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[][][[I]]
Gedichte


Stuttgart und Tuͤbingen,:
in der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung
1826.

[[II]][[III]]

Inhalt.


  • Seite
  • Zueignung. 3
  • Preiß der Tanne. 5
  • Der todte Müller. 7
  • Die vier wahnſinnigen Brüder. 8
  • Der Einſame. 11
  • Trinklied im Juli. 12
  • Alte Heimat. 14
  • Wanderer. 15
  • Der Pilger. 16
  • Lob des Flachſes. 17
  • Lob der Spindel. 19
  • Stille Thränen. 22
  • Der reichſte Fürſt. 23
  • Wer machte dich ſo krank? 25
  • Von Ihr. 26
  • Graf Olbertus von Calw. 27
  • Stummſeyn der Liebe. 31
  • Luſt der Sturmnacht. 32
  • An Ludwig Uhland. 33
  • Der Roſenſtock. 35
  • Im Herbſt. 26
  • Im Winter. 36
  • Sonnenblicke im Winter. 37
  • Tröſtung. 38
  • Der ſchmerzhafte Ton. 39
  • Vorwärts. 40
  • Auf das Wildbad. 42
  • Herbſtgefühl. 43
  • Todesprobe. 44
  • Wanderers Nachtlied. 45
  • Seite
  • An Sigmund v. Birken. 46
  • Anna Vögtly. 47
  • Guter Rath. 50
  • Kurzes Erwachen. 51
  • Frühlingsmorgen. 52
  • Der Stephansthurm. 53
  • Sängers Troſt. 55
  • Der Waſſermann. 56
  • Im Herbſt. 57
  • Morgengefühl. 58
  • Alphorn. 60
  • Ade. 61
  • Waldleben. 63
  • Von Ihr. 65
  • Sehnſucht nach der Waldgegend. 67
  • Maria. 68
  • Wanderlied. 69
  • Geſpräch. 71
  • Auf der Wanderung. 72
  • Das treue Roß. 73
  • Ruhe bey Ihr. 75
  • Troſt. 76
  • Liebesklage. 77
  • Die Stiftung Hirſchaus. 78
  • Räthſel. 81
  • Winterklage. 82
  • Ständchen. 83
  • Der Bürgerwall. 84
  • Bey des Kronprinzen von Würtemberg Zurückkunft aus Frank-
    reich. 85
  • An die Königin Katharina. 87
  • Nach Katharinas Tod. 89
  • Ueber das in Metall geprägte Bild Katharinas. 93
  • Kaiſer Rudolphs Ritt zum Grabe. 95
  • Troſt im Geſang. 98
  • Denkmale. 99
  • Der Ring. 101
  • Seite
  • Wanderung. 103
  • Vogt Finſterlings Bauern-Ideal. 104
  • Graf Eberhardt. 105
  • Der Gärtner auf der Höhe. 106
  • Frühlingsklage. 108
  • Der Roſenſtrauch. 109
  • Todtenopfer. 111
  • Abſchied. 114
  • Ehmals. 115
  • Auf Roſas Tod. 116
  • Die Antwort. 117
  • Herr von der Haide. 118
  • Der Kranke an den Arzt. 120
  • Spindelmanns Recenſion der Gegend. 123
  • Auf die Anweſenheit des Herzogs von Braunſchweig in Braun-
    ſchweig im Jahre 1809. 124
  • König Georg von England. 126
  • Sommerabend. 128
  • Todten-Opfer für Carl Gangloff. 132
  • An Gangloffs Geiſt. 135
  • Im Herbſte. 137
  • Sonnenlauf. 138
  • Die heilige Regiswind von Laufen. 139
  • An das Trinkglas eines verſtorbenen Freundes. 141
  • An Roſamund. 142
  • Nächtlicher Beſuch. 143
  • Die traurige Hochzeit. 145
  • Stille Liebe. 146
  • Der Geiger zu Gmünd. 147
  • Mayenklage. 152
  • Der Pilger. 153
  • An Peter Brukmann. 155
  • Abendſchiffahrt. 157
  • Rath im Mai. 158
  • Sankt Alban. 159
  • Eine Fabel. 161
  • Lezter Troſt. 163
  • Seite
  • Sehnſucht. 164
  • Frage. 166
  • Auf die aus den Kirchen weggebrachte altdeutſche Gemählde. 167
  • Winter. 169
  • Auf einen Epigrammatiſten. 170
  • Der bange Traum. 171
  • Hohenſtaufen. 173
  • Er und Sie. 175
  • Treue. 176
  • An das Herz im Frühling. 177
  • St. Walderichs Kapelle. 178
  • Troſt in der Natur. 181
  • An Johannes Lämmerer. 182
  • Zwey Särge. 183
  • Geſanges Erwachen. 184
  • Im Walde. 185
  • Auf Franz Kochs Spiel auf der Maultrommel. 186
  • An die * * 187
  • An L. U. 188
  • Epiſteln. 189
  • Die Lilie. 196
  • Ikarus. Eine Dichtung in dramatiſcher Form. 197

[[3]]
Zueignung.
Herz! gedenkſt du noch der Stelle,

Wo einſt unſer Fruͤhling war,

Deines Luſtnaus Bluͤthenbaͤumen,

Der verlaſſenen Kapelle,

Jenes Himmels wunderklar?

Ach! es war ein kurzes Traͤumen,

Schmerz der Trennung lange Jahr!

Herz vom Herzen weggeriſſen,

Wandelnd in der Fremde bang,

Ward dein Stern, dein frommer Glaube,

Meiner in den Finſterniſſen,

Meine Liebe, mein Geſang,

So der Welt ward keins zum Raube,

Bis ich gaͤnzlich dich errang.

Jezt, was kaum ich ſah in Traͤumen,

Bildete ſich wirklich aus:

An dem Berg der Frauentreue

Stehet unter gruͤnen Baͤumen

Freundlich unſer kleines Haus

Und geliebter Kinder dreye

Huͤpfen froͤhlich ein und aus.

[4]
Und dahin ſind Schmerz und Sehnen,

Die in mir das Lied erregt,

Auch das ſcherzende, — entſprungen

Iſt auch diß nur ſtillen Thraͤnen,

Nur dem Gram, der mich bewegt.

Herz! — und ich hab' ausgeſungen,

Weil du allen Schmerz gelegt.

[5]
Preiß der Tanne.
Juͤngſthin hoͤrt' ich wie die Rebe

Mit der Tanne ſprach und ſchalt:

Stolze! himmelwaͤrts dich hebe!

Dennoch bleibſt du ſtarr und kalt!

Spend' auch ich nur kargen Schatten

Wegemuͤden, gleich wie du,

Fuͤhret doch mein Saft die Matten,

O wie leicht! der Heimat zu.

Und im Herbſte, — welche Wonne

Bring' ich in des Menſchen Haus!

Schaff' ihm eine neue Sonne,

Wann die alte loͤſchet aus.

So ſich bruͤſtend ſprach die Rebe,

Doch die Tanne blieb nicht ſtumm,

Saͤuſelnd ſprach ſie: gerne gebe

Ich dir, Rebe, Preiß und Ruhm.

Eines doch iſt mir beſchieden.

Mehr zu laben als dein Wein,

Lebensmuͤde; — welchen Frieden

Schließen meine Bretter ein!

[6]
Ob die Rebe ſich gefangen

Gab der Tanne, weiß ich nicht,

Doch ſie ſchwieg, — und Thraͤnen hangen

Sah ich ihr am Auge licht.

[7]
Der todte Muͤller.
Die Sterne uͤber'm Thale ſtehn,

Das Muͤhlrad nur man hoͤret.

Zum kranken Muͤller muß ich gehn,

Er hat den Freund begehret.

Ich ſteig hinab den Felſenſtein,

Es donnert dumpf die Muͤhle

Und eine Glocke toͤnt darein:

„Die Arbeit iſt am Ziele!“

In Muͤllers Kammer tret' ich nun,

Starr liegt des Greiſen Huͤlle,

Es ſtockt ſein Herz, die Pulſe ruh'n,

Und draußen auch wird's ſtille.

Die treuen Lieben weinen ſehr,

Still bleibt ſein Herz und kuͤhle.

Die Waſſer fließen wohl daher,

Still aber ſteht die Muͤhle.

[8]
Die vier wahnſinnigen Bruͤder.
Ausgetrocknet zu Gerippen

Sitzen in des Wahnſinns Haus

Vier — von ihren bleichen Lippen

Gehet keine Rede aus,

Sitzen einander gegenuͤber

Blickend immer holer, truͤber.

Doch ſchlaͤgt Mitternacht die Stunde

Straͤubet ſich ihr Haar empor

Und dann toͤnt aus ihrem Munde

Jedesmal in dumpfem Chor:

Dies irae dies illa

Solvet secla in favilla.

Waren einſt vier ſchlimme Bruͤder,

Hatten nur gezecht, gelaͤrmt,

Beym Geſang verbuhlter Lieder

Durch die heil'ge Nacht geſchwaͤrmt

Keines freundlichen Berathers

Warnung half, kein Wort des Vaters.

Noch im Sterben ſprach der alte

Zu den ſchlimmen Soͤhnen vier:

Warnt euch nicht der Tod, der kalte,

[9]
Alles fuͤhret er von hier:

Dies irae dies illa

Solvet secla in favilla.

Und er ſprach's und war verſchieden,

Jene aber ruͤhrt es nicht;

Doch er gieng zum ew'gen Frieden,

Jene, wie zum Hochgericht,

Treibt es in der Welt Getuͤmmel,

Nach der Hoͤlle, fern dem Himmel.

Und gebuhlet und geſchwaͤrmet

Ward es wieder lange Jahr,

Andrer Noth ſie nie gehaͤrmet,

Keinem greiſer ward das Haar.

Luſt'ge Bruͤder! habt nicht Zweifel:

Eine Maͤhr' iſt Gott und Teufel.

Einſt als Mitternacht gekommen

Kehrten taumelnd ſie vom Schmaus,

Horch! da toͤnt Geſang der Frommen

Aus dem nahen Gotteshaus.

Laſſet euer Bell'n, ihr Hunde!

Schreyen ſie aus Satans Munde.

Stuͤrzen, die verruchten Wichte,

Bruͤllend durch das heilge Thor,

Aber wie zum Weltgerichte

Toͤnet hier der ernſte Chor:

Dies irae dies illa

Solvet secla in favilla.

[10]
Und ihr Mund — weit ſteht er offen,

Doch kein Woͤrtlein aus ihm geht,

Gottes Zorn hat ſie getroffen,

Jeder wie ein Steinbild ſteht,

Grau die Haare, bleich die Wangen.

Wahnſinn hat ihr Haupt befangen.

Ausgetrocknet zu Gerippen

Sitzen in des Wahnſinns Haus

Nun die vier, — von ihren Lippen

Gehet keine Rede aus,

Sitzen einander gegenuͤber

Blickend immer holer, truͤber.

Doch ſchlaͤgt Mitternacht die Stunde,

Straͤubet ſich ihr Haar empor,

Und dann toͤnt aus ihrem Munde

Jedesmal in dumpfem Chor:

Dies irae dies illa

Solvet secla in favilla.

[11]
Der Einſame.
Wohl geheſt du an Liebeshand,

Ein uͤberſel'ger Mann;

Ich geh' allein, doch mit mir geht

Was mich begluͤcken kann.

Es iſt des Himmels heilig Blau,

Der Aue Blumenpracht,

Einſamer Nachtigallen Schlag

In wolk'ger Waͤlder Nacht.

Es iſt der Wolke ſtiller Lauf

Lebend'ger Waſſer Zug,

Der gruͤnen Saaten wogend Meer

Und leichter Voͤgel Flug.

Du ruhſt im zarten Frauenarm,

Am Roſenmund voll Duft;

Einſam geh' ich, im Mantel ſpielt

Die kuͤhle Abendluft.

Es kommt kein Wandrer mehr des Wegs,

Der Vogel ruht im Baum:

Ich ſchreite durch die duͤſtre Nacht,

In mir den hellſten Traum.

[12]
Trinklied im Juny.
Was duftet von des Berges Haupt

So tief ins Thal hinab?

Die Rebe iſt's, die neubelaubt

Sich bluͤhend hebt am Stab.

Was regt ſich in des Hauſes Grund

In den Gewoͤlben tief?

Der Wein iſt's, der in Faſſes Rund

Schon laͤngſt gebunden ſchlief.

Die Bluͤthe hat ihn aufgeregt,

Der Duft im Heimatland,

Daß er von Sehnſucht tiefbewegt

Will ſprengen jezt ſein Band.

Zwingherren, Freunde! ſind wir nicht,

Bringt die Pokale her!

Und laßt den Armen jezt an's Licht,

Wie er es wuͤnſcht ſo ſehr.

Hebt ſingend auf zu Berges Hoͤh'

Den ſchaͤumenden Pokal:

Befreyter! deine Heimat ſeh'

Im Duft und Sonnenſtrahl!

[13]
Seht, wie mit tauſend Augen er

Die Heimat ſchaut entzuͤckt,

Aus der die Rebe bluͤthenſchwer

Ihm in die Augen blickt!

Er brauſt, er ſingt: „willkommen du,

„O Heimat voller Licht!

„Und jezt, ihr Lieben! trinkt nur zu!

„Ich bin der Lezte nicht!“

Du edler Saft! du dringſt mit Macht

Uns in das Herz hinein!

Wohlan! ſtoßt an! du ſollſt gebracht,

Der theuren Heimat ſeyn!

Und dem, der irrt am fremden Strand,

Und dem in Kerkersnoth,

Daß ihm erſchein' ſein Heimatland,

Wie dir noch vor dem Tod.

[14]
Alte Heimat.
In einem dunklen Thal,

Lag ich juͤngſt traͤumend nieder,

Da ſah ich einen Stral

Von meiner Heimat wieder.

Auf morgenrother Au

War Vaters Haus gelegen;

Wie war der Himmel blau!

Die Flur, wie reich an Segen!

Wie war mein Heimatland

Voll Gold und Roſenhelle!

Doch bald der Traum verſchwand,

Schmerz trat an ſeine Stelle.

Da irr't ich weit hinaus

In's oͤde Land voll Sehnen;

Noch irr' ich, ſuch das Haus,

Und find es nicht vor Thraͤnen.

[15]
Wanderer.
Die Straßen, die ich gehe,

So oft ich um mich ſehe,

Sie bleiben fremd doch mir.

Herberg', wo ich moͤcht' weilen,

Ich kann ſie nicht ereilen,

Weit, weit iſt ſie von hier.

So fremd mir anzuſchauen

Sind dieſe Staͤdt' und Auen,

Die Burgen ſtumm und todt;

Doch fern Gebirge ragen,

Die meine Heimat tragen,

Ein ewig Morgenroth.

[16]
Der Pilger.
Auf duͤrrer Haide geht

Ein armer Wandersmann,

Kein kuͤhlend Luͤftchen weht,

Das ihn erquicken kann.

Er ſchaut Land ein, Land aus,

Horcht, keine Quelle fließt,

Blickt, ſieht nicht Wald, noch Haus,

So ſchattend ihn umſchließt.

Er kann nicht weiter gehn,

Er ſinkt auf's duͤrre Moos, —

Doch ſieh! auf Bergeshoͤhn

Erblickt er jezt ein Schloß.

„O Kranker! freue dich!

„Das nimmt dich gaſtlich auf!“

Er rafft zuſammen ſich,

Er eilt den Berg hinauf.

Und als er auf den Hoͤh'n —

Kein Schloß erſieht er mehr,

Sieht eine Wolke ſtehn,

Die bald erſtirbt, wie er.

[17]
Lob des Flachſes.
Wohl hat Sommer ſich zum Kranze

Manche zarte Bluͤth' gewoben.

Aber, Flachs, dich mildſte Pflanze!

Muß ich doch vor allen loben.

Blauen Himmel ausgeſtreuet

Haſt du uͤber dunkle Auen,

Deine milde Schoͤnheit freuet

Die gleich zart geſchaffne Frauen.

Weiches Gruͤn der Stengel zieret,

Bluͤthe traͤgt des Himmels Helle,

Leis vom Weſthauch angeruͤhret

Wogt ſie ſanft in blauer Welle.

Iſt die Bluͤthe Dir entfallen,

Zieht man dich aus dunkler Erden,

Darfſt nicht mehr im Weſthauch wallen

Muſt durch Feu'r zu Silber werden.

Und die Hand geſchaͤft'ger Frauen

Ruͤhrt dich unter muntern Scherzen,

Klar wie Mondſchein anzuſchauen

Biſt du theuer ihrem Herzen.

J. Kerners Gedichte. 2
[18]
In dem blanken Maͤdchenzimmer,

Leis beruͤhrt von zartem Munde,

Schoͤn verklaͤrt von Sternenſchimmer

Wird dir manche liebe Stunde.

Naͤchtlich in des Landmanns Huͤtte,

Wo ein flammend Holz die Kerze,

In viel muntrer Maͤgdlein Mitte,

Biſt du bey Geſang und Scherze.

Drauſen brauſen Sturm, Geſpenſter;

Wandrer wird der Sorg' entladen,

Sieht er hinter hellem Fenſter

Heimiſch deinen goldnen Faden.

Zarten Leib in dich gekleidet

Tritt das Maͤgdlein zum Altare,

Liegſt ein ſegnend Kreuz gebreitet

Schimmernd uͤber dunkler Bahre.

Biſt des Saͤuglings erſte Huͤlle,

Spieleſt lind um ſeine Glieder, —

Bleich in dich gehuͤllt und ſtille

Kehrt der Menſch zur Erde wieder.

[19]
Lob der Spindel.
Die Fauſt des Mannes zieret

Ein blank geſchliffen Schwerdt,

Das er in Treue fuͤhret,

Wo er das Recht begehrt.

Sank er auf blut'ger Haide,

Den Ring, den Edelſtein,

Dies ſeiner Hand Geſchmeide

Grab' man mit ihm hinein.

Des Eiſens Wucht zu heben

Sind Frauen nicht gewandt,

Sie leben ſtilles Leben

Die Spindel in der Hand.

Die zarte Hand der Schoͤnen

Ziert die mit rechter Weis';

Sie tanzt mit ſuͤßem Toͤnen,

Und ſingt der Frauen Fleiß.

In alter Waͤlder Dunkel,

Auf mooſigem Geſtein

Sizt an kryſtallner Kunkel

Nachtfrau im Mondenſchein.

[20]
Mondhelle Faͤden bringet

Ihr Finger zart hervor;

Seltſam die Spindel ſinget;

Es lauſcht des Wandrers Ohr.

In Schloß und Burgeshallen

Die Spindel emſig ſang;

Den deutſchen Frauen allen

War ſie ein lieber Klang.

Gar ſpaͤrlich Sammt und Seide

Umfieng der Frauen Leib.

Im ſelbſtgeſponn'nen Kleide

Gieng da manch ſuͤßes Weib.

Kaum daß in armer Kammer,

In Naͤchten lang und bang,

Bey Thraͤnen und bey Jammer

Noch toͤnt der Spindel Sang.

Sing' nur! Du ſingſt den Sorgen

Der Armuth endlich Tod.

Steig auf, du lichter Morgen!

Bring' das erſung'ne Brod.

Jezt im Gemach der Schoͤnen

Hoͤrt man wohl Lautenklang,

Wohl welſche Triller toͤnen,

Gar leis der Spindel Sang.

[21]
Die Spindel haͤlt verſchoben

Jezt manche Schoͤne ſtolz

Und denkt: wie kann man loben

So ein gemeines Holz!

Nein! liebe deutſche Frauen!

Erkennt der Spindel Werth!

Wollt treulich auf ſie bauen,

Treu, wie der Mann auf's Schwerdt!

Indeß Der ſieghaft ſtehet

In Blut und Kampfes-Schweiß,

Sizt fromm daheim und drehet,

Die Spindel recht mit Fleiß!

So war's in alten Tagen

Sittſamer Frauen Art.

Bilder und ſchlichte Sagen

Die haben uns bewahrt:

Wie in der Frauen Kreiſe

Die Spindel nie geruht. —

Spinnt fort nach alter Weiſe

Zart — aber ſtark und gut.

[22]
Stille Thraͤnen.
Du biſt vom Schlaf erſtanden

Und wandelſt durch die Au,

Da liegt ob allen Landen

Der Himmel [wunderblau].

Weißt nicht, daß als ohn' Sorgen

Du ſchliefeſt ſchmerzenlos,

Der Himmel bis zum Morgen

Viel Thraͤnen niedergoß.

In ſtillen Naͤchten weinet

Oft mancher aus den Schmerz,

Und Morgens dann man meinet

Ste[t]s froͤhlich ſey ſein Herz.

[23]
Der reichſte Fuͤrſt.
Preißend mit viel ſchoͤnen Reden

Ihrer Laͤnder Werth und Zahl.

Saßen viele deutſche Fuͤrſten

Einſt zu Worms im Kaiſerſaal.

Herrlich, ſprach der Fuͤrſt von Sachſen,

Iſt mein Land und ſeine Macht,

Silber hegen ſeine Berge

Wohl in manchem tiefen Schacht.

Seht mein Land in uͤpp'ger Fuͤlle,

Sprach der Churfuͤrſt von dem Rhein,

Goldne Saaten in den Thaͤlern,

Auf den Bergen edlen Wein!

Große Staͤdte, reiche Kloͤſter,

Ludwig Herr zu Bayern ſprach,

Schaffen, daß mein Land den euren

Wohl nicht ſteht an Schaͤtzen nach.

Eberhardt, der mit dem Barte,

Wuͤrtembergs geliebter Herr,

Sprach: mein Land hat kleine Staͤdte

Traͤgt nicht Berge ſilberſchwer.

[24]
Doch ein Kleinod haͤlt's verborgen: —

Daß in Waͤldern noch ſo groß

Ich mein Haupt kann kuͤhnlich legen

Jedem Unterthan' in Schooß.

Und es rief der Herr von Sachſen,

Der von Bayern, der vom Rhein.

Graf im Bart! ihr ſeyd der reichſte,

Euer Land traͤgt [Edelſtein!]

[25]
Wer machte dich ſo krank?
Daß du ſo krank geworden,

Wer hat es denn gemacht? —

Kein kuͤhler Hauch aus Norden,

Und keine Sternennacht.

Kein Schatten unter Baͤumen,

Nicht Gluth des Sonnenſtrahls,

Kein Schlummern und kein Traͤumen

Im Bluͤthenbett' des Thals.

Kein Trunk vom Felſenſteine,

Kein Wein aus vollem Glas,

Der Baͤume Fruͤchten keine,

Keine Blume und kein Gras.

Daß ich trag' Todeswunden,

Das iſt der Menſchen Thun,

Natur ließ mich geſunden,

Der Menſch laͤßt mich nicht ruhn.

[26]
Von Ihr.
Sonnenblume die in Wonne

Sich nach gold'ner Sonne ſehnet,

Wird zum Bild der klaren Sonne

Ihre Liebe ſie verſchoͤnet.

Schein ich gut dir, ſuͤß Verlangen!

Wie das Herz ſo gerne waͤhnet,

Iſt von Augen dein und Wangen

Ruhe auf mich uͤbergangen,

Schein der Glorie, die dich kroͤnet.

[27]
Graf Olbertus von Calw.
(Im Winter.)

Bey hellem Vogellied

Was ſollen Saitenklaͤnge?

Was Sagen und Geſaͤnge,

Wann bunt die Blume bluͤht?

Nur wann die Aue leer

Und ſtumm in Wintertagen,

Da kann man fuͤglich ſagen

Und ſingen bunte Maͤhr'. —

Bey Calw, in jenen Gau'n,

Die Wuͤrtemberg man nennet,

Wo man viel Sagen kennet

Von Rittern und von Frau'n,

Da liegt in Waldes Schooß

Ein alter Bau verſtecket,

Jahrhunderte bedecket

Von Epheu und von Moos.

Der Wind durchrauſcht den Saal,

Gleich klagendem Gewimmer,

Wo einſt in goldnem Schimmer

Klang Laute und Pokal;

[28]
Wo einſt in uͤpp'ger Pracht

Olbertus Frau gelebet,

Nach Weltluſt nur geſtrebet,

Niemals an Gott gedacht,

Olbertus aber truͤb

Und ſtill gelebt in Schmerzen,

Dem Gott geweihten Herzen

Stets fremd die Uepp'ge blieb.

Ich ſcheide, ſprach er, Weib!

Leb wohl und ſey mein Erbe!

Ich ſcheid', eh' ich verderbe

Allhier an Seel' und Leib!

Will ſeh'n, wie Armuth thut;

Reichthum hab' ich genoſſen.

Leb' wohl! Dir zum Genoſſen

Verbleibt der leichte Muth!

Und froͤhlich legt vom Leib

Er ſein Gewand von Seide,

Und zieht im Linnenkleide,

Ein Bettler von dem Weib.

Ihr Ring nur haͤlt ihm feſt

Am Finger, eng geſpannet,

Bleibt, wie ins Fleiſch gebannet,

So ſehr er zieht und preßt.

[29]
Es brennt, wie Hoͤllenglut,

Das eitle Pfand der Boͤſen.

O! moͤcht's vom Finger loͤſen

Mir bald ein Engel gut!

Er wallt in's Schweizerland,

Treibt dort als Hirt die Heerde,

Und ſchlaͤft auf harter Erde,

Und trinkt aus hohler Hand,

Und kniet auf blum'ger Au

Am Kreutze manche Stunden.

Sein Fleiſch das iſt geſchwunden,

Sein Bart iſt lang und grau.

Im ſpaͤten Abendroth,

Die Sage ſingt's, bei Schaafen

Da find't den frommen Grafen

Ein irrer Ritter todt.

Ein Glanz ſein Haupt umfließt,

Licht, liegt er, wie verklaͤret,

Vom Finger abgezehret

Der Ring gefallen iſt.

Es iſt dieſelbe Nacht,

Da in dem hellen Saale

Beym zweyten Hochzeitmahle

Die Graͤfinn ſcherzt und lacht.

[30]
Hoch hebt ſie den Pokal,

Es gluͤh'n ihr Wang' und Lippe,

Da tritt ein bleich Gerippe,

Der Tod, dumpf durch den Saal.

Der laͤßt, zu ihr gewandt,

Hoch vor den Gaͤſten allen

Den Ring ins Glas ihr fallen,

Sie hat ihn wohl erkannt.

Die Saiten ſpringen laut

Von Harfe und von Leyer,

Und an das Herz dem Freyer

Sinkt todt die uͤpp'ge Braut.

[[31]]
Stummſeyn der Liebe.
Wohl neigt nach goldner Sonne,

Sich ſtumm die Blum' der Au,

Doch ſpricht von ihrer Wonne

Im Kelch der helle Thau.

Halt' ich dich Lieb' umwunden,

Gedruͤckt an's Herze ganz,

Schweigt Lippe feſt gebunden,

Spricht nur des Auges Glanz.

Ein Leidender entſchlagen

So ploͤtzlich aller Pein,

O Liebe! kann nichts ſagen,

Der kann nur ſtille ſeyn.

[32]
Luſt der Sturmnacht.
Wann durch Berg und Thale draußen

Regen ſchauert, Stuͤrme brauſen,

Schild und Fenſter hell erklirren

Und in Nacht die Wandrer irren.

Ruht es ſich ſo ſuͤß hier innen,

Aufgeloͤst in ſel'ges Minnen,

Blau und Gold, all' Himmelsſchimmer,

Flieht herein in's ſtille Zimmer.

Reiches Leben! hab' Erbarmen!

Halt mich feſt in linden Armen!

Lenzesblumen aufwaͤrts dringen,

Woͤlklein ziehen, Voͤgel ſingen.

Ende wie du Sturmnacht wilde!

Klirrt ihr Fenſter! ſchwankt ihr Schilde!

Baͤumt euch, Waͤlder! braus', o Welle!

Mich umfaͤngt des Himmels Helle.

[33]
An Ludwig Uhland.
(Nach Empfang ſeines Schauſpieles: Herzog Ernſt.)

1818.

Treibt auch fuͤr jezt der Menſchen Treiben

Mich dahin und dich dort hinaus,

Muß ich doch immer bey dir bleiben,

Iſt ja dein Herz ſchon lang mein Haus.

So kommt es, daß in jeden Naͤchten

Ich jezt in Traͤumen bin bey dir,

Nicht uͤber Rechte wir da rechten,

Von Lenz und Liedern ſprechen wir.

Da liegt kein Rechtsbuch aufgeſchlagen,

Kein Zeitungsblatt auf deinem Tiſch,

Doch Heldenſpiele, bunte Sagen,

Und deine Lieder hold und friſch.

Und hell dein Buch von Freundestreue

Dein Ernſt, den keine Zeit verweht,

Da wird mir alles wieder neue,

Bis daß der ſchoͤne Traum vergeht.

J. Kerners Gedichte. 3
[34]
Treibt dann der Menſchen Treiben wieder

Mich dahin und dich dort hinaus,

So rufen fern mir deine Lieder:

Nur das iſt deiner Heimath Haus.

Und wie ſo oft in Sommertagen

Die Rebe wieder Bluͤthen traͤgt,

Derſelbe Wein, den ſie getragen,

Sehnſuͤchtig ſich im Faſſe regt.

So regt, ſo oft als deinem Herzen

Neu des Geſanges Blum' erbluͤht,

Es ſich in mir mit Luſt und Schmerzen:

So hat dein Ernſt erzeugt dieß Lied.

[[35]]
Der Roſenſtock.
Siehe! die Wurzel, ſie liegt im ſchweigenden Dunkel be-

graben,

Einſam und finſter, gehoͤrt dieſe der ewigen Nacht.

Oben entfalten ſich drauf die gruͤnen Blaͤtter, die Dorne,

Bild der Erde ſind ſie, deuten auf Hoffnung und Schmerz.

Ob der Wurzel voll Nacht, ob gruͤnen Blaͤttern und Dornen

Stehet ein jugendlich Roth, bluͤhet die Roſe voll Glut.

[36]
Im Herbſt.
Eh' ſie erſtirbt, die Natur, die treue Mutter, noch einmal

Ruft ſie die Kinder zu ſich, reicht als Vermaͤchtniß den

Wein.

Im Winter.
Fuͤhlt, welch hohes Geſchenk die ſterbende Mutter zuruͤckließ:

Schloß ſie die Sonn' euch nicht liebend in gluͤhenden

Wein?

[37]
Sonnenblicke im Winter.
Was bringet mir den alten Muth

In Mitten meines Lebens Truͤbe?

Ich ſinn' und weiß nicht, wer es thut,

Was wieder weckt des Lebens Liebe.

Die Erde, weiß ich, iſt es nicht,

Nicht Hoffnung iſt's, die mich begluͤcket,

Es iſt des Himmels liebes Licht,

Das einmal wieder mailich blicket.

[38]
Troͤſtung.
Was im weinenden Auge mir oft die Thraͤnen zuruͤckhaͤlt,

Iſt ein ſpielendes Kind, oder ein Vogel im Flug.

[[39]]
Der ſchmerzreiche Ton.
Wehlaut aus dem Todtenzimmer,

Glockenklang, der Schuͤler Chor,

Das ſind Toͤne wohl, die immer

Schmerzreich dringen mir in's Ohr.

Doch ein Ton im Haus der Leiche

Bringet mir vor allen Schmerz,

Ton, bei dem ich ſtets erbleiche,

Ton, der mir zerreißt das Herz.

Ton aus ſtiller Todtenkammer

Wo der Menſch im Leichenſchrein —

Wann der Tiſchler mit dem Hammer,

Schlaͤgt den erſten Nagel ein.

[40]
Vorwaͤrts!
1818.

Neues Wirken, neues Streben

Iſt in Menſchenbruſt erwacht,

Und ein neues friſches Leben

Hebt ſich aus der alten Nacht.

Vorwaͤrts! vorwaͤrts! hat geheißen

Bluͤchers maͤcht'ger Schlachtgeſang.

„Ruͤckwaͤrts! ruͤckwaͤrts!“ das ſind Weiſen

Wohl aus Buſen irr und krank.

Kreuz und Adler juͤngſt noch hießen

Unſre Oriflammen wir,

Und nun ſollten wir erkieſen

Einen Krebs zum Siegspanier?

Buͤrgersſoͤhne, Ritterskinder

Wurden Bruͤder im Gefecht,

Und nun ruft ihr: „Der iſt minder,

Der iſt mehr, nach altem Recht!“

Aber hoͤrts! als ſie vergoſſen

Da ihr Blut mit gleicher Ehr',

Iſts in einen Strom zerfloſſen,

Und den theilt ihr nimmermehr!

[41]
Die Gleichtapfern, die Gleichfreien

Sammelte das gleiche Haus,

Euer Ruͤckwaͤrts-Ruͤckwaͤrts-Schreien

Ruft ſie Arm in Arm heraus;

Daß ſie zeigen ihre Wunden

Blutend neu von euch erweckt;

Wie ſie gleichen Tod gefunden,

Wie ſie gleiche Erde deckt.

Vorwaͤrts! Vorwaͤrts! weiter! weiter!

Ueber Truͤmmer ewig todt.

Weh', o Buͤrgerfahne, heiter

In das friſche Morgenroth!

[42]
Auf das Wildbad.
Quaͤlt Schmerz und Krankheit deine Glieder,

Macht welk dein Herz der Menſchen Qual;

Verlaß' die Welt und ſteig hernieder

In dieſes unterird'ſche Thal.

Hier legt Natur mit linden Armen

Dich an die Bruſt und loͤſt den Schmerz.

Wollt' dich kein Menſchenherz erwarmen,

Erwaͤrmt dich hier ihr Mutterherz.

Der Waſſer gute Geiſter ſingen

Hier aus kryſtallnen Tiefen laut:

„Bald werden dem wir Heilung bringen,

„Der liebend unſrer Kraft vertraut.“

Ja! Kranker! wie ein Kind an's Herze

Der Mutter ſich vertrauend legt,

Lieg' in den Born mit deinem Schmerze,

Von Lieb' und Hoffnung ſtill bewegt.

Wie Lenzeshauch wird's dich durchbeben;

Frag' nicht, wie dieſe Kraft man heißt;

Du kehrſt, ein neuer Menſch, in's Leben

Und ſprichſt: das that des Wildbads Geiſt!

[43]
Herbſtgefuͤhl.
Wie mit Gold die Waͤlder prangen,

Roſen gleich die Baͤum' erbluͤh'n!

Erde will wie Himmel gluͤh'n,

Eh ſie ſtarr liegt und vergangen.

Goldne Himmelsburgen tragen

Die Gebirg' in ſtolzer Pracht,

Drinnen wandeln laͤngſt erwacht

Ritter und Frau'n aus alten Tagen.

Der verklaͤrten Erde Wonne

Fuͤllt mit Licht auch meine Bruſt,

Und das Herz huͤpft auf in Luſt,

Wie ein Voͤglein in der Sonne.

Solche Luſt, — Herz! waͤhrt nicht lange,

Herz! Das iſt nur ein Ergluͤhn

Vor dem gaͤnzlichen Verbluͤh'n

Unterm Huͤgel kalt und bange!

[44]
Todesprobe an der Leiche einer Mutter.
Wohl ihr Aug' erloſchen ſteht,

Wohl die Pulſe nicht mehr ſchlagen

Und mit Klagen

Jedes von der Todten geht.

Doch ſie kann noch lebend ſeyn!

Todeskaͤlte, Blick der Leichen,

Schlechte Zeichen!

Bringet ſchnell ihr Kind herein!

Legt ihr das an's kalte Herz!

Ruͤhrt auch dann ihr Herz ſich nimmer,

Dann auf immer

Iſt ſie todt, — und aus ihr Schmerz.

[45]
Wanderers Nachtlied.
Durch Sturm und Nacht in fremden Land

Irr' ich in Einſamkeit,

Doch ſing' ich froh durch Berg und Thal;

Ich weiß, mir wird kein Leid.

Sie ſchuͤtzt der Himmel liebevoll,

Waͤr' er auch zuͤrnend mir,

Mir wird kein Schmerz, mir wird kein Leid:

Denn Alles ja wuͤrd' ihr.

[46]
An Sigmund von Birken*).
Laß dieſes Wort des Danks zu Dir gelangen,

Du ſel'ger Meiſter! fuͤr die theuren Lieder!

Schwebteſt in Lieb' in unſern Garten nieder,

Wo wir von Roſen, Wald und Sternen ſangen.

Bekannte Toͤne Dir entgegen klangen,

Weckten in Dir die alten Lieder wieder.

Erkannteſt uns als treue, deutſche Bruͤder,

Die troͤſtend ſich in gleichem Leid umfangen.

Vom ſel'gen Buͤndniß gleichgeſtimmter Geiſter,

Von des gepreßten Vaterlands Beſchwerde,

Von Kraft durch Hoffnung hat dein Lied geſungen.

Wie biſt du uns willkommen, ſel'ger Meiſter!

Zerriſſen liegt und kalt die deutſche Erde;

Deutſcher Geſang nur haͤlt uns treu umſchlungen.

[47]
Anna Voͤgtly.
Wo dem Spalt geborſtner Felſen

In endloſer Wildniß Grauſen,

Recht wie aus der Hoͤlle Grund

Heiße Waſſer wild entbrauſen.

Aus dem alten Born zu Pfeffers

Hob ſich oft des Abgrunds Meiſter,

Warb zu ſeiner Hoͤlle Dienſt

Liſtig ſuͤnd'ger Menſchen Geiſter.

Anna Voͤgtly! Anna Voͤgtly!

Wahre feſt dein ſuͤnd'ges Herze!

Geh' nicht Zauberkraͤuter ſuchend

Mitternachts mit mag'ſcher Kerze!

Ja! bey ſolchem Hoͤllenſpiel

Iſt er keck vor dich getreten.

Anna Voͤgtly! Anna Voͤgtly!

Lehrte Mutter dich nicht beten?

Durch den Graus der Mitternacht

Biſt du leuchtend vorgeſchritten,

Raubteſt, weh! den heil'gen Leib

Aus der Waldkapelle Mitten.

[48]
Wild Gelaͤchter man vernommen,

Rieſ'ge Felſen wiederhallten,

Hoͤll'ſche Masken, ſcheuslich grinſend

Funkelten aus ihren Spalten.

Baͤume ſchwankten auf und nieder,

Aechzend wie von Sturmes Zorne,

Und die Hoſtie wirfſt du zitternd

In der grauſen Wildniß Dorne.

Eine Roſe ſilberhelle

Iſt ſogleich empor geſproſſen.

Solche haͤlt mit ſieben Blaͤttern

Feſt das Heiligthum umſchloſſen.

Als der Naͤchte Graus verſchwunden,

Goldne Tagesſtrahlen ſiegten,

Voͤgel ſich auf ſchlankem Zweig

Singend uͤber'm Abgrund wiegten.

Eine Schaͤf'rinn faͤhrt zu Thal,

Schaut der Silberroſe Funkel

Und ſie ſpricht: fuͤrwahr ein Stern

Blieb in dieſes Waldes Dunkel!

Ihre treue Schaͤflein zoͤgern

An den nahen Born zu gehen,

Neigen alle ſich zur Erd'

Als ſo ſeel'gen Glanz ſie ſehen.

[49]
Aufgewacht vom Felſenlager

Kommt ein gir'ger Wolf geſchritten,

Sieht der Gottesblume Licht,

Legt ſich in der Schaͤflein Mitten.

Und die Hirtin thut es kund,

Volk und Prieſter eilt zur Stelle,

Pflanzen dieſe Gottesblume

Auf den Altar der Kapelle.

Helle Glocken, Preißgeſaͤnge

Hallen durch die Waldesſtille,

Ueber Land und Meere zieh'n

Fromme Pilgrime die Fuͤlle.

Ettiswyl, nennt ſich die Staͤtte,

Wo in dunkler Waldkapelle

Jene Gottesblum' erbluͤht

Silbern mit des Mondeshelle.

Wer ſie einmal nur erſah

Den verlaͤßt ihr Mondlicht nimmer,

Sicher geht er durch die Nacht,

Um das Haupt den heil'gen Schimmer.


[50]
Guter Rath.
Haͤlt Armer dich gefangen noch

Des Erdentreibens Luſt,

So druͤcke, dich zu retten, doch

Dein Kindlein an die Bruſt.

Blick' ihm in's Auge unverwandt,

Tief in den ſeel'gen Grund,

Hab Acht! du ſiehſt das beſte Land

Allein in ſeinem Rund.

Dann druͤck' es feſter an das Herz,

Wo's anſchlaͤgt bang und laut,

Hab Acht! es zieht heraus den Schmerz

Recht wie ein heilend Kraut.

Dann leg' es ganz in's Herz hinein,

Und ſchließ das Herze zu,

Und laß nichts anders zu ihm ein,

Hab Acht! — ſo heileſt du.

[51]
Kurzes Erwachen.
Ich bin im May gegangen

Und hab es nicht gewußt,

Alſo von Schmerz befangen

Iſt die erkrankte Bruſt.

Ein Vogel hat geſungen

Im jungbelaubten Wald,

Da iſt in's Herz gedrungen

Mir ſeine Stimme bald.

Vom Aug' iſt mir gefallen

Ein ſchwerer Thraͤnen-Thau,

Drauf ſah den May ich wallen

Durch Erd' und Himmel blau.

Als Vogel ausgeſungen

Flog er in's weite Land,

Und wie ſein Lied verklungen

Um mich der May verſchwand.

[52]
Fruͤhlingsmorgen.
Wann die Laͤmmer wieder ſpringen,

Lerchen jubeln, Roſen gluͤhn,

Muß das kraͤnkſte Herze ſingen

Und im Welken noch erbluͤhn.

Wer in bangen Lebensſchmerzen

Einſam jezt die Straße geht,

Singet ſelbſt aus duͤſtrem Herzen

Wie ein Lied aus Wolken weht.

Wer verbannt, das Aug' in Thraͤnen,

Jezt im fremden Lande zieht,

Durch bethaute Blumen toͤnen,

Laͤßt der ſeiner Heimath Lied.

Fluͤſſe, Saaten, toͤnend wallen; —

Aus dem fernſten Himmel blau

Weht ein Singen, lieblich Schallen,

Ueber Wald und helle Au.

Alter Gram! jezt zeuch von hinnen,

Fuͤlle nicht dieß Herze bang,

Stroͤme ein von Himmelszinnen

Morgenroth und Luſtgeſang!

[53]
Der Stephansthurm.
Lichtvoll die Heerde gehet

Auf blauer Himmelshoͤh',

Einſam der Hirte ſtehet

Und klagt der Nacht ſein Weh.

Alſo den alten Kummer

Singſt du o Rieſengeiſt!

Indeß der traͤge Schlummer

Die laſſe Welt umfleußt.

O ſchoͤnſte Zeit der Erde,

Wo ich einſt gut und recht,

Gefuͤhrt die fromme Heerde,

Ein kindlich treu Geſchlecht!

Da heil'ge Lieder ſchallten

Ernſt durch mein Gotteshaus,

Fuͤrſten und Helden wallten

Demuͤthig ein und aus.

Da Maͤnner kraͤftig thronten

Im deutſchen Kaiſerſaal,

Treue und Recht noch wohnten

Unten im Erdenthal.

[54]
Sittſame Fraun, ihr lieben!

Ihr Helden ſtark und groß —

Heerde, die treu geblieben, —

Du ſchlaͤfſt in meinem Schooß!

Doch, was jezt unten ſchleichet,

Blinzelnd im Sonnenlicht,

Knechte all von mir weichet!

Bin euer Hirte nicht!

Mich haben die Stern' erkoren

Zu ihrem Hirten gut,

Seit ihr euch ſelbſt verloren

In eurem Frevelmuth.

Alſo von hohen Zinnen

Der Geiſt des Thurmes ſang,

Die Sterne zogen von hinnen,

Der Vogel ſich aufſchwang.

Die Sonne ſtieg aus den Tiefen,

Der Thurm der ſtund gar ſtumm,

Zu ſeinen Fuͤßen liefen

Die kleinen Menſchlein herum.

[55]
Saͤngers Troſt.
Weint auch einſt kein Liebchen

Thraͤnen auf mein Grab,

Traͤufeln doch die Blumen

Milden Thau hinab.

Weilt an ihm kein Wandrer

Im Voruͤberzieh'n,

Blickt auf ſeiner Reiſe

Doch der Mond auf ihn.

Denkt auf dieſen Fluren

Bald kein Erdner mein,

Denkt doch mein die Aue

Und der ſtille Hain.

Blumen, Hain und Aue,

Stern und Mondenlicht,

Die ich ſang, vergeſſen

Ihres Saͤngers nicht.

[56]
Der Waſſermann.
Es war in des Mayen lindem Glanz,

Da hielten die Jungfern von Tuͤbingen Tanz,

Sie tanzten und tanzten wohl allzumal

Um eine Linde im gruͤnen Thal.

Ein fremder Juͤngling in ſtolzem Kleid

Sich wandte bald zu der ſchoͤnſten Maid,

Er reicht ihr dar die Haͤnde zum Tanz,

Er ſetzt ihr auf's Haar einen meergruͤnen Kranz.

O Juͤngling! warum iſt ſo kalt dein Arm?

In Neckars Tiefen da iſt's nicht warm.

O Juͤngling! warum iſt ſo bleich deine Hand?

In's Waſſer dringt nicht der Sonne Brand!

Er tanzt mit ihr von der Linde weit.

Laß Juͤngling! horch, die Mutter mir ſchreit!

Er tanzt mit ihr den Neckar entlang:

Laß Juͤngling! weh! mir wird ſo bang!

Er faßt ſie feſt um den ſchlanken Leib.

Schoͤn Maid! du biſt des Waſſermanns Weib!

Er tanzt mit ihr in die Wellen hinein:

O Vater und o du Mutter mein!

Er fuͤhrt ſie in einen kryſtallenen Saal:

Ade, ihr Schweſtern im gruͤnen Thal!

[57]
Im Herbſt.
Zieh' nur, du Sonne, zieh'

Eilend von hier, von hier!

Auf daß Ihr Waͤrme komm'

Einzig von mir.

Welkt nur, ihr Blumen, welkt!

Schweigt nur, ihr Voͤgelein!

Auf daß Ihr ſing' und bluͤh'

Ich nur allein.

[58]
Morgengefuͤhl.
Der Morgenroͤthe Schein

Den neuen Tag verkuͤndet,

Es ſteht der junge Hain

Von Liebesglut entzuͤndet.

Die Sterne, Wanderns ſatt,

Sind laͤngſt hinabgeſtiegen,

Die Voͤgel an der Statt

Froh durch den Himmel fliegen.

Du armes Herz voll Pein,

Wie biſt du bang befangen;

Es ſizt ein Voͤgelein

Krank hinter Eiſenſtangen.

Wol hoͤrt es den Geſang,

Den frohen Flug der andern,

Da ſizt es, matt und krank,

Kann ſingen nicht, noch wandern.

Und meinte doch im Traum,

Das Haupt verſteckt im Fluͤgel,

Es ſaͤng' auf einem Baum,

Floͤg' uͤber Thal und Huͤgel.

[59]
Erloͤſch du Sonnenſtrahl!

Nacht! komm empor geſtiegen,

Daß uͤber Berg und Thal

Wir wieder froͤhlich fliegen!

[60]
Alphorn.
Ein Alphorn hoͤr' ich ſchallen,

Das mich von hinnen ruft;

Toͤnt es aus wald'gen Hallen?

Toͤnt es aus blauer Luft?

Toͤnt es von Bergeshoͤhe?

Aus blumenreichem Thal?

Wo ich nur ſteh' und gehe,

Hoͤr' ich's in ſuͤßer Quaal.

Bei Spiel und frohem Reigen,

Einſam mit mir allein,

Toͤnt's, ohne je zu ſchweigen,

Toͤnt tief in's Herz hinein.

Noch nie hab' ich gefunden

Den Ort, woher es ſchallt,

Und nimmer wird geſunden

Dieß Herz, bis es verhallt.

[61]
Ade.
Was macht dir, Herzliebſter!

Die Wange ſo blaß?

Was macht dir das Auge

Von Thraͤnen ſo naß?

O Liebchen! Herzliebchen!

Wohl iſt es mir weh;

Weit muß ich von hinnen,

Weit uͤber die See!

Und mußt du von hinnen —

Dort uͤber der See

Giebt's wohl noch ein Liebchen,

Herzliebſter! ade!

Es ſcheinen viel Sterne

Am Himmelsgezelt;

Doch keiner von allen,

Wie Luna gefaͤllt.

So nimm nur dieß Ringlein

Von Golde ſo ſchwer,

Und wird es zu eng dir,

So wirf's in das Meer!

[62]
So ſteck' nur dieß Bluͤmlein

An's klopfende Herz!

Und duftet's dir nimmer,

Vergieng auch dein Schmerz.

[63]
Waldleben.
Sey willkommen, Wandersmann,

In des Waldes Einſamkeit!

Was ein armes Leben freut,

Hier man einzig finden kann.

An der Quelle ruht das Reh,

Droſſel uͤbet freien Sang;

Waldesnacht mach' dir nicht bang,

Gruͤn thut keinem Auge weh.

Bach und Thau giebt kuͤhlen Schein,

Blume bluͤhet ungepfluͤckt,

Tief in Kluͤften, nie erblickt,

Schlummert Gold und Edelſtein.

Eile nicht zu Stadt und Thal!

Eine Muͤhle treibt der Quell:

Droſſel, ſo geſungen hell,

Sizt im Bauer ſtumm und kahl.

Aus der Erde ſtillem Schooß

Reißen ſie den Edelſtein;

Wie ein Auge giebt er Schein,

Das von Thraͤnen uͤberfloß.

[64]
Armer, armer Wandersmann!

Weil' o weil' in Waldesnacht!

Draußen Mond und Sonne wacht,

Sieht dich jeder fragend an.

Aber hier in Waldesſchooß

Gehſt du einſam mit dem Quell,

Siehet dich kein Auge hell,

Als der Thau auf Blum' und Moos.

[65]
[Von] Ihr, im Winter.
Vom Winter zu geſunden,

Flog Lerche himmelwaͤrts.

Noch ſtund, das Herz voll Wunden,

Ich da im ſtummen Schmerz,

Da fandeſt du den Armen,

Und nahmſt ihn mit Erbarmen

In's jugendliche Herz.

In dir ſich ihm entfaltet,

Ein Leben wunderbar,

Fortan ihm neu geſtaltet

Die ganze Erde war,

Kampf war aus ihr geſchieden,

Er ſah ſie nur in Frieden

Aus deinem Auge klar.

Was juͤngſt ihm boͤs geſchienen,

Erſchien ihm fromm und gut,

So wollt' er Feinden dienen

Mit Armen und mit Blut;

Geſtillt war alles Sehnen,

Getrocknet eitle Thraͤnen

In frommer Liebe Glut.

J. Kerners Gedichte. 5
[66]
Jetzt da die Welt in Schmerzen

Kalt liegt und bluͤtenarm,

Umfaͤngt in deinem Herzen

Ihn noch ein Fruͤhling warm.

Fern von der Welt Getuͤmmel,

Ruht dort ein Stern im Himmel,

Fuͤhlt nicht der Erde Harm.

[67]
Sehnſucht nach der Waldgegend.
Waͤr' ich nie aus euch gegangen

Waͤlder hehr und wunderbar!

Hieltet liebend mich umfangen

Doch ſo lange lange Jahr! —

Wo in euren Daͤmmerungen

Vogel ſang und Silberquell

Iſt auch manches Lied entſprungen

Meinem Buſen, friſch und hell.

Euer Wogen, eure Halle,

Euer Saͤuſeln nimmer muͤd,

Eure Melodien alle

Weckten in der Bruſt das Lied.

Hier in dieſen weiten Triften

Iſt mir alles oͤd und ſtumm,

Und ich ſchau' in blauen Luͤften

Mich nach Wolkenbildern um.

In den Buſen eingezwinget

Regt ſich ſelten nur das Lied.

Wie nur halb der Vogel ſinget

Den von Baum und Bach man ſchied.

[68]
Maria.
Da ſitzet ſie mit andern Blumen ſpielend

Knoſpe der Roſe,

Noch nicht den Strahl der Gottheit in ſich fuͤhlend,

Der bald des Himmels Fuͤll' ihr weckt im Schooße,

Doch ahnet's ſchon das Laͤmmlein, das ſie liebt,

Blickt ſuͤß betruͤbt,

Die Blume ahnet's, die ſie traͤgt am Herzen,

Verbluͤhet ſchnell in wonniglichen Schmerzen.

Bald aber ſinkt auf ſtrahlendem Gefieder

Der Engel ſich herab, o ſel'ge Stunde!

Bringt ihr die Kunde.

Und betend ſinkt die Gottgeweihte nieder.

Ein Strahl des Himmels zuͤkt durch ihre Glieder,

Die Knoſpe reift zur Paradieſesfuͤlle,

Sie doch erhebet ſich in Demuth wieder.

„Ich bin die Magd, Herr! es geſcheh' dein Wille!“

[69]
Wanderlied.
Wohlauf! noch getrunken

Den funkelnden Wein!

Ade nun, ihr Lieben!

Geſchieden muß ſeyn.

Ade nun, ihr Berge,

Du vaͤterlich Haus!

Es treibt in die Ferne

Mich maͤchtig hinaus.

Die Sonne, ſie bleibet

Am Himmel nicht ſteh'n,

Es treibt ſie, durch Laͤnder

Und Meere zu geh'n.

Die Woge nicht haftet

Am einſamen Strand,

Die Stuͤrme, ſie brauſen

Mit Macht durch das Land.

Mit eilenden Wolken

Der Vogel dort zieht,

Und ſingt in der Ferne

Ein heimatlich Lied.

So treibt es den Burſchen

Durch Waͤlder und Feld,

[70]
Zu gleichen der Mutter,

Der wandernden Welt.

Da gruͤßen ihn Voͤgel

Bekannt uͤber'm Meer,

Sie flogen von Fluren

Der Heimat hieher,

Da duften die Blumen

Vertraulich um ihn,

Sie trieben vom Lande

Die Luͤfte dahin.

Die Voͤgel die kennen

Sein vaͤterlich Haus.

Die Blumen einſt pflanzt er

Der Liebe zum Strauß,

Und Liebe die folgt ihm,

Sie geht ihm zur Hand;

So wird ihm zur Heimat

Das ferneſte Land.

[71]
Geſpraͤch.
Erſter.
Widrig iſt mir fuͤrwahr, was ſchoͤn toͤnt, ohne zu nuͤtzen.

Triebe des Hirten Geſang nur eine Muͤhle des Thals!

Zweiter.
Widrig iſt mir fuͤrwahr der Wind, den die Orgel vergeudet,

Wenn, aus der Pfeife gejagt, er nicht Getraide noch

ſtaͤubt.

Dritter.
Widrig iſt mir fuͤrwahr der Abendglocken Gelaͤute,

Treibt es nicht drohend Gewoͤlk' uͤber dem Acker mir weg.

Vierter.
Widrig iſt mir fuͤrwahr jedwedes Bildniß von Marmor,

Spendet nicht Waſſer ſein Mund, traͤgt es nicht ſtuͤtzend

ein Haus.

Fuͤnfter.
Immer am widrigſten bleibt der Schein des Monds und

der Sterne,

Nicht ein Koͤrnlein, bei Gott! weckt ihr unpraktiſcher

Stral.

[72]
Auf der Wanderung.
Morgen kommt mit lichtem Gruſſe,

Und Natur beginnt ein Feſt.

Mancher noch mit heißem Kuſſe

An das Herz was Liebes preßt.

Aber irre und verlaſſen

Treibt es mich durch Land und Meer.

Was ich innig moͤcht' umfaſſen

Fuͤhrt nicht Mond nicht Sonne her.

In der Blume ſeh' ichs bluͤhen,

Hoͤr's im Nachtigall-Geſang,

Mit den Sternen ſeh' ichs ziehen

Still und mild das Thal entlang.

Doch umſonſt blickt voll von Thraͤnen

Auge nach ihm himmelwaͤrts.

Ungeſtillt in bangem Sehnen

Stirbt dahin dieß warme Herz.

[73]
Das treue Roß.
Graf Turneck kam nach hartem Strauß

Bei Nacht wohl vor ein Gotteshaus.

Das Haus, das lag im Walde tief,

In ſeiner Gruft ein Koͤnig ſchlief.

Hier auszuruhn gedenkt der Graf,

Er weiß nicht, daß ein Pfeil ihn traf.

Der Graf ſteigt ab vom weißen Roß;

„Graſ', bis ich wieder komm', im Moos!“

Auf faͤhrt das Thor mit dumpfem Schall,

Dann ſchweigt es in der weiten Hall'.

Der Graf tappt hin an kalter Wand

Bald einen alten Sarg er fand.

„Der muͤde Leib ſoll raſten hier;

Verſteinert Holz! brichſt nicht mit mir.“

Der Graf ſich legt, ſo lang er war,

Wol auf dieſelbe Todtenbahr.

[74]
Die Sonn' kam uͤber Berge roth,

Der Graf kam nicht, der Graf war todt.

Seitdem verſtrich manch hundert Jahr,

Sein harrt das Roß noch immerdar.

Vor'm Gotteshaus ſteht noch ein Stein,

Dran grast das Roß im Mondenſchein.

[75]
Ruhe bei Ihr.
In dieſen bangen Tagen

Was kann man Beſſ'res thun,

Als, jeder Sorg' entſchlagen,

An treuem Herzen ruhn?

Ja, komm du Herz voll Liebe,

Du Kind, o ſuͤßer Klang!

Du Mai im Winter truͤbe,

Du Tag in Naͤchten bang!

Wie Blumen ohne Schmerzen

Bey'm Schein der Sonne ſind,

Wie an dem Mutterherzen

In Wonne ruht ein Kind;

Wie Vogel ohne Sorgen

Bey Kraut und Blume thut,

Wie in dem Wald verborgen

Ein Reh bey'm Borne ruht;

So laß mich bey dir bleiben,

Daß von der Menſchen Qual,

Von all dem bangen Treiben

Dies Herz ausſchlaͤgt einmal.

[76]
Troſt.
So lang noch Berg und Thale bluͤh'n,

Durch ſie melodiſch Fluͤſſe zieh'n,

Ein Vogel hoch im Blauen ſchwebt,

Goldaͤhren licht im Weſthauch wallen,

Gebirge ſteh'n, Alphoͤrner ſchallen,

Hat dieſe Welt nicht ausgelebt.

Und was die Menſchen thun und treiben

Ob frey ſie oder Knechte bleiben,

Dem Fruͤhling graͤbt es ſich nicht ein.

Kein Treiber bringt mich je in Zweifel,

Iſt er ein Teufel aller Teufel —

Er aͤndert nicht der Sonne Schein.

[77]
Liebesklage.
Nach einem Volkslied.

Schwarzes Band, o du mein Leben!

Ruh' auf meinem Herzen warm;

Liebe hat dich mir gegeben,

Ohne dich, wie waͤr' ich arm!

Fragt man mich, warum ich trage

Dieſes ſchwarze ſchlechte Band,

Kann ich's nicht vor Weinen ſagen:

Denn es kommt von Liebeshand.

So ich ſollte ruhig ſchlafen,

In dem Bettlein, kann's nicht ſeyn;

Habe ſtets mit dir zu ſchaffen,

Schwarzes Band! du liebe Pein!

So ich ſollte zu mir nehmen,

Etwas Speiſe oder Trank,

Kann ich nicht vor lauter Graͤmen

Sagen Dank: denn ich bin krank.

Krank ſeyn, es nicht duͤrfen klagen,

Iſt wohl eine ſchwere Pein;

Lieben, es nicht duͤrfen ſagen,

Muß ein hartes Lieben ſeyn!

[78]
Die Stiftung des Kloſters Hirſchau.
Helicena eine Wittwe war,

Reich, fromm vor andern Frauen,

Sie ſtrebte bruͤnſtig, ganz und gar

Sich Jeſum anzutrauen.

Drum warf ſie oft ſich auf die Knie',

Er moͤcht' ihr offenbaren:

Wie ihre Erdenguͤter ſie,

Ihm treulich koͤnnt' bewahren.

Da lag ſie in der Nacht einmal,

Gewiegt in fromme Traͤume,

Und ſah ein ſeltſam fremdes Thal,

Darin drei Fichtenbaͤume.

Die Baͤume waren wunderſam

Aus einem Stamm geſproſſen;

Aus ihren duft'gen Wurzeln kam

Ein klarer Born gefloſſen.

Und ob der fremden Wunderau

Sah ſie am Himmel wallen,

Ein hohes Dom auf Wolken blau,

Hoͤrt eine Stimme ſchallen:

„Dieß Gotteshaus, du fromme Braut!

Sey, wo die Baͤume ſtehen,

In feſten Grund von dir gebaut!

Nimm's aus geweihten Hoͤhen!“

[79]
Sieh! da erwacht die fromme Frau,

Aus ihren ſuͤſſen Traͤumen,

Noch ſteht vor ihr die fremde Au,

Der Born mit den drei Baͤumen.

Sie iſt in hoher Freudigkeit

Bereit zu Gottes Ruhme,

Zieht an ein praͤchtig Feierkleid,

Schmuͤckt ſich mit duft'ger Blume.

In tiefer Demuth geht ſie aus

Mit ihrer Magd, der treuen,

Als gieng ſie in das Gotteshaus,

Oder zur Luſt im Maien.

Doch weiter wandte ſich ihr Fuß,

Die Wolken zogen ſchnelle,

Die Voͤgel ſangen Morgengruß,

Der Fraue ward gar helle.

Ein Duͤften fuͤllte rings die Au,

Als ſie daruͤber gangen!

Zu gehen mit der hohen Frau,

Fuͤhlt jede Blum' Verlangen.

Sie ging wohl in ein fremdes Thal,

Stieg auf des Berges Ruͤcken,

Und alles thaͤt' im Sonnenſtrahl

Ihr klar entgegen blicken.

Da ſteh'n drei Baͤum' auf gruͤner Au

Aus einem Stamm geſproſſen,

Da iſt ein Born von Himmelsthau,

Ueber Blumen hell gefloſſen.

[80]
Die Fraue kann nicht laͤnger ſtehn,

Zu den Baͤumen muß ſie eilen,

Ein heil'ger Hauch thaͤt ſie umweh'n,

Da moͤcht ſie ewig weilen.

Sie leget ab ihr Feierkleid,

Blumen und Edelſteine;

Den heiligen drei Baͤumen weiht

Ihr zeitlich Gut die Reine.

In ſtiller Demuth gieng ſie aus,

So ſtille kehrt ſie wieder,

Und ſetzet hier das Gotteshaus

Aus Himmelshoͤhen nieder.

[81]
Raͤthſel.
Kennſt du den ſeltſamen Kryſtall?

Er deutet ſtralend himmelwaͤrts,

Rund iſt er, wie das blaue All,

Und ſeine Folie iſt das Herz.

Es bricht aus ihm ein heilig Licht,

Das iſt der werthen Folie Glanz;

Wann Lieb' und Leiden die zerbricht,

Zerfließet er in Stralen ganz.


[82]
Winterklage.
Wann in lichten Sommertagen

Leiden dieſes Herz getragen,

Schlug es bald am Wieſenbach,

Bald in Waldes Daͤmmerungen,

Wo die Nachtigall geſungen,

Mildern Melodien nach.

Jezt in truͤben Wintertagen,

Ach! wer ſtillet ſeine Klagen?

Nachtigall und Wieſenbach?

Wieſenbach liegt eng gebunden,

Nachtigall hat Tod gefunden,

Singt nicht mehr die Blumen wach.

Blumen auch ſind rings verdorben,

Mutter Erde iſt geſtorben,

Und ihr Kind verwaist, allein.

Einſam blickt's in blaue Ferne,

Komm! ſo rufen alle Sterne,

Hier iſt ew'ger Maienſchein!

Herz! ſo hoͤr' denn auf zu ſchlagen!

Sieh! in dieſen truͤben Tagen

Singt kein Vogel, wallt kein Bach.

Willſt dich nicht gefangen geben,

Treibſt mit ſchmerzlich bangem Beben

Eine Well' der andern nach!

[83]
Staͤndchen.
Ich kam vor Liebchens Fenſterlein,

Thaͤt viele Stunden ſtehen,

Ob nicht im milden Abendſchein

Die Liebe waͤr' zu ſehen.

Was fuͤhlt dieß Herz? So Luſt als Weh,

Sie koͤmmt! o ſuͤßes Bangen!

Ich ſah wohl zitternd in die Hoͤh, —

Da kam der Mond gegangen.

Doch jezt, doch jezt, was fuͤhlt dieß Herz?

Gewiß! ſie iſt nicht ferne!

Ich ſah wohl zitternd himmelwaͤrts —

Da ſtunden tauſend Sterne.

Dann druͤben an dem Fenſterlein

Sich mir ihr Bildniß zeigte;

Es war des Himmels Wiederſchein,

Was ſich herunterneigte.

[84]
Der Buͤrgerwall.
Ritterthum kann nimmer heißen

Sichrer Wall um's Koͤnigshaus,

Seit ihr Kleid von Stahl und Eiſen

Zogen alle Ritter aus.

Seit ſie tragen mit Behagen

Schluͤſſel an der Schwerterſtatt,

Seit ſie mit der Feder wagen

Sich in's Feld, in's Zeitungsblatt.

Seit ſtatt feſter Burgeshallen,

Hoͤlzern ſteht im Thal ihr Haus,

Seit ſie leicht und luftig wallen,

Iſt es mit den Rittern aus.

Was noch ſcheint, iſt Gluͤhwurms Schimmer

In verwittert' Stein und Moos.

Jener Wall, der liegt in Truͤmmer,

Doch ein andrer woͤlbt ſich groß.

Buͤrgerthum iſt der geheißen,

Schließt ſich feſt um's Koͤnigshaus. —

Heil! in ſolchem Wall von Eiſen

Haͤlt es jeden Donner aus.

[85]
Bey des Kronprinzen von Wuͤrtemberg,
jetzigen Koͤnigs, Zuruͤckkunft aus Frank-
reich, im Fruͤhling 1815
.
Was ſollen all' die ſuͤßen Lieder,

Die rings die junge Erde ſingt?

Es kam der reiche Fruͤhling wieder,

Iſt er's, dem ſie den Jubel bringt?

Licht, Toͤne, kommen hergeflogen,

Raſch ſtuͤrzt der Strom vom Felſenhang,

Er braust in alter Eichen Wogen,

Sie ſingen, Held, Dir Siegsgeſang.

Ringsum ertoͤnt's: wie Du die Bande

Gepreßter Menſchheit mit zerſchlugſt,

Sieghaft, ein Sohn vom deutſchen Lande,

Des Reiches heil'ge Fahne trugſt.

Doch hoͤr' durch all' die Jubeltoͤne

Den Ruf vom ſuͤßen Heimatland:

„Komm! nimm, Du liebſter meiner Soͤhne!

„Den Kranz aus zarter Frauenhand!“

[86]
„Komm! ſieh viel ſtarker Maͤnner Arme,

„Die all' nach Dir ſich breiten aus!

„Komm! daß nach lang verbiſſ'nem Harme

„Geſang erſchall' aus Huͤtt' und Haus!“

Ja! ſieh bekraͤnzt von Bluͤthenzweigen

Dein Land in jugendlicher Pracht;

Die Waͤlder ſich melodiſch neigen,

Sie rufen Dich in ihre Nacht.

Die ſtolze Alp in Himmels-Blaͤue,

Drauf manch' gekroͤntes Heldenhaus,

Schaut nach dem deutſchen Sohn voll Treue

Sehnſuͤchtig in das Land hinaus.

Wild rauſcht des Neckars blaue Welle,

Rennt eilend, wie ſie nie gethan,

Zum alten Rheine treibt ſie's ſchnelle,

Den Sieggekroͤnten zu empfah'n.

O duͤrften wir mitwogen froͤhlich,

Ein Strom nach dem entbund'nen Rhein,

Und tragen Dich auf Armen ſelig

In's bluͤthenreiche Land herein!

[87]
An die Koͤnigin Katharina mit meiner
Beſchreibung des Wildbads
.
In altem Tannenhaine

Tief aus kryſtall'nem Grund,

Giebt Deiner Schweſtern Eine

Sich uns durch Wohlthun kund.

Es gießt die Himmelsklare

Aus ihrem Felſenhaus,

Schon viele hundert Jahre

Nur Lieb' und Segen aus.

Nie iſt ihr Auge truͤbe,

Nie iſt ihr Herze kalt,

Stets bleibt ſie jung an Liebe,

Stets jung auch an Geſtalt.

Die Nymphe iſt's — die helle,

Die ſonnenwarme Fluth,

Des [Wildbads] he[i]l'ge Quelle,

Die tauſend Wunder thut.

Ja! Tauſend koͤnnen nennen

Der Heil'gen Lieb' und Treu,

Und muͤſſen all bekennen,

Daß ſie verwandt Dir ſey,

[88]
Daß ſie, wie Du, Erbarmen

Traͤgt mit der Menſchen Schmerz,

Daß ſie, wie Du, erwarmen

Macht manch' erſtarrtes Herz.

Und weil Du ſo an Guͤte,

An Wohlthun ganz ihr gleich,

Nur Leben und nur Bluͤthe

Ausgießen moͤcht'ſt im Reich,

Laͤßt Dich durch dieſes gruͤßen

Die Heil'ge liebewarm,

Und ſehnt ſich, Dich zu ſchließen

Als Schweſter in den Arm.

[[89]]
Nach Katharinas Tod.
1.
O ſeel'ge Herrin! Stern aus Norden,

Der ſich einſt mild zu uns gewandt,

Du, die zum Liebesſtern geworden

Dem hoffenden, dem armen Land,

Biſt ſchon verſchwunden, kaum gekommen,

Ein Morgen uͤber Thal und Hoͤh'n,

Und Deine Saat, des Lichts benommen,

Muß nun im Keime traurend ſteh'n.

Wie liegt es bang auf jedem Herzen!

Wie thun es tauſend Thraͤnen kund!

Und wer da ſpricht, der ſpricht von Schmerzen,

Und, wie ſein Innres toͤdtlich wund.

Wohl manchem iſt's, als koͤnnt' er ſcheiden

Fortan mit Luſt von Herd und Haus,

Als loͤſchten mit Dir alle Freuden,

Jedwedes Licht auf einmal aus.

Ihr Glocken mit geweihtem Schalle!

Ruft durch die traurend ſtille Luft:

„Ihr Arme! kniet und betet alle!

„Hoͤrts! eure Mutter deckt die Gruft!“

[90]
„Ihr Reiche hoͤrts! nun iſt verſchwunden

„Sie, euer Stolz, Sie, aller Hort!

„Kniet! ſchwoͤrt: das Band, das Sie gebunden,

„Ein Heiligthum zu binden fort.“

Wie Well' an Well', ſchlag Zaͤhr' an Zaͤhre;

Wehlaut! fahr uͤber Land und Meer,

Ruf aus: „Ihr Laͤnder und ihre Meere!

O trauret all'! Sie iſt nicht mehr!“

Wie jubelt's laut in Sternenhallen!

Wie flammt in Luſt des Himmels Zelt!

Bei uns, wie iſt es oͤd, zerfallen!

Wie ohne Heimat jezt die Welt!

2.
Aufflog Sie nun zur ew'gen Sternenhalle,

Dahin, woher Sie ſegnend einſt gekommen,

Wir aber ſteh'n, erkrankt in Thraͤnen alle,

Kein Troſt, kein Heilkraut kann uns Armen frommen.

Doch wie wir ſteh'n, ſo jedes Troſts benommen,

Ertoͤnt's zu uns mit himmliſch ſuͤßem Schalle!

„Schaut himmelan! ich bin euch ja geblieben!

„Ein Schutzgeiſt ſchwe'b ich waltend ob euch Lieben.“

[91]
Nun iſt Sie erſt um uns und bey uns allen,

Von keinem mehr getrennt durch Thal und Hoͤhen;

Wo Seufzer ſtoͤhnen, heiße Thraͤnen fallen,

Verlaßne Arme ſtill zum Himmel flehen,

Da wird man hoͤren oft ein leiſes Wallen,

Wird ungehoffte Huͤlfe ſtaunend ſehen.

Dann fraget nicht: woher iſt das gekommen?

Es kam von ihr, dem Schutzgeiſt aller Frommen.

3.
Die Glocken haben ausgeklungen,

Die ſchwarzen Kleider zog man aus,

Und Blum' und Bluͤthe iſt gedrungen

Glanzreich an's Licht aus dunklem Haus.

Mag noch ſo bunt die Aue prangen,

Steht paradieſiſch Feld und Hain,

Der Schmerz, daß Sie von uns gegangen,

Der dringt in's Herz durch Bluͤthen ein.

Doch iſt's, als kaͤm von Ihr geſendet

Der Bluͤthenhimmel reich und klar,

Wie Sie den Saamen mild geſpendet,

Die Heilige im Leidensjahr.

[92]
Doch iſt's, als floͤß, was noch von Segen

Des Himmels fuͤhlt dieß arme Land:

Mondlicht und Sonnenſchein und Regen

Herab aus Ihrer milden Hand.

Was Menſchen thun kann nimmer frommen,

Uns retten Gottes Engel nur;

Nie wird ein Hungerjahr mehr kommen, —

Sie ſchwebt ein Schutzgeiſt ob der Flur.

4.
Als Sie noch bey euch gewandelt,

Spracht ihr manches ſchiefe Wort,

Ruhig doch hat ſie gehandelt,

Und geſegnet immerfort.

Jezt die Heilige verſchwunden,

Hebt's euch aus dem Schlaf empor,

Und ihr fuͤhlt in tauſend Wunden,

Was die Welt an ihr verlor.

Drum bey ſolchem Loos auf Erden

Zuͤrnt nicht, wann die Muſe ruft:

Muß man, um geliebt zu werden,

Liegen erſt in Sarg und Gruft?

[93]
Ueber das in Metall gepraͤgte Bild
Katharinas
.
Haͤngt als ſuͤßes Angebinde,

Haͤnget als der Tugend Schild,

Schwabens Frauen! eurem Kinde

An das Herz dieß edle Bild.

Sagt ihm, wer Sie iſt geweſen,

Wie geſegnet Sie das Land,

Bis Sie ſchnell von Gott erleſen,

Eine Heil'ge uns verſchwand.

Baut ihr fuͤr die Armuth milde,

Wo ein Haus, wird es gedeih'n,

Legt das Erz mit Ihrem Bilde

Ihr in ſeines Grundes Stein.

Wird, wo fuͤr des Feldes Fruͤchte

Eine Scheuer neu erbaut,

Daß kein Donner ſie zernichte,

Werd' Ihr Bild dem Grund vertraut.

Roͤm'ſcher Herrſcherinnen Bilder,

Wahrt die ſchwaͤb'ſche Erde noch,

Wahret roͤm'ſche Schwerter, Schilder,

Mahnend nur an's roͤm'ſche Joch.

[94]
O wie treu wird ſie bewahren,

Heilige! Dein Bild im Schooß!

Dich, die einſt in Hungerjahren

Ueber ſie Ihr Fuͤllhorn goß!

Nach Jahrhunderten noch pfluͤget

Es der Landmann aus dem Grund,

Rufet Weib und Kind vergnuͤget,

Anzuſchau'n den theuren Fund.

Spricht: o! laßt uns treu bewahren

Sie, von der die Sage geht:

Daß Sie hab' in Hungerjahren

Unſrem Ahn das Feld beſaͤt.

[95]
Kaiſer Rudolfs Ritt zum Grabe.
Auf der Burg zu Germersheim,

Stark am Geiſt, am Leibe ſchwach,

Sitzt der greiſe Kaiſer Rudolf

Spielend das gewohnte Schach.

Und er ſpricht: „ihr guten Meiſter!

Aerzte! ſagt mir ohne Zagen:

Wann aus dem zerbrochenen Leib

Wird der Geiſt zu Gott getragen?“

Und die Meiſter ſprechen: „Herr!

Wohl noch heut erſcheint die Stunde.“

Freundlich laͤchelnd ſpricht der Greis:

„Meiſter! Dank fuͤr dieſe Kunde!“

„Auf nach Speyer! auf nach Speyer!“

Ruft er, als das Spiel geendet,

„Wo ſo mancher deutſche Held

„Liegt begraben, ſey's vollendet!

„Blast die Hoͤrner! bringt das Roß,

Das mich oft zur Schlacht getragen!“

Zaudernd ſtehn die Diener all',

Doch er ruft: „folgt ohne Zagen!“

[96]
Und das Schlachtroß wird gebracht.

„Nicht zum Kampf, zum ew'gen Frieden,

Spricht er, „trage, treuer Freund!

„Jezt den Herrn, den Lebensmuͤden!“

Weinend ſteht der Diener Schaar,

Als der Greis auf hohem Roſſe,

Rechts und links ein Kapellan,

Zieht halb Leich' aus ſeinem Schloſſe.

Traurend neigt des Schloſſes Lind'

Vor ihm ihre Aeſte nieder,

Voͤgel, die in ihrer Hut,

Singen wehmuthsvolle Lieder.

Mancher eilt des Wegs daher,

Der gehoͤrt die bange Sage,

Sieht des Helden ſterbend Bild

Und bricht aus in laute Klage.

Aber nur von Himmelsluſt

Spricht der Greis mit jenen Zweyen,

Laͤchelnd blickt ſein Angeſicht

Als ritt er zur Luſt in Mayen.

Von dem hohen Dom zu Speyer

Hoͤrt man dumpf die Glocken ſchallen.

Ritter, Buͤrger, zarte Fraun,

Weinend ihm entgegen wallen.

[97]
In den hohen Kaiſerſaal

Iſt er raſch noch eingetreten;

Sitzend dort auf goldnem Stuhl

Hoͤrt man fuͤr das Volk ihn beten.

Reichet mir den heil'gen Leib!

Spricht er dann mit bleichem Munde,

Drauf verjuͤngt ſich ſein Geſicht,

Um die mitternaͤcht'ge Stunde.

Da auf einmal wird der Saal

Hell von uͤberird'ſchem Lichte,

Und verſchieden ſitzt der Held,

Himmelsruh im Angeſichte.

Glocken duͤrfen's nicht verkuͤnden,

Boten nicht zur Leiche bieten,

Alle Herzen laͤngs des Rheins

Fuͤhlen, daß der Held verſchieden.

Nach dem Dome ſtroͤmt das Volk

Schwarz unzaͤhligen Gewimmels.

Der empfieng des Helden Leib,

Seinen Geiſt, der Dom des Himmels.


[98]
Troſt im Geſang.
Der Wandrer, dem verſchwunden

So Sonn' als Mondenlicht,

Der ſingt ein Lied in's Dunkel

Und haͤrmt ſich laͤnger nicht.

Er ſchreitet muthig weiter

Die menſchenleere Bahn,

Viel lichte Sangesbilder

Die gehen ihm voran.

Nacht iſt's auch mir geworden,

Die Freunde ſtehen fern,

Von meinem Himmel ſchwindet

Der allerletzte Stern,

Doch geh' ich muthig weiter

Die menſchenleere Bahn,

Noch gehen Sangesbilder

Ja mir auch licht voran.

[99]
Denkmale.
1.
Kepler.
Arm, preisgegeben jeglicher Beſchwerde,

Vom undankbaren Heimatland vertrieben,

Sah er empor von dieſer kalten Erde,

Und lernte recht die warmen Sonnen lieben.

Der Erd' entlehntes Licht er gern entbehrte,

War ihm die hell're Heimat doch geblieben,

Von Sonnengold ſein hehres Haupt umfloſſen,

Standen die Himmel all' ihm aufgeſchloſſen.

2.
Friſchlin.
Ihn ſchloſſen ſie in ſtarre Felſen ein,

Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande.

Er doch, voll Kraft, zerbrach den Felſenſtein,

Und ließ ſich abwaͤrts am unſichern Bande.

Da fanden ſie im bleichen Mondenſchein

Zerſchmettert ihn, zerriſſen die Gewande.

Weh! Muttererde, daß mit linden Armen

Du ihn nicht auffiengſt, ſchuͤtzend, voll Erbarmen.

[100]
3.
Schubart.
Ihn ſtießen ſie aus friſchen Lebensgaͤrten

In dunkle, modernde Gewoͤlbe nieder,

Mit Ketten ſeine Haͤnde ſie beſchwerten:

Da ſtiegen Heil'ge liebend zu ihm nieder,

Und wurden fortan Freund' ihm und Gefaͤhrten;

So ſang begeiſtert er die frommen Lieder.

Und als den Kerker ſie ihm aufgeſchloſſen,

Schien ihm die Welt von Graun und Nacht umfloſſen.

[101]
Der Ring.
Ein fremder Kavalier

Stieg ab vom ſchwarzen Roß,

Trat in den Koͤnigsſaal,

Mit andern Herren groß.

Derſelbe Kavalier

Trug einen Edelſtein,

Wie man noch keinen ſah,

Von wunderſamen Schein.

Ein Stein von hohem Werth

In Koͤnigs Krone ſaß,

Doch ſchien vor dieſem er

Ein mattgeſchliffen Glas.

Der Koͤnig bot ihm Gold,

Er bot ihm Leut und Land,

Doch laſſen wollt er nicht

Den edlen Diamant.

Der Koͤnig deß' erbost,

Spricht zu dem Hauptmann ſein:

Bringt mir des Mannes Hand

Samt ſeinem Edelſtein.

[102]
Der Hauptmann reckt das Schwert,

Haut nach des Mannes Hand,

Doch ſtatt dem Kavalier

Der Teufel vor ihm ſtand.

Gluth ſtroͤmt aus ſeinem Ring,

Zur Hoͤlle waͤchſt der Stein,

Schleußt Schloß und Koͤnig bald

Samt allen Dienern ein.

[103]
Wanderung.
Wohlauf und froh gewandert

In's unbekannte Land!

Zerriſſen, ach! zerriſſen

Iſt manches theure Band.

Ihr heimatlichen Kreutze

Wo ich oft betend lag,

Ihr Baͤume, ach ihr Huͤgel

O blickt mir ſegnend nach!

Noch ſchlaͤft die weite Erde,

Kein Vogel weckt den Hain,

Doch bin ich nicht verlaſſen,

Doch bin ich nicht allein:

Denn ach auf meinem Herzen

Trag ich ihr theures Pfand,

Ich fuͤhl's und Erd' und Himmel

Sind innig mir verwandt.

[104]
Vogt Finſterlings Bauern-Ideal.
O moͤchte mir ein treu Gemaͤhlde gluͤcken

Vom Bau'r, wie ſich derſelbe muß geſtalten,

Um uns, die wir das Richteramt verwalten,

Die heil'ge Amtsehr' niemals zu verruͤcken!

Dies Ideal ſteht lang mit krummem Ruͤcken

Vor uns den urtheilſprechenden Gewalten;

Wir ſchreiben, ſandeln, zieh'n die Stirn in Falten,

Donnern: was giebt's?! Und es wagt auf zu blicken,

Fragt weder was noch wie, was wir auch ſagen.

Wir ſagen: „packt euch! theu'r ſind unſre Stunden!!“

Dann beugt ſich's, geht und ſtirbt mit dem Gedanken:

Es komme bald Beſcheid auf ſeine Klagen.

[105]
Graf Eberhardt.
Von Wuͤrtenberg Graf Eberhardt,

Nun alt und laß nach mancher Fahrt,

Legt hin ſein roſtig Schwerdt von Stahl

Und ſteigt hinab ins ſtille Thal.

Dort wo in Tiefen wunderbar

Die Enzfey ſchon manch tauſend Jahr

Die Waſſer waͤrmt, den Siechen heilt,

Friedlich der kranke Kaͤmpe weilt.

Und wie er ruht in Quellen warm,

Heranſtuͤrzt neuer Feinde Schwarm,

Auflodert hell das gruͤne Thal:

Wo biſt du roſtig Schwert von Stahl? —

Zu mir, zu mir! alt' Kaͤmpe traut!

Ertoͤnt aus Tiefen ſuͤßer Laut;

Der Graf ſinkt in der Quellen Grund,

Der Feind den Grafen nimmer fund.

Zu Stuttgart ſitzt er beym Pokal,

Zur Seit' ſein roſtig Schwert von Stahl,

Der Enzfey trinkt er zu mit Macht

Und ſtuͤrzt verjuͤngt ſich in die Schlacht.

[106]
Der Gaͤrtner auf der Hoͤhe.
Verlaß die kalten Hoͤhen

Du armer Gaͤrtnersmann!

Dein Garten ſteht voll Mooſe,

Nicht Hyacinth', nicht Roſe

Man in ihm finden kann.

Im warmen Thale unten

Sah ich der Gaͤrten viel,

Die Blumen ſteh'n in Fuͤlle

Und ihre bunte Huͤlle

Gewaͤhrt ein luſtig Spiel.

Im Garten auf der Hoͤhe

Iſt ſchon die Bluͤthe aus.

Moͤcht ihrer nimmer warten,

Alter! verlaß den Garten,

Dein armbeſtelltes Haus!

Der Gaͤrtner gab nicht Rede

Dem Wand'rer aus dem Thal,

Blieb ſtill wie traͤumend ſtehen

Bis daß voll Gluth die Hoͤhen

Im letzten Abendſtrahl,

[107]
Bis Nacht in enger Tiefe,

Die Erde rings verſchwand,

Goldwolken ſich erhoben,

Seltſame Bilder woben,

Ein ſeelig' Zauberland.

Dort, Fremder! ſteht mein Garten

Sprach drauf der Gaͤrtnersmann,

Wo ſind die kalten Mooſe?

Sieh Hyacinth und Roſe

Auf himmelblauem Plan!

Und ſieh von Gold erbauet

Ein herrlich Koͤnighaus,

Die Sterne druͤber ſtehen

Gluthroth die Wimpel wehen,

Drinn geh' ich ein und aus.

[108]
Fruͤhlingsklage.
Die Saͤnger frei ſich ſchwingen

Aus dieſem Thraͤnenthal.

Froͤhlich im Sonnenſtral

Ein helles Lied zu ſingen.

Ich blick' empor mit Sehnen,

Befangen ſchlaͤgt das Herz,

Mein Lied erzeugt der Schmerz,

Schnell ſtirbt es hin in Thraͤnen.

Die Saͤnger ruhn mit Wonne

Im gruͤngewoͤlbten Baum,

Sie traͤumen hellen Traum,

Von Sternen, Mond und Sonne.

Ich ſitz' in enger Zelle,

Kein Traum loͤſ't meinen Harm,

Ich ſitze krank und arm,

Schmerz macht mir jede Helle.

[109]
Der Roſenſtrauch.
Bei Winters Froſt in Kluft und Wald

Sich Kaiſer Carl verloren,

Die Diener treu, die liegen bald

Rings um den Herrn erfroren.

Er niederkniet auf kalten Stein,

Legt ab die guͤldnen Ketten,

Legt ab den Purpurmantel ſein,

Und thaͤt demuͤthig beten.

Ach, weh! ach, weh! der Roſenkranz

Der ſtarren Hand entſinket,

Doch wie er ſinkt, wie Sonnenglanz

Er auf der Erde blinket.

Ein Roſenſtock ſchnell aus ihm ſproßt,

Thaͤt uͤber Eichen ſteigen,

Ein ſuͤßes Duͤften ſich ergoß

Aus ſeinen Bluͤthen und Zweigen.

Auch rings, ſo weit ſein Duft gereicht,

Die Baͤume gruͤnend ſtanden,

Die Voͤgel ſich mit Singen leicht

Wohl durch die Luͤfte ſchwangen.

[110]
Die Sonne auch durch Kluft und Wald

Mit mildem Glanz geſchienen,

Die Knappen treu erſtehen all,

Den Herren zu bedienen.

Und wo den Roſenſtock man ſchaut

Auf der geweihten Stelle,

Zur Andacht ward gar wohl erbaut

Eine heilige Kapelle.

Ein Roſenkranz umfaͤngt ſie bald,

Unter'n Altar die Wurzeln dringen.

Da innen Chor und Orgel ſchallt,

Da draußen die Voͤgel ſingen.

[111]
Todtenopfer.
1.
Friſch aufgebluͤhet ſtand die Heimat wieder,

Verſoͤhnt dich lieben Fluͤchtling zu empfangen,

Aus dunklem Gruͤn mondhelle Bluͤten drangen,

Den Voͤgeln wuchs ein farbig neu Gefieder.

Aus wolk'gen Waͤldern toͤnten ihre Lieder,

Im Thal, auf Bergen, Hirt und Hirtin ſangen,

Es war als ſenkt' in aller Farben Prangen

Der reiche Himmel ſich zur Erde nieder.

Und Arme waren ausgereckt in Freude,

Und Herzen ſchlugen ſehnend dir entgegen,

Vom rauhen Norden ſollteſt du erwarmen.

Da nahm dich uns der Tod mit blaſſem Neide.

Nun welke nur, du reicher Fruͤhlingsſegen!

Nichts frommſt du mehr mit deinem Schmuck uns Armen.

[112]
2.
Du theurer Bruder! der durch's ſteilſte Leben

Kraftvoll, ein Wandrer ohne Stab, gegangen!

O koͤnnt' auch ich die Herberg bald erlangen,

Die dir der Tod, der letzte Wirth, gegeben!

Nach hellem Trunk von heimatlichen Reben

Trugſt du im fernen Norden heiß Verlangen;

In dieſer Herberg haſt du ihn empfangen,

Liebend der Heimat Geiſter Dich umſchweben.

Und nach dem Weg voll Unruh' und Beſchwerde

Wie ruhen ſuͤß nun deine muͤden Glieder!

Wie iſt dir's wohl im heimatlichen Bette!

Noch tobet wuͤſter Streit hier auf der Erde,

Still blickt der Mond auf deinen Huͤgel nieder,

Und Roſen ſproſſen friedſam an der Staͤtte.

[113]
3
Du ſtrebteſt oft, ein herzlich Kind, mit Thraͤnen

Zuruͤck zur ſuͤßen Heimat, zu den Lieben,

Die fern in Kampf und Sturm Dich mußten waͤhnen,

Indeſſen ſie im ſichern Port geblieben.

Du treues Herz! nun iſt erfuͤllt dein Sehnen,

Mein Auge ſoll fortan ſich nimmer truͤben;

Haſt deine Heimat nun, biſt nun bei jenen,

An die du weinend Gruß und Kuß geſchrieben.

Im Morgenroth ſeh' ich verklaͤrt dich wallen,

Wo Sterne durch den Dom des Himmels ziehen,

Du gehſt mit mir durch ſtille Au'n und Haine.

Oft hoͤr' ich deine liebe Stimme ſchallen,

Fuͤhl' deinen Kuß auf meinen Lippen gluͤhen,

Seh' dich mitleidig laͤcheln, wenn ich weine.


[114]
Abſchied.
Geh ich einſam durch die ſchwarzen Gaſſen,

Schweigt die Stadt als waͤr' ſie unbewohnt,

Aus der Ferne rauſchen nur die Waſſer

Und am Himmel geht der bleiche Mond.

Bleib' ich lang vor jenem Hauſe ſtehen,

Drinn das liebe liebe Liebchen wohnt,

Weiß nicht, daß ſein Treuer ferne ziehet,

Stumm und harmvoll, wie der bleiche Mond.

Breit' ich lange ſehnend meine Arme

Nach dem lieben lieben Liebchen aus,

Und nun ſprech' ich: lebet wohl, ihr Gaſſen!

Lebe wohl, du ſtilles, ſtilles Haus!

Und du Kaͤmmerlein im Haus dort oben,

Nach dem oft das warme Herze ſchwoll,

Und du Fenſterlein, draus Liebchen ſchaute,

Und du Thuͤre, draus ſie gieng, leb wohl!

Geh' ich bang nun nach den alten Mauern,

Schauend ruͤckwaͤrts oft mit naſſem Blick,

Schließt der Waͤchter hinter mir die Thore,

Weiß nicht, daß mein Herze noch zuruͤck.

[115]
Ehmals.
Wohl hab' ich manches Lied erdacht

In Waldes Daͤmmerungen,

Die Voͤgel haben's mitgemacht,

Der Bach hat drein geklungen,

Den laugen Weg, die felſ'ge Bahn,

Gieng ich ein ſeel'ger Wandersmann.

Nun aber es mir nicht mehr gluͤckt,

Noch Bach und Voͤgel ſingen,

Ich gehe traurend und gebuͤckt,

Traͤum' von verlornen Dingen,

Den langen Weg, die felſ'ge Bahn

Sieht man mir im Geſichte an.

O armer Sohn der Arzeney!

Biſt ſelbſt erkrankt im Herzen.

Kennſt der Heilkraͤuter mancherley,

Such' eins fuͤr eigne Schmerzen!

Welt, daß ich's finde, laß mich los!

Mich heilt nur meines Grabes Moos.

[116]
Auf Roſas Tod im Herbſt.
Wie waren Ros' und Lilie deine Freude,

Und all' die Kinder ſtiller Blumenauen!

Warſt ſelbſten eine Roſe anzuſchauen,

Einfach erbluͤht auf dufterfuͤllter Haide.

O Blume in der Unſchuld holdem Kleide!

O zartes Bildniß lieber deutſcher Frauen!

Mit andern Blumen, angeweht von rauhen

Herbſtluͤften, ſchiedeſt du, weh! uns zum Leide!

Wohl kommt der Lenz mit neuen Blumen wieder,

Doch ſolche Blumen bringt er, ach nur ſelten!

Und ihre Bluͤthe iſt von kurzer Dauer.

Aus ſeel'gen Sternen traͤgt er ſie hernieder,

Entkeimt dem Morgenrothe beſſrer Welten,

Erſtickt ſie bald der Erde kalter Schauer.

[117]
Die Antwort.
Warum du nur Klagetoͤne?

Warum du nur ew'gen Schmerz?

Stimmt Natur mit ihrer Schoͤne

Dich nicht einmal um zu Scherz?

Kommen Wolken hergezogen,

Liegt die Erde kalt und grau,

Bald ein luſt'ger Regenbogen

Schimmert uͤber Wald und Au'.

Muß der Baum dem Froſt ſich beugen,

Steht er ohne Farb' und Duft,

Bald mit tauſend Bluͤthenzweigen

Spielt er uͤppig in der Luft.

Warum du nur ewig Schmerzen?

Du nur ewig bangen Traum?

Laͤg' ich an dem Mutterherzen

Der Natur wie Erd' und Baum,

Saͤng' ich luſt'ge, farb'ge Lieder,

Spielt' ich wie ein herzlich Kind,

Jetzo wein' ich, bis ich wieder

Die verlor'ne Mutter find'.

[118]
Herr von der Haide.
Sagt an, Herr von der Haide, ſagt!

Was ſoll dieß weiße Kleid?

„Wohl auf der Hoͤh', weh! auf ſteiler Hoͤh',

„Steht mir ein Rad bereit!“

Sagt an, Herr von der Haide, ſagt!

Wo iſt denn euer Weib?

„Wohl auf der See, weh! auf weiter See,

„Schifft ſie zum Zeitvertreib.“

Man fuͤhrt' ihn unter Sang und Klang

Zu Bremen zum Thor' hinaus,

Zwey Raben fliegen hinterher,

Zwey andre fliegen voraus.

„Hoͤrt an! o hoͤrt an, ihr Voͤgel ſchwarz,

„Da in der blauen Hoͤh'!

„Seyd ihr von meinem Fleiſche ſatt,

„Erzaͤhlt's der Frau zur See!“

Leis ſtreicht das Schiff durch die gruͤne See,

Der Mond durch den Himmel blau,

Stolz blickt vom Verdeck mit ihrem Galan

Herrn von der Haidens Frau.

[119]
„Seht an! ſeht an! die Voͤgel ſchwarz

„Da in der blauen Hoͤh';

„Sie ſinken auf Maſtbaum und Segelſtang',

„Halt, Schiffer! mir wird ſo weh!“

Hurra! huhu! ihr ſchwarze Gaͤſt',

Auf Maſtbaum und Segelſtang'!

Sie blicken ruhig, ſie ſitzen feſt.

„Halt, Schiffer! mir wird ſo bang!“

Der erſte laͤßt fallen ein Auge ſchwarz,

Der zweyt' ein Fingerlein;

Der dritte laͤßt fallen eine Locke Haar,

Der vierte laͤßt fallen ein Bein.

Leis ſtreicht das Schiff durch die gruͤne See,

Der Mond durch den Himmel blau —

Todt liegt im Arme des Galans

Herrn von der Haidens Frau.

[120]
Der Kranke an den Arzt.
Arzt! o laß' dein ſchmerzlich Heilen!

Weh zerreißt dein eig'nes Herz,

Und doch kannſt du troͤſtend eilen

Taͤglich ach! zu neuem Schmerz.

Sieh! fuͤr all' die tauſend Wunden

Waͤchst dir doch kein heilend Kraut,

Haſt du eines auch gefunden,

Stillt's kaum einen Seufzerlaut.

Laß', o laß' mich doch hinuͤber!

Sieh! ſchon war ich frey der Qual,

Und ein Vogel flog im Fieber

Hoch ich uͤber's Jammerthal.

Voller Hellheit ſah ich prangen,

Ach! ein Land ſo lieb und warm,

Fuͤhlte ſchon mich lind umfangen

Von vielſeel'ger Freunde Arm.

Und dein Trank hat mich erwecket,

Daß die froſtige Geſtalt,

Dieſer Leib mich wieder ſchrecket,

Dieſes Leben bang und kalt.

[121]
Armer Arzt! Kein Trank, kein Bette

Waͤrme den Erwachten nun!

Ach! er liegt an kalter Staͤtte,

Statt bey Blumen warm zu ruh'n!

Denn, als ſo er ſchlief im duͤſtern,

Stillen Sarg, dem ſichern Port,

Hoͤrt' er aus der Tiefe fluͤſtern

Geiſter dieſes ernſte Wort:

Ein Kraut nur heilt Menſchenwunden,

Menſchenwunden klein und groß,

Ein Tuch nur haͤlt ſie verbunden —

Leichentuch und Grabesmoos.

[122]
Spindelmanns Recenſion eines Buchs.
'S iſt kein ganz ſchlechtes Leſen drum,

'S iſt aber noch nicht aufgeſchnitten,

Wenn man die Naſe reibt drauf 'rum,

So riecht's nach was, — ich mein', nach Quitten.

[123]
Spindelmanns Recenſion der Gegend.
Naͤher muß ich jezt betrachten

Dieſe Gegend durch das Glas,

Sie iſt nicht ganz zu verachten,

Nur die Fern iſt allzublaß.

Jene Burg auf ſteiler Hoͤhe

Nenn' ich abgeſchmackt und dumm,

Meinem Auge thut ſie wehe,

Wie der Fluß, der gaͤnzlich krumm.

Jene Muͤhl' in wuͤſten Kluͤften

Giebt mir gar zu rohen Schall,

Aber ein geſundes Duͤften

Weht aus ihrem Eſelsſtall.

Daß hier Schluͤſſelblumen ſtehen,

Haͤtt' ich das nur eh' gewußt!

Muß ſie ſchnell zu pfluͤcken gehen:

Denn ſie dienen meiner Bruſt.

Kraͤuter, die zwar farbig bluͤhen,

Doch zu Thee nicht dienlich ſind,

Doch nicht brauchbar ſind zu Bruͤhen,

Ueberlaſſ' ich gern dem Wind.

[124]
Auf die Anweſenheit des Herzogs von Braun-
ſchweig
in Braunſchweig im Jahre 1809.
Koͤnnt' ich, dem Adler gleich, in's Firmament mich ſchwingen,

Froͤhlich und frey, ein Gott, in's blaue Weltall ſingen,

Traͤt' ich, beſpritzt mit Blut, ein Mann, aus Kampf und

Schlacht,

Dann wuͤrd', o Welfe! Dir ein wuͤrdig Lob gebracht;

So aber bin ich nur ein weinend Kind gleich allen,

So Schwerdt als Harfe wuͤrd' der ſchwachen Hand entfallen;

Doch denk' ich Dein und Dein! wallt auf dieß traͤge Blut,

Und ſieh! dem Kinde waͤchst noch alter teutſcher Muth.

Dann ſieht er Dich in Deiner Vaͤter Hallen

Fluͤchtling, verbannt und arm, in ſtiller Trauer wallen,

Doch eh' zu neuem Kampf Dich wilder Donner ruft,

Steigſt Du, ein treuer Sohn, in ihre ſtille Gruft.

Ein ſeltſam Schweigen hat da rings erfuͤllt die Mauern,

Man ſah nicht Teutſchland, doch man ſah die Steine trauern,

Da ſankſt Du weinend hin, ein Strahl durchflog den Chor,

Und aus dem Sarge ſtieg Heinrich der Leu' empor.

[125]
Und all' die Helden rings in heil'gen Sarkophagen,

Maͤnner, ſo Leid und Tod um Teutſchland einſt getragen,

Die heben ernſt und ſtumm ſich aus den Saͤrgen wach,

Vor allen aber ſo Heinrich der Leue ſprach:

Getroſt, vieltreuer Sohn! Bald heilen all' die Wunden!

Hier blick' hinab, und ſieh Germania treuverbunden.

Des Fremden Lorbeer liegt, von Blut befleckt, entlaubt;

Doch ſegenreich umſtrahlt ein Stern des Enkels Haupt.

„Du aber, zeuch, mein Sohn, harr' ſtill der theuern Stunde,

Und bring' den Bruͤdern Dein da oben dieſe Kunde.“ —

So ſprach der Leue, ſprach's, und in die Saͤrge all'

Sanken die Helden rings mit wunderſamem Schall.

Da ſtiegeſt Du empor, die Fauſt geſtaͤrkt zum Streite,

Blitz, Donner, Feindesruf durchdrang die Luft die Weite;

Du aber ſchlugſt den Feind mit wenig Treuen Dein,

Und legteſt ruhend nun Dein Haupt auf einen Stein. *)

[126]
Koͤnig Georg von England im Jahr 1813.
Tief ergraut ſtieg Englands Koͤnig

Von der Vaͤter hohem Thron,

Legte Scepter, goldne Krone

In die Hand dem edlen Sohn.

Bald ihm Licht und Rede ſchwanden,

Einſam ſtand er in der Nacht,

Alſo von der Welt geſchieden

Hat er Jahre zugebracht.

Ploͤtzlich glaͤnzt des Greiſen Auge

Einmal noch im alten Licht,

Wie die halb verſunkne Sonne

Einmal noch aus Wolken bricht.

Auch die Rede kam ihm wieder,

Klang vollſtimm'ger Harfe Ton,

Treue Diener horchten ſtaunend,

Rufen den geliebten Sohn.

„Heil!“ ſo ſprach der Sohn in Freude,

„Heil der himmliſch hohen Macht,

Die dich aus des Innern Naͤchten,

Einmal noch zuruͤckgebracht!“

[127]
„Weil' bis ich dein altes Leben,

Wie mit Wein und Fruͤhlingsduft,

Mit viel ſuͤßer hehrer Kunde

Angefriſcht in Kindesluſt.“

Seit zur Ruhe dir vom Himmel

Schlummer auf die Sinne ſank,

Eiſenband mit wildem Donner

Vom bedruͤckten Erdball ſprang!

„Nordlands Maͤnner ſchwangen raͤchend

Eiſen in der ſtarken Hand,

Stuͤrme brauſten, Flammen tobten,

Zuͤndeten im teutſchen Land.“

„Unter ihren alten Eichen,

Wo ſie banger Traum umfieng,

Sprangen auf die teutſchen Maͤnner,

Sprengten keck der Kette Ring.“

Drauf des Alten Auge glaͤnzte

Mit des Nordſterns vollem Schein,

Den Pokal ergreift er eilend,

Trinkt in Luſt viel gold'nen Wein.

Und er ruft in hoher Wonne,

Haltend zitternd den Pokal:

„Nordſtern! aller Sonnen Sonne!

Leben trink' ich deinem Strahl!“

[128]
„Leben euch, ihr alten Eichen,

Im urfeſten, teutſchen Land!

Maͤnnern, euch, in ihrem Schatten,

Schwerdt' in der geſtaͤhlten Hand!“

„Brau's, o Meer, in Harfentoͤnen,

Singe hohen Feſtgeſang,

Daß der Hoͤlle Macht zerſchlagen,

Daß des Erdballs Kette ſprang!“

„Was die Zeit in ihrem Laufe,

Endlich auch zur Welt gebracht,

Wandelte als volle Sonne

Laͤngſt durch meine ſtille Nacht.“ —

Alſo ſprach der Greis entzuͤcket,

Aber kehrte d'rauf zur Stund'

Wieder in des Innern Naͤchte,

Nimmer ſpricht fortan ſein Mund.

Doch ſein Auge blicket immer

Als ein himmliſch milder Stern;

Treue Diener ſtehen wartend

Um den alten, edlen Herrn.

[129]
Sommerabend
auf Kloſter Lorch, der Grabſtätte des Hohenſtaufiſchen Herzog- und

Kaiſerhauſes.
1815.

Nach mildem Abendregen

Die Luͤfte kuͤhlend weh'n;

Des Landes reicher Seegen

Dampft auf zu blauen Hoͤh'n.

Duft kommt herangezogen

Von Blumen, Kraͤutern gruͤn,

Die unter goldnen Wogen

Des Aehrenfeld's erbluͤh'n.

Es rauſchen durch die Stille

Die Aehren, voll und ſchwer.

Der Wald in uͤpp'ger Fuͤlle

Steht ſchwarz ein naͤchtlich Meer.

Und uͤber ihn ſich breitet

Ein ſtolzer Felſenkranz,

Das iſt die Alp, gekleidet

In blauen Himmelsglanz.

Und all' die Berg' und Auen,

Bebaut mit fleiß'ger Hand,

Dieß Land ſo ſchoͤn zu ſchauen,

Iſt deutſches Vaterland!

J. Kerners Gedichte. 9
[130]
Gekuͤßt von Himmelsblaͤue,

Steht es, des Himmels Braut.

Schuͤtzt, Bruͤder, ſie mit Treue!

Gott hat ſie euch vertraut!

Schlaft ſuͤß, die ihr den Degen

Fuͤr dieſe Braut gefuͤhrt,

Die auf des Sieges Wegen

Juͤngſt ſel'ger Tod beruͤhrt!

Auch hier aus alten Zeiten

Schlaͤft manches Heldenbild,

Das einſt in blut'gen Streiten

War deutſchem Land ein Schild.

Noch ragt der Fels vor allen,

Drauf einſt der Helden Haus,

Iſt auch ihr Leib zerfallen,

Die Treu' haͤlt ewig aus.

Drum ſtieg in Kampfes Tagen

Hier aus der Gruͤfte Nacht

Manch' alter Held, zu tragen

Das Siegspanier der Schlacht.

Mit ſolchen treu verbunden,

Da kaͤmpften Maͤnner gut,

Da ſprang aus ſel'gen Wunden

Ein Heilquell, deutſches Blut.

Laßt deutſchen Muth nicht ſinken,

So lang' noch Alpen ſteh'n,

Euch Heldengeiſter winken

Von ihren blauen Hoͤh'n!

[131]
Haͤngt feſt, wie Waldes-Eichen,

Am heil'gen deutſchen Land!

Wohl ritterlich euch reichen

Zu Schutz und Trutz die Hand!

Die Braut in Himmelsſchoͤne

Dieß Land ſo ſeegenreich,

Will ſtarke, treue Soͤhne,

Den ew'gen Alpen gleich.

[132]
Todten-Opfer
fuͤr Karl Gangloff
.
(Karl Gangloff ſtarb in ſeinem 24ſten Jahre zu Merklingen. Ohne

je Unterricht erhalten zu haben, ſchuf er in Umriſſen die herr-

lichſten Compoſitionen. Früher Tod führte ihn zu herrlichern

Geſtalten des Lichts.)

Der Menſchheit Seufzer ſchweigen,

Von Floͤten und ſuͤßen Geigen

Ertoͤnt ein muntrer Chor,

In freyen Laubgewinden

Sich wieder Saͤnger finden,

Die ſingen wie zuvor.

Duftreiche Lilien bluͤhen,

Melodiſch Fluͤſſe ziehen

Zum freygeword'nen Rhein.

Mit himmelblauen Wogen

Kommt jauchzend der gezogen

Von Blut und Thraͤnen rein.

Die Maͤnner, die aus Schlachten

Uns Roſ' und Lilie brachten,

Durch Wunden roth und bleich,

Die laß uns wuͤrdig preiſen,

Ich mit Geſangesweiſen,

Du Freund! mit Bildern reich!

[133]
O Traum! — du junges Leben!

Von Bildern hell umgeben,

Die deine Kunſt erfand.

Liegſt du im ſtillen Zimmer

Erbleicht im Sarge, — nimmer

Ruͤhrt ſich die theure Hand!

Wie koͤnnt' ich ſo mich truͤgen!

Bilder und Griffel liegen

Verlaſſen ja herum!

Wie ſeyd ihr bleich, ihr Wangen!

Ihr Lichter! wie vergangen!

Du Mund! wie kalt und ſtumm!

Im Tod iſt dir erklungen

Das Lied der Nibelungen,

Schwertſchlag der Hermannsſchlacht.

Drauf hat dir wonnetrunken

Der ſel'ge Freund gewunken *)

Und ſieh! — es war vollbracht.

Die du hier oft in Bildern

Verſuchteſt treu zu ſchildern

Hellen'ſcher Maͤnner Chor,

Helden aus Herrmannsſtreiten,

Jungfrau'n aus deutſchen Zeiten,

Die tragen dich empor.

[134]
In linden Armen halten

Dich goͤttliche Geſtalten,

Die ahnend du geſchaut;

Wohl ſind es deine Fuͤhrer,

Mengs, Raphael und Duͤrer,

Dir ewig nun vertraut.

Ich doch muß einſam wallen!

Ihr Andern! Laßt erſchallen

Jubel und Siegsgeſang! —

O Geiſt in ſel'ger Wonne!

Send' mir aus deiner Sonne

Nur einen einz'gen Klang!

[[135]]
An Gangloffs Geiſt.
Weinſperg 1819.

Hier in dieſen uͤpp'gen Feldern,

Rebenbergen, wolk'gen Waͤldern,

Um das Maal der Frauentreu',

Wo du giengſt in ſtillem Sinnen, —

Brennt es mich im Buſen innen,

Werden alte Wunden neu.

Berg und Thale hoͤr' ich fragen:

Hat er nicht auch dich getragen

Einſt im Herzen liebewarm?

Kam er mit dir? — weh! und ſchauen

Muß ich deiner Tugend Auen,

Dann durch Thraͤnen voll von Harm.

Aber die dein Geiſt erdachte,

Deine Hand in's Leben brachte

In dem Wein-bekraͤnzten Thal,

Jene Bilder alter Zeiten

Seh' ich oft voruͤber gleiten

Geiſtern gleich im Mondenſtrahl.

[136]
Deine Helden, deine Frauen

Geh'n mit mir durch dieſe Auen

Noch im ſpaͤten Abendroth.

Fluͤſtern: iſt auch er verſchwunden,

Was ſein Geiſt, ſein Herz erfunden

Raubt der Freundes-Bruſt kein Tod.

[137]
Im Herbſte.
1823.

Hoch von Bergen toͤnt zu Thal

Freudenruf und Jubellied:

Sey gegruͤßt du heil'ger Strahl

Der auch unſern Berg durchgluͤht.

Laͤngs des Neckars, laͤngs des Rheins

Toͤnet ſolcher Freude Schall,

Preißt den maͤcht'gen Gott des Weins,

Der gekroͤnt die Huͤgel all'.

Evoe! Dem Gotte leer'

Ich auch dieſes Glas mit Wein!

Gold des Neckars! — Doch woher

Faͤllt ein Tropfen Blut hinein?

Freunde! Das iſt Griechenblut!

Stellt Geſang und Jubel ein!

Blickt zu Thal, mit truͤbem Muth

Auf die Erde, kalt wie Stein.

Evoe, Ruf, der einmal

Froh getoͤnt durch Hellas Land,

Toͤnteſt mir jezt Hellas Qual —

Und das Glas entfaͤllt der Hand.

[138]
Sonnenlauf.
Weh, o weh der boͤſen Sonne! ſtellt mit liebeloſem Stral

Zwiſchen mich und Sie, die Ferne, hohe Berg' und tiefe

Thal',

Bringet Doͤrfer, bringet Staͤdte, ziehet Fluͤſſe, leitet Seen,

Laͤßt ein wild Gewuͤhl von Menſchen zwiſchen Ihr und mir

erſtehn.

Und je naͤher dann die Sonne leuchtend an dem Himmel

zieht,

Weh! je ferner Sie, die Ferne, uͤber Berg' und Thale

flieht.

Aber wann die Sonne fliehet, mit ſich ziehend Berg und

Thal,

Mit ſich ziehend Fluͤſſ' und Staͤdte, und die Menſchen all-

zumal:

Kehret ſchon die Ferne wieder; leis vom Abendſtern bewacht,

Schifft ſie in dem Kahn des Mondes durch das ſtille Meer

der Nacht.

[139]
Die heilige Regiswind von Laufen.
Herr Ritter Ernſt, der war ergrimmt zu einer boͤſen Stund',

Er ſchlug die falſche Dienerin mit ſeinen Faͤuſten wund.

Er ſchlug die falſche Dienerin, er ſtieß ſie mit dem Fuß:

„Herr Ritter Ernſt! und wißt fuͤrwahr, daß Euch dieß reuen

muß.“

Es war die falſche Dienerin, die eilte durch den Saal,

Sie eilte durch den weiten Hof, hinab ins gruͤne Thal.

Da ſaß Herrn Ernſts ſein Toͤchterlein, ein Fraͤulein fromm

und zart.

Es ſpielt mit bunten Bluͤmelein nach anderer Kinder Art.

Da pfluͤckt die falſche Dienerin drei Roͤslein auf dem Plan,

Zu locken dieſes ſtille Kind zum wilden Strom hinan.

„Komm liebes Kind! komm, ſuͤßes Kind! da bluͤhen Roͤs-

lein rund!“

Sie faßt es an dem goldnen Haar, ſie ſchleudert's in den

Grund.

Eine Weil' das Kind die Tiefe barg, eine Weil' es oben

ſchwamm,

Auflacht die falſche Dienerin, doch bald ihr Reue kam.

Sie flieht von dem unſel'gen Strom, flieht uͤber Berg und

Thal,

Sie irrt ſo viele hundert Jahr, kann ruh'n kein einzigmal.

Es ſah Herr Ernſt von hoher Burg, ſah in den gruͤnen

Grund,

Sie brachten todt ſein ſuͤßes Kind, auf Roſen man es fund.

[140]
Es bluͤht wie eine Roſe roth, wie eine Lilie weiß.

Er legt's in einen gold'nen Sarg, beſtattet es mit Fleiß.

Manch' Mutter kniet' mit ihrem Kind auf Regiswindens

Gruft,

Doch wenn Herr Ernſt, der Vater, kam, entſtieg ihr Ro-

ſenduft.

Seitdem erſcheint zur Todesnacht gar manchem frommen

Kind,

Bekraͤnzt mit duft'gen Roͤslein roth, die heil'ge Regiswind.

Auch liegt ſeitdem manch' frommes Kind, das Nachts erlitt

den Tod,

Am Morgen in der Wieg' umkraͤnzt mit jungen Roͤslein

roth.

[141]
An das Trinkglas eines verſtorbenen Freundes.
Du herrlich Glas, nun ſtehſt du leer!

Glas, das er oft mit Luſt gehoben!

Die Spinne hat rings um dich her

Indeß den duͤſtern Flor gewoben.

Jetzt ſollſt du mir gefuͤllet ſeyn

Mondhell mit Gold der deutſchen Reben!

In deiner Tiefe heil'gen Schein

Schau' ich hinab mit frommem Beben.

Was ich erſchau' in deinem Grund,

Iſt nicht Gewoͤhnlichen zu nennen,

Doch wird mir klar zu dieſer Stund',

Wie nichts den Freund vom Freund kann trennen.

Auf dieſen Glauben, Glas ſo hold!

Trink' ich dich aus mit hohem Muthe.

Klar ſpiegelt ſich der Sterne Gold,

Pokal in deinem theuren Blute.

Still geht der Mond das Thal entlang,

Ernſt toͤnt die mitternaͤcht'ge Stunde,

Leer ſteht das Glas, der heil'ge Klang

Toͤnt nach in dem kryſtall'nen Grunde.

[142]
An Roſamund.
Sommers, wann die Lilien bluͤhen,

Nelk' und Roſe duftend gluͤhen,

Maͤgdlein durch die Gaͤrten wallen,

Schoͤn begruͤßt von Nachtigallen:

Steh' ich wol am fernen Meere —

Aber auf der oͤden Leere

Wird dein Garten mir erbluͤhen,

Werden deine Roſen gluͤhen;

Werden ſich die blauen Wellen

Mir zu euren Bergen ſchwellen,

Werd' ich eure Thaͤler, Auen

Bluͤhend in der Tief' erſchauen,

Und dann zieht wol banges Sehnen

Mich darnieder, und mit Thraͤnen

Will ich ſinken in die Roſen; —

Aber rings nur Wellen toſen.

[143]
Naͤchtlicher Beſuch.
Jaͤger.
Der Tag iſt gegangen,

Hier irr' ich allein,

Wie graut mir hier außen!

O laß mich hinein.

Schaͤferin.
Hier innen iſts dunkel,

Die Huͤtte iſt klein,

Der Mond ſteht da draußen,

Du biſt nicht allein.

Jaͤger.
Und willſt du nicht oͤffnen,

So geh' ich in Wald

Und blaſe mein Hoͤrnlein

Das ruͤſtig erſchallt,

Und jage die Wolken

Vom Himmel wohl all',

Dann tanzen die Sterne

Zum luſtigen Schall.

[144]
Schaͤferin.
Ich fuͤhle, darfſt glauben,

Indeſſen kein Leid,

Ich treibe wohl traͤumend

Die Schaͤflein zur Weid.

Ich lauſche dem Vogel,

Er ſinget von Scherz,

Ich liege bei Blumen —

Das bringet nicht Schmerz.

[145]
Die traurige Hochzeit.
Zu Augsburg in dem hohen Saal

Herr Fugger hielt ſein Hochzeitmahl.

Kunigunde hieß die junge Braut,

Saß krank und bleich, gab keinen Laut.

Zwoͤlf goldene Becher giengen herum,

Nichts trank Herr Fugger, ſo bleich und ſtumm.

Zwoͤlf Blumenkoͤrbe bot man umher,

Die Braut verlangte kein Bluͤmlein mehr.

Zwoͤlf Harfner lockten zum Fackeltanz.

Die Fackeln gaben ſo matten Glanz.

Die Gaͤſte tanzten in langen Reihn,

Zwo weiße Geſtalten hintendrein.

Die Gaͤſte tanzten zum Saal hinaus,

Sie tanzten und tanzten wohl aus dem Haus.

Die Saiten der Harfen ſprangen zumal,

Stumm ſchlichen die Harfner ſich aus dem Saal.

Im Saale vernahm man keinen Laut,

Todt ſaßen im Dunkel Braͤut'gam und Braut.


[146]
Stille Liebe.
Koͤnnt' ich dich in Liedern preiſen,

Saͤng' ich dir das laͤngſte Lied,

Ja! ich wuͤrd' in allen Weiſen

Dich zu ſingen nimmer muͤd.

Doch was immer mich betruͤbte

Iſt, daß ich nur immer ſtumm,

Tragen kann dich Herzgeliebte!

In des Buſens Heiligthum.

Und daß du, was laut ich ſage,

Oder preis in Sangesluſt,

Meineſt, daß ich tiefer trage

Als dich, Herz, in warmer Bruſt.

Dieſer Schmerz hat mich bezwungen,

Daß ich ſang dieß kleine Lied,

Doch von bittrem Leid durchdrungen,

Daß noch keins auf dich gerieth.

[147]
Der Geiger zu Gmuͤnd.
Einſt ein Kirchlein ſonder gleichen,

Noch ein Stein von ihm ſteht da,

Baute Gmuͤnd der ſangesreichen

Heiligen Caͤcilia,

Lilien von Silber glaͤnzten

Ob der Heil'gen mondenklar,

Hell wie Morgenroth bekraͤnzten

Goldne Roſen den Altar.

Schuh' aus reinem Gold geſchlagen,

Und von Silber hell ein Kleid

Hat die Heilige getragen:

Denn da war's noch gute Zeit:

Zeit, wo uͤberm fernen Meere,

Nicht nur in der Heimat Land,

Man der Gmuͤnd'ſchen Kuͤnſtler Ehre

Hell in Gold und Silber fand.

Und der fremden Pilger wallten

Zu Caͤcilias Kirchlein viel;

Ungeſeh'n woher, erſchallten

Drin Geſang und Orgelſpiel.

[148]
Einſt ein Geiger kam gegangen,

Ach, den druͤckte große Noth,

Matte Beine, bleiche Wangen,

Und im Sack kein Geld, kein Brod!

Vor dem Bild hat er geſungen

Und geſpielet all ſein Leid,

Hat der Heil'gen Herz durchdrungen:

Horch! melodiſch rauſcht ihr Kleid!

Laͤchelnd buͤckt das Bild ſich nieder

Aus der lebenloſen Ruh,

Wirft dem armen Sohn der Lieder

Hin den rechten goldnen Schuh.

Nach des naͤchſten Goldſchmids Hauſe

Eilt er, ganz vom Gluͤck berauſcht,

Singt und traͤumt von beſten Schmauſe,

Wenn der Schuh um Geld vertauſcht.

Aber kaum den Schuh erſehen,

Fuͤhrt der Goldſchmidt rauhen Ton,

Und zum Richter wird mit Schmaͤhen

Wild geſchleppt des Liedes Sohn.

Bald iſt der Proceß geſchlichtet,

Allen iſt es offenbar,

Daß das Wunder nur erdichtet,

Er der frechſte Raͤuber war.

[149]
Weh! du armer Sohn der Lieder,

Sangeſt wohl den lezten Sang!

An dem Galgen auf und nieder

Sollſt, ein Vogel, fliegen bang.

Hell ein Gloͤcklein hoͤrt man ſchallen,

Und man ſieht den ſchwarzen Zug

Mit dir zu der Staͤtte wallen,

Wo beginnen ſoll dein Flug.

Bußgeſaͤnge hoͤrt man ſingen

Nonnen und der Moͤnche Chor,

Aber hell auch hoͤrt man dringen

Geigentoͤne draus hervor.

Seine Geige mit zu fuͤhren,

War des Geigers letzte Bitt'.

„Wo ſo viele muſiciren,

Muſicir' ich Geiger mit!“

An Caͤcilias Kapelle

Jetzt der Zug voruͤber kam,

Nach des offnen Kirchleins Schwelle

Geigt er recht in tiefem Gram.

Und wer kurz ihn noch gehaſſet,

Seufzt: „Das arme Geigerlein!“

„„Eins noch, bitt' ich — ſingt er — laſſet

Mich zur Heilgen noch hinein!““

[150]
Man gewaͤhrt ihm, vor dem Bilde

Geigt er abermals ſein Leid,

Und er ruͤhrt die Himmliſchmilde,

Horch! melodiſch rauſcht ihr Kleid!

Laͤchelnd buͤckt das Bild ſich nieder

Aus der lebenloſen Ruh,

Wirft dem armen Sohn der Lieder

Hin den zweyten goldnen Schuh.

Voll Erſtaunen ſteht die Menge,

Und es ſieht nun jeder Chriſt,

Wie der Mann der Volksgeſaͤnge

Selbſt den Heil'gen theuer iſt.

Schoͤn geſchmuͤckt mit Baͤndern, Kraͤnzen,

Wohl geſtaͤrkt mit Geld und Wein,

Fuͤhren ſie zu Sang und Taͤnzen

In das Rathhaus ihn hinein.

Alle Unbill wird vergeſſen,

Schoͤn zum Feſt erhellt das Haus,

Und der Geiger iſt geſeſſen

Obenan beym luſt'gen Schmaus.

Aber als ſie voll vom Weine,

Nimmt er ſeine Schuh zur Hand,

Wandert ſo im Mondenſcheine

Luſtig in ein andres Land.

[151]
Seitdem wird zu Gmuͤnd empfangen

Liebreich jedes Geigerlein,

Kommt es noch ſo arm gegangen —

Und es muß getanzet ſeyn.

Drum auch hoͤrt man Geigen, ſingen,

Tanzen dort ohn' Unterlaß,

Und wem alle Saiten ſpringen

Klingt noch mit dem leeren Glas.

Und wenn bald ringsum verhallen

Becher klingeln, Tanz und Sang,

Wird zu Gmuͤnd noch immer ſchallen

Selbſt aus Truͤmmern luſt'ger Klang.

[152]
Mayenklage.
Ziehe nicht ſo ſproͤd' und ſchnelle,

Suͤßer May, an mir voruͤber!

Einen Strahl nur deiner Helle!

Nur ein einzig Bluͤmlein, Lieber!

Quellen rauſchen, Voͤgel ſingen,

Volle Bluͤthenbaͤume wehen,

Doch an all' den ſuͤßen Dingen

Muß ich kalt voruͤber gehen.

Waldesnacht, wo Voͤgel ſchliefen,

Iſt erhellt von Blumen, Quellen,

Ach! des Buſens bange Tiefen

Kann kein Mayenſtrahl erhellen!

Laß die Stern' an Himmelszinnen,

Bluͤthen auf der Erde glaͤnzen, —

Todtes Herz! im Huͤgel innen

Liegſt du unter welken Kraͤnzen!

[153]
Der Pilger.
Ich hieng mit heißer Liebe

An einem ird'ſchen Bild,

Das ach! mit eitlem Triebe

Das ſchwache Herz erfuͤllt,

Es ſchwand des Lebens Frieden,

Und matt blieb ich hienieden.

Da blickt ich ach mit Thraͤnen

Hinaus wol in die Welt,

Es ſtillte nicht mein Sehnen,

Was frommem Sinn gefaͤllt,

Wol ſtanden Mond und Sterne

Kalt in der ſchwarzen Ferne.

Mich und die Welt zu fliehen,

Faßt' ich den Wanderſtab,

Viel Blumen ſah ich bluͤhen,

Doch keine brach ich ab,

Mich trieb ein banges Ahnen

Nach ungewohnten Bahnen.

Da blickt von Bergeshoͤhen

Mir ach! ſo neu, ſo mild,

Als haͤtt' ich's nie geſehen,

[154]
Vom Kreuz des Mittlers Bild,

Nicht konnt' ich widerſtreben,

Auf zog es mich mit Beben.

Und was ich juͤngſt begehrte,

Das Ird'ſche floh mein Herz,

Hinab ſank Staub und Erde,

Sonne flog himmelwaͤrts.

Hin kniet' ich im Entzuͤcken,

Es an das Herz zu druͤcken.

Da ſtroͤmten Ruh' und Wonne

Aus ihm in meine Bruſt,

Als waͤr' es eine Sonne,

Durchzuͤckt es mich mit Luſt;

Es flogen Engel nieder,

Und gruͤßten mich als Bruͤder.

Doch ſieh! zum ſuͤßen Lohne

Neigt mild das Bildniß ſich,

Es ſinkt die Dornenkrone

Von ſeinem Haupt auf mich.

Feſt druͤckt' ich ſie zum Herzen,

Fuͤhlend ſo ſuͤße Schmerzen.

Und bis zur Todesſtunde,

In Weh und Lebensluſt,

Fuͤhl' ich die theure Wunde

Nun tief in meiner Bruſt;

Fuͤhl', wie ein neues Leben

Mir ganz in ihr gegeben.

[155]
An Peter Bruckmann*)
Am Tage ſeiner Geburt.

Silbertoͤne hoͤrt' ich klingen

Noch vom Schlafe nicht erwacht,

Sah, wie Mondlicht durch die Nacht,

Zarte Lichtgeſtalten dringen.

Und ein Knaͤblein ſah ich liegen

In dem reinſten Silberſchein,

Juͤngſt gebohren mocht' es ſeyn,

Kuͤnſtlergeiſt in allen Zuͤgen.

Hell umſchwebt von Lichtgeſtalten

War das wunderreiche Kind,

Eine Muſe nahm es lind,

In den Himmel es zu halten.

Und der Himmel feuerſpruͤhend

Wandelte ſein Silber, Gold,

Flugs in Bilder reich und hold

Und in Blumen lichtergluͤhend.

[156]
Hebend in die Wunderklarheit

Kuͤßt die Muſ' das Kind und ſpricht.

„Sey geweiht dem Feu'r und Licht!

Deine Kunſt ſey Treu' und Wahrheit.“

Nach der Welt verſchiednen Enden

Stroͤmten Blumen, Bilder klar,

Helden, treu geſtellet dar,

Glaͤnzten hell an Buſen, Haͤnden.

Aber als ich tief verloren

Noch in all die Klarheit lag,

Brach herein der laute Tag

Und mein Traumbild gieng verloren.

Und mein Traumbild gieng verloren!

Aber immer iſt es mir,

Als ſey heut' — ich ſag's nur dir, —

Jener Tag, der dich geboren.

[157]
Abendſchiffahrt.
Wenn von heiliger Kapelle

Abendglocke fromm erſchallet,

Stiller dann das Schiff auch wallet

Durch die himmelblaue Welle;

Dann ſinkt Schiffer betend nieder,

Und wie von dem Himmel helle

Blicken aus den Wogen wieder

Mond und Sterne.

Eines iſt dann Wolk' und Welle,

Und die Engel tragen gerne,

Umgewandelt zur Kapelle,

So ein Schiff durch Mond und Sterne.

[158]
Rath im Mai.
Wo Saaten ſich erheben,

Wo froh die Voͤgel ſchweben

Mit Singen himmelwaͤrts,

In linden Maientagen,

Kannſt du nicht ruhig ſchlagen,

Du krankes, krankes Herz?

Geh' aus auf gruͤner Haide,

Wo's Bluͤmlein bluͤht voll Freude,

In Duft, Geſang und Strahl;

Leg' dich zu ihm darnieder,

Duft, Himmelsglanz und Lieder,

Die heilen deine Qual.

Laß ganz der Menſchen Streben,

Sey wieder frei gegeben

Der alten Einſamkeit!

Wie Vogel ſingt in Luͤften,

Ausſtroͤmt die Blum' in Duͤften,

Stroͤmt aus, o Herz! dein Leid.

Dann kehre ſonder Trauern

In armer Staͤdte Mauern:

Es kehret ohne Weh

Die Blum' in's Erdreich wieder,

Traͤumt Sonnenſchein und Lieder

Tief unter Eis und Schnee.

[159]
Sankt Alban.
Es ſteht dem Land zum Gruße

Ein Kreutz auf Berges Hoͤh',

Leiſ' wallt zu ſeinem Fuße

Ein himmelblauer See.

Viel duft'ge Kraͤuter bluͤhen

An dieſes Waſſers Rand,

Viel fromme Pilger ziehen

Dahin vom fernen Land.

Wohl vor zwoͤlfhundert Jahren,

Da lag dieß Land gar wild,

Der Wald mit Thiereſchaaren,

Der See mit Gift erfuͤllt:

Die an des Kreutzes Stelle

Ein ſchlimmer Felſen war,

Stellend zur Luſt der Hoͤlle

Des Satans Bildniß dar.

Kalt, wie des Mondes Strahlen,

Blickt' es in's Land hinein,

Zum Fluch den Hoͤh'n und Thalen;

Statt Blumen wuchſen Stein',

Statt Menſchen wurden Drachen,

Statt Fiſchlein Schlangen im See,

Die Hoͤlle ſah's mit Lachen

Und pries das Bild der Hoͤh'.

[160]
Da kam vom fernen Strande

Sankt Alban, ſtark und kuͤhn,

Zu dieſem wilden Lande,

Zu dieſem Felſen hin.

Ihn faßt' des Landes Jammer,

Er ſprang zum Felſenwall,

Zerſchlug mit ſtarkem Hammer

Das Bild, — es fiel mit Schall.

Dankvoll, daß ihm's gelungen,

Kniet' er dort auf den Hoͤh'n,

Der Fels, der war zerſprungen,

Ein Kreuz daraus blieb ſteh'n.

Und wie daſſelbe blickte

Weit in das Land hinein:

Man Roſ' und Lilie pfluͤckte

In lindem Maienſchein.

Da lagen in den Kluͤften

Erdruͤckt die Drachen all,

Da ſang in Blumenduͤften

So manche Nachtigall,

Viel Fiſchlein, ſilberhelle,

Waren im See zu ſchau'n,

Und an Sankt Albans Stelle,

Da knieten zarte Fraun.

[161]
Eine Fabel.
Fruͤhling war's im Land geworden

Und der Winter ward vertagt,

Ohne daß den Herrenorden

Gott noch lange drum befragt.

Jenen packt deß Zorn und Trauer,

Und er ruft: der Lenz gilt nicht!

„Nehm' ihn nicht, du dummer Bauer!

„Er iſt klares Hoͤllenlicht!

„Dieſe Sonne ungeladen

„Dring' zu mir nicht frevelnd ein!“

Ruft's und ſchließt den Fenſterladen,

Huͤllt ſich in die Wildſchur ein.

Aber ruhig ſtrahlt die Sonne

Und es keimt die Saat mit Luſt,

Buͤrger, Bauer, dankt in Wonne

Gott dafuͤr in tiefer Bruſt.

Aber hinterm Ofen ſitzen

Bleibt der Herr und ſchimpft und flucht:

„In der Wildſchur will ich ſchwitzen,

„Ich hab' keinen Lenz geſucht!“

J. Kerners Gedichte. 11
[162]
Wuͤthend mit den Fuͤßen ſtampft er:

„Wer ihn lobt iſt ſchlecht und dumm!“

Und aus ſeiner Pfeife dampft er

Blauen Dunſt um ſich herum.

Doch der Bauer ſchlicht und wacker

Ruft: „o Herr! Ihr wißt es nicht!

„Was ſchon laͤngſt gebrach dem Acker

„Das iſt eben dieſes Licht!“

„Will euch dieſes Licht nicht frommen,

„Nun! ſo ſchließt vor ihm das Haus,

„Aber, Herr! wem es willkommen,

„Den laßt ungeſchimpft hinaus!“

[163]
Letzter Troſt.
Die kleinen Lieder, die dem Herzen

Entſpringen mit dem Thraͤnenquell,

Sterne der Thraͤnen mild und hell,

Geben noch Lind'rung meinen Schmerzen,

Schimmern durch meine Naͤchte hell.

Auch dieſen Born ſeh ich bald trocken,

Kalt und erſtorben bald den Blick,

So Lied als Thraͤne bleibt zuruͤck,

Im Herzen, deſſen Pulſe ſtocken,

Und todt iſt auch das letzte Gluͤck.

Grabt dieſes Herz, mißkannt, verlaſſen

Hin, wo noch eine Blume bluͤht,

Ein Vogel durch die Luͤfte zieht,

Die Blume wird dieß Herz nicht haſſen,

Der Vogel ſingt ihm noch ein Lied.

[164]
Sehnſucht.
O koͤnnt' ich einmal los

Von all' dem Menſchentreiben,

Natur! in deinem Schooß

Ein herzlich Kind verbleiben!

Mich rief ein Traum ſo ſchwer

Aus deinen Mutterarmen,

Seitdem kann nimmermehr

Das kranke Herz erwarmen.

Der Menſchen Treiben, ach!

Das haͤlt mich nun gefangen,

Das folgt mir ſtoͤrend nach

Wo Erd' und Himmel prangen.

Doch iſt dies Treiben mir

So fremd und ſo unherzlich,

Und, Mutter, ach nach dir

Zieht mich ein Heimweh ſchmerzlich!

O nimm dein reuig Kind

In deine Mutterarme,

Daß dir's am Buſen lind

Zu neuer Lieb erwarme!

[165]
Wie iſt's ergangen mir,

Daß ich verirrt ſo lange!

Mutter! zu dir, zu dir!

Wie iſt's mir weh und bange;

Bis ich wie Blum' und Quell

Dir darf im Herzen bleiben,

Mutter! o fuͤhr' mich ſchnell

Hin, wo kein Menſchentreiben!

[166]
Frage.
Waͤrſt du nicht, heil'ger Abendſchein!

Waͤrſt du nicht, ſternerhellte Nacht!

Du Bluͤthenſchmuk! du uͤpp'ger Hain!

Und du Gebirg voll ernſter Pracht!

Du Vogelſang aus Himmeln hoch!

Du Lied aus voller Menſchenbruſt!

Waͤrſt du nicht — ach! was fuͤllte noch

In arger Zeit ein Herz mit Luſt? —

[167]
Auf die aus den Kirchen weggebrachte altdeutſche
Gemaͤhlde.
Wollt bald alle wiederkehren

Fromme Kinder deutſcher Art!

An den Waͤnden, ach! den leeren!

Iſt ein Platz euch aufbewahrt.

Weggeſchleppt aus frommen Hallen

Iſt's euch heimatlos und bang,

Und es kann euch nicht gefallen,

Wo nicht Duft und Orgelklang.

Hoͤrt ihr ferner Dome Laͤuten?

O wie traurend ſeht ihr aus!

Ja! euch iſt's wie kranken Braͤuten

Fern vom lieben Mutterhaus.

Ihr in prunkenden Gemaͤchern!

Euer Blick er macht nur Schmerz,

Und ihr unter morſchen Daͤchern!

Ihr zerreißt des Pilgers Herz. —

Seht an manchen uͤpp'gen Stellen

Hoch auf Bergen, tief im Thal,

Winken freundliche Kapellen,

Doch im Innern ſind ſie kahl.

[168]
Kommt und fuͤllt verlaſſ'ne Mauern,

Eh' der lezte Stein vergeht,

Und der Winde kaltes Schauern

Durch der Heil'gen Aſche weht!

Fuͤllt die Niſchen, die Altaͤre,

Deckt die weißgetuͤnchte Wand!

Und der Kuͤnſtler find' und ehre

Euch allwaͤrts im deutſchen Land.

[169]
Winter.
Stets, wann Winter und Sturm unfreundlich tobt auf der

Erde,

Glaub' ich, o Liebe! Du ſeyſt doppelt entfernet von

mir,

Aber, wann Fruͤhling und Luſt, wann Sonn' und Mond

mich umſpielen,

Glaub' ich wohl alles, nur nicht, daß Du ſo ferne mir

biſt.

[170]
Auf einen Epigrammatiſten.
Dein Epigramm, o Theodor!

Iſt ſpitzig, wie ein Eſelsohr.

[171]
Der bange Traum.
An Kreh.

Von wilden Meereswogen

Sah ich uns fortgezogen,

Bey Nacht im Traume bang.

Das Meer hieß: Meer der Maͤngel,

Zwey Kinder lieb wie Engel

Dein Vaterarm umſchlang.

Wie war der Himmel duͤſtern!

Aus Wolken hoͤrt' ich fluͤſtern:

„Laßt doch die Kindlein los!

Ihr wohl ſchwimmt in der Truͤbe,

Die aber nimmt in Liebe

Dieß Eiland dort in Schooß.“

Ich hoͤrt' dich weinen, klagen,

Doch ferne ſah ich tagen

Ein Eiland licht und warm.

Es thuͤrmt' ſich Well' auf Welle,

Und riß die Kinder ſchnelle

Dahin aus deinem Arm.

[172]
Ich ſprach: „laſſ' uns nicht weinen,

Vergoͤnn' den lieben Kleinen

Dieß Eiland voller Pracht.“

Da ward das Meer noch truͤber,

Und wir — wir rangen, Lieber!

Jahr' lang in ſeiner Nacht.

[173]
Hohenſtaufen.
An Conz.

Es ſteht in ſtiller Daͤmmerung

Der alte Fels', oͤd' und beraubt;

Nachtvogel kreiſt in traͤgem Schwung

Wehklagend um ſein mooſig Haupt.

Doch wie der Mond aus Wolken bricht,

Und mit der Sterne klares Heer,

Umſtroͤmt den Fels' ein ſeltſam Licht,

Draus bilden ſich Geſtalten hehr.

Die alte Burg mit Thurm und Thor

Erbauet ſich aus Wolken klar,

Die alte Linde ſproßt empor,

Und alles wird, wie's vormals war.

So Harfe wie Trompetenſtoß

Ertoͤnt hinab in's gruͤne Thal,

Gezogen kommt auf ſchwarzem Roß

Rothbart' der Held, gekleid't in Stahl.

Und Philipp und Irene traut,

Sie wall'n zur Linde Hand in Hand;

Ein Vogel ſingt mit ſuͤßem Laut

Vom ſchoͤnen griech'ſchen Heimat-Land.

[174]
Und Konradin, an Tugend reich,

Der ſuͤße Juͤngling arm, beraubt,

Im Garten ſteht er ſtumm und bleich:

Die Lilie neigt ihr traurend Haupt.

Doch jezt verkuͤnd't aus dunklem Thal

Den bleichen Tag der rothe Hahn,

Da ſteht der Fels gar oͤd' und kahl,

Verſchwunden iſt die Burg fortan.

An ihrer Staͤtt' ein Dornbuſch ſteht,

Kalt weht der Morgen auf den Hoͤh'n, —

Und wie der Fels, ſo kalt und oͤd'

Scheint rings das deutſche Land zu ſteh'n.

[175]
Er und Sie.
Er.

Seh' ich in das ſtille Thal,

Wo im Sonnenſcheine

Blumen ſtehen ohne Zahl,

Blick' ich nur auf Eine.

Ach! es blickt Ihr Auge blau

Jezt auch auf die Auen;

Im Vergißmeinnicht voll Thau

Kann ich es erſchauen.

Sie.

Tret' ich an mein Fenſterlein,

Wann die Sterne ſcheinen,

Moͤgen alle ſchoͤner ſeyn,

Blick' ich nur auf Einen;

Dort gen Abend blickt Er mild

Wohl nach Himmelshoͤhen!

Denn dort iſt ein liebes Bild

In dem Stern zu ſehen.

[176]
Treue.
Die Erde iſt nur froͤhlich,

Wann froh der Himmel blickt,

Schnell dann mit bunten Blumen

Sie Haupt und Buſen ſchmuͤckt;

Dann toͤnt aus ihrem Munde

So mancher Wonnelaut;

Sie fliegt in ſchnellen Taͤnzen

Wie eine junge Braut.

Doch blickt, voll duͤſtrer Wolken,

Der Himmel ernſt und kalt,

Reißt ſie von Haupt und Buſen

Die bunten Blumen bald,

Sie zieht den Trauerſchleier

Um's Angeſicht zur Stund';

Es toͤnt kein Laut der Freude

Aus ihrem bleichen Mund!

[177]
An das Herz im Fruͤhling.
Es wollen Voͤgel wieder ſingen,

Es wollen Blumen wieder bluͤh'n,

Mein Herz! kannſt du dich nicht bezwingen,

Nur einmal noch der Luſt ergluͤhn?

Was nimmer Leben durfte hoffen,

O ſieh! das blickt jetzt friſch hinauf,

Hat dich ſo ſehr ein Froſt getroffen,

Daß du dich nimmer richteſt auf?

Es ſchafft, es klopft, es moͤcht ſich heben,

Doch kann es nicht, es iſt zu krank!

So ſchafft, ſo klopft, man hoͤrt's mit Beben,

Im Sarge der Scheintodte bang.

Dann kommen eilend ſeine Lieben,

Befrei'n ihn aus des Grabes Graus.

Du Herz aus dieſer Bruſt, der truͤben,

Kommſt du ach! nimmermehr heraus!!


[178]
St. Walderichs Kapelle zu Murrhardt.
In alter Burg auf wolk'ger Hoͤh'

Der fromme Kaiſer Ludwig ſaß,

Er trug im Herzen manches Weh,

Vom Schmerz er nimmermehr genas.

Wohl ſang durch Waldes Einſamkeit

Mit ſuͤßem Ton die Nachtigall,

Doch nicht verſcheucht des Kaiſers Leid

In ſtiller Nacht der liebe Schall.

Wohl ſah des Mondes milder Schein

Durch manchen dichtbelaubten Baum,

Der Kaiſer ſchlief in Thraͤnen ein,

Doch traͤumt' er wunderſamen Traum.

Bei einem Kreutz im gruͤnen Thal,

Da ſah er einen Greiſen knien,

Das Haupt bekroͤnt mit heil'gem Stral,

Zu ſeinen Fuͤßen Lilien bluͤh'n.

Vom Himmel eine Stimme ruft:

„Folg' ihm, er wird dein Helfer ſeyn!“

Da ward ſo glaͤnzend blau die Luft,

Aufbluͤht' das Thal in Duft und Schein.

[179]
Es ſchwand der Traum, ſein Auge war

Noch thraͤnenſchwer am lichten Tag:

Das Kind der Nacht, der Thau, ſo klar

Auf himmelblauer Blume lag.

Es ſchwang auf's treue Roß ſobald

Der Kaiſer ſich und ritt zu Thal,

Die Voͤgel ſangen hell im Wald,

Gruͤßend die Sonn' und ihn zumal.

Er ritt hinab vom Wolkenſtein,

Alſo ward ſeine Burg genannt,

Es lag das Thal in lichtem Schein,

Es ſtand ſo ſegenreich das Land.

Jezt ſah er fern drei Lilien bluͤh'n,

Sie warfen milden Schein in's Thal!

Er ſah beim Kreutz den Heil'gen knien,

Sein Haupt bekroͤnt mit Himmelsſtral.

Da ſprang er von dem treuen Roß,

Eilt' froͤhlich auf den Greiſen zu,

Goß allen Schmerz in ſeinen Schooß,

Und ſchon erfuͤhlt' er alte Ruh'.

„Trag' ab den Wolkenſtein zur Stund' —

Alſo der heil'ge Waldrich ſprach —

Stell' eine Kirch' in Thales Grund,

Und denk' an des Erloͤſers Schmach!“

[180]
Drauf ſchwand dahin der heil'ge Greis,

Ihn fand nicht mehr des Kaiſers Blick',

Doch blieben die drei Lilien weiß,

Doch blieb das Kreutz im Thal zuruͤck.

Der fromme Ludwig ließ ſobald

Abtragen ſeinen Wolkenſtein,

Er ſezt ihn aus dem duͤſtern Wald

Zu Thal in Mond- und Sonnenſchein.

Zur Kirche ward er umgebaut.

Beim Kreutze kniet von dieſer Zeit

Duldſam der Kaiſer, bald vertraut

Mit des Erloͤſers hoͤher'm Leid.

[181]
Troſt in der Natur.
Das Schickſal hat verſchlagen

Mich an ſo manchen Ort,

Wo andre unter Klagen

Bald waͤren weiter fort.

Ich doch blieb mit Vergnuͤgen

Sah ich nur einen Baum,

Sah ich nur Voͤgel fliegen,

Fuͤhlt' ich mein Leiden kaum.

Und trug ich Schmerz und Wunden,

Ich klagte nimmer laut,

Konnt' immer noch geſunden

Im Lenz bey Gras und Kraut.

Ich hab mich ſtets gehalten

An die Natur ſo warm,

Die Menſchen ließ ich ſchalten,

Gott! — die ſind kalt und arm.

[182]
An Johannes Laͤmmerer. *)
Wie einſt Hans Sachs in ſeiner frommen Sitte

Manch Lied auf armer Schuſtersbank geſungen,

So iſt auch Dir manch frommes Lied gelungen

Am Weberſtuhl, in armer, ſtiller Huͤtte.

Leicht huͤpfend iſt Dein Schifflein da geſprungen

In Melodieen durch der Faͤden Mitte.

Gleich Harfenlaut, hat's oft nach Deinem Tritte

Noch Mitternacht in dem Geweb' erklungen.

Zwar außen arm, doch innen reich, geborgen,

Sprichſt du: „Gott weiß, warum er mein Gewebe

Mit Toͤnen nur, und nicht mit Gold durchwoben.

Bald reißt es ab! dann kommt der goldne Morgen,

Wo ich verklaͤrt aus armer Huͤlle ſchwebe,

Im reichſten Schmuck, der Sylphe gleich, nach oben.“

[183]
Zwey Saͤrge.
Zwey Saͤrge einſam ſtehen

In des alten Domes Hut,

Koͤnig Ottmar liegt in dem einen,

In dem andern der Saͤnger ruht.

Der Koͤnig ſaß einſt maͤchtig

Hoch auf der Vaͤter Thron,

Ihm liegt das Schwerdt in der Rechten

Und auf dem Haupte die Kron'.

Doch neben dem ſtolzen Koͤnig

Da liegt der Saͤnger traut,

Man noch in ſeinen Haͤnden

Die fromme Harfe ſchaut.

Die Burgen rings zerfallen,

Schlachtruf toͤnt durch das Land,

Das Schwerdt das regt ſich nimmer

Da in des Koͤnigs Hand.

Bluͤthen und milde Luͤfte

Wehen das Thal entlang —

Des Saͤngers Harfe toͤnet

In ewigem Geſang.

[184]
Geſanges Erwachen.
Koͤnnt' ich einmal wieder ſingen,

Waͤr' ich wiederum geſund,

Aber noch will's Herz zerſpringen

Und in Trauern ſchweigt der Mund.

Kaum, daß dieſe leiſe Klage

Aus dem vollen Buſen drang,

Wie an einem Wintertage

Oft ſchon halb ein Vogel ſang.

Wie aus Wolken eng verſchloſſen

Halb oft dringt ein Sonnenblick,

Bald von Regen uͤbergoſſen,

Wiederkehrt in ſich zuruͤck.

Alſo hellte mein Gemuͤthe

Ach nur kurz ein lichter Traum,

Und vom aufgeweckten Liede

Hallten dieſe Toͤne kaum.

[185]
Im Walde.
Tief durch den Wald Geſang erſchallt,

Die leichten Voͤglein ſcherzen,

Der Menſch allein, der traͤgt die Pein

Recht tief im kranken Herzen.

Leicht huͤpft der Bach den Blumen nach,

Ihm iſt ſo kuͤhl und helle,

Durch's Menſchenherz, da ſchleicht mit Schmerz

Des heißen Blutes Welle.

Geſang verhallt, Sturm wiegt den Wald

In dumpfen Melodieen;

Einſam die Bahn muß Wandersmann

Mit duͤſtrer Wolke ziehen.

Rinn' nieder, Thau! aus Wolken grau,

Dich ſaugt die Blum' in Liebe!

Thraͤn'! bleib zuruͤck im Menſchenblick,

Machſt Blumen welk und truͤbe!

[186]
Auf Franz Kochs Spiel auf der Maultrommel,
genannt die Mundharmonika.
Wer gab ihm dieſes Zaubereiſen!

Wer weihte ſeinen ird'ſchen Mund!

Horcht! das ſind ja des Himmels Weiſen!

Mit Geiſtern ſteht der Menſch im Bund.

Seht ihr ſie nicht in lichten Kreiſen,

Ruͤhrt er ſein Spiel zur ernſten Stund'?

Ja! ſolche Toͤne wohl hoͤrt klingen

Der Sterbende, der leiſe ſpricht:

„Ihr Freunde! hoͤrt ihr auch dieß Singen?“

Die Freunde aber hoͤren's nicht.

Er ſpricht: es toͤnt wie Engels Schwingen,

Und ſtirbt, Verklaͤrung im Geſicht.

[187]
An die **.
Wann mit frevelndem Mund ihr Heiliges wagt zu verkuͤnden,

Und vor dem Altar ſteht, hinter dem Ruͤcken das Kreuz.

Faßt ein Schauer mich oft, und ich ſteh' in banger Er-

wartung,

Ob vor Anmuth nicht ſpringe vom Kreuze das Bild.

[188]
An L. U.
Als wir ſchieden, da war's am Himmel ſtuͤrmiſch und truͤbe,

Lag die Erde ſo kalt, ſchwiegen die Voͤgel im Thal.

Jahre ſchwanden indeß, noch ſtuͤrmt mir immer der Himmel,

Liegt die Erde mir kalt, ſingt mir kein Vogel im Thal.

[189]
Epiſteln.
Andreas an Anna.
1.
Liebes Maͤdchen! ſahſt du nicht wie geſtern

Ich auf hohem Berge lang gelegen,

Blickend auf das weiße Kreutz im Thale,

Das die Fluͤgel deines Fenſters bilden?

Glaubt' ich ſchon, du kaͤmſt durch's Thal gewandelt,

Sprang ich auf, da war's ein weißes Bluͤmlein,

Das ſich taͤuſchend mir vor's Auge ſtellte.

Lange harrt' ich, aber endlich breiten

Auseinander ſich des Fenſters Fluͤgel,

Und an ſeinem weißen Kreutze ſtehſt du,

Berg und Thal ein ſtiller Friedensengel.

Voͤglein ziehen nah' an dir voruͤber,

Taͤublein ſitzen auf dem nahen Dache,

Kommt der Mond, und kommen alle Sterne,

Blicken all' dir keck in's blaue Auge.

[190]
Steh' ich einſam, einſam in der Ferne,

Habe keine Fluͤgel hinzufliegen,

Habe keine Strahlen hinzuſenden,

Steh' ich einſam, einſam in der Ferne!

Gehſt du, ſprech' ich mit verhaltnen Thraͤnen:

Ruhet ſuͤß, ihr lieben, lieben Augen!

Ruhet ſuͤß, ihr weißen, weißen Lilgen!

Ruhet ſuͤß, ihr lieben, lieben Haͤnde!

Sprachen's nach die Sterne an dem Himmel,

Sprachen's nach die Blumen in dem Thale.

Weh! o weh! du haſt es nicht vernommen!

2.
Sage mir mein liebes Maͤdchen:

Was bedeudet dieſer Traum?

Steht vor'm Fenſter meiner Zelle

Halbverbluͤht ein Rosmarin.

Traͤumte mir: es ſey aus ihm heut

Schnell ein Roſenſtock geſproſſen,

Voll der duͤftereichſten Roſen,

Haͤtt' ſich auch ein Lorbeer gruͤnend

Um den Roſenſtock gewunden.

„Rosmarin iſt Wehmuth, Trennung,

Roſen deuten Lieb' und Freude,

Lorbeer deutet Ruhm und Sieg.“

[191]
Darum fuͤlle, blaues Auge!

Dich fortan nicht mehr mit Thraͤnen,

Laſſ' allein mein dunkles Auge

Still umwoͤlkt in Thraͤnen ſteh'n.

Darum blicke, blaues Auge!

Nimmer truͤbe an den Himmel,

Sieh! ſonſt blickt er wieder truͤb.

Und wohin kann ich noch ſchauen,

Als gen Himmel, wenn ich nimmer

In dein Auge ſchauen kann?

3.
Blick aus deinem Fenſter, Liebe!

Schaue uͤber die blauen Berge:

Denn dort will ich an den Himmel

Dir ein licht' Gemaͤlde malen.

Steigen aus der Naͤh' und Ferne

Hohe Berge an den Himmel,

Stuͤrzen helle, kuͤhle Quellen

In ein blumigt, gruͤnes Thal.

Stuͤzt der Wanderer im Thale

Auf den Stab ſich, einzuathmen

Jugend, Freiheit, Liebe, Kraft.

[192]
Steht gelehnt an einen Felſen,

Unter Laub und Rebenbluͤthe

Dort ein kleines Haus verborgen,

Steh' ich vor dem kleinen Haus.

Kommt vom Bache, Kraͤuter tragend,

Dort ein liebes, junges Weſen,

Biſt du es — die Meine laͤngſt.

Iſt kein Lauſcher mehr zu fuͤrchten,

Druͤck' ich dich, du ſuͤßes Weſen!

An ein treues Herz voll Liebe,

Offen vor des Himmels Aug'.

Aber weh! o wehe Maͤdchen!

Siehſt du dort nicht jenen Raben?

Aechzend fliegt er durch den Himmel,

Und verloͤſcht mit ſchwarzem Fittig

Mein Gemaͤlde, weh! o weh!

4.
Bin ich wie ein Kind, das ſeine Mutter

Erſt verloren, weinend in der Nacht ſteht:

Sieh! ſo bin ich ſeit ich fern gezogen.

Stund im Traum' ich heut' auf unſrem Berge,

Blick' ich in das tiefe Thal hernieder.

Such' dein Haus ich, aber find' es nimmer.

[193]
Seh' ich eine einſame Kapelle

Auf der Stelle, wo's geſtanden, ſtehen,

Tret' ich in die heilige Kapelle.

Hallet lange jeder meiner Tritte

Im verlaſſenen Gewoͤlbe wieder;

Blicken ernſt und fragend mich die heil'gen

Bilder an von den geweihten Waͤnden.

Tret' ich vor den Hochaltar, zu beten.

Knieeſt du in einem weißen Kleide

Bleich auf ſchwarzem Teppich vor'm Altare,

Lilien und Tulpen um dich her.

Steht der Roſenſtock zu deinen Fuͤßen,

Bluͤthenreich vom Lorbeer ſchoͤn umwunden,

Kehr' ich nie aus der Kapelle wieder.

5.
Nicht im Thale der ſuͤßen Heimat,

Beym Gemurmel der Silberquelle —

Bleich getragen aus dem Schlachtfeld

Denk' ich dein, du ſuͤßes Leben!

All' die Freunde ſind gefallen,

Sollt' ich weilen hier der eine?

Nein! ſchon naht der bleiche Bote,

Der mich leitet zur ſuͤßen Heimat.

J. Kerners Gedichte. 13
[194]
Flecht' in's Haar den Kranz der Hochzeit,

Halt bereit die Brautgewande

Und die wollen, duft'gen Schaalen:

Denn wir kehren alle wieder

In das Thal der ſuͤßen Heimath.

6.
Anna.
Komm', Braͤut'gam! kommt, ihr Gaͤſte!

Schon ſteht im Hochzeitkleid

Die bleiche Braut bereit,

Erwartend euch zum Feſte.

Herbey! herbey! zum Tanz

Die bleiche Braut zu fuͤhren, —

Seht! ihre Haare zieren

So Ros' als Lilienkranz.

So Mond und Sterne kraͤnzen

Lichtvoll das dunkle Thal,

Lampen im Hochzeitſaal,

Die Leichenſteine glaͤnzen.

Und weil nach Tanz und Lauf

Der Ruh wir noͤthig haͤtten, —

Schloß ich zu Schlummerſtaͤtten

Die ſtillen Graͤber auf.

[195]
Seht! eure Betzte kraͤnzet

Der Roſen ſtolze Art,

Doch eine Lilie zart

Am Bett' der Braut erglaͤnzet.

Die Hochzeit iſt bereit,

Komm', Braͤut'gam! kommt, ihr Gaͤſte

Es oͤffnen ſich zum Feſte

Die ſchwarzen Thore weit!

[196]
Die Lilie.
Viel Blumen bluͤhten einſt auf einem Grabe,

Hießen ſich Roͤslein, Veilchen, Hiacinthe.

Winter erſchien, da giengen all' die Blumen,

Kamen auch nimmer auf den ſtillen Huͤgel.

Doch eine Blume, Lilie geheißen,

Griff ein mit ſtarker Wurzel in die Erde,

Jahre vergiengen, und ſie ſtund noch herrlich.

Kam ein Gaͤrtner auf den Grabeshuͤgel

Sah die Schoͤne, dacht in einen Luſtwald

Vom verlaſſ'nen Orte ſie zu pflanzen,

Riß ſie aus, doch wehe! aus dem Grabe

Riß ein Herz er, das ſie feſt umſchlungen.

[197]

Ikarus.
Eine Dichtung in dramatiſcher Form.


Die Handlung geht auf einem Kirchhofe, neben dem die Wohnung
des Todtengräbers iſt, vor.

Erſter Akt.


Fruͤhling. Sonntagmorgens.

Ein Handwerksburſche
geht des Wegs und ſingt:

Mir traͤumt, ich floͤg' gar bange
Weit in die Welt hinaus,
Zu Straßburg durch alle Gaſſen,
Bis vor Feinsliebchens Haus.
Feinsliebchen iſt betruͤbt,
Als ich ſo flieg' und weint':
Wer dich ſo fliegen lehrt,
Das iſt der boͤſe Feind.
Feinsliebchen, was hilft hier luͤgen,
Da du doch alles weißt:
Wer mich ſo fliegen lehrt,
Das iſt der boͤſe Geiſt.
Feinsliebchen weint und ſchreiet,
Daß ich am Schrei erwacht,
[198] Da lieg' ich ach in Augsburg
Gefangen auf der Wacht.
Und morgens muß ich hangen,
Feinslieb mich nicht mehr ruft,
Wohl morgen als ein Vogel
Schwank' ich in freyer Luft.


(Er zieht voruͤber).

Zwei Knaben mit einem papiernen Drachen erſcheinen.

Erſter Knabe.

Jezt weht der Wind! Das wird herrlich ſeyn!
Die Schnur iſt gar entſetzlich lange.
Soll ich ſpringen?


Zweiter Knabe.

Spring!

(Fuͤr ſich)

Mir wird bange.
Der Drache fliegt in den Himmel hinein
Und ſtoͤrt die Engel im Geſange.


Geht ab.

Ein Handwerker mit ſeinem Kinde erſcheint.

Das Kind.

Aber die Voͤgel die pfeifen heut laut!
Sie ſpringen herum im Gras und im Kraut
Sie fliegen hinaus in alle Weit!


Der Vater.

Naͤrrchen! Drum iſt es Sonntag heut.


Ein Schmetterling fliegt herbey.

Das Kind.

Ey! ey! das iſt ein praͤchtig Ding!


[199]
Der Vater.

Das iſt halt nichts, als ein Schmetterling.


Das Kind.

O Vater! wenn er mir's fing!


(Sie ſpringen dem Schmetterlinge nach. Ein Reiher kreiſt hoch in den Luͤſten).

Der Todtengraͤber, ſeine Frau und ſeine Tochter
Elsbeth
.

Der Todtengraͤber.

Siehſt du den Reiher dort oben, Weib!
Blau wie der Himmel ſein Fluͤgel,
Licht und Luft iſt der ſtolze Leib,
Ihm deucht die Erde ein Huͤgel.
Sieh an! ſo bodenlos und ohne Zuͤgel,
Iſt einſt das Wagſtuͤck mir gelungen, Weib!
Werd' ich auch angeſtaunt dort oben ſchweben.


Elsbeth.

Dies waͤr bey Gott! mein lezter Zeitvertreib,
Halt's mit den Blumen, die im niedern Thale leben.


Der Mann.

Die Muͤcke darf zum Himmel ſich erheben,
Frey ſchwebt ſie auf und tanzt im Sonnenſtrahl,
Der Menſch nur ſoll gebannt in's niedre Thal
Mit Moos und Schwamm an Stein und Erde kleben?
Hum! ich probir's einmal!


(Strebt mit Armen und Beinen auf).

Auf, ihr traͤge Arme! plumpe Fuͤße!
Wandelt euch in leichte, luft'ge Schwingen!
Ja ſchon fuͤhl' ich's, es wird gelingen! —
Vogelleben! wie biſt du ſo ſuͤße!


[200]
Das Weib
(haͤlt ihn am Rock).

Mann! du machſt mir wahrlich bange!
So was gehoͤrt in das Narrenhaus!


Fuͤr ſich:

Weh! o Weh! ich bemerk' es ſchon lange,
Er ſieht immer mehr wie ein Vogel aus.


Elsbeth.

Da ein Veilchen! dort ein Schluͤſſelbluͤmchen!
Blumen! Blumen!


(Pfluͤckt ſie ab und windet Kraͤnze.)

Nachbar Schmid erſcheint.

Der Todtengraͤber.

Seht ihr den Reiher dort oben?


Der Schmid.

Wie! ein Reiher? ich glaubte ihr ſeyd's, drum kam ich
heraus, haͤtt ich das gewußt, hum!


Der Todtengraͤber.

Nachbar! ihr werdet nicht lange mehr ſchwatzen, ein
paar Kunſtgriffe noch — — und — —


Der Schmid.

Die Fluͤgel ſind fertig — aber ob ſie fliegen? Gott
ſegne euch das Fliegen! Mich hat's noch keinen Augen-
blick geluͤſtet. Ich mag das Springen nicht, wie koͤnnt' ich
gar wohl das Fliegen wuͤnſchen. Mir wird's ſchwindelig,
und weh! wenn der Peruͤckenmacher, wißt ihr, der duͤrre
Kerl, mit ſeinen Rockfluͤgeln um meine Hausecke hinum-
fliegt, und der Barbier eben ſo flugfertig ihm entgegen
ſtuͤrzt. Die Kerls brechen noch Hals und Bein, und anders
wird's euch auch nicht ergehen.


[201]
Der Todtengraͤber.

O Schmid! wie ſchwazt ihr!


Der Schmid.

Ja! wie ſchwazt ihr! wie ſchwazt ihr! Das iſt ſtets
eure Antwort, was anders hoͤrt man euch nie ſagen.


Der Todtengraͤber.

Mit euch uͤber eine ſolche Sache zu ſprechen, iſt
Thorheit.


Der Schmid.

Und doch ſeyd ihr ſtets der erſte, der davon anfaͤngt.


Elsbeth.

Weh! ihr vertretet die ſchoͤnſten Blumen.


(Haͤngt Kraͤnze an die Kreuze auf.)

Der Todtengraͤber.

Jetzt ſinkt der Reiher, ſeht! wie ein fallender Stern.


Der Schmid.

Schon wieder vom Fliegen und immer vom Fliegen!
Es iſt wahr, an den Voͤgeln laͤßt das Fliegen nicht uͤbel.
Doch, euch geſagt, bin ich der Meinung, daß es unter ih-
nen nur ſo eine dumme Mode ſey. Sie haben ja zwei
Beine, warum denn fliegen? Es iſt ſo eine Art reuten,
fahren — ein Luxus, den die Vornehmen unter ihnen ein-
gefuͤhrt, die Adler, die Falken, die Habichte. Man kann
es daraus auch klar ſehen, daß das gemeine Federvieh, die
Enten, die Gaͤnſe und die Huͤhner nicht fliegen. Nachbar!
laßt das Ding bleiben, hoͤchſtens wuͤrdet ihr ein plumper
Hirſchkaͤfer.


Der Todtengraͤber.

Ich ſpreche hieruͤber mit euch nicht.


[202]
Der Schmid.

Hum! ha! ha! ihr brachtet nichts, ihr bringet nichts
heraus und ſtudirt ſchon Jahre lang und wurdet ein Narr
daruͤber, das iſt's!


Der Todtengraͤber.

Ich fliege, ſag ich euch, ihr aber koͤnnt ein Wurm
Geruhig an der Erde kleben bleiben!
Der Wetterwolke gleich heb auf mich, wilder Sturm!
Mich bodenlos in's blaue All zu treiben!


Der Schmid.

Da muͤßtet ihr euch dem Teufel nur verſchreiben.


Der Todtengraͤber.

Die Red', Gevatter! iſt ſo uͤbel nicht.


Der Schmid.

Doch fliegt ihr nur bis euch der Teufel die Fluͤgel bricht.


Das Weib
(zum Schmid).

Ihr habt die Schuld, daß er ſo ſuͤndlich ſpricht.


Elsbeth.

Vergißmeinnicht!


(Pfluͤckt die Blume ab.)

Alle gehen außer dem Schmid in die Wohnung. Ein junger
Gaͤrtner erſcheint.

Der Schmid.

Denkt! dem Gevatter iſt es mit ſeinem Fliegen voͤllig
Ernſt, da gieng er ſo eben ganz zornig hinein, weil ich ihm
ſagte: es komme nie was bei der Sache heraus.


Der Gaͤrtner.

Laßt ihn machen! erfindet er's, ſo iſt es eine ſchoͤne
[203] Kunſt, und wenn er auch Hab' und Gut dabei eingebuͤßt,
viel hat er doch nicht.


Der Schmid.

Und findet er's nicht? — —


Der Gaͤrtner.

So hat er die Zeit, beym Himmel! nicht uͤbel an-
gewandt.


Der Schmid.

So!


Der Gaͤrtner.

Jetzt ſieht er die Voͤgel, die Schmetterlinge, luſtig im
Blauen fliegen, jetzt treibt, jetzt wogt alles im Mai, und
da treibt's ihn hinaus, er war von jeher kein gemeiner
Menſch.


Der Schmid.

Er war immer tiefſinnig und nachdenklich, und ein
verdammter Brauskopf.


(Geht in die Wohnung des Todtengraͤbers.)

Der Gaͤrtner.

Ja! der Fruͤhling iſt doch ein ſonderbarer Kerl, ein
Kerl wie der Wein, und koͤnnt einen in's Narrenhaus
bringen.


(Poet Blumenſtengel ſieht in der Ferne)

Seht da! ſeht da! Dichter Blumenſtengel, wie er da
ſteht! ganz verzuͤckt! was gilt's, der meint, er ſey eine
Blume? Geh ich hinter dieſen Roſenbuſch um den Blu-
menſtengel zu belauſchen.


(Er verbirgt ſich).

[204]
Der Poet.

Ha! wie iſt mir doch zu Muthe
Jetzt in dieſen Fruͤhlingszeiten!
Fuͤhl' ich nicht in meinem Blute
Wunderbares Sehnen, Streiten,
Duften, Singen, Gruͤnen, Bluͤh'n,
Himmel golden, purpurn, blau.
Roſen, Lilien auf der Au.
Aber auf in ferne Weiten
Treibts mich wie den Bluͤthenſtamm,
Zweige meine Arme breiten
Sich gen Himmel wunderſam.
Meine Fuͤße nimmer ſchreiten,
Wurzeln in die warme Erde,
Und nun iſt's nicht zu beſtreiten,
Daß ich ſelbſt zur Blume werde.


(Der Gaͤrtner, der ihn belauſcht, tritt hervor.)

Der Gaͤrtner.

Gott willkommen, mein Vielgeliebter! wollt ihr des
ſchoͤnen Abends genießen, der Duͤfte von Blumen und
Kraͤutern — — aber — — wie ſeht ihr aus! Himmel!


Der Poet.

Ja! und wie iſt mir!


Der Gaͤrtner.

Ihr ſeht ganz wunderbar aus, gruͤn, gelb, und kommt
mir vor, wie — eine Sonnenblume.


Der Poet.

Ja! und ſo iſt mir!


Der Gaͤrtner.

Und wie iſt es euch denn, Vielgeliebter?


[205]
Der Poet.

Weh! o weh! daß ihr nicht fuͤhlen
Koͤnnet, was wir Blumen fuͤhlen!
Unbeſchreiblich Hoffen, Sehnen,
Breitet aus die zarten Zweige
Blauen Aether zu umfangen,
Leiden, fuͤhlen, ſinnig blicken,
Duften, bluͤhen, ſtummes Singen —
Doch ihr verſteht nicht's von all' den Dingen.


Der Gaͤrtner.

Ich merke, daß euch die Verwandlung ſehr angreift.


Der Poet.

Aber, Vortrefflichſter! ich bitte, riecht einmal: denn
nun glaub' ich entwickelt ſich der Duft oder die Sehnſucht.


(Er ſirebt mit Armen und Beinen empor).

Der Gaͤrtner.

Euet Geruch iſt noch ſehr unbeſtimmt, und faſt der einer
Tulpe.


Der Poet.

Aber dieſer garſtige Kaͤfer! wie er auf mich zufliegt!


(Er macht Bewegung.)

Der Gaͤrtner.

Ich bitt euch, bleibt ruhig, ſonſt reiß't ihr die zarten
Wurzeln aus: denn ihr muͤßt denken, daß ihr noch nicht ganz
Blume ſeyd.


Der Poet.

Da habt ihr Recht, Vortrefflichſter! Doch ſtehe ich ſchon
ziemlich lange. Geht und ſagt meiner Geliebten, daß ich
eine Blume ſey.


[206]
Der Gaͤrtner.

Aber wie? wenn ich euch in dieſen hoͤlzernen Topf ver-
ſezte, da koͤnntet ihr zu eurer Geliebten getragen werden,
ſie wuͤrde euch vor der großen Sonnenhitze bewahren, ſie
wuͤrde eurer mit ſorgſamen Haͤnden pflegen, und ihr wuͤrdet
ihr allein all' eure Duͤfte ſenden.


Der Poet.

O Allerſuͤßeſter! dafuͤr werd' ich euch noch als Blume
dankbar ſeyn.


Der Gaͤrtner.

Wohlan! ſo laßt euch kunſtgerecht in dieſen Topf ver-
ſetzen.


(Er wird in den Topf verſetzt und weggetragen).

Die Scene wechſelt.


Todtengraͤbers Wohnung. Derſelbe arbeitet an ein Paar Fluͤgeln. Nach-
bar Schmid
.

Die Frau.

Mit deinem ewigen Fluͤgelmachen
Verdirbſt du wahrlich die beſten Stunden,
Und am End' iſt doch nichts gefunden.


Der Todtengraͤber.

Deiner Thorheit muß ich lachen.


Der Schmid.

Nachbar! ich bitt' euch, laßt die Sachen!
Daraus wird in Ewigkeit nichts —
Seyd ihr am hoͤchſten, was gilt's, ſo bricht's,
[207] Und dann liegt ihr in einer Lache,
Wißt ihr, Nachbar, wie geſtern der Drache?


Der Todtengraͤber.

Freund! ihr verſteht nichts von der Sache.


Der Schmid.

Wißt ihr, Nachbar, was ich mache?


(Leiſe zu ihm:)

Gold, Freundchen! mit dem fliegt man weit,
Den Stein der Weiſen find' ich wahrſcheinlich noch heut;
Dann koͤnnt ihr in den Luͤften ſchnaufen,
Koͤnnt Sonnenſchein und Mondſchein ſaufen,
Als Adler oder Papagey
Durchfliegen aller Himmel Himmel.
Das iſt mir einerlei!
Ihr bleibt bei all' dem mager wie mein Schimmel.


Der Todtengraͤber.

Im Strahl der Sonne,
Im Schein des Mondes, in der Stern' Gefunkel,
Da ſuch' mein Gold ich, ſel'ge Wonne!
Wird's rings auf Erden dunkel,
Werf' ich um mich mein ſeltſames Gefieder,
Und ſchwing' mich uͤber meiner Graͤber Huͤgel,
Ein Luftgeſpenſt auf kuͤhnem Fluͤgel
Singend ein Lied aus dunkeln Luͤften nieder.


Die Frau.

Bei ſolchen Reden zittern mir die Glieder.


Der Todtengraͤber.

O ſchwache Blume du! wie ſprichſt du wieder?


(Er tritt an das Fenſter)

Da blick' hinaus und ſieh mich frey und froͤhlich ſchweben,
[208] Im himmelblauen Tag, wo nichts mich kann umſchließen,
Den Luͤften, den Sternen gegeben —
Es liegt die Welt, wie klein zu meinen Fuͤßen.
Sie breiten wohl die Arme nach mir aus,
Die Maͤnnlein da, erſtaunt ob meinem Flug,
Doch bleiben feſt ſie, jenen haͤlt ein Haus,
Den eine Scheune, den ein Ochs, ein Pflug,
Ich aber werfe meinen lezten Heller
Mich zu erleichtern ſtolz auf ſie hinab,
Und fliege himmelauf noch ſchneller.


(Geht ab.)

Die Fraͤu.

Mir aber, bitt ich! grab' vorerſt mein Grab.


(Sie weint.)

Der Schmid.

Laßt es euch nicht Angſt ſeyn, liebe Frau! er findet's
nicht!

(Fuͤr ſich.)

Und mit dem lezten Heller iſts auch nicht
ſo richtig, der iſt, glaub' ich, ſchon lang weggeworfen. Die
Vorhaͤnge von den Bettſtellen weg, alles fort! nur noch ein
Stuhl.


Die Frau.

O ihr kennt ihn nicht! ihr kennt nicht ſeine Leiden-
ſchaft! alles, alles verſucht er!


Seit einigen Naͤchten geht er immer auf ſeinem Kirch-
hofe draußen herum, er hat gar keine Ruhe mehr. Und
ſchlaͤft er auch einmal ermattet ein, ſo muß es ihm immer
im Traume ſeyn, als floͤge er.


Alle Morgen ſagt er: „heute, Weib! bin ich im Traume
geflogen, und es wird, es muß noch zur Wirklichkeit wer-
den.“ Geſtern morgen ſagte er: „O dieſe Nacht! wie
[209] war ich doch ſo ſelig! Ich gieng in den Straßen, da wa-
ren eine Menge Leute, unter die miſchte ich mich, und
gieng als hinter ihnen her. Ploͤtzlich aber ſchlug ich einem
Herrn von hinten auf die Schulter, er ſchaute herum und
— huſch! flog ich in der blauen Luft von dannen. Da ſa-
hen alle Leute mir nach und ſchrien und ſtaunten, und
wußten nicht wie das geſchah.“


Heute Morgen aber ſprach er: dieſe Nacht flog ich mit
einem Todtengerippe dem Monde zu.


Seht! das verraͤth doch boͤſes Blut und — ihr muͤßt
mich nicht auslachen — mit ihm treibt doch zuletzt noch der
Teufel ſein Spiel.


Der Schmid.

Hum!


Die Frau
ſteht auf.

Setzt euch Nachbar!


(Der Schmid ſchaut ſich nach einem Stuhle um.)

Der Schmid.

Und ihr?


Die Frau.

O laͤg' ich im Grabe!


Die Scene wechſelt.


Kirchhof. Der Gaͤrtner mit dem Dichter im Blumentopfe.

Der Gaͤrtner.

Steht feſt! ſteht feſt! ihr ſeyd aber auch verdammt
ſchwer! Kaum reichen meine Kraͤfte zu, euch in die Woh-
nung eurer Geliebten, der ſchoͤnen Elsbeth, zu bringen.


J. Kerners Gedichte. 14
[210]
Der Poet.

Ach! das macht das Wurzelfaſſen
Streben in der Erde Gruͤnde,
Daß auch ſie mich Blume finde,
Sagt mir, bin ich noch erblaſſet?
Fuͤhl' zwar noch dies ſingend Leben,
Heiße Innbrunſt nach dem Waſſer,
Ihr zu bluͤh'n zum ew'gen Ruhme
Fuͤhl' ich nie gefuͤhltes Streben —
Riech' ich noch wie eine Blume?
O ſagt's!


Der Gaͤrtner
(riecht an ihm und nießt).

O! das iſt ein verdammter Streich — ihr wurdet eine
Tabacksſtaude.


Der Poet
(will ſich aus der Wurzel reißen).

Weh! weh! gemeines Gewaͤchs!


Der Gaͤrtner.

Bleibt ruhig, ich ſcherzte nur — ihr wurdet ein Zu-
ckerrohr.


Der Poet.

Luxuspflanze!

(Er will heraus).

Der Gaͤrtner.

Nein! hoͤrt's! ihr ſeyd eine vollkommene Sonnenblume,
euer Kopf, die herrliche Knospe, hat ſich gar lieblich ent-
faltet. Aber bewegt euch nicht, ſonſt geht alles verloren.


Nur ſtille! nur duldſam wie die Blumen! Da! huͤbſch
links gegen die untergehende Sonne unverwandt geſchaut:
denn ſo machen es die rechten Sonnenblumen.


[211]
Der Poet.

Bin ich denn keine rechte? —


Der Gaͤrtner.

Ruhig!

(Fuͤr ſich:)

Will ihn bald zum Verſtand bringen.


(Er holt eine Kufer mit Waſſer, waͤhrend der Dichter unverwandt zur
Sonne ſchaut, und begießt ihn).

Der Dichter

ſpringt aus dem Topfe und ſchreit:

Verruchter Kerl! weh!


Der Gaͤrtner.

Halt Sonnenblume! Halt Sonnenblume!


(Elsbeth koͤmmt.)

Elsbeth.

Welch entſetzlich Geſchrey!


Der Gaͤrtner.

Weh! weh! ſeht da! ach meine Sonnenblume — — —
Da ſpringt ſie!


Die ſchoͤnſte Blume, die ich euch bringen wollte, iſt,
als ich im Begriff war, ſie euch in das Zimmer zu tragen,
mir aus dem Topfe entſprungen.


Elsbeth.

Der Dichter Blumenſtengel?


Der Gaͤrtner.

Eben der.


Elsbeth.

O laßt den laufen!


(Sie umarmt den Gaͤrtner.)

Der Vorhang faͤllt.
Harſenſpiel
.

[212]

Neuer Aufzug.


Kirchhof. Mitternacht.

Zwey Gerippe erſcheinen.

Erſtes Gerippe.

Liebſt du mich nun.


Zweytes Gerippe.

Ob ich dich liebe? Frage!


Erſtes Gerippe.

Nun ſind wir gaͤnzlich ja einander gleich.


Zweytes Gerippe.

Ich habe dich, ich hab' mein Himmelreich,
Und ſchlaf' von dir umarmt ſuͤß bis zum juͤngſten Tage.


Erſtes Gerippe.

Siehſt du die Bluͤmlein dort auf deiner Grabesſtaͤtte?
Die hab' ich dir gepflanzt, mit Thraͤnen oft benetzt.


Zweytes Gerippe.

Drum ruht' ich auch ſo ſuͤß in meinem Bette!


Erſtes Gerippe.

O Liebe! komm' in meine Arme jezt!
Nichts kann uns trennen, eng und feſt umfangen
Vom Grabeshuͤgel, einem Herzen warm,
Laß uns nun wonnig ſchlummern Arm in Arm;
So Leben endlich wir im Tod erlangen!


(Sie verſenken in ein Grab.)

(Der Todtengraͤber mit Fluͤgeln erſcheint.)

Der Todtengraͤber.

Mitternacht ſchrie die Wacht,
Nun laßt euch erproben, ihr lieben Schwingen!
Zwar ſtuͤrmiſch und wild iſt die Nacht,
[213] Doch wird es, doch muß es gelingen!
Der Mond fliegt am Himmel dahin,
Es fliegen die Wolken, die Sterne —
Auf! auf! in die heilige Ferne!


(Er ſtrebt mit den Fluͤgeln auf und ſinkt wieder zuruͤck.)

Der boͤſe Geiſt erſcheint.

Der Geiſt.

Halt Menſchlein! halt! umſonſt iſt dein Bemuͤhn!
Nie tragen dich die ſelbſtgemachten Schwingen.
Verſchreib' dich mir, dem Meiſter aller Kunſt,
Und thu' ein Werk ſo wuͤrdig meiner Gunſt,
Dann koͤnnt' ein ſolches Wagſtuͤck dir gelingen.


Der Todtengraͤber.

Fort, Nachtgeſpenſt aus eitlem Hoͤllendunſt!


(Der boͤſe Geiſt verſchwindet.)

Der Todtengraͤber.

Ja! ja! ich war von Sinnen — —


(Rafft ſich auf.)

Aufgeſtrebt! auf! nun muß es oder nimmer!
Auf Sturmwind! fuͤhr' mich dahin!
Empfangt mich, ihr Wolken, ihr Sterne,
Du Mondlicht! — —
Weh! ich ſinke — —
Wohlan! euch ruf' ich an, ihr Gelſter der Nacht,
Euch, denen all' die Opfer ich gebracht,
Dir ruf' ich, der du zu helfen verſprachſt,
Teufel, erſchein!


(Der boͤſe Geiſt erſcheint.)

Der Geiſt.

Geloͤst ſoll dir das große Raͤthſel ſeyn,
[214] Dem Vogel gleich in Luͤſten frey zu ſchweben
Wirſt blindlings du nach meinem Willen leben.


Der Todtengraͤber.

Koͤnig der Nacht! dir ſey ich ganz gegeben!


Der Vorhang faͤllt.
Harfenſpiel
.

Neuer Aufzug.
Zwiſchenſpiel
.


Wilde Waldgegend. Ein dunkelblauer See.

Der Tod ſteigt aus dem See.

Der Tod.

Bey Gerippen, Leichen, Schlangen,
In des alten Sees Tiefen
Lauſch' verborgen ich ſchon lange,
Bleicher Geiſt geheimer Maͤchte,
Daß ich meine Opfer fange.
Und die hier voruͤber liefen
All' noch faßte meine Rechte,
Niederziehend in die Tiefen.


(Sinkt in den See.)

Ein Moͤnch erſcheint.

Der Moͤnch.

Leb' ich doch ſchon lange Jahre
Da in dieſem Kloſter neben,
Doch noch nie hab' ich gewahret
Dieſen See als jezt ſo eben.
Seht! dort ſeh' ich's aufwaͤrts ſtreben.
Muß im Nachen naͤher fahren:
Denn da muß es Fiſche geben.


[215]
Der Tod
(ſteigt aus dem See und faßt ihn.)

Fort zur Hoͤlle, ſuͤndlich Leben.


(Sinkt mit ihm in den See.)

Ein Jaͤger erſcheint.

Der Jaͤger.

Ey ein See! daß dich der Teufel!
Hab' ich den doch nie geſehen!
Da giebt's Enten ohne Zweifel,
Muß hier auf die Lauer ſtehen —
Still! dort ſchwimmen! naͤher ſchnelle!
Wart du ſollſt mir nicht entgehen!


Der Tod
(ſteigt aus dem See und faßt ihn.)

Suͤndlich Leben, fort zur Hoͤlle!


(Sinkt mit ihm in den See.)

Ein Koͤnig erſcheint.

Der Koͤnig.

Kam auf unbekannte Wege,
Hoͤrt' kein Huͤfthorn mehr erklingen! —
Daß allhier ein See gelegen
Hoͤrt ich nie, der ſoll bald ſchwinden:
Denn hier iſt die ſchoͤnſte Stelle
Fuͤr ein Luſtſchloß, ſo zu finden.


Der Tod
(ſteigt aus dem See und faßt ihn.)

Suͤndlich Leben, fort zur Hoͤlle!


(Sinkt mit ihm in den See.)

Ein Maͤdchen erſcheint.

Das Maͤdchen.

Ey! ein blauer See! wie ſtille!
Der iſt lieblich anzuſchauen!
[216] Blumen giebt es da die Fuͤlle!
Will allhier ein Huͤttchen bauen.
Aber ſehet, dort im Blauen
Schwimmt ein Roͤslein auf der Welle;
Will es fiſchen, darf ich trauen?


Der Tod
(ſteigt aus dem See und faßt ſie.)

Suͤndlich Leben, fort zur Hoͤlle!


(Sinkt mit ihr in den See.)

Der Vorhang faͤllt.
Harfenſpiel
.

Zweyter Akt.


Kirchhof. Morgen.

Elsbeth und der Gaͤrtner vor einem Blumenbeete, worauf die
Blumen einen Namen bilden.

Der Gaͤrtner.

Ihr liebt die Dichter doch, geſteht es frey?


Elsbeth.

Dichter und Gaͤrtner, das iſt ja einerley!
Am Abend ſtreutet ihr die zarten Saamen,
Es ſchien die warme Morgenſonn' darauf,
Da giengen ſie, die ſuͤßen Lieder, auf.
Die nennen meinen ſo wie euren Namen.


Der Gaͤrtner.

Ja wohl! es giebt kein lieblicher Gedicht,
Als eine Blume, die ein gutes Maͤdchen bricht.


Elsbeth ordnet die Blumentoͤpfe.

Hieher die Roſen! hieher die Narciſſen!
[217] Die Lilien, die ſenken ſchon ihr Haupt —
Vor allen Blumen moͤcht' ich die nicht miſſen.


Der Gaͤrtner.

Doch ſcheinen ſie im Bluͤhen ſchon entlaubt.


Elsbeth.

Ihr Leben iſt ein ſtetes Verbluͤh'n —


Der Gaͤrtner.

Iſt Liebe.


Elsbeth.

Aber die Roſen, ſeht an,
Die ſind doch beliebt bey Jedermann!
Warum?


Der Gaͤrtner.

Weil ſie fuͤr alle freudig gluͤh'n,
Gleichguͤltig ihnen, wer ſie bricht.


Elsbeth.

Die Roſen ſind Frauen —


Der Gaͤrtner.

Und die lieben nicht.


Die Frau erſcheint.

Die Frau.
(fuͤr ſich.)

Wie kam er doch ſo ganz zerſtoͤrt nach Haus!
Bleich, abgemattet, ſchrecklich ſah er aus;
Gleich einem Vogel, den ein Sturm verſchlug,
Und ihn in einer Nacht vom Suͤd- zum Nordpol trug.
Lang ſtund er ſtill, antwortend keinen Fragen,
Doch endlich ſprang er auf, und fiel mir um den Leib,
Und ſprach mit Thraͤnen: ſterbe, gutes Weib!
Da brach ich aus in Schluchzen und in Klagen. —
[218] Was er dann ſagte, ach! ich kann es nicht nachſagen —
Doch fuͤhl' ich's tief, ja ſuͤß iſt mir der Tod,
Seit er mir jenen Kuß der ew'gen Brautnacht bot.


Elsbeth.
(tritt naͤher.)

Liebe Mutter! was ſprachet ihr da?


Die Frau.

Ich ſprach nichts.


Elsbeth.

O liebe Mutter! laßt ihn bey ſeinen Todten, kommt
zu uns zu dieſen Blumen! Seht nur, wie ſie duften, wie
ſie bluͤhen! es iſt eine Freude, ſie anzuſehen!


(Bricht Blumen ab.)

Dieſe Roſe, ſeht nur Mutter! die hab' ich euch gepfluͤckt.
Dieſen Stern, Gaͤrtner! geb' ich euch, den Rosmarin —
will ich fuͤr mich behalten.


(Sie theilt die Blumen aus.)

Kommt, laßt es euch nicht bange ſeyn, Mutter! Seht
nur die Blumen an, und ihr muͤßt euch freuen! — Vater
will nichts von Blumen. — —


Der Gaͤrtner.

Wo iſt euer Mann?


Die Frau.

Vier Tage lang war er nicht mehr zu ſehen. Nachbarn
erzaͤhlten, daß ſie ihn einmal im fernen Walde geſehen am
ſchwarzen See ſitzend. Einige, ſo ihm nicht wohl wollen,
fluͤſtern einander zu, daß ſie geſehen haͤtten, wie er naͤcht-
lich, vom Kirchhofe aus, uͤber die Berge hingeflogen ſey,
und daß ihn dieß der boͤſe Feind gelehrt.


Geſtern in der Nacht, ich lag in Thraͤnen auf meinem
[219] Lager, Elsbeth ſchlief ruhig, ſtund er auf einmal vor mir,
mit langem, bleichen Angeſicht, zerſtoͤrt, die Haare wild
unter einander geworfen. Der Mond ſchien durch das kleine
Fenſter. Lieber Mann! ſprach ich; er aber gab keiner Rede
Antwort, als waͤr' es ſein bleicher Schatten. Mit hohler
Stimme, lang und langſam ſprach er endlich: „Sterbe, gu-
tes Weib!“ und mit dieſen Worten druͤckte er mir einen
Kuß auf die Lippen, kalt, daß ich ihn noch fuͤhle.


Die Glocke ſchlug Mitternacht, und ich ſah ihn nicht
mehr.


Dieſen Morgen fand ich, daß er fern dort an jener
Ecke zwey Graͤber gegraben.


Der Gaͤrtner.

Wer ſtarb?


Die Frau.

Niemand!


Der Gaͤrtner.

Seltſam! doch iſt er blos von Sinnen.


Elsbeth.

Ich lag im Traum in einem Bett voll Blumen,
Doch keine Sonne ſchien, ich war der Sonnenſtrahl.


Die Frau.

Ich wandelte mit dir durch ein gar finſter Thal,
Da ſtunden ſtatt der Sterne ob uns Blumen.


Elsbeth.

Blumen! o Blumen! die heilen jeden Schmerz!


Der Gaͤrtner.

Drum druͤckt man ſo ein Kind gern an das wunde Herz.


[220]
Elsbeth.

Der Stern, den ich euch gab, iſt abgefallen, ſeht!


Der Gaͤrtner.

Er iſt erloſchen, weil die Sonn' zu nah' ihm ſteht.


Der Vorhang faͤllt.
Harfenſpiel
.

Neuer Aufzug.


Kirchhof. Nacht.

Der Todtengraͤber
(geht mit langen Schritten auf den Huͤgeln
hin und her, endlich bleibt er vor zwei geoͤffneten Graͤbern ſtehen).

Einziehen mit euch durch dieſe ſtille Pforte?
Weh! duͤrft' ich, weh! der Hoͤlle ſchwarzer Waͤchter
Peitſcht mitleid'slos am Eingang mich zuruͤck.
Ein ſollt ihr zieh'n in Lieb', durch mich geleitet,
Ich aber, blutbeſpruͤtzt, den ſchwarzen Geiſt zur Seite,
Schweif' heimatlos im weiten Reich der Luft. —


(Zieht ein Meſſer und ſchleift es an einem Grabſteine. Faͤhrt auf.)

Es war mein Wille! — und es ſoll geſchehen!
Koͤnig der Nacht! dir ſey was ich gelobet!


(Pauſe).

Und wer? — — wer blieb mir noch im weiten Raum der
Welt?
Eltern? da ſchlummern ſie, ringsum die Freunde,
Zwei blieben noch — — die forderte die Hoͤlle!
Und ich, ich bin ihr Werkzeug! — —


(Stampft auf die Erde.)

Sarg iſt auf Sarg gethuͤrmt, Geripp' ſteht auf Gerippe,
Euch all' hab' ich zur Ruh gebracht, und ich,
[221] Ich darf nicht ruhn!! — — —
Als haͤtte rings der Erde weiter Grund
Fuͤr mich nicht Raum mehr, angefuͤllt mit Leichen,
Als waͤr's hier oben ringsum ſtumm und leer —
Und haͤtten ſie, indeß ich traͤumend ſchweifte,
Den Freudenſaal da unten voll gefuͤllt, —
Als haͤtte mich die Erde, eine Leiche,
Im grimmen Haſſe wieder ausgeworfen,
So iſt's mir, ſo!


(Die Glocke ſchlaͤgt Mitternacht.)

Die Hoͤlle ruft: ich komme!


(Er ſtuͤrzt mit dem Meſſer in das Haus).

Ein Grabhuͤgel wirſt ſich auf, aus ihm erhebt ſich langſam ein Gerippe
und ruft:

Weh! weh! weh! dreimal weh! daß ich dich geboren!!


(Verſinkt wieder in das Grab.)

Der Vorhang faͤllt.
Harfenſpiel
.

Neuer Aufzug.


Kirchhof. Morgen.

Der junge Gaͤrtner
kommt mit Blumen und ſchuͤttet ſie auf einen Huͤgel.)

Gewaltſam abgepfluͤckt liegſt nun hier unten du,
Stundeſt ein Stern in wolkenloſer Ruh,
Warſt eine Blume, die dem Gaͤrtner ſich vertraut,
Der, wenn ſchon alles ruht, noch liebend nach ihr ſchaut.


(Pauſe.)

Hoͤr's, Elfe, die im mondgewebten Kleide
Dahin flog einſt, ein Bild von Liebesſcherz und Freude,
[222] Hoͤr's, ſeltſam Kind! ſo wunderſamer Art,
Als in dem dunklen Schooß ein ſtilles Meer bewahrt,
Hoͤr's, Heil'genbild! hoͤr's, liebevolle Braut!
Denkſt du noch mein? — wohl dir! hoͤr'ſt keiner Klage Laut.
Alle Blumen wollten zu dir, all' brach ich ab,
Mag ihrer nicht am fremden Orte warten!
Will keinen andern Garten,
Geliebte! als dein Grab! —

(Geht ab.)

(Eine Menge Volk erſcheint und beſchaut die Graͤber.)

Eine Stimme.

Hier liegen ſie nebeneinander, er hat ihre Graͤber ſelbſt
gegraben.


Eine andere Stimme.

Hier liegt die Frau und dort die Tochter.


Ein Handwerksburſche
(ſingt).

Mir traͤumt' ich flog' gar bange,
Weit in die Welt hinaus,
Zu Straßburg durch alle Gaſſen,
Bis vor Feinsliebchens Haus.
Tralirala! Tralirala!


Ein Buͤrgersmann.

Ach! der arme Mann! er war doch nicht ſo ſchlimm,
und das gute Weib!


Ein Handwerksburſche.

Nun fliegt er ja! ſo geht's!


Eine Frau.

Ich konnte es nicht mit anſehen, nein! als ſie ihn die
Leiter hinauffuͤhrten, da wandte ich das Geſicht!


[223]
Ein Buͤrger.

Aber er war doch ein Verbrecher, er hat Frau und Kind
erſtochen.


Handwerksburſche.

Feinsliebchen iſt betruͤbt,
Als ich ſo flieg und weint:
Wer dich ſo fliegen lehrt,
Das iſt der boͤſe Feind.
Tralirumla! Tralirumla!


Ein Buͤrger.

Warum hat er ſich aber auch alsbald ſelbſt der Gerech-
tigkeit ausgeliefert? Noch alles haͤtte er vertuſchen koͤnnen.
Er habe Frau und Kind aus Liebe ermordet, ſprach er vor
dem Gericht. Wahnſinn! —


Handwerksburſche.

Feinsliebchen weint und ſchreit,
Daß ich am Schrei erwacht';
Da lieg ich ach in Augsburg,
Gefangen auf der Wacht.
Tralirumla! Tralirumla!


Der Schmid.

Die Hand hat er mir noch gedruͤckt und hat geſprochen:
Freund Schmid! ſagt allen, daß es mein Wille, und daß ich's
bei geſundem Verſtande gethan; auch daß ich oft geſehn, daß
endlich Alles ſo enden muͤſſe. Er wollte noch was ſagen, da
ſchlugen ſie die Trommeln. O mein Nachbar! mein lieber
Nachbar!


Ein Gerichtsdiener.

Ja, ein ſchoͤner Kerl! fort! fort von dieſen Graͤbern!


[224]
Der Schmid.

Ein Kerl? Mein Freund, ſag' ich, war er, kein Kerl
und kein Verbrecher! und tauſend Kerl, ſag' ich euch, ſtan-
den da, und ſahen an den Galgen hinauf, — alle haͤtten mit
mehr Recht als der vom Galgen herunter ſehen ſollen.


Der Amtmann.

Meint er die Geſetze?


Der Schmid.

Wie er will!


Der Amtmann.

Gerichtsdiener! fuͤhrt ihn ab! Durchſucht ſein Haus,
es iſt ein Goldmacher und Falſchmuͤnzer.


Handwerksburſche.

Und morgen muß ich hangen,
Feinslieb mich nicht mehr ruft,
Wohl morgen als ein Vogel
Schwank ich in freier Luft.


Der Vorhang faͤllt.

[[225]]

Appendix A Druckfehler.


  • Seite 9 Strophe 9 iſt zu leſen: Nah ſtatt Nach
  • — 16 — — 9 — — — den ſtatt der
  • — 19 — — 4 — — — es ſtatt er
  • — 24 — — 6 nach „Rhein“ ein Colon ſtatt Punkt zu
    ſetzen.
  • — 24 — — 8 nach „Edelſtein“ ein Ausrufungszeichen zu
    ſetzen.
  • — 32 — — 13 iſt zu leſen: nie ſtatt wie
  • — 65 in der Ueberſchrift iſt zu leſen: Von ſtatt Von
  • — 90 und 91 Lied 2. ſollen immer acht Strophen, nicht blos
    vier, einen Vers ausmachen.
  • Seite 93 Strophe 13 iſt zu leſen: wird wo ſtatt wird, wo
  • — 121 — — 2 — — — waͤrmer ſtatt waͤrme
  • — 128 — — 10 — — — euch ſtatt auch
  • — 131 — — 3 — — — Wollt ſtatt Wohl
  • — 135 — — 11 — — — Jugend ſtatt Tugend
  • — 151 — — 5 — — — geigen ſtatt Geigen
  • — 159 — — 13 — — — denn ſtatt die
  • — 194 — — 3 — — — vollen ſtatt wollen

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Notes
*)
Man ſehe die Proben ſchöner Lieder von dieſem alten Dichter
in dem von mir zum Druck beſorgten poetiſchen Almanache.
*)
Es iſt bekannt, daß der Fürſt, nachdem er ſeine Verfolger in
ſiegreichen Treffen geſchlagen, eine Nacht bivouacquirend auf
dem Walle ſeiner Hauptſtadt zubrachte. Das Haupt hatte er
auf einen Stein gelegt.
*)
Auguſt Mayer, Tonkünſtler und Dichter. Auch ihn verloren
die Freunde früh aus ihrem Kreiſe.
*)
Bekannt durch ſeine geiſtreich erdachten Ornamente, Denkmün-
zen und andere kunſtreiche Gepräge in Silber und Erz.
*)
Johannes Lämmerer iſt ein armer Weber von Gſchwend
in Würtemberg. Eine kleine Sammlung ſeiner Lieder beſorgte
ich im Jahre 1819 zum Drucke.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Holder of rights
Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Gedichte. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn92.0