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und
die Meinungen
des Herrn Magiſter
Sebaldus Nothauker.
und geaͤtzet.
Mit Königl. Preuß. Churfürſtl. Brandenb. Churfürſtl. Sächſi-
ſchen allergnädigſten Freyheiten.
beyFriedrich Nicolai.
1776.
Siebentes Buch.
Erſter Abſchnitt.
Das Schiff, worauf ſich Sebaldus befand, ſe-
gelte eine Zeitlang mit gutem Winde, und
naͤherte ſich ſchon der hollaͤndiſchen Kuͤſte, als ploͤtz-
lich in Oſten ein Sturm aufſtieg, der das Schiff, Vlie
und Texel vorbey ſchleuderte, und es an die Nord-
hollaͤndiſche Kuͤſte warf, wo es, da der Wind in
Nord-Weſt lief, ohnweit Egmont ſcheiterte. Der
Schiffer und die vornehmſten Perſonen wollten ſich
in einem Boote retten, aber es ſprangen zu viel Per-
ſonen hinein, und das Bott ſank, in dem Augen-
blicke, da die darinn befindlichen Ungluͤcklichen, das
auf dem Sande feſtſitzende Schiff von den Wellen
zerſchmettern ſahen.
A 2Jeder
[4[3]]
Jeder arbeitete gegen die ungeſtuͤmen Wogen, ſo
lange noch einige Kraft da war, aber die meiſten er-
matteten, und giengen zu Grunde. Sebaldus war
unter den wenigen, die von den Wellen ſelbſt ans
flache ſandigte Ufer geworfen wurden. Er kroch mit
aͤuſſerſter Muͤhe den Strand hinan, denn die bey-
nahe voͤllig erſchoͤpften Kraͤfte, der heftige Regen
und Wind, die ausgeſtandene Muͤhſeligkeiten, die
Menge verſchlucktes Seewaſſers machten ihn tod-
krank. Ohnweit von ihm, ward der Koͤrper des
Schiffers ans Land geworfen. Der halbtodte Se-
baldus ſtrengte alle Kraͤfte an, um ſeinem Wohlthaͤ-
ter zu helfen, umſonſt, er lag, ohne ein Zeichen des
Lebens zu geben. Dieſer neue Kummer, uͤberwaͤltigte
die geringen Lebenskraͤfte des kaum mehr Athem-
ſchoͤpfenden Sebaldus. Er fiel in Ohnmacht, wo-
rinn er eine geraume Zeit lag. Als er ein klein we-
nig zu ſich ſelbſt kam, ſahe er, in dem ſchrecklichſten
Wetter, da ſich nur das aͤußerſte Wuͤten des Sturms
gelegt hatte, einige Strandbewohner die Ueberbleib-
ſel der Ladung des zertrummerten Schiffs aufs eil-
fertigſte pluͤndern, ehe ſie der Schout in Egmont
etwan ertappen koͤnnte. Um ihn aber bekuͤmmerte
man ſich ſo wenig, als um die uͤbrigen todten Koͤr-
per. So lag der huͤlfloſe Mann den Reſt des Tages,
von
[5[4]]
von der ganzen Natur verlaſſen, troſtlos, das Le-
ben, deſſen er ſchon vorher ſatt war, nicht weiter
wuͤnſchend, fiel endlich, aus gaͤnzlicher Ermattung, in
ein taubes Hinbruͤten zwiſchen Schlummer und
Ohnmacht, ſein letztes Bewuſtſeyn, der Wahn, daß
ſein Hinſinken des Todes Anfang ſey.
Er erwachte wieder, mit Tagesanbruch, bloß nur
vermoͤgend, zu empfinden, den erwaͤrmenden Strahl
der Sonne, und die Ruhe des beſaͤnftigten Meeres,
aber ohne Kraft ſich zu bewegen, ohne Anſchein von
Huͤlfe, in der todten Stille der Gegend, die Hof-
nung des nahen Todes, ſein einziger Wunſch.
So fand ihn nach einigen Stunden, ein guther-
ziger nordhollaͤndiſcher Fiſcher, der weil er einige Zei-
chen des Lebens an ihm ſpuͤrte, und aus ſeiner ſchwar-
zen Kleidung ſchloß, daß er ein Geiſtlicher ſey, ihn
weiter den Strand hinauf ſchleppte, ſo gut er konnte
erquickte, und endlich Mittel fand, ihn bis in ſeine
Huͤtte zu bringen. Der gutherzige Nordhollaͤnder
pflegte ihn daſelbſt, wie es ſeine eigene Armuth er-
laubte, ſo daß der Kranke bald wieder an Kraͤften
zunahm.
Beide konnten nur mit vieler Muͤhe einander
verſtehen, durch Huͤlfe des Plattdeutſchen, das Se-
baldus in Holſtein gelernet hatte. Sebaldus ver-
A 3heelte
[6[5]]
heelte die Verlegenheit nicht, in der er ſich befand,
da er von allem Nothwendigen entbloͤßt, die weite
Reiſe nach Oſtindien unternehmen ſollte, die in ſei-
nem Elende noch ſeine einzige Hofnung war. Da
der Fiſcher vernahm, daß Sebaldus lutheriſch ſey,
ſchlug er ihm vor, er wolle ihn zu einem lutheriſchen
Prediger nach Alkmar bringen, der ihm zu ferne-
rem Fortkommen behuͤflich ſeyn werde.
Weg! rief Sebaldus, deſſen Gemuͤth durch man-
nigfaltiges Ungluͤck verbittert war, weg mit den
Geiſtlichen, ſie ſind an allem meinem Ungluͤcke ſchuld!
wehe mir! wenn ich mich wieder an ſie wenden ſollte!
Aber dieſer, ſagte der Fiſcher, iſt ein frommer
wohlthaͤtiger Mann.
Wohlthaͤtig? rief Sebaldus voll Unwillen, ich
kenne ſie! Sind ſie nicht kalt und hartherzig, ſo
thun ſie nur denen gutes, die mit ihnen im gleichen
engen Zirkel ihrer Lehrmeinungen herumgehen, außer
demſelben, beſtreiten ſie, verdammen ſie, laſſen Hun-
gers ſterben, ſo ſehr ſie vermoͤgen.
Dieſer iſt aber doch ein recht guter Mann, verſetzte
der Fiſcher. Der vorige Prediger, hat immer mit der
Ehrw. Claſſis viel Streit gehabt, dieſer aber ver
traͤgt ſich mit den Reformirten und mit den Menno-
niſten, ſo wie mit ſeinen eignen Glaubensbruͤdern.
Er
[7[6]]
Er iſt vertraͤglich? rief Sebaldus. Wohl! ſo
laßt uns zu ihm gehen. — Doch lieber Mann,
ſagte er, ſeufzend, indem ſie fortgiengen, wißt ihr
nicht einen gutherzigen Kraͤmer oder Bauern, zu
dem wuͤrde ich beynahe mehr Zutrauen haben. Der
Fiſcher wuſte ſonſt niemand, und ſie giengen nach
Alkmar.
Als ſie in des Predigers Haus traten und ihn zu
ſprechen verlangten, rief ihnen die Magd entgegen:
‚Jhr werdet ihn ietzt nicht ſprechen koͤnnen, denn er
„iſt eben von dem Leichenbegaͤngniſſe ſeines einzigen
„Sohnes zuruͤckgekommen, und noch ganz in Traurig-
„keit verſunken.‛ Doch als ſie die Fremdlinge an-
meldete, wurden ſie vorgelaſſen.
Der Fiſcher ſagte ihm kurz: Er bringe ihm einen
auf der See verungluͤckten lutheriſchen Prediger aus
Deutſchland, der, weil er ſonſt keine Huͤlfe finden
koͤnnen, habe nach Oſtindien gehen wollen.
Der Prediger fragte den Sebaldus lateiniſch:
‚Was ihn bewogen habe, ſein Vaterland zu verlaſ-
„ſen?‛
‚Ungluͤck und Mangel‛ antwortete Sebaldus, —
ſich nicht getrauend, gegen den Prediger eine naͤ-
here Veranlaſſung anzugeben. —
A 4‚Aber
[8[7]]
‚Aber Ungluͤck und Mangel, laͤßt ſich beſſer in
„der Naͤhe abhelfen, ohne daß man die Seinigen
„verlaſſe.‛
‚Ach! mir iſt niemand uͤbrig, der mich vermiſſen
„koͤnnte, niemand iſt (die Thraͤnen floſſen ihm von
„den abgehaͤrmten Wangen,) in dieſem ganzen Welt-
„theile, den ich den Meinigen nennen koͤnnte.‛
‚Du biſt alſo nicht verheurathet, Freund, haſt
„keine Kinder?‛ — Er ſah den Sebaldus ſtarr an
und ſeufzete. —
‚Ach meine Frau iſt laͤngſt unter Kummer und
„Ungluͤck erlegen. Kinder? Ach ja, leider! ich habe
„Kinder. Eine Tochter, die meiner ganz unwuͤrdig iſt,
„einen Sohn, der in der Welt herumirret, ſeinen
„Vater laͤngſt vergeſſen hat, — oder vielleicht auch, —‛
ſetzte er verzweifelnd hinzu, — ‚nicht mehr herum-
„irret, denn ſeit zwey Jahren, habe ich keine Nach-
„richt von ihm.‛
‚Und du nenneſt dich ungluͤcklich, Freund! da du
„Kinder haſt? Siehe mich an!‛ Er bedeckte ſein
Angeſicht mit der Rechten, — ‚Mein einziger Sohn
„iſt tod! die Stuͤtze meines Alters iſt dahin! — wollte
„Gott! er irrte noch in der Welt herum. — Jch
„wollte ſein warten, Jahre lang ſein warten! Haͤtte
„er Fehler begangen? welches goͤttliche Vergnuͤ-
„gen,
[9[8]]
„gen, ihn zu beſſern, ihm in meinen vaͤterlichen Ar-
„men zu vergeben! Du haſt Unrecht, Freund. Dein
„Sohn wird von ſeinen Wanderungen zuruͤckkehren,
„deine Tochter wird den Jrrweg verlaſſen, ins vaͤter-
„liche Haus, zur Tugend, zuruͤckkehren wollen, —
„und das vaͤterliche Haus iſt leer! Jhr Vater iſt von
„ihnen geflohen! — Ach, Freund! Sie ſind un-
„gluͤcklicher, als du!
‚Fuͤr mich iſt kein Haus mehr da!‛ — Er ſahe
den Prediger mit ſtarrer Verzweiflung an. — ‚Nicht
„einmahl ein Obdach in dieſem ganzen Welttheile!‛
Sein Haupt ſenkte ſich, und er legte ſeine gefalteten
Haͤnde auf ſeine Knie. —
‚Und wer hat es dir genommen?‛ ſagte der Pre-
diger mit einem Tone voll hollaͤndiſcher Kaͤlte, die
Sebaldus fuͤr Gleichguͤltigkeit nahm.
‚Prieſter haben mich verfolgt‛ verſetzte Sebaldus,
auffahrend, — ‚weil ich Wahrheit bekannte.‛ —
Er ſtand hitzig auf. — ‚Haben mich von Lande zu
„Lande gejagt, wollen mich nicht einen Biſſen Brod
„eſſen laſſen.‛
‚Und Freund! du biſt gewuͤrdigt worden, um der
„Wahrheit willen zu leiden, und nenneſt dich un-
„gluͤcklich? Weiſt du nicht, welcher Lohn deiner dort
„wartet? — Wer waren die Feinde die dich verfolg-
A 5„ten?
[10[9]]
„ten? Vermuthlich herrſchſuͤchtige Praͤlaten, blut-
„gierige Moͤnche, die Gott einen Dienſt zu thun
„glauben, wenn ſie die Ketzer vom Erdboden vertil-
„gen. Unſere reformirten Bruͤder in Deutſch-
„land denken wohl zu gut, als daß ſie, wie hier zu
„Lande noch zuweilen geſchiehet, ihre proteſtantiſchen
„Bruͤder verfolgen ſollten.‛
‚Ja hat ſich wohl! Reformirten? Lutheraner wa-
„ren es, der Reformation Erſtgebohrne, die auch nur
„allein die reine Lehre zuvor geerbt zu haben glau-
„ben —
Und nun, weil der gute Mann mit dem Anblicke
der niederdruͤckenden Laſt ſeiner Ungluͤcksfaͤlle, ſeine
gewoͤhnliche Sanftmuth, und mit der Hofnung
eines beſſern Zuſtandes, auch ſeine Beſonnenheit
verlohren hatte, kam ſeine ganze Geſchichte, und
alle ſeine heterodoxen Meinungen an den Tag.
Der Prediger, voll Erſtaunen, ſaß einige Minu-
ten ſtille, ſchlug die Haͤnde zuſammen und rief:
‚Wie? Keine Genugthuung, keine Erbſuͤnde,
„keine ewigen Strafen? Freund, du behaupteſt ver-
„derbliche Jrrthuͤmer, die mit dem einzigen Wege zur
„Seligkeit nicht beſtehen koͤnnen!‛
Sebaldus hob ungeduldig die Augen empor und
redete den Fiſcher in gebrochenem Hollaͤndiſchen an:
‚Kennt
[[10]][]
[11[]]
‚Kennt ihr keinen Handwerker oder Tagloͤhner, der
„noch nichts vom einzigen Wege zur Seligkeit gehoͤrt
„hat, der wird vielleicht noch einen Biſſen Brod mit
„mir theilen. Jch ſagt’ euchs gleich, daß wir hier
„nichts ausrichten wuͤrden.‛ —
Damit wandte er ſich zornig um. und wollte zur
Thuͤr hinausgehen.
Der Prediger ſprang auf, drehte den Sebaldus
mit beiden Haͤnden herum, hielt ihn feſt, ſchaute
ihm gerade ins Geſicht und rief: ‚Menſch warum
„verabſcheuſt du einen Menſchen, der den Weg zur
„Seligkeit fuͤr einzig haͤlt? Warum haſſeſt du ihn,
„ehe du ihn kenneſt?‛
Sebaldus, bey dem der ſchnelle Zorn allemahl
der Uebergang zur Selbſterkonntniß war, antwor-
tete mit ſehr gemaͤßigter Stimme:
‚Jch haſſe niemand, aber, Gott weiß es, dieſe
„Prieſter, welche ausſchließende Seligkeit an Lehr-
„formeln binden, haben mich gezwungen, ſie zu ver-
„abſcheuen, weil ſie jeden haſſen und verfolgen, der,
„ſo wie ich, glaubt, daß Leben und nicht Lehre, hier
„rechtſchaffen und dort ſelig mache.‛
‚Und, wenn du,‛ erwiederte der Prediger, indem
er die Haͤnde ſinken ließ, und ſeine Rechte auf Se-
baldus Schulter legte, — ‚glaubſt, daß man bey je-
„der
[12[11]]
„der Lehrmeinung rechtſchaffen ſeyn kann, warum
„willſt du, daß man es allein bey der orthodoxen lutheri-
„ſchen Lehre nicht ſeyn koͤnne, die von frommen Leuten
„in Form gebracht worden, die die Kirche ange-
„nommen und die Obrigkeit beſtaͤtigt hat?‛
‚Guter Alter!‛ verſetzte Sebaldus, etwas ſtamm-
lend, ‚wenn du ſo viel Ungemach von herrſchenden
„Rechtglaͤubigen erlitten haͤtteſt, als ich, ſo wuͤrdeſt
„du die Frage nicht thun. Sie verdammen den, der
„anders denkt als ſie, in alle Ewigkeit, und hier
„auf Erden, haſſen ſie ihn als einen Verdammten, und
„vertreiben ihn, ſo weit ſie ihn erreichen koͤnnen.‛
‚Und das thun alle? Kennſt du ſie alle? Freylich,
„mein Freund! wer herrſchen will, wird verfolgen.
„Auch ich lebe unter einer herrſchenden Kirche, die
„verfolgt, ſo weit es die Obrigkeit zulaͤßet. Aber da-
„zu treibt nicht Lehre, ſondern Herrſchſucht und
„Rechthaberey. Du haſt Ungemach erlitten, von
„heftigen und herrſchſuͤchtigen Maͤnnern, die orthodox
„waren. Freund! Haſt du noch keinen Heterodoxen
„geſehen, der auch herrſchſuͤchtig war? — Denn haͤt-
„teſt du weniger Erfahrung als ich. Jch habe ſchon
„oft mit dem erſten Keime der Heterodoxie, auch
„Eigenduͤnkel und Rechthaberey aufſprießen ſehen.‛
Sebal-
[13[12]]
Sebaldus, beſchaͤmt, vermeinte: ‚die boͤſe Lehre
„von der ewigen Verdammniß, mache doch die Ge-
„muͤther ſo ſehr geneigt, denjenigen, den man ſchon
„als einen kuͤnftig ewig Verdammten anſiehet, auch
„ſchon hier zu verabſcheuen,‛
‚Mein Freund!‛ rief der Prediger: ‚die dordrechti-
„ſchen Rechtglaͤubigen dieſes Landes, haben nebſt der
„Ewigkeit der Hoͤllenſtrafen noch die unbedingte
„Praͤdeſtination. Und dennoch, iſt in Alkmar ſo
„mancher brave Kalviniſt, der mich nicht fuͤr praͤde-
„ſtinirt haͤlt, und mich doch herzlich liebet. Jch bin
„lange in Amſterdam geweſen, wo hundert Sekten
„ſich ihrem Lehrſyſteme nach verdammen, und fried-
„lich neben einander leben.‛
‚Jch bin,‛ fiel ihm Sebaldus haſtig ins Wort, ‚in
„Berlin geweſen, wo auch Religionsverwandten aller
„Art friedlich miteinander umgehen, und ich habe dort
„nicht einmahl vom Verdammen etwas gehoͤrt, —
„ausgenommen etwann einmahl
‚Ey, rief der Prediger, wenn du es auch nur ein-
„mahl gehoͤrt haſt, ſo wird es doch wohl, auch dort,
„mehrmahl geſchehen. Hoͤre meine Meinung: Nach
„meinem Lehrſyſteme, daß ich Jahre lang durchge-
„dacht habe, biſt du — ich kann es nicht bergen —
„in Jrrthuͤmern, die deiner kuͤnftigen Seligkeit hin-
„derlich
[14[13]]
„derlich ſind, wenn Gottes Gnade nicht viel weiter
„gehet, als die Einſichten die ich aus ſeinem Worte
„ſchoͤpfen kann. Dieß getraue ich mir aber, nicht zu
„beſtimmen. Sey alſo Gotte und deinem Gewiſſen
„uͤberlaſſen. Und nun? Warum ſollte ich dich nicht
„lieben, wenn du ſonſt Liebe verdienſt? Jch ſagte
„vorher, wenn mein Sohn, deſſen Tod ich beweine,
„bloß verirrt waͤre, und endlich wieder zu mir kaͤme,
„wuͤrde ich ihm vergeben, und ihn zu beſſern ſuchen.
„So denke ich auch gegen jeden verirrten Glaubens-
„bruder, ſo gewiß denke ich ſo, als ich wuͤnſche, daß
„jeder Glaubensbruder, wenn ich mich verirre, ge-
„gen mich ſo denke. Auch dich, Freund! ſehe ich als
„meinen Bruder an! Nicht dieſer ganze Welttheil
„hat dich verſtoſſen, hier iſt noch ein Ort, und er iſt
„hoffentlich nicht der einzige, wo Einfalt der Sitten,
„Eintracht und Gaſtfreundſchaft herrſchen. Bleib
„bey mir, mein Bruder! Mein Haus iſt das dei-
„nige, und meinen Biſſen theile ich mit dir, ſo lange
„ich ſelbſt noch einen Biſſen habe.‛
Hiemit ſchloß er ihn in ſeine Arme, und Sebaldus,
ſeiner Uebereilung halber beſchaͤmt, vor freudigem Er-
ſtaunen ſtumm, konnte nur durch Thraͤnen antworten.
Der Prediger hielt redlich, was er verſprochen hatte.
Er nahm den Sebaldus in ſein Haus auf, er ver-
ſahe
[15[14]]
ſahe ihn mit den nothwendigſten Erforderniſſen. Sie
hatten den freundſchaftlichſten Umgang. Freylich
konnte es nicht fehlen, daß nicht beide, ſehr bald,
uͤber Erbſuͤnde, Wiedergeburt und Genugthuung
zu diſputiren anfiengen, aber dieſes machte in den
menſchenfreundlichen Geſinnungen des Predigers
keine Aenderung, ſelbſt alsdenn noch nicht, da Se-
baldus zuweilen Argumente vorbrachte, bey denen
der gute Prediger einige Minuten ſtill ſchweigen,
und ſich erſt auf Gegenargumente beſinnen mußte.
Auf dieſe Art giengen einige Wochen vorbey, bis
ein Kaufmann aus Rotterdam, der eine Parthey
Guͤter auf dem geſtrandeten Schiffe gehabt hatte,
deshalb nach Egmont reiſete, und ſich bey dieſer Ge-
legenheit einige Tage in Alkmar aufhielt, wo er den
lutheriſchen Prediger, ſeinen alten Bekannten, be-
ſuchte. Er ſahe daſelbſt den Sebaldus, und nach
einiger naͤhern Erkundigung, trug er demſelben die
Erziehung ſeines zweyten Sohnes unter vortheil-
haften Bedingungen an. Sebaldus beurlaubte ſich
alſo bey ſeinem Wohlthaͤter, und reiſete mit dem
Kaufmanne nach Rotterdam.
Dritter Theil. BZwey-
[16[15]]
Zweyter Abſchnitt.
Der Kaufmann hatte bereits in ſeinem Hauſe
einen Hofmeiſter, der zu Erziehung ſeiner bei-
den Soͤhne gar wohl haͤtte hinlaͤnglich ſeyn koͤnnen.
Allein er hatte eine lutheriſche Frau, und in den Ehe-
pakten war verſehen, daß das erſte Kind reformirt
und das zweyte lutheriſch erzogen werden ſollte.
Seine Frau, eine gutmuͤthige Matrone, mit der er
in allen Dingen, auch ſelbſt in Abſicht der zwiſchen
ihnen verſchiedenen Konfeſſion, in groͤßter Eintracht
lebte, wuͤrde mit dem Einen Hofmeiſter fuͤr ihre
beiden Soͤhne, ob er gleich reformirt war, ſehr wohl
zufrieden geweſen ſeyn; wenn nicht Domine Ter-
Breidelen, ihr lutheriſcher Gewiſſensrath, ihr die
Nichterfuͤllung dieſes Theils der Ehepakten, ſo oft
zu einer Gewiſſensſache gemacht, und uͤber dieſe Be-
eintraͤchtigung der reinen Lehre, bey ihren Mitluthe-
riſchen Vettern und Muhmen, ſo oft bittere Klagen
gefuͤhrt haͤtte; daß Frau Elſabe endlich anfangen
mußte, ihrem Manne uͤber dieſe Sache in den Oh-
ren zu liegen. Dieſer wuͤrde auch zu Beveſtigung des
Hausfriedens, ſo wie des Kirchenfriedens, ſchon laͤngſt
ihrem Verlangen ein Genuͤge gethan haben. Bloß
der
[17[16]]
der Mangel eines dazu faͤhigen lutheriſchen Kandi-
daten, war bisher daran hinderlich geweſen.
Es ward alſo der zweyte Sohn des Kaufmanns
dem Sebaldus uͤbergeben, zu nicht geringem Mis-
vergnuͤgen des reformirten Hofmeiſters, Meeſter
Puiſtma, der den Knaben ſchon als ſein Eigenthum
betrachtet hatte, und es als ein Mistrauen gegen
einen ſo gelehrten Mann, auslegte, daß man einen
Knaben, deſſen Erziehung er ſchon angefangen hatte,
einem andern anvertrauen wollte. Wahr iſt es, daß er
zu Erziehung der Jugend, ganz beſondere Talente hatte.
Er war nicht umſonſt fuͤnf Jahre in Groͤningen und
in Utrecht geweſen, ſondern hatte daſelbſt alle Worte
der beruͤhmteſten Hochlehrer nachgeſchrieben und
den reichſten Schatz hollaͤndiſcher Schulgelehrſamkeit
und hollaͤndiſcher Rechtglaͤubigkeit geſammlet. Er-
hatte alle Spitzfindigkeiten der Voetiſchen und Coc-
cejaniſchen Theologie durchkrochen. Er wuſte ſo
genau, in wie mancherley Sinne alle moͤgliche Theo-
loganten in den ſieben vereinigten Provinzen, die
Haushaltungen des goͤttlichen Gnadenbundes
geordnet und verſtanden hatten, daß er noch eine
neue Haushaltung haͤtte erdenken koͤnnen. Er
konnte auf ein Haar beſtimmen, ob Chriſtus im al-
ten Teſtamente nur ein Buͤrge und fidejuſſor fuͤr das
B 2menſch-
[18[17]]
menſchliche Geſchlecht geweſen, oder noch etwas an-
ders. Dabey hatte Meeſter Puiſtma einen beſon-
dern Fleiß auf die geſegnete Lehre von der Praͤdeſti-
nation gewendet, und konnte, trotz einem von Mil-
tons philoſophiſchen Teufeln, uͤber Vorherbeſtim-
mung und freyen Willen diſputiren *) Ja was
noch mehr, da nach Miltons Berichte, ſelbſt die
Teufel, ſich aus dem Diſpute uͤber dieſe Materien
nicht herausfinden koͤnnen, ſo ſchien dieſer hollaͤndi-
ſche Theologant, eine hoͤhere Scharfſinnigkeit zu be-
ſitzen, denn er wuſte ſo genau zuſammengekettete
Schlußfolgen, um den partikularſten Partikularis-
mus zu behaupten, daß er ſich ſelbſt der Verdamm-
niß wuͤrde uͤbergeben haben, wenn ihm haͤtte bewie-
ſen werden koͤnnen, daß er nicht praͤdeſtinirt waͤre.
Dieſe theologantiſche Weisheit, hatte Puiſtma
denn auch unverzuͤglich bey ſeinen beiden Zoͤglingen
an den Mann gebracht, und ſie bereits ziemlich tief
in die Haushaltungen hineingefuͤhrt. Zugleich, da
er ſich erinnerte, daß dieſe Knaben einſt Buͤrger
eines Freyſtaates werden ſollten, war er bemuͤht,
ihnen
[19[18]]
ihnen die nuͤtzlichſten Stuͤcke der vaterlaͤndiſchen Ge-
ſchichte zu erklaͤren. Dahin gehoͤrte beſonders die
Geſchichte des Synods zu Dordrecht, mit ſeinen po-
litiſchen und theologiſchen Veranlaßungen, und wie
wohl man gethan, die Remenſtranton lieber nicht
zu hoͤren, damit man ſie deſto gemaͤchlicher verdam-
men konnte, deßgleichen die Vorfaͤlle mit der ſoge-
nannten Loeveſteinſchen Parthie, nebſt der loͤbli-
chen Hinrichtung des unruhigen Oldenbarne-
veld u. ſ. w. Da er aber einſt wahrnahm, daß die
Knaben, als er pathetiſcher Weiſe beklagte, daß das
Schloß Loeveſtein nicht jetzt noch zum Gefaͤngniſſe
fuͤr die widerſpenſtigen Unrechtſinnigen gebraucht
wuͤrde, indeſſen unter dem Tiſche mit Keulchen und
papiernen Voͤgeln ſpielten; ſo ward er dadurch nicht
wenig entruͤſtet, und erklaͤrte ſich, nach dem Bey-
ſpiele erfahrner Paͤdagogen, welche unartigen Kna-
ben die Leckerbiſſen verſagen, ihnen das koͤſtliche Feſt
dieſer Erzaͤhlungen ſo lange zu entziehen, bis ſie
hungriger darnach wuͤrden.
Daher beſtand zu der Zeit, als Sebaldus ins
Haus kam, der Unterricht der beiden Knaben, bloß
darinn, daß ſie taͤglich aus dem Heidelbergiſchen Ka-
techiſmus, ein Penſum der Abtheilung von des
Menſchen Elende, auswendig lernen und herſagen,
B 3dabey
[20[19]]
dabey taͤglich ein Kapitel aus Beza lateiniſcher Ue-
berſetzung des Neuen Teſtaments exponiren mußten,
und von einem beſondern Lehrmeiſter in den fuͤnf
Specien der Rechenkunſt unterrichtet wurden, weil,
wie leicht zu erachten, ein ſo gelehrter Mann, wie
Meeſter Puiſtma, ſich mit ſo gemeinen Dingen
nicht abgeben konnte.
Sebaldus aber brauchte bey ſeinem Zoͤglinge, eine
etwas veraͤnderte Lehrart. Er lehrte ihn nebſt dem Ka-
techiſmus, der lateiniſchen Sprache und dem Schoͤn-
ſchreiben, noch die Geſchichte, Erdbeſchreibung und
die hochdeutſche Sprache. Dieſe Lehrart gefiel den
Eltern, obgleich der gelehrte Puiſtma uͤber dieſe
unnuͤtze Dinge ſeine Verachtung bezeugte. Als aber
Sebaldus ſich freywillig erbot, beide Knaben das
Rechnen und die Muſik zu lehren, fieng Meeſter
Puiſtma daruͤber Feuer, lief zu dem reformirten
Domene Dwanghuyſen, und klagte, daß man den
aͤlteſten Knaben lutheriſch zu machen ſuchte, weil ihm
der lutheriſche Jnformator Stunden geben ſollte.
Domine Dwanghuyſen war mit dieſer Neuerung
freylich nicht recht zufrieden, weil aber der Kauf-
mann gedeputeerde Ouderling, oder Kirchenvorſteher
war, ſo wollte er ihn in etwas ſchonen, und ſprach
noch vorjetzt den eifrigen Puiſtma zufrieden.
Noch
[21[20]]
Noch ſchlimmer aber ward es, als Sebaldus
anfieng, ſeinen Zoͤgling im Griechiſchen zu unterwei-
ſen, und der Kaufmann, ſeinem aͤlteſten Sohne,
aus dem er einen gelehrten Mann machen wollte,
befahl, daß er dieſen Lehrſtunden beywohnen ſollte.
Sebaldus ließ darinn Xenophons Denkwuͤrdig-
keiten des Sokrates leſen und uͤberſetzen, und er-
klaͤrte auch zuweilen einige Stellen aus Antonins
Betrachtungen. Er nahm hierbey Gelegenheit,
den Knaben, gute moraliſche Grundſaͤtze einzupraͤ-
gen, und dieſe Grundſaͤtze, ihnen ſelbſt durch Erklaͤ-
rung dieſer vortreflichen Buͤcher anſchauend zu ma-
chen. Hieruͤber ſetzte Puiſtma den Sebaldus in
Gegenwart beider Eltern, aufs heftigſte zur Rede
Er ſagte ſonder Scheu, wenn Sebaldus ein rechter
Chriſt waͤre, ſo wuͤrde er den Kindern nichts als die
gewyde Bladeren*) und andere chriſtliche Buͤcher vor-
legen, ihnen aber nicht ſolche ungeweihte blinde Hei-
den, wie Sokrates und Antonin, zu Beyſpielen
vorſtellen, deren Tugend ſchon der heilige Auguſtin
als blendende Laſter verdammt habe. Sebaldus
vertheidigte ſich, aber was konnte vernuͤnftige Ver-
theidigung bey einem Manne, wie Puiſtma, hel-
ſen. Der ſchrie, ohne Gruͤnde anzuhoͤren, und lief
B 4voller
[22[21]]
voller Wuth, abermahls zu Domine Dwanghuy-
ſen, ihm dieſe neue Ketzerey zu berichten.
Menſchliche Tugenden, beſonders die Tugenden der
Heiden, waren zu der Zeit in Rotterdam eben nicht
im beſten Rufe. Zwar hatte damahls Domine Hof-
ſtede, noch nicht, die Laſter der beruͤhmten Hei-
den angezeigt, zum Beweiſe, wie unbedacht-
ſam man dieſelben ſelig geprieſen*) Es iſt aber
auch leicht zu erachten, daß die unſinnige Behaup-
tung: die groͤßten Maͤnner des Alterthums waͤ-
ren, ohne Ausnahme, laſterhaft geweſen, nicht
auf einmahl in eines Menſchen Gehirn kommen kann,
ohne daß vorbereitende Thorheiten anderer Leute vor-
hergegangen waͤren. Wirklich war ſchon ſeit gerau-
mer Zeit in Friesland und durch das ganze Suͤd-
holland, die Meinung gaͤnge und gaͤbe geweſen,
das menſchliche Geſchlecht ſey von Natur elend,
dumm und zum Guten unfaͤhig. Wenn irgend je-
mand auf einige Art das Gegentheil behaupten, be-
ſonders wenn er ſich etwann auf die Tugenden der
Heiden berufen wollte, war es ſehr gewoͤhnlich, von
Arminianiſcher Anſteckung, Pelagianiſchem Sauer-
teige, und Socmianiſchem Gifte zu reden, auch wohl
zu
[23[22]]
zu ſchreiben. Domine Dwanghuyſen war nicht der
geringſte unter den rechtſinnigen Verdammern der
Heiden; alſo iſt leicht zu begreifen, daß Meeſter
Puiſtma’s Klage, ihn in nicht geringe Bewegung
moͤge geſetzt haben.
Er gieng auch unverzuͤglich zum Kaufmanne, und fuhr
den Sebaldus, in deſſen Gegenwart, heftig daruͤber
an, daß er der Jugend heidniſche Schriften in die Haͤn-
de gebe, um ihr darinn Beyſpiele der heiduiſchen ſuͤndli-
chen Tugend, zur Nachahmung vorzuſtellen. Er deci-
dirte, daß weder Xenophon noch Sokrates, noch
Antonin praͤdeſtinirt geweſen, daß ſie wegen ihrer ver-
meintlichen ſcheinbaren Tugenden kein Gegenſtand
der goͤttlichen Barmherzigkeit haͤtten ſeyn koͤnnen,
und alſo in dem hoͤlliſchen Schwefelpfuhle ewig bra-
ten muͤſten. Sebaldus unternahm unbedachtſamer
weiſe, die großen Maͤnner, wider dieſes hatte Ver-
dammungsurtheil zu vertheidigen, machte aber da-
durch das Uebel viel aͤrger, denn Dwanghuyſen
ward ſehr heftig ergrimmt, daß Sebaldus gegen
ihn, als gegen einen Seelenhirten, ohne Scheu ſol-
che ſeelenverderbliche Meinungen behaupten wolle,
und ſchrie, indem er aus dem Zimmer ſchritt, dem
Kaufmanne zu, daß er einen ſolchen heidniſchen Un-
chriſten nicht ferner einen Augenblick unter ſeinem
B 5Dache
[24[23]]
Dache dulden ſollte, weil er ſonſt fuͤr nichts ſtehen
wollte, wenn der ſeinen Hirten liebende Poͤbel, ſo-
bald er ein ſolches Anathema Maran Atha*)
verſpuͤre, Unheil anſangen ſollte.
Der Kaufmann, der den Frieden liebte, und wohl
wuſte, mit welcher Heftigkeit Domine Dwanghuy-
ſen, das durchzuſetzen pflegte, was er einmahl be-
gehrt hatte, waͤre ſehr geneigt geweſen, von Se-
baldus zu ſcheiden. Aber ſeine Frau nahm ihren
lutheriſchen Sebaldus in Schutz, und wollte ihn
eher nicht wegſchaffen, bis ihr lutheriſcher Gewiſ-
ſensrath auch ſein Gutachten daruͤber gegeben haͤtte.
Dritter Abſchnitt.
Domine Ter Breidelen, ward alſo erſucht, den
folgenden Tag in dem Hauſe des Kaufmanns
zu erſcheinen, und der eifrige Dwanghuyſen, wel-
cher dieß ſogleich von Meeſter Puiſtma erfuhr, fand
ſich, ungebeten, dazu ein.
Die Sitzung ward damit eroͤfnet, daß ſich Ter
Breidelen den ganzen Caſum vortragen ließ, welches
Meeſter Puiſtma, mit vieler Redſeligkeit verrich-
tete. Darauf ſagte der Domine viel triftige Dinge,
von
[25[24]]
von der Unnuͤtzlichkeit der heidniſchen Weisheit, und
ſprach zugleich das Urtheil der ewigen Verdamm-
niß uͤber Sokrates und Antonin aus. Sebaldus
wolte ihre Tugend und folglich ihre Seligkeit ver-
theidigen, aber dadurch machte er die Sache noch
aͤrger, und ward ſelbſt verdammt. Domine Dwang-
huyſen neigte ſich darauf freundlichſt gegen Domine
Ter Breidelen, und zeigte in einer wohlgeſetzten
Rede, daß, ſo herzlich er ſonſt ſeine lutheriſchen
Bruͤder liebe, ſo koͤnne er doch eine ſo gefaͤhrliche
Lehre, wie Sebaldus hege, auf keine Weiſe ent-
ſchuldigen. Ter Breidelen rief: Sebaldus ſey
kein Lutheraner, ſondern ein Synergiſt und Pe-
lagianer, der die aͤchte lutheriſche Lehre, von der
gaͤnzlichen Verderbniß der menſchlichen Natur ver-
ſchmaͤhe. Dwanghuyſen erwiederte; faſt ſollte man
denſelben, der Holland ſo ſchaͤdlichen Sekte der Ar-
minianer beygethan halten, weil er zu behaupten
ſchiene, die bekehrende Gnade, ſey lenis ſuaſio oder
eine ſanfte Ueberredung, welche Lehre in den Ka-
nonen des Dordrechtſchen Synods, Kap. IV, 7.
verdammet worden. Ter Breidelen ruͤmpfte ein
wenig die Naſe, bey Erwaͤhnung des Dordrecht-
ſchen Synods. Sebaldus erſchrocken, daß er bey
Behauptung der unſchuldigſten Wahrheiten ver-
dammt
[26[25]]
dammt ward, und durch vorhergehende Verfolgung
furchtſam gemacht, wolte ſich entſchuldigen, und ſich
dem angenommenen Lehrbegriffe gemaͤßer ausdruͤcken.
Dieß verurſachte einen weitlaͤuftigen polemiſchen
Wortwechſel, in welchem beide Domine ſehr hart
aneinander kamen. Denn ob ſie gleich ſehr einig
waren, den Sebaldus zu verdammen, ſo wurden ſie
doch, durch ſeine Vertheidigung, uͤber die Urſach der
Vordammung wieder uneinig. Ter Breidelen be-
ſorgte naͤmlich, die Meinung des Sebaldus fuͤhre
zu der ſchaͤdlichen Lehre von der Praͤdeſtination,
Dwanghuyſen hingegen vermeinte, ſie fuͤhre zu
weit von dieſer heilſamen Lehre ab. Dieß brachte
ſie in einen langen Diſput uͤber den Vorzug der Aug-
ſpurgiſchen Confeßion und des Dordrechtiſchen
Synods, wobey ſie von Sebaldus Meinungen
ganz weg geriethen, und nur endlich, da ſie die Mit-
tagsglocke ans Weggehen erinnerte, uͤbereinkamen, daß
Sebaldus nach keinem von beiden lehre. Er ward alſo
abermahls unwiderruflich verdammt. Dwanghuy-
ſen ermahnte, als ſie zur Thuͤr hinausgiengen, ſeinen
Kirchenvorſteher, und Ter Breidelen ſein Kirch-
kind, einen ſo heilloſen Menſchen, der mit keinem
einzigen Symbolum uͤbereinſtimmte, ſogleich von ſich
zu laſſen, und Dwanghuyſen beſonders, erwaͤhnte
noch-
[27[26]]
nochmals beylaͤufig, des hirtenliebenden Jan Ha-
gels.
Gutmuͤthige Layen, welche aufmerkſam zuhoͤren,
wenn geiſtliche Herren, uͤber die Orthodorie und He-
terodoxie eines andern ſtreiten, befinden ſich ohnge-
faͤhr in der Lage, als wenn gewoͤhnliche Menſchen,
bey der Konſultation gelehrter Aerzte, uͤber den un-
gewiſſen Zuſtand eines Kranken, zugegen ſind. Sie
trauen dem Patienten, nicht allein, bald alle die frem-
den Krankheiten zu, deren griechiſche Namen ihm
von beiden Seiten zugeworfen werden, ſondern, es
faͤngt ſie wohl ſelbſt an, ein Schwindel, Kopfweh
oder Gliederreiſſen anzuwandeln; wenn man die
ganze Pathologie ſo vor ihnen die Muſterung paſ-
ſiren laͤßt.
So gieng es dem Kaufmanne und ſeiner Frau, die
den ganzen Streit voll Betaͤubung angehoͤrt hat-
ten. Sie ſahen bald den Sebaldus ganz furchtſam
daruͤber an, daß er, wider alles Vermuthen, ſich
ſo graͤßliche Lehren behaupte, bald wollten ſie
ihn, mit dem vielen Guten, das ſie ſonſt an ihm be-
merkt hatten, entſchuldigen, bald fiengen ſie an, fuͤr
ſich ſelbſt zu fuͤrchten, ob ſie wohl in ihrem
Chriſtenthume ſo lau geworden, um die Jrrlehren
nicht zu fuͤhlen, bald gereute es ſie, daß die wohlan-
gefangene
[28[27]]
gefangene Erziehung ihrer Kinder, wieder liegen blei-
ben ſollte.
So herrſchte beym Mittagsmahle ein todtes Still-
ſchweigen, und einer ſahe den andern aͤngſtlich an,
bis Meeſter Puiſtma, der, nach ſo wohlvoll-
drachten Verrichtung, ſich Eſſen und Trinken ſehr
gut hatte ſchmecken laſſen, noch zeitiger als ſonſt,
zu ſeinem gewoͤhnlichen Mittagsſchlaͤſchen, vom
Tiſche wegſchlich.
Als er weg war, ſagte Frau Elſabe, zum Se-
baldus, mit niedergeſchlagnen Augen: ‚Aber lieber
„Meiſter, warum habt ihr auch meinen Kindern heid-
„niſche Buͤcher vorgelegt?‛
‚Weil eure Kinder Griechiſch lernen ſollten und
„dieſe Buͤcher gut Griechiſch geſchrieben ſind.‛
‚Aber warum habt ihr ihnen ſo boͤſe gottloſe Leute
„zur Nachahmung vorgeſtellt?‛
Urtheilt ſelbſt, verſetzte Sebaldus, ob ſie boͤſe
und gottlos geweſen? Hier erzaͤhlte er ausfuͤhrlich
die Geſchichte des Sokrates, und ſchilderte den Cha-
rakter des Antonin. Er fragte, ob es nicht vielmehr
gottlos ſey, einen Fuͤrſten zu verdammen, der nach
ſeiner eignen Nachricht, von ſeinem Großvater ge-
lernet: Leutſelig zu ſeyn und ſich nicht zu erzuͤrnen;
von ſeinem Vater: Beſcheiden und maͤnnlich zu
wer-
[29[28]]
werden; von ſeiner Mutter: Gottesfurcht und
Freigebigkeit, und nicht nur nichts Boͤſes zu
thun, ſondern es auch nicht einmahl zu den-
ken*) u. ſ. w.
Der Kaufmann und ſeine Frau hoͤrten aufmerk-
ſam zu. Frau Elſabe geſtand, wenn dieſer Heide
ſo geſinnet geweſen, koͤnne es wohl nicht verdamm-
lich ſeyn, ihn zum Beyſpiele darzuſtellen. Ja ſie
moͤchte ſich ſelbſt nicht unterſtehen, einen ſo guten
Heiden zu verdammen.
Hiemit ſtimmte der Kaufmann uͤberein. ‚Aber
„dieß iſt nicht das ſchlimmſte, ſagte er zum Sebal-
„dus; denn die Domine wiſſen ohnedem mit dem
„Verdammen geſchwinder umzuſpringen als unſer
„einer. Das ſchlimmſte iſt, daß ich Euch wider Wil-
„len der Domine nicht im Hauſe behalten kann, weil
„ſie allen Leuten ſagen werden, daß ihr keine rechte
„gewiſſe Religion habt.‛
‚Eine rechte gewiſſe Religion? Mein Herr! die
„habe ich, Gott Lob! denn ich weiß, an wen ich
„glaube. Aber daß mein Glauben, mit dem,
„was verſchiedene andere Leute glauben, oder andern
„Leuten, als Formulare zu glauben vorſchreiben, zu-
„weilen
[30[29]]
„weilen nicht uͤbereinſtimmt, iſt nicht meine Schuld.
„Der Glauben iſt eine Gewiſſensſache, welche nicht
„kann geboten werden. Jch laße gern einen jeden
„glauben, wovon er uͤberzeugt zu ſeyn meinet, wa-
„rum wollt ihr mir dieſes nicht auch frey laſſen?‛
‚Jch wohl, verſetzte der Kaufmann, aber die Do-
„mine ſchwerlich. Die laſſen ſich nicht gern wider-
„ſprechen. Wenn Jhr einmahl nicht vor rechtſin-
„nig gehalten werdet, werden ſie beſtaͤndig gegen
„Euch was einzuwenden haben, und wenn ich Euch
„in meinem Hauſe behalte, auch gegen mich.‛
‚Und wenn ihr nicht recht lutheriſch ſeyd, rief
„Frau Elſabe, wird’s immer heiſſen, unſern Ehe-
„pakten ſey kein Genuͤge geſchehen, nach denen mein
„zweyter Sohn recht lutheriſch erzogen werden muß.
‚Lutheriſch! rief Sebaldus aus. Sind es denn
„etwann lutheriſche Glaubensartikel, woruͤber geſtrit-
„ten worden, oder waͤre nur der geringſte Streit ge-
„weſen wenn euer Meeſter Puiſtma nicht einen ſo
„unvernuͤnftigen Laͤrmen gemacht haͤtte. Jch ſon-
„dere mich ja von der lutheriſchen Kirche noch nicht
„ab. Und wenn ich es auch thaͤte. Sind denn die
„Menſchen jeder Konfeſſion, durchaus auch in eine
„eben ſo eingeſchraͤnkte buͤrgerliche Geſellſchaft einge-
„ſchloſſen. Muß der, der ſich von dieſer oder jener
Lehr-
[31[30]]
„Lehrmeinung nicht uͤberzeugen kann, deshalb auch
„aller buͤrgerlichen Gemeinſchaft entſagen? Darf
„man, ohne den genaueſten Glauben an theologiſche
„Formulare, nicht die alten Sprachen oder die Geo-
„graphie lehren? Macht ein Verdacht des Pelagia-
„niſmus, auch eine aſtronomiſche Rechnung unrich-
„tig, oder eine Leibrentenberechnung unſicher? Wie
„weit wird endlich die Einſchraͤnkung durch Bekennt-
„nißbuͤcher gehen? Fragt man nicht faſt ſchon, wenn
„man einen Baͤlgetraͤter, Pedell oder Einheizer
„braucht, ob er auch rechtſinnig ſey. Endlich wird
„man nicht Luft ſchoͤpfen, oder einen Tritt ins Land
„thun duͤrfen, wenn man nicht erſt die ſymboliſchen
„Buͤcher unterſchreibt!‛
‚Nein!‛ verſetzte der Kaufmann, ‚da geht ihr zu
„weit, mein lieber Meiſter! Unſere hochmoͤgen-
„den und edelmoͤgenden Herren, dulden in den ſie-
„ben vereinigten Provinzen jedermann, weß Glau-
„bens er auch ſey. Nur freilich uuſere ehrwuͤrdi-
„gen Herren, examiniren diejenigen genauer, die ſich
„in den Haͤuſern der Rechtſinnigen aufhalten.
„Wenn Jhr nicht in meinem Hauſe waͤret, koͤnntet
„Jhr glauben, was Jhr wolltet — Aber, ich geſtehe
„es Euch, da Euch die Domine anklagen, kann ich
Dritter Theil. C„euch
[32[31]]
„euch nicht bey mir behalten, und mit dem hirtenlieben-
„den Jaͤn Hagel mag ich auch nichts zu thun haben.
‚Wahr iſts, ſagte Frau Elſabe, mit einem Seuf-
„zer, Domine Ter Breidelen, wuͤrde es mir bey
„allen Hausbeſuchen vorhalten.‛
‚Ja!‛ fuhr der Kaufmann fort, ‚und Domine
„Dwanghuyſen, wuͤrde es mir in den kerkelyken
„Samenkomſten, beſtaͤndig zu hoͤren geben, daß ich
„einen Arminianer herbergte.
‚Großer Gott!‛ rief Sebaldus, die Haͤnde gen
Himmel hebend. — ‚Guͤtigſtes Weſen, voll allge-
„meiner Liebe, voll allmaͤchtiges Wohlthuns! Wie
„iſts moͤglich, daß die, die ſich deine Diener nennen,
„ſelbſt beinahe die Sonne, die du uͤber Gerechte und
„Ungerechte ſcheinen laͤſſeſt, denen entziehen wollen,
„die dir auch dienen, nur nicht nach ihrer Vorſchrift,
„ſondern nach eigenem Gewiſſen! wie iſts moͤglich,
„daß ſie ſie aus der Welt ſtoßen moͤchten, wenns an-
„gienge! —‛ Er legte ſeine Stirn in ſeine linke
Hand.
Frau Elſabe ſagte, indem ſie die Augen trockne-
te: ‚Nicht aus der Welt, lieber Meiſter! Es wird
„ſich fuͤr euch ein anderer Aufenthalt finden.‛
‚Und ich will,‛ ſetzte der Kaufmann hinzu ‚Euch
„dazu alle moͤgliche Anleitung geben. Wollt ihr
„nach
[33[32]]
„nach Alkmaar zuruͤck, oder ſonſt nach einer andern
„Stadt? —‛
Sebaldus, ohne ihn zu hoͤren, fuhr in ſeinem
Selbſtgeſpraͤche fort: ‚Was ſollte Deine vernuͤnfti-
„gen Geſchoͤpfe, zu Vertraͤglichkeit und Liebe mehr
„vereinigen, als dein Dienſt, und was trennt ſie
„mehr, zu bitterm Zanke und Feindſchaft! —‛
Der Kaufmann nahm ihn bey der Hand, und
ſagte: ‚Beruhigt Euch. Hoͤrt mich. Wollt Jhr
„zuruͤck nach Alkmaar zu dem guten Pfarrer, oder
„wollt Jhr wieder nach Deutſchland, oder denkt Jhr
„nach Oſtindien zu fahren. Es ſey wo es ſey. Jch
„will Euch Rath, Empfehlung, Unterſtuͤtzung geben.‛
Sebaldus ſahe ihn an, ſchlug die Augen wieder
nieder, und ſagte ſtaunend: ‚Nach Alkmaar? — Ja
„das war ein guter lieber Mann, — ſo gut — wie
„Jhr, mein Herr! — — Aber wer ſteht mir dafuͤr,
„daß ein anderer Eiferer, nicht Jhn, ſo wie Euch
„noͤthiget, mir einen Platz unter ſeinem Dache zu
„verſagen. — Nach Deutſchland? Soll ich da ſchmerz-
„liche Erinnerung, an das was mir lieb war, holen,
„und vielleicht noch eine neue Art von Verfolgern
„kennen lernen? — Nein! lieber nach Oſtindien, ſo
„weit und ſo gefaͤhrlich der Weg auch iſt. Vielleicht
„iſt man dort noch vertragſam Wo das Schulge-
C 2„zaͤnk
[34[33]]
„zaͤnk noch nicht Menſchen gegeneinander aufgehetzt
„hat, wird wohl die Liebe nicht an Konfeſſionen ge-
„bunden ſeyn. Vielleicht faͤnde ſich da eine Geſell-
„ſchafft, die, ſtreitige Lehrmeinungen bey Seite ſe-
„tzend, nur gemeinſam erkannte Wahrheiten nu-
„tzen wollte, die, ohne nach Lehrformeln zu fra-
„gen, ſich verſammelte, um ſich gemeinſchaftlich
„zum Lobe Gottes zu ermuntern, ſich gemein-
„ſchaftlich an gemeinnuͤtzige Pflichten zu erinnern.
„Welches Gluͤck fuͤr mich, ſolche Geſellſchafft zu fin-
„den! Welches Vergnuͤgen, ſie zu errichten! Oder
„iſts nur ein ſchoͤner Traum? Mags doch! Dort iſt
„wenigſtens moͤglich, was in Europa durch Konfeſ-
„ſionen und Synoden unmoͤglich gemacht wird.‛
‚Unmoͤglich? doch wohl nicht ganz;‛ verſetzte der
Kaufmann. ‚Wenn Jhr, lieber Freund, ſonſt kei-
„ue Urſachen habt nach Oſtindien zu gehen, als
„eine ſolche Geſellſchafft zu ſuchen, ſo koͤnnt Jhr ſie
„viel naͤher, bey uns, finden. —‛
‚Wie? wo?‛ fiel ihm Sebaldus haſtig ins Wort.
‚Jn den vereinigten Provinzen, und ſelbſt auch hier
„in Rotterdam. Sie heiſſen Kollegianten, oder
„Reinsburger, von einem Dorfe bey Leiden, wo ſie
„jaͤhrlich zweymahl zuſammen kommen, um das Abend-
„mahl zu halten. Man findet ſie beſonders in Am-
„ſterdam
[35[34]]
„ſterdam, wo ſie auch ein Wayſenhaus haben. Jch
„habe daſelbſt ihren gottesdienſtlichen Verſammlun-
„gen, auf der Kaiſersgracht, im Oranienapfel, oft
„mit inniger Erbauung beygewohnt.‛
Der Kaufmann erzehlte nun dem Sebaldus auf
Verlangen, kuͤrzlich, die Geſchichte und die Verfaſ-
ſung dieſer bisher, in ihrer Art, einzigen Geſell-
ſchafft.
Sie entſtand um 1619*), als politiſcher Ur-
ſachen willen, denen die Religion zum Vorwande
dienen mußte, die Remonſtranten ſo ſehr verfolgt
wurden, daß man ihnen auch nicht, Gottesdienſt zu
halten, verſtatten wolte. Damals verſammelten,
um der unbilligen Haͤrte der damaligen Geſetze zu
entgehen, vier Bruͤder, Maͤnner von unſtraͤflichem
Wandel, Kollegien oder Zuſammenkuͤnfte, wo-
von die Geſellſchaft den Namen behalten hat. Jn
der Folge geſelleten ſich zu ihnen, nicht wenig von
den friedſamen Taufgeſinnten, doch nicht ſie allein;
denn die Kollegianten, laßen zu ihren bruͤderlichen
Verſammlungen alle Chriſten, ohne auf beſondere
C 3Lehr-
[36[35]]
Lehrmeinungen oder Konfeſſionen, zu ſehen; weil ſie
ſagen: daß man in die Stadt Gottes durch ver-
ſchiedene Thore eingehen koͤnne*). Jeden un-
beſcholtenen Mann, und der keine Meinungen vor-
traͤgt, die ausdruͤcklich der Bibel zuwider ſind, laſ-
ſen ſie nicht allein zum gemeinſchaftlichen Genuſſe des
Abendmahls, ſondern verſtatten ihm auch, oͤffentlich
uͤber gemeinnuͤtzige Wahrheiten zu reden, wozu ſie
keine beſonders beſtellte Lehrer haben. Denn jeder,
der Kraft in ſich fuͤhlt, nuͤtzliche Lehren zu geben,
traͤgt ſie, ohne Lehrton, wie ein Freund an Freunde
vor, und pflegt, am Ende ſeiner Rede die Verſamm-
lung, beſcheiden zu fragen: Ob jemand wider
dieſen Vortrag etwas einzuwenden habe, oder
zur fernern Aufklaͤrung der Wahrheit noch et-
was beytragen wolle. Und hierauf faͤhrt fort, wer
will, mit gleicher Beſcheidenheit ſeine Gedanken zu
eroͤfnen.
Sebaldus war entzuͤckt uͤber dieſe Nachricht, und
wuͤnſchte nichts, als bald ein Glied einer Verſamm-
lung zu ſeyn, die mit ſeinen Wuͤnſchen ſo vollkom-
men uͤbereinſtimmte. Da er in Rotterdam weder
bleiben wollte noch konnte, ſo bekam er von dem
Kaufmanne, nachdem er fuͤr ſeine Hofmeiſterſchaft
anſtaͤn-
[37[36]]
anſtaͤndig belohnet worden, Empfehlungsſchreiben an
einen ihm wohlbekannten Kolleglanten in Amſterdam.
Sebaldus ſuchte ſogleich ſeine Sachen zuſammen, die
ein maͤßiges Paͤckchen ausmachten, fuhr nach Gouda,
ſetzte ſich daſelbſt in die Nachtſchuit, und ließ ſich
unter den froheſten Erwartungen fortziehen.
Vierter Abſchnitt.
Er kam des Morgens fruͤh um fuͤnf Uhr, vor Am-
ſterdam, an dem Utrechter Thore, an. Gleich
bey dem Ausſteigen aus der Schuit, kam ihm ein
Deutſcher entgegen, der ihn ſehr dienſtfertig: Herr
Landsmann, anredete, und ſich erbot, ihn in eine gute
Herberge zu bringen.
Sebaldus verſetzte: ‚Wenn ſie nur nicht zu koſt-
„bar iſt, denn meine Baarſchaft iſt gering. Jch bin
„ein armer abgeſetzter Prediger.‛
‚Sie ſollen ſehr billig behandelt, und doch gut be-
„dient werden,‛ rief der Herr Landsmann, und griff
nach Sebaldus Reiſeſack, den er dienſtwillig auf die
Schulter nahm.
Sie giengen alſo bey Eroͤfnung des Thores in die
Stadt. Sebaldus konnte nicht umhin, ſeine Freude
zu bezeugen, daß er einen Deutſchen gefunden, der
C 4ihn
[38[37]]
ihn in dieſer großen Stadt zurecht weiſe, zumahl da
er der Sprache noch nicht gaͤnzlich kundig ſey.
‚Ach ja, ehrwuͤrdiger Herr, ſagte ſein Begleiter,
„es iſt mir Jhretwegen ſelbſt lieb, daß ich mich von
„ohngefehr am Thore befunden. Sie koͤnnen gar
„nicht glauben, ehrwuͤrdiger Herr, wie gefaͤhrlich es
„in dieſer Stadt iſt. Jnſonderheit giebt es boͤſe Leute
„die man Seelenverkaͤufer nennet, welche die uner-
„fahrnen Fremden, beſonders Deutſche, mit Liſt in
„ihre Haͤuſer locken, um ſie nach Oſtindien, in ein un-
„beſchreibliches Elend, zu verkauffen.‛
Sebaldus erſtaunte daß es ſo boshafte Menſchen
geben koͤnne. Jndem ſchrie ſie ein gemeines Weib
auf hollaͤndiſch heftig an: ‚Sieh den verdammten
„Seelhund, da hat er wieder eine Seele!‛
‚Kommen Sie geſchwind,‛ raunte ihm ſein Be-
gleiter ins Ohr, ‚dieß iſt eine Kreatur der Seelen-
„verkaͤufer, welche mit uns Zank anfangen will, da-
„mit Sie im Tumulte den Seelenverkaͤufern in die
„Haͤnde fallen.‛
Sie verdoppelten alſo ihre Schritte, um dieſem
Ungluͤcke zu entgehen, und kamen endlich an das
Haus, wo die Herberge ſeyn ſollte. Sie giengen ei-
lig hinein. Die Thuͤr ward hinter ihnen zugeſchloſ-
ſen. Wie erſchrack aber Sebaldus, als ihn ſein
Beglei-
[39[38]]
Begleiter in eine Art von Unterkammer ſtieß, wo
ohngefaͤhr dreißig elende Menſchen auf Stroh lagen.
Er brach in die heftigſten Vorwuͤrfe gegen ſeinen Be-
gleiter aus, die dieſer, nachdem er ihm einigemahl
in einem trotzigen Tone ſtillzuſchweigen geboten hatte,
durch derbe Schlaͤge mit einem dicken Seile, beant-
wortete, wovon Sebaldus ganz betaͤubt auf das
Strohlager niederfiel.
Als er ſich ein wenig erholte, ſah er um ſich eine
Anzahl elender Schatten-aͤhnlicher Menſchen, von
Hunger, Vloͤße, Schlaͤgen, Krankheit und Kinn-
mer ganz ausgemergelt, von ihrem Strohlager auf-
kriechen. Neben ihm lag ein Menſch, guͤnſtiges An-
ſehens, aber vom Fieber ganz abgezehrt, der ihm,
auf ſeine laute Klagen mit mattaufgehobner Hand,
und ſchwacher Stimme, hochdeutſch zuſprach;
„Sey geduldig Freund, denn es wartet dein noch
„mehr Elend; das meinige iſt hoffentlich bald zu
„Ende.‛
Sebaldus fiel wieder in ſchwermuͤthiges Stau-
nen, aus welchem er ohngefaͤhr nach einer Stunde
erweckt wurde, da man ihn holte, um vor dem See-
lenverkaͤufer zu erſcheinen, der nicht laͤngſt aufge-
ſtanden war.
C 5Sebal-
[40[39]]
Sebaldus fand ihn in einem praͤchtig aufgeputzten
und mit Huyſums und Mignons Meiſterſtuͤcken
ausgeziertem Seitenzimmer ſitzen, das von dem
Elende, womit im Keller Menſchen gequaͤlt wur-
den, ſo wenig Spur zeigte, als das Angeſicht des
hartherzigen Beſitzers. Dieſer nahm mit zufriedner
Geberde ſein Fruͤhſtuͤck zu ſich, und vor ihm lagen
Erbauungsbuͤcher, aus denen er eben ſeine Morgen-
andacht hergeleſen hatte. Denn Buͤcher dieſer Art,
ſind dem Schurken und dem ſchwachen ehrlichen Man-
ne gleich behaglich. Dieſer zieht Troſt im Ungluͤcke,
und Beveſtigung frommer Entſchließungen aus ih-
nen, jener aber, der taͤgliche Gottloſigkeit unſtraf-
bar gemacht zu haben glaubt, wenn er ſie Morgens
und Abends in vorgeſchriebenen Gebeten bereuet, der
den Mangel innrer Rechtſchaffenheit durch aͤuſſere Re-
ligion erſetzen will, ſucht die Unruhe ſeines Gewiſ-
ſens, in der Ruhe einer ſelbſtgefaͤlligen Andacht zu
erſticken.
Dieſer Bube, der mit kalter Fuͤhlloſigkeit jeden
Menſchen im Elende konnte ſchmachten ſehen, ließ
es dabey an keiner aͤuſſerlichen Religionsuͤbung man-
geln. Er war in der gangbaren Landestheo-
logie ſehr bewandert, und fand ſogar durch dieſelbe
eine Hinterthuͤr, alles Boͤſe, was ihn zu thun ge-
luͤſtete,
[41[40]]
luͤſtete, mit ſeiner pflegmatiſchen Gewiſſensruhe zu
vereinigen, denn er hatte ſich uͤberzeugt, alles ſey ab-
ſolut nothwendig, er fey daher praͤdeſtinirt die Mof-
fen*) zu ſchinden, und die Moſſen ſeyen praͤdeſti-
nirt, ſich von ihm ſchinden zu laſſen. Deshalb konnte
er mit eben der Gleichmuͤthigkeit einen Moſſen in
ſeinen Keller ſtoſſen ſehen, als der Koch einen Krebs
in den ſiedenden Keſſel wirft.
Er fragte den Sebaldus, deſſen geiſtlichen Stand
er von ſeinem Unterhaͤndler erfahren hatte, zuvoͤr-
derſt nach der Geſchichte ſeiner Abſetzung, und nach
ſeinen folgenden Begebenheiten, und da er dadurch
deſſen heterodoxe Meinungen erfuhr, ſo ließ er ſich
in einen theologiſchen Diſput ein, deſſen Ende war,
zu behaupten, daß die dem Sebaldus aufgeſtoßnen
widrigen Begegniſſe, eine Folge der goͤttlichen Straf-
gerechtigkeit waͤren, deren unwuͤrdiges Werkzeug er
jetzt auch ſeyn ſolle. Er fuͤhrte ihm dabey zu Ge-
muͤthe, daß er Gott verſuchen wuͤrde, wenn er lie-
ber zu den ſtinkenden Ketzern, den Kollegianten, gehen
wollte, als nach Batavia, der orthodoxen Stadt,
wohin ſich noch nie eine Ketzerey habe wagen duͤrfen.
Er legte alſo dem Sebaldus einen ſchon aufgeſetz-
ten
[42[41]]
ten Kontrakt zur Unterſchrifft vor. Dieſer weigerte
ſich aber, weil ihm die Art, wie er zu dieſer Reiſe ge-
zwungen werden ſollte, eine ſchreckliche Ausſicht gab,
und verlangte endlich, nach verſchiedenem Hin- und
Wiederreden, wenigſtons Bedenkzeit, wolche ihm
endlich auch, bis den morgenden Tag, aber laͤnger
nicht, verſtattet ward, worauf ihn der Seelenverkaͤufer
entließ, und wieder ruhig auf ſein Erbauungsbuch fiel.
Als Sebaldus in den Keller zuruͤck kam, ſah er
ihn von Stroh aufgeraͤumt, und ſeine Ungluͤcksge-
faͤhrten, theils in ſtummem Kummer, theils in
fuͤhlloſer Sorgloſigkeit, theils in tobender Ver-
zweiflung. Nur ſein vorheriger Nachbar lag
in einem Winkel, in großer Schwachheit. Da
des Sebaldus geiſtlicher Stand ſchon bekannt wor-
den war, ſo verlangte der Kranke ſeinen Zuſpruch,
den ihm Sebaldus, ſo troſtlos er ſelbſt auch war,
von ganzem Herzen gewaͤhrte. Der Kranke wurde
dadurch in etwas erquickt, und konnte nun des Se-
baldus Erzehlung und Klagen anhoͤren, dem noch
alles, was ihm dieſen Morgen begegnet war, als ein
Traum vorkam, und der ſich beſonders noch nicht zu
uͤberreden wuſte, daß Menſchen ſo tief ſinken koͤnn-
ten, ihre Nebenmenſchen vorſetzlich ins Elend zu
ſtuͤrzen.
‚Was
[43[42]]
‚Was bewegt dieſe Leute zu ſolcher Ungerechtig-
„keit?‛ rief er zuletzt aus, Warum ſind wir hier wie
‚Uebelthaͤter eingeſchloſſen? Was will man mit uns
„anfangen? Darf man in dieſem Lande der Freyheit
„den friedſamen Wanderer, unverſchuldet ins Ge-
„faͤngniß ſchleppen? Jſt hierwider kein Schutz bey
„der Obrigkeit zu finden.‛
‚Er wuͤrde gewiß zu finden ſeyn, erwiederte der
Kranke mit ſchwacher Stimme, ‚wenn ihr unſere
„Noth nur bekannt werden koͤnnte. Aber in den ſechs
„Wochen, die ich in dieſem abſcheulichen Loche zuge-
„bracht habe, merkte ich gnugſam, welche ſichere Maas-
„regeln unſere Peiniger nehmen, um dieſes unmoͤg-
„lich zu machen. Von auſſen hat dieſe Einrichtung
„das Anſehen, als ob der Zweck ſey, ganz armen Leu-
„ten, die von allen Huͤlfsmitteln entbloͤßet ſind, und
„freywillig nach Oſtindien gehen wollen, bis zur
„Abfahrt Nahrung und Equippirung zu geben, und
„ſich durch das Handgeld, welches die Oſtindiſche
„Compagnie giebt, und durch eine Verpfaͤndung des
„kuͤnftigen Soldos, wieder bezahlt zu machen. Es
„kann ſeyn, daß die Abſicht im Anfange ganz gut ge-
„weſen ſeyn mag, aber jetzt wird ſie, durch die Liſt
„hartherziger Boͤſewichter, oft zu einem Misbrauch,
„der der Menſchheit Schande macht. Wenige gehen
„frey-
[44[43]]
„freywillig, viele werden durch Raͤnke ins Garn ge-
„lockt, durch Peinigungen zur Unterſchrifft gezwun-
„gen, in Gefaͤngniſſe geſperrt, mit der elendeſten
„Koſt kaum beym Leben erhalten, und zuletzt oft,
„von uͤbler Vegegnung und Kummer abgemergelt,
„anſtatt aller Erforderniſſe, zu einer Seereiſe von eini-
„gen tauſend Meilen, kaum mit ein Paar groben
„Hemden vorſehen. Und fuͤr dieſe elende Ver-
„pflegung werden ſo große Koſten angeſetzt, daß das
„ungluͤckliche Schlachtopfer, in Oſtindien, wohl
„ſechs oder ſieben Jahre, nicht fuͤr ſich, ſondern fuͤr
„den Seelhund fahren muß. O! koͤnnte doch die
„chriſtliche Obrigkeit dieſes Laudes, ſolche unmenſch-
„liche Begegnung allezeit wiſſen, ſie wuͤrde gewiß die
„Gerechtigkeit, die ſie ſonſt immer ausuͤbt, auch hier
„ausuͤben. Sie hat wirklich ſchon in den wenigen
„Faͤllen, die zu ihrer Kenntniß gekommen ſind, exem-
„plariſch geſtraft. Koͤnnte die edle Oſtindiſche Kom-
„pagnie doch nur erfahren, wie unerhoͤrt man oft
„ihren Namen mißbraucht, ſie wuͤrde zu ihrem
„Ruhme und zu ihrem Nutzen, Boͤſewichtern
„ein ſchaͤndliches Handwerk dadurch legen, daß ſie,
„auf dem oſtindiſchen Hauſe, diejenigen, die ſich
„ihrem Dienſte widmen wollen, oͤffentlich und
„freywillig annehmen, und ſelbſt, unter der Auf-
„ſicht
[45[44]]
„ſicht redlicher Leute, unterhalten und ausruͤſten
„lieſſe. Aber, bis einſt ein Menſchenfreund, die
„Stimme der Nothleidenden bis zu den Ohren
„derer bringt, die dem Elende bis in die geheimſten
„Winkel nachſpuͤren, und ihm abhelfen koͤnnen; —
„moͤchten doch dieſe ſchreyenden Ungerechtigkeiten,
„wenigſtens in Deutſchland bekannt ſeyn, moͤchte
„man ſie doch in den Seeſtaͤdten, auf allen Straffen,
„in allen Wirthshaͤuſern, bey allen Zuͤnften bekannt
„machen, moͤchte man auf den Kanzeln dafuͤr war-
„nen. Denn die Boͤſewichter ſchicken ihre Unter-
„haͤndler nicht nur bis an die Graͤnze, ſie ſchicken ſie
„bis Hamburg, Bremen und Stade. Sie ge-
„brauchen unzaͤhliche Raͤnke, um den unvorſichtigen
„Seemann, den einfaͤltigen Handwerker, den treu-
„herzigen Bauer in ihre Schlingen zu ziehen. Jch
„ſelbſt bin von ihnen, aus Bremen, durch die ſuͤßeſten
„Vorſpiegelungen, weggelockt und in dieſen elenden
„Zuſtand gebracht worden, ich habe aber zur Vorſicht
„das Vertrauen, daß er ſich nun bald endigen wird.‛
Hier ſchwieg der Kranke, aus Entkraͤftung, und
Sebaldus war wieder ſeinen traurigen Gedanken
uͤberlaſſen. Er blieb darinn den ganzen uͤbrigen Tag,
die Zeit ausgenommen, da eine ſparſame Mahlzeit
verzehrt wurde, die zugleich ſo elend war, daß kaum
der
[46[45]]
der haͤrteſte Hunger den Widerwillen dagegen be-
zwingen konnte. Abends mußte er ſich, unter den
uͤbrigen, auf das elende Strohlager legen.
Den andern Morgen ward er wieder vor den See-
lenverkaͤufer gebracht. Dieſer ſuchte ihn nunmehr
durch freundliches Zureden und durch ſtarkes Getraͤnk
zur Unterſchrift zu verleiten. Da Sebaldus ſich
aber ſtandhaft weigerte, und aus ſeiner ungerechten
Gefangenſchaft entlaßen zu werden verlangte, ſo
hieß es endlich, er moͤchte vierzehn Gulden fuͤr Woh-
nung und Koſt des geſtrigen Tages zahlen, ſo koͤnne
er frey weggehen. Sebaldus, froh, griff in die Ta-
ſche, aber ein angeſtellter Bube, hatte ihm in der
Nacht ſein Geld geſtohlen. Er ward nunmehr hart
angefahren, und ihm nur noch bis auf den Abend
Bedenkzeit gegeben, und da er alsdenn noch bey ſei-
ner Weigernng blieb, ward er auf den Soͤller ge-
fuͤhrt, daſelbſt an einen Pfoſten gebunden, und ſo
lange unbarmherzig gegeiſſelt, bis die Schmerzen
ihn noͤthigten, endlich die verlangte Einwilligung
zu geben.
Er ward wieder in den Keller zuruͤckgebracht, und
konnte die ganze Nacht kein Auge ſchlieſſen, theils
wegen Schmerzen, theils wegen der Seufzer ſeines
kranken Nachbars, welcher mit dem Tode rang und
gegen
[47[46]]
gegen Morgen ſtarb. Sebaldus fiel in die ſtum-
pfe Fuͤhlloſigkeit, die den tiefſten Jammer erdulden
hilft, und erwartete ſonder Bewegung, in welches
unbekannte Land man ihn ſchleppen wuͤrde, und wel-
chem unbekanntem Elende er noch entgegen ſehen ſollte.
Jndeſſen verſchafte der Tod des einen Ungluͤckli-
chen, den uͤbrigen unvermuthet einige Erleichterung.
Des Seelenverkaͤufers Geiz machte ihn etwas menſch-
licher. Er glaubte ein Kapital verlohren zu haben,
indem er den Verſtorbenen ſechs Wochen vergebens
genaͤhrt hatte. Bey einigen der uͤbergebliebenen aͤußer-
ten ſich Schwachheiten, die die Furcht erweckten, daß
ein anſteckendes Fieber unter ihnen einreißen moͤchte.
Er entſchloß ſich alſo, ſie ſaͤmmtlich, nachdem ſie mit
Wein und ſtarken Getraͤnken etwas erquickt worden,
friſche Luft ſchoͤpfen zu laſſen. Vorher wurde jeder,
der unterweges mir muchſen wuͤrde, mit der ſchaͤrf-
ſten Strafe bedrohet, und ſo ließ er ſie unter Be-
gleitung von ſechs ſeiner Knechte und Unterhaͤndler,
ausgehen.
Sie zogen ganz langſam fort. Mancher ehrlicher
Buͤrgersmann ſah ihnen mit Mitleiden nach. Hin
und wieder zuckte ein Vornehmerer uͤber ſie die
Achſel, und rief: ‚’s ſind ja nur Mofjes!‛ So zogen
Sie durch die ſchattigen Gaͤnge der Plantage endlich
Dritter Theil. Dzum
[48[47]]
zum Muider Thore heraus, um auf dem Dyk nach
Seeburg reine Luft zu genieſſen.
Sebaldus Geiſt, obgleich von tiefem Elende nie-
dergedruͤckt, erhob ſich, bey Erblickung der Ausſicht
die nirgend ihres gleichen hat: auf dem Y und auf
der Suͤderſee, tauſend Seegel, das ganze Gewuͤhl
des arbeitſamen Fleißes, auf der Landſeite, gruͤnen-
de Wieſen und Goͤrten, die ruhige Schoͤnheit der
Natur.
Die Geſellſchaft warf ſich ins Graß, und ruhte
eine Stunde lang, erquickt von dem kuͤhlen Wehen
der Luft, und dem friſchen Geruche des federweichen
Lagers. Sebaldus inſonderheit, an Geiſt und Koͤr-
per erfriſcht, brach in der Fuͤlle ſeines Herzens, end-
lich in ein lautes Lob des Allmaͤchtigen aus, der, fuͤr
ſeine geplagteſten Kreaturen, in den einfaͤltigſten Ge-
nuß ſeiner Schoͤpfung Troſt und Staͤrkung gelegt hat.
Der Schall ſeines Dankgebets, erweckte die Auf-
merkſamkeit zweener ehrwuͤrdigen Geiſtlichen, die in
der Gegend gleichfalls ſpazieren giengen. Sie hatten
vorher die ungluͤckliche Geſellſchafft nur mit der allge-
meinen Theilnehmung betrachtet, welche die Men-
ſchenliebe keinem Elenden verſagt. Jtzt traten ſie naͤ-
her, durch Sebaldus Stimme und Geberden geruͤhrt,
ob ſie gleich ſeine Worte nicht verſtehen konnten. Sie
betrach-
[49[48]]
betrachteten ihn aufmerkſam, beſonders ſchien der
aͤlteſte von beiden ſehr bewegt, hob endlich die Haͤnde
empor, that einen Ausruf, und wolte auf den Sebal-
dus zugehen. Der andere hielt ihn zuruͤck, und
man hoͤrte, daß er ſagte: ‚Laſt ’s ſeyn, Jhr wuͤr-
’det ’s ſonſt noch ſchlimmer machen.‛ Sie kehrten
ſich darauf um, und ſprachen einander ins Ohr.
Sebaldus, in frommer Entzuͤckung, hatte dieſen
Vorfall nicht einmahl bemerkt, aber ſeine Gefaͤhrten
fiengen an, die Koͤpfe zuſammen zu ſtecken. Dieß
war genug fuͤr die argwoͤhniſchen Waͤchter, den gan-
zen Trupp ſogleich aufſtehen zu laſſen, und ihn nach
Hauſe zu fuͤhren. Die beiden Geiſtlichen, nachdem
der Zug ſich in etwas entfernt hatte, folgten demſel-
ben von weiten, bis an des Seelenverkaͤufers Haus,
das ſie auf dieſe Art entdeckten.
Fuͤnfter Abſchnitt.
Der eine dieſer Geiſtlichen, der den Sebaldus
hatte anreden wollen, war niemand anders als
der rechtſchaffene Prediger aus Alkmaar, der der Erb-
ſchaft eines Waiſen wegen, eine Reiſe nach Amſter-
dam hatte thun muͤſſen, und bey dieſem zufaͤlligen Spa-
ziergange, den Mann, den er ſchon einmahl aus dem
D 2Elende
[50[49]]
Elende errettet hatte, wieder in einer andern Noth
erblickte. Er war jetzt zu ſeiner abermaligen Erret-
tung nicht minder thaͤtig als vorher. Es waͤhrte
nicht eine Stunde, ſo hatte er ſchon bey dem Hoofd-
Officier Anzeige gethan, und kam, in Begleitung
eines Gerichtsdieners, in des Seelenverkaͤufers Haus,
den Sebaldus zu fodern. Er haͤtte nur wenig Mi-
nuten ſpaͤter kommen duͤrfen, ſo waͤre ſeine men-
ſchenfreundliche Vorſorge vergeblich geweſen. Denn
da die Knechte, aller Vorſicht ungeachtet, wohl
merkten, daß ihnen die beiden Geiſtlichen nicht ohne
Urſach nachfolgten; ſo war der Seelenverkaͤufer, eben
im Begriffe, zu thun, was er ſonſt that, wenn er
eine Entdeckung befuͤrchtete, naͤmlich den Sebaldus in
das Haus eines ſeiner Mitgenoſſen zu ſchicken, um den-
ſelben den Nachforſchungen der Obrigkeit zu entziehen.
Man wollte ihn auch jetzt verlaͤugnen, aber der Ge-
richtsdiener, der dieſes Haus der Tyranney ſchon
kannte, wollte ſich durch keine Einwendungen ab-
weiſen laſſen. Der Seelenverkaͤufer hatte daher kaum
Zeit, in der groͤßten Verwirrung, in den Keller zu
laufen, dem Sebaldus ſeinen Reiſeſack wiederzuge-
ben und denſelben auf die kriechendeſte Weiſe faſt fuß-
faͤllig zu bitten, ihn nicht ungluͤcklich zu machen; als
ihm ſchon der Gerichtsdiener mit dem Geiſtlichen
folgte.
[51[50]]
folgte. Der rechtſchaffne Prediger umarmte den Se-
baldus, und da er aus andern Vorfaͤllen die Ge-
wohnheit eines ſolchen Hauſes wohl kannte, ſo zahl-
te er ſogleich dem Seelenverkaͤufer, ohne Einwen-
dung, eine betraͤchtliche Summe, die fuͤr das Elend
von ſechs oder ſieben Tagen gefordert ward. Aber
ſobald dieſes geſchehen, ſagte er ihm auch ins Ge-
ſicht, daß er alles anwenden wuͤrde, ſeine gewiſſen-
loſe Behandlung unſchuldiger Menſchen, zur Beſtra-
fung, ans Licht zu ziehen. Er ließ ſich weder durch des
Seelenverkaͤufers vielfaͤltige Entſchuldigungen, noch
ſelbſt durch Sebaldus Bitten, zuruͤckhalten. Er that
dem Hoofd-Officier noch eine ausfuͤhrlichere Anzei-
ge, worauf dieſer, ſeinem Amte gemaͤß, auf dem Stadt-
hauſe, vor den Schoͤppen den Seelenverkaͤufer an-
klagte. Sebaldus ward uͤber alle Umſtaͤnde der erlit-
tenen grauſamen Begegnung vernommen. Der
Seelenverkaͤufer ward in Verhaft gezogen, und
ihm mit vielem Eifer der Proceß gemacht. Er ward
ins Raſpelhaus geſetzt, obgleich der Prediger, vor
Endigung des Proceſſes, nach Alkmaar zuruͤckreiſen
mußte, und Sebaldus, der von aller Rachbegierde frey
war, deshalb weiter keinen Schritt gethan hat.
Jndeſſen fuͤhrte der Prediger den Sebaldus, ſo-
bald’er ihn aus den Haͤnden des Seelenverkaͤufers
D 3erloͤſet
[52[51]]
erloͤſet hatte, in das Haus ſeines Freundes, mit dem
er vorher ſpazieren gegangen war. Es war ein men-
noniſtiſcher Lehrer, ein Mann von Verſtande und
Redlichkeit, mit den Kollegianten wohl bekannt,
der den Sebaldus von der Verfaſſung dieſer friedſa-
men Geſellſchaft noch naͤher unterrichtete, und mir
ihm und dem lutheriſchen Prediger in derſelben got-
tesdienſtliche Verſammlung gieng; wo ſie alle, der
Verſchiedenheit ihres Lehrbegriffs und aller ſtrei-
tigen Fragen vergeſſend, in gemeinſamer Andacht
das Lob Gottes anſtimmten, und gemeinſam er-
kannte Wahrheit zu ihrer Erbauung anwendeten.
Eine Art des Gottesdienſtes, die Sebaldus Wuͤnſche
ganz befriedigte.
Nach der Verſammlung giengen ſie mit dem Se-
baldus, um das Empfehlungsſchreiben aus Rotter-
dam an den Kollegianten, abzugeben, weil er Un-
paͤßlichkeitshalber nicht zugegen geweſen war. Er
nahm den Sebaldus, als ein Vater und als ein
Freund in ſein Haus auf, ſo daß derſelbe, bey dieſer
liebreichen Begegnung, in kurzem ſeine vorigen Wi-
derwaͤrtigkeiten vergaß.
Der Kollegiant war ein wohlhabender Mann,
aber auch ein Mann von ausgebreiteter Gelehrſam-
keit, und von edlen Geſinnungen, der ſeine Muße
zum
[53[52]]
zum Beſten der Wahrheit und Tugend anwendete.
Er hatte ſchon verſchiedene ſchaͤtzbare Werke auf ſeine
Koſten drucken laſſen, beſonders hatte er eben ein
gelehrtes Tagebuch angefangen, das zur Abſicht hatte,
den Weg zu bahnen, daß gemeinnuͤtzige Religions-
begriffe von leeren Schulſpitzfindigkeiten geſondert
wuͤrden. Er ſchrieb es in lateiniſcher Sprache, weil
damals, in Holland, die Vorurtheile fuͤr eine herge-
brachte Orthodoxie noch ſo ſtark waren, daß ſich nie-
mand, ſo wie jetzt *), getrauete, Meinungen, die
nicht im Kompendium ſtehen, in der Landesſprache
vorzutragen. Denn die Gottesgelehrten in allen
Laͤndern laſſen meiſtens noch eher geſchehen, daß
man neue Meinungen und Zweiſel, in der gelehrten
Sprache, fuͤr ſie allein vortrage, damit ſie ihre Streit-
kunſt aufs ſtattlichſte daran uͤben koͤnnen, als
in der Mutterſprache, damit gemeinnuͤtzige Wahr-
heiten ſich in die Gemuͤther aller Einwohner eines
Landes verbreiten moͤgen.
Sebaldus, der die Arbeit liebte, erbot ſich in kur-
zem ſelbſt, ſeinem Wirthe in deſſen Beſchaͤftigun-
gen behuͤlflich zu ſeyn. Er that dadurch zugleich ſei-
D 4ner
[54[53]]
ner vorzuͤglichſten Neigung Genuͤge, Jdeen, die ihm
wichtig waren, zu entwickeln und auszubilden.
Der Kollegiant hingegen, mußte einen Mann,
deſſen Neigungen mit den ſeinigen ſo ſehr uͤberein-
ſtimmten, bald liebgewinnen. Sie arbeiteten uͤber
verſchiedene Materien im Anfange gemeinſchaftlich.
Jndeſſen blieb die Arbeit bald dem Sebaldus allein
uͤberlaſſen, da die Krankheit des Kollegianten ſchnell
zunahm. Der rechtſchaffene Mann ward immer
ſchwaͤcher, und ſtarb nach einigen Monaten. Vor-
her noch vermachte er im Teſtamente, dem Sebal-
dus, den Vorrath und das Verlagsrecht ſeiner
ſaͤmmtlichen Werke, beſonders des gelehrten Tage-
buchs, welches anfieng Aufſehen zu machen, und
allenthalben mit großer Aufmerkſamkeit geleſen
ward.
Sebaldus beweinte von Herzen den Tod ſeines
Freundes und Wohlthaͤters. Jndeſſen, ausgenom-
men, daß er den Umgang dieſes redlichen Mannes
entbehren mußte, war ſein Zuſtand ganz ſeinen Wuͤn-
ſchen gemaͤß. Er hatte durch den Verkauf der ihm
vermachten Werke, und durch die Fortſetzung
des Tagebuchs, ein zwar ſehr maͤßiges, aber fuͤr ihn
hinlaͤngliches Auskommen, konnte ſeine Lieblings-
neigung, die Spekulation, befriedigen, war uͤbri-
gens
[55[54]]
gens unabhaͤngig, konnte in Frieden, ſeiner Ueber-
zeugung gemaͤß, Gott dienen, und war noch nicht
Religionsmeinungen halber angefeindet worden.
So wuͤnſchenswerth indeſſen dieſe Lage war, ſo
ſchien es doch Sebaldus Schickſal zu ſeyn, daß
er, wenn er am meiſten Nutzen zu ſchaffen glaubte,
durch einen geringſcheinenden Zufall, ſelbſt Gelegen-
heit geben mußte, ſeinen Zuſtand zu verſchlimmern.
Er hatte, ſchon beym Leben ſeines Wohlthaͤters,
ſich in der hollaͤndiſchen Sprache feſtzuſetzen geſucht,
und es war ihm gelungen. Nachher trieb ihn die
Einſamkeit langer Winterabende, auf die Leſung
englaͤndiſcher Buͤcher, die er ſchon in ſeiner Jugend
geliebt hatte. Er fand unter andern ein Buch *),
deſſen Jnhalt ihm groͤßtentheils ſo wohl gefiel, daß
er auf den Gedanken kam, es zu uͤberſetzen, weil er
meinte, daß es auch in einer andern Sprache nuͤtz-
lich ſeyn koͤnnte.
Er beſchaͤftigte ſich einige Monate lang mit dieſer
Arbeit, und da er meiſt damit fertig war, gieng er
zu Mynheer van der Kuit, dem Buchhaͤndler, der
bisher den Verkauf der ſaͤmmtlichen Werke des ver-
ſtorbenen Kollegianten, und auch des gelehrten Ta-
D 5grbuchs
[56[55]]
gebuchs beſorgt hatte, um ihm dieſe Ueberſetzung zum
Verlage anzubieten.
Van der Kuit unterließ nicht, die gewoͤhnlichen
Schwierigkeiten zu machen: Daß er mit Verlag uͤber-
haͤuft, daß der Handel gefallen ſey, daß Druck und
Papier immer theurer werde, daß man vorher et-
was von dem Werke ſehen, daß man es allenfalls
gelehrten Leuten zur Pruͤfung uͤbergeben, und be-
ſonders, daß man, der Kunſtrichter wegen, erfor-
ſchen muͤſſe, ob nicht wider die Reinigkeit der hollaͤn-
diſchen Sprache gefehlet ſey.
Auf dieſe Erklaͤrung, zog Sebaldus einige Hef-
te ſeiner Ueberſetzung aus der Taſche. Jndem die-
ſes geſchahe, trat Domine de Hyſel, ein gelehrter
reformirter Prediger herein, welchen Sebaldus
kannte, weil er ihn oft im Buchladen geſehen hatte.
Sebaldus erbot ſich alſo, beiden etwas von ſeiner
Ueberſetzung vorzuleſen. Sie giengen ſaͤmmtlich
in die Schreibſtube des Buchhaͤndlers, und der
Ueberſetzer las, wie folget.
Sech-
[57[56]]
Sechſter Abſchnitt.
— —‚Daß viele Prediger, alle Neun und drei-
„ßig Artikel*) beſchwoͤren, ohne ſie
„alle zu glauben, liegt am Tage, und man muß es
„entſchuldigen. Wer ein Hausvater iſt, und ſich und
„ſeine Familie, um ungerechter Formalien willen,
„nicht in die birterſte Noth ſtuͤrzen will, der ſey von
„mir nicht verdammt. Verdamme ihn ein harther-
„ziger Rechtglaͤubiger, wenn ers vermag!‛
‚Aber wie ſtehts um die Wahrheit? Muß die noch
„immer weg den Neun und dreißig Artikeln nach-
„ſtehn? Jſts nicht die Pflicht der geſetzgebenden
„Macht, zu ſorgen, daß nicht, durch Formulare, die
„Ausbreitung der Wahrheit gehindert werde, und
„ſollten die Biſchoͤfe nicht ſelbſt die Hand dazu bie-
„ten? Wenn die Neun und dreißig Artikel die
„Kette ſind, welche die aͤußerſte Weite mißt, in der
„der Verſtand eines Geiſtlichen ſich bewegen darf, ſo
„iſts vergeblich, nach Wahrheit zu forſchen.‛
‚Selt-
[58[57]]
‚Seltſam gnug! daß man denjenigen, die die be-
„ſten Jahre ihrer Jugend angewendet haben, ſich zu
„einem geiſtlichen Amt geſchickt zu machen, vorſagen
„will, ſie haben unrecht, ſich uͤber die Strenge der
„Neun und dreißig Artikel zu beklagen, da ſie der-
„ſelben entgehen koͤnnten, wenn ſie kein geiſtliches
„Amt ſuchten, oder es niederlegten, wenn ſie es ſchon
„haͤtten. Dieß iſt alſo die Gnade, die man uns an-
„bietet? Die Uniformitaͤtsakte verurſachte, daß
„im Jahre 1662, am Bartholomaͤustage an 2000
„diſſentirende Prediger auf Einen Tag, ihr Amt nie-
„derlegten, daher zweytauſend Familien, ohne Brod,
„und zweytauſend Gemeinen, ohne Gottesdienſt wa-
„ren. Einen ſolchen Bartholomaͤustag wuͤnſcht
„ihr alſo wieder, die ihr ſo kalt daher plaudern koͤnnt,
„es beduͤrfe nur, daß jeder, der nicht nachbeten will,
„ſein Amt niederlege, damit gar kein Gewiſſens-
„zwang da ſey! Das nennt ihr Duldung der Diſſen-
„ters? das nennt ihr Toleranz und Sanftmuth?
‚Bey Gott! dieſe Sanftmuth der Vertheidiger
„der Neun und dreißig Artikel, gemahnt mich, wie
„die Schonung der Rabbinen, die dem Verurtheilten
„nur neun und dreißig Streiche geben. Warlich!
„ob er gleich den vierzigſten nicht bekommt, ſo ſchmerzt
„doch
[59[58]]
„doch deshalb keiner von den neun und dreißigen
„weniger.‛
‚Die Schriftgelehrten haben von je her ihre Lehr-
„gebaͤude ſo kuͤnſtlich angelegt, daß jeder das ſeine,
„trotz aller Widerlegung, beweiſen kann. Sie glei-
„chen Bergſchloͤſſern, die noch dazu mit hohen Waͤl-
„len und tiefen Graben umgeben ſind, ſo daß derje-
„nige, der darinn iſt, ſich ewig vertheldigen, und
„der, der draußen iſt, ſie nimmer mit Vortheile an-
„greifen kann. Aber wie? Wenn wir dieſe Veſtun-
„gen, die uns eigentlich nichts hindern, liegen lieſ-
„ſen, und mit der geſunden Vernunft geradezu ins
„Land draͤngen? Die Prieſter hatten bis ins ſechs-
„zehnte Jahrhundert ihr Syſtem in gar kuͤnſtliche
„dialektiſche Schlingen verwickelt. Luther ließ ſie,
„und gieng gerade auf die Bibel, die er allen, die le-
„ſen konnten, in der Landesſprache in die Haͤnde gab.
„Die fleißige Leſung dieſes Buchs erwaͤrmte das Herz,
„und erleuchtete den Verſtand, indem ſie das Nach-
„denken befoͤrderte. Wollen wir auf einem gleichen
„Wege nicht weiter fortgehen?‛
‚Man ſetzet immer die Vernunft der Offenba-
„rung entgegen. Dieß mag der noͤthig finden, der
„an
[60[59]]
„an eine unerklaͤrliche Theopnevſtie glaubt. Jch
„hoffe aber, es ſey niemand jetzt mehr ſo einfaͤltig, ſich
„einzubilden, Gott habe die heiligen Buͤcher, ganz
„unmittelbar, und uͤbernatuͤrlich, eingehaucht. Es
„ſind Buͤcher, welche zu ſchreiben, hat muͤſſen Ver-
„nunft angewendet werden, und zum Leſen und
„Verſtehen derſelben, gehoͤrt auch Vernunft.
‚Samuel Werenfels*), einer der gelehrteſten und
„rechtſchaffenſten Gottesgelehrten in der Schweiz,
„ſchrieb in ſeine Bibel:
„Hic liber eſt, in quo ſua quaerit dogmata quisque;
„Invenit \& pariter dogmata quisque ſua.
‚Daß dieß wahr ſey, lehret die Kirchengeſchichte aller
„Sekten. Der viel, und der wenig glaubet, der Recht-
„glaͤubige, wie der Schwaͤrmer, ſuchen und finden
„ihre Lehre in der Bibel. Was nun? Jch meine,
„was geſchehen iſt, ſey nicht ohne weiſe Abſichten der
„goͤttlichen Vorſehung geſchehen. Gott hat weder
„das
[61[60]]
„das Alte Teſtament noch das Neue Teſtament,
„ſelbſt, unmittelbar, anfgezeichnet. Er hat gute Leute
„auserſehen, welche Buͤcher geſchrieben haben, die durch
„verſchiedene Vorfaͤlle, (in denen, wie in allen Din-
„gen, auch die goͤttliche Vorſehung mit gewirkt hat)
„bey einem großen Theile des menſchlichen Geſchlechts
„in ſolches Anſehen gekommen ſind, daß er aus den-
„ſelben ſeine Pflichten hat kennen lernen wollen.
„Dieſe Buͤcher aber ſind ſo eingerichtet, daß dieß
„nicht ohne Betrachtungen und Schluͤſſe, folglich
„nicht ohne Nachdenken geſchehen kann. Alſo ſind
„dieſe Buͤcher hauptſaͤchlich in ſo fern, eine Quelle
„der Wahrheit, als ſie das Nachdenken uͤber
„Wahrheit beſoͤrdern. Und wenn denn nun auch
„die Schluͤſſe und Folgerungen aus denſelben verſchie-
„den ſind! Wenn ſie nur alle zuletzt in gemein-
„ſame Wahrheit zuſammenſließen, wollen wir
„uns beruhigen. Der heil. Hieronymus*), hat
„ſchon geſagt: „das Wort Gottes iſt eine Perle.
„Ja wohl, eine Perle! denn gleichwie die Kuͤnſtler
„die
[62[61]]
„die Perlen, wo es ihnen gutduͤnkt, durchbohren, ſo
„haben alle Sekten Gottes Wort, nach ihrem Sin-
„ne ausgelegt,‟ und es, wie Perlen, auf den Faden
‚ihres Lehrſyſtems gereihet.‛
‚Die heiligen Buͤcher ſollen mir beſtaͤndig Quel-
„len des Nachdenkens uͤber Wahrheit bleiben.
„Wer aber andere Quellen des Nachdenkens uͤber
„Wahrheit zu finden glaubt, beſonders, wenn er mit
„mir auf gleiche gemeinſame Wahrheit zuruͤckkommt,
„den verdamme wer will, ich nicht. Berdamme wer
„will, faſt ganz Aſten und Afrika, und den groͤßten
„Theil von Amerika. Sie kennen dieſe Buͤcher nicht
„und doch hat ſie der allgemeine Vater, gewiß nicht
„ohne Wahrheit, und ohne Gluͤckſeligkeit, ihre Fol-
„ge, laſſen wollen.‛
‚Wenn ich in den heil. Buͤchern, eine Stelle finde,
„in welcher von einem Gotte die Rede iſt; und leſe,
„erſt nach Jahrhunderten ſey gefunden worden, daß
„ein durch ein zu duͤnnes Pergament durchgeſchlage-
„ner Queerſtrich *), den Gott veranlaßet hat. Wenn
„ich
[63[62]]
„ich leſe, daß nach Jahrhunderten entdeckt worden,
„es habe ſich ein nicht*) in den Text geſchlichen, ſo
„daß anſtatt der nicht ſuͤndigenden, die ſuͤndigen-
„den verſtanden werden muͤſſen, — Bin ich verdam-
„menswerth, weil ich glaube, die bloßen Buchſta-
„ben dieſer Offenbarung, die ſo vielen Veraͤnderun-
„gen unterworfen ſeyn koͤnnen, uͤber deren wahre
„Lesarten man noch nicht einig iſt, koͤnnen nicht
„bloß und allein den Grund der Wahrheit und mei-
„ner kuͤnftigen Gluͤckſeligkeit enthalten.‛
‚Wenn ich in der Kirchengeſchichte leſe, man habe
„Jahrhunderte lang geſtritten, welche Buͤcher
„kanoniſch ſeyn ſollten und welche nicht. Wenn ich
„finde, daß der Kanon auf Koncilien beſtimmt wor-
„den, und aus der Kirchengeſchichte weiß, wie die
„meiſten Koncilien beſchaffen geweſen. Wenn ich
Dritter Theil. E„finde,
*)
[64[63]]
„finde, daß das Buch des weiſen Sirach unter den
„apokryphiſchen, und ein anderes Buch, voll
„myſtiſcher Bilder unter den kanoniſchen ſte-
„het, — kann ich mich enthalten zu zweifeln, zu un-
„terſuchen? Und was kann ich dazu brauchen, als
meine Vernunft, die auch eine Gabe Gottes iſt.
‚Wenn ich in einem dieſer Buͤcher leſe: *) „Wer
„uͤbertritt und bleibet nicht in der Lehre Chriſti,
„der hat keinen Gott. So jemand zu euch kommt,
„und bringet dieſe Lehre nicht, den nehmet nicht
„zu Hauſe, und gruͤßet ihn nicht, denn, wer ihn
„gruͤßet, der macht ſich theilhaftig ſeiner boͤſen
„Werke.‟ ‚Wenn ich in einem andern leſe: **),
„Der HErr brachte um, die da nicht glaube-
„ten.„ — — ‚Bin ich verfluchenswerth, weil ich
„nicht mit blindem Koͤhlerglauben alles annehme, wie
„es buchſtaͤblich da ſtehet, ſondern vermeine, daß in die-
„ſen Buͤchern, vieles, nicht fuͤr die allgemeine Menſch-
„heit, nicht fuͤr mich, geſchrieben ſey, aber dennoch
„redlich, alle das Gute und Nuͤtzliche, das ich in die-
„ſen Buͤchern finde, zu der Maſſe der Erkenntniß
„ſchlage, die ich aus Natur und Erfahrung geſchoͤpft
„habe.‛
„Wenn
[65[64]]
‚Wenn ich zuruͤckdenke, was man ein Paar Jahr-
„tauſende lang mit der Bibel vorgenommen hat, um
„alles, was man wollte, darinn zu finden, ſo muß ich
„erſtaunen. Man hat ſie, dogmatiſch, exegetiſch,
„typiſch, myſtiſch, prophetiſch erklaͤrt. Man hat ſie
„uͤberſetzt und kommentirt, paralleliſirt und analyſirt,
„abgekuͤrzt und wieder paraphraſirt!
‚Jſt zwiſchen blindem Glauben an die Offenbarung
„und ſchaͤdlichem Unglauben gar kein Mittelweg? Jſt
„jeder Freydenker verwuͤnſchenswuͤrdig? O Water-
„land! Waterland!**) Wenn du gleich den Bieder-
„mann Herbert, und den Sittenlehrer Shaftes-
„bury, mit Rocheſter, Etherege und Villers, in
E 2„Eine
[66[65]]
„Eine Klaſſe wirfſt; glaub mir, es kommt eine Zeit,
„wo weiſe Gottesgelehrten, einem Tindal den Be-
„weis, daß das Chriſtenthum ſo alt als die
„Welt iſt, verdanken werden.‛
‚Das folgende Kapitel, ſoll D. Pococke in einem
„zu Cairo befindlichen Codex, anſtatt des 22ten Ka-
„pitels des 1. Buchs Moſe gefunden haben. Ka-
„noniſch oder nicht, ich gebe das erſte bis neunte
„Kapitel des erſten Buchs der Chroniken dafuͤr.‛
- ‚1. Nach dieſen Geſchichten begab ſichs, daß
„Abraham ſaß in der Thuͤr ſeines Hauſes,
„da der Tag am heißeſten war.‛ - ‚2. Und ſiehe, ein Mann kam von der Wuͤſten
„her. Er war gebuͤckt fuͤr Alter, und ſein ſchnee-
„weiſſer Bart hieng ihm bis auf ſeinen Guͤrtel,
„und er lehnete ſich auf einen Stab. - ‚3. Und da ihn Abraham ſahe, ſtand er auf, und
„lief ihm entgegen von der Thuͤr ſeiner Huͤtten
„und ſprach: - ‚4. Komm herein ich bitte dich. Man ſoll dir Waſ-
„ſer bringen, deine Fuͤße zu waſchen, und du
„ſollſt eſſen und die Nacht bleiben, morgen aber
„magſt du deinen Weg ziehen.
5. Und
[67[66]]
- ‚5. Und der Mann ſagte: Nein, ich will unter
„dieſem Baume bleiben.‛ - „6. Aber Abraham bat ihn ſehr; da wandte er
‚ſich und gieng in die Hutte.‛ - ‚7. Und Abraham trug auf, Butter und Milch
„und Kuchen, und ſie aßen und wurden ſatt.‛ - ‚8. Da aber Abraham ſahe, daß der Mann nicht
„Gott ſegnete, ſprach er zu ihm: Warum ehreſt
„du nicht den allmaͤchtigen Gott, den Schoͤpfer
„des Himmels und der Erden?‛ - ‚9. Und der Mann ſprach: Jch ehre nicht deinen
„Gott, auch rufe ich ſeinen Namen nicht an;
„denn ich habe mir ſelbſt Goͤtter gemacht, die in
„meinem Hauſe wohnen, und hoͤren mich, wenn
„ich ſie anrufe.‛ - ‚10. Und Abrahams Zorn entbrannte gegen den
„Mann, und er ſtand auf, und fiel auf ihn,
„und trieb ihn fort in die Wuͤſten.‛ - ‚11. Und Gott rief Abraham, und er antwor-
„tete: Hie bin ich‛ - ‚12. Und er ſprach: Wo iſt der Fremdling, der
„bey dir war.‛ - ‚13. Und Abraham antwortete und ſprach: Herr,
„er wollte dich nicht ehren und deinen Namen
E 3„an-
[68[67]]
„anrufen, darum habe ich ihn von meinem An-
„geſichte getrieben, in die Wuͤſten.‛ - ‚14. Und der Herr ſprach zu Abraham: Habe ich
„ihn nicht ertragen, dieſe hundert und acht und
„neunzig Jahre, und habe ihm Nahrung und Klei-
„der gegeben, ob er ſich gleich gegen mich auflehnet,
„und du konnteſt ihn nicht Eine Nacht ertragen?‛ - ‚15. Und Abraham ſprach: Laß den Zorn des Herrn
„nicht entbrennen gegen ſeinen Knecht. Siehe ich
„habe geſuͤndigt, vergieb mir, ich bitte dich.‛ - ‚16. Und Abraham ſtand auf, und gieng fort in
„die Wuͤſten, und rief, und ſuchte den Mann, und
„fand ihn, und kehrte mit ihm zuruͤck in ſeine
„Huͤtte, und that ihm guͤtlich, und den andern
„Morgen fruͤh ließ er ihn ziehen in Frieden.‛
‚D. Thornton in ſeiner Vertheidigung der Neun
„und dreißig Artikel, ſagt: Zu behaupten, es ſey
„nicht noͤthig, daß die Meinungen der Prediger mit
„den ſymboliſchen Buͤchern uͤbereinſtimmen muͤßten;
„wuͤrde eben ſo ungereimt ſeyn, als zu behaupten, es
„ſey beſſer, die Decken auf den viereckigten Tiſchen,
„welche mitten in unſern Zimmern ſtehen, laͤgen ſchief
„und zipflicht, als gerade und rechtwinklicht. Wahr
„iſts, zu den Zeiten der Koͤniginn Eliſabeth, war
„unſer
[69[68]]
„unſer Religionsſyſtem, wie unſere Philoſophie, einem
„unanſehnlichen viereckigten Tiſche aͤhnlich, den wir
„dennoch mitten im Zimmer ſtehen ließen. Er hatte alſo
„die Decke ſehr noͤthig, und ſie paßte auch ganz wohl
„darauf. Aber ſeit einiger Zeit meine ich bemerkt zu
„haben, daß, beſonders bey Leuten nach der Welt,
„gar keine Tiſche in der Mitte des Zimmers ſtehen.
„Jch ſehe zwar an den Waͤnden zierlich ausgeſchweifte
„Marmorplatten, die auf vergoldeten Fuͤßen ruhen.
„Die beduͤrfen aber keiner Decke, und wollte man
„die alte Decke darauf legen, ſo wuͤrde ſie eben des-
„halb zipflicht haͤngen, weil ſie viereckigt iſt. Hat
„aber noch jemand einen Tiſch nach der alten Art in
„ſeinem Zimmer, der lege meinetwegen auch die alte
„Decke darauf. —
‚Der du einen neuen geraden Weg bahnen willſt!
„Du wirſt auf Huͤgel ſtoßen! Laß dich keine Muͤhe
„reuen, ſie abzutragen, um den ſchoͤnen Weg nach
„der Schnur zu fuͤhren! Aber, wenn dein neuer Weg
„auf ein Haus ſtoͤßet, reiß es nicht weg, ſo lang Men-
„ſchen drinn wohnen, achte es nicht, daß der Weg lie-
„ber etwas gekruͤmmt daneben weg gehe! Es kommt
„in der Zukunft wohl noch eine Zeit, daß das Haus,
„Baufaͤlligkeitshalber, oder aus andern Urſachen, neu
E 4„muß
[70[69]]
„muß gebauet werden, alsdenn wird ein kluger Mann
„nicht verſaͤumen, es auf eine andere Stelle zu ſetzen
„und den Weg ganz gerade zu machen. Sey mit dem
„zufrieden, was du haſt thun koͤnnen, und uͤberlaß
„das uͤbrige der Nachkommenſchaft.‛
Siebenter Abſchnitt.
Hier hielt Sebaldus mit Leſen inne, und fragte
ſeine beiden Zuhoͤrer, was ihnen dazu duͤnkte.
Van der Kuit antwortete: ‚Hm! ſolch Buch
„ſollte ſich wohl verkaufen,‛ und ſah dabey mit ſon-
derbar ſchlauer Mine, den Domine an.
Domine de Hyſel, verſetzte mit niedergeſchlagenen
Augen: ‚das mag mein Herr van der Kuit am be-
„ſten verſtehen.‛
Van der Kuit that noch einige Fragen, um den
Domine auszuholen. Dieſer aber wich aus, kam
auf eine andere Rede, fragte, ob von Sebaldus
Journale nicht ein neues Stuͤck heraus gekommen
ſey, ſah nach ſeiner Uhr, ſagte, daß er eilen muͤßte,
empfol ſich, und gieng fort.
Sebaldus ließ ſeine fertigen Hefte in den Haͤn-
den des Buchhaͤndlers, bat ihn die Sache zu uͤberle-
gen
[71[70]]
gen, und gieng, weil eben einer der erſten Fruͤh-
lingstage war, ſehr zufrieden, ſeinen Lieblingsſpa-
ziergang auf den Dyk nach Seeburg, um ſich an
der Ausſicht auf das Y zu laben.
Der Buchhaͤndler gieng, nachdem er ſowohl den
Domine, als den Sebaldus, bis vor die Thuͤr ſei-
nes Ladens begleitet hatte, bedaͤchtig in ſeine Schreib-
ſtube zuruͤck, um zu uͤberlegen, ob nicht eine Speku-
latie zu machen waͤre.
Mynheer van der Kuit, war ein Buchhaͤndler,
der das Handwerk verſtand, und trieb es auch als
ein Handwerk. Ein Buch ſahe er als ein Ding an,
das verkauft werden koͤnnte. Weiter kuͤmmerte ihn
nichts dabey. Aber hierzu wuſte er auch alle Vor-
theile zu ſuchen, und noch beſſer ſich dabey vor allem
Nachtheile zu huͤten. Dabey bemuͤhte er ſich nicht
etwan um kleine gemeine Vortheile, z. B. fuͤr ein
neues Buch einen pfiffigen Titel zu erſinnen, uͤber
ein verlegenes Buch, nebſt einer neuen Jahrzahl,
einen neumodiſchen Titel zu ſchlagen, ſich des Ver-
lagsrechts eines zu uͤberſetzenden Buches dadurch zu
verſichern, daß man es ankuͤndigt, ehe es noch im
Originale erſchienen iſt, u. d. gl. mehr. Nein! Myn-
heer van der Kuit ſpekulirte ins Große. Er war
von weitem her, achtſam auf alles, was ihm einmahl
E 5dienen
[72[71]]
dienen koͤnnte, und that als ob die Leute, die er zu
nichts zu nutzen wußte, ja ſelbſt, als ob die Buͤcher
die er nicht hatte, nicht in der Welt waͤren. Sein
Hauptgrundſatz war, was er ſelbſt brauchen koͤnnte,
muͤſſe ein anderer nicht haben. Hiezu wußte er, oft
durch die vierte Hand, Maſchinen in Bewegung zu
ſetzen, und konnte nachher ganz unbefangen dabey
ausſehen, als ob ihm die Sachen ſo ganz natuͤrli-
cherweiſe in die Haͤnde gelaufen waͤren. Es iſt wahr,
er handelte dabey nicht allemahl ganz genau nach den
gewoͤhnlichen Grundſaͤtzen der Ehrlichkeit und der
Menſchenliebe. Er hatte aber ſeine Partie dergeſtalt
genommen, daß er, wo es hingehoͤrte, von Ehr-
lichkeit und Menſchenliebe ganz fein zu reden wuſte,
und da man ihm weder die Ehrlichkeit abſprechen
konnte, daß er ſeine Schulden richtig bezahlte, und
auch eben ſo puͤnktlich eintrieb, noch die Menſchen-
liebe, daß er keinen Beduͤrftigen ohne Allmoſenweg-
gehen ließ, wenn jemand zugegen war, und keinen
Schuldner verklagte, von dem er vorher ſahe, daß
er nicht wuͤrde bezahlen koͤnnen; ſo war keinesweges
zu beweiſen, daß er, mit ſeiner Schlangenklugheit,
nicht auch die Falſchloſigkeit einer Taube verbinde.
Dieſer Mann hatte es lange mit einer Art von
Widerwillen angeſehen, daß er bey dem Drucke, der
ſo
[73[72]]
ſo gut verkaͤuflichen Werke des Kollegianten, nichts
als nur der Namenleiher ſeyn ſollte. Beſonders
war ihm dieſes bey dem gelehrten Tagebuch aufge-
fallen, von welchem er monatlich eine große Anzahl
Exemplarien, zu ſeinem Mißvergnuͤgen abſetzte, weil
ihm bey jedem Exemplare einfiel, daß dieß Werk ei-
gentlich ſein Eigenthum ſeyn ſollte, und nicht des
Kollegianten, der nur die Kleinigkeit dabey that,
daß er es ſchrieb. Jndeſſen, da der Kollegiant ein
reicher und angeſehener Mann war, der auch eine
zahlreiche Bibliothek unterhielt, ſo mußte van der
Kuit ſchon ſein Mißvergnuͤgen in ſich ſchlucken.
Da aber Sebaldus, ein armer unbekannter Fremder,
das Eigenthum dieſes Werks erhielt, ſahe der er-
fahrne Buchhaͤndler keinen Grund, warum er mit
demſelben auch ferner ſo viel Nachſicht haben ſoll-
te. Er ſetzte alſo bey ſich feſt, daß er dieſes Werk
einſt ganz an ſich ziehen muͤſſe. Er hatte dem Se-
baldus, zu dieſem Behufe, einige wohlausgeſon-
nene Vorſchlaͤge gethan, welche dieſer, der in Ge-
ſchaͤften ziemlich kurzſichtig war, ſich ſehr leicht wuͤr-
de haben gefallen laßen, wenn nicht van der Kuit,
welcher zu viel Abſichten auf einmahl erreichen woll-
te, ihm zugleich ein paar Mitarbeiter haͤtte aufdrin-
gen wollen, die zwar nach van der Kuits, nicht
aber
[74[73]]
aber nach Sebaldus Abſichten arbeiteten. Er
bekam alſo eine ausdruͤckliche abſchlaͤgige Antwort.
Dieſe Widerſpenſtigkeit eines Antors brachte ihn
nicht wenig auf, und beſtaͤrkte ihn in ſeinem loͤbli-
chen Vorſatze, das Journal zu beſitzen und zugleich
nach eigenem Gefallen zu regieren.
Dieſer Vorſatz, wobey er, nachdem er einmahl
einen Schritt deshalb gethan hatte, ſeine Ehre in-
tereſſirt glaubte, lag ihm beſtaͤndig im Kopfe. Da
er nun jetzt uͤber das Schickſal von Sebaldus Ueber-
ſetzung ſpekulirte, und einestheils wohl erwog, daß
ſie moͤchte verkaͤuflich ſeyn, anderntheils aber auch
Verdrießlichkeiten mit der Geiſtlichkeit befuͤrchtete,
durch deren Kundſchaft er ſo manche ſchoͤne uitleg-
kundige Vermaaklykheeden, Verklaaringen und Leer-
Reeden verkaufte, ſo konnte er mit ſich noch gar nicht
einig werden, wie der Gewinn davon, mit rechter Vor-
ſicht, und doch unbeſchnitten koͤnnte erlangt werden.
Mit einemmahle fieng ſeine Spekulation an, ei-
nen andern Weg zu nehmen. Er hieng das Ange-
ſicht, kruͤmmte die Unterlippe, legte den Zeigefin-
ger der linken Hand an die Naſe, und endlich ſchien
es ihm ganz natuͤrlich vor Augen zu ſtehen, daß durch
dieſe Ueberſetzung, auch wenn ſie nicht gedruckt
wuͤrde, das gelehrte Tagebuch ſein Eigenthum wer-
den
[75[74]]
den muͤßte. Dieſe wichtige Entdeckung machte ihn
unruhig, er gieng aus ſeiner Schreibſtube in den La-
den, aus dem Laden in die Schreibſtube, ſchnalzte
mit den Fingern, ruͤckte die Perucke, zog die Bein-
kleider auf, rieb ſich die Haͤnde, eilte mit Sebaldus
Ueberſetzung nach Hauſe, die er, ohne aus Abend-
eſſen zu denken, ganz durchlas, die noͤthigen Stel-
len mit einem Kniffe bezeichnete, ſein Projekt noch-
mals durchdachte, und ſich darauf voller Zufrieden-
heit zu Bette legte.
Den folgenden Tag, bey fruͤher Tageszeit, ver-
fuͤgte er ſich zu Domine de Hyſel, dem er die ganze
Ueberſetzung vorlegte, und ihm die Beſchaffenheit
des Buchs erklaͤrte. Er las ihm zugleich alle die an-
gezeichneten Stellen vor, in deren jeder er eine derbe
Ketzerey zu finden vermeinte. Er verſicherte, ‚er
„wiſſe daß Sebaldus gefaͤhrliche Abſichten gegen die
„Landesreligion im Schilde fuͤhre, und daß er ein
„Socinlaner ſey. Er ſuchte zugleich den Domine
„zu bewegen, dieſes gefaͤhrliche Buch der Obrigkeit
„anzuzeigen. Oder wenn man, aus Menſchenliebe,
„dieß noch unterlaßen wolle, ſo gab er zu verſtehen,
„der Domine werde doch in ſeiner Gegenwart, dem
„Sebaldus, wegen ſeiner gottloſen Meinungen, die,
„wie er vernommen, auch ſchon hin und wieder in
„dem
[76[75]]
„dem Journale zu Tage laͤgen, ſtark das Gewiſſen
„ſchaͤrfen, und wenn dieſes, wie zu befuͤrchten waͤre,
„nicht helfen ſollte, allenfalls bey der Obrigkeit zeu-
„gen, daß er einen Theil dieſes hoͤſen Buchs vorleſen
„hoͤren, und daß es habe zum Drucke befoͤrdert wer-
„den ſollen.‛
Mynheer van der Kuit, hoffte von dieſer Rede,
die er wohl ausſtudirt hatte, den erwuͤnſchteſten Er-
folg. Wider Vermuthen aber, antwortete Domine
de Hyſel auf verſchiedene Fragen gar nichts, und
erkaͤrte endlich, mit zerſtreuter Mine: ‚daß er geſtern
„wirklich nicht recht acht gegeben, als der Heft vor-
„geleſen worden. Jm Grunde ſey manches doch auch
„nicht ſo ſchlimm, und koͤnne beſſer ausgelegt wer-
„den — — ob ers gleich auch nicht vertheidigen wol-
„le — — Da das Buch noch nicht gedruckt ſey, waͤre
„es ohnedieß zu hart, die Beſtrafung von der Obrig
„zu verlangen. Er duͤrfe dem Herrn Nothanker ja
„nur den Verlag abſchlagen, — — welches er ihm
„zwar auch nicht eigentlich rathen wollte — — Kurz,
„er baͤte ihn, zu glauben, daß er geſtern gar nicht
„acht gegeben habe, und niemand ihre heutige Unter-
„redung zu entdecken — — er koͤnne ſich nicht
„wohl in die Sache miſchen.‛ Und bey allen dieſem
ließ er deutliche Zeichen der Verlegenheit merken.
Van
[77[76]]
Van der Kurt konnte gar nicht begreifen, wie
die Entdeckung eines Ketzers, auf einen rechtſinni-
gen Geiſtlichen ſo wenig Eindruck machen koͤnnte,
denn er hatte gewiß geglaubt, ihn ganz bey ſeiner
Schwaͤche zu faſſen. Da er nun merkte, daß er den
Beyſtand, den er gewiß von dem Domine zu erhal-
ten hoffte, verfehlt hatte, und es nicht dienlich fand,
demſelben die wahre Urſach ſeines Antrags naͤher zu
erklaͤren, ſo gieng er, nachdem er ſich dienſtlich em-
pfohlen, ziemlich betroffen, zur Thuͤr hinaus.
Wollte der geneigte Leſer etwan aus dieſem Vor-
falle ſchließen, daß Domine de Hyſel heimlich hete-
rodoxe Geſinnungen gehet, ſo wuͤrde er ſich irren;
denn der Domine, wollte an keinem einzigen Schluſſe
des Dordrechtſchen Synods etwas geaͤndert wiſſen.
Wollte man etwan vermeinen, der Domine habe
die Meinungen des Buchs fuͤr unſchaͤdlich gehalten,
und geglaubt, man koͤnne ſie dulden; ſo wuͤrde man
noch das rechte Ziel nicht treffen, denn er war gar
nicht geneigt ſie zu billigen.
Kurzum, alles zu erklaͤren, darf man nur wiſſen, daß
Domine de Hyſel, nachdem er den Zweck ſeiner theo-
logiſchen Univerſitaͤtsſtudien, ein geiſtliches Amt,
erreicht hatte, ſich nunmehr, ſeine nothwendigſten
Amtsgeſchaͤfte ausgenommen, um geiſtliche Angele-
genheiten
[78[77]]
genheiten ganz und gar nicht bekuͤmmerte, und daher,
gegen Orthodoxie und Heterodoxie, gegen Duldung
und Verfolgung, eigentlich ganz voͤllig gleichguͤltig war.
Er wuͤrde durch Aufmerkſamkeit auf dieſe Dinge, auch
nur an ſeiner Lieblingsbeſchaͤftigung, an dem ſuͤſſen
Umgange mit den lieblichen Muſen Latiens, gehin-
dert worden ſeyn. Er wendete alle ſeine Zeit auf
das Studium der lateiniſchen Sprache, die er mit
der geſuchteſten Reinigkeit ſchrieb. Beſonders mach-
te er die zierlichſten lateiniſchen Gedichte, und er
hatte kuͤrzlich einen Band davon drucken laſſen, wo-
von er nur vor acht Tagen, ein ſchoͤn gebundenes
Exemplar, mit einer hineingeſchriebenen, Carmine
elegiaco abgefaßten Epiſtel, ad Seb. A’Α̕ποϱιαγϰυϱοβο-
λιον V. CI. dem ehrlichen Sebaldus zur Recenſion ge-
ſendet hatte. Nun befuͤrchtete er, daß wenn er ſich
in dieſe Sache, von der er ohnedieß keinen Zweck ab-
ſahe, mengen wollte, koͤnnten ſeine Gedichte, fuͤr
die er eine große Zaͤrtlichkeit hegte, einem widrigen
Urtheile ausgeſetzt ſeyn; daher hielte ers fuͤrs ſicher-
ſte, in dieſer Sache nicht mit zu erſcheinen.
Uebrigens ſagte er darinn keine Unwahrheit, daß er
vorigen Tag auf Sebaldus Vorleſung nicht Acht ge-
geben habe, denn da er kein Liebhaber von Proſe, am
allerwenigſten von hollaͤndiſcher war, ſo hatte er un-
term
[79[78]]
term Leſen, eine ſapphiſche Ode, auf den Dordrecht-
ſchen Synod, zu Ende bringen wollen, wozu ihm
noch ein paar Ausgaͤnge von Strophen fehlten. Er
hatte alſo von dem Jnhalte der Handſchrift wirk-
lich nichts vernommen, und wußte es dem Buch-
haͤndler ſchlechten Dank, daß er ihn damit bekannt
gemacht hatte, ja er wuͤrde ſich vor demſelben haben
verlaͤugnen laßen, wenn er deſſen Anbringen haͤtte
vermuthen koͤnnen.
Van der Kuit gieng indeſſen voll Kopfſchuͤttelns
uͤber ſeine fehlgeſchlagene Erwartung nach Hauſe,
als ihm ploͤtzlich einfiel, daß noch nichts verlohren
waͤre, wenn Sebaldus nur glauben wollte, daß
Domine de Hyſel wirklich geſagt haͤtte, was er, van
der Kuit, wuͤnſchte, daß er geſagt haben moͤchte. Er
kehrte alſo wieder um, und gieng zum Sebaldus,
den er nach dem geſtrigen Spaziergang, und einem
ruhigen Schlaf, wohlbehaglich bey Durchleſung eines
neuen Buchs antraf, worinn er ſo viel gute Gedan-
ken, ſo viel menſchenfreundliche Geſinnungen fand,
daß dadurch ſein Herz, zu allen angenehmen Ein-
druͤcken geoͤffnet war.
Der Buchhaͤndler erzaͤhlte ihm gleich, mit angenom-
mener aͤngſtlicher Mine, daß Domine de Hyſel erſt die
Handſchrift, und nachher ihn ſelbſt habe zu ſich holen
Dritter Theil. Flaßen,
[80[79]]
laßen, daß er ihm darinn viel gottloſe Meinungen ge-
wieſen, und ſich hoch vermeſſen habe, den Ueberſetzer bey
der Obrigkeit anzugeben, um ihn zur Strafe zu ziehen.
Eine ſchreckliche Nachricht macht deſto ſtaͤrkern
Eindruck, je mehr das Gemuͤth vorher dem Vergnuͤgen
geoͤfnet geweſen. Sebaldus war daher ganz be-
taͤubt, und da van der Kuit fortfuhr, graͤßliche
Maͤhrchen zu luͤgen, von der Strenge, mit der man
in dieſem Lande gegen die Ketzer verfahre, daß man
ſie in Zuchthaͤuſer bringe, zur Veſtungsarbeit an-
ſchmiede, in entfernte Kolonien verbanne u. d. gl.
ſo ward der gute Mann, der in Welthaͤndeln ganz
unerfahren war, und ſich nie um die Verfaſſung ir-
gend eines Landes bekuͤmmert hatte, ganz auſſer Faſ-
ſung gebracht, es ſtellten ſich ihm zugleich, Dwang-
huyſen, Puiſtma, der Seelenverkaͤufer, Stau-
zius, Wulkenkragenius, der Praͤſident, und alle
widrigen Begebenheiten ſeines Lebens ſo ſchreckenvoll
vor, ſo daß er den treuloſen van der Kuit bey der
Hand ergriff, und aͤngſtlich ausrief:
‚Ach mein Gott was iſt das! Koͤnnte ich doch nur
„aus dieſem grauſamen Lande entfliehen, ich wollte
„gehen, ſo weit mich meine Fuͤße tragen koͤnnten.‛
Van der Kuit war eigentlich nur Willens gewe-
ſen, den Sebaldus, deſſen geringe Weltkenntniß er
uͤberſah
[81[80]]
uͤberſah, durch einen eingebildeten Rechtshandel in
ſolche Verlegenheit zu bringen, daß derſelbe ſich ganz
in ſeine Arme werfen muͤßte, wodurch er denn ſei-
nen Zweck wegen des Tagebuchs und der unterzu-
ſchiebenden Mitarbeiter, deſto leichter zu erlangen
dachte. Da ihm aber Sebaldus, aus uͤbertriebe-
ner Aengſtlichkeit, noch ein ſichereres Mittel an die
Hand gab, ſo faßte er, als ein weltkluger Mann,
gleich deſſen Gedanken auf, und ſagte mit treuher-
zig ſcheinender Mine:
‚Er glaube, in der That, es ſey fuͤr ihn kein Heil,
„als in einer ſchnellen Flucht zu finden.‛
‚Freylich!, rief Sebaldus, herzlich beklemmt,
„ich muß weg! Aber wohin? Wie ſoll ich ſo ſchnell
„und auch unerkannt aus dem Lande kommen. Jch
„weiß weder Weg noch Steg, habe auch kein Geld!
„Nach Oſtindien zu gehen, habe ich allen Muth ver-
„loren. Nach Deutſchland? Wie ſoll ich dahin zu-
„ruͤckkommen? Großer Gott! was wird aus mir
„werden!‛
Dieſen Zeitpunkt nahm van der Kuit wahr, ihn
mit vielen ſchoͤnen Worten zu verſichern, daß ein je-
der ehrlicher Mann, dem andern beyſtehen muͤſſe.
Er ſetzte hinzu, er wolle, mit eben der Ehrlichkeit
und Freundſchaft, mit der er ihn vor dem Ungluͤcke
F 2gewarnt
[82[81]]
gewarnt habe, ihm nicht allein zur Flucht nach
Deutſchland behuͤlflich ſeyn; ſondern ſogar auch mit
Gelde helfen; wenn ihm Sebaldus nur den Vor-
rath und das Verlagsrecht der Werke des Kollegian-
ten, beſonders, des gelehrten Tagebuchs, abtreten
wolle. Sie wurden bald um etwan hundert Gulden
einig, woruͤber van der Kuit, mit der ihm eignen
Thaͤtigkeit in Geſchaͤften, ſogleich eine Verſchreibung
aufſetzte, und auch unverzuͤglich das Geld auszahlte.
Darauf eilte van der Kuit dienſtfertiger weiſe,
den Sebaldus unter fremdem Namen auf die Poſt
nach Arnhem einſchreiben zu laßen, verließ ihn auch
hernach nicht einen Augenblick, bis er ihn den an-
dern Morgen fruͤh um ſechs Uhr, nach dem Cin-
gel*) gebracht, und ihn und ſein weniges Gepaͤck
wohlbehalten auf dem Poſtwagen ſah.
Sebaldus fuhr in groſſer Herzensangſt fort, und
ſah ſich beſtaͤndig um, ob nicht ein Wagen mit Ge-
richtsdienern hinter ihm kaͤme, um ihn einzuholen.
Dieſe
[83[82]]
Dieſe heftige Gemuͤthsbewegung, hatte auf ſeine
Geſundheit einen ſolchen Einfluß, daß er, als er
Abends nach Arnhem kam, ein heftiges Fieber hatte.
Er wollte ſich aber, der eingebildeten Gefahr wegen
nicht einen Angenblick aufhalten. Gleichwohl war es
zu ſpaͤt, als daß er noch wieder aus der Stadt kom-
men konnte. Er mußte alſo in großer Herzensangſt
die Nacht aushalten. Des Morgens aber, mit Ta-
gesanbruch, gieng er in groͤßter Eil, zu Fuß, nach
dem zwey Stunden entlegenen erſten Kleviſchen
Staͤdtchen Sevenaer, wo er von Fieberhitze und
Ermattung uͤbernommen, liegen blieb.
Die Krankheit ward gefaͤhrlich, und da er nach
etlichen Wochen zu geneſen anfieng, war durch die Ko-
ſten der Reiſe, des Wirths und des Arztes, ſein Geld-
vorrath faſt gaͤnzlich aufgezehret, ſo daß er, in großer
Schwachheit und Armuth weiter ſchleichen mußte.
So kurz ſeine Tagereiſen waren, ſo mußte er faſt
immer, einen Tag um den andern, wegen großer
Mattigkeit, liegen bleiben, bis er endlich, in einem
Doͤrfchen, wieder vom Fieber ergriffen wurde, und
als er ſich nach einigen Tagen zu erholen anfieng,
F 3nicht
[84[83]]
nicht weiter konnte. Er ließ den Muth’ gaͤnzlich ſin-
ten, erwartete alle Naͤchte ruhig den Tod, bey
Tage aber, hatte er kaum ſo viel Kraft, ſich bis
an den Eingang des Dorfs zu ſchleppen, wo er
den Reiſenden das Heck aufzumachen befliſſen war,
und von den wenigen Almoſen, die ſie ihm gaben,
ſein Leben, deſſen er nun voͤllig ſatt war, kaum
kuͤmmerlich hinhalten konnte.
Ende des ſiebenten Buchs.
Achtes
[85[84]]
Achtes Buch.
Erſter Abſchnitt.
Die friſche Luft, und der wohlthaͤtige Einfluß der
Sonne, gaben unvermerkt dem matten Koͤrper
des Sebaldus ſo viel Kraͤfte, daß auch ſein Geiſt
wieder ruhiger ward, und er anfieng, ſeinen Zu-
ſtand, ſo elend er war, zu ertragen.
Eines Tages ſahe er zwey Leute zu Pferde, von
weitem ankommen, einen, mit einen blauen Frack
bekleidet, auf einem muthigen Hengſt, und den
andern, in einem roſenrothen Rocke mit ſilbernen
Franzen, auf einem gemaͤchlichen Pasgaͤnger. Er
eilte, das Heck ſo geſchwind aufzumachen, als es
ſeine Schwachheit erlaubte. Er zog zugleich ſeine
Muͤtze ab, und zeigte ſein von Alter, Gram und
Ungemach gereiftes Haupthaar.
F 4Als
[86[85]]
Als die Reiter naͤher kamen, meinte der Blaurock,
fuͤr ſeinen Stuͤber, den er ſchon in der Hand hatte,
den dienſtfertigen Thorwaͤrter noch hohnnecken zu
duͤrfen.
‚Alter Knaſterbart! rief er, in einem Tone, der
„ſpaßhaft ſeyn ſollte, was fuͤr einen zureichenden
„Grund haſt du, das Heck aufzumachen?‛
‚Jch habe einen determinirenten Grund,‛ ſagte
der Alte mit beſcheidener Mine: ‚Mangel und Krank-
„heit haben mich auf dieſen Poſten geſtellt.‛
‚Determinirend? ſchrie der Blaurock mit einem
„lauten Gelaͤchter, ich glaube wahrhaftig, in dem zer-
„riſſenen Kittel, ſteckt ein verdorbner Cruſianer. He!
„weiſtu nicht auch ’ne kleine Weißagung aus der
„Apokalypſe?‛
‚Ja,‛ ſagte Sebaldus, und ſahe ihn ernſthaft an:
‚Siehe ich komme bald*)und mein Lohn mit
„mir, zu geben einem jeglichen, wie ſeine Wer-
„ke ſeyn werden.‛
‚Ha! Ha! Ha! rief der Blaue, er meraliſirt
„auch, warhaftig, Herr Saͤugling, (denn die bei-
„den Reiter waren niemand anders als Saͤugling
„und Rambold) ſiehe da, eine Scene fuͤr ihren em-
„pfindſamen Roman, der Kerl hat einen wahren Lo-
„renzokopf! Hat er nicht?‛
Dieſes
[[86]][]
[87[]]
Dieſes zu verſtehen, muß man wiſſen, daß Saͤugling,
ſeitdem ihm die Graͤfinn abgerathen hatte, Verſe zu
machen, auf Gedanken gekommen war, einen Roman
zu ſchreiben, worinn ihn Rambold beſtaͤrkte, damit er
Gelegenheit hatte, ihn taͤglich damit aufzuziehen.
Rambold warf ſeinen Stuͤber hin, und ſprengte
fort, Saͤugling ritte vorbey, indem der Alte ſich
buͤckte, aber kaum war er vier Schritte vorbey, ſo
kehrte er um und ſteckte dem Alten, mit einem herz-
lich mitleidigen Blicke, einen Gulden in die Hand.
Ob er das Almoſen, der Armuth, oder der ſchoͤnen
Scene, oder dem Lorenzokopfe gegeben habe, kann
niemand, auch vielleicht der Geber ſelbſt nicht, be-
ſtimmen. Genug; Sebaldus rief:
‚Gott ſegne Sie mein junger Herr, auch den Se-
„gen eines armen alten Mannes, laͤßt Gott auf einem
„mitleidigen Juͤnglinge ruhen.‛
Saͤugling ſpornte ſein Pferd, und da er Ram-
bolden einholte, floß ihm eine Thraͤne ſanft die
Wange herunter.
‚Jch glaube gar, Sie weinen,‛ ſpottete Rambold,
‚fi! wer wird ſo weibiſch ſeyn!‛
Saͤugling vertheidigte ſeine Empfindſamkeit,
Rambold fiel in ſeine gewoͤhnliche Schrauberey,
und ſo ritten ſie weiter.
F 5Der
[88[87]]
Der Leſer wird vielleicht wiſſen wollen, wie Ram-
bold und Saͤugling hier ſo in der Naͤhe erſchienen.
Sie waren, als ſie von dem Schloſſe der Graͤfinn ab-
reiſeten, gerade nach Weſel gegangen, wohin ſie
Saͤuglings Vater beſchieden hatte, weil er ſich da-
ſelbſt, Geſchaͤfte wegen, aufhielt. Nachdem dieſe ge-
endigt waren, gieng er, obgleich der Herbſt ſchon da
war, mit ſeinem Sohne, und deſſen ehemaligen Hof-
meiſter nach einem Gute, das er in der dortigen Ge-
gend angekauft hatte. Saͤngling war ſeitdem be-
ſtaͤndig bey ſeinem Vater geblieben, wo er ſeinen
pootiſchen Phantaſeyen ungeſtoͤrt nachhaͤngen konnte.
Rambold hingegen, der, nachdem Mariane, zu
ſeinem Erſtaunen, gleichſam verſchwunden war, wei-
ter keine Hofnung hatte, durch die Frau von Ho-
henauf befoͤrdert zu werden, rechnete zwar die-
ſerhalb einigermaßen auf den alten Saͤugling: weil
aber der Aufenthalt bey demſelben, beſonders als der
Winter angieng, fuͤr ſeinen unruhigen Geiſt, viel
zu einfoͤrmig war; ſo machte er, in kurzem, Bekannt-
ſchaft mit dem Herrn von Haberwald, einem be-
nachbarten Edelmanne. Dieſer war, ſo wie Rambold,
ein Liebhaber des Trunks, des Spiels und der Jagd,
und hielt, ſo wie er, eben nicht auf die ſtrengſte
Sittenlehre; daher dieſe Gleichheit der Neigungen,
die
[89[88]]
die Freundſchaft ſehr bald ſo heiß machte, daß der
Herr von Haberwald nicht einen Augenblick ohne
ſeinen Rambold ſeyn konnte, und ihn vermochte,
ganz zu ihm zu ziehen. Zuweilen beſuchte Rambold
indeſſen noch ſeinen ehemaligen Zoͤgling, und eben
an dieſem Tage, war er, um einen ſehr ſchoͤnen
Sommertag zu genießen, mit ihm ſpazieren geritten.
Als ſie nach Hauſe kamen und Rambold gegen
Abend nach dem Nitterſitze des Herrn von Haberwald
zuruͤck gekehrt war, beſchaͤftigte ſich Saͤugling den
Reſt des Abends, mit Sebaldus Figur, die in ſein
weiches Herz einen tiefen Eindruck gemacht hatte.
Er ließ den andern Morgen ein Karriol anſpannen
und fuhr allein nach dem Dorfe, wo Sebaldus wie-
der am Hecke zu finden war. Auf Verlangen er-
zaͤhlte ihm der Alte ſeine vornehmſten Ungluͤcks-
faͤlle. Saͤugling war zu gutmuͤthig, um einen ſol-
chen Mann laͤnger in einem ſo traurigen Zuſtande
ſchmachten zu laßen. Er ließ ihn neben ſich ins
Karriol ſitzen, fuhr mit ihm nach ſeines Vaters
Dorfe zuruͤck, befahl ihn einem Pachter an, ver-
ſorgte ihn mit reiner Waͤſche und Kleidern, und mit
noͤthigen Nahrungsmitteln.
Beym Mittagstiſche erzaͤhlte er ſeinem Vater
Sebaldus Begebenheiten, und zugleich, daß er den-
ſelben
[90[89]]
ſelben bey dem Pachter untergebracht habe. Ob die
Befriedigung der kleinen Eitelkeit, eine gute Hand-
lung, die er verrichtet hatte, auch andern kund zu thun,
an dieſer Erzehlung, mehr oder weniger Antheil koͤn-
ne gehabt haben, als die Begierde ſeinen Vater zur
fernern Wohlthaͤtigkeit gegen Sebaldus zu ver-
anlaßen; wird jeder Schreiber einer theologiſchen
Moral, je nachdem die Falſchheit der menſchli-
chen Tugenden, mit ſeinem Lehrgebaͤude mehr
oder weniger verbunden iſt, zu bejahen oder zu ver-
neinen wiſſen. Genug, des alten Saͤuglings Neu-
gier ward erregt, und er begehrte den Sebaldus
ſelbſt zu ſprechen.
Zweyter Abſchnitt.
Saͤugling der Vater, war ein Mann, der we-
der große Tugenden noch große Laſter hatte.
Sein natuͤrliches Phlegma, verließ ihn nur bloß in
dem Falle, wenn er im Handel einen ſichern Ge-
winnſt vor ſich ſahe. Daher hatte er, vom erſten An-
fange des Krieges an, viel mit Lieferungen fuͤr die
Armeen zu thun gehabt, wodurch er einen Reich-
thum erworben hatte, der ſelbſt ſeine Erwartungen
uͤberſtieg. Den Werth des Geldes, kannte er zwar
ſo
[91[90]]
ſo gut als jemand, doch war er eben nicht geizig, ob
er gleich auch nichts vom Verſchwenden hielt. So
bald der Krieg zu Ende zu gehen ſchien, und er die
Moͤglichkeit ſahe, daß ein Lieferant Schaden haben
koͤnnte, entſagte er allen fernern Unternehmungen,
und kaufte dieſes Rittergut, wo er nunmehr ſeine
große Reichthuͤmer genießen wollte. Er fand aber,
daß dieß, mit einem Geiſte ohne Kenntniſſe und ohne
Thaͤtigkeit, ſchwerer iſt, als er wohl anfaͤnglich
mochte gedacht haben. Er fieng an zu bauen, aber
er ward ſehr bald fertig, mit einem Hauſe, das
ſchon groͤßer war als er es brauchte. Es fanden ſich
zu ihm bald Kunſtkenner, fleißige betriebſame Per-
ſonen, welche, ausdruͤcklich fuͤr reiche Leute die keine
Kenntniſſe haben, Gemaͤlde der groͤßten Meiſter
aus Werken der Stuͤmper und Lehrlinge verferti-
gen laßen, und ſie durch verdorbenen Firniß und ver-
ſchoſſenes Kolorit, meiſterhafter Weiſe zu erheben
wiſſen. Dieſe verfehlten aber gaͤnzlich ihres Zweckes
bey ihm, weil ſie ihm den erſten, bey allen reichen
Kunſtliebhabern noͤthigen Schritt, nicht abgewinnen
konnten, naͤmlich ihm einzubilden, daß er Geſchmack
habe. Sie konnten ihn daher nicht dazu bringen,
ſich ein Kabinett anzuſchaffen, weil er ihnen immer,
mit dummer Ehrlichkeit, ins Geſicht geſtand, daß
er
[92[91]]
er an ihren ſo ſchoͤn geprieſenen Rubene, van Dyk,
Guercino und Luca Jordano keine Augenweide
finden koͤnne, und daß ihm die Bildniſſe ſeiner Vor-
aͤltern, mit ihren Kragen, guͤldnen Ehrenketten
und Knotenperncken viel beſſer gefielen. Sie konn-
ten alſo bey ihm nichts als ein Paar von Jakobs
van der Laenen oder Jan Steens Fratzengemaͤl-
den anbringen; bey denen nicht viel verdient wurde,
weil ſie wirklich aͤcht waren. Sie verließen ihn da-
her gaͤnzlich, mit vielem Achſelzucken uͤber ſeine un-
begreifliche Unwiſſenheit. Es fanden ſich zwar an-
dere Leute von Geſchmack, welche ihn lehren woll-
ten, ſeinen Garten nach der neueſten engliſch-chine-
ſiſchen Art anzulegen, die damals in Weſtphalen
noch ganz unerhoͤrt war. Da er aber, zu dieſem Be-
hufe, den groͤßten Theil ſeines Parks ſollte umhauen
laßen, und nach der Anlage, gerade auf dem Platze,
wo ſein beſtes Franzobſt und alle ſeine Spargelbeete
befindlich waren, ein chineſiſcher Thurm und hinter
demſelben verſchiedene Abgruͤnde und Wildniſſe an-
gelegt werden ſollten; ſo folgte er wieder ſeiner ein-
faͤltigen Ueberlegung, daß er, dieſer Verbeſſerung zu
Folge, viele Jahre lang weder Spargel noch Obſt ko-
ſten, und vielleicht Zeitlebens nie wieder Schatten
und Kuͤhlung genießen wuͤrde, und ließ alles wie es
war.
[93[92]]
war. Er haͤtte zwar gern Geſellſchafft gehabt, und
ſetzte ſich daher auf den Fuß offne Tafel zu halten,
aber es kam ſelten jemand, weil ihn der benachbarte
Adel uͤber die Achſel anſahe. Der Herr von Haber-
wald, welcher ihn freylich wegen der Rehe und Ha-
ſen ſeiner Wildbahn, und wegen des guten Weins
in ſeinem Keller, oft beſuchte, war ihm zu laͤrmend,
ſo wie Rambold zu ſpitzfindig und hoͤniſch. Sein
Sohn war alſo ſeine einzige Geſellſchaft. Er hoͤrte
deſſen Gedichte auch wohl bey ſeiner Nachmittags-
pfeife an, und freuete ſich, wenn er in den Zeitungen,
welche die Zeit der Morgenpfeife ausfuͤllten, zuwei-
len ſchwarz auf weiß las, daß derſelbe ein großer
Poet waͤre; aber dieß wollte doch gegen die große
Portion von langer Weile nicht wiederhalten, die
ihm uͤbrig blieb, und wider die er, nach langem
Nachſinnen, nichts erdenken konnte, als daß er be-
gann, zumahl da die langen Winterabende allzume-
lancholiſch wurden, woͤchentlich dreymahl Betſtunde
zu halten.
Da er alſo den Sebaldus kennen lernte, warf er
die Augen auf ihn, als auf einen Mann, der ge-
ſchickt waͤre, ihm beſtaͤndig Geſellſchafft zu leiſten.
Sebaldus war ohngefaͤhr von gleichem Alter, von
gleichem ruhigen Gemuͤthe, er konnte beſtaͤndig um
ihn
[94[93]]
ihn ſeyn, konnte von ſehr vielen Sachen ſprechen,
die, ohne ſeinen zur Bemuͤhung ungewohnten Geiſt
durch Anſtrengung zu ermuͤden, doch einige Beſchaͤf-
tigung darboten.
Er trug alſo dem Sebaldus, nebſt freyer Koſt und
Wohnung, ein jaͤhrliches Gehalt an, welches, wie
leicht zu erachten, ſehr willig angenommen ward.
Sebaldus kam dadurch, aus dem tiefſten Elende, in
einen Stand der Ruhe und Gemaͤchlichkeit, der
ihn wieder zum Genuſſe des Lebens empfindlich machte.
Der Hauch vaterlaͤndiſcher deutſcher Luft, erweckte
wieder das Verlangen nach ſeiner Tochter und nach
ſeinem Sohne. Bloß der gaͤnzliche Mangel an
Nachricht von dieſen geliebten Kindern, unterbrach zu-
weilen die Behaglichkeit, in der er lebte, und die ſeine
leicht zu befriedigende Wuͤnſche ſonſt ganz erſchoͤpfte.
Seine vornehmſte Pflicht war, beym Fruͤhſtuͤcke
die Zeitungen aller Art vorzuleſen. Der alte Saͤug-
ling hatte dieſe Lektur, von der erſten Zeit ſeiner Ein-
ſamkeit an, als ein hauptſaͤchliches Huͤlfsmittel wi-
der die lange Weile gebrauchet. Die Zeitungen ge-
ben undenkenden Koͤpfen eine ſo unſchuldige Ge-
legenheit, ihre wenigen Seelenkraͤfte auf eine halbe
Stunde in eine Art von Bewegung zu ſetzen, und
veranlaßen wohl noch ein viertelſtuͤndiges Geſpraͤch
bey
[95[94]]
bey der Mittagstafel, wo ihnen oft der Biſſen viel
leichter in den Mund, als das Wort aus dem Munde
zu gehen pflegt; daß ſie ihnen, des Morgens, zu einer
eben ſo nothmendigen Seelenatzung geworden ſind,
als das Kartenſpiel, des Abends. Dazu kam, daß
die Zeitungsſchreiber damals, wenigſtens monatlich
ein paarmahl, Beſorgniß wegen eines bevorſtehenden
Krieges aͤußerten. So oft dieſes geſchahe, pflegte
der alte Saͤugling, in Gedanken, und oft auch auf
dem Papiere, zu berechnen, wie viel Lieferungen
von mancherley Art fuͤr die Armeen noͤthig ſeyn moͤch-
ten, und Entwuͤrfe zu machen, wie ſie in den ver-
ſchiedenen Laͤndern, wo der Schauplatz des Krieges
vorausgeſetzet ward, koͤnnten herbey geſchaft werden.
Denn ob er gleich gar nicht willens war, ſelbſt wieder
etwas zu unternehmen, ſo waren doch Spekulationen
dieſer Art, wie er aus der Erfahrung ſehr wohl wußte,
ein ſicheres Mittel, ſeinen Geiſt in der anſpannungs-
loſen Thaͤtigkeit zu erhalten, durch welche der Koͤrper,
die vornehmſte Sorge reicher muͤßiger Leute, ſo wohl-
behaglich genaͤhret wird, daß alle ſechs nicht natuͤr-
liche Dinge*) in der beſten Ordnung von Statten
gehen.
Dritter Theil. GEin
[96[95]]
Ein gleiches wirkſameres Huͤlfsmittel, waren
die vielen Zahlenlotterien, von denen er in den
Zeitungen Nachrichten las. Er ſetzte in alle. Die
Spekulationen uͤber die an verſchiedenen Orten her-
ausgekommenen und noch herauszukommenden Zah-
len, die Komponirung und Dekomponirung verſchie-
dener Einſetzungsarten, u. dergl. mehr, fuͤhrten ihn
in ſo mancherley ernſthaft ausſehende Rechnungen,
aus denen ſo viele ſonderbar ſcheinende Reſultate ent-
ſprangen, daß er zuweilen verleitet ward, ſeine Hirn-
geſpinſte, mit Wohlgefallen, fuͤr mathematiſche Ein-
ſichten zu halten. Dazu kam, daß die geringe Furcht
zu verlieren und die groͤſſere Hofnung zu gewinnen,
der Verdruß die Zahlen verfehlet, und die Freude ſie
errathen zu haben, ſeine ſonſt ſo leere Seele mit et-
was Leidenſchaften aͤhnlichem erfuͤllte, welches mach-
te, daß er weniger traͤge zu denken, und lebhafter zu
ſprechen begann, und welches zugleich ſeine Saͤfte, in
ſo ordentlicher Wirkung und Gegenwirkung erhielt,
daß er nie weniger von Jndigeſtionen zu befuͤrchten
hatte, als kurz vor und kurz nach den verſchiedenen
Ziehungstagen. Man kann alſo leicht erachten, daß
er hierdurch in der beſten Geſundheit erhalten worden
ſey, da verſchiedene Patrioten in verſchiedenen Pro-
vinzen Deutſchlandes, dafuͤr geſorgt haben, daß keine
Woche
[97[96]]
Woche vorbeygeht, ohne daß irgendwoher den Rei-
chen ein ſo ſtattliches Digeſtivmittel dargeboten wer-
de, welches fuͤr ſie allemahl wohlthaͤtig, und nur blos
den Armen zuweilen etwas zu draſtiſch iſt.
Wenige Tage, nachdem Sebaldus in ſein Amt
eines Zeitungsleſers eingeſetzt worden war, ſtand in
einer Zeitung, die Gewinnliſte, ich weiß nicht wel-
cher Zahlenlotterie. Er mußte ſie ganz vorleſen,
weil ſie dem alten Saͤugling, wegen vieler, uͤber die
Folge der Zahlen in dieſer Lotterie, gemachten Spe-
kulationen, ſehr intereſſant war. Sebaldus verſtand
aber ſo wenig davon, als ob ſie polniſch geſchrieben
geweſen waͤre. Der alte Saͤugling, der ſchon dieſe
Tage uͤber, wenn er in den Zeitungen uͤber man-
che Namen und Sachen zweifelte, Sebaldus hiſto-
riſche und geographiſche Kenntniſſe, nachgebend hatte
annehmen muͤſſen, that ſich jetzt was rechts darauf
zu gute, daß er nun demſelben erklaͤren konnte, was
Ambe und Terne, und andere zur Lotterie gehoͤ-
rige Worte bedeuteten. Er gerieth dabey in ſol-
chen Eifer, daß er dem Sebaldus anlag, ſich fuͤnf
Zahlen auszuleſen und auf dieſelben zu ſetzen. Se-
baldus hatte keine Luſt, und verirrte ſich in die Lo-
gik der Wahrſcheinlichkeit, um zu beweiſen, daß
keine Zahl vor der andern, mehr Wahrſcheinlichkeit
G 2heraus-
[98[97]]
herauszukommen habe, und daß er alſo keine vor der
andern zu waͤhlen wiſſe. Der alte Saͤugling, voll
Begierde, vermeinte auf dem rechten Wege zu ſeyn,
indem er den arabiſchen Lotteriewahrſager und
das Vademecum fuͤr Zahlenlotterien, mit ſeinen
daraus gezogenen Deutungen und Verbindungen dem
Sebaldus vorerzaͤhlte. Zuletzt, nach vielen Hin-
und Wiederreden, verblieb Saͤugling, wie es ei-
nem reichen Manne gegen ſeinen Hausgenoſſen ge-
buͤhret, auf ſeiner Meinung, und verlangte: Sebal-
dus ſollte nur Eine Zahl anzeigen, die er im Sinne
haͤtte, ſo wolle er ihm die uͤbrigen vier daraus ziehen.
Sebaldus ſagte: ‚Jn meinem Sinne iſt gar keine
„Zahl, als die Zahl 666.‛
‚Gut!‛ rief der alte Saͤugling: ‚Sehen Sie —
„6 und 66 iſt drinn, verdoppeln Sie die erſte und
„theilen die letztere, kommt 12 und 33, ziehen Sie
„dieſe beiden von einander ab, bleibt 11 — Sehen
„Sie — 6. 11. 12. 33. 66. — da haben wirs —
„aber wahrhaftig ſchlechte Zahlen, die einzige 11 iſt
gut. Sie verſtehen’s Spiel noch nicht, Herr Noth-
„anker, das ſieht man. Die geraden Zahlen kom-
„men dieſes Jahr in dieſer Lotterie nicht heraus, am
„wenigſten in dem erſten Funfzig. Aber ſo iſts, ſolche
„junge Anfaͤnger muͤſſen Lehrgeld geben. Bleiben
„Sie
[99[98]]
„Sie nur bey Jhren Zahlen. Jch will Jhnen meine
„nicht ſagen, aber die 11 iſt dabey. Wir wollen ſe-
„hen, uͤber drey Wochen, wenn die Ziehung vorbey
„iſt. Die 11 kommt heraus, und noch eine Zahl.
„Aber ſt! — Laßen Sie uns die Saͤtze reguliren. Sie
„ſollen Sechs Thaler ſetzen, dieß iſt allemahl mein
„Satz in jeder Lotterie.‛
Der alte Saͤugling beſorgte den Einſatz, mit ſei-
nen eigenen, und ſtellte dem Sebaldus den Schein
zu. Zugleich machte er bey Vergleichung der Saͤtze,
ſeiner Einſicht nochmals ein Kompliment, und ſpe-
kulirte, wie gewoͤhnlich, noch einige Tage uͤber ver-
ſchiedene Verbindungen der Zahlen, dahingegen Se-
baldus die Sache, da ſie kaum geſchehen war, vergaß.
Dritter Abſchnitt.
Einige Zeit darauf, fiel Saͤugling, der Vater,
als er nur ſeinen gewoͤhnlichen Fruͤhlingsſchnu-
pfen zu erhalten vermeinte, ploͤtzlich in ein ſtarkes
Fieber, welches ihn einige Tage lang bettlaͤgerig
hielt. Es fuͤgte ſich, da er ſich beſſerte, und Nach-
mittags ruhen wollte, daß Sebaldus, nebſt dem
jungen Saͤugling, indeſſen einen kleinen Spazier-
gang machte. Eben unter der Zeit, kam Rambold
angeritten. Da er auf dieſe Art niemand ſpre-
G 3chen
[100[99]]
chen konnte, vertrieb er ſich indeſſen |die Zeit damit,
daß er die Zeitungen durchlief und die Aufſchriften
der Briefe uͤberlas, die der Poſtbote nicht lange ge-
bracht hatte, und die noch im Zimmer auf dem Ti-
ſche lagen. Er fand unter den Briefen einen an den
jungen Saͤugling, davon ihm die Handſchrift be-
kannt ſchien, und ſteckte ihn zu ſich, um einen Scha-
bernack damit zu machen, wovon er, wie wir ſchon
wiſſen, ein Liebhaber war. Er konnte ſich nicht
lange darauf bedenken, indem Saͤugling der Sohn
eben zuruͤck kam, und ihm den Sebaldus, den er
hier noch nicht geſehen hatte, vorſtellte. Sebaldus
gieng gleich darauf, zu ſehen, ob der Kranke erwacht
ſey, und gab Rambolden freye Hand, Saͤuglin-
gen wegen deſſen Neigung zu einem Bettler, ge-
woͤhnlicher Art nach, aufzuziehen. Dennoch hoͤrte
er Saͤuglings Erzaͤhlung von Sebaldus Namen,
Stand und Begebenheiten mit beſonderer Aufmerk-
ſamkeit an, fragte auch ſelbſt, mit mehr als gewoͤhn-
licher Neugier, nach verſchiedenen Umſtaͤnden. Da
indeſſen Saͤugling fortfuhr, mit warmer Theilneh-
mung die Geſchichte zu erzehlen, ſchien Rambold
daruͤber betroffen zu ſeyn, ward wider ſeine Ge-
wohnheit ernſthaft, ſtand auf und gieng ein paar-
mahl im Zimmer auf und nieder, ſchien uͤber die Er-
zehlung
[101[100]]
zehlung unruhig zu werden, lehnte ſich ins Fen-
ſter, nahm, ohne daran zu denken, den Brief aus
der Taſche, erbrach ihn in der Zerſtreuung, las ihn,
ward feuerroth, nahm mit einemmahle eine ganz an-
dere, vergnuͤgte, Mine an, ſchlug in die Haͤnde, ſah’ nach
der Uhr, brach kurz ab, rief aus dem Fenſter, daß man
ſein Pferd gleich ſatteln ſolle, ſagte, er muͤſte unum-
gaͤnglich gleich wieder nach Hauſe, umarmte Saͤuglin-
gen, ſchwang ſich aufs Pferd, und ritt ſchnell davon.
Saͤugling wußte nicht, welcher Veranlaßung er
Rambolds ploͤtzlichen Aufbruch zuſchreiben ſollte,
indeſſen da er an demſelben ſchon mancherley Launen
gewohnt war, ſo dachte er weiter nicht darauf, oder
glaubte vielleicht wirklich, Rambold wuͤrde durch
ein Geſchaͤft nach Hauſe gerufen. Jndeſſen ritt
Rambold nicht nach Hauſe, ſondern einen ganz an-
dern Weg, wie berichtet werden ſoll, wenn wir erſt
zuruͤckgeſehen haben, wo Mariane geblieben, von
der wir, ſeitdem ſie dem Oberſten entſprungen war,
keine Nachricht erhalten haben.
Vierter Abſchnitt.
Nachdem Mariane, beinahe eine halbe Meile lang,
ſo geſchwind ſie konnte, gelaufen war, mußte
ſie ſich endlich, aus Mangel des Athems, ohnweit
G 4der
[102[101]]
der Landſtraſſe, niederſetzen. Als ſie ſich ein wenig
erholet hatte, fieng ſie an, ihren Zuſtand zu uͤberden-
ken. Sie war in einer unbekannten Gegend, von
jedermann verlaſſen, und mußte befuͤrchten, ihrem
Nachſteller, der ſie vermuthlich verfolgen laßen
wuͤrde, wieder in die Haͤnde zu gerathen. Als ſie
indeſſen in ihrer Taſche ihr Geld wiederfand, ſo ver-
zweifelte ſie nicht, Mittel zu finden, ſich geſchwin-
der zu entfernen, und da eben ein Bauerwagen vor-
bey fuhr, welcher in ein einige Meilen entlegenes
Dorf gehoͤrte, ſetzte ſie ſich auf denſelben und ließ
ſich unverzuͤglich weiter bringen. Sie fuhr auf dieſe
Art, beynahe ohne auszuruhen, von Dorfe zu Dorfe
fort, in der Abſicht des Freyherrn v. D *** Guͤter
zu erreichen. Jndeſſen, da ſie ſelbſt den Weg da-
hin nicht recht wußte, und niemand als Bauern
darum fragen konnte, deren Kenntniß ſich gemeinig-
lich nicht weiter als einige Tagereiſen in die Runde
erſtrecket, ſo ward ſie anſtatt ins Hildesheimiſche,
tief in Weſtphalen hineingefahren. Nachdem ſie ſo
acht Tage lang fortgereiſet war, fieng ein eingefall-
nes Regenwetter an, ihr beſchwerlich zu werden, da
ſie ganz leicht bekleidet war. Jndeſſen beſtand ſie doch
darauf, weiter zu reiſen, bis ſie ein Platzregen und
Ungewitter noͤthigte, in einem im Walde ſtehenden
einzel-
[103[102]]
einzelnen Hauſe einzukehren. Der Regen hoͤrte den
ganzen Tag nicht auf, der Bauer wollte nicht war-
ten, weil er den andern Tag einen Hofedienſt zu
thun hatte, und da ſie von dem Bewohner des Hau-
ſes, welcher, weil er in ſeiner Jugend Soldat ge-
weſen, die Gegend weit und breit kannte, auf ihre
Erkundigung nach dem Wege, vernahm, daß ſie ſehr
weit von dem Hildesheimiſchen entfernt ſey; ſo ent-
ſchloß ſie ſich kurz, den Bauer abzulohnen, und bis zur
Beſſerung des Wetters in dieſem Hauſe zu bleiben.
Das Haus war von einem Greiſe, ſeiner Frau
und ſeiner Tochter bewohnt, die ſich theils vom Spin-
nen, der gewoͤhnlichen Winternahrung der Weſt-
phaͤliſchen Hausleute, erhielten, theils die Milch einer
Kuh, und die Fruͤchte eines Krautgartens verzehr-
ten, der durch ihren eignen Fleiß war urbar gemacht
worden. Der alte Hauswirth verband mit der treu-
herzigen Ehrlichkeit eines Landmanns, die Weltkennt-
niß, die lange Feldzuͤge gewaͤhren. Er hatte mit
ſeinem Gutsherrn, der ſein Oberſter geweſen war,
alle Gefahren der Feldzuͤge in Braband getheilt, und
war ihm in allen Vorfaͤllen ſo treu und ergeben ge-
weſen, daß der Gutsherr, aus edler Dankdarkeit,
das Schickſal ſeines alten Kriegskammeraden zu ver-
beſſern ſuchte. Als der Mann alt ward, ward der
G 5Hof
[104[103]]
Hof deſſen Sohne uͤbergeben, und er auf Leib-
zucht*) geſetzt. Der Markenherr gab ihm aber
nicht allein aus der Mark einen betraͤchtlichen Zu-
ſchlag, und gab ihm ſeine Tochter, von Hofedien-
ſten frey, mit auf die Leibzucht, ſondern er ließ ihm
auch in einem angenehmen Sundern**) ein eignes
bequemeres Haus, mit einem Schornſtein bauen, ſo
daß ſich der Leibzuͤchter, nicht, wie ſeine Nachbarn,
mit ſeinen Schinken zugleich, raͤuchern durfte. Da-
bey hatte er, unter ſeinem Strohdache, eine beſon-
dere abgeſchlagene Kammer, welche eigentlich diente,
ſeinen Wintervorrath zu verwahren, jetzt aber Ma-
rianen zur Schlafkammer angewieſen ward.
Sie genoß darinn nach einer ungewohnt langen
Reiſe die erſte Nacht eine ſuͤße Ruhe. Sie ſtand
des Morgens erquickt auf, das Wetter hatte ſich
anfgeklaͤrt, ſie ſah aus dem Fenſter das Waͤld-
chen im ſchoͤnſten Laube, und hinter demſelben
gruͤnende Wieſen. Als ſie herunter kam, ward ſie
von den Hausleuten mit laͤndlicher Gaſtfreundſchaft
empfangen. Nach dem Fruͤhſtuͤcke ſpazierte ſie in
der
[105[104]]
der umliegenden Gegend, wo ſie die Natur in aller
ihrer Schoͤnheit fand. Sie irrte auf einem Fußſteige,
der, zwiſchen dichten Buͤſchen, zu einem kleinen gruͤn-
bewachſenen Huͤgel fuͤhrte, neben dem ſich ein klarer
Bach ſchlaͤngelte. Dieſe Gegend ſchien ihr ungemein
reizend. Sie beſtieg den kleinen Huͤgel, von wel-
chem ſie in dem Waͤldchen umherſchauen konnte, und
in der Ferne die Ausſicht auf wallende Kornfelder
hatte. Hier uͤberlegte ſie ihren Zuſtand, ſie ſahe,
daß ſie von dem Zwecke ihrer Reiſe weit entfernt
war, daß ſie, wenn ſie auch wieder zuruͤckreiſen
wollte, nicht gewiß wiſſen koͤnnte, in welchen Ge-
ſinnungen ſie den Herrn von D *** finden moͤchte,
daß ſie vielleicht von ohngefehr dem Oberſten in die
Haͤnde fallen koͤnnte u. d. m. Dagegen ſchien ihr
dieſer Winkel der Erde, ganz paradieſiſch zu ſeyn.
Es duͤnkte alſo ihrem ohnedieß etwas zum romanti-
ſchen geneigten Geiſte das zutraͤglichſte, wenn es moͤg-
lich waͤre, in dieſem Aufenthalte der Ruhe und der Un-
ſchuld, von der ganzen Welt abgeſondert zu leben.
Sie entdeckte ihren Vorſatz ihren Wirthsleuten,
welche ſich denſelben wohl gefallen ließen, fall ſie
mit ihrem Hausweſen, ſo wie es war, vorlieb neh-
men wollte. Mariane war vielmehr entzuͤckt da-
ruͤber. Jhr Wirth, mit ſeinem ehrwuͤrdigen ſchnee-
weißen
[106[105]]
weißen Haupte, und mit ſeiner ungekuͤnſtelten Auf-
richtigkeit, ſchien ihr, mit ſeiner redlichen Hausfrau,
ein Philemon und Baucis, das Haͤuschen ein Tem-
pel, und die Gegend eine arkadiſche Flur zu ſeyn.
Alles verſchoͤnerte ſich in ihren Augen. Wenn ſie
mit Spinnen und andern haͤuslichen Arbeiten einen
Tag zubrachte, einen andern, mit Beſorgung der
Milchkammer, oder einmahl ihr eigen Geruͤcht
pfluͤcken und in den Topf werfen konnte, glaubte
ſie, aus dem Prunke eines verderbten Zeitalters,
zur Einfalt und auch zur Unſchuld der erſten Welt,
zuruͤckgekehret zu ſeyn. Und wenn ſie des Abends,
mit der Tochter ihres Wirthes, einem guten Maͤd-
chen, nach dem Huͤgel ſpazierte, oder ſich mit ihr
am Rande des Bachs ins Gras ſetzte, ſchien ſie ſich
zu den Nymphen Dianens zu gehoͤren, und wenn
ſie ſang, welches oft geſchah, ſchienen ihr die Hama-
dryaden aus dem Waͤlde von fern zu antworten.
Wahr iſts inzwiſchen, daß dieſe reizenden Vorſtel-
lungen, wie mehrere poetiſche Phantaſien, ins ge-
meine Leben gebracht, nicht allzulange Stich hielten,
und daß, nach einem Monate, die gute Mariane
ihre Einbildungskraft ſchon auſtrengen mußte, wenn
ſie in das ſeelenvolle Gefuͤhl uͤbergehen wollte, das ihr
ſonſt ſo natuͤrlich ſchien. Als aber vollends der ſpaͤte
Herbſt
[107[106]]
Herbſt die Blaͤtter ſtreifte, und der Nordwind mit
ungeſtuͤmem Brauſen, jeden Schritt außer dem Hauſe
verwehrte, ſank Philemon in ihrer Jdee wirklich zu
einem gemeinen Bauer herab, und Baucis zu einer
weſtphaͤliſchen Hausmutter, die auch wohl, wenn ihr
in der Haushaltung nicht alles nach Sinne gieng, ſchel-
ten und ſchmollen konnte. Der Tempel ward wieder
eine enge und unbequeme Huͤtte, in welcher die harte
Koſt, ſo ſehr ſie der Einfalt unſchuldiger Hirtenvoͤl-
ker gemaͤß war, doch nicht ſchmecken wollte. Ja,
Mariane hat nachher ganz natuͤrlich geſtanden, daß
ſie ihrer phantaſiereichen Vorſtellungen ungeachtet,
dennoch zuweilen, bey einem patriarchaliſchen Milch-
brey in einer hoͤlzernen Satte, nach einem wohlfil-
trirten Kaffee in meisniſcher Schaale, luͤſtern ge-
weſen ſey.
Jn den erſten Tagen dieſer laͤndlichen Einſamkeit,
hatte ſie ſich, in liebliche Jdeen von arkadiſcher Un-
ſchuld verſenkt, bereden wollen, daß ihr Herz von
Liebe frey ſey. Aber eben dieſe kleinen empfindſamen
Schwaͤrmeleyen, oͤfneten es jedem ſuͤßen Eindrucke.
Sie lebte die vorigen gluͤcklichen Zeiten in Gedanken
noch einmahl, ſie erinnerte ſich ihres Saͤuglings
ehrerbietiger, zaͤrtlicher, inbruͤnſtiger Geſinnungen,
ſie beſann ſich, wie er ſich ihrer bey einer ſchimpfli-
chen
[108[107]]
chen Beleidigung angenommen habe. Denn machte
ſie ſich Vorwuͤrfe, daß ſie ihm, wider ihre Neigung,
ſo kalt begegnet habe, ſie konnte nun nicht begreifen,
wie ſie ihr Herz vor ihm nicht habe ausgießen koͤnnen.
Dieſe Erinnerung war, als im Winter, durch
lange Weile und Widerwillen, ihr Geiſt taͤglich mehr
zu erſchlaffen begann, ihr einziger Troſt. Sie wieg-
te ſich in dem Gedanken, daß Saͤugling ſie wirklich
noch liebe, daß ſie noch einſt mit ihm vereinigt und
gluͤcklich ſeyn werde. Sie maß ſeinen Schmerz von
ihr entfernt zu ſeyn, nach dem ihrigen ab, und fand
oft Wolluſt darinn, wenn ſie, indem ſie ihren eige-
nen Schmerz beweinte, den Schmerz ihres Gelieb-
ten zu beweinen glaubte.
Als der Fruͤhling wieder kam, und alle ihre Em-
pfindungen heitrer wurden, drangen die zaͤrtlichen
Gefuͤhle mit jedem Fruͤhlingshauche tiefer in ihre
Bruſt. Saͤuglings Bild ſpiegelte ſich ihr in jedem
hervorgruͤnenden Blatte, in jeder entfalteten Knoſpe.
Bey ihren einſamen Spaziergaͤngen nach dem Baͤch-
lein, begleitete es ſie. Dann ſaß ſie in wonnetrunk-
nem Staunen, dann glaubte ſie es zu umfaſſen,
dann ſprang ſie auf, und erroͤthete vor ihrem eige-
nem Phantome. Dann wandelte ſie am Ufer herab,
und ſang Lieder, die er auf ſie gemacht hatte, zu
dem
[109[108]]
dem Falle des kleinen Stroms, der uͤber glatte Kie-
ſel herabrieſelte, und indem er ſich ausbreitete, den
gruͤnenden Wieſengrund, zu Entſproſſung neuer Blu-
men befeuchtete.
Mit dieſen anmuthsreichen Phantaſien verband ſie
auch Betrachtungen uͤber ihren gegenwaͤrtigen Zu-
ſtand. Sie ſahe ein, es ſey ihr unmoͤglich, noch
einen Winter in dieſem Hauſe zuzubringen, gleich-
wohl ſahe ſie auch kein Mittel, wie ſie auf eine an-
ſtaͤndige Art, ihre Lage veraͤndern koͤnnte. Sie
ſchien ſich einzeln, von aller Welt verlaßen zu ſeyn,
beſonders, nachdem ſie auf einen Brief an Hierony-
mus ſchon ſeit ein paar Monaten keine Antwort er-
halten hatte, vermuthlich weil er nicht zu handen ge-
kommen war. Da nunmehr ihre Liebe zu Saͤuglingen
ſich ihrer ganzen Seele bemaͤchtigte, und ſich das
Verlangen, auch von ſeinen Geſinnungen gegen ſie
unterrichtet zu ſeyn, in ihre innerſten Gedanken ein-
flocht; ſo entſchloß ſie ſich endlich, nach vielein ver-
geblichen Zaudern, ihm, nach Weſel, wohin ſie
wußte, daß er mit Rambolden hatte reiſen ſollen,
ihren Aufenthalt zu melden.
Der Entwurf dieſes Briefs koſtete verſchiedene
Tage, denn ſie hatte ſich feſt vorgenommen, alle
Merkmale der Liebe daraus wegzuwiſchen, und blos
als
[110[109]]
als ein ungluͤckliches Frauenzimmer zu ſchreiben, das
ſich, weil ſie von jedermann verlaßen iſt, an einen
edelmuͤthigen Juͤngling wenden muß. Dennoch hatte
ſie die Spuren ihrer Leidenſchaft nicht ganz ausloͤ-
ſchen koͤnnen, denn die Liebe, wie ein ſuͤſſer Geruch,
duftet unvermerkt um ſich. Saͤugling, deſſen Em-
pfindungen den ihrigen ſo ſehr entſprachen, wuͤrde
auch gewiß mit unnennbarer Wolluſt gefuͤhlet haben,
was in ihrer Seele war, wenn er ſo gluͤcklich gewe-
ſen waͤre, dieſen Brief zu erhalten. Der Brief ward
vom Poſtamte zu Weſel, nach ſeines Vaters Gute,
geſendet, und war eben derſelbe, den Rambold erſt
aus Schaͤkerey beyſteckte, nachher aus Zerſtreuung
las, und da er daraus Marianens Aufenthalt er-
ſahe, nicht einen Augenblick ſaͤumen wollte, zu ihr
zu eilen, denn der Ort ihres Aufenthalts war in
der That nicht eine Meile entlegen.
Rambold that, als ob ihn ein ungefaͤhrer Zufall
dahin gefuͤhrt haͤtte, und huͤtete ſich wohl, von dem
geleſenen Briefe etwas zu erwaͤhnen. Mariane ver-
wunderte und freuete ſich, ihn zu ſehen, weil ſie von ihm,
Nachricht von ihrem Saͤugling zu empfangen hoffte.
Aber er ſchwieg, und da ſie endlich mit einigen Um-
ſchweifen nach demſelben fragte, nahm er eine betruͤbte
Mine an, und verſicherte ſie, weil ihm eben nichts an-
ders
[111[110]]
ders einfiel, daß Saͤugling geſtorben ſey. Dieſe
Nachricht ſetzte Marianen außer ſich. Rambold
war zwar ſehr bemuͤht, ſie zu bereden, daß ſie ſich
deſſen Tod nicht gar zu ſehr zu Sinne ziehen moͤchte,
weil Saͤugling ein Haͤschen geweſen, der allen
Frauenzimmern Suͤßigkeiten vorgeſagt haͤtte; aber,
bey Marianen wollten dieſe leidigen Troſtgruͤnde kei-
nen Eingang finden, daher kuͤrzte er ſeinen Beſuch
ab, und ritt wieder nach Hauſe.
Er unterließ aber doch nicht, oft wieder zu kom-
men, und ward von Marianen, die nunmehr in
beſtaͤndiger Traurigkeit lebte, gern geſehen, weil er
ſie an Saͤuglingen erinnerte, von welchem er ihr,
auf ihre Fragen, allerhand Maͤhrchen erzaͤhlte, wel-
che, ſo unbetraͤchtlich ſie waren, doch in Maria-
nens zum Trauren geſtimmter Einbildungskraft, ein
mitleidiges Wohlgefallen erregten.
Der Herr von Haberwald merkte Rambolds
oͤftere Abweſenheit, und unterließ nicht, ihn daruͤ-
ber zu hohnnecken. Rambold mußte endlich geſte-
hen, daß er ein huͤbſches Maͤdchen beſuchte, wel-
ches er zu ſeiner Frau machen wuͤrde, wenn er eine
Verſorgung haͤtte. Der Herr von Haberwald ſpitzte
hieruͤber die Ohren, und beſtand darauf, daß er ihn
mitnehmen ſollte. Dieß geſchah, und weil Ram-
Dritter Theil. Hbold
[112[111]]
bold dem Herrn von Haberwald einen Wink gege-
ben hatte, daß er klug ſeyn ſollte, ſo wuſte er ſich ſo
ehrbar zu betragen, daß Mariane an beider Auf-
fuͤhrung nichts auszuſetzen haben konnte.
Als ſie zuruͤckkamen, ſo wurde, nachdem, bey eini-
gen Flaſchen Wein, Marianens Schoͤnheit von
beiden Theilen war geprieſen worden, von dem Hrn.
von Haberwald die weiſe Anmerkung gemacht, daß
eine huͤbſche Frau Paſtorinn in einem Kirchſpiele
eine nuͤtzliche Sache waͤre. Durch dieſe Aeußerung
ward eine kleine Unterhandlung eroͤfnet, die, wenn
ſie weitlaͤufig auf dem Papiere beſchrieben werden
ſollte, Leſern von feinen Empfindungen, niedertraͤch-
tig und widerwaͤrtig ſcheinen koͤnnte, die aber, im
Laufe der Welt, unter manchen Leuten ohne Beden-
ken ſtatt findet, eben, weil ſie keine feine Empfin-
dungen haben. Das Reſultat derſelben war, daß
der Herr von Haberwald feyerlich verſprach: ſobald
Rambold von Marianen das Jawort erhalten
haͤtte, ſollte er die Adjunktur des abgelebten Pfar-
rers, mit einem beſtimmen Gehalte, bekommen.
Rambold warb nun im Ernſte um ſie. Ma-
riane gab ihm zwar eine ausdruͤckliche abſchlaͤgige
Antwort, und brachte, in ihrem Herzen, dem Anden-
ken ihres Saͤuglings dieſes Opfer. Jndeſſen wie-
derholte
[113[112]]
derholte Rambold, obgleich ohne Hofnung einiges
Erfolgs, ſo oft einen Antrag, uͤber den, an ſich, ein
junges lediges Frauenzimmer niemals zornig wird,
wenn er nicht gerade zu wider ihre Abſichten ſtreitet;
daß ihn Mariane mit einiger Nachſicht anhoͤrte.
Die Heldinn eines Romans, haͤtte freylich eine un-
verletzte Beſtaͤndigkeit an den Tag legen, und ſich
eher toͤdten laßen muͤſſen, als ſich einem Gegenſtande
zu ergeben, fuͤr den ſie nicht die heißeſte Liebe fuͤhlte.
Aber im gemeinen Leben haben wir haͤufige Bey-
ſpiele, daß wohlgezogene Frauenzimmer, wenn ſie
gleich zur bruͤnſtigſten Leidenſchaft in ſich Zunder fuͤhl-
ten, dennoch, ſelbſt nicht in ſo mißlicher Lage wie
Mariane, mit kalter Vernunft uͤberlegt haben,
was vieles junge Volk nicht wiſſen will, daß Liebe
nicht ewig in gleicher Anſpannung dauren kann, und
daß neben der Liebe, ſo wuͤnſchenswerth ſie iſt, den-
noch noch mehr Gegenſtaͤnde in der Welt ſind, ed-
len Seelen auch wuͤnſchenswerth. Da nun Ram-
bold von Perſon nicht widrig war, da er ſich ſeit
der erſten Zeit ſeines Umgangs mit Marignen, in
ihre Gemuͤthsart geſchickt, und ſich dabey ſo ſein
hatte zu verſtellen wiſſen, daß ſie von ſeiner ſchlech-
ten Seite faſt nichts gemerkt hatte; ſo iſt ſchwer zu
entſcheiden, wozu ſie ſich vielleicht noch endlich koͤnnte
H 2ent
[114[113]]
entſchloſſen haben, wenn das Schickſal, welches
doch, wie die Poeten verſichern, beſtaͤndig uͤber die
Verliebten wachen ſoll, ihr beſtaͤndig, Nachricht von
Saͤuglings Leben verweigert haͤtte.
Fuͤnfter Abſchnitt.
Saͤugling, der von dieſen, ſo wie von allen ſeit
Marianens Entfuͤhrung vorgefallenen Be-
gebenheiten, nichts wußte, blieb in ſeiner Zunei-
gung gegen ſeine Geliebte beſtaͤndig. Sie war noch
beſtaͤndig der Gegenſtand aller ſeiner einſamen Phan-
taſien. An ſie waren alle verliebte Verſe gerichtet,
die er nicht unterlaßen konnte, von Zeit zu Zeit zu
machen. Er gab ſich unablaͤßig, obwohl fruchtlos,
Muͤhe, Nachricht von ihr einzuziehen. Er beklagte
ſich deshalb oft bey dem treuloſen Rambold, wel-
cher aber, beſonders in den letzten Zeiten, ſeine Liebe
zu einer abweſenden Perſon, die vielleicht wer weiß
wo in der Welt herumſchweifen moͤchte, mit gewoͤhn-
licher Narrentheidung zu beſpoͤtteln ſuchte, welches
auf das Gemuͤth des treuen Saͤuglings, ſo empfind-
lich er ſonſt auch gegen das laͤcherliche war, keinen
Eindruck machen konnte.
Ob
[115[114]]
Ob nun gleich, Mariane immer die Koͤni-
ginn ſeines Herzens blieb, der alle ſeine Gedanken
gewidmet waren, ſo wuͤrde doch ſeine ſo weiblich ge-
ſtimmte Seele ungluͤcklich geweſen ſeyn, wenn er
nicht mit einem gegenwaͤrtigen Frauenzimmer oͤf-
ters haͤtte umgehen koͤnnen. Auf dem Gute
ſeines Vaters aber, war keine weibliche Seele, ſei-
ner Achtſamkeit wuͤrdig, daher war es ein Gluͤck fuͤr
ihn, daß ſich bald eine Gelegenheit fand, mit einem
jungen Frauenzimmer in der Nachbarſchaft bekannt
zu werden.
Die Betſtunden, welche Saͤugling der Vater zu
halten anfieng, machten ihn mit der Frau Gertrud-
tinn, einer reichen Wittwe bekannt, die in einem
benachtbarten Staͤdtchen wohnte. Jhr ſeliger Ge-
mahl, Herr Gertrud, war ein betriebſamer Mann,
der beſtaͤndig bedacht geweſen war, ſein kleines Ta-
lent, ſo gut wie moͤglich, und zwar hauptſaͤchlich zu
ſeinem eigenem Vortheile zu nuͤtzen. Weil er
wußte, wie viel leichter es iſt, auf einem gutmuͤthi-
gen Menſchen zu reiten, als pfiffige Kunden zu uͤber-
liſten, und weil er von Natur ein ehrbares und be-
daͤchtiges Anſehen hatte, ſo trieb er ſein Weſen haupt-
ſaͤchlich unter verſchiedenen enthuſiaſtiſchen und ſe-
paratiſtiſchen Religionspartheyen. Er fuͤgte ſich ganz
H 3ihren
[116[115]]
ihren Einrichtungen, drang ſehr geſtiſſentlich in die
ihnen am Herzen liegende Glaubenspunkte ein, be-
ſorgte ihre Angelegenheiten, correſpondirte mit den
entfernten Bruͤderſchaften, und vertheilte ihre Almo-
ſen. Er hatte ſich beſonders, lange bey den Herrn-
hutern aufgehalten, und war nur erſt alsdenn von
ihnen geſchieden, da man ihn uͤber gewiſſe Verwal-
tungen bruͤderlich befragen wollte, uͤber welche er
nicht bruͤderlich zu antworten gemeinet war. Seine
Frau war ihm, eho dieß geſchah, durchs Loos des
Heilandes zu gefallen, und dieſes Loos behagte ihm
ſehr wohl, denn die ihm zugefallne Schweſter, war
in ihrem neunzehnten Jahre, hatte eine feine Haut,
ein wohlbeleibtes Anſehen, und große blaue Augen,
die ſie bey geiſtlichen und weltlichen Entzuͤckungen ſehr
andaͤchtig zu verdrehen wuſte. Als er ſtarb, ließ er
ſeiner Wittwe, nebſt einem Vermoͤgen von funfzig-
tauſend Thalern, eine einzige Tochter, die Jungfer
Anaſtaſia Gertrudtinn. Dieſe war jetzt in ihrem
achtzehnten Jahre, und ſahe ohngefaͤhr eben ſo aus,
als ihre Mutter, zu der Zeit, als ſie ihrem Vater
durchs Loos zufiel. Sie hatte das gebenedeyte An-
ſehn, welches der Froͤmmling aus der Zerknirſchung
des Herzens herleitet, und der Weltling zuweilen in
einem ganz andern Verſtande annimmt. Jhre Au-
gen
[117[116]]
gen waren faſt immer niedergeſchlagen; doch wenn
ſie ſie aufhob, war ihr Blick zwar ſehr durchdrin-
gend, aber ihre Augen fielen ſogleich wieder ehrbar-
lich nieder. Sie trieb keine Kleiderpracht, und gieng
weder in Sammt noch Seide, aber das allerfeinſte
Leinen, die ausgeſuchteſten Spitzen, die Chitſe er-
ſter Sorte, obgleich ſictſamer Farbe, dienten, eine
ſehr zarte Haut und eine volle Wange, zu erhoͤhen,
die, ohne daß es ſchien, doch ſehr ſorgfaͤltig gepflegt
wurden. Sie ſprach ſehr wenig, eigentlich, weil
ſie nicht viel zu ſprechen wuſte; aber dieſe Einfalt
diente ihr zu einer frommen Koketterie. Sie ſchien
aus verſchaͤmter Zuruͤckhaltung zu ſchweigen, indem
ſie ſanft ſeufzete, und das Haupt langſam ſeitwaͤrts
ſinken ließ.
Mit dieſem jungen Frauenzimmer unterhielt ſich
Saͤugling der Sohn, wenn ihre Mutter ſeinen
Vater oder er ſie beſuchte, welches faſt woͤchentlich
geſchahe. Unterdeſſen die Frau Gertrudtinn mit
Sebaldus uͤber theologiſche Materien diſputirte, wie
ſie denn in der Dogmatik, ſo gut wie in der Polemik,
bewandert war, oder unterdeſſen ſie mit ſeinem Va-
ter die Materie von Hypotheken und Pfandbriefen
abhandelte; pflegte Saͤugling mit der Jungfer
Anaſtaſia die ſuͤſſen Gedanken zu theilen, die wie
H 4Honig
[118[117]]
Honig von ſeinen Lippen floſſen. Daß ſie ſie nicht ver-
ſtand, that nichts zur Sache, ſie machte doch einen
beſcheidenen Knix, als ob ſie ſie verſtuͤnde, ſchlug ihre
großen Augen kurz auf und wieder nieder, und erroͤ-
thete zuweilen, wenn etwas von Liebe, oder heidniſcher
Mythologie vorkam. Saͤugling der dieſes bemerkte,
und, einem Frauenzimmer zu gefallen, gern alle Geſtal-
ten annahm, verſuchte einige geiſtliche Lieder nach be-
kannten Melodien zu machen. Dieſes gelang ihm uͤber
Vermuthen. Denn die Jungfer Anaſtaſia, begann
ſie nicht allein mit vieler Begierde zu leſen, und ſang
ſie ihm mit ihrem ſchoͤnen Munde vor, ſondern die
Frau Gertrudtinn fand auch ſo viel Salbung da-
rinn, daß ſie, aus eignem Betriebe, ſich dahin zu
verwenden verſprach, daß dieſe Lieder in ein Geſang-
buch, von welchem im Herzogthume Juͤlich eine ver-
beſſerte und vermehrte Auflage beſorgt werden ſollte,
eingeruͤckt wuͤrden. Eine Hofnung, welche Saͤug-
lings kleiner Eitelkeit nicht wenig ſchmeichelte.
Auf dieſe Art ward der Umgang zwiſchen Saͤug-
lingen und der Jungfer Anaſtaſia taͤglich genauer,
und die ſchuͤchterne Anaſtaſia, ward, obgleich in
aller Ehrbarkeit, etwas geſpraͤchiger und unterhalten-
der, welches beiderſeits Eltern ſehr wohl gefiel. Denn
Saͤugling der Vater, der den Reichthum der Frau
Gertrud-
[119[118]]
Gertrudtinn kannte, berechnete, daß ſein Sohn
keine beſſere Partie thun koͤnnte, und Frau Ger-
trudtinn, welche auch wohl wußte, wie warm der
alte Saͤugling ſaß, fieng an, der Sache etwas naͤ-
her zu treten, indem ſie zuweilen bemerkte, daß die
Ehen im Himmel geſchloßen wuͤrden, und daß die
Menſchen, ſobald dieß erſichtlich ſey, dem Himmel
nicht widerſtreben muͤßten.
Saͤugling der Sohn, argwohnte alle dieſe Ab-
ſichten gar nicht, ſondern der Umgang mit einem
Frauenzimmer diente ihm nur, wie einer Uhr das
Oel, um ſeine zaͤrtlichen Phantaſien in einem glei-
chem Gange zu erhalten. Er lebte ganz unbefangen
mit der Jungfer Anaſtaſia, und widmete nichts
deſtoweniger beſtaͤndig, ſeiner abweſenden Mariane
die zaͤrtlichſte Liebe.
Sechſter Abſchnitt.
Nachdem Saͤugling der Vater von ſeiner Krank-
heit geneſen war, ward er einſt, mit ſeinem
Sohne, zu der Frau Gertrudtinn in die Stadt, zu
Mittage eingeladen. Die ſchoͤne Anaſtaſia, welche
des jungen Saͤuglings Achtſamkeiten, gleich ihrer
Mutter, ganz ernſthaft auslegte, hatte dieſen Tag
H 5alle
[120[119]]
alle ihre ſittſamen Reizungen aufgeboten, weil ſie
nunmehr zutraͤglich hielt, ſein Herz ganz zu feſ-
ſeln. Man fand an ihr heute nicht bloß, die, wohl-
beguͤterten Betſchweſtern, ſonſt eigenthuͤmliche an-
daͤchtige Selbſtgenuͤgſamkeit, nicht nur das ihnen
ſonſt gewoͤhnliche ſelbſt behagliche Achtgeben, auf ge-
ſundes Anſehen, auf Weiche der Haut, auf Glaͤtte
der Bekleidung, auf Gelindigkeit der ganzen Per-
ſon, welches ſogar bey Nonnen die Stelle alles welt-
lichen Putzes erſetzt; ſondern, ihr mit brabandiſchen
Spitzen beſetztes Haͤubchen war auch einen halben
Zoll hoͤher auf die Stirne geruͤckt, ſie ſchlug die Au-
gen oͤfter lieblich in die Hoͤhe und ließ ſie mit langſa-
mern Schmachten niederſinken, und ihre weichlich
liſpelnde Stimme, ſonſt mit Seufzerchen uͤberhaucht,
erſtarb heute auf ihren Lippen, mit einer faſt hol-
dem Laͤcheln nahe kommenden Freundlichkeit.
Alle dieſe ſchmachtende Reize, ließ ſie mit der, an-
daͤchtelnden Maͤdchen ſo eignen, zuruͤckhaltenden Jn-
nigkeit, auf Saͤuglingen wirken, als ſie nach dem
Mittagsmahle, mit ihm allein im Garten ſpazieren
gieng. Jungfer Anaſtaſia die, in ſeinen Augen, bald
die unverſtellten Merkmale des Wohlgefallens las,
glaubte ſichere Zeichen ihres geheimen Sieges zu fin-
den, und ihrem wohlmeinenden Zwecke, aus einem
weltli-
[121[120]]
weltlichen Juͤnglinge, einen frommen Ehemann zu
machen, ziemlich nahe zu ſeyn.
Jndeſſen, da ſie, mit ſtillem Herzklopfen, einer zaͤrt-
lichen Erklaͤrung entgegen ſahe, ließ ſich Saͤugling,
weit gefehlt, daß er ſeiner einzig geliebten Marians
nur einen Augenblick haͤtte untreu werden ſollen,
durch ihre anmuthige Vertraulichkeit zu nichts be-
wegen, als daß er einige von ſeinen Lieblingsliedern,
uͤber die Freuden des Lebens, aus der Taſche
nahm, die er ſich bisher noch nicht getrauet hatte,
ihr vorzuleſen. Sie hoͤrte ſie, mit voͤlliger Ergebung
in ihr Schickſal, an. Bey feinen Gedanken, die
ſie nicht verſtand, ſahe ſie freylich ein wenig daͤmiſch
aus, aber dieß ward durch das ſanfte Laͤchein verguͤ-
tet, welches zugleich diente ihre ſchoͤnen Zaͤhne, und
die Gruͤbchen in ihren runden Wangen zu zeigen.
Bey verliebten Stellen erroͤthete ſie nicht gleich, wie
ſonſt, ſondern hob die Augen ſeitwaͤrts, mit einem
Blicke zwiſchen Verſchaͤmtheit und Sehnſucht, in die
Hoͤhe, und erſt, wenn, im Herabſinken, ihre Augen,
Saͤuglings auf ihren Beyfall gierigem Blicke, be-
gegneten, ſtieg ein ſanftes Roth auf ihre vollen
Wangen, indem ihre Augen nochmals furchtſam
aufblinzten.
Unter-
[122[121]]
Unterdeſſen daß dieſes vorgieng, hatte ſich ein mit-
gebetener Freund der Frau Gertrudrinn des alten
Saͤuglings bemaͤchtigt, und ihn nach Tiſche ebenfalls
in eine andere Gegend des Gartens gefuͤhret. Er brach-
te, ungezwungner Weiſe, das Geſpraͤch auf die Jung-
fer Anaſtaſia, und breitete ſich ausfuͤhrlich uͤber das
große Heuratsgut aus, das ſie zu gewarten haͤtte.
Er erzaͤhlte zugleich, es haͤtten ſich ſchon viele Par-
theyen gefunden, die aber, weil ſie Weltkinder ge-
weſen, von der Frau Gertrudtinn abgewieſen wor-
den, bis ſich kuͤrzlich erſt, ein annehmlicher Braͤuti-
gam, ſogar ein Edelmann gefunden haͤtte, deſſen
Anſuchen jetzt wirklich in Erwegung gezogen wuͤrde.
Dieſe Nachricht that auf den alten Saͤugling
die begehrte Wirkung. Er ward etwas ſtill, blies
einige Minuten lang, den Rauch langſamer aus
ſeiner Pfeife, und fragte, ſo gleichguͤltig als er konn-
te: ‚Ob denn der bewußte Braͤutigam ſchon das Ja-
„wort erhalten haͤtte?‛
‚Bis jetzt noch nicht, ſagte der Freund des Hau-
„ſes, die Sache iſt jetzt wirklich in Ueberlegung, und
„verdient ſie.‛
Jch wuͤnſchte, ſagte der alte Saͤugling, nach-
dem er wieder einige Minuten pauſiret hatte, ‚daß
„ich eher etwas davon gewußt haͤtte, denn ich muß
„geſte-
[123[122]]
„geſtehen, daß ich die Jungfer Anaſtaſia immer fuͤr
„eine meinem Sohne ſchickliche Parthey gehalten
„habe.‛
Der Hausfreund verſicherte, daß hierbey noch
nichts verlohren waͤre, man ſey mit dem andern
Braͤutigam auf keine Weiſe gebunden, und ob der-
ſelbe gleich nicht nur ein Mann von Stande ſey,
ſondern auch ein rechtes frommes Gnadenkind ge-
worden: ſo ſey er doch ein Officier, und man wiſſe
wohl, daß Leute dieſes Standes, am leichteſten in
Ruͤckfall gerathen koͤnnen; daher werde die Frau
Gertrudtinn ſeinem Sohne gewiß den Vorzug
geben, nur muͤſſe er, wie leicht zu erachten, ſich ſehr
bald deshalb erklaͤren.
Der alte Saͤugling ward uͤber dieſe Nachricht
uͤberaus vergnuͤgt, verſicherte, daß er morgen un-
verzuͤglich mit ſeinem Sohne reden wollte, welcher
ihm ſchon laͤngſt eine beſondere Neigung zur Jungfer
Anaſtaſia zu haben ſchiene, und da er gar nicht
zweifelte, derſelbe werde zu dieſer Heurath die groͤße-
ſte Begierde zeigen: ſo nahm er zugleich die Abrede,
daß die Frau Gertrudtinn, nebſt ihrer Tochter, und
ihm, dem Hausfreunde, auf den uͤbermorgenden Tag,
auf ſein Gut, zum Mittagseſſen gebeten werden ſoll-
ten; damit alsdenn der erſte Antrag geſchehen, und
viel-
[124[123]]
vielleicht gar die Sache gleich in Richtigkeit gebracht
werden koͤnnte.
Der Freund der Frau Gertrudtinn, beſtaͤrkte
den alten Saͤugling ſehr in dieſem Vorſatze, und
fuhr fort, ihm eine ausfuͤhrliche Auskunſt uͤber der-
ſelben Vermoͤgen zu geben, nebſt andern dahin einſchla-
genden dem Alten uͤberaus angenehmen Geſpraͤchen.
Es entſpann ſich daher zwiſchen beiden eine wechſelſei-
tige Vertraulichkeit, und ſie hatten einander ſo viel
zu ſagen, daß, als gegen Abend, die Zeit zur Abfarth
herankam, der alte Saͤugling ſich, ohne Umſtaͤnde,
in den Wagen des fremden Herrn ſetzte; damit ſie in
ihrem Geſpraͤche fortfahren, und ihre Rathſchlaͤge und
Entwuͤrfe ferner ins Reine bringen koͤnnten.
Der junge Saͤugling fuhr alſo ganz allein. Dieſer
war durch die Lieblichkeit der Jungfer Anaſtaſia,
und durch den Weihrauch, den ſie ſeinen Gedichten
angezuͤndet hatte, (denn er hielt ihr Seufzen und
Erroͤthen bloß fuͤr eine ſtarke Wirkung ſeiner Ge-
dichte) in die wohlgefaͤlligſte Laune geſetzt worden.
Es war einer der ſchoͤnſten Sommerabende. Er
ſtieg daher aus dem Wagen, als der Weg neben
einem Walde vorbeygieng, um einen Spaziergang zu
Fuße zu machen. Der Kutſcher beſchrieb ihm einen
Fusſteig, der nach einer Viertelmeile wieder aus dem
Walde
[[124]][]
[125[]]
Walde herausfuͤhrte. Dahin ward der Wagen be-
ſchieden, und Saͤugling gieng in das Gebuͤſch, mit
der Schreibtafel in der Hand, um, unter den Ein-
fluͤſſen der ſchoͤnen Gegend, einer Scene in ſeinem
empfindſamen Romane nachzudenken.
Er war ſchon, eine geraume Zeit, in aller Wolluſt
der Autorempfaͤngniß, fortgewandelt, als er, ohnge-
faͤhr dreißig Schritte vom Fußſteige ab, im Walde
einen angenehmen Geſang zu hoͤren glaubte. Er
ward dadurch noch mehr aufmerkſam gemacht, da
ihm die Melodie bekannt war, noch mehr, da es ihm
bey naͤherm Hinzugehen, eines ſeiner Lieder zu ſeyn
ſchien, noch mehr, da ihm die Stimme Marianens
Stimme zu ſeyn beduͤnkte. Er eilte durch das Ge-
ſtraͤuch. Es war wirklich Mariane, die bey ihrem
gewoͤhnlichen einſamen Abendſpaziergange, ſich am
Ufer des kleinen Baches niedergeſetzt hatte, ihren
ſchwermuͤthigen Gedanken, uͤber ihren geliebten ihr
ſo fruͤhzeitig geraubten Saͤugling nachzuhaͤngen,
und in dieſem ſuͤßen Staunen, ein von demſelben ehe-
mals an ſie gerichtetes Lied ſang.
Als ſie Saͤuglingen erblickte, ſprang ſie auf, und
that einen lauten Schrey, weil ſie glaubte ein Ge-
ſpenſt zu ſehen. Er uͤberzeugte ſie aber bald, daß er
lebte, da er ſie aufs feurigſte in ſeine Arme ſchloß,
und
[126[125]]
und den erſten Kuß auf ihre jungfraͤulichen Lippen
druͤckte. Unnennbare Freude zitterte aus beiden in
dieſer Umarmung, fuͤr alle Beſchreibung zu innig.
Marianens ganze Zuruͤckhaltung zerfloß in dieſem
Gefuͤhle, wie Eis beym Blick eines Maytages. Sie
ſchwor die Seinige zu ſeyn, ſie war die Seinige.
Jn dieſer wonnevollen Unterhaltung verſtrich eine
Stunde, ohne daß ſie es merkten. Saͤuglings Be-
dienter, der, an dem abgeredeten Orte, mit dem Wa-
gen ſo lange gewartet hatte, ward endlich unruhig,
ſuchte ſeinen Herrn im Walde, fand ihn, und erin-
nerte ihn, nach Hauſe zu fahren.
Siebenter Abſchnitt.
Saͤugling kam ſo ſpaͤt nach Hauſe, daß er ſei-
nen Vater dieſen Abend nicht ſprechen konnte.
Nach einer Nacht voll unruhiges Schlafs, ließ er
bey fruͤhem Morgen ſeinen Paßgaͤnger ſatteln, und
ritt ganz allein nach dem Hauſe im Walde. Wie
ihn Mariane, in deren Herzen, nach langem freudelo-
ſen Harren, die heißeſte Liebe wallte, empfangen
habe, kann nicht beſchrieben werden, und iſt nicht noͤ-
thig zu beſchreiben. Beide waren im erſten Tau-
mel wechſelſeitig geſtandener Liebe, wo jedes halbge-
ſtammelte
[127[126]]
ſtammlete Wort Entzuͤckung iſt, jeder Blick ein Ge-
luͤbd, dieſe Entzuͤckung ſolle ewig danern. Jhre
geſtrige Zuſage, einander ewig treu zu bleiben,
ward durch den heißeſten Kuß beſiegelt. Saͤugling
ſteckte ihr einen brillantenen Ring an den Fin-
ger, der, wenn man eine kleine Feder druͤckte,
aufſprang, und ein Sinnbild entdeckte, mit der
Ueberſchrift: Ewig getreu. Mariane ſchenkte
ihm eben den kleinen Demantring in Form eines
flammenden Herzens, den ihre Mutter einſt ihrem
Vater, am Tage ihrer Verlobung gab*), und den
ſie bisher, als ein werthes Andenken, an ihrem Fin-
ger getragen hatte.
Auf dieſe Art kam der Mittag heran, da ſie ein
laͤndliches Mahl unter den baͤuriſchen Gluͤckwuͤnſchun-
gen der ehrlichen Hausleute, mit herzlicherm Wohl-
geſchmacke verzehrten, als die theure Kuͤche des lie-
bemangelnden Schwelgers gewaͤhren kann.
Erſt Nachmittags, konnte Mariane ihrem
Saͤugling Rambolds Betrug, wovon ſie frey-
lich den ſchaͤndlichſten Theil nicht wußte, aus-
fuͤhrlich erzaͤhlen. Jn den erſten wonnetrunknen
Ausbruͤchen der Liebe, hatte ſie ihn kaum mit wenig
Worten beruͤhrt. Beide entbrannten uͤber ſeine
niedertraͤchtige Erdichtung, wodurch ihr Gluͤck ſo
lange war zuruͤckgehalten worden. Als ihr Unmuth
gegen ihn aufs hoͤchſte geſtiegen war, ſahen ſie ihn,
unvermuthet, ſelbſt ankommen, um einen ſeiner ge-
Dritter Theil. Jwoͤhn-
[128[127]]
woͤhnlichen Beſuche abzulegen. Er war nicht we-
nig betroffen, Saͤuglingen zu finden, und wollte
ſich erſt mit ſeiner gewoͤhnlichen Hohnneckerey
heraushelfen; da ihm aber, ſowohl von Saͤuglingen
als von Marianen, ſeine Niedertraͤchtigkeit mit den
bitterſten Worten vorgeworfen ward, brachte ihn
der Zorn daruͤber, und der Verdruß, ſein Projekt
gaͤnzlich mißlungen zu ſehen, ſo auſſer aller Faſſung,
daß er unverſehens, und faſt ehe Saͤugling ſich in
Vertheidigung ſetzen konnte, mit bloßem Degen
uͤber ihn herfiel. Mariane warf ſich zwiſchen beide,
aber vielleicht wuͤrde dieß dem erboßten Rambold
doch nicht Einhalt gethan haben, wenn nicht der
alte Hauswirth, welcher ein Zeuge dieſes Auftritts
war, der auf einem gruͤnen Platze vor dem Hauſe
vorgieng, mit einem Hebebaume, ſo wirkſam nach
Rambolds Schulter gefahren waͤre, daß dieſer ſein
Schwert einſteckte, und unter vielen Fluͤchen, ſein
Pferd wieder beſtieg und davon jagte.
Dieſer Vorfall, unterbrach in etwas das Vergnuͤ-
gen dieſes Tages. Als ſich aber Mariane von ihrem
Schrecken erholet hatte, ward er ein Quell noch zaͤrt-
licherer Empfindungen. Beide verlohren ſich in der
Vorſtellung des Gluͤcks einer ewigen Verbindung, wo-
zu Saͤugling, als er ſpaͤt gegen Abend endlich Abſchied
nehmen mußte, die Einwilligung ſeines Vaters, in
moͤglichſter Geſchwindigkeit zu erlangen verſprach.
Ende des achten Buchs.
Neun-
[129[128]]
Neuntes Buch.
Erſter Abſchnitt.
Des andern Morgens ließ Saͤugling der Va-
ter, welcher ſchon den ganzen vorigen Tag,
mit Ungeduld nach ſeinem Sohne gefragt hatte, den-
ſelben ſehr fruͤh zum Thee rufen.
‚Jch fuͤrchte mich,‛ ſagte der Alte, ‚du moͤchteſt
mir ſonſt heute wieder wegreiſen, wie geſtern.‛
‚Jch moͤchte auch wohl,‛ verſetzte der Sohn, ‚nur
„erſt muß ich Jhnen von meiner geſtrigen Reiſe, wich-
„tige Dinge erzaͤhlen, beſter Vater!‛
V. Laß ſeyn! Jch habe dir noch viel wichtigere
Dinge zu ſagen. Hoͤr’ nur, ob du gleich meinſt, du
machſt alle deine Dinge ſo heimlich, daß es niemand
merkt, ſo hab’ ich dirs doch lange angeſehen, daß
du eine Zuneigung zur Jungfer Gertrudtinn haſt.
J 2Jch
[130[129]]
Jch habe ſie heute nebſt ihrer Mutter zu Mittage
gebeten, — Nun, wie waͤrs, wenn ich fuͤr dich
heute um ſie anhielte? He?
S. (erſtaunt) Aber, liebſter Vater, wie koͤnnen
Sie darauf kommen, daß ein Menſch von Talenten
wie ich, mit einem einfaͤltigen Maͤdchen von unkul-
tivirten Geiſte, werde ſein ganzes Leben zubringen
wollen. Welche Geſellſchaft fuͤr einen Geiſt, wie
ich?
V. Einen Geiſt wie du? da ſchweben wir wieder
oben im hohen Himmel! Aber glaub mir! Hienie-
den kenne ich, fuͤr einen Muͤßiggaͤnger — und das
biſt du doch wohl — der wohl zeitlebens nicht auf
Eine Entrepriſe denken wird, keine beſſere Geſell-
ſchaft, als funfzigtauſend Thaler, und die wird
die Jungfer Gertrudtinn einmahl wohlgezaͤhlt von
ihrer Mutter erben. Siehſtu! Funfzigtauſend
Thaler!
S. Nein! Reichthum kann mich nicht gluͤcklich
machen. Mich, zum Umgange mit Muſen und
Grazien gewoͤhnt — Liebe, uͤberſchwengliche Liebe —
V. Und wie uͤberſchwenglich muß denn die Liebe
ſeyn? Jhr waret doch beſtaͤndig gern bey einander,
hattet auch immer was zu fluͤſtern, und wenn du
denn die Jungfer Anaſtaſia acht Tage lang nicht ge-
ſehen
[131[130]]
ſehen hatteſt, ſo wars denn, als ob dir was fehlte —
Das ſah mir doch ſo ziemlich wie Liebe aus.
S. Liebe? Dieß geſchah bloß, weil in dieſer Ein-
ſamkeit kein anderes junges Frauenzimmer zu fin-
den war. Mir iſt aber wirklich der Umgang mit
einem Frauenzimmer nothwendig, damit beſtaͤndig
in meinem Herzen ſanfte und gefaͤllige Empfindun-
gen herrſchen, und in meine Gedichte hinuͤberfließen
moͤgen.
V. Ey nun, ſo heurathe die Jungfer Gertrud-
tinn, ſo wird dir ihr Umgang noch aus einer Urſach
nothwendig. Zeit iſts ohnedieß, daß du heuratheſt.
S. Das iſt auch mein Vorſatz, mein beſter Va-
ter! Dieß war die wichtige Nachricht, die ich Jh-
nen von meiner geſtrigen Reiſe erzaͤhlen wollte. Jch
habe ſie wieder gefunden, die Goͤttin meiner Seele,
die ich ſchon lange liebe, die nun auch mich liebt, die
meiner ganzen Liebe wuͤrdig iſt. Jung! Schoͤn!
Edel! Verſtaͤndig! Witzig! Sie lebt eine Meile
von hier in einer Schaͤferhuͤtte im Walde, in aller
Unſchuld des goldnen Zeitalters! Jhr habe ich ewige
Treue geſchworen, und nie ſoll eine andere dieß Herz
ruͤhren, dieß Herz voll von brennendem zaͤrtlichem
Gefuͤhle, gegen die goͤttliche Schoͤne.
J 3V. Was
[132[131]]
A. Was redſt du da? Was fuͤr romanhaftes Ge-
ſchwaͤtz? Eine Goͤttin die in einer Huͤtte lebt? Ey
nun ja, die wird freylich auch wohl kein Geld ha-
ben, denn das braucht man weder im Himmel noch
im goldnen Zeitalter. — Aber ſage mir nur, iſts
moͤglich daß du mir ſolche Streiche machſt? Gleich
ſag’ heraus; wer iſt das Menſch?
S. Aber lieber Papa! — Aber wirklich — Sie
ſprechen in Ausdruͤcken — von dem edelſten ſuͤßeſten
Maͤdchen — Es iſt doch auch nicht ein bischen —
Sie machen mich warhaftig ganz verwirrt.
V. So! der Herr Sohn meint, ich brauchte nicht
Reſpekt genug! Gar fein! Wer iſt denn alſo deine
Goͤttinn? Wem gehoͤrt ſie an?
S. Beſter liebſter Vater! Es iſt die ſchoͤnſte Seele
in dem ſchoͤnſten Koͤrver, ſanft, gut, gefaͤllig —
V. Beſter liebſter Herr Sohn, wem ſie angehoͤrt,
wer ihre Eltern ſind, moͤchte ich wiſſen.
S. Sie iſt die Tochter eines wuͤrdigen Mannes,
eines redlichen Predigers, eines ungluͤcklichen Man-
nes, der von den Feinden vertrieben worden. Sie
hat unſchuldig viele Verfolgungen ausſtehen muͤſ-
ſen, die Vorſicht hat ſie mir nach langer Abweſen-
heit wieder zugefuͤhrt. Jch habe ſie nun, ich liebe
ſie
[133[132]]
ſie mit innigſter Zaͤrtlichkeit und werde nimmer von
ihr laßen.
Der Alte ließ fuͤr Schrecken ſeine Pfeife zu Bo-
den fallen. Der ſchoͤne Entwurf, ſeinen Sohn mit
einem reichen Franenzimmer zu verbinden, den er fuͤr
ganz ausgemacht hielt, ſah er mit einemmahle ver-
nichtet, ſein Sohn war in ein armes Maͤdchen ver-
gafft, das in eine benachbarte Huͤtte, Gott weiß
woher, gekommen war, und was das ſchlimm-
ſte war, denn ſein Phlegma ſtellte ſich allemahl die
naͤchſten Berlegenheiten als die groͤßten vor, er wuſte
gar nicht, was er mit der Frau Gertrudtinn, ih-
rer Tochter und dem Freywerber anfangen ſollte,
die er zu heute Mittage gebeten hatte, um den Heu-
rathsantrag zu thun, in der ganz zuverlaͤßigen Vor-
ſtellung, daß ſein Sohn nichts lieber wuͤnſchte.
Endlich ermannte er ſich, um ſeinem Sohne zu
beweiſen, daß es ſich fuͤr ihn gar nicht ſchicke, ein
armes Maͤdchen zu nehmen, und ſein Sohn erman-
gelte nicht, mit vielen Gegengruͤnden darzuthun,
daß ein Maͤdchen, die er liebte, das einzige Gluͤck
ſeines Lebens machen werde. Jn dieſem Streite,
ward die kaltſinnige Ruhigkeit des Vaters, bald von
der feurigen Heftigkeit des Sohnes betaͤubt. Da
Saͤugling alſo merkte, daß ſein Vater ſtiller ward,
J 4bekam
[134[133]]
bekam er Muth, und bot alle ſeine Beredſamkeit
auf, um denſelben zu uͤberzeugen. Jndem er nun
mit heller Stimme fuͤr ſeine Meinung kaͤmpfte, und
dabey mit den Haͤnden fochte, erblickte der Vater
den Ring mit dem flammenden Herzen, an der linken
Hand ſeines Sohnes.
‚He da!, rief er, und nahm ihn bey der Hand,
„Laß ſehen Junge! ich glaube du haſt dich im ganzen
„Ernſte verplempert. Jch will nicht hoffen, daß du
„den Ring von dem Maͤdchen haſt.‛
‚Ja! von ihr!‛ rief der Sohn, und kuͤßte den
Ring, indem er ihn dem Vater vorhielt, ‚ſie iſt die
„ſuͤßeſte Seele, voll Unſchuld und Liebe, weiß und
„glaͤnzend wie dieſe Steine.‛
‚Warhaftig, ſagte der Vater bedaͤchtig, indem er
den Ring gegen das Fenſter kehrte, ‚der Mittelbril-
„lant iſt vom erſten Waſſer. Hoͤre nur, das Maͤd-
„chen kann doch wohl nicht ganz arm ſeyn, wenn ſie
„ſolche Ringe verſchenkt — Sehen Sie Herr Paſtor,
„einen ſchoͤnen Stein, einen ausbuͤndigen Stein, —‛
fuhr er gegen den Sebaldus fort, der eben, mit den
Zeitungen in der Hand, herein getreten war.
Sebaldus hatte kaum den Stein erblickt, als er
voll Erſtaunen ausrief:
‚Gott!
[135[134]]
‚Gott! woher haben Sie den Ring? er gehoͤrt
„meiner Tochter.‛
‚Jhrer Tochter?‛ riefen Vater und Sohn.
‚Jch habe den Ring, fuhr der Sohn fort, von
„dem beſten edelſten Maͤdchen, das ich unausſprech-
„lich liebe, und ewig lieben werde. Jſt ſie Jhre
„Tochter? — wohl mir! — So iſt ſie die Tochter
„eines ſehr redlichen Mannes.‛
Der junge Saͤugling erzaͤhlte einige Umſtaͤnde,
die dem Sebaldus keinen Zweifel mehr uͤbrig ließen.
Sebaldus bat den Alten, ihn ſogleich zu ſeiner Toch-
ter fahren zu laßen, der junge Saͤugling bat ſeinen
Vater fußfaͤllig, daß er mitfahren duͤrfe. Dieſer be-
willigte endlich beydes, nur mit dem Bedinge, daß
ſie zur Mittagsmahlzeit wiederkaͤmen, und daß ſie
ſich, von allem vorgefallenem, gegen die Frau Ger-
trudtinn und ihre Tochter, nichts ſollten merken
laßen, wodurch er ſich wenigſtens aus ſeiner heuti-
gen Verlegenheit zu ziehen hoffte. Der junge Saͤug-
ling ſprang gleich fort, um ſellbſt die geſchwinde An-
ſpannung eines Wagens zu beſorgen. Unterdeſſen
verlangte Saͤugling der Vater vom Sebaldus einen
Handſchlag, daß er die Heirath ſeines Sohns mit
Marianen nicht befoͤrdern wollte. Sebaldus gab
ihm deshalb ausdruͤcklich ſein Wort, und der Alte,
J 5der
[136[135]]
der Sebaldus ehrliche Denkungsart kannte, machte
ſeiner eignen Klugheit insgeheim ein Kompliment,
indem er dadurch ſeinem Sohne einen ſtarken Schritt
abgewonnen zu haben glaubte.
Sebaldus fuhr mit dem jungen Saͤugling, nach
dem Hauſe im Walde. Als Mariane den Wagen
ankommen ſah, flog ſie ihrem Liebhaber entgegen.
Er war aber kaum aus dem Wagen geſprungen, als
ſie auch ihren Vater erblickte. So viele Freude auf
einmahl zu ertragen, iſt ein menſchliches Herz zu
ſchwach. Sie fiel in Ohnmacht. Als ſie wieder zu
ſich kam, ſtuͤrzte ſie, mit Freude ohne Maaße, in
ihres Vaters Arme, in die er ſie mit vaͤterlicher Jn-
brunſt ſchloß. Aber bald miſchten ſich traurige Em-
pfindungen in ihre Freude. Jhr Vater hielt ihr
ſeine jetzige Lage gegen den alten Saͤugling vor.
Er gab ihr zu uͤberiegen, ob er nicht deſſen Gutthaͤ-
tigkeit mit Undanke belohnen und die heiligſten Rechte
der Gaſtfreundſchaft verletzen muͤßte, wenn er, wie
es allemahl ſcheinen wuͤrde, aus Eigennutz, zu ihrer
Heurath mit dem jungen Saͤugling, wider des Va-
ters Willen, ſeine Einwilligung geben wollte. Er
erklaͤrte ihr endlich, daß er dem Alten foͤrmlich des-
halb ſein Wort gegeben habe, und nun forderte er
auch
[[136]]
[][137[]]
auch von ihr ein ausdruͤckliches Verſprechen, alle Ge-
danken daran, fahren zu laßen.
Marianens innrer Streit war ſehr heftig. Sie
war noch nie ihrem Vater ungehorſam geweſen, ſie
fuͤhlte, es wuͤrde unedel ſeyn, ihm jetzt, in dem nicht
zu gehorſamen, was er mit vaͤterlichem Ernſte und
guter Gruͤnde wegen, verlangte, aber ſie fuͤhlte auch,
es heiße, ſich das Herz ausreiſſen, wenn man dem
einzig Geliebten ploͤtzlich ganz entſagen ſoll. Kind-
liche Pflicht ſiegte endlich in der edlen Seele, wie
Pflicht uͤber Leidenſchaft allemahl: mir Muͤhe. Sie
benetzte ihres Vaters Hand mit Thraͤnen, und ſchwur,
nichts wider ſeinen Willen zu thun, nichts, das ihr
und ihm unanſtaͤndig waͤre.
Sie ermahnte ſelbſt Saͤuglingen, mit einem
Strome von Thraͤnen, ſtandhaft zu ſeyn, ſie zu
vergeſſen. Aber der hohe Schmerz, mit dem, bey
ihrer großmuͤthigen Entſagung, ihr Auge auf ihn blick-
te, befoͤrderte ſelbſt ſeine Liebe bis auf den hoͤchſten
Grad. Er gerieth in die heftigſte Leidenſchaft, er
ſchwor zu ihren Fuͤßen, nimmer von ihr zu laßen,
er bot ihrem, er bot ſeinem Vater Trotz, ſeiner
Liebe Hinderniſſe entgegen zu ſetzen, er ſchloß ſie in
ſeine Arme, und bot der ganzen Welt Trotz, ſie von
ihm zu reißen. Marianens thraͤnende Bitten, aus
allem,
[138[137]]
allem was Liebe bitteres und ſuͤßes hat gemiſcht,
Sebaldus beweglichſte Vorſtellungen, halfen nichts.
Er ſchloß ſie nochmals in ſeine Arme, und betheuerte
mit den heftigſten Schwuͤren, ſie ſolle ewig die Sei-
nige ſeyn.
Sebaldus, hatte ſich noch nie in einer ſo delika-
ten Lage befunden. Er ſah ſich in unausſprech-
licher Veriegenheit. Er liebte ſein Kind zaͤrt-
lich, und doch bewogen ihn Vernunft und Pflicht,
ihr zu verſagen, was, wie er ſahe, ſie gluͤcklich ma-
chen wuͤrde, und es war nicht abzuſehen, wenn
auch Mariane gehorſamte, wie die heftige Leiden-
ſchaft des Juͤnglings zu zaͤhmen ſeyn moͤchte.
Jndeſſen verſtrich die Zeit, und Sebaldus, des
Verſprechens eingedenk, zur Mittagsmahlzeit zu-
ruͤckzukehren, erinnerte Saͤuglingen an die Abreiſe.
Saͤugling aber war durch keine Vorſtellung zu be-
wegen, ſich von Marianen zu trennen, und ſchwor
abermals, nicht eher zu ſeinem Vater zuruͤck zu keh-
ren, bis er deſſen Einwilligung zu ſeiner Verbin-
dung erhalten haͤtte. Sebaldus ſah endlich, nach
vielen fruchtloſen Verſuchen, der Juͤngling ſey zur
Ruͤckreiſe nicht zu zwingen, und ihn zuruͤckzulaßen,
hielt er ſehr bedenklich, weil, in dieſer convulſivi-
ſchen Leidenſchaft, heftige unuͤberlegte Rathſchlaͤge zu
fuͤrch-
[139[138]]
fuͤrchten waren. Er entſchloß ſich alſo in dieſer aͤußer-
ſter Verwirrung der Sache (ob er gleich noch nicht
wußte, wie dieß der alte Saͤugling aufnehmen
koͤnnte) ſeine Tochter mitzunehmen, und bey ſich zu
behalten, wo er den weitern Gang dieſer Angelegen-
heit, beſſer zu uͤberſehen, und gemeinſchaftlich mit
dem alten Saͤugling, die zutraͤglichſten Maasregeln
nehmen zu koͤnnen, vermeinte.
Verliebte ſind wie Kinder. Kaum vernahm
Saͤugling des Sebaldus Entſchluß, als er, von der
aͤußerſten Wuth, zur aͤußerſten Freude uͤbergieng.
Mit ſeiner Mariane, deren gegenwaͤrtige Treu-
nung von ihm, ſeine Leidenſchaft als das aͤußerſte
Ungluͤck darſtellte, nun unter eben dem Dache woh-
nen zu koͤnnen, ſchien ihm das aͤußerſte Gluͤck. Er
umarmte den Sebaldus, er kuͤßte deſſen Hand, er
hat ihn, wegen aller unuͤberlegten Worte, die er in
der Wut ausgeſtoßen hatte, um Vergebung. Sein
Gemuͤth war ploͤtzlich umgeſtimmt, vernuͤnftigen
Vorſtellungen Gehoͤr zu geben, er verſprach ſich
zu maͤßigen, verſprach ſeines Vaters zu ſchonen,
verſprach alles, Marianens Geſellſchaft uͤberwog
alles, fuͤllte ſeine Seele ganz, ließ keinem andern
Gefuͤhle Raum.
Sie
[140[139]]
Sie ſetzten ſich ſaͤmmtlich in den Wagen, und
fuhren, aͤußerlich beruhigt, zuruͤck.
Zweyter Abſchnitt.
Saͤugling der Vnter, befand ſich in ziemlichet
Unruhe, theils, weil ſein Sohn zur geſetzten
Zeit nicht zuruͤckkam, theils, weil er unſchluͤſſig
war, wie er ſich gegen die Frau Gertrudtinn und
ihre Tochter betragen ſollte, die noch nicht wußten,
daß der Abſicht, wegen welcher man ſie auf heute
gebeten hatte, ein ſo großes Hinderniß in den Weg
gelegt war. Jndeſſen ward ihm ein Theil dieſer
Verlegenheit benommen, da die Frau Gertrudtinn
ohne ihre Tochter erſchien. Ob Saͤuglings Ge-
dichte, oder die Furcht und Hofnung wegen ſeiner
Entſchließung, oder andere Urſachen, auf ihre zar-
ten Nerven allzuſtark gewirket haben mochten, iſt
ungewiß. Genug, ſie war denſelben Morgen mit
Kopfweh, Uebelkeiten und Zittern der Glieder be-
fallen worden, eine Krankheit, wegen welcher ihre
Mutter in ziemlichen Sorgen zu ſeyn ſchien.
Kurz nachher kam auch der junge Saͤugling mit
ſeiner Geſellſchaft an. Mariane ward indeſſen in
Sebal-
[141[140]]
Sebaldus Zimmer gefuͤhrt, bis man nach Tiſche
dem Alten dieſen Vorgang berichten konnte.
Bey Tiſche war die ganze Geſellſchaft nicht ſon-
derlich aufgeraͤumt. Alle ſuchten ihre innerliche Ver-
legenheit zu verbergen, und dachten ihren beſondern
Entwuͤrfen nach. Nach Tiſche zog der Freund der
Frau Gertrudtinn, den alten Saͤugling, in das
Fenſter eines Nebenzimmers, wo ſie bald in ein tie-
fes Geſpraͤch uͤber die Heurathsſachr geriethen. Der
junge Saͤugling ſchlich ſich, ohne daß jemand dar-
auf dachte, zu ſeiner Mariane, und die Frau
Gertrudtinn blieb mit Sebaldus auf einem Kanape
ſitzen, weil ſie heute ſich vorgenommen hatte, mit
ihm, die wichtige Lehre von dem geiſtlichen Verder-
ben der menſchlichen Natur, aus dem Grunde abzu-
handeln. Sebaldus hatte, in ihren vorigen Diſpu-
ten, der menſchlichen Natur Kraͤfte zur Beſſerung
zugeſtanden, die Frau Gertrudtinn aber, hatte
hierbey alles der Gnade zugeſchrieben. Sie war
ſchon einige mahl vom Sebaldus mit verſchiedenen
Argumenten ziemlich eingetrieben worden, heute
aber hatte Sie ſich vorbereitet, ihn ſchlechterdings da-
nieder zu ſchlagen. Da das Geſchnatter einer Re-
ligionscontroverſiſtinn, zumahl, wenn es erſt zu einer
gewiſſen Staͤrke gekommen, ſchwer zu uͤberwaͤltigen
iſt,
[142[141]]
iſt, und da der gute Sebaldus ohnedem von Ma-
rianens kritiſcher Lage den Kopf voll hatte, ſo iſt
leicht zu erachten, daß dieſesmahl die Frau Ger-
trudtinn leichter gewonnen Spiel haben konnte.
Sie hieb alſo alle menſchliche Tugenden unbarmher-
zig nieder, um nachher der Gnade daraus ein Sie-
geszeichen zu errichten. Sie erzaͤhlte, mit gelaͤufi-
ger Zunge, alle die Wunder die durch die Gnade,
an unwiedergebohrnen Menſchen, im Leben und auf
dem Todbette, je haben ſollen verrichtet worden ſeyn,
ſie pluͤnderte die duͤſtern Schriften einer Bourignon,
eines Hans Engelbrechts, Gerbers, Reiz, Bo-
gatzki und anderer, und zuletzt, weil doch ein jeder
Heiliger, gern ein Wunder von ſeinem eignen Mach-
werke zu haben pflegt, erzaͤhlte ſie, daß in dem
Wirthshauſe, ihrem Hauſe gegenuͤber, ein junger
Kornet im Quartiere liege, der zwar immer ein na-
tuͤrlich guter, aber doch ein unwiedergebohrner
Menſch geweſen, nachdem er aber nun, ſeit laͤnger
als einem halben Jahre, die Erbauungsſtunden, die
ſie in ihrem Hauſe halte, beſucht habe, ſey er von
der Gnade auf eine ſo kraͤftige Art ergriffen worden,
daß ſie ſeine merkwuͤrdige Bekehrungsgeſchichte auf-
gezeichnet habe, und ſie naͤchſtens nach Magdeburg
ſchicken wolle, um, den Unglaͤubigen zur Beſchaͤ-
mung
[143[142]]
mung in das geiſtliche Magazin eingeruͤckt zu
werden.
Unter dieſen Geſpraͤchen, fuhr ein Wagen vor
die Thuͤre, aus welchem der Hr. von Haberwald
halbbetrunken heraustaumelte. Die Frau Ger-
trudtinn wollte mit ſolchem Weltkinde nichts zu
thun haben, ließ ſich alſo vom Sebaldus in den
Garten fuͤhren, ehe der Herr von Haberwald
heraufkam.
Dieſer, nachdem er ſich mit ſeiner Flaſche Wein
erfriſcht hatte, legte ſich in den Lehnſtuhl und
fieng an zu ſchwatzen:
‚Jch komme da vom Landtage zuruͤck, wo der
„Sechs und zwanziger gefloſſen iſt, und denn hatte
„der Praͤlat von *** ein Ohmchen Neuner,
„ſo juſt fuͤr ’nen Kenner. Doch haben wir auch
„uͤbers Landes Beſte die Koͤpfe zuſammengeſteckt,
„denn ſo wahr ich lebe, Nachbar Saͤugling, was
„mich betrift, ich habe Verſtand fuͤr zwey, wenn
„ich getrunken habe. — Ja nun, was wollte ich
„doch ſagen, — der Landtag war aus, ſo muß
„man doch auch ’n bischen ſehen, wie ’s zu
„Hauſe ausſieht — ſo fahren wir denn zuruͤck und
„ich komme heute um halb eilfe nach *** da hab’
„ich im rothen Loͤwen, bey dem putzigen Wir-
Dritter Theil. K„the
[144[143]]
„the mit der Stumpfnaſe gegeſſen, der Kerl hat
„Burgunder, ſo gut wie in Luͤttich, Forçe!
„Feuer! wer ihn nicht verſteht, den wirft er un-
„tern Tiſch — Ja was wollte ich doch ſagen —
„Gegenuͤber wohnt, du weiſt’s Nachbar Saͤug-
„ling, die alte reiche Hexe die Gertrudtinn, mit
„einemmahle, wie wir im beſten Trinken ſind, wird
„da ein Laͤrm im Hauſe, die Leute liefen vor der
„Thuͤr zuſammen, und wir ans Fenſter.‛ —
‚Wie ſo?‛ fragte der Freywerber: ‚Es war doch
„wohl nicht Feuer im Hauſe?‛
‚Ey! warum nicht gar! Aber vor neun Mo-
„naten mag wohl Feuer geweſen ſeyn, da kriegt
„nun die Tochter jetzt, ich weiß nicht was fuͤr
„’nen Zufall, und die Mutter iſt nicht ’nmahl zu
„Hauſe, druͤber wird ’n Aufruhr, ’s Maͤdchen
„hohlt ’n Doktor, ja der thut’s noch nicht. —
„He! ſchrie Stumpfnaſe, und wieß mir ’n alt
„Weib auf der Straße — „da haben ſie Mutter
„Jlſen von der andern Ecke geholt, die wirds
„ins Gleis bringen, und denn der Kornet, der bey
„mir in Quartiere liegt, iſt auch ſchon heruͤber
„geſchlichen —‟ ‚Ey daß dich uͤbern Kornet, wenn
„doch unſer einer auch ’nmahl ſo im Quartier
laͤge! —
Hier-
[145[144]]
Hierbey ſchlug Haberwald eine wiehernde Lache
auf, und der Freywerber, dem ſich, waͤhrend der
ganzen Erzaͤhlung, die Kinnbacken verlaͤngert hatten,
gieng in den Garten, um der Frau Gertrudtinn
den fuͤr ihre Abſichten ſo verdrießlichen Vorfall,
mit moͤglichſter Vorſicht zu hinterbringen.
Er ſtoͤrte ſie in einer ſehr gluͤcklichen Lage, denn
da ſie ihre heutige Ueberlegenheit uͤber Sebaldus
vermerkte, hatte ſie ihn warm gehalten und war
jetzt eben im Beweiſe begriffen, daß die dritte Po-
ſaune*) in der Apokalypſe, die Jndifferentiſten
bedeute, welche von Erbſuͤnde und Wiedergeburt
nichts wiſſen wollen, und dadurch eine bittere Re-
ligionsmengerey verurſachen, dagegen Sebaldus,
der aber jezt gar nicht zum Worte kommen konn-
te, vermeinte, daß dadurch die franzoͤſiſchen Athei-
ſten angedeutet wuͤrden, welche die erſten Quellen
der menſchlichen Gluͤckſeligkeit vergiften.
Der Freywerber raunte der Frau Gertrudtinn
die ungluͤckliche Nachricht ins Ohr, wodurch ſie
außer aller Faſſung gebracht ward. Sie fiel bey-
nahe in Ohnmacht, kam wieder zu ſich, ward in
ihren Wagen gepackt und nach Hauſe gefahren.
K 2Der
[146[145]]
Der Herr von Haberwald machte ſich mit noch
ein Paar Flaſchen vollends fertig, und ward in
ein Bette gebracht, um ſeinen Rauſch auszuſchla-
fen. Seine Pferde aber, die nuͤchterner waren,
giengen nach Hauſe.
Des alten Saͤuglings Nerven, keiner Anſtren-
gung gewohnt, waren, durch die mannigfaltigen
dieſen Tag vorgefallenen Begebenheiten, dermaßen
erſchuͤttert worden, daß er halb betaͤubt da ſaß.
Gleichwohl ſollte er noch nicht zur Ruhe kommen,
denn der junge Saͤugling ſtellte ihm, wider alles
Vermuthen, Marianen vor. Beide warfen ſich
ihm zu Fuͤßen. Sein Sohn, um ihn mit der
groͤßten Heftigkeit zu flehen, in ihre Verbindung
zu willigen, Mariane, um ihn mit Thraͤnen zu
verſichern, daß ſie, ſo ſehr ſie ſeinen Sohn liebe,
doch, ohne ſeine Einwilligung, nie demſelben ihre
Hand geben wuͤrde. Sebaldus, beſtaͤrkte ſie in
dieſem Entſchluße, und ſetzte den Undank, deſſen
ſie beide ſich ſonſt ſchuldig machen wuͤrden, weit-
laͤufig ins Licht.
Saͤugling der Vater, hob Marianen auf, ver-
ſicherte ſie, daß er ſie werthſchaͤtze, daß er ihren
Vater werthſchaͤtze, daß er aber ihre Heurath mit
ſeinem Sohne nicht zugeben koͤnne. Uebrigens
bat
[147[146]]
bat er alle, ihn nur heute ruhig zu laßen, denn
er koͤnne nun kein Wort weiter ſagen.
Der Abend nahte nun heran, und die ganze
Hausgenoſſenſchaft gieng bey Zeiten zu Bette, aber
niemand ſchlief ruhig, als der Herr von Haber-
wald, welcher, im Dunſte des luͤttichſchen Bur-
gunders, nach Herzensluſt ſchnarchte.
Der alte Saͤugling ſchlief nicht, weil ihm der
Querſtrich mit der Jungfer Anaſtaſia im Kopfe lag
und weil er gar nicht abſehen konnte, wie er ſei-
nen Sohn zufrieden ſtellen ſollte, den er ſehr
liebte. Er konnte leicht erachten, daß derſelbe von
ſeiner Liebe nicht ſo leicht abgehen werde, und er
konnte ſich doch auch nicht entſchließen, in die
Heurath ſeines einzigen Erben, mit einem armen
Maͤdchen, zu willigen. Nach langem Hin-und
Herſinnen wollte ihm nichts beſſers beyfallen, als
daß er ſeine vaͤterliche Autoritaͤt zuſammennehmen,
und ſeinem Sohne rund herausſagen muͤßte: Aus
der Sache wuͤrde nichts. Nachdem er dieſen Ent-
ſchluß genommen hatte, ward er etwas ruhiger,
und ſchlief endlich ein.
Sebaldus konnte nicht einſchlafen, weil ihm
Marianens mißlicher Zuſtand am Herzen lag.
Doch war an ſeiner Unruhe auch nicht wenig
K 3Schuld,
[148[147]]
Schuld, daß die Frau Gertrudtinn ſeine Erklaͤ-
rung der dritten Poſaune ſo ſchnoͤde verworfen
hatte. Er fieng an, ſich die Gruͤnde fuͤr ſeine
Meinung ausfuͤhrlich zu wiederholen. Je mehr
er daruͤber nachdachte, deſto richtiger fand er ſeine
Meinung, und deſtomehr beruhigte er ſich uͤber
den Widerſpruch der ungelehrten Frau, ſo daß
er endlich einſchlief.
Der junge Saͤugling und Mariane, hatten
jedes vor ſich eine ſchlafloſe Nacht, und zwar
aus einerley Urſach, nehmlich, weil ſie verliebt
waren, und weil ſie ihrer Liebe, ein beynahe un-
uͤberſteigliches Hinderniß in den Weg gelegt ſahen.
Sie beſchaͤftigten ſich, jeder beſonders, wer weiß
wie viel ſpaniſche Schloͤſſer in die Luft zu bauen,
und thaten daruͤber, bis an den hellen Morgen,
kein Auge zu.
Dritter Abſchnitt.
Des folgenden Tages, erſchien Saͤugling der
Sohn, ungerufen, ſehr fruͤh beym Theetiſche
ſeines Vaters. Seine heftige Leidenſchaft hatte
nun einiger Ueberlegung Raum gegeben. Er ſahe
ein, daß ohne ſeines Vaters Einwilligung nichts
aus-
[149[148]]
auszurichten ſey, und daß er ihn, auf irgend eine
Art, muͤſſe zu beugen ſuchen. Er hatte ausgerech-
net, daß ſein Vater ihn liebe und ſonſt eben nicht
allzu ſtandhaft ſey. Er hatte alſo, die Nacht uͤber,
alle ſchwachen Seiten, die er ſeinem Vater abge-
winnen koͤnnte, ausfuͤndig zu machen geſucht, und
griff ihn dieſen Morgen, mit einer Jnbrunſt und
mit einer Beredſamkeit an, die er fuͤr unwider-
ſtehlich hielt.
Er betrog ſich aber. Der Vater runzelte, ſel-
nem angenommenen Entſchluſſe gemaͤß, die Stirn,
und gebot ihm in einem| verdrießlichen Tone:
‚Von dieſer Sache kein Wort mehr zu reden, weil
„es ſich fuͤr ihn einmahl nicht ſchicke, ein Maͤd-
„chen ohne alles Vermoͤgen zu heurathen.‛
Der Sohn wolte Einwendungen machen, aber
der Vater ſetzte trockner Weiſe hinzu:
‚Die Sache ſey ſo klar, daß er Marianens
„eignen Vater zum Schiedsrichter annehmen wolle.‛
Sebaldus fiel ihm voͤllig bey. Der junge
Saͤugling, dem, ſeiner ſchoͤnen Rede ungeachtet,
von der er ſich die kraͤftigſte Wirkung verſprochen
hatte, von beiden zukuͤnftigen Schwiegervaͤtern,
ſeine Braut abgeſprochen wurde, ſtand ſtarr da,
wie eine Bildſaͤule.
K 4Der
[150[149]]
Der alte Saͤugling, um von dem ganzen Dis-
kurſe abzukommen, erſuchte den Sebaldus, die
Zeitungen zu leſen.
Nachdem verſchiedene Zeitungen durchgeleſen
waren, kam Sebaldus endlich auf folgende Stelle:
‚Bey der N. N. Ziehung der Koͤniglichen N. N.
„privilegirten Zahlenlotterie, welche den N. N. die-
„ſes Monats, mit gewoͤhnlichen Formalitaͤten oͤf-
„fentlich vollzogen worden, ſind die Nummern 33.
„42. 12. 66. 6. aus dem Gluͤcksrade gekommen.‛
‚Laß ſehen,‛ — rief der alte Saͤugling, in-
dem er ſeine Looſe aus dem Schranke holte und
nachſah — ‚warhaftig wieder nicht eine einzige
„Zahl — der verdammte arabiſche Lotteriewahr-
„ſager — Und doch ſind mir die Nummern ſo be-
„kannt, ich daͤchte, ich haͤtte ſie rathen muͤſſen. —
„Wie iſts denn? Von Jhren Zahlen wird auch
„wohl keine heraus ſeyn. Sehen Sie doch nach,
„Herr Paſtor.‛
Sebaldus nahm ſeinen Zettel aus der Schreib-
tafel und der alte Saͤugling las die Zahlen ab,
und verglich jede mit der Zeitung.
Sein Auge ward ſtarr, ſein Geſicht lang. End-
lich rief er; Was zum Teufel 33 — 12 — 66 — 6.
‚Jſts moͤglich! Eine Quaterne! Sie ſind ein
„Gluͤckskind Herr Paſtor.‛
„Habe
[151[150]]
‚Habe ich was damit gewonnen?‛ fragte Se-
baldus ruhig.
‚Gewonnen?‛ rief der Alte, und ergrif Bley-
ſtift und Papier um auszurechnen. Laß ſehen:
- ‚1 Quaterne à 4½ ſtbr. 4500 Rthl. —
- „4 Ternen à 30 ſtbr. 10600 — —
- „6 Amben à 3¾ ſtbr. 101 — 15 Stbr.
- „Macht wahrhaftig, 15201 Rthl. 15 Stuͤber.
‚Daß dich doch! Bin ich nicht ein Schoͤps, daß
„ich nicht die Nummern genommen habe!‛
‚Wie? Was? funfzehntauſend Thaler!‛ rief der
junge Saͤugling, indem er ſich ſeinem Vater zu
Fuͤßen warf. ‚Nun ſagen Sie nicht, daß meine
„Mariane arm iſt. Jch umfaſſe Jhre Knie, und
„ſtehe eher nicht auf, bis Sie mir Jhre Einwil-
„ligung geben. Nun iſt alle Hinderniß gehoben! —‛
‚Mein Sohn!‛ rief der Alte, ‚du denkſt bloß
„an deine Heurath, — davon iſt jetzt die Rede
„nicht, — ich denke an den verwuͤnſchten Lotte-
„riewahrſager! —‛ (indem warf er das Buch,
unwillig, ins Kohlfeuer, das im Kamine ſtand,
und das Lotterievademecum flog hinterher.) —
„daß dich doch — Aber wie wars doch Herr Pa-
„ſtor! Jſt Mamſell Mariane Jhr einziges
„Kind?‛ —
K 5Sebal-
[152[151]]
Sebaldus antwortete ſeufzend: ‚Jch habe noch
„einen Sohn, von dem ich aber, ſeit er in den
„Krieg gegangen iſt, koine Nachricht habe.‛
‚Sie ſehen,‛ rief Saͤugling der Sohn, der
ſeines Vaters Meinung errieth, ‚meine Mariane
„iſt das einzige Kind. Wer weiß, bey welcher
„Action der Sohn geblieben iſt. — Funfzehntau-
„ſend Thaler! — Haͤtte ich doch nicht geglaubt,
„daß mir Geld Vergnuͤgen machen koͤnnte! —
„Jch bitte Sie, liebſter Vater, bedenken Sie, daß
„Mariane uͤbrig reich fuͤr mich iſt!‛ —
‚Laß mich gehen, mein Sohn! — Wer weiß
„ob auch das Geld richtig ausgezahlt wird.‛ —
‚Liebſter Papa! bedenken Sie doch — eine Koͤ-
„nigliche Lotterie ſollte nicht bezahlen!‛ —
Damit ſprang er auf, um Marianen ihr bei-
derſeitiges Gluͤck zu hinterbringen.
Als er weg war, ſaßen die beiden Alten ſtock-
ſtille. Der alte Saͤugling fuhr fort, ſich zu aͤr-
gern, daß er die Zahlen nicht fuͤr ſich gewaͤhlt
hatte, und maß, an der Entzuͤckung, die er in
Sebaldus Augen las, die Entzuͤckung ab, in der
er ſelbſt geweſen ſeyn wuͤrde, wenn er die Qua-
terne gewonnen haͤtte.
Sebal-
[153[152]]
Sebaldus, ſaß wirklich ganz entzuͤckt da, aber
nicht uͤber das gewonnene Geld, denn ob ihm gleich
die vortheilhafte Wendung, die die Sachen nahmen,
erfreulich war, ſo kam doch eigentlich ſeine Entzuͤ-
ckung daher, daß ihn die Zahlen, durch verwandte
Jdeen, an die Apokalypſe und an ſeinen Kommen-
tar erinnerten. Er uͤberdachte ſeine Meinung, daß
alle boͤſe Menſchen, durch Strafen gebeſſert, in
dem neuen Jeruſalem gut und gluͤcklich ſeyn wuͤr-
den, welche reizende Vorſtellung, ihn allemahl in
die innigſte Freude verſetzte.
Saͤugling der Sohn, kam bald mit Maria-
nen zuruͤck. Beide warfen ſich zu ſeines Vaters
Fuͤßen, der, nach wenigen Schwierigkeiten, ſeine Ein-
willigung gab, welche Sebaldus auch bekraͤftigte.
Vierter Abſchnitt.
Die beiden Liebenden giengen in den Garten,
und die Alten blieben zuſammen. Saͤug-
ling der Vater, um dem Sebaldus einen Brief
wegen Bezahlung der Quaterne zu diktiren, und
Sebaldus, um ihn zu ſchreiben.
Kaum war dieſe Arbeit fertig, als Rambold
angefahren kam, um den Herrn von Haberwald
abzu-
[154[153]]
abzuholen. Dieß war ſeine gewoͤhnliche Verrich-
tung, wenn ſein Goͤnner ſich ſo wohl that, daß
er nicht nach Hauſe kommen konnte. Weil die-
ſer aber noch ſchnarchte, ſo trat er zum alten
Saͤugling ein.
Er entfaͤrbte ſich nicht wenig, als er den
Sebaldus wieder erblickte, den er ſeit der letzten
Zuſammenkunft*), nicht geſehen hatte. Dennoch
wollte er dieſe Gelegenheit, ſeine Rache gegen den
jungen Saͤugling auszufuͤhren, nicht vorbeylaßen.
Er nahm eine ſcheinheilige Mine an, und ſagte:
‚Sein Gewiſſen, da er ehemals der Hofmeiſter
„des jungen Herrn geweſen, verbinde ihn, dem
„alten Herrn eine unangenehme Nachricht zu ge-
„ben, nehmlich, daß der junge Herr Saͤug-
„ling, ſich an eine Landlaͤuferinn gehaͤnget habe,
„die, demſelben zu gefallen, in einem nicht weit
„entlegenen Hauſe ſich anfhalte.‛
Der Alte ſagte laͤchelnd: ‚Jch weiß es wohl.
„Aber eine Landlaͤuferinn iſt ſie nicht, ſondern ein
„Maͤdchen das gute funfzehntauſend Thaler hat.‛
Rambold ſchlug eine laute Lache auf: ‚Laßen
„Sie ſich doch ſo etwas von Jhrem Sohne nicht
ein-
[155[154]]
„einbilden. Sie hat gar nichts. Kein Menſch weiß,
„wem ſie angehoͤrt.‛
Der alte Saͤugling, der ſich bey dieſem Miß-
verſtaͤndniſſe genoß, ſagte mit belehrender Geber-
de: ‚Wenns kein Menſch weiß, ſo weiß ichs doch.
„Sehen Sie, das Maͤdchen, das Sie fuͤr eine
„Landlaͤuferinn halten, iſt des Herrn Paſtors hier,
„einzige Tochter. Er hat in der letzten Ziehung der
„** Lotterie eine Quaterne von ſunfzehntauſend Tha-
„lern gewonnen. Sie iſt meines Sohnes Braut,
„denn ich habe meine Einwilligung gegeben und
„ihr Vater auch. Alſo kommt ihr guter Rath zu
„ſpaͤt, mein lieber Herr Rambold.‛
Rambold war aͤußerſt betreten. Seine natuͤr-
liche Unverſchaͤmtheit verließ ihn. Er ward bald
blaß bald roth, ſahe den Sebaldus, voll Verwir-
rung, bald an, bald wieder weg, biß ſich die Naͤgel,
ſchien etwas ſagen zu wollen, ohne daß er etwas
herausbringen konnte. Murmelte endlich: Aber
‚wirklich, — funfzehntauſend Thaler hat dieſer
„Herr gewonnen!‛ Sah wieder nach Sebaldus,
mit betroffner Mine, und ſchlug halb beſchaͤmt die
Augen nieder, wollte wieder zu reden anfangen, und
das Wort ſchien ihm auf dem Munde zu vergehen. —
Jndeſſen traten eben Saͤugling der Sohn und
Mariane ins Zimmer.
‚Kom-
[156[155]]
‚Kommen Sie meine Tochter,‛ rief der alte
Saͤugling ſchmutzelnd: Vertheidigen Sie ſich ‚Hier
„dieſer Herr, wollte mich eben fuͤr Sie, als fuͤr
„der Verfuͤhrerinn meines Sohnes warnen.‛
‚Nichtswuͤrdiger!‛ rief Mariane, und ſah Ram-
bolden mit einem Blicke voll tiefſter Verachtung
an. ‚Du denkſt ſchaͤndlich gnung, um zur Verfol-
„gung noch Verlaͤumdung hinzuzuthun. — Deine
„niedertraͤchtige Liebe, die nur Bosheit war.‛ —
‚Und doch ſollen Sie mich gewiß noch lieben,‛ fiel
ihr der faſelhafte Rambold greiflachend ins Wort,
gewohnt, bey einer Geckerey, die ihm in den Kopf
kam, alle ernſthafte Gedanken zu vergeſſen.
‚Wie?‛ rief Mariane hoͤchſterzuͤrnt, ‚nimmer-
„mehr!‛ —
‚Aber doch gewiß liebſtes Marianchen!‛ neckte
Rambold weiter.
Mariane erblaßte vor Zorn, uͤber dieſe un-
glaubliche Unverſchaͤmtheit, und wiederholte: ‚Nim-
„mermehr! Niedertraͤchtiger!‛
‚Ja gewiß!‛ — erwiederte Rambold, der ſeine
Geckenmine, in eine ernſthafte verwandeln wollte,
und unbeſchreiblich einfaͤltig ausſah, — ‚zwar nicht
„als Liebhaber, aber doch als Bruder. — Jch bin
Jhr Sohn‛ — rief er und warf ſich zu Sebal-
dus
[157[156]]
„dus Fuͤßen — Jch fuͤhle die groͤßte Reue, daß
„ich Jhnen nicht geſchrieben und mich Jhnen hier
„nicht eher zu erkennen gegeben habe — Jch
„wollte aber mein Gluͤck erſt feſt ſetzen, ehe ich
„meinen im Kriege angenommenen Namen*) ver-
„ließe — Jch bin welt herumgeirrt — Jch habe,
„nachdem Sie von Hauſe vertrieben worden, nie
„Nachricht von Jhnen gehabt — Erſt ganz kuͤrz-
„lich habe ich erfahren, wer ſie waren — Da war
„ich gleich auſſerordentlich unruhig — Jch wollte —
„Jch wuſte nicht recht, — Hier ſtammelte er
noch einige kahle Entſchuldigungen, an denen es
ſchlechten Leuten nie fehlet.
Alle erſtaunten. Sebaldus faßte ſich nach eini-
gen Augenblicken, und ſagte: ‚Mein Sohn! Du
„wußteſt doch alſo, wer ich war? Edler waͤre es
„geweſen, wenn du mich nicht verſchmaͤhet haͤtteſt,
„als ich noch in elenden Umſtaͤnden war! Aber ich
„vergebe dir.‛ Er hob ihn auf, und umarmte
ihn.
Auch der junge Saͤugling umarmte ihn. Ma-
riane that ein gleiches, aber nicht mit der Fuͤlle
des Herzens, mit der ſie ſonſt einen Bruder wuͤrde
umarmet haben.
Ram-
[158[157]]
Rambold hingegen war guter Dinge, als ob
alles ſo recht waͤre, und da der Herr von Ha-
berwald auch endlich aus ſeinem Schlafzimmer
hervorkam, erzaͤhlte er ihm lachend, daß er ſeinen
Vater nnd ſeine Schweſter gefunden habe, und
ſtellte ihm dieſelben vor.
Letzter Abſchnitt.
Die Quaterne ward bezahlt, und Saͤugling
ward kurz darauf mit Marianen verbun-
den. Die erſten Honigmonate verfloſſen in allen
Entzuͤckungen einer zaͤrtlichen Liebe. Saͤugling
machte ſich den ſchoͤnſten Plan zu einem arkadi-
ſchen Schaͤferleben, voll Zaͤrtlichkeit, Unſchuld,
Liebe, und beſonders voll lieblicher Gedichte. Jn-
deſſen gieng es in der folgenden Zeit nicht ganz
nach dieſem ſchoͤn ausgedachten Plan. Mariane
hatte, waͤhrend ihrem einſamen Winteraufenthalte
im Hauſe im Walde, und ſonſt, Gelegenheit ge-
habt zu erfahren, wie eitel poetiſche Phantaſien
ſind, wenn ſie ins gemeine Leben gebracht wer-
den.
[159[158]]
den. Jhr kleiner Hang zu romantiſchen Geſin-
nungen, und die, von Jugend an, ſo gern geheg-
ten Aufwallungen der Einbildung, verſchwanden,
da ſie in die wichtigen Verhaͤltniſſe des wirklichen
Lebens trat. Jhre ſuͤßen empfindſamen Phanta-
ſien, erſetzte ihr wirkliche Liebe, ihre unbeſtimmten
Ausſichten auf uͤberſchwengliche himmliſche Selig-
keiten, gemaͤßigtes, aber wahres Wohlbefinden.
Geſpraͤch vom Wohlthun, machte thaͤtiger Geſchaͤff-
tigkeit Raum. Sie weihte ſich ganz ihren Pflich-
ten, ward eine Landwirthinn, verſorgte ihr Haus,
und erzog ihre Kinder. Sie verſchmaͤhte auch nicht
die kleinen Unannehmlichkeiten, die das haͤusliche
Leben mit ſich fuͤhrt. Jhrem edlen Geiſte ward
dadurch von ſeiner feinen Empfindung nichts ent-
zogen, ſie ward vielmehr dadurch geſtaͤrkt. Ma-
riane empfand nunmehr, wie weit ſentimentales
Gefuͤhl, im wirklichen Leben thaͤtig angewendet,
das leichte Geſchwaͤtz davon, uͤberwieget. Sie merkte,
daß, Mutter und Hausfrau zu ſeyn, etwas mit
ſich fuͤhrt, was keine jugendliche Phantaſey, ſo weit
ſie zu fliegen ſcheint, erreichen kann.
Dritter Theil. LSaͤug-
[160[159]]
Saͤugling, immer gewohnt, dem Frauenzim-
mer zu folgen, modelte ſich unvermerkt nach Ma-
rianen. Er erinnerte ſich, daß er, ein Mann,
nicht mehr ein Juͤngling ſey. Er entſagte,
freylich nach einigen kleinen Kaͤmpfen, erſt ſeiner
allzu genauen Achtſamkeit auf den Kleiderputz,
dann ſeinen zierlichen Geſinnungen, und endlich
ſogar ſeinen Gedichten. Er hat ſelbſt an ſeinen em-
pfindſamen Roman nicht nur nicht weiter ge-
dacht, ſondern iſt auch allmaͤhlig ein voͤlliger Land-
wirth geworden. Er ſteht mit Tagesanbruch auf,
theilet ſeinen Leuten ihr Tagewerk aus, reitet, in
aller Witterung, zu ihnen aufs Feld, und hat ſich,
durch unablaͤßige Thaͤtigkeit, eine ſolche praktiſche
Kenntniß des Ackerbaues erworben, daß er auf
ſeines Vaters Guͤtern die wichtigſten Verbeſſerun-
gen zu Stande gebracht hat. Jndeſſen, da ſich
lange angewoͤhnte Unarten ſelten ganz ausrotten
laſſen, ſo iſt er doch, unter der Hand, wieder ein
Schriftſteller geworden, denn es wird naͤchſtens
von ihm eine Abhandlung vom Bau der Kar-
toffeln gedruckt werden, welche er, nach einer
ihm
[161[160]]
ihm eignen Methode zu vervielfaͤltigen weiß, und
womit er, in den letzten theuern Jahren, die ar-
men Heuerleute ſeiner Gegend, aus eignem Vor-
rathe, beyuahe ganz erhalten hat.
Als der Frau von Hohenauf die vorhabende
Verbindung zwiſchen ihrem Neffen und Maria-
nen gemeldet ward, antwortete ſie in kaltem
Tone: ‚Sie wiſſe lange, daß ihr Bruder beſtaͤn-
„dig nur niedrige Neigungen gehabt, und ihre
„Bemuͤhungen, die Familie aus dem Staube zu
„heben, nie gehoͤrig geſchaͤtzt habe.‛ Da kurz dar-
auf ihr Gemahl ſtarb, ſo vermaͤhlte ſie ſich aber-
mals mit einem wohlgewachsnen, unmittelbaren
Reichsritter, deſſen alter ſtiftsfaͤhiger Adel allein
ſchon aus den Akten eines weitlaͤufigen, uͤber hun-
dert Jahre bey dem Reichskammergerichte ſchweben-
den Konkursproceſſes, zu beweiſen war. Um die
Guͤter ihres Gemahls, wo moͤglich, von Schulden
zu befreyen, gieng ſie mit demſelben nach Wetzlar,
mit Empfehlungsſchreiben an den hernach, durch
die Reichskammergerichsviſitation, beruͤhmt gewor-
denen Juden Nathan. Da ihr indeſſen, zu Wetz-
L 2lar,
[162[161]]
lar, auf den Aſſembleen einige Kraͤnkungen be-
gegneten, und ihr Mann, der, in Anſehung ſei-
nes alten Adels, und ſeiner zaͤrtlichen Liebe gegen
die ſchoͤne Wittwe, ſich in den Ehepakten ſo-
gleich voͤllige Gewalt uͤber ihr Vermoͤgen hatte
verſchreiben laſſen, mit einer durchreiſenden Taͤn-
zerinn nach Paris gieng; ſo kehrte ſie unverrichte-
ter Sachen, nach ihres Gemahls Herrſchaft zuruͤck.
Sie bringt daſelbſt, weil ihre Nachdarn, aus Eti-
kette, mir ihr nicht umgehen moͤgen, einſam und un-
muthig ihre Tage damit zu; daß ſie alle Sonntage
und Feſttage in die Kirche gehet, um fuͤr den
Kaiſer, fuͤr alle Koͤnige, und fuͤr die gnaͤdige Guths-
herrſchaft bitten zu hoͤren, und daß ſie in der einen
Haͤlfte der Werkeltage ihre Kammermaͤdchen aus-
ſchilt, und in der andern, mit einem armen Fraͤu-
lein, von guter Familie, Pikett ſpielt.
Die Graͤfinn von ***, nachdem ſie die
wahren Umſtaͤnde von Marianens Entfuͤhrung
erfahren hatte, ließ derſelben Charakter die voll-
kommenſte Gerechtigkeit wiederfahren, und ward
wieder ihre wahre Freundinn. Beide haben ſich
einige-
[163[162]]
einigemal perſoͤnlich geſehen, und unterhalten
einen freundſchaftlichen Briefwechſel.
Doktor Stauzius war um dieſe Zeit, nach dem
Tode des Praͤſidenten, wegen einiger allzuſchar-
fen Geſetzpredigten, in die Ungnade des Fuͤrſten
gefallen. Man hatte ihm daher, ohne ſein Ver-
langen, einen Adjunkt geſetzt, einen ſchoͤnen Geiſt,
welcher, nach neueſter Art, in morgenlaͤndiſchen
Bildern, und in abgebrochenen Kraftphraſen, bloß
fuͤr das Gefuͤhl predigte. Dieſer neue Vicegene-
ralſuperintendent bediente ſich auch in ſeinen Pre-
digten vieler Proſopopoͤien, Fragen und Ausrufun-
gen, aber alles in einer ſo melodiereichen Aus-
ſprache, daß der Fuͤrft, welcher zuweilen ſchnell
aufgefahren war, wenn Stauzius die Ewigkeit
der hoͤlliſchen Strafen herausbruͤllte, nun bey hoͤch-
ſtem Wohlſeyn, in ſeiner Loge auf ſeinem Pol-
ſterſtuhle, unter der Predigt ſanft ruhen konnte.
Der Neuling kam daher in ſo große Gnade, daß
Stauzius, als er ſich uͤber einige von deſſen An-
ordnungen beſchweren wollte, aus Hoͤchſteigener
L 3Bewe-
[164[163]]
Bewegung, gaͤnzlich pro Emerito erklaͤrt ward.
Dieſes gieng ihm ſehr nahe, zumahl, da er,
außer dem oͤffentlichen Verluſte ſeines Anſehens,
zu Hauſe, von ſeiner Frau, ſeiner Unvorſichtig-
keit halber, taͤglich die bitterſten Vorwuͤrfe hoͤren
mußte. Dieſe Ungluͤcksfaͤlle machten, daß er des
Lebens ſatt, und dadurch vielleicht auch gegen
ſeine Feinde verſoͤhnlicher wurde. Denn da er von
Hieronymus die Gluͤcksveraͤnderung des Sebal-
dus vernahm, ließ er deshalb an ihn ein hoͤfli-
ches Gratulationsſchreiben gelangen, welches aber
unbeantwortet blieb.
Hieronymus nahm, mit der waͤrmſten Freund-
ſchaft, Antheil an der gluͤcklichen Lage ſeines Freun-
des Sebaldus, und an Marianens Verbindung.
Er beſuchte ſie perſoͤnlich, um ſeinen alten Freund
nochmals zu umarmen, und brachte demſelben zu-
gleich
[165[164]]
gleich, nebſt dem ebengedachten Gratulationsſchrel-
ben des D. Stauzius, auch den bisher treulich
verwahrten Kommentar uͤber die Apokalypſe, mit.
Nothanker der Sohn, aliasRambold, ver-
uneinigte ſich bald mit dem Hrn. von Haberwald
wegen einer Spielſchuld, und verlor alſo alle
Hoffnung, dem alten Pfarrer deſſelben adjungirt
zu werden. Daher iſt er auf andere Rathſchlaͤge
zu ſeiner Verſorgung gefallen. Er hat ſich in
den Kopf geſetzt, Profeſſor der praktiſchen Philo-
ſophie oder der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, auf irgend
einer Univerſitaͤt, oder allenfalls an einem akade-
miſchen Gymnaſium, zu werden, weil er ſich ein-
bildet, in dieſen Wiſſenſchaften wichtige Entde-
ckungen gemacht zu haben. Wenn er eine ſolche
Stelle eher erhaͤlt, als der Kornet den geſuch-
ten Abſchied bekoͤmmt, ſo koͤnnte er auch wohl
L 4etwan
[166[165]]
etwan noch die Jungfer Anaſtaſia heurathen, bey
welcher er ſeit einiger Zeit, wie es ſcheint, nicht ohne
Abſicht, fleißig aus- und eingehet. Jndeſſen lebt
er bey ſeinem Vater, und laͤßt ſich ſeit einigen
Jahren gefallen, deſſen Kommentar uͤber die Apo-
kalypſe, ſo wie er fertig wird, ins reine zu ſchrei-
ben. Dabey iſt er in Nebenſtunden befliſſen, Ab-
handlungen und Recenſionen, in verſchiedene
Journale und Zeitungen einzuſenden. Wenn man
irgendwo ſchielende und ungereimte Urtheile lie-
ſet, uͤber Dinge, wovon, wie offenbar zu ſehen
iſt, der Recenſent nichts verſtanden hat; wenn
dabey verdiente Maͤnner mit naſeweiſem Geſchnat-
ter, fein ſuperklug, uͤber die erſten Gruͤnde der
Kunſt oder Wiſſenſchaft, in der ſie vorzuͤglich groß
ſind, belehrt werden; wenn unbeſcheidner Eigenduͤn-
kel fuͤr deutſche Freymuͤthigkeit, und ungehobelter
Gernwitz fuͤr Laune verkauft wird; wenn eine be-
ſtimmte
[167[166]]
ſtimmte Nothwendigkeit fuͤr den Grund der Mo-
ral, oder ein hobbeſiſcher Krieg aller gegen alle,
fuͤr den Grund des Rechts des Natur gelten
ſoll; wenn verſtandloſes Gefuͤhl uͤber philoſophi-
ſche Wahrheit entſcheiden, und verwirrtes Traͤu-
men einer angebrannten Einbildungskraft, der
hoͤchſte Schwung der Dichterey ſeyn ſoll; wenn
beſonders dabey die Worte: — ‚’ch muß dir ſa-
„gen, liebes Publikum! — lieber Autor hoͤr’
„an! — Lieber Leſer merk’ dirs!— und andere
ſolche Floskelchen gebraucht werden, worauf ſich
diejenigen etwas einbilden, die ſich auf ſonſt nichts
etwas einbilden koͤnnen: ſo wird man, wenn man
nicht etwan ſicher weiß, welcher andere Geck
die Feder gefuͤhrt habe, nicht unwahrſcheinlich
ſchließen koͤnnen, daß der Rambold dahinter-
ſtecke.
L 5Sebal-
[168[167]]
Sebaldus hat ſich, in der Nachbarſchaft ſei-
nes Schwiegerſohns, ein kleines Gut gekauft, wo er
noch, vergnuͤgt und geehrt, in ruhigem und gluͤckli-
chem Alter lebt. Er theilt ſeine Zeit unter die Be-
ſorgung ſeiner Angelegenheiten, unter die Geſellſchaft
ſeiner Kinder und weniger Freunde, unter wohl-
thaͤtige Unterſtuͤtzung ſeiner beduͤrftigen Untertha-
nen und Nachbarn, und unter fleißiges Studie-
ren, das er nun voͤllig, ſeiner Neigung gemaͤß,
treiben kann.
Verſchiedene denkende Maͤnner unter ſeinen
Freunden, welche, ohne ſelbſt ſehr conſequent zu
ſeyn, nicht leiden moͤgen, daß andere Leute incon-
ſequent ſeyn ſollen, haben ſich viele Muͤhe gege-
ben, ihn ſowohl von der Cruſiusſchen Philoſophie,
(welcher, nach ihrer Meinung, außer etwan in
Leipzig oder in Buͤtzow, niemand mehr beygethan
ſeyn kann,) als auch von ſeinem Jrrglauben an
die
[169[168]]
die Apokalypſe zu bekehren. Da aber niemand,
wenn er uͤber funfzig Jahre alt iſt, ſein Syſtem
zu aͤndern pflegt, ſo ſind dieſe Diſpute ſo ungluͤck-
lich ausgeſchlagen, daß Sebaldus, anſtatt bekehrt
zu werden, in ſeinen Meinungen vielmehr be-
ſtaͤrkt worden iſt.
Verſchiedene dieſer ſeiner Freunde haben ihm
beweiſen wollen, daß von einigen Wahrheiten,
die er fuͤr ungezweifelt haͤlt, nach den Saͤtzen der
Cruſiusſchen Philoſophie gerade das Gegentheil
folgen wuͤrde. Sie ſind aber ganz an ihm irre
geworden, da er auf eine eigne, ihm gelaͤufige Wei-
ſe, wider ihr Vermuthen, alles aus der Cruſius-
ſchen Philoſophie bewieſen hat, was ſie mein-
ten, nur aus der Wolfiſchen oder Dariesſchen,
oder Federſchen, oder wer weiß welcher Philoſo-
phie, folgern zu koͤnnen.
Einige
[170[169]]
Einige haben daher den alten Mann, obgleich
mit einigem Kopfſchuͤtteln, ſeyn laſſen, wie er iſt.
Andere hingegen, weiſe ſyſtematiſche Maͤnner, ha-
ben ihn dadurch voͤllig in die Enge zu treiben ver-
meint, daß ſie ihm demonſtrirt haben, ſein eigner
Charakter, (in welchem ohnedieß, wenn man die in
dem Gedichte Wilhelmine befindlichen Nachrichten,
fuͤr hiſtoriſch richtig annaͤhme, vieles bedenklich
ſeyn muͤſſe,) koͤnne gar nicht zuſammenhaͤngen,
wenn er bey ſeinen herrlichen theologiſchen Ein-
ſichten, zugleich an ein ſo ungereimtes Ding, wie
die Apokalypſe ſey, ferner glauben wollte. Aber
hierbey iſt der gute Sebaldus, wider Vermuthen,
ungeduldig geworden, welches dieſe, uͤbrigens tie
fen Kenner der menſchlichen Natur, mit ſeinem
ſonſt ſo ſanften Charakter wieder nicht zuſammen-
zureimen wußten.
Sie haben vielleicht dabey nur nicht gleich an
eine ſehr gemeine Bemerkung gedacht, welche
durch
[171[170]]
durch das Beyſpiel des ſeligen Don Quixotte,
und durch das Beyſpiel verſchiedener noch leben-
der Genies, beſtaͤrkt wird, nehmlich: daß ein
Menſch ſehr wohl in allen Dingen ſo denken
und handeln koͤnne, daß ihn die ganze uͤbrige
Welt fuͤr verſtaͤndig gelten laͤßt, und nur in einem
einzigen ſo, daß ihn jedermann fuͤr einen Tho-
ren haͤlt.
Sie haͤtten ſich auch wohl erinnern koͤnnen,
daß der beſte, nachgebendſte Menſch, ein Ding,
uͤber welches er ſeine Geiſteskraͤfte einmal bis
zu einer gewiſſen Anſpannung angeſtrengt hat,
ſich nicht ſo leicht werde nehmen laſſen. Daß da-
her ein Gelehrter ein Buch, beſonders ein bibli-
ſches Buch, woruͤber er eine ihm wichtig ſchei-
nende Hypotheſe erfunden hat, niemals ganz werde
fahren laſſen koͤnnen.
Sie moͤgen uͤbrigens deshalb unbeſorgt ſeyn,
daß des Sebaldus vermeintliche aberglaͤubiſche
Achtung
[172[171]]
Achtung gegen das, was ſie fuͤr Fratzen halten,
ſeinen andern guten Eigenſchaften und guten Mei-
nungen ſchaden werde. Der Mann, der nun
einmal ſeine Menſchenliebe und ſeine Toleranz
durch die bildliche Vorſtellung des neuen Jeruſa-
lems beſtaͤtigt, zumal, wenn er ein ſcharfſinni-
ger Kopf iſt, wird ſeine Theorie von Eingebung
und Prophezeyung auch ſchon ſo zu modeln wiſ-
ſen, daß ſeinen menſchenfreundlichen Geſinnungen
dadurch kein Eintrag geſchehe. Und warum ſollte
dieß, an ſich, ſchwerer ſeyn, als ſolche Theorien
ſo zu formen, daß ſie zu herrſchſuͤchtigen und ver-
dammenden Abſichten gemißbraucht werden koͤnnen?
Wirklich beſchaͤftigt ſich Sebaldus, ſeit einiger
Zeit, mehr als jemals mit der Apokalypſe, und
hat ſeinen Kommentar daruͤber beynahe voͤllig ge-
endigt. Er hat auch ſchon ſeinem Freunde Hie-
ronymus den Verlag deſſelben angetragen, wel-
chen
[173[172]]
chen dieſer aber, mit aller Schonung gegen einen
Autor, der zugleich ein Freund iſt, verbeten hat.
Hieronymus weiß freylich, was Sebaldus noch
nicht glauben will, daß, ſeitdem Oeder, und nach
ihm Semler, die Aechtheit dieſes Buchs ver-
daͤchtig gemacht haben, niemand mehr etwas uͤber
die Apokalypſe leſen mag, ſo gar nicht einmal
in Schwaben, wo jetzt, ſtatt der vorherigen all-
gemeinen Beſchaͤfftigung mit dieſem ſonſt, dort fuͤr
das Buch der Buͤcher geachteten Buche, durch
eine, fuͤr die theologiſchen Wiſſenſchaften gluͤckliche
Veraͤnderung, das Variantenſammlen und Ara-
biſch exponiren eingetreten iſt.
Dieſe abſchlaͤgige Antwort ſeines Freundes hat
Herrn Sebaldus Nothanker auf die Gedanken
gebracht, ſeine Erklaͤrung und Auslegung uͤber
die Offenbarung Johannes, die Frucht einer
Arbeit von mehr als dreyßig Jahren, nach dem
Bey-
[174[173]]
Beyſpiele anderer großen Gelehrten, auf Sub-
ſcription drucken zu laſſen.
Es wird daher hierdurch bekannt gemacht,
daß ſie drey ſtarke Baͤnde in groß Quart betra-
gen wird, und auf feines weißes Druckpapier ab-
gedruckt werden ſoll. Sobald ſich eine hinlaͤngliche
Anzahl Subſcribenten, allenfalls auch nur zu einer
kleinen Auflage von etwan zweytauſend Exem-
plarien, gemeldet hat, wird der Druck ſogleich an-
gefangen werden, und vier Monate nachher, die
Ablieferung des erſten Theils geſchehen.
Ende.
Jnhalt
[175[174]]
Appendix A
- Jnhalt des erſten Bandes.
- Erſtes Buch.
- Erſter Abſchnitt.
- Erſte Monate, nach Sebaldus und Wil-
helminens Verheurathung. Sebaldus
Charakter. Beider gelehrte Beſchaͤftigun-
gen. Geburt eines Sohnes gegen das Ende
der erſten neun Monate. Marianens Ge-
burt und Erziehung, Charlottens Geburt. S. 1. - Zweyter Abſchnitt.
- Haͤusliche Zufriedenheit dieſer Familie. Cha-
rakter des Buchhaͤndlers Hieronymus. Sein
Buchhandel, Korn- und Viehhandel. Seine
Befoͤrderung des Kunſtfleißes in ſeinem
Vaterlande. Stauzius Einweihungspredigt
Dritter Theil. Mder
[176[175]]Jnhalt
der abgebrannten und wieder neugebauten,
St. Bartelskapelle. Wilhelmine bewegt
den Sebaldus, vom Tode fuͤr das
Vaterland zu predigen. Nach dieſer Pre-
digt nehmen zehn Bauerkerle Dienſte. Beide
Eltern empfangen Nachricht, daß ihr Sohn
von der Univerſitaͤt entwichen und Kriegs-
dienſte genommen habe. S. 18
- Haͤusliche Zufriedenheit dieſer Familie. Cha-
- Dritter Abſchnitt.
- Charakter des Conſiſtorialpraͤſidenten und des
Generalſuperintendenten, D. Stauzius.
Sebaldus wird wegen ſeiner Predigt vor
das Konſiſtorium gefordert, fiskaliſch ange-
klagt und vertheidigt, wird ſeines Amts ent-
ſetzt. Wilhelmine wird vor Schrecken krank. 35
- Charakter des Conſiſtorialpraͤſidenten und des
- Vierter Abſchnitt.
- Mag. Tuffelius erſcheint vor Sebaldus Thuͤr,
verlangt die Raͤumung des Pfarrhauſes.
Wilhelmine bewegt ihren Mann, in der
Reſidenz Protektion zu ſuchen. 44
- Mag. Tuffelius erſcheint vor Sebaldus Thuͤr,
- Fuͤnfter Abſchnitt.
- Sebaldus geht nach der Stadt. Jndeſſen
treibt Tuffelius die Familie aus dem Pfarr-
hauſe
[177[176]]des erſten Bandes.
hauſe. Ein Bauer nimmt ſie auf. Sebal-
dus macht dem Hofmarſchall ſeine Aufwar-
tung, ſo wie auch dem Grafen von Nim-
mer. Kommt ohne Huͤlfe zuruͤck. S. 49
- Sebaldus geht nach der Stadt. Jndeſſen
- Sechſter Abſchnitt.
- Wilhelmine wird kraͤnker, Charlottchen be-
kommt die Pocken. Die leztere ſtirbt. Wil-
helmine ſtirbt auch. Hieronymus beſucht
die ungluͤckliche Familie. 61
- Wilhelmine wird kraͤnker, Charlottchen be-
- Siebenter Abſchnitt.
- Hieronymus beſorgt die Beerdigung der Lei-
chen, und nimmt Sebaldus nebſt Maria-
nen zu ſich; Sie werden vom D. Stauzius
abgekanzelt, ohne es zu wiſſen. Hierony-
mus verſchaft Marianen eine Stelle, als
franzoͤſiſche Hofmeiſterinn. Sie nimmt
deshalb einen franzoͤſiſchen Namen an, und
reiſet nach dem Gute der Frau von Hohen-
auf. 71
- Hieronymus beſorgt die Beerdigung der Lei-
- Zweyter Abſchnitt.
M 2Zwey-
[178[177]]Jnhalt- Zweytes Buch.
- Erſter Abſchnitt.
- Hieronymus nimmt den Sebaldus mit ſich
nach Leipzig, und verſchafft ihm die Stelle
eines Korrektors bey einigen Druckereyen.
Sebaldus Geſpraͤch mit einem Magiſter uͤber
die Ueberſetzungsmanufakturen. S. 76
- Hieronymus nimmt den Sebaldus mit ſich
- Zweyter Abſchnitt.
- Geſpraͤch mit Hieronymus eben daruͤber 110
- Dritter Abſchnitt.
- Sebaldus entdeckt, unvorſichtiger Weiſe, ſeine
Meinung von Ueberſetzungsmanufakturen
und von der Apokalypſe, wodurch er ſeine
Korrekturen verlieret, und ſich aus Armuth
in einen Keller bey einem Markthelfer bege-
ben muß. Daſelbſt findet er einſt den Sohn
des D. Stauzius, der den Soldaten ent-
ſprungen iſt, und nimmt ihn auf. D. Stau-
zius kommt, ſeinen Sohn zu befreyen. Se-
baldus wird auf die Hauptwache geſetzt und
von einem Unterofficier zu ſeinem Major ge-
bracht. Charakter des Majors. Sebaldus
befreyet den Sohn des D. Stauzius und
ſchlaͤgt
[179[178]]des erſten Bandes.
ſchlaͤgt das ihm vom Major geſchenkte Loͤſe-
geld aus S. 135
- Sebaldus entdeckt, unvorſichtiger Weiſe, ſeine
- Vierter Abſchnitt.
- D. Stauzius verſpricht dem Sebaldus eine
andere Verſorgung in ſeinem Vaterlande.
Vergebliche Hoffnung, ſchlechter Erfolg.
Der Praͤſident will ihn fiskaliſch anklagen
laſſen. Sebaldus reiſet nach Berlin, wird
von Straſſenraͤubern verwundet und beraubt 154
- D. Stauzius verſpricht dem Sebaldus eine
- Erſter Abſchnitt.
- Drittes Buch.
- Erſter Abſchnitt.
- Charakter der Fran von Hohenauf. Vorſchrift
fuͤr Marianen zur Erziehung der beiden jun-
gen Fraͤulein, und zu ihrem eignen Verhal-
ten 165
- Charakter der Fran von Hohenauf. Vorſchrift
- Zweyter Abſchnitt.
- Herkunft der Frau von Hohenauf. Charakter
der beiden Fraͤulein. Erfolg ihrer Erziehung 172
- Herkunft der Frau von Hohenauf. Charakter
- Dritter Abſchnitt.
- Der junge Saͤugling, der Neffe der Frau von
Hohenauf, kommt auf ihrem Gute an.
Charakter deſſelben S. 185
- Der junge Saͤugling, der Neffe der Frau von
M 3Vier-
[180[179]]Jnhalt des erſten Bandes.- Vierter Abſchnitt.
- Naͤhere Bekanntſchaft Saͤuglings mit Maria-
nen. Auf ihre Veranlaßung, macht er ein
Schaͤferſpiel zur Feyer des Geburtsfeſtes der
Frau von Hohenauf. Zweck dieſer Feyer,
die Erloͤſung eines armen Pachters aus dem
Gefaͤngniſſe. Folgen derſelben, die naͤher ge-
knuͤpfte Freundſchaft zwiſchen Marianen und
Saͤugling 191
- Naͤhere Bekanntſchaft Saͤuglings mit Maria-
- Fuͤnfter Abſchnitt.
- Saͤugling verliebt ſich in Marianen; Erklaͤrt
ihr nach langer Zuruͤckhaltung ſeine Liebe;
Wird von der Frau von Hohenauf behorcht;
Muß mit ſeinem Hofmeiſter Rambold nach
der Univerſitaͤt reiſen; Er ſendet ihr eine He-
roide, unter dem Namen des Leanders an
die Hero, welche Mariane ſich nicht zu be-
antworten getrauet. 207
- Saͤugling verliebt ſich in Marianen; Erklaͤrt
- Sechster Abſchnitt.
- Saͤugling, auf Rambolds Anrathen, beſucht
Marianen heimlich. Er wird von der
Frau von Hohenauf entdeckt, Mariane
wird eingeſperrt, und endlich zur Graͤfinn
von *** als Geſellſchafterinn geſendet 224
- Saͤugling, auf Rambolds Anrathen, beſucht
- Erſter Abſchnitt.
- Erſte Monate, nach Sebaldus und Wil-
Jnhalt
[181[180]]- Jnhalt des zweyten Bandes.
- Viertes Buch.
- Erſter Abſchnitt.
Sebaldus findet auf der Landſtraße nach Ber-
lin, einen Pietiſten. Geſpraͤch mit dem-
ſelben von dem Verderben der menſchlichen
Natur, und von der alleinwirkenden Gnade.
Sie uͤbernachten in Wuſtermark. S. 3
- Erſter Abſchnitt.
- Zweyter Abſchnitt.
- Sie gehen weiter. Der Pietiſt verſichert, daß
in Berlin keine Religion und keine chriſtliche
Liebe ſey. 17
- Sie gehen weiter. Der Pietiſt verſichert, daß
- Dritter Abſchnitt.
- Beſchreibung des Thiergartens vor Berlin, wo
der Pietiſt eine Bußpredigt zu halten verſucht.
Sie gehen in Berlin ein. Der Pietiſt nimmt
M 4an
[182[181]]Jnhalt
an einer Ecke vom Sebaldus Abſchied, und
dieſer gehet in eine Kirche, wo ein Kandidat,
von der wahren chriſtlichen Liebe, pre-
diget. S. 22
- Beſchreibung des Thiergartens vor Berlin, wo
- Vierter Abſchnitt.
- Sebaldus ſucht vergeblich Huͤlfe, bey dem Kan-
didaten der gepredigt hat, bey einem Sepa-
ratiſten, bey einer liederlichen Geſellſchaft,
bey dem Pietiſten, ſeinem Reiſegefaͤhrten.
Endlich ſinkt er, ermattet, unter dem Bogen-
gange der Stechbahn nieder, wo ihn ein Ar-
menſchulmeiſter findet, und in ſein Haus
aufnimmt. 32
- Sebaldus ſucht vergeblich Huͤlfe, bey dem Kan-
- Fuͤnfter Abſchnitt.
- Sebaldus beſchaͤftigt ſich auf Aurathen ſeines
Wirthes, mit Notenſchreiben. Er lernt da-
durch Herrn, F. kennen, von welchem er zu
dem Major, den er in Leipzig gekannt hatte,
gefuͤhrt wird. 43
- Sebaldus beſchaͤftigt ſich auf Aurathen ſeines
- Sechster Abſchnitt.
- Hr. F. erzaͤhlt dem Sebaldus auf einem Spazier-
gange, ſeine Geſchichte. Geſpraͤch von den Re-
ligionsgeſinnungen der Einwohner von Berlin. 50
- Hr. F. erzaͤhlt dem Sebaldus auf einem Spazier-
Sieben-
[183[182]]des zweyten Bandes.- Siebenter Abſchnitt.
- Geſpraͤch eines Predigers mit einem Kandida-
ten, vom Weſen des Predigtamts und von
der Heterodoxie. S. 79
- Geſpraͤch eines Predigers mit einem Kandida-
- Achter Abſchnitt.
- Geſpraͤch zwiſchen Herrn F. und Sebaldus,
von ſymboliſchen Buͤchern, und von Veraͤn-
derung der Glaubenslehren. Fragment ei-
ner Handſchrift, hiſtoriſche Verſuche uͤber
Berlin, betitelt: von der Geſchichte der
Huͤte und Maͤntel der berliniſchen Geiſt-
lichkeit. 87
- Geſpraͤch zwiſchen Herrn F. und Sebaldus,
- Neunter Abſchnitt.
- Sie wollen den Major beſuchen. Sie treffen
im Hauſe den Armenſchulmeiſter an, dem von
den Bedienten eines Edelmanns uͤbel begegnet
wird. Er erzaͤhlt die Geſchichte der Verfuͤh-
rung ſeiner Tochter. Der Major ſetzt den
Edelmann deshalb zur Rede, fodert ihn auf
der Stelle heraus, und wird von deſſen Kam-
merdiener, von hinten zu, toͤdlich verwun-
det 100
- Sie wollen den Major beſuchen. Sie treffen
M 5Zehn-
[184[183]]Jnhalt- Zehnter Abſchnitt.
- Unterredung des Sebaldus, mit dem Major,
auf dem Todtenbette. Der Major ſtirbt. S. 112
Eilfter Abſchnitt.
Der Prediger verdammt den Major, weil er
Gottes Wort nicht fuͤr Gottes Wort gehal-
ten, die Sakramente nicht, als von Gott
gegebene Gnadenmittel, gebraucht habe, und
ſo in ſeinen Suͤnden geſtorben ſey. Sebal-
dus will ihn nicht verdammen. 122
- Unterredung des Sebaldus, mit dem Major,
- Zwoͤlfter Abſchnitt.
- Der Umgang des Herrn F. mit Sebaldus,
wird laulich. Hr. F. empfiehlt ihn zu einer
Landſchulmeiſterſtelle, bey einem menſchen-
freundlichen Edelmanne, welche Stelle Se-
baldus ſeinem Freunde, dem Armenſchul-
meiſter abtritt. Sebaldus reiſet zum Hie-
ronymus, um Nachricht von ſeiner Tochter
einzuziehen. 128
- Der Umgang des Herrn F. mit Sebaldus,
- Dreyzehnter Abſchnitt.
- Sebaldus wird vom Hieronymus, nach Hol-
ſtein, zu einem geweſenen Kammerjunker,
als
[185[184]]des zweyten Bandes.
als Bibliothekar empfohlen. Es geſellet ſich
zu ihnen, ein Verwalter zu Pferde. Ge-
ſpraͤch unterweges, mit einem gelehrten Rei-
ſenden von der Erklaͤrung des Alten Teſta-
ments, durch die arabiſche Sprache. Dieſes
Geſpraͤch wird durch ein heftiges Geſchrey auf
der Landſtraße, unterbrochen. S. 133
- Sebaldus wird vom Hieronymus, nach Hol-
- Viertes Buch.
- Fuͤnftes Buch.
- Erſter Abſchnitt.
- Marianens Ankunft auf dem Gute der
Graͤfinn von ***. Saͤugling auf ſeiner
Reiſe zu ſeinem Vater nach Weſel, beſucht
die Frau von Hohenauf, welche, wegen
ihrer Abſicht, ihn mit dem Fraͤulein von
Ehrenkolb zu vermaͤhlen, vorgiebt, Ma-
riane habe einen Pfarrer in Franken geheu-
rathet. Saͤugling entſagt der Liebe in
einem Gedichte 143
- Marianens Ankunft auf dem Gute der
- Zweyter Abſchnitt.
- Charakter des Fraͤulein von Ehrenkolb, und
ihrer Mutter. Beide beſuchen die Frau von
Hohenauf. Das Fraͤulein lobt Saͤuglings
Gedich-
[186[185]]Jnhalt
Gedichte, er ſucht ihr wieder zu gefallen und
wird dadurch munterer, und weniger ſchuͤch-
tern. Als die Frau und das Fraͤulein von
Ehrenkolb nach ihrem Gute zuruͤckreiſen, be-
gleitet ſie Saͤugling und ſein Hofmeiſter
Rambold. Ankunft eines jungen Oberſten,
den das Fraͤulein von Ehrenkolb, ſchon
vorher gekannt hatte S. 150
- Charakter des Fraͤulein von Ehrenkolb, und
- Dritter Abſchnitt.
- Die Ehrenkolbſche Familie, in Begleitung
des Oberſten, Saͤuglings und ſeines Hof-
meiſters, beſucht die Graͤfin von ***. Saͤug-
ling findet daſelbſt Marianen, und ſucht
ſeine Liebe zu erneuern. Mariane aber iſt
ſehr zuruͤckhaltend. Der Oberſte, thut Ma-
rianen auch einen Antrag, wird aber ver-
aͤchtlich abgewieſen. Rambolds Charakter.
Er ſucht ſeine Abſicht auf Marianen, durch
einen Umweg auszufuͤhren, indem er der Frau
von Hohenauf von ihrer Zuſammenkunft mit
Saͤuglingen Nachricht giebt, und ſich er-
bietet, ſie derſelben wieder in die Haͤnde zu
liefern. 160
- Die Ehrenkolbſche Familie, in Begleitung
[187[186]]des zweyten Bandes.- Vierter Abſchnitt.
- Das Fraͤulein von Ehrenkolb, Mariane, der
Oberſte, und Saͤugling ſind, jeder vor ſich,
mißvergnuͤgt. Die Graͤfinn raͤth Saͤuglin-
gen ab, Verſe zu machen. Das Fraͤulein von
Ehrenkolb beleidigt Mariane. Sie gehet in
den Garten, findet Rambolden, der ſie in
das hinter demſelben gelegene Waͤldchen fuͤhrt,
wo ſie von unbekannten Perſonen, in einen
ſechsſpaͤnnigen Wagen geſchleppt wird. S. 167
- Das Fraͤulein von Ehrenkolb, Mariane, der
- Fuͤnfter Abſchnitt.
- Das Fraͤulein von Ehrenkolb verſoͤhnt ſich mit
dem Oberſten. Saͤugling reiſet zu ſeinem
Vater, nach Weſel 183
- Das Fraͤulein von Ehrenkolb verſoͤhnt ſich mit
- Sechster Abſchnitt.
- Mariane als ſie einen Poſtwagen auf der Land-
ſtraße erblickt, ſchreyet aus der Kutſche. Ein
Mann zu Pferde, will den Kutſcher anhal-
ten, und wird mit einer Piſtole ins Bein
verwundet. Unterdeſſen ſpringt ſie aus dem
Wagen, findet den Hieronymus und ihren
Vater; Sie fahren mit dem Verwundeten
weiter, Sebaldus auf dem Pferde. Er ver-
irrt
[188[187]]Jnhalt
irrt ſich. Die andern fahren zur Graͤfinn,
wo ſie ſehr kalt empfangen werden. Hiero-
nymus, der weiter zu reiſen genoͤthigt iſt,
vertrauet Marianen dem verwundeten Ver-
walter an, um ſie zu dem Hrn. von D ***
zu bringen. S. 187
- Mariane als ſie einen Poſtwagen auf der Land-
- Siebenter Abſchnitt.
- Der Verwalter verraͤth Marianen dem Ober-
ſten, und liefert ſie in deſſen Haͤnde. Der
Oberſte beunruhigt ſie aufs neue mit ſeiner Lie-
be. Sie entſpringt aus deſſen Hauſe, zu Fuße 196
- Der Verwalter verraͤth Marianen dem Ober-
- Erſter Abſchnitt.
- Sechstes Buch.
- Erſter Abſchnitt.
Sebaldus der ſich von ſeiner Geſellſchaft verir-
ret hat, verliert aus Unachtſamkeit auch ſein
Pferd. Er reiſet mit des Poſt zum Kammer-
junker nach Holſtein ab. Charakter des Kam-
merjunkers. Er zeigt dem Sebaldus ſein
Kabinett von Alterthuͤmern, und ſchaft ihm
die Stelle eines Jnformators, bey dem Ar-
chidiakonus Mackligius 207
- Erſter Abſchnitt.
[189[188]]des zweyten Bandes.- Zweyter Abſchnitt.
- Charakter des Archidiakonus Mackligius. Er
traͤgt dem Sebaldus zugleich die Predigten
in ſeinem Filiale auf S. 218
- Charakter des Archidiakonus Mackligius. Er
- Dritter Abſchnitt.
- Woͤchentliche Zuſammenkunft der Landprediger
in Holſtein. Jn derſelben wird eine Predigt
des Sebaldus, wegen Behauptung der Liebe
gegen Chriſten von andern Religionspar-
theyen, angeklagt. Der Generalſuperinten-
dent D. Puddewuſtius warnt deswegen den
Archidiakon Mackligius. 224
Vierter Abſchnitt.
Mackligius ſetzt den Sebaldus zur Rede, der
ſich vertheidigt. Mackligius tauft im Filiale
das Kind eines Schiffers, mit einem reformir-
ten Taufzeugen. Geſpraͤch des Sebaldus
mit Mackligius uͤber Neuerungen in der
Lehre, und Toleranz. Ein Jude kommt da-
zu, den beide bekehren wollen 250
- Woͤchentliche Zuſammenkunft der Landprediger
- Fuͤnfter Abſchnitt.
- Mackligius und Sebaldus werden vor dem
Konſiſtorium verklagt. Ehrn. Wulkenkra-
genius
[190[189]]Jnhalt des zweyten Bandes.
genius haͤlt eine Leichenpredigt von Bewah-
rung der reinen Lehre, welche vieles Gezaͤnk
und einen Auflauf verurſacht. Mackligius
verliert ſein Filial, und dankt den Sebaldus
ab. Dieſer, in der groͤßten Noth, ſetzt ſich,
nach dem Erbieten des Schiffers, auf deſſen
Schiff, um nach Oſtindien zu gehen. S. 244 - Zuverlaͤßige Nachrichten von einigen na-
hen Verwandten des Hrn. Magiſter Se-
baldus Nothanker. Aus ungedruckten Fa-
miliennachrichten gezogen. 253
- Mackligius und Sebaldus werden vor dem
- Erſter Abſchnitt.
- Erſtes Buch.
Dritter
[191[190]]
- Jnhalt des dritten Bandes.
- Siebentes Buch.
- Erſter Abſchnitt.
- Sebaldus leidet an der hollaͤndiſchen Kuͤ-
ſte, ohnweit Egmont, Schiffbruch.
Wird von einem nordhollaͤndiſchen Fiſcher
gepflegt, und zu einem Lutheriſchen Predi-
ger nach Alkmaar gebracht. Dieſer nimmt
ihn freundſchaftlich in ſein Haus auf. Ein
Kaufmann aus Rotterdam verlangt ihn
zum Hofmeiſter ſeines zweyten Sohnes. S. 3.
- Sebaldus leidet an der hollaͤndiſchen Kuͤ-
- Zweyter Abſchnitt.
- Was fuͤr ein Mann Meeſter Puiſtma war,
der reformirte Hofmeiſter des aͤlteſten Soh-
nes. Wie er die Kinder bisher unterwie-
ſen hatte. Sebaldus laͤßt die beiden Kna-
Dritter Theil. Nben
[192[191]]Jnhalt
ben Xenophons Denkwuͤrdigkeiten des
Sokrates und Antonins Betrachtungen
uͤberſetzen, und ſtellt ihnen dieſe großen
Maͤnner als Muſter vor. Daruͤber wird
er vom Puiſtma beym reformirten Domine
Dwanghuyſen verklagt, der deshalb den
Sebaldus aus dem Hauſe geſchafft wiſſen
will. S 16
- Was fuͤr ein Mann Meeſter Puiſtma war,
- Dritter Abſchnitt.
- Der lutheriſche Domine Ter Breidelen,
wird nebſt Domine Dwanghuyſen des-
halb auch zu Rathe gezogen. Beide
verdammen den Sebaldus, und rathen
dem Kaufmanne, ihn ſogleich aus dem
Hauſe zu ſchaffen. Da Sebaldus unent-
ſchloſſen iſt, wohin er ſich wenden ſoll, um
vor Verfolgung ſicher zu ſeyn, macht ihn
der Kaufmann mit der duldſamen Geſell-
ſchaft der Kollegianten bekannt. Sebal-
dus reiſet mit Empfehlungsſchreiben nach
Amſterdam. 24
- Der lutheriſche Domine Ter Breidelen,
[193[192]]des dritten Bandes.- Vierter Abſchnitt.
- Beym Ausſteigen aus der Schult, vor dem
Utrechter Thore zu Amſterdam, kommt dem
Sebaldus ein Deutſcher entgegen, ver-
ſpricht denſelben in eine Herberge zu brin-
gen, fuͤhrt ihn aber in das Haus eines
Seelenverkaͤufers. Er wird daſelbſt ſo lan-
ge gequaͤlt, bis er einwilligt, nach Oſtindien
zu gehen. Er erfaͤhrt von einem kranken
Mitgenoſſen ſeines Elendes, die Beſchaf-
fenheit der Seelenverkaͤuferey. Dieſer
ſtirbt, einige andere werden krank. Man
fuͤhrt ſie alſo auf den Dyk nach Seeburg,
um friſche Luft zu ſchoͤpfen. S. 37
- Beym Ausſteigen aus der Schult, vor dem
- Fuͤnfter Abſchnitt.
- Der Geiſtliche aus Alkmaar, der ſich von ohn-
gefaͤhr in Amſterdam befand, hatte den
Sebaldus auf dem Dyk erblickt. Er ver-
folgt den Trupp bis an das Haus des See-
lenverkaͤufers, erloͤſet, mit obrigkeitlicher
Huͤlfe, den Sebaldus. Der Seelenverkaͤufer
wird beſtraft. Sebaldus, geht mit dem
Geiſtlichen in die Verſammlung der Kol-
N 2legianten
[194[193]]Jnhalt
legianten. Er wird von dem Kollegian-
ten, an den er Empfehlungsbriefe hat, ins
Haus genommen. Er hilft demſelben an
einem gelehrten Tagebuche. Der Kolle-
giant ſtirbt, und vermacht ihm ſeine ſaͤmmt-
lichen Werke. Sebaldus ſezt ſich auch in
der Hollaͤndiſchen Sprache feſt, uͤberſetzt
ein Buch aus dem Englaͤndiſchen, und bie-
tet es dem Buchhaͤndler van der Kuit zum
Verlage an. S. 49
- Der Geiſtliche aus Alkmaar, der ſich von ohn-
- Sechster Abſchnitt.
- Probe, von Sebaldus Ueberſetzung aus dem
Englaͤndiſchen Buche. 57
- Probe, von Sebaldus Ueberſetzung aus dem
- Siebenter Abſchnitt.
- Charakter des Buchhaͤndlers van der Kuit.
Projekt deſſelben, vermittelſt des Predigers
de Hyſel, welcher die Ueberſetzung mit
hatte vorleſen hoͤren, dem Sebaldus eine
Furcht einzujagen, die zu ſeinen Abſichten
dienlich iſt. Domine de Hyſel will nichts
damit zu ſchaffen haben. Weswegen. Van
der
[195[194]]des dritten Bandes.
der Kuit ſtuͤrzt demohnerachtet den Sebal-
dus, durch ein falſches Vorgeben, in eine
ſolche Furcht, daß er ihm das gelehrte Ta-
gebuch, und die ſaͤmmtlichen Werke der Kol-
leglanten verkauft, und in groͤßter Eil Hol-
land verlaͤßt. Das Schrecken verurſacht
ihm eine Krankheit, er bleibt in Sevenaer
liegen. Verzehrt alles, muß ſich zu Fuße
weiter ſchleppen, bleibt zuletzt in einem
Dorfe liegen, wo er von den Almoſen, die
ihm die Reiſenden geben, denen er das Heck
aufmacht, ſein Leben kuͤmmerlich erhaͤlt S. 70
- Charakter des Buchhaͤndlers van der Kuit.
- Erſter Abſchnitt.
- Achtes Buch.
- Erſter Abſchnitt.
- Sebaldus erholt ſich in etwas. Er macht
einſt zweyen Perſonen, die ſpazieren ritten,
das Heck auf, welches Rambold und Saͤug-
ling waren. Saͤugling, den ſein Anſe-
hen geruͤhrt hatte, hohlt ihn von da ab, und
bringt ihn zu einem Pachter, in dem Dorfe
ſeines Vaters, wo er mit Waͤſche, Klei-
dern und Nahrungsmitteln verſorgt wird. 85
- Sebaldus erholt ſich in etwas. Er macht
[196[195]]Jnhalt- Zweyter Abſchnitt.
- Charakter Saͤuglings des Vaters. Dieſer
nimmt den Sebaldus zu ſich, um ihm Ge-
ſellſchafft zu leiſten, und die Zeitungen vor-
zuleſen. Jn denſelben fanden ſie die Ge-
winnliſte einer Zahlenlotterie. Der alte
Saͤugling erklaͤrt ſie dem Sebaldus, und
noͤthigt ihn, auch einzuſetzen S. 90
- Charakter Saͤuglings des Vaters. Dieſer
- Dritter Abſchnitt.
- Rambold kommt, als niemand zu Hauſe iſt,
an, ſteckt aus Neckerey, einen vorgefunde-
nen Brief an den jungen Saͤugling zu
ſich. Als ihm Sebaldus vorgeſtellt wird,
und er deſſen Nahmen hoͤrt, wird er be-
troffen und unruhig, erbricht in der Zer-
ſtreuung den Brief, und reitet fort, ſo-
bald er ihn geleſen hat. 99
- Rambold kommt, als niemand zu Hauſe iſt,
- Vierter Abſchnitt.
- Nachdem Mariane dem Oberſten entſprun-
gen war, ließ ſie ſich von Dorfe zu Dorfe
fahren, und kam ins Weſtphaͤliſche. Sie
mußte
[197[196]]des dritten Bandes.
mußte, wegen eines Ungewitters, in einem
Hanſe im Walde, abtreten. Sie entſchließt
ſich daſelbſt zu bleiben, und endlich auch
Saͤuglingen ihren Auſenthalt zu melden.
Dieß war eben der Brief, den Rambold
erbrochen und geleſen hatte. Rambold
beſucht helmlich Marianen, giebt vor,
Saͤugling ſey goſtorben, ſucht ſich in ihre
Gunſt zu ſotzen, und denkt ſie zu heurathen. S. 101
- Nachdem Mariane dem Oberſten entſprun-
- Fuͤnfter Abſchnitt.
- Charakter der Frau Gertrudtinn und der
Jungfer Anaſtaſia Gertrudtinn. Der
junge Saͤugling unterhaͤlt ſich oͤfters mit
der leztern, welches ſeinen Vater und ihre
Mutter aufmerkſam macht. 114
- Charakter der Frau Gertrudtinn und der
- Sechster Abſchnitt.
- Die Saͤuglingiſche Famille, wird in die
Stadt zu der Fran Gertrudtinn zu Mit-
tage eingeladen. Die Jungfer Anaſtaſia
hietet alle ihre ſittſamen Reizungen auf.
N 4um
[198[197]]Jnhalt
um den jungen Saͤugling zu feſſeln. Ein
Freywerber giebt dem alten Saͤugling,
wegen dieſer Heurath, einen Wink. Sie
werden eins, die Gertrudtiſche Familie
den zweyten Tag auf des alten Saͤuglings
Gut zu bitten, wo die Sache in Ueberle-
gang genommen werden ſoll. Beym-Zu-
ruͤckfahren an einem ſchoͤnen Abend ſteigt
der junge Saͤugling aus dem Wagen, um
im Walde zu Fuße zu gehen. Er hoͤret, un-
vermuthet, eins von ſeinen Liedern ſingen,
und findet Marianen. S. 114
- Die Saͤuglingiſche Famille, wird in die
- Siebenter Abſchnitt.
- Saͤugling beſucht Marianen den folgenden
Tag. Sie beſtaͤtigen ihre Verbindung.
Sie wechſeln Ringe. Rambold kommt
dazu, will voll Zorn Saͤuglingen uͤber-
fallen, und wird von idem Weſtphaͤliſchen
Bauer mit einem Hebebaume abgewieſen. 126
- Saͤugling beſucht Marianen den folgenden
- Erſter Abſchnitt.
[199[198]]des dritten Bandes.- Neuntes Buch.
- Erſter Abſchnitt,
- Saͤugling der Vater, ſchlaͤgt die Jungfer
Anaſtaſia ſeinem Sohne zur Brant vor.
der Sohn berichtet hingegen, daß er in
einer Schaͤferhuͤtte im Walde, das Maͤd-
chen gefunden habe, das er liebe. Der Va-
ter wird daruͤber ſehr betreten. Erblickt zu-
gleich den Ring an ſeines Sohnes Finger.
Sebaldus erkennet daran, daß ſeine Toch-
ter deſſen Geliebte ſey. Sebaldus und der
junge Saͤugling fahren zu ihr, und weil
dieſer nicht von ihr ſcheiden will, nimmt
ſie Sebaldus mit zuruͤck. S. 129
- Saͤugling der Vater, ſchlaͤgt die Jungfer
- Zweyter Abſchnitt.
- Die Frau Gertrudtinn, kommt ohne ihre
Tochter zum Mittagsmahle, weil dieſelbe
krank worden. Der Herr von Haberwald
erzaͤhlt halb betrunken, den Unfall der
Jungfer Anaſtaſia. Saͤngling ſtellt Ma-
rianen
[200[199]]Jnhalt
rianen ſeinem Vater vor. Sie verſichert,
daß ſie ohne ſeine Einwilligung ſeinem Sohne
nie die Hand geben werde. Sebaldus be-
kraͤftiget dieſes. S. 140
- Die Frau Gertrudtinn, kommt ohne ihre
- Dritter Abſchnitt.
- Der junge Saͤugling ſucht die Einwilligung
ſeines Vaters zu erhalten, die ihm abge-
ſchlagen wird. Sebaldus findet beym
Vorleſen einer Zeitung, daß er eine Quater-
ne von funfzehutauſend Thalern gewonnen
hat. Der alte Saͤugling giebt nunmehr
ſeine Einwilligung. 148
- Der junge Saͤugling ſucht die Einwilligung
- Vierter Abſchnitt.
- Rambold ſucht, um ſich zu raͤchen, den jun-
gen Saͤugling, wegen ſeiner Liebe zu Ma-
rianen, bey ſeinem Vater zu verlaͤumden.
Wer Rambold eigentlich geweſen ſey. 153
- Rambold ſucht, um ſich zu raͤchen, den jun-
[201[200]]des dritten Bandes.- Lezter Abſchnitt.
- Saͤuglings Verbindung mit Marianen wird
vollzogen. Nachricht was ſich mit Saͤug-
ling, Marianen, der Frau von Hohen-
auf, der Graͤſinn von ***, D. Stauzius,
Hieronymus, Rambold, und Herrn
Sebaldus Nothanker, ſeitdem zugetra-
gen habe. Sebaldus Kommentar uͤber die
Apokalypſe, ſoll auf Subſcription gedruckt
werden. 158
- Saͤuglings Verbindung mit Marianen wird
- Erſter Abſchnitt,
- Siebentes Buch.
[[201]]
Appendix B Druckfehler.
- S. 15. Z. 7. alsdenn l. alsdann.
- ebendaſelbſt, da l. wann.
- S. 20. Z. 18. Domene l. Domine.
- S. 27. Z. 19. muß ſich wegbleiben.
- S. 28. Z. 6. vollbrachten l. vollbrachter.
- S. 31. Z. 10. Baͤlgetrater l. Baͤlgentreter.
- S. 86. Z. 8. determinirenten l. determinirenden.
- S. 95. Z. 4. nothmendigen l. nothwendigen.
- S. 120. Z. 6. ſelbſt behagliche l. ſelbſtbehagliche.
- S. 148. Z. 10. vor l. fuͤr.
- S. 156. Z. 11. greiflachend l. grieflachend.
- S. 158. Z. 4. von unten, ihrem l. ihres.
- Ebendaſ. Aufenthalte l. Aufenthaltes.
[][][][][]
Others apart ſat on a hill retir’d
In thoughts more elevate and reaſon’d high
Of Providence, foreknowledge, will, and fate.
Fix’d fate, free will, foreknowledge abſolute,
And found no end, in wandring maxes loſt.
Milton’s Paradiſe loſt. B. II. v. 557.
Anfange.
Nachricht verlangt, kann ſie finden, in S. F. Rues Nach-
richten von dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der Menneniten
oder Taufgeſinnten, wie auch der Kollegianten oder
Reinsburger. Jena 1743. 8. S. 241. u. ſ.
ders die Niederſachſen und Weſiphälinger zu nennen.
Tagebuche, deſſen vornebinſte Verfaſſer Kollegianten ſind.
Life of John Bunele. London gr. 8.
Kirche, iſt im Jahr 1562, unter der Regierung der Königinn
Ellſabeth, auf 39 Artikel feſtgeſetzt und 1571 durch eine
Parlamentsakte beſtätigt worden. Wer ein geiſtliches
Amt erhält, muß ſie beſchwören. Sie ſind das, was in
den meiſten deutſchen Provinzen die ſymboliſchen Bücher
ſind.
lologica. Lauſannae 1739 4to. Tom. II. p. 509. Der ehrliche
Sebaldus hat dieſe Verſe, nach ſeiner Art, folgendermaßen
überſetzt:
parte forari poteſt. Nimirum ut Diatraetarii margaritas, prout
commodum viſum fuerit, perforant: ita haeretici verba Dei,
pro captu ſuo interpretantur, ut volunt. S. Fried. Lindenbrogii
Var. Quaeſt. n. 2. adj. Altercationi Hadriani Aug. \& Epicteri
Philoſophi. Francof. 1628. 8.
ſtrich des erſten E in dem Worte EYCEBEIAC, durch das
Pergament, gerade an der Steile durch, wo der Spruch
1 Tim. III. 16. geſchrieben iſt. Dadurch, ſcheint das o in
oc
aus dem Text, in einem Briefe, der der zweyten Ausgabe
von Mills N. T. vorgedruckt iſt, und in Arte crit. P. III. Sect. 1.
c. XV. §. 15.
Unter den deutſchen Auslegern hat der berühmte Sem-
ler eben dieſes, aus guten Gründen gethan. Man ſehe
deſſen Apparat. ad libr. N. T. interpr. S. 59. und deſſen P-
raphraſe dieſer Stelle.
ſen, welches die Abbreviatur von ϴεος iſt. S. Werſtenii
Proleg. in N. T. Edit. Halenſ. S. 54. u. f.
‚Das arme Buch! Was muß es nicht ertragen!
„Von jeher hat es ſich geduldig laßen plagen,
„Und ſchief verzerrn, nach jedes Lehrers Lehren,
„Griech’ſch und Hebraͤiſch kann ſich ja nicht wehren!‛
ſchen Orthodoxie.
Poſt nach Arnhem abfaͤhr:.
Speiſe und Trank, Ausführungen, Schlaf, Bewegung,
Leidenſchafften.
Hofe abgegangenen Bauers.
hölz, welches in Abſicht der Viehweide offen, aber was das
Holz hetrifft, davon geſondert, oder einem Herrn zuſtän-
dig iſt. S. Moͤſers patriotiſche Phantaſien 2 Th. S. 493.
- Holder of rights
- Kolimo+
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- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn61.0