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Verlag von J. J. Weber.
1846.
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Bernſteinhexe.
in fünf Akten.
Nach Meinhold’s Hexenprozeſſe: Marie Schweidler.
Verlag von J. J. Weber.
1846.
Die
Bernſteinhexe.
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In der Einleitung zu dieſem Stuͤck kann ich mich kuͤrzer
faſſen, da es mir weniger an’s Herz gewachſen iſt als
jedes der anderen. Der Stoff dazu wurde von außen
geboten, der Plan ſchnell gefaßt, die Abfaſſung ſchnell be-
werkſtelligt. Ich will damit nicht ſagen, daß mich Stoff
und Plan und Abfaſſung gleichguͤltig gelaſſen habe, o nein,
ich bin mit allen Kraͤften lebhaft dabei betheiligt geweſen.
Aber fuͤr uns Geſchoͤpfe der Zeit iſt auch die laͤngere oder
kuͤrzere Dauer der Zeit ein Hauptbeſtandtheil fuͤr das
was wir Treue nennen. Was ſich in uns nicht laͤngere
Zeit hindurch angeſiedelt hat, das laͤßt auch nicht einen
dauernden Eindruck zuruͤck, und ſo kommt mir jetzt ſchon
nach Verlauf weniger Jahre dieſes ganze Thema der
Bernſteinhexe und die Dramatiſirung deſſelben wie ein
Paroxysmus vor, den ich nicht verlaͤugnen moͤchte, fuͤr den
ich aber auch keine ausgedehnte Theilnahme in Anſpruch
nehmen will. Ich erinnere mich ganz gern der ſechs Wo-
chen, waͤhrend welcher ich der Altweiberſagen ſchleſiſcher
[10]Einleitung.
Jugend ſtandhaft eingedenk und mit nichts beſchaͤftigt
war als mit dem ſtarren Hinlauſchen und Hinhorchen,
ob nicht außer dem Bereiche unſerer Sinne noch eine an-
dere, unſrer Menſchenwelt uͤberlegene Exiſtenz webe und
ſchaffe, mit dem ſtarren Hinhorchen nach dem Fluͤſtern
und Murmeln waͤhrend des Mondesdaͤmmers, waͤhrend
der Kaminſtunden im Vaterhauſe und im einſamen Forſt-
hauſe, waͤhrend der ſchauerlichen Nachtſtunden auf abge-
legenen Jagdplaͤtzen der Haide. Der alte ernſthafte Jaͤ-
ger hatte mir in trockener Grube leiſe entwickelt, daß es
kindiſch ſei, die alten Geheimniſſe zu laͤugnen und hatte
neben mir alle die aberglaͤubiſchen Formen beutegierigen
Jaͤgerthumes erfuͤllt, und hatte ſo oft triumphirt, wenn
das erwuͤnſchte und ſeltne Wild im weißen Mondenſcheine
gerade an uns voruͤber ſeinen Weg genommen, obwohl
doch die Haide ſo breit war und hundert Wege außerhalb
unſeres Geſichtskreiſes und Schuſſes uͤbrig blieben. Vor
allem Anderen aber war ich aus dem ſchwarzen Brau-
hauſe meiner Vaterſtadt nicht mehr heraus gekommen in
jenen ſechs Wochen. Dies Brauhaus, der ſchwarze Hei-
dentempel meiner Hexenerinnerungen, lag abſeit von den
Hinterhaͤuſern der Stadt, ganz einſam dicht an der ver-
fallenden Stadtmauer, und ich mußte als zehn- bis zwoͤlf-
jaͤhriger Bube des Jahres wohl ein Dutzend Mal in die-
ſem Brauhauſe wachen helfen, daß von dem friſch gebrau-
ten Biere aus den Buͤtten nichts entwendet wuͤrde. Mein
einziger Gefaͤhrte bei dieſer wunderlichen Wacht war ein
[11]Einleitung.
altes Muͤtterchen von kleiner viereckiger Geſtalt, genannt
Mutter Schoͤnknechten, runzlig und garſtig und von un-
gezaͤhlten Jahren. Sie ſelbſt wußte am Wenigſten Aus-
kunft zu geben, wie lange ſie ſchon auf der Welt ſei, ſie
wußte nur daß Niemand in der Stadt jemals Bier ge-
trunken, bei deſſen Siedung und Brauung ſie nicht be-
hilflich geweſen waͤre. Mutter Schoͤnknechten galt fuͤr
ungewoͤhnlich begabt. Obwohl ſo alt und ſo klein, wuſch
ſie doch ſaͤmmtliche Faͤſſer zu einem Gebraͤude binnen ei-
nem halben Tage rein und blank mit drahtdurchflochtenen
Lappen und ſchwenkte trotz ihrer kurzen Arme die großen
Faͤſſer umher als ob es Bierglaͤſer waͤren. Man reſpek-
tirte das ſtille Muͤtterchen ungemein, man traute ihr, wie
geſagt, Ungewoͤhnliches zu, aber Niemand dachte dabei
an Hexenweſen und Hexenkraͤfte. Mutter Schoͤnknechten
ward zur guten Sorte gerechnet, die Frau des Brauers
aber galt fuͤr eine Hexe, und dieſe Frau des Brauers,
Brauer-Lene genannt, galt fuͤr die toͤdtliche Feindin der
Mutter Schoͤnknechten. Da war alſo gutes und boͤſes
Prinzip des Geheimnißvollen fuͤr den aufmerkſamen Kna-
ben. Zwiſchen jenen beiden Weibern figurirte als In-
differenzpunkt der alte lange Brauer, der mit ſeinem als
Hexe verſchrieenen Weibe lauter ſtarke Jungen zeugte, der
immerdar ſo gewiß uͤberlegen lachte, wenn man der Hexe-
rei in ſeiner Gegenwart erwaͤhnte, und der uͤbrigens die
Mutter Schoͤnknechten ſo wohlwollend und ſchonend be-
handelte, als ob er ſie einmal geliebt habe in juͤngeren
[12]Einleitung.
Jahren. Ach was, pflegte meine Mutter zu rufen, er
weiß wie noͤthig er ſie braucht, denn es geht kein Bier
ordentlich zuſammen ohne den Segen und die Gegenwart
und vor allen Dingen ohne die Wuͤrze der Mutter Schoͤn-
knechten! Er ſoll nur einmal die Wuͤrze von Jemand
Anderem kochen laſſen, da werdet Ihr’s ſchale Bier er-
leben! Aber das weiß er gar gut, der alte Suͤnder, daß
er ohne den Zauber der guten Kraͤfte im Brauhauſe trotz
aller Hexerei ſeiner Lene im Malzhauſe kein klares, wohl-
ſchmeckendes Bier zu Stande bringt!
Zwiſchen dem Brauhauſe und Malzhauſe, welche an-
einander ſtießen, erſchien er mir denn auch immer, jener
alte Brauer mit ſeinem furchtbar altmodiſchen Geſichte,
oben auf dem ſchwarzen Treppen-Altan. Altmodiſch
war das Geſicht, weil es uͤberaus grobe Zuͤge, große
Naſe und großes Kinn hatte. Sein Erſcheinen geſchah
faſt immer mitten in der Nacht. Abends ward ich hin-
uͤber geſchickt in’s Brauhaus, wo die Mutter Schoͤnknech-
ten allein die Wuͤrze kochte in einem tiefen Loche, welches
vor der Ofenthuͤr ausgemauert und mit zwei bretternen
Wandbaͤnken verſehen war. Ich fand ſie ſtets beſchaͤftigt
und gluͤhend roth wegen des großen Feuers unter
dem Wuͤrzekeſſel, und zunaͤchſt gab es nichts Einſames
und Schauerliches, denn es kam wohl auch noch unſere
Koͤchin mit Kaffeekannen von Bunzlauer Geſchirr, die
mit Wuͤrze gefuͤllt und an ein Paar Specialfreundinnen
der Mutter als beſondere Delikateſſe noch am ſpaͤten
[13]Einleitung.
Abende warm verſchickt wurden. Gegen zehn Uhr Abends
erſt ward es ganz ſtill; Mutter Schoͤnknechten war fer-
tig und ſetzte ſich zu mir auf die hoͤlzerne Bank und ſtarrte
lange Zeit ſchweigend in den verglimmenden Brand unter
dem Keſſel. Der Schweiß troff ihr von der Stirn und
ſie trocknete ſich ihn mit einer Schuͤrze von grober Sack-
leinwand, welche gar nicht weich genug war, um alle
Schweißtropfen in den Runzeln des Geſichtes aufzuſuchen.
Uebrigens war es kalt in dem finſtern, hohen und weiten
Brauhauſe, und ich mußte oͤfters an’s Ofenloch fluͤchten,
um mich zu erwaͤrmen. Mutter Schoͤnknechten ſah das
ganz gern, und ſagte zuweilen: junges maͤnnliches Blut
bringe der Bierwuͤrze guten Geſchmack, ich ſollte mich nur
waͤrmen und in die Waͤrme hineinathmen. Dies war
die Zeit, in welcher ſie anfing Geſchichten zu erzaͤhlen,
Hexen- und Geſpenſtergeſchichten. Mit Geſpenſterge-
ſchichten machte ſie keine großen Umſtaͤnde, die alte Frau
ſchien ſich gar nicht zu fuͤrchten und tiſchte mir den aͤrg-
ſten Spuk auf ſo gleichguͤltig, als ob ſie mir ein Butter-
brot reichte. Kam ſie aber an eine Hexengeſchichte, ſo
mußte ich immer erſt aus dem Loche hinaufſteigen und
an die Thuͤr gehen, welche unten in’s Malzhaus hinein
fuͤhrte. Dieſe Thuͤr ſollte ich oͤffnen, um mich zu ver-
ſichern, daß Niemand von der Brauersfamilie an den
Malzhaufen beſchaͤftigt ſei. Ich hatte nicht immer den
Muth zum Oeffnen, denn von Geſpenſter-Eindruͤcken voll
war es mir gar zu ſchauerlich, in einen ſo weiten, unab-
[14]Einleitung.
ſehbar langen, nur von einem Laͤmpchen oder dem Mond-
lichte erhellten Raum duͤnſtender Getraidehaufen den
Kopf hineinzuſtecken. Ich klapperte gewoͤhnlich mit der
Klinke und begnuͤgte mich, durch’s Schluͤſſelloch und in
die Hoͤhe nach der Bodenthuͤr zu kucken. Zu dieſer Malz-
bodenthuͤr fuͤhrte eine hoͤlzerne, von Rauch ganz ge-
ſchwaͤrzte Freitreppe, und oben auf dem altanartigen Ab-
ſatze derſelben pflegte der gefuͤrchtete Brauer zu erſchei-
nen. Hoͤrte ich nichts von dem Schluͤrfen ſeiner Pantoffeln
und ſah ich nichts von ihm, ſo ſchluͤpfte ich wieder in’s
Loch hinab und verſicherte die Mutter Schoͤnknechten: der
Hexenmeiſter ſei nicht in der Naͤhe. — Nicht doch, erwi-
derte ſie, ein Hexenmeiſter iſt er nicht, kaum ein Lehr-
junge; er naſcht nur davon, weil er ſein Weib zum Maͤl-
zen braucht. — Und iſt die Brauer-Lene wirklich eine
Hexe, Mutter Schoͤnknechten? — Stille, ſo was darf
man nicht laut ſagen! Oben in den offnen Fenſtern
ſitzen die Fledermaͤuſe, die hier in’s Brauhaus nicht her-
ein duͤrfen, denen wir aber das Horchen nicht wehren
koͤnnen, und die der Lene Alles zu wiſſen thun. Wenn
Du die Lene geſehn haͤtteſt vor zwanzig Jahren, Du wuͤr-
deſt gar nicht fragen. Damals war ſie ſchoͤn wie ein
Engel und an den blauen Kuckaugen hatte der heikelſte
Burſch nichts auszuſetzen. Jetzt ſind die Augenraͤnder
dick geſchwollen und roth. Das kommt nur vom Wach-
holderfeuer auf dem Blocksberge in der Walpurgisnacht
— Du haſt doch die zwei abgekehrten Beſen wieder kreuz-
[15]Einleitung.
weis vor die Thuͤr oben gelegt? — Ja! — Das ſind
ihre Reitpferde in der Walpurgisnacht, und in der
Nacht haben wir auch mein Lebtag nicht gebraut. Das
kann ich ihr nicht wehren; aber ſie iſt auch nicht im
Stande, in der uͤbrigen Jahreszeit uͤber die Beſen hin-
wegzuſteigen, denn ſie ſind halt fuͤr ſie ſo groß wie Reit-
pferde. Und der Brauer nimmt ſie auch nicht weg,
nicht oben, nicht unten, denn er weiß gar gut, daß das
Bier nur geraͤth, wenn die boͤſen Geiſter in’s Brauhaus
ſelbſt nicht herein ſchluͤpfen duͤrfen. Zum Malz braucht
er ſie, das Bier verderben ſie —
Dieſen Dualismus entwickelte nun das Muͤtterchen
in allerlei grauslichen Geſchichten, welche ich hier nicht
auftiſchen will. Ploͤtzlich ſchlief ſie ein, ohne Kopf oder
Schulter irgendwo anzulehnen. Sie war ſo kurz zuſam-
mengebaut, daß ſie keinerlei Stuͤtze beim Schlafen zu
brauchen ſchien; ich habe nie geſehen, daß ſie ſich nieder-
gelegt und daß ſie anders als kerzengerad ſitzend, die kurzen
Haͤnde im Schooß gefaltet, geſchlafen haͤtte. Von dieſem
Momente des Einſchlafens begann meine Noth. Voll
ſolcher Geſchichten und verworrener Anſchauungen fuͤrch-
tete ich mich nun, wenn dies das richtige Wort iſt, in dem
hohen wuͤſten Raume, deſſen hoch oben angebrachte Fen-
ſter ſaͤmmtlich offen und uͤberhaupt nur Loͤcher waren.
Der Wind ſpielte mit den alten Brettlaͤden, der Mond
kuckte mitunter neugierig herein, und der Hund, welcher
im naͤchſten Hofe zuweilen raſſelte oder bellte, gehoͤrte in
[16]Einleitung.
die Scharfrichterei, wo es nach meiner Wiſſenſchaft auch
lauter unheimliche Kuͤnſte gab, wenigſtens eine unbegreif-
liche Macht uͤber die Thierwelt.
Die Eindruͤcke jener Stunde vor Mitternacht habe
ich nie vergeſſen, und im Gedaͤchtniſſe derſelben bin ich
jederzeit bereit, Geſpenſter- und Hexengeſchichten bis auf
einen gewiſſen Grad andaͤchtig anzuhoͤren.
Um Mitternacht kam gewoͤhnlich Erloͤſung, eine Er-
loͤſung, vor der ich mich auch fuͤrchtete bis ſie eintrat.
All mein Nervenleben kroch in den Ohren zuſammen und
lauſchte, ob ſich des Brauers ſchluͤrfende Pantoffeln ganz
fern oben auf den Malzboͤden hoͤren ließen. Ja! zitternd
klang es in mir Ja! und die Beklemmung ſteigerte ſich,
bis oben an der ſchwarzen Treppe die Thuͤr knarrte und
quietſchte und der Alte hervortrat im weißen Schafpelze.
Sobald ich den weißen Schafpelz ſah, wußte ich, es war
der Brauer, ein wirkliches Menſchenkind, und athmete
auf. Gleichzeitig oͤffnete auch immer die Mutter Schoͤn-
knechten ihre kleinen Augen: es ſchien eine Sympathie
zu herrſchen zwiſchen den beiden Leuten. Nun fragte
der Brauer von oben, ob Alles in Ordnung ſei, und ſie
antwortete unten, ohne ſich umzukehren: Freilich! Dann
verſuchte er einen Scherz, den ſie nicht beantwortete, und
dann fragte er mich, ob „mir nicht graute“, worauf ſie
ſtatt meiner patzig erwiderte: Warum nicht gar! Der
Brauer ſchlug nun eine kurze Lache auf, welche von da
oben durch das leere Haus garſtig widerhallte; dann trat
[17]Einleitung.
den Malzboden, wir hoͤrten ihn fortſchluͤrfen, und je fer-
ner dies wurde, deſto tiefer fielen die Augenlider der
Mutter Schoͤnknechten, und wenn man ihn nicht mehr
hoͤrte, dann ſchlief ſie wieder feſt, und ich ſank ebenfalls
in Schlummer, eine Wacht wie die Garantie einer Staats-
verfaſſung: ein altes Muͤtterchen und ein kleiner Bub,
Gott muß fuͤr Alles ſtehen!
Dieſe daͤmoniſchen Verhaͤltniſſe im Brau- und Malz-
hauſe haben nach der Verſicherung meiner Mutter an die
dreißig Jahre geſpielt, und dabei hat die Stadt immer gu-
tes Bier gehabt. Ploͤtzlich iſt einmal des Morgens die
Mutter Schoͤnknechten ein wenig angelehnt gefunden wor-
den; man hat ſich gewundert, iſt in ihr Loch hinabgeſtie-
gen, um ſie zu wecken und hat erkennen muͤſſen, daß ſie
todt ſei. Von dem Tage an iſt die Brauer-Lene zum
erſten Male im Brauhauſe geſehn worden, und von dem
Tage an iſt trotz aller Hexereien kein Bier mehr gerathen.
Der alte Brauer iſt aus Kummer daruͤber erkrankt und
geſtorben; einer ſeiner Soͤhne, ein ſehr geſchickter Brauer,
iſt an ſeine Stelle getreten und hat auch nichts zu Stande
gebracht als die Schwindſucht am eigenen ſonſt ſo ſtarken
Leibe. Die Brauer-Lene iſt alle Tage magerer geworden
und hat am Ende wie eine trockne Schindel mit rothen
Raͤndern ausgeſehn. Man hat der Familie das Amt ab-
nehmen muͤſſen, und ſie hat ſich zerſtreut in alle Winde —
vom Tode der Lene haben ſich die wunderlichſten Sagen
verbreitet, wohlunterrichtete alte Weiber aber ſagen, ſie
Laube, dram. Werke. III. 2
[18]Einleitung.
lebe heute noch und koͤnne nicht ſterben, bis die Mutter
Schoͤnknechten ſich zum erſten Male im Grabe umwenden
werde.
Wie abgeſchmackt dergleichen Dinge am heutigen lich-
ten Tage erſcheinen, ſie wurden doch in mir lebendig, als
ich, von einer Reiſe heimkehrend, das Meinhold’ſche Buch
von der „Marie Schweidler“ auf meinem Tiſche fand und
in das Leſen deſſelben hineingerieth. Wir koͤnnen ja doch
die Eindruͤcke unſrer Lebensgeſchichte nicht verlieren, wie
wenig auch eine ſpaͤter erworbene Bildung dazu ſtimmen
mag. Sie gehoͤren zu unſerm Koͤrper, welchen keine Me-
dizin oder Brunnenkur jemals ganz aͤndern kann, ſie ge-
hoͤren zu unſern Anlagen, die niemals ganz uͤberbaut
werden koͤnnen. Jedermann hat ſolch einen Punkt in ſich
welcher Wahnſinn genannt wird, ſobald er ſich einmal
unbekuͤmmert um die herrſchenden Grundſaͤtze ausbreitet
und geltend macht. Wenigſtens wird, er fixe Idee, wenn
das Individuum paſſiver Natur iſt und nicht ſein Leben
zum geſetzgeberiſchen Leben durchſetzen will, was eine ener-
giſche Natur alle Zeit zu thun getrieben iſt.
So weit trieb es denn nun wohl die Hexen-Erinne-
rung mit mir nicht, eben weil es nur eine ferne Erinne-
rung ſein konnte. Ich hatte ja ohne Zuthun nur zuge-
ſchaut und zugehoͤrt in fruͤher Jugend, ich hatte alſo nur
Empfaͤnglichkeit, nicht aber ein Organ der Thaͤtigkeit dafuͤr.
Ein einziges Mal im ſpaͤteren Leben hatte der kurioſe Ver-
kehr mit der Geiſterwelt ein Pfoͤrtchen zu thaͤtiger Theil-
[19]Einleitung.
nahme fuͤr mich geoͤffnet. Das geſchah einmal im Fruͤh-
jahr tief im Walde: Ich ſtrich mit dem Gewehr umher
auf der Pirſch und hoͤrte aus einem tiefen Thale einen
Schuß fallen. Auf einer Meile Rund wenigſtens durfte
Niemand ſchießen in dieſem Forſte, der Schuß mußte alſo
von einem Wilddiebe ausgegangen ſein, und ich ſchlich
vorſichtig in das Thal hinab, eines Wildſchuͤtzens gewaͤr-
tig, den ich uͤber Zerlegung des geſchoſſenen Thiers finden
wuͤrde. Statt ſeiner fand ich einen Steinſprenger, der ſich
mir bei laͤngerer Unterhaltung fuͤr einen Geiſterbeſchwoͤrer
und Schatzgraͤber ausgab. Heutiges Tages begegnet Einem
Dies nur noch in der Wildniß, dort nimmt ſich Dies aber
ganz anders aus, und es machte mir denn auch wirklich
einen Eindruck, als ich den ganz verſtaͤndigen Mann mit
der ruhigſten Sicherheit von ſeiner Macht uͤber die Gei-
ſterwelt reden hoͤrte. Er beſchrieb ſo genau, wie wir eine
Reiſe beſchreiben, in welcher Weiſe und Geſtalt die Gei-
ſter auf ſeine Beſchwoͤrung erſchienen, als dicke Nebel,
bald grau, bald gelblich, bald ſchwaͤrzlich. Dazu nannte
er ſie alle mit wunderlichen Namen und ſchien mit jedem
einzelnen perſoͤnlich bekannt zu ſein. In Boͤhmen wollte
er das Beſchwoͤren gelernt haben und behauptete ruhig,
dieſe geheime Wiſſenſchaft werde noch durch die ganze Welt
von einer verborgenen, eng zuſammenhaͤngenden Kette
kundiger Leute betrieben. Er ſelbſt habe es nur bis zum
zweiten Grade gebracht, und koͤnne noch keinen Schatz he-
ben, weil er die Formel des dritten Grades nicht erlernt
2*
[20]Einleitung.
habe. Geiſter wolle er mir indeſſen citiren ſo viel ich
haben wollte, und wenn ich das wuͤnſchte, ſo werde er
zum Abende des bevorſtehenden Pfingſtſonnabends auf’s
Waldſchloͤßchen hinaufkommen, welches ich mutterſeelen
allein bewohnte und welches ſehr geeignet ſei zu ſolchem
Werke. Von den Wieſen und aus den hohen Fichtenbe-
ſtaͤnden wuͤrden die Nebel praͤchtig aufſteigen und ſich zu
Geſtalten mit langen Schleppen formiren, und durch die
Fenſter und Ritzen hineinſchluͤpfen in mein Zimmer zwi-
ſchen elf und zwoͤlf Uhr in der Nacht. — Nicht zwiſchen
zwoͤlf und eins? — Nein, zwiſchen elf und zwoͤlf iſt die
Geiſterſtunde! — Kurz, es wurde abgemacht zwiſchen
uns. Er wollte vorher einmal hinkommen, und ein Paar
Buͤcher bringen. Dabei fragte er mich, ob ich ihm ein
gewiſſes Buch verſchaffen koͤnnte — er nannte den Titel
— in dieſem ſolle die Formel des dritten Grades ſtehen.
Ich verſprach, mich umzuthun und wir ſchieden.
Er kam richtig und brachte ein Paar alte Scharteken
mit gemalten Geiſterkreiſen und betrieb unſer Werk mit
ſolcher Ruhe und Ernſthaftigkeit, als ob es ſich um das
Aufſchichten einer Klafter Holz handle. Dabei verſchwieg
er indeſſen nicht, daß es ſeine Gefahr habe, wenn die For-
mel nicht ſtark genug ſei oder man aus dem Kreiſe hinaus
gerathe, denn die Geiſter ſeien grauſam.
Der Pfingſtſonnabend ruͤckte naͤher, und ich geſtehe
offen, daß ich mich ganz gehoͤrig fuͤrchtete. Am Donner-
ſtage indeſſen trat der Foͤrſter zu mir und fragte mich,
[21]Einleitung.
was ich denn mit dem Steinſprenger vorhaͤtte? Derſelbe
ſei eben auf ein entferntes Revier beordert worden und
habe eingewendet, daß er uͤbermorgen eine Arbeit fuͤr mich
uͤbernommen. Ob dem ſo waͤre, und ob ich den Mann
wirklich brauchte? — Aus innerer Scheu vor dem Aben-
teuer beſtand ich nicht auf Freigebung des Steinſprengers,
und ich hab’ ihn nicht wieder geſehen.
Er ſelbſt war alſo doch nicht zuruͤckgetreten und ver-
traute alſo auf ſeine Macht! Das war ein Jahr vor dem
Augenblicke geſchehn, da ich die „Marie Schweidler“ auf
meinem Tiſche fand. Wer konnte alſo geneigter ſein als
ich, auf die Hexengeſchichte dieſes Buches einzugehen!
Man ſpielt ja ſo gerne mit dem Stolze der Aufklaͤrung,
deren Epoche wir angehoͤren, wenn dies Spielen auf dem
dunklen Hintergrunde der Hamletworte geſchehen kann:
„Es giebt Dinge zwiſchen Himmel und Erde, von denen
ſich unſre Philoſophie nichts traͤumen laͤßt.“ Man laͤßt
ſich gar ſo gerne auslachen von denen, welche die ganze
ſichtbare und unſichtbare Welt als einen kleinen Knaͤuel
von Kategorien auf der Zunge mit ſich herumfuͤhren zu
jeder Zeit. Man macht ſo gerne gegen ſich ſelbſt Oppo-
ſition. Ich wenigſtens muß von mir ſelbſt geſtehen, daß
ich niemals an die Dauer und Fertigkeit der eben herr-
ſchenden Anſchauungen glaube, und daß mir der Glaͤubige
mit den eben beliebten Figuren ſeiner Phantaſie wie der
Philoſoph mit der eben entdeckten Abſolutheit ſeiner Fol-
gerungen gleichmaͤßig nur Gegenſtaͤnde der Curioſitaͤt
[22]Einleitung.
ſind. Die grell verſchiedenen Richtungen dramatiſch ge-
gen einander in Bewegung zu ſetzen, das iſt ein Trieb,
der aller Orten und Enden mich bewegt und leicht das
Wunderlichſte und Verwirrendſte zum Vorſchein braͤchte,
wenn man nicht nebenher ein wohlerzogener Staatsbuͤr-
ger und Praktikant zu ſein und nur das Brauchbare zu
veroͤffentlichen befliſſen waͤre. Jene Dialektik, welche ſich
durch Perſoͤnlichkeiten und Handlungen bethaͤtigt und
welche dem Autor ſelbſt unerhoͤrte Reſultate erzeugt, jene
Dialektik des Schachſpiels mit Menſchen iſt ja der tiefſte
Reiz dramatiſcher Thaͤtigkeit, ein Reiz, der nicht zu theuer
bezahlt wird mit manchem Mißgriffe. Wer keinem Miß-
griff ausgeſetzt ſein will, der verſchreibt ſich der Mittel-
maͤßigkeit.
Ich bereue es auch deshalb ganz und gar nicht, daß
ich mich den Spielereien der Phantaſie in Hexen- und
Zaubergeſchichten einige Wochen wieder ſo lebhaft hin-
geben konnte, als ob ich wieder ein Knabe neben dem alten
Muͤtterchen, oder nur ein traͤumeriſcher Jaͤgersmann neben
dem Koͤhler des Waldes waͤre. Was an dieſer Hinge-
bung fehlerhaft war, das wird ſich bald zeigen, und es
wird ſich auch zeigen, daß es von Vortheil iſt, uͤber den
Grund und den Umkreis eines Fehlers auf’s Reine zu
kommen.
Die Darſtellung einer Hexengeſchichte an ſich kann
heute noch einen ſtarken und ſchoͤnen Reiz ausuͤben, das
hat Meinholds „Marie Schweidler“ dargethan. In der
[23]Einleitung.
lebhaften Theilnahme an dieſem Reize uͤberſah ich nur,
daß die Form den ſtaͤrkſten Antheil hatte an Erſchaffung
dieſes Reizes. Meinholds Buch giebt ſich als treue Dar-
ſtellung „nach einer defecten Handſchrift des Pfarrers
Abraham Schweidler in Coſerow auf Uſedom.“ Dieſer
Paß oͤffnet ihm alle Thore. Man hat mich, verwundert
uͤber meinen Mangel an Exegeſe, gefragt: aber haben
Sie denn nicht an dieſem und jenem Zeichen gemerkt, daß
es eine gemachte Chronik war? Darauf haͤtte ich ganz
einfaͤltig zu erwidern: Nein! wenn ich nicht beizufuͤgen
haͤtte: darum habe ich mich gar nicht gekuͤmmert! Die
blanke Aechtheit oder Unaͤchtheit in Betreff der geſchicht-
lichen Quelle war mir vollkommen gleichguͤltig, und ich
muß auf alle Gefahr hin ſogar hinzufuͤgen, daß ſie mir dies
unter ſolchen Umſtaͤnden immer iſt, daß mir das wirklich
Geſchehene verhaͤltnißmaͤßig unwichtig iſt neben dem Wah-
ren. Ich ſehe ſeit zwanzig Jahren Geſchichte entſtehen, und
habe hinreichend erfahren, daß die einzelnen Wirklichkei-
ten nicht nur unwichtig, ſondern ſogar neben der aus
Mannigfaltigkeit entſtehenden Wahrheit geradezu unwahr
werden koͤnnen, wenn man ſie realiſtiſch betont. Außer-
dem aber bilde ich mir ein, von kuͤnſtleriſcher Natur zu
ſein, und inſofern iſt es meine geringſte Sorge und
Frage vor dem Reize einer Geſchichte, ob ſie geradeſo paſ-
ſirt iſt wie ſie mir erzaͤhlt wird. Jede gut erzaͤhlte Ge-
ſchichte iſt mir auch eine wahre Geſchichte.
Endlich glaube ich auch heute noch nicht, daß Mein-
[24]Einleitung.
hold die ganze Geſchichte erfunden habe, ſondern ich bin
feſt uͤberzeugt, daß er Theile des Torſo vorgefunden und
ſie im Style deſſelben zuſammengeſetzt hat. Das wird
freilich ſchwer aufzuklaͤren ſein, wenn er ſelbſt daruͤber
nichts mittheilen will, ſondern auf der wunderlichen Grille
beharrt, durch ſolche Taͤuſchung und Enttaͤuſchung einen
Beweis geliefert zu haben, daß die Zweifler an der Aecht-
heit der Evangelien kein Vertrauen in Anſpruch nehmen
duͤrften. Jeder natuͤrliche Verſtand entgegnet ihm, daß ja
grade ſeine Taͤuſchung von vielen Leuten glaͤubig hinge-
nommen, dadurch alſo von Neuem der Beweis geliefert
worden ſei: man koͤnne recht wohl etwas kuͤnſtlich zuſam-
menſetzen und fuͤr wirklich Erlebtes oder direkt Ueberlie-
fertes ausgeben, ohne Augen- und Ohrenzeuge, ja ohne
im Beſitz einer direkten Ueberlieferung geweſen zu ſein.
Es iſt wohl nicht leicht wider Willen den Evangeliſten
ein uͤbleres Kompliment gemacht worden, als mit dieſer
Logik und in Achtung vor dem Talente Meinholds duͤrfen
wir vorausſetzen, dieſe verneinende Wendung ſei nur der
zweite Akt ſeines logiſchen Drama’s gegen die Rationali-
ſten. Im dritten, die Komoͤdie ſchließenden Akte wird er
ſagen: Siehe da, Ihr habt denn auch die Verneinung wie-
der kurzſichtig hingenommen. Sie erſchien blos, um die
Nichtigkeit Eurer Kritik zum zweiten Male darzuthun;
jetzt ward etwas fuͤr ein kuͤnſtliches Machwerk ausgegeben,
es ward Euch ein Trug wahrſcheinlich gemacht, das war
Etwas nach Eurem Sinn, und Ihr riefet: „Freilich! frei-
[25]Einleitung.
lich! das hatten wir wohl gemerkt, Dergleichen iſt ja immer
Machwerk!“ Jetzt erſt kommt die Aufloͤſung: die Ueber-
lieferung von der Marie Schweidler iſt wirklich aͤcht, ich
habe nur die auseinander geriſſenen Theile aneinander ge-
fuͤgt. Da habt Ihr das mitſprechende Beiſpiel fuͤr alte
Ueberlieferungen und fuͤr Eure Kritik!
Doch genug uͤber einen abſonderlichen Scherz, welcher
die kritiſchen Leute laͤnger intereſſiren mag als die kuͤnſt-
leriſchen. Dieſen wird Meinholds Buch unter allen Um-
ſtaͤnden werth bleiben, und mich perſoͤnlich entzuͤckte es der-
maßen, daß ich, erfuͤllt von lauter dramatiſchen Formen,
nicht Raſt noch Ruhe hatte, bis ich es als Theaterſtuͤck
vor mir ſah. Ich war mitten in der Abfaſſung des Stru-
enſee begriffen, und alſo nicht nur nicht verlegen um ei-
nen Stoff, ſondern im Gegentheil geſtoͤrt durch das bereits
ausgebreitete Leben eines ganz andern Stoffes, welcher
nach Erledigung ungeſtuͤm in meinem Innern pochte. Der
Drang war ſo groß, daß ich weſentliche Uebelſtaͤnde, welche
ſich meinem Verſtande aufdraͤngten, durchaus uͤberſehen
wollte. Der Verſtand ſagte mir: der Hauptreiz in der
„Schweidlerin“ ſind die naiven Ausbreitungen im Detail,
ſind die leiſen Toͤne und Striche in der Charakteriſtik der
Perſonen, in der Fuͤhrung der Begebenheit, und eine wich-
tige Hilfe fuͤr den Hauptreiz iſt die alte Sprache! Das
Alles geht Dir fuͤr’s Drama verloren, denn dieſes ver-
traͤgt die Ausbreitung des Details, vertraͤgt die leiſen
Wendungen, vertraͤgt die alte Sprache nicht, es fordert raſch
[26]Einleitung.
zum Ziele ſchreitende Handlung — umſonſt, ich war eben im
Paroxismus, ich zwang den Struenſee nieder, ich ſchrieb in
fuͤnf Wochen „die Bernſteinhexe“ und ſagte getroſt: Das
ſoll und wird den meiſten Kritikern als alter Stoff und derbe
Geſtalt nicht gefallen, aber es wird ein kraͤftiges Theaterſtuͤck
ſein, welches ein tief nationales Thema deutſchen Lebens
zur Anſchauung bringt, und welches auf eine ungeſchminkte
Schilderung hiſtoriſchen Lebens Anſpruch machen kann.
Kaum war es beendigt und an einige Buͤhnen ver-
ſendet, ſo ward angekuͤndigt, daß auch in Darmſtadt Herr
Nodnagel mit Dramatiſirung dieſes Stoffes beſchaͤftigt
ſei, ein Zeichen, wie nahe die dramatiſche Verſuchung
gelegen. Uebrigens ſei beilaͤufig bemerkt, daß dieſes Stuͤck
bei den Theatern kein Hinderniß fand, und daß es der
Wiener Cenſur allein vorbehalten blieb, auch in dieſem
Thema des Hexenprozeſſes einen Anſtoß und Anlaß zum
Verbote zu entdecken: ein hoher Beamter (der Amtshaupt-
mann) werde darin bloßgeſtellt!
Das Hamburger Stadttheater brachte die erſte Auf-
fuͤhrung des Stuͤcks, und dort ſah ich es ſelbſt zum erſten
Male auf den Brettern. Einer unſrer erſten Kuͤnſtler,
Herr Grunert, hatte demſelben ſeine beſondere Theil-
nahme zugewendet und die Rolle des Amtshauptmann
mit derjenigen Sorgfalt und gruͤndlichen Umſicht ein-
ſtudirt, welche ihm eigen ſind und ihn ſo vortheilhaft aus-
zeichnen. Das Daͤmoniſche des Charakters reizte ihn zur
Entwickelung all der feinen Wendungen im Vortrage und
[27]Einleitung.
Mienenſpiel, vermittelſt deren die aͤngſtliche Scheu des
Zuſchauers geſteigert wird bis zu Furcht und Schrecken
vor unterirdiſchen Gewalten. Er wurde vom Publikum
durch wiederholten Hervorruf ausgezeichnet, und neben
ihm wirkte das ſchoͤne Feuer der Entruͤſtung, welchem ſich
Herr Hendrichs als Ruͤdiger mit hinreißender Natuͤrlich-
keit hingab ſo hilfreich, daß die Vorſtellung uͤberſchuͤttet
wurde mit aͤußeren Zeichen des Beifalls. Einen Augen-
blick nur ſchien das Publikum vom Gange des Stuͤcks be-
troffen zu werden: als Schweidler ſelbſt ſein Kind aufzu-
geben ſcheint, um es zu retten. Dieſe Spannung wirkte
zu peinlich, und nach Verlauf der halben Minute, welche
ſie andauert und nach welcher ſie in’s Gegentheil aufge-
loͤſ’t wird, brach das Publikum in neuen Beifall aus,
gleichſam zum Ausdruck der Genugthuung. In dieſer
guͤnſtigen Stimmung der Zuſchauer ward das Stuͤck zu
Ende geſpielt und ward der endliche Tod Wittichs und
der gluͤckliche Ausgang mit voͤlligem Jubel aufgenommen.
Die Wirkung war alſo nicht nur außerordentlich ſtark,
ſondern ſie war auch dem Ausdrucke nach außerordentlich
guͤnſtig geweſen beim Theaterpublikum, und in Betreff des
Theaters ſelbſt hatte mich alſo meine Erwartung bei Ab-
faſſung des Stuͤckes nicht getaͤuſcht. So iſt es auch bei
allen Vorſtellungen auf andern Theatern geworden: der
Theatererfolg iſt uͤberall guͤnſtig geweſen und was die
Zeitungsberichte Gegentheiliges geſagt, das haben ſie ge-
logen. Ich erinnere mich zum Beiſpiele, daß ein Bericht
[28]Einleitung.
in der Europa von der zweiten Vorſtellung des Stuͤckes
in Berlin erzaͤhlte: am Schluſſe habe ſich keine Hand ge-
regt und das Publikum ſei ſtill und mißvergnuͤgt hinweg-
gegangen. Zufaͤllig bin ich ſelbſt zugegen geweſen, und
habe geſehen und gehoͤrt, daß am Schluß der zweiten wie
am Schluß der erſten Vorſtellung allgemein applaudirt
und das ſpielende Perſonal in ſeinen Hauptvertretern ge-
rufen wurde. Dieſe Nebenſache erwaͤhne ich nicht bloß,
um in einer vergeſſenen Angelegenheit unnuͤtz zu wider-
ſprechen, und auch nicht bloß um die Gewiſſenloſigkeit in
Berichterſtattungen nachzuweiſen — was wuͤrde das hel-
fen bei einem viel tiefer liegenden Uebel?! — Nein, ich
erwaͤhne ſie, um auf den Eindruck zu kommen, welchen
mir ſelbſt die erſte Vorſtellung in Hamburg gemacht hatte,
und um beilaͤufig einen Fehler der Berichterſtatter, wel-
chen ſie ablegen koͤnnen, einleuchtend zu ruͤgen. Ich bin
naͤmlich weit entfernt, unwahre Berichte uͤber meine Stuͤcke
immer nur perſoͤnlicher Feindſchaft und unlauterer Par-
teiung zuzuſchreiben und ich habe bei dieſer Gelegenheit
deutlich eingeſehn, wie ſolche Luͤgenberichte entſtehen.
Das Stuͤck hatte dem Berichterſtatter ſelbſt mißfallen, und
er war eitel und oberflaͤchlich genug, ſeinen Eindruck fuͤr
den allgemeinen auszugeben — in der naͤchſten Zeile
ſpricht er von der Wuͤrde oͤffentlicher Meinung, nachdem
er ſie eben in Verlaͤugnung oͤffentlicher Thatſache miß-
handelt hat. Solche Berichterſtatter haben zu lernen,
daß getreue Darſtellung des Thatbeſtandes eine Pflicht
[29]Einleitung.
und Kunſt an ſich iſt und eben ſo viel nuͤtzt als die bei-
gefuͤgte Kritik, wenn dieſe Kritik einſichtig iſt. Falſche
Berichte verwirren unſer Theaterweſen mindeſtens eben ſo
als ſchiefe Kritiken, denn ſie verfaͤlſchen die Urtheils-
ſpruͤche des großen Publikums, deren Kenntnißnahme fuͤr
die Entwickelung des Theaters mindeſtens eben ſo wichtig
iſt als die Kenntnißnahme des Urtheilsſpruches, welchen
der Einzelne faͤllen zu muͤſſen glaubt.
Und warum glaub’ ich ſo bereitwillig, daß mein Stuͤck
einem luͤgenhaften Berichterſtatter mißfallen haben muͤſſe?
Weil es mir ſelbſt in der Auffuͤhrung nicht gefallen hatte.
Tieck hat ein ſehr richtiges Wort geſagt: das Stuͤck
ſei zu grauſam. Und dabei hat er nicht einmal wie ich zu
meinem Schrecken mit angeſehn, daß eine Dame inmitten
der erſten Vorſtellung in Hamburg ohnmaͤchtig wurde.
Solche Wirkungen ſind keineswegs wuͤnſchenswerth.
Dieſe Grauſamkeit iſt es aber nicht allein, welche mir
meine eigne Arbeit verleidete. Mich peinigte noch ein an-
derer Fehler, ein Fehler, welchen die herkoͤmmliche Kri-
tik wahrſcheinlich einen Vorzug nennen wuͤrde, mich pei-
nigte die hiſtoriſche Treue. Die Kunſt des Theaters iſt
nicht dazu vorhanden, bloße Portraits von geſchichtlichen
Perſonen und Zuſtaͤnden zu geben, nein, ſie iſt eine ganz
beſtimmte und abgegrenzte Ueberlieferung der Vergangen-
heit an die lebendige Gegenwart, ſie hat die Vergangen-
heit nicht als einen Leichnam voruͤberzutragen, nein, ſie
hat ihn mit dem Hauche der Gegenwart zu beleben. Das
[30]Einleitung.
ſoll ſie nicht thun bei Perſonen und Zuſtaͤnden, welche
den Hauch der Gegenwart abſolut nicht vertragen wuͤrden,
ohne entſtellt zu werden, ſie ſoll die Geſchichte nicht ver-
faͤlſchen, nein, aber ſie ſoll eben deshalb ſolche mit der
Gegenwart unvertraͤgliche Perſonen und Zuſtaͤnde nicht
waͤhlen fuͤr das Theater. Sie ſoll nur ſolche waͤhlen,
welche in beſtimmten Nerven fortleben bis in die Gegen-
wart, und an dieſe fortlebenden Nerven ſoll ſie die Wie-
dergeburt der Vergangenheit knuͤpfen. So nur ent-
ſteht wirkliches Leben in hiſtoriſchen Dramen. Einen
Hexenprozeß getreulich auf die heutige Buͤhne bringen
iſt eben ſo ſehr ein Mißgriff, als Karl dem Fuͤnften prote-
ſtantiſchen Liberalismus in den Mund legen. Der Hexen-
prozeß iſt durch keinen Nerv mehr mit unſrer Zeit ver-
knuͤpft. Das hatte ich uͤberſehn in meiner Liebhaberei fuͤr
wunderliche oder wunderbare Erſcheinungen und Geheim-
niſſe. Anderes Geiſter- und Geſpenſterthum mag noch mit
uns zuſammenhaͤngen und wird wohl dem Menſchenthume,
welches ſo viel Veranlaſſung und ſo wenig Auskunft er-
haͤlt, immer bis auf einen gewiſſen Grad lebendig bleiben,
vielleicht auch das Hexenweſen ſelbſt mit ſeinen lockenden
und ſchreckenden Geheimniſſen der eigenthuͤmlich maͤchti-
gen Perſoͤnlichkeit — aber der Hexenprozeß ſelbſt nicht.
Er iſt nur ein brutales Anfaſſen der geheimnißvollen Per-
ſonen, wie es eben nur eine beſtimmte rohe Zeit mit ſich
brachte, welche dem Henker uͤberantwortete was ihr un-
verſtaͤndlich blieb; er iſt nur ein Akt, welchen die Aufklaͤ-
[31]Einleitung.
rung zwar nicht aus unſerm Gedaͤchtniſſe aber doch aus
unſerer Auffaſſungsweiſe geſtrichen, ein Akt, welcher in
keinen Nerven mehr fortlebt. Wird er auf’s Theater ge-
bracht ſo kann er wohl durch die ihm inwohnende Furcht-
barkeit und durch eine ſpannende Technik des Stuͤckes
Furcht und Schrecken im alltaͤglichen Sinne, alſo auch
Intereſſe in trivialer Bedeutung des Wortes erregen, er
kann alſo ganz wohl einen lebhaften und ſcheinbar guͤn-
ſtigen Theatererfolg erringen, aber Furcht und Schrecken
im hoͤheren Sinne erregt er nicht, denn er iſt kein Ergeb-
niß einer bedeutenden ſondern nur einer rohen Weltan-
ſchauung, er erregt alſo eigentlich Empoͤrung unſrer beſſe-
ren Faͤhigkeiten, und deshalb iſt er als Mittelpunkt eines
Theaterſtuͤcks aͤſthetiſch zu verwerfen.
Das war der Grund meines Mißbehagens beim Zu-
ſehn geweſen, und als ich mir hinterher entwickelte, wo-
her dieſes Mißbehagen gekommen ſei, da entwickelte ſich
mir das obige Raiſonnement. Die berichterſtattende Kri-
tik hat mir leider nicht dazu verholfen, ſie zaus’te nur an
den Symptomen des Grundes.
Warum dann aber, kann man fragen, das Stuͤck noch
drucken laſſen und den Leſern aufnoͤthigen? Ei, was ich
da gegen mein Stuͤck vorgebracht, das gilt dem Theater-
ſtuͤcke, dem durch Fleiſch und Blut und durch den ganzen
ſceniſchen Apparat bis zur Taͤuſchung lebendig gemachten
Stuͤcke, und nur dieſem. Nur die Buͤhne hat der Ge-
ſchichte gegenuͤber ſo empfindliche Nerven, nur ſie iſt trotz
[32]Einleitung.
aller Verhuͤllungen innerlich ſo ganz und gar Gegenwart,
daß ſie nichts Todtes verwerthen kann. Denn ſie iſt nicht
allein und unnahbar wie das Buch. Sie ſteht in unmit-
telbarem Zuſammenhange mit dem Publikum. Jeder
Pulsſchlag, den ſie thut, weckt auf der Stelle ein ent-
ſprechendes Leben und, was die Hauptſache iſt, ein han-
delndes, ein entſcheidendes Leben im Publikum. Sie ge-
biert alſo ſofort lebendige Mißgeburten, wenn ſie eine
Handlung aus wirklich uͤberlebter Vergangenheit ent-
wickelt.
Das Buch hat einen ganz andern Wirkungskreis,
denn es macht nicht den Anſpruch, ein unmittelbares,
unabweisliches Leben zu ſein. Zwiſchen dem Buche und
dem Leſer bleibt eine hundertfaͤltige Vermittelung offen,
ſelbſt eine ergiebige Vermittelung, wenn Buch und Leſer
einander gar nicht gefallen.
Aus ſolchen Gruͤnden hab’ ich ſelbſt meinem Stuͤcke
das weitere Theaterleben abgegraben, indem ich nach er-
lebter eigner Anſchauung vielen Directionen abrieth, das
Stuͤck aufzufuͤhren; aus ſolchen Gruͤnden nehm ich aber
auch gar keinen Anſtand, das grauſame Stuͤck als Buch
dem Leſepublikum vorzulegen. Das wuͤrde ich thun, auch
wenn ich nicht zahlreiche Beweiſe haͤtte, daß kundige Lite-
raten nach der Lectuͤre des Manuſcriptes von jenen Feh-
lern des Theaterſtuͤcks ganz und gar unberuͤhrt geblieben
waren und mir dadurch ein Zeugniß geliefert hatten, daß
[33]Einleitung.
ſich die geruͤgten Umſtaͤnde eben in der Lectuͤre ganz an-
ders ausnehmen.
Aus ſolchen Gruͤnden endlich moͤge Herr Grunert mir
die Verſicherung geſtatten, daß ich bei der Widmung des
Buches gehofft habe, etwas Intereſſantes an ſeinen Na-
men zu knuͤpfen. Die Widmung ſoll oͤffentlich von mei-
ner Dankbarkeit zeugen fuͤr die thaͤtige Hingebung des aus-
gezeichneten Schauſpielers an ein neues Drama, deſſen
Theatergeburt uns ſo lebhaftes Geſpraͤch, ſo mannigfaches
Intereſſe bereitet hat, und deſſen Theaterleben er heute
noch mit liebenswuͤrdiger Hartnaͤckigkeit gegen mich ſelbſt
in Schutz nimmt. Moͤge er als ſtrenger Vertreter des
Schauſpiels nicht ſchelten, wenn ich ſchließlich gerade her-
aus ſage, daß das folgende Schauſpiel — eine Oper wer-
den mußte. Die Muſik verhuͤllt und verſoͤhnt Alles, auch
die unbegreifliche Vergangenheit.
Erregten Augen und Ohren iſt der Aberglaube immer
bereitwillig: wie ein unerkennbarer Nachtvogel hat er mir
mit lautloſem Fluͤgelſchlage um dies Stuͤck geſchwebt. In
Berlin fand ich zur Darſtellerin der Bernſteinhexe ein
ſchoͤnes, blondes Maͤdchen, ſanft und liebenswuͤrdig ganz
und gar, welches auf den Proben eine wunderbare Hin-
gebung zeigte an den Charakter dieſer raͤthſelhaften, ge-
peinigten Marie, und welches durch ſolche Innigkeit und
Anmuth die Vorſtellung ſo gefaͤllig machte, daß man den
Schauer uͤberwinden und Beifall ſpenden konnte. Kein
Menſch hielt dieſes Maͤdchen fuͤr krank, und als ſie ſich
Laube, dram. Werke. III. 3
[34]Einleitung.
nach der zweiten Vorſtellung unwohl fuͤhlte und die dritte
deshalb aufgeſchoben werden mußte, da dachte Niemand
was Arges. Dieſes Maͤdchen war Adolphine Neumann,
die Schweſter der ſo grazioͤſen Kuͤnſtlerin Louiſe Neumann,
die Tochter der mit Recht ſo beruͤhmten Luſtſpielzauberin
Frau Neumann-Haizinger, das dritte liebliche Blatt die-
ſes reizenden Kleeblatts am deutſchen Theater. Und mit
den Phantaſieen der Marie Schweidlerin legte ſich Adol-
phine Neumann auf’s Krankenlager und verließ es nicht
eher wieder als bis man ſie hinausfuhr zum Grabe, eine
wunderſchoͤne Leiche.
Das hatte mir einen ſchauerlichen Eindruck gemacht,
und ich hatte mein Stuͤck nicht mehr angeſehn oder geleſen
bis jetzt, da mir der Verleger ſchrieb, es harre der Druck
meines dritten Dramas.
[[35]]
Die
Bernſteinhexe.
Schauſpiel in fuͤnf Akten.
3*[[36]][[37]]
Herrn
Carl Grunert
Mitgliede des K. Hoftheaters zu Stuttgart
gewidmet.
[[38]][[39]]
Perſonen.
- Wittich von Appelmann, Amtshauptmann auf Uſedom.
- Ruͤdiger von Nienkerken aus Mellenthin, deſſen Pflegeſohn.
- Samuel Pieper, Conſul der Stadt Uſedom.
- Abraham Schweidler, Pfarrer in Coſerow.
- Zabel-Birkhahn, Muͤllerburſch.
- Wulf, Buͤttel in Pudagla.
- Marie, Pfarrer Schweidler’s Tochter.
- Ilſe, deren Magd.
- Lieſe Kolken.
- Ein Richter
- Ein Scriba
- Pommerſche Musketiere, Dienſtleute und Waͤchter aus Schloß
- Pudagla, Bauersleute aus Pudagla, Coſerow und andern
Ortſchaften der Inſel.
aus Uſedom.
Ort der Handlung: Die Inſel Uſedom. Die erſten zwei
Akte im Pfarrhauſe zu Coſerow, die letzten drei Akte auf dem
Schloſſe Pudagla; die letzten Scenen des letzten Aktes auf dem
Streckelberge an der Oſtſee bei Pudagla und Coſerow. Zeit der
Handlung: Ende Auguſt 1630.
[[40]][[41]]
Erſter Akt.
vorhanden iſt, eines mit Balkendecke zu waͤhlen) — halb in
reichsſtaͤdtiſchem, halb in laͤndlichem Geſchmack. Eine Seitenthuͤr
rechts, eine Seitenthuͤr links*). Vor der Seitenthuͤr links iſt ein
Fenſter, ſo breit als die Culiſſe, aber von geringer Hoͤhe und
oben geſchweift-bogig. Im Hintergrunde links die Ausgangsthuͤr,
auf einen Altan fuͤhrend, der etwa einen Fuß hoch iſt. Im Hin-
tergrunde rechts ein breites, die halbe Wand einnehmendes Fen-
ſter. Es iſt mehr breit als hoch und ebenfalls breit-bogig. Dies
Fenſter beſteht aus zwei Fluͤgeln und iſt aus kleinen durch Blei
verbundenen Scheiben zuſammengeſetzt. Man ſieht hinter und
uͤber demſelben ein bretternes Regendach, welches den Altan be-
ſchirmt, und ſieht dieſen Altan ſelbſt, der etwa drei Schritte breit
und durch einige horizontale und ſenkrechte Balken angedeutet iſt.
Der Altan hat einen, etwa um einen Fuß erhoͤhten Fußboden, ſo
daß die darauf im Fenſter erſcheinenden Perſonen bis an’s Knie
ſichtbar werden. Außerdem ſieht man durch’s Fenſter hindurch die
Landſchaft. — Rechts im Vordergrunde ſteht ein runder Tiſch zu
vier Perſonen. Er iſt unſcheinbar und wie von dunklem Eichen-
holze. Dahinter ein alter ſogenannter Großvaterſtuhl mit Backen.
Fuͤnf andere Stuͤhle mit geraden Lehnen. Auf der rechten Seite,
dem Fenſter links gerade gegenuͤber, und alſo neben dem Tiſche
ein großer Kachelofen, der nur einen Fuß breit aus der Culiſſe
hervortritt. Links am Fenſter ein hoͤlzerner Schemel. Im Hin-
[42]Die Bernſteinhexe.
tergrunde zwiſchen Fenſter und Thuͤr eine alte Wanduhr, deren
Kaſten bis auf die Erde reicht und von Blumen in hoͤlzernen Kuͤ-
beln umgeben iſt. — Ein Foliant liegt auf dem Tiſche, daneben
ein kleines Buch.
Erſte Scene.
’Sie hat’s verſchuͤttet, ſonſt waͤr’ ſie lang’ wieder da!
Die Sonne geht zu Ruͤſte, da helfen die guten Geiſter
weder Menſchen noch Vieh!
Marie!
Die Jungfer iſt noch nicht wieder ’rein!
Wo bleibt ſie denn?
Je Herr Gott, die alte gluderaͤugige Kolken-Lieſe hat
ſie fortgeſchleppt, weil ihr die rothe Kuh gefallen iſt, und
die Jungfer ſie beſprechen ſoll!
’s iſt aber vorbei
mit dem Beſprechen!
Die Kolken-Lieſe?
[43]Die Berſteinhexe.
Ja!
Ich hab’ aber doch der Marie geſagt, ſie ſolle ſich
mit dem Weibsbilde nicht mehr einlaſſen: ’s iſt ’ne Hexe!
Hab’s auch geſagt, aber die Jungfer hat ihren Kopf
aufgeſetzt und ſpricht: Hexe oder nicht, geholfen muß wer-
den! — fuͤr ſich — und kann doch nicht mehr helfen!
Das kleine Buch auf dem Tiſche brauch’ ich, fix!
Gleich!
Ich will noch in die Luft hinaus!
Hier!
hahn ſeinen Kopf aus der Hinterthuͤr herein und faͤhrt gleich wie-
der zuruͤck.)
Spinnen).
’s iſt mir wie ’n Ungluͤck, das ſich auf’s Dach ſetzte —
die graue Kraͤhe ſchreit draußen auf dem Birnbaum gar
ſo erbaͤrmlich!
[44]Die Bernſteinhexe.
leiſe).
Ilſe!
Herr Jeſ’!
Schrei ſie nicht ſo einfaͤltig, ’s iſt bloß der Birkhahn!
Dummer Muͤller, was huſcht er ’rum wie ein Froſch!
Was will er denn? Der Herr Pfarr wird gleich ’raus
kommen und wird ihm die Wege weiſen, ihm Naſeweis!
Kommt er gleich!
Freilich! Er will an die Luft gehn, hat ſich krumm
geſeſſen — morgen iſt Sonntag und Predigt, und er ſagt,
Kopfarbeit mache trocken — mach er, daß er fortkommt,
Zabel, er weiß wohl, daß der Herr Pfarr ’nen Zahn
auf ihn hat!
Weiß.
Ich weiß auch warum!
Den Teufel auch, Ilſe, weißt Du!
[45]Die Bernſteinhexe.
Gott behuͤt’ uns! Immer iſt der Gottſeibeiuns ſein
drittes Wort!
Ilſe! merken wir’s denn nicht einen Augenblick vor-
her, eh’ er heraustritt? — Ich bin wie ein Wieſel ’naus
und um die Ecke —
Na, manchmal ſchlaͤgt er’s Fenſter zu und ruͤckt den
Stuhl auf die Seite — aber was hat er denn hier zu
ſuchen, Zabel, na! Meint er mich?
Ne.
Grobian.
Die Jungfer moͤcht’ ich ſprechen!
Das glaub’ ich! Pack er ſich fort! Der Herr Pfarr
ruͤckt den Stuhl!
Hab’ gute Ohren, Ilſe!
Lange Muͤllerohren!
Grobheit hilft nicht gegen meine Neuigkeiten, Ilſe!
[46]Die Bernſteinhexe.
’s werden ſaubre Neuigkeiten ſein!
Nein, unſaubre ſind’s
Na —?
Der Amtshauptmann iſt eben in’s Dorf ’rein geritten.
Der bringt uns ſein Lebtag kein Gluͤck.
Dafuͤr iſt er auch nicht Amtshauptmann! Ungelegen-
heit bringt er; der Wulf iſt bei ihm —
Der Taugenichts!
Macht zwei Taugenichtſe!
Nimm Dich in Acht, Zabel!
Nehmt Ihr Euch nur in Acht! Bei der Schmiede
druͤben neben unſrer Muͤhle hielten ſie, weil dem Schim-
mel ein Eiſen klapperte, und waͤhrend der Schmied nagelte
und ein Regenſchauer klatſchte, trat der Herr Wittich
unter unſer Schauerdach, und ich kuckte eine Elle uͤber
[47]Die Bernſteinhexe.
ihm aus dem Taubenloche, hinter dem er keinen Men-
ſchen vermuthete. Und da hoͤrt’ ich Alles. Wulf! ſchrie
er, laß den Geſellen Schimmels Bein halten und komm
her! Und nun ſchalt er ihn, daß er hier im Pfarrhauſe
noch immer nichts ausgerichtet bei der Jungfer, und ſagt’
ihm, er wuͤrde ihm fuͤr alte Suͤnden den Hals umdrehn
laſſen, wenn die Jungfer Marie nicht binnen 48 Stun-
den druͤben bei ihm waͤre in Pudagla —
Ach Du mein Jeſu!
Heul ſie nicht! Der Herr Wittich kann auch nicht
Alles, und wir ſind auch noch da!
Das iſt was Rechts!
Und der Junker von Mellenthin?
Na der fehlte noch dazu!
Wie der Bock zum Gaͤrtner?! Das iſt, Gott ſtraf’
mich, richtig. Aber der Junker iſt wenigſtens brav. —
Na, und nun ſprach der Wittich von der Kolken-Lieſe,
mit der er fruͤher ſein Weſen gehabt hat —
[48]Die Bernſteinhexe.
Der Herr Pfarr kommt!
Komm an die Birken, wenn’s ſchummrig wird, ich
werd’ Dir auserzaͤhlen —
Ilſe!
Ja!
Wirſt Du kommen?
Wo iſt denn mein Stock, Ilſe?
Hat das verdammte Schloß zugeſchnappt! Das iſt
mein Treffer!
ſich hinter den einen offnen Fenſterfluͤgel, ſo daß ihm dieſer den
Oberkoͤrper deckt.)
Er wird wohl wieder unter dem Riechkraut ſtehn, die
Jungfer ſtellt ihn immer dahin — richtig!
’s iſt ein poetiſch Weſen das Kind!
Ja, ſie hat leider ihr Weſen!
[49]Die Bernſteinhexe.
Was?
Wird’s zeitig genug erfahren.
Nix!
Sie ſoll mir auf den Streckelberg nachkommen, ’s iſt
ein ſchoͤner gottſeliger Auguſtus-Abend, und die See wird
goldig ſchimmern — hoͤrſt Du?
Ja doch!
Warum biſt Du denn ſo verdrießlich? — Hoͤre, gieb
Acht, ich hab’ geſehn, daß der Junker Ruͤdiger da druͤ-
ben in den Straͤuchern mit dem Schießgewehr ’rum kriecht.
’s ſieht aus, als wollt’ er junge Haſen ſchießen, aber ’s
kommt mir ſchon lange vor, als pirſcht’ er am Liebſten
hier herein! Daraus kann kein Segen ſprießen —
Wo kaͤm’ der Segen her!
Ein Junker und ein Pfarrkind paſſen ſo wenig zuſam-
men wie Sperber und Taube, und wenn der Herr Wit-
tich davon merkt, der mir ohnedies ein abholder Mann
und uͤberhaupt kein gottesfuͤrchtiger Mann iſt, ſo entſteht
nur neues Aergerniß.
Laube, dram. Werke. III. 4
[50]Die Bernſteinhexe.
Als ob’s dran fehlte.
Schick’ alſo Marien gleich hinter mir drein, wenn ſie
kommt, damit ſie nicht allein zu Haus betroffen werde —
warum ſteht denn der Seiger ſtill?
Gott weiß! Das iſt der Jungfer Sache; es ſtockt aber
jetzt allerwegs und giebt lauter ſchreckliche Zeichen!
Das Kind wird wirklich wunderlich. (Er betrachtet
den Seiger und ſieht unter dem Fenſterfluͤgel Birkhahn’s Beine.
Erſchreckt tritt er einige Schritte zuruͤck.) Alle guten Geiſter,
da iſt wohl ein Stuͤck Teufel herein gefahren!
die Augen zuhaltend).
Ach Herr Jeſus, da geht’s los!
Beelzebub, weiche!
Ach die verlorne Jungfer, da iſt der Teufel ſchon im
Hauſe!
Das iſt mein Treffer!
Beelzebub, weiche! — Er weicht nicht! — Hol’ mir
[51]Die Bernſteinhexe.
das Buͤchelchen wieder heraus, und das Tintenfaß, daß
ich ihn banne!
Ach mir hat er die Beine feſtgenagelt, der Satan, ich
kann nicht von der Stelle.
Mit Euren Teufeleien macht Ihr einem ſelber Angſt,
und mit dem Tintenfaß obendrein.
Was? der nichtsnuͤtzige Muͤller-Zabel?!
Der Kerl iſt noch hier?!
Was macht er hier? Will er ſtehlen?
Ach was, ich ſoll wohl die Ilſe ſtehlen! Die koͤnnt’
ich umſonſt haben!
Du Luͤgenmaul!
Sprich, gottloſer Bube, was machſt Du hier?
Gottlos bin ich nicht, wenn ich auch Euer Teufels-
zeug nicht glaube! und ich wollt’ Euch ſagen kommen,
4*
[52]Die Bernſteinhexe.
daß Ihr Eure Jungfer in Acht nehmen ſolltet! Das
dumme Volk im Dorfe ſteckt die Koͤpfe zuſammen, weil
ſie dem kranken Vieh nicht mehr helfen kann, und ſie
wiſcheln und ziſcheln ſchon die ſchlimmſten Dinge, und
die alten Weiber klatſchen: ’s waͤr’ vorbei mit der Jungfer
ihrer Kraft, und der Teufel ſteckte ſchon dahinter! Es
ſteckt aber nichts dahinter als die Kolken-Lieſe, die ſich ihr
Handwerk nicht verderben laſſen will durch die Jungfer,
und wenn der Herr Pfarr dem Dinge nicht ein Ende
macht, ſo wird er das ganze dumme Bauernvolk auf den
Hals kriegen, und die Jungfer wird Schaden nehmen!
Und das hab’ ich ihm ſagen wollen, und hab’ mir’s nicht
getraut, weil die dumme Ilſe gethan hat, als wuͤrdet Ihr
mich freſſen, und deshalb hab’ ich mich fix verkrochen, als
das alte Thuͤrſchloß im unrechten Augenblick zugeſchnappt
war, und das iſt die ganze Teufelei, Herr Pfarr, und
deshalb bin ich noch nicht gottlos!
Gottlos iſt er doch, weil er nichts Rechtes glaubt —
zieh’s Schloß wieder auf, Ilſe, ich muß an die Luft, mir
iſt ſchlecht zu Muthe.
ſieht ihn am Altanfenſter voruͤbergehen.)
[53]Die Bernſteinhexe.
Zweite Scene.
Wenn er nur nicht ſo grob waͤre, Zabel, und nicht
ſo unglaͤubig, ſo haͤtt’ er ſchon recht mit der ganzen Ge-
ſchichte. Aber der Jungfer iſt nicht mehr zu helfen, und
das nimmt ein Ende mit Schrecken!
’s iſt wohl nicht moͤglich?! Sie wird wohl fuͤr den
Schrecken ſorgen durch ihr Geſchrei, Sie Kirchendohle!
Iſt der Vater nicht da?
Richtig, da kommt ſie ſchon durch die Hinterthuͤr
herein!
Wo iſt er denn?
Nach dem Streckelberge; die Jungfer ſoll ihm nach
kommen.
Ich kann jetzt nicht — die Leute ſchreien hinter
mir her!
[54]Die Bernſteinhexe.
Na da haben wir’s!
Aber friſche Luft brauch’ ich!
etwas zu erblicken, was ſie freut.)
Ach, Gott ſei Dank!
gruͤßt mit der Hand in die Landſchaft hinaus und bleibt in Gedan-
ken ſtehen.)
Mach Sie doch der Jungfer einen friſchen Milchtrunk
zurecht mit ſtarkem Gewuͤrz; ſie braucht was gegen den
Schreck.
Freilich braucht ſie was!
Dritte Scene.
den Lehnſtuhl zugehend wird ſie Zabel gewahr und reicht ihm im
Voruͤbergehen die Hand).
Ach, Du biſt’s, Zabel! Gruͤß Dich Gott!
Und Euch helf Gott, Jungfer!
[55]Die Bernſteinhexe.
’s thut Noth, Zabel!
Ich mag Euch nicht ſchelten, aber geſagt hab’ ich’s
Euch von fruͤh auf, Ihr ſolltet Euch nicht mit den Bauer-
kunſtſtuͤcken einlaſſen; ſie nehmen immer ein ſchiefes Ende.
Du haſt aber auch Dein Lebtag nichts davon ver-
ſtanden!
Das iſt auch richtig, ich war immer ein Holzklotz —
Und was fuͤr einer!
Um hart’ Holz drauf zu hacken.
Wie wir Verſteckens ſpielten, und Du von der Eiche
’runter fielſt, und das Blut ſtromweiſe von Dir floß,
half’s nicht gleich, als ich’s verſprach und meine Hand
drauf legte?
Ja, Ihr hattet immer eine gluͤckliche Hand; aber Ihr
habt’s uͤbertrieben. Einem Menſchen, der Einen lieb hat,
was Wunderbares anthun, das mag wohl geſchehen koͤn-
nen, aber jedem Bauer und Ochſen, dem ganzen Coſero-
wer Rindvieh zu helfen, nein, das geht uͤber die Natur!
[56]Die Bernſteinhexe.
Wiſſen wir denn, wie weit die Natur geht?
Na freilich wiſſen wir das!
Das wiſſen wir nicht!
Da ſteckt eben Euer Hochmuth.
Sei nicht garſtig, Zabel, ’s iſt nicht eitel Hochmuth.
Ich bin dazu gekommen, wie man zum Wachsthum kommt.
Man waͤchſt groß und man weiß nicht wie! Weißt Du
noch, wie meine Mutter noch lebte, und wie uns draußen
am Schmollen-See unſre bunte Kuh ploͤtzlich niederfiel?
Ob ich’s noch weiß!
Na, ich macht’ es zum erſten Male, wie ich’s von
der Mutter geſehn hatte: ich zog der bunten Kuh drei
Haare aus dem Schweif, ſprach ein Vater unſer druͤber
und vergrub ſie, und ſtrich dann die Kuh vom Genick
bis auf den Schweif mit der linken Hand, und was ge-
ſchah?
Die bunte Kuh ſtand auf, und war friſch und geſund,
das iſt richtig.
[57]Die Bernſteinhexe.
Siehſt Du, das war auch Natur, aber eine Natur,
die wir nicht kannten.
Das iſt eben der Fehler dran — und was ſoll denn
nun draus werden? Jetzt hilft’s nicht mehr, und Eure
Hand iſt nicht mehr gluͤcklich, und die Bauern munkeln das
niedertraͤchtigſte Zeug —
Sie ſchreien’s ſchon laut auf der Gaſſe! Zabel, ich
hab’ jetzt druͤben bei der Kolken-Lieſe Dinge hoͤren muͤſ-
ſen, daß mir die Haut ſchauert. Ich glaub’, ich krieg eine
Krankheit!
Das waͤr’ noch’s Geringſte. Aber nun kommt noch
der Wittich dazu, der Euch Tag und Nacht nachſtellt, und
dem die Kolken-Lieſe Alles zu Gefallen thun muß, und der
mit den Bauern umſpringt, wie der Wolf mit den Scha-
fen — ’s ſollt’ mich arg verwundern, wenn der nicht einen
ſiedend heißen Brei zuſammen ruͤhrte —
Der Wittich? Ach nein, der hat mich gern.
Nur allzu gern. Eben deswegen.
Meinſt Du? Garſtig begehrliche Augen hat er, der
Wittich!
[58]Die Bernſteinhexe.
Und was er begehrt, das gebt Ihr ihm nicht —
Herr Gott nein! es ſchauert mir, wenn ich dran
denke!
Vierte Scene.
Ruͤdiger (mit einem Schießgewehr ungeſehen durch die Hinter-
thuͤr eintretend). — Die Vorigen.
Aus dem alten Pudagla kommt doch nichts als Schwe-
renoth!
Willſt Du wohl ſolche Dinge ſprechen, Birkhahn!
Herr Gott, der Junker!
Der fehlt noch! Das iſt wieder mein Treffer!
Laßt Euch nicht ſtoͤren, Jungfer! Wuͤnſch’ Euch einen
guten Abend, und ſaͤh’ es gern, wenn Ihr ſitzen bliebt, wie
Ihr geſeſſen,
[59]Die Bernſteinhexe.
Sitzen)
— Ihr ſeht ſo allerliebſt ehrwuͤrdig aus in dem
alten Backenſtuhle!
Immer ſpotten!
’s waͤr vielleicht beſſer, wenn ich ſpotten koͤnnte —
ich trachte einem Wolf nach, der hier um den Streckelberg
ſchleicht. Die Luft iſt trocken und da bin ich einen Augen-
blick eingetreten, um von der Jungfer einen friſchen Trunk
zu erbitten.
Je, mehr als einen!
Bitte, bleibt im Großvaterſtuhle! Birkhahn, hol’ mir
’nen Krug Waſſer!
Laß Dir von der Ilſe den Milchtrunk geben, mir iſt
beſſer.
Das ſeh’ ich; und damit’s nicht noch beſſer wird, will
ich den Herrn Pfarr holen!
[60]Die Bernſteinhexe.
Fuͤnfte Scene.
Was knurrſt Du? — Was hat denn der Birkhahn
gegen unſer Pudagla?
Er fuͤrchtet ſich vor Herrn Wittich.
Das thun alle Leute!
Warum iſt er auch ſo ſchlimm!
Na er iſt eigen und ſtreng und iſt verwoͤhnt. Hat zu
lange ſchon Uſedom beherrſcht, das verdirbt ſchon ein
Wenig. Mir hat er doch alles Gute angethan, ſeit er
mich nach meiner Eltern Tod von Mellenthin heruͤberge-
nommen, und das iſt doch ein gut’ Zeichen, was hat er
von mir?
Einen ſtattlichen Sohn. Das lohnt doch der Muͤhe,
da er ſonſt nicht Kind noch Kegel beſitzt.
Ach geht, Marie, das iſt ſonſt nicht Eure Art, eine
gute Handlung zu verkleinern —
[61]Die Bernſteinhexe.
Das moͤcht’ ich auch um Nichts in der Welt, aber —
Doch ein Aber?
Ja, er iſt doch garſtig gegen alle anderen Menſchen
und gegen meinen Vater und gegen den lieben Gott!
Was weiß denn Hinz, wie Kunz mit dem lieben Gott
ſteht. Mit dem hat Jeder ſeine eigne Liebſchaft, und die
Zuſchauer koͤnnen’s nicht beurtheilen.
Ja, wenn Herr Wittich nur den lieben Gott liebte, da
waͤr’s ſchon recht!
Wie naͤrriſch! Ein ſo kluger Mann als Wittich, ein
Mann, der in Natur und Kunſt ſo erfahren iſt, wie kaum
ein Zweiter im Pommernlande, und ſoll die Groͤße Got-
tes verkennen. Gott nicht zu lieben, iſt ja nicht blos
Nichtswuͤrdigkeit, es iſt ja auch Dummheit.
Das mag wohl ſein, aber die Diener Gottes mißhan-
delt er, das weiß ich gewiß. Damals, eh’ der Schweden-
koͤnig heruͤberkam uͤber die See, und als die Kroaten ganz
Uſedom aufgegeſſen hatten, als wir vor Krieg und Peſti-
lenz von Brombeeren leben und Tannenrinde fuͤr Brod
anſehen mußten, damals hat er’s gezeigt, daß er nicht
[62]Die Bernſteinhexe.
gottesfuͤrchtig und brav ſei. Damals ließ ihn der Vater
um ein wenig Brot und um einen Kelch Wein fuͤr den Al-
tar bitten, denn die armen Leute ſchmachteten noch mehr
nach geiſtlicher Speiſe als nach weltlicher. Und was gab
er der Ilſe fuͤr einen Beſcheid? Der Pfarr ſollte ſeine
Schafe aus einem Waſſereimer traͤnken, wie er’s auch
thaͤte! War das etwa nicht gotteslaͤſterlich?
Nun ja, gegen die Kirche iſt er immer barſch!
Und nun vergiebt er’s nimmermehr, daß der Vater
von der Kanzel ein Wenig drauf geſcholten hat, iſt das
brav und gut?
Nein, das iſt’s nicht. Aber der Trunk wird heißer
eingeſchenkt, als man ihn trinkt —
Sechste Scene.
Warum nicht gar heiß! Kalt iſt der Trunk, geſtrenger
Herr Junker!
[63]Die Bernſteinhexe.
’s iſt gut, ’s iſt gut, Ilſe.
Wo ſoll ich denn ſpinnen, Jungfer?
Draußen, Ilſe, draußen!
So?
Siebente Scene.
Wißt Ihr wohl, Jungfer, daß mit der damaligen Lan-
dung des Koͤnigs von Schweden auch mein Lebensſchiff-
lein zum erſten Male froͤhlich gelandet iſt?
Nun, wie denn? Ihr habt wohl wieder ſchalkhaft
Zeug im Sinne!
Ei, ei! als ob ich leichtſinnig waͤre!
Nicht doch, Ihr ſeid gar ehrwuͤrdig mit Euren 24 Jah-
ren und Eurem gekraͤuſelten Barte, hoͤchſt ehrwuͤrdig, Herr
Junker von Mellenthin!
[64]Die Bernſteinhexe.
Nicht wahr? Da habt Ihr’s; dies geſetzte Weſen
ſchreibt ſich von jenem Landungstage her!
Das waͤre!
Als ich von der hohen Schule in Wittenberg heim-
kehrte und Eurem Vater druͤben im Mecklenburgiſchen bei
Guͤſtrow begegnete, da hatte ich noch aͤußerſt leichtes Blut
und eine aͤußerſt leichte Zunge; Alles an mir war ſchnell
wie der Wind zu allerlei Thorheit —
Wie die Geſchichte bezeugt mit dem Galgengeſpenſte
bei Guͤſtrow!
Mit dem Schuſter Schwelm, der Geſpenſter ſpielte,
richtig. Na, ſo gar thoͤricht war das nicht, ſie riß ein
großes Loch in den einfaͤltigen Geſpenſterglauben, und ſie
brachte mich Abends ſpaͤt hierher in’s Pfarrhaus, und ich
ſah eine ſchoͤne Jungfer zum erſten Male!
Ja doch, hattet ſie genug geſehn, eh’ Ihr nach Witten-
berg gingt!
Die Schweidler Marie, ja, aber Jungfer Marie
Schweidler ſah ich zum erſten Male, wie ſie an dieſem
Tiſche beim Lampenlicht in dieſem großen Buche las —
[65]Die Bernſteinhexe.
Im Ovidius Naſo!
Und wie ſie den Herrn Vater in lateiniſcher Rede be-
gruͤßte!
Ach bin ich damals erſchrocken bis in’s Herz hinein!
Auf Nimmerwiederſehn wart Ihr fort, und ſtandet auf
einmal vor mir mit der luſtigen rothen Feder am grauen
Hut! Und ſpaͤt am Abend, und der Vater hatte unbedacht
Euch eingeladen, hier zu uͤbernachten!
Sehr unbedacht!
Ja wohl, denn die ſchwere Kriegszeit war kaum vor-
uͤber, und wir hatten keine Betten.
Habe aber doch ein ſehr gutes Bett gekriegt damals —
Ja, das ſagtet Ihr am andern Morgen, als wir zu-
ſammen fruͤhſtuͤckten — ich hatte aber gar unruhig geſchla-
fen im Bett der Ilſe!
Im Bett der Ilſe, ſo? Nun begreif’ ich, daß ich gleich
in der erſten Nacht verzaubert worden war und immer
wieder kommen mußte nach dem Pfarrhauſe in Coſerow.
Es war mir angethan worden!
Laube, dram. Werke. III. 5
[66]Die Bernſteinhexe.
Wollt Ihr wohl ſtill ſein! Ihr glaubt ja an keine
Zauberei.
Je nachdem ſie iſt! Jetzt muß ich wohl!
die Hand — Pauſe — ſie betrachten einander mit Innigkeit.)
Iſt das Euer geſetztes Weſen, von dem Ihr anfingt?
Freilich! Mit dem 29. Juni begann es. Wißt Ihr noch?
Ob ich’s weiß! ’s war der ſchoͤnſte Dienſtag meines
Lebens!
O der Montag, eh’ der Koͤnig landete, war auch
nicht zu verachten. Wir ſaßen draußen auf der Altan-
bank, und Ihr naͤhtet Euer ſeiden Kleid —
Das himmelblaue mit gelbem Schurzfleck; morgen
zum Sonntage zieh’ ich’s wieder an!
Das waͤre!
Und das gelbe Schultertuͤchlein dazu, und die genetzte
gelbe Haarhaube, eitel Blau und Gelb zu Ehren der ſchwe-
diſchen Farben! ’s hat mir damals viel Schmeichelreden
gekoſtet, eh’ mir der Vater das Zeug dazu in Wolgaſt kau-
[67]Die Bernſteinhexe.
fen ließ — nicht der Ausgabe wegen, denn ſeit wir den
Schatz gefunden, konnten wir ſchon —
Einen Schatz habt Ihr gefunden?
Ach mein Gott, die Zunge geht mir durch! Aber bei
Euch ſchadet’s ja nichts, Ihr werdet’s nicht verſchwaͤtzen,
nicht wahr, Junker Ruͤdiger?
Wenn ich nur wuͤßte, wie der Schatz ausſieht! Groß
oder klein?
Groß!
Blond oder ſchwarz?
Dunkelblond.
Und was hat er fuͤr Augen?
Ach Ihr treibt wieder Poſſen! Ihr meint ſonſt einen
Schatz! Ihr ſeid falſch!
Nein, liebe Marie!
Nein? Na, ich will’s glauben. Kurz, der Vater gab
der Hoffahrt nach, weil er den Kopf voll hatte mit dem
5*
[68]Die Bernſteinhexe.
lateiniſchen Gedicht fuͤr den ſchwediſchen Koͤnig, das ich
lernen und dem Koͤnige herſagen ſollte —
Und das ich Euch noch Montags draußen auf der Bank
einſtudiren half —
Und ich wollt’s Euch nicht glauben, daß die Schweden
das Lateiniſche ſo kurios ausſpraͤchen, und daß ſie üt ſag-
ten ſtatt ut und ratscho ſtatt ratio!
Und Herr Guſtav Adolph haͤtt’ Euch doch nicht ver-
ſtanden, wenn Ihr das Lateiniſche am andern Tage nicht
ſchwediſch ausgeſprochen haͤttet druͤben am Huͤhnenſteine,
wo er anhielt —
Gerade auf unſerem Acker! Oh, das war ſchoͤn! Aber
gezittert hab’ ich wie’n Espenlaub, als immer ein Schiff
nach dem andern heruͤberkam vom Ruden, und als ein
Kanonenſchuß mit einer wirklichen Kugel losging wie der
Koͤnig an’s Land ſtieg —
Und die Kugel in die Eichenzweige einſchlug, daß es
krachte und gruͤne Reiſer regnete!
Ja, und wie er nun geritten kam der Herr Koͤnig, ganz
ſchwarz angethan, auf einem pechſchwarzen Roſſe, und hatte
[69]Die Bernſteinhexe.
nichts Lichtes an ſich als das helle Geſicht mit blondem
Barte und die goldne Kette auf der Bruſt —
Nun kommt’s! Die goldne Kette hat mich damals ſo
ernſthaft gemacht!
O, ich hab’ ſie noch!
Glaub’s wohl! Und wie Ihr ihm tapfer das Gedicht
hergeſagt hattet —
In elegiſchem Versmaaße!
In elegiſchem Versmaaße! — Und er nun laͤchelnd
ſeine Kette abnahm und Euch umhing, und ſich vom Roſſe
niederbeugte, Euch zu kuͤſſen als die erſte deutſche Jung-
frau, die ihn auf deutſcher Erde begruͤßt —
Die erſte Deutſche, iſt das nicht ſchoͤn?
Natuͤrlich! Aber ſeht, Marie, er that doch ein Uebri-
ges und kuͤßte Euch —
Ja —
Nicht auf die Stirn, wie’s bei ſo was Sitte iſt
[70]Die Bernſteinhexe.
hern ſich dabei einander unwillkuͤrlich mit den Koͤpfen),
ſon-
dern auf den Mund!
Ach Gott, Junker Ruͤdiger.
Verzeiht! —
— Seht, damals, wie ſeine Hut-
federn bis auf Euren Nacken herunterfielen und Euch ganz
einhuͤllten, ſeht, da wurde mir ganz wunderlich —
Mir auch!
Und von dem Augenblicke an bin ich ein geſetzter
Menſch geworden.
Guter Junker Ruͤdiger!
und weiſ’t Birkhahn außen zuruͤck.)
— Herr Gott, was ha-
ben wir denn gemacht?
Wir haben uns was erzaͤhlt!
Achte Scene.
’s iſt richtig der Junker! Das wird ein gefaͤhrlich We-
[71]Die Bernſteinhexe.
ſen!
Zabel!
Hier, Herr Pfarr!
Schau’ Dich um im Dorfe, daß Du mir’s anſagſt,
wenn der Herr Amtshauptmann hier in’s Pfarrhaus ein-
treten will! —
Oho!
erwidert, tritt ein und ſagt fuͤr ſich)
Das wird dem Junker ſchon Beine machen.
Guten Abend, Herr Pfarr!
Ei, ſteh’ da, ſo vornehme Herren-Geſellſchaft in mei-
nem Hauſe — vergnuͤgten Abend!
Wie ich hoͤre, erwartet Ihr noch mehr Herren-Geſell-
ſchaft, Herrn Wittich
, ich glaub’s nicht!
Zu dienen, Herr Junker, und darf ich fragen, wie
mein Haus zu der Ehre kommt? —
Bin auf dem Anſtande, Herr Pfarr!
[72]Die Bernſteinhexe.
Ein Anſtand thaͤte Noth in allen Dingen!
Aha! — Ja, ’s iſt ein gefraͤßiger Wolf, der ſich hier
herumtreibt!
Gefraͤßig? Das waͤr’ ein grobes Wort — naſchhaft
vielleicht, Herr Junker, naſchhaft!
Ein ſehr hoͤfliches Wort fuͤr einen Wolf!
Ja — na, was ſteht ſie denn ſo unnuͤtz, Jungfer! Und
warum iſt denn die Ilſe nicht hier? he? Haſt Du
einem Blicke auf Ruͤdiger)
nicht gehoͤrt, daß der Herr Amts-
hauptmann jetzt gleich einſprechen will?
Leider!
Leider? Ja. Leider, nein! Sagt man „leider,“ wenn
der Herr Pflegeſohn daneben ſteht? Hoͤflichkeit in allen
Stuͤcken!
Keine Umſtaͤnde, Herr Pfarr! Herr Wittich vertritt
mich nicht bei den Jungfern und ich vertrete ihn nicht,
der Geſchmack iſt frei.
[73]Die Bernſteinhexe.
So? Verſteh’s nicht recht, und was ich verſtehe, iſt
mir nicht recht; aber unnuͤtz hab’ ich geſagt, weil der Tiſch
nicht gedeckt wird. Der Herr Amtshauptmann wird Hun-
ger haben, der Abend wird kalt —
Gleich, lieber Vater, gleich!
Und wenn er was zu eſſen findet, ſo ſpricht er we-
niger —
Und wenn er weniger ſpricht, ſo maͤkelt und marktet
er weniger.
Grad’ heraus geſagt, ja, man kann wohl vom Mark-
ten ſprechen; denn noch der hochſelige Herr Herzog Phi-
lippus zu Wolgaſt hat mir eine Gehaltzulage verſprochen,
und der Herr Wittich auf Pudagla hat ſie mir bis heute
noch nicht geſtattet.
Herzog Philippus iſt leider todt!
Oh, der jetzt regierende Herr Herzog Bogislav war
dabei und hat’s mit angehoͤrt, und wuͤrd’ es nicht verlaͤug-
nen, wenn man einen ſo hohen Herrn mahnen koͤnnte!
[74]Die Bernſteinhexe.
die Wangen dabei.)
Ich hab’ die vornehmen Herrn damals auch geſpro-
chen, fragt nur!
Lateiniſch hat ſie mit ihnen geſprochen, denn mein
Kind hat eine klaſſiſche Erziehung und iſt nicht anzuſehn
wie aller Leute Kind!
Das ſtellt ſich dar, lieber Herr Schweidler! Aber Ihr
ſolltet jenes Verſprechen nicht in den Wind gejagt ſein
laſſen, und vielleicht kann ich Euch dabei dienen: ich habe
Herzog Bogislav erſt neulich in Stettin geſprochen und
komm’ wohl wieder einmal dazu, denn er war meinem
Vater und iſt mir freundlich zugethan. Wenn ich alſo die
Sache richtig anbringen koͤnnte, ſo waͤr’s nicht weggewor-
fen, was Euch mit den Herrſchaften begegnet iſt —
Das laͤßt ſich hoͤren. Die Sache war folgende: Von
ungefaͤhr luſtwandelte ich im Schloßgarten zu Wolgaſt
mit — erlaubt, daß ich mich ſetze, die Beine fangen an
ſchwach zu werden —
ihm eine ſchwarze Kappe)
alſo mit meinem Toͤchterlein, ſo
damals ein Kind bei zwoͤlf Jahren war, und ich zeigte ihr
die ſchoͤnen Blumen — bemuͤht Euch doch!
eine Handbewegung zum Sitzen, und der Junker ſetzt ſich mit
[75]Die Bernſteinhexe.
an den Tiſch)
da ſahen wir unſern Herrn Herzog Phi-
lippus Julius auf einem Huͤgel ſtehn, und neben ihm
Herrn Herzog Bogislav, der zum Beſuche in Wolgaſt
war, und wir wollten deshalb ſtracks umkehren, um
nicht zudringlich zu erſcheinen. Da gingen aber die Herr-
ſchaften auf die Schloßbruͤcke zu, und wir beſahen uns
nun den Huͤgel, auf welchem ſie geſtanden, und mein
Maͤdchen hub alsbald ein Freudengeſchrei an — warum?
Sie fand einen koſtbaren Siegelring im Graſe, den die
Herrſchaften zweifelsohne verloren. Nun gingen wir
ihnen denn eilig nach, und ich inſtruirte mein Maͤdchen,
wie ſie lateiniſch ihre Rede anbringen ſollte, denn ’s ging
ihr ſchon rundweg vom Schnaͤuzchen, und wie und was wir
gefunden, und Alles ſo, daß man daran ſein Wohlgefal-
len haben koͤnnte. Solches verſprach ſie auch, fuͤrchtete ſich
aber hinten nach, und ich mußte ihr ein neu Kleidchen ver-
ſprechen, denn ſie gab ſchon damals viel auf eitlen Putz —
Oh, Du biſt ſchlimm, Vater!
Ja doch, iſt’s etwa nicht ſo? — Vergiß mir den Ho-
nig nicht!
Schon da, Vater!
eſſen. Alle Drei ſitzen mit dem Ruͤcken nach dem hintern Fenſter.)
Na, ſie blieb aber doch bloͤdiglich ſtehn, als ſie ſchon
[76]Die Bernſteinhexe.
hinan gelaufen war, und fuͤrchtete ſich vor den Sporen der
hohen Herren, die arg knarrten und raſterten, und die ganze
Vorſtellung ſchien in’s Waſſer zu fallen. Da ſah die gnaͤ-
dige Frau Herzogin Agnes aus dem Fenſter, und ward
der Abſicht inne, und rief den Herren, ſie ſollten ſich nach
dem kleinen Maͤdchen umſehn —
Und nun ging Alles gar lieblich! Die Herren ver-
wunderten ſich uͤber mein Latein, und antworteten latei-
niſch, und fragten wieder, und wunderten ſich wieder, daß
ich antworten konnte, und nahmen mich mit in’s Schloß,
und die Frau Herzogin gab mir einen Plinzenkuchen und
kuͤßte mich!
Ei der tauſend!
Wahrhaftig! Die Hauptſache aber war —
Die Hauptſache war, daß der Herr Herzog ſagte, mein
ſchwaches Salarium ſollte verſtaͤrkt werden aus dem Klo-
ſtergute in Pudagla.
Ach nicht doch, das mein’ ich nicht.
Was denn ſonſt?
Sondern?
[77]Die Bernſteinhexe.
Nein, der eine Herr ſagte, und ich glaube, es war der
von Stettin: „Wenn Du einmal groß geworden biſt,
kleine Lateiniſche, ſagte er, und einmal heirathen willſt, ſo
ſag’ mir’s, dann ſollſt Du von mir wieder einen Ring
haben, und was ſonſt fuͤr eine Braut gehoͤrt“ — das
ſagte er!
Das ſagte er?
Ja, das ſagte er.
Du lieber Gott, Sagen iſt Sagen, Herr Philippus iſt
todt, und Herr Bogislav hat’s lang’ vergeſſen —
Wird ſich ſchon dran erinnern laſſen —
Aber wie iſt mir denn? Wir eſſen drauf los, und zu
Dreien, und der Herr Amtshauptmann iſt ja gar nicht ge-
kommen, und der Herr Junker —?
Der war ſchon da.
Ganz richtig, aber — es wird aber daruͤber doch eine
ernſthafte Explikation noͤthig werden
erſcheinen hinten und außen am offnen Fenſter Wittich und Lieſe
[78]Die Bernſteinhexe.
Kolken, und Letztere deutet mit dem Arm auf die Gruppe und
ſieht den Wittich hoͤhniſch an)
ſehr wuͤrdiger Herr Junker,
denn das geht nicht ſo weiter mit Beſuchen und vertrauli-
chem Weſen, maaßen Ihr ein vornehmer Junker ſeid,
und —
Ach Du gerechter Gott! da kommt der Wittich und
die Kolken-Lieſe auf einem Drachenwagen und die Lieſe
haͤlt einen langen Spieß gerade auf mein Herz! Helft mir,
Junker, helft mir um Gotteswillen!
mit den Haͤnden.)
Um’s Himmelswillen, Marie, was iſt Euch denn!
Fenſter voruͤber, ſo daß ſie nach links verſchwunden ſind, wenn
man nach ihnen umblickt.)
Das iſt ein traurig Zaubergeſicht, mein Kind!
Ach, ich dank Euch fuͤr die Hilfe — da hinten zum
Fenſter kamen ſie herein —
Zum Fenſter?
’s iſt Niemand am
Fenſter!
Laßt’s nur gut ſein, Junker, ’s iſt ein innres Geſicht
des Kindes, und wir koͤnnen’s nicht zu ſehn kriegen!
[79]Die Bernſteinhexe.
Ein Phantaſiebild!
Nicht doch, ſie hat Dergleichen von Kindheit auf ge-
habt, ’s iſt eine Zauberkraft, die ihr der Herr verliehen,
die ihr aber, Gott verhuͤt’ es, das groͤßte Ungluͤck bringen
kann.
Aber lieber Ehren Abraham, wie koͤnnt Ihr ſolche
uͤberſpannte Dinge durch ſolche Auslegung noch befoͤr-
dern!
Was?
Die Jungfer iſt ohnedies in Gefahr, vor dem rohen
Glauben des Volkes verlaͤumdet zu werden, und wie ich
mit Schrecken ſehe, verſtaͤrkt Ihr noch mit Eurem Anſehn
dieſen Kinder-Glauben.
Junger Herr Junker, was geht Euch die Zunge ſchnell!
Ihr glaubt nicht an Wunder und Zauber?!
Ei, das iſt ja Alles Lug und Trug mit der Zau-
berei!
Gott behuͤte Euch, junger Herr, aber ich haͤtt’ Euch fuͤr
[80]Die Bernſteinhexe.
froͤmmer und kluͤger gehalten. Wie ſchlecht ſeid Ihr in der
Bibel zu Hauſe! Es iſt dieſe Eure Weisheit aus Witten-
berg, mit Verlaub zu ſagen, eine Gottloſigkeit, ja baare
Atheiſterei, wie man ſich ausdruͤckt.
Leſ’t einmal den Johannem Wierum, dies iſt ein nie-
derlaͤndiſcher Arzt; der beweiſ’t Euch, daß alle Hexen me-
lancholiſche Perſonen ſind, die ſich ſelbſt nur einbilden,
einen Pakt mit dem Teufel zu haben, und die mehr er-
barmens- als ſtrafwuͤrdig ſind.
Johannem Wierum? Mich duͤnkt, ich kenne eine
Schrift von ihm uͤber die praestigia daemonum, worin
die Beſchwoͤrung der Geiſter gelehrt und die Hoͤlle beſchrie-
ben wird mit Namen und Zunamen ihrer 572 Teufels-
fuͤrſten —
Ganz richtig! Solch Zeug hat er in ſeiner Jugend
geſchrieben, ſpaͤter iſt er klug geworden.
Das heißt unglaͤubig und gottlos —
Iſt das Alles Euer Ernſt, Junker Ruͤdiger?
Ei freilich!
[81]Die Bernſteinhexe.
So hat Euer Herz eine harte Rinde und noch Wenig
erfahren: es kennt Gottes Zauber noch nicht!
Ich kenne nur ein menſchlich Weſen, das zu zaubern
verſteht —
Nun?
Das iſt ein ſchoͤnes und kluges Maͤdchen, welches die
Zauberkunſt in den Augen ſitzen hat!
O geht! Ihr ſpielt mit der Rede! Was bloß in den
Augen ſitzt, das verfliegt leicht —
Neunte Scene.
Die Vorigen.
Der Herr Wittich kommt wirklich!
Der Amtshauptmann kommt!
Laube, dram. Werke. III. 6
[82]Die Bernſteinhexe.
Da haben wir’s! Man ſoll nur den Teufel an die
Wand malen!
Das wird Ernſt!
Geh’ zu Bett, Marie!
Ja, Vater!
Raſch!
Ich ſchlafe ſchon.
Es iſt ſo ſpaͤt, daß ich anſtaͤndigerweiſe dieſem Pro-
konſul ebenfalls ausweichen kann — Ilſe, ich bin zu
Bett, wenn Jemand kommt.
Ich auch.
Das iſt ein richtiger Taubenſchlag.
Und wir?
Wir werden gefangen wie zwei Marder — er war
[83]Die Bernſteinhexe.
mir auf den Ferſen, und Ihr rennt ihm entgegen, wenn
Ihr aus der Thuͤr tretet!
Um ſo ſicherer, je laͤnger ich warte!
der hintern Thuͤr; ſo wie er ſie oͤffnet, erſcheint darin)
Zehnte Scene.
Ruͤdiger. — Birkhahn.
Was thuſt Du hier, mein Sohn?
Ich habe zur Nacht gegeſſen!
Iſt dies Dein Wirthshaus? — huͤte Dich vor dieſem
Hauſe, das Auge des Gerichtes ruht darauf, und morgen
ſchon kann die Stimme des Richters Wehe daruͤber rufen!
Ihr ſcherzt, Herr Vater; hier wohnen Menſchen des
Friedens und der Gerechtigkeit.
Die Gerechtigkeit wird wiſſen, wo ihre Staͤtte ſei
6*
[84]Die Bernſteinhexe.
und wohin ihr Friede gehoͤre — ſtoͤre mich nicht, ich bin
im Amte; kehre heim nach Pudagla! Dort werd’ ich bin-
nen einer Stunde des Naͤheren mit Dir ſprechen. Leuchte
ihm, Wulf
bis an den Bach!
Ich finde dies Alles uͤberſpannt, lieber Vater, und
ſage Ihnen voraus, daß ich kein ruhiger Zuſchauer ſein
werde, wenn dieſe Ueberſpannung weiter gehen ſollte als
zu drohenden Worten.
Herr Junker Ruͤdiger — Ihr faſelt! Folgt meinem
Gebote und kehrt nach Pudagla.
Ich ehre Euch, Herr Vater, das wißt Ihr! In die-
ſem Hauſe liebe und ehre ich aber ebenfalls, und was hier
angerichtet werden ſollte, das faͤnde in mir einen ruͤck-
ſichtsloſen Widerſacher.
der ihm folgen will.)
Bleib!
Gehorche, Wulf!
[85]Die Bernſteinhexe.
Elfte Scene.
Was willſt Du hier?
Als wie ich?
Antworte, ſtatt zu fragen!
Fragen iſt leichter als Antworten.
Schlingel!
Muͤllerburſche, Herr Amtshauptmann, weiter nichts.
Wo iſt der Schweidler und deſſen Tochter?
Der Herr Pfarrer iſt zu Bett gegangen und deſſen
Jungfer Tochter desgleichen.
[86]Die Bernſteinhexe.
Weck’ die Tochter!
Ich bin ein Muͤller, Herr Amtshauptmann, und nur
in meiner Muͤhle zu Hauſe.
Du biſt ein aͤchter Birkhahn, Burſche, weil Du nichts
zu verlieren haſt. Ich will Dir wohl. Aber ich laſſe
Dich peitſchen, wenn Du dem Junker hier in Coſerow zu
Dienſten biſt, hoͤrſt Du?
Ich hoͤre wie ein Haaſe.
Der Junker iſt hier auf uͤblem Wege, und je mehr er
darauf beharrt, deſto ſichrer ſtuͤrzt er dieſe Familie in’s
Verderben. Darnach nimm Deine Partei. Wenn Du
Dich gut auffuͤhrſt, ſoll’s Dein Vortheil ſein. Jetzt pack
Dich!
Zu Befehl.
Ich will Dir ſchon was auf-
fuͤhren!
[87]Die Bernſteinhexe.
Zwoͤlfte Scene.
dieſer eine kleine Weile hinaus iſt, geht er raſch bis an die Thuͤr
und ſpricht ganz laut wie nach der Thuͤr links.)
Hinweg denn aus einem Hauſe, das ſich vor ſeinen
Gaͤſten verſchließt!
raͤuſch wieder zu, bleibt aber innen, dann ſchleicht er nach dem
Fenſter, die Fluͤgel zudruͤckend, ohne ſie zu verriegeln. Es wird
ganz finſter. Alsdann ſchleicht er vorſichtig nach dem Stuhle zu-
ruͤck und ſetzt ſich hinein.)
Sie horcht gewiß, und wird wohl
ausſchaun kommen, ob von den Fußtapfen des geliebten
Junkers nicht ein Herzensduft aufzufangen ſei. Verliebt-
heit ſchlaͤft nicht vor Mitternacht! — Er muß fort! Das
Verhaͤltniß wird widerwaͤrtig; ich ſetze ſeine Anhaͤnglich-
keit fuͤr mich auf’s Spiel, denn vor jugendlicher Liebe
verſinken alle anderen Pflichten. — Bloß vor jugendli-
cher? — Auch vor der meinigen; Liebe bewegt die Engel
und bewegt die Teufel, Liebe iſt alles Verlangen, das
exiſtirt, und der Haß iſt nur die Kehrſeite der Liebe, er
iſt daſſelbe Gefuͤhl. — Daſſelbe Gefuͤhl — es giebt eben
nur ein Gefuͤhl. — Wie thoͤricht iſt es, dagegen zu kaͤm-
pfen; dies heißt ja gegen ſein Leben kaͤmpfen. Man kaͤmpfe,
um zu erobern; jeder andere Kampf iſt Dummheit. —
Still!
[88]Die Bernſteinhexe.
Dreizehnte Scene.
Wittich.
Er iſt fort! — und Ruͤdiger wird ſicherlich harren!
Die Luft iſt kalt, ich muß auf den Streckelberg
und die Ader ſorgfaͤltig verſchließen!
Um Gotteswillen, wer iſt’s?
eilt nach vorn.)
Pſt!
Ach Gott, was thut Ihr, Junker?
So weit alſo biſt Du mit meinem Junker einig?
Der Wittich!
Hier muß der Vater
helfen!
Sachte, mein Taͤubchen!
Wir wollen und muͤſſen allein mit einander fertig werden.
[89]Die Bernſteinhexe.
Wirf ab die unnuͤtzen Zeichen von Bloͤdigkeit! Wer ſo
tief wie Du in die Geheimniſſe der Natur hinein getreten,
der braucht die Jungfernziererei nicht mehr — ſieh’, der
Mond ſteigt auf aus der See, es iſt die Nacht vom Juden-
Sabbath zum Chriſten-Sabbath, die Nacht zwiſchen Toll-
heit und Thorheit, vortrefflich geeignet zur Abſchließung
unſers Paktes.
Ich glaube, Ihr ſeid ſuͤßen Weines trunken, Herr
Wittich!
Deiner Augen bin ich trunken, Maͤdchen, ſonſt trieb
ich’s nicht zum Aeußerſten, denn dahin treib ich’s — ſetze
Dich zu mir, wir haben beide Platz auf dieſem Stuhle!
Ich ſetze mich nicht zu Euch, und ich bitte Euch gar
ſehr, meine Hand frei zu geben!
Wirf die Sproͤdigkeit hinter Dich, Taube, ſie braͤchte
Dir Ungluͤck. Du biſt doch wahrhaftig ſo weit, um die
albernen Maͤdchen-Vorurtheile zu uͤberwinden. Einem
unerfahrenen Kinde mag ſolch ein rothbackiger Junker ge-
faͤhrlich werden, ſolch ein nuͤchterner, unkundiger Geſell!
Was kann er Dir ſein, die Du mit Geiſtern verkehrſt!
Wir brauchen einander, Schweidlerin, das iſt genug. Ich
liebe Dich, Du wirſt mich lieben. Dies iſt unſer Heute
und Morgen. Deine Hand zuckt!
[90]Die Bernſteinhexe.
Was geht Entſetzliches in mir vor!
Du wirfſt mir vor, daß ich mein Weſen habe mit der
Kolken-Lieſe? Das hat gute Wege. ’s war eine rohe
Kraft, die in ihr herrſchte, die Deinige iſt feiner und mir
naͤher verwandt. Die Kolken-Lieſe hat kaum noch zwei
mal vier und zwanzig Stunden zu leben, ihr Herz iſt ver-
trocknet, ſeit ſie oben im Streckelberge ihrem Kerl dem
Selden-Hinrich den Teufel auf den Hals gehetzt und ihr
Geſicht dabei dem gluͤhenden Athem des Satans preis ge-
geben hat, ſie lebt nur noch vom letzten Blutstropfen,
hoͤrſt Du?
Ich entſetze mich vor Euch!
Du biſt abgeſchmackt! So wiſſe denn,
wenn Du
nicht meine Daͤmonenbraut werden willſt gut und gerne,
ſo ſoll Dich die oberflaͤchliche Welt dazu zwingen. Du
biſt reif fuͤr die thoͤrichten weltlichen Richter! Die ein-
faͤltigen Bauern zeigen bereits mit Fingern auf Dich, die
Kinder ſchreien hinter Dir: „Da geht die Hexe von Coſe-
row!“ und der abgeſchmackte Buͤrgermeiſter von Uſedom,
den ich heute Nacht noch holen laſſe, verurtheilt Dich
morgenden Tages zum Scheiterhaufen fuͤr Deine Hexen-
kuͤnſte — glaubſt Du Dies?
[91]Die Bernſteinhexe.
Ja wohl!
Nun alſo: Schlag ein! Dann gehe hinaus auf den
Streckelberg und verſchließe die Ader, welche Dich mit
der Unterwelt in Verbindung ſetzt, verſchließe ſie, wie
Du vorhin gewollt — ich werde Dir ein zierlich Jaͤger-
haus daneben aufbauen, damit Du ſie zu gelegener Stunde
mit Bequemlichkeit wieder oͤffnen magſt; mein Jaͤger, den
ich Dir zum Manne angetragen habe, ſoll Dich vor der
Welt leidlich in Ehren halten und im Hauſe doch nicht
beruͤhren duͤrfen. Ich werd’ ihn zum Oberjaͤger ernen-
nen, und ich werde ſorgen, daß es im Hauſe meines Ober-
jaͤgers fein ausſehn und hergehn ſoll wie im feinſten
Schloſſe. Sprich, ſind wir einig?
Vierzehnte Scene.
Kolken-Lieſe am Fenſter erſchienen und hat zugehoͤrt.)
Verflucht ſei Euer Sabbath-Bund!
Nichtswuͤrdiges Geſchick!
[92]Die Bernſteinhexe.
Du biſt verloren, Dirne, wenn Du ihn erhoͤrſt, und
biſt verloren, wenn Du ihm Dein Ohr verſchließeſt.
Wenn Du ihn erhoͤrſt, ſo ergreifen Dich die Teufel, welche
mein Blut ſaugen, und wenn Du ihn nicht erhoͤrſt, ſo
ergreifen Dich die Richter von Wolgaſt und ſchleppen
Dich zum Scheiterhaufen. Waͤhle!
Fuͤnfzehnte Scene.
Schweidler.
Fix, Wulf! es iſt die Lieſe!
Ich find’ den Junker nicht, er muß rechts nach dem
Streckelberge ſein!
Was kuͤmmert Dich die Lieſe, ſie iſt im Verſchei-
den — ſo ſprich, ſind wir einig?
So mir Gott helfe, nein!
Gott wird Dir helfen zum Hexengerichte!
[93]Die Bernſteinhexe.
Herr Jeſus, Herr Jeſus, der Teufel holt die Jungfer!
Um Chriſti willen, was geht hier vor?
Eintreten wendet ſich Wittich mit Wulf zum Abgehen.)
Meine Kraͤfte ſchwinden! Barmherzigkeit! Hilf mir,
Vater, vor boͤſen Menſchen und boͤſen Geiſtern!
ihm wie zuſammenſinkend um den Hals.)
[[94]]
Zweiter Akt.
Tageslicht.
Erſte Scene.
ein, an der Thuͤr links horchend).
Kein Maͤuschen regt ſich; ich glaube wahrhaftig, ſie
hat ſich ein Herz gefaßt und iſt in die Fruͤhkirche gegan-
gen! Ich hatte aber das Herz nicht, in die Kirche hinein
zu treten; ſolch ’ne Angſt hab’ ich mein Lebtag nicht in
den Gliedern gehabt! —
Halb
Sechs! Hat ſie doch geſtern Abend die Ruhe noch gefun-
den, den Seiger aufzuziehn, gute Jungfer, ſie iſt gewiß un-
ſchuldig! Aber ’s glaubt mir’s kein Menſch. — Mag’s
ſein wie’s will, und wenn mein Muͤhlſtein druͤber den
Kaſten zerreißt, ich bleibe bei ihr und ſuch’ ihr zu hel-
[95]Die Bernſteinhexe.
fen. — In einer halben Stunde koͤnnen ſie hier ſein; —
ich muß doch in die Kirche hinuͤber, und muß ſie abwin-
ken, denn hier darf ſie nicht gefunden werden, wenn die
Uſedomer kommen; ſie muß ’naus in die Haide uͤber den
Streckelberg. Wenn der erſte Waſſerſturz abgeprallt iſt,
kann ſich Vielerlei aͤndern — in der Dachkammer bei mei-
ner Muhme in der Haidemuͤhle ſucht ſie kein Buͤttel —
alſo fix!
Zweite Scene.
Wo iſt ſie?
In der Kirche!
Die Richter von Uſedom kamen eben uͤber den Huͤgel
nach Pudagla zu; ſie verweilen ſich hoͤchſtens zum Fruͤh-
ſtuͤck in unſerm Hauſe, dann ſind ſie hier —
Drum will ich die Jungfer raſch abrufen und in ein
ſicheres Mauſeloch bringen —
[96]Die Bernſteinhexe.
Das wird nicht gehn, das wird nicht gehn!
Warum denn nicht?
Erſtens wuͤrde man ihre Flucht wie ein Zugeſtaͤndniß
ihrer Schuld betrachten, und dann —
Und dann?
Iſt auch die Flucht kaum noch moͤglich!
Werd’ ſie ſchon moͤglich machen —
Die Leute ſtehn in Haufen vor der Kirche, ’s iſt bei
ihnen vorbei mit aller Gottesfurcht; die Kolken-Lieſe hat
ſie verhetzt, ſie lauern alle auf die Jungfer, und wenn
dieſe wirklich in der Kirche iſt, ſo iſt ſie nur noch mit
aͤußerſter Gewalt zu befrein!
geoͤffnet und ſich hinauswaͤrts umgeſehen).
So ſchlag’ der Teufel drein, ’s iſt um kein Haar beſ-
ſer — da kommt auch ſchon der Herr Amtshauptmann
und die Schwerenoths-Lieſe; machen wir, daß wir fort-
kommen!
[97]Die Bernſteinhexe.
Im Gegentheil, ich will ihm in’s Gewiſſen reden!
Fuͤr mich hat er kein Gewiſſen — und wenn ich was
helfen ſoll, ſo muß er denken, es ſei mir All’s einerlei —
ich verſuch’ mein Gluͤck bei der Kirche!
hinein.)
O Menſchen, Menſchen! wie mißhandelt Ihr die
ſchoͤne Welt, welche Gott Euch gegeben! Wo Ihr den
wunderbaren Zuſammenhang in ihr nicht verſteht, da er-
boſ’t Ihr Euch und verfolgt Euch unter einander, wie
Kinder einander ſchlagen aus kindiſchem Zorne.
nach dem Fenſter, als wollte er hinaus ſehen, ſo daß Wittich
und Lieſe eintreten, ohne ihn zu bemerken — er wendet ſich dann
mit uͤbereinander geſchlagnen Armen, am Fenſter lehnen blei-
bend, dem Zimmer zu und hoͤrt eine Weile auf ihr Geſpraͤch.)
Dritte Scene.
(Man hoͤrt ſie ſchon ſtreiten, ehe ſie eintreten und waͤhrend Ruͤdi-
ger die obigen letzten Worte ſpricht.)
Ihr werdet Euch tapfer betruͤgen, Herr Wittich,
nicht heut noch morgen greift mich der Tod, und ich
Laube, dram. Werke. III. 7
[98]Die Bernſteinhexe.
werde Kraft genug haben, Euer doppeltes Spiel zu zer-
ſtoͤren.
Du biſt verruͤckt, Lieſe!
Bin nicht umſonſt Eure Schuͤlerin geweſen von
meiner Jugend auf, ja, Herr Wittich, wißt Ihr wohl
noch, wie alt ich war, als Ihr mich zum erſten Male bei
ſchwuͤler Fruͤhlingszeit draußen in der Haide uͤberraſchtet
und mir bei einbrechender Nacht die Sternbilder lehrtet?
Oh, Wittich, ich war nicht beſſer und nicht ſchlimmer als
dieſe Pfarrdirne, welche Du heute auf andre Manier den-
ſelben Weg fuͤhren willſt, den Du mich gefuͤhrt haſt! Nicht
beſſer und nicht ſchlimmer! Und ſo ſoll es ihr denn auch
nicht beſſer ergehn, denn mir, aber ſchlimmer. Denn ich
haſſe ſie, — und ich quaͤle Euch, indem ich ſie verderbe.
Euch zu quaͤlen, ſtolzer Wittich, iſt mein letztes Vergnuͤ-
gen auf Erden.
Schuͤtte Deine Galle aus, es wird Dich erleichtern —
miſcheſt Du aber ein Wort von Deinem thoͤrichten, un-
wahren Geſchwaͤtz vor andern Leuten ein, ſo bring’ ich
Dich auf den Scheiterhaufen und befreie die Pfarr-
jungfer!
Wirklich?
[99]Die Bernſteinhexe.
Zweifelſt Du etwa daran, daß ich’s im Stande ſei?
Keineswegs! Siehſt Du — daruͤber kocht eben meine
Galle! Euch vornehmen Maͤnnern iſt Alles preis gegeben:
der Friede eines ſchoͤnen Maͤdchens, die Ruhe und Ehre
einer Familie, ja das Leben der armen Leute, die unter
Euch ſtehn. In Wiſſenſchaften und Kuͤnſten werdet Ihr
ſpielend unterrichtet und ſeid uns wißbegierigen armen
Geſchoͤpfen bald in allen Stuͤcken uͤberlegen; dann kommt
die große Heldenthat unſrer Verfuͤhrung, und wenn Ihr
der Verfuͤhrten uͤberdruͤſſig ſeid, dann kommt der Lohn!
Welcher Lohn? Hohn heißt er, vornehmer Hohn! Das
iſt Euer Lebenslauf mit armen Geſchoͤpfen, und dann
wundert Ihr Euch, Ihr frechen Wichte, daß ſich Gift in
uns aufſammelt, toͤdtliches Gift!
auf den Lehnſtuhl ihr Haupt verbergend.) (Pauſe.)
Leidenſchaftliches Weib, das Du biſt! Du weißt, wie
wenig Lebenskraft Dir noch zugemeſſen, und vergeudeſt
ſie dergeſtalt —
Sprecht nicht weiter, Herr! Ich bin ein unwillkuͤhr-
licher Zuhoͤrer!
Daß Dich die Peſt! — Welcher Satan fuͤhrt Dich
7*
[100]Die Bernſteinhexe.
auf’s Neue in dies Haus — nein, mein Sohn, nein,
zwiſchen uns ſollen die gemeinen Verwickelungen der Lei-
denſchaft keine Macht gewinnen! Gieb mir Deine Hand —
Ich kann’s jetzt nicht mit offnem Herzen!
Du wirſt es koͤnnen, wenn Du mich nicht richten
willſt nach aͤußerem Schein! Kehre nach Pudagla zuruͤck,
Ruͤdiger, dort will ich Dir Aufſchluß geben uͤber Alles,
was Dir jetzt raͤthſelhaft erſcheinen mag, erſcheinen muß.
richten).
O das verſteht er, Junker! Hoͤrt ihn eine Viertel-
ſtunde an, und Ihr verehrt ihn auf’s Neue —
richtend)
geht heim nach Pudagla, hier ſeid Ihr nur im
Wege
und koͤnnt nur ſchaden! Da laͤu-
tet die Glocke, die Kirche iſt aus, und das Gericht be-
ginnt. Kehrt heim! Hier habt Ihr nur Glauben und
Gluͤck zu verlieren!
Geh’, mein Sohn, geh’! Darin hat ſie Recht, hier
kannſt Du nur ſchaden.
Ich bleibe hier, und Gott wird mir helfen, eine
Schandthat zu verhindern.
[101]Die Bernſteinhexe.
Gott hilft Euch nicht, und Ihr verliert den Glauben!
Nur der Koͤhlerglaube verliert ſich ſo leicht bei jeder
Gelegenheit! Wer Eure Zauberpoſſen gering anſchlaͤgt,
der hat um ſo groͤßeres Vertrauen auf Gottes wunder-
bare Kraft.
Wir wollen ſehen, Junker, wie viel Eure Weisheit
helfen wird, und ob das Leben nicht von zaͤherem Stoffe
iſt, als Eure Schulmaͤnner und Euer junges Blut Euch
gelehrt! Ich ſage Euch — die naſeweiſe Jungfer, die mir
durch ihre Jungfern-Kuͤnſte das Dorf und die Umgegend
und dieſen erfahrenen Kenner
abwen-
dig gemacht, ſie wird als Hexe auf dem Streckelberge ver-
brannt.
Scheuſal!
Pfui doch, ein garſtig Wort, Herr Junker! Waͤren
mir die Augen nicht entzuͤndet, und haͤtte mir nicht Krank-
heit das Blut aus den Wangen getrieben, Ihr wuͤrdet
mich hoͤflicher anreden, Ihr wuͤrdet finden, wie Herr Wit-
tich es fand, daß ich von demſelben Teige geknetet bin,
als Eure roſenrothe Pfarrjungfer —
[102]Die Bernſteinhexe.
oho, die garſtige Glocke ſtuͤrmt ordentlich und gefaͤllt mir
heute zum erſten Male, und die Coſerower werden le-
bendig!
draͤngen.)
Vierte Scene.
Geſtrenger Herr Amtshauptmann, Ihr muͤßt befeh-
len, ob die Pfarrjungfer todt geſchlagen werden darf —
Was?
Schurke!
Freilich!
Die Bauernweiber ſtuͤrzten wie raſend auf ſie, als ſie
aus dem Pfarrthuͤrlein der Kirche trat, und ſie haͤtten
wohl die Dirne zerriſſen, wenn nicht der Schalk der Birk-
[103]Die Bernſteinhexe.
hahn zur Hand geweſen waͤre: der hat einen Hebebaum in
der Fauſt, und da er ein ſtarker flinker Burſche iſt, ſo
hat er Platz um ſie gemacht. Aber der Birkhahn ſcheint
wieder was Andres im Schilde zu fuͤhren: er rudert links
’naus auf den Streckelberg zu, und da muͤſſen nun Euer
Geſtrengen Befehl geben, ob ich die Plazedur anfangen
und die Jungfer mit meinen ſechs Knechten greifen ſoll —
es ſind, wie Euer Geſtrengen befohlen, unſre hahnbuͤchen-
ſten ſechs Kerle, und ſie werden fertig mit ganz Coſerow,
wenn’s ſein muß.
Sie ſollen die Bauersleute abhalten von der Jungfer,
und ſollen die Jungfer hierher geleiten, aber ohne ſie an-
zuruͤhren. Wer ſie mit der Hand beruͤhrt, dem wird die
Hand abgehauen.
Von wegen der Hexerei, das iſt ſchon richtig, aber
etwas ſchwierig!
Raſch!
Raſch.
Was willſt Du thun, Ruͤdiger?
[104]Die Bernſteinhexe.
Was einem Ehrenmanne zukommt: die gemißhan-
delte Unſchuld ſchuͤtzen.
Das iſt in dieſem Falle Sache des Richters, und der
Richter wird ſeine Schuldigkeit thun. Sei unbeſorgt.
dem Fenſter.)
Ich beſchwoͤre Dich, mein Sohn, verhalte
Dich als unparteiiſcher Zuſchauer in dieſer Angelegenheit:
es ſind dieſe Hexenklagen zweiſchneidige Schwerter, ſie
verwunden nach allen Seiten!
Um ſo unbegreiflicher iſt es, daß ein Mann von
Eurem ſcharfen Geiſte und Eurer ausgebreiteten Bildung
dies gefaͤhrliche Poſſenſpiel neben ſich aufkommen laͤßt, ja
daß er es ſelber aufbringt.
Mein Sohn, jede Zeit hat ihre Vorurtheile und ver-
langt ihren Tribut dafuͤr. Jedermann zahlt ſeinen Tribut
an ſeine Zeit, und wenn er ihn an falſcher Kaſſe zahlt,
ſo gilt er fuͤr dumm und gewinnt nichts dafuͤr — willſt
Du mit den herrſchenden Vorurtheilen nichts zu ſchaffen
haben, ſo mußt Du als Einſiedler leben, und Du brauchſt
großes Gluͤck, um dies ungeſtraft zu koͤnnen. Jede Zeit
will ihre Vorurtheile anerkannt ſehn und verfolgt nicht
nur die Widerſacher derſelben, ſondern auch die Gleich-
[105]Die Bernſteinhexe.
guͤltigen. Dies bedenke! Du ſetzeſt Deine ganze Exiſtenz
auf’s Spiel, wenn Du den Volksglauben beleidigſt, und
meine Amtshauptmannſchaft, die ich Dir vererben will,
iſt Dir alsdann fuͤr immer verloren.
Das moͤge ſie ſein, wenn ein ſo wichtiges Amt nur
auf Koſten der Wahrheit erworben werden kann —
Der Wahrheit?! Junger Mann, was iſt Wahrheit
in ſolchen raͤthſelhaften Dingen. — Das ganze Land iſt
ſeit hundert Jahren im Kriege begriffen uͤber das, was
goͤttliche Wahrheit auf Erden ſei. Wir ſind auf Seite
derer, welche ſich ruͤhmen, kirchlicher Vorurtheile ledig zu
ſein, und auf unſrer Seite iſt die Verfolgung der Hexen
am Lebhafteſten — die Kirche, welche wir bekaͤmpften,
wußte noch im vorigen Jahrhunderte nichts von blutiger
Strenge gegen Hexen. Sie verbannte dieſelben, oder be-
ſtrafte ſie gelind. Seit noch nicht funfzig Jahren erſt ver-
fahren wir huͤben und druͤben mit Feuer und Schwert da-
gegen. Was iſt nun Wahrheit? Wirſt Du’s mit jugend-
licher Zunge erledigen?
O Vater, Vater, Dein reicher Geiſt ſpricht aus
Dir, aber nicht Dein wahrer Geiſt! Du biſt ſo wenig als
ich in Zweifel —
[106]Die Bernſteinhexe.
Du irrſt Dich, Ruͤdiger, irrſt Dich vollſtaͤndig. Eben
weil ich mehr weiß denn Du, bin ich zweifelvoller denn
Du, und achte Vorurtheile als tief begruͤndet, die Du ver-
lachen zu duͤrfen glaubſt.
Sie kommen, Sie kommen! Man bringt ſie! Ja,
heute fehlt das Blut in den Wangen! — Nun, Herr Wit-
tich, thut Eure Schuldigkeit, ſonſt thu’ ich die meine zu
Eurem Verderben!
Schweig, Hexe, bei des Teufels Haupte! ſonſt bring’
ich Dich auf den Holzſtoß!
Kommt’s mir drauf an! Sagt’ mir nicht der Bader,
ich haͤtte nur noch wenig Roggen auf der Muͤhle? Und
Du brennſt dann mit mir, Verfuͤhrer, dafuͤr ſorg’ ich!
Holla, das wird anmuthig ſein, geſtrenger Herr!
[107]Die Bernſteinhexe.
Fuͤnfte Scene.
ſieht und hoͤrt, daß Birkhahn ſeinen Hebebaum fallen laͤßt —
er haͤlt Marie an der Hand.
ler und die Vorigen.
und bleibt dort erſchoͤpft ſtehen.)
Arme Marie!
Auch in Noth iſt es verfuͤhreriſch, dies Auge!
Nun iſt ſie dran!
Endlich, Zabel, ſind wir gerettet, endlich! Es war
ein furchtbar langer Weg! — Und lauter Leute, unter
deren Augen, an deren Haͤnden ich aufgewachſen bin! O
wie boͤs, wie boͤs! Was hab’ ich denn verbrochen!?
Nichts, Jungfer!
Nicht wahr, Zabel? So gut wie nichts. Und auf
dem Kirchgange, auf dem Ehrengange meines Vaters!
[108]Die Bernſteinhexe.
Ach, was wird der Arme ſagen, der nichts Beſſeres hat
als mich, und den ſolche Schande zur Grube treibt — iſt
er ſchon heim!
Anweſenden.)
Nein!
Allmaͤchtiger Himmel, und es iſt nicht vorbei!
Es geht erſt an.
Seid getroſt, Marie, ich ſteh’ Euch bei auf Noth
und Tod!
O dann! — Gott lohn’ es Euch! — Moͤcht’ es nur
raſch voruͤber ſein, wenn auch mit Schmerzen!
gehend.)
Was wollt Ihr eigentlich von mir, Herr Amts-
hauptmann?
Das Gericht will Buße von Dir, verlorenes Maͤdchen!
Was ſoll ich buͤßen?
Deine Hexenkuͤnſte.
Wenn Ihr es ſagt, klingt es wie Spott!
[109]Die Bernſteinhexe.
Weich’ zuruͤck, Burſche! —
Tritt zu-
ruͤck, Ruͤdiger!
Verlaßt mich nicht! Ueberlaßt mich nicht dem Feinde.
Thoͤricht Maͤdchen, ich bin nicht Dein Feind!
Freilich, er moͤchte gern was Anderes ſein — hoͤrt
nur auf ihn, Jungfer, und er wird Euch retten auf einige
Zeit und verderben in alle Ewigkeit.
Schweige, Weibsbild, oder ich laſſe Dich hinweg
ſchaffen und in’s Loch werfen!
Oho! Braucht Ihr nicht mein Zeugniß gegen die
junge Hexe? Das Zeugniß der alten Hexe gegen ſie iſt
ja Eure Hauptſtuͤtze, ſonſt wird es windig ſtehn um Euren
Prozeß.
Und was that ich Dir Uebles, Lieſe, daß Du bereit
biſt, mich zu verlaͤſtern?
Was Ihr mir thatet?
[110]Die Bernſteinhexe.
Hat ſie Euch nicht beigeſtanden wie ein Engel in der
Peſtilenz und Kriegsnoth? Hat ſie nicht ſelbſt gehungert,
um Euch vom Hungertode zu erretten?
Gelbſchnabel! Schwache Herzen thun immer Der-
gleichen! Was Ihr mir thatet, fragt Ihr, einfaͤltig Ge-
ſchoͤpf? Habt Ihr nicht mein Vieh beſprochen?
Um es zu retten.
Um es zu Grund zu richten! Habt Ihr nicht ausge-
kluͤgelt, oben im Streckelberge laͤge das Haar und das
Hirn meines Mannes, und der Teufel habe ihn geholt,
weil ich ihn verhext, he? habt Ihr das nicht gethan?
So hab’ ich’s nicht gethan, wie Du da redeſt.
Habt Ihr mich nicht um den Namen einer klugen Frau
im Dorfe gebracht und meinen Verdienſt zu Grunde ge-
richtet?
Erlogen! Du biſt heute noch die Kolkenhexe.
Die Kolkenhexe, ja! aber die Hexe, die nichts mehr
kann ſeit die Jungfernhexe aufgekommen. Das ging, ſo
[111]Die Bernſteinhexe.
lang’ es mit den Jungfern geht, aber ſeit Du alle Abende
in den Streckelberg gingſt, war’s vorbei, und nun konnte
die alte und die junge nichts mehr, die alte aber war da-
bei zu Grund gegangen, und nun fragt mich der junge
Narr, was ſie mir gethan!
Genug. Vor Gericht magſt Du das wiederholen;
jetzt iſt es unnuͤtz.
ſpricht halblaut.)
Du ſiehſt, Marie, Deine Sache iſt ſo
eingeleitet, daß Du verloren biſt, wenn Dir meine Huͤlfe
entgeht. Die Richter von Uſedom ſind unterweges und
koͤnnen jede Minute eintreffen; laß ich ſie den Prozeß be-
ginnen, ſo biſt Du binnen wenig Tagen zum brennenden
Holzſtoße verurtheilt, und eh’ es wieder Sonntag wird,
verbrannt, denn die Richter ſind in dieſen Dingen ſo
ſchnell wie das Ungluͤck — willſt Du Dich aber eines Beſ-
ſeren beſinnen, willſt meinen Vorſchlag von geſtern Abend
annehmen und als Ausgeberin zu mir nach Pudagla ziehn
oder im Waldhauſe wohnen, ſo ſchlag’ ich den Prozeß
auf der Stelle nieder, und kein Haar ſoll Dir gekruͤmmt
werden, es muͤßte denn mein Finger ſein, der Deine
Locke auf und nieder ringelte! — Entſcheide.
Die Anweſenden moͤgen entſcheiden!
Was ſoll’s?
[112]Die Bernſteinhexe.
Hoͤrt, in welchen Haͤnden die hohe Gerichtsbarkeit
liegt auf Uſedom. Unſer Herr Amtshauptmann bietet
mir —
Er bietet Dir Schutz, ſo weit ihn das Geſetz geſtattet,
wenn Du ihm offen und vertrauensvoll Deine Geheim-
niſſe anvertrauſt — Du willſt es nicht; die Klage gehe
ihren Lauf!
Die Richter von Uſedom kommen!
Sechſte Scene.
Der Buͤttel in meinem Hauſe, die Richter an der
Schwelle, welch eine Schande auf mein graues Haar.
geht auf Marie zu und umarmt ſie.)
Mein armes Kind!
Mein armer Vater!
Und wer iſt ſchuld daran?
[113]Die Bernſteinhexe.
Die Kolkenhexe und der Herr Amtshauptmann!
Willſt Du gepeitſcht werden, Burſche?!
’s kommt mir nicht drauf an, wenn ich ein wahres
Wort an den Mann bringe.
Zabel hat Recht: Herr Wittich treibt ein ſchaͤndlich
Spiel mit uns.
Herr Wittich von Appelmann, Amtshauptmann auf
Uſedom, ich warne Euch im Namen Eures guten Leu-
munds auf Erden und im Namen Eurer Zukunft dort
oben, kein gewiſſenlos Spiel zu treiben mit eines unbe-
ſcholtenen Hauſes Ehre —
Welch eine Anrede erlaubt Ihr Euch, Pfarrer!
Ich erlaube mir, was mir der Geiſt meines Amtes,
was mir das Herz eines bedraͤngten Vaters eingiebt. Ich
ſage Euch voraus, daß ich Eure richterliche Theilnahme
in ſolch einem Prozeſſe, wenn Ihr’s zu einem Prozeſſe
treibt, perhorresciren muß und werde, und daß ich, um
dies zu begruͤnden, Euer gehaͤſſig Weſen gegen mich und
Euer Weſen gegen mein Kind, Eure Antraͤge und Prak-
tiken vor aller Welt entbloͤßen werde und entbloͤßen kann!
Laube, dram. Werke. III. 8
[114]Die Bernſteinhexe.
Ehren Abraham, mit jedem Worte ſchwatzt Ihr Euer
Kind tiefer in’s Verderben —
Gegen mich iſt
Euer Kind rettungslos verloren, und Eure verwegenſten
Anklagen prallen ab vom Schilde meines Anſehens, ja ſie
zerſchellen vor einem veraͤchtlichen Laͤcheln meines Mun-
des; mit mir allein kann ſie gerettet werden. Dar-
nach ſtempelt Eure Worte!
Die Richter von Uſedom ſind da!
Siebente Scene.
Scriba. — Die Vorigen.
Gottes Friede ſei mit dieſem Hauſe, wenn es ein ſau-
ber Haus iſt, Gottes Zorn, wenn es unſauber!
Ich gruͤße Euch, Herr Conſul!
Ich gruͤße Euch ehrfurchtsvoll, Herr Amtshaupt-
mann!
[115]Die Bernſteinhexe.
Ich werd’ es ſeiner Zeit und an richtigem Orte zu
ruͤhmen wiſſen, daß Ihr auch mitten in der Nacht eilig ge-
weſen ſeid, dem Rufe des Amtes nachzukommen.
Schuldigkeit! Fiat justitia, pereat mundus; wo iſt die
Angeklagte?
Sie ſteht vor Euch, Herr Conſul, und ich rufe Euch
zu als deren geaͤngſtigter Vater und als Diener der Kirche:
pruͤfet die Indicien oder Vorwaͤnde mit unparteiiſcher
Kaltbluͤtigkeit, damit nicht ohne Noth Schande komme
uͤber ein bis daher gottſelig Haus und uͤber eine bis daher
unbeſcholtene Jungfrau; denn Ihr wißt der unbefleckte
Ruf einer Jungfrau iſt deren hoͤchſter Schatz, und der Ruf
einer Jungfrau iſt wie ein kryſtallener Spiegel: jeder
Hauch kann ihn truͤben.
Wohlgeſprochen, Herr Pfarrer, wenn auch unnoͤthig.
Die Indicia werden zureichend und vollwichtig ſein, da der
Herr Amtshauptmann darauf hin das Gericht in Bewe-
gung geſetzt, und binnen hier und einer Stunde ſoll auf
Schloß Pudagla im dortigen Gerichtsſaale nach ſtrikter
Form und geweihtem Herkommen das erſte Verhoͤr ge-
halten werden — ſaͤumt alſo nicht, Euer Kind ſofort den
Knechten des Gerichtes zum Transport nach Pudagla zu
8*
[116]Die Bernſteinhexe.
uͤberantworten — die Knechte harren mit dem Wagen
vor der Thuͤre.
Ohne Unterſuchung der Vorfrage?!
Sie gilt fuͤr erledigt durch Requiſition Eures Herrn
Pflegevaters, werther Herr Junker, den ich achtungsvoll
begruͤße.
Mit Verlaub, Herr Conſul, dagegen proteſtire ich!
Ruͤdiger!
Gott lohn’s Euch, Junker.
Endlich ein Wort!
In welcher Eigenſchaft, Herr Junker, proteſtirt Ihr?
Nicht blos als Edelmann, der unſerm Herzoge em-
pfohlen iſt zu einſtiger Amtshauptmannſchaft, als Rechts-
kundiger, Herr Conſul, proteſtire ich. Der Herr Amts-
hauptmann hier iſt ſo gut wie Partei in dieſer Sache: der
Angeklagten Vater, Pfarrer Schweidler, beſchwert ſich
[117]Die Bernſteinhexe.
ſeit Jahren uͤber harten Groll des Amtshauptmanns, uͤber
Vorenthaltung eines Salars, welches ihm der Herzog ſel-
ber zugeſchrieben, und welches ihm ohne Fug und Grund
bisher von Pudagla aus verweigert worden. Die Ange-
klagte ferner, deſſelben Pfarrers Tochter, erhob ihre
Stimme kurz vor Eurem Eintritt, Herr Conſul, um An-
erbietungen zu veroͤffentlichen, welche ihr Herr Wittich
gemacht.
Schweig’, Ruͤdiger!
Nicht gegen meinen leiblichen Vater wuͤrde ich ſchwei-
gen, ſtuͤnde er ſchief oder doch zweifelerregend dem Rechte
gegenuͤber. Wie Herr Wittich mich jetzt unterbricht, ſo
unterbrach er vorhin die Mittheilungen der Jungfer, es
ſind alſo Dinge zwiſchen ihm und der Angeklagten zu ver-
ſchweigen, und ſomit iſt er nicht der Mann, um die Ver-
antwortung auf ſich zu nehmen, daß die Vorfrage uͤber-
gangen, und daß ein tugendhaftes und liebenswuͤrdiges
Maͤdchen blos auf ſeine Veranlaſſung hin den rohen
Knechten des Gerichts und dem oͤffentlichen Skandale des
Landes uͤberliefert werde. Nimmermehr iſt dies zu Recht.
Und Eure Schuldigkeit, Herr Conſul, iſt’s, als Mann des
Geſetzes dieſen Verſtoß gegen das Geſetz auf der Stelle zu
beſeitigen!
[118]Die Bernſteinhexe.
Ich bin erſtaunt, Herr Amtshauptmann.
Und wenn Ihr nicht beſchraͤnkten Kopfes oder ein Lie-
bediener ſeid, ſo werdet Ihr nach einer Viertelſtunde zu
der Einſicht kommen, die Jungfer Marie habe keine andre
Hexerei an ſich, als die Hexerei der Liebenswuͤrdigkeit, und
es ſei nur durch Klatſcherei dieſes gemeinen Weibsbildes
und durch ſonſtigen gemeinen Plunder
wieder einmal das nichtswuͤrdige Schauſpiel eines Hexen-
prozeſſes vorbereitet worden, dem Volkswahne ein erfreu-
licher und entſittlichender Spectakel, jedem Vernuͤnftigen
aber ein Graͤuel!
Ihr hoͤrt, Herr Conſul, nichts als ein Prinzipienhaß
gegen Hexenprozeſſe bringt dieſe Verwirrung zu Wege,
laßt Euch dadurch nicht aufhalten und befehlt die Abfuͤh-
rung.
Ja — ja —
die Sache iſt ſchwierig, der
Junker ſoll ein Liebling des Herzogs ſein und hat nicht
Unrecht, und Wittich iſt ein gewaltſamer Mann!
Das fehlte noch! —
Holla, Wulf!
Geſtrenger Herr!
[119]Die Bernſteinhexe.
Iſt Alles bereit?
Alles bereit, geſtrenger Herr! Ein friſches Gebund
Stroh, und ein Schemel zum Aufſteigen, ein Sitz dahin-
ter fuͤr mich und die Schreckensreiter zur Seite, ſchwarze
Pferde, ſchwarze Peitſche, Alles wegaliter und in peinli-
cher Ordnung.
Niemand beruͤhre die Angeklagte! Nicht Buͤttel, noch
Knecht, noch Beiſtand! Und ſo nehme die Sache ihren
Lauf, thoͤrichten Freunden, wie vorwitzigen Feinden zum
Trotz! Lieſe Kolken als belaſtende Zeugin ſei binnen zwei
Stunden auf Pudagla zum erſten Verhoͤre!
Ich wiederhole feierlich meinen Proteſt und mache
den Herrn Conſul von Uſedom verantwortlich fuͤr alle
Folge.
Schweig’ ſtill mit ſolchem leeren Schall! Du haſt als
unbetheiligte Privatperſon weder zu proteſtiren, noch zuzu-
ſtimmen.
Dieſe jaͤhe Haͤrte, Amtshauptmann von Uſedom, for-
dert jeglichen Rechtsſinn heraus, auch den Eures Pflege-
ſohnes, der Euch Erziehung und mannigfache Wohlthaten
[120]Die Bernſteinhexe.
dankt. Ihr werft meinen Proteſt wie ein Spielzeug bei
Seite, wohl denn, nun liegt mir ob, die Pflicht der Dank-
barkeit gegen Euch hintan zu ſetzen vor der hoͤheren
Pflicht menſchlicher Gerechtigkeit! Was Ihr jetzt als
einen Zwerg mit Fuͤßen tretet, das ſoll von Stettin aus
vor Euch erſcheinen wie ein Rieſe binnen hier und acht
und vierzig Stunden!
Binnen acht und vierzig Stunden ſoll es zu ſpaͤt ſein.
Wulf!
Geſtrenger Herr!
Geh’ hinaus und gieb Befehl an die Leute von Coſe-
row, und an der Muͤhle, wenn Du voruͤberkommſt, und
in Pudagla, wenn Du ankommſt, daß Niemand bei ſchwe-
rer Leibesſtrafe ein Pferd oder ein Boot dem Junker ſtelle,
binnen hier und acht und vierzig Stunden —
Zu Befehl, geſtrenger Herr!
Ich mache Euch aufmerkſam, wuͤrdigſter Herr Amts-
hauptmann, daß unſer gnaͤdigſter Herr Herzog in Stettin
ſich allerdings dieſer Gattung von Prozeſſen nicht ge-
neigt erweiſt, daß er Anſtoß nehmen koͤnnte an dieſer jaͤh-
[121]Die Bernſteinhexe.
lingen Verfahrungsweiſe, und daß ich mich in meiner rich-
terlichen Stellung verwahren muͤßte gegen dieſe —
Verwahrt Euch hinten und vorn, Herr Conſul, ich
befehle als Amtshauptmann, daß unverweilt verfahren
werde!
Dagegen muͤßt’ ich doch bemerken —
Ihr habt zu bemerken, ſobald der Prozeß im Gange
iſt — ihn in Gang zu bringen oder nicht zu bringen, iſt
meine Verantwortlichkeit. Habt Ihr das aufgeregte Volk
nicht geſehn? Wollt Ihr’s beruhigen, wenn Ihr den Ge-
genſtand ſeines Zornes frei gebt?
Das nicht, aber —
Ich aber muß es, das iſt meine Aufgabe. Und des
Volkes Stimme —
Iſt Gottes Stimme. Jedennoch —
Wulf!
dergrund gewinkt, und nachdem er aufmerkſam nach dem letzten
halblaut gefuͤhrten Geſpraͤche hingehorcht, ſagt er raſch und leiſe,
[122]Die Bernſteinhexe.
ſobald Wittich „Wulf“ ruft, und ehe dieſer wieder vor dem
Amtshauptmann erſchienen iſt, zu Birkhahn.)
Verſchaffe mir einen raſchen Reiter nach Stettin,
kannſt Du —
Freilich! den Andres!
Wulf!
Ich kann’s ſchwerlich noch, und hier iſt Alles vorbei
— ich ſchreibe hier, ſchick’ ihn hierher; aber nicht auf der
Straße.
Geſtrenger Herr!
Verrichte Dein Amt! — Marie Schweidler, Pfar-
rerstochter zu Coſerow, angeklagt der Hexerei, ſchreite
hinaus vor dem Buͤttel, um vor dem peinlichen Gerichte
in Pudagla zu erſcheinen!
in die Arme).
Allmaͤchtiger Gott, mein Kind!
[123]Die Bernſteinhexe.
Endlich! — Das boͤſe Gewiſſen!
Gott vergeb’s Euch, Herr Wittich!
Verfluchte Wirthſchaft!
Moͤge Gott billiger gegen Euch ſein, Herodes von
Uſedom, als Ihr es gegen mein Kind ſeid — Ilſe, Ilſe!
Was ſoll ich denn, Herr Pfarr, ich moͤchte nicht gern
was damit zu ſchaffen haben.
Bringe Waſſer, Marie iſt ohnmaͤchtig!
Gott verzeih’ mir’s gegen Euch! Aber ſeit die Jung-
fer eine Hexe iſt, kann ich keine Handreichung fuͤr ſie vor
meinem Gewiſſen verantworten!
O mein Gott!
Entſetzlich!
der Thuͤr ſtehen, da er ſieht, daß Marie ſich erholt).
Dummes Weibsbild!
[124]Die Bernſteinhexe.
Nun, Herr Conſul, braucht es bei ſolchem Zeugniß
der eignen Dienſtmagd, unter deren Augen die Jungfer
aufgewachſen, noch weiterer Vorfrage?
Sie erholt ſich!
Seid tapfer, Jungfer!
Ich will Euch wohl!
dert’s und ſchleicht links hinaus.)
Meine alten Arme ſollen ſie ſtuͤtzen, und ginge es zum
Aeußerſten, faſſe Muth, Kind, ich weiche nicht von Deiner
Seite!
Gott lohn’s Euch, guter Vater!
Vater,
verlaß mich nicht!
Gewiß nicht, mein Kind, und Gott im Himmel wird
uns auch nicht verlaſſen.
Ehren Abraham, Ihr werdet nicht Eure wuͤrdige Per-
ſon dem Geſpoͤtt des Volkes ausſetzen und auf dem Leiter-
wagen gen Pudagla fahren —
[125]Die Bernſteinhexe.
Das werd’ ich, Herr, iſt doch unſerm Erloͤſer noch
Aergeres widerfahren.
Miſcht nicht gedankenlos das Verſchiedenartigſte
durcheinander! Hier handelt ſich’s um Teufelswerke, und
Ihr koͤnnt Euch nicht als Diener der Kirche oͤffentlich
dazu geſellen, ohne Euer Anſehn zu gefaͤhrden und Eure
Amtsſtelle auszuſetzen!
Ich werfe Alles hinter mich, wo es mein Kind gilt,
und ſtelle auf Gott allein die Zukunft — fahr’ ich nicht
auch mit dem armen Suͤnder zum Hochgericht? Und ſollte
mein Kind allein ziehen laſſen zur Schmach, und ſollte
Schaden leiden an meiner Ehre, wenn ich die heiligſte
Pflicht erfuͤlle?!
Mag Alles ſein, aber Ihr gehoͤrt nicht zur Anklage,
koͤnnt nicht in Gemeinſchaft bleiben mit einer Perſon, die
peinlich verhoͤrt werden ſoll —
Ich ſehe unter ſolchen Umſtaͤnden kein Hinderniß! be-
ſonders da die Angeklagte unmuͤndig —
Ihr uͤberſpannt’s zum Aeußerſten! Den Diener
[126]Die Bernſteinhexe.
der Kirche einer Frau entziehen zu wollen, die um
Teufelswerk angeklagt iſt, das waͤre Unſinn wie Bar-
barei!
Still mit den Bemerkungen! Sie ſtimmen mich nur
ſtrenger, als ich ſein moͤchte! — — Ich will’s geſtatten,
um Euch zu zeigen, daß ich keiner perſoͤnlichen Abneigung
hierbei Raum gebe.
Von Euch, Jungfer, wird
es abhaͤngen, ob die Sache zu gutem oder uͤblem Ende ge-
deihe. Ueberlegt’s Euch weislich.
Es iſt nur ein Gott im Himmel und ein Recht auf
Erden, wie auch der irdiſche Ausgang zeugen mag, und
wehe dem Menſchenkinde, welches um truͤglicher Naͤchſten
willen von dieſem Glauben weichet! Und Ihr ſeid ein truͤg-
licher Naͤchſter!
Baſta! Vorwaͤrts mit der Hexe gen Pudagla!
ler geſtuͤtzt, zum Himmel aufſehend, folgen, ſchreit das Volk,
auf ein Zeichen, welches Lieſe aus dem Fenſter giebt):
Halloh die Hexe, Halloh die Hexe!
[127]Die Bernſteinhexe.
So wahr ein Gott im Himmel lebt, Herr Wittich,
dies heißt Menſchlichkeit und Recht mit Fuͤßen treten und
ſetzt den Sohn gegen den Vater in unausloͤſchliche Em-
poͤrung!
[[128]]
Dritter Akt.
traits an der Hinterwand. Zwei bis auf die Erde reichende Bo-
genfenſter rechts. Fluͤgelthuͤr im Hintergrunde; zwei Thuͤren
links. Ueber der erſten links eine Glocke. Stuͤhle mit hohen
geraden Lehnen.
Erſte Scene.
Dann Birkhahn.
In dieſem Fluͤgel alſo ſoll’s vor ſich gehn?
Ja, Herr Junker.
Das grauſame Puppenſpiel!
Ja, Herr —
Was, Kerl, Du ſagſt Ja?
[129]Die Bernſteinhexe.
Warum nicht? Meinetwegen kann man die Dinge
nennen, wie man will, ich bin kein Gelehrter.
Und warum denn gerade hier?
’s ſoll gut gegen die Hexen ſein: die großen Fenſter
liegen gegen Morgen, und das vertragen die Teufelsfrauen-
zimmer nicht —
man ſieht auch ge-
rade auf den Streckelberg und auf die kahle Seite, wo den
Hexen das letzte Feuer an die Roͤcke gelegt wird, das hilft
auch.
Welch ein reicher Blick uͤber Land und See! Und
von hier aus, Gott, trachten die Menſchen nach Zerſtoͤ-
rung eines Deiner ſchoͤnſten Werke!
Der Abt hat hier gewohnt, als Pudagla noch Kloſter
war.
Dort ſoll ſie wohnen?
O ne! Die wohnt nicht mehr! Unten aus dem Thurm-
loche wird ſie zwei oder drei Mal die Windelſtiege hier
’rauf ſteigen, und dann iſt’s abgemacht. Entweder ſie
wird was Rechts, und der Herr Amtshauptmann bringt
Laube, dram. Werke. III. 9
[130]Die Bernſteinhexe.
ſie durch, oder ſie bleibt ’ne Hex’, und wird auf den Stre-
ckelberg ’nuͤber gefahren.
Na, ich thu’, was mein Herr befiehlt. Frauenzimmer
iſt Frauenzimmer, ich frag’ nicht darnach, ein Topf heißer
Wein iſt mir lieber, und fuͤr Geld kriegt man Zucker —
ſeht’s Euch an, Herr Junker, ich ſoll Euch Alles zeigen
weil Ihr nie auf dieſem Fluͤgel geweſen waͤrt
ſchließend).
Zeigen ſollſt Du mir — ich denke, ich ſoll Herrn Wit-
tich hier erwarten?
Nu ja, das auch. Ich weiß nur, daß ich Euch hier
Alles aufſchließen, und daß hier verhoͤrt werden ſoll
erſte Thuͤr links aufſchließend).
Das ſieht nur ſo dunkel
aus, aber hinter dem Gange kommt eine Thuͤr und dahin-
ter ein gut vergittert Zimmer, das waͤr’ ein Prinzenge-
faͤngniß mit ſchoͤner Ausſicht auf die Daͤcher — ’s iſt ein
Glockenzug drin fuͤr dieſe Glocke hier, ’s iſt ſehr vornehm.
Was ſoll das bedeuten? Er will doch wohl einlenken
und ſie ſaͤuberlich behandeln!
Hat die Jungfer was
zur Staͤrkung erhalten?
Nicht doch! Sie iſt ja eben erſt angekommen, und eine
[131]Die Bernſteinhexe.
Hexe muß nuͤchtern beim Verhoͤr ſein, ſonſt ſchuͤtzt ſie der
Teufel. Und’s paßt gerade. Sie war nuͤchtern in die
Fruͤhkirche gegangen, dann iſt ſie nuͤchtern hier ’ruͤber ge-
fahren worden, das Viertelſtuͤndchen, das ſie hier iſt, hat
ſie zur Einrichtung auf ihrer Schuͤtte Stroh gebraucht,
und’s wird etwa noch ein Viertelſtuͤndchen dauern, da
geht’s Verhoͤr los, und ſo iſt Alles in richtiger Dispro-
portion, und ſie geſteht gleich, und wir haben kurze Arbeit.
Glaubſt Du auch ein Menſch zu ſein?
Ich glaube Alles und nichts, wie’s der Herr Wittich
befiehlt, ich bin ſein Diener und Buͤttel von Pudagla, und
werde Euer Diener und Buͤttel, Herr Junker, wenn Herr
Wittich einmal verungluͤckt und Ihr Amtshauptmann
werdet.
Du mußt Dich ganz anders auffuͤhren, Burſche, wenn
ich Dich nicht wie ’nen tollen Hund erſchießen laſſen ſoll,
ſobald ich Amtshauptmann werde.
So? — Wie denn?
Menſchlich mußt Du werden!
Na, ’s wird auch keine Hexerei ſein.
9*
[132]Die Bernſteinhexe.
Und’s wird jetzt darauf ankommen, wie Du Dich
gegen die Jungfer benimmſt und gegen mich, der ſie be-
ſchuͤtzen will.
So?
Faͤhrſt Du fort, unmenſchlich zu ſein, ſo haſt Du von
mir die empfindlichſte Zuͤchtigung zu erwarten.
Das mag wohl ſein. Aber jetzt ſeid Ihr doch noch
nicht Amtshauptmann, und Herr Wittich iſt noch feſt —
nun iſt noch dieſe Thuͤr uͤbrig, die fuͤhrt zur Herrenſtiege
hier ſteigt Herr Wittich ’rauf und
’runter, — und hier kann der gefangene Prinz den Waͤch-
tern entſchluͤpfen, wenn’s Herr Wittich geſtattet.
Was fuͤr ein Prinz?
Na, ich mein’ nur ſo, wenn da drinn Einer ſaͤße!
Birkhahn den Kopf zur Fluͤgelthuͤr herein.)
Andres iſt gluͤcklich fort! — Seid Ihr allein?
Wulf iſt da!
[133]Die Bernſteinhexe.
O weh! — Seid auf der Hut! Wittich fuͤhrt gegen
Euch was im Schilde, ich hab’ ihn behorcht, wie er zum
Conſul ſprach.
Du biſt nicht klug!
Beſtecht Wulf, er nimmt Geld und ſaͤuft gern.
kommt zuruͤck und Birkhahn faͤhrt mit dem Kopfe zuruͤck, eine Ritze
offen haltend.)
So! Nun iſt Alles offen, und es kann losgehn. Nun
die Tafel und das Handwerkszeug.
Fenſter, aus welchem er hinunter ſpricht; unterdeß ſchluͤpft Birk-
hahn wieder herein und uͤber die Buͤhne nach der Stiegenthuͤr
links.)
Der Wittich kommt, ich kann nicht mehr zuruͤck.
Jetzt kommt! Raſch! Und ſtoßt nichts entzwei!
[134]Die Bernſteinhexe.
Zweite Scene.
Hierher die Tafel!
Zu Befehl, geſtrenger Herr!
rechts an der Tafel aufgeſtellt unter Wulf’s Beaufſichtigung.)
Ihr habt Urſache mir zu zuͤrnen, mein Vater, und
ich bitte Euch deshalb um Verzeihung; aber ich kann
meine Anſicht und mein Verfahren nicht aͤndern.
Ich zuͤrne Dir nicht, und Du bedarfſt keiner Verzei-
hung von mir, Ruͤdiger. Im Gegentheile, ich bitte
Dich, nicht voreilig uͤber mich abzuurtheilen. Du wirſt
mich am Ende gerechtfertigt ſehn, wenn es mir gelingt,
Dich von der Richtigkeit meiner Geſichtspunkte zu uͤber-
zeugen. Gelingt mir dies nicht, ſo werde ich daruͤber
hinſterben, ohne Dein volles Vertrauen wieder zu gewin-
nen, und dies wird mir ein tiefer, mein Leben untergraben-
der Schmerz ſein; denn Du biſt der einzige Menſch, den
[135]Die Bernſteinhexe.
ich liebe, und von dem ich geliebt, wenigſtens geachtet
ſein moͤchte.
Mein Vater!
Es war eine Taͤuſchung, als ich glaubte Dein Vater
werden zu koͤnnen, wenn ich Dich auferzoͤge. Nichts kann
die Natur erſetzen! Du biſt nicht mein Blut und bleibſt mir
innerlich fremd wie jeder Andere. Sage nichts dagegen; ich
ſpreche dies nicht aus wie einen Vorwurf gegen Dich. Ich
will Dir ſogar Deine Stellung und Handlungsweiſe gegen
mich erleichtern. Sei ſelbſtſtaͤndig, ich werde Dich loben,
auch wenn Deine Selbſtſtaͤndigkeit wie ein Schwert gegen
mich ſelbſt gerichtet iſt.
Die Dankbarkeit, welche ich Euch ſchuldig bin. —
Sprich dieſes Wort nicht aus, es iſt das Widerwaͤr-
tigſte in unſrer Lage. „Die Dankbarkeit, welche Du mir
ſchuldig biſt!“ — iſt dies nicht mit anderen Worten das-
ſelbe, was ich eben vor Dir ausgeſprochen? Du behan-
delſt unſer Verhaͤltniß wie einen Kontrakt! So und ſo
viel habeſt Du von mir bekommen, ſo und ſo viel ſeieſt
Du mir dafuͤr ſchuldig. Das iſt’s. Es giebt nur Dank-
barkeit, das heißt, es giebt nur eine abzuzahlende Rech-
nung, wo es nicht natuͤrliche Liebe giebt. Kein Menſch,
[136]Die Bernſteinhexe.
keines Menſchen Thun kann die Natur erzwingen. Baſta.
Wir ſind Sclaven der Erde. Ich aber erklaͤre Dir, daß
ich Deine Rechnung an mich fuͤr bezahlt erachte.
So denke aber ich nicht.
Weil Du jung biſt, weil Du ohne Erfahrungen biſt,
weil Du noch glaubſt, das Herz habe dauernde Gedanken.
Das Herz hat nur Wallungen, und wenn das Blut, wel-
ches dieſe Wallungen hervorbringt, uns nicht von ge-
meinſchaftlicher Natur iſt, ſo iſt dieſe Wallung eben
nichts weiter als ein voruͤbergehend Weſen.
die Tafel hat aufſtellen laſſen, und Crucifix, Todtenkopf, Sand-
uhr darauf ſetzt.)
Nun laß alle Ausgaͤnge von den Waͤch-
tern beſetzen, daß kein Unberufener herein und hinaus
kann — und vergiß die Windelſtiege nicht.
hinten de [...]utend.)
Die Richter ſollen bereit ſein; und ſobald
ich rufe, bringe die Angeklagte!
Zu Befehl!
Ruͤdiger pantomimiſch einladend, ſich zu ſetzen; Beide ſetzen ſich).
Laſſen wir dieſe allgemeinen Dinge in ihren Wuͤrden
oder Unwuͤrden; es iſt nutzlos, der Jugend etwas zu leh-
ren, was ihr nicht einleuchtet. Sie behaͤlt es nicht, und
ſie ſoll es nicht behalten, denn ihr Lebensreiz beruht im
[137]Die Bernſteinhexe.
Genuſſe ſchoͤner Irrthuͤmer. Wir aber muͤſſen uns uͤber
das Maͤdchen aus Coſerow verſtaͤndigen — Du hegſt eine
Leidenſchaft fuͤr ſie —?
Wie? Du verlaͤugneſt dieſe Leidenſchaft?
Es handelt ſich hierbei nicht um Neigung oder Ab-
neigung —
Um was ſonſt? — Du wuͤrdeſt Dich den Teufel auch
fuͤr eine Hexengeſchichte in Coſerow ſo lebhaft bemuͤhen,
wenn die in Unterſuchung gebrachte Hexe Lieſe Kolken
oder die alte Ilſe waͤre! Die Jugend beluͤgt ſich am Eifrig-
ſten, wenn ſie ihre Neigungen aufputzen kann. Mir gegen-
uͤber ſollſt Du das nicht thun. Ich achte Deine Neigun-
gen viel hoͤher als Deine Weisheit; es giebt keine Weis-
heit vor reifen Jahren, und es giebt Neigungen, die mehr
werth ſind als alle Weisheit. Daß Du alſo das Maͤdchen
liebſt, ſind’ ich ganz begreiflich, und faͤnde ich ganz ver-
zeihlich, wenn dabei etwas zu verzeihen waͤre: ſie iſt in
allen Dingen verfuͤhreriſch und uͤbt den Zauber aus, der
allen jungen Hexen eigen iſt —
Vater!
[138]Die Bernſteinhexe.
Ja ſo, Du glaubſt nicht an Hexerei! Nun, das bei
Seite! Ich glaube nicht nur daran, ich bin ſogar uͤberzeugt
davon. Wenn ich nicht ein Mann und nicht der Amts-
hauptmann waͤre, ſo wuͤrde man mich ſelbſt unfehlbar als
Hexe angeklagt haben, und man haͤtte ganz recht daran
gethan. Meine natuͤrlichen Anlagen haben es mit ſich
gebracht, daß ich fruͤhzeitig wunderbarer Geheimniſſe der
Natur maͤchtig geworden bin, und ich will Dir’s gar nicht
laͤugnen, daß ich ſie heute noch uͤbe, wo ich ihrer bedarf.
Ihr ſcherzt!
Nicht im Geringſten, junger Mann, oder ſollteſt Du
wirklich ſo taub geweſen ſein, niemals von den Uſedomern
zu hoͤren, daß der Wittich von Pudagla mit dem Teufel
verkehrt?
Wer hoͤrt auf ſolches Volksgeſchwaͤtz!
Ein Thor hoͤrt nicht darauf. Entſteht es aus dem
Nichts? Entſteht die Regenwolke aus dem Nichts, weil
ſie ploͤtzlich am heiteren Himmel erſcheint? Man fluͤſtert
es nur, und ſchreit es nicht laut, weil ich die Macht habe,
dem Schreier den Hals umzudrehn. Die Macht allein
behaͤlt Recht. Was den Teufel ſelbſt dabei anbetrifft, ſo
[139]Die Bernſteinhexe.
iſt es hierbei gleichguͤltig, was darunter zu verſtehen iſt;
ich glaube nicht, daß Du ihn jemals kennen lernen wirſt,
denn es gehoͤren dazu feiner ausgebildete Sinne und Or-
gane, als Dir zu Theil geworden ſind, kurz ich verſtehe
mich darauf, und ich kenne deshalb die Marie Schweidler
genau, und ich verſichere Dir: ſie wird mit vollkommenem
Fug und Recht vor’s Hexengericht gefordert.
Es iſt nicht moͤglich, daß Ihr ernſthaft ſprecht —
Bleib’. Ich ſpreche vollkommen ernſthaft mit Dir,
um ſo mehr, da ich vielleicht das letzte Mal zu Dir ſpreche;
denn wir muͤſſen in Betreff dieſer Angelegenheit einen
großen Entſchluß faſſen, und es iſt ſehr wahrſcheinlich,
daß uns dieſer Entſchluß Jahre lang auseinander fuͤhrt.
Verſtaͤndigen wir uns alſo zunaͤchſt uͤber das Maͤdchen
und uͤber das wahrſcheinliche Schickſal derſelben, alles
Uebrige haͤngt davon ab. Verhehlen wir demnach einan-
der nicht das Geringſte uͤber dieſen Gegenſtand, denn man
kann nur mit Dingen, die man genau kennt, eine Vor-
ausberechnung anſtellen. Du alſo liebſt Marie Schweid-
ler, und willſt ſie retten, und ich —
Ihr wollt ſie fuͤr Euch gewinnen oder ſie verderben!
Es iſt beinahe ſo, wie Du ſagſt. Ich liebe Marie
Schweidler ebenfalls und will ſie ebenfalls retten.
[140]Die Bernſteinhexe.
Nun, da iſt es alſo ausgeſprochen.
Behalte ruhiges Blut! Es iſt etwas ganz Anderes,
als es dem jugendlichen Liebhaber erſcheint. Ich liebe
nicht Deine Marie mit ſchmachtendem Munde und witzi-
gem Herzen, und meine Liebe iſt kein eigennuͤtziges Braͤu-
tigamsverlangen. Meine Liebe haͤtte nichts dagegen, daß
ſie Deine Gattin wuͤrde, wenn ſie ebenbuͤrtig und nicht eine
Hexe waͤre — ich liebe die kleine Zauberin, die Zau-
berin in wirklicher Bedeutung des Wortes; ich will ſie um
mich haben und ihren Verkehr mit unterirdiſchen Kraͤften
belauſchen und beliebaͤugeln. Deshalb will ich ſie retten,
wenn ſie zu retten iſt.
Und doch habt Ihr es allein dahin gebracht, daß ſie
der Rettung bedarf —
Thor! Es war der aͤußerſte Augenblick, in welchem
ich es noch thun konnte — man fahndet aus Wolgaſt
laͤngſt auf ſie! Dorthin hat das Eitelkeitsteufelchen ſie
zum Oefteren getrieben um Putz und Flitter und prahleri-
ſches Aufſehn. Die niedlichſten Zauberſtuͤckchen hat ſie
dort aufgefuͤhrt und Koͤpfe und Herzen verdreht, — und
erſt als mir geſtern Morgen von dorther angekuͤndigt
wurde, man wuͤrde die kleine Prieſterhexe in Wolgaſt ver-
[141]Die Bernſteinhexe.
hoͤren und richten laſſen, wenn ich es nicht thaͤte, erſt da
hab’ ich mich zur Einleitung des Prozeſſes entſchloſſen.
Das iſt eine entſetzliche Verwirrung!
Nur in Deinem Kopfe, in welchem die Verliebtheit
herrſcht ſtatt des Verſtandes. Betrachte nur einmal die
Dinge, wie ſie ſind: erſt das Maͤdchen und dann Dich
ſelbſt. Das Maͤdchen iſt liebenswuͤrdig in hohem Grade.
Ich weiß nicht, ob es fuͤr einen einfachen Liebhaber eben ſo
angenehm ſein mag, daß ſie in ſtiller Mitternacht mit allerlei
Genien verkehrt, daß ſie Macht hat, allerlei Weſen an ſich
zu ziehn, daß ſie dieſe Welt wie eine Nebenſache behan-
deln und mit ihren Umgebungen ſpielen kann, wie ſie
will. Ein Liebhaber, der nicht ſehr beſcheiden iſt, kann
davon geſtoͤrt werden, denn allerdings iſt von einer ſol-
chen Braut nicht die alltaͤgliche Treue zu verlangen. Mir
iſt dies Alles uͤberaus angenehm und reizend, Dir ſchwer-
lich! — Zweitens, das buͤrgerliche Verhaͤltniß! Dies iſt
noch einfacher. Ich glaube nicht, daß Du ſo vorurtheils-
frei ſein wuͤrdeſt, die Standesunterſchiede ganz mit Fuͤßen
zu treten und als vornehmer Edelmann eine geringe
Pfarrerstochter zu ehelichen. Geſetzt, Du waͤreſt es, ge-
ſetzt, Du wagteſt Dein haͤuslich Gluͤck an die kleine betruͤg-
liche Hexe — hierbei zwaͤnge mich die Pflicht des Pfle-
gevaters, verbietend einzuſchreiten. Ich denke ſtreng uͤber
[142]Die Bernſteinhexe.
Standesunterſchiede, weil ich weiß, wie ſchwer die von
unten nach oben gaͤhrende Menſchenmaſſe zu regieren iſt,
und wie ſie ſtreng, ja unerbittlich in abgegrenzten Schich-
ten erhalten werden muß. Ich habe ferner die gegen Dei-
nen verſtorbenen Vater uͤbernommene Verpflichtung zu
erfuͤllen, daß Du Deiner guten Familie Ehre macheſt.
Ich habe endlich als Dein Pflegevater zu verhuͤten, daß
Du in gemeiner Duͤrftigkeit untergeheſt. Denn Du biſt nur
der Erbe meines Amtes und meiner Guͤter, wenn Du an-
ſtaͤndig und ſtandesmaͤßig verfaͤhrſt — mein Amt koͤnnte
nie einem Manne anvertraut werden, der ein als Hexe
compromittirtes Maͤdchen zu ſeiner Gattin machte, und
meine Guͤter muͤßten dem Manne entzogen werden, der
gegen meinen Willen ein ſolches Maͤdchen heirathete.
Eine Heirath iſt alſo nur moͤglich, wenn Du ein verſpot-
teter Bettler werden wollteſt und — das iſt noch gar
nicht erwaͤhnt — wenn ich das Maͤdchen vom Scheiter-
haufen retten wollte. Unter ſolchen Umſtaͤnden aber
wuͤrde ich mein eignes Wohlgefallen an ihr hintanſetzen
und ich wuͤrde ſie lieber verbrennen laſſen,
als daß
ich das Lebensgluͤck meines Pflegeſohnes zum Opfer
braͤchte. —
Das iſt
Dein Verhaͤltniß zu dem Maͤdchen.
Es iſt uͤbertrieben.
Um keinen Zug. Ruhige Ueberlegung wird Dich daſ-
[143]Die Bernſteinhexe.
ſelbe lehren. Was iſt von alle dem das Reſultat? Fol-
gendes: Du kannſt das Maͤdchen nicht beſitzen und kannſt
es nicht retten, und wenn Du fortfaͤhrſt, wie Du vorhin
in Coſerow angefangen, ſo beſchaͤdigſt Du Dich ſelbſt auf
das Gefaͤhrlichſte und vernichteſt das Maͤdchen unfehlbar.
Denn in einem Hexenprozeſſe iſt der Angeklagten nichts
ſo gefaͤhrlich als ein Zeuge oder Vertheidiger, der an kei-
nerlei Hexerei glauben will. Ein ſolcher erbittert das
Volk und erbittert die Richter, und dieſe Erbitterung ent-
ladet ſich toͤdtlich auf die Angeklagte. Bezweifelſt Du
dies? — Alſo: kein Wort, kein einziges Wort, keine Sylbe
mehr darf von Dir in dieſen Prozeß hinein geſprochen
werden!
Damit Ihr ungeſtoͤrt mit Marie machen koͤnnt, was
Ihr wollt!
So iſt’s. Haſt Du mit Verſtand angehoͤrt, was ich
Dir mitgetheilt, und haͤltſt Du mich, Deinen Vater, nicht
fuͤr einen Boͤſewicht, ſo mußt Du einſehn, daß ich ihr ſo
wenig als Du etwas Ungebuͤhrliches anthun laſſen werde.
Sprich!
Sprecht Ihr! —
Du mußt alſo vom Schauplatze in Pudagla ver-
[144]Die Bernſteinhexe.
ſchwinden, und hierfuͤr laſſe ich Dir freie Wahl: Du magſt
auf der Stelle abreiſen, wohin Du willſt, wenn Du mir
Dein Ehrenwort giebſt, nicht das Geringſte zu thun oder
zu veranlaſſen, was auf den Gang des Prozeſſes Einfluß
haben koͤnnte.
Ein ſolches Verſprechen leiſte ich nicht.
Oder Du mußt Dir gefallen laſſen, daß ich Dich wie
einen Gefangenen behandle, der mit Niemand in Verbin-
dung treten kann. Dafuͤr iſt Alles vorbereitet: Das
Thurmzimmer hinter dieſem Gange
deutend)
ſcheidet Dich von aller Welt; dies mußt Du auf
vier und zwanzig Stunden beziehn. Denn binnen vier
und zwanzig Stunden wird der Prozeß entſchieden, und
das Maͤdchen gerettet ſein, wenn Deine Einmiſchung auf-
hoͤrt. Hier kann ich Dir auch Stunde fuͤr Stunde die Er-
gebniſſe der Verhoͤre mittheilen. Waͤhle alſo! Willſt
Du fort und mir Dein Ehrenwort zuruͤcklaſſen, oder willſt
Du hier im Thurme im Vertrauen auf mich das Ende
abwarten? Sprich!
Weder das Eine noch das Andere. Ich bin allerdings
in großer Pein, Euch ſo widerſprechen zu muͤſſen, denn
ich erkenne dankbar an, daß Ihr auf Eure Weiſe fuͤr mein
Wohl beſorgt ſeid. Aber Eure Weiſe iſt nicht die meinige.
[145]Die Bernſteinhexe.
Ich halte Eure Hexenwelt fuͤr die Traͤumerei des Aber-
glaubens, der einen alternden Mann beſchlichen hat. Er-
fahrungen haben Euern klugen Geiſt nicht bereichert, ſon-
dern verwirrt.
Spricht ganz wie ein Wittenberger Profeſſor!
Deshalb kann ich das Schickſal Mariens Eurem Gut-
duͤnken nicht uͤberlaſſen.
Sondern willſt es nach Deinem Gutduͤnken ver-
nichten.
Ferner ſind Eure Geſichtspunkte fuͤr meine buͤrgerliche
Zukunft nicht die meinigen. Eine amtliche Laufbahn, die
ich auf Koſten meiner Ueberzeugung erſchleichen muͤßte,
kann ich nicht brauchen. Die Armuth endlich und den
Spott der Welt fuͤrchte ich nicht, wenn ich meinem Gewiſ-
ſen und meinem Herzen folgen kann. Darnach werde ich
handeln.
Ruͤdiger!
Mein Vater!
Laube, dram. Werke. III. 10
[146]Die Bernſteinhexe.
Du thuſt mir weh!
Das beklag’ ich innig.
Du weißt, daß ich Recht habe; nur Deine Vorur-
theile lehnen ſich trotzig auf.
Ich kann nicht anders!
Du kannſt anders, wenn Du nur den Entſchluß faſ-
ſeſt, zu wollen.
O Gott, in welcher ſchmerzlichen Lage bin ich!
Laßt Euch nicht uͤberreden!
Wittich ſieht ſich nach der erſten Thuͤr links um, Birkhahn ver-
ſchwindet ungeſehen.)
Komm zu mir! Ich liebe Deinen tapfern Sinn, Ruͤ-
diger, ja ich will ihm nachgeben. Du ſollſt allein ſiegen,
Du kannſt es; Du biſt tuͤchtig. Wie gern wollte ich mit
Dir irren, denn Dein Irrthum iſt die Kraft der Ju-
gend, welche die aͤußerlichen Vortheile der Welt verachten
[147]Die Bernſteinhexe.
zu koͤnnen glaubt. So handle denn ohne allen Zwang.
Sieh’, Du biſt in meiner Hand, ich kann Dich zwingen,
meinen Rathſchlaͤgen zu folgen. Alle Ausgaͤnge ſind mit
bewaffneten Waͤchtern beſetzt, Du koͤnnteſt nicht von hin-
nen, wenn ich nicht ſelbſt den Weg Dir bahnen wollte.
Aber das will ich.
Ich achte Deine Selbſt-
ſtaͤndigkeit, auch wenn ich ſehe, daß ſie Dich in’s Verder-
ben fuͤhrt. Komm, ich will Dich hinaus geleiten, und
thue dann, was Du nicht laſſen kannſt! Komm!
O mein Vater! Und Alles, was Ihr ſagtet, iſt Eure
feſte Ueberzeugung?
Meine feſte Ueberzeugung.
Und Marie iſt verloren —?
Sie iſt verloren fuͤr ſich und fuͤr Dich, wenn Du han-
delſt. Sie iſt gerettet, vielleicht auch fuͤr Dich gerettet,
wenn Du unthaͤtig und abgeſchloſſen vier und zwanzig
Stunden verharreſt.
So will ich Euch folgen!
Zu Deinem Gluͤck!
Und zu meinem.
ſchwindet in derſelben Thuͤr und man hoͤrt eine Thuͤr ſchließen.)
10*
[148]Die Bernſteinhexe.
Junker, Junker! — der Vogel iſt gefangen. Ich kann’s
nicht aͤndern, der Vogelſteller ſchluͤg’ mich todt. Weiß ich
doch, wo er ſitzt! Will ſchon uͤber die Daͤcher zu ihm klet-
tern. Jetzt, Birkhahn, mach’, daß Du ſelbſt aus dem
Kaͤfig kommſt!
kreuzte Spieſe und hoͤrt):
„Niemand paſſirt!“
Da haben wir den Teufel!
Da unten iſt der Wulf! Das iſt mein Treffer — nun bin
ich auch gefangen! —
ihn kommen)
— Holla, da iſt ein ſteinerner Vorſprung hin-
ter dem Fenſter!
Hu, das geht ſchwindlicht
hinunter! hilft aber nichts! Bet’ ein Vater unſer, Birk-
hahn!
waͤhrend Wittich links heraustritt und die aͤußere Thuͤr abſchließt,
den Schluͤſſel in der Hand behaltend.)
Der iſt beſorgt!
Die Richter!
[149]Die Bernſteinhexe.
Dritte Scene.
tretend). — Wittich.
Die Hexe!
Ein Wort im Vertrauen, geſtrenger Herr Amts-
hauptmann.
Was iſt?
Stuͤhle ordnet.)
Ich bin bis jetzt dem von Euch eingeleiteten Verfah-
ren willfaͤhrig geweſen, muß Euch aber doch aufmerkſam
machen, daß mir die Anklage ſehr ſchwach begruͤndet und
nicht durchfuͤhrbar zu ſein ſcheint.
Scheint’s Euch?
Muß ich alſo Ew. Geſtrengen im Voraus bemerken,
daß eine Enthebung der Angeklagten von der Inſtanz
[150]Die Bernſteinhexe.
wahrſcheinlich eintreten werde, und daß ſich Ew. Geſtren-
gen nicht zu weit bloßſtellen moͤchten mit Eifer und Feuer
in Anklage und Beſchuldigung.
Wirklich?
Denn die Gewiſſenhaftigkeit in meinem Amte muß
mir hoͤher ſtehen, als der Wunſch, Ew. Geſtrengen wohl-
gefaͤllig zu ſein.
Erſtaunlicher Scharfſinn, welcher einen Prozeß abur-
theilt, ehe Vorlagen und Zeugenausſagen eroͤrtert ſind!
Ganz erſtaunlich! Ihr werdet dann in Kurzem allzu ge-
lehrt ſein fuͤr das Conſulat in Uſedom, Herr Samuel
Pieper.
Muͤßte doch auch bei dieſer Drohung Seitens Eurer
Geſtrengen auf Recht und Gerechtigkeit beſtehn.
Vierte Scene.
Die Vorigen.
Rechts um kehr Dich, Hexe!
[151]Die Bernſteinhexe.
An unſre Plaͤtze, und wehe dem, der ſich ſchwach er-
weiſ’t.
Geſtrenge Herren! Der rohe Knecht Wulf erlaubt ſich,
mein Kind wie eine uͤberwieſene Hexe zu behandeln und
von ihr zu heiſchen, daß ſie ihre Schuhe ausziehe und
ruͤckwaͤrts in das Zimmer trete — wogegen ich Verwah-
rung einlege bei Euch, Herr Conſul!
Ehren Abraham! Strenger Brauch muß eingehalten
werden zum Nutzen und Frommen des Gerichtes! Eine
der Hexerei angeklagte Perſon muß ruͤcklings vor den Rich-
tern erſcheinen, damit ſie nicht von vornherein die Richter
mit ihren Blicken bezaubern koͤnne. Es muß geſchehen,
was Recht und Brauch iſt, dann nur iſt eine Verurthei-
lung wie eine Freiſprechung vollguͤltig, und getroͤſtet Euch
als chriſtlicher Hirt, daß auch die letztere moͤglich! —
Fuͤhre ſie ein, Diener des Gerichts!
ſich — Wulf haͤlt Marie an den Haaren und fuͤhrt ſie ſolcher-
geſtalt an den Tiſch.)
Sie ſteht vor dem Gerichte!
Im Namen Gottes thue Sie alle boͤſen Gedanken von
ſich und wende nun Ihr Antlitz zu uns.
[152]Die Bernſteinhexe.
gen ihren Vater, die dieſer erwiedert).
Wie heißt Sie? — Wie alt iſt Sie? — Warum ant-
wortet Sie nicht? Weiß Sie etwa nicht, warum Sie hier
her gefordert iſt?
Ich weiß es, es iſt mir groͤblich genug ſeit heute Mor-
gen dargethan worden. Und wozu fragt Ihr mich Dinge,
die Ihr wißt?!
Sei Sie nicht hoffaͤrtig, ſondern beſcheiden und er-
zaͤhle Sie ſaͤuberlich und aufrichtig, wie Sie zu dieſer er-
ſchrecklichen Lage gekommen.
Dieſer Mann hier
kann Euch Alles beſſer erzaͤhlen als ich, denn er hat Alles
angerichtet. Seit langer Zeit verfolgt er mich mit un-
ſauberen Antraͤgen, und da ich ihn immer von mir ſtieß,
und da ich nicht das verrufene Amt einer Ausgeberin
in dieſem Schloſſe uͤbernehmen, auch nicht die Aftergattin
ſeines Jaͤgers werden wollte, da hat er ſeinen Zorn auf
mich geworfen. Noch geſtern Abend hat er ſich im Dunk-
len zu uns in’s Haus geſchlichen und mich uͤberfallen, und
hat mir gedroht, mich dem Gerichte zu uͤberantworten,
wenn ich mich ihm nicht uͤbergaͤbe, und heute Morgen
[153]Die Bernſteinhexe.
noch, als die Richter ſchon an unſrer Schwelle ſtanden,
hat er mir zugefluͤſtert: „Wenn Du mein ſein willſt, ſo
ſchlag’ ich den Prozeß auf der Stelle nieder, und kein
Haar ſoll Dir gekruͤmmt werden!“ — Dieſer Mann alſo,
der zu Haͤupten des Gerichtes ſitzt, kann Euch am Beſten
ſagen, warum ich vor Euch ſtehe! Aber Gott ſieht in
die Herzen der Richter, und ich hoffe zu ihm, daß er mich
erretten werde aus der Hand meiner Feinde, wie er wei-
land die keuſche Suſanna gerettet hat.
Sprech Er, um Gotteswillen, ſprech Er, was muß
ich von Er. Geſtrengen hoͤren?
Bleib’ Er ſitzen, Herr Conſul, ſolche Aufwallung
ſteht einem Richter nicht an. Ich haͤtte auch gar nicht
noͤthig, mich vor Seiner Edlen zu verantworten gegen
ſolch Zeug, denn ich bin das Oberhaupt des Gerichtes,
und dieſe Perſon iſt eine Hexe, die keinen Glauben ver-
dient, und die natuͤrlich und ganz geſchickt damit anfaͤngt,
die Richter zu entzweien, indem ſie dem Einen ſchmeichelt,
den Andern aber verleumdet. Sind uns denn nicht ſolche
Hexenkniffe hinreichend bekannt? — Um aber gar kein
Aergerniß aufkommen zu laſſen, will ich in ein Paar
Worten dieſe Verleumdung beleuchten. Allerdings bin
ich einer neuen Ausgeberin benoͤthigt geweſen und bin es
noch, denn meine alte Dorte iſt ſchwach, und allerdings
[154]Die Bernſteinhexe.
hab’ ich dieſem Maͤdchen den Poſten antragen laſſen. Aber
ſie iſt hoffaͤrtig und will nicht dienen, das iſt die Sache.
Ferner hab’ ich ihr auch wirklich geſtern Abend und heute
Morgen in Coſerow in’s Gewiſſen geredet, ſie ſolle im
Guten ein Geſtaͤndniß ablegen, damit ihre Strafe gemil-
dert und ihre Beſſerung ermoͤglicht werden koͤnne. Denn
es jammerte mich die große Jugend und die geiſtvolle An-
lage dieſes Maͤdchens. Dabei iſt aber natuͤrlich kein un-
artig Wort von meiner Seite gefallen, und Ihr moͤgt nun
ſelbſt abnehmen, wie tief dieſe junge Perſon ſchon in den
Schlingen des Satans gefangen iſt, daß ſie Gutes und
Loͤbliches zu Unanſtaͤndigem und Boͤslichem verkehren
kann, wie man eine Hand umkehrt.
Mit Erlaubniß, hochpeinliches Gericht, hierbei kann
und muß ich alles gegen den Herrn Amtshauptmann vor-
gebrachte Nachtheilige der Wahrheit gemaͤß beſtaͤtigen. Ja,
Seine Geſtrengen ſind unablaͤſſig meinem Hauſe ein Herze-
leid geweſen, haben mich beeintraͤchtigt, wo ſie konnten,
und haben meinem Kinde auf allen Straßen und Wegen
das Ungebuͤhrliche angeſonnen —
Schweig’ Er, Mann! Ich bin ihm ſtreng, weil Er
mich von der Kanzel als einen unbarmherzigen Gutsherrn
verleumdet, und Sein Wort gilt hier gar nichts: denn kein
Vater kann fuͤr ſein Kind ein Zeugniß ablegen.
[155]Die Bernſteinhexe.
rend dieſer Worte iſt Birkhahn hinter Wittich, deſſen Seſſel mit
dem Ruͤcken auf das Fenſter zugerichtet geſtanden, hereingeſchli-
chen. — Richter und Scriba ſitzen ebenſo mit den Geſichtern
nach der Angeklagten links, und Wulf hat geradeaus geſehn.)
Ich aber bin kein Vater, halten zu Gnaden, geſtrenge
Herren, und ich kann zu Allem ja ſagen, was gegen den
Herrn Amtshauptmann ausgeſagt iſt. Ja, und dreimal
ja! Denn ich hab’ ihn mehr als dreimal belauſcht, wie
er der Jungfer nachgeſtellt, und hab’s gehoͤrt, wie er in
den Bart geflucht hat, ſie muͤſſe ihm zufallen, und wenn
er ſie als Hexe anklagen ſollte!
Wo kommt der Kerl her?
Der Teufel muß ihn durch’s Fenſter geſchmiſſen haben.
Ja, wenn Ihr Euch keinen Rath wißt, ſo muß im-
mer der Teufel aushelfen.
Laßt ihn auspeitſchen und ihn in’s Loch werfen.
Schon recht, ich hab’s doch angebracht!
Gemach! Wir haben als Richter die Unverletz-
[156]Die Bernſteinhexe.
barkeit des Zeugen zu ſchuͤtzen. Herr Amtshauptmann
auf ein Wort!
Das
Alles wird ein ſeltſam Ding und kann fuͤr Euch zu uͤblem
Ende gedeihn. Entſchließt Euch, der ganzen Verhand-
lung eine freundliche und ausgleichende Wendung zu
geben, widrigenfalls ich mich in einer Weiſe erklaͤren muß,
welche Euch und mir nicht wohlgefaͤllig ſein wuͤrde.
Was Ihr da ſagt, Herr Conſul! Erinnert ſich der
Conſul von Uſedom, daß ein reicher Buͤrgersmann aus
Greifswald gegen mich klagbar wurde bei dem Gerichte in
Uſedom, weil ich die Familie des Buͤrgers an Ehre und
Anſehn beſchaͤdigt haben ſollte?
Was ſoll das hier?
Wird ſich finden! Stoff-Zuter hieß der Greifswal-
der! Samuel Pieper hieß der junge Richter in Uſedom,
und hatte der Stoff-Zuter ein gutes Recht, maaßen der
Wittich ſehr gewaltſam und ruͤckſichtslos verfahren war.
So ſtand es denn bevor, daß der Wittich zu ſchwerer Poͤn
verurtheilt wurde durch den Richter Samuel Pieper in
Uſedom. Herr Pieper ſpeiſ’te aber gern lecker, und ließ
ſich ſeinen Gaumen viel Geld koſten. Daher kam’s, daß
er zum Oeftern in peinlicher Geldverlegenheit war, und
daß es ihm außerordentlich wohlgefiel, als am Morgen
[157]Die Bernſteinhexe.
vor dem Urtheilsſpruche ein Gericht fetter Aale in ſein
Haus gebracht wurde. Dieſe Aale, hieß es, kaͤmen aus
Pudagla, und ihre Baͤuche waren mit Roſenobles gefuͤllt.
Es waren ſehr ſchoͤne Aale, und ſie gefielen dem Herrn
Conſul dermaßen, daß an ſelbigem Morgen der Wittich
gegen alles Erwarten und rechtliches Herkommen freige-
ſprochen wurde auf dem Rathhauſe zu Uſedom durch den
jungen Richter Samuel Pieper — ein Vorfall, der da-
mals großes Aufſehn erregte, und jetzt unter dem rechts-
ſtrengen Herrn Herzog Bogislav wunderliche Folgen fuͤr
Herrn Samuel Pieper haben duͤrfte, wenn —
Wenn —?
Wenn er bekannt gemacht, und wenn unſer Hexen-
prozeß in Pudagla niedergeſchlagen wuͤrde.
Weshalb ſollte dies Beides geſchehn?
Ich ſehe keinen hinreichenden Grund dafuͤr.
Ich auch nicht.
Baſta. —
Wulf, ruf die Kolken-
Lieſe zum Zeugniſſe!
[158]Die Bernſteinhexe.
Und der Junker?
Fort!
Richtet Euch zum Guten ein, Ihr Leute von Coſerow,
laßt die Winkelzuͤge fahren, die Euch nur boͤſes Blut
machen koͤnnten beim Gericht. Niemand von uns will
Euer Ungluͤck, aber die Wahrheit uͤber das Hexentreiben
wollen wir ergruͤnden und werden wir ergruͤnden.
Weh uns, armes Kind, die Sadducaͤer haben ſich
verſtaͤndigt.
Daraus ſoll einer klug werden!
Marie Schweidler, Sie hat unſre Nachſicht im Be-
ginn des Verhoͤres zu abſchweifenden Dingen benutzt!
Das geht nicht ſo weiter. Beſinne Sie ſich eines Beſſeren
und ſei Sie aufrichtig uͤber die Hauptſache. Die Indicia
gegen Sie ſind ſchwer. Wenn Sie Gott die Ehre giebt und
reuig bekennt, ſo kann dies Ihre Strafe mildern, und Sie
kann um Ihrer Jugend willen mit dem Leben davon kom-
men. Alſo geſtehe Sie offen: kann Sie vermittelſt des
Teufels zaubern?
[159]Die Bernſteinhexe.
Nein.
So? Kurzweg? — Kann Sie entzaubern?
Nein.
Iſt Alles ſchnell geſagt. Iſt Sie nicht in der Walpur-
gisnacht auf dem Blocksberge geweſen?
Ich kenne nur einen Berg, das iſt der Streckelberg
da druͤben, und auf dem bin ich oͤfters geweſen.
Was hat Sie denn dort vorgenommen?
Blumen hab’ ich gepfluͤckt oder Beeren, und nach der
See hinuͤber geſchaut.
Weiter nichts — hat Sie denn nicht den Teufel dort
angerufen?
Iſt mir niemals in den Sinn gekommen.
Iſt Ihr alſo der Teufel ohne Anrufen dort erſchienen?
[160]Die Bernſteinhexe.
Gott wolle mich davor bewahren und hat mich be-
wahrt!
Alſo, der Teufel hat Sie nicht zaubern gelehrt?
Nein.
Fuͤnfte Scene.
Und wer denn ſonſt? Ich behaupte und betheure, daß
dieſe Marie Schweidler Teufelskuͤnſte kann und treibt!
Weh uns, die boͤſe Perſon!
O Gott!
Das Ungeheuer!
Spreche Sie erſt, wenn Sie gefragt wird! — Nun
rede Sie weiter! Womit beweiſ’t Sie die Teufelskuͤnſte
dieſer armen Perſon?
[161]Die Bernſteinhexe.
Womit? Fragt die ſchoͤnſte Jungfer nur richtig, und
der Beweis wird Euch in die Hand kommen.
So frage ſie!
Holla denn, ſchoͤnſte Jungfer, ſo ſteh’ Sie Rede, ob es
mit rechten Dingen zugeht, daß ſie alten Herren die Koͤpfe
verruͤckt, und daß Sie unſer Vieh in Coſerow todt und
lebendig macht, wie man die Hand kehrt rechts oder links?!
Kein leeres Geſchrei! Fragen! Beſtimmt und nam-
haft! Antworte Sie! Hat Sie durch Zauberſpruͤche kran-
kes Vieh geheilt?
Mach doch kein Hehl daraus, mein Kind! derglei-
chen geſchieht ja in Ehren und gutem Glauben mit Got-
tes Hilfe!
Ja, ich hab’ es gethan und hab’ es vielfach vermocht.
Seht Ihr’s!
Und mit was fuͤr Zauberſpruͤchen?
Mit ein Paar frommen Worten, die mich meine ſelige
Laube, dram. Werke. III. 11
[162]Die Bernſteinhexe.
Mutter gelehrt, und indem ich das kranke Vieh beruͤhrte
und ein Vater unſer betete —
Mag ein ſchoͤnes Vater unſer geweſen ſein! Und wie
das vergangene Jahr um war und wie’s nicht mehr half,
kam das auch vom Vater unſer?
Alſo ſeit dem neuen Jahre half es nicht mehr?
Nein.
Spreche Sie!
Der Witthahn ihr buntes Kalb iſt unter den fei-
nen Haͤnden der Pfarrjungfer verſchieden, kann Sie das
laͤugnen?
Warum ſollte ich’s laͤugnen! Ich hab’ es nicht in
meiner Gewalt, eben weil ich keine Zauberin bin.
Aha, will Sie dahinaus? Warum ging Sie denn mit
der Witthahn bei Seite und verſprach ihr, das Kalb zu
erſetzen? —
That Sie das?
[163]Die Bernſteinhexe.
Das that ich, weil mich die weinende Frau heftig
dauerte, und weil ich ſie troͤſten und ihr wirklich helfen
wollte —
Ja doch! Weil ſie ſich fuͤrchtete, daß es herauskom-
men wuͤrde, welchen Schabernack ihr der Teufel ſpiele.
Das iſt’s; der Teufel half ihr nicht mehr jedes Mal, weil
ſie vor der Welt die Scheinheilige ſpielen wollte! Wollte
eine gottesfuͤrchtige Pfarrjungfer und doch auch eine maͤch-
tige Zauberin ſein, Alles in Einem, das dankt nicht die
Welt, und dankt nicht der Teufel! So iſt’s!
Spreche Sie! Warum konnte Sie nicht mehr helfen?
Ich weiß es nicht, Herr! Aber dieſe Perſon kann es
am Beſten wiſſen —
Nicht wahr?
Ich will nicht Anklage mit Anklage vergelten, aber
ich muß zur Entſchuldigung meines Kindes ſagen, daß
Lieſe Kolken immer fuͤr eine Perſon gehalten wurde, die
Hexerei treiben koͤnne.
Sagt das nicht hier, Vater!
11*
[164]Die Bernſteinhexe.
Es muß geſagt werden, denn Niemand anders als ſie
hat Deine guten Werke in neuerer Zeit immer zu Schan-
den gemacht durch teufliſche Hexenſpruͤche, die ſie hinein
gemiſcht!
Ei ſeht doch den gutmuͤthigen Herrn Pfarrer? Und
meine eigne Kuh, die unter der ſchlechten Zauberei der
jungen Hexe zu Grund gegangen, die hab’ ich mir wohl
auch ſelber zu Nichte gemacht? Nicht wahr? Ich arme
Perſon, die ich kaum das taͤgliche Brod habe! Wie
reimt ſich denn das, Herr Pfarr’ und Herr Richter?
O, es giebt vornehme Leute, die mehr erſetzen als
eine todte Kuh, wenn damit ein Unſchuldiger zu Schan-
den gemacht werden kann!
Mit Verlaub, ich hab’ in vergangener Woche druͤben
am Erlenbuſche im Schatten gelegen und hab’s mit ange-
ſehn und angehoͤrt, wie der Herr Amtshauptmann der
Kolken-Lieſe fuͤnf Roſenobel einhaͤndigte, und wie er —
Will er ſein Maul halten —
Schweig’ Er, bis Er gefragt wird!
[165]Die Bernſteinhexe.
Dieſer leichtfertige Schlingel iſt auch der richtige Zeuge
fuͤr die Jungfer — der thut ihr Alles zu gefallen und
wenn’s das Aergſte waͤre!
Genug davon! Was weiß Sie ſonſt noch, Lieſe Kolken?
Sonſt noch! O, eine Stunde lang koͤnnt’ ich erzaͤh-
len. Die Saat hinter dem Dorfe iſt verhext worden, daß
ſie umgefallen iſt und verdorrt, und das iſt daſſelbe Stuͤck
Acker, an welchem dieſe junge Hexe alle Tage voruͤber-
laͤuft nach dem Streckelberge. Und die Frucht im Mutter-
leibe hat ſie den Frauen verhext, die ſie nicht leiden konnte!
Weib!
Nichtswuͤrdige Luͤgnerin!
Still! Wem hat ſie dies Entſetzliche angethan?
Derſelben Witthahn, der ſie das Kalb vernichtet! So
wie ſie geboren hatte, iſt der Teufelsſpuk durch’s Fenſter
hinausgefahren, daß ſich die Wehmutter entſetzt hat.
Was kann Sie dazu ſagen?
[166]Die Bernſteinhexe.
Lene Witthahn iſt nur zwei Jahr aͤlter als ich, wir
ſind in Liebe und Freundſchaft mit einander aufgewachſen,
und als ihre ſchwere Stunde kam, bat ſie mich, ihr die
Hand auf die Stirn zu legen, weil ſie davon Linderung
hoffte. Das hab’ ich gethan, und das war Alles, Herr!
Und der Teufelsſpuk?
Iſt mir unbekannt. Das Kind der armen Lene war
todt, und die etwas heftige Wehmutter ſchrie unbeſonnen,
der Teufel habe dem armen Kindlein den Lebensathem
zum Fenſter hinaus entfuͤhrt.
Nun, Herr Richter, ſtimmt das nicht?
Das klingt ſehr verdaͤchtig!
Herr Conſul, ich hab’ Euch geſagt, daß ich die Lene
herzlich lieb habe, und mein Vater und Jedermann wird
Euch ſagen koͤnnen, daß wir ihr ſtets nach unſern Kraͤf-
ten huͤlfreich geweſen ſind in ihrer kleinen verarmten
Wirthſchaft. Thut man das, um Jemand ſo erſchrecklich
Leid zu bereiten, wie da von mir ausgeſagt wird?
Das iſt und bleibt ſehr verdaͤchtig. Denn dabei kommt
[167]Die Bernſteinhexe.
es nun zu der wichtigen Frage: woher hat Sie denn nebſt
Ihrem Vater ſolchen Reichthum, um den Leuten Vieh zu
erſetzen und ſonſtige Guͤte anzuthun, und in ſeidenen Klei-
dern einherzuſtolziren, wie ich da von Ihr ſehe? Woher?
Na, wo bleibt die
Antwort? Der Vater ſelbſt beſchwert ſich uͤber ſein duͤrf-
tiges Salarium, der ſchwere Krieg hat bekanntermaaßen
alle Welt an den Bettelſtab gebracht, woher alſo die Fuͤlle
der Guͤter im Coſerower Pfarrhauſe, woher?
Soll ich’s ſagen, Vater?
Ja, mein Toͤchterlein, jetzt mußt Du Alles fein auf-
richtig ſagen, wenn wir dadurch auch wieder blutarme
Leute wuͤrden.
Jetzt kommt’s.
aufmerkſam.)
Die Wahrheit iſt folgende: Wir waren in große Noth
gerathen durch Krieg und Peſtilenz und hatten kaum, wo-
von den Hunger zu ſtillen. Da ſucht’ ich einſt in meiner
Traurigkeit unweit des Meeresſtrandes in einer Schlucht
des Streckelberges nach Brombeeren, um doch etwas ge-
gen den Hunger zu haben, und bei dieſem Suchen ſah ich
[168]Die Bernſteinhexe.
etwas in der Sonne glitzern. Ich trat hinzu und befuͤhlte
es mit einem Stoͤcklein, das ich in der Hand trug, und
fand, daß es hart war, und hart fortging links und rechts
unter dem Sande, wo ihn der Wind nicht weggeweht
hatte. Ich wollt’ es nicht gleich glauben, aber es war
wirklich ſo, wie es mir beim erſten Anblicke in den Sinn
ſchoß: es war eine ſchwarze Bernſteinader, und ſie war
lang und tief und ein wirklich großer Schatz, wie ich gleich
einſah, denn unter den erſten Stuͤcken, die ich haſtig in
der Schuͤrze dem Vater heim brachte, war eins faſt ſo
groß wie ein Mannskopf. Ich hatte Alles vorſichtig ge-
macht, die Ader wieder mit Sande beſtreut, daß ſie nicht
Jedermann finden koͤnne, und ein Tannenreis darauf ge-
ſteckt zum Wiederfinden fuͤr uns, und war erſt in der
Dunkelſtunde heimgekommen, damit mich Niemand fragen
moͤchte, was ich denn ſo Schweres in der Schuͤrze truͤge,
und ſo gelang denn Alles, und dies, Herr Richter, iſt die
Quelle unſers Wohlſtandes.
Ja, es war Alles ſo, wie ſie ſagt. Ich bin mit ihr
hingegangen, und die Bernſteinader war ſehr maͤchtig,
und konnten wir in Wolgaſt, wohin wir gleich in den
naͤchſten Tagen fuhren, den hollaͤndiſchen Kaufleuten um
eine anſehnliche Summe Geldes die ſelten großen Bern-
ſteinſtuͤcke verkaufen, und daher ſchreibt ſich unſer Wohl-
ſtand, Herr Richter. Gott hat ihn mir auf unſchuldige
[169]Die Bernſteinhexe.
Weiſe durch mein vordem immer gluͤckliches und braves
Toͤchterlein in’s Haus geſendet.
So? — Wie heißen denn die hollaͤndiſchen Kaufleute?
Dietrich von Pehnen und Jakob Kiekebuſch —
Sind aber leider beide, wie mir ein Schiffer berichtet,
zu Stettin an der Peſt verſtorben.
Aha! Das glaub’ ich! Warum habt Ihr denn ſol-
chen erſtaunlichen Fund bis Dato verſchwiegen?
Weil wir uns vor dem Amtshauptmann fuͤrchteten,
der uns gewiß gern dabei zu Schaden gebracht haͤtte.
Und das mit Recht. Bildet Ihr Euch ein, daß ein
vernuͤnftiger Menſch dieſe Geſchichte glauben werde?
Der Teufel allein bringt ſo viel Bernſtein!
Teufelswerk iſt ſo ein Bernſteinfund. Wo haͤtte
ein Chriſtenmenſch gehoͤrt, daß ſich Bernſtein je in
ſolcher Maſſe hier bei uns faͤnde!
[170]Die Bernſteinhexe.
Ihr ſollt uns ſogleich an Ort und Stelle fuͤhren!
Allerdings. Noch Eins zuvor! Solch Teufelswerk
bereitet ſich nur zur Nachtzeit, wenn der Boͤſe auf Erden
wandelt, wann iſt Sie in den Berg gegangen nach dieſem
Bernſtein, bei Tag oder Nacht?
Bald des Tages, bald in der Nacht!
Sie verfaͤrbt ſich, Sie ſtottert?! Da ſind wir am rech-
ten Fleck!
Richtig, und ich will meine fuͤnf Finger drauf legen,
und Ihr ſollt ſehen, wie ſie zuckt. Des Nachts iſt ſie dort
geweſen, und erſt in vergangener Nacht hat ſie dort ein
Stelldichein mit dem Satan gehabt! Ich habe ſie rufen
hoͤren gegen Zwoͤlf, denn ich traute ihr nicht geſtern Abend
und bin ihr nachgeſchlichen. Nachdem Alles fort war aus
Coſerow geſtern den ſpaͤten Abend, huſchte ſie hinaus nach
dem Berge! Sie wußte, was ihr bevorſtand, und brauchte
Hilfe vom boͤſen Geiſte, und wie es Zwoͤlfe ſchlug hier
vom Thurme nach dem Berge hinuͤber, da ging der Mond
auf, und ich ſah, wie ſie mit einem großen haarigen Rie-
ſen unter den hohen Kiefern ſtand und den Rieſen um-
halſ’te und herzte.
[171]Die Bernſteinhexe.
Barmherziger Gott!
Mein Kind, mein Kind!
Hab’ ich’s getroffen? Sie iſt des Teufels!
Soll uns Gott helfen!
Und es wird wahr!
[[172]]
Vierter Akt.
Erſte Scene.
Du haſt’s genau verſtanden?
Ganz deutlich, geſtrenger Herr, obwohl ſie dabei
ſchluchzte und heulte, und der Alte ſchalt und tobte —
Die Geſchichte iſt erlogen!
Soll mich Gott ſtrafen, geſtrenger Herr —
Du weißt den Teufel, Baſta! — Was haſt Du mit
dem Schlingel Birkhahn angefangen?
Nichts, geſtrenger Herr!
[173]Die Bernſteinhexe.
Was?
Na, bei dem Tumulte, wie die Jungfer in Ohnmacht
fiel, iſt er ’naus gewiſcht, und kein Menſch will ihn ge-
ſehn haben, ich kann ihn doch nicht ſuchen gehn, wenn ich
hier zwei ſolche Capital-Gefangene zu bewachen und zu
verſorgen habe — und der Herr Junker iſt ſo ungeduldig,
der laͤutet alle Viertelſtunden!
Was will er denn!
Was wird er wollen? Nachrichten uͤber die Jungfer!
Und Du? biſt dumm wie immer.
Ja; aber eben deshalb thu’ ich’s Maul nicht auf.
’s iſt doch keine Moͤglichkeit, daß ihm der Birkhahn
was zuſtecken kann?
Ich glaub’s nicht; aber Birkhaͤhnchen iſt ein Kobold;
vor dem iſt die Dohle oben im Kirchthurme nicht ſicher.
Mach’ die aͤußere Thuͤr auf und laß mir den Schluͤſſel
[174]Die Bernſteinhexe.
da zur andern, dann mach’ die Runde um Thurm und
Waͤchter und komm’ wieder her!
Zu Befehl.
Tiſch.)
Aber, geſtrenger Herr, ’s iſt ein ſtrapazioͤſes Le-
ben — ohne Zulage und Staͤrkung halte ich das nicht
lange aus.
Eine Tracht Schlaͤge ſoll Dir zugelegt werden!
Schon recht!
Zweite Scene.
Wo iſt Herr Wittich?
geht aus der Mittelthuͤr ab.)
Was ſoll der Wittich?
Um Vergebung, Herr Amtshauptmann! ’s iſt wieder
Alles beim Alten, die Jungfer hat widerrufen.
[175]Die Bernſteinhexe.
Sie hat ja nichts zu widerrufen!
Ei, die Ohnmacht war ja doch die ſtaͤrkſte Ausſage,
und die iſt zu nichte geworden! Eben hat mich der Pfar-
rer rufen laſſen und hat mir unter Thraͤnen erzaͤhlt, ſein
Kind habe ihm Alles geſtanden. Und was hat ſie ge-
ſtanden?
Eine Liebesgeſchichte!
Ihr wißt’s ſchon?
Der haarige Teufel Nachts auf dem Streckelberge, der
ſie umhalſ’t, das ſei der Junker Ruͤdiger im Wolfspelze
geweſen —
Aber woher wißt Ihr’s denn! Das Geſtaͤndniß iſt
dem verſchaͤmten Maͤdchen vom Alten muͤhſam abgepreßt
worden. Das wunderliche Ding haͤtte ſich drauf hin eher
verbrennen laſſen, als daß ſie ſonſt Jemand die Liebesge-
ſchichte eingeſtanden haͤtte — Niemand iſt zugegen gewe-
ſen, wie koͤnnt’ Ihr’s wiſſen?
Kenne die kleine Schlange auf und nieder.
[176]Die Bernſteinhexe.
Unbegreiflich! — Na, die Hauptſache bleibt aber, wir
ſind auf dem alten Flecke mit unſerm Verhoͤre —
Larifari! Ich habe Euch ſchon geſagt, das kluge Maͤd-
chen ſpielt Verſteckens und fuͤhrt Euch an der Naſe herum.
Was war’s denn mit der Bernſteinader?
Nichts.
Haben wir nicht den halben Streckelberg umgebohrt
mit Stangen und Schaufeln, und was haben wir ge-
funden?
Nichts.
O, ſie iſt ſo klug, daß ich ſie gar zu gern retten moͤchte.
Ich verſteh’ Euch nicht!
Gehoͤren nicht zwei dazu zu ſolchem Stelldichein auf
dem Streckelberge? Und wird’s der Junker vergeſſen ha-
ben ſeit heute Nacht? Und kann er nicht Zeugniß ab-
legen?
Freilich kann er das! und er wird ausſagen: Ja, ich
[177]Die Bernſteinhexe.
war’s! und damit wird er ſie retten vor dem Hexen-
ſchickſale!
Das wird er nicht! Er kann nicht luͤgen. Die Sache
bleibt in richtigem Gange — ordnet das zweite Verhoͤr
an und laßt die Werkzeuge zur peinlichen Frage vorberei-
ten. Wir werden ſie nicht brauchen, denn ich werde das
Zeugniß des Junkers beibringen, daß ſie gelogen habe,
und damit iſt ſie ſo gut wie uͤberfuͤhrt und wird keinen
Widerſtand mehr leiſten. Baſta! Thut Eure Schuldig-
keit.
Unbegreiflich!
Dritte Scene.
Schwachkopf! — Ach lohnt’s wohl der Muͤhe, daß
ich kluͤger bin? Wozu mach’ ich denn alle die Anſtren-
gungen, und was werd’ ich denn haben, wenn das Lied
zu Ende geht? Dies Maͤdchen macht mich zu Schanden!
Weich iſt ſie und doch tapfer, das iſt der furchtbarſte
Widerſtand, ein Widerſtand, welcher verſtrickt. Und ſie
wird mich verſtricken, daß ich ſie wirklich verbrennen laſ-
Laube, dram. Werke. III. 12
[178]Die Bernſteinhexe.
ſen muß! Und das Alles bloß aus Begier, mich ihrer in
Wißbegier und Verlangen zu bemaͤchtigen.
Warum nicht? Man trachtet nach ſeiner Befriedi-
gung, es koſte, was es wolle — auch im Untergange liegt
eine Befriedigung. Das alltaͤgliche Pack begnuͤgt ſich mit
Naſchen und Nippen, und laͤßt ſich abweiſen, wo es an
die letzte Decke des eigentlichen Lebensbornes kommt, und
wo allerdings die eigentliche Lebensgefahr beginnt — zu
dieſen Hausthieren auf Erden gehoͤr’ ich nicht! — Ich
muß es erzwingen, daß ſich die geheimſte Faſer dieſer
Maͤdchenſeele vor mir enthuͤlle!
Ein Inbegriff von Zauberwelt iſt in dieſem Maͤdchen-
leibe verſchloſſen! In Liebe will ſie mir’s nicht offenba-
ren — vielleicht offenbart ſie’s in Todesfurcht, und uͤber-
dauert ſie auch dieſe, ſo ſtrahlt ſie es aus in der Gluth
des Feuertodes!
Soll ich kleinmuͤthig ent-
ſagen, um großmuͤthig zu heißen, und ſoll ſie dieſem nuͤch-
ternen Ruͤdiger uͤberlaſſen, der keine Ahnung hat von der
geheimnißvollen Zauberwelt dieſer feingeſponnenen Wei-
besmacht! Dieſer Burſche! Wie nichtswuͤrdig lohnt er
mir, wes ich an ihn gewendet! Wie tief gleichguͤltig bin
ich ihm innerlich! Er kann nicht dafuͤr, unſre Naturen
haben keine wohlthaͤtigen Beruͤhrungspunkte mit einander,
freilich! Deshalb kuͤmmert er auch mich nicht! Ich habe
weggeworfen, was ich an ihn gewendet, und ich will’s
nicht noch einmal bezahlen durch neue Ruͤckſicht, die ich
auf ihn nehmen koͤnnte. Wir haben reinen Tiſch, und es
[179]Die Bernſteinhexe.
ſoll mich wie ein Witz beſchaͤftigen, daß er ſeiner Liebſten
ein Todeszeugniß ausſtellen und es fuͤr eine Lebensrettung
halten muß.
Aha! Altes Schickſal, meldeſt du dich auf Pudagla!
Er laͤutet ſelbſt, um ſeinen Verluſt zu beſchleunigen. —
Daß mir die Waͤchter nicht ſchlafen!
Holla, ſeid auf der Hut!
Seid wach!
den Schluͤſſel vom Tiſch nehmend).
Nun mag die wohlbe-
lagerte Feſtung kapituliren!
Vierte Scene.
Vor dem Birkhahn ſind wir nicht ſicher, die Lieſe hat
ihn ſchon auf dem Dach geſehn
Aha, er iſt drin! Auch gut, ſo hat man endlich Zeit,
eine Staͤrkung zu ſich zu nehmen. Ich krieg’s ſatt,
er den Stuhl nach der Fenſterſeite zuruͤck traͤgt und eine Flaſche
herauszieht, trinkend und halb nach dem Fenſter hinblickend)
je
tiefer man fuͤr den Wittich in’s Waſſer geht, deſto geiziger
und groͤber wird er. Nun ſagt die Lieſe gar, bei der Ge-
ſchichte werde ihn der Teufel holen, und die Lieſe ſieht mir
verdaͤchtig aus, grad’ ſo wie ein gefangen Weibſen aus-
12*
[180]Die Bernſteinhexe.
ſieht, das auf dem letzten Loche pfeift, und um die Zeit
wiſſen ſie immer am Beſten, was paſſiren wird!
Dann kommt der junge Herr dran und dann wird der
Wulf ’nausgeſchmiſſen. Als ob ich ein ſchlechter Diener
waͤre! Ich thu’, was man befiehlt, und wenn mich der
Junker nur beſtechen wollte, in meinen Taſchen hat’s
Platz. — Soll mich der Teufel holen, klettert nicht da der
Birkhahn wie eine Katze auf den Firſtenziegeln nach des
Junkers Thurmfenſter hinauf! Schwerenoͤther! Der
ſteckt ihm Nachrichten, und jetzt kommt er gerade zurecht
fuͤr den Alten, oder fuͤr den Junker zu ſpaͤt. Meinetwe-
gen! ’s iſt nicht mein Hals, den er bricht —
Sachte!
Sie kommen, Birk-
haͤhnchen wird ſchlecht ſitzen, wenn er lange warten
muß!
Fuͤnfte Scene.
Perſoͤnlich will ich nun vor Gericht ausſagen, daß
Marie unſchuldig iſt an dieſem Stelldichein, und daß ſie
ehren- und tugendhaft!
[181]Die Bernſteinhexe.
Das wuͤrde ihr nur noch mehr ſchaden. Ausſage
treibt zu neuer Frage, neue Frage treibt zu neuer Aus-
ſage: ſo wird Eure Liebſchaft ſtadt- und landkundig, und
der gute Ruf des Maͤdchens iſt fuͤr immer vernichtet!
Der gute Ruf! Als ob Ihr nicht dafuͤr geſorgt haͤt-
tet, daß durch einen ſkandaloͤſen Hexenprozeß ihr guter
Ruf fuͤr immer vernichtet waͤre!
Du irrſt Dich! Ihr Prozeß ſteht ſehr guͤnſtig, eine
glaͤnzende Freiſprechung iſt ihr ſo gut wie gewiß, und er-
folgt wahrſcheinlich ſchon nach dem naͤchſten Verhoͤre.
Und was einem alten Weibe ſchaden koͤnnte, das nuͤtzt
einem jungen Maͤdchen. Ein junges Maͤdchen, das ſieg-
reich aus einem Hexenprozeſſe hervorgeht, gilt fuͤr ein gott-
begabtes Weſen. Das alte Weib bleibt eine mißtrauiſch
angeſehene Hexe, das junge Maͤdchen wird ein Engel!
Und doch ſagtet Ihr mir vor wenig Stunden: es waͤre
unanſtaͤndig, ein als Hexe kompromittirtes Maͤdchen zu
heirathen!
Fuͤr einen Edelmann, allerdings! Fuͤr unſre Kreiſe
ziemt ſich das nicht, und Du ſollſt ſie auch nicht heirathen.
Aber fuͤr ihren Kreis iſt ſie gerettet, wenn ſie freigeſpro-
[182]Die Bernſteinhexe.
chen wird, und an ihrer Ehre bleibt dann nichts haften
als Deine Liebſchaft mit ihr, die naͤchtliche Zuſammen-
kunft mit ihr auf dem einſamen Streckelberge!
Arme Marie!
Durch Dich nur wird ſie arm, und Du allein kannſt
die uͤble Nachrede von ihr wenden; — aber ’s iſt auch
nicht noͤthig!
Wie kann ich das, wenn ich nicht vor Gericht er-
ſcheinen und die Wahrheit ausſagen darf!
Folgendermaßen kannſt Du es: Du ſtellſt ein ſchrift-
lich Zeugniß aus, daß man das Maͤdchen verlaͤumde,
wenn man ihr ein unſaubres Stelldichein mit Dir auf
dem Streckelberge nachſage, ein ſolches habe nicht ſtatt-
gefunden.
Dann ſchrieb’ ich eine Luͤge!
Ei! Iſt Euer Stelldichein ein unſaubres geweſen?
Nein, bei Gott nicht, Marie iſt rein wie ein Engel!
Nun alſo! Iſt Deine Liebe ſo klaͤglich, daß ſie nicht
[183]Die Bernſteinhexe.
eine vorſichtig geſtellte Ausſage daran ſetzen mag! Jaͤm-
merlicher Patron, der Du biſt! Die große Gefahr iſt ab-
gewendet von Haupt und Leben des Maͤdchens, dieſen
Abend vielleicht noch kann ſie heimkehren nach Coſerow,
und nichts Bedenkliches haftet mehr an ihr, als die oͤffent-
lich gewordene Liebesgeſchichte mit Dir, dieſen Makel, der
ſpaͤter durch Nichts zu beſeitigen, kannſt Du jetzt durch
zwei Zeilen fuͤr immer von ihr thun, und Du lamentirſt
um dies Nichts wie ein Knabe und Du erweiſeſt einem
geliebten Maͤdchen nicht dieſen wichtigſten und wohlfeil-
ſten Dienſt! Pfui uͤber Dich! Genug alſo, was kommt
d’rauf an!
Vergebt mir! Ich glaube, Ihr habt Recht, aber es
widerſtrebt ein unerklaͤrliches Etwas in mir —
Das Etwas heißt Schwaͤche!
So ſei es denn!
Feder.)
— Diktirt mir’s, ich verſteh’ mich nicht auf ſo
kuͤnſtliche Stellung der Worte —
„Auf gerichtliche Anfrage verſichere ich hiermit feier-
lich“ —
’s kommt doch auf mich, ich muß es alſo ſagen!
[184]Die Bernſteinhexe.
Der Birkhahn, geſtrenger Herr, iſt auf den Firſtenzie-
geln —
Laß mich jetzt in Ruh’ mit dem Birkhahn — „hier-
mit feierlich“
Schon recht — ich hab’s geſagt!
„Daß nie ein unſaubres Stelldichein zwiſchen mir
und der Marie Schweidler bei naͤchtlicher Weile auf dem
Streckelberge ſtattgefunden hat.“
„ſtattgefunden hat.“
Darunter Datum und Deinen Namen! So
Noch einen Augenblick!
Troͤdle nicht unnuͤtz! Eile hinein, Du biſt hier im
Wege. Ich will ſogleich das letzte Verhoͤr anordnen, da-
mit die Geſchichte heut’ noch zu Ende kommt, und Du
ſelbſt wieder machen kannſt, was Du willſt! — Wulf!
ſchließen.)
Auf Euer Haupt, auf Euer Gewiſſen, Vater, wenn
[185]Die Bernſteinhexe.
meine traurige Ahnung nicht truͤgt, und wenn hierbei
etwas geſpielt wird, was einem falſchen Spiele aͤhnlich
iſt. Ich habe Niemand, den ich befragen kann; aber es
iſt der Mann, welchem ich anheim gegeben bin, mein Pfle-
gevater; ich muß ihm vertrauen. Die Welt waͤre ein Luͤ-
genhaus und Gottes ledig, wenn ein Ehrenmann ſich mit
Opfern ein Kind auferzoͤge, um dieſes Kind in Lug und
Trug zu verwickeln, und dieſer Ehrenmann waͤre der groͤßte
Schurke auf Erden, denn er mißbrauchte die Waffen der
Tugend zum Kampfe fuͤr das Laſter. Gott verzeih’ mir’s,
wenn ich Euch laͤſtere, und Ihr werdet mir dieſen abſcheu-
lichen Verdacht vergeben, wenn er eine Ausgeburt meines
gepeinigten Herzens und Hirnes. Waͤre dies aber nicht,
waͤre ich kluͤger als ich mir zu ſein zutraue, dann, Herr
Wittich, macht Euch gefaßt, in mir einen Feind zu finden,
der Euch verfolgt bis vor das juͤngſte Gericht.
folgt ihm hinein.)
Sechſte Scene.
bebt ein wenig bei den letzten Worten — dann, als Ruͤdiger hin-
weg, ſtreicht er ſich uͤber die Stirn und holt Athem.)
[186]Die Bernſteinhexe.
Ja — die unſchuldige Wahrheit hat doch eine benei-
denswerthe Kraft — und ich glaube faſt, — man hat ein
leichteres und genußreicheres Leben, wenn man von Ju-
gend auf in ihr wandelt.
unveraͤndert ſtehen, dann macht er eine Handbewegung, als
wollte er dies Alles von ſich ſcheuchen, und geht nach links in die
Stiegenthuͤr hinein, rufend:)
Waͤchter!
Tiefe antworten:)
„Holla!“
Zum
Verhoͤr! —
Die
Richter von Uſedom!
Die Sache muß
raſch zu Ende! Sie wird mir peinlicher, als je mir eine
geweſen! Warum!
Ich bin in Gefahr,
mich ſelbſt zu verlieren — das Maͤdchen und der Knabe
ſind mir werth, und ihre dummen ehrlichen Empfindun-
gen verwirren mich. Ich bin aber doch kein alter Mann,
der ſich ſelbſt aufgiebt, weil ihm ein Paar einfaͤltige Kin-
der am Herzen liegen. Nein! — Um ſo harſcher muß ich
handeln, damit eine ſolche Schwachheit nicht Raum ge-
winne, alſo ohne Umſchweif und erbaͤrmlichen Verzug! —
Aber wo bleibt der Wulf? — Sollte der graue Suͤnder
untreu werden? Nicht doch? Grille auf Grille! — Da
iſt er ja!
Wo bleibſt
Du?
Habe dem Junker das Lager aufgeſchuͤttelt! —
[187]Die Bernſteinhexe.
Hol’ die Hexe!
Zu Befehl!
Siebente Scene.
und Schreiber ein, der Schreiber traͤgt zwei brennende Arm-
leuchter und ſetzt ſie auf den Tiſch; hinter ihnen Lieſe (ſehr
bleich) und Ilſe (weinend), darauf Marie. — Schweid-
ler. — Wulf.
Ich habe die Magd des Pfarrers von Coſerow mitge-
bracht, um ihr Zeugniß abzuhoͤren —
das Zeichen zum Sitzen giebt).
Denn wahrſcheinlich wird ſich die Angeklagte darauf
berufen, es ſei Jemand uͤber ihrer Truhe geweſen, da auch
in dieſer Truhe kein Bernſtein gefunden worden, und fuͤr
dieſen Fall und uͤberhaupt iſt die eigne Magd von Wich-
tigkeit. Obwohl ich
nachdem ſich, wie
geſagt, das naͤchtliche Stelldichein ſo natuͤrlich aufgeklaͤrt
[188]Die Bernſteinhexe.
hat, die Anklage nicht mehr fuͤr ſtark genug begruͤndet
erachte —
Dieſen Punkt werd’ ich ſelbſt verhandeln!
iſt Lieſe von der andern Seite dicht an ihn getreten; halblaut)
Was willſt Du?
Gebt das Maͤdchen auf, damit ich zuruͤcktreten kann —
ich bin von Kraͤften und fuͤrchte mich.
Wovor?
Vor dem Tode.
Poſſen!
Verſprecht mir mit dem Walpurgisſchwur, das Maͤd-
chen aufzugeben, ſo lang’ ich lebe, dann helf’ ich ſie retten
— was nach meinem Tode geſchieht, kuͤmmert mich nicht!
Die Angeklagte, Herr Amtshauptmann!
Beginnt das Verhoͤr!
Sprecht!
[189]Die Bernſteinhexe.
Laß mich in Ruh’!
Die Zeugin, Lieſe Kolken, trete an ihren Ort!
Wehe uns, Wittich!
Ehe weiter verhandelt wird, iſt niederzuſchreiben, was
die Unterſuchung an Ort und Stelle, das heißt auf dem
Streckelberge und im Pfarrhauſe zu Coſerow ergeben hat.
Es war weder auf dem Streckelberge die fabelhaft ge-
ſchilderte Bernſteinader zu finden, noch befand ſich in der
Truhe der Angeklagten das kleinſte Koͤrnchen Bernſtein
— die verwunderliche Ausſage uͤber den Bernſtein-Fund
muß alſo als eine luͤgneriſche Ausflucht betrachtet und der
Angeklagten als eine Erſchwerniß ihrer Lage zur Laſt ge-
legt werden. Hier iſt auch ihre eigene Magd, die befragt
werden ſoll, und die von ihrem chriſtlichen Gewiſſen ge-
trieben ohne Anſehn der Perſon antworten will!
Ilſe!
Tritt vor, Ilſe, und antworte ungeſcheut! Hat die
Jungfer Dir je was zu Leide gethan?
O Gott bewahre! Sie hat mir alles Gute erwieſen.
[190]Die Bernſteinhexe.
Haſt Du ihr jemals Bernſtein oder ſonſt etwas heimlich
aus der Truhe entwendet?
Nein! Nein!
Haſt Du ſie jemals mit Bernſtein vom Streckelberge
kommen ſehn?
Niemals!
Niemals große Bernſteinſtuͤcke bei ihr bemerkt?
Niemals!
Das kann ſie nicht, denn wir haben unſern Schatz vor
aller Welt verborgen!
Still! — Und haſt Du Zeichen und Gewiſſensſcrupel,
daß die Jungfer mit Hexenkuͤnſten vertraut geweſen?
Ach Gott, ach Gott, freilich! Freilich!
Ungluͤckliche Magd!
[191]Die Bernſteinhexe.
Ich kann ja vor meinem Gewiſſen nicht anders, Herr
Pfarr!
Tritt zuruͤck. Der eigene Dienſtbote alſo, der ihr ſonſt
in Liebe zugethan, zeugt gegen Sie?! Was hat Sie hierauf
zu bemerken?
Nichts, Herr Conſul, ’s iſt noch ein Schmerz mehr!
Ich habe Euch die Wahrheit geſagt von dem Bernſtein,
und hier ſteht mein Herr Vater, ein unbeſcholtener Mann,
dem jegliches Gericht Glauben ſchenken wuͤrde, und er
weiß um den Bernſtein ſo viel als ich, und hat’s Euch be-
ſtaͤtigt. Daß keine Spur mehr zu finden war, mag ein
Werk des hoͤlliſchen Feindes oder ſchlimmer Menſchen ſein
— jenen kenne ich Gott ſei Dank nicht, und dieſe mag ich
nicht kennen oder kann ſie wenigſtens nicht auf bloßen
Verdacht hin beſchuldigen.
Daran ſpricht mein Kind wahr, ſo mir der allmaͤch-
tige Gott helfe! Die Geſchichte von dem Bernſtein iſt die
lautere Wahrheit, dies wiederhole ich feierlich vor Gott
und Menſchen!
Beweiſ’t nichts. Ihr ſteht offenbar unter einem ver-
daͤchtigen Einfluſſe der angeklagten Tochter, wie ſich ſeit
[192]Die Bernſteinhexe.
dem letzten Verhoͤre ergeben hat. Als naͤmlich das naͤcht-
liche Stelldichein auf dem Streckelberge enthuͤllt und die
Angeklagte von einem Schlage des Gewiſſens danieder
geworfen wurde, hielten wir endlich die Welt der Hoͤlle
bei Horn und Klauen. Da erſchient Ihr vor mir und ſag-
tet aus, Euer Kind habe aus Schamhaftigkeit die Wahr-
heit verſchwiegen, und die ſchwarze Schreckensgeſtalt,
welche bei Eurem Kinde auf dem Streckelberge geſtanden,
ſei Niemand anders als der Junker Ruͤdiger von Nienker-
ken aus Mellenthin geweſen —
Ja, Herr!
Schweig, alter Thor, Du bieteſt Dich der Luͤge!
Das thut er nicht, Herr Amtshauptmann. Ich hab’
es verſchweigen wollen, weil ich mich ſchaͤmte, und weil
dies Geheimniß nicht mir allein angehoͤrte. Da es mir
aber in der Angſt des Todes entſchluͤpft iſt, ſo werd’ ich
es nun, wie ſchwer es mir werde, vor aller Welt vertre-
ten, und Euer Pflegeſohn wuͤrde es beſtaͤtigen, wenn Ihr
ihn nicht gefliſſentlich entfernt haͤttet.
Du redeſt Dich um den Hals, Dirne, denn Junker
Ruͤdiger iſt nicht ſo weit, daß er nicht Zeugniß ablegen
kann —
[193]Die Bernſteinhexe.
O Gott ſei ewig Lob und Dank! So laßt ihn rufen
und laßt ihn ſprechen, er wird mein Erretter werden!
Das wird er ſchwerlich! Er iſt berufen worden, er
hat Zeugniß abgelegt! Kennſt Du ſeine Handſchrift? Hat
er dies geſchrieben?
Augenblick vorhaltend.)
Ja, Herr!
Ihr hoͤrt dieſe Anerkenntniß, peinliche Richter! Nun
hoͤrt auch, ob der Junker zugeſteht, daß er mit dieſer Dirne
ein naͤchtliches Stelldichein auf dem Streckelberge gehabt
habe! Der Junker ſchreibt: „Auf gerichtliche Anfrage
verſichere ich hiermit feierlichſt, daß nie — nie! — ein
unſauberes Stelldichein zwiſchen mir und der Marie
Schweidler bei naͤchtlicher Weile auf dem Streckelberge
ſtattgefunden hat.“
Allmaͤchtiger Gott! Auch er!
Weh Dir, verworfenes Kind!
Der Teufel ſelber alſo iſt’s geweſen!
das Papier.)
Laube, dram. Werke. III. 13
[194]Die Bernſteinhexe.
Vom heutigen Datum und Ruͤdiger von Nienkerken
unterzeichnet. Nun iſt ſie verloren, und nun kommt des
Gerichtes Recht und Pflicht, ihr Eingeſtaͤndniß auf pein-
lichem Wege zu erzwingen! — Die Urgicht und peinliche
Frage beginne!
Gott erbarme dich ihrer!
Auch Ruͤdiger!
Thoͤrichtes Maͤdchen, wo faſelſt Du mit Deinen Ge-
danken umher, waͤhrend Dich das Schrecklichſte bedroht!
Du weißt nicht, was Urgicht und peinliche Frage bedeu-
tet? Richter von Uſedom, erfuͤllt Eure Amtspflicht und
ſchildert der Thoͤrin, was ihr bevorſteht!
Der Uebelthaͤter wird gebunden und ſeine Haͤnde wer-
den in Daumſchrauben gepreßt, bis das Blut hervorſpritzt.
Dies iſt der erſte Grad. Will er noch nicht bekennen, ſo
werden ihm die ſpaniſchen Stiefeln angelegt, und in dieſe
engen hoͤlzernen Stiefel werden Keile eingetrieben, bis das
Blut ſtromweiſe aus den Fuͤßen ſchießt. Dies iſt der
zweite Grad. Will er dann noch nicht bekennen, ſo wird
der gluͤhende Keſſel gebracht, in welchem Pech und Schwe-
[195]Die Bernſteinhexe.
fel brodelt. In dieſen Keſſel werden friſche Federpoſen
getaucht, und dieſe alſo getraͤnkten Federpoſen werden ihm
auf die blanken Gliedmaßen geworfen, ſo daß der gluͤ-
hende Schwefel das Fleiſch bis auf die Knochen hinweg-
frißt, und ein Vorſchmack von der Hoͤllenluſt erzeugt wird,
welche ſeiner harret.
Hoͤrſt Du?
Ich hoͤre nichts! Was hab’ ich auf Erden zu ſuchen,
was kann ich auf Erden noch leiden, nachdem mir das
Theuerſte in Luͤge verkehrt worden iſt! Fuͤhrt mich zum
Tode; denn mein Leben iſt nichtig fortan!
Bekenne erſt, dann wird Dir die Folter erſpart!
Bekenne, Unſelige, Dein Teufelswerk!
Ich habe kein Teufelswerk zu bekennen. Salva me,
fons pietatis!
Was redet ſie da fuͤr eine Teufelsſprache!
Lateiniſch, Herr!
13*
[196]Die Bernſteinhexe.
Wo kann ein Maͤdchen Lateiniſch, ſo’s nicht der Teufel
ihr gelehrt!
Hartnaͤckiges Geſchoͤpf! Wenn Du die Marter mit
uͤbermenſchlicher Geduld ertraͤgſt, ſo gilt dieſe Tapferkeit
wiederum fuͤr ein Werk des Teufels und man verbrennt
Dich, weil Du ein Amulet des Satans am Leibe traͤgſt!
Iſt unter den weiblichen Zeugen eine, die ausſagen
kann, ob die Dirne ein ſolches Amuletzeichen des Teufels
beſitze? Lieſe Kolken!
Ich kenne des Teufels Zeichen nicht!
Ilſe!
Die Jungfer hat ein braunes Mal in der Herzgrube.
Es ſtimmt Alles entſetzlich, und
ich bitte Euch
ab, Herr Amtshauptmann, es iſt, Gott behuͤte uns, eine
Hexe!
Laßt mich in Ruh’!
reißt ſie vor)
Erſticke den empfindſamen Plunder fuͤr den
ſchwaͤchlichen Knaben, druͤck’ mir die Hand zum Zeichen,
[197]Die Bernſteinhexe.
Du werdeſt mir Deine Geheimniſſe anvertrauen, dann be-
kenne, was Du magſt, und ich rette Dich ſicherlich dieſem
Alt-Weiber-Gericht zum Trotz!
Wer haͤtte das von Ruͤdiger erwartet!
So nehmt ſie hin die kindiſche Hexe!
Vorſaal, deſſen Thuͤren offen bleiben, daß man von den Vorbe-
reitungen der Procedur nichts ſehen kann, weil der Conſul an
der Thuͤr ſtehen bleibt und ſie durch den Richter und die bewaff-
neten Waͤchter gedeckt wird. Ilſe ſteht weinend an der Thuͤr,
Lieſe, ihr Geſicht verhuͤllend, am Fenſter. Schweidler lehnt
ſich an die Culiſſe, der Schreiber bleibt ſitzen, um zu proto-
colliren. Wittich ſteht im Vordergrunde. Kurze Pauſe.)
Fertig, Buͤttel?
Fertig!
Bekennſt Du, Hexe? —
Sie ſchuͤttelt das
Haupt —
geht zu Wittich)
Nehmt die Sanduhr, Herr Amtshaupt-
mann und achtet auf die geſetzliche Zeit!
reicht, laͤßt ſie dieſer fallen.)
[198]Die Bernſteinhexe.
Ungeſchickt!
Dies iſt ein Todeszeichen fuͤr Einen von uns!
Bildet Ihr Euch ein, wir muͤßten nicht ſterben?
Was iſt?
Die hoͤlliſchen Geiſter wollen helfen!
Entſetzlich!
Willſt Du be-
kennen, Hexe?
Das Lamm erſchrickt nicht, denn es ſteht in der Hand
des guten Hirten!
Schraube, Buͤttel!
Zuruͤck!
Mein Kind! mein Kind!
Laſſet los, ich will bekennen, was Ihr wollt!
[199]Die Bernſteinhexe.
dann kommt ſie hereingeſtuͤrzt auf Schweidler zu.)
Sterben,
ſterben, Vater, aber mich nicht verſtuͤmmeln laſſen, nicht
verſtuͤmmeln!
So geſtehe, daß Du zaubern kannſt!
Ja, ich kann zaubern!
Schreibt genau! — Und wer hat Dich zaubern ge-
lehrt? Der leidige Satan ſelbſt?
Nein — ja, ja, der leidige Satan ſelbſt
War es nur ein Teufel?
Nur einer.
Wie heißt er?
Disidaemonia.
Das heißt Aberglaube! Bewundernswerthes Weib!
Wiederhol’ es fuͤr den Schreiber!
[200]Die Bernſteinhexe.
Disidaemonia.
In welcher Geſtalt iſt er Ihr erſchienen?
In der Geſtalt des Amtshauptmanns als ein Auerſtier
mit grimmigen Hoͤrnern!
Wo hat der Satan ſie umgetauft?
In der See.
Wer von unſeligen Menſchenkindern war dabei?
Das wird mein Ende!
Wer war dabei? ſprech’ Sie!
Niemand.
Muß doch Zeugen der hoͤlliſchen Handlung gehabt
haben.
[201]Die Bernſteinhexe.
Nur hoͤlliſche Geiſter!
Genug bekannt fuͤr den Feuertod. Fuͤhrt ſie ab;
denn Lucifer ſteigt am Himmel empor. Wenn er unter-
geht in der Morgenfruͤhe, wird ihr Urtheil geſprochen und
ausgefuͤhrt!
Schweidler, an ſeinem Pfeiler erſchoͤpft lehnend, desgleichen.)
Ihr habt grauſamer an mir gehandelt als die Heiden.
Sie ließen doch nur von wilden Thieren die chriſtlichen
Jungfrauen zerreißen, Ihr aber, Menſchen, Gottes Eben-
bilder, ſpielt ſelbſt die grimmigen wilden Thiere gegen
mich! Und ich bin Eure Schweſter und habe Euch nie
was zu Leide gethan. Moͤgt Ihr’s verantworten koͤnnen
vor Gottes Throne, dies wuͤnſch’ ich Euch aufrichtig und
von Herzen!
Amen.
[202]Die Bernſteinhexe.
Achte Scene.
tich an der Schulter.)
Hilf mir, Wittich, hilf uns, verſchaff’ uns Gnade, die
Angſt zerſprengt meine Bruſt!
Biſt Du toll, Weib?
Verflucht vor Gott bin ich, und dieſe Jungfer wird
ſelig, und der Tod zerrt an meinem Herzen! Schaff’ mir
Hilfe, Wittich, ſchaff’ ſie ſchnell! Mach’ gut, was wir ver-
brochen! Vielleicht nuͤtzt es noch, hilf mir zum Sakrament.
Gebrechlich Weib, ſchweig’ ſtill!
hinſtarrt, ſieht er ſich ſcheu um und erblickt zuckend Schweidler.)
Der iſt noch da!
eine heftige Bewegung)
Hinweg!
Iſt er ſchon da, der Schreckliche? Oh!
das Geſicht.)
[203]Die Bernſteinhexe.
Weh Euch Suͤndern, daß ich Euch ſchrecklich bin.
Der Pfarrer! Ein gutes Zeichen!
entgegen und muß ſich am naͤchſten Stuhle halten)
Schafft mir
Vergebung meiner Suͤnden, Pfarrer, ſchafft mir das Nacht-
mahl, ſeid barmherzig, vergebt, ich bin des Todes!
Wie kann ich das! Stehſt Du doch eben noch hoch
auf dem Geruͤſte der Miſſethat gegen mein Kind!
Ich will Alles bekennen, will gut machen, was ich
kann —
Packt Euch hinaus, Pfarrer, das Weib iſt verruͤckt
geworden —
Er luͤgt, Pfarrer, er luͤgt, er iſt boͤſe vom Scheitel bis
zur Zehe, er hat mich verfuͤhrt, er hat mich dem Boͤſen
zugebracht, er hat mich auf dem Gewiſſen, und fuͤrchtet
ſich jetzt vor meinen Entdeckungen, ſeid barmherzig, Pfar-
rer, bleibt, widerſteht ihm, hoͤrt mich an, ſprecht mich
frei vor Gott! —
Hinaus, Mann, oder ich werfe Dich
zeigend)
auf die Daͤcher hinab!
[204]Die Bernſteinhexe.
Im Namen des ewigen Gottes, ſchweige, Du ſchlim-
mer Mann!
und hoͤrt eine Minute zu, dann zieht er die Thuͤr wieder vor
ſich zu.)
So ſprecht, ſo ſprecht! Dagegen kann er nicht! Und
hoͤrt und erloͤſ’t mich vom Boͤſen. Euer Kind iſt unſchuldig
unſchuldig ganz und gar; was ſie gethan, hat ſie mit guter,
frommer Hand gethan! Was ihr zur Laſt gelegt wird,
alles, alles Boͤſe, ich hab’s gethan, ich allein auf Wittich’s
Geheiß. Ich habe das kranke Vieh getoͤdtet, ich habe
vorhin, eh’ Ihr hinkamt, auf Wittich’s Geheiß die Bern-
ſteinader verſchuͤttet, ich habe gelogen, betrogen all uͤber-
all, wo es zum Schaden Deines Kindes geſchehen konnte,
ich hab’ es erlogen, daß ſie den Teufel neben ſich gehabt
Nachts auf dem Berge — der Junker war’s, der leibhaf-
tige Junker Ruͤdiger und Niemand weiter, und nun hilf
mir, hilf!
O mein unſchuldiges Kind!
Sprich zu mir, zu mir, ſonſt bin ich ewig verloren
wie dieſer da, der neben mir zittert.
Zittert vor Wuth! Erbaͤrmliches Weib! Der Wittich
[205]Die Bernſteinhexe.
iſt von anderem Stoff denn Du! Was ſoll’s Dir helfen,
einen Augenblick lang nach einem Himmel zu flehn, dem
Du ein Lebelang getrotzet! Stirb bei Deinen ſchwarzen
Goͤttern, ſie allein erkennen Dich
Und ſie greifen nach mir
mit tauſend
Krallen! Wer hilft? Weh mir!
Lucifer hilft!
Gott ſei der Seele gnaͤdig! — Die Fenſter ſchuͤttern,
als zoͤg’ der Boͤſe im Sturmwind hindurch! — Wo kommt
das Laͤuten her?
Aus der Hoͤlle!
Faßt Euch, Herr Wittich! Wir wollen Euch Alles
vergeben, kehrt zum Beſſeren zuruͤck und fangt ſogleich
damit an, daß Ihr mein Kind befreit, denn losgeſprochen
iſt es nun doch von aller Anklage durch die ſchrecklich ent-
huͤllenden Worte dieſer Sterbenden.
Grauer Thor! Wer hat die Worte gehoͤrt als Du und
ich und die Unterirdiſchen! Stelle mich und ſie als Zeu-
gen vor das Gericht, und hoͤre unſer Hohngelaͤchter! Dein
[206]Die Bernſteinhexe.
Zeugniß iſt nichtig, Du biſt der Vater, und bei den fin-
ſtern Maͤchten dieſer Erde, ich bin, getrieben von Mißlingen
auf Mißlingen, ich bin nicht in der Stimmung, weichmuͤ-
thig zu ſein und ſanft! Ich bin vielmehr geſtimmt, ganz
Uſedom in Feuer und Flammen zu werfen, klaͤgliches Men-
ſchenkind! Sieh’ da hinaus — der Stern iſt Lucifer, ihm
iſt Dein Kind verfallen! Bis zur Morgenroͤthe nur iſt er
ſichtbar, und ſo lange nur ſieht Deine Tochter das Leben
dieſer Erde, ſo wahr ich der Wittich bin auf Pudagla, den
Ihr des Teufels Richter heißen moͤget.
[[207]]
Fünfter Akt.
Erſte Scene.
traͤumt).
Thut’s nicht, thut’s nicht, Herr! Es bringt Ungluͤck,
die Lieſe hat Alles geſtanden. — Allmaͤchtiger, da kommt
ſie, ſie iſt rieſengroß geworden und klapperduͤrr, und die
langen Finger ſind gluͤhende Zangen —
mich
nicht! mich nicht! Der Wittich hat ja Alles gethan gegen
die unſchuldige Jungfer. —
laut.)
geſchlichen, und bleibt, ſo lange Wulf ſpricht, an der Thuͤr ſtehn
— dann laͤßt er einen Lichtſtrahl auf ihn gleiten.) —
Das boͤſe Gewiſſen traͤumt — ’s laͤßt ihn nicht ſo feſt
[208]Die Bernſteinhexe.
ſchlafen, wie die Waͤchter draußen. Wenn ich nur die
Courage haͤtte, ihm mit dem Schlitzmeſſer
einer Scheide bei ſich)
die Kehle aufzuſchneiden, dann ließe
ſich Alles noch in’s Gleis bringen. Ich naͤhme ihm den
Schluͤſſel ab und ſchloͤſſe dem Junker auf, und hier den
Windelſtieg herauf holten wir die Jungfer; hinunter kaͤ-
men wir ſchon alle drei, und dann ging’s uͤber alle Berge
— dies iſt das Kuͤrzeſte und Beſte.
Tiſche nach vorn gezogen und geht jetzt wie entſchloſſen auf
ihn zu).
Aber
ich hab’ die Courage nicht!
An dem verſoffenen Schufte waͤr’ nichts verloren; ich
koͤnnt’ aber mein Lebtag nicht mehr ſchlafen, wenn ich ei-
nen Menſchen todt gemacht haͤtte. — Wie ſich der Kerl
windet, als ob er ſelbſt unter Daumſchrauben laͤge! Hunds-
fott Du, der die Jungfer hat martern wollen.
hinter ihn)
Wo hat er nur den Schluͤſſel!
ihn richtend)
am Ende merkt er’s nicht! Wahrhaftig, er
haͤlt ihn in der Hand, hab’ ich ſo viel gewagt, wag’ ich auch
das!
Schluͤſſel aus der Hand zu winden; Wulf erwacht daruͤber und
ſpringt in die Hoͤhe — Birkhahn prallt zuruͤck und fluͤſtert)
—
Das iſt mein Treffer!
Laß mich los, Lieſe!
Ich hab’ getraͤumt! —
Nein, da ſteht was, nun iſt’s vorbei!
Ich bin’s, Wulf, der Birkhahn!
[209]Die Bernſteinhexe.
Was? Schwerenoths Hinterpommer, wie kannſt Du
Dich unterſtehn —
Stimme geſprochen).
Schrei nicht ſo, oder ich ſtoße Dir mein Schlitzmeſſer
in die Gurgel —
ſiehſt
Du’s? Wie ich mich noch ein Mal in die Moͤrdergrube
’rein gewagt, da hab’ ich mir vorgenommen, keine Um-
ſtaͤnde zu machen, und wenn auch ein Ungluͤck geſchehen
muͤßte, und hab’s zu mir geſteckt, denn in ein paar Stun-
den iſt doch Alles verloren, und dem Junker hab ich’s ein-
mal verſprochen, die Thuͤren aufzumachen, es koſte was
es wolle —
Das kann Dir ſchoͤn bekommen! Der Wittich ſchlaͤft
ſo gut wie gar nicht, und macht des Nachts die Runde.
Wenn er Dich findet, ſo kannſt Du Dein Teſtament ma-
chen.
Oder er! Geh’ in Dich, Wulf, und hilf uns! Du haſt
mich vorhin geſehn, wie ich zum Junker ’nauf kletterte —
hab’ Dich wohl erblickt dort am Fenſter! — Du haſt’s
nicht verrathen, das ſoll Dir vergolten werden! Mach’ die
Augen auf und erkenne, daß Wittich’s Regiment in vier-
undzwanzig Stunden voruͤber iſt —
Laube, dram. Werke. III. 14
[210]Die Bernſteinhexe.
Oho, in vierundzwanzig Stunden?
Erſtlich hat’s die Lieſe geſagt, eh’ ſie der Gottſeibei-
uns geholt hat —
Freilich!
Hernach kommt in vierundzwanzig Stunden unſer
Bote zuruͤck von Stettin.
Was fuͤr ein Bote?
Der Andres auf Wittich’s Schimmel — kuck in den
Stall, ob der lange Schimmel noch da iſt! Wie Ihr die
Wirthſchaft in Coſerow anfingt, hat ihn der Junker uͤber
Hals und Kopf zum gnaͤdigen Herzoge Bogislav nach
Stettin geſchickt und hat dem Herrn Bogislav die ganze
Betrugsgeſchichte von Eurer Hexenteufelei haarklein ge-
ſchrieben. Und der Junker ſteht hoch in Gunſten bei
Herrn Bogislav. Wenn der Andres zuruͤck kommt, hat’s
mit dem Wittich ein Ende.
Kommt aber trotz des langen Schimmels zu ſpaͤt fuͤr
die Jungfer — wenn der Morgen graut, wird ſie ver-
brannt.
[211]Die Bernſteinhexe.
Eben deswegen ſollſt Du helfen, damit Dir ſpaͤter vom
Junker geholfen werde. Hier ſchickt er Dir fuͤnf Roſeno-
bel und laͤßt Dir ſagen: Wenn Du Dich nicht gut auf-
fuͤhrſt, ſo laͤßt er Dich ſeiner Zeit ſtaͤupen und an der Co-
ſerower Maaleiche aufhaͤngen — willſt Du die Roſe-
nobel?
Paßt Alles nur halb! Ich kann Euch ja nicht helfen!
Eh’ der Tag kommt, wird der Stab uͤber ſie gebrochen,
was hilft da der Junker, auch wenn er ’raus iſt?
Hol’ die Jungfer auch herauf, dann iſt Alles beiſam-
men, und wir bringen ſie auf vierundzwanzig Stunden in
Sicherheit!
Ja doch! Der Wittich hat ſein Lager neben ihrer
Thuͤr aufgeſchlagen — die ſoll Einer da vorbeibringen!
Verdammt! — Nun, ſo laß wenigſtens den Junker
heraus, er wird ſchon Rath ſchaffen! Nimm!
Das will ich wohl, denn ich hab’ den Wittich ſatt!
Und ’s iſt wahr, daß die Lieſe Alles bekannt hat, ich hab’s
mit angehoͤrt. Aber jetzt kann ich’s noch nicht wagen;
haͤlfe auch dem Junker gar nichts: er koͤnnte wohl gar
mit verbrannt werden, denn es kommt dem Wittich nicht
14*
[212]Die Bernſteinhexe.
darauf an, wenn’s Meſſer an der Kehle ſteht. Dann
bliebe gar Niemand uͤbrig, wenn hinterher der Wittich ge-
faßt wuͤrde, als Herr Bogislav ſelber, verſtehſt Du, und
der fragt den Teufel — den Kuckuk nach dem alten Wulf!
Alſo iſt jetzt nichts zu machen!
Schurke, Du willſt die Goldſtuͤcke nehmen und nichts
dafuͤr thun!
Sachte! ſachte! — So mein’ ich’s nicht. Mit den
naͤchſten vierundzwanzig Stunden kann’s ſeine Richtigkeit
haben; aber —
Na, was Aber —?
Na, denkt Ihr denn nicht, daß mir Wittich auch den
Hals umdrehen kann, wenn ich zu zeitig anfange? —
Wenn’s fortgeht nach dem Streckelberge, ſo halt’ Dich an
den Wagen, auf dem ich mit der Jungfer ſitze, da wird der
Schluͤſſel ’runter fallen, in der Rabuſche kann Einem ſo
was unverſehens paſſiren — da heb’ ihn auf und laufe
her!
Dann iſt’s ja zu ſpaͤt!
Kann man nicht wiſſen — ’s geht langſam mit einer
[213]Die Bernſteinhexe.
Hexe, und was der Junker jetzt thun kann, das kann er
hernach auch noch thun. Mehr kann ich nicht!
Das iſt gar nichts! Gieb die Roſenobel zuruͤck!
Stille — die Thuͤre an der Windelſtiege geht — das
iſt der Wittich.
Er wird’s nicht ſein —
Stille! — Tapp, tapp! — Das iſt der Wittich, mach’,
daß Du fortkommſt! —
Gieb mir die Schluͤſſel!
Mach’, daß Du fortkommſt —
Weiß Gott, er iſt’s! Wehe Dir, Spitzbube, wenn es
zu ſpaͤt iſt!
Kann ſein; aber mehr kann ich nicht! Hier iſt’s Ge-
wiſſe, dort das Ungewiſſe! Den Schluͤſſel kann ich verlo-
ren haben, wenn’s nichts mehr ſchadet, das macht nicht
Viel aus. —
[214]Die Bernſteinhexe.
Zweite Scene.
Wer da?
Du wachſt?
Freilich!
Kannſt auch nicht ſchlafen, Schalksknecht!
O ja!
So? — Weck’ die Richter!
’s iſt aber noch zu fruͤh!
Das Pack ſoll wachend harren, um ſo kopfloſer wer-
den ſie — wem iſt die Leuchte?
Schwerenoths-Hinterpommer!
Welche?
[215]Die Bernſteinhexe.
Dieſe da, Du haſt keine ſolche. — Sie gehoͤrt dem
Junker, wie kommt ſie hierher?
rechts und probirt, ob ſie geſchloſſen).
Sie hat ſich heute in der Truhe der jungen Hexe ge-
funden, und ich hab’ ſie mir angezuͤndet, weil ich mich
fuͤrchte —
Wovor?
Vor der todten Kolken-Lieſe.
Schweig’ und warte, wenn Du von den Richtern
kommſt, im Vorſaale, bis ich rufe. Sind die Musketiere,
die an der Peene lagern, zur Wache auf den Streckelberg
beordert?
Zu Befehl.
[216]Die Bernſteinhexe.
Dritte Scene.
Wird auch dieſer alte Suͤnder wirklich verdaͤchtig? —
Was ſoll’s mit der Leuchte?! — — Kein Tritt iſt mehr
ſicher, und je mehr der Fußboden entweicht, deſto haſtiger
ſchreitet man!
Tiſch geſtellt, und geht nach der Windelſtiegthuͤr.)
Kommt her-
auf, Abraham!
Leben und Genuß fuͤr
mich, oder Tod fuͤr Euch alle!
Vierte Scene.
Es ſtoͤrt uns Niemand — und es iſt die letzte Stunde,
die Euch zur Rettung uͤbrig bleibt. Wollt Ihr Euer
Kind gerettet ſehn?
O mein Gott, wie fragt Ihr?
[217]Die Bernſteinhexe.
Um jeden Preis?
Um jeden Erdenpreis! Mein Kopf iſt verwirrt, aber
mein Herz ſchreit nach Hilfe! Um jeden Erdenpreis, Herr!
Ihr ſeid ein Schwachkopf, Abraham. Um einen wohl-
feilen Erdenpreis hat die Rettung fortwaͤhrend vor Euch
gelegen, und Ihr habt ſie nicht gemocht — ſetzt Euch hier
an den Tiſch, Ihr zittert ja wie ein Espenlaub —
Ich uͤberlebe den Tod meines Kindes nicht!
Das glaub’ ich auch — und eben deshalb find’ ich
Euch ſo thoͤricht!
Ja, Ihr ſeid laſterhaft.
Und das ſagt Ihr?
Das ſage ich! Antwortet! Was iſt eine groͤßere Suͤnde:
ſein Kind einer Liebesneigung zu uͤberlaſſen, oder zwei
Menſchen um’s Leben zu bringen?
Ich verſteh’ Euch nicht.
Das iſt’s eben. Nun, habt Ihr nicht fortwaͤhrend
links und rechts geſchrien, ich haͤtte ein begehrlich Auge
[218]Die Bernſteinhexe.
auf die Marie geworfen? Ja doch, ja, hier ſoll’s denn
endlich geſagt ſein, ich liebe ſie mit unbeſchreiblicher Hef-
tigkeit, und ich muß ſie beſitzen, oder ich muß ſie vernichten.
So weit ſind wir jetzt. Leichtlich zuruͤck kann ich auch
nicht mehr, ſeit ſie bekannt hat. Aber wenn ich will, muß
Alles biegen. Waͤhlt alſo: Ueberlaßt mir Euer Kind,
oder ſchickt es zum Tode und Euch hinterher! Toͤdtet zwei
Menſchen um einer Grille halber, und nennt das tugend-
haft!
O mein Gott, verlaß mich nicht!
Nun, wie rechnet Eure fromme Weisheit?
Ach, ich bin unweiſe in meiner Todesangſt. Aber,
Herr, es iſt doch ſuͤndhaft, ſein Kind einem ungeweihten
Liebeswandel zu uͤberantworten!
Was iſt’s gegen Todtſchlag! Wird nicht in der Bibel
der Ehebrecherin vergeben? Wie handelte David am
Urias? Und ward doch ein gottſeliger Mann! Aber wo
leſet Ihr, daß ein Menſch ſelig geworden, der muthwillig
ſich und ſeinem Vater das Leben genommen? Und das
thut Eure Marie in einem falſch-tugendhaften Hochmuthe
— ſeht Ihr das nicht ein?!
[219]Die Bernſteinhexe.
Ich glaube faſt —
Nun ſo geht hinab und redet Eurer Tochter zu, daß
ſie den vernuͤnftigen Theil erwaͤhle.
Ach, Herr, ich ſchaͤme mich, ihr mit ſolchem An-
trage unter die Augen zu treten —
So ſchreibt es ihr denn, ſchwacher Mann, Ihr ſitzt
beim Schreibzeuge! Schnell!
Ja — ja — ich bin wie trunken — die Beweisfuͤh-
rung iſt aber doch richtig! Wer in Liebesdingen ſuͤndigt,
dem kann vergeben werden, wer aber toͤdtet —
Schreibt, ſchreibt!
Ja, Herr — ja!
mit einem zweiten Armleuchter, und Wittich ſagt ihm leiſe den
Auftrag, auf den Pfarrer und die Thuͤr deutend, dann kommt
er vor und tritt neben Schweidler, hinein ſehend).
Iſt’s fertig? — Genug. Schreibt noch dazu: ſie
brauche blos Ja darunter zu ſchreiben, dann waͤre es ab-
[220]Die Bernſteinhexe.
gemacht, und die Rettung wuͤrde augenblicklich in’s Werk
geſetzt.
ſagt zu Wulf:)
Nimm dieſe Feder mit und reich’ ſie der
Jungfer, und ſpute Dich! —
Wulf ab.)
So, Ehren Abraham, koͤnnen wir noch zum
Frieden kommen!
Glaubt Ihr wirklich?
Es wird auch in mir eine große Aenderung hervor-
bringen, Ehren Abraham, denn Marie iſt wirklich ein
reich geſegnetes Weſen, und bei mir iſt’s bis dato etwas gar
wuͤſt hergegangen und einer Beſſerung beduͤrftig —
Vielleicht iſt mir auch noch Ruhe und ſtilles Gluͤck beſchie-
den! Ich ſehne mich manchmal darnach!
Da
geht die Thuͤr unten! Er tritt ein. — Es ſteht Alles auf
dem Spiele, es iſt der letzte Wurf!
Die Thuͤr
geht ſchon wieder! Sie wird Ja geſchrieben haben, weil
es ſo raſch geht, nicht wahr, Abraham?
Ich weiß nichts mehr, Herr!
Wulf kommt raſcher als ſonſt die Treppe herauf! —
[221]Die Bernſteinhexe.
Fuͤnfte Scene.
Marie!
Marie!
Die Jungfer wollte muͤndlich Antwort bringen.
Ungluͤcklicher Vater! Du verlaͤſſeſt Dein Kind in der
hoͤchſten Noth?! Du verbindeſt Dich mit den Feinden?!
Du raͤthſt mir zur Schande? Ein Leben in Schande iſt
ja dreimal ſchlimmer als ein Tod in Unſchuld! — Wenn
Gott in der Schrift den Guͤnderinnen vergiebt, ſo ge-
ſchieht’s ihrer Reue und Buße wegen. Und ich ſollte ſuͤn-
digen ohne Drang meiner Sinne und ohne Ausſicht auf
Reue und Umkehr?! Ungluͤcklicher Vater! So hab’ ich
denn Niemand mehr! Niemand! Und weiß doch ſelbſt
kaum noch, was Gott, was Teufel in uns ſei! — Erin-
nere Dich, Vater, was Du mir erzaͤhlt haſt von den chriſt-
[222]Die Bernſteinhexe.
lichen Jungfrauen unter den Heiden! Sie gaben ihr Le-
ben dahin, um Leib und Ehre unbefleckt zu bewahren!
Hab ich nicht ſchon meinem ſchwachen Koͤrper zu viel ge-
opfert, daß ich die Marter nicht ertragen, und ein fal-
ſches, den Boͤſen wohlgefaͤlliges Bekenntniß ausgeſtoßen
habe? Vater! Soll ich von Gott weichen, um ein ver-
worfenes Leben zu friſten?!
Hoͤr’ auf, hoͤr’ auf, mein Kind! Die Todesfurcht
hat mich verblendet! Du biſt ſtaͤrker denn ich; Gott ſegne
Dich und vergebe mir!
O Vater, Ihr habt mich verſucht — ach wie gerne
lebt’ ich, koͤnnt’ es in Ehren ſein!
Hinaus, Wulf!
Da iſt er! — Wittich! Erweicht Euer Herz. Es
muß ja doch innerlich einen guten Kern haben, da es einen
Sohn auferzogen und eine Neigung fuͤr mich gefaßt hat,
welche von ſo ſchrecklicher Ausdauer iſt!
Gefaͤhrliches Weib! Gieb Dich! Oeffne mir Deines
Herzens Schrein! verbinde Dich mit mir; wir lachen
dann der mittelmaͤßigen Menſchen!
[223]Die Bernſteinhexe.
O laßt mich Euch lieb und werth ſein, nehmt mich
zum Fuͤhrer in eine ſtille, Gott gefaͤllige Lebensweiſe. Fuͤr
immerdar ſei vergeſſen, was uns ſo entſetzlich entzweit
hat, und wenn Ihr in’s Coſerower Pfarrhaus tretet, ſo
empfange Euch der Friede des Gerechten. Ich will Euch
erzaͤhlen, was meine Seele bewegt; ich will Euch die Lie-
der der Hirten, die Lieder der Fiſcher ſingen, ich will Euch
geleiten unter die Wenden-Eichen des Streckelberges, und
Ihr werdet mir lehrreich ſchildern im Angeſichte der ewi-
gen See, was Ihr erlebt und erfahren und gedacht in die-
ſer unermeßlichen Welt des guten Gottes!
Und die Zauberwelt? Sprich, ſprich, ich wage zur
Noth den Tod mit Dir, wenn Du mich einweih’ſt —
Uns trennt ein Gott. Ich kann nicht zu Euch! Ihr
muͤßt zu mir kommen!
Wer, was iſt Dein Gott?
Der Gott der Liebe.
Bloßer Liebe?
Bloßer Liebe.
[224]Die Bernſteinhexe.
Frommer Kram?
Goͤttlich Weſen!
Daß Dich der Sat — Genarrt! — Gehoͤrſt zu
Ruͤdiger.
O ſtill! — Er hat ſich von mir gewendet, er wird
anderswo ſeinen Troſt und ſein Genuͤge ſuchen.
Und Du wirſt ihn lieben nach wie vor!
Fragt nicht darnach! Vergiebt nicht die Liebe Alles?! —
Und ich bin ja auch nicht ſchuldlos, und habe Gott ver-
ſucht!
Baſta!
Ihr ſeid erweicht?
Und Ihr ſtimmt ein?
Empfindſames Volk mit Herzen von Brei! In ruhi-
ger Kaͤlte ſchließ’ ich die Rechnung ab, und Ihr bildet
[225]Die Bernſteinhexe.
Euch ein, die Summe ſei Euch guͤnſtig, weil ich nicht
laͤrme. Ihr rechnet falſch. Ich bin nicht mehr Anfaͤnger
genug, Juͤngferlein, um die beſcheidnen kleinen Entſchaͤdi-
gungen, die Du mir zugedacht, genießen zu koͤnnen!
Vielleicht waͤr’ es noch Zeit, aus meiner gefaͤhrlichen Le-
bensbahn in Eure unſchuldige hinuͤber zu ſpringen, viel-
leicht, wenn ein Herz wie das Deine mir ſtuͤrmiſch ent-
gegenſchluͤge! Eines Maͤdchens Liebe iſt, wie wir ſehen,
unverwuͤſtlich und ſchafft immer neu. Sie iſt mir aber
nicht beſchieden, und ſo werde kein Wort mehr darum ver-
loren. So bleib’ ich aber auch unerſchuͤtterlich in meiner
Bahn. Denn ich fuͤhle es wohl, ich geriethe in’s Schwan-
ken der alten Weiber, wenn ich halb hierhin neigen wollte
nach dieſen Empfindſamkeiten, halb dorthin nach der Stur-
mesſaat, unter welche ich mein Leben gepflanzt habe. Ich
will der Wittich bleiben ganz und gar. Der Satan hat
mich betrogen mit Dir: Reiz und geheimes Wunder wollt’
ich aus Dir erpreſſen, und ein verliebtes, thoͤricht-from-
mes Juͤngferlein hab’ ich entdeckt, ſonſt nichts. Ein furcht-
bar Geruͤſt von Lug und Trug aber hab’ ich zu dem Ende
erbaut, und dies koͤnnte mich zerſchmettern, wenn es nicht
benutzt wird als Dein Schaffot — ſo werde es denn
Schaffot, wie der Teufel es gewollt hat. Als eine Spie-
gelfechterei begann das Spiel, Satan hat’s zum unver-
meidlichen Ernſte gedreht, und er muß Recht behalten,
damit ich mein Erdenleben ungeſtoͤrt behalte.
Dies iſt der Ausgang, Maͤdchen, nun berathe Dich
Laube, dram. Werke. III. 15
[226]Die Bernſteinhexe.
mit Deinem Gott zum Tode, denn binnen einer Stunde
umarmt er Dich.
Die Richter moͤgen eintreten!
Barmherziger Gott, was heißt das Alles?
Der Boͤſe laͤßt ihn nicht los! Es heißt „Sterben“,
Vater, helft mir, gebt mir Eure Hand, daß ich ſtandhaft
bleibe — nun iſt Alles vorbei!
Sechste Scene.
Vorigen.
Fenſter und ſtoͤßt es auf.)
Der Tag graut uͤber die See herauf, es iſt Zeit! —
Die frommen Menſchen kommen in Schaaren, ſie wollen
ja nicht das erbauliche Schauſpiel verſaͤumen, und
das nennen ſie Froͤmmigkeit. —
Rich-
[227]Die Bernſteinhexe.
ter von Uſedom, wir haben nicht mehr noͤthig, uns nie-
derzuſetzen, die Lage der Hexe iſt geblieben wie ſie war,
und wenn der Conſul von Uſedom die letzte Beſtaͤtigung
der Angeklagten vernommen, ſo iſt das aufgeſetzte Urtheil
zu verleſen und der Stab zu brechen.
Stab auf die Tafel gelegt).
Maria Schweidlerin, der Hexerei Angeklagte, ſo gieb
noch einmal Antwort auf die Hauptfragen! — Iſt es
wahr, daß Du vom lebendigen Gott abgefallen und Dich
dem leidigen Satan ergeben?
So ſage jetzt die Wahrheit, Kind, ſie allein kann Dich
retten!
O mein Vater, wenn ich die Wahrheit ſage, ſo ſchnuͤ-
ren ſie meine Glieder von Neuem auf die Folter, und lie-
ber will ich ſterben!
O barmherziger Gott!
Antworte, Maria Schweidlerin, ob Du wirklich vom
lebendigen Gott abgefallen und Dich dem leidigen Satan
ergeben?
15*
[228]Die Bernſteinhexe.
Ja.
Iſt es wahr, daß Du einen Geiſt gehabt, der Dich in
der See umgetauft und Dich unterworfen?
Ja.
Wahr, daß Du Acker und Vieh allerhand Uebles zu-
gefuͤgt?
Ja.
Wahr, daß Dir der Satanas auf dem Streckelberge
als ein haarigter Rieſe erſchienen?
Ja.
So hoͤre jetzt Dein Urtheil. Nach obigem, ſo eben
vernommenen guͤtlichen Bekenntniß erkennen und ſprechen
wir fuͤr Recht: daß die Schuldige zur wohlverdienten
Strafe und Andern zum Exempel billig mit vier gluͤhen-
den Zangenriſſen an ihren Bruͤſten zu belegen und nach-
[229]Die Bernſteinhexe.
mals mit dem Feuer vom Leben zum Tode zu bringen ſei.
Dieweil wir aber in Betrachtung ihres Alters und auf
Fuͤrſprache Seiner Geſtrengen des Herrn Amtshaupt-
manns ſie mit den Zangenriſſen aus Gnaden zu verſcho-
nen gewilligt, alſo ſoll ſie nur durch die einfache Feuer-
ſtrafe vom Leben zum Tode gebracht werden. Von pein-
lichen Rechts wegen. Und ſomit breche ich den Stab uͤber
Dich, Maria Schweidlerin.
ihr zu Fuͤßen.)
O Gott, o Gott verlaß mich nicht!
Mein Kind, mein Kind!
Muth, Vater, Muth!
auf, geht damit an’s offene Fenſter, zeigt ſie und wirft ſie hinab
— man hoͤrt ein fernes Volksgeſchrei. — Auf einen Wink
Wittich—s kommen die Waͤchter herein und entfernen Tiſch und
Stuͤhle. — Marie und Schweidler treten mehr in den Vorder-
grund, Wulf erſcheint mit einem breiten Schwerte und tritt
an’s offene Fenſter):
Dem peinlichen Gerichte zu wiſſen, daß ich als Buͤt-
tel von Pudagla das Zetergeſchrei ausrufe!
[230]Die Bernſteinhexe.
Schmach uͤber Schmach!
Geduld, Geduld — wenn nur die Glieder halten!
Dem Geiſte thut’s nicht wehe!
Zeter uͤber die vermaledeite Hexe Maria Schweidle-
rin, daß ſie vom lebendigen Gotte abgefallen!
Zeter uͤber die vermaledeite Hexe!
Schwert an die Erde legt, einen Strick holt, damit die Haͤnde
Mariens feſſelt, das Schwert dann in die Rechte wieder auf-
nimmt, mit der Linken den Strick haltend, tritt der Conſul vor.
Das Arme-Suͤnder-Gloͤcklein beginnt zu laͤuten.)
Der letzte Augenblick iſt da, ungluͤcklich Maͤdchen, und
laut gerichtlichem Herkommen ſteht Dir, der armen Suͤn-
derin, eine Rede und eine Bitte frei. So rede denn und
ſprich, was Dir noch wuͤnſchenswerth auf dieſer Erde —
das Arme-Suͤnder-Gloͤcklein laͤutet zum Zeichen und zum
Troſte Dir, daß jeglicher Fromme Dich ohne Dein Ver-
dienſt in ſein Gebet einſchließen werde.
Sprich, ſage aus Deine Unſchuld, und daß Du nur
[231]Die Bernſteinhexe.
der Folter halber Dich unrecht angeklagt, und daß Du
Appellation verlangeſt an den Landesherrn.
Das waͤre unſtatthaft, Ehren-Abraham.
Seid unbeſorgt; ich will nichts mehr dergleichen. Gott
ſieht in mein Herz, und weiß, wie bitter mir der Tod;
ach ich bin jung, und hoffte noch vor wenig Stunden ſo
Liebliches vom Leben! Vorbei! Sterben iſt beſſer als
Leben unter ſo rauhen und grauſamen Haͤnden. Euer
Glaube von den Wunderthaten in dieſer Welt iſt roh, und
Euer Wiſſen uͤber mich iſt irrthuͤmlich. Gott verzeiht
Euch, denn Ihr wißt’s nicht beſſer, und der Eine unter
Euch, dieſer da!
der es
beſſer weiß, den moͤge Gott —
Verfluche mich, es ſteht Dir frei!
Den moͤge Gott erleuchten!
Und was erbitteſt Du Dir?
O, wenn’s geſchehen koͤnnte!
[232]Die Bernſteinhexe.
Sprich getroſt.
Den Junker Ruͤdiger moͤcht’ ich noch einmal ſehn!
Beneidenswerther Junker!
Der Dich unwuͤrdig verrathen und angeſchwaͤrzt.
Es wird ihm wohlthun, wenn ich ihm vergebe.
Der Junker iſt ſeit geſtern unſichtbar, und nur der
Herr Amtshauptmann kann entſcheiden, ob er ſo nahe iſt,
um binnen einer Viertelſtunde herbeigeholt zu werden,
denn laͤngere Friſt iſt Dir nicht mehr geſtattet.
Daran iſt nicht zu denken; der Junker Ruͤdiger iſt un-
erreichbar weit!
Das thut ſehr weh! Das hatt’ ich noch gehofft! O
Gott, o Gott! — Verzicht’, verzicht’ o Herz! — Sonſt
hab’ ich nichts zu bitten!
[233]Die Bernſteinhexe.
Siebente Scene.
Barmherzigkeit, Barmherzigkeit! ich muß meine
Jungfer noch einmal ſehen.
Wer laͤßt das Weib herein!
Gute Ilſe!
Du ungerechte Magd!
Ich hab’ Euch zum Tode geholfen, aber ich kann nicht
dafuͤr!
Beruhige Dich, Ilſe, Du weißt es nicht beſſer und
liebſt mich doch!
Ach, ob ich Euch liebe! Ich will mit Euch verbrannt
[234]Die Bernſteinhexe.
ſein! Der Zabel hat mir vom Tode der Lieſe geſagt, und
wie die an Allem ſchuld geweſen, ach Gott, ach Gott,
am Ende hab’ ich falſch gezeugt!
Du wußteſt es nicht beſſer.
Baſta! Es graut der Tag und Lucifer geht unter!
Vorwaͤrts zum Scheiterhaufen auf dem Streckelberge!
Mein Kind, mein Kind, ich uͤberſteh’ es nicht!
Seid ſtandhaft — ſtandhaft — Vater! Damit ich
vor dem Volk nicht — wanke!
Vorwaͤrts!
Vorwaͤrts! — Und Gott vergeb’ uns Allen. — Dir
auch Wittich!
Wulf, den Strick und das Schwert haltend voraus, Alles folgt
ſchweigend. Da ſie an der Thuͤr verſchwinden, laͤutet Ruͤdiger
noch einmal heftig — und die Arme-Suͤnder-Glocke, welche
eine Zeitlang geſchwiegen, beginnt wieder: — Das Theater
[235]Die Bernſteinhexe.
bleibt eine Weile leer, es wird Tag; das Gloͤcklein laͤutet. Bald
nachdem die Buͤhne leer geworden, hoͤrt man das Volksgeſchrei:
„Zum Tode die Hexe! zum Tode die Hexe!“ welches ſich mehr
und mehr entfernt, dann nur noch ganz ſchwach, endlich gar
nicht mehr hoͤrbar iſt. Auch das Gloͤcklein verſtummt.)
Achte Scene.
Hand haltend, ſtuͤrzt herein, und bleibt athemlos an der erſten
Thuͤr links ſtehen).
Oh! Oh! — Endlich! — Und nun doch zu ſpaͤt! —
Wozu ſoll ich nun noch den — Junker in den Waſſerſchuß
hineinſtuͤrzen! helfen kann er auch nicht mehr, und nur
ſelbſt noch Schaden leiden! Mag er! Was ſind wir nuͤtze,
wenn die Jungfer fehlt!
Ich thu’, was
ich kann, er mag auch thun
was er kann!
[236]Die Bernſteinhexe.
Neunte Scene.
Endlich! Und wie weit iſt der Frevel gediehen,
Birkhahn?
Zu weit!
Alles leer! War es das Arme-Suͤnder-Gloͤckchen!
Es war das Arme-Suͤnder-Gloͤckchen!
Sie iſt verurtheilt?
Freilich!
Allmaͤchtiger Gott, und Du duldeſt dieſen Frevel!
deckt ſich das Geſicht.)
Wo iſt ſie?
Seht hin!
[237]Die Bernſteinhexe.
Dieſe Menſchenmaſſe — nach dem Streckelberge?!
Ihr habt ja gute Augen! Seht Ihr auf der Seeſeite
den Scheiterhaufen?
Sie iſt dabei? — Sie wird zum Scheiterhaufen ge-
fuͤhrt?
In einer Viertelſtunde iſt ſie verbrannt.
Das iſt nicht moͤglich!
Was waͤr’ dem Wittich nicht moͤglich! Der Wulf hat
uns nur zur Haͤlfte gedient, und jetzt koͤnnt auch Ihr nichts
mehr nuͤtzen! Der Andres kann vor Abend nicht zuruͤck
ſein, und ſo habt Ihr nichts in der Hand —
Als mein Schwert —
Was nuͤtzt uns das — ich dachte auch, ’s waͤr’ immer
noch was zu machen und hatte Euer Pferd geſattelt, aber
ſeht nur hin! Tauſend und aber tauſend Menſchen ver-
[238]Die Bernſteinhexe.
ſtopfen den Kloſterdamm zum Streckelberge, es iſt nicht
durchzukommen, und das Volk iſt grimmig wie der Auer-
ochſe, es zerriſſe uns, wenn es merkte, daß wir der Jung-
fer beiſtehn wollten — und der Umweg an der Seeſeite iſt
zu weit und das Schmollenwaſſer iſt zu breit, und wenn
das Alles nicht waͤre, was kann ein Einzelner gegen Urtel
und gebrochenen Stab!
Dieſen Richtern ſelber den Stab brechen, ſo mir Gott
im Himmel helfe!
Mir iſt’s ſchon recht! ’s iſt an uns Allen nichts mehr
gelegen! Hoͤrt nur, was vorgegangen!
tergrunde — man hoͤrt es donnern, es regnet und es ver-
finſtert ſich allmaͤhlig die Luft. Blitze leuchten, Geraͤuſch
des andringenden Volkshaufens.
(Zwei Waͤchter ſtehen mit brennenden Fackeln am Scheiter-
haufen; an jeder Culiſſe ſteht ein Musketier, Gewehr im
Arme. Fuͤr die vorderen Culiſſen treten ſie vor nach der
Verwandlung; an den hinteren ſtehen ſie ſchon. Die Com-
mandoworte fuͤr ſie, von ihrem nicht ſichtbaren Anfuͤhrer
ausgehend, kommen von der linken Seite, von welcher auch
Wittich und die Uebrigen eintreten. Man hoͤrt den Ge-
ſang eines geiſtlichen Liedes naͤher kommen.)
[239]Die Bernſteinhexe.
Habt Acht!
nach den Culiſſen.)
Kein Menſch darf uͤber das Seil hinuͤber!
Der Herr Amtshauptmann, ſa-
lutirt!
links hinter den Culiſſen geruͤhrt.)
Zehnte Scene.
und Schweidler — Wulf (im rothen Mantel, jene am
Strick haltend, das Schwert in der Hand; vier Bauern mit
Heugabeln.)
Die Hexe macht Wetter, zum Brande, zum Brande!
Wer uͤber das Seil tritt und heran will, wird todt
geſchoſſen! —
Hoͤrt Ihr!
Wer uͤber das Seil tritt, wird todtgeſchoſſen!
melwirbel; neues Volksgeſchrei.)
[240]Die Bernſteinhexe.
Es iſt dem Volk nicht zu verargen, geſtrenger Herr,
das Wetter wird immer entſetzlicher, und das Volk ſchreit
mit Recht, die Hexe ſei an dieſem Hoͤllenwetter ſchuld!
Mit welcher geheimnißvollen Kraft, Weib, biſt Du
im Bunde? Und warum willſt Du ein ſo ungeheures Ge-
heimniß mit in’s Grab nehmen und uns Allen entziehn?
Rex tremendae majestatis,
Qui salvandos salvas gratis,
Salva me, fons pietatis!
Rufe Gott an, ſtatt des Teufels, Dein letzter Augen-
blick iſt da!
Das iſt’s ja eben, Narr, ſie ruft nicht zum Teufel, ſie
ſpricht ein altes Kirchen-Lied! Sie narrt Euch und hoͤh-
net mich! Bleibt Ihr die Narren, ich will fuͤr den Hohn
mich raͤchen! Holla, Waͤchter, macht Euch fertig!
Marie.)
Noch ſchaff’ ich Rath, Maͤdchen, wenn Du Dei-
nen Zauber mir wahrhaft enthuͤllſt und mir ihn mitthei-
leſt! Willſt Du? ſprich!
[241]Die Bernſteinhexe.
Ja, ich will fuͤr Dich beten, daß Dir Gott vergebe,
wie er mir gnaͤdig ſei anjetzt in meinem letzten Stuͤndlein!
So fahr zu Deinen Goͤtzen!
Hal-
loh!
Herr, es iſt bei dem Hoͤllenwetter nicht moͤglich, das
Holz in Brand zu ſtecken! Es trieft vom Regen; Ihr
muͤßt Euch einen Augenblick gedulden!
Schweig’, Schurke, Du biſt mir verdaͤchtig! Ich will
mich nicht gedulden, und der Teufel wird ſorgen, daß naſ-
ſes Holz brenne und dieſe Feindin langſam daran ver-
gehe — auf den Holzſtoß mit ihr!
ſchlag, Trommelwirbel — Marie faͤllt ihrem Vater in die
Arme — erneutes Volksgeſchrei. Waͤhrend Marie von ihrem
Vater gefuͤhrt und vom Buͤttel am Arme gefaßt zum Holzſtoß ge-
leitet wird, um dort angebunden zu werden, tritt eine augen-
blickliche Pauſe ein, und man hoͤrt):
Ein Reiter mit weißem Tuche wehend dringt durch’s
Volk!
Ein Poſſenſtreich!
Laube, dram. Werke. III. 16
[242]Die Bernſteinhexe.
Er zieht ſein Schwert und bricht ſich Bahn!
Der Junker! Der Junker!
Wer iſt’s?
Das Volk ſchreit: der Junker!
Ha Schurke! — Laßt Eure Leute anſchlagen, und ihn
niederſchießen wie einen tollen Hund!
Macht Euch fertig!
ſen und nehmen ſie halb in die Hoͤhe, als beduͤrft’ es nur noch
eines Commandos, um anzulegen und zu ſchießen).
Um Gotteswillen, Euren eignen Sohn!
Ich habe keinen Sohn!
Er kann ja Nachricht bringen vom Obergerichte oder
dem Landesherrn!
[243]Die Bernſteinhexe.
Das kann er Alles nicht, denn er hat Pudagla nicht
verlaſſen — er widerſetzt ſich meiner Macht; das ſoll kein
Menſchenkind, ſo lang’ ich athmen kann.
Im Namen Gottes haltet ein!
neuer Donner und Blitz.)
In’s Teufels Namen, ſchießt ihn todt!
Schlagt an!
und Donnerſchlag, von welchem der Amtshauptmann niederge-
ſchmettert wird.)
Barmherziger Gott, der Amtshauptmann iſt er-
ſchlagen!
16*
[244]Die Bernſteinhexe.
Elfte Scene.
Gott hat gerichtet zwiſchen ihm und mir!
laͤßt nach.)
So gehorcht Gott und gebt ſie augenblicklich
frei, die Ungluͤckliche, die unter Euren Haͤnden unſchuldig
gemartert und geaͤngſtigt, unrecht gerichtet und verurtheilt
worden, ja von einem abſcheulich ungerechten Tode be-
droht iſt —
Hinweg, Henker!
Halt da! Strecke Dein Schwert vor, Buͤttel, und
ſchuͤtze das Gericht!
Wahrt Euch, Herr Conſul! Wahrt Euer Leben beſ-
ſer als Eure Amtsehre, denn ich ſchwoͤr’ es Euch beim
Geiſte meiner ſeligen Mutter, wer mir in den Weg tritt,
wer mit einem Finger die Befreiung dieſes von Euch nichts-
wuͤrdig gemißhandelten Maͤdchens hindern will, der iſt
des Todes, ſtirbt von meiner Hand!
So ſeht doch um Euch, Junker, viele tauſende ſind
[245]Die Bernſteinhexe.
da zum Schutze des Gerichts und ſchreien nach dem Tode
der Hexe.
Und waͤren ihrer wie Sand am Meere, bis ich bewaͤl-
tigt bin, ſtirbt jeder, der mir in den Weg tritt, und Du,
thoͤrichter Hexen-Richter, zuerſt. Dies wiſſe voraus, nun
hoͤre, welches Rechtsganges Euer Verfahren geweſen,
und haſt Du’s gehoͤrt, dann weiche ſchleunig, willſt Du
nicht fruͤher ſterben als jenes Opfer. Was war Euer
Verfahren? Die Laune dieſes Mannes war’s,
tich deutend)
den Gott der Herr erſchlagen zur Warnung
Eures Bloͤdſinnes.
tich.)
Er begehrte Marie zu ſeinen Luͤſten, deshalb ver-
folgte er ſie, um ſie durch Furcht zu gewinnen. Ich pro-
teſtirte dagegen und ſchrieb allen Grund der Klage un-
ſerm Herzoge Bogislav und ſchickte einen Reiter nach
Stettin mit meinem Briefe, als Ihr das ungluͤckliche Maͤd-
chen aus dem Pfarrhauſe hinweggeſchleppt hattet. Dieſer
Reiter wird jetzt ſchon auf dem Ruͤckwege ſein und wuͤrde
Euch ein Schreckensbote werden, wenn Euer frevelhafter
Richterſpruch voreilig ausgefuͤhrt waͤre.
Dies iſt das Erſte, was Ihr wiſſen ſollt.
Das zweite iſt das falſche Zeugniß der Kolken-Lieſe,
die in der Todesangſt Alles widerrufen hat in Gegenwart
Wittich’s und des Pfarrers Schweidler; ſogar Wulf der
Henker hat’s angehoͤrt — Wittich hat es verſchwiegen,
[246]Die Bernſteinhexe.
dafuͤr liegt er zerſchmettert am Boden, den Pfarrer habt
Ihr nicht angehoͤrt, und was alle Leute erfahren haben
von ihm, das weiß nur dies Gericht nicht, welches uͤber
Leben und Tod richtet. Wehe Euch!
Endlich! Mich ſelbſt hat Wittich gefangen gehalten
waͤhrend des Prozeſſes, weil meine Ausſage das Luͤgen-
gewebe vernichtet haͤtte. Mir hat er eine zweideutige
ſchriftliche Ausſage abgenoͤthigt, welche Euch irre gefuͤhrt
und das Maͤdchen zu Grunde gerichtet hat. So wiſſet
denn: ich bin der ſogenannte Teufel geweſen, der hier
zur Nachtzeit neben der Jungfer geſtanden, ich in einen
Wolfspelz vermummt war Euer haariger Teufelsrieſe. —
Gott lohn’s Euch! —
hoͤrern.)
Ich Junker Ruͤdiger von Nienkerken, dies bezeuge
ich hier vor maͤnniglich auf Ritterwort und Ehre,
ja bei meiner Seelen Seligkeit! —
Nun denn, wer hebt den Stein auf gegen mich
und meine Liebſte?! — Vergieb, Marie. —
ſchreitet auf ſie zu.)
Zuruͤck, Herr Junker!
ter ihre Heugabeln entgegen und treten zwei Musketiere zwiſchen
ihn und Marien.)
[247]Die Bernſteinhexe.
Du willſt kein Einſehn nehmen, frecher Conſul!
Beruhigt Euch und ſcheltet nicht! Vor meinen Augen
liegt die Sache anders. Der Herzog Bogislav zuerſt miſcht
ſich nicht leicht in den Hexenprozeß eines unbekannten
Maͤdchens. Da haͤtt’ er Viel zu thun, denn jede Paro-
chie hat wie Ihr wißt in jedem Vierteljahre wenigſtens
eine Hexe zu richten und zu verbrennen!
Gott ſei’s geklagt.
Der Widerruf der Kolken-Lieſe ferner iſt unerwieſen
und Eure Ausſage betrifft nur eine einzelne Thatſache —
ich war ſelbſt zu Anfang nicht geneigt, an die Hexerei des
Maͤdchens zu glauben, jetzt bin ich uͤberzeugt davon und
jedenfalls kann ich nicht die Verantwortung auf mich neh-
men, einen in aller Form Rechtens gefaͤllten Urtheils-
ſpruch aufheben zu laſſen, weil Ihr auf dem Richtplatze
einen lebhaften Einſpruch erhebt. So liegt die Sache.
Außerdem
iſt’s
ja unmoͤglich Junker, und wenn Ihr Euer Leben lieb habt,
ſo ſteht davon ab. Wir ſind Alle des Todes und werden
von dem Volke in Stuͤcke zerriſſen, wenn wir ihm dies
[248]Die Bernſteinhexe.
Schlachtopfer entziehn. —
mult: Die Hexe muß brennen, die Hexe muß brennen, vor-
waͤrts!)
Hoͤrt Ihr wohl? Volkes Haß, ein ſchneidend Glas!
Volkes Gunſt ein blauer Dunſt! Nun denn, ſo ſprecht
Euer Vater unſer, denn Ihr ſterbt zuerſt, ſo Ihr in mei-
nem Wege bleibt!
ſein Schwert.)
Zuruͤck, wer nicht ſterben will!
Raum und er hebt Marien vom Scheiterhaufen und reißt den
Strick von ihren Haͤnden. Wuͤthendes Volksgeſchrei.)
ſchwingt das Schwert, es wird ganz ruhig, er ruft):
Der Amtshauptmann auf dem langen Schimmel kommt
den Berg herauf — der Wittich ſpukt!
dem rothen Mantel.)
Dies iſt mein Bote Andres, den der Herzog ſendet!
Weh’ uns, er kann nur unverrichteter. Sache ſchon zu-
ruͤck ſein!
Nein, ’s iſt der Birkhahn Zabel, der einen großen
Brief in die Luft haͤlt!
Eine Kriegsliſt des Burſchen.
[249]Die Bernſteinhexe.
Die uns retten kann —
Er ſteigt ab — macht Platz!
Zwoͤlfte Scene.
Da iſt des Herzogs Brief! —
Wahrhaftig?
Wahr und wahrhaftig Herr; denn Gott kann mehr
als alle Eure Teufel! Ich konnt’ Euch
lieſt)
ja nicht ſo fix nach wie Ihr von dannen rittet, und
als ich auf’s Freie aus Pudagla ’raus trete, da ſeh ich
von Wolgaſt her den langen Schimmel getrabt kommen
mit Andres — holla! nun winkt ich, winkt ich! Fixer,
Andres, fixer! Und ſtieg ab, und ich ſtieg auf, und wie
biſt Du ſchon da! Na, da iſt Gottes Finger! Der Her-
[250]Die Bernſteinhexe.
zog iſt eben von Stettin in Wolgaſt angekommen zur Feiſt-
jagd der Hirſche. — Eben wollte er in den Pener-Wald
hinaus rum, num! Andreas iſt ein gewuͤrfelter Kerl,
ſprengt hin, uͤberreicht, abgemacht, der Herr Herzog ant-
wortet auf der Stelle, und ruft aus: Sind die Uſedomer
des Teufels! Wollen meine kleine lateiniſche Pfarrjungfer
um’s Leben bringen; das allerliebſte, gottgefaͤllige Maͤd-
chen. Das ſollen ſie ſich bei Leibe nicht unterſtehn!
Der Herr Herzog ſchreibt: Ihr waͤrt wohl des Teufels,
daß Ihr die fromme Jungfer verbrennen wollt!
renes Geſchrei.)
Bring’s aus, bring’s aus!
Freilich!
Hier macht’s bekannt. —
Und nun zu Dir mein Engelskind!
Bin ich gerettet!
Wir ſind gerettet.
[251]Die Bernſteinhexe.
O, mein Glaube! — Gerettet, Vater!
Mein Kind! Gott lohn’ es Euch in Ewigkeit, Herr
Junker!
Herr Herzog Bogislav ſchreibt, daß er die Jungfer
Marie Schweidler ſehr gut kenne, daß ſie um ihrer ſelt-
nen Gaben willen irrthuͤmlich angeklagt ſein muͤſſe, und
daß wir inne halten ſollten mit dem peinlichen Verfahren.
Salutirt dem Landesherrn!
des Volkes, Soldaten praͤſentiren.)
Und bin ich Deines Herzens noch verſichert?
Das war’t Ihr ſtets, auch da ich weinen mußte.
Ueber mich! —
Noch Eins! Leute von Uſedom!
Sie ſind jetzt alle ſtill.
Ihr habt’s geſehn, daß ich an Gott, doch nicht an
Euren Hexenteufel glaube —
[252]Die Bernſteinhexe.
Um Gotteswillen, wenn ſie den Teufel nicht mehr
fuͤrchten, ſo fuͤrchten ſie auch unſern Herrgott nicht
mehr —
Und nun ſollt Ihr in Zukunft ſehn, daß ich doch fer-
tig werde mit Eurer ſchlimmen Bernſteinhexe, die ich hier-
mit vor Gott und allem Volk zu meinem ehelichen Weib
begehre —
Ruͤdiger!
Herr Junker, wie?!
Das iſt mein Treffer!
Ihr uͤbereilt Euch, Junker, ſie iſt nicht von Adel.
Nein, Gott hat ſie geadelt, armer Mann!
Brav iſt er doch!
[253]Die Bernſteinhexe.
Und brav biſt Du!
Und willſt Du’s mit
mir wagen?
Von ganzem Herzen, ja!
So ſegne Euch der alte gute Gott!
Wink neues Trommeln, Volksjubel.)
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Appendix A
Druck der Teubner’ſchen Offizin in Leipzig.
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dieſe Bezeichnung durchaus zu verſtehen.
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-
CC-BY-4.0
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- TextGrid Repository (2025). Laube, Heinrich. Die Bernsteinhexe. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn54.0