satz gilt: alle neu aufkommenden
Hoheitsrechte fallen der Landeshoheit zu6.
Doch dies ist ein Nebenpunkt. Viel bedeutsamer ist eine andere
Thatsache, die mit dem Vorhandensein der zweierlei Staatsgewalten
zusammenhängt; über die Landeshoheit, in welcher allein die Zukunft
unseres Verwaltungsrechtes liegt, ist hier ein groſser Regulator gesetzt
in der Reichsgerichtsbarkeit. Noch im letzten Moment, 1495,
— ob es fünfundzwanzig Jahre später wohl noch möglich gewesen
wäre? — gelang es den Reichsgewalten, das Reichskammer-
gericht zustande zu bringen, dem sich 1501 der Reichshofrat
anschloſs. Beide stehen mit konkurrierender Gerichtsbarkeit über den
Landesherren, diese mit äuſserem Ehrenvorzug und glänzenderer Stellung,
jenes aber, auch in allem Elend seiner Zustände, von der gröſseren
geistigen Bedeutung. Sie wachen insbesondere auch über die Ein-
haltung der Grenzen der landesherrlichen Hoheitsrechte gegenüber
den Unterthanen. Anderwärts, wo es an einer solchen Einrichtung
fehlte, muſste die fürstliche Gewalt unter dem fortdauernden Antrieb
des Naturrechts sich alsbald über alle Rechtsschranken hinaus ins Unge-
messene verlieren. Hier wird dieser Prozeſs gehemmt. So lange die
Reichsgerichtsbarkeit Macht hat, bleibt unsere Rechtsentwicklung bei
den Hoheitsrechten stehen. Während sie in Frankreich schon längst
nur mehr der Wissenschaft Rubriken liefern zur Einteilung einer
unbeschränkten königlichen Gewalt, ist es bei uns ernst gemeint damit.
Die Staatsgewalt hat bei uns bis nahe an die Gegenwart heran die
Gestalt einer Sammlung von einzelnen Befugnissen des Fürsten be-
halten.
[28]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Das giebt aber dem Verhältnis, in welches sie bei ihrer Thätig-
keit zum einzelnen Unterthanen tritt, seine allgemeine rechtliche
Natur. Das Verwaltungsrecht jener Stufe ist innerlich
gestaltet nach dem Vorbild des Civilrechts.
II. Die Rechtsordnung, zu deren Aufrechterhaltung die Reichs-
gerichte bestellt sind, erscheint vor ihnen in Gestalt von darauf ge-
gründeten Einzelbefugnissen, die das Gericht in ihren richtigen
Grenzen schützt und deren Überschreitung es zurückweist. Die Grenzen
der Befugnis bestimmen sich einerseits durch den Umfang, in
welchem sie erworben ist, andererseits durch entgegen-
stehende Rechte, welche Andere erworben haben. Unter diesen
dem Civilrecht eigentümlichen Gesichtspunkten werden auch die Hoheits-
rechte behandelt.
1. Auch der Landesherr kann gegen den Unterthanen keinen
Anspruch geltend machen, der nicht auf ein bestimmtes ihm zu-
stehendes Recht sich stützt. Zu den Hoheitsrechten, welche
auf verschiedene Titel erworben waren, fügt aber das Naturrecht
seine allgemeinen Grundsätze hinzu über das, was ihm zustehen
soll; er braucht nur zuzugreifen, dann hat er diese Rechte in vollem
Maſse7.
Das Maſs bestimmt ebenfalls das Naturrecht und dieses ist ge-
neigt, den äuſserlichen Umfang des Rechtes immer weiter auszudehnen.
Die Führerschaft bei dieser Entwicklung hat das jus politiae,
das frischeste und zukunftsreichste Stück der Landeshoheit. Der
Landesherr ist verpflichtet, für die gute Ordnung und allgemeine Wohl-
fahrt zu sorgen, und hat demzufolge das Recht, die dazu nötige Gewalt
über die Unterthanen zu üben, das Recht der Polizei. Darin liegt
von selbst, daſs man nicht beim Gegebenen, Hergebrachten stehen
bleibt; Neues muſs geschaffen werden, und damit wird die Polizei zur
reichlich flieſsenden Quelle immer neuer rechtlicher Ansprüche des
Landesherrn, deren Inhalt derselbe mit seinem jus politiae selbst be-
stimmt. Eine äuſsere Grenze ist schlieſslich für dieses Recht nicht
mehr zu erkennen8.
[29]§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
Langsamer geht es mit dem jus sequelae, dem Recht auf
Fronden, vor allem mit dem Recht der Steuerauflage. Hier
finden die Gerichte gern noch irgend eine Rücksichtnahme her-
aus, an welche das Recht gebunden, irgend eine Bedingung, unter
der allein es gegeben ist9. Aber im groſsen und ganzen ist an
Bestand und Umfang der Hoheitsrechte selbst schlieſslich nicht mehr
viel zu bestreiten und zu prüfen; es kann in dieser Beziehung alles
beansprucht werden, was man in gutem Glauben für notwendig
halten mag10.
Desto strenger wachen die Gerichte darüber, daſs wenigstens eine
andere Grenze innegehalten werde, die für jedes Recht gilt: auch
das beste Recht darf nicht miſsbraucht werden; sonst ist es kein
Recht mehr. Die Hoheitsrechte sind gerade in dieser Beziehung be-
sonders empfindlich. Sie sind allesamt gemäſs naturrechtlicher Auf-
fassung dem Landesherrn nur gegeben zu dem Zweck des allgemeinen
Wohles; er darf sie nur dafür verwenden, sonst miſsbraucht er sie
und handelt rechtswidrig11. Ebenso darf das Verfahren, in welchem
das Recht ausgeübt wird, den schicklichen geordneten Gang nicht ver-
8
[30]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
lassen, noch unnötige Härte zeigen; in solchem Falle gewährt das
Reichsgericht auch gegenüber dem Hoheitsrechte wirksamen Schutz12.
2. Die einzelnen Hoheitsrechte des Landesherrn erhalten aber
auch eine Grenze gesteckt durch entgegenstehende subjektive
Rechte der Einzelnen.
Die Rechte, die hier in Betracht kommen, sind die sog. wohler-
worbenen Rechte, jura quaesita. Sie bilden den Gegensatz
einerseits zu dem, was schon als Inhalt der allgemeinen Freiheit dem
Einzelnen von selbst zusteht, andererseits zu bloſsen Erwerbsmöglichkeiten,
welche die Rechtsordnung eröffnet; es muſs ein bestimmter thatsäch-
licher Vorgang im Einzelfall zu Gunsten dieses Unterthanen bereits
rechtswirksam geworden sein: jus quaesitum ist das auf besondere
Rechtstitel begründete Recht13.
Die wohlerworbenen Rechte haben heutzutage ihre Stelle in der
Lehre von den zeitlichen Grenzen des Gesetzes und ihre Bedeutung
erschöpft sich dort in einer Vermutung, die sie liefern: der Wille
des Gesetzes ist im Zweifel dahin auszulegen, daſs wohlerworbene
Rechte, die es vorfand, nicht von ihm berührt sein sollen14.
Für die Stufe der landesherrlichen Hoheitsrechte bedeuten sie
etwas ganz anderes, eine wahre Rechtsschranke nämlich, welche der
öffentlichen Gewalt in jeglicher Form, in welcher sie auftritt, Gesetz-
gebung, Rechtspflege, Verwaltung gleichviel, gegenüber steht: auch
in Ausübung seiner Hoheitsrechte darf der Landesherr niemandem
sein wohlerworbenes Recht entziehen15. Dieser Grundsatz läſst sich
[31]§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
zunächst aus der privatrechtlichen Auffassung, in der die Hoheits-
rechte gedacht sind, in der einfachsten Weise verstehen. Gegenüber
dem Forderungsrechte kann der Schuldner ein pactum de non petendo,
gegenüber dem Eigentum der Nachbar eine einschränkende Servitut
erwerben. In gleicher Weise werden durch wohlerworbene Rechte der
Einzelnen Absplitterungen vom äuſseren Umfange der Hoheitsrechte
bewirkt. Diese Hoheitsrechte konnten durch besondere Erwerbstitel:
Kaiserliche Verleihung, Vertrag, Herkommen begründet und erweitert
werden; es ist nur folgerichtig, daſs in der gleichen Weise auch ihre
Verengerung und Beschränkung durch Gegenrechte vor sich geht: gegen-
über dem Ernennungsrechte des Landesherrn das Vorschlagsrecht einer
Körperschaft oder Einzelperson, gegenüber seinem Besteuerungsrechte
ein Recht auf Steuerfreiheit, kurz die ganze Mannigfaltigkeit der
privilegia und immunitates tritt hier auf, als jura quaesita kraft der
besonderen Rechtstitel des Vertrags, der Ersitzung, der Kaiserlichen
Verleihung, und wird ein Gegenstand des Schutzes der Reichsgerichte
gegenüber den dadurch beschränkten Hoheitsrechten16.
Allein das civilrechtliche Vorbild des Gegenrechtes reicht nicht
aus, um die volle Bedeutung der wohlerworbenen Rechte zu erklären.
Nachdem das Naturrecht für die Hoheitsrechte selbst den Gedanken
an die einzelnen Erwerbstitel verwischt hatte, hätte sich wohl auch die
entsprechende Begründung der Widerstandskraft der wohlerworbenen
Rechte schwer mehr halten lassen. Unter den wohlerworbenen
Rechten, welche der Landesherr nicht antasten soll, werden aber auch
nicht bloſs solche verstanden, welche auf Grund eines besonderen
Rechtstitels ihm gegenüber erworben sind, sondern Schranken der
Hoheitsrechte bilden alle jura quaesita schlechthin: die Hoheitsrechte
dürfen niemals so ausgeübt werden, daſs dadurch dem Einzelnen ein
gegenüber irgend jemanden erworbenes Recht entzogen würde.
Eigentum und Forderungsrechte, wie sie nach gemeinem Rechte be-
15
[32]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
gründet sein sollen, Gewerberechte, gemäſs den bestehenden Hand-
werksordnungen erworben, Mitgliedschaftsrechte in allerlei Körper-
schaften können richterlich beurteilt und abgesprochen werden als
unbegründet und verwirkt, aber nicht einfach entzogen werden in
Ausübung irgend eines Hoheitsrechtes, selbst nicht des allumfassenden
jus politiae17.
Darin ist eine den Hoheitsrechten eigentümliche Beschränkung
zu sehen. Auch der Einzelne darf seinem Nächsten nicht eingreifen
in jura quaesita; er hat eben zu solcher Schädigung kein Recht und
deshalb gilt für ihn das Verbot: neminem laede. Sollte ihm aber
ans irgend einem Grunde ein Recht zustehen, dessen Ausübung den
Erfolg einer Zerstörung des Rechtes des anderen haben könnte, so
erweist sich auch das wohlerworbene Recht nicht als Schranke: qui
jure suo utitur, neminem laedit. Wenn es mit den Hoheitsrechten
anders steht, so ist das aus dem Zusammenhange der Stellung des
Landesherrn überhaupt zu erklären. Sie stehen ihm nur zu für das
gemeine Wohl; für das gemeine Wohl ist aber der Landesherr in
erster Linie der Hort des Rechtes im Lande und hat als oberster
Gerichtsherr die Aufgabe, die Rechte der Unterthanen zu schützen
und zu handhaben, wo er sie findet. Dieser richterliche Beruf wiegt
dermaſsen vor in seiner öffentlichen Stellung, daſs keines der anderen
Rechte, welche diese Stellung ihm giebt, dazu führen darf, den Gegen-
stand der Pflichten jenes Berufes zu zerstören18.
3. Gegenüber den zuletzt erwähnten Beschränkungen der [Hoheits-]
rechte entsteht nun wieder ein besonderes Hoheitsrecht, welches be-
[33]§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
rufen ist, auch diese zu durchbrechen und demgemäſs den Abschluſs
des ganzen Systems bildet.
Die wohlerworbenen Rechte der Einzelnen bilden nämlich eine
Schranke für die Hoheitsrechte nur im gewöhnlichen Laufe der
Dinge19. In Ausnahmsfällen ist das öffentliche Interesse, die Staats-
raison, auch daran nicht gebunden. Voraussetzung ist die Kollision
d. h., daſs die Beseitigung eines wohlerworbenen Rechtes notwendig
ist für die Erreichung der Staatszwecke. Dann kann das Eigentum
entzogen, das Privilegium aufgehoben, der Vertrag gebrochen werden.
Diese auſserordentliche Gewalt gestaltet sich wieder zu einem eigenen
landesherrlichen Hoheitsrecht, welches hinter allen anderen ergänzend
steht, genannt jus eminens, äuſserstes Recht der Staatsgewalt,
potestas, imperium oder dominium eminens, Machtvollkommenheit20.
III. Die Reichsgerichte sind über die Inhaber der Landeshoheit
gesetzt in doppelter Weise:
1. zur Nachprüfung der von ihnen und in ihrem Namen gehand-
habten Rechtspflege auf Anrufen der Beteiligten durch das ordentliche
Rechtsmittel der Appellation.
Der gemeine Prozeſs, wie er beim Reichskammergericht zur An-
wendung kam, zerfiel in zwei Teile. Der eigentliche Prozeſs,
Judizialprozeſs, beginnt erst mit der Verhandlung zwischen den
Parteien vor Gericht. Alles was vorher und daneben geschieht in
einseitigen Parteivorträgen und Beschlüssen des Richters, ist Extra-
judizialprozeſs. Gegen die Urteile im ersteren Verfahren geht
die eigentliche Appellation, gegen Beschlüsse der letzteren Art giebt
es ein entsprechendes Rechtsmittel, die Extrajudizialappella-
tion, gerichtliche Beschwerde nach heutigem Ausdruck21.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 3
[34]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Die Appellation beider Art unterlag Beschränkungen durch
die in bunter Mannigfaltigkeit den einzelnen Reichsständen nach und
nach erteilten privilegia de non appellando.
2. Auſserdem haben die Landesherren bei den Reichsgerichten
ihren ordentlichen Gerichtsstand, um vor ihnen verklagt werden
zu können wegen dessen, was sie dem Kaiser, ihren Mitständen oder
anderen Personen, insbesondere auch ihren eigenen Unterthanen
schuldig sind.
Die einfache Klage im ordentlichen Verfahren, simplex querela,
führt bei dem schleppenden Geschäftsgang der Reichsgerichte nur all-
zu schwer zu einem Ergebnis. Wenn irgend möglich, wird die Klage
gegen den eigenen Landesherrn im summarischen Verfahren eingeleitet.
Der Mandatsprozeſs ist die regelmäſsige Form. Man beginnt
damit, ein mandatum prohibitorium, inhibitorium oder restitutorium
zu beantragen ob factum nullo jure justificabile oder ob damnum
irreparabile. Auch diese Klagen gegen den Landesherrn haben ihre
Beschränkung: in dem Institute der Austräge, gesetzlicher Schieds-
gerichte, an welche die Sache zunächst gebracht werden muſs, um
erst in zweiter Instanz an die Reichsgerichte zu gelangen. Doch
bestanden solche nicht ausnahmslos, es wurde leicht darauf verzichtet
und auf jeden Fall suchte man sie mit allen Mitteln zu umgehen22.
Diese Grundeinteilung gilt für alle Rechtsprechung der Reichs-
gerichte über die Landesherren. Sie unterscheidet nicht nach der
Art der Rechtsverhältnisse, nicht ob ein Hoheitsrecht in Frage ist
oder ein Rechtsverhältnis, in welchem der Landesherr wie ein ge-
wöhnlicher Privatmann stünde. Besser gesagt: sie schneidet nach
einem eignen Maſsstabe mitten durch: auch die Civilrechtspflege
ist ja Ausübung eines Hoheitsrechts; für sie und alles was an
Hoheitsrechten in gleichartiger Weise geübt wird, gilt die Appellation,
für alles übrige die Klage.
Darnach zerlegt sich die Aufgabe der Reichsgerichte gegenüber
allem, was wir heute Verwaltungssachen nennen, in folgender Weise:
1. Wenn die Obrigkeit einen Ausspruch thut, der die bereits
bestehende Ordnung auf den Einzelfall anwendet oder über Bestand
und Wirksamkeit eines subjektiven Rechtes erkennt, so handelt sie
als Richter und die Appellation ist am Platze, ohne Unterschied
[35]§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
ob der Landesherr dabei im eignen Interesse beteiligt ist oder nicht23.
Und zwar die eigentliche Appellation, wenn zwischen streitenden
Parteien entschieden, Extrajudizialappellation, wenn auf einseitigen An-
trag oder von Amtswegen vorgegangen wurde. Das letztere war
natürlich auf dem Gebiet, das wir heute Verwaltung nennen, das
Regelmäſsige. Man suchte hier die Extrajudizialappellation auch auf
solche Fälle auszudehnen, wo nur eine thatsächliche Gewaltübung
oder eine neue Anordnung von seiten der Obrigkeit vorlag. Das
hatte den Vorteil, die Austräge zu umgehen. Die Reichsgesetzgebung
schärft deshalb ein, daſs auch die Extrajudizialappellation nur zulässig
ist, wenn die Obrigkeit „tamquam judex“ gehandelt hat; ist es „tam-
quam pars und nicht richterlicher Weis“ geschehen, so ist die ein-
fache Klage zu wählen, also der Weg der Austräge zunächst zu
beschreiten24.
2. Während die Appellation eine Art Mitwirkung des Reichs-
gerichts ergiebt bei der Ausübung landesherrlicher Hoheitsrechte, be-
zweckt die Klage eine äuſserliche Überwachung der gegenseitigen
Rechtsgrenzen zwischen Landesherr und Unterthan. Sie setzt also
nicht voraus, daſs Hoheitsrechte in einer bestimmten Weise ausgeübt
worden seien, noch daſs überhaupt Hoheitsrechte in Frage sind. Der
Landesherr steht hier in allen Fällen vor Gericht grundsätzlich ganz
wie eine Privatpartei. Eine Ausnahme davon begründete nur das
oben erwähnte Institut der Austräge.
Die Reichsgesetze glauben auch hier Miſsbräuchen, die mit
Prozessen getrieben werden, entgegen treten zu müssen, befehlen des-
halb den Reichsgerichten, auf Eröffnung des Prozeſsverfahrens gegen
die eigne Obrigkeit „nicht leicht zu erkennen“, jedenfalls vorher
Bericht von der Obrigkeit einzuholen; Mandate, welche ohne Be-
obachtung dieser Form vom Gericht erlassen wären, sollen der Art
3*
[36]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
unwirksam sein, daſs die Stände „denen mandatis impune nicht pa-
rieren dürfen“25. Das gilt wieder ohne Unterschied, um welche Art
von Rechten des Landesherrn es sich dabei handelt.
Eine ausgeprägte Sonderstellung nehmen hier die Hoheitsrechte nur
in einer Beziehung ein: in der Zulässigkeit der Selbsthülfe. Die
Reichsgerichte sind ja in erster Linie bestellt worden zur Aufrechterhaltung
des Landfriedens und zur Beseitigung der überwuchernden Selbsthülfe.
Sie haben davon den Zug einer übermäſsigen Strenge beibehalten gegen
alles Vorgehen, was nach dieser aussieht. Via facti ist unbedingt verboten
allen Unterthanen, den Ständen unter einander, auch den Landesherren
gegenüber ihren Unterthanen, „wenn fiscus agiret“ d. h. wenn es
sich um Privatsachen handelt. Erlaubt ist nur die „Selbsthandhabung
bei der Landeshoheit“. Wenn der Landesherr im Besitze der Aus-
übung eines Hoheitsrechtes ist, so kann er auf eigne Faust mit Ge-
walt sein Recht durchsetzen ohne Rücksicht auf etwaige Rechts-
bestreitungen. Mandate und inhibitoria braucht er nicht zu beachten.
Dem Unterthanen bleibt nur der Weg der selbständigen Klage26.
Daſs Verwaltungsexekution und Polizeizwang aufgefaſst werden
als Selbsthülfe des Landesherrn zur Geltendmachung seiner Hoheits-
rechte, ist ein ganz civilrechtlicher Gedanke; daſs aber die Selbst-
hülfe hier überhaupt zulässig ist, darin liegt doch schon eine An-
erkennung der Eigenartigkeit dieser Rechte. —
In dieser Weise beherrscht das Reichsgericht mit seiner Recht-
sprechung teils mitwirkend, teils äuſserlich überwachend die Thätig-
keit der Landesgewalt zur Verfolgung der Staatszwecke. Ein Ge-
[37]§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
danke, der heutzutage noch manchmal nachklingt, ist eine Wahrheit
gewesen für die damalige Stufe der Entwicklung: Recht und Rechts-
pflege stehen über der Staatsgewalt.
Freilich ist diese Machtstellung weit entfernt, eine vollkommene
zu sein. Die Landeshoheit hat schon sehr bald angefangen, daran zu
rütteln. Sie verschafft sich Ausnahmen über Ausnahmen und gerade
die wichtigeren Gebiete vermochten durch die vielgestaltigen privilegia
de non appellando die eine Seite der reichsgerichtlichen Einwirkung
gänzlich auszuschlieſsen. Auch durch rechtswidrige Ränke und Ge-
waltstreiche sucht man den Weg der Appellation und der Klage zum
Reichsgericht zu versperren27. Vor allem aber stand es miſslich mit
der Zwangsvollstreckung gegen mächtigere Herren. Thatsächlich ist
der Rechtsweg nur gegen die Kleinen bis zu Ende gangbar28. Trotz
alledem war doch immer wieder das Prinzip gewahrt, wenn ein feier-
licher Ausspruch erfolgen konnte, daſs Unrecht geschehen sei, und
wenn hier und da wenigstens es gelang, ein Exempel zu statuieren.
Noch in der letzten Zeit des ärgsten Verfalles, um die Wende des
Jahrhunderts, dachten unsere Juristen gar nicht gering von dem
Werte des ganzen Instituts und wuſsten seine Bedeutung für Auf-
rechterhaltung des allgemeinen Rechtsbewuſstseins und des bürger-
lichen Unabhängigkeitsgefühls wohl zu schätzen29.
Die Rechtsordnung, die auf diese Weise gewahrt und aufrechterhalten
wird, weicht gegen das Ende mehr und mehr in die kleinen Territorien
zurück; sie entlehnt ihre ganze Lebenskraft nur aus dem Fortbestande
der Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte. In dem Maſse, wie diese er-
lischt, zieht für das Verwaltungsrecht, für die ganze Art, wie das Ver-
hältnis zwischen dem verwaltenden Staate und dem Unterthan grund-
sätzlich gedacht ist, eine neue Zeit herauf.
[38]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
§ 4.
Der Polizeistaat.
Wenn schon geraume Zeit vor dem gänzlichen Zusammenbruch
der Reichsgerichtsbarkeit die öffentliche Gewalt überall die alten
Rechtsschranken zu überfluten suchte, so geschah es unter dem An-
trieb mächtiger neuer Ideen, neuer Aufgaben, die sie sich stellte.
Die Polizei, welche dem Ganzen den Stempel giebt, wird zu einer
planmäſsigen Bearbeitung des zur Verfügung stehenden Menschen-
materials, um es einem groſsen Ziele entgegenzuführen, Das Ziel ist
die Macht und Gröſse des Gemeinwesens1. Die Staatsidee tritt in den
Vordergrund; nicht für sich und zur Geltendmachung eines ihm zu-
stehenden Hoheitsrechtes nimmt der Fürst das alles in Anspruch,
sondern im Namen des idealen Rechtssubjektes, das er vertritt2. Neben
der Verneinung der bisherigen Formen entwickeln sich aber auch
schon wieder neue Ordnungen, die hinüber leiten zu dem Rechte der
Gegenwart.
I. Die schrankenlos gewordene öffentliche Gewalt wird ausgeübt
durch den Fürsten selbst und unter ihm in seinem Namen und damit
zugleich im Namen des Staats durch verschiedenartiges Beamtentum.
Der Machtanteil, der jedem zukommt, bestimmt sich wie folgt.
1. Der Fürst ist der eigentliche Träger der ungeheuren Auf-
gabe der Verfolgung des Staatszweckes. Wäre es nach Menschennatur
möglich, so würde er alles allein thun. So aber bleibt wenigstens
dr Grundsatz bestehen, daſs kein Gegenstand staatlicher Verwaltung
seiner unmittelbaren Thätigkeit entzogen ist. Wichtigere Dinge sind
ihm vorbehalten, minder wichtiger bemächtigt er sich, wie sie gerade
seine Aufmerksamkeit erregen3.
[39]§ 4. Der Polizeistaat.
Dem Unterthanen gegenüber hat seine Macht keine rechtlichen
Grenzen; was er will, ist verbindlich. Von Hoheitsrechten ist nur
dem Namen nach die Rede. Es giebt keinen Miſsbrauch mehr und
giebt keine beschränkenden jura quaesita. Die Verantwortlichkeit
vor Gott und seinem Gewissen einerseits, die vernünftige Erwägung
des Zweckmäſsigen und Thunlichen andrerseits, wohl auch noch viel-
fach, wenn auch uneingestanden, die Macht des Hergebrachten, sind
seine einzigen Schranken. Das Recht hat nichts damit zu thun4.
2. Das Beamtentum erhält seinen Anteil an Besorgung der Staats-
geschäfte durch den Fürsten zugewiesen. Die Pflichten und Aufgaben
sind im Interesse des Staatszwecks möglichst umfassend gehalten; ins-
besondere die Hauptstellen der Verwaltung, die kollegialen Polizei-
3
[40]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
behörden sind ohne weiteres berufen, alles zu thun, was von ihnen und
in ihrem Bezirke für die öffentlichen Interessen geschehen kann und
nicht einer andern Stelle besonders vorbehalten ist. Sie stehen ihrer-
seits unter scharfer Zucht und Aufsicht ihrer Vorgesetzten, vor allem
des obersten Verwalters, des Fürsten selbst. Mit peinlich genauen
Instruktionen wird ihnen der Dienst in allen Punkten vorgeschrieben.
Jederzeit kann ein Einzelbefehl dazwischen fahren, um besondere An-
weisung zu geben. Ihre Anordnungen selbst werden nicht bloſs im
Instanzenzug, sondern häufig unmittelbar durch den Fürsten aufgehoben
und abgeändert; oder auch der Fürst greift selbst ein, um sie für diese
oder jene Angelegenheit einfach bei Seite zu schieben und an ihrer
Stelle Verfügungen zu treffen5.
Nach auſsen aber, dem Unterthanen gegenüber, vertreten sie den
Fürsten und durch ihn den Staat und sind innerhalb des Spielraums
ihres Auftrags und ihrer Vollmacht ebendeshalb rechtlich unbeschränkt.
Wenn dem Beamten des älteren Staats die Grenzen der Hoheitsrechte
seines Herrn entgegengehalten werden konnten, so ist das jetzt weg-
gefallen. Wie der Fürst für die Gesamtheit der Staatsaufgaben recht-
lich alles vermag, was zur Durchführung erforderlich ist, so der
Beamte für seinen Teil, und da dieser Teil allgemein und in um-
fassender Weise bestimmt zu sein pflegte, so steht der Beamte den
Unterthanen thatsächlich gegenüber wie ein Fürst im Kleinen: der
Unterthan hat sich auch seinen Maſsregeln schlechthin zu fügen6.
Der Unterschied liegt nur darin, daſs es gegen diese eine Abhülfe giebt
bei einem höheren Herrn, der, wenn er angerufen wird, seinerseits
wieder „machen kann, was er will“.
[41]§ 4. Der Polizeistaat.
3. Mitten in diese Ordnung der öffentlichen Gewalt hinein baut
sich aber nun ein ganz eigentümliches Element durch die Anerkennung
des Grundsatzes der Unabhängigkeit der Gerichte.
Der Landesherr hat von lange her die oberste richterliche Gewalt in
seinem Gebiet geübt, indem er selbst Recht sprach, oder durch seine Räte
Recht sprechen lieſs, die Landesgerichte beaufsichtigte und insbesondere
einzelne Sachen, die ihm geeignet schienen, von diesen abrief, um sie
unmittelbar zu entscheiden. Ein solches unmittelbares Eingreifen des
Fürsten in die Rechtspflege war ganz im Geiste des Polizeistaates.
Die Civil- und Strafrechtspflege ist zwar ordentlicherweise in die Hände
der dazu bestellten Gerichte gelegt. Der Fürst aber kann jeder Zeit
einen Civil- oder Strafprozeſs dadurch erledigen, daſs er einen „Macht-
spruch“ erläſst. Dadurch bestimmt er entweder selbst, was für den
Fall Rechtens sein soll, oder er befiehlt den Gerichten das zu gebende
Urteil.
Aus einer übereifrigen Geltendmachung dieses Mittels entwickelte
sich aber in dem führenden Staate, Preuſsen, unter Friedrich dem Groſsen
der entscheidende Umschlag in die entgegengesetzte Ordnung. Man er-
kannte, daſs gerade der groſse Zweck des Staatswohls, der auf allen an-
deren Gebieten das rastlose persönliche Eingreifen des Fürsten fordern
mochte, auf diesem besonderen Gebiete ein solches Eingreifen im Einzel-
falle verbot. Ein Machtspruch in der einen oder anderen Form gilt
fortan als unzulässig. Der König hält sich nicht mehr dazu befugt.
Damit aber bekommt die Civil- und Strafrechtspflege eine ganz be-
sondere Stellung im Vergleich zur Verwaltung; die Behörden der
Justiz werden ein selbständiges Machtelement innerhalb der staat-
lichen Ordnung, wohl befähigt, auch der sonst schrankenlosen öffent-
lichen Gewalt gegenüber Recht und Rechtsordnung in gewissem Maſse
zur Geltung zu bringen7.
II. Die Frage ist also: wie gestaltet sich auf dieser Grund-
lage das Verwaltungsrecht des Polizeistaates? Daſs es öffentliches Recht
auch nach Zerstörung der Hoheitsrechte zwischen Staat und Unter-
than geben kann, beweist die Justiz in Civil- und Strafprozeſs. Diese
prägt gerade jetzt, mit dem allmählichen Durchdringen des Grund-
satzes der Unabhängigkeit der Gerichte, ihre Formen scharf aus.
Wo ist also dem entsprechend das der Verwaltung eigentümliche
öffentliche Recht (oben § 2, III)?
[42]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Wir sehen thatsächlich auch in der Verwaltung ähnliche Ord-
nungen zur Anwendung kommen, wie in der Justiz, Ordnungen,
welche dazu dienen, die Verwaltungsthätigkeit bei ihrem Zwecke zu
halten und ihren Erfolg zu sichern. Damit ist noch nicht gesagt, daſs
sie das auch thun in der Weise des Rechts. Es zeigt sich viel-
mehr hierin zwischen Justiz und Verwaltung ein tiefgehender Gegensatz.
Für die ursprüngliche Anschauung erscheint alle obrigkeitliche
Anordnung in der Form des Befehls; spätere Entwicklungsstufen
unterscheiden feiner. Hier haben wir nur mit diesem allgemeinen
Begriff des Befehls zu thun. Der Befehl vermag Recht zu schaffen,
indem er als bindende allgemeine Regel auftritt. Dabei wendet er
sich aber unmittelbar entweder an die Unterthanen oder an die
Beamten; demnach sind zwei Fälle zu unterscheiden.
1. Das Recht, Gesetze zu machen, ist von lange her als ein
Hoheitsrecht des Fürsten anerkannt; die Gelehrten gruppierten es
unter die formellen oder allgemeinen Hoheitsrechte. Es hatte als
solches die gewöhnlichen Schranken, die jetzt weggefallen sind;
der Fürst, der alles befehlen kann, kann es auch in Form einer all-
gemeinen Regel thun. Der Begriff selbst ist der nämliche geblieben:
Gesetz ist ein allgemeines Gebot oder Verbot an die Unterthanen,
um ihr Thun und Lassen zu bestimmen. Befehlen kann man nur,
indem man dem Gehorsamspflichtigen seinen Willen kundthut. Die
Kundgabe ist hier naturgemäſs die Veröffentlichung. Gesetz ist also
ein veröffentlichtes allgemeines Gebot oder Verbot an die
Unterthanen8.
Solche Gesetze kann der Fürst erlassen für das Gebiet der Justiz
sowohl wie für das der Verwaltung. Es kommt aber jetzt zum Be-
wuſstsein, daſs das eine wesentlich verschiedene Bedeutung hat auf dem
einen und auf dem andern Gebiet. Denn jetzt, wo die äuſseren
Schranken der fürstlichen Rechte nicht mehr bestehen, werden andere
Schranken desto bedeutsamer und tritt die besondere Stellung der
Gerichte schärfer hervor.
[43]§ 4. Der Polizeistaat.
Wenn der Fürst einen Civilrechtssatz befiehlt, so macht er
etwas, was er in anderer Form nicht machen könnte: er wirkt auf
die Handhabung der Rechtspflege ein; was er ja sonst nur durch
einen auſsergewöhnlichen Machtspruch, nach späterer Auffassung auch
dadurch nicht zu thun vermochte. Ist das Gesetz aber einmal da,
so ist es unverbrüchlich für die ganze obrigkeitliche Thätigkeit: vom
Richter allein hängt seine Handhabung ab, der Richter aber muſs es
anwenden und der Fürst kann ihn nicht entbinden. Daſs ein neues
Gesetz für die Zukunft Änderung schaffen mag, thut dem keinen
Eintrag.
Anders das Polizeigesetz. Es bestimmt, was der Fürst
rechtlich auch im Einzelfalle anordnen könnte; es ist lediglich Zweck-
mäſsigkeitssache, daſs man die vielen gleichartigen Fälle in dieser
Weise zusammenfaſst. Es bindet die Beamten bloſs dem Fürsten
gegenüber, insofern sie ihm zur Handhabung seiner Befehle ver-
pflichtet sind; es kann ihnen in ihrem allgemeinen Amtsauftrag Spiel-
raum gelassen sein, es auch mit der Handhabung eines solchen Ge-
setzes nach bestem Ermessen zu halten, sie können im Einzelfall
andere Anweisung bekommen, der Fürst selbst kann unmittelbar
anders verfügen.
In dieser Weise sind Justizgesetze für die Regierung selbst
bindend, Polizeigesetze nicht; Justizgesetze machen deshalb Recht,
Polizeigesetze nicht. Wer es genauer nimmt und von den ersteren
her die Eigenschaft, Rechtssätze zu schaffen, als ein wesentliches
Merkmal des Gesetzes erkennt, versagt jetzt geradezu den allgemeinen
Befehlen, welche der Fürst auf dem Gebiete der Polizei, der Finanzen
u. s. w. veröffentlicht, den Namen Gesetz und bezeichnet sie im
Gegensatze dazu als bloſse Verordnungen9.
[44]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
2. Die Ordnungen, welche der Fürst erläſst, können sich auch
unmittelbar an die Beamten wenden, um diesen ihre Thätig-
keit vorzuschreiben. Diese Gestalt haben auf dem Gebiete der
Justiz die Ordnungen für das Prozeſsverfahren und die Handhabung
der Strafgewalt. Ihre Vorschriften werden hier sofort wieder zu un-
verbrüchlichen Regeln mit Rechtssatznatur gegenüber dem Unterthanen,
den es betrifft. Die Vorschriften dagegen, welche den Verwal-
tungsbehörden in den ausführlichen Instruktionen fast zum Über-
maſs gegeben werden, gehen den Unterthanen rechtlich nichts an.
Er hat der Obrigkeit gegenüber keinen Anspruch darauf, daſs es
dabei bleibe, noch darauf, daſs die vorgeschriebenen Thätigkeiten ge-
leistet, die angegebenen Schranken der Amtsthätigkeit eingehalten
werden. Wenn man sie veröffentlicht, oft geradeso wie die Gesetze,
so hat das lediglich äuſsere Zweckmäſsigkeitsgründe, sofern es vorteil-
haft erscheint, daſs die Unterthanen erfahren, was sie von den Be-
amten zu gewärtigen haben und sich darnach richten. Wenn ein
solcher Vorteil nicht dabei heraussieht, unterbleibt die Veröffent-
lichung; es kann sogar sein, daſs man für gut hält, das Genauere
einer solchen Instruktion geheim zu halten10. In allen Fällen hat
sie die gleiche Kraft und Bedeutung: sie wirkt rechtlich nur für die
9
[45]§ 4. Der Polizeistaat.
Beamten, auf den Unterthanen wirkt nicht sie selbst, sondern erst ihre
thatsächliche Ausführung durch jene. Es entsteht durch sie kein
Recht, so wenig wie durch den allgemeinen Polizei- und Finanz-
befehl11.
Das Ergebnis ist, daſs der Polizeistaat wohl ein Civilrecht, Straf-
recht und Prozeſsrecht hat, ein Justizrecht mit einem Worte, aber
keine Ordnungen für die Verwaltung, die bindend wären für die Obrig-
keit dem Unterthanen gegenüber, kein öffentliches Recht12.
III. Dafür nehmen nunmehr Civilrecht und Civilrechts-
pflege einen mächtigen Aufschwung und füllen durch den weiten Um-
fang, in welchem sie auf das Verhältnis zwischen Staat und Unter-
than zur Anwendung kommen, die Lücken aus, welche das Rechts-
gefühl gegenüber diesem Stande des öffentlichen Rechts empfinden
möchte.
[46]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
1. Klagen der Unterthanen gegen den Landesherrn
sollen im alten Rechte an die Austräge und von da an die Reichs-
gerichte gehen. Es war jedoch Brauch geworden, daſs man einen
Unterschied machte, ob der Landesherr als solcher oder als privatus
belangt wurde. Ersteres sollte der Fall sein, wenn es sich um seine
Hoheitsrechte handelte, letzteres wenn ein Verhältnis des gewöhn-
lichen Vermögensverkehrs in Frage stand; es ist das einer der Punkte,
in welchen zuerst die Scheidung von öffentlichem Recht und Civil-
recht zum Durchbruch kommt. Für die Klage gegen den Landes-
herrn als privatus, gegen die fürstliche Kammer oder den landes-
herrlichen Fiscus wurde die Zuständigkeit der ordentlichen Landes-
gerichte anerkannt. Die Rechtsgrundlage dafür fand man in der An-
nahme, daſs dieselben stillschweigend als Austrägalgerichte gewählt
worden seien. Dieser Grund hätte auch für die Klagen in hoheits-
rechtlichen Sachen ausgereicht. Aber man schätzte diese Sachen für
so unverhältnismäſsig wichtiger, daſs eine stillschweigende Unter-
werfung der Unterthanen unter die eignen Gerichte ihres Gegners
dafür nicht angenommen werden dürfe13. Waren die Landesgerichte
in diesen Privatsachen Austrägalgerichte, so muſste es von ihnen stets
eine Berufung an die Reichsgerichte geben, selbst im Fall eines all-
gemeinen privilegium de non appellando, weil solches hierfür nicht
galt. Dem widerstrebten aber die Landesherren, und die Wahlkapitu-
lationen entscheiden zuletzt dahin, daſs die Reichsgerichte mit der-
artigen Sachen weder unmittelbar noch im Wege der Berufung mehr
befaſst werden sollen. Die „Landesdikasterien“ sind also Alleinherren14.
Es ist bezeichnend, wie viele Umstände man machen zu müssen
glaubte, um in diesen Sachen den Richtern, die ja doch einmal
Beamte der Partei sind, Unparteilichkeit und Vertrauenswürdigkeit
zu sichern. Zu dem gewöhnlichen Verzicht auf Machtsprüche kommt
hier vor Einleitung des Verfahrens noch die förmliche Entbindung
von der Pflicht, „unser Interesse zu wahren“, und eifrige Fürsten
machen die schärfsten Gewissensvorhalte, wenn sie Verdacht haben,
daſs sie begünstigt würden15. Diese Rechtsprechung der Landes-
gerichte über den Landesherrn wird durch die allmähliche Ein-
[47]§ 4. Der Polizeistaat.
schränkung und den schlieſslichen Wegfall der Reichsgerichtsbar-
keit nicht berührt; sie erhält mit der schärferen Ausprägung des
Polizeistaates eine immer wachsende Bedeutung.
2. Für die Frage, ob die Civilgerichte zuständig sind, ist es also
entscheidend, ob der Staat in einem bestimmten Verhältnisse dem
Civilrechte unterliegt; das bedeutet aber nichts anderes als
die Frage, ob er überhaupt in den Schranken einer Rechtsordnung
stehen soll; denn auſserhalb des Civilrechts giebt es kein Recht. Des-
halb handelt es sich hier um mehr als bloſs um eine wissenschaft-
liche Grenzziehung zwischen zwei verschieden gearteten Rechtsge-
bieten. Es ist der Widerstreit zweier mächtiger Ideen, der seinen
Ausgleich finden soll: der Idee des allgewaltigen Staates, die sich
eben erst durch Zerstörung der Grenzen der Hoheitsrechte bewährt
hat, und der Idee des Rechts, welche darauf angewiesen ist, die
einzige ihr zu Gebote stehende Form für Recht und Rechtsordnung
möglichst weit vorwärts zu tragen in die Lebensbeziehungen zwischen
Staat und Unterthan hinein.
Die Lösung hat der Polizeistaat gefunden in jener eigentümlichen
Lehre vom Fiskus, welche in dieser Zeit zur Ausbildung gelangt
und heute noch bei ganz geänderten Voraussetzungen, uneingestanden,
ja meist ausdrücklich verleugnet, die Rechtsanwendung und die Rechts-
lehre unverkennbar beeinfluſst.
Für den Begriff des Fiskus hat das römische Recht die Grund-
lagen geliefert. Der Fiskus erschien dort zuletzt als eine juristische
Person neben dem Kaiser, als Träger der dem Staatszwecke dienen-
den Vermögensrechte, ausgestattet mit besonderen Einkünften und
mit Vorzügen in Civilrecht und Prozeſs16. Das deutsche Staatsrecht
legt bei Übernahme dieses Begriffes zunächst den Schwerpunkt in die
„utilitates“, die Vorteile, die damit verbunden sind: auf die jura fisci
kommt es an, die Ansprüche auf Geldstrafen, verwirkte Güter, bona
vacantia, gefundene Schätze u. s. w. Der Fiskus ist eine Kasse, in
welche das flieſst. Ursprünglich hat bloſs der Kaiser diese Rechte;
nachher gehen sie auf die Landesherren über: auch sie, „können einen
fiscus haben“; schlieſslich besitzen sie die umstrittenen Rechte allein17.
[48]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Mit der Ausbildung des Polizeistaates verlieren diese einzelnen
Rechte ihre Bedeutung; sie verschwinden hinter der Allgewalt des Staates.
Dafür tritt jetzt die im Fiscus gegebene juristische Person, die
Trägerin der dem Staatszwecke gewidmeten Vermögensrechte mehr
in den Vordergrund. Die Staatsidee scheidet das Vermögen des Fiscus
vom Privatvermögen, Schatullgeld u. s. w. des Landesherrn. Der
landesherrliche Fiskus verwaltet dieses Vermögen durch die dazu be-
stimmten Beamten und verteidigt es vor Gericht in Rechtsstreitigkeiten
mit den Unterthanen als Prozeſspartei. Er ist jetzt eine Seite
des Staates, aber diese Seite des Staates ist anerkannt und ausge-
bildet als juristische Person, bevor noch der Staat im übrigen als
juristische Person gedacht wurde. Der Fiskus steht neben dem
Fürsten und seinen Behörden, welche die öffentliche Gewalt ausüben,
vertritt sie in allen civilrechtlichen Vermögensverhältnissen, welche
sich daran knüpfen18.
Nun bricht aber immer deutlicher die Anschauung durch, daſs
auch für die Summe der Hoheitsrechte oder vielmehr jetzt die all-
gemeine hoheitliche Macht der Staat in aller Form als das Rechts-
subjekt zu denken ist, für welches sie ausgeübt wird; er ist juristische
Person auch als Ausgangspunkt der öffentlichen Gewalt.
Dadurch erhalten wir von selbst zwei Rechtssubjekte neben
einander, in welche der Staat juristisch zerlegt ist: einerseits den
alten Fiskus, den Staat als Erwerbsgesellschaft oder juristische
17
[49]§ 4. Der Polizeistaat.
Person des Civilrechts; andererseits den eigentlichen Staat, die
Staatsgesellschaft, die juristische Person des öffentlichen Rechts,
in dem verneinenden Sinne wenigstens, den „öffentliches Recht“ be-
deutet, d. h. nicht dem Civilrecht zugehörig19.
Diese Scheidung ist im Sinne jener Zeit zu verstehen. Es
handelt sich dabei nicht um verschiedene Arten von Beziehungen
eines und desselben Rechtssubjektes, nicht lediglich um zwei Seiten,
zweierlei Funktionen des Staates. Es ist kein Irrtum der damaligen
Schriftsteller, Richter und Staatsmänner und kein Miſsgriff in der
Ausdrucksweise, wenn sie den Fiskus ausdrücklich als eine Person
für sich erklären im Gegensatz zum Staat; sie wollen das wirklich,
was sie sagen. Nur so verstanden, reicht diese Idee aus zur Er-
klärung der Ordnung, welche die Sache im wirklichen Rechte dieser
Entwicklungsstufe erhält. Die beiden juristischen Personen sind nicht
bloſs dem Namen nach geschieden; für jede besteht auch eine besondere
Vertreterschaft und werden verschiedenartige Geschäfte besorgt.
Vor allem aber haben sie verschiedene rechtliche Eigenschaften.
Der Fiskus ist seiner Natur nach der „gewöhnliche Privatmann“, er
unterliegt bei Besorgung seines Vermögens den Regeln des Civilrechts
und steht unter der Civilrechtspflege. Der eigentliche Staat hat kein
Vermögen; dafür hat er die obrigkeitliche Gewalt, das allgemeine
Befehlsrecht. Der Fiskus ist Unterthan. Der Staat befiehlt
dem Fiskus, legt ihm Lasten auf, zwingt ihn zur Zahlung gleich andern
Unterthanen. Der Staat kann nicht unter seinen Gerichten stehen
und das Civilrecht gilt nicht für ihn. In diesem Staatsbegriff ist die
Idee ungebrochen verwirklicht, welche der Polizeistaat zum Siege ge-
führt hat; eine Halbheit, wie die, daſs dieses nämliche Wesen doch
eine Seite aufweise, an welcher es wie ein gewöhnlicher Privatmann
erscheint, widerspräche der Unbedingtheit, mit welcher derartige
mächtige Ideen sich zunächst durchzusetzen pflegen. Nur durch die
Ablösung einer damit in Zusammenhang bleibenden, aber minder-
wertigen juristischen Person konnte Civilrecht und Civil-
rechtspflege annehmbar gemacht werden. Die Fiskuslehre
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 4
[50]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
in ihrem alten unverfälschten Sinne war allein imstande, das sonst
Unvereinbare zu vermitteln20.
Aber auch der Umfang der Anwendbarkeit von Civilrecht und
Civilrechtspflege lieſs sich nur auf dieser Grundlage so bestimmen,
wie man ihn bestimmen wollte und wirklich zur Durchführung ge-
bracht hat. Es ist unverkennbar, daſs das Civilrecht hier im Ver-
gleiche mit heutigen Anschauungen um ein Beträchtliches tiefer in
das ganze Gebiet der Staatsthätigkeit hineinreicht.
Den Ausgangspunkt bildet der Grundsatz, daſs Civilrecht, folglich
auch Civilrechtspflege überall zur Anwendung kommen, wo es sich um
„Mein und Dein“, um vermögensrechtliche Angelegenheiten
handelt. Ausgeschlossen ist das Civilrecht nur da, wo der eigentliche
Staat auftritt. Daſs er es ist, erweist sich bei durchgeführter Aus-
scheidung der fiskalischen Behörden schon äuſserlich aus der Person
seines Vertreters. Entscheidend aber ist immer die Gestalt seines
Handelns: nur der Staat hat obrigkeitliche Macht. Die allgemeine
Form, in welcher diese erscheint, ist der Befehl und die Gewalt-
anwendung. Wo befohlen und gezwungen wird, ist der Staat, sonst
überall der Fiskus. Damit erhält das Civilrecht schon eine bedeutende
Ausdehnung21.
[51]§ 4. Der Polizeistaat.
Daraus allein ergäbe sich aber noch nicht jene merkwürdige
Durchdringung der ganzen staatlichen Thätigkeit, auch der obrigkeit-
lichen, mit daneben herlaufenden civilrechtlichen Rechtsverhältnissen
und dem entsprechenden Rechtsschutz, eine Durchdringung, die dieser
ganzen Ordnung ihre Eigenart giebt. Civilrecht gilt hier auch, wo es
nach den für seine Anwendbarkeit geltenden Grundsätzen bei An-
nahme einer einheitlichen Persönlichkeit des Staates im Sinne der
heutigen Auffassung nicht gelten könnte. Wenn ein vermögensrecht-
liches Geschäft angenommen wird, wie es jeder Privatmann machen
könnte, wenn der Staat kauft, verkauft, beschenkt wird oder Zu-
wendungen macht, Geschäfte besorgt und Dienste leistet, so ist es ja
nicht schwer, ihn unter die gewünschte civilrechtliche Ordnung zu
bringen: er befiehlt nichts, er zeigt sich einfach „von seiner ver-
mögensrechtlichen Seite“, er „unterwirft sich dem Civilrecht“. Wenn
er aber wirklich befehlen, obrigkeitliche Gewalt üben will, so ist es
beim einheitlich gedachten Staat mit der Anwendbarkeit des Civil-
rechts vorbei. Es gehört wenigstens mehr guter Wille dazu, als der
Jurist haben darf, um auch dem Befehl so einfach eine „vermögens-
rechtliche Seite“ abzugewinnen und ihm eine gleichzeitige „Unter-
werfung“ des Befehlenden unter das Civilrecht anzuhängen. Wie mit
dem Befehl zugleich civilrechtliche Ansprüche gegen den Staat ent-
stehen sollen, ist auf diese Weise unerklärlich. Die alte Fiskuslehre
allein hatte es möglich gemacht, ohne Nachteil des vernünftigen
Denkens civilrechtliche Wirkungen unmittelbar mit obrigkeitlichen
Akten zu verknüpfen. Es ist eben nicht der Staat selbst, den sie
treffen, sondern der daneben stehende Fiskus; dieser erscheint in dem
Akt nicht als Befehlender, folglich ist es kein Widerspruch, ihn da-
durch civilrechtlich zu verpflichten. In den verschiedenartigsten
Wendungen wird dieser Gedanke auf die einzelnen obrigkeitlichen
Geschäfte zur Anwendung gebracht und dazu verwertet, um den
Unterthanen Rechtsansprüche zu sichern. Der Staat enteignet den
Besitzer, legt aber zugleich dem Fiskus die Last auf, diesen in Geld
zu entschädigen. Der Staat nimmt den Beamten durch die Ernennung
unter seine besondere Befehlsgewalt, vorher oder daneben aber schlieſst
der Fiskus einen Vertrag mit ihm, einen civilrechtlichen Vertrag, in
welchem er Gehaltszahlung verspricht. Der Staat läſst die schon ein-
mal gezahlten Steuern einziehen, der Fiskus wird als der dadurch
21
4*
[52]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Bereicherte verpflichtet, nach den Grundsätzen der condictio indebiti.
Überhaupt, überall wo der Staat mit seiner obrigkeitlichen Gewalt
dem Einzelnen ein besonderes Opfer auferlegt, wird kraft allgemeinen
civilrechtlichen Rechtssatzes der Fiskus dem Betroffenen die an-
gemessene Vergütung schuldig, auf welche er vor dem Civilgerichte ver-
klagt werden kann22.
Auf diese Weise wird die Fiskuslehre von groſser Bedeutung für
die Gestaltung des Rechts im Polizeistaate. Nichts leichter freilich,
als die Grundidee, auf welcher sie beruht, von unserem heutigen
Standpunkte aus wissenschaftlich zu bekämpfen. Damit wird die
Thatsache nicht beseitigt, daſs sie die Wirklichkeit unseres Rechtes
lange Zeit hindurch beherrschte und unzweifelhaft groſse Dienste ge-
leistet hat. Irgend etwas Willkürliches, Absonderliches haben am
Ende alle Formen, in welchen menschliche Kunst die Stellung der
Unterthanen gegenüber der Staatsgewalt zu sichern gesucht hat, die
französische Formel der séparation des pouvoirs, die wir jetzt that-
sächlich befolgen, nicht zum mindesten. Unter diese Sicherungsmittel
ist auch die Fiskuslehre zu rechnen. In der völligen Zerstörung der
alten Formen war sie zunächst das einzige, das sich darbot23.
[53]§ 5. Der Rechtsstaat.
§ 5.
Der Rechtsstaat.
Der Polizeistaat füllt die Übergangszeiten aus zwischen dem alten
Recht und derjenigen Gestalt der Dinge, welche die Gegenwart uns
zeigt. Er war nur der Zuchtmeister auf das neue Staatswesen. Dieses
steht aber auch auf seinen Schultern: was er an Ideen geschaffen,
wird nicht ausgelöscht oder rückgebildet, sondern weiter entfaltet.
Seine groſsen Errungenschaften sind einerseits die unbedingte
Übermacht der Staatsgewalt, andererseits die Unterwerfung
eines staatlichen Lebensgebietes unter die Herrschaft von Civil-
recht und Civilrechtspflege. Beides ist übernommen worden.
Es giebt keine Hoheitsrechte mehr, in deren Schranken der Staat dem
Einzelnen gegenüber sich bewegte; es giebt nur die allgemeine
hoheitlich wirkende Staatsgewalt, im Sinne der alten
majestas populi Romani1. Gleichwohl bleibt im Gegensatz zu dieser
nach dem Vorgang des Polizeistaates die Möglichkeit eröffnet, in
gewissem Maſse das jetzt wieder scharf ausgeschiedene, nur auf die
Verhältnisse der Einzelnen unter einander berechnete Civilrecht auf
den Staat zur Anwendung zu bringen und die zur Erledigung von
23
[54]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bestimmten Gerichte gegen ihn an-
zurufen2.
Das Neue beruht darauf, daſs nun auch in die Handhabung
jener allgemeinen hoheitlichen Gewalt eine eigentümliche Ordnung
gebracht wird, welche ihr von innen heraus die Form und Gestalt
des Rechtes giebt. Das öffentliche Recht bedeutet nicht mehr, wie
die älteren Rechtslehrer in euphemistischer Redeweise den Ausdruck
gelten lieſsen: das Gebiet, auf welchem es im Gegensatz zu dem des
Civilrechts für das Verhältnis zwischen Staat und Unterthan kein
Recht giebt. Wir haben vor uns die Thatsache eines wirklichen
öffentlichen Verwaltungsrechts, welches gleichwertig dem
daneben noch auf die Verwaltung Anwendung findenden Civilrechte
gegenübersteht. Damit ändert sich von selbst auch der grundsätzliche
Standpunkt für die Abgrenzung des Umfangs, in welchem
Civilrecht auf den Staat zur Anwendung gelangt. Das
Civilrecht ist nicht mehr das alleinige und selbstverständliche Recht,
das nur da nicht gilt, wo der Staat mit seiner Befehls- und Zwangs-
gewalt es durchbricht und sich dadurch als der über allem Recht
Stehende zu erkennen giebt. Im Gegenteil, das ihm eigentümliche,
öffentliche Recht ist für den Staat das natürliche, im Zweifel anzu-
wendende. Es bedarf einer besonderen Begründung, wenn er dem
Civilrecht unterliegen soll. Diese Begründung wird denn auch jetzt
nicht mehr gefunden in der alten Fiskuslehre, die uns zu ihrer ganz
bestimmten Abgrenzungsweise hinführte. Thatsache ist, daſs diese Lehre
heute überall verworfen und verleugnet wird. Öffentliches Recht und
Civilrecht scheiden sich jetzt anders. Wie sie sich scheiden, dafür
lassen sich wohl gewisse allgemeine Formeln aufstellen. Die genaue
Abgrenzung, wie sie geltenden Rechtes ist, wird erst erkennbar, wenn
die einzelnen öffentlichrechtlichen Rechtsinstitute, auf
der Grundlage des neuen Verwaltungsrechtes aufgebaut und in ihrer
Eigenart fest bestimmt, den civilrechtlichen gegenüberstehen. Wir
werden im Zusammenhange mit ihrer Darstellung auch auf diese
Abgrenzungsfrage zurückkommen (unten § 11).
[55]§ 5. Der Rechtsstaat.
Der Schwerpunkt liegt für jetzt in der Frage: welches ist die
Natur der Rechtsordnung für die öffentliche Gewalt,
die der gegenwärtigen Entwicklungsstufe des Verwaltungsrechts ihre
Eigenart giebt? Dies bedarf einer eingehenden Erörterung. Der
juristische Gegensatz des Polizeistaates zur vorausgehenden Stufe er-
gab sich verhältnismäſsig einfach aus dem Zerfall der Formen, welche
jene geschaffen und festgehalten hatte. Hier aber werden neue
schöpferische Ideen wirksam, die man voll verstanden haben muſs,
will man anders die Fülle der Einzelheiten beherrschen, die sich
daraus entfalten.
I. Der geistige Zusammenhang der europäischen Völkerfamilie
zeigt sich vielleicht nirgends deutlicher als in der gemeinsamen
Geschichte der Ideen des öffentlichen Rechts. Wir Deutsche spielen
dabei unverkennbar mehr die Stelle des Nachahmers, des Empfangenden,
namentlich Frankreich gegenüber; ob wir dafür immer viel Dank
schulden, ist eine Frage für sich.
Die französische Rechtsentwicklung, abgesehen davon daſs sie
zeitlich immer etwas voraus ist und die Vergangenheit immer leichter
zu verstehen ist als die Gegenwart, ist für uns schon um deswillen
besonders lehrreich, weil dabei, der französischen Volksart entsprechend,
alle neuen öffentlichrechtlichen Ideen mit einer gewissen Schroffheit
zum Ausspruch und zur Durchführung gelangen. Wir finden sie dort,
um ein Bild zu gebrauchen, immer gleich in Reinkulturen.
Viel früher als bei uns war in Frankreich der Polizeistaat fertig
geworden. Ein Hemmschuh wie die Reichsgerichtsbarkeit fehlte. Das
Königtum mit seinen Ministern, Intendanten, Kommissären und
zahlreichen Exekutivbeamten schaltet und waltet ohne eigene Rechts-
schranken. Daneben stand in noch viel schrofferem Gegensatze wie
bei uns die Justiz. Die groſsen Gerichtshöfe, Parlamente, unab-
hängig vom Königtum durch die uns heute so fremdartig anmutende
Käuflichkeit der Stellen, welche eine mächtige Klasse ständig mit
ihren Angehörigen besetzt, verwalten das Recht selbständig. Das
Recht, das sie handhaben, setzt sich zusammen aus dem allmählich
festgestellten und veröffentlichten Gewohnheitsrecht (coutumes) und
aus allgemeinen Anordnungen des Königs (établissements, ordonnances).
Die letzteren aber werden vom Parlament nur dann anerkannt, wenn
es sie zuvor förmlich zugestellt erhalten und dann in seine Samm-
lung aufgenommen, einregistriert hat. Das geschieht nicht ohne
weiteres; es können Gegenvorstellungen gemacht werden (droit de
remontrance); manchmal ist die Einregistrierung nur mit groſsen
[56]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Schwierigkeiten erzwungen, manchmal gar nicht durchgesetzt worden.
Nur die einregistrierten Ordonnanzen bilden das Gesetz, la loi3.
Die Verwaltungsbeamten haben ihrerseits gerade so viel Gewalt,
als ihr Amtsauftrag ihnen giebt. Die Amtsaufträge (commissions) sind
sehr umfassend, ermächtigen zu allem Denkbaren. Sie werden nicht
veröffentlicht, auch wo sie allgemeine Regeln vorstellen, und werden
auch nicht einregistriert bei den Parlamenten. Versuche, dieses
letztere zu bewirken, scheitern meist an der Weigerung dieser Gerichts-
höfe, welche die verliehene Gewalt zu weitgehend finden; darum wird
lieber ganz darauf verzichtet4. Man kann auch so auskommen. Wenn
nämlich der Intendant oder sonstige Verwaltungsbeamte in Ausführung
seiner Aufträge Rechte verletzt und Gewalt übt, wozu ihm das Gesetz,
wie die Parlamente es handhaben, keinen Titel giebt, so werden zwar
die Gerichte gegen ihn vorgehen, auf Klage oder von Amtswegen,
mit Verurteilung zu Schadensersatz oder zu Strafe. Der König aber
nimmt jedesmal seinen Beamten in Schutz, ergreift seinerseits Maſs-
regeln gegen das Parlament und hindert den Vollzug des Urteils;
der Konflikt spitzt sich manchmal geradezu auf die Frage zu, wer der
Stärkere ist, das Vollstreckungspersonal des Gerichts oder die gens
du roi, wobei die letzteren die Oberhand behalten müssen5.
Die gefährdeten Interessen und die ganze Juristenschaft nehmen
in solchem Falle natürlich Partei für das Recht des Parlaments. Die
öffentliche Meinung sieht mehr und mehr einen schweren Miſsstand und
eine schreiende Verletzung der Unterthanenrechte in der Thatsache, die
allein solche Konflikte ermöglicht: daſs nämlich nur die Gerichte nach
dem Gesetze verfahren müssen, die Verwaltung aber auſserhalb des
Gesetzes oder vielmehr über dem Gesetze steht. Die Verwaltung
[57]§ 5. Der Rechtsstaat.
gleich den Gerichten dem Gesetze zu unterwerfen,
das ist es, was einzig als Abhülfe vorschwebt. Damit verbindet
sich nun die mächtige Bewegung auf Anerkennung der Volks-
souveränetät, die in Rousseau ihren feurigsten Verkünder ge-
funden hat. Die Form, in welcher das Volk seine oberste Gewalt
ausübt, soll gerade darin bestehen, daſs es die Gesetze macht, d. h.
allgemeine Regeln, welche nun alle Beamten des Staates gleichmäſsig
verbinden, richterliche und andere, das Staatsoberhaupt selbst mit
eingeschlossen: sie haben sämtlich nur thätig zu werden selon la
direction de la volonté générale d. h. gemäſs dem Gesetz6.
Bald haben die Verfassungen der Revolutionszeit freie Bahn, um alle
Ideale zu verwirklichen. Die Rechtsgestalt, welche der öffentlichen Ge-
walt hier gegeben wird und die grundlegend geworden ist für die ganze
weitere Entwicklung auch auſserhalb Frankreichs, entspricht nicht den
Formeln, in welche Rousseau sie gefaſst hatte. Von Montesquieu wird das
Schlagwort der Trennung der Gewalten entlehnt, die Drei-
teilung derselben und die Bezeichnung als pouvoir législatif, judiciaire
und exécutif. Doch sind es auch seine Theorien nicht, die unter
diesen Namen schlechthin verwirklicht worden wären. Man weiſs,
welche bedeutsame Rolle in jenen verfassunggebenden Versammlungen
von Anfang an die zahlreichen Advokaten gespielt haben. Der Stand
der praktischen Juristen, welche die Welt von den Schranken des
Gerichts aus zu betrachten gewohnt sind, hat den leitenden Ideen,
indem er ihnen zur festen Gestalt des Rechtes verhalf, das Gepräge
seiner Neigungen und Anschauungen aufgedrückt. Es wäre ver-
wunderlich, wenn es nicht so wäre. Die Namen pouvoir législatif,
judiciaire und exécutif erinnern an die gewohnte Gliederung der
Justiz in Gesetz, Urteil und Exekution. So ist die Verteilung der
Gewalten allerdings nicht ganz gemeint, noch weniger aber eine
Trennung mit völliger Gleichwertigkeit.
Die Hauptsache und worauf es in erster Linie ankam, ist die
Herrschaft des Gesetzes. Es wird verwirklicht, was in den
Kämpfen der alten Parlamente so schwer vermiſst worden war. Das
[58]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Gesetz steht über aller sonstiger Staatsthätigkeit gleichmäſsig7. Dem-
gemäſs verschwindet auch sehr bald aus der Rechtslehre der falsche
Schein einer einfachen Dreiteilung der Gewalten. Neben dem Gesetz
erkennt man nur eine wahre Gewalt, die ihrerseits unter dem Ge-
setz steht, die vollziehende Gewalt. Diese spaltet sich ihrer-
seits wieder in zwei Zweige; sie wird thätig einerseits als Justiz,
andererseits als Verwaltung8. Nach den Überlieferungen der
Parlamente wäre es gegeben gewesen, daſs man die Justiz ihrer-
seits nunmehr über die Verwaltung stellte, um ihr gegenüber das
Gesetz im Einzelfall durch Urteilsspruch zur Geltung zu bringen, die
Verwaltung also auf die einfache Geschäftsbesorgung, das thatsächliche
Handeln namens des Staates beschränkte. Man hatte gute Gründe,
das nicht zu thun, vielmehr die Unabhängigkeit der beiden Thätig-
keitszweige von einander, namentlich die der Verwaltung gegenüber
der Justiz, mit aller Schärfe durchzuführen9. Man drückt das aus
als eine séparation des pouvoirs, die sich hier wiederhole, genauer
gesprochen als eine séparation des autorités. Das Vorbild, das die
Justiz gegeben hat für eine gesetzmäſsige Staatsthätigkeit, soll also
die Verwaltung auf ihrer Seite selbständig verwirklichen.
Das ist die Grundidee, aus der heraus sich nunmehr die neue
rechtliche Gestalt der Verwaltung bestimmt.
Die beiden Zweige der vollziehenden Gewalt laufen parallel.
Beide stehen unter dem Gesetz. Die Justiz wendet das Gesetz an
durch Urteile, obrigkeitliche Aussprüche im Einzelfall und nach diesen
richtet sich alsdann die That der Vollstreckungsbeamten. Die Ver-
[59]§ 5. Der Rechtsstaat.
waltung, gleichfalls gebunden an das Gesetz, ordnet ihrerseits, so
weit es nötig ist, ihre Geschäfte durch obrigkeitliche Aussprüche,
durch welche gebunden wird, was thatsächlich geschehen soll. Das
thut sie in Form der Verwaltungsrechtspflege, das thut sie in noch
viel weiterem Maſse und in vielgestaltiger Weise durch den einfachen
Verwaltungsakt, acte administratif. Dieser hochwichtige Begriff
des Verwaltungsaktes ist stillschweigend schon gegeben in der Parallel-
stellung, welche der Verwaltung unter dem Gesetz neben der Justiz
angewiesen ist. Vor der Revolution ist er völlig unbekannt. Mit der
Neuordnung der Staatsgewalt ist er auf einmal da, ein Erzeugnis der
séparation des pouvoirs10. Er bildet für die Verwaltung das not-
wendige Seitenstück des Urteils der Gerichte, notwendig zum Zweck
der Durchführung ihrer rechtlichen Gleichwertigkeit. Deshalb wird von
Anfang an mit aller Entschiedenheit seine eigne Gleichwertigkeit mit
dem Urteil festgehalten. Er hat dessen Kraft und Wirkung und
maſsgebende Stellung und weicht nur so weit ab, als die ganz anders
gestalteten Umstände, unter denen er in der Verwaltung aufzutreten
und zu wirken hat, es mit sich bringen. Das mag äuſserlich noch
so viel und auffallend sein, der wesentliche Kern von Übereinstimmendem
bleibt bestehen11. In den Gesetzen, in der Rechtsprechung, in der
wissenschaftlichen Behandlung des Verwaltungsrechts dreht sich seither
alles um diesen Verwaltungsakt, der für die Gestaltung des Ver-
waltungsrechtes ebenso wichtig ist, wie der des Gesetzes, wenn er
auch von weit weniger Glanz und Geräusch umgeben ins Leben trat.
[60]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
So können wir sagen, daſs aus dem jahrhundertelangen Kampfe
der französischen Parlamente mit der königlichen Verwaltung, der
auch sonst manche bedeutsame Spuren im französischen Rechte zurück-
gelassen hat, schlieſslich doch die Parlamente als Sieger hervor-
gegangen sind. Es ist nicht gelungen, die Verwaltung der Macht der
Justiz äuſserlich zu unterwerfen. Aber sie hat sich zu den Ideen
bekennen müssen, deren Trägerin die Justiz war. Die Rechtsordnung,
in welcher diese sich darstellte, beruhte auf einem ganz bestimmten
System von rechtlicher Gebundenheit: das Gesetz über alles, das
Urteil gebunden an das Gesetz, die That der Vollstreckung gebunden
an das Urteil. In der Übertragung dieser Gebundenheiten
auf die Verwaltung liegt die Grundidee des neuen französischen
Verwaltungsrechtes.
II. Es ist bekannt, wie das französische Verfassungsrecht maſs-
gebenden Einfluſs geübt hat auf alle die Verfassungsurkunden,
welche seit Anfang dieses Jahrhunderts nach und nach in den deutschen
Staaten — die süddeutschen bedeutend voraus — errichtet wurden.
Eine Umwälzung wie in Frankreich war damit nicht verbunden. Der
deutsche Landesfürst ist und bleibt ein ganz anderer Mann als das
abstrakte französische Staatsoberhaupt. Die Idee der Volkssouveränetät
ist bei uns nicht zur Grundlage des Staatsgebäudes geworden. Die
ganze Staatsgewalt ist grundsätzlich im Fürsten vereinigt. Das Neue
ist nur die Hinzufügung einer Volksvertretung zur Mitwirkung an
Gesetzgebung und Steuerauflage. Auch das ist an den meisten Orten
nicht ganz ohne Zusammenhang mit der Vergangenheit. Die alten
Landstände, welche gewisse Rechte in eben diesen Dingen auszuüben
hatten, waren zum Teil noch lebendig oder wenigstens in frischer
Erinnerung.
Was dem französischen Verfassungsrechte entlehnt ist, das ist
vor allem die juristische Form, in welcher die Mitwirkung
der Volksvertretung zum Ausdruck gebracht wird.
Während die alten Landstände mit gewissen beschränkenden Rechten
und Privilegien der Staatsgewalt gegenüberstanden, hat die Volks-
vertretung einen Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt selbst.
Eine besondere, wichtigste Art von Willensäuſserung derselben wird
ausgeschieden, die nur unter Mitwirkung der Volksvertretung ent-
stehen kann: das Gesetz. Unter diesem soll alle übrige Staats-
thätigkeit stehen. Das Genauere geben die Verfassungsurkunden nur
spärlich an, vermögen es auch nur unvollkommen anzugeben: die
konstitutionelle Theorie, die in der Luft liegt, das heiſst thatsächlich
[61]§ 5. Der Rechtsstaat.
die juristischen Begriffe des französischen Verfassungsrechts ergänzen
alles.
Damit war auch bei uns sofort die Möglichkeit gegeben, die ganze
Verwaltung in der nämlichen Weise „unter das Gesetz“ zu bringen,
wie das in Frankreich der Zweck der Einrichtung gewesen war; denn
dafür war es ja gleichgültig, welche Machtverhältnisse zwischen Staats-
oberhaupt und Volksvertretung hinter dieser Gesetzesform standen.
Allein von selbst machte sich das nicht. Man hatte auch zu-
nächst gar kein Auge dafür; parlamentarische Redekämpfe und Budget-
fragen schienen das einzige zu sein, worauf es bei der Neuordnung
ankam; die Verwaltung, gegen die ja ohnehin keine Erbitterung
vorhanden war wie in Frankreich, blieb ruhig im alten Stand12. Es
bedurfte einer neuen selbständigen Geistesbewegung, um die Ideen
des modernen Staates auch da durchzuführen, wo man nicht so einfach
wie bei der Verfassung von den Franzosen abschreiben konnte, weil
diese selbst keine klare Formel dafür ausgestellt hatten. Der treibende
Gedanke, der das Ziel bezeichnet, das angestrebt und schlieſslich
auch erreicht wird, der die Wissenschaft des öffentlichen Rechts, die
Programme der Parteien und die gesetzgeberischen Maſsnahmen be-
herrscht, findet seinen Ausdruck in dem Begriffe des Rechts-
staates.
Das Wort ist aufgekommen, nachdem die Sache bereits im Gange
war. Es soll etwas bezeichnen, was noch nicht ist, jedenfalls noch
nicht fertig ist, was erst noch werden soll. Darum schwankt auch
der Begriff so sehr, weil jeder immer seine juristischen Ideale hinein-
zulegen geneigt ist.
Mit dem konstitutionellen System, dem Verfassungsrecht, steht es
zweifellos in einem gewissen Zusammenhang. Man spricht vom
Verfassungs- und Rechtsstaat; erklärt auch wohl geradezu
den Rechtsstaat für gleichbedeutend mit dem Verfassungsstaat13. Aber
das ist dann verstanden im Sinne eines vollendeten Verfassungs-
[62]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
staates; man verlangt dazu einen „inneren Ausbau der Verfassung“.
Mit der Errichtung der Verfassung ist das, was den Rechtsstaat aus-
macht, noch nicht gegeben; es liegt weiter vorwärts davon. Das ge-
wählte Wort deutet an, was da von ihm verlangt wird: wo er bei
seiner Thätigkeit auf andere Rechtssubjekte, auf seine Unterthanen
stöſst, da soll eine rechtliche Ordnung für ihn bestehen; er soll, wie
die anerkannt beste Formulierung lautet, die für diesen Gedanken
gefunden worden ist, „die Bahnen und Grenzen seiner Wirksamkeit
wie die freie Sphäre seiner Bürger in der Weise des Rechts
genau bestimmen und abgrenzen“14. Diese Forderung bezieht sich
nur auf die Verwaltung. Für die Justiz ist es keine Forderung
mehr; bei dieser bestimmt jeder Staat, auch der Polizeistaat schon,
fest und unverwandt die Bahnen seiner Wirksamkeit in der Weise
des Rechts: er schafft Rechtssätze für seine Justiz und handhabt
sie und schützt die Rechte der Einzelnen, wo sie ihm gegenüber-
treten. Ebenso soll also nun das Recht auch in der Verwaltung zur
Geltung kommen, das ist die allgemeine Forderung; daſs der eine
dabei mehr das subjektive, der andere mehr das objektive Recht be-
tont, bedeutet keine wesentliche Meinungsverschiedenheit15.
Das wäre es also, was man sich von dem Rechtsstaate erwartet.
Es ist aber klar, daſs damit die Frage noch durchaus nicht er-
ledigt ist. In diesen Dingen genügt es nicht, zu wissen, welche
Wünsche und Ziele da vorschweben; die Hauptsache ist, wie man
sich die Verwirklichung denkt. Erst damit bekommt die Sache
ihre juristische Gestalt, und so lange dafür eine bestimmte Lösung
nicht gegeben ist, schwebt die ganze Idee des Rechtsstaates nach
wie vor wesenlos in der Luft.
Nun können wir in einem Punkte allerdings aus den aufgestellten
Forderungen sofort eine praktisch bedeutsame Folgerung ziehen: die
Verwaltung des Rechtsstaates, um in der Weise des Rechts bestimmt
zu sein, muſs möglichst durch Rechtssätze gebunden
werden. Dazu liefert das Verfassungsrecht seine Gesetzgebungs-
[63]§ 5. Der Rechtsstaat.
maschine; sie soll möglichst viel Rechtssätze für die Verwaltung er-
zeugen oder durch Verordnung erzeugen lassen; das ist zweifellos
das erste Gebot des Rechtsstaates.
Aber zu einer guten Rechtsordnung, wie wir sie nun einmal ver-
stehen, gehört mehr als das. Auch das so vollkommen geordnete
Civilrecht hat mehr als seine Rechtssätze; es hat auch noch den
obrigkeitlichen Akt, der für den Einzelfall ausspricht, was Rechtens
sein und durchgeführt werden soll, das Urteil. Für die Verwaltung
wird ein Gleiches gefordert werden müssen. In welcher Weise soll es
hier dazu kommen? An diese Frage hat sich ein ungemein lebhafter
Meinungsstreit gehängt, der berufen war, die Anschauungen zu klären
und der Lösung diejenige Entschiedenheit zu geben, deren die Aus-
bildung unseres öffentlichen Rechts bedurfte.
Seit Anfang des Jahrhunderts brach von Zeit zu Zeit in der ge-
lehrten Welt eine Erörterung aus über die Zulässigkeit der Ver-
waltungsrechtspflege. Es bildeten sich jedesmal zwei feindliche
Heerlager: die Partei der bürgerlichen Gerichte nahm für diese die
ausschlieſsliche Fähigkeit in Anspruch, die Rechtsordnung zu hüten
und wirklichen Rechtsschutz zu gewähren; von der andern Seite wurde
die Zulässigkeit einer Verwaltungsrechtspflege als notwendige Folge
der Selbständigkeit der Verwaltung verteidigt. Der Streit spitzte sich
auf die Frage zu: ist die Verwaltung fähig, wie die Justiz, „Recht
und Gesetz zu realisieren“ oder steht sie dem gegenüber „wie der
einzelne Staatsbürger“?16
Die Antwort ist heute nicht mehr zweifelhaft. Sie ist auf der
ganzen Linie im ersteren Sinne gegeben.
Durch unsere Verwaltungs-Organisations-Gesetzgebungen seit den
60 er Jahren geht jener einmütige Zug auf Herstellung einer selb-
ständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit: in der Verwaltung
kann Recht gesprochen werden in derselben Weise wie in der Justiz.
Es handelt sich aber nicht um Urteile auf kontradiktorisches
Verfahren allein. Wie in der Justiz giebt es auch in der Verwaltung
ein Beschluſsverfahren mit bindenden Anordnungen für den
Einzelfall auſserhalb des eigentlichen Prozesses.
[64]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Sobald man diesen Gedanken einmal angenommen hat, erkennt
man sofort, in wie groſser Mannigfaltigkeit solche Beschlüsse in mehr
oder minder formloser Gestalt durch die ganze Verwaltungsthätigkeit
sich hindurch ziehen, Verfügungen und Entscheidungen
aller Art, die nun als gleichwertig anzusehen sind.
Neue Namen sind entstanden, um ihrer Eigentümlichkeit gerecht
zu werden, um anzudeuten, daſs sie mehr sind wie die alten Befehle
des Polizeistaates. Sie geben dem Unterthanen nicht bloſs kund, was
die Obrigkeit von ihm verlangt, sondern enthalten eine rechtliche
Bestimmung seines Verhältnisses, die dann von der Obrigkeit selbst
geachtet und durchgeführt werden soll, zu seinem Vorteil wie zu
seinem Nachteil. Man spricht von einer Verwaltungsjuris-
diktion wegen der Ähnlichkeit mit dem Urteil, das jus in concreto
macht17, von öffentlichrechtlichem Rechtsgeschäfte und
von materieller Rechtskraft in der Verwaltung18; der Name
Verwaltungsakt wird aus der französischen Rechtssprache über-
nommen, um diese obrigkeitliche, rechtlich bedeutsame Bestimmung
des Einzelfalles zu bezeichnen, und die Verwaltungsakte selbst sucht
man wieder einzuteilen nach der Art der rechtlichen Bestimmung,
die sie dem Einzelnen geben19. —
Wir werden nicht in Zweifel sein können. Unser heutiges Recht
hat für die Verwaltung die Idee eines obrigkeitlichen Aktes aus-
gebildet, der dem früheren Rechte fremd war. Eines Aktes, der eine
gewisse Verwandtschaft hat mit dem Urteile in der Justiz, manchmal
dessen Gestalt vollständig annehmen kann, immer aber die rechtliche
Bestimmung des Einzelfalles bedeutet. Er ist es, der das Bild des
[65]§ 5. Der Rechtsstaat.
Rechtsstaates, den groſsen Gedanken der Justizförmigkeit der
Verwaltung erst vollendet20.
Es wird darauf ankommen, das Wesen dieses Verwaltungsaktes
noch genauer zu bestimmen; daſs er beim Aufbau der einzelnen
Rechtsinstitute unseres Verwaltungsrechtes eine groſse Rolle spielen
muſs, ist selbstverständlich.
III. Nichts wäre also verfehlter als zu glauben, die Idee des
Rechtsstaates sei eine ganz besondere deutsche Eigentümlichkeit21.
Sie ist uns in allen wesentlichen Grundzügen gemeinsam mit unseren
Schwesternationen, welche die gleichen Entwicklungsstufen durch-
gemacht haben; insbesondere mit der französischen, mit welcher das
Schicksal uns nun einmal trotz alledem geistig zusammengebunden hat.
Sollen wir das Wesen dieses Rechtsstaates hier noch einmal
zusammenfassen, so mögen wir immerhin von ihm sagen, daſs er
seine Wirksamkeit gegenüber den Unterthanen bestimmt in der Weise
des Rechtes, daſs er eine Rechtsordnung und Rechte der Unterthanen
anerkennt und aufrecht erhält auch in der Verwaltung. Greifbarere
Merkmale erhält er erst durch die besondere Art und Weise, wie er
das bewerkstelligt. Diese stellt sich dar in gewissen Grundregeln, die
ihm eigentümlich sind, Regeln von verschiedener Natur: zum einen
Teil bedeuten sie eine bestimmte rechtliche Ordnung, die ihm gegeben
ist, zum andern stellen sie ihm eine Aufgabe, ein Ziel, dem er nach-
streben soll.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 5
[66]Geschichtliche Entwicklungsstufen.
1. Die öffentliche Gewalt ist im Rechtsstaate auch für die Ver-
waltung in eine gewisse rechtliche Ordnung gebracht, um ihre Thätig-
keit justizmäſsig zu äuſsern. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt
sind zu diesem Zwecke unterschieden und entsprechend gestaltet, der
Begriff des Verwaltungsaktes ist ausgebildet und durchgeführt.
2. Mit dieser Einrichtung ist die Möglichkeit gegeben, für die
Verwaltung rechtliche Gebundenheiten zu schaffen, wie sie für die
Justiz bestehen. Aber die Justiz, vermöge ihres ein für allemal be-
stimmten festen Ganges, bewegt sich durchweg nur in den Gebunden-
heiten, welche Gesetz und Urteil erzeugen. Die Verwaltung kann
ihr darin nicht gleichkommen; das Handeln des Staates zur Ver-
folgung seiner verschiedenartigen Zwecke läſst sich nicht in solche
gleichmäſsige Formen zwängen. Sie kann sich mit ihrem Gesetz und
ihren Verwaltungsakten der Justiz immer nur in einem gewissen Grade
nähern. Das Maſs hängt ab von der Thunlichkeit und der Vereinbarkeit
mit dem besonderen Zwecke der staatlichen Thätigkeit; bald wird
mehr, bald weniger in dieser Richtung möglich sein. Es tritt deshalb
statt der rechtlichen Notwendigkeit ein bloſses Sollen, eine Forde-
rung an den Staat heran. Er soll möglichst viel sein Gesetz
verwenden, um Rechtssätze für die Verwaltung zu schaffen, mög-
lichst viel seine Verwaltungsakte, um den Einzelfall in rechtlich
gebundener Weise zu bestimmen.
Der Staat, der für seine Verwaltung kein Gesetz hat und keinen
Verwaltungsakt, ist kein Rechtsstaat.
Der Staat, der beides ausgebildet hat, ist als Rechtsstaat voll-
kommener oder unvollkommener je nach dem Maſse, in welchem er
von diesen Formen Gebrauch macht und ihre Wirksamkeit sichert.
[[67]]
Zweiter Abschnitt.
Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
§ 6.
Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
Das Verhältnis zwischen Staat und Unterthan ist das einer
rechtlichen Ungleichheit: der Staat hat auf seiner Seite
die öffentliche Gewalt. Gewalt bedeutet die Fähigkeit eines
rechtlich überwiegenden Willens. Öffentliche Gewalt ist sie im
Gegensatz zu den privatrechtlichen Gewalten; die öffentliche Gewalt
im Gegensatz zu anderen Gewalten öffentlichrechtlicher Natur, die
sonst noch im Staatsgebiete erscheinen und von dem souveränen Staate
als abgeleitet betrachtet sind von der seinigen1.
Der Staat kann für ein bestimmtes Verhältnis von dieser Fähig-
keit keinen Gebrauch machen und sich auf den Boden der Gleich-
berechtigung stellen. Im Gegensatz dazu bezeichnet man die Fälle,
wo das ordentliche Verhältnis wirksam wird, als solche, in denen der
Staat mit der öffentlichen Gewalt, oder der Staat als öffentliche Ge-
walt, oder noch kürzer: in welchen die öffentliche Gewalt auftritt.
Zum Wesen des Rechtsstaates gehört es, daſs die öffentliche Ge-
walt behufs ihrer Geltendmachung in eine gewisse Ordnung gebracht
sei. Das geschieht durch die Unterscheidung einer gesetzgebenden
und einer vollziehenden Gewalt. Es ist die vielverkannte Trennung
5*
[68]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
der Gewalten, die wir nach französischem Vorbild übernommen
und aller Verwahrungen ungeachtet in thatsächlicher Geltung und
Übung haben2.
Der Kerngedanke ist in dem Namen, unter dem diese Lehre
läuft, ziemlich gut ausgedrückt. Die öffentliche Gewalt, die allgemeine
Fähigkeit des überwiegenden Willens gegenüber den Unterthanen, die
dem Staate zukommt, wird für ihn ausgeübt von den damit be-
bekleideten Menschen. Ist diese Gewalt in einer Hand vereinigt, so er-
drückt sie die Freiheit. Also muſs sie zerlegt werden in verschiedene Ge-
walten, welche je besonderen Willensträgern zustehen. Diese Gewalten
sind nicht verschiedene Thätigkeitsgebiete oder Geschäftszweige des
Staates, auch nicht Summen von Befugnissen, sondern Stücke der
Staatsgewalt, Wirkungskräfte wie diese, jede ausgestattet gegen-
über den andern mit besonderen rechtlichen Eigenschaften.
Die Bestimmung dieser besonderen Eigenschaften hat die Theorie
einfach geben zu können geglaubt durch die Bezeichnung des
Zweckes, dem jede dieser Kräfte vorzugsweise zu dienen berufen
ist und für welchen sie demnach ausgerüstet sein muſs.
Die Verwirklichung im geltenden Rechte hat alsbald dazu ge-
führt, daſs diese Gewalten, einmal gestaltet, jede nach ihrer recht-
lichen Natur in mancherlei Weise neben einander thätig wurden,
ohne strenge Beschränkung auf den bezeichneten Zweck die ihnen
verliehenen Fähigkeiten entfaltend. Gerade dadurch, durch die Arbeit
des wirklichen Rechts, sind diese besonderen Eigenschaften einer jeden
erst recht deutlich hervorgetreten und zu klarer Erkenntnis gebracht
worden. Sie sind heutzutage feststehende Bestandteile der Begriffe
„gesetzgebende und vollziehende Gewalt“. Wenn unsere Verfassungen
sagen, von wem diese, von wem jene ausgeübt wird, weiſs man, dank
dieser festen Überlieferung, — ohne sie würde es schwer sein, sich
[69]§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
etwas bestimmtes darunter zu denken, — ganz genau, welche recht-
liche Bedeutung das hat. Es genügt auch, daſs sie sagen, daſs „das
Gesetz“ unter Mitwirkung einer näher geordneten Volksvertretung
zustande kommt; dann wissen wir, daſs dieses Gesetz mit der be-
kannten Kraft der gesetzgebenden Gewalt wirkt, alles übrige mit der
der vollziehenden. So selbstverständlich ist das jetzt alles.
Damit eine Trennung dieser Gewalten bestehe, ist erforderlich,
daſs der menschliche Wille, welcher die eine davon trägt, nicht zu-
gleich auch der Träger der andern sei. Die Schriftsteller des
vorigen Jahrhunderts hatten sich das so ausgedacht, daſs die Ge-
walten zwischen sich gegenüber stehenden Rechtssubjekten glattweg ge-
teilt werden müſsten, so daſs jedem die seinige ganz und selbständig
zukomme. In diesem Sinne hat denn auch die erste französische
Verfassung einfach die gesetzgebende Gewalt der Volksvertretung, die
vollziehende dem König überwiesen.
Für die Wahrung des Grundsatzes ist aber eine so plumpe Aus-
einanderhaltung durchaus nicht nötig. Spätere Verfassungen haben
dem chef du pouvoir exécutif, namentlich wenn er sich König oder
Kaiser nannte, unbedenklich einen maſsgebenden Anteil auch an dem
Zustandekommen des Gesetzes zugewiesen. Es genügt, daſs neben
seinem Willen noch ein anderer Wille, der der Volksvertretung, dabei
wirksam werde, dann ist die Trennung der Gewalten da; gesetz-
gebende und vollziehende Gewalt sollen nur nicht lediglich auf
dem gleichen Willen ruhen3.
In dieser Weise ist unverkennbar die Trennung der Gewalten
auch bei uns zur Durchführung gelangt. Die Idee der Volkssouverä-
netät liegt ja unserem Staatswesen nicht zu Grunde; die Trennung
der Gewalten hängt aber auch nicht daran. Alle unsere Verfassungen
haben dem Fürsten eine Volksvertretung zur Seite gestellt, deren Zu-
stimmung notwendig ist, wenn das Gesetz zustande kommen soll; das
genügt vollständig. Ob die Verfassungsurkunde geradezu von einer
[70]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
gemeinsamen Ausübung der gesetzgebenden Gewalt spricht, oder von
einer Mitwirkung der Volksvertretung an der Gesetzgebung, oder nur
von ihrer Zustimmung, ohne welche kein Gesetz erlassen werden
darf, das ist nur eine für den entscheidenden Punkt gleichgültige Aus-
drucksverschiedenheit. Früher liebte man es zu betonen, daſs der
Fürst dem Recht nach alle Staatsgewalt allein habe und nur in der
Ausübung der gesetzgebenden Gewalt durch das Mitwirkungsrecht
des Landtags beschränkt sei: entscheidend ist, wie es mit dieser
letzteren, mit dem dominium utile der Gesetzgebung steht. Neuer-
dings sagt man in feinerer juristischer Zergliederung, daſs das Mit-
wirkungsrecht der Volksvertretung sich lediglich in der Vorbereitung
des Gesetzes geltend macht und nur die Feststellung des Inhaltes
des Gesetzes zum Gegenstande hat. Auch das ändert nichts an der
nackten Thatsache: wer über den Inhalt des Gesetzes aus freiem Ent-
schlusse mit bestimmt, ob er sein soll oder nicht, der verfügt that-
sächlich auch über die Kraft des Gesetzes selbst und macht in ihr
seinen Willen mit geltend.
Man mag die Mitwirkung der Volksvertretung noch so gering
anschlagen; immer ist das, was als Gesetz schlieſslich herauskommt,
nicht das Erzeugnis des Willens des Fürsten allein, sondern zugleich
eines anderen Willen, ohne den es nicht entstehen konnte. Das
genügt aber vollkommen für den richtig verstandenen Begriff der
Trennung der Gewalten4.
[71]§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
Gesetzgebende und vollziehende Gewalt sind jedenfalls dieselben
geblieben, auch wenn ihre Ausgangspunkte jetzt weniger wie ein Gegen-
satz von Personen, denn wie verschiedenartige Entstehungs-
formen des Staatswillens sich geben. Es sind lebendige
Kräfte, die, je nach seiner Entstehungsform anders geartet, durch
diesen Willen in Bewegung gesetzt werden.
Worum es sich also handelt, das ist die genauere Fesstellung
der besonderen Eigenschaften, die jeder der beiden Kräfte
zukommen.
I. Gesetz im Verfassungsstaat ist ein Akt der gesetzgebenden
Gewalt, genauer gesagt: die Erscheinung des mit der gesetzgebenden
Gewalt ausgestatteten staatlichen Willens.
Dieser Akt kennzeichnet sich demnach:
1. durch seine Entstehungsart: den Weg der Gesetzgebung,
auf welchem durch die gesetzgebenden Faktoren, Fürst und Volks-
vertretung, in verfassungsmäſsiger Weise der verfassungmäſsig mit der
gesetzgebenden Gewalt ausgestattete Wille erzeugt wird.
2. durch seine Wirkungsfähigkeit: die Kraft des Gesetzes,
welche Kraft nichts anderes ist als öffentliche Gewalt mit den bei der
Teilung der Gewalten der gesetzgebenden Gewalt zugewiesenen Be-
sonderheiten.
An jener Entstehungsart der staatlichen Willensäuſserung hängt
diese Kraft; nicht hängt daran eine bestimmte Art von Wirkung.
Denn inwieweit das Gesetz von seiner Wirkungsfähigkeit im Einzel-
fall auch wirklich Gebrauch gemacht hat, ist eine Frage seines
Willensinhaltes5.
[72]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Diese Kraft des Gesetzes beruht also in erster Linie darauf, daſs
sein Wille der der öffentlichen Gewalt ist und als solcher schon
überwiegend und maſsgebend für den Unterthanen, wo er ihn trifft.
Das teilt die gesetzgebende mit der vollziehenden Gewalt.
Ihre Besonderheit besteht in gewissen rechtlichen Eigenschaften,
die sie vor jener voraus haben soll, um damit zu wirken. Das ver-
fassungsmäſsige Gesetz ist bestimmt, für die ganze Staatsthätigkeit,
insbesondere auch für die Verwaltung das zu liefern, was im alten
Recht das Gesetz nur für die Justiz war. Zu dem Ende ist die
gesetzgebende Gewalt und die von ihr ausgehende Willensäuſserung
ausgestattet mit den dazu gehörigen Kräften und Eigenschaf-
ten, welche sämtlich abgezogen sind von dem Begriffe
des alten Gesetzes.
1. Wie das alte Gesetz über der Justiz, so steht die verfassungs-
mäſsige gesetzliche Willensäuſserung über der gesamten übrigen
Staatsthätigkeit als der höhere, der rechtlich stärkere Wille: das
Gesetz ist unverbrüchlich. Das will sagen: der Staatswille, der
auf diesem Wege zur Erscheinung gekommen ist, kann rechtlich auf
keinem andern Wege aufgehoben, abgeändert oder unwirksam gemacht
werden und hebt andererseits alle bereits vorhandenen staatlichen
Willensäuſserungen auf, welche mit anderem Inhalte ihm entgegen-
stehen. Wir nennen diese Kraft den Vorrang des Gesetzes.
Man gebraucht dafür auch den Ausdruck formelle Gesetzes-
kraft. Damit soll angedeutet werden, daſs diese Kraft an die Form
des Gesetzes d. h. an die besondere Entstehungsart dieses staatlichen
Willens sich knüpft, während im Gegensatze dazu die materiellen
Wirkungen des Gesetzes, wozu insbesondere der Rechtssatz gehört,
von dem Inhalte des geäuſserten Willens abhängen6
Dieser Gegensatz besteht nicht. Auch die anderen Kräfte des
Gesetzes gehen aus von der besonderen Entstehungsart dieses Staats-
5
[73]§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
willens, insbesondere der gesetzliche Rechtssatz ist nicht bloſs die
Wirkung des Inhalts, sondern auch der Form des Gesetzes, die
diesem Inhalt erst die Kräfte giebt, so d. h. als Rechtssatz zu wirken.
Und umgekehrt ist auch die formelle Gesetzeskraft nicht unab-
hängig vom Gesetzesinhalt. Das Gesetz hat nur die Fähigkeit, so zu
wirken; ob es von derselben im gegebenen Falle Gebrauch macht,
ist Frage des geäuſserten Willens. Damit die rechtssatzschaffende
Kraft des Gesetzes zur Geltung komme, verlangt man, daſs der Inhalt
des Gesetzes geeignet sei, einen Rechtssatz vorzustellen, in der
Weise des Rechtssatzes bindend zu werden für die Unterthanen. Mit
der formellen Gesetzeskraft ist es ebenso. Es muſs nicht gerade ein
rechtssatzmäſsiger Inhalt sein; es genügt, daſs irgend ein Willens-
inhalt gegeben ist, der rechtlich wirken und gelten soll, ein Ver-
waltungsakt, eine Vollmacht u. s. w. Das gilt dann in Form des
Gesetzes mehr als in Form jeder anderen Erscheinung des Staats-
willens. Politische Thesen, Lehrsätze, Definitionen, auch wenn sie im
Gesetzestext enthalten, so wenig sie Rechtssätze sind, so wenig haben
sie „formelle Gesetzeskraft“. Lehrsätze, welche in Gesetzesform ver-
kündet sind, können täglich von jedem Universitätsprofessor wider-
legt und umgestoſsen werden7.
Auch wenn der Inhalt des Gesetzes dem Gegenstande nach ge-
eignet wäre, den Vorrang des Gesetzeswillens zur Geltung zu bringen,
kommt es ganz wie bezüglich der rechtssatzschaffenden Kraft (vgl.
unten § 7) immer noch darauf an, ob und wieweit das Gesetz im ge-
gebenen Fall von dieser Kraft hat Gebrauch machen wollen. Es
giebt thatsächlich Gesetze, aus deren Inhalt sich ergiebt, daſs sie
entgegenstehende Anordnungen eines geringerwertigen Staatswillens
nicht, wie sie könnten, aufheben wollen; und andererseits giebt es
solche, die bereit sind, ihre Bestimmungen durch Anordnungen ge-
ringerer Art abändern zu lassen, Gesetze also, welche die sogenannte
formelle Gesetzeskraft nicht geltend machen. Dann kommt sie nicht
zur Wirkung8.
[74]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Ein Unterschied zwischen der rechtssatzschaffenden Kraft des
Gesetzes und der formellen Gesetzeskraft ist auch nicht darin zu
finden, daſs die letztere fester verknüpft wäre mit der Gesetzesform.
Die rechtssatzschaffende Kraft kann ja allerdings übertragen werden, so
daſs „gesetzvertretende“ Verordnungen und Statuten entstehen, die
nicht in Form des Gesetzes erscheinen und doch diese Wirkung haben.
Aber auch die Kraft des Gesetzes, welche man als formelle Gesetzes-
kraft bezeichnen will, ist übertragbar und wird übertragen: es kann
nicht nur eine zu erlassende Verordnung vom Gesetz im voraus mit
der Kraft versehen werden, daſs sie nur durch ein Gesetz soll
wieder geändert werden können, sondern es kann auch eine Ver-
ordnung und sogar eine Einzelverfügung durch das Gesetz ermächtigt
werden, ältere Gesetze zu brechen9.
2. Das Gesetz giebt der Justiz die unentbehrliche Grundlage
ihrer Thätigkeit; kein Urteil anders als auf Grund eines Rechtssatzes,
nulla poena sine lege. Die Verwaltungsthätigkeit kann nicht so ab-
hängig gehalten werden. Das verfassungsmäſsige Gesetz ist deshalb
nur für gewisse besonders wichtige Gegenstände zur notwendigen Be-
dingung aller Staatsthätigkeit gemacht worden, Für alle übrigen ist
die vollziehende Gewalt an sich frei; sie wirkt aus eigner Kraft,
nicht auf Grund des Gesetzes. Wir nennen den Ausschluſs ihres
selbständigen Vorgehens, der bezüglich jener besonders ausgezeichneten
Gegenstände besteht, den Vorbehalt des Gesetzes10.
[75]§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
Dieser Vorbehalt des Gesetzes wird in den Verfassungsurkunden
auf verschiedene Weise wiedergegeben. Die klassische Form ist die
Aufstellung sogenannter Grundrechte oder Freiheitsrechte,
wonach den Bürgern persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit des Eigen-
tums u. s. w. gewährleistet werden mit ausdrücklichem oder still-
schweigendem Vorbehalt der durch das Gesetz oder auf Grund eines
Gesetzes auch in diese Dinge zu machenden Eingriffe11.
Andere Verfassungen bestimmen, daſs ohne Zustimmung der
Stände kein die Freiheit und das Eigentum betreffendes Gesetz er-
lassen werden darf, — wobei wieder stillschweigend verstanden ist,
daſs ohne solches Gesetz auch die vollziehende Gewalt keinen Eingriff
in diese Dinge machen soll12.
Noch weiter gehen mehrere Verfassungen neuerer Zeit, welche
überhaupt nichts von einem solchen Vorbehalte sagen, an der Spitze
die Reichsverfassung. Es werden keine Grundrechte aufgestellt und
wird auch nicht gesagt, für welche Dinge ein Gesetz notwendig sei.
Und das Ergebnis? Niemand hat einen Zweifel darüber, daſs auch
die Reichsgewalt Zwang üben und Lasten auflegen, Eingriffe in
10
[76]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Freiheit und Eigentum machen kann nur auf Grund eines Gesetzes.
Die Begriffe des Verfassungsrechtes sind uns so sicher und gang und
gäbe, daſs man nicht mehr ausführlich zu sein braucht. Wenn die
Reichsverfassung Art. 5 sagt: „Die Reichsgesetzgebung wird aus-
geübt durch Bundesrat und Reichstag“, so wissen wir alle, daſs das
bedeutet: die verfassungsmäſsige Willenserklärung von Bundesrat
und Reichstag ist auch allein ausgestattet mit der Kraft, Eingriffe in
Freiheit und Eigentum zu bewirken13.
Die besondere Kraft des Gesetzes, auf dem vorbehaltenen Ge-
biete wirken zu können, ist das zweite Attribut der gesetzgebenden
Gewalt. Von dieser Kraft gilt wieder ganz das Nämliche, was wir
von dem Vorrang des Gesetzes zu sagen hatten.
Sie ist verbunden mit der besonderen Entstehungsart des Staats-
willens als Eigenschaft, Fähigkeit. Ob sie im Einzelfalle wirksam
wird, das hängt von dem Inhalte des Gesetzeswillens ab: das Gesetz
kann ebenso gut auſserhalb seines Vorbehaltes thätig werden, wie
innerhalb desselben. Wenn es z. B. verordnet, daſs jedermann be-
rechtigt sein soll, die Annahme seiner Briefe von der Postanstalt zu
verlangen, so ist der Vorbehalt nicht in Frage und diese Seite der
Kraft der gesetzgebenden Gewalt bleibt wieder latent.
Auch in dem zweiten Punkte besteht Übereinstimmung mit dem,
was für den Vorrang galt, und zwar wird das hier besonders wichtig:
das Gesetz kann die vorbehaltenen Eingriffe selbst aussprechen; es
kann aber auch von seiner Kraft dadurch Gebrauch machen, daſs es
sie für gewisse Fälle überträgt an die vollziehende Gewalt, die
Regierung und ihre Diener. Das sind die sogenannten gesetz-
lichen Ermächtigungen, deren die Regierung bedarf zu Be-
fehlen, Lastauflegungen, überhaupt zu allem, was einen Eingriff in
Freiheit und Eigentum bedeutet.
3. Das Civil- und Strafgesetz giebt die bindenden allgemeinen
Regeln, die Rechtssätze, welche das Verhalten der Einzelnen be-
stimmen und von den Justizbehörden zu handhaben sind. Dem ent-
sprechend ist das verfassungsmäſsige Gesetz ausgestattet mit der
Fähigkeit, Rechtssätze aufzustellen, allgemein, auch für das Gebiet
der Verwaltung. Wir nennen das die bindende Kraft des Ge-
[77]§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
setzes. Diese Seite ist in den Verfassungsurkunden meist wieder
gar nicht berührt. Mit den Namen Gesetz, Gesetzgebung, gesetz-
gebende Gewalt ist der Gedanke der Kraft, Rechtssätze zu machen,
unmittelbar verbunden. Die Natur dieser wichtigsten Kraft des Ge-
setzes wird noch ausführlich zu betrachten sein (unten § 7).
Mit ihrer Verwendung steht es gerade so wie bei den beiden andern.
Sie kann übertragen werden, wie Verordnungsrecht und Autonomie
bezeugen. Es kann sich aus dem Inhalte der gesetzlichen Willens-
äuſserung ergeben, daſs sie bei diesem Gesetze nicht zur Wirkung
gelangt.
Im Gesetz erscheint überall die lebendige Staatsgewalt, die von
ihren besonderen und allgemeinen Kräften Gebrauch macht, wie sie
will, möglicher Weise im gegebenen Fall nur von der einen oder
andern, möglicher Weise von gar keiner.
II. Die vollziehende Gewalt verkörpert sich nicht wie die
gesetzgebende in einem verfassungsmäſsig geordneten Akt, der ihren
Willen zum Ausdruck bringt. Ebendeshalb hebt sich auch der Begriff
nicht so deutlich und greifbar ab. Nach der Ausscheidung von Gesetz
und gesetzgebender Gewalt ist er eine von selbst sich ergebende Not-
wendigkeit; er umfaſst alles, was übrig bleibt von öffentlicher Gewalt,
und die Willensäuſserungen der vollziehenden Gewalt, obwohl sie
eines gemeinsamen Namens entbehren, haben dennoch ihre gemein-
same rechtliche Natur14.
Die Willensäuſserung der vollziehenden Gewalt ist gekennzeichnet:
1. durch ihre Entstehungsart: sie geht aus von irgend
einem Träger der öffentlichen Gewalt, Fürst oder Behörde oder
Selbstverwaltungsvertreter oder wie sonst sich solche Trägerschaften
ergeben;
[78]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
2. durch ihre Wirkungsfähigkeit, die Kraft der öffent-
lichen Gewalt, wie sie gemäſs der Trennung der Gewalten für diese
der gesetzgebenden gegenüberstehende Art eigentümlich bestimmt ist.
Die vollziehende Gewalt ist nämlich öffentliche Gewalt wie
die gesetzgebende; ihr Wille ist dem Unterthanen gegenüber recht-
lich überwiegend und maſsgebend, wo er ihn trifft. Mit ihren
Besonderheiten bildet sie aber das Gegenstück zur gesetzgebenden
Gewalt; es handelt sich nicht um rechtliche Vorzüge und eigen-
tümliche Wirkungskräfte, sondern es kommen im Gegenteil be-
sondere Gebundenheiten an ihr zum Vorschein. Wie die
besonderen Kräfte jener abgezogen sind von der rechtlichen Be-
deutung des Gesetzes für die Justiz, so wird hier das Vorbild geliefert
durch die Bedingtheiten, in welchen die Thätigkeit der Justiz sich
bewegt; sie kommen zur Geltung gegenüber der vollziehenden Gewalt
auch in der Verwaltung, auch gegenüber der Verwaltung wie man
abkürzend sagt. Der verfassungsmäſsige Vorrang und Vorbehalt des
Gesetzes ist von vornherein schon auf die vollziehende Gewalt ge-
münzt. Die Verwaltung ist aber überdies auch gebunden durch die
rechtssatzschaffende Kraft des Gesetzes, überhaupt durch jeden
Rechtssatz des öffentlichen Rechts, mag er stammen aus welcher
Quelle er will (unten § 10). Die Art der Gebundenheit ist noch zu
untersuchen (unten § 7).
Die Verwaltung ist ferner gebunden, wie die Justiz an ihr Urteil,
an jeden obrigkeitlichen Ausspruch, mit welchem sie selbst bestimmt
hat, was Rechtens sein soll, an den Verwaltungsakt; die Art
dieser Gebundenheit wird ebenfalls zu erörtern sein (unten § 8).
Dazu kommt noch, wiederum in Nachahmung der Justiz, die Ge-
bundenheit an das subjektive öffentliche Recht, das ihr etwa
entgegentritt (unten § 9 III n. 1); sie hat es zu schützen und zu
handhaben15.
Wir nehmen diese Gebundenheiten, die noch der genaueren Dar-
stellung bedürfen, einstweilen als die anerkannten Thatsachen, die sie
sind, und fragen nur, woher sie kommen.
[79]§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
Wie kommt es, daſs der Staat in solcher Weise gebunden wird
und zwar rechtlich gebunden wird? Denn die Nichtbeachtung ist
Unrecht und Rechtswidrigkeit.
Es ist nicht einfach eine dienstliche Verpflichtung
der handelnden Beamten; sonst müſsten sie im Dienstwege davon
entbunden werden können, es kann aber im Namen des Staates
rechtlich nicht anders gehandelt werden als gemäſs dieser Ge-
bundenheiten.
Es handelt sich nicht, wie man gerne sagt, um eine Funktion
der Staatsgewalt, um eine Art von Thätigkeit, die sie wählt und die
eben darauf gerichtet ist, so gebunden zu handeln; es müſste dann
immer freistehn, nicht in diese Funktion zu treten. Die rechtliche
Notwendigkeit bleibt unerklärt.
Es wäre natürlich am einfachsten, wenn man sagen könnte: ein
Rechtssatz bestimmt, daſs es so sein muſs. Aber wo ist der Rechtssatz?
Wenn man genauere Auskunft begehrt, wird man sicher zur Antwort
bekommen: es sei Gewohnheitsrecht. Da wissen wir, was das be-
deutet.
Ehrlich gesprochen, erscheint es uns eben selbstverständlich, daſs
diese Gebundenheiten bestehen, alles andere ist nur Vorwand.
Warum es aber selbstverständlich ist, das erklärt sich einzig aus
der groſsen Thatsache, die unserm ganzen Staatsrechte zu Grunde liegt,
aus der Trennung der Gewalten. Von vornherein ist es nicht selbstver-
ständlich, daſs die Staatsgewalt den Unterthanen gegenüber in recht-
licher Gebundenheit erscheine. Aber dazu ist die grundlegende
Scheidung gemacht. Die gesetzgebende Gewalt bleibt rechtlich nicht
bindbar. Im Gegensatz zu ihr ist die vollziehende Gewalt ausge-
schieden, um rechtlich bindbar zu sein. Das ist die besondere Eigen-
schaft, mit der sie ihrerseits ausgerüstet gedacht ist. Die vollziehende
Gewalt ist die nicht in Form des Gesetzes erscheinende,
ihrer Natur nach rechtlich bindbare Staatsgewalt. Und
zwar bindbar nicht in unbestimmter Weise, sondern in jenen dem
Vorbilde der Justiz nachgebildeten Formen und Voraussetzungen.
Diese bestimmte Bindbarkeit ist ein kategorischer Bestandteil des Be-
griffes: die auſserhalb der Form des Gesetzes erscheinende Staats-
gewalt besteht für uns nur so und wir lassen sie nur so wirken, ohne
uns mehr bewuſst zu werden, daſs wir damit etwas besonderes an
ihr vorausgesetzt haben16.
[80]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Mit diesen besonderen rechtlichen Eigenschaften der vollziehenden
Gewalt verhält es sich dann wieder geradeso wie mit denen des Ge-
setzes. Die vollziehende Gewalt bedeutet nicht, daſs diese Eigen-
schaften nun bei allen ihren Willensäuſserungen zur Geltung kommen.
Es hängt von dem Inhalt der Willensäuſserung ab, inwieweit dies der
Fall ist. Je nachdem sie damit den Vorrang, den Vorbehalt des Ge-
setzes berührt, erfährt sie die Schranke; soweit sie in den Bereich
von Rechtssätzen, Verwaltungsakten, subjektiven öffentlichen Rechten
kommt, wird sie daran gebunden sein. Sie kann sich auch auf freiem
Gebiete bewegen, dann kommt ihre besondere rechtliche Eigenschaft
überhaupt nicht zum Vorschein. Öffentliche Gewalt bleibt sie immer-
hin und kann den Einzelnen, den sie trifft, auch in solchen Verhält-
nissen rechtlich bindend bestimmen17.
Die Möglichkeit eines Heraustretens aus dem Gebiet der öffent-
lichen Gewalt unter die Herrschaft des Civilrechts ist daneben vor-
behalten.
[81]§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
§ 7.
Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
Die vollziehende Gewalt hat verfassungsmäſsig ihren Ausgangs-
punkt im Fürsten allein. Durch Abzweigungen und Übertragungen
verteilt sie sich in der Ausübung auf eine zahlreiche Trägerschaft
zweiten Ranges. Die Verwaltungsthätigkeit, die da namens des
Staates geführt wird, ist durch Amtspflichten und ausdrückliche Dienst-
vorschriften geregelt; dadurch bestimmt sich auch, was dem Unter-
thanen daraus widerfährt. Das war schon im alten Staatswesen so.
Nun aber tritt in dieses Verhältnis hinein das auf die Thätigkeit zur Ver-
folgung der Staatszwecke bezügliche Gesetz, das Verwaltungs-
gesetz und wirkt dabei mit der ihm eigentümlichen bindenden Kraft.
I. Die bindende Kraft des Gesetzes beruht wie die ganze neue
Ordnung des Rechtsstaates auf einer Nachbildung der Einrichtungen
der Justiz. Die bindende Kraft, welche dem Rechtssatz in der Justiz
zukommt, ist verallgemeinert, um eine rechtliche Ordnung zwischen
dem Staat als der öffentlichen Gewalt und dem Unterthanen auch zu
schaffen in der Verwaltung.
Inwiefern bietet hiefür das Gesetz in der Justiz ein verwend-
bares Vorbild? Civilrecht und Strafrecht verhalten sich da auf den
ersten Blick sehr verschieden; gleichwohl liegt ihnen gerade in dem
Punkte, auf den es hier ankommt, ein übereinstimmender Gedanke
zu Grunde und der ist der maſsgebende.
Wenn das Civilrecht die Machtverhältnisse der Einzelnen unter
einander ordnet, so sieht es so aus, als sei die öffentliche Gewalt von
den gegebenen Ordnungen unmittelbar gar nicht berührt. In Wirk-
lichkeit ist aber das Civilrecht erst dadurch Recht, daſs auch der
Richter daran gebunden ist. Der Civilrechtssatz ordnet immer
zweierlei Rechtsverhältnisse zugleich: das zwischen den Einzelnen
unter sich und das zwischen den Einzelnen und der öffentlichen
Gewalt. Wenn er sagt: unter solchen Voraussetzungen soll der eine
dem andern die Sache liefern, so sagt er zugleich: der Richter soll
nach diesen Regeln den einen zur Herausgabe zwingen, dem andern
zum Empfang verhelfen. Es knüpfen sich also an das civilrechtliche
Verhältnis zwischen den Beiden zwei entsprechende öffentlichrecht-
liche Verhältnisse derselben zur richterlichen Gewalt. Der Prozeſs
giebt die Form, in welcher die letzteren wirksam gemacht werden.
Das Civilgesetz hat damit den Beteiligten zugleich eine öffentlich-
rechtliche Bestimmung gegeben, ein Sollen und Dürfen gegenüber der
öffentlichen Gewalt, und eine Gebundenheit des Gerichts begründet
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 6
[82]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
zur Verwirklichung dieses Sollens und Dürfens. Indem das Gericht
danach verfährt, wird in Einem jene öffentlichrechtliche Bestimmtheit
gehandhabt und das civilrechtliche Verhältnis, an welchem sie hängt1.
Das Strafrecht verfährt anders. Es bestimmt: wer das und
das thut, ist so und so zu bestrafen. Es beginnt also mit einer
Gebundenheit der richterlichen Gewalt, wonach sie unter diesen Vor-
aussetzungen diese Strafe, nicht mehr und nicht weniger, verhängen
soll; der Strafprozeſs giebt die Formen, in welchen diese Gebunden-
heit wirksam wird. Aber wiederum erschöpft sich der Strafrechtssatz
nicht damit, die Thätigkeit der richterlichen Gewalt in Bewegung zu
setzen und zu bestimmen. Er wirkt sofort schon mit dem Eintritt
der Strafthat auf den Thäter und giebt diesem unmittelbar eine ent-
sprechende rechtliche Bestimmung in der Strafbarkeit: er soll die
vorgesehene Strafe leiden, nicht mehr und nicht weniger. Darum wird
ihm im Strafausspruch sein Recht und eine härtere Strafe ist Unrecht
gegen ihn2. Hier ist nun alles öffentlichrechtlich, alles Verhältnis
zwischen Unterthan und öffentlicher Gewalt.
Die rechtliche Bedeutung dieser letztern Form ist aber im
wesentlichen ganz die gleiche wie die des Civilrechtssatzes, soweit er
öffentlichrechtlich in Betracht kommt: der Rechtssatz wirkt in beiden
Fällen zweiseitig; er giebt dem Unterthanen die rechtliche Bestimmung
eines Sollens oder Dürfens gegenüber der öffentlichen Gewalt und be-
gründet zugleich eine rechtliche Gebundenheit der Behörde ihm gegen-
über, daſs sie danach verfährt. Wir nennen ersteres die äuſsere,
letzteres die innere Wirkung; der Rechtssatz in der Justiz hat
immer beide Wirkungen zugleich.
Das Verwaltungsgesetz bedeutet nun nichts anderes als die
Übertragung dieser Form, rechtlich zu wirken, auf die Verwaltung.
Das ist nichts Selbstverständliches und nichts, was immer be-
standen hat. In der Lehre vom Polizeistaat (oben § 4, II) haben wir
gesehen, wie damals schon die Staatsgewalt bedacht war, Ordnung
und Regel in die Verwaltung zu bringen. Die maſsgebende Form ist
die Dienstvorschrift, die Instruktion. Die Dienstvorschrift wirkt recht-
lich nur nach innen, der Beamte ist gebunden, darnach zu ver-
[83]§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
fahren. Den Einzelnen berührt nicht die Dienstvorschrift, sondern die
demnächst von den Beamten gegen ihn getroffene Maſsregel. Diese
kann abweichen, vermöge eines besonderen Dienstbefehls oder eines
selbständigen Vorgehens im wohlverstandenen Interesse des Dienst-
herrn. Die Dienstvorschrift hat dem Unterthanen selbst keine recht-
liche Bestimmung gegeben gegenüber der öffentlichen Gewalt. Wenn
Finanzvorschriften, Polizeivorschriften den Unterthanen bekannt
gegeben werden zur Danachachtung, so sind die Behörden ihrerseits
doch nur daran gebunden mit der Kraft der Dienstvorschrift und mit
allem Spielraum, den diese gewährt; dieses sogenannte Gesetz, dem
man ja deshalb auch wohl den Namen verweigert (oben § 4 Note 9),
giebt den Unterthanen keine Rechtsstellung gegenüber dem Staat; es
hat mehr die Bedeutung einer Warnung. Es hat wohl eine äuſsere
Seite, aber diese ist nicht notwendig verbunden mit der entsprechenden
inneren Seite und der dadurch bestimmten wirklichen Maſsregel. Erst
das Verwaltungsgesetz des neuen Staatsrechts, indem es nach beiden
Seiten zugleich wirkt und beide mit einander rechtlich ver-
knüpft, schafft Recht auch in der Verwaltung3.
Es hat nicht nötig, diese beiden Seiten des Rechtssatzes aus-
drücklich auszusprechen. Auch Civil- und Strafgesetz thun das ja
nicht. Es genügt, die eine oder die andere zu bezeichnen; vermöge
der Zweiseitigkeit des Rechtssatzes ist damit jedesmal die andere von
selbst gegeben4. Welche von beiden in den Text des Gesetzes auf-
genommen wird, ist eine Frage der Zweckmäſsigkeit: diejenige muſs
es sein, von welcher aus die zu treffende Ordnung am einfachsten
und greifbarsten zu bezeichnen ist.
II. Die Art, wie das Gesetz im Civilrecht zwischen den Einzelnen
Rechtsordnung macht, ist unseren Anschauungen immer die nächst-
liegende: die Beteiligten stehen sich gleichwertig gegenüber, das
Gesetz steht über ihnen als die fremde höhere Macht und legt ihnen
die Ordnung auf durch seinen Befehl. Wie viele Juristen stellen sich
die Wirkung des Verwaltungsgesetzes ohne weiteres gerade so vor!
Hier liegt aber die Sache ganz anders.
6*
[84]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
1. In der Justiz wirkt das Gesetz sowohl auf den Einzelnen als
auf das Gericht; beide stehen unter dem Gesetz. Über diesen
ganz allgemeinen Begriff geht aber die Gleichheit der Wirkung nicht
hinaus. Man kann nicht sagen, daſs das Gesetz für das Gericht auf
dieselbe Weise maſsgebend sei wie für den Einzelnen. Diesem
befiehlt es, weist es sein rechtliches Schicksal an, ihm giebt es obrig-
keitlich die Bedingungen seines Daseins. Das Gericht aber ist selbst
Träger obrigkeitlicher Gewalt, die viva vox legis; es steht auf der
Seite des Gesetzes; seine Gewalt ist von der des Gesetzes nur dem
Grade nach verschieden. Es wird vom Gesetz nicht wie der Unter-
than beherrscht, sondern wie der untergeordnete Mitarbeiter ge-
leitet. Das Verhältnis der Verwaltung zum Gesetz ist grundsätzlich
das gleiche wie das der Justiz. Die Leitung, welche ihr das Gesetz
giebt, ist nicht von derselben strengen Einförmigkeit; sie läſst ihr
verhältnismäſsig viel mehr freien Spielraum. Aber sie bleibt in allen
Fällen Leitung wie dort.
Für die Justiz hat dabei das Gesetz immer schon vorgesehen,
was geschehen soll; es enthält für jeden Einzelfall die Bestimmung,
was für ihn Rechtens ist. Was das Gericht zu thun hat, ist nur der
förmliche Ausspruch dessen, was das Gesetz gewollt hat. Es macht
nur die Anwendung des Gesetzes. Das Ermessen, welches es
dabei übt, geht bloſs auf Anpassung des Thatbestandes mit seinen
Besonderheiten an den Willen des Gesetzes.
Die Verwaltung kann nicht in dieser Weise durchweg gebunden
sein. Bei ihr zeigt sich eine Stufenfolge von der strengsten Gebunden-
heit bis zu freiester Bewegung.
Das Gesetz kann ihre Thätigkeit so genau bestimmen, wie die der
Justiz, so daſs sie in der That nichts thut als das Gesetz anwenden.
Es kann in derselben Weise alles, was zu geschehen hat,
genau bestimmen, aber der Verwaltung überlassen, ob sie im Einzel-
fall das von ihm Vorgesehene zur Geltung kommen lassen will, sei
es, daſs es von ihrem Entschluſs abhängig gemacht wird, ob es wirk-
sam wird, sei es, daſs ihr die Möglichkeit gelassen wird, durch eignen
Entschluſs davon zu entbinden.
Es kann unvollständig bestimmen, derart daſs das, was Rechtens
wird, erst noch ergänzt werden soll durch die Verwaltung,
die schöpferisch durch eigene Zuthaten den Inhalt des staatlichen
Willens für den gegebenen Fall fertig stellt5.
[85]§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
Das Gesetz kann auch sachlich selbst gar nichts bestimmen,
der Verwaltung nur eine allgemeine Ermächtigung geben, daſs sie
ihrerseits für einen gewissen Gegenstand oder Geschäftszweig be-
stimme, was in einem ihr anbefohlenen öffentlichen Interesse er-
forderlich und angemessen erscheint6. Das hat seine rechtliche Be-
deutung, wo es sich um das vorbehaltene Gebiet des Gesetzes handelt,
um Eingriffe, zu welchen die Verwaltung nicht ohnehin zuständig
wäre. Wenn sonst in Gesetzen auf die Anordnungen der Verwaltung
verwiesen wird, ist es nur eine ausdrückliche Bestätigung dessen, was
ohnehin gälte.
Überall, wo der Verwaltung in dieser Weise ein mehr oder
weniger freier Spielraum gelassen ist, handelt es sich nicht um
Rechte, die ihr zugewiesen sind in der Weise der civilrechtlichen Be-
fugnisse der Einzelnen oder der landesherrlichen Hoheitsrechte, und
die im Gegensatze ständen zu ihrer Pflicht zur Anwendung des Ge-
setzes. Auch in der Anwendung des Gesetzes übt sie ihre „Rechte“
aus; und umgekehrt verfügt sie über die ihr überlassene Macht nicht
frei in gesetzlichen Grenzen, sondern ist auch hierin gebunden an
Sinn und Zweck der Überlassung und an die Einhaltung der Richtung,
welche ihr vom Gesetze dadurch gegeben ist. Alles hat einheitlich
die Natur einer Thätigkeit gemäſs dem ergangenen Gesetz und wird
nach diesem Verhältnis einheitlich bezeichnet als Vollziehung. Die
Vollziehung des Gesetzes, welche das Verhältnis der Verwaltung zum
Gesetze ausdrückt, ist das Seitenstück zu der Anwendung des Gesetzes,
welche der Justiz zukommt. Sie ist den Thatsachen entsprechend der
weitere Begriff. Vollziehung bedeutet Wirksammachen des
Gesetzes in Gebundenheit an dieses. Sie ist Anwendung
des Gesetzes, soweit dieses selbst bestimmt, sinngemäſse Fertigstellung,
soweit es einen Spielraum läſst zu eignem Entschluſs. In der recht-
lichen Notwendigkeit, gemäſs dem vorhandenen Gesetze nach den
Regeln der Vollziehung thätig zu sein, besteht die Gebundenheit,
welche in der Verwaltung erscheint7.
[86]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Die Verwaltung steht darin dem Gesetz gegenüber, wie die Justiz,
als Dienerin, nicht als Unterthan.
2. Wer ist es nun, der in solcher Weise durch das Gesetz ge-
bunden wird? Die Ausdrücke, die wir bisher gebrauchten: Verwaltung,
Obrigkeit, öffentliche Gewalt, mochten vorläufig genügen, um die
äuſsere Gestalt der Gebundenheit damit zu entwickeln. Jetzt ist auch
der Punkt genauer zu bezeichnen, an welchem die Gebundenheit wirk-
sam wird.
Die Richtung, in welcher die Antwort zu suchen ist, ist gegeben
durch das Ziel, worauf die ganze Einrichtung hinausläuft. Es handelt
sich bei der Verwaltung um das Verhältnis zwischen Staat
und Unterthan. In dieses soll durch das Verwaltungsgesetz Recht
und Rechtsordnung gebracht werden. Der Unterthan steht auf der
andern Seite, also muſs die Gebundenheit, die wir hier suchen, eine
Gebundenheit des Staates sein. Man pflegt denn auch ohne weiteres
den Satz aufzustellen: der Staat ist in seiner Thätigkeit an das Gesetz
gebunden. Daſs das wirkt auf seine Vertreter, die solche Thätigkeit
in seinem Namen zu üben haben, ist nur die Folge davon.
Nun läſst sich aber die Erkenntnis nicht abweisen, daſs auch
im Gesetze selbst nichts anderes wirkt als wiederum der Staat, dessen
Wille darin erscheint. So gelangt man dazu, die Wirkung des Ge-
setzes zu erklären als eine Selbstbindung des Staates8. In
dieser Weise einfach hingestellt, ist die Selbstbindung des Staates
ein geheimnisvoller Vorgang, den man glauben soll, aber nicht ver-
stehen kann. Innerhalb eines einheitlich gedachten Wesens kann ein
sich Gegenüberstehen in rechtlichen Beziehungen, wie die Gebunden-
heit sie doch bedeuten würde, gar nicht gedacht werden.
Der Widerspruch, der dagegen erhoben wurde, hat dahin ge-
führt, ein ganz anderes Rechtssubjekt für diese Gebundenheit zu
suchen. Nicht der Staat, sagt man, ist gebunden, „sich selbst kann
man nicht befehlen“, sondern die einzelnen Träger staatlicher
Thätigkeit. An diese ergeht der Befehl des Gesetzes9.
[87]§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
Allein damit fällt man gänzlich aus dem Zusammenhang heraus,
in welchem die Frage sich bewegt. Durch solche Befehle an die
Beamten u. s. w. würde das Gesetz persönliche Verpflichtungen
schaffen zwischen dem Staat und diesen seinen Vertretern. Das Ver-
hältnis zwischen Staat und Unterthan würde vom Gesetze selbst nicht
berührt. Das Gesetz würde wieder nur wirken wie der Dienstbefehl:
erst durch das, was der Beamte namens des Staates thut, und nach
Maſsgabe dessen, was er thut, würden Unterthan und Staat zusammen-
kommen. Und doch sollen durch solche Gesetze Ansprüche des
Staates an den Unterthan und Ansprüche des Unterthans an den
Staat begründet werden.
Diese zweite Auffassung ist also in sich korrekt, aber sie ent-
spricht der Wirklichkeit weit weniger als die erste.
Jene Selbstbindung des Staates ist nur eine verkehrte Ausdrucks-
weise. Die Theorie findet das richtige Wort nicht, weil ihr das Ver-
ständnis der Trennung der Gewalten fehlt, auf welcher unsere ganze
Ordnung des öffentlichen Rechtes beruht. Es ist thatsächlich mit der
Selbstbindung des Staates nicht so unbedingt gemeint, wie es lautet.
Vielmehr wird immer ausdrücklich oder stillschweigend ein Vorbehalt
gemacht zu Gunsten einer bestimmten Erscheinungsform des Staats-
willens, die nicht von jener allgemeinen Gebundenheit des Staates
getroffen ist. Das ist das Gesetz selbst. Gesetz wird nicht vom
Gesetz gebunden, das ist selbstverständlich. Unter Gesetz versteht
man dabei jede staatliche Willensäuſserung, welche auf dem Wege
der Gesetzgebung entstanden ist; die Anschauung zeigt ja auch sofort,
daſs auf eine solche die bindende Kraft bereits vorhandener Gesetze
sich nicht erstreckt. Das ist aber nichts anderes als die Erscheinung
der gesetzgebenden Gewalt. Diese ist also frei. Gebunden soll nur
sein aller auf irgend welche andere Weise erscheinender Staatswille.
Sagen wir einfach die vollziehende Gewalt, denn sie ist es, die in
diesem Gegensatze sich darstellt10.
[88]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Die vollziehende Gewalt ist allerdings selbst der Staat, darum
mag man sagen, das Gesetz bindet den Staat, oder der Staat bindet
durch das Gesetz sich selbst. Der Ausdruck ist nur dann unver-
ständlich und irreführend, wenn man nichts von der Trennung der
Gewalten weiſs.
Durch diese Gebundenheit der vollziehenden Gewalt entwickeln
sich dann von selbst alle die entsprechenden Gebundenheiten, die wir
an den einzelnen Trägern derselben wahrnehmen. Diese Gebunden-
heit haftet ihr an überall, wo sie erscheint. Alle Zuständigkeiten in
der Verwaltung sind Stücke der vollziehenden Gewalt. Die Ab-
grenzung derselben bestimmt auch den Kreis von einzelnen Gebunden-
heiten, welchen von dieser Stelle aus für die vollziehende Gewalt
nachzukommen ist. Immer bleibt die vollziehende Gewalt als das ein-
heitliche Ganze auch in dieser Verteilung bestehen und ihre Gebunden-
heit wirkt durch die ganze Kette, welche eine Sache durchlaufen
mag, von unten aus bis hinauf zum Staatsoberhaupt.
Keiner kann sie miſsachten, ohne selbst Unrecht zu thun, d. h. die
Rechtsordnung zu verletzen11.
[89]§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
Wenn in diese Zuständigkeiten hinein durch Übertragung der
bindenden Kraft des Gesetzes Verordnungsrechte gestellt sind, so zeigt
die Gebundenheit der vollziehenden Gewalt ganz eigentümliche Er-
scheinungen. Es kommt dann wirklich zu einer Art Selbst-
bindung des Verordnenden; die Verordnung, die er erlassen hat,
bindet ihn selbst in seiner sonstigen Thätigkeit. Das Gesetz, weil es
immer Gesetz ist, kann seine Rechtssätze durch Verfügung im Einzel-
fall durchbrechen. Der Verordnende nicht; er ist gehalten, seine Ver-
ordnung schlechthin zu vollziehen. Denn auſserhalb der Verordnung
steht er wieder bloſs im Namen der vollziehenden Gewalt und die
ist gebunden12.
Seine Verordnung bindet aber auch, wie jeder mit der bindenden
Kraft des Gesetzes aufgestellte Rechtssatz, die ganze vollziehende
Gewalt, ohne Unterschied der sonstigen Machtstellung ihres Trägers.
Es kann ja eine Aufhebung der Verordnung in Frage kommen, wie
durch den Verordnenden selbst, so durch eine vorgesetzte Behörde.
Es können auch besondere Ermächtigungen gegeben sein, die von der
Vollziehung entbinden. Abgesehen davon ist die Polizeiverordnung
der untersten Behörde bindend für die höchsten Spitzen, für den
Fürsten selbst. Der Fall, auf den sie zutrifft, muſs nach ihren Be-
stimmungen erledigt werden von jedem Träger der vollziehenden
Gewalt, der damit zu thun hat13.
3. Endlich fragen wir: wem gegenüber besteht diese Gebunden-
heit? wer kann sie geltend machen und in Anspruch nehmen? Dieses
„gegenüber“ kommt in zweierlei Richtungen in Betracht und hat
demnach eine verschiedene Bedeutung.
Die Gebundenheit besteht in erster Linie gegenüber dem Gesetz.
Das Gesetz ist kein Rechtssubjekt, aber die Volksvertretung, die es
mit zustande gebracht hat, ist eben dadurch berufen, der Regierung
gegenüber dafür einzutreten, daſs es, soweit an ihr liegt, in Kraft
11
[90]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
gehalten werde; Anfragen, Beschwerden, Miſsbilligungen, förmliche
Anklagen stehen ihr dafür zu Gebote14. Das gehört jedoch alles in
das Gebiet des Verfassungsrechts und geht uns hier nicht weiter an.
Die Gebundenheit der vollziehenden Gewalt wirkt andererseits
auch nach auſsen. Darin liegt eben die zweiseitige Wirkung des
Gesetzes. Sie gilt gegenüber dem Unterthanen und bestimmt
dessen rechtliches Verhältnis zum Staate. Denn nur zum Staat, nicht
zur vollziehenden Gewalt, steht der Unterthan in einem Verhältnis.
Indem es die vollziehende Gewalt zu einem bestimmten Verhalten
ihm gegenüber bindet, spricht das Gesetz aus, was zwischen ihm und
dem Staat Rechtens sein soll.
Das Leisten, Thun und Unterlassen, welches das Gesetz dem
Unterthanen auferlegt, bedeutet Rechtspflichten seinerseits gegen-
über dem Staate und ist bestimmt, im Falle der Nichterfüllung von
der vollziehenden Gewalt mit Zwangsmaſsregeln durchgesetzt zu
werden. Auf das Leisten, Thun, Unterlassen, welches nach der Vor-
schrift des Gesetzes namens des Staates zu Gunsten der Unterthanen
beobachtet werden soll, hat dieser einen rechtlichen Anspruch
gegen den Staat. Die Nichtbeobachtung solcher Gesetzesbestimmungen
ist ein Unrecht gegen ihn. Zu dessen Beseitigung kann die voll-
ziehende Gewalt in den Formen des geordneten Rechtsschutzes
von ihm in Bewegung gesetzt werden (unten § 12 ff.); die Diener
der vollziehenden Gewalt, durch deren Fehler dieses Unrecht an
ihm begangen worden ist, sind ihm persönlich haftbar für den
Schaden (unten § 17, I). Je nach dem Inhalt und dem Grad der
Bestimmtheit nehmen diese Beziehungen die Gestalt von öffent-
lichen Rechtsverhältnissen und subjektiven öffent-
lichen Rechten an (unten § 9).
So erfüllt die bindende Kraft des Gesetzes das Verhältnis zwischen
der öffentlichen Gewalt und dem Unterthanen mit all den bekannten
Begleiterscheinungen, welche eine wohlausgebildete Rechtsordnung auf-
zuweisen pflegt15.
[91]§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
III. Die Gebundenheit der vollziehenden Gewalt, deren recht-
liche Natur wir jetzt zur Darstellung gebracht haben, wird begründet
durch jeden Rechtssatz, in dessen Bereich sie bei ihrer Thätigkeit
gerät, insbesondere auch durch Gewohnheitsrecht, soweit solches gilt;
denn sie beruht auf der Eigenschaft der vollziehenden Gewalt, durch
den Rechtssatz in solcher Weise gebunden zu werden (oben § 6, II)16.
Die bindende Kraft des Gesetzes ist eine besondere Eigenschaft der
gesetzgebenden Gewalt nur insofern, als von ihr allein die Fähigkeit
ausgeht, durch staatliche Willensäuſserung Rechtssätze zu schaffen
und in der dem Rechtssatz eigentümlichen Weise zu wirken.
Rechtliche Verhältnisse bindend zu bestimmen, vermag auch das
Rechtsgeschäft, vermag auch die obrigkeitliche Verfügung, der Ver-
waltungsakt. Aber sie treffen immer nur das bestimmte Verhältnis,
auf das sie gezielt, das Stück der Wirklichkeit, das sie im Auge
hatten. Der Rechtssatz zielt nicht unmittelbar auf die wirklichen
Dinge, sondern mittelbar durch einen Begriff, den er nach gewissen
Merkmalen zeichnet; überall, wo diese Merkmale verwirklicht er-
scheinen, trifft seine Anordnung. Darin eben liegt der Segen des
Rechts, darin seine Bedeutung für die Freiheit und das Eigentum der
Einzelnen: der Rechtssatz trifft sie ohne Ansehen der Person, vor ihm
sind, wenn er gehalten wird, „alle Preuſsen gleich“17.
[92]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Das Besondere der gesetzgebenden Gewalt besteht also in der
Fähigkeit, allgemein wirkend jene eigentümlichen rechtlichen
Gebundenheiten zu erzeugen, die wir geschildert haben. Das ist die
bindende Kraft des Gesetzes, die, um das Wesen der gesetzgebenden
Gewalt zu vollenden, als drittes Stück hinzukommt zu seinem Vor-
rang und zu seinem Vorbehalt.
Diese Kraft steht zur Verfügung des Gesetzeswillens wie jene:
sie ist lösbar von der Form des Gesetzes, sie kann übertragen werden
und sie kann unverwendet bleiben.
1. Die Übertragung begründet das Verordnungsrecht und die
Autonomie. Sie ist durchaus nicht von selbst verbunden mit der
Übertragung, welche das Gesetz aus dem Bereiche einer andern Fähig-
17
[93]§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
keit macht. Das Gesetz kann den Behörden mancherlei Ermäch-
tigungen geben zu Einwirkungen, welche zu seinem verfassungsrecht-
lichen Vorbehalt gehören. Was bedeutet es, wenn noch besonders
bestimmt wird, daſs die Behörde für diese Gegenstände oder einzelne
davon auch Verordnungen erlassen kann? Nichts anderes, als daſs
ihr auch die Fähigkeit verliehen wird, solche Einwirkung in allgemein
wirkenden Sätzen zu machen, Rechtssätze für diese Gegenstände auf-
zustellen. Das ist eine besondere neue Kraft, die hinzugefügt wird.
Ohne diese könnte die Behörde mit Maſsregeln solchen Inhaltes nur
die unmittelbaren Wirklichkeiten erfassen, in der Form von Ver-
fügungen, wie sie der obrigkeitlichen Gewalt auch auſserhalb des
Gesetzes von selbst zu Gebote steht18.
2. Ob das einzelne Gesetz von dieser seiner bindenden Kraft
Gebrauch gemacht hat oder nicht, das hängt von seinem Inhalt ab.
Denkbar wäre es, daſs es bei sonst zum Rechtssatz geeignetem Inhalt
doch keinen Rechtssatz schaffen wollte, sondern z. B. lediglich eine
Dienstvorschrift geben oder gar nur einen Wunsch, eine Meinung aus-
sprechen, daſs das so geschehen möge. Eine solche Selbstbeschränkung
und Unterdrückung der eignen Kraft ist selbstverständlich nicht zu
vermuten. Mangels einer ausdrücklichen Erklärung des Gesetzes könnte
es nur dann angenommen werden, wenn der Inhalt seiner Willensäuſse-
rung absolut ungeeignet erscheint, einen Rechtssatz vorzustellen. In
dieser Beziehung muſs man aber recht vorsichtig sein, bevor man
einem Gesetze die Rechtssatznatur abspricht. Sobald es etwas wie
eine Regel ausgesprochen hat, kann man im voraus schwer sagen, ob
[94]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
das nicht irgend einmal doch von Bedeutung werden kann für das
Verhältnis eines Unterthanen zum Staate, und dann würde, vermöge
der allgemeinen Wirkung des Gesetzes für jeden, den es angeht, so-
fort seine bindende Kraft zum Vorschein kommen19.
Gerade deshalb ist es wohl gethan, daſs aller Gesetzesinhalt ohne
Unterschied zu feierlicher Veröffentlichung gelangt, wie es eigentlich
nur für Rechtssätze angemessen und notwendig ist. Wie weit solche
darunter sind, das wird sich zeigen, wenn das wirkliche Leben die
unberechenbare Mannigfaltigkeit seiner Gestaltungen und Verwicklungen
diesen Bestimmungen entgegenwirft. Vorher braucht man es auch
nicht zu wissen.
§ 8.
Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.
Der Rechtsstaat wird dadurch vollendet, daſs auch der Ver-
waltungsakt mit seiner bindenden Kraft hineingestellt wird in die
zu ordnenden Verhältnisse zwischen Staat und Unterthan. Unbekannt
der Anschauungsweise des Polizeistaates, nicht ganz Urteil, nicht ganz
Rechtsgeschäft, verlangt der Akt in seiner einheitlichen Eigenart
und Selbständigkeit erfaſst zu werden, soll anders das Verwaltungs-
recht der Gegenwart verständlich sein, das er erfüllt.
[95]§ 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.
I. Aus dem Civilgesetz soll eine Zahlungspflicht, aus dem Straf-
gesetz eine Straferduldungspflicht entstanden sein. Wäre sonst nichts
da, so würde die berufene Behörde nunmehr diese Wirkungen des
Gesetzes einfach durchführen mit Zwang: auf ihren Befehl pfändet
der Gerichtsvollzieher den Schuldner, führt der Beamte der gericht-
lichen Polizei den Straffälligen ins Gefängnis. Wir sehen aber sofort, daſs
das nicht das Bild der Justiz wäre; was daran fehlt, ist das Urteil. Vor
der Durchführung des Gesetzes mit der That stellt das Gericht durch
das Urteil fest, was in diesem Falle Rechtens ist, und zwar rechtlich
wirksam für den betroffenen Unterthanen. Das Urteil selbst ist an
das Gesetz gebunden, aber es bindet seinerseits die That: was dem
Unterthanen rechtlich gebührt und von der Obrigkeit widerfahren soll,
richtet sich fortan nicht mehr unmittelbar nach dem Gesetz, sondern
nach dem Urteil. Dieses hat, wie man sagt, jus in concreto gemacht.
Wie der Wert des Rechtssatzes liegt in der rechtlich ge-
bundenen Gleichheit des obrigkeitlichen Handelns, so der des Urteils
in der rechtlichen Bestimmtheit, die es dem Einzelfall unmittelbar
giebt.
Wie der civilrechtliche Rechtssatz verwendbar gemacht wurde für
die Verwaltung durch Zuteilung der wesentlichen Stücke seiner Wirk-
samkeit an das verfassungsmäſsige Gesetz, so verfährt der Rechtsstaat
auch mit dem civilrechtlichen Urteil. Unter Abstreifung der ihm
anhaftenden Besonderheiten, die wieder selbständig zur Verwendung
kommen können, wie das festgeordnete Verfahren, die bestimmte
Form des Ausspruchs, die Rechtskraft, wird der Kern seiner recht-
lichen Wirkungskraft einer obrigkeitlichen Willensäuſserung beigelegt,
die in der Verwaltung und für die Verwaltung ergeht.
Der Verwaltungsakt ist ein der Verwaltung zuge-
höriger obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Unter-
thanen gegenüber im Einzelfall bestimmt, was für ihn
Rechtens sein soll1.
[96]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Für die Hervorbringung der Verwaltungsakte besteht nicht wie
für das Gesetz oder das civilgerichtliche Urteil ein eigens geordneter
Apparat, der sie formell kenntlich machte durch die Art ihrer Ent-
stehung.
Er beruht auf der öffentlichen Gewalt, kann also nur ausgehen
von einer Stelle, die berufen ist, mitzuwirken an der Ausübung der
öffentlichen Gewalt. In der Zuständigkeit, ein gewisses Stück der Ver-
waltung zu führen und zu bestimmen, was darin geschehen soll, ist
von selbst die Fähigkeit enthalten, dies durch Verwaltungsakt zu
thun. Die Ämter, welche mit solcher Leitungsgewalt und folglich
mit der Fähigkeit zum Verwaltungsakt ausgerüstet sind, bilden die
Verwaltungsbehörden, als Seitenstücke der Justizbehörden, der
Gerichte2.
Wenn eine Verwaltungsbehörde dem Unterthanen einen Ausspruch
kund giebt, der inhaltlich geeignet ist, die Wirkung eines Verwaltungs-
aktes für diesen zu haben, so ist dieser Ausspruch als Verwaltungs-
akt anzusehen, es sei denn, daſs erweislich eine geringere Wirkung,
etwa eine Mahnung, Drohung, Benachrichtigung, gewollt war.
So der grundsätzliche Standpunkt. Ausdrückliche Ordnungen
helfen vielfach nach, um den Verwaltungsakt nach Form, Herkunft,
Inhalt kenntlicher zu machen.
[97]§ 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.
II. Im Gegensatz zu der festen gleichmäſsigen Rolle, in welcher
das civilrechtliche Urteil uns erscheint, kommt der Verwaltungsakt
in freier Mannigfaltigkeit zur Verwendung. Seine Aufgabe, rechtliche
Bestimmtheiten der Einzelfälle in das Getriebe der Verwaltung zu
setzen, löst er gerade in dieser Weise sachentsprechend.
1. Das Civilgerichtsurteil gründet sich stets auf das Gesetz, das
es auf den Einzelfall zur Anwendung bringt. Die Versuchung liegt
nahe, auch für den Verwaltungsakt eine solche Grundlage zu fordern.
Allein so ohne weiteres ist das nicht richtig3.
Es muſs unterschieden werden. In obrigkeitlicher Weise dem
Unterthanen gegenüber zu bestimmen, was für ihn im Einzelfall
Rechtens sein soll, gehört keineswegs zum Vorbehalt des Gesetzes.
Das ist eine Äuſserung der öffentlichen Gewalt, die an sich auch der
vollziehenden Gewalt zusteht.
Vielmehr wird es auf den Inhalt des Verwaltungsaktes ankommen.
Soll damit ein Eingriff gemacht werden in Freiheit und Eigentum,
Befehl, Lastauflegung, Begründung einer Zahlungspflicht, dingliche
Entziehung oder Beschränkung, dann bedarf es hierzu selbstverständ-
lich einer gesetzlichen Grundlage. Nicht weil überhaupt bestimmt
wird, daſs etwas für ihn Rechtens ist, sondern weil bestimmt wird,
daſs ein solcher Eingriff gegen ihn stattfinden soll. Der Verwaltungs-
akt kann aber auch umgekehrt dem Unterthanen einen Vorteil zu-
wenden, ein Besitzrecht, eine Nutzung, einen Geldbezug. Da ist der
Vorbehalt des Gesetzes nicht in Frage und es zeigt sich sofort, daſs
der Verwaltungsakt seine Wirkung übt aus eigener Kraft4.
Freilich auch bezüglich solcher Begünstigungen kann eine Schranke
bestehen, sofern das Gesetz des Gegenstandes sich bemächtigt hat,
und der Verwaltungsakt eine Abweichung davon bestimmen soll;
Beispiel: die Polizeierlaubnis; dazu bedarf es wieder der gesetzlichen
Grundlage; unten § 21, I.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 7
[98]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Umgekehrt kann auch ein belastender Verwaltungsakt ergehen
ohne gesetzliche Grundlage auf Grund der Einwilligung des
Betroffenen. Der Vorbehalt des Gesetzes, wie er namentlich in
den sogenannten Freiheitsrechten formuliert wird, ist zu Gunsten des
Einzelnen gemeint und wirkt für ihn; eine Verletzung dieses Vor-
behaltes zu seinem Nachteil ist ein Unrecht gegen ihn. Die Freiheit
selbst wäre aber verleugnet, wenn dieser Schutz unbedingt gemeint
wäre; eine Verfügungsfähigkeit des Geschützten muſs bestehen bleiben,
die denn auch in gewissen Grenzen anerkannt ist behufs Übernahme
von persönlichen Pflichten, Zahlungsverbindlichkeiten und dgl. In-
sofern haben die verfassungsmäſsigen Vorbehalte, welche die Be-
lastung ohne Gesetz ausschlieſsen, die stillschweigende Klausel: es
sei denn, daſs der Betroffene zulässiger Weise seine Einwilligung
erklärt. So entstehen die Verwaltungsakte auf Unter-
werfung. Die Unterwerfung ersetzt lediglich die Ermächtigung des
Gesetzes und räumt damit die Rechtsschranke weg, welche der ver-
fassungsmäſsige Vorbehalt sonst entgegen gestellt hätte. Der Ver-
waltungsakt wird frei und wirkt nun wieder bindend durch sich
selbst5.
[99]§ 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.
Ebenso wird der Verwaltungsakt überall ohne weiteres zur Wirk-
samkeit gelangen können, wo die Zumutung, die er dem Einzelnen
macht, nicht als in den Vorbehalt des Gesetzes fallender Eingriff er-
scheint wegen eines bereits bestehenden Verhältnisses, das er nur
geltend macht, sei es ein besonderes Rechtsverhältnis, sei es ein Ge-
waltverhältnis allgemeinerer Natur, dem der Betroffene schon unter-
worfen ist (unten § 9 Note 13).
2. Die Wirkung des Urteils ist ähnlich der des Rechtssatzes. Es
giebt dem, für welchen es ergangen ist, eine rechtliche Bestimmtheit
der öffentlichen Gewalt gegenüber für das, was er soll und darf, und
bindet die Justiz, demgemäſs zu verfahren, in Vollstreckungshand-
lungen wie in etwa weiter in dieser Sache ergehenden Urteilen. Ab-
weichung davon zu seinem Nachteil ist ein Unrecht gegen ihn.
In gleicher Weise bestimmt der Verwaltungsakt den Unterthanen,
über den er erlassen wird; nur daſs der Inhalt dieser Bestimmung
hier unendlich viel mannigfaltiger ist. Statt des einfachen Gezwungen-
werden-Sollens oder Durch-Zwang-Geschütztwerden-Sollens, dessen
näherer Inhalt immer nur die gegenüberstehende Privatpartei angeht,
werden hier alle Besonderheiten unmittelbar Inhalt des öffentlich-
rechtlichen Verhältnisses zum Staate: der Betroffene soll ihm gegen-
über thun oder unterlassen oder thun dürfen, zahlen, bezahlt er-
halten, Dienste leisten, Eigentum verlieren, Nutzungen haben6.
Überall ist zugleich die öffentliche Gewalt gebunden zur Vollziehung
d. h. zur Aufrechterhaltung und Durchführung des also Bestimmten,
so lange der Verwaltungsakt in Kraft besteht und nicht eine be-
sondere Befugnis wirksam wird, um seine Wirkung zu durchkreuzen.
Bedingt ist diese Wirkung in mannigfacher Weise durch die recht-
lichen Schranken und Gebundenheiten, welchen der Verwaltungsakt
selbst unterliegt. Aber diese Bedingtheit ist von der gleichen recht-
lichen Natur, wie die entsprechende des civilgerichtlichen Urteils.
Das Urteil, welches das Gesetz verletzt, ist ungültig und soll auf-
gehoben werden. Bis das geschehen ist, muſs es als wirksam be-
handelt werden. Die obrigkeitliche Gewalt, die in ihm erscheint, be-
zeugt sich immer zunächst als rechtmäſsig. Das Gleiche gilt vom
Verwaltungsakt. Die Ungültigkeit ist nur ein Grund der Unwirksam-
erklärung, aber kein Grund der Unwirksamkeit; die Unwirksam-
7*
[100]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
erklärung selbst aber erhält durch die Verteilung der Zuständigkeiten
ihre gewiesenen Wege7.
In dieser Weise erfüllt der Verwaltungsakt das ganze Gebiet der
Verwaltung mit festen Rechtsverhältnissen, die ihren unmittelbaren
Grund nur in ihm haben, der Mannigfaltigkeit des Inhalts nach zu
vergleichen den Rechtsverhältnissen des Civilrechts, der juristischen
Form nach aber den Rechtsverhältnissen der Justiz.
3. Alle Verwaltungsakte wirken rechtliche Ordnung für den be-
stimmten Fall; sie können aber dabei mehr oder weniger an bereits
Geordnetes anknüpfen, und daraus ergiebt sich eine Unterscheidung
von Arten der Verwaltungsakte.
Man stellt vor allem gegenüber Entscheidungen und Verfügungen.
Entscheidungen sind Verwaltungsakte mit rechtlich ge-
bundenem Inhalt. Die Gebundenheit kann durch einen Rechtssatz
kommen, der auf den Fall anzuwenden ist, oder durch einen voraus-
gehenden Verwaltungsakt, der nur durchgeführt werden soll. Sie
muſs eine vollständige sein, derart, daſs der neue Verwaltungsakt
nichts selbständig zu der rechtlichen Ordnung des Falles hinzuzufügen
hat: die Entscheidung spricht nur aus, was Rechtens sein soll, indem
sie erklärt, was Rechtens ist. Die civilgerichtlichen Urteile haben
durchweg (mit gewissen Ausnahmen vgl. unten § 13, I) die Natur
solcher Entscheidungen. Nach ihrem Vorbild ist die entsprechende Art
Verwaltungsakt abgegrenzt8.
[101]§ 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.
Alle übrigen Verwaltungsakte sind Verfügungen. Sie haben
gemeinsam, daſs die Behörde mit eigenem Entschlusse darin thätig
ist, um das Ob und Wie des Rechtsverhältnisses zu bestimmen. Ob
sie ganz frei oder nur innerhalb eines beschränkteren Spielraums, der
ihr gelassen ist, ihre Willensbestimmung trifft, macht für den Begriff
der Verfügung keinen Unterschied.
Doch ist unter den Verfügungen selbst noch einmal eine Art-
verschiedenheit zu erkennen, je nach ihrer Bedeutung für das Ver-
hältnis, das sie betreffen.
Den vollen Gegensatz zur Entscheidung bildet die Verfügung
dann, wenn sie für den Einzelnen, über den sie ergeht, ein bestimmtes
Rechtsverhältnis zur öffentlichen Gewalt selbst erst neu erzeugt. Sie
entspricht dann dem civilrechtlichen Begriffe des Rechtsgeschäftes und
mag deshalb als öffentlichrechtliches Rechtsgeschäft be-
zeichnet werden9.
Nicht jede Verfügung steht in solcher Weise am Anfang des
Rechtsverhältnisses; es giebt andere, die nur bestimmt sind, ein ge-
gebenes Verhältnis fortzuspinnen und abzuwickeln, also ähnlich wie
die Entscheidung, nur daſs ein neuer Entschluſs in ihnen wirksam
wird. Da können dann durch die Verfügung Änderungen, Er-
gänzungen oder Aufhebungen daran geschehen, was man etwa noch
unter den Begriff des Rechtsgeschäftes bringen mag. Es werden aber
durch die Verfügung möglicher Weise auch nur Folgerungen daraus
gezogen in Geltendmachung einer umfassenderen Macht, welche das
begründete Verhältnis der Behörde gegenüber dem darin Begriffenen
verleiht: das hat dann nichts Rechtsgeschäftliches mehr, so wenig
wie die Anforderungen, welche der civilrechtliche Gläubiger auf Grund
einer umfassenderen Leistungspflicht stellt10.
[102]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Zu den Verhältnissen, welche eine derartige umfassende Macht
begründen, gehören im Gebiete des öffentlichen Rechts vor allem die
sogenannten Gewaltverhältnisse (unten § 9 Note 13). Ein Verwaltungs-
akt, der erlassen wird zur Geltendmachung des Gewaltverhältnisses
gegenüber dem darin Begriffenen und um Folgerungen daraus zu
ziehen, pflegt als eine Anweisung bezeichnet zu werden. Das
Hauptbeispiel ist die Dienstanweisung, aber nicht das einzige11.
III. Das Gesetz vermag zu wirken in der Weise des Rechts-
satzes durch allgemeine Regeln, die jeden treffen, den es angeht. Der
Verwaltungsakt wirkt nicht mit dieser allgemein bindenden Kraft;
darin liegt schlieſslich der ganze Kern des Gegensatzes. Alles übrige,
was die bindende Kraft des Gesetzes vorstellt, kann auch am Ver-
waltungsakt erscheinen; wenn er aber fähig würde, auch in dieser
dem Gesetze eigentümlichen Form wirksam zu werden, würde er auf-
hören, Verwaltungsakt zu sein.
Dem Verwaltungsakt ist es deshalb angemessen, den Einzelfall
zu erfassen in der Weise, wie das civilgerichtliche Urteil es thut.
Nur darf man ihn auch hier wieder nicht streng an eine bestimmte
Form binden; entscheidend ist nur, daſs er nicht in der Weise
des Rechtssatzes wirkt. Im übrigen kann er dem Fall, den er
treffen will, in verschiedener Weise beikommen.
1. Das civilgerichtliche Urteil bestimmt seinen Fall aufs ge-
naueste dadurch, daſs es den einzelnen Menschen mit Namen an-
redet, für den es ergeht. Das wird auch für den Verwaltungsakt
die Regel sein: Polizeibefehl, Veranlagung zur direkten Steuer, Aus-
hebung znm Heerdienst gehen in dieser Weise vor.
2. Das civilgerichtliche Urteil erstreckt seine Wirkung auch
über den unmittelbar von ihm Betroffenen hinaus auf dessen Rechts-
nachfolger: der dem Civilrecht angehörige Rechtsvorgang ver-
schiebt also zugleich das öffentlichrechtliche Verhältnis, welches durch
das Urteil begründet wurde. Mittelbar vermag in solcher Weise auch
der Verwaltungsakt auf einen Dritten zu wirken, insofern er ein
[103]§ 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.
Recht oder eine Pflicht begründet, die durch Rechtsnachfolge über-
gehen können (unten § 9); das ist aber die seltene Ausnahme.
3. Mehr dem Muster gewisser civilrechtlicher Rechtsgeschäfte
entspricht es, wenn der Verwaltungsakt zwar für einen bestimmten
Einzelnen ergeht, diesen aber nicht als Person im Auge hat, sondern
als den Vertreter bestimmter äuſserer Umstände, in welchen er steht,
eines Besitzes, Betriebes, Unternehmens; da kann dann der Ver-
waltungsakt wirksam werden gegen jeden, der nachher darin an seine
Stelle tritt. Wenigstens ist es im geltenden Rechte in gewissem Um-
fange anerkannt; Regel ist diese Nachwirkung auf personae
incertae nicht; vgl. unten § 21 Note 10 und 20.
4. Davon unterscheidet sich wieder der Fall, wo der zunächst Be-
troffene selbst zwar eine bestimmte Person, aber nur mittelbar be-
zeichnet ist; er ergiebt sich erst aus der genaueren Aufklärung
eines gewissen rechtlichen Zusammenhangs. Das ist namentlich der
Fall bei dinglich wirkenden Verwaltungsakten: Enteignung, Auf-
legung öffentlicher Grunddienstbarkeiten brauchen den Eigentümer
oder wenigstens den richtigen Eigentümer, gegen den sie gehen, gar
nicht zu nennen; sie treffen ihn durch das Grundstück hindurch.
Von der gleichen Art ist der Verwaltungsakt, der an eine gegebene
Gesamtheit von Personen gerichtet ist, um jeden darin begriffenen
Einzelnen zu treffen: Befehl zum Auseinandergehen an eine Menschen-
menge, Auflösung einer Versammlung, eines Vereins. Es ist eigent-
lich eine Mehrheit von Verwaltungsakten; an jede durch die Zu-
gehörigkeit an jene Gesamtheit bezeichnete Person richtet sich einer;
sie erscheinen aber vereinigt zu einem Gesamtakt12.
5. Der äuſserste Grad solcher freieren Bezeichnungsweise der
vom Verwaltungsakt Getroffenen entwickelt sich im Gewaltverhältnis:
hier finden wir Gesamtakte mit mittelbarer Bezeichnung der Ge-
troffenen und ohne Beschränkung auf einen gegenwärtigen abgegrenzten
Personenkreis, also für personae incertae. Den im Gewaltverhältnisse
Begriffenen können sämtlich Anweisungen gegeben werden, Verwaltungs-
akte, welche die Folgerungen aus dem Gewaltverhältnisse ziehen. Diese
Anweisungen werden in Instruktionen, Regulativen, Reglements, An-
staltsordnungen zusammengestellt und durch Veröffentlichung kund-
gegeben oder sonst den Beteiligten zugänglich gemacht. Sie wirken
dann bindend für jeden, der jetzt in dem Gewaltverhältnisse steht
oder künftig in dasselbe eintritt.
[104]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Die äuſserliche Ähnlichkeit mit einem Rechtssatz ist groſs. Gleich-
wohl ist es wieder nur ein Gesamt-Verwaltungsakt oder wie man es
sehr treffend auch bezeichnet hat, eine Generalverfügung13.
Sie wirkt nicht mit der allgemein bindenden Kraft des Gesetzes,
sondern nur mit der Kraft des Gewaltverhältnisses: nur für die darin
Begriffenen und für das darnach zu Fordernde. Für diese Dinge
bringt das Gewaltverhältnis jeden in ihm Begriffenen dem auch für
ihn im voraus gegebenen Verwaltungsakt entgegen, indem es ihm als
erstes eine entsprechende Erkundigungspflicht auflegt14. Die Wirkung
ist keine andere, als wenn ihm die Anweisung persönlich als Einzel-
akt eröffnet worden wäre.
§ 9.
Öffentliche Rechte.
Die Ordnung der öffentlichen Gewalt, wie sie dem Rechtsstaate
eigentümlich ist, hat den Zweck, das Verhältnis zwischen Staat und
Unterthan in die Formen des Rechts zu bringen.
Dabei entstehen zwischen den beteiligten Rechtssubjekten recht-
liche Bestimmtheiten, deren ausgeprägteste Gestalt sich darstellt in
dem subjektiven öffentlichen Recht1.
Das subjektive Recht fällt unter den allgemeinen Begriff des
rechtlich d. h. durch Einrichtungen der öffentlichen Gewalt geschützten
Interesses eines Rechtssubjektes. Dieses Interesse kann einfach in
Rückwirkung der alle umgebenden Rechtsordnung geschützt sein, sich
aber auch stufenweise enger mit der Person verbinden, derart, daſs es
schlieſslich als ein abgegrenzter rechtlicher Machtkreis sich dar-
stellt, der dieser zugehört.
[105]§ 9. Öffentliche Rechte.
Diese letzte Stufe allein bedeutet auf dem Gebiete des Civil-
rechts ein subjektives Recht. Wo es aber einmal gegeben ist, da
macht es sich auch durch eigentümliche Wirkungen erkennbar2.
Wenn der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts, das in der
Verwaltung erscheint, eine feste Abgrenzung und eine praktische Be-
deutung haben soll, so werden wir für ihn das Gleiche in Anspruch
nehmen müssen.
Seine Zugehörigkeit zum öffentlichen Rechte wird sich erweisen
an der besonderen rechtlichen Natur jenes Machtkreises. Es fragt
sich nur, wie weit in den Beziehungen der öffentlichen Gewalt auf
dem Gebiete der Verwaltung derartige Machtkreise zur Erscheinung
kommen.
I. Die gemeine Redeweise verfährt mit dem Ausdruck Recht auf
das verschwenderischste. Jeglicher Vorteil, der aus der Rechtsordnung
und ihrem Wirksamwerden dem einen oder anderen Teil erwächst,
wird sofort so bezeichnet ohne Rücksicht darauf, ob er nach Form und
Gegenstand einem festen Begriffe entspricht.
Das fängt mit den allerallgemeinsten Verhältnissen an. Daſs
der Staat dem Unterthanen mit rechtlich überwiegendem Willen, als
öffentliche Gewalt gegenübersteht, ist ein groſses subjektives Recht für
ihn, das Recht auf Beherrschung und Gehorsam3; wenn
man diese Gewalt wieder einteilt nach den Richtungen, in welchen
sie sich äuſsern kann, dann entsteht das, was man heutzutage Hoheits-
rechte nennt4. Dem entspricht auf der anderen Seite die all-
gemeine Gehorsamspflicht des Unterthanen, die doch auch
wieder nur eine Umschreibung der Unterthaneneigenschaft ist5; sie
[106]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
läſst sich aber auch ihrerseits wieder einteilen in Unterpflichten:
Treupflicht, allgemeine Steuerpflicht, allgemeine Wehrpflicht u. s. w.,
ein Register von empfehlenswerten Gesinnungen entsteht dadurch und
von Unannehmlichkeiten, welche man von seiten des Staates erfahren
kann; juristischen Wert hat diese anspruchsvolle Pflichtenlehre keinen6.
Die vollziehende Gewalt wird nun verfassungsmäſsig beschränkt
in der Geltendmachung dieses allgemeinen staatlichen Beherrschungs-
rechts durch den Vorbehalt des Gesetzes (oben § 6, I n. 2): der
Vorteil, welcher den Unterthanen daraus erwächst, wird sofort wieder
zu ihren Menschenrechten, Freiheitsrechten, Grundrechten7.
Diese Beschränkung selbst kann durchbrochen werden durch
eine gesetzliche Ermächtigung, welche der vollziehenden Gewalt und
ihren Behörden für gewisse Dinge erteilt wird (oben § 6 S. 76):
dann spricht man wieder von einem Rechte des Staates, in der be-
zeichneten Weise einzuwirken8.
Umgekehrt kann rechtssatzmäſsig bestimmt werden, daſs gewisse
Bewilligungen oder Dienstleistungen jedem zu gewähren sind, bei dem
gewisse Voraussetzungen zutreffen: daran knüpft sich sofort ein
[107]§ 9. Öffentliche Rechte.
entsprechender Rechtsanspruch für jedermann oder für das Publikum,
wie man noch bezeichnender sagt9.
Alles das sind allgemeine Möglichkeiten, Fähigkeiten, aber keine
Rechte. Damit man von einem Rechte sprechen könne, ist die erste
Voraussetzung, daſs eine bestimmte rechtliche Wirkung bereits ein-
getreten sei im Verhältnis zu dem einzelnen Unterthanen, der dem
Staate gegenübersteht. Diese nächsthöhere Stufe rechtlicher Bestimmt-
heit kommt zum Ausdruck in dem Begriff des öffentlichrecht-
lichen Rechtsverhältnisses.
Das Rechtsverhältnis ist ein rechtlich geordnetes Sollen und
Dürfen bestimmten Inhalts zwischen bestimmten Rechtssubjekten.
Öffentlichrechtlich ist das Rechtsverhältnis, wenn es die Aus-
übung der öffentlichen Gewalt zum Inhalt hat. Damit ist von selbst
gegeben, daſs von den beteiligten Rechtssubjekten das eine notwendig
der Träger der öffentlichen Gewalt ist, der Staat selbst oder ein
Selbstverwaltungskörper an seiner Stelle10. Eine Ausnahme bietet nur
der Fall des öffentlichrechtlichen Gesamtverhältnisses.
Es handelt sich dabei um eine öffentlichrechtliche Leistungspflicht,
welche einer Mehrheit von Unterthanen gemeinsam auferlegt ist, der-
art, daſs sie zusammen das Ergebnis zu liefern haben. Die Verband-
lasten für Wege, Schulen, Armenpflege sind die Hauptbeispiele. Das
ist ein Rechtsverhältnis zwischen diesen Verbundenen einerseits und
dem Staat als der öffentlichen Gewalt andrerseits. Unter ihnen selbst
ist die Pflicht aber wieder verteilt und jeder hat gegen den Mit-
verpflichteten den Anspruch darauf, daſs er von ihm entsprechend ent-
lastet werde. Auch dieses Verhältnis ist öffentlichrechtlicher Natur;
wir sprechen von einem sekundären oder abgeleiteten öffent-
lichrechtlichen Rechtsverhältnisse. Als ein Verhältnis zwischen
Gleichen, das es nichtsdestoweniger vorstellt, bietet es in mehrfacher
Beziehung Besonderheiten, auf die noch zurückzukommen sein wird11.
[108]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Das öffentlichrechtliche Rechtsverhältnis wird begründet durch
die Kraft des Rechtssatzes mit der Erfüllung des Thatbestandes, an
welchen er seine Wirkung knüpft (oben § 7, III) oder durch die
Kraft des Verwaltungsaktes, der den Fall unmittelbar selbst erfaſst
(oben § 8, III).
Das Rechtsverhältnis ist nichts als die Bezeichnung für die ein-
getretene Wirkung des Begründungsaktes. Der öffentlichen Gewalt
ist dadurch dem Einzelnen gegenüber eine bestimmte Richtung ge-
wiesen. Die Rechtmäſsigkeit ihres weiteren Verhaltens in dieser Sache
ist nach dieser Maſsgabe zu beurteilen und diese Maſsgabe wird aus-
gedrückt als das bestimmte Rechtsverhältnis12.
Daſs damit auch neue Machtkreise für die Beteiligten erworben
seien, welchen ihrerseits nun eine selbständige öffentlichrechtliche
Kraft und Bedeutung zukäme, subjektive öffentliche Rechte, ist in
diesem Begriff nicht von selbst schon gegeben.
Der Vorteil, der daraus für den einen oder anderen Teil hervor-
geht, hat eben sehr verschiedene Gestalt. Für den Staat bedeutet
das Rechtsverhältnis bald nur die Abgrenzung einer bestimmten recht-
lichen Gebundenheit seiner allgemeinen Herrschaftsgewalt; möglicher-
weise auch, daſs diese wirksam geworden ist in ein Stück des Einzel-
daseins hinein; oder es ist ihr wenigstens ein neuer Spielraum darin
eröffnet, ein besonderes Gewaltverhältnis, wie man das ausdrückt, ist
über den Einzelnen begründet worden13.
[109]§ 9. Öffentliche Rechte.
Für den Unterthan bewirkt das Rechtsverhältnis entweder einen
wirklichen Zuwachs, oder es bedeutet nur die Wiederherstellung
seiner freien Bewegung in dem, was er ohnedies schon hat, oder
auch nur die Sicherheit, daſs kein gröſserer Eingriff in seine Freiheit
und sein Eigentum stattfinden soll als der durch das Rechtsverhältnis
bestimmte.
Da sind Dinge darunter, die ebensowenig geeignet sind, subjektive
öffentliche Rechte vorzustellen, wie die Herrschermacht des Staates
im allgemeinen oder wie die Freiheitsrechte; es fehlt der richtige
Gegenstand, an dem das Recht erscheinen sollte.
Die wirklichen subjektiven öffentlichen Rechte bilden einen engeren
Kreis.
II. Ein subjektives öffentliches Recht im Gegensatz zum civil-
rechtlichen wird ein solches sein, das auf dem Boden der öffentlichen
Rechtsordnung gewachsen ist. Nichts anderes als eine Erläuterung
dieses Satzes bedeutet die üblich gewordene Formulierung: öffentliche
Rechte sind solche, die sich aus dem Zusammenhang mit dem öffent-
lichen Gemeinwesen ergeben14. Was das subjektive Recht sei, ist
damit noch nicht gesagt. Aber die allgemeinen Bedingungen seiner
Erscheinung ergeben sich allerdings aus dieser seiner vom Civilrecht
abweichenden Grundlage.
Wenn das subjektive Recht im Civilrechte grundsätzlich gleich-
wertige Rechtssubjekte voraussetzt, zwischen welchen es nun gemäſs
den besonderen Entstehungsgründen Machtkreise herstellt, so findet
es auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes statt der allgemeinen
13
[110]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Gleichberechtigung das Element der rechtlichen Mehrwertigkeit, das
alle Verhältnisse durchzieht, die öffentliche Gewalt. Wo diese un-
mittelbar im Spiele ist, ist ein subjektives Recht von vornherein nur
denkbar im unmittelbaren Anschluſs an sie; in Gestalt eines Ein-
flusses auf ihre Ausübung. Das Wesen des subjektiven öffentlichen
Rechtes kann nur bestehen in einer rechtlichen Macht über
die öffentliche Gewalt selbst15.
Um als subjektives Recht sich zu gestalten, muſs diese Macht
dann nur auch in der Weise eines solchen abgegrenzt und
mit dem Subjekt verbunden sein.
In dieser Beziehung verhalten sich aber die beiderlei in Betracht
kommenden Rechtssubjekte grundverschieden.
Auf seiten des Staates ist das erste und grundlegende Element
für alles subjektive öffentliche Recht, die Macht über die öffentliche
Gewalt, von vornherein in vollem Maſse gegeben. Der Staatswille ist
mit dieser ausgestattet von Natur. Aber gerade deshalb ist es
falsch, hier von einem subjektiven Rechte des Staates zu reden; denn
das Recht ist immer etwas Äuſserliches, mit der Person Verbundenes,
nicht die Person oder ihre Eigenschaften selbst. Es fehlt also das
zweite Element des Begriffs, die besondere Ausprägung und Ab-
grenzung der öffentlichen Gewalt zum Gegenstand eines subjektiven
Rechts.
Eine gewisse Abgrenzung wird nun allerdings durch den Eintritt
des Staates in öffentlichrechtliche Rechtsverhältnisse hergestellt. Die
öffentliche Gewalt bemächtigt sich eines bestimmten Gegenstandes und
weist alsdann Erscheinungen auf, welche dem Vorbild des subjektiven
Rechtes des Civilrechts sich anschlieſsen. Je nachdem ist es mehr
das Forderungsrecht oder mehr das dingliche Recht, welches
den Vergleichspunkt bietet.
Der erstere Fall ergiebt sich bei denjenigen öffentlichrechtlichen
Rechtsverhältnissen, welche ein rechtliches Sollen des einzelnen Unter-
thanen dem Staat gegenüber zum Inhalt haben. Wir sprechen von
einem Rechte des Staates auf die Bestrafung des Verbrechers, auf
die Dienste des Beamten, auf die Zahlung der geschuldeten Steuer.
[111]§ 9. Öffentliche Rechte.
Dinglicher Art dagegen wird das Recht, wenn die öffentliche Gewalt
eine bestimmte körperliche Sache ergreift, ganz oder teilweise, um
von da aus in die ihr eigentümlichen Verhältnisse zu den Unterthanen
zu treten mit öffentlichem Eigentum und anderen Arten von ding-
lichen öffentlichen Rechten.
Allein auch diese Dinge sind doch, genau genommen, nichts
anderes als Einzelerscheinungen der groſsen allgemeinen Herrscher-
macht des Staates und als solche keine besonderen Rechte, die diesem
zustünden; das wird gerade für diejenigen am klarsten sein müssen,
welche jene Herrschermacht selbst schon als ein Recht des Staates
bezeichneten: die Geltendmachung dieses Rechtes ist natürlich nicht
selbst wieder ein Recht.
Es kommt auch thatsächlich nichts dabei heraus, wenn man diese
einzelnen Äuſserungen der öffentlichen Gewalt des Staates als Rechte
bezeichnet; sie gewinnen dadurch nichts und unterliegen deshalb
keiner neuen Beurteilung.
Nur in einer Beziehung ist es als rechtlich bedeutsam zu er-
kennen, daſs die rechtliche Macht des Staates zu diesem Grade von
Bestimmtheit der Wirkung, von „Individualisierung“ sich verdichtet
hat. Darin nämlich, daſs diese sogenannten öffentlichen Rechte des
Staates übergehen können in civilrechtliche Rechte. Es ist denk-
bar, daſs der Staat mit einem derartigen abgegrenzten Machtkreis
heraustritt aus den Bedingungen des hoheitlichen Überordnungs-
verhältnisses, unter welchen er entstanden war, und ihn fortan be-
hauptet und geltend macht auf dem Boden der Gleichheit im Ver-
hältnis zu anderen. Da verwandelt sich dieses Stück Machtäuſserung
in das entsprechende subjektive Recht civilrechtlicher Natur. Das
eigenartige Herrschaftsverhältnis, welches wir als öffentliches Eigen-
tum bezeichnen, wird nach Auflassung der Straſse, des Festungswerkes
civilrechtliches Eigentum an diesem Grundstück. Die öffentlichrecht-
liche Steuerforderung wird im Konkurs des Schuldners den Konkurs-
gläubigern gegenüber nach civilrechtlichen Regeln wie eine civilrecht-
liche Forderung behandelt und zur Geltung gebracht. Es entstehen
civilrechtliche Ansprüche aus der Umwandlung der öffentlichrecht-
lichen16.
[112]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Das ist nicht der Fall bei den „Rechten“ des Staates, welche
noch auf der Stufe allgemeiner Möglichkeiten sich bewegen. Auch
von bestimmter ausgeprägten Rechten nehmen nur die eine solche
Umbildung an, welche rein vermögensrechtlichen Inhalts sind d. h.
auf Geld und Geldeswert gehen; nur diese finden im Civilrecht das
entsprechende Seitenstück, in welches sie überzugehen vermögen.
Diese einzige Bedeutung des subjektiven Rechts des Staates fällt
also aus dem Gebiete des öffentlichen Rechtes heraus; auf diesem
kann der Staat kein Recht erwerben, das ihm mehr gäbe als er schon
hat: die allgemeine Herrschermacht, die sich nur verschieden entfaltet.
Für den Unterthanen ist im Gegenteil die Macht über die
öffentliche Gewalt nichts Natürliches, in ihm selbst Liegendes, das er
schon mitbrächte. Der Staat ist in seinem Gebiet die alleinige Quelle
der öffentlichen Gewalt; alle Macht darüber, die sonst jemand zustehen
soll, ist nur abgeleitet von ihm, ist Macht an der öffentlichen
Gewalt des Staates. Ebendeshalb ist auch alle solche, anderen
Subjekten zustehende Macht naturgemäſs eine begrenzte Macht,
nur für einen gewissen Bereich gegeben und daher ihrer äuſseren
Gestalt nach geeignet, ein subjektives öffentliches Recht vorzustellen,
wo sie wirklich in der Weise eines Rechtes mit der Person verbunden
ist. Für die Art, wie das geschehen kann, sind wieder zwei Grund-
formen von selbst gegeben: sie erscheint in der Form der Forde-
rung und in der Form des Besitzes17.
1. Rechte der ersteren Art sind enthalten in allen öffentlich-
rechtlichen Rechtsverhältnissen, nach welchen der Staat d. h. die voll-
ziehende Gewalt dem Unterthanen gegenüber zu einer gewissen Leistung
gebunden ist. Diese Gebundenheit vermittelt ihm das, was ihm von
seiten des Staates zu teil werden soll, durch eine Macht über die
öffentliche Gewalt, sie bedeutet einen öffentlichrechtlichen Anspruch
des Unterthanen.
Das Urbild dafür giebt der civilprozeſsrechtliche Anspruch
auf Rechtshülfe. Der Anspruch beruht auf dem Gesetz, das die
Gerichte einsetzt, damit sie den Einzelnen Rechtshülfe gewähren. Das
Rechtsverhältnis entsteht mit der Erfüllung der gesetzlichen Voraus-
setzungen, d. h. mit der Einreichung der ordnungsmäſsig beschaffenen
Klage. Gebunden ist dem Einzelnen gegenüber der Staat, d. h. die
vollziehende Gewalt; die Erfüllung der Pflicht geschieht in der gesetz-
[113]§ 9. Öffentliche Rechte.
mäſsigen Ordnung der Justiz durch die Gerichte: für den damit be-
faſsten Richter wirkt das dann zugleich als ein Stück seiner Amts-
pflicht. Ein öffentliches Recht ist aber der Anspruch auf Rechtshülfe,
weil er gegen den Staat selbst, als Träger der öffentlichen Gewalt
geht und dem Kläger Macht über diese giebt in seinem Interesse18.
Nach diesem Muster sind gestaltet die mancherlei Ansprüche auf
rechtlich gebundene Verwaltungsakte: polizeiliche Erlaubnisse zum
Bauen, zum Gewerbebetriebe, Aufnahme in den Staatsverband und
Entlassung daraus, Entlassung aus dem Staatsdienst, Aufhebung einer
rechtswidrigen Maſsregel. Aber es müssen nicht Verwaltungsakte sein,
auch thatsächliche Gewährungen öffentlichrechtlicher Art, die als solche
Äuſserungen der öffentlichen Gewalt sind, werden durch öffentlich-
rechtliche Rechtsverhältnisse Gegenstand einer solchen rechtlichen
Gebundenheit dem Einzelnen gegenüber und damit öffentlicher Rechte;
hierher gehört der Gehaltsanspruch des Beamten, der Entschädigungs-
anspruch des Enteigneten, auch der Anspruch auf Heranziehung des
Mitbelasteten oder vornehmlich Belasteten im sekundären Rechts-
verhältnisse, der zugleich gegen diesen selbst wirkt (oben Note 10).
Gegenstand des öffentlichen Rechts ist hier immer nur die Thätig-
keit des Staates in der Leistung, nicht die Wirkung dieser Leistung.
Diese kann selbst wieder ein öffentliches Recht vorstellen oder eine
öffentlichrechtliche Eigenschaft, an der wieder Rechte hängen: die
verliehenen besonderen Nutzungen an öffentlichen Sachen, oder die ver-
liehene Eigenschaft als Gemeindeangehöriger, Heimatsberechtigter, wo
etwa auch ein Anspruch auf die Verleihung bestand. Sie kann ein
Civilrecht bewirken: wie die Erfüllung der Ansprüche auf Zahlung.
Sie kann auch gar kein Recht bewirken: wie die Aufhebung einer
rechtswidrigen Verfügung, die Entlassung aus dem Staatsdienste, die
Polizeierlaubnis und sonstige lediglich die Freiheit wiederherstellende
Akte19.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 8
[114]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
2. Die zweite Art von subjektiven öffentlichen Rechten wird ge-
bildet von öffentlichrechtlichen Besitzständen. Ein Stück
der öffentlichen Gewalt, eine Machtäuſserung, die ihr eigentümlich ist,
ist abgezweigt und in die Hand des Unterthanen gegeben, damit dieser
darüber Herr sei, für sich in eigenem Namen und eigenem Interesse
sie ausübe.
Hier giebt das groſsartigste Beispiel das Recht der Selbst-
verwaltung mit allen daran hängenden Nebeninstituten. Der
Selbstverwaltungskörper ist ausgestattet mit einem Stück öffent-
licher Verwaltung, das er dem Staate und anderen Selbstver-
waltungskörpern gegenüber zu eigenem Rechte besitzt und geltend
macht gegenüber den anderen Unterthanen in der Weise, wie eben
die öffentliche Gewalt sich geltend macht20. Die Bestellung der Ver-
treter eines solchen Körpers, welche namens desselben diese Gewalt
ausüben sollen, ist selbst wieder ein Akt der öffentlichen Gewalt:
das den Gemeindegliedern zustehende Wahlrecht ist ein öffent-
liches Recht derselben21. Die gewählten Vertreter, welche die Ver-
waltung des Selbstverwaltungskörpers führen, haben an dieser selbst
kein eignes Recht; sie üben damit nur die Rechte eines andern aus.
19
[115]§ 9. Öffentliche Rechte.
Aber die Macht, öffentliche Gewalt namens dessen, dem sie zusteht,
auszuüben, Vertreter zu sein, ist selbst ein Stück Macht über die
öffentliche Gewalt, die als subjektives öffentliches Recht mit der Person
verbunden sein kann.
Hierher gehört ferner das Recht des Staatsdieners auf sein Amt,
das Recht an dem verliehenen öffentlichen Unternehmen,
das Recht an der öffentlichen Sache vermöge der Verleihung
einer besonderen Nutzung daran u. a. Im Zusammenhange
der betreffenden Rechtsinstitute werden alle diese Rechte genauer zu
behandeln sein.
III. Subjektive Rechte des Staates gegenüber dem Unterthanen
sind im Sinne des echten Begriffes nicht möglich; deshalb ist auch
auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts von eigentümlichen Wirkungen
solcher Rechte nichts zu erkennen.
Wenn dagegen subjektive öffentliche Rechte der Unterthanen auf-
zuweisen sind in der bestimmten abgegrenzten Gestalt, die dem
subjektiven Rechte des Civilrechts entspricht, so können wir erwarten
und fordern, daſs es auch wie dieses ausgestattet sei mit besonderen
rechtlichen Wirkungen, die einem subjektiven Rechte zukommen.
Andernfalls würde es kaum einen Wert haben, die Ausscheidung
zu machen.
Was einem subjektiven Rechte zukommt, lehrt das Vorbild des
Civilrechts, dem wir hier wie überall zn folgen haben. Es zeigt sich
in zweierlei: darin, daſs die öffentliche Gewalt durch die bloſse That-
sache seines Bestehens berufen und verbunden ist, es zu schützen
und zu handhaben, und darin, daſs der Berechtigte darüber ver-
fügen kann.
Beides finden wir an unserem subjektiven öffentlichen Rechte
wieder; wo der Grundsatz einmal verdeckt oder durchbrochen er-
scheint, hat das stets seine besondere, leicht nachzuweisende Ursache.
1. Das subjektive öffentliche Recht giebt dem Berechtigten von
selbst den Anspruch auf Schutz durch die öffentliche Gewalt. Das
bedeutet nichts anderes als eine neue Gebundenheit derselben und
zwar, da das Gesetz nie gebunden ist, eine Gebundenheit der voll-
ziehenden Gewalt. Sie beruht auf einer rechtlichen Eigenschaft dieser
Gewalt, mit welcher dieselbe von vorneherein ausgestattet gedacht ist
(oben § 6 S. 78). Insofern das subjektive öffentliche Recht selbst
schon ein bestimmtes Verhältnis zur öffentlichen Gewalt bedeutet,
ist die Schutzpflicht regelmäſsig durch die dem Rechte unmittel-
bar entsprechende Gebundenheit verdeckt; sie trifft einfach mit
dieser zusammen.
8*
[116]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Sie tritt aber dazwischen auch selbständig zu Tage.
Wenn ein Verwaltungsakt ergangen ist, so ist er grundsätzlich
frei veränderbar und zurücknehmbar, sofern nicht etwa das Gesetz
das ausschlieſst. Aber auch ohne solche Bestimmung sind unwider-
ruflich d. h. nicht frei widerruflich solche Verwaltungsakte, welche
ihrem Inhalt nach ein subjektives öffentliches Recht für den davon
Betroffenen geschaffen haben.
Dahin gehören die Verwaltungsakte, welche Ansprüche auf öffent-
lichrechtliche Leistungen des Staates begründen oder festsetzen, Ent-
schädigungen, Zuschüsse, Unterstützungen, Gehaltsbewilligungen.
Ebenso sind unwiderruflich öffentlichrechtliche Besitzstände da-
durch allein, daſs sie einmal begründet sind: die Anerkennung der
öffentlichen Genossenschaft, der öffentlichen Anstalt mit juristischer
Persönlichkeit, die Verleihung eines Eisenbahnunternehmens, die Ver-
leihung einer besonderen Nutzung an einer öffentlichen Sache.
Wenn es sich um civilrechtliche Verhältnisse handelte, würde
man das alles als Vertrag erklären und so die Gebundenheit recht-
fertigen; der Verwaltungsakt ist aber kein Vertrag; wenn die freie
Zurücknahme in diesen Fällen seiner sonstigen Natur zuwider aus-
geschlossen ist, so ist das einzig erklärbar aus der Kraft des subjektiven
Rechts, das er erzeugt hat und das jetzt die vollziehende Gewalt durch
ihre Schutzpflicht bindet22.
Bei subjektivem öffentlichen Recht von der Gestalt eines Besitz-
standes erweist sich die Schutzpflicht noch nach anderer Richtung.
Der Berechtigte steht hier mit der ihm eingeräumten Macht über
sein Stück öffentlicher Gewalt Dritten gegenüber. Die Obrigkeit
ist gebunden, ihn in dieser Stellung, in der Ausübung und Wirksam-
keit der darin liegenden Macht auch nach auſsen, auch Dritten gegen-
über zu handhaben. Nicht bloſs daſs sie ihrerseits, was er in dieser
Weise besitzt und wirkt, als rechtsgültig und rechtswirksam behandelt,
sie leiht auch ihren Zwang, um andere zu dieser Anerkennung und
zur Fügsamkeit darein anzuhalten. Zu besserer Verwirklichung dieses
Schutzes sind besondere Einrichtungen getroffen, Wege eröffnet (vgl.
unten § 12 ff.). Wesentlich ist das nicht, er kann auch ohne das aus
der gewöhnlichen Zuständigkeit der berufenen Behörden gewährt
[117]§ 9. Öffentliche Rechte.
werden23. Zur Gewährung aber ist die vollziehende Gewalt dem
Berechtigten gegenüber verbunden; die Versagung wäre ein Seiten-
stück der Justizverweigerung.
2. Die Natur des subjektiven öffentlichen Rechts äuſsert sich auch
in seiner Verfügbarkeit. Der hergebrachte Satz: über öffentliche
Rechte kann der Berechtigte nicht verfügen, weil sie zugleich Pflichten
sind, ist in dieser Allgemeinheit falsch24. Die Verfügbarkeit ergiebt
sich aus dem Wesen des Rechts als die grundsätzliche Regel. Aus
besonderen Gründen kann sie ausgeschlossen sein, der Zusammenhang
mit einer entsprechenden Pflicht ist nur einer davon.
Die Pflicht kommt als Einschränkung vor allem in Betracht gegen-
über der Freiheit des Berechtigten, von seinem Rechte Gebrauch
zu machen oder nicht. Sie bindet hierin den Selbstverwaltungs-
körper, den beliehenen Unternehmer, den Beamten. Sie bindet aber
nicht das Gebrauchmachen von öffentlichrechtlichen Ansprüchen aller
Art und ebenso von manchen pflichtlosen öffentlichrechtlichen Besitz-
ständen, wie Nutzungsrechte an öffentlichen Sachen, Wahlrechte
u. dergl.
Hierbei handelt es sich aber gar nicht um eine Verfügung über
das Recht selbst. Als solche erscheint nur der Verzicht darauf
und die Übertragung auf andere.
Beides ist grundsätzlich frei bei öffentlichrechtlichen Ansprüchen
vermögensrechtlicher Art: Entschädigungsforderungen, Gehalts-
forderungen, Ersatzansprüche gegen Mitbelastete werden abgetreten,
vererbt, beschlagnahmt. Im öffentlichen Interesse können Rechts-
schranken gesetzt sein durch Ausschluſs von Beschlagnahmen beim
Gehalt u. dergl. oder durch besondere Verwendungsbestimmungen bei
Zuschüssen und Unterstützungen. Das ist aber nicht die Folge einer
Pflicht.
Bei Ansprüchen auf zu erlassende Verwaltungsakte wird
Übertragung ausgeschlossen sein, sofern sie eben an der bestimmten
Person hängen (Recht auf Erteilung eines Hausierscheins). Wo der
[118]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Anspruch aber erst entsteht durch einen gestellten Antrag, wird er
durch die Zurücknahme des Antrags von selbst wieder zusammen-
fallen; das ist dann ein Verzicht, der ja einen neuen Antrag nicht
auszuschlieſsen braucht.
Von öffentlichrechtlichen Besitzständen sind die ver-
liehenen Nutzungen an öffentlichen Sachen verzichtbar und
übertragbar: Grabstätten, Kirchenstühle, Stauanlagen im öffentlichen
Fluſs werden vererbt und veräuſsert.
Das verliehene öffentliche Unternehmen (Eisenbahn,
Kanal) kann trotz der damit verbundenen Pflicht übertragen werden,
sogar durch Zwangsverkauf; die Genehmigung des neuen Unter-
nehmers durch die Behörde ist nur eine Bedingung des Vollzugs.
Der Selbstverwaltungskörper kann wenigstens einzelner Stücke
der ihm zustehenden öffentlichen Verwaltung sich begeben durch Ver-
leihung oder durch Vertrag mit anderen juristischen Personen des
öffentlichen Rechts.
Das Amt ist nicht verfügbar wegen der damit verbundenen Pflicht, das
Wahlrecht nicht, obwohl keine damit verbunden ist. Der Gewählte
dagegen kann wieder auf das Recht der Vertreterschaft verzichten.
Überall ist es also nicht das Wesen des subjektiven öffent-
lichen Rechts, was der Verfügung darüber widerstreitet, sondern
irgend eine Besonderheit des Gegenstandes oder der positiven Ordnung
der Sache, wie sie im Zusammenhang der einzelnen Rechtsinstitute
noch deutlicher hervortreten wird. Seine grundsätzliche Verfügbar-
keit bedeutet aber etwas ganz eigenartiges. Öffentlichrechtliche
Rechtsverhältnisse entstehen und vergehen der Regel nach nur durch
die Kraft des Rechtssatzes oder des Verwaltungsaktes. Die Willens-
erklärung des Unterthanen liefert höchstens die Voraussetzungen da-
für, daſs jene wirken. Von diesem Grundzuge der Ordnung im Ver-
waltungsrecht schafft das subjektive öffentliche Recht mit seiner Ver-
fügbarkeit eine Ausnahme. Der Wille des Einzelnen wird bestimmend
für das öffentliche Rechtsverhältnis, ändert mit eigner rechtlicher
Kraft die Trägerschaft oder, noch häufiger, läſst es untergehen25.
Darin und in der oben ausgeführten Selbstverständlichkeit seines
Schutzes liegt der juristische Wert des Begriffes.
[119]§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.
§ 10.
Quellen des Verwaltungsrechts.
Das Verfassungsrecht enthält zugleich die grundlegende
Ordnung für das Verhältnis zwischen der öffentlichen Gewalt und den
Unterthanen in der Verwaltung (oben § 6—8). Darunter entstehen
nun weitere Rechtssätze, welche dieses Verhältnis bestimmen, das sind
die Verwaltungsrechtssätze.
Die Entstehungsformen dieser Rechtssätze heiſsen Ver-
waltungsrechtsquellen. Es sind ihrer im geltenden Rechte
vier: Gesetz, Verordnung, gesetzvertretendes Statut und rechtsver-
bindliche Gewohnheit.
Wir begegnen aber auch noch häufig Rechtssätzen, welche aus
früheren Entwicklungsstufen übernommen sind, aus der Zeit vor
dem neuen Verfassungs- und Verwaltungsrecht, und demnach Rechts-
quellen entstammen, die nicht nach den heutigen Regeln sich richten.
1. An der Spitze aller Rechtsquellen steht für die staatliche
Ordnung der Gegenwart das verfassungsmäſsige Gesetz.
Verwaltungsrechtsquelle ist es, sofern es auf das Verhältnis
zwischen der öffentlichen Gewalt und den Unterthanen in der Ver-
waltung sich bezieht und Rechtssätze dafür enthält. Wenn wir von
Verwaltungsgesetz schlechthin sprechen, so verstehen wir ein
Gesetz von solchem Inhalte darunter1. Damit ist nicht gesagt, daſs
sein ganzer Inhalt Rechtssatz sein muſs; es bleibt Verwaltungsrechts-
25
[120]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
quelle, auch wenn es daneben noch bloſse Meinungsäuſserungen oder
Einzelverfügungen enthält, um derenwillen es Rechtsquelle nicht sein
würde. Diese Bezeichnung gilt für die Gesamterscheinung, in welcher
der Rechtssatz begriffen ist. —
Unser Vorrat von Verwaltungsrechtssätzen weist aber daneben
eine Menge von Erscheinungen auf, die unter dem Namen von Ge-
setzen gehen, ohne die Form unseres verfassungsmäſsigen Gesetzes zu
haben. Das sind Gesetze aus der Zeit vor Einführung der Verfassung
und damit verhält es sich folgendermaſsen.
Der verfassungslose Polizeistaat hatte für das Gebiet der Justiz
Gesetze im Sinne der zweiseitig bindenden allgemeinen Regel, wie
sie das Vorbild geworden sind für unser heutiges allgemein verwend-
bares Gesetz. Für die Verwaltung gab es das nicht (vgl. oben § 4,
II n. 1). Mit der Einführung der Verfassung soll auch die Ver-
waltung fortan durch Gesetze gebunden werden. Für alle Fälle, wo
es sich um Eingriffe in Freiheit und Eigentum handelt, muſs sie so-
gar — wegen des Vorbehaltes des Gesetzes — die nötigen gesetz-
lichen Grundlagen erhalten, wenn sie rechtmäſsig thätig werden soll.
Da ist nun zweierlei möglich: entweder die Gesetzgebung macht sich
alsbald in fieberhafter Thätigkeit an die Arbeit, oder man läſst die
im bisherigen Zustande dem Gesetz am nächsten kommenden Ord-
nungen als Gesetz im neueren Sinne gelten, um sie nur je nach ein-
tretendem Bedürfnisse umzuarbeiten und zu ergänzen, gerade wie die
neuen Gesetze auch.
Der letztere Weg ist es, den wir allgemein eingeschlagen sehen.
Was der Fürst kraft seiner unbedingten Gewalt den Unterthanen
gegenüber in Form einer allgemeinen Regel geordnet hat, — gleich-
viel welchen Namen es sich damals beilegte — wird jetzt als Gesetz
behandelt. Solche Anordnungen sind der Natur der Sache nach jedes-
mal in geeigneter Form veröffentlicht worden zur Danachachtung.
Allgemeine Anordnungen können sich ihrem Wortlaut nach auch bloſs
an die Behörden wenden. Dann werden sie im neuen Rechte gleich-
wohl auf die Unterthanen wirken, Rechtssätze schaffen, wenn sie in
Form des Gesetzes erlassen sind (oder was dem gleichsteht, als ge-
setzvertretende Verordnung, wovon unten n. 2); andernfalls, wenn
der Fürst und seine Regierung auſserhalb dieser Form sich an die
Behörden wendet, ist es eine bloſse Dienstanweisung, Instruktion,
die nicht nach auſsen wirkt. Für die alten Anordnungen solchen In-
haltes sucht man das entscheidende Merkmal wieder nur in der
Veröffentlichung. Als Gesetz wird also durchweg behandelt jede
[121]§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.
ältere Anordnung des Fürsten allgemeinen Inhaltes, an Unterthanen
oder Behörden gerichtet, welche veröffentlicht worden ist2.
Dieses Merkmal ist nun allerdings ein recht äuſserliches, man
möchte sagen, willkürlich gewähltes. Ob Veröffentlichung stattfand oder
nicht, ist für die auf die Verwaltung bezüglichen Anordnungen ja wesent-
lich nur Zweckmäſsigkeitsfrage gewesen3. In Wirklichkeit konnten im
alten Rechte auch nicht veröffentlichte, nur den Behörden mitgeteilte
Anordnungen des Fürsten für die Unterthanen ganz dasselbe be-
deuten. Es ist erklärlich, daſs man dazwischen auch solchen nicht
veröffentlichten Anordnungen in Abweichung von jenem ziemlich all-
gemein angenommenen Grundsatze „Gesetzeskraft“ zusprechen will4.
Nichts destoweniger hat man wohl daran gethan, an jenen for-
mellen Ausscheidungsmaſsstab sich zu halten. Nur so bekommen wir
eine sichere Grenze gegen den ganzen Schwall von alten Dienstvor-
schriften, welche in unser Gesetzesmaterial hineinströmen wollten.
Die Veröffentlichung giebt der Anordnung immerhin eine gewisse
Richtung auf die Unterthanen im Sinne des Gesetzes.
Und nur um eine annähernde Ähnlichkeit mit dem neuen Ge-
setz kann es sich handeln, das dürfen wir nicht vergessen. Mit der
Aufnahme jener alten „Gesetze“ in diesen Begriffskreis legen wir
immer, wie wir es auch machen wollen, etwas in sie hinein, was von
Natur nicht in ihnen lag. Wir erklären sie für bindend für die
ganze vollziehende Gewalt, den Fürsten inbegriffen, Rechtsverhält-
nisse und Rechte der Unterthanen begründend, während sie von
Haus aus nur Bindung der Beamtenschaft ihrem Herrn gegenüber be-
deuteten. Wir lassen sie gelten als die verfassungsmäſsige Grund-
lage, deren Fürsten wie Beamte bedürfen, um zu Eingriffen er-
[122]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
mächtigt zu sein in Freiheit und Eigentum der Unterthanen, während
früher das alles schon gegeben war in der unbeschränkten Macht des
Fürsten und in dessen allgemein gehaltenen Aufträgen an seine Be-
amten und das „Gesetz“ diese Macht nicht verbessern, sondern in
ihrer Ausübung nur genauer bestimmen und damit eher beschränken
wollte. Oftmals hat auch der alte Gesetzgeber nur in allgemeinen
Grundsätzen und Betrachtungen sich ausgesprochen, die erst, wenn
man sie als Inhalt eines modernen Gesetzes denkt, auf dem Hinter-
grunde des verfassungsmäſsigen Vorbehaltes des Gesetzes wie eine
beabsichtigte Ermächtigung aussehen5.
Kein Wunder also, daſs der Rechtsstaat in der Erbschaft, welche
er da angetreten hat, so manches Gesetz finden muſste, das nicht
recht zu dem Geiste seiner eigenen Gesetzgebung paſst.
2. Die zweite Quelle des Verwaltungsrechts finden wir in der
Verordnung.
Unter Verordnung verstehen wir eine staatliche Willens-
erklärung mit allgemein bindender Kraft, die nicht in
Form des Gesetzes ergeht.
Der letztere Zusatz ist notwendig zur Abgrenzung dieses Be-
griffes von der gesetzlichen Rechtsquelle. Die Verordnung geht
aus von der Trägerschaft der vollziehenden Gewalt.
Eine staatliche Willenserklärung muſs es sein zum Unterschied
von Willenserklärungen mit allgemein bindender Kraft, die nicht im Namen
des Staates ergehen, von den gesetzvertretenden Statuten (unten n. 3).
Daſs die Willenserklärung ausgestattet ist mit allgemein bindender
Kraft, das macht den Unterschied der Verordnung aus von allen
sonstigen Akten der vollziehenden Gewalt und ihre
Verwandtschaft mit dem Gesetz. Hierin liegt für die Abgrenzung
des Begriffes der Verordnung der Schwerpunkt.
Die Fähigkeit, mit allgemein bindender Kraft zu wirken, ist in
der vollziehenden Gewalt nicht von selbst enthalten; sie ist im Ver-
fassungsstaat bestimmt als eine besondere Eigenschaft der gesetz-
gebenden Gewalt und steht eben deshalb grundsätzlich nur ihr zu.
Die Verfassung kann für gewisse Fälle Ausnahmen vorsehen; ab-
gesehen davon wird ein Glied der Ordnung der vollziehenden Gewalt,
[123]§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.
in solcher Weise, also nach Art des Rechtssatzes zu wirken, nur be-
fähigt werden durch eine Übertragung dieser Kraft von seiten des
Gesetzes. Die dadurch entstehende besondere Fähigkeit eines Gliedes
der vollziehenden Gewalt, des Fürsten selbst oder einer Behörde,
nennen wir ihr Verordnungsrecht6.
Die Übertragung kann ausdrücklich geschehen, zur Ergänzung
eines bestimmten Gesetzes (Ermächtigungsklausel) oder frei zur
Regelung gewisser Angelegenheiten, die dazu überlassen werden (Haupt-
beispiel: die Polizeiverordnung).
Stillschweigend ist die Übertragung mit dem Gesetze ver-
bunden kraft der Verfassungsbestimmung, welche dem Fürsten
die Ausführungsverordnungen zuweist. Vermöge dieser Bestimmung
ist der Fürst ermächtigt, im Anschluſs an jedes Gesetz die zu seiner
Durchführung erforderlichen Rechtssätze aufzustellen, sowie das Ge-
setz selbst etwas dafür übrig lassen will. Das ist im Zweifel nicht
der Fall beim Civilgesetz und Strafgesetz; wohl aber beim Organi-
sationsgesetz, Prozeſsgesetz und Verwaltungsgesetz, sofern hier nicht
das Gesetz die Verordnung ausdrücklich ausschlieſst, um die etwa
erforderliche Ergänzung sich selbst vorzubehalten.
Für die Gültigkeit der Verordnung gelten die entsprechenden
Grundsätze des Verwaltungsaktes: sie ist bedingt durch die Ein-
haltung der Regeln der Vollziehung7; die Verordnung, sofern nur
ein Verordnungsrecht überhaupt besteht, bezeugt aber auch wieder
ihre Gültigkeit durch sich selbst und ist wirksam, so lange nicht
kraft einer Zuständigkeit zur Nachprüfung die Ungültigkeit erklärt
wird (oben § 8 Note 7).
Nicht jeder Akt, der ausgeht von einer Stelle, die mit Ver-
ordnungsrecht ausgestattet ist, ist aber deshalb schon eine Verordnung.
Man darf nicht übersehen, daſs es sich damit anders verhält wie mit
dem Gesetz. Gesetz ist jeder Akt der Träger der gesetzgebenden
[124]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Gewalt, gleichviel welchen Inhalts und ob viel oder wenig von den
dem Gesetze eigentümlichen Kräften darin zur Erscheinung kommt.
Zum Wesen der Verordnung aber gehört von vornherein eine be-
stimmte Art von Inhalt, vermöge dessen sie eben ihre allgemein
bindende Kraft äuſsert. Verordnung ist der Akt eines Ver-
ordnungsberechtigten, durch welchen dieser sein Ver-
ordnungsrecht ausübt.
Daſs dies gewollt ist, wird zum Teil schon erkennbar durch die
Bezeichnung, die der Akt sich selbst giebt und die Art seiner Kund-
gabe. Für den Rechtssatz ist das Selbstverständliche die Kundgabe
durch Veröffentlichung; es kann für die Verordnung eine bestimmte
Veröffentlichungsweise vorgeschrieben sein wie für das Gesetz, ein
Blatt ist dafür bezeichnet und alle Kundgaben eines Verordnungs-
berechtigten, die man darin findet, haben dann die Vermutung für
sich, Verordnungen zu sein. Immer mit dem Vorbehalte der Wider-
legung aus ihrem genaueren Inhalt; aus diesem kann sich ergeben,
daſs kein Rechtssatz gewollt ist, sondern irgend eine andere Art der
Einwirkung; es kann auch sein, daſs der Inhalt nicht geeignet ist,
als Rechtssatz zu wirken. In dieser Beziehung wird man aber die-
selbe Vorsicht beobachten müssen wie beim Gesetz (vgl. oben § 7,
III n. 2): wenn einmal eine gehörig veröffentlichte Willensäuſserung
eines Verordnungsberechtigten vorliegt, ist es schwer im voraus zu
sagen, daſs sie niemals für das Verhältnis eines Unterthanen zum
Staate bedeutsam werden und sonach als Rechtssatz wirken kann8.
Wenn nach diesem Maſsstabe gemessen eine Verordnung vorliegt,
so ist damit so wenig wie beim Verwaltungsgesetz gesagt, daſs nun-
mehr ihr ganzer Inhalt Rechtssatz sei; die Rechtsquelle kann zugleich
Meinungsäuſserungen, Einzelverfügungen und dergleichen enthalten,
wie dort.
Verwaltungsrechtsquelle ist die Verordnung, sofern sie Rechts-
sätze giebt für das Verhältnis zwischen öffentlicher Gewalt und Unter-
than in der Verwaltung; dem Verwaltungsgesetze entspricht die Ver-
waltungsverordnung.
[125]§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.
Der Sprachgebrauch ist freilich gerade bezüglich des Ausdruckes
Verordnung im allerübelsten Zustande. Die Abgrenzung auf den
rechtssatzschaffenden Akt der vollziehenden Gewalt, der ja erst im Zu-
sammenhang unseres neuen Verfassungsrechts seine Sonderstellung be-
kommt, wird durchaus noch nicht überall festgehalten9.
Man bedient sich des Wortes zuweilen sogar zur Bezeichnung
jedes Aktes der vollziehenden Gewalt mit Einschluſs der gewöhnlichen
Verwaltungsakte, die nur für einen bestimmten Einzelfall etwas
anordnen10.
Noch häufiger ist der Gebrauch, unter Verordnung wenigstens
alle allgemeinen Anordnungen zu verstehen, welche die voll-
ziehende Gewalt erlassen mag, also nicht bloſs rechtssätzeenthaltende.
Solche Anordnungen gründen ihre Wirkung auf besondere Gewalt-
verhältnisse, in welchen die von ihnen Betroffenen stehen; sie ent-
halten bindende Generalverfügungen für diese (oben § 8, III n. 5).
Ein Akt, der bestimmt ist, in dieser Art zu wirken, bedarf aber einer
Bezeichnung, die ihn von der Verordnung unterscheidet, denn er
bildet den Gegensatz dazu. Das Reichsrecht bietet dafür den Aus-
druck Verwaltungsvorschriften, der vielleicht beibehalten zu
[126]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
werden verdient. Wir hätten dann eine übersichtliche Gruppierung.
Die Verwaltungsvorschrift ist nicht gleichbedeutend mit Generalver-
fügung, sondern sie ist der Akt, der bestimmt ist, solche zu geben,
wie die Verordnung bestimmt ist, Rechtssätze zu geben; sie kann
daneben noch anderes enthalten, Meinungsäuſserungen, Belehrungen,
Vorsätze, so gut wie Gesetz und Verordnung das neben ihren Rechts-
sätzen thun11.
3. Eine dritte, verhältnismäſsig weniger ergiebige Quelle des
Verwaltungsrechts liefert die Autonomie.
Die Autonomie, Selbstgesetzgebung, erscheint auf dem Gebiete
der Verwaltung immer verbunden mit der Selbstverwaltung12.
Die Selbstverwaltung besteht darin, daſs ein Stück öffentlicher
Verwaltung einer untergeordneten juristischen Person des öffentlichen
[127]§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.
Rechtes, einem Selbstverwaltungskörper, zugeteilt ist, um es eignen
Namens zu führen. Es ist vom Staate abgezweigte öffentliche Ver-
waltung. Die Gegenstände derselben bilden die eignen Angelegen-
heiten des Selbstverwaltungskörpers.
Damit ist nicht von selbst die Fähigkeit verbunden, in dem zuge-
wiesenen Kreis von Angelegenheiten auch mit allgemein bindenden
Regeln zu wirken. Denn dieses ist eine dem Gesetz eigentümliche
Kraft, die mit einem andern Ausgangspunkte nur verbunden werden
kann durch eine Machtübertragung von seiten des Gesetzes.
Das Gesetz giebt aber mannigfach den Selbstverwaltungskörpern
solche Ermächtigungen für einen bestimmten Umfang, um sie für die
Besorgung ihrer Angelegenheiten damit auszustatten. Soweit das der
Fall ist, besitzt der Selbstverwaltungskörper das Recht der Autonomie,
der Selbstgesetzgebung, d. h. die Fähigkeit, allgemein bindende
Regeln eignen Namens zu erlassen, Rechtssätze aufzustellen. Diese
Rechtssätze nennen wir autonomische Rechtssätze. Die Akte,
in welchen dieses Selbstgesetzgebungsrecht ausgeübt wird, heiſsen
Statuten. Insofern in ihnen diese rechtssatzerzeugende Kraft des
Selbstverwaltungskörpers erscheint, sind die Statuten Rechtsquellen.
Insofern die aus ihnen flieſsenden Rechtssätze Verhältnisse der öffent-
lichen Gewalt in der den Selbstverwaltungskörpern zustehenden Ver-
waltung bestimmen, sind sie Quellen des Verwaltungsrechts.
Die Autonomie entspricht also dem Verordnungsrecht, das Statut
der Verordnung.
Der Unterschied liegt darin, daſs die Verordnung ihre Rechts-
sätze aufstellt im Namen des Staates, staatliches Recht schafft;
die autonomische Satzung dagegen ergeht im Namen der da-
zwischen geschobenen juristischen Person, ist dem-
gemäſs auch in ihrer Entstehung, Änderung und Aufhebung, statt
durch Verfassungsrecht und Behördenordnung, bestimmt nach den
Regeln der Selbstverwaltung13.
Beide Arten von Rechtssetzung erscheinen möglicher Weise hart
neben einander. Den Vorständen der Gemeinden, welchen die Ver-
waltung der Gemeindeangelegenheiten und die Ausübung der dazu
[128]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
gehörigen Autonomie obliegt, können zugleich staatliche Geschäfte
zur Besorgung übertragen sein, insbesondere auch ein dazu gehöriges
Polizeiverordnungsrecht. Dann schaffen sie dem entsprechend neben
einander Rechtssätze von zweierlei Art, die durch ihre rechtliche
Natur und die Bedingungen ihrer Erzeugung getrennt sind14. —
Wie in der Staatsverwaltung neben den Verordnungen noch all-
gemeine Anordnungen stehen, die davon zu scheiden waren, so auch
in der Selbstverwaltung neben diesen Akten der Selbstgesetzgebung.
Wir finden da zunächst wieder Verwaltungsvorschriften der nämlichen
Art wie dort: Dienstvorschriften für die Gemeindebeamten, Ordnungen
für die Benutzung gemeindlicher Anstalten u. s. w. Das hat keine
Schwierigkeiten15.
Auſserdem giebt es aber hier auch noch eine zweite Art von
Statuten, die Vereins- oder Körperschaftsstatuten, ge-
gründet auf die genossenschaftliche Autonomie und ihrerseits gleich-
falls bindende Regeln enthaltend, die als Satzungen bezeichnet
werden.
Diese Ordnungen sind nun trotz des gleichen Namens, den sie
führen, von unserer Rechtsquelle wohl zu scheiden.
Sie gehen aus von einer ganz entgegengesetzten Grundlage, die
zum Teil noch auſserhalb des Gebietes des öffentlichen Rechtes liegt.
Der Verein, die Körperschaft gehören zunächst dem Civilrecht
an. Der Verein entsteht durch vertragsmäſsige Vereinigung
mehrerer Personen für einen gemeinsamen Zweck. Er hat seine
Statuten, welche die Verfassung, die Rechte und Pflichten seiner
Mitglieder bestimmen. Die Gesamtheit oder für sie die Vorstand-
schaft verfährt danach gegenüber den Einzelnen, wendet die
Vereinssatzungen auf sie an und entfaltet sie weiter durch neue
Satzungen. Darin besteht die Vereinsgewalt über die Mitglieder,
entsprechend einer durch die Mitgliedschaft begründeten rechtlichen
Bestimmbarkeit derselben innerhalb des Vertrags und des Vereinszweckes.
Wenn der Verein juristische Persönlichkeit erhält, zur Körper-
schaft wird, so ändert sich dadurch auch das innere Verhältnis in-
soweit, als die Mitgliedschaftsrechte und -Pflichten fortan der juri-
stischen Person gegenüber bestehen und jene Vereinsgewalt in ihrem
Namen gehandhabt wird.
[129]§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.
Nun gibt es auch unter den juristischen Personen des
öffentlichen Rechtes solche, die aufgebaut sind auf einem Verein
natürlicher Personen; das sind die öffentlichen Genossenschaften. Der
Beitritt mag freiwillig oder gezwungen geschehen, immer bedeutet er
die Unterwerfung unter die namens der Genossenschaft zu übende
Vereinsgewalt16. Diese aber ist hier öffentlichrechtlicher Natur und
das Verhältnis der Mitglieder ein Gewaltverhältnis in dem oben § 9
Note 13 festgestellten Begriff. Was ihnen gemäſs diesem Verhält-
nis obliegt, kann bestimmt werden durch Generalverfügungen, die für
sie ergehen. Diese Statuten wirken also nicht mit der allgemein
bindenden Kraft des Gesetzes, sondern mit der Kraft der bereits ge-
gebenen Mitgliedspflicht, wie die Dienstvorschrift mit der Kraft der
Dienstpflicht. Das wird auch dann nicht anders, wenn das Gesetz
etwa selbst den allgemeinen Umfang bestimmt, innerhalb dessen die
Mitglieder für die Zwecke der Genossenschaft in Anspruch genommen
werden dürfen, damit die Vereinsgewalt das Nähere dann festsetze.
Damit ist immer nur eine Regelung der auf die Mitgliedschaft zu
gründenden Generalverfügungen gemeint, aber keine Ermächtigung zu
Rechtssätzen17.
Die wahre Autonomie wird im Gegensatze dazu gerade dadurch
erkennbar, daſs sie unabhängig ist von der Vereinsgewalt und bindende
Regeln erzeugt, die über die Geltendmachung der Mitgliedschafts-
pflichten hinausgehen, sei es, daſs das Gesetz der Genossenschaft ge-
stattet, solche Vorschriften bindend zu geben auch für Nichtmit-
glieder, sei es daſs ein Selbstverwaltungskörper damit ausgerüstet
ist, der überhaupt auf einen Verein sich nicht gründet18. Das Statut,
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 9
[130]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
das allein Rechtsquelle ist, werden wir aber zur Unterscheidung von
jenen gleichnamigen Akten als das rechtssatzschaffende oder
gesetzvertretende Statut bezeichnen.
4. Gegenüber dem gesetzten Rechte, wie es unsere drei bisher
erörterten Rechtsquellen liefern, steht das Gewohnheitsrecht, als das
ungesetzte, durch die thatsächliche Übung, die Gewohnheit erzeugte.
18
[131]§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.
Die Gewohnheit, welche diese Kraft hat und demnach selbst Rechts-
quelle ist, nennen wir die rechtsverbindliche Gewohnheit19.
Von verwaltungsrechtlichem Gewohnheitsrechte wird ungemein
häufig geredet, wenn es gilt, eine Aufstellung zu belegen ohne weitere
Erörterung. In Wirklichkeit ist diese Rechtsquelle nur für einen
ganz engen Kreis von Bedeutung, der uns aus der Handhabung des
geltenden Rechtes deutlich abgegrenzt entgegentritt.
Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Gewohnheitsrechts
sind nämlich in der Verwaltung ganz anders als in der Justiz.
Die Justiz ist dazu bestellt, die Rechtsordnung aufrecht zu er-
halten, anzuwenden und durchzuführen im Einzelfall. Sie kann ihrer
Natur nach gar nicht anders thätig werden als auf Grund von Rechts-
sätzen. Fehlt gesetztes Recht, so muſs sie nehmen, was thatsächlich
seine Stelle vertritt, was bisher für solche Sachen als Recht gegolten
hat in der Übung der Einzelnen und der das Recht handhabenden
Behörden. Bei fehlender oder unvollkommener Rechtssetzung ist also
im Amtsauftrag des Richters notwendig eine solche Verweisung ent-
halten. Und darin liegt eben die staatliche Anerkennung der that-
sächlichen Übung, die sie zum Gewohnheitsrechte macht.
Ganz anders die Verwaltung. Sie hatte im Polizeistaat ihre
reiche und umfassende Thätigkeit kräftiglich entwickelt ohne Rechts-
ordnung in unserem Sinne. Der Rechtsstaat hat Rechtsordnung da
hineingestellt durch die bindende Kraft des Gesetzes und die von
ihm abgezweigten Rechtssetzungsformen. Aber niemals ist für die
Verwaltung die Rechtsordnung so ganz ihre eigene Daseinsbedingung
wie für die Justiz. Sie erscheint in ihr nur „möglichst“; soweit kein
Rechtssatz da ist, wird doch verwaltet und es ist auch gut. Die Ver-
waltung ist also im Gegensatze zur Justiz nicht darauf angewiesen,
ein nicht gesetztes Recht in ihrem Gegenstande selbst zu suchen und
aufrecht zu erhalten.
Ja noch mehr! Wo gesetztes Recht fehlt, da ist das so gewollt
und soll ordentlicher Weise so bleiben. Wenn kein gesetzlicher Rechts-
satz besteht, der die Behörde zu gewissen Eingriffen in Freiheit und
Eigentum ermächtigt, so beweist das, daſs die gesetzgebende Gewalt
solche Eingriffe nicht zulassen wollte. Wo bliebe ihr verfassungs-
mäſsiger Vorbehalt, wenn die Verwaltung sich die nötigen Rechts-
sätze durch längere Übung selbst erzeugen könnte! Wo andererseits
9*
[132]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
die zur Rechtssetzung berufenen Gewalten den Behörden der voll-
ziehenden Gewalt überlassen haben, nach pflichtmäſsigem Ermessen
im Einzelfall das Gute und Nützliche zu schaffen, da können sich diese
nicht unter eine von anderswoher genommene bindende Regel stellen,
um sich der Pflicht und Verantwortlichkeit zu entziehen. Die Ent-
stehung von Gewohnheitsrecht für die Verwaltung ist
durch die allgemeinen Grundsätze unseres öffentlichen
Rechtes von selbst ausgeschlossen20.
Das gilt nicht ohne Ausnahme und hat nicht zu allen Zeiten ge-
golten und so kommt es, daſs wir gleichwohl noch mit öffentlich-
rechtlicher Gewohnheit zu thun haben.
Das alte Staatswesen, durchweg von civilrechtlichen Gedanken
beherrscht, hatte für die Normierung der verschiedenen Rechte und
Gegenrechte zwischen Landesherr und Unterthan den Rechtstitel des
Herkommens, der Observanz, der Gewohnheit in überreichem Maſse
verwendet.
Der Polizeistaat räumt damit auf und vollzieht die Scheidung.
Für die eigentliche obrigkeitliche Gewalt giebt es keine Rechts-
schranke21. Sobald aber nicht mehr befohlen wird und nur das
Mein und Dein in Frage ist, gilt Civilrecht und damit auch die
Rechtsquelle der Gewohnheit. Gewohnheitsrecht ordnet die Verhält-
nisse der unteren Verbände, der Gemeinden und der Verbände für
die mancherlei öffentlichen Interessen wirtschaftlicher Art, die unter-
halb der staatlichen Befehls- und Ordnungsgewalt sich bilden. Vor
allem aber ist es der Fiskus, der die rechtliche Ordnung seiner Be-
ziehungen zu den Einzelnen dadurch erhält. Alle jene Ansprüche auf Aus-
gleichung, Schadensersatz, Rückerstattung, welche aus der Thätigkeit der
Staatsgewalt den Unterthanen gegen die Staatskasse erwachsen können,
sind als civilrechtliche Verpflichtungen des Fiskus angesehen, für
welche auch das Gewohnheitsrecht die Normen schafft. Die so ent-
standenen Rechtssätze sind durch die Einführung des Verfassungs-
staates nicht von selbst erloschen, es müſste denn sein, daſs sie ihrem
Inhalte nach irgendwie in Widerspruch stünden mit den neuen Grund-
[133]§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.
lagen. Die Ansprüche, die sie begründen, werden im Zusammenhang
der neueren Auffassung vom öffentlichen Recht und der damit ver-
bundenen anderen Grenzziehung zwischen diesem und dem Civilrechte
in sehr vielen Fällen als Ansprüche öffentlichrechtlicher Natur anzu-
sehen sein. Daraus folgt wieder nicht, daſs die Rechtssätze, auf
welchen sie beruhen, nicht mehr gelten. Vielmehr sind diese nun-
mehr entsprechend als Rechtssätze öffentlichrechtlicher Natur anzu-
sehen. Alte Gewohnheit ragt damit als eine Rechtsquelle des
Verwaltungsrechts in die Gegenwart herein. Wir werden ihr bei Be-
trachtung unserer einzelnen Rechtsinstitute mehrfach begegnen.
Etwas ganz anderes ist die Frage der Entstehung neuen Ge-
wohnheitsrechts für öffentlichrechtliche Verhältnisse. Diese ist auf
dem Boden unseres gegenwärtigen Staatswesens nur soweit möglich, als
jene Bedingungen unseres öffentlichen Rechtes, die sie ausschlieſsen,
ausnahmsweise nicht Platz greifen und die zu ordnenden Verhältnisse
der öffentlichen Gewalt mehr in der Weise civilrechtlicher Verhält-
nisse gegenüberstehen. Das Gebiet, auf welchem dies der Fall ist
und für welches demgemäſs auch heute noch Gewohnheitsrecht wirk-
sam werden kann, wird bezeichnet durch den Begriff der Observanz.
Die Observanz ist eine Gewohnheit, welche sich ausgebildet hat
innerhalb eines durch rechtliche Gemeinschaft ver-
bundenen Kreises für die Behanllung der auf diese Gemeinschaft
bezüglichen Verhältnisse22. Diese Verhältnisse sind öffentlichrecht-
licher Natur, wenn die rechtliche Gemeinschaft des Kreises besteht in
einer gemeinsamen Verpflichtung der darin Verbundenen der öffent-
lichen Gewalt gegenüber. Es ist der Fall des öffentlichrechtlichen
Gesamtverhältnisses, wie wir es oben § 9, I bezeichnet haben. Die
Aufgabe der staatlichen Behörde besteht hier darin, daſs sie die
gemeinsame Last durchführt und handhabt in der Weise, wie sie
zwischen den Beteiligten sich geordnet hat. Ihre Stellung ist also
verwandt der des Civilrichters gegenüber den Rechtsverhältnissen, die
zu seiner Entscheidung kommen. Die Ordnung dieses Verhältnisses
kann geschehen sein durch Statut, wenn die also Verbundenen zu-
gleich einen Verein, eine Körperschaft bilden; sie kann geschehen
sein durch Vertrag, denn diese Form der Regelung von Rechts-
verhältnissen zwischen Gleichen ist hier auf ihrem natürlichen Boden;
sie kann ebenso geschehen sein durch die thatsächliche Übung. In-
[134]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
dem die staatliche Behörde, die darüber steht, berufen ist, auch die
durch solche Gewohnheit geschaffene Ordnung anzuerkennen und zu
handhaben, wird diese rechtsverbindlich und zu einer Rechtsquelle für
die Ordnung öffentlichrechtlicher Verhältnisse23.
Die Wirksamkeit des Gewohnheitsrechts ist auch innerhalb dieses
engen Kreises beschränkt durch sein Verhältnis zum Gesetz. Die
Richtung unserer Rechtsentwicklung geht unverkennbar dahin, das
Gewohnheitsrecht durch gesetztes Recht zu verdrängen. Wenn für
das Civil- und Strafrecht hier und da Gewohnheitsrecht gänzlich aus-
geschlossen wird, auch bloſs ergänzendes, so gilt das nicht ohne
weiteres auch für das Verwaltungsrecht. Wohl aber verallgemeinert
sich von selbst die in Civilgesetzbüchern etwa ausgesprochene Un-
zulässigkeit des aufhebenden (derogatorischen) Gewohnheitsrechts;
denn das gesetzte Recht ist unmöglich auf dem Gebiete der Ver-
waltung seiner Kraft nach geringer. Vielleicht darf diese Unzulässig-
keit jetzt schon als ein allgemeingültiger, selbstverständlicher Grund-
satz angesehen werden24.
Dadurch tritt das Gewohnheitsrecht allerdings ziemlich stark
zurück. Es besteht thatsächlich nur für die vernachlässigten Ge-
biete des öffentlichen Rechts. Es sind fast nur noch jene unbeholfenen
und unfertigen Gebilde der Schul-, Wege-, Brücken-, Kirchenlasten-
Verbände, für welche Gewohnheitsrecht zur Ordnung ihrer inneren
Verhältnisse in Betracht kommt25.
§ 11.
Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.
I. Das Rechtsinstitut ist ein Hülfsmittel der Rechtswissen-
schaft zur Beherrschung der Fülle von Stoff, welche die Rechtsbe-
ziehungen der von ihr beobachteten Rechtssubjekte darbieten. Sie
führt darin das Ganze zurück auf gleichbleibende Einheiten, in deren
ständiger Wiederholung es besteht.
[135]§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.
Die Art dieser Gliederung des Stoffes in Rechtsinstitute ist aber
durch die verschiedene Natur desselben bestimmt.
Die Civilrechtswissenschaft untersucht am Civilrecht die
Grenzen der rechtlichen Willensmacht der Einzelnen gegen einander.
Ihre Rechtsinstitute finden ihren natürlichen Kern in den verschiedenen
Arten subjektiver Rechte, die da möglich sind. Sie giebt zu
jedem eine Darstellung seiner Entstehung, Wirkung, Änderung und
Endigung, ordnet sie nach inneren Verwandtschaften und erhält so
ihr System.
Die Verwaltungsrechtswissenschaft hat es zu thun mit
den rechtlich bedingten Erscheinungen der öffentlichen Gewalt. Diese
Bedingtheiten sind nur hier und da ausgedrückt in subjektiven
Rechten (oben § 9), hängen häufig, aber nicht immer an Verwaltungs-
rechtssätzen; die verfassungsrechtlichen Grundsätze unmittelbar
liefern einen groſsen Teil davon. Aus allem zusammen entstehen ge-
wisse feststehende gleichbleibende Arten von Erscheinungen
der öffentlichen Gewalt und die sind unsere Rechtsinstitute.
Die Verwaltungsrechtswissenschaft ist aber eine junge Wissen-
schaft ganz im Gegensatze zur Civilrechtswissenschaft, die in sicherem
Besitze steht. Ihre Rechtsinstitute kann sie nur herausarbeiten in
beständigem Kampfe mit einem groſsen Gegner: das ist unsere eigene
Vergangenheit, die Rechtsanschauung des Polizeistaates.
Der Polizeistaat kannte natürlich kein Verwaltungsrechtsinstitut.
Auſserhalb des Civilrechts herrscht die Allgewalt der Behörden. Der
Wille der Obrigkeit ist einfach Befehl; weiter zu unterscheiden hat
keinen Zweck. Erst mit der Entwicklung des Rechtsstaates wird es
bedeutsam, festzusteilen, was gewollt werden konnte, was dadurch
rechtlich gewirkt ist, was auf Grund davon weiter geschehen kann.
Das Rechtsbewuſstsein wird empfindlich für alle feineren Unter-
scheidungen. Der obrigkeitliche Befehl wird ein bestimmt umgrenztes
Rechtsinstitut, in sich selbst wieder nach Arten zerlegt, und erhält
an seine Seite gestellt verschiedenartige Formen obrigkeitlicher Ein-
wirkung, die in ihrer rechtlichen Besonderheit den Reichtum der Er-
scheinungen der öffentlichen Gewalt entfalten1.
[136]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Andererseits fällt jetzt auch die eigentümliche Beschränkung hin-
weg, die der Polizeistaat der öffentlichen Gewalt zu geben wuſste
durch die groſse Ausdehnung des Civilrechts. Die Fiskuslehre,
die diesem Zweck dient, ist überwunden. Der Staat „als solcher“
steht dem Einzelnen auch in vermögensrechtlichen Verhältnissen
unmittelbar gegenüber, ohne daſs dadurch eine rechtliche Ordnung
dieser Verhältnisse ausgeschlossen wäre. Das Verwaltungsrecht be-
ansprucht sie für sich. Damit wächst ihm eine weitere Reihe von
Rechtsinstituten zu, die ihre civilrechtliche oder halbcivilrechtliche Ver-
gangenheit abstreifen müssen2. Sie sind meist daran erkenntlich,
daſs sie den alten Namen des entsprechenden civilrechtlichen
Rechtsinstitutes beibehalten nur mit dem Zusatz „öffentlich“ oder
„öffentlichrechtlich“. So haben wir öffentliches Eigentum, öffentlich-
rechtliche Grunddienstbarkeiten und Eigentumsbeschränkungen, öffent-
lichrechtliche Entschädigungs- und Erstattungsansprüche, öffentlichrecht-
liche Verträge. Der Name bedeutet eine gewisse äuſserliche Überein-
stimmung mit dem civilrechtlichen Vorbild, der Zusatz aber einen
juristisch hochbedeutsamen Gegensatz dazu. Er stellt das Rechtsinstitut
jedesmal auf einen ganz anderen Boden, auf den Boden einer anderen
Rechtsart. Der Umstand, daſs in dem zu ordnenden Verhältnis die
öffentliche Gewalt beteiligt ist mit ihrem rechtlich überwiegenden, das
andere Subjekt einseitig bestimmenden Willen, wird maſsgebend für
die Gestalt des Rechtsinstituts in allen Einzelheiten und scheidet es
1
[137]§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.
scharf von den auf dem Boden der Gleichheit der Rechtssubjekte ge-
bauten Rechtsinstituten des Civilrechts3.
II. Nicht alle Lebensäuſserungen der Verwaltung bewegen sich in
den Formen der Verwaltungsrechtsinstitute. Der Grundsatz ist stehen
geblieben, daſs der Staat und die Selbstverwaltungskörper in ihrer Ver-
waltungsthätigkeit in gewissem Maſse dem Civilrecht unter-
liegen (vgl. oben § 5 a. A.). Hieran findet demnach das Anwendungs-
gebiet der Verwaltungsrechtsinstitute seine Grenze.
Diese Grenze ist nicht so schwer zu bestimmen, unter einer Vor-
aussetzung wenigstens: daſs man nämlich wisse, was man dadurch
von der Anwendbarkeit des Civilrechts scheidet, was ein Verwaltungs-
rechtsinstitut, was öffentliches Recht ist. Denn zuletzt müssen wir
doch immer darauf zurückkommen, in diesen Begriffen das ent-
scheidende Merkmal zu finden.
[138]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Die Anwendbarkeit des Civilrechts auf den Staat gründet sich
nicht mehr auf das Bedürfnis, Recht und Rechtsordnung auch für ihn
wirksam zu machen. Dem kann jetzt auch in anderer Weise ent-
sprochen werden. Wem heute noch das Civilrecht und der Civil-
richter unentbehrlich sind, wo von Recht ernsthaft die Rede sein soll,
der ist nur ein Nachzügler aus der vorübergegangenen Welt des
Polizeistaates. Deren giebt es allerdings, eingestanden und unein-
gestanden, noch viele.
Der Grund dieser Anwendbarkeit ist vielmehr einfach der, daſs es
der guten Ordnung entspricht und als selbstverständlich gewollt gelten
muſs, daſs das von Natur Gleichartige auch gleich geordnet
werde. Deshalb ist es gar nicht nötig, daſs das Civilgesetz etwa aus-
drücklich ausspreche, es wolle auch auf den Staat zur Anwendung
kommen; ein solcher Ausspruch findet sich auch in Wirklichkeit nicht;
es versteht sich von selbst, daſs das Civilgesetz, der Civilrechtssatz
den Staat trifft, sobald dieser thatsächlich die Erscheinungen aufweist,
für welche seine Bestimmungen gegeben sind.
Das Civilrecht giebt seine Bestimmungen für die Verhältnisse der
Einzelnen unter einander; Voraussetzung für die Anwendbarkeit des
Civilrechts auf den Staat ist also, daſs er in eine Beziehung tritt, wie
sie auch unter den Einzelnen erscheint.
Dabei kann es sich bloſs um Anwendung der vermögens-
rechtlichen Bestimmungen handeln; denn für Familienrecht, Erb-
recht, Personenrecht bietet die Verwaltung niemals die entsprechen-
den Beziehungen. Den Satz, daſs nur der vermögensrechtliche Teil
des Civilrechts möglicher Weise Anwendung auf den Staat finden
kann, darf man selbstverständlich nicht dahin verunstalten, daſs der
Staat überall dem Civilrecht unterliege, wo Vermögen, Geld und
Geldwert bei seiner Thätigkeit in Frage ist. Es giebt vermögens-
rechtliche Ordnungen des Civilrechts und vermögensrechtliche Ord-
nungen des Verwaltungsrechts4. Wenn die ersten zur Anwendung
kommen sollen, muſs der Staat sich in dem vermögensrechtlich zu
ordnenden wirtschaftlichen Verhältnisse benommen haben, wie ein
Einzelner: er muſs privatwirtschaftlich aufgetreten sein.
Daſs der Herrschaftsbereich des Civilrechts gegenüber dem Staat
in dieser Weise abgegrenzt ist, darüber ist eigentlich kein Streit.
Wir erhalten den Gedanken auf verschiedene Weise ausgedrückt und
gewendet; der Kern ist immer der gleiche5.
[139]§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.
Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, daſs man damit einen
sicheren Maſsstab gewonnen hätte, mit welchem sich nun alle Grenz-
streitigkeiten von selbst lösten.
Wann ist das der Fall, daſs der Staat privatwirtschaftlich auf-
tritt, wie ein Privater? Wenn er z. B. Waren verkauft, ist es leicht
einzusehen und umgekehrt, wenn er Steuern auflegt und dergleichen,
ist das Gegenteil unverkennbar. Die Schwierigkeit liegt auf dem
Zwischengebiet: wenn der Staat Leute in seinen Dienst nimmt mit
ihrer Einwilligung, öffentliche Unternehmungen oder besondere
Nutzungen an öffentlichen Sachen verleiht, die Benutzung öffentlicher
Anstalten gewährt und Gebühren dafür in Anspruch nimmt, Ent-
schädigungen schuldig wird, Unterstützungen zusagt u. s. w., — da
läſst uns die schöne allgemeine Formel meist im Stich; sie paſst
wohl, aber sie paſst für die eine wie für die andere Entscheidung.
Wer behaupten will, der Staat trete hier überall privatwirtschaftlich
auf, kann mordicus darauf stehen bleiben, und wer das Gegenteil sagt,
ist auch nicht zu widerlegen. Daher sehen wir, trotz aller Einigkeit
über den maſsgebenden Unterscheidungsgrundsatz, bei der Zuteilung
der einzelnen Erscheinung zur einen oder zur andern Seite nichts
als den hellen Zwiespalt.
Dieser Zwiespalt ist freilich in den allermeisten Fällen ziemlich
unschädlich, deshalb weil man mit der Aussage: Verwaltungsrechts-
institut oder nicht, ohnehin keinen so scharfen Gegensatz verbindet.
Wir aber thun das und müssen es thun nach der oben gegebenen
Begriffsbestimmung. Uns giebt aber zugleich eben dieser Begriff des
Verwaltungsrechtsinstituts ein sicheres Mittel in die Hand, um die
Grenze zu bestimmen.
Der Unterscheidungsgrundsatz, wie er gewöhnlich aufgestellt
wird, ist richtig und im geltenden Rechte begründet. Aber die
richtige Anwendung davon ist nicht die, zu welcher wir uns je nach
unserer gröſseren Neigung zu civilrechtlicher oder zu öffentlichrecht-
licher Auffassung der Staatsthätigkeit bestimmen lassen, sondern auch
5
[140]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
nur die, welche das geltende Recht selbst davon macht. Diese
aber läſst sich überall, wo es darauf ankommt, gar wohl erkennen.
Die Sache liegt ja nicht so, daſs uns nur eine vereinzelte That-
sache vorgelegt würde und wir nun zu sagen hätten, so oder so muſs
es weiter gehen. Sondern wie die Verhältnisse in Wirklichkeit ge-
staltet sind, das steht uns mit allen Einzelheiten vor Augen; es ist
eine feste gleichmäſsige Gesamtheit von Erscheinungen, welche die
Wirklichkeit des geltenden Rechtes uns bietet und die wir nur zu
beurteilen haben. Wie es auf dem Boden des Civilrechts hergeht,
das wissen wir; wie sich im Gegensatze dazu die Einzelheiten eines
Verhältnisses vom Boden des öffentlichen Rechtes aus entwickeln, das
behaupten wir auch zu wissen. Das gegenwärtige Buch soll dazu bei-
tragen, diese Erkenntnis der besonderen Natur der Verwaltungsrechts-
institute noch weiter zu fördern.
Was zu thun ist, ist einfach. Was nützte uns alle Wissenschaft,
wenn sie nicht dazu diente, die Wirklichkeit des Rechtes besser ver-
ständlich zu machen? Wir legen also, wo es zweifelhaft ist, ob ein
civilrechtliches oder ein öffentlichrechtliches Rechtsinstitut gegeben ist,
an die Wirklichkeit seiner Erscheinung die beiden bekannten Maſs-
stäbe an. Mit welchem von beiden alle gegebenen Einzel-
heiten natürlicher, unmittelbarer, widerspruchsloser
sich erklären lassen, das ist der richtige. Das geltende
Recht hat uns je nachdem ein civilrechtliches oder ein öffentlichrecht-
liches Rechtsinstitut geliefert6.
Das ist unsere Ausscheidungsweise der beiden groſsen Rechts-
gebiete. Sie hängt aufs innigste zusammen mit der in unserem be-
[141]§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.
sonderen Teile zu gebenden Darstellung der einzelnen Verwaltungs-
rechtsinstitute und braucht also hier noch nicht weiter durchgeführt
zu werden.
III. Mit der Ausscheidung des Anwendungsgebietes civilrecht-
licher und öffentlichrechtlicher Rechtsinstitute hängen zwei Begriffe
zusammen, welche je dem einen und dem andern Gebiete besonders
zugehören, ohne sich völlig mit ihm zu decken. Das ist die öffent-
liche Verwaltung und der Fiskus.
1. Die Verwaltung des Staates und der Selbstverwaltungskörper,
insofern sie deren Zwecke verfolgt, ist Thätigkeit für öffentliche
Interessen. Ob sie das im Einzelfall in privatwirtschaftlicher
Weise thut oder in der Weise der öffentlichen Gewalt, ist für diese
Beurteilung gleichgültig. Wohl aber macht es auch hierfür einen
Unterschied, wenn das Gemeinwesen mit einem ganzen Thätigkeitszweig
geradezu die Stellung eines privatwirtschaftlichen Unter-
nehmers neben den andern einnimmt. Der Staat wird Gutsbesitzer,
Kaufmann, Fabrikant oder betreibt sonst ein Gewerbe, nützt einen
Besitz, ein Kapital aus wie ein Privater. Für die einzelnen Be-
ziehungen, die sich daraus ergeben, ist die Anwendbarkeit des Civil-
rechts selbstverständlich. Überdies tritt er aber mit dieser ganzen
Art von Thätigkeit aus seiner allgemeinen Rolle heraus. Verwaltung
ist auch das noch, aber doch nur in dem Sinne, wie etwa die Ver-
waltung der eigenen Angelegenheiten bei einem Privaten. Man spricht
hier von fiskalischen Verwaltungen. Das Gemeinwesen ver-
folgt dabei, wie man sagt, nicht öffentliche Interessen, sondern seine
Privatinteressen7.
Im Gegensatz dazu bezeichnen wir das, was übrig bleibt, die
ganze Masse der Verwaltung, welche der Staat nicht als Privatunter-
nehmer betreibt, als die öffentliche Verwaltung. Das hat die
Bedeutung, daſs erst in dieser Abgrenzung, nach Ausschluſs also jener
besonderen Thätigkeitszweige, die Eigenart der staatlichen Verwaltung
in Bezug auf das für sie anzuwendende Recht zur Geltung kommt.
Nur von der öffentlichen Verwaltung gilt der Satz, daſs das öffent-
liche Recht für den Staat das natürliche, selbstverständliche ist.
Deshalb streitet hier für dessen Anwendbarkeit die Vermutung.
Damit ist nicht gesagt, daſs nicht auch hieraus einzelne Beziehungen sich
ergeben können, welche privatwirtschaftlicher Art sind und den Staat dem
[142]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Civilrecht unterwerfen. Aber für die öffentliche Verwaltung sind das
vereinzelte, Ausnahme-Erscheinungen, die jedesmal ihrer besonderen
Begründung bedürfen,
Darauf beschränkt sich die Bedeutung dieser Unterscheidung8.
2. Der Fiskus ist nicht mehr, was er in der polizeistaatlichen
vorverfassungsrechtlichen Zeit war (oben § 4, III n. 2). Es ist
falsch, dies so auszudrücken, als wäre jetzt erst eine bessere wissen-
schaftliche Erkenntnis seiner Natur zum Durchbruch gekommen. In
Wahrheit ist eine andere Auffassung unseres Staatswesens zum Durch-
bruch gekommen, der Staat ist anders geworden und der Begriff des
Fiskus mit ihm. Ehemals war es richtig zu sagen: der Fiskus ist
eine besondere juristische Person neben dem Staat. Jetzt ist die
der Wirklichkeit entsprechende Auffassung, die wenigstens in Worten
allgemein anerkannte: der Fiskus ist einfach der Staat selbst, von
einer bestimmten Seite betrachtet. Auch über das Wesentliche an
dieser Seite scheint man zunächst einig zu sein: Fiskus ist der Staat,
als Subjekt des Staatsvermögens, der auf Vermögensbesitz
und Vermögenserwerb gerichtete Staat.
Nun kann man einfach dabei stehen bleiben, den Staat von dieser
wirtschaftlichen Seite zu betrachten; dann bietet er von selbst die
rechtliche Eigentümlichkeit, daſs eine Voraussetzung für die Anwend-
barkeit desjenigen Teiles des Civilrechts, der überhaupt nur auf den
Staat zur Anwendung kommen kann, des civilrechtlichen Vermögens-
rechtes, damit immer schon gegeben ist. Nicht notwendig ist diese
wirtschaftliche Richtung des Staates auch immer eine privatwirtschaftliche,
mit der er sich den Unterthanen gleichstellt. Der Staat ist auch
Fiskus, wenn er konfisziert, Steuern erhebt, Beamtengehälter schuldet
und da nach öffentlichem Rechte lebt. Alles was man vom Staat als
Fiskus sagen könnte, wäre demnach, daſs er eine gewisse Neigung
hat, dem Civilrecht zu unterliegen9. Insofern bildet der Begriff also
ein Gegenstück zu der öffentlichen Verwaltung, der die umgekehrte
Neigung eigentümlich ist. Aber diese Begriffe schlieſsen sich nicht
etwa aus, sondern durchkreuzen sich: der Staat tritt auch in der
Thätigkeit für öffentliche Interessen mit seiner vermögensrechtlichen
Seite auf. Nur wenn der Fiskus sich zu fiskalischen Verwaltungen
abschlieſst, erscheint er im reinen Gegensatz zu jener.
[143]§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.
Von dieser Auffassung aus geht man aber sehr häufig noch einen
Schritt weiter und erklärt den Fiskus für den Staat als Privat-
rechtssubjekt, den Staat in civilrechtlicher Hinsicht.
Das ist gleichfalls eine wichtige Unterscheidung, aber eine andere als
die zuerst gegebene10. Es fallen dann aus dem Begriff des Fiskus
heraus alle Fälle, in welchen der Staat vermögensrechtlich aber
öffentlichrechtlich dem Einzelnen gegenübertritt. Ferner ist damit
nicht sowohl eine Seite des Staates bezeichnet, als vielmehr ein
Urteil abgegeben dahin, daſs die zum Civilrecht neigende Natur dieser
Seite im Einzelfall wirksam werde: Fiskus ist der Staat, sofern er
in civilrechtliche Beziehungen tritt.
Endlich steht daneben noch eine dritte Verwendung dieses Aus-
drucks, die dem Grundgedanken nach mit der letzterwähnten über-
einstimmt, in ihren Folgerungen aber darüber hinausführt. Die An-
wendbarkeit des Civilrechts auf den Staat beruht, wie wir sehen, auf
der Idee, daſs das Gleiche auch gleich geordnet sein soll. Wenn aber
der Staat als Subjekt von Vermögensrechten Lebensäuſserungen auf-
weist, die denen der Einzelnen gleichartig sind, so fordert er damit
die gleichmäſsige Anwendung auch anderer Ordnungen heraus, die für
diese bestimmt sind. Auch das öffentliche Recht ist rück-
bezüglich auf den Staat wie das Civilrecht; die Ver-
waltungsrechtsinstitute richten sich gegen ihn: er wird enteignet, von
Gemeinde oder Provinz besteuert, trägt Schullasten und Wegelasten,
unterliegt polizeilichen Ordnungen und strafrechtlichen Haftbarkeiten.
Wenn man das Urteil abgeben will, daſs er im Einzelfall einer solchen
öffentlichrechtlichen Einwirkung unterliegt gleich einem Privaten, so
nennt man ihn wieder Fiskus11.
[144]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Die einfachsten Fälle solcher Rückbeziehung bieten natürlich die
fiskalischen Verwaltungen; aber auch gegenüber der öffentlichen Ver-
waltung findet sie statt überall, wo die Gleichartigkeit der Lebens-
äuſserung mit der, welche bei einem Privaten getroffen werden soll,
zum Vorschein kommt und nicht auf dieser Seite ein gleichwertiges
oder höheres öffentliches Interesse vertreten wird. Ist das letztere
der Fall, so sagt man: es sei gar nicht der Fiskus, den man vor
sich hat, sondern die Polizeibehörde, ein Hoheitsrecht, der Staat12.
Es läſst sich nicht verkennen, daſs auf diese Weise der Begriff
des Fiskus, ganz abgesehen davon, daſs man die verschiedenen Ge-
sichtspunkte natürlich immer durcheinander wirft, keinen sehr be-
friedigenden Eindruck macht. In dem zuerst angegebenen Sinne hätte
er wohl noch eine gewisse Geschlossenheit. Dem Staate, wie die
anderen Ausdrucksweisen thun, jeweils einen besonderen Namen zu
geben, wenn man zu dem Schlusse gekommen ist, daſs ein bestimmtes
Rechtsverhältnis für ihn besteht, hat eigentlich keinen rechten Zweck.
Man wäre auch nie darauf gekommen, wenn es nicht vom Polizei-
staat her so Gebrauch wäre. Aber der alte Fiskus, jener gewöhn-
liche Privatmann im Gegensatz zum Staate, der da immer gleich-
mäſsig dahinter stand, gab der ganzen Auffassung einen festen Halt,
den sie jetzt verloren hat.
[145]§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.
IV. Für das polizeistaatliche Recht waren eine sehr gewöhnliche
Erscheinung die gemischten Rechtsinstitute: in einem und
demselben Akt trat der Staat dem Unterthanen zugleich civilrechtlich
und öffentlichrechtlich, d. h. wie das damals verstanden war, recht-
lich überhaupt nicht bestimmt gegenüber und demgemäſs waren auch
die Wirkungen gemischt. Der Staat nimmt den Beamten in seinen
Dienst und der Fiskus verpflichtet sich zugleich vertragsmäſsig zur
Gehaltszahlung, der Staat enteignet, überträgt dadurch civilrechtliches
Eigentum auf den Fiskus und belastet diesen mit der civilrechtlichen
Entschädigungspflicht gegenüber den Enteigneten. Die Doppelperson,
in welcher der Staat erschien, machte diese Zweiteilung auch seiner
Willensäuſserung möglich. Das ist ausgeschlossen, seitdem wir diese
zwei Personen, den eigentlichen Staat und den Fiskus, in eine zu-
sammengeworfen haben. Unsere Rechtsinstitute sind notwendig ein-
heitlicher Natur; entweder civilrechtlich oder öffentlichrechtlich,
es giebt keine gemischten Institute, weil es nicht möglich ist, daſs
dieses eine Rechtssubjekt zugleich als hoheitliche Macht und als gewöhn-
licher Privatmann erscheine, beides in einem Atem13.
Das schlieſst nicht aus, daſs im weiteren Zusammenhange
civilrechtliche Wirkungen an einen öffentlichrecht-
lichen Akt sich knüpfen. Dabei handelt es sich aber dann nicht
um zweierlei Stücke eines Aktes, in welchem das handelnde Subjekt
auf zweierlei Weise beurteilt würde, sondern um neue Beziehungen
desselben oder um Beziehungen anderer. Wir unterscheiden folgende
Fälle:
1. Die in Form des öffentlichrechtlichen Rechts-
instituts begründeten öffentlichen Rechte können nach-
träglich durch Veränderungen, die eintreten, in die
entsprechenden civilrechtlichen Rechte verwandelt
werden: das öffentliche Eigentum z. B. wird durch Auflassung Privat-
eigentum des Staates14.
2. Die Wirkung des öffentlichrechtlichen Rechts-
instituts kann sofort für neu in Betracht kommende
Beziehungen ins Civilrecht umschlagen. Bei Begründung
rechtlicher Macht über körperliche Sachen ist das fast regelmäſsig der
Fall: Enteignung, Konfiskation, freiwillige oder erzwungene Zahlung
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 10
[146]Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
von Steuern, wie umgekehrt Zahlung von Gehältern und öffentlich-
rechtlichen Entschädigungen schaffen einen rechtlichen Zustand, mit
dessen Begründung das öffentlichrechtliche Rechtsinstitut zu Ende ist;
der Zustand selbst, wie er nunmehr nach allen Seiten wirksam be-
steht, ist fortan nach den Regeln des civilrechtlichen Eigentums zu
beurteilen15.
3. Manche Rechtsinstitute sind geradezu darauf gerichtet, durch
die Einwirkung der öffentlichen Gewalt eine Änderung
civilrechtlicher Verhältnisse zwischen den Unter-
thanen hervorzubringen. Das macht die Justiz im Teilungs-
und Aufgebotsverfahren, die Verwaltung, indem sie Grundlasten auf-
hebt, Grundstücke zusammenlegt, Nutzungsrechte an fremden Wasser-
läufen begründet u. s. w. Der Akt selbst ist öffentlichrechtlicher
Natur, so gut wie das Teilungsurteil auch, die begründeten Rechte
sind civilrechtlich, und die Rechtsinstitute im Gegensatz zu den bis-
herigen gehören zum Gebiete des Civilrechts16.
4. An die Wirkungen des öffentlichen Rechtsinstituts zwischen
dem Staat und dem Unterthan können sich civilrechtliche Rechts-
verhältnisse des letzteren anknüpfen, bedingt durch jene,
aber auf dieser Voraussetzung selbständig begründet nach einem
[147]§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.
civilrechtlichen Rechtsinstitut. Ein Beispiel bietet die Schadensersatz-
pflicht gegenüber dem Beschädigten wegen Nichtbeachtung einer
polizeilichen Vorschrift; desgleichen die Haftung des Beamten wegen
rechtswidriger Amtshandlungen17.
10*
[[148]]
Dritter Abschnitt.
Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
§ 12.
Das Beschwerderecht.
Für das Civilrecht bedeutet der Rechtsschutz den Schutz des
subjektiven Rechts des Einzelnen durch ein dafür besonders ge-
ordnetes Einschreiten der öffentlichen Gewalt.
Die subjektiven Rechte der Einzelnen auf dem Gebiete des Ver-
waltungsrechts finden ihren Schutz ebenfalls durch besonders dafür
getroffene Vorkehrungen, sie finden ihn aber auch, und vielleicht
wirksamer, im ordentlichen Gang der Verwaltungsthätigkeit, in welchem
ihnen ja die zu ihrem Schutz berufene öffentliche Gewalt von vorn-
herein schon gegenübersteht1.
Andererseits dreht sich, im Gegensatz zum Civilrecht, die ganze
Rechtsordnung der Verwaltung durchaus nicht so wesentlich um sub-
jektive Rechte; Interessen der Einzelnen von verschieden abgestufter
rechtlicher Ausprägung stehen daneben, geschützt wiederum in erster
Linie durch die öffentliche Gewalt im ordentlichen Gang der Ver-
waltungsthätigkeit, aber auch durch die gleichen besonders getroffenen
Vorkehrungen, die auch subjektiven Rechten dienen mögen2.
[149]§ 12. Das Beschwerderecht.
Der Schwerpunkt des hier zu entwickelnden Begriffs liegt also ganz
in diesen besonderen Vorkehrungen. Nicht um Rechtsschutz als
Schutz von subjektiven Rechten handelt es sich, sondern um
Schutz im Wege Rechtens. Der Einzelne wird damit geschützt
in seinen Interessen, ob diese zugleich subjektive Rechte sind oder
nicht, das Institut bleibt das Gleiche.
Besondere Vorkehrungen zum Schutze der Interessen der Einzelnen
können in der Verwaltung mannigfach bestehen kraft dienstlicher An-
ordnungen für die Behörden oder auch vermöge guten Brauchs der-
selben. Als Schutzmittel von rechtlicher Bedeutung wirken gesetz-
liche Formvorschriften für das Verfahren, namentlich die Be-
stimmung, daſs die Beteiligten vor einer gewissen Maſsregel zu hören
sind. Ferner gehört hierher die obrigkeitliche Beurkundung
öffentlichrechtlicher Verhältnisse. Ein Hauptgewicht legt man jetzt
auf die Gestaltung der ordentlichen Verwaltungsbe-
hörden: kollegiale Besetzung, Zuziehung von Ehrenbeamten, amt-
liche Unabhängigkeit nach oben3. Das ist alles noch nicht unser
Begriff des Rechtsschutzes, wenn es sich auch vielfach mit dem, was
sein Wesen ausmacht, verbindet.
Unser Rechtsschutz ist ein Schutz im Wege Rechtens wie der
Civilrechtsschutz; ein rechtlich geordneter Weg ist dem Einzelnen er-
öffnet, den er gehen soll, um geschützt zu werden; juristisch aus-
gedrückt: dieser wird berufen zu einer rechtlich bedeutsamen
Mitwirkung an einem behördlichen Akte, der seine Interessen
betrifft.
Es sind drei Arten solchen Rechtsschutzes, die in der Verwaltung
wirksam werden:
1. Der Weg der förmlichen Beschwerde, beruhend auf dem Be-
schwerderecht (davon hier unten).
2. Die Verwaltungsrechtspflege, als die wichtigste und voll-
kommenste Gestalt dieses Rechtsschutzes (unten § 13—15).
3. Die Zuständigkeit der Civilgerichte in Verwaltungssachen,
womit der eigentliche Rechtsweg im strengen Sinne der alten Schule
2
[150]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
eröffnet ist, der Weg vor den ordentlichen Gerichten (unten § 16
und 17)4.
I. Es handelt sich bei der Beschwerde um die Beseitigung
eines Nachteils, welcher dem Einzelnen aus der Verwaltung zugeht.
Und zwar soll es nicht geschehen, weil neue Beweggründe eintreten,
um das Verfahren anders zu bestimmen, sondern weil das eingehaltene
nicht hätte sein sollen. Eine Miſsbilligung und daraus hervor-
gehende Abänderung ist in Frage. Die Miſsbilligung kann ge-
schehen wegen Rechtswidrigkeit oder wegen Nichtübereinstimmung mit
den wohlverstandenen Aufgaben der Verwaltung in Bezug auf Wahrung
des öffentlichen und Schonung des Privatinteresses. Der Nachteil
kann zugefügt sein durch thatsächliches Vorgehen oder durch Un-
thätigkeit oder durch eine Willensäuſserung, einen Beschluſs. Unter
dem Namen Beschluſs erscheint hier in der Lehre vom Verfahren
und vom Rechtsschutz der Verwaltungsakt. Wir halten uns der Ein-
fachheit halber an diesen Hauptfall.
1. Die Beschlüsse, welche eine Verwaltungsbehörde faſst, sind
auch ohne Beschwerde abänderbar auf verschiedenen Wegen.
Sie kann sie selbst zurücknehmen. Darin ist sie nur soweit
beschränkt, als etwa das Gesetz die Zurücknahme ausschlieſst oder
Rechte durch ihren Beschluſs begründet worden sind (oben § 9, III
n. 1). Die Zurücknahme kann insbesondere auch erfolgen mit
Rücksicht auf den Nachteil, der daraus einem Einzelnen entsteht und
weil der Beschluſs deshalb nicht hätte ergehen sollen, von Rechts-
wegen oder nach richtiger Erwägung der Umstände. Insofern wird
diese Zurücknahmemöglichkeit ein Schutz der Einzelinteressen, aber
deshalb ist sie noch kein Rechtsschutzinstitut.
Die Verwaltungsorganisation hat aber auſserdem noch den ver-
waltenden Behörden durchweg ihre ordentlichen Oberbehörden
gegeben, die ihnen gegenüber mit einer gewissen Macht ausgestattet
sind, um eine Änderung ihrer Beschlüsse herbeizuführen. Diese
Macht ist eine doppelte. Die Oberbehörde ist Dienstbehörde der unter-
geordneten und kann ihr durch Dienstbefehl bestimmen, was sie
zu thun hat. Sie kann also insbesondere auch die Zurücknahme eines
Beschlusses anordnen, der einen Einzelnen beschwert. Sodann aber
[151]§ 12. Das Beschwerderecht.
ist sie die höhere Verwaltungsstufe, die Oberinstanz, die auch von
Amtswegen berufen sein kann, einzugreifen in die Thätigkeit der
unteren, um an ihrer Stelle mit rechtlich überwiegendem Willen
zu bestimmen, was Rechtens sein soll. Dann ändert sie durch ihren
Beschluſs den der unteren Behörde unmittelbar und setzt gegebenen
Falles an seine Stelle das Neue, das sie bestimmt hat.
Die eine wie die andere Art von Eingreifen der Oberbehörde hat
ihre Grenzen an denen der eigenen Zuständigkeiten der Unterbehörde:
sie kann Abänderungen weder befehlen, noch selbst vornehmen, die
diese nicht machen könnte, von besonderen gesetzlichen Ermächtig-
ungen natürlich abgesehen. Ihr Abänderungsrecht in beiderlei Ge-
stalt kann sie ausüben zum Schutz eines benachteiligten Einzelnen,
ob er in seinen Rechten oder ob er bloſs in seinen Interessen ver-
letzt ist. Einen Rechtsschutz gemäſs unserem Begriff stellt jeden-
falls auch das nicht vor.
Für alle diese Abänderungsmöglichkeiten gilt aber eine oberste
Regel: die nämlich, daſs nicht leichthin davon Gebrauch gemacht
werden soll. Das versteht sich auch ohne besondere Vorschrift nach
der ganzen Absicht der Behördeneinrichtung. Wenn eine Behörde
einen Beschluſs faſst oder sonst eine Maſsregel trifft, so hat sie die
Sache geprüft in rechtlicher und thatsächlicher Hinsicht und will sie
demgemäſs erledigt haben. Es wäre gegen die gute Ordnung, wenn
sie jeden Augenblick wieder auf diese Prüfung zurückkommen wollte,
um nötigen Falls abzuändern. Damit sie überhaupt noch einmal da-
ran gehe, bedarf es eines besonderen Grundes, der sie dazu ver-
anlaſst, eines erheblichen Bedenkens, das gegen die Richtigkeit ihres
Beschlusses entsteht. Und die nämliche Zurückhaltung wird auch die
obere Behörde mit ihrem Abänderungsrechte beobachten; ohne be-
sonderen Anlaſs nimmt sie keine Nachprüfung und folglich keine Ab-
änderung vor5.
2. Der Beteiligte kann sich mit geeigneten Vorstellungen an die
abänderungsberechtigte Behörde wenden, damit sie von dieser Zu-
ständigkeit zu seinen Gunsten Gebrauch macht.
[152]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Richtet sich dieses Gesuch an die Behörde, von welcher die
nachteilige Maſsregel ausgeht, so heiſst es Gegenvorstellung,
Remonstration6. Richtet es sich an eine Oberbehörde, so heiſst es
Beschwerde, Rekurs7.
Die Antwort, welche in einem wie im andern Falle auf das Ge-
such erteilt wird, ist der Bescheid. Der Bescheid kann abweisend
lauten oder willfahrend, letzteres, wenn die Behörde findet, daſs die
angefochtene Maſsregel richtiger nicht getroffen worden wäre. Aber
auch im ersteren Falle könnte die Beschwerde als Rechtsschutzmittel
gedient haben, denn der Rechtsschutz bedeutet so wenig wie im Civil-
recht, daſs man immer in der Sache Erfolg haben muſs; es würde
genügen, daſs dem Beschwerdeführer eine neue Prüfung seiner Sache
zu teil geworden ist. Allein es ist durchaus nicht selbstverständlich,
daſs die Beschwerde eine solche herbeiführt. Ganz ohne Antwort
wird ja regelmäſsig der Beschwerdeführer nicht gelassen werden, aber
der Bescheid kann lauten: die Behörde habe keinen Anlaſs, der Be-
schwerde Folge zu geben, womit auch gesagt sein kann, daſs man
sich überhaupt mit der Sache nicht noch einmal befassen wollte.
Ganz ebenso steht es bei der Gegenvorstellung.
Die Sache ist die, daſs diese Gesuche die maſsgebenden Grund-
sätze über die Ausübung des Abänderungsrechts an sich nicht be-
seitigen. Sie beweisen nur, daſs der Gesuchsteller die getroffene Maſs-
regel nicht für richtig hält; die entgegengesetzte Ansicht, welche die
Behörde darin niedergelegt hat, wird damit nicht von selbst der-
artig in Zweifel gestellt, daſs eine Neuprüfung eintreten müſste. In
dieser Beziehung macht es auch keinen Unterschied, ob das Gesuch
sich stützt auf die Behauptung einer Rechtsverletzung oder auf die
Behauptung eines ungehöriger Weise verletzten Interesses. Es ist ja
wahr, daſs es in der Amtspflicht der angegangenen Behörde liegt, eine
etwaige Rechtsverletzung zu beseitigen; aber ebenso liegt es in ihren
[153]§ 12. Das Beschwerderecht.
Pflichten, bloſse Ungerechtigkeiten, Rücksichtslosigkeiten und unnötige
Härten aufzuheben oder zu verbessern. Die Frage ist in beiden
Fällen nur die, ob wirklich derartiges vorliegt, und auf diese Prüfung
geht die Behörde ohne besonderen Anlaſs nicht ein. Die Beschwerde
ist nicht notwendig ein solcher. Es ist Glückssache, was sie für
einen Eindruck machte. Der kann so stark sein, daſs der Entschluſs
nachzuprüfen und der abzuändern mit einem Schlage entstehen. Je
nachdem kann sie auch unbesehen unter den Tisch fallen und nur der
Form halber beschieden werden, oder man findet irgend ein Ver-
fahren dazwischen, prüft nur das Gröbste oder nur die Rechtsfrage
oder sonst einen Punkt, der dazu anregt8. Auf diese Weise aber ist
die Beschwerde das Gegenteil von dem, was wir einen Weg Rechtens
nannten, und die Gegenvorstellung desgleichen9.
[154]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
3. Die Beschwerde wird zum Rechtsschutzmittel dadurch, daſs
die angegangene Behörde gebunden ist, daraufhin eine Prüfung der
Sache eintreten zu lassen und demgemäſs Bescheid zu erteilen. Eine
Dienstvorschrift kann ihr das vorschreiben; aber das genügt nicht.
Die Gebundenheit muſs eine rechtliche sein dem Einzelnen gegenüber;
es bedarf eines gesetzlichen oder verordnungsmäſsigen Rechtssatzes
dieses Inhaltes.
Dadurch entsteht für den Einzelnen ein entsprechendes subjek-
tives öffentliches Recht, als Macht über diese Thätigkeit der öffent-
lichen Gewalt, das Beschwerderecht. Dasselbe ist seiner Natur
nach dem Klagerecht nahe verwandt. Die darauf gegründete Be-
schwerde bezeichnen wir im Gegensatz zu der aus dem Behörden-
überordnungsverhältnis von selbst sich ergebenden als die förmliche
Beschwerde10.
[155]§ 12. Das Beschwerderecht.
In ähnlicher Weise tritt auch neben die einfache Gegenvorstellung
ein Antrag, den die beschlieſsende Behörde zu prüfen gebunden ist,
um je nachdem ihren Beschluſs zurückzunehmen oder zu unterlassen,
der Einspruch mit dem dahinterstehenden Einspruchsrecht11.
II. Der Name förmliche Beschwerde rechtfertigt sich
daraus, daſs mit dem Beschwerderecht, auf das sie sich gründet, von
selbst gewisse rechtliche Bestimmtheiten des Verfahrens
sich verbinden, welche der einfachen Beschwerde fremd sind.
1. Insofern die einfache Beschwerde nur wirkt wie eine An-
zeige, welche die Behörde bestimmen will, von ihrem Abänderungs-
recht Gebrauch zu machen, ist es gleichgültig, welcher Art das Interesse
ist, das der Beschwerdeführer selbst dabei hat. Sobald ein Beschwerde-
recht anerkannt wird, ist es notwendig, zu bestimmen, wem dieses
Recht zusteht und unter welchen Voraussetzungen es zusteht.
Das Gesetz bestimmt die Maſsregeln, gegen welche förmliche Be-
schwerde stattfindet; es sind vorzugsweise Verwaltungsakte12. Der
10
[156]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Beschwerdeberechtigte kann dabei besonders bezeichnet sein. Es kann
auch gesagt sein, daſs die Beschwerde nur dem zusteht, der etwa
durch den Beschluſs in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
In dem häufigen Fall, wo das Gesetz nur sagt, daſs gegen die und
die Art von Akten die Beschwerde zulässig ist, versteht sich diese
Beschränkung nicht von selbst. Ebensowenig ist aber dann jeder
beschwerdeberechtigt, der sich dadurch irgendwie mittelbar in seinen
Interessen oder gar nur in seinen Gefühlen verletzt findet. Die Er-
öffnung des Beschwerdewegs gegen einen Beschluſs gilt stillschweigend
nur zu Gunsten dessen, der durch diesen Beschluſs rechtlich berührt
ist, auf den er eine rechtliche Wirkung äuſsert. Der Dritte ist
nicht dazu berufen. Die Ordnung der Legitimation zur Verwaltungs-
klage giebt das naturgemäſse Vorbild für die Ausscheidung13.
2. Im Gegensatz zur einfachen Beschwerde ist für die Aus-
übung des Beschwerderechts wesentlich die Beschwerdefrist.
Jene trägt die zeitliche Beschränkung in sich selbst; je später sie
kommt, desto weniger wird sie auf die Behörde den Eindruck machen,
daſs ein ernsthafter Grund vorliegt für eine neue Prüfung der Sache.
Das Beschwerderecht giebt den Anspruch darauf ohne Zeitgrenze. Es
ist allerdings verzichtbar und ein Verzicht könnte unter Umständen
auch aus dem längeren Nichtgebrauch geschlossen werden. Da es
doch einmal ein Ende damit haben muſs, wenn nicht die gröſsten
Unzuträglichkeiten entstehen sollen, würden die Behörden ganz von
selbst dazu kommen, ihm auf diese Weise eine moralische Frist zu
setzen. Aber das würde das Recht selbst wieder unsicher machen.
Die gesetzliche Bestimmung einer festen Frist ist das notwendige
Kompromiſs der widerstreitenden Rücksichten. Innerhalb dieser Frist
wird dann das bloſse Zuwarten niemals als Verzicht ausgelegt werden
dürfen, nach Ablauf der Frist ist das Recht erloschen. Die Möglich-
12
[157]§ 12. Das Beschwerderecht.
keit eines Einschreitens von Amtswegen — vielleicht gerade auf die
verspätete Beschwerde hin — kann daneben bestehen bleiben14.
Die gesetzliche Bestimmung einer Beschwerdefrist ist geradezu
eine Form der stillschweigenden gesetzlichen Anerkennung eines Be-
schwerderechts; denn nur im Zusammenhang mit diesem hat sie einen
rechten Sinn15. — Dem Beschwerderecht entspricht es übrigens, daſs
andererseits auch die Thätigkeit der Behörde zur Erledigung der Be-
schwerde an die Beobachtung gewisser Formen gebunden
sei, die das Gesetz bestimmt. Die Behörde soll sich dadurch aus-
weisen, daſs der Bescheid wirklich auf Grund einer neuen Prüfung
der Sache erfolgt.
3. Die einfache Beschwerde lehnt sich schlechthin an die vor-
handenen Abänderungsbefugnisse. Die Geltendmachung des Be-
schwerderechts macht solche wirksam, wo sie ohne die Beschwerde
nicht Platz greifen würden.
Sie beseitigt Hindernisse, welche einem an sich vorhandenen
Abänderungsrechte der Behörde sonst entgegenständen. Der ange-
fochtene Verwaltungsakt kann subjektive Rechte begründet haben.
Damit wird er gebunden für die beschlieſsende Behörde, wie für ihre
Oberen (oben § 9, III n. 1). Die Möglichkeit einer einfachen Be-
schwerde ändert nichts daran: da der Personenkreis, die Beschwerde-
gründe, die Zeit der Anbringung hier unbeschränkt sind, würde ja
sonst von einem erworbenen Rechte überhaupt keine Rede sein
können. Wenn jedoch ein Beschwerderecht gegen einen Beschluſs
besteht, so kann ein etwa auf diesen gegründetes Recht eines Dritten
kein Hindernis für den Erfolg der Beschwerde sein, sonst wäre wieder
das Beschwerderecht eitel. Jenes Recht ist also notwendig zunächst
noch mit einer auflösenden Bedingung behaftet. Diese Bedingung
erfüllt der Beschwerdeberechtigte durch rechtzeitige Anbringung der
Beschwerde. Die Folge der erfüllten Bedingung ist, daſs die obere
Behörde bei Bescheidung der Beschwerde dem angefochtenen Be-
[158]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
schlusse wieder frei gegenüber steht, als hätte er ein subjektives
Recht nicht begründet16.
Die Geltendmachung des Beschwerderechts kann aber möglicher
Weise die angerufene Behörde überhaupt erst zuständig machen
zur Abänderung. Es ist etwa gesetzlich bestimmt, daſs die obere
Behörde von ihrem Abänderungsrechte nur Gebrauch machen soll auf
Beschwerde. Dabei kann natürlich nicht eine einfache Beschwerde
gemeint sein, die von irgend jemand ausginge. Es bedeutet immer
ein Beschwerderecht, durch dessen Geltendmachung allein die Be-
hörde in Bewegung gesetzt werden kann zu sachlicher Prüfung und
Bescheidung.
In deutlicher Ausprägung erscheint diese Wirkung des Beschwerde-
rechts, wo besondere Beschwerdeinstanzen eingesetzt sind
in Gestalt unabhängiger Kollegialbehörden. Diese sind ihrer Natur
nach nicht geeignet und berufen, wie gewöhnliche vorgesetzte Be-
hörden eine ständige Überwachung und ein Einschreiten von Amts-
wegen auszuüben; nur durch das Anrufen eines Beschwerdeberechtigten
können sie zuständig werden. Insofern nun die Beschlüsse, zu deren
Nachprüfung sie berufen sind, gesetzlich nur geändert werden können
durch sie, ist es notwendig, daſs nicht bloſs der Unterthan, sondern
auch der Staat sie dazu in Bewegung setzen kann, um die öffent-
lichen Interessen, die durch einen solchen Beschluſs verletzt wären,
zur Geltung zu bringen. Und so führt der Formalismus dieser Ein-
richtung dahin, daſs vor diesen Beschwerdebehörden auch die ordent-
lichen Verwaltungsbehörden namens des Staates als Beschwerdeführer
erscheinen. Der Staat selbst hat ein Beschwerderecht, geradeso wie
er ein Klagerecht auszuüben hat vor Civil- und Verwaltungsgerichten;
nur dadurch wird eine Abänderung des betreffenden Beschlusses auch
zu seinen Gunsten möglich17.
[159]§ 12. Das Beschwerderecht.
Das ganze Bild, das diese Einrichtung bietet, ähnelt in auffallen-
der Weise der Stellung des Gerichts und der Form der Rechtspflege.
Das Eine, Wesentliche, was daran fehlt, wird noch festzustellen
sein18.
III. Im älteren Recht war das Ziel der Beschwerde wesentlich
gedacht als ein Dienstbefehl an die untergebene Behörde, der
Wandel schafft. Seit der Ausbildung des Begriffs des Verwaltungs-
aktes kann der Bescheid auch als solcher ergehn und das frag-
liche Verhältnis dann mit unmittelbarer Wirkung nach auſsen be-
stimmen nach Vorbild eines Berufungsurteils. In der förmlichen Be-
schwerde ist stets diese letztere Art der Erledigung gemeint.
Seinem Inhalt nach kann dieser Verwaltungsakt die verschieden-
artigsten Rechtsverhältnisse betreffen, hier kommt er bloſs von seiner
prozeſsrechtlichen Seite in Betracht, nach seiner Bedeutung für das
weitere Verfahren. Mit Rücksicht hierauf unterscheiden wir:
1. Der Bescheid lautet abschlägig, die Beschwerde wird zurück-
gewiesen.
Das hat nicht die Bedeutung eines bestätigenden Be-
rufungsurteils. Sonst wäre die untere Behörde an den Vollzug
dieses Beschlusses gebunden: das Angeordnete beruhte fortan nicht
auf ihrem Willen, sondern auf dem für sie unverbrüchlichen Willen
der Oberbehörden.
Es ist aber auch nicht, wie es im alten Rechte gemeint war und
bei der einfachen Beschwerde noch der Fall sein kann, eine bloſse
Mitteilung, daſs die Behörde gegen die angefochtene Maſsregel
nicht einzuschreiten gedenkt. Der Verwaltungsakt, den unser Be-
scheid vorstellt, muſs als solcher dem Beschwerdeführer, über den er
ergeht, etwas bestimmen, das für ihn Rechtens sein soll.
Was für ihn bestimmt wird, ist aber seinem Inhalt nach nichts
weiter, als daſs die angefochtene Maſsregel im Beschwerdewege nicht
abgeändert werden soll. Das wird bedeutsam gegenüber einer neuen
Beschwerde, die dann als einfache Gegenvorstellung ohne Recht auf
Prüfung erscheint, oder gegenüber dem Einschreiten einer noch höheren
17
[160]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Instanz, das seinerseits bedingt sein kann durch rechtzeitige Ober-
beschwerde.
Die ursprüngliche Maſsregel selbst wird von einem derartigen
Bescheid rechtlich nicht berührt. Sie bleibt bestehen als Willensakt
der unteren Behörde, von dieser zurücknehmbar und abänderbar,
ganz wie sie es gewesen wäre ohne Beschwerde und ohne Bescheid.
2. Der Bescheid miſsbilligt die angefochtene Maſsregel, hebt
sie auf, ohne seinerseits etwas Neues an ihrer Stelle zu bestimmen.
Dann bedeutet er die reine Verneinung: das Nachgeprüfte soll nicht
sein; und zwar ist dieses Nichtsollen mit der Kraft des Verwaltungs-
aktes rechtlich bestimmt dem Beschwerdeführer gegenüber. Es ist
gleichgültig, ob es deshalb ausgesprochen wird, weil die Maſsregel
rechtswidrig, oder deshalb, weil sie nicht gerecht, nicht zweckmäſsig
war; fortan ist alles ein Unrecht dem Beschwerdeführer gegenüber,
was von der unteren Behörde zu seinem Nachteil geschieht und auf
der Voraussetzung beruht, daſs sie in Gültigkeit bestehe. Was auf
Grund der miſsbilligten Maſsregel thatsächlich ins Werk gesetzt worden
ist, soll rückgängig gemacht werden; der Beschwerdeführer hat ein
Recht darauf. Die Beschwerdebehörde wird meist die nötigen
Anordnungen in dieser Richtung, wegen Rückerstattungen, Beseitigung
von Einrichtungen und Einstellung des weiteren Verfahrens, ausdrück-
lich treffen.
Der aufhebende Bescheid gilt aber wie der billigende nur für
seinen Fall. Nur dieser bestimmte der Nachprüfung unterzogene
Beschluſs, diese Maſsregel, welche Anlaſs zur Beschwerde gab, sind
rechtlich vernichtet. Es ist damit nicht gesagt, daſs niemals der-
gleichen gegen den Beschwerdeführer geschehen soll. Die untere
Behörde kann sofort einen neuen Beschluſs gleichen Inhalts fassen,
der dann von dem ergangenen Bescheid rechtlich nicht berührt ist.
Sie setzt sich nur dem aus, daſs er auf neuerdings erhobene Beschwerde
das gleiche Schicksal haben wird, und ein keckes Wiederholen des
miſsbilligten Verfahrens, der Beschwerdebehörde zum Trotz, wird von
selbst zu persönlichen Verantwortlichkeiten ausschlagen.
3. Der Bescheid kann an Stelle der angefochtenen Maſsregel und
in Abänderung derselben eigne Anordnungen in der Sache
selbst treffen. Dann ist zugleich alles miſsbilligt, was damit in
Widerspruch steht; im übrigen bestimmt der Bescheid das Verhältnis
neu mit der Kraft des Verwaltungsaktes, bindend für alles, was weiter
darin geschieht. Die weitere Behandlung der Sache wird an die
untere Behörde zurückgehen und für sie liegt die Sache anders, als
wenn sie selbst diesen Verwaltungsakt erlassen hätte: der Akt ist für
[161]§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
sie unverbrüchlich gemäſs den allgemeinen Grundsätzen der Ordnung
der Behördengewalt, wonach der von den oberen Stellen ausgehende
Staatswille als der bessere und stärkere angesehen ist. Von der
Beschwerdebehörde dagegen, die ihn erlassen hat, kann er nach den-
selben Regeln abgeändert werden, die überhaupt für die Zurücknahme
eigener Akte gelten und ebenso stehen ihm deren Oberbehörden ganz
in derselben Weise gegenüber, wie überhaupt Oberbehörden einem in
unterer Instanz erlassenen Akte. Es kommt nur darauf an, inwieweit
diese Behörden zuständiger Weise wieder in die Lage kommen, sich
mit dem Akte zu befassen.
Alles Besondere an den Wirkungen dieses Aktes beruht also
lediglich auf dem behördlichen Überordnungsverhältnis. Diese Be-
sonderheit würde er aber gerade so haben, wenn er auf eine einfache
Beschwerde hin ergangen wäre oder auch, wenn die Behörde ihn von
Amtswegen erlassen hätte. Der Umstand, daſs er im Wege der förm-
lichen Beschwerde und durch Geltendmachung des Beschwerderechts
erwirkt worden ist, giebt ihm keine weitere rechtliche Eigenschaft,
keine neue rechtliche Kraft und Bedeutung. Das ist der Punkt, in
welchem der Gegensatz zwischen Beschwerdeweg und Verwaltungs-
rechtsweg offenbar werden soll.
§ 13.
Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
Der Begriff der Verwaltungsrechtspflege geht von dem der Civil-
rechtspflege aus. Er enthält diesem gegenüber einen Gegensatz der
Behördenart, von welcher die Thätigkeit geübt wird, beginnt also
mit der Scheidung von bürgerlichen Gerichten einerseits und Ver-
waltungsbehörden andererseits. Er enthält aber auch eine Gleichheit
der Thätigkeitsart: die der Verwaltungsorganisation angehörige Behörde
handelt wie ein Gericht und zwar wie ein Gericht bei Entscheidung
bürgerlicher Rechtsstreitigkeiten1.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 11
[162]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Man darf dieser Einrichtung für das Verwaltungsrecht nicht
den gleichen Wert beilegen wollen, den die Civilrechtspflege für das
Civilrecht hat. Die Sache liegt sehr verschieden. Für das Civilrecht
ist seine Rechtspflege der Rechtsschutz, ohne sie giebt es weder
Rechtsordnung noch subjektives Recht. Das Verwaltungsrecht kann
bestehen auch ohne Rechtspflege, ohne besondere Rechtsschutz-
vorkehrungen überhaupt2. Diese bedeuten alle nur eine gewisse Ver-
besserung und Verstärkung der Rechtsstellung des Einzelnen der
öffentlichen Gewalt gegenüber. Und die Verwaltungsrechtspflege ist
unter ihnen wieder nur eine besondere Art, beruhend auf Entlehnung
der Eigentümlichkeiten der streitigen Civilrechtspflege3.
Wie in der Civilrechtspflege durch einen obrigkeitlichen Akt den
Unterthanen im Einzelfall bestimmt wird, was zwischen ihnen Rechtens
sein soll, so in der Verwaltungsrechtspflege, was zwischen dem Unter-
thanen und der öffentlichen Gewalt Rechtens sein soll: es ergeht ein
Verwaltungsakt gemäſs dem festgestellten Begriff (oben § 5, II; § 8,
I). Das macht natürlich noch nicht die Verwaltungsrechtspflege aus,
so wenig wie in jener Formel der Reichtum des Begriffes der Civil-
rechtspflege erschöpft ist. Es giebt unzählige Verwaltungsakte, die
nicht Verwaltungsrechtspflege vorstellen. Es fragt sich, was sonst
noch von den Eigentümlichkeiten der Civilrechtspflege übernommen
wird. Das kann gar mancherlei sein; die Übereinstimmung ist mög-
licherweise geradezu eine vollständige; möglicherweise unterscheidet
sich beides aber auch wieder ganz auffallend. Begriffswesentlich kann
1
[163]§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
bloſs dasjenige Merkmal der Civilrechtspflege sein, welches überall
vorhanden ist, wo Verwaltungsrechtspflege vorliegt, und nirgends vor-
handen ist, als da, wo sie vorliegt.
I. Die Civilrechtspflege hat zu ihrem ordentlichen Gegenstande
die Entscheidung eines Rechtsstreites. Das Urteil bestimmt,
was zwischen den Parteien Rechtens sein soll, indem es ausspricht,
was für sie schon Rechtens ist. Es sagt lediglich, was das Gesetz
für diesen Fall gewollt hat, als die viva vox legis. Dadurch macht
es zugleich die bereits bestehenden subjektiven Rechte erkenn-
bar und stattet sie aus mit der zur Erzwingung nötigen Bestimmt-
heit. Feststellung ist sein Kern4. Das Wort Rechtsprechung,
welches als gleichbedeutend mit streitiger Rechtspflege gebraucht wird,
bezeichnet gerade diese Seite davon auf das treffendste5.
Unsere Wissenschaft ist nun ganz unverkennbar von dem Ge-
danken beherrscht, daſs die Aufgabe der Verwaltungsrechtspflege not-
wendig in dieser Weise bestimmt sei, daſs es zu ihrem Wesen gehöre,
einen derartigen Inhalt zu haben.
Die Verwaltungsrechtspflege hat sich zur Zeit der Kämpfe über
ihre Zulässigkeit damit eingeführt, daſs sie gerade nur ein Mittel sei,
um das subjektive Recht zu schützen6. In den üblichen Begriffs-
bestimmungen, mit welchen die Lehre davon eingeleitet zu werden
pflegt, steht jetzt noch der Schutz des subjektiven Rechts als ihr
wesentlicher Zweck und Daseinsgrund obenan7.
Freilich hat man sich bei näherem Zusehen nicht verhehlen können,
daſs es mit dem subjektiven Rechte auf dem Gebiete der Verwaltung
eine zweifelhafte Sache ist und daſs man, um dem wirklichen Umfang
der Verwaltungsrechtspflege zu genügen, gar manches geschützte
Interesse als ein Recht durchgehen lassen muſs, das man mit gutem
11*
[164]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Gewissen nicht so nennen kann. Daher der Satz sich mit immer
gröſserer Entschiedenheit vordrängt, daſs die Verwaltungsrechtspflege
auch bloſs dem objektiven Rechte dienen kann, der aufrecht zu
erhaltenden Rechtsordnung, wobei es dahin gestellt bleibt, was
man alles zu dieser rechnen mag8.
Alles läuft schlieſslich hinaus auf den verhältnismäſsig umfassen-
deren Begriff der Rechtsprechung. Wenn nur ausgesprochen werden
soll, was im Einzelfall Rechtens ist, so kann ein subjektives Recht
dafür die Grundlage geben oder das anzuwendende objektive Recht,
vielleicht auch ein auszulegendes Rechtsgeschäft oder sonst was den
Ausspruch rechtlich bindet. Alles muſs genügen, um den Begriff der
Rechtsprechung und damit die angenommene Bedingung für das Vor-
handensein einer Verwaltungsrechtspflege zu erfüllen. Der Gedanke
findet üblicher Weise seinen Ausdruck von der Kehrseite: den Gegen-
satz einer derartigen Gebundenheit bezeichnet man als ein der Be-
hörde zustehendes freies Ermessen und kommt dann ganz folgerichtig
zu dem Satze: Akte des freien Ermessens können nicht
Gegenstand der Verwaltungsrechtspflege sein9.
Man spricht von einem Ermessen auch bei der gewöhnlichen
Rechtsprechungsthätigkeit des Civilgerichts. Wenn es sagen soll, was
das Gesetz für den Einzelfall gewollt hat, muſs es diesen Willen den
Umständen anpassen können; und das ist gegenüber der unab-
sehbaren Mannigfaltigkeit derselben nur möglich, wenn ihm dabei ein
[165]§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
gewisser Spielraum gelassen wird. Das Gesetz kann nicht einfach
zum Maſsstab werden, den der Richter nur anzulegen hat; denn die
Wirklichkeit erscheint nicht immer in Formen, an denen seine Maſse
unmittelbar zum Ausdruck kämen; deshalb will es den Einzelfall nur
entsprechend treffen und diesen den Verhältnissen angepaſsten Willen
des Gesetzes findet der Richter nach seinem Ermessen. Er würdigt
damit den Thatbestand, ob er die vom Gesetze etwa verlangte ver-
hältnismäſsige Bedeutung hat und bestimmt das nach dem Willen
des Gesetzes diesen Umständen entsprechende Maſs an Schadensersatz,
Alimentationspflicht, Lieferungsfrist, Eigentumsbeschränkung.
Aber das Urteil beansprucht nicht, damit etwas Neues angeordnet
zu haben durch eigne Zuthat; auch mit diesem Ermessen soll nur
gefunden worden sein, was der wohlverstandene Wille des Gesetzes
für diesen Fall und demnach der Inhalt des subjektiven Rechtes
schon ist. Es ist also in Wahrheit kein freies Ermessen, sondern
ein gebundenes; ein solches ist hier nicht gemeint. Das richtige freie
Ermessen erscheint in der bereits oben § 8, II n. 3 erwähnten Ein-
teilung der Verwaltungsakte in Entscheidungen und Verfügungen. Die
ersteren sind die Rechtsprechungsakte, die letzteren die Akte des
freien Ermessens. In der Verfügung wird der Wille des Staates für
das, was in diesem Fall Rechtens sein soll, durch die Behörde neu
erzeugt; sie sagt nicht bloſs, was schon gewollt ist, sondern sie ist
schöpferisch wirksam.
Damit ist nicht gesagt, daſs sie dabei machen kann, was sie will.
Abgesehen von rein dienstpflichtlichen Gebundenheiten, die hier nicht
in Betracht kommen, liegt schon in der Natur der behördlichen Zu-
ständigkeit eine gewisse Schranke auch im Verhältnis nach auſsen.
Sie hat nicht eigne Rechte auszuüben, sondern besitzt ihre Macht nur
zur Verfolgung der Zwecke des Staates; sie ist nicht mehr zuständig,
sobald sie davon abweicht. Demgemäſs ist die Zuständigkeit immer
beschränkt auf das, was das öffentliche Interesse fordert; dieses öffent-
liche Interesse kann auch der Art nach genauer umgrenzt sein als
öffentliche Ruhe, Ordnung, Sicherheit. Aber was demgemäſs geschehen
darf und geschehen soll, das bestimmt eben die Behörde schöpferisch
durch ihren Entschluſs, und in dieser freien Bestimmung bei gegebener
Grundrichtung liegt das, was der Name freies Ermessen aus-
drücken soll10.
[166]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Wie verhält sich nun zu derartigen Akten die Verwaltungsrechts-
pflege, wie unsere neuere Gesetzgebung sie thatsächlich eingerichtet
hat11?
Es entspricht der ganzen Bedeutung der Verwaltungsrechtspflege
als eines zwar besonders förderlichen, aber nicht unentbehrlichen
Institutes des Rechtsschutzes im Gebiete der Verwaltung, daſs die
Gesetzgebung hier freie Wahl hat. Sie kann bestimmen, daſs es nur
gegeben sein soll, soweit es sich um Rechtsprechung handelt. Es
wird sich unter dem maſsgebenden Einfluſs des Vorbildes der Civil-
rechtspflege sogar ein gewisser Zug dahin geltend machen. Vielleicht
eignet sich auch die Rechtspflege, namentlich wo sie zur Nachprüfung
10
[167]§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
bereits ergangener Akte eingerichtet wird, ihrer ganzen Form nach
vorzugsweise für derartige Fälle. In diesem Gedanken kann die
Gesetzgebung geradezu eine Scheidung innerhalb der einzelnen Akte
vornehmen, so daſs nur die rechtlich gebundenen Stücke davon in die
Verwaltungsrechtspflege verwiesen werden, was mit freiem Ermessen
daran zu machen ist, auſserhalb bleibt12.
Das darf man aber nicht verwechseln mit einer begriffsmäſsigen
Notwendigkeit dieser Sonderung. Nicht einmal in der streitigen Civil-
rechtspflege sind Akte des echten freien Ermessens ausgeschlossen.
Ein hervorragendes Beispiel giebt die Teilungsklage: daſs auf Teilung
erkannt wird, ist gebundene Thätigkeit der Behörde; wie geteilt wird,
ist nicht Rechtens; das Urteil macht es erst dazu. Das ist schöpfe-
risches Wollen, Verfügung nach freiem Ermessen der Zweckmäſsigkeit,
Gerechtigkeit, Billigkeit. Der Name Rechtsprechung, wenn wirs ge-
nau damit nehmen, paſst nicht darauf. Und doch steht das ganze Ver-
fahren im Gegensatz zur freiwilligen Rechtspflege, es ist streitige
Rechtspflege nach Form und Wirkung, und die allein entscheiden über
den Begriff.
In unvergleichlich reicherem Maſse umfaſst die Verwaltungs-
rechtspflege Akte des freien Ermessens. Sie hat ihre Teilungs- und
Auseinandersetzungssachen so gut wie der Civilprozeſs13. Es giebt
aber überhaupt keine Art von Verfügung, die nicht zum Gegenstand
der Verwaltungsrechtspflege werden könnte. Wir sehen unsere Ver-
waltungsgerichte berufen, Akte des freien Ermessens nachzuprüfen
und selbst zu erlassen nach ihrem ganzen Inhalte, und was sie da-
nach aussprechen, giebt ein Urteil von derselben Kraft und Bedeutung,
[168]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
wie wenn es sich um eine reine Entscheidung handelte14. Das Gesetz
kann beiderlei Sachen gleichmäſsig als Rechtspflege behandeln lassen.
[169]§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
Das ist eine Thatsache, um die man nicht herum kommt15. Also
kann es nicht zum Wesen der Verwaltungsrechtspflege gehören, daſs
darin nur Rechtsprechung geübt, nur Entscheidungen erlassen werden.
[170]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Noch viel weniger kann der umgekehrte Satz gelten, wonach
etwa jeder Verwaltungsakt Verwaltungsrechtspflege wäre, der eine
Rechtsprechung, eine Entscheidung enthält. Bei der Justiz trifft das
ja wieder äuſserlich zusammen; aber die Verwaltung weist uns Akte
solchen Inhalts auſserhalb der Verwaltungsrechtspflege als eine ganz ge-
wöhnliche Erscheinung auf. Bei der Art, wie so häufig die Gesetz-
gebung das Gebiet der Verwaltungsrechtspflege abgrenzt, indem sie
nämlich die ihr zugehörigen Arten von Sachen einzeln aufzählt, kann
es gar nicht fehlen, daſs die eine oder andere Entscheidung drauſsen
bleibt, überhaupt nie in die Verwaltungsrechtspflege gelangt16.
Deutlich wird der Gegensatz namentlich da, wo die Verwaltungs-
gerichte nur über die Verwaltungsbehörden gestellt sind zu einer
Nachprüfung ihrer Akte auf Beschwerde oder Klage, wobei ganz der
gleiche Akt bei ihnen nochmals in Frage kommt, ob und wie er er-
lassen werden soll. Da war er dann erst, obwohl Entscheidung und
in diesem Sinne Rechtsprechung, ein einfacher Verwaltungsakt, nach-
her ein Akt der Verwaltungsrechtspflege, ein Urteil17. Je höher wir
den Wert dieser Rechtsschutzeinrichtung schätzen, desto bedeutsamer
ist die Umwandlung, die damit vor sich gegangen ist; sie kann aber
natürlich nicht auf dem Inhalte beruhen, welcher ja der gleiche ge-
blieben ist, sondern nur auf dem, was gewechselt hat, auf der Form18.
[171]§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
II. Die Civilrechtspflege bringt ihren Akt, das Urteil ganz un-
abhängig von seinem Inhalt unter gewissen Formbedingungen
zur Entstehung. Solche sind bei ihr in reichlichster Weise entwickelt
und werden in allen Stücken für die Verwaltungsrechtspflege von
selbst zum Vorbild, das sie nachzuahmen geneigt ist. Es fragt sich
nur, was daran wesentlich ist für ihren Begriff, so daſs es bei ihr
nicht fehlen darf und auſserhalb ihrer in der Verwaltung nicht vor-
kommt.
Für das Civilurteil ist eigentümlich die Art der Behörde, von
welcher es erlassen wird: das unabhängige Gericht gehört in
unserer Anschauung zu einer richtigen Civilrechtspflege als ein unent-
behrliches Stück. Die Verwaltungsrechtspflege weist entsprechende
Erscheinungen auf; unsere Gesetzgebung hat Verwaltungsgerichte ge-
ordnet, denen sie in bewuſster Nachahmung ganz die gleiche Unab-
hängigkeit der Stellung gegeben hat. Es giebt aber auch Verwaltungs-
rechtspflege, die von gewöhnlichen Verwaltungsbehörden gehandhabt
wird, ohne daſs für die Sicherung ihrer Unabhängigkeit irgend welche
besondere Vorkehrung getroffen worden wäre19. Und umgekehrt
giebt es Verwaltungsbehörden, denen ganz die amtliche Stellung der
Gerichte gegeben ist; das sind die unabhängigen Kollegialbehörden,
die Beschluſsbehörden, wie sie namentlich das preuſsische Recht aus-
gebildet hat (oben § 12 Note 17). Die Beschlüsse, die sie erlassen,
sind gleichwohl als Gegensatz zur Verwaltungsrechtspflege gedacht.
Weiter ist die Civilrechtspflege ausgezeichnet durch die feste
gesetzliche Regelung ihres Verfahrens. Auch für die Ver-
waltungsrechtspflege ist ihr Verfahren in groſsem Umfang nach dem
Vorbild des Civilprozesses rechtssatzmäſsig bestimmt worden. Aber
es besteht thatsächlich noch immer Verwaltungsrechtspflege, der dieser
Name nicht verweigert werden kann und die kein gesetzlich geregeltes
Verfahren erhalten hat20. Und umgekehrt können auch gewöhnliche
[172]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Verwaltungsakte nach gesetzlicher Vorschrift an ein fest geregeltes
Verfahren gebunden sein. Das geht in dem sogenannten Beschluſs-
verfahren des preuſsischen Rechts soweit, daſs äuſserlich eine Ab-
weichung vom förmlichen Civilprozeſs kaum bemerkbar ist. Und doch
ist das nicht Rechtspflege21.
Aber allerdings ist das Verfahren der Grund und Boden, in
welchem die Wurzeln unseres Begriffes liegen. Nicht eines umständ-
lich geordneten Verfahrens bedarf die Verwaltungsrechtspflege; wohl
aber gehört zu ihrem Wesen, wie zu dem aller Rechtspflege, daſs
überhaupt ein Verfahren ihrem Urteile vorausgehe. Im ge-
wöhnlichen Gang der Verwaltung treten behördliche Akte dem Einzel-
nen ordnungsmäſsig oft ganz unvermittelt gegenüber, so daſs er erst
aus der Kundgabe erfährt, was für ihn gelten soll. Niemals würde
ein solcher Überfall als ein Urteil angesehen werden. Begriffs-
wesentlich ist für alle Rechtspflege, daſs vor ihrem Urteil die
davon Betroffenen sich darüber aussprechen und da-
rauf einwirken können22. Das bedeutet von selbst ein ge-
wisses Verfahren. Im Civilprozeſs und dem ihm nachgebildeten
Verwaltungsgerichtsprozeſs ist diese den Beteiligten zustehende An-
teilnahme einer der wichtigsten Gegenstände, die da im Zu-
sammenhang des Ganzen ihre Ordnung finden. Die Parteirechte
gründen sich darauf. Wenn für das Verfahren keine gesetzlichen
Bestimmungen bestehen, so ist doch schon damit, daſs Verwaltungs-
rechtspflege sein soll, von selbst angeordnet, daſs den Beteiligten eine
[173]§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
solche Stellung als Parteien zukommen und ein Verfahren eingehalten
werden soll, das dem entspricht23.
Wenn es demnach zum Wesen der Verwaltungsrechtspflege ge-
hört, daſs hier ein Verwaltungsakt erzeugt wird mit einem gewissen
rechtlich bedeutsamen Anteil des davon Betroffenen, so ist die ent-
scheidende Frage die, worin die rechtliche Bedeutung dieses Anteils
besteht. Die Civilrechtspflege zeigt uns diesen Anteil in verschiedener
Gestalt. Sie beginnt damit, daſs es der beteiligte Unterthan ist, der
die obrigkeitliche Thätigkeit überhaupt erst in Bewegung setzt und
das Urteil herbeiführt mit seinem Anspruch auf Rechtshülfe, dem Klage-
recht. Auch in der Verwaltungsrechtspflege giebt es ein solches.
Aber hier erscheint es nicht notwendig und nicht überall. Sie geht
möglicherweise auch vor auf Antrag einer öffentlichen Behörde gegen
den Unterthanen, der sich nur verteidigt. Sie gleicht dann der Straf-
rechtspflege. Wenn man da von einem Klagerecht der Obrigkeit
sprechen will, so ist das nur eine äuſserliche Entlehnung des Aus-
drucks; um Rechtsschutz für die Obrigkeit handelt es sich überhaupt
nicht24. Andererseits besteht ein Anspruch auf Rechtshülfe ganz im
Sinne dieses Klagerechts d. h. als Recht auf einen obrigkeitlichen
Ausspruch über das Verhältnis [auch] auſserhalb der Verwaltungsrechts-
[174]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
pflege: wir haben ihn bereits kennen gelernt im Beschwerderecht
(oben § 12, I n. 3). Die Verwaltungsrechtspflege muſs dem gegen-
über ein Mehr bedeuten.
Wenn das Vorbild des Klägers, der das Urteil verursacht, für die
Verwaltungsrechtspflege nicht ausreicht, so bietet der Civilprozeſs einen
umfassenderen Grundsatz, der auch die Rechtsstellung des Beklagten
begreift: den Anspruch auf rechtliches Gehör. Über niemand
darf ein Urteil gesprochen werden, ohne daſs er vor der urteilenden
Behörde zu Worte gekommen wäre oder, wenn er wollte, dazu hätte
kommen können, um seine Interessen zu vertreten. Ist die Nicht-
beachtung des Anspruchs auf Rechtshülfe ein Unrecht gegen den
Berechtigten, als Rechtsverweigerung, so ist die Versagung des recht-
lichen Gehörs ein Unrecht, das die Rechtsungültigkeit des unter solchen
Umständen erlassenen Aktes herbeiführt. Allein die gleiche Form-
bedingung kann die Anhörung der Beteiligten auch auſserhalb der
Verwaltungsrechtspflege bedeuten. Das Gesetz schreibt sie bei mancher-
lei Verwaltungsakten vor mit der Wirkung, daſs sie ungültig sind,
wenn diese Form nicht erfüllt ist; und doch werden diese Akte da-
durch nicht zu Akten der Verwaltungsrechtspflege, nicht zu Urteilen25.
Das rechtliche Gehör, das die Verwaltungsrechtspflege den Beteiligten
eröffnet, muſs also mehr sein als eine bloſse Bedingung der Gültigkeit.
Was der Anspruch auf rechtliches Gehör für die Verwaltungs-
rechtspflege wirklich bedeutet, wird erst klar durch einen anderen
Begriff, der mit ihr zusammenhängt, durch den Begriff der Rechts-
kraft. Der in der Verwaltungsrechtspflege erzeugte Akt, das Ver-
waltungsurteil soll der Rechtskraft fähig sein wie das Civilurteil. Es
kann angefochten werden im Instanzenzug der Verwaltungsrechtspflege,
wie jenes in dem seinigen. Sofern das nicht geschieht oder nicht
mehr möglich ist, wird es rechtskräftig. Diese Rechtskraftfähigkeit
als eine besondere Eigenschaft des Verwaltungsurteils, mit der es sich
auszeichnet vor einfachen Verwaltungsakten, ist eine Thatsache,
über welche kein Streit besteht. Sie wird allgemein anerkannt26.
[175]§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
Was bedeutet aber die Rechtskraft? Der Name wird ja in mancher-
lei Sinn gebraucht. Wenn er einfach die Vollstreckbarkeit
eines Aktes ausdrücken will, so ist damit für uns nichts besonderes
gesagt; vollstreckbar sind von Natur alle Verwaltungsakte27. Der
Schwerpunkt des Begriffes liegt in der Unabänderlichkeit des
Aktes und zwar in einer Unabänderlichkeit, die daher kommt, daſs er
in der Verwaltungsrechtspflege erzeugt worden ist.
Verwaltungsakte können noch auf andere Weise unabänderlich
geworden sein. Ein Verwaltungsakt, der die Instanzen durchlaufen
hat, oder sonst nicht mehr anfechtbar ist, namentlich weil er etwa
durch eine Beschluſsbehörde erledigt wurde, die ihrer Zuständigkeits-
ordnung nach nicht mehr mit ihm befaſst werden kann, ist thatsäch-
lich zu einer gewissen Unabänderlichkeit gelangt (oben § 12, III
n. 3)28. Ein Verwaltungsakt, der ein subjektives öffentliches Recht
begründet hat, ist durch dieses Recht insoweit gebunden, als er
wenigstens nicht im Widerspruch damit geändert werden kann (oben
§ 9, III n. 1)29. Die Rechtskraft bedeutet eine Unabänderlichkeit
des Aktes, die ihm zukommt durch die Art seiner Entstehung,
[176]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
und die beruht auf der Gebundenheit dieses Aktes dem
Unterthanen gegenüber, für den er ergangen ist30.
Die Rechtskraft ist auf diese Weise nichts anderes als der Aus-
druck eines subjektiven öffentlichen Rechts der Partei.
Indem das Urteil zu ihrem Nachteil und gegen ihren Willen nicht
geändert werden kann, sondern ihr gegenüber rechtlich bindend und
zu handhaben bleibt für die Behörde, die es erlassen hat, wie für
die ganze vollziehende Gewalt, wer immer damit in Berührung kommt,
hat sie Macht erworben über ein Stück öffentlicher Gewalt in dem
oben § 9, III festgestellten Sinn.
Indem dieses Recht am Urteil erworben wird durch seine Ent-
stehungsart, durch die Form der Verwaltungsrechtspflege,
in der es erzeugt wurde, erläutert sich beides gegenseitig.
Es ist keine freie Erfindung des „Zwecks im Recht“, daſs eine
solche Art von Unabänderlichkeit, wie die Rechtskraft bedeutet, ein-
geführt wurde und daſs sie gerade an die Erfüllung der Form der
Verwaltungsrechtspflege geknüpft wurde: das Recht der Partei am
Urteil wächst innerlich heraus aus ihrer Rechtsstellung gegenüber
seiner Erzeugung; handelnd oder stillschweigend hat sie das Urteil
rechtlich bedingt und mitgewirkt bei seiner Entstehung. Darum ge-
hört es ihr31.
[177]§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
Die rechtliche Natur der Teilnahme am Verfahren, zu welcher
der Einzelne berufen ist, sobald es sich um Verwaltungsrechtspflege
handelt, bestimmt sich andererseits durch dieses Endziel. Wesentlich
ist nicht das Klagerecht noch die Bedingtheit, der Gültigkeit des
Urteils durch das rechtliche Gehör; sondern darauf kommt es an,
daſs diese Teilnahme gemeint ist als eine solche, die dem darauf er-
gehenden Akte die Rechtskraftfähigkeit verleiht. In der Berufung zu
einer solchen Teilnahme liegt der Kern des Begriffes der Partei im
Civilprozeſs. Daſs der Einzelne, über welchen der Verwaltungsakt
ergehen soll, als Partei in diesem Sinne bei der Erlassung des Aktes
zugezogen werde, darin besteht das Wesen der Verwaltungsrechts-
pflege.
Verwaltungsrechtspflege ist Erlassung eines Ver-
waltungsaktes unter Zuziehung des beteiligten Unter-
thanen als Partei im Sinne des Civilprozesses und ins-
besondere mit der Wirkung der Rechtskraftfähigkeit
des Aktes.
Da Rechtskraft im wohlverstandenen Sinne die civilprozeſsmäſsige
Rechtsstellung der Beteiligten im Verfahren schon voraussetzt, so läſst
sich die Begriffsbestimmung auch kürzer fassen dahin: Verwaltungs-
rechtspflege ist Erlassung eines rechtskraftfähigen Ver-
waltungsaktes.
Auf diese Weise ist die Verwaltungsrechtspflege eine staatliche
Thätigkeit, die ihre eigentümliche Art ganz und gar in der formellen
Seite hat. Daher ihre mannigfaltige Verwendbarkeit, die nur dadurch
recht verständlich wird. Jede Art von Verwaltungsakt, ohne Rück-
sicht auf den Inhalt, ist fähig, in diese Form gebracht zu werden. Die
dadurch bestimmten Beziehungen zwischen Staat und Unterthan werden
dann in der ihr eigentümlichen Weise festgelegt: die Grenzen des
Rechts und des zu achtenden Interesses des Einzelnen, die in diesem
Getriebe sonst immer von Fall zu Fall neu in Frage kommen und
neu erwogen werden, sichert sie stellenweise durch einen Grenzstein,
der unverrückbar und unbestreitbar ist schon allein deshalb, weil sie
ihn gesetzt hat. Das ist ihr besonderer Wert als Rechtsschutz-
einrichtung. Sie hat darin eine gewisse Verwandtschaft mit der Be-
urkundung32.
Im Vergleich mit den überschwänglichen Ausdrücken, in welchen
üblicher Weise von der Wichtigkeit der Verwaltungsrechtspflege ge-
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 12
[178]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
sprochen wird33, mag dieses Ergebnis allerdings etwas geringfügig
vorkommen. Aber man denkt sich da eben die Verwaltungsrechts-
pflege immer schon verbunden mit den sonstigen guten Einrichtungen,
die in der Wirklichkeit regelmäſsig dazu kommen: Unabhängigkeit
der erkennenden Behörde, gesetzlich geregeltes Verfahren u. s. w.,
faſst sie auch in ihrer lohnendsten Aufgabe, wo sie die Form giebt
für die Nachprüfung behördlicher Thätigkeit, die ein Recht des
Einzelnen oder die Rechtsordnung selbst verletzt haben soll. Das
alles giebt es auch auſserhalb der Verwaltungsrechtspflege; sie giebt
nur einen einzigen, wenn auch vielleicht besonders kennzeichnenden
Punkt dazu, der allein ihr eigentümliches Wesen ausmacht. Das Lob,
das das Ganze verdient, häuft sich alsdann für die gemeine Anschauung
auf ihren Namen. Aber für den juristischen Begriff muſs die Scheidung
in aller Schärfe bestehen bleiben.
§ 14.
Fortsetzung; Arten der Verwaltungsstreitsachen.
Die Verhältnisse, welche in Form der Verwaltungsrechtspflege zu
behandeln sind, nennen wir Verwaltungsstreitsachen. Das
Gesetz bestimmt, welche das seien1. Manche Gesetzgebungen be-
dienen sich dafür eines stehenden Ausdruckes2. Im übrigen ist es
Sache der Auslegung, ob das Gesetz das gewollt hat. Insbesondere
kann es entnommen werden aus der Zuweisung einer Sache an ein
Verwaltungsgericht d. h. an eine Behörde, welche eigens dazu
[179]§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
bestellt ist, Verwaltungsrechtspflege zu üben. Aus der Art, wie das Gesetz
die Verwaltungsstreitsachen bestimmt, erhalten diese ihre Besonder-
heiten nach verschiedenen Richtungen.
1. Die bürgerliche Rechtsstreitigkeit wie die Strafsache haben
ihren natürlichen selbstverständlichen Umfang: sobald die Obrigkeit
im Civil- und Strafrecht bestimmen soll, was Rechtens ist, geschieht
es in Form der Rechtspflege. Auf dem Gebiete der Verwaltung da-
gegen ist das Natürliche, von selbst Gegebene dafür der einfache Ver-
waltungsakt; er bleibt auch die Regel und das Gesetz trifft immer
nur eine Auswahl von Sachen, welche statt dessen in Form der Ver-
waltungsrechtspflege zu erledigen sind.
Diese Auswahl kann es in der Weise treffen, daſs es die Ver-
waltungsstreitsachen nach gewissen allgemeinen Merkmalen
bezeichnet. Die Merkmale werden der rechtlichen Gestalt des zu be-
handelnden Verhältnisses entnommen und gern so bestimmt, daſs eine
Rechtsprechung vorzunehmen ist; doch ist das keineswegs ausschlieſs-
lich der Fall. Es können aber auch die zur Verwaltungsrechtspflege
bestimmten Arten von Sachen bezeichnet werden nach dem be-
sonderen Inhalt des Verhältnisses. Da bekommt sie dann ihren
Stoff nicht durch einen allgemeinen Grundsatz, sondern durch eine
Aufzählung der einzelnen Gegenstände3. Auch hierbei können
die Fälle der Rechtsprechung bevorzugt werden; Fälle des freien Er-
messens mischen sich nur verhältnismäſsig leichter hinein. Ein tief-
gehender Gegensatz besteht zwischen den beiden Verfahrensarten nicht;
eine Auswahl bedeuten sie beide. Thatsächlich erscheinen sie in
unseren Gesetzgebungen gemischt: es wird bald diese, bald jene
bevorzugt und grundsätzlich befolgt; dazwischen aber bedient man
sich wohl auch der anderen4.
Mit diesem Gegensatz zur Civilrechtspflege, der sich in der Aus-
wahl ihres Stoffes kundgiebt, hängt eine andere Eigentümlichkeit der
12*
[180]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Verwaltungsrechtspflege zusammen: sie hat ursprüngliche und
nachträgliche Verwaltungsstreitsachen5.
Unter ursprünglichen Verwaltungsstreitsachen verstehen wir solche
Verhältnisse, die von vornherein, sobald sie im Einzelfall eine obrig-
keitliche Bestimmung bekommen sollen, diese erhalten in Form der
Rechtspflege. So geht es durchweg mit den Sachen, die der Civil-
und Strafrechtspflege gehören. Die Verwaltungsstreitsachen können
in der gleichen Weise geordnet sein. Bei ihnen ist aber auch eine
andere Anordnung möglich. Das Urteil hat hier die obrigkeitliche
Bestimmung durch einfachen Verwaltungsakt neben sich und die
Scheidung beider kann gelegt sein zwischen die erste und zweite
Instanz. Die Behörde spricht zunächst aus, was Rechtens sein soll,
ohne besondere Form; nur im Falle die Beteiligten sich nicht dabei
beruhigen, findet auf ihren Antrag eine neue Prüfung und Bescheidung
statt, diese aber jetzt in Form der Verwaltungsrechtspflge. Die Sache
wird nachträglich Verwaltungsstreitsache. Dafür geben Civil- und
Strafrechtspflege kein Vorbild. Die Rechtsinstitute der Zahlungsbefehle
und Strafbefehle machen nur scheinbar eine Ausnahme. Da handelt
es sich um einen Versuch, die Sache summarisch zu erledigen; der
Befehl ist dem Verfahren nur vorgeschoben und verschwindet einfach,
sobald der Einspruch erhoben ist. Unser Verwaltungsakt dagegen
stellt das ordentliche Verfahren vor und verhält sich zu dem nach-
prüfenden Urteil wie das Versäumnisurteil oder in dem regelmäſsigen
Falle, wo die nachträgliche Rechtspflege von einer andern Behörde
geübt wird, wie das Urteil erster Instanz. Er ist auf das Rechts-
mittel hin nicht einfach wie nicht ergangen, sondern wird nach-
geprüft, bestätigt oder aufgehoben oder abgeändert. Besonders deut-
lich wird seine Stellung, wenn die Nachprüfung nur auf bestimmte
Punkte, die Rechtsfrage z. B., sich erstreckt d. h. die nachträgliche
Rechtspflege zugleich die Natur einer beschränkten Rechtspflege hat
in dem unter n. 3 genauer zu entwickelnden Sinne. Das giebt dann
die sogenannte Rechtskontrolle, die ja gerade voraussetzt, daſs
der Schwerpunkt der obrigkeitlichen Ordnung des Falles in dem nach-
zuprüfenden Akte liegt.
Gerade in dieser zweifachen Verwendungsart der Verwaltungs-
rechtspflege bekundet sich wieder die Rolle, welche sie im Verwaltungs-
recht spielt: es ist Zweckmäſsigkeitsfrage, ob man sie überhaupt, und
[181]§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
ob man sie früher oder später an die Stelle des einfachen Ver-
waltungsaktes treten läſst6.
2. Zum Wesen der Rechtspflege gehört die Partei. Darunter
verstehen wir dasjenige Rechtssubjekt, dessen Verhältnis durch das
ergehende Urteil bestimmt werden soll und für welches denn auch
allein die Rechtskraft wirkt7. Es genügt, daſs die Behörde ein
Rechtssubjekt dazu vor sich hat; es können mehrere neben einander
ihr gegenüber stehen, alle gleichmäſsig beteiligt daran, daſs der Aus-
spruch über sie in bestimmter Richtung ergehe, z. B. mehrere An-
geschuldigte vor dem Strafrichter; das macht keinen Unterschied.
Es können aber auch mehrere Parteien in entgegengesetzten Interessen
beteiligt sein, dergestalt, daſs jede zugleich der Staatsgewalt gegenüber-
steht, von der sie Recht nimmt, und der Gegenpartei, gegen welche
sie Recht erhalten will, z. B. die Parteien im Civilrechtsstreit. Wir be-
zeichnen jenen Fall als die einseitige, diesen als die zweiseitige
Rechtspflege. Die geordnete Anteilnahme, welche der Partei in dem
zum Urteil führenden Verfahren zugewiesen ist, nennen wir die
Parteirolle, die Partei von dieser Seite betrachtet Prozeſspartei,
die Rechte, welche ihr dabei zustehen, Prozeſsführungsrechte8. Wo
das Verfahren darauf angelegt ist, daſs entgegengesetzte Parteirollen
darin zur Geltung kommen, sprechen wir von Rechtspflege mit
kontradiktorischer Prozeſsführung; wo dagegen nur eine
Art von Parteirolle gegeben ist, nennen wir es Rechtspflege mit ein-
seitiger Prozeſsführung.
[182]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Jede zweiseitige Rechtspflege ist von selbst auf die entsprechen-
den Parteirollen, also zu kontradiktorischer Prozeſsführung eingerichtet
(Kläger und Beklagter). Aber nicht jede einseitige Rechtspflege bleibt
bei der entsprechenden einseitigen Form der Prozeſsführung stehen,
vielmehr kann das Verfahren auch bei ihr kontradiktorisch geordnet
sein. Es gilt als eine besondere Garantie für die Richtigkeit des
Ergebnisses, daſs der Richter nicht bloſs von einer Seite her eine
Einwirkung spüre, zu welcher er leicht selbst in eine gewisse Gegner-
schaft geraten könnte, sondern im Gleichgewicht gehalten werde durch
eine Gegenwirkung, welche auch die andere Seite der Sache vertritt.
So ist der Staatsanwalt dem Angeklagten gegenüber gestellt worden
in der Rolle einer Prozeſspartei mit allen Prozeſsführungsrechten, ohne
daſs die Strafrechtspflege deshalb aufgehört hätte, einseitige Rechts-
pflege zu sein: der Angeklagte steht sachlich keiner Partei gegenüber.
Die Anordnung eines kontradiktorischen Verfahrens beweist also noch
nicht, daſs auch eine zweiseitige Rechtspflege stattfinde zwischen
gegnerischen Parteien. Die letztere Frage ist aber von durchschlagender
Wichtigkeit; denn der zweiseitigen Rechtspflege entspricht notwendig
auch eine zweiseitige Rechtskraft und damit ist der Kern des ganzen
Rechtsinstitutes berührt (vgl. unten § 15).
Die Verwaltungsrechtspflege nun bietet regelmäſsig das Bild einer
zweiseitigen Prozeſsführung. Es giebt da Fälle, wo zwei Private als
Prozeſsparteien sich gegenüber stehen, die sogenannten Partei-
streitigkeiten oder Parteisachen des öffentlichen
Rechts, nach älterem Ausdruck administrativ-kontentiöse
Sachen. Auch sonst hat die Gesetzgebung hier mannigfach Ein-
richtungen getroffen, um dem Verfahren eine kontradiktorische
Form zu geben: ein Vertreter des öffentlichen Interesses
soll der Privatpartei gegenüber stehen, Staatsanwälte, besondere
Regierungskommissare werden dazu bestellt oder die Verwaltungs-
behörde, deren Akt angefochten wird, ist berufen, ihren Akt zu ver-
teidigen.
Hinter dieser äuſserlichen Gleichförmigkeit wird aber nun die Frage
stehen, ob es um eine oder um entgegengesetzte Parteien sich
handelt, einseitige oder zweiseitige Verwaltungsrechtspflege vorliegt.
Man hat sich bemüht, jede Verschiedenheit in dieser Hinsicht zu
verwischen. Das kann geschehen so, daſs man den Begriff der Partei
für die Verwaltungsrechtspflege überhaupt streicht. Die öffentliche
Behörde ist dann nicht Partei, sondern nur beteiligt wie der Staats-
anwalt im Strafprozeſs und die Privatperson ebenso; es handelt sich
für beide nur „um eine formelle Verteilung der Parteirollen“ zu dem
[183]§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
Zwecke, „ein geordnetes kontradiktorisches Verfahren zu ermöglichen“.
Folglich wird die Sache auch nicht anders, wenn beide Rollen von
Privatpersonen ausgefüllt werden9. Die Verschiedenheit ist beseitigt,
aber doch nur auf Kosten der Wahrheit der Sache. Denn daſs diese
Privatpersonen etwas anderes sind als streitende Staatsanwälte, daſs
sie für sich etwas erstreiten wollen, daſs sie die Rechtssubjekte sind,
für die das Urteil wirkt und rechtskräftig wird, davon läſst sich doch
nicht so einfach absehen.
In der umgekehrten Weise sucht man die Übereinstimmung da-
durch herzustellen, daſs man überall zwei richtige Parteien
findet, die sich gegenüberstehen in dem Falle, wo nur eine Privat-
person erscheint, wie in dem, wo zwei solche sich unter einander
streiten. Wo im ersten Fall die Gegenpartei sei, darüber ist man
allerdings nicht einig. Bald nennt man die Behörde, das „Ver-
waltungsorgan“, bald den Staat.
Das erstere beruht offenbar auf einer Verwechslung der Partei
mit dem Träger einer Parteirolle im Prozeſs10.
[184]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Die andere Ansicht kann sich anlehnen an eine Auffassung, die
für das Gebiet des Strafprozesses vorherrschend zu sein scheint, wo-
nach das Gericht Recht spricht zwischen dem Angeklagten einerseits
und dem durch den Staatsanwalt vertretenen Staat andererseits11. Das
mag die Sache veranschaulichen und führt auch auf jenem beschränkten
Gebiete zu keinen besonderen Widersprüchen. Richtig ist es auch
dort nicht. Das Verhältnis des Staates zu dem Angeklagten ist durch
die Einführung des Institutes der Staatsanwaltschaft kein anderes ge-
worden, als es zur Zeit des Inquisitionsprozesses war. Der Angeklagte
steht nicht dem Staate als Gericht und zugleich dem Staate als einer
durch den Staatsanwalt vertretenen Partei gegenüber, sondern Gericht
und Staatsanwaltschaft, jedes in seiner Zuständigkeit, sind zusammen
die Staatsgewalt, mit der er zu thun hat.
In der Verwaltungsrechtspflege wird aber die wahre Sachlage noch
viel leichter erkennbar12. Schon aus der Art, wie der „Vertreter des
10
[185]§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
öffentlichen Interesses“ bestellt wird, kann sich ergeben, daſs es sich
hier nicht um Vertretung einer Partei handelt, sondern nur um Aus-
füllung der entsprechenden Rolle im Prozeſsverfahren13. Manche
Gesetzgebungen, welche auf die kontradiktorische Verhandlung weniger
Wert legen, sehen aber von der Zuziehung eines derartigen staats-
anwaltartigen Beamten überhaupt ab. Dann ist es ganz klar. Der
Einzelne, der hier eine Verwaltungsmaſsregel vor dem Verwaltungs-
gericht anficht oder sich wehrt gegen einen Nachteil, der ihm in Form
der Verwaltungsrechtspflege auferlegt wird, findet niemand sich gegen-
über als das Gericht selbst. Dann ist der Staat in dem Verfahren
als Partei nicht vertreten und soll nicht vertreten sei; freilich durch
das Gericht selbst ist er vertreten, aber das Gericht ist doch das
Gegenteil eines Parteivertreters. Es giebt wohl Parteirollen der Form
halber ohne Partei dahinter; aber soll hier eine Partei sein, für die
es gar keine Parteirolle giebt? Wie soll für eine solche „Partei“
Rechtskraft entstehen? Sie entsteht auch gar nicht für sie (unten
§ 15). Der Staat wird hier lediglich zur Ausfüllung des civilprozeſs-
rechtlichen Schemas von der Theorie als Partei fingiert14. Die Ver-
12
[186]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
waltungsrechtspflege kann ihrer allgemeinen Natur gemäſs der Partei
nicht entbehren, für welche der Verwaltungsakt ergehen und in
der dem Urteil eigentümlichen Weise gebunden sein soll. Aber regel-
mäſsig hat sie wie die Strafrechtspflege nur eine Partei vor sich.
Das ist der Unterthan, dessen Verhältnis zur Staatsgewalt der Akt
bestimmt. Das Gesetz, das Rechtspflege anordnet für einen Ver-
waltungsakt, macht eben dadurch den Unterthan, über welchen dieser
ergehen soll, zur Partei15.
Möglicherweise kann der Verwaltungsakt auch über mehrere
Unterthanen zugleich ergehen und zwar so, daſs diese in entgegen-
gesetztem Interesse dabei beteiligt sind. Dann liegt der Fall einer
zweiseitigen Rechtspflege vor. Im Strafprozeſs geschieht das mit dem
Auftreten eines Nebenklägers. In der Verwaltungsrechtspflege kann
es sich auf verschiedene Weise ergeben.
Gewisse Verwaltungsakte finden schon in ihrem Gegenstande eine
Mehrzahl von Beteiligten, die mit widerstreitenden Ansprüchen sich
gegenüber stehen und zwischen denen sie Recht sprechen. Die vor-
nehmsten Fälle liefern Auseinandersetzungssachen, Verbandlasten und
sonstige sekundäre Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts (oben
§ 9 Note 10). Es wird als selbstverständlich betrachtet, daſs der-
artige Entscheidungen in Form der Rechtspflege erfolgen. Entweder
werden sie in die Civilrechtspflege hinüber geschoben, oder das Gesetz
bestimmt, daſs Verwaltungsrechtspflege dafür stattzufinden hat. Dann
ist das von selbst eine zweiseitige; die entgegengesetzten Parteien
sind gegeben.
Aber auch ohne solche Grundlage kann das Gesetz für Erlassung
eines Verwaltungsaktes, der über eine Person ergeht, ein Verfahren
anordnen, in welchem die Begehren und Einwendungen der in ent-
gegengesetztem Interesse an der Sache Beteiligten zu Gehör kommen,
und kann diesem Verfahren sofort oder in der Nachprüfung die Gestalt
14
[187]§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
der Verwaltungsrechtspflege geben. Alle dabei Zugelassenen werden
alsdann Parteien und die Rechtspflege bekommt dadurch wieder die
Zweiseitigkeit der entgegengesetzten Wirkung16.
In diesen Fällen kann auch der Staat selbst, sofern er wie ein
Privater in der Verbandlast steht oder an dem ergehenden Akte der
zweiten Art beteiligt ist, als Fiskus in dem Verfahren auftreten und
er ist dann eine richtige Partei wie eine andere mit allen Folgen,
die diese Stellung mit sich bringt17.
3. Wir können auf dem Gebiete des Civilprozesses eine volle
und eine beschränkte Rechtspflege unterscheiden, je nach dem
Umfange, in welchem sie ihren Fall erfaſst. Das Regelmäſsige ist,
daſs sie das ganze Verhältnis der Parteien, wie es ihr vorgelegt ist,
in thatsächlicher und rechtlicher Beziehung prüft und danach aus-
spricht, was zwischen ihnen Rechtens ist. Ausnahmsweise ist die
Aufgabe des Richters gesetzlich darauf beschränkt, an den ihm vor-
gelegten Verhältnissen nur eine bestimmte Seite zu prüfen und nur
darüber seinen Ausspruch zu thun. Das ist der Fall bei dem Rechts-
mittel der Revision: geprüft wird nur die Rechtsanwendung und
festgestellt durch das Urteil nur die rechtliche Beurteilung des
Falles18.
[188]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Dieser Gegensatz besteht auch auf dem Gebiete der Verwaltungs-
rechtspflege, nur daſs hier die gesetzlich beschränkte Rechtspflege
häufiger und in gröſserer Mannigfaltigkeit auftritt.
Volle Verwaltungsrechtspflege finden wir vor allem in Aus-
einandersetzungssachen und sonstigen Parteistreitigkeiten des öffent-
lichen Rechts. Aber auch die einseitige Verwaltungsrechtspflege bietet
Beispiele dafür. Es muſs überhaupt davon ausgegangen werden,
daſs überall, wo das Gesetz eine Sache ohne Vorbehalt in die Ver-
waltungsrechtspflege verweist, diese jeweils das ganze Verhältnis zu
prüfen und festzustellen hat19.
Beschränkte Verwaltungsrechtspflege entsteht dadurch, daſs
das Gesetz eine Sache dem Verwaltungsgericht so zuweist, daſs
nur eine gewisse Seite davon geprüft werden darf. Es kann zu
diesem Zweck einen einzelnen Punkt aus einem bestimmten Ver-
hältnis herausnehmen20, oder umgekehrt das Verhältnis schlechthin
18
[189]§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
überweisen, daneben aber den allgemeinen Grundsatz aufstellen,
daſs das immer nur für eine gewisse Seite gelten soll, die das
Verhältnis bieten mag, oder für eine gewisse Seite nicht, z. B.
nicht für Fragen des freien Ermessens21. Dann wird eine Sache, die
ganz nach freiem Ermessen zu erledigen ist, dem Verwaltungsrichter
überhaupt nicht zugewiesen sein; bei Sachen, die gemischt sind aus
freiem Ermessen und Rechtsprechung, tritt auch eine gemischte Be-
handlung ein, die Rechtspflege beschränkt sich auf die letztere Seite22;
bei Sachen, die ganz Rechtsprechung sind, wird dagegen die Be-
schränkung wieder nicht fühlbar.
Ihren Hauptsitz hat die beschränkte Rechtspflege bei den ober-
sten Landesverwaltungsgerichten. Oberverwaltungsgerichten,
Verwaltungsgerichtshöfen. Hier wird in dieser Form eine einheitliche
Überwachung geübt über die unteren Verwaltungsgerichte und
über die einfachen Verwaltungsbehörden.
Dieser Gerichtshof kann für gewisse Sachen zuständig sein zu
einer Rechtspflege erster Instanz unmittelbar statt eines
unteren Verwaltungsgerichts. Er kann als Berufungsgericht
thätig werden gegenüber unteren Verwaltungsgerichten, wie auch
gegenüber einfachen Verwaltungsbehörden, also hier in nachträglicher
Verwaltungsrechtspflege (oben n. 1)23. In all diesen Fällen bietet
seine Rechtspflege keine weiteren Besonderheiten. Eine beschränkte
[190]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Nachprüfungsrechtspflege steht ihm sodann häufig zu gegenüber
Urteilen unterer Verwaltungsgerichte, insofern er dagegen lediglich
angerufen werden kann wegen unrichtiger Anwendung des Gesetzes
oder Formverletzung. Dafür ist das Vorbild der civilprozeſsrechtlichen
Revision maſsgebend, deren Grundsätze im wesentlichen einfach
übernommen worden sind24.
Als Seitenstück dieser Revision gegen Urteile hat sich aber noch
eine eigenartige Form der obersten Rechtspflege ausgebildet, die eine
ähnliche Überwachung auch der einfachen Verwaltungsakte der Behörde
ermöglichen soll. Sie hat man im Auge, wenn man von Rechts-
kontrolle, Rechtsbeschwerden, Verwaltungsklagen
spricht Es soll eine oberste Rechtspflege sein, die beschränkt ist auf
die Prüfung der Einhaltung gewisser Rechtsschranken; der durch die
Überschreitung Verletzte kann sie in Bewegung setzen durch eine
Anfechtungsklage, die er gegen den verletzenden Verwaltungsakt er-
hebt. Nun bieten aber die Verwaltungsakte ein buntes Gemisch von
rechtlicher Bestimmtheit und freier Bewegung, bald völlig gebunden,
bald teilweise, bald ganz frei innerhalb gewisser Grenzen oder auch
nur innerhalb des Spielraums, den die Verfolgung eines gewissen
Zieles gewährt. Die Grundsätze, nach welchen eine einheitliche
Nachprüfung des Rechtspunktes an ihnen vorgenommen werden soll,
können deshalb verschieden gewählt werden. Es ist verfehlt, wenn
man sich die „Rechtskontrolle“ als einen festen gegebenen Begriff
denkt. Das Gesetz bestimmt die Verwaltungsstreitsachen auch hier
wieder ganz nach seinem Gutdünken und deshalb in den verschiedenen
Ländern verschieden.
[191]§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
Den Ausgang werden wir zu nehmen haben von dem französisch-
rechtlichen Rekurs wegen Machtüberschreitung, der auf die
deutsche Rechtsentwicklung von groſsem Einfluſs geworden ist, wenn
auch gar oft nicht richtig verstanden. Er ist, wie der Kassations-
rekurs, aus dem alten Staatswesen übernommen und durch eine lange
Übung bewährt und auf das genaueste ausgebildet.
Der ursprüngliche Name ist réclamation d’incompétence, auch
jetzt noch heiſst er meist recours pour incompétence ou excès de
pouvoir. Der excès de pouvoir ist selbst nur eine besondere Form
der Zuständigkeitsüberschreitung. Es handelt sich um eine Über-
schreitung der der Behörde gegebenen Vollmachten zur Ausübung
staatlicher Gewalt dem Einzelnen gegenüber. Damit ist gesagt, daſs
die Nachprüfung, welche dieses Rechtsmittel erwirkt, nur auf die Ein-
haltung der äuſseren Grenzen der behördlichen Machtbefugnisse geht.
Daſs unrichtige Behandlung von Ermessensfragen die Anfechtung nicht
begründet, wird uns selbstverständlich scheinen; aber auch die un-
richtige Anwendung des Gesetzes genügt an sich nicht. So wenig der
Richter seine Zuständigkeit überschreitet, wenn er das Gesetz falsch
auslegt, so wenig begründet ein solcher Fehler den recours pour
excès de pouvoir gegen die Verwaltungsbehörde. Die Frage ist einzig,
ob die Behörde noch innerhalb ihrer Vollmacht gehandelt hat; ob gut
oder schlecht, rechtmäſsig oder rechtsirrtümlich, ist gleichgültig.
Überschreitung der Vollmacht kann aber geschehen ebenso gut durch
Miſsbrauch des freien Ermessens, als durch Verkennung der gesetz-
lichen Bedingungen und äuſseren Grenzen, die ihrer Macht gesetzt
sind. Jede Überschreitung bedeutet dann bei dem dadurch Benach-
teiligten ein droit lésé, eine Verletzung „in seinen Rechten“ und da-
gegen ist ihm das Rechtsmittel gegeben25.
[192]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
An Stelle dieses Rekurses wegen Machtüberschreitung steht im
deutschen Recht die allgemeine Anfechtungsklage wegen
Gesetzwidrigkeit. Hier ist die zu übende Rechtspflege in anderer
Weise beschränkt. Der ganze Gegensatz ist ausgesprochen in ihrer
engeren Anlehnung an das objektive Recht. Sie setzt wieder auf der
einen Seite voraus den Einzelnen, der in seinen Rechten verletzt ist,
auf der anderen Seite aber, daſs die Behörde diese Verletzung be-
wirkt habe durch unrichtige Anwendung oder Nichtanwendung des
Gesetzes, d. h. des Rechtssatzes26. Damit ist dem Rechtsmittel über eine
Prüfung der äuſserlichen Grenzen der behördlichen Machtbefugnisse
hinaus die Wirkung einer Nachprüfung der Gesetzmäſsigkeit verliehen
im Sinne der Revision: auch die unrichtige Rechtsanwendung inner-
halb der Zuständigkeit ist getroffen. Zugleich allerdings ist verzichtet
auf jene kühnere Auffassung des französichen Rechtsinstitutes, welche
auch den richtigen Gebrauch des freien Ermessens in den Bereich
der Nachprüfung zieht. Der deutsche Verwaltungsrichter klebt hier
an seinem Gesetzestexte.
Dafür erscheint in der deutschen Gesetzgebung noch eine andere
Art von oberster Verwaltungsrechtspflege, welche gerade auf eine
Nachprüfung eines Teiles des freien Ermessens gerichtet ist:
die Anfechtungsklage wegen mangelnderthatsächlicher
Voraussetzungen27.
[193]§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
Das freie Ermessen, welches eine Verwaltungsbehörde bei
ihren Verfügungen zu üben hat, geht nach zwei Seiten. Es werden
die Umstände gewürdigt, ob sie geeignet sind, den Akt hervor-
zubringen, und es werden Mittel und Wege ausgewählt, welche ge-
eignet erscheinen, das Gewollte zu verwirklichen. Die Nachprüfung,
zu welcher unser Rechtsmittel führt, erfaſst den ersten Punkt voll;
der Gerichtshof prüft die Voraussetzungen des Aktes, wie
die Behörde, die ihn erlassen hat, es zu thun hatte, also wie ein
Berufungsgericht. Aber zum Unterschied von einem solchen prüft er
die andere Seite des Aktes, die Wahl der Mittel, nicht nach. Ganz
unberührt bleibt auch diese nicht; denn die beiden Seiten des Aktes
hängen ja innerlich zusammen; wenn der Gerichtshof prüfen soll, ob
die Voraussetzungen der Verfügung gegeben waren, so ist nicht über-
haupt ein Akt, sondern dieser Akt nach seinem bestimmten Inhalt
gemeint. Es wird also darauf ankommen, ob das Angeordnete noch
im allgemeinen zu den Dingen gehört, für welche derartige That-
sachen Voraussetzung werden können. Den Maſsstab dafür giebt
wieder die so vielfach im Recht verwendete Formel: es wird ein
Normalmensch gedacht, ein bonus pater familias, hier ein ordentlicher
Verwaltungsbeamter; wenn ein solcher auf diese Voraussetzungen hin
möglicherweise zu einer derartigen Verfügung veranlaſst werden
konnte, so ist nicht weiter zu untersuchen, ob sie auch erforderlich,
gut und zweckmäſsig war. Das ist eben die Seite des freien Er-
messens, die nicht nachgeprüft wird. Das Gesetz drückt das so aus,
daſs es sagt: die Behörde war alsdann zu der Verfügung berechtigt.
Wird aber diese Frage verneint, so ist die Anfechtungsklage begründet
und der angefochtene Akt aufzuheben, nicht wegen Nichtanwendung
oder unrichtiger Anwendung des Gesetzes; denn um Gesetzesanwendung
handelt es sich hier überhaupt nicht; sondern wegen mangelnder
thatsächlicher Voraussetzungen für die Möglichkeit eines Aktes wie
dieser28. Wird also die eine Seite des freien Ermessens nachgeprüft
Binding, Handbuch. VI. 1; Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 13
[194]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
wie auf Berufung, so knüpft sich daran für die andere Seite des
freien Ermessens zugleich eine Nachprüfung wie auf Rekurs wegen
Machtüberschreitung im Sinne des französischen Rechtsinstituts. Da-
durch bleibt es immer noch eine beschränkte Rechtspflege, wenn sie
auch verhältnismäſsig weit in das Gebiet des freien Ermessens hinein
reicht29. —
Das alles erhält noch eine Ergänzung aus einem anderen Gesichts-
punkte. Die Rechtspflege des obersten Verwaltungsgerichts hat näm-
lich naturgemäſs eine gewisse Abneigung gegen neue Beweis-
erhebungen, mit welchen dieses Gericht belastet werden sollte.
Solche sind zum Teil schon ausgeschlossen durch die Natur des
Rechtsmittels und der Nachprüfung, die daraufhin zu handhaben ist.
Die Kassation, Revision oder Nichtigkeitsbeschwerde hat zum obersten
Zweck die Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit der Gesetzesauslegung.
Daſs sie zugleich den Beteiligten zu Gute kommt, ist mehr nur ge-
dacht als ein Anreiz für diese, um sie zur Mitarbeiterschaft an dieser
Überwachung heranzuziehen. Deshalb kommt es hier nur darauf an,
ob aus dem angefochtenen Urteile selbst der Rechtsirrtum erkennbar
wird; der Thatbestand wird bei dieser Prüfung einfach genommen, wie
es ihn festgestellt hat30. In gleicher Weise wird verfahren bei dem
französischen Rekurs wegen Machtüberschreitung; er will nur die
Grenzen der behördlichen Vollmachten einschärfen31.
[195]§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
Im Gegensatz dazu ist unsere verwaltungsrechtliche „Rechts-
beschwerde“, d. h. die Anfechtungsklage wegen Gesetzwidrigkeit wie
die wegen mangelnder thatsächlicher Voraussetzungen in erster Linie
Rechtsschutzmittel des Verletzten. Es kommt darauf an, ob ihm in
dem nachzuprüfenden Punkte Unrecht geschehen ist. Das Gesetz ist
auf seinen Fall auch dann falsch angewendet, wenn es zwar auf den
vom angefochtenen Urteile angenommenen, aber nicht auf den wirk-
lichen Thatbestand paſst, und die thatsächlichen Voraussetzungen
können in Unordnung sein, auch wenn das Urteil das Gegenteil be-
zeugen möchte. Damit ist hier die Möglichkeit gegeben, daſs eine
neue Würdigung der Thatfragen die Vornahme neuer Beweiserhebungen
erforderlich macht32. Wo der Verwaltungsgerichtshof als Berufungs-
instanz thätig wird, versteht sich das ganz von selbst.
In diesen Fällen werden nun besondere Vorkehrungen getroffen, um
den Gerichtshof zu entlasten. Das Gesetz bestimmt etwa ausdrück-
lich, daſs eine erforderlich scheinende Beweisaufnahme an die unteren
Instanzen zurückzuverweisen ist33. Oder es läſst neues Vorbringen
nur bedingt und ausnahmsweise zu34. Auch ohne ausdrückliches
Gesetz hilft in gewissem Maſse der Grundsatz, daſs das von den
unteren Behörden Festgestellte oder thatsächlich Vorausgesetzte die
Vermutung der Wahrheit für sich hat, die Akten also einfach die
13*
[196]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Grundlage bilden, so lange kein Gegenbeweis angetreten und geführt
wird35.
Dadurch verschärft sich noch das Bild der eigenartigen Beschränkt-
heit, in welcher diese oberste Nachprüfung vor sich geht. Aber für
den Begriff der beschränkten Verwaltungsrechtspflege sind diese Be-
weisregeln doch nur nebensächlicher Natur.
§ 15.
Fortsetzung; Umfang der Rechtskraft.
Die Rechtskraft ist die der Rechtspflege eigentümliche Wirkung.
Sie besteht in einer Gebundenheit des darin erzeugten Aktes durch
ein Recht der Partei, über welche er ergeht. Der Umfang der Rechts-
kraft bedeutet nichts anderes als die Frage, wie weit dieses Recht
wirksam wird1.
I. Die Rechtskraft wirkt für diejenigen Personen, welche an
dem Verfahren als Parteien beteiligt waren.
1. Die Rechtskraft wirkt auf den Staat; denn in seiner Ge-
bundenheit, in der Gebundenheit der vollziehenden Gewalt besteht
sie2. Sie wirkt auf die Behörden, insofern sie als Glieder der
vollziehenden Gewalt davon mit betroffen und ihre Beamten durch
ihre Dienstpflicht zur Beachtung dieser Gebundenheit verhalten sind3.
[197]§ 15. Umfang der Rechtskraft.
Das ist aber alles nur die Folge der Wirkung, welche die Rechts-
kraft hat für die Partei, für den Unterthanen, über welchen der
Akt ergangen ist. Für diesen begründet sie ein Recht an dem Akte;
und zwar besteht das Recht darin, daſs der Akt zu seinem Nachteil
nicht geändert werden darf, indem ihm weniger gegeben oder mehr
genommen würde, als dieser bestimmt. In dieser einfachen Gestalt
wirkt die Rechtskraft bei der einseitigen Rechtspflege. Bei der zwei-
seitigen erscheint auch eine zweiseitige Rechtskraft: der Akt
ist von entgegengesetzten Seiten her gebunden; das Recht des Klägers
verhindert eine Verminderung dessen, was der Beklagte zu leisten
hat, das des Beklagten eine Erhöhung. Auf diese Weise wirkt die
Rechtskraft mittelbar zwischen den Parteien: sie wirkt zu
Gunsten der einen gegen die andere, indem sie die öffentliche Gewalt
in dieser Richtung bindet. Die unmittelbare Wirkung geht immer
gegen die gebundene öffentliche Gewalt.
2. Die Partei, für welche die Rechtskraft wirkt, ist im civil-
gerichtlichem Urteil stets genannt. Daſs sie im Verfahren gehörig
beteiligt gewesen sei, ist nur Gültigkeitsbedingung des Urteils. In
der Verwaltungsrechtspflege findet nicht durchweg eine förmliche Fest-
stellung der Parteieigenschaft im Urteil selbst statt; vor allem aber
gehen in der Verwaltung Urteile und einfache Verwaltungsakte für
die nämlichen Sachen neben einander; es kann sogar ein und derselbe
Akt für den einen ein Urteil sein, für den andern ein einfacher Ver-
waltungsakt.
Deshalb wird es hier für die Frage, wer Partei war und für wen
die Rechtskraft wirkt, von solcher Wichtigkeit, ob thatsächlich eine
Beteiligung als Partei stattfand. Dazu genügt nicht, daſs
jemand, der ein Interesse an der Sache hat, vor Erlassung des Aktes
gehört worden ist; das kann auch bei einfachen Verwaltungsakten
geschehen. Es ist notwendig, daſs er gerade als Partei aufgetreten
ist oder wenigstens in die Parteirolle gesetzt war, mochte er dann
davon weiter Gebrauch machen oder nicht.
Das kann erkennbar werden an gewissen Formen des Auf-
tretens oder der Zuziehung, durch welche das Gesetz gerade die
Parteirolle kennzeichnet. Soweit solche Formen nicht gegeben sind,
genügt es, daſs jemand durch das Gesetz für die Sache als Partei
berufen ist und eine thatsächliche Beteiligung stattgehabt hat durch
freiwilliges Auftreten oder eine Zuziehung irgend welcher Art, die
3
[198]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
geeignet war, in die Parteirolle zu setzen d. h. zur Mitarbeit an dem
zu erlassenden Urteil aufzufordern.
Im ersteren Fall ist es gleichgültig, ob die Beteiligung zu Recht
oder zu Unrecht stattfand; auch der gesetzlich gar nicht zum Ein-
spruchsverfahren z. B. und der darauf folgenden Verhandlung Berufene
wird Partei, sobald er zur Erfüllung der Formen zugelassen ist, und
das ergehende Urteil wird rechtskräftig für ihn. Im andern Falle
giebt die gesetzliche Bestimmung über die zur Teilnahme an der
Rechtspflege Berechtigten den Maſsstab für die Beurteilung dessen,
was geschehen ist. Wenn das Gesetz Rechtspflege anordnet über
Gesuche um polizeiliche Erlaubnisse, so ist das an sich nur gemeint
für die Gesuchsteller; denn sie allein sind es, die der Akt von selbst
rechtlich berührt. Wenn Widerspruch erhoben ist von Dritten, so
werden diese dadurch nicht zu Parteien, die Abweisung oder Will-
fahrung ist ihnen gegenüber ein einfacher Verwaltungsakt, dem Gesuch-
steller gegenüber allein ein Urteil. Wenn dagegen das Gesetz be-
stimmt, daſs auch solche Widersprüche als Verwaltungsstreitsachen zu
behandeln sind, so wird ganz der nämliche äuſserliche Vorgang im
Sinne einer Beteiligung des Widersprechenden als Partei aufzufassen
sein; der ergehende Ausspruch wird rechtskräftig für ihn4.
Aber es wird niemals ein Akt rechtskräftig für jemand bloſs
deshalb, weil dieser gesetzlich zur Partei berufen gewesen wäre, wenn
er thatsächlich es nicht geworden ist, weil er sich weder selbst in die
Parteirolle gesetzt hat, noch durch geeignete Zuziehung darein ver-
setzt worden ist5.
3. Die Fälle, in welchen man von einer Wirkung der Rechts-
kraft über die Parteien hinaus spricht, stehen nicht im Wider-
spruch mit diesen Regeln.
Das gilt vor allem von der Beiladung, Adcitation. Sie setzt
voraus einen bereits anhängigen Rechtsstreit, also daſs mindestens
eine Partei dem Gerichte bereits gegenüber stehe, und besteht in der
[199]§ 15. Umfang der Rechtskraft.
Verfügung des Gerichts, durch welche ein Dritter in das Verfahren
hereingezogen wird zu dem Zweck, daſs das ergehende Urteil auch
für ihn wirksam werde6. Der Beigeladene wird dadurch einfach
Partei, ob er von seiner Rolle Gebrauch macht oder nicht7. Das
Besondere an der Beiladung ist nur, daſs das Gericht mit freiem
Ermessen bestimmen darf, wer noch für diese Sache zur Partei be-
rufen sein soll, um ihn dann von Amtswegen in die Parteirolle zu
setzen8.
Ferner besteht die Möglichkeit einer Nachfolge in die Rechts-
kraft. Das ist natürlich nur so gemeint, daſs das rechtskräftig fest-
gesetzte Verhältnis auf Andere übergehen kann und dann übergeht
mit der dafür erworbenen Rechtskraft. Das Civilrecht kennt diesen
Übergang bei Universal-, wie auch, unter Umständen wenigstens, bei
Singularsuccession9. Im Verwaltungsrecht wird das in gleicher Weise
bei subjektiven öffentlichen Rechten der Fall sein, soweit sie über-
tragbar sind (oben § 9, III n. 2); aber auch bei Rechtsverhält-
nissen, in welchen ein Subjektwechsel eintreten kann, ohne daſs ein
eigentliches subjektives Recht begründet wäre (oben § 8, III n. 3)10.
[200]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Endlich giebt es bei der Streitsache möglicherweise auch mittel-
bar Beteiligte. Das sind solche, für die ein Vorteil oder Nach-
teil entstehen wird, je nachdem das Urteil für die wirkliche Partei in
dem einen oder anderen Sinne ausfällt; sie selbst sind weder Partei,
noch werden sie deren Nachfolger in dem durch das Urteil geord-
neten Verhältnis. Auch für sie ist es nicht gleichgültig, daſs dieses
Verhältnis mit der der Rechtskraft eigentümlichen Festigkeit geordnet
ist. Aber das ist ein rein thatsächlicher Zusammenhang; wenn wir
hier von einer Wirkung der Rechtskraft sprechen, meinen wir
nur die rechtliche Wirkung, und eine solche besteht für diese
Personen nicht; sie stehen auſserhalb ihrer rechtlichen Tragweite11.
II. Die Rechtskraft wirkt nur für das bestimmte Ver-
hältnis, welches Gegenstand der Verwaltungsrechtspflege und des
Urteils geworden ist. Nur so weit dieses reicht, wirkt das Recht der
Partei auf die Unabänderlichkeit des Aktes und der von ihm ge-
gebenen Bestimmung, hat sie gegenüber der etwaigen Gegenpartei die
exceptio rei judicatae nach Vorbild des Civilprozesses, gegenüber
neuen Anforderungen der Behörden den Einwand ne bis in idem nach
Vorbild des Strafprozesses, ist andererseits hier auch eine Zurück-
nahme der ihr durch das Urteil gewährten Vorteile durch die Behörde
eine Verletzung ihres Rechts.
1. Was das Urteil hat erfassen und ordnen wollen, ist Frage
der Auslegung seines Textes. Soweit die Verwaltungsgerichte ihre
Urteile nach dem Muster der Civilgerichte abfassen in Urteilstenor
und Entscheidungsgründen, liegt der Schwerpunkt in dem ersteren.
10
[201]§ 15. Umfang der Rechtskraft.
Die Entscheidungsgründe werden nur wirksam, sofern sie eine Er-
läuterung geben für das, was er gewollt hat12.
Für diese Auslegung ist in erster Linie maſsgebend die Aufgabe
des Urteils, wie jedes Verwaltungsaktes, Ordnung zu schaffen für den
Einzelfall, für den augenblicklichen Bedarf. Hängt die Entscheidung
ab von der Beurteilung eines Grundverhältnisses, aus welchem der
Einzelfall hervorgeht, so ist im Zweifel dieses durch die Auffassung,
welche das Urteil davon zur Geltung bringt, nicht festgestellt13. Um-
gekehrt ist das Urteil dafür anzusehen, daſs es diesen Einzelfall er-
schöpfend hat ordnen wollen, so daſs nur die in allen Stücken ge-
bundene thatsächliche Ausführung übrig bleibt. Und alles, was es
für das Verhältnis bestimmt, ist rechtskraftfähig, soweit nicht das
Gesetz selbst eine Grenze gezogen hat, indem es nur eine beschränkte
Rechtspflege verordnete14.
2. Die Rechtspflege und folglich die Rechtskraft kann den Fall
auch nur teilweise erfassen infolge freiwilliger Beschränkung durch
die Behörde oder die Parteien, vor allem aber infolge der gesetzlichen
Anordnung einer beschränkten Rechtspflege.
Die Civilrechtspflege giebt hierfür zweierlei Vorbilder: das eine
ist das Revisionsurteil, das andere das Teilurteil.
Im Gegensatze zur Kassation in ihrer ursprünglichen Gestalt
(oben § 14 Note 18) ist die neuere Kassation und noch mehr die
deutschrechtliche Revision keine bloſse Aufsichtsmaſsregel, sondern
Rechtspflege und erzeugt ein rechtskraftfähiges Urteil. Wie aber
diese Rechtskraft wirkt, das hängt von der Richtung ab, in welcher
das Revisionsurteil ergeht.
[202]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Es kann unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sach-
erledigend erkannt werden, weil die Sache „reif“ ist; dann unter-
scheidet sich der Umfang der Rechtskraft in nichts von dem in der
vollen Rechtspflege.
Es kann die Revision zurückgewiesen werden; damit ist
festgestellt, daſs das angefochtene Urteil wegen Gesetzesverletzung
nicht aufgehoben werden kann, und die Rechtskraft dieses Ausspruches
kann einem etwaigen Gegner des Revisionsklägers zu gute kommen.
Die Eigenart des Revisionsurteils zeigt sich im dritten Falle:
wenn eine Aufhebung des angefochtenen Urteils erfolgt, ohne daſs
das Revisionsgericht selbst sofort schon sacherledigend erkennt, dieses
vielmehr die Sache an das Untergericht verweist zur weiteren
Behandlung; dann ist diese Erledigung gebunden an die Art, wie
das Revisionsgericht das Gesetz hat verstanden wissen wollen. Und
zwar gebunden der Partei gegenüber; die Partei hat ein Recht darauf
erworben, daſs die anhängige Sache erledigt werde unter Anwendung
dieser Grundsätze, vom Untergericht und bei einer neuen Revision
vom Revisionsgericht selbst. Diese gebundene Rechtsanschauung
macht hier den Inhalt der Rechtskraft aus15.
Für die Revision, welche unsere Gesetze gegen verwaltungs-
gerichtliche Urteile zulassen, gilt das nämliche16.
Ganz anders die sonstigen Fälle gesetzlich beschränkter Ver-
waltungsrechtspflege. Ihnen ist das civilgerichtliche Teilurteil ver-
wandt, namentlich in der Gestalt, von welcher C.Pr.O. § 276 handelt,
wo zunächst über den Grund der Sache allein entschieden wird mit
Vorbehalt späterer Feststellung des Betrages. Hier bemächtigt sich
das Urteil eines Teiles des zu bestimmenden Verhältnisses; es er-
kennt in der Sache selbst und giebt ihr unmittelbar eine recht-
[203]§ 15. Umfang der Rechtskraft.
liche Bestimmung, nicht bloſs eine anzuwendende Rechtsanschauung.
Darum nimmt es auch den Thatbestand nicht schlechthin in seiner
von der vorausgehenden Behörde überlieferten Gestalt (oben § 14
S. 195); der Fall, für den sein Ausspruch gegeben und der Partei
gegenüber gebunden ist, ist das bestimmte Stück Wirklichkeit und
eadem res, wofür die Gebundenheit wirken soll, überall, wo dieses
Stück Wirklichkeit wieder Gegenstand obrigkeitlicher Behandlung
wird. Für die Revision dagegen ist eadem res nur das anhängige
Verfahren; wenn dieses in irgend einer Weise ohne rechtskräftige
Entscheidung in der Sache selbst zu Ende kommt, durch Zurück-
nahme der Klage, Einstellung der eingeleiteten Verwaltungsmaſsregeln,
so kann dort gegen ein neues Vorgehen auf Grund des nämlichen
Sachverhaltes die rechtskraftmäſsige Gebundenheit der anzuwendenden
Rechtsanschauung nicht mehr geltend gemacht werden17.
Teilurteile dieser Art erzeugt die beschränkte Rechtspflege des
bayrischen Rechts; es wird an der Sache nur erledigt, was Recht-
sprechung daran ist, der Rechtspunkt; aber das geschieht rechtskräftig
und bindend zu Gunsten der Partei, so daſs nur, was das freie Er-
messen zur Erledigung des Falles noch hinzufügt, ihr gegenüber frei
und beweglich bleibt18.
Ebenso sind auch zu behandeln, im Gegensatz zur Revision, die
Anfechtungsklagen wegen Gesetzesverletzung und wegen mangelnder
thatsächlicher Voraussetzungen, wie sie das preuſsische, badische,
württembergische und österreichische Recht kennt. Es wird rechts-
[204]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
kräftig festgestellt, ob unter den gegebenen Umständen ein Akt dieses
Inhalts dem Gesetze entspricht oder nicht, mit Wirkung über das
gegenwärtige Verfahren hinaus, so lange jene Umstände selbst sich
nicht geändert haben (unten III n. 2)19. Was dann nach er-
[205]§ 15. Umfang der Rechtskraft.
gangenem Teilurteil etwa noch zu geschehen hat, um die Sache zur
vollen Erledigung zu bringen, das wird im Civilprozeſs durch ein neues
Urteil gegeben; bei der Verwaltungsrechtspflege findet sich die Er-
ledigung regelmäſsig in einem einfachen Verwaltungsakte, der
soweit bestehen geblieben ist oder neu zu erlassen ist. Wie weit für
einen solchen die rechtliche Möglichkeit besteht, das hängt eben da-
von ab, wie das Urteil ausgefallen ist. Insofern setzt die Rechtskraft
auch für die Behandlung der anderen Seite der Sache gewisse un-
verbrüchliche Bedingungen20.
III. Die Rechtskraft bedeutet, soweit sie das Verhältnis erfaſst
hat, die Unveränderlichkeit der demselben gegebenen Be-
stimmungen. Diese Unveränderlichkeit hat ihre Grenzen in der
Verwaltungsrechtspflege wie im Civil- und Strafprozeſs, nur treten die
Möglichkeiten der Änderung bei jener noch mehr ins Licht.
1. Die Unveränderlichkeit beruht lediglich auf dem Rechte
der Partei, der gegenüber das erlassene Urteil gebunden ist; folg-
lich besteht sie nicht, sofern eine Änderung möglich ist, die gegen
das Recht der Partei nicht verstöſst. Das thut sie aber nur, wenn
die rechtliche Bestimmtheit des Verhältnisses geändert wird zum
Nachteil der Partei; ihr Recht kann nicht darauf gehn, eine Änderung
auszuschlieſsen, die ihre Interessen in keiner Weise berührt oder —
und dieser Fall wird wohl thatsächlich allein in Betracht kommen —
geradezu vorteilhaft für sie ist, ihr mehr gewährt oder weniger auf-
erlegt. Die Civilrechtspflege bietet allerdings für die Anwendung
dieses Gesetzes keinen Raum. Die Rechtskraft hat hier ein doppeltes
Gesicht. Jede Änderung zum Vorteil des einen ist ein Nachteil
für den anderen und verletzt dann wieder diesem gegenüber die
Rechtskraft. Daher wir gewohnt sind, Rechtskraft schlechthin als
Unabänderlichkeit zu verstehen.
[206]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Im Strafprozeſs giebt es regelmäſsig nur eine Partei, den
Angeklagten. Sein Recht an dem rechtskräftigen Urteil bedeutet, daſs
die Sache nicht nachteiliger für ihn geordnet werden darf, als das
Urteil sie geordnet hat, bei Freisprechung, daſs überhaupt keine Strafe
erfolge, bei Verurteilung, daſs nicht strenger gestraft werde. Eine
Änderung zu seinem Vorteil ist hier wegen der Einseitigkeit der
Rechtspflege durch die Rechtskraft nicht gehindert. Der fest geord-
nete Gang der Strafrechtspflege giebt allerdings den Gerichten keine
Zuständigkeit, sich mit der erledigten Sache rechtsgültigerweise noch
einmal zu befassen. Dafür hat der Fürst das Begnadigungsrecht, mit
welchem das rechtskräftig Erkannte zum Vorteil des Verurteilten ab-
geändert werden kann, ohne ihn zu fragen.
Die Verwaltungsrechtspflege nun ist bei den Verwaltungs-
gerichten selbst in gleicher Weise darauf eingerichtet, daſs einmal er-
ledigte Sachen, auch abgesehen von dem Recht der Partei, um der guten
Ordnung willen nicht noch einmal zu zuständiger Behandlung gebracht
werden können21. Allein die Urteile haben hier neben sich ein gleich-
wertiges, beweglicheres Element, das ebenfalls die obrigkeitliche Be-
stimmung des Einzelfalles zu geben befähigt ist, den einfachen Ver-
waltungsakt. In der Natur des Verwaltungsaktes liegt es, daſs er
sich nicht bloſs den veränderten Umständen, sondern auch den ver-
änderten Auffassungen der Behörde anpaſst, soweit nicht besondere
Gebundenheiten bestehen, und das Verwaltungsgericht, welches etwa
zu seiner Nachprüfung berufen sein kann, hat ihm dann einfach zu
folgen auf die neue Bahn.
Hier, wo die Unabänderlichkeit, welche der streng geordnete Gang
der Rechtspflege mit sich bringt, die Zuständigkeit zu Neuerungen
nicht von selbst ausschlieſst, kommt es also darauf an, in wieweit die
Rechtskraft solche ausschlieſst. Und das Ergebnis ist ganz entsprechend
den aufgestellten Grundsätzen folgendes.
Es ist zu unterscheiden, ob die rechtskräftige Ordnung des Ver-
hältnisses stattgehabt hat in einseitiger oder in zweiseitiger
Rechtspflege.
Das erstere ist überwiegend der Fall, wie in der Strafrechts-
pflege, nur mit gröſserer Mannigfaltigkeit, indem namentlich nicht
bloſs über allerlei Belastungen der Partei im Urteil erkannt
sein mag, sondern auch über Vorteile, die ihr zugewendet oder
[207]§ 15. Umfang der Rechtskraft.
versagt sein sollen, Erlaubnisse, Verleihungen, Befreiungen, Ge-
währungen verschiedener Art. Da gilt nun die Regel, daſs die Rechts-
kraft eine Änderung zum Vorteil der Partei nicht hindert. Das ist
gerade die Thatsache, die vor allem dahin geführt hat, an der Rechts-
kraft in Verwaltungssachen überhaupt zu zweifeln. Sie wird voll-
kommen klar und einleuchtend, wenn man einerseits erkennt, daſs
die Rechtskraft nichts anderes ist als ein Recht der Partei am Urteil,
und andererseits, darauf verzichtend, den Staat selbst sich überall als
Partei dazu zu denken, den Begriff der einseitigen Rechtspflege auf-
nimmt22.
Die Verwaltungsrechtspflege kann aber auch eine zweiseitige sein.
Dann tritt bei ihr jene doppelte Gebundenheit des Urteils ein, die
der Civilrechtspflege eigentümlich ist: die an sich zulässige Änderung
[208]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
zum Besseren wird wieder ausgeschlossen wegen des Rechtes der
Gegenpartei, das dadurch beeinträchtigt würde23.
2. Es kann aber auch eine Änderung des rechtskräftig Bestimmten
stattfinden trotz des Rechtes der Partei, zu deren Gunsten die Rechts-
kraft besteht, und zu ihrem Nachteil. Denn dieses Recht hat selbst
gewisse Grenzen, wie auch das Vorbild des Civilprozesses sie aufweist.
Die Rechtskraft schlieſst nicht aus der Geltendmachung eines
selbständigen Rechtsgrundes: was zwischen den Parteien
nicht Gegenstand des Prozesses gewesen ist, nicht in judicium deductum,
weil der Anspruch noch nicht begründet war oder weil kein Anlaſs
bestand, ihn einzubegreifen, kann nachträglich dazu dienen, die Wirkung
der Rechtskraft zu durchkreuzen. Das stellt sich in der zweiseitigen
Verwaltungsrechtspflege in der nämlichen Gestalt dar wie im Civil-
prozesse24.
Aber noch in ganz anderer Weise greift bei jeder Art von Ver-
waltungsrechtspflege der selbständige Rechtsgrund ein: der Staat
selbst, gegen den die Rechtskraft ja in erster Linie sich richtet, steht
diesem Recht des Unterthanen gegenüber nur wie allen anderen
Rechten; unter den gehörigen Formen und Voraussetzungen können
Eingriffe der Behörden auch in dem dadurch geschützten Interessen-
kreis vorgenommen werden, wie es eben der weitere Gang der Ver-
waltung mit sich führen mag. Das Gesetz selbst, das gar keiner
[209]§ 15. Umfang der Rechtskraft.
causa bedarf, um zu wirken, hat die Neigung, in der Verwaltung auch
das schon Geordnete zu erfassen, rückwirkende Kraft zu äuſsern, und
macht dann auch vor der Rechtskraft nicht Halt25.
Das Civilrecht kennt aber auch Fälle, in welchen die Rechtskraft
nicht mehr bindet wegen Änderung der Voraussetzungen,
von welchen das Gericht bei seinem Urteil ausgegangen war. Es
handelt sich um die nämliche Partei und um das nämliche Verhält-
nis, welches das Urteil bestimmen wollte, eadem res liegt vor; nur
die Umstände, welche dem Gericht seine Erwägungen lieferten und
der Maſstab, wonach es seine Entscheidung traf, haben sich jetzt
anders gestaltet. Das macht regelmäſsig gar nichts aus. Es giebt
aber Fälle, in welchen das Urteil von selbst als erlassen gilt mit
dem Vorbehalt: rebus sic stantibus; da bindet dann auch die Rechts-
kraft nicht unbedingt. Das sind solche Urteile, die bestimmt sind,
das Entsprechende dauernd zu ordnen für Zustände, die ihrer Natur
nach dem Wechsel unterworfen sind: die Alimentationsrente wird zu-
erkannt nach dem Maſse der Leistungsfähigkeit, der Notweg nach dem
Bedürfnis; fällt die thatsächliche Voraussetzung hinweg oder ändert
sie sich, so wird auch die Rechtskraft des Urteils eine andere Be-
stimmung des Verhältnisses nicht hindern. Das Gleiche gilt auch in
der Verwaltungsrechtspflege; namentlich, wo bei wiederkehrenden
Leistungen nicht über den Einzelfall, sondern über die Gesamtpflicht
gesprochen worden ist, ist eine Neubestimmung des festgesetzten Maſses
für den Fall einer Änderung bei den in Erwägung gezogenen Um-
ständen immer vorbehalten26.
Im Gebiete der Verwaltung findet dieser Vorbehalt aber noch
ein eigentümliches Anwendungsgebiet an den Fällen, in denen über
den Einzelnen eine Maſsregel verhängt worden ist nach Erwägungen
des öffentlichen Interesses und um diesem zu genügen; wenn
die thatsächlichen Umstände, welche für diese Erwägungen maſsgebend
waren, sich ändern, kann auch das Angeordnete geändert werden trotz
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 14
[210]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
der etwa dafür eingetretenen Rechtskraft. Beispiele geben vor allem
die polizeilichen Anordnungen, Verbot, Gebot und Versagung von
Erlaubnissen. Die Rechtskraft kommt dabei nach dem soeben n. 1
Ausgeführten ohnehin nur insoweit in Frage, als eine Gegenpartei
da ist, zu deren Gunsten die verhängte Maſsregel gebunden wäre.
Die Verwaltungsbehörde, von der die Neubehandlung der Sache wieder
ausgeht, wird aber auch hier gleichwohl nach freiem Ermessen des
öffentlichen Interesses den Befehl zurücknehmen, die Erlaubnis nach-
träglich erteilen dürfen. Das will nicht sagen, daſs die Änderung im
freien Belieben der Behörde stünde, insbesondere nicht, daſs es ge-
nügt, daſs sie zu anderen Auffassungen sich bekehrt habe, um
die Maſsregel zurückzunehmen. Das wäre sonst allerdings eine
Verneinung der Rechtskraft überhaupt. Neuerungen an den äuſser-
lichen Umständen, an den thatsächlichen Voraussetzungen müssen seit
jenem Ausspruche stattgefunden haben und nur die Tragweite, die
ausreichende Bedeutung derselben würdigt das freie Ermessen27.
[211]§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
§ 16.
Zuständigkeit der Civilgerichte gegenüber der Verwaltung.
Die ordentlichen Gerichte, wie sie für Civil- und Strafsachen be-
stellt sind, wirken mit ihren Urteilen in diesen Sachen mannigfach
zurück auf das Gebiet der Verwaltung. Überdies können sie zur
Rechtspflege in Verwaltungssachen selbst berufen sein und werden
damit für uns unmittelbare Rechtsschutzanstalten wie die bisher be-
trachteten.
Die Grundsätze für diese Zuständigkeiten gegenüber der Ver-
waltung sind hier festzustellen.
I. Die Sachen, welche das Civilgericht zu erledigen hat, müssen
sich einfügen in die festen Formen seines Prozesses. Die Beteiligten
stehen darin als gleichberechtigte Parteien sich gegenüber, unter-
geordnet seiner obrigkeitlichen Gewalt. Das gilt auch für den Staat
selbst, wo er als solche Partei auftreten soll. War er dem Unter-
thanen gegenüber in ein civilrechtliches Verhältnis getreten, das jetzt
zu beurteilen ist, so steht er bereits auſserhalb des Prozesses auf dem
Boden der Gleichheit (oben § 11, II) und seine Parteistellung erscheint
nur wie eine weitere Folge davon: der Rückbezüglichkeit des Civil-
rechts entspricht jetzt die Rückbezüglichkeit auch des Pro-
zeſsrechts. Die letztere kann aber auch selbständig eintreten. Das
Gericht kann für zuständig erklärt sein, in öffentlichrechtlichen Ver-
hältnissen zu erkennen zwischen Staat und Unterthan. Dann wird
der Staat wenigstens im Prozeſs dem Gegner gleich und wie er der
obrigkeitlichen Gewalt des Gerichts unterworfen. Diese Gleichheit im
Prozeſs ist gemeint, wenn das Gericht den vor ihm erscheinenden
Staat imener als Fiskus bezeichnet (oben § 11 S. 143).
Insofern aber dieser Fiskus eben bloſs im Prozeſs und für den
Prozeſs so behandelt wird, auſserhalb desselben sofort wieder zurück-
fällt in die natürliche Stellung des Staates als des Trägers der öffent-
lichen Gewalt, kann das Verfahren eingerahmt sein von anders ge-
arteten Verhältnissen, in welchen es nur eine Episode bildet.
1. Die Verwaltung, die vor dem Gerichte als Partei erscheint,
kann auſserhalb des Prozesses als obrigkeitliche Gewalt wirksam ge-
worden sein für das nämliche Verhältnis, das jetzt dem Gericht zur
Beurteilung vorliegt, und ihm eine rechtliche Ordnung gegeben haben.
Dabei sind aber zweierlei Fälle zu unterscheiden.
In vielen Sachen, welche vor die Civilgerichte kommen sollen,
sind die Verwaltungsbehörden zuständig, vorläufige Maſsregeln zu
treffen, Verwaltungsprovisorien zu schaffen. Es ist da immer
14*
[212]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
ein öffentliches Interesse im Spiele, welches rasche Erledigung er-
heischt. Der Streit selbst kann civilrechtliche oder öffentlichrechtliche
Verhältnisse betreffen, zwischen Privaten allein oder zwischen solchen
und dem Staate spielen. Diese vorläufige Maſsregel ändert die
Stellung des Civilgerichts in keiner Weise; sie ist gleichgültig für
seine Entscheidung und verschwindet, wenn es gesprochen hat1.
Bedeutsamer ist der andere Fall. Es handelt sich um öffentlich-
rechtliche Sachen, welche die Verwaltungsbehörde durch ihren Ver-
waltungsakt erledigen soll; gegen ihre Anordnung ist aber in ge-
wisser Frist eine Anrufung des Civilgerichts zulässig, das dann wie ein
Verwaltungsgericht in nachträglicher Rechtspflege urteilt: ändert es ab,
so tritt seine Bestimmung an die Stelle des Verwaltungsaktes, weist
es die Anfechtung zurück, so bleibt dieser bestehen als gültig und
vollziehbar zur Ordnung des Verhältnisses aus eigner Kraft. Zum
Unterschied von dem, was in der Verwaltungsrechtspflege geschehen
würde, ist aber hier der Staat vor dem Gerichte selbst als Partei
aufgetreten: das Urteil wird dementsprechend rechtskräftig für und
gegen ihn, um angerufen werden zu können, für den Fall die Sache
nochmals vor Gericht kommt2.
2. Die Besonderheit der Partei Fiskus macht sich auf der anderen
Seite wieder geltend, wenn das zu ihrem Nachteil ergangene Urteil
vollstreckt werden soll. Gewisse Zwangsmittel des Civilprozesses,
wie namentlich die zur Herbeiführung eines Handelns und Unter-
lassens, sind ohnehin nicht anwendbar. Das wichtigste wäre die Er-
zwingung der Zahlung einer Geldsumme. Diese aber wird hier er-
setzt durch den administrativen Weg3. Das bedeutet nichts
[213]§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
anderes als die Hinüberführung der Sache auf öffentlichrechtlichen
Boden. Der Schuldner, anstatt gezwungen zu werden durch Pfändung,
vollzieht das Urteil als Obrigkeit wie einen Verwaltungsakt in der
der vollziehenden Gewalt eigentümlichen Gebundenheit daran. Ver-
weigerung des Vollzugs wäre eine Verletzung des öffentlichen Rechts4.
II. Verwaltungssachen, d. h. aus der Verwaltung entspringende
Verhältnisse öffentlichrechtlicher Art werden den Civilgerichten nicht
bloſs durch ausdrückliche Gesetzesbestimmung überwiesen, sie sind
auch in groſsem Umfange schon enthalten in den Sachen, welche be-
stimmt sind, ihre ordentliche Zuständigkeit zu bilden, in den bürger-
lichen Rechtsstreitigkeiten, und zwar hängt das zusammen
mit der eigentümlichen Art, wie diese ihre Abgrenzung erhalten haben.
Das Reichsrecht (G.V.G. § 13) setzt den Begriff als einen ge-
gebenen voraus, und zwar sollen die entscheidenden Merkmale zu
finden sein in Gegenstand und Art des Anspruches, der in Frage
steht5. Sie haben sich in dieser Weise festgesetzt zur Zeit der
Trennung von Justiz und Verwaltung, die der Polizeistaat vollzog
(oben § 4, III): das euphemistisch „öffentlichrechtlich“ genannte Gebiet
der Verwaltung wird den Gerichten unzugänglich gemacht; was ihnen
verbleibt, die bürgerliche Rechtsstreitigkeit, bedeutet, wie der Name
sagt, den Anspruch aus civilrechtlichen Verhältnissen6.
Darüber wäre kein Streit. Die Schwierigkeit beginnt erst mit
der Frage: wann liegen civilrechtliche, wann öffentlichrechtliche Ver-
hältnisse vor? Denn dabei handelt es sich nicht um Anwendung von
Gesetzestexten, sondern um die wissenschaftliche Erkenntnis der inneren
rechtlichen Natur des Verhältnisses. Diese aber wechselt in allmäh-
lichen Übergängen. Wir stehen zur Zeit noch mitten in der Arbeit,
die Folgerungen aus der veränderten Natur des öffentlichen Rechts zu
ziehen (oben § 5 Einl., § 11, II). Wir glauben freilich ganz genau
angeben zu können, was auf der gegenwärtigen Entwicklungsstufe
civilrechtlich aufgefaſst werden muſs und was öffentlichrechtlich. Die
Überzeugung von dem, was hier das allein Richtige ist, gewinnt mehr
3
[214]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
und mehr Anhänger. Allein daneben ist es eine unbestreitbare That-
sache, daſs die Zuständigkeit der Gerichte jetzt noch gehandhabt
wird auf Grund derjenigen Abgrenzung des Civilrechts und der
bürgerlichen Rechtsstreitigkeit, welche den oben S. 50 ff. dargestellten
Anschauungen des Polizeistaats entspricht7.
Sollen wir hierin eine Umwälzung herbeiführen wollen im Sinne
einer Durchführung der neueren Theorie? Oder gilt es vielmehr,
diese danach zu berichtigen8? Keines von beiden. Es muſs dabei
bewenden, daſs der Umfang des Civilrechts anders begrenzt ist für
die materiellrechtliche Beurteilung und anders für die danach zu be-
messende bürgerliche Rechtsstreitigkeit. Denn für die letztere ist er
festgelegt durch positive staatliche Ordnungen, die dazwischen liegen.
Wenn ein ausdrückliches Gesetz ergangen ist, welches besagt:
Streitigkeiten aus civilrechtlichen Verhältnissen gehören vor die Ge-
richte, so verweist es allerdings auf die Theorie über die Abgrenzung
derselben. Aber es giebt ihr nicht ein Blankett zur wechselnden
Ausfüllung, sondern es macht die zur Zeit bestehende Theorie zum
Bestandteil seiner Bestimmungen. Das Gleiche gilt von einem Gesetze,
welches einfach Civilgerichte einsetzt: stillschweigend sind diese für
bürgerliche Rechtsstreitigkeiten eingesetzt, als bürgerliche Rechts-
streitigkeiten sind Streitigkeiten aus civilrechtlichen Verhältnissen ge-
meint, und als civilrechtliche Verhältnisse solche, die die zur Zeit geltende
Auffassung dafür erkennt. Nun reichen unsere landesrechtlichen Ge-
richtsordnungen mit der für sie maſsgebenden Ausscheidung öffentlich-
rechtlicher und civilrechtlicher Sachen alle mehr oder weniger in die
Zeit der polizeistaatlichen Anschauungen zurück. Nachträgliche Neu-
ordnungen sind dafür anzusehen, daſs sie die damit gegebene Zu-
ständigkeitsabgrenzung im alten Umfang haben übernehmen wollen,
es sei denn, daſs sie, was ja nicht der Fall ist, ausdrücklich anders
[215]§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
bestimmt haben. Dem gegenüber kann die Theorie wohl erklären,
daſs jetzt als öffentlichrechtlich anzusehen und danach zu beurteilen
ist, was man früher für civilrechtlich ansah. Aber sie hat nicht die
Macht zu sagen, daſs es nun auch den Civilgerichten nicht gehöre.
Das Gesetz besteht, welches diese Sachen, was die Zuständigkeit der
Civilgerichte anlangt, als bürgerliche Rechtsstreitigkeiten hat behandeln
wollen, und dabei bleibt es.
Diesen bestehenden Rechtszustand hat G.V.G. § 13 unter die
Obhut des Reichsrechts genommen9. Die bürgerliche Rechtsstreitig-
keit ist demnach kein ganz einfacher Begriff. Sie bedeutet eine
Sache, welche gemäſs den in der ersten Hälfte des Jahrhunderts
herrschenden Auffassungen als civilrechtlich anzusehen ist und des-
halb zu der von unseren Gerichtsordnungsgesetzen gewollten allge-
meinen Zuständigkeit des Civilgerichtes gehört10.
[216]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
III. Wenn das Gericht berufen wird, über eine civilrechtliche
Sache in dem jetzt festgestellten Sinne zu entscheiden, so kann diese
Entscheidung möglicherweise abhängen von der Beurteilung eines
öffentlichrechtlichen Verhältnisses, d. h. eines solchen, dessen selb-
ständige Erledigung nicht dem Gerichte, sondern der Verwaltung ge-
hörte. Das Gleiche ergiebt sich bei den Strafgerichten, namentlich in
10
[217]§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
der Form, daſs Verurteilung oder Freisprechung von der Gültigkeit
eines Verwaltungsaktes abhängt. Inwiefern ist die öffentlich-
rechtliche Vorfrage für die Zuständigkeit von Einfluſs?
In diesem Punkte liegt der Hauptgegensatz zwischen der deutschen
und der französischen Art der Zuständigkeitsabgrenzung. Wenn man
die letztere vielfach nachzuahmen gesucht hat, so hat man nicht be-
rücksichtigt, daſs sie gewachsen ist auf ganz besonderen Voraus-
setzungen, die bei uns nicht gegeben sind. Unter dem Eindruck der
alten Kämpfe zwischen der königlichen Verwaltung und den Parla-
menten entstand jenes scharfe Verbot, das auch jede mittelbare Ein-
wirkung der Gerichte ausschlieſsen soll. Es wird ausgedrückt als eine
Unantastbarkeit des Verwaltungsaktes für die Gerichte. Sie dürfen
nicht machen, was diesem zukommt, selbstverständlich; das ist schon
in ihrer allgemeinen Beschränkung auf civilrechtliche Sachen ent-
halten. Sie dürfen aber auch bei Erledigung solcher Sachen ihre
Entscheidung nicht gründen auf die Beurteilung eines Verwaltungs-
aktes nach seiner Gültigkeit und dem Umfang seiner Wirkung, noch
auf eine Auslegung seines zweifelhaft gewordenen Inhalts. Sobald es
auf etwas derartiges ankommt, hat das Gericht sein Verfahren auszu-
setzen und zu warten, bis im Verwaltungswege oder Verwaltungs-
rechtswege die Vorfrage ins Reine gebracht ist; wo nicht, so über-
schreitet es seine Zuständigkeit11.
In Deutschland hat eine derartige Feindseligkeit zwischen Justiz
und Verwaltung nie bestanden. Das gelehrte Berufsbeamtentum
herrscht gleichmäſsig hüben und drüben. Das Verhältnis zwischen
Gericht und Verwaltungsbehörde ist einfach durch die gleichen Regeln
bestimmt, wie das zwischen Gericht und Gericht: keine Behörde soll
ordnen wollen, was der anderen zu ordnen vorbehalten ist, und
jede soll gelten lassen, was die andere in ihrer Zuständigkeit ge-
ordnet hat. In diesen zwei Sätzen ist auch die Bedeutung der
Vorfrage entschieden12.
Weder für das Gericht noch für die Verwaltung bildet es eine
Schranke ihrer Thätigkeit, wenn die Vorfrage einem anderen Rechts-
gebiete angehört, als dem einem jeden vorzugsweise bestimmten. Ihre
Zuständigkeit in der Sache selbst vorausgesetzt, sind beide berufen,
alle Arten von Recht zu würdigen, das dabei in Betracht kommt. Sie
sprechen damit vielleicht eine Ansicht aus über eine Frage, deren
[218]Der Rechsschutz in Verwaltungssachen.
Entscheidung einer anderen Behördenart zusteht, aber das ist an sich
noch kein Übergriff in die fremde Zuständigkeit13. Rechtlich be-
deutsam wird die Zugehörigkeit der Vorfrage zu dem Gebiet der
anderen Behörde nur unter gewissen Voraussetzungen, und zwar in
verschiedener Weise.
1. Es kann die sachliche Richtigkeit dessen, was das
Urteil oder der Verwaltungsakt bestimmt, davon abhängen, wie die
andere Behörde den zu ihrer Zuständigkeit gehörigen Punkt ordnet,
der hier nur als Vorfrage in Betracht kommt. Dann muſs die von
dieser gegebene Ordnung zu Grunde gelegt werden. Wird dagegen ge-
fehlt, so ist der Ausspruch deshalb keine Zuständigkeitsüberschreitung,
aber für die Frage, ob er auf richtigen Voraussetzungen gebaut ist,
wird maſsgebend sein, was die andere Behörde über diesen Punkt
bestimmt. Der Akt wirkt also unter Umständen ganz anders als er
soll, und den Beteiligten geschieht Unrecht14.
2. Der Zusammenhang zwischen den beiderseitigen Zuständig-
keiten kann aber auch derart sein, daſs eine widersprechende Be-
handlung der Vorfrage zugleich einen Eingriff in die fremde
Zuständigkeit vorstellt, indem dadurch dem fremden Akte die
ihm gebührende Wirksamkeit entzogen wird. Regelmäſsig ist das
ausgeschlossen, weil ja beides, Gerichtsurteil wie Verwaltungsakt, sein
Gebiet für sich hat, auf welchem es unabhängig vom anderen in Gel-
tung bleibt Es wird erst da möglich, wo die Zuständigkeiten des
einen oder anderen Teils mit ihren unmittelbaren Wirkungen in das
fremde Gebiet hinübergreifen15.
Beispiele geben auf der einen Seite die polizeilichen Provisorien
in Civilsachen (oben Note 1): was das Gericht über die zu wür-
digenden civilrechtlichen Vorfragen ausgesprochen hat, ist hier bin-
dend für die Polizeibehörde; eine Verfügung, welche sie in Wider-
[219]§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
spruch damit treffen würde, ist eine Zuständigkeitsüberschreitung, sie
entzieht dem Urteil die Wirkung auf seinem eigenen Gebiet.
Auf der anderen Seite hat auch das Civilgericht Gelegenheit, in
die unmittelbaren Wirkungen eines Verwaltungsaktes einzugreifen,
und zwar in noch viel mannigfaltigerer Weise. Es kann ihm eine
Zuständigkeit gegeben sein über ein öffentlichrechtliches Verhältnis.
Wenn es hierbei die Ordnungen, welche demselben bereits durch die
Verwaltung gegeben sind, unbefugter Weise unberücksichtigt läſst und
widersprechend entscheidet, ist sein Urteil nicht bloſs unrichtig wie
im Falle n. 1, sondern es enthält zugleich eine Zuständigkeitsüber-
schreitung16.
3. Es kann endlich sein, daſs die Vorfrage in Wahrheit gar
nicht Vorfrage, sondern die Hauptfrage selbst ist. Der Fall ergiebt
sich namentlich da, wo durch eine Verwaltungsmaſsregel in ein civil-
rechtliches Verhältnis eingegriffen worden ist, in das Eigentum z. B.
oder in den Besitz, und nun Klage zum Gericht erhoben wird auf
Schutz und Wiederherstellung. Ob der Eingriff rechtsgültig erfolgt
ist, ist aber nur zum Schein eine Vorfrage, bei deren Verneinung der
Eigentums- und Besitzesschutz seinen freien Lauf haben soll. In
Wahrheit sind Eigentum und Besitz gar nicht in Frage, sondern
die Klage ist unmittelbar darauf gerichtet, die öffentlichrechtliche
Verwaltungsmaſsregel unwirksam zu machen. Das ist aber keine
bürgerliche Rechtsstreitigkeit und das Gericht unzuständig. Es kommt
hier wie überall nicht darauf an, wie die Klage sich selbst bezeichnet,
sondern darauf, was sie wirklich ist17.
[220]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
IV. Zur Sicherung der Grenzen der gerichtlichen Zuständigkeit
dient das Rechtsinstitut des Kompetenzkonflikts. Es wendet
seine Spitze einseitig gegen die Gerichte, um die Verwaltung vor ihren
Übergriffen zu schützen. Um es richtig zu beurteilen, muſs man das
grundlegende Verhältnis sich gegenwärtig halten, von dem es ausgeht.
Jede Behörde ist gebunden, den Akt der anderen gelten zu
lassen, den diese in ihrer Zuständigkeit erlassen hat. Jeder behörd-
liche Akt aber, sofern er nicht ganz aus dem Rahmen der Amts-
gewalt der Behörde herausfällt, bekundet durch sich selbst in binden-
der Weise, wie gegenüber den Unterthanen seine Gültigkeit (oben
§ 8 Note 7), so gegenüber den anderen Behörden seine Zuständig-
keit. Diese Ordnung wird aber von selbst unwirksam, wenn in der-
selben Sache beiderseits die Zuständigkeit in Anspruch genommen,
also ein Übergriff der anderen Behörde behauptet wird. Da steht
Autorität gegen Autorität und die Folge ist, daſs dem fremden Akt
die Wirksamkeit versagt wird, soweit das eigene Machtgebiet reicht.
Das ist das natürliche Ergebnis.
Zu Gunsten der Civilgerichte ist es auch unbedenklich anerkannt,
daſs sie den Akt einer Verwaltungsbehörde, der eine ihnen zustehende
Sache entscheiden will, in der angegebenen Weise nicht gelten zu
lassen brauchen18.
Das Umgekehrte müſste ganz in gleicher Weise zu Gunsten der
Verwaltungsbehörden gelten. In Wirklichkeit gilt es aber nicht. Es
hat sich geschichtlich ein gewisser Vorrang der Gerichte ent-
wickelt.
Das hängt damit zusammen, daſs zunächst nur die Akte der
Justiz als zum Bereiche der Rechtsordnung gehörig angesehen werden,
ihrerseits ein Rechtssetzen vorstellend, das die Forderung der all-
gemeinen Geltung in sich trägt. In Frankreich wird das äuſserlich
noch verstärkt durch die Machtstellung der Gerichte gegenüber König-
tum und Verwaltung, die ja sogar durch ein eigenes unabhängiges
Vollstreckungspersonal gesichert ist. In Deutschland wirkt der Ein-
druck der Rechtspflege der Reichsgerichte über die Verwaltung noch
kräftiger in dieser Richtung. Gegenüber dem Anreiz zu ausdehnender
Auslegung und Handhabung der gerichtlichen Zuständigkeit wahrt
sich die erstarkende Verwaltung zum Teil mit Gewaltstreichen, zum
17
[221]§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
Teil wird sie gedeckt durch die Gewalt des Staatsoberhaupts über
die Gerichte selbst, die diesen im Einzelfall Einhalt thut.
Mit Durchführung des Rechtsstaates wird die Verwaltung der Justiz
in jenem besonderen Sinne ebenbürtig. Auch sie steht in einer
Rechtsordnung, auch ihr Verwaltungsakt setzt, was Rechtens sein soll,
im Einzelfall. Der hergebrachte Vorrang der Akte der Justiz bleibt
bestehen, aber nicht als ein unbedingter. Die früheren Einwirkungen
der obersten Gewalt auf die Justiz werden in die Form eines recht-
lichen Verfahrens gebracht, in welchem eine oberste Behörde auf An-
rufen der Verwaltung nach Rechtsgrundsätzen die Zuständigkeitsfrage
zu prüfen und die Einhaltung der Grenzen durch die Gerichte zu
sichern hat. Das französische Recht, wie es in der Ausbildung des
Rechtsstaates uns vorausging, hat auch diesem Rechtsinstitut zuerst
die Gestalt gegeben. Die deutschen Gesetzgebungen haben es nach
und nach übernommen.
Das dermalen geltende Recht hat einheitliche Grundlagen erhalten
in den Bestimmungen des G.V.G. § 17. Den Ausgangspunkt bildet
der Satz: „Die Gerichte entscheiden über die Zulässigkeit des Rechts-
weges.“ Jeder behördliche Akt enthält zugleich eine Entscheidung
über die Zuständigkeit der Behörde, die ihn erläſst. Das Entscheiden
ist hier in besonderem Sinne gemeint; es bedeutet: entscheiden, maſs-
gebend auch für die Verwaltungsbehörde, die ihrerseits zuständig zu
sein behaupten möchte. Der hergebrachte Vorrang der gerichtlichen
Akte ist damit neu bestätigt19.
Daneben ist den Landesgesetzgebungen freigelassen, ein Kompe-
tenzkonfliktsverfahren im bisherigen Sinne zu ordnen. Die Aus-
führungsgesetze haben davon fast allenthalben Gebrauch gemacht und
damit der Verwaltung jenem Vorrang gegenüber wenigstens in be-
schränkter Weise die Möglichkeit gewahrt, ihre Ebenbürtigkeit zu be-
haupten20.
[222]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Von einer Bevorzugung der Verwaltung gegenüber der Justiz bei
dieser Einrichtung zu sprechen, beweist eine groſse Kurzsichtigkeit.
Im einzelnen ist folgendes zu bemerken.
1. Der Kompetenzkonflikt soll den rechtlichen Vorzug des Ge-
richtes einigermaſsen ausgleichen, wonach es über seine Zuständigkeit
bindend erkennt auch für die Verwaltung, die ihrerseits ihre Zuständig-
keit behauptet. Es ist ein Ersatz für das Recht der Selbstverteidigung
der eigenen Zuständigkeit, welches ihr durch diesen Vorzug genommen
ist. Deshalb ist die Behauptung der Zuständigkeit der Verwaltung
für diese Sachen die Voraussetzung für die Erhebung des Kompetenz-
konflikts. Es genügt nicht, daſs die bei Gericht erhobene Klage sonst
zu einer Störung der Verwaltungsthätigkeit und zu einer Beein-
trächtigung der von ihr zu wahrenden Interessen geeignet wäre21.
Dagegen ist es gleichgültig, ob diese Zuständigkeit auf seiten der
Verwaltung einer einfachen Behörde oder einem Verwaltungsgerichte
gehören würde; auch dem letzteren gegenüber besteht jener Vorzug
des Civilgerichtes und folglich ist das Schutzmittel des Kompetenz-
konflikts auch hier geboten22.
2. Die Selbstverteidigung der Zuständigkeit würde sich unmittel-
bar durch jede Behörde vollziehen, die gerade ihre Zuständigkeit zu
wahren hat, je nachdem ihr die Sache in die Hände kommt.
Die Abwehr durch Erhebung des Kompetenzkonflikts geschieht
einheitlich zu Gunsten der ganzen Verwaltung durch eine höhere
20
[223]§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
Verwaltungsbehörde, die gesetzlich mit der Vertretung dieses Interesses
betraut ist, und richtet sich gegen die ganze Justiz, nicht gegen das
zur Zeit befaſste Gericht allein23.
Dafür muſs eine zeitliche Schranke gesetzt sein. Der
Kompetenzkonflikt ist ausgeschlossen gegenüber einem rechtskräftigen
Urteil des Civilgerichts. Das folgt nicht notwendig aus dem Wesen
der Rechtskraft; dieser Zeitpunkt ist vom Gesetz nur als der geeig-
netste gewählt24. Nachdem man ihn gewählt hat, ist es andererseits
auch notwendig gewesen, den Beginn der Zulässigkeit des Kompetenz-
konflikts möglichst weit vorzuverlegen, weil sonst die Geltendmachung
allzurasch vereitelt werden könnte: es genügt, daſs das Gericht mit
der Sache befaſst worden ist oder daſs es einen Ausspruch über seine
Zuständigkeit gethan habe. Auch die Bestimmung dieses Punktes ist
Zweckmäſsigkeitssache25.
3. Die Wirkung des erhobenen Kompetenzkonflikts ist die Unter-
brechung des gerichtlichen Verfahrens bis zur Entscheidung über den
Konflikt durch die dafür bestellte Behörde, den Kompetenz-
konfliktshof. Die Entscheidung erfolgt nach Anhörung der Be-
teiligten in ihren schriftlichen Äuſserungen: Denkschriften der antrag-
stellenden Verwaltungsbehörde und ihrer Centralstelle, Gutachten des
befaſsten Gerichts und seines Obergerichts, Schriftsätze der Parteien
des unterbrochenen Prozesses; schlieſslich findet noch eine öffentliche
mündliche Verhandlung statt, in welcher ein besonders beauftragter
Vertreter der Verwaltung, die ursprünglichen Parteien, sowie der
etwaige Staatsanwalt an der entscheidenden Behörde zu Worte kommen.
Aber trotz dieser zahlreichen Beteiligung hat der Kompetenz-
konfliktshof in seinem Verfahren keine Parteien vor sich. Die ver-
schiedenen Beamten, welche ihm schriftlich und mündlich ihre An-
sichten und Anträge vortragen, sind es nicht; sie sind nicht die
Rechtssubjekte, auf welche die Entscheidung wirkt. Zum Teil haben
sie eine Parteirolle zu führen, die im Interesse des Verfahrens ge-
ordnet ist wie die des Staatsanwalts im Strafprozeſs; zum Teil auch
das nicht.
[224]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Die Parteien im unterbrochenen Prozeſs werden in
dem Kompetenzkonfliktsverfahren auf diesen Titel hin zugezogen; aber
sie sind deshalb nicht Parteien für dieses Verfahren. Sie haben nicht
einmal eine richtige Parteirolle darin; sie sind nur beteiligte Zu-
schauer des eigentlichen Streites, etwa wie die betroffenen Grundbesitzer
bei einem Streite über die Gemeindegrenzen26.
Die eigentlichen Streitsteile, diejenigen, auf welche die Ent-
scheidung wirken soll, sind in der That die Verwaltung einer-
seits, die Justiz andererseits; über ihre Machtgrenzen wird ge-
sprochen. Aber Verwaltung und Justiz sind keine Rechtssubjekte. Es
ist also auch niemand da, für welchen die Entscheidung Rechtskraft
erhalten könnte. Damit ist allerdings nur gesagt, daſs niemand ein
Recht erwirkt auf Unabänderlichkeit der Entscheidung. Unabänder-
lich ist sie von selbst durch die Ordnung der Behörden im öffent-
lichen Interesse. Damit ist ferner nur gesagt, daſs die Entscheidung
nicht die eigentümliche Natur eines Urteils an sich trage. Sie bleibt
deshalb doch ein obrigkeitlicher Akt, der Gewalt hat, seinen Gegen-
stand bindend zu ordnen für jedermann, insbesondere für den ganzen
Kreis der unter den Kompetenzkonfliktshof gestellten Behörden. Ihrer
rechtlichen Natur nach ist sie dem Kassationsausspruch vergleichbar,
der auch seinerseits nichts von materieller Rechtskraft besitzt und
doch als Ausübung der obersten Aufsichtsgewalt in der wirksamsten
Weise in die Justiz eingreift.
4. Die Entscheidung lautet entweder dahin, daſs der Rechtsweg
unzulässig sei oder dahin, daſs der Rechtsweg zulässig sei.
Im ersteren Falle bedeutet sie nicht etwa nur eine Wieder-
herstellung des Rechtes der Verwaltung, sich in ihrer Zuständigkeit
zu behaupten durch Nichtanerkennung des sie verletzenden Aktes.
Vielmehr soll die ganze Störung verhütet werden durch einen Eingriff
in die Justiz. Es wird festgestellt, daſs, was sie auf Grund der An-
nahme ihrer Zuständigkeit in dieser Sache entscheidet, rechtswidrig
ist, mit der Wirkung der Nichtigkeit des bereits ergangenen Urteils
[225]§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
und der Ungültigkeit des in Widerspruch damit etwa noch Ge-
schehenden. Die Sache ist damit nicht von selbst erledigt; es können
noch Nebenentscheidungen erforderlich sein, namentlich im Kosten-
punkt. Wenn der Kläger in Widerspruch mit der Kompetenzkonflikts-
entscheidung auf der Klage besteht, muſs er abgewiesen werden wegen
Unzuständigkeit. Thatsächlich wird er dieses aussichtslose Verfahren
ja nicht einschlagen, sondern die Klage zurücknehmen und nicht er-
neuern. Würde er die zurückgenommene Klage doch erneuern, so
stände ihm die Einrede der rechtskräftig festgestellten Unzuständig-
keit nicht entgegen; aber das Gericht, wenn auch für diesen neuen
Prozeſs nicht formell gebunden, würde wohl oder übel der Ansicht
des Kompetenzkonfliktshofes in Bezug auf seine Zuständigkeit sich
fügen27.
Ist umgekehrt der Rechtsweg für zulässig erklärt oder, wie die
Formel lautet, der von der Verwaltungsbehörde erhobene Kompetenz-
konflikt für unbegründet erklärt worden, so hat das nur die Bedeutung
der Verweigerung eines solchen Einschreitens durch Verbot und
Nichtigerklärung. Die Unterbrechung des Verfahrens hört auf. Das
Gericht ist wieder in die Lage gesetzt, über die Zulässigkeit des
Rechtsweges zu entscheiden der Art, daſs auch die Verwaltungs-
behörden dadurch gebunden sind. Das etwa schon ergangene Urteil
aber behält einfach diese Kraft. Dabei wird sich wieder das Ansehen
der Meinungsäuſserung des Kompetenzkonfliktshofes thatsächlich ge-
nügend erweisen, um die Partei auf die etwa erhobene Unzuständig-
keitseinrede verzichten zu machen oder das Gericht zur Abweisung
derselben zu bestimmen28.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 15
[226]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
§ 17.
Fortsetzung; civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
Hinter aller Verwaltungsthätigkeit steht die Möglichkeit persön-
licher Haftung des handelnden Beamten wegen rechtswidriger Schädi-
gung. Insofern die Civilgerichte berufen sind, über derartige An-
sprüche zu erkennen, üben sie einen mittelbaren, aber sehr wirk-
samen Rechtsschutz in Verwaltungssachen, der um seiner allgemeinen
Bedeutung willen den natürlichen Abschluſs des Ganzen bildet.
I. Die Ersatzpflicht des Beamten für den Schaden, den er
jemandem durch sein Verhalten im Amte zugefügt hat, ist zweifellos
civilrechtlicher Natur. Maſsgebend dafür sind die Regeln, welche das
Civilrecht aufgestellt hat für die Schuldverhältnisse aus unerlaubten
Handlungen, Privatdelikten. Dabei werden dann all die Verschieden-
heiten zur Geltung kommen, welche unsere Landesgesetzgebungen zur
Zeit noch auf weisen in Bezug auf das Maſs des zu ersetzenden
Schadens und auf Arten und Grade der schuldhaften Ge-
sinnung, die berücksichtigt werden. Gemeinsam ist allen die Vor-
aussetzung der Rechtswidrigkeit: das Verhalten muſs sich kenn-
zeichnen als die Verletzung einer dem Handelnden obliegenden Pflicht1.
In diesem letzteren Punkte weist aber das Recht der Beamten-
haftung gegenüber den entsprechenden Fällen gewöhnlicher civilrecht-
licher Schadensersatzpflicht ausgeprägte Besonderheiten auf, die aus
der Natur des Beamtenverhältnisses sich ergeben und eben darum
gemeingültig sind gegenüber allen sonst noch so verschiedenen Landes-
gesetzgebungen.
Der zu vergleichende Fall ist der, wo sonst in Vertretung eines
anderen gehandelt wird. Der Vertreter ist unbedingt gedeckt, wo
der Nachteil, den der Dritte erleidet, nach dem Verhältnis zwischen
diesem und dem Geschäftsherrn betrachtet, kein rechtswidriger war.
Das innere Verhältnis, das zwischen dem Geschäftsherrn und dem
Vertreter besteht, ist dafür gleichgültig. Nicht also der Beamte: er
haftet dem Dritten wegen Schädigung durch Verletzung der Amts-
pflicht. Sein dienstliches Verhältnis wirkt nach auſsen nach doppel-
ter Richtung: er haftet nicht für die schädigende Handlung, die namens
des Staates rechtmäſsig nicht hätte vorgenommen werden können, wenn
er gemäſs seiner dienstlichen Stellung für derartige Fehler nicht ver-
antwortlich sein soll; und umgekehrt haftet er für Schädigungen durch
Verletzung seiner Amtspflicht auch da, wo der Geschädigte gegenüber
[227]§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
dem Staate keinen Anspruch darauf hatte, daſs das geschehe, was Inhalt
der Amtspflicht ist.
Die Grundidee, welche in dieser Erscheinung zum Ausdruck
kommt, wird die sein: die öffentliche Gewalt, die sich des Beamten
bedient, besorgt durch ihn die Geschäfte Aller, auch jedes Einzelnen;
der Beamte steht deshalb zu jedem Unterthanen in einem anderen
Verhältnisse als der Beauftragte eines beliebigen Privatmanns; wie
sein Dienstherr den Dienst eingerichtet hat, das ist für den Einzelnen
keine fremde Angelegenheit, sondern muſs zwischen ihnen bei der
Abrechnung über den zugefügten Schaden rechtlich berücksichtigt
werden2.
Daraus ergiebt sich zunächst der äuſsere Umfang, in welchem
dieses besondere Recht der Beamtenhaftpflicht zur Anwendung kommt:
das schädigende Verhalten muſs aus dem Zusammenhang der Ge-
schäfte der öffentlichen Gewalt sich ergeben haben d. h. aus
solchen Geschäften, in welchen der Staat nicht wie ein gewöhnlicher
Privatmann dem Unterthanen gegenübersteht. Ist das letztere der
Fall, so fehlt jener vermittelnde Grundgedanke: der Beamte haftet
dem Dritten. den er schädigt, wie jeder Vertreter eines fremden
Rechtssubjektes nach den gewöhnlichen Regeln3. Andererseits ist es
nicht genau, wenn wir hier bloſs von Besonderheiten der Beamten-
haftpflicht sprechen: diese Besonderheiten finden statt bei jedem, der
in dienstlicher Abhängigkeit für den Staat thätig ist, also bei den in
öffentlicher Dienstpflicht Stehenden, die kein Amt bekleiden oder
wenigstens nicht die Eigenschaft von Beamten haben4, und ebenso
bei den sogenannten privatrechtlichen Dienern, welche der Staat in
seiner öffentlichrechtlich gearteten Thätigkeit verwendet. Diese ist
es, welche die inneren Ordnungen der Dienstpflicht, welcher recht-
15*
[228]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
lichen Art sie ihrerseits auch sein mögen, für die Unterthanen, die
mit dem Diener zu thun haben, wirksam werden läſst.
Ihrem Inhalt nach äuſsern sich diese Besonderheiten nach der be-
zeichneten doppelten Richtung im einzelnen wie folgt.
1. Von der Haftung für gesetzwidrige obrigkeitliche Akte und
Gewaltanwendungen wird der Beamte in gewissem Maſse befreit
durch Irrtum und durch Befehl.
Beide Befreiungsgründe beruhen auf den Notwendigkeiten des
Dienstes, die der betroffene Einzelne gegen sich gelten lassen muſs.
Im Verhältnisse zwischen den Privaten gilt die Regel, daſs der
Vertreter, wenn das Recht des Geschäftsherrn zum Eingriff in die
fremden Interessen zweifelhaft ist, sich des Eingriffs enthalten soll,
oder er macht ihn auf eigne Gefahr d. h. wird haftbar.
Der Beamte, der berufen ist, obrigkeitliche Akte über den Einzelnen
zu erlassen oder Gewalt anzuwenden, muſs sich entschlieſsen, auch
wo die Möglichkeit eines Irrtums besteht, und muſs gehorchen, auch
wenn der Dienstbefehl etwas nicht zweifellos Rechtmäſsiges befiehlt.
Der Grundsatz in dubio abstine darf nicht für ihn gelten, sonst wäre
es nicht möglich, diese Verwaltung mit der Kraft und Entschlossenheit
zu führen, welche das öffentliche Interesse verlangt. Eben deshalb
kann er aber auch nicht die Gefahr tragen müssen, die mit diesem
Verfahren verknüpft ist. Zunächst trägt sie jedes Glied der Gesamt-
heit, das gerade davon getroffen wird; wenn ein Ausgleich gewährt
werden soll, so kann ihn nur das Gemeinwesen gewähren müssen.
Wir werden sehen, daſs in dem groſsen Rechtsinstitute der öffentlich-
rechtlichen Entschädigung auch hiefür Vorkehrung getroffen ist5.
Gemeinsame Voraussetzung für diese Befreiungsgründe ist, daſs
der Beamte noch gehandelt hat innerhalb der allgemeinen Grenzen
seiner Zuständigkeit und nicht durch Arglist oder be-
wuſsten Miſsbrauch seiner Gewalt aus dem Kreise der Amts-
thätigkeit überhaupt herausgetreten ist: nur soweit bildet er ein
[229]§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
Glied der öffentlichen Einrichtung, für welche die Gesamtheit die
Gefahr trägt6.
Weiter muſs er nun durch seine Dienstpflicht der Gefahr
ausgesetzt gewesen sein, rechtswidrig zu handeln.
Das ist der Fall überall, wo er mit selbständiger Prüfung
die von ihm vorzunehmenden obrigkeitlichen Maſsregeln zu bestimmen
hat: insoweit dabei ein Irrtum möglich ist, ohne daſs ihn der Vor-
wurf einer Vernachlässigung dienstlicher Pflichten trifft, ist er auch
für die dadurch herbeigeführte Gesetzwidrigkeit nicht haftbar7; es ist
ein amtlicher Irrtum, für den er nicht aufzukommen hat. Er
haftet also, wenn er das Verfahren nicht beobachtet, das ihm vor-
geschrieben ist, um den Fall aufzuklären: der also entstandene Irr-
tum ist ein pflichtwidriger Irrtum. Er haftet, wenn er den Inhalt der
Vorschriften auſser Acht läſst, welche ihm für seine Thätigkeit ge-
gegeben sind: die Kenntnis dieser Obliegenheiten ist ein Stück seiner
Pflicht. Deshalb wird allgemein bei klaren Gesetzen ein Irrtum im
Rechtspunkt ohne Pflichtverletzung nicht als möglich angenommen.
Von jedem anderen Irrtum muſs aber grundsätzlich gelten, daſs er
ohne Verletzung der Dienstpflicht möglich ist. Es genügt, daſs er
nicht als die Folge einer solchen nachgewiesen ist; dann kommt es
nicht darauf an, woher der Irrtum sonst gekommen sein mag. Thor-
heit und Unwissenheit, Verwirrtheit, Überstürzung, Schlaffheit und
[230]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Überspanntheit, alles was an Schwächen der Intelligenz und des
Charakters etwa der Entstehung des Irrtums anhaften möchte, ist
gleichgültig8.
Zum andern: jeder Beamte, der einem Vorgesetzten dienstlich zu
gehorchen hat, ist durch diese Gehorsamspflicht der Gefahr ausgesetzt,
einen rechtswidrigen Schaden zuzufügen; deshalb muſs der Befehl
ihn von der Haftung dafür befreien. Diese Gefahr besteht aber nur
insoweit, als ihm die Prüfung der befohlenen Handlung auf ihre Recht-
mäſsigkeit versagt ist9. Das ist nicht der Fall, wo der Dienstbefehl
bestimmt ist, die eigne selbständige Amtsthätigkeit des Untergebenen
in Bewegung zu setzen. Der Befehl deckt ihn nur dann, wenn er
berufen wird zur Ausführung einer Maſsregel, welche der Vor-
gesetzte seinerseits getroffen hat; die Gültigkeit dieser Maſsregel hat
er nicht nachzuprüfen; ist sie ungültig, so ist auch rechtswidrig, was
er zu ihrer Ausführung thut, aber die Rechtswidrigkeit wird ihm nicht
[231]§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
angerechnet. Seine Verantwortlichkeit kann erst wieder in Frage
kommen, wenn ihm gesetzlich Formen vorgeschrieben sind, die er bei
der Ausführung beobachten soll, oder der Befehl ihm einen Spielraum
läſst, den er selbständig ausfüllt. Soweit der Befehl nicht deckt, kann
nur wieder ein amtlicher Irrtum helfen, der möglicherweise gerade
durch den Befehl veranlaſst ist10.
Die Sache liegt demnach so: nicht die Rechtswidrigkeit
der Amtshandlung giebt für sich allein schon den Ausgangspunkt der
civilrechtlichen Haftung, denn sie kann durch Irrtum oder Befehl
gedeckt sein; sondern die pflichtwidrige Amtsüberschreitung
d. h. die Rechtswidrigkeit, bei der das nicht das Fall ist11. Liegt
Amtsüberschreitung vor, so beginnt erst die Frage nach den übrigen
Voraussetzungen des Privatdelikts; vor allem nach dem Grade der
Verschuldung, den das Civilrecht verlangt, und nach den Befreiungs-
gründen, denen es auch der einfachen Rechtswidrigkeit gegenüber
Wirkung beimiſst: Einwilligung, gegenseitiges Verschulden u. s. w.
Hier kommt dann wieder die Mannigfaltigkeit der Landes-Civilrechte
zur Geltung12.
2. Die dienstliche Pflicht des Beamten dem Staate gegenüber,
gewisse Leistungen dem Unterthanen zu machen, be-
gründet unter Umständen im Falle der Nichterfüllung eine Schadens-
ersatzpflicht desselben gegenüber dem Unterthanen.
[232]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Eine derartige Wirkung ist dem reinen Privatrechtsverhältnisse
fremd. Der Beauftragte, der dem gewöhnlichen Dienstherrn gegen-
über seine Pflicht, dem Dritten etwas zu leisten, verletzt, haftet dem
Dritten nicht. Für den Dienst des Staates gilt das Gleiche, wenn der
Staat in civilrechtlichen Beziehungen zu dem Einzelnen steht: falls er
civilrechtliche Verbindlichkeiten durch den Diener erfüllen wollte,
haftet der Staat für die Nichterfüllung, der Diener nach auſsen nie-
mals. Nur wo der Staat dem Dritten in öffentlichrechtlichem Verhältnisse
gegenüber steht und seinem Diener dabei solche Leistungspflichten
auferlegt, gilt unsere Regel13.
Nicht jede Pflichtverletzung, aus welcher dem Einzelnen Schade
erwächst, macht in dieser Weise haftbar. Schlieſslich sind ja die
Einzelnen bei jeder Besorgung öffentlicher Interessen beteiligt und
aus der Nichtbesorgung können ihnen greifbare Nachteile entstehen;
ein solcher Zusammenhang genügt nicht. Es muſs sich um eine Ein-
richtung handeln, die das öffentliche Interesse gerade dadurch ver-
folgt, daſs sie den Einzelnen in geordneter Weise Leistungen gewährt;
wer nach dieser Ordnung dem Beamten als der unmittelbare Em-
pfänger der Erfüllung seiner Dienstpflicht bezeichnet
ist, hat den Schadensersatzanspruch gegen ihn im Falle der Nicht-
erfüllung.
Die Amtsthätigkeit der Richter, wie sie in der Syndikatsklage
das Urbild gab für die Beschränkung der Haftbarkeit nach auſsen
aus Rücksichten der Notwendigkeiten des Dienstes, liefert zugleich
das vornehmste Beispiel dafür, wie die Amtspflicht nach auſsen wirk-
sam wird, um Haftungen in der angegebenen Weise zu begründen.
In der freiwilligen Rechtspflege beauftragt der Staat seinen Richter
mit einer fürsorgenden Thätigkeit für die bestimmten Einzelnen, welchen
[233]§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
sie von Amtswegen gewidmet sein soll oder welche sie für sich in
Anspruch nehmen: obervormundschaftliche Überwachung, Auseinander-
setzung von Verlassenschaften, Beurkundung von Rechtsgeschäften,
Führung von Grund- und Hypothekenbüchern. Die Verabsäumung der
Dienstpflicht in diesen Dingen macht nicht bloſs dienstrechtlich ver-
antwortlich dem Staat gegenüber, sondern auch civilrechtlich den
Einzelnen gegenüber, welchen sie zu gute kommen sollte14.
Diese Haftung hängt nicht an der persönlichen Stellung des
Richters, sondern lediglich an der Richtung des Dienstauftrags auf
den Vorteil des Einzelnen. Wo derartiges auf dem Gebiete der Ver-
waltung erscheint, müssen die gleichen Regeln gelten. Wir sehen sie
deshalb in groſsem Maſsstabe zur Anwendung kommen bei dem Betrieb
der öffentlichen Anstalten, die ihre Nutzungen den Einzelnen ge-
währen sollen. Wenn es geschieht in der Form civilrechtlicher Ver-
träge, haftet für die Nichterfüllung dem Einzelnen, der dadurch ge-
schädigt wird, der Staat, dem Staate sein Beamter. Wenn es aber
geschieht in Formen des öffentlichen Rechts, entsteht wieder jene un-
mittelbare Haftung des Beamten dem Einzelnen gegenüber aus ver-
letzter Dienstpflicht. In der Lehre von der öffentlichrechtlichen
Anstaltsnutzung wird das genauer auszuführen sein15. Auch die civil-
[234]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
rechtliche Haftung des Beamten dem Staate selbst gegenüber wird
nur vermittelt durch diesen Gedankengang; darüber das Nähere in
der Lehre von der öffentlichen Dienstpflicht.
Auch hier also erhält die Rechtswidrigkeit der Amtshandlung
ein eigentümliches Element, das sie abweichend bestimmt von dem,
wonach sie sonst sich richtet; hier in erweiterndem Sinn, wie dort
unter n. 1 in verengerndem Sinn. Dahinter steht dann wieder für
die Fragen nach Befreiungsgründen und nach dem Grade der erforder-
lichen Schuld das gewöhnliche Landescivilrecht.
II. Die gerichtliche Geltendmachung der Schadensersatz-
ansprüche, welche gegen den Beamten erhoben werden soll, unterliegt
besonderen Beschränkungen.
1. Grundsätzlich steht für unser Recht unzweifelhaft fest, daſs
das Gericht noch innerhalb seiner Zuständigkeit sich bewegt, wenn
es behufs Erledigung einer solchen Schadensersatzklage die Frage
würdigt, ob eine rechtswidrige Amtsüberschreitung vorliegt (vgl. oben
§ 16, III)16. Lediglich in der Absicht, dem Beamten einen gewissen
Schutz zu geben, den man im Interesse des guten Ganges der Ver-
waltung für notwendig hält, hat man der Justiz hier Hemmungs-
vorrichtungen in den Weg gestellt, die unverkennbar dem französischen
Rechte entlehnt sind.
Im französischen Rechte nun handelt es sich um zweierlei Dinge:
einmal um eine einfache Folgerung aus den allgemeinen Regeln über
die Grenzen der gerichtlichen Zuständigkeit, wonach im
Gegensatz zum deutschen Rechte die Gerichte auch behufs der Lösung
einer Vorfrage nicht zuständig sind, einen Verwaltungsakt auszulegen
und auf seine Rechtmäſsigkeit zu prüfen (oben § 16 S. 217); und
15
[235]§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
sodann um die sog. garantie constitutionnelle d. h. die Bestimmung
der Verfassung vom 22. Frim. VIII art. 75, wonach Beamte nur mit
Erlaubnis des Staatsrats gerichtlich verfolgt werden können; ohne
diese Erlaubnis ist das gerichtliche Verfahren unzulässig, mit ihr
aber das Gericht zuständig auch zur Prüfung der öffentlichrecht-
lichen Vorfrage17. Jener Absicht, dem Beamten einen gewissen Schutz
zu gewähren, konnte in der einen, wie in der anderen Weise ent-
sprochen werden; vor den Reichsjustizgesetzen bestanden beide Formen
neben einander oder waren auch in einander gemischt18. Die preuſsische
und die bayrische Gesetzgebung geben anschauliche Beispiele.
In Bayern bestand für die Pfalz noch aus französischer Zeit die
garantie constitutionnelle, die Verfolgungserlaubnis; im Haupt-
lande dagegen hatte sich der Grundsatz entwickelt, daſs die Gerichte
unzuständig seien, bei der Schadensersatzklage gegen den Beamten über
die Vorfrage der Gültigkeit eines Verwaltungsaktes zu erkennen, um
den dafür haftbar gemachten Beamten zu verurteilen, also die Zu-
ständigkeitsregel des französischen Rechts war übernommen
worden19.
In Preuſsen eröffnete Ges. v. 11. Mai 1842 § 6 den Rechtsweg
nur für den Fall, daſs „eine polizeiliche Verfügung im Wege der Be-
schwerde als gesetzwidrig oder unzulässig aufgehoben (worden war)“.
Es ist der französische Gedanke, daſs das Gericht unzuständig ist, den
Verwaltungsakt auf seine Gültigkeit zu prüfen, auch wenn es nur behufs
Lösung der Vorfrage geschieht. Aber während das französische Recht
die Sache spalten läſst und nur die Aussetzung des Verfahrens ver-
langt, bis die Vorfrage durch die Verwaltung erledigt ist, zieht das
preuſsische Recht aus jenen Gedanken den schärferen Schluſs: weil
das Gericht unzuständig ist, die Vorfrage zu entscheiden, ist es un-
zuständig für die ganze Klage; es wird für diese Klage erst zuständig
dadurch, daſs die Verwaltung selbst die Schranke niederreiſst und den
Akt preisgiebt20. In dieser Gestalt nähert sich die preuſsische Be-
[236]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
stimmung einigermaſsen der garantie constitutionnelle; sie unter-
scheidet sich immer noch davon, insofern sie die Unzuständigkeit des
Gerichts statt der Unzulässigkeit der Klage begründet und insofern
als mit dem Ausspruch der Verwaltungsbehörde eine Entscheidung
nach Rechtsgrundsätzen gemeint ist, statt einer Erlaubnis nach Gut-
dünken.
Das Ges. v. 13. Febr. 1854 stellt in letzterem Punkte Über-
einstimmung her: die gerichtliche Verfolgung eines Civil- oder Militär-
beamten wegen Amtshandlungen kann von der oberen Behörde ge-
hemmt werden durch die Erhebung des Konflikts. Der Kompetenz-
konfliktshof befindet alsdann, ob dem Beamten „eine zur gerichtlichen
Verfolgung geeignete Überschreitung seiner Amtsbefugnisse oder
Unterlassung einer ihr obliegenden Amtshandlung zur Last fällt“, und
eröffnet je nachdem den Rechtsweg oder verschlieſst ihn21.
2. In diese Rechtszustände greift nun die Reichs-Justizgesetzgebung
hinein mit den schwer erkämpften Bestimmungen des § 11 E.G. zu
G.V.G.: die Zulässigkeit der gerichtlichen Verfolgung von Beamten
kann an eine reichsgesetzlich reglementierte Vorentscheidung
gebunden, sonst aber von der Landesgesetzgebung nicht beschränkt
werden. Diese Vorentscheidung vertritt die Stelle der französisch-
rechtlichen Verfolgungserlaubnis nach der garantie constitutionnelle,
alle Arten der letzteren sind im übrigen durch diesen § 11 aus-
geschlossen.
Nicht getroffen von § 11 sind landesgesetzliche Bestimmungen,
welche im Sinne des anderen Grundsatzes des französischen Rechtes
die Gerichte für unzuständig erklären, über die Frage der Rechts-
gültigkeit des Verwaltungsaktes zu erkennen und damit ein Aussetzen
des Verfahrens nötig machen. Allein diese Bestimmungen stehen da-
für im Widerspruch mit § 139 C.Pr.O., wonach das Gericht nur aus-
20
[237]§ 17. Civilgerichtliche Haftung aus Amtshandlungen.
setzen kann, und sind dadurch beseitigt. Das gilt insbesondere von
dem früheren Rechte des rechtsrheinischen Bayerns22.
Nicht getroffen ist ferner der § 6 des preuſsischen Ges. v. 1842;
auch er enthält eine Zuständigkeitsordnung. Er fällt aber auch nicht
unter § 139 C.Pr.O., da er keine bloſse Aussetzung des Verfahrens
befiehlt, sondern die ganze Sache der gerichtlichen Zuständigkeit ent-
zieht. Diese Sache ist allerdings ihrer Natur nach eine bürgerliche
Rechtsstreitigkeit, man hat aber geglaubt, den § 6 durch G.V.G. § 13
schützen zu können, der ja der Landesgesetzgebung freies Spiel läſst,
um auch bürgerliche Rechtsstreitigkeiten den Gerichten zu entziehen.
Allein nach § 13 kann das nur dadurch geschehen, daſs gleichzeitig
die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde oder eines Verwaltungs-
gerichts für diese Sache begründet wird. Das thut aber § 6 des
Ges. v. 1842 nicht; er sagt nicht: die Verwaltungsbehörde ist zu-
ständig, über die Schadensersatzklage zu entscheiden; im Gegenteil
ist sicher, daſs die Verwaltungsbehörde über diese bürgerliche Rechts-
streitigkeit selbst niemals zuständig ist. Er will bloſs einseitig sagen
lassen: die Gerichte sind nicht zuständig, ohne eine andere Zuständig-
keit dafür zu eröffnen. Und das gestattet § 13 nicht; nach ihm muſs
[238]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten der Staat eine Zuständigkeit ge-
währen. Eine einfache Verneinung, wie der § 6 sie enthält, ist un-
zulässig23.
Man könnte nun vielleicht daran denken, durch die Landesgesetz-
gebung die Verwaltungsbehörde statt des Gerichts für die ganze
Schadensersatzklage zuständig zu erklären. Dem stünde § 139
C.Pr.O. nicht im Wege und § 13 G.V.G. würde es gestatten. Dann
würde auch § 11 E.G. zu G.V.G. nicht mehr gelten, weil dieser
sich nur auf Sachen bezieht, die im ordentlichen Rechtsweg ausge-
tragen werden sollen, und die Landesgesetzgebung hätte freie Hand,
die Verfolgbarkeit eines Beamten von der Erlaubnis des nächsten
Bürgermeisters abhängig zu machen. Gerade deshalb muſs es aber
als der Wille des § 11 angesehen werden, daſs diese bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten den Gerichten nicht in Anwendung des § 13 G.V.G.
entzogen werden dürfen24.
Was die Landesgesetzgebung prozeſsrechtlich zu besonderem Schutze
ihrer Beamten thun kann, beschränkt sich also auf die reichsrechtliche
Vorentscheidung. Dafür steht ihr einstweilen noch die Ordnung des
materiellen Rechts der Haftung frei zur Verfügung.
3. Das Rechtsinstitut, welches § 11 E.G. zu G.V.G. in seinen
wesentlichen Stücken vorzeichnet, hat folgende Gestalt.
Es findet sein Anwendungsgebiet bloſs bei gerichtlicher
Verfolgung von öffentlichen Beamten; darunter sind zu verstehen:
Personen, die mit öffentlichrechtlicher Dienstpflicht ein öffentliches
Amt verwalten. Die Verfolgung muſs sich gründen auf ein Verhalten
der Beamten, welches in Zusammenhang mit ihrem Amt steht, „in
Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung des Amtes“. Und
zwar muſs es sich dabei gehandelt haben um Zuständigkeiten zur
[239]§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
Vertretung des Staats auf öffentlichrechtlichem Gebiet. Nur da giebt
es die Möglichkeit der „Überschreitung der Amtsbefugnisse“ und der
Haftung dem Dritten gegenüber wegen „Unterlassung einer ihm ob-
liegenden Amtshandlung“25.
Der Inhalt der Vorentscheidung geht auf die Feststellung,
ob eine Verletzung der Amtspflicht in dem oben unter I gegebenen
Begriffe vorliegt; diese Feststellung hat die Natur der Rechtsprechung,
der Entscheidung26.
Die Wirkung der Vorentscheidung ist die, daſs je nachdem die
Klage zulässig oder unzulässig ist. Wenn sie jene Frage bejaht, so
geht die Klage ihren Gang, als ob der Vorbehalt der Vorent-
scheidung für diesen Fall nicht bestünde; das Hindernis, das der Klage
im Wege stand, ist beseitigt; das Gericht ist an die Auffassung der
Vorentscheidung nicht gebunden27.
[240]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Wird umgekehrt die Frage verneint, so ist der Rechtsweg aus-
geschlossen d. h. die Klage ist gesetzlich unzulässig. Das Gericht
ist gebunden an die Vorentscheidung in dem Sinne, daſs es bei aller
weiteren Thätigkeit von der Unzulässigkeit der Klage auszugehen hat.
Ein etwa schon ergangenes Urteil ist vernichtet.
Die Wirkung ist also in ihrer rechtlichen Natur der Entscheidung
über den Kompetenzkonflikt verwandt; nur daſs dort die Zuständig-
keit des Gerichts bindend verneint werden kann, hier die Zulässig-
keit der Klage.
Das Verfahren wird von Anfang an verschieden eingeleitet
werden, je nachdem die Verfolgung, wie das Reichsgesetz die Wahl
läſst, an die Vorentscheidung nur im Falle des Verlangens einer vor-
gesetzten Behörde oder unbedingt gebunden ist. Ersteren Falls ist
die Klage von vornherein gesetzlich unzulässig, die Unzulässigkeit
kann nur beseitigt werden durch eine bejahende Vorentscheidung;
diese herbeizuführen ist Sache des Beteiligten, der denn die zur Vor-
entscheidung berufene Behörde darum anzugehen hat. Im anderen
Falle ist die Klage von vornherein zulässig, das Verfahren wird nur
nach Vorbild der Kompetenzkonfliktserhebung unterbrochen durch die
Erklärung der vorgesetzten Behörde, daſs sie die Vorentscheidung
verlange, und bleibt unterbrochen, bis die Entscheidung im einen oder
anderen Sinne herbeigeführt ist.
Zuständig ist nach § 11 Ziff. 2 jedenfalls ein Gericht, der
oberste Verwaltungsgerichtshof oder das Reichsgericht. Von diesem
Gerichte werden die Formen seiner sonstigen Thätigkeit mehr oder
weniger dabei beobachtet werden, jedenfalls werden die Beteiligten
gehört. Das Verfahren hat aber — wie das Kompetenzkonflikts-
verfahren — nicht die Natur der Rechtspflege im richtigen Sinn; die
Beteiligten sind nicht Parteien, die Entscheidung ist kein Urteil; sie
fügt sich ein in jene besondere Gruppe von Beschlüssen oberster Über-
wachungsbehörden, die wir schon gekennzeichnet haben28.
III. Wenn der Beamte dem Geschädigten für die Folgen der
rechtswidrigen Amtshandlung haftet, so geschieht es auf Grund der
civilgesetzlichen Rechtsgrundsätze des Privatdelikts, welche mit einigen
sachentsprechenden Abweichungen und Vorbehalten auf das Verhältnis
27
[241]§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
zur Anwendung kommen. Das Civilrecht enthält aber auch Rechts-
sätze, wonach für die Schädigung, welche der Beauftragte zugefügt
hat, unter Umständen der Auftraggeber mitverantwortlich ist. Hinter
dem Beamten steht sein groſser Auftraggeber, der Staat oder, was
immer mitverstanden ist, eine andere juristische Person des öffent-
lichen Rechts. Die Frage ist also, inwiefern auch dieser Auftraggeber
gemäſs jenen civilrechtlichen Bestimmungen mitverantwortlich
wird29.
Die Antwort ist grundsätzlich gegeben: der Staat unterliegt in
seinem Verhältnisse zu dem Einzelnen den Regeln des Civilrechts,
soweit er dem Einzelnen privatwirtschaftlich, wie ein Privatmann
seine Interessen wahrnehmend, gegenüber steht (oben § 11, II). Es
kommt also darauf an, ob die Rechtswidrigkeit, welche den Schaden ver-
ursacht hat, aus dem Zusammenhang eines derartigen Verhältnisses
des Staates hervorgegangen ist. Daſs die Folgen der Rechtswidrigkeit
für den Beamten selbst civilrechtlicher Natur sind, ist dafür nicht
maſsgebend. Denn das Delikt ist jedenfalls nicht die Handlung des
Staates, er kann nicht erst durch dieses der Anwendbarkeit des Civil-
rechts unterliegen. Das den Staat zum Civilrecht hinüberführende
Verhältnis muſs bereits vorher gegeben sein, damit das Delikt nach
civilrechtlichen Grundsätzen für ihn wirke30. Deshalb findet die civil-
rechtliche Haftung des Staates ihr entsprechendes Anwendungsgebiet
vor allem in den fiskalischen Verwaltungen (oben § 11, III n. 1);
aber auch in der öffentlichen Verwaltung, soweit dabei eine privat-
wirtschaftliche Seite selbständig hervortritt: Besorgung der Dienst-
gebäude, Aufbewahrung von Vorräten und Materialien, Beschaffung
von Zug- und Lasttieren für militärische Zwecke u. dergl.31.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 16
[242]Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Wenn auf solche Weise das Civilrecht anwendbar wird auf den
Staat als den Geschäftsherrn des Schuldigen, so ist damit noch nicht
gesagt, daſs er dem Verletzten haftet. Das hängt davon ab, inwie-
weit das Civilrecht Haftungen des Geschäftsherrn bestimmt, die nach
ihren besonderen Voraussetzungen geeignet sind, den Staat,
eine juristische Person zu treffen32. Uns geht das alles nichts mehr
an: die Geltendmachung dieser Haftung des Staates nach der Art,
wie ihr Gebiet abgegrenzt ist, gehört jedenfalls auch mittelbar nicht
mehr zum Rechtsschutz in der öffentlichen Verwaltung. Dafür findet
sich hier eine andere Schadensersatzpflicht des Staates, welche alle
Zweige der öffentlichen Verwaltung durchzieht: die öffentlichrecht-
liche Entschädigung, ein Verwaltungsrechtsinstitut, das mit der
hier behandelten Haftpflicht nicht zusammengeworfen werden darf. Es ist
nicht wie diese bestimmt, die Schranken zu hüten, die zu überschreiten
Rechtswidrigkeit ist, sondern auf eigenartigen Grundlagen gebaut, fällt
es ganz aus dem Ideenkreise des Rechtsschutzes heraus. Wir werden
es im Zusammenhange der anderen Rechtsinstitute des materiellen
Verwaltungsrechts ausführlich zu behandeln haben.
[[243]]
Besonderer Teil.
16*
[[244]][[245]]
Erstes Buch.
Erster Abschnitt.
Die Polizeigewalt.
§ 18.
Begriff der Polizei.
Die Polizei ist eine besondere Art der Verwaltungsthätigkeit, die
Polizeigewalt ist die dieser Thätigkeit eigentümliche Erscheinung der
öffentlichen Gewalt.
Die Rechtsinstitute, in welchen sich diese entfaltet, sind Gegen-
stand dieses Abschnittes.
I. Der Begriff der Polizei hat eine wechselvolle Geschichte hinter
sich1. Der Name trägt das Gepräge seines Ursprungs im Zeitalter
der Renaissance. Als er in Deutschland aufgenommen wurde, be-
deutete er den guten Stand des Gemeinwesens als ein zu er-
strebendes Ziel der Obrigkeit2. Von da übertrug er sich auf die
Maſsregeln, mit welchen die Obrigkeit ihrerseits zur Erreichung
dieses Zieles beitragen wollte über Civil- und Strafrechtspflege und
mancherlei schon vorhandene Wohlfahrtseinrichtungen hinaus. Die
ganze Idee war ursprünglich auf dem Boden der städtischen Ge-
meinwesen gewachsen3. Auch als sie sich schon davon losgelöst hatte,
[246]Die Polizeigewalt.
umfaſste die Polizei zunächst nur einen beschränkten Kreis von
Gegenständen, die in den Reichs- und Landes-Polizeiordnungen mit
ziemlicher Regelmäſsigkeit wiederkehren4.
Im Übergang zur neueren Zeit aber nimmt sie einen mächtigen
Aufschwung; sie ist es geradezu, die den Staat in seinem ganzen
Verhältnis zum Unterthanen kennzeichnet: Heer und Justiz bleiben
selbständig, alles, was daneben zur inneren Festigung und Stärkung
des Gemeinwesens geschehen kann, ist Polizei, die rastlos neue Mittel
und Wege findet und von der sich entwickelnden Kameralwissenschaft
Anleitung dazu erhält5. Alles aber, was die Obrigkeit ersprieſslich
findet, dazu hat sie jetzt auch das Recht, um es nötigenfalls gewalt-
sam durchzusetzen (oben § 4).
Der heutige Begriff der Polizei bedeutet demgegenüber eine Ein-
schränkung und festere Abgrenzung.
1. Schon im alten Rechte macht sich ein gewisser Widerstand
bemerkbar. Das Naturrecht, welches die Staatsgewalt über alle
Schranken hinweggetragen hatte, sucht man nun wieder anzurufen, um
der Polizei ein Maſs zu setzen. Auf die damit verbundene Zwangs-
gewalt kommt es an; man benutzt bald die eine, bald die andere
Einteilung, um sie zurückzudrängen.
Die Rechtsphilosophie stellt den Satz auf, daſs die Staatsgewalt
Zwang nur anwenden dürfe zur „Erhaltung des Sicherheitszustandes“,
nicht dagegen zur „Mehrung der Vollkommenheit ihrer Bürger“.
Daraus folgert man einen Unterschied zwischen Sicherheits- und
Wohlfahrtspolizei, indem nur die erstere mit Zwangsgewalt aus-
gerüstet wäre6.
[247]§ 18. Begriff der Polizei.
Eine andere Meinung erklärt Zwang für zulässig sowohl zu
Gunsten der Wohlfahrt wie zu Gunsten der Sicherheit, aber in beiden
Richtungen nur behufs der Abwehr von Gefahren. Da nun
Zwang zum Wesen der Polizei gehört, so ist alle Thätigkeit des Staats
zur Vermehrung der Wohlfahrt überhaupt nicht Polizei7.
Die Thatsache, daſs Zwang auch über diese Grenzen hinaus ge-
übt wurde, lieſs sich aber dadurch nicht aus der Welt schaffen. So
begnügte man sich mit der Unterscheidung: die Polizei hat es nur
mit der Sicherheit zu thun durch Abwehr dessen, was sie stört;
Beförderung der Wohlfahrt ist nicht Polizei, sondern eine andere Art
Staatsthätigkeit, die auch mit Zwang arbeiten kann, aber es nicht so
leicht thut, wie die Polizei8.
Die leitende Idee für die Abgrenzung ist im wesentlichen immer
die gleiche; aber praktische Folgerungen sind gegenüber der Allmacht
des Polizeistaates schwer daraus zu ziehen. Es läuft schlieſslich auf
eine bloſse Anders-Rubrizierung der ausgeschlossenen Thätigkeitsart
hinaus.
2. Nach Begründung des neuen Staatsrechts wird die bereits an-
gebahnte Beschränkung des Polizeibegriffes zur Durchführung gebracht.
Sie erscheint jetzt in Gestalt einer Forderung des „konstitutionellen
Systems“ oder des „Rechtsstaates“ und gelangt damit zu herrschender
Bedeutung. Wohlfahrts- oder Beglückungspolizei mit der ihr eigenen
Zwangsgewalt giebts nicht mehr; die Polizeigewalt ist nur dazu be-
stimmt, von dem Gemeinwesen und von den einzelnen Bürgern Ge-
fahren abzuwenden. Das andere ist Pflege: Wohlfahrtspflege,
Kulturpflege, Staatspflege9.
[248]Die Polizeigewalt.
Die schärfere Ausprägung des Begriffs knüpft sich gerade
an dieses Element des Zwangs und der Gewalt, das immer
damit verbunden gedacht war. Die Abwendung von Gefahren, die
Beseitigung von Störungen kann mit verschiedenen Mitteln ge-
schehen; obrigkeitliche Gewalt, Befehl und Zwang ist nur eine Art
davon. Eine gute Straſsenbeleuchtung dient zum Schutze der nächt-
lichen Sicherheit; Dammbauten, Feuerlöschanstalten wehren den Ver-
heerungen der Elemente; Spitäler errichten und unterhalten ist ein
vortreffliches Mittel gegen Volksseuchen. Die ältere Auffassung sah
das wirklich alles noch als polizeiliche Thätigkeiten an. Mit der fort-
schreitenden Ausbildung des Verwaltungsrechts und der Entwicklung
des Sinnes für die Verschiedenheit seiner Formen wird es deutlich,
daſs in diesen Dingen nichts von dem zu finden ist, was den Kern
der Polizei ausmacht, nichts von der ihr eigentümlichen obrigkeitlichen
Gewaltübung; es kommen da Rechtsformen zur Anwendung, die auch
auſserhalb dieses Zusammenhanges zu finden sind; sie sind nur äuſser-
lich damit verbunden und haben ihre selbständige Art. Polizei ist
nur da, wo mit den Mitteln der obrigkeitlichen Gewalt für die Ab-
wehr von Störungen gewirkt werden soll. In dieser Weise erhält all-
mählich der Begriff seinen festen juristischen Wert10.
Die strengere juristische Auffassung, die sich darin ausspricht,
hat zunächst allerdings wieder zu einer einseitigen Betonung dieser Form
der Einwirkung geführt. Man hat geglaubt, den Polizeibegriff von
irgend welchem Zweck, irgend welcher sachlichen Richtung der Thätig-
keit loslösen zu sollen. Polizei, sagt man, ist Verwaltung mit
Zwangsgewalt oder gar: die Zwangsgewalt in der Ver-
waltung11. Als solche wird sie dann ein allgemeines Institut, das
durch alle Zweige der Verwaltung hindurchgeht. Allein auf diese Art
werden doch, das ist nicht zu verkennen, eine Menge Dinge unter
den Begriff Polizei gestellt, die nicht Polizei sind und nie so genannt
werden; alle äuſserlichen Grenzziehungen, die man da versuchen mag,
[249]§ 18. Begriff der Polizei.
sind miſsglückt12. Und andererseits ist die Polizei selbst nicht bloſs
Zwang; es giebt Polizeizwang, es giebt aber auch Polizeibefehl, Polizei-
erlaubnis, und das wird man doch nicht auch in gleicher Weise ver-
allgemeinern wollen, so daſs alle Befehle und Erlaubnisse in der Ver-
waltung Polizei wären.
Es ist ja richtig, daſs die juristische Betrachtungsweise die Rechts-
form allein im Auge hat und vom Zweck absieht, zu dem sie ver-
wendet wird. Aber die Rechtsform kann gerade durch den Zusammen-
hang mit einer allgemeinen Art von Zweck, auf den abgezielt wird,
ihre bestimmte Eigenart bekommen; deshalb muſs man wohl zusehen,
bevor man alles abstreift.
3. Der heutige Begriff der Polizei ist das Ergebnis der durch-
gedrungenen Bestrebungen auf Beschränkung der Polizei der all-
gemeinen Richtung der Thätigkeit nach, verbunden mit der genaueren
Abgrenzung nach dem ihr eigentümlichen Mittel. Polizei ist die
Staatsthätigkeit zur Abwehr von Störungen für die
gute Ordnung des Gemeinwesens aus dem Einzeldasein
mit obrigkeitlicher Gewalt13.
[250]Die Polizeigewalt.
II. Die Polizei ist wie jede andere Staatsthätigkeit unter die Be-
dingungen des Verfassungs- und Rechtsstaats gestellt.
Weshalb aber dann der Eifer, mit welchem auch noch seit Be-
ginn der verfassungsrechtlichen Zeit die Juristen darauf bestehen, den
Begriff möglichst einzuschränken? woher ihre besondere Besorgnis
gerade vor dieser doch so notwendigen Erscheinung des Staats-
willens14? Als ob der Verfassungs- und Rechtsstaat nicht alle Formen
zur Verfügung hätte, um die Forderungen des Gemeinwohls und der
Freiheit in befriedigender Weise zu versöhnen. Weshalb nennen wir
das also abgegrenzte Stück überhaupt noch mit dem alten Namen
Polizei, an welchem die lebendigsten Erinnerungen des alten Staats-
wesens mit der voraussetzungslosen Staatsmacht hängen, während es
unter dem Rechtsstaat etwas ganz anderes geworden ist? Warum nur
dieses, warum nicht auch die anderen Stücke, die auch Polizei waren
und die wir ausgeschieden haben?
Diese Fragen beantworten sich, wenn wir uns klar machen, daſs
in unserem Polizeibegriff in der That etwas stehen geblieben
und erhalten ist von den rechtlichen Grundanschau-
ungen, auf welchen das alte polizeistaatliche Wesen
beruhte.
Unser Polizeistaat war ja niemals einfacher Despotismus, der auf
jeden Rechtstitel verzichtet und verzichten kann. Sein Rechtstitel
liegt, wie die Rechtsphilosophie ausführt, in der natürlichen Bestim-
mung des Menschen und daraus sich ergebenden natürlichen
Pflichten, die der Staat berufen und berechtigt ist geltend zu
machen und zwangsweise durchzuführen. Gerade vermittelst der An-
nahme solcher allgemeiner gegebener Pflichten wird der Satz, daſs die
13
[251]§ 18. Begriff der Polizei.
Obrigkeit alles rechtlich muſs thun können, was zur Erfüllung ihrer
Aufgabe nötig ist, aus einer bloſsen Forderung für die Gestaltung der
Dinge zur unmittelbaren rechtlichen Wirklichkeit15.
Ein Überbleibsel aus dem Ideenkreise des Polizeistaates ist es,
wenn man jetzt noch das Staatsrecht einleitet mit einer Aufzählung
von allgemeinen Unterthanenpflichten, als da sind die allgemeine Ge-
horsamspflicht, Heerdienstpflicht, Steuerpflicht. Diese Pflichten haben
überall keine rechtliche Bedeutung; es sind Gedanken, welche die
Gesetzgebung in gröſserem oder geringerem Maſse verwirklicht, in
denen aber nicht einmal für die Auslegung dessen, was das Gesetz
gewollt haben mag, die feste Grundlage einer zu verwirklichenden
Pflicht gegeben ist16.
Es giebt aber in der That doch auch heutzutage noch eine
solche allgemeine Pflicht der Unterthanen dem Gemeinwesen und der
seine Interessen vertretenden Verwaltung gegenüber, eine Pflicht, die
wir ohne weiteres als eine selbstverständliche, angeborene ansehen:
die nämlich, daſs sie ihrerseits nicht störend eingreifen in die
gute Ordnung des Gemeinwesens, vielmehr dafür sorgen, solche
Störungen aus ihrem Lebenskreise heraus zu unterlassen und zu ver-
hüten. Die sittliche Forderung, die darin liegt, leuchtet ja ohne
weiteres ein; es handelt sich aber hier nicht bloſs um eine sittliche,
sondern um eine rechtlich bedeutsame Pflicht. Die besondere recht-
liche Natur dessen, was wir heutzutage Polizei nennen, was ihre
Rechtsinstitute auszeichnet unter allen Rechtsinstituten des Ver-
[252]Die Polizeigewalt.
waltungsrechts, das ist gerade diese Grundlage einer bereits gegebenen
allgemeinen Pflicht, die sie nur verwirklicht und geltend macht.
Wir sind völlig daran gewöhnt, daſs man sich in Gesetzgebung
und Rechtshandhabung auf polizeiliche Pflichten beruft, die
rechtlich bestimmt und bedeutsam wären vor aller staatlichen Ord-
nung17.
Unser Rechtsstaat, der Voraussetzung und Gegenstand obrigkeit-
licher Gewalteingriffe sonst gar nicht genau genug bestimmen kann,
duldet in polizeilichen Dingen überall den weitgehendsten Spielraum
und die allgemeinsten Ermächtigungen: die Bestimmtheit der
vorausgesetzten polizeilichen Pflicht giebt auch diesen Ermächtigungen
rechtliches Maſs und Ziel18.
Der verfassungsrechtliche Vorbehalt verlangt eine gesetzliche Grund-
lage für jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum; aber ohne gesetz-
liche Grundlage kann die Störung der guten Ordnung mit un-
mittelbarer Gewaltanwendung abgewehrt werden: die einfache Geltend-
[253]§ 18. Begriff der Polizei.
machung der bereits bestehenden Pflicht ist kein vorbehaltener Eingriff;
einer gesetzlichen Grundlage bedarf es nur, wenn dieser Pflicht neue
rechtliche Formen gegeben oder besondere Zwangsmittel und selb-
ständige Nachteile mit der Verletzung verbunden werden sollen19.
Das wird alles bei der Darstellung der einzelnen Rechtsinstitute
der Polizeigewalt in seiner ganzen Wichtigkeit hervortreten. Es
leuchtet aber ein, daſs die Rechtsidee der Polizei in der That einen
nie ganz zu verwindenden Widerspruch enthält mit dem strengen
Formalismus, in welchem der Rechtsstaat die Freiheit zu schützen
vermeint. Andererseits giebt diese Grundlage einer vorausgesetzten
Unterthanenpflicht, welche die Polizei nur geltend zu machen hat,
dem ganzen Begriff erst seine feste Abgrenzung. Alle Einrichtungen,
Anstalten und Vorkehrungen, welche der Aufrechterhaltung guter
Ordnung und der Abwehr von Störungen dienen mögen, sind von
selbst ausgeschlossen, sofern es sich dabei eben nicht um Geltend-
machung der groſsen polizeilichen Pflicht handelt. Ausgeschlossen ist
andererseits auch der Gedanke, die Polizei zu der allgemeinen Zwangs-
anstalt der Verwaltung oder eines Zweiges davon zu machen: auch
der Zwang ist nur Polizei, sofern er der Geltendmachung jener all-
gemeinen Nichtstörungspflicht dient. Vor diesem einfachen Abgrenzungs-
merkmal werden aber auch alle künstlichen Drehungen und Wendungen
nicht mehr standhalten, mit welchen man etwa jetzt noch ältere An-
schauungen dem neuen Begriff anzupassen sucht20.
[254]Die Polizeigewalt.
III. Die Polizei ist gegenüber der Polizeigewalt der weitere
Begriff. Die Polizeigewalt ist Erscheinung der öffentlichen Gewalt
zur Geltendmachung jener allgemeinen Unterthanenpflicht. Die Polizei
ist eine Art der Staatsthätigkeit, gekennzeichnet dadurch, daſs sie mit
der Polizeigewalt arbeitet. Die Polizeigewalt bildet immer ihren Kern
und Mittelpunkt, aber als lebendige Staatsthätigkeit fügt sie noch
allerlei Hülfsthätigkeit hinzu, welche die Hauptsache vorbereiten
und unterstützen soll. Die Hülfsthätigkeit ist zum Teil juristisch
farblos, indem dabei eine rechtlich bedeutsame Einwirkung auf den
Unterthanen überhaupt nicht geübt wird; dahin gehört die ständige
Aufsicht auf die zu schützenden öffentlichen Zustände, auf die Vor-
gänge, welche sie zu schädigen geeignet sind, die Sammlung und
Ordnung von Beobachtungen, Erteilung von Warnungen und Be-
lehrungen.
Damit allein schon vermag die Polizei besondere Verwaltungs-
zweige zu bilden: Fremdenpolizei, Preſspolizei, Vereins- und Ver-
sammlungspolizei.
Sie verbindet sich aber auch für einen gemeinsamen Zweck mit
allerlei sonstiger Verwaltungsthätigkeit, die ihre eigenen
Rechtsformen hat, sei es daſs diese als Hülfsthätigkeit für sie erscheint
(Bestellung des Polizeipersonals, Beschaffung sachlicher Mittel, poli-
zeiliche Anstalten), sei es daſs umgekehrt sie die Hülfsthätigkeit bildet
20
[255]§ 18. Begriff der Polizei.
(Wegepolizei, Kirchhofspolizei), oder auch die verschiedenen Thätig-
keitsarten gleichberechtigt verbunden erscheinen (Gesundheitswesen,
Gewerbewesen). Die Gesichtspunkte der Verwaltungslehre beherrschen
die Einteilung. —
Daneben ist eine Reihe allgemeiner Einteilungen üblich, welche
beanspruchen, Verschiedenheiten in der rechtlichen Natur der Polizei
hervorzuheben:
1. Gerichtliche und administrative Polizei. Damit
hat es folgende Bewandtnis.
Jede Strafthat des gemeinen Strafrechts ist zugleich eine Störung
der guten Ordnung, welche die Polizei abzuwenden berufen ist. Die
gerichtliche Polizei aber geht über diese Aufgabe hinaus.
Der Ausdruck selbst stammt aus Frankreich. Mit der Durch-
führung der Institution des procureur du roi bei den Gerichten war
das diesem Verwaltungsbeamten unterstehende Personal der Sicher-
heitspolizei in den Dienst der Strafrechtspflege gestellt worden. Der
Name police hatte im älteren französischen Staatswesen dieselbe um-
fassende Bedeutung, wie bei uns der Name Polizei. Was von seiten
der Staatsgewalt für die gute Ordnung der Strafrechtspflege geschah,
abgesehen von der eigentlichen Rechtsfrage in Verhandlung und Urteil,
wurde daher als police judiciaire bezeichnet21.
Der Name ist stehen geblieben und in unserem neueren Rechte
nach französischem Muster übernommen für einen gewissen Kreis von
solcher Hülfsthätigkeit der Strafrechtspflege. Man versteht darunter
alle staatliche Thätigkeit, welche darauf gerichtet ist, strafbare
Handlungen zu entdecken und die Bestrafung des Thä-
ters zu ermöglichen. Der Auftrag dazu ist zweckmäſsigerweise
mit den geeigneten Ämtern der Polizei verbunden. Polizei im heutigen
Sinne ist diese Seite des Dienstes der betreffenden Ämter offenbar
nicht. Die gerichtliche Polizei gehört ihrer rechtlichen Natur nach
zur Strafrechtspflege und erhält ihre Regeln durch das Strafprozeſs-
recht. Polizei ist nur die administrative Polizei22.
2. Präventive (vorbeugende) und repressive (zwingende)
Polizei. Auch diese Ausdrücke sind den französischen Juristen ent-
lehnt. Die Unterscheidung hat vornehmlich den Fall einer Strafthat
im Auge und das verschiedene Verhalten der Polizei dabei: vor der
[256]Die Polizeigewalt.
That will sie verhindern, nach der That die Ahndung herbeiführen.
Der Gegensatz wird also zusammenfallen mit dem von administrativer
und gerichtlicher Polizei. Der Zweck der termini technici ist dann
der, anzuerkennen, daſs die Polizei bei ihren Gewaltmaſsregeln,
weil „präventiv“, an die besonderen Formen der Strf.Pr.O. nicht ge-
bunden war23.
So weit ist diese Einteilung wenigstens unschädlich. Anders wird
die Sache, wenn man ein tieferes Prinzip hinter dem Klang der Worte
sucht, welches eine durchgehende Einteilung der Polizeithätigkeit er-
möglichte. Dabei kann natürlich nichts Gutes herauskommen24.
3. Sicherheits- und Verwaltungspolizei. Dies ist
die neueste Einteilungsart. Wir haben vorhin schon darauf hin-
gewiesen, daſs es Verwaltungszweige giebt, welche die Polizeigewalt
mit ihren reinen Hülfsthätigkeiten allein ausfüllt. Man nennt das Sicher-
heitspolizei; Fremdenpolizei, Versammlungen, Presse geben demnach
die Hauptbeispiele; doch grenzt man verschieden ab. Dem wird
gegenübergestellt die sonstige Verwendung der Polizeiformen, wo sie,
mit selbständigen Einrichtungen und Maſsregeln von anderer recht-
licher Natur verbunden, eines jener Konglomerate bilden, als welche
die Verwaltungszweige meist erscheinen. Das soll dann Verwaltungs-
polizei sein.
Die Ausdrücke sind allerdings unglücklich genug gewählt. Wenn
doch Polizei eine Art von Verwaltungsthätigkeit ist, wie soll Ver-
waltungs-Polizei eine Art der Polizei bedeuten? Im übrigen wäre die
Einteilung unschädlich, wenn man sie nicht den einmal gewählten
Ausdrücken gemäſs auch innerlich zu begründen und zu vertiefen
suchte. Da wird denn die Verwaltungspolizei zum „Schutze der be-
[257]§ 19. Grenzen der Polizeigewalt.
sonderen Interessen der Verwaltung“, die Sicherheitspolizei im Gegen-
satze dazu zum Schutze „der Rechtsordnung“. Diese scheinbaren
Rechtsbegriffe sind weder durchführbar, noch haben sie irgend einen
praktischen Zweck; es sind lediglich Verbrämungen25.
§ 19.
Grenzen der Polizeigewalt.
Die Polizeigewalt ist die obrigkeitliche Geltendmachung der
vorausgesetzten allgemeinen Unterthanenpflicht, Störungen der guten
Ordnung des Gemeinwesens zu unterlassen. Ihre Wirksamkeit wird
in den Formen des Rechtsstaats mannigfach näher bestimmt. Aber
jene naturrechtliche Grundlage giebt Maſs und Rich-
tung für das, was als damit gewollt anzusehen und was
auch ohne besondere Ordnung zulässig ist. Sie liefert
den Rahmen, innerhalb dessen sich ihre Rechtsinstitute bewegen.
Aus der Natur jener Pflicht ergeben sich dadurch rechtlich bedeutsame
Grenzen der Polizeigewalt in Bezug auf die Voraussetzungen wie auf
den Inhalt ihres Eingreifens.
I. Was ist es, dessen Störungen der Einzelne im Staate von
selbst zu vermeiden verpflichtet und was die Polizei vor Störungen
zu schützen berufen ist? Es wird verschieden ausgedrückt. Wir haben
es mit dem Worte „gute Ordnung des Gemeinwesens“ umfassen wollen.
Dabei darf man nicht an die verfassungsmäſsig geordneten Ge-
meinwesen des öffentlichen Rechts, an Staat und Gemeinde denken,
noch ist die gute Ordnung notwendig Rechtsordnung.
Das Gemeinwesen, um das es sich handelt, ist das Stück mensch-
licher Gesellschaft, über welches der Staat gesetzt ist. Es ist die
groſse Lebensgemeinschaft, in welcher das Volk lebt und sich bewegt,
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 17
[258]Die Polizeigewalt.
für welches er da ist und das für ihn da ist, dessen Kräfte auch die
seinigen sind; darum geht sie ihn an.
Diese Gesellschaft ist ein Gemeinwesen, um der Wechsel-
beziehungen willen, welche sie zwischen den darin begriffenen Ein-
zelnen vermittelt: Nützliches wie Schädliches, was dem Einzelnen
darin widerfährt, ist das Ergebnis unzähliger, im besonderen nicht
mehr verfolgbarer Zusammenhänge mit ihrem Gesamtzustand; und
umgekehrt das Verhalten des Einzelnen hat über seine unmittelbare
Wirkung hinaus bald mehr bald weniger zugleich eine Bedeutung für
den Gesamtzustand1.
Auf das letztere kommt es hier allein an; es handelt sich um
die gesellschaftlich bedeutsamen Äuſserungen des Einzel-
lebens. Diese Bedeutung kann eine nützliche und kann eine schäd-
liche sein. Nützlich ist alles, was die in der Gesellschaft enthaltenen
wirtschaftlichen, geistigen, sittlichen Kräfte zu steigern geeignet ist.
Die alte Wohlfahrtspolizei hat eine Pflicht jedes Einzelnen, dazu bei-
zutragen, in Anspruch genommen und geltend gemacht. Unser gegen-
wärtiger Polizeibegriff hat es nur mit solchen Äuſserungen des Einzel-
lebens zu thun, die geeignet sind, gesellschaftliche Schädlich-
keiten zu bedeuten, d. h. die in der Gesellschaft enthaltenen guten
Kräfte zu beeinträchtigen.
Unter der guten Ordnung des Gemeinwesens, die aufrecht-
erhalten werden soll, verstehen wir also einen allgemeinen Zustand
der Gesellschaft, bei welchem die in ihr enthaltenen Kräfte durch
Schädlichkeiten, die ihnen bereitet werden, möglichst wenig beein-
trächtigt werden. Dieser Zustand kann zerlegt werden nach seinen
einzelnen Seiten mit Rücksicht auf die verschiedenen Arten von
Schädlichkeiten, die ihm drohen; dadurch entstehen die Begriffe der
öffentlichen Ruhe, Sicherheit, Gesundheit, Sittlichkeit, der öffentlichen
Ordnung im engeren Sinne u. s. w.
Störung der guten Ordnung ist jede vom Einzeldasein aus-
gehende Lebensäuſserung, welche geeignet ist, durch ihre gesellschaft-
liche Wirkung die in der Gesellschaft enthaltenen Kräfte zu beein-
trächtigen.
[259]§ 19. Grenzen der Polizeigewalt.
Insofern der Einzelne verpflichtet ist, das zu vermeiden, ist die
Störung bestimmt, von der Polizeigewalt bekämpft zu werden als
Polizeiwidrigkeit.
Nicht jede Lebensäuſserung, welche eine derartige störende Wir-
kung hat, ist aber deshalb auch schon Polizeiwidrigkeit; der Umfang
des als solche zu Behandelnden bestimmt sich nach dem Maſsstabe
der allgemeinen polizeilichen Unterthanenpflicht, auf welcher alles be-
ruht, genauer wie folgt.
1. Das Einzeldasein stellt zugleich einen Wert vor für die Ge-
sellschaft; die Schädigungen, die es sich selbst bereitet, gereichen der
Gesellschaft zum Nachteil. Allein es gilt der Grundsatz, daſs es in
erster Linie sich selbst gehört; was nicht über seinen Kreis hinaus-
reicht, gilt nicht als gesellschaftliche Schädigung, deren Unterlassung
Pflicht ist. Dadurch bildet sich der Begriff des Privatlebens als
desjenigen Gebietes des Einzeldaseins, welches der Polizei unzugäng-
lich ist, weil es die Gesellschaft nichts angeht.
Wie weit diese Freiheit des Privatlebens reicht, das ist vielfach
durch die Sitte und Gewöhnung bestimmt, ohne daſs man deshalb
von Gewohnheitsrecht reden dürfte.
Zum groſsen Teil fällt der Umfang des Privatlebens mit dem der
Privatwohnung zusammen. Das Meiste, was im geschlossenen
Hause geschieht, ist ungeeignet, darüber hinaus auf die Zustände des
Gemeinwesens zu wirken. Daher der scharfe Unterschied in der Be-
handlung der nämlichen Dinge je nach der Örtlichkeit. Die
lebensgefährlichsten Einrichtungen: unbefestigte Schränke, einsturz-
drohende Decken, grünspahnaltige Gefäſse werden in der Privat-
wohnung geduldet; der Blumentopf am Fenster, das Gefäſs im Ver-
kaufsladen sind der Polizei unterworfen.
Aber auch das Innere des Hauses fällt mit seinen Einrichtungen
unter den Einfluſs der Polizei, soweit es einer Art Verkehr fremder
Personen zugänglich ist.
Noch mehr ist das der Fall bei allen denjenigen Seiten des häus-
lichen Lebens, welche ihrerseits geeignet sind, nach auſsen zu wirken:
Feuerpolizei, Gesundheitspolizei, Sittenpolizei greifen da mannigfach
hinein.
Das Privatleben hat also wohl seinen Mittelpunkt in der Privat-
wohnung, aber seine Grenze ist in der einen Beziehung enger, in der
anderen weiter, je nach der Empfindlichkeit des Gemeinwesens dafür.
Die polizeiliche Maſsregel, welche in den zuletzt erwähnten Richtungen
selbstverständlich ist, muſs in anderen Fällen besondere Umstände
aufweisen, weshalb das an sich Ungehörige, das im Hause vorliegt,
17*
[260]Die Polizeigewalt.
nicht das Privatleben allein, sondern das Publikum, d. h. die Ge-
sellschaft angehen soll2.
2. Nicht jede Lebensäuſserung, mit welcher der Einzelne über
sein Privatleben hinauswirkt und nachteilige Wirkungen oder Schädlich-
keiten in einen weiteren Kreis hineinstellt, ist als eine Störung der
[261]§ 19. Grenzen der Polizeigewalt.
guten Ordnung des Gemeinwesens anzusehen. Auch hier gehört gerade
zur guten Ordnung des Gemeinwesens die Anerkennung eines Stückes
Freiheit. Und zwar kommt diese gesellschaftliche Freiheit
in doppelter Weise in Betracht, als freie Bewegung und als freie
Verfügung.
Im Zusammenleben der Menschen ist jedes Einzeldasein not-
wendig von gewissen Schädlichkeiten für das Gemeinwesen begleitet
die ihm nicht genommen werden können, ohne es zu vernichten. Den
Nebenmenschen werden zahllose Belästigungen und Benachteiligungen
zugefügt, welche sich gar nicht oder nur mit unverhältnismäſsigem
Kostenaufwande vermeiden und beseitigen lieſsen. Der Schade
wäre gröſser für das Gemeinwesen, wenn diese Lebensthätigkeit gänz-
lich unterbleiben müſste, als wenn es sich in solche notwendige
Störungen fügt. Die Unterlassung derselben wird deshalb nicht
als gesellschaftliche Pflicht der Einzelnen angesehen und folglich ge-
hört auch das Einschreiten dagegen nicht zu den natürlichen Befug-
nissen der Polizeigewalt. Derselbe Gedanke, welcher auf dem Gebiete
des Civilrechts das Eigentum von selbst, in naturrechtlicher Weise,
beschränkt zu Gunsten gewisser unvermeidlicher nachbarlicher Be-
lästigungen, macht auch das Publikum bis zu einem gewissen Grade
schutzlos und scheidet gegenüber der Polizeigewalt ein Gebiet aus,
welches den Mindestsatz gesellschaftlicher freier Bewegung vorstellt3.
[262]Die Polizeigewalt.
Umgekehrt kann auch die Freiheit des Verletzten in Be-
tracht kommen. Verletzung eines Einzelnen durch strafbare Hand-
lungen ist stets zugleich eine Störung der guten Ordnung des Gemein-
wesens. Allein so weit es vom Willen des Verletzten abhängt, die
Strafbarkeit (Einwilligung!) oder die Strafverfolgung (Antragsdelikt!)
auszuschlieſsen, kann die Polizeigewalt, auch hier schon, gegen diesen
Willen Abwehrmaſsregeln nur treffen, wenn besondere selbständige
Gesichtspunkte sie dazu berufen. Noch deutlicher wird dieses Ver-
hältnis in rein civilrechtlichen Beziehungen. Wenn das Civil-
recht zur guten Ordnung des Gemeinwesens gehört, so ist das civil-
rechtliche Unrecht ohne Zweifel eine Störung derselben. Allein die
gute Ordnung besteht hier gerade darin, daſs der Verletzte selbst
berufen ist, die Beseitigung der Störung zu bewirken, und daſs der
Verletzer nur auf diesem Wege gezwungen werde. Die Polizeibehörde
würde hier vielleicht in die Zuständigkeit der Gerichte eingreifen,
wenn sie sich der Herstellung der civilrechtlichen Ordnung annehmen
wollte. Die Hauptsache ist, daſs sie dadurch eingreifen würde in die
Freiheit der Beteiligten, deren Recht und Pflicht es ist, solche Dinge
unter sich auszumachen, ohne daſs die Gesellschaft sich anders darein
legen könnte als zur Hülfeleistung in der Form der Civilrechtspflege.
Wenn die Polizeigewalt „zum Schutze von Privatrechten“ gegen
civilrechtliches Unrecht auftritt, so ist das nur Schein; in Wirklich-
keit ist es immer ein selbständig daneben stehendes Interesse der
guten Ordnung, welches sie im Auge hat4.
[263]§ 19. Grenzen der Polizeigewalt.
3. Als gesellschaftliche Schädlichkeit, und zwar in Gestalt des
lucrum cessans, würde anzusehen sein die Beeinträchtigung
jedes Unternehmens, welches geeignet ist, nützlich zu wirken,
wirtschaftliche, geistige Werte zu schaffen. Allein regelmäſsig kommt
das um anderer Grundsätze willen polizeilich nicht zur Geltung.
Überall nämlich, wo es sich um ein bestimmtes einzelnes Unternehmen
handelt, das angegriffen wäre, tritt wegen des Verfügungsrechts des
Eigentümers die Abwehrthätigkeit der Polizei zurück: Civil- und
Strafrecht geben in erster Linie die Formen des Schutzes. Die Polizei
greift zum Schutze dieses Interesses, wie wir soeben gesehen haben,
nur aushülfsweise ein. Davon machen aber gewisse Unternehmungen
eine bedeutsame Ausnahme: diejenigen, welche dafür bestimmt und
anerkannt sind, dem öffentlichen Interesse zu dienen.
Daſs sie in Stand und Gang gehalten werden, gehört unbedingt zur
guten Ordnung des Gemeinwesens, und sie gegen Störung zu schützen,
ist eine selbständige Aufgabe der Polizei.
Gegenstand dieses Schutzes ist die eigene Thätigkeit des Staates
und der ihm gleichstehenden juristischen Personen oder beliehenen
Unternehmer, sowie des dafür dienenden Besitzes. Wenn solche
Thätigkeit in umfassender Weise mit dem Publikum in Berührung
kommt, wie das bei den sog. öffentlichen Anstalten der Fall ist,
bildet sich dafür ein eigener Zweig der Polizei, die Anstalts-
polizei: Straſsen, Kanäle, Ströme, Eisenbahnen, Kirchhöfe, Gerichts
sitzungen haben je ihre besondere Polizei, um ihren guten Betrieb
zu sichern5.
Nicht alle staatlichen Unternehmungen werden durch Polizei ver-
teidigt: fiskalische Unternehmungen sind auch in dieser Beziehung wie
Privatunternehmungen angesehen (oben § 11, III n. 1).
Andererseits können auch Unternehmungen und Privateigentum
der Einzelnen als öffentliche Nützlichkeiten anerkannt sein der Art,
daſs sie um der guten Ordnung des Gemeinwesens willen unbedingten
Polizeischutz genieſsen, auch gegen den Eigentümer selbst; das ist
namentlich der Fall bei Heilquellen und Forsten6.
[264]Die Polizeigewalt.
Die allgemeine polizeiliche Unterthanenpflicht geht aber diesen
Dingen gegenüber nur auf ein Vermeiden unmittelbar störender
Eingriffe; denn nur in ihrem unmittelbaren äuſserlichen Bestand
sind sie Verkörperungen der guten Ordnung des Gemeinwesens. Was
sie erst im entfernteren Zusammenhange nachteilig berührt, wird da-
durch noch nicht zur Polizeiwidrigkeit7; und ebensowenig ist von
selbst vom Gebiete der freien Bewegung des Einzelnen ausgeschlossen,
was etwa geeignet ist, die allgemeinen Bedingungen ihrer Wirksam-
keit für die Gesellschaft zu verschlechtern. Solche Beschränkungen,
wo sie bestehen, sind auf selbständige Rechtsinstitute zurückzuführen8.
[265]§ 19. Grenzen der Polizeigewalt.
II. Die Polizeigewalt geht auf Geltendmachung der allgemeinen
Unterthanenpflicht, die Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens
zu vermeiden. Diese Geltendmachung besteht in Abwehr der pflicht-
widrigen Störung. Die Abwehr aber erhält ihren allgemeinen Inhalt
nach Richtung, Maſs und Art bestimmt durch den Zusammenhang mit
jener Pflicht.
1. Die obrigkeitliche Gewalt bedarf als solche eines Rechts-
subjektes, auf welches sie wirkt. Für die Polizeigewalt kann
dieses Rechtssubjekt kein anderes sein als der Unterthan, von welchem
die Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens ausgeht. Denn
die Pflicht zur Vermeidung der Störung kann offenbar gegen sonst
niemand geltend gemacht werden als gegen den, der sie verletzt oder
auf dem Wege ist, sie zu verletzen.
Die Frage, wer das ist, darf allerdings nicht nach den Formen
der Kausalität beantwortet werden, wie das Strafurteil oder das sitt-
liche Urteil sie handhaben. Die Polizei hat es nicht mit dem Menschen
an sich zu thun, sondern mit der gesellschaftlichen Einzelheit, die der
Gesellschaft als Gesamtheit gegenübersteht. Ausgeht die Störung
von demjenigen, dessen Lebenskreise sie entspringt. Nicht bloſs
sein persönliches Verhalten wird ihm dafür zugerechnet, sondern auch
der gefährliche Zustand seiner Sachen, die Schäden, die aus seinem
Hauswesen, aus seinem Gewerbebetriebe der guten Ordnung drohen;
wegen allem, wovon er der gesellschaftliche Mittelpunkt
ist, trägt er die gesellschaftliche Verantwortlichkeit und kann er
durch obrigkeitliche Maſsregeln getroffen werden, damit er die Störung
vermeide, unterlasse und beseitige9.
So umfassend diese Verantwortlichkeit ist, so hat sie doch in
ihrer Grundlage selbst ihre Grenzen: nicht kann der Einzelne poli-
zeilich verantwortlich gemacht und in seiner Freiheit beschränkt werden
wegen Störungen, welche von einem fremden Lebenskreise ausgehen.
Wenn es sich einfach darum handelte, Störungen des Gemein-
wesens durch obrigkeitliche Gewalt zu beseitigen, so würde es ja
häufig der geradeste Weg zum Ziel sein, dem Nachbar dessen, von
[266]Die Polizeigewalt.
dem die Störung ausgeht, eine Vorrichtung anzubefehlen, welche ein-
fach und ohne viel Umstände der Störung abhülfe. Oder man ver-
böte dem Einen ein an sich berechtigtes, nicht aber notwendiges
Verhalten, weil es dem Anderen starken Anlaſs zu Störungen giebt.
Die „praktischen“ Behörden neigen begreiflicherweise dazu; es sieht
so menschlich und vernünftig aus.
Aber das war die alte Polizei mit der edel gedachten Pflicht
eines Jeden, „zur Vervollkommnung des Nächsten beizutragen.“
Unsere Polizei, die Polizei im Rechtsstaate, hat eine solche all-
gemeine Pflicht nur in ganz beschränktem Maſse aufrechterhalten;
ihre Maſsregeln können nur denjenigen treffen, der verantwortlich ist
für die Störung, von dem sie ausgeht.
Es ist auch jetzt nicht ausgeschlossen, daſs der Einzelne in An-
spruch genommen werde durch Eingriffe in seine Freiheit und sein
Eigentum oder gar durch Heranziehung zu besonderen Leistungen
und Thätigkeiten behufs Beseitigung der Störung, welche von einem
Anderen bereitet ist oder droht. Aber das ist in den groſsen poli-
zeilichen Ermächtigungen nicht enthalten, es bedarf dazu besonderer
gesetzlicher Grundlagen und es entstehen dann eigene, nicht polizei-
liche Rechtsinstitute von Servituten, Lasten und Auflagen, welche
ihrer juristischen Natur nach einem anderen Kapitel angehören10.
[267]§ 19. Grenzen der Polizeigewalt.
2. Die Polizeigewalt erfaſst den Pflichtigen auch nur soweit,
als Störung von ihm ausgeht. Die naturrechtliche Grundlage erfordert
die Verhältnismäſsigkeit der Abwehr und bestimmt damit
das Maſs der polizeilichen Kraftentwicklung. Es ist nicht anzu-
nehmen, daſs das Gesetz mit den allgemeinen Ermächtigungen, auf
deren Grund die Polizeibehörde vorgeht, über dieses natürliche Maſs
hinaus Ermächtigung zur Abwehr geben wollte. Dadurch erhält das-
selbe die Bedeutung einer wirksamen Rechtsschranke.
Die Störung, welche von dem Einzelnen ausgeht, erscheint im
Zusammenhange seiner sonstigen Lebensäuſserungen häufig als Stück
eines umfassenderen Thätigkeitsganzen. Die Polizeigewalt darf hier
nicht mit der Störung unnötigerweise zugleich das Zulässige, noch in
der gesellschaftlichen Freiheit Liegende unterdrücken und so das Un-
kraut mit dem Weizen ausraufen. So weit wenigstens eine Aus-
scheidung möglich ist, muſs sie dieselbe machen. Das wird
namentlich da zutreffen, wo Polizeiwidrigkeiten als selbständige Hand-
lungen im Bereiche und bei Gelegenheit eines an sich erlaubten
Unternehmens stattfinden, ohne daſs der Charakter des Unternehmens
selbst dadurch berührt wird. Die Polizeibehörde, welche unter solchen
Umständen zur Bekämpfung der Störung gleich das ganze Unter-
nehmen unterdrückte, würde eine Machtüberschreitung begehen11.
[268]Die Polizeigewalt.
Dieses Sich-Anpassen der Polizeigewalt an das Maſs der Störung
vollzieht sich nicht bloſs in dieser Gestalt einer äuſserlichen Scheidung
der Thatbestände. Ein einheitlicher Thatbestand kann für sich selbst
die Störung in verschiedenem Maſse darbieten.
Er kann schlechthin polizeiwidrig sein. Das ist der einfachste
Fall; ihm entspricht der ebenso einfache Inhalt der Abwehr: das
Störende wird verhindert, unterdrückt, beseitigt. Wenn man aber
alles nach diesem Muster behandelte, würde die Polizeihandhabung
zwar leichter, aber auch hart und ungerecht und manchmal sogar
rechtswidrig werden.
Denn es kann sein, daſs eine Einrichtung oder Thätigkeit an sich
noch in der gesellschaftlichen Ordnung liegt und störend nur wird durch
die besondere Art und Weise der Ausführung. Solcher bedingten
Schädlichkeit entspricht nicht das unbedingte Verbot. Die Polizei-
gewalt kann nur bedingt verbieten, „wenn nicht die nötigen Vor-
kehrungen getroffen sind“; oder sie gebietet geradezu nur diese Vor-
kehrungen, ohne den Bestand des Unternehmens selbst in Frage zu
stellen. Das Gleiche wird der Fall sein, wenn der vorliegenden
Polizeiwidrigkeit statt durch Vernichtung und Unterdrückung auch
schon durch leichtere Veränderungen des gegenwärtigen Zustandes
abgeholfen werden kann. Wo es zweifelhaft ist, ob wirklich einer
Schädlichkeit in solcher Weise die Spitze gründlich und rechtzeitig
genug abgebrochen würde, da erhält das pflichtgemäſse Ermessen
seinen Spielraum, um je nachdem statt dieses beschränkten Vorgehens
die einfache Unterdrückung, die endgültige oder wenigstens die zeit-
weilige, zu wählen. Es giebt aber immer Fälle, wo gesagt werden
kann, daſs die Herstellung des polizeilichen Normalzustandes durch
das gelindere Mittel ausreichend gesichert ist; da begeht dann die
Behörde eine Machtüberschreitung, wenn sie zu dem schärferen greift12.
[269]§ 19. Grenzen der Polizeigewalt.
Es giebt ferner Fälle, wo eine Störung in dem bestimmten Unter-
nehmen nur als Möglichkeit enthalten ist. Vielleicht wird darin
gar nichts je wirklich zur Erscheinung kommen, was für die gute
Ordnung des Gemeinwesens gefährlich werden könnte. Das Unter-
nehmen ist aber seiner Natur nach in der Lage, daſs solche Dinge
leicht bei ihm entstehen oder gefördert werden; es ist verdächtig.
Der entfernteren Störung entspricht die entferntere Gewalt. Die poli-
zeilichen Eingriffe gegenüber dem Unternehmer schwächen sich ab zu
Maſsregeln besonderer Überwachung, welche über ihn verhängt
werden. Statt alles sonstigen Zwanges hat er Nachforschungen und
Kenntnisnahmen zu dulden, welche Andere, Unverdächtige, nicht zu
dulden hätten; statt der Verpflichtung, Vorkehrungen zu treffen zur
Bekämpfung einer von ihm ausgehenden Schädlichkeit, kann ihm die
Pflicht auferlegt werden, Anzeigen, Mitteilungen, Aufzeichnungen zu
machen zur Erleichterung der Überwachung gegen die möglichen
Schädlichkeiten.
Auch hier wird ein breites Grenzgebiet bleiben, wo es zweifel-
haft sein mag, ob die Gefahr schon droht oder nur als entferntere
Möglichkeit gedacht ist, ob also Überwachungsmaſsregeln genügen
oder einfache Unterdrückung am Platze ist. Aber auch hier kommt
ein Punkt, wo die erkennbare Rechtsschranke der Polizeigewalt be-
ginnt und die gelindere Maſsregel allein zulässig, die einschneidendere
rechtlich ausgeschlossen ist13.
3. Dadurch, daſs die Abwehrmaſsregeln der Polizeigewalt in der
angegebenen Weise sich anpassen an das Maſs der Störung, gegen
welche sie sich richten, erhalten sie eine gewisse Mannigfaltigkeit in
der äuſseren Erscheinung. Die einfache Urform: Verhinderung wird
nicht nur in der Weise des Rechtsstaates in feineren Verzweigungen
entfaltet, sondern es treten auch daneben Anforderungen und Auf-
lagen von ganz entgegengesetzter Gestalt: der Einzelne soll positive
Leistungen machen, die Störung beseitigen, die er bereitet hat,
[270]Die Polizeigewalt.
Vorkehrungen treffen gegen künftige Störungen, Anzeigen, Meldungen
erstatten.
Demnach ist es eine unzureichende Ausdrucksweise, wenn man
die Polizeigewalt lediglich als ein System von Verboten erklärt;
Gebote kommen massenhaft darin zur Anwendung. Richtig ist, daſs
auch in diesen polizeilichen Geboten gemäſs der allgemeinen Grund-
idee der Polizei immer etwas steckt, ein Ziel und Absehen enthalten
ist, das sie dem wesentlich verneinenden Verbote nahe bringt. Was
auch durch solche Gebote dem Pflichtigen auferlegt sein mag, darf
immer nur dazu bestimmt sein, die Störung zu bekämpfen, die von
ihm ausgeht oder ausgehen könnte. Das Ergebnis aller Polizeigewalt-
übung ist im letzten Ende nie mehr als dies: daſs der Be-
troffene nicht stört14.
Das ist der Prüfstein, an welchem der Umfang der Polizeigewalt
stets erkennbar wird gegenüber allen anderen Arten von obrigkeit-
lichen Anforderungen, die an den Einzelnen sich richten mögen. Wo
etwas von ihm verlangt wird darüber hinaus, und wäre es auch wegen
einer von ihm ausgehenden Störung, in Gebot oder Verbot, die Form
ist gleichgültig, handelt es sich nicht mehr um Geltendmachung der
allgemeinen Unterthanenpflicht, welche die Grundlage der Polizei
bildet, gilt nicht mehr Polizeirecht15.
[271]§ 20. Der Polizeibefehl.
§ 20.
Der Polizeibefehl.
Befehl ist die auf einem Abhängigkeitsverhältnis beruhende
Willenserklärung zu bindender Bestimmung des Verhaltens des Unter-
gebenen. Öffentlichrechtlich ist der Befehl, wenn das zu Grunde
liegende Abhängigkeitsverhältnis das des Unterthanen gegenüber der
öffentlichen Gewalt ist.
Befehle können sich auf ein besonderes Gewaltverhältnis gründen,
in welchem der Betroffene zum Staate steht. Diese Befehle fallen
unter den Begriff der Anweisung, welche eben die Geltendmachung
solcher besonderer Pflichten bedeutet (vgl. oben § 8, S. 101 ff.); Dienst-
befehle, Anstaltsordnungen sind Beispiele.
Andere Befehle ergehen ohne die Voraussetzung eines besonderen
persönlichen Verhältnisses, aus der allgemeinen Machtvollkommenheit
der öffentlichen Gewalt schlechthin. Das sind reine obrigkeit-
liche Befehle1.
Der Polizeibefehl ist ein solcher obrigkeitlicher Befehl der letzteren
Art. Er unterscheidet sich von den anderen Arten obrigkeitlicher
Befehle dadurch, daſs er erlassen wird zur Geltendmachung der all-
gemeinen Unterthanenpflicht, die gute Ordnung des Gemein-
wesens nicht zu stören. Seinen Inhalt nimmt er daher von dieser
Pflicht. Aber seine Wirkung beruht auf der selbständig verpflichten-
den Kraft des Willens der öffentlichen Gewalt, die in ihm erscheint.
Die Bedeutung des Polizeibefehls ist eine doppelte.
[272]Die Polizeigewalt.
Er stellt die Verbindung her zwischen jener natürlichen Grund-
lage der Polizeigewalt und den Forderungen des Rechtsstaates, indem
er die natürliche Pflicht in der Form einer den Regeln des Rechts-
staates unterworfenen Willenserklärung zum Ausspruch bringt. Wenn
jene zunächst nur allgemeine Grundsätze giebt, aus welchen die be-
stimmte Pflicht im einzelnen erst zu folgern ist, so giebt ihr nun der
Polizeibefehl diese Bestimmtheit, indem er in obrigkeitlicher Weise
ausspricht, worin sie besteht, wie sie zu erfüllen sei und von wem.
Er thut das aber nicht einfach so, daſs er sie nur erkennbar und
unbestreitbar aufstellt, wie sie ist; vielmehr wird zugleich die Pflicht
selbst umgewandelt: an Stelle der natürlichen Unterthanenpflicht
gegenüber dem Gemeinwesen setzt er die Gehorsamspflicht des
Angeredeten gegenüber der öffentlichen Gewalt, dem Staate, und er-
öffnet damit auf den Fall des Ungehorsams die Zulässigkeit der dafür
geordneten Zwangsmittel und sonstigen Rechtsnachteile.
In diesem zweiten Stück, in der Begründung der Gehorsams-
pflicht, bildet der Polizeibefehl ein Mehr über die natürliche Unter-
thanenpflicht hinaus, einen staatlichen Eingriff in die Freiheit und der
verfassungsmäſsige Vorbehalt des Gesetzes findet auf ihn Anwendung.
Der oberste Satz, von dem alles ausgeht, ist danach der: kein
Polizeibefehl kann gültig erlassen werden ohne gesetzliche Grund-
lage, d. h. anders als durch Gesetz oder mit gesetzlicher Ermächti-
gung2.
[273]§ 20. Der Polizeibefehl.
Im einzelnen entfaltet sich das Rechtsinstitut unter diesem Satze
folgendermaſsen.
I. Der Polizeibefehl kommt zur Erscheinung in zwei Haupt-
arten: als allgemeine Regel und als Bestimmung des Einzelfalls,
Rechtssatz und Verwaltungsakt.
Beides kann in der Form des Gesetzes gegeben werden; nur
ist dieses seiner Natur nach zur Ordnung des Einzelfalls weniger ge-
eignet, wird auch im gewöhnlichen Gang der Dinge nicht leicht dazu
greifen. Wie wir unter Verwaltungsgesetz ein solches verstehen, das
einen Rechtssatz für die Verwaltung enthält (oben S. 119), so verstehen
wir unter Polizeigesetz ein solches mit einem Rechtssatz polizeilicher Art.
Es können noch andere polizeiliche Anordnungen in gesetzlichen Rechts-
sätzen gegeben werden als Befehle; wenn wir von Polizeigesetz
schlechthin sprechen, so ist ein Gesetz gemeint, welches mit seiner
allgemein bindenden Kraft einen Polizeibefehl aufstellt, einen gesetz-
lichen Polizeibefehlsrechtssatz.
Beides, Rechtssatz und Einzelbefehl, erscheint aber auch als
Willenserklärung der vollziehenden Gewalt und zwar hier eines so
gut wie das andere, auch äuſserlich wohl unterschieden.
Die Verordnung als Willenserklärung eines Gliedes der voll-
ziehenden Gewalt zur Ausübung der ihm übertragenen Fähigkeit,
namens des Staates bindende Regeln aufzustellen, hat ihr wichtigstes
Feld auf dem Gebiete der Polizei, wo sie ihrer Natur nach in Rechts-
sätzen zu wirken berufen ist. Diese Rechtssätze sind hauptsächlich
Befehle. Wenn wir von Polizeiverordnung schlechthin sprechen,
so verstehen wir darunter eine solche, die einen Polizeibefehlsrechts-
satz enthält.
Der Verwaltungsakt, der einen Polizeibefehl für den Einzelfall
enthält, bleibt wegen der erwähnten Selbstbeschränkung des Gesetzes
thatsächlich der vollziehenden Gewalt allein. Er ist als Entscheidung
wie als Verfügung denkbar, thatsächlich überwiegt die Verfügung.
Wenn man von Polizeiverfügung spricht, so versteht man dar-
unter einen Verwaltungsakt mit Polizeibefehl oder auch mit Gewäh-
rung oder Versagung einer Polizeierlaubnis; das letztere geht uns hier
vorerst noch nicht an.
Vom Standpunkt des Rechtsstaates aus ist es nicht gleich-
gültig, in welcher Weise diese verschiedenen Erscheinungsarten des
Polizeibefehls zur Verwendung kommen.
Die Forderung ist, daſs alles möglichst durch Rechtssatz, also
Polizeigesetz und Polizeiverordnung bestimmt sei (oben S. 66).
Verfassungsrechtlich ist es zweifellos zulässig, daſs ein Gesetz Polizei-
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 18
[274]Die Polzeigewalt.
verfügungen mit weitestem Spielraum ermächtige, um für den Einzelfall
den Inhalt der polizeilichen Pflicht schöpferisch zu bestimmen und
danach Gehorsam zu befehlen. Dem Rechtsstaate aber entspricht
eine solche Abdankung des Rechtssatzes zu Gunsten der Willkür des
Einzelaktes nicht3. Das wird wichtig, insofern in den vorgeschrittenen
Rechtsgebieten die Gesetzgebung bei ihren Ermächtigungen sich da-
nach richtet und jedenfalls das dem Rechtssatz etwa vorbehaltene
Gebiet streng zu schützen ist gegen den Einbruch des Einzelbefehls.
Daher:
1. Wo einer Behörde die besondere Ermächtigung erteilt ist, im
Einzelfall zu befehlen, was polizeilich geschuldet ist, liegt darin aller-
dings nicht die Verleihung der Fähigkeit zur Verordnung; denn das
ist wieder eine besondere Kraft des Gesetzes, wie wir wissen (oben § 7,
III n. 1). Aber auch umgekehrt, wo die Behörde zu Polizeiverordnungen
ermächtigt ist, ist sie nicht von selbst befugt, die gleichen Dinge in
Form des ursprünglichen Einzelbefehls zu behandeln. Der Schluſs von
dem Mehr auf das Weniger ist unstatthaft. Denn die Verordnung ist nicht
bloſs das Mehr, sondern im Sinne des Rechtsstaates und des er-
mächtigenden Gesetzes auch das Bessere4.
[275]§ 20. Der Polizeibefehl.
2. Man darf auch nicht glauben, den Einzelfall dadurch ein-
schmuggeln zu können, daſs man ihn unter Wahrung der Formen der
Verordnung erläſst. Abgesehen davon, daſs diese Formen, namentlich
die Kundgabe durch Veröffentlichung, dazu gar nicht geeignet sind,
gäbe es immer nur den äuſseren Schein einer Verordnung, die in
Wirklichkeit keine ist: sie beweist ja durch ihren Inhalt selbst, daſs
es nicht auf Ausübung des Verordnungsrechtes damit abgesehen ist;
die Willenserklärung beansprucht keine allgemeine bindende Kraft
zu äuſsern; das, weshalb gerade eine Polizeiverordnung und kein
Einzelbefehl verlangt ist, hat sie also nicht. Wenn man gleichwohl von
Rechtssatz und Rechtsvorschrift spricht, so ist das ein leerer Name,
durch welchen das Gesetz sich nicht täuschen läſst5.
3. Es ist auch unzulässig, daſs die zur Verordnung ermächtigte
Behörde eine Verordnung erläſst, in welcher sie sich vorbehält, das
was befohlen sein soll, in den Einzelfällen durch polizeiliche Ver-
fügungen kund zu thun. Für diese würde also jetzt schon im voraus
Gehorsam befohlen. Das wäre wohl eine echte Verordnung, gefolgt
von einer echten Verfügung; aber angesichts des Zweckes, den das
Gesetz damit verfolgt hat, daſs es gerade eine Verordnung und keinen
Einzelbefehl ermächtigen wollte, geradezu ein Streich, den man ihm
spielte6.
4
18*
[276]Die Polizeigewalt.
In all diesen Fällen ist die Polizeiverfügung durch das einge-
räumte Verordnungsrecht nicht gedeckt und, sofern sie keine andere
selbständige Grundlage finden kann, ungültig.
II. Die Entstehung des Polizeibefehls vollzieht sich in Willens-
bestimmung und Willenserklärung.
1. Bei der Bildung des zu äuſsernden Polizeibefehlswillens
kommen alle die rechtlichen Schranken und Gebundenheiten in Wirk-
samkeit, von welchen die staatliche Willensäuſserung im Systeme des
Rechtsstaates überhaupt umgeben und geordnet ist. Die naturrecht-
liche Grundlage in der allgemeinen Unterthanenpflicht wird erst durch
Vermittlung dieser Formen für seine Rechtsgültigkeit bedeutsam. Da-
nach ist der in Form des Gesetzes erlassene Polizeibefehl schlechthin
rechtlich unabhängig. Sein Zusammenhang mit der allgemeinen Unter-
thanenpflicht kommt bloſs insofern in Betracht, als sich danach ent-
scheidet, ob er als Polizeibefehl zu betrachten ist oder als ein Befehl
anderer Art.
Alle andern Fälle von Polizeibefehl finden ihre Grenze an dem
Umfang der erteilten Ermächtigung. Nur soweit sind sie zulässig,
als diese reicht. Für die Auslegung des Inhalts der Ermächtigung
giebt die naturrechtliche Grundlage der Polizeigewalt die wesentlich-
sten Anhaltspunkte, ohne welche überhaupt nicht auszukommen wäre.
Dazu kommt dann für die Polizeiverordnung nur noch die weitere
Schranke, daſs sie auch im Bereiche ihrer Ermächtigung keinem
Rechtssatze höherer Ordnung widersprechen darf, nicht dem Gesetze
wegen des Vorrangs des Gesetzes, aber auch nicht der Verordnung
eines in der Stufenfolge der Behördenordnung höher stehenden Willens-
trägers der vollziehenden Gewalt7.
[277]§ 20. Der Polizeibefehl.
Für den polizeilichen Einzelbefehl, die Polizeiverfügung ist zu
unterscheiden.
Als Verwaltungsakt ist die Polizeiverfügung gebunden an alle
Rechtssätze, welche für ihren Gegenstand gegeben sein mögen, nicht
bloſs an gesetzliche, nicht bloſs an die Verordnungen einer höheren
Stufe, sondern auch an die eigenen Verordnungen und die einer unteren
Stufe8. Sie ist ferner gebunden an Verwaltungsakte, welche für ihren
Gegenstand bereits ergangen sind, sofern sie nicht zuständiger Weise
gerade die Änderung oder Aufhebung eines solchen bezweckt (vgl.
oben § 8, II n. 2).
Soweit sie in diesen rechtlichen Gebundenheiten handelt, kommt
die naturrechtliche Grundlage der Polizeigewalt für sie nicht weiter
in Frage; sie ist gedeckt durch die Bestimmung, die sie anwendet,
anpaſst, durchführt.
Die Polizeiverfügung kann aber daneben auch berufen sein, mit
eignem Ermessen zu bestimmen, was der Unterthan soll und ihm
Befehl dahin zu erteilen. Das kann geschehen zur Ergänzung des
den Fall nicht vollkommen bestimmenden Rechtssatzes. Noch ent-
schiedener tritt es hervor, wo das Gesetz, wie es im Rechtsstaat
eigentlich nicht soll, der Behörde den ursprünglichen Polizeibefehl für
ein gewisses Gebiet frei überläſst.
Da ist dann die Behörde nicht in der Lage zu thun, was sie
will; die Amtspflicht bindet sie zu wählen, was dem Interesse des
Staates und des Gemeinwesens am besten entspricht; vor allem aber
ist sie gebunden an das, was für Inhalt, Maſs und Richtung ihres
Befehls aus der naturrechtlichen Grundlage der Polizeigewalt sich er-
giebt. Ihr Befehl soll nur verwirklichen, was danach schon Pflicht
7
[278]Die Polizeigewalt.
des Unterthanen ist. Auf diese Weise bekommt der Polizeibefehl
auch in der Verfügung noch eine gewisse Verwandtschaft mit der Ent-
scheidung (oben § 8, II n. 3). Es ist aber notwendig, sich den Unter-
schied klar zu machen. Die Entscheidung ist ein Begriff, der ganz
und gar dem Formalismus des Rechtsstaates angehört; ein Verhältnis
ist durch Rechtssatz oder Verwaltungsakt schon rechtlich bestimmt
und es wird nunmehr nur ausgesprochen und festgestellt, wie es be-
stimmt ist. Die unrichtige Entscheidung ist daher immer rechtswidrig.
Die naturrechtliche Unterthanenpflicht giebt eine solche Bestimmtheit
des Verhältnisses nicht; die staatlichen Akte sind gerade dazu da,
ihr diese Bestimmtheit erst zu geben. Daher liegt hier ein Mehr oder
Weniger notwendig im Gebiet des freien Ermessens. Es sind ver-
schiedene Ansichten darüber möglich und soweit das der Fall ist,
steht der Polizeibefehl noch auf seiner Grundlage. Man kann ihn
nicht für rechtswidrig erklären, weil man der Meinung ist, es hätte
nichts oder nicht so viel oder anderes gefordert werden sollen; darin
liegt hier der Gegensatz zu dem, was bei der wirklichen Entscheidung
gilt. Nun giebt es überall einen Punkt, wo dieser Spielraum aufhört,
wo man sagen kann: das geht über die dem Unterthanen obliegende
Pflicht hinaus. Das soll dann nicht sein. Eine solche Polizeiverfügung
ist aber auch rechtswidrig und zwar deshalb, weil sie dann nach
der Auslegung, welche auf Grund der naturrechtlichen Pflicht der all-
gemeinen gesetzlichen Ermächtigung zu geben ist, in dieser nicht be-
griffen und vorgesehen war9.
Der Einzelbefehl mit freiem Ermessen hat danach die nämlichen
Rechtsschranken wie die Polizeiverordnung.
2. Der Polizeibefehl wird erst fertig dadurch, daſs die abge-
schlossene Willensbestimmung dem, welchem befohlen werden soll,
erklärt wird, durch die Kundgabe.
Diese Kundgabe wird auf verschiedene Weise zu erfolgen haben,
je nachdem der kundzugebende Polizeibefehl ein Rechtssatz ist oder
ein Verwaltungsakt.
Der Rechtssatz richtet seinen Befehl an jedermann, den es an-
geht, an das Publikum oder wenigstens an diejenigen einzeln nicht
bezeichneten Angehörigen desselben, bei welchen seine Merkmale zu-
treffen. Die Form der Kundgabe ist demgemäſs die Willenserklärung
gegenüber jedermann, Publikation, Veröffentlichung.
[279]§ 20. Der Polizeibefehl.
Dazu ist selbstverständlich nicht nötig, daſs die Willenserklärung
jedem Einzelnen zu Bewuſstsein komme; aber auch nicht einmal, daſs
sie jedem Einzelnen so nahe gebracht werde, daſs er sie hätte wahr-
nehmen können oder wahrnehmen sollen. Die Veröffentlichung geht
immer nur darauf, daſs das Wissen von der Erklärung eine Art gesell-
schaftliches Gemeingut werde; wie weit der Einzelne dann wirklich
daran Teil hat, ist für die Wirksamkeit der Erklärung gleichgültig.
Die natürliche Art der Veröffentlichung lehnt sich deshalb stets an
bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen an, die geeignet sind, die
Gemeinbekanntschaft, die Publizität zu vermitteln. Die Form wird
durch die gesellschaftlichen Zustände, durch die Sitte bestimmt, und
wenn danach verfahren ist, ist die Kundgabe gültig und wirksam,
gleichviel ob der Einzelne davon berührt worden ist, oder nicht. So
finden wir als genügende Veröffentlichungsarten: Verlesen in der
Kirche, Bekanntmachung in besonders berufenen Versammlungen,
Anschlagen an öffentlichen Orten, Austrommeln auf der Straſse, Mit-
teilung durch die Presse u. s. w. Das geltende Recht ist allent-
halben dazu übergegangen, an die Stelle dieser natürlichen Veröffent-
lichungsarten für die Gesetze und nach und nach im Anschluſs daran
auch für die Verordnungen formale Veröffentlichungsarten zu setzen.
Es werden amtliche Blätter bestimmt, Gesetzblätter, Amtsblätter
u. s. w. Der Rechtssatz, welcher in diesen Blättern gedruckt er-
schienen ist, gilt als gehörig veröffentlicht, ohne Rücksicht darauf, ob
das Blatt nach seiner Verbreitung und nach den Gewohnheiten des
Volkes geeignet ist, den Befehl zur Gemeinbekanntschaft zu bringen.
Durch die Bestimmung selbst, daſs die Veröffentlichung auf diese
Weise gültig erfolge, werden die Unterthanen erst gezwungen, sich
um das Blatt zu kümmern.
Diese Bestimmung einer formalen Veröffentlichungsart kann vom
Gesetze selbst ausgehen; sie kann auch den Behörden übertragen
werden. Sie stellt selbst einen besonderen Rechtssatz vor von binden-
der Kraft. Die Ermächtigung dazu ist nicht von selbst enthalten in
der Ermächtigung, Polizeiverordnungen zu erlassen. Denn es ist aller-
dings eine Gewalt, welche damit über die Unterthanen geübt wird,
zur Vorbereitung künftiger Gewaltübung, aber eben eine andere als
die Polizeigewalt. Sofern also das Gesetz nichts darüber bestimmt,
müssen Polizeiverordnungen in den natürlichen Veröffentlichungsarten,
„in der üblichen Weise“, kundgegeben werden10.
[280]Die Polizeigewalt.
Der polizeiliche Einzelbefehl ist demjenigen Unterthanen kund-
zugeben, an welchen er gerichtet ist. Dies geschieht durch eine Erklärung,
welche ihm gegenüber abgegeben wird, die Eröffnung des Befehls.
Das Interesse des Betroffenen erfordert schriftliche Mitteilung,
um den Inhalt des Aktes gegenwärtig zu haben; das Interesse
der Behörde geht nur auf gehörigen Nachweis der geschehenen Mit-
teilung. Im Sinne des Rechtsstaates ist es zweifellos, daſs schriftliche
Mitteilung gemacht werde; der Unterthan muſs prüfen können,
was er soll, um nötigenfalls Rechtsmittel dagegen einzuwenden;
das Vorbild der Justiz, die immer schriftlich mitteilt, ist auch hier
maſsgebend. Nur für den Notfall, in dringlicher Gefahr darf münd-
licher Befehl offen bleiben11.
Mangels besonderer Vorschriften muſs die Eröffnung gültig in
denselben Arten geschehen können, wie ausdrückliche Willenserklä-
rungen in civilrechtlichen Rechtsgeschäften abgegeben werden; die
Form der stillschweigenden Willenserklärung paſst nicht auf den obrig-
keitlichen Akt12. Die Zustellung in den Formen der C.Pr.O. ins-
besondere genügt, soweit sie zugleich die Elemente einer Mitteilung
enthält, wie sie auch natürlichen Rechtes wäre. Besonderheiten wie
die Hinterlegung auf der Gerichtsschreiberei oder der Postanstalt
(C.Pr.O. § 167) lassen sich nicht von selbst übertragen13; noch
weniger die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (C.Pr.O.
§ 186)14.
[281]§ 20. Der Polizeibefehl.
Soweit das Gesetz eine Form vorgeschrieben hat, ist die Ein-
haltung derselben Bedingung der Gültigkeit15.
III. Die Wirkung des gehörig kundgegebenen Polizeibefehls
besteht in einer dem Inhalt des Befehls entsprechenden Gehorsams-
pflicht dessen, dem befohlen wird, d. h. in einer rechtlich erzwing-
baren Pflicht, sich so zu verhalten, wie der Befehl will.
1. Diese Wirkung soll nur eintreten unter der Bedingung,
daſs der Befehl rechtsgültig ist. Die Frage, ob diese Be-
dingung erfüllt und der Befehl demnach als rechtswirksam zu be-
handeln sei, wird aber hier ganz anders gelöst als bei civilrecht-
lichen Willenserklärungen. Es kommt nämlich darauf an, ob der
Befehlende überhaupt ausgerüstet ist mit polizeilicher Befehlsgewalt
dieser Art und der Befehl seiner Form und seinem Inhalt nach denk-
bar ist als Ausübung dieser Gewalt. Man drückt dies so aus, daſs
der Befehl noch in der allgemeinen Zuständigkeit des Be-
fehlenden gelegen sein soll.
Ist dies nicht der Fall, so ist der Polizeibefehl gerade so un-
wirksam, wie das civilrechtliche Rechtsgeschäft, durch welches jemand
über Rechte verfügt, die ihm nicht zustehen, er kann nur thatsäch-
liche Wirkungen und nichtgewollte rechtliche Verantwortlichkeiten
hervorbringen. Ist aber jene Voraussetzung gegeben, so hat der
Polizeibefehl im Gegensatz zum civilrechtlichen Rechtsgeschäft die
Vermutung der Gültigkeit für sich. Er ist als rechtsgültig zu be-
handeln und bleibt rechtswirksam, so lange diese Vermutung nicht in
gehöriger Weise widerlegt ist. So stellt sich wenigstens die Sache
äuſserlich dar. In Wirklichkeit handelt es sich nicht eigentlich um
eine Vermutung. Richtig ausgedrückt muſs es heiſsen: der Befehl
gilt schlechthin als rechtsverbindlich und muſs als solcher obrigkeit-
lich durchgeführt und aufrechterhalten werden, soweit nicht Zu-
ständigkeiten zur Nachprüfung seiner Gültigkeit be-
gründet sind16.
[282]Die Polizeigewalt.
Der Polizeibefehl folgt hier nur einem Grundsatze des öffent-
lichen Rechtes, der auf einem viel umfassenderen Gebiete zur An-
wendung kommt (oben § 8 Note 7): jeder Akt der öffentlichen Ge-
walt, sobald er mit dem Anspruch auf Rechtswirksamkeit nach auſsen
auftritt, enthält zugleich die Feststellung und Bezeugung
seiner Rechtsgültigkeit. Die civilrechtliche Willenserklärung
ist dazu auſser stande; die obrigkeitliche Willensäuſserung im Polizei-
staate hat es nicht nötig. Sobald aber die staatliche Willensäuſserung
für ihre Rechtsgültigkeit an Voraussetzungen geknüpft ist, erscheint
sie auch nur mit der Feststellung, daſs diese Voraussetzungen vor-
handen seien, und die Kundgabe der Willenserklärung enthält von
selbst die Bezeugung. Der Schluſs ist einfach der: die Obrigkeit
würde den Willen nicht äuſsern, wenn sie ihn nicht für rechtmäſsig
hielte, also behauptet sie durch die Kundgabe seine Gültigkeit; diese
Behauptung ist aber keine Privatmeinung, sondern selbst ein Akt
obrigkeitlicher Natur und als solcher bindend und maſsgebend17.
Die Zuständigkeit zur Nachprüfung kann den ganzen Akt er-
fassen, dann führt sie gegebenenfalls zu seiner Aufhebung (oben
§ 12 ff.); sie kann aber auch nur auf eine bestimmte Wirkung sich
beziehen, über welche der Nachprüfende entscheiden soll; dann wird
ihm diese im Falle der Ungültigkeit versagt werden können. Den
Hauptfall bildet die Versagung der Straffolge durch das Polizeistraf-
gericht (oben § 16, III und unten § 22, III).
[283]§ 20. Der Polizeibefehl.
Immer bleibt einstweilen, bis ein solches Nachprüfungsrecht dazu
gelangt ist, seinen Einfluſs zu üben, die Gültigkeitsbezeugung auch
für den ungültigen Polizeibefehl bestehen und ist so lange auch der
ungültige Polizeibefehl als rechtswirksam zu behandeln.
2. Die Kraft der Gehorsamspflicht, welche der Polizeibefehl er-
zeugt, äuſsert sich in den Folgen, welche der Ungehorsam recht-
mäſsig nach sich zieht. Diese Folgen sind einesteils der Polizeizwang
zur Überwindung des Ungehorsams und Herstellung des befehls-
gemäſsen Zustandes, andererseits die Polizeistrafen, welche dem Un-
gehorsamen ein Übel zufügen, weil er nicht gehorcht hat.
Die Zumutung eines bestimmten Verhaltens, deren Miſsachtung
solche Rechtsfolgen nicht begründet, die also eine rechtlich wirksame
Gehorsamspflicht nicht erzeugt, ist kein Befehl, sondern nur der Schein
eines solchen18.
Nach zweierlei Richtung sind solche falsche Befehle hier
auszuscheiden.
Auf der einen Seite steht die Aufforderung, welche eine Behörde
an jemanden ergehen läſst, dies oder jenes zu thun, nach welcher im
Falle der Nichtbeachtung keinerlei Zwang oder Nachteil dem Auf-
geforderten zugefügt werden soll oder kann, die bloſse Einladung19.
Es mag darauf gerechnet werden, daſs der Angeredete aus gutem
Willen, aus Bürgertugend der Obrigkeit gefällig sei. Thatsächlich
reicht das ja auch vielfach aus und darum konnte das Gesetz in
minderwichtigen Fällen es der Behörde überlassen, sich auf solche
Weise mit den Einzelnen zu verständigen, anstatt Ermächtigung zur
Auferlegung von Zwangspflichten zu geben; oder die Behörde macht
freiwillig zunächst einmal einen Versuch in dieser gütlichen Weise,
bevor sie prüft, ob sie ernstere Mittel besitzt und anwenden soll, den
Zweck zu erreichen20.
[284]Die Polizeigewalt.
Umgekehrt kann es sein, daſs eine amtliche Aufforderung, zu
thun oder zu lassen, nach bereits begründeter Gehorsamspflicht und
begonnenem Ungehorsam ergeht, um diesem ein Ende zu machen.
Das ist dann kein Befehl, sondern eine Mahnung. Sie hat die Be-
deutung, auf die ungünstige Rechtslage, in welcher der Gemahnte sich
befindet, und deren Folgen aufmerksam zu machen. Sie verbindet
sich in gleicher Weise wie mit dem Ungehorsam mit jedem Zustand
der Polizeiwidrigkeit, der nachteilige Folgen nach sich zieht, Polizei-
strafe oder unmittelbare Gewalt. Unter Umständen wird sie von
rechtlicher Bedeutung, insofern das Gesetz die Verwirklichung der
nachteiligen Folgen, also des Zwangs oder der Strafe erst zuläſst unter
der Bedingung, daſs noch eine Mahnung fruchtlos ergangen sei. Diese
Mahnung bedarf keiner gesetzlichen Grundlage; sie hat nichts Rechts-
geschäftliches an sich, sondern ist reine Thatsache; sie ist kein Ver-
waltungsakt und braucht nicht von einer mit Befehlsgewalt aus-
gerüsteten Behörde auszugehen, überhaupt nicht von einer Behörde;
die untergeordneten Hülfs- und Vollstreckungsbeamten sind es haupt-
sächlich, von welchen solche Mahnungen erteilt werden; die Formen
der Eröffnung des Polizeibefehls sind nicht darauf anwendbar. Zeichen
aller Art dienen ihr formlos als Ausdrucksmittel21.
[285]§ 20. Der Polizeibefehl.
3. Der Polizeibefehl schafft ein Rechtsverhältnis nur zwischen
dem Staat und dem Unterthanen, welchem befohlen wird, die Gehor-
samspflicht. Auf die Verhältnisse zwischen diesem und anderen Unter-
thanen äuſsert das mittelbar seine Wirkung, insofern etwa die andern
Vorteil daraus haben oder ihnen gegenüber civilrechtliche Verpflichtungen
nicht erfüllt werden können. Aber das ist zunächst nur reine That-
sache, sofern nicht das Gesetz selbständige rechtliche Wirkungen auch
in diesem Verhältnisse daran knüpft (oben § 11, IV n. 4), die dann
aus dem Kreise unserer Betrachtung herausfallen.
IV. Der erlassene Polizeibefehl kann auf verschiedene Weise
wieder endigen, d. h. seine Wirksamkeit verlieren. Die Endigungs-
gründe sind:
1. Die Zurücknahme und die Aufhebung. Erstere kann
bei allen Arten von Polizeibefehlen geschehen in der Form, in der sie
erlassen sind. Die Aufhebung durch die höhere staatliche Willens-
äuſserung gilt bloſs für Polizeiverordnungen und Polizeiverfügungen,
nicht für Polizeigesetze. Sie kann folgeweise geschehen durch die
Anordnung einer höheren Stufe, mit welcher der Befehl nicht verein-
bar ist: das Gesetz hebt widerstreitende Verordnungen auf, die obere
Verordnung die untere, soweit sie entgegensteht, die höhere Polizei-
verfügung in gleicher Weise die niedere. Die Aufhebung kann aber
auch selbständig geschehen. Dafür hat sowohl die Verordnung
als die Verfügung eine Zuständigkeitsordnung, die mit der der Zu-
ständigkeit zu eignen höheren Polizeibefehlen in Verordnung oder
Verfügung nicht notwendig zusammenfällt; Aufsichtsbehörden, Ver-
waltungsgerichte sind bestellt mit der Befugnis aufzuheben, ohne die
Befugnis, selbst zu befehlen.
Dabei kommt es nun darauf an, ob die Aufhebung nur erfolgt,
weil die aufhebende Behörde anders will, also mehr in der Art der
Aufhebung, die nur folgeweise geschieht, oder ob sie stattfindet, weil
die Verordnung oder Verfügung als rechtsungültig angesehen wird.
In beiden Fällen besteht der Befehl für die Zukunft nicht mehr. Im
letzteren Fall ist aber seine Rechtswirksamkeit auch für die Vergangen-
heit verneint. Auch im ersteren Falle können mit dem Befehl bereits ein-
getretene Wirkungen und Folgen desselben rückgängig gemacht werden,
21
[286]Die Polizeigewalt.
soweit es dem Willen des Aufhebenden entspricht. Im zweiten Fall sind
sie selbstverständlich rückgängig gemacht und darüber hinaus kommen
Entschädigungsansprüche und Haftungen für das Geschehene in Frage22.
2. Der Wegfall des Gegenstandes ist ein Endigungsgrund,
welcher der Polizeiverfügung eigentümlich ist. Polizeigesetz und
Polizeiverordnung bestimmen ihren Gegenstand durch den allgemeinen
Begriff, der nicht untergeht; nur seine Anwendungsfälle wechseln. Die
Polizeiverfügung dagegen hat ihren einzelnen Fall, an welchem sie
hängt und mit dessen Erledigung sie verschwindet.
Unter Umständen kann die Erledigung schon sofort gegeben sein
durch die Gehorsamsleistung, wo nämlich nur das Gebot einer ein-
maligen Handlung in Frage ist. Regelmäſsig bezwecken Gebote wie
Verbote die Herstellung eines dauernden Zustandes und die Aufrecht-
erhaltung desselben und wirken so lange fort, als dieser noch gestört
werden kann.
Alle Verfügungen knüpfen aber ihre Befehle an eine bestimmte
Seite der Lebensbeziehungen einer bestimmten Person. Der Gegen-
stand mag etwas sein, was dem, welchem befohlen wird, als persön-
liche Eigenschaft anhängt: dann endigt der Einzelbefehl späte-
stens mit dessen Tode. Es kann aber auch ein trennbares Lebens-
verhältnis der Gegenstand sein, ein Besitz, ein Unternehmen, ein
Gewerbe: dann endigt der Polizeibefehl, sobald dieses Lebensverhält-
nis von dieser Person getrennt wird. Es ist gleichgültig, wie die
Trennung erfolgt. Der Besitz kann einfach zerstört, das Gewerbe
aufgegeben sein; der Befehl, der sich daran geknüpft hatte, erlischt.
Wenn dieselbe Person später das Haus wieder aufbaut, das Ge-
werbe neu beginnt, so gilt der alte Befehl nicht für das neue Unter-
nehmen. Es muſs erforderlichen Falles ein neuer Befehl gleichen
Inhalts dafür gegeben werden.
Das trennbare Lebensverhältnis kann auch auf andre übergehn;
der Befehl erlischt und geht nicht etwa auf die Nachfolger mit über.
Die Geschäftsübernehmer, die Hauskäufer treten nicht ein in die ihrem
[287]§ 21. Die Polizeierlaubnis.
Rechtsvorgänger mit Rücksicht auf diesen Besitz auferlegten Gehor-
samspflichten; diese sind rein persönlicher Art. Auch wenn die neuen
Geschäftsinhaber oder Hausbesitzer die Erben dessen sind, der den
Befehl erhielt, ist es nicht anders23. In Wahrheit geht ja auch der
rechtssatzmäſsige Polizeibefehl nicht von dem ursprünglich Verpflichte-
ten auf dessen Erben und Rechtsnachfolger über, sondern entsteht
nur jedesmal neu bei dem, der seine allgemeinen Merkmale bietet.
§ 21.
Die Polizeierlaubnis.
Der Polizeirechtssatz kann grundsätzlich von der Polizeiverfügung
nicht durchbrochen werden; sie ist unfähig zu gestatten, was er ver-
bietet, zu verbieten, was er erlaubt.
Gesetz und Verordnung können aber, indem sie ihre Polizei-
befehlsregel aufstellen, der Polizeiverfügung Ermächtigung erteilen, für
den Einzelfall eine Ausnahme davon zu bewilligen. So entsteht das
Polizeiverbot mit Erlaubnisvorbehalt1.
[288]Die Polizeigewalt.
Die ganze Lehre muſs davon ausgehen, daſs ein derartiges Polizei-
verbot durch den Zusammenhang mit der in Aussicht genommenen
Erlaubnis schon in sich selbst eine besondere rechtliche Art bekommt.
Das Polizeiverbot mit Erlaubnisvorbehalt wendet sich gegen solche
Lebensäuſserungen, welche nicht unbedingt als störend für die gute
Ordnung des Gemeinwesens angesehen sind, welche aber störend
werden können je nach der Person, von der sie ausgehen, nach der
Art und Weise, wie das Unternehmen begründet, eingerichtet und ge-
führt wird. Darum wird an den Beginn der Thätigkeit das Erfordernis
einer Prüfung gestellt: es soll gar nicht angefangen werden, ohne
daſs diese Prüfung vorgenommen worden und günstig ausgefallen und
darüber obrigkeitliche Feststellung gemacht ist. Diese Feststellung
ist enthalten in der Erlaubnis, welche von dem Verbot entbindet. Es
handelt sich bei dem Ganzen um eine Verwendung der Form des
Verbotes zu einer jener Überwachungsmaſsregeln gegen mög-
liche Gefährdung (oben § 19 S. 269). Das Verbot trifft auch Dinge,
welche an sich gar nichts polizeiwidriges wirklich enthalten; und der
im Widerspruch damit geschaffene Zustand unterliegt seinen Wirkungen
lediglich wegen der rechtlich fehlerhaften Art seines Ent-
stehens2.
Das Rechtsinstitut entfaltet sich stufenweise, wie folgt.
I. Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ist ein Rechtssatz mit
zwei verschiedenen Stücken. Davon lautet das eine, das
Verbot selbst, überall gleichmäſsig: das bezeichnete Unternehmen soll
nicht ins Werk gesetzt werden. Der Erlaubnisvorbehalt kann dagegen
sehr verschieden gestaltet sein, je nach dem gröſseren oder geringeren
Spielraum, welcher der Willensentschlieſsung der Behörde dabei ein-
1
[289]§ 21. Die Polizeierlaubnis.
geräumt wird: vom völlig freien Ermessen geht das bis zur einfachen
Anwendung der rechtssatzmäſsigen Bestimmung auf den Einzelfall3.
Auch dieses Äuſserste, die notwendige Erlaubniserteilung, ist nicht
gleichbedeutend mit einer einfachen Anerkennung der Freiheit; vor
die Ausübung der Freiheit ist die Erfüllung einer Formalität gesetzt,
die Erwirkung der Erlaubnis, zur Feststellung, daſs wirklich der Fall
der Freiheit hier vorliegt.
1. Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt entsteht durch Gesetz
oder Verordnung. Für die letztere allein kommt die Frage in Be-
tracht, inwiefern sie rechtlich zulässigerweise von dieser Form Ge-
brauch machen kann. Die Grenzen sind ihr durch das Gesetz, von
welchem sie ihr Recht ableitet, möglicherweise ausdrücklich gesteckt,
jedenfalls sind sie als stillschweigend darin enthalten anzusehen nach dem
Maſsstab, den die naturrechtliche Grundlage der Polizeigewalt auch
dieser besonderen Art von Maſsregel gegenüber für die Auslegung des
ermächtigenden Gesetzes liefert.
Es handelt sich bei dieser Art von Verbot um eine Über-
wachungsmaſsregel. Also ist Voraussetzung dafür nicht die Polizei-
widrigkeit, sondern die Möglichkeit einer solchen, die Gefahr der
Störung, die in dem betreffenden Unternehmen liegt. Was in dieser
Beziehung verdächtig ist, das läſst sich nicht abgrenzen. Aus welcher
Art von Lebensäuſserung können sich nicht Störungen ergeben? Es
besteht nur eine Gradverschiedenheit. Andererseits ist aber das Ver-
bot mit Erlaubnisvorbehalt die schwerste Art von Eingriff in die
Freiheit, der um der bloſsen Überwachung willen gemacht werden
kann, und um so schwerer, je mehr die Entbindung vom Verbote,
die Erlaubniserteilung in das freie Ermessen gestellt ist. Bei diesen
Gegensätzen muſs die den Äuſserungen der Polizeigewalt innewohnende
Bedingung der Verhältnismäſsigkeit wirksam werden. Ein ge-
wisser Grad von Gefährlichkeit, entsprechend der Schwere der Maſs-
regel, ist von dem ermächtigenden Gesetze stillschweigend voraus-
gesetzt. Die Abwägung ist der verordnenden Behörde überlassen;
aber eine offenbare Überschreitung dieses Maſses überschreitet auch
das Maſs der Ermächtigung, und eine derartige Verordnung müſste
als rechtsungültig angesehen werden4.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 19
[290]Die Polizeigewalt.
2. Die Wirkung des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt ist wieder
eine doppelte, entsprechend seinen zwei Stücken.
Das Verbot, allgemein gehalten wie es ist, schafft ein gleich-
mäſsiges Hindernis für das darin bezeichnete Unternehmen, die
Pflicht für jedermann, den es betrifft, ein derartiges Unternehmen
ohne weiteres nicht ins Werk zu setzen. Die Möglichkeit und selbst
die rechtliche Notwendigkeit der daneben in Aussicht gestellten Er-
laubnis vermindert die Kraft des Verbotes in keiner Weise, solange
die Erlaubnis nicht wirklich erteilt ist. Das Verbot ist formell. An
seine Übertretung knüpfen sich unbedingt die Folgen des Ungehorsams.
Der Erlaubnisvorbehalt seinerseits begründet eine Zuständig-
keit der Behörde, für den Einzelfall das Verbot aufzuheben. Die
Wirkungen für den Unterthanen, den es angeht, sind abhängig von
der Art, wie der Rechtssatz die Voraussetzungen der Erteilung der
Erlaubnis bestimmt.
Soweit diese dem freien Ermessen der Behörde überlassen ist,
bedeutet der Vorbehalt für ihn immer nur eine Möglichkeit, eine
Aussicht, welche je nach der Umgrenzung der zu erwägenden Rück-
sichten und der äuſserlichen Sachlage eine gröſsere oder geringere
Wahrscheinlichkeit der Erfüllung haben mag. Von einem Recht ist
keine Rede. Es kann aber auch der Fall, in welchem die Erlaubnis
zu gewähren ist, von dem Rechtssatze so genau bestimmt sein, daſs
die Behörde, welche sich darüber auszusprechen hat, nur ausspricht,
was der Rechtssatz schon will, ihr Akt hat die Natur einer Ent-
scheidung. Die Form, in welcher der Ausspruch so gebunden wird,
kann die sein, daſs der Rechtssatz sagt: die Erlaubnis muſs in den
und den Fällen erteilt werden; oder die, daſs es heiſst: die Erlaubnis
darf nur in den und den Fällen verweigert werden. Die Gebunden-
heit wirkt dann wie alle rechtssatzmäſsige Gebundenheit zu Gunsten
des Beteiligten, sie besteht ihm gegenüber. Er kann sich darauf
berufen und sie für sich geltend machen, um die Erlaubnis zu er-
wirken. Dieser Anspruch auf die obrigkeitliche Handlung hat die
Natur eines subjektiven öffentlichen Rechtes in dem oben
(§ 9, IV n. 1) festgestellten Begriffe.
[291]§ 21. Die Polizeierlaubnis.
II. Ein Ausspruch über die Erlaubnis wird von der Behörde
thatsächlich nur gegeben werden auf Gesuch desjenigen, für welchen
die Erlaubnis wirken soll. Es wird aber auch angenommen werden
müssen, daſs dieses Gesuch die rechtliche Bedingung des Aktes ist.
Das Gesetz pflegt diese Bedingung nicht ausdrücklich zu stellen; sie
ist stillschweigend in den gebrauchten Worten Erlaubnis, Genehmigung,
Zustimmung, Bewilligung und ebenso in dem Wort Versagung ent-
halten. Ohne das Gesuch wäre der Akt ungültig. Das bedeutet nicht,
daſs er unwirksam sei, sondern nur, daſs er wieder aufgehoben werden
soll, wie wir das oben in der Lehre vom Befehl (§ 20, III n. 1) aus-
geführt haben.
Der Ausspruch kann auf Versagung oder Erteilung der Erlaubnis
lauten oder auf Erteilung mit Bedingungen.
1. Die Versagung der Erlaubnis bedeutet die Aufrechterhaltung
des Verbotes für den Einzelfall. Dieses Verbot will den Einzelfall
nicht unbedingt und endgültig treffen; durch den versagenden Ver-
waltungsakt wird es erst dahin bestimmt. Daher ist dieser als ein
Eingriff in die Freiheit des Unterthanen anzusehen, der als solcher
auf seine gesetzliche Grundlage zu prüfen ist, wie ein Befehl5. Die
Versagung ist rechtsgültig, wenn nach dem Sinne des Rechtssatzes das
Verbot für diesen Fall aufrechterhalten werden soll oder die Auf-
rechterhaltung dem Ermessen der Behörde überlassen ist.
Die Versagung ist aber auch nur soweit ein Eingriff, als sie das
Verbot aufrechterhält. Sie hat keine selbständig verbietende Kraft.
Sie entscheidet auch nicht darüber, ob das Verbot diesen Einzelfall
wirklich erfaſst; trifft dies nicht zu, so ist die Erlaubnisverweigerung
rechtlich bedeutungslos6.
2. Die Erteilung der Erlaubnis macht das allgemeine Verbot un-
wirksam für diesen Fall und stellt für ihn die Freiheit her, wie sie
ohne das Verbot bestünde.
Sie wirkt nur gegen dieses Verbot. Der Empfänger erhält also
durch die Erlaubnis keine Sicherheit gegen polizeiliche Eingriffe,
welche auf selbständiger Grundlage, unabhängig von diesem Verbote
gemacht werden können. Einen gewissen Vorteil hat er gleichwohl
dadurch voraus vor demjenigen, dem für sein Unternehmen überhaupt
niemals ein Verbot entgegengestanden war. Der Rechtssatz, welcher
das Verbot enthielt, hat sich seiner Materie bemächtigt der Art,
19*
[292]Die Polizeigewalt.
daſs dieselbe durch Verwaltungsakt nicht in Widerspruch mit ihm ge-
ordnet werden kann. Zu der Ordnung, welche er auf solche Weise
festlegte, gehört aber auch die auf seiner besonderen Grundlage er-
teilte Erlaubnis. Die gleichen polizeilichen Gesichtspunkte, welche
das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zur Geltung gebracht hat, können
deshalb gegen das erlaubte Unternehmen nicht noch einmal selb-
ständig durch Einzelbefehl geltend gemacht werden; sie sind durch
jenes Verbot erschöpft. Stellt sich das Bedürfnis eines solchen Ein-
griffes nachträglich heraus, so ist jenes Verbot allein dafür noch da,
und das einzige Mittel, den Eingriff zu machen, besteht darin, es
wieder in Bewegung zu setzen, d. h. in der Zurücknahme der Er-
laubnis. Diese hat aber wieder ihre eigenen Voraussetzungen
(unten III)7.
Diese Beschränkung der zulässigen Einzelbefehle wird um so
wichtiger sein, in je weiterem Umfange das gegebene Recht sonst im
allgemeinen die Möglichkeit zu solchen gewährt. Im Zusammenhange
mit der gröſseren oder geringeren Festigkeit der erteilten Erlaubnis
gegen Zurücknahme entsteht damit für den Unternehmer ein gewisser
Zustand rechtlicher Gesichertheit gegenüber der öffentlichen Gewalt.
Wenn dieser für das Interesse des Einzelnen seinen Wert hat, so
ist er deshalb noch nicht gleichbedeutend mit einem subjektiven
Rechte. Die Erlaubnis bedeutet nur die Wiederherstellung der
Freiheit, sie hat keinen eigenen Inhalt. Sie giebt dem Empfänger
nichts Neues hinzu zu dem, was er ohne diese hat. Mit der Auf-
hebung des Verbotes entsteht allerdings für ihn die Möglichkeit der
Verwertung der vorhandenen Kraft und des vorhandenen Vermögens
in der gegebenen Richtung. Er füllt den durch die Erlaubnis ent-
stehenden Spielraum aus mit Vermögenswerten und diese sind Dritten
gegenüber geschützt, wie Vermögenswerte überhaupt geschützt sind,
um ihrer selbst willen, nicht um der Erlaubnis willen.
[293]§ 21. Die Polizeierlaubnis.
Die Erlaubnis beseitigt das Verbot für diesen Fall. Es ist
ein bestimmtes Unternehmen, welches für zulässig erklärt wird. Wird
ein anderes an die Stelle gesetzt, so wirkt für dieses die Erlaubnis
nicht. Tritt nur eine Erweiterung oder teilweise Änderung ein, so
bleibt die alte Erlaubnis bestehen für das entsprechende Stück des
Thatbestandes, soweit es ausscheidbar ist. Wenn für das Neue,
was hinzukommt, wieder eine Erlaubnis eingeholt werden muſs, so
kann bei dieser Gelegenheit nicht auf die bereits erteilte Erlaubnis
zurückgekommen werden, anders als unter den besonderen Voraus-
setzungen der Erlaubniszurücknahme8.
Die Frage ist aber: wodurch begrenzt sich das bestimmte Unter-
nehmen, für welches die Erlaubnis gegeben ist, gegenüber dem Neuen,
worauf sie sich nicht erstreckt? wann ist es als Ganzes etwas anderes
geworden, so daſs es nicht mehr eadem res ist für diese Erlaubnis?
Das entscheidet sich lediglich aus dem Willen des Verbotes selbst,
aus der Richtung, welche der Rechtssatz seiner Maſsregel gegeben
hat. Das erlaubnisbedürftige Unternehmen ist immer bezeichnet nach
seinem Gegenstand, nach der Art der Thätigkeit, der Art des
Zweckes, der verfolgt wird; das ist das Feste, Gleichbleibende, All-
gemeine, womit Erteilung wie Versagung der Erlaubnis sich verbinden
kann. Das Besondere, was an dem einzelnen Unternehmen zu prüfen
ist, das polizeilich Wesentliche daran, das über Erteilung oder
Versagung der Erlaubnis entscheidet, kann aber entweder die Person
des Unternehmers sein, oder können die sachlichen Mittel sein, mit
welchen das Unternehmen ins Werk gesetzt wird, oder auch kann
beides zumal sein. Danach bestimmt sich die Individualität des
Unternehmens für die Erlaubnis und danach wirkt sie.
Ist ein Unternehmen bestimmter Art dem Erlaubnisvorbehalt
unterstellt worden mit Rücksicht auf die persönlichen Eigen-
schaften des Unternehmers, die das polizeilich Wesentliche dafür
sind und geprüft werden sollen vor der Inswerksetzung, dann gilt die
Erlaubnis nur für diese bestimmte Person, aber auch für jedes Unter-
nehmen dieser Art, das von ihr ausgeht, soweit nicht in letzterer Be-
ziehung besondere Beschränkungen beigefügt sind, namentlich auf eine
bestimmte Örtlichkeit, auf bestimmte Zeit u. dergl.9.
[294]Die Polizeigewalt.
Ist dagegen der Erlaubnisvorbehalt gerichtet auf die Mittel,
mit welchen das Unternehmen ins Werk gesetzt werden soll, — die
Änderungen, die dazu an einem Grundstück zu machen sind, die An-
lagen, Vorrichtungen und Einrichtungen, welche dem Unternehmen
dienen, sollen geprüft und gebilligt werden, — dann ist die Erlaubnis
gleichwohl immer der Person des Unternehmers erteilt; aber diese
Person ist am Unternehmen nicht das polizeilich Wesentliche. Sie
kann wechseln, ohne daſs die Erlaubnis aufhört, für dieses Unter-
nehmen gegeben zu sein. Sie wirkt also zu Gunsten dessen, der an
Stelle des ursprünglichen Empfängers der Erlaubnis tritt. Wer das
ist, bestimmt das Civilrecht; die gewöhnlichen Formen der Rechts-
nachfolge sind maſsgebend. Die erteilte Erlaubnis wird scheinbar mit
übertragen; bei Rechtsgeschäften sogar manchmal ausdrücklich als
Gegenstand der getroffenen Verfügung erwähnt. In Wahrheit ist
Gegenstand des Rechtsüberganges unter den Beteiligten immer nur
das Unternehmen, das Grundstück, die Anlage, das Geschäft; für die
Bewertung dieses Gegenstandes ist die vorhandene Erlaubnis mög-
licherweise von gröſster Bedeutung, weil sie damit verbunden bleibt,
aber sie ist selbst nicht Gegenstand des Vertrags oder Erbgangs, son-
dern sie folgt demselben aus eigener Bewegung von sich aus10.
Die rechtliche Natur des Vorgangs ist so zu erklären, daſs die
Erlaubnis erteilt ist dem ersten Gesuchsteller nicht als dem Träger
persönlicher Eigenschaften, sondern als dem Vertreter dieses Unter-
nehmens mit der bestimmten Art der Mittel und Vorrichtungen und
somit im voraus zugleich jedem Anderen, der etwa nach ihm in dieser
Weise gekennzeichnet erscheint. Die Erlaubnis gilt für die persona
certa, der sie erteilt ist, und für die persona incerta, die an ihre
Stelle tritt11.
[295]§ 21. Die Polizeierlaubnis.
Der Erlaubnisvorbehalt kann endlich das Unternehmen in beider-
lei Beziehung zugleich erfassen: sowohl die persönlichen Eigen-
schaften des Unternehmers, als die Mittel, mit welchen es betrieben
wird, sind polizeilich wesentlich und müssen geprüft und gebilligt sein,
damit das Unternehmen dem Verbot nicht unterliege.
Die Folge ist, daſs bei jedem Wechsel in der einen oder anderen
Beziehung die Einholung einer neuen Erlaubnis erfordert ist, wenn
das Unternehmen fortbetrieben werden soll. Unwesentliche Ver-
änderung, oder bloſse Wiederherstellung zerstörter Einrichtungen und
Anlagen gelten nicht als solch ein Wechsel12; das Gesetz kann auch
beim Wegfall der Person einen solchen Ersatz zulassen, der nicht als
Wechsel aufgefaſst ist, indem es z. B. die Angehörigen von selbst an
die Stelle treten läſst (vgl. oben Note 9).
Liegt nun aber wirklich ein Wechsel in der Person vor, so ist
die Erlaubnis stets von Haus aus neu zu erteilen; es ist nicht etwa
die sachliche Seite der alten Erlaubnis in Wirksamkeit geblieben,
sondern es handelt sich jedesmal um die ganze Erlaubnis, welche
Person und Mittel zugleich prüft.
Das Gleiche muſs grundsätzlich der Fall sein bei einem Wechsel
in den Mitteln des Unternehmers, Übergang zu einer anderen Ein-
richtungsweise, Verlegung der Betriebsstätte. Denn die beiden Stücke
der Prüfung und Erlaubnis durchdringen und bedingen sich gegen-
seitig: der persönlich geeignet erschien, das Unternehmen mit den
bestimmten gebilligten Mitteln zu führen, ist es vielleicht nicht mit
den neu gewählten.
Doch kann das Verhältnis der beiden Seiten der Erlaubnis vom
Gesetze anders gemeint sein. Es ist möglich, daſs sie nicht gleich-
wertig zusammen eine Erlaubnis bilden, sondern der Schwerpunkt
ganz in der Person liegt: dieser ist die Erlaubnis erteilt und nur die
Bedingung hinzugefügt, davon nur mit den besonders genehmigten
Mitteln Gebrauch zu machen. Bei einem Wechsel der Mittel bleibt
alsdann die erste Erlaubnis bestehen und kann nur nicht benutzt
werden, bis die neu gewählten Mittel wieder Genehmigung gefunden
haben, wobei dann auf die persönlichen Eigenschaften des Unter-
nehmers nicht zurückzukommen ist13.
[296]Die Polizeigewalt.
3. Anstatt die Erlaubnis einfach zu versagen oder zu erteilen,
kann die Behörde sie auch erteilen unter Bedingungen, d. h. mit
Nebenbestimmungen verschiedener Art, entsprechend den civil-
rechtlichen Befristungen, Auflagen (modus) und eigentlichen Be-
dingungen.
Solche Nebenbestimmungen sind nur möglich, soweit der Behörde
Spielraum dafür gelassen ist, also jedenfalls nicht, wo schlechthin ein
Recht auf die Erlaubniserteilung besteht. Aber auch, wo sie zulässig
sind, dürfen sie nicht gegen den ausdrücklichen oder aus Zweck und
Natur der polizeilichen Maſsregel sich ergebenden Willen des Rechts-
satzes verstoſsen, der die Erlaubnis vorbehält und damit die Behörde
zu ihrer Verfügung ermächtigt.
Daraus ergeben sich im einzelnen folgende Grundsätze.
Eine Befristung ist in zweierlei Weise denkbar. Es kann der
Erlaubnis eine Zeitangabe beigefügt sein, durch welche das Unter-
nehmen selbst genauer gekennzeichnet wird: Erlaubnis für eine be-
stimmte Jahreszeit oder Tageszeit oder für bestimmte Gelegenheiten,
die nur an einem Tag oder einer Reihe von Tagen gegeben sind
(Festlichkeiten!). Das ist dann überhaupt keine Nebenbestimmung;
es handelt sich nicht um die zeitlich beschränkte Erlaubnis für ein
Unternehmen, sondern um die Erlaubnis für ein seiner Art nach
zeitlich beschränktes Unternehmen und der Fall gehört nicht hierher14.
Wenn die Befristung eine echte Nebenbestimmung sein, willkür-
lich beigefügt werden soll, dann kann sie nur den Sinn haben, daſs
die erlaubende Behörde die polizeimäſsige Zulässigkeit des Unter-
nehmens für den Augenblick endgültig noch nicht zu überblicken ver-
mag, daher die Hände frei behalten will und zu diesem Zweck dem
13
[297]§ 21. Die Polizeierlaubnis.
Unternehmen zunächst eine Frist setzt, während deren es sich er-
probt. Bejahenden Falls würde dann die Erlaubnis neu erteilt werden.
Unmöglich ist eine solche echte Befristung nicht, aber dem polizei-
lichen Zwecke würde in solchem Falle besser dadurch entsprochen,
daſs die Behörde sich dauernd oder für eine gewisse Zeit oder nach
Ablauf einer gewissen Zeit den Widerruf vorbehält. Das wird
im Zweifel auch eher als gewollt anzunehmen sein. Der Unterschied
ist der, daſs hier die Erlaubnis nicht von selbst erlischt, sondern erst
durch die vorbehaltene Erklärung des Widerrufs.
In beiden Formen ist die Nebenbestimmung der Befristung un-
zulässig, wenn das Gesetz oder die Verordnung über Fortbestand und
Endigung der Erlaubnis selbst Bestimmungen getroffen hat. Da-
durch sind, auch wo die Erlaubnis sonst in freiem Ermessen steht,
wenigstens in diesem Punkte willkürliche Besonderheiten aus-
geschlossen15. —
Bezüglich der Bedingung ist zunächst gleichfalls wieder auszu-
scheiden, was etwa dem Wortlaute nach sich als Bedingung giebt, in
Wirklichkeit aber nur genauere Bezeichnung des polizeilich Wesent-
lichen an dem Unternehmen enthält, wofür diesem die Genehmigung
erteilt wird. Das ist keine Nebenbestimmung und wirkt nicht als
solche, hat vielmehr Verwandtschaft mit einer conditio juris. Beispiel:
Wirtschaftserlaubnis wird erteilt unter der Bedingung, nur in dem
genehmigten Lokale davon Gebrauch zu machen16.
Von einer Bedingung würde man nur sprechen können, wenn der
Erlaubnis besondere Vorschriften hinzugefügt werden, bei deren
Nichtbeobachtung die Erlaubnis zusammenfallen und das Verbot
wieder in Kraft treten soll. Allein ein solcher civilrechtlicher Forma-
lismus paſst nicht in die Polizei. Für diese gilt der oberste Grund-
satz der Verhältnismäſsigkeit des Eingriffs. Es kommt immer darauf
an, wie groſs der Nachteil ist, der thatsächlich aus der Nichtbeob-
achtung der gegebenen Vorschriften erwächst, ob das Unternehmen
wirklich nunmehr als schädliches oder gefährliches, polizeiwidriges
aufzufassen ist; nur dann rechtfertigt sich die Unterdrückung. Das
[298]Die Polizeigewalt.
kann aber nicht so im voraus gesagt werden, sondern muſs eintreten-
den Falles dem Ausspruche der erlaubenden Behörde überlassen
bleiben. Daher ist nicht anzunehmen, daſs diese sogenannten Be-
dingungen als echte gemeint sind, deren Nichterfüllung von selbst ein-
fach vernichtend auf den Rechtsbestand des Unternehmens wirken soll.
Vielmehr bedeuten sie nur, daſs im Falle der Nichterfüllung der Vor-
schriften der Behörde vorbehalten sein soll, auch gegenüber dem er-
laubten Unternehmen die entsprechenden Maſsregeln zu treffen, um
den sich ergebenden Schädlichkeiten entgegenzutreten. Also sind sie
keine Bedingungen, sondern fallen vielmehr unter den Begriff der
Auflagen. Diese Bezeichnung wird denn auch abwechselnd mit dem
Namen Bedingung für sie gebraucht17. —
Die wichtigste Art von Nebenbestimmungen der Erlaubnis ist
demnach die damit verbundene Auflage, der polizeirechtliche modus.
Die Auflage bedeutet eine Vorschrift, welche dem Unternehmer als
Nebenbestimmung einer Erlaubnis gegeben wird zum Zweck der Ver-
hütung polizeilicher Schädlichkeiten, welche aus dem erlaubten Unter-
nehmen entstehen könnten.
Die Auflage bewegt sich in derselben Richtung, wie der Rechts-
satz, von dessen Verbot die Erlaubnis entbindet; sie bekämpft die-
selbe Schädlichkeit. Folglich wäre sie nach einfach erteilter Erlaubnis
ausgeschlossen (oben n. 2). Folglich kann sie nur bei Erteilung der
Erlaubnis selbst gemacht werden als teilweiser Vorbehalt gegenüber
der befreienden und sichernden Wirkung, welche dieser an sich zu-
kommt18.
Die Auflage kann auf zweierlei Grundlage gemacht werden.
In der Befugnis, die Erlaubnis nach freiem Ermessen zu er-
teilen oder zu versagen, liegt auch die Befugnis, sie nur unter Hinzu-
fügung solcher besonderer Vorschriften zu erteilen. Sie ist darin
[299]§ 21. Die Polizeierlaubnis.
enthalten als das Mildere gegenüber der einfachen Versagung, gerade
wie das Gebot eines der Schädlichkeit abhelfenden Thuns in dem
Rechte des einfachen Verbotes (oben § 19 Note 12).
Das Gesetz kann aber auch die erlaubende Behörde besonders
ermächtigen, ihrer Erlaubnis solche Auflagen beizufügen, gleich-
viel ob die Erlaubniserteilung im übrigen gebunden ist oder nach
freiem Ermessen erteilt werden kann. Im letzteren Fall ermächtigt
also das Gesetz zu Auflagen, welche nach dem oben Gesagten die
Behörde aus ihrer Macht über die Erlaubniserteilung allein schon
schöpfen konnte; das hat gleichwohl noch seinen Sinn, denn die recht-
liche Bedeutung der Auflagen ist verschieden bei der einen und bei
der anderen Grundlage.
Welches die rechtliche Bedeutung der Auflage ist, das zeigt sich
in dem Falle, wo von seiten des Unternehmers ihren Vorschriften
nicht nachgekommen wird.
Handelt es sich um eine Auflage, welche die Behörde lediglich
auf Grund des ihr zustehenden freien Ermessens der Er-
laubniserteilung beigefügt hat, so bewirkt die Nichterfüllung der Auf-
lage, daſs das Unternehmen durch die erteilte Erlaubnis nicht mehr
gedeckt ist wegen der Polizeiwidrigkeit, gegen die das Verbot mit
Erlaubnisvorbehalt gerichtet war. Die Auflage ist kein Befehl, der
nun einfach zu vollstrecken wäre. Die Auflage ist auch keine Be-
dingung, deren Nichterfüllung von selbst das allgemeine Verbot wieder
in Kraft treten lieſse. Sie bedeutet einen Vorbehalt für die Be-
hörde, im Falle der Nichterfüllung trotz der erteilten Erlaubnis die
der etwa erscheinenden Polizeiwidrigkeit entsprechenden Maſsregeln
zu treffen. Das kann die zwangsmäſsige Durchführung der Auflage
sein oder eine andere Maſsregel, die dem Fall angemessen ist; kann
auch der einfache Widerruf der Erlaubnis sein. Die Forderung der
Verhältnismäſsigkeit der Polizeigewaltübung tritt wieder in Wirk-
samkeit19.
Wenn dagegen die Behörde die Auflage der Erlaubnis beigefügt
hat auf Grund einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung dazu, dann
[300]Die Polizeigewalt.
bedeutet die Auflage einen mit der Erlaubnis verbundenen Polizei-
befehl, Gebot oder Verbot, der mit der Ausführung des Unter-
nehmens in Wirksamkeit tritt und die entsprechende Gehorsamspflicht
begründet. Im Falle der Nichterfüllung der Auflage ist nicht etwa neu
zu prüfen, was nun geschehen soll, sondern es liegt Ungehorsam vor
und die Folgen des Ungehorsams sind zu verwirklichen: polizeiliche
Zwangsvollstreckung und die etwa im Gesetze vorgesehene Polizei-
strafe, welche die nämliche sein wird, wie die auf das ohne Erlaubnis
begonnene Unternehmen überhaupt.
Beide Arten von Auflagen hängen an der Erlaubnis. Die Er-
laubnis selbst kann, wie wir sehen, unter Umständen auf einen neuen
Unternehmer übergehen (oben n. 1). Die Auflage geht mit über.
Sie stellt in unserm zweiten Falle geradezu einen Polizeibefehl vor.
Da haben wir dann die seltene Erscheinung, daſs auch ein Polizei-
befehl gegen einen Anderen wirksam wird, als für welchen er ur-
sprünglich gegeben ist (oben § 20, IV n. 2). Die Zwangsvollstreckung
und die Polizeistrafe gehen im Falle der Nichterfüllung der Auflagen
unmittelbar gegen den neuen Unternehmer, der den alten Befehl als
ihm gegeben und ihm eröffnet gelten lassen muſs20.
Dem Falle, wo auf Grund gesetzlicher Ermächtigung Auflagen,
also Polizeibefehle, mit der Erlaubniserteilung verbunden werden,
sieht es äuſserlich ganz ähnlich, wenn die Behörde gelegentlich der
Erlaubniserteilung von ihren sonstigen selbständigen Befugnissen
Gebrauch macht und sicherheits- oder gesundheitspolizeiliche An-
ordnungen u. dergl. daran anknüpft. Solche Befehle könnten auch
gegenüber einem nichterlaubnisbedürftigen Unternehmen und auch
nach erteilter Erlaubnis selbständig erlassen werden. Die Wirkungen
des Befehls und die Folgen des Ungehorsams sind die nämlichen wie
die des mit der Erlaubnis als Auflage verbundenen Befehls. Aber
diese selbständigen, nur äuſserlich angeknüpften Befehle sind keine
„Bedingungen“ der Erlaubnis: sie gehen nicht mit der Erlaubnis auf
den Nachfolger im Unternehmen über21.
[301]§ 21. Die Polizeierlaubnis
III. Die Versagung der Erlaubnis ist kein Hindernis für ein
neues Gesuch, selbst bei gleichbleibendem Thatbestand. Thatsächlich
wird die Behörde sich meist einfach auf ihren früheren Bescheid be-
ziehen können, wenn sie neuerdings abweist. Sie kann auch noch-
mals prüfen und je nachdem erlauben oder nochmals versagen. Durch
die erste Versagung entsteht keinerlei rechtliche Gebundenheit für sie.
Ausnahmen vermag in dieser Beziehung die Verwaltungsrechtspflege
zu schaffen, insofern der darin erlassene Versagungsbeschluſs zu
Gunsten eines dritten Beteiligten rechtskräftig wird; davon oben
§ 14 Note 16.
Dagegen knüpft sich an die erteilte Erlaubnis eine besondere
Lehre von den ihr eigentümlichen Erlöschungsgründen.
Die Erlaubnis kann erlöschen infolge einer beigefügten besonderen
Bedingung oder Befristung (oben II n. 3).
Sie erlischt durch das Wegfallen der Voraussetzungen,
an welche sie geknüpft ist: die persönliche Erlaubnis mit dem Tode
des Empfängers, die gemischte mit dem Tode des Empfängers oder
dem Verlust der genehmigten Mittel, die sachliche mit der Auflösung
des Unternehmens.
Für manche Erlaubnisse ist gesetzlich zur Bedingung gemacht,
daſs das Unternehmen in einer bestimmten Frist zur Ausführung ge-
bracht oder daſs das einmal begonnene nicht während einer gewissen
Frist auſser Betrieb gesetzt werde. Dann kann die Erlaubnis er-
löschen durch Nichtgebrauch22. Von selbst versteht sich dieser
Endigungsgrund nicht.
Kein Erlöschungsgrund der Polizeierlaubnis ist der Verzicht.
Die Erlaubnis ist ein obrigkeitlicher Akt, welcher diesem Unternehmen
gegenüber das allgemeine Verbot für unanwendbar erklärt. Sie giebt
dem Empfänger nichts, worüber er verfügen könnte, sondern stellt
nur seine Freiheit wieder her, über das zu verfügen, was er sonst
hat und haben wird. Der Erlaubnisträger kann die Erlaubnis un-
benützt lassen; von ihm hängt es in gewissem Maſse ab, ob die that-
sächlichen Voraussetzungen in Wegfall kommen; er kann auch eine
21
[302]Die Polizeigewalt.
Zurücknahme der Erlaubnis bewirken, wovon gleich noch die Rede
sein soll. Aber er kann durch seine Willenserklärung den obrigkeit-
lichen Akt nicht aufheben noch unwirksam machen, so lange die Vor-
aussetzungen da sind, unter welchen dieser nach seinem eigenen
Willen wirken soll23.
Der wichtigste Erlöschungsgrund der Erlaubnis ist die Zurück-
nahme.
Jeder Verwaltungsakt kann von der Behörde, die ihn erlieſs,
zurückgenommen oder, was gleichsteht, von ihren Vorgesetzten auf-
gehoben werden. Das gilt wie vom Befehl, so von der Versagung der
Erlaubnis, insofern eben die nachträgliche Erteilung die Zurücknahme
des Versagungsaktes enthält. Das gilt auch von der Erteilung der Er-
laubnis; hier aber nicht so unbedingt wie bei Versagung und Befehl, denn
im Gegensatz zu jenen handelt es sich dabei um einen zuzufügenden
Nachteil, einen Eingriff, und sofort kommen Rechtsschranken
zum Vorschein, welche dem Betroffenen gegenüber zu beobachten sind24.
Die Zurücknahme ist nicht frei, wo die Erlaubnis durch rechts-
kräftiges Urteil erteilt ist oder das Gesetz sonst die Zurücknahme
ausschlieſsen will; das ist namentlich der Fall, wo es die Gründe
besonders bestimmt, die zur Zurücknahme ermächtigen sollen:
darin liegt von selbst der Ausschluſs anderer Gründe und des freien
Beliebens. Ebenso ist die freie Zurücknahme ausgeschlossen, soweit
die Erlaubnis gesetzlich nicht versagt werden durfte;
an sich ist ja die Zurücknahme etwas anderes als die Versagung,
aber der Rechtssatz, der die Erteilung bindet, kann nicht gestatten
wollen, daſs die erteilte Erlaubnis durch freie Zurücknahme alsbald
wieder vereitelt werde.
Es wirkt aber noch ein allgemeinerer Grund: die Zurücknahme
ist nicht mehr frei gegenüber dem erlaubten Unternehmen, sobald es ein-
mal thatsächlich ins Werk gesetzt oder auch nur in der Aus-
führung begriffen ist. Es leuchtet sofort ein, daſs die Zer-
[303]§ 21. Die Polizeierlaubnis.
störung des Geschaffenen etwas anderes ist und strenger beurteilt
werden muſs als die Verhinderung des Entstehens. Der Unterschied
ist aber auch in der rechtlichen Natur des Verbotes mit Erlaubnis-
vorbehalt begründet, wie wir sie oben (S. 187) bestimmt haben.
Die Zurücknahme der Erlaubnis beseitigt diese von nun an und
setzt damit das allgemeine Verbot, von welchem sie entband,
wieder in Wirksamkeit. Dieses Verbot trifft aber nur das unerlaubte
Inswerksetzen eines solchen Unternehmens und den Fortbestand des
fehlerhafterweise ins Werk Gesetzten. Es geht an dem fehler-
frei, d. h. auf Grund einer erteilten Erlaubnis Begründeten vorbei.
Folglich hat hier die einfache Zurücknahme der Erlaubnis keinen
Zweck. Es bedarf eines besonderen Grundes, um sie zurücknehmen
zu können mit der Wirkung, als wäre sie überhaupt nicht er-
teilt worden und folglich das jetzt vorgefundene Unternehmen
fehlerhaft zustande gekommen25.
[304]Die Polizeigewalt.
Daraus ergiebt sich auch der gemeinsame Grundzug, welcher
allen einzelnen Zurücknahmegründen eigen ist. Abgesehen von be-
sonderen gesetzlichen Beschränkungen bedarf es gegenüber dem noch
nicht ins Werk gesetzten Unternehmen keiner Zurücknahmegründe;
wo solche Gründe erscheinen, sind sie also immer darauf gerichtet,
eine Rückwirkung der Zurücknahme der Erlaubnis auf die voraus-
gegangene Erteilung selbst zu vermitteln, um auch das ins Werk ge-
setzte Unternehmen zu treffen.
Die Zurücknahmegründe sind die folgenden.
1. An der Spitze steht die besondere gesetzliche Ermäch-
tigung zur Zurücknahme; sie kann frei gegeben sein oder gebunden
an bestimmte Voraussetzungen. Sie soll selbstverständlich stets be-
deuten eine Zurücknahme mit der Wirkung, daſs auch das bereits
ins Werk gesetzte Unternehmen davon betroffen d. h. so angesehen
wird, als wäre es fehlerhaft entstanden und unterläge dem Verbot.
Als solche Ermächtigung wirkt von selbst auch das Anfechtungsrecht
gegen die Erlaubniserteilung, welches einem Dritten eingeräumt sein
mag als förmliche Beschwerde oder als Verwaltungsklage. Die Frage
muſs dann, so lange die Beschwerde offensteht, für die Beschwerde-
behörde intakt bleiben und kann nicht durch vorgängige Ausführung
des Unternehmens verengert werden26.
Der gesetzlichen Ermächtigung steht gleich die Einwilligung
des Betroffenen: für einen Polizeibefehl, der selbständig verpflichtet,
würde die Einwilligung des Betroffenen die gesetzliche Ermächtigung
nicht ersetzen können; für die Wiederherstellung des allgemein ver-
pflichtenden Verbotes durch Beseitigung der besonderen durch die
Erlaubnis geschaffenen Ausnahme wird die freiwillige Unterwerfung
als genügende Grundlage angesehen. Sie pflegt, wie erwähnt, als
Verzicht bezeichnet zu werden, ist aber in der That nur eine Vor-
aussetzung für die Gültigkeit des Verwaltungsaktes, der die Zurück-
nahme ausspricht (oben Note 23).
2. Wir haben gesehen (oben II n. 3), daſs in mehrfacher Weise
durch Nebenbestimmung des Erlaubnisaktes ein Widerruf vor-
behalten werden kann, schlechthin oder für den Fall der Nicht-
erfüllung von Auflagen. Der Ausspruch des Widerrufs ist die Geltend-
machung einer Besonderheit, welche der Erlaubnis von Anfang an
anhaftet, also zurückwirkt auf ihre Erteilung selbst.
[305]§ 21. Die Polizeierlaubnis.
3. Einen Grund der Zurücknahme liefert die Erlaubnis selbst
auch dadurch, daſs ihre Erteilung in fehlerhafter Weise erfolgt, daſs
sie rechtsungültig ist.
Das kann darin liegen, daſs die Behörde dabei ihre Befugnisse
überschritten hat. Nur die Befugnis nach auſsen, die Zuständigkeit,
kommt hier, im Verhältnis zu dem Unterthanen, überhaupt in Betracht.
Die Nichtbeobachtung einer Dienstanweisung, welche die Erteilung
einer rechtssatzmäſsig der Behörde zustehenden Erlaubnis untersagt
oder an Bedingungen knüpft, ist für dieses Verhältnis und somit für
die Gültigkeit der Erlaubnis bedeutungslos.
Im übrigen ist auch hier wieder bei dieser Überschreitung der
Befugnisse der Behörde zu unterscheiden wie beim Befehl (oben § 20,
III n. 1): die Erlaubniserteilung, welche überhaupt nicht in der all-
gemeinen Zuständigkeit der erlaubenden Behörde gelegen ist, also
insbesondere von einem Beamten, der behördliche Polizeigewalt nicht
besitzt, ist nichtig. Es bedarf keiner Zurücknahme.
Die Erlaubniserteilung dagegen, welche eine im allgemeinen zu
solchen Akten berufene Behörde ausgesprochen hat unter unrichtiger
Anwendung des Gesetzes, Nichtbeobachtung der vorgeschriebenen
Formen, Übergriff in andere Zuständigkeiten und sonstigen Befugnis-
überschreitungen zweiten Ranges, wenn wir so sagen wollen, ist rechts-
wirksam und bleibt es, solange und soweit ihr nicht durch eine zu-
ständige Behörde die Rechtswirksamkeit abgesprochen wird. Die Un-
gültigkeit wirkt insbesondere als Grund der Zulässigkeit der Zurück-
nahme27. Diese Zurücknahme kann von der erlaubenden Behörde
selbst erfolgen oder als Aufhebung des Aktes ausgesprochen werden
von einer vorgesetzten oder zur allgemeinen Nachprüfung und Auf-
hebung sonst berufenen Behörde, von Amtswegen oder, soweit Dritte
in Betracht kommen, auf deren Begehren, alles ohne Rücksicht auf
eine inzwischen eingetretene Inswerksetzung des ungültigerweise er-
laubten Unternehmens.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 20
[306]Die Polizeigewalt.
4. Einen besonderen Zurücknahmegrund bietet endlich der Fall, daſs
die Erlaubniserteilung zu Gunsten des Empfängers durch eine rechts-
widrige Einwirkung auf den handelnden Beamten herbeigeführt
worden ist: durch Betrug, Drohung, Bestechung. Die Erlaubnis wird
dadurch nicht von selbst nichtig; ungültig braucht sie ebenfalls nicht
zu sein; sie kann noch ganz innerhalb der gesetzlichen Grenzen und
namentlich im Bereich des freien Ermessens sich bewegen. Es handelt
sich auch nicht um Geltendmachung der Ungültigkeit in einem Nach-
prüfungsverfahren, für welches besondere Zuständigkeiten geordnet
wären. Vielmehr ist lediglich die Zurücknahme durch die erlaubende
Behörde oder für sie durch ihre Vorgesetzten in Frage: die Behörde
macht sich frei von der Gebundenheit an die erschlichene Erlaubnis
und der Empfänger kann sich um der ihm zuzurechnenden Verfehlung
willen nicht darauf berufen; eine Art replicatio doli steht ihm ent-
gegen28.
§ 22.
Die Polizeistrafe.
Die Strafe ist ein Übel, welches von der öffentlichen Gewalt
auf ein miſsbilligtes Verhalten des Unterthanen gesetzt ist.
Sie findet insbesondere auch Anwendung, wenn die Miſsbilligung
des Verhaltens gerade darauf beruht, daſs es als eine Störung der
guten Ordnung des Gemeinwesens, als Polizeiwidrigkeit an-
gesehen wird.
Im Gegensatz zu der Ungehorsamsstrafe, Exekutivstrafe oder
Ordnungsstrafe, welche die Strafe durch Verwaltungsakt im Einzelfall
androht zum Zweck der Zwangsvollstreckung (unten § 23, I), verstehen
wir unter Polizeistrafe lediglich die durch Rechtssatz angedrohte
Strafe, die auf die Polizeiwidrigkeit gesetzt ist, um einzuschärfen, daſs
sie nicht sein soll.
I. Die Polizeistrafe hat im heutigen Recht den Anschluſs an das
gemeine Strafrecht gefunden, indem sie den Grundsatz annahm: nulla
poena sine lege. Das bedeutet nicht einfach wieder die gesetzliche
Grundlage; dieses Erfordernis wäre im Verfassungsstaat gegenüber
einem Eingriff in Freiheit und Eigentum, wie die Strafe ihn vorstellt,
[307]§ 22. Die Polizeistrafe.
selbstverständlich. Ihm würde aber auch genügt sein mit allgemeinen
Ermächtigungen der Behörden, im Einzelfalle Strafen zu verhängen.
Hier ist gemeint, daſs die Strafe in Form des Rechtssatzes be-
stimmt sei derart, daſs die Verhängung der Strafe im Einzelfall nur
Anwendung des Rechtssatzes ist, nur ein Ausspruch dessen,
was durch den Rechtssatz für diesen Fall bereits gewollt ist, eine
Entscheidung. Das schlieſst nicht aus, daſs dem richterlichen Er-
messen ein gewisser Spielraum zur Anpassung des Strafmaſses gelassen
wird; der Akt behält auch dabei noch die Natur der Entscheidung;
vgl. oben S. 100, S. 164.
Mit dieser rechtssatzmäſsigen Strafbestimmung verhält es sich
nun im Einzelnen folgendermaſsen.
1. Das Gesetz pflegt auf dem Gebiete der Verwaltung und
namentlich der Polizei die Schaffung von Rechtssätzen in groſsem
Umfange der Verordnung zu überlassen, die mit ihrer leichteren
Beweglichkeit den Umständen von Zeit und Ort sich besser anpassen
mag. Den Forderungen des Rechtsstaates würde es in keiner Weise
widersprechen, wenn auch die Strafbestimmung dem verordnungs-
mäſsigen Rechtssatze anheimgestellt wäre.
Allein hier wird verschieden verfahren. Soweit der Einfluſs des
französischen Rechtes reicht, macht das Gesetz grundsätzlich von der
Übertragung der Polizeistrafbestimmung an die Verordnung keinen
Gebrauch.
Die Miſsstände, welche vor der Revolution aus den willkürlichen
Strafandrohungen der règlements sich ergaben, hatten einen so tiefen
Eindruck hinterlassen, daſs man bei der Neuordnung des Staatsrechts
den Grundsatz nulla poena sine lege schroff in dem Sinne durch-
zuführen suchte, daſs der rechtssatzmäſsige Ausspruch der Straf-
bestimmung immer durch das verfassungsmäſsige Gesetz selbst vor-
zunehmen ist, — also durch Gesetz im formellen und materiellen
Sinne zugleich. Eine Aufstellung des Polizeistrafrechtssatzes durch
die vollziehende Gewalt soll nicht stattfinden d. h. keine gesetzliche
Ermächtigung dazu gegeben werden; dann wird sie von selbst un-
möglich. Die Gesetzgebung hat sich im allgemeinen daran gehalten;
seltene Ausnahmen kommen vor und begründen dann natürlich gültige
Strafbestimmungen des Staatsoberhauptes und seiner Behörden. Denn
eine rechtliche Unzulässigkeit derartiger Übertragungen besteht nicht;
es ist lediglich nicht Brauch.
Die süddeutschen Polizeistrafgesetzbücher haben sich dieser An-
schauung gefügt. Die Strafbestimmung erfolgt also hier stets durch
Gesetz; nur die genauere Bezeichnung des Thatbestandes kann der
20*
[308]Die Polizeigewalt.
Polizeiverordnung überlassen werden (davon unten n. 2). Es giebt
hier Polizeistrafgesetze und Polizeiverordnungen, aber
keine Polizeistrafverordnungen d. h. solche Verordnungen,
welche eine Polizeistrafbestimmung enthielten.
Im Gegensatze dazu ermächtigt das preuſsische Gesetz über die
Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 die Behörden, für den ihnen
zugewiesenen Kreis polizeilicher Angelegenheiten „Vorschriften zu er-
lassen und gegen die Nichtbefolgung derselben Geldstrafen — bis zu
einem näher bestimmten Maſse — anzudrohen“. Die Strafbestimmung
erscheint also hier mit der Bezeichnung des Thatbestandes in der
gemeinsamen Form der Verordnung, deren allgemeine Regeln für Erlaſs,
Verkündung, Nachprüfungsrecht, Aufhebung und Zurücknahme auch für
sie anwendbar sind. Neben diesen Polizeistrafverordnungen
erscheinen dann auch im preuſsichen Recht einfache Polizeiverord-
nungen, welche für die etwa erforderliche Strafbestimmung an ein
Polizeistrafgesetz, namentlich auch an reichsrechtliche Strafgesetze sich
anlehnen; dadurch entsteht hier eine verhältnismäſsig gröſsere Mannig-
faltigkeit1.
2. Der Polizeistrafrechtssatz wendet sich wie jedes Strafgesetz
immer in erster Linie an die zur Strafverhängung berufene Behörde:
es wird bestimmt, was von ihr aus dem Unterthanen gegenüber ge-
schehen soll; die zweiseitige Natur des Rechtssatzes erzeugt dann
gleichzeitig auch die entsprechende rechtliche Bestimmtheit des Unter-
thanen, wonach er solches von der Behörde zu gewärtigen hat;
darüber oben § 7, I.
Ihrer Natur nach ist die Strafsetzung stets ein bedingter Aus-
spruch: es soll in dieser Weise gestraft werden, wenn dieses Ver-
halten vorliegt.
Die Bezeichnung des Verhaltens, welches die Bedingung erfüllt,
kann in der Strafbestimmung selbst enthalten sein: wer dies und
jenes thut, soll so und so bestraft werden, lautet die Formel. Sie
kann auch selbständig daneben stehen; dann nimmt sie die Gestalt
eines Befehls, Verbots oder Gebotes an. Wir erhalten die zwei Sätze:
es ist verboten (geboten), dies oder jenes zu thun; und: wer diesem
Befehl zuwiderhandelt, wird so und so bestraft. Der erste Satz kann
mit dem zweiten in einem Akte verbunden oder auch äuſserlich davon
[309]§ 22. Die Polizeistrafe.
getrennt sein. Er ist ein Polizeibefehl, der in allen Einzelheiten den
in § 20 entwickelten Regeln unterliegt. Die Strafbarkeit ist eine
Folge des Ungehorsams dagegen.
Auch die einfachere, dem gemeinen Strafrecht gewöhnlichere
Formel: wer dies und jenes thut, soll so und so bestraft werden, ent-
hält dem Unterthanen gegenüber nicht lediglich den Ausspruch, daſs
er unter dieser Bedingung bestraft werden soll. Die Verpönung des
bezeichneten Thatbestandes bedeutet zugleich die Anerkennung seiner
Polizeiwidrigkeit und die gesetzgeberische Willenserklärung, daſs er
nicht sein soll.
Man mag also immerhin sagen, daſs die Polizeistrafe auch in
diesem Falle, wie jede gemeine Strafe überhaupt, eine Folge der
Unbotmäſsigkeit gegenüber dem Gesetze sei; ein Zuwiderhandeln
gegen das, was das Gesetz als seinen Willen ausgesprochen hat, liegt
ja vor. Man mag auch sagen: auch diese unmittelbare Verpönung
„enthält“ einen Befehl, indem man eben das Wort in einem all-
gemeineren ungenaueren Sinne meint. Ein richtiger Polizeibefehl liegt
hier nicht vor. Die ihm eigentümliche Gehorsamspflicht ist nicht be-
gründet. Nicht der Ungehorsam gegen einen Befehl, sondern das
miſsbilligte Verhalten ist die Voraussetzung der Strafe über-
haupt und ebenso der Polizeistrafe insbesondere. Der Ungehorsam
ist nur eine besondere Art des miſsbilligten Verhaltens, die allerdings
gerade bei der Polizeistrafe häufig vorkommen wird2.
3. Die Bedeutung jedes Strafrechtssatzes liegt darin,
daſs er durch die angedrohte und zur Verwirklichung bestimmte Strafe
den Unterthanen ein dem öffentlichen Interesse entsprechendes Ver-
halten einschärft. Der Polizeistrafrechtssatz ist dazu gegeben, ein
polizeimäſsiges Verhalten einzuschärfen, ein Verhalten gemäſs der
Unterthanenpflicht, die gute Ordnung des Gemeinwesens nicht zu
[310]Die Polizeigewalt.
stören. Das Übel, welches er androht und zufügen läſst, ist Mittel
zum Zwecke. Der Polizeistrafrechtssatz berührt sich darin mit dem
Polizeizwang und steht im Gegensatz zu den bisher behandelten
Rechtsinstituten des Befehls und der Erlaubnis, welche nur die recht-
liche Ordnung selbst bestimmen, ohne noch das Mittel zu geben, mit
welchem sie aufrechterhalten werden soll.
Die allgemeine polizeiliche Unterthanenpflicht, die
gute Ordnung des Gemeinwesens nicht zu stören, kann aber nur aus-
nahmsweise unmittelbar die Grundlage der staatlichen Gewaltmaſs-
regeln abgeben. Die Regel ist im Rechtsstaat, daſs erst in seinen
Formen durch Rechtssatz oder Verwaltungsakt genauer bestimmt
werde, was auf Grund dieser Pflicht geschuldet ist; erst daran knüpft
sich dann das weitere Vorgehen. Zu solch genauerer Bestimmung
der Pflicht dienen Polizeibefehl und Polizeierlaubnis. Die mit Polizei-
strafe einzuschärfende Pflicht erhält sie aber möglicherweise unmittel-
bar durch die Strafsetzung, indem diese den verpönten Thatbestand
selber bezeichnet.
Wo er in dieser zweiten Gestalt auftritt, erfüllt der Polizei-
strafrechtssatz zugleich die Aufgabe, welche den bisher behandelten
Rechtsinstituten, dem Polizeibefehl und der Polizeierlaubnis zukommt.
Mit dieser doppelten Seite, die er hat, steht demnach der
Polizeistrafrechtssatz mit allem, was an ihm hängt, mitten innen in
der Reihe unserer Rechtsinstitute der Polizeigewalt.
II. Der Rechtssatz, welcher die Polizeistrafe androht, findet in
mehrfacher Richtung seine Ergänzung durch andere Akte der
öffentlichen Gewalt. Sie stellen ihn fertig, beschränken seine An-
wendbarkeit, oder liefern die Bedingungen dafür. Dabei bewegen sie
sich durchweg in den bereits bekannten Formen des Polizeirechts,
die hier nur in besonderer Verumstandung und Ausprägung erscheinen.
1. Der Strafrechtssatz kann der Ergänzung bedürfen durch einen
Polizeibefehl. Das ist dann der Fall, wenn er den Thatbestand
nicht unmittelbar selbst bezeichnet, sondern die Strafe knüpft an den
Ungehorsam gegen einen Befehl, der nicht gleichzeitig mit ihm ge-
geben wird, sondern vorausgesetzt wird in anderen Gesetzen, in Ver-
ordnungen oder in Einzelakten.
Die Frage, welche hier besonders zu erörtern ist, ist die: in-
wiefern enthält der Polizeistrafrechtssatz selbst die Er-
mächtigung für die Behörden, um die ihn ergänzenden Befehle
gültig zu erlassen?
Die Annahme, daſs dies der Fall sei, wird in gewöhnlichen Fällen
gar keine Schwierigkeiten haben. Der Satz mag etwa lauten: wer
[311]§ 22. Die Polizeistrafe.
den polizeilichen Anordnungen für den und jenen Gegenstand zuwider-
handelt, wird bestraft; oder: wer gegen polizeiliches Verbot dies oder
jenes thut, wird bestraft. Darin wird, auch ohne daſs eine bestimmte
Behörde bezeichnet ist, eine Ermächtigung zu den entsprechenden Be-
fehlen gefunden werden können. Die Ermächtigung gilt zu Gunsten
derjenigen Behörden, in deren Zuständigkeiten derartige Sachen ihrem
Gegenstande nach gelegen sind; fehlt es daran, so kann wenigstens
eine Ausführungsverordnung zu dem Strafrechtssatze und auf Grund
desselben erlassen werden, um die Zuständigkeitsbestimmung hinzu-
zufügen und die Strafandrohung ohne weiteres lebensfähig zu machen.
Diese Annahme gilt freilich nicht unbedingt; es kann sich aus
den Umständen ergeben, daſs auch bei einem derartigen Wortlaute
doch eine Ermächtigung nicht gegeben werden sollte.
Das wird vor allem der Fall sein, wenn ein Gesetz bereits be-
steht, welches das Polizeiverordnungsrecht für solche Dinge ausdrück-
lich und in bestimmter Weise geregelt hat; da wird der Strafrechts-
satz in jener Fassung keine neue selbständige Ermächtigung zu freierer
Verwendung geben wollen; er enthält vielmehr nur einen Hinweis
auf das in Gemäſsheit der bereits bestehenden Ordnung zu Schaffende3.
Das Gleiche würde gelten, wenn anzunehmen ist, daſs der Gesetz-
geber bei jener Fassung eine Regelung dieser polizeilichen Anord-
nungen durch einen neuen besonderen Akt der Gesetzgebung im Auge
hatte; auch dann war keine Ermächtigung beabsichtigt. Das läuft
alles auf eine Auslegung des Gesetzes hinaus.
An diese Ausnahme wird man aber anknüpfen müssen, wenn der
Strafrechtssatz, in welchem die Ermächtigung liegen soll, ein reichs-
gesetzlicher ist.
Regelmäſsig ist es der Einzelstaat, der auch der Reichsgesetz-
gebung gegenüber die vollziehende Gewalt liefert. Folglich wird es
auch hier sich darum handeln, inwiefern auf ein reichsrechtliches
Strafgesetz, das etwa die obige Fassung hat, eine Befehlszuständigkeit
der Landesbehörden sich gründen lieſse.
Da wird nun der regelmäſsige Fall der sein, daſs die Landes-
gesetzgebung sich mit dem Gegenstande bisher schon irgend wie be-
schäftigt hat und das Reichsrecht nur vereinheitlicht und verbessert.
Das Landesrecht hat dann auch schon Verordnungen und Einzelbefehle
dafür zugelassen in verschiedenem Maſse; oder es hat sie nicht zu-
[312]Die Polizeigewalt.
gelassen, dann bildet auch das eine bestehende Ordnung. Das Reichs-
strafgesetz befindet sich also der Gesamtheit der Landesrechte gegen-
über immer in der Voraussetzung, welche für das Landesstrafgesetz
nur besteht, wenn eine besondere Regelung des behördlichen Befehls-
und Verordnungsrechtes bereits vorliegt oder in Aussicht genommen
ist, in der Voraussetzung nämlich, daſs die polizeilichen Anordnungen,
an welche es seine Strafbestimmung knüpft, anderswoher ihre Grund-
lage erhalten können. Es steht ja in seiner Macht, ob es gelegent-
lich der Strafbestimmung auch das vorausgesetzte Polizei-, Befehls-
und Verordnungsrecht neu regeln und selbständig begründen will. Die
Vermutung spricht nicht dafür. Wenn nicht besondere Umstände die
Absicht darthun, eigne Ermächtigungen zu geben, ist das Reichsgesetz
dafür anzusehen, daſs es seine Ergänzung aus dem selbständig wirken-
den Landesrecht erwartet.
Jene Absicht wird namentlich dann vorliegen, wenn die Reichs-
gesetzgebung sich eines ganzen polizeilichen Gebietes umfassend be-
mächtigt; da ist es nur natürlich, daſs das zugehörige obrigkeitliche
Befehlsrecht ebenso gut geordnet werden soll, wie das zugehörige
Polizeistrafrecht. In dieser Weise verbindet z. B. die Gewerbeordnung
reichsgesetzliche Polizeistrafbestimmungen mit reichsgesetzlicher Rege-
lung des Polizeibefehls. Den Gegensatz dazu bildet das Reichsstraf-
gesetzbuch. Sein Thema ist nur die Strafsetzung. Allerdings auch
Strafsetzung auf Ungehorsam gegen behördliche Polizeibefehle. Aber
deshalb ist es nicht dazu gehörig, daſs auch die Polizeibefehlsgewalt
bei dieser Gelegenheit reichsgesetzlich geordnet werde; das Landes-
recht vermag das Nötige zu liefern. Die Bestimmungen des Stf.G.B.
verweisen also nur ganz allgemein auf polizeiliche Vorschriften, An-
ordnungen, Maſsregeln für die und die Gegenstände. Der Sinn ist
immer der: falls nach Landesrecht Befehl, Verordnung oder Einzel-
befehl, in dieser Beziehung zulässig und wirklich erlassen ist, soll auf
den Ungehorsam diese Strafe gesetzt sein.
Der Gegensatz ist deutlich: in einer landesgesetzlichen Straf-
bestimmung ganz des gleichen Wortlauts, die also auch nur allgemein
sagt: wer den polizeilichen Vorschriften zur Abwehr dieser oder jener
Schädlichkeit zuwiderhandelt u. s. w., würden wir unbedenklich eine
genügende Grundlage zur Erlassung solcher Vorschriften finden; es
sei denn, daſs aus den Umständen, namentlich aus dem Vorhanden-
sein einer diese Vorschriften bereits ordnenden Gesetzgebung ge-
schlossen werden müſste, daſs die Absicht selbständiger neuer Ein-
richtungen nicht vorlag. Der reichsgesetzlichen Strafbestimmung da-
[313]§ 22. Die Polizeistrafe.
gegen sprechen wir diese Absicht allgemein ab und lassen nur den
umgekehrten Gegenbeweis zu4.
2. Auch die Polizeierlaubnis verflicht sich mit dem
Polizeistrafrechtssatz. Ist die Strafbestimmung an den Ungehorsam
gegen einen Polizeibefehl geknüpft, so ist ihre Wirksamkeit von selbst
bedingt durch das Nichtvorhandensein der etwa vorbehaltenen Erlaubnis.
Daran ist nichts Besonderes.
Es kann aber der Polizeistrafrechtssatz, auch wo er unmittelbar
an einen bezeichneten Thatbestand die Strafe knüpft, den Erlaubnis-
vorbehalt in sich aufnehmen. „Wer ohne polizeiliche Erlaubnis dies
oder jenes thut, wird bestraft“, so lautet eine häufig gebrauchte Formel.
In der unmittelbaren Verpönung liegt, wie wir gesehen haben,
kein Befehl; die Erlaubnis kann also hier nicht die Entbindung von
einem Befehle bedeuten. Die Strafbestimmung knüpft sich immer nur
an die Miſsbilligung eines gewissen Thatbestandes. Von dieser Miſs-
billigung und folglich Verpönung können aber zugleich Ausnahmen
gemacht sein; es wird z. B. gesagt: „wer, auſser in Notfällen, dies
oder jenes thut“, soll bestraft werden. Wird nun die Miſsbilligung
einem selbständigen Akt überlassen, so erhält sie die Gestalt
eines Polizeibefehls (oben S. 308); wird die Schaffung der Ausnahme
von der Miſsbilligung einem selbständigem Akte überlassen, so erhält
sie die Gestalt einer Polizeierlaubnis. Da die Miſsbilligung die Be-
[314]Die Polizeigewalt.
dingung ist für die Anwendbarkeit des Strafrechtssatzes, so hebt die
Erlaubnis mit der Miſsbilligung auch die Anwendbarkeit dieses Satzes
auf. Das ist hier ihre Bedeutung.
Die Ermächtigung zur Erlaubnis ist ebenso einer Auslegung des
Willensinhalts des Rechtssatzes zu entnehmen wie die zum Befehl;
nötigenfalls können auch Ergänzungen nötig werden behufs genauerer
Bestimmung der zuständigen Behörde, welche alsdann durch Aus-
führungsverordnung ohne weiteres gegeben werden können (vgl. oben
S. 311). Der Erlaubnisvorbehalt kann aber auch in einem reichs-
gesetzlichen Polizeistrafrechtssatz enthalten sein mit Wirkung für
die Landesbehörden. Dabei ist dann von anderen Auslegungsgrund-
sätzen auszugehen wie da, wo es sich um Ermächtigung zum Befehl
handelt. Der Erlaubnisvorbehalt bedeutet eine Beschränkung der Kraft
des Reichsgesetzes, welche nur dieses selbst machen kann und im
Zweifel auch mit unmittelbarer Wirksamkeit macht. Wenn es ganz
im allgemeinen die Strafe setzt auf ein Handeln „ohne polizeiliche
Erlaubnis“, „ohne Genehmigung der zuständigen Behörde“ u. s. w.,
so ist das nicht wie bei der Strafsetzung auf Handeln „gegen polizei-
liche Anordnung“, „gegen Verbot der zuständigen Behörde“ u. s. w.
eine Verweisung auf das, was das Landesrecht an solchen lieferte.
Sondern die Erlaubniserteilung ist alsdann unmittelbar aus dem Reichs-
gesetz zulässig. Die genauere Zuständigkeitsbestimmung kann sich
schon in den bestehenden landesgesetzlichen Ordnungen finden, oder
einfach auf Grund des Reichsgesetzes geschaffen werden, etwa durch
Ausführungsverordnung. Jedenfalls braucht die Landesgesetzgebung
nicht erst ihren Behörden die gesetzliche Grundlage zur Erlaubnis-
erteilung zu liefern, wie zum Befehl, den das Reichsgesetz voraussetzt.
Sie braucht nur thätig zu werden, wenn es ihr um das Umgekehrte
zu thun ist: wenn sie die reichsgesetzlich ermächtigte Erlaubniserteilung
ihren Behörden besonders beschränken will, im Umfang oder mit
besonderen Voraussetzungen und Formen.
Im übrigen folgt dann dieser obrigkeitliche Akt der Entbindung
von der im Strafrechtssatz ausgesprochenen Miſsbilligung den gewöhn-
lichen Regeln der Polizeierlaubnis in Erteilung, Wirkung und Endigung5.
Mit dieser Erlaubnis im strengen Sinne unseres Rechtsinstituts
darf eine andere Erscheinung nicht verwechselt werden, die ganz
ähnlich wirkt, gleichfalls als Erlaubnis bezeichnet wird, juristisch aber
auf anderer Grundlage steht.
[315]§ 22. Die Polizeistrafe.
Es handelt sich wie bei der bisher betrachteten Erlaubnis darum,
daſs die staatlicherseits erteilte Zustimmung zu dem Verhalten des
Unterthanen im Einzelfall ihn gegen den Strafrechtssatz deckt, der
sonst auf ihn Anwendung fände.
Allein die Wirkung dieser Zustimmung beruht hier nicht auf
einer Macht, welche der Behörde gegeben ist, über die Wirk-
samkeit des Strafrechtssatzes obrigkeitlich zu verfügen und
sie für den Einzelfall auszuschlieſsen. Die Strafe ist vielmehr deshalb
ausgeschlossen, weil die Zustimmung eine gültige Verfügung ent-
hält über das Gut, zu dessen Schutz die Polizeistrafe gesetzt ist.
Voraussetzung für diese Art von Erlaubnis ist also nur, daſs der
Gegenstand, gegen welchen die verpönte Handlung sich richtet, in
gewissem Maſse einer freien Verfügung unterliegt; dann ist bei der
Strafbestimmung selbst der stillschweigende, wenn nicht ausdrückliche,
Vorbehalt verstanden: „sofern das unbefugt geschieht“. Einer Er-
mächtigung, um die Strafbestimmung zu durchbrechen und von ihren
Wirkungen zu entbinden, bedarf es nicht: die Verfügungsmacht des-
jenigen, der die Erlaubnis giebt, genügt.
Der Erlaubende braucht hier nicht eine Polizeibehörde zu sein,
denn diese Art von Erlaubnis ist keine Äuſserung polizeilicher Gewalt.
Es kann irgend eine andere Art von Behörde sein, die gerade über
diesen Gegenstand gesetzt ist. Es gehört zu dieser Erlaubnis über-
haupt kein Verwaltungsakt, der obrigkeitlich bestimmt, was für
den Unterthanen Rechtens sein soll: sie kann auch von untergeordneten
Bediensteten innerhalb des ihnen übertragenen Geschäftskreises gültig
und wirksam erteilt werden. Je nach der Art der Unbefugtheit,
welche der Polizeistrafrechtssatz voraussetzt, kann die befreiende Zu-
stimmung sogar von dem beteiligten Privaten ausgehen und seine
Willenserklärung hat dann die gleiche Wirkung, wie sonst die Zu-
stimmung der Behörde.
Das wichtigste Anwendungsgebiet für diese Art von Erlaubnis
bieten die öffentlichen Sachen. Der Gebrauch, den der Unter-
than davon machen könnte, ist durch Polizeistrafbestimmung aus-
geschlossen oder beschränkt. Durch Erlaubnisse, die in Form und
Grundlage ganz die hier geschilderte rechtliche Natur an sich tragen,
wird im Einzelfalle die Möglichkeit eines erweiterten Gebrauchs ge-
schaffen. Darüber das Nähere in der Lehre von der Gebrauchs-
erlaubnis an öffentlichen Sachen6.
[316]Die Polizeigewalt.
3. Die Mahnung haben wir oben (§ 20 S. 284) als eine
besondere Art polizeilicher Mitteilung kennen gelernt im Gegensatz
zum Befehl. Sie kann als Bedingung polizeilichen Einschreitens von
rechtlicher Bedeutung werden. Ihre Hauptrolle spielt sie in dieser
Beziehung bei der Polizeistrafe. Es liegt darin eine gewisse Rück-
sichtnahme auf den Schuldigen; die Möglichkeit wird vorausgesetzt,
daſs er von seiner Pflicht keine hinreichend klare Vorstellung habe
und ihr nachkommen würde, sobald man sie durch unmittelbare An-
rede ihm zum Bewuſstsein bringt. Wo die Polizeistrafe gesetzt ist
auf den Ungehorsam gegen einen Befehl, kann dieser in Gestalt des
Einzelbefehls, der Verfügung, dieser Rücksicht genügen. Wo aber
der Polizeistrafrechtssatz unmittelbar den Thatbestand bezeichnet, fehlt
ihm jenes bewegliche Element und die Rücksicht kann nur zum Aus-
druck kommen dadurch, daſs er selbst seine Wirksamkeit an die
Bedingung einer vorausgehenden Mahnung knüpft.
Das Gesetz verlangt in diesem Fall, daſs an den Schuldigen, be-
vor er strafbar wird, eine „Aufforderung“, eine „Warnung“ ergangen
sei, daſs man ihn „aufmerksam gemacht“, ihm „Anordnung“ gegeben
habe. Die Mahnung kann bestehen in dem einfachen Hinweis darauf,
daſs bei ihm der Thatbestand des Strafgesetzes vorliege; sie kann sich
auch verbinden mit genaueren Anweisungen und Belehrungen über
das, was er zu thun hat, damit dieser Thatbestand nicht zutreffe.
Die Mahnung hat hier eine gewisse Verwandtschaft mit der
soeben besprochenen zweiten Art von Erlaubnis. Sie ist kein Ver-
waltungsakt, bedarf keiner gesetzlichen Grundlage, geht nicht not-
wendig aus von einer Polizeibehörde, nicht einmal notwendig von einem
öffentlichen Beamten überhaupt. Der Rechtssatz kann zur Erfüllung
6
[317]§ 22. Die Polizeistrafe.
seiner Bedingung auch die Thatsache der Mahnung durch einen be-
teiligten anderen Unterthanen genügen lassen7.
Dafür bedeutet aber auch die Mahnung nichts mehr als die Be-
seitigung der Bedingung, welche der Strafrechtssatz sich selbst gesetzt
hat; dieser gelangt nun zur Wirkung, als wäre die Bedingung nicht
gewesen. Die Mahnung hat keine selbständig bindende Kraft, mit
der sie das Pflichtverhältnis rechtlich bestimmte.
Äuſserlich sieht es oft gerade so aus, als wäre ein Einzelbefehl
ergangen auf Grund des Gesetzes und sollte nun gestraft werden
wegen Ungehorsams gegen diesen. Für das Gericht, das über die
Strafbarkeit zu erkennen hat, macht das aber einen groſsen Unter-
schied. War es ein Befehl, so prüft es nur, ob die Behörde dazu
befugt war; ob die geforderte Handlung zweckmäſsig und notwendig
war, bleibt auſser Frage. War es eine Mahnung, so prüft es, ob aus
dem Rechtssatz unmittelbar die Pflicht zur Handlung entstand, ob sie
also nach den den Rechtssatz beherrschenden Absichten der Zweck-
mäſsigkeit und Notwendigkeit gefordert war; auf die in der Mahnung
geäuſserte Ansicht darüber kommt es nicht weiter an.
Wenn der Rechtssatz, wie häufig der Fall ist, für die Strafbar-
keit voraussetzt eine „polizeiliche Aufforderung“ oder eine „Aufforderung
der zuständigen Behörde“, so kann dem sowohl ein Befehl als eine
Mahnung genügen. Was es in Wirklichkeit sein wird, das hängt von
dem sonstigen Stande des Rechts ab, welches entweder polizeiliche
Einzelbefehle ermächtigt, oder solchen grundsätzlich abhold ist (oben
§ 20 Note 4).
Wo ein Reichsgesetz sich in dieser Fassung ausdrückt, können
bei seiner Anwendung in den einzelnen Rechtsgebieten für den prüfenden
Strafrichter bedeutsame Verschiedenheiten entstehen, indem er je
nachdem bald nur mit einer Mahnung, bald mit einem Einzelbefehl
zu thun hat8.
[318]Die Polizeigewalt.
III. Die Verhängung der Polizeistrafe ist streng ge-
bunden an den Polizeistrafrechtssatz. Sie besteht lediglich in dessen
Anwendung auf den Einzelfall: die Behörde ermiſst, ob der vor-
liegende Thatbestand unter seine Regel fällt und welches Strafmaſs
er dafür gewollt hat. Ihr Ausspruch ist eine Entscheidung. Dieser
Ausspruch geschieht ordentlicherweise durch die gemeinen Strafgerichte
in den Formen des Strafprozesses und wird vollstreckt nach dessen
Regeln.
Da ist nun nicht zu verkennen, daſs der Richter bei der Beur-
teilung der Strafthat wesentlich anders verfährt beim Polizeidelikt
8
[319]§ 22. Die Polizeistrafe.
als beim gemeinen Delikt. Man hat das in verschiedener Weise zum
Ausdruck zu bringen gesucht, als gröſsere Strenge des Polizeistraf-
rechtssatzes, formale Natur des Polizeidelikts, objektiver Maſsstab
u. dergl. Das Polizeidelikt steht aber in dieser Beziehung nicht allein.
Es ist nur ein Glied in der groſsen Familie der Verwaltungs-
delikte, die überall ähnliche Erscheinungen aufweisen. Finanz-
delikte, strafbare Nichterfüllung von Dienstpflichten und Lasten, Nicht-
benutzung öffentlicher Anstalten werden uns noch beschäftigen. Die
jeweilige verwaltungsrechtliche Grundlage giebt ihnen durchweg ihre
besondere Art. Beim Polizeidelikt ist es die polizeirechtliche9.
Die Polizeistrafe ist gesetzt auf eine Polizeiwidrigkeit, eine
Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens aus dem Einzeldasein.
Das Gesetz greift die wichtig scheinenden Störungen heraus oder läſst
sie herausgreifen durch die Behörden, um die Strafe daran zu knüpfen,
unmittelbar oder durch Vermittlung des Ungehorsams gegen einen
vorausgehenden Befehl. Störungen der guten Ordnung zu vermeiden,
ist eine allgemeine Pflicht, die als selbstverständlich vorausgesetzt
wird. Die Verletzung dieser Pflicht ist die ethische Grundlage der
Polizeistrafe10. Die Verletzung der Pflicht ist nur strafbar, insofern
[320]Die Polizeigewalt.
sie ein Verschulden des Pflichtigen enthält. Es giebt keine Polizei-
strafe ohne Verschulden; darin steht sie der gemeinen Strafe gleich.
Aber das Verschulden liegt eben schon darin, daſs der Pflichtige nicht
ausreichend dafür gesorgt hat, seine Pflicht zu erfüllen. Und was in
dieser Beziehung von ihm gefordert wird, ist so umfassend und un-
bedingt, daſs im ordentlichen Gang der Dinge immer, wenn er seine
Schuldigkeit gethan hat, auch das Ergebnis erreicht sein muſs,
auf welches die Pflicht abzielt. Deshalb wird allerdings die
bloſse äuſserliche Thatsache, daſs dieses Ziel der Pflicht nicht erreicht,
die Störung nicht vermieden, das zu ihrer Verhinderung Geforderte
nicht geschehen ist, genügen, um die strafbare Pflichtverletzung dar-
zustellen. Das ist es, was der Polizeistrafe den Eindruck der gröſsern
Strenge giebt gegenüber dem gemeinen Strafrecht.
Manchmal sieht es so aus, als würde eine strafrechtliche Haftung
für Andere aufgestellt: der Gastwirt, der Dienstherr hat die Melde-
pflicht für den beherbergten Gast, den angestellten Dienstboten; er
schickt seinen Knecht mit der Meldung und dieser vergiſst den
Auftrag; der Knecht ist straflos, der Herr wird bestraft. Man könnte
auch geradezu von einem Verantwortlichmachen für den Zufall
reden: der Hund schlüpft auf die Straſse durch die vom Sturme
aufgerissene Hofthüre; der Hundebesitzer ist straffällig wegen Frei-
herumlaufenlassens seines Tieres. Oder von einer Strafe wegen
mangelnder Kraft und Geschicklichkeit: dem Vergnügungs-
reiter geht trotz all seines Widerstrebens das Pferd durch; er ver-
fällt der Strafe wegen zu schnellen Reitens.
Derartige Fälle hat man im Auge, wenn man aufstellt, das
Polizeidelikt setze überhaupt keine Schuld voraus, die Begriffe von
dolus und culpa seien hier gleichgültig und alles hinge nur an dem
objektiven Thatbestand der nichterfüllten Pflicht, der Nicht-
leistung des Geforderten11. Allein das erklärt sich alles daraus, daſs
10
[321]§ 22. Die Polizeistrafe.
hier überall nicht eine Schuld als voraussetzungslos erscheinende
schlechte Gesinnung in Frage ist, sondern eine Schuld in Ver-
säumnis der Erfüllung einer Pflicht, die aus der Zugehörig-
keit zum Gemeinwesen von selbst sich ergiebt. Zur Erfüllung dieser
Pflicht wird eine gewisse Kraftentwicklung geschuldet, welche das
polizeimäſsige Verhalten in jedem Unternehmen sichert, und zwar
nicht bloſs dem guten Willen, sondern auch der Fähigkeit nach. Wer
nicht imstande ist, seine Diener und Gehülfen in der Hand zu haben,
fange kein Unternehmen an, bei welchem er polizeiliche Pflichten
durch solche zu erfüllen hat; wer seinen Hof nicht unbedingt ge-
schlossen halten kann, ist schon dadurch im Verschulden, daſs er in
diesem Hof das Tier frei laufen läſst; wer seines Pferdes nicht Meister
ist, ist in Schuld gegenüber der guten Ordnung des Gemeinwesens,
sobald er sich darauf setzt. Im Besitz eines Anwesens, eines Betriebes,
eines Tieres, im Unternehmen selbst, das man nicht polizeilich zu
führen imstande ist, liegt die Schuld, die strafbar macht, sobald nun
dabei eine Polizeiwidrigkeit sich thatsächlich ergiebt12.
Daraus erklärt sich, daſs die äuſsere Thatsache des polizei-
widrigen Verhaltens für sich allein schon genügt, ein Verschulden in
Nichterfüllung der polizeilichen Pflicht darzuthun, welche durch die
Strafe geschützt ist. Es bedarf dann besonderer Gründe, welche
die Annahme eines Verschuldens ausschlieſsen, wenn Straflosigkeit ein-
treten soll. Daſs aber solche Gründe anerkannt sind, ist eben ein
Beweis, daſs auch die Polizeistrafe Verschulden voraussetzt.
Sie sind zweierlei Art; wir mögen sie als Entlastungsgründe
und als Strafausschlieſsungsgründe unterscheiden.
1. Die äuſsere Thatsache, daſs das Ergebnis nicht so ist, wie es
bei Erfüllung seiner Pflicht sein sollte, belastet den Pflichtigen nur
dann, wenn es an ihm lag, daſs das geschah. Das ist der Fall,
wenn er es irgendwie an der Kraftentwicklung hat fehlen lassen,
welche die polizeiliche Pflicht von ihm forderte. Das ist aber nicht
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 21
[322]Die Polizeigewalt.
der Fall, wenn von seiner Seite alles geschehen ist, was zur Erfüllung
der Pflicht von da aus geschehen konnte, und die Erfüllung gleich-
wohl miſslang. Den Maſsstab giebt derjenige Aufwand von Kraft und
Geschicklichkeit, welcher einem guten polizeimäſsigen Bürger zugemutet
werden darf.
Ob das geleistet ist oder nicht, muſs sich aus dem ganzen Zu-
sammenhang des Vorganges ergeben. Man ist zu rasch geritten; aber
das Pferd war durch Steinwürfe gereizt und auch von einem guten
Reiter nicht davon abzuhalten, daſs es eine Strecke weit durchging.
Die vorgeschriebene Warnungslaterne an der Baustätte brannte nicht;
aber sie war vom Sturm gelöscht und alsbald wieder angezündet
worden, die polizeiwidrige Unbeleuchtetheit bestand nur während einer
kurzen unvermeidlichen Pause. Der Wagen fuhr ohne Hemmung zu
Thal; aber die Sperrkette war gleich bei Beginn der Straſsensenkung
gebrochen, ohne daſs ein ordentlicher Wagenführer die Schadhaftigkeit
ihr vorher ansehen konnte. In all diesen Fällen ist der äuſsere That-
bestand des Deliktes gegeben; die weiteren Feststellungen haben ihre
Bedeutung nur für den inneren Thatbestand, für die auch hier in
Betracht kommende Frage des Verschuldens.
Immer kommt es darauf an, durch die näheren Umstände dar-
zuthun, daſs die erfolgreiche Erfüllung der Pflicht vereitelt worden
ist ohne Schuld des Pflichtigen. Dessen Sache ist es, sie zu behaupten
und zu beweisen; er führt damit den Entlastungsbeweis gegen-
über der Belastung, welche die thatsächliche Polizeiwidrigkeit für ihn
schafft. Das beruht nicht auf einer Präsumtion der Schuld, welche
das Gesetz an jene Thatsache knüpfte, sondern ergiebt sich von selbst
als die natürliche Gestaltung der Sache aus dem Zusammentreffen der
tiefgreifenden und umfassenden Pflicht mit dem ihr widersprechenden
Erfolge13.
2. Die Schuld setzt auch voraus, daſs in dem strafbaren Ver-
halten eine gewisse Fehlerhaftigkeit des Willens zum Ausdruck
komme. Diese Fehlerhaftigkeit ist aber für die Polizeistrafe in ge-
[323]§ 22. Die Polizeistrafe.
nügender Weise schon damit erwiesen, daſs die Kraftentwicklung
unterblieben ist, welche gefordert war, um die Pflicht zu erfüllen14.
Deshalb läuft auch diese Seite der Schuldfrage auf einen Gegen-
beweis hinaus, auf den Nachweis von Strafausschlieſsungs-
gründen. Was das gemeine Strafrecht als solche anerkennt, das
hat es anerkennen wollen für alle Strafsachen, die vor den ordent-
lichen Gerichten zu verhandeln sind. Die Bestimmungen des Stf.G.B.
über Unzurechnungsfähigkeit, Irrtum, Drohung, Notwehr, Notstand
gelten demgemäſs auch hier15. Ihre Anwendbarkeit ist aber selbst-
verständlich bedingt durch den Spielraum, welchen die eigentümliche
Natur des Polizeideliktes dafür offen läſst.
Das gilt ganz insbesondere von dem Strafausschlieſsungsgrunde
des Irrtums.
Das gemeine Strafrecht weist für diesen schon den Unterschied
auf zwischen absichtlichem und fahrlässigem Vergehen; bei letzterem
wirkt der Irrtum strafausschlieſsend nur, wenn er entschuldbar ist,
d. h. nicht selbst auf Fahrlässigkeit beruht (Stf.G.B. § 59 Abs. 2).
Beim Polizeidelikt kann dementsprechend der Irrtum nur soweit an-
gerufen werden, als er nicht selbst die Folge einer Nichterfüllung der
polizeilichen Pflicht ist. Nun enthält aber jede polizeiliche Pflicht
zugleich die Forderung, daſs der Pflichtige die geeigneten Maſsregeln
treffe, um sich in den Stand zu setzen, sie richtig zu erfüllen, ins-
besondere auch um sich in fortwährender Kenntnis zu halten von
allem, was ihm dabei zu wissen not thut. Sie ist in dieser Beziehung
so streng wie eine „besondere Berufspflicht“.
Nach polizeilichen Grundsätzen entschuldigt daher der Irrtum
nicht nur dann nicht, wenn er auf leichtfertigem, unbedachtem, fahr-
lässigem Verhalten beruht, sondern es genügt, um ihn unentschuldbar
zu machen, daſs es thatsächlich an dem Pflichtigen selbst lag, wenn
er die Kenntnis nicht hatte.
Er war verreist oder hat sich sonst in tadelfreier Weise in die
Lage versetzt, daſs ihm die Erkenntnis der Thatsachen erschwert oder
21*
[324]Die Polizeigewalt.
unmöglich wird, welche es erforderlich machten, daſs er thätig werde
zur Erfüllung seiner Pflicht16.
Er hat sich auf andere verlassen, die er zur Erfüllung der ihm
obliegenden Pflicht anstellt, und glaubt alles wohl besorgt17.
Er hat genauere Nachforschungen und Prüfungen unterlassen,
weil der äuſsere Anschein unverfänglich war18.
Der Irrtum ist überall menschlich entschuldbar, aber polizei-
rechtlich nicht; die polizeiliche Pflicht verlangt auch Auſserordent-
liches; wer den Sachen den Lauf läſst, wie man im gewöhnlichen
Leben thut, der trägt die Gefahr der Unkenntnis der Sachlage, in
welche er dadurch gerät. Da nun aber bei einer Kraftentfaltung,
wie sie dem Pflichtigen zugemutet wird, die Wirklichkeit nicht leicht
[325]§ 22. Die Polizeistrafe.
unerkannt bleibt — und das soll sie ja eben nicht — so läuft that-
sächlich die Sache darauf hinaus, daſs ein Irrtum nur so vorkommt,
daſs zugleich irgend etwas verabsäumt, folglich der Irrtum nicht ent-
schuldbar ist.
Entschuldbar wird der Irrtum, von besonderen Zwischenfällen
abgesehen, nur dann sein, wenn die Erkenntnis der Wirklichkeit ein
besonderes technisches Können und besondere Hülfsmittel verlangt,
die nicht zu der ordentlichen Ausrüstung des Mannes für polizei-
mäſsige Lebenshaltung gerechnet werden19.
Das gilt vor allem von der Fähigkeit zur richtigen Beurteilung
von Rechtsfragen. Zwar die Kenntnis des für die verletzte Pflicht
maſsgebenden Polizeirechtssatzes und das richtige Verständnis des-
selben wird nach allgemeinen Grundsätzen unbedingt zugemutet20.
Aber die Polizeiwidrigkeit einer Handlung kann unter Umständen
abhängen von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines besonderen
Rechtsverhältnisses, von der Art, wie Rechtssätze, Rechtsgeschäfte,
Verwaltungsakte und sonstige juristische Thatsachen im Einzelfalle
wirksam geworden sind. Waltet darüber ein Irrtum ob, so wird
leichter angenommen, daſs dieser mit der pflichtgemäſsen Kraftanstrengung
nicht zu beseitigen war. Dadurch kommen wir zu der auf den ersten
Blick vielleicht etwas befremdenden Erscheinung, daſs unter den Fällen,
in welchen die Rechtsübung den Irrtum beim Polizeidelikt als Straf-
[326]Die Polizeigewalt.
ausschlieſsungsgrund anerkennt, die Fälle der unrichtigen Würdigung
eines Rechtsverhältnisses eine hervorragende Rolle spielen21.
§ 23.
Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.
Unter Polizeizwang verstehen wir die Anwendung obrig-
keitlicher Machtmittel zur Durchführung der polizei-
lichen Pflicht. Solche Machtmittel besitzt die öffentliche Gewalt
dem Unterthanen gegenüber unbegrenzt; inwiefern davon in rechtlich-
zulässiger Weise Gebrauch gemacht werden kann, bestimmt sich nach
den Ordnungen des Verfassungs- und Rechtsstaates.
Unter Umständen wird die überwältigende Einwirkung der obrig-
keitlichen Macht ohne weiteres losgelassen gegen die Polizeiwidrig-
keit; das giebt die Fälle des unmittelbaren Zwangs; davon
unten § 24.
Daneben findet sich, dem Grundgedanken des Rechtsstaates ent-
sprechend, eine polizeiliche Zwangsvollstreckung ausge-
bildet, welche den Formen der Civilrechtspflege sich möglichst an-
schlieſst.
Die polizeiliche Zwangsvollstreckung ist das geordnete Ver-
fahren zur Durchführung eines nicht befolgten Polizei-
befehls1. Der Polizeibefehl ist für sie, was für die civilprozeſs-
[327]§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.
rechtliche Zwangsvollstreckung das Urteil. Er ist daher notwendig
Einzelbefehl. Soll ein Befehl, welcher in einem Rechtssatze ent-
halten ist, zwangsweise durchgeführt werden, so wird behufs Über-
gangs in das Zwangsvollstreckungsverfahren diese Verpflichtung auf
Grund des Rechtssatzes in einem Einzelbefehle dem Unterthanen be-
sonders erklärt und ausgesprochen2.
Der Polizeibefehl ist nicht die Anordnung und Verhängung von
Zwangsmaſsregeln, so wenig wie seinem Wesen nach das civilgericht-
liche Urteil. Er sagt wie dieses nur, was sein soll, giebt den voll-
streckbaren Titel her, und die Zwangsvollstreckung bietet dann
zur Durchführung dieses Sollens ihre verschiedenen Mittel. Ein-
leitende Anordnungen dafür können mit dem Befehl wie mit dem
Urteil sofort schon äuſserlich verbunden werden.
Die Mittel der Zwangsvollstreckung sind allenthalben durch
neuere Gesetze geordnet. Sie sind im wesentlichen die der C.Pr.O.
für Erzwingung von Handlungen und Unterlassungen: Ungehorsams-
strafen, Vornahme der schuldigen Handlung auf Kosten des Schuldners
(Ersatzvornahme) und einfache Gewaltanwendung.
Zur richtigen Beurteilung dieser gesetzlichen Bestimmungen und
namentlich zur Ergänzung ihrer Lücken ist aber notwendig, den
grundsätzlichen Standpunkt festzuhalten, von welchem diese Zwangs-
vollstreckung, im Gegensatz zur civilprozessualen, auszugehen hat.
Die Polizei, d.h. die Verwaltungsbehörde ist nicht die Partei, welche
das Gericht und seine Vollstreckungsbeamten um Hülfe angeht. Ihr Be-
fehl ist keine Anforderung eines Privaten an seinen Schuldner, sondern
obrigkeitlicher Akt. Seine Durchführung im Zwangswege ist selbst-
verständlich, die Behörde setzt ihn aus eigener Macht ins Werk
1
[328]Die Polizeigewalt.
mit den ihr zu Gebote stehenden Hülfskräften. Zwang und Gewalt,
die nur dazu geübt werden, bedürfen keiner neuen gesetzlichen
Grundlage. Die Frage nach dieser ist bereits erledigt mit der Frage
nach der Rechtsgültigkeit des Befehles selbst, der Zwang ist nur die
Folge davon. Ebenso sind alle weiteren Entscheidungen und Fest-
stellungen, die nur in der geraden Fortsetzung des Befehles
liegen, von selbst rechtsgültig und wirksam. Ausdrückliche gesetz-
liche Bestimmungen mögen sie ordnen und beschränken, notwendig
sind sie nicht.
Eine besondere gesetzliche Grundlage wird erst notwendig, wenn
dem Gehorsamspflichtigen als Folge seines Ungehorsams mehr oder
anderes auferlegt werden soll, als in seiner Gehorsamspflicht ent-
halten ist, vor allem dann, wenn der Zwang die Natur einer Strafe
annimmt. Ohne solche Zuthaten kommt aber allerdings die polizei-
liche Zwangsvollstreckung nicht aus, und deshalb wird die Frage nach
der gesetzlichen Grundlage so bedeutsam.
Die Grenzlinie des Selbstverständlichen und des vom Gesetze
Abhängigen überall zu bestimmen, ist eine der wichtigsten Aufgaben
der Lehre von der polizeilichen Zwangsvollstreckung3.
I. Die Ungehorsamsstrafe ist ein dem Unterthanen
aufzulegendes Übel, dessen Anwendung der Behörde
zur Verfügung steht zum Zweck der Erzwingung des
Gehorsams gegen einen von ihr erlassenen Einzel-
befehl. Sie ist Strafe, insofern sie dem allgemeinen Begriffe ent-
spricht eines obrigkeitlich zugefügten Übels wegen miſsbilligten Ver-
haltens; das miſsbilligte Verhalten, das hier vorausgesetzt wird, ist
immer der Ungehorsam gegen den Einzelbefehl. Daher ihr Name4.
Sie trifft aber auch den Ungehorsam nicht wie die Polizeistrafe
deshalb, weil er stattgefunden hat, sondern damit er nicht fortdauere;
sie ist nicht auf einen allgemeinen Zweck der Sühne, auf die Ein-
[329]§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.
schärfung der verletzten Pflichten für jedermann gerichtet, sondern
einzig auf die Erfüllung dieser im gegebenen Fall verletzten Pflicht;
sie ist Zwangsmittel5.
Daraus, daſs sie die Natur des Zwangsmittels hat, ergeben sich
ihre besonderen Regeln in allen Einzelheiten; sie unterscheidet sich
damit von allen anderen Strafen. Insbesondere ist sie keine Strafe
in dem Sinne des Reichsstrafgesetzbuches. Die Bestimmungen des
E.G. zu Stf.G.B. § 5 und 6, welche die landesgesetzlich anzudrohen-
den Strafen nach Art und Maſs beschränken, finden auf sie keine
Anwendung6.
1. Die Ungehorsamsstrafe bedarf einer eigenen gesetzlichen
Grundlage. Sie teilt nicht einfach diejenige, auf welcher der Be-
fehl steht. Denn wenn sie auch dem Befehle und seiner Durch-
führung dient, so thut sie es doch in der Weise, daſs sie dem Unter-
thanen eine Last auflegt, die nicht im Befehl selbst schon begriffen
ist. Dieses Andere, womit sie zum Gehorsam gegen den Befehl
drängen will, ist ein neuer, durch den Ungehorsam nur veranlaſster,
aber nicht von selbst begründeter Eingriff in Freiheit und Eigentum,
der nach den Grundsätzen des Verfassungsstaates nur auf Grund
einer gesetzlichen Ermächtigung geschehen kann. Daſs sie von jeher
üblich, frühzeitig schon als ein selbstverständliches Machtmittel des
höheren Amtes angesehen war, kann dafür nichts ausmachen. Ge-
wohnheitsrecht hat der Polizeistaat in solchen Sachen weder erzeugt,
noch stehen lassen. Nur wenn eine allgemeine Anordnung dafür er-
[330]Die Polizeigewalt.
gangen wäre, geeignet, als Gesetz im neuen Sinne übernommen zu
werden (oben § 10 n. 1), würde sie die erforderliche Grundlage jetzt
noch abgeben können.
Das geschichtlich Hergebrachte wirkte aber allerdings als Beweg-
grund für unsere neue Gesetzgebung dahin, daſs sie die Ungehorsams-
strafe in sehr umfassender Weise zulieſs. Grundsätzlich ist sie jedem
gesetzmäſsigen Befehle der Polizeibehörden zur Seite gestellt. Die
Abgrenzung ist nur verneinend zu formulieren: die Ungehorsamsstrafe
gilt für alle Fälle obrigkeitlichen Befehls, für die sie nicht aus-
geschlossen ist, ausdrücklich oder durch anderweite Ordnung des
Zwanges7.
Das Gesetz bestimmt die Strafen der Art nach meist als Geld-
buſsen unter Festsetzung eines Höchstbetrages8. Umwandlung
der verhängten Geldstrafe in Haft nach dem Vorbild des Stf.G.B. ist
nicht selbstverständlich, vielmehr ausgeschlossen, wo sie vom Gesetz
nicht besonders zugelassen ist9.
Der alte Zusammenhang der Ungehorsamsstrafe mit der Amts-
gewalt erweist sich auch hier insofern, als die Höhe der zulässigen
Strafen verschieden bemessen wird je nach dem Range, welchen die
befehlende und strafdrohende Behörde in der Stufenfolge der Be-
hördenordnung einnimmt: die untere Behörde hat ein geringeres
Strafmaſs zur Aufrechterhaltung ihrer Amtsgewalt zur Verfügung als
die obere10.
[331]§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.
2. Die Ungehorsamsstrafe ist bestimmt, als Zwangsmittel zu
dienen zur Überwindung des Ungehorsams gegen den obrigkeitlichen
Befehl. Sie steht deshalb für diesen Zweck der Behörde zur freien
Verfügung, im Gegensatz zur Polizeistrafe, und das ganze Ver-
fahren ist von diesem Gedanken beherrscht.
Die Strafe ist nicht rechtssatzmäſsig ein- für allemal angedroht
auf den Ungehorsam gegen obrigkeitliche Befehle. Die Behörde hat
selbst zu ermessen, ob sie im Einzelfall ihren Befehl mit diesem
Zwangsmittel ausrüsten will11. Dann droht sie durch Verwaltungsakt
die Strafe an für den Fall des Ungehorsams. Sie kann diesen Akt
sofort mit ihrem Befehle verbinden. Sie kann ihn auch in einem
selbständigen Akt unter Hinweis auf jenen und unter Wiederholung
desselben ergehen lassen. Immer ist diese Verfügung kundzugeben
nach den Regeln der Kundgabe des Polizeibefehls. Doch finden sich
gerade für diesen Fall noch am ersten die sonst so selten bestehenden
Formvorschriften; namentlich schriftliche Behändigung ist manchmal
gesetzlich vorgesehen.
Die kundgegebene Androhung begründet für den Betroffenen den
rechtlichen Zustand einer bedingten Strafbarkeit; die Be-
dingung ist beim Verbote das Zuwiderhandeln schlechthin, beim
Gebote das Nichtbefolgen innerhalb einer bestimmten Frist, die
entweder eine natürlich gegebene oder eine ausdrücklich gesteckte ist.
Mit dem Eintritt des Ungehorsams in der einen oder anderen
Gestalt wird die bedingte Strafbarkeit frei; die Behörde ist befugt,
die Strafe zu verhängen. Zum Ungehorsam genügt nicht der
äuſserliche Widerspruch mit dem Befehl; wie bei jeder Strafe ist auch
hier eine Schuld vorausgesetzt. Ob diese vorliegt, ist nach den näm-
lichen Grundsätzen zu beurteilen, welche bei der Polizeistrafe gelten:
Entlastungsgründe und Strafausschlieſsungsgründe kommen hier in der
gleichen Weise in Betracht (oben § 22, III)12.
[332]Die Polizeigewalt.
Allein die Natur dieser Strafe als eines Zwangsmittels kommt
auch bei ihrer Verhängung noch zur Geltung, in doppelter Weise.
Einmal steht auch die Verhängung der Strafe zur Verfügung der
Behörde. Die Strafe wird nicht verwirkt durch den Ungehorsam, wie
die gemeine oder die Polizeistrafe, derart daſs die Behörde nach den
Grundsätzen der Vollziehung gebunden wäre, auszusprechen, was nun-
mehr gemäſs der geschehenen Androhung Rechtens ist. Es steht viel-
mehr in ihrem freien Ermessen, ob sie es für zweckmäſsig hält, mit
dem Zwang weiter vorzugehen. Thatsächlich wird es sich empfehlen,
daſs die Behörde nicht den Schein auf sich lade, als mache sie leere
Drohungen; im Falle die Drohung erfolglos geblieben ist, wird meist
auch die Strafe verhängt werden. Und zwar wird ohne weiteres auch
das angedrohte Maſs es sein, auf welches nun die Strafe festgesetzt
wird. Allein die Behörde kann anderer Meinung geworden sein, so
daſs sie auf die Erzwingung ihres Befehles kein Gewicht mehr legt,
oder es haben sich ihr andere Wege eröffnet, um das Ziel zu er-
reichen; dann mag sie von einer Verfügung der Strafe ganz absehen.
Sie kann auch glauben, schon mit einem geringeren Druck zum Ziele
zu kommen; dann mag sie eine geringere als die angedrohte Strafe
verfügen und das Weitere sich aufsparen13.
Ferner aber: auch nach erfüllter Bedingung, also trotz des an
den Tag getretenen Ungehorsams, kann die Strafe nicht mehr ver-
hängt werden, wenn, bevor es geschieht, ihr Zweck als Zwangs-
mittel entfällt. Die schuldige Leistung ist vielleicht nachträglich
doch noch gemacht worden, nachdem die Frist verstrichen und nach
Grundsätzen des reinen Strafrechts die Strafe verwirkt gewesen wäre:
die Ungehorsamsstrafe ist in solchem Falle nicht mehr am Platze, sie
darf nicht ausgesprochen werden. Dem steht es gleich, wenn die
Erfüllung der befohlenen Pflicht inzwischen ganz unmöglich geworden
ist; da „ist nichts mehr zu erzwingen“ und mit ihrem Zweck verliert
12
[333]§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.
die Ungehorsamsstrafe ihr Recht. Die Verhängung hat zu unter-
bleiben14.
Die einmal ausgesprochene Strafe schafft ein neues
Rechtsverhältnis des Verurteilten, welches der freien Verfügung der
Behörde nicht mehr unterliegt; sie hat kein Begnadigungsrecht. Die
Geldstrafe bildet den Gegenstand eines Forderungsrechtes des Staates,
auf welches sie nicht verzichten kann; sie wird im administrativen
Zwangsbeitreibungsverfahren vollstreckt. Die etwa erkannte Haft geht
über in die entsprechenden Formen des Strafvollzugs. —
Aber damit ist die Sache noch nicht erledigt. Wenn die Zu-
widerhandlung gegen das Verbot fortdauert, dem Gebote immer
noch nicht genügt wird, steht die Strafe nach ihrer Natur als Zwangs-
mittel der Behörde noch weiter zur Verfügung. Daſs der Thatbestand,
gegen welchen sie sich wendet, einfach der gleiche ist, der nur fort-
dauert, hindert nicht; der Satz ne bis in idem gilt für sie nicht. Die
Strafe kann von neuem angedroht werden für den nämlichen Befehl
und wegen des nämlichen Ungehorsamsfalles, weshalb der Straf-
ausspruch soeben erfolgt ist. Die neue Androhung geschieht gleich-
zeitig mit der Verhängung der verwirkten Strafe oder nachher. Es
ist dem Zwecke widersprechend und deshalb unzulässig, mehrmalige
Androhungen zusammenzusparen und schlieſslich mit einem Male die
Strafen daraus zu verhängen. Denn die Kundgabe der verwirkten
Strafe soll jedesmal die Kraft der neuen Androhung verstärken;
die Verhängung ist, wie erwähnt, selbst als ein Mittel zur Brechung
des Ungehorsams gedacht und muſs als solches gebraucht werden15.
Die Wiederholung der Strafandrohung und Strafverhängung kann
so lange fortgesetzt werden, bis der Zweck erledigt oder aber die
Grenze des der Behörde im ganzen zur Verfügung stehenden Straf-
[334]Die Polizeigewalt.
maſses erreicht ist. In dieser Beziehung kommt es darauf an, wie
das Gesetz die zulässige Grenze bestimmt hat: sie kann für die ein-
zelne Strafandrohung gemeint sein, dann ist die Wiederholung un-
beschränkt; sie kann aber auch einen höchsten Gesamtbetrag aller
für den einzelnen Ungehorsamsfall zulässigen Strafen bedeuten, dann
muſs die Behörde sich danach einrichten und wird regelmäſsig nicht
gleich das erste Mal an die äuſserste Grenze gehen, um sich die
Möglichkeit eines weiteren Druckes offen zu halten16.
3. Die Ungehorsamsstrafe findet noch eine besondere Schranke
ihrer Zulässigkeit in dem Zusammentreffen mit einer rechts-
satzmäſsig angedrohten Strafe. Sie selbst ist ihrer Natur nach
dem Satz ne bis in idem nicht unterworfen. Sie würde auch, einmal
erkannt und vollstreckt, die rechtssatzmäſsige gemeine oder Polizei-
strafe für dieselbe That nicht hindern. Aber sie ist ihrerseits aus-
geschlossen, wo für den Thatbestand, den sie treffen soll, rechtssatz-
mäſsig eine Strafe gedroht ist.
Das hängt zusammen mit den allgemeinen Grundsätzen über die
bindende Kraft des Rechtssatzes für die vollziehende Gewalt (oben § 7).
Es wirkt wieder der Gedankengang, der uns oben § 21 II n. 2 bei der
Polizeierlaubnis begegnete. Wenn der Rechtssatz auf einen Thatbestand
eine bestimmte Strafe gesetzt hat, so hat er sich dieser Materie be-
mächtigt; die vollziehende Gewalt kann hierfür Strafe verhängen nur
nach Maſsgabe seiner Bestimmungen. Die Ungehorsamsstrafe ist aber
gleichfalls Strafe trotz ihrer besonderen Natur und deshalb durch die
Alleinherrschaft des Rechtssatzes ausgeschlossen.
Dieses Zwangsmittel kann also nicht verwendet werden zur Er-
zwingung des Gegenteils eines durch das Gesetz mit Strafe bedrohten
Verhaltens, insbesondere auch nicht, wenn es zur Verstärkung einer
Polizeistrafe dienen würde. Die Versuchung dazu liegt im letzteren
Falle nahe. Denn es handelt sich da immer um eine Polizeiwidrig-
keit, welcher die Behörde möglicherweise auf Grund ihrer allgemeinen
Ermächtigungen mit Befehl und Zwang entgegentreten könnte. Aber
die Schranke wird allgemein anerkannt; wo das Gesetz sie nicht aus-
drücklich erwähnt, entnimmt sie die Rechtsübung aus der Natur
der Sache17.
[335]§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.
Die Grenze, wie weit diese ausschlieſsende Kraft des Polizei-
strafrechtssatzes reicht, bedarf einer genaueren Feststellung. Der
Rechtssatz nimmt jedenfalls den ganzen von ihm bezeichneten — oder
was gleichsteht: durch den Befehl, an dessen Nichtbefolgung er an-
knüpft, bezeichneten (oben § 22, I n. 2) — Thatbestand für sich in
Anspruch. Damit also die Ungehorsamsstrafe zulässig wird, muſs sie
einen selbständigen Thatbestand daneben finden.
Ausgeschlossen ist sie unbedingt für den Zwang, der von der
Behörde geübt werden mag zur Verhinderung der entstehenden
Polizeiwidrigkeit, die zugleich das Delikt wäre18.
Desgleichen kann sie aber auch nicht verwendet werden, um die
Wiederholung oder Fortsetzung des Deliktes zu hindern.
Solches fällt entweder unter eine neue Polizeistrafe oder ist mit der
einmal verwirkten, für die Strafzufügung wenigstens, abgethan. Ins-
besondere gilt das dann, wenn es sich um die Erfüllung der Pflicht
zu einem Thun handelt und die Polizeistrafe auf die Unterlassung
gesetzt ist. Hier ist es denkbar, daſs eine neue Pflicht entsteht, so
namentlich bei periodisch wiederkehrenden Leistungen: die neue Nicht-
erfüllung führt alsdann zu einer neuen Strafbarkeit dem Strafrechts-
satze gemäſs, und die Ungehorsamsstrafe ist eben dadurch aus-
geschlossen. Oder es handelt sich einfach um die alte Pflicht, welche
fortgesetzt unerfüllt gelassen wird, ohne daſs deshalb der Polizeistraf-
17
[336]Die Polizeigewalt.
rechtssatz noch einmal wirken will; dann kann dieser auch nicht
durch eine Wiederholung des Befehles noch einmal wirksam gemacht
werden und ebenso wenig kann die Ungehorsamsstrafe jetzt treffen,
was er schon mit Strafe getroffen hat und nicht zum zweitenmale ge-
troffen haben will19.
Die Ungehorsamsstrafe kann nur an solche Thatbestände an-
knüpfen, welche das Delikt nicht selbst darbieten, wenn
sie auch mit ihm in Zusammenhang stehen. Es werden Handlungen
vorgenommen, Einrichtungen getroffen, welche selbst nicht strafbar
sind, aber das Delikt erleichtern und vorbereiten und dabei ihrerseits
schon eine Polizeiwidrigkeit vorstellen. Oder, was der wichtigste Fall
ist: das Delikt hat Zustände geschaffen, äuſsere Spuren zurück-
gelassen, welche beseitigt werden müssen als Störungen der guten
Ordnung, ohne daſs sie selbst die fortgesetzte Verübung des Deliktes
enthielten. Wenn die Polizeibehörde mit Befehl und Zwang gegen
solche Dinge vorgeht, so steht ihr auch die Ungehorsamsstrafe zur
Verfügung. Sie trifft damit immer einen Thatbestand von Pflichten
und Nichterfüllung derselben, dessen Strafbarkeit der Strafrechtssatz
nicht erledigen wollte20.
II. Das deutsche Civilprozeſsrecht giebt eine besondere Form der
Zwangsvollstreckung für den Fall, daſs es auf die Erzwingung der
Vornahme einer Handlung ankommt, welche an Stelle des Schuldners
durch einen Dritten vorgenommen werden kann: der Gläubiger wird
[337]§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.
durch das Gericht ermächtigt, die Handlung auf Kosten des
Schuldners vornehmen zu lassen (C.Pr.O. § 773 ff.).
In das polizeiliche Zwangsvollstreckungsverfahren übersetzt, ge-
staltet sich dies zu der Befugnis der Behörde, ihren Befehl, welcher
auf eine derartige Handlung lautet, selbständig in dieser Weise zur
Durchführung zu bringen.
Für diese Zwangsersatzvornahme gelten folgende Regeln.
1. Die Ersatzvornahme bedarf keiner eigenen gesetz-
lichen Grundlage. Im Gegensatz zur Ungehorsamsstrafe legt sie
keine neue Last daneben auf, welche mittelbar zur Erfüllung der
Pflicht drängte, sondern setzt nur ins Werk, was auf Grund des Be-
fehles bereits geschuldet ist. Sie prägt die Schuld nur um gemäſs
den Notwendigkeiten des Zwanges: an die Stelle des einfachen Han-
delns, wie es freiwillig zu leisten wäre, setzt sie den Zwang zur Dul-
dung des Handelns und zum Ersatz der Kosten. Daſs das lästiger
und nachteiliger empfunden wird, als die eigene freiwillige Erfüllung,
liegt in der Natur des Zwanges überhaupt; die Fähigkeit, in den
Zwang einfach übergeführt zu werden, ist aber im obrigkeitlichen Be-
fehl von selbst enthalten.
Die neuere Gesetzgebung hat sich auch dieses Zwangsmittels be-
mächtigt und namentlich das Verfahren dafür geordnet. Soweit sie
es nicht besonders beschränkt hat, ist es innerhalb seines natürlichen
Gebietes zulässig auch ohne Gesetz21.
Es muſs sich also handeln um eine befohlene Thätigkeit, welche
statt des Pflichtigen auch durch einen Anderen verrichtet werden
kann. Den Hauptgegenstand bilden solche Fälle, wo ein äuſserer Zu-
stand von Sachen in Frage ist, der geändert werden soll: polizei-
widrige Bauten und Aufstapelungen sind zu entfernen, Schutzvor-
richtungen anzubringen, störende und schädliche Dinge zu verbessern;
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 22
[338]Die Polizeigewalt.
namentlich die übrig gebliebenen Spuren strafbarer Handlungen
werden in dieser Weise beseitigt.
Es kann sein, daſs zur Erreichung des Zweckes neben der Ersatz-
vornahme auch das erste Zwangsvollstreckungsmittel, die Ungehorsams-
strafe, möglich ist. Das Verhältnis zwischen beiden hat die Civil-
prozeſsordnung dahin geordnet, daſs in solchen Fällen die Ungehorsams-
strafe ausgeschlossen sein soll (C.Pr.O. § 774). Das Natürliche ist,
daſs alsdann die Behörde die Wahl hat zwischen beiden Mitteln, um
eines oder das andere oder auch beide nebeneinander anzuwenden.
Durch besondere Gesetzesbestimmungen kann auch die polizeiliche
Ersatzvornahme im Interesse des Betroffenen bevorzugt sein, so daſs
sie unter gewissen Voraussetzungen statt der späteren Ungehorsams-
strafe ausschlieſslich stattfinden soll22.
2. Das Verfahren geht aus von dem gehörig eröffneten Befehle,
die Handlung vorzunehmen. Die Einleitung geschieht durch die An-
drohung der Ersatzvornahme im Falle des Ungehorsams. Diese
Androhung kann nach gesetzlicher Vorschrift ausdrücklich gemacht
werden müssen; sie liegt aber möglicherweise auch schon genügend
enthalten in dem Befehle selbst, der seiner Natur nach geeignet ist,
so vollstreckt zu werden23.
Auch die Verstattung einer Frist zur Selbstvornahme des Be-
fohlenen kann vorgeschrieben sein; wo nicht, ergiebt sich die Be-
lassung einer solchen als ein Gebot der Natur der Sache. Mangels
einer Bezeichnung der Dauer ist die Frist eine „moralische“, d. h. von
der notdürftigen Dauer, um die Selbstvornahme noch zu ermöglichen.
[339]§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.
Der Zwang selbst entfaltet sich alsdann in doppelter Richtung.
Zunächst wird die Handlung an Stelle des Pflichtigen vorgenommen.
Die Behörde beauftragt dazu ihre Untergebenen oder nimmt die
Dienste anderer Leute dafür in Anspruch durch civilrechtliche Dienst-
miete oder Werkverdingung oder auch in öffentlichrechtlicher Form,
z. B. durch Requisition. Die Ausführung des Geschäftes braucht sich
äuſserlich in nichts unterscheiden von derartigen Arbeiten, die ein
Privatmann an seinen Sachen vornehmen läſst. Nur steht hinter diesen
die öffentliche Gewalt, deren Geschäfte hier besorgt werden, mit ihrer
ganzen Unwiderstehlichkeit, um nötigenfalls die Duldung zu er-
zwingen.
Der Zwang geschieht durch einfache Gewaltanwendung,
welche den Widerstand bricht und Störung der Arbeiten abwehrt.
Dazu bedarf es nicht der Umwege, welche der Civilprozeſs macht,
indem der Gläubiger erst den Gerichtsvollzieher hinzuruft und dieser
dann die polizeilichen Vollzugsbeamten. Die öffentliche Gewalt ist
unmittelbar beteiligt und ihre Polizeimannschaft erscheint entweder
von vornherein, um dem Vollzuge Assistenz zu leisten, oder wird bei
dem geringsten Zeichen von Widerstand formlos zugezogen. Über
die Gewaltanwendung selbst vgl. unten § 25.
Der Pflichtige ist alsdann schuldig, den durch die Ersatzvornahme
erwachsenen Aufwand zu erstatten. Die Schuld besteht nicht gegen-
über den verwendeten Arbeitern und Lieferanten; diese stehen nur
im Rechtsverhältnis zu dem, der sie beauftragt hat, zum Staate oder
zur Gemeinde, der die Polizeiverwaltung obliegt. Diese letzteren
haben den Ersatzanspruch. Der Anspruch ist kein civilrechtlicher,
wenn auch die Zahlungen, durch welche er begründet wird, civil-
rechtliche Kaufpreis-, Dienstlohn- oder Werkverdingungsforderungen
betrafen. Er hat insbesondere keine Verwandtschaft mit dem An-
spruch des negotiorum gestor gegen den dominus negotii, womit ihn
die ältere Auffassung gerne verglich. Die Erstattungspflicht hat viel-
mehr die rechtliche Natur der Kostenzahlungspflicht der
Partei im Civilprozeſs und zwar der Kostenzahlungspflicht
gegenüber dem Gericht, gegenüber der Staatskasse. Die Arbeitslöhne,
Preise von verwendeten Materialien und Sonstigem, die Entschädigungen
Dritter, welche etwa zu bezahlen waren, sind Kosten des Verfahrens
ähnlich den Zeugengebühren, welche das Gericht aus der Gerichts-
kasse zur Zahlung angewiesen hat und der Partei, welche sie ver-
anlaſste, in Rechnung stellt.
Dadurch bestimmt sich das Maſs der Zahlungspflicht. Es ist
nicht mehr an Kosten zu erstatten, als der Staat hat aufwenden
22*
[340]Die Polizeigewalt.
müssen zur Durchführung des Befohlenen, weil der Handlungspflichtige
dem Befehle nicht nachgekommen ist; nur das hat er „veranlaſst“24.
Der Betrag der Kosten wird durch einen Beschluſs der die Voll-
streckung leitenden Behörde gegen den Schuldner festgesetzt. Der
Kostenfestsetzungsbeschluſs spricht nur aus, was rechtlich
geschuldet ist; er hat die Natur einer Entscheidung. Er dient als
vollstreckbarer Titel für die Beitreibung im finanzrechtlichen Zwangs-
verfahren, in dessen Formen die Sache damit übergeht (unten § 32)25.
III. Das schärfste Zwangsmittel ist die Gewaltanwendung,
d. h. das überwältigende Anfassen des Körpers oder der Sachen des
zu Zwingenden. Sie steht der thatsächlichen Macht nach der Obrig-
keit immer sofort und ausreichend zur Verfügung. Thatsächlich wäre
sie auch am Ende geeignet, jeden Erfolg herbeizuführen, der an dem
Verhalten des Unterthanen und an dem Zustande seines Eigentums
herbeigeführt werden soll.
Der Polizeistaat hat denn auch ziemlich frei damit gewirtschaftet.
In unserem Verfassungs- und Rechtsstaat soll das alles nun in feste
Form und Ordnung gebracht werden.
Unsere Gesetzgebungen sind dieser Forderung insoweit gerecht
geworden, als sie wenigstens für die der obrigkeitlichen Gewalt-
[341]§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.
anwendung eigentümlichen schärferen Mittel, wie Verhaftung und
Waffengebrauch, die Voraussetzungen fest geregelt haben (unten § 25).
Darüber hinaus ist es ihnen aber gerade an diesem so besonders ge-
fährdeten Punkte zur Zeit nicht gelungen, die Grenzen zwischen
Freiheit und Polizeigewalt durch eine allgemein gültige scharfe Formu-
lierung sicher zu bestimmen. Wenn sie die anderen Zwangsmittel
nach Form und Voraussetzung genau geordnet haben, begnügen sie
sich, den Zwang durch einfache Gewaltanwendung im allgemeinen
vorzubehalten. Höchstens, daſs etwa eingeschärft wird, Gewalt dürfe
nicht unnötig angewendet, oder es dürfe nur gesetzliche, d. h. keine
den Gesetzen widersprechende Gewalt geübt werden26.
Einen festen Standpunkt gewinnen wir nur so, daſs wir die Fälle
der Gewaltanwendung, welche unter den besonderen Voraussetzungen
des unmittelbaren Zwanges stattfindet, streng ausscheiden (darüber unten
§ 24). Es handelt sich hier nur um die Frage: inwiefern ist die Gewalt-
anwendung zulässig als Mittel der polizeilichen Zwangsvollstreckung?
Die Gewaltanwendung kann den dem Befehle entsprechenden
Zustand entweder unmittelbar selbst herstellen oder auf Um-
wegen, indem sie bestimmend wirkt auf den Willen des Gezwungenen
durch Übel, welche sie ihm zufügt oder mit denen sie ihn bedroht.
In der ersteren Gestalt ist sie ein selbstverständliches
Zwangsmittel und in der Kraft des obrigkeitlichen Befehles ent-
halten, den sie damit einfach vollzieht, wie er ist.
In der zweiten Gestalt wirkt sie zwingend nur durch ein Mehr
an Nachteilen, das sie dem Gehorsamspflichtigen zufügt über den In-
halt des Befehls hinaus; hierzu bedarf es einer selbständigen gesetz-
lichen Grundlage, ebenso wie für die Ungehorsamsstrafe (oben S. 329).
Das Gesetz kann behufs Erzwingung des Befehls dieses Mehr ge-
statten; es könnte ja auch die Folter gestatten. Soweit es die Ge-
waltanwendung nur im allgemeinen als zulässige Zwangsvollstreckung
bezeichnet, ist diese damit nicht weiter anerkannt, als sie unmittelbar
wirksames Zwangsvollstreckungsmittel für den Befehl ist. Andern-
falls hätte die Gewaltanwendung überhaupt keine Grenzen; so aber
hat sie solche.
Die Grenzen, innerhalb deren die Gewaltanwendung als derartiges
Zwangsvollstreckungsmittel anzusehen ist für persönliches Verhalten, er-
[342]Die Polizeigewalt.
geben sich aufs deutlichste aus dem Vorbilde der civilprozeſsrecht-
lichen Zwangsvollstreckung. Es kommt darauf an, was zu
erzwingen ist: Dulden, Unterlassen oder Handeln.
Danach ist das eigentliche Gebiet ihrer Brauchbarkeit die Er-
zwingung eines Duldens. Gewaltanwendung verbindet sich nach
C.Pr.O. § 777 vor allem mit der Ersatzvornahme der schuldigen
Handlung; dafür haben wir das verwaltungsrechtliche Seitenstück
soeben behandelt. Auſserdem findet sie statt zur Erzwingung der
„Duldung“ der Vornahme einer handlung des Berechtigten (§ 777),
und ebenso ist sie enthalten in der Wegnahme von Sachen (§ 769),
wie in der Erzwingung der Räumung (§ 771). Auch in den letzteren
Fällen ist das Wesentliche das Dulden der Handlung eines Anderen,
nur daſs der Handelnde hier die Obrigkeit selbst ist; deshalb unter-
scheidet die C.Pr.O. diese Fälle von der eigentlichen Duldung.
Für die polizeiliche Zwangsvollstreckung verschwindet dieser Unter-
schied; denn hier sind Obrigkeit und Berechtigter eins. Wir haben
demnach hier den allgemeinen Satz: überall, wo der dem zu er-
zwingenden Befehl entsprechende Erfolg durch ein von dem Pflichtigen
zu duldendes Handeln der Obrigkeit herbeigeführt werden kann, ist
Gewaltanwendung das natürliche Zwangsvollstreckungsmittel dafür27.
Dieses Handeln wird bestehen in einem thatsächlichen Ändern
der von dem Gezwungenen geschaffenen oder aufrechterhaltenen Zu-
stände gegen seinen Willen, in einem Verfügen über seine
Sachen, seine Unternehmungen: Wegnahme, Zerstörung und
Veränderung der Sachen, Schlieſsen des Gewerbebetriebes durch Ver-
sperrung der Thüre für die Kunden und Abweisung derselben, durch
Verhinderung und Wegschicken der Arbeiter, Wegnahme und Un-
benutzbarmachen der Gerätschaften und Maschinen. In Fällen der
letzteren Art hat die einfache Gewaltanwendung eine gewisse Ähnlich-
keit mit der Ersatzvornahme. Aber der Unterschied ist daran zu er-
kennen, daſs hier alles in dem Verhindern, Beseitigen besteht, nicht
wie dort eine Arbeit geleistet wird, welche dem Gezwungenen oblag.
Das wird bedeutsam in der Kostenfrage: der Gezwungene hat hier
nichts zu ersetzen; in der Duldung erschöpft sich der Zwang28.
[343]§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.
Dieser Zwang pflegt an keine Formvorschriften gebunden zu sein;
insbesondere ist vorgängige Androhung nicht ausdrücklich gefordert;
allein thatsächlich wird sie doch stattfinden müssen, insofern eben zu
Gewaltanwendung nur im Notfall geschritten werden darf, und dazu
wird gehören, daſs auch das Mittel der Mahnung erschöpft worden
sei29. Ebenso wird die Gewaltanwendung ausgeschlossen sein, wenn
sonstige Zwangsvollstreckung ausreicht oder eine drohende Polizei-
strafe die Sache zur Erledigung bringen kann, überhaupt, wenn die
Gewaltmaſsregel in keinem Verhältnisse steht zu dem Maſse des
öffentlichen Interesses an der Unterdrückung des Ungehorsams: der
Grundsatz der Verhältnismäſsigkeit der Polizeigewaltäuſserung (oben
§ 19, II n. 2) giebt hier wieder eine nicht immer deutlich erkenn-
bare, aber schlieſslich doch rechtswirksame Grenze des Zulässigen.
Hieraus ergiebt sich auch das Maſs der Brauchbarkeit der Gewalt-
anwendung zur Vollstreckung eines Befehles auf Unterlassen. Man
darf nicht sagen, daſs das Unterlassen schlechthin auf solche Weise
erzwungen werden dürfe. Die Gewalt kann durch das Dulden, das
sie auferlegt, immer nur das Unterlassen für den unmittelbaren
Einzelfall, für den Augenblick herbeiführen30. Denkbar wäre es
natürlich, auf diese Weise das verbotene Thun auf die Dauer un-
möglich zu machen; aber dazu bedürfte es eines völligen Sich-
bemächtigens von der Person. Die Gewalt würde damit viel mehr
werden als Vollstreckungsmittel des Befehls. In dem gesetzlich zu-
gelassenen allgemeinen Vollstreckungsmittel kann ein derartiges Un-
schädlichmachen nicht stillschweigend begriffen sein. Deshalb sind
die schärferen Formen der Gewaltanwendung, die thatsächlich zu einer
Unschädlichmachung zu führen geeignet und bestimmt sind, wie Ver-
haftung und Waffengebrauch, nach den Voraussetzungen ihrer Zu-
lässigkeit vom Gesetz besonders geregelt (unten § 25).
Ganz anders steht es aber mit der Frage der Zulässigkeit der Gewalt
als Vollstreckungsmittel zur Erzwingung einer befohlenen Handlung.
Hierfür giebt die civilprozeſsrechtliche Zwangsvollstreckung kein Vorbild.
Der Grund ist, daſs die einfache Übersetzung des Inhalts des Urteils
in Gewaltanwendung überhaupt nicht im stande ist, das Verhalten der
Person über das Dulden oder Unterlassen hinaus zu bestimmen.
[344]Die Polizeigewalt.
Das gilt ebenso für die Zwangsvollstreckung eines Polizeibefehls.
Die Erzwingung eines Handelns kann durch Gewaltanwendung immer
nur geschehen, sofern ein Mehr an zuzufügenden Übeln zu Gebote
steht, wozu das Gesetz besonders ermächtigt. Und auch dann ist es
immer nur ein Versuch, ein psychologischer Zwang, dessen Erfolg un-
sicher bleibt.
Die Gewaltanwendung kann in dieser Weise wirksam gemacht
werden als bevorstehend, in Gestalt der Drohung; aber da muſs
sie eben immer ein selbständiges Übel bedeuten über das befohlene
Handeln hinaus; denn gewaltsame Herbeiführung des befohlenen
Handelns selbst läſst sich auch als Drohung nicht anwenden, da sie
nicht möglich ist.
Die Gewaltanwendung kann auch dienen sollen zur Erschütte-
rung des widerstrebenden Willens durch die Übel, die sie
zufügt. Sie vermag dabei insbesondere den Pflichtigen der befohlenen
Handlung näher zu bringen, so daſs der moralische Druck, den die
erfahrene Gewalt ausübt, leicht genügt, um sie zur Vollendung kommen
zu lassen. Man schleppt ihn an den Platz, wo er thätig werden soll,
drückt ihm die Werkzeuge in die Hand, bringt ihn gewaltsam in
Stellung. Mehr kann man nicht thun; aber der gebrochene Wille
macht den letzten Schritt nunmehr von selbst.
Das ist die Art, wie die militärische Requisition in Kriegszeiten
verfährt, verstärkt freilich durch weitere Drohungen.
Ausdrückliche Gesetzesbestimmungen lassen es zu, auch sonst zur
Erzwingung öffentlichrechtlicher Handlungspflichten einen Versuch
dieser Art zu machen; einen Versuch, denn ob der letzte Schritt ge-
than wird, hängt von der Festigkeit des zu überwältigenden Willens
ab. Ein selbstverständliches Zwangsmittel aber, das ohne besonderes
Gesetz in dem vollstreckbaren Befehl naturgemäſs schon enthalten
wäre, ist diese Art der Verwendung der Gewalt niemals, so wenig
wie die Strafe, der sie in Wirkungsweise und rechtlicher Natur ver-
wandt ist31. Ganz falsch ist die häufig verwertete Schluſsfolgerung:
das Gesetz, welches die Behörde anweist, eine Handlung herbei-
[345]§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.
zuführen, müsse ihr auch in dem Recht solcher Gewaltanwendung das
Mittel gegeben haben, dieses Ziel zu erreichen. Denn die Gewalt-
anwendung ist hier kein Mittel, welches dieses Ziel unmittelbar er-
reicht; will man sie aber in der allgemeinen Ermächtigung schon
deshalb begreifen, weil sie mittelbar zur Erreichung des Zieles dienen
kann, durch den Druck, den sie auf den Vergewaltigten übt, so ist
nicht einzusehen, weshalb die eigentliche Folter ausgeschlossen sein
sollte32.
In der thatsächlichen Übung sehen wir von unseren Behörden
Gewaltmaſsregeln noch sehr vielfach angewendet gegen Personen,
welche ihre Befehle, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, nicht
befolgen wollen. Der Ungehorsame wird festgenommen und ein-
gesperrt oder er wird der Behörde, welcher er Auskunft geben soll,
gewaltsam vorgeführt. Die Berechtigung entnimmt man entweder
jener obigen Schluſsfolgerung, wonach die Behörde solchen Zwang üben
dürfen „müsse“; oder man findet in dem Ungehorsam zugleich irgend
eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, welcher durch
diese Maſsregeln begegnet werde.
Sieht man die Fälle genauer an, so bekommt man häufig den
Eindruck, daſs es sich um eine Zwangsvollstreckung zur guten Durch-
führung eines Polizeibefehls gar nicht mehr handelt: die gewaltsame
Vorführung macht den Mann, der Auskunft geben soll, nicht besonders
willig und geschickt dazu; die Verhaftung fördert die Vornahme der
schuldigen Handlung für den Augenblick, auf den es ankommt, keines-
wegs. In Wahrheit ist es vielmehr die durch den Ungehorsam ge-
kränkte behördliche Autorität, welche eine Sühne heischt und diese
Sühne sich sofort verschafft durch die Unannehmlichkeiten, welche
dem Ungehorsamen sichtbarlich widerfahren. Das Standesgefühl wirkt
unbewuſst selbst bei unseren obersten Gerichtshöfen stark genug, um
sie einer Miſsbilligung dieses Verfahrens abgeneigt zu machen33.
[346]Die Polizeigewalt.
§ 24.
Fortsetzung; unmittelbarer Zwang.
Während die polizeiliche Zwangsvollstreckung nur den Zweck hat,
einem ergangenen Befehl zu dienen: der Befehl kann wegen des
Ungehorsams das Ziel nicht erreichen, da stellt sie ihm ihre ver-
schiedenen Mittel zur Verfügung, um den Ungehorsam zu überwinden,
— hat der unmittelbare Zwang seinen eignen Zweck: das obrigkeit-
liche Machtmittel geht geradewegs auf die zu unterdrückende Polizei-
widrigkeit los.
Das Machtmittel ist hier einzig die Gewaltanwendung, welche vor-
genommen wird durch polizeiliche Vollstreckungsbeamte und sonstige
Gehülfen1. Ob sie das thun mit selbständigem Entschlusse oder auf
33
[347]§ 24. Unmittelbarer Zwang.
Dienstbefehl der leitenden Behörde2 oder auch nach vorgängiger
genauerer Bestimmung des Zieles durch einen Verwaltungsakt3, macht
keinen wesentlichen Unterschied; der Gegensatz zur polizeilichen
Zwangsvollstreckung bleibt derselbe.
Die Frage, auf die hier alles ankommt, ist die nach der recht-
lichen Zulässigkeit eines Eingriffes in Freiheit und Eigentum,
wie er da gemacht wird. Die polizeiliche Zwangsvollstreckung ist in
dieser Beziehung gedeckt durch den Befehl, den sie durchführt und
bedarf der eignen gesetzlichen Grundlage nur dann, wenn sie weiter-
gehende Mittel gebrauchen soll (oben S. 327, 328). Für den unmittel-
baren Zwang ist die Frage nach seiner Rechtfertigung selbständig zu
stellen.
Diese Rechtfertigung kann gegeben sein durch eine besondere
gesetzliche Bestimmung, welche Gewaltanwendung für einen
bestimmten polizeilichen Zweck gestattet4. Die Auslegung des Gesetzes-
textes bestimmt dann, was geschehen kann, und die Verwertung dieser
Ermächtigung richtet sich nach bekannten Regeln.
Unmittelbarer Zwang findet aber auſserdem statt in weitem Um-
fange, ohne besondere gesetzliche Grundlage, manchmal so, daſs das
Gesetz nur ganz im allgemeinen darauf verweist, manchmal auch
ohne das, stets in anerkannter Rechtmäſsigkeit.
Eine derartige Selbstverständlichkeit der polizeilichen
Gewaltanwendung ist nur möglich infolge der besonderen Natur der
Polizeigewalt. Es sind bereits gegebene Unterthanenpflichten, welche
sie zur Geltung bringen will; ordentlicherweise thut sie das in den
Formen des Rechts- und Verfassungsstaates. Die Polizeiwidrigkeit
kann aber im Einzelfalle mit solcher Kraft und Entschiedenheit auf-
treten, daſs das natürliche Recht der Polizeigewalt gegenüber der
formellen Freiheitsgrenze überwiegt: der verfassungsmäſsige Vorbehalt
1
[348]Die Polizeigewalt.
will für solche Fälle nicht gegeben sein; was an obrigkeitlichen Macht-
mitteln zur Verfügung steht, wird von selbst frei.
Wann das der Fall, wann die Polizeiwidrigkeit stark genug ist,
um die Gewaltanwendung selbstverständlich zu machen, dafür geben
Civil- und Strafrecht wieder die Vorbilder, nach welchen die richtigen
Grenzen zu stecken sind. Sie erkennen Fälle an, in welchen dem
Einzelnen, auch im geordneten Staat, Raum gelassen ist zur Gewalt-
anwendung gegen seinen Nächsten. Ohne besonderen Rechtstitel, von
selbst ist er unter Umständen dazu befugt, und wenn das Gesetz
nichts darüber bestimmt, gilt es als stillschweigend zugelassen nach
Naturrecht. Es sind die Fälle der Selbstverteidigung, der Not-
wehr, des Notstandes. An diese Rechtserscheinungen lehnt sich
die Selbstverständlichkeit des unmittelbaren Polizeizwangs an, um
Maſs und Bestimmtheit zu gewinnen, gerade wie die polizeiliche
Zwangsvollstreckung ihrerseits die civilprozeſsrechtliche zum Vorbild
hat. Daſs es sich dabei statt um erlaubte Eigenmacht des Privaten
um ein Einschreiten der Obrigkeit im öffentlichen Interesse handelt,
giebt der Sache natürlich eine ganz andere Gestalt. Aber die Grund-
idee ist die gleiche: gewisse äuſsere Umstände rechtfertigen die Gewalt
ohne formelles Recht und ersetzen nach natürlichen Grundsätzen dort
die civilrechtliche Befugnis, hier die gesetzliche Ermächtigung.
I. Die öffentliche Verwaltung verfolgt ihre Zwecke durch sach-
liche und persönliche Mittel in mancherlei Unternehmungen, Anstalten
und Einrichtungen. Die Abwehr von Störungen, welche ihr dabei von
dem Einzelnen bereitet werden, hat die Natur der Polizei (oben § 19,
II n. 3). Besteht die Störung in einem unrechtmäſsigen Angriff, so
erfolgt die Abwehr mit unmittelbarem polizeilichem Zwang ohne be-
sondere gesetzliche Grundlage nach dem Grundsatze der erlaubten
Selbstverteidigung5.
1. Gegenstand der polizeilichen Selbstverteidigung, das „wehr-
hafte Rechtsgut“, ist hier die öffentliche Verwaltung selbst in ihrer
äuſseren Erscheinung (oben § 11, III n. 1).
Also das Eigentum, der Besitz des Staates nicht unbedingt,
sondern nur so weit es dem öffentlichen Zwecke zu dienen bestimmt
ist. Eine Staatsdomäne, ein Staatsfabrikgebäude ist geschützt, wie
anderes Privateigentum auch. Öffentliche Sachen dagegen, Wege,
Bauten, Festungswerke u. dgl., werden in ihrer Unversehrtheit und
[349]§ 24. Unmittelbarer Zwang.
Benutzbarkeit verteidigt durch die Gewaltanwendung des unmittel-
baren Polizeizwangs Auch Plätze, Gebäude und Räumlichkeiten, die
nicht die besondere rechtliche Natur öffentlicher Sachen haben, werden
so behandelt, soweit sie im Zusammenhange mit dem öffentlichen
Dienste selbst stehen. Es kann in einem und demselben Gebäude
eine juristisch verschiedene Wehrhaftigkeit der einzelnen Teile ge-
geben sein: die Versperrung des Zuganges zu den Amtsräumlichkeiten,
Büreaus, Sitzungssälen wird ohne weiteres polizeilich mit Gewalt-
anwendung beseitigt werden; wenn aber etwa der Mieter eines Ge-
wölbes im Dienstgebäude nur den Zugang zur Dienstwohnung durch
Warenaufstapelung und dergleichen erschwert, so gilt Civilrecht.
In gleicher Weise wird bei beweglichen Sachen: Geräten,
Waffen, Vorräten, unterschieden werden müssen. Der polizeiliche
Schutz erstreckt sich auch auf Sachen, welche zwar nicht dem Staate
selbst, sondern etwa den Beamten persönlich gehören, jedoch zum
Dienste bestimmt sind.
Die Person des Beamten genieſst diesen Schutz in der gleichen
Beschränkung: nur soweit er im Dienste ist, der Dienst in ihm ge-
stört wird. Alsdann bekommt einerseits seine persönliche Selbst-
verteidigung die schärfere polizeiliche Natur, weil er das Gemeinwesen
mit verteidigt; in ihm aber wird dieses Verwaltungsinteresse zugleich
kraft selbständigen Rechtes von jedem anderen Beamten verteidigt,
der zur Durchführung dieses bestimmten Unternehmens oder zum
Schutze der öffentlichen Ordnung überhaupt berufen ist6.
Endlich tritt der wahre Gegenstand der polizeilichen Selbst-
verteidigung möglicher Weise auch ganz unverhüllt hervor: gewalt-
same Abwehr findet sogar statt, wo der obrigkeitliche Akt, die ruhige
Abwicklung des Verwaltungsgeschäftes eine Störung erleidet,
ohne daſs Sachen oder Personen angegriffen werden. Es stört z. B.
jemand durch lautes Sprechen die im Freien stattfindende Verhand-
lung, oder beeinträchtigt durch sein Benehmen die Würde und Feier-
lichkeit des Aktes. Aus dem Gesichtspunkte der Verteidigung des
Beamten oder des staatlichen Besitzes würde sich keine Gewalt-
anwendung zur Entfernung jenes Mannes rechtfertigen; aber die Ver-
waltung selbst in ihrem äuſserlichen Gang und Erscheinen ist eben
das Geschützte7.
[350]Die Polizeigewalt.
2. Damit civilrechtlich die Selbstverteidigung Platz greife, ist
weiter vorausgesetzt ein rechtswidriger Angriff auf das wehr-
hafte Gut. Als Angriff, der die polizeiliche Selbstverteidigung hervor-
ruft, ist anzusehen jede unberechtigte äuſserliche Ein-
wirkung auf das Erscheinen der soeben gekennzeichneten Ver-
waltungsthätigkeit, die zu stören geeignet ist.
Diese Einwirkung muſs vom Einzeldasein ausgehen. Es ist nicht
nötig, daſs sie eine schuldhafte, eine deliktische sei. Auch
von Rechtswidrigkeit kann man nur in einem abgeleiteten Sinne
sprechen. Denn die Sache steht so, daſs jede Störung, woher sie
auch komme, welche in die Verwaltungsthätigkeit hineingreift, nicht
sein und mit Anwendung der dem Staate zur Verfügung stehenden
Kräfte beseitigt werden soll. Kommt die Störung aus Naturgewalten
oder herrenlosen Dingen, so ist die Beseitigung einfach Arbeit und
weiter nichts. Ist aber ein Mensch dabei beteiligt mit seiner Person,
seinen Sachen, seiner Thätigkeit, so richtet sich die Arbeit gegen ihn
und seinen Rechtskreis und wird zur Gewaltanwendung, und
um ihres bewuſsten Zieles willen Zwang. In diesem Falle allein
ist auch denkbar, daſs die störende Einwirkung eine Rechtfertigung
erhalte und gedeckt sei durch ein mehr oder minder ausgeprägtes
Recht, welches dem Störenden zusteht. Hinter Naturgewalten und
herrenlosen Dingen steht diese Möglichkeit nicht. Wenn wir also
sagen: Voraussetzung der Gewaltanwendung ist ein rechtswidriger
Angriff, so heiſst das nur: eine störende Einwirkung von einer Seite
aus, welche ein Recht zu Einwirkungen haben könnte, es aber in
dieser Art oder für diesen Fall nicht hat.
Daraus folgt, daſs auch ein Angriffswille nicht vorausgesetzt
ist; das Hindernis, die Störung kann durch Sachen bereitet sein,
welche durch Zufall ohne Wissen des Eigentümers in diese Lage ge-
kommen sind oder gegen seinen Willen. Das gesunkene Schiff wird
gesprengt, um das Fahrwasser des öffentlichen Kanals frei zu machen,
ohne daſs man den Eigentümer nur kennte. Ob dieser davon weiſs,
daſs sein Schiff die Schiffahrtsanstalten „angreift“, ob er oder sein
Vertreter irgend etwas dafür kann, ist alles gleichgültig8.
3. Die Gewaltanwendung zur Selbstverteidigung, wie sie
durch den Angriff gerechtfertigt wird, ist auch in Umfang und Maſs
[351]§ 24. Unmittelbarer Zwang.
durch die Art des zu schützenden Gutes und des abzuwehrenden
Angriffes bestimmt.
Die Verwaltung wirft ohne weiteres alles bei Seite, was störend
in ihre Lebensäuſserungen eingreift. Alle dazu erforderliche Gewalt-
anwendung an Personen und Sachen ist durch diesen Zweck allein
schon gerechtfertigt.
Ein Abwägen zwischen dem Interesse des Staates an der Un-
gestörtheit seines Besitzes und Unternehmens und dem Nachteil,
welcher dem Einzelnen durch die gewaltsame Beseitigung der Störung
zugeht, kann dabei nötig werden gemäſs dem Grundsatz der Ver-
hältnismäſsigkeit der Polizeigewalt (oben § 19, II n. 2). Das gilt
namentlich von der Wahl der Mittel der Gewalt. Was mit ge-
ringerer Schädigung erreicht werden kann, darf, — von besonderen
gesetzlichen Bestimmungen, namentlich über Verhaftung und Waffen-
gebrauch abgesehen, — nicht sofort mit härteren Schlägen gefaſst
werden. Dem Ermessen ist ein weiter Spielraum gelassen; aber es
giebt überall einen Punkt, wo die schärfere nachteiligere Gewalt-
anwendung als überflüssig klar erkennbar ist; da ist sie auch Unrecht
und macht verantwortlich9.
Die Gewaltanwendung hört von selbst auf, berechtigt zu
sein, sobald der Zweck, der sie rechtfertigt, erreicht ist. Das ist dann
der Fall, wenn der Angriff vollständig überwunden und beseitigt ist.
Auch in seinen Wirkungen. Die Selbstverteidigung ist nicht darauf
beschränkt, ihn noch in der Bewegung zu fassen. Die strafrechtliche
Notwehr „hört auf mit dem endgültigen Gelingen des rechtswidrigen
Angriffs“; die polizeiliche Selbstverteidigung erstreckt sich auch noch
auf die durch das Gelingen des Angriffs geschaffenen Zustände, so-
fern sie als fortdauernde Störung sich darstellen. Gewalt findet z. B.
nicht bloſs statt gegen denjenigen, der seine Sache als Verkehrs-
hindernis aufstellen will, sondern auch noch, nachdem es ihm gelungen
ist, wird nachträglich die vorgefundene Sache von der Straſse ge-
schafft oder vernichtet werden können. Desgleichen kann eine Be-
hörde ihre Akten und sonstige wesentliche Dienstsachen nicht bloſs
gegen Wegnahme verteidigen, sondern auch gewaltsam abholen lassen,
wenn sie ihr selbst von einem gutgläubigen Dritten ohne Recht vor-
enthalten werden. Diese Verteidigung durch Wiederherstellung nimmt
selbst die äuſsere Gestalt des Angriffs an, aber sie wird nichts wesent-
[352]Die Polizeigewalt.
lich anderes; es handelt sich immer nur um Gewaltanwendung zur
Beseitigung einer Störung, welche aus dem Einzeldasein heraus der
Verwaltung bereitet wird10.
Ihre wichtigste Kennzeichnung gegenüber der civilrechtlichen
Selbstverteidigung bekommt diese polizeiliche Gewaltanwendung noch
durch die besondere rechtliche Beschaffenheit der
Mittel, mit welchen sie arbeitet; davon wird im nächsten Paragraph
umfassender die Rede sein.
II. Die polizeiliche Gewaltanwendung bekämpft auch solche An-
griffe, die nicht gegen die Verwaltung selbst sich richten. Das setzt
voraus, daſs der Angriff als eine Störung der guten Ordnung rechts-
satzmäſsig bereits gekennzeichnet und miſsbilligt sei: mit anderen
Worten, daſs er eine durch das Strafgesetz — und die Strafverord-
nung steht gleich — getroffene Handlung darstellt.
Die gewaltsame Verhinderung strafbarer Hand-
lungen ist der zweite Hauptfall des selbstverständlichen unmittel-
baren Zwanges11.
Sie hat ihr Seitenstück in der Privatgewaltübung zur Notwehr
und zwar zur Notwehr gegen den rechtswidrigen Angriff, den ein
Anderer erleidet. In ihrer auffälligsten Erscheinung, wo der Polizei-
beamte dem Angegriffenen gegen den Verbrecher zu Hülfe kommt,
trifft sie äuſserlich ganz damit zusammen. Doch ist sie wieder in
Voraussetzungen und Mitteln wesentlich verschieden.
1. Was die polizeiliche Gewaltanwendung hier beschützt, ist in
der That nicht der Angegriffene und sein gefährdetes Rechts-
gut, sondern die öffentliche Ordnung, welche in diesem mit
angegriffen erscheint. Daher diese Gewaltanwendung auch stattfindet
zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, welche niemanden zur
Notwehr und folglich auch niemanden zur Teilnahme an der Notwehr
berechtigen aus dem einfachen Grunde, weil sie niemanden, weder
einen Einzelnen, noch ein Gemeinwesen, mit Einschluſs des Staates,
in seinem besonderen Besitz und äuſseren Dasein verletzen. Beispiele
[353]§ 24. Unmittelbarer Zwang.
geben gewisse Sittlichkeitsvergehen und vor allem die Mehrzahl der
Polizeidelikte.
2. Was sie abwehrt, ist nicht wie bei der Notwehr jeder
rechts widrige Angriff. Das civilrechtliche Unrecht zu bekämpfen,
ist nicht Aufgabe der Polizeigewalt (oben § 19, I n. 2). Nur was
durch das Strafgesetz als öffentlicher Ordnung zuwider gekenn-
zeichnet ist, die Rechtswidrigkeit höheren Ranges wird von ihr auf
diese Weise bekämpft. In der Art wie diese Voraussetzung genauer
bestimmt wird, stimmt denn aber unser Rechtsinstitut wieder mit der
Notwehr überein. Daſs die Bestrafung etwa durch einen Antrag des
Verletzten bedingt ist, macht hier wie dort keinen Unterschied.
Andererseits fällt wie für die Notwehr-Hülfeleistung, so auch für die
polizeiliche Gewaltanwendung der Rechtsgrund fort, wenn und soweit
die Einwilligung des Verletzten die Strafbarkeit aufhebt. Auch der
Zeitpunkt, mit welchem die Gewaltanwendung zulässig wird, ist über-
einstimmend gegeben durch das Erscheinen der unmittelbaren Gefahr:
der Angriff dort, die strafbare Handlung hier muſs begonnen haben
oder wenigstens die Bewegung des Vorgangs an einem Punkte an-
gelangt sein, daſs der Angriff, die strafbare Handlung unmittelbar be-
vorsteht12.
3. Bezüglich des Maſses der Gewalt und der Gewaltmittel gilt
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 23
[354]Die Polizeigewalt.
das oben bei der Selbstverteidigung (I n. 3) Gesagte13. Doch hört
hier, ebenso wie bei der Notwehr, die berechtigte Gewaltanwendung
auf, sobald die strafbare Handlung beendigt und zum Ziele gelangt
ist; der Beginn der Strafverfolgung gehört der gerichtlichen Polizei,
die Beseitigung störender Zustände, die sich etwa aus dem Delikt er-
geben haben, anderen Formen des Polizeizwangs14.
III. Die dritte Art des selbstverständlichen unmittelbaren Zwanges
schlieſst sich an das civil- und strafrechtliche Institut des Notstands-
rechts an: das Miſsverhältnis der zugefügten Verletzung zu dem
wertvolleren Rechtsgut, das nur dadurch gerettet werden konnte,
nimmt jener die Rechtswidrigkeit15. Das Rechtsgut, das die Polizei
schützt, ist die gute Ordnung des Gemeinwesens; die Schranke, die
ihrer Gewaltanwendung entgegensteht, ist die durch den verfassungs-
rechtlichen Vorbehalt geschützte Freiheit. Durch besondere Umstände
kann nun die zuzufügende Gewaltanwendung im Verhältnis zu der
dadurch abzuwendenden Störung als so geringwertig sich darstellen,
daſs die Schranke von selbst zurückweicht. Das ist das polizei-
liche Notstandsrecht. Es macht die Gewaltanwendung recht-
mäſsig, Notwehr dagegen unzulässig, den Widerstand vielmehr strafbar
nach den allgemeinen dafür geltenden Regeln (unten § 25, I).
Umstände, die ein solches Miſsverhältnis darstellen, können in
zweierlei Weise zur Wirksamkeit kommen: so, daſs die Störung selbst das
Maſs des Gewöhnlichen überschreitet, oder so, daſs sie die Gewaltübung
[355]§ 24. Unmittelbarer Zwang.
an dem Betroffenen als einen auſserordentlich geringfügigen Eingriff
erscheinen lassen.
1. Der erste Fall ist der der dringenden Gefahr. Aus dem
Einzeldasein können sich Gefahren ergeben für Andere und damit für
die gute Ordnung des Gemeinwesens, die nicht zugleich einen Angriff
auf die öffentliche Verwaltung selbst (oben I), noch eine strafbare
Handlung bedeuten (oben II); die beiden anderen Arten unmittelbaren
Polizeizwanges sind also ausgeschlossen; die gewöhnlichen rechts-
staatlich geordneten Mittel müssen ausreichen, um Vorkehrung zu
treffen. Wenn aber diese Gefahr mit besonderer Gewalt und Plötzlich-
keit auftritt, dann greift das polizeiliche Notstandsrecht Platz. Der
tobsüchtige Mensch wird überwältigt, das bösartige Tier getötet, das
brennende Gebäude zusammengerissen. Für den einzelnen Unter-
thanen würde das Civilrecht solche Eingriffe nur zulassen unter den
Voraussetzungen der Abwehr für ihn selbst oder einen Anderen, Not-
wehr oder Notstand, oder der Geschäftsführung ohne Auftrag, irgend
ein besonderer Titel müſste gegeben sein. Für die Polizei allein wirkt
der Notstand der öffentlichen Ordnung, die da beteiligt ist, als er-
mächtigender Grund.
Unter Umständen erhält aber dieses Notstandsrecht noch eine
besondere Verschärfung: das sind die Fälle der öffentlichen
Not, wo Naturgewalten mit groſser Macht auftreten, um Lebens-
gefahr und Zerstörung von Eigentum in weitem Umfange zu drohen,
Feuersnot, Wassersnot. Daſs die Gewaltmaſsregeln, die da zur Ver-
wendung kommen, eine entsprechend groſsartige Gestalt annehmen,
ist nur das Äuſserliche. Juristisch bedeutsam ist vor allem die
Wendung, die sie nehmen können. Man zerstört nicht bloſs das
brennende Haus, sondern schieſst auch benachbarte Häuserreihen mit
Kanonen zusammen; man durchsticht den Damm, mit welchem der
Eigentümer sein Grundstück schützt, um der gestauten Flut Abfluſs
zu verschaffen. Alle Polizeimaſsregeln richten sich sonst gegen den
Punkt, von welchem die Störung ausgeht: das ist aber hier nicht das
Nachbarhaus noch der Damm, sondern das brennende Haus, die heran-
drängende Wassermasse des Flusses. Die Menschenkraft erkennt sich nur
als ohnmächtig gegenüber der eigentlichen Quelle des Übels. Deshalb
wendet sie sich gegen das unschuldige Objekt; oder vielmehr, richtiger ge-
sagt, gegen das minder schuldige. Denn die Häuser, welche den Brand
weiter zu befördern drohen, der Damm, welcher die Flut gefahrvoll staut,
sind immer auch ihrerseits öffentliche Schädlichkeiten, Hülfsschäd-
lichkeiten wenigstens, insofern sie die eigentliche Schädlichkeit in
ihrer Wirksamkeit steigern und unterstützen. Darum fällt auch ihre Be-
23*
[356]Die Polizeigewalt.
seitigung doch noch unter den Begriff der Polizei. Daſs aber die
Polizeimaſsregel statt gegen die Hauptschädlichkeit, wie es der Regel
und der Natur der Sache entspräche, gegen die nebensächliche sich
wendet, das macht eben das Auſserordentliche an ihr aus und wird
gerechtfertigt durch die Rechtsgrundsätze des Notstandes16.
2. Das Verhältnis zwischen den Einzelnen kennt Fälle, wo Ge-
walt geübt wird von dem Menschen an dem Menschen, ohne daſs der
Gewaltübende selbst oder eine von ihm zu schützende dritte Person
irgendwie bedroht wäre; es geschieht vielmehr um einer Gefahr willen,
in welcher der Vergewaltigte schwebt. Wenn die nötigen Voraus-
setzungen gegeben sind, ist der Thäter straflos, gedeckt gegen civil-
rechtliche Verantwortlichkeit, und Notwehr besteht nicht ihm gegen-
über. Der Geisteskranke, den der Begegnende aufgreift, um ihn zur
Anstalt zu bringen, der Trunkene, welchen der Freund gewaltsam
nach Hause schleppt, darf sich über solche wohlwollende Gewaltthat
nachher nicht beklagen. Der Hauptfall ist der der Rettung aus Lebens-
gefahr, die nach Umständen geradezu unter Miſshandlungen stattfindet,
wie z. B. der im Wasser Versinkende an den Haaren gepackt und
herausgezogen wird. Auch gegen seinen Willen und seinen be-
wuſsten Widerstand kann die Rettung in solcher Weise geschehen:
der Selbstmörder, der sich im Wasser verzweifelt gegen den Retter
wehrt, wird von diesem mit Recht überwältigt, vielleicht sogar durch
einen Faustschlag betäubt, um besser faſsbar zu werden. Wir nennen
das rettende Thaten. Man mag diese von unseren Gesetz-
gebungen meist vergessene Art der erlaubten Gewalt noch unter die
allgemeine Rubrik des Notstandes bringen; um eine Not, die die
Gewalt rechtfertigt, handelt es sich auch hier; nur ist eben diese
Not ganz anders gestaltet. Der Fall hat juristisch eher Ähnlichkeit
mit einer negotiorum gestio für den Geretteten unter gleichzeitiger
Annahme einer Willensunfähigkeit auf seiner Seite.
[357]§ 24. Unmittelbarer Zwang.
In ähnlicher Weise üben auch die Polizeibeamten Gewalt. Bei
ihnen geht aber alles von dem ihnen eigentümlichen Gesichtspunkte
aus, der zugleich die Fälle ihres Einschreitens umgrenzt, daſs näm-
lich das Unglück, welches dem Einzelnen in solcher Weise droht, zu-
gleich eine Störung der guten Ordnung ist, welche sie aufrecht zu
erhalten haben. Diese Störung ist hier vielleicht an sich nicht so
schwerwiegend, aber auf der anderen Seite ist die Gewalt selbst hier
durch die besonderen Umstände noch viel geringer: dadurch daſs sie
im wohlverstandenen Interesse des Vergewaltigten selbst stattfindet,
wird sie aller Schwere entkleidet und erscheint als ein die Freiheit
eher schützender denn beeinträchtigender, als ein vormundschaftlicher
Eingriff. Das Miſsverhältnis von Störung und Gewalt ist
also für den Standpunkt der Polizei hier wieder vollständig gegeben
und derartige rettende Thaten reihen sich ein in den allgemeinen
Begriff des polizeilichen Notstandsrechtes.
Die polizeiliche Rettung hat sich zu einer besonders scharfen
Form ausgebildet in der Vergewaltigung einer Person zum Schutze
gegen Angriffe Anderer. Voraussetzung ist, daſs jemand, wenn er in
Freiheit gelassen würde, Miſshandlungen und sonstigen schweren Ge-
fährdungen von seiten Anderer ausgesetzt wäre. Möglicher Weise
bittet er selbst um Wegbegleitung oder um Aufnahme in polizeiliche
Räumlichkeiten, wo er in Sicherheit ist. Aber auch gegen seinen
Willen kann ihm dieser Schutz bereitet werden. Zu beachten ist,
daſs hier wieder eine Ablenkung der natürlichen Richtung der Polizei-
gewalt vor sich geht, wie in den obigen Fällen der öffentlichen Not:
eigentlich müſsten die Angreifer überwältigt und unschädlich gemacht
werden. Das geht aber unter Umständen thatsächlich nicht wohl an,
die Macht der Polizei reicht im Augenblick nicht aus oder es würde
zu weit führen, davon Gebrauch zu machen; deshalb wird die Störung
wieder durch Gewalt am minder schuldigen Teile beseitigt. Insofern
das zu seinem eigenen Besten geschieht, ist der Eingriff in seine
Freiheit geringwertig genug, um die Verschiebung zu rechtfertigen,
selbst wo die Möglichkeit der Unterdrückung des Angriffs nicht eigent-
lich ausgeschlossen wäre. Der Gefährdete wird gewaltsam vom Orte
der Gefahr weggeschafft, nötigenfalls in der gründlichsten, der Polizei
zugleich handlichsten Form der Verhaftung und Gefangenhaltung
(unten § 25, II n. 1). Da ist aber folgendermaſsen zu unter-
scheiden. Wenn der Angegriffene die Störung selbst mit veranlaſst
dadurch, daſs er die Angreifer durch sein Verhalten reizt, dann steht
er als Hauptursache mit im Vordergrund und ohne weitere Ab-
wägungen wird gegen ihn, wie gegen die Andern, je nach der Zweck-
[358]Die Polizeigewalt.
mäſsigkeit vorgegangen werden: die Gewaltanwendung muſs sich aber
dann (abgesehen von besonderen Gesetzesbestimmungen) rechtfertigen,
entweder als Verteidigung der guten Ordnung, der öffentlichen Straſse
(oben I), oder als Verhinderung einer strafbaren Handlung, in der er
begriffen wäre (oben II). Paſst keiner dieser Fälle, so muſs auf den
Gesichtspunkt der Rettung zurückgegriffen werden und der praktische
Unterschied ist der, daſs dann immerhin die Rechtmäſsigkeit der
Gewalt von einer Art Notlage abhängt in dem obigen Sinn; zum
mindesten müſste eine gewisse Schwierigkeit bestehen, den geraden
Weg der Abwehr des Angriffs zu wählen, der ja seinerseits als straf-
bare Handlung stets der Gewaltanwendung unterliegt; wo das nicht
der Fall ist, würde die Vergewaltigung des Angegriffenen statt der
Angreifer rechtswidrig sein17.
§ 25.
Fortsetzung; Zwang durch Gewaltanwendung insbesondere.
Die Gewaltanwendung dient sowohl der polizeilichen Zwangs-
vollstreckung als dem unmittelbaren Zwang. Die Voraussetzungen,
unter [welchen] dieses Zwangsmittel zulässig ist, sind in § 23, III und
in § 24 festgestellt worden. Für die Art, wie es gebraucht und
wirksam gemacht wird, gelten gewisse gemeinsame Regeln.
I. Zur Gewaltanwendung bedient sich die Verwaltung der ihr
zur Verfügung stehenden Menschenkräfte, wie sie ihr die öffentlich-
rechtliche Dienstpflicht in ihren verschiedenen Formen verschafft oder
civilrechtlicher Dienstvertrag oder die Hülfeleistung zugezogener Bürger.
Darunter ragt nun aber hervor eine besondere Art von niederen Be-
amten, welche berufsmäſsig dazu bestimmt sind, der polizeilichen
Gewaltanwendung den Arm zu leihen. Das sind die polizei-
lichen Vollstreckungsbeamten.
Die Verwaltung des französischen Königtums hatte mit ihrer
maréchaussée den deutschen Fürsten das Vorbild gegeben für ein
[359]§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.
militärisch geordnetes Polizeibeamtentum, das als Polizei-Miliz, Polizei-
Dragoner, Polizei-Husaren u. s. w. allenthalben entstand; zu Anfang des
Jahrhunderts wurde daraus unsere Gendarmerie. Ihr steht gleich
die militärisch geordnete Schutzmannschaft der gröſseren Städte.
Dazu kommen dann polizeiliche Vollstreckungsbeamte mit „Civil-
organisation“, örtliche Polizeibedienstete: Schutzleute, Polizeidiener,
Nachtwächter; besondere Polizeibedienstete, wie das Forst- und
Flurschutzpersonal u. s. w.1.
Allen diesen Vollstreckungsbeamten eigentümlich ist ein besonderer
Rechtsvorzug, der ihnen bei Vornahme der Gewaltanwendung, zu der
sie bestimmt sind, zur Seite steht. Er kommt zur Geltung bei der
strafrechtlichen Behandlung des Widerstandes, den sie dabei er-
fahren mögen.
Der Widerstand gegen die Staatsgewalt ist strafbar und zwar hat
jetzt Stf.G.B. § 113 die gemeinrechtliche Grundlage dafür gegeben.
Damit diese Strafbarkeit eintrete, muſs die Person, gegen welche der
Widerstand sich richtet, irgendwie befugt gewesen sein, obrigkeitliche
Gewaltanwendung auszuüben oder dabei mitzuwirken. Da macht
es also zunächst keinen Unterschied, ob es ein Vollstreckungsbeamter
war oder sonst ein Berufener. Vorausgesetzt ist aber, daſs die Gewalt-
übung eine rechtmäſsige war. Das Strafgericht nimmt also eine
Nachprüfung der Rechtmäſsigkeit der Amtshandlung vor, gegen welche
der Widerstand sich richtete. Was dazu gehört, damit sie rechtmäſsig
sei, dafür giebt die Rechtsordnung für das Verhältnis zwischen dem
Unterthanen und dem Staat, den der Handelnde vertritt, den Maſsstab.
Dieser Maſsstab gilt schlechthin für jeden anderen als den Voll-
streckungsbeamten, für die Amtshandlung des Vollstreckungsbeamten
aber kommt er nur mit einer wichtigen Einschränkung zur An-
wendung und darauf beruht dessen besondere Rechtsstellung2.
[360]Die Polizeigewalt.
Die Amtshandlung des Vollstreckungsbeamten wird für die Frage
der Strafbarkeit des Widerstandes in gewissen Fällen noch als recht-
mäſsig angesehen, wo sie an sich nicht rechtmäſsig ist. Der Wider-
standleistende muſs bestraft werden, weil sie rechtmäſsig ist im Sinne
des § 113, und gleichwohl kann sie im Beschwerdeverfahren oder
Verwaltungsstreitverfahren angefochten und rückgängig gemacht, kann
der Staat mit einer Entschädigung belastet werden, weil sie nicht
rechtmäſsig ist.
Der Grund dieser zwiespältigen Beurteilung ist der nämliche, der
auch bei der Frage der civilrechtlichen Haftung des Beamten eine
Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechtes er-
zeugt hat (oben § 17, I n. 1).
Die Bestrafung des Widerstandes ist angesehen als ein besonderer
Schutz, der dem handelnden Beamten gewährt wird. Dieser Schutz
wird ihm entzogen, wenn er rechtswidrig handelt. Aber im Interesse
des Dienstes selbst darf ihm nicht angerechnet werden die Rechts-
widrigkeit, der ihn gerade die Pflicht seines Amtes besonders aussetzt;
auch in dieser Beziehung trägt er, wie wir es oben ausdrückten, nicht
die Gefahr der Amtsführung. Wesentlich ist also nur, daſs es über-
haupt noch eine Amtshandlung des Vollstreckungsbeamten sei, also
innerhalb der allgemeinen Grenzen seiner Zuständigkeit sich bewege3.
Die etwa dabei unterlaufene Rechtswidrigkeit schadet nichts, wenn sie
die Folge ist eines amtlichen Irrtums oder Befehls.
1. Die Rechtswidrigkeit der Amtshandlung ist gedeckt, derart
daſs diese dem Widerstande gegenüber als eine rechtmäſsige gilt,
wenn die Rechtswidrigkeit nur beruht auf einem Irrtum, dem der
[361]§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.
Beamte ohne Pflichtwidrigkeit verfallen konnte. Derartigen amtlichen
Irrtümern ist er überall ausgesetzt, wo er mit selbständiger Beurteilung
thatsächlicher Verhältnisse vorgehen soll4. Der Widerstand ist des-
halb nur dann straflos, wenn der Beamte wissentlich oder, was gleich
stehen würde, in pflichtwidriger Unkenntnis der Sachlage fehlgegriffen
hat5. Desgleichen dann, wenn sein Irrtum nicht die zu beurteilenden
[362]Die Polizeigewalt.
Thatsachen, sondern die für ihn maſsgebende Rechtsordnung selbst
betrifft; ein derartiger Irrtum ist immer pflichtwidrig: Unkenntnis
und unrichtige Auffassung der Rechtssätze, welche die Zulässigkeit der
Amtshandlung ergeben6, Nichtbeobachtung der dafür vorgeschriebenen
Formen7 geben die Hauptbeispiele des straflosen Widerstandes.
2. Die Rechtswidrigkeit muſs auch ausgeschlossen werden durch
einen Dienstbefehl, der die Amtshandlung verlangt, insoweit
wenigstens, als der Beamte sonst ohne die Möglichkeit eigner Prüfung
blindlings dem straflosen Widerstand entgegengeschickt würde8. Des-
halb deckt der gehörig an ihn ergangene Befehl alle Voraussetzungen
der Gültigkeit der Amtshandlung, welche hinter ihm liegen: die
Befugnisse der befehlenden Behörde, in der Weise, wie befohlen, hier
durch ihren Untergebenen auf diesen Unterthanen einzuwirken, und
die Rechtsgültigkeit des obrigkeitlichen Aktes, zu dessen Durchführung
sie ihn beauftragt. Das alles ist der Vollstreckungsbeamte nicht be-
rufen nachzuprüfen; wenn also sein Vorgehen dem Unterthanen
gegenüber rechtswidrig ist, bloſs deshalb, weil hieran etwas nicht in
Ordnung war, so muſs er gegen den Widerstand geschützt sein und
5
[363]§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.
seine Amtshandlung wird in dieser Beziehung als eine rechtmäſsige
behandelt9.
Wofür er einsteht, das ist bloſs, daſs er im allgemeinen zuständig
ist, auf Befehl dieser Behörde derartige Akte vorzunehmen10, und
daſs die für sein eignes Thun unmittelbar geltenden Rechtsvorschriften
beobachtet sind11. In dieser Beziehung deckt der Befehl nicht; wenn
also daran etwas nicht in Ordnung ist, wird der Widerstand straf-
los sein.
[364]Die Polizeigewalt.
II. Gestalt und Maſs der anzuwendenden Gewalt
bestimmt sich beides nach dem zu erreichenden Zwecke, nach der
Art der zu bekämpfenden Polizeiwidrigkeit. An dem hiezu Erforder-
lichen hat es seine Rechtsgrenze. Wenn die Gesetzgebung für be-
sondere Zwecke Gewaltmaſsregeln vorsieht (Entnahme von Lebens-
mittelproben, Vernichtung von Ansteckungsträgern, Niederschlagung
des Aufruhrs), so bestimmt sie wieder für diese Fälle besonders die
Grenze des Zulässigen.
Gewisse allgemeine Gewaltmittel sind aber um ihrer Art willen
ein für allemal von dem natürlichen Maſsstabe losgelöst und auf be-
stimmte formelle Grundlagen gestellt. Es sind die folgenden.
1. Die polizeiliche Verwahrung. Behufs Beseitigung von
Störungen, welche eine Person verursacht, kann eine gewaltsame Be-
schränkung ihrer Freiheit nötig werden. Eine solche liegt schon in
jeder Verhinderung der freien Bewegung; es kann aber auch die ge-
waltsame Wegschaffung vom Platze, ja die zeitweilige Einsperrung
geboten sein. Die letztere liegt den polizeilichen Vollstreckungs-
beamten besonders nahe, als das einfachste und gründlichste Mittel,
zu welchem ihre Aufgabe für die Strafrechtspflege ihnen auch die
nötigen Räumlichkeiten ohnehin zur Verfügung stellt.
Die Gesetze haben sich aber dieses Gewaltmittels bemächtigt
und geben ihm eine ausdrückliche besondere Ordnung12. Sie be-
stimmen vor allem die Voraussetzungen, unter welchen solche Ver-
haftung und Gefangenhaltung für polizeiliche Zwecke statthaft ist.
Diese Voraussetzungen sind mehr oder weniger weit gefaſst und be-
greifen bald alle Arten von Störungen, welche durch Gewalt gegen
die störende Person beseitigt werden können, bald nur bestimmte
schwerere Arten. Sie bestimmen aber auch — und das ist das Be-
deutsamste an dieser Ordnung — die Dauer des Gewahrsams.
Nach dem natürlichen Maſsstabe gemessen, müſste nämlich diese
polizeiliche Einsperrung jedesmal sofort aufhören, sobald der polizei-
liche Zweck erreicht ist, umgekehrt aber auch so lange dauern, als
die Gefahr der Störung noch vorhanden ist. Wie lange ist das? Die
Gesetzgebung wollte es selbstverständlich nicht dem freien Ermessen
der Polizeibeamten überlassen und hat deshalb die Grenze in formeller
Weise gesteckt. Die Verwahrungshaft wird auf eine bestimmte kurze
Frist festgesetzt.
[365]§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.
Der in Verwahrung Genommene muſs nach 24 Stunden, 48 Stunden
oder „spätestens im Laufe des folgenden Tages“ wieder in Freiheit
gesetzt werden — selbst dann, wenn die zu bekämpfende Störungs-
gefahr, um derenwillen die Festnahme erfolgte, zu dieser Zeit noch
fortwährt. Es kann die Freilassung gehindert werden, wenn Unter-
suchungshaft oder Strafhaft eintritt; das sind Gründe für sich. Vom
polizeilichen Standpunkt aus ist der Zwang beendet. Es kann nur
ein neuer beginnen, wenn neue Gründe dafür selbständig wieder zu
Tage treten.
Umgekehrt wirkt diese Fristbestimmung auch zu Gunsten der
Polizei und erspart ihr die ängstliche, den Geschäftsbetrieb er-
schwerende Überwachung der natürlichen Grenzen des Zwangs. Der
Mann hat sich etwa ganz beruhigt; aller Wahrscheinlichkeit nach
wird er sich jetzt der Ordnung fügen; rein menschlich genommen,
müſste der Zwang sofort aufhören. Oder die äuſsere Möglichkeit der
Störung ist weggefallen; die Verwaltungsmaſsregeln, die Arbeiten,
welche der Mann hindern und belästigen konnte, sind durchgeführt;
der Gegenstand seiner Angriffe hat sich entfernt. Die Zurückhaltung
bis zum Ablauf der Frist ist gleichwohl keine Rechtswidrigkeit. Der
Rest von Besorgnis, er könnte wieder anfangen, die ohne genauere
Untersuchung nicht mögliche Feststellung, ob er wirklich gar nichts
mehr schaden könnte, die manchmal recht schleppende Abwicklung
der Sache durch Vorführung bei einer Behörde und dergleichen, alles
das darf die Freilassung bis zu jenem Punkte verzögern. Rechts-
widrig wird die Zurückbehaltung erst, wenn Böswilligkeit der Be-
amten darin zum Ausdruck kommt. Das Gesetz hat der Polizei den
Mann für eine kurze Frist in die Gewalt gegeben; es liegt der Ge-
danke einer verdienten Strafe unverkennbar mit darin13. —
Wo die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen der polizeilichen
Verhaftung und Verwahrung nicht vorliegen, sind gleichwohl derartige
Gewaltmittel nicht gänzlich ausgeschlossen. Dies ist namentlich
[366]Die Polizeigewalt.
wichtig für solche Gesetzgebungen, welche den Kreis jener Voraus-
setzungen enger ziehen oder, wie die bayrische, auf Abwehr von Straf-
thaten beschränken. Soweit nach den allgemeinen Regeln (§ 23, III
und § 24) Gewaltanwendung überhaupt zulässig ist, ist, wenn der
Zweck es erfordert, auch die Freiheit der Person nicht heilig. Es
wird also namentlich zur Selbstverteidigung, zur eignen Rettung des
Betroffenen Festnahme immer möglich sein. Nur, das ist der groſse
Unterschied, die Gewalt ist hier nicht formell geordnet, die Not-
wendigkeiten des Zweckes allein rechtfertigen sie auch in ihrer Dauer.
Was darüber hinausgeht, ist sofort Unrecht14.
2. Das Eindringen in die Wohnung ist eine Form der
Gewalt, welche sich mit verschiedenen Arten polizeilicher Thätigkeit
nebensächlich verbindet, die Hauptthätigkeit, die den Zweck des Ein-
dringens bildet, mag selbst wieder Gewaltanwendung sein oder nicht.
Es besteht in dem Eintreten und Verweilen in der fremden
Wohnung ohne den Willen des berechtigten Inhabers. Mit dem still-
schweigenden Willen des Berechtigten findet allgemein das Eintreten
statt, soweit die Räume dem ihn betreffenden Verkehre gewidmet
sind. Das gilt auch zu Gunsten der Polizeibeamten. Diese aber sind
unter Umständen auch befugt, ohne den Willen des Berechtigten in
fremde Räume einzudringen und darin zu verweilen.
Die Gesetzgebung hat auch diese Befugnis nicht der Folgerung
aus den allgemeinen Grundsätzen des Polizeizwanges überlassen,
sondern formell abgegrenzt. Und zwar ist dies in Anlehnung an die
strafprozessualen Regeln für die gerichtliche Polizei in der Weise ge-
schehen, daſs die Grenzen der Befugnis des Eindringens wesentlich
[367]§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.
enger gesteckt sind, als die allgemeinen Grundsätze von selbst er-
geben würden.
Diese Grenzbestimmung bezweckt vor allem einen strengeren
Schutz der Wohnung gegen polizeiliches Eindringen zur Nachtzeit.
Das Eindringen bei Tage steht den Beamten der Polizei dann
frei, wenn sie dazu berufen sind durch ihrer Natur nach dort zu
erledigende Amtshandlungen. Die Abgrenzung dieser Befug-
nisse bestimmt sich genauer durch den Gegensatz: das bloſse Nach-
sehen und Beobachten, ob eine Amtshandlung dort vorzunehmen
ist oder nicht. Solche Nachforschungen, die ja an Zahl und Umfang
willkürlich vermehrt werden könnten, sind das Gefährliche, wogegen
der Hausfrieden geschützt sein soll. Sie sind nur zulässig kraft be-
sonderer gesetzlicher Ermächtigung. Für die Zwecke der Strafrechts-
pflege besteht das Institut der Durchsuchung mit seinen Formen.
Zu polizeilicher Überwachung und Kenntnisnahme geben mancherlei
besondere Gesetze das Recht des Eindringens. Ein allgemeines selbst-
verständliches Recht dazu besteht nicht15. Dagegen kann auch ohne
den Willen des Herrn der Räumlichkeit eingedrungen und so lange
nötig verweilt werden zum Zwecke der Zustellung polizeilicher Willens-
erklärungen, zur Vornahme polizeilicher Gestellungen und sonstiger
berechtigter Gewaltübung an Personen, die in der Wohnung sich be-
finden, zur Beseitigung und Veränderung polizeiwidriger Vorrichtungen
daselbst, wie auch weiterhin zur Steuererhebung, Zwangsbeitreibung,
Volkszählung u. s. w.
Selbstverständlich kann das Gesetz durch besondere Ermächti-
gungen über diese allgemeinen Grundsätze hinausgehen und dem
Polizeibeamten die Befugnis erteilen, auch zum bloſsen Nachsehen
und Überwachen einzudringen. Dabei wird die bestimmte Richtung
bezeichnet, in welcher diese Nachforschung zu üben ist, und niemals
darf das Recht auf ähnliche Fälle, in welchen vielleicht für das Gesetz
der gleiche Grund vorgelegen hätte, von den Behörden selbständig
[368]Die Polizeigewalt.
ausgedehnt werden. Sonst würde der beabsichtigte Schutz der Frei-
heit des Hauses leicht wieder ganz verschwinden16.
Allgemein ausgenommen von diesen Schutzschranken sind solche
Räumlichkeiten, welche, obwohl einem Einzelnen zugehörig, doch der
ihnen erteilten Bestimmung gemäſs dem Publikum zugänglich sind:
Wirtschaften, Theater, Tanzplätze, Konzertsäle u. dergl. So lange
sie diese allgemeine Zugänglichkeit haben, haben sie sie auch für die
Polizei und zwar für diese im besonderen Sinne. Der Hausherr kann
ja möglicher Weise eine Ausnahme machen und einem Einzelnen den
Zutritt oder das Verweilen versagen; das Zuwiderhandeln gegen sein
Verbot wäre unbefugtes Eindringen, Hausfriedensbruch. Der Polizei
gegenüber giebt es für ihn ein solches Verbietungsrecht nicht. Sie
ist also hier zum Eindringen unbedingt berechtigt, auch wenn ihr
Zweck ein bloſses Überwachen und Nachforschen ist. Darin liegt die
rechtliche Bedeutung des Begriffes der polizeioffnen Räume17.
Diese Polizeioffenheit wirkt an sich nur ein unbedingtes Recht,
einzutreten und zu verweilen, nicht auch das Recht, innere Durch-
suchungen vorzunehmen, Sachen mit Beschlag zu belegen, Proben zu
entnehmen. Das sind wieder besondere Befugnisse, die sich kraft be-
sonderen Rechtsgrundes damit verbinden mögen. —
Zur Nachtzeit unterliegt das polizeiliche Eindringen weiteren
Beschränkungen. Von der dem Gebiete der gerichtlichen Polizei an-
gehörigen Haussuchung (Stf.Pr.O. § 104) sehen wir wieder ab. Für die
reine Polizei genügt es hier nicht, daſs sie etwas in dem Hause zu
thun hat. Es muſs noch etwas Auſserordentliches hinzukommen,
das sie zu sofortigem Handeln beruft; sonst hat sie zu warten, bis
die Tageszeit da ist.
Das kann sein ein dringender Notfall nach den Rücksichten,
welche auch das Eindringen eines Privaten entschuldigen würden:
Feuersnot, Wassersnot, Lebensgefahr der Inwohner, die abgewendet
werden soll, sind die Hauptbeispiele, aber weitere Fälle ähnlicher Art
können der Natur der Sache nach nicht ausgeschlossen sein.
Daneben gilt als formeller Grund für das Eindringen der Polizei
ein Hülferuf, der aus der Wohnung heraus an sie ergeht. Es
[369]§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.
braucht nicht der Herr der Wohnung zu sein, der sie auf solche
Weise einlädt. Jeder, der berechtigter oder unberechtigter Weise
sich darin befindet, hat die Fähigkeit, diese Zuständigkeit der Polizei
zu begründen. Der Ruf muſs nicht aus dem Hause heraus ergehen,
es genügt, daſs der Einladende von dort herkommt. Die verlangte
Hülfe kann nur in einer pflichtmäſsigen dringlichen Amtshandlung be-
stehen. Es ist aber nicht notwendig, daſs sie schon beim Hülferuf
immer deutlich und einzeln bezeichnet sei, noch daſs die Polizei darum
besonders angeredet werde. Der Ruf: „zu Hülfe!“ oder gar nur
„Polizei!“ ist ein genügender Grund des Eindringens18.
Aus den besonderen gesetzlichen Ermächtigungen zum Nachsehen
nach gewissen Vorgängen kann sich auch die Befugnis zum Eindringen
zur Nachtzeit ergeben, sofern eben das zu Überwachende ordnungs-
mäſsig zur Nachtzeit vor sich geht, z. B. ein Fabrikbetrieb.
Die polizeioffnen Räumlichkeiten, welche diese Eigenschaft auch
zur Nachtzeit haben, sind damit naturgemäſs auch für diese Zeit dem
polizeilichen Eindringen ausgesetzt, so lange sie also geöffnet bleiben.
Nach Schluſs der Wirtschaft und Entfernung der Gäste ist auch dieses
Haus wie ein anderes geschützt.
3. Das schärfste Mittel zur Überwältigung einer Person ist der
Waffengebrauch. Derselbe steht den der polizeilichen Gewalt-
anwendung dienenden Mannschaften in verschiedenem Maſse zur Ver-
fügung.
Den Ausgangspunkt für die ganze Lehre muſs die Thatsache
bilden, daſs der Waffengebrauch mit seinen Wirkungen über das
grundsätzliche Maſs des Polizeizwangs hinausgeht. Denn die Gewalt-
anwendung soll die Störung abwehren, den Störer unfähig machen,
sie fortzusetzen; sie soll ihm aber kein Übel zufügen, welches fort-
dauert, wenn die Störung überwunden ist. Der Waffengebrauch führt
seiner Natur nach immer zu einem solchen Übel. Also ist er, im
Gegensatz zu den zwei bisher besprochenen Gewaltmitteln, nicht schon
von selbst damit zulässig, daſs Gewaltanwendung überhaupt zulässig
geworden ist. Es bedarf einer eignen rechtlichen Grundlage dafür,
daſs gerade dieses scharfe Mittel soll gewählt werden dürfen.
Diese Grundlage kann gegeben sein in dem gemeinen Rechte
der Notwehr. Die Fälle, wo polizeiliche Gewaltanwendung zulässig
ist für unmittelbaren Zwang, namentlich die polizeiliche Selbst-
verteidigung und die Verhinderung strafbarer Handlungen, decken
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 24
[370]Die Polizeigewalt.
sich nicht vollständig mit dem Begriffe der Notwehr; aber es sind
darunter Fälle, wo beides zusammentrifft, wo also auch der Polizei-
beamte in der Lage ist, einen rechtswidrigen Angriff von sich selbst
oder von einem Anderen abzuwehren (Stf.G.B. § 53, Abs. 2). Da
tritt der polizeiliche Zweck in den Hintergrund und das Maſs der
Gewalt, insbesondere auch die Frage der Zulässigkeit des Gebrauchs
einer Waffe, die bei der Hand ist, bestimmt sich nach denselben
Regeln, die für jedermann gelten im Falle der Notwehr. Eine ver-
waltungsrechtliche Besonderheit besteht dafür nicht. Das wird auch
dadurch nicht anders, daſs der Beamte mit Rücksicht auf die Angriffe,
welchen er in Verrichtung seines Dienstes entgegenzutreten haben
kann, mit einer Dienstwaffe ausgerüstet ist. Damit ist für ihn
alsdann die Dienstvorschrift verbunden, womöglich nur die Dienst-
waffe und kein anderes Werkzeug als Waffe zu gebrauchen. Für das
Verhältnis nach auſsen steigert sich zugleich die thatsächliche Wahr-
scheinlichkeit des Waffengebrauchs, da eine Waffe immer zur Hand
ist. Der Gebrauch einer gelinderen Waffe wird gegenüber dem Be-
troffenen niemals rechtswidrig sein, der Gebrauch einer schärferen
möglicher Weise nach den Grundsätzen der Notwehr gerechtfertigt
erscheinen. Die Ausrüstung mit einer Dienstwaffe für sich allein be-
gründet für den Polizeibeamten keine Besonderheit gegenüber dem
gemeinen Rechte der Notwehr.
Daneben steht nun aber eine besondere Regelung des
Waffengebrauches durch ausdrückliche Gesetzgebung19.
Diese hat überall zunächst die Fälle im Auge, in welchen die
Gendarmerie von ihrer Dienstwaffe Gebrauch machen darf.
Auch in der Bezeichnung dieser Fälle herrscht, mit einzelnen
Abweichungen, im wesentlichen Übereinstimmung. Der Gendarm hat
sich seiner Waffe zu bedienen: zur Verteidigung gegen thätliche An-
griffe oder gefährliche Drohungen, für sich oder Andere; zur Brechung
des Widerstandes durch Thätlichkeit oder Drohung, durch welche
seine Amtsthätigkeit, namentlich die Vornahme einer Verhaftung, die
Behauptung eines Postens vereitelt werden soll; nach manchen Rechten
auch zur Verhinderung der Flucht eines Verhafteten.
Diese besonderen Waffengebrauchsbefugnisse, das ist nicht zu ver-
kennen, gehen in mehreren Punkten über das Recht der Notwehr
[371]§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.
hinaus; Brechung des Widerstandes, Verhinderung der Flucht u. dgl.
lassen sich nicht mehr unter diese bringen. Andererseits ist der
Waffengebrauch, wie oben ausgeführt, niemals als natürliches Mittel
der Gewaltanwendung im polizeilichen Zwangsrechte begriffen. Daraus
folgt, daſs diese besonderen Befugnisse beschränkt sind auf das Maſs,
welches das Gesetz ihnen zuweist. Das Notwehrrecht bleibt in seinem
vollen Umfange daneben auch zu Gunsten des Gendarmen bestehen,
soweit es überhaupt noch nützlich werden kann20. Die darüber hinaus
gehenden Waffengebrauchsrechte aber können nur durch Gesetz oder
gesetzmäſsige Verordnung verliehen werden, nicht durch Dienst-
anweisung21.
In weiterem Maſse und in anderen Fällen das besondere Waffen-
gebrauchsrecht zu üben, als das Gesetz es ihm erlaubt hat, kann der
Gendarm auch nicht durch ausdrücklichen Einzelbefehl eines Dienst-
vorgesetzten ermächtigt werden; es handelt sich hier um eine Regel,
die für sein eignes Thun unmittelbar gegeben ist. Da deckt ihn kein
Befehl für die Zuwiderhandlung22.
Diese besonderen Befugnisse kann der Beamte auch nicht mit
anderen Waffen ausüben, als mit den im Gesetz bezeichneten, mit
„den ihm anvertrauten Waffen“, den Dienstwaffen.
Endlich steht diese Befugnis durchaus nicht von selbst jedem
polizeilichen Vollstreckungsbeamten zu, auch nicht jedem Voll-
streckungsbeamten, welchen die Behörde für gut findet, mit einer
Waffe auszurüsten23. Maſsgebend ist vielmehr die Begrenzung der
24*
[372]Die Polizeigewalt.
berechtigten Beamtenart, welche das Gesetz selbst gegeben hat. Ge-
meint sind in erster Linie die Gendarmen. Auch wo das Gesetz nur
diese nennt, ist eine ausdehnende Auslegung zu Gunsten von Be-
amtenarten, welche einen anderen Namen führen, nicht ausgeschlossen.
Es kommt nur darauf an, ob diese trotz des anderen Namens wesent-
lich das Gleiche vorstellen, was die Gendarmerie. Diese wesentliche
Gleichheit hat aber zum Merkmal nicht den Besitz einer Dienstwaffe,
sondern die Voraussetzung, an der das besondere Recht des Gendarmen
hängt und mit welcher es sich auch auf andere Beamten erstreckt,
ist die militärische Organisation. Das Vorrecht des polizei-
lichen Waffengebrauches, welches der Gendarmerie gegeben ist, be-
steht ja von Haus aus — zum Teil in noch schärferen Formen —
für die militärischen Wachen, Posten und Patrouillen (unten III).
Indem die Gendarmerie als besondere Truppe für den Polizeidienst
ausgeschieden wurde, war es, wenn nicht ausdrücklich gesagt, so doch
stillschweigend verstanden, daſs die Eigentümlichkeiten der militäri-
schen Gewaltübung auch für den inneren Sicherheitsdienst beibehalten
seien24. Wenn das Gesetz dieses Vorrecht nun ausdrücklich regelt,
so hat es damit gerade die Besonderheit der militärisch geordneten
Polizeimannschaft im Auge. Es ist daher unbedenklich, diese Regeln
gelten zu lassen für alle Polizeimannschaften, bei welchen dieses ent-
scheidende Merkmal in gleicher Weise zutrifft. Das wird vor allem
der Fall sein bei der militärisch organisierten Schutzmannschaft der
groſsen Städte.
Wo dieses Merkmal nicht zutrifft, ist die ausdehnende Auslegung
unstatthaft. Nur eine besondere gesetzliche Bestimmung könnte das
Vorrecht im Waffengebrauch für einen weiteren Beamtenkreis be-
gründen.
III. Das stehende Heer, der miles perpetuus, hat den idealen
Gebilden unserer werdenden Staatsgewalt den Boden in der harten
23
[373]§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.
Wirklichkeit geschaffen; auch die innere Souveränetät ist sein Werk.
Nachdem jetzt die Verwaltung, besonders die Polizei, sich längst ge-
rüstet hat mit eignen Zwangsmitteln, steht noch immer das Heer und
sein unerschöpflicher Kraftvorrat daneben, um der Aufrechterhaltung
der guten Ordnung des Gemeinwesens durch die nötige Gewalt-
anwendung zu dienen. Nicht bloſs im äuſsersten Notfall erscheint es
als letztes Zwangsmittel; weniger auffallend, aber viel bedeutsamer
ist die Mitwirkung, die es im täglichen Garnisonwachdienste
leistet.
Was wir bisher über die polizeiliche Gewaltübung und ihre
Rechtsgrundlagen ausgeführt haben, findet alles auf diese Thätigkeit
nicht von selbst schon Anwendung. Denn der Soldat ist kein polizei-
licher Vollstreckungsbeamter; die wesentliche Bestimmung des Heeres
überhaupt ist eine andere als die, polizeiliche Zwecke zu verfolgen.
Wir fragen also: wie rechtfertigt sich die Gewaltanwendung des
Militärs gegenüber dem Unterthanen oder, wie man es auch ausdrückt:
in Friedenszeiten? Davon, daſs die Gewalt schon um deswillen recht-
lich zulässig wäre, weil sie thatsächlich nur allzuleicht möglich ist,
kann ja für uns keine Rede sein.
Wir haben ausdrückliche Gesetze, welche sich auf diesen Gegen-
stand beziehen. Sie bilden teils besondere Rechtsinstitute aus, wie
den Belagerungszustand, die Bekämpfung des Aufruhrs.
Andern Teils regeln sie ganz allgemein den Waffengebrauch des
Militärs in Friedenszeiten. Die letzteren Bestimmungen gehen uns
hier vor allem an25.
Da ist nun zu beachten, daſs in ihnen stets ein pflicht-
mäſsiges und rechtmäſsiges Thätigwerden des Militärs
schon vorausgesetzt ist, in dessen Verlauf es zu dem Waffen-
gebrauch, den sie regeln, kommen kann, als: Verhaftungen, Trans-
portierungen, Beschützung von Einrichtungen, Gebäulichkeiten und
Personen, Absperrungsmaſsregeln u. s. w. Die rechtlichen Grundlagen
dieser vorausgesetzten Thätigkeiten selbst sind also erst noch in Frage.
Durch die Bestimmungen über den Waffengebrauch des Militärs ist
noch nicht gesagt, wie und wann das Militär überhaupt dazu kommt,
polizeiliche Zwecke dem Unterthanen gegenüber zu vertreten und dafür
thätig zu sein.
[374]Die Polizeigewalt.
Der Soldat wird sich einfach auf seine Dienstinstruktion berufen
oder auf besonderen Befehl eines Vorgesetzten. Der militärische Ge-
horsam versagt ihm alle weitere Prüfung und deckt ihn auch persön-
lich gegen die Folgen. Den Unterthanen gegenüber ist das kein
Rechtstitel. Dienstinstruktion und Dienstbefehl können in dieser Be-
ziehung nichts weiter thun, als die für die Militärgewalt ohnehin vor-
handenen Befugnisse formulieren, anwenden, zuteilen.
Die rechtmäſsige polizeiliche Thätigkeit des Militärs ist das Er-
gebnis verschiedener Gründe, welche es zu solcher berufen können.
Es lassen sich drei Hauptarten militärischer Gewaltanwendung in
Friedenszeiten unterscheiden.
1. Der ungestörte Gang der öffentlichen Anstalten und
Einrichtungen ist ein Bestandteil der guten Ordnung des Gemein-
wesens und die Abwehr von Störungen davon durch obrigkeitliche
Gewalt ein Hauptstück der Polizei (vgl. oben § 19, I n. 3). Diese
Abwehr wird in Gestalt des unmittelbaren Zwanges geübt durch das
allgemeine Polizeipersonal, die polizeilichen Vollstreckungsbeamten,
oder auch selbständig durch die geeigneten Unterbeamten und Diener
der betreffenden Anstalt: Wasserbaubeamte, Wegewärter, Gerichts-
unterbeamte, Totengräber u. s. w. Das Recht dazu beruht auf den
Grundsätzen der verwaltungsrechtlichen Selbstverteidi-
gung (oben § 24, I). Eine derartige Anstalt ist auch das Heer, bei
welchem nur das Besondere obwaltet, daſs es die persönlichen Kräfte
zu selbständiger Abwehr überreich und überstark besitzt.
Auf Grund dieses Rechtes schützt das Heer durch seine Mann-
schaften seine Dienstgebäude, Ubungsplätze, Festungswerke und alles,
was dazu gehört, Geräte, Werkzeuge, Waffen, Vorräte und Inventar-
stücke jeder Art, verschossene Munition u. s. w. Schädigungen und
Störungen der Brauchbarkeit werden abgewehrt mit unmittelbarem
Zwang. Alle Formen der Gewaltanwendung mögen dazu dienen. Die
Festnahme der Person des Angreifers kann dabei um der begangenen
strafbaren Handlung willen nach den Regeln der Stf.Pr.O. zulässig
sein, aber auch ohne das dient sie als einfaches Verhinderungsmittel
nach selbstverständlichem Rechte, wie oben (II n. 1) ausgeführt. Und
zwar ist sie hier immer das verhältnismäſsig gelindere Mittel. Denn
die Erlaubnis zum Gebrauch der Waffe fügt das ausdrückliche Gesetz
noch oben drein hinzu.
In gleicher Weise wird auch der Geschäftsbetrieb der groſsen
Heeresanstalt selbst gegen Störungen verteidigt. Dieser Geschäfts-
betrieb hat nicht bloſs seine eigenen Räumlichkeiten, sondern ent-
faltet sich auch in Märschen, Aufstellungen, Paraden auf öffentlichen
[375]§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.
Straſsen und Plätzen, das Publikum verdrängend und seinerseits
keinerlei Beeinträchtigung duldend: wir sehen die Straſse durch
Posten gesperrt, welche die Vordrängenden mit dem Kolben abweisen
wir sehen den eiligen Mann, der durch die lange Reihe der mar-
schierenden Truppe hindurch den jenseitigen Bürgersteig gewinnen
will, mit der flachen Degenklinge behandelt. Das ist nicht, wie es
scheinen könnte, einfache Gewaltthat, sondern die Selbstverteidigung
einer gegen Störungen allerdings sehr empfindlichen öffentlichen
Anstalt, — Polizei26.
2. Bildet das Bisherige eine Art eigner Polizeigewalt der mili-
tärischen Anstalt gegenüber den Unterthanen, so kann das Heer
andererseits auch berufen sein, an fremder Polizei durch Gewaltübung
Teil zu nehmen, d. h. an der anderen Verwaltungen zustehenden
Polizeithätigkeit. Das ist abgeleiteter militärischer Polizei-
zwang. Gegenstand und Umfang richten sich nach dem Rechte des
Verwaltungszweiges, welchem die militärische Hülfsthätigkeit sich an-
schlieſst. Nur sind naturgemäſs die Voraussetzungen und die Formen
dieser Hülfsthätigkeit möglichst einfach und gleichförmig gestaltet, so
daſs die Mannschaft in deutlich gezeichneten Bahnen sich bewegt.
Es können andere staatliche Einrichtungen und Anstalten eines
stärkeren Schutzes bedürfen, als ihre eigenen Kräfte und das all-
gemeine Polizeipersonal ihnen zu gewähren vermögen; das Heer giebt
für sie alsdann Wachen und Posten ab. Das geschieht vor allem zur
Bedeckung von Gefängnisanstalten und sonstigen wichtigen staatlichen
Gebäuden. Was hier an polizeilichem Zwang für das Militär zu thun
ist, bestimmt lediglich die Dienstinstruktion. Das Recht zum Zwang,
in dessen Umfang sich die Dienstinstruktion halten muſs, entlehnt sie
einzig aus dem Selbstverteidigungsrechte der beschützten Anstalt;
immer mit Hinzufügung der besonderen gesetzlichen Zwangsform des
Waffengebrauchs27.
[376]Die Polizeigewalt.
Die ordentliche Polizeimannschaft kann auſserdem im Einzelfall
einer Störung der guten Ordnung gegenüberstehen, für welche sie
zu schwach ist. Das Gesetz gestattet unter gewissen Voraussetzungen,
die Hülfe des Heeres dafür in Anspruch zu nehmen, welches dann
neben jener oder an ihrer Stelle handelt in den ihm eigentümlichen
scharfen Formen der Gewaltanwendung. Der Hauptfall ist das Ein-
schreiten des Militärs zur Bekämpfung von Aufläufen und Aufruhr;
das Gesetz giebt hier der militärischen Thätigkeit sogar einen selb-
ständigen Rechtsgrund, so daſs möglicher Weise auch ohne Ersuchen
der Polizeibehörde gehandelt werden kann. Das ist besonderes Recht.
Aber auch in minder schweren Lagen, die vom Gesetze nicht besonders
vorgesehen sind, kann für die Polizeimannschaft eine derartige Hülfs-
bedürftigkeit eintreten. Die militärischen Wachen, Posten und Pa-
trouillen pflegen durch ihre Instruktion angewiesen zu sein, ihr Bei-
stand zu leisten. Der Rechtsgrund liegt dann in der Gewaltübungs-
befugnis des unterstützten Polizeibeamten, wenn auch dieser mit
dem Einschreiten des Militärs die Leitung der Gewalthandlungen
verliert28.
3. Endlich kann die Gewaltanwendung des Militärs gegen den
Einzelnen gerechtfertigt werden durch dieselben Gründe,
welche auch jeden Privaten dazu befugt machen
würden. Die Notwehr des Soldaten im Dienste zur Abwehr eines
gegen ihn selbst oder andere Angehörige des Heeres im Dienste ge-
richteten Angriffs fällt noch unter die verwaltungsrechtliche Selbst-
verteidigung (oben n. 1). Dagegen übt er wie ein Privater nach den
Grundsätzen des Stf.G.B. die Notwehrhülfe bei dem rechtswidrigen An-
griffe gegen eine andere Person, sei es ein Privater oder ein Beamter.
Desgleichen sind die Wachen, Posten und Patrouillen zur vorläufigen
Festnahme des auf frischer That Betroffenen nach Stf.Pr.O. § 127 be-
fugt, wie jedermann.
Ob es ihnen dienstlich gestattet ist, hängt von Instruktion und
Dienstbefehl ab. Ist es nicht der Fall, so hindert das die Rechtmäſsig-
keit der Gewalthandlung gegenüber dem Vergewaltigten nicht, da das
gesetzliche Recht für sich besteht. Ist es aber der Fall, so ist das
[377]§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.
Einschreiten des Soldaten geschützt durch die Strafbarkeit des Wider-
standes, der ihm geleistet wird, nach Stf.G.B. § 113 Abs. 2, und über-
dies noch ausgestattet mit dem Waffengebrauchsrechte unter den Be-
dingungen der hierfür bestehenden besonderen Gesetze29. Die Voraus-
setzungen für die rechtliche Zulässigkeit des Einschreitens bleiben
nichtsdestoweniger auch alsdann gebunden an das, was den Rechts-
grund bildet, an die strafgesetzliche Notwehr und das allgemeine Fest-
nahmerecht. Unzulässig ist also die Verhaftung, wenn der Thäter
der Flucht nicht verdächtig und seine Persönlichkeit festgestellt ist.
Ein besonderes Verhaftungsrecht des Militärs wegen jeder Strafthat
besteht nicht. Die Instruktion kann es auch nicht verleihen.
Diese letzte Gruppe von militärischer Gewaltübung fällt dem-
nach ganz aus dem Kreise der Polizeigewalt heraus: es ist das ge-
Recht für jedermann, was dafür gilt, nur verstärkt durch militärrecht-
liche Zuthaten für die Art der Ausübung.
[[378]]
Zweiter Abschnitt.
Die Finanzgewalt.
§ 26.
Staatshaushaltsgesetz und Finanzgewalt.
Finanzen sind die Staatseinnahmen; Finanzverwaltung
ist die auf die Staatseinnahmen gerichtete staatliche Thätigkeit.
Finanzgewalt ist die öffentliche Gewalt, sofern sie verwendet wird
für die Staatseinnahmen.
Sie erscheint nicht in den privatwirtschaftlichen Thätig-
keiten, durch welche der Staat Einnahmen zu erzielen vermag, in
civilrechtlichen Veräuſserungen des Staatsgutes und seiner Erträgnisse,
Miet- und Pachtverträgen u. dergl.
Wir erkennen sie aber auch nicht in allen öffentlichrechtlichen
Verhältnissen, bei welchen ein Vermögensvorteil für den Staat heraus-
kommt. Geldstrafen und Konfiskationen, Entgelte für gewährte
Nutzungen und Erstattungsansprüche wegen anvertrauter öffentlicher
Gelder gehören in den Zusammenhang ihrer besonderen Rechts-
institute als Mittel zum Zweck oder Ergebnisse vorausbestehender
Verhältnisse.
Als Finanzgewalt bezeichnen wir die öffentliche Gewalt nur da,
wo sie ohne solche besondere Zusammenhänge selbständig zu
Gunsten der Staatseinnahmen auf den Unterthanen einwirkt.
In dieser Abgrenzung bildet die Finanzgewalt den Oberbegriff
für eine Reihe zugehöriger Rechtsinstitute, mit welchen sie der Polizei-
gewalt als wesentlich gleich geartete Grundform und in ausgeprägter
innerer Verwandtschaft zur Seite tritt.
[379]§ 26. Staatshaushaltsgesetz und Finanzgewalt.
In beiden erscheint die reine öffentliche Gewalt mit spröder Ein-
seitigkeit. Hier wird überall nur befohlen, auferlegt, gezwungen; wo
etwas gewährt wird, ist es höchstens ein Aussetzen dieser Gewalt-
einwirkung. Wir werden sehen, wie sich diese Verwandtschaft auch
in einem gewissen Gleichklang der beiderseitigen Rechtsinstitute be-
kundet.
Andererseits aber ist diesen beiden Gewaltarten von Haus aus
ein bedeutsamer Unterschied mitgegeben.
Hinter der Polizeigewalt fanden wir ein naturrechtliches Prinzip,
das ihr Recht auslegen hilft und ergänzt, die allgemeine Pflicht, die
gute Ordnung nicht zu stören. Die Ausübung der Finanzgewalt hat
einen derartigen naturrechtlichen Hintergrund nicht; die allgemeine
Unterthanenpflicht, Steuer zu zahlen, ist eine bloſse Redensart ohne
juristischen Wert.
Dafür haben die Einrichtungen des Verfassungsstaates über die
ganze Bewegung der Finanzen und insbesondere die wichtigste Art
der Äuſserungen der Finanzgewalt, die Steuererhebung, einen anderen
groſsen Regulator gestellt. Das ist der Staatshaushaltsplan, welcher
seinerseits durch das Budgetrecht der Volksvertretung bestimmt wird
und im Staatshaushaltsgesetz (Etatsgesetz) erscheint.
Welches die Bedeutung dieses Gesetzes sei, darüber herrscht in
der Staatsrechtswissenschaft groſse Meinungsverschiedenheit. Die Mehr-
zahl der aufgestellten Theorien läuft darauf hinaus, daſs sie, folge-
richtig durchgeführt, dem Staatshaushaltsgesetz eine rechtliche Wirkung
beilegen, die tief in unser Gebiet, in das des Verwaltungsrechts ein-
greifen müſste.
Dahin gehört vor allem die Lehre, wonach die Positionen des
Haushaltsgesetzes Rechtssätze sind zur bindenden Regelung der
Finanzverwaltung1. Ebenso würde die Bezeichnung der Feststellung
des Haushaltsplanes als Verwaltungsakt wichtige Folgen für uns
einschlieſsen, sofern man wenigstens mit diesem Begriff einen Akt
von gewisser rechtlicher Bedeutung meint2. Eine andere Theorie
spricht von einer Vollmacht, die hier der Regierung erteilt wird,
um die Finanzverwaltung zu führen, die Einnahmen zu erheben, die
Ausgaben zu leisten; und die Vollmacht müſste als solche selbst-
[380]Die Finanzgewalt.
verständlich wieder nach auſsen wirken3. Oder man giebt dem Gesetz
die Bedeutung einer Instruktion für die mit der Ausführung des
Etats betrauten Behörden, also einer Bestimmung des Inhalts ihrer
Dienstpflicht4.
Jedenfalls können wir an dem Staatshaushaltsgesetz nicht vorüber
gehen, ohne den Einfluſs genauer abzugrenzen, welchen es auf unser
Gebiet auszuüben berufen ist.
Wie für den Begriff des Gesetzes (oben § 5), so hat auch für
die Bestimmung des Anteils der Volksvertretung an der Finanz-
verwaltung das neuzeitliche Verfassungsrecht angeknüpft an Rechts-
ideen der vorausgegangenen Zeit. Bei den älteren Verfassungen tritt
das deutlich hervor in der Ordnung der Steuerauflagen. Diese ge-
schieht grundsätzlich auf Zeit und stellt nicht, wie sonst das ver-
fassungsmäſsige Gesetz, nur einen gemeinsamen Akt vor, den Volks-
vertretung und Regierung zusammen gegenüber den Unterthanen
erlassen, sondern wird zugleich aufgefaſst als eine Bewilligung,
welche die Volksvertretung der Regierung macht. Niemals würde
man ein Polizeigesetz zugleich als die Bewilligung von Polizei-
maſsregeln zu Gunsten des einen gesetzgebenden Faktors durch den
anderen auffassen. Das Bild der Landstände, welche dem Fürsten
„mit einer Geldsumme beispringen“, ist aber in dieser Steuer-
bewilligung noch lebendig5. Die Formeln für das neue Verfassungs-
recht haben wir freilich aus Frankreich bezogen, unmittelbar oder
über Belgien. Aber gerade dort sind die Zusammenhänge mit den
gleichen altständischen Anschauungen ganz unverkennbar6.
[381]§ 26. Staatshaushaltsgesetz und Finanzgewalt.
Wir bewegen uns also bei dieser Auffassung auf dem Boden
eines gegenseitigen Verhältnisses zwischen Regierung und Volks-
vertretung. Diese ist verpflichtet, das Nötige zu bewilligen, damit
jene die Geschäfte führen könne, aber andererseits ermiſst sie selbst,
was nötig ist und wofür die Steuern bewilligt sein sollen; sie giebt
den bewilligten Steuergeldern ihre Bestimmung mit, bindend für die
Regierung. In diesem Sinne spricht man von einem Steuerbewilli-
gungsrecht, welches der Volksvertretung der Regierung gegenüber zu-
stehen soll und das sich nun von selbst als ihr Budgetrecht mit
allen seinen Einzelheiten entfaltet. Sobald Steuern erhoben werden
sollen, muſs man ihr den Staatshaushaltsplan vorlegen, der eine Auf-
stellung der bevorstehenden Einnahmen und Ausgaben enthält7. Sie
schätzt die Einnahmen, erkennt die Ausgaben nach Gegenstand und
Höhe an, wie sie es pflichtmäſsig für richtig findet, und bewilligt für
den zu deckenden Saldo die nötigen Steuern. Dann sind die sämt-
lichen Mittel des Staates an die Einhaltung der Grenzen der „be-
willigten“ Ausgaben gebunden. In jeder Ausgabe steckt Steuergeld8.
Eine Überschreitung dieser Ausgaben durch die Regierung ist Ver-
letzung des Steuerbewilligungsrechts der Volksvertretung und be-
gründet die Ministerverantwortlichkeit.
So ist die Sache in den ursprünglichen Verfassungen gedacht. Die
spätere Entwicklung hat den darin enthaltenen Kern zum Teil in
andere Formen gekleidet.
Es sind vor allem zwei Erscheinungen, die da in Betracht
kommen.
1. Die Feststellung des Staatshaushaltsplanes ist wesentlich ein
Beschluſs der Volksvertretung, den die Regierung dann, von dem Fall
des Verfassungskonfliktes abgesehen, einfach hinnimmt9. Es hat sich
[382]Die Finanzgewalt.
nun sehr bald der Gebrauch gebildet, diese Willensübereinstimmung
in die Form eines Gesetzes zu fassen und als solches zu veröffent-
lichen10. Spätere Verfassungstexte haben diese Form ausdrücklich
vorgeschrieben11. Die rechtliche Bedeutung des Vorgangs wird da-
durch keine andere. Das Finanzgesetz soll nichts anderes zum Aus-
druck bringen als das Budgetrecht der Volksvertretung, wie es nun
einmal im konstitutionellen System liegt. Daher man auch bei der
weiteren Behandlung des Staatshaushalts zwischen Regierung und
Volksvertretung die Gesetzesform, ob vorgeschrieben oder freiwillig
gewählt, ganz unbefangen wieder zu verlassen pflegt: in scheinbarer
Folgewidrigkeit wird die Abnahme der Rechnungen über den ge-
führten Haushalt, die Entlastung der Regierung und sogar die Ge-
nehmigung der Ausgabeüberschreitungen durch bloſsen Beschluſs der
Volksvertretung vorgenommen12. Hier tritt die Natur der Sache
wieder einfach zu Tage, wonach die Volksvertretung in Sachen des
Staatshaushaltsplanes gegenüber der Regierung handelt, nicht wie
im Gesetz, das mit Rechtssätzen, Verwaltungsakten und dergleichen
nach auſsen wirkt, mit ihr.
2. Die bindende Kraft des festgestellten Staatshaushaltsplans be-
ruht ursprünglich auf der daran gehängten Steuerbewilligung. Dem
entspricht es, daſs auch die Steuerbewilligung nur für den gleichen
9
[383]§ 26. Staatshaushaltsgesetz und Finanzgewalt.
begrenzten Zeitraum geschieht, für welchen der Haushaltsplan gelten
soll. Wenn die eine oder andere Steuerart ständig wird — nament-
lich bei den indirekten Steuern liegt das ja von vornherein nahe —,
so thut das jenem Gedankengange noch keinen Eintrag; die haus-
haltsplanmäſsige Ausgabengrenze bleibt bindend, so lange überhaupt
noch Steuern zur Aufbringung der Gesamtmittel mit dieser Maſsgabe
bewilligt sind. Es tritt nur eine gewisse Abschwächung des Systems
ein. Denn die ursprüngliche Form enthielt einen zweifachen Rechts-
zwang für die Regierung: wenn sie Ausgaben macht, die nicht an-
erkannt sind, verletzt sie das Recht der Volksvertretung, und wenn
sie Steuern erhebt, die nicht jedesmal neu bewilligt sind, verletzt sie
überdies das Recht jedes einzelnen Steuerzahlers gemäſs der Wirkung
des verfassungsrechtlichen Vorbehalts des Gesetzes. Diese letztere
Seite wird also mit der Ausdehnung der ständigen Steuern an Be-
deutung verlieren. Die andere bleibt unverändert.
Diese zweite Seite kann aber gänzlich wegfallen und damit auch
die Verknüpfung von Steuerbewilligungsrecht und Budgetrecht auf-
gehoben werden. Das ist dann der Fall, wenn es Grundsatz wird,
daſs alle Steuern ständig, ein- für allemal bewilligt sind.
Da besteht dann auch der juristische Grund nicht mehr, der dem
Haushaltsplan ursprünglich seine bindende Kraft für die Regierung
gab. Und da kommt nun die sonst ziemlich überflüssige Verfassungs-
bestimmung zu selbständiger Bedeutung, die besagt: der Staatshaus-
haltsplan ist in Form eines Gesetzes festzustellen13. Sie ist nichts
Anderes als die unmittelbare Anerkennung des Budget-
rechts der Volksvertretung, das ohne sie nicht bestünde. Welches
Budgetrechts? Jedenfalls soll es kein neu erfundenes sein. Weder
die belgische, noch die ihr folgende preuſsische Verfassung, noch die
dieser folgende Reichsverfassung haben den Anspruch erhoben, mit
ihren unklaren Ausdrücken eine grundlegende neue Idee ins Leben
zu führen. Sie wollen nur das Budgetrecht bestätigen, wie es nach
der gemeinen Ordnung des Verfassungsstaates gegeben ist. Jene Be-
stimmung besagt:
die Regierung ist verpflichtet, den Staatshaushaltsplan der Volks-
vertretung vorzulegen, auch wenn keine Steuerbewilligung daran
hängt, damit er in Form eines Gesetzes festgestellt werde, — und:
die Regierung ist der Volksvertretung gegenüber an den fest-
gestellten Haushaltsplan derart gebunden, daſs sie Staatsgelder nicht
für anderes und nicht in höheren Beträgen verwenden darf, als darin
[384]Die Finanzgewalt.
vorgesehen ist, ganz so als wenn die Steuerbewilligung darauf hin
erfolgt wäre14. —
So ist denn die Bedeutung des Staatshaushaltsgesetzes überall
die gleiche und überall die alte. Von Nebenbestimmungen und Neben-
wirkungen, die sich aus besonderen Gründen daran knüpfen können,
sehen wir ab. Was ist es aber nun für eine Art von Akt, der die
ihm eigentümliche rechtliche Wirkung bezeichnet?
Das Staatshaushaltsgesetz ist seinem Inhalt nach nichts anderes
als eine Rechnung, ein Voranschlag, ein Wirtschaftsplan.
Die Regierung, welche der Volksvertretung als die verantwortliche
Verwalterin der Staatsgelder gegenübersteht, würde ihre Pflicht nicht
erfüllen, wenn sie ohne einen solchen Plan wirtschaften wollte. Den
könnte sie aber auch allein machen15.
Das Besondere ist hier, daſs dieser Plan versehen sein muſs mit
einer Erklärung der Volksvertretung, welche die Angemessenheit
seiner Ansätze bezeugt. In diesem Zeugnis liegt das rechtlich
Wesentliche an dem Akt. Seine Wirkung ist, daſs die Regierung der
Volkvertretung gegenüber gedeckt ist wegen der Ausgaben, die sie
gemäſs diesem Zeugnisse vornimmt, sie ist von ihrer Verantwortlich-
keit dafür im voraus entlastet. Aber auf ein bloſses Beruhigungs-
mittel für verantwortungsscheue Minister ist es damit nicht abgesehen.
Sonst könnte eine mutigere Regierung ja auch wohl darauf verzichten
und ohne solche Sicherung die Staatsgelderverwaltung führen, um
hinterdrein anerkennen zu lassen, daſs sie es ordentlich und gewissen-
haft gethan habe16.
[385]§ 26. Staatshaushaltsgesetz und Finanzgewalt.
Das Zeugnis der Volksvertretung hat vielmehr, getreu der ur-
sprünglichen Idee der gebundenen Verwendung der gebilligten Steuern,
eine formelle Bedeutung: die nämlich, daſs ohne solches Zeugnis
die Regierung überhaupt eine Ausgabe nicht machen darf; thut sie
es doch, so ist das schon um dieses Mangels willen verfassungsrecht-
lich ein Unrecht gegenüber der Volksvertretung. Dieses Unrecht kann
gedeckt werden durch nachträgliche Einwilligung des Verletzten. Es
kann auch ausgeschlossen sein durch besondere Entschuldigungsgründe,
den Strafausschlieſsungsgründen vergleichbar: dringender Notstand,
guter Glaube, nahegelegte Erwartung, die Ausgabe werde noch ge-
nehmigt werden. Die Regierung kann auch mit dem Gegenangriff
sich verteidigen, daſs die Volksvertretung ihr Recht miſsbraucht und
ihr Zeugnis zu Unrecht verweigert habe; das ist aber schon keine
Rechtsverteidigung mehr, sondern der offene Verfassungskonflikt. Nie-
mals kann das verfassungsrechtlich erforderte Zeugnis einfach ersetzt
werden durch den Nachweis der Billigkeit und Nützlichkeit der Aus-
gabe, die ein guter Haushalter wohl machen konnte. Das Unrecht
bleibt dann immer noch bestehen in der Verletzung der verfassungs-
rechtlichen Ordnung und des formellen Rechtes der Volksvertretung17.
Ein Zeugnis über die Angemessenheit der zu leisten-
den Ausgaben, dessen die Regierung nach verfassungs-
rechtlicher Ordnung zu deren Rechtfertigung gegen-
über der Volksvertretung bedarf, so ist der rechtlich be-
16
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 25
[386]Die Finanzgewalt.
deutsame Akt zu bezeichnen, der das eigentümliche Wesen der
gesetzlichen Feststellung des Staatshaushaltsplans ausmacht.
Daraus folgt:
1. Die Wirkung des Staatshaushaltsgesetzes bezieht sich aus-
schlieſslich auf das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen Regierung
und Volksvertretung. Sie erstreckt sich in keiner Weise unmittelbar
auf das Verhältnis zwischen Staat und Unterthan, weder im all-
gemeinen, noch auch nur für die im öffentlichen Dienste stehenden
Beamten.
2. Mittelbar wird das Staatshaushaltsgesetz deshalb doch von Be-
deutung auch für unser Rechtsgebiet. Die Rücksicht auf die darin
auszuübenden Rechte der Volksvertretung beeinfluſst die Gestalt der
Gesetze für die Finanzverwaltung, namentlich der Steuerauflage.
Seine Ansätze für Ausgaben und Einnahmen können zum Inhalt
öffentlichrechtlicher Rechtsgeschäfte gemacht werden, von Dienst-
aufträgen der Kassebeamten, Gehaltsbewilligungen, Gebührenauflagen.
3. Im übrigen wirkt es durch die Verantwortlichkeiten, die es
schafft, für die Regierung wenigstens als Beweggrund, ihr ganzes Ver-
halten und das ihrer Untergebenen, soweit Staatsgelder in Betracht
kommen können, danach einzurichten, und wird auf diese Weise in
groſsem Umfang bestimmend für das, was dem Unterthanen gegenüber
geschieht und nicht geschieht.
Mit der Finanzgewalt steht aber demnach das Staatshaushalts-
gesetz nur in einem ganz äuſserlichen Zusammenhang.
§ 27.
Die Steuerpflicht; Arten der Steuerauflage.
Die Steuer ist eine Geldzahlung, welche dem Unter-
thanen durch die Finanzgewalt nach einem allge meinen
Maſsstabe auferlegt ist1.
[387]§ 27. Die Steuerauflage.
Zum Wesen der Steuer gehört demnach, daſs die Zahlungspflicht
begründet wird durch eine Äuſserung der öffentlichen Gewalt, folglich
öffentlichrechtlicher Natur ist.
Zum Wesen der Steuer gehört aber auch, daſs die Auflage er-
folgt nach einem allgemeinen Maſsstabe, d.h. nach rechtssatz-
mäſsig bestimmten und mit einer gewissen Regelmäſsigkeit erscheinenden
Merkmalen. Die Staatsgewalt könnte auch ohne solche Maſsstäbe zu-
greifen im Einzelfall, durch Sondergesetz oder gemäſs Ermächtigungen,
welche der Regierung dazu erteilt sind. Sie wird es thatsächlich nicht
thun, und wenn es geschieht, so würde eine solche vereinzelte Zah-
lungsauflage keine Steuer sein2.
Daſs dieser Maſsstab richtig gewählt werde, dafür giebt die Fi-
nanzwissenschaft die Anleitung; im Wesen der Steuer als einer
Äuſserung der Finanzgewalt liegt es, daſs sie geeignet ist, solchen
Zweckmäſsigkeitsregeln schlechthin zu folgen; denn ihre Auflage ge-
schieht ohne Rücksicht auf irgend welchen rechtfertigenden Zusammen-
hang; sie geschieht voraussetzungslos (oben S. 378). Dadurch
unterscheidet sich die Steuer von einer bedeutsamen Gruppe von
Zahlungspflichten, die sonst äuſserlich viel mit ihr gemein haben
können, von Gebühren und Beiträgen.
Beide bedeuten Geldleistungen, welche der Einzelne zu machen
hat für die besonderen Beziehungen, in welche er zu
einem öffentlichen Unternehmen getreten ist, und als
Entgelt dafür.
Die Gebühr ist der Entgelt dafür, daſs der Einzelne die öffent-
liche Anstalt oder Einrichtung in besonderer Weise für sich in An-
spruch nimmt; der einzelne Akt der Inanspruchnahme giebt der
Zahlungspflicht ihren Grund und Maſsstab. Davon unten in der Lehre
von der Anstaltsnutzung.
Beiträge dagegen sind Geldleistungen des Einzelnen für öffent-
liche Unternehmungen und Einrichtungen, beruhend auf der Voraus-
setzung einer besonderen Zugehörigkeit derselben zu seinem Interessen-
kreise; in ihrer ihn besonders angehenden Beschaffenheit und
1
25*
[388]Die Finanzgewalt.
Zweckbestimmung liegt das Entgeltverhältnis. Davon unten in der
Lehre von den öffentlichen Lasten3.
Der Akt, durch welchen die Steuerpflicht begründet wird, ist die
Steuerauflage. Dieser Akt tritt unter die Forderungen des Ver-
fassungs- und Rechtsstaates.
Die Steuerauflage ist ein Eingriff in die Freiheit und bedarf als
solcher verfassungsmäſsig einer gesetzlichen Grundlage.
Der Rechtsstaat verlangt, daſs sie möglichst in seine Formel:
Rechtssatz, Verwaltungsakt, Ausführung sich einfüge; nur möglichst,
wie immer. Die Rücksichten finanzwirtschaftlicher Zweckmäſsigkeit
setzen dafür wieder eine Grenze.
Insbesondere aber wird die Steuerauflage in ihrer rechtlichen Ge-
staltung noch beeinfluſst durch den Zusammenhang mit dem ver-
fassungsmäſsigen Budgetrecht der Volksvertretung und durch die
ebenfalls ganz dem Kreise des Verfassungsrechtes angehörige Idee,
daſs im Steuergesetz eine Bewilligung der Steuer durch die Volks-
vertretung an die Regierung liege4.
Dadurch ergeben sich verschiedene Begründungsformen der Steuer-
pflicht und dem entsprechend unterschiedene Arten von Steuern.
I. Die Steuerauflage bedarf als Eingriff der gesetzlichen Grund-
lage. Die kann hier von vornherein nicht in der Weise gegeben
werden, daſs das Gesetz eine allgemeine Ermächtigung zu Einzelakten
erteilt, welche die Regierung dann mit freiem Ermessen vornimmt.
Das Vorbild des Polizeibefehls ist für die Steuerauflage darin nicht
nachahmbar. Denn zu ihrem Wesen gehört es, nach einem allgemeinen
Maſsstabe, also rechtssatzmäſsig bestimmt zu erfolgen.
Den Ausgangspunkt bildet also ordentlicherweise ein Gesetz,
welches in Form einer allgemeinen Regel die Steuerpflicht so genau
bestimmt, daſs ihre Durchführung nichts ist als die Anwendung dieses
Rechtssatzes auf den Einzelfall ohne Zuthat irgend welchen freien Er-
messens.
Dieses Steuergesetz hat dann einen dreifachen Inhalt. Es
bestimmt die äuſserlichen Merkmale, an welche die Steuerpflicht sich
knüpft, den Gegenstand der Besteuerung; sodann die Höhe
des Betrages, mit welchem die Steuerpflicht ihn treffen soll, den
Steuersatz; und endlich das Verfahren, in welchem die Steuer-
pflicht zur Durchführung kommt, die Erhebungsform.
[389]§ 27. Die Steuerauflage.
Die Unterscheidung dieser drei Stücke wird sofort von Wichtigkeit.
Nach dem Bisherigen würde sowohl die Forderung der gesetz-
lichen Grundlage als die Forderung des allgemeinen Maſsstabes voll-
kommen zu erfüllen sein dadurch, daſs das Gesetz die Regierung er-
mächtigte, in Form der Verordnung das Nötige für einen bestimmten
Zweck selbst festzusetzen, wie das ja im Gebiete der Polizeigewalt in
so groſsem Umfange geschieht.
Thatsächlich finden dergleichen Machtübertragungen nur statt be-
züglich des dritten Stückes, der Erhebungsformen. Diese können der
rechtssatzmäſsigen Regelung durch Verordnung überlassen werden.
Die beiden anderen Stücke sind grundsätzlich einer Übertragung auf
die Verordnung entzogen. Das Gesetz könnte eine solche jederzeit
vornehmen. Aber es thut das nicht, behält vielmehr die Bestimmung
des Steuergegenstandes wie des Steuersatzes eifersüchtig in der Hand5.
Das erklärt sich weder aus dem verfassungsmäſsigen Vorbehalt
des Gesetzes, noch aus den Grundsätzen des Rechtsstaates allein. Es
ist vielmehr die besondere Wirkung der Idee des Steuerbewilli-
gungsrechtes der Volksvertretung. Jene zwei Punkte sind es
gerade, welche die eigentliche Steuerbewilligung enthalten. Es gilt
als unangemessen, daſs die Volksvertretung sich dieses Rechtes zu
Gunsten der Regierung und ihrer Verordnungen entschlage. Darum
geschieht es nicht6.
[390]Die Finanzgewalt.
Dieser verfassungsrechtliche Gedankenkreis tritt noch deutlicher
zu Tage in der zeitweiligen (periodischen) Steuerbewilligung.
Wir unterscheiden feste und bewegliche Steuern. Die ersteren
sind diejenigen, deren gesetzliche Begründung den gewöhnlichen
Formen des Rechtsstaates entspricht: die Rechtssätze des Gesetzes
sind auf dauernde Zustände und deshalb selbst auf die Dauer be-
rechnet. Die feste Steuer ist eine solche, die auf einer solchen dauernd
wirksamen gesetzlichen Steuerauflage beruht. Die bewegliche Steuer
dagegen scheidet die Bestandteile der gesetzlichen Steuerauflage. Ein
Teil davon nur ist auf die Dauer gegeben und bildet das eigentliche
Steuergesetz. Dieses Steuergesetz enthält alles, was zur gesetz-
lichen Steuerauflage gehört, mit einer einzigen absichtlich belassenen
Lücke: es giebt die Bezeichnung des Steuergegenstandes, den Steuer-
satz, die Erhebungsformen; aber der Steuersatz ist unvollkommen
ausgedrückt als eine bloſse, den Steuergegenständen gegebene Ver-
hältniszahl, Steuersimplum, Steuerkapital. Er sagt nicht, daſs und
wie viel geschuldet sein soll, sondern nur, in welchem Verhältnis die
Einzelnen von der etwa geschuldeten Steuer getroffen werden, wenn
sie auferlegt sein wird.
Ein derartiges Steuergesetz ist unfertig und kann in dieser Gestalt
eine unmittelbare Wirkung nicht üben. Um es in Bewegung zu
setzen, bedarf es der Ausfüllung der Lücke: der Bestimmung des Be-
trags, welcher nunmehr von diesen Gegenständen, in diesen Erhebungs-
formen und nach diesem Steuerfuſse von den Unterthanen gefordert
werden soll.
Das Fertigstellen und Ergänzen unvollkommener Gesetze, um sie
durchführbar zu machen und ihre Bestimmungen anzupassen den be-
sonderen Bedürfnissen des Ortes und der Zeit, ist nun sonst die eigent-
liche Aufgabe der vollziehenden Gewalt: jedes Gesetz, das eine solche
Lücke läſst, giebt ihr stillschweigend den Beruf und die Ermächtigung,
sie geeignet auszufüllen (oben § 6, II; § 10 n. 2). Hier ist das nicht
der Fall. Die Fertigstellung des Steuergesetzes durch Einsetzung der
zu erhebenden Beträge ist dem Gesetze vorbehalten; die Idee des
Steuerbewilligungsrechts der Volksvertretung läſst diesen Vorbehalt
als etwas Selbstverständliches erscheinen.
Auf diese Weise werden denn die unvollkommenen Steuergesetze
erst durch besondere in regelmäſsigen Zeitabschnitten wiederkehrende
Gesetze wirksam gemacht. Die ergänzenden Gesetze bemessen den
Betrag auf Grund des natürlich wechselnden Bedürfnisses, wie der je-
weilige Staatshaushaltsplan es ergiebt, und dadurch wird die solchen
Gesetzen entsprechende Steuer eine bewegliche.
[391]§ 27. Die Steuerauflage.
II. Haben wir es als eine Eigentümlichkeit der Steuer erkannt,
daſs sie grundsätzlich jede selbständige Teilnahme der Verordnung an
der Begründung der Steuerpflicht ausschlieſst, so gelangt dafür ein
anderes Element zur Wirksamkeit, das dem Rechte der Steuerauflage
eine hervorragende Besonderheit geben kann. Es ist enthalten in der
rechtlichen Gestaltung der Verteilungssteuer (Repartitionssteuer).
Die Finanzwissenschaft unterscheidet Quotitäts- und Repar-
titionssteuern. Der Unterschied liegt in der Art, wie die zu
erhebende Steuersumme im Steuersatz ausgedrückt wird und demnach
für den Einzelnen zur Berechnung kommt. Das kann so geschehen,
daſs das Gesetz eine bestimmte Summe unmittelbar für den Einzel-
fall berechnen läſst, oder so, daſs es eine Gesamtsumme bestimmt,
welche auf die einzelnen Steuerfälle sich verteilen soll. Im ersteren
Fall, bei der Quotitätssteuer, ist zunächst ungewiſs, was für den Staat
im ganzen für ein Erträgnis herauskommt. Bei der Repartitionssteuer
dagegen weiſs man sofort, was für den Staat herauskommt, wie viel
aber den Einzelnen davon trifft, das ist erst das Ergebnis der Ver-
teilung unter die der Zahl und der Bedeutung nach nicht feststehen-
den Steuereinheiten, die daran beteiligt sind.
Juristisch ist dieser Unterschied vollkommen gleichgültig. Quoti-
täts- wie Repartitionssteuer belasten den Einzelnen immer nur im
Wege einer Anwendung des fertigen Steuerauflage-Rechtssatzes auf
seinen Fall und diese Anwendung besteht bei der einen wie bei der
anderen in einer Berechnung. Daſs diese Berechnung bei der Repar-
titionssteuer einen längeren Weg geht als bei der Quotitätssteuer, das
kann die beiden Steuerarten nicht als juristische Gegensätze erscheinen
machen.
Die Verteilung kann aber selbst wieder in mehrfacher Abstufung
erfolgen nach Kontingenten. Die Gesamtsumme wird zunächst
auf gewisse Bezirke oder auf Gruppen von Steuerpflichtigen aus-
geschlagen, die dadurch entstehenden Summenteile, die Kontingente,
möglicherweise nochmals auf Unterabteilungen, um endlich an die
Einzelnen zu gelangen.
Die rechtliche Bedeutung der Kontingentszuteilung ist eine sehr
verschiedene.
1. Es handelt sich denkbarerweise nur um eine Maſsregel des
inneren Geschäftsbetriebes der die Steuerauflage voll-
ziehenden Behörden. Man findet die Kontingente durch Zusammen-
zählung der in jedem Bezirk enthaltenen Steuerfälle mit der für sie
im voraus gemäſs der Gesamtsumme berechneten Steuerpflicht. Für
die Steuerpflichtigen hat das keine rechtliche Bedeutung; ihre Schuldig-
[392]Die Finanzgewalt.
keit bemiſst sich nach wie vor unmittelbar aus dem Gesetz und ist
im Falle von Irrtümern danach zu berichtigen.
2. Die Kontingente können aber gemeint sein als bindende
Feststellung der jeden Bezirk treffenden Anteile an der Gesamt-
summe. Die Zuteilung erfolgt durch das Gesetz oder durch Akt des
Fürsten oder einer dazu ermächtigten Behörde und wird förmlich kund
gemacht. Die Kontingentsfeststellung will ihrerseits nichts anderes
sein als der einfache Vollzug der Steuerauflage durch Berechnung.
Das ergiebt sich am deutlichsten daraus, daſs ein Berichtigungs-
verfahren wegen Irrtums auch gegenüber solchen Gesetzen oder Ver-
ordnungen vorbehalten sein kann. Aber sie giebt, wenn endgültig
geschehen, der weiteren Verteilung der Steuer ihrerseits eine neue
selbständige Grundlage; die Richtigkeit der Veranlagung der Einzelnen
kann nur noch an ihr geprüft werden.
Dieses Verfahren ist namentlich am Platze, wo mit der Kontin-
gentsberechnung Steuerhaftungen kraft gesetzlicher Bestimmung ver-
bunden sein sollen, Haftungen für etwaige Ausfälle, welche dem
entsprechenden Selbstverwaltungskörper oder der Gesamtheit der ver-
bleibenden Steuerpflichtigen des Bezirkes auferlegt sind7.
3. Eine besondere Gestalt bekommt die Steuer dann, wenn die
Kontingentsfeststellung nicht bloſs bindend erfolgt, sondern auch ihrer-
seits rechtlich frei gemacht ist von einer bloſsen Zusammenzählung
der in der Gruppe enthaltenen, nach dem gesetzlichen Steuersatze be-
rechneten Steuereinheiten. Das einmal festgestellte Kontingent verteilt
sich unter die Gruppenangehörigen nach dem Steuersatze. Die Fest-
stellung des Kontingents selbst aber erfolgt nach einem anderen
Maſsstabe. Dieser Maſsstab wird zwar von der Summe der Steuer-
einheiten, welche das Kontingent tragen sollen, nicht einfach absehen;
aber er berechnet sie etwa nach Durchschnittssätzen oder er setzt an
[393]§ 27. Die Steuerauflage.
die Stelle jeder Berechnung eine freie Würdigung der verhältnismäſsigen
Tragfähigkeit.
Dadurch schiebt sich zwischen die im Gesetze selbst enthaltenen
Bestimmungen und ihren Vollzug ein neues selbständig wirkendes
Element ein, um den Umfang der vom Gesetz gewollten Steuer-
pflichten zu bestimmen. Das ist’s, was die Besonderheit der eigent-
lichen Repartitions- oder Verteilungssteuer ausmacht8. —
Die rechtliche Natur der Feststellung von Kontingenten im zweiten
und im dritten Falle kann zweifelhaft sein. Wenn sie in Form des
Gesetzes erfolgt, ist darüber noch nichts gesagt. Geschieht sie durch
den Fürsten oder eine Verwaltungsbehörde, so spricht man wohl von
einer Verordnung; ob es aber wirklich eine solche in dem von uns
festgehaltenen Sinne ist (oben § 10 n. 2)?
[394]Die Finanzgewalt.
Wenn die Verteilung vorgenommen wird von gewählten Ver-
tretern des nächsthöheren Bezirkes, so hat der Akt nicht einmal einen
bestimmten Namen, bei dem man sich einstweilen beruhigen könnte.
Jedenfalls ist seine rechtliche Natur in allen Fällen die gleiche.
Dem Begriff des Rechtssatzes dürfte die einfache Bestimmung der
Summe, welche gemäſs dem Steuerrechtssatz von den Steuerpflichtigen
dieses Bezirks im Steuerjahre aufzubringen ist, nicht entsprechen. Es
kann bloſs ein Verwaltungsakt sein. Als solcher hätte er allerdings
die Eigentümlichkeit, eine rechtlich bindende Bestimmung zu geben
für eine Gesamtheit einzeln nicht bezeichneter, erst nach den Merk-
malen des Gesetzes zu findender Steuerpflichtiger. Wir haben aber
schon mehrfach solche umfassendere Wirkungen des Verwaltungsaktes
beobachtet9.
III. Der Forderung des Rechtsstaates, daſs alle Thätigkeit der
vollziehenden Gewalt bestimmt sei durch Rechtssätze, wird demnach
durch die Steuerauflage verhältnismäſsig weitgehend genügt.
Der Rechtsstaat verlangt aber auſserdem, daſs die Einwirkung
auf den Unterthan im Einzelfall möglichst noch ihre rechtliche Be-
stimmtheit erhalte durch den bindenden obrigkeitlichen Aus-
spruch dessen, was sein soll, durch Urteil oder Verwaltungs-
akt, einen Ausspruch, der dann erst durch die gebundene That
ins Werk gesetzt wird.
Dieses möglichst hat hier wie überall seine Grenzen an über-
wiegenden Gründen der Zweckmäſsigkeit. Für einen Teil der Steuern
ist die der Erhebung vorausgehende Feststellung des Sollens des
Unterthanen in dieser Form des Rechtsstaates ganz naturgemäſs und
durchweg befolgt. Andere Steuern knüpfen sich mit einfachen groſsen
8
[395]§ 27. Die Steuerauflage.
Sätzen an rasch vorübergehende Erscheinungen des Verkehrslebens;
die Erhebung schlieſst sich hier unmittelbar an die Entstehung der
Steuerpflicht, wie sie im Laufe erhascht wird; eine förmliche Fest-
stellung durch obrigkeitlichen Ausspruch mit der entsprechenden
Gründlichkeit und Langsamkeit wäre geradezu gegen das Interesse
des Pflichtigen selbst. Zwischen beiden Fällen liegt ein Gebiet des
Schwankens, von Steuerarten, welche ihrem Gegenstande nach zweck-
mäſsigerweise der einen wie der anderen Form zugewiesen werden
können; die Meinung bestimmt die Wahl, oder auch die gröſsere oder
geringere Neigung des Gesetzgebers zur Einhaltung der Formen des
Rechtsstaats.
Alle Steuern zerfallen demnach in zwei Arten, je nachdem sie die
eine oder andere Erhebungsweise befolgen: die gesetzlich auferlegte
Steuer wird entweder auf Grund eines den Einzelfall bestimmenden
ausdrücklichen bindenden Ausspruches zur Erhebung gebracht oder ohne
das unmittelbar aus dem Gesetz.
Dem entspricht bis zu einem gewissen Grade die übliche Haupt-
einteilung in direkte und indirekte Steuern. Sie beruht von
Haus aus ganz auf finanzwissenschaftlichen Gesichtspunkten. All-
mählich haben sich juristische Gesichtspunkte, Rücksichten auf die
rechtlich geordnete Art der Erhebung damit vermischt und zwar mehr
und mehr im Sinne der soeben gemachten Unterscheidung. That-
sächlich vertreten die Hauptbeispiele der direkten Steuern zugleich
die Hauptbeispiele unserer durch Verwaltungsakt vermittelten Steuer-
auflage und umgekehrt auf der anderen Seite treffen indirekte und
unmittelbar erhobene Steuern im wesentlichen zusammen. Es wird
sich deshalb rechtfertigen, wenn wir, statt neue zu erfinden, diese alt-
hergebrachten, gemeinsam gewordenen Ausdrücke für unsere Ein-
teilung beibehalten. Auf dem Grenzgebiete aber, wo die finanz-
wissenschaftliche Beurteilung, vielleicht gerade durch das Hereinspielen
juristischer Ideen, ohnehin in einer gewissen Unsicherheit sich befindet,
durchschneiden wir diese zufällige Gemeinschaft mit der Schärfe des
juristischen Begriffes10.
[396]Die Finanzgewalt.
1. Der Erhebung der direkten Steuern geht ein Verfahren
voraus, welches den Zweck hat, die richtige Anwendung des steuer-
auflegenden Rechtssatzes auf den Einzelfall zu sichern. Es ist eine
auf Erkenntnis gerichtete Thätigkeit, die da entwickelt wird.
Das Ergebnis ist die Veranlagung, die Feststellung der er-
kannten Steuerpflicht. Finanzwissenschaftlich ist die Veranlagung be-
trachet als sachlicher Abschluſs der Erhebungen und Berechnungen der
Steuerbehörde. Juristisch ist sie bedeutsam als der obrigkeitliche Akt,
der die Steuerpflicht ausspricht und zur Kundgabe an den Pflichtigen
bestimmt ist11.
Denkbar wäre es, daſs die Steuerbehörde die Steuerfälle einzeln
für sich, wie sie vorkommen, zu behandeln hat. Dann ist dieser Aus-
spruch der Veranlagung ein Verwaltungsakt von der gewöhnlichen
Gestalt, der in Form der mündlichen oder schriftlichen Eröffnung
dem Steuerschuldner kundgegeben und dadurch rechtlich wirksam
wird12. Aber so einfach stellt sich die Sache hier in der Regel
nicht dar.
Thatsächlich gestaltet sich vielmehr bei den meisten direkten
Steuern jene vorbereitende Sammlung von Beobachtungen und Be-
rechnungen zu einem umfassenden und dauernden Gesamt-
werke.
[397]§ 27. Die Steuerauflage.
Das hängt zusammen mit der Natur der Gegenstände, für welche
gerade diese Steuerform vorzugsweise gewählt wird. Es sind in der
Regel Dinge, welche den gesetzlichen Steuermerkmalen entsprechend
gleichzeitig bei einer Menge Unterthanen nebeneinander sich vorfinden.
Dabei sind sie auch von einer gewissen dauernden Beschaffenheit, so
daſs sie einem mit den Steuerperioden regelmäſsig wiederkehren-
den Wirksamwerden der Steuerauflage wiederkehrend die
gleichen Anwendungsmerkmale entgegenbringen.
Daher kommt es, daſs von vornherein das ganze Ermittlungs-
verfahren in einer Art Massenbetrieb durchgeführt wird. Sein Er-
gebnis ist eine Auſstellung, welche die sämtlichen Steuereinheiten
eines Bezirkes umfaſst: der Steuerkataster13.
Daher vermag aber auch dieser Kataster, einmal aufgestellt, in
mehr oder weniger vollkommenem Maſse zugleich für die künftigen
Wiederholungen zu dienen. Es hängt nur davon ab, in welchem
Maſse der Steuergegenstand seiner Natur nach geneigt ist, unver-
ändert und im Zusammenhange derselben pflichtigen Person zu bleiben.
Je nachdem kann man von Neuaufstellungen des Katasters ganz ab-
sehen und sich begnügen, die etwaigen Änderungen nachzutragen,
die Berichtigung oder Fortschreibung des Katasters zu machen. Diese
Voraussetzungen treffen am vollkommensten zu bei der Grundsteuer.
In absteigendem Maſse ist es der Fall bei der Gebäudesteuer, Ge-
werbesteuer, Kapitalrentensteuer, Einkommensteuer.
Das wäre nun alles zunächst nur von finanztechnischer Bedeutung.
Aber dabei bleibt es nicht. Der Kataster ist nicht bloſs eine Zu-
sammenstellung von Beobachtungen und Berechnungen, auch nicht
bloſs ein Hülfsmittel für die sachgemäſse und gesetzentsprechende
Erhebung der Steuern. Er liefert den Inhalt zu einer obrigkeitlichen
Feststellung der jeweilig geltend zu machenden Steuerpflichten, zu einer
Sammlung von Veranlagungen, die in den jährlich aus-
gefertigten Steuerlisten, Heberollen erscheint.
Das technische Personal, welches möglicherweise im vorbereitenden
Ermittlungsverfahren die Hauptrolle spielt, tritt zurück, sobald es da-
mit zu Ende ist. Der eigentliche Abschluſs der Arbeit geht immer
von einer Behörde aus. Ein Einzelbeamter des staatlichen Berufsbeamten-
tums, häufiger ein Kollegium von Berufsbeamten oder ein ehrenamt-
liches Kollegium, für sich allein oder unter Leitung eines Berufs-
beamten, beschlieſst.
[398]Die Finanzgewalt.
Den Steuerschuldnern ist meist im Verfahren Gelegenheit gegeben
worden, gehört zu werden. Über sie ergeht der Spruch. Gegen-
stand des Beschlusses sind die einzelnen Steuerpflichten, wie sie nach
dem Kataster sich ergeben. Ein öffentlichrechtliches Rechtsverhältnis
zwischen dem Staat und dem namentlich bezeichneten Unterthan wird
obrigkeitlich bestimmt. Die Wirkungen sind die des Verwaltungs-
aktes14.
Diese verbundenen Veranlagungen erhalten durch die Umstände,
in denen sie erlassen werden, gewisse Besonderheiten. Das Ge-
setz kann bestimmen, daſs die Kundgabe an die Pflichtigen gültig ge-
schieht in Form von Veröffentlichung, Offenlegung. Es können Stücke
der einmal geschehenen Veranlagung, namentlich Schätzungen, so
bindend gemacht werden, daſs sie für alle späteren Veranlagungen
maſsgebend sind, bis nova eine neue Prüfung rechtfertigen. Das wirkt dann
auch bei einem etwaigen Wechsel in der Person des Steuerpflichtigen
und verstärkt die natürliche Stetigkeit des Katasters15. Steuer-
technisch spricht man dann gar nicht mehr von einer neuen Veran-
lagung; es wird nur die fortgeltende Veranlagung jedesmal wieder in
Bewegung gesetzt. Juristisch ist es aber eben immer ein neuer Ver-
waltungsakt, der das thut, wenn auch ein gebundener. Es liegt darin
nichts, was dem Wesen eines solchen widerspräche. —
[399]§ 27. Die Steuerauflage.
Überall also, ob der Einzelfall für sich oder die Gesamtheit der
Fälle in einem groſsen Massenverfahren behandelt wird, läuft diese
Steuerauflage auf einen Verwaltungsakt hinaus. Verwaltungsakte,
die sie festsetzen, können bei jeder Steuer, auch bei der indirekten
dazwischen vorkommen. Für die direkte ist der Verwaltungsakt be-
griffswesentlich und ein notwendiger Bestandteil. Worin besteht diese
Notwendigkeit? Was ist seine Bedeutung?
Sie besteht nicht in der Begründung der Steuerpflicht. Die
Steuerpflicht erfaſst den Unterthanen unmittelbar aus dem Gesetz, in
dem Augenblicke, wo der wirksam gewordene Steuerrechtssatz und
die Merkmale, an welche er anknüpft, zusammentreffen. Wenn ein
auf diese Weise Getroffener bei der allgemeinen Steuerveranlagung
übergangen worden ist, so wird es unbedenklich nachgeholt. Wenn
er nach jenem Augenblicke verstorben ist, so wird die einmal be-
gründete Steuerpflicht gegen seine Erben geltend gemacht, auch wenn
die Steuermerkmale bei ihnen nicht mehr zutreffen, Ob und wie weit
die Merkmale der Steuerpflicht zur Zeit der Veranlagung vorhanden
sind, ist überhaupt gleichgiltig, wenn sie nur vorhanden waren zur
Zeit, wo die gesetzliche Steuerpflicht wirken wollte.
Der Veranlagungsbeschluſs und seine Kundgabe ist aber auch keine
bloſse Mahnung, die durch das Gesetz begründete Steuerpflicht zu
erfüllen. Die Steuer ist gar nicht immer mit der Kundgabe der Ver-
anlagung auch schon fällig. Meist ist sie in abgestuften Zielen zahl-
bar, die nicht von dieser Mitteilung ab, sondern nach gesetzlich be-
stimmten Terminen rechnen. Der Beschluſs ist also weniger als eine
Mahnung. Er ist aber auch mehr: die Steuer kann vor der Kund-
gabe der Veranlagung nicht bloſs nicht beigetrieben, sie kann vorher auch
nicht einmal freiwillig bezahlt werden. Die Steuerpflicht wird dadurch erst
vollziehbar, der Durchführung und Verwirklichung fähig. Und dann:
sie wird so weit vollziehbar, als die Veranlagung sie ausspricht ohne
Rücksicht darauf, wie das Gesetz sie etwa anders bestimmt hätte. Eine
Mahnung hat keinen eigenen rechtlichen Wert; die Veranlagung wirkt
für sich selbst: wer sich beschwert fühlt, kann sich nicht darauf be-
schränken, daſs er der Veranlagung das Gesetz entgegenhält, er muſs
eine Abänderung der Veranlagung zu bewirken suchen.
Die Veranlagung soll nur aussprechen, was das Gesetz gewollt
hat, aber sie spricht es aus in bindender Weise, so daſs sie fortan die
Grundlage bildet für den Vollzug. Das ist das Wesen der besondern
Art des Verwaltungsaktes, die wir als Entscheidung bezeichnen.
Die Eigentümlichkeit der direkten Steuer besteht aber darin, daſs sie
[400]Die Finanzgewalt.
nur vollziehbar ist auf Grund einer solchen Ent-
scheidung.
Es ist einfach das Schema der Rechtspflege, auf die Durchführung
der Steuerpflicht angewendet. Auf Grund des Strafgesetzes knüpft
sich an das Auftreten gewisser Thatbestandsmerkmale bei einer Person
die Bestimmung derselben, eine angemessene Strafe zu erleiden, die
Strafbarkeit, die Straferleidungspflicht. Aber das kann erst ins Werk
gesetzt werden, nachdem ein obrigkeitlicher Ausspruch darüber er-
gangen ist, daſs und wie gestraft werden soll. So auch die direkte
Steuer; und das scheidet sie von der indirekten16.
Von diesem dazwischen geschobenen Akte aber nimmt dann alles
weitere seinen Ausgang und nach ihm bestimmt sich die Abwicklung
des ganzen Rechtsverhältnisses. Das giebt an sich schon einen ge-
waltigen Unterschied gegenüber einer obrigkeitlichen Thätigkeit, die
nicht so gebunden ist. Wir werden sehen, wie dieser Gegensatz
zwischen direkten und indirekten Steuern auch noch in mancherlei
Einzelheiten wirksam wird.
2. Die indirekte Steuer ist durch den Gegensatz der direkten
genügend gekennzeichnet. Sie beruht wie alle Steuern auf dem Ge-
[401]§ 27. Die Steuerauflage.
setz, welches die Steuerpflicht begründet. Aber die Durchführung
dieser Pflicht durch die Steuererhebung ist hier nicht bedingt durch
den dazwischen geschobenen Verwaltungsakt, der sie für den Einzel-
fall obrigkeitlich festsetzt. Obrigkeitliche Aussprüche zur Bestimmung
der Höhe des Geschuldeten können auch bei der indirekten Steuer
auf mancherlei Weise vorkommen: im Beschwerdeverfahren oder auf
dem Rechtsweg kann der Ausspruch nachträglich erwirkt werden; er
verbindet sich mit der Strafverfolgung wegen Hinterziehung (unten
§ 30), auch mit der Festsetzung von Abfindungsvereinbarungen, Abonne-
ments und Nachlässen (unten § 29). Allein hier erscheint der Akt
immer nur aus besonderem Anlaſs und in nebensächlicher Stelle, als
ein zufälliger Bestandteil, der auch fehlen kann.
Im ordentlichen Gang der Sache schlieſst sich die thatsächliche
Inswerksetzung der Steuerpflicht, die Einziehung des Steuerbetrages
unvermittelt, auf Grund einer einfachen Berechnung, an die gesetzliche
Steuerauflage an. Die einzigen Rechtsakte, welche die Verwaltung
ordentlicherweise dabei vorzunehmen hat, sind Mahnungen einer-
seits und Quittungen andererseits.
Dafür ist die indirekte Steuer in verhältnismäſsig weit gröſserem
Umfang ausgerüstet mit äuſseren Sicherungsmitteln des Steuereingangs:
Finanzbefehle und Finanzstrafen finden bei ihr ihr Haupt-
gebiet, eine scharfe Überwachung wird geübt, verbunden mit Er-
mächtigungen zur Gewaltanwendung gegen alles, was als Ge-
fährdung der dem Staate gebührenden Einnahmen erscheint.
Dem entspricht auch eine ganz verschiedene Art des zur Durch-
führung der Steuerpflicht hier und dort berufenen Beamtentums:
statt der gewichtigen Kollegien, welche dort über die Steuerpflicht
entscheiden, unterstützt wesentlich nur von Schreibern und
Rechnern, finden wir bei den indirekten Steuern eine zahlreiche
Mannschaft ausgebildet zum Dienst der äuſseren Aufsicht, zum
Teil fast militärisch geordnet und einheitlich geleitet von
bureaukratisch gestalteten Behörden17.
Nicht bei allen indirekten Steuern tritt der Gegensatz äuſserlich
mit solcher Schärfe zu Tage. Es giebt Übergänge und Gradver-
schiedenheiten. Wenn es zum Wesen der direkten Steuer gehört, daſs
bei ihr die förmliche Feststellung der Steuerpflicht der einzelnen be-
stimmten Personen den Kern und Mittelpunkt bildet, daſs sie, wie
man es ausgedrückt hat, zur „Steuer auf den Namen“ wird,
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 26
[402]Die Finanzgewalt.
so wird eben deshalb die indirekte Steuer ihre Eigentümlichkeiten
desto kräftiger entfalten, je mehr bei ihr die bestimmte Person des
Schuldners in Hintergrund tritt.
Es giebt indirekte Steuern, welche einen bestimmten Schuldner
ins Auge fassen gerade wie die direkten. Ein Beispiel giebt die reichs-
rechtliche Tabaksteuer und die reichsrechtliche Zuckersteuer. In
solchen Fällen hätte das Gesetz ohne groſse Änderung im Verfahren
die Sache so einrichten können, daſs, statt dem Schuldner einfach eine
Rechnung zu schicken, die Verwaltung die Schuld jedesmal durch
einen bindenden obrigkeitlichen Akt näher festzustellen und kund-
zuthun hätte. Es hat das nur, wie wir sehen, nicht vorschreiben
wollen; die formlose Erhebung paſste besser zum Gegenstande, und
so hat die Steuer das entscheidende Merkmal der direkten Steuer
nicht aufgedrückt erhalten.
Bei anderen Steuern ist aber an die Möglichkeit eines solchen
Verwaltungsaktes nach der Art, wie sie sich gestalten, überhaupt nicht
zu denken; sie verlieren die Person des Schuldners ganz aus den
Augen; da erscheint dann der Typus der indirekten Steuer am reinsten.
Dahin gehören vor allem die Warenverkehrssteuern. Sie
haben als Steuergegenstand, als Merkmal, an welches die gesetzliche
Steuerpflicht sich knüpft, die Bewegung einer Ware über eine örtlich
bestimmte Linie hinweg, über die Grenze des Staates, der Gemeinde,
über den abgeschlossenen Raum einer Niederlage. Jenseits der Linie
liegt wieder die steuerfreie Bewegung, der freie Verkehr. Steuer-
pflichtig wird derjenige, der die Ware diese Bewegung machen läſst,
sie also in den freien Verkehr bringt. Beispiele sind die Zölle, die
reichsrechtliche Salzsteuer, die gemeindlichen Aufschläge (Octrois). In-
sofern die Erhebung hier wieder erfolgt ohne vorgängigen Beschluſs,
mit einfacher Berechnung und thatsächlicher Einziehung der Beträge,
haben wir die gewöhnliche Form der indirekten Steuer vor uns. Sie
erhält aber ihre besondere Eigentümlichkeit durch die Sicherungs-
maſsregeln, welche mit dieser Erhebung verbunden sind. Die maſs-
gebende Grenze wird bewacht von Steuerbeamten, welche beauftragt
und befugt sind, die Ware an diesem Punkte anzuhalten und
nicht loszulassen, bis die Steuer bezahlt ist. Diese Gewaltübung
ist die wichtigste Gewähr für den Eingang der Steuer. Die Steuer-
verwaltung hält sich an die Ware; die persönliche Steuerpflicht, zu
deren Sicherung die Zurückhaltung doch nur dient, kommt für die
Abwicklung des Geschäfts kaum mehr in Frage. Erst wenn irgend
etwas nicht in Ordnung geht, zeigt sich, daſs auch diese Waren-
verkehrssteuer mit Zurückhaltungsrecht einen ganz bestimmten Steuer-
[403]§ 27. Die Steuerauflage.
schuldner hat; jetzt wird festgestellt: wer ist es, für den die Steuer-
pflicht begründet worden ist, und an diese Person allein kann man
sich halten. Das ist z. B. der Fall, wenn eine Hinterziehung der
Steuer stattgefunden hat, oder zu wenig erhoben wurde und nunmehr
die Nachforderung geltend zu machen ist. Da verschwindet der Schein
einer Last der Ware und einer Auslösung; wer die Ware die ent-
scheidende Bewegung hat machen lassen, ist der Schuldner18.
26*
[404]Die Finanzgewalt.
Noch weiter geht die Stempelsteuer. Der Begriff ist hier
bestimmt durch die Erhebungsform, nicht durch den Steuergegenstand.
Stempelsteuer ist jede Steuer, welche durch Verwendung von Stempeln
(Stempelpapier, Stempelmarken) erhoben wird und zwar dadurch, daſs
der Steuerpflichtige sie verwendet.
Der Stempel kann bei der Erhebung auch von der Steuerver-
waltung selbst gebraucht werden; dann bedeutet er eine Quittung
oder eine Kontrollmaſsregel. So beim Reichsspielkartenstempel,
beim Reichsstempel auf Aktien und Schuldverschreibungen19. Die
Steuer selbst bekommt dadurch keine besondere Gestalt; die Er-
hebung geschieht in diesen Fällen durch unmittelbare Zahlung des
Pflichtigen an die Steuerverwaltung.
Wo dagegen eine Stempelsteuer in jenem beschränkten Sinne
vorliegt, da vollzieht sich die Erhebung in einer Weise, die von dem
gewohnten Bilde sehr weit abweicht. Die wichtigsten Beispiele bieten
reichsgesetzlich die Wechselstempel- und die Börsensteuer und landes-
rechtlich die Vorschriften über Verwendung von Stempelpapier bei der
Niederschrift von Rechtsakten.
Der Gang ist folgender. Der Staat verfertigt Stempelpapier und
Stempelmarken und hält sie feil. Er verbietet jedermann, die gleichen
Stempel zu verfertigen, so daſs man sie nur von ihm haben kann.
Sodann gebietet er jedem, der gewisse Rechtsakte vornimmt, einen
derartigen Stempel dabei zu verwenden. Die Unterthanen sind da-
dadurch genötigt, die an sich wertlosen Stempel bei ihm zu kaufen,
und dadurch wird die staatliche Einnahme erzielt.
Worin liegt hier die Steuerentrichtung? Eine oberflächliche
Beobachtungsweise sieht natürlich nur den Kaufakt, der durch den
zweischneidigen Finanzbefehl notwendig geworden ist, aber an sich
immer eben ein Kaufakt bleibt. Die Stempelsteuer würde dann dem
Monopole gleichstehen. Namentlich würde sie erinnern an die Ge-
stalt des Salzmonopols unter Friedrich dem Groſsen, wo zugleich den
Hausvätern die Pflicht eines gewissen Salzbezugs auferlegt war. Eine
Steuer wäre aber dann die sogenannte Stempelsteuer ebenso wenig,
wie die sonstigen Monopoleinnahmen20.
[405]§ 27. Die Steuerauflage.
Es ist aber leicht zu erkennen, daſs die Sache ganz anders liegt.
In dem gesetzlichen Befehl, zu einem gewissen Akte Stempel von
einem gewissen Wertbetrage zu verwenden, ist eine Steuerauflage ent-
halten. Steuerpflichtig ist derjenige, der den bezeichneten Akt vor-
nimmt. Die Verwendung des Stempels ist die Steuerentrichtung. Der
Stempel ist gesetzliches Zahlungsmittel für diesen Zweck21.
Das Wort Zahlungsmittel ist eigentlich nicht ganz entsprechend.
Der Stempel wird nicht vom Schuldner dem Gläubiger oder überhaupt
irgend jemandem für ihn zum Zweck der Zahlung gegeben. Er wird
nur unbrauchbar gemacht für seinen Zweck, d. h. unbrauchbar, zur
Versteuerung eines solchen Aktes noch einmal zu dienen. Das wird
durch Beschreiben, Durchkreuzen, Aufkleben, Kassieren des Stempels
erreicht. In solcher Vernichtung des Stempels liegt aber jedesmal
eine Bereicherung des Staates um den ganzen Stempelbetrag. Denn
durch den Verkauf der Stempel hat er sich in die Lage gesetzt,
für seine entfallenden Steuerforderungen die ganz wertlose Vernichtung
dieser Papierstücke als Tilgung annehmen zu müssen. Jedes Stück,
das verschwindet, macht den entsprechenden Betrag der künftigen
Steuerforderungen wieder frei und deckungsbedürftig und führt dem
Staat den Kaufpreis für das notwendige Deckungsmittel wieder zu.
Die Erfindung des Stempelsystems giebt durch den Zusammenhang
der ganzen Veranstaltung ein Mittel, den Stempelverkäufer mit der
einseitigen Vornahme der Stempelvernichtung um den auf dem Stempel
angegebenen Betrag zu bereichern. Der Staat nimmt und verlangt
zur Entrichtung der Stempelsteuer eine solche Bereicherung an Zahlungs-
statt. Das ist die Natur des Rechtsvorganges22.
[406]Die Finanzgewalt.
Die Steuererhebung erhält aber auf diese Weise die ganz eigen-
tümliche Gestalt, daſs die Entstehung der Steuerpflicht, die Erfüllung
derselben und die Person des Steuerpflichtigen der Verwaltung im
ordentlichen Gang der Dinge gar nicht zur Kenntnis zu kommen
braucht.
Meist steht die Sache so, daſs der Vorgang Spuren hinterläſst,
aus welchen alles nachträglich noch erkannt werden mag; die Über-
wachungsmaſsregeln sind darauf berechnet, möglichst viel davon zu
amtlicher Kenntnis zu bringen, wenigstens gewissermaſsen Stichproben
zu machen. Dabei kann alsdann die wirksam gewordene und nicht
erfüllte Steuerpflicht doch noch zur Geltung gebracht werden.
Ihrer ganzen Anlage nach ist aber gerade diese Steuerart be-
sonders geeignet, den Gegensatz zur direkten Steuer zu veran-
schaulichen.
§ 28.
Fortsetzung; die abgeschwächte Steuerpflicht.
Die Steuer als feste Zahlungspflicht, die einfach durchgeführt
wird, wie sie auferlegt ist, reicht für die wirtschaftlichen Rücksichten,
die der Staat dabei zu nehmen hat, nicht aus. Die Finanzgewalt
muſs schonender vorgehen können, in einer Weise, welche sich den
besonderen Umständen anschmiegt, ohne sofort mit der strengen
Zahlungspflicht zuzugreifen. Deshalb werden Abschwächungen ihrer
rechtlichen Kraft daneben gestellt, die regelmäſsig auch eine Steuer-
erleichterung für den Unterthan bedeuten, aber wie wir sehen werden,
nicht immer. Die einfachste Form ist die Stundung; die feiner
durchgebildeten indirekten Steuern auf den Warenverkehr und die
Produktion entwickeln überdies noch die verwickelteren Formen der
schwebenden und bedingten Steuerpflicht.
Eine derartig abgeschwächte Form der Steuerpflicht kann ent-
stehen durch gesetzlichen Rechtssatz, der diese Folge unmittelbar
an das Vorhandensein gewisser Voraussetzungen knüpft; sodann durch
Verwaltungsakt auf Grund gesetzlicher Ermächtigung.
Der eigenartigste und wichtigste Fall ist der, daſs das Gesetz die
Erleichterung knüpft an die Herstellung und Benutzung ge-
wisser Einrichtungen, die dem Einzelnen zugänglich gemacht
werden können. Es handelt sich dabei um keine Verwaltungsakte;
es sind einfache Geschäftsbesorgungen der Finanzverwaltung, welche
die Voraussetzung liefern für das Wirksamwerden der Gesetzes-
[407]§ 28. Die abgeschwächte Steuerpflicht.
bestimmung. Die Finanzbehörden sind dabei auch meist nicht ge-
leitet durch Rechtssätze. Verwaltungsvorschriften, Regulative ordnen das
Verfahren. Es ist absichtlich alles in Fluſs und leicht beweglich ge-
halten. Das Ganze weicht also erheblich ab von dem Bilde, das die
Einrichtungen im Rechtsstaate uns sonst gewähren. Die Rechtsstellung
der Einzelnen ist eine verhältnismäſsig unsichere; was ihnen eingeräumt
wird, bekommt die Natur einer Duldung1.
Wir haben hier festzustellen, welches die rechtliche Bedeutung
der verschiedenen zulässigen Erleichterungen ist, wenn sie gewährt
werden und so lange sie gewährt werden.
I. Die schwebende Steuerpflicht.
Diese Form ist ganz den Verkehrssteuern eigentümlich. Für den
Zoll ist sie ursprünglich ausgebildet. Die Grundidee giebt die recht-
liche Lage, wie sie an der Grenze sich gestaltet.
Die Ware, deren Bewegung über die Zolllinie zum Eintritt in
den Verkehr die Steuerpflicht gesetzmäſsig begründen wird, liegt der
Behörde vor. Die Steuerpflicht ist noch nicht entstanden. Die Ware
kann den Schritt vorwärts machen, um sie zu begründen; sie kann
aber auch wieder zurückkehren in das Zollausland, ohne eine Pflicht
begründet zu haben, wenn der Verfügungsberechtigte dies be-
antragt2.
Diese Unentschiedenheit kann bewahrt bleiben, auch
wenn über die Ware verfügt wird in der Weise, daſs sie im Inlande
weiter geht oder verbleibt. Voraussetzung ist, daſs gewisse Maſs-
regeln getroffen werden, um ihren Übergang in freien Verkehr zu ver-
hindern: amtliche Überwachung, Verschluſs u. dergl. Die Ware reist
„mit Begleitschein I“ zum Erledigungsamte im Inland oder zur Durch-
fuhr an die jenseitige Grenze oder wird in einer zollfreien Niederlage
aufgenommen3.
[408]Die Finanzgewalt.
Die Steuerpflicht bleibt alsdann einstweilen schwebend. Das
heiſst, sie entsteht vorläufig nicht; ihre Entstehung wird hinaus-
geschoben und es ist ungewiſs, ob sie entsteht: wenn die Ware
ins Ausland zurückkehrt oder untergeht, entsteht sie überhaupt
niemals4.
Diese schwebende Steuerpflicht bedeutet aber mehr als eine bloſse
Unentschiedenheit. Es ist etwas ganz anderes, wenn die Ware an der
Grenze harrt oder in einem Zollausschluſs oder Freilager sich befindet,
und wenn sie mit Begleitschein I reist oder in eine Niederlage auf-
genommen ist. An den Umstand, daſs im letzteren Falle die Steuer-
pflicht gesetzlich eigentlich begründet wäre, knüpft sich nicht bloſs
eine steueramtliche Gewalt über die Sache zur Sicherung der auf ihr
lastenden, noch unerledigten Steuermöglichkeiten (davon unten § 30 u.
32), sondern auch eine sofortige persönliche Verpflichtung desjenigen,
welchen ohne jene besondere Erleichterung und Verschiebung die
Steuerpflicht getroffen haben würde: des „Extrahenten“ des Begleit-
scheins, des Einlegers. Diese Pflicht ist keine Zahlungspflicht, sondern
eine Haftpflicht. Sie geht darauf, einzustehen dafür, daſs der auf
die Ware nach ihrem gegenwärtigen Bestande zu entrichtende Zoll
seiner Zeit als nicht geschuldet nachgewiesen oder gehörig entrichtet
werde5.
Zu dem Zwecke verbindet sich mit dem Beginne der schweben-
den Steuerpflicht eine Feststellung der Art und Menge der Ware,
welcher gegenüber die Befreiung nachgewiesen werden muſs.
Die Befreiung von der Haftpflicht erfolgt durch den Nachweis,
daſs die wirkliche Steuerpflicht nachträglich entstanden und erfüllt
worden ist durch Übertritt der Ware in freien Verkehr und Ge-
stellung derselben zu amtlicher Abfertigung.
[409]§ 28. Die abgeschwächte Steuerpflicht.
Sie kann aber auch geschehen durch den Nachweis der Ausfuhr
oder auch in mehr oder weniger beschränktem Maſse durch den Nach-
weis des Unterganges der Ware6.
Für die Erbringung dieses Nachweises ist eine gewisse Frist ge-
stattet, mit deren Ablauf die Haftpflicht geltend gemacht wird durch
Erhebung des nicht erledigten Zollbetrages, für welchen eingestanden
werden muſs7.
Die schwebende Steuerpflicht mit der dazu gehörigen Haftung
findet sich nach diesem Muster auch auſserhalb des Zollrechts viel-
fach verwendet, namentlich in Reichssteuergesetzen. Ihre scharf aus-
geprägten Formen sind jedesmal leicht erkennbar8.
Die Begründung einer schwebenden Steuerpflicht beruht stets
auf gesetzlicher Bestimmung, vollzieht sich aber bald mit dem Willen
des Verpflichteten, bald ohne ihn.
Unabhängig von dem Willen des Verpflichteten wird die schwebende
Steuerpflicht über gewisse Betriebe verhängt, als Sicherungsmittel
für die Steuer, welcher die daraus hervorgehenden Erzeugnisse unter-
liegen. Beispiele unten § 30 Note 12. Eine Erleichterung wäre
das freilich nur zu nennen unter dem Gesichtspunkt, daſs sonst die
Entstehung der Steuerpflicht selbst vorgeschoben werden könnte,
auf die Entstehung der Erzeugnisse z. B., anstatt auf ihre Weg-
schaffung.
Nur auf Begehren des Pflichtigen entsteht sie, wird bewilligt,
wenn sie dazu dienen soll, die sonst gesetzmäſsig sofort schon ent-
[410]Die Finanzgewalt.
stehende Steuerpflicht zu ersetzen, als wahre Erleichterung. Inwie-
weit diesem aber die Einrichtung zugänglich ist, an deren Benutzung
das Gesetz seine Wirkung knüpft, das hängt in verschiedenem Maſse
von dem Entgegenkommen der Finanzverwaltung ab.
Das Gesetz kann ein Recht auf die Erleichterung gewähren, in
der Weise daſs es sie an eine Einrichtung knüpft, die jedem Steuer-
pflichtigen zugänglich gehalten werden muſs. Beispiel: der sogenannte
Begleitschein I. Es kann statt dessen der Behörde überlassen, an
geeigneten Orten Einrichtungen zu treffen, durch deren Benützung
die Erleichterung erworben wird. Dahin gehören die öffentlichen
Niederlagen. Die einmal geschaffenen Niederlagen sollen alsdann
Jedermann zur Benützung frei stehen, unter Erfüllung der Bedingungen
der dafür erlassenen Regulative; es kommen die Formen der Benützung
öffentlicher Anstalten darauf zur Anwendung (vgl. Bd. II § 52). Verweige-
rung der Zulassung ist demnach im Gegensatz zum ersten Falle keine
Rechtsverletzung, sondern im Dienstwege zum Austrag zu bringen.
Die geschehene Zulassung aber bewirkt gesetzmäſsig die Erleichterung.
Endlich kann es der Behörde überlassen sein, den einzelnen Steuer-
pflichtigen den Genuſs einer solchen erleichternden Einrichtung nach
freiem Ermessen zu gewähren, zu versagen, zu entziehen. In dieser
Weise ist die Gestattung von Privatlagern geordnet. Das Gesetz
verweist, nachdem es im allgemeinen die Gestattung von solchen zu-
läſst, wegen alles näheren auf die zu erlassenden Regulative, welche
ja schon für sich selbst nicht die Bedeutung von Rechtssätzen haben.
Das Regulativ aber läſst dem freien Belieben der ausführenden Finanz-
behörden den weitesten Spielraum9. Rechtsordnung ist keine in der
Sache. Daſs trotzdem im allgemeinen nicht leicht eine Ungerechtig-
keit vorkommt, beruht auf guter Sitte, die ja die Rechtsordnung zeit-
weilig zu ersetzen vermag.
II. Die Stundung der Steuer. Die Entstehung der Steuer-
pflicht bedeutet nicht notwendig auch die gleichzeitige Fälligkeit. Das
Gesetz bestimmt zum Teil von vornherein allgemeine Termine, in
welchen die Erhebung stattfinden soll. So sind die meisten direkten
Steuern in Raten über das Jahr verteilt; für die indirekten bestehen,
wenn sie an einen regelmäſsigen Geschäftsbetrieb sich anschlieſsen,
ähnliche Termine10. Unter Stundung der Steuer verstehen wir die
[411]§ 28. Die abgeschwächte Steuerpflicht.
Hinausschiebung des Fälligkeitstermins im Einzelfall durch die
Steuerbehörden. Sie bedarf, insofern sie hemmend eingreifen soll
in die gebundene Durchführung des Gesetzes oder des gesetzmäſsig
erlassenen Verwaltungsaktes, stets der gesetzlichen Grundlage.
Für die direkten Steuern pflegen Ermächtigungen dieser Art ge-
geben zu sein, um Rücksicht nehmen zu lassen auf bedrängte per-
sönliche Verhältnisse des Zahlungspflichtigen11. Die Stundung
wird ausgesprochen durch Verwaltungsakt der Behörde und bestimmt
das Rechtsverhältnis durch Zugabe eines neuen Fälligkeitstermins.
Zu gleichem Zwecke könnte die Stundung denkbarer Weise auch bei
der indirekten Steuer verwendet werden. Hier erscheint sie
aber vor allem in Zusammenhang mit den Warenverkehrssteuern, um
eine Erleichterung für das erforderliche Betriebs-
kapital zu gewähren. Die Rücksicht auf die Dürftigkeit des Steuer-
pflichtigen tritt dabei ganz in den Hintergrund; im Gegenteil, seine
Kreditfähigkeit kann geradezu die Voraussetzung der Stundung
werden12. In jenem mehr volkswirtschaftspolitischen Zwecke ist aber kein
brauchbarer Anwendungsmaſsstab für den Einzelfall gegeben. Eine
gewisse Ordnung bekommt deshalb die Stundung wieder nur durch
Anschluſs an Einrichtungen, durch deren Benutzung sie
erworben wird.
Diese Einrichtungen können so gestaltet sein, daſs das Gesetz selbst
sie ordnet und die Voraussetzungen der Zulassung bestimmt; da ent-
steht dann ein Recht auf die Stundung. Von dieser Art ist das
Institut des Begleitscheins II unseres Zollgesetzes. Der Waren-
führer kann bei dem Grenzzollamte beantragen, daſs die Erhebung
des Zolles bei einem anderen Amte, also einem weiter binnen ge-
legenen erfolgen soll. Der Zollbetrag wird sofort festgestellt und die
Zollpflicht entsteht sofort zu Lasten des Antragstellers. Es kann
Sicherheitsleistung dafür verlangt werden. Die Ware wird überwacht
wie bei Begleitschein I, aber nur zum Zwecke der Sicherheit des
Zollpfandes. Die Zahlung erfolgt erst am Bestimmungsort, bis dahin
ist sie gestundet, kraft Gesetz13.
[412]Die Finanzgewalt.
Auf freiem Ermessen dagegen beruht die Zulassung gewisser
besonderer Stundungs-Einrichtungen, welche der Person des Pflichtigen
bewilligt und nach freiem Ermessen wieder entzogen werden können.
Dahin gehört die Errichtung von Privatkreditlagern14.
Die Einlagerung bedeutet hier keine schwebende Steuerpflicht. Die
Pflicht entsteht vielmehr sofort mit der Anschreibung, wenn die Ware
etwa mit Begleitschein I, also mit schwebender Pflicht, dort eingetroffen
ist; sie kann auch schon vorher entstanden sein und wird dann nicht
etwa durch die Einlagerung wieder schwebend. Die Steuer ist nur
für eine gewisse Frist gestundet und unter der Bedingung, daſs die
Ware im Lager bleibt. Zum Ausdruck kommt das Verhältnis durch
die Anlage eines Zollkontos für den Verpflichteten, in welchem er
belastet wird mit dem Betrage des Zolles für die eingehenden Waren,
entlastet für die unter Berichtigung des Zolles geschehenen Ausgänge.
Die Niederlage und ihre Überwachung hat nur den Zweck, das Pfand
des Staates zu sichern und das Konto selbst durch regelmäſsige Re-
visionen zu kontrollieren; von einem dabei festgestellten Manko, wo-
her es auch kommt, ist sofort der Zoll zu entrichten: die Be-
dingung der Stundung, der Verbleib der Ware, ist weggefallen15.
Eine besondere Form bildet daneben der sogenannte eiserne
Zollkredit, welcher Weingroſshändlern gewährt werden kann16. Die
13
[413]§ 28. Die abgeschwächte Steuerpflicht.
Stundung wird gegeben für den einer gröſseren Menge Waren (nicht
unter 35000 kg) entsprechenden Zoll. Was in das Lager des Be-
günstigten kommt bis zur Höhe dieses Betrages wird auf den eisernen
Kredit angeschrieben; das darüber Hinausgehende ist zu versteuern,
ob er es auf sein Lager nimmt oder nicht. Das Lager muſs der Pfand-
sicherheit halber mindestens auf dem Bestande gehalten werden,
welcher der Höhe des Kredites entspricht; die Waren, die es zu-
sammensetzen, können durch Ausgänge und Eingänge beliebig
wechseln und über jener Linie im Werte auf und nieder schwanken.
Über die ganze Bewegung wird ein amtliches Konto geführt und
durch Vergleichung mit den Beständen in Übereinstimmung gehalten.
Stellt sich bei einer vorgenommenen Revision heraus, daſs das Lager
nicht mehr den dem Kredit entsprechenden Bestand ausweist, so wird
der Kreditbetrag angemessen herabgesetzt. Die Differenz ist sofort
zahlbar. Ebenso kann die ganze Wohlthat der Einrichtung nach Er-
messen der Verwaltung jederzeit frei entzogen werden; dann wird die
ganze kreditierte Steuer fällig17.
Andere Anwendungsfälle dieser Stundungsform sehen wir in der
Eröffnung laufender Konten für Groſshandlungen, welche sich mit dem
Vertrieb ausländischer Waren nach dem Auslande befassen (Zollges.
§ 110); ferner verbindet sich dieselbe mit den Begünstigungen des
Meſs- und Marktverkehrs (§ 112), der Retourwaren (§ 114), sowie
des Veredelungsverkehrs (§ 115). Hier tritt aber das jetzt gleich
unter n. 3 zu besprechende Rechtsinstitut so sehr in den Vorder-
grund, daſs die Stundung fast unbemerkt daneben hergeht.
Auch auſserhalb des Zusammenhangs solcher allgemeiner Stun-
dungseinrichtungen, können auf Grund gesetzlicher Ermächtigung
Stundungen bewilligt werden im Einzelfall, ohne die Voraussetzung
[414]Die Finanzgewalt.
der Bedürftigkeit, lediglich aus jenem volkswirtschaftlichen Gesichts-
punkt der Erleichterung des Betriebskapitals. In dieser Weise wird
namentlich die Stundung der Tabaksteuer oder der Branntweinsteuer
dem Steuerschuldner unmittelbar für den einzelnen Steuerposten be-
willigt. Jener Zweck trifft eigentlich immer zu. Mangels irgend eines
äuſserlichen Maſsstabes herrscht also über die Gewährung und Ver-
sagung der Stundung das freie Belieben, der gute Wille der Behörde,
mehr oder weniger geleitet durch Dienstanweisungen. Ein juristischer
Unterschied besteht noch insoweit: die an die Benutzung gewisser
Einrichtungen geknüpfte Stundung trifft die damit zusammenhängen-
den Steuerschulden von selbst kraft Gesetzes; die besonders bewilligte
Stundung ist ein Verwaltungsakt, der gleichzeitig den gestundeten
Steuerposten bindend festsetzen wird. Für die Frage der Rechts-
mittel, des Laufes der Verjährung u. s. w. kann dieser Punkt bedeut-
sam werden18.
III. Die bedingte Steuerpflicht. Die Steuerpflicht, welche
an eine Bedingung geknüpft ist, unterscheidet sich von der schweben-
den Steuerpflicht dadurch, daſs ihr Entstehungspunkt fest gelegt ist:
Die Steuerpflicht ist entstanden, wenn auch bedingt entstanden, so
daſs sie möglicherweise doch nicht gilt; die schwebende Steuerpflicht
ist nur die bloſse Möglichkeit der Entstehung einer Steuerpflicht, von
der Steuerpflicht selbst ist noch nichts da.
Die indirekten Steuern liefern auch für diese Rechtsform
das weiteste Anwendungsgebiet19.
Für zahlreiche indirekte Steuern ist der wirtschaftliche Gesichts-
punkt, unter welchem sie auferlegt werden, der, daſs eine Ware im
Inlande verbleibt und darin gebraucht und verbraucht wird; daher
„Verbrauchssteuern“. Wird diese Voraussetzung widerlegt durch nach-
trägliche Ausfuhr der Ware, so soll, der wahren Absicht der Steuer-
auflage zu entsprechen, eine Änderung vor sich gehen. Das Gleiche
kann der Fall sein, wenn die Steuer eine gewisse regelmäſsige Ver-
wendung der Ware voraussetzt, und nun eine andere Verwendung erfolgt,
[415]§ 28. Die abgeschwächte Steuerpflicht.
die sie nach der finanzwirtschaftlichen Absicht nicht treffen sollte.
Ist die auf diese Ware gelegte Steuer bereits entrichtet, so findet die
Rückvergütung statt. Diese Vergütung ist ein selbständiger Akt
für sich, der mit der vorausgegangenen Steuererhebung nur in den
Beweggründen des Gesetzgebers verknüpft ist. Sie gehört zu einer
ganz andern Gruppe von Rechtsinstituten, zu den später zu behandeln-
den einseitigen Geldleistungen des Staates (Bd. II § 56).
Wir haben hier von der Voraussetzung auszugehen, daſs die
Steuer noch nicht erhoben ist. Dann kann die Ware, auf welcher,
wie das Gesetz sich ausdrückt, der Steueranspruch haftet, und welche
jetzt ausgeführt wird, bisher in zweierlei Verhältnis zur Steuer ge-
standen haben.
Entweder sie unterlag einer schwebenden Steuerpflicht, die Ent-
stehung der Steuerpflicht war hinausgeschoben durch Transport mit
Begleitschein I oder durch Verwahrung in einer Niederlage und der-
gleichen. Dann bringt die Ausfuhr jetzt einfach die Entscheidung,
daſs die Steuerpflicht nicht entsteht; der Schwebezustand erlischt.
Oder die Steuerpflicht war bereits für sie entstanden und nur die
Erfüllung hinausgeschoben. Das ist unser Fall. Soweit das Gesetz
den oben erwähnten wirtschaftlichen Gesichtspunkt an der Besteuerung
zur Geltung bringen will, wird es hier dadurch geschehen, daſs Aus-
fuhr und was ihr etwa gleich gestellt wird, die begründete und ge-
stundete Steuerpflicht rückgängig macht, als wäre sie nicht ent-
standen. Unter welchen Umständen dies der Fall sein soll, kann
nur das Gesetz bestimmen. Es kann aber in sehr weitem Maſse in
das Belieben der Steuerbehörden gestellt sein, inwiefern dem Einzelnen
die Erfüllung dieser Voraussetzungen ermöglicht oder versagt wird.
Die Hauptform ist die, daſs eine besondere Bewilligung der Be-
hörde mit der Entstehung der Steuerpflicht selbst einen solchen Vor-
behalt des Rückgängigwerdens verknüpft. Das kommt alsdann dem
Bilde einer beigefügten Bedingung auch äuſserlich am nächsten. Und
zwar kann die Bedingung eine auflösende sein; dann geht die
Stundung noch besonders neben her. Ein Beispiel bieten die laufen-
den Konten für Groſshandlungen nach Zollges. § 110: die aus-
ländischen Waren werden unter Stundung des Zolles abgegeben; die
Zollpflicht entsteht sofort; der Empfänger wird mit dem Zollbetrage
belastet, aber unter Vorbehalt der Entlastung, wenn er in bestimmter
Frist die Wiederausfuhr nachweist.
Der gleiche Erfolg des Erfüllungsaufschubes und des Vorbehalts
der Rückgängigmachung kann auch in Form der aufschiebenden
[416]Die Finanzgewalt.
Bedingung erzielt werden. Die Steuerpflicht, im Augenblick, wo sie
entstehen soll, wird nur vorgemerkt; wird hinterdrein die Bedingung
vereitelt, so wird alles rückwärts als nicht geschehen behandelt; wird
die Bedingung erfüllt, so ist die Steuerpflicht entstanden in jenem
Augenblicke.
Die aufschiebende Bedingung kann bejahend und verneinend
gefaſst sein. Bejahende aufschiebende Bedingungen bedeuten ge-
wisse Zollbefreiungen mit Verwendungszwecken. Nach den Tarif-
gesetzen vom 15. Juli 1879, 22. Mai 1885 und 21. Dez. 1887 können
gewisse, an sich zollpflichtige Waren zollfrei eingeführt werden zur
Verwendung für einen bestimmten Zweck, teils kraft Gesetzes, teils
vermöge besonderen Erlaubnisscheines: Dampfmaschinen zum Schiffs-
bau, Thee zur Theinfabrikation u. s. w. Die Zollfreiheit ist nicht
bedingt durch die Verwendung für den bestimmten Zweck, sondern
die Zollpflicht durch die Verwendung für einen andern. Im Falle
des zufälligen Unterganges der Sache wird daher die Zollpflicht nicht
wirksam; im Falle der Verwendung für einen andern Zweck gilt sie
als entstanden mit dem Tage der Einfuhr, der Einführende hat den
Zoll zu zahlen nach dem damals geltenden Tarif20.
Verneinende aufschiebende Bedingungen finden sich in
den Zollbegünstigungen für Meſs- und Marktverkehr, für Retourwaren
und Veredelungsverkehr. (Zollges. § 112, § 114, § 115). Das Ge-
setz spricht von Erlaſs des Eingangszolles, Freilassung, Befreiung vom
Eingangszoll. Das ist aber nur im volkstümlichen Sinne so gemeint.
Man sieht keinen Zoll bezahlen, möglicherweise wird auch später
keiner bezahlt; ein einfacher Erlaſs des Zolles im rechtlichen Begriff
liegt nicht vor. Vielmehr gestaltet sich die Sache z. B. beim Ver-
edelungsverkehr folgendermaſsen. Die Zollbehörde läſst die Ware
kraft gesetzlicher Ermächtigung zum Veredelungsverkehr zu. Damit
fügt sie der jetzt begründeten Steuerpflicht die aufschiebende Be-
dingung bei, daſs die veredelte Ware nicht innerhalb bestimmter Frist
zur Wiederausfuhr gebracht wird. Um das feststellen zu können,
wird die Ware mit Marken, Stempeln versehen, an welchen man sie
seiner Zeit wieder erkennen wird. Wird in der Frist die Wieder-
ausfuhr bewerkstelligt, so ist mangels erfüllter Bedingung die Steuer-
pflicht getilgt; erfolgt die Wiederausfuhr nicht rechtzeitig, weil die
[417]§ 28. Die abgeschwächte Steuerpflicht.
Ware im Inland verbleibt oder weil sie untergegangen ist, gleichviel,
so ist die Bedingung erfüllt und die Steuer zu entrichten nach dem
Tarif der Einfuhrzeit21.
Wesentlich anders gestaltet ist eine Art von Rückgängigwerden
einer entstandenen Steuerpflicht, welche das Tabaksteuergesetz regelt.
Die Steuerpflicht entsteht hier mit der Verwiegung, wird aber gestundet
bis zur Veräuſserung, beziehungsweise einem späteren festen Ter-
min. Der Pflichtige kann nun gemäſs § 17 des Gesetzes die Ware
nach der Verwiegung in eine Niederlage für unverzollte Waren bringen.
Damit wird seine Steuerpflicht rückgängig für einen der eingelegten
Gewichtsmenge entsprechenden Betrag. An ihre Stelle tritt zunächst
eine schwebende Steuerpflicht, die möglicherweise durch Ausfuhr gänz-
lich verschwinden kann, möglicherweise durch Entnahme aus der
Niederlage zum freien Verkehr in eine neue Steuerpflicht übergeht,
die von der ursprünglichen, durch die Einlagerung erloschenen un-
abhängig ist22.
Die Steuerpflicht des Tabakpflanzers ist also bei ihrer Entstehung
vom Gesetz mit einer auflösenden Bedingung versehen, deren Er-
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 27
[418]Die Finanzgewalt.
füllung jedermann zugänglich ist, ohne behördliche Bewilligung; es
kommt bloſs darauf an, daſs thatsächlich erreichbare Niederlagen vor-
handen sind.
§ 29.
Fortsetzung; Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.
Das Endziel der Steuerauflage geht darauf, daſs die durch den
Steuerrechtssatz im Einzelfall begründete Schuld durch Zahlung des
damit bestimmten Betrages getilgt wird.
Gegenüber dieser ordentlichen Erledigungsweise können sich Ab-
weichungen ergeben, die als besondere steuerrechtliche Rechtsinstitute
gestaltet sind.
I. Bei Abwicklung des durch die gesetzliche Steuerauflage be-
gründeten Rechtsverhältnisses haben beide Teile Handlungen vor-
zunehmen, um ihre Rechte zu wahren: die Steuerverwaltung zur
Geltendmachung des Steueranspruchs, der Unterthan zur Abwehr un-
begründeter Inanspruchnahme. Die Unterlassung rechtzeitiger Vor-
nahme führt beiderseits zu Rechtsnachteilen, welche an dem ursprüng-
lichen Verhältnisse erlitten werden, zu Rechtsverwirkungen.
Auf seiten des Staates führt die Unterlassung der Geltend-
machung zum Verlust der Steuerforderung. Das thut sie aber in
zweierlei Weise: durch Ausschluſs der Nachholung und durch Ver-
jährung.
1. Jede Steuerforderung hat ihren Zeitpunkt, in welchem sie
ordentlicher Weise zur Geltung gebracht werden soll. Die Entstehung
der Steuerpflicht, erkennbar durch das Eintreten der Thatsachen, an
welche sie sich knüpft, oder, bei dauerndem Steuergegenstand, durch
die Wiederkehr des Zeitpunktes der regelmäſsigen Inanspruchnahme,
giebt den Maſsstab dafür. Eine Geltendmachung der Steuerpflicht
nach dem Zeitpunkt, wo sie ordentlicher Weise erwartet werden durfte,
heiſst Nachholung, Nachforderung der Steuer.
Solche Nachholungen können für den Pflichtigen, weil unsicher
und unerwartet, erschwerend wirken. Das Gesetz mag sie deshalb
an gewisse Fristen binden.
Der grundsätzliche Standpunkt ist, wie bei allen Forderungs-
rechten, daſs die einfache Verspätung der Geltendmachung dem Be-
[419]§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.
stand des Forderungsrechts keinen Eintrag thut1. Dabei sollte es
gleichgültig sein, wo der Fehler steckt: ob man die Steuerschuld ver-
spätet ermittelt und festgestellt oder ob man sie nur zu spät zum
thatsächlichen Einzug gebracht hat.
Wenn man aber von Nachholung der Steuer spricht, so hat man
darunter den Fall der verspäteten Feststellung vorzugsweise
im Auge, weil hier allerdings die Zulässigkeit der Nachholung aus
besonderen Gründen fraglich werden kann. Diese besonderen Gründe
bestehen nur bei der direkten Steuer. Sie liegen darin, daſs bei
dieser die Feststellung erfolgt durch den förmlichen Verwaltungs-
akt der Veranlagung, der da obrigkeitlich ausspricht, daſs und wie
viel an Steuer von diesem Einzelnen geschuldet wird. Für diesen
Akt gilt aber, wie für das Strafurteil, mit dem er überhaupt juristisch
verwandt ist (oben § 27 S. 400), der Satz: ne bis in idem.
Er kann nur abgeändert werden, soweit das Gesetz Zuständigkeiten
dazu verleiht. Das thut es aber nur auf zweierlei Art: zu Gunsten
des Steuerschuldners, insofern auf seine Steuerbeschwerde hin
die Nachprüfung durch die angerufene Behörde stattfindet; und zu
seinem Nachteil, insofern die Veranlagung durch seine Schuld, durch
eine Verletzung der ihm für das Ermittlungsverfahren auferlegten
Pflichten oder sonstige Rechtswidrigkeiten von seiner Seite unvoll-
ständig geworden ist, im Fall der Hinterziehung (unten § 31).
Abgesehen davon ist der Akt unabänderlich; und da die direkte
Steuer gebunden ist durch die Veranlagung, nur auf Grund und
in Gemäſsheit der Veranlagung erhoben werden kann, so ist eine
Nachhebung im Widerspruch mit dieser ausgeschlossen, auch wenn
gegenüber der gesetzlichen Steuerpflicht zu wenig veranlagt war.
Der Ausschluſs der Nachhebung beruht aber einzig auf der Kraft
des ergangenen Verwaltungsaktes. Also schadet nur die teilweise Ver-
säumnis, nicht die gänzliche: wenn überhaupt keine Veranlagung
dieses Steuerschuldners stattgefunden hat, ist die Nachholung frei bis
zur Verjährung.
27*
[420]Die Finanzgewalt.
Daraus ergiebt sich die übliche Regel, daſs eine Nachhebung wegen
einer Versäumnis in der Feststellung der Steuerpflicht bei direkten
Steuern nur zulässig ist im Falle der Übergehung oder der
Hinterziehung.
Besser ausgedrückt: die wirksam gewordene Veranlagung
der direkten Steuer befreit den Schuldner von dem
Überschuſs der Steuerpflicht, ausgenommen den Fall
der Hinterziehung2.
Alle anderen Nachforderungen an direkten Steuern und indirekten
Steuern sind frei.
2. Die Verjährung ist kein selbstverständliches Institut des
öffentlichen Rechts; die Geltendmachung der Polizeigewalt z. B. er-
leidet durch Zeitablauf keinerlei Eintrag. Für Steuerforderungen da-
gegen ist sie überall anerkannt und durch allgemeine Steuer- und
Gebühren-Verjährungs-Gesetze oder durch die Gesetze der einzelnen
Steuerarten geregelt. Die Verjährungszeit ist durchweg eine kurze,
meist drei- bis fünfjährige.
Man unterscheidet aber zweierlei Arten von solchem Rechtsverlust
durch Zeitablauf, wie er für die Ansprüche der Steuerverwaltung ein-
treten kann.
[421]§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.
Die eine ist die eigentliche Steuerverjährung, die Rück-
standsverjährung. Wenn man von Steuerverjährung schlechthin
spricht, so ist diese gemeint.
Sie setzt voraus eine fällige Steuerforderung, also bei der in-
direkten Steuer das Eintreten der Thatsachen, an welche die Steuer-
pflicht sich knüpft, bei der direkten überdies den Veranlagungsakt,
der die Erhebung erst ermöglicht. Bei beiden Arten kann die Fällig-
keit hinausgeschoben werden durch gesetzliche Zahlungstermine oder
besondere Stundung. Die Verjährung beginnt zu laufen entweder mit
der Fälligkeit oder — zur Vereinfachung des Rechnungswesens —
mit Abschluſs des Geschäftsjahres, in welchem die Fälligkeit ein-
getreten ist3.
Unterbrochen wird die Verjährung durch jede Handlung der
Steuerverwaltung, welche gegen den Schuldner gerichtet ist zum Zweck
der Erhebung der Steuer und diesen auch wirklich erfaſst, wodurch sie
also aufhört, ihm gegenüber unthätig zu sein. Die wichtigste Form
ist die Zahlungsaufforderung behufs Einleitung administrativer Zwangs-
beitreibung (vgl. unten § 32). Ihr steht gleich die Klageerhebung
oder Anmeldung zum Konkurse. Auch die Bewilligung einer Stundung
genügt, insofern auch hier die Steuerverwaltung aus der Unthätigkeit
heraustritt.
Die Gesetzgebung kann auch die sonstigen Unterbrechungsgründe
des Civilrechts gelten lassen, namentlich die Anerkennung der Schuld
durch den Schuldner oder das einseitige Stundungsgesuch, das ja die
Anerkennung enthält. Von selbst versteht sich nicht, daſs diese Gründe
hier wirken4. Vom Civilrecht läſst sich überhaupt nichts ohne weiteres
hierher übertragen; unser Rechtsinstitut steht für sich allein. Wenn ein
Vergleich gezogen werden soll, so hat der Untergang der Steuerforderung
durch Zeitablauf eher Verwandtschaft mit der Verjährung der Straf-
vollstreckung als mit der civilrechtlichen Anspruchsverjährung. Daſs
es sich um Geld handelt, wie im Civilrecht, ist doch nur etwas ganz
Äuſserliches. Die Hauptsache ist, daſs hier eine Amtshandlung un-
zulässig werden soll durch Zeitablauf. Dagegen schützt im Strafrecht
wie im Steuerrecht nur „jede auf Vollstreckung der Strafe (oder Durch-
[422]Die Finanzgewalt.
führung der Steuer) gerichtete Handlung derjenigen Behörde, welcher
die Vollstreckung obliegt“ (Stf.G.B. Art. 72). Die öffentlichrechtlichen
Verjährungen haben durchweg mehr die Natur von Präklusivfristen.
Dem steht nun gegenüber die zweite Art von Verjährung; sie
besteht darin, daſs die Zulässigkeit nachträglicher Fest-
stellung der Steuer untergeht durch Ablauf einer im Gesetze
bestimmten Zeit.
Es handelt sich also hier um einen Fall der Nachholung in dem
oben n. 1 erörterten Sinne.
Damit diese Verjährung in Betracht komme, muſs die Nachholung
nicht von vornherein schon unzulässig sein. Bei direkten Steuern
würde sie also ihre Wirksamkeit beschränken auf die Fälle der Über-
gehung und der Hinterziehung. Für diese Fälle aber giebt sie eine
notwendige Ergänzung; hier würde ja der Steueranspruch auch von
der Rückstandsverjährung nicht berührt: er wird überhaupt erst fällig
durch die Feststellung, die hier als Verwaltungsakt auftritt, um den
Vollzug der Steuerpflicht zu bestimmen. Ohne die Feststellung giebt
es also keinen Rückstand im obigen Sinn und keine Rückstands-
verjährung; die Folge würde sein, daſs ohne diese zweite Art der
Verjährung im Falle der Übergehung oder Hinterziehung die Nach-
holung der direkten Steuer an gar keine Zeitgrenze gebunden wäre5.
Ganz anders steht es in dieser Beziehung mit den indirekten
Steuern. Die Feststellung der Steuerschuld ist hier eine bloſse Be-
rechnung, die als solche geschehen sein kann, auch ohne nach auſsen
[423]§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.
hervorzutreten, im Gegensatze zum Verwaltungsakt, der nur gilt mit
der Kundgabe; sie ist also ganz ungeeignet, um von der den Be-
teiligten nicht erkennbaren Thatsache, ob sie geschehen ist oder nicht,
den Lauf der Verjährung abhängig zu machen. Vor allem aber hat
eine solche zweite Verjährungsart hier gar keinen Zweck, deshalb weil
schon die erste ausreicht und alle Fälle deckt: die indirekte Steuer
wird unmittelbar durch die Entstehung der gesetzlichen Pflicht voll-
ziehbar; von besonderer Stundung abgesehen, ist sie im Augenblick,
wo sie festgestellt und eingezogen werden konnte, sofort auch im Rück-
stand und die Rückstandsverjährung beginnt zu laufen.
Wenn also das Gesetz hier einen Unterschied macht, je nachdem
die Feststellung erfolgt ist oder nicht, namentlich etwa die Verjährungs-
zeit verschieden berechnet, so handelt es sich doch nur um ziemlich
willkürliche Besonderheiten innerhalb des Begriffes der Rückstands-
verjährung6.
Bei der direkten Steuer dagegen hat diese zweite Verjährung
ihre volle Eigenart: nicht die Forderung verjährt, sondern der Akt
wird unzulässig, der erforderlich ist, um sie ins Werk zu setzen.
Nur mittelbar also trifft dies auch den Bestand der Forderung. Unter-
brochen wird diese Verjährung nicht durch irgend welche Geltend-
machung der Forderung, sondern nur durch Vornahme des verzögerten
Aktes7. Deshalb pflegt sie auch von der Gesetzgebung wie von den
Schriftstellern in einen Gegensatz gestellt zu werden zur Rückstands-
verjährung; diese allein ist für unser Gebiet die Verjährung, jene
dagegen gilt eher als eine Präklusivfrist für die fragliche Amtshand-
lung. Allein auch die Rückstandsverjährung ist ja genauer betrachtet
nichts anderes. Die civilrechtliche Gewöhnung läſst nur bei ihr, wo
[424]Die Finanzgewalt.
es sich um Unzulässigwerden der Einziehung einer Geldforderung
handelt, den Begriff der Verjährung leichter zu, als bei einer so fremd-
artigen Wirkung wie die Unzulässigkeit eines obrigkeitlichen Aus-
spruches. Wenn man aber vergleichen will, so ist hier der bereits
oben verwertete Vergleich mit dem Strafrecht näher gelegt. Wie die
Rückstandsverjährung der Verjährung der Strafvollstreckung, so ent-
spricht das Unzulässigwerden des Nachholungsaktes der Verjährung
der Strafverfolgung, welche das Strafurteil ausschlieſst. Der Name
Verjährung paſst in allen Fällen gleich gut und gleich schlecht.
II. Auf seiten des Unterthanen führt die Unterlassung
der rechtzeitigen Vornahme gewisser Rechtshandlungen zum Verlust
des Anspruches auf Beseitigung unbegründeter rechtswidriger Belastung.
Hier wirkt nur die Fristversäumnis, d. h. nur die soeben
unter n. 2 betrachtete Verjährung hat ihre Seitenstücke. Sie wirkt
aber wieder auf zweierlei Art.
1. Durch Verlust des Anfechtungsrechtes gegenüber
einem Verwaltungsakt. Das Gebiet dieses Rechtsinstitutes bilden
die direkten Steuern.
Die Veranlagung kann von vornherein der gesetzlichen Steuer-
pflicht widersprechen. Der Akt ist ergangen gegen einen Nichtschuldner
oder gegen den Schuldner auf einen zu hohen Betrag. Er ist gleich-
wohl rechtsverbindlich, soweit er nicht auf den vom Gesetze vor-
gesehenen Wegen zur Abänderung gebracht wird. Möglicherweise ist
eine obere Behörde zuständig, von Amtswegen zu Gunsten des Be-
troffenen einzugreifen. Der ordentliche Weg ist die Anfechtung von
seiten desselben, die Reklamation. Über die Reklamation wird
alsdann im Beschwerdeverfahren oder im Rechtswege entschieden;
das ist Sache der Ordnung des Rechtsschutzes. Für die Erhebung
der Anfechtung bestehen aber kurze Fristen, von der Kundgabe der
Veranlagung ab zu rechnen. Es sind Präklusivfristen8. Ist die Frist
versäumt, so bleibt die Steuerpflicht für die Zeit, für welche der Akt
gelten soll, bestimmt, wie sie darin bestimmt ist.
Die Veranlagung kann auch erst hinterdrein in Widerspruch
geraten mit ihren gesetzlichen Grundlagen, nämlich durch Veränderung
der thatsächlichen Voraussetzungen. Das ist vor allem möglich bei
denjenigen Veranlagungen, welche auf längere Zeit hinaus die periodisch
fällig werdende Steuer oder Stücke der Steuerpflicht festsetzen, bei
den Katastersteuern (oben § 27, III n. 1). Mit der Änderung des
[425]§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.
Gegenstandes oder der Person, mit welcher sie sich verknüpft, ent-
steht auch eine Änderung der gesetzlichen Steuerverpflichtung. Diese
Wirkung wird meist hinausgeschoben auf Monatsabschlüsse, Jahres-
abschlüsse. Sie macht aber auch dann den Verwaltungsakt nicht von
selbst hinfällig, sondern giebt nur einen Grund, ihn abzuändern, und
so lange er nicht geändert ist, wirkt er fort. Diese Änderung kann
von Amtswegen geschehen. Ordentlicherweise ist sie bedingt durch den
Antrag des Betroffenen, der hier die Stelle der Anfechtung vertritt,
so zwar, daſs dieser Antrag die Änderung erst bewirkt, sofort oder
von einem gewissen danach zu berechnenden Jahresabschnitte an. Der
Antrag erscheint als Anzeige von dem eingetretenen Wechsel der
Voraussetzungen, als Abmeldung, Gesuch um Umschreibung,
Abschreibung u. s. w. Wird dem Antrag nicht willfahrt, so geht
er in eine förmliche Anfechtung über, deren Ergebnis zurückwirkt
auf den der Antragstellung entsprechenden Zeitpunkt. Die Unter-
lassung des Antrags läſst die sachlich nicht mehr gerechtfertigte Ver-
anlagung für den entsprechenden Zeitraum in Wirksamkeit fortbestehen;
die Steuerpflicht beruht dann nicht einmal mittelbar mehr auf der
gesetzlichen Steuerauflage, sondern lediglich auf der formellen Kraft
des Verwaltungsaktes.
2. Der Verlust der Rückforderungsklage durch Frist-
versäumnis. Eine gesetzwidrige Belastung kann geschehen durch
thatsächliche Einziehung einer nicht geschuldeten Steuer, sei es, daſs
sie freiwillig gezahlt, sei es, daſs sie zwangsweise beigetrieben worden
ist. Dann erhält die Abwehr des Betroffenen die Gestalt der Er-
hebung eines Rückforderungsanspruches. Darin liegt der Antrag, die
Steuerpflicht für nicht begründet zu erklären, und zugleich der Antrag,
dem entsprechend die Zurückzahlung der Bereicherung anzuordnen.
Formen und Zuständigkeiten bestimmt die jeweilige Ordnung des
Rechtsschutzes. Für die Geltendmachung dieses Anspruchs können
aber Fristen gegeben sein, durch deren Nichteinhaltung er erlischt.
Bei der direkten Steuer erleidet er von vornherein eine Be-
schränkung durch die selbständige Rechtswirkung der Veranlagung.
Wenn die Einziehung erfolgt ist gemäſs der Veranlagung, so ist sie
durch diese gedeckt. Die Rückforderung kann nur geltend gemacht
werden unter gleichzeitiger Anfechtung der Veranlagung selbst und
unter Wahrung der hierfür bestehenden Formen und Fristen.
Es bleibt also hier nur der Fall übrig, wo in Widerspruch mit
der geschehenen Veranlagung oder auch ohne alle vorgängige Ver-
anlagung des Betroffenen die Einziehung erfolgt ist. Für die aus
einem solchen Fehler bei der Erhebung entspringenden Rückforderungs-
[426]Die Finanzgewalt.
ansprüche hat das Gesetz nicht überall Fristen der Geltendmachung
vorgesehen; dann sind sie zeitlich unbeschränkt9.
Im Gegensatz dazu behält die Nachprüfung der Gesetzmäſsigkeit
bei der indirekten Steuer offenes Feld. Die Feststellung der Steuer,
soweit sie überhaupt vor der ordentlichen Erhebung stattfindet, bildet
keinen Abschnitt des Verfahrens, der das Weitere mit eigener bindender
Kraft bestimmte. Die einzige Amtshandlung, deren Anfechtung in
Betracht kommen kann, ist die Einziehung. Die Ausschluſsfristen,
welche das Gesetz dafür vorsteckt, laufen von da ab10. Sie sind wie
immer kurz bemessen, laufen auch gegen sonst begünstigte Personen
und werden nur unterbrochen durch Geltendmachung des Rechts-
mittels11.
III. In gewissem Maſse kann die Behörde geradezu über die ge-
schuldete Steuer verfügen. Das geschieht im sogenannten Vertrag
über die Steuerpflicht und im Steuererlaſs.
1. Der Vertrag über die Steuerpflicht. Für das alte
Recht eine sehr gewöhnliche Erscheinung, sind solche Verträge bei
der heute geltenden Ordnung grundsätzlich ausgeschlossen: die voll-
ziehende Gewalt kann nicht durch Vereinbarung mit dem Steuer-
pflichtigen entbunden werden von Ausführung des Steuerrechtssatzes,
um weniger zu nehmen, als er bestimmt12. Und andererseits kann
[427]§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.
dessen Zustimmung sie vielleicht berechtigen, mehr zu nehmen; aber
eine Steuerpflicht wird das nie.
Es ist ein ganz beschränkter Ausnahmefall, für welchen heute
noch von vertragsmäſsiger Festsetzung einer Steuerpflicht die Rede ist.
Unter Umständen nämlich sind die thatsächlichen Unterlagen für die
Bestimmung einer Steuerpflicht besonders schwierig zu erkennen und
festzuhalten. Da giebt dann das Gesetz die Ermächtigung, an Stelle
der genauen Anwendung des Steuerrechtssatzes eine bloſse Schätzung,
einen annähernd richtigen Anschlag treten zu lassen. Ein Pau-
schale, Aversum wird festgesetzt durch Beschluſs der Behörde; dem
Betroffenen ist dabei eine gewisse Mitwirkung zugestanden, um seine
Interessen zu sichern. Das bezeichnet man als Abfindung, Abonnement,
Fixationsvertrag, Komposition, vertragsmäſsige Regelung der Steuer-
pflicht. Vertrag im wahren Sinne des Wortes ist es nicht, sondern
ein Verwaltungsakt, der auf Grund des Gesetzes, verschiedentlich be-
dingt durch die Mitwirkung des Steuerpflichtigen, den Umfang der
Steuerpflicht mit einem gewissen freien Ermessen festsetzt.
Solche Festsetzungen kommen in geringem Umfange zur Anwen-
dung bei direkten Steuern13. Ihr Hauptgebiet sind die indirekten
Steuern auf Getränke: Wein, Bier, Branntwein. Der Vorgang ist aber
durchaus nicht überall gleichmäſsig gestaltet; vielmehr erscheint gerade
dasjenige Element, woran die Bezeichnung Vertrag sich knüpft, die
Mitwirkung des Steuerschuldners, in verschieden abgestufter Be-
deutung.
Das Gesetz kann gestatten, die „Fixation“ eines Betriebes, von
dessen Erzeugnissen die indirekte Steuer zu erheben wäre, vorzunehmen
auch ohne den Willen des Unternehmers, auf Grund einer Berechnung
der Leistungsfähigkeit. Die Anhörung des Betroffenen ist lediglich
Formbedingung14.
[428]Die Finanzgewalt.
Es kann die Einleitung des Fixationsverfahrens auch abhängig
machen von seinem Antrag; auf diesen Antrag hin setzt aber dann
die Behörde den Steuerbetrag selbständig fest15.
Es kann endlich bestimmen, daſs der Festsetzungsbeschluſs selbst
nur ergehen darf, wenn der Unternehmer sich auch mit seinem
Inhalt einverstanden erklärt hat16.
Im letzteren Fall allein könnte man an einen Vertrag über-
haupt denken wollen. Es ist aber in diesem wie in den anderen
Fällen der Verwaltungsakt allein, der den rechtlichen Erfolg herbei-
führt, nur bedingt durch die eine oder andere Art von Mitwirkung
des Steuerpflichtigen. Der Erfolg ist die Bestimmung der nach dem
Gesetze geschuldeten Steuer. Die Abfindungssumme behält trotz des
„Vertrags“ die Natur derselben. Die amtliche Überwachung des Be-
triebs, wie sie für diese geordnet ist, bleibt zum groſsen Teil be-
stehen. Die Regeln über Verjährung, Stundung, Erlaſs, Beitreibung
finden nach wie vor darauf Anwendung17.
Eine Änderung ist insofern eingetreten, als die Steuer jetzt der
direkten Steuer näher steht. Sie ist veranlagt durch einen Ver-
waltungsakt und unmittelbar aus diesem geschuldet. Diese Veran-
lagung geht bei einem etwaigen Wechsel im Besitze des Unternehmens
nach dem Muster gewisser Veranlagungen zu direkten Steuern ohne
weiteres auf den neuen Besitzer über. Der sogenannte Fixations-
vertrag kann aus bestimmten Gründen von jedem der beiden Teile
aufgehoben werden, so daſs die gesetzmäſsige Erhebungsweise wieder
in Kraft tritt. Von seiten der Behörde ist das die Zurücknahme
eines Verwaltungsaktes. Von seiten des Pflichtigen hat es die Natur
der Abmeldung bei der direkten Steuer. Die Gründe, die ihn dazu
berechtigen, sind gewisse Änderungen in den thatsächlichen Voraus-
setzungen der Fixation (Besitzwechsel, längere Einstellung des Be-
triebs). Diese Gründe wirken auch hier wieder nicht von selbst,
sondern nur durch ihre Geltendmachung und Anerkennung und zwar
wie bei der Abmeldung der direkten Steuer nur auf feste Termine,
z. B. auf Monatsschluſs18.
[429]§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.
Eine wirkliche direkte Steuer wird die betreffende Getränkesteuer
dadurch nicht. Für diese ist der dazwischen geschobene Verwaltungs-
akt wesentlich, hier ist er nur ein besonderer Umstand, der den ordent-
lichen Gang des Verfahrens ändert.
2. Der Steuererlaſs. Der Steuererlaſs ist die Tilgung der
Steuerpflicht durch Verzicht von seiten des Gläubigers.
Er unterscheidet sich von der Steuerbefreiung, welche eine
im Steuerrechtssatz selbst enthaltene Ausnahme von der Steuerauflage
vorstellt. Kraft dieser Ausnahme findet die Regel auf einen Fall, den
sie sonst umfassen würde, keine Anwendung; die Steuerpflicht ent-
steht nicht. Der Steuererlaſs dagegen hat eine entstandene Steuer-
pflicht zur Voraussetzung.
Er unterscheidet sich von dem Rückgängigwerden der be-
dingten Steuerpflicht. Denn dies geschieht nicht durch Verzicht,
sondern von selbst durch die Bedingtheit der Steuerpflicht und durch
das Nicht-mehr-wirken-wollen der Steuerauflage bei Eintritt der Be-
dingung19.
Endlich unterscheidet er sich von der Niederschlagung der
als uneinbringlich angesehenen Steuerforderung; denn diese ist ledig-
lich eine Maſsregel des Rechnungswesens, welche die Steuerpflicht
selbst unberührt läſst.
Der Steuererlaſs bedeutet die Aufhebung einer entstandenen, nicht
von selbst wieder rückgängig werdenden Steuerpflicht durch Ver-
fügung im Einzelfall. Es wird also die Entäuſserung eines Vermögens-
stückes des Staates vorgenommen und zwar freiwillig ohne Entgelt.
Das ist es aber nicht, was dem Vorgang in erster Linie seine recht-
liche Natur giebt. Derartige Opfer zu bringen, Zuwendungen zu
machen, liegt gar mannigfach im ordentlichen Auftrage der Ver-
waltungsbehörden, die Staatsgeschäfte zu besorgen, mit inbegriffen.
Das Wesentliche ist, wie beim Vertrag über die Steuer, daſs der Ver-
zicht auf die Steuerpflicht eine Durchbrechung der bindenden Kraft
des steuerauflegenden Rechtssatzes bedeutet20.
[430]Die Finanzgewalt.
Indem das Steuergesetz den Unterthanen verpflichtet, bindet es
zugleich die vollziehende Gewalt zur Durchführung dieser Pflicht. Die
vollziehende Gewalt kann sich nur soweit davon entbinden und auf
die Steuer verzichten, als ihr das durch gesetzliche Ermächtigung vor-
behalten ist.
Ein allgemeines Recht der Regierung, nach Belieben auf jede
Steuerschuld zu verzichten, ein Steuerbegnadigungsrecht giebt es
nicht21. Das Gesetz gestattet den Erlaſs nur aus bestimmtem Grunde
und für die bestimmte Steuerart, bei welcher dieser als wirksam an-
erkannt ist.
Der Erlaſsgrund ist immer darauf gestellt, daſs bei dem Steuer-
pflichtigen nachträglich Wertverminderungen, Verluste, Mindererträg-
nisse sich ergeben haben, welche es unbillig erscheinen lassen, auf
der gerade mit Rücksicht auf den Besitz der betreffenden Werte auf-
erlegten Steuer zu bestehen.
[431]§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.
Das Gesetz kann den Erlaſs geradezu vorschreiben für den Fall,
daſs bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Es kann auch dem
freien Ermessen der Behörde Spielraum geben, um unter solchen Vor-
aussetzungen den Erlaſs zu gewähren oder zu versagen, nach Rück-
sichten der Billigkeit einerseits, des Finanzinteresses andererseits.
Das macht für den Steuerpflichtigen, der den Erlaſs be-
gehrt, einen bedeutsamen Unterschied.
Im ersteren Fall hat er ein Recht darauf; für die Geltendmachung
des Erlaſsanspruches wird ein Rechtsweg in Beschwerde oder Klage
und förmlichem Prozeſsverfahren eröffnet sein; notwendig ist das nicht
(oben S. 148). Im zweiten Fall handelt es sich um eine bloſse
Bitte, ein Anrufen der pflichtgemäſsen Billigkeitserwägungen der Be-
hörde, das im reinen Verwaltungsverfahren zur Erledigung zu kommen
pflegt22.
Ein Steuererlaſs, dem die gesetzliche Grundlage fehlt, ist rechts-
ungültig, gleichviel von welcher Stelle er ausging. Das bedeutet eine
Nichtigkeit nur dann, wenn der Akt ganz auſserhalb der allgemeinen
Zuständigkeit des Erlassenden lag. Abgesehen davon bleibt auch der
ungültige Akt rechtswirksam, bis er zuständigerweise wieder aufgehoben
wird. Dem Steuerpflichtigen wird selbstverständlich kein Rechtsmittel
gegeben sein, um diese Aufhebung zu bewirken. Und wenn der un-
gültige Erlaſs vom Fürsten selbst ausgegangen ist, so wird, wenn nicht
etwa besondere Nachprüfungsrechte dafür geordnet sind, niemand den
Akt für ungültig erklären können, als er selbst, indem er ihn zurück-
nimmt. Behörden und Volksvertretung können darauf hin zu wirken
suchen; der Begünstigte seinerseits hat kein Recht auf Aufrecht-
erhaltung und ist nicht verletzt durch die Zurücknahme23. Daſs der
[432]Die Finanzgewalt.
Minister, der die Gegenzeichnung zu dem Akt geleistet hat, verant-
wortlich gemacht werden kann für den Nachteil, der dem Staat daraus
erwächst, ist eine Sache für sich.
§ 30.
Der Finanzbefehl.
Die Finanzgewalt ist die öffentliche Gewalt, verwendet zur För-
derung der Staatseinnahmen. Dieses Ziel erstrebt die öffentliche Ge-
walt in der einfachsten Weise, wenn sie den Unterthanen Zahlungs-
pflichten, Steuerpflichten gegen den Staat auferlegt. Sie kann ihm
aber auch dienen durch Bestimmung des persönlichen Verhaltens
der Unterthanen, indem dieses so eingerichtet wird, wie es für die
Staatseinnahmen am besten ist, insbesondere um sie zu sichern und
vor Störung und Verminderung zu bewahren.
Der eigentliche Grund der Einnahme liegt dann neben der Maſs-
regel; die Finanzgewalt schützt mit dieser nur seine Wirksamkeit und
befördert so die Staatseinnahmen mittelbar. Er kann liegen in
der andern Erscheinungsform der Finanzgewalt, in der Steuerauflage,
kann aber auch jede andere Gestalt von Einnahmequellen haben.
Diese zweite Form der Finanzgewalt umfaſst also ein viel weiteres
Gebiet als die bisher betrachtete, aber ohne es so gründlich aus-
zufüllen, wie jene das ihre: sie wirkt immer nur nebensächlich1.
Man hat diese zweite Art von Einwirkungen auf die Unterthanen
häufig als Finanzpolizei bezeichnet2. Der Name ist deshalb ver-
fehlt, weil die Polizei, wenn man sie richtig abgrenzen will, nur durch
ihre eigentümliche Grundrichtung gekennzeichnet werden kann, die
dann einen Gegensatz zur Finanzgewalt bezeichnet. Denn hier handelt
es sich durchweg nicht um die gute Ordnung des Gemeinwesens und
seine öffentlichen Nützlichkeiten. Die Polizei ist social, die Finanz-
gewalt fiskalisch. Das kann sich nicht mischen.
[433]§ 30. Der Finanzbefehl.
Aber richtig ist, daſs gerade an dieser Seite der Finanzgewalt,
wo es sich um Bestimmung des persönlichen Verhaltens der Unter-
thanen handelt, ihre Verwandtschaft mit der Polizei am deutlichsten
zu Tage tritt. Denn diese Einwirkung auf die Unterthanen vollzieht
sich geradezu in Formen, welche denen der Polizeigewalt entsprechen:
Befehl, Strafsetzung, Zwang. Die Regeln, nach welchen diese Begriffe
dort sich entfalteten, gelten in weitem Umfange auch hier: es sind
gemeinsame Begriffe. Nur haben sie eben hier ihre besondere Aus-
prägung ebenso wie dort: sie sind Finanzbefehle, Finanzstrafen, Finanz-
zwang.
Das Verhältnis zwischen Finanzbefehl und Finanzstrafe,
die uns zunächst angehen, ist dasselbe wie zwischen Polizeibefehl und
Polizeistrafe: sie decken sich nicht, gehören aber doch zusammen.
Der Finanzbefehl ist nicht notwendig ausgestattet mit einer rechts-
satzmäſsigen Strafdrohung; er hat noch andere Mittel, sich wirksam
zu erweisen; wohl aber ist die Strafdrohung das wichtigste. Die
Finanzstrafe andererseits ist nicht notwendig auf den Ungehorsam
gegen einen Finanzbefehl gesetzt; es findet sich auch hier daneben
die unmittelbare Verpönung (oben § 22, I n. 2); aber in dieser liegt,
wie dort, zugleich ein rechtliches Nichtsollen ausgesprochen, das dem
Befehle verwandte Wirkungen äuſsert. Eine Norm für den Unter-
thanen in diesem allgemeinen Sinne ist beiden gemeinsam.
I. Befehl ist die obrigkeitliche Willenserklärung zu bindender
Bestimmung des Verhaltens des Unterthanen (oben S. 271); der
Finanzbefehl ist ein solcher, der Gehorsamspflichten auferlegt
zum Besten der Staatseinnahmen, Pflichten zum Handeln, Unterlassen,
Dulden.
Derartige Befehle kommen in verschiedenen Zusammenhängen zur
Verwendung und danach unterscheiden sich Arten von Finanzbefehlen.
1. Sie begleiten vor allem die Steuerauflage und ihre Durch-
führung. Ihr Hauptzweck ist dabei, der Verwaltung die Erkenntnis
der Steuerpflicht zu erleichtern. Deshalb erscheinen sie thatsächlich
in desto gröſserem Umfange, je schwerer die Steuerpflicht an sich der
Verwaltung wahrnehmbar ist, je leichter sie sich dieser Wahrnehmung
entziehen kann3.
Bei den direkten Steuern beschränken sie sich demgemäſs auf
Gebote der Anzeige der eingetretenen Steuerpflicht, der Auskunft-
erteilung darüber oder auch der ausführlichen Darstellung des Sach-
verhaltes.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 28
[434]Die Finanzgewalt.
Dagegen treten sie in viel reicherer Entwicklung neben den
indirekten Steuern auf. Die Gebote, die da gegeben werden, greifen
weiter aus: nicht bloſs die eingetretene Steuerpflicht ist zur Kenntnis
der Behörde zu bringen, sondern schon der entferntere Zusammen-
hang, der Vorgang oder Zustand, aus welchem möglicherweise eine
Steuerpflicht entstehen kann. Dazu kommen Verbote steuer-
gefährlicher Handlungen, d. h. solchen Verhaltens, das geeignet
ist, möglicherweise eine Steuerpflicht zu verbergen oder sie nicht in
vollem Umfange zur Kenntnis der Verwaltung kommen zu lassen.
2. In weit geringerem Maſse ist der Finanzbefehl verwendbar
neben den Gebühren. Der Gebührenfall ist seiner Natur nach
ohnehin nicht dazu angethan, sich der Wahrnehmung der Verwaltung
leicht zu entziehen; die Gebühr beruht ja gerade darauf, daſs die
Leistungen des Staates für einen bestimmten Einzelnen in Anspruch
genommen werden; der Schuldner bietet sich also immer von selbst
dar, ohne daſs es besonders befohlen zu werden braucht. Ein Bedürf-
nis wird daher meist nur bestehen zur Abwehr eines arglistig auf
Beeinträchtigung des Gebührenanspruchs gerichteten Verhaltens des
Schuldners und dem entspricht am einfachsten die Form der unmittel-
baren Verpönung.
3. Eine andere Art von Finanzbefehlen setzt überhaupt eine
Zahlungspflicht des davon Betroffenen gegenüber dem Staate nicht
voraus. Ihr Zweck ist, staatliche, auf Erzielung von Einnahmen ge-
richtete Unternehmungen in ihrem wirtschaftlichen Erfolge zu sichern
gegen Störungen, welche ihnen darin durch die Mitbewerbung gleich-
artiger Unternehmungen bereitet werden können. Der Mitbewerb
wird verboten. Das Monopol ist das Ergebnis.
Das Verbot trifft entweder nur die störende fremde Unternehmung
und jede Thätigkeit dafür oder auch die Benützung derselben, geht
also dann gegen den Unternehmer und seinen Kunden zugleich.
Das staatliche Unternehmen, dessen Einnahmen so geschützt
sind, mag dann seinerseits mehr die Natur einer öffentlichen Anstalt
mit Gebühren an sich tragen oder mehr die eines kaufmännischen
Geschäftes mit Einnahmen aus Kaufpreisen und Löhnen. Für den
angehängten Finanzbefehl macht das keinen Unterschied4.
[435]§ 30. Der Finanzbefehl.
4. Endlich erscheint der Finanzbefehl im Zusammenhang mit
Steuerbefreiungen, Steuererlassen und Steuerrück-
vergütungen. Diese Vorteile sollen von der Steuerbehörde nur
anerkannt und gewährt werden unter bestimmten Voraussetzungen.
Von der richtigen Wahrnehmung dieser Voraussetzungen hängt es
ab, daſs die Steuereinnahme nicht ungerechtfertigte Verminderungen
erleidet. Handlungen, welche geradezu darauf gerichtet sind, eine
unrichtige Beurteilung des Thatbestandes bei der Steuerbehörde zu
erzeugen, können unmittelbar mit Finanzstrafen bedroht werden;
überdies aber werden den also Begünstigten Vorschriften gegeben,
welche sie beobachten sollen, damit der Erlaſs, die Steuervergütung
in den beabsichtigten Grenzen bleibt, Finanzbefehle, deren Befolgung
wieder durch Strafen, Verlust der Begünstigung und sonstige Un-
gehorsamsfolgen gesichert wird5.
In allen Verwendungsarten hat der Finanzbefehl das Gemeinsame,
daſs er stets als eine willkürliche, gemachte Veranstaltung des
Staates erscheint. Es fehlt ihm der Hintergrund einer selbstverständ-
lichen natürlichen Pflicht, die der Befehl nur genauer bestimmte und
verwirklichte, wie dies dem Polizeibefehl seine eigentümliche Natur
giebt. Daher insbesondere auch das Gesetz keine so allgemeinen Er-
mächtigungen zu Befehlseingriffen giebt wie dort: sie würden hier
jenes natürlichen inneren Maſses entbehren.
II. Die Form, in welcher der Finanzbefehl gegeben wird, ist, wie
die des Befehls überhaupt, entweder der Rechtssatz oder der Ver-
waltungsakt.
Allein zum Unterschiede von der Polizei sind hier gesetz- und
verordnungsmäſsige Befehle weniger zahlreich vorhanden; wo Gesetz
und Verordnung mit ihren Rechtssätzen eingreifen, thun sie es gern
in unmittelbarer Verpönung. Einzelbefehle auf Grund gesetzlicher
Ermächtigung, nach Art der Polizeiverfügung, kommen auf dem Ge-
biete der Finanzgewalt so gut wie gar nicht vor.
Die Hauptmasse aller Finanzbefehle ist enthalten in den so-
genannten Regulativen. Diese Form ist eine Eigentümlichkeit des
Finanzbefehls. Sie ist aus der preuſsischen Gesetzgebung in die Reichs-
gesetzgebung übergegangen und herrscht infolgedessen auf dem für
den Finanzbefehl so besonders fruchtbaren Gebiete der indirekten
Steuern.
28*
[436]Die Finanzgewalt.
Über die rechtliche Natur und Bedeutung dieser Regulative haben
wir uns hier klar zu machen.
1. Die reichsrechtlichen Regulative sind ihrer äuſseren Erscheinung
nach Ausführungsvorschriften zu Zoll- und Reichssteuergesetzen. Sie
geben allgemeine Regeln für das Verfahren bei Benützung gewisser
Einrichtungen der Steuererleichterung und bei steueramtlich zu
überwachenden Betrieben. Sie werden vom Bundesrat erlassen und
durchweg im Centralblatt des Deutschen Reiches, dem Amtsblatt des
Reichsamtes des Innern, zur Veröffentlichung gebracht.
2. Die Regeln, welche die Regulative enthalten, haben für die
davon Betroffenen rechtlich bindende Kraft. Diese Thatsache glaubt
man am einfachsten auf das gewohnte Geleise zu bringen, indem man
sie für Rechtssätze erklärt. Die Regulative sollen demnach Ver-
ordnungen sein, und zwar, wie man es in jener beliebt gewordenen
Ausdrucksweise sagen will: Rechtsverordnungen, keine bloſsen Verwal-
tungsverordnungen (oben § 10 Note 11).
Allein hier steht ein unübersteigliches Hindernis im Wege. Ver-
ordnungen (im Sinne von Rechtsverordnungen, wohlverstanden) kann
der Bundesrat nur erlassen auf Grund reichsgesetzlicher Ermächtigung.
Nach richtiger Auffassung wenigstens gewährt Art. 7 Ziff. 2 der Reichs-
verfassung dem Bundesrat ein allgemeines Ausführungsverordnungs-
recht, wie es in den Einzelstaaten verfassungsmäſsig den Fürsten zu-
steht, nicht. Wenn es dort heiſst: „Der Bundesrat beschlieſst über
die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Verwaltungsvor-
schriften und Einrichtungen,“ so sind diese Verwaltungsvorschriften
im Gegensatz von Rechtssätzen verstanden6.
Die Ermächtigung des Bundesrates müſste also beruhen auf den
besonderen Bestimmungen der einzelnen Zoll- und Steuergesetze.
Diese Reichsgesetze verweisen allerdings regelmäſsig auf allgemeine
Regeln, welche der Bundesrat für die Durchführung aufstellen soll.
Allein diese Regeln werden auch hier durchweg nur als Verwaltungs-
vorschriften bezeichnet. Wenn um dieses Ausdruckes willen die
Reichsverfassung mit ihrem Art. 7 Ziff. 2 eine Lücke läſst, indem
dadurch die Möglichkeit nicht gegeben ist, Rechtsverordnungen zu
schaffen, so ist nicht gut zu sehen, wie die Einzelgesetze mit dem
[437]§ 30. Der Finanzbefehl.
nämlichen Ausdruck ihrer Ermächtigungen diese Lücke ausfüllen
sollen7.
Also müssen wir schlieſsen, daſs die Regulative Rechtssätze
nicht sein können. Hiermit hängt aufs innigste zusammen ein anderer
Punkt, auf welchen schon öfters hingewiesen worden ist. Diese Re-
gulative werden, wie erwähnt, von jeher ausschlieſslich im Central-
blatt des Deutschen Reiches veröffentlicht. Der Rechtssatz hat aber
seine formell bestimmte Art der Kundgabe, durch die er wirksam
wird; für die Reichsgesetze und die Reichsverordnungen ist die einzig
wirksame Form die Veröffentlichung im Reichsgesetzblatt8. Wollten
die Regulative Rechtssätze sein, so würden sie um dieser mangel-
haften Verkündigung willen als solche keine verbindliche Kraft er-
langen9. Also können sie Rechtssätze nicht sein wollen.
[438]Die Finanzgewalt.
3. Thatsächlich werden nun aber seit Jahrzehnten diese Regu-
lative als gültig und wirksam zur Begründung von Rechtspflichten
behandelt und die Reichsregierung, trotz aller Warnungsrufe der
Theorie, fährt fort, das Centralblatt als einziges Veröffentlichungs-
mittel zu benutzen.
Entweder also stehen wir hier vor einer groſsartigen Verirrung
der Praxis, oder die Wirksamkeit der Regulative muſs sich anders
erklären lassen als daraus, daſs sie Rechtssätze enthielten.
Es scheint uns, daſs die Wahrheit nur in der letzteren Richtung
gesucht werden darf.
Die Lösung der Frage liegt denn auch für einen Teil der Be-
stimmungen der Regulative sofort auf der Hand. An wen wenden
sich ihre Vorschriften? Es sind zweierlei Arten von Personen,
die da angeredet werden: einerseits Beamte der Steuerverwal-
tung und andererseits nicht im Beamtenverhältnisse stehende Unter-
thanen.
Den ersteren wird vorgeschrieben, was sie in Beobachtung von
Waren und Gerätschaften, Herrichtung von Räumlichkeiten, Berechungen
und Feststellungen, Ausstellung von Bescheinigungen, Erteilung von
Erlaubnissen und Genehmigungen zu thun haben. Alles das ist pflicht-
mäſsig von ihnen zu befolgen, das unterliegt keinem Zweifel. Warum?
Es sind Dienstanweisungen, die ihnen da gegeben werden; sie wirken
mit der Kraft der Dienstpflicht. Wir wissen auch, auf welchem Weg
das rechtlich ermöglicht wird. Der Beamte ist durch die über-
nommenene Dienstpflicht in ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis
getreten, vermöge dessen ihm nun durch die dazu berufene Be-
hörde weitere Bestimmungen gegeben werden können für das, was
er demgemäſs soll: er steht in einem Gewaltverhältnis (oben
§ 8, III). Dieses Gewaltverhältnis ermöglicht nicht nur, im Einzel-
falle ihm Anweisung zu geben, wie er sich zu verhalten hat, sondern
auch allgemeine Anordnungen zu treffen, die alle binden, welche in
gleicher Stelle sind und im voraus binden für alle einzeln nicht be-
zeichneten Fälle der gleichen Art; Generalverfügungen, allgemeine Ver-
waltungsakte sind die Frucht und das Merkmal des Gewaltverhält-
nisses (oben § 10 n. 2). Diese Generalverfügungen, die keine Rechts-
sätze vorstellen, sind insbesondere auch nicht gebunden an die für
diese bestehenden Veröffentlichungsformen, sie können kraft des Ge-
waltverhältnisses selbst eine besondere Art der Kundgabe zugeteilt
erhalten, welche der Gewaltunterworfene gelten lassen muſs (oben
[439]§ 30. Der Finanzbefehl.
§ 8 Note 15). Das ist unser Fall der Veröffentlichung im Central-
blatte10.
Nun wenden sich dann unsere Regulative ganz in der gleichen
Weise auch an Nichtbeamte, an Leute, die in keinem besonderen
Dienstverhältnisse zum Staate stehen. Sie schreiben diesen vor, was
sie ihrerseits zu thun und zu lassen und zu dulden haben bei Durch-
führung des Verfahrens, damit das Finanzinteresse gewahrt sei.
Diese Nichtbeamten, an welche das Regulativ sich wendet, sind
nicht beliebig ausgewählt, das ergiebt sich auf den ersten Blick. Das
Regulativ bestimmt nicht „für jeden, den es angeht.“ Wenn in dieser
Weise angeordnet werden soll, tritt überall der gesetzliche oder ver-
ordnungsmäſsige Rechtssatz ein. Bestimmungen von der Allgemein-
heit wie das Verbot des Transportes gewisser Waren bei Nachtzeit
oder des Transportes über die Grenze auf anderen als anerkannten
Zollstraſsen finden sich nie in Regulativen. Die Leute, für welche das
Regulativ gelten will, stehen immer schon in einem besondern Ver-
hältnis zur Steuerverwaltung. Sie sind eingetreten in eine von dieser
geordnete Einrichtung, einen besonderen Betrieb, in welchem sie einer
entstehenden oder entstandenen Steuerpflicht gefährlich
oder nützlich werden können, je nachdem sie sich verhalten. Nur
für derartig bestimmte Personen wirken die Regulative verpflichtend,
und zwar dann in der gleichen Weise, wie gegenüber den Beamten:
ohne besondere gesetzliche Grundlage, in Form von allgemeinen Vor-
schriften, die keine Rechtssätze sind, und durch Veröffentlichung in
einem besonders dazu gewählten Bekanntmachungsblatte.
Es ist klar, daſs auch bei ihnen ein ähnliches Verhältnis voraus-
gesetzt ist, wie das, welches wir bei den Beamten kennen: ein Gewalt-
verhältnis. Die Gewalt, unter der sie stehen, ist nicht die Dienst-
gewalt; denn eine Dienstpflicht schulden sie nicht. Es ist lediglich
eine Gewalt zu dem Zweck, wie das Gesetz verschiedentlich es aus-
drückt, der Kontrolle, der Überwachung aller Vorgänge bei ihnen,
welche für die Staatseinnahmen von Bedeutung sein können; um
einen Namen zu haben, nennen wir sie die Überwachungsgewalt.
Kraft dieser Gewalt wird in solcher Weise befohlen11.
[440]Die Finanzgewalt.
4. Die Frage ist also nunmehr: wie wird diese Überwachungs-
gewalt begründet. Jene Verminderung der Freiheit, welche jedes
Gewaltverhältnis für den darin Begriffenen bedeutet, versteht sich nie
von selbst. Die Begründungsart ist aber durchaus nicht immer die
gleiche; insbesondere ist sie nicht beschränkt auf die Formen, in
welchen die bestimmteren Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts
erzeugt werden, Rechtssatz und Verwaltungsakt; es wirkt in
verschiedenem Maſse auch schon der thatsächliche Eintritt in
besondere Machtkreise der öffentlichen Verwaltung. Wir werden dieses
letztere Begründungselement in der aktiven Dienstpflicht für die
Dienstgewalt wirksam sehen (Bd. II § 45); bei Begründung der An-
staltsgewalt tritt es sehr bedeutsam in den Vordergrund (Bd. II
§ 53). Die Überwachungsgewalt und damit das dritte von den
groſsen Gewaltverhältnissen begründet sich dem entsprechend gleich-
falls auf verschiedene Weise.
Der Einzelne kann der Überwachungsgewalt unterworfen werden
durch einen obrigkeitlichen Eingriff in seine Freiheit; ein Betrieb, ein
Aufbewahrungsraum, der ihm angehört, wird dieser Gewalt unterstellt,
ohne Rücksicht auf seine Zustimmung. Dieses auferlegte Ge-
waltsverhältnis bedarf deshalb der gesetzlichen Grundlage. Es
handelt sich um eine Hülfslast, welche dem Unternehmer auferlegt
wird, um die Hauptlast, die Steuer, zu sichern. Den Hauptanwendungs-
fall bilden die schwebenden Steuerpflichten, welche gesetzlich vor den
eigentlichen Entstehungspunkt der Steuerpflicht geschoben sind12.
[441]§ 30. Der Finanzbefehl.
Die zweite Entstehungsweise hat die gröſste Ähnlichkeit mit der
regelmäſsigen Begründung der Anstaltsgewalt durch thatsächlichen
Eintritt in ihren Machtkreis. Nur ist bei der öffentlichen
Anstalt der Machtkreis der Anstaltsgewalt von selbst gekennzeichnet
durch die Anstalt; der Machtkreis der finanzrechtlichen Überwachungs-
gewalt bestimmt sich durch Vorbehalte, welche dafür gemacht
werden. Es ist immer vorausgesetzt die Bewilligung einer Einrichtung,
einer Benützung, eines Verfahrens, womit sich steuerrechtliche Vor-
teile für den Einzelnen verbinden, die ihm ohne das nicht zugänglich
wären. Über das Bewilligte will die Verwaltung die hohe Hand be-
halten. Wer in den umschriebenen Kreis hineintritt, unterwirft sich
damit von selbst der entsprechenden Freiheitsminderung. Eine gesetz-
liche Grundlage ist dafür nicht nötig, so wenig wie bei Begründung der
Anstaltsgewalt; es handelt sich um keinen Eingriff in die Freiheit13.
[442]Die Finanzgewalt.
5. Die besondere Überwachungsgewalt, ob sie in der einen oder
andern Art entstanden ist, giebt der Steuerbehörde das Recht zu
13
[443]§ 30. Der Finanzbefehl.
allerlei Befehlen, die im einzelnen nicht bemessen und vorgesehen
sind. Insbesondere können solche Befehle auch gegeben werden in
Gestalt von Generalverfügungen, wirksam ein für alle Mal für
jeden, der in das Verhältnis eintritt. Das ergiebt sich aus dem Wesen
des Gewaltverhältnisses. Diese Generalverfügungen sind keine Rechts-
sätze, aber sie thun in gewissem Maſse den Dienst derselben, insofern
sie Ordnung und Gleichmaſs in das Verhältnis bringen. Während die
Einzelbefehle auch hier wirksam werden nur durch die Eröffnung an
den Betroffenen, wie der gewöhnliche Verwaltungsakt überhaupt, im
Gegensatz zur Rechtsregel, vermag die Generalverfügung gerade im
Zusammenhang mit dem Gewaltverhältnis eine allgemeinere Form
der Kundgabe sich zu verschaffen, durch die sie wirksam wird:
Anschläge an den betreffenden Räumlichkeiten, Einrücken in gewöhn-
liche Zeitungen, Aufnahme in eigens dazu bestimmte Amtsblätter und
sonstige Veröffentlichungsformen können kraft der Überwachungs-
gewalt dem Unterworfenen als ausreichende Mittel der Kundgabe auf-
erlegt werden.
Die Wirkung ist nicht, daſs er durch die Versäumnis, sich mit
diesen Veröffentlichungen bekannt zu machen, eine Pflichtverletzung
begeht, für welche er zur Verantwortung gezogen werden könnte;
sondern sie besteht darin, daſs die Kundgabe alsdann trotz seiner
Unkenntnis als gehörig geschehen betrachtet wird und er
haftbar ist für die Nichtbefolgung des kundgegebenen Befehls14.
Die veröffentlichten Generalverfügungen sind auf die Dauer be-
rechnet und wirken bis zu ihrer Wiederaufhebung auf alle, die künftig-
13
[444]Die Finanzgewalt.
hin in das Gewaltverhältnis eintreten; diese finden darin ihre aus
dem Gewaltverhältnis flieſsenden Pflichten im voraus bestimmt.
Das ist aber nicht so zu denken, daſs der Neueintretende sich durch
seinen Eintritt den Bestimmungen der bestehenden Generalverfügung
unterwürfe, etwa in der Weise, wie der Absender sich dem Eisenbahn-
betriebsreglement unterwirft, welches im voraus die Einzelheiten des
Rechtsverhältnisses regelt. Der Absender tritt in kein Gewaltverhält-
nis zu der Eisenbahnverwaltung; er schlieſst einen civilrechtlichen
Vertrag, dessen Inhalt durch das Eisenbahnreglement stillschweigend
gegeben wird, und der in Gemäſsheit dieses Inhalts ein beiderseits
bindendes Rechtsverhältnis schafft, unabänderlich bis zu seiner schlieſs-
lichen Abwicklung.
Der „Extrahent“ des Begleitscheins I hingegen, oder der Einleger
in die öffentliche Niederlage unterwirft sich nicht dem gegebenen
Regulativ, sondern dem der benutzten Einrichtung entsprechenden
Gewaltverhältnis, aus welchem dieses Regulativ entsprang und jeden
Augenblick ein neues entspringen kann, das bei einfacher Fortdauer
des vorher begründeten Verhältnisses ohne weiteres für dieses zur An-
wendung kommen wird. Es ist gerade so, wie die Dienstpflichten
des Beamten nicht durch die bei seinem Eintritt in das Amt bestehen-
den Dienstvorschriften geregelt bleiben, sondern das Dienstgewaltver-
hältnis, dem er sich unterworfen hat, auch die künftig geänderten
Dienstvorschriften schon in seinem Schoſse trägt.
6. Die auf dem Gewaltverhältnis beruhende Macht, Befehle zu
erteilen, ist keine unbegrenzte. Dieser Finanzbefehl hat ebenso seine
rechtlichen Schranken, wie der Dienstbefehl.
Diese Schranken sind einmal gegeben in seiner Grundlage selbst.
Die Behörde kann nur das für die Überwachung Erforderliche ver-
langen, wie der Dienstvorgesetzte nur das für den Dienst Erforder-
liche. Sitte und Natur der Sache ziehen die Linien für beide Fälle
in ziemlich ausreichender Weise. Dazu kommen noch die besonderen
Normierungen, welche die Geltendmachung der Überwachungsgewalt
erhält durch das Gesetz. Das Gesetz kann genauer bestimmen, was
alles auf Grund der Überwachungsgewalt befohlen werden darf. Alles
andere ist dann ausgeschlossen. Es kann auch die Formen vor-
schreiben, in welchen diese Finanzbefehle zu erlassen sind.
Dieser letztere Punkt ist für uns von besonderer Wichtigkeit
Unsere Reichsgesetze über Zölle und Steuern haben die Gewohnheit,
auszusprechen, daſs der Bundesrat die Verwaltungsvorschriften erlassen
soll, um die „Bedingungen“ zu ordnen, unter welchen gewisse Er-
leichterungen gewährt, die „Kontrollen“, welche in gewissen Fällen
[445]§ 30. Der Finanzbefehl.
geübt werden sollen, oder auch die „näheren Bestimmungen“ zu geben
über das dabei zu beobachtende „Verfahren“. Damit wird angeknüpft
an die dem Bundesrat nach Reichs-Verf. Art. 7 Ziff. 2 zustehende
Befugnis, zu beschlieſsen über die „zur Ausführung der Reichsgesetze
erforderlichen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen“. Diese
Verwaltungsvorschriften enthalten wesentlich allgemeine Dienst-
anweisungen an die zur Ausführung der Reichsgesetze berufenen
Beamten; sie werden demgemäſs in dem für den dienstlichen Ge-
brauch der Beamten bestimmten Amtsblatte veröffentlicht.
Wenn nun gemäſs jener Klauseln der Reichsgesetze die kraft der
Überwachungsgewalt zu erlassenden Finanzbefehle, samt den zu-
gehörigen Dienstbefehlen auf den gleichen Weg verwiesen werden, so
bedeutet das ein Dreifaches:
einmal die ausschlieſsliche Zuständigkeit des Bundesrates zum
Erlasse dieser Befehle;
zweitens, daſs diese Befehle gemeinsam für alle Beteiligten in
Generalverfügungen erlassen werden sollen, wie Dienstvorschriften;
endlich wird dadurch die ordentliche Veröffentlichungsweise von
Verwaltungsvorschriften des Bundesrates, die gewöhnlich nur für
Dienstanweisungen Verwendung findet, von selbst zum Mittel binden-
der Kundgabe dieser Finanzbefehle.
Das Letztere ist vielleicht nicht sehr zweckmäſsig, um so un-
mittelbar zu wirken; es wird den Beteiligten ein groſses Entgegen-
kommen und allzuviel Erkundigungspflicht zugemutet. Thatsächlich
wird ja auch durch sonstige Bekanntgabe nachgeholfen. Jedenfalls ist
rechtlich die Form unanfechtbar, — so unanfechtbar wie die Ver-
kündung von Dienstvorschriften in den Amtsblättern.
III. Die Polizeierlaubnis hat hier ihr Gegenstück in der Auf-
hebung des allgemein erlassenen Finanzbefehls für den Einzelfall.
Wir mögen sie die Finanzerlaubnis nennen. Der Name Fi-
nanzgestattung wäre vielleicht zutreffender, wenn er mit der
gleichen Bestimmtheit den Gedanken einer Ausnahme von der Regel
wiedergäbe. Denn zum Unterschied vom Polizeirechte finden sich hier
nicht mit so ausgeprägter Einseitigkeit nur Entbindungen vom Ver-
bote; vielmehr begegnen uns fast ebenso häufig Gewährungen von
Ausnahmen gegenüber allgemeinen Finanzgeboten.
Auſserdem hat hier die Erlaubnis oder Gestattung die Eigen-
tümlichkeit, daſs sie zweierlei Arten von allgemeinen Finanz-
befehlen gegenüber steht; je nachdem wird sie einer verschiedenen
rechtlichen Beurteilung unterliegen.
[446]Die Finanzgewalt.
1. Der eine Fall ist der der Einzelaufhebung des in einem
Rechtssatze enthaltenen Finanzbefehls. Sie richtet sich ganz nach
dem Muster der Polizeierlaubnis. Sie geht gleich dieser nicht bloſs
auf Entbindung von Befehlen, sondern auch von Finanzstrafrechts-
sätzen, welche unmittelbar verpönen. Es bedarf, damit sie zulässig
sei, eines Vorbehaltes im Rechtssatze, der die Behörde zu solcher
Durchbrechung ermächtigt. Die Erteilung geschieht durch Verwal-
tungsakt. Bezeichnend für die Neigung der Finanzgewalt, auſserhalb
der eigentlichen Steuerpflicht keine festen Rechtsschranken zu errichten,
ist hier wieder, daſs die Erteilung oder Versagung ganz in das Er-
messen der Behörde gestellt zu sein pflegt. Die Zurücknahme der
erteilten Erlaubnis ist dem entsprechend ebenfalls frei, nur daſs das
auf Grund der Erlaubnis bereits Geschehene rechtmäſsig geschehen ist
und als solches in Anrechnung gebracht werden muſs15.
2. Der Befehl, von welchem entbunden werden soll, kann aber
hier auch in einer Verwaltungsvorschrift, einem Regulativ gegeben
sein. Das ist dann kein Rechtssatz, sondern ein gemeinsamer dauernd
wirkender Verwaltungsakt für alle Beteiligten. Die Regeln von der
Polizeierlaubnis finden darauf keine unmittelbare Anwendung. Der
allgemeine Satz, der durchbrochen werden soll, ruht lediglich auf der
Amtsgewalt der Behörden. Dadurch ergeben sich abweichende Grund-
sätze.
Die Behörde, welche das Regulativ erlassen hat, kann solche
besondere Gestattungen als Ausnahme davon jederzeit erteilen; es
bedarf keines besondern Vorbehalts. Bei der Verordnung gilt das
Umgekehrte (oben § 7 S. 89 und § 21 S. 287). Hier zeigt sich aber
eben der Unterschied: das Regulativ, welches selbst nur als all-
meiner Verwaltungsakt wirkt, steht dem Einzelakt derselben Be-
hörde nicht als höherwertig gegenüber wie die rechtssatzschaffende
Verordnung.
Die untergeordnete Behörde dagegen bedarf einer Ermäch-
tigung in dem Regulativ selbst, wenn sie eine Ausnahme gewähren
[447]§ 31. Die Finanzstrafe.
soll; andernfalls wäre ihre Erlaubnis, die Entbindung von Verbot
oder Gebot des Regulativs, die sie erteilen würde, rechtsungültig.
Denn das Regulativ ist nicht nur eine Dienstvorschrift für sie, die
lediglich im innern Verhältnis wirkte. Es hat sich an die im Gewalt-
verhältnisse stehenden Unterthanen gerichtet und diesen Befehle
erteilt; der Akt der Oberbehörde ist darin nach auſsen wirksam
geworden. Die untere Behörde kann aus eigner Kraft seine Wirkung
nicht beeinträchtigen.
Die Ermächtigung kann ihr nicht durch einfache Dienstanweisung
gegeben werden. Die bestehenden Zuständigkeiten werden durch eine
solche nicht verschoben und nach auſsen hat die Dienstanweisung
keine Wirkung. Die obere Behörde muſs entweder selbst die Erlaub-
nis erteilen, — das wäre unser voriger Fall; — oder sie muſs in
ihrem Regulativ dem Akte der unteren von vornherein Raum gelassen
haben; dann ist er durch die überwiegende Kraft ihrer eigenen Ver-
fügung nicht mehr ausgeschlossen16.
§ 31.
Die Finanzstrafe.
Die Strafe ist ein Übel, welches von der öffentlichen Gewalt auf
ein miſsbilligtes Verhalten des Unterthanen gesetzt wird.
Die Finanzgewalt verwendet sie als Mittel zum Besten der Staats-
einnahmen: ein gewisses Verhalten wird als nachteilig für die Staats-
[448]Die Finanzgewalt.
einnahmen miſsbilligt und deshalb mit Strafe bedroht. Eine Strafe
dieser Art heiſst fiskalische Strafe oder Finanzstrafe.
Finanzstrafsetzungen verbinden sich mit direkten und indirekten
Steuern, mit Gebühren, Monopolen und Vergütungen, überhaupt mit
allen Beziehungen des Staatsvermögens, für welche der Staat seine
Finanzgewalt auch in Form des Befehls einsetzt.
I. Die Finanzstrafe bedarf, wie die Polizeistrafe, der gesetz-
lichen Grundlage. Die Strafsetzung selbst erfolgt auch hier regel-
mäſsig nur durch das Gesetz; Ermächtigungen dazu für die Ver-
ordnung sind nicht üblich (vgl. oben § 22, I n. 2).
Das miſsbilligte Verhalten, an welches die Strafe sich knüpft,
kann wieder auf zweierlei Weise bezeichnet werden:
Entweder das Finanzstrafgesetz bezeichnet es unmittelbar
mit der Strafsetzung selbst: wer dies oder jenes thut, oder nicht thut,
wird so und so bestraft. Diese Form wird vor allem Verwendung
finden, wenn es sich um ganz einfache, allgemein zu bezeichnende
Thatbestände handelt: um Versuche, die finanzrechtliche Zahlungs-
pflicht geradewegs zu umgehen oder Verletzung amtlicher Sicherungs-
vorrichtungen1.
Oder die Strafsetzung verweist für die Bestimmung des That-
bestandes auf einen vorausgesetzten Finanzbefehl und bedroht den
Ungehorsam gegen diesen.
Der mit Strafsetzung ausgestattete Finanzbefehl kann durch Ge-
setz erlassen sein; dies ist fast ausschlieſslich der Fall bei direkten
Steuern und Monopolen, wo keine Ermächtigungen an die Behörde
zu Finanzbefehlen erteilt zu werden pflegen2. Die indirekten Steuern
kennen auch Finanzbefehle durch Verwaltungsakte, gewöhnliche Einzel-
befehle oder Generalverfügungen in Regulativen. Die Straffolge kann
sich dann mit beiden Arten verbinden oder, was gern geschieht, nur
mit den letztern, sei es, daſs diese Form allein zulässig ist, sei es, daſs
wenigstens sie allein durch dieses Einschärfungsmittel ausgezeichnet
werden soll3.
Eine ganz ungewöhnliche Form der Strafsetzung tritt uns hier
unter dem Namen Konventionalstrafe entgegen.
[449]§ 31. Die Finanzstrafe.
Nach § 43 des Zollges. von 1838 soll Roheisen und altes Bruch-
eisen zu einer Art Veredelungsverkehr zollfrei zugelassen werden,
unter der Bedingung der Ausfuhr der daraus verfertigten Waren.
Unter den dazu vorgeschriebenen Kontrollen und Bedingungen be-
findet sich die Bestimmung, daſs die Fabrikanten, welchen eine solche
Begünstigung gewährt wird, sich einer von der Zolldirektivbehörde
zu verhängenden Konventionalstrafe bis zu M. 300 zu unterwerfen
haben, für den Fall sie den im Interesse der Zollverwaltung von den
zuständigen Zoll- oder Steuerbehörden getroffenen Anordnungen keine
Folge leisten4.
Von einer Konventionalstrafe im civilrechtlichen Sinne und in
civilrechtlichen Rechtsformen kann dabei nicht die Rede sein. Die
Verhängung der Strafe erfolgt durch den einen „Kontrahenten“, die
Zolldirektivbehörde, in obrigkeitlicher Weise. Sie ist ein Verwaltungs-
akt, ein Strafbescheid, wie der, welchen die Verwaltungsbehörde zur
Verhängung einer gesetzmäſsigen Ordnungsstrafe erläſst, rechtlich
gleichwertig und gleichartig mit diesem: der gesetzlichen Grundlage
dort entspricht hier die freiwillige Unterwerfung5.
II. Man unterscheidet zwei Arten von Finanzdelikten: die De-
fraudation oder Hinterziehung und die sonstige Verfehlung
gegen die Sicherungsvorschriften, die mit einer bloſsen Ordnungsstrafe
bedroht ist und als Ordnungswidrigkeit bezeichnet werden mag.
Im Zollstrafrecht pflegt noch ein drittes Delikt in der Reihe mit
aufgezählt zu werden: die Kontrebande. Man versteht darunter
die strafbare Verletzung eines Verbotes der Ein- oder Durchfuhr.
Es ist aber klar, daſs ein derartiges Verbot kein Finanzbefehl, daſs
die Kontrebande keine Verletzung eines Finanzinteresses, kein Finanz-
delikt sein kann. Thatsächlich dienen Verbote der Einfuhr der Fern-
haltung schädlicher Dinge von den Staatsgrenzen, namentlich der Ab-
wehr der Einschleppung ansteckender Krankheiten von Menschen,
Vieh und Pflanzen. Deshalb verknüpft sich auch von selbst damit
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 29
[450]Die Finanzgewalt.
das Verbot der Durchfuhr, die ja vom bloſsen Finanzstandpunkt aus
betrachtet etwas ganz anderes wäre. Die Einfuhrverbote sind Polizei-
befehle. Das Zollgesetz faſst das selbst so auf, wenn es (§ 2) be-
stimmt, daſs Ausnahmen von der Freiheit des Verkehrs durch solche
Verbote nur gemacht werden können „beim Eintritt auſserordentlicher
Umstände oder zur Abwehr gefährlicher ansteckender Krankheiten
oder aus sonstigen gesundheits- und sicherheitspolizeilichen Rück-
sichten“6.
Daſs die Durchführung dieser Maſsregel mit der Überwachung
der Zölle verbunden ist, zieht auch die Übernahme der Formen des
Zollstrafverfahrens nach sich. Dadurch wird ihre rechtliche Natur nicht
geändert. Die Verbindung ist lediglich Zweckmäſsigkeitssache. Die
ältere Wirtschaftspolitik hatte allerdings mit ihren zahlreichen Einfuhr-
verboten eine verwandtere Umgebung innerhalb des Zollwesens ge-
schaffen. Jetzt steht die Kontrebande auch äuſserlich darin ver-
einsamt.
Wir haben demnach nur zwei Arten von Finanzdelikten hier zu
betrachten: die Hinterziehung (Defraudation) und die Ordnungs-
widrigkeit (Steuerkontravention). Das Verhältnis zwischen beiden
ist dies, daſs die letztere das einfache Finanzdelikt schlechthin, die
erstere ein ausgezeichnetes Finanzdelikt vorstellt. Dieses Ver-
hältnis erweist sich schon daran, daſs unter Umständen das Weg-
fallen gewisser besonderer Merkmale den Thatbestand der Hinter-
ziehung zum Thatbestand der Ordnungswidrigkeit, des einfachen
Finanzdeliktes herabsetzen kann7.
1. Die rechtlichen Eigentümlichkeiten des Finanzdelikts liegen
wie beim Polizeidelikt in der Bestimmung des subjektiven That-
bestandes. Man hat beide häufig zusammengefaſst als Gegensätze
des gemeinen Deliktes. Sie unterscheiden sich aber auch unter
einander.
[451]§ 31. Die Finanzstrafe.
Das Polizeidelikt verlangt, daſs der objektive Thatbestand zurück-
zuführen sei auf eine Verletzung der polizeilichen Pflicht, Nicht-
erfüllung des für diesen Zweck herausgegriffenen und ausdrücklich
formulierten Stückes der allgemeinen Verbindlichkeit, die gute Ord-
nung nicht zu stören (vgl. oben § 22, I n. 3).
Die Finanzgewalt wählt nach Zweckmäſsigkeitserwägungen die
aufzulegenden Lasten, umgiebt die Staatseinnahmen nach ihrer Schutz-
bedürftigkeit mit Befehlen und Strafdrohungen. Dem Einzelnen
gegenüber ist das willkürliche Satzung, die keine Erläuterung und
Auslegung erhält aus vorgefundenen Beziehungen. Das strafrechtliche
Verhältnis ist von Grund aus Neuschöpfung des geäuſserten Staats-
willens8.
Welche Anstrengungen dem Einzelnen dabei zugemutet werden,
damit er der Strafbarkeit entgehe, das hängt ganz von dem an-
genommenen Maſse der Schutzbedürftigkeit des jeweils zu wahrenden
Finanzinteresses ab. Es kann genügen, daſs bloſs der böse Wille ver-
mieden werde; dann wird nur das wissentliche absichtliche Vergehen
verpönt. Wenn gesagt ist: wer dies oder jenes thut oder unterläſst,
wird bestraft, so ist verlangt, daſs alles geschehe, um das Thun oder
Unterlassen zu stande zu bringen. Wenn es lautet: falls dies oder
jenes eintritt, wird der oder jener gestraft, so bedeutet das die straf-
rechtliche Zumutung an denselben, daſs er den Erfolg vermeide oder
verhindere und sich dazu fähig halte. Auf die Gesinnung kommt es
dann so wenig an, wie bei den entsprechenden Erscheinungen des
Polizeidelikts (oben § 22, III).
Es ist aber für das Finanzdelikt so unrichtig, wie für das Polizeidelikt,
zu sagen: es sehe ab von einem Verschulden, sei Formalvergehen
in diesem Sinne. Auch in den letztgenannten Fällen ist immer ein
Verschulden vorhanden, ein sittlich recht leicht wiegendes und des-
halb für das gemeine Strafrecht gar nicht wahrnehmbares, aber ein
finanzrechtliches Verschulden9.
Die allgemeinen Strafausschlieſsungsgründe wirken deshalb auch
hier, nur, was den Irrtum anlangt, selbstverständlich wieder mit Vor-
29*
[452]Die Finanzgewalt.
behalt des möglicherweise in ihm selbst schon liegenden Verschuldens
(oben § 22, III n. 2).
Aber auch abgesehen davon muſs trotz des vorhandenen objektiven
Thatbestandes die Strafbarkeit wegfallen, wenn auſserhalb der Macht
des Beteiligten liegende Umstände die Erfüllung der Pflicht vereitelt
haben (oben § 22, III n. 1). Freilich werden solche Entschuldigungen
und Entlastungsgründe hier noch viel schwerer zu finden sein, als
beim Polizeidelikt. Dieses verlangt im Zweifel nur, daſs alles ge-
schehen sei, was ein polizeimäſsiger Bürger thun würde, um den ver-
pönten Erfolg zu verhüten. Das Finanzdelik aber hat kein solches
Normalmaſs; der Angeschuldigte ist durch die Anwendung der Sorg-
falt des ordentlichen Bürgers nicht gedeckt; hier kommt es geradezu
darauf an, den Nachweis der subjektiven Unmöglichkeit der Leistung
zu führen10. Wenn wir also oben von Strenge des Polizeidelikts
sprachen, so ist das Finanzdelikt noch um einen Grad strenger.
[453]§ 31. Die Finanzstrafe.
2. Das gilt alles vom Finanzdelikt im allgemeinen, auch vom
einfachen Finanzdelikt, von der bloſsen Ordnungswidrigkeit. Die
Hinterziehung ist nun aber ein ausgezeichnetes Finanzdelikt, aus-
gezeichnet durch schwerere Strafen und manchmal noch besondere
Straffolgen. Dem entsprechend hat auch sein Thatbestand besondere
Merkmale. Worin bestehen die11?
Der Kern des Begriffs liegt offenbar in der Wirkung, welche das
strafbare Verhalten auf die Staatseinnahmen zu äuſsern geeignet ist:
das Unternehmen muſs diese unmittelbar mit Nachteil bedrohen;
wenn es gelingt, ist die Verkürzung da. Den Gegensatz dazu bieten
solche Unternehmungen, welche bloſs die Überwachung erschweren,
günstige Voraussetzungen für eine wirkliche Benachteiligung der
Finanzen schaffen, aber diese auch im Falle des Gelingens zunächst
noch nicht selbst bewirken. Die letzteren sind der Gegenstand der
Ordnungsstrafe. Hinterziehung wäre also ein auf Verkürzung
der Staatseinnahmen sich richtendes Verhalten12.
[454]Die Finanzgewalt.
Aber nicht jedes derartige Verhalten ist Hinterziehung, sonst
machte sich dieser schuldig, wer die Grundsteuer oder Einkommen-
steuer einfach nicht zahlt, um bei seiner bevorstehenden Auswanderung
durchzuschlüpfen, oder von der Aufforderung zur Erklärung über die
Höhe seines Einkommens sich nicht finden läſst, vielleicht auch schon
der Mann, der seinen Wein jenseits der Zollgrenze trinkt, um den
Zoll zu sparen.
Es muſs zu jenem objektiven Thatbestand des nach seiner Natur
auf der Kürzung der Staatseinnahmen hinauslaufenden Verhaltens noch
etwas hinzukommen, was dieses Verhalten als ein fehlerhaftes kenn-
zeichnet.
Unter dem Eindruck des Wortes Defraudation hat man dieses
Element der Fehlerhaftigkeit darin finden wollen, daſs eine
Täuschung, eine Erregung von Irrtum stattgefunden haben
müsse13.
Allein das trifft nicht zu bei der Wechselstempelsteuerhinter-
ziehung, bei der Postdefraude durch Verletzung des Postzwanges, bei
der Hinterziehung durch anderweitige Verwendung der Ware, die
für einen bestimmten Zweck zollfrei oder steuerfrei abgelassen
worden war14.
Andererseits ist auch die Täuschung, welche eine Kürzung der
Gefälle zur Folge hat, nicht immer Hinterziehung, sie kann Betrug sein,
sie kann aber auch bloſs ein einfaches Zollvergehen sein, weil das
Gesetz diesen Fall nicht als Hinterziehung vorgesehen hat15.
[455]§ 31. Die Finanzstrafe.
Die besondere Kennzeichnung des Finanzdelikts, welche es zur
Hinterziehung macht, wird ihm vielmehr gegeben durch den obrigkeit-
lichen Akt, um deswillen es Delikt ist. Jede Strafbarkeit beruht auf
einer obrigkeitlichen Miſsbilligung des strafbaren Verhaltens. Diese
Miſsbilligung kann im Strafrechtssatz unmittelbar enthalten sein oder
in einem besonderen Befehl, an dessen Übertretung er die Strafe
knüpft. Hinterziehung ist das Finanzdelikt, über das wegen seiner
Richtung auf die Verkürzung der Staatseinnahmen die
zur Bestrafung führende Miſsbilligung ausgesprochen ist.
Das kann demnach in verschiedener Form geschehen.
Am einfachsten wird sich die Sache darstellen, wenn das Gesetz
geradezu sagt: wer sich so und so verhält, oder dem und jenem
Finanzbefehl nicht gehorcht, ist der Hinterziehung schuldig und dem-
gemäſs zu bestrafen. Insofern die Hinterziehungsstrafen besonders
gestaltet sind, würde es auch genügen, daſs eine solche auf die be-
zeichneten Thatbestände gesetzt wird16. Dann ist der Begriff der
Hinterziehung für das betreffende Rechtsgebiet, also gegenüber der
fraglichen Steuer lediglich aus dieser Bestimmung zu entnehmen: das
Gesetz hat seinen Willen ausgesprochen, nur das genannte Verhalten
als auf Verkürzung der Staatseinnahmen gerichtet zu kennzeichnen.
Was nicht darunter fällt, kann nur nach gemeinem Strafrecht oder
als einfaches Finanzdelikt strafbar sein.
Den Gegensatz dazu bildet eine gesetzliche Strafbestimmung, die
verfügt: die Hinterziehung dieses Gefälles wird so und so be-
straft. Hier darf man sich nicht etwa irgend einen allgemeinen Be-
griff von Feindseligkeit gegen die Staatseinnahmen zurecht machen,
der nun als Hinterziehung im Sinne des Strafgesetzes zu behandeln
wäre. Die Strafdrohung bekommt ihre Bestimmtheit erst dadurch,
15
[456]Die Finanzgewalt.
daſs sie Finanzbefehle voraussetzt, im Gesetze selbst oder in Verord-
nungen, in Einzelverwaltungsakten oder auch in Regulativen. Das
durch diese miſsbilligte Verhalten, der Ungehorsam gegen sie, ist mit
Strafe bedroht. Aber nicht jede Art von Finanzbefehl gehört hierher.
Eine Hinterziehung liegt nur dann vor, wenn der Finanzbefehl ein
Verhalten mit Rücksicht darauf verboten hat, daſs es geeignet ist,
eine Verkürzung der Staatseinnahme zu erzeugen. Das wird aus
seinem Gegenstande selbst, aus der Art des miſsbilligten Verhaltens
zu entnehmen sein. Innerhalb der gegebenen Finanzbefehle ist also
nach dieser sachlichen Rücksicht eine Scheidung vorzunehmen, die
thatsächlich keine Schwierigkeiten macht. Wenn ein Befehl nur mittel-
bar dienen soll, nur die Überwachung erleichtert, die Möglichkeiten
von Hinterziehungen erschwert, wird es aus seinem Inhalt leicht er-
kennbar17.
Nach dem Vorgange des Zollgesetzes geben mehrere Steuergesetze
die Kennzeichnung der Hinterziehung auch in bedingter Weise. Es
wird gesagt: wer so oder so sich verhält, oder wer diesem be-
stimmten Befehle zuwiderhandelt, wird wegen Defraudation bestraft,
es sei denn, daſs er beweist, daſs eine Verkürzung der Gefälle „nicht
erfolgen konnte oder nicht beabsichtigt war“. In diesem Falle soll
eine bloſse Ordnungsstrafe eintreten18.
Hier steht dann fest die Miſsbilligung des Verhaltens durch die
Strafsetzung unmittelbar oder durch den von ihr angezogenen Befehl.
[457]§ 31. Die Finanzstrafe.
Unentschieden ist, ob miſsbilligt sein soll wegen der Richtung
auf Verkürzung der Gefälle, die das Verhalten hätte, oder ohne
diese besondere Kennzeichnung. Zunächst soll das Verhalten dafür
angesehen werden, daſs es diese Richtung habe. Es ist aber der
Gegenbeweis offen gelassen, daſs im gegebenen Falle äuſsere
Gründe vorliegen, die es unfähig machten, den Erfolg der Verkürzung
zu haben, oder daſs der Wille fehlte, es dahin zu führen. Wird der
Beweis erbracht, so fällt diese besondere Kennzeichnung des Ver-
haltens hinweg; es bleibt einfach miſsbilligt und der Ordnungsstrafe
unterworfen; aber es ist nicht als auf Verkürzung gerichtet miſsbilligt,
keine Hinterziehung.
Insofern hier offenbar eine Rechtsvermutung mit ins Spiel kommt,
werden wir von diesem Fall noch besonders zu handeln haben19.
3. Die Hinterziehung bedarf der genaueren Abgrenzung noch
nach einer anderen Seite hin: gegenüber dem Vergehen des Be-
truges nach gemeinem Strafrecht.
Mit diesem zeigt ihr Thatbestand die ausgeprägteste Verwandt-
schaft. Es handelt sich um eine Vermögensbeschädigung, die einem
Anderen, dem Staate zugefügt werden soll; der Defraudant beabsichtigt
dabei einen rechtswidrigen Vorteil für sich; die meisten, nicht alle
Fälle der Hinterziehung gehen vor sich unter unrichtigen Angaben,
Verhüllungen der Wahrheit oder rechtswidrigen Nichtenthüllungen,
ein Irrtum wird erregt oder unterhalten. Hier müſste also die Hinter-
ziehung in Betrug übergehen oder der Betrug mit ihr konkurrieren;
wir brauchen uns hier nicht zu entscheiden, ob das eine oder das
andere der Fall wäre.
[458]Die Finanzgewalt.
Nichts desto weniger wird in solchen Fällen ein Betrug nicht an-
genommen. Die gemeine Volksüberzeugung sieht es nicht dafür an
und auch die Gerichte erklären die Sache mit der Verhängung der
Defraudationsstrafen für erledigt und weigern sich auf Betrug zu er-
kennen20.
Die juristische Rechtfertigung hat man in verschiedener Weise
zu geben gesucht.
Man hat behauptet: das Finanzstrafrecht bilde ein eignes Rechts-
gebiet für sich, so daſs es die Anwendbarkeit des gemeinen Straf-
rechts überall ausschlieſse; selbst da, wo es eine Lücke zeigt, trete das
gemeine Strafrecht nicht ein, geschweige denn wo seine eignen Straf-
setzungen wirklich zutreffen21. Allein eine derartige Einschränkung
des natürlichen Herrschaftskreises des gemeinen Strafrechts versteht
sich nicht von selbst; da kein Gesetz sie ausspricht, fällt diese Er-
klärungsweise dahin.
Eine andere Meinung, welche in unserer Rechtsprechung über-
wiegend vertreten wird, legt alles Gewicht darauf, ob das Steuergesetz
eines bestimmten Thatbestandes sich vollständig bemächtigt hat, um
ihn mit seinen Finanzstrafen zu bedrohen. Insoweit wenigstens soll
denn auch gemäſs dem Vorbehalt des E.G. z. Stf.G.B. § 2 Abs. 2
die Anwendbarkeit des § 263 Stf.G.B. ausgeschlossen sein. Allein
dieser Vorbehalt setzt gerade voraus, daſs es sich um eine „besondere
Materie“ handle im Gegensatz zu den im Strafgesetzbuche behandelten
und betroffenen und die Erklärung ist also damit nicht erspart, wes-
halb der Thatbestand der Defraudation von § 263 Stf.G.B. nicht ge-
troffen wird22.
[459]§ 31. Die Finanzstrafe.
In der wissenschaftlichen Behandlung der Frage sucht man jetzt
die Lösung statt in solchen äuſserlichen Gründen vielmehr in der
rechtlichen Natur des Betrugs selbst, von der ein wesentliches Stück
an jenem Thatbestand, den die Hinterziehung bietet, nicht erfüllt
wäre. Der Betrug, sagt man, ist ein Angriff auf das fremde Ver-
mögen. Die Täuschung, die seinen Kern ausmacht, kann also nicht
bestehen in einem bloſsen Sich-verteidigen, im Schweigen und Zusehen
und Fürsich-bleiben. Sie setzt immer voraus ein Übergreifen in den
Machtkreis des Anderen, der bestimmt, in Bewegung gesetzt oder von
der Bewegung abgehalten werden soll. Der Betrug ist ein Kommissiv-
delikt. Dieses Merkmal nun will man der Hinterziehung absprechen.
Sie ist bloſs Abwehr, geht über das negative Ergebnis nicht hinaus.
Der Zolldefraudant, der die Ware am Zollhaus heimlich vorbeiführt
oder sie an sich verbirgt, ihren Besitz verleugnet, würde sachlich
doch nur in verschiedener Form das nämliche thun, wie jeder
Schuldner, der sich unter Ausflüchten der Zahlung entzieht, ohne
dadurch aus seinem eignen Machtkreise herauszutreten. Die Hinter-
ziehung wäre demnach im Gegensatze zum Betrug ein Ommissiv-
delikt23.
In der fehlenden Angriffsnatur der Täuschung kann allerdings
die Besonderheit der Hinterziehung allein zu suchen sein24. Allein
22
[460]Die Finanzgewalt.
in dieser Beziehung ist doch das Finanzdelikt nach seiner Erscheinung
im einzelnen noch genauer zu prüfen.
Die Angriffsnatur wird sich von vornherein gar nicht leugnen
lassen, wo die Täuschung darauf gerichtet ist, eine Leistung von
seiten des Staates zu erhalten, sei es eine Geldzahlung, sei es eine
Anstaltsnutzung, die nur gegen Entgelt gewährt werden soll. Wenn
nur im übrigen die Voraussetzungen des Betrugs gegeben sind, ist
der Umstand, daſs die Handlung zugleich als Defraudation mit Strafe
bedroht ist, für die Annahme eines damit begangenen Betrugs kein
Hindernis25.
Das Gebiet der Frage muſs sich beschränken auf diejenigen Fälle
der Hinterziehung, wo es sich bloſs darum handelt, dem Staate nicht
zu leisten, was er zu fordern hat, oder ihm die Sicherungsmittel
dieses Anspruches zu beeinträchtigen. Aber auch hier ist die Täuschung
nicht von selbst deshalb Abwehr, weil sie zum Ziele hat, nichts zu
geben. Der Anspruch des Staates, der vereitelt werden soll, ist als
solcher schon ein geeigneter Angriffsgegenstand. Es kann bloſs darauf
ankommen, ob die Täuschung ihrerseits einen Angriff vorstellt. Das
thut sie nicht, wenn sie sich auf ein einfaches Verbergen beschränkt;
wohl aber wird sie Angriff, sobald sie dazu übergeht, dem anderen
die ihm zustehenden Mittel der Erkenntnis zu entziehen und zu be-
einträchtigen.
[461]§ 31. Die Finanzstrafe.
Wenn der Schuldner in civilrechtlichen Verhältnissen durch
künstliche Vorspiegelungen oder auch durch einfaches Leugnen, wo
er verpflichtet war, die Wahrheit zu sagen, den Gläubiger über seine
Forderung täuscht, wird das als Angriff, als Betrug angesehen26.
Warum also ist das nicht so, wenn ganz das Nämliche bei Zoll- und
Steuerforderungen geschieht?
Es ist auch bei solchen Forderungen in vielen Fällen nicht
anders. Wenn der Steuerschuldner dem Erhebungsbeamtem vor-
spiegelt, er habe bezahlt, so ist das Betrug. Wenn der Tabakpflanzer
beim Verwiegen seiner Erzeugnisse dem Beamten die Wage verstellt,
desgleichen27.
Es ist ein ganz bestimmter Kreis von Handlungen, an welchen
allein die Besonderheit der Hinterziehung immer wieder zum Vor-
schein kommt. Der Steuerpflichtige, der verpflichtet ist, sein Ein-
kommen oder einen sonstigen Steuergegenstand getreulich anzugeben,
sagt die Unwahrheit; der Warenführer, der die Waren der Zollstelle
offen zu legen verpflichtet ist, verbirgt sie in künstlich bereiteten Ver-
stecken; der Brauer, der gehörige Brauregister führen soll, um da-
nach überwacht zu werden, macht falsche Einträge; der Brenner ver-
stellt den Meſsapparat, den ihm die Behörde an seinen Gefäſsen an-
gebracht hat28.
Gemeinsam ist allen diesen Fällen, daſs die Unwahrhaftigkeiten,
die trügerischen Kunstgriffe, die der Schuldner anwendet, sich immer
[462]Die Finanzgewalt.
richten auf die Vereitelung der Wirksamkeit eines Eingriffes der
Finanzgewalt, einer Leistungspflicht, einer Freiheitsbeschränkung,
die diese ihm zuvor auferlegt hatte, um ihn zu zwingen, seine Zah-
lungsverbindlichkeiten selbst zu offenbaren und dazu beizutragen, daſs
diese erkannt und gesichert werden. Nach dem gemeinen Maſsstab
wäre sein Vorgehen, gerade um dieser Pflichten willen, denen er sich
durch die Täuschung entzieht, Betrug, das ist nicht zu bestreiten.
Denn diese Hülfseinrichtungen der Finanzgewalt bilden ihm gegenüber
einen Machtkreis des Staates, der auf dem Boden seiner natürlichen Frei-
heit begründet ist, es ist wahr, aber in gesetzlicher Weise und rechts-
gültig begründet ist. Die Täuschung ist ein Angriff gegen diesen Macht-
kreis. Wenn man sie thatsächlich dennoch nicht als Betrug behandelt,
so muſs man wissen, was man damit thut. Es bedeutet nichts anderes,
als daſs die Täuschung, die nur darauf gerichtet ist, sich den
Wirkungen solcher Freiheitbeschränkungen zu entziehen, nur gegen
das von der Finanzgewalt gegenüber der Freiheit des Einzelnen er-
oberte Gebiet, wie wir es nennen mögen, für die Frage des gemein-
rechtlichen Betruges noch als Abwehr, nicht als Angriff betrachtet wird.
Darin liegt die wahre rechtliche Natur der Erscheinung, die wir
da vor uns haben. Nach diesem Maſsstabe ergiebt sich auch mit
Sicherheit die Abgrenzung aller einzelnen Fälle von Hinterziehung,
die, obwohl äuſserlich die Merkmale des Betruges an sich tragend,
doch nicht als Betrug behandelt werden. Ein derartiges Anders-
rechnen eines einzelnen Begriffselementes ist ja auch auf anderen Ge-
bieten keine unbekannte Rechtsfigur29. Daſs sie gerade hier zur
Geltung gekommen ist, darf man nicht so ohne weiteres als eine Lax-
heit des sittlichen Gefühls verdammen. Im Gegenteil: es kommt
darin sehr wohl der Unterschied zum Ausdruck zwischen der rein
menschlichen Sittlichkeit, deren Verletzung das Betrugsrecht ahnden
soll, und den künstlichen Pflichten und Beschränkungen, welche eine
strebsame Finanzverwaltung von einer allezeit willigen Gesetzgebung
zu ihren Gunsten aufstellen läſst.
[463]§ 31. Die Finanzstrafe.
III. Die Verhängung der Finanzstrafe hat die Natur einer
Entscheidung d. h. des Ausspruchs dessen, was das gesetzte Recht für
den Einzelfall gewollt hat. Als solche hat sie die Neigung, in Form
der Rechtspflege zu erfolgen, sei es daſs sie sofort dazu verwiesen
wird, sei es daſs ein Strafbescheid der Verwaltungsbehörde voraus-
geht, der im Rechtswege anfechtbar ist. Die näheren Bestimmungen
sind Frage der Gestaltung des Rechtsschutzes.
Es kommen aber bei diesem Verfahren gleichmäſsig gewisse
Regeln zur Anwendung, welche mit der rechtlichen Natur des Finanz-
deliktes zusammenhängen und deshalb hier zu erörtern sind.
Die Hinterziehung, das bevorzugte Finanzdelikt, ist ihrer Natur
nach wesentlich auf Heimlichkeit und Verstecktbleiben gerichtet;
beides, der erstrebte Erfolg wie die Straflosigkeit sind dadurch be-
dingt. Der Beweis durch Schluſsfolgerung, durch Vermutungen
spielt demgemäſs hier eine groſse Rolle.
Das Gesetz hat es aber nicht bei den natürlichen Vermutungen
belassen, mit welchen der Richter hier zu arbeiten hätte, vielmehr
eigne Vermutungsordnungen gegeben.
Diese gesetzlichen Vermutungsordnungen bewegen sich ganz auf
dem Gebiete der indirekten Steuern und teilen sich in zwei Haupt-
gruppen: entweder beziehen sie sich auf jene besondere Rich-
tung, welche das einfache Finanzdelikt zur Hinterziehung erhebt,
oder auf das subjektive Verschulden.
1. In ersterer Beziehung sind vor allem wichtig geworden die Rechts-
vermutungen in Zollges. § 136: „Die Zolldefraudation wird als voll-
bracht angenommen“ bei einer Reihe von näher bezeichneten Hand-
lungen. Diese stellen, für sich betrachtet, jedenfalls strafbare Ord-
nungswidrigkeiten vor. Zugleich könnte sich die natürliche Vermutung
daran knüpfen, daſs die Handlung auf Verkürzung der Zollgefälle
gerichtet, folglich als Hinterziehung zu betrachten ist. Das Gesetz
macht aber diese Vermutung zu einer Rechtsvermutung: „das Dasein
der in Rede stehenden Vergehen (also der Hinterziehung) wird …
lediglich durch die daselbst bezeichneten Thatsachen begründet“ (Zoll-
ges. § 157). Dem Angeschuldigten liegt ob, einen Entlastungsbeweis
zu führen, dem die genaue Richtung vorgeschrieben ist; gelingt dieser
Beweis, so wird aus der Hinterziehung eine einfache Ordnungswidrig-
keit; gelingt er nicht, wird die Sache überhaupt nicht weiter auf-
geklärt, so behält die Handlung die ihr durch gesetzliche Vermutung
beigelegte Hinterziehungsnatur. Die Strenge dieser Vermutung ver-
deutlicht sich noch durch den Gegensatz der unmittelbar darauf in
§ 138 Zollges. gegebenen Bestimmungen: wenn gewisse Ausweise beim
[464]Die Finanzgewalt.
Warentransport nicht zur Stelle erteilt werden können oder vor-
geschriebene Bucheinträge nicht gemacht sind, so „wird zwar hier-
durch die Vermutung einer begangenen Defraudation und dem Be-
finden nach die vorläufige Beschlagnahme .... begründet. Wider-
legt sich aber diese Vermutung bei näherer Untersuchung, so tritt
nur eine Ordnungsstrafe ein.“ Die Vermutung ist hier nur eine natür-
liche, zunächst nur ein Verdacht; dieser genügt für die vorläufige Maſs-
regel, aber nicht für die Verurteilung; hier entscheidet das Ergebnis
der „näheren Untersuchung“; ein non liquet würde zur Freisprechung
führen müssen30.
Das Finanzgesetz kann aber auch in entgegengesetzter Weise
verfahren: Vermutungsordnungen aufstellen zu Gunsten des An-
geschuldigten. Ein Beispiel giebt Branntweinsteuerges. v. 1887
§ 20. Im Entwurf war hier einfach die Formel des Zollges. § 137
wieder gegeben, also Vermutung der Hinterziehung und Zulassung
des Gegenbeweises, daſs eine solche nicht hat verübt werden können
oder nicht beabsichtigt war. Das wurde dahin verändert, daſs jetzt
gesagt ist: „Wird jedoch in diesen Fällen festgestellt. daſs eine De-
fraudation nicht hat verübt werden können, oder wird nicht fest-
gestellt, daſs eine solche beabsichtigt war u. s. w.“; in diesem
Falle soll also keine Hinterziehung, sondern eine einfache Ordnungs-
widrigkeit angenommen werden. Die Feststellung der Hinterziehungs-
absicht würde regelmäſsig geschehen können einfach auf Grund eben
jener natürlichen Vermutung, welche sich an die Nichtbeobachtung
der Kontrollvorschriften knüpft. Daſs jetzt besondere Feststellung ver-
langt wird, bedeutet, daſs diese natürliche Vermutung hier ausgeschlossen
ist; es müssen noch besondere Gründe vorliegen, um jene Absicht
anzunehmen. Diese Bestimmung beweist, wie unrichtig die Auffassung
ist, als ob die Vermutungsordnungen des Finanzstrafrechts immer Ver-
schärfungen zu Ungunsten des Angeklagten enthielten.
2. Die zweite Gruppe von Vermutungsordnungen bezieht sich
auf die Frage des subjektiven Verschuldens. Jede Strafe setzt
ein solches voraus. Die äuſserliche Thatsache, daſs der vom Finanz-
befehl gewollte Erfolg nicht eingetreten ist, begründet gemäſs den
hohen Anforderungen, welche hier an die Sorgfalt des Unterthanen
gestellt sind, eine Vermutung des Verschuldens; das ist lediglich eine
natürliche Vermutung und gehört nicht hierher.
[465]§ 31. Die Finanzstrafe.
Besondere Ordnungen giebt aber das Gesetz für die Fälle, wo
Einer einstehen soll für die Finanzwidrigkeit, die unmittelbar nicht
von ihm selbst ausgeht, der er aber verpflichtet war vorzubeugen.
Hier wird das zugehörige Verschulden mit gesetzlichen Vermutungen
versehen.
Es kommen zweierlei Arten von Verantwortlichkeiten hier in
Betracht.
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Unter-
nehmers kann daran geknüpft werden, daſs die Finanzwidrigkeit im
Machtbereich seines Unternehmens vor sich geht, in seinem Geschäfts-
betrieb, in seinen Räumlichkeiten. Das bedeutet alsdann die Auf-
erlegung einer Pflicht, die Finanzwidrigkeit zu verhindern. Die Nicht-
erfüllung der Pflicht enthält aber hier das Verschulden, wie es zur
Strafbarkeit vorausgesetzt ist, nur dann, wenn der Unternehmer Kennt-
nis von der Finanzwidrigkeit hatte. Das Gesetz ordnet dafür Ver-
mutungen und zwar bald in strengerem, bald in milderem Sinn. Ent-
weder soll bei vorhandener Finanzwidrigkeit die Kenntnis des Unter-
nehmers angenommen werden, falls nicht das Gegenteil erwiesen ist31.
Oder es wird umgekehrt eine besondere Feststellung des Wissens des
Verantwortlichzumachenden verlangt, wobei alsdann im Zweifel wieder
Freisprechung erfolgen muſs32.
Die zweite Art gesetzlicher Vermutungen knüpft sich an die so-
gleich (unter IV n. 1) noch zu besprechende Haftung des Dienst-
herrn für die Geldstrafen, welche seine Untergebenen verwirken. Die
Haftung kann gebunden sein an die Voraussetzung eines eigenen Ver-
schuldens des Herrn. Dieses Verschulden mag dann auf Nichtver-
hindern, Nichtbeaufsichtigen oder schlechte Auswahl der Untergebenen
gegründet werden. Das Gesetz aber ordnet den Beweis durch be-
sondere Regeln, indem es entweder Vermutungen aufstellt für das
Wissen, die Nachlässigkeit des Herrn oder umgekehrt Feststellung
von besonderen Thatsachen fordert, aus denen solches hervorgehen soll33.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 30
[466]Die Finanzgewalt.
IV. Die Finanzstrafe hat auch noch Eigentümlichkeiten in der
rechtlichen Natur ihres Strafmittels.
Als solches erscheinen hier ganz vorzugsweise Geldstrafen. Diese
sind zum Teil von der erkennenden Behörde innerhalb eines gesetz-
lichen Strafrahmens zu bestimmen; das ist vor allem der Fall bei den
Ordnungsstrafen für einfache Finanzdelikte, Ordnungswidrigkeiten,
Kontraventionen. Zum anderen Teil aber sind sie in eigentümlicher
Weise nach festen Sätzen zu berechnen. Das ist bei der Strafe auf
Hinterziehungen die Regel. Sie geht aus von dem Betrage des Ge-
fälles, gegen welches die Hinterziehung gerichtet war, von der Ver-
kürzung, welche der Staat erlitten hätte, wenn die Hinterziehung
gelang. Ein bestimmtes Mehrfaches hiervon bildet die Strafe, nicht
nach dem Maſse der Schuld weiter abzustufen, sondern einfach zu
berechnen und zu verhängen.
An der letzteren Art tritt die besondere rechtliche Natur des
Finanzstrafmittels am deutlichsten zu Tage: sie kommt nicht bloſs
als ein Übel in Betracht, welches dem Straffälligen zugefügt wird,
sondern zugleich als ein Vorteil der Staatskasse; der Staat soll
etwas davon haben. Sie fällt dadurch unter Gesichtspunkte, welche
sie einem civilrechtlichen Zahlungsanspruche verwandt machen34. Das
Vergleichsstück ist der civilrechtliche Schadensersatzanspruch: Schadens-
ersatz gebührt dem Staat für die Mehrkosten der Überwachung, welche
durch derartige Unordnungen veranlaſst werden, und für die Verluste,
welche er thatsächlich bei den dazwischen doch immer wieder gelingen-
den Hinterziehungen durch solche Leute erleidet; wer einmal ertappt
wird, muſs für die Anderen mitbüſsen.
Diese Verwandtschaft mit einem civilrechtlichen Ersatzanspruche
war es, die auch die Idee eines öffentlichrechtlichen Konventionalstraf-
gedinges hier ermöglichte (oben S. 448, 449). Sie kommt aber noch in
allgemeinerer Weise zum Ausdruck durch folgende zwei dem Finanz-
strafrecht eigentümliche Rechtsinstitute.
1. Es besteht hier eine Haftung für Untergebene, An-
gestellte, Kinder, Ehefrauen. Diese Haftung kann an die Voraus-
33
[467]§ 31. Die Finanzstrafe.
setzung eines eigenen Verschuldens des Gewaltshabers gebunden sein
oder schlechthin an das bestehende Abhängigkeitsverhältnis.
Die Haftbarerklärung ist kein Strafausspruch. Es soll keine
weitere Strafe damit verhängt werden; es giebt bloſs eine Strafe: die
gegen den Thäter. Der Haftende wird nur hereingezogen, damit der
Staat die ihm in dieser Form zukommende Zahlung sicher erhalte.
Die maſsgebenden Verhältnisse sind die nämlichen, an welche auch
das Civilrecht Haftungen für seine Schadensersatzansprüche zu knüpfen
pflegt.
Die Haftbarkeit umfaſst immer nur die verwirkte Geldstrafe und
die Kosten, nicht auch die etwaigen Freiheitsstrafen.
Sie ist teilweise ausdrücklich beschränkt auf den Fall, daſs der
Thäter selbst zahlungsunfähig ist und die Finanzstrafe von ihm nicht
beigetrieben werden kann35. Immer wird der Haftende, ungleich
dem Mitthäter, seinen Rückgriff nehmen können gegen den eigent-
lichen Schuldigen.
Soweit ein eignes Verschulden des Gewalthabers nicht voraus-
gesetzt ist, kann diese Haftung auch handlungsunfähige Personen
treffen. Es kommt bloſs darauf an, daſs der eigentlich Schuldige zu
ihnen in dem bestimmten Abhängigkeitsverhältnis steht, das die Haf-
tung begründet. Deshalb kann die Haftbarkeit für die Finanzstrafe
auch ausgesprochen werden gegen Gesellschaften und juristische Per-
sonen, namentlich auch gegen den Fiskus36.
2. Die andere Folge dieser Auffassung der Finanzstrafe als einer
Art Schadensersatzanspruches ist die eigentümliche Verfügungs-
gewalt der Finanzbehörden über die verwirkte Strafe.
Den Finanzbehörden steht thatsächlich eine solche Verfügung in
bedeutendem Umfange zu. Sie können von der Verfolgung absehen,
die Sache auf sich beruhen lassen, oder sich mit der Entrichtung
einer geringeren Summe begnügen. Sie können auch die schon er-
kannte Strafe erlassen oder mildern. Wir sehen geradezu Ver-
gleiche über die Strafe für zulässig erklärt, wobei diese mit Ein-
willigung des Betroffenen festgesetzt wird, regelmäſsig natürlich auf
eine geringere Summe als die gesetzlich verwirkte37.
30*
[468]Die Finanzgewalt.
Was ist der Grund dieser ungewöhnlichen Befugnisse?
Es handelt sich nicht um Ausübung des Begnadigungsrechts.
Dieses Recht ist naturgemäſs mit der Person des Fürsten eng ver-
knüpft; es widerstrebt der Delegation an die Behörden38. Thatsäch-
lich haben auch gerade hier solche Delegationen eines Begnadigungs-
rechtes nicht stattgefunden. Das Begnadigungsrecht des Fürsten steht
selbständig neben diesem Verfahren und kann noch auſserdem wirk-
sam werden.
Es ist aber auch hier keine Zuständigkeit der Behörden in Frage
zur Durchbrechung des Vollzugs des Gesetzes im Einzelfall, wie wir
sie beim Steuererlaſs kennen gelernt haben: die dazu nötige gesetz-
liche Ermächtigung besteht nicht (oben § 29, III n. 2).
Das Verfahren findet seine Anknüpfung lediglich an dem in der
gewöhnlichen Verwaltung der Staatsgeschäfte begriffenen Ver-
fügungsrechte über nebenbei erwachsene Geldansprüche. Den
Behörden, welche den einzelnen Zweigen vorstehen, ist mit der Auf-
gabe, die Verwaltung gut und richtig zu führen, von selbst auch die
Befugnis gegeben, die dazu nötigen Verzichte vorzunehmen, wo es
Zweckmäſsigkeit und Billigkeit erheischen. Da der Verzicht ein be-
37
[469]§ 31. Die Finanzstrafe.
sonders schwer wiegender Akt der Vermögensverwaltung ist, wird er
im Zweifel den oberen Stellen vorbehalten sein. Im übrigen ist die
Natur und Herkunft der Forderung an sich gleichgültig. Öffentlich-
rechtliche Geldansprüche des Staates sind nur deshalb meist aus-
geschlossen, weil sie auf Rechtsgründen beruhen, die zugleich die Ver-
waltung unverbrüchlich binden zum Vollzug. So eben vor allem der
Steueranspruch und der gewöhnliche Strafgelderanspruch.
Das Besondere an den Finanzstrafgeldern ist nur, daſs sie als
verfügbare Ansprüche in diesem Sinne behandelt werden, obwohl sie
auf Gesetz beruhen. Die Steuer muſs durchgeführt werden, weil
sonst der Wille des Gesetzes durchkreuzt würde, die Unterthanen gleich-
mäſsig zu belasten, die gemeine Geldstrafe, weil sie nach dem Willen
des Gesetzes ein Übel sein soll, das dem Schuldigen nur durch die
Begnadigung erspart werden kann. Das Finanzstrafgesetz aber, nach
der ihm eigentümlichen Auffassungsweise, hat sein Werk gethan, in-
dem es die Strafgeldforderung der Verwaltung zur Verfügung gestellt
hat. Der Verzicht kann dann erfolgen kraft Geschäftsführungsrechts39.
So sehen wir denn die Befugnis zum Erlaſs dieser Forderungen,
ganz wie etwa für civilrechtliche Schadensersatzansprüche, einfach ge-
regelt im Dienstwege. Der Verzicht selbst ist ein Verwaltungsakt,
der den Strafanspruch und Strafgelderhebungsanspruch des Staates
tilgt. Ist der Verzicht kein vollständiger, so setzt der Akt zugleich
die noch geschuldete Summe bindend fest. Insofern dies auſserhalb
des gesetzlichen Strafverfahrens geschieht, bedarf die Auflage der
Einwilligung des Betroffenen, seiner Unterwerfung unter den Akt;
daher die Bezeichnungen Submission, Transaktion, Ver-
gleich. Von einem Vertrag ist keine Rede.
[470]Die Finanzgewalt.
§ 32.
Der Finanzzwang.
Unter Finanzzwang verstehen wir den obrigkeitlichen Eingriff in
Freiheit und Eigentum der Unterthanen zum Zweck der thatsäch-
lichen Herstellung des dem Interesse des Staatsvermögens entsprechen-
den Zustandes.
Dieser Zwang entwickelt sich hier in zweierlei Gestalt, je nach
der besonderen Richtung, die er nimmt.
Er kann gerichtet sein auf die Durchführung eines dem Interesse
des Staatsvermögens entsprechenden Verhaltens des Unterthanen
in seinem persönlichen Handeln, Dulden und Unterlassen. In dieser
Gestalt ist er verwandt mit dem Polizeizwang, dessen Formen er
auch zum Teil entlehnt. Der Ausdruck Finanzpolizei wird in
besonderem Sinn von dieser Art des Finanzzwanges gebraucht.
Er kann aber auch gerichtet sein auf Erzwingung einer dem
Staate geschuldeten Geldzahlung. Hier ist die civilprozeſsrecht-
liche Vollstreckung wegen einer Geldschuld das maſsgebende Vorbild.
Wir bezeichnen das als administrative Zwangsbeitreibung.
I. Der Finanzzwang zu einem bestimmten äuſserlichen Verhalten
ist neben seinem polizeirechtlichen Seitenstück ganz unverhältnis-
mäſsig weniger reich entwickelt. Ist er ja doch, wie der Finanzbefehl
und die Finanzstrafe, an die er sich zum Teil anschlieſst, nur be-
stimmt, eine nebensächliche Hülfe zu geben für das, was hier die
Hauptsache ist, die Erhaltung und Mehrung des Staatsvermögens. Er
ist entbehrlich, soweit die Interessen sich unmittelbar durchsetzen
lassen, und dazu dient die Zwangsbeitreibung.
Wir unterscheiden wie bei der Polizei: Zwangsvollstreckung
für Befehle und unmittelbaren Zwang.
1. Zwangsvollstreckung setzt einen Einzelbefehl voraus, der
vollstreckt werden soll. Von den drei Zwangsvollstreckungsmitteln
des Polizeibefehls (oben § 23) sind Ersatzvornahme und Ge-
waltanwendung innerhalb ihres natürlichen Maſses d. h. soweit
sie geeignet sind, wirkliche Zwangsvollstreckungsmittel zu sein, von
selbst mit jedem Befehle, also auch mit dem Finanzbefehle verbunden
(oben S. 337, S. 351). Die Ungehorsamsstrafe dagegen
bedarf stets einer gesetzlichen Grundlage (oben S. 329). Thatsäch-
lich geben die Gesetze zum Teil ganz umfassende Ermächtigungen
zur Androhung und Verhängung von Ungehorsamsstrafen für alle von
der Behörde ausgehenden Befehle (oben § 23 Note 7). Allein diese
[471]§ 32. Der Finanzzwang.
Ermächtigungen, so allgemein sie lauten, kommen den Finanzbefehlen
nicht zu statten. Sie sind immer nur den Polizeibehörden,
den Behörden der inneren Verwaltung, der allgemeinen
Landesverwaltung gegeben, welche ihrerseits an der ganz selb-
ständig geordneten Finanzverwaltung keinen Teil haben. Für die
Finanzbehörden aber bestehen solche allgemeine Ermächtigungen nicht.
Es können also hier nur besondere Gesetzesbestimmungen in Betracht
kommen, welche für diese oder jene Art von Finanzbefehlen die Ver-
wendung von Ungehorsamsstrafen als Zwangsmittel zulassen1.
Nun finden sich aber zur Zwangsvollstreckung geeignete Finanz-
befehle, also Einzelbefehle, überhaupt nur in Gewaltverhältnissen.
Und da stehen der Behörde ohnehin Machtmittel zu Gebot, welche
eine Zwangsvollstreckung überflüssig machen.
Diese Gewaltverhältnisse hängen meist an gewissen Erleichterungen,
welche dem Steuerpflichtigen gewährt sind. Die Entziehung dieser
Erleichterungen steht im Ermessen der Behörde, wie die Gewährung.
Die Nichtbefolgung ihrer Anordnungen kann also jederzeit Anlaſs dazu
geben und darin liegt Zwang genug2.
Anders steht es, wenn die Überwachungsgewalt nicht die Folge
einer gewährten Vergünstigung, sondern eine gesetzlich auf-
erlegte Last ist, von welcher der Betroffene nicht befreit werden
[472]Die Finanzgewalt.
kann. Insofern hier Einzelbefehle nötig werden, müssen sie auch mit
Zwangsvollstreckungsmitteln ausgestattet sein. Das sind die Fälle, für
welche allein das Gesetz solche vorsieht und insbesondere auch die
Ungehorsamsstrafen giebt3.
2. Der unmittelbare Zwang, also der nicht zur Durchführung
eines Befehls dienende, hat auch hier sein Zwangsmittel einzig in der
Gewaltanwendung gegen die Person und ihre Sachen.
Für jene bedeutsamen Fälle, wo auf dem Gebiete der Polizei
ein unmittelbarer Zwang kraft allgemeiner selbstverständlicher Grund-
sätze stattfinden kann, bietet aber der Finanzzwang keine Seiten-
stücke. Die Selbstverteidigung der Verwaltung ist immer
polizeilicher Natur (oben § 24, I n. 1); Notstandszwang (oben
§ 24, III) giebt es nicht.
Nur gegenüber strafbaren Handlungen findet auch hier
eine allgemeine Gewaltanwendung statt; allein das ist etwas wesent-
lich anderes, als was der Polizeizwang an dieser Stelle bot (oben
§ 24, II). Die Finanzgewalt führt ja allerdings einen Krieg gegen
das Finanzdelikt, der auch Gewaltanwendung mit sich bringt. Für
gewisse Arten von Steuern hat sie sich ein eignes Personal von Hülfs-
beamten dafür geschaffen, Grenzaufsichtsbeamte, Steueraufseher u. s. w.
Auf die Gewaltübung, welche von diesen ausgeht, finden zum Teil
die Regeln Anwendung, welche oben § 25, I für die polizeilichen
Vollstreckungsbeamten entwickelt worden sind. Insbesondere ist ihnen
auch das Recht des Waffengebrauchs verliehen (oben § 25, II n. 3).
Aber wohl zu beachten ist, daſs alle diese Kräfte in Wahrheit nicht
dazu verwendet werden, die Begehung des Finanzdeliktes
zu verhindern. Das entspräche der Aufgabe, welche auf dem Ge-
biete der Polizei der unmittelbare Zwang gegen gemeine Vergehen
und Polizeidelikte erfüllt. Die Gewaltanwendung gegenüber dem
Finanzdelikte dagegen richtet sich lediglich darauf, die Strafe und
die Straffolgen zu sichern, was dann von selbst auch der
Nachhebung der etwa verfallenen Steuer zu gute kommt. Man
braucht nur die Probe zu machen.
Die Wechselstempelsteuer-Hinterziehung z. B. wird begangen
durch Begebung und Annahme des ungestempelten Papiers. Das kann
vor den Augen der Steueraufsichtsbehörde, des Vollstreckungsbeamten,
[473]§ 32. Der Finanzzwang.
jedes Vertreters der staatlichen Macht vorgenommen werden, nach
vorgängiger Ankündigung sogar: die geringste Polizeiübertretung würde
in solchem Falle pflichtmäſsig mit Gewalt verhindert, das Finanz-
delikt, auf welchem vielleicht eine viel höhere Strafe steht, wird man
ungestört vollziehen können. Der Beamte hat gar nicht einmal das
Recht, gegen die Begehung einzuschreiten. Erst wenn das Delikt
vollendet und an ihm selbst nichts mehr zu bekämpfen ist, beginnt
die Feststellung der Namen, die Beschlagnahme, Durchsuchung, Haus-
suchung u. s. w.
Noch deutlicher wird das beim Falle der Zolldefraudation. Die
Zollschutzbeamten stehen bewaffnet an der Grenze. Ihr bloſses Er-
scheinen wird genügen, daſs von der etwa beabsichtigten Schmuggelei
abgestanden wird. So würde die Polizei verfahren. Die Finanzbeamten
aber, im Gegenteil, lassen das Delikt zur Entwicklung und Vollendung
kommen; sie verbergen sich geradezu, um ihm dafür Raum zu geben,
und haben nur Sorge, daſs sie noch rechtzeitig kommen, um das De-
likt, in seinem ganzen Umfange festgestellt und gesichert, der Straf-
verfolgung zu überliefern.
Selbst in der Behandlung der Delikte kommt also die eingangs er-
wähnte Besonderheit der Finanzgewalt zum Ausdruck: das Sollen im
persönlichen Verhalten, das sie den Unterthanen auferlegt, hat keinen
Wert in sich, so daſs es unbedingt durchgeführt werden müſste; es ist
nur Mittel für einen andern, wichtigeren Zweck, dem möglicherweise
die Ahndung des verletzten Sollens noch besser dient.
Für die Lehre vom Finanzzwang bedeutet das, daſs wir auch zu
dem allgemeinen Rechte der Polizeigewalt, unmittelbaren Zwang zu
üben zur Verhinderung strafbarer Handlungen, ein Seitenstück nicht
haben. Denn was hier geschieht, ist seinem Wesen nach nichts
anderes als gerichtliche Polizei in dem oben (§ 18, III n. 1)
festgestellten Begriff; in der Lehre des Verwaltungsrechts haben wir
nicht weiter darauf einzugehen.
Unmittelbarer Zwang hat auf dem Gebiete der Polizei allerdings
auch noch statt auſserhalb des Gebietes jener groſsen selbstverständ-
lichen Zuständigkeiten, auf Grund besonderer Ermächtigungen,
welche das Gesetz für derartige Eingriffe gewährt (oben S. 347).
Und in dieser Beziehung findet sich ähnliches auch im Finanzzwang.
Zur Sicherung der Finanzinteressen sind verschiedenartige Befugnisse
gegeben zu thatsächlichen Einwirkungen auf Person und Sachen der
Unterthanen, die im Falle des Widerstands mit Gewalt sich durch-
setzen. Der besondere Rechtsgrund dafür beruht entweder im Ge-
setz oder in den Ordnungen der Regulative.
[474]Die Finanzgewalt.
Gewaltmaſsregeln dieser Art können gleichzeitig der Entdeckung
von entstandenen Steuerpflichten und des begangenen Finanzdeliktes
dienen, also gemeinsam sein mit der zugehörigen gerichtlichen Polizei:
so die Durchsuchung von Personen nach defraudierten Waren, das
Eindringen in die Wohnung, um nach solchen Umschau zu halten4.
Auch ohne Verdacht eines Deliktes können Waren und Trans-
portmittel angehalten werden bis zur Erledigung der Steuerpflicht
oder erteilter Auskunft. Amtliche Verschlüsse werden an Transport-
vorrichtungen und Warenlagern angebracht, Meſsapparate an den Ge-
fäſsen, durch welche das steuerpflichtige Erzeugnis geht. In die über-
wachten Betriebsräume wird eingedrungen, von den geführten Kon-
trollbüchern Einsicht genommen, alles nötigenfalls mit Gewalt.
II. Die administrative Zwangsbeitreibung ist obrig-
keitlicher Eingriff in Freiheit und Eigentum des Unterthanen zum
Zwecke thatsächlicher Befriedigung einer Geldschuld5.
[475]§ 32. Der Finanzzwang.
Von der civilprozessualen Zwangsvollstreckung wegen Geld-
forderungen, deren Formen sie vielfach entlehnt, unterscheidet sie sich
durch ihre Eigenschaft als Erscheinungsform der Finanzgewalt. Der
Staat zwingt zur Zahlung, nicht um die Rechtsordnung aufrecht zu
erhalten, sondern „zur Verwirklichung seiner Zwecke unter der Rechts-
ordnung“: er verwaltet, indem er zwingt (oben § 1, II n. 3).
Es ist eine ganz äuſserliche und unzulängliche Auffassung der
administrativen Zwangsbeitreibung, wenn man sie sich einfach als eine
Zwangsvollstreckung vorstellt, wie die civilprozeſsrechtliche, nur daſs
sie zu anderen Zuständigkeiten gehört, auf den „Verwaltungsweg“
verschoben ist. Es ist ein verwaltungsrechtliches Rechtsinstitut, das
wir vor uns haben, auf selbständiger Grundlage aufgebaut.
1. Die administrative Zwangsbeitreibung ist selbstverständlichen
Rechtes überall, wo die Finanzgewalt dem Unterthanen mit einer
Geldforderung gegenüber steht.
Vorausgesetzt ist also, daſs eine Pflicht des Unterthanen zu einer
Zahlung an den Staat begründet worden sei in einer Weise, daſs der
Staat dabei ihm gegenüber nicht auf den Boden des Civilrechts hinab-
gestiegen ist. Es muſs sich handeln um öffentlichrechtliche
Geldansprüche.
Indem öffentlichrechtlicher Rechtssatz oder Verwaltungsakt be-
stimmt haben, was zwischen dem Staate und dem Unterthanen hier
Rechtens ist, binden sie die vollziehende Gewalt zum Vollzug und
der Vollzug ist die Zwangsbeitreibung. Die vollziehende Gewalt ist
selbst der Gläubiger, der Staat; aber diesen Gläubiger berechtigt seine
Forderung von selbst zum Zwang. Es besteht hier das nämliche
Verhältnis wie beim Polizeibefehl, der gleichfalls den entsprechenden
Erfüllungszwang in sich trägt; was als entsprechendes Mittel anzu-
sehen ist, ist dann hier wie dort die zweite Frage (unten n. 3).
Wenn also besondere Gesetze für dieses Verfahren erlassen werden,
so geschieht es nicht, um es überhaupt erst zu ermöglichen, sondern
nur, um ihm eine feste Ordnung zu geben, vielleicht auch es aus-
zustatten mit Zwangsmitteln, die sich nicht von selbst verstünden6.
[476]Die Finanzgewalt.
Was für den Staat gilt, das gilt auch für die anderen juristischen
Personen des öffentlichen Rechts, die Selbstverwaltungskörper, welche
den Unterthanen gegenüber an seine Stelle treten. Thatsächlich
wird hier ein eigner Zwangsapparat zumeist nicht ausgebildet sein,
so daſs für die Durchführung öffentlichrechtlicher Geldansprüche die
staatlichen Einrichtungen benützt werden müssen; die Gesetze pflegen
die Sache in diesem Sinne ausdrücklich zu ordnen.
Die Geltendmachung und Erzwingung civilrechtlicher Geldforde-
rungen, auch des Staates und der Selbstverwaltungskörper, gehört auf
den gemeinen Weg des Civilprozesses und seiner Zwangsvollstreckung.
Durch besondere gesetzliche Bestimmungen wird die administrative
Zwangsbeitreibung auch auf solche Dinge ausgedehnt: civilrechtliche
Forderungen des Staates, der Selbstverwaltungskörper, möglicherweise
sogar der Unterthanen untereinander werden zur Beitreibung in diesen
Formen bestimmt. Das beruht immer auf dem Gesichtspunkt, daſs ein
öffentliches Interesse an der raschen und entschiedenen Erledigung solcher
Forderungen besteht; da soll dann die öffentliche Gewalt selbständig
dafür sorgen dürfen.
Solche Ausdehnungen sind als auſserordentliche Einrichtungen zu
betrachten und engstens auszulegen7.
2. Damit Zwangsbeitreibung stattfinde, muſs die beizutreibende
Forderung volle rechtliche Bestimmtheit haben: die Person des
Schuldners wie des Gläubigers und der Betrag der zu fordernden
Zahlung muſs feststehen. Das kann sich ergeben aus einem Urteil
oder Verwaltungsakte, wodurch diese Zahlung im Einzelfalle auf-
6
[477]§ 32. Der Finanzzwang.
erlegt ist: aus Verurteilung zu Geldstrafen, Festsetzung der Kosten
einer Ersatzvornahme. Es kann aber auch die bestimmte Forderung
aus der einfachen Anwendung eines Rechtssatzes auf den Einzelfall
sich ergeben: die Steuerpflicht, die Gebührenpflicht entstehen in dieser
Weise. Forderung des Rechtsstaates ist es ja, daſs die Pflicht mög-
lichst für den Einzelfall besonders ausgesprochen und bindend bestimmt
werde durch Urteil oder Verwaltungsakt. Aber daſs dies geschehe,
ist deshalb nicht von selbst eine notwendige Voraussetzung für die
Zulässigkeit der administrativen Zwangsbeitreibung. Sie findet für
öffentlichrechtliche Forderungen auch unmittelbar aus dem Ge-
setz statt.
Die civilprozeſsrechtliche Lehre vom vollstreckbaren Titel,
„aus welchem“ die Zwangsvollstreckung stattfindet, ist nicht hierher
übertragbar. Der vollstreckbare Titel bedeutet dort nichts anderes
als die dem Unterthanen zur Verfügung gestellte obrigkeitliche Macht,
mit der er nun das Vollstreckungsverfahren in Bewegung setzen darf.
Im administrativen Zwangsbeitreibungsverfahren setzt sich die obrig-
keitliche Gewalt auf Grund ihrer durch die Wirkung des Gesetzes
oder durch besonderen Verwaltungsakt begründeten Forderung selbst
in Bewegung, um zum Zwang zu schreiten. Das stellt sich dar als
ein Dienstauftrag der leitenden Behörde an den Vollstreckungs-
beamten, dessen Thätigkeit dadurch rechtlich bedingt ist. Es wird zweck-
mäſsig sein, den Übergang in die Zwangsvollstreckung auch hier
äuſserlich zu markieren. Es wird eine förmliche Aufstellung gemacht
von der beizutreibenden Forderung, zu den Akten vermerkt, daſs
nun die Vollstreckung beginnen soll; der Vollstreckungsauftrag bedarf
vielleicht noch der Bestätigung einer vorgesetzten oder Aufsichts-
behörde; der beauftragte Beamte wird mit einer Art Ausweis ver-
sehen. Das Wesentliche ist immer nur jener Dienstauftrag, also,
wenn wir vergleichen sollen, das, was im Civilprozeſs der Auftrag
der Partei an den Gerichtsvollzieher ist8.
[478]Die Finanzgewalt.
3. Als natürliche Zwangsmittel für den Befehl haben wir die
Ersatzvornahme und die einfache Gewaltanwendung kennen gelernt
(oben § 23). Dem entspricht für die Erzwingung einer Geldzahlung
die obrigkeitliche Wegnahme des entsprechenden Vermögenswertes
aus dem Vermögen des Schuldners, in Geld oder Geldeswert, die
Pfändung also in allen ihren Formen. Die Pfändung ist die ein-
fache Durchführung des Anspruchs, sie thut nichts hinzu, sie vollzieht
nur. Sobald eine öffentlichrechtliche Forderung geltend zu machen
ist, steht also der Verwaltung die Pfändung des Schuldners von selbst
zu; es bedarf hierzu keiner weiteren gesetzlichen Grundlage. Nicht
selbstverständlich sind Zwangsmittel, welche nur auf Umwegen das
Ziel erreichen, den Schuldner an irgend einem anderen Punkte treffen,
um einen Druck zu üben. So ist die Ungehorsamsstrafe für den Be-
fehl als Zwangsmittel nur zulässig, soweit eine gesetzliche Grundlage
dafür besteht. Ähnlichen indirekten Zwang verwendete nament-
lich im älteren Rechte auch die administrative Zwangsbeitreibung.
Das Militär half aus für die Steuereintreibung. Mancherlei andere
Formen des Einlegers haben sich länger gehalten, wie das Institut
der „Presser“ des württembergischen Rechts, der garnisaires des
französischen Rechts. Dazu bedürfte es jetzt überall besonderer gesetz-
licher Grundlage.
Die neuere Gesetzgebung hat die Art und Form der anzuwenden-
den Zwangsmittel allenthalben ausdrücklich geordnet, wobei die Civil-
prozeſsordnung das Muster gab. Es darf nicht vergessen werden,
daſs jene natürliche Rechtsgrundlage immer noch dahinter steht und
imstande ist, etwaige Lücken auszufüllen.
4. Das administrative Zwangsbeitreibungsverfahren, so sehr es
dem civilprozeſsrechtlichen nachgebildet wird, erhält seine wesentliche
Eigenart durch die ganz anders bestimmte Stellung der Beteiligten.
[479]§ 32. Der Finanzzwang.
Der Civilprozeſs stellt den Gerichtsvollzieher und das
Vollstreckungsgericht der betreibenden Partei zur Verfügung,
die dann ihrerseits vor dem letzteren etwaige Streitigkeiten mit der
angegriffenen Partei zum Austrag bringen mag.
Die administrative Zwangsbeitreibung setzt an die Stelle des Ge-
richtsvollziehers untergeordnete Hülfsbeamte der Verwaltungs-
behörden; solche können möglicherweise nur gelegentlich und
nebenbei für diese Zwecke zur Verwendung kommen; es hat sich
aber auch für die wichtigeren Finanzzweige ein eignes Personal von
Finanzvollstreckungsbeamten ausgebildet. Sie erhalten auf alle Fälle
ihre Aufträge nicht wie der Gerichtsvollzieher durch ein Ersuchen
der Partei, welchem sie gemäſs ihrer Dienstpflicht und nach selb-
ständiger Prüfung der Rechtmäſsigkeit der verlangten Amtshandlung
stattzugeben haben. Ihr Auftrag ist stets ein Dienstbefehl für sie,
dessen Nachprüfung ihnen nur in jenem beschränkten Maſse zusteht,
welches das Beamtenrecht für solche Fälle gewährt9.
An Stelle des Vollstreckungsgerichts tritt die Verwaltungs-
behörde, welche die Vollstreckung leitet. Während sie zugleich
der Auftraggeber des Vollstreckungsbeamten und betreibender Teil ist,
erläſst sie auch die im Civilprozeſs dem Vollstreckungsgericht zu-
stehenden Verfügungen zur Anordnung einzelner Vollstreckungsmaſs-
[480]Die Finanzgewalt.
regeln und die Entscheidungen über Widersprüche des angegriffenen
Teils. Der Gezwungene findet sich hier überall nur der öffentlichen
Gewalt gegenüber, die in verschiedenen Zuständigkeiten auftritt10.
Zu besserer Sicherung des Rechtsschutzes wird für solche Zwischen-
streitigkeiten die Form der Verwaltungsrechtspflege und der Weg vor
selbständige Verwaltungsgerichte eröffnet sein. Das Wesen des ganzen
Verhältnisses ändert sich dadurch nicht.
5. Gegenüber diesen Grundzügen des Verfahrens können ab-
weichende Ordnungen geschaffen sein, durch welche die Stellung der
leitenden Verwaltungsbehörde der einer betreibenden Privat-
partei nach dem Vorbild des Civilprozesses näher gebracht wird;
an die Übertragung von Stücken der administrativen Zwangsvoll-
streckung an die Behörden und Beamten der civilprozeſsrechtlichen
Zwangsvollstreckung knüpft sich diese Wirkung von selbst.
Das Gesetz kann gewisse Vollstreckungsmaſsregeln auch für die
administrative Zwangsbeitreibung dem nach der Civilprozeſs-
ordnung zuständigen Vollstreckungsgericht vorbehalten.
So ist es mehrfach vorgeschrieben für die Anordnung der Pfändung
und Überweisung von Forderungen; namentlich auch für die Zwangs-
vollstreckung in Liegenschaften11. Das Gericht faſst alsdann seinen
Beschluſs in den Formen und mit der Wirkung, wie die Civilprozeſs-
ordnung sie giebt; die Verwaltungsbehörde steht vor ihm wie ein
gewöhnlicher Antragsteller, wenn auch die Äuſserlichkeiten des be-
hördlichen Verkehrs dabei gewahrt werden. Aber die Voraussetzungen
des Beschlusses sind die der administrativen Zwangsbeitreibung: also
ein zu vollstreckender Verwaltungsakt oder eine unmittelbar auf Ge-
setz beruhende öffentlichrechtliche Zahlungspflicht. Im letzteren Falle
genügt eine Aufstellung des Schuldpostens, wie sie die Behörde für
[481]§ 32. Der Finanzzwang.
ihre eignen Vollstreckungsbeamten behufs der Zwangsvollstreckung
machen würde, statt des vollstreckbaren Titels. Mit ihrem Antrage
bescheinigt sie zugleich die Voraussetzungen der Vollstreckung und,
sofern das nur in ihrer allgemeinen Zuständigkeit geschehen ist, hat
das Gericht die Grundlagen derselben nicht weiter zu prüfen.
Es können andererseits Vollstreckungsakte vorgenommen werden
durch das Personal der civilprozeſsrechtlichen Vollstreckung, durch
die Gerichtsvollzieher. Die Verwendbarkeit des Gerichtsvoll-
ziehers für die administrative Zwangsbeitreibung ist nicht selbstver-
ständlich; denn dieser Beamte hat seinen gesetzlich beschränkten Amts-
kreis, der von Haus aus einem andern Gebiet angehört; es bedarf
also eines Gesetzes, welches ihn der Verwaltungsbehörde für ihr Ge-
schäft zur Verfügung stellt: das Gesetz thut das in der Form, daſs
es die Verwaltungsbehörde anweist, sich eines Gerichtsvollziehers zu
bedienen, oder auch ihr die Wahl läſst, die Vollstreckung durch eigne
Beamte oder durch einen Gerichtsvollzieher vornehmen zu lassen12.
Auſserhalb solcher gesetzlicher Ermächtigung wäre der Gerichtsvoll-
zieher zur Mitwirkung bei der administrativen Zwangsbeitreibung un-
zuständig und sein Akt ungültig.
Die gesetzmäſsige Inanspruchnahme des Gerichtsvollziehers bringt
die Verwaltungsbehörde wiederum in die Stellung einer gewöhnlichen
Partei. Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung werden diesem
in derselben Weise bindend geliefert, wie dem Vollstreckungsgericht
in dem oben erwähnten Fall. Aber für die Ausführung des Auftrags
verbleibt der Gerichtsvollzieher unter der ausschlieſslichen Dienst-
gewalt der Justizbehörde. Der Auftrag der Verwaltungsbehörde ist
kein Dienstauftrag, so wenig wie jener Antrag beim Vollstreckungs-
gericht eine Requisition. Es ist ein gewöhnlicher Parteiauftrag, von
ihm als solcher pflichtmäſsig zu prüfen und auszuführen13.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 31
[482]Die Finanzgewalt.
Das Ganze bleibt immerhin administrative Zwangsbeitreibung;
auch der einzelne Akt, der die Mitwirkung des Civilgerichts oder des
Gerichtsvollziehers in Anspruch nimmt, gründet sich auf die Finanz-
gewalt, welche zum Zwange vorgeht; nur für die Art und Form der
Durchführung gerät er in den Machtbereich der unabhängigen Justiz.
Der Unterschied von dem Falle, wo der Fiskus ein obsiegliches
Urteil in einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit zum Vollzug bringen
will, ist noch deutlich genug erkennbar.
[]
Zwischen Friedrich dem Groſsen, der noch ruhig von „seiner Verfassung“ spricht
(Preuſs, Urkundenbuch I S. 124), und Frau v. Staël, welche dem Kaiser von Ruſs-
land die Schmeichelei macht: er sei „die Verfassung seines Reiches“, in dem Ge-
danken, daſs dieses Reich eigentlich keine Verfassung habe, liegt deutlich erkennbar
der Markstein der Erklärung der Menschenrechte von 1789. In Art. 16 wird da
einfach verfügt: ein Volk, das nicht so geordnet ist, daſs die Volksvertretung an
Gesetzgebung u. s. w. beteiligt wäre, „n’ a point de constitution“.
wo die Regierung noch alles ist; Häberlin, St.R. II § 299 Note, wo die Re-
gierung alles umfaſst, auch die Gesetzgebung, nur nicht die Justiz; Zachariae,
Vierzig Bücher v. St. I S. 124 und Pözl, Bayr. Verf.R. § 143, wo gesetzgebende
Gewalt und Regierungsgewalt sic[h] gegenüberstehen; endlich v. Roenne, St.R.
d. Preuſs. Mon. III S. 1 Note 3: „Die Trennung von Regierung und Verwaltung ge-
hört zu den Grundideen der repräsentativen Monarchie“.
III S. 1; v. Stengel, V.R. S. 2; Schulze, D.St.R. I § 184 sucht das Wort Re-
gierungsrecht zu verwenden, um im Gegensatz zum Verfassungsrecht einen zusammen-
fassenden Namen für Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung zu haben; das entspricht
der älteren Auffassung; aber jetzt klingt es uns doch etwas seltsam, daſs Amts-
richter und Briefträger Regierungsthätigkeit üben sollen. Ganz selbständig be-
handelt das Wort Haenel, St.R. I § 18, wo es den Oberbegriff liefern soll für die
Begriffe Vollziehung, Ausführung u. s. w. Eine solche Neuverwendung steht natür-
lich bei einem so wenig festgelegten Ausdruck immer frei; es fragt sich nur, was
dabei Nützliches herauskommt. — Die Franzosen begreifen unter gouvernement
auch die Thätigkeiten, die wir unten, II Note 3, von der Verw. absondern und ohne
gemeinsamen Namen lassen: Theorie d. Fr.V.R. S. 8.
sie widerspreche „jeder logischen Anforderung an eine wissenschaftliche Einteilung“.
Das mag ja sein. Es handelt sich eben zunächst nur um eine gegebene Grup-
pierung der Staatsthätigkeiten, an welche die Rechtsordnung angeknüpft hat. Was
die Logik an die Stelle setzen will, bildet nie etwas Greifbares und stimmt nicht
mit der Wirklichkeit der gemeinen Auffassung.
A.L.R. II, 13 § 6.
Volkssouveränetät angepaſst, wenn er sagt (Contr. soc. II Kap. 6): Gesetzgebung
sei es: „quand tout le peuple statue sur tout le peuple, alors la matière sur laquelle
on statue est générale comme la volonté qui statue“. Hier ist das doppelte Ele-
ment: höchste Gewalt und Rechtssatz beibehalten. So wird das Wort jetzt noch
verstanden, wenn man einleitungsweise die „allgemeinen staatlichen Funktionen“
aufzählt; v. Roenne, St.R. d. Pr. Mon. I § 88; Schulze, D.St.R. I S.518; G. Meyer,
D.St.R. § 155. Im Verfassungsrecht des Bundesstaates kann es in gleichem Sinne
zur Verwendung kommen, um zugleich eine Zuständigkeit der gesetzgebenden Ge-
walt des Reichs und die Vorschrift zu geben, daſs davon in Form des Rechtssatzes
Gebrauch gemacht werden soll. Darüber Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne
S. 277 ff.; Arndt, Verord.R. des D. Reichs S. 187 ff. Damit soll aber durchaus nicht
gesagt sein, daſs das Wort Gesetz immer nur in diesem, beide Elemente um-
fassenden Sinne gebraucht werden könne; wir behaupten nur, es werde auch in
diesem Sinne gebraucht und bei unserer Grundeinteilung der Staatsthätigkeiten ist
das offenbar der Fall.
v. Sarwey, Allg. V.R. S. 24 ff.; G. Meyer, St.R. § 155. Man will sich freilich
auf der anderen Seite einen Begriff der „Verwaltung im formellen Sinne“ zurecht
machen, zu welcher diese Dinge dann wieder nicht gehören. Wir werden uns
darauf nicht weiter einlassen. Daſs das Wort Gesetz in verschiedenem, in
formellem und in materiellem Sinne, gebraucht wird, ist eine Thatsache; aber es
ist deshalb doch ein Miſsstand. Wir halten es für kein Verdienst, wenn man
den gleichen Miſsstand durch entsprechende Spaltung aller übrigen Begriffe zu
verallgemeinern sucht. Seligmann, Beiträge S. 157, ist auf diesem Wege
sogar bei einem Gewohnheitsrecht im formellen und im materiellen Sinne an-
gelangt. Das sagt genug.
G. Meyer, St.R. § 8: „Die Gesetzgebung als die höchste Funktion des Staates
ist formell an keine Schranke gebunden“. In Grünh. Ztschft. 8 S. 40 will G. Meyer
allerdings nur die Polizeiverordnungen der Behörden zur Verwaltung rechnen, die
Verordnungen des Staatsoberhauptes glaubt er „zweckmäſsiger“ an die Gesetz-
gebung als an die Verwaltung anzuschlieſsen. Die Kaiserl. Verord. zur Verhütung
des Zusammenstoſsens von Schiffen, die er als Hauptbeispiel anführt, ist aber eine
Polizeiverordnung wie eine andere. Es giebt allerdings Verord., die nicht zur Ver-
waltung gehören, vgl. unten Note 13.
historisch gegebenen Sinne“ nur die Aufrechterhaltung des Privatrechts und Straf-
rechts. Danach würde aber die Entscheidung des Civilgerichts über die Entschä-
Bemerkung gemacht, sie sei eigentlich nicht Justiz, sondern „ihrem materiellen Ge-
halte nach“ Verwaltung; G. Meyer, V.R. I S. 3; Seligmann, Beitr. S. 71;
Bernatzik, Rechtskraft S. 2. Laband, St.R. I S. 678 Note 1, bemerkt dazu
mit Recht, daſs, wenn man einmal so weit geht, folgerichtig alles aus dem Begriff
der Justiz zu entfernen ist, was nicht Rechtsprechung ist, d. h. obrigkeitlicher
Ausspruch, dessen was Rechtens ist; die ganze Zwangsvollstreckung, die ganze
Prozeſsleitung, Terminsbestimmungen, Vertagungen, alles das wäre Verwaltung.
Leuthold, Sächs. V.R. S. 137, hat sich dem angeschlossen und sieht in der
Prozeſsleitung der Gerichte einen „umfänglichen Teil der öffentlichen Verwaltung“.
Mit solchen Zuspitzungen werden die überkommenen einleuchtenden Gruppierungen
unnötigerweise zersetzt. Unsere Reichsjustizgesetze rechnen jedenfalls die sog.
freiwillige Rechtspflege noch zur Gerichtsbarkeit im Gegensatze zur Verwaltung.
Wäre sie Verwaltung, so könnte sie gemäſs E.G. zu G.V.G. § 4 von den ordentlichen
Gerichten überhaupt nicht mehr geführt werden. Denn Justizverwaltung, deren
Übertragung allein noch zulässig ist, wäre sie doch auf keinen Fall.
sein. Vgl. Schulze, D.St.R. I S. 545, 546; Laband, St.R. I S. 673, wo mit
Recht das die Justiz charakterisierende „subjektive Moment“ betont wird.
ministers Leonbardt bei Beratung des G.V.G. im Reichstage (Hahn, Mat. zu
G.V.G. S. 1185).
anderen Thätigkeitsarten stellt sich die Verwaltung dann von selbst als die mannig-
faltigere, beweglichere dar. Man mag das so ausdrücken, daſs man sagt, in ihr
handle der Staat; Laband, St.R. I S. 676.
spiel einer Verordnung, die nicht wie die Polizeiverordnungen zur Verwaltung ge-
höre, an die Kgl. Verord. über die Bildung der ersten Kammer in Preuſsen; vgl. oben
Note 8. Das würden also auch wir nicht zur Verwaltung rechnen.
Zweck, für die Verwaltung Schranke; Stahl, R. und St.Lehre II § 57,
§ 173; Bähr, Rechtsstaat S. 52; Ulbrich in Grünh. Ztschft. 9 S. 1; Schulze,
D.St.R. II S. 67; Laband, St.R. (1. Aufl.) II S. 200; in der 2. Aufl. tritt die
Schranke bei Laband weniger in den Vordergrund. Das Bild der Schranke ist
nicht ganz zutreffend, wie wir sehen werden; daſs es Rechtsordnung für die Ver-
waltung geben soll, ist aber jedenfalls damit genügend ausgedrückt; und das ist
durchaus nicht von vornherein selbstverständlich. — v. Roenne, St.R.d.Pr.Mon., III
S. 1 Note 3, begründet die „Trennung der Regierung und Verwaltung“ mit den
Verantwortlichkeiten, welche im Verfassungsstaat an letztere sich knüpfen; das be-
ruht, freilich etwas unklar, auf demselben Gedanken.
Wenn Jellinek, Ges. und Verord. S. 341, 342, die völkerrechtlichen Verträge in
die „materielle Kategorie der Verwaltungsthätigkeit“ weist, so geht er eben davon
aus, daſs der Staat „die objektiven Normen des Völkerrechts zu Sätzen seiner
staatlichen Rechtsordnung“ mache. Da wäre dann allerdings auch der völker-
rechtliche Vertrag Thätigkeit des Staats unter der eigenen Rechtsordnung, also
Verwaltung. Die Frage wäre also nur, ob man an diese Nostrifikation des Völker-
rechts glauben will.
waltung ausgeschlossene Gebiet reicht so weit als die Kraft des unbedingt ver-
bindlichen Kommandos. Den Gegensatz dazu bildet die sonstige staatliche Thätig-
keit für die groſse Anstalt des Heeres; sie findet, soweit sie nicht Gesetz-
gebung ist, unter der Rechtsordnung statt, ist also Militärverwaltung; Haenel,
St.R. I S. 472; Hecker in Wörterbuch I S. 63; G. Meyer, V.R. II S. 35. Daſs
zur Militärverwaltung auch die Militärgerichtsbarkeit gerechnet wird, ist nur folge-
richtig.
für solche Maſsregeln den Ausdruck actes de gouvernement, der den Gegensatz
bildet zu actes administratifs; Theorie des Fr.V.R. S. 9.
setzlichen Einzelverfügungen, hat Jellinek, Ges. und Verord. S. 240 ff., sehr
gut ausgeführt. Er unterscheidet gesetzliche Einzelverfügungen, die Verwaltungs-
akte sind, „weil sie sich in dem Rahmen der geltenden Rechtsordnung bewegen“
(S. 239). Diesen stehen gegenüber die „Individualgesetze“, wie er sie nennt; sie
bedeuten die „Anordnung von Einzelakten contra legem, die Schaffung neuen
Rechts“ (S. 257). Die letzteren zählt Jellinek zur Gesetzgebung. Wir rechnen sie
auch zu dieser nicht, weil wir keinen Rechtssatz darin finden können, sondern zum
vierten Gebiet. Doch das ist eine alte Streitfrage, die wir hier nicht zu erledigen
haben (vgl. unter § 7 Note 17). Es genügt hier festzustellen, daſs diese Akte nicht
zur Verwaltung gehören und aus welchem Grunde nicht.
mancherlei Eigenschaften nachsagen; namentlich pflegt man gern gewisse Merkmale
aus der alten Polizeilehre herüber zu nehmen (v. Stein, V.Lehre II S. 46, ders.,
Handb. I S. 406 ff.; v. Stengel, V.R. S. 4; G. Meyer, V.R. I S. 70; Merkel,
Encyklopädie S. 184). Das nützt nichts und schadet nichts.
hördenordnung der politische Hintergrund juristisch verwertbar wird: Gerber,
Grundzüge S. 237 ff. — Das Vorbild für wissenschaftliche Behandlung der Be-
hördenordnung in diesem Sinn hat Gneist gegeben: Engl. V.R. 1883/84; Verwaltung,
Justiz, Rechtsweg 1869; der Rechtsstaat 2. Aufl. 1879.
Bezeichnung als Stück des Verwaltungsrechts einzuführen, sind meist wenig glück-
lich gewesen. Man hat sie als „formelles Verwaltungsrecht“ bezeichnet: Roesler,
V.R. I S. 1; v. Kirchenheim, Einf. in das V.R. S. 130 ff. Das hat ungefähr so
viel Wert, als wenn man etwa die Gerichtsverfassung das formelle Civilprozeſsrecht
nennen wollte. Nach einem ebenso unpassenden Gesichtspunkt soll die Behörden-
ordnung ein „Allgemeiner Teil“, das Verwaltungsrecht der „Besondere Teil“ dazu
sein: Bornhak, Preuſs. St.R. II; v. Kirchenheim, a. a. O. S. 26; v. Stengel,
V.R. S. 67 ff. Die an sich vortreffliche Darstellung, welche E. Meier unter dem
Namen „das Verwaltungsrecht“ in Holtzendorff, Rechtslex. Syst. Teil, gegeben hat,
enthält fast lediglich die Lehre von den Verw.Behörden und namentlich den Verw.
Gerichten, vom Verw.R. selbst nur einige Stücke.
T. 1—7, 1865—1868; zum Teil neu aufgelegt 1869, 1882—1884; Handbuch der
Verw.Lehre und des V.R. 3. Aufl. 1888.
den einzelnen staatswissenschaftlichen „Kategorien“ heraus; jede hat „ihr“ Recht.
Da aber diese Kategorien niemand anders macht als der Theoretiker, so schafft
schlieſslich dieser das Recht (Handb. I S. 244). Glücklicherweise kann man dem
System auch folgen, ohne ihm diese wunderbaren Kräfte zuzuschreiben. Unsere
Juristen benützen es, bildlich zu sprechen, mehr als ein Gestell, an welchem Rechts-
sätze passend aufgehangen werden können. In diesem Sinne hat es groſsen An-
klang gefunden und es ist nicht zu verkennen, daſs dadurch die neueren Bearbeitungen
unseres Gegenstandes im Vergleich mit der älteren Behandlungsweise ungemein
viel an Geschlossenheit und Übersichtlichkeit der Darstellung gewonnen haben.
Auf dem Gebiet des gemeinsamen deutschen Rechts erscheint dieses System am
vollkommensten durchgeführt bei: Loening, Lehrb. d. D.V.R. 1884, G. Meyer,
Lehrb. d. D.V.R. 2. Aufl. 1893, 1894; v. Stengel, Lehrb. d. D.V.R. 1886;
v. Sarwey, Allg. V.R. in Marquardsens Handb. I, 2, 1884 (vgl. jedoch unten Note 8).
Bezüglich des V.R. der Einzelstaaten sind hier zu nennen: Bornhak, Preuſs.
St.R. Bd. III, 1890; Leuthold, Sächs. V.R., 1878; Seydel, Bayr. St.R. Bd. V
und VI, 1891, 1893. — Der herrschenden Richtung giebt Grotefend, Preuſs.
V.R., I S. 64, einen kräftigen Ausdruck, wenn er sagt: „Die Steinschen Werke
sind der Grund- und Eckstein der Wissenschaft des Verwaltungsrechts geworden“.
als zünftig anerkennen. Held, Syst. d. Verf.R., I S. 27 Anm. 1, schreibt noch
1856: bezüglich der Disciplin des Verwaltungsrechtes sei es die Frage, „ob sie
eigenen Wert. Die Verwendung dieses Systems wird immer auch für die Rechts-
wissenschaft sehr nützlich bleiben, namentlich insofern danach vortreffliche Nachschlage-
werke geschaffen werden können; diese Form erfüllt den Zweck vielleicht noch besser
als die bei den Franzosen so beliebte des dictionnaire de l’administration. Aber die
offizielle Herrschaft, zu welcher dieses System heutzutage in der deutschen Ver-
waltungsrechtswissenschaft gelangt ist, kann doch nur ein Durchgangsstadium sein.
Es ist aller Anerkennung wert, daſs man auch mit diesem System und trotz des-
selben so Bedeutendes geleistet hat. Um zu zeigen, wie sehr dadurch die Auf-
gabe erschwert ist, wollen wir nur auf einen Punkt hinweisen. Für die juristische
Wissenschaft giebt es keine bessere Lage, als wenn sie ein festes scharf aus-
geprägtes Rechtsinstitut in der Gesetzgebung unmittelbar gegeben findet. Im
staatswissenschaftlichen System sind solche Rechtsinstitute nur Verlegenheiten. Das
trifft z. B. zu bei der Enteignung. Wo soll man hin mit ihr? Darüber ist sofort
alles ratlos. Loening, V.R. S. 243 Anm. 4, wirft sie ganz aus dem Verwaltungs-
rechte heraus, um sie dem deutschen Privatrechte zuzuschieben. Bei G. Meyer,
V.R. I S. 280 findet sie ein Asyl unter der harmlosen, aber für sie doch wahrlich
ganz unpassenden Rubrik „Die Regelung der Rechtsverhältnisse des Grundbesitzes“.
Bei Seydel, Bayr. St.R. III S. 617 ff., erscheint sie gar unter der Überschrift
„Allgemeine Funktionen der Staatsgewalt“ — im Verfassungsrecht. v. Stengel,
V.R., hat in die Lehre von Verw.Behörden und Verw.Gerichten ein kurzes Kapitel
eingeschoben über „Mittel und Verfahren der Verwaltung“ und als ein solches
Verfahren erscheint dann S. 197 auch die Enteignung. v. Kirchenheim in
Grundriſs zu Vorl. S. 143 sagt statt dessen am Schlusse eines ähnlichen Kapitels:
„Anhang: die Enteignung“. Wenn man bedenkt, wie im Civilrecht die groſsen
Rechtsinstitute einander tragen und erläutern, so ermiſst sich leicht, wie viel hier
verloren geht.
In Erkenntnis dieser Mängel des Systems haben die österreichischen Ju-
risten — bei welchen ja in neuerer Zeit das öffentliche Recht mit besonderem
Eifer und hervorragendem wissenschaftlichen Sinn gepflegt wird — schon öfter den
Ruf erhoben nach einem „Allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts“: Ulbrich,
Öff. Rechte, S. 71; Bernatzik, Rechtskraft, Vorrede S. IV. Aber die Aufgabe
kann nicht sein, nur einen Allgemeinen Teil zu liefern, wie er in den Pandekten
Sinne verweist Laband in Arch. f. öff. R. II S. 157 das Verwaltungsrecht auf den
Ausbau seiner Konglomerate, wofür ihm das Staatsrecht die unter anderm dazu
erforderlichen „staatsrechtlichen Grundsätze“ — also das in den Augen der Rechts-
wissenschaft Wertvolle — liefern werde. Wir wollen nichts thun, als diese staats-
rechtlichen Grundsätze selbständig bearbeiten; denn der alte Lieferant hat
sie doch nie anders als sehr nebenher behandelt und das genügt auf die Dauer
nicht mehr.
kommt es an. Eine derartige Behandlung des deutschen Verwaltungsrechts hat
zuerst F. F. Mayer zu geben gesucht in seinem trefflichen Buche: Grundsätze
des Verwaltungsrechts mit besonderer Rücksicht auf gemeinsames deutsches Recht,
1862. Unter den neueren Arbeiten wird in erster Linie zu erwähnen sein
v. Sarwey, A.V.R. S. 119 ff., wo unter dem Namen „Verwaltungsrecht im engeren
Sinne“, unabhängig von der Verwaltungslehre, die reinen Rechtsinstitute des Ver-
waltungsrechts umfassend zur Darstellung gebracht werden.
S. 726 ff.
Ziff. 4 und 5.
zählungs- und Zerlegungskunst; vgl. auch den conspectus p. XXVII und XXVIII.
Goenner, St.R. § 275, begnügt sich bei seiner „Klassifikation der Hoheitsrechte“
mit 11 Arten. Nachdem unter dem Einflusse des Naturrechts die Hoheitsrechte
vervollständigt und zu einer gewissen Gleichmäſsigkeit gebracht worden waren,
traten die ursprünglichen Erwerbstitel zurück; alle Hoheitsrechte werden jetzt dem
Naturrecht zugeschrieben: Hufeland, Natur-R. § 460, 461, 468; Häberlin,
St.R. § 215.
fälligen Hoheitsrechte selbst zulegen“. Ein bezeichnender Ausdruck! Ähnlich
Häberlin, St.R. II S. 139. Daneben bleibt immer noch die Möglichkeit einer
Beschränkung oder Erweiterung der Landeshoheit durch Reichsschlüsse; Pütter,
Beitr. I S. 299.
Reichs-Konstitutionen nicht widersprechende Ordnungen“ der Stände in Polizei-,
Zunft- und Handwerkssachen anzuerkennen. Da war also doch noch eine Nach-
Beitr. I S. 357; v. Cramer, Wetzl. Nebenst. VII S. 85, IC S. 93; C S. 92. Der
Letztere äuſsert daselbst VI S. 2 noch etwas zurückhaltend: „Wenn man
ein jus territoriale arbitrarium statuiert, so steht es freilich im arbitrio eines
Landesherrn, das Abzugsgeld noviter einzuführen. Es hat aber sothanes jus terri-
toriale Freuer in einer besonderen Abhandlung als ein monstrum dargestellt.“
v. Cramer, Wetzl. Nebenst. XIII S. 1 ff. giebt: Der Bischof von Speier will in
Bruchsal ein Zuchthaus bauen; dafür verlangt er die Abtretung eines Grundstückes;
die Klage des Eigentümers wird abgewiesen: es ist principium, daſs ein Landes-
herr alles dasjenige unternehmen könne, was zum gemeinen Besten und Wohlfahrt
des Landes gereichet; Zuchthäuser sind sehr nützlich; „also muſste man dem
Herrn Fürsten auch die Befugnis einräumen, den Platz selbst zu wählen und
ein Zuchthaus darauf zu bauen“.
Handlung (ist) wider den Zweck, warum die Staatsverwaltung den Regenten an-
vertraut worden, also unerlaubt und rechtswidrig.“ v. Cramer, Wetzl. Nebenst. I
S. 88 ff.; Pütter, Beitr. I S. 320, S. 354.
obs. DII klagt aber: „multiplicare solent collegia .. causas politiae, ut liberiorem
aliquid audendi potestatem adipiscantur“. Das kennzeichnet die führende Stellung
des jus politiae gegenüber den anderen Hoheitsrechten. v. Cramer, Wetzl. Nebenst.
VII S. 81, bekennt schlieſslich: „Was ad politiam .. gerechnet werden kann, davon
ist dem summe imperanti das plenum arbitrium überlassen, dergestalt, daſs kein
subditus hierbei sich eines begründeten juris contradicendi anmaſsen kann.“
modus ist juris“; ein praktisches Beispiel daselbst S. 104. v. Berg, Pol. R. I
S. 161: der Bischof von Speier hat ein Ehepaar polizeilich auf den Schub bringen
lassen, wobei es schlecht behandelt wurde. Er wird vom R.K.G. wegen höchst
„illegaler Transportierung“ zu Schadensersatz und Geldstrafe verurteilt; das Ver-
fahren sei ein „unanständiger Miſsbrauch“. Andere Fälle bei Struben, Rechtl.
Bed. V (J.S.) S. 56 ff. (unförmlicher Vollzug einer fiskalischen Strafe), Pfeiffer,
Prakt. Ausf. III S. 425 (eine Landesverweisung der hannöverischen Regierung wird
aufgehoben, weil keine Gründe angegeben sind).
quod speciali titulo acquiritur, non ex sola libertate naturali obtinet“. Vgl. auch
Struben, Rechtl. Bed. V (JS.) S. 93 und 94; Wippermann, Beitr. z.
St.R. § 8.
hoheit, „daſs sie nur zur gemeinen Wohlfahrt stattfindet“ (vgl. oben Note 11), so-
dann S. 351: „von der Bestimmung, daſs einem jeden sein wohlerworbenes eigen-
tümliches Recht zu lassen ist“. — Das wohlerworbene Recht ist eine Schranke für
die Gesetzgebung des Landesherrn ebensowohl wie für seine Einzelverfügungen;
verspäteter Nachzügler dieses Begriffes ist der „specielle Rechtstitel“ des Preuſs.
Ges. v. 11. Mai 1842 § 2; Oppenhoff, Ress.Verh. S. 350 n. 68.
höchsten Staatswillens, sondern Ausübung eines Hoheitsrechts, wie die andern. Da-
durch ergiebt sich die Folgerung von selbst. Sie wird aber auch ausdrücklich
gezogen: Moser, Landeshoh. in Reg. S. S. 307; Leist, St.R. S. 290; Struben,
Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 37 ff. Bei Goenner, St.R. S. 471 Anm. 5 tritt aller-
dings eine Unterscheidung hervor: „Nicht gegen allgemeine Normen (Gesetze),
sondern gegen einzelne Befehle können beteiligte Individuen ein jus quaesitum be-
haupten“. Das ist 1808 geschrieben. Es ist noch nicht der neue staatsrechtliche
Gesetzesbegriff; aber er klingt schon darin an.
den Landesherrn selbst erworbene Rechte, insbesondere aus Verträgen mit dem-
selben, als Schranken der Hoheitsrechte anerkennen zu wollen. Daſs jedes, gegen-
über wem immer erworbene Recht genügt, ist jedoch zweifellos herrschende An-
sicht: v. Berg, Pol. R. I S. 166; Pütter, Beitr. I n. 20; Häberlin, St.R. II
S. 489; Leist, St.R. § 86; Kreittmayr, St.R. § 32, § 35 in f.; Neurath, De
cognitione et potestate judiciaria in causis quae politiae nomine veniunt § 4.
verletzlich sein sollen, das pflegt nicht begründet zu werden. Auf allen Ent-
wicklungsstufen treten immer gerade die grundlegenden Sätze des öffentlichen
Rechts als Axiome auf. Hier heiſst es einfach „fas est“ (Pütter, Inst. § 119).
Angedeutet ist die obige Begründung in Pütter, Beitr. I S. 362, wo es als „goldne
Regel“ für alle Regenten und Obrigkeiten eingeschärft wird, „daſs selbst die höchste
Gewalt nicht berechtigt ist, jemandem sein Eigentum oder wohlerworbenes Recht
zu nehmen, als dessen Erhaltung und Sicherheit eine der ersten Triebfedern ist,
welche Menschen aus ihrer natürlichen Freiheit in bürgerliche Gesellschaften sich
zu begeben bewogen hat.“
heutzutage ganz dieselben Dinge auf Grund gesetzlicher Bestimmungen, welche sie
ordentlicherweise vorsehen. — Eine Kollision liegt schon vor, wenn die publica
utilitas in Frage ist: Hugo Grotius, J. B. et P. III Cap. XX § 7; Pütter,
Beitr. I S. 358. Wenn der Letztere ebenda S. 356 sogar die Steuerauflage als
Eingriff in jura quaesita vermöge des dom. em. behandelt, so hängt das an äuſser-
lichen Gründen seiner systematischen Einteilung; in diesen Dingen ist Pütter un-
erbittlich. — In dem oben Note 10 angeführten Fall wird eine Enteignung zunächst
ganz aus dem gewöhnlichen jus politiae begründet, dann aber allerdings doch noch
das jus eminens ausdrücklich angerufen; es soll eben aus polizeilichen Gründen
ein wohlerworbenes Recht entzogen werden. Das jus eminens hat dann das
Besondere, daſs seine Geltendmachung einen Anspruch auf Entschädigung be-
gründet; Pütter, Beitr. I S. 357, erklärt das aus der lex Rhodia de jactu.
Bayer, Gem. C.Pr. II § 309 B.
St.R. § 84.
I S. 119, III S. 1, VII S. 84, S. 94, XXXV S. 143; Schnaubert, Anfangsgründe
des St.R. S. 130; Häberlin, St.R. S. 457 Note 4.
und in R.H.R.O. v. 1654 tit. 2 § 2. Gneist, Rechtsstaat S. 83, scheint die Extra-
judizialappellation mit der querela zusammenzuwerfen. Loening, V.R. S. 773, ist der
Meinung, die Bestimmung von 1594 habe die Extrajudizialappellation für „auſser-
gerichtliche Handlungen“ der Obrigkeit gänzlich aufgehoben, so daſs fortan gegen
die Verletzung bei Ausübung von Hoheitsrechten den Unterthanen nur noch die
förmliche Klage zustand. Der R.A. hebt aber nichts auf, sondern schärft nur ein,
was ohnehin gelten muſste. Die Extrajudizialappellation hat, wie aus Cramer zu
ersehen, unbestritten fortbestanden.
und 7. Moser, Teutsche Justizverfassung I S. 1090 ff.; daselbst wird auch eine
Denkschrift erwähnt (von 1750), in welcher ein Stand auszuführen sucht, daſs das
Kammergericht nicht befugt sei, über Regalien und deren rechtmäſsigen Gebrauch
zu sprechen, — ein Vorbote des kommenden Rechts!
lation Jos. II T. 2 S. 163 Anm. 2, S. 165 Anm. 1. Der Landesherr erscheint deshalb
nicht leicht als Kläger vor dem Reichsgericht; er hat es nicht nötig. Ausnahms-
weise sucht ein minder mächtiger Fürst den Schutz des Reichsgerichts gegen seine
störrischen Unterthanen, namentlich etwa ein mandatum de manutenendo zur Ver-
stärkung seiner Selbsthülfe, wo ihm dann ein stärkerer Nachbar zur Hülfeleistung
beigegeben wird; Pütter, Beitr. I, 18 § 2 und 3. Doch kommen auch sonst wenigstens
Widerklagen häufig vor. Beispiele geben bei Cramer die endlosen Prozesse des
Grafen Crichingen mit seinen Bauern; Wetzl. Nebenst. IIC S. 129 ff., IC S. 93, IC
S. 99, IC S. 104, C S. 67 ff., C S. 92 ff.
register auf.
Titel „Bedenkliche Exekutionen“.
land, das einzige Land der Welt, wo man gegen seine Herrscher, ihrer Würde un-
beschadet, im Wege Rechtens bei einem fremden, nicht ihrem eignen Tribunal
auf kommen kann“. Und gegenüber einem häufig gebrauchten Spottwort meint
Häberlin, St.R. II S. 647: „Ein Glück, daſs wir in Teutschland Revolutions-
prozesse führen können“. Das ist nach ihm ein Sicherheitsventil.
Friedrichs des Groſsen. Seine hier einschlagenden Werke: Jus naturae (9 Bde.
1740—1748) und: Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen
und insonderheit dem gemeinen Wesen zur Beförderung der Glückseligkeit des
menschlichen Geschlechts (4. Aufl. 1736) sind mit ihrer ganzen Süſslichkeit von
der Art des Preuſsischen Staatswesens weit genug entfernt. Der wahre Prophet
der neuen Verwaltung, namentlich der preuſsischen, ist Justi, Grundsätze der
Polizeiwissenschaft, 1756, wo schon in der Vorrede ein bewuſster Gegensatz zu
Wolffs Verflachungen betont wird.
ist der erste Diener des Staates“ (Friedrich der Groſse) sind in diesem Sinne ju-
ristisch gleichwertig.
verwaltung seiner Residenzstadt Potsdam genommen hat. Preuſs, Urkundenbuch
den Zusammenhang zwischen dem Aufhören der kaiserlichen Autorität und dem
Verschwinden der Grenzen der Hoheitsrechte hat Zimmermann, Deutsch. Pol.
im 19. Jhrh. I S. 197, gut hervorgehoben. — Der Mangel aller Rechtsformen setzt
die Rechtspflege noch heute manchmal in Verlegenheit, wie ein königlicher
Willensakt aus jener Zeit zu beurteilen sei. C.C.H. 8. April 1854 hatte folgenden
Fall zu entscheiden: Eine Kirchengemeinde klagt gegen Fiskus auf ihr Eigentum
an einem ehemaligen Kirchhofsgrundstücke, das 1763 zum Kasernenbau verwendet
worden war. Wie war das zugegangen? Ein Oberbaubeamter hatte damals dem
Kirchenvorstand geschrieben: daſs er von S.M. dem König Befehl habe, für Aller-
höchst dero Artillerie dort eine Kaserne zu bauen. Dann war der Bau vorgenommen
worden. Der Gerichtshof entschlieſst sich anzunehmen, es habe damals eine Ex-
propriation stattgefunden. Mit einer ebenso schwer zu beurteilenden Kabinetsordre
aus späterer Zeit hat O.Tr. 7. Juli 1868 (Str. 71 S. 295) zu thun. — Bei dieser
Gelegenheit mag man sich der schönen Erzählung vom Müller von Sanssouci er-
innern, zu deren Andenken die Ruinen der Mühle noch stehen geblieben sind, und
des geflügelten Wortes, das sich daran knüpfte: il y a des juges à Berlin. Der
König drohte, ihm seine Mühle wegzunehmen, wenn er sie ihm nicht freiwillig
verkaufte, der Müller aber erwiderte zuversichtlich: „Ja, wenn das Kammergericht
in Berlin nicht wäre“. Da wich der König zurück, — offenbar gerührt von der
kindlichen Einfalt des Müllers, der da glaubte, mit einer Klage beim Kammer-
gericht gegen einen solchen Eingriff des Königs etwas ausrichten zu können.
ordres, die gerade wegen der Geringfügigkett ihrer Gegenstände, des wahllosen
Herausgreifens und des Wechsels in der Behandlung den Wert rechtsgeschicht-
licher Denkmäler haben. Wir finden z. B. Bd. IV S. 271: „S. K. M. von Pr. etc.
haben höchst miſsfällig in Erfahrung gebracht, daſs der hiesige Gastwirt Plöger
samt seinen Leuten bereits seit geraumer Zeit eine sehr schlechte und liederliche
Wirtschaft führt“, Magistrat soll ihn „sogleich vorkriegen“ und ihm eröffnen,
wenn er nicht sofort eine ordentliche Wirtschaft führe, „würden S. K. M. den
Plöger samt seinen Leuten nach Spandau schicken und sein Haus an dessen Kreditor
weggeben“. Vgl. auch die Fälle ebenda S. 276 (Hausanstrich), S. 303 (miſs-
fallende Schaustellung), S. 273, 277, 296, 297 (Meisteraufnahmen).
brechung aller Zuständigkeiten durch unmittelbare fürstliche Anordnungen oben
Note 3. Gegen das Ende der Periode werden solche Eingriffe seltener; das
Beamtentum sieht darin „Einmischungen“ in die ihm zustehende unmittelbare Ge-
schäftsbesorgung, die zugleich „gewissermaſsen ein Recht der Unterthanen“ sein
soll. Vgl. darüber Zimmermann, Deutsch. Pol. I S. 142.
beamter darf als ein kleiner Regent in seinem Bezirke betrachtet werden“. Ähn-
lich Schmoller in Ztschft. f. Preuſs. Gesch. 1874 S. 564: „Die Steuerräte waren
im Kleinen, was der König im Groſsen war“. Über die Allgemeinheit der Amts-
aufträge: v. Kreittmayr, Anm. z. Cod. Max. V S. 1731; Leist, St.R. § 101
(die Formel ist wie für die Bestimmung des Umfangs der obersten Gewalt, daſs
sie berechtigt sein müssen zu allem, was sie zur Erfüllung ihrer Amtspflichten
nötig haben können; oben S. 26); ebenso Goenner, Staatsdienst S. 219; Pfeiffer,
Prakt. Ausf. III S. 304, 306.
sprüche unter Friedrich d. Gr. genommen hat, giebt Stölzel, Fünfzehn Vorträge
aus d. Brandenb. Preuſs. Rechts- und Staatsgesch. S. 157 ff.
Befehle, Verordnungen, Gebote und Verbote, welche entweder alle Landesunter-
thanen oder doch eine ganze gewisse Gattung derselbigen verbinden“. Das ist
die feststehende Begriffsabgrenzung bis herab zur Neuzeit: Bodinus, De republ.
ed. VII S. 466; Christ. Wolff, Jus nat. VIII § 965; Pütter, Inst. jur. publ.
§ 221; Dankelmann in seinen Einwendungen gegen die Preuſs. Civilrechts-
kodifikation bei Stölzel, Svarez S. 378; ausführlich zuletzt noch Häberlin,
St.R. II § 221.
gierungssachen ist es zulässig, „auch wenn eine bestimmte Norm vorhanden ist,
auf die individuelle Lage der Dinge Rücksicht zu nehmen und was dem gemeinen
Wohle angemessen ist zu verfügen, wenn es auch eine Abweichung von den in
einer Rechtsnorm aufgestellten Regeln enthält … (diese Gesetze) sind eigentlich
nur Regeln für die vollziehenden Behörden des Staates, welche bestimmen, wie
weit diesen eine selbständige Verfügung zusteht“. Diese unteren Behörden sind
natürlich gehalten, die von ihren Oberen erlassenen Befehle nicht mit selbständigen
Verfügungen zu durchkreuzen; für die Unterthanen aber sind diese uneigentlichen
Gesetze nichts festes. Die Sache hat einige Ähnlichkeit mit Jherings „einseitig
verbindender Norm“ (Zweck im R. S. 333, 338, 340). Funke, Die Verw. in ihrem
Verh. z. Just. (1840), kennzeichnet deshalb geradezu den Gegensatz zwischen Privat-
recht und öffentlichem Rechte dahin, daſs es nur auf dem Gebiete des ersteren
„Rechtsgesetze“ giebt (S. 40). Noch klarer die scharfsinnige Schrift eines Un-
in Ztschft. f. Preuſs. Gesch. 1874 S. 564. — Wo Veröffentlichung einer Instruktion
angeordnet wird, pflegt der Zweck angegeben zu werden: „zur Beruhigung“, „damit
sich ein jeder danach zu richten und vor Schaden zu hüten habe“ (Preuſs, Ur-
kundenbuch IV S. 18, S. 28).
es bloſs auf dem Gebiete des Privatrechts (S. 36); die Gesetze, welche für Finanz-,
Polizei-, Militärsachen ergehen, sind solche, „welche nicht als Rechtsgesetze be-
handelt werden können, sondern als politische sich darstellen“ (S. 39); sie werden
auch als „politische Normen“ bezeichnet (S. 46); der Kern ihres Unterschiedes
von den Rechtsgesetzen liegt in dem Satze: „es ist der Staatsbürger in Bezug auf
diese Gesetze und deren Wirkungen als Person gar nicht vorhanden“; seine An-
sprüche aus diesen Gesetzen „können als Rechte der Einzelnen nicht betrachtet
werden“ (S. 37), der Unterthan ist also hier nur Objekt. — A.L.R. Einl. § 7 meint
als Gegenstand des Gesetzes nur Privat-, Straf- und Prozeſsrecht: Bornhak
Preuſs. St.R. I S. 484. A.L.R. II 13 § 6: „Das Recht, Gesetze und allgemeine
Polizeiverordnungen zu geben, ist ein Majestätsrecht“; dazu A.L.R. II, 20
§ 150. Warum ist das zweierlei? Der Grund, den Bornhak a. a. O. I S. 437 an-
giebt: daſs die Polizeiverordnungen nicht publiziert zu werden brauchten, um wirksam
zu sein, trifft ja doch in Wirklichkeit nicht zu. Aber sie sind offenbar ihrer Natur
nach nicht als echte Gesetze, als Rechtsgesetze angesehen. — Wie wichtig übrigens
diese Unterscheidung von Gesetz und allgemeiner Polizei- oder Finanzverordnung
für die Auslegung älterer Bestimmungen werden kann, zeigt Foerstemann,
Pol. R. S, 92, 145, 148, an mehreren Beispielen.
nur mittelbar auch nach auſsen wirken, sofern dadurch die Verwaltung den Unter-
thanen gegenüber thatsächlich eine gewisse Stätigkeit und Gleichmäſsigkeit erhält.
Dazu stimmt aber nicht seine Bemerkung: „Insofern bilden die Instruktionen einen
Teil der bestehenden Rechtsordnung in jedem Staat“. Schmoller in Ztschft. f.
Preuſs. Gesch. 1874 S. 511 ff. läſst gar das neue Recht entstehen durch die Thätig-
keit der Steuerräte in Instruktionen und Befehlen und spricht S. 552 von einer
„Ausbildung des Verwaltungsrechts durch Edikte, städtische Reglements und ein-
zelne (!) Befehle“. Auch Gneist, Rechtsstaat, findet hier ein „jus extraordina-
rium“, ein „von den Obrigkeiten gesetztes Recht“ (S. 149), einen „zuverlässigen
Rechtsorganismus“ (S. 153), obwohl es sich dabei nicht handelt „um gleichmäſsige
Anwendung einer Rechtsregel, sondern um Handhabung von Zwangsgewalten nach
den Gesichtspunkten des Zweckes“ (S. 150). Nun haben wir aber ganz die nämliche
Instruktion, die mit der Kraft der Dienstgewalt Ordnung und Gleichmaſs in die
Verwaltung bringt, heute noch. Wir wissen, daſs sie kein Recht schafft; das
schafft im Gegensatz zu ihr das Gesetz. Sollen wir das, was sie zu Anfang des
Jahrhunderts geschaffen hat, als Recht bezeichnen, bloſs deshalb, weil es damals
noch nichts besseres, kein wirkliches Recht daneben gab?
Berichterstatter Dr. Friedenthal in seinem auch sonst hervorragenden Vortrage das
Bild des Polizeistaates mit kurzen Worten gezeichnet: „Das Privatrecht bleibt ge-
heiligt, es werden für das Privatrecht Garantien geschaffen .. die Justiz soll un-
abhängig sein. Die Justiz geht ihren eigenen Weg, die Verwaltung ebenfalls. Das
öffentliche Recht erkennt man in dieser Phase gar nicht als Recht an, sondern es
gilt nur als precarium, der Staat ist der absolute Herr aller öffentlichen Angelegen-
heiten“ (v. Brauchitsch, Mat. z. Kr.Ord. II S. 650). Daher auch der tiefe Gegen-
satz zwischen Justiz- und Administrationssachen, dessen richtige Formulierung
unsere ältere Litteratur so viel beschäftigt. Das ist für die damalige Zeit nicht
einfach eine Frage der Zuständigkeitsverteilung. Sondern es hängt davon ab, ob
die Sache nach rechtlichen Grundsätzen behandelt werden soll oder nach Zweck-
mäſsigkeitsrücksichten allein (Oppenhoff, Ressortverh. S. 16).
S. 153; Häberlin, St.R. II S. 460 ff.
Äuſserungen Friedrich Wilhelms I. gegen Richter, die das in „gott-, pflicht-ver-
gessener und gewissenloser Weise“ thun möchten. Pfeiffer, Prakt. Ausf.
III S. 207.
Mommsen, Abriſs des röm. St.R. S. 279.
liche Kasse, darein die Gefälle flieſsen, welche der Regent nicht von seinen
Kammer- oder eigentümlichen Gütern, sondern von denen Unterthanen oder auch
der ihnen, nicht als Eigentümern, sondern als Landesherren unterworfenen Erde
oder Wasser, oder auch von Fremden ziehet“. Eine Kasse, zu deren Gunsten
waltung wiederholt sich mannigfach in kleineren Kreisen unterhalb der Staats-
gewalt. Das Genauere über diese Entwicklung in der Lehre von den jurist. Per-
sonen des öff. R. — Über den Fiskus als den Vertreter des Königs und der Be-
hörden in civilrechtlichen Verhältnissen: Preuſs. Kab.Ord. 4. Dez. 1831; Oppen-
hoff, Ress.Verh. S. 39; Koch, Komment. zum A.L.R. II S. 404; Braunschw.
Landschaftsordnung § 198. Diese Vertretung bedeutet wesentlich eine civilrecht-
liche Haftung. Der Fiskus seinerseits wird wieder von den Behörden vertreten, in
dem Sinne, daſs sie der juristischen Person vorstehen. Der Doppelsinn des Wortes
läſst die Sache oft wie eine gegenseitige Vertretung erscheinen. So z. B. bei Koch
a. a. O. S. 404 und S. 405.
dadurch eben kommt es, daſs „causae fiscales a causis principum privatis et propriis
differiren“. Häberlin, St.R. II S. 238 ff., giebt die Geschichte. „In älteren
Zeiten glaubte man, daſs nur der Kaiser einen fiscus haben könne“ (S. 240). Es
handelt sich eben immer nur um die „Rechte des fiscus“. Ebenso Klüber,
Öff. R. S. 700 ff., wo das jus fisci gar als ein besonderes Hoheitsrecht erscheint.
Zöpfl, St.R. II § 458 II bezeichnet den fiscus als „eine Behörde, welche die
Rechte des Staates als Staatskasse ausübt“. Die Ausdrucksweise wird allerdings
immer seltsamer.
I S. 170 (§ 60): „Der Staat tritt in zweifacher Hinsicht als juristische Person auf,
als Staatsgesellschaft zur Verwirklichung des Staatszweckes (Majestäts- und Hoheits-
rechte) und als Erwerbsgesellschaft zur Herbeischaffung der Mittel zu diesem Zwecke.
Beide Gesellschaften sind von einander wohl zu unterscheiden.“ Die letztere ist
der Fiskus.
Rheinprovinzen (1842), I S. 174: Da der souveränen Staatsgewalt gegenüber die
Staatsglieder schutzlos sind, so „hat man zu einer glücklichen Fiktion seine Zu-
flucht genommen. Man hat den Begriff des Fiskus als einer moralischen Person
geschaffen, die den Beruf hat, die Mittel zu den Staatszwecken zu verschaffen und
zu verwalten. Diese moralische Person wird durch Behörden in verschiedenen Ab-
stufungen vertreten. Sie ist nicht selbst souverän, sondern steht unter den
Gesetzen des Staates, wie jede andere physische oder moralische Person,
hat daher überall sich nach den bestehenden Gesetzen zu richten“. Die Fiskuslehre
in ihrer ganzen Schroffheit erscheint hier mit dem Bewuſstsein ihres praktischen Zieles.
Diese Anschauungsweise klingt auch aus der neueren Rechtsprechung dazwischen noch
heraus. O.Tr. 27. Mai 1862 (Str. 46 S. 109): „nicht der Fiskus, sondern der
Staat der richtige Beklagte“; O.Tr. 14. Juli 1865 (Str. 60 S. 111): „Vorderrichter
verwechselt den Fiskus mit dem Gesetzgeber, wenn er sagt, Kläger (Fiskus) habe
später vermöge seines Hoheitsrechts die Zollfreiheit der Verklagten aufgehoben;
der Vertrag ist vom Fiskus abgeschlossen, das Zollgesetz ist aber nicht vom Fiskus,
sondern vom Gesetzgeber erlassen“. Ähnl. Bl. f. adm. Pr. 1880 S. 229. Noch
O.Tr. 5. Januar 1877 (Str. 99 S. 132) läſst es dahingestellt, ob es richtiger ist, „im
Staate eine zwiefache Persönlichkeit anzunehmen oder nur eine Persönlichkeit in
privatrechtlichen und staatshoheitsrechtlichen Beziehungen“.
um eine „reine Geldfrage“ und dann hat man es mit dem Fiskus zu thun: C.C.H.
11. Dez. 1852, 4. April 1855 (Kosmann, Erkenntnisse II S. 141, S. 249), 10. Okt.
1863 (J.M.Bl. 1863 S. 290). Die polizeistaatliche Regel, daſs nur im Falle des
daſs man zum Teil selbst heute noch nicht von ihr lassen will; vgl. unten § 11
Note 2.
Schritt und Tritt noch begegnen. Da man gegen den Staat selbst nichts
ausrichtet und der Fiskus nicht mehr thun kann als zahlen, so läuft alle Garantie
der bürgerlichen Freiheit im Polizeistaate auf den Satz hinaus: dulde und liqui-
diere. Klüber in Arch. f. d. neueste Gesetzgebung Bd. I S. 261 entwickelt das
mit einer gewissen Befriedigung. „Die Landeshoheit darf nicht anders als nach
Rechtsgesetzen geübt werden“ (S. 287) d. h. der Sonverän kann alles, „aber nur
nicht ohne Entschädigung“; wenn der Fiskus für den Eingriff jedesmal entschädigen
muſs, so hat man nach Rechtsgesetzen regiert (S. 292); dagegen heiſst „die Staats-
gewalt nach Willkür ausüben“ nichts anderes als „durch Ausübung derselben Rechte
des Privateigentums ohne vollständige Schadloshaltung wesentlich verändern“. —
Bornhak, Preuſs. St.R. II S. 464, hat diese Rechtsordnung des Polizeistaats
etwas derb, aber nicht unzutreffend gekennzeichnet, wenn er spricht von der
„Tendenz der preuſsischen Gerichte, den Fiskus als Privatrechtssubjekt zum all-
gemeinen Prügeljungen für den Staat zu machen“.
Justiz. Das Ober-App.G. zu Kassel betrachtet sich als Rechtsnachfolger der Reichs-
gerichte für Klagen gegen den Landesherrn „ohne Unterschied der in dem Fürsten
vereinigten juristischen Personen als Inhaber der Hoheitsrechte, als Vertreter des
Fiskus“. Es hält fest an dem alten Satze: „daſs aus jeder Regierungssache eine
Justizsache werden kann“, sofern die Regierung dabei über „wohlerworbene Rechte“
hinwegschreiten will. Bis zum Jahre 1817 nimmt es gegen solche Regierungsakte
Extrajudizialappellationen an, prüft überhaupt die Einhaltung der Schranken der
landesherrlichen Hoheitsrechte, selbst wenn es sich um ein vom Landesherrn er-
lassenes Gesetz handelt. Pfeiffer, Prakt. Ausf. I S. 254, 258; III S. 441 ff.;
Titel: Die Hoheitsrechte in den deutschen Bundesstaaten. Diese bilden denn mit
den Begriffen des neuzeitlichen Staatsrechts die künstlichsten Verschlingungen
(S. 1, 67, 81). Gerber, Grundlinien Seite 67 Note, hat dem Begriff der Hoheits-
rechte ein für allemal sein Urteil gesprochen. Den alten Namen mag man ja
immer noch zu allerhand Einteilungen verwenden; so Gareis, Allg. St.R. S. 25 ff.;
die Sache ist nicht mehr dahinter.
neuen verfassungsstaatlichen Theorien: das Gesetz selbst wird nicht mehr nach-
geprüft auf seine Zulässigkeit, aber jede sonstige Maſsregel der Regierung auf ihre
Gesetzmäſsigkeit. Pfeiffer, Prakt. Ausf. I S. 258, III S. 561. Die Einführung
der Verfassung von 1831 muſste die darin liegende Machtstellung des Gerichts
noch verstärken; gegen diese richtete sich denn auch vor allem der Staatsstreich
des Kurfürsten im Jahre 1851. — Rechtselemente aus der Zeit der landesherrlichen
Hoheitsrechte sind also hier erhalten geblieben, um unmittelbar in den Gedanken-
kreis des Rechts- und Verfassungsstaates einzumünden. Das ist jedenfalls rechts-
geschichtlich merkwürdig genug; aber es war doch sehr einseitig, wenn man ver-
sucht hat, daraus ein Vorbild und Musterrecht zu machen. Der groſse Gang unserer
Rechtsentwicklung, von dem auch dieses stille Seitengebiet nicht unberührt blieb,
führt durch den echten und scharf geprägten Polizeistaat hindurch.
liches, sondern eine geschichtliche Errungenschaft. Bornhak, Preuſs. St.R. II
S. 463, empfindet darin einen unlöslichen Widerspruch mit der reinen Staatsidee;
es handele sich, meint er, immer um „öffentlich-rechtliche Akte, die nur vermöge
einer vom Staate ausgesprochenen Rechtsfiktion nach den Normen des Privatrechts
behandelt werden“. Was aber nach dem Willen des Staates als privatrechtlich
behandelt werden soll, ist für uns privatrechtlich.
soummission à l’autorité de la loi: der Richter allein ist an das Gesetz gebunden,
ist aber auch „adorateur de la loi“. Lucay, secrét. d’ Etat S. 395 Note 2: die
Einregistrierung der kgl. Verord. bedeutet, „que nos rois aient voulu réduire leur
volonté sous la civilité de la loi“.
einzuregistrieren: Hanotaux, origines des intendants S. 129; dazu Lucay,
secrét. d’Etat S. 132.
étaient hors la loi, hors la loi c’est à dire (puisque la puissance royale les
protégeait) au dessus de la loi.“ Trolley, hierarchie adm. I n. 18: les ordon-
nances réglementaires et de police n’étaient pas comme les lois soumises à l’enregistre-
ment. Wir haben gesehen, daſs auch in Preuſsen königliche Verordnungen dieser
Art nicht als Gesetze angesehen wurden (oben § 4 Note 9). In Frankreich hat das
seinen besonderen formellen Grund. Sie werden nicht einregistiert, deshalb sind
sie keine Gesetze.
régi par des lois“. — 1. III cap. I: „Qu’est-ce donc le gouvernement? Un corps
intermédiaire chargé de l’exécution des lois“. cap. X: „le cas de la dissolution de
l’état peut arriver … quand le prince n’administre plus l’état selon les lois;
… le despote est celui qui se met au dessus des lois“. Diese Sätze sind geradezu
auf die französische Verwaltung gemünzt, nur daſs noch der Grundsatz der Volks-
souveränetät hinzukommt, wonach auch la loi selbst künftig anders zu stande
kommen soll, als bisher.
den Landgemeinden, der garde champêtre, trägt auf seiner Armbinde die Inschrift
„la loi“; auf den Ruf „force à la loi“ sollen alle guten Bürger auf die Straſse eilen
und den Aufstand unterdrücken; die Aufforderung an die Zusammengerotteten be-
ginnt mit den Worten „obéissance à la loi“; das gefürchtete „au nom de la loi“
öffnet alle Thüren. Unter den volkstümlichsten Theaterstücken der ersten Revo-
lutionszeit ist eins: „l’ami des lois“, in welchem der Held einen wahren Fanatismus
im Gehorsam gegen das Gesetz im allgemeinen an den Tag legt und sich zum
Sklaven desselben bekennt.
I n. 15.
lamente hatten sich gerade in der letzten Zeit vor der Revolution als Hindernisse
für jede Verbesserung bewährt. Der neue Staat übernahm sorgfältig die Mittel,
welche sich das ancien régime bereitet hatte, um seine Verwaltung gegen die Über-
griffe der Gerichte unabhängig zu stellen; Toqueville, l’ancien régime et la
révolution cap. IV.
erschienen, kennen noch keinen acte administratif. Denisart, collection de dé-
cisions nouvelles (1771) I S. 45, und Guyot, répertoire (1784) I S. 137, geben dem
Wort acte nur eine Bedeutung für Justiz und Civilrecht. In ihren breiten Aus-
einandersetzungen über diesen Begriff kommt der acte administratif nicht vor.
Beweiskräftig ist namentlich das berühmte Repertorium von Merlin. Es ist
entstanden aus dem eben erwähnten Werke von Guyot. Dasselbe wurde von der
dritten Auflage ab von Merlin unter seinem Namen herausgegeben und mit den-
jenigen Zusätzen versehen, welche das neue Recht erforderte. In der Auflage von
1812 erscheint denn auch zum erstenmale ein Artikel: acte administratif, als eigener
Zusatz von Merlin gekennzeichnet. Chauveau, compétence et juridiction ad-
ministrative (1841) I N. 406 „depuis un demi-siècle que le pouvoir administratif
et judiciaire ont été séparés .. dans les lois, dans les arrêts, dans les arrêts que
de fois les mots acte administratif ont ils été employés etc.“ Dalloz, répertoire Vo
acte administratif n. 2: bemerkt: im ältern Rechte hätte es kein Interesse gehabt,
„à rechercher les caractères des actes administratifs“. Es gab einfach solche
caractères noch nicht.
1810 diesen Vergleich zwischen Urteil und Verwaltungsakt durch.
daſs der Polizeistaat auch mit einer konstitutionellen Verfassung sich sehr gut
vertragen kann“. Ehenso v. Sarwey, Allg. V.R. S. 83. Nach Gneist (Verwaltung,
Justiz, Rechtsweg S. 189 u. sonst) wäre sogar erst nach Einführung der Verfassung
durch die „konstitutionelle Parteiregierung“ der bisherige „Rechtsstaat“ zerstört
worden. Beides, die konstitutionelle Parteiregierung (in Preuſsen!), wie der bisherige
Rechtsstaat, ist aber nicht wahr.
staat S. 161; v. Stein, V.Lehre (1869) I S. 294; Schulze, Preuſs. St.R. I S. 358;
Gareis, Allg. St.R. S. 140; Seydel, Bayr. St.R. I S. 615.
anerkannt: Bähr, Rechtsstaat S. 1; Gneist, Rechtsstaat S. 16; Gumplowicz,
Rechtsstaat und Socialismus S. 13. — Gierke in Ztschft. f. Stsw. Bd. 30 S. 13:
„Rechtsstaat ist ein Staat, welcher sich nicht über, sondern in das Recht stellt“.
Bayr. St.R. III S. 615; Laband, St.R. I S. 684; Gareis, Allg. St.R. S. 140;
v. Kirchenheim, Einf. S. 18: Jellinek, Ges. und Verord. S. 216, 242;
v. Sarwey, Allg. V.R. S. 17. Etwas unklar: Maurus, Mod. Verf.St. als Rechts-
staat S. 109.
einer Verwaltungsrechtpflege“ giebt Mohl, Encyklop. § 35 Note 5. Zum letzten-
male ist der alte Streit aufgeflackert in Bähr, Rechtsstaat, wo der Verwaltung
mit den obigen Ausdrücken die Gleichwertigkeit abgestritten wird (S. 52). Darüber
Gneist, Rechtsstaat S. 263 ff. und vor allem v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl.
S. 129 ff.
deutung der jurisdictio des kan. R. hat. Gneist will damit die „quasirichterliche
Stellung“ der Verwaltungsbehörden bezeichnen (Verw., Just., Rechtsweg S. 167, 170;
vgl. auch Engl. V.R. I S. 388, 390, 394). Sehr gut v. Sarwey, Öff. R. u.
V.R.Pfl. S. 4: Verwaltungsjurisdiktion ist „jede mit zwingender Kraft erfolgende
Bestimmung menschlicher Lebensverhältnisse durch die Organe des Staates“ auſser-
halb der Justiz. Ebenda S. 639 Note 1 und Allg. V.R. S. 45 ff.
um die Bedeutung des Aktes für die freie Bestimmung des Rechtsverhältnisses
desto mehr zu betonen (vgl. unten § 9 Note 14); umgekehrt wird die Ähnlichkeit
mit der Justiz durch die Verallgemeinerung des Ausdrucks Rechtskraft übertrieben;
Ulbrich, Östr. St.R. S. 438: „die materielle Rechtskraft einer Verwaltungs-
verfügung“.
Loening, V.R. S. 241 ff.; Rosin, Pol. Verord. S. 8; Laband, St.R. I S. 69;
Bernatzik, Rechtskraft S. 9 ff.; Ulbrich in Grünh. Ztschft. 9 S. 27 ff.
wesentlich ist, ist auch eine Art „Zwischenbau“ zwischen „Staatsgewalt und Volk“
d. h. zwischen gesetzlichem Rechtssatz und dem Einzelnen, der getroffen wird; aber
natürlich ganz andrer Art als der politische Zwischenbau, in welchem Gneist das
Wesen des Rechtsstaats sucht. — Daſs der ganze Begriff des Rechtsstaats auf die
Justizförmigkeit der Verwaltung hinausläuft, erkennt besonders Leuthold in
Annalen 1884 S. 418 ff., der die Grundzüge des Rechtsstaats ausdrücklich einteilt
nach dem Muster der Justiz in 1. Normengebung, 2. Rechtsprechung, als Seiten-
stück der letzteren in der Verwaltung dann allerdings nur die Verwaltungsrechts-
pflege findet. Ähnlich v. Lehmayer in Grünh. Ztschft. 12 S. 221 ff. Nun be-
deutet aber ja auch die Verwaltungsrechtspflege nur die Erlassung eines Ver-
waltungsaktes in bestimmten Formen; die vielen Verwaltungsakte, welche ohne diese
Formen erlassen werden, sind für den Stand der Rechtsordnung im ganzen um ein
Beträchtliches mehr wert. Wenn Pann, Reform des V.R. S. 14, es als das Ideal
des Rechtsstaats aufstellt, daſs der Staat wegen seiner Ansprüche auf Militärdienst,
Steuern u. s. w. auf die gerichtsordnungsmäſsige Klage verwiesen würde, so liegt
darin nur eine Verschiebung des eigentlichen Grundgedankens: die Justizförmigkeit
der Verwaltung bedeutet für den verwaltenden Staat die Rolle des Gerichts, nicht
der Partei.
nyme, auf den Schmitthenner sich beruft, giebt den Begriff wieder mit „Wirkungs-
tüchtigkeit“ (2. Aufl. II S. 342). Gareis, Allg. St.R. S. 27; v. Sarwey, A.V.R.
S. 15. — Vgl. unten § 33 Note 9.
fest „über die Verwerflichkeit dieser Theorie“. L. v. Stein, Verw.Lehre I, S. 18
(1869), behauptet sogar, die Franzosen hätten selbst schon eingesehen, daſs nichts
damit sei: „in der jetzigen Theorie Frankreichs ist sie verschwunden“. — In der
öffentlichen Sitzung der Académie des sciences morales et politiques vom 10. Mai
1877 erstattete der berühmte Staatsrechtslehrer Aucoc Bericht über eine gekrönte
Preisschrift, betreffend die gegenwärtige Bedeutung des Grundsatzes der Trennung
der Gewalten, und rühmte besonders die Widerlegung der „critiques dont il a été
l’objet et qui réposent souvent sur des malentendus ou sur une tendance au
despotisme monarchique ou démocratique“. Von den Tendenzen zu schweigen,
so liefern wir zu den Miſsverständnissen unseren reichlichen Beitrag: was die deutsche
Wissenschaft so einmütig verwirft, ist gar nicht die wirkliche Trennung der Ge-
walten, sondern der Popanz, den man daraus gemacht hat.
von Monnier zu wiederholen aus seinem discours sur le projet de constitution
13. Aug. 1789: die Gewalten sollen danach nicht sein entièrement séparés; es ge-
nügt, daſs sie divisés sind, unterscheidbar. Montlosier, de la monarchie française
(1816!) II cap. 20 S. 326, sucht den Gedanken durch die Übertreibung zu widerlegen:
„Entendons-nous par là trois pouvoirs indépendants et souverains? Il faudrait par
là même entendre trois Etats distincts“. Das trifft nicht zu, weil diese Gewalten
gegenseitig bedingt und durch die Ineinanderschiebung ihrer Trägerschaft verbunden
sind; aber wahr ist, daſs jede ein lebendiges Stück Staatsgewalt vorstellt, keine
bloſse Funktion.
der Trennung der Gewalten: „Das Recht zur staatlichen Gesetzgebung ist ebenso
unteilbar wie die Staatsgewalt“. Deshalb ist im Reich nur der Bundesrat der
„eigentliche Gesetzgeber“ (S. 543). Die Feststellung des Gesetzesinhalts mit dem
Reichstag ist nichts als eine Formbedingung für den nachher durch den alleinigen
Willen des Bundesrats getragenen Gesetzgebungsakt. Die Gesetzesform wird (S. 574)
geradezu verglichen mit der Form der Rechtsgeschäfte, mit einem notariell ab-
geschlossenen Vertrag. Als Vergleichsstück müſsten wir uns aber doch einen no-
tariellen Vertrag denken, der gültig nur zu stande kommen kann, nachdem man
sich mit dem Notar über den Inhalt geeinigt hat, dann würde der Notar sofort als
Miturheber des Rechtsgeschäfts anzusehen sein. — Man braucht nicht soweit zu gehen
wie Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne S. 146 ff., der Volksvertretung und
Staatsoberhaupt für „nebengeordnete und darum oberste Organe des Staats“ er-
klärt. Jedenfalls ist es die einfache Wirklichkeit der Dinge, der v. Sarwey,
A.V.R. S. 24, Laband gegenüber Ausdruck giebt mit dem Satze: „Das Gesetz ist
das Produkt des Willens und der Befehl beider“. Diese Gemeinsamkeit läſst sich
auch nicht durch die Beobachtung irgend einer andern Förmlichkeit ersetzen, um
danach das Gesetz auszuscheiden. In den unteren Kreisen der Staatsthätigkeit ist
es möglich, den in gewisser Form ausgesprochenen Willen mit der besonderen
Kraft auszustatten, mit welcher er das fernere Thun des Willensträgers selbst
bindet; die Polizeiverordnung wird dafür ein anschauliches Beispiel geben; hier
formellen und materiellen Sinne. Das verfassungsmäſsige Gesetz ist ja allerdings
bestimmt, Rechtssätze zu liefern; darum hat es die Fähigkeit dazu erhalten, aber
damit ist nicht gesagt, daſs es nun nichts anderes thun kann, als Rechtssätze
machen. Es bedeutet die Erscheinung einer bestimmten Gewalt, nicht eine bestimmte
Funktion. Wer das verwechselt, kommt gegenüber der Wirklichkeit unserer Ge-
setze gar bald ins Gedränge. Entweder muſs man dann die mancherlei gesetzlichen
Willensäuſserungen, die keine Rechtssätze sind, für unbeachtliche Thorheiten des
Gesetzgebers erklären (so Haenel, Ges. in form. und mat. Sinne S. 171, 172), oder
man opfert den Rechtssatzbegriff und erklärt alles für einen Rechtssatz, was die
Laune des Gesetzgebers zu äuſsern beliebt, Genehmigung des Verkaufs eines
der Spitze des Staates giebt es das nicht. Die Form des Gesetzes kann sich nur
sichern durch ihre eigene Schwere, durch einen andern Willen, der in seinem
Willen mit geäuſsert und der mit verletzt ist, wenn jener nicht geachtet wird.
Darin liegt die Weisheit der Einrichtung.
Ztschft. f. Stsw. 36 S. 250). — Unser Gesetzesbegriff, wie wir ihn eben aufstellen,
entspricht dem Gesetze im formellen Sinne; nur ist uns dieses Gesetz nicht ganz
die leere Form; es hängt an ihm in der Kraft zu wirken immer schon etwas, was
auf die zu erzielende Wirkung sich bezieht. Der Name Gesetz wird auch zur
Bezeichnung des Rechtssatzes überhaupt verwendet, eine nicht zu leugnende That-
sache. Das soll dann das Gesetz im materiellen Sinne sein. Unsers Erachtens
liegt da überhaupt kein neuer Gesetzesbegriff vor, sondern einfach die bekannte
Redefigur der Metonymie: der Rechtssatz wird bezeichnet nach seiner wichtigsten
Entstehungsart.
S. 567, 568, als Beispiel unverbindlichen Gesetzesinhalts anführt; sie sind ebenso
wenig geeignet eine formelle Gesetzeskraft zu bewähren wie eine materielle. Richtig
Jellinek, Ges. u. Verord. S. 338. Laband hat insbesondere den § 1 des
Bayr. L.R. benützt, um die formelle Gesetzeskraft zu erweisen: „Die Rechts-
gelehrsamkeit besteht nicht nur in gründlicher Kenntnis der Rechte, sondern auch
in richtiger Anwendung“. Was soll dieser Satz für eine Kraft äuſsern? Die
Thatsache, daſs der Codex Maximilianeus ihn ausgesprochen hat, bleibt natürlich
unzerstörbar; diese „Kraft“ hat aber auch das Wort, das ich hier schreibe.
I S. 492.
zusammengeworfen, und zwar in der Weise, daſs man die wichtige Thatsache des
Vorbehalts ganz übersieht und mit dem Vorrang allein auskommen zu können
glaubt. Bei Gneist (Engl. Verw.R. I S. 131; Engl. Verf.Gesch. S. 163, 164, 245,
247 ff.; derselbe in v. Holtzendorffs Rechtslexikon Art. Verordnungsrecht) ist
immer nur von dem „Vorbehalte, der von der Gesetzgebung schon präoccupierten Ge-
biete“ die Rede; das ist aber der Vorrang des Gesetzes. v. Sarwey, Allg. V.R.
S. 36, verwirft ausdrücklich die Ansicht derer, „welche die Ausübung der staatlichen
Gewalt, die Befugnis zu gebieten und zu verbieten, den Verwaltungsorganen nur
auf Grund einer Ermächtigung durch die Verwaltungsgesetze zugestehen“. Seiner
Meinung nach muſs „nach dem formellen Verfassungsrechte anerkannt werden, daſs
die staatliche Gewalt der Verwaltungsorgane nur dahin beschränkt ist, daſs sie
nichts gegen die Verwaltungsgesetze verfügen kann“. Also wiederum nur der Vor-
rang des Gesetzes! Wenn wir nichts hätten, als unsere Verfassungsurkunden
und daneben kein Verwaltungsgesetz, welches Enteignung, Requisitionen, polizei-
liche Verfügungen u. s. w. regelte, wenn also in allen diesen Beziehungen kein
„präoccupierendes Verwaltungsgesetz“ ergangen wäre — sollte da wirklich die
Folge sein, daſs die Regierung mit dem Eigentum und der Freiheit der Unter-
thanen machen könnte, was sie wollte, so lange wenigstens, bis ihr glücklich durch
mittelbar nicht durchführbare Sätze wären, die erst noch einer „Verwirklichung“
durch „Ausführungsgesetze“ bedürften; G. Meyer, St.R. § 217; Bornhak,
Preuſs. St.R. I S. 276. Ihr Wert besteht gerade darin, daſs ein Gesetz notwendig
wird, wenn etwas geschehen soll. So bedarf es gegenüber dem Verfassungsrechts-
satze: die persönliche Freiheit ist gewährleistet, eines Gesetzes, welches Verhaftung
gestattet, damit man eine solche vornehmen darf, sonst kann sie nicht geschehen.
Dieses Gesetz würden wir dann freilich weder als eine Verwirklichung des Grund-
rechts, noch als ein Ausführungsgesetz dazu bezeichnen. Ganz miſsverstanden wird
die Bedeutung der Grundrechte bei Arndt, Verord.R. d. d. Reichs S. 67, wenn er
glaubt, daſs danach nur Rechtssätze auf anderm Wege als auf dem der Gesetz-
gebung für das vorbehaltene Gebiet nicht erlassen werden sollten. Der Ausschluſs
thatsächlicher Eingriffe ohne gesetzliche Grundlage ist ja viel wichtiger und in
erster Linie gemeint. — Wenn man die Erklärung der Menschenrechte und alle
späteren Listen von Grundrechten durchgeht, so mag es auffallen, daſs darin wegen
der schweren Eingriffe, welche die Justiz vornehmen kann durch Absprechen von
Rechten, Verurteilen, Zwangsanordnung, gar nichts vorbehalten ist. Der Grund
ist der, daſs die Notwendigkeit gesetzlicher Grundlagen für diese als selbstver-
ständlich vorausgesetzt wird; die Neuordnung des Staats ist, wie wir gesehen haben
(oben § 5), nur auf die Verwaltung gemünzt. Die entsprechenden Vorbehalte für
das Gebiet der Justiz sind dem Gesetz schon „angeboren“.
Regierung wäre in solchen Fällen machtlos und zwar dieses wegen des in der Ver-
fassung enthaltenen Vorbehaltes des Gesetzes. v. Sarwey selbst erkennt an anderer
Stelle diesen Vorbehalt sehr wohl an; a. a. O. S. 25.
civilisierten Staats“ und des „Merkmals des Rechtsstaats“. Vgl. v. Sarwey,
A.V.R. S. 25. — Auſser der Reichsverfassung geben auch die von Lübeck und
Schaumburg-Lippe keine ausdrücklichen Vorbehalte des Gesetzes. Das Wort Gesetz
genügt auch hier, um den üblichen Vorbehalt zu begründen.
Zügen L. v. Stein, V.Lehre I, 1 S. 51—57. Was in der deutschen Rechtswissen-
schaft nach und nach damit gemacht worden ist, bietet wenig erfreuliches. Es
ist die alte Erscheinung, die man bei so und so viel Gelegenheiten beobachten
kann. Der Ausdruck „vollziehende Gewalt“ wird übernommen aus dem Französi-
schen; dann kümmert man sich nicht mehr viel um die Zusammenhänge des Be-
griffs, sondern belauscht einfach die Buchstaben des Wortes um ihr Geheimnis.
Was ist der allgemeine Sinn des Wortes „Vollziehung“? was der von „Gewalt“?
Wenn man das herausgebracht hat, glaubt man auch zu wissen, was vollziehende
Gewalt sei. So Gönner, St.R. § 343, Häberlin, St.R. II § 242, Schmitt-
henner, St.R. § 84, u. s. w. Neuerdings verfährt wieder v. Sarwey, A.V.R.
S. 22 und 23, in der gleichen Weise. Das führt natürlich zu nichts.
Gedanken für diese Gebundenheiten mit ziemlicher Deutlichkeit hervortreten.
Die vollziehende Gewalt stellt ihm nämlich die Rechtsformen dar, in welchen die
Verwaltung sich bewegt: Abhängigkeit von Gesetz, Verwaltungsakt u. s. w. Im
Handbuch der Verw.Lehre (3. Aufl.) S. 112 ff. werden diese Formen dann geradezu
als ein dem gerichtlichen gleich laufendes Prozeſsverfahren entwickelt. Ähnlich
Haenel, St.R. I S. 123 ff., S. 201.
der vollziehenden Gewalt gegeben dahin, daſs sie ist „nur der Organismus der
Sinne die dem Gesetze zustehende Rechtschaffung zu einem notwendigen Bestand-
teil seiner Erscheinung macht, verfährt nun ganz in der gleichen Weise auf der
anderen Seite mit der „Vollziehung“. Der Staatswille muſs hier notwendig im Zu-
stande der Gebundenheit erscheinen: „Jeder Willensakt des Staates, der Vollziehung
ist, muſs seine objektivrechtliche Begründung und damit Bindung nachweisen können“
(Ges. im form. und mat. Sinne S. 197). Da wird also der Begriff wieder ganz auf
die Erfüllung einer bestimmten Funktion beschränkt. — Haenel will zwar mit dem
Worte Vollziehung alle Funktionen des Staats begreifen, die nicht Gesetzgebung
sind. Allein wie dort die Gesetze, die keine Rechtssätze enthalten, so fallen hier
wieder alle Willensäuſserungen der vollziehenden Gewalt, an welchen keine Ge-
bundenheit zum Vorschein kommt, neben herunter.
Für uns handelt es sich hier nur um Fähigkeiten. Wenn dazwischen auch
das Wort Regierung im Sinne von vollziehender Gewalt gebraucht wird
(Zachariae, Vierz. B. I S. 124), dann hört es eben auf, eine „Funktion“ oder
Thätigkeitsort (oben S. 4) zu bedeuten.
deren Funktionen sich an die Art der Objekte anschlieſsen. Der Gedanke wird
freilich nicht weiter durchgeführt und in der zweiten Auflage stark abgeschwächt.
An die Ausbildung des Begriffs des Gesetzes im formellen Sinne schlieſst sich jetzt
eine entsprechende Bestimmung des Begriffs der vollziehenden Gewalt an, die
gleichfalls formell sein will und auf die Entstehungsart des staatlichen Willens
allein das Gewicht legt (Laband, St.R. I S. 674; Bornhak, Preuſs. St.R. I
S. 433, 434). Wir stehen dazu wie zum Gesetz im formellen Sinne (oben Note 5):
die Entstehungsart ist wesentlich, aber es hängt an ihr die Erscheinung eines
Willens von bestimmten rechtlichen Eigenschaften. Auch hier ist in dem formellen
Begriffe schon ein Element enthalten, das hinüberweist auf die Art der Wirkung
dieses Willens.
besteht „vor allem in dem Erwachen neuer Imperative an die mit der Civilrechtspflege
betrauten staatlichen Organe“ (S. 10). Diese zweite Reihe von Imperativen be-
bedeutet, wie Bülow, Prozeſseinreden S. 1—3, ausführt: „ein öffentlichrecht-
liches Verhältnis zwischen Gericht und Partei“.
verhältnisses zwischen dem Strafberechtigten und dem Verbrecher“.
I S. 333 ff.; von der einseitig wirkenden Norm der Despotie gelangt er S. 344 zur
Bedeutung des Gesetzes im Rechtsstaat: „Recht im vollen Sinne des Wortes ist
also die zweiseitig verbindende Kraft des Gesetzes“.
immer auch das entsprechende Sollen für die Behörde. Jhering, Zweck im R.
I S. 337; Binding, Stf.R. I S. 165 Note 27; Haenel, Ges. im form. und mat.
Sinne S. 196.
56 c, § 24.
verwandt A.L.R. II, 17 § 5.
Art der Gebundenheit der Vollziehung: Unterordnung und Einordnung. v. Sarwey,
Allg. V.R. S. 22 und 23, kommt nach einer etwas wunderlichen Metaphysik (Voll-
ziehung = Handlung, insofern ihr geistiger Motor, der Wille, sich darin äuſsert)
schlieſslich doch ungefähr auf das nämliche heraus. Jellinek, Ges. und Verord.
S. 221, will mit der Gebundenheit, die die Vollziehung bedeutet, auch den Fall
eines Dienstbefehls umfassen, der jedoch im Verhältnis zum Unterthanen nicht in
Betracht kommen kann. Eine gleiche Gebundenheit wie gegenüber dem Gesetz be-
fend, Preuſs. V.R. I S. 19; Thon, Rechtsnorm S. 141; Binding, Normen I
S. 13; Jhering, Zweck im R. I S. 222. — Gegen diese Idee Zorn in Annalen
1884 S. 475 Note 1; Gareis, Allg. St.R. S. 30.
welche an die Staatsgewalt gerichtet sind, sondern Befehle der Staatsgewalt an
durch ergänzt sich der Begriff der Vollziehung. Es ist einfach alle Thätigkeit,
an welcher die der vollziehenden Gewalt eigentümliche Bindbarkeit wirksam er-
scheint.
Laband; darum verwahrt er sich gerade an dieser Stelle (St.R. I S. 579) kräftig
dagegen; weiter unten S. 591 kommt er ihr aber ganz nahe, wenn er findet, die Be-
deutung des Gesetzes sei: „die Verwaltung als solche d. h. den Staat in seiner
verwaltenden Funktion zu binden“. Ist das nicht die vollziehende Gewalt? Am
deutlichsten hat den Zusammenhang erkannt Thon, Rechtsnorm S. 141: „Erst
die Verteilung der verschiedenen staatlichen Funktionen unter verschiedene Organe,
insbesondere die Trennung der legislativen von der regierenden Gewalt, machen
ling, Krit. d. jurist. Grundbegr. I S. 334.
vollziehenden Gewalt gleichzeitig und gleichmäſsig zum Vorschein, sondern je nach-
dem sie ihrer Zuständigkeit nach mit dem Gesetz in Berührung kommen: die einen
sollen es vollziehen, die anderen, in deren Zuständigkeit die Möglichkeit dazu läge,
seinen Vollzug nicht durchkreuzen, wieder andre haben gar nichts damit zu thun. —
Dem Preuſs. Minister v. Lucius war durch einen Königl. Gnadenakt die gesetzliche
Stempelsteuer erlassen worden. Die Rechtsgültigkeit dieses Aktes wurde in Zweifel
gezogen, aber nun erhob sich ein vergebliches Suchen nach Verfassungsartikeln,
die ihn verbieten sollten. Im Landtag berief man sich auf Art. 62; auch Art. 101
sollte zutreffen. Bornhak in Arch. f. öff. R. VI S. 318 ff. stützt sich auf
Art. 100, Joël in Annalen 1891 S. 417 ff. auf Art. 104. Laband in Arch. f.
öff. R. VII S. 169 ff. hat mit all dem leichtes Spiel; er weist erst die richtige
Grundlage auf, von der aus allein die Gültigkeit des Aktes bestritten werden
könnte: es handelt sich um die bindende Kraft des Gesetzes, die da gilt, obwohl
sie in keinem Verfassungsartikel steht. Die Rechtssätze, sagt er, auf welchen die
Steuern beruhen, sind jus cogens; die Steuergesetze begründen für die Behörden
nicht bloſs die Befugnis, sondern auch die Pflicht zur Erhebung der Steuern; die
Finanzgesetze gleichen in dieser Beziehung den Strafgesetzen. Der gnadenweise
Erlaſs der Steuer hat das Besondere, daſs er die Ausführung einer gesetzlichen
Anordnung im einzelnen Falle verhindert (S. 189). Wäre der König zu einer eignen
Thätigkeit in diesem Ausführungsgeschäfte berufen, so hätte er dabei die einfache
Vollziehungspflicht zu erfüllen, so aber durfte er wenigstens die Vollziehung nicht
faſst und verkündet, für den andern zur Ausführung berufenen Teil zugleich einen
Imperativ enthält. — Vgl. auch v. Sarwey, Allg. V.R. S. 20, 21, 33.
worüber eine Behörde Polizeiverordnungen erlassen kann, kann sie auch Ver-
fügungen für den Einzelfall frei erlassen, aber nur „so lange Vorschriften solcher
Art (Verordnungen) nicht ergangen sind“.
Verordnung, ganz oder im Einzelfall durch Dispensation; das sind dann wieder
Stücke von übertragener Kraft des Gesetzes. Darüber Seydel, Bayr. St.R. III
S. 557, 558.
letztere. Das ist aber wieder eine andere Frage; davon unten in der Lehre von
der Steuerpflicht.
St.R. I S. 591. Den äuſsersten Gegensatz dazu bezeichnet wohl Schein, Unsere
Rechtsphilosophie und Jurisprudenz, 1889, wo die Meinung, das Recht wirke auch
als Norm für den Einzelnen, für einen Fehler erklärt wird, „der sich in die philo-
sophischen Ansichten über das Recht hineingeschlichen hat“ (S. 11). Das Ver-
waltungsrecht soll das ganz besonders beweisen (S. 9). Nicht viel besser ist es,
wenn Bornhak, Preuſs. St.R. I S. 442, nicht absehen will, weshalb eine In-
folglich ist die Verwaltung, welche gesetzmäſsig sein soll, auch an die durch die
Gewohnheit mit Gesetzeskraft ausgestatteten Rechtssätze gebunden“. Richtiger ist
zu sagen: verfassungsmäſsig ist die vollziehende Gewalt an die Rechtssätze ge-
bunden, welchen sie begegnet, an gewohnheitsrechtliche wie an gesetzliche; nicht
die Gewohnheit hat Gesetzeskraft, — woher käme die? — sondern das Gesetz hat
Rechtssatzkraft und die Gewohnheit in gewissem Maſse auch.
v. Martitz in Ztschft. f. Stsw. 1880 S. 249 einen glücklichen Ausdruck gefunden:
Das Gesetz trifft „jeden, den es angeht“. Andre Formulierungen bei Loening,
V.R. S. 226; G. Meyer, St.R. § 155; Schulze, Preuſs. St.R. II S. 206. Die
Lehre, daſs der Rechtssatz seinem Wesen nach eine allgemeine Regel sei, hat
man neuerdings wieder ins Schwanken gebracht. Anschütz, Krit. Stud. z. Lehre
vom Rechtssatz und form. Ges. S. 23, glaubt schon sagen zu können, „daſs das
Dogma von der Allgemeinheit der Rechtsvorschriften als überwunden bezeichnet
werden kann“. Wäre das wirklich der Fall, so müſsten wir einfach für unseren
Rechtssatzbegriff einen anderen Namen suchen, weil man uns den angestammten
Rechtsnorm haben soll wie eine gesetzliche Bestimmung darüber. Der Unterschied
ist sofort schon an einem einzigen Punkte zu erweisen: bei Nichtbeachtung der
gesetzlich bestimmten Zuständigkeit hat der betroffene Unterthan die Anfechtungs-
klage nach § 127 L.V.G.; bei Nichtbeachtung der Instruktion nicht.
ersetzlichen Wert für die irdische Gerechtigkeit. Jellinek, Ges. und Verord.
S. 238, hält es freilich für möglich, daſs die „Rechtsordnung“ eines Staates in lauter
Individualgeboten erscheine; Anschütz a. a. O. S. 25 stimmt ihm zu. Dieser Staat
stände aber noch unter der Horde, deren Häuptling doch wenigstens ein rohes
und unklares Gewohnheitsrecht auf die einzelnen Fälle anwendet. — Schuld an der
ganzen Verwirrung trägt allein das Gesetz, das die Hauptquelle aller Rechtssätze
ist und doch es nicht verschmäht, dazwischen auch Einzelfälle zu ordnen. Da
kommt nun einerseits der Eigensinn, der in jedem Gesetze einen Rechtssatz finden
will, und andrerseits die Hülflosigkeit bei der Erklärung der Wirkungen eines
solchen Gesetzes, die aus der weitverbreiteten Unkenntnis des Begriffs des Ver-
waltungsaktes und der Ungewandtheit in der Auffassung des freien Wirkens der
öffentlichen Gewalt entsteht, und beides sucht sich zu helfen durch den Miſsbrauch
des Namens Rechtssatz. Der Vermittlungsversuch, den Rosin, Pol. Verord. S. 4 ff.,
macht, unterscheidet abstrakte und individuelle Normierung von der Ordnung
eines konkreten Falles. Allein die individuelle Normierung ist entweder eine
konkrete oder nur eine ungeschickt ausgedrückte abstrakte. Die Frage wird sich
sofort entscheiden müssen, wenn sich unerwarteterweise doch noch gleichgeartete
Fälle ergeben; trifft sie diese, so ist sie ein Rechtssatz; wenn aber die Auslegung
ergiebt, daſs sie diese nicht hat treffen wollen, so ist sie keiner. Es handelt sich
hier durchaus nicht um einen Wortstreit, wie Loening, V.R. S. 226 Note 1 meint.
Nach C.Pr.O. § 512 und Stf.Pr.O. § 376 kann die Revision nur gestützt werden
auf Verletzung einer Rechtsnorm. Zweck der Einrichtung ist die Aufrechterhaltung
der Einheit des Rechts und der Rechtsprechung (Begründung des Entw. d. C.Pr.O.
bei Hahn, Mat. I S. 142). Das hat nur einen Sinn, wenn unter der Rechtsnorm
die allgemeine Regel verstanden ist. Wenn es sich bloſs um die einem konkreten
Falle gegebene Ordnung handelt, ist doch die Einheit des Rechts und der Recht-
sprechung nicht in Frage. Oder man müſste auch die verschiedene Auslegung eines
Vertrags mit als eine Störung dieser Einheit betrachten, welcher die Revision vor-
beugen soll. Wir würden also z. B. in einer unrichtigen Anwendung des Preuſs.
Ges. v. 15. Februar 1869 betr. die Beschlagnahme des Vermögens des Kurfürsten
von Hessen keinen Revisionsgrund zu sehen haben. Wer Rechtsnormen oder Rechts-
sätze auch für konkrete Fälle kennt, müſste Revision zulassen.
der Rechtssatz eine allgemeine Regel ist oder nicht, von praktischer Bedeutung
werden kann. Die Willkür der Theorie hat ja hierin nur deshalb so viel freies
Spiel, weil es für die Wirksamkeit des Aktes meist gleichgültig ist, ob man ihn
einen Rechtssatz nennt oder nicht; das Gesetz wirkt auf alle Fälle, auch als
Einzelakt. Es kann aber vorkommen, daſs eine Behörde zu gewissen Befehlen nur
ermächtigt ist in Gestalt der Verordnung, d. h. des Rechtssatzes. Ein Beispiel
bietet die französische Ortspolizei (Theorie des Franz. V.R. S. 66) und mit noch
gröſserer Bestimmtheit das bayrische Pol. Stf.R. (Edel, Bayr. Pol. Stf.G.B.
S. 182). Weshalb hat das Gesetz hier nur zu Verordnungen, nicht auch zu selb-
ständigen Einzelverfügungen ermächtigt? Weil es in der Form des Rechtssatzes
jene Garantie der gleichen Gerechtigkeit des Eingriffes sucht, die nur er durch
seine allgemein wirkenden Regeln geben kann. Da wäre es nun eine sehr sonder-
bare Sache, wenn die Behörde mit jener Theorie vom Einzel-Rechtssatz in der Hand
kommen könnte und sagen: ich treffe nun mit meinem Verordnungsrechte gleich-
wohl den Einzelfall; das ist ja auch Rechtssatz!
formen der Behörden, von welchen Laband, St.R. I. S. 578, spricht, enthalten
Rechtssätze. Man mache nur die Probe: Jeder, den es angeht, ist in seinen Rechten
verletzt, wenn sie nicht beobachtet werden. Ebenso sind Rechtssätze die Gesetze
über die Behördenorganisation. Laband, der das in St.R. (1. Aufl.) I S. 68 ganz
richtig aufgestellt hatte, hat sich mit Unrecht durch den Widerspruch von Gierke,
Rosin und Seligmann bewegen lassen, es in St.R. (2. Aufl.) I S. 683 Note 2 zurück-
zunehmen. — Seydel, Bayr. St.R. II S. 261, faſst die Frage am unrichtigen Ende
an, wenn er sagt: es sei klar, daſs die Schaffung von Behördenorganisationen nicht
unter den Begriff der Gesetzgebung im materiellen Sinne als Schaffung von Rechts-
normen fällt. Man kann ja darüber streiten, ob die Behördenorganisation zum
Vorbehalte des Gesetzes gehört. Wenn das Gesetz aber die Ordnung gemacht hat,
wirkt sie mit der Kraft des Rechtssatzes. — Seligmann, Ges. im form. und mat.
Sinne S. 103 ff., hat sich bemüht, die Ausscheidung bezüglich einer Reihe von
Fällen durchzuführen, ob die Gesetze Rechtssätze oder bloſse Verwaltungsvorschriften
enthielten. Der unzweifelhafteste Fall einer „Verordnung im materiellen Sinne“
d. h. einer Anordnung, die, auch in Form des Gesetzes erlassen, niemals Rechtssatz
sein kann, ist ihm Bestimmung der Dienststunden einer Behörde (S. 107). Ist das
so sicher? Wenn ich eine Anmeldung zu machen habe in bestimmter Frist, habe
ich da nicht ein Recht auf die Dienststunde?
vidueller oder konkreter Rechtsverhältnisse“, soweit solche in der Verwaltung,
d. h. auſserhalb der Justiz erfolgt. Er unterscheidet dann (S. 31) völkerrechtliche,
privatrechtliche und staatsrechtliche Verwaltungsakte. Die letzteren werden durch
den Zusatz „obrigkeitlich“ ausgezeichnet. Sie sind in unsern Augen die einzigen,
die den Namen Verwaltungsakt verdienen. Ähnlich v. Kirchenheim, Einf.
S. 75. — Bei Jellinek, Ges. u. Verord. S. 221 ff., ist V.Akt gleichbedeutend mit
jeder Thätigkeitsäuſserung in der Verwaltung; da ist z. B. die Herrichtung von
Schulzimmern ein Verwaltungsakt. Das Wort ist aber bekanntlich übersetzt aus dem
mal eine besondere Art von Zuständigkeit, Befehlsgewalt, Autorität, obrigkeit-
liche Gewalt oder wie man’s nennen mag. Sodann aber ist die Behörde auch nicht
schlechthin das mit besonderer Fähigkeit ausgerüstete Amt, sondern ist der durch
das Amt gebildete Ausgangspunkt dieser Fähigkeit, die Stelle. Das kann ein
Einzelamt sein: der preuſsische Landrat ist eine Behörde; aber auch eine Zu-
sammenfassung von Ämtern, eine Kollegialbehörde wie der Kreisausschuſs, oder eine
bureaukratisch organisierte wie der Regierungspräsident mit seinen Räten: das
Kreisausschuſsmitglied, der Regierungsrat haben ein behördliches Amt, sind aber
keine Behörde. O.Tr. 26. März 1863 (Str. 48 S. 274): „Eine öffentliche Behörde
ist eine mit öffentlicher Autorität versehene amtliche Stelle, welcher gewisse obrig-
keitliche Verpflichtungen und Prärogative dauernd beigelegt sind und welche, wenn
sie aus mehreren Personen besteht, nach auſsen nur als eine von ihrem Vorgesetzten
repräsentierte Gesamtheit oder Einheit erscheint“. Mehr oder minder in diesem
Sinne: Foerstemann, Pol. R. S. 97, 99; O.Tr. 8. April 1861 (Pl.Beschl.; J.M.Bl.
1861 S. 116); Jellinek, Ges. u. Verord. S. 243; Laband, St.R. I S. 339;
Zorn, St.R. I S. 208; Loening, V.R. S. 30.
muſs man es also gar nicht gebrauchen oder bei seinem ursprünglichen Sinne
lassen. Absichtlich vermeiden den Ausdruck, obwohl sie den Begriff in aller
Deutlichkeit aufstellen, Bernatzik, Rechtskraft S. 6, 10 Note, und v. Sarwey,
Allg. V.R. S. 29 Note.
gabe es geschieht, ist unseren Juristen meist ein Axiom. So wird diese Anlehnung
auch für den Verwaltungsakt gefordert z. B. von Loening, V.R. S. 241;
v. Sarwey, Allg. V.R. S. 27. Wenn man dabei geradezu die rechtliche Wirksam-
keit von der Gesetzmäſsigkeit ableitet, so verläſst man eigentlich sogar das Vor-
bild der Justiz und behandelt den Verwaltungsakt vielmehr nach dem Muster eines
civilrechtlichen Rechtsgeschäfts, das „auch seine Kraft nicht sich selbst, sondern
dem Gesetz entnimmt“. So ausdrücklich Rosin, Pol. Verord. S. 15.
leihung, wo man sich mit dem Aufsuchen der gesetzlichen Grundlage überflüssige
Mühe giebt.
I S. 53, drückt das wieder so aus: „Es giebt eine ganze Reihe von Rechtssätzen
auf dem Gebiete der Staatsverwaltung, welche … Pflichten nur demjenigen auf-
erlegen, welcher in das Rechtsverhältnis eintreten will, z. B. das Beamtenverhältnis“.
Aber nicht der Rechtssatz legt die Pflicht auf, sondern der Verwaltungsakt der
Anstellung, der stattfinden kann, auch ohne eine gesetzliche Ordnung der Begrün-
dung des Staatsdienstverhältnisses hinter sich zu haben. Die Grenze der Zulässig-
keit solcher Unterwerfungen ist insofern wichtig, als der Akt, der den Einzelnen
belastet, trotz der Unterwerfung als gegen den verfassungsmäſsigen Vorbehalt ver-
stoſsend und ungültig anzusehen wäre, wenn er diese Grenze überschreitet. Daſs
eine Grenze besteht, ist offenbar; ein Beispiel unten § 21 Note 19. Aber wo liegt
sie? Da ist nun folgendes zu beachten. Eine Grenze, bis zu welcher der Einzelne
über seine Freiheit verfügen kann, kennt auch der civilrechtliche Vertrag. Lebens-
längliche Dienstmiete z. B. wäre ungültig, und auch sonst würden Verpflichtungen,
die von dem Üblichen ausschweifend abwichen, als contra bonos mores nicht an-
erkannt werden. Die öffentlichrechtlichen Verwaltungsakte auf Unterwerfung halten
sich nun in ihrem stofflichen Inhalt durchweg an das, was auch ein civilrecht-
licher Vertrag an Verpflichtungen, Belastungen, Abtretungen auferlegen könnte.
Deshalb führen sie die Bezeichnung Vertrag, obwohl sie ja keine Verträge im
strengen Sinne des Wortes sind. Zum Unterschied von den echten Verträgen des
Civilrechts spricht man von einem öffentlichrechtlichen Vertrag. Soweit
eine solche stoffliche Anlehnung an einen entsprechenden civilrechtlichen Vertrag
nicht möglich wäre, müſste auch die Zulässigkeit einer Unterwerfung und somit
die Gültigkeit eines Aktes auf Unterwerfung bestritten werden können. Darin liegt
die Wichtigkeit des Begriffes des öffentlichrechtlichen Vertrags. Vgl. übrigens
unten § 11 Note 3.
vgl. unten § 11 Note 1.
bestehende Unwirksamkeit. Nichtig ist der obrigkeitliche Akt nur dann, wenn er
in Wirklichkeit keiner ist, sondern nur der Schein eines solchen. Dem nichtigen
Urteil entspricht der nichtige Verwaltungsakt als „Verfügung von absolut unzu-
ständigen Personen“ (Laband, St.R. I S. 695 Note 1). In allen sonstigen Fällen
steht der Verwaltungsakt auf sich selbst; es kommt nur darauf an, wie weit Mittel
gegeben sind, ihn umzuwerfen; oder, wie Laband a. a. O. sagt, „so ist die Ver-
fügung nicht an sich nichtig, sondern mit einem Rechtsmittel anzugreifen und sie
ist wegen Überschreitung der Amtsbefugnisse aufzuheben“. Von diesen Mitteln
das Nähere in der Lehre vom Rechtsschutz unten § 12 ff. Daſs der Akt seine
Kraft nicht dem Gesetz entlehnt (oben Note 3), erweist sich übrigens hierin gerade
auf das deutlichste.
einen gewissen Zusammenhang mit der Rechtspflege gebracht zu werden; G. Meyer
in Wörterbuch II S. 669 ff.; Loening, V.R. S. 241; vor allem Bernatzik,
Rechtskraft S. 6 ff. Vgl. unten § 13, I. — Laband, St.R. I S. 677: „Die Gebunden-
heit liegt im Wesen der Entscheidung“; dagegen kennzeichnet die „rechtliche
Freiheit der Entschlieſsung“ den Vertrag und die Verfügung, die Laband unter
dem Namen Verwaltungsakt zusammenfaſst (S. 687). Wenn es freilich dann (S. 696)
heiſst: Die Verfügung „kann auch sachlich eine Entscheidung sein“, so scheint da-
mit der Gegensatz wieder aufgegeben zu werden.
S. 216 den Begriff eines Rechtsgeschäfts des öffentlichen Rechts aufstellt: Ber-
natzik S. 10 Anm. und G. Meyer in Annalen 1878 S. 383. Der Name ist aber
wohl geeignet, die Sache anschaulich zu machen; einen gröſseren Wert brauchen
wir ihm deshalb nicht beizulegen.
eines Eisenbahnunternehmens ein öffentliches Rechtsgeschäft, der nachträgliche
Ausspruch darüber, ob eine bestimmte Linie darin begriffen war, eine Entscheidung,
die Auflegung einer erforderlich gewordenen Vorkehrung eine Verfügung zur Geltend-
machung der durch die Verleihung begründeten Pflichten, also weder Rechtsgeschäft
noch Entscheidung, der Zwangsrückkauf wieder ein öffentliches Rechtsgeschäft.
Alles wird möglicherweise von der nämlichen Behörde in der nämlichen Form ge-
macht und hat übereinstimmend die allgemeine Natur des Verwaltungsaktes.
hat sie, wie als allgemeine Dienstvorschrift den Gegensatz zum Rechtssatz (oben
§ 7, S. 82), so als Dienstbefehl für den Einzelfall den Gegensatz zum Ver-
waltungsakt gebildet, insofern dieser nach auſsen wirkt und sie nicht (oben S. 95).
Das erklärt sich daraus, daſs wir sie dort vom Standpunkte des Unterthanen aus
betrachteten, gegen den sie nicht gerichtet war, hier aber vom Standpunkte des
Beamten aus, als des Unterthanen, gegen den sie gerichtet ist. Diesen bindet sie
mit der äuſseren Seite des Verwaltungsaktes und bindet zugleich mit der inneren
alle zur Durchführung ihm gegenüber berufenen Stellen der vollziehenden Gewalt.
Unterschied vom Rechtssatz: Laband, St.R. I S. 696; v. Sarwey, A.V.R. S. 29.
General-Entscheidungen, darum ist diese engere Bezeichnung an Stelle von General-
Verwaltungsakt zutreffend.
gerichtsbarkeit; Dantscher von Kollesberg, Die politischen Rechte der Unter-
thanen; Jellinek, System der subj. öff. Rechte; dazu Tezners ausführl. Kritik
in Grünh. Ztschft. 21 S. 107 ff. — Daſs der Staat Rechte hat gegen den Unterthanen,
wird gern als selbstverständlich angesehen. Aber ein subjektives Recht des Unter-
thanen gegen den Staat will z. B. Schuppe, Begriff des subj. R. S. 88, überhaupt
nicht gelten lassen; auch Bornhak, Preuſs. St.R. I S. 269, erklärt es für „be-
grifflich unmöglich“. Daraus spricht noch ganz der Standpunkt von Eichhorn,
Betracht. über d. Verf. des Deutsch. Bundes S. 98, der des Polizeistaats. Wir
werden sehen, daſs die Sache sich gerade umgekehrt verhält.
bis zur „individualisierten rechtlichen Macht“, welche ein subjektives Recht be-
deutet, vgl. Merkel, Encyklop. § 150, 151, 153.
Preuſs. St.R. I S. 238; v. Kirchenheim, Einf. S. 22; Loening, V.R. S. 9.
S. 200 (der Staat hat „potentiell“ alle ordentlichen Hoheitsrechte, „aktuell“ er-
hält er sie dadurch, daſs er „seine Thätigkeit auf individuell bestimmte Seiten des
Gemeinwesens richtet“).
v. Roenne, Preuſs. St.R. S. 212 ff.; Schulze, St.R. I S. 360 ff.; G. Meyer,
St.R. S. 687; Gareis, Allg. St.R. S. 144; Laband, St.R. I S. 132. Die all-
gemeine Gehorsamspflicht setzt freilich voraus, daſs etwas befohlen wird und zwar
rechtmäſsig; es wird vorsorglich immer betont, daſs nur verfassungsmäſsiger Ge-
horsam geschuldet wird. Es entspricht ihr für das Gebiet des Civilrechts etwa die
„allgemeine Zahlungspflicht“, die auch nur wirkt, wenn man rechtmäſsig etwas
schuldig geworden ist.
St.R. I S. 360 ff.; am reichhaltigsten Funke, Die Verw. im Verh. zur Justiz
S. 55 ff. Chr. v. Wolff, Grunds. des Nat.- und Völker-R. § 1085, hatte auch
noch die schöne rechtsverbindliche Pflicht für Regenten und Unterthanen, „sich
unter einander zu lieben“.
Ulbrich, Öff. R. S. 22; Jellinek, Subj. öff. R. S. 97; vor allem Laband,
St.R. I S. 149 (1. Aufl.): „Sie sind keine Rechte, denn sie haben kein Objekt“. —
Daſs aus der Verletzung der also geschützten Interessen Rechtsansprüche entstehen
auf Schadensersatz, Beseitigung der Störung, Strafe, ist eine Sache für sich und
beweist durchaus nicht, daſs sie selbst schon als Rechte anzusehen sind; Merkel,
Encyklop. § 150 und 157; Gerber, Öff. R. S. 79. Das verkennt Jellinek, Subj.
öff. R. S. 100, wenn er diesen „negativen Status“, wie er es nennt, wesentlich ver-
schieden glaubt von „einer bloſsen Reflexwirkung des objektiven Rechts“, weil „im
Wege der Rechtsbeschwerde die Aufhebung der störenden Handlung verlangt werden
könne“. Wenn unter Rechtsbeschwerden eine besondere Art von Rechtsschutz-
mittel gemeint ist, so ist das überdies eine dritte Sache für sich; vgl. unten § 12.
gesetzes v. 25. Juli 1868 genieſst der Staat das Recht, alle für Unterbringung
von Mannschaften und Pferden geeigneten Räumlichkeiten in Anspruch zu nehmen“.
Dieses „Recht“ genoſs der Staat schon vor der Verfassung; jetzt ist wegen des
verfassungsmäſsigen Vorbehalts ein Gesetz dafür notwendig geworden, welches es
wiederherstellt, d. h. die vollziehende Gewalt frei macht.
seiner Briefe durch die Post (Postges. § 3), unter gewissen Voraussetzungen auch
auf Erteilung eines Wandergewerbescheins (Gew.O. § 57 b).
und Civiljustiz S. 79; Leuthold, Sächs. V.R. S. 79. Dantscher, Pol. Rechte
S. 28 ff., will unter dem Namen politische Rechte nur Verhältnisse zum Staat be-
greifen; da müſste man dann überflüssigerweise für die ganz gleichartigen Verhält-
nisse zu Selbstverwaltungskörpern wieder einen besonderen Namen haben.
heiten des Rechtsverhältnisses erweisen sich vor allem in der Anwendbarkeit des
Gewohnheitsrechts (unten § 10 n. 4) und des Vertrages (unten § 11 Note 3).
geändert werden. Ein ganz besonders bezeichnender Fall ist der, wo vor endgültiger
Feststellung eines Rechtsverhältnisses im Instanzenzug der Rechtssatz, der es bestimmte
geändert wird. Für das Berufunggericht in Civilsachen wäre das gleichgültig. Für die
obere Verwaltungsbehörde dagegen kommt es darauf an, ob sie bloſs zur Nachprüfung
der Rechtmäſsigkeit der ergangenen Amtshandlung thätig zu werden hat oder selbst
diese Handlung neu vornehmen soll. Ersteren Falls prüft sie nur, ob dem öffent-
lichen Rechtsverhältnis nach damaligem Gesetz genügt war, letzteren Falls, und der
ist die Regel, handelt sie neu nach dem durch das neue Gesetz begründeten Rechts-
verhältnisse. Diese Unterscheidung kommt auch in der Strafrechtspflege zur Geltung;
Binding, Stf.R. I S. 138 ff. — Die Frage ist erörtert worden bei der Bescheidung
von Gesuchen um eine Polizeierlaubnis, wenn zwischen dem ersten Ausspruch und
dem der Beschwerdeinstanz ein neues Gesetz ergangen ist, welches die Voraus-
setzungen für die Bewilligung anders bestimmt. O.V.G. 21. April 1879, 14. Mai
1879, 10. Okt. 1879, 5. Juni 1880, 13. Juni 1883; abweichend V.G.H. 1. Juni 1880.
Darüber ein bemerkenswerter Briefwechsel zwischen Luthardt und Windscheid in
Bl. f. adm. Pr. 1881 S. 1881 ff. Vgl. auch G. Meyer, V.R. I S. 8. Eine rück-
wirkende Kraft des Verwaltungsgesetzes kann man das eigentlich nicht nennen.
verwertet worden, um das Wesen der öffentlichen Dienstpflicht des Beamten zu
S. 40; Seydel, Bayr. St.R. II S. 416; G. Meyer, St.R. § 213; Ulbrich, Östr.
St.R. S. 82; Leuthold in Annalen 1884 S. 364 ff.
Verhältnis zwischen ungleichen Subjekten, für welches der Wille des rechtlich
überwiegenden den näheren Inhalt noch bestimmt. In diesem Sinne ist das Ver-
hältnis zwischen Staat und Unterthan ein groſses Gewaltverhältnis; Schmitt-
henner St.R. S. 279; Gerber, Grundzüge § 16, Rosin in Annalen 1883 S. 299.
Im engeren Sinne ist jedoch damit nur ein Gewaltverhältnis gemeint, welches für
den einzelnen Unterthanen begründet ist, das besondere Gewaltverhältnis;
Ehrenberg, Commendat. und Huldigung S. 47 Anm. 36a; Arch. f. öff. R. III
S. 52 ff. Dieses letztere hat dann die Natur eines öffentlichen Rechtsverhältnisses
von der oben besprochenen Art: der Einzelne ist dem Staate gegenüber rechtlich
bestimmt in der Richtung einer besonderen Verpflichtbarkeit durch einseitige An-
forderungen der vollziehenden Gewalt. Am Gewaltverhältnis tritt gerade die eigen-
tümliche Natur des öffentlichen Rechtsverhältnisses besonders deutlich zu Tage.
Die Hauptbeispiele in der Lehre von der Überwachungsgewalt des Finanzrechts,
von der Dienstgewalt und der Anstaltsgewalt. Vgl. aber auch unten § 10 n. 3.
anerkannte Macht, Herrschaft des Einzelnen über die Staatsgewalt in einer be-
stimmten Richtung“. Einigermaſsen stimmt dazu, was Jellinek, Subj. öff. R.
S. 43 ff., in seiner eigentümlichen Ausdrucksweise sagt: „Gedurft wird dem
Nebengeordneten, gekonnt dem Staate gegenüber“. „Das subjektive öffentliche
Recht des Einzelnen hat immer ein Können zum Inhalt“. Dieses „Können“ wird
aber das bedeuten, was wir Macht über die öffentliche Gewalt nennen.
Eigentum und von den öffentlichen Grunddienstbarkeiten. Forderungsrechte des
Staates können insbesondere dadurch ihrer öffentlichrechtlichen Natur verlustig gehen,
daſs sie im Ausland zur Geltung zu bringen sind. Gerber, Öff. Rechte S. 44,
bringt dafür das Beispiel der nachträglichen Einziehung von Steuern in einem ab-
getretenen Gebiete, wobei das Recht darauf „nicht mehr als staatsrechtliches, sondern
lediglich als privatrechtliches betrachtet werden konnte“.
Subj. öff. Rechte S. 109 ff., S. 129 ff. unter dem Namen „positiver“ und „aktiver
Status“ giebt.
räumt dem Willen des Antragstellers eine Macht über den Willen des Gerichts
ein“ (S. 69). Das ist ein „Anspruch gegen das Gericht“ (S. 75); wenn dann schlieſs-
lich gesagt wird, das Gericht erfülle diese Pflicht als „Organ des Staates“ (S. 78),
so ist wohl auch der falsche Gedanke ausgeschlossen, daſs der Anspruch etwa
gegen den Richter persönlich gehe. Vgl. auch Bülow, Lehre von den Prozeſs-
einreden S. 3; Jellinek, Subj. öff. R. S. 118, 119 („Schutzpflicht des Staates“);
Dantscher, Pol. Rechte S. 84.
gegengesetzter Richtung betrachteten. Die Freiheit ist kein subjektives Recht; ein
gesetzwidriger Eingriff darein begründet gleichwohl ein „Recht auf Zurücknahme
der Verfügung“ (Gerber, Öff. Recht S. 79); ist diesem Rechte durch Zurücknahme
subjektives Recht, sondern nur der Widerschein der öffentlichen Einrichtungen,
ein sogenanntes Reflexrecht. Nach Jellinek, Subj. öff. R. S. 152, besteht es
„keineswegs in dem Recht zu wählen“, sondern in dem Recht auf „Anerkennung
der Eigenschaft als Wähler“. Radnitzki, Parteiwillkür S. 30 ff., unterscheidet
die „Fähigkeit oder Befugnis zu wählen“, aus der dann erst durch die obrigkeit-
lichen Einrichtungen, welche die Ausübung derselben ermöglichen, ein „subjektives
Recht auf Zulassung zur Wahlhandlung“ entsteht. — Die Anerkennung als Wähler,
ohne das Recht zu wählen, würde der Lehre von den Orden und Ehrenzeichen
angehören; die Zulassung zur Wahlhandlung aber begreift nur die äuſserliche Er-
scheinung des Wahlrechts. Das Recht zu testieren, ist nicht das Recht, dem Notar
ein Testament zu diktieren, sondern die Macht, unter Beobachtung dieser Formen
die Wirkungen des Testamentes hervorzubringen. So ist das Wahlrecht nicht das
Recht, einen Zettel in die Urne zu legen, sondern die Macht, auf diese Weise
mitzuwirken an der Bestellung von Trägern der öffentlichen Gewalt; das ist mittel-
bar eine Macht über die öffentliche Gewalt selbst und hat damit seinen guten
Gegenstand und Inhalt, als echtes öffentliches Recht.
schützte Freiheit, die kein Recht ist. Die vorbehaltene Gewerbepolizeierlaubnis
darf unter Umständen nicht verweigert werden; bei wem diese zutreffen, für den
entsteht mit der Einreichung seines Gesuches ein Recht auf die Bewilligung; ist
dieses Recht durch die Bewilligung befriedigt, so erlischt es, die Erweiterung oder
Wiederherstellung der Freiheit, die es erzielte, ist ihrerseits kein Recht (Seydel
in Annalen 1881 S. 637).
Wichtigkeit dieser Regel ergeben. Daſs man in diesen Fällen früher stets und
jetzt noch häufig civilrechtliche Ansprüche annimmt, erschwert sehr die Erkenntnis
der ganzen Bedeutung des subjektiven öffentlichen Rechts, und andrerseits, daſs
man dieses nicht erfaſst, nötigt immer wieder, zur Erklärung seiner Wirkungen
in das Civilrecht zurückzufallen.
S. 420 ff.; am schroffsten Pfizer, Reform der V.R.Pfl. S. 15 ff. Nach Loening,
V.R. S. 13, S. 17 und Jellinek, Subj. öff. R. S. 324, giebt es grundsätzlich in
subj. öffentliche Rechte keine Rechtsnachfolge. Als Ausnahme führen beide an
den Fall Gew.O. § 46, wonach die Witwe und die minderjährigen Erben die Ge-
werbekonzession durch einen qualifizierten Stellvertreter ausüben dürfen. Aber
gerade hier handelt es sich nicht einmal um ein subjektives öffentliches Recht,
sondern lediglich um eine beseitigte Freiheitsschranke! Vgl. unten Note 25.
(Konzession) im Gegensatz zu der verliehenen Nutzung an einer öffentlichen Sache.
Die erstere begründet, wie Seydel in Annalen 1881 S. 637 ff. treffend ausführt,
kein subjektives öffentliches Recht; folglich kann sie nicht durch Verzicht er-
löschen, „denn es würde an einem Gegenstande des Verzichtes fehlen“; die Erlaub-
niserteilung bleibt also bestehen und wirksam bis zu einer etwaigen Zurücknahme
rung der Allgemeinheit des Rechtssatzes vgl. oben § 7 Note 17 und 18. — In
offenem Widerspruch mit allem Sprachgebrauch will Laband, St.R. I S. 679,
unter Verwaltungsgesetz ein Gesetz verstehen, welches keine Rechtsvorschriften
enthält; er stellt es in Gegensatz zum Rechtsgesetz. Aber der Gegensatz zum Ver-
waltungsgesetz ist nicht das Rechtsgesetz, sondern das Justizgesetz; Rechtsgesetze
sind sie beide, insofern sie Rechtssätze zu geben bestimmt sind; das braucht man
aber gar nicht erst zu sagen. Wie diese abweichende Ausdrucksweise zusammen-
hängt, vgl. unten Note 11.
lich davon Gebrauch machen will oder nicht, ist seine Sache. Setzen wir dagegen
den Fall einer verliehenen Wassernutzung, einer Familiengrabstätte. Hier ist ein
wirkliches Recht begründet; der Berechtigte kann zweifellos ummittelbar wirk-
sam darauf verzichten, sein Verzicht zerstört die Wirkung des Verwaltungsaktes,
der die Verleihung ausgesprochen hatte; es bedarf keiner Zurücknahme desselben.
Das ist die Kraft des subjektiven öffentlichen Rechts.
III, 2 S. 1063; v. Sarwey, Allg. V.R. S. 16; Arndt, Verord.R. S. 30; R.G.
24. Jan. 1885 (Samml. 13 S. 213); O.Tr. 22. Febr. 1858 (Str. 29 S. 149); Bl. f.
adm. Pr. 1876 S. 10.
rechtssatzschaffendes Gesetz behandelt wird ein nicht veröffentlichter Erlaſs dahin
lautend: „Mein lieber Etatsminister Freih. v. d. Schulenburg. Es ist ganz billig,
daſs diejenigen Unterthanen, welche freies Bauholz aus Forsten erhalten, ohnent-
geltlich Beihülfe zur Bearbeitung eben dieser Forsten leisten müssen“. Etwas will-
kürlich scheint uns der Lösungsversuch bei Bornhak, Preuſs. St.R. I S. 90 ff. —
In Frankreich brachte seiner Zeit der Übergang zum Verfassungsstaat ganz ähn-
liche Streitfragen wegen der alten ordonnances; der Kassationshof wollte nur die
vom Parlamente einregistrierten als Gesetze gelten lassen, der Staatsrat auch
andere; Dufour, Droit adm. I n. 33 und 34.
im A.L.R. II. 17 § 10 nach Einführung der Verfassung die erforderliche gesetzliche
Grundlage geworden für die wahrhaft überreichen Ermächtigungen der preuſsischen
Polizeibehörde. Ursprünglich hatte der Satz keine andere Bedeutung, als wenn er
einfach gesagt hätte: über die Polizei wird im A.L.R. nichts besonderes bestimmt;
diese wäre mit ihrer selbstverständlichen Macht im Gang geblieben auch ohne ihn.
Ansicht zur Geltung gekommen, daſs der Krone ein selbständiges Verordnungsrecht
zustehe praeter legem; Gneist, Verw., Justiz, Rechtsweg S. 74; Arndt, Verord.R.
S. 64 ff.; Bornhak, Preuſs. St.R. I S. 437. Das beruht auf einer Verwechslung
der rechtssatzschaffenden Verordnung mit der Verwaltungsvorschrift; wie denn z. B.
Bornhak a. a. O. S. 442 eine „Instruktion, welche den Behörden ihr Verfahren
vorschreibt“, ohne weiteres unter die Rechtsnormen setzt.
als einzige Schranke der Ausführungsverordnung die anerkennt, daſs sie dem Ge-
setze nicht widersprechen darf; die Gebundenheit an das auszuführende Gesetz
bedeutet mehr (oben § 7 Note 7).
ordnung löst sich auch die vielumstrittene Frage nach der rechtlichen Natur der
sog. Organisationsverordnung (Loening, V.R. S. 230; Jellinek, Ges. und
Verord. S. 387; Seydel, Bayr. St.R. I S. 261): es kommt einfach darauf an, ob
sie zur Ausübung eines Verordnungsrechtes, also auf Grund eines dazu ermächti-
genden Gesetzes erlassen ist oder lediglich in Ausübung der Dienstgewalt über die
damit zu gestaltenden Ämter.
Man glaubt nun den dort mit einem gewissen Vorteil durchgeführten Gegensatz
von formell und materiell geradeso überall anbringen zu können und unterscheidet
deshalb wieder eine Verordnung in formellem und in materiellem Sinn (Laband,
St.R. I S. 590; Seligmann, Begriff des Ges. S. 103). Allein hier fehlen die Vor-
aussetzungen, welche dort die Unterscheidung von selbst ergeben. Es giebt einen
Weg der Gesetzgebung als die Entstehungsform des Willens der gesetzgebenden
Gewalt. Aber es giebt nicht ebenso einen besonderen „Weg der Verordnung“
(Laband, St.R. I S. 592); sondern dieser Weg ist einfach die allgemeine Ent-
stehungsform des Willens der vollziehenden Gewalt. Ob aus diesem Willen eine
Verordnung wird, hängt ab von der materiellen Grundlage, welche das Verordnungs-
recht ihm giebt, und von der Art des Inhalts, nach welchem er davon Gebrauch
macht. Das „Materielle“ läſst sich also hier aus dem Begriff gar nicht heraus-
nehmen. Wenn ein ungenauer und schwankender Sprachgebrauch Willensäuſse-
rungen der gleichen Entstehungsform, aber anderer materieller Natur auch noch
als Verordnung bezeichnet (unten Note 11), so ist es nur ein gewaltsamer Schema-
tismus, diese zu materiellen und jene zu formellen Verordnungen zu stempeln.
v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 48. — Die amtliche Sprache bezeichnet gern
mit dem Namen Verordnung alle Akte der obersten Stellen, auch Einzelakte; so
namentlich im Königreich Sachsen. Etwas ganz anderes ist es, wenn wie in
Bayern der Name Verordnung schlechthin den königlichen Verordnungen vor-
behalten wird, um die Verordnungen der unteren Stellen ihrem beschränkten Gegen-
stande entsprechend als Polizeiverordnungen zu bezeichen (Seydel, Bayr. St.R
III S. 582). Dagegen ist nichts einzuwenden.
rechtssatzschaffenden Verordnung Seydel in Annalen 1874 S. 1143 ff.; Laband,
St.R. I S. 596, wo auch die Meinung von Arndt, Verord.R. S. 35, es wären doch
Rechtssätze gemeint, genügend widerlegt sein dürfte. Haenel, St.R. I S. 382,
will dem Wort Verwaltungsvorschrift eine „subjektive Bedeutung“ geben in dem
Sinne, daſs es den Urheber der Vorschrift, die Verwaltung, also die vollziehende
Gewalt bedeutet. Da könnte es allerdings auch Rechtssätze bedeuten; man muſs
die Urheberschaft in besonderem Sinn verstehen, damit der Ausdruck sich recht-
fertigt: Verwaltungsvorschrift ist eine solche, die mit der der Verwaltung d. h. der
vollziehenden Gewalt eignen Kraft wirkt, im Gegensatz zur Verordnung, der die
entlehnte Kraft des Gesetzes zusteht. — Es ist in neuerer Zeit üblich geworden,
den Gegensatz dadurch zum Ausdruck zu bringen, daſs man die Verordnungen als
Rechtsverordnungen, die Verwaltungsvorschriften als Verwaltungsverord-
nungen bezeichnet. Vgl. die stattliche Aufzählung der Anhänger dieser Bezeich-
nungen bei Laband, St.R. I S. 572. Das Wort Rechtsverordnung mag angehen, sofern
es die rechtssatzschaffende, gesetzvertretende Natur der Verordnung noch besonders
unterstreicht. Aber der Gegensatz Verwaltungsverordnung bringt uns in die schiefe
Lage, daſs wir eine für das Gebiet der Verwaltung ergehende Rechtsverordnung
nicht mehr kurz Verwaltungsverordnung nennen dürfen, weil wir damit sofort schon
erklärten, sie könne keine Rechtssätze enthalten. Und doch besteht daneben die
Thatsache, daſs wir das für das Gebiet der Verwaltung ergehende Gesetz ruhig
Verwaltungsgesetz nennen, ohne an seiner Rechtssatzfähigkeit zu zweifeln. Das
wäre also nicht folgerichtig. Laband freilich hat die Folgerichtigkeit herzustellen
gewuſst, indem er St.R. I S. 679 auch das Verwaltungsgesetz für ein solches er-
klärt, das keine Rechtsvorschriften enthält. Da kann man diesen Sinn nicht mehr
rechtfertigen aus dem Ursprung der Vorschrift aus der Verwaltung d. h. vollziehen-
den Gewalt und der ihr eignen beschränkten Kraft. Es ist einzig der alte polizei-
staatliche Gedanke, daſs „Verwaltung“ von selbst den Gegensatz von „Recht“ be-
deute, der dem ersteren Wort diese „privative“ Bedeutung giebt, wo es als Zusatz
verwendet wird. Gegen diesen Gedanken müssen wir uns aber im Namen des
Rechtsstaates verwahren.
des Verwaltungsrechts als „Autonomische Festsetzungen“ auch auf: „die Geschäfts-
ordnungen der kollegialisch organisierten Verwaltungsbehörden und Verwaltungs-
gerichte“. Allein erstens sind das keine Rechtssätze und wären es Rechtssätze,
so wären es keine autonomischen, weil das „eigne Recht“ fehlt; es könnten nur
Verordnungen sein. — Ungenügend abgegrenzt ist unsere Rechtsquelle bei Roesler,
V.R. I S. 18; v. Stengel, V.R. S. 24.
seits und „ortspolizeilichen Vorschriften“ andererseits; Seydel, Bayr. St.R. III
S. 41 ff.; Bl. f. adm. Pr. 1871 S. 306. In Sachsen spricht man von „Ortsstatuten“
und „polizeilichen Regulativen“; Leuthold, Sächs. V.R. S. 78 Anm. 7.
noch unter die „Selbstgesetzgebung“ der Gemeinde.
Gierke a. a. O. S. 150, 151. Bei dem bestehenden inneren Zusammenhang ist es
für die Frage der Autonomie der öffentlichen Genossenschaft durchaus nicht so
gleichgültig, ob die Privatkorporation solche hat, wie Rosin’, Öff. Genoss. S. 182
Note 1, meint.
auf dem eignen Herrschaftsrechte der Genossenschaft über ihre Mitglieder be-
ruhen“. So auch Gierke, Genoss. Theorie S. 720 Note 2. Eben deshalb, weil
sie darauf beruhen, sind sie keine Rechtssätze. Im heutigen Staat giebt es keine
rechtssatzschaffende Gewalt, die nicht vom Staate abgeleitet ist.
gewalt über ihre Angehörigen. Nach Bayr. Gem.O. können nun durch statutarische
Bestimmung neue Verbrauchssteuern eingeführt, Gemeindedienste auferlegt, Ein-
quartierungslasten geordnet werden (Art. 41, 49, 112 Ziff. 15). Das sind „Gesetz-
gebungsakte der Gemeinde in ihrem eignen Wirkungskreise“ im Gegensatz zu den
ortspolizeilichen Vorschriften als „Gesetzgebungsakten der Gemeinde im über-
tragenen Wirkungskreise“ (Seydel, Bayr. St.R. III S. 42). Loening, V.R.
zurückführt; nur das erstere gehört dahin. Für Gierke, Genoss. Theorie S. 720
Note 2, bedeutet umgekehrt beides keine Autonomie, weil diese den Gegensatz
bildet von „delegierter oder zur Ausübung übertragener Gesetzgebung“. Aber die
Fähigkeit, Rechtssätze zu schaffen, wo sie den Beamten der Gemeinde zusteht, ist
immer eine abgeleitete; es giebt keine andere. Es kommt nur darauf an, ob sie
geübt wird im Namen des Staates, im übertragenen Wirkungskreis, dann giebt es
eine Verordnung, oder im Namen der Gemeinde, im eignen Wirkungskreis, dann
giebt es einen autonomischen Rechtssatz, ein Statut. Deshalb ist es auch nicht
richtig zu sagen, es gehörten „alle Handlungen körperschaftlicher Autonomie not-
wendig dem inneren Gemeinleben an“. Wenn die bayrische Gemeinde Verbrauchs-
abgaben auf die eingeführten Waren legt, so verpflichtet sie damit nicht bloſs ihre
Angehörigen, sondern auch Fremde. Gerade weil ihr das Gesetz die Kraft zu
solchen Rechtssätzen übertragen hat, wirken sie gegen jedermann; autonomisch sind
sie, weil die Kraft dazu ihr übertragen ist zu eignem Recht, für ihre Angelegen-
heiten, ihre Steuern.
Ein anderes Beispiel bietet die Innung. Diese kann ihren Mitgliedern Vor-
schriften machen für die verfassungsmäſsigen Zwecke, z. B. über das Lehrlings-
wesen; das ist Vereinsgewalt und bedeutet noch keinen Rechtssatz. Nach dem
Gesetz (Gew.O. § 100 c) kann sie überdies ermächtigt werden, solche Bestimmungen
allgemein verbindlich aufzustellen, für jeden, den es angeht, auch für Nichtmitglieder.
Das sind dann Statuten mit autonomischen Rechtssätzen. Rosin, Öff. Genoss.
S. 187 ff., erklärt das erstere für einen autonomischen Rechtssatz, das letztere für
einen nichtautonomischen, der „auf dem Herrschaftsrecht des Staates beruht“,
„eine Delegation der gesetzgebenden Gewalt“ vorstellt. Autonomisch wären Statuten
der letzteren Art deshalb nicht, weil „der Kreis der Personen, auf welche sie An-
wendung finden sollen, auſserhalb der genossenschaftlichen Willenssphäre liegt“
(S. 189). Das sind ganz die Anschauungen von Gierke. Nichtmitglieder und ihre
Lehrlinge liegen allerdings auſserhalb der „Willenssphäre“ der Innung, bis das
Gesetz sie darein legt; aber in ihrer „Interessensphäre“ liegen sie zweifellos, so-
weit sie dem gleichen Gewerbe angehören. Die Innung ist da zur „Förderung der
gemeinsamen gewerblichen Interessen“. Daſs die Interessen des ganzen Gewerbes
an der guten Ordnung des Lehrlingswesens beteiligt sind, ist offenbar; die Innung
ist in Besorgung der ihr vom Gesetz und Verfassungsstatut zugewiesenen eignen
Angelegenheiten, wenn sie dafür wirkt. Nichtmitgliedern gegenüber hat sie nur
nicht von selbst auch die nötige Macht; die giebt ihr eben jetzt das Gesetz. Für
sich, nicht für den Staat, auch nicht, wie Rosin sagt, „im Auftrage des Staates“
— man müſste denn ihre ganze Lebensthätigkeit auf solch einen Auftrag stellen —
nimmt sie auf Grund der verliehenen Kraft die Ordnung des Lehrlingswesens für
das ganze Gewerbe in die Hand.
heitsrecht auf dem Gebiete der Verwaltung, 1863. Das Buch verdankt dies ledig-
lich seinem Titel.
stellt man freilich immer noch zuweilen den Satz auf, daſs das Gewohnheitsrecht
für öffentlichrechtliche Verhältnisse geradeso gelten müsse, wie für civilrechtliche:
Mohl, Würt. St.R. I S. 76; Bornhak, Preuſs. St.R. I S. 100; Schulze, St.R.
I S. 11; Bl. f. adm. Pr. 1871 S. 391.
obrigkeitlichen Verwaltungsthätigkeit in den Weg kommt, dafür giebt ein hübsches
Beispiel F. F. Mayer, Grunds. S. 449 Note 2.
auch O.V.G. 29. Okt. 1887 (Samml. 16 S. 292).
S. 286); O.V.G. 29. Jan. 1879, 18. März 1880, 15. Mai 1886, 22. Mai 1886,
29. Okt. 1887, 12. Mai 1888.
22. Mai 1886, 14. Sept. 1887.
allmähliche Zurückweichen des Gewohnheitsrechts auch auf diesem engen Gebiete
ist nicht zu verkennen; G. Meyer, St.R. I S. 6; v. Stengel, V.R. S. 29; Leut-
hold, Sächs. V.R. S. 68; Schulze, St.R. I S. 11.
So heiſst es noch bei Laband, St.R. (1. Aufl.) II S. 216: „Soweit der Staat Herr-
schaftsrechte über Land und Leute hat .. ist der Befehl die Form, in welcher sich
die Thätigkeit der Behörden vollzieht.“ Ebenso noch in Arch. f. öff. R. II S. 159.
In St.R. (2. Aufl.) I S. 690 ist jetzt an Stelle des Befehls die Verfügung getreten
als „das einseitige Rechtsgeschäft des öffentlichen Rechts“. Davon heiſst es
(S. 691): „Der Inhalt der Verfügung braucht aber nicht notwendig in dem Befehl .. zu
disciplin ist, wird uns eine ganze Reihe von Rechtsinstituten herauszugeben haben.
So das öffentliche Sachenrecht, eine Anzahl öffentlichrechtlicher Forderungen; auch
die Lehre von den juristischen Personen werden wir ihm verkürzen. Die Erlösung
für alle diese Rechtsinstitute liegt in der allgemeinen Erkenntnis, daſs der Satz
unwahr ist, den jetzt noch viele Juristen im Kopfe haben: daſs nämlich vermögens-
rechtliches und civilrechtliches Verhältnis gleichbedeutend seien. Seydel, Grund-
züge einer allg. Sts.Lehre S. 38, nennt das mit Recht eine fixe Idee. Sie stammt
einfach aus dem Gedankenkreise des Polzeistaats; oben § 4 III n. 2. Vgl. auch
die ausführliche Widerlegung bei Wach, C.Pr.R. I S. 55 ff.
Gesetz in abstracto geregelt wird, kann durch die Verfügung in concreto betroffen
werden“. Folgt eine Aufzählung von Arten und Unterarten der Verfügung, in
welcher wir eine ziemliche Anzahl unsrer Rechtsinstitute wiederfinden. — Ein Über-
rest früherer Anschauungen ist es dagegen, wenn G. Meyer, V.R. I S. 32, bei
Aufzählung der Arten der Verwaltungsakte unter der Rubrik Befehle nicht bloſs
den Polizeibefehl, sondern auch die Steuerauflage und die Aushebung zum Heer-
dienst aufführt. Sowie der Begriff Befehl die festere Bestimmtheit bekommt, die
ihm gebührt, trennen sich diese Dinge von selbst.
kann ein bestehenden (d. h. civilrechtlichen) Rechtsverhältnissen mehr oder weniger
analoges Verhältnis schaffen“. — In Bl. f. adm. Pr. 1870 S. 333 wird ausgeführt,
es sei ein Irrtum, zu glauben, daſs alle im Civilrecht behandelten Rechtsinstitute
auch ausschlieſslich privatrechtlich wären; es giebt „öffentlichrechtliche Servituten,
öffentlichrechtliche Klageverjährung, öffentlichrechtliche Obligationen ex lege und
Eigentumserwerbstitel“. Dabei ist freilich gemeint, daſs diese Rechtsinstitute wesent-
lich civilrechtlich bleiben und öffentlichrechtlich nur heiſsen, weil sie „in das
öffentliche Recht einschlagen“. Noch unbefangener Funke, Verw. in ihrem Verh.
zur Just. S. 46: Das öffentliche Recht „begreift auch die den Staat angehenden
Verhältnisse, bei welchen, obschon sie objektiv dem öffentlichen Rechte an-
gehören, der privatrechtliche Charakter als vorherrschend anzusehen ist“. Als
Beispiel erwähnt er den Staatsdienstvertrag. Da wird einfach nicht beachtet, daſs
das Verwaltungsrecht eine eigene Rechtsart ist. — Ich habe die ganze Tiefe des
Gegensatzes zum Ausdruck zu bringen gesucht in der Abhandlung über den öffent-
lichrechtlichen Vertrag in Arch. f. öff. R. II S. 3 ff. Dieses Rechtsgeschäft ist ge-
rade deshalb, weil es öffentlichrechtlich ist, kein Vertrag nach der Rechtsgestalt
des civilrechtlichen Vertrags. G. Meyer, mit welchem ich in der sachlichen Auf-
fassung übereinstimme, ist der Meinung, daſs dann auch der Ausdruck Vertrag
nicht beibehalten werden sollte (V.R. I S. 34 Note 8). Allein es ist doch wohl
eine Thatsache, daſs unsere Wissenschaft ohne civilrechtliche Ausdrücke, die
sie in ihrem Sinne versteht, nicht auskommt. Hier hat die Anlehnung aber
auch noch eine besondere Wichtigkeit; vgl. oben § 8 Note 5; ohne das wäre es
allerdings nicht der Mühe wert, auf dem Ausdruck zu bestehen. Ein Miſsstand ist
allerdings insofern nicht abzustreiten, als auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts
auch echte Verträge wirksam werden können, in den sekundären Rechtsverhältnissen
der Verbandlasten nämlich und zwischen Selbstverwaltungskörpern. Vielleicht
würde man diese nach Jellinek, Subj. öff. R. S. 193 ff., als Vereinbarungen be-
zeichnen können. Doch dürfen wir von allen Verbesserungen der Ausdrucksweise
hier absehen, da wir den Namen öffentlichrechtlicher Vertrag, nachdem er seinen
Dienst gethan hat, ohnehin nicht weiter verwerten wollen.
auch Brater in Bl. f. adm. Pr. V S. 101: „Ein Rechtsverhältnis, das im Privat-
verhältnisse … inhaltlich so beschaffen, daſs sie an sich … auch zwischen
Privatpersonen bestehen können“. Sehr häufig allerdings geht man bei diesen
Sätzen im Kreise herum, indem man für die Anwendbarkeit des Civilrechts ver-
langt, der Staat müsse schon privatrechtlich aufgetreten sein; privatwirtschaftlich
muſs es heiſsen. So namentlich Thon, Rechtsnorm S. 140, und besonders schroff
Muth, Beiträge zur Lehre von den Pfarrgemeinden I S. 21, wonach es „fast all-
gemein als feststehend angenommener Satz“ ist: „auf dem Gebiete des Privatrechts
unterliegt die Kirche dem Civilrecht“.
lichrechtlichen. Jellinek, Subj. öff. R. S. 59 ff., stellt sich das so vor, als
wenn der Staat durch einen besonderen Willensakt erklärte: das soll als öffentlich-
rechtlich angesehen werden und das nicht. Der Staat kann nach ihm „privatrecht-
liche Ansprüche formell in öffentlichrechtliche verwandeln“, und hat die Macht,
„formell diese Ansprüche zu privat- oder öffentlichrechtlichen zu erklären“ (S. 60).
Das scheint auf einer Verwechslung zu beruhen mit den gesetzlichen Zuweisungen
gewisser Sachen an die Verwaltungsgerichte oder an die Civilgerichte. Daraus
läſst sich zwar manchmal vermuten, daſs der Gesetzgeber die Sache so oder so an-
gesehen hat, aber es kann auch gemeint sein, daſs das Civilgericht öffentlichrecht-
liche Sachen behandeln soll und umgekehrt. Jellinek setzt auch den Fall, daſs
gewisse Ansprüche nicht mehr nach Civilrecht, sondern „kraft positiver Anordnung
nach öffentlichrechtlichen Normen zu beurteilen sind, mag ihre Natur nun die
öffentlicher Rechte sein oder nicht“. Wenn wirklich einmal eine derartige Be-
stimmung vorläge, wäre es unseres Erachtens dem Theoretiker nicht mehr erlaubt
zu zweifeln, ob das nach öffentlichem Rechte zu Beurteilende nun auch wirklich
öffentlichrechtlich sei.
Note); V.G.H. 1. Febr. 1881. Ebendahin gehört die Unterscheidung von „Regiminal-
und Wirtschaftsbeamten des Staates“; Reger, VIII S. 118.
Abgrenzung des öffentlichen und des Civilrechts zu verwerten: Rehm in Annalen
1885 S. 90; Neumann in Annalen 1886 S. 416. Dagegen mit Recht Leuthold
in Annalen 1884 S. 355. Es kommt nichts brauchbares dabei heraus.
sei, zu den Kommunallasten gleich einem Bauern beizutragen“. Ebenso O.V.G.
14. Juni 1879, 18. Mai 1881, 21. Juni 1882, 22. Juni 1886, 23. April 1887. —
O.V.G. 29. Nov. 1876: die städtische Polizeiverwaltung nimmt im Zwangsverfahren
den Fiskus in Anspruch, die Straſse bis zur Mitte rein zu halten; O.V.G. 16. Febr.
1884: der Fiskus als Eigentümer des für den öffentlichen Verkehr in Anspruch
genommenen Weges. Über die Enteignung des Fiskus vgl. unten die Lehre von
diesem Rechtsinstitut. Bl. f. adm. Pr. 1877 S. 287: „das Bauärar erscheint renitent
gegenüber der Verpflichtung, das Ufer von allen Hindernissen des Wasserablaufs
freizuhalten“ und wird deshalb vom Bezirksamt verurteilt, den störenden Straſsen-
durchlaſs zu ändern. O.V.G. 22. Febr. 1882 (Samml. VIII S. 104): die Reskripte gegen
das „Bauernlegen“ beziehen sich auch auf den Fiskus. O.V.G. 5. Sept. 1878
(Samml. V S. 328): der Fiskus bedarf „wie jeder andere Privatmann“ des polizei-
lichen Baukonsenses; ebenso eine Schieſspulverfabrik des Militärfiskus; das In-
behörde, also nicht Fiskus. O.VG. 5. Mai 1877 (Samml. II S. 400 ff.): polizeiliches
Verbot eines Militärschieſsplatzes; nicht der „Fiskus als solcher“, sondern „Aus-
übung der Staats- (Militär-) Hoheit, wie die Polizeigewalt“. O.V.G. 25. Juni 1879
(Samml. V S. 398): Ansiedelungsgenehmigung für ein Bahnwärterhäuschen nicht
nötig, weil nicht im „eisenbahnfiskalichen Interesse“, sondern im Interesse des
Bahnbetriebes gebaut wird. O.V.G. 2. Nov. 1885 (Samml. 12 S. 246): Amts-
vorsteher befiehlt dem Stromfiskus, eine Brücke zu bauen; es handelt sich nicht um
den Fiskus, sondern um einen „Eingriff in die Hoheitsrechte des Staates“. O.Tr.
1. Mai 1877 (Str. 97 S. 204) kennt sogar einen Polizeifiskus; das ist der Staat,
wenn er bei Anfechtung einer polizeilichen Verfügung vor den Civilgerichten Recht
nehmen muſs. Der Zusammenhang mit dem Vermögenssubjekt ist hier ganz auf-
gegeben, die Rückbeziehung des Civilprozeſsrechts auf den Staat rechtfertigt den
Namen Fiskus allein.
IV S. 111): Stf.G.B. 367 n. 14 legt auch dem Fiskus als Bauherrn Verpflichtungen
auf. Löbe, Zoll.Stf.R. S. 134: die Zollordnungen gelten auch für Marinenieder-
lagen; S. 109: in den gerichtlichen Strafurteilen ist der Ausspruch der subsidiarischen
Haftung (für die Zollbuſsen) nicht gegen die Direktionen, sondern gegen die fiskalische
Eisenbahnverwaltung oder den Fiskus zu richten. Vgl. auch F. F. Mayer,
Grunds. S. 17; Bornhak, Preuſs. St.R. III S. 139.
Annalen 1885 S. 122 ff. wieder zur Geltung zu bringen gesucht in besonderer An-
wendung auf die Anstellung im Staatsdienst.
von der Enteignung. Der Unterschied gegenüber dem vorigen Fall ist der, daſs
der Zustand eines öffentlichen Rechts gar nicht erst begründet wird; sobald das
öffentlichrechtliche Rechtsinstitut gewirkt hat und abgeschlossen ist, wird das
Civilrecht Herr. Unrichtig ist die Unterscheidung Mittermeiers in Civil.Arch. III
S. 323: Die Wegnahme von Eigentum durch die Enteignung ist öffentlichrechtlich,
„aber die Wirkungen für den enteigneten Eigentümer sind privatrechtlich“. Wenn
die Wegnahme des Eigentums fertig ist, ist keine weitere Wirkung auf seiten des
bisherigen Eigentümers zu verspüren.
Akte zusammen unter der Überschrift „Ordnung der Agrarverhältnisse“; in § 108
kommen dann noch ähnliche Akte für die Ordnung der Benützung des Wassers.
Er nennt sie „rechtsaufhebende und rechtsbegründende Verfügungen“ und stellt sie
der Enteignung gleich. Das letztere ist nicht richtig. Die Enteignung nimmt das
Grundstück für die eigenen Zwecke der Verwaltung in Anspruch. Wenn aber die
öffentliche Gewalt sich dafür einsetzt, die Agrarverhältnisse und die Wassernutzungen
in der hier fraglichen Weise zu ordnen, so erzeugt sie civilrechtliche Wirkungen
zwischen den Unterthanen und begnügt sich damit. Was weiter daraus wird, ist
dem freien Spiel civilrechtlicher juristischer Thatsachen zwischen diesen überlassen.
Geradeso macht es das Civilgesetz. Jene Akte sind Hülfsthätigkeiten der
Verwaltungsbehörden für das Civilrecht, geradeso wie sie solche im
Standesamt, im Patentamt und ähnlichen Anstalten entwickeln.
lässigung eines Polizeigesetzes. C. c. art. 678 knüpft einen civilrechtlichen An-
spruch des Nachbars an gewisse Ortspolizeiverordnungen. Wegen der civilrecht-
lichen Haftung der Beamten aus öffentlichrechtlichen Akten vgl. unten § 17.
stellt diese Dinge umfassend zusammen in den drei Rubriken: administrative Kon-
trolle, Rechtskontrolle und Parlamentskontrolle und führt das bei allen Verwaltungs-
zweigen durch. Bei der Übertragung auf deutsche Verhältnisse (S. 330) wäre aber
wohl auch der Fürst persönlich nicht zu vergessen.
sei nur zu denken als ein Schutz subjektiver Rechte, so ist dies eine civilistische
es immer bloſs auf die Wahrung des objektiven Rechtes ankomme. Dagegen aus-
führlich v. Stengel, Organis. der Preuſs. V. S. 45 ff. Aber Gneist meint es mit
dem objetiven Recht selbst nicht im strengen juristischen Sinne; es gehört ihm vor
allem auch die „unparteiische Maſsbestimmung“ dazu (Rechtsstaat S. 272, Engl.
V.R. I S. 417).
liche Gerichte sind die Civilgerichte eigentlich nur in Civilsachen. Parey, Preuſs.
V.R. I S. 3 Note, hat nicht Unrecht, wenn er sich namens der Verwaltungs-
gerichte gegen die verallgemeinernde Titulierung verwahrt. Sie ist eben geschicht-
lich überkommen.
ein Eingreifen von Amtswegen in unterbehördliche Entscheidungen nur zulässig
sein soll „bei offenbarer und ernstlicher Gefährdung öffentlicher Interessen“ (Krais,
Handb. der inneren V. I S. 62), oder „wenn durch einen Akt der Unterbehörde
das öffentliche Interesse oder das bestehende Recht in erheblichem Maſse verletzt
worden ist“ (Seydel, Bayr. St.R. II S. 394).
ein auſserordentliches Rechtsmittel, dessen Zulässigkeit zwar nicht ausdrücklich
durch die Verwaltungsgesetze von 1883, aber entsprechend dem herrschenden Ge-
brauche durch die Rechtsprechung des O.V.G. anerkannt ist“. Warum „auſser-
ordentlich“, wenn es als selbstverständlich anerkannt ist? Mit der Rechtsmittel-
eigenschaft ist es auch noch eine Frage.
Rechts- und Interessenschutzes neben Gegenvorstellung und Beschwerde aufgeführt;
Seydel, Grundzüge S. 102. Ulbrich, Öst. St.R. S. 115, spricht sogar von einem
„Gesuchsrecht“. Der Vater dieses Begriffs ist L. v. Stein, V.Lehre I, 1 S. 282 ff.
Aber entweder ist das Gesuch eine Gegenvorstellung oder eine Beschwerde oder
es gehört überhaupt nicht hierher.
v. 12. Juli 1864 § 6: „Gegen Verfügungen in Verwaltungs- und Polizeisachen …
kann zwar jeder Beteiligte bei der höheren Behörde Beschwerde führen. Diese
ist jedoch nicht verbunden, der Beschwerde eine weitere Folge zu geben, als sie
im öffentlichen Interesse für geboten hält“. — Es ist ja selbstverständlich, daſs
die Behörde leichter zu einer Nachprüfung sich entschlieſsen wird, wenn sie ein
angeblich Benachteiligter zu Hülfe ruft, als von Amtswegen; aber das ist doch nur
ein thatsächlicher Unterschied. Gerber, Öff. Rechte S. 79 Note 1, erkennt darin
„die humane Sitte unserer Behörden, Bitten nicht ohne weiteres abzuweisen“. —
Die Verschiedenheit der Antwort kann sehr wichtig werden, sofern Fristen für
wirkliche Rechtsmittel in Betracht kommen; wird auf die Gegenvorstellung gar
nicht weiter eingegangen, so läuft die Frist von dem ursprünglichen Akt ab; hat
sich darauf hin die Behörde „einer erneuten Prüfung unterzogen und sich auf
Grund dieser Prüfung anderweit in der Sache schlüssig gemacht“, so läuft die
Frist erst von dieser „zweiten Verfügung“. So O.V.G. 2. Juni 1881 (Samml. VII
S. 253).
die Beschwerde begründet wird, für die Natur und Wirkung derselben keineswegs
von selbst eine Bedeutung hat, ist man in der Wissenschaft sehr bemüht, die Be-
schwerden von vornherein nach diesem Inhalt zu unterscheiden. Nach L. v. Stein
bildet die Beschwerde durch ihren Inhalt den Gegensatz zu dem Akt, der die Ver-
waltungsrechtspflege einleitet, zur Verwaltungsklage. Diese letztere kann sich nie
auf Interessen und Zweckmäſsigkeit berufen, sondern nur auf Rechtsverletzung
(Verw.Lehre I, 1 S. 376); die Beschwerde aber geht immer gegen eine behördliche
Thätigkeit, „die ohne ein Recht zu verletzen die Interessen der Staatsangehörigen
beeinträchtige“ (ebenda S. 385). Diese Unterscheidung trifft offenbar nicht zu;
gleichwohl hat sie mit ihrer „Schärfe“ Eindruck gemacht (Schulze, Preuſs. St.R.
II S. 669 Note 1 und S. 670; Bornhak, Preuſs. St.R. II S. 471; Seydel, Grund-
züge S. 103; anders derselbe in Bayr. St.R. II S. 393, 493). — Im weiteren Verlauf
hat man dann den Gegensatz in den Begriff der Beschwerde selbst hineingetragen
und unterschieden: Rechtsbeschwerde und Verwaltungsbeschwerde (v. Sarwey,
Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 116; v. Stengel, Organis.Ges. S. 44; derselbe in Wörterbuch I.
Laband, St.R. II S. 338 ff. Ungefähr im obigen Sinne v. Stengel in Wörter-
buch I S. 182 („formelle Beschwerde“). — G. Meyer, St.R. § 223: „Das Recht der
Beschwerde ist die Befugnis, sich an die höheren Staatsorgane zu wenden, um
Abhülfe gegenüber den Verfügungen der niederen Organe zu verlangen“. Das wäre
aber nur eine thatsächliche Möglichkeit, kein Recht oder höchstens ein solches,
wie Gerber, Öff. R. S. 79 Note 1, sie erwähnt, um sie beiseite zu schieben, als
das Petitionsrecht, das Recht zu denken u. s. w. Bitten darf freilich ein jeder.
Aber das Recht auf Prüfung und obrigkeitlichen Ausspruch hat nicht ein jeder.
Wenn man in dieser Weise schon die einfache Beschwerde als Gegenstand eines
Rechtes behandelt, so wird das nur verständlich aus den Gepflogenheiten des
Polizeistaates, der mit Querulantenstrafen und dergleichen den Unterthanen das
Beschwerdeführen verleidet. Recht bedeutet in diesem Gegensatz eben nur das
Unverbotene. In dieser Gestalt erscheint das Beschwerderecht ganz unbefangen
bei v. Rönne, Preuſs. St.R. II S. 176: „Aus dem Wesen des Rechtsstaats folgt
ganz von selbst die Befugnis jedes Staatsbürgers, ohne Hindernisse und ohne
persönliche Nachteile die Erfüllung gewisser Forderungen verlangen und sich des-
anderer Ausdruck sein für Verwaltungsklage im Sinne Steins, so haben wir nichts
weiter darüber zu sagen. Soll aber die wirkliche Beschwerde, die Anrufung des
Oberen, auf diese Weise in zwei Arten zerlegt werden, je nachdem sie auf die
Behauptung einer Rechtsverletzung sich gründet oder auf sonst eine Benach-
teiligung, so wäre zu fragen, inwiefern denn die Beschwerde je nach der Ver-
schiedenheit des Grundes selbst ein anderes Rechtsmittel wird. So lange in dieser
Beziehung nichts angeführt wird, ist es eine müſsige Einteilerei. Übrigens ist auch
der Ausdruck Verwaltungsbeschwerde als Gegensatz zur Rechtsbeschwerde ein höchst
unglücklicher; es steckt wieder der nämliche schiefe Gedanke dahinter wie bei
Rechtsverordnung und Verwaltungsverordnung (oben § 10 Note 11). Verwaltungs-
beschwerde ist einfach der Gegensatz der gerichtlichen Beschwerde unserer C.Pr.O.,
bedeutet also schlechthin die Beschwerde, mit der wir uns hier überhaupt nur zu
beschäftigen haben.
vorstellung hervorgehoben wird. v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 200, betont allzu
einseitig eine Eigentümlichkeit des Einspruchs, daſs er nämlich in das Verfahren
verflochten sein kann, um gegen den noch zu fassenden Beschluſs anzugehen.
Das ist nicht überall der Fall und unterscheidet ihn auch nicht immer von der ein-
fachen Beschwerde, da diese in gleicher Weise dazwischen kommen kann.
förmliche Beschwerde nicht gut; wie die Berufung setzt sie einen obrigkeitlichen
Welch bescheidener Rechtsstaat! — Die ausdrückliche Anerkennung des Beschwerde-
rechts „gegen gesetz- und ordnungswidriges Verfahren“ in mehreren Verfassungs-
urkunden, Sachsen § 36, Württemberg § 36, Oldenburg Art. 47, Koburg-Gotha § 46,
hat wohl auch nur diesen Sinn, bei Koburg-Gotha sicher. — Loening, V.R. S. 794,
hat das richtige Beschwerderecht im Auge: „Es handelt sich um ein Recht, denn
ihm entspricht die in den meisten Staaten ausdrücklich anerkannte Pflicht der Be-
hörden, die an sie gerichteten Beschwerden zu prüfen und zu bescheiden“. Aber
er giebt diesem Recht einen viel zu groſsen Umfang, indem er Vorschriften über
die entsprechende Behandlung einfacher Beschwerden zu seiner Begründung aus-
reichen läſst und schlimmsten Falls auch ein eingebildetes Gewohnheitsrecht dafür
heranzieht (S. 795 Note 1). Die einfache Beschwerde ohne Recht ist aber das
Natürliche, Selbstverständliche, das ja auch vielfach als genügend angesehen werden
kann; die Einräumung eines Beschwerderechts ist eine besondere Vorkehrung,
die nur auf eine gesetzliche oder verordnungsmäſsige Bestimmung gegründet werden
kann, die darauf abzielt. Der Unterschied wird deutlich, wenn in einem Falle beide
Arten von Beschwerde nebeneinander stehen; so Bl. f. adm. Pr. 1882 S. 243: gegen
Beschlüsse des Armenpflegschaftsrates hat die Gemeinde die Beschwerde, d. h. die
förmliche Beschwerde; der Hülfsbedürftige kann aber seinerseits wenigstens „ein
Anrufen der Offizialeinschreitung“ versuchen; das ist eben die einfache Beschwerde.
Anzeige, Mitteilung, Anregung kann der Behörde von „jedermann aus dem Volke“
zukommen, während bei der formellen Beschwerde die Legitimation zur Erhebung
der Beschwerde eine hervorragende Rolle spielt, sogenannte Popularbeschwerden
also niemals vorkommen können“. — Wir möchten eine rechtliche Wirksamkeit des
Aktes und folglich eine Legitimation zur Anfechtung nur anerkennen bei dem,
über welchen der Akt ergangen ist. Die Praxis zieht den Kreis etwas weiter;
O.V.G. 13. Dez. 1876: Ein polizeiliches Verbot war an die Schankwirte ergangen,
einem Trunkenbolde Getränke zu verabreichen; der Trunkenbold ist zum Rechts-
mittel gegen jenen Akt legitimiert, weil damit „in seine Rechtssphäre eingegriffen
wurde“.
1876 S. 159.
weise herbeilassen; Krais, Handb. der inneren V. I S. 63.
buch I S. 182 ganz richtig als Kennzeichen der formellen Beschwerde mit Recht
auf Entscheidung angeführt. Umgekehrt ist in Bad. Verord. v. 12. Juli 1864 § 86
von der Beschwerde, welcher die Behörde keine Folge geben muſs, sofort ge-
sagt: „Solche Beschwerden sind an keine Fristen und Formen des Verfahrens ge-
bunden“.
v. 31. Aug. 1884 § 42 und 43) bestimmt, daſs Bewilligungen und Genehmigungen,
welche subjektive Rechte begründen, nur wegen Unzuständigkeit, Gewaltüber-
schreitung u. s. w. zurückgenommen werden können, aber diese Beschränkung gilt nur
„nach Ablauf der Rekursfrist“, richtiger gesagt: für den Fall, daſs nicht recht-
zeitig die förmliche Beschwerde erhoben wird; wenn das nämlich geschehen ist,
ist die Zurücknahme durch das entstandene subjektive Recht nicht mehr ge-
bunden. Weizel, Bad. Ges. v. 1863 S. 296, Note 1. zu Verord. v. 1864 § 88.
verfahren vor den Beschluſsbehörden des Preuſsischen Rechts. Darüber die Dar-
stellungen bei v. Stengel, Organis. Ges. S. 479 ff.; Bornhak, Preuſs. St.R.
II S. 475 ff. — Ähnlich der Rekurs in Verwaltungssachen nach Bad. Recht,
waltungsstreitsachen: „In beiden hat man eine richterliche Thätigkeit zu erkennen“.
Aber mehr als eine Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit ist es bei den Beschluſs-
sachen nicht.
beamten gegen den Beschluſs der unabhängigen Kollegialbehörde (Bezirksrat)
erscheint.
Eingriff in das, was den Civilgerichten gebührt, bekämpft worden ist. In diesem Sinne
ging seiner Zeit (1725) der Reichshofrat gegen die bedeutsame Schöpfung Friedrich
Wilhelms I., die Preuſsische Kriegs- und Domänenkammer vor, weil sie eine ge-
wisse Rechtsprechung in Finanzsachen über sollte; Pfeiffer, Prakt. Ausf. III
S. 229. Wegen des Streites über die „Zulässigkeit“ der Verwaltungsrechtspflege
bei Beginn der neueren Zeit vgl. oben § 5 Note 16. Ein merkwürdiges Denkmal
dieser Feindseligkeit ist die Bestimmung der Reichsverfassung von 1849 § 183:
keit der Verwaltungsrechtspflege sei „mit dem Begriffe des Verwaltungsrechts von
selbst gegeben; das letztere ist ohne sie nicht denkbar“. Das wäre nur richtig,
wenn man unter Verwaltungsrechtspflege schlechthin alle staatliche Thätigkeit be-
griffe, mit welcher für das Verwaltungsrecht eingestanden wird. Es ist aber ja
zweifellos damit nur eine besondere Vorkehrung gemeint.
sich selbst einen Widerspruch, wie Pfizer, Verw. u. Justiz S. 7, zugestehen
möchte. Verwaltung und Rechtspflege haben wir ja oben § 1 als verschiedene
staatliche Thätigkeitsgebiete auseinander gehalten. Die Verwaltungsrechtspflege
ist aber ganz dem Thätigkeitsgebiete der Verwaltung zugehörig, die Entlehnung
gewisser rechtlicher Formen, welche auf dem Boden der Justiz gewachsen sind,
rechtfertigt ihren Namen, ohne sie deshalb dieser allgemeinen Zugehörigkeit zu
entziehen. Es werden hier wie bei der Civilrechtspflege auch die Bezeichnungen:
Justiz, Rechtsprechung, Gerichtsbarkeit als gleichbedeutend gebraucht. Die Wahl
ist frei, wenn man nur nicht mehr und nicht Bestimmteres hineinlegen will.
die Gerichte“.
selbe, Zulässigkeit der Verw.-Justiz S. 21 ff. Vor allem wird die administrativ-
kontentiöse Sache, die Parteistreitigkeit des öffentlichen Rechts in den Vordergrund
geschoben als der Normalfall, für welchen doch auch die Gegner eine Verwaltungs-
rechtspflege als möglich zugeben müssen: Goenner, Entw. eines Gesetzbuchs über
d. gerichtl. Verfahren I S. 14, II S. 56 ff.; v. Weiler, Verw. und Justiz S. 24;
Poehlmann, Wesen der sog. adm. kont. Sachen S. 3, S. 34; Oppenhoff,
Ressortverh. S. 80.
aus, daſs die Verwaltungsrechtsgerichtsbarkeit lediglich zum Schutze subjektiver
Rechte berufen sei“. Ebenso Gluth, in Arch. f. öff. R. III S. 570 und Note 5,
woselbst auch reichliche Litteraturangabe.
darin eine weitere Aufgabe, welche der Verwaltungsrechtspflege noch übertragen
sein kann, vielleicht „über ihre natürlichen Grenzen hinaus“. — Eine Vereinigung
beider Gesichtspunkte finden andere darin, daſs sie nach dem Vorgange Jherings
überall ein subjektives Recht annehmen, wo durch die Rechtsordnung Interessen ge-
schützt sind, ein subjektives Recht, wenn nicht des Unterthanen, so doch des
Staates: v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 79; Leuthold in Annalen 1884
S. 495 ff.; Loening, V.R. S. 796 ff. — Eine dritte Partei stellt die ganze Auf-
gabe der Verwaltungsrechtspflege ausschlieſslich auf den Schutz der Rechtsordnung;
Gneist, Rechtsstaat S. 270. 271; Bornhak, Preuſs. St.R. II S. 407. Diese Rechts-
ordnung selbst wird dabei freilich in sehr weitem Sinne genommen und umfaſst
keineswegs bloſs Rechtssätze; vgl. oben § 12 Note 2.
Bernatzik, Rechtskraft S. 37, berichtet das wenigstens als die gewöhnliche Mei-
nung. — Wenn die Gesetzgebung, wozu sie ja im stande ist, die Verwaltungsrechts-
pflege auf reine Rechtsprechung beschränken will, so drückt sie das gern so aus,
daſs bestimmt wird: die Verwaltungsgerichte seien in „Ermessensfragen“ nicht zu-
ständig. So Österr. Ges. über Errichtung eines V.G.H. v. 22. Okt. 1875 § 3 lit. c;
Bayr. Ges. v. 4. Aug. 1878 Art. 13 Ziff. 3; vgl. auch Württemb. Ges. v. 16. Dez.
1876 Art. 13 Abs. 2.
Schriftenwechsel: Bernatzik, Rechtskraft S. 36 ff.; Tezner, Zur Lehre von dem
freien Ermessen der Verwaltungsbehörden (Separatabdruck aus Allg. Österr. Ger.-
Rechtskraft, hat ein Mittel gefunden, um im voraus zu wissen, was sie nur bringen
kann. Er gebraucht für das, was wir hier meinen und Verwaltungsrechtspflege
nennen, d. h. für die Verwaltungsthätigkeit, aus der das rechtskräftige Urteil hervor-
geht, den Ausdruck Rechtsprechung. Dagegen ist nichts zu sagen (oben Note 3).
Nachdem er aber diesen Ausdruck gewählt hat, behauptet er (S. 63): in dem Wort
Rechtsprechung, das er nun streng nimmt, sei die Antwort auf die Frage nach
dem Begriff „von selbst gegeben“; es könne sich bei dieser Verwaltungsthätigkeit
nur um eine echte Entscheidung handeln. Ist das eine zulässige Beweisführung?
beiden Arten von Ermessen giebt Seydel, Bayr. St.R. II S. 441, im wesentlichen
übereinstimmend mit obigem; die Bezeichnung als richterliches und als administra-
tives Ermessen oder Ermessen der Verwaltung ist aber keine glückliche. Bei den
einfachen Verwaltungsbehörden findet sich ganz das gleiche gebundene Ermessen
wie bei den Gerichten. — Daſs die Behörde, welcher das freie Ermessen zusteht,
gleichzeitig durch ihre Amtspflicht oder durch ausdrückliche Dienstanweisung in
der engsten Weise gebunden sein kann, nur in einer ganz bestimmten Weise davon
Gebrauch zu machen, ist für den Begriff gleichgültig. Es handelt sich dabei nur
um „die rechtliche Freiheit der Entschlieſsung“ (Laband, St.R. I S. 687), also
um das Verhältnis der Behörde nach auſsen den Unterthanen gegenüber und dafür
ist die Dienstpflicht ohne Einfluſs. Tezner, Zur Lehre vom freien Ermessen
S. 20, erläutert das auch als die Auffassung des Österr. Ges. über die Errichtung
eines V.G.H. § 3 lit. c; man habe, sagt er, bei dem Ausdruck freies Ermessen
nur gedacht an die „Nichtverbundenheit und Nichtgebundenheit der Organe der
obrigkeitlichen Gewalt gegenüber dem Einzelnen“. — Indem Bernatzik den Unter-
schied zwischen rechtlicher Gebundenheit nach auſsen und dienstlicher Gebunden-
heit verkennt, ist es ihm gelungen in dem Satze: „Thue was du glaubst, daſs es
durch das öffentliche Wohl bedingt ist“, eine groſse allgemeine Rechtsnorm zu
finden, vermöge deren alle Verwaltungshandlungen gebunden und folglich Recht-
sprechung sind (Rechtskraft S. 46). Den Glauben an diese Rechtsnorm hat er sich
auch seither nicht rauben lassen (Grünh. Ztschft. 18 S. 150). Sein Gegner Tezner,
Zur Lehre vom freien Ermessen S. 19, verfällt in denselben Fehler, wenn er dort
das freie Ermessen für ausgeschlossen hält, sobald das obrigkeitliche Organ „ver-
möge seiner Amtspflicht“ genauer gebunden ist.
satz aufgestellt, daſs es in Ermessenssachen keine Verwaltungsrechtspflege geben
soll (Art. 13 Ziff. 3). Nun kommt aber in Art. 11 der Fall von Auseinandersetzungs-
sachen, bei welchen nur nach freiem Ermessen in der Weise des Teilungsurteils
die Erledigung stattfinden kann. Das soll im Wege der Verwaltungsrechtspflege
geschehen. Das Gesetz sagt, es tritt „schiedsrichterliche Entscheidung“ ein, welche
in zweiter Instanz der Verwaltungsgerichtshof macht (Art. 10 Abs. 3). Warum
schiedsrichterlich? Das Verfahren und die Wirkungen des Ausspruches sind die
nämlichen, wie bei jedem anderen Fall von Verwaltungsrechtspflege; Krais, Kom.
S. 152; Kahr, Kom. I S. 163. Es ist gar kein Grund einzusehen, warum eine
öffentliche Behörde, die in ihrer Zuständigkeit vorgeht, auf einmal Schiedsgericht
heiſsen soll. Mit diesem Namen will der Gesetzgeber offenbar nur die Thatsache
verhüllen, daſs hier, im Widerspruch mit dem unnötigerweise unbedingt auf-
gestellten Grundsatze, Verwaltungsrechtspflege eben doch in einer Sache des freien
Ermessens stattfindet.
v. 1. Aug. 1883 § 57: gegen den Beschluſs auf Einziehung oder Verlegung öffent-
licher Wege steht den Beteiligten die Klage zum Verwaltungsgericht zu. Beteiligt
sind aber „alle bei der Veränderung Interessierten“; v. Brauchitsch, V.Gesetze
I S. 303; O.V.G. 5. Juni 1874 (Samml. IV S. 233). In gleichem Sinn wird nach
diesem Gesetze die Zweckmäſsigkeit einer Anordnung zum Gegenstand der Prüfung
des Verwaltungsgerichts in Schulbausachen (§ 47), Wegebausachen (§ 56), Angelegen-
heiten der Räumung von Gräben und Wasserläufen (§ 66). Ebenso wird nach § 67
über die Festsetzung der Höhe des Wasserstandes bei Stauwerken, welche „beim
Mangel rechtsverbindlicher deutlicher Bestimmungen“ durch eine Sachverständigen-
kommission vorgenommen wird, falls die Beteiligten nicht damit zufrieden sind,
durch Klage zum Verwaltungsgericht eine Nachprüfung erwirkt. — Zust.Ges. v.
29. Juni 1875 § 155 gewährte eine Klage zum Verwaltungsgericht gegen Verfügungen
der Ortspolizeibehörde in Bausachen; dazu sagt O.V.G. 13. März 1879: die Ver-
waltungsrechtspflege werde mit Unrecht für unzulässig gehalten, wo dem Kläger
ein Recht auf Erlangung der Bauerlaubnis nicht zustehe, sondern die diskretionäre
Gewalt der Behörde entscheide; denn § 155 Zust.Ges. „läſst den Verwaltungs-
richter an die Stelle der Verwaltungsbehörde im engern Sinn treten mit eigner Er-
wägung auch der Zweckmäſsigkeit und Angemessenheit“. Vgl. auch O.V.G. 12. Febr.
1880 (Samml. VI S. 298). — Das französische Recht, welches sonst den Begriff des
Rechtsprechungsaktes, acte du contentieux, als des natürlichen und häufigsten
Gegenstandes der Verwaltungsrechtspflege, am feinsten ausgebildet hat, beruft
gleichwohl dazwischen mit ausdrücklichen Gesetzesbestimmungen die Verwaltungs-
rechtspflege zu Anordnungen, die nur aus dem Gesichtspunkte der Zweckmäſsigkeit
zu prüfen sind. So z. B. code forestier Art. 90, wo der Präfekturrat durch Urteil
im gewöhnlichen Verwaltungsstreitverfahren ausspricht, ob gemeindliche Weide-
gründe entsprechend dem Verlangen der Forstbehörde aufzuforsten sind oder nicht.
Das bayrische Recht scheidet in solchem Fall: ob die Behörde solches anordnen
kann, ist Rechtsfrage und gehört vor das Verwaltungsgericht, ob sie davon Gebrauch
machen soll, ist Ermessensfrage und von der Rechtspflege ausgeschlossen (Seydel,
Bayr. St.R. II S. 154). Das französische Recht giebt der Rechtspflege auch das
letzere. — In ähnlicher Weise wird das bayrische Recht dem preuſsischen gegen-
über überall den Gegensatz der Ermessensfrage hervortreten lassen, in Fällen wo
dieses ihn nicht berücksichtigt. Die Beispiele, die Seydel, Bayr. St.R. II S. 442,
anführt, würden nach preuſsischem Recht durchweg eine ungeteilte Zuständigkeit
des Verwaltungsgerichts begründen. So namentlich die Bedürfnisfrage bei Wirt-
schaftserlaubnissen ist nach bayrischem Recht von der Verwaltungsrechtspflege aus-
geschlossen (V.G.H. Samml. 28. Sept. 1880; II S. 77), nach preuſs. Zust.Ges. § 114
gehört sie dazu. Der Gegensatz ist nicht etwa begründet in einer verschiedenen Auf-
fassung des Begriffs des freien Ermessens. Darüber ist man beiderseitig einig, daſs
die Bedürfnisfrage eine Sache des freien Ermessens ist. V.G.H. 16. März 1880 (Samml. I
S. 185); Kahr, Kom. I S. 95; und O.V.G. 20. Okt. 1880, 8. Juni 1881;
v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 345. Es ist einfach der Wille des Gesetzes, hier,
daſs diese Sachen der Verwaltungsrechtspflege zugeteilt sein sollen, dort, daſs das
nicht der Fall ist.
herrschenden Lehre nicht verschlieſsen; sie verdirbt die schönsten Begriffs-
bestimmungen. — Bei v. Stengel, in Wörterbuch II S. 713 ff., nimmt die Sache
z. B. folgenden Gang. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist zuerst „die Entscheidung
von Streitigkeiten über Ansprüche und Verbindlichkeiten auf dem Gebiete des
öffentlichen Rechts … die Ausübung der V. ist Rechtsprechung“. Sodann, wie
oben Note 8 erwähnt, wird anerkannt, daſs der Umfang der V. nach manchen
Gesetzen über ihre natürlichen Grenzen hinaus erweitert worden ist, indem man
ihr statt bloſs den Schutz individueller Rechtsverhältnisse auch die Aufrecht-
erhaltung der Rechtsordnung überwiesen hat (S. 714). Endlich S. 717 heiſst es:
„Neben den soeben besprochenen Rechtsstreitigkeiten sind den deutschen Ver-
waltungsgerichten nicht selten Angelegenheiten zur Erledigung überwiesen, in
welchen die Entscheidung lediglich aus Gründen der Zweckmäſsigkeit und des
billigen Ermessens zu erfolgen hat“. — G. Meyer, V.R. I S. 45 ff., beginnt gleich-
falls mit dem Ausschluſs von Sachen des freien Ermessens (S. 47). Nachher wird
aber (Note 4 zu S. 47) ein „freies Ermessen im strengen Sinn“ unterschieden.
Verwaltungsakte, bei denen nur ein „gewisses Ermessen“ der Behörden maſsgebend
wird, eignen sich zwar weniger zur Verwaltungsrechtspflege, können aber doch an
sie verwiesen sein. Endlich wird bemerkt, daſs die Zuständigkeit der preuſsischen
Verwaltungsgerichte, die in dieser Beziehung am weitesten geht, „auf denjenigen
Gebieten, wo es sich lediglich um Zweckmäſsigkeitserwägungen und Beurteilungen
thatsächlicher Verhältnisse handelt“, neuerdings einigermaſsen beschränkt worden
ist. — Roesler in Grünh. Ztschft. IV setzt S. 202, S. 205 das begriffliche Wesen
der Verwaltungsrechtspflege in die Rechtsanwendung und sieht sich dann S. 250
genötigt, die Verletzung des Princips im preuſsischen Recht zu beklagen. Ebenso
v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 79, S. 230; im Nachtrag (S. 744 und 745) be-
spricht er das Reichsges. v. 15. Juli 1880, Abänderung des § 32 der Gew.O. betr.:
es handelt sich dabei um eine „ganz ausschlieſsliche Ermessensfrage“ und deshalb
„kann die preuſsische und bayrische Gesetzgebung, welche die Entscheidung hierüber
den Verwaltungsgerichten zuweist, noch weniger als bisher gebilligt werden“. Ist
diese Verwaltungsrechtspflege, welche von den Gesetzen angeordnet, von den
Schriftstellern zu Ehren ihres Begriffes miſsbilligt wird, Verwaltungsrechtspflege
oder nicht? — Bernatzik hat durch seine allgemeine Rechtsnorm (oben Note 10)
den Begriff der Rechtsprechung soweit ausgedehnt, daſs er so ziemlich alle Fälle
des freien Ermessens umfaſst, an welchen die andern Schriftsteller sich stoſsen,
und sie dadurch „geeignet“ macht zur Verwaltungsrechtspflege. Nur eine gewisse
Art von Ermessen schlieſst er aus; das ist das von ihm so genannte technische
Ermessen; diesem wenigstens gegenüber ist eine nachprüfende Verwaltungsrechts-
pflege, eine Rechtskontrolle durch das Verwaltungsgericht nicht möglich. That-
sächlich ist das Verwaltungsgericht auch für solche Sachen zuständig erklärt; allein
dadurch wird das Princip nicht gebrochen: „Wo darüber hinaus scheinbar in Er-
messensfragen judiziert wird, unterscheidet es sich in nichts von einer gewöhnlichen
Verwaltungsbehörde“ (Rechtskraft S. 46). Wenn man alles, was nicht stimmt, für
bloſsen Schein erklärt, kann man natürlich jede Begriffsabgrenzung durchführen.
solchen Sachen (Verwaltungsrechtssachen), welche das bayrische Gesetz giebt, be-
merkt Krais, Kom. S. 47: „Andere als die in den erwähnten Artikeln aufgeführten
Angelegenheiten sind daher, auch wenn sie ihrem Wesen nach als Verwaltungs-
rechtssachen betrachtet werden könnten, nicht als solche zu behandeln“. Daraus
mag man ersehen, wie wenig es dem Begriff der Verwaltungsrechtsprechung hilft,
daſs man ihn für „von selbst gegeben“ erklärt.
als reine Verwaltungssachen, um erst zuletzt vor dem Verwaltungsgerichtshofe
Gegenstand der Verwaltungsrechtspflege zu werden; Krais, Kom. S. 204. — Nach
preuſs. Recht nimmt ein Streit über die Wegeunterhaltung gemäſs § 56 Zust.Ges.
folgenden Gang. Die Wegepolizeibehörde ordnet an; der Belastete erhebt Ein-
spruch, über welchen die Behörde beschlieſst. Gegen den Beschluſs findet die
Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt. Weder die Anordnung, noch der Be-
schluſs sind Verwaltungsrechtspflege, das Urteil auf die Klage wohl. Wo ist der
Unterschied? Das subjektive Recht, die Rechtsordnung, die Rechtsprechung sind
doch in allen drei Fällen die nämlichen.
des Interesses zu berufen, welche staatlicherseits dabei verfolgt würden (Bernatzik,
Rechtskraft S. 63; v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 73 ff.; Laband, St.R. II
S. 345, 346). Das alles bedeutet nichts für uns, sofern nicht auch die Rechts-
gestalt des Aktes danach sich ändert; dann aber ist diese allein das Unter-
scheidende.
nister ist Verwaltungsgericht; Theorie des Franz. V.R. S. 131. — Damit widerlegt
sich die Auffassung, welche das Wesen der Verwaltungsrechtspflege in einer
„instanzmäſsig organisierten und durch unabhängige Organe geübten Rechtsprechung“
finden will; v. Brauchitsch, V.Gesetze 1. Aufl. S. 158; O.V.G. 5. Mai 1877
(Samml. II S. 405).
rechtspflege kann also nicht wesentlich darin liegen, „durch ein geordnetes, mit
mündlicher Verhandlung verknüpftes Verfahren möglichst weit reichende Garantien
für eine sachgemäſse Behandlung und Erledigung zu gewähren“; O.V.G. 30. Mai
1876 (Samml. I S. 288).
richtung eines V.G.H. Art. 31 Abs. 3 sollen die zur Entscheidung von Verwaltungs-
rechtssachen gebildeten Senate der Kreisregierungen auch die Fragen des freien
Ermessens mit erledigen, die sich dabei ergeben. Das geschieht ganz in dem ge-
setzlich vorgeschriebenen Verfahren der Verwaltungsrechtspflege (Kahr, Kom.
S. 227; Seydel, Bayr. St.R. II S. 444); gleichwohl ist selbstverständlich, daſs
diese Behörden dabei „nicht als Verwaltungsgerichte handeln“. Eigentlich würde
ja alles dazu stimmen; aber das Bayr. Ges. will es nicht gemäſs seinem strengen
Grundsatz gegenüber Ermessenssachen.
Verwaltungsbehörde zugleich Verwaltungsgericht ist und kein gesetzlich geregeltes
Verfahren besteht. Dann entscheidet sich die Frage, ob sie als Gericht gehandelt
hat, lediglich danach, ob sie nach Anhörung der Parteien gesprochen hat oder
nicht. Letzterenfalls ist der Akt auch gültig, aber er hat nicht die besondere
Wirkung eines Urteils. Bl. f. adm. Pr. 22 S. 408; V.G.H. 16. Jan. 1880 (Samml. I
S. 102); 1. Febr. 1881 (Samml. II S. 568); 26. April 1881 (Samml. II S. 710);
1. Mai 1883 (Samml. IV S. 489). Vgl. auch Theorie des Franz. V.R. S. 133 ff.
führt: daſs die Vorschriften der C.Pr.O., auch wenn sie nicht unmittelbar rechts-
verbindlich gemacht sind für die Verwaltungsrechtspflege, ihr doch als Anhalt dienen
zur sachgemäſsen Führung des Verfahrens. — Die Notwendigkeit eines dem Urteil
vorausgehenden Verfahrens möchte auch Bernatzik, Rechtskraft S. 63 und 64,
hervorheben. Er führt sie zurück auf eine damit „untrennbar verbundene Vor-
stellung“. — Über Parteirechte: Merkel, Encyklopädie § 770. v. Sarwey,
Öff. R. u. V.R.Pfl., sieht gemäſs einer auch sonst verbreiteten Lehrmeinung
in dem publizistischen Klagerecht und dem Parteirecht überhaupt nur den Aus-
fluſs des dahinterstehenden materiellen Rechtsanspruchs, der dadurch gesichert
werden soll. Darüber Wach, Feststellungsanspruch S. 22 ff. Gerade die Ordnung
des Verwaltungsrechtsschutzes beweist aufs klarste, daſs materielle subjektive
Rechte bestehen können ohne Rechtspflege und folglich ohne entsprechende Partei-
rechte, und daſs andererseits Rechtspflege und folglich Parteirechte gewährt sein
können zum Schutz beliebiger materieller Interessen, die ihrerseits nicht die Ge-
stalt von subjektiven Rechten haben.
Amte), § 119 und § 120 (Untersagung von gewerblichen Betrieben u. s. w.). —
Loening, V.R. S. 797, nennt zunächst als Voraussetzung des Verwaltungsstreit-
verfahrens schlechthin die Klage des verletzten Unterthanen; nachher (S. 817, 818)
wird dann richtig hinzugefügt, daſs auch dem Staate die Stelle des Klägers zu-
erteilt sein kann; dadurch muſs freilich auch die ganze Einrichtung in ein andres
Licht treten.
der Verwaltungsrechtspflege: Krais, Handb. I S. 63; Seydel, Bayr. St.R. II
S. 394; V.G.H. 12. Okt. 1870 (Samml. II S. 94).
in Wörterbuch S. 792; v. Sarwey, Öff. u. V.R.Pfl. S. 733; Roesler in Grünh.
Ztschft. IV S. 268; v. Stengel, Preuſs. Organis.Ges. S. 524; Seydel, Bayr. St.R.
II S. 393; Schmitt, Grundlagen der Verw.R.Pfl. S. 128; Laband, St.R. I
S. 397. Besonders kräftig Bad. V.G.H. 14. März 1871 (Samml. S. 92).
S. 230.
Rechtskraft S. 127 ff.; O.V.G. 5. Okt. 1885 (Samml. 12 S. 369); Seydel, Bayr.
St.R. II S. 504. — Die wahre Rechtskraft bedeutet aber im Gegensatz dazu eine
Unabänderlichkeit, welche auf einer besondern eignen Kraft des Aktes selbst be-
ruht, daher auch die ihn erlassende Behörde selbst daran gebunden ist (Bl. f.
adm. Pr. 1876 S. 139 ff.) und der Akt eine Tragweite bekommt über dieses Ver-
fahren hinaus (Schanze, Ztschft. f. Stf.R.V. IV S. 459). — Treffend R.G. 2. Juni
1881 (Reger, II S. 77): Strafbefehl wegen verbotenen Schieſsens vollstreckbar
geworden; nachher Anklage wegen fahrlässiger Tötung durch eben diesen Schuſs;
die Einrede ne bis idem wird verworfen. Wenn nach Stf.Pr.O. § 450 bei ver-
säumtem Einspruch der Strafbefehl „die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils“ er-
langen soll, so kann darin „wohl eine Gleichstellung desselben mit dem Urteil be-
züglich der Anfechtbarkeit und Vollstreckbarkeit, nicht aber mit derjenigen Wirkung
des Urteils, welche gerade in der ihm vorausgehenden Verhandlung ihren Grund
hat, gefunden werden“. Diese letztere ist die wahre Rechtskraft, die nicht bloſs
das Verfahren erledigt, sondern auch das Verhältnis zwischen Staat und Unterthan
für diesen Fall erschöpfend bestimmt, so daſs insbesondere die „Konsumtion der
Strafklage dadurch bewirkt wird“. Hiermit ist das ganze Wesen der Rechtskraft
gekennzeichnet: ihr besonderer Ausgangspunkt und ihre besondere Tragweite.
S. 438 (nachher S. 449 kommt er auf den richtigen Sinn zurück). Die gleiche
Ausdrucksweise in Österr. V.G.H. v. 8. Okt. 1879 (Budwinsky, III S. 326) und
7. Nov. 1882, 5. Dez. 1883 (Budwinsky No. 2281, No. 2316).
Rechtskraft S. 86; Glaser, Stf.Pr. I S. 9 ff.; Schanze in Ztschft. f. St.V. IV
S. 475.
Recht erst durch die Bemühungen der Parteien herausgearbeitet wird, liegt der
Grund, weshalb die Rechtskraft auf die Parteien beschränkt bleiben muſs“. S. 94
Note kommt dann ein sehr bedeutsamer Vergleich: da das Urteil auf diese Weise
zugleich das Werk der Parteien ist, „versteht sich die Rechtskraft des Urteils
ebenso, ja noch mehr von selbst, wie die absolute Verbindlichkeit des Gesetzes“.
Auch dieses bietet bei seiner Entstehung „einen der Herstellung des konkreten
Rechtes durch den Prozeſs parallel gehenden Grundzug“ in dem Zusammenwirken
der Volksvertretung mit dem Staatsoberhaupt, das schlieſslich das Gesetz erläſst.
— Kloeppel, a. a. O., bringt einen andern Vergleich: die Rechtskraft gründet
auch er auf die Mitwirkung der Parteien, durch welche das konkrete Recht „heraus-
gefördert“ wird. Diese Mitwirkung aber ist eine Anteilnahme an der Ausübung
der öffentlichen Gewalt durch die Parteien, „die hierbei zugleich eine Selbst-
verwaltung öffentlichen Rechts ausüben“. Schon vorher (S. 83) waren die Einzelnen
nach ihrer Rechtsstellung im Prozeſs als Träger einer öffentlichen, einer „Selbst-
verwaltungsfunktion“ bezeichnet worden. Das alles darf natürlich nicht mehr sein
wollen, als ein Vergleich, der wohl geeignet sein mag, die Sache anschaulich zu
machen. Die innere Zusammengehörigkeit des Anteils der Unterthanen an der
Verwaltungsrechtspflege mit der Selbstverwaltung ist auch in Theorie des Franz.
V.R. S. 22 betont und die Rechtskraft aus diesem Recht der Partei gefolgert
worden (S. 102).
ähneln denen der materiellen Rechtskraft“.
des parlamentarischen Parteiregiments“ (Jolly in Tüb. Ztschft. 1879 S. 578),
„eine Schöpfung vorzugsweise germanischer Auffassung von Staat und Recht“
(Gneist in Holtzendorffs Rechtslex. III S. 1113), „eines der groſsen Principien,
auf welchen die Wohlfahrt und Freiheit der Staaten beruhen“ (v. Stein, V.Lehre
I, 1 S. 374), u. s. w.
aus, daſs das Gesetz, welches die Verwaltungsrechtspflege ordnet, althergebrachte
Begriffe von Verwaltungsstreitsachen stillschweigend übernimmt. Ein hervorragendes
Beispiel bietet der acte du contentieux des französischen Rechts (Theorie des
Franz. V.R. S. 103).
Verwaltungsrechtspflege gemeint sein soll, wenn es heiſst, die Behörde „entscheidet“
darüber, nicht Verwaltungsrechtspflege dagegen, wenn es heiſst, die Behörde „be-
schlieſst.“ Das Bayr. Gesetz bezeichnet die Zugehörigkeit einer Sache zur Ver-
waltungsrechtspflege durch den Namen „Verwaltungsrechtssache“.
Rechtsinstitut der Anfechtungsklage gegen polizeiliche Verfügungen (L.V.G. § 127).
Das bayr. Recht durchbricht seine Aufzählung durch den allgemeinen Satz, daſs
alle diese Sachen nur soweit zur Verwaltungsrechtspflege gehören, als sie Recht-
sprechungsfragen enthalten. Umgekehrt haben württemb., österreich., franz. Recht
einen allgemeinen Grundsatz, wonach sich bestimmt, was zur Verwaltungsrechts-
pflege gehört, zählen aber daneben wieder einzelne Sachen auf, die ihr unabhängig
davon zugewiesen sind (Würt. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 10; Ulbrich, Öster.
St.R. S. 449 ff.; Theorie des Franz. V.R. S. 110).
drücken contentieux a priori und contentieux a posteriori.
man einseitig nur ihre Dienste für die „Rechtskontrolle“ hervorhebt. So Gneist,
Rechtsstaat S. 273ff.; Loening, V.R.S.797; am rückhaltslosesten Bornhak, Preuſs.
St.R. II S. 417: „Das Wesen der Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht daher in der
Aufsicht gegenüber Verwaltungsakten der Behörden“. Er verkennt nicht, daſs die
Verwaltungsgerichte dazwischen in Form des Prozesses „selbst die ursprüngliche
Anordnung erlassen“ (S. 419). Da hilft ihm aber das bekannte Formular: es ist
Verwaltungsrechtspflege nur im formellen, nicht im materiellen Sinn! — Umgekehrt
möchte Leuthold in Annalen 1884 S. 427 ff. an Stelle der bloſsen Kontrolle, die
ihm nicht genügt, alles Vorgehen der öffentlichen Verwaltung an die Form der ur-
sprünglichen Rechtspflege binden; statt „Selbsthülfe“ zu üben, soll sie künftig den
betreffenden Unterthan verklagen (S. 430); sogar das Verhältnis des Soldaten zum
Befehlshaber würde so zu behandeln sein (S. 434). „Theoretisch, heiſst es, läſst
sich kaum ein Grund finden, warum im Falle der Weigerung des Gehorsams die
öffentliche Verwaltung von dem Klagewege entbunden sein sollte“. Das Wort
theoretisch ist hier entschieden im Sinne von utopistisch gebraucht.
rolle zu haben, muſs man nicht notwendig Kläger oder Beklagter sein; es giebt
auch einseitige Parteirollen.
Gneist, Rechtsstaat S. 275: „Ein sachlicher Unterschied beider Fälle besteht
nicht“. Da es in der Verwaltungsrechtspflege keine Partei giebt, so giebt es folge-
richtig dort auch keine Rechtskraft (S. 276). Gneist ist auch sonst, z. B. in den
Verhandlungen des zwölften deutschen Juristentags (Bd. III S. 239), gegen die
Übertragung dieser „civilistischen“ Begriffe aufgetreten. Aber das Ding, das er
nach glücklicher Abstreifung alles Civilrechtlichen übrig behält, würden wir niemals
Verwaltungsrechtspflege nennen.
individuell berechtigtes Subjekt, entweder eine Privatperson oder ein Kommunal-
verband oder eine öffentliche Körperschaft, b. ein Verwaltungsorgan“. Das wird
nun S. 61 erläutert. Bei Anfechtungsklagen und dergleichen handelt es sich um
Sachen, „bei denen auf der einen Seite eine öffentliche Behörde beteiligt ist“.
Diese Behörde „nimmt in Preuſsen, Baden und Anhalt die Stellung einer Prozeſs-
partei ein“. In Bayern und Württemberg dagegen werden solche Sachen „mehr
in Form einer Verwaltungsbeschwerde als in der eines Prozesses behandelt“. Das
soll doch nicht heiſsen, daſs dort das Verwaltungsgericht keine Rechtspflege daran
übe? Wer ist aber alsdann die „entgegenstehende Partei“? Aber auch in jenen
ersteren Fällen ist eine wahre Parteieigenschaft der Behörde nicht gemeint; daſs
sie „die Stellung einer Prozeſspartei einnimmt“, soll offenbar nur die Prozeſs-
führerschaft andeuten. — Noch deutlicher tritt diese Verschiebung hervor bei
v. Stengel, Organis. Ges. S. 503 ff. Erst wird ganz richtig unterschieden, daſs
die Parteirolle der Staatsanwaltschaft im Strafprozeſs nur „formelle Bedeutung hat“,
dagegen im Civilprozeſs „die Parteistellung eine materielle Bedeutung“. Das Ver-
waltungsstreitverfahren soll nun im wesentlichen dem Civilprozeſs nachgebildet
sein; Parteien sind: der Einzelne, der sich verletzt glaubt, und die Behörde, deren
Akt angefochten wird (S. 504, 505). Die Behörde handelt aber ja gar nicht im
entschieden Glaser, Stf.Pr.R. I S. 75, II S. 143, 144.
vgl. Schmitt, Grundlagen der V.R.Pfl. S. 124, Loening, V.R. S. 797, S. 817 ff.;
Seydel, Bayr. St.R. S. 486 ff. — Dagegen Roesler in Grünh. Ztschft. IV S. 326,
Parteirolle im Prozesse ebenso gleichgültig, wie dies hinsichtlich der Stellung des
Staatsanwalts im Strafverfahren gleichgültig ist“. Also doch keine Parteistellung
im Sinne des Civilprozesses, sondern eine Parteirolle wie sie die Staatsanwaltschaft
im Strafprozesse hat. Was gilt nun? — Die Preuſs. Verwaltungsgesetzgebung ist
allerdings dazu angethan, durch ihre Ausdrucksweise Verwirrung anzurichten. Sie
zeigt darin unter dem Einfluſs der Lehren Gneists eine gewisse Gleichgültigkeit
gegen den eigentlichen Parteibegriff; dafür aber, wie Eccius in Hartmanns Ztsch.
III S. 235 betont, ist sie in der Gestaltung der Parteirollen über das hinaus-
gegangen, was Gneist wollte, und hat sie nicht so ganz einfluſslos gelassen. Des-
halb sind es aber doch immer nur Parteirollen, von welchen sie spricht. Ob und
wie weit wirkliche Parteien dahinter stehen, ist eine andre Frage. — Die Partei-
rolle der Behörde dient insbesondere auch zur Regelung des Kostenpunktes.
In der Strafrechtspflege ist die Sache einfach: unterliegt der Staatsanwalt, so
werden dem Angeklagten seine Kosten gleichmäſsig von dem Justizfiskus ersetzt.
In der Verwaltung kann die prozeſsführende Behörde auch eine andere Kasse als
die des Staates hinter sich haben; unterliegt sie, so fallen diese Ersätze „dem-
jenigen zur Last, der nach gesetzlicher Bestimmung die Amtsunkosten der Behörde
zu tragen hat“ (v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 104 Note 186 zu § 107 L.V.G.),
also insbesondere etwa dem entsprechenden Kommunalverband. Ein Beispiel, wie
bei der Einziehung dieser Kosten verfahren wird, in O.V.G. 8. Dez. 1879. Das
beweist, daſs die Behörde nicht Partei ist, beweist aber nicht, daſs der Kommunal-
verband Partei ist, so wenig wie der Staat, der im Strafprozesse die Kosten
trägt.
Note 134 u. 135; Parey, V.R. I S. 113.
Thatsache, daſs nach württemb. Recht für die wichtigste Gruppe von Verwaltungs-
streitsachen die Person eines Beklagten gar nicht zu bezeichnen ist, daſs „das
Gesetz bei solchen keinen Beklagten in der Parteistellung kennt“. Er verweist
S. 713 auf die bayr. Verwaltungsrechtspflege, in welcher sich ähnliche Erscheinungen
ergeben müssen. — Seydel, Bayr. St.R. II S. 481, bestätigt die Thatsache, giebt
ihr aber eine andere Erklärung. Ein Rechtsstreit, sagt er, setzt notwendig streitende
Teile voraus. „Die beiden Streitteile können möglicherweise auch Prozeſsparteien
sein; aber notwendig ist dies nicht. Die Staatsgewalt als solche verzichtet in der
Regel … auf die Stelle einer Partei im Prozeſs“. Allein so steht die Sache
nicht. Der im Rechtsverband des Prozesses Begriffene, die Partei, kann ja darauf
verzichten, im Prozeſs vertreten zu sein; Partei bleibt er deshalb doch, und gerade
durch seine Unthätigkeit wirkt er, wie Bülow im Arch. f. civ. Pr. 62 S. 90 dies
schön ausführt, mit an der Gestaltung des Urteils. Der Verzicht aber, von dem
Seydel hier spricht, gehört zur ordentlichen Einrichtung des Verfahrens; die Staats-
gewalt soll darin keine Parteirolle führen, also hat ihr Fernbleiben auch keine
Wirkungen auf das Urteil. Eine Partei aber, deren Mitwirkung im Verfahren nicht
vermiſst wird, ist keine. Und warum verzichtet die Staatsgewalt? Nach Seydel
deshalb, weil sie im Prozesse doch nichts anderes wollen kann als das Gericht
und weil wenigstens in den Unterinstanzen eben jene Behörde zugleich Ver-
waltungsgericht ist, durch deren in seinem Namen erlassenen Akt der Rechtsstreit
entstanden ist, weil er also nur zu gut schon vertreten ist. Mit diesem Gedanken-
S. 712.
öffentlichen Rechts, womit die Fälle der Verwaltungsrechtspflege zwischen mehreren
sich gegenüberstehenden Parteien bezeichnet sein sollen, nur die Rechtsbeschwerde
oder Verwaltungsklage wegen Gesetzesverletzung gegenüber stellt. So v. Sarwey,
Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 113 ff. (der damit das württemb. R. nach Ges. v. 16. Dez.
1876 Art. 10 und Art. 13 verallgemeinert); v. Stengel, Organis. Ges. S. 44; Seydel,
Bayr. St.R. II S. 481 Note 3. Die Verwaltungsrechtspflege mit einer Partei ist
weit umfangreicher; vgl. unten S. 206.
als heimliche Partei zu entdecken, die nur auf die Parteirolle verzichtet, weil sie
dasselbe wollen soll wie das Gericht und durch dieses ihr Interesse an der Sache
genügend gewahrt ist.
licher Erlaubnis zu Gewerbeanlagen beim Einspruch Dritter; Gew.O. § 19 ff.;
Landmann, Komment. I S. 166 ff.
bühren und Erbschaftssteuern vor den sogenannten verwaltungsrechtlichen Senaten
der Regierungsfinanzkammern ein Beispiel sein. Ein Staatsanwalt vertritt hier
das Ärar, d. h. die Staatsgewalt. Eine Staatsanwaltschaft ist auch am Verwaltungs-
gerichtshofe. Dort soll sie nicht die Staatsgewalt vertreten, „als an der Sache be-
teiligte Prozeſspartei, sondern das öffentliche Interesse an einer richtigen und
gleichmäſsigen Rechtsprechung“. Allein nach richtiger Auffassung ist ihr Zweck
auch bei den Regierungsfinanzkammern kein anderer; Krais, Komment. S. 242,
246. Es handelt sich also nur um eine Parteirolle. — Eine wirkliche Parteistellung
bekommt der Staat jedesmal, wo die Sache zur Zuständigkeit der Civilgerichte ver-
wiesen ist; unten § 16.
den Gegensatz des französischen recours en cassation und der reichsrechtlichen
Revision vgl. Begründung des Entw. d. C.Pr.O. S. 42 ff.: „Der Kassationshof
ist ein Organ der oberaufsehenden Gewalt des Staats, der Revisionshof ist ein
Gericht, welches den Parteien Recht spricht“. Ähnlich auch schon der Entw. zur
Bayr. C.Pr.O. v. 1869 S. 635. Der Erstere spitzt den Gegensatz noch dadurch zu,
daſs er behauptet, beim Kassationshof finde eine Vernichtung einseitig nur „im
öffentlichen Interesse“ statt. Das ist eine Verwechslung mit dem Rekurs des
Staatsanwalts „dans l’intérêt de la loi“. Der Rekurs der Parteien dagegen hat
1863 § 5, Württemb. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 10, Sächs. Ges. v. 30. Jan. 1875
§ 1. Das preuſs. Zust.Ges. giebt sie ohne Unterschied für zweiseitige wie für ein-
seitige Sachen (namentlich gewerbepolizeiliche Erlaubnisse § 114 ff.); ebenso Bad.
Ges. v. 14. Juni 1884. Als Vorbehalt im obigen Sinne wirkt nicht eine Bestimmung,
wie die des preuſs. V.Gerichtsges. v 3. Juli 1875 und des Ges. zur Abänderung
desselben v. 2. Aug. 1880 § 1, wonach die V.gerichte nur zuständig sein sollen
„für Streitsachen über Ansprüche und Verbindlichkeiten aus dem öffentlichen
Recht“. Das war, wie v. Brauchitsch, V.gesetze I S. 179, sagt, nur eine
„Direktive“, d. h. eine Meinungsäuſserung des Gesetzgebers, die er möglicher-
weise selbst nicht befolgt. Man hat den Satz mit Recht später weggelassen.
pflege angeordnet ist nur über die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der
Verbringung in eine polizeiliche Verwahrungsanstalt gegeben sind.
Saint-Prix, proc. civ. II S. 473; er wirkt auch für sie durch Vernichtung des
zwischen ihnen ergangenen Urteils, im Gegensatz zu jenem Rechtsmittel, welches
nur im öffentlichen Interesse verhindert, daſs aus dem Urteil, dessen Ansicht es
verwerfen läſst, der richtigen Auslegung des Gesetzes künftighin ein Präjudiz er-
wachse. Der Kassationsrekurs ist aber nichts anderes als unsere förmliche Be-
schwerde (oben § 12, II); die Beteiligten haben ein Recht auf Prüfung und Aus-
spruch, nur auf ihr Verlangen findet das statt, das Verlangen muſs in bestimmter
Frist gestellt sein, kurz alle Elemente des Beschwerderechts finden sich hier
wieder. Der Ausspruch des Kassationshofes hat, wenigstens nach der ursprüng-
lichen Einrichtung, niemals Rechtskraft; das angefochtene Urteil ist vernichtet oder
bestehen geblieben; die Rechtsauffassung des Kassationshofs ist dadurch nicht
bindend geworden für den Fall. Nach jeder Kassation geht die Sache einfach
wieder von neuem an; Merlin, répert. III S. 193 (convent. matr. § 2). Seit dem
Ges. v. 1. April 1837 ist das anders geworden; vgl. unten § 15 Note 15.
1878 mit seiner Einzelaufzählung der Verwaltungsstreitsachen und dem allgemeinen
Vorbehalte des Art. 13, wonach diese Zuweisung für Ermessensfragen nicht wirkt.
Der Satz des französischen Rechts, daſs nur actes du contentieux vor die Verwaltungs-
gerichte gehören, bedeutet dagegen eine Beschränkung der Verwaltungsrechtspflege,
aber keine beschränkte Verwaltungsrechtspflege: sobald an dem zu erlassenden
Akte etwas von freiem Ermessen sich findet, ist er kein acte du contentieux mehr;
geteilt wird er nicht.
Sache erledigt; dann thut sie es in verschiedener Eigenschaft, teils als einfache
Verwaltungsbehörde, teils als Verwaltungsgericht. So nach Bayr. V.Gerichtshof-
Ges. Art. 31 Abs. 3; Kahr, Komment. I S. 182, Seydel, Bayr. St.R. II S. 444.
Mit Unrecht giebt das v. Stengel in Wörterbuch II S. 717 als einen Fall, da
die Verwaltungsgerichte in Ermessensfragen entscheiden, gleich der Zuständigkeit
der preuſsischen Verwaltungsgerichte in Schulbausachen.
Art. 43. Bayr. Ges. v. 8. Aug. 1878 gebraucht für das Rechtsmittel, wenn es
gegen eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung geht, mehrfach den Ausdruck Be-
rufung (Art. 9 und 11), sonst durchgehends den Ausdruck Beschwerde ohne Unter-
schied, ob die erste Instanz als Verwaltungsgericht oder einfache Verwaltungs-
behörde gehandelt hatte. Jedenfalls ist das Rechtsmittel selbst immer das gleiche
§ 17 (Nichtigkeitsbeschwerde); Bad Ges. 14. Juni 1884 § 42 (Nichtigkeits-
beschwerde).
nur als Berufung bezeichnet werden (Merkel, Encyklopädie § 781; Parey, V.R.
I S. 190, S. 290). Wie nach bayr. Recht alle Verwaltungsrechtspflege, so ist auch
diese Berufungsinstanz beschränkt durch Ausschluſs der Punkte, in welchen freies
Ermessen zum Vorschein kommt; aber deshalb darf man doch nicht sagen, wie
G. Meyer, V.R. I S. 64 Note 29, der bayrische Verwaltungsgerichtshof habe „den
Charakter einer reinen Revisions- oder Kassationsinstanz“. Vgl. V.G.H. 7. Dez.
1880 (Samml. II S. 285): „Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht Kassationshof; er
ist auch nicht Revisionsgericht im Sinne der C.Pr.O., welches den Parteien aller-
dings Recht spricht, aber an die in dem angefochtenen Urteil festgestellten That-
sachen gebunden ist; er ist vielmehr wirkliches Instanzgericht“. Wegen der Beweis-
frage dabei vgl. unten Note 33.
S. 139 ff. Im Gegensatz zu dem dort Ausgeführten wird aber wohl anzunehmen
sein, daſs es sich hier nicht um Verwaltungsrechtspflege handelt. Dieser Rekurs
ist der Zwillingsbruder des recours en cassation; beide stammen aus den Zuständig-
keiten des alten conseil du roi; wie die Überwachung der Gerichte durch das
conseil privé, so wurde die Überwachung der Intendanten und sonstigen Ver-
waltungsbeamten durch das conseil des dépêches geübt. In der Praxis dieser
Unterabteilungen des Staatsrats haben beide Rechtsmittel ihre Gestalt ausgebildet
bekommen. Der Kassationsrekurs ist aber von Haus aus nur eine förmliche Be-
schwerde (oben § 12, II), der Ausspruch darüber ein Beschluſs, kein Urteil, im
Gegensatz zu unserer Revision, die ganz auf dem Boden der streitigen Rechts-
pflege bleibt; vgl. oben Note 18. Durch die spätere Gesetzgebung (Ges. v.
1. April 1837) ist der Kassationshof allerdings Gericht geworden: seine Aus-
durch Nichtanwendung oder unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts den
Kläger in seinen Rechten verletze“; nachgebildet Bad. Ges. v. 14. Juni 1884 § 4.
In gleichem Sinne Württemb. Ges. v. 16. Dez. 1876; Österr. Ges. v. 22. Okt.
1875 § 2.
setzungen nicht vorhanden seien, welche die Polizeibehörde zum Erlasse der Ver-
fügung berechtigt haben würden“; nachgebildet Bad. Ges. v. 14. Juni 1884 § 4
Abs. 2 Ziff. 2. — Daſs diese Ziffer 2 gegenüber der Ziffer 1 (Note 26) einen ganz
selbständigen Rechtsgedanken enthält, ist offenbar. Wenn man einen inneren
Zusammenhang herzustellen sucht, kommen nur Redensarten heraus. Vgl.
v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 132 und den S. 131 daselbst angeführten Kom-
missionsbericht.
wegen Machtüberschreitung hat sich diese Änderung nicht erstreckt. Er ist daher
förmliche Beschwerde geblieben.
Die Grenzen der Nachprüfung sind hier so eigenartig bestimmt, daſs das ganze
Rechtsinstitut nur möglich wird, wenn es wie in Frankreich aus der Praxis heraus-
gewachsen und von ihrem juristischen Takte getragen ist. Deswegen darf man
aber doch nicht so rasch darüber aburteilen, wie Bernatzik, Rechtskraft S. 239
Note 26, und Tezner in Grünh. Ztsch. XIX S. 394.
§ 63 Pos. 2 Abs. 3 (jetzt unser § 127 Abs. 3 Ziff. 2) beschränkt sich nicht darauf,
ob die Verfügung nach den geltend gemachten thatsächlichen Voraussetzungen in
abstracto möglich ist, sondern es wird geprüft, ob die rechtlich an sich zulässigen
thatsächlichen Voraussetzungen in concreto vorhanden sind“. O.V.G. 21. März 1879
(Samml. III S. 393, 394) bezeichnet diese beiden Punkte entsprechend: „wenn die
Behörde wesentliche Thatsachen vorausgesetzt hat, die nach dem wahren Sach-
verhalt nicht vorhanden sind“, das ist die Frage in concreto; und: „wenn behauptet
wird, die Verfügung überschreite die äuſsersten jenem Ermessen gezogenen Grenzen,
sie beruhe überhaupt nicht auf objektiven polizeilichen Motiven“ — sei also nicht
des Rechtsmittels wohl herausgefunden, wenn er daran hervorhebt „die entschlossene
und bewuſste Verwerfung der Theorie von dem unüberprüfbaren verwaltungstech-
nischen Ermessen“. — Eben deshalb ist es nicht zufällig, daſs Ziff. 2 des § 127
Abs. 2 nicht wiederholt, der Kläger müsse in seinen Rechten verletzt sein; diese
Worte müssen auch keineswegs etwa aus der Ziff. 1 heruntergenommen werden,
wie v. Stengel, Organis. Ges. S. 474, und v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 132,
meinen. „In seinen Rechten“ bedeutet doch zum mindesten rechtlich umhegte
Interessen und solche giebt es bekanntlich nicht, wo das freie Ermessen der
Behörde waltet. Daſs auch dieses zum Schutze des einfachen rein thatsächlichen
Interesses nachgeprüft wird, das eben ist hier das Besondere.
die civilgerichtliche: v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 95 Note 168.
1880 (Samml. X S. 267) der Fall, wo die Verfügung „ganz abwegig und zur Er-
reichung des erstrebten Zieles ungeeignet ist“. Diese wäre also aufzuheben; da-
gegen ist nach O.V.G. 21. März 1879 (Samml. II S. 393) die Anfechtungsklage un-
wirksam, „wenn nur überhaupt der Vorwurf erhoben wird, die Behörde habe von
dem ihr zustehenden freien Ermessen einen verhältnismäſsig zu weit reichenden,
den Umständen nicht entsprechenden Gebrauch gemacht“.
gebe, welche ihrer Natur nach von einem Verwaltungsgericht nicht nachgeprüft
werden könnten: die Feststellung der sog. „verwaltungstechnischen Thatbestände“;
Tezner, Freies Ermessen S. 33 ff.; Bernatzik, Rechtskraft S. 43 ff. Die Nach-
prüfung kann ausgeschlossen sein, weil das Gesetz über Akte des freien Ermessens
überhaupt keine Rechtspflege geben wollte oder gemäſs den jetzt sofort zu er-
wähnenden Beweisregeln. Liegt ein solcher besonderer Grund nicht vor, so ist es
für die Rechtspflege ganz gleichgültig, welchem Wissensgebiete die Thatsache an-
gehört. Die Verwaltungsbehörden sind ja „sachverständig“ in allem, was sie zu
thun haben, werden wenigstens dafür angesehen.
Verwaltungsgerichtshof sei deshalb keine „volle Berufungsinstanz“. Aber es handelt
sich doch nur um die Art, wie das Beweismaterial beschafft wird, und das ist gleich-
gültig für die Natur des Rechtsmittels.
die Behörde, gegen deren Verfügung Beschwerde erhoben wird, sich damit ein-
verstanden erklärt. Österr. Ges. v. 22. Okt. 1875 § 6: Der Verwaltungsgerichtshof
ist in der Regel an das von der letzten Instanz vorgelegte Aktenmaterial gebunden.
Doch können unter Umständen auch hier neue Erhebungen vorgenommen werden,
welche dann durch die untere Instanz geschehen; Tezner, Freies Ermessen S. 44.
Pann, V.Justiz S. 79, scheint nicht zu empfinden, daſs hierin ein scharfer Gegen-
satz zum Kassationsverfahren und Revisionsverfahren des Civilprozesses liegt.
O.V.G. 29. Okt. 1883 (Samml. X S. 261, 268).
Verwaltung eine unsichere Sache ist: Gneist in Holtzendorff Rechtslex. III
S. 1122; Roesler in Grünh. Ztschft. IV S. 282; Parey, V.R. I S. 231. Ber-
natzik, Rechtsprechung u. materielle Rechtskraft, macht wenigstens einen ernst-
haften Versuch, der Frage gerecht zu werden.
Es findet allerdings unter Umständen auch eine Rückbezüglichkeit des Prozeſsrechts
auf den Staat statt (ebenda Note 17 und oben § 11 bei Note 11, unten § 16 I);
das ist aber wieder etwas anderes. Wenn es eintritt, ist der Staat Partei wie eine
andere.
die Parteieigenschaft der die Parteirolle führenden Behörde (vgl. oben § 14 Note 10)
folgerichtig so weit durchzuführen, daſs er auch die Rechtskraft unmittelbar auf
sie wirken läſst. Da es dabei aber doch unmöglich auf die Person des zufällig
amtierenden Staatsanwalts ankommen kann, so setzt er dafür die „Staatsanwalt-
schaft“, ein Begriff, der alle gegenwärtigen und zukünftigen Staatsanwälte des Landes
umfaſst. Vielleicht steckt da unbewuſst die Idee der vollziehenden Gewalt dahinter.
118, „die Organe der öffentlichen Gewalt“ als die Gebundenen erklärt.
liche Berufung zur Partei nennen, den Ausdruck „rechtliches Interesse“ und er-
läutert: „der Inhalt des rechtlichen Interesses besteht also darin, daſs jemand das
Recht hat, vor der Behörde als Partei aufzutreten“. Aber im Sinne von Bernatzik
soll damit immer zugleich ein gewisses materielles Verhältnis zur Sache angedeutet
werden, aus welchem die Berufung der Partei sich notwendig ergiebt, wenn es auch
nicht notwendig ein förmliches materielles Recht ist. Unserer Auffassung nach ist
die Berufung zur Partei unabhängig von der rechtlichen Natur des zu schützenden
Interesses.
I S. 98. Bayr. Ges. 8. Aug. 1878 Art. 23, Württemb. Ges. 16. Dez. 1878 Art. 64,
Bad. Ges. 14. Juni 1884 § 21, Österr. Ges. v. 22. Okt. 1875 § 27; Roesler in
Grünh. Ztschft. IV S. 331 ff.; Pann, V.Justiz in Österr. S. 107.
Beigeladenen wirksam, wenn er entweder selbst Anträge stellt oder Anträge gegen
ihn gestellt werden: „die Beiladung hat nur die Folge, daſs ohne weitere Förm-
lichkeit das eine wie das andere möglich ist“. Allein was gegen ihn wirken soll,
ist durch den Inhalt der anhängigen Sache mit genügender Bestimmtheit bezeichnet;
man darf nicht aus der ohnehin nicht anwendbaren Verhandlungsmaxime noch weitere
Erfordernisse folgern wollen: Parey, V.R. I S. 102; Seydel, Bayr. St.R. II
S. 489.
Interesse durch die zu erlassende Entscheidung berührt wird“. Dem gegenüber
darf man nicht beschränken wollen auf „rechtlich geschützte Interessen“, oder
„selbständige subjektive Rechte“: v. Stengel, Organis. S. 507; v. Brauchitsch,
V.Gesetze I S. 78; Roesler in Grünh. Ztschft. IV S. 336; Bernatzik, Rechts-
kraft S. 124. — Wirkliche subjektive Rechte wären ein seltener Fall und rechtlich
geschützt wird das Interesse ja gerade erst durch die Beiladung. Der Richter wird
natürlich erwägen, ob das Interesse des Beizuladenden nahe genug ist, daſs das
Urteil eine Wirkung auf ihn hat; denn sonst ist es mitsamt seiner Rechtskraft-
fähigkeit doch nur ein Schlag ins Wasser. Diese Grenze genügt aber auch.
erlaubnis ist nach Gew.O. auch für die Witwe und die minderjährigen Erben des
Beteiligten wirkt; es wird eine Art Vertretung durch die Partei angenommen;
Freudenstein, Die Rechtskraft nach C.Pr.O. S. 220 ff., S. 228 ff. Auf das Ver-
waltungsrecht ist das nicht zu übertragen. Bernatzik, Rechtskraft S. 189, stellt
allerdings den Satz auf: „im Verwaltungsrecht verbindet die Rechtskraft alle fak-
tischen Interessenten“, auch ohne daſs sie Parteien geworden sind. Faktische
Interessenten sind (S. 184) alle diejenigen, „die ein Interesse daran haben, daſs
Verbrechen gestraft, Unterricht erteilt, Soldaten ausgehoben, Steuern bezahlt,
Forsten geschützt werden“ u. s. w. — mit einem Wortjedermann; da nun auf diese
Weise je nach dem Ausgang der Sache, welche die Behörde für diese Interessen
führt, jedermann gewinnt oder verliert, so wirkt die Rechtskraft der Entscheidung
für jedermann und gilt im Verwaltungsrecht der Satz: res judicata jus facit inter
omnes (S. 189). Bernatzik bemerkt (S. 190) mit Recht, daſs diese Auffassung von
der Rechtskraft manchem „neu und anfechtbar erscheinen mag“.
ist, so geht sie auf Witwen und Erben als eine rechtskräftig ausgesprochene Er-
laubnis über.
absprechen; dem gegenüber hat O.V.G. 9. Dez. 1876 (Samml. I S. 87) für die
Verwaltungsrechtspflege die freiere Auffassung zur Geltung gebracht, die ja jetzt
auch die der C.Pr.O. ist; Bernatzik, Rechtskraft S. 154 ff. Vgl. aber auch
unten Note 16.
das Urteil über eine Anforderung aus der Wegebaulast schafft nur für den einzelnen
polizeilich zu regelnden Baufall formelles Recht, auch wenn die Frage der Baulast
selbst dabei erörtert und erwogen werden muſste; anders wenn die Klage auf Fest-
setzung der Verpflichtungsfrage im allgemeinen ging. — Zu weit geht also
v. Stengel, Organis. S. 523, wenn er meint, der Verwaltungsrichter entscheide
stets nur über die einzelne Leistung. Und umgekehrt scheint Bernatzik,
Rechtskraft S. 166, eine rechtskräftige „Feststellung präjudizieller Rechtsverhältnisse“
bloſs in den Motiven allzu leicht anzunehmen.
an dem Urteil, das hängt natürlich von dem sachlichen Inhalt ab; vgl. unten
III n. 1.
sätze, Rechtsanschauung oder rechtliche Beurteilung vgl. Motive zu § 504 des
Entw. (Hahn, Mat. I S. 372). — Erst dadurch, daſs das Ges. v. 1. April 1837
die Gebundenheit der Rechtsanschauung hinzugefügt hat, ist das französische Kassa-
tionsurteil nachträglich rechtskraftfähig gemacht worden. Vorher ging die Sache
immer ganz frisch von vorne an; vgl. oben § 14 Note 18.
Grundsätzen“, welche maſsgebend sind für das Untergericht, sind nur „Rechts-
grundsätze“ verstanden; v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 101 Note 172. Gerade
für derartige Fälle ist von einleuchtender Richtigkeit, was v. Stengel, Organis.
S. 525, bemerkt, daſs nämlich „ohne die durch die Gründe dem Tenor gegebene
Auslegung häufig gar nicht festgestellt werden kann, was eigentlich entschieden ist“.
Das gilt auch für die nun folgenden Arten von Urteilen; V.G.H. 7. Dez. 1880 giebt
darüber treffende Ausführungen.
sich nicht erstreckt: Bernatzik, Rechtskraft S. 168 ff., S. 169 Note 1.
V.G.H. 7. Dez. 1880 (Samml. II S. 285, Reger, I S. 440): Ein Gesuch um Wirt-
schaftserlaubnis war abgewiesen worden, indem die Kreisregierung annahm, daſs
ein erst nach der ersten Verbescheidung ergangenes Ortsstatut auf dieses Gesuch
anzuwenden und demgemäſs die Bedürfnisfrage zu würdigen war. Mit Erkenntnis
v. 1. Juni 1880 war dieser Beschluſs als rechtswidrig aufgehoben worden, weil das
Gesuch nach altem Rechte behandelt werden muſste. Die Vorinstanz, an welche
die Sache zurückgeht, erneuert ihren Beschluſs; sie sei, meint sie, durch die von
dem V.G.H. aufgestellte Rechtsanschauung nicht gebunden. Darauf erwidert jetzt
der V.G.H.: er sei nicht Kassationshof, sondern Instanzgericht; er habe über die
„verwaltungsrechtliche Seite der Angelegenheit“ rechtskräftig entschieden und zwar
dahin, daſs die Beschluſsfassung darüber auf Grundlage des alten Rechtes zu er-
folgen habe. In dem Verfahren war hin und her gestritten worden, ob eine „ge-
bundene Rechtsanschauung“ vorliege oder nicht; ein Rechtssatz, der dies anordnet,
wie bei der Revision, besteht allerdings nicht; aber bei der Auffassung des V.G.H.
ist er auch gar nicht nötig; der V.G.H. nennt sein Erkenntnis ganz richtig eine
Teilentscheidung.
waltungsrechtliche Seite der Angelegenheit“ und rechtskräftig gebundener Rechts-
anschauung zusammenhängt mit der verschiedenen Stellung des nachprüfenden
Richters zur Thatfrage, hat der Bayr. V.G.H. in dem oben Note 18 angeführten
Erkenntnisse sehr wohl bemerkt (Reger, I S. 440 und 442). — Eigentümlich treten
diese Gegensätze in der österreichischen Verwaltungsrechtspflege hervor. Das
kommt daher, daſs das Ges. v. 22. Okt. 1875 einerseits den V.G.H. mit der That-
frage befaſst, andrerseits aber die Wirkung seiner aufhebenden Entscheidung ledig-
lich bezeichnet mit der Formel der Revision und Kassation: die Verwaltungs-
behörden sind „an die Rechtsanschauung gebunden, von welcher der Verwaltungs-
gerichtshof bei seinem Erkenntnis ausgegangen ist“. Die Folge ist, daſs einerseits
der Österr. V.G.H. thatsächlich auch Teilurteile erläſst und seine Erkenntnisse
rechtskräftig wirken in dem Umfange von solchen, d. h. zu teilweiser rechtskräftiger
Bestimmung der Sache selbst; andererseits aber immer wieder versucht wird, das
als gebundene Rechtsanschauung zu erklären, was ganz offenbar nicht durchführbar
ist. So sagt Roesler in Grünh. Ztschft. IV S. 290 von dem V.G.H. zunächst: er
sei durchweg ein Kassationshof, fügt aber dann (S. 312) hinzu: „Übrigens ist zu
bemerken, daſs die weitere Verfügung der Verwaltungsbehörde nicht schon dann
dem Gesetze gemäſs ist, wenn sie nur der von dem Verwaltungsgerichtshofe
adoptierten Rechtsanschauung nicht widerspricht, sondern es muſs hierbei der
letzteren die Kraft einer positiven Entscheidung eingeräumt werden“. Damit ist
natürlich gesagt, daſs hier nicht bloſs, wie beim Kassationsurteil, eine gebundene
Rechtsanschauung vorliegt, sondern eine Entscheidung in der Sache selbst. Das
Beispiel, welches Roesler giebt, beweist das sofort: „Wenn also der V.G.H., sagt
er, ausspricht, daſs der fragliche Weg kein öffentlicher sei, so ist die Behörde an
diesen Richterspruch gebunden und sie kann nicht aus irgend einem Rechtsgrunde
fortfahren, die öffentliche Eigenschaft des Weges zu behaupten“. — Lehrreich ist
insbesondere ein von Bernatzik, Rechtskraft S. 151, 152, besprochener Fall.
Es handelt sich um Ersatzansprüche zwischen Gemeinden für Verpflegung eines
Hülfsbedürftigen. Der V.G.H. hatte eine Entscheidung, welche den vollen Ersatz
zusprach, um deswillen aufgehoben, weil die Gemeinde erst an einem bestimmten
späteren Tage mit der Feststellung der Unterstützungspflicht vorgegangen sei. Bei
der Neuverhandlung in der Unterinstanz ergiebt sich, daſs dieselbe doch schon
vorher die nötigen Schritte gethan hat, und die Behörde spricht ihr jetzt den Er-
satz zu von dem neugefundenen Tage ab. Der V.G.H., nochmals angerufen, er-
klärt die Berücksichtigung des neuen Thatbestandes gegenüber seinem ersten Er-
kenntnis für unzulässig; es sei entschieden, daſs der Klägerin ein Ersatzanspruch
für die Zeit nach dem in jenem Erkenntnis festgesetzten Tage nicht zustehe.
Bernatzik hebt mit Recht hervor, daſs hier von einer gebundenen Rechtsanschauung
nicht mehr die Rede sei; die Rechtsanschauung des V.G.H. war ja gerade die,
daſs man erst von dem Tage ab, wo die Feststellung der Unterstützungspflicht be-
gonnen wurde, Ersatz zusprechen solle, und dem hatte sich die Behörde an-
geschlossen. Vielmehr habe hier die beklagte Partei aus der materiellen Rechts-
hier bestimmt hat, zu dem Übrigen wird meist als das eines Präjudizial-
punktes erscheinen; vgl. die bei Seydel, Bayr. St.R. II S. 422 Note 2, gegebenen
Beispiele: Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes — Handhabung desselben, Zulässig-
keit der polizeilichen Prüfung eines Punktes vor der Erlaubniserteilung — Be-
schluſs über diese u. s. w. Roesler in Grünh. Ztschft. IV S. 311 nennt das eine
Direktive, welche der Verwaltungsgerichtshof der Behörde für ihre weiteren Ver-
fügungen giebt. Bernatzik, Rechtskraft S. 144: „Die Prämissen der Ver-
fügung sind dann eben in der Entscheidung niedergelegt“.
bis zu dem darin angegebenen Tage, als nicht zu Recht bestehend, anerkannt
bleibe“.
wo ja von einer wirklichen Rechtskraft nicht die Rede ist: vgl. oben § 12,
II n. 3.
steht, ist auſser Streit; nur wie das zu erklären sei, bleibt rätselhaft, so lange man
sich begnügt, in der Rechtskraft eine geheimnisvolle Heiligkeit des ergangenen
Urteils zu verehren, auf deren Grund und juristischen Kern weiter nicht zurück-
gegangen werden braucht. — Am nächsten kommt der Wahrheit die Auffassung in
O.V.G. 25. Juni 1879 (Samml. V S. 292): die Verweigerung einer Schankwirtschafts-
erlaubnis war vom Verwaltungsgericht bestätigt worden; dem neuen Gesuch steht
die res judicata nicht entgegen, denn diese „ist nur zum Schutze einer Privatperson
gegeben, nicht für den Beamten, welcher das öffentliche Interesse zu vertreten
hat“ — sagen wir: nicht für die vollziehende Gewalt, weil sie nicht Partei ist. —
O.V.G. 4. April 1889 (Reger, IX S. 468) sucht den Grund darin, daſs die gericht-
liche Versagung der Erlaubnis „in der Regel“ nicht die Bedeutung einer die An-
gelegenheit prinzipiell erledigenden, sondern lediglich einer ausschlieſslich über den
vorliegenden Antrag getroffenen Entscheidung habe, — also eine Art Seitenstück
der Revision und Kassation, was doch gänzlich unwahr ist. — v. Stengel, Organis.
S. 524, will damit helfen, daſs diese Erlaubnissachen „zwar im Verwaltungsstreit-
verfahren verhandelt, in Wirklichkeit aber keine Verwaltungsrechtsstreitigkeiten,
sondern bloſse Beschluſssachen sind“ — aber die Rechtskraft setzt keinen Rechts-
streit voraus, und wenn Beschluſssachen bloſs heiſsen soll: keine rechtskraftfähigen
Urteile, so ist damit nur nochmals gesagt, was erklärt werden sollte. Bernatzik,
Rechtskraft S. 144, widerspricht dem mit Recht, bekämpft aber auch die Begrün-
dung in O.V.G. 25. Juni 1879 und behauptet dafür: die Versagung der Erlaubnis
werde allerdings nicht rechtskräftig, wenn sie keine Entscheidung über ein Recht
des Gesuchstellers enthalte, wohl aber, wenn sie deshalb erging, weil dem Bitt-
steller eins der gesetzlichen Erfordernisse mangele, z. B. Unbescholtenheit, oder
weil eine Betriebsstätte schädlichen Rauch entwickele u. dergl. Diese Unter-
scheidung entspricht Bernatziks Theorie von der Rechtsprechung als Grundlage der
Rechtskraft, aber keineswegs der Wirklichkeit. Ähnlich v. Sarwey, Öff. R. u.
V.R.Pfl. S. 733.
kannten Redensarten, daſs die Rechtskraft von Urteilen, welche Konzessionsgesuche
abweisen „naturgemäſs nur in begrenztem Maſse“ Anwendung finden könne; nach-
trägliche Bewilligungen stehen also frei. Aber: „Eine Rechtskraft in dem Sinne,
daſs unabänderliches Recht geschaffen wird, könnte nur insoweit eintreten, als
durch den betreffenden Beschluſs zugleich verwaltungsrechtlich über bestrittene
Rechte und Verbindlichkeiten zwischen dem Konzessionssucher und dessen Gegen-
interessenten entschieden wäre“. V.G.H. 1. Mai 1883 (Samml. IV S. 459): Das
Bezirksamt hatte erkannt, daſs gewissen Grundbesitzern ein selbständiges Jagd-
gebiet nicht zustehe. Neues Gesuch; die Gemeinde erhebt Widerspruch mit Be-
rufung auf die Rechtskraft. Sie war aber im ersten Verfahren gar nicht zugezogen
gewesen. Daher wird erkannt: es konnte ihr durch diesen Beschluſs kein Recht
in Bezug auf die bestrittene Jagdausübung erwachsen, also ist die Einrede der
Rechtskraft unbegründet. Ebenso fragt O.V.G. 1. März 1882 (Samml. VIII S. 354)
bei Untersuchung der Rechtskraft der Abweisung eines Gesuches nur, ob
„Rechte einer am Streite beteiligten Privatperson“ dem erneuten Gesuche im Wege
stehen.
kräftig verneint, neue Klage auf Grund Vertrags oder Verjährung zulässig. Ähnlich
Bd.A. f. H.S. 5. Nov. 1881 (Reger, II S. 36) wegen einer neuen Klage auf Über-
nahme eines Hülſsbedürftigen bei geänderten Verhältnissen.
derung der Gesetzgebung auch auf verwaltungsgerichtlich rechtskräftig festgestellte
Verhältnisse zurückwirken kann, hat Wirth in Ztschft. f. Bad. V. u. V.R.Pfl.
1880 verleitet, die Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisse überhaupt
zu leugnen. Das ist ein viel zu rascher Schluſs.
wegen Rechtskraft „hinsichtlich solcher öffentlichrechtlicher Leistungen, welche
wesentlich nach der jeweiligen Gestaltung der thatsächlichen Verhältnisse sich
richten“.
Weise zum Ausdruck: „die materielle Rechtskraft ist in Verwaltungsangelegenheiten
überhaupt schwer nachzuweisen, weil die das öffentliche Interesse berührenden
Umstände jeder Zeit Änderungen unterworfen sind und deshalb die Stellung wieder-
holter Anträge nicht verkümmert werden darf“. Wenn eine Gegenpartei nicht da
ist, bedarf es der Berufung auf das wechselnde öffentliche Interesse ohnehin nicht
(oben Note 22). — O.V.G. 1. März 1882 (Samml. VIII S. 353) behandelt die Frage.
Ein Gesuch um Erlaubnis zur Gründung einer neuen Ansiedlung war aus Gründen
des öffentlichen Interesses durch verwaltungsgerichtliches Urteil zurückgewiesen
worden. Dem erneuten Gesuch kann nicht einfach die Rechtskraft der Abweisung
entgegen gehalten werden. Das Ansiedlungsrecht des Klägers ist „nur zur Zeit
und in der Art, wie er es geltend machte“, verneint worden — rebus sic stantibus.
Dazu kommt nun die Betrachtung: „Von einem durch Klageverbrauch wohl-
erworbenen Rechte im civilprozeſsrechtlichen Sinne kann sonach selbst nicht ein-
mal auf seiten einer am Streite beteiligten Privatperson die Rede sein, weil die
Befugnis der Privatperson zum Einspruch ebenfalls ausschlieſslich in dem öffent-
lichen Rechte wurzelt und demzufolge, falls sie richterlicherseits zur Anerkennung
gelangt ist, ihre rechtliche Wirkung nicht weiter äuſsern kann, als die der polizei-
lichen Disposition selbst reicht“. Die Gegenpartei hat also doch ein Recht darauf,
daſs die polizeiliche Disposition in dem Sinne aufrechterhalten werde, daſs sie das
Gesuch „zu der Zeit und in der Art“, d. h. rebus sic stantibus abweist. Das ist
eine geringe Sicherheit gegenüber dem freien Ermessen der Behörde, ob die Um-
stände in hinreichendem Maſse verändert sind; aber es ist doch etwas, was be-
achtet werden muſs.
Strandord. v. 17. Mai 1874 § 36 ff.; die Landesgesetze geben solche „polizeiliche
Zuständigkeiten“ namentlich für Gesindewesen, Wohnungsräumung u. dergl. —
Zwischen Privaten und dem Fiskus oder der Gemeinde: Preuſs. Verord. 26. Dez.
1808 § 42; Bayr. Gem.O. Art. 158; Els.Lothr. A.G. z. C.Pr.O. § 17. Zusammen-
stellungen bei Foerstemann, Pol. R. S. 276 ff.; Hauser in Ztschft. f. Reichs-
u. Landes-R. IV S. 244 ff.; v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 628.
sprüche der Reichsbeamten), § 134 ff. (Defektenbeschluſs, wobei insbesondere an-
erkannt ist, daſs der Beschluſs nicht wie beim Verwaltungsprovisorium unbeachtet
bleibt, sondern die Grundlage für die weitere Untersuchung bildet: Oppenhoff,
Ressortverh. S. 436 Note 22, Kanngieſser, R. der R.Beamten S. 237 Note b.
zu § 144). In groſsem Umfange wird dieses Verfahren angewendet bei Entscheidung
über öffentlichrechtliche Entschädigungen: R.Ges. 21. Dez. 1871 § 40, 13. Juni 1873
§ 33, 13. Febr. 1875 § 13 ff.
Vorschriften“ kann das als selbstverständlich angesehen sein; die Annahme der
S. 219).
civ. Pr. 69 S. 434 ff., S. 444 Note 14; v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 278.
Preuſs. St.R. II S. 134 ff.; Leuthold, Sächs. V.R. S. 140 Anm. 2; Brater in
Bl. f. adm. Pr. V S. 100; Wach, C.Pr.R. I S. 86; Laband, St.R. II S. 347.
f. Pr. I S. 239 (Siebenhaar) u. III S. 49 (Berger).
weg gegen den Staat als selbstverständlich, sofern er nicht besonders ausgeschlossen
ist. Ein kräftiges Zeugnis für diese Auffassung giebt unbewuſst Gneist, Ver-
waltung, Justiz, Rechtsweg S. 182, wenn er als eine Folge der in Frankreich be-
stehenden „absoluten Negation des Rechtsstaats“ bezeichnet: „die Attributivjustiz
der Verwaltungsbehörden in vermögensrechtlichen Streitfragen“. Dort handelt es
sich immer um öffentlichrechtliche Sachen, die jedenfalls in letzter Instanz voll in
die Verwaltungsrechtspflege gehen. Gneist aber betrachtet das eben als einen
Raub an den Civilgerichten.
Enteignungsentschädigung und v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl, bezüglich des
Beamtengehaltes. Vgl. auch Loening, VR. S. 785 unten und Note 3 dazu a. E.
keit der Civilgerichte gehören und ihnen durch die Landesgesetze nur entzogen
werden können unter gleichzeitiger Begründung der Zuständigkeit einer Verwaltungs-
behörde oder eines Verwaltungsgerichts. E.G. z. C.Pr.O. § 4 fügt noch die weitere
Beschränkung hinzu, daſs auch eine solche an sich erlaubte Entziehung nicht
stattfinden darf wegen der Beteiligung des Fiskus. Das Merkmal einer Entziehung,
welche dadurch ausgeschlossen sein soll, giebt der Abg. v. Puttkamer, auf dessen
Antrag der § 4 beruht, damit: „Civilprozesse des Fiskus und der Gemeinde sollen
in denjenigen Fällen, wo gleichartige Prozesse unter Privaten vor die ordentlichen
Gerichte gehören, den Gerichten nicht entzogen werden, weil der Fiskus oder die
Gemeinde beteiligt sind“ (Hahn, Mat. z. C.Pr.O, S. 1281). Der letzte Satz: „weil
u. s. w.“ soll heiſsen: denn dann ist anzunehmen, daſs die Entziehung wegen Be-
teiligung des Fiskus oder der Gemeinde geschehen sei.
allerdings nicht gemeinrechtlich abgegrenzt, sondern nur gemeinrechtlich fest-
gelegt für jedes Land, wie er sich bis dahin landesrechtlich gestaltet hatte. Bei
den Beratungen der C.Pr.O. und des G.V.G. wurde auch mehrfach darauf verwiesen,
daſs es das Landesrecht sei, welches den Begriff bestimme. Das Landesrecht
hatte es, wie gesagt, durchweg gethan im Sinne der polizeistaatlichen Auffassung.
Aber dabei konnten immerhin Verschiedenheiten noch gegeben sein, indem das eine
oder andere Land von dieser Auffassung sich vielleicht doch schon weiter ent-
fernt hatte als die übrigen und in vermögensrechtlichen Dingen schon eher geneigt
war, öffentliches Recht zu erkennen. — In unbefangenem Widerspruch mit diesen
Folgerungen, die aus der Verweisung auf das Landesrecht zu ziehen wären, tritt
aber sofort schon der Gedanke auf, daſs der Begriff der bürgerlichen Rechts-
streitigkeit im Sinne des Reichsgesetzes nur einer sein sollte, und zwar der der
Mehrheit, der im Preuſsischen Rechte geltende zumal. Das zeigt sich in ganz
merkwürdiger Weise daran, daſs die Bestimmung des § 4 E.G. z. C.Pr.O. gerade
auf Elsaſs-Lothringen gemünzt war. Das dort geltende französische Recht hatte
die polizeistaatliche Abgrenzung des Civilrechts schon seit der Revolution über-
wunden und auch in der Abgrenzung der Zuständigkeit der Civilgerichte keine
öffentlichrechtlich angesehen wurden, gingen demgemäſs an die Verwaltungsgerichte,
statt wie sonst in Deutschland an die Civilgerichte; sie waren nach Landesrecht
keine bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Wenn für den Begriff der bürgerlichen
Rechtsstreitigkeit, wie man immer betonte, das Landesrecht maſsgebend blieb, so
konnten weder G.V.G. § 13, noch E.G. z. C.Pr.O. § 14 in Elsaſs-Lothringen eine
Änderung hervorbringen. Gleichwohl glaubte man mit diesem Begriffe als einem
selbständigen gemeinrechtlichen hineingreifen zu können. Wie denn der Abg.
v. Puttkamer den § 4 damit begründet: es sei in Elsaſs-Lothringen mit seiner
zerstörten Verwaltungsrechtspflege geboten, „in der Entziehung von Streitsachen
von den Gerichten vorsichtig zu sein und nicht in Widerspruch zu dem sich zu
setzen, was in Deutschland gewissermaſsen gemeinen Rechtes sei“. (Hahn, Mat.
z. C.Pr.O. S. 1179). Die Elsaſs-Lothringische Ausführungsgesetzgebung hat sich
dieser Auffassung gefügt und das Landesrecht in dem Sinne geändert, daſs ver-
mögensrechtliche Ansprüche auch öffentlichrechtlicher Art den Civilgerichten
überwiesen wurden. Ein gemeinrechtlicher Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitig-
keit, der kein anderer ist als der alte polizeistaatliche, hat also sofort schon sich
wirksam erwiesen. — Seither hat das Reichsgericht, wie das ja auch sehr natürlich
ist, einen kräftigen Vortrieb in der gleichen Richtung entwickelt. Es spricht
davon, daſs in diesen Sachen der Rechtsweg „an sich“ zulässig sei; R.G. 15. März
1882 (Samml. V S. 207), 1. Juli 1881 (Samml. V S. 38). Ein solches „an sich“, gegen-
über welchem die Landesgesetzgebung Verschiebungen machen kann, ist ja gerade
der Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit. Aber nach der Auffassung des
Reichsgerichts besteht dieses „an sich“ auch unabhängig von der Landesgesetz-
gebung und zwar in dem Umfange, wie die alte polizeistaatliche Auffassung, ver-
möge ihrer Fiskuslehre, es bestimmte. Nur so war es möglich, auch dem Reiche
gegenüber eine allgemein gültige Abgrenzung des Begriffs der bürgerlichen Rechts-
streitigkeit aufzustellen, wie dies das Reichsgericht namentlich in dem letzt-
erwähnten Erkenntnisse thut. Wenn das Reichsrecht, sagt es, über die Zuständig-
keit nichts bestimmt hat, so kann die Ergänzung nicht aus dem Rechte irgend
eines Einzellandes geholt werden; vielmehr sind alsdann allein entscheidend „die-
jenigen Normen, welche nach allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen über die
Abgrenzung der Gebiete der Justiz und Verwaltung und über die Frage, ob es
sich um einen gerichtlich verfolgbaren Anspruch oder um eine Verwaltungsmaſs-
regel handle, bestehen“ (Samml. V S. 41). — In gleicher Weise stellt R.G. 2. Febr.
1884 (Samml. XI S. 65) einen für ganz Deutschland maſsgebenden Grundsatz auf,
von dem schon vor Gründung des neuen Reichs allgemein „das Bewuſstsein wach
geworden ist“, dahin lautend: „Die ordentlichen Gerichte sind berufen, Vermögens-
rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn zur Entscheidung Normen des öffent-
lichen Rechtes anzuwenden sind“.
S. 457. Besondere Zuständigkeiten zur Nachprüfung des fremden Aktes können
auſserdem verliehen sein; das ist eine Sache für sich.
R.G. 21. Jan. 1886 (Samml. XV S. 239); C.C.H. 14. März 1885.
Bl. f. adm. Pr. V S. 147 den Fall, daſs einer klagt auf Ersatz von Steuern, die er
für den andern bezahlt hat. Die Befugnis des Gerichts, die Verhandlung aus-
zusetzen nach C.Pr.O. § 139, wird gerade hier praktisch werden. Ist die Ent-
scheidung der Verwaltungsbehörde ergangen, so ist das Gericht keineswegs derart
daran gebunden, daſs es seine Zuständigkeit überschritte, wenn es sich nicht daran
hält; es muſs nur darauf Rücksicht nehmen, um gut zu urteilen; Gaupp, C.Pr.O.
I S. 303.
Sache dieses Urteil praktische Wirkungen auf dem staatsrechtlichen Gebiete hervor-
bringen würde“.
kennt, ist es an die vorausgegangenen Verwaltungsakte zu Entfernung aus dem
Amte, Versetzung in Ruhestand u. s. w. gebunden; hält es sich nicht daran, so
greift es in ihre Wirkung auf den Gehaltsanspruch ein und überschreitet seine Zu-
ständigkeit: R.G. 24. März 1882 (Samml. VI S. 106). Damit ist nicht zu vergleichen
das Verhältnis des Enteignungsausspruchs zur Entschädigungsklage (Hauser,
a. a. O. S. 253, und Gaupp, C.Pr.O. I S. 303): wenn das Gericht gegenüber der
letzteren die Enteignung nicht als gültig anerkennt, urteilt es falsch, aber nicht
unzuständig; es greift nicht in die Wirkung des Verwaltungsaktes selbst ein, die
Vorfrage ist von der Art in n. 1.
wegen für die Gemeinde abgeschlossenen Pachtvertrags); Hess. V.G.H. 5. Juni 1886
(Reger, VIII S. 131: Eigentumsklage wegen polizeilich beschlagnahmter Schriften).
Hierher gehört auch der grundsätzliche Ausschluſs der Besitzstörungsklage gegen
polizeiliche Verfügungen nach Preuſs. Recht: C.C.H. 11. Febr. 1875 (J.M.Bl. 1865
S. 99); O.Tr. 3. Okt. 1877 (Str. 98 S. 34). — Abweichend Bayr. Ob.G.H. 28. Nov.
1877 (Samml. VII S. 132), was aber wohl mit einer Streitfrage zusammenhängt,
auf welche in der Lehre von den öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen
kammergerichts und des alten Oberappellat.G. Kassel steht R.G. 15. März 1882
(Samml. VI S, 204).
auf die Rechtskraftfähigkeit der gerichtlichen Urteile zurückgeführt: er besteht auch
gegenüber den Verwaltungs gerichten. — Bei Beratung des § 17 G.V.G. in der
Kommission wurde das bevorzugte Entscheiden der Gerichte, das man meinte, ver-
wechselt mit dem gleichwertigen Entscheiden, das an sich für sie wie für die Ver-
waltungsbehörden bestehen würde (Hahn, Mat. I S. 684, 685). Dazwischen wird
aber doch geäuſsert: die Entscheidung des Gerichtes sei „natürlich maſsgebend“
(Hahn, Mat. I S. 689).
fühlt, wenn er bei der Beratung im Plenum äufserte: die Versagung dieses Ab-
hülfemittels bedeutet „eine Degradation der Verwaltungsgerichte; die Verwaltungs-
gerichte werden zu Gerichten zweiter Klasse“ (Hahn, Mat. II S. 1173). Das wollte
1885: unzulässiger Kompetenzkonflikt des Bayr. Min. d. Äuſsern wegen gerichtlicher
Zwangsmaſsregeln gegen den österreichischen Fiskus, „ohne eine andere Kompetenz
in Anspruch zu nehmen als die, Störungen in dem freundnachbarlichen Verhält-
nisse zu dem österreichischen Staate hintanzuhalten“. — Es ist nicht notwendig,
daſs die Verwaltung eine Gerichtsbarkeit für sich in Anspruch nehme, wie
Seydel, Bayr. St.R. II S. 532 ff., meint. Das Wort „Entscheidung“ in Art. 5 des
Bayr. Ges. v. 1850 ist nicht in dem bestimmten Sinne der neueren Rechts-
sprache gemeint. Auch zu Gunsten der Verfügung mit freiem Ermessen gilt der
Kompetenzkonflikt: Matthäus, Grenzen der civilgerichtl. und adm. Zuständigkeit
S. 45 ff.
Württemb. Ges. 25. Aug. 1879 Art. 4. Auch dem rechtskräftigen Verwaltungs-
urteil geht das civilgerichtliche Urteil vor: v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl.
S. 686.
v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 673 ff., wo volle Gleichwertigkeit und dafür
zweiseitiger Kompetenzkonflikt verlangt wird. Das württemb. Recht hatte aller-
dings — als Ausnahmeerscheinung — eine Zeit lang diese Einrichtung; Schmidlin,
Justizges. II S. 472.
um eine „Entscheidung zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden“ und „über
eine Streitigkeit zwischen ihnen“ handele (G.V.G. § 17 Abs. 2; Struckmann
u. Koch, Preuſs. Ausf.Ges. S. 521), so ist das nur ein Gleichnis; das sind
keine Parteien.
v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 680, behauptet.
Note 3. Wach, C.Pr.R. I S. 106 Note, glaubt Parteien annehmen zu müssen,
weil sonst nicht zu erklären wäre, wie die Entscheidung wirke für die ursprüng-
lichen Parteien und die Behörden; allein auch Beschlüsse und Verwaltungsakte
wirken. — Nach französischem Recht war es lange zweifelhaft, ob die ursprüng-
lichen Parteien überhaupt gehört werden könnten; Block, Dict. Vo conflit,
n. 136, 137.
zulässigkeit des Rechtswegs gleichzustellen einer Abweisung der Klage wegen Un-
zuständigkeit: Nadbyl in Wörterbuch I S. 816.
klage behauptet die verklagte Gemeinde, es handle sich um einen öffentlichen Weg
und erhebt die Unzuständigkeitseinrede; Kompetenzkonflikt; Rechtsweg für zulässig
erklärt. Verfahren wird wieder aufgenommen und Beklagte verlangt, daſs zunächst
über ihre Unzuständigkeitseinrede entschieden werde. Das R.G. giebt ihr recht:
jener Ausspruch hat nicht die Bedeutung eines in dem Prozesse selbst unter den
Parteien gefällten Urteils, daher die erhobene Unzuständigkeitseinrede dadurch
noch nicht erledigt ist. Das Gericht hat darüber mit selbständiger Prüfung zu er-
kennen, ohne an die Ansicht des C.C.H. formell gebunden zu sein. — Noch deut-
licher tritt diese Natur einer rechtskraftunfähigen Anordnung für die Behörden hervor
in der Entscheidung über den sog. negativen Kompetenzkonflikt, der uns jedoch
hier nicht weiter angeht.
geschädigten Unterthanen etwas ganz besonderes liegt, hat Krais in Bl. f. adm. Pr.
33 S. 54 ff. richtig bemerkt: „Wenn der Beamte … einen Dritten benachteiligt,
so liegt zwar auch hier eine Pflichtverletzung nur gegenüber dem Staate vor, …
nicht gegenüber dem Privaten, zu welchem der Beamte überhaupt nicht in einem
Rechtsverhältnisse steht“ (S. 56). Er haftet gleichwohl auch diesem. Der Grund
aber, den Krais angiebt, reicht zur Erklärung nicht aus; er meint, sein Thun liege
dann „dem Dritten gegenüber auch auſserhalb der Sphäre der öffentlichen Gewalt“.
Da käme es dann doch nur auf die der Behörde den Unterthanen gegenüber zu-
stehenden Befugnisse an, nicht auf die Amtspflicht.
Beamte den Staat als res publica oder als fiscus vertritt; im letzteren Falle gilt
das besondere Recht der Beamtenhaftung nicht.
zweierlei Beurteilung, je nachdem sie betrachtet wird im Verhältnis zwischen dem
Staat und dem Unterthan oder im Verhältnis zwischen dem Beamten persönlich
und dem Unterthan. Im ersteren gilt sie als rechtswidrig und soll aufgehoben und
wieder gut gemacht werden, im letzteren gilt sie nicht als rechtswidrig und zieht
keine Haftung nach sich. Ein ganz ähnliches Doppelt-Rechnen zeigt sich auch in
dem Begriff der rechtmäſsigen Amtshandlung gegenüber der Widersetzung (unten
§ 25, I). Freund in Arch. f. öff. R. I S. 423 will die zweierlei Beurteilungen
unterscheiden durch die Ausdrücke: „Gesetzmäſsigkeit der Amtshandlung“ und
„Rechtmäſsigkeit der Amtsausübung“.
klagte ohne eine auf Beeinträchtigung des klägerischen Besitzes gerichtete eigene
Absicht die fragliche Anordnung traf“; O.V.G. 23. Aug. 1876; C.C.H. 10. März
1860 (J.M.Bl. 1860 S. 61).
Richter, der ein ungerechtes Urteil gefällt hat. Nach der herrschenden Lehre
(Windscheid, Pand. § 470) würde sie Arglist oder grobe Nachlässigkeit voraus-
setzen und wären ihre Grundsätze auf Schadensersatzansprüche aus der freiwilligen
Gerichtsbarkeit, sowie aus der amtlichen Thätigkeit eines jeden nicht richterlichen
Beamten durch Analogie ausgedehnt. Das bedeutet gegenüber den strengeren
Deliktshaftungen des neueren Rechts eine Beschränkung der Haftung. — Der
Entw. des B.G.B. sucht das Ergebnis unserer Rechtsentwicklung in einer noch
schärferen Beschränkung, nämlich auf die Fälle strafbarer Verletzung der Amts-
pflicht festzulegen (§ 736 Abs. 3; 2. Les. § 762 Abs. 2). Die Motive (Bd. 2
S. 824) begründen das mit der Gefahr, welcher der Spruchrichter ausgesetzt wäre,
wegen Irrtums haftbar gemacht zu werden, und die ihm die Unbefangenheit rauben
würde. Daſs diese Rücksichtnahme auf den Richterstand beschränkt werden soll,
ist eine ganz ungerechtfertigte Einseitigkeit. Als ob die Unbefangenheit eines
Polizeibeamten für den Staat nicht ebenso wichtig wäre. Darüber Krais in Bl.
f. adm. Pr. 33 S. 60; v. Völderndorff in Arch. f. prakt. R.W. I S. 30; Pfizer
in Arch. f. civ. Pr. 72 S. 110.
um die es sich hier handelt. Bei dieser wird immer auch ein gewisser Grad von
geistiger Beanlagung vorausgesetzt, bemessen nach dem bekannten „abstrakten
Maſsstab“ des Normalmenschen (Mot. z. Entw. d. B.G.B. I S. 279). Hier aber
kommt es schlechthiu an auf „Verletzung der Amtspflicht in concreto“ (Hahn,
Mat. z. G.V.G. S. 1617). — Das Civilrecht ist in der Behandlung des Irrtums gegen-
über der Schadensersatzpflicht schwankend (Windscheid, Pand. § 455 n. 3;
Henrici in Gruchot Beitr. 32 S. 182 ff.; im Gebiet des französischen Rechts ist
die Haftung bei jeder Art von Irrtum zweifellos). Für den Beamten gilt er überall
gleichmäſsig als Befreiungsgrund in der obigen Weise ohne Rücksicht auf diese
Verschiedenheiten. — C.C.H. 14. Juli 1866 (J.M.Bl. 1866 S. 289): Der Polizeibeamte
soll bei Feuersbrunst eine Scheune unnötigerweise niedergerissen haben; „Irrtum
befreit“. C.C.H. 10. Okt. 1868 (J.M.Bl 1868 S. 360): Der Grenzaufseher war „be-
fugt“, die Ware zu beschlagnahmen, wenn er überzeugt war, daſs sie geschmuggelt
war; ob sie wirklich geschmuggelt war, ist für seine Schadensersatzpflicht gleichgültig.
Vgl. auch C.C.H. 11.Jan.1873 (J.M.Bl. 1873 S. 50); O.V.G. 21.Sept. 1881; R.G. 18.Dez. 1883
(Reger, IV S. 331). O.V.G. 22. Okt. 1887 (thatsächlicher Irrtum befreit, dagegen ist „die
aus Irrtum über das objektive Recht vorgenommene Handlung immer Amtsüberschrei-
tung“). O.V.G. 16. Jan. 1886 (keine Haftung bei thatsächlichem Irrtum trotz pflicht-
mäſsiger Prüfung); ebenso O.V.G. 4. Febr. 1882. — Zum R.Beamten-Ges. bemerkt
Kanngieſser, R. der R.Beamten S. 66, trotz § 13 einschränkend: „für die aus Irrtum
vorgenommene gesetzwidrige Handlung haftet der Beamte, wenn er es an der pflicht-
mäſsigen Sorgfalt fehlen lieſs“. Das ist gemeines Recht.
Bayr. St.R. III S. 390 ff. Unrichtig ist die Behauptung in Mot. z. Entw. d.
B.G.B. II S. 730, daſs überall, wo gesetzlich Gehorsamspflicht besteht, für die be-
fohlene Handlung nicht gehaftet werde. Der Polizeibefehl schützt keineswegs gegen
Schadensersatzansprüche Dritter aus der befohlenen Handlung. Das ist eine Be-
sonderheit des Dienstbefehls.
halten, verfälschter Milch auf dem Markte nachzugehen und sie wegzugieſsen. Er
hat irrtümlich Sahne weggegossen, die er für gewässerte Milch hielt. Durch den
Befehl ist er dafür nicht gedeckt; aber die Amtsbefugnis ist nicht überschritten,
wenn der Beamte bei pflichtmäſsiger Prüfung sich irrt. Entschuldbar im Sinne
des Civilrechts wäre dieser thörichte Irrtum kaum gewesen. — Kanngieſser, R.
der R.Beamten S. 67, erklärt auch den Rechtsirrtum ausnahmsweise für befreiend,
„wenn der Beamte in rechtlich zweifelhaften Fällen der rechtlichen Auffassung
seines Vorgesetzten folgt“.
womit das in den Verhandlungen der Bayr. Abg.Kammer bezeichnet worden ist;
Lippmann in Annalen 1885 S. 443.
S. 67, im Gegensatz zu den besonderen Grundsätzen der Beamtenhaftpflicht, nament-
lich auch bezüglich Irrtum und Befehl, „die materiellrechtlichen Voraussetzungen
der civilrechtlichen Verfolgung der Reichsbeamten“, wofür die landesrechtlichen
Grundsätze maſsgebend seien. Materiellrechtlich ist beides; er will sagen: die dem
Civilgericht zu alleiniger Anwendung zustehenden Grundsätze, indem gerade die
pflichtwidrige Amtsüberschreitung mit Einschluſs der Frage von amtlichem Irrtum
und Befehl Gegenstand der Vorentscheidung sind, von welcher sofort gehandelt
werden soll (unten Note 26).
A.L.R. I, 12 § 140, 141; II, 10 § 90; Preuſs. Grundbuchordnung § 29 Abs. 1. —
Auch ohne das wird sie als allgemeiner Grundsatz des deutschen Beamtenrechts
anerkannt. So, ohne nähere Begründung, Freund in Arch. f. öff. R. I S. 362;
Bornhak, Preuſs. St.R. II S. 43 ff., der diese auffallende Erscheinung durch den
Ausdruck „negative Überschreitung der Zuständigkeit“ mundgerecht zu machen
glaubt. Gründlich und eigenartig Pfizer in Arch. f. civ. Pr. 72 S. 91 ff. Er stellt
der einfachen Handhabung der obrigkeitlichen Gewalt gegenüber die fördernde und
bevormundende Thätigkeit, bei welcher die Haftung des Beamten eine strengere ist,
und zwar deshalb, weil sie „keine Haftung aus Delikt oder Quasidelikt, sondern
eine Haftung quasi ex contractu ist“ (S. 91). Daſs die erweiterte Haftung aus den
gewöhnlichen Deliktsgrundsätzen gar nicht zu erklären ist, wird dabei sehr scharf
hervorgehoben; aber der Quasikontrakt scheint uns auch nur einen Namen, keine
Erklärung zu geben.
(Samml. 22 S. 235). Den Gegensatz zu dieser fürsorgenden Thätigkeit für den
Einzelnen, zu diesem Dienstleisten, bildet die Handhabung der obrigkeitlichen Ge-
walt über den Einzelnen. Die richtige Grenzlinie hat Pfizer, a. a. O. S. 105,
verfehlt, indem er zu letzterer nur die Thätigkeit des Strafrichters und Polizei-
beamten, nicht aber auch die des Spruchrichters in Civilsachen zählt; dieser soll
bei ihm, im Widerspruche mit dem geltenden Rechte, strenger als jene, nämlich
quasi ex contractu, haften; in Wahrheit steht er den beiden andern gleich. Die
nämliche falsche Auffassung scheint übrigens auch in den Mot. zu B.G.B. II S. 824
zum Ausdruck zu kommen.
Schadens, den sie dem Absender durch Nichtbesorgung der ihnen dienstlich ob-
liegenden Geschäfte zufügen; hat man doch sogar diese Geltendmachung der Pflicht-
verletzung gegenüber dem Staat durch den Dritten auf eine actio cessa zurück-
führen wollen: Meili, Haftpflicht der Postanstalten S. 141 ff. — Wegen Unrichtig-
keit der erteilten amtlichen Auskunft oder des ausgestellten Zeugnisses haftet der
dazu im Interesse der Beteiligten bestellte Beamte: Pfizer, Arch. f. civ. Pr. 72
S. 96 ff. — O.Tr. 22. Juni 1857 (Str. 25 S. 236) macht den Rechnungsrat, der die
Vermessungsarbeiten bei einer Separation leitet, für den Schaden verantwortlich,
den die Beteiligten durch seinen Irrtum erlitten haben. — Nicht haftet der Be-
amte für Vernachlässigung einer Dienstpflicht, die nicht in solcher Weise dem be-
stimmten Einzelnen gewidmet ist, auch wenn ein Einzelner Schaden daraus hat.
C.C.H. 13. Febr. 1864 (J.M.Bl. 1864 S. 93): das Brückengeländer war nicht im Stand,
dafür in Anspruch nehmen; dieser haftet nur dem Staate. — V.G.H. 26. Sept. 1882
(Samml. IV S. 170): Leiche gefunden, Bürgermeister versäumt die pflichtmäſsige
Anzeige beim Amtsgericht, Schadensersatzklage der Erben wegen der verloren ge-
gangenen Kleider; keine Haftung, weil keine „Rechtsverletzung des Beamten gegen-
über der Antragstellerin“. — Unrichtig Krais in Bl. f. adm. Pr. 33 S. 73, wo ein
Polizeibeamter haftbar sein soll, wenn er „die wegen des feuersgefährlichen Zu-
standes eines Gebäudes erforderlichen Anordnungen unterläſst“ und nun ein Schade
entsteht; wohin würde das führen! Vgl. auch Zachariae in Ztschft. f. St. W.
1863 S. 643. — Nach Entw. d. B.G.B. § 736 haftet „ein Beamter, welcher die
gegenüber Dritten ihm gesetzlich obliegende Amtspflicht verletzt“. Das ist das,
was wir die Richtung der Dienstpflicht auf den Vorteil des Einzelnen nannten.
Falsch ist es, diese Haftung auf gesetzlich obliegende Amtspflicht zu beschränken;
vgl. Laband, St.R. I S. 456.
der allgemeinen Zuständigkeitsregel. Als es 1870 abgeschafft wurde, trat diese
erst wieder hervor; Theorie des franz. V.R. S. 100.
II S. 449 ff.
zösischrechtlichen Sinn: statt die Schadensersatzklage abzuweisen, setzt es das
Verfahren aus, bis der Kläger eine Entscheidung der Verwaltungsbeschwerdeinstanz
über die Gültigkeit der Verfügung beigebracht haben würde; Oppenhoff,
und führte besser einen anderen Namen; C.C.H. 6. Okt. 1855 (Koſsmann II S. 16);
O.V.G. 15. Febr. 1882, 24. Jan. 1885. Vermengung in der Ausdrucksweise bei C.C.H.
11. Dez. 1858 (J.M.Bl. 1864 S. 92).
wenn das Gericht nur aussetzt, statt sich für unzuständig zu erklären, ist Kom-
petenzkonflikt zu erheben; Oppenhoff, Ressortverh. S. 480 Note 63. — Vgl. auch
C.C.H. 16. Dez. 1854 (J.M.Bl. 1855 S. 51); 6. Okt. 1855 (J.M.Bl. 1855 S. 411); R.G.
16. Febr. 1888 (Samml. 20 S. 301). Man hat diese bedingte Zuständigkeit des Ge-
richts als in der Natur der Sache liegend über die Fälle des Schadensersatz-
anspruches aus polizeilichen Verfügungen hinaus zur Anwendung gebracht z. B.
auf solche Klagen gegen Militärpersonen; C.C.H. 3. Juni 1848 bei Sydow, Zu-
lässigkeit des Rechtswegs S. 65.
hat an Stelle des bisherigen Verfahrens eine Vorentscheidung im Sinne des § 11
E.G. zu G.V.G. gestellt. Es war kein Irrtum von Regierung und Volksvertretung,
wie man das durchweg behauptet, wenn sie annahmen, daſs die im rechtsrheinischen
Bayern bisher geltende Zuständigkeitsverteilung bezüglich der Vorfrage gegenüber
dem neuen Reichsrecht unhaltbar geworden sei (Kahr, V.G.H.Ges. S. 68 Note 1;
Hauser in Ztschft. f. Reichs- u. Landes-R. IV S. 285, 303 ff.; Krais in Bl. f.
adm. Pr. 33 S. 114; Seydel, Bayr. St.R. II S. 461; Lippmann in Annalen 1885
S. 467 Note 2). Ein Irrtum war es nur, wenn sie annahmen, es sei § 11 E.G. zu
G.V.G., der das bewirkt habe. — Nach Hauser würde die Zuständigkeitsverteilung
auch neben der Vorentscheidung noch fortbestehen. Der Gang einer Schadens-
ersatzklage wäre danach: zuerst muſs der Kläger eine Entscheidung der zuständigen
Verwaltungsbehörde erwirken über die Rechtmäſsigkeit der schädigenden Maſsregel;
ist diese verneint, so erwirkt er bei dem obersten Verwaltungsgericht oder Reichs-
gericht eine Vorentscheidung über die Zulässigkeit der Verfolgung; ist diese be-
jaht, so kommt er endlich — im dritten Prozeſs! — an das zuständige Civilgericht,
um über die Klage erkennen zu lassen (Ztschft. f. Reichs- u. Landes-R. IV S. 306,
V S. 21). Hauser geht dabei von der irrigen Meinung aus, das sei auch nach
französischem Rechte so gewesen (vgl. oben Note 17). — Seydel will die alte Zu-
ständigkeitsverteilung wenigstens für den Fall fortbestehen lassen, daſs das Landes-
gesetz von der Befugnis, die § 11 E.G. zu G.V.G. einräumt, gar nicht oder nur teil-
weise, d. h. für gewisse Arten von Beamten Gebrauch gemacht hätte (a. a. O. S. 462).
Da würde für diese Fälle thatsächlich eine geringere Sicherheit des Rechtswegs
bestehen können, als für die mit Ermächtigung des Reichsrechts geordneten; die
nächste beste Verwaltungsbehörde könnte zuständig bleiben und bindend für das
Gericht die Frage der Rechtmäſsigkeit erledigen.
reichsrechtlichen Vorentscheidung fortbestehe, scheint herrschende Ansicht zu sein;
man kommt dadurch ganz zu dem nämlichen Prozeſsgang, wie Hauser ihn sich
denkt (oben Note 22). O.V.G. 4. Febr. 1882 unterscheidet sorgfältig die drei Pro-
zesse, die da notwendig sind. Auch das Reichsgericht hat sich nach einigem
Schwanken (R.G. 10. Juni 1881; Samml. V S. 48) zu dieser Auffassung bekannt:
R.G. 26. April 1887 (Samml. XVIII S. 123); 16. Febr. 1888 (Samml. XX
S. 295 ff.).
Klage dem Gericht entziehen könnte, ist immer das groſse Argument für die Be-
hauptung, daſs die Zuständigkeitsverteilung für die Vorfrage noch fortbestünde:
Hauser, a. a. O. IV S. 303 ff.; v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 309 ff.; ebenso
R.G. 10. Juni 1887, 16 Febr. 1888. Auch Nadbyl in Wörterbuch I S. 822 ist
dieser Meinung. Aber eine gewisse bona fides schulden sich doch auch die Gesetz-
geber unter einander.
S. 163, 169; Bl. f. adm. Pr. 1886 S. 8. — Seydel, Bayr. St.R. II S. 465, ist
gegen diese Unterscheidung. Da es sich um ein öffentlichrechtliches Dienstverhältnis
handle, sei die Frage, ob dem Beamten ein dienstliches Verschulden zur Last fällt,
immer eine „Frage des öffentlichen Rechts“. Aber das würde ja doch nicht aus-
schlieſsen, daſs sie als Vorfrage vom Civilgericht gewürdigt würde. Der Zweck
des Instituts ist der, daſs der Staat in seiner öffentlichrechtlichen Thätigkeit nicht
gestört werde durch Klage gegen seine Diener; ob diese ihrerseits zu ihm in öffent-
lichrechtlichem Verhältnisse stehen oder nicht, ist gleichgültig.
folgungserlaubnis, der darin liegt: die Ausführungen der Redner bei Beratung des
G.V.G. in Hahn, Mat. II S. 1615 ff. — Festgestellt wird, ob der Beamte „sich einer
Überschreitung seiner Amtsbefugnisse schuldig gemacht hat“. Dazu gehören die
Fragen des amtlichen Irrtums und des entlastenden Befehls, aber nicht die ge-
wöhnlichen Entlastungsgründe des Civilrechts; O.V.G. 16. Juni 1886. Insbesondere
kann auch die Frage der Entschuldbarkeit des Irrtums zur nachträglichen
Prüfung kommen; O.V.G. 17. Febr. 1886. Der bayrische Komp.Konfl.Senat
hat den Grundsatz aufgestellt, daſs die Vorentscheidung „nicht etwa bloſs über
die objektive Rechtswidrigkeit einer Verwaltungsmaſsregel, sondern auch über
das dienstliche Verschulden des civilgerichtlich verfolgten Beamten zu ent-
scheiden hat“. Hauser, a. a. O. V S. 22 Note 42, erhebt dem gegenüber den
Vorwurf der Vermengung der Begriffe von Verschulden und Gesetzwidrigkeit.
Krais, a. a. O. S. 84, bemerkt dagegen, daſs ja kein civilrechtliches Verschulden
gemeint sei, sondern nur „eine Konstatierung der Pflichtwidrigkeit“. Die Lösung
liegt darin, daſs nach dem materiellen Recht der Beamtenhaftung (oben I) die
Amtshandlung auch gegenüber den davon Betroffenen betrachtet wird unter dem
Gesichtspunkte der Dienstpflicht; Gesetzwidrigkeit ist hier Amtspflichtwidrigkeit
und über diese erkennt die Vorentscheidung.
S. 259; Hauser in Ztschft. f. Reichs- u. Landes-R. V S. 30; Nadbyl in Wörter-
buch I S. 825; Lippmann in Annalen 1885 S. 467. A.M. für Bayern Kahr,
V.G.H.Ges. S. 71; Seydel, Bayr. St.R. II S. 462. Beide gehen von der An-
schluſs, welcher eine Anhörung der Parteien nicht voraussetzt, solche jedoch auch
nicht ausschlieſst“. Hauser, a. a. O. S. 33 ff.; Löwe, Stf.Pr.O. S. 17.
Teilentscheidung. Das frühere bayrische Recht ist aber, wie schon gesagt, durch
das Reichsrecht beseitigt.
rein zu halten von der Vermischung mit anderen Rechtsinstituten, die aus Gründen
des öffentlichen Rechts einen Entschädigungsanspruch begründen können. Loe-
ning, Die Haftung des Staates S. 53 ff., hat das Verdienst, diese Frage scharf
abgegrenzt zu haben.
privatrechtlichen Verhältnisse, auf privatrechtlichem Gebiete gestanden habe,
oder gar, daſs er schon privatrechtliche Geschäfte eingegangen habe: Zachariae
in Ztschft. f. R.W. 1863 S. 619; Loening, a. a. O. S. 51, S. 53; Krais in Bl. f.
adm. Pr. 33 S. 171; Seydel, Bayr. St.R. II 473 Note 1. Das ist zu viel gesagt;
zum Privatrecht neigende Verhältnisse sind genügend. Vgl. oben § 11 Note 5.
Ersatzpflicht des Fiskus wegen Beschädigung durch Nichtbeleuchtung der Zugänge
eines Gerichtsgebäudes. R.G. 31. Jan. 1889 (Samml. 23 S. 221); 8. April 1884
(Reger, V S. 260).
Haftung des Geschäftsherrn daran knüpfen, daſs der Schuldige in einem Dienst-
verhältnisse zu ihm steht. Da hat man nun vielfach gemeint, daſs dieser Voraus-
setzung nicht genügt sei durch das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis des Beamten:
v. Roenne, Ergänzungen z. Allg. L.R. IV S. 54 (Erk. d. O.Tr.); Ducrocq,
droit adm. n. 871 (Erk. d. franz. C.C.H. v. 8. Febr. 1873); Piloty in Annalen
1888 S. 265 ff. Auch Loening, a. a. O. S. 50, S. 83, scheint diese Auffassung zu
teilen. Die Anwendbarkeit dieser Haftungsbestimmungen würde sich dadurch sehr
verengern. Aber es kommt doch nur darauf an, ob der Staat im Verhältnis zu
den Beteiligten civilrechtlich zu beurteilen ist; dann muſs auch das, dem civilrecht-
lichen entsprechende öffentlichrechtliche Auftragsverhältnis genügen; wo ein solches
vorliegt, wird allerdings meist auch das Verhältnis zu dem Beschädigten nicht
civilrechtlicher Natur sein. Aber nur meist. Das wird bei jenen Entscheidungen
verwechselt.
lizey (1656) Vorrede.
de la police (1722) I n. 1; Justi, Pol.W. Einl. § 3 Note. Vgl. auch Mylius,
Const. March. V S. 59, S. 71 („Polizeiverordnungen“ für Städte), und V S. 83
Begriff der Pol. u. Umfang der Staatsgewalt § 7: „Unter Polizei kann unmöglich
etwas anderes verstanden werden als die direkte Selbstthätigkeit der Staatsregierung
für die Erreichung des Staatszweckes seinem ganzen Umfange nach“. Auch die
Post ist z. B. „Polizeiangelegenheit“: Moser, St.R. V S. 174; Justi, a. a. O.
§ 71. In gewissem Maſse auch die „Vorsorge für die Verwaltung der Gerechtig-
keit“: Justi, a. a. O. § 844.
griffsbestimmung der Polizei aufgenommen: Moser, Landeshoh. in Pol.S. c. I § 2;
Leist, St.R. § 152. Die Folgerung bezüglich der Zulässigkeit des Zwangs wird
gezogen von Hufeland, Naturrecht § 394; volkstümlicher die Schrift Demophilos
S. 98 finden sich die bekannten „Polizei-Ausreuter“, wesentlich bestimmt, die
städtische Nahrung gegen das platte Land zu schützen; es handelt sich um „das
Polizeiwesen und das davon dependirende Wohlsein der Einwohner in Städten“.
Pol. u. Kultur 1803 S. 576 ff., worauf v. Berg in Pol.R. IV S. 14 glattweg erklärt:
„er hat recht“ und alle Unterscheidung aufgiebt (S. 19).
bildet das „Regierungsrecht im Wohlfahrtsfach“, wobei grundsätzlich kein Zwang
geübt wird: § 275 n. IX; aber es findet sich doch darunter z. B. das ganze Ge-
werbewesen mit samt seinem Zwang). Ähnlich Häberlin, St.R. § 331.
Zachariae, Vierzig Bücher I S. 24, S. 120, II S. 288; Mohl, Pol.W. I S. 10;
Zimmermann, Deutsche Pol. des 19. Jahrhunderts I S. 133; Rau in Ztschft. f.
St.W. 1853 S. 605 ff.
Staatsw. I S. 498, II S. 453 ff. Etwas abgeschwächt: Klüber, Öff. R. § 386.
Lotz, Begriff der Pol. S. 79 ff., will geradezu unterscheiden: Zwangs- und Hülfs-
polizei, wobei dann freilich der Maſsstab wegfällt, wann die eine, wann die andere
stattfinden soll.
Bluntschli, Allg. St.R. II S. 169 ff. Ihm schlieſst sich an Medicus in Staats-
wörterbuch VIII S. 131. v. Sarwey, A.V.R. S. 63 u. 64, hebt den Zusammen-
hang des Hervortretens dieses Begriffselements mit der Ausbildung der Ver-
waltungsrechtswissenschaft treffend hervor.
„Das Polizeirecht (Zwangsrecht)“. Ihm folgen Loening, V.R. S. 8; G. Meyer,
V.R. I S. 72; Gerland in Arch. f. öff. R. V S. 74; einigermaſsen verwandt
Rosin, Pol.Verord. S. 78.
Gebiete der inneren Verwaltung, sofern dieselbe mit einem Zwang gegen Personen
verbunden ist“. Ähnlich G. Meyer, V.R. I S. 72. Die innere Verwaltung ist kaum
geeignet, den Begriff glatt abzugrenzen; vgl. die militärischen „Polizeimaſsregeln“
(C.C.H. 4. Juli 1863, 9. Juni 1866, 13. Okt. 1866) und die „polizeilichen Verfügungen“
der kirchlichen Oberen (C.C.H. 12. Okt. 1872) und gar die „justizpolizeilichen Be-
fugnisse“ bei Entziehung der juristischen Persönlichkeit (Sächs. Ztschft. f. Pr. I
S. 284). Vor allem aber giebt es auch auf dem Gebiete der inneren Verwaltung
eine Menge Zwang, der nicht Polizei ist: Zwang zur Führung von Ehrenämtern, zur
Ausführung von Fronden an Gemeindewegen (O.V.G. 24. Okt. 1876, 14. Okt. 1882),
Ausweisung von bestraften Personen im Interesse der Kommunen (O.V.G. 24. Febr.
1883, Samml. IX S. 372, 427), sodann der erhebliche Zwang, der in der Disciplin
der Schulen, Irrenhäuser, Armenhäuser stattfindet, die Beitreibung von Gemeinde-
lasten, Schulgeld, Post- und Telegraphengebühren (O.V.G. 1. Febr. 1879). Gegen
die letzteren Beispiele sucht man sich zu decken durch den Zusatz „gegen Per-
sonen“. Aber wenn das so ernsthaft gemeint sein soll, daſs das Wegnehmen von
Sachen im Pfändungswege ausgeschlossen ist, dann ist auch das Einreiſsen bau-
fälliger Gebäude, die Tötung verseuchter Tiere, die Beschlagnahme schädlicher
Nahrungsmittel keine Polizei und das Ziel überschossen.
Schulze, D.St.R. I S. 620; Pözl, Bayr. V.R. S. 203; v. Stengel, V.R. S. 12;
Ulbrich, Öff. Rechte S. 62; Leuthold, Sächs. V.R. S. 14; v. Kirchenheim,
Einf. S. 81; Ernst Meier, V.R. bei Holtzendorff I S. 885. — v. Stein gewährt
für sich allein einen Überblick der verschiedenen Auffassungen, Nachdem er in
der Lehre von der vollziehenden Gewalt (oben Note 11) die Polizei einseitig als
Zwangsanstalt in der Verwaltung hingestellt, erklärt er sie in Handbuch der V.Lehre
IV S. 296 ff.; schon die Kapitelsüberschrift lautet: „Von der Gefährlichkeit der
Polizei“.
älteren Lehre von Zimmermann (oben Note 9), und in dem Art. Polizei in
Wörterbuch II S. 248 soll dieser Kampf gegen die Gefahr durch Gebote, Verbote
und Exekutivpersonal geführt werden, womit er denn in die herrschende Begriffs-
bestimmung einmündet. — Rückfälle in frühere Anschauungen kommen immer
noch vor, namentlich bei preuſsischen Juristen. So v. Roenne, St.R. I S. 550;
Primker, Kompetenzkonflikte S. 57; Bornhak, Pr. St.R. III S. 157. Auch
Rosin in Begriff der Pol. (S. 114) will neuerdings in bewuſstem Gegensatz zu der
herrschenden Lehre (S. 4 u. 7) für den Polizeibegriff wieder die gesamte innere
Verwaltung in Anspruch nehmen. Er ist der Meinung, daſs der Begriff durch die
ältere preuſsische Gesetzgebung so festgelegt sei. Festgelegt sind aber nur die
Folgerungen, die sie etwa aus dem Begriff gezogen hat; der Begriff selbst gehört
der Wissenschaft und ihrem Fortschritt.
S. 223 ff.; Roscher, Gesch. der Nat.Ökonomie S. 347; Funke in Ztschft. f. St.W.
1863 S. 523 ff.; Gierke, Althusius S. 293 ff. — Die ganze Rechtsauffassung ist
am klarsten entwickelt bei Chr. v. Wolff, Jus nat. VIII § 29 und Vernünftige
Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben § 227; mit besonderer Anwendung auf
die Polizei: Jung, Lehrb. d. Staats-Polizeiwiss. (1788). Dieselben Gedankenreihen
finden sich noch bei Schriftstellern, die sonst den Folgerungen, die der Polizeistaat
daraus zieht, gar nicht hold sind, z. B. bei Gönner, St.R. S. 426. Hier erklärt
sich vielleicht auch eine Schrulle unseres Kant. Dem Apostel des Rechtsstaates
und der Freiheit sind natürlich angeborene allgemeine Unterthanenpflichten tief
zuwider. Ganz kann er die Polizei nicht beseitigen; es giebt ja in Wirklichkeit
unbestreitbar eine allgemeine Gewalt, welche die öffentliche „Sicherheit, Gemächlich-
keit und Anständigkeit“ besorgt und auf eine entsprechende allgemeine Pflicht der
Unterthanen sich beruft. So nimmt er ihr denn wenigstens den persönlichen Cha-
rakter eines angeborenen Freiheitsmangels und gründet sie dafür auf einen ding-
lichen Zusammenhang, auf das Obereigentum des Landesherrn (R.Lehre II Abschn. I
Allg. Anm. A). Dafür hatte freilich die herrschende Meinung kein Verständnis;
vgl. z. B. Roſshirt, Begriff der Staatspol. S. 53.
gestellt: „daſs man sich auf das Verbot sicherheitsgefährlicher Handlungen u. s. w.
beschränke; dag egen die Erzwingbarkeit von Anforderungen im Interesse des Ge-
meinwohls und von rein moralischen Verpflichtungen ausschlieſse“. Das erstere
stützt sich also nicht auf rein moralische Verpflichtungen. — O.V.G. 10. Nov. 1880
(Samml. VII S. 351): „Der Eigentümer als solcher ist verpflichtet, sein Grundstück
so zu erhalten, daſs polizeilich zu schützende Interessen nicht beeinträchtigt werden.“
So auch O.V.G. 5. Dez. 1851, 15. April 1884, 14. Sept. 1885; insbesondere noch
O.V.G. 12. Okt. 1889 (Samml. XVIII S. 406): das Stf.G.B. hat nicht beabsichtigt,
„eine erschöpfende Regelung der auf den Geldverkehr bezüglichen Pflichten der
Einzelnen zu geben; daher diese Regelung auch durch polizeiliche Einzelverfügung
noch geschehen kann“; die Pflicht besteht also bereits und wird durch den Polizei-
befehl nur genauer bestimmt. — Dieser natürlichen polizeilichen Pflicht, die gute
Ordnung nicht zu stören, entspricht auf civilrechtlichem Gebiete der Naturrechts-
satz: neminem laede. Daher die innere Verwandtschaft zwischen dem auf diesen
Satz gebauten Privatdeliktsrecht und der auf Verletzung jener Pflicht sich grün-
denden Polizeiübertretung (vgl. unten § 22).
doch nur der allerallgemeinste Hinweis auf die Aufgaben der Polizei zu finden ist;
ebenso die französische im wesentlichen auf Ges. v. 22. Dez. 1789, welches einfach
besagt: zur Zuständigkeit der Departementsverwaltung gehört der Schutz des öffent-
lichen Eigentums und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicher-
heit. Es genügt offenbar irgend eine äuſserliche Anlehnung an einen Gesetzestext.
Gegenüber diesen umfassenden Ermächtigungen wird jedes Gesetz, welches einzelne
polizeiliche Verpflichtungen genauer bestimmt, zu einem Schutz der Freiheit, indem
nun wenigstens „aus allgemeinen polizeilichen Gründen“ (O.V.G. 10. Nov. 1881
Samml. VIII S. 318), „aus Gründen des öffentlichen Rechtes“ (O.V.G. 2. Jan. 1888
Samml. XVI S. 326) polizeilich ein Mehreres nicht gefordert werden kann.
— Ein besonderer Fall in Württemb. Arch. f. R. 22 S. 294: ein Polizeibeamter
ist zur Beaufsichtigung einer Parteiversammlung abgeordnet worden; die Be-
schwerde dagegen wird vom Württemb. V.G.H. unterm 2. Okt. 1880 verworfen;
Württemberg hat zwar kein besonderes Versammlungsgesetz, aber das Aufsichts-
recht des Staates folgt aus „der allgemeinen Theorie“. — Bezeichnend ist, daſs
heutzutage noch Streit darüber möglich, ob polizeiliche Gebote oder Verbote über-
haupt einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. G. Meyer, St.R. § 178; derselbe,
V.R. I S. 78; Zorn in Annalen 1885 u. a. wollen dafür gelten lassen die „all-
gemeine Rechtsstellung der Polizei“, „öffentliches Gewohnheitsrecht“ oder gar
„politische“ Rücksichten. Dabei schwebt offenbar die voraus bestehende polizei-
liche Unterthanenpflicht vor, allein wenn auch diese Pflicht als rechtlich wirksam
besteht, so sind deshalb doch noch nicht alle Mittel zu ihrer Geltendmachung
selbstverständlich; vielmehr wird da ihrer Art nach genauer zu unterscheiden sein;
selbstverständlich sind insbesondere nicht Gebote und Verbote; vgl. unten § 20
Note 2.
Wohlfahrtspolizei in den Rahmen der neuen Begriffsbestimmung zu pressen.
Die rechtliche Natur der Polizei wird z. B. ganz richtig bezeichnet als „Be-
schränkung der individuellen Freiheit“ (Laband, St.R. II S. 22; Seydel in
gehenden Störung als ihr Ziel zum Ausdruck im Gegensatz zu Nützlichkeiten, die
geschaffen werden sollen. G. Meyer aber, der diese Bezeichnung, Freiheits-
beschränkung, von der Polizei gleichfalls gebraucht, entzieht ihr sofort wieder ihren
bestimmten guten Sinn, indem er hinzufügt: die Freiheitsbeschränkung könne auch
zu „positiver Förderung“ geschehen (V.R. I S. 72). Der Zweck dieser Verwischung
ist, wie aus Note 6 daselbst hervorgeht, auch den Schulzwang Polizei nennen zu
können. — Das nämliche Ziel erreicht Pözl, Grundriſs zu Vorlesungen über
Polizei, in anderer Weise. Die Polizei ist, wie er (§ 1) richtig sagt, auf Abwehr
von Gefährdungen gerichtet. Er möchte aber doch gewisse Einrichtungen der
Wohlfahrtspflege nach alter Weise noch zur Polizei zählen und dazu genügt es
ihm, im Hintergrunde irgend eine Gefahr aufweisen zu können, die bekämpft wird.
So beginnt denn der besondere Teil unter dem Titel „Bekämpfung der allgemeinen
Ordnungsgefahren“ mit Schullast und Schulpflicht. Warum nicht? Die Über-
schrift nennt ausdrücklich die „Gefahren“, welche hier bekämpft werden; es sind
„Unwissenheit und sittliche Verkommenheit“. Der Polizeicharakter ist also ge-
rettet. Ebenso sind dann auch Zwangsgenossenschaften für Bewässerungsanlagen
Polizeimaſsregeln gegen die Gefahren der Trockenheit, Armenlasten solche gegen
die Gefahren der Armut u. s. w. — Man sieht wie, die an sich richtige, aber nicht
tiefer verstandene Formel der Begriffsbestimmung bei der Anwendung die vollste
Planlosigkeit gestattet.
mann, Pr. Polizei-R. S. 124; Theorie des Franz. V.R. S. 161 ff.
S. 78; Mot. z. G.V.G. S. 170 (Hahn, Mat. I S. 152 ff.).
rechtliche Verhaftung“; R.G. 9. Jan. 1885: „präventivpolizeiliche und straf-
prozessualische Beschlagnahmen“. Sehr scharf namentlich Walter in Sächs. Ztschft.
f. Pr. II S. 49 ff. — Die Franzosen verstehen manchmal unter police préventive
die polizeiliche Aufsicht und Anordnung, unter police répressive den Polizeizwang:
Theorie des Franz. V.R. S. 165. Bornhak, Pr. St.R. III S. 159 Anm. 1, scheint
das irgendwie miſsverstanden zu haben, wenn er meint, es würde dadurch „An-
ordnung und Zwang für den Zwecken nach verschieden erklärt“.
begonnen hat und es sich darum handelt, dem weiteren Fortgang entgegen zu treten,
präventive, wenn die Gefahr noch keine verletzende Wirkung geäuſsert hat und es
sich um Abwendung dieser Wirkung überhaupt handelt“. So Pözl, Grundriſs zu
Vorl. über Pol. S. 14; ähnlich v. Roenne, Pr. St.R. IV S. 96. Eine schlechte
Polizei wird da natürlich immer repressiv sein und den Brunnen erst schlieſsen
lassen, wenn jemand hineingefallen ist.
Handb. (3. Aufl.) S. 218; derselbe in Wörterbuch II S. 247; v. Kirchenheim,
Einf. S. 82; derselbe in Conrads Handwb. V S. 165. Da die Gefahr für die Rechts-
ordnung einmal zum Wesen der Sicherheitspolizei gehören soll, so muſs man bei
den Dingen, die dazu gerechnet werden, diese Voraussetzung oft recht gezwungener-
weise herstellen: Ausländer, Presse, Vereine, Versammlungen bekommen damit von
vornherein ein widersinniges Brandmal der Rechtsordnungsgefährlichkeit aufgedrückt;
nicht zu vergessen, daſs das Preuſs. Ministerium d. I. laut Einteilung der Stoffe
in seinem Amtsblatt auch die Reblaus unter die von der Sicherheitspolizei zu be-
kämpfenden Gefahren rechnet, also, um mit dem Berliner Kammergericht (Binseel,
VII S. 304) zu reden: zu den „rechtsordnungsgefährlichen Personen oder Unter-
nehmungen“.
schiedener Weise verwertet worden: Gneist, Rechtsstaat S. 25, und neuerdings in:
Die nationalen Rechtsideen von den Ständen; v. Stein, Begriff der Gesellschaft
und die sociale Gesch. der franz. Rev. I Einl.; ders., Handb. S. 738 ff.; Roesler,
V.R. I S. 2 ff. — Den Zusammenhang zwischen bürgerlicher Gesellschaft und
Polizei hat immer noch am besten Hegel, Rechtsphilosophie § 182 ff., § 231 ff.,
aufgewiesen und durchgeführt.
Beleuchtung der Treppe in einem Privathaus; das Gericht erwägt, daſs auf dieser
Treppe ein groſser Verkehr stattfindet; ohne die Beleuchtung würden „zahlreiche
Menschen gefährdet, welche die Wohnungen nicht wählen, aber weil sie bewohnt
sind, in dem Hause verkehren müssen“; also ist die Maſsregel nach A.L.R. II, 17
§ 10 gerechtfertigt. Um derer willen, welche die Wohnung „wählen“, würde sich
also die Polizei nicht einmischen dürfen; für sie ist der Zustand ihrer Treppe ein
Stück ihres Privatlebens. — O.V.G. 18. Nov. 1878 (M.B.J. 1779 S. 7): dem Eigen-
tümer wurde befohlen, seinen Bienenstand zu entfernen; er wendet ein, daſs gar
keine Straſse in der Nähe sei, sondern nur ein Feldweg; allein „es genügt, daſs
der fragliche Bienenstand des Klägers auſser dessen Hausgenossen auch noch andere
Menschen in ihren berechtigten Interessen belästigt und gefährdet“. Diese anderen
sind das Publikum, die Hausgenossen gehören zum Privatleben und werden von der
Polizei nicht geschützt. — Während in diesen Entscheidungen durch das Hervor-
heben der besonderen Voraussetzungen für das polizeiliche Einschreiten die Grenze
gehörig kenntlich gemacht worden ist, liegt der Fall weniger klar in den Ent-
scheidungen R.G. 19. April 1881 u. 10. Nov. 1881 (Samml. Stf.S. IV S. 110, 111).
Es handelt sich um die Gültigkeit der bekannten Berliner Polizeiverordnung gegen
die Ofenklappen. Das Gericht erkennt die Gültigkeit an, glaubt das aber genügend
gerechtfertigt zu haben durch den an sich richtigen Satz: „daſs die Unverletzlich-
keit des Eigentums Maſsregeln im Interesse der öffentlichen Ordnung nicht aus-
schlieſst“. Unter öffentlicher Ordnung versteht man meist eine besondere Seite
der guten Ordnung des Gemeinwesens, welche die Polizei zu schützen hat,
nämlich den ungestörten Bestand der äuſseren Formen des öffentlichen Lebens;
Foerstemann, Pol.R. S. 6: „den harmonischen Gang der publizistischen In-
stitutionen“; ähnlich O.V.G. 14. Juni 1882 (Samml. IX, S. 374). Das Reichsgericht
hat das Wort hier im allgemeinen Sinn verstanden, als gleichbedeutend mit der
guten Ordnung des Gemeinwesens überhaupt; im Interesse der öffentlichen Ordnung
soll so viel heiſsen wie: im polizeilichen Interesse. Da beginnt freilich erst die
Schwierigkeit, für welche das Gericht kein Gefühl hat. Ist es denn so selbst-
verständlich, daſs die Polizei mir meine Zimmereinrichtung vorschreiben darf? Das
Gegenteil ist wohl als die Regel angesehen, auch bei der umfassendsten Ausdrucks-
weise der gesetzlichen Ermächtigungen. Wenn man hier eine Ausnahme macht
und zur Verhütung von Unglücksfällen auch diese Einrichtung der Privatwohnung
ordnet, so bedarf es einer Begründung, inwiefern mit dieser über das Privatleben
hinausgewirkt und so das polizeiliche Einschreiten gerechtfertigt wird. Hier steht
allerdings eine ständige Einrichtung der Zimmerausstattung mit ihrer Gefährlich-
keit einer wechselnden Bewohnerschaft des groſsstädtischen Hauses gegenüber,
welche sie hinnimmt und gebraucht, wie sie einmal besteht und vorgefunden wird,
ohne eigne Wahl; man mag also geltend machen, daſs das „Publikum“ dabei
interessiert sei. Unbedenklich ist die Entscheidung nicht; es hätte wohl der Mühe
verlohnt, sich etwas genauer darüber auszusprechen.
Publikum nicht zu schützen“. Es handelte sich um den Lärm eines Schieſsstandes.
Der angeführte Satz ist in dieser Allgemeinheit falsch. Das Publikum wird aller-
dings auch vor ruhestörendem Lärm geschützt, aber eben nur soweit der Lärm
nicht gemacht wird innerhalb des anerkannten Maſses der gesellschaftlichen Frei-
heit, „in Wahrnehmung berechtigter Interessen“. Richtig: O.V.G. 25. Juni 1888:
Musikaufführungen können nicht ohne weiteres wegen Belästigung des Publikums
verboten werden; ein polizeiliches Einschreiten könnte nur erfolgen unter dem Ge-
sichtspunkte des § 360, 10 St.G.B., also nur wenn dadurch „ungebührlicherweise“
ruhestörender Lärm verursacht wurde. — O.V.G. 18. Sept. 1884 erklärt es für un-
zulässig, gegen eine Bäckeresse polizeilich vorzugehen, weil sie die Nachbarschaft
durch Rauchflocken belästigt; nur Gefahren für Leben und Gesundheit seien
nach A.L.R. II, 10 § 17 abzuwehren. Das ist nicht der wahre Grund: wenn es
nicht den Bäcker kraft der gesellschaftlichen Freiheit für berechtigt angesehen
hätte, seine Mitmenschen so zu belästigen, wäre es dem Gerichte ein leichtes ge-
wesen, die Rauchflocken unter irgend eine Gefahr der Gesundheit, der Ordnung
oder der Ruhe unterzubringen. — Das Sächs. Ministerium d. I. hat mit Verord.
v. 30. Mai 1880 das Verfahren gegen eine Schmiedeesse miſsbilligt, da nur der
Nachbar klagte. Dagegen wurde von ihm eine Bäckeresse polizeilich behandelt,
„weil der Zustand wiederholt zu Klagen des gröſseren Publikums Veranlassung
gegeben“ (Sächs. Ztschft. f. Pr. I S. 279). Hier lag also wohl ein Übermaſs der
nur allzu leicht angenommen. Foerstemann, Pol.R. S. 6—13, führt eine Reihe
von Fällen auf. Ein Hauptgebiet dafür ist jetzt noch das Gesindewesen, wo privat-
rechtliche Verträge im öffentlichen Interesse polizeilich geschützt werden. — Aus
der neueren Rechtsübung: O.V.G. 18. Sept. 1878 spricht aus, daſs die Polizei „gegen
Nachteile aus freiwilligen Handlungen anderer nur schütze im Falle der Strafbar-
keit“. — O.V.G. 26. März 1881 miſsbilligt es, daſs die Polizeibehörde einem Dienst-
herrn befohlen hatte, dem abziehenden Knechte die zurückgehaltenen Sachen
herauszugeben, „die Polizei schützt nur gegen Gefahren nicht gegen Nachteile (?)
und die Ordnung privatrechtlicher Beziehungen ist ihr grundsätzlich entzogen“. —
Sächs. Min.Verord. 30. Mai 1880 (Sächs. Ztschft. f. Pr. I S. 279) hebt eine Polizei-
verfügung auf, durch welche auf Grund des B.G.B. Art. 359 dem Nachbar eine
Änderung an seinem Grundstücke auferlegt worden war: „die Polizeibehörde hat
nur das öffentliche Recht (soll wohl heiſsen: das öffentliche Interesse), nicht das
Nachbarrecht zu schützen“.
schaft jedem gestattet ist. — Mehr als allgemeine Gesichtspunkte lassen sich hier
nicht geben; und doch handelt es sich um Rechtsschranken, die schlieſslich an
einem Punkte wirksam werden.
Benutzung öffentlicher Anstalten; vgl. auch unten § 24, I.
des Rechts des Staates auf starken polizeilichen Schutz seiner Forsten an Kommunen
und Private erblicken“. Daſs aber der polizeiliche Schutz des Forstes auch gegen
diese Eigentümer selbst geht, erklärt sich nur aus dem allgemeinen Gesichtspunkt,
daſs eben der Forst als ein Wertstück der gesellschaftlichen Ordnung, als gemein-
nütziges Gut anerkannt ist, nach Art der öffentlichen Anstalten.
der Militärbehörde und in deren Interesse die Herausgabe eines Militärpasses von
dem Meister des Eigentümers, der ihn zurückhielt. Das ist „keine polizeiliche
Maſsregel, sondern Landeshoheitssache“. Ob es wohl zulässig war?
Reichspostverwaltung gegen die Privatstadtposten. Diese sollten polizeilich an-
gehalten werden, sich nicht Post zu nennen. O.V.G. 14. Nov. 1887 erkennt an,
daſs der Betrieb der Reichspost durch diese Benennung erheblich gestört werde.
Allein die Reichspost, obwohl keineswegs ein freies gewerbliches Unternehmen
des Fiskus darstellend, vielmehr eine öffentliche Verkehrsanstalt, gehört doch
zweifellos nicht „zu den polizeilichen Verkehrsanstalten, welche wie z. B. öffent-
liche Wege, Brücken, Fähren, Ströme, Häfen u. s. w. der Verfügung und Obhut
der Polizeibehörde unterstehen und dementsprechend auch den polizeilichen Schutz
gegen schädigenden Eingriff im weitesten Umfange genieſsen“. Daher läſst sich
ein polizeiliches Einschreiten unter dem Gesichtspunkte der öffentlichen Ordnung
hier nicht rechtfertigen. — Das Sächs. Ministerium dagegen hat mit Verord. vom 7. Juni
1887 ausgesprochen: „daſs die den Verwaltungsbehörden zukommende Vertretung und
Förderung des allgemeinen öffentlichen Interesses auch die Aufgabe in sich schlieſst,
derartigen Privatanstalten überall da entgegenzutreten, wo durch die Art und Weise
ihres Geschäftsbetriebes die Sicherheit des allgemeinen durch die Postanstalten ver-
mittelten Briefverkehrs gefährdet und somit wesentliche Interessen des Publikums
geschädigt werden“. Daher wird das Verbot jener Bezeichnung und sonstige Ein-
schränkung gebilligt. Hier ist also ganz unser oben gekennzeichneter Fall ge-
geben: Beeinträchtigung der Wirksamkeit der öffentlichen Anstalt, nicht der An-
stalt selbst und ihrer Leistungsfähigkeit.
Daſs die letzterwähnte Entscheidung unserer Forderung bezüglich der Grenzen
der Anstaltspolizei widerspricht, kann nicht wunder nehmen: die Polizeigewalt im
Königreich Sachsen ist im deutschen Reiche so ziemlich am weitesten entfernt von
derjenigen Umgrenztheit, welche sie im Rechtsstaate haben soll. Der Schutz gegen die
Konkurrenz, den die Postverwaltung erstrebte, ist für andere öffentliche Anstalten
allerdings gegeben; wir werden in der Lehre von der Verleihung öffentlicher Unter-
nehmungen vom Straſsenregal zu handeln haben. Das beruht aber eben nicht auf
polizeilichen Gründen. Den ganz altmodischen Ausdruck „polizeiliche Verkehrs-
anstalten“ hätte das O.V.G. besser vermieden.
schreiten richtig eine Gefährdung durch Menschen. G. Meyer, V.R. I S. 72
Note 6, findet das zu eng; er denkt offenbar an die Gefährdung durch Sachen,
gegen welche die Polizei wirken müſste, z. B. durch ein einsturzdrohendes Ge-
bäude. Allein wenn er die polizeiliche Beseitigung eines solchen als Beschränkung
der persönlichen Freiheit des Eigentümers gelten läſst, dann ist die Einsturz-
gefahr, die das Gebäude bietet, doch wohl mit demselben Rechte eine Gefährdung,
die von dem Eigentümer ausgeht.
die Beseitigung eines Hindernisses der Zugänglichkeit eines Teiches, der bei etwaiger
Feuersnot im Ort benutzt werden soll. Das Gericht miſsbilligt: „der Polizei sind
… Privatrechten gegenüber gewisse Schranken auferlegt. Voraussetzung ihrer
Eingriffe ist nämlich, daſs die mögliche Gefahr von dem durch ihre Eingriffe be-
troffenen Dritten beziehungsweise dessen Besitz selbst ausgehe, oder dieselben
müssen fuſsen auf einer positiven gesetzlichen Norm“. Letzteren Falls wird aber
die Sache, wie wir sagten, in eine andere Rechtsform als die der Polizei übergehen.
— O.V.G. 11. Okt. 1884 (Samml. XI S. 382): In einer Privatwohnung hält eine
Sekte Erbauungsstunden ab. Die Polizei verlangt, daſs die Thüren und Fenster ge-
schlossen werden, damit die Passanten kein Ärgernis nehmen und die Versammlung
nicht durch sie gestört werde. Das Gericht ist der richtigen Ansicht: „wenn dritte
Personen bei einer erlaubten Versammlung die öffentliche Ordnung stören, so hat
sich die polizeiliche Maſsregel nicht gegen die Versammlung zu richten, sondern
auf die Entfernung der Störenden“. — Die scheinbar widersprechende Entscheidung
C.C.H. 14. April 1860 (J.M.Bl. 1861 S. 136) erklärt sich aus einer öffentlichrecht-
lichen Eigentumsbeschränkung, die allerdings Verschiebungen der polizeilichen Pflicht
bewirken kann; davon später. Aber noch ganz auf dem Standpunkte der alten
Polizei bewegt sich der Fall, welchen C.C.H. 12. Nov. 1881 (M.Bl. d. I. 1882 S. 5) be-
handelt: Der Landrat befiehlt einem Eigentümer, sein Spülwasser statt auf die
Straſse in eine neben derselben befindliche Rinne zu schütten. Der Eigentümer
der Rinne klagt gegen den Nachbar, der dieses Gebot befolgt, auf Unterlassung.
befugt Branntwein; die Polizei droht die Schlieſsung des Ladens an. Eine solche
die fragliche Anordnung betrifft die öffentliche Ordnung, d. h. hier die Reinhaltung
der öffentlichen Straſse; „der Kläger, welchem die Aufnahme der Flüssigkeiten in
die Rinne vor seinem Hause aufgegeben ist“, kann nur Entschädigung begehren.
Das Richtige war, daſs der Landrat verbieten konnte, das Spülwasser auf die
Straſse zu schütten; aber dem Nachbar die Last aufzulegen, daſs er diese Schäd-
lichkeit übernehme, geht über das Maſs der Polizeigewalt hinaus, — und noch
dazu die Form, wo dem Einen etwas aufgegeben sein soll durch einen Befehl an
den Andern! — Umgekehrt wird der, von welchem die Störung, wie sie hier vor-
liegt, thatsächlich ausgeht, auch dadurch nicht von seiner polizeilichen Pflicht be-
freit, daſs er nachweist, andere hätten durch ihr fehlerhaftes Verfahren ihm gegen-
über ihn erst in die Lage gebracht, daſs er jetzt stört. Württ. Min. d. I. 28. April
1876 (Reger III S. 440): Eine Straſse in Stuttgart wird aufgefüllt; ein angrenzen-
des Grundstück versumpft; die Polizeibehörde befiehlt dem Eigentümer, seinerseits
aufzufüllen. Dieser wendet ein, daſs die Straſsenanlage schuld sei, sowie die
Nachbarn, welche ihm Wasser zuleiten. Entscheidung: die Polizeibehörde kann
sich nur an den Eigentümer halten, von dessen Grundstück die Schädlichkeit aus-
geht; dieser mag gegen die Schuldigen im Civilrechtswege seine Schadensersatz-
ansprüche geltend machen.
Bad. Pol.Stf.G.B. S. 183; „die Polizeibehörde, heiſst es dort, darf also z. B. ver-
giftete Waren oder gesundheitsgefährliche Nahrungsmittel nicht ohne weiteres ver-
nichten, sofern denselben durch eine Veränderung … ihre Gemeingefährlichkeit
entzogen werden kann“. — O.V.G. 3. Juli 1886: Beseitigung sicherheitsgefährlicher
Pfähle war angeordnet; es konnte auch durch Beleuchtung und dergl. geholfen
werden, daher sind für jene Verfügung die „thatsächlichen Voraussetzungen“ nicht
gegeben. Ähnlich die Fälle bei Parey u. Wiedemann, Rechtsgrunds. des
Preuſs. O.V.G. S. 89, S. 150, S. 163.
Geschäftsbetrieb an sich in Ordnung; nur daſs dazwischen Branntwein ge-
schenkt wird, ist normwidrig; dies muſs also für sich allein verhindert werden.
Hausbesitzer, Personen aufzunehmen, welche möglicherweise gewerbsmäſsige Un-
zucht treiben könnten. „Es ist unzulässig, an sich erlaubte Handlungen allgemein
zu verbieten, nur weil diese die Begehung von Missethaten erleichtern können“.
Die nötigen Überwachungsmaſsregeln standen hier schon zur Verfügung
(Stf.Pr.O. § 104 Abs. 2); daſs die Polizeibehörde wegen der möglichen Polizei-
widrigkeit sofort schon mehr thun wollte, verletzte den Grundsatz der Verhältnis-
mäſsigkeit der polizeilichen Abwehr. — Eine besonders scharfe Form der Über-
wachung besteht in der Umkehr des Verhältnisses durch Verbot mit Erlaubnis-
vorbehalt (unten § 21).
der Polizei ist eine Einschränkung auf die Aufstellung von Verboten nicht zu ent-
nehmen“. Dort wird der Fall angeführt, wo ein Angeklagter die Ungültigkeit einer
die Teilnahme am Feuerlöschdienst befehlenden Polizeiverordnung daraus erweisen
will, „daſs die Aufgabe der Polizei zunächst nur eine negative, hindernde, ver-
bietende sei“. Der Mann hatte mit seiner Grundanschauung von der Polizeigewalt
vollkommen Recht. Unrecht hatte er einmal, insofern er auf der Form des Ver-
botes besteht; das „Negative“ kann auch in der Form des Gebotes erscheinen.
Sodann aber auch insofern, als er glaubt, die Löschdienstpflicht könne überhaupt
nicht mehr auferlegt werden, wenn sie nach richtiger Auffassung heutzutage
nicht mehr polizeilicher Natur ist. Davon in der Lehre von der öffentlichen Last.
heit des Verkehres die Errichtung eines Zaunes an der Straſse notwendig und will
die Angrenzer dazu zwingen. Miſsbilligung des Gerichts. Die Polizei kann nur
an den „Wegebauverpflichteten sich halten“ oder, „um die Störung der öffentlichen
Ordnung und Sicherheit abzuwenden, die unmittelbaren Folgen einer solchen wieder
zu beseitigen, an den Störer“; „nicht aber kann sie von einem Dritten die Her-
stellung einer durch die veränderten Bedürfnisse des Verkehrs notwendig gewordenen
Neuanlage fordern“. Da haben wir die drei Personen: der Störer ist polizeilich
verpflichtet; der Dritte, d. h. der, von welchem die Störung nicht ausgeht, kann
nicht in Anspruch genommen werden; der Wegebaupflichtige kann in Anspruch
genommen werden, aber auf Grund der Wegelast und die ist nicht Polizei
im heutigen Sinne. — Durch Polizeiverordnung der els.-lothr. Bezirkspräsi-
denten war den Haushaltungsvorständen geboten worden, jeden Neuankommen-
wird verflacht, wenn man die verschiedenartigsten Dinge unter diesem Namen zu-
sammenfaſst (G. Meyer, V.R. I S. 32) oder ihn wenigstens überall „immanent“
finden will (Seligmann, Begr. d. Ges. S. 29; Bernatzik, Rechtskraft S. 11).
O.L.G. Colmar 31. März 1886 (Jurist. Ztschft. f. E.L. 11 S. 256) erklärt das für
begründet durch die allgemeine gesetzliche Befugnis der Bezirkspräsidenten, Polizei-
vorschriften zu erlassen „für die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit“. Fran-
zösischen Juristen wäre eine solche polizeiliche Anordnung bedenklich gewesen
(Trolley, hiérarchie adm. I n. 380); sie würde auch nach unsern obigen Aus-
führungen (oben II n. 2) nur geschehen können auf Grundlage einer allgemeinen
Verdächtigkeit der betroffenen Haushaltungen, wie sie gegenüber dem Gewerbe-
betrieb der Gast- und Logierhäuser bestehen mag. Das O.L.G. begründet sie aber
als eine Hülfeleistung, welche die Verwaltung muſs fordern können, um sich „die-
jenige Kenntnis des Personenverkehrs zu verschaffen, welche sie zur Erfüllung der
ihr in den bezeichneten Gebieten obliegenden Pflichten für notwendig erachtet“.
Das ist ganz die alte Formel des Polizeistaats, vgl. oben § 4 Note 6. Heutzutage ist
eine solche Lastauflegung nicht mehr in der Polizeigewalt begriffen.
für bestimmte Arten von Befehlen durch alte Gewohnheitsrechtssätze ersetzt werden
(Rosin, Pol.Verord. S. 13; vgl. oben § 10 n. 4). Wenn aber G. Meyer, St.R. § 178
Note 1, eine „allgemeine Berechtigung der Polizei, überall gebietend und verbietend
einzuschreiten, wo dies aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt und Sicherheit
erforderlich erscheint“, durch Gewohnheitsrechtssatz begründen will, so meint er
damit in Wahrheit vielmehr ein Stück Verfassungsrecht des absolutistischen Polizei-
staates, das da erhalten sein soll; wie er denn auch in V.R. I S. 78 einfach auf
die „allgemeine Rechtsstellung“ der Polizei sich beruft, aus der sie solche Gewalt
ziehen müsse. Ebenso Zorn in Annalen 1885 S. 309. Diese allgemeine Rechts-
stellung ist aber eben durch die Einführung der neuen Verfassungen und den Vor-
behalt des Gesetzes unter neue Bedingungen gebracht. Zorn in Annalen 1885 S. 309,
Note 1 verweist auf die Kolonialverwaltung, wo man ja ohne gesetzliche Grundlage
und ohne Gewohnheitsrechtssatz auskommen müsse. Allein dort ist die Frage da-
durch gelöst, daſs der Kaiser die Staatsgewalt ausübt, ohne durch verfassungs-
mäſsige Vorbehalte des Gesetzes beschränkt zu sein. Beschränkungen entstehen
erst, wenn ein Reichsgesetz für einen gewissen Gegenstand ergeht (Laband St.R. I
S. 798): es ist ungefähr der Zustand, wie ihn G. Meyer auch für die Heimat
behauptet.
drucksweise soll von Rechtsstaatswegen der polizeiliche Einzelbefehl möglichst ein
konkretes Gebot sein, d. h. Anwendung der abstrakten Rechtsnorm eines Gesetzes,
und nicht Individualgebot. Allzu genügsam aber scheint uns dieser Rechtsstaat zu
sein, wenn es seiner Forderung auch schon entspricht, daſs auf Grund von A.L.R.
II, 17 § 10 im Einzelfall beliebig verfügt wird. Rosin nennt auch das noch eine
„Regelung des konkreten Falles in Gemäſsheit jener abstrakten Gesetzesvorschrift“
(a. a. O. S. 95). Das ist offenbar eine Verwechselung des verfassungsmäſsigen
Gesetzesvorbehalts mit den Forderungen des Rechtsstaates. Jenem würde auch
genügt sein durch ein Gesetz, welches sagt: die Behörden können machen, was sie
wollen; diesem aber durchaus nicht, er ist noch was mehr als Verfassungsrechts-
ordnung. — Der obige Grundsatz ist sehr gut zum Ausdruck gekommen bei Risch
in Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III S. 150: es soll ausgeschlossen sein, „daſs
die Polizeibehörden bei ihren speciellen Verfügungen neue Normen aufstellen“;
dem Einzelakt gehört nur die gebundene Durchführung der rechtssatzmäſsig be-
stimmten Pflicht. Das ist der wahre Rechtsstaatsstandpunkt.
hörden selbständige Befehle erlassen dürfen, zur Ausfüllung von Lücken ist die
Form der Verordnung vorgeschrieben. Edel, Pol. Stf.G.B. S. 152 hebt den Wert-
unterschied von Rechtssatz und Verfügung für die Rechtsstaatsidee trefflich hervor:
„dagegen wäre es höchst bedenklich, wenn ein solcher Artikel der Polizei Gelegen-
heit geben würde, durch Specialverfügungen, die sie bei gleichen Voraussetzungen
an verschiedene Personen in verschiedenem Sinne erläſst, eine Rechtsungleichheit
herbeizuführen.“ Vgl. auch Theorie des Franz. V.R. S. 66. — Das Preuſsische
Recht steht noch auf dem Standpunkt, daſs es der Behörde, wo sie polizeiverord-
vorschlagen zu wollen. Er setzt den Fall, daſs das Gesetz eine Bestimmung träfe,
der gegenüber nur durch Polizeiverordnung Abweichendes soll bestimmt werden
dürfen: „Hier müſste, wenn ausnahmsweise nur für einen einzelnen Fall der Erlaſs
eines entgegengesetzten Verbotes oder Gebotes erforderlich wäre, die Abänderung
der gesetzlichen Rechtsvorschrift begrifflich wiederum durch Rechtsvorschrift, d. h.
auf dem Wege der Polizeiverordnung erfolgen“. Es giebt keinen „Weg der Polizei-
verordnung“ in dem Sinne, wie es einen Weg der Gesetzgebung giebt (oben § 10
Note 9); die Abänderung für den Einzelfall ist einfach unzulässig, so lange das Ge-
setz nicht abgeändert wird.
Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 2 Ziff. 14 nur durch Verordnung (ortspolizeiliche Vorschrift)
getroffen werden. Das ist für die Polizeibehörde unbequem. In München hat man
deshalb eine ortspolizeiliche Vorschrift dahin erlassen: „die Hausbesitzer haben
verfügung zu wählen; O.V.G. 14. März 1886 (Samml. XIII S. 395). Ausdrück-
liche Gesetzesbestimmung kann natürlich auch hier die Einzelverfügung aus-
schlieſsen; Rosin, Pol.Verord. S. 95. Es darf aber nicht unbemerkt bleiben, daſs
gleichwohl auch in Preuſsen, wenigstens bei den unteren Verwaltungsgerichten,
schon eine [Strömung] besteht, in solchen Fällen nur die Verordnung für zulässig
zu erklären; O.V.G. 9. Juni 1877, 27. Juni 1877, 9. Juni 1884. In dieser Richtung
liegt offenbar die weitere Entwicklung.
§ 24; Württemb. Pol. Stf.G.B. art. 54; Preuſs. Ges. v. 11. März 1850 § 15. — Der
Widerspruch mit einer von der vorgesetzten Behörde erlassenen Dienstanweisung
ist für die Rechtsgültigkeit der Pol.Verord. nach auſsen gleichgültig. Nach Loening,
V.R. S. 236 Anm. 3 bestünde eine Ausnahme in Württemberg. Allein das beruht
auf einem Misverständnis von Schicker, Pol. Stf.R. u. Pol. Stf.Verf. I S. 67
Note 3; wie aus seinen Ausführungen in Borchers Ztschft. XIX S. 279, S. 318
noch deutlicher hervorgeht, meint Schicker nicht eine Dienstanweisung, sondern
eine polizeiliche Einzelverfügung der oberen Behörde; diese letztere soll nach ihm
gefährlicher Zustände in oder an ihren Gebäuden in der dafür von der Behörde
festgesetzten Frist nachzukommen“. Die gleiche Fassung wäre aber für alle und
jede ortspolizeiliche Vorschrift denkbar und dann hätten wir gerade denjenigen
Zustand hergestellt, welchen das Pol.Stf.G.B. so entschieden verhüten wollte (vgl.
oben Note 4).
verbietet einer Kunstwollefabrik, mehr als 20 Centner Lumpen in ihren Räumen
gelagert zu halten. Gleich darauf erläſst sie eine Polizeiverordnung, wonach die
Lagerung von Lumpen nur in Quantitäten von mehr als 50 Centnern verboten ist.
Das Gericht erklärt die letztere Bestimmung auch für maſsgebend gegenüber jener
Fabrik: „denn der Verwaltungsrichter kann keine polizeiliche Anordnung aufrecht-
erhalten, welche das von ihm anzuwendende, d. h. eben das zur Zeit des Spruches
bestehende Recht verletzt.“ — Die obere Instanz steht solchen Rechtssätzen ganz
ebenso gebunden gegenüber wie die untere; O.V.G. 30.Nov.1882 (Samml. IX S. 340 1):
„es giebt kein generelles selbstverständliches Dispensationsrecht der Aufsichts-
behörde von Baupolizeiverordnungen“.
ihm also vielmehr um eine — gleichfalls unrichtige — Übertreibung des Grund-
satzes des Vorrangs der oberen Willenserklärung nach auſsen; in Wirklichkeit ist’s
hier umgekehrt; vgl. folgende Note.
thatsächlicher Voraussetzungen ein treffliches Mittel zur Überwachung dieser
Rechtsgrenze gegeben; oben § 14 Note 27 u. 28.
Pol. Stf.G.B. art. 11; Württemb. Pol. Stf.G.B. art. 55 u. Min.Verf. v. 9. Jan. 1872;
Bad. Pol. Stf.G.B. art. 27 u. Min.Verord. 15. Sept. 1864.
rungen durchaus nicht; sie ist geradezu kennzeichnend für den büreaukratischen
Polizeistaat.
Warnungstafel und verwandte Dinge, der Strohwisch, der die Straſse sperrt, der
gemalte Radschuh oder aufgeworfene Graben (Bayr. oberpolizeil. Vorschrift v. 4. Jan.
1872 § 4 u. § 7). Der Befehl oder die Strafandrohung, die dahinter stehen, sind
ihrerseits in gehöriger Weise kundgegeben, und jene Zeichen sind entweder bloſse
Mahnungen und Erinnerungen daran oder sie schaffen eine thatsächliche Voraus-
setzung für die Anwendbarkeit jener Bestimmungen, indem sie diese Ortlichkeit
als eine solche kenntlich machen, für welche sie gelten sollen. Es handelt sich
also weder um eine „symbolische“ Kundgabe des Befehls, noch um eine Kundgabe
an unbestimmte Personen (Laband, St.R. I S. 695; v. Sarwey, Allg. V.R. S. 29),
sondern überhaupt um keine Kundgabe in dem hier behandelten Sinne.
übersehen.
bloſs da, wo sie sich gleichlautend an eine gröſsere Anzahl von Personen wendet.
So wäre sie denkbar bei den Vorschriften, welche nach Stf.G.B. § 361 Ziff. 6 den
unter Aufsicht gestellten Dirnen gegeben werden können; das sind keine Rechts-
sätze, keine Verordnungen; ein Gewaltverhältnis, das in allgemeiner Weise kund-
Vermutung bestehe, daſs es keine bloſse „reglementarische Ordnungsvorschrift“
habe geben wollen; das gilt von jedem Gesetz; vgl. oben § 7, III n. 2.
St.R. I S. 609, unterscheiden zwischen formellen Erfordernissen, die jeder Nach-
herrschenden Ansicht die Einzelkundgabe erforderlich: O.V.G. 10. Nov. 1877; O.Tr.
21. Febr. 1877. — Die Bestimmung des Socialistengesetzes v. 21. Okt. 1878 § 28,
wonach Ausweisungsverfügungen den Betroffenen gültig kundgegeben werden konnten
durch Veröffentlichung (R.G. 19. Okt. 1880; Samml. Stf.O. II S. 348), war etwas
sehr Auſserordentliches.
seine Darstellung vornehmlich gefunden in der Lehre vom Gesetz. Wer verfassungsmäſsig
das Gesetz kundgiebt, ist zugleich berufen, das Vorhandensein der Voraussetzungen
seines gültigen Zustandekommens zu bezeugen und thut das von selbst durch die
Kundgabe, zu der er schreitet. Das ist die rechtliche Bedeutung der Promulgation,
Ausfertigung oder wie mans nennen mag; Laband St.R. I S. 522 ff., S. 549 ff.
Die gleiche Fähigkeit und Willensmeinung liegt aber auch bei der Kundgabe der
Verordnung vor; es ist eine willkürliche Einschränkung, wenn Laband a. a. O.
S. 609 annimmt, es solle nur „die Ordnungsmäſsigkeit des formellen Verfahrens au-
thentisch bekundet“ werden. Der Verordnende sagt einfach: dies ist eine gültige
Verordnung, ohne zu scheiden. Daſs dann die von ihm bei der Verfügung be-
obachteten Erscheinungen (a. a. O. S. 695 Note 1) mit demselben Rechtsinstitut
zusammenhängen, hat Laband überhaupt nicht mehr beachtet.
der ausreichenden gesetzlichen Grundlage, die stets nachzuprüfen wären. Dagegen
mit Recht Jellinek, Ges. u. Verord. S. 394 Note 43. Es kann sich auch bei der
Verordnung zunächst nur um die Frage handeln, „ob die Behörde an sich zum
Erlaſs solcher Verordnungen ermächtigt ist.“ Ist diese bejaht, so kommt es darauf
an, inwieweit Zuständigkeiten zur genaueren Nachprüfung der Rechtsgültigkeit ge-
ordnet sind. „Notwendig“ ist in dieser letzteren Beziehung nichts.
hinter dem der Zwang steht.“ Der Zwang in diesem allgemeinen Sinne braucht
nicht notwendig Polizeistrafe zu sein. Deshalb ist es unrichtig, wenn man Polizei-
gesetz und Polizeistrafgesetz, Polizeiverordnung und Polizeistrafverordnung als voll-
kommen gleichbedeutend behandelt und insbesondere die Strafandrohung als wesent-
lich zum Begriff der Polizeiverordnung gehörig ansieht; G. Meyer, St.R. § 160;
Rosin, Pol.Verord. S. 38; derselbe in Wörterbuch II S. 279. Richtig Risch in
Dollmann, Bayr. Ges.Gebung III, III S. 147.
auch um persönliches Erscheinen auf den Amtsstuben zu solchem Zweck. Etwas
sehr Merkwürdiges hat R.G. 30. Sept. 1880 in einem elsaſs-lothringischen Fall aus
diesem Verhältnis gemacht. Ein Rechtsanwalt hatte aus Anlaſs eines besonderen
Aktes, der ein öffentlichrechtliches Rechtsverhältnis erzeugt, ist erst im Zusammen-
hang des Rechtsstaats zur scharfen Ausprägung gelangt. Für das ältere Staats-
wesen war kein Anlaſs, feiner zu unterscheiden: Befehl ist da jede Aufforderung
eines Mannes in des Königs Dienst, auf deren Nichtbeachtung Gewaltanwendung
folgt. Gendarmen, Schutzleute, Schildwachen, Forstschutz-, Zoll- und Steuerpersonal,
alles „befiehlt“ in diesem Sinne. Heutzutage sind das alles Mahnungen, Drohungen;
befehlen kann nur die Behörde. Doch klingt die ältere Auffassungsweise noch
häufig durch. So in C.C.H. 12. Febr. 1870 (J.M.Bl. S. 102), wo die Aufforderung
Auskunfterteilung gar nicht mehr erscheinen, man sei nicht dazu verpflichtet. Das
Reichsgericht sieht darin eine strafbare Aufforderung zum Ungehorsam im Sinne
von Stf.G.B. § 110. Die Polizeibehörden, sagt es, sind zuständig, Personen, welche
Auskunft erteilen können, über polizeilich interessierende Angelegenheiten zu ver-
nehmen, also müssen sie dieselben auch auf ihre Bureaux vorladen können, also
sind diese verpflichtet zu erscheinen. Das ist natürlich einfach wieder die Folge-
rungsweise des Polizeistaates, der in Elsaſs-Lothringen längst nicht mehr besteht.
Das Reichsgericht verhehlt sich nicht, daſs diese Pflicht in keiner Weise erzwing-
bar, insbesondere die „Befugnis zwangsweise zu sistieren“ nicht anzunehmen ist;
auch Bestrafung wegen Nichterfüllung ist ausgeschlossen. Das hindert aber nicht,
es für zutreffend zu erklären, daſs wenigstens eine „staatsrechtliche Pflicht zum
Erscheinen“ vorliegt. Wir fürchten sehr, daſs im Geiste des Reichsgerichts die
staatsrechtliche Pflicht des Unterthanen eine mehr moralische und den Gegensatz
zu einer echten ordentlichen Rechtspflicht bedeuten soll.
„Gebot“ und „polizeiliche Verfügung“ behandelt wird. Auch der von Laband,
St.R. I S. 695, als Beispiel angeführte „mündliche Befehl“ des Schutzmanns, welcher
einen Hausbesitzer zur Reinigung des Straſsenpflasters auffordert, ist kein Befehl,
sondern Mahnung und Drohung mit Strafanzeige. Daſs der ehemalige Unteroffizier
dabei im Befehlstone spricht, ist juristisch nicht maſsgebend.
von einer Auſserkraftsetzung der Verordnung nicht die Rede sein; „denn was
rechtlich nicht in Kraft getreten ist, kann rechtlich auch nicht wieder auſser Kraft
gesetzt werden“; es sei also bloſs der äuſsere Schein, der zweckmäſsigerweise be-
seitigt werde. Zustimmend Seydel, Bayr. St.R. III S. 594 Anm. 4. Allein auch
die ungültige Verordnung ist in Kraft und Wirksamkeit, solange und soweit ihr
nicht ein Nachprüfungsrecht entgegentritt; die Auſserkraftsetzung bedeutet also
weit mehr als eine bloſse Aufklärung, die gegeben wird.
horsamspflicht auf den Nachfolger in dem Unternehmen, das der Befehl betraf, im
Falle der mala fides beim Erwerbe für denkbar zu halten. — Wegen der Aus-
nahme, die sich im Zusammenhang mit der Polizeierlaubnis ergiebt: unten § 21
Note 24.
die Ausdrücke Genehmigung, Gestattung, Zustimmung, auch Konsens (Baukonsens)
oder sonst irgend ein mehr oder weniger farbloses Fremdwort. — Das Wort
„Approbation“ bedeutet die obrigkeitliche Feststellung, daſs bei jemandem diejenigen
persönlichen Fähigkeiten vorhanden sind, welche für die Ausübung einer gewissen
Erwerbsthätigkeit verlangt werden. Wenn diese Thätigkeit andernfalls unter
Polizeiverbot gestellt ist, kann die Approbation zugleich die Polizeierlaubnis be-
deuten. Die Approbation kann aber auch bloſs die Befugnis verleihen, sich bei
Ausübung eines Beruſs mit einem gewissen Titel zu bezeichnen, oder die Fähigkeit,
mit amtlichen Aufträgen betraut zu werden (Arzt). Das geht dann über den Be-
reich unseres Rechtsinstituts hinaus. Vgl. darüber G. Meyer, V.R. I S. 394.
Für einzelne Dinge führt die entsprechende Polizeierlaubnis wieder ganz besondere
Namen: so die Hengst- und Stierkörung, welche eine Polizeierlaubnis für den Be-
sitzer bedeutet (G. Meyer, V.R. I S. 336, 337). Eine verschämte Polizeierlaubnis,
die sich absichtlich nicht so nennt, bietet die Sittenpolizei (Wörterbuch II S. 456).
— Diese Verschiedenheiten des Ausdrucks sind meist unschädlich. Dagegen ist
es sehr zu beklagen, daſs sich aus einer Zeit, wo man noch keinen Anlaſs hatte,
die Rechtsinstitute scharf zu scheiden, das Wort Konzession als gleichbedeutend
mit Polizeierlaubnis erhalten hat und fast allgemein auch in diesem Sinne ge-
Polizeidelikts und für die Zurücknahme der Polizeierlaubnis (unten III). Aber
auch im Falle einer Änderung der Gesetzgebung, wodurch bisher freie Unter-
nehmungen unter Erlaubnisvorbehalt gestellt werden: die bereits vorgefundenen,
also fehlerfrei ins Werk gesetzten Unternehmungen werden naturgemäſs von dem
Verbote nicht getroffen. Die Frage hat ihre Behandlung gefunden bei den neuen
Polizeierlaubnisvorschriften der Gewerbeordnung. „Zum Betriebe Berechtigte“ im
Sinne von Gew.O. § 1 Abs. 2 sind nur, die im gegebenen Augenblick rechtmäſsiger-
weise ein Gewerbe in Betrieb hatten, nicht wie Rehm, a. a. O. S. 51 Anm. 2
meint: die damals die Möglichkeit gehabt hätten, ein solches Gewerbe in Betrieb
zu nehmen, also bei freien Gewerben alle damals lebenden Deutschen. Richtig
Seydel, Gew.Pol.R. S. 25; Landmann, Gew.O. S. 21; O.V.G. 1. Mai 1882;
V.G.H. 9. Mai 1882.
abgegrenztes Rechtsinstitut von ganz anderer Art als die Polizeierlaubnis; Rehm,
Rechtliche Natur der Gewerbekonzession S. 80.
erteilung, wonach sie geschehen muſs, geschehen kann, nicht geschehen darf, giebt
Gew.O. § 55 ff. bezüglich des Gewerbebetriebs im Umherziehen.
beurteilen. Die Errichtung von Bauten kann unter Polizeierlaubnis gestellt werden,
um die Wahrung gewisser polizeilicher Interessen zu sichern. Eine Polizeiverord-
Einzelheiten jedesmal frei zu bestimmen. Das Gericht äuſsert Bedenken, „ob nicht
schon das schrankenlose Ermessen, welches danach die Behörde für die in jedem
einzelnen Falle zu erteilende Bauvorschrift sich selbst beilegt, der Rechtsgültigkeit
der Verordnung grundsätzlich entgegensteht“. Dieser Zweifel erklärt sich einzig aus
den obigen Grundsätzen; der Erlaubnisvorbehalt war allzu scharf.
S. 365).
war erteilt worden. Es ist unzulässig, neue Anforderungen in Bezug auf das Lokal
nachträglich zu machen. „Sonst würde die Sicherheit, welche der Konzessioniert[e]
nach dem Willen des Gesetzes dadurch erlangen sollte, daſs ihm die Erlaubnis
nur auf dem in § 53 Gew.O. bezeichneten Wege wieder entzogen werden kann,
illusorisch werden“. Gegenstück in O.V.G. 9. Jan. 1884 (Samml. XI S. 370): Bau-
erlaubnis für einen Spiritusspeicher erteilt, nachher Benutzung verboten; die Frage
der Gefährlichkeit der Ware war in jener Erlaubnis wie in dem Verbot, von welchem
sie entband, nicht berührt, während bei der Wirtschaftserlaubnis die Lokalfrage
mit behandelt war. Deshalb lag hier, wie das Gericht es ausdrückt, „ein Verzicht
auf nachträgliche Geltendmachung dessen, was das öffentliche Interesse verlangt“,
nicht vor.
erlaubnis ist erteilt; nachher neues Gesuch mit umgestaltetem Plan; abgewiesen aus
Gründen, die schon im ersten Gesuch lagen; zu Unrecht: der Gesuchsteller hatte
das Recht erworben, so weit zu überbauen, als dort erlaubt war, nur die Neuerungen
waren zu prüfen. — Ähnlich O.Tr. 13. Okt. 1857 (Str. 26 S. 265).
(oben Note 1). Wenn nach ausdrücklicher Gesetzesbestimmung die erteilte Er-
laubnis zu einer Fabrikanlage samt dem Grundstück in eine zu gründende Aktien-
gesellschaft eingebracht werden.
S. 359) im Leipziger Theaterstreit. — Die übliche Ausdrucksweise umgeht die
Schwierigkeit, wenn sie einfach sagt: das Unternehmen ist erlaubt. — Der Über-
gang der Erlaubnis vollzieht sich hier anders als in dem in Note 9 erwähnten
Falle der Witwe und Erben; sie wirkt nicht fort, sondern sie wirkt neu, daher der
Nachfolger anzeigepflichtig ist.
wirkt, so gelten diese gewerbepolizeilich einfach als Fortsetzung seiner Persönlich-
keit; daher für sie auch die polizeiliche Anzeigepflicht ihres Gewerbebetriebs nicht
besteht: Landmann, Gew.O. zu § 46 Note 2.
gebrannt und wieder aufgebaut ist, so sind das „bloſse Ersatzlokalien“: O.V.G.
30. Dez. 1881 (Reger, III S. 15).
sodann für seine Druckschriften einer besonderen Genehmigung. Wenn er eine neue
auf Zeit gesetzlich nicht sein soll, die Erteilung für den Sommer zulässig: eine
Sommerwirtschaft ist nicht eine befristete Wirtschaft, sondern eine besondere Art
von Wirtschaft.
(Gew.O. § 55, 56 Abs. 3). — Dagegen sind die persönlichen und sachlichen Rück-
sichten zu Einem verbunden in der Wirtschaftserlaubnis; ob ein neuer Wirt oder
ein neues Lokal in Frage kommt, immer ist eine ganz neue Erlaubnis nötig:
Preuſs. Min. 1. Juli 1884 (Reger, V S. 157). Württemb. Min. 22. April 1881
(Reger, I S. 358) will im Falle der Verlegung der Wirtschaft die persönlichen
Voraussetzungen nicht mehr prüfen lassen, sondern nur die sachlichen: „da die
Konzession nach ihrer persönlichen Natur nicht für eine Lokalität zum Wirtschafts-
betrieb, sondern einer Person zur Ausübung des Wirtschaftsgewerbes in einem be-
stimmten Lokale erteilt wird“. Die Rechtsgestalt wäre also ähnlich wie bei der
Kolportage. Aber der Gegensatz ist hier nicht richtig gefaſst; die Erlaubnis kann
persönlicher Natur sein und der Person doch nur für dieses Lokal erteilt.
licher Erlaubnis besonders geregelt hat, ist ebenso die Befristung wie der Vor-
behalt des Widerrufs ausgeschlossen: O.V.G. 18. Jan. 1882 (Samml. VIII S. 215).
auch eine Suspensivbedingung an: Wirtschaftserlaubnis unter der Bedingung, daſs
das genehmigte Lokal erst hergestellt werde. Wirkliche Bedingung ist keins von
beiden.
wenn der Behörde Gewalt gegeben ist, bei dieser Gelegenheit zugleich ein anderes
als das polizeiliche Interesse zu verfolgen und seine Befriedigung durch Ver-
weigerung der Polizeierlaubnis zu erzwingen. O.Tr. 15. Sept. 1859: Bauerlaubnis
erteilt unter der Bedingung der unentgeltlichen Abtretung des Vorlandes für die
Straſse. Der Eigentümer baut, verweigert aber die Abtretung; „die Bedingung war
nicht angenommen, also die Bauerlaubnis nicht erteilt“. Eine Auflage im polizei-
lichen Interesse würde nicht so wirken.
lagen bei der Erlaubnis ist keine unbedingte. Württemb. Min. 22. Sept. 1881
(Reger, IX S. 408) gestattet es nur soweit, als man die Folgen des Unternehmens
zur Zeit noch nicht übersehen kann. Was erledigt werden konnte, muſste nach
dem Willen des Gesetzes bei der Erlaubniserteilung erledigt werden.
unter der Bedingung d. h. Auflage, daſs diese durch ein zu erbauendes Wohn-
haus nach der Straſse zu verdeckt werde. Nach Errichtung der Säge will die
Behörde den Bau des Wohnhauses erzwingen; das Gericht sagt aber: „die Befugnis
der Polizeibehörde kann nicht weiter reichen, als der Zweck ihres Einschreitens
bedingt (Grundsatz der Verhältnismäſsigkeit). Obwohl der Unternehmer sich der
Bedingung unterworfen hat, kann er nachträglich immer noch geltend machen, daſs
nach Maſsgabe des ausgeführten Unternehmens die Durchführung der Auflage „über
den Zweck hinausgehe“.
in Gew.O. § 18 für gewerbliche Anlagen, § 24 für Anlegung von Dampfkesseln.
Der Nachfolger im Unternehmen ist wegen Nichtbeachtung der der Erlaubnis bei-
gefügten Auflagen nach Gew.O. § 147 unmittelbar straffällig. Er kann sich nicht
einmal auf sein Nichtwissen berufen: die Auflage begründete für ihn eine Gehor-
samspflicht; er muſste das Seinige thun, um von ihr Kenntnis zu erlangen und sie
zu erfüllen (Kammergericht 14. Febr. 1889, Samml. IX S. 181). Vgl. unten S. 323.
Baukonsens, „welche damit besonders verbunden wird als Gebot oder Verbot“.
dem Bauherrn zugleich verboten, künftighin etwa Fenster in einer Feuermauer an-
zubringen. Die Behörde verlangt von dem neuen Eigentümer die Beseitigung
der verbotswidrig angebrachten Fenster. Das Gericht aber spricht dem Verbote
die Wirkung gegen den Nachfolger ab; nur im Falle der mala fides beim Erwerb
meint es, könne es sich vielleicht doch auf ihn erstrecken. Wie letzteres zugehen
soll, ist nicht recht verständlich.
wollen die Erlaubnis durch Verzicht untergehen lassen: Landmann, Gew.O. I
S. 218; Luthardt in Bl. f. adm. Pr. 39 S. 41 ff.; Rehm, Gew.Konz. S. 78;
jetzt auch, abweichend von seiner früheren Ansicht, G. Meyer, V.R. I S. 81.
Der entscheidende Punkt liegt klärlich darin, ob durch die Erlaubniserteilung ein
subjektives öffentliches Recht entsteht (oben § 9 Note 25); die fehlerhafte Bezeichnung
der Polizeierlaubnis als Konzession trägt viel dazu bei, die Erkenntnis zu er-
schweren; denn die Konzession begründet allerdings ein subjektives Recht und
erlischt durch Verzicht.
lich frei“; nur grundsätzlich!
Privatgrundstück zu versagen oder vor Vollzug zurückzunehmen, und dieselbe
zurückzunehmen nach Vollzug. Die Zurücknahme der Erlaubnis zur Gründung
eines Vereins wird zur Auflösung, wenn sie erfolgt nach geschehener Gründung;
ähnlich die Auflösung von Versammlungen, veranstalteten Festzügen u. s. w. Be-
sonders deutlich würde der Unterschied bei gewerbepolizeilichen Erlaubnissen
hervortreten, wenn nicht die freie Zurücknahme durch die besonderen Ordnungen
des Gesetzes ohnehin sofort ausgeschlossen wäre: die Zerstörung des auf Grund
der Erlaubnis geschaffenen Unternehmens ist eine ganz anders harte Maſsregel,
als die Verhinderung seines Ins-Leben-Tretens durch vorherige Zurücknahme der
Erlaubnis. — Der neue Besitzstand, der die freie Zurücknahme hindert, kann auch
statt durch die That des Empfängers der Erlaubnis erst geschaffen zu werden, un-
mittelbar an die Erlaubnis sich knüpfen, insofern diese persönliche Eigenschaften
feststellt und bezeugt, welche die rechtliche Voraussetzung für die zu erlaubende
Thätigkeit sind. Das würde vor allem von gewerbepolizeilichen Approbationen
gelten. Unter dem gleichen Gesichtspunkte wird die Erteilung eines Jagdscheines
betrachtet. Auch an der Bauerlaubnis hat man eine solche unmittelbar wirkende
Seite gefunden, insofern dadurch das Grundstück überhaupt als überbaubar recht-
lich anerkannt, „als Baustelle charakterisiert“ ist. Württemb. V.G.H. 28. Nov.
1880 (oben Note 8); O.Tr. 13. Okt. 1857 (Str. 26 S. 269). Wegen der Art und
Gestalt des Baues selbst würde die Zurücknahme erst wieder ausgeschlossen durch
die thatsächliche Ausführung. — Ein besonderer Fall in O.V.G. 9. Juni 1877: Der
Amtsvorsteher hatte das Abbrennen von Feldziegelöfen erlaubt, die Öfen sind fast
vollendet, da verbietet der Landrat das Unternehmen. Die Erlaubnis wäre nach
den hier aufgestellten Grundsätzen nicht mehr frei zurücknehmbar gewesen. Allein
es handelt sich, wie das Gericht sagt, nicht um eine gewöhnliche Zurücknahme,
sondern um „einen auſserordentlichen Eingriff“, wie er von der oberen Behörde
„in dringenden Fällen“ geübt werden kann; daher auch eine Entschädigungspflicht
des Fiskus in Frage kommt, wie in dem verwandten Falle Gew.O. § 51
nahme wie gegenüber thatsächlicher Inswerksetzung; Sächs. Min. d. I. 5. Sept.
1881 (Reger, II S. 240).
einem ungültigen Verwaltungsakte, also auch einer Polizeierlaubnis, für ihr Gebiet
die Rechtswirksamkeit von Anfang an abzusprechen. R.G. 22. Nov. 1880: Die Er-
laubnis zu öffentlichen Ausspielungen war vom Bürgermeister erteilt worden,
während nach geltendem Rechte die Kreisregierung allein zuständig gewesen wäre;
das Strafgericht hat die Gültigkeit der Erlaubnis selbständig zu prüfen, folglich, da
hier Ungültigkeit vorliegt, das Verbot anzuwenden, als wäre die Erlaubnis nicht
erteilt; das Reichsgericht spricht nur frei, weil der Irrtum hier als Strafaus-
schlieſsungsgrund wirkt.
Gegen einen Nachfolger im Unternehmen wird also dieser Zurücknahmegrund nicht
wirken.
adm. I n. 52. — Es ist unrichtig, wenn man von jeder Polizeiverordnung verlangt,
daſs sie Befehl und Strafsetzung enthalte, also Polizeistrafverordnung sei. So z. B.
Loening, V.R. S. 231; Rosin in Wörterbuch II S. 279; v. Stengel, V.R. S. 175.
Wer die Polizeistrafe als Ungehorsamsstrafe kennzeichnet (Merkel, Stf.R. S. 46,
Rotering, Pol. Übertretungen S. 18), versteht unter dem Ungehorsam ganz all-
gemein ein Handeln gegen den Willen des Gesetzes; in diesem Sinne ist auch un-
gehorsam, wer nicht so thut, wie das Civilgesetz es will, und steckt Ungehorsam in
jeder Art von Delikt. Dementsprechend kann man auch bei jeder Strafbestimmung
einen Befehl finden, gegen den der Ungehorsam sich richtet; Bindings Normen
sind solche Befehle (Stf.R. I S. 156 ff.; Normen I, 1 ff.). Befehle im Begriffe
unserer Verwaltungsrechtsinstitute sind sie nicht. Der beste Beweis ist, daſs diese
Norm auch geliefert werden kann durch den Akt einer ausländischen Behörde,
an welchen unser Strafgesetz anknüpft; Binding, Stf.R. I S. 180 Note 17. Ein
solcher Akt hat vor unseren Behörden überhaupt keine obrigkeitliche Natur, ge-
schweige denn die eines Befehls.
ning, V.R.S. 235 Note 3, will im Gegensatze dazu aus solchen Erwähnungen polizei-
licher Anordnungen im Reichsstrafgesetz immer eine Delegation des Verordnungs-
rechts entnehmen. Er beruft sich auf die süddeutschen Gesetzgebungen, welche
bei Einführung des Stf.G.B. sich begnügten, die Behörden zu bestimmen, von welchen
die in den betreffenden §§ des Stf.G.B. vorgesehenen Polizeiverordnungen erlassen
werden sollten. Allein darin liegt ja eben die selbständige gesetzliche Ermächtigung.
Das Verhalten dieser Gesetzgebungen wäre beweiskräftig in Loenings Sinn, wenn
sie über diesen Punkt ganz geschwiegen hätten, weil die gesetzliche Ermächtigung
schon im Reichsgesetz enthalten, die etwa erforderliche Bezeichnung der zuständigen
Behörden aber einfach durch Ausführungsverordnung auf Grund des Reichsgesetzes
hätte ergehen können. Loening findet einen Beweis für seine Auffassung auſser-
dem noch in § 145 Stf.G.B.: „Wer die vom Kaiser zur Verhütung des Zusammen-
treffens von Schiffen auf der See … erlassenen Vorschriften übertritt u. s. w.“,
worin ja unzweifelhaft eine Ermächtigung des Kaisers zur Polizeiverordnung ge-
geben ist. Allein hier liegt die Sache auch ganz anders; es handelt sich nicht um
eine reichsgesetzliche Ermächtigung für die Landesbehörden. Zwischen dem Kaiser
und dem Reichsgesetz ist das Verhältnis das nämliche wie zwischen den Gliedern
der vollziehenden Gewalt des Einzelstaates und dem Landesgesetz, und es treten
die entsprechenden Auslegungsgrundsätze in Anwendung, die wir oben zuerst er-
wähnten.
S. 84: „es genügt nicht das zufällige Vorwissen der Polizeibehörde, weil eine
causae cognitio nötig ist.“ Ein förmlicher Akt ist in Frage, im Gegensatze zu
dem nun Folgenden.
Bayr. Pol.Stf.G.B. v. 1871 Art. 23. Hieher gehören namentlich auch die Fälle, in
Stf.G.B. § 368 Ziff. 8, 10 u. 11; Preuſs. Feld- u. Forst-Pol.Ges. § 10; Bayr. Pol.-
Stf.G.B. Art. 93. Überall ist das „unbefugt“ die Bedingung der Strafbarkeit, welche
durch „Erlaubnis“ des Verfügungsberechtigten wegfällt. Es besteht hier eine ge-
wisse Verwandtschaft mit dem Strafausschlieſsungsgrund der „Einwilligung des
Verletzten“. Aber falsch ist es, wenn die Strafrechtswissenschaft auch das Rechts-
institut der echten Polizeierlaubnis unter diesen Gesichtspunkt bringen will; so
H. Meyer, D.Stf.R. S. 317; Haelschner, D.Stf.R. I S. 470 Anm. 2; Binding,
Stf.R. I S. 708. Unsere echte Polizeierlaubnis ist eine teilweise Aufhebung des
Rechtssatzes, der verbietet oder Strafe droht, und wirkt formell. Die Einwilligung,
die wir hier daneben stellen und die man wohl auch Erlaubnis nennt, berührt den
Rechtssatz selbst gar nicht, verändert nur den Thatbestand derart, daſs jener
nicht mehr zutrifft; wie weit sie dazu im stande ist, ist Frage des Einzelfalls; Be-
dingungen, Auflagen, Zurücknehmbarkeit unterliegt alles ganz anderer Beurteilung.
1884, Samml. Stf.S. X S. 296); ferner die vorläufige Anordnung des Tierarztes
nach R. ViehseuchenGes. v. 23. Juni 1880 § 12, den Anordnungen gleichstehend,
welche der Arzt des Kranken den pflegenden Familienangehörigen giebt; dadurch
daſs das Gesetz § 66 Ziff. 3 die Nichtbefolgung mit Strafe bedroht, wird sie für
sich selbst nichts anderes. Ebenso die Mitteilung des Kaminkehrers an den Haus-
besitzer über abzustellende Feuersgefährlichkeit nach Bayr. Pol.Stf.G.B. v. 1861
Art. 171 Ziff. 1; Edel, Pol.Stf.G.B. S. 401.
Ziff. 13: „wer trotz polizeilicher Aufforderung es unterläſst, Gebäude, welche den
Einsturz drohen, auszubessern oder niederzureiſsen.“ Der Angeklagte kann vor
Gericht behaupten, daſs die Aufforderung unnötig war, das Gebäude drohe nicht
spricht. Hat das Gericht auf eine Untersuchung dieses Punktes sich einzulassen
oder nicht? Das ist ein alter Streit: Oppenhoff, Stf.G.B. § 367 Ziff. 13
Note 75; Oppenhoff, Ressortverh. S. 32; Riedel, Bayr. Pol.Stf.G.B.
v. 1871 2. Aufl. S. 163; Schicker, Württemb. Pol.Stf.G.B. I S. 163;
Rotering, Pol.Übertretungen S. 90. Die Entscheidung hängt aber einfach
daran, ob jene Aufforderung ein Befehl ist d. h. ein Verwaltungsakt, der auf
Grund der der Behörde zustehenden Befugnisse ein Rechtsverhältnis selbständig
begründet, oder eine Mahnung zur Erfüllung eines durch das Gesetz selbst be-
stimmten Rechtsverhältnisses. Die Landesrechte verhalten sich darin ver-
schieden und deshalb ist es nicht richtig, von dem einen ohne weiteres auf
das andere zu schlieſsen. Für das preuſsische Recht, das in ausgedehntem
Maſse Einzelbefehle zuläſst, müſste das richterliche Nachprüfungsrecht zu verneinen
sein. Das französische Recht ermächtigt zu solchen Befehlen überall, wo das Ge-
bäude zugleich die öffentliche Straſse bedroht (Dufour, Droit adm. III n. 367 ff.;
Theorie des Franz. V.R. S. 274). Von diesem Standpunkte aus hat Rhein. Kass.Hof
27. Januar 1850 das Nachprüfungsrecht versagt, eine Entscheidung, die jetzt noch
immer als allgemein gültig angerufen wird, was sie doch nicht ist. Ein beschränktes
polizeiliches Befehlsrecht giebt auch Bad. Bauordnung v. 6. Okt 1872. In Fällen,
wo nach französischem und badischem Recht die Aufforderung erfolgt, ohne daſs
die besonderen Bedingungen selbständigen polizeilichen Befehls gegeben sind, greift
die Strafbestimmung des Stf.G.B. gleichwohl Platz; aber die Aufforderung wirkt
dann als bloſse Mahnung. — Das bayrische Recht will keine selbständigen Einzel-
befehle; wenn also Pol.Stf.G.B. v. 1861 Art. 185 Strafe setzt auf Nichtbefolgung
der „Aufforderung, Gebäude, welche den Einsturz drohen, zu versichern, auszu-
bessern oder einzulegen“, so kann das nur als Mahnung gemeint sein: Edel,
Pol.Stf.G.B. S. 426, 427; Nar, Handb. d. Distr.V.Behörden S. 738. Die Rechts-
übung ist schwankend. Da man den Hauptpunkt, ob Befehl oder Mahnung, nicht
klar ins Auge faſst, stöſst man sich immer an dem mehr gefühlten als verstandenen
Satz von der „Trennung der Justiz und Verwaltung“, um den man bald glücklich
herum kommt, bald nicht. Ob.G.H. 3. April 1868 (Stenglein, Ztsch. IV S. 326)
verneint das Nachprüfungsrecht, prüft aber doch, ob die Aufforderung klar genug
war, um dem Eigentümer die notwendigen Ausbesserungen zu bezeichnen und
spricht frei; Ob.G.H. 19. Febr. 1876 (Samml. Stf.S. VI S. 68) verweigert jede Nach-
prüfung; Kass.H. 7. Sept. 1878 dagegen spricht trotz der polizeilichen Aufforderung
frei, weil nach Ansicht des Gerichtes keine Einsturzgefahr vorlag. Letzteres wird
der richtige Standpunkt sein.
Polizeidelikte einander gegenüber. Polizei ist dabei im früheren umfassenden
Sinn gebraucht, wonach z. B. auch die Verfolgung von Finanzdelikten als Finanz-
polizei darin begriffen war. Die Strafrechtslehre wird sich der neueren Abgrenzung
der Begriffe des öffentlichen Rechts anschlieſsen müssen; Verwaltungsdelikt ist die
gebotene Bezeichnung. Sie pflegt heutzutage zu unterscheiden: die Güterbeschädi-
gung oder das Materialvergehen und den reinen Ungehorsam oder das For-
malvergehen; Binding, Normen I S. 204; Merkel, Abhandl. I S. 98; v. Liszt,
Stf.R. S. 102. Der letztere Begriff, der insbesondere auch das Polizeidelikt um-
faſst, ist für sie wesentlich verneinend bestimmt, durch das Fehlen nämlich des
stofflichen Hintergrundes, der das gemeine Delikt auszeichnet. Was aber für sie
nicht sichtbar ist, das hat eben die Verwaltungsrechtslehre aufzuweisen: auch das
sog. Formalvergehen hat seine materielle Grundlage.
Polizeistrafsetzung nicht sein, da sie ja nicht immer zur Strafe führe, sondern nur
da, wo diese besonders angeordnet ist. Denn mit der ethischen Grundlage des ge-
meinen Strafrechts steht es nicht anders: auch unter den „Güterbeschädigungen“
sind die strafbaren durch besonderen Entschluſs der Staatsgewalt erst heraus-
gesucht; Binding, Normen I S. 205. — Unser Begriff der Polizeiwidrigkeit wird in
der Strafrechtswissenschaft durch mancherlei Redewendungen ersetzt: Haelschner,
Stf.R. I S. 318; Binding, Normen I S. 407; Rotering, Fahrlässigkeit und Un-
fallsgefahr S. 94 ff.; Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 59 n. 9. Mit der Einteilung in
Erfolgs- und Gefährdungsdelikte, Rechtsgüterverletzung und Rechtsgütergefährdung,
welche beim gemeinen Delikte gemacht wird, ist jedenfalls keine entsprechende
Abgrenzung zu erzielen, denn sie läſst sich auch innerhalb des Polizeidelikts
deutsche Gerichtshöfe haben unzählige Male den Satz ausgesprochen; Loos in
Holtzendorff, Stf.R.Ztung X S. 323. Vgl. über diesen Punkt: Haelschner, Stf.R. I
S. 309 Anm. 1; Binding, Normen II S. 215; Weingart in G.Ztg. f. Sachsen
1879 S. 161 ff. Die Beispiele werden übrigens vielfach dem Finanzdelikte ent-
nommen, für das doch wieder besondere Grundsätze gelten.
störender Lärm ist Verletzungs- und Erfolgsdelikt, Nichtanzeige eines aufgenommenen
Fremden Gefährdungsdelikt; Feuerwerke abbrennen in der Nähe von Gebäuden
(Stf.G.B. § 368 Ziff. 7) ist Gefährdung dieser, aber Verletzung der öffentlichen
Sicherheit und unter dem letzteren Gesichtspunkt mit Strafe bedroht.
des Einzeldaseins mit Besitzen, Wirtschaften, Unternehmen, Handeln, das scheint
Haelschner vorzuschweben, wenn er a. a. O. für die Polizeistrafe eine „vorsätzliche
Thätigkeit“ verlangt. Von dem eigentlichen Vorsatz im Sinne des Strafrechts kann
keine Rede sein. Wenn z. B. in Bl. f. adm. Pr. 1881 S. 188 der Hofbesitzer be-
straft wird, weil bei einem Regengusse Jauche von einem anderen Grundstück auf
das seine und von diesem auf die Straſse floſs, so ist da sicher kein Vorsatz; er
wird bestraft, weil er „mit Auſserachtlassung der ihm obliegenden Sorgfalt unter-
lassen hat, die ihm möglich gewesenen Vorkehrungen gegen das Auslaufen der
Jauche zu treffen“. Der Hofbesitz war es, der ihm diese Sorgfalt auferlegte.
rechts; der Entlastungsbeweis ist beim Polizeidelikt nur deshalb schwerer zu führen,
weil die Anforderungen an den zu leistenden Kraftaufwand strenger sind, ins-
besondere auch ein sich Vorbereiten und Geeignetmachen verlangt wird. Das ist
beim Fahrlässigkeitsdelikt nur ausnahmsweise der Fall, z. B. bei der Tötung unter
Verletzung besonderer Berufspflicht des Arztes: Merkel, Stf.R. S. 309 zu § 222
Stf.G.B. Das Polizeistrafrecht setzt eine besondere Berufspflicht aller Bürger vor-
aus, daſs sie in allem, was sie unternehmen, Störungen der guten Ordnung zu ver-
meiden sich stark und geeignet zeigen.
ein wissentliches, vorsätzliches Zuwiderhandeln. Regelmäſsig bedeutet das aber
dann nur eine Steigerung des Strafsatzes, so daſs auch die Zuwiderhandlung ohne
diese besondere Auszeichnung noch strafbar bleibt: Edel, Pol.Stf.G.B. S. 116 u.
117; R.NahrungsmittelGes. v. 14. Mai 1879 § 10 u. 11, § 13 u. 14; R.RinderpestGes.
v. 21. Mai 1878 § 1 u. 3.
den Mieter, der die Wohnung rechtswidrig behält und ihm den Zugang verwehrt;
dabei sind ohne sein Wissen die Feuerstätten des Hauses in Unstand gekommen.
Er ist strafbar.
war ohne Wissen des Fabrikherrn gesetzwidrig beschäftigt worden; dieser hatte
dem Werkführer sogar ausdrücklich eingeschärft, es nicht zu thun; es war hinter
seinem Rücken geschehen. Das Gericht erklärt Stf.G.B. § 59 grundsätzlich für an-
wendbar auf das Polizeidelikt, aber die Unkenntnis des Fabrikherrn von dem That-
bestand ist selbst schon eine Verletzung seiner Verpflichtungen. O.L.G. München
18. Mai 1888 (Reger IX S. 96): Der Hausbesitzer war im guten Glauben, ein
Anderer, den er dazu gedungen, hätte die ihm obliegende Straſsenreinigung be-
sorgt; das schützt ihn nicht vor Bestrafung. Vgl. auch O.L.G. Dresden 29. Dez.
1887 (Sächs. Ztsch. f. Pr. X S. 341); KammerG. 22. Dez. 1881 (Reger IV S. 28),
3. Febr. 1887 (Reger IX S. 25).
besonders ereifert): Eine Dienstherrschaft wird für strafbar erklärt, weil sie eine
Russin ohne vorgeschriebene Polizeigenehmigung in Dienst genommen hat, „ob-
gleich derselben die Nationalität ihrer Dienstmagd unbekannt geblieben ist.“ Der
Dienstherr muſste sich erkundigen; der gedankenlose gute Glaube genügt nicht.
Das Gericht geht freilich zu weit, wenn es sagt, nur auf „die That in der äuſseren
Erscheinung“ komme es an. Wenn sich der Dienstherr erkundigte und trotz aller
Sorgfalt getäuscht wurde, würde er sicher freigesprochen. — Ähnlich der Fall des
Spediteurs, der unwissentlich Schieſspulver versandte; O.Tr. 16. Juli 1868 (Oppen-
hoff, Rspr. IX S. 458). Auch die Bestimmung Stf.G.B. § 367 Ziff. 7 über Verkauf
verfälschter oder verdorbener Nahrungsmittel hat zur Erörterung dieser Fragen
vielfach Anlaſs gegeben. „Durch dieses Verbot“, sagt O.Tr. 15. Dez. 1875 (Oppen-
hoff, Rspr. XVI S. 797) „hat das Gesetz denjenigen, welcher solche Gegenstände
in den Verkehr zu bringen beabsichtigt, verpflichten wollen, seinerseits die nach
Lage der Sache gebotene Fürsorge darauf zu verwenden, daſs er sich von der Echt-
heit und Unverdorbenheit der Ware überzeuge.“ Wo daran etwas fehlt, ist der
Thatbestand des Deliktes gegeben. — In gleichem Sinne äuſsern sich die Motive
zum Nahrungsmittelgesetz von 1874 S. 73.
fassung nach Zeit und Umständen wechseln. Kammer.G. 2. Dez. 1884 (Reger VI
S. 258) war der Meinung, daſs eine mikroskopische Untersuchung des Schweine-
fleisches auf Trichinen vom Verkäufer nicht verlangt werden könne. Sobald Ein-
richtungen getroffen sind, um eine solche Untersuchung zu ermöglichen, wird sich
das Urteil ändern. Mot. z. NahrungsmittelGes. v. 1874 S. 23 erklären für straffrei
denjenigen, der „thunlichst bemüht war, sich zu unterrichten.“ Eine Bemühung
ist allerdings vorausgesetzt.
zur Strafbarkeit verlangt ist, kann wenigstens dieser durch Miſsverständnis der
Vorschriften ausgeschlossen sein: R.G. 19. April 1888. Lehrreich sind besonders
die Fälle, wo der Rechtsirrtum unter Mitwirkung der Obrigkeit entstand. O.L.G.
München 15. Juni 1888 (Samml. V S. 116) u. Loos a. a. O. S. 327 behandeln
falsche Auskünfte über das geltende Recht, die nicht decken. O.Tr. 6. Mai 1879
spricht dagegen in einem solchen Falle von einem „auf alle Fälle deckenden Be-
scheid“. Dem Rechtsstaat entspricht offenbar mehr die eigene Verantwortlichkeit
des Unterthanen für sein Verständnis des Gesetzes, das patriarchalische Vertrauen
in die Meinung der Behörde darf ihn nicht entlasten.
Stf.R.Zeitung X S. 327, eine Abweichung des Preuſs. Obertribunals von seinem
Grundsatze des objektiven Maſsstabes erkennt. O.Tr. 1. März 1866: guter Glaube,
selbst jagdberechtigt zu sein; O.Tr. 13. Juni 1867: irrige Meinung, zur Wegebau-
last rechtlich nicht verbunden zu sein. Beide Male macht der Irrtum straffrei.
Haelschner, Stf.R. I S. 319 Anm. 1, führt ganz richtig als Hauptfälle der Wirk-
samkeit des Irrtums solche an, wo das Polizeidelikt ein „unbefugtes Handeln“ vor-
aussetzt. Andere Beispiele: O.L.G. München 13. Febr. 1880 (Reger I S. 336);
17. Febr. 1883 (Reger IV S. 190); R.G. 3. März 1884. Gleicher Art ist der oben
§ 21 Note 27 erwähnte Fall der ungültigen Polizeierlaubnis, in welchem das Reichs-
gericht wegen Irrtums freispricht. Es handelt sich hier nicht um eine unrichtige
Auskunft über das Gesetz (oben Note 20), sondern um ein besonderes Rechtsver-
hältnis, das auf Grund des Gesetzes geschaffen sein soll, und darin ist der Irrtum
erlaubt.
und des unmittelbaren Polizeizwangs ist wenigstens angedeutet bei Foerstemann,
Pol.R. S. 393, welcher die erstere als „eigentliche Exekutivbefugnis der Polizei“
dem Zwang der Polizei „für ihr sonstiges Wirken“ gegenüber stellt. —
Wenn G. Meyer in Wörterbuch II S. 800 das Verwaltungszwangsverfahren
Vorhergehen eines polizeilichen Bescheides oder einer polizeilichen Verfügung ge-
knüpft“. Ungenau Bad. Pol.Stf.G.B. § 31; aber auch hier ist ein Einzelbefehl,
eine Bestimmung „in concreto“, stillschweigend vorausgesetzt: Bingner u. Eisen-
lohr, Bad. Stf.R. S. 192.
der Verwaltungsbehörden, sowie der Verwaltungsgerichte“, so trifft das nur
für die Zwangsvollstreckung zu; der unmittelbare Zwang ist vergessen. Richtig
ist, daſs die Formen dieser Zwangsvollstreckung auch auſserhalb der Polizei
zur Verwendung kommen; daher „Verwaltungszwangsverfahren“. In diesem
weiteren Kreise findet sich auch zuweilen ein summarisches Verfahren zur
Erzwingung öffentlichrechtlicher Verbindlichkeiten, unmittelbar aus dem Rechts-
satz, der sie auferlegt, ohne Urteil oder Befehl. Beispiel: C.C.H. 13. Febr. 1864
(J.M.Bl. 1864 S. 129 ff). Auch das ist immer noch deutlich geschieden vom unmittel-
baren Zwang.
Unterscheidung nicht Acht. Ihm ist die Zwangsgewalt der Behörden etwas geschicht-
lich Überkommenes. Von der Umgestaltung aller juristischen Grundlagen, welche
der Rechts- und Verfassungsstaat mit sich gebracht hat, kann man aber nicht so
einfach absehen. Besser erkennt die Entwicklungsstufen des Verwaltungszwangs
nach Preuſs. Recht Anschütz in Verw.Arch. I S. 389 ff.
bringt die Natur der Strafe als Zwangsmittel zum Ausdruck. Die letztere begreift
noch ganz verschiedene andere Dinge in sich, wie Disciplinarstrafen (unten in der
Lehre von der öffentlichen Dienstpflicht), Strafen für Ungebühr (Schicker,
Württemb. Pol.Stf.R. S. 80), gewisse Finanzstrafen (unten § 31).
einverstanden damit, daſs die Gesetzgebung unter dem Einfluſs der falschen
Theorie, wonach die Ungehorsamsstrafe Zwangsmittel sei, diese ganz verschieden
behandelt von der kriminellen Strafe, während sie sich doch nur durch die besondere
Androhung in einer behördlichen Verfügung davon unterscheide. Darin kommt
aber unseres Erachtens schon eine sehr groſse Verschiedenheit zum Ausdruck. —
G. Meyer in Wörterbuch II S. 801 sieht die Besonderheit der Ungehorsamsstrafe
darin, daſs sie „zu einer Zeit festgesetzt wird, wo noch zweifelhaft ist, ob eine
Übertretung stattfinden wird oder nicht“. Mit der Festsetzung ist hier die An-
drohung gemeint; aber steht nicht die rechtssatzmäſsige Androhung vor der gleichen
Ungewiſsheit? Ganz verfehlt Schulze, Preuſs. St.R. II S. 219.
diese Grenzen nicht ohnedies einhält; so z. B. bei einem Recht, das ein Maſs
der Ungehorsamsstrafe überhaupt nicht kennt wie das sächsische; Schwarze,
Sächs. Gerichtszeitung XV S. 165. — Von einer Anwendbarkeit der Regeln der
Stf.Pr.O. und des G.V.G. auf diese „Strafsachen“ kann ohnehin nicht die Rede
sein; Thilo, Stf.Pr.O. S. 552. Man braucht sie aber deshalb nicht als „Disciplinar-
sachen im weiteren Sinne“ bezeichnen, wie Schicker, Württemb. Pol.Stf.R. S. 84
Anm. 1. Das ist doch wieder etwas anderes.
Pol.Stf.G.B. Art. 31; Hess. V.Ges. v. 1874 Art. 80. Einschränkend Bayr.
Pol.Stf.G.B. Art. 21, vgl. unten Note 17. Die pfälzischen Abgeordneten haben
seiner Zeit in der bayrischen Kammer vom Standpunkte ihres Provinzialrechts
aus die Zulassung der Ungehorsamsstrafe in E.G. zu Stf.G.B. v. 1861 Art. 28 leb-
haft bekämpft (Risch bei Dollmann, Ges.Gebung III, III S. 146). Aus dem
franz. Rechte ist nämlich seit der Revolution die Ungehorsamsstrafe verschwunden;
die Bestimmung c. pén. Art. 471 § 15, die Loening, V.R. S. 252, unter den
Gesetzen über die Exekutivstrafe anführt, enthält eine unzweifelhafte Polizei-
strafe.
Haft; die Ungehorsamsstrafe hat hier überhaupt viel besonderes, und nähert sich
der Polizeistrafe. — Nach Sächs. Recht können die Behörden „sachgemäſse Strafen“
androhen, ohne daſs Regeln bestünden über Art und Maſs! Leuthold, Sächs.
V.R. S. 376.
weichend das neue württemb. Recht nach Ges. v. 12. Aug. 1879 Art. 2: es kommt
nicht darauf an, wer befohlen hat, sondern wer die Strafe verhängt; die obere Be-
hörde kann dem Ungehorsam gegen den Befehl der unteren mit einer höheren
Strafe entgegentreten als diese selbst.
setzlich bestimmten Maſs immer stillschweigend mit dem Befehl verbunden. That-
sächlich pflegt man aber doch, wenn beabsichtigt ist, das Zwangsmittel zu ge-
brauchen, eine Mitteilung davon zu machen, also zu drohen: Schicker, Württemb.
Pol.Stf.R. S. 78.
androht, die Strafe nachher auch verhängt, so kommt hier die Nachprüfung der
Rechtmäſsigkeit des Befehls, die bei der Verhängung der Polizeistrafe so wichtig
ist (oben § 20, III n. 1), nicht in Betracht. Anders stünde die Sache nach Hess.
Ges. 12. Juni 1874 Art. 80, welches die von der Verwaltungsbehörde angedrohte
Strafe durch das ordentliche Gericht verhängen läſst. Allein hier wird zugleich
ausdrücklich bestimmt, daſs das Gericht die Strafe jedesmal auszusprechen hat,
kommt auch bei denjenigen Gesetzgebungen zur Geltung, welche die Ungehorsams-
strafe mehr der Polizeistrafe nähern. Württemb. Ges. 12. August 1879 bestimmt,
obwohl die Strafdrohung immer stillschweigend gesetzt ist, in Art. 2: „der Un-
gehorsam … kann bestraft werden“; und Hess. Ges. v. 12. Juni 1874, welches
die Strafverhängung dem Gericht überläſst, macht in Art. 80 diese abhängig von
einem Antrage der Verwaltungsbehörde, den sie nach freiem Ermessen stellt.
gezeigte Person und die Übertretung erwiesen ist“. Dadurch ist die Nachprüfung
des Gerichtes wieder darauf beschränkt, ob ein Polizeibefehl vorliegt, d. h. eine
Polizeibehörde innerhalb ihrer allgemeinen Zuständigkeit befohlen hat, und die
Selbständigkeit der polizeilichen Zwangsvollstreckung gewahrt.
württemb. Rechte: die Strafe ist verwirkt wie die Polizeistrafe; Schicker,
Württemb. Pol.Stf.R. S. 77 Note 2.
strafe ist selbst „ein Zwangsmittel, um den Betroffenen behufs Erreichung eines
bestimmten Zweckes zum Gehorsam zu nötigen“. — Die erste Androhung muſs er-
ledigt sein durch Verhängung der Strafe, bevor eine neue Androhung erfolgt:
Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 21 Abs. 3. Jene Straffestsetzung braucht jedoch nicht auch
rechtskräftig geworden sein: O.V.G. 11. Dez. 1880 (Samml. VII S. 388), woraus
Parey, Rechtsgrundsätze S. 367 n. 4, seltsamerweise das Gegenteil herausliest.
Anders, wenn von vornherein auf jeden einzelnen Fall des Zuwiderhandelns die
Strafe gedacht ist; hier können schlieſslich mehrere Strafen zusammengerechnet
und in Einem verhängt werden: O.V.G. 25. Okt. 1886. Vgl. auch Anschütz in
Verw.Arch. I S. 455.
bezieht sich das in Preuſs. L.V.Ges. § 132 bestimmte Strafmaſs nur „auf jeden
einzelnen Strafakt“; O.V.G. 11. Dez. 1880 (Samml. VII S. 383). Bayr. Einf.G. zu
Stf.G.B von 1861 Art. 28 hatte eine Wiederholung der Ungehorsamsstrafe über-
haupt nicht vorgesehen; Pol.Stf.G.B. v. 1871 Art. 21 Abs. 3 läſst es jetzt zu, ohne
ein Gesamtstrafmaſs zu begrenzen.
nung verbietet Tanzmusik ohne Erlaubnis; die Behörde erfährt, daſs ein Gastwirt,
dem sie die Erlaubnis verweigert hat, gleichwohl will tanzen lassen; sie verbietet
es ihm bei Ungehorsamsstrafe. Das wird für unzulässig erklärt.
(Samml. VII S. 278 ff.) und 12. Febr. 1881 (Samml. VII S. 215 ff.) Selbst im
Sächs. Polizeirecht ist wenigstens diese Schranke anerkannt: Verord. des Min. d. I.
v. 24. Sept. 1855 (Sächs. Ztschft. f. Pr. VI S. 320). — Die richtige Begründung der
Regel ist angedeutet bei Anschütz in Verw.Arch. I S. 457. Rosin, Pol.Verord.
S. 65 ff., findet den Grund darin, daſs der Strafrechtszwang „psychologischer Zwang“
sei, der nicht wiederholt werden könne, und kommt dadurch in Verlegenheit, zu
erklären, weshalb neben der Polizeistrafe die Androhung der Zwangsersatzvornahme
zulässig ist, die doch auch psychologischen Zwang enthält (S. 92, S. 121). — Bayr.
Pol.Stf.G.B. Art. 21 u. 22 läſst Ungehorsamsstrafe überhaupt nur zu zum Vollzuge von
Gesetzen (und Verordnungen), deren Übertretung nicht schon mit rechtssatzmäſsiger
Strafe bedroht ist. Damit ist ein Zusammentreffen ohnehin unmöglich gemacht.
Allerdings wird die bayrische Polizeibehörde manchmal es bei der Polizeistrafe
bewenden lassen müssen, ohne die volle Durchführung des polizeilich Geforderten
zu erreichen: Bayr. Ob.G.H. 30. Sept. 1867 (Stenglein, Ztschft. IV S. 26). Das
ist aber in Wirklichkeit gar nicht so schlimm, als es dem polizeilichen Thätigkeits-
trieb erscheinen mag.
eine Polizeistrafverordnung das Abraupen oder die Vorlage von Fleischbüchern
bis zu bestimmtem Termin gebietet. Ist der Termin verstrichen, so ist die Strafe
verwirkt; wird dann die Pflicht immer noch nicht erfüllt, so kann mit Ungehorsams-
strafe vorgegangen werden. Allein in Wirklichkeit ist das doch immer nur ein
Thatbestand der Nichterfüllung; man kann nicht zwei daraus machen, indem man
den Zeitraum der Nichterfüllung geeignet zerschneidet und das erste Stück der
Polizeistrafe, das zweite der Ungehorsamsstrafe giebt.
geben: Rosin, Pol.Verord. S. 69, 70; Schicker, Württemb. Pol.Stf.R. S. 78, 79.
Bei strafbarem Gewerbebetrieb handelt es sich um die verbliebenen Geschäfts-
einrichtungen, Wirtshausschilder u. s. w., welche die Neuverübung des Deliktes er-
leichtern könnten; O.V.G. 9. April 1879 (Samml. V S. 289 ff.) — O.V.G. 6. Juni
1885 (M.Bl. d. I. 1885 S. 151): Ein Konsumverein giebt Marken aus, ähnlich
Fünfzigpfennigstücken, was durch Polizeistrafverordnung verboten ist. Die Polizei-
direktion befiehlt den Vorstandsmitgliedern, die Marken binnen 14 Tagen ein-
zuziehen bei Ungehorsamsstrafe. Das ist eine neue Pflicht, deren Verabsäumung
durch den Strafrechtssatz nicht getroffen ist. Die Strafverfolgung endete mit Frei-
sprechung, die polizeiliche Zwangsvollstreckung mittelst Ungehorsamsstrafe ging
ihren Weg selbständig.
lichen Befehle und sonstige Auflagen und Anordnungen, die ihrem Inhalt nach
dazu geeignet sind. — Bayr. Pol.Stf.G.B., welches ja auch mit der Ungehorsams-
strafe kargt, unterscheidet in Art. 16, 20 u. 21 Abs. 4: Beseitigung der durch eine
strafbare Handlung geschaffenen Zustände kann durch Ersatzvornahme nur ge-
schehen auf Grund gerichtlicher Verurteilung; Ersatzvornahme für Dinge, welche
jemandem unter Strafe gesetzlich geboten sind, kann als vorläufige Maſsregel an-
geordnet werden, aber der Kostenersatz ist abhängig von der späteren gericht-
lichen Verurteilung zur Strafe; nur bei Verfügungen zum Vollzug von Gesetzen
(und Verordnungen), deren Übertretung nicht mit Strafe bedroht ist, kann die
Ersatzvornahme von der Verwaltungsbehörde selbständig verhängt und durchgeführt
werden.
Württemb. Pol.Stf.R. S. 80); Bad. Pol.Stf.G.B. § 30, 31 („auch“); Hess. Ges. v.
20. Juni 1873 Art. 50 (Prov.Aussch. f. Oberhessen 10. Juni 1884; Ztschft. f. St. u.
Gem.Verw. IX S. 171). Für Sachsen: Leuthold, Sächs. V.R. S. 375. — Bayr.
Pol.Stf.G.B. Art. 21 läſst freie Wahl nur für die erste Strafandrohung; die Wieder-
holung ist nur zulässig, wenn ein anderes Zwangsmittel, insbesondere Ersatzvor-
nahme nicht zu Gebote steht. — Nach Preuſs. L.V.G. § 132 ist statt Ungehorsams-
strafe Ersatzvornahme zu wählen, „sofern es thunlich ist“. Thunlich ist aber nicht
gleichbedeutend mit möglich; es sollen Erwägungen der Zweckmäſsigkeit berück-
sichtigt werden wegen der Beibringbarkeit der Kosten und schonender Behandlung
der eigenen Interessen des Gezwungenen. O.V.G. 2. Okt. 1880 (Samml. VII S. 342);
21. April 1888 (Samml. XVI S. 392). — Es ist demnach nicht richtig, wenn
G. Meyer in Wörterbuch II S. 800 die Ungehorsamsstrafe beschränkt auf Er-
zwingung von Handlungen, welche von Dritten nicht vorgenommen werden können,
und von Unterlassungen.
Preuſs. L.V.G. § 132.
Aufklärung der Behörde über die zu treffenden Maſsregeln und Vorbereitung der-
selben; Wielandt, Rechtspr. d. Bad. V.G.H. S. 130, 131. Überflüssiger Aufwand
ist nicht zu ersetzen; Bad. V.G.H. 12. Sept. 1871 bei Wielandt, S. 126. Anderer-
seits ist der Staat nicht wie ein negotiorum gestor auf den Ersatz marktgängiger
Preise beschränkt; C.C.H. 11. April 1868 (J.M.Bl. 1869 S. 255). Der entscheidende
Gesichtspunkt wird wohl wieder sein, daſs zu ersetzen ist, was die Behörde nach
pflichtmäſsigem Ermessen verauslagt hat, auch wenn sie dabei fehlgegangen sein
mag und zu viel aufwendete.
richtete, inzwischen auf einen anderen übergegangen ist, so haftet dieser nicht für
die Kosten. Sehr streitig ist es dagegen, inwiefern das noch nicht vollendete Ver-
fahren der Ersatzvornahme selbst gegen einen Nachfolger einfach fortgesetzt werden
kann: Bl. f. adm. Pr. 1872 S. 127 (namentlich die Bemerkungen von Luthardt),
Foerstemann, Pol.R. S. 402 (der vorschlägt, die Fortsetzung durch Einträge auf
dem Hypothekenfolium sicher zu stellen). Unseres Erachtens wird die eingeleitete
Ersatzvornahme dann ohne weiteres übergehen, wenn der Befehl selbst, den sie
vollstrecken soll, auf den Nachfolger wirkt (oben § 21 Note 20); ferner werden die
einmal begonnenen Arbeiten durch den Besitzwechsel nicht mehr unterbrochen
werden: die Verwaltung hat sich der Sache bemächtigt; die Kosten würden aber
dann wohl nur den ursprünglichen Besitzer treffen. — Eine dazwischentretende
Vermietung hindert jedenfalls die Fortsetzung gegen den Eigentümer nicht: O.V.G.
21. Okt. 1876 (Samml. I S. 361).
Pol.Stf.G.B. § 130 Abs. 3; Württemb. Ges. v. 12. Aug. 1879 Abs. 2 (Schicker,
Württemb. Pol.Stf.R. I S. 79); Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 21 (v. Riedel, Erläuterungen
zu Art. 21 n. 3; Seydel, Bayr. St.R. V S. 10).
schieden in Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 20 Abs. 1—3 und Abs. 4. — O.V.G. 1. Aug.
1876 (Samml. I S. 322) bringt einen Fall gewaltsamer Schlieſsung einer Wirtschaft:
die Behörde läſst einfach das gegen ihr Verbot angebrachte Wirtshausschild, „im
Interesse der öffentlichen Ordnung“ mit Teer überstreichen. Das ist sicherlich
keine Ersatzvornahme mit Kostenerstattungspflicht. — Etwas phrasenhaft begründet
ist eine solche Gewaltanwendung in R.G. 14. Jan. 1882 (Samml. IV S. 363 ff.).
die Mahnung wegfallen.
und Duldungen … können aber, mit Ausnahme der Duldung einer Handlung
für den einzelnen Fall, nicht geradezu durch Gewalt erzwungen werden“.
ausgebliebenen Zeugen auch zwangsweise Vorführung; bei der Beratung im Reichs-
tag wurden alle diese „Zwangsmaſsregeln“ erklärt als „Strafen, welche nur von
dem Richter ausgesprochen werden können“ (Hahn, Mat. II S. 1733). Auch die
Verhängung der Ungehorsamsstrafe wird ja noch als Zwangsmittel angesehen
eben dieser Erschütterung des Willens wegen; oben Note 15. — Andere Beispiele:
Seemannsord. v. 27. Dez. 1872 § 29; Preuſs. Gesindeord. v. 8. Nov. 1810 § 51
Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 106 Abs. 4 u. 5.
S. 10. Dieselbe Frage in der Lehre vom unmittelbaren Zwang unten § 24 Note 13.
Zwangsgestellung unter die ordentlichen Institute der Verwaltung aufgenommen;
Bayr. Ob.G.H. 19. Okt. 1855; Bl. f. adm. Pr. XI S. 399, 400; O.Tr. 8. Okt. 1887.
Seydel, Bayr. St.R. V S. 10, glaubt das vereinbaren zu können mit dem von ihm
so kräftig betonten Grundsatze, daſs körperliche Gewalt nur zulässig ist, soweit
geeignet, das Befohlene unmittelbar durchzusetzen. Es werde, meint er, ja nur
das „Erscheinen vor der Behörde“ erzwungen und das sei mit Gewalt durch-
zusetzen. Allein da könnte man ebenso gut auch den Hausbesitzer, der die Straſse
kehren soll, durch gewaltsame Vorführung einmal erst zwingen, auf der Straſse zu
„erscheinen“; vielleicht kehrt er dann, geradeso wie der „Sistierte“ sich vielleicht
zu werden (G. Meyer in Wörterbuch II S. 262; v. Stengel, V.R. S. 107); oder
man häuft die Epitheta zu dem Ausdruck „unmittelbarer physischer Zwang“
(G. Meyer, V.R. I S. 68; v. Stengel, V.R. S. 193, 195). Das, was wir unmittel-
baren Zwang nennen, bleibt dann ganz unberücksichtigt: G. Meyer, Wörterbuch
II S. 800 ff.; v. Stengel, V.R. S. 195 Anm. 2. Anschütz in Verw.Arch. I
S. 461 nennt in diesem Sinne den unmittelbaren Zwang selbst ein Zwangsmittel.
die Vorführung selbst doch nicht erzwungen. Soll man aber vor der Behörde
selbst gar nichts thun, sondern nur eine Mitteilung entgegennehmen, so ist dafür
eine Vergewaltigung ganz überflüssig; sie geschieht auch nicht, um den Empfang
der Mitteilung durchzusetzen, sondern um dieser eine anspruchsvolle Feierlichkeit
zu geben; dafür darf die Gewalt erst recht nicht dienen. — In der preuſsischen
Übung geht die Gewaltanwendung über diese Sistierungen noch weit hinaus. O.V.G.
1. Dez. 1880 (M.Bl. d. I. 1880 S. 49): Bei einer Feuersbrunst befiehlt der Bürger-
meister einem zuschauenden Apothekerlehrling, eine Handspritze zu tragen; Un-
gehorsam; sofortige Verhaftung. Im Arrestlokal bittet er um Freilassung, er wolle
jetzt thun, was befohlen ist; aber auf den Brandplatz zurückgeführt, weigert er sich
von neuem und wird dann auch von neuem verhaftet. Das Gericht erklärt das für
zulässig nach Ges. zum Schutze der persönlichen Freiheit v. 12. Febr. 1850
wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die ansteckende Kraft des
schlechten Beispiels, das der Ungehorsam den Übrigen gab. Ähnlich erging es im
Falle O.V.G. 16. Nov. 1881 (Samml. VIII S. 407) dem Kommandanten der frei-
willigen Feuerwehr, der trotz der Anordnung des Polizeibeamten nach gelöschtem
Brande nicht mehr dableiben will, da dieser ihm nichts zu befehlen habe, sondern
ihn nur ersuchen könne. Die Gefahr „für die öffentliche Sicherheit“, um deren
willen seine Verhaftung gerechtfertigt erklärt wird, ist aber offenbar nur die be-
beleidigte Autorität, welche sich sofort eine eklatante Genugthuung verschaffen
durfte. — Nach Sächsischem Recht ist natürlich gewaltsame Vorführung und der-
gleichen schlechthin als „Ausfluſs der den Behörden beigelegten Exekutivgewalt“
anerkannt; Sächs. Ztschft. f. Pr. II S. 71. — Gegen alle diese Miſsbräuche sehr
entschieden H. Seuffert in Wörterbuch II S. 675, 676.
vorliegt oder nicht: O.Tr. 4. Juni 1872 (J.M.Bl. S. 89). Unter Umständen kann
allerdings die Rechtmäſsigkeit der thatsächlichen Gewaltübung gesetzlich bedingt
sein von einem gehörigen Dienstauftrag dafür: Preuſs. Ges. 12. Febr. 1850, R.Reb-
lausges. 6. Aug. 1875 § 2, R.Viehseuchenges. 23. Juni 1880 § 27 Abs. 3.
verdächtigen Viehes als solchen Verwaltungsakt und läſst Beschwerde dagegen zu.
R.Nahrungsmittelges. v. 14. Mai 1879 § 2 u. 9.
man Zwangsvollstreckung und unmittelbaren Zwang unterscheidet, welchen beiden
die Gewaltanwendung als Mittel dient.
S. 394 als „Eigenmacht zur Abwehr und Wiederauf hebung einer Rechtsverletzung,
wo dazu die Staatsmacht nicht ausreicht“; sie ist natürlichen Rechts.
ausschlieſsen kann (Binding, Stf.R. I S. 737), wirkt deshalb hier nicht.
bei allen Amtshandlungen gleich. Gerichtliche Akte, kirchliche Feierlichkeiten sind
am empfindlichsten für ihre Würde. Dann kommen gleich die militärischen Schau-
stellungen und Aufzüge; unten § 25. III.
willen nicht los. Nach Binding, Stf.R. I S. 735 ff., genügt aber auch schon der
Angriff durch ein Tier; v. Thur, Notstand S. 55, läſst eine Art Notwehr zu gegen
ein herumtreibendes fremdes Boot. Das bildet den Übergang zu dem, was bei der
polizeilichen Selbstverteidigung der Hauptfall ist.
Gerätschaften einfach zerschlagen läſst, beginge heutzutage eine Gewaltüber-
schreitung.
Gewaltübung an fremden Sachen, welche darauf gekommen sind (v. Thur, Notstand
S. 72, 74; Windscheid, Pand. § 397). — Gewaltsame Wegnahme selbst nur mittel-
bar dienender Papiere: oben § 19 Note 7.
Pol.Stf.G.B. Art. 20. v. Riedel, Erläuterungen z. Pol.Stf.G.B. S. 79: ein all-
gemeiner Grundsatz steht dahinter, der nicht ausgesprochen worden ist, „da man es
für selbstverständlich hielt, daſs die Polizeibehörden in solchen Fällen berechtigt
sind, das der Natur der Sache Entsprechende vorzukehren“.
der mindestens einen strafbaren Versuch, und Staudinger bei Dollmann,
Bayr. Ges.Gebung III, VII S. 184 n. 4, der eine, wenn auch straflose Versuchs-
handlung verlangt; ebenso Foerstemann, Pol.R. S. 411, wonach vorausgesetzt
wäre, daſs „Personen sich in der Vornahme einer verbotswidrigen Handlung be-
finden und davon nicht ablassen wollen“. — Zu weit C.C.H. 12. Febr. 1870 in dem
oben § 20 Note 21 erwähnten Falle, der dort freilich als polizeiliche Zwangs-
vollstreckung gerechtfertigt werden soll; desgl. R.G. 16. Nov. 1885, wo für zulässig
erklärt wird, daſs der Gendarm einem jungen Manne gewaltsam seinen Stock weg-
nimmt, weil er „nach der ganzen Sachlage, insbesondere im Hinblicke auf die in
früheren Jahren bei Gelegenheit des Musterungsgeschäftes stattgehabten Schlägereien,
sowie auf die aufgeregte streitsüchtige Haltung des Angeklagten und seiner Be-
gleiter zu der Annahme gelangt war, daſs eine Rauferei nahe bevorstehe“. —
Besser gerechtfertigt erscheint die Gewaltanwendung in dem Falle O.V.G. 4. Okt.
1882 (Samml. X S. 376): In einem Wirtshaus will sich eine Schlägerei entwickeln;
die Gäste drängen aus einem anderen Zimmer an den Thatort; der Polizeibeamte
stellt sich vor die Thüre und läſst niemand hinein. — Es muſs immer bedacht
werden, daſs eine verfrühte Gewaltanwendung, die also dem Betroffenen nicht von
selbst einleuchtet, allzu leicht Widerstand und damit überaus schwere Folgen
hervorruft; eine feste Rechtsgrenze findet man nur im Anschluſs an die Grund-
gedanken der Notwehr und Notwehrhülfe.
München auf der Straſse sein Fuhrwerk unbeaufsichtigt stehen, was bei Polizei-
strafe verboten ist. Die Gendarmen holen ihn gewaltsam aus dem Wirtshause
heraus und schleppen ihn an sein Fuhrwerk, damit er fortfahre. Eine sehr be-
denkliche Art des unmittelbaren Zwangs! Die Gewaltanwendung konnte nur auf
Beseitigung des aufsichtslosen Wagens gehen.
weiteres zulässig sein soll auch gegenüber einer noch so geringfügigen Strafbarkeit.
Eine Rechtsgrenze wird sich aber hier nicht ziehen lassen; es steht hier wie bei
dem Rechte der polizeilichen Selbstverteidigung. Höchstens mag man den Polizei-
beamten eine gewisse Nachsicht anempfehlen: Edel, Pol.Stf.G.B. S. 153; besser
noch Bingner u. Eisenlohr, Bad. Stf.R. S. 180 ff. — Wo die strafbare Hand-
lung in dauernden Zuständen erscheint, ordnet das Gesetz häufig die Unterdrückung
in Form polizeilicher Zwangsvollstreckung an, also durch ein zu vollstreckendes
Einzelverbot; dann ist der unmittelbare Zwang ausgeschlossen. Bayr. Pol.Stf.G.B.
Art. 32 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2, Art. 34 Abs. 2, Art. 50 a; Gew.O. § 15 Abs. 2
(Landmann, Komment. I S. 122, 123).
v. Thur, Notstand im Civilrecht; Wessely, Befugnisse des Notstandes und der
Notwehr; R. Merkel, Kollision rechtmäſsiger Interessen.
darunter leidet, daſs die Kraft der Abwehr nach der anderen Richtung hin nicht
ausreichte, führt von selbst dazu, einen billigen Ausgleich für ihn zu suchen. Nach
preuſsischem Rechte wollte man früher dem Eigentümer des zur Abwehr der Feuers-
brunst niedergerissenen Hauses eine actio de in rem verso geben gegen die Feuer-
societäten, welche den Vorteil davon haben. Auch die Grundsätze der Havarei-
gemeinschaft sollten für die beteiligten Hausbesitzer anwendbar sein; Foerste-
mann, Pol.R. S. 460 ff. Daſs die Franzosen in diesem Falle die lex Rhodia de
jactu anrufen: Theorie des franz. V.R. S. 193. — Wenn bei Foerstemann,
a. a. O. S. 461, auf die Möglichkeit einer Haftbarkeit der „Behörde“ hingewiesen
wird, so ist damit die Entschädigungspflicht der Staatskasse gemeint, die nach dem
noch näher zu erörternden Rechtsinstitut der öffentlichrechtlichen Entschädigung
sich richten würde.
setzliche Ermächtigung, Verhaftungen für zulässig, „wenn diese im Interesse der
öffentlichen Sicherheit, Ruhe oder Sittlichkeit oder zum eignen Schutze der ver-
hafteten Person notwendig erscheinen.“ Das „notwendig“ muſs aber doch in diesem
letzteren Fall eine ganz andere Schärfe haben, als in den anderen. Es ist gar
nicht einmal wünschenswert, daſs das Gesetz, wie das preuſsische v. 12. Febr. 1850
§ 6 thut, solche Verhaftungen ausdrücklich vorsieht. Der Beamte soll das Be-
wuſstsein behalten, etwas Auſserordentliches zu thun, wozu ihn nur auſserordent-
liche Umstände berechtigen.
Zur Geschichte: v. Kamptz, Allg. Codex der Gendarmerie 1815; (F. Meinert),
Der Soldat als Beistand der Polizei 1807.
Vollstreckung von Gesetzen u. s. w. berufenen Beamten des § 113 Stf.G.B. Bei-
spiel in R.G. 10. Januar 1887 (Samml. Stf.S. VII S. 289): Ein Gerichtsassessor
hatte eine sofortige Verhaftung wegen Ungebühr beschlossen und dabei selbst Hand
angelegt; das Gericht erklärt den Widerstand für strafbar „als gegen einen zur
Vollstreckung einer Verfügung des Gerichts berufenen Beamten“. Berufen hatte
er sich etwas tumultuarisch selbst. Jedenfalls war er dadurch kein Vollstreckungs-
beamter geworden; vgl. unten Note 9.
schlossen, die Strafbarkeit des Widerstandes allein davon abhängen zu lassen, daſs
der Beamte, „innerhalb seiner Zuständigkeit“ gehandelt habe; die dritte Lesung
hat dann ohne sachliche Begründung den Ausdruck „rechtmäſsige Amtshandlung“
dafür gesetzt. Verhandlungen 1870 I S. 430, II S. 1169; vgl. auch die Ausführungen
des Abg. Planck daselbst I S. 429. — Die Voraussetzung der allgemeinen Zu-
ständigkeit fehlt, wenn der Beamte aus seinem örtlichen Bezirk herausgreift, oder
in einen anderen Verwaltungszweig hinein: Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 113 n. 10;
Olshausen, Stf.G.B. zu § 113 n. 13 a; Binding, Stf.R. I S. 741. Desgleichen
bei Miſsbrauch des Amtes in eignem oder Parteiinteresse (O.Tr. 10. März 1869),
sowie bei den im engeren Sinne so genannten Ausschreitungen: Miſshand-
lungen und Beleidigungen gelegentlich der Amtsthätigkeit. Diese sind nicht deshalb
von der Autorität des Amtes nicht gedeckt, weil sie strafbar sind, sondern umgekehrt:
sie sind strafbar, weil sie aus der allgemeinen Natur der Amtshandlung heraus und
damit unter das gemeine Strafrecht fallen; Hiller, Rechtmäſsigkeit der Amtshand-
lungen S. 85, 86.
wie „in das pflichtmäſsige Ermessen des Beamten gelegt ist“: Oppenhoff,
Stf.G.B. zu § 113 n. 13; Hiller, Rechtmäſsigkeit der Amtsausübung S. 80; Seeger,
Abhandl. aus d. Stf.R. S. 314; John in Holtzendorff Handbuch III S. 120 ff.;
Freund in Arch. f. öff. R. I S. 126 ff.; Binding, Stf.R. I S. 742; Verhandl. des Nordd.
Reichstags 1870 S. 478 ff. (insbesondere die beiden Reden des Abg. Planck). Der Aus-
druck kann irre führen; wenn dem Beamten ein freies Ermessen zusteht und er inner-
halb dieses Spielraums bleibt, liegt überhaupt keine Rechtswidrigkeit vor, die durch
Irrtum gedeckt werden müſste. John in Hoitzendorff Handbuch III S. 121 will in der
That, daſs der Widerstand nur strafbar ist, soweit für den Beamten ein solcher Spiel-
raum gegeben war. Daher läſst er ihn straflos, wenn z. B. der Beamte in der irrtüm-
lichenMeinung, ein Auflösungsgrund sei gegeben, die Versammlung auflöst. Da hätte
dann der Vollstreckungsbeamte nichts Besonderes. Mit Recht erklärt aber Hiller,
Rechtmäſsigkeit der Amtsausübung S. 80, gerade in dem von John gewählten Bei-
spiel den Widerstand für strafbar. — Binding, Stf.R. I S. 742, möchte statt
einer bloſs zu Gunsten des Beamten angenommenen eine wirkliche Rechtmäſsigkeit
herausbringen, indem er aufstellt: es handle sich hier um Fälle, in welchen „das
Recht zur Vornahme der Amtshandlung gesetzlich abhängig gemacht ist, nicht so-
wohl von der Existenz jener Voraussetzungen, als von der Annahme seitens des
Beamten auf Grund pflichtmäſsiger Prüfung“. Das sei z. B. der Fall bei dem Recht
zur vorläufigen Festnahme, wenn jemand auf frischer That betroffen ist, nach
Stf.Pr.O. § 127. Dieses Recht hat aber bei Fluchtverdacht jedermann; und doch
ist der „anscheinende Mörder“, wenn er der irrtümlichen Festnahme sich wider-
setzt, nur strafbar, wenn der Irrende ein Vollstreckungsbeamter, nicht wenn es ein
Privatmann oder ein sonstiger Beamter ist. Nicht in der Art der Ermächtigung,
sondern in der Eigentümlichkeit des Vollstreckungsbeamten muſs also das Besondere
liegen. — Beispiele: O.Tr. 24. Sept. 1874 (Oppenhoff, Rspr. XV S. 389): die
Voraussetzungen zum Einschreiten waren irrtümlich für vorliegend erachtet. O.Tr.
9. Okt. 1876 (Oppenhoff, Rspr. XVII S. 104): irrtümliche Annahme, das Holz sei
gestohlen, und Beschlagnahme desselben. R.G. 31. März 1880: ein Pferd wird in
polizeilichen Gewahrsam genommen aus ähnlichem Irrtum. R.G. 5. Nov. 1881:
der Gerichtsvollzieher pfändet gegen den Ehemann irrtümlich Sachen der Frau.
R.G. 19. Nov. 1881: der Gerichtsvollzieher pfändet nötige Lebensmittel in der irr-
tümlichen Annahme, es sei sonst noch hinreichend davon da. — Überall war der
Widerstand strafbar.
pfändet; Widerstand ist straflos. Bayr. Ob.G.H. 19. Januar 1874 (Samml. IV
S. 39): Eine Gesellschaft hatte Polizeistundeverlängerung erhalten; zwei Polizei-
soldaten, die davon nichts wissen, wollen die Räumung des Lokals vorzeitig er-
zwingen. Der Widerstand ist strafbar. Die Gäste, sagt das Gericht, hätten Auf-
klärung geben müssen. Wenn die Beamten alsdann auf der Räumung beharrten, so
S. 293; John in Holtzendorff Handbuch III S. 121. — R.G. 1. Mai 1882 (Samml.
Stf.S. IV S. 415): Der Gendarm hat einen Burschen im Verdacht, daſs er im nahen
Walde wildern wolle, und durchsucht ihn gewaltsam nach Schlingen, um die Straf-
that zu verhindern. Der Widerstand ist straflos, weil nach dem maſsgebenden
bayrischen Recht die gewaltsame Verhinderung das unmittelbare Bevorstehen der
Strafthat voraussetzt; ein solches hatte aber der Gendarm selbst nicht angenommen;
er hatte im Rechte geirrt. Ebenso ist zu beurteilen der Fall R.G. 24. Okt. 1884
(Reger, V S. 351): der Gendarm hatte eine Beschlagnahme vorgenommen nach
Stf.Pr.O. § 94 ff., wozu nur Hülfsbeamte der Staatsanwaltschaft befugt sind; nach
dem maſsgebenden preuſsischen Rechte ist er kein solcher. Der Widerstand ist
straflos.
struktionelle“, weil letztere im Verhältnis zum Unterthanen nicht binden. Wenn
Neumann in Goltdammer Arch. 22 S. 259 verlangt, daſs die Formvorschrift ge-
geben sei „durch Gesetz oder eine von diesem vorgeschriebene Instruktion“, so
meint er wohl mit der letzteren eine Verordnung. — Die Formvorschriften be-
ziehen sich auf die Legitimation des Vollstreckungsbeamten, durch die er sich aus-
weisen muſs, auf einen etwa erforderten besonderen Dienstauftrag, auf Ort und Zeit
der Handlung, Zuziehung von Solennitätszeugen u. dergl. Hiller, Rechtmäſsigkeit
S. 75—78.
sonders kräftig R.G. 1. Nov. 1880 (Samml. Stf.S. II S. 424).
klärung die Möglichkeit eines Fortbestehens ihrer irrigen Annahme billigerweise
ausschloſs.
Rechtmäſsigkeit des zu vollstreckenden Aktes zu verlangen: Hiller, Rechtmäſsigkeit
S. 82 u. 83; Seeger, Abhandl. I S. 315; Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 193 n. 13
v. Kirchenheim in Gerichtssaal XXX S. 190; Neumann in Goltdammer Arch. 22
S. 226. Vgl. die Zusammenstellung bei Olshausen, Stf.G.B. zu § 113 n. 15 a. Dabei
wird häufig der Dienstbefehl, der Auftrag an den Vollstreckungsbeamten, mit dem zu voll-
streckenden Akt verwechselt. So besonders schlimm Neumann in Goltdammer
Arch. a. a. O.; er spricht von „Vollstreckung“ von Aufträgen, rechnet unter die
Aufträge auch die „Befehle, Anordnungen, Urteile und Verfügungen“, welche § 113
nennt, und macht dann (S. 223) die Rechtmäſsigkeit des Vollstreckungsbeamten ab-
hängig von der „Gesetzmäſsigkeit des Auftrags“. Olshausen, der seinerseits nur
verlangt, daſs die vorgesetzte Behörde „zu dem Auftrag zuständig sei“, führt Hiller
als zustimmend an, der doch verlangt, daſs die Behörde zuständig sei zum
Erlaſs der „Befehle, Verfügungen, Urteile, die vollstreckt werden sollen“, also zu
deren Vollstreckung der Auftrag gegeben wird. Vgl. auch Bolze in Goltdammer
Arch. 23 S. 393, wo ähnliche Verwechslungen. Die Übung der Gerichte ist ein-
mütig darin, daſs der Vollstreckungsbeamte die Rechtsgültigkeit des zu vollstrecken-
den Aktes nicht zu prüfen habe und folglich wegen des Mangels daran der Wider-
stand gegen die ihm befohlene Handlung nicht straflos sein kann: Olshausen,
Stf.G.B. zu § 113 n. 15 a; Neumann in Goltdammer Arch. 22 S. 219. — Der zu
vollstreckende Akt muſs auch ganz fehlen können, soweit nicht durch Form-
vorschriften, die für die Amtshandlung des Vollstreckungsbeamten selbst gegeben
sind, z. B. durch das Erfordernis einer vollstreckbaren Ausfertigung, notwendig
wird, daſs er wenigstens überhaupt ergangen sei; abgesehen davon hat ja der
Beamte nicht einmal die Möglichkeit, zu prüfen, was hinter dem Vollstreckungs-
auftrag steht. — Diese deckende Kraft des Dienstbefehls kann dazu führen, daſs
der Widerstand gegen den Vollstreckungsbeamten strafbar ist, wo er es gegen den
Vorgesetzten, der die Maſsregel selbst durchzuführen suchte, nicht wäre. Das wird
richtig bemerkt in Goltdammer Arch. 19 S. 808 zu O.Tr. 27. Sept. 1871. Auch
der Gerichtsassessor in dem oben Note 2 erwähnten Falle hätte diesen Unterschied
verspüren können.
„die Befehle (des Vorgesetzten) können die unrechtmäſsige Handlung nicht zu einer
rechtmäſsigen machen“. Gemeint ist eine in sich selbst unrechtmäſsige Handlung
im Gegensatze zu dem, was hinter dem Befehle steht und nach den Ausführungen des
Gerichts für die Frage der Rechtmäſsigkeit des Aktes durch den Dienstbefehl ge-
deckt ist.
Ausf.Ges. zu Stf.Pr.O. Art. 102; Zusammenstellung bei H. Seuffert in Wörterbuch
I S. 690.
das Höchstmaſs gebe, innerhalb dessen das rechtlich Zulässige durch die Not-
wendigkeit bestimmt sei. Einen Beweis dafür findet er in der besonderen Be-
stimmung des § 77, wonach Betrunkene, welche störend geworden waren, ausnahms-
weise nicht auf ganze 48, sondern nur auf 24 Stunden in Gewahrsam zu halten
sind. Denn, meint er, mit dem Eintritt der Nüchternheit müsse grundsätzlich der
Zwang von selbst aufhören und dazu genügten eben 24 Stunden. Allein eine vier-
undzwanzigstündige wirkliche Trunkenheit kann doch der Gesetzgeber nicht voraus-
gesetzt haben; es bleibt also auch hier ein gewisser Überschuſs mit gelindem
Strafcharakter.
1879 S. 71 bestimmt: „Die Befugnis der Polizeibehörden, Personen, welche nach
§ 361 u. 362 Stf.G.B. ausweisbar sind, so lange in polizeilicher Haft zu behalten,
bis die Vollstreckung der Ausweisung mittelst Transportes durch Einholung der
eventuell erforderlichen Zustimmung des Heimatstaates möglich gemacht worden,
unterliegt keinem Bedenken. Hierbei kommen nicht bloſs die Vorschriften des
§ 6 Ges. zum Schutze der persönlichen Freiheit v. 12. Febr. 1850, sondern auch
diejenigen Befugnisse in Betracht, von welchen der Staat nach völkerrechtlichen
Grundsätzen im öffentlichen Interesse gegen Ausländer Gebrauch machen darf“.
Das Gleiche soll auch bei Bettlern, Vagabunden u. s. w. zur Anwendung kommen,
„über deren endgültige Unterbringung noch zu verfügen ist“. Die Gewaltanwendung
geht hier etwas weit; aber die rechtliche Zulässigkeit kann doch nicht bestritten
werden. Die Person selbst stellt in diesen Fällen die Störung der guten Ordnung
vor, die vom Schauplatz des freien Gemeinlebens verschwinden soll. Völkerrecht-
liche Grundsätze waren dafür allerdings nicht anzurufen; zwischen der Staats-
gewalt und dem Einzelnen — Ausländer, wie Bettler — gilt nicht Völkerrecht,
sondern Verwaltungsrecht.
nur zu „auf Grund einer aus amtlicher Eigenschaft folgenden Befugnis oder eines
von einer gesetzlich dazu ermächtigten Behörde erteilten Auftrages“. Wenn man
mit Foerstemann, Pol.R. S. 439, die umfassende Ermächtigung in A.L.R. II,
17 § 10 als solche Grundlage gelten läſst, dann hat, trotz des streng klingenden
Gesetzestextes, auch diese Form der Gewaltübung keine Grenzen. Die Gerichte
führen aber die Einschränkung im obigen Sinne durch, wonach jene allgemeinen
Ermächtigungen zu einem Nachforschen in der fremden Wohnung nicht genügen.
R.G. 24. Sept. 1880 (Samml. Stf.S. II S. 249); O.V.G. 8. Nov. 1876 (Samml. I
S. 375).
in Reichsges. v. 14. Mai 1879 § 2 u. 3 bezüglich der Verkaufs-, Aufbewahrungs-
und Herstellungsräumlichkeiten von Nahrungsmitteln; ferner in Gew.O. § 139 b;
landesrechtlich gehört hierher die Feuerschau, die gesundheitspolizeiliche Beauf-
sichtigung der Wohnungen, die Apothekenvisitation.
S. 292.
Anm. 4.
v. 30. Dez. 1820 § 28. Danach Bayr. Verord. 24. Juli 1868 § 74 u. 75; Württemb.
Instr. 5. Juni 1823 § 48 u. 49; Sächs. Verord. 14. Juni 1855 § 1; Bad. Ges. über
d. Gendarmerie 31. Dez. 1831 § 36. Zusammenstellung bei G. Meyer in Wörter-
buch II S. 850.
in Verord. des sächs. Min. d. I. v. 17. Juni 1867, dabei jedoch mit Recht als selbst-
verständlich bezeichnet.
die Sache selbständig ordnen will. Vgl. van Calker, Recht des Militärs z. adm.
Waffengebrauch S. 17, S. 39; unrichtig ist nur, wenn dort verlangt wird, das Ge-
setz müsse immer selbst die Ordnung erlassen, statt zu delegieren, und noch un-
richtiger, daſs das nur im Strafgesetzbuch oder in der Strafprozeſsordnung ge-
schehen könne. Die Gesetze verstehen sich doch unter einander!
besagt: „die Gendarmen sind befugt, auch ohne Autorisation der vorgesetzten Be-
hörde sich der anvertrauten Waffen zu bedienen, wenn u. s. w.“. Seydel, Bayr.
St.R. V S. 21, scheint das so zu verstehen, als wenn mit Autorisation der vor-
gesetzten Behörde auch sonst, d. h. über die bezeichneten Fälle hinaus, Waffen-
gebrauch stattfände. Allein die preuſs. Instr. hat offenbar ein solches Autorisations-
recht nicht begründen, sondern nur verweisen wollen auf die Möglichkeit einer
solchen, die in der polizeistaatlichen Machtfülle der Behörden ja allerdings gegeben
war, jetzt aber nicht mehr gegeben ist.
daſs die Gendarmerie militärisch gekleidet und bewaffnet sei (§ 64); das Vorrecht
des Waffengebrauchs verstand sich daraus von selbst. Erst 1820 wird es ausdrück-
lich geregelt. — Els.Lothr. Ges. v. 20. Juni 1872 § 2 erklärt einfach die Regeln
des militärischen Waffengebrauchs im Friedensdienste auf die Gendarmerie an-
wendbar.
gelten lassen für alle „exekutiven Polizeibeamten“. Dazu gehört aber z. B. auch
der Nachtwächter (O.Tr. 22. Dez. 1858): soll er mit dem etwaigen Dienstspieſs ge-
mäſs jenem Vorrechte hantieren dürfen? Das wird man jedenfalls heutzutage nicht
als geltendes Recht behaupten wollen.
Militärs v. 20. März 1837; die Fälle, in welchen der Waffengebrauch zulässig ist,
sind die oben II n. 3 in der Lehre vom Waffengebrauch der Gendarmerie er-
wähnten. G. Meyer in Wörterbuch II S. 848 ff.; van Calker, Recht des Militärs
zum adm. Waffengebrauch.
sonderen militärischen Anschauungen von Ehre. Bayr. Garnisonsdienst-Instr. v.
5. April 1885 § 12 verlangt, daſs die Waffe gegebenen Falles mit allem Nachdruck
gebraucht werde, denn „nur hierdurch ist (unter anderem) die Wahrung der Würde
des Militärdienstes verbürgt“. Für die bürgerliche Polizei müssen derartige Ge-
sichtspunkte zurücktreten.
Verhinderung von Flucht- und Ausbruchversuchen, Niederhaltung eines Aufruhrs
unter den Gefangenen, Abwehr eines Angriffes auf die Beamten oder Bediensteten
selbst oder auf andere Gefangene (Bayr. Specialinstruktion, abgedruckt bei van
Calker, a. a. O. S. 57).
im Garnisonsorte die Absperrung der Brandstätte besorgt (Foerstemann, a. a. O.
S. 111), so kann es sowohl im eignen Interesse geschehen, um der Löschungs-
arbeiten willen, die zur Sicherung von militärischen Einrichtungen und Gebäuden
dienen, als auch zur Aushülfe für die bürgerliche Polizei. Jeder der beiden Gründe
genügt für sich allein. Aber ein rechtfertigender Grund muſs da sein; es ist nicht
selbstverständlichen Rechtens, daſs das Militär jede Straſse absperren kann.
lichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit“ im Sinne des § 1 des Preuſs. Ges. über den
Waffengebrauch v. 20. März 1837.
mat. Sinne S. 291 ff. Gegen ihn Laband, St.R. II S. 1050 ff.
sehr gebräuchlich: Laband, St.R. II S. 986; Jellinek, Ges. u. Verord. S. 288;
G. Meyer, St.R. S. 609; Arndt in Arch. f. öff. R. III S. 540 ff.
Bd. 36 S. 271; Seidler, Budget u. Budgetrecht S. 221 ff.
S. 540 ff. Über den richtigen Sachverhalt in dieser Beziehung: Laband, St.R.
II S. 1001 Anm. 1.
Seydel, Bayr. St.R. IV S. 291. Zu weit geht Pfizer, R. der Steuerverwilligung,
wenn er in der heimatlichen Verfassung geradezu das „altwürttembergische Recht
der Selbstbesteuerung“ verwirklicht findet; Stände und Volksvertretung, Selbst-
besteuerung und Zustimmung zum Steuergesetz sind doch auch wieder sehr ver-
schiedene Dinge.
grundsätzlich und so auch hier ein völliges Aufgeben der „Rechtskontinuität“. Das
Gegenteil ist richtig: Toqueville, l’ancien régime et la révolution S. 313 ff.;
Leroy-Beaulieu, science des fin. II S. 4 ff.; vor allem Desmousseaux de
Givré im Correspondant Bd. 42 S. 217 ff.
états de prévoyance, c’est le droit qu’a la nation de refuser ou d’accorder des
impôts“. Es handelt sich also nicht um eine bloſse Klugheitsmaſsregel der Finanz-
verwaltung. Der Zusammenhang tritt in den süddeutschen Verfassungen aufs deut-
lichste hervor; Bornhak, Preuſs. St.R. III S. 575 ff.
richtig die bindende Wirkung der Steuerbewilligung auf die Gesamtheit des
Budgets mit der der Appropriationsklausel des englischen Rechts.
der Bürger lediglich; „de constater par eux mêmes ou par leurs représentants la
nécessité de la contribution publique, de la consentir librement et d’en suivre
l’emploi“. In diesem Satz, der das ganze Wesen des Budgetrechts enthält, ist
von Gesetz keine Rede. Ein Budgetgesetz wird erst in der Verfassung vom
22. frim. VIII Art. 45 erwähnt. Nach dieser Verfassung sollen eben alle Akte des
„Bestandteil eines Finanzgesetzes“ vorgelegt zu werden; Seydel, Bayr. St.R. IV
S. 389. — In Sachsen, wo das Gleiche der Fall ist, veröffentlicht man ein so-
genanntes Finanzgesetz, welches die Gesamtsumme der festgestellten Einnahmen
und Ausgaben und dazu die Steuerbewilligung enthält; Loebe, Staatshaushalt des
Kgr. Sachsen S. 45 ff.
voraussetzen (Preuſs. Verf., Reichs-Verf.); da hat es auch seinen besonderen Zweck,
wovon sogleich. — Wo beides vorgeschrieben ist, periodische Steuerbewilligung
und Staatshaushaltsgesetz, wird manchmal das letztere nur im Auszug und als
Notiz veröffentlicht; offenbar weil schon das erstere für den Erfolg genügt. So in
Schwarzburg-Rudolstadt.
Laband, St.R. II S. 1006; ebenso die Indemnitätserteilung nach Seydel, Bayr.
St.R. IV S. 437.
Gesetz führen. — Die Verfassung von Reuſs ä.L. kennt nur periodische Steuerbewilli-
gung, aber kein Haushaltsgesetz. Es wird alljährlich ein Gesetz veröffentlicht als
„Patent, die im Jahre … zu entrichtenden Landesabgaben betr.“ Darin sind nur
die bewilligten Steuersätze angegeben. Gleichzeitig erscheint dann auch der Text
„des in Einnahme und Ausgabe festgestellten Haushaltsplans“; aber dieser als
bloſse „Bekanntmachung“. Die Regierung ist aber zweifellos an diesen Plan ge-
radeso gebunden, wie anderwärts an das Staatshaushaltsgesetz.
mag man wohl davon absehen, alle Einzelheiten zu veröffentlichen; zwischen Re-
gierung und Volksvertretung, die es gemacht haben, wirken sie doch; Laband,
St.R. II S. 1000. — Haenel, Ges. im form. u. mat. Sinn S. 292, verwahrt sich
sehr kräftig dagegen, daſs man das Budgetrecht von Sachsen und Bayern einer-
seits, Preuſsen und Reich andrerseits „über einen Leisten schlage“. Es sollen
das „grundsätzlich verschiedene Typen“ sein. Der Unterschied berührt aber den
Kern nicht und ist auch äuſserlich nicht so groſs; nicht einmal in dem Punkt, der
Haenel so wichtig ist, in der thatsächlichen Verwendung der Gesetzesform (oben
Note 10).
für ein bloſses „von den höchsten Organen der Reichsgewalt festgestelltes Pro-
gramm der Reichsverwaltung“ erklärt. Gegen dieses ziemlich zahnlose Budgetrecht
mit Recht Haenel, Ges. im form. u. mat. Sinn S. 310 ff.
stande kommt, also die Entlastung im voraus nicht erteilt ist, so ist die Folge
„nicht, daſs die Regierung die Verwaltungsthätigkeit einstellen müsse, sondern daſs
sie dieselbe auf eigene Verantwortlichkeit fortführt“ (S. 1013); wenn sie dabei ver-
gekommene Budget „die rechtliche Bedingung der Finanzverwaltung“; diesen Aus-
druck könnten wir, wenigstens was die Auslagen anlangt, annehmen. Jellinek
aber versteht das in dem Sinne, daſs die rechtliche Gültigkeit der Akte der Finanz-
verwaltung, also die Wirkung nach auſsen von der Erfüllung dieser Bedingung ab-
hängig wäre. Mit Recht halten ihm Zorn in Annalen 1889 S. 392 und Laband,
St.R. II S. 1041, vor, daſs das auf das gleiche hinauslaufe wie die von ihm be-
kämpfte Annahme einer notwendigen Vollmacht zur Führung der Finanzverwaltung.
So meinen wir es aber auch nicht. Die Ausgabebewilligung ist allerdings eine
„Bedingung“ der Rechtmäſsigkeit der Ausgabe, aber nur der Rechtmäſsigkeit gegen-
über der Volksvertretung und in Bezug auf die Verantwortlichkeit vor dieser; die
Rechtmäſsigkeit der Handlung im Verhältnis nach auſsen, ihre Gültigkeit und
Wirksamkeit gegenüber dem Unterthanen, kommt dabei gar nicht in Betracht.
ein förmlicher Leitfaden für budgetlose Verwaltung gegeben. In gleichem Sinne
stellt es Bornhak, Preuſs. St.R. III 8. 601, als die einzige Folge des Mangels
eines Budgetgesetzes hin, daſs „die Behörden selbständig zu erwägen und zu ent-
scheiden haben, welche Ausgaben sie im Staatsinteresse zu machen haben und
welche nicht“. Das hält er für sehr unangenehm.
„die kraft der Finanzgewalt behufs Erzielung öffentlicher Einnahmen angeordneten
Zahlungen“. Das Merkmal des allgemeinen Maſsstabes fehlt und die Finanzgewalt soll
bei Neumann nicht das Öffentlichrechtliche an der Steuer bedeuten, sondern nur das
öffentliche Interesse, dem sie dient. Er ist der Ansicht, daſs das öffentliche Recht
schwieriger abzugrenzen sei, als das öffentliche Interesse. — Meist sucht man den
Begriff der Steuer einfach an den der Abgaben anzuknüpfen: Schoenberg,
Handbuch II S. 13, S. 111; v. Mayr in Wörterbuch I S. 3; Seydel, Bayr. St.R.
IV S. 66; G. Meyer, V.R. II S. 197. Aber was ist eine Abgabe? Bayr. Obst.L.G.
Kontribution d. h. Steuer. — Über den allgemeinen Maſsstab als wesentlichen
Bestandteil des Steuerbegriffs Wagner, Finanzw. 3. Aufl. S. 499; ebenso O.V.G.
2. Febr. 1884.
lichen Staatseinnahmen. Da ist also noch nicht viel mit gewonnen.
Steuerbewilligung Seydel, Bayr. St.R. IV S. 392.
Beispiel im Reichs-Ges. betr. den Zolltarif v. 15. Juli 1879 § 6: die Anordnung
von Zollzuschlägen als Retorsionsmaſsregel geschieht durch Kaiserliche Verordnung,
die bezeichnenderweise nach dem Muster der Notverordnung alsbald dem Reichs-
tag vorzulegen ist und von selbst dahin fällt, wenn dieser seine Zustimmung nicht
erteilt. Ebenso wird verfahren bei Bestimmung der Abgaben von Tabaksurrogaten
nach TabaksteuerGes. v. 16. Juli 1879 § 27.
wird, bietet die kleine Schrift von Hecht, Die Geschäftssteuer auf Grund des
Schluſsnotenzwangs. Im Reichstage war beantragt worden, daſs der Bundesrat
ermächtigt sein solle, für gewisse Arten von Geschäften die Bedingungen zu be-
stimmen, unter welchen sie steuerpflichtig sind. „Das heiſst“, sagt der Verfasser,
„nichts anderes, als daſs der Reichstag die ihm verfassungsmäſsig zustehenden
Rechte und die ihm verfassungsmäſsig obliegenden Pflichten dem Bundesrat dele-
giert. Eine solche Delegation ist unbegreiflich und unzulässig“. Und wie wird
doch in Wirklichkeit auf dem Gebiete des Polizeibefehls delegiert! Bei der
Steuerauflage spielen eben besondere Anschauungen herein, deren man sich be-
wuſst werden muſs. Bedeutsam ist auch, daſs man hier von einer Delegation durch
die Volksvertretung spricht, statt durch das Gesetz, wie man bei der Polizeiver-
ordnung sagen würde.
und 8. Febr. 1867. Die Verteilung der Gesamtsumme auf die Provinzen geschah
durch königl. Verord. „nach den Ergebnissen der stattgehabten Ermittlung des
Reinertrags der Liegenschaften“ (Ges. 1861 § 7) und unterlag auf allen Stufen einer
Berichtigung, soweit „materielle Irrtümer nachgewiesen werden“ (Ges. 1867 § 1 c).
Abänderungen infolge von Reklamationen wegen Überbürdung wirkten nur inner-
halb der Kontingente; das bedeutet, daſs die Kontingentsfeststellung die Wirkung
einer Gesamthaftung für die darin Verbundenen hat. — Nach württemb. Grund-
steuer-Ges. v. 24. April 1873 wird die nach dem zu ermittelnden Reinertrag auf-
erlegte Grundsteuer auf die Amtskorporationen und weiter auf die Gemeinden aus-
geschrieben. Die Ausschreibung bewirkt Haftung des entsprechenden Selbst-
verwaltungskörpers für die Ausfälle (v. Sarwey, Württemb. St.R. II S. 504).
steuer hervor, „die Berücksichtigung der lokalen Verhältnisse zu erleichtern“. Das
ist natürlich bloſs möglich dadurch, daſs die Kontingentsbildung nach einem andern
Maſsstab geschieht, als nach dem gesetzlichen Maſsstabe der Einzelsteuerpflicht.
— Beispiel: Preuſs. Gewerbesteuerges. v. 19. Juli 1861 für die Gruppen des Handels,
der Gast- und Schankwirtschaften und des Handwerks. Diese bilden örtliche
Steuergesellschaften. Alle zugehörigen Gewerbtreibenden des Verwaltungsbezirks
werden zu einem Mittelsatze veranschlagt, aus der Zusammenzählung ergiebt
sich das Kontingent, welches dann auf die Einzelnen durch Abgeordnete der Ge-
sellschaft nach Maſsgabe des wirklichen Umfanges ihres Gewerbebetriebes
verteilt wird. — Das hervorragendste Beispiel bildet die noch ganz französisch-
rechtliche Grundsteuer in Elsaſs-Lothringen. Die Verteilung der Gesamtsumme
auf die Bezirke geschieht nach einer Schätzung ihrer Tragkraft, ihrer forces con-
tributives, nicht nach Zusammenrechnung der Einzelsteuerpflichten. Man hat ab-
sichtlich den Grundsteuerkataster nur für jedes Departement nach einheitlichen
Grundsätzen aufgestellt, nicht für das ganze Land, damit er nicht gegen den
Willen des Gesetzes zum Maſsstab werden könne für die Verteilung zwischen den
Departements; Dufour, droit. adm. III n. 698. Die rechtliche Unabhängigkeit
der Kontingentsfeststellung von dem Maſsstabe der Einzelsteuerpflicht, das macht
die Natur der echten Repartitionssteuer aus und den Gegensatz der els.lothr.
Grundsteuer zu der preuſsischen. Diesem Unterschied wird v. Philippovich
nicht gerecht, wenn er in Wörterbuch II S. 615 beide ohne weiteres als Repartitions-
steuern gleichstellt. Wagner aber, der das Wesen der echten Repartitionssteuern
wohl erkannt hat, sucht die preuſs. Grundsteuer auf einem eigentümlichen Wege
dafür zu retten und der elsaſslothringischen gleichzustellen. Er meint a. a. O. II
S. 598 Anm. 10: Die preuſs. Grundsteuerkataster-Operation sei ursprünglich „doch
mehr kursorisch als wirklich genau“ gemacht worden; die Kontingente beruhen
also auf ungenauer, die Einzelsteuerpflichten auf genauer Katasteraufstellung, folg-
lich allerdings auf verschiedenem Maſsstabe. Der Wille des Gesetzes war dies
nicht; wenn wir nur die echte Repartitionssteuer als solche bezeichnen, so wäre
danach die preuſs. Grundsteuer, gesetzlich als Quotitätssteuer beabsichtigt, that-
sächlich zu einer Repartitionssteuer verunglückt; das ist ganz finanzwissenschaftlich
nicht gleichgültig, ob wir uns hier für diese Bezeichnung entscheiden. Die Lehre
vom Rechtssatze und vom Gesetze wird hier sehr auf die Probe gestellt. Die
Franzosen behandeln die Kontingentsverteilung durch die Vertreter der unteren
Stufen als Ausfluſs der gesetzgebenden Gewalt; Dufour, Droit. adm. III n. 700:
„Ces assemblées accomplissent cette mission comme deléguées du pouvoir législatif
auquel est reservé la fixation de l’impôt“. Mit der gesetzgebenden Gewalt ist aber
hier die Volksvertretung allein und ihre Steuerbewilligungsmacht gemeint. Die
geschichtliche Herkunft dieser unteren Vertretungen macht das noch klarer. —
Auch das Gesetz, in welches bei der beweglichen Steuer (oben I) die jährliche
Steuerbewilligung gefaſst wird, ist unseres Erachtens kein Rechtssatz, so wenig
wie diese Verteilungen.
S. 212 nennt die preuſs. Grundsteuer im Gegensatz zur reinen Repartitionssteuer
nicht unrichtig eine „kontingentierte Quotitätssteuer“.
Sache. Neumann, Die Steuer S. 449 ff., erörtert diese terminologische Frage
sehr ausführlich und nach richtigen Gesichtspunkten. — Wenn das Gesetz von
direkten oder indirekten Steuern spricht, so ist es Frage der Auslegung, was es
meint; das kann zu Ergebnissen führen, welche von der staatswissenschaftlichen,
wie von der juristischen Auffassung des Begriffs gleichmäſsig entfernt sind. Da-
rüber Bornhak, Preuſs. St.R. III S. 515; Seydel, Bayr. St.R. IV S. 67.
direkten Steuern erkennt, daſs bei ihnen „die Veranlagung in durchgreifender,
zeitlicher, wie sachlicher Trennung von der Erhebung sich vollzieht“, so dürfen
wir darin nicht ohne weiteres eine Übereinstimmung finden. Denn diese Veran-
lagung ist für die finanzwissenschaftliche Anschauung immer nur die Folge der
Besonderheit des Gegenstandes der Steuer, und wesentlich steuertechnische Maſs-
regel, nicht Rechtsform.
Die Steuer wird vom Rentamte auf Grund der eingelaufenen Anmeldungen und der
angestellten Ermittlungen gegen die Schuldner festgesetzt; welche ihrerseits befugt
sind, die Entscheidung im Verwaltungsrechtswege anzufechten. Seydel, Bayr.
St.R. IV S. 93, reiht sie deshalb mit Recht in die direkten Steuern ein. — In
gleicher Weise müſsten sich alle direkten Steuern gestalten, welche an zufällige
vorübergehende Gegenstände anknüpfen. Man wird in solchen Fällen erklärlicher-
weise lieber die Form der beweglicheren indirekten Steuer wählen. Das darf auch
so ausgedrückt werden, daſs man sagt: derartige Steuern seien um der Beschaffen-
heit ihres Gegenstandes willen besonders geeignet für die Form der indirekten
Steuer. Das ist aber etwas ganz anderes als zu sagen: sie seien um jener Be-
schaffenheit ihres Gegenstandes willen indirekte Steuern. Letzteres ist die Auf-
fassung von Neumann, Die Steuer S. 446, die wir denn für das staatswissen-
schaftliche Gebiet wieder gelten lassen wollen; für das juristische können wir sie
nicht brauchen.
Neumann, Die Steuer S. 427. Das darf nicht so verstanden werden, als ge-
hörte ein Kataster begriffswesentlich dazu. Es ist bloſs das Gewöhnliche.
alle Folgerungen daraus, vor allem auch für die Zuständigkeitsgrenze der Civil-
gerichte. Diese ist nach französischem Rechte dadurch bestimmt, daſs die Gerichte
über actes administratifs, Verwaltungsakte, nicht erkennen dürfen. Daraus wird
nun gefolgert, daſs auch Reklamationen gegen die kundgegebene Steuerrolle, wie
sie von der Verwaltung der direkten Steuern aufgestellt wird, nur im Verwaltungs-
wege entschieden werden können. In Theorie des französischen V.R. S. 392 habe
ich auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Meisel in Finanzarchiv V, 1 S. 26
findet das „nicht hinreichend klar“. Denn bei den indirekten Steuern, meint er,
liege doch „auch eine Thätigkeit der Finanzbehörden als Verwaltungsangelegen-
heit“ vor. Wem freilich Verwaltungsakte, actes administratifs, gleichbedeutend
sind mit jeder Art von Thätigwerden der Behörden, dem wird noch manches nicht
hinreichend klar vorkommen.
vor. Die Grundsteuer wird ein für allemal nach dem bei der ersten Aufstellung
gefundenen Reinertrag erhoben ohne Rücksicht auf inzwischen daran eingetretene
Erhöhung oder Verminderung. Andererseits soll nach der ursprünglichen Absicht
auch der gesetzliche Steuersatz ein für allemal der gleiche bleiben. Darin besteht
die eigentliche Bedeutung der „Kontingentierung“ der preuſsischen Grundsteuer.
Nach G. Meyer, V.R. II S. 228, hatte damit die preuſsische Grundsteuer „den
Charakter einer Grundrente oder Reallast“ angenommen. Das darf aber nur als
Bild und Gleichnis verstanden werden. — Diese Unbeweglichkeit der preuſs. Grund-
steuer ist allerdings durch die neueste Gesetzgebung sehr beeinträchtigt worden
(Ges. 14. Juli 1893 wegen Aufhebung direkter Staatssteuern).
des konkreten Falles unter die allgemeine Rechtsnorm des Steuergesetzes, die Ein-
schätzung, „ihrem ganzen Charakter nach sich als eine der Rechtsprechung ähn-
liche Behördenthätigkeit darstellt“. Aber einen Vorbehalt müssen wir machen:
Rechtsprechung ist nicht die Subsumtion; das ist eine geistige Thätigkeit, die jeder
vornehmen mag und die keine rechtliche Bedeutung hat. Rechtsprechung ist der
obrigkeitliche Ausspruch, daſs gemäſs der von der Behörde vollzogenen Subsumtion
dieses Rechtens sei. Nach dieser Richtigstellung ist es aber auch sofort wieder
klar, daſs ein solcher Akt nicht, wie Bornhak meint, schlechthin zu jeder Art
von Steuer gehöre: Subsumtion, ja, findet immer dabei statt — wenn nicht von der
Behörde, so von einem untergeordneten Bediensteten oder auch von dem Pflichtigen
selbst (unten n. 2); aber ein der Erhebung vorausgehender Rechtsprechungsakt ist
etwas Besonderes, das wir uns nicht in seiner Eigentümlichkeit verwischen lassen.
Es ist keine Rechtsprechung, wenn der Zollbeamte dem unbekannten Reisenden
im Revisionslokale die schuldigen Pfennige für mitgeführte Cigarren abnimmt oder
der Aufseher am Thor von dem eingebrachten Hasen den städtischen Aufschlag
erhebt; und nun gar die Rechtsprechung bei Entrichtung der Wechselstempel-
steuer! Wo kämen wir da hin! — G. Meyer, V.R. II S. 202 u. 203, unter-
scheidet Feststellung der Steuer und Mitteilung an den Steuerpflichtigen. Die
letztere hat den Charakter eines Verwaltungsbefehles, d. h. eines „obrigkeitlichen
Verwaltungsaktes“ (V.R. I S. 32). Das würde also unser Verwaltungsakt sein.
Nach G. Meyer, V.R. II S. 197 u. 198, gehört aber ein solcher Akt zu den „All-
gemeinen Grundsätzen“ für alle Arten von Steuern, auch für Zölle, Wechselstempel-
Börsensteuern u. s. w. Da wird er denn bei diesen indirekten Steuern die näm-
lichen Schwierigkeiten haben, wie Bornhak mit seiner gemeingültigen Recht-
sprechung.
vgl. die treffenden Bemerkungen von Neumann, Die Steuer S. 461.
dem äuſserlichen Bild seiner Erhebung in unmittelbaren Einklang zu bringen,
macht Laband, St.R. II S. 940 ff. „Die Verpflichtung zur Entrichtung des Zolles
ist ihrem juristischen Wesen nach keine Obligation, auch keine obligatio ex lege
… die Zollpflicht lastet daher nicht nach Art einer Obligation auf einem be-
stimmten Schuldner, sondern nach Art eines dinglichen Rechts auf einer be-
stimmten Ware“. Sie besteht in einem Verkehrsverbote und „durch Bezahlung
des Zolles wird diese rechtliche Verstrickung, dieses Verkehrsverbot, abgelöst“.
Zu dieser Ablösung wird sich natürlich derjenige verstehen müssen, welcher die
Ware im Inland in Verkehr bringen will. Dabei kommt dann allerdings eine
persönliche Schuld zu stande. „Mit der Feststellung des Betrages, welcher für die
Lösung der zollpflichtigen Ware aus dem Verkehrsverbote zu entrichten ist, wird
die „Zollschuld“ perfekt. Die Zahlung derselben kann jedoch in gewissen Fällen
hinausgeschoben, den Verpflichteten kreditiert werden“ (S. 944). Bulling in Arch.
f. St.R. 41 S. 120 scheint sich im wesentlichen dieser Auffassung anzuschlieſsen,
wenn er sie auch weniger klar zum Ausdruck bringt. Die Sache würde sich also
gerade umkehren: während das Gesetz ausgeht von einer persönlichen Verpflichtung
zur Zahlung des Zolls (Zoll-Ges. § 8), welcher dann die Haftung der Ware dient
(Zoll-Ges. § 14), soll der Zoll jetzt eine Last der Ware sein, zu deren Ablösung
erst man eine persönliche Pflicht übernehmen kann. — Wie die letztere nun eigent-
lich entsteht, wäre aber doch noch deutlicher zu erklären. Eine obligatio ex lege
ist es also nicht. Die Feststellung des Betrags, welche dem Ablösenden mitgeteilt
und mit welcher dessen Schuld perfekt wird, ist doch wohl nicht als Urteil oder
Verwaltungsakt gedacht, wodurch etwa der sich Meldende auf Grund seiner frei-
willigen Unterwerfung mit der Zahlungspflicht belastet würde? Wir sollen also am
Ende einen Vertrag als Verpflichtungsgrund annehmen? Weshalb aber dann die
Zollentrichtungspflicht des Defraudanten und desjenigen, der etwa unwissentlich
eine zollpflichtige Sache durch die Zolllinie gebracht hat (den Bulling, a. a. O.
S. 133, mit Unrecht von der Zollzahlungspflicht einfach befreien will)? und die
Nachzahlungspflicht für zu wenig erhobenen Zoll, die möglicherweise einen anderen
trifft, als den, der die Auslösungszahlung gemacht hat? — Nun steht aber auch
der Zoll nicht allein. Die äuſserlichen Vorgänge sind ähnlich bei den städtischen
Aufschlägen, bei Zucker-, Branntwein-, Tabaksteuer, beim bayrischen Malzaufschlag.
Überall lieſse sich eine solche Umstülpung des vom Gesetzgeber gewollten Ver-
hältnisses vornehmen. Und überall wäre es die gleiche Unwahrheit. Denn das
Gesetz ist weit entfernt, alle diese Bewegungen zu verbieten; im Gegenteil, es
wünscht sie im finanziellen Interesse und man handelt als guter Staatsbürger, wenn
man möglichst viel dazu thut. Nur will das Gesetz, daſs man dabei zahle, und
diese Zahlungspflicht muſs der natürliche Ausgangspunkt bleiben. — Daſs man aber
der Kauf des Stempels die Steuererhebung und Zahlung“. Wenn wir es einmal
andere die eigentümliche Natur der indirekten Steuer, welche die Person, auf
welche sie gelegt ist, derart in Hintergrund treten läſst.
Seitenstücke im Civilrecht. Die Ablieferung eines Theater-Dutzend-Billets behufs
der Vernichtung des wertlosen Zettels hat keine andere Natur. Im öffentlichen
Recht findet er fast in derselben Gestalt wie bei den Stempelsteuern auch auſser-
halb der Steuer Verwendung, z. B. bei der Invaliditäts- und Altersversicherung.
Auch die Briefmarke hat Verwandtschaft. — Die Stempelsteuer hat ihr Haupt-
gebiet thatsächlich an solchen Steuern, welche an Schriftstücke oder Drucksachen
anknüpfen; in Deutschland finden wir sie nur bei solchen. Es wäre aber ein Irr-
tum, anzunehmen, daſs eine Urkunde oder Drucksache als Steuergegenstand wesent-
lich sei für diese Erhebungsart; G. Meyer, V.R. II S. 187; Schaal in Schoen-
berg, Handbuch II S. 89. Ein Beispiel bietet die russische Tabaksteuer nach dem
Banderolesystem. Der Staat verkauft gestempelte Papierstreifen, mit welchen
die Ware umwickelt werden muſs, wenn sie feilgehalten wird. In der Zerreiſsung
des Streifens durch den Verkäufer liegt die Steuerentrichtung.
wird vieles sehr vereinfacht sein.
andere Steuerarten ahmen nur nach mit entsprechenden Veränderungen. Die Recht-
losigkeit wird weniger empfindlich dadurch, daſs ausführliche Verwaltungsvor-
schriften, Regulative, Ordnung und Gleichmaſs in das Verfahren bringen. Der Ge-
danke des Rechtsstaats ist jedoch so mächtig, daſs dieser Zustand einen lebhaften
Eindruck der Ungehörigkeit hervorruft. Dieser Eindruck wird nicht zutreffend
wiedergegeben in der Klage, daſs die betreffenden Regulative des Bundesrates nicht
im Reichsgesetzblatte veröffentlicht seien, wie es gesetzvertretenden Bundesrats-
verordnungen geziemt (Laband, St.R. II S. 928; Haenel, Studien II S. 91).
Das Schlimme ist, daſs sie gar nicht einmal Verordnungen im richtigen Sinne,
Rechtssätze sein wollen, also jener Veröffentlichungsart auch nicht bedürfen.
der Entstehung der Zollpflicht, indem es die Vorgänge nennt, nach welchen sich
bei einem zeitlichen Wechsel der Tarife der anzuwendende bestimmt. Die Aufnahme
der Ware in eine der in Note 3 erwähnten Niederlagen ist darunter nicht an-
geführt. Hier entsteht also die Zollpflicht erst mit dem Austritt aus der Nieder-
lage in freien Verkehr nach Maſsgabe des in diesem Zeitpunkte geltenden Tarifs;
Privatlager-Regulativ § 16 (Centr.Bl. 1888 S. 239).
ruht auf dem gleichen Rechtsgrund wie diese. Man sollte es nicht für möglich
halten, daſs auch diese Pflicht wieder für eine civilrechtliche erklärt werden könnte.
Das geschieht aber z. B. bei Loebe, Zollstrafrecht S. 93. Soll hier vielleicht gar
ein civilrechtlicher Vertrag vorliegen?
stehenden Teilungslager hierher; Privatlager-Regulativ vom 8. Juni 1888 § 4.
(Centr.Bl. 1888 S. 235; Loebe, Zollstrafrecht S. 99 ff.).
unterscheiden sich stufenweise: öffentliche Niederlagen, Transit- und Teilungslager
mit amtlichem Mitverschluſs und solche ohne amtlichen Mitverschluſs; Privatlager-
Regulativ v. 8. Juni 1888 § 4, § 19 (Centr.Bl. 1888 S. 239); Zollges. § 103. Wegen
Gewichtsdifferenzen bei Begleitschein I: Zollges. § 103. — Vgl. auch Tabaksteuer-
ges. § 9.
„gewissermaſsen als Enklaven des Auslandes“ bezeichnen (v. Mayr in Wörterbuch
II S. 948). Bei dem plombierten Güterwagen, der auf der Eisenbahn rollt, ver-
sagt das Bild, obwohl er die gleiche Bedeutung hat. Es darf aber auch nicht
übersehen werden, daſs die Lagerung im Ausland und auch im fiktiven Ausland
des Freilagers rechtlich nur verneinende Bedeutung hat, die verschobene Steuer-
pflicht dagegen allerdings sofort schon Zurückbehaltungsrechte an der Sache und
vorbereitende Verpflichtungen hervorbringt. Soll der Begriff „Ausland“ Zollfreiheit
sagen, so sind die Niederlagen nur „abgeschwächtes Ausland“.
§ 11; Tabaksteuerges. v. 16. Juli 1879 § 6, § 21.
bindenden Regeln; für die Zurücknahme führt es bloſs Beispiele auf, wann dieselbe
„insbesondere“ erfolgen kann (§ 11 n. 2).
Besteuerung des Tabaks betr. v. 16. Juli 1879 § 19.
durch Preuſs. Kab.Ordre v. 31. Dez. 1825. Die Stundung darf aber den Termin des
Jahresrechnungsabschlusses nicht überschreiten.
fähigkeit auch bei auswärtigen Behörden rasch nachweisen zu können, die von
der Behörde des Wohnsitzes auszustellenden Tabaksteuer-Kredit-Certifikate.
Begleitschein II ist schon in § 9 in einer wichtigen Beziehung hervorgehoben:
maſsgebend der Tarif, welcher gilt bei Abfertigung zur Anschreibung auf das Lager
— im Gegensatz zur Abfertigung auf zollfreie Niederlage, wo der Augenblick der
Auslagerung entscheidet. Das Privatlager-Regulativ § 4 drückt diese sofortige
Entstehung der Zollpflicht damit aus, daſs es sagt: der Lagerinhaber haftet bei
Kreditlagern unbedingt für den Zoll nach Maſsgabe des bei der Einlagerung fest-
gestellten Gewichts, während bei anderen Lagern, den die schwebende Steuer-
pflicht bedingenden, Einschränkungen an dieser Haftung anerkannt werden (oben
Note 6). — In der sonst vortrefflichen Darstellung v. Mayrs in Wörterbuch II
S. 948 tritt der rechtliche Gegensatz der beiden Arten von Niederlagen nicht deut-
lich genug hervor. Ganz irreführend ist es, wenn für beide zusammenfassend die
Bezeichnung gebraucht wird: „gewissermaſsen ad hoc extraterritoriale Räume“.
Die Privatkreditlager haben so wenig Extraterritoriales an sich wie etwa ein Pfand-
haus. — Der gleiche Mangel an Unterscheidung findet sich auch bei G. Meyer,
V.R. II S. 335, 336. Die Privatkreditlager werden da ohne weiteres neben den
anderen Einrichtungen aufgezählt, welche „die Entscheidung darüber, ob ein Zoll
zu entrichten sei, einem späteren Zeitpunkt vorbehalten“.
der Zollpflicht bei Begleitschein I der neue, bei Begleitschein II der alte Tarif.
Man könnte sie, statt der unschönen Numerierung, auch Begleitschein vorberech-
neter und Begleitschein nachberechneter Zollpflicht nennen.
zahlende Zoll nach dem Tarif zur Zeit der Fälligkeit berechnet wird. Das scheint
der Natur der Stundung zu widersprechen. Allein in der That ist diese Be-
rechnungsweise angesichts des ganzen Verfahrens, bei welchem nicht festgestellt
werden kann, ob das Vorhandene unter dem alten oder unter dem neuen Tarife
eingebracht worden ist, der einzig mögliche Ausweg. Es wird damit glatt durch-
geschnitten. Diese Eigentümlichkeit scheint aber v. Mayr bestimmt zu haben,
daſs er dem eisernen Zollkredit die Natur einer „eigentlichen Kreditierung bereits
geschuldeten Zolles“ abspricht (Wörterbuch II S. 967). Ganz klar wird die Sache
durch die Bestimmung des Weinlager-Regulativs § 11: „In diesen Bestand (welcher
als Gegengewicht des Kredits verbleiben muſs) wird bloſs der in freiem Verkehr
befindliche fremde Wein des Kreditnehmers eingerechnet“. In freiem Verkehr be-
findlicher Wein ist immer nur solcher, für den die Zollpflicht bereits entstanden
und berichtigt oder gestundet ist.
im Gegensatze zu der an gewissen Einrichtungen hängenden als „Geldkredit“
(z. B. Weinlager-Regulativ § 14, 15); die schuldige Summe ist hier unmittelbar
Gegenstand der amtlichen Behandlung; in den andern Fällen die Ware mit der
daran hängenden Summe. Da der Zoll immer Geld ist, so ist der Kredit schlieſs-
lich in beiden Fällen Geldkredit.
So Bayr. Erbschaftssteuerges. v. 18. Aug. 1879 Art. 16 u. 17.
Fall „Nachzahlung der vollen Abgabe“ und stellt sich damit auf den Standpunkt
der Einfuhrzeit.
Der Zollanspruch wird beim Eingang zur Veredelung „vorgemerkt“. Mit Erfüllung
der aufschiebenden Bedingung wird diese Vormerkung von selbst zum Schuldposten
des Zollpflichtigen. Die Zollpflicht mit auflösender Bedingung und Stundung da-
gegen wird in den Büchern sofort als Schuldposten erscheinen mit Vorbehalt der
Tilgung. — Wenn also z. B. eine Ware auf das Kontenlager geht, so wird der
Inhaber desselben mit dem Zollbetrage belastet, geht sie aus dem Lager wieder
ohne Verzollung zur Veredelung, so wird der Zollbetrag auf dem Konto ab-
geschrieben und der Empfänger mit einer Vormerkung der Zollpflicht belastet: der
Zoll ist aus der auflösenden Bedingung in die aufschiebende Bedingung über-
gegangen (Kontenregulativ v. 8. Juni/15. Dez. 1877 § 21; Centr.Bl. 1887 S. 591).
— Eine andere Reihe von Buchungen ergiebt sich beim Übergang von schwebender
Zollpflicht in bedingte: bei der Aufnahme in die öffentliche Niederlage wird die
Ware — nicht der geschuldete Zoll, denn eine Zollpflicht ist nicht da — in das
Niederlageregister eingetragen, wegen der Haftung des Niederlegers für die Ge-
stellung. Bei Herausnahme zum Veredelungsverkehr wird dieser Eintrag gelöscht,
an Stelle der Haftung tritt eine aufschiebend bedingte Zollpflicht, welche vor-
gemerkt wird. Mit Erfüllung der Bedingung durch Ablauf der Frist wird alsdann
diese Zollpflicht wirksam vom Tage der bedingten Entstehung und als fälliger
Schuldposten eingetragen.
Niederlage nur „eine Hinausschiebung des Fälligkeitstermins“ eintreten lassen.
Was wirklich geschieht, ist etwas viel einschneidenderes, eine Umgestaltung der
Steuerpflicht. Das Gesetz sagt ausdrücklich: die Verpflichtung zur Entrichtung der
bei der Verwiegung festgestellten Steuer erlischt.
holung erst durch besondere Gestattung des Gesetzes zulässig werde: „Ist die
Steuer nicht zu jener Zeit verlangt worden, so ist nach dem Gesetze vom 18. Juni
1840 unter gewissen Voraussetzungen ihre nachträgliche Einforderung zulässig“.
Wenn natürlich das Gesetz sagt: die Nachforderung ist unter den und jenen Vor-
aussetzungen zulässig, so schlieſst es die Nachforderung für die übrigen Fälle aus,
auch wenn es das nicht wie das Gesetz von 1840 thut, für den Hauptfall noch
ausdrücklich hervorhebt. Für die juristische Würdigung und für die Auslegung
des Gesetzes ist dieser Ausschluſs der Nachforderung das Erste und Wesentlichste,
was es neues bringt.
1840 über die Reklamationen und Verjährungsfristen bei öffentlichen Abgaben § 6:
Die Nachforderung der direkten Steuern findet nur „im Fall gänzlicher Übergehung“
statt; auſserdem nach § 10 im Falle einer „Kontravention gegen die Steuergesetze“.
Von letzterer ist zwar nur gesagt: „so verjährt die Nachforderung nur gleichzeitig
mit der gesetzlichen Strafe“, aber als eine solche Verjährung faſst eben das Gesetz
auch den Ausschluſs der Nachforderung durch unvollständige Veranlagung. Das
wird auch sonst nicht ordentlich geschieden, z. B. bei v. Roenne, Preuſs. St.R.
IV S. 863. — Den richtigen Gedanken giebt Seydel, Bayr. St.R. IV S. 201, wenn
er die Unzulässigkeit der Nachforderung zurückführt auf die „Rechtskraft der
Steuerfestsetzung“. Von Rechtskraft im strengen Sinne des Civilprozesses und der
Verwaltungsrechtspflege (oben S. 175) ist hier selbstverständlich nicht die Rede; es
ist die bloſse Unabänderlichkeit des Verwaltungsaktes gemeint. — Man darf nicht
sofort die Folgerung ziehen, daſs die gleiche Gebundenheit der Steuerpflicht
und Verwirkung des Überschusses auch bei indirekten Steuern eintreten muſs, so-
bald da zufällig ein Verwaltungsakt dazwischen kommt, der die Steuer festsetzt.
Das kann geschehen im Strafbescheid der Zollbehörde, der gleichzeitig die Nach-
zahlung des hinterzogenen Zolles anordnete (Zollges. § 135, Löbe, Zollstrafrecht
S. 63); auch die Stundungsbewilligung mag eine solche Festsetzung enthalten (oben
§ 27 S. 401). Es käme darauf an, ob die Festsetzung dieses Verwaltungsaktes
die nämliche Unabänderlichkeit hat wie die Veranlagung; das wird beim Straf-
bescheid zutreffen, aber nicht beim Stundungsakt.
Bad. Ges. 21. Juli 1839 Art. 1.
die civilrechtlichen Grundsätze hierher nimmt. Ähnlich will Hock, Handbuch der
Finanzverwaltung I S. 329, eine ruhende Verjährung bei Unkenntnis der Erhebungs-
beamten vom Vorhandensein der Steuerforderung gelten lassen nach dem Grund-
satze: agere non valenti non currit praescriptio. Das gehört alles nicht hierher.
die gesetzliche Steuerverjährung auch auf den Fall auszudehnen, wo die Veranlagung
unterblieben ist. Ein Beispiel bietet das bayrische Erbschaftssteuergesetz, in
welchem wohl eine Rückstandsverjährung, aber keine Veranlagungsverjährung vor-
gesehen wird. Man hat da gleichwohl die Verjährung auch laufen lassen wollen
von der Entstehung der Steuerpflicht ab, in dem Falle, wo eine Veranlagung, d. h.
(eine behördliche Festsetzung der Steuerpflicht ganz unterblieben ist, und hat zu
diesem Zweck das Vorbild des Civilrechts in der Behandlung kündbarer Forderungen
herangezogen. Kündigung und Veranlagung lassen sich aber durchaus nicht ver-
gleichen. — Richtig entscheidet deshalb Seydel, Bayr. St.R. IV S. 200: „ist die recht-
zeitige Einsteuerung (für die Erbschaftssteuer) aus irgend einem Grunde unterblieben, so
kann dieselbe jeder Zeit nachgeholt werden“. Er fährt dann fort: „Ist die Steuer
zu gering bemessen worden, so wird Nachforderung innerhalb der Verjährungsfrist
(der Rückstandsverjährung) statthaft sein, jedoch nur soweit, als die Steuerverkürzung
eine Folge der Arglist des Pflichtigen ist“. Die Beschränkung auf den Fall der
Arglist ergiebt sich aus der den Überschuſs tilgenden Kraft des Veranlagungsaktes.
Aber warum soll für die durch Arglist zulässig gemachte Nachholung die Rück-
standsverjährung gelten? Das Fehlende ist doch durch den mangelhaften Beschluſs
keine fällige Steuerforderung geworden.
wie indirekte, eine Verjährungsfrist von 4 Jahren, für den Fall sie „zur Hebung
gestellt“ sind. Die nicht zur Hebung gestellte verjährt in einem Jahr. Letztere
Frist kommt nur für die indirekte Steuer in Betracht, da für die direkten die
Nachholung der Veranlagung besonders geregelt ist. Das Zur-Hebung-Stellen
bildet aber bei den indirekten Steuern einen wichtigen Abschnitt nur für die innere
Geschäftsverteilung der Behörden. Das Zollges. v. 1. Juli 1869 hat denn auch diese
unbegründete Unterscheidung nicht übernommen: „Alle Forderungen und Nach-
forderungen von Zollgefällen verjähren binnen Jahresfrist“, und zwar von der Ent-
stehung der Zollschuld ab (§ 15).
an den Betroffenen gehört: Cirkularreskript des preuſs. Fin.Min. bei Winiker,
Gesetzl. Vorschriften über die Gewerbesteuer S. 222. Damit ist schon ein be-
deutsamer Unterschied gemacht von einer bloſsen Zur-Hebung-Stellung (oben
Note 6).
beruhenden Schuldigkeiten betr., § 13 ff. hat mit besonderer Sorgfalt Schutzmittel
gegen unrichtige Erhebung geordnet. Die Versäumnis der Geltendmachung im Ver-
fahren selbst läſst aber alle Rechte auf Rückforderung bestehen. — Das preuſs.
Ges. v. 18. Juni 1840 hat an den Fall einer richtig veranlagten, aber falsch er-
hobenen direkten Steuer überhaupt nicht gedacht. Die Folge ist, daſs die Rück-
forderung ohne Frist muſs geltend gemacht werden können.
Ressortverhältnisse S. 553 Note 18.
da, wo die Anfechtung mit Rückforderung durch Klage bei den Civilgerichten
geltend gemacht werden kann, wie z. B. nach preuſs. Ges. v. 4. Mai 1861 § 11.
In diesem Sinne vor allem R.G. 27. Sept. 1886 (Samml. 17 S. 206 ff). Das ent-
spricht der herrschenden Auffassung, wonach es sich hier um eine gewöhnliche
condictio indebiti handelt. O.Tr. 24. Febr. 1866 (Str. 70 S. 92); Sächs. Min. d. I.
4. Juli 1882 (Sächs. Ztschft. f. Pr. IV S. 70); Reg. v. Oberbayern 22. Okt. 1886
(Reger IX S. 146).
die Träger der Gewalt, die die Steuerrechtssätze selbst bestimmt, sich verpflichten,
zu Gunsten des andern Vertragschlieſsenden eine Ausnahme zu machen. Für das
souveräne Gesetz hätte der Vertrag keine bindende Kraft, aber untergeordnete Be-
steuerungsberechtigte, namentlich Gemeindeverwaltungen könnten in solcher Weise
Finanzministerium ist ermächtigt, auf Antrag des Steuerpflichtigen ein Aversional-
quantum für die Erbschaftssteuer anzunehmen. Die Annahme geschieht durch
einen dem Pflichtigen zu eröffnenden Beschluſs, der an die Stelle der rentamtlichen
Veranlagung tritt.
27. Sept. 1887 n. 8 (Centr.Bl. 1887 S. 351). Keilwagen, Die Besteuerung des
Branntweins S. 169.
achtet als gegen die gute Sitte verstoſsend. So wurde namentlich entschieden bei
Verträgen zwischen Gemeinden und Eisenbahngesellschaften wegen Beschränkung
künftiger Gemeindesteuerauflagen zu Gunsten der letzteren. O.V.G. 28. Mai 1885;
R.G. 14. Okt. 1884 (Samml. XII S. 273).
tränken betr., bis 1873 in Els.Lothr. gültig. Man spricht hier von einem
Abonnement.
(Centr.Bl. 1888 S. 709 ff.).
G. Meyer, V.R. II S. 337, nennt nicht bloſs die Befreiung der Einfuhr bei er-
füllter Bedingung der Wiederausfuhr einen „Erlaſs des kreditierten Zolles“, sondern
stellt dem auch noch gleich die Fälle in Zollges. § 112 Abs. 1, 113, 114, 115
Abs. 2, wo es sich um eine gesetzliche Zollfreiheit handelt. Das sind drei ver-
schiedene Dinge. Daſs das Gesetz überall von Erlaſs spricht, enthebt uns nicht
der Pflicht, zu unterscheiden, was juristisch so sehr verschieden ist.
daher der Erlaſs von solchen unter ganz andere Gesichtspunkte fällt; Laband in
Arch. f. öff. R. VII S. 189.
örtert, ob ein „Kronrecht“ des Königs von Preuſsen besteht, wonach er den Voll-
zug aller Steuergesetze schlechthin durch Steuererlaſs durchbrechen dürfte. Man
hat den Beweis führen zu können geglaubt durch die Berufung auf die Thatsache,
daſs der König „schon“ vor Einführung der Verfassung nicht bloſs in Strafsachen,
sondern auch in Steuer- und Gebührensachen das unbeschränkte Gnadenrecht ge-
habt hat; da nun kein Verfassungsartikel nachgewiesen werden kann, durch welchen
es aufgehoben wäre, so soll daraus von selbst sich ergeben, daſs es fort besteht.
So Laband in Arch. f. öff. R. VII S. 190; Curtius in Annalen 1893 S. 670 ff.
Allein es geht nicht an, auf solche Weise einzelne Rechte des Königs aus der
verfassungslosen Zeit herüberzunehmen in die Verfassung. Der König von Preuſsen
hatte vor der Verfassung nicht einzelne Rechte, sondern die ganze Staatsgewalt.
Jetzt hat er sie auch noch, nur über das Gesetz verfügt er nicht mehr frei und
den Machtkreis des Gesetzes hat er als Träger der vollziehenden Gewalt zu achten.
Gerade dieser Beschränkung gegenüber können ihm jetzt besondere Rechte zu-
erkannt sein, um in auſserordentlicher Weise „ein Veto gegen den Lauf von Ge-
setz und Recht“, wie Laband sagt, einzulegen. Ein Beispiel bietet das gesetzlich
anerkannte Begnadigungsrecht in Strafsachen. Ein derartiges Recht hatte der
König vor der Verfassung nicht und konnte er nicht haben, da der Rechtskreis,
der ihn beschränkt und dessen Durchbrechung den Inhalt dieses Rechtes aus-
machen soll, damals noch gar nicht bestand. In der vollziehenden Gewalt, welche
ihm nach der Verfassung zusteht, liegt alles mögliche; es liegt aber darin auch
eine neue allgemeine Gebundenheit an das Gesetz, von welcher nur nach den
eigenen Regeln der Verfassung selbst Ausnahmen bestehen und entstehen können.
— Es besteht übrigens auch gar kein Bedürfnis für ein solches allgemeines
Steuerbegnadigungsrecht. Das Beispiel, welches Laband, Arch. f. öff. R. VII
S. 190 Anm. 14, anführt, spricht für das Gegenteil: die Erben des beim Eisenbahn-
unglück getöteten reichen Mannes werden nach dem Haftpflichtgesetz entschädigt
wie die des Armen; weshalb sollen die ersteren auſserdem noch eine Erbschafts-
steuer von 10 000 M. geschenkt bekommen?
S. 207. Tabaksteuerges. § 24 Abs. 3 unterscheidet sie durch die Ausdrücke:
ein Steuererlaſs „soll“ eintreten und „kann“ eintreten. Wenn Seydel, a. a. O.
S. 207. den zweiten Fall als „gnadenweise Bewilligung“ bezeichnet, so ist das zu
viel gesagt. Gnade setzt voraus, daſs, der sie übt, rechtlich nicht verantwortlich ist
für diesen Akt.
welchem dergestalt die Steuer von der Krone allein ohne rechtliche Befugnis er-
lassen ist, bei Versagung der Genehmigung des Landtages zur Zahlung der Steuer
nachträglich angehalten werden kann“. Soll die gewöhnliche Steuerbehörde den
Akt des Königs als nichtig behandeln dürfen? Der König ist in allen Verwaltungs-
sachen auf dem Gebiet seiner allgemeinen Zuständigkeit; zur selbständigen Nach-
prüfung seiner Akte aber sind diese Behörden nicht berufen. Bei einem Eingriff
in die Justiz wäre es etwas anderes.
zum Ausdruck gebracht von Meisel in Finanzarchiv V, 1 S. 7.
V.R. II S. 332; Merkel, Krimin. Abhandlungen I S. 94, 99; Temme, Lehre
vom Betruge S. 73; Meisel in Finanzarchiv V, 1 S. 5: „Überwachung des Ver-
haltens der Verpflichteten mittels der Finanzpolizei“; O.Tr. 6. April 1875 (J.M.Bl.
S. 222): „polizeiliche Kontrollvorschriften“.
liche und die juristische Auffassung. Für jene liegt das Wesentliche am Monopol
in seinem wirtschaftlichen Erfolge: daſs der Staat als unumschränkter Herr der
Preisbestimmung Geld gewinnt auf Kosten der Unterthanen. Man rechnet es
geradezu unter die Steuern: Neumann, Die Steuer S. 64 ff.; Meisel in Finanz-
archiv V, 1 S. 45. Diese Betrachtungsweise ist für uns unmöglich.
Branntweins zu gewerblichen Zwecken § 1 u. § 3; dazu Regulativ v. 27. Sept.
1887 (Centr.Bl. 1887 S. 419, § 12 ff.). Dort ist die Rede von „Pflichten des Antrag-
stellers“.
Haenel, St.R I. S. 282 ff., der das Wort Verwaltungsvorschriften auslegen möchte
als: von der Verwaltung ausgehende Vorschriften, die dann entweder Verordnungen
oder Dienstanweisungen sein können, ist gleichwohl damit einverstanden, daſs
Art. 7 Ziff. 2 der Reichsverf. eine Ermächtigung zu Rechtsverordnungen nicht ent-
hält; und darauf kommt es hier nur an.
1887 § 26; Tabaksteuerges. v. 16. Juli 1879 § 40. Die Gesetze sprechen immer
am Schlusse von Strafbestimmungen für „Übertretung der Vorschriften dieses Ge-
setzes, sowie der infolge desselben öffentlich bekannt gemachten Verwaltungs-
vorschriften“. Auf diese Übereinstimmung der Ausdrucksweise hat Arndt, Ver-
ordnungsrecht S. 36 ff., mit Recht hingewiesen; seine Folgerungen sind nur die
umgekehrten, insofern er überall Rechtssätze annimmt; vgl. oben § 10 Note 11.
Laband, der die Rechtssatznatur der Verwaltungsvorschriften in Reichsverf. Art. 7
Ziff. 2 entschieden verwirft, will die gleichbezeichneten Zoll- und Steuerregulative
nichtsdestoweniger als Rechtsvorschriften anerkennen. Allein das erzielt er doch
nur auf einem eigentümlichen Umwege, den wir nicht mitmachen werden. Er
sagt nämlich: der § 152 des Zollgesetzes sei „ein Blankostrafgesetz, dessen That-
bestände durch die Zollregulative festgestellt werden. Insoweit diesen Regulativen
also die Kraft einer Rechtsvorschrift innewohnt, verdanken sie diese nicht der
Autorität des Bundesratsbeschlusses, sondern der des Reichsgesetzes“. Es kann
nicht verkannt werden, daſs wir damit eine ganz neue Art der Entstehung von
Rechtssätzen bekämen. Der Bundesrat übt hier kein Verordnungsrecht, sonst würde
ja die Rechtssatzwirkung der Regulative allerdings auf der seinem Beschlusse ver-
liehenen Autorität beruhen; aber die sämtlichen Verweisungen der einzelnen Paragraphen
des Zollgesetzes bedeuten keine Delegation zur Schaffung von Rechtssätzen. Ganz
von ungefähr würden die Regulative zu solchen erhoben durch eine Rückwirkung der
Strafbestimmung des § 152, die an sie anknüpft. Aber wird denn alles selbst
Rechtssatz, was zu einem Blankettstrafrechtssatz den Thatbestand bestimmt? Dann
wären wohl auch Rechtssätze die dem einzelnen Brenner „besonders“ gegebenen
Vorschriften nach Branntweinsteuerges. 94. Juni 1887 § 26, oder die „vorläufigen
Anordnungen“ des Tierarztes, deren Nichtbefolgung das Reichsviehseuchenges. v.
23. Juni 1880 § 66 Ziff. 3 mit Strafe bedroht? Unseres Erachtens giebt es keine
Rechtsvorschriften, als solche, die es aus eigner Autorität sind, sei das eine ur-
sprüngliche oder eine durch Delegation erworbene.
erörtern haben (Bd. II § 45).
Haenel, St.R. I S. 285 ff., ausführt, vor allem daselbst S. 287 Anm. 15: „Jene Re-
gulative haben die doppelte Bedeutung teils von Anweisungen für die Behörden
für die Handhabung der ihnen eingeräumten Kontrollgewalt, … teils …
von Befehlen, zu deren Befolgung die Beteiligten kraft jener Kontrollgewalt
12. Okt. 1867 § 6: „Die in § 3 bezeichneten Anstalten unterliegen zur Ermittlung
des von dem bereiteten Salze zu entrichtenden Abgabenbetrages, sowie zur Ver-
hütung von Defraudationen hinsichtlich ihres Betriebes und geschäftlichen Verkehrs
der Kontrolle der Steuer-(Zoll-)Behörden, welche durch eine von diesen zu er-
lassende, jedem Besitzer solcher Anstalten mitzuteilende und von diesem zu be-
folgende Anweisung geregelt wird“. Hier tritt der ganze innere Aufbau des Rechts-
instituts deutlich hervor: das Werk und damit der Unternehmer wird durch das
Gesetz der Überwachungsgewalt unterworfen; zur geregelten Ausübung dieser Ge-
walt werden dem Unternehmer durch die Behörde „Anweisungen“ erteilt, die Be-
fehle für ihn sind, — wie den Beamten gegenüber die Dienstgewalt durch Dienst-
anweisungen sich ausübt und zugleich regelt. Das Gewaltverhältnis kann aber
auch einfach dadurch begründet werden, daſs das Gesetz einen gewissen Geschäfts-
der Begründung hebt Haenel dabei Arndt gegenüber hervor, daſs die Regulative,
um so zu wirken, nicht Rechtssätze zu enthalten brauchen; es genügt, daſs sie „in
Rechtssätzen begründet“ seien; aber auch das wird ihm schwer fallen, nach-
zuweisen.
die „näheren Bedingungen“ oder die „allgemeinen Bedingungen und Kontrollen“,
unter welchen die verschiedenen Erleichterungen zu gewähren sind, durch Regu-
lative oder vom Bundesrat festzustellen sind (Zollges. § 106, 109, 110 Abs. 3,
118; Tabaksteuerges. § 18 Abs. 2). Oder es sagt: ein Regulativ soll erlassen
werden „über das dabei zu beobachtende Verfahren (Zollges. § 58, § 90) oder
„über die zollamtliche Behandlung“ des betreffenden Geschäfts (Zollges. § 73).
Im letzteren Fall enthält der Wortlaut gar nichts davon, daſs mehr als eine
Dienstanweisung an die Beamten, daſs auch Anweisungen an die benützenden
Unterthanen und für deren Verfahren ergehen können; sie können trotzdem
zweifellos ergehen; das Gewaltverhältnis ist als ohne dies begründet vorausgesetzt.
Das Gleiche ist auch bei der erst erwähnten Ausdrucksweise der Fall; es soll
24. Juni 1887 § 11 Abs. 1: „Der erzeugte Branntwein ist in der Brennerei von der
Steuerbehörde nach Menge und Stärke festzustellen und verbleibt unter steuerlicher
Kontrolle, bis er zur Ausfuhr oder zu gewerblichen Zwecken abgefertigt oder bis
die Verbrauchsabgabe gezahlt oder gestundet wird“. „Der Branntwein bleibt in
der Brennerei unter steuerlicher Kontrolle“ bedeutet zugleich, daſs der Brennerei-
besitzer der Überwachungsgewalt der Steuerbehörde unterworfen sein soll. Kraft
dieser Gewalt können ihm von der Behörde die erforderlichen Anweisungen ge-
geben werden. An oberster Stelle ist nach Reichsverf. Art. 7 Ziff. 2 der Bundes-
rat zuständig, das mit seinen Verwaltungsvorschriften zu thun. Er hat auch ohne
weiteres von dieser Gewalt Gebrauch gemacht: Ausf.Bestimmungen v. 27. Sept.
1887; Centr.Bl. 1887 S. 362 ff. Die darin befohlenen Verhaltungsmaſsregeln be-
ziehen sich zum Teil auf Dinge, für welche das Gesetz in § 11 Abs. 3 den Bundes-
rat ausdrücklich beruft; zum groſsen Teil sind sie dort nicht vorgesehen und ledig-
lich Geltendmachung der steuerlichen Kontrolle nach § 11 Abs. 1, d. h. der darauf be-
ruhenden Überwachungsgewalt; z. B. die Bestimmung: Der Brennereibesitzer hat die
zur Aufnahme des Branntweins erforderlichen Fässer bereit zu halten, er ist ver-
pflichtet, nach näherer Anweisung der Steuerbehörde ein geeignetes Abfertigungs-
lokal zu stellen u. s. w.
durch Regulative, und Zuständigkeiten hierfür werden bestimmt. Es sind sogar
Einrichtungen im Gesetze nur angedeutet, deren Benützung von selbst die vor-
zubehaltende Ueberwachungsgewalt begründet und die nun ebenfalls durch Regulative
geregelt werden soll. So die in Zollges. § 90 erwähnten Hafenregulative. Diese
können einfach von den zuständigen Landesbehörden erlassen werden. Ebenso die
sogenannten Uferordnungen u. s. w. Loebe, Zollstrafrecht S. 134. — Die Be-
gründung des Gewaltverhältnisses vollzieht sich also hier nicht kraft Gesetzes,
sondern durch den thatsächlichen Vorgang möglicherweise ganz ohne Gesetz.
Den Hintergrund bildet die gesetzliche Steuerpflicht. Das Gewaltverhältnis kommt
hinzu, dadurch daſs thatsächlich in ein Verhältnis eingetreten wird, zu welchem nur
die Steuerbehörde den Zugang gewährt, und daſs diese ihn nur gewährt oder nur
gewähren kann unter Vorbehalt der besonderen Ueberwachung, Wie dieser Vor-
behalt kund wird, ist reine Thatfrage: er kann gesetzlich gemacht sein, in Re-
gulativen zum Ausdruck kommen, in Bewilligungserklärungen erscheinen, aus der
thatsächlichen Einrichtung hervorgehen. — Mit der Auffassung, welche Haenel,
St.R. I S. 286 ff. und namentlich S. 287 Anm. 15, der Sache giebt, gehen wir eine
groſse Strecke wieder zusammen. Er unterscheidet, wie wir, zwei Fälle: die Be-
teiligten sind verpflichtet, die ihnen gegebenen Befehle zu befolgen „kraft jener
Kontrollgewalt der Behörden“, die diesen „eingeräumt“ ist, also kraft gesetzlich
begründeten Gewaltverhältnisses; — oder „kraft rechtsgeschäftlicher Unterwerfung“
unter die „Kontrollmaſsregeln und Bedingungen“; das wäre unser zweiter Fall, der
der Unterwerfung unter die Überwachungsgewalt. Die Grundidee auch für den
zweiten Fall ist bei Haenel die nämliche, wie bei uns, aber er glaubt ihr eine
Formulierung geben zu müssen, die der Sache das allzu Ungewohnte nimmt. Er
findet hinter all diesen Vorschriften einen Rechtssatz, dem sie „entspringen“ und
der dahin geht: „Wer Stundung oder Befreiung von Steuern und Zöllen oder die
Benützung solcher Einrichtungen, die die Disposition über die mit Steuerpflichten
belasteten Gegenstände erleichtern, für sich in Anspruch nimmt, der ist verpflichtet,
sich den Kontrollmaſsregeln und Bedingungen zu unterwerfen, welche die Ver-
waltungsbehörden innerhalb der gesetzlichen Grenzen für notwendig und zweck-
mäſsig halten“. Diesen Rechtssatz kennen wir nicht. Wo soll er herkommen?
Die Gesetze wollen ihn nicht geben. Es ist nur eine allgemeine Sentenz, eine
Wahrheit, die damit ausgesprochen wird und welche auch die Gesetze voraus-
setzen. Daſs, wer jene Begünstigungen beansprucht, sich die Ueberwachungs-
maſsregeln gefallen lassen muſs und insbesondere die dazu nötigen Be-
fehle, dazu bedarf es keines Rechtssatzes. Wenn man zurückgehen will auf die
äuſsersten Grundbegriffe, so muſs man sich vor allem gegenwärtig halten, daſs Be-
fehle der Behörden, der Vertreter der vollziehenden Gewalt, an sich bindend und
verpflichtend sind; sie sind nur verfassungsmäſsig beschränkt durch den Vorbehalt
des Gesetzes zu Gunsten der Freiheit des Einzelnen; ein Eingriff in diese bedarf
immer der gesetzlichen Grundlage. Wenn aber jemand selbst in ein Verhältnis sich
begeben hat, in welchem zur Sicherung der darin beteiligten Steuerforderungen eine
besondere Ueberwachung und dem entsprechende Beschränkung der Freiheit statt-
findet, dann ist der dazu gehörige Befehl eben kein Eingriff in seine Freiheit
er verbindlich mit der Kraft der obrigkeitlichen Gewalt, von selbst, ohne weiteres.
Das mag man einen Rechtsgrundsatz nennen, aber unter Rechtssatz verstehen wir
etwas anderes. — In gleicher Weise möchten wir auch den Begriff des Rechts-
geschäftes nicht anwenden lassen auf die Unterwerfung, welche in der thatsäch-
lichen Inanspruchnahme solcher besonderer Einrichtungen liegt. Der Zusatz „rechts-
geschäftliche“ Unterwerfung, den Haenel macht, ist eine überflüssige Verstärkung.
Es kann sich diese Unterwerfung mit dem gleichzeitigen Abschluſs eines Rechts-
geschäftes verbinden: mit einem Mietvertrag z. B., wenn man die Benützung der
öffentlichen Niederlage (Zollges. § 97 ff.) als einen solchen auffaſst; oder mit einem
Frachtvertrag (Begleitscheinregulativ § 31 Abs. 2, Centr.Bl. 1888 S. 508). Aber
das sind wieder Dinge für sich, die ebensogut fehlen können. Das Niederlage-
regulativ § 1 (Centr.Bl. § 551) bestimmt z. B., daſs seine Vorschriften gelten
für „jeden, welcher die Niederlage betritt“. Was wäre das für ein Rechts-
geschäft?
schreitung der Grenze auſserhalb der Tagesgeit ist verboten. Ausnahmen gestattet
im Einzelfall nach freiem Ermessen die Zollbehörde. Vgl. auch Bayr. Malz-
aufschlagges. v. 31. Okt. 1879 Art. 31—39. — Ein Beispiel für die Entbindung
von einem Finanzgebot in Tabaksteuerges. § 22 Ziff. 3: Bis zum bestimmten Ter-
mine muſs die zur Regelung der Blätterzahl erforderliche Behandlung der Tabak-
pflanzen auf dem Felde vollständig bewirkt sein. Von dieser Vorschrift kann die
Steuerbehörde den Tabakpflanzer entbinden.
weinsteuerges. von 1887 2, III, b u. c; Centr.Bl. 1887 S. 354: An den bezeichneten
Rohrleitungen dürfen sich keine Ventile befinden. Von diesem Verbot könnte die
Steuerbehörde nicht entbinden; thäte sie es dennoch, so verfiele der Brennerei-
besitzer, der im Vertrauen darauf die Einrichtung träfe, in Finanzstrafe. Aber
nun setzt das Regulativ hinzu: „sofern nicht durch besondere, von der Steuer-
behörde genehmigte Einrichtungen die Möglichkeit … beseitigt wird“. Das
genügt, um die Ausnahme offen zu lassen. — Ferner: alle Röhrenleitungen müssen
von bestimmter Beschaffenheit sein; bestehenden Brennereien kann die Fort-
benützung abweichender Rohre widerruflich gestattet werden. Die Gestattung hebt
das allgemeine Verbot auf; wäre sie nicht besonders vorgesehen, so bliebe das Ver-
bot trotz einer ausdrücklichen Erlaubnis der Steuerbehörde in Kraft, bände den
Brennereibesitzer und er würde haftbar sein für die Uebertretung. — Zucker-
steuerregulativ (Centr.Bl. 1888 S. 268 ff.) bestimmt zu § 12 u. 13 des Ges., die
Fenster (des Fabrikgebäudes) seien in geeigneter Weise zu vergittern; die
Gitterstäbe dürfen nicht weiter als 5 cm von einander entfernt sein, „vorbehaltlich
der bei bereits vorhandenen Gittern zu gestattenden Ausnahmen“.
§ 151.
v. 30. Mai 1820 § 39.
v. 1887 § 26.
deutschen Bunde, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen, die Fortdauer des
Zoll- und Haudelsvereins betr., v. 8. Juli 1867, Punkt 11.
zur Anwendung kommen; Loebe, Zollstrafrecht S. 182 ff. Die auszusprechende
Konventionalstrafe ist eine Finanzstrafe, wie die anderen, nur daſs die rechtliche
Grundlage auf eigentümliche Weise hergestellt wird. Daſs dies hier überhaupt
möglich ist — wer würde bei einer gemeinrechtlichen Strafe an etwas derartiges
denken! — das hängt mit der Eigenart der Finanzstrafe zusammen, von welcher
unter IV noch die Rede sein wird.
Spitze der Zolldelikte; nach seiner Theorie ist ja eigentlich auch die Defraudation
ihrem inneren Wesen nach ein Bruch des Einfuhrverbotes, Kontrebande; vgl. oben
§ 27 Note 18. G. Meyer, der durch keine selbstgemachte Theorie gebunden ist,
bemerkt ganz richtig (V.R. II S. 347): „die Kontrebande ist streng genommen
kein Zollvergehen, sondern eine Zuwiderhandlung gegen ein polizeiliches Verbot“.
Die Kriminalisten behandeln dieses ganze Zwischengebiet zum Verwaltungsrecht
meist sehr stiefmütterlich; sie lassen deshalb auch gern die Kontrebande unbesehen
am hergebrachten Platze; Haelschner, Stf.R. S. 1004.
besondere eine Gesellschaft, eine juristische Person als solche auch finanzrechtlich
nicht strafbar: sie ist eines Verschuldens nicht fähig, folglich auch des Finanz-
deliktes nicht, weil eben auch dieses ein Verschulden voraussetzt; R.G. (Stf.S.)
12. Juni 1886: die Strafe trifft in solchem Fall die Vorstände persönlich, während
die Stempelpflicht, deren Nichterfüllung die Strafbarkeit begründet, der Gesellschaft
oblag.
sein, wenn der Nachweis geliefert würde, daſs der Angeklagte infolge bestimmter,
ihm nicht zuzurechnender Umstände an der Befolgung der maſsgebenden Vorschriften
verhindert gewesen ist“. Der Mann hatte eine zollpflichtige Ware mit unrichtiger Be-
zeichnung erhalten und, dadurch getäuscht, ahnungslos den Eintrag in das Kontrollbuch
unterlassen. — Derartige schützende „Umstände“ sind oft recht schwer beizubringen
oder auszudenken. Wie soll z. B. die Entlastung ermöglicht werden in dem Falle,
den Loebe, Zollstrafrecht S. 98, bespricht: der Gewerbtreibende im Grenzbezirk
muſs sich nach Zollges. § 136 Ziff. 6 über die erfolgte Verzollung der von
ihm bezogenen Gegenstände ausweisen können, auch nachdem er sie wieder ver-
kauft hat. Bei der Revision finden sich nun die Ausweise nicht vor. Er ist
strafbar. Es hilft ihm, wie Loebe mit Recht bemerkt, nichts, daſs er nachweist,
er habe die Papiere gehabt und habe sie nun verloren oder verlegt; er war ver-
pflichtet, sie aufzubewahren und gut aufzubewahren. Vielleicht hilft ihm unter
Umständen auch der Beweis eines geschehenen Brandunglücks nicht: er hätte sie
retten müssen. Wie aber, wenn auch dies nachweisbar unmöglich war oder wenn
er beweist, daſs sie ihm durch Einbruch geraubt wurden? Hier müſste allerdings
auch die Ordnungsstrafe wegfallen, trotz der unbedingten Ausdrucksweise des Ge-
setzes; von Hinterziehung ist ohnedies keine Rede. — Die Würdigung der
Einzelheiten des Falles ist natürlich entscheidend. Wenn die Gerichte darin einen
genügenden Entschuldigungsgrund nicht finden, so pflegen sie in den Entscheidungs-
(gründen ihres Urteils zu sagen: das Finanzdelikt sei nun einmal ganz formal;
deshalb müſsten sie verurteilen. Finden sie einen solchen, so sagen sie: auch das
Finanzdelikt setzt mindestens Fahrlässigkeit voraus; die liegt hier nicht vor; also
Freisprechung. O.Tr. 23. Januar 1868 hat auf Freisprechung erkannt, weil der der
Portodefraudation Angeschuldigte wegen schwacher Augen die nur undeutlich vor-
handenen Entwertungszeichen auf der Freimarke nicht erkannt und infolgedessen
die bereits entwertete Freimarke zur Frankierung benützt hatte; denn: „Fahrlässig-
keit muſs mindestens nachgewiesen werden.“ — Das Reichsgericht dagegen
Samml. Stf.S. IV S. 822) entschied, daſs die Strafbarkeit dadurch nicht ausge-
Rechtsbegriffe und die Rechtssprache der Reichssteuergesetzgebung führend geworden
ist, sagt in § 135: „Wer es unternimmt, die Ein- und Ausgangsabgaben zu hinter-
ziehen, macht sich der Defraudation schuldig“. Ebenso Branntweinsteuerges. v.
1887 § 17. Hierin liegt also die Erklärung, daſs bei der Hinterziehung der bloſse
Versuch („es unternimmt“) schon das Vergehen darstellt, und daſs man deshalb
statt des Wortes „Hinterziehung“, welches den eingetretenen Erfolg voraussetzen
könnte, das Fremdwort Defraudation gebrauchen soll, das eben als Fremdwort den
Vorzug einer gewissen Unbestimmtheit hat; denn eigentlich ist ja Defraudation
nichts anderes als Hinterziehung. Bei den Schriftstellern werden die beiden Aus-
drücke bald einfach als gleichbedeutend angesehen (G. Meyer, V.R. II S. 347:
„Zolldefraudation oder Hinterziehung der Zölle“); bald wieder glaubt man den
einen verwenden zu dürfen zur Begriffsbestimmung des anderen (Laband, St.R.
II S. 946: „die Zolldefraudation ist die Hinterziehung der schuldigen Zollgefälle“).
Da im Sinne jener Bestimmung des Zollges. § 135 Zolldefraudation auch die ver-
suchte Hinterziehung mit umfassen soll, so wäre eigentlich eine „versuchte Zoll-
defraudation“ undenkbar; gleichwohl findet sich auch dieser Ausdruck amtlich
gebraucht z. B. Begleitscheinregulativ § 37 Abs. 2 (Centr.Bl. 1888 S. 510).
das Gefäll ist (mit Strafe) bedroht; es braucht keine Vermögensbeeinträchtigung
wirklich gelungen zu sein“.
stempelmarken hielt und verwendete; denn: „es ist ein allgemeiner in der Natur
fiskalischer Abgabengesetze liegender Grundsatz, daſs die Strafbarkeit weder dolus
noch culpa voraussetzt“. — Daraus sieht man wieder, wie wenig auf die Begriffs-
bestimmungen und Grundsatzformulierungen der Gerichte zu geben ist: sie sind
immer der zu begründenden Entscheidung angepaſst.
einer Täuschung fällt jedesmal ins Leere, wo die Hinterziehung vor sich geht,
ohne daſs von dem ganzen Vorgang der Behörde überhaupt irgend etwas zum
Bewuſstsein kommt. Die Wechselstempelsteuer macht das am einleuchtendsten;
vermöge ihrer eigentümlichen Erhebungsform (oben S. 404) entsteht sie und
wird erfüllt oder hinterzogen, ohne daſs die Behörde damit zu thun bekommt;
erst an den verbliebenen Spuren des Vorganges mag sie das Geschehene hinter-
drein erkennen. Daher das Wechselstempelsteuerges. § 15 die Hinterziehung ein-
fach bestimmt als „die Nichterfüllung der Verpflichtung zur Entrichtung der Stempel-
abgabe“. Es wird nicht gelingen, da noch das Erfordernis einer Täuschung hinein-
zulegen.
S. 307 ff. besprochene Fall: Der mit Vorbehalt der Nachversteuerung fixierte Brauer
hat genaues Register zu führen über die verwendeten Braustoffe. Dieses Register
wurde zum Zwecke der Umgehung der Nachsteuer unrichtig geführt. O.Tr.
28. Sept. 1876 erkennt, daſs hier gleichwohl eine Defraudation nicht vorliegt, weil
keine der Bestimmungen im § 27 des Brausteuergesetzes, wo die Defraudations-
besondere als vollbracht angenommen, wenn u. s. w.“; Brausteuerges. § 27 Ziff. 1—4;
Wechselstempelsteuerges. § 15. — Dem steht gleich der Fall, wo die Hinterziehungs-
straf bestimmung, statt den Thatbestand unmittelbar zu bezeichnen, auf die an einer
andern Stelle bereits gegebene Bezeichnung verweist; insbesondere auf voraus-
gehende Finanzbefehle des nämlichen Gesetzes. So Spielkartenstempelges, § 11:
„die Nichterfüllung einer der nach § 3 dem Einbringer bezw. Empfänger vom
Ausland eingehender Spielkarten obliegenden Verpflichtungen wird mit der im § 10
bestimmten Strafe geahndet“. Ähnlich Brausteuerges. § 27 Ziff. 5. Besonders
klar auch Postges. § 27.
§ 135 Brausteuerges. in Frage kommen — vielleicht auch Betrug nach gemeinem
Strafrecht; vgl. unten Note 21.
setzes, wenn es im Sinne der ersten Art der Thatbestandsbestimmung die einzelnen
Finanzbefehle, die es meint, selbst ausdrücklich bezeichnet. Umgekehrt entsteht
daraus der Nachteil, daſs beweglichere, nicht schon im Gesetz selbst enthaltene
Finanzbefehle, namentlich also die regulativmäſsigen auf diese Art daneben bleiben
und dann leicht in Widerspruch mit dem, was die Folgerichtigkeit fordert, ihre
Übertretung nicht als Hinterziehung behandelt werden kann (vgl. oben Note 15).
— Ein gemischtes Verfahren erweist sich als das zweckmäſsigste: Bezeichnung
bestimmter Hinterziehungsfälle im Gesetz selbst und allgemeine Klausel für sonstige
Hinterziehungen durch Ungehorsam gegen die zur Abwehr von Verkürzungen er-
lassenen Finanzbefehle. So Zollges. § 135: „wer es unternimmt, die Ein- und
Ausgangsabgaben (§ 3 u. 5) zu hinterziehen“. Die in Klammer gesetzten §§ sprechen
nur von der Zollpflicht überhaupt, nicht von bestimmten Finanzbefehlen. Ebenso
Branntweinsteuerges. von 1887 § 17. Beide Gesetze führen dann mit „insbesondere“
wenigstens die wichtigsten Fälle der Hinterziehung ausdrücklich an. Jener all-
gemeine Begriff bleibt dahinter wirksam. Loebe, Zollstrafrecht S. 61.
§ 32; Tabaksteuerges. § 34; Spielkartensteuerges. § 11. — Vgl. insbesondere auch
das preuſs. Einkommensteuerges. v. 24. Juni 1891 § 66.
handle sich bei den Finanzdelikten überhaupt um eine Präsumtion der Schuld und
sieht Belege dafür in den hier besprochenen Bestimmungen Zollges. § 137 u. s. w.
Ihre Bedeutung bestünde darin, „daſs die Straflosigkeit von dem durch den Be-
schuldigten zu erbringenden Beweis der Nichtschuld abhängig gemacht wird“.
Nun fügt er aber selbst hinzu, daſs auch bei geliefertem Beweis der Nichtschuld
noch Strafe erfolgt, nur eben eine geringere. Da wäre aber doch leicht einzusehen,
daſs es sich nicht um Strafbarkeit und Straflosigkeit, nicht um Schuld und Nicht-
schuld handelt, sondern um zweierlei Vergehen mit zweierlei Schuld: Hinterziehung
und Ordnungswidrigkeit, Defraudation und Kontravention. — Indem Haelschner den
Gedanken, daſs es sich im § 137 um einen Entlastungsbeweis gegenüber der
Strafbarkeit handle, blindlings weiter verfolgt, kommt er dazu, die Grundsätze dieses
Paragraphen auch anzuwenden auf die Wechselstempelsteuer, bei welcher doch die
zwei Vergehensarten, zwischen welchen der Entlastungsbeweis des § 137 die Grenze
zieht, gar nicht unterschieden sind. Er meint, auch bei dieser wäre „die Strafbar-
keit durch den Beweis der mangelnden Absicht, die Steuer zu hinterziehen, aus-
geschlossen“. Das ist offenbar falsch. So leichten Kaufes kommt man auf dem
Gebiete des Finanzstrafrechtes überhaupt nicht davon.
S. 57 ff.; Schwaiger in Gerichtssaal 49 S. 401 ff. Mit dieser Beobachtung ver-
mengt man gern die alte Klage über die Ansicht, „daſs Übertretung der Zollgesetze
kein Unrecht sei“, und deshalb mangelnde „Steuermoral“; Mittermaier in Arch.
f. Krim.R. 1836 S. 329; Eglauer, Östr. SteuerStf.R. S. 14 ff. Es handelt sich
aber um eine Rechtsauffassung unserer ganz unverdächtigen Gerichte, die doch das
Unrecht der Hinterziehung bereitwilligst mit den härtesten Strafen ahnden; nur ob
gerade der Rechtsbegriff des Betrugs zutreffe, ist die Frage. Das kann sine ira
ac studio erörtert werden; alle Wünsche wegen Verbesserung des Gemeinsinns
bleiben daneben vorbehalten.
R.G. 26. Juni 1880 (Samml. Stf.S. II S. 114).
1881 (Samml. Stf.S. III S. 193); dasselbe 13. Juli 1886 (Samml. Stf.S. VIV S.293); O.Tr.
28. Sept. 1878; — Riedel (Proebst), Bayr. Pol.Stf.G.B. S. 9, verlangt von den vor-
behaltenen Strafbestimmungen eine andere „specifische Natur ihres Gegenstandes“.
Schütze, Stf.R. S. 472; Haelschner, Stf.R. II S. 257. Bezüglich der Angriffs-
natur der Täuschung insbesondere Merkel, Krim.Abhandl. II S. 136: „Das Ver-
halten des Betrügers muſs sich als ein aktives darstellen“. Derselbe Gedanke
findet sich in R.G. 5. Juli 1886 ausgedrückt: „ein aktives Irreführen“, „besondere
Veranstaltungen zur Täuschung“ sind erforderlich.
scheidung durchzukommen, wonach „diese Materie dem Steuergesetze gehöre“,
und, „von den Versuchen der Theorie, eine Scheidung von Defraudation und Be-
trug herzustellen, könne man absehen“. Bald darauf entschieden die vereinigten
Erwähnung der Verletzungen der Preſspolizei-, Post-, Steuer-, Zoll- u. s. w. Gesetze
eine reichsgesetzliche Fiktion sehen, daſs diese Gesetze selbständige Materien
beträfen. Wenn aber das E.G. von besonderen Vorschriften spricht, die eigene
Materien beträfen, und dann „namentlich“ besondere Beispiele anführt, so kann es
damit unmöglich eine Fiktion einleiten wollen. — Schwaiger in Gerichtssaal 49
S. 447 will trotz E.G. § 2 Abs. 2 das allgemeine Betrugsrecht auch für das be-
sondere Gebiet der Steuer-, Zollgesetze u. s. w. gelten lassen, soweit nicht das
Specialgesetz dessen Anwendung ausdrücklich ausschlieſst. Dazu bemerken wir,
daſs dazu selbstverständlich nur ein Reichsgesetz befähigt wäre, und sodann, daſs
diese Ausschlieſsung nicht notwendig eine ausdrückliche sein muſs. Sie dürfte
z. B. genügend ausgesprochen sein im Texte des Postges. § 27 Ziff. 3.
Hinterziehung wegen mangelnder Angriffsnatur der Täuschung (vgl. Note 23
immer noch besonders hervorgehoben, daſs der Staat ja nichts dabei verliere,
sondern nur nicht bekomme, was ihm gebührt. So auch Merkel in Holtzendorff
Handb. III S. 762. Bei der Erschleichung einer Exportprämie trifft das aber
sicherlich nicht zu. Nach Zuckersteuerges. 26. Juni 1869 § 4 steht Defraudations-
strafe auf der unberechtigten Inanspruchnahme der Vergütung durch falsche An-
gaben. Man wird es regelmäſsig dabei bewenden lassen, ohne die Frage weiter
zu untersuchen, ob Irrtum, Fahrlässigkeit oder Arglist des Erklärenden vorliegt.
Wo die letztere vorliegt, ist ein Betrug gegeben. Ebenso würde auch der Fall
des „blinden Passagiers“ zu behandeln sein: mit der Defraudationsstrafe nach
Postges. § 29 wird ein weiterer, leicht zu beurteilender Thatbestand getroffen, das
„wissentliche“ Mitfahren ohne Zahlung ist nicht notwendig Betrug. Es kann es aber
sein. Die Frage ist ganz in derselben Weise zu lösen, wie bei dem blinden
Passagier auf der Eisenbahn (Schwaiger in Gerichtssaal 49 S. 443 Note 1).
Der Unterschied ist nur ein thatsächlicher: die Eisenbahn verfolgt leichter wegen
Betrugs als die Post, weil sie nur dieses Mittel hat, eine Ahndung zu erzielen.
ständig dem Steuergesetze gehöre. Es handelt sich eben um eine Frage, bei der
man von dieser theoretischen Grenzziehung nicht absehen kann, will man anders
eine feste grundsätzliche Stellung gewinnen.
Pflicht zur Wahrheit durch die Mitteilung selbst die Erwartung der Vollständig-
keit derselben begründet ist“; Merkel, Krim.Abhandl. II S. 159, S. 166 ff.
Anwendungsfälle bei Oppenhoff, Stf.G.B. zu § 263 n. 53.
dationsstrafe vor. Das gemeine Strafrecht mit seiner Betrugsbestimmung genügt.
Note erwähnten Fall eine eigene Strafbestimmung wegen Defraudation der Ver-
brauchsabgabe durch Störung des Meſsapparates. Fehlte eine solche, so wäre mit
Strafe nichts zu machen; denn der Betrugsparagraph, der die Wage des Verwiegungs-
amtes schützt, schützt nicht den Meſsapparat, den der Brenner bei sich dulden
muſs. Es ist der nämliche Fall, wie der des unrichtig geführten Brauregisters,
den R.G. 26. Juni 1880 (Samml. II S. 114) behandelt. Daſs die Nichtanwendbar-
keit des Betrugsrechts dort faſsch begründet wird, nimmt dieser Entscheidung nicht
ihre Bedeutung. Unwahre Erklärungen über Steuerobjekte will Schwaiger in
Gerichtssaal 49 S. 439 wegen der Deklarationspflicht als Betrug behandeln. Was
er dafür in Note 1 zur Unterstützung anruft, soweit es wirklich paſst, beweist nur,
daſs um civilrechtlicher Pflichtverhältnisse willen auch das Schweigen Betrug sein
kann. Daſs für die Steuerfatierung die entgegengesetzte Auffassung geltendes
Recht ist, kann nicht angezweifelt werden.
Lehre vom propulsiven und kompulsiven Zwang zur Darstellung gebracht. Ersterer,
der Angriff, ist, wie er ausführt, dem Einzelnen nicht gestattet. Es kann aber vor-
kommen, daſs in gewissen Beziehungen eine Handlung noch als kompulsiver Zwang
gerechnet wird, die ihrer Form nach propulsiver Zwang, Angriff wäre. Abwehr
eines Angriffes auf meinen Besitz ist kompulsiv. Wiederabnahme des gewaltsam
entzogenen Besitzes propulsiv; für die Besitzklage jedoch wird das letztere noch
als kompulsiv, mithin als erlaubt behandelt. Das ist ganz unser Fall.
in Tabaksteuerges. § 34 Abs. 3.
von 1868 § 66: Der Brennereibesitzer haftet für die Geldstrafen, die seine Ver-
walter oder Gehülfen treffen. Regelmäſsig muſs ihm aber Fahrlässigkeit bei der
Auswahl oder bei der Beaufsichtigung nachgewiesen werden. Als Fahrlässigkeit
gilt schon die wissentliche Anstellung eines wegen Branntweinsteuerdefraudation
Vorbestraften, es sei denn, daſs die Finanzbehörde die Anstellung besonders ge-
nehmigt. Ein Brennereibesitzer, der selbst schon wegen absichtlicher Branntwein-
steuerdefraudation bestraft ist, hat gegen sich die Vermutung, bei der Auswahl oder
strafe damit, daſs „das Gesetz meist bei bloſsen Geldstrafen stehen bleibt nnd die
zu entrichtende Strafe nur als eine Art gesteigerter Civilschuld behandelt.“ Daraus
sind natürlich wichtige Folgerungen zu ziehen.
beweis führen, daſs er alle Sorgfalt dabei angewendet hat. — Andere Vermutungs-
ordnungen dieser Art in Branntweinsteuerges. v. 1887 § 32; Zollges. § 153.
Person niemals, weil hierzu auch bei der Finanzstrafe ein strafrechtliches Ver-
schulden gehört, dessen sie unfähig ist (oben II n. 1). Wegen der Haftung des
Fiskus vgl. oben § 11 Note 11.
ministerialreskript v. 14. Nov. 1827, wonach die Hauptamtsdirigenten befugt sind,
nicht verboten, das Begnadigungsrecht zu delegieren; es ist lediglich Gefühls-
sache, wenn sie es nicht aus der Hand geben zu sollen glauben, und das Volk
teilt dieses Gefühl.
sich beruhen zu lassen“. Diese Befugnis gilt auch gegenüber den gewöhnlichen
Ordnungsstrafen des Vereinszollgesetzes: Finanz Min.Reskr. 10. Aug. 1872 (Preuſs.
Centr.Bl. S. 304); Bundesratsbeschluſs v. 2. Juli 1873; Preuſs. Fin.Min.Reskr.
26. Aug. 1873 (Preuſs. Centr.Bl. S. 249). Hoyer, Preuſs. Stempelgesetzgebung
S. 252, 253. Ein gleicher Verzicht ist auch für die schon festgesetzten Strafen zulässig:
Preuſs. Fin.Min.Reskr. 31. Dez. 1862; Hoyer, a. a. O. S. 354, 355. Vgl. auch
Loebe, Zollstrafrecht S. 137; v. Mayr in Wörterbuch II S. 977. — Über dieses
„Abfindungsverfahren“: Wagner, Finanzwissenschaft II S. 708, wo natürlich die
juristisch bedeutsamste Frage, die nach der rechtlichen Zulässigkeit solchen Ver-
fahrens, ohne Gesetz auf Grund der Amtsgewalt allein, nicht aufgeworfen wird.
Das französische Finanzrecht kennt hier das Institut der transaction, einer Ver-
einbarung über die Strafe, namentlich in Enregistrementssachen. Garnier,
dictionnaire de l’enregistrement, Vo amende n. 2137, wo von dem Straferlaſs unter
Bedingung der sofortigen Zahlung einer geringeren Summe oder einer sonstigen
Leistung die Rede ist (remise sous condition); Vo soumission n. 15431: eine förm-
liche Abmachung zwischen dem Schuldigen und der Behörde zur Festsetzung des
Betrags der verwirkten Strafe. Davon heiſst es: du moment que la soumission a
été acceptée au nom du Trésor le contrat produit ses effets transactionnels — ein
merkwürdiges Beispiel des öffentlichrechtlichen Vertrags nach dem Muster der
oben (§ 29, III n. 1) erörterten Steuerfixation.
VII S. 183 von privatrechtlichen Ansprüchen des Fiskus sagt: „Allen diesen An-
sprüchen gemeinsam ist eine Eigenschaft, die sich aus ihrem privatrechtlichen
Charakter ergiebt und allen Privatrechten eigen ist, nämlich, daſs sie zur Ver-
fügung des Berechtigten stehen“. Dazu bemerken wir aber: zur Verfügung des
Berechtigten, d. h. des Staates steht auch die Steuer; die besondere Verfügbarkeit,
die Laband meint, besteht darin, daſs die Befugnis, mit der davon Gebrauch ge-
macht wird, enthalten ist im allgemeinen Geschäftsauftrag der betreffenden Ver-
waltungsbehörden, keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Die Un-
verfügbarkeit der öffentlichrechtlichen Geldansprüche des Staates hängt nicht an
ihrer Eigenschaft als öffentlichrechtlich. Verfügbar sind z. B. auch die besonderen
Leistungen, welche etwa dem Inhaber eines verliehenen Nutzungsrechts an einer
öffentlichen Sache auferlegt sind, Rekognitionsgebühren u. dergl. Hier fehlt aber
jene Gebundenheit der Verwaltung und sofort tritt die Verfügbarkeit ein, wie bei
civilrechtlichen Forderungen.
zum Befehle und seinen selbstverständlichen Vollstreckungsmitteln, aber nicht zur
Ungehorsamsstrafe, die eine Zuthat ist. So erklärt sich die Konventionalstrafe
beim Veredelungsverkehr mit Roheisen (oben § 31 Note 4). Es handelt sich dort
um eine Überwachungsgewalt, die vorbehalten wird und das Recht zu allerlei An-
ordnungen, Generalverfügungen wie Einzelbefehlen begründet. Die ersteren haben
ihren Strafschutz in Zollges. § 152, die letzteren nicht, können auch nicht kraft
des Gewaltverhältnisses von selbst mit Straffolgen ausgestattet werden; daher die
besondere Unterwerfung unter solche verlangt wird. Loebe, Zollstrafr. S. 136.
lage nicht bedarf, von selbst zulässig. Allein es wird angenommen, daſs die Be-
hörden unter diesen Umständen nicht berufen sind, davon Gebrauch zu machen,
um den Fehlenden, der sich nicht fügt, in Ordnung zu bringen, anstatt der Sache
einfach ein Ende zu machen. — Keine Ausnahme davon ist zu sehen in Nieder-
lageregulativ § 16 (Centr.Bl. 1888 S. 554): „Die Niederleger sind verbunden, die
an sie ergehenden Anweisungen des Niederlageverwalters zur Verhütung oder Be-
seitigung von Beschädigungen der lagernden Waren zu befolgen“. Nach vergeb-
licher Aufforderung kann „von Amtswegen das Nötige auf seine Kosten verfügt
werden“. Hier ist Einzelbefehl und Ersatzvornahme. Aber es ist nicht die Finanz-
gewalt, die sich darin äuſsert: Schutz und Sicherung der Staatseinnahmen ist nicht
in Frage; sondern es ist Anstaltsgewalt, gegründet auf die Benutzung der Nieder-
lage als öffentlicher Anstalt; davon später.
Zuckersteuerges. v. 1887 § 54. Salzsteuerges. v. 1867 § 7 Abs. 3 gestattet im
Falle des Ungehorsams sogar die Schlieſsung des Werkes, — eine Art Übertragung
des bei freiwilligen Gewaltverhältnissen zu Gebote stehenden Zwangsmittels.
Daſs die Ermächtigung zu solchen Gewaltmaſsregeln auch durch Verwaltungs-
vorschriften gegeben werden kann, dafür giebt Niederlageregulativ § 1 Abs. 2
(Centr.Bl. 1888 S. 551) ein Beispiel: „Wer die Niederlage betreten will oder die-
selbe verläſst, hat sich bei dem die Aufsicht führenden Zollbeamten zu melden.
Auch können Personen, welche die Niederlage verlassen, nach Maſsgabe des § 127
des Vereinszollgesetzes einer körperlichen Visitation unterworfen werden“. Der
§ 127, auf welchen zur „Maſsgabe“ Bezug genommen wird, trifft nicht unmittelbar
zu. Das Regulativ ermächtigt zu der Gewaltmaſsregel ohne gesetzliche Grund-
lage aus eigner Kraft, vermöge des Gewaltverhältnisses, in welches der Besucher
des vorbehaltenen Raumes sich begeben hat. Vgl. oben S. 441.
nicht zur Geltung, wenn man sie in den allgemeinen Begriff der „Verwaltungs-
exekution“ aufgehen läſst. Da gerät sie ganz ins Schlepptau des Polizeizwangs.
So bei Gneist in Holtzendorff Rechtslexikon III, 2 S. 1106 ff. Noch ausgeprägter
ist diese Unselbständigkeit bei Bornhak, Preuſs. St.R. III S. 519. Dort heiſst es:
„Die zwangsweise Beitreibung der Steuern erfolgt auf Verfügung der zuständigen
Behörde im Verwaltungszwangsverfahren. Vgl. darüber § 167“. Der § 167 ist
aber überschrieben: „die Formen der Polizeiverwaltung“ und giebt auf S. 140 eine
gute Übersicht der bekannten Mittel des Polizeizwangs. Von Geldbeitreibung ist nur
bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit (II S. 453) die Rede. — Seydel, Bayr. St.R. III,
unterscheidet (S. 613 ff.) „das staatliche Zwangsrecht gegen die Person“ und (S. 617 ff.)
„das staatliche Zwangsrecht gegen das Vermögen“. Das letztere ist ihm aber im wesent-
lichen die Enteignung, für die sonst im System kein Platz zu finden war. Zum
ersteren soll dagegen auch die Zwangsbeitreibung gehören: „Der Zwang wird ent-
weder gegen die Person selbst oder gegen deren Vermögen geübt. Auch in dem
letzteren Falle ist jedoch die Person der Angriffsgegenstand. Der Zweck des
Zwanges ist nicht, über die Sache, sondern über die Person Herr zu werden“. Das
dürfte aber bei Erzwingung einer Geldzahlung durchaus nicht die Meinung des
halben eintretenden gesetzlichen Neuordnung, die Finanzbehörden ohne gesetzliche
Grundlage unbeanstandet ein umfassendes Vollstreckungsrecht zu üben pflegten.
Der Aufsatz in Bl. f. adm. Pr. 28 S. 253 ff. belegt das mit einer Reihe von Bei-
spielen. — Die administrative Zwangsbeitreibung pflegt demgemäſs als Stück eines
zwingende: ob persönliches Verhalten oder Geldleistung. So G. Meyer, V.R. I
S. 66; Loening, V.R. S. 249 ff.
verhältnisse S. 130 ff.
werden. Oppenhoff, Ressortverhältnisse S. 130 Note 353; Gneist in Holtzen-
dorff Rechtslexikon III, 2 S. 1006 ff.; G. Meyer, V.R. I S. 66: „die Verwaltungs-
exekution (ist) durch besondere Gesetze geregelt worden. Aber die Exekutiv-
befugnisse der Verwaltungsbehörden verdanken nicht etwa den letzteren ihre Ent-
stehung; sie haben durch dieselben nur eine nähere Bestimmung und Begrenzung
erhalten“. — Daſs es sich dabei nur um öffentlichrechtliche Forderungen handelt,
ist von den Gesetzen zum Teil ausdrücklich hervorgehoben: Württemb. Ges. über
die Zwangsvollstreckung öffentlichrechtlicher Ansprüche v. 18. Aug. 1879; Bad.
Ges. die Zwangsvollstreckung wegen öffentlichrechtlicher Geldforderungen betr. v.
20. Febr. 1879; Sächs. Ges. die Zwangsvollstreckung wegen Geldleistungen in Ver-
waltungssachen betr. v. 7. März 1879. — Preuſs. Verord. v. 7. Sept. 1879 und
Bayr. Ausf.Ges. zu C.Pr.O. Art. 4 ff. setzen den Umfang der Zulässigkeit dieses
Zwangsbeitreibungsverfahrens als gegeben voraus.
gesetzten Verwaltungsaktes, daher schlieſslich das ganze Verwaltungsbeitreibungs-
verfahren gleichmäſsig auf jenem beruht. So genügt dazu nach Bad. Ges. v.
3. Nov. 1879 § 1 der „Ausspruch“ von seiten der Bezirkssteuerkassen, Bezirks-
zollkassen und Amtskassen, „daſs wegen eines bestimmten Forderungsbetrages gegen
eine bestimmte Person die Zwangsvollstreckung zu erfolgen habe“. Bayr. Ausf.Ges.
zu C.Pr.O. v. 25. Febr. 1879 Art. 6 fordert überall die förmliche Vollstreckungs-
klausel, welche die Behörde der Aufstellung der zu vollstreckenden Forderung bei-
Gerichtsvollzieher und die Zwangsvollstreckung erfolgt auf Grund einer amtlichen
Ausfertigung dieser Verfügung. — Postges. v. 28. Okt. 1871 § 25 bestimmt: „Die
Postanstalten sind berechtigt, unbezahlt gebliebene Beträge von Personengeld, Porto
und Gebühren nach den für die Beitreibung öffentlicher Abgaben bestehenden
Vorschriften exekutorisch einziehen zu lassen“. Dambach, Ges. über das Post-
wesen S. 126, bemerkt dazu: „der § 25 enthält eine Ausnahme von der allgemeinen
Rechtsregel, daſs Forderungen erst dann im Wege der Zwangsvollstreckung bei-
getrieben werden dürfen, wenn sie durch richterliches Erkenntnis oder einen
sonstigen s. g. vollstreckbaren Titel festgestellt sind“. Eine Ausnahme ist das
aber nur, wenn man sich, wie Dambach thut, von vornherein unter die Regeln der
civilprozeſsrechtlichen Zwangsvollstreckung stellt, die ja allerdings ihren vollstreck-
baren Titel verlangt.
ziehungswesens; Bayr. Ausf.Ges. z. C.Pr.O. 23. Febr. 1879 Art. 7; Württemb. Ges.
18. Aug. 1879 Art. 12; Sächs. Ges. 7. März 1879 § 1; Bad. Verord. 3. Nov. 1879
§ 7. — Oppenhoff, Ressortverhältnisse S. 268 Note 229, drückt den Gegensatz
folgendermaſsen aus: „Während die Exekutionsbefugnis nach den Grundsätzen des
preuſsischen Rechts als die selbstverständliche Folge, ja als integrierender Teil
des der Behörde zustehenden Entscheidungs- resp. Verfügungsrechtes und die Be-
hörde selbst als der exequierende Teil erscheint, indem die hierbei mitwirkenden
Unterbeamten ohne alle Selbständigkeit handeln, gleichsam bloſse Werkzeuge sind,
deren Thätigkeit sich nach auſsen hin mit der der anordnenden Behörde identifi-
ziert, verlangt das französische Recht immer einen vollstreckbaren, auch in seiner
Form als solchen erkennbaren Titel und legt dessen Vollstreckung in die Hände
besonderer, bis zu einem gewissen Grad selbständiger, sowie unter eigener Ver-
antwortung handelnder Beamten, der Gerichtsvollzieher“. Das letztere ist jetzt die
Form auch der deutschen civilprozeſsrechtlichen Zwangsvollstreckung. Das erstere war
schon damals die Form auch der französischen administrativen Zwangsbeitreibung,
soweit wenigstens eigene Vollstreckungsbeamte, porteurs de contrainte, zur Ver-
wendung kamen. Der Gegensatz, den Oppenhoff durchführt, ist also heute richtig
nicht mit preuſsisch und französisch, sondern mit verwaltungsrechtlich und civil-
prozeſsrechtlich zu bezeichnen. — Über diesen Gegensatz der Prinzipien der Zwangs-
vollstreckung vgl. Motive zum Württemb. Ges. v. 18. Aug. 1879 (Schmidlin,
Justizgesetze des Deutschen Reiches II S. 354).
726 der C.Pr.O. dem Vollstreckungsgerichte vorbehaltenen Entschlieſsungen stehen,
wenn die Zwangsvollstreckung durch den Vollstreckungsbeamten einer Verwaltungs-
behörde erfolgt, der letzteren zu“. Württemb. Ges. v. 18. Aug. 1879 Art. 6,
Art. 13; Preuſs. Verord. 7. September 1879 § 3, 4, 7, 38 ff.; Bad. Verord. 3. Nov.
1879 § 2.
Verordnung 7. Sept. 1879 überläſst die Pfändung von Forderungen der Verfügung
der Vollstreckungsbehörde (§ 42), die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche
Vermögen dem Civilgericht (§ 5). Ebenso Württemb. Ges. 18. Aug. 1879 Art. 3
u. 10. Bayr. Ausf.Ges. v. 23. Febr. 1879 Art. 7 verweist wegen aller Vollstreckungs-
beschlüsse an das Gericht.
stehenden Vollzugsorgane als auch durch Gerichtsvollzieher“. Ebenso Sächs. Ges.
v. 7. März 1879 § 1. Bad. Verord. 3. Nov. 1879 § 7 (regelmäſsig Steueraufseher
oder Grenzaufseher, ausnahmsweise Gerichtsvollzieher). Preuſs. Verord. 7. Sept.
1879 § 5 Abs. 4: „Die Ausführung einer Zwangsvollstreckung kann einem Gerichts-
vollzieher übertragen werden. Dieser hat nach den für gerichtliche Zwangs-
vollstreckungen bestehenden Vorschriften zu verfahren“.
von Gerichtsvollziehern für die administrative Zwangsbeitreibung sehr gut: Motive
zum Württemb. Ges. v. 18. Aug. 1874 (Schmidlin, Justizgesetze des deutschen
Reiches II S. 354 ff.).
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- TextGrid Repository (2025). Mayer, Otto. Deutsches Verwaltungsrecht. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnbz.0