Satyriſcher
und
Ernſthafter
Schriften.
[[2]][[3]]
Vorrede.
Jch ſehe vorher, daß diejeni-
gen, welche ſich an meinen
Schriften, zu der Zeit, als
ſie eintzeln heraus kamen,
ſo ſehr geaͤrgert haben, uͤber
gegenwaͤrtige Sammlung
derſelben gleichfals erbaͤrmlich ſeufzen wer-
den. Allein, wie ſehr ich ſie auch desfals
beklage, ſo kan ich ihnen doch nicht helfen.
Jch habe es dem Herrn Verleger nicht
verwehren koͤnnen, meine Schriften zu-
ſammen drucken zu laſſen. Mit dem muͤſ-
ſen ſie es ausmachen. Jch bin unſchuldig,
und wuͤrde vor mich ſelbſt nimmer darauf
a 2ver-
[4](o)
verfallen ſeyn, an eine Sammlung und
neue Auflage ſolcher Kleinigkeiten zu geden-
cken, die vieleicht kaum des erſten Drucks
wuͤrdig geweſen ſind.
Sind meine ſchwachen, murriſchen,
eigenſinnigen und ſcheinheiligen Leſer mit
dieſer Entſchuldigung nicht zu frieden, ſo
weiß ich nicht, wie ich es anfangen ſoll, ih-
ren Zorn von mir abzuwenden. Buß-
Thraͤnen muͤſſen ſie von mir nicht erwar-
ten. Denn, wie wenig ich auch in meine
Schriften verliebt bin, ſo ſehe ich ſie doch
nicht mit ſolchem Abſcheu an, als Buchka
ſeinen Muffel. Es gereuet mich nicht,
daß ich ſie gemacht habe. Jch liebe ſie als
meine Kinder, und meine Abſicht iſt nicht,
ſie in dieſer Vorrede zu verfluchen. Jch
ertheile ihnen, da ich ſie von neuen in die
Welt ſchicke, meinen vaͤterlichen Seegen.
Dieſes iſt die lezte Pflicht, die ich ihnen
leiſte. Um ihr Schickſal werde ich mich
wenig bekuͤmmern. Sie haben ſchon Gu-
tes und Boͤſes erfahren, und es kan ihnen
nicht viel aͤrger ergehen, als es ihnen er-
gangen iſt, da ſie das erſte mahl in der
Welt erſchienen. Wenigſtens werden ſie,
allem Anſehen nach, nicht mehr ſo vielen
ungleichen Urtheilen unterworfen ſeyn,
als
[5](o)
als ehemahls; weil ſie, eben darum, daß
ſie nicht mehr neu ſind, wenig Kaͤufer und
Leſer finden werden.
Dieſes kan vieleicht den Herrn Verleger
verdrieſſen: Aber mich nicht. Jch weiß,
das ſatyriſche Schriften, die wieder eine
gewiſſe Perſon gerichtet ſind, nur eine kur-
tze Zeit geſuchet werden. Man hat ihrer
bald ſatt; und wer einen Ruhm ſuchet, der
dauren ſoll, und ſeinen Nahmen unſterb-
lich machen will, der muß ſeine Sachen
gantz anders anfangen, als ich. So hohe
Abſichten habe ich in meinem Schreiben
nicht gehabt. Die Luſt, die mit der Zeu-
gung geiſtlicher Kinder verknuͤpfet iſt, iſt
mein eintziger Endzweck geweſen. Dieſen
Endzweck habe ich erreichet. Damit bin
ich zu frieden, und es ſoll mir gleich viel
ſeyn, ob die Nachwelt ſich noch an meinen
Schriften ergetzet, oder ob man noch bey
meinem Leben aufhoͤret, dieſelbe zu leſen.
Die Unſterblichkeit ſuche ich nicht. Jch
will lieber
ant de vie
Que mille autels aprés ma mort.(1)’
a 3Jch
[6](o)
Jch bin verſichert, daß man mich mit die-
ſer Ehre verſchonen wird. Durch meine
Schriften habe ich ſie zum wenigſten nicht
verdienet. Jch habe in ſelbigen die Bloͤſſe
gewiſſer Leute aufgedecket, die ſo ſchon of-
fenbar genug war. Das iſt keine Helden-
that, und ich gebe es auch nicht davor aus.
Jch weiß wohl, daß ich keine Rieſen erle-
get; ſondern nur mit Zwergen gekaͤmpfet
habe: Und nichts in der Welt iſt ſo geſchickt,
mich demuͤthig zu machen, als der Sieg,
den ich uͤber dieſelbe erhalten habe.
Viele haben es mir ſehr verdacht, daß ich
mich mit ſolchen Leuten in einen Kampf ein-
gelaſſen; Sie haben geſagt,
Æmulus Ajaci . . . . .(2)’
und von meinem Verfahren Urtheile gefaͤl-
let, die mir eben nicht ruͤhmlich ſind. Al-
lein, zu geſchweigen, daß dieſe Herren in
der Verachtung, die ſie gegen meine Geg-
ner bezeugen, vielleicht gar zu weit gehen,
ſo hofe ich, ſie werden von meinem Ver-
fahren milder urtheilen, wenn ſie ſehen,
wie unſchuldig und unvermuthet ich mit
dieſen ehrlichen Maͤnnern in Haͤndel ge-
rathen bin. Jch will ihnen zu dem En-
de
[7](o)
de die Geſchichte dieſer Haͤndel aufrichtig
erzehlen.
Der erſte, mit dem ich verfiel, war
der Herr Mag. Sievers, ein junger
Menſch aus Luͤbeck gebuͤrtig, woſelbſt ſein
Vater Cantor war. Eine gar zu vor-
theilhafte Einbildung von der Groͤſſe ſei-
ner Gaben, die an ſich nicht zu verachten
waren, hatte in ihm von Jugend auf ei-
ne Begierde gewircket, ſeinem Nechſten
zu dienen, die groͤſſer war, als ſein Ver-
moͤgen. Er ward gantz fruͤhe Meiſter der
freyen Kuͤnſte, unterrichtete die ſtudiren-
de Jugend zu Roſtock, und theilte der
Welt in kurtzer Zeit eine ſolche Menge
Schriften in gebundener und ungebunde-
ner Rede mit, daß er ſchon in ſeinem 21ten
Jahr im Stande war, eine Sammlung
derſelben in Zween Octav Baͤnden her-
auszugeben.
Alle dieſe Schriften waren nicht weit
her, und, aufs beſcheidenſte davon zu re-
den, nichts anders, als ein Miſchmaſch
gemeiner, unreifer, und gutentheils ge-
ſtohlner Gedancken, die entweder, mit
vieler Muͤhe, in deutſche Reime gezwun-
gen, oder durch ein plattes und barbari
ſches Kuͤchen-Latein noch mehr verſtelet
waren.
a 4Jch
[8](o)
Jch laß ſie, und lachte daruͤber, wie
viele andere: Aber es kam mir nicht in den
Sinn, gegen dem Hrn. Mag. Sievers
zu ſchreiben. Jch hielte dieſes der Muͤhe
nicht werth. Und ſo war ich noch geſin-
net, als er im Jahr 1732. die Paßion mit
Anmerkungen herausgab. Dieſe Anmer-
kungen waren ſo laͤppiſch, daß ich noch
nicht begreifen kan, wie der Hr. M. Sie-
vers es wagen moͤgen, einen ſo ehrwuͤrdi-
gen Text damit zu ſchaͤnden. Jndeſſen haͤt-
te er es meinentwegen noch aͤrger machen
moͤgen. Jch bekuͤmmerte mich ſo wenig
um ihn, und ſeine Schriften, daß ich mir
nimmer die Muͤhe wuͤrde genommen ha-
ben, ihn zu demuͤthigen, wenn er nicht
ſelbſt, auf gewiſſe Maaſſe, Gelegenheit
dazu gegeben haͤtte.
Seine Anmerkungen uͤber die Paßion
waren kaum herausgekommen, ſo wur-
den ſie in dem Hamburgiſchen Correſpon-
denten recenſirt. Dieſe Recenſion war
zwar ſatyriſch aber dabey ſo fein, und hoͤf-
lich, daß der Hr. Mag. Sievers, wenn
er nicht gar zu ſehr von ſich ſelbſt waͤre ein-
genommen geweſen, ſich unmoͤglich daruͤ-
be[r] haͤtte entruͤſten koͤnnen, und ich war
ſo
[9](o)
ſo unſchuldig daran, als der Hr. M. Sie-
vers ſelbſt. Allein der Hr. M. Sievers
war gar zu empfindlich. Er zog ſich die ihm
angethane Beſchimpfung zu ſchmertzlichen
Gemuͤthe: Er ließ einen trotzigen Aufſatz
in das 33te Stuͤck des hamburgiſchen Cor-
reſpondenten ruͤcken, in welchem er den
Verfaſſer der anzuͤglichen Recenſion einen
boßhaftigen und neidiſchen Menſchen nen-
nete, und ſein Unſtern wollte, daß er, oh-
ne alle Urſache, und wider alle Wahrſchein-
lichkeit, mich vor den Urheber dieſer un-
gluͤckſeeligen Recenſion halten muſte.
Jch ſuchte ihm dieſen ungegruͤndeten
Verdacht zu benehmen, und ließ ihn durch
Leute, die mit ihm umgiengen verſichern,
daß ich an der Recenſion ſeiner Anmerkun-
gen uͤber die Paßion keinen Theil haͤtte:
Allein, es half alles nichts. Er blieb da-
bey, ich ſey ſein Verfolger, und ſprach in
allen Geſellſchaften laͤſterlich von mir. Die-
ſes waͤre genug geweſen, einen andern in
Harniſch zu jagen: Aber ich war ſo gelaſ-
ſen, daß ich ihn ſprechen ließ, und gedach-
te an keine Rache.
Wie indeſſen zu der Zeit jederman in Luͤ-
beck von dem neuen Buche des Hrn. Mag.
a 5Sie-
[10](o)
Sievers redete; ſo kam ich auch mit ei-
nem meiner Freunde davon zu ſprechen.
Wir wunderten uns, daß ein ſonſt nicht
unvernuͤnftiger Menſch, ſich nicht ſchaͤ-
mete, der Welt, ſo kindiſche Anmerkun-
gen vorzulegen: Wir entſchuldigten ihn
mit ſeiner Jugend, und ich ſagte unter an-
dern, daß es mir, wenn ich ſo ſchreiben
wollte als der Hr. Mag. Sievers, ein
leichtes ſeyn ſollte, alle 24 Stunden ein
Buch zu machen. Man frug mich, wie
ich das anfangen wollte? Jch antwortete:
Jch duͤrfte nur die Hiſtorie von der Zerſtoͤ-
rung der Stadt Jeruſalem, welche der
Hr. Mag. Sievers ſeiner erlaͤuterten Pa-
ßion angehaͤnget hatte, nehmen, und An-
merkungen daruͤber machen.
Dieſer Einfall gefiel meinem Freunde
ſo wohl, daß er mich bat, denſelben zur
Wuͤrcklichkeit zu bringen. Jch that es,
und war in weniger, als 24 Stunden
mit meinen Anmerkungen uͤber die Ge-
ſchichte von der Zerſtoͤrung der Stadt
Jeruſalem fertig. Meine Abſicht war
noch nicht, daß dieſelbe gedruckt wer-
den ſollten. Jch ſchickte ſie meinem Freun-
de, zu ſeiner privat Beluſtigung zu, und
dabey
[11](o)
dabey waͤre es geblieben, wenn meine
Schrift nicht einem andern guten Freunde
in die Haͤnde gerathen waͤre. Dieſer be-
hielte ſie, und ließ ſie drucken; welches ich
vieleicht wuͤrde verhindert haben, wenn
der Hr. Mag. Sievers ſich beſcheidener
aufgefuͤhret, und mich durch ſein loſes Maul
nicht wieder ſich gereitzet haͤtte.
Auf ſolche Art kamen meine Anmer-
ckungen uͤber die Geſchichte von der
Zerſtoͤrung der Stadt Jeruſalem ans
Licht. Sie ſind meine erſte Schrift wieder
den Hrn. Mag. Sievers, und nehmen
auch in dieſer Sammlung den erſten Platz
ein.
Die andere Schrift, welche ich wieder
den Hrn. Mag. Sievers geſchrieben ha-
be, iſt das Schreiben des Ritters Ro-
bert Clifton an einen Gelehrten Sa-
mojeden ꝛc. Jch verſprach dieſes Schrei-
ben in dem Verzeichniſſe meiner Schrif-
ten, welches ich, nach Art des Hrn. M.
Sievers, meinen Anmerckungen uͤber die
Hiſtorie von der Zerſtoͤrung der Stadt
Jeruſalem angehaͤnget hatte. Jch glaub-
te aber nicht, daß ich dieſes Verſprechen
jemahls erfuͤllen wuͤrde.
Der
[12](o)
Der Hr. Mag. Sievers wolte mit al-
ler Gewalt ein Naturkuͤndiger ſeyn. Jch
weiß nicht, ob dieſe Begierde eine Frucht,
oder eine Urſache der unverdienten Ehre
war, die ihm die Koͤnigl. Preußiſche So-
cietaͤt der Wiſſenſchaften erwieß. So viel
iſt gewiß, daß er, nachdem ihm dieſe be-
ruͤhmte Geſellſchaft, aus Urſachen, die
ihr allein bekannt ſind, zu ihrem Mit-
gliede erkohren hatte, beſtaͤndig an dem
Ufer der Oſtſee herumirrete, und bunte
Steine ſuchte. Die er fand ließ er ſo gleich
in Kupfer ſtechen, ſchreib ein lateiniſches
Briefchen dabey, und verſandte ſie in gantz
Deutſchland an unterſchiedene beruͤhmte
Maͤnner. Dieſes war nun freylich ein
bequemes Mittel, ohne groſſe Unkoſten
in der Welt bekannt zu werden: Allein
ich hielte es doch vor Kinderey, von einem
jeden bunten Quarck ſo viel Aufhebens zu
machen, und wollte dem Hrn. M. Sie-
vers dieſes durch den Titel des Schreibens
des Ritters Clifton an einen gelehrten Sa-
mojeden, auf eine hoͤfliche Art, zu verſte-
hen geben. Jch nannte zu dem Ende die
Betrachtungen dieſes Ritters uͤber eine ge-
frorne Fenſter-Scheibe, Vitrea fracta,
oder nichtswuͤrdig, laͤppiſch Zeug. Der
mu-
[13](o)
muſicaliſche Stein, den der Hr. Mag.
Sievers gefunden hatte, gab mir vor-
nehmlich Anlaß dazu. Man machte viel
Wercks aus dieſem Stein, auf welchem
man ſich muſicaliſche Noten zu entdecken
einbildete. Das Geruͤcht deſſelben er-
ſchallete weit und breit; ja man hat gar
geſaget, der verſtorbene Koͤnig von Poh-
len habe ihn nach Dreßden in die Kunſt-
Kammer verlanget. Er ſoll auch, nach-
dem ihn der Hr. Mag. Sievers vorher,
in perpetuam rei memoriam, abmah-
len laſſen, wuͤrcklich dahin geſchicket ſeyn.
Jch habe dieſen Stein nicht geſehen: A-
ber, nach dem Kupfer zu urtheilen, ſo muß
man juſt eines Cantors Sohn ſeyn, um
Noten darauf zu ſehen.
Jndeſſen war ich nicht geſonnen, ein
ſolches Schreiben an einen Samojeden,
als ich verſprochen hatte, wuͤrcklich zu ver-
fertigen. Jch haͤtte es bey dem Titel be-
wenden laſſen, wenn man mir nicht in
einer Geſellſchaft geſaget haͤtte, die Erfuͤl-
lung meines Verſprechens ſey ſchlechter-
dings unmoͤglich. Jch hielte mich Ehren
halber verbunden, das Gegentheil zu be-
haupten, und fieng von der Zeit an, an,
auf meine Fenſter-Scheibe zu ſinnen. Es
ge-
[14](o)
gelung mir einmahl des Morgens beym
The, ein Blaͤttchen Papier mit ſo viel
wunderlichen Figuren zu bemahlen, als
ich zu meinem Zweck noͤthig zu haben ver-
meinte. Das war das wichtigſte. Mit
dem Schreiben an dem Samojeden ward
ich bald fertig. Es wurde gedruckt, und
der Hr. Mag. Sievers hatte den Ver-
druß, auch ſo gar ſeinen Raritaͤten-Ka-
ſten, den Grund aller ſeiner Hofnung,
und den eintzigen Troſt in ſeinen Noͤthen,
laͤcherlich, gemacht zu ſehen. Er ward
zwar in dem Schreiben an den Samoje-
den nicht genennet; Allein er merckte doch
wohl, daß es auf ſeine bunte Steine ge-
muͤntzet war, und daß Mr. Mackewind
niemand anders ſeyn konnte, als er ſelbſt.
Er fand ſich aber auch in dieſes Ungluͤck,
that vor wie nach groß, und fluchte und
drohete ſeinen Verfolgern.
Dieſe Aufuͤhrung machte, daß ich ſo
viel weniger Bedencken trug die dritte Sa-
tyre gegen ihn zu ſchreiben. Der Hr. M.
Sievers war zu der Zeit, als meine An-
merckungen uͤber die Geſchichte der Zer-
ſtoͤrung der Stadt Jeruſalem heraus ka-
men, ſo wenig Meiſter von ſeinen erſten
Bewegungen geweſen, daß er mich in St.
An-
[15](o)
Annen-Kloſter, auf oͤfentlicher Cantzel,
verfluchet, und in den Abgrund der Hoͤl-
len verdammet hatte. Viele Leute, und
inſonderheit gewiſſe einfaͤltige und mur-
riſche Prieſter, hegten ein ſo unvernuͤnf-
tiges Mitleiden mit dem Hrn. M. Sie-
vers, daß ſie das, was ich wieder denſelben
vorgenommen hatte, vor ein ſtrafbahres
Beginenn hielten, und meine Schriften
vor ſchaͤndliche Pasquillen ausriefen, und
einige wollten darinn einen ſtrafbaren Miß-
brauch bibliſcher Redens-Arten entdecket
haben. Jch hielte vor noͤthig, ſo wohl
den Hrn. M. Sievers wegen ſeines un-
beſonnenen Eyfers, als auch die elende
Schaar ſeiner gar zu mitleidigen Freun-
de, und andere unbillige Richter meiner
Schriften, wegen ihrer laͤcherlichen Ur-
theile, zu zuͤchtigen, und verfertigte, zu
dem Ende eine eigne Schrift, welche in
dieſer Sammlung die dritte iſt.
Jch gab ihr den Titel: Der ſich ſelbſt
entdeckendeX. Y. Z. ꝛc. und ſtellete mich,
als wenn ich mich dem Hrn. Mag. Sie-
vers entdecken wollte; weil derſelbe oͤf-
ters geſaget hatte, er wollte ſeinem Geg-
ner ſchon antworten, wenn er nur wuͤſte;
wer es waͤre. Da es nun aber meine Ab-
ſicht
[16](o)
ſicht gar nicht war, dem Hrn. M. Sie-
vers meinen rechten Nahmen zu ſagen,
ſo borgte ich ſo lange einen fremden, und
Herr Lucas Hermann Backmeiſter,
ein gelehrter Candidatus Miniſterii, der
ſich durch ſeinen ſtillen und unſchuldigen
Wandel, durch ſeine ſittſahmen Geberden,
und durch die beſondere Hoͤflicheit ſeiner
Sitten, von vielen ſeines gleichen, auf ei-
ne ihm ſehr vortheilhafte Art, unterſchei-
det, muſte den ſeinigen hergeben.
Jch war genoͤthiget, zu einem Candi-
dato Miniſterii meine Zuflucht zu nehmen,
weil ich mich auf dem Titel meiner An-
merckungen uͤber die Geſchichte von der
Zerſtoͤrung der Stadt Jeruſalem vor einen
Candidatum Miniſterii ausgegeben hatte,
und glaubte nicht, daß man mir dieſes uͤ-
bel deuten wuͤrde; zumahl, da ich die
Beſcheidenheit gebrauchte, mich nur bloß
der ſtummen Buchſtaben des Nahmens
das Hrn. Backmeiſters zu bedienen, auf
welche ich eben ſo viel Recht zu haben ver-
meinte, als dieſer ehrliche Mann, ohne
mich an den Laut-Buchſtaben deſſelben,
die doch die Seele eines Nahmens ſind, und
ohne welche die ſtummen Buchſtaben nichts
bedeuten, im geringſten zu vergreifen. Al-
lein
[17](o)
lein, ich habe nachdem erfahren muͤſſen,
daß, nicht nur der Hr. Backmeiſter, ſon-
dern auch andere mir dieſes hoͤchſtens ver-
dacht haben. Jch finde nicht noͤthig, mich
gegen dieſe letzten zu vertheidigen. Denn
gegen diejenigen, die den Hrn. Backmei-
ſter niemahlen geſehen haben, getraue ich
mir nicht, mein Verfahren zu rechtferti-
gen, und diejenigen, welche die Ehre ha-
ben, dieſen wackern Mann von Perſon zu
kennen, die werden mir, wenn ſie denſel-
ben nur einmahl recht betrachten, den Feh-
ler, den ich begangen habe, gerne vergeben.
Den Hrn. Backmeiſter aber, der allein
berechtiget iſt, ſich uͤber den Mißbrauch ſei-
nes Nahmens zu beſchweren, bitte ich hie-
mit oͤfentlich um Vergebung. Jch beken-
ne, ich habe mich an ihm verſuͤndiget: Al-
lein die Freyheit, die ich mir in Anſehung
ſeines Nahmens genommen habe, hat ihm
ſo wenig geſchadet, daß er gar keine Urſa-
che hat, auf mich zu zuͤrnen. Keine See-
le in Luͤbeck hat jemahls den geringſten Ver-
dacht, auf ihn gehabt, daß er die Schrift,
vor deren Urheber ich ihn ausgab, gemacht
haͤtte. Die gantze Stadt hielt dieſes vor
ſchlechterdings unmoͤglich. Da er nun un-
ſtreitig zu dem auserwehlten Haͤuflein der-
bje-
[18](o)
jenigen gehoͤret, die meine Schriften, als
aͤrgerlich und gottloß, verdammen; ſo muß
er nothwendig die allgemeine Ueberzeu-
gung von ſeinem chriſtlichen Gemuͤthe, die
eine groſſe und volckreiche Stadt ſo einmuͤ-
thig an den Tag geleget hat, vor ſeinen
hoͤchſten Ruhm achten, und es mir noch
Danck wiſſen, daß ich ihm zu dieſem oͤfent-
lichen Zeugniſſe von ſeiner ausnehmenden
Tugend verholfen habe.
Uebrigens kam dieſe Schrift, der ich des
Hrn. Backmeiſters Nahmen vorgeſetzet
hatte, allererſt im Jahr 1733, und alſo
zu einer Zeit zum Vorſchein, da man mei-
ner Haͤndel mit dem Hrn. Mag. Sievers
faſt vergeſſen hatte. Jch hatte ſo wenig
Luſt, dieſe Haͤndel fortzuſetzen, daß ich
mich nicht entſchlieſſen konnte, eine Schrift
drucken zu laſſen, die nothwendig den Hrn.
Mag. Sievers, und viele andere noch mehr
wieder mich erbittern muſte. Aber endlich
muſte ich den Vorſtellungen meiner Freun-
de weichen. Mein Backmeiſter ward ge-
druckt, und mit demſelben hatte mein Streit
mit dem Hrn. M. Sievers ein Ende.
Jch bin, eigentlich zu reden, der Urheber
deſſelben nicht geweſen. Der unbillige
Verdacht, den der Hr. Mag. Sievers auf
mich
[19](o)
mich warf, und die ungegruͤndeten Klagen,
die er gegen mich fuͤhrete, gaben Anlaß da-
zu. Jch habe ihm zwar nichts geſchencket,
und viele glauben, ich ſey gar zu unbarm-
hertzig mit ihm umgegangen. Allein ſeine
Schriften waren unertraͤglich, und ſein
Stoltz verdiente eine Zuͤchtigung. Er ſelbſt
wird niemahls leugnen, daß meine Saty-
ren ihm ſehr heilſahm geweſen ſind, und
ihn von vielen Ausſchweifungen abgehal-
ten haben. Jch glaube dieſes darum, weil
ich verſichert bin, daß er jetzo! da er zu
reifern Jahren gekommen iſt, ſeine Schrif-
ten mit gantz andern Augen anſiehet, als
vor dieſen. Er hatte viel Gutes an ſich,
und ich habe ihn immer vor den beſten
und vernuͤnftigſten von allen meinen Geg-
nern gehalten. Seine Perſon iſt mir al-
lemahl lieb geweſen; ob ich gleich ſeine
Schriften verabſcheuet habe, und noch
verabſcheue. Jch goͤnne ihm auch noch
alles Gutes, und habe mit Freuden ver-
nommen, daß er in Schweden befordert
iſt. Es iſt dieſes ein Gluͤck, daß er vie-
leicht in ſeinem Vaterlande nicht erlebet
haͤtte, und mir fallen, ſo oft ich daran
gedencke, die Worte des Cicero an den
Trebatius ein: Eſt quod gaudeas, te in
b 2iſta
[20](o)
iſta loca veniſſe, ubi aliquid ſapere vi-
derêre(3). Jch wuͤnſche indeſſen von Her-
tzen, daß er nicht als Compaſtor an der
deutſchen Kirche zu Nordkoͤping ſterben;
ſondern bald zu einer beſſern, und ihm an-
genehmern Stelle in ſeine Vater-Stadt
zuruͤck berufen werden moͤge.
Der andere Held, mit dem ich gekaͤm-
pfet habe, iſt der Hr. D. Johann Ernſt
Philippi, ehemahliger Profeſſor der deut-
ſchen Wohlredenheit zu Halle. Er iſt der
andere Sohn eines Hof-Predigers zu Mer-
ſeburg, der vor einigen Jahren geſtorben
iſt, und den Ruhm hinterlaſſen hat, daß
er ein frommer und exemplariſcher Mann
geweſen. Der Sohn hat nimmer in den
Wegen ſeines Vaters gewandelt, ſondern
allezeit einen unruhigen Kopf gehabt.
Jm Jahr 1726 gab er eine Schrift wie-
der die damahlige groſſe Lotterey in Sach-
ſen heraus, und ward dieſes Muthwil-
lens wegen auf das Schloß zu Meiſſen
gefangen geſetzet. Er kam endlich wieder
loß, und begab ſich nach Merſeburg, wo-
ſelbſt er advocirte: Aber mit ſo ſchlech-
tem Gluͤcke, daß ihm faſt in allen Urtheln
bald ein derber Verweiß, bald eine Geld-
Stra-
[21](o)
Strafe vor die gebrauchten Jnjurien zu-
erkannt wurde.
Ohngefehr im Jahr 1729 gerieth er in
Haͤndel, die ihn zwangen Merſeburg zu
verlaſſen. Er begab ſich aus Verzwei-
felung nach Halle, und ward daſelbſt
Profeſſor der deutſchen Beredſamkeit. So
bald er dieſen Poſten erhalten hatte, gab
er unterſchiedene Schriften heraus, die
er ietzo vieleicht wuͤnſchet, nimmer ge-
ſchrieben zu haben. Denn ſie ſind die
Quellen ſeines Ungluͤcks.
Sie waren an ſich im hoͤchſten Grad
elend, und unterſchiedene Gelehrte in
Sachſen hielten ſie einer ſcharfen Ahndung
um ſo viel wuͤrdiger, je groͤſſer ſich der Ver-
faſſer damit wuſte. Allein es hatte nie-
mand das Hertz, mit dem Hrn. Prof. Phi-
lippi anzubinden. Man fuͤrchtete ſich vor
deſſen Vater, der im Ober-Conſiſtorio zu
Dreßden viele Freunde hatte, und der Hr.
Prof. Philippi blieb eine gute Zeit in der
ſuͤſſen Einbildung, die er von der Groͤſſe
ſeiner Verdienſte hatte, ungeſtoͤret. Jch
vor meine Perſon konnte natuͤrlicher Wei-
ſe nicht die geringſte Begierde haben,
ihm dieſe ſtoltze Zufriedenheit mit ſich
ſelbſt zu rauben; weil ich, was auch ſeine
b 3wun-
[22](o)
wunderlichen Schriften in Sachſen vor
Aufſehen gemacht hatten, nicht wuſte, daß
er in der Welt war. Allein das Maaß
ſeiner gelehrten Ausſchweifungen war voll,
und ich muſte, wieder alles Vermuthen,
ſeine Geiſſel ſeyn.
Meine Anmerckungen uͤber die Geſchich-
te von der Zerſtoͤrung der Stadt Jeruſa-
lem gaben Gelegenheit dazu. Einer mei-
ner Freunde brachte dieſe Anmerckungen
nach Sachſen, und ſie hatten das Gluͤck, ge-
wiſſen Leuten daſelbeſt zu gefallen. Man
glaubte, eine Satyre von eben der Art,
wuͤrde dem Hrn. Prof. Philippi ſehr heil-
ſahm ſeyn, und ich ward inſtaͤndig erſu-
chet, mich auch uͤber dieſen elenden Scri-
benten zu erbarmen. Man ſchickte mir zu
dem Ende ſeine ſechs deutſche Reden,
und ertheilte mir eine umſtaͤndliche Nach-
richt von ſeiner Perſon und von ſeinen Um-
ſtaͤnden.
Jch geſtehe, es kam mir hart vor, gegen
einen Menſchen zu ſchreiben, den ich nicht
kannte, und der mir niemahlen das gering-
ſte zuwieder gethan hatte. Allein ich trug,
aus gewiſſen Urſachen, Bedencken, denen-
jenigen, die mich darum erſuchten, ihr
Begehren abzuſchlagen. Jch laß uͤberdem
das
[23](o)
das Helden-Gedicht auf den Koͤnig von
Pohlen, nebſt den ſechs deutſchen Re-
den, und muß bekennen, daß ich uͤber die-
ſe zwo Proben der heroiſchen Beredſam-
keit des Hrn. Prof. Philippi erſtaunte.
Siehe! ſprach ich, hier iſt mehr, als Sie-
vers, und verfertigte, ohne mir weiter den
geringſten Scrupel zu machen, meine Lob-
rede auf dem Hrn. Prof. Philippi, der
ich den Titel, Briontes der juͤngere, gab.
Man mag von dieſer Satyre ſagen, was
man will, ſo wird man doch bekennen muͤſ-
ſen, daß ſie nichts, als eine Critick der ſechs
deutſchen Reden des Hrn. Prof. Phi-
lippi in ſich faſſet, und ſo beſcheiden ein-
gerichtet iſt! daß man leicht ſehen kan, daß
mich nicht ein Haß gegen die Perſon des Hn.
Prof. Philippi, ſondern bloß ein gerechter
Eifer wieder ſeine laͤcherliche Beredſamkeit
bewogen habe, dieſelbe zu ſchreiben. Zum
wenigſten glaubte man in Sachſen, der Hr.
Prof. Philippi ſey noch zu gelinde davon
gekommen; und dieſer haͤlliſche Redner haͤt-
te alſo Urſache gehabt, GOtt zu dancken,
daß er ihn in meine Haͤnde fallen laſſen.
Allein ſo gerieth er in die aͤuſſerſte Wut.
Er glaubte, ſeine Ehre ſey auf das empfind-
lichſte verletzet. Es verdroß ihn, daß mei-
b 4ne
[24](o)
ne Schrift wider ihn mit Luſt geleſen wur-
de; ja das ſo gar ſeine Zuhoͤrer den Bri-
ontes mit ins Collegium brachten, und
einander, in ſeiner Gegenwart, gantze
Stellen daraus vorlaſen, und gab ſich da-
her alle Muͤhe von der Welt, meine Schrift
zu unterdruͤcken.
Er bediente ſich zu dem Ende eines,
zwar gemeinen, aber doch ſehr unredli-
chen und tuͤckiſchen Mittels. Sein
Vater muſte an zwey geiſtliche Glieder des
Ober-Conſiſtorii zu Dreßden, die ſeine
Freunde waren, einen beweglichen Brief
ſchreiben, und flehentlich bitten, man
moͤchte doch eine mit ſo entſetzlicher Religi-
ons-Spoͤtterey angefuͤllte Schrift nicht ſo
oͤfentlich verkaufen laſſen. Jch weiß nicht,
was dieſe Herren vor Muͤhe angewandt
haben, ihren flehenden Amts-Bruder zu
vergnuͤgen: Das weiß ich aber, daß das
Ober-Conſiſtorium kluͤger war, als der
Hr. Prof. Philippi und ſein Vater; denn
alles, was ſie erhalten konnten, das war
ein kaltſinniger Befehl an die Buͤcher-
Commißion zu Leipzig, zu unterſuchen, ob
ſich die Sache ſo verhalte. Dabey blieb
es, und der Briontes ward vor wie nach
in Leipzig verkauft.
Wer
[25](o)
Wer der Verfaſſer dieſer Satyre ſey,
das konnte der Herr Prof. Philippi un-
moͤglich errathen. Er ſuchte ihn in Sach-
ſen, und der Hr. Prof. Gottſched hatte
das Ungluͤck, daß der ſtaͤrckſte Verdacht
auf ihn fiel. Der Hr. Prof. Philippi ſetz-
te auch wuͤrcklich in der erſten Hitze eine
heftige Schrift gegen den Hrn. Gottſched
auf, und wuͤrde ſie haben drucken laſſen,
wenn dieſer nicht einen hoͤflichen Brief
an ihn geſchrieben, und ihn heilig verſichert
haͤtte, daß er den Briontes nicht gemacht
habe. Er ſoll auch dem Hrn. Prof. Phi-
lippi in eben dieſem Schreiben vertraulich
eroͤfnet haben, daß ich der Verfaſſer die-
ſer Satyre ſey. Jch glaube dieſes gerne;
denn er war einer von denen, die es am
beſten wiſſen konnten. Allein das glaube
ich nicht, daß der Hr. Prof. Gottſched,
wie Herr Philippi vorgiebt, den Bri-
ontes vor ein infames Pasquill erklaͤret
habe. Denn ich habe eine viel zu gute Mei-
nung von dem Hrn. Gottſched, als daß ich
mir ſollte einbilden koͤnnen, daß er, aus
Furcht, vor einem gar nicht furchtbaren
Manne, einer Schrift, die ihm gewiß nicht
zuwider war, und die er wenigſtens vor
b 5er-
[26](o)
ertraͤglich hielte, wider ſein Gewiſſen ei-
nen ſo ſchimpflichen Titel beygeleget habe.
Er mag indeſſen an den Hrn. Prof. Phi-
lippi geſchrieben haben, was er will, ſo
trauete dieſer doch ſeinen Verſicherungen
ſo wenig, als ſeinen vertraulichen Nach-
richten, und hielt ihn dennoch vor ſeinen
Feind und Verfolger. Zwar wuſte er nicht
gewiß, ob Herr Gottſched den Brion-
tes gemacht habe, oder wer ſonſt der Ver-
faſſer deſſelben ſey? Allein dieſe Ungewiß-
heit hinderte ihn nicht, ſeine Ehre gegen
ſeinen unbekannten Feind zu retten. Er
ſchrieb zu dem Ende noch im Jahr 1732. ſeine
ſieben neue Verſuche(4)in der dent-
ſchen
[27](o)
ſchen Beredſamkeit, und die Schrift:
Gleiche Bruͤder, gleiche Kappen ꝛc.
So hurtig er mit dieſen Schriften fertig
war, ſo langſam gieng es mit dem Druck.
Niemand wolte ſie verlegen, und er bot
ſie in Leipzig und Hamburg vergebens aus.
Sein Manuſcript indeſſen gerieth an bey-
den Orten, ich weiß nicht, auf was Art,
meinen Freunden in die Haͤnde, welche
mir einen vollſtaͤndigen Auszug aus den
Kappen, in ſo ferne ſie mich angiengen,
und eine Abſchrift von dem erſten der ſie-
ben neuen Verſuche, welcher wider die
Geſellſchaft der kleinen Geiſter gerichtet
war, zuſchickten. Jch entſchloß mich gleich,
beydes drucken zu laſſen, und zu beant-
worten. Nicht darum, daß ich dieſes
elen-
(4)
[28](o)
elende Zeug der geringſten Antwort wuͤr-
dig ſchaͤtzte, ſondern aus gantz andern Ur-
ſachen.
Jch hatte, ſeit dem ich, um meiner
Suͤnden willen, ein Scribent geworden
war, ſo viel ungereimte und laͤcherliche
Urtheile von der ſatyriſchen Schreib-Art
uͤberhaupt, und von meinen Schriften
ins beſondere anhoͤren muͤſſen, daß ich es
nicht laͤnger erdulden konnte. Zwar kan
ich mich nicht daruͤber beſchweren, daß
man gar zu veraͤchtlich von meinen Schrif-
ten geredet haͤtte; Man lobte ſie mehr,
als ſie es verdienten. Allein auch dieje-
nigen, welche ſie lobten, begleiteten ihr
gezwungenes Lob mit einem haͤmiſchen
Aber, das mir empfindlicher war, als wenn
man meine Art zu dencken und zu ſchrei-
ben gerade weg getadelt, oder mich gar mit
meinen poßierlichen Gegnern in eine Claſ-
ſe geſetzet haͤtte.
Dieſes Aber ſollte die Weißheit und Bil-
ligkeit des Heuchlers andeuten, der ſich deſ-
ſelben bediente: Allein es war doch nichts,
als eine Frucht der Einfalt und Boßheit,
und weit unchriſtlicher und verdamm-
licher, als alle meine Satyren. Man
ſprach: „Es ſey doch gleichwohl unbillig
und
[29](o)
und unchriſtlich, daß ich ehrliche Leu-„
te ſo empfindlich kraͤnckte, die mir nim-„
mer etwas zuwieder gethan haͤtten. Es„
gienge mich ja nicht an, ob die Schriften„
dieſer Leute gut oder ſchlecht gerathen waͤ-„
ren. Man muͤſſe ſich nicht klug duͤncken„
laſſen, jederman zu tadeln. Die ſatyri-„
ſche Schreibart ſey einem Chriſten unan-„
ſtaͤndig. Meine Schriften waͤren Pas-„
quille, und ich muͤſte ein ſehr boßhaftes„
Gemuͤth haben. Jch bezeugte auch eine„
ſchlechte Ehrerbietung gegen die heilige„
Schrift, mißbrauchte bibliſcher Redens-„
Arten, und man ſaͤhe wohl, daß ich wenig„
Religion haͤtte, weil alles, was ich ge-„
ſchrieben mit Religions-Spoͤttereyen an-„
gefuͤllet ſey u. ſ. w.‟
Es haͤtte mich nicht verdrieſſen ſollen,
wenn dieſe unbilligen Urtheile nur von
Leuten waͤren gefaͤllet worden, denen ihre
Einfalt, oder ihr Amt ein Recht giebt,
zu ſagen, was ſie wollen: Allein ſo muſte
ich ſie auch von Leuten hoͤren, die klug
ſeyn wollten, und die es, ohne Verletzung
ihres Gewiſſens, ſeyn konnten. Jch ler-
nete daraus, daß ein geſunder Verſtand
ſeltener iſt, als man insgemein glaubet,
und fand vor noͤthig, meinen unbilligen
Rich-
[30](o)
Richtern zu zeigen, daß es ihnen haupt-
ſaͤchlich daran fehle.
Dasjenige, was mich vornehmlich dazu
bewog, das war der Vorwurf von der
Religions-Spoͤtterey, der ungegruͤndete-
ſte, und boßhafteſte von allen. Es ver-
droß mich, daß man, obgleich meine Schrif-
ten von keinen Religions-Materien han-
delten, dennoch ſo dreiſte und verwegen
von meinem Glauben und Unglauben ur-
theilete, als wenn ich einen Catechiſmus
geſchrieben haͤtte, und ich verfertigte dem-
nach im Jahr 1733. die Unpartheyiſche
Unterſuchung der frage: Ob die be-
kannte Satyre Briontes der juͤnge-
re mit entſetzlichen Religions-Spoͤtte-
reyen angefuͤllet, und eine ſtrafbare
Schrift ſey? ꝛc.
Jch bemuͤhete mich in dieſer Schrift,
den mich richtenden Phariſaͤern einmahl
vor allemahl das Maul zu ſtopfen. Jch
glaube nicht, daß ich ſie gaͤntzlich bekehret
habe: doch fiengen ſie an, ſich zu ſchaͤmen,
und wurden ſtille.
Weil indeſſen der Hr. Prof. Philippi
den Vorwurf von Religions-Spoͤtterey-
en, durch welchen er das Ober-Conſiſto-
rium wieder den Briontes haͤtte aufbrin-
gen
[31](o)
gen wollen, in ſeinen ſo genanten Kap-
pen wiederholet, und zur Vertheidigung
ſeiner ſechs deurſchen Reden unterſchie-
denes vorgebracht hatte; ſo bediente ich
mich der Gelegenheit, auch ihm ſeine Ab-
fertigung zu geben, und ruͤckte den mir
zugeſchickten Auszug aus ſeinen, damahls
noch ungedruckten, Kappen in meine
unpartheyiſche Unterſuchung ein.
Jch bewieß, daß dieſe Schrift im hoͤch-
ſten Grad albern, und ſo beſchafen ſey,
das es nicht zu glauben, daß der Hr. Prof.
Philippi ſie gemacht habe. Jch ſprach ſie
ihm auch wuͤrcklich aus vierzehn wichti-
gen Gruͤnden ab. Allein der Hr. Prof.
Philippi hat ſich dennoch nicht geſchamet,
dieſes abentheurliche Werckchen oͤfentlich
vor das ſeine zu erkennen, und es im Jahr
1735, als einen Anhang zu ſeinem ruͤchti-
gen Buche: Cicero, ein groſſer Wind-
beutel ꝛc. drucken zu laſſen.
Eben dieſes Buͤchlein pranget noch mit
einem andern Anhange, welcher Acht
Vertheidigungs-Schriften wieder
eben ſo viel Chartequen in ſich faſſet.
Eine derſelben iſt wieder meine unpar-
theyiſche Unterſuchung gerichtet, und
gantz poßierlich. Der Hr. Prof. Philip-
pi
[32](o)
pi zieht 80 ſeltſame Reden aus meiner
Schrift, und ſagt Dinge daruͤber, die
luſtig genug zu leſen ſind; aber den elen-
den Zuſtand des armen Menſchen ſo klar
an den Tag legen, daß ich mich ein Ge-
wiſſen gemacht habe, darauf zu antworten.
Damit ich nicht noͤthig habe, ferner
von dem Buche: Cicero ein groſſer
Windbeutel ꝛc. zu reden, ſo muß ich
noch ſagen, daß man einen vollſtaͤndigen
Auszug aus demſelben in dem 12tenStuͤ-
cke der Niederſaͤchſiſchen Nachrichten
auf das Jahr 1735 findet. Der Aus-
zug iſt von mir, und faſſet alle Selten-
heiten dieſer laͤcherlichen Schrift, und zu-
gleich eine Critick derſelben in ſich. Es
hat auch der Hr. Prof. Philippi wegen
ſeines an dem Cicero veruͤbten Frevels in
dem 20tenStuͤcke des Hamburgiſchen
Correſpondenten von 1735 ſein Urtheil
aus dem Seneca empfangen.
Nachdem ich alſo der Welt den Auszug
einer Schrift mitgetheilet hatte, der ſie
ſonſt noch eine ziemliche Zeit wuͤrde ha-
ben entbehren muͤſſen; ſo ſaͤumete ich nicht,
auch die Rede des Hrn. Prof. Philippi an
die Geſellſchaft der kleinen Geiſter, von
der ich eine Abſchrift erhalten hatte, zum
Druck
[33](o)
Druck zu befordern. Jch gab ihr den
Titel: Stand-oder Antritts-Rede,
welche der Hr. Prof. Philippi in der
Geſellſchaft der kleinen Geiſter gehal-
ten hat ꝛc. Jch beantwortete ſie im Nah-
men des Aelteſten dieſer Geſellſchaft. Die-
ſe Antwort iſt unſtreitig die giftigſte
Schrift, die ich gegen dem Hrn. Prof.
Philippi gemacht habe, (*) und ich glau-
be nicht, daß er jemahlen auf eine unbarm-
hertzigere Weiſe gemißhandelt worden.
Allein er empfieng, was ſeine Thaten
werth waren. Warum gab er ſich mit
mir ins Spotten? Warum wagte er ſich
in die Jronie, eine Figur, die ihm zu hoch
war? Uber mich kan er ſich nicht beſchwe-
ren, und thut er es, ſo antworte ich ihm:
cHæc
[34](o)
quo aliquid poſſe vis, te nihil eſſe cog-
noſceres(5).’
Jndeſſen war dieſes meine eintzige Ab-
ſicht nicht; ſondern ich hatte noch einen
andern Zweck. Der Hr. Prof. Philippi
hatte zwo Schriften ausgehen laſſen, an
welchen wenig geſundes war. Die eine
war ſeine thuͤringiſche Hiſtorie/ und
die andere ſein mathematiſcher Ver-
ſuch von der Unmoͤglichkeit einer ewi-
gen Welt Der Hr. Prof. Philippi
hatte in der erſten dem Chur-Hauſe Sach-
ſen die Bißthuͤmer Merſeburg und Naum-
burg gaͤntzlich abgeſprochen; ja er war
gar ſo thoͤrigt, daß er ſich einbildete, fei-
ne elende Schrift habe zu unterſchiedenen
harten Reſcripten Anlaß gegeben, wel-
che zu der Zeit, als der kaͤyſerliche und
ſaͤchſiſche Hof, bekannter maaſſen, nicht
wohl mit einander ſtanden, dieſer Biß-
thuͤmer wegen an den verſtorbenen Koͤnig
von Pohlen ergiengen. Man hatte mich
erſuchet, den Hrn. Prof. Philippi dieſes
Frevels und Stoltzes wegen zu zuͤchtigen,
und ihm zu weiſen, daß ſeine thuͤringi
ſche Hiſtorie kein Werck ſey, auf wel-
ches
[35](o)
ches er ſich viel einzubilden Urſache haͤtte.
Dieſes ſuchte ich, meinem in einer Anmer-
ckung zu dem Briontes gethanen Ver-
ſprechen zu Folge, in dieſer Beantwor-
tung der philippiſchen Anrede an die Ge-
ſellſchaft der kleinen Geiſter, ins Werck
zu richten, und der mathematiſche Ver-
ſuch von der Unmoͤglichkeit einer ewi-
gen Welt muſte, bey der Gelegenheit,
mit an den Tantz.
Jch war nicht der eintzige, dem dieſe
letzte Schrift laͤcherlich vorkam. Sie war
ſchon, ehe ich dieſelbe geſehen hatte, in
zwo unterſchiedenen Satyren, mit unter-
ſchiedenem Gluͤcke, angegrifen worden.
Die erſte war das Sendſchreiben der
fuͤnf Schweſtern an den Hrn. Prof.
Philippi. Die fuͤnf Schweſtern waren
die fuͤnf Sinnen, und die Satyre war,
ſo viel ich mich erinnere, artig genug ge-
ſchrieben. Sie gieng nur zu Leipzig im
Manuſcript herum, und der Hr. Prof.
Philippi, dem eine Abſchrift davon in die
Haͤnde fiel, ließ ſie unter dem Titel: Wun-
derſeltſames Fuͤndel-Kind ꝛc. im Jahr
1733 mit Anmerckungen drucken. Jch
habe dieſer Anmerckungen in meiner un-
partheyiſchen Unterſuchung erweh-
c 2net,
[36](o)
net, und dem Hrn. Prof. Philippi, wie
die Kappen, abgeſprochen. Der Hr.
Prof. Philippi meinet in dieſen Anmer-
ckungen, daß ich Vater zu dem ſo genann-
ten Fuͤndel-Kinde ſey. Allein er thut
mir Unrecht. Jch bin an dieſer Satyre
unſchuldig, und habe auch nimmer erfah-
ren koͤnnen, wer der Verfaſſer derſelben
ſey.
Die andere Satyre, welche wieder den
mathematiſchen Verſuch heraus kam,
fuͤhrte den Titel: Abgeſtrafter Vor-
witz eines unbeſonnenen Critici ꝛc.
Sie war in Verſen geſchrieben, welche
der Verfaſſer mit Anmerckungen erlaͤuter-
te. Er nennete ſich Grimaldo, und gab
ſich auf dem Titel vor einen dem Hrn. Prof.
Philippi wohlbekannten Weiſſenfelſer
aus. Er hieß aber Gruͤtzner, und war
ein Student aus Jena. Jch kenne den
Menſchen nicht: Aber, nach ſeiner Schrift
zu urtheilen, iſt es ein armer Suͤnder, der
nur immer haͤtte zu Hauſe bleiben moͤgen.
Der Hr. Prof. Philippi hat ihn auch in
dem Anhange zu ſeinem Windbeutel nach
Verdienſt gezuͤchtiget, und mir ſelbſt kam
ſein Geſchmier ſo abſcheulich und unertraͤg-
lich vor, daß ich eine ſcharfe Cenſur deſ-
ſelben
[37](o)
ſelben in das 80teStuͤck des Hambur-
giſchen Correſpondenten von 1733 ſe-
tzen ließ. Der gute Grimaldo empfand
dieſes ſo hoch, daß er drohete, er wollte
auch wieder den Verfaſſer des Correſpon-
denten ſchreiben. Es iſt aber, ſo viel ich
weiß, nichts daraus geworden.
Der Hr. Prof. Philippi indeſſen war
viel zu ſtreitbar, als daß er meine Stand-
oder Antritts-Rede haͤtte unbeantwor-
tet laſſen ſollen. Er gab, auf friſcher
That, eine kleine Schrift dagegen heraus,
welche er ein Bedencken der patrioti-
ſchenAſſemblée nennete. Jch weiß den
Jnhalt dieſer Schrift nicht mehr; So viel
weiß ich, daß ſie ſehr grob und einfaͤltig ge-
rathen war.
Mittlerweile nun, daß ich mit der Ver-
fertigung meiner Antwort auf die phi-
lippiſche Stand-Rede beſchaͤftiget war,
ſpielte man dem Hrn. Prof. Philippi ei-
nen Streich, deſſen er ſich nicht verſahe.
Es war dieſer kurzweilige Redner in ein
reiches und junges Frauenzimmer zu Leip-
zig ſterblich verliebt geweſen, und hatte
dieſer ſeiner Goͤttin zu Ehren ein Schaͤ-
fer-Gedicht gemacht, welches die Frau
von Ziegler in Verwahrung hatte, und
c 3ſehr
[38](o)
ſehr geheim hielt. Es fiel aber doch, ich
weiß nicht, durch was vor einen Zufall,
gewiſſen Leuten zu Leipzig in die Haͤnde;
die ſchickten es nach Hamburg, und ba-
ten, man moͤchte es daſelbſt zum Druck
befordern. Von Hamburg ward es an
mich nach Luͤbeck geſchickt, und ich gab
ihm den Nahmen: Sottiſes champêtres,
oder Schaͤfer-Gedicht des Hrn. Prof.
Philippi ꝛc. machte eine kurtze Vorrede
dazu, und ſchickte es wieder nach Ham-
burg, woſelbſt es, nachdem ein anderer
guter Freund den Jnhalt dazu gemacht
hatte, eiligſt gedruckt ward.
Die frau von Ziegler empfand die
Bekanntmachung dieſes Schaͤfer-Gedich-
tes ſehr hoch. Jch weiß nicht, was ſie
vor Urſachen dazu hatte; doch kan ich ver-
ſichern, daß, wenn ich dieſes vorher gewuſt
haͤtte, die beſondere Ehrerbietung, welche
ich gegen dieſe Dame hege, mich wuͤrde
abgehalten haben, das geringſte zu der
Herausgabe dieſes philippiſchen Schaͤfer-
Gedichtes beyzutragen.
Was den Hrn. Prof. Philippi anlan-
get, ſo ſetzten ihn die Sottiſes champêtres
in der aͤuſſerſte Wut. Er verfiel wieder
auf die alten Grillen, daß Hr. Gottſched
ſein
[39](o)
ſein Verfolger ſey, und gab, unter dem
Nahmen eines Freyherrn von frohen-
muth, gegen dieſen gantz unſchuldigen
Mann eine Schrift heraus, die er Sotti-
ſes galantes nennete, und in welcher er
den Hrn. Prof. Gottſched, auf eine recht
raſende Art, angrif. Der Hr. Prof. Gott-
ſched wehlte, ſtatt der Rache, ein groß-
muͤthiges Stillſchweigen, und er that wohl
daran. Eine ſo ehrenruͤhrige Schand-
Schrift war keiner Beantwortung wuͤr-
dig.
Als der Lerm wegen der Sottiſes cham-
pêtres und galantes vorbey war, kam al-
lererſt die Stand- und Antritts-Rede
ans Licht. Jch gedachte, dieſes ſollte mei-
ne lezte Schrift gegen den Hrn. Prof. Phi-
lippi ſeyn: Aber ich muſte noch einen Gang
mit ihm wagen.
Er gab im Jahr 1734 eine Uberſetzung
der Maximes de la Marquiſe de Sablé
heraus, welche er mit 366 moraliſchen
Bildniſſen erlaͤutert hatte. Von dieſer
Uberſetzung ward in dem 83tenStuͤcke
des Hamburgiſchen Correſpondenten
von 1734 ſehr veraͤchtlich geurtheilet,
und der Hr. Prof. Philippi nahm dieſe
Freyheit, welcher der Verfaſſer des Cor-
c 4reſpon-
[40](o)
reſpondenten ſich gegen ihn bedienet hatte,
ſo uͤbel, daß er ſich bey dem Rath zu Ham-
burg daruͤber beſchwerete, und ſeinen Brief
an den Rath, ich weiß nicht, warum,
drucken ließ. Aus dieſem Briefe, der auf
gewiſſe Maaſſe, nicht ohne Wirckung war,
leuchtete ſo viel Boßheit, und ein ſo uner-
traͤglicher Stoltz hervor, daß ich, ſo bald
ich ihn laß, den Entſchluß faſſete, die laͤ-
cherliche Schrift, uͤber deren Cenſur der
Herr Prof. Philippi ſich beſchwerete,
noch ſchaͤrfer vorzunehmen, als der Ver-
faſſer des Correſondenten gethan hatte.
Denn, die Wahrheit zu ſagen, es ver-
droß mich, daß der Hr. Prof. Philippi,
nach aller meiner Muͤhe, die ich mir ge-
geben hatte, ihn zu demuͤthigen, ſich doch
noch ſo trotzig geberdete, und unverſchaͤmt
genug war, mit Ungeſtuͤm zu verlangen,
daß die Leute anders, als mit Verachtung
und Abſcheu von ſeinen Schriften reden
ſolten.
Jch wolte ihm demnach den Reſt geben,
und ſchrieb den glaubwuͤrdigen Bericht
eines Medici von dem Zuſtande, in
welchem er den Hrn. Prof. Philippi
den 20ten Junius 1734 angetroffen.
Jch fuͤhrte in dieſem Bericht den Herrn
Prof.
[41](o)
Prof. Philippi redend ein. Er muſte ſei-
ne Fehler bereuen, ſeine Schriften ver-
fluchen, und von ſeiner Uberſetzung der
Maximes de la Marquiſe de Sablé, und
allen ihren Zuſaͤtzen, ſo viel boͤſes ſagen,
als ich glaubte, daß eine ſo laͤppiſche Schrift
verdiente. Jn der Vorrede ſagte ich, der
Hr. Prof. Philppi ſey den 21ten Junius
wuͤrcklich geſtorben. Dieſes Vorgeben
war falſch: Aber daß der Hr. Prof. Philip-
pi Schlaͤge bekommen hatte, das war
mehr, als zu wahr. Er bekam ſie unge-
fehr um die Zeit, als ich geſaget hatte,
in einem Wirthshauſe zu Halle, von zwe-
en Officieren, gegen welche er ſich ſehr
unnuͤtze gemacht hatte. Ja er war von
dieſen unbarmhertzigen Kriegs-Knechten
ſo zugerichtet worden, daß man ihn hat-
te nach Hauſe tragen muͤſſen.
Dieſes war die Begebenheit, welche
mich veranlaſſte, meiner Satyre die Tour
zu geben, die ich ihr gegeben habe. An
die andern Schlaͤge, die der Hr. Prof.
Philippi kurtz darauf von hoͤherer Hand
bekommen hatte, habe ich nicht gedacht.
Jch hielte es vor niedertraͤchtig, uͤber ei-
nen Unfall zu ſpotten, der einem jeden
ehrlichen Manne haͤtte begegnen koͤnnen,
c 5und
[42](o)
und beklagte den Hrn. Prof. Philippi von
Hertzen.
Jndeſſen hatten dieſe letzten Schlaͤge
den Hrn. Prof. Philippi gezwungen, Hal-
le, und ſeine auſſerordentliche Profeſſur
zu verlaſſen, und ihn in einen Stand
geſetzet, daß er, ich weiß nicht was, dar-
um haͤtte geben ſollen, daß meine Nach-
richt von ſeinem Tode wahr geweſen waͤ-
re. Er war unſtet und fluͤchtig, und hat-
te alle Muͤhe von der Welt, den Haͤnden
der Merſeburgiſchen Regierung zu entge-
hen, die ein Urtheil an ihm vollziehen woll-
te, in welchem ihm, ich weiß nicht wa-
rum, ein zweyjaͤhriges Gefaͤngniß zu er-
kannt war. Aber, dem allen ungeachtet
wollte er doch nicht tod ſeyn. Er ließ,
wiewohl nicht in ſeinem Nahmen, von
Goͤttingen aus einen Aufſatz in die ham-
burgiſchen Berichte ruͤcken, in welchem
ich, der ich ihm dieſes nachgeredet hatte,
ein nahmloſer Pasquillant genennet,
und aller Welt kund gethan wurde, der Hr.
Prof. Philippi ſey noch am Leben, und
befinde ſich in Goͤttingen.
Das war nun wohl der Muͤhe werth,
und es ſtand dem Hrn. Prof. Philippi,
der in allen Stuͤcken etwas beſonders hat-
te,
[43](o)
te, wohl an, auf eine ſo ernſthafte Art
eine Nachricht zu wiederſprechen, die je-
derman vor Schertz hielte. Nach meiner
Meynung hat der Hr. Prof. Philippi nie-
mahlen etwas laͤcherlicheꝛs begangen. Allein
er ließ es dabey noch nicht bewenden; ſon-
dern gab eine Schrift gegen den glaub-
wuͤrdigen Bericht eines beruͤhmten
Medici heraus, in welcher er Dinge ſag-
te, die mich im geringſten nicht angien-
gen. Sie hatte den Titel: Der gehei-
men patriotiſchenAſſembléeanderwei-
tiges Bedencken an den Herrn Prof.
Philippi ꝛc. und war ſo wunderlich ein-
gerichtet, daß man Muͤhe hatte, klug
daraus zu werden. Ein ſo genannter Her-
molaus Barbarus, welches, wo mir recht
iſt, des D. Langens juͤngſter Sohn ſeyn
ſollte, und ein gewiſſer Profeſſor zu Hal-
le, der nur mit den Buchſtaben F. W.
angedeutet wurde, behielten nicht vor ei-
nen Heller Ehre darinn. Der Hr. Prof.
Philippi hatte, aus Urſachen, die mir un-
bekannt ſind, einen Verdacht auf dieſe Leu-
te geworfen, und glaubte gantz feſte, der
glaubwuͤrdige Bericht eines Medici
ſey in Halle gedruckt worden; weil das
Exemplar, daß er bekommen hatte, noch
naß
[44](o)
naß geweſen war. Allein er betrog ſich;
denn ich hatte dieſe Schrift in Mecklen-
burg auf dem Lande gemacht, und zu
Lauenburg drucken laſſen.
Was man uͤbrigens in dem Bericht
des Medici den ſterbenden Philippi von
ſich und ſeinen Schriften hatte ſagen laſ-
ſen, das uͤbergieng die geheime patrioti-
ſche Aſſemblée, ob es gleich das Haupt-
werck war, mit Stillſchweigen, und be-
muͤhete ſich nur, zu beweiſen/ daß der
Hr. Prof. Philippi noch lebe. Es gab
alſo der ehrliche Mann ſeine, ihm ſonſt
ſo liebe, Schriften Preiß, um ſein Leben
zu retten. Denn tod wollte er mit Ge-
walt nicht ſeyn. Er hielte es vor eine
Beſchimpfung, daß ich dieſes von ihm ge-
ſaget hatte: Er ſtieß die groͤbſten Schelt-
worte wieder mich aus, und ſtellete
ſich nicht anders, als wenn ein ſeeliger
Tod eine Sache geweſen waͤre, der ſich
ein ehrlicher Mann zu ſchaͤmen haͤtte.
Mir kam dieſes Verfahren ſehr wun-
derlich vor. Jch gedachte bey mir ſelbſt:
Es ſind ſo viele ehrliche Leute geſtorben,
und der Hr. Prof. Philippi meint, es ſey
ihm eine Schande!
Lumina
[45](o)
Lumina ſis oculis etiam bonus Ancus
reliquit,
Qui melior multis quam tu fuit improbe re-
bus;
Inde alii multi reges, rerumque po-
tentes
Occiderunt, magnis qui gentibus im-
peritarunt.
. . . . . . . . . . . .
Ipſe Epicurus obit decurſo lumine
vitæ,
Qui genus humanumingenio ſupera-
vit, \& omnes
Præſtrinxit ſtellas, exortus uti æthe-
reus Sol.
Tu’ vero dubitabis \& indignabere obire
Mortua cui vita eſt prope jam vivo atque
vident.(6)
Dieſe Gedancken veranlaſſeten mich,
es mit der geheimen patriotiſchen Aſſem-
blée aufzunehmen, und ihr aus Gruͤnden
die ſie mir, durch ihren laͤcherlichen, un-
noͤthigen und unbedachtſamen Wieder-
ſpruch, ſelbſt an die Hand gegeben hatte,
zu beweiſen, daß der Hr. Prof. Philippi
dennoch geſtorben ſey.
Jch
[46](o)
Jch ſchrieb zu dem Ende zu Anfang des
1735ten Jahrs meine beſcheidene Be-
antwortung der Einwuͤrfe, welche
einige Freunde des Hrn. Prof. Phi-
lippi wieder die Nachricht von deſ-
ſen Tode gemacht haben. Der Herr
Prof. Philippi hat nicht darauf geant-
wortet. Und daran hat er, meines Er-
achtens, ſehr weißlich gehandelt. Denn
wenn er haͤtte fortfahren wollen, im Nah-
men der patriotiſchen Aſſemblée, auf
eben dem Fuß, gegen mich zu ſchreiben;
ſo wuͤrde die Sache, woruͤber wir ſtrit-
ten, ſo zweifelhaft geworden ſeyn, daß
niemand, und ſo gar er ſelbſt, zuletzt nicht
gewuſt haben wuͤrde, ob er lebe, oder
tod ſey. Man kan hieraus lernen, wie
ungluͤcklich die Leute ſind, die keinen Schertz
verſtehen, und wie nothwendig ſolche Leu-
te, denen, welche ihnen die Ehre thun,
mit ihnen zu ſcherzen, durch ihre Heftig-
keit, und durch ihren ernſthaften und un-
noͤthigen Wiederſpruch, die Waffen in
die Hande geben muͤſſen, ſie noch laͤcher-
licher zu machen. Meine Abſicht war,
den Hrn. Prof. Philippi zu guter letzt
wenigſtens noch von dieſer Wahrheit zu
uͤberfuͤhren. Nach der Zeit habe ich weiter
mit ihm nichts zuthun gehabt.
Er
[47](o)
Er gerieth auch kurtz darauf in einen
Zuſtand, daß man ſeiner, ohne Suͤnde,
ferner nicht ſpotten konnte. Da er, wie
ich ſchon erwehnet habe, genoͤthiget wur-
de, Halle zu verlaſſen, ſo begab er ſich
nach Goͤttingen. Allein, auſſer, daß die
merſeburgiſche Regierung ihn noch immer
verfolgte, und auf ſeine Auslieferung
drang, ſo wollte es auch ſonſt daſelbſt mit
ihm nicht fort. Er fieng an zu leſen, und
ſeinen Freydenck er herauszugeben. Man
wollte es aber nicht leiden, und es ward
ihm ſo wohl das leſen, als das Buͤcher
ſchreiben gaͤntzlich verboten. Jch bekenne,
die Diaͤt, welche man ihm durch dieſes
Verbot vorſchrieb, war ſeinem innern
Menſchen ſehr heilſam; aber der aͤuſſere
muſte nothwendig dabey zu kurtz kommen,
und das, deucht mich, war zu hart. Al-
lein nicht lange darauf gieng es ihm noch
aͤrger. Er bekam das Conſilium abeun-
di, und ward, wie man mir berichtet hat,
bey hellem Tage zum Thor hinaus ge-
bracht. Ob nun gleich dadurch erfuͤllet
ward, was ich von ſeiner ploͤtzlichen Ver-
ſchwindung in meiner letzten Schrift ge-
weiſſaget hatte; ſo habe ich ihn dennoch
von Hertzen bedauret, und haͤtte lieber
ein
[48](o)
ein falſcher Prophet ſeyn, als ihn derge-
ſtalt beſchimpfet ſehen moͤgen.
Was man in Goͤttingen vor Urſachen
gehabt habe, ſo hart mit einem Manne
zu verfahren, der doch, was er ſonſt auch
vor Schwachheiten an ſich hatte, einmahl
ein Doctor und Profeſſor war, das kan
ich nicht ſagen. Jch habe das Verbre-
chen des Hrn. Prof. Philippi nimmer er-
fahren koͤnnen. Vermuthlich hat er ſein Un-
gluͤck ſeinem Freydencker zu dancken. Denn
in dieſer elenden Wochen-Schrift ſoll
er keines Menſchen verſchonet haben. Neun
Stuͤcke habe ich davon geſehen, und ich
glaube nicht, daß ſie weiter fortgeſetzet
iſt, weil man dem Hrn. Prof. Philippi
das Handwerck gar zu bald legte.
Was nun dieſem ehrlichen Manne nach
ſeiner Vertreibung von Goͤttingen begeg-
net iſt, das weiß ich ſo eigentlich nicht.
Viel Freude hat er, allem Anſehen nach,
nicht gehabt. Denn er hat nach der Zeit
ſeinen Vater verlohren, und, wie man
ſagt, auch zu Jena das Conſilium abeun-
di bekommen. Er ſoll aber, wie ich hoͤre,
jetzo wieder da ſeyn.
Auf meine Schriften gegen dem Hrn.
Mag. Sievers und den Hrn. Prof. Phi-
lippi
[49](o)
lippi folget in dieſer Sammlung eine Sa-
tyre, die gegen niemand ins beſondere ge-
richtet iſt. Sie handelt von der Vor-
treflichkeit und Nothwendigkeit der
elenden Scribenten. Jch verſprach die-
ſe Schrift in dem Schreiben des Rit-
ters Clifton an den Samojeden, und
dieſes Verſprechen erfuͤllete ich im Jahr
1734.
Es hat dieſe Satyre unter allen mei-
nen Schriften den beſten Abgang gehabt,
und iſt ſchon im Jahr 1736 wieder aufge-
leget worden. Jch ſchlieſſe daraus, daß
es doch noch Leute gegeben haben muͤſſe,
welche dieſelbe mit andern Augen angeſe-
hen, als Herr Reimmann. Dieſem Pre-
laten will ſie gar nicht gefallen.
tores miſerandos,’
ſagt er (7),
eos eſſe
judicat autor, qui, quicquid in buccam
defluit, in chartam conjiciunt, \& mo-
numenta ſine ratione (p. I-78) \& ordi-
ne (p. 78-90) \& ornatu (p. 90-97)
corrogata in vulgus ſpargunt. Atque
ad hunc cenſum ſpectare cum aliis ſex-
centis Happelium, Menantem, Uhſe-
nium, Hubnerum (p. 53) D. J. E. Phi-
dlippi,
[50](o)
lippi, S-v-s, R-d-gſtum (p. 8. 36. 42.
43. 49. 50. 71. 85. 90). Nec deſunt, qui
temere negligenterque libros ad compo-
nendos ſe accingunt, nullo delecturerum
\& verborum habito.
Scribimus indocti doctique poemata
paſſim.
Sed accuſat tantummodo non coarguit
Autor, quorum nomina profert, nec
ullo documento oſtendit, eos eſſe ta-
les, contra quos ingeminat tremulos na-
ſo criſpante cachinnos. Nec qui vilio-
ris ſunt ordinis ſcriptores exſibilandos
propinat ſolum; Sed \& rectores Reipu-
blicæ \& doctores Eccleſiæ (p. 18. 28. 29.
41). Dicta etiam S. S. non raró ſannis
conſpuit. Et quam in aliis redarguit
culpam interdum ipſemet committit, \&
ordinem in ſcribendo negligit
Vsque adeo in ſeſe tentat deſcendere
nemo
Sed præcedenti ſpectatur mantica
tergo.
Jch weiß nicht, ob man veraͤchtlicher
von einem Buche urtheilen kan? Darum
aber werde ich doch nicht boͤſe. Hr. Reim-
mann hat mein Buch bezahlet: Er hat es
in ſeiner Bibliotheck: Er kan davon ſa-
gen,
[51](o)
gen, was ihm gut duͤncket. Dieſes iſt ein
Recht, das ich ihm nicht ſtreitig mache.
Nur bitte ich mir die Erlaubniß aus, ihm
zu ſagen, daß ich Muͤhe habe, in dem
Urtheile, welches er von meiner Schrift
faͤllet, die Ueberlegung, die Billigkeit und
die Unpartheylichkeit zu finden, die ich
von ihm vermuthet haͤtte. Jch will nicht
unterſuchen, was ſeine zaͤrtliche, und ihm
ſo unanſtaͤndige Neigung zu gewiſſen laͤ-
cherlichen Schreibern vor Urſachen hat: A-
ber ich beklage, daß er ſich durch dieſe un-
gluͤckſeelige Zaͤrtlichkeit verleiten laſſen,
von meiner Schrift ein Urtheil zu faͤllen,
daß ſo unbillig, und ihm ſo wohl, als
mir nachtheilig iſt.
Er rechnet es mir als ein groſſes Ver-
ſehen an, daß ich mit keinem Worte be-
wieſen habe, daß die enigen, welche ich
in meiner Schrift unter die elenden Scri-
benten zehle, wuͤrcklich elende Scriben-
ten ſind. Jch ſage ihm aber, daß, ohne
dieſes Verſehen, mein Buch das albern-
ſte Buch von der Welt ſeyn wuͤrde. Jſt
ihm dieſes zu hoch, ſo beliebe er folgendes
zu mercken.
Meine Abſicht war nicht, zu beweiſen,
daß dieſer oder jener ein elender Scribent
d 2ſey;
[52](o)
ſey; ſondern, daß die elenden Scribenten
die vortreflichſten, beſten und nuͤtzlichſten
unter allen ſind. Ein elender Scribent
ſeyn, das war folglich, nach meiner Mei-
nung, eine ruͤhmliche Eigenſchaft. Ruͤhm-
liche Eigenſchaften kan ich aber einem bey-
legen, ohne daß ich noͤthig habe, zu be-
weiſen, daß er dieſelben wuͤrcklich beſitze:
Ja wenn ich einen recht loben will, ſo ſe-
tze ich, als bekannt, voraus, daß er mein
Lob verdienet. Jch lobte diejenigen, die
ich in meiner Schrift nenne, und war al-
ſo nicht nur berechtiget; ſondern auch, nach
den Regeln der ironiſchen Hoͤflichkeit, ver-
bunden, ſie, ohne den geringſten Beweiß,
in die Claſſe der elenden Scribenten zu ſe-
tzen. Haͤtte ich es anders gemacht, ſo haͤt-
te ich meinem Caracter entgegen gehan-
delt: Mein verſtelltes Lob wuͤrde alle An-
nehmlichkeit verlohren haben, und meine
Satyre ein ungeſalzenes Gewaͤſche gewor-
den, und gantz aus dem Gelencke gekom-
men ſeyn. Wer dieſes nicht begreifen kan,
der weiß nicht, was Jronie und Satyre
iſt, und muß von meinem Buche nicht
urtheilen.
Jch muͤſte uͤberdem einen ſchlechten Be-
grif von den Einſichten meiner Leſer ge-
habt
[53](o)
habt haben, wenn ich ihnen weitlaͤuftig
haͤtte beweiſen wollen, daß Happels Mord-
Geſchichte, Menantes Romane, Uhſens
wohl informirter Redner, und Huͤbners
Oratorie elende Buͤcher ſind. Wer zwei-
felt daran? Niemand anders, als einfaͤl-
tige Leute, oder Schul-Knaben, die nicht
wiſſen, was recht und linck iſt. Was
Philippi, Sievers und Rodigaſt anlan-
get, ſo waren dieſe drey Helden ſchon ſo
ruͤchtig, daß es ſich nicht der Muͤhe ver-
lohnte zu beweiſen, daß ſie elende Scri-
benten waͤren, und es wundert mich ſehr,
daß Herr Reimmann ſich desfalls den ge-
ringſten Scrupel macht. Er muß dieſe
Leute gar nicht kennen, und meine Sa-
tyren gegen Sievers und Philippi nicht
geleſen haben. Denn ſonſt wuͤrde er ſich
ja entſehen, dieſen armſeeligen Scriben-
ten das Wort zu reden, und von mir zu
verlangen, daß ich beweiſen ſollen, was
weltkuͤndig iſt. Ofenbahre Wahrheiten
beduͤrfen keines Beweiſes, und wer nicht
glauben will, daß Sievers und Philippi
elende Scribenten ſind, der leſe ihre Schrif-
ten, und meine Satyren. Hat er die
geleſen, und zweifelt doch noch daran, ſo
weiß ich ihm nicht zu helfen. Vor ſolche
d 3Leute
[54](o)
Leute kan ich wohl beten: Aber uͤberzeu-
gen kan ich ſie nicht.
Herr Reimmann ſpricht ferner: Jch
ſuchte ſo gar die Regenten und die Lehrer
der Kirche laͤcherlich zu machen. Aber er
thut mir Unrecht. Jch ſage von den Re-
genten nichts, als was Salomon und Ju-
venal vor mir geſagt haben. Nicht in
der Abſicht, die Majeſtaͤten zu laͤſtern,
wie Herr Reimmann meinet; ſondern
bloß den Mangel der Vernunft zu ent-
ſchuldigen, den man meinen Bruͤdern,
den elenden Scribenten, vorwirft. Mein
Character verband mich dazu, und gab mir
ein unſtreitiges Recht, alles zuſammen zu
ſuchen, was in meinen Kram dienete.
Da ich nun beym Salomo fand, daß Un-
verſtand unter den Gewaltigen gemein
ſey, und ſahe, daß Juvenal den Guͤnſt-
lingen der Groſſen faſt alle Vernunft ab-
ſprach: So darf man ſich nicht wundern,
daß ich mir dieſes zu Nutze gemacht habe.
Man kan mir dieſes um ſo viel weni-
ger verdencken, weil ich gar die Be-
hutſahmkeit gebrauchet habe, die harten
Ausdruͤckungen der Scribenten welche
ich anfuͤhre, zu mildern, und nichts mehr
ſage, als daß nicht allemahl die Kluͤgſten
am
[55](o)
am Ruder ſitzen. Welches eine Wahrheit
iſt, die ich mir getraue, allen Koͤnigen in
die Augen zu ſagen, ohne daß ſie es mir
ungnaͤdig nehmen ſollen. Solche allge-
meine Wahrheiten verletzen die Ehrer-
bietung nicht, die man den Goͤttern auf
Erden ſchuldig iſt. Die Groſſen dieſer
Welt ſind auch ſo wunderlich nicht, daß
ſie ſich uͤber den geringſten Schertz, der
keinen von ihnen insbeſondere trift, ent-
ruͤſten ſollten, und wenn die Prieſter nur
halb ſo billig waͤren, ſo haͤtte ich nicht noͤ-
thig, das, was ich in meiner Schrift von
ihnen geſagt habe, zu rechtfertigen. Al-
lein, ich weiß nicht, wie es zugehet? Die-
ſe Herren ſind ſo argwoͤhniſch, daß ſie ſich
immer einbilden, man ſpotte ihrer, wenn
man von ihnen redet. Dieſes iſt eine
Auffuͤhrung, die man kaum einer bloͤden
unerfahrenen Jugend, gebrechlichen Per-
ſonen, oder Leuten, die kein gut Gewiſ-
ſen haben, und ſich ofenbahrer Maͤngel
bewuſt ſind, zu gute haͤlt. Mich deucht,
alten, geſetzten und ehrwuͤrdigen Maͤn-
nern wuͤrde ein wenig mehr Großmuth,
und eine gewiſſe Zuverſicht zu ſich ſelbſt
beſſer anſtehen, als ein ewiges Klagen,
daß man ſie auslachet. Doch gienge es
d 4noch
[56](o)
noch hin, wenn ſie es bey dem Klagen be-
wenden lieſſen: Allein ſo ſind ſie, was ſie
auch andern von der Gedult vorpredigen,
empfindlicher als alle andere Menſchen,
und man hat Urſache, es nicht mit ihnen
zu verderben.
Sont tous douez d’ un appetit ſtrident
De ſe venger, quand ils ſentent la
dent (8).’
Jch muß alſo auch dasjenige, weſſen
Hr. Reimmann mich, in Anſehung ihrer,
beſchuldiget, von mir ablehnen.
Da ich meine Schrift nicht bey der Hand
habe, ſo iſt es mir zwar unmoͤglich, die Stel-
len nach zuſchlagen, die Hr. Reimmann, zum
Beweiß ſeiner Beſchuldigung, aufuͤhret.
Allein ich glaube doch, daß mein gantzes
Verbrechen darinn beſtehet, daß ich den
Mangel der Vernunft, den man an den
elenden Scribenten wahrnimmt, da-
durch zu rechtfertigen geſuchet habe, daß
auch die Gottesgelehrten die Vernunft
verwerfen. Man bildet ſich vieleicht ein,
ich wolle dadurch zu verſtehen geben, daß
die Gottesgelehrten eben ſo albern ſind,
als die veraͤchtliche Schaar der elenden
Schrei-
[57](o)
Schreiber, auf deren Unkoſten ich mich
luſtig mache. Aber dieſes iſt wahrlich mei-
ne Abſicht nicht. Jch muͤſte ja gantz ra-
ſend ſeyn, wenn ich nicht begrife, daß
zwiſchen einem Menſchen, der ſeine Ver-
nunft in Glaubens-Sachen gefangen
nimmt, und einem ofenbahren Gecken,
der gar keine Vernunft hat, ein unend-
licher Unterſcheid ſey. Jch erklaͤre mich
hiemit oͤfentlich, daß ich diejenigen Got-
tesgelehrten, die am meiſten wieder den
Mißbrauch der Vernunft in goͤttlichen
Dingen eyfern, vor die beſten und ver-
nuͤnftigſten halte. Es iſt mir nimmer
in den Sinn gekommen, uͤber ihre Auf-
fuͤhrung zu ſpotten, und wer andere Ge-
dancken von mir hat, der irret ſich. Jch
bemuͤhe mich in meiner Schrift, unter der
Larve eines elenden Scribenten, der boͤ-
ſen Sache meiner Bruͤder einen guten
Schein zu geben: Aber ich bin ſo dumm
nicht, daß ich nicht ſehen ſollte, daß alles,
was ich ſage, Sophiſtereyen ſind. Jch
ſchertze nur, und verlange mit Recht, daß
Leute, welche von meinem Buche urthei-
len wollen, wenigſtens ſo viel Verſtand
haben, daß ſie Schertz und Ernſt unter-
ſcheiden koͤnnen.
d 5Habe
[58](o)
Habe ich ſonſt etwas geſagt, daß die
Geiſtlichen verdrieſſen koͤnnte, ſo bin ich
verſichert, daß es entweder in dem, was
ich bißher geſchrieben habe, ſeine Ent-
ſchuldigung finden wird; oder ich habe
auch wahre Fehler an ihnen getadelt, wel-
che rechtſchaffene Gottesgelehrte ſelbſt nicht
billigen: Und dieſes iſt kein Verbrechen.
Auf die Laͤſterung des Hrn. Reimmans,
daß ich auch oft uͤber Spruͤche der heiligen
Schrift, wie er gar nachdruͤcklich ſagt,
meinen ſatyriſchen Geifer ausſchuͤtte, will
ich alsdann antworten, wann es ihm ge-
fallen wird, die Stellen meiner Schrift an-
zuzeigen, da ich dieſes gethan habe. Vor-
ietzo ſage ich nur mit ihm:
tantummodo Autor non coarguit, \&
quam in me redarguit culpam ipſemet
committit.
Uſque adeo in ſeſe tentat deſcendere
nemo
Sed præcedenti ſpectatur mantica ter-
go.’
Dieſes iſt das weiſe Epiphonema, mit
welchem Hr. Reimmann ſein Urtheil von
meiner Schrift beſchlieſſet. Er will mir
dadurch, auf eine hoͤfliche Art, zu verſte-
hen geben, daß ich nicht befugt geweſen
bin,
[59](o)
bin, der elenden Scribenten zu ſpotten,
weil ich ſelbſt zuweilen den Fehler begehe,
den ich an ihnen tadele, und unordentlich
ſchreibe. Er ſagt es ausdruͤcklich: Aber
da ich nicht wiſſen kan, worinn die Un-
ordnung, der er mich beſchuldiget, beſte-
hen ſoll; ſo kan ich mich nicht verantwor-
ten. Jch will es auch nicht thun; ſon-
dern, wie groſſe Urſache ich auch habe, zu
zweifeln, ob er geſchickt ſey, von der Ord-
nung und Unordnung einer ironiſchen
Schrift zu urtheilen, dennoch ſo hoͤflich
ſeyn, und glauben, daß er es einmahl recht
getrofen hat. Jch beobachte alſo in mei-
ner Schrift nicht allemahl die Ordnung,
die ich haͤtte beobachten ſollen: Aber iſt die-
ſer Fehler ſo groß, daß er mir das Recht
nehmen ſollte, den elenden Scribenten
die ihrigen vorzuwerfen? Jch glaube es
nicht. Denn wenn es noͤthig waͤre, die
Thorheiten anderer ſo lange ohne alle Er-
innerung hingehen zu laſſen, biß man ſelbſt
ohne Fehler iſt; ſo muͤſte man alle Beſtra-
fung und Ermahnung biß in jene Welt
verſparen, da man ihrer nicht mehr be-
darf: Das Amt eines unwiedergebohr-
nen Prieſters wuͤrde, wider die Meinung
unſerer reineſten Gottesgelehrten, gantz
und
[60](o)
und gar unkraͤftig, und Herr Reimmann
ſelbſt, wie fromm und eremplariſch auch
ſein Wandel iſt, wuͤrde nicht befugt ſeyn,
wider die Laſter zu eyfern, ſo lange er
noch, ſo oft er zur Beichte gehet, beken-
nen muß, daß er mit Gedancken, Wor-
ten und Wercken wider alle zehn Gebote
geſuͤndiget habe.
Gefallen ihm dieſe Folgen nicht, ſo muß
er auch bekennen, daß er ſein Epiphone-
ma nicht wohl angebracht hat, und mir
erlauben, uͤber ofenbahre Thorheiten zu
lachen, ob ich gleich ſelbſt nicht vollkom-
men bin. Denn das wird er mir doch laſ-
ſen, daß ich gerechter bin, als diejenigen,
welche ich tadele. Haͤlt er aber die Unord-
nung, welche er in meiner Schrift bemer-
cket, vor einen Fehler, der dieſelbe eben
ſo ſcheußlich machet, als die Buͤchlein der
elenden Scribenten, und will er, wie es
das Anſehen hat, mich, durch den hoͤhni-
ſchen Seufzer aus ſeinen Perſius, als ei-
nen elenden Tropf herunter machen, der
gar keine Ehre zu ſprechen hat; ſo muß
ich es zwar geſchehen laſſen: Aber es
ſollte mir doch ſeinentwegen leid ſeyn.
Denn mir kan es nicht ſchaden.
Ego
enim
[61](o)
enim ne pilo quidem minus me ama-
bo(9).
Jch ſehe wohl, daß meine Schrift ge-
wiſſen Leuten unmoͤglich gefallen kan, weil
ſie nicht nach ihrem Geſchmack eingerich-
tet iſt. Sie iſt ſatyriſch und im hoͤchſten
Grad ironiſch. Gleichwie es nun nicht je-
dermanns Werck iſt, ſolche Schriften zu
machen; ſo iſt es auch nicht allen gegeben,
von denſelben geſchickt zu urtheilen. Eine
hochgetriebene Jronie gebuͤhrend einzuſe-
hen, das iſt eine Sache, die eine gewiſſe
Hurtigkeit und Biegſahmkeit des Verſtan-
des erfordert, welche in lateiniſchen Koͤ-
pfen, durch die poßierliche Schul-Gra-
vitaͤt gemeiniglich erſticket wird. Wenn
nun ein ſolcher Kopf uͤber ein Buch geraͤth,
in welchem er keine ſteife und ehrbare
Schulweißheit antrift; ſo koͤmmt er in
ein fremd Land, und verirret ſich gar zu
leicht. Jch ſage nicht, daß dem Hrn. Reim-
mann dieſes Ungluͤck auch begegnet iſt;
Nur ſage ich noch, daß drey oder vier ſol-
che Urtheile, als dasjenige iſt, welches er
von meiner Schrift gefaͤllet hat, genug
ſind, ſeinen gantzen Catalogum, der
ſonſt
[62](o)
ſonſt angenehm zu leſen iſt, in uͤbeln
Ruf zu bringen.
Jch bitte uͤbrigens den Hrn. Reimmann,
die Freyheit, die ich mir nehme, von ſei-
nem Urtheile zu urtheilen, nicht uͤbel zu
deuten. Jch bilde mir ein, daß ich es mit
einer beſcheidenen Aufrichtigkeit gethan
habe, die ihm gefallen wird. Koͤmmt
ihm aber dennoch das, was ich zu meiner
Vertheidigung ſage; zu hart vor, ſo muß
er bedencken, daß er Gelegenheit dazu
gegeben hat:
clementius
Exiſtimabit eſſe, ſic exiſtimet:
Reſponſum, non dictum eſſe, quia læ-
ſit prius(10).’
Jch finde bey dieſer Satyre ſonſt wenig
zu erinnern. Nur muß ich kuͤrtzlich von
einem Nahmen Rechenſchaft geben, der
oft darinn vorkoͤmmt. Dieſes iſt der Nah-
me Rodigaſt. Jch habe den Menſchen,
der dieſen Nahmen fuͤhret, im Jahr 1733.
aus ſeinem Avertiſſementvon einem be-
reits im Druck habendenCorpore Juris
Civilis Juſtinianeo-Caſuali zu erſt kennen ler-
nen.
[63](o)
nen. Er nennete ſich auf dem Titel, D.
Samuel Chriſtoph RodigaſtJC.
und war eine Art von Melchiſedech, ter-
ræ filius, von dem ich weiter nichts er-
fahren konnte, als daß es ein junger Menſch
von etwan 19. Jahren ſey, der ſich in Dreß-
den aufhalte, und ſich eigenmaͤchtig zum
Doctor gemacht habe. Weil ich nun eben
zu der Zeit, als mir ſein Avertiſſement
in die Haͤnde fiel, beſchaͤftiget war, der
Schmierſucht gewiſſer elenden Scribenten
Einhalt zuthun, ſo hielte ich vor noͤthig
auch dem Ungluͤck vorzubeugen, welches
dieſer Rodigaſt, als ein Comet, der ge-
lehrten Welt zu drohen ſchien. Jch brach-
te zu dem Ende meine Gedancken von ſei-
nem Vorhaben zu Papier, und ließ ſie in
das 123te Stuͤck des Hamburgiſchen
Correſpondenten von 1733. ſetzen. Rodi-
gaſt ward daruͤber ſo boͤſe, daß er eine
Schrift von 4 Bogen in 4to unter dem
Nahmen von Martin Albrecht, wieder
den Verfaſſer des Correſpondenten, der
doch gantz unſchuldig war, heraus gab.
Der Titel dieſer Schrift war ſo naͤrriſch,
und der Jnhalt ſo raſend, daß ich wahr-
haftig davor erſchrack. Doch weil ich die-
ſe Haͤndel angefangen hatte, ſo gab ich dem
Mar-
[64](o)
Martin Albrecht, welches Rodigaſt
ſelbſt war, einen kurtzen Beſcheid, der
in dem 173ten Stuͤcke des Hamburgi-
ſchenCorreſpondenten von eben dem Jah-
re zu leſen iſt.
Kurtz darauf kamen mir eben die-
ſes Rodigaſts Gedancken uͤber den
Spruch: Viele ſind berufen; aber
wenig ſind auserwehlet; imgleichen
uͤber die Worte: Und ſie meynten,
ſie ſaͤhen ein Geſpenſt ꝛc. zu Geſicht,
woraus man ſiehet, daß der Verfaſſer
vor dieſen ſich der Gottes-Gelahrtheit be-
fliſſen hat. Jch habe niemahlen etwas
elenders geleſen, und darum fuͤhre ich den
Rodigaſt als ein Muſter eines vollkom-
men elenden Scribenten an. Jch wuͤrde
ihm aber dieſe Ehre nicht erwieſen haben,
wenn ich zu der Zeit, als ich meine
Satyre ſchrieb, gewuſt haͤtte, daß, wie
ich hernach erfuhr, der arme Rodigaſt
wuͤrcklich in Raſerey gefallen ſey, und in
dem elendeſten Zuſtande zu Dreßden lebe.
Jch habe nach der Zeit von ihm nichts ge-
hoͤret, und kan alſo nicht ſagen, ob er noch
lebe, oder ob er geſtorben ſey.
Jch habe die Hrn. Sievers und Philip-
pi, mit dieſem elenden Scribenten in ei-
ne
[65](o)
ne Claſſe geſetzet. Allein meine Meynung
iſt nicht, dadurch anzudeuten, daß ich ſie
vor eben ſo albern halte, als den Rodi-
gaſt. Jch ſehe den Unterſcheid zwiſchen
ihnen, und dieſem armen Suͤnder wohl
ein. Doch, da dieſer Unterſcheid, wie
groß er auch ſeyn mag, nicht verhindert,
daß ſie alle drey elende Scribenten ſind;
So habe ich geglaubt, ſie haͤtten ſich eben
der Geſellſchaft eines Menſchen nicht zu
ſchaͤmen, der die Ehre hat ihr Bruder
zu ſeyn; ob ſie gleich gewiſſe Vozuͤge vor
ihm haben, die ich ihnen nicht ſtreitig ma-
chen will.
Uber die Neue Geſellſchaft, die ich ih-
nen gegeben habe, werden ſie ſich ver-
muthlich nicht beſchweren. Jch beſorge
auch nicht, daß der Hr. Prof. Manzel,
und der Hr. Mag. Hillige es mir uͤbel
deuten werden, daß ich ſie zween ſo be-
ruͤhmten Maͤnnern zugeſellet habe.
Jch habe alſo meinen Leſern von allen
meinen ſatyriſchen Schriften Rechenſchaft
gegeben. Von der ernſthaften Schrift
gegen den Hrn. Prof. Manzel, die in die-
ſer Sammlung die Letzte iſt, ſage ich
nichts. Jch werde eine eigne Vorrede zu
derſelben machen, weil die gegenwaͤrtige
eſo
[66](o)
ſo ſchon lang genug iſt: Doch bitte ich mir
von meinen Leſern die Freyheit aus, nur
noch ein paar Worte mit gewiſſen Leu-
ten zu reden, die in dem Wahn ſtehen, daß
ich mich durch meine Satyren ſehr ſchwer
an GOtt und meinem Nechſten verſuͤn-
diget habe.
Wenn ich wollte, ſo koͤnnte ich mein
Verfahren durch die ironiſchen Ausdruͤ-
ckungen, die in der Bibel vorkommen,
eben ſo gruͤndlich rechtfertigen, als gewiſſe
hitzige Prieſter ihre Grobheit durch eini-
ge harte Worte, der ſich die Propheten,
Chriſtus, und die Apoſtel bedienet haben.
Allein ich will es nicht thun. Jch will
ihnen, auf eine andere Art, weiſen, daß
ſie nicht wiſſen, was ſie ſagen, wann ſie
meine Satyren verdammen, und ſie da-
hin bringen, daß ſie ſelbſt meine Verthei-
diger werden ſollen.
Jch gebe ihnen demnach zu, daß man
in der Chriſtenheit von keinen Satyren
wiſſen wuͤrde, wenn es den Apoſteln ge-
lungen waͤre, alle Welt ſo weiſe zu ma-
chen, als ſie es ſelbſt waren. Aber ſehen
ſie dann nicht, daß man, auf den Fall,
auch von Krieg und Krieges-Geſchrey
nichts hoͤren wuͤrde? Jſt es nicht ofenbahr,
daß
[67](o)
daß man, wenn es mit dem Eyfer, mit der
Andacht, mit der Selbſt-Verleugnung,
und mit der Entfernung von aller Eitel-
keit, welche die Chriſten in der erſten Hi-
tze von ſich blicken lieſſen, Beſtand ge-
habt haͤtte, von Proceſſen, von Oſt-und
Weſtindiſchen Compagnien, von Manu-
facturen, Tantzen, Fechten und derglei-
chen nicht das geringſte wiſſen wuͤrde? Es
wuͤrde niemand Buͤcher ſchreiben, und
ſich in Wiſſenſchaften vertiefen, die ſo
viel Zerſtreuung in ſich faſſen; Die Sal-
bung wuͤrde uns alles lehren, und wir
die Zeit, die wir vom Ackerbau, und von
anderer unumgaͤnglich noͤthiger Hand-
Arbeit uͤbrig haͤtten, mit Wercken der
Liebe, und im Gebet zubringen. Dar-
um aber haͤlt niemand, als ein Qvaͤcker-
und Wiedertaͤufer, den Krieg vor uner-
laubt und ſuͤndlich. Die Prieſter zwoer
im Krieg verwickelter chriſtlichen Republi-
cken bitten von beyden Seiten, GOtt moͤ-
ge die Waffen der ihrigen geſegnen, und
ſingen, ohne Scrupel, das Te Deum,
wenn ihre Parthey einen Sieg erhalten
hat. Kein Prieſter in einer Handels-
Stadt macht ſich ein Gewiſſen, auf der
Cantzel vor einen Schiffer zu beten, der
e 2mit
[68](o)
mit Schif und Volck nach Bourdeaux ge-
gangen iſt; wohin er doch niemahlen kom-
men wuͤrde, wenn er ſo geſinnet waͤre, als
die erſten Chriſten zu Jeruſalem: Ja der
Prieſter thut dieſe Vorbitte zuweilen aus
Abſichten, die er nicht haben wuͤrde, wenn
der Geiſt der Apoſtel auf ihm ruhete. Ein
Kaufmann, ein Soldat, ein Advocat, ein
Fechtmeiſter, ein Tantzmeiſter, das ſind
alles Leute, von denen niemand glaubt,
daß ihre Profeßion ſie ungeſchickt mache
zum Reiche GOttes. Und wer verdam-
met die Gelehrten?
Man muß alſo geſtehen, daß man ohne
Suͤnde etwas thun koͤnne, das mit der Voll-
kommenheit, welche die Regeln des Chri-
ſtenthums zum Endzweck haben, nicht be-
ſtehen kan, und welches nimmer geſchehen
wuͤrde, weñ alle Welt dieſe Regeln genau be-
obachtete. Jch verlange nichts mehr, als
daß man nach dieſem Satz, den man, ohne
ſich zu wiederſprechen, und, ohne die gantze
heutige Chriſtenheit zu verdammen, nicht
leugnen kan, die ſatyriſche Schreibart beur-
theile. Jch bin ſehr hoͤflich: Aber es ſey
darum. Jch will zu frieden ſeyn, wenn
man nur ſo billig iſt, und dieſer unſchul-
digen Schreibart mit dem Kriege und mit
den
[69](o)
den Proceſſen gleiches Recht wiederfah-
ren laͤſſet Thut man dieſes nicht, ſo ſa-
ge ich, daß man Muͤcken ſeiget, und Ca-
meele verſchlucket.
Es koͤmmt wahrlich laͤcherlich heraus,
daß man ſich ſtellet, als koͤnne man ein
unſchuldiges Spotten mit dem Sinne des
Chriſtenthums nicht reimen; Da man
doch ſo kuͤnſtlich iſt, daß man Krieg und
Blutvergieſſen, Aufruhr und Zwietracht
als Dinge vorſtellen kan, die mit dem
Chriſtenthum gar wohl beſtehen koͤnnen.
Jch habe wider die Gruͤnde, die man zu
dem Ende anfuͤhret, nichts einzuwen-
den. Jch bekenne, Krieg und Proceſſe
ſind ein nothwendiges Ubel, und werden
durch die vorhergegangene Beleidigung
ſo erlaubt und unſchuldig, als ſie ſonſt an
ſich verwerflich ſind. Aber ich bin auch
verſichert, daß eine Satyre wieder ein
naͤrriſches Buch (denn von ſolchen rede ich
nur) durch die Thorheit des Scribenten,
der ein ſolches Buch heraus giebt, gantz
und gar entſuͤndiget wird. Benimmt uns
das Chriſtenthum das Recht nicht, uns
wieder Unrecht zu wehren; ſo wird es uns
auch ja die Befugniß laſſen, der Uberhand
nehmenden Schmierſucht alberner Schrei-
e 3ber
[70](o)
ber zu ſteuren. Jch weiß nicht, ob es na-
tuͤrlicher iſt, eine angethane Beleidigung
zu raͤchen, als uͤber das, was laͤcherlich iſt,
zu lachen! Man wird ſprechen: „Die er-
„laubte Rache werde von der Obrigkeit
„ausgeuͤbet, die das Schwerd nicht um-
„ſonſt fuͤhret: Hergegen wuͤrden die Sa-
„tyren von Leuten gemacht, die nicht das
„geringſte Recht haͤtten, ihren Nechſten
„auszu hoͤhnen.‟ Aber man muß wiſſen,
daß ein Menſch der leſen und ſchreiben, und
von einem Buche urtheilen kan, auf ſeine
Art, eben ſo wohl ein geiſtlicher Koͤnig iſt,
als ein Chriſt, und ſeine Feder ſo wenig
umſonſt fuͤhret, als die Obrigkeit ihr
Schwerd. Die Rache, die ein ſolcher an
einem elenden Scribenten ausuͤbet, der
ihn ins beſondere nicht beleidiget hat, und
den er oft gar nicht kennet, kan nicht als
eine privat Rache angeſehen werden. Sie
iſt folglich erlaubt, und gruͤndet ſich auf
ein Recht, welches ich in meiner unpar-
theyiſchen Unterſuchung ſo nachdruͤck-
lich behauptet habe, daß es nicht noͤthig
iſt, hier desfalls ein Wort mehr zu ſagen.
Die Herren die ſo hurtig geweſen ſind, mich
zu verdammen, werden indeſſen wohl thun,
wenn ſie das, was ich bißher geſagt habe,
reiflich
[71](o)
reiflich uͤberlegen. Sie werden finden,
daß meine Verdammniß unzaͤhlige Seelen
mit ins Verderben reiſſen wird und mich
daher, um ſo vieler Unſchuldigen willen,
begnadigen. Soll ich aber allein der
Suͤnder ſeyn: So muß ich es zwar geſche-
hen laſſen, daß ein ſo unbarmhertziges Ge-
richt uͤber mich ergehet: Aber kluge Leute
werden wohl ſehen, wie partheyiſch ſie
richten; und ich muß mich damit troͤſten,
daß mein Gewiſſen mich von aller Boß-
heit loßſpricht, die ſie in meinem Verfah-
ren bemercken.
Was habe ich dann gethan? Jch habe
einigen elenden Scribenten, die ſich duͤn-
cken lieſſen, ſie waͤren etwas, da ſie doch
nichts waren, im Lachen die Wahrheit ge-
ſaget. Sollte dieſes eine ſo groſſe Suͤn-
de ſeyn? Jch will es glauben, wenn man
mir erſt wird bewieſen haben, daß GOtt
dieſe Art Menſchen in ſeinen beſondern
Schutz genommen, und ihnen die Frey-
heit gegeben habe, die Welt durch ihre al-
berne Schriften zu qvaͤlen, ohne daß an-
dere ehrliche Leute das Recht haͤtten, auch
zu dem unertraͤglichſten Schmierer zu ſa-
gen: Was machſt du? Man ſage mir nicht,
daß ein Chriſt auch einen ſolchen Schmie-
e 4rer
[72](o)
rer mit Geduld tragen muͤſte: Denn die
chriſtliche Geduld verbindet uns nicht zur
Unempfindlichkeit. Wir fangen, ohne
Suͤnde, Floͤhe: wir ſchlagen die Muͤcken
tod: Wir vertilgen die Fliegen. Der
Heilige thut es ſo wohl, als der Suͤnder.
Warum wollte man ſich dann ein Gewiſ-
ſen machen, daß gelehrte Ungeziefer aus-
zurotten? Diejenigen, weche ein ſo dickes
Fell haben, daß ſie die Biſſe dieſes Unge-
ziefers nicht fuͤhlen, die ſind gluͤcklich: Al-
lein es ſtehet ihnen uͤbel an, daß ſie die
Empfindlichkeit anderer verdammen, wel-
che die Natur mit einer zarteren Haut ver-
ſehen hat. Es waͤre wahrhaftig zu wuͤn-
ſchen, daß man noch empfindlicher waͤre,
und ſich mehr Muͤhe gebe, die Welt von
dieſem Ungeziefer zu befreyen. Es nimmt
von Jahr zu Jahr zu; und ich weiß nicht,
wo es damit endlich hinaus will? Die greu-
liche Menge der elenden Scribenten iſt
eben ſo geſchickt, eine Barbarey einzufuͤh-
ren, als ein Schwarm von Oſt-und Weſt-
Gothen: Und dennoch traͤgt man Be-
dencken, den Anwachs dieſer Schmierer
zu hemmen!
Man glaubt es ſey wieder die chriſtliche
Liebe, die Bloͤſſe dieſer Leute aufzudecken,
und
[73](o)
und ſie ſo laͤcherlich zu machen, als ſie es
verdienen. Aber man muß wahrlich, um
dieſes zu glauben einen wunderlichen Be-
grif von der chriſtlichen Liebe haben. Soll-
te ſie uns verbinden auch die Thorheiten un-
ſers Nechſtens vor Weißheit zu halten, und
einen elenden Scribenten, zum Verdruß
aller ehrlichen Leute und zum Aergerniß der
Schwachen, nach eigenem Belieben, un-
gehindert ſchwaͤrmen zu laſſen? Man kan
ja dieſen Leuten ſeine Liebe nicht beſſer bezeu-
gen, als wenn man ſie zur Erkaͤnntniß ih-
res Elendes zu bringen ſucht, und ſie irren
ſich, wenn ſie meinen, man haſſe ſie, wenn
man ihnen die Wahrheit ſaget. Jch habe
zum wenigſten meine Gegner, ſo ferne ſie,
Menſchen ſind, nicht gehaſſet; ſondern al-
lezeit den Scribenten von dem ehrlichen
Manne ſorgfaͤltig unterſchieden. Daß mich
aber die chriſtliche Liebe verbinden ſollte, die
Thorheiten dieſer Leute mit dem Mantel
der Liebe zuzudecken, die ſie, als Weißheit,
vor den Augen aller Welt auskramen, und
mit welchen ſie ſich bruͤſten, das glaube ich
nicht.
Eine ſolche Auffuͤhrung macht auch die
elendeſten und preßhafteſten Perſonen alles
Mitleidens unwuͤrdig. Wenn der Lah-
e 5me
[74](o)
me vor der ſchoͤnen Thuͤr, den Petrus ge-
ſund machte, an ſtatt zu betteln, alle die
in den Tempel giengen, mit lauter Stim-
me erſuchet haͤtte, ſich an einem ge-
wiſſen Orte zu Jeruſalem einzufinden, und
ſeine Luft-Spruͤnge anzuſehen, ſo bin ich
verſichert, daß die Apoſtel Petrus und
Johannes, wie ehrbar ſie auch ſonſt wa-
ren, uͤber den Narren gelachet, und nim-
mer ein Wunder an ihm gethan haben
wuͤrden. Und ich ſoll nicht lachen, wenn
Sievers und Philippi Buͤcher ſchreiben,
und ein Handwerck treiben wollen, wo-
zu ſie vieleicht ungeſchickter ſind, als der
Lahme vor der ſchoͤnen Thuͤr zum Tan-
tzen? Kein vernuͤnftiger Menſch wird ei-
nes Blinden ſpotten: Aber, wenn er ſich
unterſtehet von Farben zu urtheilen, ſo
kan man ihm ohne Suͤnde ſagen, daß er
nicht ſehen kan. Man wird nimmer uͤber
die Auffuͤhrung eines Bauren lachen, wie
ſehr er auch wieder den Wohlſtand ſuͤn-
diget. Er iſt nicht ſchuldig die Regeln des
Wohlſtandes zu wiſſen, und giebt ſich auch
nicht davor aus. Allein die Bocks-Spruͤn-
ge und Verdrehungen eines anderen, der
recht manierlich thun will, und ſich ein-
bildet, er wiſſe zu leben koͤnnen auch den
Ernſt-
[75](o)
Ernſthafteſten zum lachen bewegen. Ein
elender Scribent gleichet einem ſolchen voll-
kommen, und muß es ſich alſo nicht be-
fremden laſſen, wenn man auch uͤber ihn
lachet. Der Mangel des Verſtandes, der
aus ſeinen Schriften hervorleuchtet, iſt es
nicht, der ihm dieſes Ungluͤck zuziehet. Die-
ſes waͤre ein Fehler, den man ihm ſo wohl,
als vielen andern ehrlichen Leuten zu gu-
te halten koͤnnte, weil er nicht willkuͤhr-
lich iſt. Aber der laͤcherliche Stoltz, der
ihn verleitet, ſich, ſeiner Schwachheit
ungeachtet, vor einen Lehrer der Unwiſ-
ſenden aufzuwerfen, die Unverſchaͤmtheit
mit welcher er von der Welt verlanget,
ſein Geſchmier zu leſen, und die Verach-
tung, die er dadurch vor dieſelbe bezeuget,
das ſind Dinge, die nicht zu dulden ſind,
und denen er es eintzig und allein zu dancken
hat, daß man ſeiner ſpottet.
Die Scheinheiligen meinen, dieſes Spot-
ten ſey unerlaubt: Sie ſprechen, Ernſt
und Sanftmuth ſtehe einem Chriſten beſ-
ſer an. Jch ſage ihnen aber, daß das Spot-
ten zuweilen unumgaͤnglich noͤthig iſt, und
daß ein Chriſt auch lachen und ſchertzen
kan, ohne Suͤnde. Wir reden hier von
ſolchen Spoͤttereyen, durch welche ein
Scri-
[76](o)
Scribent, ſo ferne er ein Scribent iſt,
oder viel mehr ſein Buch, laͤcherlich ge-
macht wird. Wenn dieſe Spoͤttereyen
uͤberhaupt ſuͤndlich ſind, ſo weiß ich nicht,
wie man es anfangen ſoll, wenn man ge-
wiſſe Scribenten wiederlegen will? Die
armſeeligſten Schreiber wuͤrden, auf den
Fall, die wenigſte Anfechtung zu beſor-
gen haben, weil niemand, ohne ſelbſt ein
Narr zu werden, ernſthaft wieder die Gril-
len ſolcher Troͤpfe ſchreiben kan. Einer
ernſthaften Wiederlegung ſind nur dieje-
nigen Scribenten wuͤrdig, die, auch wenn
ſie Jrrthuͤmer behaupten, Proben eines
geſunden Verſtandes von ſich geben. Die-
jenigen hergegen, mit denen es ſo ſchlecht
beſtellet iſt, daß auch die Wahrheit unter
ihren Haͤnden laͤcherlich, und die Spruͤ-
che Salomons in ihrem Munde Thorheit
werden, die verdienen, daß man ſie aus-
ziſchet. Jene wiederlegt man in der Ab-
ſicht, daß ſie ſich beſſern, und der Welt
immer nuͤtzlicher werden ſollen: Dieſe aber
nicht ſo wohl in Abſicht auf ihre eigene
Beſſerung, als andern zum Schrecken.
Solche Leute muͤſſen gar nicht ſchreiben.
Da nun eine ſcharfe Satyre das eintzige
Mittel iſt, ſie zum Stillſchweigen zu brin-
gen;
[77](o)
gen; ſo kan man das Spotten uͤberhaupt
nicht verwerfen; es ſey dann, daß man
den elenden Scribenten eine unumſchraͤnck-
te Freyheit zuſchreiben wolle, zur Schan-
de des menſchlichen Geſchlechts, und zur
Quaal der klugen Welt, ſo lange zu ra-
ſen, biß ſie von ſich ſelbſt muͤde werden.
Jch koͤnnte dasjenige, was ich hier von der
Nothwendigkeit des Spottens in gewiſſen
Faͤllen, ſage, mit Exempeln erlaͤutern:
Aber ich finde es unnoͤthig, weil ich in mei-
ner unpartheyiſchen Unterſuchung
ſchon von eben dieſer Materie gehandelt
habe. Jch bin auch uͤberdem nicht geſon-
nen, meine ehemahligen Gegner von neuen
zu kraͤncken; und es ſoll mir nicht zuwider
ſeyn, wenn meine Leſer gedencken wollen,
daß alles, was ich bißher zur Vertheidi-
gung des Spottens geſchrieben habe, mei-
ne Satyren nicht rechtfertige.
Mein Verfahren wird darum nicht we-
niger unſchuldig ſeyn. Jch habe geſpot-
tet: Jch bekenne es: Aber auf eine ſolche
Art, daß, wenn ich gleich die Ernſthaf-
tigkeit, die einem Chriſten ſo wohl anſte-
hen ſoll, aus den Augen geſetzet habe, mein
Spotten dennoch mit dem ſanftmuͤthigen
Geiſte, mit welchem man ſeinen Bruder,
der
[78](o)
der von einem Fehl uͤbereilet wird, wieder
zurecht zu helfen verbunden iſt, ſehr wohl
beſtehen kan. Jch gehe mit meinen Geg-
nern um, als ein Vater mit ſeinem Kin-
de. Ein Kind gewoͤhnt ſich oft an, das
Maul zu verdrehen, die Augen zu verſchieſ-
ſen, oder ſonſt etwas, das ihm nicht wohl
anſtehet. Der Lehrmeiſter dieſes Kindes,
ein ſtrenger Mann, den Amt und Chriſten-
thum verbinden, ernſthaft zu ſeyn, beſtra-
fet deſſelbe wegen der unanſtaͤndigen Ver-
drehung des Geſichtes, und ſtellet ihm ſo
gruͤndlich, als beweglich vor, wie ſehr es
ſich dadurch an ſeinem Schoͤpfer verſuͤndige,
von dem es doch ſo wohl gebildet ſey: Er
laͤſſet ein wenig vom vierdten Gebote, und
von der Nothwendigkeit des Gehorſahms
gegen Eltern und Lehrer mit einflieſſen, und
ſchlieſſet ſeinen Sermon mit einer ernſtli-
chen Drohung; welche er denn auch, nach
Gelegenheit, mit einem anſtaͤndigen Amts-
Eyfer, ins Werck ſetzet. Man ſiehet, daß
dieſer Schulmeiſter es ungefehr ſo macht,
als es die Feinde der Satyren haben wol-
len: Aber er predigt tauben Ohren: Das
Kind hoͤrt ſein Geſchwaͤtz an, und beſſert
ſich doch nicht. Der Vater indeſſen,
der nicht ſo gelehrt, und folglich kluͤger iſt
als
[79](o)
als der Schulmeiſter wird den Fehler des
Kindes gewahr: Macht ihm ſeine Verdre-
hungen, auf eine geſchickte Art nach, und
fraͤgt: Wie laͤßt mir das? Das Kind ſchaͤmt
ſich, und faſſet von Stund an den Ent-
ſchluß, ſich zu beſſern. Die geſchickte Nach-
ahmung durch welche dieſer Vater ſein Kind
bekehret, iſt nichts anders, als eine liebrei-
che und ſanftmuͤthige Spoͤtterey, wodurch
er den Fehler ſeines Kindes, zu deſſen Be-
ſten, laͤcherlich macht: Und meine erſten
Satyren gegen Sievers und Philippi ſind
nichts anders, als eine Nachahmung deſ-
ſen, was ich in ihren Schriften zu tadeln
fand? Wie konnte ich liebreicher und ſanft-
muͤthiger mit ihnen verfahren? Jch frug
ſie gleichſahm: Wie laͤßt mir das? Und gab
ihnen ſtillſchweigend die Lehre: Cauendum
eſt, ne quid in agendo dicendove facias,
cujus imitatio rideatur(11). Dieſe Lehre
haͤtten ſie annehmen, und ſich bedancken
ſollen. Denn gewiß, ich begegnete ihnen
beſcheidener und hoͤflicher, als ſie es verdien-
ten. Man ſehe ihre Schriften an. Wer
die geleſen hat, und doch meine Satyren, als
gar zu ſcharf, unchriſtlich und ſuͤndlich laͤ-
ſtert, der verdienet nicht, daß ich mich um ihn
bekuͤmmere.
Was
[80](o)
Was uͤbrigens den Mangel der Ernſt-
haftigkeit betrift, den man mir vorwirft, ſo
begehre ich nicht zu leugnen, daß ich geſcher-
tzet, und uͤber die Fehler meiner Gegner gela-
chet habe. Jch glaube aber nicht, daß dieſes
eine Suͤnde ſey. Man kan nicht allemahl
ehrbar ſeyn. Der Schertz hat oft ſeinen
Nutzen, ſo wohl als der Ernſt.
. . . . . . . Ridiculum acri
Fortius \& melius magnas plerumque
ſecat res(12).
Jch habe uͤber die Fehler meiner Gegner ge-
lachet: Aber waren ſie nicht laͤcherlich? Soll-
te ich daruͤber weinen? Sollte ich mich uͤber
fremde Thorheiten betruͤben? So traurig
bin ich nicht. Wer es thun will, der thue es
im̃erhin: Aber er muß wiſſen, daß er in mei-
nen Augen noch laͤcherlicher iſt, als derjeni-
ge, uͤber deſſen Thorheit er ſich betruͤbet. Ein
ſolcher Schwermuͤthiger kan unmoͤglich ei-
ne froͤliche Stunde haben, und ich moͤchte
lieber nicht gebohren ſeyn, als in einem ſol-
chen Zuſtande leben. Wollen die Feinde der
Freude mich darum unter die Unwiederge-
bohrnen rechnen, ſo muß ich es geſchehen laſ-
ſen: Sie werden mir aber dann auch er-
lauben, daß ich ihre murriſche Schwer-
muth
[81](o)
muth nicht vor eine Frucht der Wiedergeburth, ſon-
dern vor eine Kranckheit halte, die gemeiniglich aus
einen dicken Gebluͤte zu entſtehen pfleget.
Les noirs accés de triſteſſe
D’un Loup-garou revêtu
Des habits de la Sageſſe.(13)’
Jch will jetzo nicht unterſuchen, wie es in der
Welt ausſehen wuͤrde, wenn es dieſen neuen Heili-
gen gelingen ſollte, alle Freude aus derſelben zu ver-
bannen, und das menſchliche Geſchlecht in die tiefe
Schwermuth zu ſtuͤrtzen, die ſie als den Gipfel der
chriſtlichen Vollkommenheit anſehen, und auf wel-
che ſie ſich ſo viel einbilden: Sondern ich frage nur;
was ſie von der Gottheit vor einen Begrif haben,
wenn ſie glauben, ſie koͤnne nicht leiden, daß ihre
Creaturen froͤlich ſind?
Jch kan mir einen ſo traurigen und ſchimpflichen
Begrif von GOtt nicht machen; ſondern ich bin ver-
ſichert, daß es ihm nicht zuwider iſt, wenn man ſich
nach der Vorſchrift Salomons richtet. Jch eſſe
demnach mein Brod mit Freuden, und trincke mein
Wein mit gutem Muth. Denn das iſt mein Theil.
Jch entſchlage mich aller traurigen Gedancken, ſo
viel mir moͤglich iſt, und mache mir ſo viele gute Ta-
ge, als ich kan. Die boͤſen kommen wohl ohne un-
ſere Bitte. Jch ſehe alles, was in der Welt vor-
gehet, mit Gelaſſenheit, und groͤſten theils von der
laͤcherlichen Seite an: Und ich befinde mich wohl
dabey. Meinen Satyren inſonderheit habe ich man-
che luſtige Stunde zu dancken, und ich erinnere mich
fnoch
[82](o)
noch mit Vergnuͤgen der Zeit, da ich ſie machte. Jch
bin auch mit allen Folgen, die ſie gehabt haben voll-
kommen zufrieden, und alſo nicht im Stande, die
Suͤnde, die ich begangen haben ſoll, zu bereuen.
Wiewohl es mir nun unmoͤglich iſt, meine alten
Suͤnden zu bereuen; ſo werde ich mich doch, allem
Anſehen nach, vor neue huͤten. Jch bin zum Ta-
deln nicht ſo geneigt, als Leute, die mich nicht genau
kennen, ſich vieleicht einbilden. Meine Verachtung
gegen die elenden Scribenten nimmt auch, mit der
Anzahl derſelben, taͤglich zu. Jch leſe ihre Buͤch-
lein nicht, und es iſt alſo nicht wahrſcheinlich, daß
ich ſie weiter beunruhigen werde.
Jnzwiſchen laͤſſet ſich von zukuͤnftigen Dingen
nichts gewiſſes ſagen. Verredet habe ich es eben
nicht: Doch koͤnnen die beyden Herren, die ſich
neulich in einer gewiſſen Reichs-Stadt uͤber mich
und meine Schriften ſo luſtig gemacht haben, verſi-
chert ſeyn, daß ich mich an Leuten ihrer Art nimmer
vergreifen werde. Der eine iſt ein Juͤngling, qui
animas negotiatur, \& experimenta per mortes
agit. Jch kenne den guten Menſchen nicht, und
weiß nicht, was ihn bewogen hat, uͤbel von mir zu
reden, und zu prahlen, wie er mich abfertigen woll-
te, wenn ich mit ihm anbaͤnde. Er kan meinent-
wegen ruhig ſchlafen. Jch weiß nicht, ob er mehr
als ein Recept ſchreiben kan: Und Recepte wieder-
lege ich nicht.
ſuperbum
Tradit, \& inflatum . . . .(14)’
Der
[83](o)
Der andere iſt ein elender Schulmeiſter, den
niemand kennen wuͤrde, wenn ich ihn gleich mit
Nahmen nennete: Ein Menſch von ſo erſtaunender
Unwiſſenheit, daß er auch die Knaben in ſeiner eige-
nen Claſſe, welche von unten auf die erſte iſt, in
dieſem Stuͤcke uͤbertrift. Dieſer ehrliche Mann
hat laͤſterlich auf mich geſcholten, und endlich gar ge-
drohet, er wolle wieder mich ſchreiben.
Agit præcipitem in meos jambos?
Quis Deus tibi non bene advocatus
Vecordem parat excitare ripam(15)?’
Aber ſein Schelten ruͤhrt mich ſo wenig, als
ſein Drohen. Er ſchreibe wider mich, wenn er
es vor gut findet. Dieſes iſt das aͤrgſte, was ich
ihm wuͤnſchen koͤnnte, wenn ich noch ſo rachgierig
waͤre. Doch muß er wiſſen, daß ich ihm nim-
mer antworten werde.
Et gannitibus improbis laceſſas.
Certum eſt, hanc tibi pernegare famam,
Olim quam petis in meis libellis,
Qvaliſcunque legaris ut per orbem.
Nam te cur aliquis ſciat fuiſſe?
Jgnotus pereas, miſer, neceſſe eſt(16).’
Wenn er ſich dieſe Verſe von einem guten Freun-
de erklaͤren laͤſſet, ſo wird er erfahren, weſſen er ſich
f 2zu
[84](o)
zu mir zu verſehen hat. Jch werde mich ſo wenig um
ihn; als um den Doctor bekuͤmmern, und nimmer
mit Leuten abgeben, quos natos non puto. Jch
uͤbergebe den Doctor dem Schulmeiſter, und den
Schulmeiſter dem Doctor. Sie koͤnnen einander,
nach den Regeln ihrer Kunſt, das Blut abzapfen,
ſo iſt ihnen beyden geholfen.
Nun iſt es, deucht mich, einmahl Zeit, daß
ich dieſe Vorrede ſchlieſſe. Sie koͤmmt mir ſelbſt
ſchon zu lang vor. Jch ſage alſo nichts von den
Auszuͤgen aus gewiſſen woͤchentlichen Blaͤttern,
welche man dieſer Sammlung meiner Schriften
angehaͤnget hat. Wer ſie leſen wird, der wird
finden, daß man daran nicht uͤbel gethan hat,
und daß viele derſelben zur Erlaͤuterung einiger
Stellen dieſer Vorrede unumgaͤnglich noͤthig ſind.
Meinen Nahmen wird man weder auf dem Ti-
tel-Blatt, noch zu Ende dieſer Vorrede finden.
Jch mag denſelben nicht gerne gedruckt ſehen, und
habe geglaubt, es koͤnne meinen Leſern gleich viel
ſeyn, wie ich heiſſe.
Hiermit endige ich meine Vorrede. Meine Le-
ſer werden daruͤber ſo froh ſeyn, als ich es ſelbſt
bin, und mir das gewoͤhnliche Abſchieds-Compli-
ment gerne ſchencken.
Jnhalt
[[85]]
Jnhalt
dieſer Sammlung.
- I.
Die Anmerckungen uͤber die Zerſtoͤrung
der Stadt Jeruſalem. p. 1. - II.
Das Schreiben des Ritters Cliftons an
den Samojeden. 45. - III.
Der ſich ſelbſt entdeckende X. Y. Z. 91. - IV.
Briontes der Juͤngere. 135. - V.
Unpartheyiſche Unterſuchung der Frage:
Ob die bekandte Satyre Briontes der
Juͤngere, oder Lobrede auf Hrn. D. J.
E. Philippi mit entſetzlichen Religions-
Spoͤttereyen angefuͤllet, und eine ſtraf-
bare Schrift ſey? 197. - VI.
Stand-oder Antritts-Rede, welche der
Hr. Prof. Joh. Ernſt. Philippi, in der
Geſellſchaft der kleinen Geiſter gehal-
ten. 337. - VII.
Sottiſes champêtres. p. 423. - VIII.
Der glaubwuͤrdige Bericht eines Medi-
ci. 437. - IX.
Beſcheidene Beantwortung der Einwuͤr-
fe wieder die Nachricht von dem Tode
des Hrn. Philippi. 451. - X.
Vortreflichkeit und Nothwendigkeit der
elenden Scribenten. 473. - XI.
Anmerckungen in Form eines Briefes
wieder den Hrn. Prof. Manzel zu
Roſtock. 575. - XII.
Anhang einiger Auszuͤge aus den Neuen
Zeitungen von gelehrten Sachen, dem
Hamburgiſchen Correſpondenten, den
Hamburgiſchen Berichten, und Nie-
derſaͤchſiſchen Nachrichten. 805.
[[1]]
I.
Kurtze,
aber dabey deutliche und erbauliche
Anmerckungen,
uͤber die
Klaͤgliche Geſchichte,
von der
Jaͤmmerlichen Zerſtoͤhrung
der
Stadt Jeruſalem;
nach dem Geſchmack
des
(S. T.)
Hn. M. Hen. Jac. Sievers
verfertiget,
und als eine Zugabe zu deſſen Anmerckun-
gen uͤber die Paßion,
ans Licht geſtellet,
von
X. Y. Z. Rev. Miniſt. Cand.
Franckfurt und Leipzig,
1732.
Stultisſimum eſt, ad imitandum non
optima qvæqve proponere.’
[[3]]
Vorrede.
Leſer.
Jch uͤberliefere dir hiemit ein
Werckgen, welches zwar, dem er-
ſten Anſehen nach, von ſchlechter
Wichtigkeit zu ſeyn ſcheinet; aber doch ver-
muhtlich ſolche Sachen in ſich faſſet, daß
es dich nicht gereuen wird, einige Augen-
blicke auf deſſen Durchblaͤtterung gewen-
det zu haben.
Die Regeln der Beſcheidenheit verbie-
ten mir, meine eigene Arbeit zu loben und
ich habe auch dieſes um ſo viel weniger noͤh-
tig, weil dajenige, was ich auf dem Ti-
tul-Blat geſaget habe, hinlaͤnglich iſt, dir ei-
nen guten Begriff von ſelbiger zu geben.
Meine Anmerckungen ſind nach dem Ge-
A 2ſchmack
[4]Vorrede.
ſchmack des (S. T.) Hn. M. Hen. Jac. Ste-
vers geſchrieben. Sie koͤnnen alſo nicht
anders als wohl gerahten ſeyn, wofern ich
nur geleiſtet, was ich verſprochen. Ob dieſes
aber geſchehen ſey, muß der Augenſchein
geben.
Jch beſcheide mich zwar gerne, daß meine
Anmerckungen unmoͤglich ihrem Urbilde
vollkommen aͤhnlich ſeyn koͤnnen: Allein
ich bin zu frieden, wenn ich nur einen merck-
lichen Grad der Aehnlichkeit erreichet habe,
und verlange gar nicht, daß man meine An-
merckungen den Anmerckungen des Hn. M.
gleich ſchaͤtze. Jch habe mir dieſes vortrefli-
chen Mannes Schriften zu einem Muſter
vorgeſtellet. Jch folge ihm, wie wohl mit
ungleichen Schritten:
Virgil. Æneid. Lib. 2.’
Darinn ſuche ich meinen Ruhm, und
hoffe, der geneigte Leſer wird ſo billig ſeyn,
und geſtehen, daß ich wohl gewaͤhlet habe.
Jch haͤtte hier die ſchoͤnſte Gelegenheit,
dem Hn. M. Sievers eine Lob-Rede zu
halten: allein ich thue es nicht, denn ich
kenne ſeine Beſcheidenheit, und weiß, wie
wenig ihm mein Lob nuͤtzen kan. Es ſind
auch uͤberdem die Verdienſte deſſelben ſo
be-
[5]Vorrede.
bekannt, und alle Welt ſtimmet ſo ſehr
darinn uͤberein, daß ſie ausnehmend ſind,
daß ich nur der Sonnen eine Fackel anzuͤn-
den wuͤrde, wenn ich durch mein unge-
ſchicktes und unnoͤhtiges Lob Jhm und dem
geneigten Leſer verdrießlich fallen wolte.
Jch wennde mich vielmehr zu dem Zoi-
lus und Momus. Es iſt nunmehro leider! in
dieſen letzten Zeiten in der Welt dahin ge-
kommen, daß ein ehrlicher Mann faſt nichts
ſchreiben kan, das nicht von naſeweiſen
Leuten aufs unbarmhertzigſte durch die
Hechel ſolte gezogen werden. Dieſes, glau-
be ich, ſchrecket viele gute Gemuͤhter ab,
der Welt mit ihrem Talent zu dienen.
Nun tadele ich zwar dieſe behutſame Per-
ſonen desfals nicht: Allein ſie werden mir
doch erlauben, daß ich aufrichtig bekenne,
es mehr mit denen hertzhafften Scribenten
zu halten, die ſich durch die hoͤniſchen Ur-
theile tadelſuͤchtiger Menſchen nicht abhal-
ten laſſen, ihre Gedancken der Welt mit-
zutheilen, ſondern, ohne zu bedencken, was
die boͤſe Welt etwan ſagen werde, ge-
troſt darauf loß ſchreiben, und in allen wi-
drigen Begebenheiten, ſich mit dem Zeug-
niſſe ihres Gewiſſens, und einer lebhafften
Empfindung ihrer eigenen Vollkommen-
A 3heiten
[6]Vorrede.
heiten aufrichten, und in ihrem Kaͤmmer-
lein, bey ſich ſelbſt, laͤchelnd, ſprechen:
Jpſe domi ‒ ‒ ‒ Horat. L. J. Sat. 1.’
Alle diejenigen, ſo ihr Vergnuͤgen dar-
inn ſuchen, daß ſie ihres Nechſten wahre
oder vermeynte Fehler auffdecken und be-
lachen, koͤnnen demnach verſichert ſeyn,
daß es mir ſehr gleichguͤltig, was ſie von
mir und meinen Anmerckungen urtheilen
werden. Jch ſchreibe aus keinen eiteln
Abſichten: Nicht ums Brod; nicht um
Ruhm zu erjagen; ſondern bloß meinem
Nechſten zu dienen, und mit dem mir bey-
gelegten Pfunde zu wuchern. Die Er-
bauung, welche ſo viele fromme Seelen in
und auſſer dieſer guten Stadt, aus den
herrlichen Anmerckungen des Hn. M.
Sievers uͤber die Geſchichte des Leidens
und Sterbens JEſu Chriſti ziehen, hat
mich auf die Gedancken gebracht, es waͤre
nicht uͤbel gethan, wenn man, ſtatt einer
Zugabe zu dieſen Anmerckungen, die Ge-
ſchichte von der Zerſtoͤhrung der Stadt
Jeruſalem, welche der Hr. M. mit dru-
cken laſſen, mit eben ſo kurtzen, nachdruͤck-
lichen und erbaulichen Noten erlaͤuterte.
Viele andaͤchtige Perſonen beyderley Ge-
ſchlechts,
[7]Vortede.
ſchlechts, welche die Sieverſchen An-
merckungen mit unbeſchreiblichem Vergnuͤ-
gen leſen, und die Vortreflichkeit derſelben
nicht genug zu erheben wiſſen, haben mich
angefriſchet, ſelbſt Hand an ein ſo loͤbli-
ches Werck zu legen; und die Hoͤflichkeit
ſo wohl, als die chriſtliche Liebe hat mir
nicht zugelaſſen, ihnen dieſes gottſeelige
Begehren abzuſchlagen.
Meine Abſicht iſt alſo, wie du mein Le-
ſer ſieheſt, lauter und untadelich. Jch
erlaͤutere eine lehrreiche Geſchichte mit
Anmerckungen, die ich, wenn ich ſie nicht
ſelbſt gemacht haͤtte noch lehrreicher nennen
wolte: zu keinem andern Ende, als die Lehr-
Begierde einiger gottſeeligen Perſonen zu
vergnuͤgen, die ungemein beklagen, daß
es dem Hrn. M. Sievers nicht gefallen,
auch uͤber dieſe Geſchichte, die er ſeinem
Wercklein beygefuͤget hat, ſeine Gedancken
der Welt mitzutheilen; und hoffe alſo, der
geneigte Leſer werde ſo guͤtig ſeyn, und die-
jenigen Fehler, ſo er etwan in meiner Arbeit
entdecken moͤchte, meiner guten und unſchul-
digen Abſicht wegen, geneigt und groß-
guͤnſtig uͤberſehen. Jch meine es doch gut,
und wer meiner ſpottet, der verſuͤndiget ſich
an mir.
A 4Wie
[8]Vorrede.
Wie beweglich und nachdruͤcklich indeſ-
ſen ich hier auch meinen Leſern zurede, ſo
muß ich doch beſorgen, es werde an Spoͤt-
tern nicht mangeln, die bey einer jeden
Zeile meiner Anmerckungen etwas zu er-
innern haben werden.
Da wird der Eine ſprechen: Meine An-
merckungen waͤren laͤppiſch; ich zeigte dar-
inn weder Verſtand noch Gelehrſamkeit,
ſondern verriehte nur meine Einfalt ſo
mercklich, daß man ſagen koͤnnte, ich haͤt-
te es, wenn meine Abſicht geweſen, alle
Welt zu uͤberfuͤhren, daß ich ein elender
Stuͤmper, nicht beſſer anfangen koͤnnen.
Er wird hertzlich lachen, daß ich einige
griechiſche Stellen angefuͤhret, und Stein
und Bein ſchweren, ich verſtuͤnde nichts
davon: Ja wer weiß, ob er nicht gar ſagen
wird, ich koͤnne nicht einmahl griechiſch
leſen.
Der andere wird ſich ſtellen, als wenn er
mit dieſem freyen und ziemlich plumpen
Urtheil nicht zu frieden waͤre, und ſagen:
Man muͤſſe es mit mir ſo genau nicht neh-
men; Jch ſey noch jung, und mein Fleiß
und gute Abſicht verdiene, daß man gnaͤ-
dig mit mir verfahre: Nuͤtzten meine An-
merckungen den Gelehrten nicht, ſo koͤnn-
ten
[9]Vorrede.
ten ſich doch die Ungelehrten daraus erbau-
en: Dieſes ſey auch, allem Anſehen nach,
mein Endzweck geweſen, und darnach muͤſ-
ſe man meine Arbeit beurtheilen.
Der dritte wird von dem Urtheil des an-
dern Gelegenheit nehmen, ſtillſchweigend
zu verſtehen zu geben, daß er unter die
Zahl derer gehoͤre, denen meine Anmerckun-
gen nichts nuͤtzen koͤnnen, und folglich ge-
lehrt ſey. Er wird mein Buͤchlein in die
Haͤnde nehmen, darinne blaͤttern, es dar-
auf mit einer hoͤniſchen Mine wieder nie-
derlegen, und ſprechen: Jch leſe dergleichen
Geſchmier nicht.
Der vierdte, fuͤnffte und vielleicht auch
der ſechſte wird ſeine Gedancken von mei-
nem Wercke noch auf eine andere Art, ent-
weder feiner oder groͤber entdecken; Alle
aber werden darinn uͤbereinkommen, daß
ich beſſer gethan haben wuͤrde, wenn ich es
nicht geſchrieben haͤtte, und ich muͤſte ſehr
fremd in der Welt ſeyn, wenn ich mir einbil-
den wolte, daß unter hundert einer zu finden,
der unpartheyiſch und nach der Wahrheit
von mir uñ meiner Schrifft uꝛtheilen weꝛde.
Allein ein jeder mag ſagen, was ihm be-
liebt, ich bleibe darum doch wohl, wer ich
bin. Mich wird auch das freieſte und
A 5beißigſte
[10]Vorrede.
beißigſte Urtheil nicht befremden, weil ich
mir das ſchlimmſte vorſtelle. Richtet, mei-
ne Herren, ſpottet, lachet, ſo ſcharff, ſo grob,
ſo fein und ſo laut, als ihr immer wollet,
ihr werdet mich dadurch nicht zum Zorn
bewegen. Mein Eſſen und mein Trincken
ſoll mir darum eben ſo gut ſchmecken als
ſonſt: Jch werde deswegen keine unruhige
und ſchlafloſe Naͤchte haben: Ja ihr werdet
durch eure Spoͤttereien meine Zufrieden-
heit, wider euren Willen, vermehren:
Denn je aͤrger ihr mit mir umſpringet,
je aͤhnlicher werde ich demjenigen vortreff-
lichen Mann, deſſen Schrifften ich mir zu
einer Richtſchnur auserkohren habe: Und
dieſes iſt es, was ich ſuche.
Jch habe Urſache zu vermuhten, daß
ich meines Wunſches werde gewehret wer-
den: Denn da man ſich nicht geſcheuet hat,
einen Mann, deſſen Schrifften ſo vor-
treflich ſind, das eine der beruͤhmte-
ſten gelehrten Geſellſchafften in der Welt
dadurch bewogen worden, ihn, aus eigener
Bewegniß, zu ihrem Mitgliede zu erweh-
len, auf die allerſchaͤndlichſte Art, ſo gar in
den oͤffentlichen Zeitungen, herum zuneh-
men, ſo wird man gewiß mit mir nicht
ſaͤuberlicher verfahren. Geſchicht das am
gruͤnen
[11]Vorrede.
gruͤnen Holtz, was will am duͤrren wer-
den?
Jch ſage indeſſen nochmahl, ein jeder mag
ſagen, was ihm beliebt: ich werde auch
die widrigſten Urtheile mit Gelaſſenheit
anhoͤren, weil dasjenige, was dem Hn.
M. Sievers begegnet iſt, mich voͤllig uͤber-
fuͤhret, daß dergleichen Urtheile nichts, als
Neid und Einfalt zum Grunde haben.
Unpartheyiſche urtheilen gantz anders
von den Anmerckungen dieſes wackern
Mannes, als derjenige, deſſen haͤmiſches
Urtheil man in den hamburgiſchen Cor-
reſpondenten geruͤcket hat. Jch redete noch
neulich mit einem ehrlichen Manne,
der nicht ſtudiret hat, der bekannte mir auf-
richtig, daß er wuͤnſche, daß viele ſolche
Buͤcher geſchrieben wuͤrden: Denn, ſprach
er, wann ich des Hn. M. Sievers An-
merckungen leſe, ſo duͤncke ich mir gantz ge-
lehrt. Dieſes Bekaͤnntniß gereichet dem
Hn. M. Sievers zu groſſen Ehren.
Denn da der Entzweck eines Scribenten
iſt, ſeine Leſer zu unterrichten, ſo iſt es ja
unſtreitig, daß derjenige ſeine Sachen ſehr
wohl muͤſſe gemachet haben, deſſen Schrif-
ten die Leſer gleichſam zwingen, zu beken-
nen, daß ſie eine Veraͤnderung in ihrem
Ver-
[12]Vorrede.
Verſtande wahrnehmen, und einen
Wachsthum ihrer Erkaͤnntniß ſpuͤren.
Und in der That, die Anmerckungen des
Hn. M. Sievers ſind der Art. Er ver-
knuͤpfft in ſelbigen mit einer angenehmen
Kuͤrtze, die groͤſſeſte Deutlichkeit, die man
wuͤnſchen kan, welches nach der Meinung
eines groſſen Dichters, ſo wenigen gegeben,
daß gemeiniglich eine kurtze Schreib-Art
mit einer verdrießlichen Dunckelheit ver-
geſellſchafftet iſt.
obſcurus fio ‒ ‒ ‒ Hor at. de Art. Poët.’
Es ſolte mir uͤberdem nicht ſchwer fal-
len, zu beweiſen, daß in den Anmerckungen
des Hn. M. Sievers Sachen vorkom-
men, die man bey andern Auslegern verge-
bens ſuchet, und an welche vor ihm kein
Menſch gedacht hat; woraus dann ſeine
Scharfſinnigkeit und tiefe Einſicht zur
Gnuͤge erhellet: Allein ich will mich dabey
nicht aufhalten, ſondern nur ſo viel ſagen,
daß das groſſe Lob, welches ein beruͤhmter
Gottes-Gelehrter, dem der Hr. M. Sievers
ſeine Anmerckungen, ehe ſie gedruckt wor-
den, gezeiget, dieſem ausbuͤndig ſchoͤnen
Wercke ertheilet hat, mehr als hinlaͤnglich
ſeyn wuͤrde, den Spoͤttern das Maul zu ſto-
pfen,
[13]Vorrede.
pfen, wenn es nur die Beſcheidenheit des Hn.
M. zulieſſe, dasjenige, was unter ihnen ins-
geheim geredet worden, nach allen Umſtaͤn-
den bekannt zu machen.
Was meineſt du, geehrter Leſer? Solte
der Beyfall eines ſolchen Mannes nicht
mehr gelten, als das alberne Urtheil des boͤ-
ſen und neidiſchen Menſchen, der neulich
ſeine elenden Spoͤttereyen uͤber die Anmer-
ckungen des Hn. M. Sievers in die Zeitun-
gen ſetzen laſſen. Und muß man nicht be-
kennen, daß dieſer Elende durch die
Schmaͤh-Schrifft, mit welcher er dem Hn.
M. wehe thun wollen, ſeine Einfalt, und ſei-
nen verdorbenen Geſchmack zu ſeiner eige-
nen Schande verrahten?
O daß er doch immer zu Hauſe geblieben
waͤre! was hat er vor Ehre davon, daß er
uͤber ein Werck ſpottet, ſo die gantze kluge
Welt mit Erſtaunen anſiehet, und, als ein
anderer Midas, der eintzige iſt, der nicht
zwar dem Apollo ſelbſt, doch einem Lieb-
ling und Schooßkinde dieſes Gottes Hohn
zu ſprechen, das Hertze hat?
„Judicium ſanctique placet ſententia
montis
„Omnibus: arguitur tamen atque in-
juſta vocatur
„Vnius
[14]Vorrede.
„Vnius ſermone Midæ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Ovid. Met. Lib. IX.
Er verdienete wahrlich, daß ein eben ſo
ſtrenges Gericht uͤber ihn ergienge, als uͤ-
ber dieſen phrygiſchen Koͤnig. Und ich mei-
ne, er iſt geputzet. Wie hat ihm nicht der
Hr. M. Sievers durch die ſcharfſinnige und
hertzhaffte Antwort, die gleichfals in dem
hamburgiſchen Correſpondenten zu leſen
iſt, das Maul geſtopffet? Er iſt verſtum-
met, und wird ſich auch, wofern er nicht
gantz verblendet iſt, eben ſo wenig weiter
regen, als der Hr. M. Sievers aufhoͤren
wird, Buͤcher zu ſchreiben. Dieſer mu-
thige Scribent wird ſich durch ſolche arm-
ſeelige Spoͤttereyen nicht abſchrecken laſſen,
die Welt ferner mit ſeinen koͤſtlichen Schriff-
ten zu erfreuen. Er verſpricht uns dieſes
in der gemeldten Abfertigung des Spoͤt-
ters, der ſich an ihm reiben wollen. Er
hat auch, als ein redlicher Mann, ſein
Wort gehalten, und eine Schrifft in ge-
bundener Rede ans Licht geſtellet, die ſei-
nen Anmerckungen uͤber die Paßion, an
Schoͤnheit, nichts nach giebt, ja denſelben
ſo aͤhnlich iſt, als Zwillinge einander zu ſeyn
pflegen.
So recht, groſſer und fruchtbahrer Geiſt!
Verlache
[15]Vorrede.
Verlache die Spoͤtter, und laß dich nichts
irren: Vollende, wie du es angefangen
haſt:
dirige greſſum.
Virgil. Æneid. Lib. I.’
Sey fruchtbahr, und mehre die Anzahl
deiner Schrifften taͤglich: Fahre fort, alle
Monathe mit ſo wohlgebildeten Zwillin-
gen nieder zu kommen, ſo wird dein Ruhm
ſchnell wachſen, und, ehe man ſichs verſiehet,
bis an die Sterne ſteigen.
ad aſtra.
Virgil. Æneid. Lib. IX.’
O gluͤckſeeliges Vaterland! das du mit
einem ſo wohlgerahtenen Kinde prangen
kanſt. Aber erkenneſt du auch dein Gluͤck?
Ja, ich weiß, du erkenneſt es, und wirſt nicht
ſaumen, die Verdienſte eines Sohnes, der
dir ſo viele Ehre bringet, und ſo manche
Luſt machet, nach Vermoͤgen zu belohnen.
Jſt es alſo wohl glaublich, daß die Schmaͤh-
Schrift wider den Hn. M. Sievers, die
wir in dem Hamburgiſchen Correſponden-
ten geleſen, aus Luͤbeck nach Hamburg ge-
ſand worden, wie man uns bereden will?
Aus
[16]Vorrede.
Aus der Stadt, da niemand, von dem
Vornehmſten an bis auf den Geringſten
zu finden, der nicht vor den Hn M. eine
Hochachtung hege, die mit der Groͤſſe ſei-
ner Verdienſte uͤbereinſtimmet? Aus der
Stadt, da auch auf den Gaſſen ‒ ‒ ‒ ‒
doch, geneigter Leſer, es iſt Zeit, daß ich
ſchlieſſe. Ein Eyfer fuͤr die Ehre eines
Mannes, den ich hoch ſchaͤtze, ſetzet mich
ſo gar auſſer mir, daß ich nicht einmahl
mercke, wie noͤthig es ſey, Abſchied von
dir zu nehmen, und mich dir beſtens zu
empfehlen. Lebe demnach wohl, geneig-
ter Leſer!
Kurtze
[17]
Kurtze
Aber dabey deutliche und erbauliche
Anmerckungen
Uber die Geſchichte von der
Zerſtoͤhrung der Stadt
Jeruſalem.
CHriſtus ſelbſt)Matth. XXIV.
Jhnen) den Juͤden.
Ein Comet,) Es giebt Leute, die nichts glau-
ben, und alſo auch leugnen, daß die Cometen
was Boͤſes bedeuten, wie vornemlich der gott-
loſe Bayle in ſeinen Penſées diverſes ſur la Comete
ſich zu behaupten bemuͤhet. Allein ein from-
mer Chriſt laͤſſet ſich durch das boͤſe Geſchwaͤtz
dieſer Leute nicht irren. Von den Meynun-
gen der alten Weltweiſen von den Cometen,
v. Plutarchum de Placitis Philoſophorum Lib.
III. cap. 2.
Von jederman,) Nemlich von allen Leuten,
die nicht blind waren.
Ein gantz Jahr,) Nicht daß er immer ſtille
geſtanden, ſondern er iſt, ein gantz Jahr durch,
alle Tage auf und untergegangen.
Der ungeſaͤutten Brod,) Nemlich zu der Zeit,
da die Juͤden die Oſtern hielten. Exod. XII. 8.
15. XXIII. 15. XXXIV. 18.
Des Monaths Aprilis,) Das war der 14.
Tag des Monaths Niſan.
B20
[18]
20 Maͤnner anheben muſten,) Vermuth-
lich, weil es ſehr ſchwer war.
Um die ſechſte Nacht-Stunde, Das iſt
um 12 Uhr, da es gemeiniglich zu ſpucken
pflegt.
Etliche ſagen,) Jch wolte wohl wetten,
daß dieſe etliche Unrecht haben; Denn wenn
ſich dieſes zu der Zeit des Leidens Chriſti begeben
haͤtte, ſo haͤtten es die Evangeliſten wohl ange-
mercket.
Gemeinen Mannes Sohn,) Darum nicht
geleugnet, daß er auch eine Mutter gehabt: Denn
alle Menſchen werden von Weibern gebohren,
wie der chriſtliche Leſer ohne mein Erinnern ſchon
wiſſen wird.
Kommen,) Es iſt zu vermuhten, daß er
zu Fuſſe dahin gegangen, weil er eines gemei-
nen Mannes Sohn geweſen. Wiewohl eini-
ge Ausleger anderer Meynung ſind. Vid. Phlege-
ton l. c.
Sondern,) Dieſes iſt nicht die Conjunctio
adverſativa; Sed; ſondern das adjectivum, ſin-
gularis, welches man um der Einfaͤltigen willen
anfuͤhren wollen.
Vom Morgen,) Es wird hier nicht verſtan-
den die Zeit des Tages, ſo man Morgen nen-
net, gleich wie auch das Wort Abend hier nicht
die Zeit andeutet, da die Sonne untergehet;
ſondern man muß darunter Oſten und Weſten
verſtehen.
Tag und Nacht aneinander,) Man kan
hieraus ſchlieſſen, daß er nicht geſchlaffen; wie-
wohl
[19] wohl einige dafuͤr halten, daß dieſes eine hy-
perbole.
Nicht gerne hoͤreten,) Nach Art aller Men-
ſchen. Denn es iſt bekannt, daß niemand ger-
ne etwas hoͤret, das ihm unangenehm iſt.
Doch nicht auf,) ſondern ſchrie immer
fort.
Dieſen Menſchen,) Den Jeſus, genannt A-
nani, eines gemeinen Mannes Sohn, der aus
einem ſondern heftigen Geiſt ſo geſchrien.
Die Roͤmer da hatten,) Denn die hatten in
allen ihren Provintzen gewiſſe Stadthalter, welche
nach dem Unterſcheid der Provintzen Procon-
ſules, Prætores, Proprætores, oder Præſides ge-
nennet wurden. Denn es iſt zu wiſſen, daß
die Provintzen nicht alle einer Art geweſen.
Anfangs theilte man ſie in Conſulares \& Præ-
torias. Vid. Sigonius de antiquo jure provincia-
rum Lib. II. cap. I. Nachdem eignete ſich Au-
guſtus einige zu, und ließ dem Rath die an-
dern. Dio Caſſius Lib. LIII. p. 503. Strabo Lib.
XVII. fin. Wodurch zwar der erſte Unterſcheid
nicht aufgehoben ward; weil ſo wohl die Kaͤy-
ſerlichen als raͤthlichen Provintzen in Conſulares
\& Prætorias eingetheilet wurden. Salmaſius ad
Capitolinum in vita M. Antonini Cap. XXII. p. 375.
edit. Hack. Jedoch wurden diejenigen Stadt-
halter, ſo der Kaͤyſer in ſeine Provintzen ſetzte,
eigentlich Præſides genennet. Gruterus Inſcript.
p. 457. Inſcript. 4. Spanhemius de U. \& P. Numiſm.
Diſſert. XVII. p. 180. Egypten hatte was beſon-
ders: Denn dahin ward kein Proconſul oder
B 2Præſes
[20]Præſes geſandt, ſondern der Stadthalter daſelbſt
heiſt nur Præfectus Auguſtalis, und hatte kei-
ne faſces. Arrianus de Expeditione Alexandri M.
Lib. III. cap. 5. Tacitus Annal. XII. Cap. 6. Hiſt.
Lib. I. cap. 2. Dio Lib. LIII. p. 504. Und dieſes ei-
ner alten Prophezeihung wegen. Trebellius Pollio
in Æmiliano. Der Landpfleger in Syrien, wo-
von hier die Rede iſt, war ein Præſes.
Zaͤhren und Thraͤnen gelaſſen,) Das iſt,
er hat nicht geweinet.
Ohne unterlaß) Doch hat er zuweilen Athem
geholet, und denn hat er nicht geſchrien, quia
nemo poteſt ſimul ſorbere \& flare.
Uberlaut geſchrien) Denn leiſe Schreyen hat-
te er nicht gelernet, ſo wenig als ich und der ge-
neigte Leſer.
Albinusder Richter,) Dieſer Albinus war
der Landpfleger oder Præſes Syriæ. Joſephus de
Bello Jud. Lib. II. Cap. 13. ſaget nicht viel gutes
von ihm.
Nicht viel mit Leuten umgangen) Man kan
daraus gar wahrſcheinlich ſchlieſſen, daß er me-
lancoliſch geweſen.
Oder dichtet) Nicht als wenn alle Dichter
Thoren und wuͤtende Leute waͤren: Denn das waͤ-
re manchem zu nahe geredet; Sondern dichten
heiſt hier nur ſo viel als dencken.
Nicht muͤde worden) Hiedurch wird meine
Muthmaſſung beſtaͤrcket, daß er nicht geſchlaffen:
denn hier ſteht ausdruͤcklich, daß er nicht muͤde
geworden. Man ſchlaͤfft aber nicht, wenn man
nicht muͤde iſt.
Die
[21]
Die Stadt,) Jeruſalem.
Ungewoͤhnliche Worte,) Das iſt kein Wun-
der. Denn damahls war die deutſche Spra-
che noch nicht ſonderlich bekannt zu Jeruſalem.
Daher war es freylich was ungewoͤhnliches,
daß dieſer Jeſus Anani: Au wey mir! rief.
Man kan indeſſen ſo viel hieraus lernen, daß er
der erſte geweſen, der ſich dieſes Seuffzers be-
dienet, welches vor mir niemand angemercket;
ſo wenig als daß hier der Text verdorben. Denn
in den gedruckten editionen der Hiſtorie von der
Zerſtoͤhrung Jeruſalem ſtehet, er habe: Weh
auch mir! geſchrien: Da doch ein jeder leicht
ſehen kan, daß es: Au wey mir! heiſſen ſoll:
Denn ſo ſagen die Juden. Vermuthlich iſt
dieſe Verderbung des Textes auf folgende Art
entſtanden. Es hat nemlich derjenige, ſo Schuld
daran, ſich verſchrieben, und an ſtatt Au
wey mir! Wey au mir geſetzet. Dieſes
hat ein anderer verbeſſern wollen, und Wehe
auch mir daraus gemacht, zum deutlichen Be-
weis, daß es wahr ſey was der Heil. Hierony-
mus epiſt. 28. ad Lucinium von den ungeſchickten
und dabey naſeweiſen Abſchreibern ſagt. Scri-
bunt non quod inveniunt, ſed quod intelli-
gunt, \&, dum alienos errores emendare nitun-
tur, oſtendunt ſuos. Dieſe Muthmaſſung iſt
ſehr wahrſcheinlich, und wird noch dazu durch ei-
nen alten niederſaͤchſiſchen Codicem beſtaͤrcket,
der mir neulich durch einen ſonderbaren Zufall in
die Haͤnde gerahten iſt.
Ohngefehr,) Da ſage ich nein zu: Denn es
B 3ge-
[22] geſchicht nichts von ohngefehr; und ſind das ro-
he Leute, welche ſagen, ohngefehr werden wir
gebohren, Sap. II. 2. Fromme Chriſten wiſſen,
daß alles von GOtt koͤmmt.
Todt blieben,) O der arme Schelm! waͤre
er von der Mauer geblieben, ſo haͤtte er vermuht-
lich noch lange leben koͤnnen.
Stephanus ſagt,)Act. VII. 52.
Enderung und Zerruͤttung,) Denn Friede
ernehrt, Unfriede verzehrt, und Saluſtius ſagt
gar wohl. Concordia res parvæ creſcunt, dis-
cordia maximæ ſæpe dilabuntur. Wie dann
auch Chriſtus ſelbſt ſagt, daß ein jeglich Reich, ſo
es mit ihm ſelbſt uneins wird, wuͤſte wird, und
nicht beſtehen kan. Luc. XI. 17. 18.
Rotten,) Der chriſtliche niederſaͤchſiſche Le-
ſer muß nicht meynen, daß Jeruſalem mit Ra-
tzen geplaget worden, und daß es den Juͤden
damahls eben ſo gegangen, als dem Ertz-Biſchoff
Hattoni zu Mayntz. ſ. die Acerram Philologi-
cam p. m. 201. ſq. Mit nichten: Sondern
Rotten heiſſen hier die unterſchiedene Partheyen
in welche ſich die Juden theileten; wie man auch
zur Noth, ohne mein Erinnern, aus dem nach-
folgenden ſehen kan.
Nero,) Der bekannte Tyrann. Er war ein
Schweſter Sohn des Kaͤyſers Caligula, und
folgte im Jahr 54. dem Claudio im Regi-
ment. Die erſten 5 Jahre regierte er loͤblich,
und verbarg ſein boͤſes Naturel ſo, daß auch
ſein Lehrmeiſter Seneca ſeine Buͤcher de Cle-
mentia
[23]mentia ihm zu Ehren geſchrieben: aber nachge-
hends ward er grauſam, und ließ nicht nur ſei-
nen Lehrmeiſter den Seneca, ſondern auch ſo gar
ſeine eigne Mutter die Agrippina hinrichten. Er
zuͤndete auch einmahl Rom an, um ſich dabey
die Zerſtoͤhrung von Troja lebhafft vorzuſtel-
len, hernach warf er die Schuld auf die Chri-
ſten, und verfolgte ſie jaͤmmerlich, wie dann
unter andern die beyden Apoſtel Petrus und Pau-
lus unter ſeiner Regierung hingerichtet ſind,
und erzehlen die Geſchicht-Schreiber, daß das
abgehauene Haupt Pauli noch dreymahl JEſus
gerufen habe. V. Suetonium in Nerone. Tacit. Annal.
Lib. XIII. XIV. XV. XVI. Er pflegte im Sprich-
wort zu ſagen. [...].
Artem quævis terra alit. Wer etwas kan, koͤmmt
allenthalben fort. Suetonius l. c. cap. 40.
Florus,) Der war noch aͤrger als Albinus,
und machte es noch plumper. V. Joſeph. de Bello
Jud. Lib. II. cap. 13.
Der ſeinen,) Van den Sinigen, ſagt mein
alter Cod. MSt. Es iſt aber hier die Rede nicht
von ſeinen Verwandten: Denn es iſt nicht
glaublich, daß die Floriſche Familie ſo ſtarck ge-
weſen; ſondern ſeine Soldaten werden die ſeini-
gen genennet, weil ſie ſeine Soldaten, und er
ihr General war.
Gottes Verhaͤngniß,) Nicht als wenn GOtt
ſie zur Rebellion gereitzet haͤtte. Nein; denn GOtt
iſt nicht ein Verſucher zum Boͤſen Jacob. I.
13. Er concurrirt zu dem Boͤſen nicht effectivè
B 4ſondern
[24] ſondern nur permiſſivè. V. Dieterici Inſtit. Cate-
chet. p. m. 240. Cauſas vero, cur Deus homines
peccare permittat, eleganter explicat Damaſcenus
L. 2. orthod. fid. cap. 29. p. 149. Vid. etiam Quen-
ſtedius, Scherzerus, Brochmannus, Hollazius \&c.
loco de Providentia, ni fallor.
Von ihnen,) Den Roͤmern.
Das erfuhr,) Nemlich, daß ſie von den Roͤ-
mern abgefallen.
Seinen Sohn,) Des Veſpaſiani Sohn.
Denn Nero hatte keine maͤnnliche Erben.
Orient,) Morgenland.
Tranquillus,) Das iſt der offt angefuͤhrte
C. Suetonius Tranquillus. Wir haben von ihm,
auſſer denen Leben der 12. erſten Kaͤyſer, noch
2. Buͤcher de illuſtribus Grammatticis, \& claris
Rhetoribus. Inter recentiores editiones eminet
Schildii, quæ prodiit Lugd. Bat. 1667. in 8vo.
cum notis variorum. Ornatior \& copioſior e-
ditio Sam. Pitiſci cum ſelectis annotationibus
\& elegantiſſimis Iconibus Traject. ad Bhenum
1690. II. volum. in 8vo. Laudabilior \& editio
I. G. Græuii cum integris Iſ. Cauſaboni \& alio-
rum notis, ac locupletiſſimo Berneggeri indice
Trajecti 1672. in 4. quæ editio repetita eſt Hag.
Comitis 1691. auctior illa quidem \& additis ico-
nibus elegantior, ſed minus emendata. In u-
ſum Delphini publicavit Auguſtinus Babelo-
nius Paris. 1684. in 4. Vid Olai Borrichii Con-
ſpect. Scrip. Linguæ latinæ p. m. 73. 74.
Stoltz,) Wie es allezeit zu gehen pflegt.
Wie
[25] Wie wohl haͤtten die Leute gethan, wenn ſie be-
dacht haͤtten, was die chriſtliche Kirche im guͤlde-
nen A. B. C. ſinget:
„Erheb’ dich nicht in deinem Gluͤck
„Es hat noch wunderbahre Tuͤck.
Oder was der alte Comicus Græcus ſagt:
[...].
Hauptleute,) Das war ein groſſer Schade.
Denn da die Philiſter ſahen, daß ihr Staͤrckeſter
todt war, lieſſen ſie den Muth fallen. 1. Sam.
XVII. 51.
Des Kaͤyſers,)Neronis.
Galilaͤa,) So hieß das Theil des juͤdiſchen
Landes, ſo gegen Mitternacht an dem Berg Liba-
non und See Genezareth liegt.
Kein Ende) Nicht, daß er ewig gewaͤhret.
Denn es hat ſchon lange ein Ende gehabt; ſon-
dern Veſpaſianus mordete, raubte und brannte
ſo lange, als etwas zu morden, rauben und
brennen war. Das es ſo zu verſtehen, wird nie-
mand leugnen, der nur einmahl gehoͤret hat, quod
talia ſunt prædicata, qualia permittuntur eſſe à
ſuis ſubjectis.
Auf einmahl,) Nicht auf einen Hieb, das
gienge ſchwerlich an, ſondern einer nach dem
andern.
Wehrhafftige Leute,) Leute, die zum Krie-
ge tuͤchtig. Denn daß es Leute geweſen, die
nach Deutſchem Gebrauch wehrhafft gemacht,
glaube ich nicht.
B 5Kinder
[26]
Kinder in der Wiegen,) O der Grauſam-
keit! Allein, ſo gehts im Kriege: Da wird ver-
acht, und nicht betracht, was recht und loͤblich
waͤre.
Eigene Leute,) Egene Luͤde. Cod. MSt. cit.
Nicht, daß ſie von ſonderlichem Eigenſinn ge-
weſen, ſondern ſie wurden als Leibeigene verkaufft;
wie ex conſequentibus erhellet.
Jſthmus) Jſt ein ſchmaler Strich Landes
zwiſchen zweyen Meeren. Vid. Amos Comenius in
orbe ſenſualium picto p. m. 17. Hier wird von
demjenigen geredet, durch welchen Morea, vor
dieſem Peloponeſus genannt, an dem uͤbrigen
Griechenland haͤnget. Es haben ſich viele un-
ternommen, dieſen Jſthmum zu durchgraben:
Allein es hat noch keinem gelingen wollen. Ver-
muhtlich, weil GOtt nicht haben will, daß man
die von ihm dem Meer geſetzte Graͤntzen aͤndere.
Dieſe Anmerckung iſt nicht meine, ſondern der
Chriſtliche Leſer hat ſie dem ſel. Hn. Johann
Huͤbnern zu dancken. Vid.deſſenGeographiſche
Fragenp. m. 94. welches ich aus Beſcheidenheit
nicht verſchweigen wollen.
Herab geſtuͤrtzet,) Einige wollen behaupten,
daß wenige, und vielleicht gar keine mit dem Le-
ben davon gekommen: Aber ich halte vor ſiche-
rer, daß man in einer Sache von ſo groſſer Unge-
wißheit das [...] ergreiffe.
Faſt gelehrt) ſehr gelehrt. Nicht vix ſondern
valde.
Oberſten einer im Krieg,) Er war uͤber Gali-
laͤa
[27] laͤa geſetzet, wie er ſelbſt erzehlet. Lib. II. de
Bello Jud. Cap. 25.
Ergriffen) Wie es zugegangen. V.Beym
Joſeph. l. c. lib. III. cap. 14.
Noch Kaͤyſer werden,)Joſephus l. c. Und es
iſt auch eingetroffen.
Raͤuberiſches Volck)V. Joſeph. de Bello Jud.
Lib. IV. cap. 5.
Abermahl) Denn es war ſchon vorher geſchehn.
Arme Stadt,) Nemlich die Einwohner; con-
tinens pro recontenta.
Offt,) Vaken. Cod. MSt. cit.
Wetter,) Ungluͤck, Noht, Jammer.
Dreyerley Ungluͤck,) Nach dem Sprichwort:
Nulla calamitas ſola. Ein Ungluͤck iſt ſelten
alleine.
Tyrann,) Das Wort Tyrannus hat vorzei-
ten eine gute Bedeutung gehabt: nachgehends a-
ber iſt es in einem boͤſen Verſtande genommen
worden.
Um der Herrſchafft,)Nam ſi violandum
eſt jus, regnandi gratia violandum eſt, aliis re-
bus pietatem colas. Euripides.
Gadarener,)V. Marc. V. 1. Luc. VIII. 27.
Sie hieſſen auch Gergeſener. Matth. VIII. 29.
Und waren wohl boͤſe Leute, weil ſie Chriſtum
nicht bey ſich leiden wolten. O Blindheit!
Gadaradie Stadt,) Die Stadt Gadara.
Nahm er gefangen,) Durch ſeine Leute.
Nam quod quis per alium facit, ipſe feciſſe pu-
tandus. Vid. Compendium Metaphyſices, quod pri-
mum tibi inciderit in manus.
Andere
[28]
Andere,) Nicht ſecunda, ſondern reliqua
plebs.
Stuͤrtzet ſich in den Jordan,) Jch glau-
be, wo ſie nicht ſchwimmen koͤnnen, ſind ſie alle
erſoffen.
Asphaltiten,) Von dieſem See hat Joſephus
ein eigen Capitel, welches das 6te iſt in ſeinem
5ten Buche de Bello Judaico, und woraus ein
geneigter Leſer viele ſchoͤne Sachen lernen kan.
Zu Ausgang des Winters,) Da kan man
ſehen, daß vor Alters die Jahrs-Zeiten in eben
der Ordnung auf einander gefolget als jetzo.
Lentz,) Fruͤhling. Froͤhjahr. Cod. MSt. cit.
Nerotodt war,) Er erſtach ſich ſelbſt. Sue-
tonius in Nevone cap. 49.
Lag er,) Nicht, daß er eben geſtreckt gele-
gen, ſondern er hielte ſich daſelbſt auf. He
was to Ceſarea. Cod. MSt. cit.
Eilend auf,)Quia periculum in mora.
Veſpaſianus,) Er war ein guter Regent;
aber etwas geitzig, indem er ſo gar auf die Secre-
te ſ. v. einen Tribut legte, und dabey zu ſagen
pflegte: Lucri bonus odor ex re qvalibet. Wie
er merckte, daß er ſterben wolte, ſtand er auf,
und ſprach: Imperatorem decet ſtantem mori.
Svetonius in Veſpaſ. c. 16. 24.
Tito,) Das war ſein Sohn.
Entkam ſchwerlich,) Mit nauer Not. Cod.
MSt. cit. Man mercke beylaͤuffig, daß es ein Feh-
ler an einem General, wenn er ſich zu ſehr
wagt.
Eine
[29]
Eine viertel Meile von der Stadt,) Denn
er war gewitziget. Piſcator ictus ſapit: und er-
innerte ſich des Sprichworts: Procul à Jove pro-
cul à fulmine.
Part) Theil.
Zeloten,) Eyferer, à Græco [...]. unde [...]
[...], æmulator, æmulus, ſectator, [...], ajunt
Stoici, [...].
Boͤs heuchliſch Volck,) Nicht daß alle Ze-
loten und Eyferer ein boͤſes heuchliſch Volck, ſon-
dern es iſt nur von dieſen Zeloten zu verſtehen,
von welchen hier die Rede iſt: Quod probe
notandum contra Indifferentiſtas \& Fana-
ticos, ſpeciatim Chriſtianum Thomaſium, Ar-
noldum \& Dippelium.
Nicht koͤnnen los werden,) Es waͤre alſo
beſſer geweſen, man haͤtte dieſe Gaͤſte nicht ge-
laden, quia.
Turpius ejicitur quam non admittitur hoſpes.
Der Hunger,)Nam graue tormentum fa-
mes. Hunger iſt ein ſcharffes Schwerdt.
Jhre hoͤchſte Macht,) Denn auch ein
Wurm kruͤmmt ſich vor dem Tode.
Es war aus,) Et was ut. Cod. MSt. cit.
Aus dem Munde geriſſen,) Ut dem Mule
reten. Cod. MSt. cit. Man ſagt dahero auch
noch, wenn man ſich ihrer zwey um ein Stuͤ-
cke Brod reiſſen ſiehet: da geht es her, wie bey
der Zerſtoͤhrung Jeruſalem.
Sich eines des andern erbarmet,) Denn
ein
[30] ein jeder iſt ſich ſelbſt der Naͤchſte. Proximus
ſum egomet mihi.
Scheffel,) Schepel. Cod. MSt. cit.
Kuh. Miſt,) Koh-Dreck. Cod. MSt.
Unflat,) Schiet. Cod. MSt.
Vielmehr Arbeit,) Denn es war eine ſtar-
cke Feſtung.
Trompeter mit der Poſaunen,) Entweder
dieſer Trompeter hat mehr als ein Jnſtrument
verſtanden, oder es iſt auch eine Trompete,
und keine Poſaune geweſen, damit er ein Zei-
chen gegeben.
Alle erſchlagen,) Faſt alle; denn einige ſind
bey Nacht in die Stadt entkommen.
Kein verſchonen,) Denn Chriſtus hatte
geſagt, es ſolte kein Stein auf dem andern blei-
ben. Matth. XXIV. 2.
Weder mit Draͤuen noch vermahnen,) O
der Hartnaͤckigkeit!
Duͤrffte man keiner Prieſter mehr,) Da
kan man ſehen, was die Fanatici vor gefaͤhrli-
che Abſichten haben, wenn ſie die Kirchen, und
den aͤuſſerlichen Gottes-dienſt verwerfen, denn
die Folge iſt richtig: wenn man keine Kirchen
und oͤffentlichen Gottes-dienſt hat, ſo braucht
man keiner Prieſter.
Bald ein Geruͤcht,) Denn
„Fama malum, qua non aliud velocius ullum.
„Mobilitate viget, viresque acqvirit eundo.
Virgil. Æneid. Lib. IV.
Jn einer Nacht umkommen,) Was thut
der leidige Geitz nicht!
quid
[31](o)
„ ‒ ‒ ‒ qvid non mortalia pectora cogis
„Auri ſacra fames. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
Virgil. Æneid. Lib. III.
Nicht toͤdten ſolte,) Denn er war gar ein
gnaͤdiger Printz, daher er auch, wenn ein Tag
verſtrichen, an welchem er niemand gutes gethan,
zu ſagen pflegte: Amici, diem perdidi, Welche
Auffuͤhrung ihm dann den Titel: Deliciæ generis
humani, zu wege gebracht. O daß doch alle
Fuͤrſten dieſem Kaͤyſer gleichten!
1. Regiſter
Der
angefuͤhrten Schrifft-Stellen.
- Matth.VIII. 29
- ‒ ‒ ‒ ‒ XXIV
- ‒ ‒ ‒ ‒ XXIV. 12
- Marc.V. 1
- Luc.VIII. 27
- ‒ ‒ ‒ XI. 17. 18
- Iac.I. 13
- Exod.XII. 8. 15
- ‒ ‒ ‒ XXIII. 15
- ‒ ‒ ‒ XXXIV. 18
- Sap.II. 2
2. Regiſter
Der
angefuͤhrten Autorum.
- Acerra Philologica.
- Arrianus.
- Bayle (Pierre)
- Borrichius (Olaus)
- Brochmannus.
- Cod. MStus.
- Comenius (Amos)
- Comicus Græcus.
- Damaſcenus.
- Dio Caſſius.
Diete-
[32](o)
- Dietericus.
- Euripides.
- Gruterus.
- Hieronymus.
- Hollazius.
- Horatius.
- Hubnerus.
- Ioſephus.
- Ovidius.
- Phlegeton.
- Plutarchus.
- Quenſtedius.
- Saluſtius.
- Salmaſius.
- Scherzerus.
- Sigonius.
- Spanhemius.
- Strabo.
- Suetonius.
- Tacitus.
- Trebellius Pollio.
- Virgilius.
3. Regiſter
Der
Vornehmſten Materien.
A
- A. B. C. (das guͤldene)
haben die Juden
nicht fleiſſig geſun-
gen. p. 25. - Albinus, Landpfleger
in Syrien. p. 20.- Joſephus ſagt
nicht viel gutes
von ihm. ibid.
- Joſephus ſagt
- Arnold, (Gottfried)
ein Indifferentiſte
und Fanaticus.p.
29. - Asphaltites (der See)
Joſephus ſchreibt
ſchoͤne Sachen da-
von p. 28. - Autor, Mag ſich nicht
ſelbſt loben p. 1.- iſt beſcheiden p. 26
- ſchreibet ſeine An-
merck. nach dem
Geſchmack des Hn.
Mag. Sievers p. 1. - ſuchet dem Hn.
Mag. Sievers nach-
zuahmen ib. Mag
den Hn. Mag. Sie-
vers nicht loben p.
4. Urſachen, war-
um
[33](o)
um er dieſes nicht
thun moͤge, p. 4.
- Autor klaget uͤber die na-
ſeweiſen Splitter-
Richter p. 5.- Erlaͤutert ein Lehr-
reiches Buch mit
noch lehrreichern
Anmerckungen. p. 7.
- Erlaͤutert ein Lehr-
- Autor, kehrt ſich nicht
daran, was man
von ihm und ſeiner
Arbeit urtheilet.
p. 6.- ſchreibt nicht ums
Brod. ib. - nicht um Ehre zu
erjagen. ib. - will ſeinem Nech-
ſten dienen. ib. - will mit ſeinem
Pfunde wuchern.
ib. - wie er auf die Ge-
dancken kommen,
ſeine Anmerckun-
gen zu ſchreiben. ib. - wer ihn dazu an-
gefriſchet. ib. - iſt hoͤflich, und voll
chriſtlicher Liebe. ib.
- ſchreibt nicht ums
- Autor deſſen Abſicht iſt
lauter und unta-
delich. ib.- wer ſeiner ſpottet
verſuͤndiger ſich. p.
7. - redet ſeinen Leſern
beweglich zu p. 8. - ſtellt ſeiner Schrift
die nativitaͤt. ib. - iſt gelaſſen. p. 10. 11.
- hat mit einem ehr-
lichen Manne ge-
redt. p. 1. - ergreift das [...]-
[...]. p. 26. - wird dem Hn. M.
Sievers deſto aͤhn-
licher, je aͤrger die
Spoͤtter mit ihm
umſpringen. p. 10. - bekoͤmmt durch ei-
nen ſonderlichen
Zufall einen Cod.
MSt.p. 12. - macht eine An-
merckung, die gantz
neu iſt, und an wel-
che vor ihm nie-
mand gedacht. p. 21. - eyfert vor die Eh-
Cre
[34](o)
re des Hn. Mag.
Sievers. p. 19.
- wer ſeiner ſpottet
- Autor vergiſſt faſt von
ſeinem Leſer Ab-
ſchied zu nehmen.
ib. - Au wey mir/ ein Juͤdi-
ſcher Seufzer. 21.
war zu den Zei-
ten der Zerſtoͤh-
rung Jeruſalem
noch ein unge-
woͤhnliches Wort
bey den Juden. ib.
wer zu erſt ſo ge-
ſchrien. ib. - Aus, was es auf Nie-
derſaͤchſiſch heiſſe.
p. 29.
B.
- Bayle (Pierre) glaubt
nicht, daß die Co-
meten was Boͤſes
bedeuten. p. 10.- hat penſeés diver-
ſes ſur la Comete
geſchrieben ib. - iſt gottloß. ib.
- hat penſeés diver-
C.
- Cometen, ob ſie was
Boͤſes bedeuten. p.
17- was die Alten da-
von geglaubt. ib.
- was die Alten da-
- Comet wird von jeder-
man geſehen, der
nicht blind war.
p. 10.
D.
- Deurſche Sptache, iſt
zur Zeit der Zer-
ſtoͤhrung Jeruſa-
lem daſelbſt noch
nicht ſonderlich be-
kannt geweſen. p.
21. - Dichter, ſind nicht alle
Thoren und wuͤ-
tende Leute. p. 20. - Dichten, heiſt offt ſo
viel als dencken. ib. - Dippel, (Joh Conr.)
ein Indifferentiſte
und Fanaticus.p.
29.
E.
- Eyferer, ſ. Zeloten.
- Etliche, haben unrecht.
p. 18.
F.
- Florus, (der Landpfle-
ger) noch aͤrger
als
[35](o)
als Albinus. p. 23.
machte es noch
plumper. ib. - Florus, deſſen Familie iſt
nicht 5000 Mann
ſtarck geweſen. ib. - Fanatici, haben boͤſe
Abſichten. p. 30.
G.
- Gadarener, wie ſie
ſonſt genennet wer-
den. p. 27.- wollen Chriſtum
nicht leiden. ib.
- wollen Chriſtum
- Galilaͤa, wo es gele-
gen. p. 25. - General, muß ſich nicht
zu ſehr wagen. p.
28. - Geſchichte, von der
Zerſtoͤhrung Jeru-
ſalem iſt lehrreich.
p. 7. - Geſchichte, von der
Zerſtoͤhrung Je-
ruſalem, hat Hr.
M. Sievers mit
drucken laſſen. p. 6. - man beklagt, daß
er ſie nicht mit An-
merck. erlaͤutert. ib.- der Text derſelben
iſt an einem Ort
verdorben. p. 21. - wie es damit zuge-
gangen. ib.
- der Text derſelben
- Gruͤnes Holtz, Schluß
daraus a majori
ad minus.p. 11. - Hauptleute, wenn ſie
in der Schlacht
bleiben iſt es ein
groſſer Schade. p.
25. - Hatto, (Ertzbiſchoff von
Maͤyntz) wird von
den Maͤuſen ge
freſſen. p. 22. - Hunger, iſt ein ſcharf-
fes Schwerd. p. 29.
J.
- Jahrs Zeiten, wie ſie
vor dieſem auf ein-
ander gefolget. p.
28. - Jeſus (Anani) eines
gemeinen Man-
nes Sohn. p. 19.- hat auch eine Mut-
ter gehabt. p. 18. - geht zu Fuß nach
Jeruſalem. ib.
- hat auch eine Mut-
C 2ſchlaͤfft
[36](o)
- Jeſus ſchlaͤfft nicht. ib.
- ſchreiet immerfort.
p. 19. - weinet nicht, wenn
er gepeitſchet wird
p. 20. - hohlt zuweilen A-
them. ib. - kan nicht leiſe
ſchreien. ib. - iſt melancoliſch ge-
weſen. ib. - wird nicht muͤde.
ib. - hat zu erſt au wey
mir! geſchrien. p. 21. - haͤtte noch laͤnger
leben koͤnnen, wenn
er nicht erſchoſſen.
p. 22.
- ſchreiet immerfort.
- Joſephus, wird uͤber
Galilaͤa geſetzet. p.
26.- ſchreibt ſchoͤne Sa-
chen von dem See-
Aſphaltitesp. 28.
- ſchreibt ſchoͤne Sa-
- Jſthmus, was es ſey. p.
26.- ſol durchgegraben
werden. ib. - es will aber nicht
angehen. ib. - und warum. ib.
- ſol durchgegraben
K.
- Krieg, wie es darinnen
hergehet. p. 26. - Kuͤhemiſt, wie es auf
Niederſaͤchſiſch heiſ-
ſe. p. 30.
L.
- Lentz, was es bedeute.
p. 20.- wie es auf Nieder-
ſaͤchſiſch heiſſe. ib.
- wie es auf Nieder-
- Leute, wie dieſes Wort
auf Niederſaͤch-
ſiſch heiſſe. p. 26. - Luͤbeck, iſt gluͤcklich
daß es an Hn. M.
Sievers ein wohl-
gerathenes Kind
hat. p. 15.- hat manche Luſt
von dem Hn. M.
ib. - will deſſen Ver-
dienſte belohnen. p.
16.
- hat manche Luſt
M.
- Morea, wie es vor Zei-
ten geheiſſen. p. 26.
Men-
[37](o)
- Menſchen, werden al-
le von Weibern
gebohren. p. 18.
N.
- Nero, iſt ein Tyrann
geweſen. p. 22.- regieret anfangs
wohl. 23. - laͤſt ſeine Mutter
hinrichten. ib. - zuͤndet Rom an. ib.
- verfolget die Chri-
ſten ib. - erſticht ſich ſelbſt. 28.
- regieret anfangs
- Niemand, hoͤret gerne
etwas unangeneh-
mes. p. 19.
O.
- Offt, wie es auf Nie-
derſaͤchſiſch heiſſe. 27.
P.
- Paulus, (der Apoſtel)
wird unter Nero
enthauptet. p. 23.- ſein abgehauener
Kopff rufft noch
dreymahl JEſus. ib.
- ſein abgehauener
- Petrus, (der Apoſtel)
wird unter Nerone
hingerichtet. ib. - Provintzen, (roͤmiſche)
ſind nicht einer Art
geweſen p. 19.- in allen waren
Stadthalter. ib. - Kaͤyſer eignen ſich
einige zu. p. 19.
- in allen waren
R.
- Rotten, was es ſind p.
22. - Ratzen, Jeruſalem iſt
nicht damit gepla-
get worden. ib. - Rebellion, GOtt hat
die Juden nicht da-
zu gereitzet. p. 23.
S.
- Scheffel, wie es auf
Niederſaͤchſiſch heiſ-
ſe. p. 30. - Schmaͤh-Schrifft, wi-
der den Hn. Mag.
Sievers iſt nicht
aus Luͤbeck kom-
men. p. 15.- Autor derſelben iſt
ein boͤſer und neidi-
ſcher Menſch. p. 13. - verraͤht ſeine Ein-
falt ib. iſt der ein-
tzige, der uͤber den
C 3Hn.
[38](o)
Hn. Mag. Sievers
ſpottet. ib. - wird mit dem Mi-
das verglichen. ib. - wird geputzt. p. 14.
- verſtummet. ib.
- Autor derſelben iſt
- Schwerlich, wie es
auf Niederſaͤchſiſch
koͤnne gegeben wer-
den p. 28. - Sechſte Nacht-Stun-
de, wie viel es nach
unſerer Uhr ſey? p.
18.- pflegt darinn zu
ſpuͤcken. ib.
- pflegt darinn zu
- Sievers, (M. Hen.
Jac.) ein vortref-
licher Mann p.
4. 10.- ein wackerer Mann
p. 11. - dienet dem Autori
zum Muſter. p. 4. - iſt beſcheiden. p. 4.
- ſeine Verdienſte
ſind aller Welt be-
kannt. 5. - und ausnehmend.
ib. - ſchreibt Anmer-
ckungen uͤber die
Paßion. p. 6. - ſeine Anmerckun-
gen ſchaffen viel
Frucht. ib. - werden von Leu-
ten beyderley Ge-
ſchlechts geleſen. 7.
wird von einer ge-
lehrten Geſell-
ſchafft zum Mitt-
gliede angenom-
men. p. 10. - wird in den Zei-
tungen geſtriegelt.
ib. - ein Ungelehrter
lobt ſein Buch. 11.
ſchreibt kurtz und
deutlich. p. 12. - hat viel beſonders
in ſeinen Anmer-
ckungen, ſo man
ſonſt nirgends fin-
det, ib. - iſt ſcharffſinnig. ib.
hat tiefe Einſich-
ten, iſt ein Liebling
und Schooß-Kind
des Apollo. p. 13. - iſt ein muhtiger
Scribent. p. 14.
- ein wackerer Mann
Sie-
[39](o)
- Sievers, (M. H. J.)
wird nicht aufhoͤ-
ren Buͤcher zu
ſchreiben. p. 14.- putzt den Spoͤt-
ter der ſich an ihm
reiben wollen. ib. - iſt ein groſſer und
fruchtbahrer Geiſt
ib. - koͤmmt mit Zwil-
lingen nieder. 15. - bringt ſeiner Va-
ter-Stadt viel Eh-
re ib. - macht ihr manche
Luſt. ib. - zeigt ſeine Anmer-
ckungen einen groſ-
ſen Gottes-Gelehr-
ten. p. 12. - wird von ſelbigem
gelobet. ib. - mag aber aus
Sittſamkeit nicht
nachſagen, was
zwiſchen ihnen vor-
gegangen. p. 13.
- putzt den Spoͤt-
- Stadthalter, die Roͤ-
mer hatten in al-
len ihren Provin-
tzen einen. p. 19.- wie der in Egy-
pten genennet wor-
den p. 20. - in Egypten hat
keine faſces ib. und
warum. ib. - wie die, ſo die Kaͤy-
ſer in ihren Pro-
vintzen geſetzet, ge-
nennet werden. 19.
- wie der in Egy-
T.
- Thomaſius, (Chriſt.)
ein Indifferentiſte
und Fanaticus.p.
29. - Tyrann, dieſes Wort
hat vor dieſen ei-
ne gute Bedeutung
gehabt. p. 27. - Titus, ein gnaͤdiger
Printz. p. 31.
V.
- Veſpaſianus, ein guter Regent
p. 28.- iſt etwas geitzig.ib.
- legt Tribut auf die Secrete.ib.
- ſtirbt ſtehend.ib.
- Unflat was es auf niederſaͤchſiſch
heiſſe.p. 30.
Z.
- Zeloten, ſind nicht alle ein boͤß
und heuchliſch Volck,p. 29.- ety mologiedieſes Worts.ib.
- Zaͤhren und Thraͤnen (keine) laſ-
ſen, was es ſey.p. 20.
Ent
[40](o)
Entſchuldigung
an den
Geneigten Leſer.
Jch ſehe vorher, daß meine Anmer-
ckungen uͤber die Hiſtorie von der
Zerſtoͤrung der Stadt Jeruſalem bey
dem geneigten Leſer eine Begierde erwecken
werden, zu wiſſen, ob ich ſonſt nichts ge-
ſchrieben. Nun wuͤrde ich freylich nicht
ermangelt haben, demſelben, nach Art al-
ler rechtſchaffenen Gelehrten, um meinem
Buche die rechte Figur eines Buchs nach
der Mode zu geben, mit einem Verzeichniß
meiner Schrifften ſo ſchuldig, als willig
aufzuwarten: Allein der geneigte Leſer
wird mich entſchuldiget halten, daß ich vor
dieſes mahl einem ſo loͤblichen Gebrauch
nicht nachlebe: Denn ich kan auf meine
Ehre verſichern, daß dieſe Anmerckungen
die erſte Kraft meines Verſtandes ſind, und
ich ſonſten noch nichts geſchrieben habe:
Weil man mir in meiner Jugend weiß ge-
macht hat, ein junger Menſch muͤſſe erſt et-
was lernen, ehe er die Feder anſetzte, und
ſich,
[41](o)
ſich, andere zu lehren, unter finge. Dieſes
Vorurtheil hat mich bishero abgehalten,
der Welt mit meinem Talent zu dienen: Al-
lein, da ich auf das, was in der gelehrten
Welt taͤglich vorgehet, genauere Acht ge-
habt, bin ich gewahr worden, wie ſchaͤndlich
man mich betrogen habe, und begreiffe nu-
mehro gantz deutlich, daß man gar fuͤglich
ein beruͤhmter Scribent ſeyn koͤnne, ohne
die geringſte Wiſſenſchafft zu beſitzen, und
daß es folglich eine unnuͤtze Muͤhe ſey, wenn
man durch vieles Studiren ſeinen Ver-
ſtand, und ſeine Geſundheit ſchwaͤcht. Jch
halte demnach das Vorurtheil, ſo man mir
in meiner Jugend beygebracht hat, vor
hoͤchſt ſchaͤdlich, und bin verſichert, daß,
wenn man ſich nach ſelbigem richten wolte,
in kurtzem die Buchdrucker und Buchhaͤnd-
ler an den Bettel-Stab kommen wuͤrden.
Uber mich ſollen dieſe Leute nicht ſeufftzen;
Jch will ihnen, wo ich lebe, genug zu
ſchaffen geben: Niemand verachte meine
Jugend. Jch bin, GOtt Lob! uͤber mein
21tes Jahr: Wer aber uͤber ſeine 3 mahl 7
Jahre iſt, kan, wie bekannt, in allen Geſell-
ſchafften, und folglich auch in der gelehrten
Welt ein Wort mit ſprechen. Jch weiß
wohl, daß es gemeiniglich heiſt: Ver-
C 5ſtand
[42](o)
ſtand koͤmmt vor Jahren nicht: Allein ich weiß auch,
daß dieſes Sprichwort von alten Leuten herruͤhre.
Die Alten ſind, wie jederman weiß, neidiſch und ei-
genſinnig. Die guten Leute meinen, ſie haͤtten alle
Weißheit gefreſſen: Was ſie ſagen, das muß vom
Himmel herab geredet ſeyn, und was ein junger
Menſch vorbringet, das muß Kinderey heiſſen, es
ſey auch ſo klug, als es wolle. Aber es giebt, zu allem
Gluͤcke, ſo viele alte Narren, daß niemand an der
Wahrheit des Sprichworts: Alter ſchadt der Thor-
heit nicht, zweifeln kan, und die Alten ſind ſelbſt ſo
wenig in Abrede, daß die Kraͤffte ihres Verſtandes
mit den Jahren abnehmen, daß vielmehr die Em-
pfindung dieſer Abnahme ihnen die bitterſten Klagen
auspreſſet: Ja die Macht der Wahrheit iſt ſo groß,
daß ſie offt, wieder ihren Willen, mit Unmuth beken-
nen, und ſprechen muͤſſen: Die Jungen ſind immer
kluͤger als die Alten. Ein Menſch, der den Vorſatz
hat, ſich durch ſeine Schrifften um die Welt verdient
zu machen, thut demnach ſehr wohl, wenn er bey zei-
ten anfaͤngt, und die Zeit, da ſein Verſtand in ſeiner
beſten Bluͤthe iſt, mit dieſer edlen Bemuͤhung zu-
bringet. Die Buͤcher, welche wir ſchreiben, ſind
die Kinder unſers Verſtandes, und die Zeugung dieſer
geiſtlichen Kinderſetzt eben ſo wohl, als die Zeugung
der leiblichen eine Beſchaffenheit unſerer Kraͤffte
voraus, die man bey den Alten vergebens ſuchet, und
nirgends beſſer, als bey friſchen Juͤnglingen findet.
Wir heyrathen alſo, wann wir noch jung ſind, und
dieſes hat, nach einem ſehr bekannten Sprichwort,
noch niemand gereuet. Die Urſache davon iſt leicht
zu begreiffen: Denn auf ſolche Art koͤnnen wir hoffen,
unſere
[43](o)
unſere Kinder groß zu ſehen, und an ihnen, in unſerm
Alter unſere Freude zu haben. Die Freude, die wir
an den Kindern unſers Verſtandes erleben, iſt gewiß
nicht geringer, alsdas Vergnuͤgen, welches uns un-
ſere leibliche Kinder geben; und folglich handelt der-
jenige, der das Buͤcherſchreiben bis ins Alter ſparet,
eben ſo thoͤrigt, als ein Greiß, der erſt heyrathet, wann
er ſchon einen Fuß im Grabe hat. Wer dieſes recht
bedencket, der wird mit mir den Schluß machen, daß
man ſchreiben muͤſſe, wann man noch jung iſt, ut nos
metipſi, wie Cicero ſagt, vivigloria noſtra perfrua-
mur. Die Zeit, wann man anfangen muͤſſe, iſt zwar
ſo eigentlich nicht zu benennen, doch deucht mich, daß
man einem Scribenten, der 3 mahl 7 Jahr alt iſt,
nicht vorwerfen koͤnne, er habe zu jung angefangen;
und hoffe, ein jeder, der weiß, was vor Geheimniſſe
in den Zahlen ſtecken, werde mir Beyfall geben. Jch
behalte mir vor, dieſes alles in einem eigenen Wercke,
zum Troſt aller jungen Scribenten, weitlaͤuftiger
auszufuͤhren, und verſichere zum Beſchluß den ge-
neigten Leſer, daß ich hinfort kein Papier und Dinte
ſparen, ſondern durch Herausgebung der herrlichſten
Wercke ihn zu vergnuͤgen, und mich in der Welt be-
kannt zu machen nicht ermangeln werde. Die Wer-
cke aber, welche ich theils unter Haͤnden, theils zum
Druck fertig liegen habe, ſind folgende:
- 1. Kurtze und gruͤndliche Anleitung, wie ein junger
Menſch ohne allen Verſtand und Wiſſenſchafft
gelehrt und beruͤhmt werden koͤnne. 8¾ Bogen. 8. - 2. Thraſo, oder von dem anmuthigen Geruch des
Selbſt-Lobes 2. Bogen. 8. - 3. Tireſias, oder Unterſuchung der Frage: Ob der
Vater
[44](o)
Vater oder die Mutter ſich am meiſten freue, wann
der Sohn gelehrt iſt. 4 Bogen, 4. - 4. Vorſchlag zu Verbeſſerung der Manufacturen
in Nieder-Sachſen. 5¼. Bogen, 8. - 5. Vitrea fracta, oder des Ritters Robert Clifton
Schreiben an einen gelehrten Samojeden, betref-
fend die ſeltſamen und nachdencklichen Figuren,
welche derſelbeden 13. Januar. ſt. v. Anno 1732.
auf einer gefrornen Fenſter-Scheibe wahr ge-
nommen, aus dem Engliſchen ins Deutſche
uͤberſetzet, 4. Bogen. - 6. Neue Methode die Juͤden zu bekehren, 6¾. Bo-
gen, 8. - 7. Das Leben des beruͤhmten Poeten Bavius, 10.
Bogen in 8. - 8. Lob der Jnquiſition, 4. Bogen 4.
- 9. Vorſchlag zu Abkuͤrtzung der Proceſſe 6. Bogen 4.
- 10. Das jaͤmmerliche Ende des Ketzers Arrius in
gebundener Rede: Mit Kupfern 4. Bogen, 4. - 11. Die Gluͤckſeligkeit der Raſenden. 8. Bogen. 8.
- 12. Sammlung aller meiner Schrifften. 2½. Al-
phabet aufs hoͤchſte.
[][]
II.
VITREA FRACTA,
Oder
des Ritters
Robert Clifton
Schreiben
an einen gelehrten Samojeden,
betreffend
die ſeltſamen und nachdencklichen
Figuren,
welche Derſelbe
den 13. Jan. ſt. v. Anno 1732.
auf einer gefrornen
Fenſter-Scheibe
wahrgenommen;
Aus dem Engliſchen ins Deutſche uͤberſetzet.
Franckfurt und Leipzig, 1732.
‒ ‒ juvat ire jugis, qua nulla prio-
rum
Caſtaliam molli divertitur orbita
cliuo.’
[[47]]
Nimmer habe ich mich ſo ſehr gefreuet, als
da mir, zu Ausgang des vorigen Jahres,
der Hr. William Medley Dero vortref-
liche Ode auf den Tod Kayſers Peters
des erſten, ſamt Dero gelehrten Nachricht von dem
Zuſtande der Jnſul Nova Zembla vor der Suͤnd-
fluth, von Archangel aus zuſchickte.
Jch bin zwar niemahlen ſo leichtglaͤubig geweſen,
daß ich alles vor unſtreitige Wahrheiten angenom-
men haͤtte, was die gemeinen Buͤcher von der Bar-
barey ſagen, die in den Nord-Laͤndern herrſchen ſoll;
noch weniger hat mir der hochmuͤthige Wahn vieler
meiner Lands-Leute gefallen wollen, die ſich einbil-
den, daß aller Witz in den Graͤntzen unſerer Jnſul
eingeſchloſſen ſey: Der Umgang, den ich, auf mei-
nen ehemahligen Reiſen, mit vielen gelehrten und
ſcharfſinnigen Laplaͤndern gehabt habe, hat mich
eines andern belehret: Allein das haͤtte ich mir doch
nimmer traͤumen laſſen, daß in einem Lande, wel-
ches man uns als eine Wuͤſteney, und als eine
Wohnung der Ohim und Zihim beſchreibet, ein
Mann von ſcharffem Verſtande, und von ſo groſ-
ſer Gelehrſamkeit anzutreffen ſey, als aus ihren
Schrifften hervor leuchtet.
Jn
[48](o)
Jn Spanien buder ſich der Poͤbel ein, ein Ketzer
ſey ein Thier, das Hoͤrner und Klauen hat. Unſer Jrr-
thum, in Anſehung der Samojeden, iſt gewiß nicht
kleiner geweſen. Kaum hat man bishero geglaubet,
daß ihr Vaterland von vernuͤnfftigen Creaturen be-
wohnet werde: So ſcheußlich hat man uns deſſen
Einwohner abgemahlet. Urtheilen Sie demnach,
mein Herr, wie groß meine Verwunderung geweſen
ſeyn muͤſſe, als ich Dero herrliche Schrifften geleſen.
Gewiß, mein Herr, ich bin erſtaunet, daß ein Poet,
der in einem ſo kalten Lande gebohren iſt, in ſeinen Ge-
dichten ſo viel Feuer zeigen koͤnne, und muß bekennen,
daß die Einfaͤlle unſerer Dichter, gegen die ihrigen zu
rechnen, kaͤlter ſind, als alle Eis-Berge in der Meer-
Enge Weygatz.
Sie ſchreiben ſo hoch und praͤchtig, als ein Araber,
und ich wuͤſte keinen unter den Alten, der ihnen
gleich zu ſchaͤtzen ſey, als den Pindarus. Jch weiß
nicht, ob Sie denſelben geleſen haben; das weiß ich, daß
ihre vortreffliche Ode eben die Bewegungen in mei-
nem Gemuͤthe erreget, die ich ſpuͤre, wann ich dieſen
alten Griechen leſe: Und einer meiner Freunde hat
mir zu geſchworen, er verſtuͤnde von ihrer Ode eben ſo
viel, als vom Pindarus.
Jch glaube es ihm gerne, und bin verſichert, daß al-
le unſere Gelehrten, die ſich ſo klug duͤncken, und ſo ge-
neigt ſind andere zu verachten, von Jhren Schrifften
nicht das Geringſte verſtehen. Jch habe noch keinen
geſehen, der nicht Naſe und Maul aufgeſperret haͤtte,
wann er von den herrlichen Nachrichten gehoͤret, die
Sie uns von Nova Zembla geben. Wie groß wird
nicht ihre Beſturtzung ſeyn, wann ſie des Hn. Medley
vor-
[49](o)
vortrefliche Uberſetzung dieſer gelehrten Geſchichte erſt
leſen, und mit ihren Augen ſehen werden, wie wenig
Urſache ſie haben, die nordiſchen Voͤlcker zu verach-
ten. Jch wolte wuͤnſchen, daß ſie dadurch beſcheide-
ner wuͤrden, und begreiffen lerneten, daß ihr Wiſſen
Stuͤckwerck ſey: Allein ich weiß nicht, ob ich es hof-
fen kan. Wo fern ich unſere Gelehrten recht kenne,
werden ſie lieber alles, was Sie uns von Nova Zem-
bla erzehlen, vor erdichtet ausgeben, als geſtehen, daß
ſie es bishero nicht gewuſt haben.
Jch werde mich dieſer Suͤnde nicht theilhaftig ma-
chen; ſondern allemahl bekennen, daß ich aus ihren
Schrifften unglaublichen Nutzen geſchoͤpffet habe.
Jch werde es dem Herrn Medley, ſo lange ich lebe,
Danck wiſſen, daß er mir Dero Bekantſchafft zuwe-
ge gebracht, und ein beſtaͤndiger Verehrer ihrer Ver-
dienſte leben und ſterben.
Dieſe Erklaͤrung habe ich ſchon lange auf meinem
Hertzen gehabt, und auch beꝛeits etliche mahl die Fedeꝛ
ergriffen, mich derſelben in einem Schreiben an Sie
zu entledigen. Allein es hat mir bis auf dieſe Stunde
nicht gluͤcken wollen: Jch habe wohl dreymahl ange-
fangen; aber auch drey mahl wieder ausgeſtrichen,
was ich geſchrieben hatte.
Es iſt dieſes an Leuten meiner Art etwas unge-
woͤhnliches. Wir, die wir von den Spoͤttern aꝛmſelige
Scribenten betitelt werden, haben auch bey unſern
Feinden den Ruhm, daß wir nicht lecker ſind, und daß
uns alles geraͤth, was wir anfangen. Jch wuͤſte noch
keinen von allen meinen Bruͤdern, der ſich jemahlen
geſchaͤmet haͤtte, etwas vorzubringen, ſo die leckere
und verwehnte Welt vor laͤppiſch haͤlt, und ich ſelbſt
Derkenne
[50](o)
erkenne gar wohl, daß die Schamhafftigkeit eine Tu-
gend ſey, die mir und meines gleichen eben ſo ſchaͤdlich
iſt, als einem Duͤrftigen. Jch erkenne dieſes, ſage ich,
und bewundere die Vollkommenheit meiner Bruͤder:
Jch muß aber zugleich meine Schwachheit geſtehen.
Jch ſtreiche noch aus, und ſcheue das Urtheil derer, die
ſich klug duͤncken. Dieſes iſt das einzige, das meine
Freunde an mir tadeln. Allein, ich bin nun ſo, und mein
Schickſal will, daß ich mich mit dieſer Unvollkom-
menheit ſchleppen ſoll.
Jch fuͤhle am beſten, wie beſchwerlich es iſt, und
wer da wuͤſte, was mich bloß der Anfang dieſes
Schreibens vor Muͤhe gekoſtet hat, der wuͤrde ein
Mitleiden mit mir haben. Als ich das erſte mahl die
Feder anſetzte, fing ich folgender Geſtalt an: „Nach-
„demmalen ich aus Dero Schrifften erſehen, daß ſie
„ein feiner gelehrter Mann, habe ich nicht unterlaſſen
„wollen, dieſe geringe Zeilen an Sie abzulaſſen, und
„Sie unterdienſtlich zu erſuchen, mir ihre hoͤchſt ſchaͤtz-
„bare Gewogenheit zu goͤnnen.‟ Mancher von mei-
nem Orden wuͤrde fortgefahren ſeyn: Allein ich ſtutz-
te, und die Furcht, es moͤchte mir eben ſo gehen, als je-
nem, der ein Danckſagungs-Schreiben, an, ich weiß
nicht wen, faſt auf gleiche Art angefangen hatte, mach-
te, daß ich dieſen Eingang, ohne alle Barmhertzigkeit,
wegſtrich.
Jch fieng darauf wieder von vorne an, und brachte,
nach einem halbſtuͤndigen Gruͤbeln, nachfolgendes zu
Papier:„ Gleich wieder Magnet das Eiſen, ein Beu-
„tel voll Ducaten einen Geitzigen, groſſe Titel einen
„Hochmuͤthigen, die Hoffnung des Gewinns den
„Kuͤnſtler, ein Glaß Wein und huͤbſches Maͤdgen
„einen
[51](o)
einen Wolluͤſtigen, und ein geriebenes Stuͤck Bern-„
ſtein und Siegel-Lack leichte Sachen an ſich ziehet:„
alſo reiſſet mich, groſſer Mecenat, Dero Vortreflich-„
keit zu Sie. „Aber auch dieſer Anfang wolte mir nicht
gefallen; denn, wie mir der erſte etwas zu ſchlecht und
baͤuriſch vorkam, ſo klang mir der andere Comoͤdian-
tenhafft. Jch ſtrich ihn alſo gleichfalls weg, uñ befand
mich in einem erbaͤrmlichen Zuſtande. Da ich indeſſen
den Muht nicht ſincken ließ; ſondern alle Kraͤfte mei-
nes geringen Verſtandes anſpannete, etwas taugli-
ches zu Marckte zu bringen; ſo iſt es mir endlich gelun-
gen, und ich hoffe, mein Herr, Sie werden aus dem, ſo
ich bisher geſchrieben, die Groͤſſe der Hochachtung,
welche ich gegen Sie hege, zur Gnuͤge erkennen.
O wie gluͤcklich waͤre ich nun, wenn ich Witz genug
beſaͤſſe, dasjenige, was ich Jhnen noch zu ſagen habe,
mit dem Eingange meines Schreibens, auf eine ge-
ſchickte Art zu verbinden! Abermal eine eitle Sorge,
wovon meine vortreflichen Mit-Bruͤder frey ſind.
Dieſe Herren ſind uͤber alle Regeln, und ſehen es als
eine unertraͤgliche Sclaverey an, wann ein Scribent
gehalten ſeyn ſolte, das, was er ſchreibet, allemal ge-
ſchickt mit einander zu verknuͤpffen. Sie ſprechen, die-
ſes nehme viele Zeit weg, hemme den Lauff der Gedan-
cken, und mache, daß manchmahl die beſten Einfaͤlle
verlohꝛen giengen. Sie haben recht; aber ich mag mich
doch dieſer Freyheit nicht bedienen: Nicht aus Beyſor-
ge, daß Sie, mein Herr, es mir uͤbel nehmen moͤgten.
Ach nein! Jch weiß gar wohl, daß man es in ihrem
Lande ſo genau nicht nimmt: Allein ich fuͤrchte nur die
giftigen Zungen unſerer uͤberklugen Gelehrten.
Eingeſchickter Kopfdieſer Jnſul ſchrieb neulich ei-
D 2nen
[52](o)
nen gelehrten Brief an einen gewiſſen Lord uͤber das
bekannte: Stultorum plena ſunt omnia, und fieng,
nach dem er ſich die Gnade dieſes Herrn in einem wohl
ausgeſonnenen Eingange ausgebeten hatte, die Ab-
handlung ſeiner Materie auf folgende Art an: Dantur
autem ſtulti varii generis. Mein GOtt! wie hat
man nicht uͤber dis dantur autem geſpottet. Aus
keiner andern Urſache, als weil man den Zuſammen-
hang dieſer Worte mit dem vorhergehenden Com-
pliment nicht einſehen konnte.
Mein Brief iſt eben der Art, als derjenige, von
welchem ich rede. Jch ſchreibe ihn nicht an Sie allein;
ſondern zugleich an die gantze Welt. Er wird ge-
druckt, und von jederman geleſen. Nur iſt dieſes zwi-
ſchen Jhnen und andern Leſern der Unterſcheid, daß
ich Jhnen ein Exemplar auf Schreib-Papier zu-
ſchicke, das ſauber eingebunden, und auf den Schnitt
verguͤldet iſt; andere aber, wenn ſie eines haben
wollen, ihren Beutel aufthun muͤſſen. Wie wuͤrde es
mir alſo nicht ergehen, wenn ich, nachdem ich Sie mei-
ner Hochachtung gegen Sie verſichert, ploͤtzlich zufah-
ren und ſagen wolte: „Die Figuren aber, die ich auf der
„gefrornen Fenſter-Scheibe wahrgenom̃en habe, ſind
„ſeltſam und wunderbar!‟ Ja wuͤrden Sie ſelbſt,
mein Herr, nicht gedencken: Was will der Kerl?
Damit ich nun weder Jhnen noch andern Anlaß
geben moͤge, uͤber meinen Vortrag zu lachen, ſo will
ich verſuchen, ob es nicht moͤglich ſey, von der Verſiche-
rung meiner Hochachtung auf meine gefrorne Fen-
ſter-Scheibe zu kommen, ohne einen ſo gefaͤhrlichen
Sprung zu thun, als der erwehnte Scribent in ſeinem
Schreiben an einen Lord gethan hat, und habe dem-
nach
[53](o)
nach die Ehre, Jhnen zu ſagen, daß ich, um Jhnen
noch deutlicher zu erkennen zu geben, wie hoch ich Sie
ſchaͤtze, mir die Freyheit nehmen wollen, meine weni-
gen Gedancken uͤber eine gefrorne fenſter-Schei-
be ihrer Beurtheilung zu unterwerffen.
Sie werden ſich vielleicht wundern, mein Herr, daß
ich eine ſo gemeine und nichtswuͤrdige Sache zu einem
Gegenſtand meiner Betrachtungen erwaͤhlet. Eine
gefrorne Fenſter-Scheibe, werden Sie dencken, iſt ei-
ne gefrorne Fenſter-Scheibe: Was kan ein ſolcher
Quarck an ſich haben, ſo das Nachſinnen eines
vernuͤnftigen und gelehrten Mannes verdiene? Aber,
mein Herr, erlauben Sie mir, daß ich Jhnen zu Ge-
muͤthe fuͤhre, wie keine Sache ſo geringe ſey, daß ein
Kluger nicht Gelegenheit finden ſolte, daruͤber nuͤtzli-
che Betrachtungen zu haben. Eine Lauß iſt ein ver-
aͤchtlich Thier, ſchimmelicht Brodt freſſen auch die
Hunde nicht, und es iſt kein Bauer ſo einfaͤltig, daß er
nicht wiſſen ſolte, was ein Stroh-Halm ſey. Aber
dennoch haben kluge und geſchickte Maͤnner dieſe ge-
ringſcheinende Sachen ihrer Betrachtung nicht un-
wuͤrdig geſchaͤtzet. Ja ſie haben ſich nicht begnuͤget,
dieſelben mit bloſſen Augen anzuſehen, ſondern ſo gar
die Vergroͤſſerungs-Glaͤſer zu Huͤlffe genom̃en; und,
was noch mehr iſt, zu keinem andern Ende die Kunſt,
dieſe Glaͤſer zu verfertigen, durch viele Muͤhe und lan-
ges Nachſinnen, zu einer ſo groſſen Vollkommenheit
gebracht, als, um dadurch die Betrachtung ſolcher
Kleinigkeiten zu erleichtern. Sie kennen den beruͤhm-
ten Lewenhoeck; Sie haben von Swammerdam ge-
hoͤret. Was haben dieſe Maͤnner nicht vor ſchoͤne Sa-
chen entdecket? Haben ſie aber wohl einen Wurm,
D 3das
[54](o)
das veraͤchtlichſte unter allen Geſchoͤpffen, uͤbrig ge-
laſſen, den ſie nicht hinten und vorne betrachtet, und
uns nach allen Theilen beſchrieben?
Aber was bemuͤhe ich mich viel, mein Verfahren zu
rechtfertigen? Belieben Sie nur den Abriß meiner
gefrornen Fenſter-Scheibe anzuſehen: Jch bin verſi-
chert, Sie werden uͤber die ſeltſamen Figuren erſtau-
nen, und geſtehen, daß die Natur, ſo viel wir wiſſen,
noch niemahlen etwas hervor gebracht hat, das mit
ſelbigẽ zu vergleichen waͤre. Sie wohnen in einem Lan-
de, da die Kaͤlte ſo ſtrenge iſt, als an einem Orte in der
Welt: aber eriñern Sie ſich dergleichen geſehen zu ha-
ben? Jch will eben nicht ſagen, daß die Natur bey Jh-
nen nicht eben ſo ſpiele, als bey uns: Jch glaube gerne,
daß, wer ſich die Muͤhe geben wolte, ihre Eis-Berge
zu durchſuchen, viele ſonderbare Entdeckungen ma-
chen koͤnnte: Allein es gehet Jhnen und ihren Lands-
Leuten, wie allen andern Menſchen. Wir achten nicht
auf das, was wir taͤglich ſehen, und bewundern nur
was ſelten iſt. Selbſt bey uns, da die Kaͤlte kaum
einige Monate anhaͤlt, herrſcht eine unglaubliche
Nachlaͤßigkeit in Unterſuchung der Wirckung des
Froſtes; und ich zweifele nicht, daß vielemeiner Lan-
des-Leute mich auslachen werden, daß ich aus einer
gefrornen Fenſter-Scheibeſo viel Weſens mache.
Aber ich will dieſen Herren rahten, daß ſie nicht ſo
laut lachen, daß ich es hoͤre. Jch werde ſie fragen,
was dann die Kleinigkeiten, daruͤber ſie gantze Buͤcher
ſchreiben, wohl ſonderbares an ſich haben? Wie
durchwuͤhlen ſie nicht unſer Ufer, um ein Steinchen zu
finden, das wehrt iſt, in Kupffer geſtochen, und ſeiner
Seltenheit wegen umſtaͤndlich beſchrieben zu weꝛden?
Jch
[55](o)
Jch tadele ihre Bemuͤhung nicht. Sie thun es, wie
ſie vorgeben, zu GOttes Ehren; ſie wollen die Men-
ſchen zur Bewunderung der Goͤttlichen Weisheit
aufmuntern. Jhr Zweck iſt loͤblich: Aber ſie wer-
den dann auch ſo guͤtig ſeyn, und mir erlauben, daß ich
zu eben dem Ende meine Betrachtungen uͤber Dinge
anſtelle, dieich derſelben wuͤrdig achte.
Meine gefrorne Fenſter-Scheibe iſt gewiß ſo be-
ſchaffen, daß alle ihre ſchoͤne Raritaͤten, und alles,
was ſie daruͤber ſchwatzen und ſchreiben, gegen dieſel-
be und meine Betrachtungen, aufs beſcheidenſte da-
von zu reden, eitel Kinderſpiel und Thorheit iſt. Man
ſehe nur ihre wunderbaren Steine und andere ſchoͤne
Sachen an, ſo wird man finden, daß die Einbildungs-
Krafft des Beſchauers der Natur zu Huͤlffe kommen
muͤſſe, um die Figuren hervor zu bringen, welche der
ſinnreiche Naturkuͤndiger, der ſich breit damit macht,
darauf entdecket. Gewiß, viele dieſer Seher gemah-
nen mich nicht viel anders, als die Bauren, die beym
Untergang der Sonnen offt ſtreitende Krieges-Heere,
Tuͤrcken-Koͤpffe, Thiere, und ich weiß nicht was in
den Wolcken erblicken. Denn wie dieſe Heere, dieſe
Koͤpffe, dieſe Thiere nur in dem Gehirn des phantaſi-
renden Bauren zu finden ſind, ſo haben auch die mei-
ſten Seltenheiten unſerer Forſcher ihren Grund in ei-
ner ſtarcken, und von einer unbaͤndigen Begierde,
Wunder-Dinge zu erzehlen, in Unordnung gebrach-
ten Einbildungs-Krafft. Und wenn dann ja die ſelte-
nen und wunderbaren Figuren, ſo man der Welt zur
Bewunderung darſtellet, wuͤrcklich auſſer der Phan-
taſie des Naturkuͤndigers vorhanden ſind; ſo ſind ſie
doch gemeiniglich ſo klein, daß man nothwendig ein
D 4Ver-
[56](o)
Vergroͤſſerungs-Glas gebrauchen muß, wofern man
ſie ſehen will. Hiedurch aber wird alles wunderbare,
das man darinn findet, vernichtet: Denn es iſt keine
Sache in der Welt, an welcher man, wenn man ſie
durch ein Vergroͤſſerungs-Glas betrachten will, nicht
Dinge entdecken ſolte, die einem, der dieſe Sache nie-
mals anders, als mit dem bloſſen Auge angeſehen hat,
nothwendig fremd und ſeltſam ſcheinen muͤſſen.
Meine Fenſter-Scheibe iſt vor ſolchen Vorwuͤrf-
fen ſicher. Die Figuren, womit ſie von der ſpielen-
den Natur gezieret iſt, ſind deutlich, und man braucht
nicht mehr, als ſeine Augen aufzuthun, wenn man die-
ſelbe ſehen will. Sie ſehen darauf, mein Herr, in der
Mitten ein Menſchen-Angeſicht, auf deſſen Stirne
die Zahl 666. ſich deutlich zeiget. Das Haupt iſt mit
einer Art von Muͤtzen gezieret, die Anfangs immer ſpi-
tzer wird, endlich aber ſich zu beyden Seiten, als eine
Flagge, ausbreitet, in deren Mitten ein halber Mond
zu ſehen, welcher zur Rechten und Lincken mit Cara-
cteren umgeben iſt, die den arabiſchen und malaba-
riſchen Buchſtaben aͤhnlich ſind. Um den Hals iſt
ein doppelter Kragen: auf der Bruſt ſiehet man gantz
deutlich ausgedruckte hebraͤiſche Buchſtaben, und
der zu dieſem Geſichte gehoͤrige Coͤrper laͤufft unter-
werts immer ſpitzer zuſammen, und gewinnet endlich
faſt die Geſtalt eines Fiſch-Schwantzes. Zu beyden
Seiten des Kopfes ſehen ſie zweene foͤrmliche Sterne.
Sie ſehen ferner auf meiner Fenſter-Scheibe Come-
ten, Donner-Keile, chymiſche Zeichen, magiſche Cara-
cteres, lateiniſche Buchſtaben, Zahlen, Geſichter,
Blumen, Baͤume, ein vierfuͤßiges Thier mit einem
menſchlichen Antlitze, Bocks-Hoͤrnern und einem Ra-
tzen-
[57](o)
tzen-Schwantz, des Neptuns Dreyzack, den Jupiter
mit zween Trabanten, die Jahrs-Zahl, eine foͤrmliche
Veſtung, muſicaliſche Noten, und ich weiß nicht was
fuͤr andere ſeltſame Figuren mehr. Mich deucht, eine
ſolche Fenſter-Scheibe iſt werth, daß man ſie bewun-
dere; ſie iſt geſchickt, allen guten Gemuͤthern zu erbau-
lichen Gedancken Anlaß zu geben, und ich ſcheue mich
nicht zu ſagen, daß, wer dadurch nicht geruͤhret wird,
ein vollſtaͤndiger Atheiſte ſey.
Wennich dem Exempel unſerer neuen Naturkuͤn-
diger folgen wolte, ſo koͤnte ich hier ſchlieſſen, und Sie
GOtt befehlen. Dieſe Herren haben die Gewohn-
heit, daß ſie ſich begnuͤgen von einem kuͤnſtlich gebilde-
ten Steinchen, oder einer andern dergleichen Raritaͤt,
ihrem Leſer eine magere Beſchreibung zu geben, ſich
darauf von ihm zu beurlauben, und ihre Schrift mit
einem andaͤchtigen Seufzer zu beſchlieſſen. Allein ich
ſchaͤme mich, es eben ſo zu machen, und halte mich
ſchuldig, Jhnen meine Gedancken uͤber die Wunder
mitzutheilen, die ich entdecket habe.
Jch hoffe, mein Herr, Sie werden es mir zu gute hal-
ten, wenn ich es, uͤber Verhoffen, nicht allemahl tref-
fen ſolte. Jch ſchreibe von einer Sache, daran vor mir
kein Menſch gedacht hat. Jch habe alſo keinen Vor-
gaͤnger, den ich ausſchreiben koͤnnte. Jch muß alles,
was ich ſchreibe, aus meinem Kopfe nehmen. Dieſes
iſt muͤhſam, und ein Scribent, der ſich in ſolchen Um-
ſtaͤnden befindet, verdienet, daß man Gedult mit ihm
hat. Es giebt ſehr wenige, die dieſes erkennen, weil
es wenige giebt, die wiſſen, was es ſey, aus ſeinem
eigenen Kopfe zu ſchreiben. Die meiſten waͤhlen ih-
nen ſolche Materien, von denen andere bereits alles
D 5ge-
[58](o)
geſagt haben, was zu ſagen iſt. Jch preiſe ſolche Scri-
benten gluͤcklich: Jch lobe ſie: Aber ich bitte ſie auch
hergegen zu bedencken, daß es mich weit mehr Muͤhe
koſten muͤſſe, vier oder fuͤnff Zeilen zu ſchreiben, als es
ſie koſtet, gantze Bogen zu beklecken. Nichts iſt leichter
als nachbeten, was mir ein anderer vorſagt. Schrie-
be ich z. E. von einem Stern-Steine, ſo wolte ich bald
fertig werden. Jch koͤnnte nur ſagen, man finde ſol-
che Steine an unterſchiedenen Orten. Der und der
habe dieſes und jenes davon geſchrieben, und ich haͤt-
te nichts mehr zu ſagen, als daß ich auch einen gefun-
den haͤtte, der ſo und ſo ausſaͤhe. Jch konnte, wenn die-
ſes noch nicht genug, hinzuſetzen, was man von den
Wirckungen und Kraͤfften eines ſolchen Steines ſa-
get, und durch Anfuͤhrung vieler Scribenten, deren
keinen ich mit Augen geſehen, vielweniger geleſen, mir
den Ruhm eines gelehrten und beleſenen Mannes er-
werben.
Dieſe Art zu ſchreiben iſt ſo leicht, daß ich mir ge-
traue, von meinem Hunde, der ſonderlich artig gezeich-
net iſt, ein feines Werckgen zu ſchreiben, wenn ich es
ſo machenwolte. Denn daß es viele bunte Hunde ge-
be, das iſt bekannt, daß ich auch einen habe, das iſt ge-
wiß: Dieſer aber iſt andern bunten Hunden nicht
vollkommen aͤhnlich. Wenn ich dieſes ſagte, und
dabey mein Huͤndgen in Kupffer ſtechen lieſſe, ſo
waͤre mein Buͤchlein fertig.
Aber es iſt mir wohl verboten, dieſen leichten und
luſtigen Weg zu wandeln, wenn ich auch gleich Luſt
dazu haͤtte. Gefrorne Fenſter-Scheiben, die ſo viele
Seltenheiten in ſich faſſen, als die meine, ſind nicht ſo
gemein, als ein Stern-Stein und bunte Hunde.
Jch
[59](o)
Jch bin der erſte, der davon ſchreibt. O was wird
es mich nicht vor Muͤhe und Nachdencken koſten, mein
wichtiges und nuͤtzliches Vorhaben ſo auszufuͤhren,
daß ich Ehre davon habe! Jch bin ſchuldig, fals ich
mich um diejenigen rechtſchaffen verdient machen
will, die etwan, durch mein Beyſpiel aufgemuntert,
nach dieſem von eben dieſer Materie ſchreiben werden,
alles zu ſagen, was geſagt werden kan, damit ihnen
ihre Arbeit deſto leichter werde, und ich das Vergnuͤ-
gen haben moͤge, die troſtreichen Worte: Vid. Do-
ctisſimus Robertus Clifton, magnum illud An-
gliæ Sidus, auf allen Seiten ihrer Schrifften zu le-
ſen. Die bloſſe Vorſtellung dieſes Vergnuͤgens ver-
ſuͤſſet mir meine Arbeit, und machet, daß ich alle
Schwierigkeiten verachte.
vires.’
Jch wende mich demnach, ohne fernere Weitlaͤuf-
tigkeit, zur Sache ſelbſt, und werde die Ehre haben,
Jhnen ſowohl meine wenigen Gedancken von den
Figuren meiner Fenſter-Scheibe zu eroͤffnen, als auch
zu ſagen, was andere davon geurtheilet haben. Denn,
mein Herr, Sie koͤnnen leicht gedencken, daß ich uͤber
eine Sache von der Wichtigkeit, Leute, die gelehrter,
als ich, zu Rathe gezogen. Als Nebucadnezar einen
bedencklichen Traum gehabt hatte, und ſein Sohn
Belſazer die unbekannte Schrifft an ſeiner Wand
nicht leſen konnte, wurden alle Weiſen und Chaldaͤer
zuſammen geruffen. Nun will ich eben meine gefrorne
Fenſter-Scheiben nicht mit dem Traum, und der
Schrifft vergleichen, wodurch dieſe beyde Monar-
chen ſo verwirrt gemacht worden: So viel kan ich
aber
[60](o)
aber ſagen, daß ich ungemein dadurch geruͤhret wor-
den, und wenn Sie wiſſen wollen, wie mir zu Muthe
geweſen, als ich den 13 den Jenner des Morgens zwi-
ſchen 8. und 9. Uhr meine wunderbare Fenſter-Schei-
be zuerſt erblickte, ſo kan ich Jhnen meinen Zuſtand
nicht beſſer beſchreiben, als wenn ich ſage, daß ich eben
ſo beſtuͤrtzt geweſen, als Belſazer.
Jch ließ demnach alle Weiſen und Gelehrten, die
ich kannte, zu mir bitten, und wenn ich einen Zaube-
rer zu finden gewuſt haͤtte, wuͤrde ich nicht ermangelt
haben, auch denſelben um Rath zu fragen. Sie fan-
den ſich in ziemlicher Anzabl ein, und ich legte ihnen ei-
nen Abriß von meiner Fenſter-Scheibe vor. Nachdem
ſie nun die ſeltſamen Figuren wohl betrachtet, und
ſich hoͤchſtens daruͤber gewundert hatten, fieng der D.
Bromley, ein Mann von ziemlicher Gelehrſamkeit,
aber auch von ſehr wunderlichen Einfaͤllen, mit ſeiner
gewoͤhnlichen Beredſamkeit an, zu behaupten, die
Bilder auf meiner gefrornen Fenſter-Scheibe waͤren
prophetiſch, und voller Geheimniſſe.
Er wiſſe wohl, ſetzte er hinzu, daß unſere Kirche
nicht viel von neuen Offenbahrungen halte: Allein
er wiſſe auch, daß ſie dieſes nur in Anſehung der Lehr-
Puncren thaͤte, und gerne zugebe, daß GOtt auch
noch heutiges Tages das zukuͤnfftige Schickſal ſei-
ner Kirche gewiſſen Leuten offenbaren koͤnne. Es
ſey, fuhr er fort, offenbar, daß meine gefrorne Fenſter-
Scheibe eben zu ſolchem Ende mit ſo lehrreichen Bil-
dern gezieret worden. Er bat die gantze Geſellſchafft,
ihm zu ſagen, ob das in der Mitten befindliche Geſicht
mit der hohen Muͤtze wohl etwas anders, als das
Bild der groſſen Hure, ſeyn koͤnne? Die Zahl des
Thieres,
[61](o)
Thieres, die an der Stirn dieſes Bildes ſo deutlich
zu ſehen, koͤnne, ſprach er, auch den Hartnaͤckigtſten
von dieſer Wahrheit uͤberfuͤhren.
Der halbe Mond bedeute den Tuͤrcken, und daß
die Flagge, auf welcher derſelbe zu ſehen, mit der hohen
Muͤtze zuſammen haͤnge, ſey nicht von ungefehr ge-
kommen; ſondern um anzudeuten, daß die beyden
Antichriſte in der Verfolgung der Glaͤubigen mit ein-
ander uͤberein kaͤmen. Daß nun uͤber das Pabſt-
thum ſowoh!, als uͤber das Tuͤrckiſche Reich, ein
ſchweres Gericht ergehen werde, koͤnne man aus dem
Cometen und Donner-Keil, zweyen deutlichen und
unſtreitigen Zeichen des Goͤttlichen Zornes, ſchlieſſen.
Die Zeit aber, wann dieſes Gericht werde vollzogen
werden, ſey ſo deutlich bemercket, daß man deßfalls
nicht den geringſten Scrupel haben koͤnnte. Denn
die Jahrs-Zahl 1732. laſſe ſich unten in der Ecke zur
Lincken ſo deutlich leſen, daß derjenige gantz verſtockt
und verblendet ſeyn muͤſte, der noch daran zweifeln
wolte, daß noch vor Ablauff dieſes Jahres der Anti-
Chriſt in Orient und Occident fallen werde. Es ſey
uͤberdem die Jahres-Zahl ſo artig geſetzet, daß man
ſich nicht genug daruͤber wundern koͤnnte. Denn
wenn man die Zahlen, ſo wie ſie unter einander ſtuͤn-
den, zuſammen ſetzte, ſo kaͤmen die beyden Jahrhun-
derte heraus, in welchen das Pabſtthum unter dem
ruͤchtigen Hildebrand aufs hoͤchſte geſtiegen, und der
Luͤgen-Prophet Mahomet aufgeſtanden.
Die uͤbrigen Figuren, fuhr er fort, wuͤrden unſtrei-
tig auch ihre Bedeutung haben, die, wenn ſie be-
kannt waͤre, ſeine Erklaͤrung ungemein bekraͤfftigen
wuͤrde: Allein, gleichwie viele Weiſſagungen der Art
waͤren,
[62](o)
waͤren, daß ſie durch nichts, als durch den Erfolg ver-
ſtaͤndlich wuͤrden, ſo muͤſſe man auch die Erklaͤrung
der uͤbrigen Figuren meiner Fenſter-Scheibe ſo lange
ausſetzen, bis das, was durch ſelbige vorher verkuͤn-
diget, wuͤrcklich geſchehen ſey. Doch was die Noten
anlange, wolle er uns nicht verhalten, wie er vor ſeine
Perſon feſte verſichert ſey, daß, gleichwie auf der gan-
tzen Fenſter-Scheibe der Fall Babels vorher verkuͤn-
diget werde, alſo die Noten nichts anders, als das
Triumph-Lied der Glaͤubigen andeuten ſolten.
Die gantze Verſammlung ſchuͤttelte die Koͤpffe zu
dieſer wunderlichen Erklaͤrung: Aber was dann ei-
gentlich die ſeltſamen Figuren bedeuten ſolten, daruͤ-
ber konnte ſie ſich nicht vergleichen. Der eine fand
darinn die Uberfahrt des Don Carlos nach Jtalien;
der andere die Unruhe in Corſica; der dritte, ein Eid-
Weigerer, das Schickſal des Praͤtendenten; der
vierte, ein Mathematicus, behauptete, wenn man die
auf meiner Fenſter-Scheibe befindliche Zahlen, auf
eine gewiſſe Art, mit einander vermehrte und theilte,
ſo wuͤrde man die quadraturam circuli finden. Die-
ſemwiderſprach der fuͤnfte, und ſuchte uns zu uͤberre-
den, daß in den Zahlen eine ſchoͤne Anleitung zu Er-
findung des Steins der Weiſen ſtecke. Er meinte, wer
die Zahlen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 auf alle moͤgliche Arten
verſetzte, und die Summe, ſo alle dieſe Verſetzungen,
zuſammen genommen, ausmachten, mit 666 ver-
mehrte, und darauf mit 96 theilte, der wuͤrde ſeine Zeit
nicht uͤbel anwenden. Der ſechſte ſprach hierauf laͤ-
chelnd: Meine Herren, ich wundere mich, daß keiner
von ihnen der hebraͤiſchen Buchſtaben gedacht hat,
die recht mitten auf der Fenſter-Scheibe zu ſehen ſind.
Wer
[63](o)
Wer da einſiehet, was dieſe Buchſtaben ſagen wollen,
der verſtehet alle uͤbrige Figuren. Jch getraue mir,
durch Huͤlffe der Cabbala, hinter den wahren Ver-
ſtand derſelben zu kommen: Allein, dieſes erfordert viel
Nachſinnen, und es iſt hier der Ort nicht, viel davon
zu reden. Aber auch dieſer fand kein Gehoͤr; ſondern
ein jeder meinte, ſeine Erklaͤrung ſey die beſte, und
lachte die andern aus.
Auf ſolche Art zanckten ſie ſich eine geraume Zeit
mit einander, und ich dachte bey alle dem Geplau-
dere: Feciſtis probé incertior ſum multó quam
dudum. Jn dieſer Ungewißheit, ſagte ich zu dem
Ritter Cockburn, der noch ſeinen Mund nicht aufge-
than haͤtte: Sie ſehen, mein Herr, wie ſcheinbar ein je-
der dieſer Herren ſeine Meinung vortraͤgt, und daß es
ihre Schuld nicht iſt, wenn ich mir nicht einbilde, daß
ich einer hohen Offenbahrung gewuͤrdiget worden.
Sagen ſie mir, wie bin ich daran? Und wer hat, nach
ihrer Meynung, Recht? Keiner, war ſeine Antwort;
denn die Figuren auf ihrer Fenſter-Scheibe ſind zu-
faͤlliger Weiſe entſtanden, und bedeuten nichts; hat
aber ja die Natur eine Abſicht gehabt, ſo iſt es keine
andere, als den verworrenen Zuſtand des Geſtirnes
vieler Gelehrten abzubilden, die ſich nicht ſchaͤmen,
mit der groͤſſeſten Ernſthafftigkeit die elendeſten Gril-
len vorzubringen. Dieſer kurtze und nachdruͤckliche
Ausſpruch endigte alle unſere Betrachtungen, und
ein jeder gieng hin, wo er hergekommen.
Als ich mich nun allein befand, wiederholete ich in
Gedancken alles, was geredet woꝛden, und ob ich zwar
wenig Troſt darinnen fand; ſo lernete ich doch ſo viel
daraus, daß die Gedancken, welche die Gelehrten
uͤber
[64](o)
uͤber eine dunckele Sache wachend haben, den Traͤu-
men der Schlaffenden nicht ungleich: Denn, gleich-
wie dieſe ihren vornehmſten Grund in den Verrich-
tungen des vorigen Tages haben; ſo findet ein Ge-
lehrter dasjenige, worauf er ſeine Gedancken vornem-
lich zu richten gewohnet iſt, allenthalben.
Jch faſſete alſo den Entſchluß, mich an alle dieſe
wachende Traͤumer nicht zu kehren; ſondern zu verſu-
chen, ob ich nicht durch eigenes Nachſinnen der Na-
tur hinter die Kuͤnſte kommen, und die wahre Urſache
der wunderbaren Figuren auf meiner gefrornen Fen-
ſter-Scheibe ergruͤnden koͤnte.
Die Muͤhe, ſo mich dieſe Unterſuchung gekoſtet
hat, iſt gewiß groß geweſen: Aber ſie iſt mir auch durch
die vortrefliche Entdeckung, die ich gemacht habe,
mehr als doppelt belohnet worden. Ein jeder, der mich
kennet, wird mir das Zeugniß geben, daß ich gar nicht
prahlhaft bin. Jch halte von mir maͤßiglich, und habe
mich, auſſer dem Nothfall, noch niemahlen ſelbſt gelo-
bet. Jch will es auch jetzo noch nicht thun, in der feſten
Hoffnung, daß Sie, mein Herr, meine Scharffſinnig-
keit erkennen werden, ohne daß ich noͤthig habe, mit
Hindanſetzung deꝛ mir angebohꝛnen Sittſamkeit, Jh-
nen die Wichtigkeit und Vortrefflichkeit der von mir
entdeckten neuen und nuͤtzlichen Wahrheiten anzu-
preiſen. Die That mag vor mich reden: Und wofern ſie
jemahlen etwas gehoͤret und geleſen haben, das mit
den tiefſinnigen Gedancken, die ich uͤber meine gefror-
ne Fenſter-Scheibe gehabt habe, nur einiger maſſen
in Vergleichung zu ziehen iſt, ſo gebe ich Jhnen die
Freyheit, ins kuͤnfftige nichts von mir zu halten.
So bald demnach die Geſellſchafft, die ich bey mir
ge-
[65](o)
gehabt, aus einander gegangen war, fieng ich an zu
gruͤbeln: nicht zwar, was doch die ſeltſamen Figuren
meiner Fenſter-Scheibe vor Geheimniſſe in ſich faſſen
moͤchten: Denn dieſen Wahn, daß die Figuren etwas
ſonderliches zu bedeuten haͤtten, hatte mir der Rit-
ter Cockburn ſchon benommen: ſondern nur, woher
dieſelben entſtanden?
Jch wuſte, daß nichts ohne Urſache geſchicht, und
daß alſo auch ein zureichender Grund vorhanden ſeyn
muͤſte, warum die Figuren meiner Fenſter-Scheibe
ſo wunderbar geworden. Jch bilde mir ein, daß ich
dieſen Grund entdecket habe.
Sie wiſſen, mein Herr, daß die Fenſter nur frieren
wann es ſehr kalt iſt, und daß ſie nicht frieren, als in ei-
nem Zimmer, das bewohnet und geheitzet wird. Die
Urſache davon iſt dieſe, weil ein warm gemachte Stu-
be mehr Ausduͤnſtungen hat, als ein Zimmer, das
nicht geheitzet wird. Jch ſetze demnach voraus, daß
das Eis, welches wir zu Winters-Zeit an den Fen-
ſtern wahrnehmen, von nichts anders, als von den
Ausduͤnſtungen der in dem Zimmer befindlichen Coͤr-
per entſtehet. Es iſt keine Zeit des Jahres, da nicht ſol-
che Ausduͤnſtungen vorhanden: Aber bey gelindem
und warmem Wetter bleiben ſie unſichtbar, weil
nichts iſt, das ihre Ausbreitung und Verfliegung ver-
hindert. Sie zerflattern alſo in der Luft, ohne daß wir
derſelbẽ anders, als etwan durch den Geruch, gewahr
werden. Jm Winter aber, wann die Kaͤlte groß iſt,
koͤnnen ſie ſich nicht ſo ausbreiten. Sie ſuchen zwar
dann ſowohl, als ſonſt eine Oeffnung: aber die Kaͤlte
verwehret ihnen den Ausgang. Zuruͤcke koͤnnen ſie
nicht: ſo muͤſſen ſie alſo nothwendig an den Fenſtern
Eſitzen
[66](o)
ſitzen bleiben. Jſt nun die Kaͤlte drauſſen maͤßig, ſo
erblicken wir ſie in der Geſtalt eines Waſſers, und es
heiſſt, die Fenſter ſchwitzen. Jſt es aber ſehr kalt, ſo
verliehret das Waſſer, durch die gewaltſame Zuſam-
mendruͤckung, ſeine Fluͤßigkeit, und aus dem Schweiſ-
ſe der Fenſter wird ein foͤrmliches Eis.
Da nun alſo dieſes Eis aus den Ausduͤnſtun-
gen der in einem Zimmer befindlichen Coͤrper entſte-
het; ſo iſt es klar, daß man alles, was an dieſem Eiſe
merckwuͤrdiges iſt, aus den Ausduͤnſtungen, woraus
es entſtanden, erklaͤren muͤſſe.
Die Ausduͤnſtungen ſind nicht alle einer Art; ſon-
dern, nach Beſchaffenheit der Coͤrper, unterſchieden.
Es muß alſo das aus ſelbigen an den Fenſtern ent-
ſtehende Eis, nach dem Unterſcheid der Ausduͤnſtun-
gen, auch unterſchiedene Geſtalten bekommen: und
folglich iſt der Grund aller Figuren, die man auf ei-
ner Fenſter-Scheibe ſehen kan, in dem Unterſcheid der
Ausduͤnſtungen zu ſuchen.
Meine Fenſter-Scheibe iſt auch eine Fenſter-
Scheibe, und mit gewiſſen Figuren bemahlet. Wenn
ich, alſo wiſſen will, warum dieſe Figuren ſo, und nicht
anders geworden ſind, ſo muß ich nothwendig auf ih-
ren Urſprung zuruͤck gehen, und unterſuchen, wie die
Ausduͤnſtungen beſchaffen geweſen, aus welchen ſie
entſtanden ſind.
So dachte ich, mein Herr, und dieſe Gedancken ge-
reuen mich noch nicht. Denn wie einfaͤltig ſie auch,
beym erſten Anblick, ſcheinen; ſo ſind doch die Folgen,
die ich gantz ungezwungen daraus gezogen habe, ſo
herrlich, ſo vortrefflich, ſo nuͤtzlich, daß ich es nicht aus-
ſprechen kan. Nachdem ich dieſen Gꝛund geleget hatte,
war
[67](o)
war es mir leicht, hinter die Wahrheit zu kom-
men.
Jch hatte den Tag vorher eine groſſe Geſellſchafft
gelehrter Leute von allerhand Art bey mir gehabt. Jn
einer ſolchen Geſellſchafft wird gemeiniglich viel gere-
det. Jch gerieht alſo auf die Gedancken, daß der
Athem dieſer gelehrten Verſammlung ein groſſes zu
den wunderbaren Figuren meiner Fenſter-Scheibe
beygetragen habe, wo nicht gar die einzige Urſache der-
ſelben geweſen ſey: Und dieſe Gedancken kamen mir
um ſo viel gegruͤndeter vor, je unſtreitiger es iſt, daß
die ſtaͤrckſte Ausduͤnſtung des menſchlichen Coͤrpers
durch den Athem geſchiehet. Die Ausduͤnſtungen
aber der in einem Zimmer befindlichen Coͤrper ſind die
Urſache, warum die Fenſter bey kaltem Wetter mit
Eis beleget werden.
Jch hatte alſo gluͤcklich entdecket, was es vor Duͤn-
ſte geweſen, welche verurſachet, daß meine Fenſter ge-
froren. Aber darum wuſte ich noch nicht, woher die
ſeltſamen und nachdencklichen Figuren entſtanden.
Jch muſte alſo weiter nachſinnen: Solte nun meine
Muͤhe nicht vergeblich ſeyn, ſo war es noͤthig, daß ich
die Natur der Ausduͤnſtungen, die den Stoff zu den
ſeltſamen Figuren meiner Fenſter-Scheibe abgegeben
hatten, genauer unterſuchte. Jch that es, und befand,
daß dieſe Ausduͤnſtungen in dem Athem der in mei-
ner Stuben verſammleten Gelehrten beſtanden; daß
dieſer Athem groͤſten Theils von ihnen gegangen ſey,
wann ſie geſprochen, und daß ſie nur geſprochen, um
ihre Gedancken auszudruͤcken. Aus dieſen unſtreiti-
gen Wahrheiten machte ich folgenden Schluß, den
ein jeder, der faͤhig iſt, von der Staͤrcke und
E 2Schwaͤ-
[68](o)
Schwaͤche eines Beweiſes zu urtheilen, nothwendig
vor buͤndig und unumſtoͤßlich erkennen muß.
Unſere Gedancken ſind Bilder der Dinge, ſo auſſer
uns ſind: Die Worte, die wir ſprechen, ſind Bilder
unſerer Gedancken. Sprechen iſt nichts anders, als
den Athem auf eine gewiſſe Art von ſich laſſen. Der
Athem beſtehet in gewiſſen Ausduͤnſtungen. Folg-
lich ſind die Worte, die wir ſprechen, nichts als Aus-
duͤnſtungen unſers Coͤrpers. Da nun aber die Wor-
te Bilder unſerer Gedancken, und die Gedancken Bil-
der der Dinge, die auſſer uns ſind; ſo ſind auch die
Ausduͤnſtungen unſers Mundes, wann wir ſprechen,
Bilder der Dinge, die auſſer uns ſind. Wann nun
dieſe Ausduͤnſtungen, durch die Kaͤlte zuſammrn ge-
druͤcket, ſichtbar werden; ſo werden auch die Gedan-
cken, deren Bildniß dieſe Ausduͤnſtungen vorſtellen,
ſichtbar. Werden die Gedancken ſichtbar; ſo muͤſſen
wir auch noth wendig die Bilder der Dinge, die auſ-
ſer uns ſind, und von welchen wir reden, in dieſen ſicht-
bar gewordenen Ausduͤnſtungen erblicken. Q. E. D.
Nach dieſer tieffinnigen Betrachtung war mir al-
les auf meiner Fenſter-Scheibe klar und deutlich.
Jch erinnerte mich der gefuͤhrten Reden, und war al-
ſo im Stande, faſt von einer jeden Figur meiner ge-
frornen Fenſter-Scheibe eine gruͤndliche Urſache zu
geben.
Wir hatten von der Mathematic, Aſtronomie,
Chymie, und Mythologie, von der hebraͤiſchen, ara-
biſchen, chineſiſchen und malabariſchen Sprache,
vom Feſtungs-Bau, von Cometen, von Donner und
Blitz, und, ich weiß nicht, von wie viel andern Dingen
geredet. Der D. Bromley, der in den Figuren
meiner
[69](o)
meiner Fenſter-Scheibe ſo hohe Geheimniſſe gefun-
den, hatte uns eine lange Stelle aus ſeiner Erklaͤrung
der Offenbarung Johannis vorgeleſen, in welcher
von der groſſen Hure, die auf den Waſſern ſitzet, und
von der Zahl des Thiers gehandelt wurde.
Alle dieſe ſchoͤne Raritaͤten ſehen Sie auf meiner
gefrornen Fenſter-Scheibe Zwar in ziemlicher Un-
ordnung: Aber dieſes iſt kein Wunder; ich wundere
mich vielmehr, daß eine ſolche Menge Ausduͤnſtun-
gen von ſo unterſchiedener Art nicht noch auf wunder-
lichere und verwirrtere Weiſe vermiſchet worden.
Es iſt, meines Beduͤnckens, noch ziemlich ordentlich
hergegangen, und, auſſer dem Thier mit dem Men-
ſchen-Kopf, den Bocks-Hoͤrnern und dem Ratzen-
Schwantze, wuͤſte ich keine einzige Figur auf der gan-
tzen Fenſter-Scheibe, deren Urſprung ich nicht erklaͤ-
ren wolte. Vielleicht ergruͤnde ich auch noch, woher
dieſes Thier entſtandẽ. Da es mir mit meiner Fenſter-
Scheibe ſo weit gelungen iſt, ſo verzage ich an nichts.
Es iſt mir ſchon mit den muſicaliſchen Noten ſo ge-
gangen. Anfangs wuſte ich in der That nicht, was ich
daraus machen ſolte. Jch erinnerte mich nicht, daß
wir von der Muſic geredet hatten, und wunderte mich
alſo ungemein, wo dieſe deutliche Noten hergekom-
men. Endlich fiel mir bey, daß ein Saͤnger aus der O-
pera, der mit einem von der Geſellſchafft, welcher ein
Poete war, etwas zu reden gehabt hatte, auf einige
Minuten in meiner Stube geweſen war. Da ver-
ſchwand meine Verwunderung, uñ ich bin gewiß ver-
ſichert, daß man die Urſache dieſer Noten in dieſem
Saͤnger ſuchen muß. Es ſey nun, daß er mit dem Poe-
ten, ohne daß ich es gewahr worden, von der Muſic ge-
E 3redet
[70](o)
redet, oder daß die Ausduͤnſtungen ſeines Coͤrpers
uͤberhaupt ſo harmoniſch geweſen, daß ſie nicht an-
ders, als in der Geſtalt des Anfangs einer Arie ſicht-
bar werden koͤnnen. Jch will mir daruͤber den Kopf
nicht zerbrechen; ſondern zu wichtigern Dingen
ſchreiten.
Den D. Bromley, (*) der, als ein Geiſtlicher, kei-
nen Widerſpruch vertragen kan, und inſonderheit in
ſeinen Erklaͤrungen der Offenbahrung Johannis eben
ſo verliebt iſt, als der bekannte Jurieu war, hat es
ſehr geſchmertzet, daß ich die Figuren meiner gefror-
nen Fenſter-Scheibe aus natuͤrlichen Urſachen zu er-
klaͤren geſucht, und dadurch die vortrefflichen und er-
baulichen Gedancken, die er daruͤber gehabt hat, um-
geſtoſſen habe. Er hat ſich demnach bemuͤhet, meine
Erklaͤrung laͤcherlich zu machen.
Sie werden ſehen, mein Herr, daß alles, was er zu
dem Ende geſagt, nichts heiſſe: Aber die Aufrichtig-
keit, die ich in der Unterſuchung meiner Fenſter-
Scheibe bisher gewieſen habe, erfordert, daß ich Jh-
nen auch von den Einwuͤrffen, die man mir gemacht
hat, Nachricht gebe.
Er frug mich neulich gantz hoͤniſch, warum dann,
wenn die Figuren meiner Fenſter-Scheibe bloß von
dem Athem der in meiner Stube verſammleten Ge-
lehrten entſtanden, nicht alle Fenſter ſo bemahlet wor-
den? Uñ was dann die einzige Scheibe ſonderbares an
ſich gehabt habe, wesfalls alle die gelehrten Ausduͤn-
ſtungen ſich auf derſelben verſammlet? Jch antwor-
tete
[71](o)
tete ihm kuͤrtzlich: Es ſey darum geſchehen, weil ſie
zerbrochen geweſen. Denn da die Luft den ſtaͤrckſten
Zug nach der in der Fenſter-Scheibe befindlichen
Oeffnung gehabt; ſo ſey es kein Wunder, daß alle Aus-
duͤnſtungen mit dahin geriſſen worden: Und weil
nun wegen der Menge der Duͤnſte ein Gedraͤnge ent-
ſtanden, ſo ſey es gar was Natuͤrliches, daß ein gut
Theil derſelben zuruͤcke bleiben muͤſſen: und zwar
eben auf der zerbrochenen Fenſter-Scheibe, als zu wel-
cher ſie ſich alle gedrungen, und alſo auch ſonſt nir-
gends, als auf derſelben, die Verwandelung leiden
koͤnnen. Jch erlaͤuterte das, was ich geſagt hatte, mit
dem Gedraͤnge einer Menge Volcks, das zu einer Thuͤꝛ
hinaus will, und der gute D. Bromley verſtummete.
Sonſt hat niemand wider meine Erklaͤrung etwas
einzuwenden gehabt: Und wie waͤre es auch moͤglich,
da ſie ſo gruͤndlich iſt? Mich deucht, ich habe mit un-
wie dertreiblichen Gruͤnden dargethan, daß die Figu-
ren meiner Fenſter-Scheibe von dem Athem der in
meiner Stube verſammleten Gelehrten entſtanden.
Und dieſes iſt eine Entdeckung, die nicht nur gantz
neu, ſondern auch von ſo groſſer Nutzbarkeit iſt, daß
ich mich in meinem Gewiſſen verbunden achte, noch
bey gegenwaͤrtiger Parlaments-Verſammlung Jh-
ro Maj. unſerm allergnaͤdigſten Koͤnige ſowohl, als
den beyden Haͤuſern, dieſelbe im Vertrauen be-
kannt zu machen. Jch werde dadurch die Pflichten
eines wohlgeſinneten Buͤrgers erfuͤllen, und mich um
meine Nation, ja um die gantze Welt, unſterblich
verdient machen.
Lachen Sie nicht, mein Herr! Jch rede die Wahr-
heit: Und wenn Sie nur belieben, der Sache ein we-
E 4nig
[72](o)
nig nachzudencken, werden Sie befinden, daß kein
beſſerer Vorſchlag zu gluͤcklicher Entdeckung aller
wider die Regierung, und die Ruhe eines Landes ge-
ſchmiedeten Anſchlaͤge koͤnne erdacht werden, als der-
jenige iſt, den ich zu thun willens bin. Denn da die
Figuren auf meiner gefrornen Fenſter-Scheibe ſo au-
genſcheinlich zeigen, daß man alles, was zu Winters-
Zeiten, wann es ſtarck frieret, in einem Zimmer vor-
gegangen, und geredet worden, aus den gefrornen
Fenſtern leſen kan; ſo, deucht mich, waͤre es eine heil-
ſame Sache, wenn es der Regierung gefallen wolte,
zu verordnen, daß zu ſolchen Zeiten alle Morgen die
Fenſter in allen verdaͤchtigen Haͤuſern beſichtiget wer-
den ſolten. Jn dem mitternaͤchtligen Theile von
Groß-Brittañien waͤre eine ſolche Beſichtigung am
noͤthigſten, weil daſelbſt die Zahl der Mißvergnuͤgten
ſo groß iſt, als die Kaͤlte. Jch hoffe, die Regierung
wird dieſes erwegen, und meinen berrlichen Vor-
ſchlag nicht nur billigen; ſondern auch belohnen.
Sie, mein Herr, wohnen in einem Lande, da es un-
gemein ſtarck frieret. Meine Entdeckung kan alſo
bey Jhnen ſaſt noch mehr Nutzen ſchaffen, als bey
uns, und Sie werden wohl thun, wenn Sie Jhrer
Monarchin Nachricht davon geben. Jch bin Jh-
nen gut davor, daß Sie diejenige Belohnung erhal-
ten werden, die man vor einen Vorſchlag von der
Wichtigkeit von einer ſo freygebigen und großmuͤthi-
gen Prinzeßin, als Jhre Beherrſcherin iſt, hoffen kan.
Jch verlange nicht, mein Herr, daß Sie die Be-
lohnung, die Sie bekommen, mit mir theilen ſollen.
Jch bin zufrieden, wenn Sie mir nur die Ehre der er-
ſten Erfindung laſſen, und werde meine Muͤhe vor
uͤber-
[73](o)
uͤberfluͤßig belohnet halten, wenn Sie belieben wer-
den, die Wunder, die der Froſt wircket, nach der ſchoͤ-
nen Gelegenheit, die Jhnen Jhr Clima giebt, weiter
zu erforſchen, und mir Jhre Entdeckungen mit zuthei-
len. Jch erſuche Sie darum, mein Herr, und habe
aus keiner andern Urſache Jhnen von meiner gefror-
nen Fenſter-Scheibe eine ſo umſtaͤndliche Nachricht
gegeben, als um Sie zur Betrachtung einer Sache
aufzumuntern, welche Sie, weil ſie bey Jhnen gar zu
gemein iſt, vielleicht bishero ihrer Unterſuchung nicht
werth geachtet haben. Jch habe zu eben dem Ende an
einen Gelehrten in der Terra del fuogo, und nach ei-
ner unbekannten Jnſul unter dem Suͤd-Pol, Angel-
pont genannt, welche der zu Brinn ſitzende Printz
von Chabanois, der ſich einen Koͤnig davon ſchreibt,
entdecket, und nach ſeiner Gemahlin Angelique du
Pont, alſo betitelt haben will, geſchrieben: So bald
ich Antwort erhalte, werde ich nicht ermangeln, Jh-
nen auch von den Gedancken Nachricht zu geben,
welche die daſigen Gelehrten uͤber meine gefrorne
Fenſter-Scheibe haben.
Jndeſſen, mein Herr, will ich Sie noch mahlen in-
ſtaͤndigſt gebeten haben, meine Entdeckung, die ich
mir gemacht zu haben einbilde, nach der groͤſſeſten
Schaͤrffe zu beurtheilen. Sie ſind geſchickt dazu,
daß weiß ich, und koͤnnen mich nicht allein, wenn ich,
uͤber Verhoffen, gefehlet, eines beſſern unterrichten;
ſondern auch durch die Anmerckungen, die Sie viel-
leicht ſchon gemacht haben, meine Gedancken beſtaͤr-
cken. Jch kehre mich an diejenigen nicht, die mich aus-
lachen, daß ich einem Samojeden viel von einer gefror-
nen Fenſter-Scheibe vorſchwatze, und behaupten, daß
E 5man
[74](o)
man in einem Lande, welches mit einer faſt im̃erwaͤh-
renden Finſterniß bedecket iſt, Quod latus mundi ne-
bulæ, malusque Jupiter urget, und deſſen Einwoh-
ner wie die Thiere in Hoͤhlen und Loͤchern liegen, nicht
einmahl wiſſe, was ein Fenſter ſey. Jch traue dem
Hn. Medley, der ihren Pallaſt in Bereſowa, und ihr
praͤchtiges Luſt-Schloß unfern Sobskaja an dem
Oby, mit ſeinen Augen geſehen hat, mehr, als den elen-
den Buͤchern, in welchen die abgeſchmackteſten Fa-
beln von ihrer vortreflichen Nation enthalten ſind.
Wofern Sie es vor gut finden, koͤnnen Sie dieſen
Brief in der Verſammlung der vortreflichen Koͤpfe
verleſen, welche, wie ich von dem Hn. Medley verneh-
me, woͤchentlich vier mahl, unter Dero Aufſicht, zu-
ſammen kommen. Es wird mir eine Ehre ſeyn, ſol-
chen Leuten bekannt zu werden, und Sie wuͤrden
mich Jhnen ungemein verbinden, wenn Sie die Guͤte
haben wolten, dieſe gelehrte Geſellſchafft, in meinem
Nahmen, gehorſamſt zu erſuchen, mich, in Betracht
meiner groſſen Verdienſte, aus eigener Bewegniß, zu
ihrem Mitgliede anzunehmen.
Jch koͤnte Sie dieſer Muͤhe uͤberheben, und nur
ſelbſt in einem wohl geſetzten Schreiben der Geſell-
ſchafft die groſſe Begierde zu erkennen geben, welche
ich habe, die Zahl ihrer Glieder zu vermehren: Aber
dieſes iſt nicht Sitte in unſerm Lande. Werbey uns
Luſt hat, in eine gelehrte Geſellſchafft aufgenom̃en zu
werden, der begnuͤgt ſich, an das Haupt derſelben ei-
nen, mit einem Wunder-Bilde begleiteten, Brief zu
ſchreiben; ſo iſt die Sache richtig. Dieſer Gebrauch
geſaͤllt mir wohl: Denn auf ſolche Art iſt die Auf-
nahme dem neuen Mitgliede um ſo viel ruͤhmlicher,
weil
[75](o)
weil es laͤſſt, als ſey ſie ohne ſein Geſuch geſchehen.
Jch habe mich alſo von der loͤblichen Gewohnheit
meiner Lands-Leute nicht entfernen wollen, und glau-
be, daß dieſer Brief mir Jhren Vorſpruch bey der
gelehrten Geſellſchaft, deren Haupt Sie ſind, und die
Ehre, ein Mitglied derſelben zu heiſſen, zuwege brin-
gen werde.
Jch bin zwar nicht ehrgeitzig: aber ich kan Jh-
nen doch nicht bergen, daß es mir eine ſonderliche Freu-
de ſeyn wuͤrde, wenn meine Lands-Leute durch meine
Aufnahme in eine ſo beruͤhmte Geſellſchafft, als die ih-
rige iſt, uͤberfuͤhret werden moͤchten, daß es auſſer die-
ſer Jnſul Leute gebe, die meine Verdienſte beſſer zu
erkennen wiſſen, als mein undanckbares Vaterland.
Gewiß, mein Herr, ich moͤchte Blut weinen, wann
ich daran gedencke, wie ſehr der Geſchmack meiner
gantzen Nation verdorben iſt. Sie werden vermuth-
lich wohl gehoͤret haben, wie lecker wir Engellaͤnder in
Eſſen und Trincken ſind; wie wir an unſern Speiſen
kuͤnſteln, und alles vor abgeſchmackt halten, was
nicht unſern verwehnten Gaumen aufs empfindlich-
ſte kuͤtzelt. Dieſes Verderben einer ſonſt vortreflichen
und klugen Nation iſt zu beklagen: aber noch mehr
iſt zu bedauren, daß wir in Anſehung der Nahrung
unſerer Seelen, eben ſo lecker, und eben ſo unmaͤßig
ſind, als in unſerm Eſſen und Trincken.
Jch kan mit Seneca ſagen: Quemadmodum
omnium rerum, ſic litterarum quoque intempe-
rantia laboramus. Dieſe Unmaͤßigkeit im Wiſſen
hat ſich unter den Gelehrten dieſer Jnſul ſo ſehr
ausgebreitet, daß ich und meines Gleichen, die wir
durch unſere Reden und Schrifften unſer gerechtes
Miß-
[76](o)
Mißfallen daruͤber an den Tag legen, dieſem Unweſen
zu ſteuren nicht vermoͤgend ſind; ja noch dazu, wegen
der Maͤßigkeit im Wiſſen, der wir uns befleißigen,
vor einfaͤltige, ungelehrte Leute gehalten, und als elen-
de und armſelige Scribenten, wie man uns gar ver-
aͤchtlich nennet, faſt von jederman ausgeziſchet wer-
den. O tempora! o mores! Man gehet mit uns
um, daß es zu bejammern iſt, und ich ſelbſt habe es
mehr als einmahl erfahren, daß alle Bemuͤhung, den
Beyfall unſerer leckern Gelehrten zu erhalten, vergeb-
lich ſey.
Ob man mir demnach gleich rahten wollen, der hie-
ſigen Koͤniglichen Societaͤt der Wiſſenſchafften von
meinen Entdeckungen Nachricht zu geben, und meine
Gedancken uͤber die gefrorne Fenſter-Scheibe dem
Urtheil derſelben zu unterwerffen: So habe ich doch
Bedencken getragen, dieſem Raht zu folgen. Was
kan ich von einer Geſellſchafft hoffen, deren Glieder
mit allen Gelehrten meiner Art faſt in offenbarem
Kriege leben, und vor unſern herrlichen Schrifften ei-
nen faſt unuͤberwindlichen Eckel bezeugen?
Ein Gelehrter, der einen Brief, als derjenige iſt,
den ich die Ehre habe an Sie zu ſchreiben, an eine ge-
lehrte Geſellſchafft richtet, erwecket bey dem Leſer den
Verdacht, daß er einen Platz in derſelben ſuche, und
wenn er dieſer Ehre nicht gewuͤrdiget wird, ein allge-
meines Gelaͤchter. Jch mag nicht, daß man mich aus-
lache: und daß mich unſere Societaͤt der Wiſſen-
ſchafften, meiner gefrornen Fenſter-Scheibe wegen,
in die Zahl ihrer Glieder aufnehmen werde, kan ich oh-
ne Thorheit nicht hoffen.
Jch begehre es auch nicht. Denn wer will mir gut
davor
[77](o)
davor ſeyn, daß ſie mich nicht, wenn ich fortfuͤhre, nach
meinem Geſchmack zu ſchreiben, unter dem Vor-
wand, ſie habe Schimpff von mir, wieder ausſtoſſen
wuͤrde? Jch kenne ſie gar zu wohl. Sie verſteht kein
Ehren-Wort, und wenn man ihr, aus Hoͤflichkeit,
verſpricht, ſich zu beſſern, und ſich zu bemuͤhen, ſolche
Schrifften ans Licht zu ſtellen, welche faͤhig, zu ver-
hindern, daß die getroffene Wahl ſie nicht gereue, ſo
macht ſie Ernſt daraus, und haͤlt ſich berechtiget, die-
ſes, als eine Schuldigkeit, zu fordern. Jch liebe die
Freyheit, und laſſe mir die Haͤnde ſo nicht binden.
Wuͤrde es mir alſo nicht eben ſo gehen, als meinem
wehrten Freunde, Mr. Makewind?
Dieſer junge Menſch iſt einer der vortreflichſten
Koͤpfe unſerer Zeit, und wird wenige ſeines gleichen
haben. Man hat an ihm, von ſeiner Kindheit an, vie-
len Witz, und eine ungemein ſtarcke Einbildungs-
Kraft wahrgenommen. Dieſe vortrefliche Gemuͤths-
Gaben ſind mit den Jahren immer ſtaͤrcker gewor-
den, und alle, die ihn kennen, geben ihm das Zeugniß,
daß er in ſeinem 14ten Jahre Dinge gethan, daruͤber
man erſtaunen muß.
Die Eltern ſparten nichts an ſeiner Erziehung, weil
ſie ſich von einem Knaben ſo guter Hoffnung mit
Recht groſſe Dingeverſprechen konnten. Sie gaben
ihm die geſchickteſten Lehr-Meiſter: Aber keiner von
allen war ſo geſchickt, daß er ihm eine Luſt zu den
Anfangs-Gruͤnden der Wiſſenſchafften haͤtte bey-
bringen koͤnnen, in welchen junge Leute pflegen unter-
richtet zu werden. Er ſahe dieſes als Kleinigkeiten
an, und trachtete nach hoͤhern Dingen.
Man ſchickte ihn demnach, wie er kaum 17. Jahr
alt
[78](o)
alt war, nach Cambridge. Jch weiß nicht warum.
Denn man will vor gewiß ſagen, daß er ſich ſchon ſeit
ſeinem 12ten Jahre nicht undeutlich mercken laſſen,
daß er mit der gemeinen Art zu ſtudiren nicht zufrieden
ſey, und es als eine groſſe Thorheit anſaͤhe, daß man
die ſchoͤnſte Zeit des menſchlichen Lebens mit einem
verdrießlichen Lernen zubraͤchte, die man mit mehrerm
Ruhm anwenden koͤnte, andere zu lehren. Jch weiß
nicht, ob ſich dieſes ſo verhaͤlt: So viel weiß ich, daß er
ſeine Lehrer zu Cambridge nicht vor wuͤrdig gehalten,
das Geringſte von ihnen zu lernen. Ein ſo auſſeror-
dentlicher Kopf brauchte keines Unterrichts. Er
war kluͤger, als ſie alle, und fieng ſein Studiren da
an, wo andere Gelehrte aufhoͤren.
Es fand ſich zu der Zeit die, allen rechtſchaffenen
Gelehrten ſo noͤthige Dreiſtigkeit, bey ihm ein. Er
ſchrieb demnach Buͤcher, und zeigte alſo, daß es groſ-
ſen Koͤpfen ein leichtes, auch ohne etwas gelernet zu
haben, von allerhand Materien die ſchoͤnſten Sachen
zu ſchreiben. Oxford war der Ort, da er anfieng ſich
hervor zu thun. Er that es mit ſonderlichem Gluͤcke,
und alles, was er anfieng, gieng ihm um ſo viel beſſer
von ſtatten, je weniger er in ſeiner Arbeit von der ver-
drießlichen Eigenſchafft des Verſtandes, welche man
die Beurtheilungs-Krafft nennet, beunruhiget und
gehindert wurde.
Dieſe gluͤckſelige Beſchaffenheit ſeines Gemuͤths
machte, daß die gelehrte Welt mit einer vortreflichen
Schrift nach der andern beſchencket, und in die aͤuſ-
ſerſte Beſtuͤrtzung geſetzet wurde. Niemand war faͤ-
hig zu begreiffen, woher einem ſo jungen Menſchen
die Weisheit gekommen, und jederman wunderte
ſich,
[79](o)
ſich, wie ein Menſch, der nicht eine Wiſſenſchaft recht
ſtudiret, in allen ſo beſchlagen ſeyn koͤnnte. Viele be-
ſorgten, er wuͤrde ſich endlich erſchoͤpffen, und einige
propheceyeten ihm gar einen fruͤhen Tod. Der Aus-
gang hat gewieſen, daß die Sorge der erſten unnoͤthig
geweſen, und ich wuͤnſche, daß die Weiſſagung der
letzten falſch ſeyn moͤge. GOtt verleihe dem Herrn
Makewind ein langes Leben! Wir wuͤrden an ihm
gar zu viel verlieren.
Aber wieder auf die Schriften dieſes groſſen Man-
nes zu kommen, ſo waren ſie alle von ausnehmender
Schoͤnheit, und kan man mit Wahrheit ſagen, daß
die Welt dergleichen nicht geſehen.
Der Haupt-Zweck aller ſeiner Arbeit war, die leichte
und gemaͤchliche Schreib-Art, die wir in unſerer
Sprache Bombaſt nennen, und welche ſeit einiger
Zeit ziemlich in Abnahme und Verachtung gerathen
iſt, wieder in den Gang zu bringen, die Scribenten von
dem ſchweren Joche der Sprach-Kunſt zu befreyen,
und, durch Widerlegung des Horatz und Boileau, die
Herrſchafft des Reims, uͤber die Vernunft, zu be-
haupten. Gewiß ein Unternehmen, das vielen Muth
und Geſchicklichkeit erforderte, und welches von dem
Hrn. Makewind auf eine ſo ſonderbare Art ausgefuͤh-
ret worden, daß man noͤthwendig ſeine Klugheit be-
wundern, und geſtehen muß, daß niemand, als er, ge-
ſchickt dazu geweſen.
Er ſahe wohl, daß es eine vergebliche Arbeit ſeyn
wuͤrde, wenn er gerade zu, und ohne Umſchweiff, den
Bombaſt vertheidigen, die Sprach-Kunſt verwerf-
fen, und den Horatz und Boileau widerlegen wolte. Er
war viel zu ſchlau, als daß er nicht haͤtte mercken ſol-
len,
[80](o)
len, daß dieſes, bey ſo verderbtem Zuſtande der Welt,
ein ſicher Mittel, ſich laͤcherlich zu machen. Er war
demnach ſo liſtig, daß er nicht eigene Regeln vom
Bombaſt gab, ſondern ſandte nur allerhand kleine
Schrifften von unterſchiedlichem Jnhalt in die Welt,
in welchen dieſe vortrefliche Schreib-Art in ihrer gan-
tzen Schoͤnheit zu ſehen war. Er ſchrieb kein eigen
Buch wider die Tyranney der Sprach-Kunſt, ſon-
dern begnuͤgte ſich, in ſeinen Schrifften keine einige
ihrer Regeln zu beobachten. Den Horatz und Boi-
leau griff er nicht nahmentlich an: Er lobte ſie viel-
mehr zum Schein: Aber er verfertigte ſelbſt Gedich-
te, die ſo beſchaffen waren, daß kluge und nachdencken-
de Leſer wohl ſahen, daß ſie dieſen beyden groſſen
Dichtern, und den von ihnen gegebenen Regeln zum
Trotz geſchrieben.
Wer da weiß, daß ein gutes Exempel mehr aus-
richtet, als die beſten Lehren, der wird mit mir beken-
nen, daß der Hr. Makewind ſich derjenigen Klugheit
und Behutſamkeit bedienet habe, die zu Ausfuͤh-
rung eines ſo wichtigen und nuͤtzlichen Vorhabens
erfordert wird.
Jch, und alle andere, ſo genannte, armſelige Scri-
benten freueten uns von Hertzen, daß in unſern Tagen
ein ſo hertzhaffter Mann aufgeſtanden, und ſchmei-
chelten uns mit der Hoffnung, durch die Huͤlffe dieſes
Helden unſern verloſchenen Ruhm wieder hergeſtellet
zu ſehen. Allein die Schaar der leckern und naſewei-
ſen Schreiber verdoppelte ihre Wuth wider uns, und
handthierte inſonderheit unſern Goliath ſo uͤbel, daß
ein Mann von geringerm Muth und einiger Scham-
hafftigkeit ſich wuͤrde haben abſchrecken laſſen, und es
ver-
[81](o)
verſchworen haben, jemahlen die Feder wieder anzuſe-
tzen. Allein ſie fand an dem Hn. Makewind, was ſie
ſuchte, und nichts war faͤhig, unſern Helden von ſei-
nem loͤblichen Vorhaben abwendig zu machen. Er
kehrte ſich an alle Spoͤttereyen ſeiner Neider nichts,
ſondern blieb unbeweglich:
Ut Pelagi rupes, magno veniente fragore,
Quæ ſeſe multis circum latrantibus undis
Mole tenet: Scopuli nequicquam \& ſpumea
circum
Saxa fremunt, laterique illiſa refunditur alga.’
Er fuhr fort, uns armſelige Scribenten durch ſeine
herrlichen Schrifften zu erbauen, und unſere Gegner
zu quaͤlen. Seinem Beyſpiel folgten viele, und es ge-
wann das Anſehen, als ob die gute Sache endlich
triumphiren wuͤrde.
Unſern Feinden ward allgemach nicht wohl dabey
zu Muthe. Sie ſahen, daß das lehrreiche Beyſpiel des
Hn. Makewind von unbeſchreiblicher Kraft war. Sie
ſahen, daß dieſer tapffere und ruͤſtige Scribent durch
Spott und Drohungen nicht zu ſchrecken: Sie ſuch-
ten ihn alſo auf eine andere Art zu gewinnen, in der fe-
ſten Hoffnung, mit dem Reſt der armſeligen Scriben-
ten leicht fertig zu werden: Und die Koͤnigliche So-
cietaͤt der Wiſſenſchafften muſte dem Herrn Make-
wind einen Platz anbieten.
Dieſes war, ihrer Meynung nach, ein liſtiger
Streich, und unſere Feinde machten ſich die ſichere
Rechnung, der Hr. Makewind wuͤrde, wo nicht durch
das Beyſpiel ſeiner Collegen gantz umgekehrt, deñoch
durch die Ehre, welche ihm eine ſo beruͤhmte Geſell-
Fſchafft
[82](o)
ſchafft erwieſen, bewogen werden, ſeine Hand von uns
abzuziehen, und es nicht mehr ſo offenbar mit uns zu
halten.
Wie aber den wenigſten dieſe geheime Abſicht der
Societaͤt bekannt war, ſo gerieht gantz Londen in die
aͤuſſerſte Verwunderung, als es kund ward, daß
Mr. Makewind in die Societaͤt der Wiſſenſchafften
aufgenommen ſey. Man konnte ſich nicht darinn fin-
den, daß eine ſo beruͤhmte Geſellſchafft einen Men-
ſchen zu ihrem Mitgliede erwehlet, deſſen Schriften ih-
ren Abſichten ſo ſehr entgegen waren, uñ von welchem
ſie alſo, menſchlichem Anſehen nach, mehr Schande,
als Ehre zu erwarten hatte: Und wenn ich ihnen die
Verwirrung, die Beſtuͤrtzung, und den Lerm, ſo dieſer
unveꝛmuthtete Entſchluß der Societaͤt in dieſer Stadt
erregte, nach allen Umſtaͤnden beſchreiben wolte, ſo
muͤſte ich eine Beredſamkeit beſitzen, die mir fehlet. Jch
ſage nur ſo viel, Londen gerieht faſt in den Zuſtand, in
welchem ſich Egypten befand, als der Wuͤrge-Engel
ausgieng, die Erſt-Gebuhrt zu ſchlagen.
Lamentis, gemituque \& foemineo ululatu
Tecta fremunt, reſonat magnis plangoribus æther,
Non aliter, quam ſi immisſis ruat hoſtibus omnis.
Carthago, aut antiqua Tyros, flammæque furentes
Culmina perque hominum volvantur perque deorum.’
Dreyen der vornehmſten Frauen gieng es daruͤber
unrichtig. Vier ſaͤugende Muͤtter lieſſen, vor Be-
ſtuͤrtzung, ihre Kinder auf die Erde fallen, von denen
zwey auf der Stelle todt blieben, und zwey ſo viel
bekamen, daß ſie vermuthlich Zeit ihres Lebens ge-
brechlich bleiben werden. Ein gewiſſer Lord wolte,
wie
[83](o)
wie er hoͤrte, was ſich begeben hatte, die Achſeln zu-
cken, und ſiehe! die eine Schulter erſtarrete, und iſt
ſeit dem immer hoͤher geweſen, als die andere. Mr.
Phips, der ehedeſſen die Ehre vergebens geſuchet hat-
te, die dem Hn. Makewind ohne ſeine Bemuͤhung
wiederfahren war, machte es wie Ahitophel, und er-
hieng ſich aus Verzweiffelung, ſelbſt. Und, was das
erbaͤrmlichſte, ſo ſtarb die Mutter des Hn. Makewind
vor Freuden. Ein wunderbar Gemiſch von Beſtuͤr-
tzung und Freude beklemmte ihr muͤtterliches Hertze
dergeſtalt, daß ſie, indem ſie ihren Sohn aufs zaͤrt-
lichſte umarmete, und demſelben Gluͤck wuͤnſchen
wolte, eben wie jene Roͤmerin, die ihren Sohn, den
ſie todt geglaubet, aus der Schlacht wieder kommen
ſahe, in Ohnmacht fiel, niederſanck, und in den Ar-
men ihres geliebten Sohnes den Geiſt aufgab. Ru-
he ſanft, gluͤckſeliger Leib, der du einen ſo vortreflichen
Mann getragen haſt! Jch weiß, mein Herr, Sie
wuͤnſchen ihr mit mir:
Spirantesque crocos \& in urna perpetuum ver.’
Die Spoͤtter indeſſen waren nicht faul, ſich uͤber
dieſe unvermuthete Aufnahme des Herrn Makewind
luſtig zu machen. Der eine ſprengte aus, die Socie-
taͤt der Wiſſenſchaften haͤtte den Herrn Makewind
mit eben der Bedingung aufgenommen, unter wel-
cher ehedeſſen Sylla einem ſchlechten Poeten ſeine
Veꝛſe belohnet, das iſt, eꝛ habe eydlich angeloben muͤſ-
ſen, ferner nichts zu ſchreiben. Ein anderer ſprach:
Die Societaͤt waͤre uͤppig worden, und wolte durch
ſolche Mitglieder, als der Hr. Makewind, den Glantz
ihrer Schoͤnheit vermehren, wie das Frauenzimmer
F 2durch
[84](o)
durch die Schoͤnpflaͤſtergen. Ja der Hertzog von
N … war gar ſo arg, daß er zu dem Frantzoͤſiſchen
Geſandten, dem Grafen von B …, der ſich auch
uͤber das Verfahren der Societaͤt wunderte, auf
Frantzoͤſiſch ſagte: Pourquoi s’en étonner, Mon-
ſieur? Ne ſauez vous pas que la Societé eſt un
corps myſtiqve? II faut donc, qu’elle ait ſes par-
ties honteuſes.
Was mich und andere ehrliche Leute anlanget, ſo
waren wir aͤuſſerſt betruͤbt, daß man uns einer ſo groſ-
ſen Stuͤtze berauben wolte. Anfangs war dieſes
unſer Troſt, daß entweder der Herr Makewind die
ihm angebotene Ehre ausſchlagen, oder, wenn er ſie
annehme, vielleicht die gantze Societaͤt der Wiſſen-
ſchafften mit der Zeit auf unſere Seite ziehen wuͤrde:
Aber wie beſtuͤrtzten wir nicht, als derſelbe ein Danck-
ſagungs-Schreiben an die Societaͤt drucken ließ, in
welchem er bekannte, daß ſeine Schrifften bishero
nicht viel wehrt geweſen, und heilig angelobte, ſich zu
aͤndern, uñ ins kuͤnftige in allem nach dem Geſchmack
der Geſellſchafft zu richten. Dieſes Bekaͤnntniß,
dieſe Zuſage war ein Donnerſchlag in unſern Ohren;
wir ſahen nunmehro wohl, daß wir auf die Art von
dem Herrn Makewind weiter nichts gutes zu hoffen
haͤtten, und unſere Feinde konnten die Freude, welche
ſie daruͤber empfanden, daß ſie uns einen ſolchen
Mann abſpaͤnſtig gemacht, nicht bergen.
Doch dieſe Freude waͤhrete nicht lange, und mit
derſelben endigte ſich auch unſere Betruͤbniß.
Naturam expellas furca tamen usque recurret.
Mr. Makewind, der, durch die ihm unvermuhtet
angetragene Ehre geblendet, in der erſten Hitze ein ſo
unbe-
[85](o)
unbedachtſames Verſprechen gethan hatte, kam end-
lich wieder zu ſich ſelbſt. Das Gewiſſen wachte auf.
Er ſahe, wie ſehr er ſeine Bruͤder betruͤbet hatte. Er be-
reuete es, und ſchrieb, zu groſſem Troſte des betruͤbten
Haͤufleins der elenden Scribenten, ſolche Buͤcher,
daß man wohl ſehen kunte, daß alles, was er in ſeinem
Danckſagungs-Schreiben der Geſellſchafft Gutes
vorgeſagt hatte, nur Ehren-Worte geweſen, die ihm
nicht von Hertzen gegangen.
Der Societaͤt gefiel dieſes nicht: Doch ſchwieg
ſie Anfangs ſtille dazu. Sie hielte davor, man muͤ-
ſte mit Mr. Makewind, als einem jungen Menſchen,
Gedult haben. Die Beſſerung geſchehe nicht durch
einen Sprung: Er wuͤrde noch wohl werden. Al-
lein dieſe Hoffnung ſchlug fehl. Mr. Makewind
legte das Stillſchweigen der Societaͤt ſo aus, als
wenn ſie ſeine Auffuͤhrung billigte. Er wagte es
demnach, und trat voͤllig wieder auf unſere Seite. Er
gab Schrifften ans Licht, die, eben wie die vorigen
voller Bombaſt, und Uebertretungen der Geſetze der
Sprach-Kunſt waren. Jn ſeinen Gedichten war
der Reim das Haupt-Werck, und die Vernunfft er-
ſchrecklich gemißhandelt. Sie koͤnnen leicht geden-
cken, wie ſehr uns dieſes erfreuet, und wie hergegen un-
ſere Feinde, und das Haupt derſelben, ich meine die
Societaͤt der Wiſſenſchafften, ſich geaͤrgert habe, als
ſie geſehen, daß ihr liſtiger Anſchlag zu ihrem eigenen
Schaden ausgeſchlagen. Und gewiß, die Societaͤt
war uͤbel daran: Solte ſie ein, nach ihrer Meynung,
unwuͤrdiges Mitglied auf eine gewaltſame Art von
ihren Coͤrper abſondern; ſo muſte ſie ihre eigene Un-
vorſichtigkeit im waͤhlen bekennen, und die Rache, ei-
F 3nes
[86](o)
nes ihr ehedeſſen ſo gefaͤhrlichen Mannes, befuͤrchten.
Solte ſie ferner zu der Auffuͤhrung des Hn. Make-
wind ſtille ſchweigen, ſo war zu beſorgen, man moͤgte
dencken, ſie billige alles, was er vornehme. Und in
der That fanden ſich Leute, die dieſes ausſprengeten,
und die Societaͤt kam dadurch in einen Ruf, den ſie
ſich nicht vor ruͤhmlich hielt. Es vergieng ihr demnach
die Gedult, und ſie machte den unerhoͤrten Schluß,
den Hn. Makewind, als ein faules Gliedmaß, von
ihrem Coͤrper zu trennen. Er ward alſo foͤrmlich
ausgeſtoſſen, und ſein Nahme in dem Regiſter der
Glieder der Societaͤt ausgeloͤſchet.
Sehen Sie, mein Herr, ſo ſpringet man hier mit
ehrlichen Leuten um. Wolten Sie es mir alſo wohl
rathen, daß ich einen Platz in einer Geſellſchafft ſu-
chen ſolte, der man es ſo wenig zu Danck machen kan,
daß auch Mr. Makewind in ihre Ungnade gefallen?
Jch habe Jhnen die Hiſtorie dieſes geſchickten Kopfes
etwas umſtaͤndlich erzehlet, damit Sie die Verdienſte
deſſelben, und den Eigenſinn der Societaͤt, welcher
auch ein ſolcher Mann nicht gut genug geweſen iſt, de-
ſto beſſer erkennen moͤgen. Sie werden, hoffe ich, aus
dem, was ich bisher geſchrieben habe, zur Gnuͤge erſe-
hen, daß meine Klagen uͤber den bedraͤngten Zuſtand
der Gelehrten meiner Art, nicht ungegruͤndet ſind,
und daß wir Urſache haben, bey auswaͤrtigen Natio-
nen, und entlegenen Voͤlckern, den wohlverdienten
Ruhm zu ſuchen, welchen uns unſer Vaterland ſo
halsſtarrig verweigert.
Sagen Sie mir, iſt es nicht was unerhoͤrtes, ſo
mit
[87](o)
mit einem Manne zu verfahren, der von ſo groſſen
Verdienſten iſt, als der Hr. Makewind? Mit einem
Manne, dem, auch nach dem Zeugniß ſeiner Feinde,
unſere gantze Nation unendlich verbunden iſt? Jch
habe gar offt gehoͤret, daß man geſagt hat, die Schrif-
ten des Hn. Makewind bewegten die Leſer zum Mit-
leiden und Lachen. Mich deucht, ein Scribent, der
dieſe zwo Gemuͤths-Bewegungen bey einer Nation
erregen kan, die, ihrer Schwermuͤthigkeit und Grau-
ſamkeit wegen, ſo ruͤchtig iſt, verdienet die Ehrerbie-
tung eines gantzen Volcks, und eine oͤffentliche
Belohnung.
Allein ſtatt dieſer Belohnung hat man dem Herrn
Makewind den empfindlichſten Schimpff angethan.
Sie koͤnnen leicht erachten, wie ſehr den ehrlichen
Mann dieſes ſchmertzen muͤſſe. Er war Anfangs
untroͤſtbar, und flohe alle menſchliche Geſellſchaft.
Ja er hatte ſo boͤſe Stunden, daß man beſorgte, er
moͤchte gar von Sinnen kommen; und es fehlte nicht
viel, ſo waͤre er ſeinem Vater, der vor Kummer uͤber
den Unfall ſeines Sohnes, wie die Mutter vor Freu-
den uͤber deſſen Gluͤck, ploͤtzlich geſtorben iſt, in
die Ewigkeit gefolget.
Noch lebet er: und faͤngt an, ſich in ſein Un-
gluͤck zu finden. Er thut wohl daran: Und mich
deucht, ich thue auch nicht uͤbel, wenn ich mich an
ſeinem Exempel ſpiegle, und nicht ferner vergebliche
Muͤhe anwende, meinen eigenſinnigen und undanck-
baren Landes-Leuten zu gefallen. Wollen ſie mei-
F 4ne
[88](o)
ne Verdienſte nicht erkennen, ſo koͤnnen ſie es
bleiben laſſen. Jch habe gethan, was ein ehrlie-
bender Scribent thun kan: Da alle meine Arbeit
vergebens iſt, ſo ſchuͤttele ich den Staub von mei-
nen Fuͤſſen, und gehe von nun an rein zu den Sa-
mojeden.
Nehmen Sie mich auf, mein Herr, und glauben,
daß ich des Beyfalls einer ſo politen Nation, als die
Jhrige iſt, nicht unwuͤrdig bin. Jch werde gewiß
Jhre Geſellſchafft nicht verunzieren. Dieſer Brief,
den ich Jhnen ſchreibe, wird Sie von meiner Ge-
ſchicklichkeit uͤberfuͤhren, und die Wuͤrckung haben,
die ich wuͤnſche.
O wie werden meine Lands-Leute grißgrammen,
wenn ich mich hinfort Societatis Scientiarum Ar-
cticæ, quæ Bereſovæ eſt, Socium nennen werde!
Es wird ihnen dieſes durch die Seele gehen. Aber
wer kan ihnen helffen? Sie haben es um mich, und
alle Scribenten meiner Art wohl verdienet, daß ich
ihnen dieſen Verdruß mache. Sie haſſen uns, und
ich bin verſichert, ſie wuͤnſchen, daß uns der Teufel
alle nach Nova Zembla fuͤhrte. Aber ſie wiſſen
nicht was ſie bitten. Sie ſolten uns wohl miſſen,
wenn wir nicht mehr vorhanden. Denn waͤren
wir nicht, womit wolten ſie wohl ihre Zeit hinbrin-
gen? Wo wolten ſie wohl etwas zu lachen und zu
ſpotten finden? Wo wolten ſie wohl mit ihren
ſinnreichen Einfaͤllen hin? Jch ſehe es nicht ab:
und mache dahero den Schluß, daß wir einem Lan-
de unentbehrlich ſind. Abermahl ein Beweiß unſerer
Vor-
[89](o)
Vortreflichkeit, welchen ich Sie, nicht aus der Acht
zu laſſen, bitte, und welchen ich mit leichter Muͤhe
noch weiter ausfuͤhren koͤnte.
Vela traham, \& terris feſtinem advertere pro-
ram.’
Jch will mir aber vorbehalten, dieſe bishero noch
nicht erkannte Nothwendigkeit und Vortteff-
lichkeit der elenden Scribenten, in einer eigenen
Schrifft, ſo gruͤndlich zu behaupten, daß, wofern noch
ein Fuͤnckgen Redlichkeit in unſern Feinden iſt, dieſe
Ungluͤckſelige hoffentlich in ſich gehen, und aufhoͤren
werden, uns ferner zu kraͤncken.
Jch nehme mir die Freyheit, Jhnen einige Sel-
tenheiten zu uͤberſenden, die ich neulich mit einem
Schiffe aus Groͤnland erhalten habe. Sie beſtehen in
einem Schach-Spiel von Eis, welches von der ſpie-
lenden Natur ſo gebildet worden, in einigen ſeltenen
Voͤgeln, und in einer gewiſſen gelblichten Materie,
welche von demjenigen, der mich damit beſchencket
hat, vor einen ſchwefelichten Auswurff des Berges
Hekla ausgegeben, von andern aber vor den Auswurf
eines groͤnlaͤndiſchen oder ißlaͤndiſchen Bauren ge-
halten wird. Jch uͤberlaſſe es Jhnen, zu unterſu-
chen, wer recht hat: Und geſtehe gerne, daß ich in
ſolchen Sachen unerfahren bin. Es ſey, was es wolle:
ſo iſt es doch eine Raritaͤt.
Der Herr Makewind, der eben bey mir iſt, em-
F 5pfiehlt
[90](o)
pfiehlt ſich Jhnen beſtens, und wird ſich eheſtens
die Freyheit nehmen, ſelbſt an Sie zu ſchreiben.
Waͤre es nicht moͤglich, daß Sie dieſem ehrlichen
Manne, dem es unertraͤglich iſt, nach dem Un-
gluͤck, ſo er gehabt hat, in ſeinem Vaterlande zu
leben, bey Jhnen eine anſtaͤndige Bedienung ver-
ſchaffen koͤnnten? Dencken Sie darauf, mein
Herr, ich bitte Sie. Der Herr Makewind ver-
dienet es. Sie duͤrfen nicht befuͤrchten, daß es
ihm bey Jhnen zu kalt ſeyn werde. Er iſt ein
Poet; und der Microcoſmus eines Dichters hat
ein ſo ſtarckes Central-Feuer, daß er eben der
Sonne nicht bedarf. Mr. Makewind wuͤrde al-
ſo in Nova Zembla noch ſchwitzen.
Haben Sie die Guͤte, und beehren mich, ſo bald
es geſchehen kan, mit einer Antwort; Sie werden
mich dadurch ungemein erfreuen.
Jch habe die Ehre, mit aller erſinnlichen Hoch-
achtung zu ſeyn,
den ½ \frac{8}{9} Mertz,
1732.
Mein Herr,
DERO ergebenſter Diener,
R. Clifton.
[[91]]
III.
Der ſich ſelbſt entdeckende
X. Y. Z,
Oder
L_c_s H_rm_n B_ckm_rs
Rev. Miniſt. Candid.
Aufrichtige
Anzeige, der Urſachen,
die ihn bewogen,
die Geſchichte von der Zerſtoͤrung der
Stadt Jeruſalem
mit kurtzen Anmerckungen zu erlaͤutern,
und dieſe Anmerckungen unter einen fal-
ſchen Nahmen ans Licht zu ſtellen,
zur Beruhigung und Troſt
des (S. T.)
Herrn Mag. Sievers,
imgleichen
zu Rettung der Unſchuld ſeiner Abſichten
wider allerhand ungleiche Urtheile und
Deutungen zum Druck befoͤrdert.
Leipzig, 1733.
Qvel tort lui fais-je enfin? ai-je par un
écrit
Petrifié ſa veine, \& glacé ſon eſprit?’
[[93]]
Vorrede des Verlegers.
Es iſt nunmehro ungefehr ein halb
Jahr, daß mir gegenwaͤrtiges
MSt. zu Haͤnden kam, und ich bin
verſichert, der geneigte Leſer werde es
mir ſchlechten Danck wiſſen, daß ich ihm
eine Schrift, die unſtreitig, wo er nicht
gar zu murriſch iſt, viel zu ſeiner Beluſti-
gung beytragen wird, ſo lange vorent-
halten habe. Doch hoffe ich, wegen dieſer
Verzoͤgerung leicht Vergebung zu erhal-
ten, wenn ich ſage, daß ich nimmer die Her-
ausgabe meines MSt. ſo lange wuͤrde aufge-
ſchoben haben, wenn ich nur verſichert
geweſen waͤre, daß es dem Verfaſſer deſ-
ſelben nicht entgegen ſeyn wuͤrde, ſeine
Arbeit ohne ſein Vorwiſſen in oͤffentli-
chem Druck erſcheinen zu ſehen.
Leute meiner Art ſind zwar wegen
ihres engen Gewiſſens in dieſem Falle
nicht ſonderlich beruͤhmt: Allein, was
man auch von dem Eigennutz der Buch-
haͤndler ſagt, ſo kan ich doch verſichern,
daß ich bedencken getragen habe, einem
Scri-
[94](o)
Scribenten durch die Gemeinmachung ei-
ner Schrift Verdruß zu machen, die er viel-
leicht nur zu ſeinem Zeitvertreib verferti-
get hat, und mir alſo alle Muͤhe von der
Welt gegeben, den wahren Uhrheber des
ſich ſelbſt entdeckendenX. Y. Z. ken-
nen zu lernen, um von ihm ſowohl die
Einwilligung zu der Herausgebung ſei-
ner Schrift, als auch eine Erklaͤrung ei-
niger darin vorkommenden dunckeln, und
verderbten Stellen, zu erlangen.
Allein alle meine Bemuͤhung iſt ver-
geblich geweſen. Derjenige, von dem ich
das MSt. erhandelt habe, verſicherte mich
zwar, daß der X. Y. Z. ſelbſt Verfaſ-
ſer deſſelben ſey, und dieſe Satyre zu kei-
nem andern Ende geſchrieben habe, als um
ſich theils an dem Hn. M. Sievers we-
gen einiger in der erſten Wuth gegen ihn
ausgeſtoſſenen harten Reden zu raͤchen,
und theils einigen elenden Troͤpfen, und
ſcheinheiligen Heuchlern, die ſeine An-
merckungen uͤber die Hiſtorie von der
Zerſtoͤhrung der Stadt Jeruſalem vor
ein Paſqvill ausgeruffen, und ihn ei-
nes Mißbrauchs der Schrift beſchuldi-
get haͤtten, ihre Unwiſſenheit, und Thor-
heit vorzuſtellen. Um mich hievon zu
uͤber-
[95](o)
uͤberzeugen, berief er ſich auf die Gleich-
heit der Schreib-Art: Aber durch alles,
was er mir vorſagte, ward ich nicht kluͤ-
ger, weil er mir nicht ſagen konnte, wer
denn eigentlich der X. Y. Z. ſey.
Jch ſchrieb dahero an einen beruͤhm-
ten Mann in Luͤbeck, und erſuchte ihn,
mir zu melden, wer denn eigentlich der
X. Y. Z. und wo er anzutreffen ſey?
Seine Antwort war: „Es ſey ihm
„unmoͤglich, mein Verlangen zu er-
„fuͤllen. Weil er ſelbſt nicht vor ge-
„wiß ſagen koͤnnte, wer die Anmerckun-
„gen uͤber die Hiſtorie von der Zerſtoͤh-
„rung der Stadt Jeruſalem gemacht
„habe. Man habe zwar anfangs ei-
„nen gewiſſen Mann in Luͤbeck dieſer-
„wegen in Verdacht gehabt: Allein,
„da der Herr M. Sievers oͤffentlich ge-
„ſaget habe, und noch beſtaͤndig behaup-
„te, daß dieſer Mann ein elender
„Stuͤmper, und der duͤmmſte Jgno-
„rant ſey, ſo falle dieſer Verdacht von
„ſelbſt weg. Uberdem achte dieſer
„Mann den Herrn M. Sievers ſo we-
„nig, daß er nur daruͤber lachte, wenn
„er hoͤrte, was derſelbe von ihm ur-
„theile; Und ſey es alſo nicht wahr-
„ſcheinlich,
[96](o)
„ſcheinlich, daß er ſich einen Gegner wuͤr-
„de auserleſen haben, an dem, ſeiner
„Meynung nach, ſo wenig Ehre zu erja-
„gen, oder daß er, wenn er ja einmahl
„habe verſuchen wollen, einen ſtoltzen
„Juͤngling zur Erkaͤntniß ſeines Elendes
„zu bringen, ſich weiter mit einem Men-
„ſchen abgeben werde, an dem alle Hof-
„nung verlohren, u. ſ. w.
Da ich nun auch in dieſer Antwort
ſo wenig Troſt fand, verzweiffelte ich,
und ließ alle Hoffnung, den wahren
X. Y. Z. jemahlen kennen zu lernen,
gaͤntzlich fahren. Es haben ſich zwar
nach der Zeit viele gefunden, die mir
bald dieſen, bald jenen, als den rechten
Uhrheber der Anmerckungen uͤber die Hi-
ſtorie von der Zerſtoͤrung der Stadt Je-
ruſalem genennet haben: Allein ich habe
mich an dieſe Nachrichten ſo wenig ge-
kehret, als an das Vorgeben desjenigen,
der mir neulich, als ein ſonderbahres Ge-
heimniß offenbahrte, daß nicht der X. Y.
Z. ſondern ſein Bruder der noch ein aͤr-
gerer Spoͤtter ſey, das MSt. ſo ich jetzo der
Welt vor Augen lege: verfertiget habe.
Es kan mir endlich gleich viel gelten,
wer der X. Y. Z. und ſein Vertheidiger
ſey.
[97](o)
ſey. Jch bin zufrieden, daß ich der Welt eine Schrift
mittheilen kan, die ihr nothwendig gefallen, und mir
denjenigen Vortheil bringen muß, den ich mir ſicher
verſprechen kan, wenn ich den guten Abgang der Sa-
tyre anſehe, auf welche ſie ſich beziehet.
Der Verfaſſer derſelben wird es indeſſen nicht
uͤbel nehmen, daß ich ſeine Arbeit wider ſein Wiſſen
und Willen herausgebe. Jch kenne ihn nicht, und
er kan es mir unmoͤglich verdencken, daß ich meinen
Vortheil und die Ehre, etwas zum Vergnuͤgen
der klugen Welt beygetragen zu haben, allen andern
Betrachtungen vorziehe.
Nur bedaure ich, daß ich nicht im Stande bin, die
Luͤcken meines MSt. auszufuͤllen, und dieſes um ſo
viel mehr, weil, ſoviel ich urtheilen kan, in der einen
der verdorbenen Stellen die Tumheit derjenigen, die
eine Satyre vor ein Paſqvill anſehen, und in der an-
dern die alberne Scheinheiligkeit eines gewiſſen
Suͤnders, der ſich an einigen bibliſchen Redens-
Arten geſtoſſen hatte, ſo lebhaft abgebildet geweſen,
daß man es unſtreitig mit Luſt wuͤrde geleſen haben.
Jndeſſen liefere ich gegenwaͤrtige Schrift, ſo, wie
ich ſie bekommen, ohne die geringſte Verfaͤlſchung.
Mehr kan ich nicht, und hofe der Leſer wird mit
mir zu frieden ſeyn, und mir beſtaͤndig gewogen
verbleiben.
den 24. Sept.
1733.
GVor-
[98](o)
Vorbericht.
Gar nachdenckliche Worte ſind es, geneig-
ter und andaͤchtiger Leſer, die wir bey
dem groſſen roͤmiſchen Redner Cicero
leſen, wenn es heiſt: Negligere qvid de ſe qvis-
qve ſentiat, non ſolum arrogantis eſt, ſed etiam
hominis omnino diſſoluti. „Nicht achten, was
die Leute von einem ſagen, zeigt nicht nur einen
Hochmuth, ſondern auch eine groſſe Liederlichkeit
an.
Es will der vortrefliche Tullius hiemit ſo viel
ſagen, daß man ſich beſtreben muͤſſe, einen guten
Nahmen zu haben. Negligere, ſpricht er, qvid
de ſe qvisqve ſentiat, non ſolum arrogantis eſt,
ſed etiam hominis omnino diſſoluti. Man muß
nicht meynen, daß dieſer groſſe Mann durch dieſe
guͤldenen Worte die Menſchen zu einem thoͤrigten
Ehrgeitz verleiten wolle; ſeine Abſicht iſt nur, die-
ſelbe zu bereden, es ſey nicht gleich viel, was die
Welt von uns dencke.
Das Wort, das im Grunde liegt, iſt von gar
beſonderm Nachdruck. Es heiſt: Negligere qvid
de ſe qvisqve ſentiat. Qvisqve heiſt einjeder, alle
Menſchen ohne Ausnahme. Er will demnach ſo
viel ſagen, daß man nicht aller Menſchen Ur-
theil verachten muͤſſe. Non - omnium hominum.
Welches eben ſoviel geſagt iſt, als, man muͤſſe
einiger Menſchen Urtheil nicht verachten; nach
dem bekannten
qvaſi nullus.’
Jeder-
[99](o)
Jederman weiß, daß die Menſchen nicht alle einer
Art ſind. Einige ſind klug und tugendhaft, andere
aber dumm und boͤſe. Ein ehrlicher Mann kehrt
ſich wenig daran, was dieſe letzten von ihm ſa-
gen oder dencken. Er verlanget nicht von ihnen
gelobet zu ſeyn, und achtet es nicht, wenn ſie ihn
laͤſtern. Er ſpricht:
probet oſor.’
Aber der Beyfall kluger und tugendhafter Per-
ſonen iſt eine Sache, die er eyferig ſuchet. Es
iſt ihm nicht gleichviel, was ſolche Leute von ihm
ſagen, und ſo wenig er darnach fraͤgt, was die
dumme Welt von ihm urtheilet, ſo ſehr erquicket
ihn das Lob, ſo ihm die Klugen beylegen. Er iſt
geſinnet, wie der Hector beym Naͤvius. Lætus
ſum, ſpricht er, laudari me abs te, pater, lau-
dato viro. Denn ea profecto jucunda laus, qvæ
ab iis proficiſcitur, qvi ipſi in laude vixerunt.
Zu reden mit dem Cicerone Lib. XV. ep. 6.
Jſt es nun einem gelehrten Mann angenehm,
von rechtſchaffenen Leuten gelobet zu werden, ſo
ſo iſt es ihm hergegen ein empfindliches Creutz,
wenn ſolche Perſonen ungleiche Gedancken von
ihm haben. Jch rede aus der Erfahrung, geneig-
ter Leſer, und habe ſeit einigen Monathen mit
Verdruß empfunden, was die widrigen Urtheile,
ſolcher Leute, denen wir zu gefallen ſuchen, einem
Menſchen vor Kummer verurſachen, den ſein Ge-
wiſſen uͤberzeuget, daß er dieſelben nicht verdiene.
Der Chriſtliche Leſer weiß, daß vor nicht lan-
ger Zeit eine kleine Schrift zum Vorſchein gekom-
G 2men
[100](o)
men iſt, in welcher die Geſchichte von der Zerſtoͤh-
rung der Stadt Jeruſalem mit Anmerckun-
gen erlaͤutert worden. Der Urheber dieſer Schrift
nennet ſich X. Y. Z. und giebt ſich auf dem Titel
vor einen Nachahmer des Hn. M. Sievers aus.
Der Ruhm welchen ſich dieſer gelehrte Mann durch
ſeine vielen und herrlichen Schriften erworben hat,
hat gemacht, daß die Anmerckungen des X. Y. Z.
weil ſie nach dem Geſchmack des Hn. M. Sievers
geſchrieben, begierig geleſen worden, und jeder-
man iſt ſo billig geweſen, daß er dem Verfaſſer die
Ehre, ein wahrer Nachfolger des Hn. M. Sie-
vers zu heiſſen, nicht ſtreitig gemacht bat. Allein,
gleichwie groſſe Verdienſte gar ſelten unbeneidet zu
ſeyn pflegen, ſo haben ſich auch Leute gefunden, die,
aus einem heimlichen Widerwillen gegen den
Hn. M. Sievers, die Anmerckungen uͤber die Ge-
ſchichte von der Zerſtoͤhrung der Stadt Jeruſalem
vor eine ſatyriſche Schrift ausgegeben, und ohne
Scheu behauptet haben, der Verfaſſer derſelben
ſuche die vortreflichen Anmerckungen uͤber die Paßi-
on, die der Hr. M. Sievers ans Licht geſtellet hat,
laͤcherlich zu machen. Man hat faſt aus einem je-
den Worte dieſer Schrift einen, ich weiß nicht
wie tiefen, myſtiſchen Verſtand gezogen; Ja eini-
ge ſind gar ſo unverſchaͤmt geweſen, daß ſie die
gantze Schrift vor ein Pasqvill geſcholten haben.
Der Hr. M. Sievers ſelbſt iſt durch die gemeine
Sage verfuͤhret worden, zu glauben, daß der ſoge-
nannte X. Y. Z. ein haͤmiſcher Spoͤtter ſey, der ſich
auf ſeine Unkoſten luſtig machen wolle, und hat
ſich alle Muͤhe gegeben, zu entdecken, wer denn ei-
gentlich
[101](o)
gentlich dieſer X. Y. Z. ſey, mit der angehaͤngten
Drohung, denſelben, wenn er es nur wuͤſte, nach
Verdienſte zu zuͤchtigen.
Jch bin der X. Y. Z. und gebe demnach dem
geneigten Leſer zu bedencken, wie nahe es mir muͤſ-
ſe gegangen ſeyn, daß ſo viel kluge Leute, und un-
ter denſelben der Hr. M Sievers, ein Mann, vor
welchen ich eine beſondere Hochachtung hege, mir,
ich weis nicht was vor boͤſe Abſichten beygeleget.
Jch muͤſte gantz unempfindlich ſeyn, wenn ich zu
ſolchen Beſchuldigungen ſtill ſchwiege, und nicht,
nach allem Vermoͤgen, meine Unſchuld, die an ſich
zwar offenbahr genug iſt, zu retten ſuchte. Ein Spoͤt-
ter, ein Pasqvillant ſind Ehren-Titel, vor welche
ich mich ſehr bedancke, und die einem Menſchen
von meiner Profeßion gar nicht anſtehen. Es erfor-
dert demnach die Liebe, die ich mir ſelbſt ſchuldig bin,
daß ich zur Rettung meiner Ehre, die Feder ergrei-
fe, und denenjenigen, die von mir ſo ungleiche Ge-
dancken hegen, ihren falſchen Wahn, wo moͤglich,
benehme.
Jch bin um ſoviel mehr gezwungen, dieſes zu
thun, weil mir ſchon von meinen Patronen, denen
ich meine Schrift noch ungedruckt gezeiget habe,
nicht undeutlich zu verſtehn gegeben worden, ſie
machten ſich ein Gewiſſen, einen Menſchen von ſo
boßhaftem Gemuͤthe, als ich ſeyn muͤſte, wenn ich
die Abſichten gehabt haͤtte, die man mir beymiſſet,
zu einem Geiſtlichen Amt zu befordern. Jch geſte-
he, dieſe Erklaͤrung meiner Goͤnner hat mir manche
unruhige Nacht gemacht, und bin ich oft auf die
verzweifelten Gedancken gefallen, eine andere
Handthierung zu ergreifen.
Die
[102](o)
Die Medicin gefiel mir vor allen andern; Denn
dieſes iſt, nach der Meynung eines gewiſſen Fran-
tzoͤſiſchen Printzen, eine Kunſt, in der man ohne
Gefahr ein Stuͤmper ſeyn kan; C’ eſt un art, où
I’on peut étre impunement ignorant: Aber
die Zaͤrtlichkeit meines Gewiſſens, und die
Furcht, mich zu verſuͤndigen, wenn ich meine Hand
vom Pflug zoͤge, iſt Urſache, daß ich dieſe boͤſe
Gedancken fahren laſſe, und mich entſchloſſen ha-
ben, erſt zu verſuchen, ob ich nicht, durch eine kla-
re Darthuung meiner Unſchuld, die uͤble Meynung,
die man von mir hat, umſtoſſen koͤnne.
Jch weiß nicht, ob ich hoffen kan, meinen Zweck
bey dem groͤſſeſten Hauffen zu erreichen; das weiß
ich aber gewiß, daß der Hr. M. Sievers, wenn
er nur die Guͤte haben will, meine Entſchuldigun-
gen zu leſen, mich voͤllig losſprechen wird. Erlan-
ge ich dieſes, ſo bin ich zu frieden; ſo bin ich der
Gunſt meiner Befoͤrderer verſichert, und werde
mich uͤber dem gluͤcklich ſchaͤtzen, etwas zu der
Beruhigung des Hr. Mag. Sievers
beygetragen zu haben.
Qvi-
[103](o)
interpres.’
Der Zweck, den ich mir in dieſer Schrift
vorgeſetzet habe, iſt, die Unſchuld meiner
Abſichten, wider die ungleichen Urtheile
zu retten; die von meinen Anmerckungen uͤber die
Geſchichte von der Zerſtoͤhrung der Stadt Je-
ruſalem gefaͤllet worden ſind. Jch werde mich
bemuͤhen, dieſes auf eine ſo gruͤndliche Art zu thun,
daß alle Unpartheyiſche mit Haͤnden greiffen moͤ-
gen, wie ſehr mir zu nahe geſchehen ſey.
Um alle Verwirrung zu vermeiden, theile ich
meine unbilligen Richter in drey Claſſen. Zu der
erſten rechne ich diejenigen, welche meine Schrift
vor ein Pasquill ausgeben: Zu der andern dieje-
nigen, welche behauptet haben, meine Abſicht ſey
geweſen, des Hn. Mag. Sievers zu ſpotten, und
zu der dritten diejenigen, welche, ohne von meinen
Achſichten zu urtheilen, eines und das andere an
meinen Anmerckungen auszuſetzen gefunden haben.
Diejenigen, welche meine Schrifft vor ein Pas-
quill ausgerufen haben, verdienen zwar nicht, daß
ich ihrer erwehne. Jhre Unbilligkeit und Einfalt
faͤllt ſo ſehr in die Sinne, daß ich nicht noͤthig ha-
be, mich gegen ſie zu vertheidigen: Und mich
deucht, ich erweiſe ihnen ſchon zu viel Ehre, daß
ich ihrer Meldung thue. Sie duͤrffen alſo nicht be-
ſorgen, daß ich ſie ſo abfertigen werde, wie ſie es ver-
dienen. Jch habe aber ihre Laͤſterung nur darum
nicht mit Stillſchweigen uͤbergehen wollen, damit
G 4ich
[104](o)
ich Gelegenheit haben moͤchte, ihnen aus Chriſtli-
cher Liebe, die wohlgemeynte Erinnerung zu geben,
daß es ihrer Ehre ſehr zutraͤglich ſeyn wuͤrde, wenn
ſie belieben wolten, ſich auf einander mahl nicht ſo
zu uͤbereilen, und eine Schrifft nicht eher vor ein
Pasquill auszugeben, als bis ſie gelernet haben,
was eigentlich dieſes Wort vor eine Bedeu-
tung haben. Jn Poſtillen und in ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒ ‒ deſunt non nulla ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒. Dieſes
iſt es, was ich ihnen zu ſagen habe. Wofern ſie
klug ſind, werden ſie meinen Rath folgen, und
ſich nicht durch ferneres Laͤſtern des Glimpfs un-
wuͤrdig machen, den ich jetzo, in Betracht ihrer
Unwiſſenheit gegen ſie gebrauche.
Jch wende mich zu denen, die meine Schrift vor
ſatyriſch angeſehen haben. Deren iſt nun eine groſſe
Menge, und viele ſind darunter, denen ich, ihres
Standes und ihrer Verdienſte wegen, eine beſon-
dere Ehrerbietung ſchuldig bin. Es iſt mir dem-
nach ſehr leyd, daß ich mich genoͤthiget ſehe, ihnen
zu ſagen, daß ihre Gedancken von der Abſicht mei-
ner Anmerckungen uͤber die Geſchichte von der Zer-
ſtoͤhrung der Stadt Jeruſalem, gantz und gar
irrig ſind.
Es wird ſchwer halten, daß ich ihnen dieſes be-
greiflich mache. Denn die falſche Einbildung, daß
ich ein Spoͤtter ſey, hat in den Gemuͤthern derer,
die meine Schrift geleſen haben, ſo tiefe Wurtzel
geſchlagen, daß ich glaube, die meiſten ſchwuͤren
einen Eyd, daß ſie recht haben. Jch muß mich
wundern, wie ſo viele kluge Leute auf eine ſo we-
nig wahrſcheinliche Meynung verfallen koͤnnen, und
kan,
[105](o)
kan, wie viel ich auch darauf gedacht habe, nicht
ergruͤnden, was ihnen Anlaß gegeben, meine un-
ſchuldigen Worte ſo uͤbel auszulegen.
Sie thun mir gewiß zu viel Ehre, wenn ſie
glauben, daß ich geſchickt ſey, eine Satyre zu
ſchreiben, und beleidigen mich, wenn ſie ſich ein-
bilden, daß ich Luſt habe durch eine ſo unchriſtli-
che Schreib-Art mein Gewiſſen zu beflecken. Jch
bin mit allem, was in der Welt vorgehet, ſehr
wohl zu frieden, und mehr geneigt jedermann zu
loben, als zu tadeln.
alba,
„Nil moror. Euge! omnes bené miræ eritis res.
Perſius Sat. I.’
Jn Anſehung der Schriften, die heraus kom-
men, bin ich uͤberdem von Natur ſo wenig lecker,
als jemand in der Welt, und die Buͤcher, die ich
nothwendig leſen muß, ſind ſo beſchafen, daß
mein Geſchmack unmoͤglich dadurch verwehnet
werden kan. Durch dieſe taͤgliche Koſt iſt mein
Gaumen ſo ausgehaͤrtet, daß ich alles, was ge-
druckt iſt, ohne Eckel leſen kan, und es mir gleich
viel iſt, ob ich eine Hiſtorie in meinem Almanach,
oder ob ich in der Europaͤiſchen Fama leſe. Und
wenn ich auch gleich von Natur zur Spoͤtterey ge-
neigt waͤre, ſo wuͤrde mich doch meine natuͤrliche
Bloͤdigkeit abhalten, meinem Triebe zu folgen,
und mir ohne Noth Feinde zu machen. Jch weiß
wohl, wie gefaͤhrlich es iſt, Satyren zu ſchreiben:
medire’
G 5„A
[106](o)
fatal.
„Le mal qu’ on dit d’ autrui ne produit que
du mal.
Boileau Sat. VII.’
Jedermann haſſet den, der dieſes Handwerck
treibt, und flieht ihn, als ein gefaͤhrliches Thier.
Man ſpricht:
modo riſum
„Excutiat ſibi non hic cuiqvam parcetamico.
Horat. Lib. I. Sat. 4.’
Es iſt wahr, man lacht uͤber die Einfaͤlle eines
ſolchen Menſchen. Man lobet ihn, wenn er es
gut gemacht hat. So bringt es der verderbte Lauf
der Welt mit ſich! Aber auch diejenigen, die an
ſeinen Spoͤttereyen einen Gefallen haben, und ſich
uͤber den Unfall ihres armen Nechſten ergetzen, wi-
der welchen dieſelbe gerichtet ſind, haſſen denjeni-
gen in ihrem Hertzen, der ihnen dieſe Luſt machet.
Boileau wuſte es wohl, darum ſchreibt er am an-
gefuͤhrten Ort:
„Qu’on blâme en le liſant, \& pourtant qu’
on veut lire
„Dans ſes plaiſans accés qui ſe croit tout
permis,
„De ſes propres rieurs ſe fait des ennemis.’
Jch glaube wohl, es giebt ſo wunderliche Ge-
muͤther, die ſich durch die Hoffnung des eiteln Lobes,
welches ein luſtiger Einfall ſeinem Urheber zu Wege
zu bringen pfleget, ſo ſehr blenden laſſen, daß ſie die
Gefahr,
[107](o)
Gefahr, welche damit verknuͤpfet iſt, verachten.
Sie haben ihren Willen: Aber ich vor meine Per-
ſon bekenne aufrichtig, daß ich ſo nicht geſinnet bin.
Jch bin nicht eitler Ehre geitzig, noch weniger von
denen, welche
d’ eux.
Regnier Sat. II.’
Jch laſſe einen jeden in ſeinen Wuͤrden; So
bleibe ich auch wer ich bin. Jch kehre vor meiner
eigenen Thuͤr, und wuͤnſche von Hertzen, daß ein
jeder ſo waͤre, wie ich. Dieſes ſind meine wenigen
Gedancken von dem unchriſtlichen und gefaͤhrlichen
Handwercke der Spoͤtter, unter welche man mich,
ohne mein Verſchulden, zehlen will. Jch bitte alle
diejenigen, welche dieſes thun, das, was ich hier
ſchreibe, reiflich zu erwegen, ſo werden ſie, wie ich
hoffe, befinden, wie unwahrſcheinlich es ſey, daß
ich meiner Erkaͤnntniß ſo ſehr habe entgegen handeln
wollen. Jch weiß, die Herren, mit denen ich hier
zu thun habe, ſind ſo guͤtig geweſen, daß ſie von
der Faͤhigkeit meines Verſtandes eben kein ſchlim-
mes Urtheil gefaͤllet haben. Wenn ſie demnach auch
glauben, daß die Boßheit meines Willens die Er-
kaͤnntniß meines Verſtandes habe uͤberwiegen koͤn-
nen, ſo werden ſie mir doch die Einfalt nicht zutrau-
en, daß ich mich an den Herrn Mag. Sievers wuͤr-
de gewaget haben.
Dieſer geſchickte Kopf hat ſchon gewieſen, daß
er ein Meiſter in der feinen Satyre ſey. Jch will
ſeines Satyriſchen Patrioten nicht erwehnen, ob-
gleich dieſe Blaͤtter alles, was Rom, Griechenland,
und
[108](o)
und alle andere Laͤnder in dieſer Schreib-Art gutes
aufzuweiſen haben, weit uͤbertreffen. Nur bitte ich
meine Leſer, ſich der vortreflichen Gedaͤchtniß-
Muͤntzen zu erinnern, die der Hr. M. Sievers,
wie wohl nur in Idea und mit dem Stempel ſei-
nes Verſtandes, auf den Schwaͤrmer Gerhard
gepraͤget hat.
Man kan mit Wahrheit ſagen, daß der Hr. M.
Sievers in dieſer kleinen Schrift ſich ſelbſt uͤber-
trofen habe. Der ſchaͤbigte Bullen-Beiſſer,
auf welchem er den M. Gerhard, zum Troſt aller
Rechtglaͤubigen, einhertraben laͤſſet, hat mir fuͤr-
nehmlich wohl gefallen; Und ich kan mich, ſo offt
ich daran gedencke, welches ich dann, zu Anfeu-
rung meines Eyfers wider die Jrrglaͤubigen, alle
Wochen wenigſtens etliche mahl thue, noch nicht
enthalten, auszuruffen:
Faceté, lepidé, laute: nihil ſuprá.
Jch habe die Apophtegmata der Alten bey dem
Plutarchus geleſen: Auch beym Cicero, Macrobius
und andern viele bona dicta (bons mots) und
ſcharfſinnige Einfaͤlle gefunden: Aber der Bullen-
Beiſſer, der ſchaͤbigte Bullen-Beiſſer, uͤber-
trift alles, was man in den Schriften der Alten
und Neuern ſchoͤnes in dieſem Stuͤcke antrift.
Durch dieſes Sinnbild hat der Hr. M. Sievers
gewieſen, wie weit ſich die Kraͤfte des menſchli-
chen Witzes erſtrecken, und wuͤſte ich in dem gan-
tzen Alterthum nichts, das mit ſelbigem einiger-
maſſen in Vergleichung zu ziehen ſey, als die ſcharf-
ſinnigen Worte des Thraſo beym Terentius:
Eóne
[109](o)
belluas?
Terent. in Eunuch. Act. III. Sc. I.’
Weil ich weiß, daß es Leute giebt, welche mei-
nen, der Hr. M. Sievers habe mit dieſen Ge-
daͤchtniß-Muͤntzen den armen Gerhard zu hart an-
gegriffen, ſo ergreiffe ich hier mit vielem Vergnuͤ-
gen die Gelegenheit, den Hn. M. wider ſolche un-
beſonnene Richter zu vertheidigen, und ſage ihnen
ohne Scheu, daß ſie einfaͤltige Troͤpfe, wo nicht
gar heimliche Ketzer und Jndiferentiſten ſind:
Denn entweder ſie wiſſen nicht, daß gegen einen
Feind alles erlaubt iſt. Hoſti in hoſtem omnia
licent; und daß man den Feinden der Kirchen auch,
wenn man Luſt hat, fluchen kan, oder ſie halten
auch den Schwaͤrmer Gerhard hoͤher, als es ſich
gebuͤhret. Und was hat dann endlich der Hr. M.
Sievers dem Gerhard vor Grobheit bewieſen? Jſt
es nicht hoͤflich genug, daß er ihn auf den Bul-
len-Beiſſer geſetzt hat, und reiten laͤſſet? Haͤtte
er ihn doch eben ſo leicht auf allen vieren kriechen,
und von dem Bullen-Beiſſer weidlich koͤnnen
zerzauſen laſſen.
Jch ſchaͤme mich in einer ſo klaren Sache mehr
Worte zu verſchwenden. Jch kehre wieder zu mei-
nem Zweck, und frage einen jeden Unpartheyiſchen,
ob es wohl glaublich ſey, daß ich, da mir die ſpi-
tzige Feder des Hn. M. Sievers mehr als zu wohl
bekannt iſt, eine Satyre wider dieſen gelehrten
Mann habe ſchreiben wollen? Da er den guten
Gerhard, der ihm mein Tage nichts zu wider ge-
than hatte, in die Back-Pfanne gelegt hat, um
dem
[110](o)
dem Teufel einen fetten Braten zuzurichten, ſo wuͤr-
de das wenigſte, das ich haͤtte befuͤrchten koͤnnen,
dieſes geweſen ſeyn, daß er mich in Stuͤcken zerhackt,
auf den Roſt geleget, und dem Beelzebub als eine
Carbonnade wuͤrde vorgeſetzet haben.
Ein Mann, der mit denen, welchen er nicht
gewogen iſt, ſo ſcharf verfaͤhret, kan auch den
kuͤhnſten abſchrecken, ſich an ihm zu reiben? Jch
bin von Natur furchtſam, und ſoll doch wider den
H. M. Sievers eine Satyre geſchrieben haben. Die-
ſes, deucht mich, iſt etwas, das nicht den gering-
ſten Schein der Wahrheit hat.
Aber was bemuͤhe ich mich viel, durch allerhand
Gruͤnde dieſen falſchen Verdacht von mir abzuleh-
nen? ubi rerum teſtimonia adſunt non opus eſt
verbis. Meine Schrift liegt vor jedermans Au-
gen. Jch biete allen meinen unbilligen Richtern
Trotz, mir das geringſte darinne zu zeigen, welches
zur Beſchimpfung des Hn. M. Sievers gereiche.
Man leſe meine Vorrede, ſo wird man meine wah-
re Abſicht erfahren.
Mein Zweck iſt, meinem Naͤchſten mit meinem
Talent zu dienen, und dem Herrn M. Sievers
nachzuahmen. Wer kan mich desfalls tadeln?
Das Sieges-Zeichen des Miltiades machte dem
Temiſtocles unruhige Naͤchte, und Caͤſar ſeuffzete,
als er zu Cadix das Bildniß Alexanders des Groſ-
ſen ſahe, und bedachte, daß er in einem Alter,
da dieſer ſchon die halbe Welt bezwungen, noch
nichts gethan haͤtte. Was iſt es dann Wunder, daß
ich, der ich unſtreitig aͤlter bin, als der Hr. M. Sie-
vers,
[111](o)
vers, zu einer gleichen Nacheyferung angefeu-
ret worden, da ich dieſen vortreflichen Mann
an den Ecken aller Buchlaͤden in Effigie haͤn-
gen geſehen? Jch habe mich demnach unterwun-
den, ſeinen Fußſtapffen zu folgen, und durch aller-
hand nuͤtzliche Schriften mich in den Stand zu ſe-
tzen, daß ich mich auch einmahl mit Ehren in Ku-
pfer ſtechen laſſen, und neben ihm haͤngen koͤnnte.
Dieſe Begierde, dem Hn. M. Sievers nach-
zuahmen, und demſelben, ſo viel moͤglich, gleich
zu werden, iſt eintzig und allein hinlaͤnglich, mich
bey allen, welche die Billigkeit lieben, auſſer Ver-
dacht zu ſetzen. Man ahmet gewiß keinem nach,
den man nicht vor vortreflich haͤlt, und was einer
vor vortreflich haͤlt, das wird er nimmer laͤcher-
lich zu machen ſuchen. Woher koͤmmt es dann,
daß man mir eine ſo alberne Auffuͤhrung beymiſ-
ſet?
Jch ſolte nicht meynen, daß es daher ruͤhre,
weil ich meine Schrift unter einem falſchen Nah-
men herausgegeben habe. Jch habe darinn viele
vortrefliche Maͤnner zu Vorgaͤngern, und kluge
Leute pflegen eine Schrift nach ihrem Jnhalt, und
nicht nach dem vorgeſetzten Nahmen zu beurthei-
len. Damit ich aber meinen Ubelwollenden das
Maaß voll mache, will ich ihnen aus Hoͤflich-
keit, auch die Urſachen von dieſem meinem
Verfahren kuͤrtzlich melden. Die Anmerckun-
gen uͤber die Geſchichte von der Zerſtoͤhrung der
Stadt Jeruſalem ſind meine erſte Schrift. Eine
Behut-
[112](o)
Behutſamkeit, die allen angehenden Scribenten
natuͤrlich iſt, bewog mich demnach, meinen wah-
ren Nahmen zu verſchweigen, um mit deſto meh-
rer Sicherheit, und weniger Gefahr zu verneh-
men, was kluge Leute von meiner Arbeit urthei-
len wuͤrden. Man hat meine Schrift geleſen:
Man hat ſie beurtheilet, und die Urtheile ſind ſo
ausgefallen, daß ich weiter keine Urſache habe,
mich zu verbergen, ja faſt gezwungen bin, mich
kund zu geben. Denn da man eines theils
meine Schrift gelobet, und einhellig geſaget
hat, daß ich dem Hn. M. Sievers gluͤcklich nach-
geahmet habe; ſo kan ich, ohne Gefahr einiger
Schande, ſagen, wer ich bin: Jndem man aber
andern theils mir Schuld giebt, daß ich dem Hn.
M. Sievers durch meine Nachahmung beſchimpf-
fen wollen: ſo bin ich genoͤthiget, mich zu melden,
und dieſer Beſchuldigung zu widerſprechen. Jch
finde in dieſem Verfahren nichts, als Unſchuld.
Nachdem ich alſo auch dieſen Stein des Anſtoſſes
aus dem Wege geraͤumet, und gewieſen habe, daß
ich nicht gefaͤhrlicher Weiſe einen falſchen Nah-
men angenommen, ſo fahre ich weiter fort, und
frage diejenigen, die, ungeachtet ich in der Vor-
rede meiner Schrift meine Abſicht aufrichtig und
deutlich entdecket habe, mir dennoch den ſtraf-
bahren Vorſatz beylegen, daß ich den Hn. M. Sie-
vers habe laͤcherlich machen wollen, was ſie auf
ſolche Gedancken gebracht hat? Glauben ſie etwan
meinen Worten nicht? Jch ſolte es faſt dencken:
Aber was bewegt ſie denn zu dieſem Mißtrauen?
Bin ich denn vor einen Luͤgner bekannt? Koͤnnen
meine
[113](o)
meine Leſer klagen, daß ich ſie ſchon eher betrogen
habe? Jch glaube es nicht: Denn ich habe ja ſonſt
noch niemahlen etwas drucken laſſen. Jch kan
alſo nicht ergruͤnden, warum man ſo unglaͤubig
iſt. Will man dem unbilligen Verdacht, den
man wider mich hat, einigen Schein geben, ſo
muß man entweder voraus ſetzen, daß ich des
Hn. M. Sievers Feind bin, und daß folglich eine
ſo groſſe Hochachtung gegen denſelben, als ich vor-
gebe, nicht von mir zu vermuthen ſey: Oder man
muß auch weiſen, daß in meiner Schrift Dinge
enthalten ſind, die mit der vorgegebenen Abſicht
derſelben ſtreiten. Beydes aber iſt unerweißlich.
Jch habe die Zeit meines Lebens mit dem Hn. M
Sievers keinen Streit gehabt, und daß ich in
meiner Schrift meinen vorgegebenen Abſichten ſol-
te entgegen gehandelt haben, das laͤuft wider den
Augenſchein.
Jch habe dem Hn. M. Sievers nachahmen
wollen. Und alle Welt ſaget, ich habe es gluͤck-
lich gethan. Jch bezeuge eine Hochachtung gegen
den Hn. M. Sievers. Und darum iſt meine gan-
tze Schrift voll von ſeinem Lobe. Jch bewundere
darinn ſeine Verdienſte. Jch rette ſeine Ehre
wider diejenigen, die ſeiner ſpotten. Wer dieſes
nicht ſiehet, der muß blind ſeyn.
Warum aber will man dann meinen Worten
nicht trauen? Warum ſpricht man, ich ſuche den
Hn. M. Sievers zu beſchimpfen? Es iſt dieſe Ein-
bildung ſo laͤcherlich, und ſo offenbahr irrig, daß
ich mich faſt entſehe, dieſelbe weitlaͤuftig zu wider-
legen, und von Hertzen bedaure, daß ſo viele weiſe
Hund
[114](o)
und ehrwuͤrdige Maͤnner derſelben Platz gegeben
haben. Sie ſtreitet augenſcheinlich wider den er-
ſten Grund-Satz aller menſchlichen Erkaͤnntniß,
nach welchem das, was einen Widerſpruch in ſich
faſſet, nicht wahr ſeyn kan. Jch wuͤſte nicht, was
einander mehr entgegen ſeyn koͤnnte, als Lob und
Beſchimpfung. Jenes iſt eine Bewunderung
und Ausbreitung der Vollkommenheiten unſers
Nechſten; Dieſe iſt eine Aufdeckung ſeiner Maͤn-
gel. So wenig nun Vollkommenheit und Man-
gel bey einander ſtehen koͤnnen, ſo wenig iſt es
wahrſcheinlich, daß ein Menſch, der eines andern
Vollkommenheiten bewundernd ausbreitet, die
Abſicht haben ſolte, eben durch dieſe Ausbreitung
deſſen Maͤngel aufzudecken.
Jch ſehe vorher, daß viele, die nicht gerne ohne
Urſache gelacht haben wollen, dieſen meinen unum-
ſtoͤßlichen Beweiß, weil er ihrem Vergnuͤgen ent-
gegen iſt, anfechten werden. Sie werden ſagen;
es ſey bekannt, daß man durch ein verſtelltes Lob
einen aufs allerempfindlichſte beſchimpfen koͤnne;
und ſey dieſes eben das ſchlimmſte an meiner Schrift,
daß ich mich geſtellet haͤtte, als ſuche ich den Hn.
M. Sievers zu loben, da doch in der That meine
Abſicht ſey, ihn durch meine Lobes-Erhebungen
laͤcherlich zu machen. Dieſes iſt ihre eintzige Aus-
flucht. Darauf beſtehen ſie, und haben dadurch
manches gutes Gemuͤth auf ihre Seite gebracht.
Jch erſchrecke aber vor dieſem Einwurff gar nicht,
wie groß ſie ſich auch damit wiſſen, ſondern ant-
worte darauf mit der Freymuͤthigkeit, die ein gu-
tes Gewiſſen giebet, in aller Kuͤrtze folgendes: 1)
Daß
[115](o)
Daß es ein ſehr lahmer Schluß iſt, wenn man
daher, daß etwas geſchehen kan, folgern will, es
ſey wuͤrcklich geſchehen: A poſſe ad eſſe non va-
let conſeqventia: und daß es 2.) eine groſſe
Verwegenheit ſey, wenn man ſich zu einem Her-
tzens-Kuͤndiger aufwirft, und ſich von den inner-
ſten Gedancken ſeines Nechſten zu urtheilen unter-
faͤngt.
Dieſes kan zu Abfertigung derer, die mir die-
ſen Einwurf machen, genug ſeyn. Jch bleibe dabey,
daß ich, wie es der Augenſchein giebt, den Hn. M.
Sievers nicht geſchimpfet, ſondern gelobet habe. Jch
verlange mit Recht, daß man glaube, daß dieſes
im Ernſt von mir geſchehen ſey, und daß man mei-
ne Worte verſtehe, wie ſie lauten. Wer dieſe For-
derung vor unbillig haͤlt, der giebt gar zu deutlich
zu erkennen, daß er ſelbſt die Billigkeit nicht liebe,
und verdient nicht, daß man ſich weiter Muͤhe ge-
be, ihn zu beſſern Gedancken zu bringen. Jch wer-
de mich auch wenig bekuͤmmern, ob diejenigen, die
bißhero, von meinen Abſichten ſo ungleich geurthei-
let haben, nach dieſem von ihrer ungegruͤndeten
Meynung abſtehen werden, oder nicht. Jch habe
meine Unſchuld gruͤndlich dargethan, und werde zu
frieden ſeyn, wenn nur der Hr. M. Sievers ſeinen
wider mich gefaſten Zorn fahren laͤſſet. Um dieſes
von ihm zu erhalten, nehme ich mir die Freyheit,
ihn allhier ins beſondere anzureden.
Jch bitte ihn demnach zu erwegen, daß ich in
meiner gantzen Schrift nichts gethan habe, als daß
ich ihn, nach Verdienſt, gelobet. Meine Worte ſind
ſo klar, daß er dieſes ſelbſt nicht wird leugnen koͤnnen.
H 2Er
[116](o)
Er weiß, daß man ohne dringende Noht, von den
klaren Worten eines Scribenten nicht abweichen
muͤſſe. Dieſe Regel iſt ſo gruͤndlich, daß auch un-
ſere Gottes-Gelehrten dieſelbe in Erklaͤrung heili-
ger Schrift zum Grunde legen. Der Hr. M. Sie-
vers weiß dieſes ſo gut, als jemand in der Welt.
Warum weicht er dann von meinen klaren Wor-
ten ab? Warum ſucht er, mit Verwerfung des
buchſtaͤblichen Verſtandes, einen geheimen Sinn?
Jch dencke nicht., daß er ſagen werde, es ſey
eine dringende Noth vorhanden, die ihn zwinge
dieſes zu thun. Denn dieſe Antwort wuͤrde ihm gar
nicht ruͤhmlich ſeyn. Die eintzige Urſache, warum
man eine Schrift, in welcher jemand gelobet wird,
vor ſatyriſch haͤlt, iſt, wenn derjenige, der gelobet
wird, von den guten Eigenſchaften, wesfalls man
ihn lobet, nichts, oder wohl gar das Gegentheil
an ſich hat. Wenn ich demnach z. E. den Hn.
Prof. Philippi in Halle als einen groſſen Redner
und Poeten, und den P. Girard wegen ſeiner
Keuſchheit gelobet haͤtte, ſo wuͤrde man mir nicht
Unrecht thun, wenn man ſagte, ich habe ſpotten
wollen: Aber da ich an dem Herrn M. Sievers
nichts, als ſolche Tugenden lobe, die er alle in
einem hohen Grad beſitzet, ſo haͤtte ich vermuthet,
man wuͤrde eher ſagen, mein Lob ſey vor ſeine
Verdienſte noch zu geringe, als mich vor einen
Spoͤtter halten. Gewiß diejenigen, welche dieſes
thun, muͤſſen des Hn. M. Sievers Freunde nicht
ſeyn. So nachtheilig ihr Urtheil mir iſt, ſo ſchimpf-
lich iſt es dem Hn. M. Denn der Satz, den ſie zum
Grunde deſſelben legen, muß nothwendig dieſer
ſeyn:
[117](o)
ſeyn: Daß es unglaublich ſey, daß einer den Hn.
M. Sievers im Ernſt loben koͤnne, weil er nichts
lobenswuͤrdiges an ſich habe. Jch gebe dem Hn.
M. zu bedencken, ob ſein aͤrgſter Feind wohl was
ſchlimmers von ihm ſagen koͤnne? Er mag ſelber
urtheilen, ob er Urſache habe auf mich, der ich
ihn lobe, zu zuͤrnen, oder auf diejenigen, welche
ſagen, das Lob, das ich ihm beylege, komme ihm
nicht zu. Mich deucht, es iſt offenbahr, daß
nicht ich, ſondern dieſe letzten ihn beſchimpfen.
Jch kan mich dahero nicht genug wundern, wie
der Hr. M. Sievers dieſen Leuten Beyfall geben,
und ſich einbilden koͤnnen, ich ſpotte ſeiner. Jhm,
als einem Weltweiſen, der es unſtreitig in der
Erkaͤnntniß ſein ſelbſt hochgebracht hat, muß die
Groͤſſe ſeiner Verdienſte am beſten bekannt ſeyn.
Wie kan er alſo glauben, daß man ſeiner ſpotte,
wenn man ihn lobt? Durch einen ſolchen Ver-
dacht beleidiget er ſich ſelbſt.
Jch habe Urſache zu vermuthen, daß der Herr
M. Sievers, nach der ihm beywohnenden Scharf-
ſinnigkeit, die Wahrheit deſſen, was ich hier ſchrei-
be, einiger maſſen erkenne. Denn ob man mir
gleich anfangs |geſagt hat, er ſey ſo ſehr auf den
X. Y. Z. erbittert, daß er gegen ihn ſchreiben wol-
le, ſo iſt dieſes doch noch zur Zeit nicht geſchehen.
Jch glaube, er hat begrifen, daß er es nicht mit
Ehren thun koͤnne. Einen Menſchen widerlegen,
der uns lobet, heißt ſich ſelbſt ſchelten. Jch habe
geſagt, der Hr. M. Sievers ſey ein vortreflicher
Mann, ein wackerer Mann; er ſey ſcharfſinnig;
ſeine Anmerckungen uͤber die Paßion wuͤrden gelobt
H 3u.
[118](o)
u. ſ. w. Was haͤtte er mit Vernunft dawider ſagen
koͤnnen, wo er nicht, zu ſeinem ſchlechten Ruhm,
haͤtte behaupten wollen, er ſey nichts weniger als
ein vortreflicher, wackerer und ſcharfſinniger Mann,
und ſeine Anmerckungen wuͤrden von jedermann
getadelt? Uberdem ſind meine Anmerckungen uͤ-
ber die Geſchichte von der Zerſtoͤhrung der Stadt
Jeruſalem an ſich ſo beſchaffen, daß er ſie uͤber-
haupt nicht vor laͤppiſch ausgeben koͤnnen, ohne
ſeine eigene Arbeit zu ſchimpfen, weil ſie derſelben
in allem aͤhnlich; und die darinn von mir vorge-
tragene Wahrheiten inſonderheit zu widerlegen,
iſt ebenfalls unmoͤglich. Jch moͤchte den ſehen,
der mir leugnen wolte, daß alle Menſchen von
Weibern gebohren werden; daß oft, auf Nieder-
ſaͤchſiſch vacken heiſt; daß die Jahr-Zeiten vor
dieſen eben ſo auf einander gefolget, als itzo, u. ſ.
w. Dieſes ſind Wahrheiten, die eben ſo unſtrei-
tig ſind, als diejenigen, welche wir in den An-
merckungen des Hn. Mag. leſen, wenn er z. E. be-
hauptet, daß die Juͤden bey Nacht Licht angezuͤn-
det haben, um im Dunckeln deſto beſſer zu ſehen;
daß ein Fuͤllen auf Niederſaͤchſiſch Valen, und
Zwilling, Tweſecke heiſt, u. ſ. w.
Es hat demnach der Hr. M. Sievers ſehr
wohl gethan, daß er nicht wider mich geſchrieben.
Leute, die ſo ſchreiben, als wir, die ſind unwider-
leglich. Und ich ſchaͤme mich nicht zu bekennen, daß
ich dieſe Art der Paſſauiſchen Kunſt von dem Hn.
Mag. gelernet habe. Jch dancke ihm davor, daß er
mir durch ſein Beyſpiel zur Erkaͤnntniß dieſes biß-
her verborgenen Geheimniſſes Anleitung geben wol-
len-
[119](o)
len. Jch wuͤrde ihm aber noch mehr verbunden ſeyn,
wenn er belieben wolte, alle die widrigen Gedan-
cken, die er von mir hat, fahren zu laſſen. Er kan
verſichert ſeyn, daß ich es redlich mit ihm meyne,
und daß diejenigen, welche vorgeben, ich habe den
Hn. Mag. laͤcherlich machen wollen, etwas ſagen,
das ihm ſchimpflich iſt.
Jch habe dieſes ſo deutlich dargethan, daß ich
hoffe, der Hr. Mag. werde endlich anders Sinnes
werden, und nicht mehr wider mich, ſondern wider
diejenigen eyfern, die es verdienen. Solte er aber,
uͤber Vermuthen, noch den Scrupel dabey haben,
daß es doch gleichwohl nicht glaͤublich ſey, daß die
gantze Stadt ſo einmuͤthiglich ſagen wuͤrde, meine
Schrift ſey eine Satyre, wenn es nicht wahr waͤ-
re: So bitte ich ihn, zu erwegen, daß die Menge
der Jrrenden einen falſchen Satz nicht wahr mache.
Multitudo errantium non parit errori patrocini-
um. Und uͤberdem habe ich die Ehre, ihm zu ſagen,
daß es noch in Luͤbeck ſo unpartheyiſche Gemuͤther
giebt, die der falſchen Einbildung, welche der groͤ-
ſte Haufe von meiner Schrift hat, widerſprechen.
Jch hatte neulich bey dem Vogel-Schieſſen
der Kloſter Kinder die Ehre, eine verſtaͤndige Ma-
trone aus St. Annen-Kloſter zu ſprechen, die
ſagte mir, ſie haͤtten in ihrem Kloſter die Schrift
des X. Y. Z. etliche mahl mit Bedacht durchgele-
ſen; Aber niemand von ihnen haͤtte finden koͤnnen,
daß der Hr. Mag. Sievers darin geſchimpfet ſey.
Sie konnte ſich alſo nicht genug wundern, wie der
Hr. M. Sievers dieſe Schrift ſo uͤbel aufnehmen
koͤnnen, und glaube gantz gewiß, es muͤſten boͤſe
H 4Leute
[120](o)
Leute darunter ſtecken, die dem Hn. M. Sievers
das wohlverdiente Lob, welches der X. Y. Z. ihm
beygeleget habe, nicht goͤnneten.
Jch kan nicht leugnen, daß dieſes gegruͤndete
Urtheil eines ſo andaͤchtigen, wiewohl verachteten
Haͤufleins mich inniglich erquicket hat. Jch ſcheue
mich nicht, daſſelbe allen falſchen Deutungen, die
andere von meiner Schrift gemacht haben, entge-
gen zu ſetzen, und bitte den geneigten Leſer, daſſelbe
nicht aus der Acht zu laſſen. Man darf nicht mey-
nen, die Leute in St. Annen-Kloſter haͤtten die
verborgene Abſicht meiner Schrift, wegen ihrer
Einfalt, nicht einſehen koͤnnen. Wer ſo denckt, der
kennet dieſe Leute nicht. Seit dem der Hr. M. Sie-
vers ihnen das Evangelium geprediget hat, weichen
ſie an Wiſſenſchaft in der Theologie und Kirchen-
Hiſtorie, und an Geſchicklichkeit, von einem Bu-
che zu urtheilen, dem gelehrteſten nicht. Dieſer ge-
lehrte Mann laͤſt ſich die Muͤhe nicht verdrieſſen,
dieſe ehrbare Verſammlung in das innerſte der
Theologie zu fuͤhren. Er ertheilet ihr Nachricht
von allerhand alten und neuen theologiſchen Buͤ-
chern; Er unterrichtet ſie in den neuern Religions-
Streitigkeiten, und laͤſſet ſo gar die alten Ketzer,
welches in dieſen indiferentiſtiſchen und laulichten
Zeiten was rares iſt, nicht in der Erden ruhen.
Der Saame, den er ausſtreuet, faͤllt auf ein
gutes Land. Man redet numehro in St. Annen-
Kloſter nicht mehr von Kleinigkeiten, und gemei-
nen Dingen. Man ſpricht von Gnoſticis, Va-
lentinianern, Manichaͤern, Marcioniten, Dona-
tiſten, Novatianern, Sabellianern, Photinia-
nern,
[121](o)
nern, Arrianern, Neſtorianern, von den tribus
capitulis, von Theodorus Mopsveſtenus, von
Aphtardoceten, Patripaßianern, Monotheliten,
Euthychianern, Priscillianiſten, Roſen-Creutzern,
Widertaͤufern, Qvaͤckern, und mit einem
Wort, von allen alten und neuen Ketzern. Man
ſtellt ſich vor, wie artig es wol gelaſſen habe, als
Simon der Zauberer den Halß gebrochen, und
eine alte Bad-Stube dem Cerinthus uͤber den
Kopf eingefallen ſey, und alſo die Kirche von die-
ſem Buben befreyet habe. Man ſchilt den Gro-
tius, eyfert wider Thomaſius, flucht Gerhard
und Dippeln, und laͤſt keinem Schwaͤrmer vor
einen Heller Ehre. So groß iſt die Einſicht,
und der Eyfer dieſer andaͤchtigen Perſonen! Und
das iſt kein Wunder: denn der Herr M. Sie-
vers predigt gewaltig.
Die Frau, mit welcher ich redete, verſicherte
mich, daß ſie oͤffters, wann ſie aus des Hn. M.
Sievers Predigten kaͤme, wider Dippeln inſon-
derheit ſo erbittert waͤre, daß ſie oft wuͤnſche, den
Buben vor ſich zu haben, um ihm die Augen aus-
zukratzen. Sie ſagte mir ferner, daß dergleichen
Gemuͤths-Bewegungen in den Zuhoͤrern des Hn.
Mag. Sievers nichts ſeltenes waͤren. Sehen ſie
wol, mein Herr, ſprach ſie, den Mann mit dem
blauen Auge? Und indem ſie dieſes ſagte, wieſe ſie
mir einen wohlgekleideten Buͤrger, der unter dem
Hauffen ſtand. Dieſer Mann fuhr ſie fort, hat
eine Frau, die des Hr. Mag. Sievers Predigten,
die er zu St. Annen haͤlt, fleißig beſuchet, und
aus ſelbigen einen ſo groſſen Haß gegen die Ketzer,
H 5in-
[122](o)
inſonderheit gegen Dippeln geſchoͤpffet hat, daß ſie,
wo ſie gehet und ſtehet, auf ihn flucht. Weil ſie
nun beſtaͤndig mit ſo chriſtlichen Gedancken umge-
het, ſo muß es ihr neulich im Traum vorkommen,
als zancke ſie ſich mit Dippeln; Sie faͤngt alſo im
Schlafe mit greßlicher Stimme an zu ſchreyen:
O du ſchaͤdlicher Unflat der hoͤlliſchen
Schmeiß-Fliegen! ſchlaͤgt um ſich, und trift
ihren Mann auf das rechte Auge, daß es ihm
braun und blau geworden iſt.
Jch gebe einem jeden zu bedencken, ob Leute,
die das Gluͤck haben, des Unterrichts eines Man-
nes zu genieſſen, deſſen Predigten ſo erſtaunende
Dinge wuͤrcken, und die in ihrem Glauben ſo wohl
gegruͤndet, und von den Rechten der Glaͤubigen
wider die Ketzer ſo wohl unterrichtet ſind, nicht
Faͤhigkeit genug beſitzen, von einer ſo ſchlechten
Schrift, als die meinige iſt, zu urtheilen: und ob
ich alſo nicht Urſache habe, mich auf ſie zu beruf-
fen? Der Hr. M. Sievers kan das Urtheil der
frommen und ſcharfſinnigen Matronen aus St.
Annen-Kloſter um ſo viel weniger verwerffen, weil
er zu erſt ſeine Zuflucht zu dieſen andaͤchtigen Per-
ſonen genommen, und ihnen ſeine Noth geklaget
hat. Er muß alſo ihnen eine Faͤhigkeit zutrauen,
von der Beleidigung, die ich ihm, ſeiner Meynung
nach, zugefuͤget habe, zu urtheilen.
Jch ſage nicht, daß er hieran uͤbel gethan hat,
aber ich moͤchte wuͤnſchen, daß er ſeine Klage in
St. Annen-Kloſter mit einer groͤſſeren Gelaſſenheit,
als vielleicht geſchehen ſeyn mag, angebracht haͤt-
te. Jch mache dieſe Sache ungerne wieder rege,
und
[123](o)
und wolte was darum geben, daß es in meiner
Macht ſtuͤnde, den Fehler, den der Hr. M. Sie-
vers in dieſem Stuͤcke begangen hat, gaͤntzlich aus
dem Gedaͤchtniſſe der Menſchen zu reiſſen. Jch
ſchreibe mit Verdruß davon. Qvam vellem ne-
ſcire literas! Aber ich kan unmoͤglich das verheh-
len, was coram facie Eccleſiæ, und in einer
groſſen Verſammlung geſchehen iſt; Und die chriſt-
liche ſowohl, als die beſondere Liebe, womit ich
dem Hn. Mag. zu gethan bin, treibt mich an,
ihm, mit aller Ehrerbietung, die ich ihm ſchuldig
bin, zu ſagen, daß er ſehr uͤbel gethan habe, zu
St. Annen auf oͤfentlicher Cantzel, mich, den
Drucker meiner Schrift, den Verkaͤufer derſel-
ben, und alle, die ſie geleſen, zu verfluchen, und
in den Abgrund der Hoͤllen zu verdammen. Wenn
ich Luſt zu ſpotten haͤtte, ſo koͤnnte ich wahrlich
keine beſſere Gelegenheit, als dieſe wuͤnſchen. Jch
koͤnnte ſeine Klugheit loben, daß er ſeinen Eyfer
wider mich an einem Ort ausgeſchuͤttet, wohin ich
niemahlen komme, und woſelbſt ich ihm, wenn
ich gleich zugegen geweſen waͤre, doch nicht haͤtte
antworten duͤrffen. Jch koͤnnte ſagen, er habe
verſuchen wollen, ob ihm das Anathema Ma-
haram Motha, leichter auszuſprechen ſey, als
die hebraͤiſche Uberſchrift des Creutzes Chriſti. Jch
koͤnnte ſprechen: er habe durch ſein Fluchen gewie-
ſen, daß er ein guter Hacke werden wuͤrde, und
aus keiner andern Urſache wider den X. Y. Z. ei-
nige Luft-Streiche gethan, als um zu ſehen, ob
er eben ſo geſchickt ſey, den Hammer des Geſetzes
gegen die Suͤnder zu gebrauchen, als das Schwerdt
des
[124](o)
des Geiſtes wider die Ketzer zufuͤhren. Jch koͤnte
die allerhand laͤcherliche Ungluͤcks-Faͤlle erzehlen,
die mir begegnet, ſeit der Zeit ich unter ſeinem
Fluch geſtanden; und wenn ich der Mann waͤre,
wovor er mich haͤlt, ſo thaͤte ich es. Allein ich bin
ein Feind von ſolchen Thorheiten, und will mir
die Freyheit nehmen, dem Hn. Mag. ſeine Uber-
eilung im Ernſt vorzuſtellen. Jch werde dieſes,
obgleich der Schimpf, den er mir angethan hat, weit
groͤſſer iſt, als die Schmach, die er, ſeiner Mey-
nung nach, von mir erlitten hat, ſeyn wuͤrde, und
wenn er ſich gleich in ſeiner Meynung nicht betroͤ-
ge, mit der Sanftmuth und Beſcheidenheit thun,
daß er zugleich aus meinen gegruͤndeten Vorſtel-
lungen Nutzen ſchoͤpfen, und ſich aus meinem
Exempel, wo es ihm beliebt, wird erbauen koͤnnen.
Jch bitte ihn demnach, zu bedencken, ob er
nicht, als ein Chriſt, zur Gedult in allem Leyden,
und, als ein Geiſtlicher, andern mit einem guten
Exempel vorzuleuchten verbunden ſey? Er weiß,
daß man auch ſeine Feinde lieben, und die, welche
uns fluchen, ſegnen muͤſſe, und ſeine Zuhoͤrer wu-
ſten es auch. Wie meynet er dann wohl, daß ſie
ſich uͤber ſeine Heftigkeit, und uͤber ſein unartiges
Fluchen geaͤrgert haben?
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ tantæ ‒ ne animis cœleſtibus iræ?
haben ſie unſtreitig, wie wohl nur auf deutſch, ge-
dacht: Ja ſie wuͤrden ſich daruͤber geaͤrgert haben,
und wenn auch die Beleidigung, die ihn ſo ſehr auſ-
ſer ſich geſetzet hat, noch groͤſſer waͤre, als er ſie ſich,
wie wohl ohne allen Grund, einbildet.
Wir wollen den Fall ſetzen, ich haͤtte die Boß-
heit
[125](o)
heit gehabt, zu ſchreiben: „Der Hr. M. Sievers,
„der ſich vor groſſer Begierde beruͤhmt zu ſeyn, nicht
„zu laſſen weiß,
„Scribendi ſtudio ‒ ‒ ‒ ‒ Horat. Lib. II. Ep. I.’
„hat die Paßion mit Anmerckungen herausgegeben.
„Dieſe Anmerckungen ſind im hoͤchſten Grad al-
„bern. Um dieſes recht lebhaft vorzuſtellen, will
„ich die Hiſtorie von der Zerſtoͤhrung der Stadt
„Jeruſalem mit eben ſo laͤppiſchen Anmerckungen
„erlaͤutern, und zugleich dem Hn. M. Sievers
„wohlmeynentlich gerahten haben, ſich hinfuͤhro
„des Buͤcher-Schreibens zu enthalten, und ſich
„erſt in den Wiſſenſchaften, die einem Menſchen,
„der ſich mit Ehren in der gelehrten Welt ſehen
„laſſen will, noͤthig ſind, noch einige Jahre um-
„zuſehen, u. ſ. w.
Wir wollen, ſage ich, den Fall ſetzen, ich haͤt-
te ſo geſchrieben. So wuͤrde doch der Hr. M. Sie-
vers, wie plump auch das Compliment geweſen
waͤre, und wie ſehr ich auch der Wahrheit ſo wohl
als dem Hn. Mag. dadurch zu nahe getreten haͤtte,
nicht chriſtlich gehandelt haben, wenn er mich des-
falls auf der Cantzel haͤtte verfluchen wollen. Es
waͤren dieſes kleine Haͤndel zwiſchen uns beyden ge-
weſen, um welche ſich kein Menſch in der Welt,
am wenigſten die Leute in St. Annen-Kloſter zu
bekuͤmmern gehabt haͤtten, und die gar nicht auf
die Cantzel gehoͤren. Ja es wuͤrde dem Hn. Mag.
gar nicht erlaubt geweſen ſeyn, einen ſo heiligen
Ort mit ſolchen Kleinigkeiten zu entweihen, und
wenn er gleich ſchon ein beruffener und verordneter
Diener
[126](o)
Diener des Worts waͤre. Auch ein ordentlicher
Prediger iſt nicht befugt, ſeine eigene Haͤndel auf
die Cantzel zu bringen. Thut er ers, ſo klopfft
man ihm in allen wohleingerichteten Staaten auf
die Finger. Was meint alſo der Hr. M. Sievers
wohl, daß er vor einen Verweiß wuͤrde zu gewar-
ten gehabt haben, wenn diejenigen, welche ihm
denſelben zu geben berechtiget ſind, ſeinen Fehler
nicht guͤtig uͤberſehen haͤtten; theils weil er denſel-
ben zu einer Zeit begangen hat, da er nicht bey ſich
ſelbſt war. Ira furor brevis eſt; theils weil ſie
wuſten, daß man einen Betruͤbten nicht noch mehr
betruͤben muͤſte? Jch habe mich nicht entbrechen
koͤnnen, durch dieſe ehrerbietige und glimpfliche
Vorſtellung dem Hn. M. Sievers zu zeigen, wie
ſehr er ſich vergangen hat. Er kan glauben, daß
es mir in der That ſauer angekommen iſt, einen
Mann, der ſo viel Gutes an ſich hat, und den ich,
ſeiner Vortreflichkeit wegen, ſo hoch ſchaͤtze, einer
Ubereilung zu beſchuldigen. Jch befuͤrchte ſo we-
nig, daß er die Erinnerung, die ich ihm aus gu-
tem Hertzen gebe, uͤbel aufnehmen werde, daß ich
vielmehr mir die Hoffnung mache, es werde die
Freymuͤthigkeit, mit welcher ich ihn beſtraffe, ihm
den ungegruͤndeten Verdacht, als ob ich ihm durch
ein haͤmiſches und gezwungenes Lob zu ſchaden ge-
ſuchet haͤtte, gaͤntzlich benehmen. Die Aufrich-
tigkeit, die ich hier beweiſe, iſt ſo groß, daß ſie
mich hoffentlich, nicht nur in dem Gemuͤthe des
Hn. M. Sievers rechtfertigen, ſondern auch an-
dere bewegen wird, von meinen Abſichten milder
zu urtheilen.
Die
[127](o)
Die gewiſſe Rechnung, die ich mir darauf
mache, macht mich ſo kuͤhne, daß ich meinen
Nahmen, nach welchem ſo viel Fragens geweſen iſt,
und den der Hr. M. Sievers inſonderheit ſo ſehnlich
zu wiſſen verlanget hat, ungeſcheut nenne, doch nur
auf eine Art, daß es den meiſten ſchwer fallen wird,
ihn zu errahten. Man ſage nicht, daß ich daran unge-
ſchickt handele. Man wuͤrde dazu berechtiget ſeyn,
wenn ich mit jemand anders, als mit dem Hn.
M. Sievers zu thun haͤtte. Einem Manne, der
ſeinen Talmud ſo fertig, als ſeinen Abend-See-
gen lieſet, entdecke ich mich deutlich genug: der
wird einen deutſchen Nahmen leicht ohne Puncte
leſen koͤnnen. Der Hr. M. Sievers ſiehet alſo oh-
ne Muͤhe, wer ich bin, und wie ich heiſſe. Jch
weiß wohl, der Hr. M. Sievers hat ſich verlau-
ten laſſen, er wolle, wenn er nur wuͤſte, wer ich
waͤre, mich dergeſtalt abwuͤrtzen, daß ich bereuen
ſolte, mit ihm angebunden zu haben: Aber dieſe
Drohung macht mir keinen Kummer. Jch habe
die Unſchuld meiner Abſichten ſo deutlich darge-
than, daß ich von der Billigkeit des Hn. M. hof-
fen kan, er werde mich wieder zu Gnaden anneh-
men, und ſeinen Eyfer wider diejenigen kehren,
deren unbeſonnenes Urtheil von meiner Schrift
ihn anfangs wider mich in Harniſch gejaget. Wir
ſind Freunde. Valeant qvi inter nos diſſidium
volunt.
Solte ich mich aber in meiner Hoffnung be-
trogen ſehen, ſo werde ich zwar nicht wieder auf
die verzweifelten Gedancken verfallen, ein Medi-
cus zu werden; Denn ich hoffe, daß meine Un-
ſchuld
[128](o)
ſchuld wenigſtens meinen Goͤnnern in die Augen
leuchten wird; Doch will ich es auf den Fall hie-
mit verredet haben, jemahlen wieder etwas drucken
zu laſſen. Jch muͤſte nicht klug ſeyn, wenn ich
mich ferner in Gefahr ſetzen wolte, von jederman
aufs unbarmhertzigſte gerichtet zu werden. Jch
mercke wohl, daß es mit ſolchen Leuten, als der Hr.
M. Sievers und ich, nicht anders beſchafen iſt,
als mit den Jnvaliden. Die thun noch gute Dien-
ſte in Feſtungen: Aber ins Feld kommen ſie nicht;
Uns laͤſt es wahrlich auch nicht beſſer, als wenn
wir, bis am Guͤrtel wenigſtens, bedeckt ſtehen.
Hinter einer Bruſtwehr, und ſolte ſie auch nur
von Holtz ſeyn, thun wir Thaten. Wagen wir
uns ins freye Feld, ſo ſind wir verlohren. Wir
haben es, deucht mich, beyde erfahren: Noch
habe ich es einmahl verſuchen wollen. Gehts mir
dieſes mahl nicht gut, ſo will ich hinfort in meinem
Elemente bleiben, und alle meine Weißheit auf
der Cantzel auskramen.
Boileau Sat. I.’
Wie manchmahl habe ich nicht Sachen auf
der Cantzel vorgebracht, die gewiß nicht kluͤger
geweſen ſind, als meine Anmerckungen, an wel-
chen ein jeder zum Ritter werden will, und es hat
kein Hund oder Hahn darnach gekraͤhet? Jch
mag ſchwatzen, was ich will, man hoͤrt mir an-
daͤchtig zu; Man ſeuftzt; man weint nach Gele-
genheit, und wann die Predigt aus iſt, ſo lobt
man mich. Das macht die anſtaͤndigen Gebaͤr-
den, und der Ton der Stimme giebt unſern Wor-
ten,
[129](o)
ten, wann wir auf der Cantzel ſtehen, eine An-
nehmlichkeit, die ihnen fehlt, wenn ſie zu Papier
gebracht ſind, und der Ort, an welchem wir re-
den, ſammt unſerer Kleidung wuͤrcket in den Ge-
muͤthern unſerer Zuhoͤrer, eine Ehrerbietung, die
ſie antreibet, alles, was wir ſagen, vor gur zu
halten, und welche ſie nicht haben, wenn ſie uns
nicht vor ſich ſehen, ſondern nur unſere Schriſten
leſen. Un predicateur, ſagt der P. Mallebran-
che dans ſa recherbhe de la verité T. I. Liv. I.
ch. 18. a raiſon dans tout ce qu’il auance, \&
il n’y a pas jusqu’ à ſon colet, \& à ſes man-
chettes qui ne prouve quelque choſe. Jch
will alſo bey meinem Leiſten bleiben. Jch will pre-
digen, und das Buͤcher-ſchreiben andern uͤberlaſ-
ſen. Es waͤre was Gutes, wenn der Hr. M.
Sievers einen gleichen Entſchluß faſſen wolte. Er
koͤnnte dadurch vieler Verdrießlichkeiten uͤberhoben
ſeyn. Jch geſtehe, die gelehrte Welt wuͤrde an
uns beyden viel verliehren: Aber wer kan ihr helf-
fen? Sie wuͤrde es ihr ſelbſt zu dancken haben.
Denn warum begegnet ſie uns nicht beſſer?
Nun muß ich noch, ehe ich ſchlieſſe, ein Wort
in Vertrauen, mit derjenigen Art meiner Tadler
reden, die ſich, ohne von meinen Abſichten zu ur-
theilen, einige Fehler in meiner Schrift zu entde-
cken einbildet. Jn dieſer Claſſe ſetze ich diejenigen
oben an, die ſich daran aͤrgern, daß ich in meiner
Vorrede geſchrieben: Geſchicht das am gruͤnen
Holtz, was wil am duͤrren werden? und in der
Entſchuldigung an den Leſer geſagt habe: Niemand
verachte meine Jugend.
JSie
[130](o)
Sie bilden ſich ein, dieſes ſey ein unverantwort-
licher Mißbrauch der Heil. Schrift. Jch geſtehe
dieſe Cenſur hat mich ſehr befremdet, und ich weiß
faſt nicht, was ich darauf antworten ſoll. Kaum
kan ich mir einbilden, daß es Ernſt damit ſey.
Denn es iſt ſchwer zu begreifen, wie kluge Leute
ihre Gottſeligkeit ſo gar hoch treiben koͤnnen. Wenn
ich alſo arg wolte, ſo koͤnnte ich die Herren, die
ſich ſo gar ohne Urſach an meiner Schrift geaͤrgert
haben, ziemlich laͤcherlich machen. Aber auch bey
dieſer Gelegenheit zu zeigen, wie wenig ich zum
Spotten geneigt ſey, ſo will ich ihnen ihre Scru-
pel mit aller Sanftmuth zubenehmen ſuchen, und
ernſthaft mit ihnen reden.
Es verdienet auch uͤberdem ihr zaͤrtliches Gewiſ-
ſen, mehr ein Mittleiden, als daß man daruͤber
lache. Jch bedaure ſie von Grund meiner Seelen.
Sie ſetzen ſich durch ihre gar zu groſſe Heiligkeit in
den Stand, daß ſie ohne Gefahr zu ſuͤndigen, nicht
einmahl Eſſen und Trincken fordern koͤnnen. Plagt
ſie der Durſt, ſo duͤrfen ſie nicht ſagen, daß ſie
duͤrſte. Und wann ſie auf Reiſen in ein Wirths-Haus
kommen, iſt es ihnen nicht erlaubt zu fragen: Habt ihr
nichts zu eſſen? Leute mit denen es ſo beſchaffen iſt, die
ſind vor andern eines liebreichen Unterrichts wuͤrdig;
Und ich mache mir ein Gewiſſen, ſie auszuhoͤhnen.
Jch bitte ſie demnach zu bedencken, daß dasje-
nige, was ich vom gruͤnen Holtz geſaget habe, ein
Sprichwort ſey. Unſer Heyland hat ſich deſſelben
bedienet, das weiß ich wohl: Aber ich ſolte nicht
meinen, daß dadurch die Natur dieſes Sprichworts
geaͤndert ſey, und das menſchliche Geſchlecht et-
was
[131](o)
was von ſeinem Recht auf daſſelbige verlohren ha-
be. Jch glaube alſo nicht, daß es eine Suͤnde
ſey, ſich deſſelben zu bedienen, und das um ſo viel
weniger, weil auch die andaͤchtigſten alten Wei-
ber ſich kein Gewiſſen daruͤber machen.
Was das anlanget, daß ich geſaget habe: Nie-
mand verachte meine Jugend: So moͤchte ich wohl
von den gewiſſenhafften Perſonen, die mir dieſes
zur Suͤnde deuten, belehret ſeyn, wie ein Menſch,
der ſagen will, man ſolle ihn ſeiner Jugend wegen
nicht verachten, ſeine Worte ordnen muͤſſe, wenn
er ſich nicht verſuͤndigen wil. Jch vor meine Per-
ſon wuſte es nicht kurtzer und deutlicher auszudruͤ-
cken, und kan nicht davor, daß Luther eine gewiſſe
Stelle in den Briefen Pauli eben ſo uͤberſetzet hat.
Jch halte es fuͤr eine gar zu groſſe Beſchwerlich-
keit, allezeit, wenn man etwas reden oder ſchreiben
will, die Naſe in der Concordantz zu haben, um zu ſe-
hen, ob die Redens-Arten, der man ſich bedienen
will, auch in der Bibel ſtehen. Meine heiligen
Richter muͤſſen dieſes thun, falls man nicht muth-
maſſen ſoll, daß es mit ihrem engen Gewiſſen nicht
viel zu bedeuten habe. Jch beklage ſie desfals
und gehe weiter. Doch muß ich noch demjenigen
‒ ‒ ‒ hiatus in MSt. ‒ ‒ ‒ Jch habe in meinen
Anmerckungen p. 18. gemuthmaſſet, Jeſus Ana-
ni ſey, weil er eines gemeinen Mannes Sohn ge-
weſen, zu Fuſſe nach Jeruſalem gegangen: Die-
ſe Muthmaſſung will einem gelehrten und beruͤhm-
ten Manne in Sachſen nicht gefallen. Er hat mir
die Ehre gethan, desfalls an mich zu ſchreiben,
und die Hoͤflichkeit, mit welcher er meine Mey-
J 2nung
[132](o)
nung beſtreitet, verdienet, daß ich ſie oͤffentlich
lobe. Jch war willens, ſeinen Brief, weil er
viele beſondere Anmerckungen in ſich faſſet, hier
gantz einzuruͤcken: Aber da derſelbe durch und
durch mit Lobes Erhebungen, der ich mich gantz
unwuͤrdig ſchaͤtze, angefuͤllet iſt, ſo hat es mir
meine Demuth nicht zulaſſen wollen. Meine
Leſer werden zu frieden ſeyn, wann ich ihnen ſa-
ge, daß der gelehrte Mann behauptet, Jeſus
Anani ſey nicht zu Fuſſe nach Jeruſalem ge-
gangen, ſondern er habe dem Poſt-Knecht ein
Trinckgeld gegeben, und ſich vor dem Thor auf
die Poſt geſetzt. Folglich ſey er nach Jeruſa-
lem gefahren. Ob ich nun gleich vieles wider
die Zeugniſſe der Scribenten, aus welchen er
dieſes zu beweiſen ſuchet, einzuwenden haͤtte, ſo
will ich mich doch lieber bemuͤhen, unſere Mey-
nungen zu vergleichen, als mit einem ſo vor-
treflichen Manne uͤber eine Sache von ſo we-
niger Wichtigkeit zancken. Wir haben, deucht
mich, beyde recht. Jeſus Anani hat ſich un-
terwegens auf die Poſt geſetzet, und ſo lange
er auf der Poſt geſeſſen, iſt er nicht gegangen.
So weit hat mein Gegner recht. Aber ich
glaube, dieſer geſchickte Mann, wird mir auch
nicht ſtreiten, daß Jeſus Anani vor dem Thor
zu Jeruſalem abſteigen muͤſſen. Denn dieſes
muͤſſen ſich alle diejenigen gefallen laſſen, die
der Poſt-Knecht vor ein Trinckgeld aufnimmt.
Er iſt alſo unſtreitig zu Fuſſe nach Jeruſalem
gekommen. Und auf ſolche Art waͤre dieſer
Streit gehoben.
Jch
[133](o)
Jch eile zum Ende, und will dahero dasjeni-
ge, was auſſer dieſem noch an meiner Schrift
getadelt worden, nur mit ein paar Worten un-
terſuchen.
Einige haben mich desfalls einer Grobheit be-
ſchuldigen wollen, daß ich in meinen Anmer-
ckungen geſaget habe, was Kuͤh-Miſt und Un-
flat auf Niederſaͤchſiſch heiſſe. Die Sittſamkeit
dieſer gar zu feinen Leute koͤmmt mir eben ſo
wunderlich vor, als die uͤbergroſſe Heiligkeit de-
rer, die ſich einbilden, ich mißbrauche der
Schrifft: und ich wuͤſte ſie auch an meinem Bru-
der nicht zu billigen: Sehen ſie dann nicht, daß
ich nichts mehr thue, als daß ich anfuͤhre, was
in meinem Codice Mst. ſtehet? Mich deucht nicht,
daß es billig iſt, mir zu zumuthen, daß ich ſalva
venia dabey ſetzen ſollen.
Doch vielleicht iſt ein ſolcher Codex MStus
nicht in der Welt? Jch weiß wohl, es giebt Leute,
welche vorgeben, ich aͤffe meine Leſer, wenn ich
meinen Codicem anfuͤhre. Aber dieſe Herren muͤſ-
ſen andere Leute nach ſich ſelbſt beurtheilen. Jch
bin nicht der Mann, der andern etwas vorzuluͤ-
gen faͤhig iſt. Was ich ſage, das kan man glau-
ben. Und wer meinen Worten nicht trauet, der
komme zu mir, ſo will ich ihm meinen Codicem
weiſen.
Nach dem ich alſo alle ungleiche Urtheile, die von
meiner Schrift gefaͤllet worden, beantwortet habe,
J 3ſo
[134](o)
ſo bitte ich zum Beſchluß meine Leſer nochmahl, das,
was ich geſchrieben, wohl zu behertzigen. Jch ſchmei-
chele mir mit der Hofnung, daß Unpartheyiſche die
Gruͤndlichkeit meiner Verantwortung einſehen, und
mir recht wiederfahren laſſen werden. Bin ich ſo
gluͤcklich, ſo werde ich mich wenig daran kehren, was
die Einfaͤltigen von mir und meiner Schrift urthei-
len. Jch bin zu frieden, wenn nur der Hr. M. Sievers
und der kluͤgſte Theil dieſer Stadt eine gute Mey-
nung von mir hat. Der Reſt mag ſagen, was ihm be-
liebt: doch warne ich meine Laͤſterer zum Beſchluß
wohlmeinentlich, es nicht gar zu bunt zu machen. Jch
bin von Hertzen fromm: Aber macht man mich boͤſe,
ſo tauge ich auch nicht viel.
„Qui me commôrit (melius non tangere clamo)
„Flebit, \& inſignis tota cantabitur urbe,
Horatius Lib. II. Sat. I.’
[[135]]
IV.
Briontes
der juͤngere,
oder
Lobrede,
auf den
Hochedelgebohrnen und Hochgelahrten
Herrn,
Herrn D. Johann Ernſt
Philippi,
oͤffentlichen Profeſſoren der deutſchen Bered-
ſamkeit auf der Univerſitaͤt Halle,
wie auch
Churſaͤchſiſchen immatriculirten Advocaten
ꝛc. ꝛc.
nach den Regeln einer natuͤrlichen,
maͤnnlichen und heroiſchen
Beredſamkeit,
gehalten
in der Geſellſchaft der kleinen Geiſter,
in Deutſchland,
von
einem unwuͤrdigen Mitgliede dieſer
zahlreichen Geſellſchaft.
1732.
Hic ſe beatos atque ſublimes putant
Vocabulorum quum tumore ſpumeo,
Strepituque anhelant futiles ſententias,
Ut qui puſilli corporis ſtatum juvant
Grandi cothurno, veſtis aut farctu ſtudent,
Fortes videri, ac ſucculentis artubus.’
[[137]]
Vorbericht.
Die Geſellſchaft der kleinen Geiſter
hat einige Aehnlichklit mit der un-
ſichtbaren Kirche. Sie iſt in der
gantzen Welt ausgebreitet, und doch kan
niemand ſagen: ſiehe hie oder da iſt ſie.
Jch ſage dieſes, um dem Vorwitz meiner
Leſer vorzubeugen, die ſich ohne Zweifel
bemuͤhen werden zu entdecken, wo gegen-
waͤrtige Lobrede eigentlich gehalten wor-
den. Jch gebe Jhnen mein Wort, daß
ſie dieſes ſo wenig errathen werden, als
ſie errathen werden wer der aͤltere Herr Bri-
ontes ſey. Sie duͤrffen aber darum nicht
zweifeln, ob eine ſolche Geſellſchaft auch
wuͤrcklich vorhanden ſey. Sie glauben
eine unſichtbare Kirche: Sie glauben eine
Patriotiſche Aſſemblée, und eine ſtille
Todtengeſellſchaft zu Friedensburg. Sie
glauben alſo, ob ſie gleich nicht ſehen.
Warum wollen ſie denn die Wuͤrcklichkeit
der Geſellſchaft der kleinen Geiſter in
Zweifel ziehen, weil ſie unſichtbar iſt?
Jch verſichere ſie, daß ſie in der Welt iſt.
Sie koͤnnen mir trauen. Jch luͤge nicht.
Es ſind darinn viele groſſe und beruͤhmte
Maͤnner, die ich nahmhaft machen koͤnn-
te, wenn ich nicht beſorgte, ſie moͤgten
es uͤbel nehmen. Die Mitglieder unſerer
J 5Geſell-
[138](o)
Geſellſchaft ſind von ſo groſſer Beſchei-
denheit, daß ſie lieber ſterben, als ſich kund
geben: Und der Leſer kan glauben, daß
ich mir lieber die Zunge abbeiſſen, als mei-
nen Namen ſagen wuͤrde.
Jch halte vor unnoͤthig, mich wieder den
Momus zu verwahren. Wer meine Re-
de tadeln will, der thue es immer hin. Jch
werde mir desfals weder einigen Kummer
machen, noch meine Tadler haſſen. Jch bin
verſichert, daß diejenigen, denen meine
Rede am wenigſten gefallen wird, meine
wuͤrdigſten Mitbruͤder ſind, ohne daß ſie es
ſelbſt wiſſen. Man darf ſich daruͤber nicht
wundern. Unſere Geſellſchaft hat allent-
halben die ihrigen, und viele, die es ſich
nicht einbilden, ſtehen mit mir in einer un-
ſichtbaren Gemeinſchaft. Es wird mir ei-
ne Freude ſeyn, bey dieſer Gelegenheit ei-
nige dieſer Herren kennen zu lernen, und
ich bitte ſie ſamt und ſonders verſichert zu
ſeyn, daß ich als dann nicht ermangeln wer-
de, meine Schuldigkeit gegen ſie zu beob-
achten, und ihnen diejenigen Liebesdienſte
zu leiſten, die ich ihnen, als meinen wehr-
ten Bruͤdern, ſchuldig bin, aber bißhero
nicht habe erweiſen koͤnnen, weil ich nicht
die Ehre gehabt ſie zu kennen.
Hoch-
[[139]]
Hochwehrtgeſchaͤtzte Goͤnner
und Freunde!
Es lebe der Herr Profeſſor Philippi!
Hoch! Sie erſchrecken nicht, Meine
Herren, daß ich meine Rede mit einem
Geſchrey1) anfange, ſo ſich eher auf der Gaſ-
ſen, als in einem engen Zimmer, und beſſer in ei-
ner Schaar ſchwaͤrmender Studenten, als in der
Verſammlung ſittſamer Perſonen ſchicket. Es
iſt die Freude, ſo ich uͤber das Gluͤck eines ſo auſ-
ſerordentlichen Geiſtes, als der vortrefliche Mann,
dem ich in dieſer Stunde eine Lobrede halten ſoll,
empfinde, ſo unbaͤndig, daß ich, ohne mir die
groͤſſeſte Gewalt anzuthun, unmoͤglich in den
Schrancken des gemeinen Wohlſtandes bleiben
kan.
Expulit, \& totum ſpir ant præcordia Phœbum2)’
Jch ſetze alle Betrachtung der Ehrerbietung, die ich
einer ſo anſehnlichen Verſammlung ſchuldig bin, aus
den Augen, und laſſe meinem Triebe den freyen Lauf.
Jch
[140](o)
Jch ſchreye mit Macht, und aus vollem Halſe, daß
die Pfoſten beben, daß es weit und breit erthoͤnet,
die Nachbarſchaft in Unruhe ſetzt, und die halbe
Stadt rege macht: Es lebe der Herr Prof.
Philippi! Hoch!
Jch wuͤrde nicht ermangeln, meine Herren, die-
ſen frohen Ausruf mit dem gewoͤhnlichen Anhange
3) zu begleiten, wenn ich nicht verſichert waͤre, daß es
eines ſolchen Trumpfs in einer Verſammlung nicht
beduͤrfte, welche aus Perſonen beſtehet, die alle von
der Vortreflichkeit des Herrn Prof. Philippi eben ſo
ſtarck uͤberfuͤhret ſind als ich, und folglich, da ihre
Freude uͤber deſſen Erhebung nicht geringer als die
meinige iſt, ohne Zweifel mit mir Vivat! ruffen
wuͤrden, wenn ſie ſich nicht ein Gewiſſen machten,
die wohlhergebrachten Rechte eines oͤfentlichen
Redners zu verletzen.
Es wuͤrde demnach eine unzeitige Hoͤflichkeit ſeyn,
wenn ich mein Schreyen gegen eine Verſammlung
entſchuldigen wolte, die, wenn ich ſchwiege, ſelbſt,
vielleicht noch aus einem hoͤhern Ton, anſtimmen
wuͤrde. Jch ruffe, meine Herren, in ihrer aller
Namen: Es lebe der Herr Prof. Philippi!
Hoch!
Aber wie wird mir?4) Jch bin niemahlen mit
einer
[141](o)
einer groͤſſern Freudigkeit aufgetreten eine Rede zu
halten, als jetzo, und doch, da es recht angehen ſoll,
befinde ich mich in einer Verwirrung, die ich nicht
wohl zu beſchreiben vermag. Jch laſſe die Haͤnde
ſincken5), meine Lenden ſchuͤttern, und mir wird
gruͤn und gelbe vor den Augen. Es ſcheinet, als wenn
Traurigkeit und Freude, zwo Gemuͤthsbewegun-
gen, die einander gerade entgegen lauffen, wenn ſie
einen gewiſſen Grad erreichet haben, faſt von einer-
ley Wuͤrckung ſind. Eine gar zu groſſe Traurigkeit
macht uns ſtarr:
Und mir laͤhmet eine uͤbermaͤſſige Freude die Zunge.
Jch verſtumme beym Anfang meiner Rede7) …
.... Wundern Sie ſich nicht, Meine Herren, uͤber
einen ſo beſondern Zufall. Bedencken Sie vielmehr
die Groͤſſe der Laſt, ſo Sie mir aufzulegen belieber.
Jch ſoll zu Bezeugung der innigſten Freude, ſo un-
ſere Geſellſchaft uͤber die Erhebung des Herrn D.
Philippi zu der Profeſſion der Deutſchen Beredſam-
keit in Halle, empfindet, einem Manne eine Lobre-
de halten, der bisher aus ſonderbahrer Demuth ſeine
Vortreflichkeit ſo geſchickt zu verbergen gewuſt, daß
man
[142](o)
man alle Muͤhe von der Welt hat, ſich einen rechten
Begrifvon ſelbigen zu machen.
Jch geſtehe, Meine Herren, ich habe dieſe Muͤhe
uͤberſtiegen. Jch habe die Sechs deutſche Reden, ſo
der Herr D. Philippi durch den Druck bekannt ge-
macht hat, ja, was noch mehr iſt, ich habe ſein Helden-
Gedicht geleſen; und ſehe alſo die Verdienſte dieſes
groſſen Mannes voͤllig ein*). Aber, Meine Herren,
dadurch wird meine Verwirrung nicht gemindert; ſie
nimmt vielmehr zu, und die Menge und die Groͤſſe der
vortreflichen und ausnehmenden Eigenſchaften, ſo ich
an|dem Herrn Prof. Philippi erblicke, macht mir den
Mangel der Beredſamkeit, den ich allemahl bey mir
ſpuͤre, empfindlicher als jemahls.
Wie fange ich es alſo an, daß ich mit Ehren wie-
der von dieſem Platz komme? Jch wolte wohl den
Apollo bitten, mir ſchoͤne Gedancken einzublaſen, und
das Band meiner Zunge zu loͤſen: Allein der ſtum-
me Goͤtze vermag es nicht. Jch wolte den Herrn
Brockes wohl um ſeinen Mund anſprechen8): Aber
ich bin zu bloͤde. Er braucht ihn ſelber, und uͤber
dem ſoll ich kein Gedichte machen. Koͤnnte ich, wie
dort Saul den Samuel, die alten graubaͤrtigen und
vermoderten Redner, Demoſthenes und Cicero, be-
ſchwoͤren, aus ihrer Gruft hervorzutreten9), ſo wol-
te
[143](o)
te ich ſelbige um Huͤlffe in dieſer Noth anruffen. Al-
lein ich kan nicht hexen, und ich bin uͤber dem zweifel-
haft, ob alle Beredſamkeit dieſer beyden Alten zurei-
chen moͤgte, den Hrn. Prof. Philippi nach Wuͤrden
zu erheben. Jch wuͤrde alſo untroͤſtbar ſeyn, und
mit Schanden abtreten muͤſſen, wenn ich nicht ſelbſt
bey dem groſſen Geiſte Troſt faͤnde, deſſen Vortref-
lichkeiten mich in dieſe Verwirrung geſetzet haben.
Es mag demnach Demoſthenes, Cicero, Apollo,
ja Brockes ſelbſt einen guten Tag haben. Jch be-
darf ihrer Huͤlffe nicht: Jch halte mich an den Herrn
Prof. Philippi. Dieſer groſſe Mann hat mir durch
ſein Beyſpiel gewieſen, wie ich und meines gleichen
kuͤmmerliche Redner es machen muͤſſen, wenn wir
etwas ſagen wollen, und nicht wiſſen was es ſeyn
ſoll. Er hat die Kunſt erfunden, wie ein Redner
das, was ihm mangelt, geſchickt von ſeinen Zuhoͤ-
rern entlehnen kan. Er ſaugt Glut aus den Augen
der Hochgeſchaͤtzten Anweſenden, und wenn
ſeine matte Faͤhigkeit zum Dencken, und eine ſchaam-
haftsvolle Furcht ihm allen Muth benimmt, und
ſeinen Geiſt entkraͤftet, ſo nimmt Er ſeine Zuflucht
zu ſeinen Zuhoͤrern und ſpricht:
Jedoch es iſt noch Rath: Wann DeroHuld erlaubtDaß mein Gedancke ietzt denſelben et-was raubt;Will ich das Feuer nur aus Dero Au-gen faſſen,So wird mein Mund beredt .......10)
Jch
[144](o)
Jch wolte nicht um wie viel, daß von dem Herrn
Prof. Philippi dieſer vortrefliche Handgrif nicht er-
funden waͤre. Haͤtte ich von ihm nicht gelernet,
wie man Feuer aus den Augen der Zuhoͤrer
faſſen muͤſte, was koͤnte ich wohl machen? Aber
ſo bin ich aller meiner Sorge entlediget. Jch faſ-
ſe das Feuer aus dero Augen, und ſpreche:
Saͤh’ alſo Jhre Huld mich ietzt aufsſchaͤrfſte an,So koͤnnt wohl Dero Glut auch in mirGlut erwecken.Wie oft wird das entzuͤndt, das ſelbſtnicht brennen kan,So kan ihr Feuer auch ietzt meinen Geiſtanſtecken.11)
Ob alſo gleich Ehrfurcht und Ohnmacht mir billig
ein Stillſchweigen auflegen ſolten, ſo laſſe ich doch
den Muth nicht ſincken; ſondern da Dero, aus un-
verdienter Guͤtigkeit, auf mich unverwandt gerich-
tete Augen, hoch wehrteſte Anweſende! mir be-
fehlen, daß ich in meiner Rede noch nicht aufhoͤren,
ſondern fortfahren ſolle; Zumahl in den Geſetzen un-
ſerer Verſammlung verſehen, daß wir bey dergleichen
Begebenheiten lieber das Hertz, als die Kunſt, das
Wort fuͤhren laſſen wollen: So gehorche denn, und
ſehe zugleich in voraus, daß, wo ich reden ſoll, als
es mir wahrhaftig ums Hertze iſt, ich eher einen An-
fang, als Ende meiner auszudruͤckenden Bewegun-
gen, werde antreffen koͤnnen12). Wie vermoͤgte ich
auch
[145](o)
auch, mich weiter des Redens zu enthalten, da die un-
wandelbare hoͤchſt-erfreuliche Nachricht von der
unvermutheten Erhebung des Herrn Prof. Philippi
durch das Hertz aller redlichgeſinnten, mithin auch
vornehmlich durch die Jhrigen, gleich einem gewalt-
ſamen Strohm, den keine Daͤmme aufhalten, hin-
durch bricht und die Freude durch alle Glieder des Lei-
bes, um nicht bey weiterer Beklemmung in den Her-
tzen, es gar zu zerbrechen, einen ungehinderten Aus-
gang zu nehmen trachtet? Sind demnach gleich
meine Worte zu niedrig, als daß ſie den hohen Grad
unſers Vergnuͤgens auszudruͤcken vermoͤgten, und
laͤſſt ſich gleich ein erhabner Cedernbaum nicht mit
einem geringen Maaßſtabe von Cypreſſenholtz
ausmeſſen; So ſoll doch dasmahl mein Hertz vor
mich reden, und Dero eigene gerechte Freude uͤber die
Beforderung des Herrn Prof. Philippi ſoll mir zur
Regel und zum Maaßſtabe dienen, um darnach die
Gerechtigkeit der Freude aller Verehrer dieſes groſ-
ſen Mannes auszumeſſen.
Es breche alſo nunmehr ungehindert die verborge-
ne Freude meines Hertzens aus der Quelle der Ehr-
erbietigkeit hervor, und ohnerachtet ſolche Dero aller-
ſeits hellen Gemuͤths-Augen bereits unverborgen iſt;
ſo vermenge ſich doch mein Freudenton mit dem
In dulci jubilo aller, ſo die Verdienſte des Hn. Pr.
Philippi kennen, und erfuͤlle die Lufft mit einem hel-
len und deutlichen Vivat! mit einem freudigen Hoch!
und mit einem frohlockenden Jubelgeſchrey13).
Es lebe der Herr Prof. Philippi! Hoch!
KMich
[146](o)
Mich deucht, meine Herren, ich nehme in Dero
unverwandt auf mich gerichteten Augen, aus wel-
chen ich dasjenige Feuer gefaſſet, ſo jetzo in die Flam-
men eines auſſerordentlichen Freudengeſchreyes aus-
bricht, einen heimlichen Widerwillen wahr. Sie
befuͤrchten, ich ſehe es Jhnen an, ich duͤrfte meines
Hauptzweckes vergeſſen, und die Zeit, ſo beſtimmet
iſt, den Herrn Prof. Philippi zu loben, mit bloſſen
Wuͤnſchen vor das Wohlſeyn eines ſo vortreflichen
Mannes zubringen. Und gewiß, Meine Herren,
bald ſolte ich mich dieſer Liſt bedienen, um mich einer
Laſt zu entledigen, die mir faſt zu ſchwer fallen will.
Was ſoll ich von einem Manne ſagen, den ich nicht
kenne? Jch kan mit gutem Gewiſſen einen Eyd
ſchweren, daß ich nicht eher gewuſt habe, daß der Herr
Prof. Philippi in der Welt ſey, als biß derſelbe, aus
GOttes gerechtem Verhaͤngniß, erkohren worden,
den Hochmuth einer Academie zu daͤmpfen, die un-
ſerer Geſellſchaft bißhero ein Dorn im Auge geweſen
iſt, und Derſelben zu einer Geiſſel hat dienen muͤſſen.
Es iſt wahr, Meine Herren, ich habe die vortreflichen
Reden des Herrn Prof. Philippi geleſen. Jch ken-
neihn alſo aus ſeinen Schriften. Aber dieſe Schrif-
ten ſind, nach dem Urtheil der Kenner, mit ſolcher
Kunſt verfertiget, daß man Muͤhe hat, die Kunſt
darinn
13)
[147](o)
darinn zu finden. Artis eſtcelare artem. Die-
ſes Kunſtſtuͤck hat der Herr Prof. Philippi in ſei-
nen Reden meiſterlich angebracht. Er hat mit ſol-
cher Sorgfalt ſeine Geſchicklichkeit verborgen, daß
zu deren Entdeckung die Einſicht eines groſſen
Staats-Mannes erfordert wird14), und die
Weisheit der Schulgelehrten dazu nicht hinlaͤnglich
iſt15). Dieſe Nachteulen blendet ein ſo groſſes
Licht.
Es wuͤrde mir daher nicht zu verdencken ſeyn, wenn
ich ietzo, da ich, zu Bezeugung unſerer Freude, Hoch!
gerufen, ohne ferner ein Wort zu ſagen, nach Hau-
ſe gienge, und daſelbſt die ſeltenen Eigenſchaften des
Herrn Prof. Philippi ſtillſchweigend bewunderte.
Aber, Meine Herren, ich habe mich ſchon ſo weit
herausgelaſſen, daß ich dieſes mit Ehren nicht thun
kan. Jch habe ſchon bekannt, daß ich die Verdien-
ſte des Herrn Prof. Philippi voͤllig einſaͤhe. Die-
ſes Bekaͤnntniß wiederufe ich nicht. Jch bin voͤl-
lig uͤberzeuget, daß der Herr Prof. Philippi ein Red-
ner iſt, der ſeines gleichen nicht hat. Doch verlan-
ge ich darum nicht, Meine Herren, daß Sie mich
den gemeinen Gelehrten vorziehen, und von mei-
ner Scharfſichtigkeit gar zu groſſe Begrife haben ſol-
len. Jch wuͤrde mit allen Gelehrten meiner Art, ſee-
lig geſtorben ſeyn, ohne zu dieſer Erkaͤnntniß zu
gelangen, wenn nicht der Herr Pr. Philippi die Guͤ-
te gehabt haͤtte, auf dem Titelblat ſeiner ſechs deut-
K 2ſchen
[148](o)
ſchen Reden zu melden, daß ſie nach denen Regeln
einer natuͤrlichen, maͤnnlichen, und heroiſchen
Beredſamkeit ausgearbeitet ſind.
Dieſes Zeugniß, welches der Hr. Prof. Philippi ſich
ſelbſt giebt, iſt ſo glaubwuͤrdig, daß derjenige ſehr un-
verſchaͤmt ſeyn muͤſte, der ſich geluͤſten laſſen wolte,
an der Geſchicklichkeit des Herrn Prof. Philippi zu
zweifeln. Es giebt uns diejenige gute Meynung von
dem Herrn Prof., welche noͤthig iſt, die verborgene
Schoͤnheiten ſeiner Reden einzuſehen, und nach die-
ſer Einſicht von der Vortreflichkeit des Verfaſſers
zu urtheilen: Und man muß bekennen, der Herr Prof.
Philippi hat durch daſſelbe die Pflicht, mit welcher
Er ſich und ſeinem Naͤchſten verwandt iſt, vollenkom-
men erfuͤllet, indem Er dadurch die vortheilhaften Ge-
dancken, die Er von ſeiner eigenen Arbeit hat, aufs
beſcheidenſte an den Tag leget, und andern die Ge-
legenheit benimmt, ſich, durch Entziehung des ihm
gebuͤhrenden Lobes, an ihn zu verſuͤndigen.
Jch weiß wohl, es hat ein alter Wahn das menſch-
liche Geſchlecht ſo ſehr bethoͤret, daß die meiſten es
als eine Unanſtaͤndigkeit anſehen, wenn einer ſich ſelbſt
lobet; und es gibt wuͤrcklich ſo eigenſinnige, neidi-
ſche Gemuͤther, die ſich an dem Titelblatte der ſechs
deutſchen Reden des Herrn Philippi aͤrgern, und es
dieſem groſſen Mann zur Suͤnde deuten, daß Er ſei-
nen Leſer zum voraus einen guten Begrif von ſeiner
Arbeit zu geben ſuchet. Aber gleich wie Leute von die-
ſer Art gemeiniglich erhabenen und tugendhaften Ge-
muͤthern, als der Herr Prof. Philippi iſt, zu ſolchen
Voꝛwuͤrfen dienen, daran ſie deꝛſelben ihre Schwach-
heiten
[149](o)
heiten deutlich erkennen, und ihre Edelmuth in groß-
muͤthiger Ertragung ſolcher unverſchuldeten Urtheile
ruͤhmlichſt erweiſen lernen16); ſo hoffe ich auch, Mei-
ne Herren, Sie werden den Eigenſinn dieſer Tadler
mit mir verabſcheuen, und, nach der Jhnen beywoh-
nenden Klugheit, wohl begreifen, daß der Herr Prof.
Philippi eines theils, wie ich ſchon erwieſen, wichti-
ge Urſachen gehabt, ſich ſelbſt zu loben, und andern
theils auf dem Titelblatte nichts geſetzet hat, von deſ-
ſen Wahrheit nicht ein jeder, der ſeine Reden lieſet,
beym erſten Anblick uͤberfuͤhret werden ſolte.
Er ſpricht, ſeine Reden waͤren nach den Regeln
einer natuͤrlichen, maͤnnlichen, und heroiſchen Be-
redſamkeit ausgearbeitet. Er redet die Wahrheit.
Wer will leugnen, daß ſeine Beredſamkeit natuͤrlich
ſey? Ein jeder ſiehet leicht, daß es mit ſeinen ſechs
Reden ohne Hexerey zugegangen iſt. Sie iſt maͤnn-
lich: Denn der Herr Prof. Philippi iſt ein Mann
und kein Weib. Sie iſt heroiſch; weil der Herr
Prof. Philippi ſich an die gemeinen Regeln der Re-
dekunſt gantz und gar nicht kehret. Mich deucht,
Meine Herren, ein ſolcher Redner iſt werth, daß ihn
alle Welt lobet, und ich zweifele nicht, es werde Jh-
nen allerſeits ſehr angenehm ſeyn, wenn ich Jhnen
die ſo ſehr verſteckten Schoͤnheiten ſeiner Reden ſo
deutlich, als es mir moͤglich iſt, zur Bewunderung
darſtelle.
Jch bin verſichert, Meine Herren, daß keiner un-
ter ihnen iſt, der nicht die ſechs deutſchen Reden des
K 3Herrn
[150](o)
Herrn Prof. Philippi ein, ja mehrmahl, durchgeleſen
habe. Jch frage ſie demnach auf ihr Gewiſſen, ob
Sie jemahlen etwas geleſen, ſo mit denſelben zu
vergleichen iſt? An ihren Augen, Meine Herren, ſehe
ich es Jhnen an, daß Sie mir dieſe Frage mit nein
beantworten werden. Aber ich moͤgte doch faſt wet-
ten, daß Sie die verborgene Abſicht des Herrn Phi-
lippi nicht ſo tief einſehen, als erfordert wird, um recht
zu erkennen, wie ſehr unſere Geſellſchaft dieſem auſ-
ſerordentlichen Redner verpflichtet iſt.
Sie wiſſen, Meine Herren, wie ſchwer es die alten
Griechen und Roͤmer gehalten haben, eine geſchickte
Rede zu verfertigen. Cicero zweiffelt, ob jemahls
ein vollkommener Redner geweſen ſey, oder ſeyn wer-
de. Wir duͤrffen uns uͤber dieſes Verfahren der
Griechen und Roͤmer nicht wundern, wenn wir nur
bedencken, daß ſie die Redekunſt der Vernunftleh-
re auf eine ſchaͤndliche Art unterworffen, und ſich ein-
gebildet haben, man muͤſſe erſt dencken lernen, ehe
man ſich zu reden unterſtuͤnde. Das Licht des Evan-
gelii, welches die Finſterniß, in der die Heiden wan-
delten, vertrieb, hat auch dieſen ſo boͤſen und ſchaͤd-
lichen Wahn verjaget. Die Heil. Kirchenvaͤter,
und ihre wuͤrdige Nachfolger haben ſich ein Gewiſ-
ſen gemacht, den Weg der Gottloſen zu wandeln,
ſondern eine ſolche Art der Beredſamkeit durch ihre
Beyſpiele eingefuͤhret, daß es einem Menſchen, der
nicht ſtumm iſt, und nur Hertz genug hat, das heraus-
zuſagen, was ihm zu erſt ins Maul koͤmmt, nim-
mer fehlen kan, den Ruhm eines guten Redners da-
von zu tragen. Jedermann hat ſich beſtrebet, die-
ſem
[151](o)
ſem Exempel ſo ehrwuͤrdiger Perſonen zu folgen, und
die Welt iſt von einer entſetzlichen Menge groſſer
Redner uͤberſchwemmet worden. Es hat zwar im-
mer einige eckele und naſeweiſe Gemuͤther gegeben,
die da mit der gemeinen Beredſamkeit nicht zu frieden
geweſen ſind, und es vor beſſer gehalten haben, wenn
man ſich nach dem Geſchmack der Griechen und Roͤ-
mer richtete: Aber es ſind ihrer allzeit ſo wenige gewe-
ſen, daß ſie gegen die groſſe Menge ihrer Gegner
nicht aufkommen koͤnnen. Dieſes ſchreckt dieſe
verwegene nicht ab: Und viele von Jhnen, deren
Namen ich nicht einmal nennen mag, haben ſich un-
terſtanden, ihre Grillen in Regeln zu bringen, und
aller Welt die Nachahmung der Alten, als den
eintzigen Weg zur wahren Beredſamkeit, anzu-
rathen.
Jch irre ſehr, oder der Herr Prof. Philippi hat
zu keinem andern Ende ſeine ſechs deutſchen Reden
herausgegeben, als dem Unheil, das ſolche Schrif-
ten anrichten koͤnnen, vorzubeugen. Man hat Ur-
ſache zu hoffen, daß er ſeinen Zweck erreichen werde.
Denn da dieſe naſeweiſe Herren durch ihre Regeln
allen Lehrbegierigen eine Laſt auflegen, die auch
unſere Vaͤter nicht zu tragen vermogt, und von ei-
nem Redner ſo viel Vernunft, Scharfſinnigkeit
und Wiſſenſchaft erfordern, daß viele gute Gemuͤh-
ter, denen es ſonſt weder an Worten, noch Drei-
ſtigkeit, fehlet, nothwendig in Verzweiflung gerah-
ten muͤſſen; auch uͤber dem ſich nicht ſchaͤmen, bey
ſo hellem Lichte des Evangelii, die blinden Heiden
K 4als
[152](o)
als rechte Muſter vollkommener Redner vorzuſtellen:
So hoffe ich, daß alle diejenigen, die ihr eigen Be-
ſtes lieben, und ihr Gewiſſen betrachten, ſich innig-
lich freuen werden, daß der Herr Prof. Philippi
auf eine ſo feine Art die Nichtigkeit ſolcher Einfaͤlle
zeigen, und durch ſein eigen Beyſpiel unwiderſprech-
lich darthun wollen, wie leicht es ſey, auch ohne ſich
an ſo beſchwerliche Regeln zu binden, und ohne Ab-
ſicht auf die blinden Heiden, ein natuͤrlicher, maͤnn-
licher und heroiſcher Redner zu werden.
Sie, Hochgeſchaͤtzte Anweſende, haben um ſo viel
mehr Urſache uͤber dieſes heldenmuͤthige Unternehmen
des Herrn Prof. Philippi zu frolocken, je genauer
daſſelbe mit dem Endzweck ihrer Geſellſchaft uͤber-
einſtimmet, und je gewiſſer Sie hoffen koͤnnen, daß
dadurch ihre Abſichten ungemein werden befordert,
und die Zahl ihrer Glieder, den Neidern zum Trotz,
vermehret werden.
Jch vor meine Perſon weiß mich faſt vor Freu-
den nicht zu laſſen, und es fehlet wenig, ich huͤpfte
auf einem Beine17), wenn ich mir vorſtelle, was ein
ſo
[153](o)
ſo vortreflicher Mann unſerer Geſellſchaft vor Vor-
theil bringen wird. O! wie gluͤcklich waͤren wir
....... Doch, Meine Herren, ich maͤſſige mich,
und behalte das, was ich jetzo ſagen wolte, auch mit
Gefahr meiner Geſundheit, auf dem Hertzen, weil
Dero huldreiche Augen18), welche mit einer ehrer-
bietigen, und zugleich hoͤchſtverbindlichen Freymuͤ-
thigkeit anjetzo anſchauen zu duͤrfen, vor einen groſ-
ſen Theil meiner Gluͤckſeeligkeit achte, und meinen
ſicheren Anfuͤhrer, und beſtaͤndigen Wegweiſer ſeyn
laſſe, mir einen Winck geben, daß ich Jhnen keinen
groͤſſern Gefallen erweiſen koͤnne, als wenn ich zu der
Vorſtellung, der in denen Reden des Herrn Philip-
pi verborgenen Schoͤnheiten, zu welcher ich mich an-
heiſchig gemacht, ohne fernere Umſchweiffe ſchreite:
So gehorche denn. Aber was unterwinde ich mich?
Meine ſchwache Schultern erſincken unter einer ſol-
chen Laſt, und meine unbeſchnittene Lippen verhin-
dern mich, ſo unausſprechliche Seltenheiten nach
dem Leben vorzuſtellen, und nach Wuͤrden zu er-
heben.
K 5Jch
[154](o)
Jch wende mich alſo zu dir, Großmaͤchtigſte
Koͤnigin Beredſamkeit19)! Du allgewaltige
Hertzenszwingerin, deren Gegenwart, wie ſie der
gantzen Welt, alſo auch mir armer Suͤnder, un-
entbehrlich iſt, einen Mann nach Verdienſt zu prei-
ſen, der dazu erſehen, daß Er das elende Haͤuf-
lein deiner wahren Verehrer, wider die boͤſe Rotte
der Naſeweiſen vertrete, welche die Ober-Hand ſich
mit Liſt und Macht mehr und mehr herauszunehmen
ſcheinen, und dich ſelbſt durch Erhebung der gar-
ſtigen Hure der Vernunft unterdruͤcken wollen.
Jch flehe dich an, laß diejenigen Vollkommenheiten,
damit der Geiſt deines im hohen Maaß geſalbten,
des groſſen und auſſerordentlichen Redners
Philippi, reichlich geſchmuͤcket iſt, mir in dieſer
Stunde zu Huͤlffe kommen. Erleuchte meine Au-
gen, damit ich durch den Vorhang der Beſcheiden-
heit dringen koͤnne, hinter welchen die vornehmſten
Schoͤnheiten der Reden unſers groſſen Philippi ver-
borgen ſind, und loͤſe das Band meiner Zungen,
damit ich geſchickt ſey, die Wunder, die ich erblicke,
aller Welt kund zu machen.
Jch
[155](o)
Jch fuͤhle, Meine Herren, daß dieſer Seufzer
nicht ohne Wuͤrckung iſt. Machen Sie ſich dem-
nach gefaſt, ſolche Sachen zu hoͤren, daruͤber Sie
erſtaunen werden. Neigen Sie ihre Ohren20) zu
meiner Rede, und bewundern mit mir die ausneh-
menden Eigenſchaften eines Redners, der ſeines glei-
chen nicht hat.
Dero huldreicher Anblick verſpricht mir diejenige
Aufmerckſamkeit, welche Sachen von der Wich-
tigkeit mit Recht verdienen, ſie moͤgen auch ſo ſchlecht
vorgetragen werden, als ſie wollen; und die groſſe
Begierde Dero ſehnliches Verlangen zu ſtillen,
macht, daß ich nicht lange nach ſinne, wie ich Jhnen
die ſo groſſe Anzahl der Schoͤnheiten, welche ich in
den Reden des Herrn Philippi wahrnehme, ohne
Verwirrung vor Augen legen ſoll.
Jch nehme, mit Dero guͤtigen Erlaubniß21),
die Reden des Herrn Prof. Philippi ſelbſt zur
Hand. Jch werde ſie nach der Reihe durchblaͤttern,
und, was ich ſchoͤnes in denſelben finde, aufrichtig
vortragen.
Die
[156](o)
Die erſte Rede iſt eine Antrittsrede, die der
Herr Prof. Philippi in der vertrauten Rednerge-
ſellſchaft zu Leipzig gehalten hat. Sie handelt von dem
Rechte der in den roͤmiſchen Geſetzen verworfenen Loͤ-
wen-Geſellſchaft. Jch weiß nicht, Meine Her-
ren, ob ich in derſelben mehr des Herrn Prof. tiefe
Einſicht in die Rechtsgelahrtheit, oder die ſinn-
reiche und feine Art zu ſpotten, bewundern ſoll?
Doch da diejenigen Stellen, aus welchen man zur
Noth ſchlieſſen kan, daß der Herr Prof. Philippi
ein groſſer Juriſt ſey, nur ſolche Urtheile in ſich faſ-
ſen, die auch oft von Leuten gefaͤllet werden, welche
die Pandecten, uͤber deren Unordnung ſie ſeufzen,
mit keinem Auge angeſehen haben, und die roͤmiſchen
Rechtsgelahrte, die ſie aushoͤhnen, weiter nicht, als
dem Namen nach, kennen, ſo will ich mich dabey
nicht aufhalten, ſondern Sie, Meine Herren, nur
gehorſamſt erſuchen, die artigen Spoͤttereyen des
Herrn Prof. zu betrachten.
Wie ſinnreich ſpottet Er nicht uͤber die Weißheit
des Kaͤyſers Juſtinianus? Haͤtte Er wohl die ma-
gere Wiſſenſchaft dieſes Printzen lebhafter vorſtellen,
und deſſen Verehrern ihre Thorheit auf eine empfind-
lichere
21)
[157](o)
lichere Art vorruͤcken koͤnnen, als wenn Er ſagt:
Juſtinianus habe nicht nur das A. B. C. verſtan-
den, ſondern er ſey biß in den Donat, ja gar biß in
die Fabeln des Eſopus gekommen22)?
Wie artig ſtehet dem Herrn Prof. nicht der an-
genommene Eyfer, mit welchem Er den Anbetern
des Roͤmiſchen Rechts es als ein groſſes Verſehen
vorwirft, daß ſie in dem blutigen Kriege wegen der
Spaniſchen Nachfolge, nicht eine condictionem
ex lege wider den Koͤnig in Franckreich anzuſtellen
gerathen haben23)? Dieſer Eyfer koͤmmt ſo natuͤrlich
heraus, und die unter demſelben verborgene Spoͤtte-
rey iſt ſo fein, daß der Herr Prof. Philippi es vor noͤ-
thig erachtet hat, ſeinen Leſern in einer eigenen Anmer-
ckung zu ſagen, daß er ſpotten wollen.
Sie iſt aber zugleich eine recht heroiſche Spoͤtte-
rey. Der Herr Prof. legt zum Grunde derſelben,
daß der Koͤnig von Franckreich in dem Kriege we-
gen der Spaniſchen Nachfolge, eben dergleichen
Theilungstractat vorgehabt habe, als dort der
Loͤwe in der Fabel. Ein gemeiner Redner, der bloß ſei-
ner Vernunft gefolget, und die Freyheiten und Rech-
te eines heroiſchen Redners nicht gewuſt haͤtte, wuͤr-
de Bedencken getragen haben, ſeine Spoͤtterey auf
einen Satz zu gruͤnden, der ſo uͤbel mit der Hiſtorie
uͤberein koͤmmt. Er wuͤrde ſich erinnert haben, daß
zwar der Koͤnig in Franckreich noch bey Lebzeiten des
andern
[158](o)
andern Carls mit dem Koͤnig William einen Thei-
lungstractat wegen der Spaniſchen Monarchie
geſchloſſen: Daß aber dieſer Tractat niemahls
zur Wuͤrcklichkeit gekommen, ſondern der Koͤnig
von Franckreich, ſo bald der Hertzog von Anjou
durch ein foͤrmliches Teſtament, zum Erben der
gantzen ſpaniſchen Monarchie eingeſetzet worden,
ſich deutlich erklaͤret habe, daß Er an dem Thei-
lungstractat nicht ferner gebunden ſeyn wolte. Er
wuͤrde alſo, in ſeiner Einfalt gedacht haben, es
kaͤme laͤppiſch heraus, die Juriſten damit zu ſchee-
ren, daß ſie ſich des L. 29. ff. pro Socio, nicht wi-
der den Koͤnig in Franckreich bedienet haͤtten, in ei-
nem Streit, in welchem es nicht auf die Rechte ei-
ner Geſellſchaft, ſondern auf die Guͤltigkeit eines
Teſtaments ankam.
Aber der Herr Prof. Philippi, als ein heroiſcher
Redner, hat ſich durch ſolche Betrachtungen nicht
abhalten laſſen, einen Spaß zu machen, der ſo
ſcharfſinnig iſt, daß der Herr Prof. nimmer ein ru-
higes Gewiſſen wuͤrde gehabt haben, wenn Er den-
ſelben, um ſolcher Kleinigkeiten willen, haͤtte bey
ſich behalten wollen: Zumahl, da Er bey der Gele-
genheit einer ſehr anmuthigen, aber ziemlich alten
Hiſtorie, von jenem Hof-Mann, der den Koͤnig in
Franckreich ex L. Aquilia belangen wollen, durch
eine geſchickte Anwendung einen neuen Glantz geben
konnte.
Jch zweifele nicht, Meine Herren, dieſe heroiſche
Aufuͤhrung des Herrn Prof. Philippi wird Jhnen
ſon-
[159](o)
ſonderlich wohl gefallen: Aber ich beſorge, der gute
Begrif, den Sie dadurch von dem Herrn Prof. be-
kommen, duͤrfte durch die Anmerckung, mit welcher
Er ſeinen feinen und heroiſchen Schertz erlaͤutert, ei-
nen Stoß leiden, indem der Herr Prof. in derſelben
ſich vor einen Thomaſianer ausgiebt.
Ein Thomaſianer? werden Sie dencken. Be-
wahre GOtt! Ach! iſt es nicht ewig Schade, daß
ein ſo geſchickter Mann an den boͤſen Lehren dieſes
Unſeeligen, einen Gefallen findet, der unſerer Ge-
ſellſchaft, und vornehmlich dem ehrwuͤrdigſten Theil
derſelben ſo vielen Dampf angethan hat? Wir ge-
dachten an dem Hrn. Prof. Philippi noch viele Freu-
de zu erleben, und ſahen ihn bereits als die groͤſſte Zier-
de, und vornehmſte Stuͤtze unſerer Geſellſchaft an:
und ſiehe! nun iſt er ein Thomaſianer. Ach das GOtt
erbarm! .... Aber gemach, Meine Herren! ge-
baͤrden Sie ſich nicht ſo uͤbel. Der Herr Prof.
Philippi iſt kein Thomaſianer. Jch ſchwere es ih-
nen zu. Er ſagt es zwar: Aber Er meint es ſo boͤſe
nicht. Er iſt nur in ſo weit ein Thomaſianer, daß
Er mit dem Thomaſius mißbilliget, wenn einfaͤltige
Rechtsgelahrte das Roͤmiſche Recht zur Unzeit an-
fuͤhren. Seine Worte geben es deutlich zuerkennen,
daß dieſes ſeine Meynung ſey. Er ſpricht: Jch bin
NB.hierinn ein Thomaſianer. Und wie waͤre es
auch moͤglich, daß der Herr Prof. Philippi ein voͤl-
liger Thomaſianer ſey, da er in der Leichenpredigt, ſo
Er der Koͤnigin von Pohlen gehalten hat, und welche
unter ſeinen ſechs deutſchen Reden die andere iſt,
ſo
[160](o)
ſo viele deutliche Proben einer ausnehmenden An-
dacht und Heiligkeit gegeben, daß man ſchweren ſol-
te, Er ſey ein Schooß-Juͤnger des Knechts GOt-
tes Jochen in Halle24)?
Sie erlauben mir, Meine Herren, daß ich zum
Beweiß dieſes Satzes ihnen eine Stelle, ja wenns
auch noch mehrere waͤren25), aus der gemeldten
Gedaͤchtnißrede vorleſe. Sie werden daraus er-
kennen, daß der Herr Prof. Philippi einer der gotts-
fuͤrchtigſten Rechtsgelahrten iſt, die iemahls gele-
bet haben. Wahrlich, Meine Herren, ich kan ohne in-
nigliche Bewegung meiner Seelen, an die ſeltenen,
hohen, und zaͤrtlichen Ausdruͤckungen nicht geden-
cken, deren Er ſich in der zierlichen Anrede an die
GOttesfurcht, die ich Jhnen jetzo vorleſen werde,
bedienet hat. Nachdem der Herr Prof. vorhero
auf die beweglichſte Art mit der Großmaͤchtigſten
Koͤnigin Tugend complimentiret, und dieſelbe inſtaͤn-
digſt gebeten hat, noch etwas hier auf Erden zu ver-
weilen, ſo koͤmmt Er auf die GOttesfurcht der Koͤni-
gin, und bricht, nachdem Er geſaget, daß die Koͤnigin,
als eine wahrhafte Chriſtiana, ſich der ungeheuchel-
ten Froͤmmigkeit zu einem voͤlligen Eigenthum Le-
benslang gewidmet, und mit ihr, wie er ſich gar
nachdencklich ausdruͤcket, anders nicht, als leben
und ſterben zu wollen, verlanget, in dieſe guͤldene
Worte aus: Aber o! du Flaͤmmlein aus goͤtt-
licher
[161](o)
licher Flamme, du ungeheuchelte GOttes-
Furcht! ſteigeſt du denn nicht deiner Natur
nach, lieber aufwaͤrts in die Hoͤhe, als her-
unter in die Tiefe? Ach freylich! dein maͤchti-
ger Strahl dringet, aus dem ewigen Lichte
des Unſichtbaren und Allmaͤchtigen, in die
Hertzen derer, die dich begierig auffaſſen, und
ſchlaͤget von da nach beſchehener Entzuͤn-
dung des von Natur eiskalten Hertzens, in ſei-
nen erſten Urſprung wiederum zuruͤck.
Dieß Steigen und Fallen des goͤttlichen
Liebes-Feuers, das bald aus dem Hertzen zu
GOtt empor ſteiget, bald aus dem Altar des
Heiligthums herunter faͤllt, und die goͤttlich-
entzuͤndeten Hertzen immer noch mehr durch-
gluͤet, waͤret denn in einer wunderbaren Ab-
wechſelung, und in einem beſtaͤndigen Lauf-
Feuer ſo lange, bis davon endlich das Sterb-
liche in das Unſterbliche, der Tod in das Le-
ben verſchlungen, und, gleich jenem Waſſer
um den Brand-Opfer-Altar, von dem himm-
liſchen Feuer gaͤntzlich verzehret, mithin die
zerſtoͤrliche menſchliche Leibes-Huͤtte in eine
unzerſtoͤrliche, und alleredelſte Natur verſe-
tzet wird26).
Was meinen Sie, Hochgeehrte Herren, ſind
dies Reden eines Thomaſianers? Oder vielmehr,
ſind es Reden eines ſich ſelbſt gelaſſenen Menſchen?
Jch betriege mich ſehr, oder Ausdruͤckungen dieſer
Art haben einen hoͤhern Urſprung, als die ihr ſelbſt
Lgelaſſene
[162](o)
gelaſſene Vernunft des Redners. Jch finde hier
deutliche Spuren einer Entzuͤckung, und bin nicht
vermoͤgend weder in dem vorhergehenden, noch nach-
folgenden etwas zu entdecken, woraus ich ſchlieſſen
koͤnnte, wie dieſe koͤſtliche Stelle, natuͤrlicher Wei-
ſe, in dieſe Rede gekommen iſt.
Aber o! wie ungluͤcklich bin ich, daß ich ſo tiefe
Gedancken, und ſo hohe Worte nicht, wie ich
wuͤnſchte, voͤllig verſtehen kan! Mein unerleuchte-
ter Verſtand findet hier nichts, als Dunckel und
Finſterniß. Jch begreife nicht, was der Herr
Prof. Philippi von der GOttes-Furcht haben will.
Die Frage, ſo Er an dieſes Flaͤmmlein aus goͤttli-
cher Flamme ergehen laͤſſet, iſt mir ſo dunckel, als
die Antwort, die Er ſich ſelbſt ertheilet. Mich
uͤberfaͤllt ein heiliger Schauer, wann ich von dem
Steigen und Fallen des goͤttlichen Liebes-Feuers,
und von dem beſtaͤndigen Lauf-Feuer hoͤre, und ich
empfinde itzo, mit Verdruß, die Wahrheit eines
Satzes, den ich ehedeſſen bey einem myſtiſchen Scri-
benten geleſen habe, daß, nemlich, wer die Sprache der
Heiligen verſtehen wolle, den Geiſt der Heiligen ha-
ben muͤſſe.
Jndeſſen, ob gleich meine natuͤrliche Blindheit
mir im Wege ſtehet, ſo hohe Geheimniſſe zu ergruͤn-
den, ſo zweifele ich doch im geringſten nicht, daß
Sie, Meine Herren, dieſelbe tiefer einſehen wer-
den, als ich. Solten Sie aber, vielleicht, eben
wie ich, nichts als Verwirrung und Dunckelheit
in den beweglichen und zaͤrtlichen Worten des
Herrn Prof. Philippi finden: So hoffe ich doch,
Sie werden denn auch darinn mit mir einer Mei-
nung
[163](o)
nung ſeyn, daß man die Urſache dieſer Dunckelheit
groͤſſeſten Theils in dem Verſtande des Leſers ſuchen,
oder, dafern auch ja der Herr Pr. ſelbſt nicht gantz
unſchuldig, doch desfals dieſen groſſen und gottſeeli-
gen Redner nicht tadeln muͤſſe.
Man kan aus |den zaͤrtlichen Ausdruͤckungen,
deren Er ſich gegen das Flaͤmmlein aus goͤttlicher
Flamme, die ungeheuchelte GOttes-Furcht, in ſei-
ner Anrede bedienet, die bruͤnſtige Liebe, ſo Er zu
dieſer Koͤnigin aller Tugenden traͤget, ſo deutlich ab-
nehmen, daß es eine Unbilligkeit ſeyn wuͤrde, wenn
man von ihm verlangen wolte, daß Er mit mehre-
rer Kaltſinnigkeit und Gelaſſenheit reden ſollen.
Verliebte, Meine Herren, ſind, wie Sie wiſſen,
oftmahls gantz auſſer ſich, wann ſie mit der geliebten
Perſon reden, und eine kleine Verwirrung, abge-
brochene Worte, und dergleichen Merckmahle eines
abweſenden Verſtandes, ſtehen ihnen ungemein wohl
an. Die Reden ſolcher Perſonen ſind niemahls
uͤberzeugender, als wenn kein Menſch, ja ſie ſelbſt
nicht wiſſen, was ſie ſagen wollen. O! wie wohl
hat demnach der Herr Prof. Philippi gethan, daß
Er ſeine Anrede an die ungeheuchelte GOttes-Furcht
ſo eingerichtet hat, als es der Zuſtand eines Hertzens
erfordert, das von einem ſo reinen und heiligen Feuer
entzuͤndet iſt, als das ſeinige.
Hochgeehrteſte Herren! Jch bemercke mit vielem
Vergnuͤgen, daß Sie uͤber dieſe Probe der Froͤm-
migkeit des Herrn Prof. Philippi eine Freude em-
pfinden, die Jhnen zu bergen faſt unmoͤglich faͤllt.
Es fehlet nicht viel, ſo brechen ihre huldreiche Au-
gen in Freuden-Thraͤnen aus. Aber, Meine Her-
L 2ren,
[164](o)
ren, ſparen Sie dieſe edle Feuchtigkeit noch einen
Augenblick. Jch rathe es Jhnen: Denn wenn
Sie ſich jetzo muͤde weinen, was wollen Sie denn
thun, wenn ich Jhnen den Herrn Prof. Philip-
pi in der beweglichſten Stellung zeige, wie Er, zum
Beſchluß ſeiner Gedaͤchtniß-Rede, auf der Erden
liegend, mit gebogenen Knien, ausgebreiteten Ar-
men, und kindlich zu GOTT erhabenen Augen, ſo
kraͤftig betet, daß ſeine Zuhoͤrer alle vor Freuden,
wie die Kinder, weinen muͤſſen27)? Jch verden-
cke es Jhnen nicht, Meine Herren, wenn Jhnen
bey einem ſo unvermutheten Anblick die Augen uͤber-
gehen. Ein ſo auſſerordentliches Bezeigen eines
Redners, von dem man gantz was anders, als aus
der Offenbahrung Johannis entlehnte Seufzer ver-
muthet haͤtte, verdienet die heiſſeſten Zaͤhren. Der
Herr Prof. Philippi iſt der erſte, der ſich die Frey-
heit genommen, eine weltliche Rede auf eine ſo prie-
ſterliche und erbauliche Art zu ſchlieſſen. Er verdie-
net dahero, daß man ſeine GOttes-Furcht lobet,
und ſeinen Heldenmuth bewundert. Die Welt,
Meine Herren, liegt ſo gar im Argen, daß ihr al-
les, was den geringſten Schein der Gottſeeligkeit
hat, laͤcherlich und thoͤrigt vorkoͤmmt. Man kan
alſo nicht anders, als uͤber die heilige Hertzhaftigkeit
des Herrn Philippi erſtaunen, der ſich nicht geſcheuet
hat, durch ſeine andaͤchtige Gebaͤrden der boͤſen
Welt zu trotzen. Er hat wohl vorher geſehen, daß
ſein Verfahren, auſſer der gottſeligen Verſammlung,
in welcher Er ſeine Rede gehalten hat, wenig Bey-
fall
[165](o)
fall finden wuͤrde. Wie gut auch der Begrif iſt,
den Ervon ſich und ſeinen Reden hat, und wie feſt
Er auch, in dem Vorbericht zu ſeinen Reden, ver-
ſichert zu ſeyn ſcheinet, daß keiner ſeiner Leſer ein
Momus ſeyn werde, ſo vermuthet Er doch, daß
viele uͤber die heilige Tour lachen werden, die Er ſeiner
Rede gegeben, und welche ſeinen heiligen Zuhoͤrern
beſſer als alle Kunſt-Grife der Beredſamkeit gefal-
len hat. Aber Er kehrt ſich an das Lachen ſolcher
Spoͤtter nicht. Er ſetzt einen Trumpf darauf, und
erklaͤrt alle, die uͤber ſeine andaͤchtige Seufzer, und
ſeinen vor GOtt gethanen Fuß-Fall lachen, gerade
weg vor Religions-Spoͤtter.
Er hat vielleicht gedacht die Gottloſen dadurch zu
ſchrecken: Aber, Meine Herren, ich habe mit Be-
ſtuͤrtzung erfahren muͤſſen, daß dieſe Halsſtarrige
noch Recht uͤbrig zu haben vermeynen, und durch die
Anmerckung, in welcher der Herr Philippi ſie Religi-
ons-Spoͤtter heiſſet, noch mehr erbittert worden ſind.
“Was? ſprach neulich einer zu mir, ſolte man
„darum gleich ein Spoͤtter der Religion werden,
„wenn man uͤber einen Menſchen lacht, der durch
„eine unzeitige Andacht eine Geſellſchafft, die bloß
„die Uebung der Beredſamkeit zum Zweck hat, in
„eine Qvaͤcker-Verſammlung verwandelt? Oder
„meint der Herr Prof. Philippi, daß dieſes das
„Kenn-Zeichen eines rechten Chriſten ſey, wenn
„man, ohne Betrachtung des Wohlſtandes, und
„ohne Zeit und Ort zu unterſcheiden, zur Erden nie-
„derfaͤllt, und, unter den greßlichſten Verdrehun-
„gen, GOtt mit einer Menge hebraͤiſcher Titel zu
„uͤbertaͤuben ſucht? Jch bete auch: Aber in mei-
L 3„nem
[166](o)
„nem Kaͤmmerlein. Jch rufe GOtt an: Aber ich
„gebaͤrde mich nicht dabey als ein Beſeſſener. Jch
„kan mit GOtt reden, ohne daß ich noͤthig habe,
„den Pſalter, und die Offenbahrung Johannis aus-
„zupluͤndern. Ein ſo wuͤſtes Geplapper gefaͤllt
„GOtt nicht. Jch rede, als ein Deutſcher, deutſch
„mit ihm, und ich dencke, er verſtehe mich. Jch
„will dieſe Art zu beten dem Herrn Prof. Philippi
„nicht aufdringen. Er kan mit ſeinem GOtt ſo hoch
„und unverſtaͤndlich reden, als es ihm beliebt. Er
„kan es thun, in welcher Leibes-Stellung er will.
„Nur thue er es nicht zur Unzeit. Auf der Can-
„tzel kan er beten, ſo lange es ihm gut deucht: Auf
„der Catheder aber muß er den Prieſtern nicht nach-
„aͤffen. Thur er es, ſo lacht man ihn aus: Und
„wirft Er denn mit Religions-Spoͤttern um ſich,
„ſo haͤlt man ihn vor einen ſcheinheiligen Laͤſterer,
„und das von Rechts wegen.
So redete der Boͤſewicht. Allein, Meine Her-
ren, ich bin von ihrer bekannten GOttes-Furcht ſo
uͤberfuͤhret, daß ich feſtiglich glaube, Sie werden
darum von dem Verfahren des Herrn Prof. Phi-
lippi nicht anders urtheilen, als der Herr Prof. ſelbſt
und, Trotz allen Religions-Spoͤttern, ein ſo gott-
ſeeliges Bezeigen vor hoͤchſt erbaulich halten. Jch
bin auch verſichert, daß keiner unter Jhnen ferner
unſern Bet-Ernſt, in Verdacht haben wird, daß
Er ein Thomaſianer ſey, und wenn Er es gleich ſelbſt
ſagte. Seine Thaten rechtfertigen ihn, und ich
brauche weiter kein Wort vor ihn zu reden.
Jch gehe demnach, mit Dero Erlaubniß wieder
zuruͤcke, um diejenigen Schoͤnheiten, welche ich in
dieſer
[167](o)
dieſer unvergleichlichen Gedaͤchtniß-Rede uͤbergan-
gen habe, nachzuhohlen. Es iſt deren, Meine Herren,
eine ſolche Menge, daß, wenn ich dieſelben alle bemer-
cken wolte, ich etliche Stunden damit zu bringen wuͤr-
de. Jch begnuͤge mich demnach, die vornehmſten kuͤrtz-
lich vorzuſtellen.
Jndem ich darauf ſinne, wo ich zuerſt anfangen
ſoll, faͤllt mir diejenige Stelle in die Augen, woſelbſt
der Herr Prof. Philippi der beyden Frantzoͤſiſchen
Printzeſſinnen erwehnet28). Dieſe Stelle iſt voll-
kommen heroiſch, und die darinn enthaltenen Ge-
dancken ſind ſo beſchafen, daß niemand als der Herr
Prof Philippi dieſelbe haben koͤnnen. Wenn es
mir vergoͤnnet iſt, Meine Herren, ſo will ich die gan-
tze Stelle herleſen.
Der Herr Prof. hatte vorher ausgegruͤbelt, war-
um doch die Ruſſiſche Catharina, der Engliſche Ge-
org, und die Koͤnigin von Pohlen faſt zu einer Zeit
geſtorben? Ob es darum geſchehen, weil der Be-
herrſcher des unterirrdiſchen Reiches auch die gedritte
Zahl liebe? Oder ob es eine Anzeige ſeyn ſolle,
daß das Reich der Todten ſo wohl, als das Reich
der Lebendigen fruchtbarer an Heldinnen, als Hel-
den? Er ſetzt dieſe tiefſinnige Gedancken nicht wei-
ter fort, ſondern verfaͤllt auf die Frantzoͤſiſchen Prin-
tzeſſinnen.
Lebten wir annoch, ſpricht er, in denen
Zeiten des Heydenthums, ſo wuͤrden wir uns
in dergleichen Begebenheit wohl kaum zufin-
den wiſſen, ſondern uns bereden, die Goͤttin
L 4des
[168](o)
des Schickſals koͤnne mit gleich guͤltigen Au-
gen den bald hinter einander erfolgten Ver-
luſt zweyer groſſen Printzeſſinnen anſehen,
weil ſie in Franckreich mit einmahl zwey
Printzeſſinnen davor gebohren werden laſſen,
die, wo kein Cron-Printz nachkommen ſolte,
wohl noch das Frantzoͤſiſche Scepter erlan-
gen, und alſo eine der groͤſſeſten und bisher
nicht erhoͤrten Veraͤnderungen in Europa
verurſachen, ja durch ihre einmahl erfolgen-
de Verheyrathung, wohl noch mehrere Cro-
nen zuſammen bekommen duͤrften.
Jch frage Sie, Meine Herren, haben ſie jemah-
len etwas geleſen, das dieſer tiefen Betrachtungen
gleich kaͤme? Jn dieſer Stelle hat der Herr Prof.
gewieſen, daß die Gottesfurcht einem Menſchen
nicht hinderlich ſey die Staats-Lehre zu verſtehen.
Sein erleuchteter, und durch das Flaͤmmlein aus
goͤttlicher Flamme durchgluͤeter Verſtand iſt ſo
durch dringend, daß er auch zukuͤnftige Begebenhei-
ten vorher ſiehet, und auf Muthmaſſungen verfaͤllt,
die vor ihm keinem Menſchen in den Sinn gekom-
men ſind. Jch zweifele ſehr, ob auſſer dem Herrn Prof.
Philippi ein Menſch in der Welt zu finden iſt, dem
es auch nur im Traum eingefallen ſey, daß, wenn kein
Dauphin in Franckreich waͤre, die Toͤchter des Koͤ-
niges das Frantzoͤſiſche Scepter erlangen wuͤrden.
Man hat bisher immer geglaubet, und in allen Buͤ-
chern geſchrieben, daß die Frantzoͤſiſche Crone nicht
auf die Toͤchter fallen koͤnne, que le Roïaume de
France ne tombe jamais en quenouïlle. Es iſt
zu vermuthen, daß dem Herrn Prof. Philippi die-
ſes
[169](o)
ſes nicht unbekannt; Aber dem allen ungeachtet
nimmt Er ſich die Freyheit, ſich an dieſen gemeinen
Wahn nicht zu kehren. Er lacht uͤber das Sali-
ſche Geſetz, und haͤlt es vor ein Unding, und giebt
uns alſo hier nicht nur eine Probe einer Heroiſchen
Schreib-Art, die an keine Regeln gebunden iſt, ſon-
dern auch zugleich Gelegenheit an die Hand, ſeine
groſſe Erkaͤnntniß in politiſchen Dingen zu bewun-
dern.
Jch bitte Sie, Meine Herren, entziehen Sie
dem Herrn Prof. das Lob nicht, das ihm wegen ei-
ner Anmerckung von Rechts wegen gebuͤhret, die wir
bloß ſeiner Guͤte zu dancken haben, und die wir nach
der Einrichtung ſeiner Rede vernuͤnftiger Weiſe
weder hoffen noch verlangen konnten. Jch vor
meine Perſon, kan ſchweren, je mehr ich in den Re-
den des Herrn Philippi blaͤttere, je mehr erſtaune ich
uͤber die Groͤſſe ſeiner Verdienſte; und erbiete mich
hiemit wohlbedaͤchtlich gegen jederman zu behaup-
ten, daß dieſer vortrefliche Mann den Platz, den er be-
kleidet, vollen kommen verdienet, und, in recht eigentli-
chen Verſtande, eine auſſerordentlicher Redner
iſt. Hat jemand Luſt mit mir darob zu kaͤmpfen,
der melde ſich: Jch will ihm Kampfs nicht verſa-
gen, ſondern Streits ſatt geben. Doch darauf
werde ich lange warten muͤſſen. Am allerwenigſten
vermuhte ich, daß in dieſer anſehnlichen Verſamm-
lung einer zu finden iſt, der mit mir dieſerwegen ein
Speer zu brechen verlangen ſolte. Jch ſehe viel-
mehr aus Dero huldreichen Augen, daß Sie mit
mir einer Meynung, und begierig ſind, noch im-
mer mehr und mehr darinn beſtaͤrcket zu werden. Jch
werde
[170](o)
werde mein Beſtes thun, dieſer Jhrer Begierde ein
Genuͤgen zu leiſten.
Betrachten Sie demnach mit mir, Meine Her-
ren, die ungemein-bewegliche Vorſtellung des groſ-
ſen Schmertzens, den der Herr Prof. Philippi uͤber
den Tod der Koͤnigin empfunden hat. Alles iſt in die-
ſer Beſchreibung natuͤrlich, und ſo lebhaft vorge-
ſtellet, daß mich deucht, ich ſehe vor meinen Augen,
die mancherley heftigen Bewegungen29) des
Schreckens, des Schmertzes, der Furcht, der Bangig-
keit und des Wehklagens, mit welchen der Hertzens-
Schrein des Herrn Prof. angefuͤllet geweſen. Jch ſe-
he, wie der geheime Schmertz ſich geſtreubet, und we-
der vor, noch hinter ſich gewolt hat30). Jch ſehe, wie
die Zunge, die beredte und nie genug zu preiſende
Zunge, gebebet. Nur eins iſt mir zu hoch. Jch
kan mir die Verſchmachtung der Augen31) nicht
vorſtellen: Doch daruͤber betruͤbe ich mich nicht.
Dieſe Bloͤdigkeit meines Verſtandes verhindert
mich nicht zu begreifen, wie viel Kunſt in dieſer Stel-
le verborgen iſt.
Betrachte ich ferner, wie artig der Herr Prof.
Philippi ſich von dieſem groſſen Schmertz erhohlet;
Gleich darauf aber vor Ehr-Furcht und Ohnmacht
ſtutzig wird, und eine Weile ſtille ſchweiget: Wie
Er durch die aus unverdienter Guͤtigkeit auf ihn un-
verwandt gerichtete Augen der Hochwertheſten An-
weſenden ſich den Mund wieder oͤfnen laͤſſet: Wie
Er, nachdem Er ſeine Zuhoͤrer, die nichts mehr
wuͤn-
[171](o)
wuͤnſchen, als daß Er fort reden moͤge, um ein guͤn-
ſtiges Gehoͤr angeflehet, und angefangen hat ſeine
Heldin zu preiſen, wieder von einem neuen Schrecken,
und einer auſſerordentlichen Beſtuͤrtzung uͤberfallen
wird. Wie Er dieſes Schreckens, und dieſer Verſtuͤr-
tzung ungeachtet, mit groſſer Sittſamkeit, und einer
nicht geringern Beredſamkeit ſeine Ungeſchicklichkeit
entſchuldiget: Wie Er dennoch, da der Schmertz,
den Er empfindet, zu allen Glieder heraus will, um
allem Ubel vorzukommen, die verborgene Weh-
muht ſeines Hertzens aus der Qvelle der Ehrerbie-
tigkeit hervor brechen laͤſſet, und endlich, da er ſich
eben fertig macht, die Luft mit lauter gebrochnen
Seufzern, mit einem bangen ach! und mit einem
wehmuͤthigſten Geſchrey zu erfuͤllen, in eine wahre,
ungekuͤnſtelte, und hertzbrechende Ohnmacht danie-
der ſincket32): So werde ich durch dieſen ſo
wunderbaren Zufall, und durch ſo ſeltene, und ſo
wunderbar unter einander gemiſchte, und noch auf
eine wunderbarere Art ausgedruͤckte Gedancken ſo
ſehr geruͤhret, daß, wenn mir Dero huldreicher An-
blick nicht ſtatt eines kraͤftigen Balſams diente, mir
gantz gewiß eine Ohnmacht anwandeln wuͤrde.
Es iſt ein Gluͤck vor Sie, Meine Herren, daß Sie
aus meinem unvollkommenen Vortrage die erſtau-
nenswuͤrdige Beredſamkeit des Herrn Prof. Philip-
pi ſich nicht ſo vollenkommen vorſtellen koͤnnen, als
Sie es thun wuͤrden, wenn Sie deſſen Worte mit
gehoͤrigem Bedachte laͤſen. Jch bin verſichert, Sie
wuͤrden mir hier alle unter den Haͤnden todt bleiben,
wenn Sie die in ſeinem Vortrage verborgene Kuͤn-
ſte
[172](o)
ſte in der Geſchwindigkeit tief genug einſehen koͤnn-
ten.
Aber da ich Jhnen nun, werthgeſchaͤtzte Anwe-
ſende, noch keine Todten-Farbe anſehe33); So
hofe ich, ſie werden noch ſo viel bey ſich ſelbſt ſeyn,
daß Sie mit mir das guͤtige Schickſal bewundern
koͤnnen, welches verurſachet, daß der Herr Prof.
Philippi in eine Ohnmacht fallen muͤſſen, die ſeiner
Rede eine ungemeine Zierde, und ihm Gelegenheit
gegeben hat, ſeine Geſchicklichkeit und groſſe Bered-
ſamkeit auf eine ausnehmende Art an den Tag zu le-
gen. Man muß, man will, oder will nicht, den Herrn
Prof. Philippi als einen gantz auſſerordentlichen
Menſchen anſehen, wenn man erweget, daß die ihm
zugeſtoſſene Ohnmacht ein Zufall, der alle Kraͤfte
der Seelen und des Leibes in Unordnung, und den-
jenigen, dem er begegnet, in die aͤuſerſte Beſtuͤrtzung
ſetzet, ihn ſo wenig in ſeinen Gedancken geſtoͤret,
daß Er, ſo bald Er nur wieder zu recht gebracht iſt,
nichts anders, als wenn Er ſich nur etwan die Naſe
geſchneutzet haͤtte, in ſeiner Rede, ohne die geringſte
Verwirrung, fortfahren koͤnnen. Jch glaube gewiß,
Meine Herren, es werden wenige ſeyn, die es Jhm
nachthun ſolten. Zwar ich will eben nicht leug-
nen, daß man endlich zur Noht, wenn man voͤllig
wieder zu ſich ſelbſt gekommen, eine angefangene
Rede fortzuſetzen im Stande ſeyn moͤgte: Aber was
der Herr Prof. Philippi gethan hat, das hat etwas
mehr zu bedeuten, und uͤberſteiget allen Glauben.
So bald hat ihn nicht der huldreiche Anblick ſei-
ner
[173](o)
ner Zuhoͤrer, und die geſchaͤftige Mitleidenheit der
zu beyden Seiten ſitzenden annehmlichſten Kinder,
aus ſeinem ohnmaͤchtigen Schlummer erwecket: So
ſtattet Er denen, ſo ihm dieſen Dienſt erwieſen, eine
ſo verbindliche und kuͤnſtliche Danckſagung ab, daß
man ſchweren ſolte, er habe die ihm zugeſtoſſene Ohn-
macht im Geiſte vorher geſehen, und das wohlge-
ſetzte Compliment an die annehmlichſten Kinder, bey
guter Muſſe, und mit gutem Bedachte zum voraus
verfertiget. Dieſes giebt uns von der Geſchicklich-
keit des Herrn Prof. Philippi einen Begrif, den
wir gewiß nicht haben wuͤrden, wenn er nicht in
Ohnmacht gefallen waͤre.
Es verdienet alſo dieſer Zufall eine ſonderliche
Betrachtung. Er hat ſich gewiß nicht von ohnge-
fehr zugetragen, wie der Herr Prof. Philippi in der
Anmerckung meinet. Erlaube mir, Groſſer Phi-
lippi, daß ich Dir in dieſem Stuͤcke widerſpreche:
und ſey verſichert, daß der Himmel dir vor andern
hold iſt. Er ſorget ſelbſt vor die Vermehrung deines
Ruhms, weil du auserſehen biſt, eine neue, und
gantz wunderbare Beredſamkeit einzufuͤhren. Er
ſchickt dir eine Ohnmacht zu, damit du Gelegenheit
haben moͤgeſt, aller Welt zu zeigen, daß du, wenn
du halb todt biſt, eine beſſere Rede halten kanſt, als
alle andere Redner.
O nimium dilecte Deo, tibi militat æther!
Der Herr Prof. Philippi, Meine Herren, iſt dieſe
Gnade nicht unwuͤrdig. Er wendet die ihm zu-
geſtoſſene Ohnmacht zum Beſten ſeines Nechſten an.
Sie muß ihm dienen, allen Lieb habern der Beredſam-
keit
[174](o)
keit einen neuen Kunſt-Griff an die Hand zu geben,
wovor ſie ihm nimmer genug dancken koͤnnen. Es
wuͤrde, ſchreibt Er in der Anmerckung, bey
einer dergleichen Trauer-Rede einen unge-
meinen Eindruck geben, wenn der Redner
im Stande waͤre, durch die Kunſt ſo eine
dergleichen Ohnmacht, oder andern hertz-
brechenden Affect anzunehmen, als mich hier
ehedem in der Rede von ohngefehr befiel.
Doch muͤſte die Kunſt es voͤllig natuͤrlich
machen, und ſich gehoͤrig wieder zu recht
zu finden, wiſſen.
O! erwuͤnſchte Ohnmacht, die du zu Erfindung
einer ſo unerhoͤrten Regel Anlaß gegeben haſt. Die
Alten haben in ihrer Einfalt davor gehalten, ſolche
gar zu nachdruͤckliche Vorſtellungen eines Afects,
ſchickten ſich wohl auf dem Schauplatz, aber nicht
in einer Rede, und ſie haben allemahl einen Unteꝛſcheid
unter einem Redner und Comoͤdianten gemacht.
Cicero ſelbſt, ob er gleich wohl erkannte, daß ein ieder
Redner auf ſeine Art ein Roſcius ſeyn muͤſſe34);
iſt doch ſo verblendet, daß er denen, die ſich der Rede-
Kunſt befleißigen, anraͤth, ſich vor eine gar zu groſſe
Aehnlichkeit mit den Comoͤdianten zu huͤten35). Lob
ſey
[175](o)
ſey dir demnach, O! auſſetordentlicher Philippi,
daß du zur Aufnahme der wahren und hertzbrechen-
den Beredſamkeit, einen Handgrif ans Tages Licht
gebracht haſt, von dem die Alten nichts gewuſt haben,
und der wohl immer wuͤrde verborgen geblieben
ſeyn, wann du nicht durch deine Ohnmacht darauf
geleitet, und von deinem heroiſchen Geiſt angefeuret
worden waͤreſt, denſelben ohne alle Furcht der Ur-
theile, ſo daruͤber ergehen wuͤrden, kund zu machen.
Dieſem alle Schrancken der gemeinen Rede-Kunſt
durchbrechenden Heldenmuth haben wir alles zu
dancken, was in den Reden des Herrn Pr. Philippi
ſeltenes, ſchoͤnes und anmuthiges iſt.
Wir Chriſten ſtellen uns den Ort, wohin die
ſeeligen Seelen der Glaͤubigen, nach ihrem Abſchiede
aus dem Coͤrper, verſetzet werden, als einen Platz
vor, den wir uͤber uns ſuchen muͤſſen. Die Hey-
den hergegen haben in ihren Fabeln den Verſtor-
benen eine unterirrdiſche Wohnung angewieſen.
Darinn aber kommen Heyden und Chriſten uͤber-
ein, daß in iener Welt der Unterſchied des Standes
und der Wuͤrde aufhoͤre. Dieſe Begrife legen die
gemeinen Redner allemahl zum Grunde, wenn ſie
von dem Zuſtande der Verſtorbenen reden, und hal-
ten es nicht nur einem Chriſten unanſtaͤndig, die
Sprache der Heyden anzunehmen, ſondern ſie ha-
ben auch eine eigene Regel, die ihnen verbietet, die
Fabeln der Heyden mit den Wahrheiten des Chri-
ſtenthums
35)
[176](o)
ſtenthums zu vermengen. Es iſt leicht zu begreifen,
Meine Herren, daß ſie ſich durch eine ſolche Ein-
ſchraͤnckung viele unnoͤthige Muͤhe aufbuͤrden, und
ihre Reden unzaͤhliger Annehmlichkeiten berauben.
Wohl hat demnach der Herr Prof. Philippi gethan,
daß er alle dieſe aberglaͤubige Regeln, auf eine heroi-
ſche Weiſe mit Fuͤſſen getreten, und ſo wohl durch
Einmiſchung heidniſcher Begrife, als durch deren
liebliche Vermengung mit denen chriſtlichen, ſeiner
Rede eine Zierde gegeben hat, die unausſprechlich
iſt, und alle, die ſie hoͤren, oder leſen, ungemein ver-
gnuͤgen muß.
Ohne dieſe Heldenmuͤthige Ubertretung der ge-
meinen Regeln wuͤrden wir nicht folgende anmuthi-
ge Stelle leſen. Es werden, ſpricht der Herr
Prof. Philippi36), aber davor die unterirr-
digen Grotten mit dieſer neu ankommenden
Preißwuͤrdigſten Goͤttin begluͤckſeeliget, und
ſie wird von allen deren Jnwohnern auf das
ehrerbietigſte und zaͤrtlichſte empfangen; dar-
uͤber ſolten wir denn nun auch uns ſelbſt
hoͤchlich erfreuen, weil wir ia uns, gleich
nach unſer Geburth, als Unterthanen des
Reichs derer Todren haben einſchreiben laſ-
ſen, und deſſen oberſter Beherrſcher, der nicht
etwan, wie die blinden Heyden dichten, Plu-
to heiſt, ſondern Jehovah Zebaoth iſt, wir
den Eyd der Treue, und daß wir unſer Leben
bioß von ihm zu Lehen tragen, allbereit
abgeleget haben.
Was
[177](o)
Was duͤnckt Jhnen, Meine Herten, haͤtte der
Herr Prof. Philippi wohl mit auserleſenen Wor-
ten von dem Einzug ſeiner Heldin in das Paradiß
reden, und ſie eine Preißwuͤrdigſte Goͤttin nennen
koͤnnen, wenn Er ſich nach denen Regeln der gemei-
nen chriſtlichen Redner haͤtte richten wollen? Haͤtte
Er wohl ſagen koͤnnen, die unterirrdigen Grotten, o-
der, chriſtlich zu reden, die Wohnungen der Seeligen
wuͤrden durch die Ankunft der Koͤnigin begluͤckſeeli-
get, wenn Jhm ſeine heroiſche Beredſamkeit zugelaſ-
ſen haͤtte, zu bedencken, daß es vielmehr ein Gluͤck vor
ſeine Preißwuͤrdigſte Goͤttin, daß ſie in die Schaar
der Heiligen aufgenommen, und dieſe vollkommen
gluͤckſeelige Geiſter durch die Ankunft einer Koͤnigin,
wo anders unſer Glaube nicht irrig iſt, nicht gluͤck-
licher werden koͤnnen? Aber ſolche Betrachtungen,
womit ſich nur bloͤde Gemuͤther quaͤlen, kommen ei-
nem heroiſchen Redner nicht in den Sinn. Unſer
Herr Prof. Philippi iſt weit uͤber ſolche Kleinigkei-
ten erhaben, und wann ihn ſein heroiſcher Redner-
Geiſt treibet, ſo vergiſt Er gar, daß Er ein Chriſt
iſt. Es ſcheinet, Er glaube, ein Redner muͤſſe,
wie ein Staats-Mann, ohne Weib, ohne Schaam,
und ohne Religion ſeyn. Eine vortheilhafte Einbil-
dung, wodurch der Herr Pr. Philippi zur Erkaͤnntniß
ſolcher Geheimniſſe gekommen, die auch denen Hei-
ligſten unbegreiflich geblieben. Wenn der Herr
Prof. Philippi den Koͤnig von Pohlen nur von fer-
ne ſiehet, ſo bekoͤmmt Er durch dieſes Anſchauen
ſeines allergnaͤdigſten Landes-Vaters, ein Bild, wie
die Auserwehlten, durch das Anſchauen GOttes
Mam
[178](o)
am hoͤchſten werden begluckſeeliget werden37). Er
iſt gluͤcklich. Aber nimmer wuͤrden ſo vortrefliche
Worte aus ſeinem beredten Munde gegangen ſeyn,
wenn Er ſich erinnert haͤtte, daß, wie die gemeine
Rede gehet, noch kein Auge geſehen, kein Ohr ge-
hoͤret, und in keines Menſchen Hertz kommen iſt, was
GOtt bereitet hat denen, die ihn lieben. Paulus, Mei-
ne Herren, ward, wie Sie wiſſen, biß in den drit-
ten Himmel entzuͤckt, und kam ſo klug wieder, als
Er hingegangen war. Was, meinen Sie, wuͤrde uns
der Herr Prof. Philippi nicht vor ſchoͤne Sachen
erzehlen, wenn ihm ein ſolches Gluͤck begegnen ſolte,
da Er ſchon durch das bloſſe Anſchauen ſeines Landes-
Vaters mehr gelernet hat, als Paulus im Paradiß?
Solte man nicht aus ſeinen Worten ſchlieſſen, daß
Paulus, nur immer zu Hauſe bleiben, und die wei-
te Reiſe ſparen koͤnnen?
Da nun der Herr Prof. Philippi die gemeinen
Meynungen der Chriſten ſo wenig achtet, wenn ſie
ſeiner heroiſchen Einbildungs-Kraft entgegen laufen,
was iſt es denn Wunder, daß er die thoͤrichten Re-
geln blinder Heyden verlachet? Weil ich weiß,
Meine Herren, daß Sie insgeſammt, wie es
rechtſchaffenen Gliedern unſerer Geſellſchafft zuſte-
het und gebuͤhret, abgeſagte Feinde dieſer Regeln
ſo wohl, als der Regeln der geſunden Vernunft
ſind, ſo kan ich leicht vorher ſehen, wie ſehr ihre
Hochachtung gegen den Herrn Prof. Philippi wird
ver-
[179](o)
vermehret werden, wenn ich Jhnen eine Stelle aus
ſeinen Reden vor Augen lege, in welcher Er dieſe
Jhnen und mir ſo verhaſſten Regeln ſo heroiſch uͤber-
ſchritten hat, daß man daruͤber erſtaunen muß.
Belieben Sie demnach zu hoͤren, wie Er in der
Lob-Rede auf den Koͤnig in Pohlen von der Gene-
ſung dieſes groſſen Printzen redet. Doch da nu-
mehro, ſpricht er, dasjenige, was unſerm
Großmaͤchtigſten und unuͤberwindlichem
Koͤnige den hoͤchſt verdienten Ruhm der Un-
ſterblichkeit einigermaſſen noch ſtreitig zu
machen, ſchien, durch den gewaltigen Arm
des Koͤniges aller Koͤnige, voͤllig aus dem
Wege geraͤumet worden; Ueberdieß das ver-
aͤnderliche Schickſahl, das wohl eher die groͤ-
ſten Potentaten voͤllig zu Boden geworfen,
und von dem hoͤchſten Gipfel der Ehren her-
abgeſtuͤrtzet hat, ſich nur ehedem an die Zehe,
als einen entbehrlichen Reſt von der geheilig-
ten Perſon unſers Koͤniges wagen duͤrfen: So
ſehen wir numehro mit Freuden, daß unſer
Theureſtes Ober-Haupt weit uͤber allen
Wechſel der Zeit, und des Gluͤcks, erhaben
werden; hingegen alle unſere Glieder, Kraͤfte
und Bluts-Tropfen, an ſich ein unzulaͤngli-
ches Loͤſe-Geld geweſen ſeyn wuͤrden, das
Leben, die Geſundheit, und gluͤckſeeligſte Re-
giment, unſers Allerruhmwuͤrdigſten Beherr-
ſchers zu erhalten, wenn nicht, nach dem Ra-
the der heiligen Waͤchter ſelbſt, Jhro Maje-
ſtaͤt uns noch laͤnger waͤren geſchencket, und
M 2unſer
[180](o)
unſer einmuͤthiges Flehen dadurch gnaͤdigſt
von GOtt erhoͤret worden39).
Sie ſehen, meine Herren, daß der Herr Prof.
Philippi ſich in dieſer Stelle ſo heroiſch gebaͤrdet,
als Er ſonſt noch nicht gethan hat. Er ſcheuet ſich
nicht, gleich zu Anfange dem gantzen menſchlichen Ge-
ſchlechte ins Angeſicht zu wiederſprechen; indem Er
ſich nicht undeutlich mercken laͤſſet, Er glaube, daß
ein Menſch ewig leben koͤnne. Er ſpricht; es ſey
dasjenige, ſo dem Koͤnige den hoͤchſtverdienten Ruhm
der Unſterblichkeit noch einigermaſſen ſtreitig ge-
macht, numehro aus dem Wege geraͤumet. Der
wahre Sinn dieſer Worte kan auf gut deutſch kein
anderer ſeyn, als daß der Koͤnig, da Er dieſes mahl
wieder geſund worden, numehro gar nicht ſterben,
ſondern ewig leben werde.
O! was wolte ich nicht darum geben, daß dieſes
wahr waͤre! Billig ſolten ſolche Koͤnige, als derjenige,
den der Herr Prof. Philippi lobt, nicht ſterben.
Und wir haͤtten Urſache uns zu freuen, wenn der
Herr Prof. Philippi ein ſo wahrhafter Prophet
waͤre, als er ein heroiſcher Redner iſt, der, nach den
Regeln ſeiner Kunſt, Dinge ſagen muß, die nicht
geſchehen koͤnnen, und die kein Menſch glaubt.
Aber ſo ſehen wir wohl, daß der Hr. Prof. Philippi
hier nicht hat weiſſagen, ſondern nur durch ſeine wun-
derbare Ausdruͤckungen uns von der Natur der he-
roiſchen Beredſamkeit einen Begriff geben wollen.
Er hat ſeinen Zweck voͤllig erreichet. Was
iſt wohl heroiſcher, als ſich der gantzen Welt, ent-
gegen
[181](o)
gegen ſetzen, und alle Einrede der geſunden Ver-
nunft und Erfahrung großmuͤthig in den Wind
ſchlagen?
Wie kanſt du demnach verlangen, o! eckeler und
eigenſinniger Longin, daß der Herr Prof. Philippi
ſich nach deinen critiſchen Grillen richten ſollen?
Verdencke es, ſo lange du wilt, dem Theopompus,
daß Er eine praͤchtige Beſchreibung der Ankunft ei-
nes Koͤniges von Perſien in Egypten durch die ohne
Noth aufgethuͤrmte Berge von geſaltzenem Fleiſche
verdorben hat40). Der Herr Prof. Philippi muß
freye Haͤnde haben. Dieſem groſſen Manne ſte-
het es frey, von groſſen und geringen Sachen durch
einander, nach eigenem Belieben, bald hoch, bald
niedrig, zu reden. Er iſt befugt, von der Zehe ſei-
nes Koͤniges zu ſprechen, wann es ihm gut duͤnckt:
Er kan ſagen: “Daß das veraͤnderliche Schick-„
ſal, das wohl eher die groͤſſten Potentaten voͤllig zu„
Boden geworfen, und von dem hoͤchſten Gipfel„
der Ehren herab geſtuͤrtzet hat, ſich nur ehedem an die„
Zehe, als einen entbehrlichen Reſt von der gehei-„
ligten Perſon des Koͤniges, wagen duͤrfen. Nie-„
mand wundere ſich, daß der Herr Prof. hier zu ei-
ner Zeit, da er recht praͤchtig ſchreiben will, von der
krancken Zehe eines Koͤniges ſpricht. Jch bin verſi-
chert, daß der Herr Prof. Philippi kein Bedencken
tragen wuͤrde, nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde,
auf die praͤchtigſte Art von Verſtopfungen und Cly-
ſtiren zu reden. Dieſes erfodern die Regeln einer na-
M 3tuͤrli-
[182](o)
tuͤrlichen Beredſamkeit: Und mich deucht, daß dieſes
Steigen und Fallen einer Rede eine groſſe Anmuht
giebt, und fuͤglich mit denen Diſſonantzen in der Mu-
ſic verglichen werden koͤnne. Laß demnach, O!
theurer Philippi, die eckele Welt die Naſe ruͤm-
pfen. Laß den laͤngſt vermoderten Grillenfaͤnger Lon-
gin ſchwatzen was er will. Behaupte du deine Rech-
te: Rede wie es einem natuͤrlichen, maͤnnlichen und
heroiſchen Redner zuſtehet, und ſcheue den Teufel
nicht.
Mich deucht, Meine Herren, ich ſehe aus Dero
huldreichen Augen die ſtille Zufriedenheit hervorleuch-
ten, mit welcher Sie die Seltenheiten betrachten, die
ich Jhnen vorzutragen die Ehre habe. Verzeihen
Sie mir demnach, daß ich Sie darinnen ſtoͤhre, und
durch einen etwas verdrießlichen Vortrag unru-
higere Bewegungen in ihren huldreichen Hertzen
errege.
Es giebt Leute, Meine Herren, die, weil ſie nicht
ergruͤnden koͤnnen, warum der Herr Prof. Philippi
die Zehe, von welcher Er redet, einen entbehrli-
chen Reſt genennet hat, die Ausdruͤckung entſetzlich
aushoͤhnen. “Ein Reſt, ſprechen ſie, iſt dasjenige,
„das von einer verlohrnen oder vernichteten Sache
„uͤbrig bleibet. Wenn alſo der Herr Prof. Philippi
„nicht im hoͤchſten Grad kauderwelſch reden will, ſo
„muß Er behaupten, daß von ſeinem Koͤnige nichts
„mehr, als die eine Zehe uͤbrig ſey. Glaubt er das nun,
„ſo ſteht es ihm ſehr uͤbel, daß Er dieſen Reſt eines
„groſſen Koͤniges einen entbehrlichen oder unnuͤtzen
„Reſt nennet. Er muͤſte auf dieſem Fall die noch
„uͤbrige
[183](o)
„uͤbrige Zehe ſeines Landesvaters in Spiritus legen,
„und als eine koͤſtliche Reliqvie bewahren.
Die hoͤniſchen Gebaͤrden, Meine Herren, welche
ich ietzo an Jhnen wahrnehme, laſſen mich hoffen,
Sie werden ſich uͤber ſolche laͤppiſche Spoͤttereien
nicht ſo ſehr aͤrgern, als ſich uͤber die Uhrheber der-
ſelben erbarmen. Leute, Meine Herren, die ihrer
verderbten Vernunft zuviel Gehoͤr geben, ſind wahr-
lich zu beklagen, und die Vermeſſenheit, mit welcher
ſie auch von Sachen urtheilen, die ſie nicht verſtehen,
und alles, was Jhnen etwan zu hoch iſt, als unge-
reimt verwerfen, iſt dadurch ſchon genug beſtrafet,
daß ſie desjenigen Vergnuͤgens entbehren muͤſſen,
welches eine ſtille und demuͤthige Bewunderudg er-
habener und unbegreiflicher Ausdruͤckungen mit ſich
fuͤhret.
Wenn wir, Meine Herren, das Ungluͤck haͤtten,
dieſen Leuten gleich zu ſeyn, wuͤrden wir denn wohl in
den Reden des Herrn Prof. Philippi ſo viele Suͤſ-
ſigkeiten finden? Was wuͤrden uns nicht vor ver-
drießliche und ſchwermuͤhtige Gedancken aufſteigen,
wenn wir leſen: Und wahrlich, da ein jeder
treu-geſinnete Saͤchſiſche Unterthan ſein
Hertz gleichſam auf den Weg leget, den Jhro
Majeſtaͤt zu nehmen allerhoͤchſt geſonnen,
damit Selbe, als fuͤhren ſie auf lauter Hertzen
ihrer getreuen Unterthanen dahin, und als
wuͤrden Sie von ſelbigen unterwegs getra-
gen, in hoͤchſt-erwuͤnſchtem Wohl zuruͤckkeh-
ren, uñ ſo oft Sie, unter waͤhrender Reiſe, Ru-
heſtart halten, auf eben ſolchen getreuen Her-
M 4tzen
[184](o)
tzen ihrer Unterthanen, als einem gar ſanf-
ten Kuͤſſen, Sich zu lagern, geruhen moͤgen:
So laͤſſt die ſchnelle Durchfarth Jhro Ma-
jeſtaͤt in allen unſern Hertzen weit kenntbarli-
chere Fußſtapfen von Jhro allerhoͤchſt ge-
wuͤrdigten Durchreiſe durch hieſige Lande,
als der groͤſte Steuer-Mann, auf der See zu
erhalten, nicht vermag, wenn er gleich, auf
Schifen vom erſten Rang, die Waſſer mit
dem Ruder durchſchnitten, und einige bald
verſchwindende Spuhren ſeiner Durchfarth
hinterlaſſen41). Wir wuͤrden|uͤber den| ſo koſt-
bar gepflaſterten Weg erſtaunen, und, ich weiß nicht
was, dawider einzuwenden haben. Wir wuͤrden
nicht begreifen koͤnnen, wie der Herr Prof. Philip-
pi Jhro Majeſtaͤt zumuthen moͤgen, allemahl, wenn
Sie Ruheſtatt hielten, aus der Kutſche zu ſteigen,
und ſich auf die auf dem Weg gelegte Hertzen zu la-
gern. Noch weniger wuͤrden wir begreifen koͤn-
nen, was Er verlanget, wenn Er ſpricht, der Koͤ-
nig ſolle ſich auf den Hertzen ſeiner Unterthanen
lagern, als fuͤhre er auf lauter Hertzen derſelben da-
hin, und wuͤrde von ſelbigen unterwegs getragen.
Es wuͤrde uns ſchwer fallen mit dieſem Lagern die
ſchnelle Durchfahrt zu reimen. Es wuͤrde uns vor-
kommen, als gaͤbe der Herr Prof. Philippi uns von
der Tiefe der Fußſtapfen, ſo der Koͤnig in den Her-
tzen ſeiner Unterthanen hinterlaſſen, einen gar gerin-
gen Begrif, indem Er nichts mehr ſagt, als ſie wuͤr-
den nur kennbarer ſeyn, als die Spuren eines
Schifes
[185](o)
Schifes im Waſſer, welche Salomon vor ſo un-
ſichtbar gehalten, daß er daher des Schifs Weg
auf dem Meer unter die Dinge gerechnet hat, die er
nicht wiſſe. Wir wuͤrden uns wundern, warum der
Herr Prof. des Steuermanns, und noch dazu des
groͤſſeſten Steuermanns, Meldung gethan; da doch
gewiß, daß der Steuermann, er ſey ſo geſchickt, als
er wolle, nichts zu denen Spuren beytrage, die ein
Schif im Waſſer hinterlaͤſſet. Wir wuͤrden nicht
ergruͤnden koͤnnen, was der Herr Prof. mit den
Schifen vom erſten Rang haben wolle. Wir wuͤr-
den nicht begreifen koͤnnen, warum Er dieſe Schife
mit Rudern verſehen, und was doch immer der arme
Steuermann ihm muͤſſe zuwider gethan haben,
daß Er ihn ohne alle Barmhertzigkeit zur Ruder-
Banck verdammet, und auf ſeine neue Galeren ge-
ſchmiedet. Mit einem Worte, Meine Herren, wir
wuͤrden in dieſer, an ſich ſo ſchoͤnen, Stelle, nichts
als Verwirrung, und einen verdrießlichen und uner-
traͤglichen Galimatias finden.
Aber, Meine Herren, ſo ſind wir gantz anders
geſinnet. Wir entſchlagen uns ſo boͤſer Gedancken.
Wir glauben einfaͤltiglich, daß unter ſo wiederſin-
nigen Gedancken und ſo unbegreiflichen Worten, die
groͤſſeſte Weißheit verborgen liege. Wir verlachen
nicht, was unſere Begrife uͤberſteiget: Und wir be-
finden uns wohl dabey.
Jch erſuche Sie, Meine Herren, betrachten Sie
mit ſo glaͤubiger Ehrfurcht die folgenden Reden das
Herrn Philippi. O! was werden Sie nicht vor
herrliche Dinge in ſelbigen finden! Sie werden mit
Vergnuͤgen gewahr werden, wie der Herr Philippi
M 5in
[186](o)
in ſeiner Antritts-Rede, die er als auſſerordentli-
cher Profeſſor der deutſchen Beredſamkeit gehalten,
alle Schaͤtze ſeiner philoſophiſchen und politiſchen
Weißheit aufgethan, und verſchwenderiſch ausge-
ſtreuet hat. Sie werden ſich wenig bekuͤmmern, ob die-
ſe Weißheit an dem rechten Ort angebracht ſey, oder
nicht, und zufrieden ſeyn, wenn Sie allenthalben nuͤtz-
liche Wahrheit finden, welche Jhnen um ſo viel an-
genehmer ſeyn muͤſſen, je unvermutheter der Herr
Philippi Sie damit uͤberfaͤllt.
Wie werden Sie ſich nicht freuen, wenn Sie ſo
unverhoft in dieſer vortreflichen Antritts-Rede einen
vollkom̃enen Abriß eines wohl eingerichteten Staats
antrefen42)? Wie wird ſie nicht die ſo gelehrte,
tiefſinnige und nach den Regeln der Vernunft, Be-
ſcheidenheit uñ Gelindigkeit angeſtellte Betrachtung
uͤber den Urſprung und Bedeutung des Vivatrufens,
und des damit verknuͤpften Woͤrtlein Hoch! ſamt
der ſo gluͤcklich entdeckten Etymologie des Worts:
Mucker, erqvicken43). Sie werden ſich freuen, daß
der Herr Prof. Philippi die Jenaiſchen Studenten
ihrer unanſtaͤndigen Aufuͤhrung wegen, auf eine ſo
ſcharfſinnige und feine Art durchgehechelt hat44):
Und ſie werden in eine angenehme Beſtuͤrtzung gerah-
ten, wenn Sie ſehen, wie beweglich der Hr. Prof. Phi-
lippi zum Beſchluß ſeinen alten 63jaͤhrigen Vater
anredet
[187](o)
anredet45). Ja was ſoll ich von dem artigen Neu-
Jahrs-Wunſch ſagen, den der Herr Prof. Philip-
pi an ſeine Hochwertheſte Eltern, als deroſelben Ge-
horſamſte andre Sohn ſchriftlich abgeſtattet hat?
Leſen Sie ihn, Meine Herren, mit gehoͤriger Andacht
und Demuth, ſo werden Sie befinden, daß er den
Reden des Herrn Prof. Philippi an Schoͤnheit und
Vortreflichkeit nicht allein nichts nachgiebt, ſondern
ſie auf gewiſſe Maaſſe uͤbertrift. Er iſt voll ho-
her Gedancken. Jch will Jhnen, Meine Herren,
mit Dero Erlaubniß, einen kleinen Vorſchmack da-
von geben.
Faͤllt mir eben, ſpricht der Herr Prof.46)
der Gedancken ein, wo wir wohl heute uͤber
tauſend Jahr ſeyn duͤrften: So leget eine un-
ſtraͤfliche Unwiſſenheit mit zwat ein ehrerbie-
tiges Stillſchweigen auf, daß ich dieſes nicht
ſagen koͤnne. Gleichwohl wenn heute vor
tauſend Jahren etwan einige unſer Vorfah-
ren auch ſo gedacht haͤtten: So wuͤrden wir
Jhnen nunmehro die Antwort leicht geben
koͤnnen, wo ſie waͤren, und wie wir ſelbigen
in der Reihe nachgefolget.
Herrliche Gedancken! Aber noch weit mehr iſt
die Demuht und Beſcheidenheit des Herrn Prof.
zu
[188](o)
zu bewundern, der ſich nicht unterſtehet, auf eine ſo
hohe Frage zu antworten.
Glaube mir, unvergleichlicher Philippi, eine
ſolche Sittſamkeit ſtehet einem Manne von deinen
Verdienſten nicht wohl an. Verſtelle dich ſo viel
du wilt. Wir wiſſen doch wohl, wer du biſt, und
was du vermagſt. Du wirſt uns nimmer weiß
machen, daß du auf die Frage, ſo du aufwirfſt
nicht antworten koͤnneſt. Jndem du geſteheſt, es
wuͤrde dir leicht ſeyn, einem unſerer Vorfahren auf
dieſe Frage Beſcheid zu geben, ſo haſt du deine wich-
tige Frage ſchon entſchieden. Qvaͤle demnach deine
Verehrer nicht ferner, durch eine Beſcheidenheit,
die ſich nur vor Leute von mittelmaͤſſigen Verdien-
ſten ſchicket, und nimm dasjenige Weſen an, ſo
groſſe Leute noch ehrwuͤrdiger macht.
Quæſitam meritis ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒47).’
Jch wuͤrde Sie groͤblich beleidigen, Meine Her-
rer, wenn ich nicht von Jhnen allerſeits glaubte,
daß Sie den Rath, welchen ich hier dem Herrn
Prof. Philippi gebe, billigen. Sie erkennen alle
die wurderbaren Eingenſchaften dieſes groſſen Man-
nes, der in unſern Tagen aufgeſtanden iſt, die deut-
ſche Beredſamkeit auf einen gantz andern Fuß zu
ſetzen. Sie erkennen, ſag ich, ſeine Verdienſte:
Aber Sie erkennen ſie nur halb, dafern Sie nur das
Wenige an Jhm bewundern, das ich von ihm ge-
ſagt habe. Jch uͤbergehe eine gute Anzahl derer
Schoͤn-
[189](o)
Schoͤnheiten, die in ſeinen Reden zu finden, mit
Stillſcheigen, und wenn ich ſie gleich alle, ohne eine
einzige auszulaſſen, nach der Reihe hergezehlet, und
durch alle Kunſt-Grife der Rede-Kunſt in das hel-
leſte Licht geſetzet haͤtte, ſo wuͤrde doch noch die Helfte
ſeiner Vortreflichkeiten verborgen bleiben.
Jch habe den Herrn Prof. Philippi nur als ei-
nen groſſen, und gantz beſondern Redner vorgeſtellet.
Aber, Meine Herren, er iſt noch mehr als das.
Er iſt auch ein Poet. Jch berufe mich desfals auf das
vortrefliche Heldengedicht, das Er verfertiget hat,
und bedaure nichts mehr, als daß mir die Zeit
nicht vergoͤnnet, mich in demſelben gebuͤhrend um-
zuſehen. O! was wolte ich Jhnen vor Herrlich-
keiten zeigen! Aber, Meine Herren, ich mache
mir ein Gewiſſen ihrer Geduld zu mißbrauchen.
Wie aufmerckſam Sie mir auch bisher zugehoͤret
haben, und wie feſt ich auch verſichert bin, daß alles,
was man Jhnen von einem Manne, den Sie ſo hoch
ſchaͤtzen, vorſaget, Jhnen ein unausſprechliches Ver-
gnuͤgen giebt, ſo muß ich doch beſorgen, durch die
Weitlaͤuftigkeit, wozu mich die entſetzliche Menge,
der in dem Heldengedichte des Herrn Prof. Phi-
lippi enthaltenen poetiſchen Seltſamkeiten48),
verleiten wuͤrde, Jhnen verdrießlich zu fallen, ja
ſelbſt
[190](o)
ſelbſt meiner Geſundheit Schaden zu thun. Denn,
Meine Herren, ich wuͤrde mit der bloſſen Erzehlung
derſelben heute nicht zu Ende kommen. Das, was
der Herr Prof. Philippi in ſeinem Heldengedicht
von einem Naturaliencabinet ſchreibet, ſchickt ſich,
mit einer kleinen Veraͤnderung, gar wohl hieher,
und ich kan mit Fug ſagen:
Nennt in der Poeſie mir irgend eine ArtVon Raritaͤten, die nicht da gefundenward.Solt ichs von Stuͤck zu Stuͤck mit Nah-men nur beſchreiben,Jch muͤſte wenigſtens ein gantz Jahrdruͤber bleiben49)
Jch begnuͤge mich demnach nur uͤberhaupt zu ſa-
gen, daß die Poeſie des Herrn Prof. Philippi ſo
heroiſch iſt, als ſeine Beredſamkeit. Es iſt eine Luſt
anzuſehen, wie wenig Er die unnuͤtzen Regeln beob-
achtet, wodurch man heutiges Tages die Dichtkunſt
ſo ſchwer machet. Er giebt ſich alle Freyheiten, die
einem Manne von ſeiner Art zukommen koͤnnen.
Abſchnitt, Sylbenmaaß und Fuͤſſe ſind bey ihm
gar veraͤchtliche Sachen, und ſeine einzige Sorge
gehet auf das einige Nothwendige in der Poeſie,
ich meine den Reim. Dieſes muß ihm nothwendig
die Hochachtung aller Kenner erwerben, die den
Sinn des Spruͤchworts: In fine videbitur cujus
toni gebuͤhrend einſehen, und, nach Art der Och-
ſen-
[191](o)
ſenkaͤuffer, aus dem Hintertheil eines Verſes, von
deſſen Guͤte zu urtheilen wiſſen.
Was ich bisher geſagt, betrift nur die aͤuſſerliche
Geſtalt dieſes wunderbaren Heldengedichts. Sieht
man nun daſſelbe nach ſeiner innerlichen Beſchaffen-
heit an, ſo muß man nothwendig in die aͤuſſerſte
Verwunderung gerathen.
Es iſt eine gemeine Sage, Meine Herren, daß
die Poeten nicht gemacht, ſondern gebohren werden.
Jch kan nicht leugnen, die Gedichte unterſchiedener
Poeten haben mir dieſe ſo gemeine Einbildung ver-
daͤchtig gemacht: Aber durch das Heldengedicht
des Herrn Prof. Philippi bin ich von dem Ungrund
derſelben voͤllig uͤberfuͤhret worden. Man kan mit
Haͤnden greifen, Meine Herren, daß der Herr Prof.
kein gebohrner Poete ſey. Ein jeder Vers ſeines
Heldengedichts zeiget von der groſſen Gewalt, die
Er ſeiner Natur anthun muͤſſen, um dieſe Probe ſei-
ner Geſchicklichkeit, und dieſen Vorwurf unſerer
Bewunderung hervor zubringen Dieſe Erkaͤnnt-
niß, Meine Herren, erhoͤhet die Begrife unendlich
die wir ſchon von dem Herrn Philippi, und ſeinem
auſſerordentlichen Geiſte haben. Wer muß nicht
uͤber den Fleiß, die Muͤhe, und das Nachſinnen
erſtaunen, die es dem Herrn Prof. Philippi geko-
ſtet hat, ſich eine Geſchicklichkeit zu erwerben, wel-
che die Natur, die ſonſt gegen Jhn ſo verſchwende-
riſch geweſen, aus einem Eigenſinn, den ich nicht
begreifen kan, Jhm verſaget hatte?
Auf dieſe Art ein Poete werden, iſt weit ruͤhmli-
cher, als wenn man dieſe Eigenſchaft einem natuͤr-
lichen
[192](o)
lichen Geſchicke zu dancken hat. Jch muß immer
lachen, Meine Herren, wenn ich den Ovidius und
Canitz, ihrer Poeſie wegen, ruͤhmen hoͤre, die
doch beyde aufrichtig geſtanden, daß ſie von Jugend
auf einen unuͤberwindlichen Trieb zum Dichten,
bey ſich geſpuͤret haben. Es iſt groß Wunder, daß
man auch nicht an ihnen lobet, daß ſie gegeſſen haben,
wenn der Hunger ſie geplaget. Dieſer Trieb zum
Eſſen war ihnen nicht mehr natuͤrlich, als die Nei-
gung und Geſchicklichkeit zur Poeſie.
Die beſte Eigenſchaft, Meine Herren, zu
welcher wir nichts beytragen, kan uns nicht zum
Ruhm gereichen. Es haben ſchon andre angemer-
cket, daß derienige, der, um den Cato recht groß
zu machen, ſagte: Cato habe nicht anders ge-
konnt, als Gutes thun50), ſich ſchlecht um den-
ſelben verdient gemacht hat; Und Socrates wuͤrde
nicht die Helfte der Hochachtung verdienen, die
man ietzo vor ihm heget, wenn nicht ſein eigen Ge-
ſtaͤndniß, daß ſein Naturel grund boͤſe, und ſeine
Tugend gekuͤnſtelt ſey, ſeine Weißheit ſo bewunde-
rungs-wuͤrdig gemachet haͤtte.
Was vor Lob verdienet demnach nicht die ſo
ſehr gekuͤnſtelte, und unnatuͤrliche Poeſie des Herrn
Prof. Philippi? Und was vor Ehrerbietung ein
ſo groſſer Poet? Jch weiß, Meine Herren, dieje-
nige, die Sie gegen ihn hegen, iſt ſo groß, als es
ſeine Verdienſte erfordern.
Ja, groſſer Dichter, wir verehren dich, als
einen
[193](o)
einen Mann, der in ſeiner Art der einzige iſt. Fah-
re nur fort, deine matte Faͤhigkeit zum Dencken,
und zum Dichten, uͤber welche du klageſt51),
mit Nachdruck zu beſtreiten: Zeige der Welt, daß
Horatz ein Gecke geweſen, da er geſchrieben:
Dein Helden-Gedicht lehret uns, daß man auch
ohne der Minerven Wiſſen und Willen in der
Dicht-Kunſt groß ſeyn koͤnne: und dir, Chriſtlicher
Philippi, ſtehet es vor andern wohl an, dieſer heid-
niſchen Goͤttin zum Poſſen, ein Handwerck zu trei-
ben, dazu du nicht gebohren biſt. Schreib dem-
nach, unvergleichlicher Dichter, und ſchone kein
Papier. Die Schaar der Muſen giebt dir von den
Zehn tauſend Ballen, die ſie geſchenckt bekommen hat
53), gerne einige Ballen wieder zuruͤcke. Kehre dich
nicht daran, wenn deine verderbte Vernunft dir zu-
ruft: Schreibe nicht! oder wenn andere uͤber deine
Verſe ſpotten. Jenes iſt eine Anfechtung die Leute dei-
ner Art leicht uͤberwinden, und dieſes ein Unfall, den du
mit vielen vortreflichen Dichtern gemein haſt. Die
Geſellſchaft der kleinen Geiſter wird darum eben ſo
wenig von der Hochachtung gegen dich etwas fallen
laſſen, als du ſelbſt, und dich alle Zeit, du magſt wol-
len oder nicht, als ein Mitglied anſehen, das ihr die
meiſte Ehre bringet.
NJch
[194](o)
Jch ſcheue mich nicht, Meine Herren, dieſes in
Jhrer aller Namen zu verſprechen. Sie werden
mich nicht zum Luͤgner werden laſſen. Dero huld-
reicher Anblick verſichert mich, daß ich nichts geſagt
habe, das Sie nicht genehm halten, und, wo es mir er-
laubt iſt, von unſerer gantzen Geſellſchaft nach denen-
jenigen Regungen zur urtheilen, die ich ſelbſt empfin-
de, ſo weiß ich gewiß, daß dieſelbe uͤber die Erhebung
des Herrn Philippi zur Profeſſion der deutſchen Be-
redſamkeit eine Freude empfindet, die allen Verdruß
weit uͤberwieget, den die fruchtbare Schaar ihrer Wi-
derſacher derſelben verurſachet. Sie vergiſſet
daruͤber alle ihres Leides, und wo etwas iſt, das
ihr Vergnuͤgen mangelhaft machet, ſo iſt es der
ſchwache Geſundheits-Zuſtand des Herrn Prof.
Philippi
Jch ſehe mit Beſtuͤrtzung, Meine Herren, daß
der Herr Prof. Philippi den Ohnmachten ſo ſehr
unterworfen iſt. Die eine verurſachte ihm der bloſſe
Anblick eines koͤniglichen Bildniſſes, und die andere
wandelte ihm in der Gedaͤchtniß-Rede auf die Koͤ-
nigin in Pohlen an. Es iſt gewiß, Meine Herren,
daß, wenn ihm nicht das erſte mahl ſeine damahls
gegenwaͤrtige leibliche Frau Mutter, nebſt dem
redlichen Hrn. Commiſſions-Rath und Crayß-
Amtmann Fleuter aufgerichtet54), und das an-
deꝛe mahl die geſchaͤftige Mitleidenheit einiger añehm-
lichſten Kinder, durch einen kraͤftigen Balſam wie-
der
[195](o)
der zu recht gebracht haͤtte55), ſo wuͤrden die unter-
irrdigen Grotten durch die Ankunft eines groſſen Red-
ners und Poeten begluͤckſeeliget ſeyn, mit welchem
jetzo das Reich der Lebendigen noch pranget. Aber,
Meine Herren, da es nicht zu glauben, daß ein Mann,
der zu ſo groſſen Dingen gebohren iſt, ſo bald den Weg
alles Fleiſches gehen werde, ſo hoffe ich, daß die Vor-
ſtellung ſeiner Sterblichkeit nicht faͤhig ſeyn wird,
unſere gegenwaͤrtige Zufriedenheit zu ſtoͤhren, und
uns zu verhindern, einander auf die Geſundheit des
Herrn Prof. Philippi in gebuͤhrender Maaſſe,
und ehrerbietigſter Beſcheidenheit eines zuzu-
bringen56). Sie kan uns vielmehr antreiben un-
ſere Wuͤnſche vor das lange Leben eines ſo unent-
behrlichen Mannes zu verdoppeln.
Lebe demnach, Theurer Philippi, und vollen-
de das groſſe Werck, das du angefangen haſt. Zerſtoͤh-
re das Reich der falſchen Beredſamkeit; und erweite-
re, nach der Gelegenheit, die dir dein Amt giebt, die
Graͤntzen unſerer Geſellſchaft, die dich als ihren
Aug-Apfel hoch haͤlt. Laß die Spoͤtter immerhin
ſchwatzen, man habe dich zu einem auſſerordentli-
chen Bekenner der deutſchen Beredſamkeit erkoh-
ren, um durch dein Lehr-reiches Beyſpiel die Jugend
auf eben die Art beredt zu machen, als die alten La-
cedaͤmonier ihre Kinder durch das Exempel truncke-
ner Knechte zur Maͤſſigkeit anfuͤhrten. Diejenigen,
N 2welche
[196](o)
welche wiſſen, wie unentbehrlich du der Welt
biſt, werden nicht aufhoͤren, vor dein Wohl-
ſeyn zu ſeuftzen, und die Geſellſchaft der klei-
nen Geiſter, die dich als ihre vornehmſte Stuͤ-
tze und ihren eintzigen Troſt in dieſen betruͤb-
ten Zeiten, anſiehet, wird nicht muͤde werden
deinen Ruhm bey aller Gelegenheit auszubrei-
ten.
Was ich ſage, Meine Herren, das dencken
Sie; und weil ich nun deſſen verſichert bin,
ſo vermag ich dieſer meiner geringfuͤgigen Re-
de, deren hochgeneigte Aufnahme, und Bede-
ckung der untergelauffenen Fehler, mir noch-
mahlen gehorſamſt und ergebenſt ausbitte, kei-
nen beſſern Schluß zu machen, als damit ich
angefangen habe57). Es lebe der Herr Prof.
Philippi! Hoch!
DIXI.
[[197]]
V.
Unpartheyiſche
Unterſuchung
der Frage:
Ob die bekannte Satyre,
Briontes der Juͤngere,
oder
Lobrede
auf den
Herrn D. Johann Ernſt
Philippi,
Profeſſor der deutſchen Wohlredenheit auf der
Univerſitaͤt Halle,
mit
entſetzlichen Religions-Spoͤttereyen ange-
fuͤllet, und eine ſtraf bare Schrift ſey?
Bey welcher Gelegenheit zugleich augenſcheinlich gezeiget
wird, daß der Herr Profeſſor Philippi die Schrift:
Gleiche Bruͤder, gleiche Kappen ꝛc.
unmoͤglich gemacht haben koͤnne.
Leipzig, 1733.
Qui mépriſe Cotin n’eſtime point ſon
Roi,
Et n’a, ſelon Cotin, ni Dieu, ni foi, ni
loi.’
[[199]]
Sich in fremde Haͤndel miſchen,Eingang.
und um Sachen bekuͤmmern, die
einen nicht angehen, das wird
von allen klugen Leuten vor ein ſo
vorwitziges Unternehmen gehal-
ten, dem die Reue auf dem Fuſſe zu folgen
pfleget. Dieſe Betrachtung ſollte mich be-
wegen, meine Gedancken uͤber die Frage, wel-
che ich zu unterſuchen willens bin, bey mir zu
behalten: Allein die Unſchuld vertreten, und
die Jrrenden auf den rechten Weg bringen,
das iſt eine Pflicht, der ein Vernuͤnftiger ſich
nicht entſchlagen kan. Und daher deucht mich,
ich werde nicht uͤbel thun, noch von Leuten, die
Vernunft und Billigkeit lieben, eines Vor-
witzes, oder einer Verwegenheit beſchuldiget
werden, wenn ich von denen Urtheilen, die uͤber
die im vorigen Jahr unter dem Titel: Brion-
tes der juͤngere, oder Lobrede auf den
Hrn. Prof. Philippi, heraus gekommene
Satyre gefaͤllet worden, auf eine unpartheyi-
ſche und beſcheidene Art, meine Meinung
ſage.
Jch ſetze voraus, daß alle diejenigen, welcheEndzweck
dieſer
Schrift.
ſich die Muͤhe nehmen werden, gegenwaͤrtige
Schrift durchzublaͤttern, auch die Satyre, ſo
N 4mir
[200](o)
mir Gelegenheit gegeben hat dieſelbe zu verferti-
gen, gelefen haben. Sie werden alſo wiſſen, daß
in Halle ein Profeſſor der deutſchen Wohl-
redenheit iſt, der Philippi heifft; daß dieſer,
um ſeine Geſchicklichkeit zu zeigen, ſechs deut-
ſche Reden durch den Druck bekannt ge-
macht; und daß ein ungenannter, dem dieſe
Reden nicht gefallen, eine ziemlich ſcharfe Sa-
tyre, unter dem Nahmen einer Lob-Rede, wie-
der den Hn. Prof. Philippi heraus gegeben hat.
Jch glaube daher, es werde nicht noͤthig
ſeyn, daß ich meinen Leſern von dem Endzweck
und der Beſchaffenheit dieſer Satyre eine weit-
laͤuftige Nachricht gebe, der ſie leicht entbehren
koͤnnen. Mein Zweck iſt nur, zu unterſuchen,
ob die wiedrigen Urtheile, welche von derſelben
gefaͤllet worden, gegruͤnder ſind oder nicht.
wurf und
deſſen Be-
antwor-
tung.
Jch ſehe vorher, daß viele meiner Leſer den-
cken werden, dieſes ſey eine unnoͤthige Arbeit:
Sie werden ſich einbilden, eine Schrift, die ſo
wohl aufgenommen worden, koͤnne ſolchen Ur-
theilen unmoͤglich unterworffen ſeyn, und koͤn-
nen mich alſo leicht vor einen Menſchen halten,
der mit ſeinem eigenen Schatten kaͤmpft. Al-
lein alle diejenigen, die dieſe Gedancken haben,
muͤſſen mir erlauben, ihnen zu ſagen, daß ſie ſich
in ihrer Meinung betriegen, und daß eine Saty-
re, ſie mag ſo wohl gerathen ſeyn, und mit ſo
vieler Begierde geleſen werden, als ſie immer
will, dennoch einer weit ſchaͤrfern Cenſur
unterworfen iſt, als irgend eine andere
Schrift.
Jch
[201](o)
Jch geſtehe, wenn man bedencket, daß dieSatyren
mißfallen
den mei-
ſten.
Menſchen ungemein geneigt ſind, ſich uͤber
den Unfall ihres Naͤchſten zu erfreuen, ſo ſol-
te man glauben, eine, auch nur mittelmaͤſſi-
ge, Satyre muͤſſe allemahl mit allgemeinem
Beyfall aufgenommen werden. Aber dieſer
Schluß iſt trieglich, und die Erfahrung giebt
es, daß eine Satyre, ſie mag auch noch ſo
wohl geſchrieben ſeyn, den meiſten mißfalle,
und daß der Verfaſſer derſelben, auch ſo
gar von denen, welche ſeine Schrift mit
Luſt leſen, und dieſelbe loben, dennoch ge-
tadelt werde.
Denn obgleich die luſtigen Einfaͤlle, welche
eine Satyre beliebt machen, alle Leſer kuͤ-
tzeln, und zum Lachen gleichſam zwingen, ſo
gehet doch dieſes Lachen den meiſten eben ſo
wenig von Hertzen, als dasjenige, ſo durch ei-
ne leibliche Kuͤtzelung verurſachet wird.
Die Empfindung, welche in unſerm Coͤrper
entſtehet, wenn er gekuͤtzelt wird, iſt einer ſehr
zweydeutigen Natur, und, wie angenehm ſie
auch ſcheint, mit einer Art des Schmertzes un-
termiſchet. Mit der geiſtlichen Kuͤtzelung
hat es eben die Bewandniß, und das Vergnuͤ-
gen, das eine Satyre ihren Leſern giebt, iſt faſt
allemahl mit einem heimlichen Verdruß verge-
ſellſchaftet.
Die Urſachen dieſes Verdruſſes ſind nichtDie Urſa-
chen da-
von: 1) der
Wahn daß
ſich ein
Spoͤtter
ſchwer zu errathen. Die erſte iſt der gemeine
Wahn, daß einer, der ſich klug genug duͤncket
andere zu tadeln, eine groſſe Einbildung von
N 5ſich
[202](o)
gar zu viel
einbilde.ſich ſelbſt haben, und ſich allein vor weiſe hal-
ten muͤſſe. Jch unterſuche hier nicht, ob die-
ſer Wahn gegruͤndet ſey: Jch mercke nur an,
daß ein ſolcher Wahn ungemein geſchickt iſt,
ſolche Bewegungen in den Hertzen derer, die
eine Sache leſen, zu erregen, wodurch ſie ver-
hindert werden, dieſelbe unpartheyiſch zu be-
urtheilen.
Der Hochmuht iſt zwar allemahl eine ver-
haſſte Eigenſchaft, nimmer aber unertraͤgli-
cher, als wenn er von derjenigen Einbildung
herruͤhret, die ein Menſch von ſeinem eigenen
Verſtande hat. Denn in Anſehung des Ver-
ſtandes, goͤnnt keiner dem andern den Vorzug.
Niemand iſt mit dem ſeinen uͤbel zufrieden,
und kan alſo denjenigen nicht anders, als mit
ſcheelen Augen anſehen, von dem er glaubt, daß
er thoͤrigt genug, ſich allein vor klug zu halten.
Die Satyren-Schreiber haben das Ungluͤck,
daß der groͤſſeſte Haufe dieſes von ihnen arg-
wohnet, und folglich muß nothwendig die Zahl
derer ſehr groß ſeyn, die einen heimlichen Wie-
derwillen gegen ſie hegen. Ein ieder ſiehet
leicht, was dieſer Wiederwille, natuͤrlicher
Weiſe, vor Wuͤrckungen haben muͤſſe, und
daß es gar kein Wunder, wenn ſich die meiſten
dadurch verleiten laſſen, von den Abſichten,
und von dem Verfahren der Spoͤtter aufs
ſchlimmſte zu urtheilen.
leiden mit
den Tho-
ren.
Es waͤre ein Gluͤck vor diejenigen, die Sa-
tyren ſchreiben, wenn die Urtheile uͤber ihre
Schriften nur allein aus dieſer Qvelle floͤſſen,
und
[203](o)
und es nicht Leute gebe, deren Mißfallen uͤber
eine Satyre noch aus einer andern Urſache
herruͤhrete. Allein ſo zeigt es die Erfahrung,
daß ein unvernuͤnftiges Mitleiden, mit denen
Thoren, die in einer Satyre laͤcherlich ge-
macht werden, den meiſten auch die gluͤcklich-
ſten Einfaͤlle, und unſchuldigſten Reden ver-
haſſt und verdaͤchtig mache.
Man darf nicht lange nachſinnen, wo-Urſachen
dieſes Mit-
leidens:
1) die Men-
ge der Tho-
ren.
her doch immer dieſes Mitleiden entſtehe. Ei-
ne Satyre greift allemahl eine gewiſſe Art
der Thorheit an, und macht dieienigen laͤ-
cherlich, welche damit behaftet ſind. Dieſes
muß nothwendig vielen nicht anſtehen, weil
die Menge der Thoren unzaͤhlig iſt. Es iſt
demnach etwas gar natuͤrliches, daß derieni-
ge, der in einer Satyre angegriffen wird, ei-
nen groͤſſern Anhang findet, als derienige, der
ſie geſchrieben hat. Dieſer iſt ein gemeiner
Feind, und iener ein bedraͤngtes Bruͤder-
gen, deſſen Nothſtand ein ieder zu Hertzen
nimmt. Wie muß es alſo dem frechen
Spoͤtter, der in der Perſon desienigen, wie-
der welchen er ſeinen Gift ausgelaſſen, ſo vie-
le ehrliche Leute beleidiget hat, nicht ergehen,
und wie kan man mit Vernunft hofen, daß
man, einiger luſtigen Einfaͤlle halber, ſeine
Schmaͤh-Schrift nicht aufs ſchaͤrfſte richten
werde?
eſt intactus, \& odit.
Horat. Lib. II. Sat. I.’
Das
[204](o)
Gewiſſen
der Leſer.
Das Gewiſſen iſt ein wunderlich Ding.
Man denckt: Heute mir, morgen dir, und lie-
ſet alſo eine Satyre mit Furcht und Zittern.
Infremuit, rubet auditor, cui frigida mens
eſt
Criminibus, tacitaque ſudant præcordia
culpa.
Juvenalis Sat. I.’
rung an
die Spoͤt-
ter.
Jch nehme mir demnach die Freyheit, bey die-
ſer Gelegenheit allen denen, die zum Spotten
Luſt haben, wohlmeinentlich zu rahten, daß ſie
dieſe boͤſe Neigung mit aller Macht beſtreiten.
re vero
Auriculas? .........
Perſius Sat. I.’
Sie bilden ſich ein, durch ihre artigen Ein-
faͤlle der Welt eine Luſt zu machen, und ihren
Leſern zu gefallen. Jch gebe ihnen zu, daß
ſie, was das erſte anlanget, ihren Zweck ei-
niger maſſen erreichen. Aber was wird ih-
nen dafuͤr? Wenn ſie nur belieben wollen zu
erwegen, daß, wie ich ſchon geſagt, das Biß-
gen Luſt, ſo man bey Leſung einer Satyre
empfindet, ſehr genau mit einem empfindli-
chen Verdruß verbunden iſt, ſo werden ſie be-
greifen, daß ſie durch ihre Schriften bey
ihren Leſern eben ſo wenig Danck verdienen
koͤnnen, als wenn ſie im gemeinen Leben al-
le, die ihnen begegnen, und mit denen ſie um-
gehen,
[205](o)
gehen, anfallen und kuͤtzeln wollten. Ei-
ne ſo wunderliche Aufuͤhrung wuͤrde ihnen
unſtreitig viele Feinde machen, und wo ſie
ihrer Tadelſucht keine Graͤntzen ſetzen, wird
es ihnen gleichfalls nicht daran mangeln.
Sie duͤrfen nicht dencken, es habe dieſes
nichts zu bedeuten, wenn ſie ſich der Beſtra-
fung allgemeiner Thorheiten enthielten, und
ſich nur an ſo elende Troͤpfe machten, die
auch von ihres gleichen vor ausgemachte Ge-
cken gehalten werden. Die Erfahrung wird
ſie lehren, daß ſie ſich in ihrer Hofnung be-
triegen, und daß es zu allen Zeiten wahr iſt, was
Horatz ſagt:
Conditione ſuper communi .......
Horat. Lib. II. Epiſt. I.’
Wer nur einen Phantaſten angreift, der hat ſo-Einigkeit
der Tho-
ren wenn
ſie von ei-
nem aus-
waͤrtigen
Feinde an-
gegriffen
werden.
gleich die gantze Schaar der Thoren auf dem
Halſe. Jch bekenne, das Reich dieſer Her-
ren ſcheint ſonſt ſo gar einig nicht zu ſeyn.
Sie leben in beſtaͤndigem Krieg, und lachen
einander um die Wette aus. Aber ein Frem-
der muß ſich dieſe Freyheit nicht nehmen.
Sobald werden ſie nicht von einem auswaͤr-
tigen Feinde angegrifen, ſo vergleichen ſie ſich,
und ſtehen vor einen Mann. Dieſes iſt
nicht ſo wohl eine Wuͤrckung ihrer Klug-
heit, als eine Folge desjenigen Mitleidens, das
ſie, aller innerlichen Uneinigkeit ungeachtet, mit
ihren geaͤngſtigten Bruͤdern hegen. Es iſt dieſer
Afect
[206](o)
Afect unter Geſchoͤpfen einer Art ſo natuͤr-
lich, daß man auch bey unvernuͤnftigen Thie-
ren einige Spuren davon findet. Wenn
nur das kleineſte Ferckel ſeine Noth durch ein
klaͤgliches Geſchrey bekannt machet, ſo grun-
tzet die gantze Heerde, und eilet ihrem noth-
leidenden Gliede zu Huͤlfe. Thun dieſes nun
unvernuͤnftige Thiere, was werden Menſchen
nicht thun? Und ſolten alſo wohl die Tho-
ren einen von ihrem Orden huͤlflos laſſen, wenn
er belachet wird? Die Erfahrung giebt
es, daß ſie es nicht thun, und bekraͤftiget den
Ausſpruch des Poeten:
Man greife nur einmahl dem Narren an
die Schellen,
So fangen Laff, und Mops, und Melac
an zu bellen.
Schlotp. 8.
re Brion-
tes iſt nicht
gluͤcklicher
als ande-
re.
Jch bitte alle Spoͤtter dieſes wohl zu beher-
tzigen, und frage numehro meine Leſer, denen zu
gefallen ich dieſe Ausſchweiffung gemacht ha-
be, ob es wohl zu bewundern ſey, daß es Leute ge-
geben, denen die Lob-Rede auf den Hn. Prof.
Philippi nicht gefallen wollen? Jch bilde mir
ein, deutlich gezeiget zu haben, daß dieſes das
gemeine Schickſal aller Satyren, und mich
deucht nicht, daß diejenige, von welcher wir
handeln, ſo beſchaffen ſey, daß ſie ein beſſeres
Gluͤck verdiene.
bet, aber
Zwar muß ich bekennen, der Briontes iſt
von vielen mit groſſem Vergnuͤgen geleſen
wor-
[207](o)
worden. Man hat die darinn enthalteneder Verfaſ-
ſer doch ei-
ner Religi-
ons-Spoͤt-
terey be-
ſchuldi-
get.
Einfaͤlle und Spoͤttereyen ſcharfſinnig gefun-
den, und ich kan zum Ruhm unſers Vater-
landes ſagen, daß noch niemand des Hn. Prof.
Philippi Parthey oͤfentlich genommen, oder
dieſen Haͤlliſchen Redner beklaget hat. Alle
Welt, die Klugen ſo wohl, als die Thoren,
ſtimmen darinn uͤberein, daß dem Hrn.
Prof. Recht geſchehen iſt, und ſeine Re-
den eine ſo ſcharfe Lauge voͤllig verdienet
haben. Es iſt alſo gar kein Streit dar-
uͤber, ob der Briontes gut, und die Reden,
und das Helden-Gedicht des Hn. Prof. Phi-
lippi ſchlecht geſchrieben ſind. Dieſes ſind
Wahrheiten, daran kein Menſch zweifelt.
Allein ob nun gleich die natuͤrliche und lebhaf-
te Vorſtellung der, in den philippiſchen Re-
den vorkommenden, abentheurlichen Schni-
tzer jederman wohl gefallen, und niemand
an der Schreib-Art, und gantzen Einrich-
tung des Briontes noch zur Zeit etwas
auszuſetzen gefunden hat: So hat doch
dieſe Satyre dem Ungluͤck, welches allen
Schriften dieſer Art eigen iſt, ſo wenig ent-
gehen koͤnnen, daß man vielmehr ſagen kan,
ſie ſey noch auf eine unbarmhertzigere Weiſe,
als ſonſt gebraͤuchlich, mitgenommen wor-
den. Denn da man ſonſt nichts dagegen
vorzubringen gewuſt, ſo hat man ſich begnuͤget
Religions-Spoͤttereyen darinn zu entdecken,
und den Verfaſſer einer Verachtung der H.
Schrift zu beſchuldigen. Mich deucht, ein
ſol-
[208](o)
ſolches Urtheil iſt weit aͤrger, als wenn man
bloß die Schreib-Art, und Einfaͤlle als al-
bern und kaltſinnig tadelt. Denn dieſe
Cenſur haͤtte, wenn ſie Grund gehabt, den
Verfaſſer nur laͤcherlich gemacht: Da berge-
gen ein ſo harter Ausſpruch, er mag gegruͤn-
det ſeyn oder nicht, weit ſchlimmere Wuͤrckun-
gen haben kan.
ge, die der
Verfaſſer
der Nieder-
ſaͤchſiſchen
Nachrich-
ten desfals
gehabt, iſt
nicht un-
noͤhtig.
Jch verdencke es meinen Leſern nicht, wenn
es ihnen unwahrſcheinlich vorkoͤmmt, daß
es Leute gebe, die von dem Verfaſſer des Bri-
ontes ein ſo liebloſes Urtheil zu faͤllen faͤhig
ſind. Jch haͤtte mir ſelbſt nicht eingebildet,
daß es moͤglich ſey, und ob ich gleich ſahe, daß
in den Niederſachſiſchen Nachrichten
dem Verfaſſer des Briontes gerathen wur-
de, ſich kuͤnftig ſolcher Ausdruͤckungen zu ent-
halten, aus welchen man eine ſchlechte Ehr-
erbietung gegen die H. Schrift ſchlieſſen koͤnn-
te, ſo hielte ich doch, nach der Liebe, davor,
der Herr Verfaſſer dieſer Nachrichten habe
durch dieſen guten Rath nicht ſo ſehr ſeine ei-
gene Meinung, als ſeine wohlgemeinte Sor-
ge, daß andere ſo urtheilen moͤchten, an den
Tag legen wollen. Und ich geſtehe dieſe Sor-
ge kam mir unnoͤthig vor. Allein ich erken-
ne nunmehro, daß der Hr. Verfaſſer der Nie-
derſaͤchſiſchen Nachrichten weiter geſehen hat
als ich, und ſchaͤme mich meiner Einfalt.
faſſer des
Briontes
Jch haͤtte wiſſen ſollen, daß der Verfaſſer
des Briontes nicht der erſte iſt, dem dieſes Un-
gluͤck
[209](o)
gluͤck begegnet. Jſt es dem D. Schwift wohlontes iſt
nicht der
erſte Sa-
tyren-
Schreiber
den man
zum Reli-
gions-
Spoͤtter
gemacht
hat.
beſſer gegangen? Hat nicht Wotton die
Dreiſtigkeit gehabt, in ſeinen Reflections upon
Learning zu ſchreiben: That the Tale of“
a Tub is a deſign’d Banter upon all that„
is eſteem’d Sacred among Men; and that„
God and Religion, Truth and moral Ho-„
neſty, Learning and Induſtry, are ma-„
de a May-Game. S. the complete Key to„
the Tale of a Tub. pag. 28 Und haben ſich
auch nicht in Deutſchland Leute von ſo
ſchlechten Nachſinnen gefunden, die dieſes
unvernuͤnftige Urtheil des Wottons nachge-
betet? Haͤtte ich dieſes bedacht, ſo wuͤrde ich
wohl begriffen haben, daß nichts in der
Welt ſo wunderlich ſey, das man nicht von ei-
nem boͤſen Scribenten, der durch eine Saty-
re in Wuth gebracht iſt, vermuthen muͤſſe.
Leute dieſer Art wiſſen in ſolcher AngſtBoͤſe Scri-
bentenfaſ-
ſen die
Hoͤrner
des Al-
tars, und
handeln
kluͤglich
daran.
nicht, was ſie thun. Sie ſehen, daß jeder-
mann ihre Thorheit erkennet, und niemand
iſt, der ſich ihrer annimmt. Wenn ſie dann
nicht wiſſen, wo ſie ſich hinwenden ſollen, ſo
faſſen ſie aus Verzweifelung die Hoͤrner des
Altars. Jch kan nicht anders, als einen ſo
klugen Entſchluß loben. Es findet ſich ſelten
ein Benaja, der das Hertz haͤtte auch in dem
Heiligthum einem ſolchen Stuͤmper den Kopf
abzureiſſen, und dieſer findet gemeiniglich
Schutz.
Ovid. Metam. Lib. VIII.’
OMan
[210](o)
dieſes kluͤg-
lich gehan-
delt ſey?
Man darf ſich alſo nicht wundern, war-
um die nothleidenden Scribenten ihre Ver-
folger, mit denen ſie nicht auskommen koͤn-
nen, allemahl einer Gottloſigkeit beſchuldigen.
Dieſes iſt unſtreitig das gemaͤchlichſte, ſicher-
ſte und kraͤftigſte Mittel ſeinen Feind zu un-
terdruͤcken, und man koͤmmt weiter damit,
als wenn man ſich in einen ordentlichen
Kampf einlaſſen wolte. Es gleicht, wie ein
gewiſſer Scribent ſagt, einer Mine, durch wel-
che der Feind, ehe er ſichs verſiehet, in die Luft ge-
ſprenget wird, und es iſt ſelten ohne Wuͤrkung.
Die Religion hat ſo was ehrwuͤrdiges an
ſich, daß auch der bloſſe Nahme derſelben ſelbſt
Leuten, welche am wenigſten Luſt haben, die
Pflichten, wozu die Religion uns verbindet,
zu erfuͤllen, eine ſonderbare Ehrerbietung
einpraͤget. Es muß folglich ein Satyren-
Schreiber, der das Ungluͤck hat, vor einen
Veraͤchter der Religion gehalten zu werden,
ein Greuel in jedermans Augen ſeyn. Es
iſt niemand, der ſich nicht verbunden achten
ſolte, wieder einen ſolchen Menſchen zu ey-
fern. Ein ſolcher Eyfer ſtehet allen recht-
ſchaffenen Chriſten ſonderlich wohl an, und
kan bey vielen aufrichtig ſeyn. Allein er iſt
es nicht bey allen. Viele wenden ihn nur
vor, damit man ſie vor Leute halten moͤge,
denen die Schrift und Religion vor andern
lieb iſt; und bey den meiſten muß er demjeni-
gen Mitleiden, das ſie mit den Thoren hegen,
zum Deckmantel dienen.
Jch
[211](o)
Jch will hier nicht unterſuchen, ob derHr. Pꝛofeſſ.
Philippi
hat wohl
gethan,
daß er es
auch ſo ge-
macht.
Eyfer, den man wieder einige in dem Bri-
ontes vorkommende Ausdruͤckungen hie und
da bezeuget, aus ſo boͤſen Quellen herflieſſe,
oder ob er aufrichtig ſey. Er mag meinent-
wegen beſchafen ſeyn, wie er will. Jch ſa-
ge nur, daß es kein uͤbler Fund von dem Hn.
Prof. Philippi ſey, daß er, an ſtatt ſich durch ei-
ne unmoͤgliche Vertheidigung ſeiner begange-
nen Fehler noch laͤcherlicher zu machen, uͤber
Religions-Spoͤttereyen zu ſeufzen angefan-
gen. Er hat dadurch wenigſtens ſo viel zu
wege gebracht, daß Leute, denen es entweder
an Zeit gefehlet, den Briontes ſelbſt zu leſen,
oder auch die Faͤhigkeit gemangelt, deſſen Sinn
einzuſehen, den Verfaſſer dieſer, ſonſt ſo belieb-
ten Satyre, vor einen Veraͤchter der Schrift
und gottloſen Menſchen halten.
Mir koͤnnte dieſes freilich gleich viel gelten.Warum es
aber der
Verfaſſer
nicht lei-
den koͤnne,
und den Ur-
heber des
Briontes
vertheidi-
ge?
Jch kenne dieſen ungenannten Scribenten ſo
wenig als den Hn. Prof. Philippi: Allein
die Liebe, die ich meinem unbekannten Nech-
ſten ſo wohl, als denen, die ich kenne, ſchul-
dig bin, bewegt mich, den Verfaſſer des Bri-
ontes von einem ſo unbilligen Verdacht zu
befreyen, und denen, welche ihn einer Gott-
loſigkeit beſchuldiget, ihre Uebereilung aufs
glimpflichſte vorzuſtellen. Jch halte dieſes
um ſo viel noͤthiger, weil ſo gewaltige Verdre-
hungen unſchuldiger Worte, als diejenige,
wodurch man aus einigen Stellen des Bri-
ontes Religions-Spoͤttereyen erpreſſet, vielen
O 2Un-
[212](o)
Unfug anrichten, und ehrlichen Leuten Ver-
druß machen koͤnnen, und hoffe demnach es
werde mein Unternehmen, welches auf die
Rettung der Unſchuld zielet, von keinem, der
Entſchul-
digung
an den
Leſer.die Billigkeit liebet, getadelt werden. Nur
will ich meine Leſer erſuchen, daß ſie es mir
nicht uͤbel, oder zur Einfalt deuten, wenn ich
Dinge widerlege, die es kaum zu verdienen
ſcheinen. Die Schuld iſt nicht meine, ſon-
dern derer, die vor gut befunden haben, ſo
ſchwache Beweißthuͤmer ihrer Beſchuldigung
vorzubringen.
„bor \& oppidò frivola velle defendere, il-
„lis debet ea res vitio verti quibus turpe
„eſt … hæc objectaſſe: non mihiculpæ
„dari, cui honeſtum erit … hæc diluiſſe.
Apulejus in Apologia p. m. 442.’
daß der
Verfaſſer
des Bri-
ontes ein
Religions-
Spoͤtter,
iſt ſehr
ſchwach.
Meine Unterſuchung der Gruͤnde, wodurch
man darthun will, daß in dem Briontes Re-
ligions-Spoͤttereyen enthalten ſind, braucht
dieſer Entſchuldigung unumgaͤnglich. Denn
es ſind dieſe Gruͤnde von Hertzen ſchwach, und
zeugen von einer groſſen Verzweifelung; da-
her ich auch niemand als den Herrn Prof.
Philippi vor den Urheber derſelben halten kan.
Unpartheyiſche Leſer des Briontes ſehen leicht,
daß die Stellen, die man als verdaͤchtig ange-
geben hat, nichts in ſich faſſen, das auch dem
eigenſinnigſten und heiligſten aͤrgerlich ſchei-
nen koͤnne.
Religions-
Es ſind dieſe Stellen drey. Der Ver-
faſſer des Briontes ſoll ein Religions-
Spoͤtter
[213](o)
Spoͤtter ſeyn, 1) Weil er in dem Vorbe-Spoͤtterey-
en beſtehen
ſollen.
richt gleich zu Anfange ſagt: Die Geſellſchaft
der kleinen Geiſter habe einige Aehnlichkeit
mit der unſichtbaren Kirche; 2) Weil
er meint, man koͤnne erhoͤrlich beten, oder
mit GOtt reden, ohne daß man noͤthig ha-
be, den Pſalter und die Offenbahrung Jo-
hannis auszupluͤndern: Und endlich 3) weil
er von Paulus Entzuͤckung aͤrgerlich und
veraͤchtlich redet.
Es wird mir ein leichtes ſeyn, augenſchein-
lich darzuthun, daß in dieſen angefuͤhrten
Stellen nichts boͤſes enthalten iſt. Jch will ſie
zu dem Ende nach der Reihe unterſuchen.
Ehe ich aber weiter gehe finde ich noͤthig,Vorlaͤufi-
ge Erinne-
rung, wie
die Leſer
dieſer
Schrift be-
ſchaffen
ſeyn ſollen.
nachfolgende Erklaͤrung zu thun. Der Bri-
ontes iſt eine Satyre, in welcher von Anfang
biß zu Ende eine immerwaͤhrende Jronie herr-
ſchet. Jch ſetze alſo ſolche Leſer voraus, die
nicht allein in der Schule gelernet haben, was
eine Jronie ſey, ſondern auch die Faͤhigkeit,
und die Luſt beſitzen, dieſe Figur, wann ſie hoch
getrieben, und lange fortgeſetzet wird, gebuͤh-
rend einzuſehen. Wer nun entweder ſo bloͤ-
des Verſtandes iſt, daß er den verborgenen
Sinn einer Jronie nicht zu erreichen ver-
mag, oder auch ſo ſchwermuͤthig, daß er al-
len Schertz vor ſuͤndlich haͤlt, und in den
unſchuldigſten Schriften, wenn ſie nicht nach
der Salbung ſchmecken, nichts als Greuel
entdecket, der wiſſe, daß ich vor ihn nicht
ſchreibe. Mit ſolchen Leuten habe ich nichts
O 3zu
[214](o)
zu thun, und ich ſehe gern, wenn ſie meine
Schrift nicht leſen.
Horat. Lib. III. Od. I.’
Jch bin nicht gedungen ſie klug zu machen.
Doch will ich ihnen, aus gutem Hertzen ei-
nen Raht geben, dabey ſie ſich wohl befin-
den werden. Sie wuͤrden meiner Meinung
nach, kluͤglich handeln, wenn ſie gar keine
Satyren leſen, oder doch wenigſtens durch
ein unbeſonnenes Urtheil ihre Schwaͤche
nicht verriethen. Die Schwachen, Einfaͤl-
tigen und Bloͤden muͤſſen ſich an ihren Ku-
bach halten, und die Schwermuͤthigen wer-
den in Wudrians Creutz-Schule, und in
der Betrachtung der vier letzten Dinge mehr
Troſt und Erquickung finden. Wollen
aber dieſe letzten doch manchmahl eine Sa-
tyre leſen, ſo muͤſſen ſie vorhero den Geiſt
der Traurigkeit, der ſie unruhig macht, be-
ſchwoͤren, und den Gratien ein Opfer
bringen.
Muſam jocari, læta cum protervitas,
Inſonsque ludus lene tormentum ad
movet
Calamo calenti, Gratiis litet prius
Seniumque ponat, quam poëticas fores
Irrumpat invenuſtus agreſtisque homo.
Baudius Jambic. Lib. I. p. m. 13.’
Man
[215](o)
Man ſiehet aus dieſer vorlaͤufigen Erin-Ablehnung
der erſten
Beſchuldi-
gung, daß
der Verfaſ-
ſer des Bri-
ontes der
unſichtba-
ren Kirche
geſpottet
habe. i
nerung, was ich vor Leſer verlange. Sind
nun dieſelbe ſo beſchafen, als ich es wuͤnſche, ſo
werden ſie ohne Muͤhe ſehen, daß zum we-
nigſten die Laͤſter-Worte, die der Verfaſſer
des Briontes wieder die unſichtbare Kirche
geredet haben ſoll, ſo gar groß nicht ſind. Er
ſagt: “Die Geſellſchaft der kleinen Geiſter
haben einige Aehnlichkeit mit deꝛ unſichtbaren„
Kirche, weil ſie in der gantzen Welt ausge-„
breitet ſey, und doch niemand ſagen koͤnne, ſie-„
hehie oder da iſt ſie.” Dieſe Vergleichung kom̃t
gewiſſen Leuten anſtoͤſſig vor, und man ſpricht
der Verfaſſer des Briontes treibe ſein Geſpoͤt-
te mit der unſichtbaren Kirche. Jch geſtehe,
dieſes waͤre eine That, die nicht zu billigen.
Aber ich begreife nicht, warum man dem
Verfaſſer des Briontes ſo boͤſe Abſichten bey-
miſſet. Mich deucht es iſt ofenbahr, daß es
ihm niemahlen in den Sinn gekommen ſey, der
unſichtbaren Kirche zu ſpotten.
Er giebt ſich vor ein Mitglied der Geſell-1) Die Ver-
gleichung
der Geſell-
ſchafft der
kleinen Gei-
ſter mit der
unſi chtba-
ren Kirchẽ
iſt dem
Cara-
cter des
Verfaſſers
des Brion-
tes gemaͤß.
ſchaft der kleinen Geiſter aus, und dieſer ange-
nommene Caracter verbindet ihn, von ſeiner
Geſellſchaft die hoͤchſten Begrife zu haben.
Wie kan man ihm denn verdencken, daß er die-
ſelbe, um ſie recht groß zu machen, mit einer
ſo ehrwuͤrdigen Sache, als die unſichtbare
Schaar der wahren Glaͤubigen iſt, verglichen
hat? Es ſtehet ihm dieſes ſo wohl an, daß ich vor
meine Perſon dieſe laͤcherliche Vergleichung,
und die gantze Vorrede vor das Beſte in dem
O 4Bri-
[216](o)
Briontes halte. Ja es wuͤrde ihm wohl an-
ſtehen, wenn auch die Vergleichung noch
wunderlicher und verwegener waͤre, als ſie in
der That iſt. Denn, da er, ſeinem Vorge-
ben nach, zu der Geſellſchaft der kleinen Geiſter
gehoͤret; dieſe Geſellſchaft aber die Unterdruͤ-
ckung der geſunden Vernunft, und die Ein-
fuͤhrung der wahnſinnigſten Schwaͤrmerey
zum Endzweck hat, ſo wuͤrde er ſeine Pflicht
gemaͤß gehandelt haben, wenn er gleich aufs
aͤrgſte geſchwaͤrmet haͤtte.
ren guten
Grund.
Allein ſo bedarf er dieſer Entſchuldigung
gar nicht. Seine Vergleichung, wie unge-
woͤhnlich ſie auch iſt, hat doch ihren guten
Grund. Sie gruͤndet ſich auf zweene Saͤtze,
an deren Wahrheit niemand zweifelt. Denn
daß GOtt allenthalben die Seinen habe, iſt
ſo gewiß, als daß die gantze Welt voller Nar-
ren iſt. Stultorum plena ſunt omnia. Jch
frage die Herren, welche ſich an der, von dem
Verfaſſer des Briontes angeſtellten Verglei-
chung aͤrgern, ob ſie dieſe beyden Saͤtze nicht
eben ſo wohl vor wahr halten als der Verfaſ-
ſer des Briontes? Sie werden mir unſtreitig
mit ja antworten; und ich glaube es iſt kein
Glied der unſichtbaren Kirche, das nicht eben
der Meinung ſeyn ſolte. Die unſichtbare
Kirche ſelbſt wird alſo nimmer leugnen koͤn-
nen, das zwiſchen ihr und der Geſellſchaft der
kleinen Geiſter in Anſehung der weitlaͤuftigen
Ausbreitung eine Aehnlichkeit ſey; und folg-
lich kan ſie ſich unmoͤglich vor beleidiget ach-
ten,
[217](o)
ten, wenn von ihr etwas geſaget wird, wel-
ches ſo wahr iſt, daß ſie es ſelbſt geſtehen muß.
Wie iſt es dann moͤglich, daß es Leute geben
koͤnnen, die ſich eingebildet haben, die unſicht-
bare Kirche ſey von dem heilloſen Verfaſſer des
Briontes ſo ehrenruͤhrig angegrifen, daß ſie
es nimmer auf ſich ſitzen laſſen koͤnne? DochWarum ſie
den einfaͤl-
tigen
verdaͤchtig
vorkom-
me? und
das Mitlei-
den des
Verfaſſers
mit dieſen
guten Leu-
ten.
ich mercke wohl, wo dieſer Jrrthum herruͤh-
ret. Die guten Leute ſtehen in dem Wahn,
es ſey allemahl ein unehrerbietiges, und oft
fuͤndliches und aͤrgerliches Verfahren, wenn
man etwas groſſes ehrwuͤrdiges und heiliges,
und eine geringe nichtswuͤrdige und veraͤchtli-
che Sache auf gewiſſe Maaſſe mit einander
vergleichet. Jch geſtehe dieſe Einbildung iſt
ziemlich einfaͤltig, und hat bey vielen vieleicht
eine kleine Boßheit zum Grunde. Es ſchei-
net alſo, diejenigen, welche das Ungluͤck ha-
ben, von ſo boͤſen Gedancken geplaget zu wer-
den, verdienten kaum, daß man ſich bemuͤhe,
ſie auf den rechten Weg zu bringen: Allein
da es gar wohl moͤglich iſt, daß Leute, die bey
einem auſſerordentlich zaͤrtlichen Gewiſſen
ein ſehr geringes Maaß von Verſtands-Kraͤf-
ten beſitzen, aus guter Meinung auf ſolche
Grillen verfallen: So kan ich es nicht uͤber
mein Hertz bringen, dieſen bloͤden Seelen den-
jenigen Unterricht zu verſagen, deſſen ſie ſo
ſehr beduͤrfen, und ohne welchen ſie allezeit
Gefahr laufen, ihr Gewiſſen zu verletzen, ih-
ren Naͤchſten zu beleidigen, und ſich ſelbſt laͤ-
cherlich zu machen. Meine verſtaͤndige Leſer
O 5werden
[218](o)
werden es mir nicht unguͤtig deuten, daß ich ſie
eine Weile mit Kleinigkeiten aufhalte. Stehet
es doch bey ihnen, dieſelbe uͤberzuſchlagen.
verdaͤchti-
ge Verglei-
chung er-
laubet ſey,
wird be-
wieſen 1)
durch
Gruͤnde,
Es mercken demnach alle diejenigen, die es
nicht wiſſen, daß, gleich wie in der gantzen
Welt nicht zwey vollkommen aͤhnliche Dinge
anzutreffen, alſo auch nicht zwey Dinge zu fin-
den ſind, die nicht e[ini]ge Aehnlichkeit mit einan-
der haben ſolten. Es mag demnach eine Sache
ſo geringe, ſo klein, ſo nichtswuͤrdig, ſo ver-
aͤchtlich ſeyn als ſie will, ſo wird ſie doch etwas
an ſich haben, worinnen ſie mit einer hoͤhern,
groͤſſern, und ehrwuͤrdigern uͤberein koͤmmt:
Und es iſt nichts ſo groß, ſo hoch, ſo vornehm,
ſo ehrwuͤrdig und ſo heilig, das nicht in einem
Stuͤcke mit geringen und niedrigen Dingen
einige Aehnlichkeit haͤtte.
Dieſe Aehnlichkeit hebt den weſentlichen
Unterſcheid zwiſchen dem groſſen und kleinen,
hohen und niedrigen, ehrwuͤrdigen und ver-
aͤchtlichen gar nicht auf: Und folglich iſt es
falſch, daß derjenige, der etwas groſſes und
ehrwuͤrdiges mit einer geringen und nichts-
wuͤrdigen Sache auf gewiſſe Maaſſe verglei-
chet, allemahl den Vorſatz habe, das groſſe
zu verkleinern, und das ehrwuͤrdige laͤcherlich zu
machen. So lange eine ſolche Vergleichung den
weſentlichen Unterſcheid dieſer Dingen nicht
angreiffet, ſo lange iſt dieſes nicht zu vermuthen.
Legt man aber einer groſſen und ehrwuͤrdigen
Sache, die man mit einer geringen und ver-
aͤchtlichen vergleichet, diejenige Eigenſchaft bey,
welche
[219](o)
welche eben die gringe und veraͤchtliche Sache
gering und veraͤchtlich macht, ſo wird die Ver-
gleichung der groſſen und ehrwuͤrdigen nach-
theilig.
Jch erlaͤutere das, was ich jetzo geſaget habe2) durch
Exempel.
mit Exempeln. Die Apoſtel Petrus und Pau-
lus ſagen, des Menſchen Sohn werde kommen
als ein Dieb in der Nacht. Dieſe Ver-
gleichung leſen wir ohne Aergerniß. War-
um? Weil die Aehnlichkeit, ſo die heiligen Ur-
heber derſelben zwiſchen des Menſchen Sohn
und einem Diebe wahrnehmen, nur die unver-
muthete Ankunft, und nicht eine Eigenſchaft
eines Diebes betrift, die ihn juſt zum Diebe
macht. Ein Dieb iſt darum kein Dieb, weil
er unangemeldet koͤmmt. Wer aͤrgert ſich
wohl, wann ein Hof-Prediger auf der Cantzel
ſagt: Ein Koͤnig iſt vor GOtt nichts mehr
als der geringſte Bettler? Die Urſache iſt die-
ſe: Weil man wohl ſiehet, daß der Koͤnig
darum doch Koͤnig, und der Bettler ein Bett-
ler bleibt; ob ſie gleich darinn einander aͤhnlich
ſind, daß ſie beyde GOtt vor ihren Herrn er-
kennen muͤſſen. Wolte ich aber ſagen, der
Koͤnig gleiche dem geringſten ſeiner Untertha-
nen darinn, daß er, wenn er wieder die Geſetze
handelt, eben ſo wohlſtrafbar ſey, als ein ande-
rer, ſo wuͤrde ich ſeine Majeſtaͤt beleidigen, weil
dieſe Vergleichung den weſentlichen Unter-
ſcheid zwiſchen einem Koͤnig und ſeinen Un-
terthanen aufhebet.
Wenn
[220](o)
faſſer des
Briontes
vergleicht
nicht die
unſichtba-
re Kirche
mit der Ge-
ſellſchaft
der klei-
nen Gei-
ſter, ſon-
dern dieſe
mit jener.
Wenn demnach der Verfaſſer des Briontes
geſagt haͤtte; die unſichtbare Kirche ſey der
Geſellſchaft der kleinen Geiſter ſehr aͤhnlich,
weil ſie, eben wie dieſe, aus lauter elenden und
wahnſinnigen Gliedern beſtuͤnde; ſo haͤtte er
unverantwortlich geredet, und ich wolte den
erſten Stein wieder ihn aufheben. Allein ſo
hat er nicht einmahl die unſichtbare Kirche mit
der Geſellſchaft der kleinen Geiſter, ſondern die-
ſe mit jener verglichen. Die Schwachen mer-
cken dieſen Unterſcheid. Sie koͤnnen von mir
lernen, daß es nicht einerley, ob ich im Schertz
eine ehrwuͤrdige und erhabene Sache mit einer
veraͤchtlichen und niedrigen, oder dieſe mit je-
ner vergleiche. Denn ob gleich jenes, nach-
dem die Sache beſchaffen, nicht allemahl un-
zulaͤſſig ſeyn wuͤrde; ſo giebt es doch gewiſſe
Dinge, mit welchen man keinen Schertz trei-
ben muß. Die unſichtbare Kirche verdient,
daß man ſie in dieſe Claſſe ſetze. Aber hat
denn der Verfaſſer des Briontes mit derſelben
ſeinen Schertz getrieben? Jſt es ſein Endzweck,
ſich auf Unkoſten der unſichtbaren Kirche luſtig
zu machen? Legt er ihr die Eigenſchaften der
Geſellſchaft der kleinen Geiſter bey, um ſie zum
Schertz kleiner und geringer zu machen? Der
Augenſchein giebt, daß er dieſes nicht gethan
hat.
gleichung
iſt der un-
ſichtbaren
Kirche
nicht
Eine verſtellte Verkleinerung groſſer und
ehrwuͤrdiger Sachen iſt nicht ſo angenehm,
als die Erhebung geringſchaͤtziger und veraͤcht-
licher Dinge. Das Bildniß eines Rieſen mit
einer
[221](o)
einer kleinen Peruͤcke und mit einem kleinenſchimpf-
lich.
Degen vergnuͤgt das Geſicht bey weiten nicht
ſo ſehr als die poſſierlichen Figuren des Zwer-
gen-Cabinets; Und ich wuͤrde nicht gelachet
haben, wenn der Verfaſſer des Briontes ſeinen
Witz durch eine laͤcherliche Erniedrigung der
unſichtbaren Kirche haͤtte zeigen wollen. Allein
dieſes iſt ſeine Abſicht im geringſten nicht. Er
will nicht die unſichtbare Kirche klein, ſondern
die Geſellſchaft der kleinen Geiſter durch eine
Vergleichung mit der unſichtbaren Kirche
groß machen. Und dieſes thut er auf eine ſo
beſcheidene Art, daß die unſichtbare Kirche
in ihren Wuͤrden bleibt. Denn diejenigen
Eigenſchaften, in Anſehung welcher der Ver-
faſſer des Briontes die Geſellſchaft der kleinen
Geiſter mit der unſichtbaren Kirche vergleichet,
ich meine die Unſichtbarkeit und weitlaͤuftige
Ausbreitung, ſind der unſichtbaren Kirche ſo
wenig eigen, daß ſie dieſelbe vielmehr, ihrer
Ehre unbeſchadet, nicht nur mit der Geſell-
ſchaft der kleinen Geiſter, ſondern ſo gar mit
den Spitz-Buben und Beutelſchneidern ge-
mein hat.
Wie kan man demnach ſagen, die unſicht-Daß der
Verfaſſer
des Brion-
res keine
boͤſe Ab-
ſicht ge-
habt, be-
wieſen 1)
durch ein
Gleichniß.
bare Kirche ſey geſchimpfet? Was thut es
ihr, daß, auſſer ihr, noch andere unſichtba-
re, und in der gantzen Welt ausgebreitete Ge-
ſellſchaften ſind? Solte es eine Suͤnde ſeyn,
etwas zu ſagen, das ſo unſtreitig iſt als dieſes?
Oder ſpottet man der unſichtbaren Kirche,
wenn man durch eine, ihrem Anſehen gar nicht
nach-
[222](o)
nachtheilige, Vergleichung mit derſelben die
groſſe und verborgene Menge der Thoren dem
Scheine nach, ich weiß nicht wie hoch, erhebet,
in der That aber laͤcherlich macht? Jch ſolte es
nicht meinen. Wenn mir die Luſt ankaͤme,
zum Lobe der Schwein-Schneider eine Rede
zu ſchreiben, und in dieſer Rede meine Helden
mit den Koͤnigen zu vergleichen, weil dieſelbe
eben ſo wohl als der groͤſſeſte Monarch Naſe
und Ohren haben, ſolte dann wohl ein ſo wahn-
witziger Tyrann unter den Groſſen dieſer Welt
zu finden ſeyn, der ſich durch dieſe Verglei-
chung beleidiget achten ſolte? So weit iſt es
noch nicht gekommen, und ein unſchuldiger
Schertz iſt allemahl erlaubet geweſen.
Exempel.
Man hat Reden, die zum Lobe des Eſels,
der Lauß, des Flohes, der Blindheit, des vier-
taͤgigen Fiebers u. ſ. w. verfertiget ſind, und
was dieſe Reden, beliebt machet, iſt hauptſaͤch-
lich dieſes, daß die Urheber derſelben denen
Kleinigkeiten, von welchen ſie geſchrieben, Ei-
genſchaften groͤſſerer Sachen, auf eine ſo poſ-
ſierliche Art, beyzulegen gewuſt haben, daß
man nothwendig uͤber ihre Einfaͤlle lachen
muß. Wer hat aber jemahlen ſich daran geaͤr-
gert, oder dieſe aufgeweckte Koͤpfe in dem Ver-
dacht gehabt, als ſuchten ſie diejenigen Dinge,
mit welchen ſie ihre Kleinigkeiten verglichen
laͤcherlich und veraͤchtlich zu machen?
tzung die-
ſes Bewei-
ſes.
Jch habe in den Arlequinianis ein Gedicht
geleſen, welches zum Lobe der Kraͤtze gemacht,
und voller poſſierlichen Vergleichungen iſt.
Der
[223](o)
Der Verfaſſer dieſes Gedichts vergleicht eine
kraͤtzige Hand mit den Thuilleries, und
ſpricht:
Quel plaiſir, quelle joye égaleCelle de viſiter ſa galleLorsque l’ on a quelque loiſir?Deux mains diverſement fleuriesPar cent objets divers viennent plaireà nos yeux.Et ces objets delicieuxValent au moins les Thuilleries.
Er iſt noch nicht zufrieden, daß er die Kraͤtze
mit den Thuilleries in Vergleichung gezo-
gen hat. Er wagt ſich auch an die Groſſen, und
niemand iſt ſo vornehm, dem derjenige, der die
Kraͤtze hat, nicht gleich zu ſchaͤtzen ſey.
Un galeux, ſchreibt er, eſt par tout diſtin-gué reſpectéComme un homme de qualite,Par exemple vent-il manger ou boire,Il a toûjours ſon fait à part,Toûjors ſon verre eſt à l’ écart,Aucun ne le prophane, \& n’y portela boucheOn n’oſe toucher ce qu’il touche.
Ja endlich ſagt er gar, die Kraͤtze, ſey zu
allen Zeiten ein Bild der Weisheit geweſen,
ſie mache die Leute klug, und habe eine groſſe
Aehnlichkeit mit der Philoſophie.
De plus la galle de tout tempsFut un Simbole de Sageſſe,
Un
[224](o)Un proverbe des vieilles gensDeja tout uſé de vieilleſſe,En prouve fort bien la Nobleſſe;Tout ainſi que trop galler cuit,Tout de même trop parler nuit.Tu connois bien par ce langage,Que la galle reud l’ homme ſageQu’elle inſtruit de bonne facon,Et qu’ avec la philoſophie.Elle a tres grande Simpathie.
S. dieArlequiniana, p. 96. 68. 99.
daraus.
Man ſiehet, daß die Thuilleries, die Groſ-
ſen, ja die Weisheit ſelbſt, alles, was ſie ſchoͤ-
nes und ehrwuͤrdiges an ſich haben, hergeben
muͤſſen, um eine ſo garſtige und ſcheußliche
Sache, als die Kraͤtzeiſt, groß und annehmlich
zu machen. Niemand hat aber darum dem
Verfaſſer dieſes Gedichtes Schuld gegeben,
er verachte die Thuilleries, laͤſtere alle Leute
von hohem Stande, und treibe ſein Geſpoͤtte
mit der Welt-Weisheit. Und ich moͤchte dem-
nach wohl wiſſen, womit es der Verfaſſer des
Briontes verdienet hat, daß man mit ihm ſo
unbillig verfaͤhret. Mich deucht, wo es unver-
nuͤnftig iſt, einen Menſchen, der im Schertz ſa-
get: Die Kraͤtze habe viele Aehnlichkeit mit der
Philoſophie, in dem Verdacht zu haben, er
treibe ſein Geſpoͤtte mit der Welt-Weisheit,
ſo iſt es gleichfals thoͤrigt gehandelt, einem an-
dern, der im Lachen ſagt: die Geſellſchaft der
kleinen Geiſter habe einige Aehnlichkeit mit der
un-
[225](o)
unſichtbaren Kirche, eine Verſpottung der Ge-
meine der Heiligen beyzumeſſen.
Es thut hierwieder nichts, daß die Welt-Ein Ein-
wurf wird
beantwor-
tet, und be-
wieſen, wie
unglaub-
lich es ſey,
daß der
Verfaſſer
des Brion-
tes der un-
ſichtbaren
Kirche
ſpotten
wollen.
Weisheit bey weiten nicht ſo heilig und ehr-
wuͤrdig iſt als die unſichtbare Kirche. Denn
wenn ich dieſes gleich zugebe, ſo wird doch
uͤberhaupt wahr bleiben, daß es eine Unbillig-
keit ſey, einem Menſchen, der etwas kleines, mit
dem, was groß iſt, aus Poſſen, vergleichet,
Schuld zu geben, ſeine Abſicht gehe dahin, das
groſſe zu verkleinern. Hat aber der Verfaſſer
des Briontes in Anſehung der unſichtbaren
Kirche dieſe boͤſe Abſicht gehabt, ſo will ich ger-
ne geſtehen, daß ein naͤrriſches Vorhaben nim-
mer naͤrriſcher ausgefuͤhret ſey als dieſes.
Er ſagt nicht das geringſte, woraus man mer-
cken koͤnne, daß er der unſichtbaren Kirche habe
einen Stich geben wollen. Jch weiß aber nicht,
ob dieſes von einem Spoͤtter zu vermuthen, der
eine ſo beiſſende Schreib-Art hat. Er wuͤrde
es gewiß mercklicher gemacht haben; und da
dieſes nicht geſchehen, ſo faͤllt die Thorheit,
die man ihm beymiſſet, auf ſeine Anklaͤger zu-
ruͤcke.
Was mag aber nun dieſe Leute wohl bewo-Urſachen,
warum ei-
nige dieſes
geglaubt,
ſamt deren
Unzulaͤng-
lichkeit, uñ
dem Cara-
cter ſolcher
Leute.
gen haben, in Anſehung des Verfaſſers des
Briontes die Regeln der Billigkeit und der
Vernunft ſo ſehr zu uͤberſchreiten? Meinen ſie
etwan, es ſey doch gleichwohl eine Schande,
daß er der unſichtbaren Kirche in ſeiner ſchertz-
haften Schrift erwehnet? Jch glaube faſt,
daß ſie ſolche Gedancken haben. Allein wo-
Pmit
[226](o)
mit wollen ſie beweiſen, daß die unſichtbare
Kirche ſo heilig und ehrwuͤrdig ſey, daß man
mit Furcht und Zittern von ihr reden, und ſo-
gar ihren Rahmen nicht anders als auf dem
Catheder, der Cantzel, oder hoͤchſtens nur in ei-
ner Erweckungs-Rede nennen muͤſſe? Die
unſichtbare Kirche iſt von Hertzen demuͤthig,
und verlanget nicht, daß man unnoͤthige Com-
plimente mit ihr mache, und eine abgeſchmack-
te Behutſamkeit gegen ſie gebrauche. Jch
glaube alſo nicht, daß ſie das, was der Ver-
faſſer des Briontes von ihr geſagt, uͤbel genom-
men hat. Sie iſt ſo empfindlich nicht. Sie be-
ſtehet aus Gliedern, die alle gerne leiden, wenn
ſie jemand ſchilt, wenn ſie jemand ſchlaͤget, ja
wenn man ſie gar ſchindet, und ihnen ins An-
geſicht ſtreicht: Sie wuͤrde alſo, wenn ſie
gleich wuͤrcklich beleidiget waͤre, die ihr angetha-
ne Schmach in der Stille verſchmertzen, und
desfalls keine Weitlaͤuftigkeit machen, und die
Herren, mit denen ich hier zu thun habe, wer-
den mir demnach nicht verdencken, wenn ich
einigen Zweifel hege, ob die unſichtbare Kir-
che ihnen Vollmacht ertheilet habe, ihre Ehre zu
retten. Jch kan nicht leugnen, ihr Eyfer koͤmmt
mir verdaͤchtig vor, weil ihm die Klugheit feh-
let: Und ſie ſelbſt ſcheinen mir etwas hitziger
vor der Stirne zu ſeyn, als wahre Glieder der
unſichtbaren Kirche es zu ſeyn pflegen. Jch bit-
te ſie demnach um Vergebung, daß ich ſie noch
zur Zeit nicht vor Glieder der unſichtbaren Kir-
che
[227](o)
che halten kan. Jch thaͤte es gern: Aber ih-
re Sprache verraͤth ſie, und das wunderbare
Urtheil, das ſie von den Abſichten des Ver-
faſſers des Briontes faͤllen, giebt zu erkennen,
daß ſie wuͤrdige Glieder derjenigen Geſellſchaft
ſind, welche dieſer Scribent in der Perſon des
Hn. Prof. Philippi, ſo empfindlich betruͤbet
hat. Sie verdienen alſo kein Gehoͤr, weil ſie par-
theyiſch ſind: und keine Antwort, wenn ſie
vor die Ehre der unſichtbaren Kirche eyfern, mit
der ſie keine Verwandſchaft haben. Was
bekuͤmmern ſie ſich um Dinge, die ſie nicht an-
gehen? Culpa eſt immiſcere ſe rei ad ſe
non pertinenti. Pomponius L. 36. ff. de
diverſ. reg. jur. Sie koͤnnen es als eine
Hoͤflichkeit anſehen, daß ich mir ihrentwegen
ſo viel Muͤhe gegeben habe, und es ſoll mich dieſe
Muͤhe nicht verdrieſſen, wenn ſie nur nicht
vergeblich angewendet iſt.
Jch will das Beſte hoffen, und mich wiederAntwort
auf die an-
dere Be-
ſchuldi-
gung von
Auspluͤn-
derung der
Schrift.
zu derjenigen Art meiner Leſer wenden, denen
mein weitlaͤuftiges Geſchwaͤtz nothwendig
Verdruß erwecken muß, weil ſie meines Unter-
richts nicht beduͤrfen, und die vor ſich klug ge-
nug ſind zu begreifen, daß der Verfaſſer des
Briontes der unſichtbaren Kirche nicht in ihre
Ehre geredet habe. Von dieſen vernuͤnftigen
Leuten habe ich nun auch die Hoffnung, daß ſie
ſich an die in dem Briontes vorkommende Aus-
druͤckung von Auspluͤnderung des Pſalters
und der Offenbahrung Johannis um ſo viel
weniger ſtoſſen werden.
P 2Der
[228](o)
Vorſtel-
lung der
Sache.
Der Herr Prof. Philippi hatte ſeine Ge-
daͤchtniß-Rede auf die Koͤnigin von Pohlen
mit einem Gebet beſchloſſen, und in einer An-
merckung erwehnet, daß er dabey auf die Knie
niedergefallen waͤre. Er hatte auch allen und je-
den dieſe, wider den Wohlſtand lauffende, pha-
riſaͤiſche Gauckeley, als ein ſonderbar heiliges
Verfahren, zur Nachahmung angeprieſen.
Wie aber nun der Hr. Philippi wohl vorher
geſehen, daß viele uͤber eine ſo ungewoͤhnliche
und unzeitige Andacht lachen wuͤrden, ſo hatte
er zum voraus alle diejenigen, die das Hertz ha-
ben wuͤrden, ſeine Scheinheiligkeit zu tadeln, oh-
ne Umſchweif vor Religions-Spoͤtter erklaͤ-
ret, und alſo ſeine begangene Thorheit durch
eine Grobheit rechtfertigen wollen, und Feh-
ler mit Fehler gehaͤufet.
Es iſt nicht zu verwundern, daß der Ver-
faſſer des Briontes ihn davor zu gebuͤhrender
Strafe gezogen, und ihm durch den Spoͤtter,
den er p. 32. redend einfuͤhret, die Wahrheit
fein derbe hat ſagen laſſen. Alles, was dieſer
Spoͤtter ſagt, iſt vernuͤnftig; Nur koͤmmt es
einigen bedencklich vor, daß er unter andern
ſagt: Er koͤnne mit GOtt reden, ohne daß
er noͤthig habe den Pſalter und die Offenbah-
rung Johannis auszupluͤndern.
druck von
Auspluͤn-
derung der
Schrift iſt
nichtwider
die Schrift,
Jch begreiffe nicht, was ſie in dieſem Aus-
druck anſtoͤſſiges finden. Es iſt wahr, der
Verfaſſer des Briontes haͤtte nicht noͤthig ge-
habt, ſich deſſelben in ſeiner Sermocination
zu bedienen. Sein Zweck war nicht, die in-
nerliche
[229](o)
nerliche Beſchafenheit der philippiſchen-ſondern
wider die
gezwunge-
ne Art
ſchriftmaͤſ-
ſig zu be-
ten gerich-
tet.
Seufzer zu unterſuchen; ſondern nur zu zei-
gen, daß der Hr. Prof. Philippi keine Urſache
gehabt, diejenigen, ſo uͤber ſeine ungewoͤhnli-
che und unzeitige Andacht lachen wuͤrden, vor
Religions Spoͤtter zu ſchelten. Da aber der
Hr. Prof. Philippi, ſo viel ich mich erinnere,
auch bibliſche Redens-Arten in ſeinem Gebet
angebracht hat, ſo glaube ich, daß der Verfaſſer
des Briontes, dem es vieleicht geſchienen, als
habe der Hr. Prof. Philippi die aus der Schrift
entlehnte Stellen uͤbel und unfoͤrmlich zuſam-
men gehaͤnget, dadurch bewogen worden, dar-
uͤber zu ſpotten. Jch bekuͤmmere mich wenig,
ob der Hr. Prof. Philippi wuͤrcklich die bibli-
ſchen Spruͤche ungeſchickt zuſammen geſetzet
hat. Es mag der Verfaſſer des Briontes ſich
dieſes ohne Urſache eingebildet haben. Jch ge-
be ſie daruͤber zuſammen, und ſage nur ſo viel,
daß es unbillig ſey, den Verfaſſer des Briontes
darum einer ſchlechten Ehrerbietung gegen die
H. Schrift zu beſchuldigen, weil er das Ver-
fahren ſolcher Leute, die ſich einbilden, ſie muͤ-
ſten ihre Gebeter aus allerhand zuſammen ge-
ſtoppelten bibliſchen Spruͤchen auf eine wun-
derliche Art zuſammen flicken, eine Auspluͤn-
derung der Schrift nennet. Denn da dieſer
Ausdruck nur die That ſolcher Perſonen als
thoͤrigt vorſtellen ſoll, ſo tritt der Verfaſſer des
Briontes dadurch der Schrift, welche ſich nur
leidend dabey verhaͤlt, im geringſten nicht zu-
nahe.
P 3Solte
[230](o)
Bet-Art iſt
aberglaͤu-
biſch, und
flieſſet
nicht aus
den Lehren
unſerer
Kirchen.
Solte es nun aber eine ſo groſſe Suͤnde ſeyn,
daß der Verfaſſer des Briontes von Leuten et-
was hoͤniſch redet, die ſo uͤbel in ihrem Chri-
ſtenthum unterrichtet ſind, daß ſie glauben, ſie
muͤſten nothwendig die Sprache Canaans mit
GOtt reden, und ihr Gebet werde nicht erhoͤ-
ret, wo ſie nicht ihres Hertzens Anliegen mit
ſolchen Worten vortruͤgen, deren ſich ehedeſ-
ſen der Koͤnig David auch bedienet? Jch
glaube es nicht: Denn eine ſolche Einbildung
ſetzt einen nicht geringen Aberglauben voraus,
und aller Aberglaube iſt laͤcherlich. Jch weiß
wohl, unſere GOttes-Gelehrten rathen, man
ſolle, ſo viel moͤglich mit Worten der Schrift
reden, wenn man betet. Allein dieſer Rath, wie
gut und vernuͤnftig er auch an ſich ſeyn mag, iſt
doch kein Geſetze. Er verbindet niemand, ſo
lange unſere GOttes-Gelehrte den Worten
der Schrift noch keine magiſche Kraft beyle-
gen; und ich wuͤſte nicht eine Lehre unſerer Kir-
che, aus welcher die Nothwendigkeit einer ſo
gezwungenen Art zu beten flieſſen ſollte.
und wahre
Abſicht des
Verfaſſers
des Brion-
tes.
Der Verfaſſer des Briontes iſt demnach
weder ein Luͤgner, noch ein Ketzer wenn er
ſpricht: daß er mit GOtt reden koͤnne ohne
daß er noͤhtig habe, den Pſalter und die Of-
fenbahrung Johannis auszupluͤndern. Er
redet auch nicht uͤberhaupt von denen veraͤcht-
lich, die mit Worten der Schrift beten. Jch
ſehe nicht warum man ihn in dem Verdacht
haben will, als wenn er allen Gebrauch bibli-
ſcher Redens-Arten vor unerlaubt und thoͤrigt
ausge-
[231](o)
ausgeben wolle. Eben der Ausdruck von
Auspluͤnderung des Pſalters und der Ofen-
bahrung Johannis zeiget, daß er nur wieder
eine gezwungene und aberglaͤubige Zuſam-
menraſpelung Bibliſcher Spruͤche, und deren
unfoͤrmliche und abgeſchmackte Verbindung
in einem Gebete rede. Wer kan ihm verden-
cken, daß er eine ſo laͤcherliche Bemuͤhung,
ſchriftmaͤſſig zu beten, vor den nechſten Weg
zu demjenigen Geplapper anſiehet, vor wel-
chem Chriſtus ſeine Juͤnger warnet? Mich
deucht, man kan von einem auf ſolche Art
eingerichtetem Gebete eben das ſagen was Au-
ſoniusin der Vorrede zu ſeinemCentone
nuptiali p. m. 174. von ſolchen Centonibus
uͤberhaupt ſagt: “Peritorum concinnatio
miraculum: imperitorum junctura ridi-„
culum.„
Jch wende mich zu der dritten Beſchuldi-Antwort
auf die
dritte Be-
ſchuldi-
gung, daß
der Verfaſ-
ſer des Bri-
ontes von
Pauli Ent-
zuͤckung
veraͤchtlich
geredet.
gung. Dieſe beſtehet darinn, daß der Verfaſ-
ſer des Briontes von der Entzuͤckung Pauli
veraͤchtlich geredet hat. Laſſt uns ſehen, ob dieſe
Anklage beſſern Grund habe, als die beyden vo-
rigen.
Es ſcheinet, man habe den Verfaſſer des
Briontes hier auf friſcher That ertappet. Er
ſpricht ausdruͤcklich: Paulus ſey ſo klug wieder
gekommen als er hingegangen. Dieſes klingt
veraͤchtlich, und iſt allemahl ein Vorwurf,
den ungeſchickte Bothen hoͤren muͤſſen. Allein
es hat nichts zu bedeuten, und dient die-
ſe Beſchuldigung weiter zu nichts als die
P 4Billig-
[232](o)
Billigkeit meiner Forderung zu beweiſen, da
ich gleich anfangs ſolche Leſer verlangte, die faͤ-
hig waͤren, den verborgenen Sinn einer Jronie
zu erreichen. Haͤtten diejenigen, welche in dem,
das der Verfaſſer des Briontes von Paulo
ſagt, ich weiß nicht was vor Greuel finden wol-
len, dieſe Faͤhigkeit beſeſſen, ſo wuͤrden ſie nim-
mer ein ſo unbilliges Urtheil gefaͤllet haben. Jch
muß ihnen alſo das Verſtaͤndniß oͤfnen.
Vorſtel-
lung der
Sache.
Sie werden ſich zu erinnern belieben, daß
der Verfaſſer des Briontes, ehe er ſich an dem
Apoſtel Paulus ſo unverantwortlich vergreift,
von derjenigen Stelle der ſechs Philip-
piſchen Reden handelt, woſelbſt der Herr
Prof. Philippi ſagt: “Die unterirrdigen
„Grotten waͤren durch die Ankunft einer
„preißwuͤrdigſten Goͤttin, (ein Titel, welchen
„er den Koͤnigin von Pohlen giebt), begluͤck-
„ſeeliget worden.” Um dieſe wunderliche Aus-
druͤckungen laͤcherlich zu machen, ſpricht er:
“Es ſcheine, der Herr Philippi glaube, daß
„ein Redner, wie ein Staats-Mann, ohne
„Weib, Schaam und Religion ſeyn muͤſſe.
Weil es nun ſein Endzweck iſt, alle Thorheiten
des Hn. Prof. Philippi zu loben, ſo faͤhrt er
fort, und ſagt: “Dieſes ſey eine vortheilhaf-
„te Einbildung; denn der Hr. Prof. Philip-
„pi komme dadurch zur Erkaͤnntniß ſolchet
„Geheimniſſe, die auch denen Heiligſten ver-
„borgen geblieben. Er beweiſet dieſes mit ei-
ner Stelle aus der Lob-Rede, die der Hr. Prof.
Philippi auf dem Koͤnig von Pohlen gehalten
hat,
[233](o)
hat, und in welcher er ſagt: “Er habe durch das
Anſchauen dieſes groſſen Printzen ein Bild„
bekommen, wie die Auserwehlten im ewigen„
Leben durch das Anſchauen GOttes am„
hoͤchſten werden begluͤckſeeliget werden.”
Man kan nicht leugnen, daß dieſes eine abge-
ſchmackte Schmeicheley. Der Verfaſſer des
Briontes durfte aber nicht gerade zu ſagen,
daß der Hr. Prof. Phlippi geſchwaͤrmet habe.
Dieſes waͤre ſeinem Caracter nicht gemaͤß ge-
weſen. Er lobt alſo den Hn. Prof. Philippi auch
in dieſem Stuͤck. Er preiſet ihn gluͤckſeelig: Aber
auf eine ſo haͤmiſche Art, daß die ſchoͤnen Sa-
chen, die er dem Hn. Philippi ſagt, dieſem
ungluͤckſeeligen Redner hoch genug zu ſte-
hen kommen. Seine wahre Abſicht iſt, durch
ein verſtelltes Lob die Thorheit, die er dem Hn.
Philippi beymiſſet, ſo hoch zu treiben, daß ſie
handgreiflich, und dem Hn. Philippi ſelbſt
ſcheußlich werden moͤge. Zu dem Ende nen-
net er es eine gemeine Rede, wenn Paulus
ſagt, es habe kein Auge geſehen, kein Ohr gehoͤ-
ret, und ſey in keines Menſchen Hertz kommen
was GOtt bereitet hat, denen die ihn lieben.
Er geht noch weiter, und verachtet dieſen groſ-
ſen Apoſtel gegen den Hn. Philippi. “Pau-
lus, ſpricht er, ſey biß in den dritten Himmel„
entzuͤckt worden, aber er ſey ſo klug wieder ge-„
kommen, als er hingegangen. Wenn dem„
Hn. Philippi dieſes Gluͤck begegnen ſolte,„
wuͤrde er uns weit ſchoͤnere Sachen erzehlen;„
weil er aus dem bloſſen Anſchauen ſeines„
P 5Landes
[234](o)
„Landes-Vaters mehr gelernet, als Paulus
„im Paradiß. Er faͤhrt fort, und ſagt:
„Man ſolte aus den Worten des Hn. Phi-
„lippi faſt ſchlieſſen, daß Paulus nur immer
„zu Hauſe bleiben, und ſeine weite Reiſe ſpa-
„ren koͤnnen.
ſicht des
Verfaſſers
des Brion-
tes iſt un-
ſchuldig.
Jn dieſer Stelle ſoll nun das Verbrechen
ſtecken, deſſen man ihn beſchuldiget. Jch
muͤſte aber einen uͤbeln Begrif von dem Ver-
ſtande meiner Leſer haben, wenn ich nicht
glaubte, ſie wuͤrden, ohne mein Erinnern, ſe-
hen, daß alles, was der Verfaſſer des Brion-
tes von Paulus ſagt, nichts, als eine unge-
reimte Folge ſey, die er aus den Worten des
Hn. Prof. Philippi ziehet. Dieſe Verkleine-
rung der Entzuͤckung Pauli, und der Vor-
zug, den der Verfaſſer des Briontes ſeinem
Helden vor dieſem Apoſtel giebt, gereicht eben
dem Hn. Prof. Philippi zur groͤßſten Schan-
de, und ſoll ihn als einen Menſchen vorſtellen,
der Zeug ſchwatzet, aus welchem man ſchlieſſen
ſolte, er halte ſich hoͤher, als den Apoſtel Pau-
lus. Denn der Verfaſſer des Briontes
ſchlieſſet ſo: Jſt es wahr, daß der Hr. Prof.
Philippi, wie er ſagt, durch das Anſchauen
des Koͤniges von Pohlen ein Bild bekommen,
wie die Auserwehlten im ewigen Leben durch
das Anſchauen GOttes am hoͤchſten werden
begluͤckſeeliget werden, ſo folgt, daß es falſch,
was Paulus von der Unmoͤglichkeit einer ſol-
chen Erkaͤnntniß in dieſem Leben ſagt. Es
folget, daß der Hr. Prof. Philippi durch das
Anſchauen
[235](o)
Anſchauen ſeines Koͤniges kluͤger geworden,
als Paulus durch ſeine Entzuͤckung. Denn
Paulus, nachdem er wieder zu ſich ſelbſt ge-
kommen, kunnte ſich ſo groſſer Einſichten
nicht ruͤhmen, als der Herr Prof. Philippi
durch das Anſchauen ſeines Koͤniges bekom-
men zu haben vorgiebt. Er geſtehet aufrich-
tig, er habe nicht gewuſt, wie ihm geſchehen,
und unausſprechliche Worte gehoͤret. Es
folget alſo weiter, daß, wo es moͤglich hier auf
dieſer Welt zu einem Begrif der Freude jenes
Lebens zu gelangen, die Entzuͤckung Pauli| un-
nuͤtz und vergeblich geweſen iſt.
Dieſes iſt die Meinung des Verfaſſers desSein Aus-
druck in
Anſehung
der Entzuͤ-
ckung Pau-
li iſt ſeinem
Caracter
gemaͤß,
und iro-
niſch.
Briontes, die einem jeden, nothwendig in
die Augen fallen muß, der ſeine Schrift mit
Bedacht lieſet. Jch vor meine Perſon finde dar-
inn nichts aͤrgerliches, und traue meinen Leſern
nicht zu, das ſie durch die eintzige Ausdruͤckung:
Paulus ſey ſo klug wieder gekommen, als er
hingegangen, ſich bewegen laſſen werden, an-
ders zu urtheilen. Jch bekenne, es iſt dieſes
eine veraͤchtliche Umſchreibung der unaus-
ſprechlichen Worte, wovon Paulus re-
det: Allein mich deucht auch, daß ein ſo ver-
aͤchtlicher Ausdruck in dem Munde des Ver-
faſſers des Briontes ungemein wohl ſtehet,
weil die Abſicht deſſelben war, den Apoſtel Pau-
lus und deſſen Erkaͤnntniß von dem Zuſtande
jener Welt gegen den Hn. Prof. Philippi, und
ſeine Erleuchtung gering zu machen. Wenn
er noch veraͤchtlicher geredet haͤtte, waͤre es
nicht
[236](o)
nicht unrecht geweſen, und niemand, der
weiß, was eine Jronie iſt, wuͤrde ſich daran
geaͤrgert haben. Man ſiehet leicht, daß der
Verfaſſer des Briontes nicht uͤber die Entzuͤ-
ckung Pauli ſpottet. Es iſt ſein Vorſatz nicht,
dieſen groſſen Apoſtel recht im Ernſt zu verklei-
nern. Was er veraͤchtliches von ihm ſagt, iſt,
ſeiner Meinung nach, eine Folge des wunder-
baren Einfalls, den der Hr. Prof. Philippi
uͤber das Anſchauen ſeines Koͤniges gehabt hat,
und man muß demnach, wo man billig ver-
fahren will, alles, was man in ſeinen Anmer-
ckungen aͤrgerliches, greuliches und gottloſes
findet, auf des Hn. Philippi Rechnung ſetzen.
Dieſer auſſerordentliche Redner muß, wo er
nicht eine Thorheit begangen haben will, be-
haupten, er habe durch das Anſchauen ſeines
Koͤniges mehr gelernet, als Paulus im Para-
diß: Paulus ſey ſo klug wieder gekommen als
er hingegangen, und er habe alſo nur immer zu
Hauſe bleiben koͤnnen. Dieſes meint der Ver-
faſſer des Briontes, folge aus derjenigen Stel-
le der Philippiſchen Lob-Rede auf den Koͤnig
in Pohlen, welche er laͤcherlich machen will.
Weil er aber nicht gerade heraus ſagt, daß die-
ſes ſeine Meinung iſt, ſo hat er das Ungluͤck, daß
die Einfaͤltigen ihn des Verbrechens beſchul-
digen, welches er dem Hn. Philippi aufbuͤrden
will.
faſſer des
Briontes
thut dem
Es wird ihm dieſe Beſchuldigung bey klu-
gen Leuten wenig ſchaden, und dahero goͤnne
ich es ihm recht gern, daß er ſo angelaufen iſt.
Er
[237](o)
Er hat es an dem Hn. Prof. Philippi wohlHerrn
Prof. Phi-
lippi
unrecht.
verdienet. Denn er thut ihm unrecht. Es
hat, ſo viel mir wiſſend, dieſes noch niemand
angemercket; Weil der Einfall des Verfaſſers
des Briontes was Blendendes an ſich, und
der Hr. Prof. Philippi das Ungluͤck hat, daß
man gern das aͤrgſte vom ihm glaubt. Aber
ich bin unpartheyiſch, und laſſe einem jeden
Recht wiederfahren. Jch habe den Verfaſ-
ſer des Briontes vertheidiget, und muß alſo
auch ein Wort vor den Hn. Prof. Philippi
reden. Der Herr Verfaſſer des Briontes
wird mir dieſes nicht uͤbel nehmen. Da er
ſich berechtiget haͤlt, andern Leuten ihre Fehler
auf die empfindlichſte Art zu zeigen, ſo muß mir
dieſes in Anſehung ſeiner auch erlaubt ſeyn.
Jch habe demnach die Ehre, ihm mit allerHr. Prof.
Philippi
wird ver-
theidiget.
Beſcheidenheit zu ſagen, daß er die Worte des
Hn. Prof. Philippi, uͤber welche er hier ſpot-
tet, nicht recht angeſehen, und folglich ſeine
Einfaͤlle, die er daruͤber hat, wie ſinnreich ſie
ihm und andern auch ſcheinen moͤgen, keinen
Grund haben. Er bildet ſich ein, der Herr
Prof. Philippi ruͤhme ſich, daß er durch das
Anſchauen des Koͤniges von Pohlen einen
deutlichen Begrif von der Freude der Seeligen
in jener Welt bekommen habe: Und dieſe Ein-
bildung hat ihn verfuͤhret, den Hn. Prof. Phi-
lippi als einen Menſchen abzubilden, der ſich
hoͤher und kluger halte, als den Apoſtel Pau-
lus. Allein der Hr. Prof. Philippi iſt wahr-
lich in dieſem Fall unſchuldig. Er ſagt nicht,
daß
[238](o)
daß er durch das Anſchauen des Koͤniges von
Pholen einen deutlichen und vollſtaͤndigen Be-
grif von der Freude jenes Lebens bekommen;
ſondern er ſpricht nur, daß er dadurch ein Bild
bekommen, wie die Auserwehlten im ewigen
Leben durch das Anſchauen GOttes am hoͤch-
ſten werden begluͤckſeeliget werden. Was
findet der Hr. Verfaſſer des Briontes daran
zu tadeln? Jſt es nicht ofenbahr, daß der Hr.
Prof. Philippi nichts mehr thut, als daß er von
dem kleinern aufs groͤſſere ſchlieſſet? Da mir,
will er gleichſam ſagen, der bloſſe Anblick ei-
nes Koͤniges, der nur ein ſterblicher Menſch
iſt, ein ſo groſſes Vergnuͤgen gegeben, wie
groß und unausſprechlich muß denn nicht die
Freude der Auserwehlten im ewigen Leben
ſeyn, die das Gluͤck haben, GOtt ſelbſt von
Angeſicht zu Angeſicht zu ſchauen?
faſſer des
Briontes
bekoͤmmt
einen Ver-
weiß.
Was iſt an dieſem Schluſſe auszuſetzen?
Er iſt ſo gruͤndlich, als erbaulich. Mich deucht
daher, der Hr. Verfaſſer des Briontes habe
ſich zur Unzeit daruͤber luſtig gemacht, und
er haͤtte fuͤglich alles, was er davon geſagt, bey
ſich behalten koͤnnen. Die Entzuͤckung Pauli
ſchickte ſich hieher nicht. Jch wundere mich, daß
der Hr. Verfaſſer des Briontes dieſes nicht
eingeſehen hat. Leute ſeiner Art ſolten billig be-
hutſamer ſeyn, und ſich nicht durch eine gar zu
groſſe Begierde zu ſpotten verleiten laſſen, Din-
ge vorzubringen, die den Stich nicht halten. Jch
wolte es ihm nicht verdencken weñ ihn die Noth
gezwungen haͤtte, auf ſo ungegruͤndete Spoͤtte-
reyen
[239](o)
reyen zu verfallen: Allein ſo konnte es ihm nim-
mer an Materie zu ſpotten gebrechen; weil er es
mit einem Manne zu thun hatte, uͤber welchen
auch ſeine aͤrgſten Feinde nicht klagen koͤnnen,
daß er ihnen nicht genugſame Bloͤſſe gebe. Er
kan alſo den Fehler, welchen er hier begangen,
mit nichts entſchuldigen, und ich befuͤrchte
nicht, daß er meine, desfalls gethane, Erinne-
rung uͤbel deuten werde. Jch habe vielmehr
das Vertrauen, er werde, nach ſeiner Scharf-
ſinnigkeit, das Urtheil, welches ich uͤber ſeine
Spoͤtterey faͤlle, ſo gegruͤndet, und billig finden,
als dasjenige, das andere von ſeinen Abſichten
gefaͤllet haben, ungegruͤndet und unbillig iſt.
Jch bilde mir ein, dieſes letzte auf eine un-
wiedertreibliche Art dargethan zu haben, und
hoffe demnach, daß diejenigen, ſo aus Einfalt
oder Boßheit den Verfaſſer des Briontes vor
einen Religions-Spoͤtter ausſchreyen, ſich
ſchaͤmen, und andere, die den Klagen der
Einfaͤltigen, und dem unvernuͤnftigen Ge-
ſchrey der Thoren ohne Unterſuchung Gehoͤr
geben, hinfort behutſamer ſeyn werden.
Nachdem ich nun deutlich erwieſen, daßOb der
Briontes
aus an-
dern Urſa-
chen ſtraf-
bar?
die Satyre Briontes der juͤngere nicht mit
entſetzlichen Religions-Spoͤttereyen angefuͤl-
let iſt, ſo gehe ich weiter und unterſuche, ob denn
dieſe Schrift aus einem andern Grunde ſtraf-
bar ſey.
Wenn eine Schrift nichts in ſich faſſet, ſoWas eine
Schrift
ſtrafbar
mache? und
wieder die Religion laͤuft, ſo kan ſie nicht an-
ders ſtrafbar und unzulaͤſſig ſeyn, als wenn ſie
entweder
[240](o)
daß der
Briontes
nicht eh-
tenruͤhrig.entweder aufruͤhriſch oder auch den guten
Sitten, und dem guten Leumund und ehr-
lichem Nahmen eines Menſchen nachtheilig iſt.
Daß der Briontes nicht mit Religions-
Spoͤttereyen angefuͤllet ſey, habe ich, deucht
mich, klaͤrlich dargethan: daß er der Ruhe des
Staats, und den guten Sitten zuwieder ſey,
wird vermuthlich niemand, ja der Hr. Prof.
Philippi ſelbſt nicht ſagen. Es iſt alſo nichts
mehr uͤbrig, warum dieſe Satyre ſtrafbar
ſeyn koͤnne, als weil der Hr. Prof. Philippi
darinn auf eine ehrenruͤhrige und paßquillanti-
ſche Art angegriffen iſt. Nach den Titeln der
ſieben neuen Verſuche zu urtheilen, mit
welchen der Hr. Prof. Philippi der gelehrten
Welt drohet, ſo ſtehet der Hr. Prof. wuͤrcklich
in dem Wahn und es giebt uͤberdem ſo einfaͤlti-
ge Leute, die ſich einbilden, eine jede Spoͤtterey,
ein jeder luſtiger Einfall, ſey eine ſtrafbare Mif-
ſethat, und die dahero gantz wunderlich von
dem Briontes urtheilen. Jch werde alſo nicht
uͤbel thun, wenn ich ſo wohl dem Hn. Prof.
Philippi ſeinen Wahn benehme, als auch die
andern Unwiſſenden, Einfaͤltigen, Bloͤden
und Schwachen unterrichte, und ſie auf den
rechten Weg bringe.
benten ha-
ben unrich-
tige Be-
grife von
der Ehre.
Es wird zu dem Ende noͤthig ſeyn, daß ich
ihnen einen rechten Begrif von der Ehre gebe,
und unterſuche, wie weit die Obrigkeit vor die
Ehre ihrer Unterthanen zu ſorgen, und dieſel-
be zu beſchuͤtzen verbunden iſt. Die boͤſen
Scribenten haben von dieſen Dingen gantz
eigene
[241](o)
eigene Gedancken, und ihre Menge giebt ihnen
Gelegenheit, dieſelbe weit auszubreiten, und
viele, die nicht wohl auf ihrer Hut ſind, damit
anzuſtecken.
Jch verſtehe durch die boͤſen ScribentenWas ei-
gentlich
boͤſe Scri-
benten
ſind?
nicht alle Leute, in deren Schriften Jrrthuͤmer
und Thorheiten enthalten. Wenn ich es ſo
genau nehmen wolte, ſo wuͤrde man gar keine
gute Scribenten haben. Alle Menſchen koͤnnen
irren, und irren auch wuͤrcklich. Viele an ſich
kluge und verſtaͤndige Maͤnner werden durch
die Erziehung, und andere Umſtaͤnde, die nicht
in ihrer Gewalt ſind, verleitet und gleichſam ge-
noͤhtiget, allgemeine Thorheiten, die den Schein
der Weisheit haben, in ihren Schriſten zu ver-
theidigen. Sie koͤnnen dieſes aus guter Mei-
nung, und aufrichrig thun: Aber man kan
ſie nicht unter die boͤſen Scribenten rechnen, ſo
lange ſie nur bloß ihren beſten Fleiß anwenden,
allgemeine Thorheiten, als heilſame Lehren vor-
zuſtellen. Denn ſie koͤnnen dem ungeachtet,
Proben von ihrem guten Verſtande geben, und
wenn ſie dieſes thun, ſo iſt es nicht ihre Schuld,
daß ſie nichts kluͤgers vorbringen, ſondern ein
Fehler der Materie, von welcher ſie ſchreiben.
Jch verſtehe auch durch die boͤſen Scriben-
ten nicht alle diejenigen, denen es an Ordnung,
Deutlichkeit und einer zierlichen Schreib-Art
mangelt. Denn ſolche Leute koͤnnen die Maͤn-
gel, ſo man in ihrem Vortrage und an ihrer
Schreib-Art wahrnimmt, durch die herrlichen
und vortreflichen Sachen, die ſie vorbringen,
Qoft
[242](o)
oft doppelt erſetzen. Sondern boͤſe Scriben-
ten ſind, nach meinem Begrife, diejenigen,
welche allerhand abgeſchmackte Grillen, und
laͤppiſche Einfaͤlle, die ihnen eigen ſind, und de-
ren Thorheit alle Leute, die nur ihre fuͤnf Sin-
ne haben, begreifen koͤnnen, in einer albernen
und ſcheußlichen Schreib-Art ſo verworren
und undeutlich vortragen, daß man mit Haͤn-
den greifen kan, daß ſie nicht wohl unter dem
Hut verwahret ſind, und daß ſie ſelbſt nicht
wiſſen, was ſie haben wollen.
benten von
laͤcherli-
chem Ehr-
geitz, wer-
den im ge-
meinen Le-
ben nichts
geachtet,
und war-
um ſie Buͤ-
cher ſchrei-
ben?
Dieſe Ungluͤckſeelige werden allemahl bey
ihrer tieffen Unwiſſenheit, oder doch nur ſehr
magern und unordentlichen Wiſſenſchaft, von
einer laͤcherlichen Ehrgierde geplaget: und die-
ſe Verbindung ſo koͤſtlicher Eigenſchaften ſetzt
allezeit eine ſo elende Miſchung der Afecten
voraus, welche alle diejenigen, die das Ungluͤck
haben, ſo gebohren zu werden, gemeiniglich
auslachenswuͤrdig und veraͤchtlich macht.
Solche Leute ſind, ordentlicher Weiſe zu allen
Geſchaͤften im buͤrgerlichen Leben untuͤchtig,
weil es ihnen an Witz und Muth gebricht, und,
da ihre Aufuͤhrung laͤcherlich iſt, ſo ſind ſie ein
Spott aller, mit denen ſie umgehen. Dieſes
daͤmpft ihren Hochmuth nicht, und iſt lange
nicht hinlaͤnglich, die Einbildung, im geringſten
zu mindern, die ſie von ihrem Verſtande, und
von ihrer Weisheit haben. Sie ſeufzen uͤber die
blinde Welt, und raͤchen die Schmach, die ſie
von derſelben leiden, an dem unſchuldigen Pa-
pier. Sie ſperren ſich ein, und ſchreiben Buͤcher,
in
[243](o)
in der Hofnung durch dieſen Weg zu demjeni-
gen Grad der Ehren und des Anſehens zu gelan-
gen, welchen ſie durch Verrichtungen, die dem
gemeinen Weſen nuͤtzlich, und durch eine kluge
Aufuͤhrung, die ſie im gemeinen Umgange be-
liebt und angenehm machen koͤnnte, ſich nicht
zu erreichen getrauen. Sie thun wohl daran.
Denn gedruckte Thorheiten haben ein beſſeres
Anſehen, als diejenigen, welche muͤndlich
vorgetragen werden, und die Fehler einer
Schrift fallen nicht ſo ſehr in die Augen, als
die Laͤcherlichkeit einer That, uͤber welche auch
die Ungelehrten urtheilen. Die boͤſen Scri-
benten nehmen das Weſen groſſer Schreiber
an ſich, und blenden dadurch die Einfaͤltigen.
Der groͤſſeſte Haufe ſtehet in dem Wahn, wer
ein Buch geſchrieben hat, der muͤſſe gelehrt und
folglich klug ſeyn, und richtet ſeine Urtheile
darnach ein.
l’ admire.
Boileau. Art. poët. p. 167.’
Und es mangelt alſo den boͤſen Scriben-Boͤſe Scri-
benten ſind
empfind-
lich, und
ruffen die
Obrigkeit
um Huͤlfe
an, wenn
ſie geſtrie-
gelt wer-
den.
ten niemahls an Bewunderern. Dieſe Be-
wunderung der Thoren uͤberſchuͤttet ſie mit un-
ausſprechlicher Freude, weil ſie ſich einbilden,
ſie wuͤrden dadurch auf den hoͤchſten Gipfel der
Ehren geſetzet.
Wie muß es ſie demnach nicht ſchmertzen,
wenn ein unbeſcheidener und unbarmhertziger
Spoͤtter die Dreiſtigkeit hat, ihnen die Larve
Q 2abzu-
[244](o)
abzuziehen, und einen Spiegel vorzuhalten,
welcher ihnen ihre ſcheußliche Geſtalt aufrich-
tig vorſtellet? Sie ſind in ſolchem Unfall un-
troͤſtbar, und gerathen in die groͤſſeſte Wuth.
Der Spiegel wird zur Erden geſchmiſſen, mit
Fuͤſſen getreten, und muß es entgelten, daß ſie
nicht beſſer gebildet ſind. Sie indeſſen duͤncken
ſich doch ſchoͤn, und heiſſen denjenigen, der ih-
nen durch einen Liebes-Dienſt, den ſie nimmer
genug erkennen koͤnnen, zu der Erkaͤnntniß ih-
rer ſelbſt Anleitung geben wollen, einen Pas-
quillanten und einen Ehren-Dieb. Sie thun
klaͤglich, und ſtimmen ein jaͤmmerliches: Porro
Quirites! an. Denn Ehre verlohren, alles
verlohren. Sie ſuchen Himmel und Erde ge-
gen ihren Feind zu bewegen, und geberden ſich
nicht viel kluͤger, als jener Gecke in der Fabel,
der von einem Floh gebiſſen wurde. S. Les
Fables de M. de la Fontaine Liv. II. Fab.
5. Denn wie dieſer es dem Hercules verwieß,
daß er die Welt auch nicht von dem ihn plagen-
den Ungeheuer befreyet haͤtte, und vom Jupiter
verlangte, ſeinen Peiniger mit Donner und
Blitz zu vertilgen, ſo rufen ſie die Obrigkeit um
Schutz an, und nehmen es uͤbel, wenn dieſe ih-
rem Jammer ohne Erbarmung zuſiehet, und
dem Frevel ihrer Verfolger nicht ſteuret.
richt dar-
an.
Allein ſie muͤſſen wiſſen, daß ihr Geſchrey
unvernuͤnftig, und ihre Forderung unbillig iſt.
Die Obrigkeit iſt ſchuldig in allen Stuͤcken vor
das wahre Beſte ihrer Unterthanen zu ſorgen:
Aber, ſie koͤmmt, wo ſie klug iſt, den thoͤrig-
ten
[245](o)
ten Begierden derſelben nicht zu Huͤlffe. Sie
ſorget wohl vor die Geſundheit ihrer Unter-
thanen, aber ſie iſt nicht ſchuldig, ihnen gute
Schmincke zu verſchafen. Sie beſſert die
Wege aus, zum Beſten der Reiſenden; aber
nimmer erſtreckt ſich ihre Vorſorge ſo weit, daß
ſie ſich bemuͤhen ſolte, die Luft-Schife zur Vol-
kommenheit zu bringen, um gewiſſen Gecken
den Weg nach dem Mond zu bahnen.
Die boͤſen Scribenten ſind demnach gar
nicht berechtiget, von der Obrigkeit zu verlan-
gen, daß ſie ſich in ihre Haͤndel miſchen, und
ſie bey derjenigen Ehre ſchuͤtzen ſolle, welche ſie
durch ihre laͤcherliche Schriften ſich erlanget zu
haben einbilden.
Es iſt wahr, die Obrigkeit muß nicht zuge-
ben, daß auch der geringſte ihrer Unterthanen
an ſeinem ehrlichen Nahmen, und guten Leu-
mund angegrifen werde: Aber ſie iſt nicht ver-
pflichtet, den thoͤrigten Hochmuth ihrer Buͤr-
ger zu naͤhren.
Die Ehre beſtehet uͤberhaupt in der gutenWas die
Ehre ſey?
und ihre
Grade.
Meinung, die andere von uns, und unſerm
Thun und Laſſen haben. Jhr wird entgegen
geſetzet die Schande, welche alſo nichts anders
iſt, als die boͤſe Meinung, die man von uns
und unſern Thaten heget. Unſere guten und boͤ-
ſen Thaten ſind nicht alle gleich gut und gleich
boͤſe: Folglich hat auch die Ehre, die uns dar-
aus erwaͤchſet, ihre gewiſſe Grade. Wer auf
der unterſten Stuffe der Weisheit ſtehen blei-
bet, und ſich begnuͤget, die Regeln der Gerech-
Q 3tig-
[246](o)
tigkeit zu beobachten, von dem ſagt man, daß
er nicht grund boͤſe iſt. Dieſes Urtheil wuͤrcket
nur den unterſten Grad der Ehre, der in nichts,
als einem Mangel der Schande beſtehet, und
eigentlich der ehrliche Nahme genennet
werden kan. Wer aber weiter gehet, und
nicht nur die Regeln der Gerechtigkeit beob-
achtet, und ſich vor Thaten huͤtet, die aͤuſſerſt
boͤſe ſind, ſondern noch daruͤber auch die Re-
geln des Wohlſtandes und der innerlichen Tu-
gend nicht uͤberſchreitet, und durch tugend-
hafte, und loͤbliche Verrichtungen andern ei-
nen vortheilhaften Begrif von ſich beybrin-
get, der erlanget dasjenige Lob, welches die
eigentliche Ehre ausmachet.
ſie ver-
ſchertzet
werde?
Den ehrlichen Nahmen verliehrt man durch
aͤuſſerſt boͤſe, und wieder die Gerechtigkeit lauf-
fende Thaten, mit einem Worte, durch ſtraf-
bare Verbrechen. Dasjenige Lob hergegen
worinn die eigentliche Ehre beſtehet, wird durch
Laſter, die nicht beſtrafet werden, und durch
allerhand menſchliche Fehler und Schwach-
heiten verſchertzet. Wer demnach einen an-
dern ſtrafbarer Verbrechen beſchuldiget, oder
ihm ſolche Titel beyleget, die uͤberhaupt einen
grundboͤſen und unehrlichen Menſchen aus-
druͤcken, der greift deſſen ehrlichen Nahmen an.
nen an ſei-
nem ehrli-
chen Nah-
men an-
greifen
duͤrfe, und
Die Frage iſt: Ob dieſes erlaubt ſey? Man
muß darauf mit Unterſcheid antworten. Da
dem gemeinen Weſen daran gelegen, daß das
Boͤſe nicht ungeſtraft bleibe, ſo iſt es nicht ver-
boten, einen, der ein Verbrechen begangen
hat,
[247](o)
hat, als einen Miſſethaͤter anzuklagen. Werwas ein
Pasqvil-
lant ſey?
den ehrlichen Nahmen ſeines Naͤchſten auf die-
ſe Art angreifet, der thut nichts boͤſes, weil der
Angeklagte ſich verantworten kan, und alſo
nicht durch die Anklage, ſondern durch ſeine be-
gangene Miſſethat, und das daruͤber gefaͤllte
Urtheil des Richters, ſeinen ehrlichen Nahmen
verliehret, und der Anklaͤger, wo er ſeine Be-
ſchuldigung nicht hinlaͤnglich beweiſet, Ge-
fahr laͤuft, als ein Calumniant geſtraft zu
werden. Wenn aber einer ſich geluͤſten laͤſſet,
ſeinen Mit-Buͤrger auſſer Gericht, es ſey
muͤndlich oder ſchriftlich ſolcher Verbrechen zu
beſchuldigen, auf welche die Strafe der Obrig-
keit, und der Verluſt des ehrlichen Nahmens
nothwendig folgen muß, der begeht eine ſtraf-
bare That. Denn unſer ehrlicher Nahme
flieſſet aus der Beobachtung der Regeln der
Gerechtigkeit, und aus derjenigen Enthaltung
von aͤuſſerſt-boͤſen Thaten, wozu uns die Ge-
ſetze der Obrigkeit verbinden. Ob wir dieſe
Geſetze gehalten haben oder nicht, das iſt eine
Frage, welche niemand, als die Obrigkeit ent-
ſcheiden kan. Folglich koͤmmt unſer ehrlicher
Nahme hauptſaͤchlich auf diejenige gute Mei-
nung, welche die Obrigkeit von uns hat, und auf
das Urtheil an, das ſie von unſern Thaten, ſo
ferne dieſelbe den Geſetzen unterworfen ſind, faͤl-
let. Wenn nun einer dieſes Urtheil der Obrigkeit
nicht erwartet, ſondern uns eigenmaͤchtig, auf
eine tuͤckiſche Weiſe, vor Uebertreter der Geſetze
erklaͤret, und unehrlich machen will, ſo greift
Q 4er
[248](o)
er der Obrigkeit ins Amt. Denn da es al-
lein der Obrigkeit zuſtehet die Verbrechen zu
beſtrafen, und diejenigen, welche ſie begangen,
mit Schande zu belegen, ſo koͤmmt ihr auch
einſeitig die Macht zu, zu urtheilen, ob dieſer
oder jener die auf die Miſſethaten geſetzte Stra-
fe und Schande verdiene. Derjenige, der ſich
dieſer Macht ungebuͤhrlich anmaſſet, beleidi-
get demnach ſeine Obrigkeit ſo wohl, als ſei-
nen Naͤchſten. Jene, weil er ihr Eingrif
thut: Dieſen, weil er demſelben an Ehre, Gut,
ja oft an Leib und Leben zu ſchaden ſuchet. Die-
ſes iſt nun eine Bosheit, die in den Geſetzen
verboten iſt, und wer ſie in Schriften begehet,
der iſt ein Pasqvillant, und der ſchaͤrfſten Stra-
fe wuͤrdig.
keit ſorget
vor den
ehrlichen
Nahmen
ihrer Un-
teꝛthanen,
nicht aber
vor einen
hoͤhern
Grad der
Ehre.
Aus dem, was ich geſagt habe, erſieht man
nun, was ein Pasquillant ſey, und daß die O-
brigkeit vor den ehrlichen Nahmen ihrer Unter-
thanen ſorge. Weiter bekuͤmmert ſie ſich um die
Ehre derſelben nicht. Dasjenige, was man
eigentlich Lob, Ehre und Ruhm nennet, ent-
ſpringet, wie ich oben erwehnet, aus der Be-
obachtung der Regeln des Wohlſtandes, und
der innerlichen Tugend, und alſo aus Thaten,
dazu uns die Obrigkeit durch die Geſetze nicht
verbindet. Denn die Obrigkeit wuͤnſchet
zwar, daß alle ihre Unterthanen ſo tugendhaft
ſeyn moͤchten, als es immer moͤglich iſt: Allein
da ſie durch ihre Macht dieſen Wuͤnſchen kei-
nen Nachdruck geben kan, weil die Tugend
keinen Zwang leidet, ſo begnuͤgt ſie ſich, durch
die
[249](o)
die ihr verliehene Gewalt den Ausbruch der
groͤbſten Bosheit zu verhindern, und iſt zu-
frieden, wenn ihre Unterthanen die unterſte
Stafel der Weisheit betreten, und nichts
begehen, das mit dem Endzweck der buͤrgerli-
chen Geſellſchaft ſtreitet. Das uͤbrige ſtellet ſie
eines jeden Gutbefinden anheim.
Da nun die Ehre aus ſolchen Thaten entſte-
her, welche die Obrigkeit in unſere Willkuͤhr
ſtellet, deren Verrichtung ſie nicht unumgaͤng-
lich von uns fordert, und um deren Unterlaſ-
ſung ſie uns nicht ſtrafet; ſo kan man dieſelbe
als eine Sache anſehen, um welche ſich die
Obrigkeit wenig bekuͤmmert, und woruͤber
ſie ſich keine Erkenntniß anmaſſet. Denn
da die Obrigkeit, als Obrigkeit, nicht von der
Guͤte und Beſchafenheit derer Thaten urthei-
let, durch welche wir Ehre erlangen, ſo kan ſie
auch von der Ehre ſelbſt nicht urtheilen. Sie
kan dieſelbe niemand geben oder nehmen, ſon-
dern wir haben ſie von unſern Mit-Buͤrgern
zu gewarten. Auf deren Urtheil von unſerer
Aufuͤhrung beruhet ſie. Ein jeder hat dem-
nach die Freyheit von den Thaten anderer
Leute, ſo ferne dieſelbe den Geſetzen, und der
Erkaͤnntniß des Richters nicht unterworfen
ſind, ſeine Gedancken zu ſagen. Er kan loben,
was ihm gefaͤllt, und tadeln, was ihm nicht an-
ſtehet, ohne Gefahr dem Richter in die Haͤnde
zu fallen.
So ſtrafbar es demnach iſt, ſeinen Naͤch-Ueber Feh-
ler die
ſten eines Todſchlages, Raubes, Diebſtahls,
Q 5Ehe-
[250](o)
nicht ſtraf-
bar, kan
man ſpot-
ten.Ehebruchs und anderer Verbrechen zu beſchul-
digen, ſo erlaubt iſt es, ihm ſolche Fehler bey-
zumeſſen, die nicht beſtrafet werden, und ſei-
nen ehrlichen Nahmen nicht beſchmitzen. Jch
kan alſo von einem Menſchen ſagen, daß er
hochmuͤthig, geitzig, argwoͤhniſch, eigenſin-
nig, lecker in Eſſen und Trincken, furchtſam,
verwegen, ein Verſchwender, ein Muͤſſig-
gaͤnger und Saͤufer ſey, ohne daß er mich
darum verklagen koͤnnte. Jch habe dieſes
gleichfals nicht zu beſorgen, wenn ich uͤber ſei-
ne Aufuͤhrung in Geſellſchaften ſpotte. Wer
will mir z. E. wehren, uͤber einen geſchoſſe-
nen Seladon zu lachen, der mit ſeiner
Clarimeneà l’ Hombreſpielet, und alle-
mahl, wann er die Charten giebt, ſeine
Schoͤne mit verſchmachtenden Augen
anſiehet, und die Charten, die ſie haben
ſoll, aufs zaͤrtlichſte kuͤſſet? Eine wunderli-
che Tracht, ein naͤrriſcher Gang, eine ungereim-
te und verdrießliche Art zu complimentiren und
dergleichen Fehler geben mir gleiches Recht,
und uͤberhaupt alle Schwachheiten, die ich je-
tzo genennet habe, ſamt noch vielen andern, die
mir nicht beyfallen, koͤnnen ohne Verletzung
des ehrlichen Nahmens derer, die zu ihrem Un-
gluͤck damit behaftet ſind, laͤcherlich gemacht
werden. Dieſe Fehler und Gebrechen ſind es e-
ben, an welchen ein Spoͤtter ſeine Kunſt bewei-
ſen kan; Daher ſie dann auch Cicero materiem
ridiculorum nennet. Er thut es an demjenigen
Ort, da er unterſuchet, wie weit es einem Red-
ner
[251](o)
ner erlaubet ſey zu ſpotten, qua tenus ſint ridi-
cula tractanda oratori. Er ſpricht:
ſignis improbitas \& ſcelere juncta, nec„
rurſus miſeria inſignis agitata ridetur.„
Facinoroſos majore quadam vi, quam„
ridiculi vulnerari volunt: miſeros illudi„
nolunt, niſi ſe forte jactant . . . . . .„
. . . . . itaque ea facillimè luduntur,„
quæ neque odio magno, neque miſericor-„
dia maxima digna ſunt. Quamobrem„
materies omnis ridiculorum eſt in iſtis„
vitiis, quæ ſunt in vita hominum neque„
carorum, neque calamitoſorum, neque„
eorum, qui ob facinus ad ſupplicium, ra-„
piendi videntur: eaque belle agitata ri-„
dentur.” Cicero de Oratore Lib. II.’
Die-
ſe Regel, welche Cicero giebt, gruͤndet ſich in
dem, was ich geſaget habe, und wer dieſelbe nur
nicht uͤberſchreitet, und in ſeinem Spotten nicht
weiter gehet, als ich es haben will, der iſt kein
Pasqvillant; er begeht nichts ſtrafbares, weil
das, was er thut, zu allen Zeiten erlaubt ge-
weſen iſt. Noch habe ich nicht gehoͤret, daß um
ſolcher den ehrlichen Nahmen eines Menſchen
nicht angreifenden Spoͤttereyen willen, viele
Jnjurien Proceſſe entſtanden ſind. Denn wo
iſt wohl ein ſo einfaͤltiger Tropf zu finden, der
nicht ſehen ſolte, daß er ſich durch ſeine abge-
ſchmackte Klage noch laͤcherlicher machen wuͤr-
de?
Jſt es nun erlaubt, ſeinem Naͤchſten gewiſ-Man kan
einem
Maͤn-
ſe Laſter und Gebrechen vorzuwerfen, und
dar-
[252](o)
gel vor-
werffen die
nicht Wil-
kuͤhrlich.daruͤber zu ſpotten, ſo wird es noch vielmehr
vergoͤnnet ſeyn, ſich uͤber noch geringere Feh-
ler luſtig zu machen. Unſere wahre Ehre
koͤmmt auf die Beſchafenheit unſers Willens
an. Kan ich nun, ohne ein Pasquillant und
Laͤſterer zu werden, meinen Mit-Buͤrger eines
verdorbenen Willens beſchuldigen, und ihm
auf eine beiſſende Art gewiſſe Fehler vorruͤcken,
die zwar nicht ſtrafbar ſind, aber doch die Hoch-
achtung, die man ſonſt vor ihn gehabt hat, ver-
ringern, ſo kan ich um ſo viel weniger ſo boͤſe Ti-
tel verdienen, wenn ich nur uͤber ſolche Maͤngel
ſpotte, die eben darum, weil ſie nicht willkuͤhr-
lich ſind, demjenigen, der damit behaftet iſt,
nicht ſchimpflich ſeyn koͤnnen.
ſes vor
Maͤngel
ſind.
Jch rechne zu ſolchen Maͤngeln die Leibes-
Gebrechen, den Mangel zeitlicher Guͤter, die
Schwachheit des Verſtandes und den Man-
gel der Wiſſenſchaft. Jch weiß wohl, die
Vollkommenheit des Coͤrpers, der Reichthum,
ein ſcharffer und durchdringender Verſtand,
und eine groſſe Gelehrſamkeit ſind Eigenſchaf-
ten, die demjenigen, der damit begabet iſt, oft
mehr Anſehen zu wege bringen, als die tugend-
hafteſte Aufuͤhrung: Aber es iſt doch gewiß,
daß die wahre Ehre eines Menſchen auf dieſe
Eigenſchaften nicht beruhet. Es iſt ſo aus-
gemacht, daß einer ohne dieſelbe ein ehrlicher
Mann ſeyn kan, als es ofenbahr iſt, daß oft
die aͤrgſten Boͤſewichter dieſelbe beſitzen. Es
giebt auch ſchoͤne, reiche, verſchmitzte und ge-
lehrte Buben, die dem ungeachtet, doch nicht
werth
[253](o)
werth ſind, daß ſie unter ehrlichen Leuten ge-
duldet werden.
Man kan demnach, ohne was ſtrafbaresVon dem
Vorwurf
der Leibes-
Gebrechen.
zu begehen, dieſe Eigenſchaften einem Men-
ſchen abſprechen. Jch kan ſagen: Der
Menſch ſieht nicht gut aus, er hincket, er ſchie-
let, erhat einen Puckel, einen ungeſchickten
Fuß, und ich weiß nicht was, ohne daß er ſich
desfals beleidiget halten, und mich als einen
Ehren-Schaͤnder verklagen kan. Ja wenn ich
es gleich nicht bey dem bloſſen Sagen bewen-
den laſſe, ſondern gar uͤber ſein Gebrechen ſpot-
te, ſo muß ers haben, und er wuͤrde ungereimt
handeln, wenn er mit mir zum Richter wan-
deln, und ihn durch ſeine Gegenwart uͤberfuͤh-
ren wolte, daß ich die Wahrheit geredet haͤtte.
Der Hr. Prof. Philippi hat in ſeiner Thuͤrin-
giſchen Hiſtoriep. 166. in einer Anmerckung,
uͤber das ſtock finſtere Geſicht und das Au-
gen-Blitzen eines Menſchen, den er vie-
leicht nicht gewogen iſt, geſpottet. Wer wolte
ihm aber desfals Schuld geben, daß er dieſen
Menſchen an ſeiner Ehre angegrifen habe? Al-
les was man dawieder ſagen kan, iſt dieſes, daß
es ein Zeichen eines niedertraͤchtigen Gemuͤhts,
und einer thoͤrigten Rachgierde iſt, einem Men-
ſchen ein Gebrechen vorzuwerfen, das er vie-
leicht nicht heben kan. Und derjenige, auf
welchen der Hr. Prof. Philippi zielet, und wel-
chen er beſſer kennet, als ich, wuͤrde ihn, ob
ihn gleich der Hr. Philippi als einen tuͤcki-
ſchen Menſchen, vor dem man ein Creutz
machen
[254](o)
machen muͤſſe, vorgeſtellet hat, nicht verkla-
gen koͤnnen, wenn der Herr Prof. ihn gleich
mit Nahmen genennet haͤtte.
Vorwurf
der Ar-
muth.
Jch kan ſagen, der Mann iſt nicht reich,
er iſt blut arm, er hat nicht, wo er ſein Haupt
hinleget, und niemand kan mich desfals ſtra-
fen. Jch bekenne es ſtehet ſehr geringe, einen
ehrlichen Mann durch den Vorwurf ſeiner Ar-
muth zu kraͤncken. Allein ich behaupte, daß
ein Menſch, der ſich nicht ſchaͤmet, ſo laͤppiſch
zu ſpotten, nicht vor Gericht belanget werden
kan. Was will mir ein Edelmann thun,
wenn ich ihn einen armen Land-Juncker
nenne? Der Juncker kan boͤſe werden: Er
kan mir mit Schlaͤgen drohen; Er kan ſeine
Drohungen wuͤrcklich ins Werck ſetzen: Al-
lein ſo wunderlich wird er nimmer ſeyn, daß er
mir einen Proceß an den Halß werfen ſolte.
Es giebt viele arme Ritter, die darum ehrliche
Leute ſind, und ein armer Land-Juncker iſt
eben kein Schelt-Wort.
Vorwurf
der Tumm-
heit und
Unwiſſen-
heit, wie
auch von
dem Nu-
tzen dieſer
Betrach-
rungen.
Was den Verſtand und die Wiſſenſchaft
anlanget, ſo glaube ich, alle Welt werde darinn
mit mir einig ſeyn, daß keiner verbunden ſey, ei-
nen Menſchen vor kluͤger und gelehrter zu hal-
ten, als er ſich in ſeinen Reden und Schriften be-
zeiget. Mehr ſage ich nicht, ſondern ich bitte nur
diejenigen, die ſich etwan eingebildet haben, der
Hr. Prof. Philippi ſey von dem Verfaſſer des
Briontes auf eine ehrenruͤhrige Art angetaſtet
worden, dieſe Satyre, mit denen Wahrheiten
zuſam̃en zuhalten, die ich, zu ihꝛem beſten, ſo deut-
lich,
[255](o)
lich, und um meine Leſer, die meiner Unterwei-
ſung nicht beduͤrfen, nicht verdrießlich zu ma-
chen, ſo kurtz, als es mir nur moͤglich geweſen iſt,
bißhero vorgetragen habe. Es muͤſte viel ſeyn,
wenn ſie dadurch nicht erkennen ſolten, wie
uͤbel ſie geurtheilet, und wie noͤhtig ihnen ins
kuͤnftige die Behutſamkeit in Beurtheilung
einer Satyre ſey.
Jch frage ſie: Ob der Verfaſſer des Bri-Der Ver
faſſer des
Briontes
gꝛeiffer den
Hr. Philip-
pi nicht an
ſeiner Eh-
re an, ſon-
dern ur-
theilt nur
von ſeinen
Schriften.
ontes den Hn. Prof. Philippi eines einigen
ſtrafbaren Verbrechens, einer eintzigen unred-
lichen That beſchuldiget habe? Hat er uͤber ſei-
ne Sitten und Aufuͤhrung geſpottet? Hat er
ſeine Perſon angegriffen, und ihn durch Vor-
werfung einiger Leibes-Gebrechen, laͤcherlich
machen wollen. Er hat es nicht gethan, und
kan ſeine Tadler dreiſte fragen:
afreux
Diſtilé ſur ſa vie un venin dangereux?
Boileau Sat. IX.’
Wie kan man ihm dann Schuld geben, daß
er was unzulaͤſſiges begangen hat? Wie kan
man ſagen, der Hr. Prof. Philippi habe groſſe
Urſache ſich uͤber ihn zu beſchweren?
quis illum neget \& bonum virum \& comen„
\& humanum ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ de ingenio ejus„
in his diſputationibus non de moribus„
quæritur.” Cicero de Fin. bon. \& mal.
Lib. II.’
Der Hr. Prof. Philippi bleibt ein ehr-
licher, braver, feiner, wackerer, und vieleicht
auch gelehrter und geſchickter Mann; der Ver-
faſſer
[256](o)
faſſer des Briontes macht ihm dieſe Ehre nicht
ſtreitig. Er hat nur mit ſeinen ſechs deut-
ſchen Reden, und mir ſeinem Helden-
Gedichte zu thun. Dieſe beyde Schriften
beurtheilet er, und weiſet, daß der Hr. Prof.
Philippi weder ein geſchickter Redner
noch ein guter Poet ſey. Jſt dieſes nun
ein ſo ſtrafbares Beginnen, daß es die Obrig-
keit nothwendig ahnden muͤſte? Jſt es nicht
vielmehr ein erlaubter Gebrauch derjenigen
Freyheit, die alle Welt hat, uͤber ein Buch zu
urtheilen? Denn
guiſſans,
De choquer un Auteur, qui choque le
bon ſens
De railler d’ un plaiſant, qui ne ſait pas
nous plaire
C’eſt ce que tout Lecteur eût toûjours
droit de faire
Boileau ibid.’
ſchreibt un-
terwirft
ſich dem Ur-
theil ſeiner
Leſer.
Ein jeder, der ſchreibt, unterwirft ſich durch
die Herausgebung ſeiner Schrift dem Eigen-
ſinn ſeiner Leſer. Quiſcribit, multos ſumit
judices, alius in alterius livet ac graſſatur
ingenium, ſagt der heil. HieronymusEp.
29. ad Præſidium Diaconum. Wie kan es
alſo ein Scribent uͤbel nehmen, wenn man
von ſeinem Buche ſeine Meinung ſagt? Haͤt-
te er doch daſſelbe ungedruckt laſſen, und vor
ſich die Vollkommenheit ſeiner Geburt in aller
Stille
[257](o)
Stille bewundern koͤnnen. So bald er ſein
Buͤchlein ans Licht giebt, muß er es ihm auch
gefallen laſſen, daß man es lieſet, und nach be-
finden davon urtheilet. Die Obrigkeit kan
ihn wieder die Urtheile ſeiner Leſer nicht ſchuͤtzen,
noch ihnen eine Freyheit nehmen, die ſie, wie
die Juriſten reden, titulo oneroſo beſitzen.
Wann ich ein Buch kaufe, ſo erkaufe ich zu-
gleich das Recht, davon zu ſagen, was ich will.
Jch kan es loben, wenn es mir gefaͤllt, und es
aufs unbarmhertzigſte richten, wenn es mir ab-
geſchmackt ſcheinet.
preface
Au lecteur qu’ il ennuïe a beau deman-
der grace
II ne gagnera rien ſur ce juge irrité
Qui lui fait ſon procés de pleine auto-
rité.
Boileau idid.’
Es ſchickt ſich nicht von dieſem Gericht anVon die-
ſem Urtheil
kan nicht
an die O-
brigkeit
appelliret
werden.
die Obrigkeit zu appelliren. Eine kluge
Obrigkeit nimmt eine ſolche Appellation
nicht an; Sie erkennet keine Proceſſe, ſondern
verweiſet den thoͤrigten Appellanten ad judi-
cem à quo. Die Gelehrten muͤſſen ihre Haͤn-
del, die ſie mit einander haben, unter ſich aus-
machen. Die Obrigkeit miſchet ſich nicht
darinn; es ſey dann, daß es, wenn es zwiſchen
ihnen von Worten zu Schlaͤgen koͤmmt, noͤ-
thig ſey, Frieden zu gebieten. So lan-
Rge
[258](o)
ge es nur darauf ankoͤmmt, ob eine Lehre wahr
oder falſch, ob ein Buch gut, oder ſchlecht ge-
ſchrieben ſey, ſieht ſie dem Streit gelaſſen zu,
und maſſet ſich keiner Erkaͤnntniß daruͤber an.
Solche Streitigkeiten gehoͤren vor die Obrig-
keit nicht. Sie laſſen ſich durch einen Macht-
Spruch nicht abthun, und ſieh in das Ge-
zaͤnck zu mengen, das ſteht der Obrigkeit nicht
wohl an. So tief muß ſie ſich nicht herunter
laſſen. Will man ſagen, die Obrigkeit koͤn-
ne doch beyden Partheyen das Stillſchweigen
auflegen; So gebe ich zu, daß dieſes ihr ein
leichtes ſey. Allein ſie wuͤrde durch ein ſolches
Gebot alle Unterſuchung der Wahrheit, und
alle Beſtreitung des Jrrthums aufheben, das
Aufnehmen der Wiſſenſchaften hindern, die
Vernunft unterdruͤcken, den Jrrthuͤmern
und Thorheiten Platz machen, und bey nie-
mand, als albernen und boͤſen Scribenten
Danck verdienen. Die koͤnnten alsdann in
ſtoltzer Sicherheit ſchmieren, und wuͤrden al-
le Schaam und Scheu bey ſeit ſetzen, und
unertraͤglich haußhalten.
ſich die
Obrigkeit
um das,
was in der
gelehrten
Welt vor-
gehet, be-
kuͤmmere.
Jch ſehe nicht, was dieſes dem gemeinen
Weſen vor Vortheil bringen koͤnne, und
glaube demnach, daß die Obrigkeit ſehr wol
thut, wenn ſie ſich um das, was in der gelehr-
ten Welt vorgehet, nicht weiter bekuͤmmert,
als daß ſie dahin ſiehet, daß die Gelehrten
nichts lehren, oder ſchreiben, das dem Staat
nachtheilig. Sie kan urtheilen, ob eine Lehre
dem gemeinen Weſen nuͤtzlich, oder ſchaͤdlich iſt,
und
[259](o)
und ſie alſo, nach Befinden, entweder verbie-
ten, oder frey geben. Sie kan urtheilen, ob
ein Buch mit nuͤtzlichen Lehren angefuͤllet, oder
ob es Saͤtze in ſich faſſe, die der allgemeinen
Ruhe zuwieder ſind. Allein von der Wahr-
heit oder Falſchheit einer Lehre ein Urtheil zu
faͤllen, das koͤmmt ihr nicht zu. Denn der Ver-
ſtand iſt keinem Geſetze unterworfen. Ob
ein Buch gut, oder ſchlecht geſchrieben; ob einer
ein alberner oder kluger und verſtaͤndiger Scri-
bent ſey, das kan ſie nicht ausmachen. Die-
ſes koͤmmt auf den Ausſpruch der Kenner an.
Die gelehrte Welt hat alſo vollkommeneEin jeder
Gelehrter
hat das
Recht uͤber
die Schrif-
ten ande-
rer zu ur-
theilen.
Gewalt, uͤber die Schriften zu urtheilen, die
herauskommen, und ein jeder Gelehrter in-
ſonderheit iſt befugt ſich dieſer Gewalt zu be-
dienen. Dieſe Befugniß flieſſet aus der be-
ſondern Verfaſſung der Republick der Gelehr-
ten. Die Gelehrten haben kein ſichtbares
Ober-Haupt, und folglich kein ſichtbares Tri-
bunal, das uͤber ihre Schriften urtheilen koͤnnte.
Sie erkennen die Vernunft vor ihre Koͤni-
gin, die mit leiblichen Augen nicht zu ſehen iſt,
und es iſt kein Gelehrter, der ſich nicht einbilde,
ſeine Beherrſcherin habe in ſeinem Gehirne ih-
ren Thron aufgeſchlagen. Man kan es kei-
nem verwehren dieſe Einbildung zu haben, und
folglich auch keinem Gelehrten das Recht ab-
ſprechen, die Ehre ſeiner Monarchin, mit wel-
cher er ſo genau vereiniget iſt, und an deren Ma-
jeſtaͤt er ſo viel Antheil hat, wieder alle diejeni-
gen zu retten, die er vor ihre Veraͤchter haͤlt.
R 2Da
[260](o)
Da nun ein boͤſer Scribent die Majeſtaͤt der
geſunden Vernunft, als des unſichtbaren
Haupts der gelehrten Welt beleidiget, ſo kan
ein jeder Gelehrter ihn desfals abſtrafen, ohne
daß er ſich uͤber Unrecht beſchweren koͤnne: Ein
ſolcher Stuͤmper iſt, ſo zu reden, vogelfrey.
Es kan ihn ſchlagen wer ihn findet.
niemand
beſchwe-
ren, wenn
ſeine ſchrift
benꝛtheilet
wird.
Ein Gelehrter nun, der ſich dieſes, ihm un-
ſtreitig zuſtehenden Rechtes bedienet, thut
nichts unrechtes, nemini facit injuriam qui
jure ſuo utitur. Ein boͤſer Scribent, der
empfaͤhet, was ſeine Thaten werth ſind, darf
ſich nicht vor beleidiget achten. Er hat nicht
Urſach uͤber Gewalt zu ſchreien. Und dieſes um
ſo viel weniger, weil es ihm allemahl erlaubt
iſt, ſeine Nothdurft vorzubringen. Die
Sententz, die ein Gelehrter uͤber ihn, und ſeine
Schrift geſprochen, wird nicht gleich rechts-
kraͤftig. Er kan davon an die gantze Schaar
der Gelehrten appelliren; ja er kan, wenn es
ihm beliebt, aus eigener Macht, dieſelbe vor
ungerecht erklaͤren. Es ſtehet ihm allemahl
frey, ſelbſt ſeine Richter zu richten. Nur
koͤmmt es darauf an, daß er wohl richtet. Thut
er dieſes nicht, ſo bekraͤftiget er den, wieder ihn
gefaͤllten Spruch, und wird immer laͤcherli-
cher. Und wenn er ſich dann gleich auch noch
ſo uͤbel verantwortet, und zu ſeiner Vertheidi-
gung ſo ungereimte Dinge vorbringet, daß al-
le Welt das Urtheil, wodurch er ſich beleidiget
achtet, vor gegruͤndet haͤlt, ſo hat er doch noch
vollkommene Freyheit, nicht nur ſeine un-
billige
[261](o)
billige Richter, ſondern auf das gantze menſch-
liche Geſchlecht auszulachen und ſich vor ſo
klug, ſo weiſe, ſo gelehrt, und ſo vortreflich zu hal-
ten, als es ihn immer gut deucht. Dieſes wehrt
ihm niemand, und er kan verſichert ſeyn, daß
es immer einige Narren geben wird, die ihn,
Trotz allen Spoͤttern, hochſchaͤtzen.
Da nun die Urtheile, die uͤber eine Schrift
gefaͤllet werden, dem Verfaſſer derſelben nicht
einmahl diejenige Ehre, die er in der gelehrten
Welt hat, gaͤntzlich rauben koͤnnen; ſo ſehe
ich nicht, wie es moͤglich, daß auch die ſchaͤrfſte
Cenſur eines Buches, dem Scribenten, der es
verfertiget hat, an ſeinem guten Leumund, und
an derjenigen Ehre nachtheilig ſeyn koͤnne, die
man in der buͤrgerlichen Geſellſchaft haben
muß, wo man mit einigem Vergnuͤgen in der
Welt leben will. Es bedeutet alſo nichts, wenn
einige gar zu mitleidige Perſonen ſagen; “Es
ſey zwar nicht zu leugnen, daß den Gelehr-„
ten das Recht zuſtehe, uͤber die Schriften„
ihrer Bruͤder zu urtheilen, und die darinn„
enthaltene Fehler und Jrrthuͤmer anzuzeigen,„
und zu wiederlegen: Allein man muͤſſe es„
doch ſo machen, daß derjenige, den man ta-„
delt, und wiederlegt, bey Ehren bleibe.”
Jch begreife nicht, was man durch dieſeDas Ur-
theil ſo die
Gelehrten
uͤber eine
Schꝛift faͤl-
len, nimmt
dem Ver-
faſſer die
Ehre nicht,
Einſchraͤnckung haben will. Die Urtheile
der Gelehrten uͤber unſerer Schriften koͤnnen
uns zwar, nachdem ſie beſchafen, bey der ge-
lehrten Welt in Anſehen, oder in Verachtung
bringen: Allein ordentlicher Weiſe haben ſie
R 3auſſer
[262](o)
die er in
der buͤrgeꝛ-
lichen Ge-
ſellſchaft
hat.auſſer der gelehrten Welt, keine Wuͤrckung.
Unſere Oberen, und die meiſten unſerer Mit-
Buͤrger, nehmen dieſelbe nicht als eine Regel
an, nach welcher ſie ihre gute Meinung von
uns einrichten muͤſten. Sie urtheilen von
unſern Verdienſten aus andern Thaten, als
aus der Verfertigung eines Buches. Unſere
Ehre beruhet alſo nicht auf den Werth unſerer
Schriften. Man kan dieſe verachten, oh-
ne daß dem Anſehen das geringſte abgehet, das
wir durch unſere gute Aufuͤhrung uns in der
Geſellſchaft, in welcher wir leben, erworben ha-
ben. Ein Gelehrter, der ein gut Buch ge-
ſchrieben hat, wird darum in gemeinen Leben
nicht mehr geehret; er wird nicht vornehmer; er
bekoͤmmt keinen groͤſſern Rang. Die wenig-
ſten wiſſen es, und die es wiſſen, die achten es
nicht. Vermehrt nun ein gut Buch die Eh-
re ſeines Verfaſſers in der buͤrgerlichen Geſell-
ſchaft nicht, ſo kan auch ein ſchlechtes unmoͤg-
lich ſeinen Urheber ſchaͤnden. Ein ſolcher
Menſch wird dadurch im gemeinen Leben nicht
veraͤchtlich. Er behaͤlt alle Ehre, die er ſonſt
gehabt hat, ſein Amt, ſeine Wuͤrde, und alle
Vortheile, die er, als ein guter Buͤrger, und tu-
gendhafter Mann, verlangen kan. Die Erfah-
rung bekraͤftiget, was ich ſage, und daher tra-
ge ich kein Bedencken zu behaupten, daß kein
Urtheil uͤber eine Schrift ſo ſtrenge, keine Sa-
tyre ſo ſcharf ſeyn koͤnne, daß dadurch derjeni-
ge, der dieſe Schrift gemacht, an ſeiner Ehre
Schaden nehmen ſolte.
Jch
[263](o)
Jch glaube wohl, daß zuweilen ein boͤſerWas es
vor Scri-
benten
ſind, die
auch im ge-
meinen Le-
ben wegen
eines ſol-
chen Ur-
theils laͤ-
cherlich
werden?
Scribent, dem man die Larve abgezogen, und
deſſen Thorheit jedermann ofenbar gemacht
worden, auch dieſer wegen im gemeinen Leben
von Leuten verſpottet und ausgeziſchet werde,
die nicht zur gelehrten Welt gerechnet werden
koͤnnen, und die nicht im Stande ſind vor ſich
zu urtheilen, ob die Schriften desjenigen, uͤber
deſſen Unfall ſie ſich freuen, taugen, oder nicht:
Allein wenn man diejenigen, denen dieſes Un-
gluͤck begegnet, nur ein wenig genau anſiehet,
ſo wird man befinden, daß es allemahl Leute
ſind, die ſich ſchon, ehe ſie noch unter die Spoͤt-
ter gefallen, und von denſelben laͤcherlich ge-
macht worden, durch ihre abgeſchmackte Aufuͤh-
rung, und einen laͤcherlichen Stoltz, die Verach-
tung ihrer Mit-Buͤrger zugezogen haben. Sol-
chen ſtoltzen, und dabey albernen Phantaſten
goͤnnt es ein jeder gern, wenn ſie geſtriegelt wer-
den. Man freuet ſich daruͤber, und haͤlt ſich um
ſo viel mehr berechtiget ſie auszulachen. Man
ſage mir aber, ob dieſe Art der elenden Schreiber
dieſe Verſpottung dem ſchlimmen Urtheil, das
man von ihren Buͤchern gefaͤllet hat, zu dancken
habe? Jſt es nicht ofenbar, daß alle die Be-
wegung, die ein ſolches Urtheil unter den
Ungelehrten erreget, ihren Grund in der vor-
hergehenden Aufuͤhrung des Scribenten hat?
Haͤtte dieſer ſonſt keine Gebrechen, als daß er
eine Schrift verfertiget, in welcher man Feh-
ler entdecket, ſo wuͤrde niemand uͤber ihn lachen,
als der faͤhig iſt von ſeiner Schrift zu urtheilen.
R 4Wer
[264](o)
gegnet kei-
nem, der
ſonſt Ver-
dienſte hat.
Wer nut ſonſt Verdienſte hat, die ihn der
Hochachtung ſeiner Mit-Buͤrger wuͤrdig ma-
chen, dem wird es wenig an dem Anſehen ſcha-
den, zu welchem er durch ſeine gute Aufuͤhrung
im gemeinen Leben gelanget iſt, wenn ihm et-
wan eine Schrift nicht geraͤth, und andere Ge-
lehrte ihm zeigen, daß er die Sache von welcher
er geſchrieben, nicht recht verſtanden hat.
Dieſes ſind Kleinigkeiten, an welche der ehrliche
Nahme, und das Anſehen eines ehrlichen Man-
nes nicht haͤnget. Man kan ſie ihm vorwerfen,
und aufs aͤrgſte daruͤber ſpotten, ohne daß er
ſich beſchweren koͤnne, man nehme ihm ſeine
Ehre, ſo lange man ihm nur ſeine andern guten
Eigenſchaften laͤſſet. Es kan einer ein ſchlech-
ter Scribent, und doch dabey ein ehrlicher und
dem gemeinen Weſen nuͤtzlicher Mann ſeyn.
Es kan ſeine Schreib-Art unzierlich und ver-
drießlich, hergegen ſein Umgang manierlich
und angenehm ſeyn. Es kan in ſeinem Buche
eine groſſe Unordnung herrſchen; in ſeinem
Hauſe aber alles wohl zuſtehen. Es kan ſeine
Wiſſenſchaft geringe, und ſeine Klugheit und
Redlichkeit groß ſeyn. Mit einem Worte,
er kan bey den Schwachheiten, die ihn ver-
hindern, in der gelehrten Welt mit Ehren fort-
zukommen, alle Tugenden eines ehrlichen
Mannes und guten Buͤrgers beſitzen, und al-
ler Ehren werth ſeyn.
tes ſchadet
der Ehre
des Hn.
Von dem Hn. Prof. Philippi inſonderheit
zu reden, ſo ſehe ich nicht ab, wie ſeine Ehre
durch die Spoͤttereyen ſeines Gegners geſchmaͤ-
lert
[265](o)
lert werden koͤnne, und warum ſich der HerrProfeſſ.
Philippi
nicht.
Prof. dieſes einbilde. Ob ich gleich nicht die
Ehre habe, ihn weiter zu kennen als aus ſeinen
ſechs deutſchen Reden, und dem Hel-
den-Gedicht, auf den Koͤnig in Pohlen, ſo
will ich doch hofen, daß er nicht von derjeni-
gen Art der Scribenten iſt, die, weil ſie
wenig Hofnung ſehen, durch eine vernuͤnftige
und kluge Aufuͤhrung die Hochachtung ihrer
Mit-Buͤrger zu erlangen, aus Verzweifelung
zu einer Handthierung greifen, welche ihnen
ein natuͤrlicher Mangel der Beurtheilungs-
Kraft, und ein hoher Grad der Unverſchaͤmt-
heit leichte machet. Ein Scribent von die-
ſem Schlage ſchreibt allemahl mit Luſt und
ohne Muͤhe, und iſt ungemein mit ſich ſelbſt
zufrieden.
Il n’a point dans ſes vers l’embarras de
choiſir,
Et toûjours amoureux de ce qu’il vient
d’écrire,
Ravi d’étonnement en ſoi même il ſ’ad-
mire.
Boileau Sat. II.’
Weil er nun hoffet, daß alle ſeine Leſer ſo ge-
ſinnet ſeyn werden, wie er, ſo haͤlt er ſein
Schmieren vor den geradeſten Weg zum
Tempel der Ehren, und ſuchet ſeinen Ruhm
bloß in ſeinen Schriften. Es iſt gar natuͤr-
lich, daß ein ſolcher Menſch es vor ein ehren-
R 5ruͤhri-
[266](o)
ruͤhriges Beginnen haͤlt, wenn man ſeine
Schriften tadelt, und daß er denen thoͤrichten
Weibes-Perſonen gleicht, die es nicht ſo hoch
empfinden, wenn jemand ihre Keuſchheit in
Zweifel ziehet, als wenn man ihnen ihre Schoͤn-
heit ſtreitig macht. Einen ſolchen Scribenten
kan der beſcheidenſte Widerſpruch, die feineſte
und unſchuldigſte Spoͤtterey auſſer ſich ſetzen.
Aber der Hr. Prof. Philippi hat keine Urſache
ſich des Briontes wegen ungebaͤrdig zu ſtellen,
es ſey denn, daß er glaube, er koͤnne nicht mit
Ehren in der Welt leben, wo ihn nicht jeder-
mann vor einen groſſen Dichter, und vor ei-
nen natuͤrlichen, maͤnnlichen und heroi-
ſchen Redner halte. Es giebt viele ehrliche,
geſchickte und kluge Maͤnner, die weder groſſe
Poeten, noch auſſerordentliche Redner ſind,
und doch von jedermann hoch gehalten wer-
den, und ich will hofen, daß der Hr. Prof. Phi-
lippi noch viele gute Eigenſchaften beſitzet, die
nicht ſo zweifelhaft ſind, als ſeine Geſchicklich-
keit in der Beredſamkeit und in der Dicht-
Kunſt. Er kan ein groſſer Welt-Weiſer, ein gu-
ter Juriſte, ein geſchickter Advocat ſeyn, ja ich
bin verſichert, daß er ein ehrlicher und tugend-
hafter Mann iſt. Derjenige, der ihn als einen
ungeſchickten Redner und unertraͤgli-
chen Reimer vorgeſtellet hat, laͤſſet ihm, auſſer
den Ruhm eines Redners und Dichters, alle
Verdienſte, die ein gelehrter Mann und ehrli-
cher Buͤrger haben kan. Was hat er dann
zu klagen? Meint er aber, alle ſeine Ehre gruͤn-
de
[267](o)
de ſich auf ein kahles Buch: Faſſen ſeine ſechs
deutſche Reden alles in ſich, was an ihm
ſchaͤtzbar iſt, und hat er ſonſt keine Verdienſte,
als die aus ſeinem Helden-Gedichte hervor-
leuchten, ſo beklage ich ihn zwar von Hertzen;
allein ich weiß ihm, auf den Fall, keinen beſſern
Rath, als daß er ſein Hauß beſtelle, und
ſich je eher, je lieber, zu ſeinen Vaͤtern
verſammle.
Aus dieſen allen werden meine Leſer hoffent-Fernere
Beant-
wortung
des Ein-
wurfs
lich begreifen, daß diejenigen, mit welchen ich
bisher geſtritten habe, ſich ſehr betriegen, wenn
ſie ſich einbilden, eine Satyre, oder eine Cenſur
einer Schrift, koͤnne ſo ſcharf ſeyn, daß ſie der
Ehre des Verfaſſers nachtheilig werde. Jch ha-
be gewieſen, daß einer ein unertraͤglicher Scri-
bent, und doch ein ehrlicher Mann ſeyn koͤnne.
Verſtehen aber dieſe mitleidige Leute durch die
Ehre denjenigen Ruhm, den ein Scribent
durch ſeine Schriften erlanget, ſo gebe ich ih-
nen zu, daß unſtreitig dieſer Ruhm durch eine
Satyre, oder andere Widerlegung, geſchmaͤ-
lert und vernichtet werden koͤnne; allein ich
leugne, daß darum eine ſolche Satyre, oder ei-
ne ſo ſtarcke und nachdruͤckliche Widerlegung
allemal unzulaͤſſig ſey. Jch beweiſe dieſes auf
folgende Art.
Ein Gelehrter hat eine unumſchraͤnckte Ge-Regeln,
nach wel-
chen ſich
ein Gelehr-
ter in ſei-
nem
walt, uͤber alle Scribenten und ihre Buͤcher
zu urtheilen. Es ſtehet ihm alſo frey, ſie zu
richten, wie er ſie findet. Wie nun ein jeder
Richter in Beſtrafung der Boͤſen die Regeln
der
[268](o)
Straf-
Amt zu
richtender Klugheit und Billigkeit zu beobachten ver-
bunden iſt, ſo liegt dieſe Schuldigkeit einem Ge-
lehrten in ſeinem Richter-Amt auch ob. Al-
le Strafe muß nach der Groͤſſe des Verbre-
chens und nach dem Grad der Bosheit des
Miſſethaͤters eingerichtet ſeyn, und folglich
muß auch ein Gelehrter, wenn er ſein Straf-
Amt braucht, nicht kleine Fehler ſo ſcharf, als
grobe Vergehungen beſtrafen. Jhm muß
immer die Lehre in Gedancken ſchweben:
Regula peccatis quæ pœnas irroget
æquas
Ne ſcutica dignum horribili ſectêre fla-
gello.
Horatius Lib. I. Sat. 3.’
Jn der buͤrgerlichen Geſellſchaft werden ei-
nige Miſſethaͤter gezuͤchtiget zu ihrem eigenen
Beſten, einige hergegen, ohne Abſicht auf ihre
eigene Beſſerung, die nicht mehr zu hofen iſt,
andern zum Schrecken, geſtrafet und abge-
than. Ein Gelehrter muß alſo auch wohl uͤber-
legen, ob der Scribent, den er verurtheilen
will, noch Hofnung der Beſſerung uͤbrig laſ-
ſe oder nicht, und darnach die Strafe, die er
ihm zuerkennet, mildern oder ſchaͤrfen.
chen Scri-
benten
man gnaͤ-
dig veꝛfah-
ren muͤſſe?
Jch gebe demnach zu, daß ein Gelehrter
nicht gleich hinter alle Scribenten, die eine
Zuͤchtigung verdienen, mit Staupen-Schlaͤ-
gen, und Landes-Verweiſung, oder gar mit
dem Schwerd her ſeyn muͤſſe. Es giebt Scri-
benten,
[269](o)
benten, deren Verbrechen in einem kleinen
Verſehen, und in eine Uebereilung beſtehen,
von welcher kein Gelehrter frey iſt. Dieſe
verdienen nicht mehr, als eine Erinnerung,
und es waͤre ein Mißbrauch der Gewalt, die
ein Gelehrter hat, wenn er wegen des geringſten
Fehlers in der Hiſtorie, wegen eines falſchen
Schluſſes, wegen einer Uebertretung der Re-
geln der Sprach-Kunſt, und einiger Unfoͤrm-
lichkeit und Ungeſchicklichkeit im Vortrage,
gleich einen Scribenten mit harten Cenſuren,
ſcharffen Wiederlegungen, und beiſſenden Sa-
tyren verfolgen, und alſo entweder ſchon in
Anſehen lebenden Maͤnnern ihren wohlver-
dienten Ruhm rauben, oder angehende Scri-
benten, die mit aller Sittſamkeit zum erſten
mahl in der gelehrten Welt erſcheinen, auf ein-
mal von allem ferneren Schreiben abſchrecken
wolte. Jch billige ein ſo unfreundliches, gro-
bes und hochmuͤthiges Verfahren im gering-
ſten nicht.
ſeveriſſimis, qui omnia ad exactam regu-
lam redigam. Multa donanda ingeniis pu-
to; Sed donanda vitia, non portenta ſunt.
Seneca Controverſ. Lib. V. p. m. 282.’
Ein Fehler, der wenig zu bedeuten hat:
Ein Jrrthum, der nicht aus einer beſondern
Dumheit des Scribenten entſtehet, ſondern ei-
nigen Schein hat; eine unliebliche Schreib-
Art macht, nach meiner Meinung, nicht gleich
ein Buch unertraͤglich, und den Verfaſſer deſ-
ſelben auslachens wuͤrdig. Wo iſt ein Buch
ohne
[270](o)
ohne Fehler? Und wo findet man einen Scri-
benten ohne Jrrthuͤmer? Die Urtheile von
der Schreib-Art ſind ſo unterſchieden, als der
Geſchmack der Leſer: Und uͤber den Geſchmack
ſtreitet man nicht. Es koͤmmt auch uͤberdem
mehr auf die Sachen, als auf die Worte an,
und wenn die Sachen gut ſind, ſo muß man
es in Anſehung der Worte ſo genau nicht neh-
men. Man kan auch Thorheiten in ſchoͤne
Worte einhuͤllen, und eine unzierlich vorgetra-
gene Wahrheit bleibt doch Wahrheit. Vie-
le Scribenten dencken beſſer, als ſie ſchreiben.
Wer wolte ſie aber um dieſes Fehlers willen
hart anfahren? Dieſes verdient niemand, als
ſolche Leute, die weder ordentlich dencken, noch
ihre Gedancken geſchickt, und angenehm vor-
tragen koͤnnen.
ctè quis ſentiat, \& id, quod ſentit, po-
litè eloqui non poſſit. Sed mandare quen-
quam litteris cogitationes ſuas, qui eas
nec diſponere, nec illuſtrare poſſit, nec
delectatione aliqua allicere lectorem, ho-
minis eſt intemperanter abutentis \& otio
\& litteris. Cicero Tuſcul. Quæſt. Lib. I.’
Und dieſe Art der Scribenten verdienet eine
Zuͤchtigung.
kein Mit-
leiden ver-
dienen?
Mit Leuten, die ihre Ungeſchicklichkeit ſo
deutlich an den Tag legen, daß man augen-
ſcheinlich ſehen kan, wie ſie nicht zum Schrei-
ben gebohren, die dabey aber ſo hochmuͤthig
ſind, daß ſie dencken wunder! was ſie vor Tha-
ten gethan, wenn ſie das gelehrte Jſrael durch
eine
[271](o)
eine alberne Schrift uͤber die andere verwirren,
und der Jugend ein boͤſes Exempel geben, mit
ſolchen Leuten muß man kein Mitleiden haben.
Ein verworrener Kopf, der mit dem groͤſſeſten
Trotz in der gelehrten Welt auftrit, und, mit ei-
ner unertraͤglichen Verwegenheit der geſunden
Vernunft, und dem guten Geſchmack den Kꝛieg
ankuͤndiget, und dabey ſo ſtoltz und aufgeblaſen
iſt, daß er ſeine portenta und ungeheure Grillen
vor herrliche Einfaͤlle, und alle Welt vor ſo
tumm haͤlt, daß ſie ihm auf ſein Wort glauben
werde, er ſey ein groſſer Redner und Poete,
kan alſo nicht uͤber Unrecht klagen, wenn man
Stand-Recht uͤber ihn haͤlt, ihn zum Tode
verurtheilet, und durch eine ſcharfe Satyre,
andern zum Abſcheu, und zu Verhinderung
alles Unfugs, den er durch ſein boͤſes Exempel
anrichten koͤnnte, aus dem Lande der Gelehr-
ten vertilget, und alſo die beleidigte Vernunft
raͤchet. Denn an einem ſolchen Menſchen iſt
alle Hofnung verlohren. Er beſſert ſich nicht,
wenn man ihm gleich ſeine Fehler noch ſo deut-
lich und glimpflich vorſtellen wolte; weil er
ſich einbildet, er ſey vollkommen. Dieſes iſt
eine Schwachheit, die allen Rednern und Poe-
ten natuͤrlicher weiſe anklebet. Ein jeder bil-
det ſich ein, er ſey der Beſte, und diejenigen, die
es am wenigſten Urſache haben, ſind in dieſem
Fall am allerunertraͤglichſten. Will man
mir nicht glauben, ſo hoͤre man, was Cicero
aus der Erfahrung ſagt: Nemo nunquam,
ſpricht er Epiſt. ad Atticum Lib. XIV. Ep. 23.
neque
[272](o)
neque poëta, neque orator fuit, qui quem-
quam meliorem, quam ſe arbitraretur.
Hoc etiam malis contingit. Und dieſes iſt die
Urſache, warum alberne Redner ſich ſo ſel-
ten beſſern, und ein boͤſer Poet eben ſo ſchwer
zu bekehren iſt, als ein Phariſaͤer. Es iſt leich-
ter, daß ein Cameel durch ein Nadel-Oehr ge-
he, als daß ein ſolcher Schwaͤrmer klug werde.
Was iſt nun mit ſolchen Leuten anzufangen?
Soll man ſie wuͤten laſſen? Das waͤre was
ſchoͤnes vor ſie. Allein was wuͤrde endlich
daraus werden? Jhre Thorheit iſt anſte-
ckend, und junge Leute, deren Verſtand noch
nicht zu ſeiner Reife gelanget iſt, ſind leicht zu
verfuͤhren. Die gelehrte Welt muß dieſem
Unfug, ſo viel moͤglich, vorbeugen, und ihr ge-
rechtes Mißfallen uͤber das Verfahren der boͤ-
ſen Scribenten, ſo ernſtlich und nachdruͤcklich
bezeugen, daß andere ſich ſcheuen, dieſen Ver-
aͤchtern der Vernunft und Feinden des guten
Geſchmacks nachzuahmen. Folglich iſt es
nichts ungerechtes, wenn ein Gelehrter einen
boͤſen Scribenten ſo abſtrafet, daß andere Ge-
legenheit haben, ſich an ſeinem Exempel zu
ſpiegeln.
wurf und
die Ant-
wort dar-
auf.
Aber hier faͤllt mir ein ernſthafter Cato in
die Rede, und ſpricht: “Er gebe zu, daß man
„einen boͤſen Scribenten, ohne Suͤnde, ta-
„deln und ihm ſeine Fehler vorhalten koͤnne:
„Allein dieſes muͤſſe auf eine beſcheidene Art,
„ohne alle Bitterkeit, nicht aber durch beiſſen-
„de Spott-Schriften geſchehen. Durch
„Satyren
[273](o)
Satyren richte man nichts aus, und erbitte-„
re nur die Gemuͤther: Mit Glimpf und„
Sanftmuth komme man viel weiter: Die„
ſatyriſche Schreib-Art ſey ein Zeichen eines„
boͤſen Gemuͤths, und ſchicke ſich nicht vor ei„
nen wetſen Mann.” Hier ſchweigt er, und
giebt mir Raum ſeine Weisheit zu bewundern
und zu preiſen. Jch antworte ihm demnach
mit aller Ernſthaftigkeit und nicht laͤchelnd:
Moribus opponunt: habeat jam Roma
pudorem,
Tertius è cœlo cecidit Cato …
Fuvenalis Sat. 2.’
Allein ich beſorge, daß andere nicht ſo hoͤflich
ſeyn werden. Es wird Leute geben, die ſa-
gen werden: Es ſey falſch, daß man allemal„
ernſthaft ſchreiben muͤſſe: Eine Satyre koͤn-„
ne auch beſcheiden und glimpflich ſeyn: Eine„
luſtige Spoͤtterey richte oft mehr aus, als„
die ernſthafteſte Predigt. Es ſey falſch, daß„
alle, die Satyren ſchreiben, Leute von boͤſem„
Gemuͤthe, und es ſey eben kein untriegliches„
Zeichen einer ſonderbaren Weisheit, wenn„
man andern, die ſich nicht nach unſerm Kopfe„
richten wollen, vor der Fauſt den Nahmen„
weiſer Leute abſpreche.„
Jch habe mein Tage keine Satyre geſchrie-Ein jeder
muß ſchrei-
ben wie es
ſein Natu-
rel mit-
bringet.
ben, und bin es auch noch nicht willens. Aber
ich ſehe nicht, womit man dieſe Leute widerle-
gen koͤnne; denn da ſich die ernſthaften, chriſt-
lichen und ſanftmuͤthigen Perſonen, welche ei-
Snen
[274](o)
nen ſo groſſen Eckel an den Saͤtyren haben, ſo
weit heraus laſſen, daß es erlaubt, einem boͤſen
Scribenten die Wahrheit zu ſagen, und ihm
ſeine Thorheiten zu zeigen, ſo iſt es bedencklich,
daß ſie ſich uͤber die Art und Weiſe, die boͤſen
Scribenten zur Erkaͤnntniß ihres Elendes zu
bringen, einen Scrupel machen, der den Spoͤt-
tern nothwendig laͤcherlich ſcheinen muß.
Der Vortrag der Wahrheit, werden die„
Spoͤtter ſagen, iſt willkuͤhrlich. Man kan„
ſie auch im Lachen ſagen.„
Quid vetat?
Horat. Lib. I. Sat. 1.’
“Ein jeder muß in dieſem Fall ſeinem Na-
„turel folgen. Wer ſo geſinnet iſt, daß er
„zum Lachen ſpricht, du biſt toll, und zur
„Freude, was machſt du? Der enthalte ſich
„des Schertzens: Aber er richte nicht ſeinen
„Bruder, der in ſeinet Einfalt glaubt, daß bey-
„des Lachen und Weinen ſeine Zeit habe. Er
„hat nicht Urſache ſich mit ſeinem ſauren Ge-
„ſicht, mit ſeiner runtzelichten Stirne, und
„mit ſeinem haͤngenden Kopf groß zu wiſſen,
„oder ſich einzubilden, ſeine Seufzer waͤren ein
„gewiſſes Zeichen, daß ſein Hertz von Weis-
„heit uͤberlauffe. Die Weisheit koͤmmt auch
„in eine luſtige Seele, und kan mit einem froͤh-
„ligem Muth, und heiterm Geſicht gar wohl
„beſtehen.
„Wir, werden ſie fortfahren, prahlen nicht
„mit unſerer Weisheit; Aber, meine Her-
„ren,
[275](o)
ren, die ihrige ſcheint uns auch doch nicht ſo„
groß, daß wir ſie desfals beneiden ſolten, und„
die Probe, die ſie uns, durch ihre Klagen uͤber„
unſere luſtige Schreib-Art davon geben wol-„
len, ſcheint uns ſo wenig uͤberzeugend, daß„
wir vielmehr uns berechtiget halten, eben aus„
ihren Klagen zu ſchlieſſen, ihr Hertz muͤſſe noch„
nicht ſo ſehr mit Weisheit uͤberladen ſeyn,„
daß nicht noch ein kleiner Hochmuth, und ein„
ziemlicher Eigenſinn in demſelben ein Plaͤtz-„
gen finden ſolten. Denn meine Herren, waͤ-„
ren ſie ſo weiſe, als ſie uns glauben machen„
wollen, ſo wuͤrden ſie nicht ſo unbillig ſeyn,„
und verlangen, daß ein jeder in ſeinem Reden„
und Schreiben ſich nach ihrem Sinn rich-„
ten ſolle. Was wuͤrden ſie ſagen, wenn„
wir uns die Freyheit nehmen wolten, ihnen„
ihr aͤngſtliches Gepinſel, und ſauertoͤpfiſches„
Poltern mit eben dem Trotz zu unterſagen,„
mit welchem ſie uns das Lachen verbieten?„
Wir thun es nicht; und ſie koͤnnen ſich alſo,„
wo es ihnen gefaͤllt, aus dem Exempel der„
Unweiſen erbauen. Laſſen ſie uns lachen,„
und froͤhlich ſeyn; und aͤrgern, und haͤrmen,„
und graͤmen, und quaͤlen ſich, ſo lange es ih-„
nen beliebt. Koͤnnen ſie es dann unmoͤglich„
mit Geduld anſehen, daß wir luſtig ſind,„
wann ſie ſich das Hertz abfreſſen? Oder„
meinen ſie, daß ihr Jammer werde verfuͤſſet„
werden, wenn wir eben die Quaal empfuͤn-„
den, die ſie ſich ſelbſt machen? So dencken„
die gefallenen und ungluͤckſeeligen Geiſter.„
S 2Sind
[276](o)
„Sind ſie nun auch ſo geſinnet, ſo muͤſſen wir
„ihnen ſagen, daß ſie ſich nicht der rechten
„Mittel bedienen, uns ihnen gleich zu machen.
„Mit ihren Klagen, Seufzen und Schelten
„richten ſie nichts aus. Dadurch reitzen ſie
„uns nur zum Lachen, denn es ſtehet ihnen gar
„zu artig. Verſuchen ſie es aber einmal, und
„fangen an zu ſpotten und zu lachen: Jch
„bin ihnen gut davor, daß uns gleich die Au-
„gen uͤbergehen werden. Wenn ſie alsdann
„ſehen, daß uns das Weinen eben ſo uͤbel an-
„ſtehet, als ihnen das Lachen, ſo hofen wir,
„daß ſie in ſich gehen und begreifen werden,
„daß ſie etwas ungereimtes von uns verlanget
„haben, und daß es beſſer ſey, wenn ein jeder ſo
„bleibt, als ihn GOtt erſchafen hat, und keiner
„den andern meiſtert.
re iſt ein
kraͤftig
Mittel die
Thoren
einzutrei-
ben und ei-
gentlich
nichts als
eine deduc-
tio ad abſur-
dum.
So werden die Spoͤtter unſtreitig reden.
Jch aber ſage nur kuͤrtzlich, daß eine Satyre zu
Beſtreitung der Jrrthuͤmer und Thorheiten
eben ſo geſchickt iſt, als eine ernſthafte Schrift,
und daß es folglich auf eines ieden Gutbefin-
den ankomme, ob er ſich einer ernſthaften, oder
ſatyriſchen Schreib-Art bedienen wolle.
Wenn ich einen uͤberfuͤhren will, daß er geir-
ret hat, ſo kan ich entweder gewiſſe Grund-
Wahrheiten vorausſetzen, und ihm zeigen, daß
ſeine Lehre, oder ſein Verfahren mit ſelbigen
ſtreitet, und wenn ich dieſes thue, ſo rede oder
ſchreibe ich ernſthaft: Oder ich kan mich ſtellen,
als weñ ich die Lehꝛe, die ich wiedeꝛlegen, und das
Verfahren, das ich tadeln will, billige, und Fol-
gen
[277](o)
gen daraus ziehen, die ſo handgreiflich unge-
reimt ſind, daß derjenige, mit dem ich zu thun
habe, ſelbſt, wo er klug iſt, davor erſchrecken, ſie
verwerfen, und alſo ſeine eigene Saͤtze umſtoſ-
ſen, und ſeine That mißbilligen muß. Dieſe letz-
te Art der Widerlegung nennet man in den
Schulen deductionem ad abſurdum, und ſie
iſt zu allen Zeiten nicht nur vor erlaubt, ſon-
dern auch vor die kraͤftigſte gehalten worden.
Eine Satyre iſt eigentlich nichts an-
ders, als einedeductio ad abſurdum, und
folglich ein erlaubtes und kraͤftiges Mittel, die
Thoren einzutreiben.
Man kan demnach keinen Gelehrten ta-
deln, oder ihn einer ſonderbaren Bosheit be-
ſchuldigen, wenn er ſich eines ſo nachdruͤckli-
chen und kraͤftigen Mittels, die Thorheiten
ſichtbar und ſcheußlich zu machen, in ſeinen
Schriften bedienet: und dieſes um ſo viel we-
niger, weil oft die Jrrenden und Thoren auf
keine andere Weiſe zur Erkaͤnntniß zu bringen
und zu baͤndigen ſind.
Alle Jrrthuͤmer und Thorheiten beſtehenEinige
Thorheitẽ
verdienen
nicht, daß
man ernſt-
haft wie-
der ſie ey-
fort.
in der Abweichung von gewiſſen Grund-
Wahrheiten. Dieſe Abweichung iſt nicht
allemal gleich ſichtbar, und daher entſtehet un-
ter den Jrrthuͤmern und Thorheiten ein
mercklicher Unterſcheid. Einige, deren Ab-
weichung von den Grund-Wahrheiten
nicht gar augenſcheinlich iſt, haben einigen
Schein, und diejenigen, welche damit behaf-
tet, ſind alſo einiger maſſen zu entſchuldigen.
S 3Man
[278](o)
Man hat Urſache zu glauben, daß ſolche Leute
ſich finden werden, wenn man ihnen nur deut-
lich vorſtellet, wie ſehr ihre Lehren und Thaten
gewiſſen unſtreitigen Saͤtzen, die ſie ſelbſt nicht
leugnen, zuwider laufen. Sie verdienen al-
ſo, daß man ihnen dieſen Dienſt erweiſe; und
dieſes heiſſet einen ernſthaft wiederlegen.
Andere Jrrthuͤmer und Thorheiten ſind her-
gegen ſo handgreiflich, daß ein jeder Menſch
von geſundem Verſtande deren Abweichung
von den Grund-Wahrheiten bemercket,
und uͤber die Einfalt deſſen, der ſie vorgebracht,
oder begangen hat, erſtaunet. Es wuͤrde eine
vergebliche Bemuͤhung ſeyn, wenn man ſol-
che Fratzen ernſthaft wiederlegen wolte. Die-
jenigen, welche ſo weit verfallen, geben einen
gar zu ſchlechten Begrif von dem Zuſtande ih-
res Gehirnes, als daß man hofen koͤnnte, ſie
wuͤrden ſich beſinnen, wenn man ihnen die
greuliche Abweichung ihrer Lehren und Tha-
ten von den Grund-Wahrheiten auf eine
ernſthafte Art deutlich vorſtellete. Da ſie
nicht faͤhig geweſen ſind, dieſes vor ſich zu be-
greifen, ſo wird auch die deutlichſte Vorſtellung
bey ihnen nichts verfangen. Mit ſolchen Leu-
ten muß man nicht ernſthaft reden. Sie wuͤr-
den nur dadurch auf die hochmuͤhtigen Gedan-
cken gerahten, man glaube, daß ihre Grillen
einigen Schein haͤtten, und zu deren Verthei-
digung nur immer neue Thorheiten vorbrin-
gen. Man thut alſo nicht beſſer, als wenn
man ihnen, dem Scheine nach, Recht giebet,
ſich
[279](o)
ſich noch naͤrriſcher gebaͤrdet, als ſie, und ihre
Thorheit ſo hoch treibet, daß ſie, wenn ſie die
ungeheuren Folgen derſelben ſehen, davor er-
ſtaunen, und, wie ein kollerndes Pferd bey Er-
blickung eines Abgrundes, ſtutzen. So macht
man es mit allen, die im Kopfe nicht richtig ſind.
Denn wenn man mit einem Wahnſinnigen
ernſthaft und vernuͤnftig reden wolte, ſo muͤſte
man ſelbſt nicht klug ſeyn. Dieſe ungluͤckſeelige
ſind einer ſolchen Ehre unwuͤrdig:
trop d’ honneur
De vouloir par raiſon combattre ſon
erreur,
Encherir eſt plus court, ſans ſ’échauffer
la bile.
Mr. de la Fontaine Liv. III. Fab. 1.’
Es wuͤrde alſo ziemlich laͤcheꝛlich ſtehen, und einBeweiß
des vorigẽ
durch E-
xempel
und durch
ein Gleich-
niß.
Zeichen einer ſonderlichen Einfalt ſeyn, wenn
man ofenbare Thorheiten gantz ernſthaft und
gravitaͤtiſch wiederlegen wollte. Ein Kluger
huͤtet ſich davor. Jch will nicht ſagen, daß
in den ſechs deutſchen Reden des Herrn
Philippi ofenbare Thorheiten enthalten ſind:
Aber ich bitte nur meine Leſer, zu bedencken, ob
der Verfaſſer des Briontes nicht der elendeſte
Tropf von der Welt ſeyn muͤſte, weñ er wieder
den Hn. Prof. Philippi gantz ehrbar und weit-
laͤuftig ausgefuͤhret haͤtte, daß eine Frantzoͤſi-
ſche Princeſſin in Eꝛmangelung eines Dauphin,
nicht mit Ausſchlieſſung aller Printzen von Ge-
S 4bluͤte,
[280](o)
bluͤte, zur Crone gelangen koͤnne? Ob man
nicht wunderliche Gedancken von ihm wuͤrde
bekommen haben, wenn er aus Vernunft,
Schrift und Erfahrung dargethan haͤtte, daß
ein Menſch, und folglich auch der Koͤnig von
Pohlen, nicht ewig leben koͤnne? Und ob er
nicht verdienet haͤtte, ausgeziſchet zu werden,
wenn er uͤber die Spuren eines Schiffes
aufdem Meer, muͤhſam haͤtte philoſophiren,
und den Hn. Prof. Philippi auf eine ernſthafte
Art uͤberfuͤhren wollen, daß ein Steuer-
Mañ nicht rudert, und ein Kriegs-Schif
vom erſten Rang keine Galeere ſey? Ueber
ſolche ungluͤckliche und wunderliche Einfaͤlle
muß man nur lachen, und es verlohnt ſich der
Muͤhe nicht, dieſelbe ernſthaft zu wiederlegen.
Ernſthafte Wiederlegungen muͤſſen auf wich-
tigere Faͤlle verſparet werden. Wenn ſich
ein Wolf in einer gewiſſen Gegend ſehen laͤſſet,
in die Heerden faͤllt, und nicht nur die Schaͤfer
betruͤbet, ſondern auch dem Land-Mann Scha-
den zufuͤget, ſo verſammlen ſich die Bauren, die
Jaͤger werden aufgeboten, und man verfolgt
das Unthier, biß man es erleget hat: Allein wenn
zur Sommers-Zeit, cum calet maxume, eine
Menge von Fliegen und Muͤcken das Land
uͤberſchwemmet und die Menſchen quaͤlet, ſo
macht man ſo viele Weitlaͤuftigkeiten nicht.
Der Bauer greift darum nicht zu ſeiner Miſt-
Gabel: Der Jaͤger ladet ſein Gewehr nicht.
Der gantze Schwarm des Ungeziefers iſt nicht
einen Schuß Pulver werth; ſondern man
braucht
[281](o)
braucht nur die Fliegen-Klappe, oder wenns
hoch koͤm̃t, vor einige Groſchen Fliegen-Waſ-
ſer. Wer boͤſen und ſchaͤdlichen Jrrthuͤmern,
auf eine kuͤnſtliche Weiſe, einen Schein der
Wahrheit giebt, und durch ſeine Schriften
dieſelbe in die Welt ausbreitet, der iſt ein Wolf,
und verdienet, daß man ihn mit Spieſſen und
Stangen verfolge, oder deutlicher zu reden,
gruͤndlich, nachdruͤcklich und ernſthaft wieder-
lege. Die albernen Scribenten hergegen ſind
dasjenige Ungeziefer, ſo den Helicon beunruhi-
get, und es iſt nicht noͤthig, daß man ihrentwe-
gen den Harniſch anleget, und einen ernſtlichen
Kampf mit ihnen antritt. Man kan ſie ſpie-
lend vertilgen, und eine eintzige Satyre iſt ih-
nen ſo toͤdlich als den Fliegen das Fliegen-
Waſſer.
Was ich bißher geſaget habe wird hoffent-Schließli-
che Abferti-
gung der
Ernſthaf-
ten.
lich hinlaͤnglich ſeyn, die gar zu ernſthaften Leu-
te, die keine Satyren vertragen koͤnnen, zu uͤber-
fuͤhren, daß ſie ohne Urſache murren, und eine
ſatyriſche Schreib-Art ſo wenig uͤberhaupt zu
verwerfen iſt, daß ſie vielmehr in gewiſſen Faͤl-
len mehr Nutzen ſchaft, als eine ernſthafte. Da-
mit ich nun dieſe geſtrengen Herren voͤllig zu-
frieden ſtelle, muß ich ihnen noch ein falſche
Einbildung aus dem Sinne reden. Sie mei-
nen, die Satyren ſind darum verwerflich, weil
ſie die Thoren erbittern. Allein, wo dieſer
Schluß richtig iſt, ſo muß man die Wahrheit
gar aus der Welt verbannen; denn dieſe iſt
den Thoren allemahl bitter. Sie ſchmeckt
S 5ihnen
[282](o)
ihnen nicht, man mag ſie ihnen vortragen auf
welche Art man will. Wollen demnach die
gravitaͤtiſchen Feinde einer Satyre dieſe Leute
nicht erzuͤrnen, ſo muͤſſen ſie ihnen auch nicht
einmahl die Wahrheit im Ernſt und ohne La-
chen ſagen. Sie muͤſſen nicht eyfern, nicht
poltern. Dieſes muß die Thoren natuͤrlicher
weiſe ja ſo ſehr erbittern, als wenn man ihnen
durch hoͤfliche Umwege ihre Fehler zeiget, und
die Wahrheit auf eine angenehme Art beybrin-
get. Alle gute Satyren ſind nichts als Schrif-
ten, in welchen den Thoren ihre Fehler auf ei-
ne hoͤfliche Weiſe, ohne alle herbe Ausdruͤckun-
gen, die bey einer ernſthaften Wiederlegung
kaum zu vermeiden ſind, vor Augen geleget wer-
den. Wie kan man ihnen dann den Mangel der
Beſcheidenheit vorwerfen? Jſt es nicht beſchei-
dener, den Leuten die Wahrheit mit Lachen,
und auf eine verdeckte Art ſagen, als wenn man
mit der Thuͤr ins Hauß faͤllt? Und wie koͤnnen
denn die Spoͤtter mit den boͤſen Scribenten
ſaͤuberlicher verfahren? Sie uͤberzuckern ja
die Wahrheit, und machen es nicht anders als
wenn ſie einem Kinde Wurm-Saamen ein-
gaͤben.
. . . . veluti pueris abſinthia tetra me-
dentes
Cum dare conantur, prius oras pocula
circum
Contingunt mellis dulci flavoque li-
quore,
Ut
[283](o)
Ut puerorum ætas improvida ludifice-
tur,
Labrorum tenus, interea perpotet ama-
rum
Abſinthi laticem, deceptaque non ca-
piatur,
Sed potius tali facto recreata valeſcat.
Lucretius Lib. IV. v. 19 ‒ 25.
So machen es diejenigen, die Satyren
ſchreiben. Was kan man mehr von ihnen
verlangen.
Weil ich beſorge, es duͤrften meine LeſerEin Ein-
wurf wird
aus dem
Wege ge-
raͤumet. Ei-
ne Satyre
iſt eine Ar-
tzeney.
dencken, ich wiederſpraͤche mir, indem ich hier
eine Satyre vor eine Artzeney auszugeben ſchei-
ne, da ich ſie doch vorher als eine Strafe, und
als ein toͤdliches Gift angeſehen habe, ſo muß ich
mit wenigen anmercken, daß dieſes nur dem
Scheine nach ein Widerſpruch ſey, und, wenn
man es recht bedencket, gar wohl mit einander
beſtehen koͤnne. Denn 1) iſt es in der Politick
ausgemacht, daß alle Strafen eine Artzeney
ſind: 2) muß man erwegen, daß es gar nichts
unfoͤrmliches, eine Satyre eine Artzeney zu nen-
nen, und zugleich als ein Gift anzuſehen, das ei-
ne gewiſſe Art des Todes wuͤrcket. Eine Sa-
tyre iſt eine Artzeney, weil ſie die Beſſerung der
Thoren zum Endzweck hat; und ſie hoͤrt es
nicht auf zu ſeyn, wenn ſie gleich, als ein Gift,
den Thoren toͤdlich iſt. Denn in dem To-
de, welchen ſie verurſachet, beſtehet eben die
Beſſerung der Thoren. Dieſer Tod gereicht
ihnen zum Leben. Sie ſollen der Thorheit
abſter-
[284](o)
abſterben und klug werden. Dieſes nennet
der Heil. Auguſtinus mori vitaliter. Confeſſ.
Lib. VIII. cap. 8. Ob demnach gleich die
Satyren eine Art der Strafe in der Gelehr-
ten Republick und ein toͤdliches Gift ſind, ſo
bleiben ſie, dem ungeachtet, doch eine Artzeney,
und ich darf meine Verſe aus dem Lucretius
nicht wieder ausſtreichen.
nicht bey
allen an-
ſchlaͤgt.
Jch kehre demnach wieder zu meinem Zweck,
und ſage, daß die ernſthaften und murriſchen
Feinde einer ſatyriſchen Schreib-Art nicht be-
rechtiget ſind, ſo heftig wider eine Satyre zu ei-
fern, und daß ſie ſich heßlich betriegen, wenn ſie
meynen, eine Satyre laufe wider die Regeln
der Hoͤflichkeit, Sanftmuth und Weisheit,
und ein Spoͤtter ſey ein boshafter Menſch, ein
Thor, und ich weiß nicht was. Jch habe ge-
wieſen, daß die ſatyriſche Schreib-Art hoͤflicher
und beſcheidener iſt, als eine andere; ich habe ge-
wieſen, das es Faͤlle gebe, da dieſelbe unumgaͤng-
lich noͤthig iſt; ich glaube alſo nicht, daß man
ferner diejenigen, die ſich derſelben bedienen, vor
Leute von boͤſem Gemuͤth halten wird, wenn
man nur die Unſchuld ihrer Abſicht, welche auf
nichts, als die Beſſerung der Thoren gehet, in
Betracht ziehen will. Die Schriften dieſer
Leute fuͤhren eine den Thoren ſehr heilſame
Artzeney bey ſich, an welcher ſonſt nichts aus-
zuſetzen iſt, als daß ſie den gemeinen Fehler aller
Artzeneyen an ſich hat, und nicht allemal die
gewuͤnſchte Wuͤrckung thut. Denn da ſie
aus nichts als Wahrheit, die ungemein bitter
iſt,
[285](o)
iſt, und aus wohlgemeynten Erinnerungen, die
allemal wiederlich ſind, zuſammen geſetzet wiꝛd,
ſo ſperren ſich die Thoren, denen Wahrheit und
gute Lehren gleich verhaſſt ſind, ſo oft ſie davon
einnehmen ſollen, und wenn ſie ihnen denn
durch Liſt oder Gewalt beygebracht wird, ſo
machen ſie es, wie die ungezogenen Kinder. Sie
klagen, daß ſie gar zu bitter ſchmecke, ſie ziehen
das Maul, ſchuͤtteln den Kopf, heulen, ſchreyen,
aͤrgern ſich, ſtampfen den Boden, gebaͤrden ſich
uͤbel und geben ſie endlich wieder von ſich. Es
iſt alſo kein Wunder, wenn ſie nicht allemal an-
ſchlaͤget, und es liegt die Schuld nicht an der
Artzeney, ſondern an dem uͤbeln Bezeigen der
Patienten. Koͤnnten dieſe ſich entſchlieſſen, die
Artzeney bey ſich zu behalten, ſo wuͤrden ſie den
Nutzen derſelben ſpuͤren, und es ihrem Artzte
Zeit ihres Lebens dancken, daß er ſie ihnen ver-
ordnet.
Es iſt zu beklagen, daß die wenigſten mora-Aber doch
bey eini-
gen.
liſchen Patienten zu dieſem Entſchluß zu brin-
gen ſind. Die meiſten boͤſen Scribenten wi-
derſetzen ſich mit aller Macht der guten Wuͤr-
ckung, ſo eine moraliſche Artzeney, die man
ihnen in einer Satyre beybringet, in ihrem
krancken Verſtande haben koͤnnte, und ſcheuen
die Geneſung. Dieſes kan aber den Satyren
nicht zum Vorwurf gereichen. Sie ſind
darum eben ſo wenig verwerflich, als die Pre-
digten, welche die meiſten anhoͤren und ſich
doch nicht beſſern. Genug, daß es noch im-
mer einige gute Gemuͤther unter den boͤſen
Scri-
[286](o)
Scribenten giebt, die, wenn ihnen in einer Sa-
tyre ihr Elend klar vor Augen geleget wird, ih-
re Fehler bereuen und auf Beſſerung dencken.
Philippi
iſt ein buß-
fertiger
Suͤnder,
und will
ſich bekeh-
ren.
Jch befuͤrchte nicht, daß der Hr. Prof. Phi-
lippi es uͤbel nehmen werde, wenn ich ihn unter
dieſe bußfertige Suͤnder zehle. Seine Auf-
fuͤhrung in Anſehung der Satyre, die wider ihn
heraus kam, iſt ſo beſchafen, daß man Urſache
hat, ſie zu loben. Er hat ſich nicht ſo uͤbel ge-
baͤrdet, als andere ſeiner Art, ſonden er hat
den Wurm-Samen, den ihm der Verfaſſer
des Briontes eingegeben, in aller Gelaſſenheit
verſchlucket, und ihn bis auf dieſe Stunde bey
ſich behalten. Die meiſten boͤſen Scribenten
ſind halsſtarrig und verhaͤrten ihr Hertz: Al-
lein der Hr. Prof. Philippi hat die Zeit, welche
andere auf die Verfertigung einer unnuͤtzen
Ehren-Rettung wenden, mit einer ſtillen Be-
reuung ſeiner Fehler zugebracht. Er giebt da-
durch zu erkennen, daß er noch nicht in dem
Stande der Verhaͤrtung ſtehe, und der gelehr-
ten Welt eine gegruͤndete Hofnung von ſeiner
Beſſerung. Sie freuet ſich daruͤber im Geiſte
vorher, und ſieht denen deutlichen Proben, die
der Hr. Prof. Philippi von ſeiner Bekehrung
geben wird, mit Luſt entgegen.
folgeꝛ wol-
len es nicht
haben, und
dichten
ihm eine
abge-
Nur die Verfolger des Hrn. Philippi ſchei-
nen uͤber die Gelaſſenheit dieſes zerknitſchten
Scribenten mißvergnuͤgt zu ſeyn, und ſehen
ſeine Bekehrung ungerne. Die Klagen, ſo
der Hr. Prof. Philippi in der erſten Bewe-
gung,
[288[287]](o)
gung, die memand in ſeiner Gewalt hat, widerſchmackte
Schꝛift an.
den Verfaſſer des Briontes ausgeſtoſſen, ga-
ben dieſen Spoͤttern Anlaß zu hofen, der Hr.
Prof. wuͤrde ſich mit ihnen einlaſſen, und ſie
wuͤrden alſo Gelegenheit finden, ferner ihren
Muthwillen mit ihm zu treiben. Sie haben un-
ſtreitig anfangs gedacht, der Hr. Prof. waͤre
noch ein Mann, mit dem man ſeine Luſt haben
koͤnnte, und ich glaube, ſie haben ſich daruͤber ge-
freuet. Aber ihre Hofnung iſt fehl geſchlagen.
Der Hr. Prof. Philippi hat ein kluges Still-
ſchweigen erwehlet, und dieſes quaͤlet die Spoͤt-
ter. Sie ſuchen, es koſte was es wolle, ihre Ein-
faͤlle an den Mann zubringen, und, da der Hr.
Prof. Philippi ihnen durch ſein gedultiges Be-
zeigen die Gelegenheit dazu beſchneidet, ſo ſind
ſie auf eine unerhoͤrte Erfindung verfallen. Sie
antworten ſich ſelbſt in des Hrn. Prof. Philip-
pi Nahmen, und dichten dieſem gebeugten
Manne eine Schrift an, die im hoͤchſten Grad
albern iſt, in keiner andern Abſicht, als damit
ſie Gelegenheit haben moͤgen, des Hrn. Prof.
ferner zu ſpotten, und ihn vollends um das
Bißgen Ehre zu bringen, welches ſie ihm noch
in der gelehrten Welt uͤbrig gelaſſen haben.
Jch zweifele ſehr, daß ſie auf dieſe Weiſe ih-Werden
desfals ge-
tadelt und
des Herrn
Prof. Phi-
lippi Ehre
gerettet.
ren Zweck erreichen werden, und kan mich nicht
entbrechen, ihnen ungeſcheut zu ſagen, daß ich
ihr Verfahren nicht billige weil es gar zu bos-
haft und haͤmiſch iſt. Wie gern ich auch Saty-
ren leſe, und wie eifrig ich auch die Spoͤtter in
dieſer Schrift vertheidiget habe, ſo will es mir
doch
[288](o)
doch nicht gefallen, daß man die Sache ſo weit
treibet. Jch ſehe das Verfahren der Verfol-
ger des Hrn. Prof. Philippi als eine Zunoͤthi-
gung an, die etwas mehr an den Tag leget als
eine bloſſe Begierde zu lachen. Einem Scri-
benten ſeine Fehler auf eine beiſſende Art zu zei-
gen, das iſt nicht zu tadeln: Aber man muß
doch ſeinem Gegner nicht alle geſunde Ver-
nunft abſprechen, und ihn als einen Raſenden
vorſtellen. Ein ſo plumpes, hochmuͤthiges
und pedantiſches Verfahren wird von allen
klugen Leuten gemißbilliget, und ein Spoͤtter,
der ſich durch ſeinen ſatyriſchen Geiſt ſo weit
verleiten laͤſſet, findet keinen Glauben, und
verringert ſelbſt die Ehre, die er aus dem Siege
uͤber den boͤſen Scribenten, welchen er angreift,
zu hofen hat. Wenn es demnach auch moͤg-
lich waͤre, daß es Leute gebe, die den Betrug der
Feinde des Hn. Philippi nicht merckten, ſo
wuͤrden doch dieſelbe ſagen, es gereiche dem
Verfaſſer des Briontes zu ſchlechten Ehren,
daß er ſich mit einem ſolchen Menſchen abgege-
ben, als der Hr. Prof. Philippi ſeyn muͤſte,
wenn er die Schrift gemacht haͤtte, die unter ſei-
nem Nahmen herumgehet; weil es eine ſchlech-
te Kunſt, uͤber einen ſolchen Menſchen Meiſter
zu ſpielen. Aber ſo glaube ich nicht, daß der
Verfaſſer des Briontes mit ſeinem Anhange,
wie liſtig er es auch angefangen hat, jemand fin-
den wird, der dem Hn. Prof. Philippi die Thor-
heit zutrauen ſolte, daß er durch eine ſo ſchwa-
che, ja laͤcherliche Vertheidigung ſeinen Fein-
den
[289](o)
den das Schwerd in die Haͤnde geben wollen,
mit welchem ſie ihn erwuͤrgen koͤnnen. Jch
geſtehe, der Spoͤtter, der dieſe Vertheidigung
in des Hn. Prof. Philippi Namen verfertiget,
hat, was die Schreib-Art anlanget, dem Hn.
Prof. ſo geſchickt nach geahmet, daß man faſt
dadurch ſolte verfuͤhret werden; Allein die
Sachen, die er vorbringet, ſind ſo beſchafen,
daß man den Hn. Prof. Philippi groͤblich be-
leidigen wuͤrde, wenn man ihn in dem Ver-
dacht haben wolte, daß er dieſelben zu Papier
gebracht. So weit iſt es noch mit ihm nicht
gekommen, und ich wuͤrde nicht unpartheyiſch
ſeyn, wenn ich nicht die Ehre dieſes angefoch-
tenen Scribenten, an welchem ein jeder zum
Ritter werden will, wieder ſeine gar zu un-
barmhertzige Verfolger rettete, und die ſinn-
reiche Betriegerey derſelben entdeckete. Jch
weiß wohl, daß es eine gefaͤhrliche Sache iſt, ſo
fuͤrchterliche Leute wieder ſich zu reitzen: Al-
lein die Liebe zur Wahrheit beſieget in mir alle
Furcht fuͤr dem Grimm der Spoͤtter. Dieſe
Herren moͤgen machen was ſie wollen: Jch
muß die Wahrheit ſagen, und bin zufrieden,
wenn meine Leſer nur begreifen, daß es nicht
wahrſcheinlich iſt, daß der Hr. Prof. Philippi
die Schrift gemacht habe, welche man ihm an-
dichtet. Zu dem Ende will ich meinen Leſern ei-
nen kurtzen Auszug von dieſer haͤmiſchen
Schrift mittheilen.
Der Titel iſt folgender: “Gleiche Bruͤ-„Jnhalt deꝛ
Schrift:
gleiche
der, gleiche Kappen, bey Abfertigung„
Tvier
[290](o)
Bruͤder,
gleiche
Kappen,
welche der
Hr. Prof.
Philippi
gemacht
haben ſoll.„vier ſatyriſcher Schrifren, als 1) des
„Send-Schreibens von fuͤnf Schwe-
„ſtern. 2) DerConfiſcirten Satyre Brion-
„tes. 3) DesExtractsaus den Nieder-
„Saͤchſiſchen Nachrichten. 4) Eines
„Auszuges aus den Schifbeckiſchen
„Zeitungen, ertheiler vonF. E. Philippi.
„p.p.
“Der Endzweck des Hn. Prof. Philippi
„iſt hauptſaͤchlich, ſich wieder den Verfaſſer
„des Briontes zu verantworten. Eine jede
„Verantwortung nennet er eine Kappe. Er
„ſtehet in dem Wahn, daß die Satyre Brion-
„tes und das Send-Schreiben der fuͤnf
„Schweſtern aus einer Feder gefloſſen ſey.
„Weil er aber den Nahmen des Verfaſſers
„nicht recht weiß, ſo will er denſelben, Hr. von
„Bockshorn nennen, weil dieſes Wort in dem
„Schreiben des Ritters Clifton an den
„Samojeden oft vorkommt. Dieſen Hrn.
„von Bockshorn ruͤhmt er nun wegen ſeines
„Credits bey dem Frauen-Zimmer, inſonder-
„heit bey der Dorilis: Wundert ſich, warum
„derſelbe einige Verſe aus dem Baudius vor
„dem Briontes ſetzen laſſen, und doch nicht
„vermutterſprachet, und ſagt bey der Gelegen-
„heit, Baudius ſey ein groſſer Saͤufer, und
„ein eben ſo groſſer Jungfern-Knecht geweſen,
„als der engliſch gebildete Clifton. Er
„uͤberſetzt die Verſe, die, wie er klagt nicht ein-
„mahl in allen Editionen des Baudius ſtehen,
„zum beſten der Einfaͤltigen auf folgende Art:
Stax
[291](o)
und nennt ſeinen Gegner am Rande einen„
Fincken-Ritter und puſillum corpus.„
Prahlt darauf von dem Beyſtand, den ihm„
ein Freund verſprochen, und ſagt endlich, der„
Hr. von Bockshorn oder M. Stax ſey ein„
kleiner Geiſt in Anſehung der Wiſſenſchaf-„
ten, ein Ritter unter den Spoͤttern, und dem„
gemeinen Weſen ſo unentbehrlich, als in„
dem A. B. C. die Buchſtaben X. Y. Z. Den„
Vorwurf, daß er ſich auf dem Titel ſeiner„
ſechs deutſchen Reden einer natuͤrlichen,„
maͤnnlichen und heroiſchen Beredſamkeit ge-„
ruͤhmet, lehnt er durch folgende Gruͤnde von„
ſich ab. 1) Der Verleger habe es ohne ſein„
Wiſſen darauf geſetzet. 2) Es ſey heutiges„
Tages Mode, den Titel ſo einzurichten, daß„
er wohl in die Augen falle. 3) Der Hr. von„
Bockshorn habe es ja auch gethan. 4) Die„
Abſicht ſeiner Abhandlung auf dem Titel„
T 2auszu-
[292](o)
„auszudruͤcken, ſey kein Eigen-Lob. 5) Sonſt
„muͤſten alle diejenigen, die vor ihren Buͤchern
„ſetzen: Gruͤndliche Erleuterung, oder ver-
„nuͤnftige Gedancken, ſich ſelbſt loben. 6) Er
„ſey einmal Profeſſor der Wohlredenheit, und
„ſein Amt verbinde ihm ſolches zu ſagen.
„Doch habe er, ſetzt er hinzu, von dem Titel
„ſeiner ſieben neuen Verſuche die Worte: na-
„tuͤrlich, maͤnnlich und heroiſch weg gelaſſen,
„damit der Hr. von Stolperleicht ſich nicht
„daran ſtoſſen, oder die Madame Richtgern
„daruͤber fallen moͤge.
„Den Anfang des Briontes parodirt er
„gar ſcharfſinnig und hoͤflich folgender Ge-
„ſtalt: Pereatder Nieder-Saͤchſiſche
„Pasquillant! tief! Doch bald darauf
„thut er gantz demuͤthig, und ſpricht §. 11. Er
„habe ſeine erſte Rede ſchon A. 1727. alſo vier
„Jahre vorher, ehe er Profeſſor worden, ge-
„halten. Geſetzt nun, er habe damalen noch
„nicht ſo eine Erfahrung in der Rede-Kunſt
„gehabt, als zu einem Profeſſor gehoͤret, ſo ha-
„be er ja wohl in den vier Jahren, ehe er es ge-
„worden, zunehmen koͤnnen. Er bekennet
„aufrichtig, daß er die Rede-Kunſt damals
„nur als ein Neben-Werck getrieben, und ge-
„lobet heilig an, er wolle ſich beſſern, und dieſel-
„be hinfort ſein Haupt-Werck ſeyn laſſen.
„Er kan nicht leiden, daß der Verfaſſer des
„Briontes ſeine Gedaͤchtniß-Rede auf die Koͤ-
„nigin von Pohlen eine Leichen-Predigt nen-
„net, und giebt demſelben bey der Gelegenheit
„einen
[293](o)
einen blutigen Stich. Wenn es wahr,„
ſpricht er, was gantz Leipzig ſagt, daß der Hr.„
von Bockshorn ſonſt ein Magiſter und Ab-„
warter des Predigt-Amts geweſen, ſo haͤtte„
er billig kein Ueberlaͤuffer werden ſollen, in-„
dem er da vielleicht ſchon manchen Thaler„
mit Leichen-Predigten verdient haben wuͤrde.„
Weil er meynt, daß ſein Gegner daruͤber„
ſpottet, daß er die GOttes-Furcht ein Flaͤmm-„
lein aus goͤttlicher Flamme genennet, ſo ſucht„
er ſich desfals zu rechtfertigen. Er gebe,„
ſpricht er, allen Leſern zu bedencken: 1) daß„
er die Rede den 9 Septemb. 1727. (wie ſein„
Concept und Abſchriften beſagen) aufgeſe-„
tzet, da die Koͤnigin den 5 vorher geſtorben,„
folglich in der erſten Bewegung des Schmer-„
tzens: 2) daß er ſie lange vorher gehalten, ehe„
er Profeſſor geworden. Hierauf nimmt er„
ſeine Zuflucht zum hohen Liede, in welchem„
noch wohl zaͤrtlichere Ausdruͤckungen vorkaͤ-„
men, und zu dem Haͤlliſchen Geſang-Buch, Er„
erklaͤret, was er durch das Steigen und Fal-„
len des goͤttlichen Liebes-Feuers haben wolle,„
und beweiſet, daß er Bibel-maͤſſig geredet.„
Denn GOtt habe ja einen hellen Schein in„
unſere Hertzen gegeben, und die chriſtliche Kir-„
che ſinge: Das ewige Licht geht da herein.„
Endlich ſpricht er, er habe ſeine Rede in einer„
Geſellſchaft gehalten, da gottſelige Hertzen„
zugegen geweſen, nicht aber ſo raffinirte„
Spoͤtter, als der Hr. von Bockshorn. Er„
habe auch mehr einen Geſchicht-Schreiber„
T 3„als
[294](o)
„als Redner abgeben wollen, als er die Rede
„accurat ſo drucken laſſen, wie er vorgegeben,
„ſie gehalten zu haben. Er ſey, ſetzt er hin-
„zu, ein Freund von aufgeweckten Einfaͤllen,
„aber die Religion muͤſſe nicht mit hinein ge-
„flochten werden.
„Die 9te Kappe betrift die Stelle vom
„Saliſchen Geſetz. Da es anfangs laͤſſt,
„als wenn der Hr. Prof. Philippi Luſt haͤtte,
„zu leugnen, daß er dem Saliſchen Geſetze
„zu nahe geredet. Denn er ſpricht, er habe
„nur uͤberhaupt geſagt, daß der Verluſt
„zwoer vornehmen Fuͤrſtinnen durch die zwo
„Frantzoͤſiſche Printzeſſinnen erſetzet. Aber
„endlich ſagt er doch, es ſey ja nicht unmoͤg-
„lich, daß das Saliſche Geſetz mit der Zeit auf-
„gehoben werden koͤnne.
„Jn der 11ten Kappe handelt er von der
„Verſchmachtung der Augen, welche Re-
„dens-Art der Verfaſſer des Briontes ver-
„worfen. Ein Buͤrger von Hamburg oder
„Luͤbeck, ſagt er, wo man keine Landes-Mut-
„ter habe, koͤnne nicht wiſſen, wie nahe einem
„Saͤchſiſchen Patrioten der Verluſt ſeiner
„Landes-Mutter gehe. Wer damals in
„Sachſen geweſen, wuͤrde ſich dieſe Ver-
„ſchmachtung der Augen leicht einbilden koͤn-
„nen. Die Frantzoſen nennten es: des
„yeux languiſſans \& demourans. Der
„Hr. von Bockshorn, ſetzt er hinzu, ſolle ſich
„nur beſinnen, ob er nicht bey ſeinen Ten-
„dreſſen, die er der Dorilis gemacht, manch-
„mal
[295](o)
mal verſchmachtende Augen gehabt, oder„
an ihr wahrgenommen? Sagte doch ſo„
gar David, daß alle ſeine Gebeine und folg-„
lich auch wohl ſeine Augen verſchmachtet„
durch ſein taͤglich Heulen.„
Die 12te Kappe betrift die Ohnmacht,„
die ihm angewandelt, und woruͤber ſein„
Gegner geſpottet. Der Hr. Prof. ſagt, es„
ſey kein Ernſt damit geweſen, und die Sa-„
che ja endlich nicht unmoͤglich. Habe doch„
der Hr. von Bockshorn auf einem Bein ge-„
huͤpfet, warum ſollte man nicht eben ſo gut„
eine Ohnmacht affectiren koͤnnen? Eſther„
habe den Ahasverus gleich beweget, da ſie„
vor ihm in Ohnmacht geſuncken. Wenn„
man ſo verfahren wollte als der Hr. von„
Bockshorn, ſo koͤnne man die pathetiſchen„
Redens-Arten laͤcherlich machen, z. E.„
wenn Eſaias ſagt: Hoͤret ihr Himmel, und„
Erde nimm zu Ohren.„
Jn der 15ten Kappe rechtfertiget der Hr.„
Philippi ſeine Redens-Arten von unterirr-„
digen Grotten und Reich der Todten, die„
der Verfaſſer des Briontes als gar zu heid-„
niſch getadelt, und ſpricht: Er habe ſich„
nach den Begrifen ſeiner Zuhoͤrer gerichtet,„
die damals die Geſpraͤche im Reiche der Tod-„
ten alle geleſen. Den Vorwurf, daß er„
glaube, der Koͤnig von Pohlen werde nicht„
ſterben, lehnt er in der 17ten Kappe ab, und„
ſpricht: Er habe nicht geſagt, daß der Koͤ-„
nig von Pohlen nicht ſterben werde, ſondern„
T 4nur
[296](o)
„nur von deſſen Ruhm geredet. Die alber-
„ne Redens-Art von entbehrlichen Reſt will
„er in der 18ten Kappe damit entſchuldigen,
„weil Reſt bey uns auch ſo viel heiſſe als Stuͤck
„und Theil. Jn der 19ten Kappe ſagt er,
„daß die Unterlegung der Hertzen, wovon er
„geredet, nicht nach dem Buchſtaben zu ver-
„ſtehen. Die 20te Kappe handelt von dem
„Gleichniſſe vom Steuer-Mann. Er ſehe
„wohl, ſpricht der Hr. Philippi, daß dieſes
„Gleichniß dem Hrn. von Bockshorn zu hoch
„ſey; er wolle es ihm alſo ſo frey vor Augen
„legen, als ein Stuͤck Poͤckel-Fleiſch, wo-
„von er neulich in einer Poſtille ſchoͤne, erbau-
„liche Gedancken geleſen. Denn als einer
„von Ambra geredet, habe der andere geſagt:
„Er lobe ſich davor ein gut Stuͤck Poͤckel-
„Fleiſch. Wohlan denn, faͤhrt der Herr
„Prof. Philippi fort, mein Herr von Bocks-
„horn, thun ſie, als ob ſie dergleichen auch
„eben vor ſich haͤtten, und trenchiren fein
„ſauber und appetitlich.
„Jn der 21ten Kappe ſagt er: daß er ſei-
„nen Vater in der Antritts-Rede, die er als
„Profeſſor der deutſchen Beredſamkeit ge-
„halten, angeredet, und ihm ſeine kindliche
„Pflicht bezeuget, gehe dem Herrn von
„Plumpſack, wollte ſchreiben Bockshorn,
„nicht an, ſo wenig als dieſes, daß er das
„leere Blatt hinten am Schluß mit dem Neu-
„Jahrs-Wunſche an ſeine liebe Eltern ange-
„fuͤllet. Er habe deswegen nichts unnoͤthi-
„ges
[297](o)
ges beygebracht. Er zeige es, ſagt er, Hr.„
Magiſter, oder laſſe die Profeſſores der Be-„
redſamkeit ungehofmeiſtert. Und endlich„
beſchwert er ſich in der 22ten und letzten Kap-„
pe, daß man in ſeinem Helden-Gedicht ſei-„
nen Sinn uͤberall verdrehet; weswegen er„
auch den Hrn. von Bockshorn mit dem Na-„
men, Hr. von Drehsleicht, beleget.„
Jn der Abſertiguug der Nieder-Saͤchſi-„
ſchen Nachrichten frohlocket er daruͤber, daß„
der Briontes in Sachſen bey 30. Rheiniſche„
Gold-Guͤlden confiſcirt, und prahlt, daß„
ein gewiſſer Freund, deſſen Brief an ihn er„
gantz einruͤcket, ein hertzliches Mitleyden mit„
ihm trage. Mehr mag ich daraus nicht an-„
fuͤhren. Jch uͤbergehe auch die Abferti-„
gung der Schifbeckiſchen Zeitungen, oder„
des Hamburgiſchen Correſpondenten, mit„
Stillſchweigen. Der Schluß der gantzen„
Schrift iſt aber gar zu poſſierlich, als daß„
ich meinen Leſern das Vergnuͤgen nicht goͤn-„
nen ſollte, denſelben gantz zu leſen.„
Nun trete ich, ſpricht der Herr Prof.„
Philippi, von dem Kampf-Platz wieder ab,„
auf welchem ein vor allemal geweſen. Mei-„
ne Gegen-Salve iſt nun geſchehen, und„
wuͤnſche, daß es bey dieſem eintzigen Tref-„
fen ſein Bewenden haben moͤge. Jch nei-„
ge zum Frieden, nicht aus Furcht vor dem„
Feind, ſondern aus Liebe zur Ruhe. Jch„
will denen Groſſen nachahmen, die auf„
Friedens-Schluͤſſe dencken, ob ſich gleich„
T 5noch
[298](o)
„noch ſo wohl geruͤſtet ſind. Ja wenn ich auch
„ſpraͤche, ich wollte am erſten die Feder nieder-
„legen, duͤrfte mich des nicht ſchaͤmen.
„Das geſchehene ſey alſo geſchehen, und
„ſo gut als vorbey. Jch verſichere meine
„Gegner, daß ich mit aller Aufrichtigkeit ſie
„lieber als Freunde und Goͤnner, als zu Geg-
„nern haben moͤgte. Einem Widerſacher,
„der Kraͤfte hat einem zu ſchaden, traͤgt man
„gerne Freundſchaft an. Noch mehr aber,
„wenn man ſelbſt vor ſeine Gegner Hochach-
„tung hat. Erfolgt ihre Freundſchaft, ſo
„ſoll alles vergeſſen ſeyn. Wo aber nicht, ſo
„ſoll mein Wahl-Spruch ſeyn:
„So viel vor diesmal.
daß der Hꝛ.
Prof. Phi-
lippi dieſe
Schrift
nicht ge-
macht.
Dieſes iſt der Jnhalt der ſaubern Schrift,
die der Hr. Prof. Philippi zu ſeiner Verthei-
digung verfertiget haben ſoll. Aber wer ſiehet
nicht, daß ein ſo unfoͤrmliches Gewaͤſche
unmoͤglich aus der Feder des Herrn Prof. ge-
floſſen ſeyn koͤnne? Jch getraue mir klaͤrlich
darzuthun, daß ſeine Feinde Urheber davon
find. Denn dieſe Spoͤtter haben ihre Ab-
ſicht
[299](o)
ſicht nicht ſo ſehr verbergen koͤnnen, daß man
dieſelbe nicht mercken ſolte. Sie machen den
Hn. Prof. Philippi gar zu einfaͤltig. Um
dieſes zu beweiſen, will ich nicht reden von dem
laͤppiſchen Titel, den man den Verantwor-
tungen in dieſer Schrift giebt, indem man ſie
Kappen nennet. Jch will nicht anmercken,
daß es im hoͤchſten Grad unwahrſcheinlich iſt,
daß der Hr. Prof. Philippi den Verfaſſer des
Briontes, und den Urheber des Send-
Schreibens der fuͤnf Schweſtern, vor
eine Perſon halte. Von ſo ſtumpfen Gau-
men iſt der Hr. Prof. Philippi nicht, und ich
bin verſichert, daß niemand den Unterſcheid
dieſer zwo Satyren beſſer fuͤhlet als er. Jch
will nicht ſagen, daß es laͤcherlich ſey zu glau-
ben, daß der Hr. Prof. Philippi ſeinen unbe-
kannten Verfolger aus keiner andern Urſache
Herr von Bockshorn nenne, als weil in dem
Schreiben des Ritters Clifton an den
Samojeden von einem Thier mit Bocks-
hoͤrnern geredet wird. Der Hr. Prof. Phi-
lippi iſt viel zu klug dazu. Jch will nicht weit-
laͤuftig ausfuͤhren, wie ſchimpflich es dem Hn.
Prof. Philippi, daß man ihn als einen Men-
ſchen vorſtellet, der verwegen und boßhaft ge-
nug, den ſo genannten Hn. von Bockshorn
eines verdaͤchtigen Umganges mit dem Frau-
en-Zimmer uͤberhaupt, inſonderheit aber mit
der Dorilis zu beſchuldigen, und ihn einen
groſſen Jungfern-Knecht zu nennen, ob er
gleich denſelben nicht kennet, und weder von
deſſen
[300](o)
deſſen Nahmen, und Stande, noch von dem
Ort ſeines Aufenthalts die geringſte zuverlaͤſ-
ſige Wiſſenſchaft hat. Man ſiehet wohl,
daß der Hr. Prof. Philippi ſich ſo weit nicht
vergehen koͤnnen, und man erkennet leicht die
Sprache ſeiner Spoͤtter, die nur Gelegenheit
ſuchen, ihm ein ſo unbeſonnenes Verfahren
hoch aufzumutzen, ja vieleicht gar durch Vor-
wuͤrffe dieſer Art wehe zu thun. Jch will nicht
ſagen, wie unglaublich es ſey, daß der Hr. Prof.
Philippi ſeinen Feind einen Fincken-Ritter,
und puſillum corpus nennen koͤnnen. Er weiß
zu leben, und iſt viel zu wohl erzogen, als daß
er, wenn man mit ihm ſchertzet, anfangen ſolte
zu ſchimpfen; Ja diejenigen, ſo die Ehre haben
ihn zu kennen, verſichern mich alle einmuͤthig-
lich, daß niemand wichtigere Urſachen habe,
keinem Menſchen ſeine kleine Statur vorzu-
werffen, als eben der Hr. Prof. Philippi. Jch
will alle dieſe verdaͤchtige Stellen mit Still-
ſchweigen uͤbergehen, und nur meine Leſer bit-
ten, mit mir zu betrachten, wie elend die Ver-
antwortungen, oder Kappen, an ſich ſelbſt
gerathen ſind. Es ſind dieſelbe ſo albern und laͤ-
cherlich, daß es viel ſeyn muͤſte, wenn ſie wuͤrck-
lich von dem Hn. Prof. Philippi herruͤhren
ſolten. Jch glaube es nicht, und will von
meinem Glauben Rechenſchaft geben. Jch
werde, was ich zu dem Ende ſage, in gewiſſe
Anmerckungen einſchlieſſen.
I. Jſt es unglaublich, daß der Hr. Prof.
Philippi, wenn er den Titel ſeiner ſechs deut-
ſchen
[301](o)
ſchen Reden rechtfertigen wollen, dieſes auf ei-
ne ſo erbaͤrmliche Art gethan haben wuͤrde, als
in der Schrift geſchehen iſt, die er verfertiget ha-
ben ſoll. Der Verfaſſer des Briontes hatte
in dieſem Titel eine kleine Prahlerey angemer-
cket, weil der Hr. Prof. Philippi ſich einer na-
tuͤrlichen, maͤnnlichen und heroiſchen Bered-
ſamkeit geruͤhmet. Dieſer Vorwurf eines
Selbſt-Lobes wird nun in den ſo genannten
Kappen auf folgende Art abgelehnet. Es
heiſſt: der Verleger habe, ohne des Hn. Phi-
lippi Wiſſen, den Titel ſo prahleriſch eingerich-
tet. Der Fehler wird alſo geſtanden, und die
Schuld auf den Verleger geſchoben. Jch
will nicht unterſuchen, wie weit dieſe Ausflucht
gelten koͤnne; Es iſt eben nicht ſchlechterdings
unmoͤglich, daß ein Verleger ſich dieſe Frey-
heit nehme. Aber das kan ich nicht verdauen,
daß der Hr. Prof. Philippi, ob er ſich gleich
erſt auf eine gar ſittſame Art entſchuldiget, doch
hernach gantz trotziglich ſagt: Er ſey einmahl
Prof. der Wohlredenheit, und ſein Amt ver-
binde ihn, ſo von ſeiner Beredſamkeit zu reden,
als er auf dem Titel ſeiner ſechs deutſchen Re-
den gethan. Dieſes klingt gantz anders, wie-
derſpricht dem vorigen, und macht die Aus-
flucht zu nichte. Jſt es nun wohl wahrſchein-
lich, daß der Hr. Prof. Philippi ſo unbedacht-
ſam wuͤrde geredet haben? Doch auch dieſes
mag hingehen. Jch will es vor moͤglich hal-
ten, daß der Hr. Prof. Philippi ſich befugt ach-
tet, die Titel ſeiner Schriften etwas hochtra-
bend
[302](o)
bend einzurichten. Aber laſſt uns die Gruͤn-
de hoͤren, warum er ſo dencken ſoll. Die all-
gemeine Gewohnheit, die Buͤcher mit blenden-
den Titeln zu zieren, kan unmoͤglich dieſe Thor-
heit rechtfertigen: Weil vieles gebraͤuchlich,
und doch unrecht iſt. Dieſes weiß der Herr
Prof. Philippi unſtreitig; Und man will
uns doch glauben machen, daß er unbeſcheiden
genug ſey, von ſeinen Leſern zu verlangen, ſeine
Prahlerey vor keine Prahlerey zu halten, weil
das Prahlen mode iſt. Das iſt, deucht mich,
etwas zu plump. Beſſer laͤſſt es ſich noch hoͤ-
ren, wenn man in den Kappen ſagt: Es ſey
kein Selbſt-Lob, wenn ein Scribent die Ab-
ſicht ſeiner Abhandlung auf dem Titel aus druͤ-
cke. Aber auch in dieſen Worten ſteckt eine
Sophiſterey, die ſo mercklich iſt, daß ich nim-
mer glauben kan, daß der Hr. Prof. Philippi
faͤhig ſey, ſich derſelben zu ſeiner Rechtfertigung
zu bedienen. Der Hr. Prof. Philippi weiß
gar zu wohl, daß es nicht einerley iſt, die Ab-
ſicht ſeiner Abhandlung ſchlechtweg aus zudruͤ-
cken, oder von ſeiner Schrift auf dem Titel ſol-
che Dinge zuſagen, aus welchen folget, daß ſie
ohne Fehler, und die vortreflichſte in ihrem
Geſchlechte ſey. Man kan alſo mit Fug zweiſeln,
ob der Herr Prof. Philippi ſich, wie in den
Kappen geſchiehet, auf diejenige wuͤrde beru-
fen haben, die ihre Buͤcher, gruͤndliche Erlaͤu-
terungen, und vernuͤnftige Gedancken betiteln.
Das Lob, ſo in dieſen Titeln ſteckt, iſt ſo gar
groß nicht, daß man es ſich nicht ſelbſt ohne
Prah-
[303](o)
Prahlerey beylegen koͤnnte. Gruͤndlich und
vernuͤnftig muß ein jeder ſchreiben. Wer es
thut, der thut, was er zu thun ſchuldig, und
iſt ein unnuͤtzer Knecht. Wer demnach ſchrei-
bet, der muß voraus ſetzen, daß er im Stande
ſey, gruͤndlich und vernuͤnftig zu ſchreiben.
Hat er andere Gedancken von ſich, ſo muß er
gar nicht ſchreiben. So bald alſo einer die
Feder ergreift, ſo giebt er ſtillſchweigend zu ver-
ſtehen, daß er ſich einbilde, er ſchreibe gruͤnd-
lich und vernuͤnftig. Er kan dieſes auch, wenn
er will, laut ſagen, und prahlt nicht, ſo lange
er ſeiner Schreib-Art nicht Vortreflichkeiten
und Eigenſchaften beyleget, die das uͤberſteigen,
was man insgemein gruͤndlich und vernuͤnf-
tig nennet. Wer dieſes letzte thut, giebt ei-
nen uͤbeln Begrif von ſeinem Verſtande.
Elende Scribenten bilden ſich ein, daß ſie na-
tuͤrlich, maͤnnlich und heroiſch ſchreiben; ver-
nuͤnftige Leute hergegen glauben nur, daß ſie
vernuͤnftig ſchreiben. Un eſprit mediocre
croit écrire divinement, un bon eſprit
croit écrire raiſonnablement. La Bruyere
dans ſes Caracteres Chap. des Ouvrages d’ e-
ſprit. Was ich hier ſchreibe hat der Hr. Prof.
Philippi lange gewuſt, und ſieht alſo den Un-
terſcheid zwiſchen den Titel ſeiner ſechs deut-
ſchen Reden, und dem Titel eines Buchs, von
dem nurbloß geſagt wird, daß es vernuͤnftig,
gar zu tief ein, als daß man glauben koͤnnte,
er habe ſeine Vergehung auf eine ſo unzulaͤng-
liche Art rechtfertigen wollen. Wie koͤnnen
denn
[304](o)
denn ſeine Verfolger hoffen, man werde ſich
von ihnen weiß machen laſſen, er ſey ſo gar ver-
blendet, daß er ſich auf das Exempel des Hn.
von Bockshorn zu beruffen, kein Bedencken
trage. Ein Kind ſiehet, daß der Herr von
Bockshorn nicht im Ernſt, ſondern nur dem
Hn. Prof. Philippi ſeine Prahlerey ſtillſchwei-
gend zu erkennen zu geben, die Worte na-
tuͤrlich, maͤnnlich, und heroiſch auf dem Titel
ſeiner Satyre geſetzet hat; Und der Herr Prof.
Philippi ſolte ſo ungluͤcklich ſeyn, daß er dieſes
nicht ſaͤhe? Er muͤſte auf den Fall allen Witz
verlohren haben. Damit man dieſes von
ihm dencken moͤge, bringen ſeine Gegner ſo
elende Dinge vor, und legen ihm Worte in
dem Mund, die man kaum von einem Bloͤd-
ſinnigen vermuthen ſolte. Dieſer Streich ge-
faͤllt mir nicht, und giebt zu erkennen, daß die
Feinde des Hn. Prof. Philippi ihren eigenen
Vortheil nicht kennen. Sie verrathen ſich
nicht allein dadurch, ſondern beſchimpfen ſich
auch ſelbſt. Denn was waͤre es ihnen nicht
vor eine Schande, daß ſie ſich mit dem Herrn
Prof. Philippi abgegeben haben, wenn er ſo
gar unertraͤglich albern waͤre, als ſie ihn vor-
ſtellen?
II. Jſt es unglaublich, daß der Hr. Prof.
Philippi die Anfangs-Worte des Briontes:
Es lebe der Hr. Prof. Philippi! hoch!
auf eine ſo grobe Art parodiret habe. Pereat,
heiſſt es in den Kappen, der Nieder-Saͤch-
ſiſche Pasquillant! tief! Ein jedes Wort
dieſes
[303[305]](o)
dieſes grimmigen Seufzers iſt ſo beſchafen,
daß der Hr. Prof. Philippi ein gantz anderer
Mann ſeyn muͤſte, als er iſt, wenn er ſich deſ-
ſelben bedienet. Er iſt ein guter Chriſt, und
weiß, daß man auch denen, die uns fluchen, ge-
ſchweige einem Menſchen, der uns ſeegnet, nicht
fluchen muͤſſe. Wie kan er dann pereat ſa-
gen? Er weiß, daß es unrecht iſt, und hat ſo
viele Proben ſeiner Gottesfurcht gegeben, daß
man nicht Urſache hat, von ihm zu glauben,
er ſey ſo rachgierig, daß er daruͤber der noͤthig-
ſten Pflichten eines guten Chriſten vergeſſe, von
denen er ſo wohl unterrichtet iſt.
Das Wort: Nieder-Saͤchſiſch kan
gleichfals nicht von dem Hn. Prof. Philippi
ſeyn. Er weiß gar zu wohl, daß der Sa-
tans-Engel, der ihn mit Faͤuſten ſchlaͤgt, nicht
in Nieder-Sachſen iſt. Man mercke daher die
Liſt dieſes Menſchen, der durch das Wort:
Nieder Saͤchſiſch den Hn. Prof. Philippi
in die weite Welt ſchicken will, um in entfern-
ten Laͤndern ſeinen Verfolger zu ſuchen, der ihm
doch gantz nahe iſt, und den der Herr Prof.
vielleicht vor ſeinen Freund haͤlt.
Noch weniger aber iſt zu glauben, daß der
Herr Prof. Philippi ſeinen Feind vor einen
Pasquillanten halte. Ein ſolches Schelt-
Wort ſchickt ſich nicht in dem Munde eines
groſſen Rechts-Gelehrten, der die Halß-Ge-
richts-Ordnung geleſen, und vielleicht an-
dern ſchon oft erklaͤret hat, was libellus famo-
ſus ſey. Die Einfaͤltigen meinen, daß eine Spott,
USchrift,
[306](o)
Schrift, deren Verfaſſer ſeinen Nahmen
nicht genennet, ein Pasquill ſey. Aber ein
Gelehrter iſt ſo unwiſſend nicht, zumahl wenn
er ſelbſt die Geſetze erklaͤret. Es iſt alſo ofen-
bahr, daß die Feinde des Hn. Prof. Philippi
in der laͤcherlichen Parodie den Verfaſſer des
Briontes aus keiner andern Urſache einen
Pasquillanten genennet haben, als damit man
glauben moͤge, der Hr. Prof. Philippi ſey tumm
genug ihn davor zu halten. Es iſt wunder,
daß ſie nicht gar gedichtet, der Hr. Prof. Phi-
lippi halte ſeinen Feind darum vor einen ſtraf-
baren Laͤſterer, weil er ihn mit einem Geſchrey,
und zwar in einer Verſammlung beſchim-
pfet, dieſer Einfall haͤtte ſich nicht uͤbel zu der
Parodie geſchicket, und noch durch ein Geſetz
beſchoͤniget werden koͤnnen. Denn Ulpia-
nus ſagt l. 15. §. 11. 12. ff. de Injur. \& Fam.
lib. ausdruͤcklich: … apparet, non
omne maledictum convicium eſſe, ſed id
ſolum quod cum vociferatione dictum est.
Sive unus, ſive plures dixerint, quod in
cœtu dictum est, convicium est. Was
haͤtten ſie nicht uͤber dieſe ſo troͤſtliche Stelle
dem Herrn Prof. Philippi vor gravitaͤtiſche
Thorheiten ſagen laſſen koͤnnen? Und in
der That waͤre ihr Betrug wahrſcheinlicher
geworden, wenn ſie den Hn. Prof. Philippi haͤt-
ten mit Geſetzen um ſich werfen laſſen Zum we-
nigſten haͤtte ſich dieſes vor einen Rechts-Ge-
lehrten beſſer geſchickt, als daß der Hr. Prof.
Philippi, wie in folgenden geſchicht, auf das
Haͤlliſche
[307](o)
Haͤlliſche Geſang-Buch trotzet, und in
ſeiner Noth ein Weihnacht-Lied anſtimmet.
Doch ich gehe weiter, und mercke nur noch
dieſes kuͤrtzlich an, daß auch das eintzige Woͤrt-
lein: Tief! zeige, daß der Hr. Prof. Phi-
lippi keinen Theil an der laͤppiſchen Parodie
habe. Dieſer beruͤhmte Mann hat, in einer
von ſeinen ſechs deutſchen Reden, ſo ge-
lehrt, gruͤndlich und ſcharfſinnig von dem
Woͤrtlein: Hoch! gehandelt, daß es ein
Wunder waͤre, wenn er nicht ſolte geſehen
haben, daß der Anhang: Tief! in dieſer
Parodie nicht das Gegentheil von dem Wort:
Hoch! ausdruͤcken koͤnne, in was vor einem
Verſtande man es auch nehme.
III. Jſt es unglaublich, daß, wann der
Herr Prof. Philippi wuͤrcklich Urheber der
Kappen, er, nachdem er ſo boͤſe und trotzig
gethan, gleich darauf eine Entſchuldigung
wuͤrde vorgebracht haben, die ſo gut, als eine
foͤrmliche Beicht. Denn ſo laͤſſt man ihn
§. 11. ſagen; Er habe die erſte Rede vier Jahr
vorher, ehe er Profeſſor geworden gehalten,
und ja in den vier Jahren in der Beredſamkeit
zu nehmen koͤnnen. Der Hr. Prof. Philip-
pi wuͤrde unmoͤglich ſo geredet haben. Er
haͤtte vorher geſehen, daß ſeine Feinde ihm gantz
hoͤniſch antworten wuͤrden. “Sie ſaͤhen wohl
daß er, wie er ſeine erſte Rede gehalten, noch„
nicht weit in der Rede-Kunſt gekommen ge-„
weſen: Sie glaubten auch, daß er, wie er„
ſage, in vier Jahren an Beredſamkeit zu„
U 2neh-
[308](o)
„nehmen koͤnnen: Allein ſie beklagten, daß
„es nicht geſchehen. Und uͤberhaupt lautet
wohl die gantze Entſchuldigung nicht viel beſ-
ſer, als wenn der Herr Prof. geſagt haͤtte:
Jch habe es ſo gut gemacht, als ich gekonnt.
Man halte mir meine Schnitzer zu gute.
Jch war zu der Zeit noch ein Saͤugling in
der Rede-Kunſt, und lallete noch. Jch
will es ins kuͤnftige beſſer machen? Und in der
That haben ſeine Feinde ſich nicht geſcheuet,
ihn als einen Mann vorzuſtellen, der mit ei-
nem ziemlichen Stoltz eine ſo auſſerordentliche
Demuth zu verknuͤpfen faͤhig ſey. Er bekennet
in den Kappen, daß er die Rede-Kunſt vor die-
ſem nur als ein Neben-Werck getrieben habe,
und verſpricht, er wolle ſie ins kuͤnftige ſein
Haupt-Werck ſeyn laſſen. Dieſes heiſſet Beſſe-
rung angeloben, und wer das thut, der erkennet
ſeine Schwachheit. Wer aber ſein Elend
erkennet, der prahlt nicht, der pocht nicht, der
ſchilt nicht, der ſtellet ſich nicht an, als wenn
er noch Recht uͤbrig haͤtte. Da nun aber in
den ſo betitelten Kappen der Herr Prof.
Philippi bald groß und boͤſe thut, bald ſeine
Suͤnde bekennet, und zu der Barmhertzig-
keit ſeiner Richter ſeine Zuflucht nimmt, ſo
kan er dieſe Kappen unmoͤglich verfertiget
haben. Die ſind und bleiben ein Werck ſei-
ner Feinde, die den Hn. Prof. Philippi mit
aller Gewalt zu einem Menſchen machen wol-
len, mit dem man Geld verdienen koͤnnte.
Jndem
[309](o)
Jndem ich dieſes ſage, will ich nicht
leugnen, daß das Bekaͤnntniß, ſo man dem
Herrn Prof. in den Mund leget, ſich gar
wohl auf ſeinen Zuſtand ſchicke, wenn man
es auſſer dem Zuſammenhang mit dem Reſt
der Kappen anſiehet: Jch will auch zuge-
ben, daß die Spoͤtter ſeine jetzigen Gedan-
cken gar gluͤcklich ausgedruͤcket; weil ich die
feſte Vermuthung habe, daß der Hr. Prof.
auf ſeine Beſſerung eyfrig bedacht iſt: Aber
darum koͤmmt es mir doch nicht wahrſchein-
lich vor, daß er ſeine Fehler ſo oͤfentlich ſollte
bekannt haben. Dieſes waͤre ein Grad der
Selbſt-Verleugnung, den man von dem
Herrn Prof. Philippi im Anfange ſeiner Beſ-
ſerung nicht vermuthen und ohne Unbillig-
keit nicht verlangen kan. Die Kirche verlan-
get von oͤfentlichen Suͤndern auch eine oͤf-
fentliche Buſſe; aber die gelehrte Welt ver-
faͤhrt ſo ſcharf mit denen boͤſen Scribenten
nicht. Sie iſt zufrieden, wenn dieſe Suͤn-
der nur ihre Thorheiten ins geheim bewei-
nen.
IV. Jſt es unglaublich, daß der Herr
Prof. Philippi, wenn er die Kappen ge-
machthaͤtte, ſich wegen Vertheidigung ſeiner
Redens-Art von Flaͤmmlein aus goͤttli-
cher Flamme, ſo viel unnuͤtze und laͤcherliche
Muͤhe wuͤrde gegeben haben. Denn wer hat je-
malen dieſe Redens-Art angefochten? Und
kan man ſich alſo des Lachens wohl erwehren,
wenn man ſiehet, wie ſauer es ſich der Herr
U 3Prof.
[310](o)
Prof. Philippi in den Kappen werden laͤſſet,
zu beweiſen, daß in der Theologie die Worte:
Feuer, Licht und Flamnie in einem verbluͤmten
Verſtande gebraucht werden? Gerade als
wenn ihm dieſes jemand geleugnet haͤtte. Der
Hr. von Bockshorn hat es zum wenigſten nicht
gethan, und es muͤſte einer ſehr einſaͤltig ſeyn,
wenn er nicht beym erſten Anblick erſaͤhe, daß
alles, was der Verfaſſer des Briontes von der
poſſierlichen Anrede an die Gottesfurcht ſaget,
da hinaus laͤuft, daß der Hr. Philippi, indem
er gantz hoch und heroiſch mit ſeinem Flaͤmm-
lein aus goͤttlicher Flamme reden wollen, in ei-
nen ungeheuren Galimatias verfallen ſey, und
niemand, ja vielleicht er ſelbſt nicht, wiſſen koͤn-
ne, was er baben wolle. Darauf gruͤnden
ſich alle ſeine Spoͤttereyen, und hat er den Ti-
tel von Flaͤmmlein aus goͤttlicher Flamme, den
der Hr. Prof. Philippi der Gottesfurcht bey-
geleget, einigemal wiederholet, ſo hat er es un-
ſtreitig nur darum gethan, weil es ihm laͤcher-
lich vorgekommen, daß der Hr. Prof. Philip-
pi ſein verworrenes Gewaͤſche mit einem ſo
praͤchtigen Titel angefangen, der wegen der ihn
begleitenden Thorheiten ſelbſt poſſierlich klin-
get; nicht aber in der Abſicht, daß er leugnen
wolle, es ſey erlaubt, die Gottesfurcht eine
Flamme, ein Licht, ein Feuer zu nennen, und
ihr einen himmliſchen Urſprnng zuzuſchreiben.
Jch bekuͤmmere mich wenig darum, ob der
Verfaſſer des Briontes von der Philippiſchen
Anrede an das Flaͤmmlein aus goͤttlicher
Flamme
[311](o)
Flamme recht geurtheilet hat, oder nicht. Das
mag der Hr. Prof. Philippi, wenn er Luſt hat,
mit ihm ausmachen. Jch ſage nur, daß ſeine
Abſicht keine andere ſey, als uͤber das, ſeiner
Meinung nach, unverſtaͤndliche Geſchwaͤtz des
Hrn. Philippi zu ſpotten. Dieſes hat der Hr.
Prof. Philippi unſtreitig begreifen muͤſſen;
weil er leſen kan: denn dieſen Ruhm werden ihm
doch ſeine Feinde noch laſſen. Wie iſt es denn
glaublich, daß er, wenn er ja ſeine Ehre retten
wollen, nichts ſollte vorgebracht haben, das wi-
der den Verfaſſer des Briontes waͤre, ſondern
daß er ohne Noht ſeine Bibel und ſein Geſang-
Buch muͤhſam wuͤrde durchgeblaͤttert haben,
um eine Sache zu beweiſen uͤber welche nie-
mand mit ihm ſtreitet? Wie gerne ſaͤhen es ſeine
Feinde, wenn wir ihm dieſe Einfalt zutraueten?
Aber ich vor meine Perſon kan mich ſo weit
nicht uͤberwinden, und aͤrgere mich, wenn ich
ſehe, daß dieſe Spoͤtter ſo unverſchaͤmt ſind,
daß ſie der Welt weiß machen wollen, der Hr.
Prof. Philippi wuͤrde ſich eben nicht entſehen,
ſeine wunderliche Anrede an die Gottesfurcht
damit zu entſchuldigen, daß er, wie ſein Con-
cept ausweiſe, ſeine Rede kurtz nach der Koͤni-
gin Tode, und alſo in der erſten Bewegung des
Schmertzens haͤtte gehalten: Da ich doch v[er]ſi-
chert bin, daß der Hr. Prof. Philippi gar wohl
ſiehet, daß ſeine Feinde uͤber eine ſo kahle Ent-
ſchuldigung nur frohlocken, und ſagen wuͤr-
“den: Wir glauben gerne, daß der Hr. Prof.
„nicht bey ſich ſelbſt geweſen, als er ſeine Rede
U 4verfer-
[312](o)
„verfertiget hat; und darum iſt ſie auch ſo uͤbel
„gerahten. Er beſinne ſich auf ein andermal
„erſt, wenn er ſchreiben will. Eben eine ſol-
che Antwort wuͤrde er zu gewarten haben, weñ
er, wie in den Kappen unter ſeinem Namen
geſchiehet, ſich damit retten wollte; daß er ſei-
ne Rede lange vorher geſchrieben habe, ehe er
Profeſſor geworden. “Es mag ihm denn, wuͤr-
„den ſeine Feinde ſprechen, dieſesmahl hinge-
„hen; aber mache er es auf ein andermal beſ-
„ſer. Da nun die in den Kappen vor-
kommende Vertheidigung des Puncts von
dem Flaͤmmlein aus goͤttlicher Flamme ſo
ſchwach, und dem Hrn. Prof Philippi ſo
ſchimpflich iſt, ſo muͤſte man einen ſehr uͤblen
Begrif von ihm haben, wenn man glauben
wollte, ſie ſey aus ſeinem Gehirn gekommen.
V. Halte ich den Hrn. Prof. Philippi vor
viel zu klug, als daß er glauben ſollte, es ſey
moͤglich, daß ein Koͤnig in Franckreich das Sa-
liſche Geſetz, abſchafen koͤnne, es ſey nun mit,
oder ohne Einwilligung des Parlaments.
Dieſes iſt ein Fund ſeiner Feinde, um ihn als
einen Menſchen abzubilden, der zwar ſiehet,
daß er geſchlaͤgelt hat, und ſich ſchaͤmet, der aber
doch ſo halßſtarrig iſt, daß er lieber noch eine
Thorheit vorbringet, als ſeinen Fehler geſtehet.
Jch uͤbergehe mit Stillſchweigen, daß man gar
in den Kappen dem Herrn Prof. Philippi
Schuld giebet, er habe nicht geringe Luſt zu
leugnen, daß er jemalen geſagt, die Frantzoͤſi-
ſchen Princeſſinnen koͤnnten noch wohl einmal,
wenn
[313](o)
wenn kein Dauphin kaͤme, zur Crone gelan-
gen. Dieſer Betrug faͤllt gar zu ſehr in die
Sinne, und ich glaube, daß niemand dem Hrn.
Prof. Philippi eine ſo eiſerne Stirn zutrauen
werde.
VI. Glaube ich nicht, daß der Hr. Prof.
Philippi zu Vertheidigung des Ausdruckes
von verſchmachtenden Augen ſo unnuͤtze,
laͤppiſche Dinge wuͤrde vorgebracht haben.
Z. E. Ein Buͤrger in Hamburg oder Luͤbeck,
wo man keine Landes-Mutter habe, koͤnne
nicht wiſſen, wie nahe einem Saͤchſiſchen Pa-
trioten der Verluſt ſeiner Landes-Mutter ge-
he. Dieſes heiſſet nichts geſagt, und wird
nicht eher gelten, als bis man wahrſcheinlich
macht, daß der Hr. von Bockshorn, wenn er
ſagt, er koͤnne die Verſchmachtung der Augen
nicht begreifen, dadurch zu verſtehen geben
wolle, er koͤnne nicht begreifen, wie es moͤglich
ſey, daß man uͤber den Tod einer Landesmutter
ſo viel Betruͤbniß empfinde. Jch bin verſichert,
daß der Hr. Prof. Philippi dieſes nicht glaubt,
ſondern wohl ſiehet, daß der Verfaſſer des
Briontes nur bloß das Wort: verſchmach-
tend, an dieſem Orte tadeln will, und vermuth-
lich in der Einbildung ſtehet, die Verſchmach-
tung ſey eine Wuͤrckung des Durſtes und
nicht der Traurigkeit. Er kan alſo nicht ſo
ausgeſchweifet haben, als der Spoͤtter, der die
Kappen gemacht hat, es uns einbilden will:
aber dieſer hat, um ſich zu verbergen, und ſeines
Vortheils wegen abermal die Gelegenheit er-
U 5grifen,
[314](o)
grifen, von Hamburg und Luͤbeck zu ſchwa-
tzen, den Hrn. Prof. Philippitheils zu verwir-
ren, theils als einen verworrenen Kopf vorzu-
ſtellen. Aus gleich boͤſer Abſicht hat er nicht
verſaͤumet, den Hrn. von Bockshorn wieder-
um mit ſeiner Dorilis zu ſcheeren, und ihn der
verſchmachtenden Augen, die er oft gehabt,
oder an ſeiner Goͤttin wahrgenommen, auf ei-
ne hoͤniſche Art zu erinnern, ohne zu bedencken,
daß ihm nicht leicht jemand glauben werde,
daß der Hr. Prof. Philippi, wenn er die Kap-
pen gemacht, von den in Thraͤnen ſchwim-
menden und gebrochenen Augen der Trauri-
gen, auf die verſchmachtende Augen
Juvenalis Sat. VII.’
der Verliebten verfallen ſeyn wuͤrde, bloß aus
einer unbaͤndigen Begierde, ſeinem ihm gantz
unbekannten Feinde, durch eine verwegene Be-
ſchuldigung einer Liederlichkeit, wehe zu thun.
Ob uͤbrigens der Ausdruck von verſchmach-
tenden Augen deutſch oder undeutſch ſey, das
geht mich nicht an.
VII. Gebe ich meinen Leſern zu bedencken,
ob es nicht wieder alle Wahrſcheinlichkeit ſey,
daß der Hr. Prof. Philippi dasjenige geſchrie-
ben, was zur Vertheidigung der Ohnmacht ge-
ſagt wird, die dem Hn. Prof. Philippi ange-
wandelt. Man ſpricht: Es ſey kein Ernſt
damit geweſen. Wie kan aber der Hr. Prof.
Philippi dieſes ſagen, da er doch in einer eige-
nen Anmerckung, als etwas beſonders, erzeh-
let,
[315](o)
let, daß ihm die Ohnmacht von ohngefehr an-
gewandelt, und alſo nicht gekuͤnſtelt geweſen?
Jſt es glaublich, daß der Hr. Prof. es uͤbel
nehmen koͤnne, wenn man ſeinen Worten trau-
et, und ihm die Ehre thut zu glauben, daß er
nicht leicht ohne alle Noth eine Unwahrheit ſa-
gen werde? Jch kan mir nicht einbilden, daß
der Hr. Prof. Philippi ſo gar unvernuͤnftig
iſt. Jch glaube vielmehr, er wuͤrde, wenn er
vor gut befunden, wieder den Hn. von Bocks-
horn zu ſchreiben, dieſem Spoͤtter durch ver-
nuͤnftige Gruͤnde bewieſen haben daß eine ver-
ſtellte Ohnmacht eines Redners keine Gaucke-
ley und kein Comedianten Streich ſey. Aber
zu dem Ende wuͤrde er ſich nicht auf das Exem-
pel der Eſther berufen haben. Denn die
Ohnmacht dieſer Koͤnigin war ungekuͤnſtelt,
und zu dem ſtand Eſther nicht auf der Catheder.
Noch weniger wuͤrde er den raſenden Schluß
gemacht haben: Kan der Hr. von Bockshorn
auf einen Beine huͤpfen, ſo kan ich auch wohl,
wenn es mir beliebt in Ohnmacht fallen. Denn
der Hr. Prof. Philippi ſiehet wohl, daß der
Verfaſſer des Briontes ihn nur durch ſein
Huͤpfen, auf eine ſinnliche Art, uͤberfuͤhren
wollen, daß ein vernuͤnftiger Redner kein
Gauckler ſeyn, und ſolglich nicht zum Schein
in Ohnmacht fallen muͤſſe. Jndeſſen ſteht
dieſer abentheurliche Schluß in denen Kap-
pen, mit welchen man ſich, als mit einer Schutz-
Schrift des Hn. Prof. Philippi traͤgt; und
dieſes eintzige iſt hinlaͤnglich, alle vernuͤnftige
Leute
[316](o)
Leute zu uͤberfuͤhren, daß dieſe Kappen nicht
von dem Herrn Prof. Philippi zugeſchnitten
ſeyn koͤnnen.
VIII. Jſt die Entſchuldigung der heidni-
ſchen Redens-Arten von unterirdigen Grot-
ten, und dem Reiche der Todten ſo albern,
daß ich mich entſehe, zu glauben, daß der Hr.
Prof. Philippi ſich derſelben bedienen koͤnnen.
Er habe ſich, laͤſſt man ihn in den Kappen ſa-
gen, nach dem Begrif ſeiner Zuhoͤrer richten
muͤſſen, die damahlen die Geſpraͤche im Reiche
der Todten alle geleſen. Suchte ſich der Hr.
Prof. Philippi wuͤrcklich durch dieſe Ausflucht
zu retten, ſo wuͤrden ſeine Feinde ihm antwor-
ten; Er ſchwaͤrme: Und ſie haͤtten recht.
Denn was konnte es ſeinen Zuhoͤrern vor
Troſt geben, daß er, ob er gleich ein Chriſt war,
von dem Zuſtand der Seeligen nach dem Tode
auf eine heidniſche Art redete? Solte es dienen,
ihnen einen rechten Begrif von dieſem begluͤck-
ten Zuſtande zu geben, oder ſolte es ihnen den
Verſtand der Geſpraͤche im Reiche der Todten
erleichtern? Beydes iſt gleich unmoͤglich, und
gleich unvernuͤnftig. Doch ich mercke die Ab-
ſicht der Spoͤtter wohl. Sie wollen nicht
nur den Hn. Philippi laͤcherlich machen, ſon-
dern auch der Geſellſchaft, in welcher er ſeine
Rede gehalten, einen Stich geben; Darum
mahlen ſie dieſelbe als eine Verſammlung von
Leuten ab, die ſich an ſolchen Schriften erqui-
cken, welche nur von Halb-Gelehrten hoch ge-
halten werden.
IX.
[317](o)
IX. Jſt es unglaublich, daß der Hr. Prof.
Philippi das Hertz wuͤrde gehabt haben, zu
leugnen, daß er geſagt: der Koͤnig von Pohlen
werde nimmer ſterben. Seine Worte ſind
viel zu klar. Er ſpricht: “Es ſey nunmehro
dasjenige aus dem Wege geraͤumet, ſo dem„
Koͤnige den hoͤchſtverdienten Ruhm der Un-„
ſterblichkeit noch einigermaſſen ſtreitig zu ma-„
chen geſchienen.“ Er redet alſo nicht von
dem Ruhm des Koͤniges, ſondern von dem Koͤ-
nige ſelbſt. Denn der Ruhm des Koͤniges
wuͤrde doch unſterblich geweſen ſeyn, wenn
auch das Uebel, wovon die Rede iſt, nicht aus
dem Wege geraͤumet worden: Und ein un-
ſterblicher Ruhm, und der Ruhm der Unſterb-
lichkeit iſt unmoͤglich einerley.
X. Mercke ich an, daß es eine groſſe Verwe-
genheit ſey, daß man in den Kappen den Herrn
Prof. Philippi als einen Mann vorſtellet, der
um die offenbahr kauderwelſche Redens-Art:
entbehrlicher Reſt, zu rechtfertigen, wohl
ſo weit verfallen koͤnne, daß er vorgebe; Reſt
bedeute bey uns auch ein Stuͤck oder Theil.
Gerade als wenn der Hr. Prof. Philippi ſeine
Mutter-Sprache ſo wenig verſtuͤnde, daß er
glaube man wuͤrde mercken was er haben wol-
le, wenn er uͤber Tiſch ſpraͤche: Gebt mir einen
Reſt Brod, einen Reſt Fleiſch u. ſ. w. Ein
Fenſter Bier wuͤrde kaum laͤcherlicher lauten.
Ein Reſt iſt freylich ein Theil; Aber ein jedes
Theil eines Gantzen iſt nicht gleich ein Reſt.
Der Verfaſſer des Briontes iſt ſo gut geweſen,
und
[318](o)
und hat dem Hr. Prof. Philippi geſagt, was
eigentlich ein Reſt ſey. Jch glaube daher
nicht, daß dieſer ehrliche Mann Luſt habe ſeinen
Fehler zu beſchoͤnigen. Er bereuet ihn.
XI. Klingt es laͤppiſch, wenn in den Kappen,
als was beſonders geſagt wird, die Unterle-
gung der Hertzen auf den Wege, den der Koͤ-
nig gereiſet, ſey nicht nach dem Buchſtaben zu
verſtehen. Denn wer thut das? Der Ver-
faſſer des Briontes ſpottet nur daruͤber, daß
der Hr. Prof. Philippi, nachdem er die Her-
tzen der Unterthanen in Steine verwandelt,
und den Weg damit gepflaſtert hat, von dem
Koͤnige verlanget, er ſolle geruhen, ſich darauf
zu lagern. Er meint es ſey eine Unbeſcheidenheit,
dem Koͤnige zuzumuthen, daß er aus dem Wa-
gen ſteigen, und ſich auf dem Wege liegende
Hertzen legen ſolle: Er lacht uͤber dieſes Zumu-
then, und es iſt zu glauben, daß der Hr. Prof.
Philippi ihm ſeinen Scrupel gantz anders
wuͤrde benommen haben, als durch die unge-
reimte Erinnerung, man muͤſſe die Unterle-
gung der Hertzen nicht nach dem Buchſtaben
verſtehen.
XII. Erhellet die Unmoͤglichkeit, daß der Hr.
Prof. Philippi die Kappen gemacht haben
koͤnne, vornehmlich aus der Stelle, da ſein
Gleichniß von dem wunderbaren Steuer-
Mann vertheidiget wird der auf Schifen
vom erſten Rang, das Waſſer mit einem
Ruder durchſchneidet. Man ſtellet ihn als ei-
nen Menſchen vor, der, ob er wohl ſeine Thor-
heit
[319](o)
heit nicht leugnen, und auf keine Weiſe recht-
fertigen kan, dennoch von einem ſo laͤcherlichen
Eigenſinn iſt, daß er ſich lieber durch die abge-
ſchmackteſten und kaͤlteſten Spoͤttereyen, noch
veraͤchtlicher machen, und gar in den Verdacht
eines verletzten Gehirnes ſetzen, als ſein Verſe-
hen erkennen will. Wer zweifelt, ob ich
hier den Caracter recht ausgedruͤckt habe, den
man dem Hn. Prof. Philippi in den Kappen
beyleget, der leſe den erſtaunens-wuͤrdigen
Einfall von einem Stuͤcke Poͤckel-Fleiſch,
das jener hoͤher gehalten als Ambra, und ſage
mir denn, ob er begreifen koͤnne was man
damit haben wolle. Es leuchtet daraus ein
Stoltz hervor, den man von einem ſo ſehr gede-
muͤthigten Scribenten nicht vermuthen
kan. Hier ſieht man die Klauen ſeiner Feinde,
die ihm die wahnſiñigſten Grillen in den Mund
legen, um ihn immer laͤcherlicher zu machen.
XIII. Jſt es nicht wahrſcheinlich, daß der
Hr. Prof. Philippi Urheber der Kappen ſey,
weil auf den Titel dieſer Schrift der Brion-
tes eine confiſcirteSatyre genennet, und in
der Abfertigung der Niederſaͤchſiſchen Nach-
richten geſaget wird, daß die erwehnte Satyre
in Sachſen bey 30 Reinhl. Gold-Guͤlden
zu verkaufen verboten worden. Dieſes iſt eine
Unwahrheit, die der Hr. Prof. nimmer geſaget
haben kan. Wir wiſſen hier in Dreßden
ſelbſt von einem ſolchen Verbot, und von der
Confiſcation nichts. Der Hr. Prof. Phi-
lippi iſt ſo nahe bey Leipzig, daß er leicht wiſſen
kan,
[320](o)
kan, was da vorgehet. Hat er aber jemah-
len gehoͤret, daß man Bedencken getragen den
Briontes zu verkaufen? Und wie iſt es denn
moͤglich, daß er eine Sache vor geſchehen aus-
geben ſolte, an welche niemand gedacht, noch
dencken koͤnnen; weil der Briontes nichts in
ſich haͤlt, das die Einſicht der Obrigkeit verdien-
te? Man kan alſo dreiſte ſagen, daß auch die-
ſe Unwahrheit auf die Verunglimpfung des
Hr. Prof. Pilippi abziele, und daß ſeine Feinde
dieſelbe aus keiner andern Urſache in ihre laͤ-
cherlichen Kappen mit einflieſſen laſſen,
als um dadurch zu verſtehen zu geben, der Hr.
Prof. ſey ſo einfaͤltig, daß er glaube, der Bri-
ontes verdiene confiſciret zu werden, und boß-
haft und unverſchaͤmt genug zu ſagen, er ſey
wuͤrcklich confiſcirt, ob es gleich nicht geſche-
hen.
XIV. Bitte ich meine Leſer, eine kleine Be-
trachtung uͤber die artigen Namen anzuſtellen,
die dem Verfaſſer des Briontes in den Kap-
pen gegeben werden. Koͤnnen ſie glauben,
daß der Hr. Prof. Philippi der Erfinder da-
von ſey, ſo will ich gerne geſtehen, daß ſie Leute
ſind, denen man einbilden kan, was man will.
Allein ich habe ein beſſer Vertrauen zu ihnen.
Jch bin feſt verſichert, daß ſie eben ſo gut, als
ich, ſehen werden, daß die Urheber der Kap-
pen die Regeln der Wahrſcheinlichkeit nicht
groͤber uͤbertreten haben, als eben in dieſem
Stuͤck. Sie nennen den Verfaſſer des Brion-
tes bald Hr. von Bockshorn, bald Mſr. Stax,
bald
[321](o)
Hr. von Stolperleicht, bald Hr. von Plump-
ſack, bald Hr. von Drehsleicht, und meinen,
daß ſo laͤppiſche Beynahmen ſich in dem Mun-
de eines Lehrers der Wohlredenheit gar wohl
ſchicken. Allein wer will ihnen glauben, daß
der beruͤhmte Lehrer, den ſie beſchimpfen wollen,
von ſo niedertraͤchtigem Gemuͤhte, und von ſo
verderbtem Geſchmacke ſey, daß er ſich durch ſo
gemeine und abgeſchmackte Beynahmen dem
Poͤbel gleich ſtellen, und durch ſolche Pickel-
herings Poſſen ſeinen Feinden die ſchoͤnſte Ge-
legenheit an die Hand geben wolle, uͤber ihn zu
lachen? Wenn der Herr Prof. Philippi ein
Handwercks-Purſche waͤre, ſo moͤchte ihre
Erfindung noch einigen Schein haben, denn
dieſe Leutlein ſind groſſe Liebhaber von ſolchen
Raritaͤten, und Meiſter in der Kunſt ſolche
Beynahmen zu erdencken, weil zu keiner Sa-
che weniger Verſtand erfordert wird, als zu die-
ſer. Allein Leute, welche ihr Stand und ihre
Geburt nur einigermaſſen von Poͤbel unter-
ſcheidet, haben einen Eckel an ſolchen Poſſen;
Und ich wolte alſo eher glauben, daß der Herr
Prof. Philippi ein falſcher Muͤntzer, ja daß
er ein guter Poet ſey, als daß ihm jemahlen,
auch nur im Traum, der Gedancke eingefallen
ſey, den Verfaſſer des Briontes Hr. von
Plumpſack zu nennen.
Jch ſchlieſſe hier meine Anmerckungen, und
hofe, das keiner meiner Leſer, wenn er das reif-
lich erwogen, was ich zur Vertheidigung des
Hrn. Prof. Philippi geſagt habe, ſo leichtglaͤu-
Xbig
[322](o)
big ſeyn wird, daß er ſich von den Feinden des
Herrn Prof. Philippi bereden laſſen ſollte, die-
ſer Haͤlliſche Lehrer ſey wuͤrcklich Urheber von
den ſo genannten Kappen. Hat jemand noch
einigen Zweifel, der nehme ſich die Muͤhe, und
ſehe den Beſchluß dieſer Kappen nur einmal
mit Bedacht an. Jch bin verſichert, ſeine
Scrupel werden verſchwinden, und er wird
mit Haͤnden greifen, daß der Hr. Prof. Phi-
lippi die Kappen unmoͤglich gemacht haben
koͤnne. Denn wie ſcheußlich iſt der Begrif
nicht, den man uns in dem Schluß dieſer haͤ-
miſchen Schrift von der Gemuͤths-Beſchaf-
fenheit des Hrn. Prof. giebt? Er bittet um
Friede, und traͤgt ſeinen Verfolgern Freund-
ſchaft an. Er thut es auf eine Art, daß man,
er mag ſagen, was er will, wohl ſiehet, daß er
in tauſend Aengſten ſey, und vor Furcht und
Warten der Dinge, die da kommen ſollen,
nicht zu bleiben wiſſe. Man halte dieſes Be-
zeigen gegen den Caracter, den man dem Hrn.
Prof. Philippi in den Kappen beygeleget hat.
Jn den Kappen iſt der Hr. Prof. Philippi
weit uͤber ſeine Widerſacher erhaben, er tantzet
ihnen auf den Koͤpfen, und aus allem, was er
ſagt, leuchtet nichts als Hochmuth, Trotz,
Zorn, Rachgierde, Grobheit und eine groſſe
Verachtung ſeiner Feinde hervor. Jn dem
Schluß dieſer Schrift hergegen kruͤmmet ſich
derl Hr. Prof. Philippi, und faͤllt ſeinen Fein-
den zu Fuſſe. Er laͤſſet nichts als Demuth,
Kleinmuͤthigkeit, Gedult und Friedfertigkeit
von
[323](o)
von ſich blicken. Er iſt hoͤflich, und bezeugt gegen
ſeine Feinde eine Hochachtung, von welcher
man in ſeiner gantzen Schrift nicht die gering-
ſte Spur findet. Wie kan dieſes mit einander
beſtehen? und ſollte man nicht faſt auf die
Muthmaſſung gerathen, daß die Kappen und
der Beſchluß derſelben nicht bey einem Meiſter
gemacht worden; wenn man nicht augenſchein-
lich ſaͤhe, daß alles mit Fleiß ſo widerſinnig ein-
gerichtet, und die Abſicht der Spoͤtter keine
andere ſey, als den Hrn. Prof. Philippi zu be-
ſchimpfen? Sie bilden ihn als einen Menſchen
ab, der zu gleicher Zeit ſtoltz und niedertraͤchtig,
trotzig und verzagt, zornig und gedultig, rach-
gierig und friedfertig, grob und hoͤflich iſt. Sie
machen ihn alſo zu der ungluͤckſeligſten Crea-
tur, die unter der Sonne lebt, und zu einem
Menſchen, der die groͤſſeſte Urſache von der
Welt hat, den Tag ſeiner Geburt zu ver-
fluchen. Und dieſe gar zu hoch getriebene
Spoͤtterey macht alle ihre Bemuͤhung zu nich-
te. Man mercket ihre Schalckheit und trauet
ihnen nicht. Denn wer will glauben, daß der
Hr. Prof. Philippi ſich in einem ſo elenden Zu-
ſtande befinde? Glaubt man aber dieſes nicht,
ſo kan man auch nicht glauben, daß er Urheber
von den Kappen ſey.
Jch habe mir bisher alle Muͤhe von derEin Ein-
wurf wird
beantwor-
tet, und ge-
wieſen,
daß der
Hr. Prof.
Welt gegeben, den Hrn. Prof. Philippi von
dieſem, ihm ſo ſchimpflichen, Verdacht zu be-
freyen, und ich bilde mir ein, daß meine Arbeit
nicht vergeblich ſeyn werde. Die Gruͤnde,
X 2mit
[324](o)
Philippi
die Anmer-
ckungen uͤ-
ber das
Fuͤndel-
Kind nicht
gemacht.mit welchen ich bewieſen habe, daß der Hr.
Prof. Philippi die Kappen nicht geſchrieben,
ſind unumſtoͤßlich. Jch wuͤrde aber die gute
Wuͤrckung, welche ſie, natuͤrlicher Weiſe, bey
allen vernuͤnftigen Leuten haben muͤſſen, ſelbſt
hindern, wenn ich nicht einem Einwurf begegne-
te, den man mir machen kan, und der einen groſ-
ſen Schein hat. Man wird ſprechen: Es
ſey umſonſt, daß ich mich bemuͤhe, dem Herrn
Prof. Philippi die Schrift: Gleiche Bruͤ-
der, gleiche Kappen, abzuſprechen: da er
ſelbſt, in ſeinen Anmerckungen uͤber das Send-
Schreiben der fuͤnf Schweſtern, dieſe
Mißgeburth fuͤr ſein Kind erkenne. Der Hr.
Profeſſor muͤſte es ja unſtreitig beſſer wiſſen,
als ich. Nun weiß ich wohl, daß das Send-
Schreiben der fuͤnf Schweſtern unter
dem Titel: Wunderſeltſames Fuͤndel-
Kind, und mit Anmerckungen in oͤfentlichen
Druck erſchienen iſt, die den Hrn. Prof. Phi-
lippi zum Urheber haben ſollen. Jch weiß
auch, daß der Hr. Prof. Philippi in einer die-
ſer Anmerckungen ſich auf die Kappen be-
rufet, als auf eine Schrift, die er gemacht hat,
und die er eheſtens unter die Preſſe geben werde:
allein darum glaube ich doch noch nicht, daß
der Herr Prof. Philippi wuͤrcklich ſo unbe-
dachtſam geweſen, daß er durch eine ſo alberne
Schutz-Schrift, als die Kappen ſind, ſich
ſelbſt ſo ſehr beſchimpfen und ſeinen Verfol-
gern ein Lachen zubereiten wollen. Man be-
weiſe mir erſt, daß die Anmerckungen in der
That
[325](o)
That von ihm ſind die dem ſo genannten Fuͤn-
del-Kinde ſtatt eines Gebuꝛts-Bꝛiefes und
Paſſes dienen ſollen. Jch habe wichtige Ur-
ſachen, daran zu zweifeln. Wer verſichert
uns, daß auch die Herausgebung dieſes Fuͤn-
del-Kindes nicht ein Streich der Verfolger
des Herrn Philippi ſey? Koͤnnen dieſe ver-
wegene Spoͤtter den Geburts-Brief, mit
welchen daſſelbe verſehen iſt nicht eben ſo wohl
geſchrieben haben, als die Kappen? Ja
ich will ein hohes verwettet haben, wo ſie es
nicht gethan. Sie haben wohl vorher geſe-
hen, daß ihre Betriegerey etwas zu plump
und niemand leicht glauben wuͤrde, daß der
Hr. Prof. Philippi Urheber von den Kap-
pen ſey. Darum haben ſie ſich der Liſt bedie-
net, erſt das Fuͤndel-Kind, als einen Vor-
laͤufer ihrer erdichteten Schutz-Schrift, in die
Welt zu ſetzen, in denen, unter des Hrn. Prof.
Philippi Namen, dazu gemachten Anmerckun-
gen, gleichſam im Vorbeygehen, der Kap-
pen, als einer Schrift des Hrn. Prof. Phi-
lippi, die bald das Licht ſehen werde, zu erweh-
nen, und alſo der Mißgeburt und dem
Wechſelbalg, die ſie dem Hrn. Prof. Philip-
pi unterſchieben wolten, den Weg zu bahnen:
Jn der feſten Hofnung, es wuͤrde ein jeder die-
ſen Wechſelbalg fuͤr ein aͤchtes Kind des
Hrn. Prof. Philippi halten, wenn dieſer gantz
unſchuldige Mann nur einmal bekennet haͤtte,
daß er Vater dazu ſey.
X 3Dieſe
[326](o)
Dieſe Muthmaſſung iſt ſehr wahrſchein-
lich, und ich werde noch mehr darinn beſtaͤrcket,
wenn ich die Kappen mit den Anmerckun-
gen zu dem Fuͤndel-Kinde zuſammen halte.
Kein Rabe iſt dem andern ſo aͤhnlich, als dieſe
beyde Schriften. Zwar hat man es in den
Anmerckungen uͤber das Fuͤndel-Kind ſo arg
nicht gemacht, als in den Kappen: Aber
dieſe Anmerckungen muſten auch etwas er-
traͤglicher ſeyn, als die Kappen. Dieſes er-
forderten die Regeln der Klugheit; weil ſonſt
die Welt den Betrug gar zu bald gemerckt ha-
ben wuͤrde. Jndeſſen haben ſich die Spoͤtter
auch in den Anmerckungen uͤber das Fuͤn-
del-Kind nicht ſo ſehr verſtellen koͤnnen, daß
man ihre Schalckheit nicht mercken ſollte.
Die poſſierliche Vorrede, die laͤppiſchen
Spoͤttereyen, und noch viele andere bedenckli-
che Ausdruͤckungen, die dem Hrn. Prof. Phi-
lippi wenig Ehre bringen, legen ſchon eine
groſſe Begierde an den Tag, den Herrn Prof.
laͤcherlich zu machen. Will man aber noch
eine deutlichere Probe von dieſer boͤſen Ab-
ſicht haben, ſo betrachte man die elenden Knit-
tel-Verſe, welche die Urheber des Fuͤndel-
Kindes bey aller Gelegenheit, eben ſo wie in
den Kappen geſchehen, unter die kaltſinni-
gen Spoͤttereyen mengen, welche ſie in des
Herrn Profeſſor Philippi Namen vorbrin-
gen. Sie werfen dieſem ehrlichen Manne
dadurch ſeine Reimſucht, auf eine haͤmi-
ſche Weiſe, vor, und geben allen Leſern, die
den
[327](o)
den Herrn Profeſſor Philippi vor den wah-
ren Urheber der Anmerckungen uͤber das
Fuͤndel-Kind halten, Anlaß, wenn ſie
die Verſe leſen, den Herrn Profeſſor Phi-
lippi den andern Eumolpus zu nennen,
und bey ſich ſelbſt zu dencken: conſumta fri-
gidiſſima urbanitate, rediit ad carmina ſua.
Petronius p. m. 137.
Ja was iſt nicht vor ein Abgrund von
Bosheit in derjenigen Stelle verborgen, da
ſie den Herrn Profeſſor Philippi ſagen laſ-
ſen: Es gehe ihm ſo, als allen groſſen“
Geiſtern. Leibnitz und Thomaſius haͤtten„
eben ihre Anfechtungen gehabt.“ Wie„
prahlhaft klinget dieſes nicht? Jſt es glaub-
lich, daß der Herr Profeſſor Philippi die
Dreiſtigkeit wuͤrde gehabt haben, ſich mit
ſo groſſen Geiſtern zu vergleichen, oder daß
er ſich ſelbſt ſo wenig kenne, daß er zwiſchen
der Operation, die der Verfaſſer des Brion-
tes an ihm verrichtet hat, und dem, was einige
Elende wider den Herrn von Leibnitz und
den ſeel. Thomaſius vorgenommen haben, eine
Aehnlichkeit finden ſolte? Eine ſo hoch-
muͤthige Einbildung koͤnnte vielleicht ſeinen
Jammer auf einige Minuten lindern, aber
in der That wuͤrde ſie ihm doch noch mehr
Verdruß zuwege bringen, und dem kleinen
Fauſtulus beym Auſonius vollkommen
aͤhnlich machen, der, wie er das Ungluͤck
hatte, von einer Ameiſe, die er ritte, abge-
X 4wor-
[328](o)
worfen, und, da dieſes kollernde Thierchen
hinten ausſchlug, ſo gefaͤhrlich beſchaͤdiget zu
werden, daß er daruͤber ſeinen Geiſt aufge-
ben muſte, ſich in ſeinem Letzten damit auf-
richtete, daß er einen eben ſo ſchweren Fall
gethan, als Phaeton:
elephanto
Decidit, \& terræ terga ſupina de-
dit.
Moxque idem eſt ad mortem multatus
calcibus ejus
Perditus ut poſſet vix retinere ani-
mam.
Vix tamen eſt fatus: Quid rides, im-
probe Livor?
Quod cecidi? cecidit non aliter
Phaëton.
Auſonius Epigr. CXV.’
Es iſt alſo unmoͤglich, daß der Hr. Prof.
Philippi ſich mit Leibnitzen und Thomaſius
koͤnne verglichen haben. Es iſt unmoͤglich,
daß er Urheber der Anmerckungen uͤber das
Fuͤndel-Kind ſey: und dieſes Fuͤndel-Kind
kan demnach keinen guten Einwurf wieder die
Gruͤnde abgeben, durch welche ich bewieſen,
daß der Hr. Prof. Philippi die Kappen nicht
gemacht habe.
Meine Gruͤnde beharren in ihrer Kraft, und
niemand, der dieſelbe gebuͤhrend einſiehet, wird
ſich durch die Feinde des Hn. Prof. Philippi
ver-
[329](o)
verleiten laſſen, ſo uͤbele Gedancken von dieſem
Manne zu haben, als man uns beybringen
will. Der Betrug dieſer frechen und liſtigen
Spoͤtter iſt numehro gluͤcklich entdecket, und
niemand wird hinfort glauben, daß der Herr
Prof. Philippi die Anmerckungen uͤber das
Fuͤndel-Kind, und die Kappen verfertiget
habe.
Jch habe es deutlich gewieſen, und mache
mir die Hofnung, meine Leſer werden die Bos-
heit der Feinde des Hn. Prof. Philippi mit mir
verabſcheuen. War es nicht genug, daß der
Verfaſſer des Briontes dieſen Haͤlliſchen Red-
ner ſeiner Ausſchweifungen wegen gezuͤchti-
get? Und iſt es nicht was unerhoͤrtes, daß man
einem Manne, der in einer anſehnlichen Be-
dienung lebet, und loß in Halle herumge-
het, zu einer Zeit, da er vielleicht im Staub
und in der Aſche Buſſe thut, Schriften an-
dichtet, aus welchen eine unglaubliche Hart-
naͤckigkeit, und ein ſo grimmiger Aberwitz her-
vorleuchtet, daß ich wenigſtens dem Herrn
Profeſſor Philippi nicht gerne begegnen moͤg-
te, wenn er ſie gemacht haͤtte?
Jch uͤberlaſſe es dem erleuchteten ErmeſſenHerr Prof.
Philippi
wird er-
mahnet,
ſeine Ehre
wider die-
jenigen zu
retten, die
ihm ſolche
Schriften
andichten.
des Hn. Prof. Philippi, was er vor rechtliche
Mittel zu Ahndung eines ſo groſſen Frevels
vorkehren will. Niemand wird es ihm ver-
dencken, wenn er eine ſo grobe Beleidigung,
und einen ſo ſtrafbaren Mißbrauch ſeines be-
ruͤhmten Nahmens aufs hoͤchſte empfindet.
Ein ſo ehrenruͤhriges Beginnen kan auch den
X 5gedul-
[330](o)
gedultigſten zum Zorn reitzen, und der Eyfer,
den der Herr Profeſſor Philippi wieder die
Kappen bezeugen muß, wo er nicht gantz
unempfindlich iſt, wird mich eben ſo ſehr be-
luſtigen, als ſeine Gelaſſenheit in Anſehung
der Satyre Briontes. Dieſe Satyre hiel-
te nichts in ſich, das dem Herrn Profeſſor
Philippi an ſeiner Ehren ſchaden konnte. Al-
lein die Kappen, die abgeſchmackten Kap-
pen, die thun ihm den Tod, und bringen
ihm eine Schande, die er nimmer wird ab-
wiſchen koͤnnen, wo er die Meynung, daß er
dieſelbe wuͤrcklich gemacht, einwurtzeln laͤſſet,
und nicht, ſo bald ſeine Feinde mit dieſer
Schand-Schrift hervorruͤcken, ſeine Ehre
rettet, und oͤfentlich bezeuget, daß er an de-
ren Verfertigung keinen Theil habe. Ein
ſolches Bekaͤnntniß wird demjenigen, welches
ich zur Vertheidigung des Herrn Profeſſor
Philippi geſchrieben habe, das rechte Gewicht
geben, ſeine Unſchuld auſſer Zweifel ſetzen,
und ſeine Verfolger beſchaͤmen.
Hier endige ich meine Schrift, die weitlaͤuf-
tiger geworden iſt, als ich ſelbſt vermuthet habe.
Jch ſchmeichle mir es ſo gemacht zu haben daß
meine Leſer, der Herr Profeſſor Philippi und
ſeine Verfolger mit mir zufrieden ſeyn koͤnnen.
Jch unterrichte die erſten, vertheidige den an-
dern, und beſtrafe die letzten auf eine ſolche
Art, daß ſie die wunderlichſten Leute von der
Welt ſeyn muͤſten, wenn ſie ſich uͤber mich
beſchweren, und mich ihren Zorn empfinden
laſſen
[331](o)
laſſen wolten. Jch bekenne, ich habe ihnen
die Wahrheit ungeheuchelt geſagt: Aber wie
kan ſie dieſes verdrieſſen, da ſie vor Leute an-
geſehen ſeyn wollen, welche die Wahrheit vor
andern lieben? Die Unpartheylichkeit, die
ich bezeiget, iſt ſo groß, daß ſie ihnen noth-
wendig gefallen muß. Denn habe ich gleich
die Bosheit getadelt, mit welcher ſie ſich der
Bekehrung des Hn. Prof. Philippi entgegen
ſetzen; Habe ich es ihnen, vieleicht manch-
mahl etwas zu hart verwieſen, daß ſie durch
die thoͤrigten Schriften, ſo ſie unter des Hn.
Prof. Philippi Nahmen in die Welt geſchi-
cket haben, und noch ſchicken werden, dieſen
betruͤbten Scribenten vollends zur Verzwei-
felung bringen wollen: So muͤſſen ſie herge-
gen auch bedencken, wie ſauer ich es mir wer-
den laſſen, ihren Briontes wieder die unglei-
chen Urtheile zu retten, die von ihm gefaͤllet
worden ſind. Es waͤre viel, wenn ſie mir
meine Muͤhe mit Undanck lohnen ſolten. Jn-
deſſen wenn ſie ſo unbillig ſeyn wollen, ſo
muß ich es mir gefallen laſſen, und werde zu-
frieden ſeyn, wenn unpartheyiſche Leſer nur
erkennen, daß die Satyre Briontes nicht
mit Religions-Spoͤttereyen angefuͤllet, daß
ſie nicht ehrenruͤhrig, und folglich keine ſtraf-
bare Schrift ſey.
Jch habe vor noͤthig erachtet, dieſen boͤ-
ſen Wahn zu wiederlegen, ſo wohl die Un-
ſchuld des Verfaſſers des Briontes zu retten,
als auch den Herrn Profeſſor Philippi vor
die
[232[332]](o)
die Verfuͤhrung derer zu bewahren, die
ihn vieleicht durch die ſchmeichelnde Ein-
bildung daß ihm in dem Briontes ſehr
zu nahe geſchehen, und dieſe Satyre, ich
weiß nicht wie ehrenruͤhrig, gottloß und
ſtrafbar ſey, von Vollfuͤhrung des wich-
tigen Wercks ſeiner Bekehrung, in wel-
chem er begrifen iſt, abhalten, und durch
ihr loſes, und dem Fleiſche angenehmes
Geſchwaͤtz auf die unvernuͤnftigen Gedan-
cken bringen moͤchten, es ſey nicht nur noͤthig,
ſondern auch moͤglich, daß er ſeine Feh-
ler gegen den Verfaſſer des Briontes
biß auf den letzten Bluts-Tropfen ver-
theidige.
Gute Erinnerungen ſind dem aͤuſſern Men-
ſchen allemahl verdrießlich. Er will nicht ge-
meiſtert ſeyn. Unſere verderbte Natur wie-
derſtrebet dem Guten, und die uns allen ange-
bohrne Selbſt-Liebe blendet uns ſo ſehr, daß
wir dasjenige, welches andere an uns tadeln
und verabſcheuen, oft vor unſere beſte Eigen-
ſchaft halten. Es iſt alſo gar natuͤrlich, daß eine
Schrift, wie der Briontes, dem Herrn Pro-
feſſor Philippi, der ſich, ich weiß nicht warum,
eine gute Zeit eingebildet hat, er ſey ein heroi-
ſcher Redner, und ein vortreflicher Dichter,
nicht ſonderlich gefallen muͤſſe, weil ſie ihm
dieſe ſuͤſſe Einbildung, wieder ſeinen Willen
raubet, und zu allerhand verdrießlichen Be-
trachtungen Anlaß giebt. Die Gelaſſenheit,
die der Herr Profeſſer bißhero bezeiget, laͤſſet
uns
[333](o)
uns hofen, er habe ſich als ein vernuͤnftiger
Mann in ſeinem Unfall gefunden, und den
wahrhaftig heroiſchen Entſchluß gefaſſet,
nicht wieder den Stachel zu lecken, ſondern mit
Ernſt auf Beſſerung zu dencken. Allein wie
leicht iſt es nicht, daß dieſer Lobens-wuͤrdige
Vorſatz durch die ſich noch immer regende Ei-
gen-Liebe unterbrochen, und der Herr Pro-
feſſor Philippi durch die verſuͤhriſchen Reden
anderer beweget werde, zu glauben, der Bri-
ontes ſey eine ehrenruͤhrige, boͤſe, ſtrafbare
Schrift, der man ſich mit aller Macht wie-
derſetzen muͤſſe. Man ſiehet unerinnert, daß
ein ſolcher Wahn die Bekehrung des Herrn
Philippi ungemein hindern koͤnne. Deswe-
gen nun habe ich denen, die durch ihre Urthei-
le uͤber den Briontes ihm eine ſo boͤſe Mei-
nung etwan beybringen moͤgten, einmahl
vor allemahl das Maul geſtopfet, und, wo
ſie ja nicht ſchweigen wollen, den Herrn
Profeſſor Philippi genugſam wieder die li-
ſtigen Anlaͤufe dieſer Verfuͤhrer gewafnet.
Der Herr Profeſſor Philippi kan aus
dieſer Schrift die heilſame Erkaͤnntniß ſchoͤp-
fen, daß er keine Urſache habe, auf den Ver-
faſſer des Briontes zu zuͤrnen. Er iſt ſein
Artzt, der es redlich mit ihm meinet. Er
hat ihm, es iſt wahr, einen herben und bit-
tern Tranck eingegeben. Aber dieſes iſt
dem Herrn Profeſſor geſund. Seine Mit-
tel ſind beiſſend und ſcharf. Allein der Scha-
den des Herrn Profeſſors konnte anders
nicht
[334](o)
nicht getheilet werden. Weiche Aertzte tau-
gen nicht, und machen faule Wunden. Der
Herr Profeſſor Philippi kan demjenigen,
welchen ihm das Gluͤck beſcheret hat, dieſen
Fehler nicht vorwerfen. Er hat alſo keine
Urſache, ihn zu haſſen, und vor ſeinen Feind
zu halten.
Der groͤſſeſte Feind, den er in der Welt,
finden mag, iſt derjenige, der die Kappen
gemacht hat. Den verfolge er, wieder den
eyfere er, mit dem kaͤmpfe er, biß er ihn zu
Boden geworfen, und zur Erkaͤnntniß ſeiner
Thorheit gebracht hat. Dieſer Ungluͤckſee-
lige hat ihn durch die elenden Kappen weit
groͤber beſchimpfet, als der Verfaſſer des
Briontes durch ſeine Satyre. Ja, wo
dem Geruͤchte zu trauen, ſo iſt eben der Ver-
faſſer der Kappen Schuld an allem Ver-
druß, den der Herr Profeſſor Philippi einige
Zeit her ausſtehen muͤſſen. Er hat, wie
man ſagt, nicht nur zu der Satyre Briontes,
ſondern auch zu allen den beiſſenden Cen-
ſuren Anlas gegeben mit welchen man
den Herrn Profeſſor gequaͤlet hat.
Der Herr Profeſſor Philippi rette dem-
nach ſeine Ehre wieder dieſen gefaͤhrlichen
Feind, und laſſe den Verfaſſer des Bri-
ontes zufrieden. Faſſe er einmahl ein
Hertz und greife den Verfaſſer der Kap-
pen ernſtlich an. Hat er dieſen Feind
beſieget, und unter ſeine Fuͤſſe gebracht,
ſo kan er verſichert ſeyn, daß er, durch
deſſen
[335](o)
deſſen Niederlage, die Quelle ſeines Jam-
mers verſtopfet.
Mit dem Verfaſſer des Briontes muß
der Herr Profeſſor Philippi nicht an-
binden. Wider den richtet er nichts
aus. Der kennet die Schwaͤche des
Herrn Profeſſors, und kan ihn mit leich-
ter Muͤhe zu Boden ſchlagen. Der Hr.
Profeſſor Philippi darf nicht dencken: Es
ſey zwar mit ſeiner Macht nichts gethan;
allein er wolle den wetlichen Arm um
Huͤlfe anſchreyen. Meine Schrift kan
ihn lehren, daß er nicht Urſache habe,
ſich auf den Beyſtand der Maͤchtigen die-
ſer Welt zu verlaſſen. Jch habe gewie-
ſen, daß der Verfaſſer des Briontes nichts
gethan, welches die Ahndung der Obrig-
keit verdiene. Er hat dem Herrn Profeſ-
ſor Philippi ſeine Fehler auf eine erlaub-
te Art gezeiget, und dadurch einen Dienſt
erwieſen, den der Herr Profeſſor die Zeit
ſeines Lebens nicht vergelten kan. Jch
wuͤnſche zu Beſchluß von Hertzen, daß
der Herr Profeſſor Philippi dieſes erken-
nen moͤge, und hofe es auch. Dieſes
iſt der ſicherſte Weg, ſeine Spoͤtter zu
entwafnen. Sich entruͤſten, zur Obrig-
keit ſeine Zuflucht nehmen, und um Rache
ſchreyen, das ſtehet nicht wohl, und iſt verge-
bens. Ein boͤſer Scribent, der, wenn
er mit Vernunft geſtriegelt worden, ſich auf
dieſe
[336](o)
dieſe Art wehren will, vergroͤſſert nur ſein
Ungluͤck. Die Obrigkeit erhoͤret ſein Ge-
ſchrey nicht, ſondern lacht uͤber ſeine Kla-
gen, und ſein Feind triumphirt, wenn
er mit Schande abgewieſen wird:
Opprobriis dignum latraverit,
integer ipſe,
Solventur riſu tabulæ, tu miſ-
ſus abibis.
Horatius Lib. II. Sat. I.’
VI.
[[337]]
VI.
Stand-
oder
Antritts-Rede,
welche der
(S. T.)
Herr D. Joh. Ernſt Philippi,
oͤfentlicher Profeſſor der deutſchen Wohlredenheit
zu Halle,
den 21. December 1732.
in der
Geſellſchaft der kleinen Geiſter
gehalten,
ſammt der Jhm darauf, im Namen
der gantzen loͤbl. Geſellſchaft der kleinen
Geiſter
von dem (S. T.)
Herrn B. G. R. S. F. M.
als Aelteſten der Geſellſchaft,
gewordenen hoͤflichen Antwort.
Auf Befehl und Koſten der Geſellſchaft der kleinen Geiſter
zum Druck befordert.
EXSEQVIAS PHILIPPO QVOI COMMODVM EST IRE,
JAM TEMPVS EST, OLLVS DEFER TVR.
1733.
[[338]]
Vorrede.
Niemahlen ſind die Meinungen
in unſern Verſammlungen ſo
getheilet geweſen, als neulich
uͤber die Frage: Ob die
Stand-Rede des Hn. Prof.
Philippi, und die Antwort darauf dem
Druck zu uͤbergeben ſey, oder nicht?
Einige behaupteten: Es ſey zu beſor-
gen, der Hr. Prof. Philippi werde es uͤbel
nehmen, daß man ſeine Rede wider ſei-
nen Willen drucken laſſen. Es fuͤnden
ſich in dieſer Rede allerhand bedenckliche
Ausdruͤckungen, die der Ehre des Hrn. von
Boxhorn, und unſerer Geſellſchaft ſelbſt,
entgegen. Man muͤſſe die geheimen An-
gelegenheiten der Geſellſchaft nicht ofen-
bahren, und ihre innerliche Streitigkei-
ten
[339](o)
ten nicht bekannt machen. Dieſes heiſſe
die Bloͤſſe ſeiner Mutter aufdecken, ſey
eine Suͤnde wider das vierte Gebot, und
gebe dem Feinde nur Anlaß zu ſpotten.
Es ſey viel kluͤger gehandelt, wenn man,
ſo viel moͤglich vertuſchte, daß der Herr
Prof. Philippi zu uns gehoͤre, und unſer
Haupt ſey? Wenn die Feinde unſerer
Geſellſchaft dieſes wuͤſten, wuͤrden ſie um
ſo viel mehr auf ihrer Hut ſeyn u. ſ. w.
Andere hergegen ſagten: Man wiſſe
von gewiſſer Hand, daß es dem Herrn
Prof. Philippi nicht zuwider, wenn ſei-
ne Rede gedruckt wuͤrde. Es ſey dieſe
Rede weder dem Herrn von Borhorn,
noch unſerer Geſellſchaft ſchimpflich. Daß
wir ein Haupt erwehlet, und daß der Hr.
Prof. Philippi ſich etwas noͤhtigen laſſen,
ſey nichts geheimes. Die innerliche Un-
einigkeit habe nichts zu bedeuten gehabt,
und die Feinde unſerer Geſellſchaft koͤnn-
ten ſich dieſelbe unmoͤglich zu Nutze ma-
chen, weil ſie gluͤcklich beygeleget. Es ſey
unmoͤglich zu verbergen, daß der Herr
Prof. Philippi ein kleiner Geiſt, und
daß er unſer Haupt ſey, gereiche uns zur
Ehre. Es koͤnne unſern Feinden nichts
Y 2helfen,
[340](o)
helfen, wenn ſie dieſes wuͤſten; ja es ſey
gut, wenn man ihnen Nachricht da-
von gaͤbe, weil dadurch ihre Quaal ver-
groͤſſert wuͤrde.
Es wurde hieruͤber drey Tage und drey
Naͤchte mit groſſer Heftigkeit geſtritten,
biß endlich mit 777. Stimmen gegen 365.
der Druck beſchloſſen wurde.
Jch halte dieſen Schluß vor einen der
kluͤgſten, ſo in langer Zeit in unſerer Ver-
ſammlung gemacht worden, und bin ver-
ſichert, daß Freund und Feind damit zu
frieden ſeyn werde. Der Hr. Prof. Philip-
pi wird ſich freuen, ein Werckgen gedruckt
zu ſehen, das ihm viele Muͤhe gekoſtet, und
welches er in Halle, Leipzig und Hamburg
ſo lange vergebens ausgeboten hat. Un-
ſern abweſenden Bruͤdern wird es zu un-
ausſprechlichem Troſt gereichen, daß wir
ein ſo wuͤrdiges und ſtreitbares Haupt er-
wehlet haben: Und unſere Feinde werden es
uns Danck wiſſen, und unſere Großmuth
bewundern, daß wir ſie vor dem Ungluͤck,
das uͤber ihren Haͤuptern ſchwebet, haben
warnen wollen. Jch will dahero nicht ſa-
gen, daß ich derjenige bin, der dieſen ſo wei-
ſen
[341](o)
ſen Schluß veranlaſſet hat. Man moͤchte es
mir zur Prahlerey deuten. Doch kan ich es
geſchehen laſſen, wenn der geneigte Leſer
dieſes vor ſich dencken, und mir dasjeni-
ge Lob ertheilen will, ſo die gantze Welt
demjenigen ſchuldig, der Urſache iſt, daß
zwo, ſo ausbuͤndig-ſchoͤne Reden das Licht
ſehen.
Der geneigte Leſer wird es nicht unguͤ-
tig nehmen, daß ich mich von ihm beur-
laube. Jch war willens, ihm noch viele
ſchoͤne Sachen zu ſagen: Allein ich habe
mich bey einer andern Gelegenheit ſo er-
ſchoͤpfet, daß ich Zeit brauche, mich wieder
zu erhohlen. Wo wir leben, ſprechen wir
uns bald wieder. Biß dahin GOTT be-
fohlen!
den 21 Mertz
1733.
Secretarius der Geſellſchaft
der kleinen Geiſter.
Y 3Stand-
[342](o)
Stand- oder Antritts-Rede
des (S. T.)
Herrn Prof. Philippi,
gehalten
in der
Geſellſchaft der kleinen Geiſter.
His agitur furiis, totoque ardentis ab ore
Scintillæ abſiſtunt: oculis micat acribus ignis
Mugitus veluti cum prima in prœlia taurus
Terrificos ciet, atque iraſci in cornua tentat,
Arboris obnixus trunco, ventosque laceſſit
Ictibus, \& ſparſa ad pugnam proludit arena.’
Verwundert euch nicht, und legt mirs vor kei-
ne Unhoͤflichkeit aus, daß ich ſo unangemel-
det in eure Verſammlung trete. Jch be-
zeuge euch zufoͤrderſt meine Hochachtung, die ſo
groß iſt, als eure Wiſſenſchaft und Verdienſte. Die
Natur, die alle Dinge weißlich eintheilet, hat euch
ein ſolches Maaß von Verſtands-Kraͤften gegeben,
damit
[343](o)
damit ihr zufrieden ſeyn koͤnnet. Jhr ſeyd dadurch
uͤber zwey groſſe Feinde, dem Neid und die Ver-
folgung hinweg geſetzet. Denn eure Gemuͤths-Ga-
ben mißgoͤnnt euch niemand; es verlangt auch
niemand, als wer zu eurer anſehnlichen Verſamm-
lung gehoͤret, euch nachzuahmen. Vor Verlaͤum-
dern aber ſeyd ihr auch geſichert, weil man euch in
einem ſolchen Werth laͤſt, daß von euch wenig oder
gar nicht geſprochen wird. Redet man aber ja von
euch, ſo ſagt man bloß, daß ihr kleine Geiſter
ſeyd, und man giebt euch alſo denjenigen Namen,
den ihr ſelbſt vor die groͤſte Ehre achtet, und
den ihr euren Schriften zu beſonderer Zierde vorſe-
tzet, mithin es vor keine Verleumdung achtet,
wenn man euch mit dieſem Ehren-Titel der klei-
nen Geiſter benennet.
Jhr ſeyd mir, Wohlanſehnliche kleine Gei-
ſter, mit Hoͤflichkeit zuvorgekommen. Denn ich
hielte es vor unrecht, daß man eurer ſo gar we-
nig gedencket, auſſer was ihr ſelbſt etwa von eurer
ruͤh mlichen Geſellſchaft juͤngſt kundbar gemacht. Da-
her fand ich den Caracter eures Gemuͤths vor
wuͤrdig, in meinen bald heraus kommenden Morali-
ſchen Bildniſſen von Perſonen und Sitten, Tu-
genden und Laſtern, euch eine beſondere Stelle zu
geben, und die gantz begreifliche Eigenſchaften, ſo ihr
beſitzet, darinne auszufuͤhren.
Aber, wie geſagt, ihr ſeyd ſo guͤtig, und habt euch, in
der von einem eurer Mitglieder gehaltenen Lob-
Rede ſo natuͤrlich abgeſchildert, daß mein von euch
entworfenes Portrait dadurch ungemein verbeſſert
worden. Weil ihr nun darinne ſo viel Freude
Y 4an
[244[344]](o)
an meinen bißher in Druck gegebenen Schriften be-
zeuget; So ſchaͤtze es vor ein Gluͤck, daß wenig-
ſtens euch, als einer ſo zahlreichen Geſellſchaft,
damit dienen koͤnnen, und ich verbinde mich hiedurch
in meiner unter Haͤnden habenden Anatomie des
menſchlichen Verſtandes ein eigen Capitel von
der Staͤrcke eurer Einbildungs-Kraft, von der Gluͤck-
ſeeligkeit eurer Einfaͤlle, von der angenehmen Ver-
bindung auslaͤndiſcher, und anderer bedenckli-
chen Redens-Arten, in eurer ans Licht geſtellten
Wercken, von der Richtigkeit eurer Urtheile, Gruͤnd-
lichkeit eurer Schluͤſſe, und in Summa, was zur
Vollkommenheit der kleinen Geiſter gehoͤret, zu
reden.
Jch behalte mir auch vor, eure gerechte Beſchwer-
den darinne zu pruͤfen, daß die groſſen Geiſter ſich
in ihren Begrifen nicht nach euch richten, ſondern
ſich oft nicht entbloͤden Dinge zu reden, und zu ſchrei-
ben, die gantz uͤber euren Horizont ſind. Hin-
gegen verſpreche euch hiermit, kuͤnftig nichts mehr in
Druck ausgehen zu laſſen, dabey ich nicht eurer alle-
zeit in Ehren gedencken ſollte, und wenn ich ja
weiter Schriften ans Licht ſtellen moͤchte, die, wie
mein neueſter Philoſophiſcher Tractat, von der
Unmoͤglichkeit einer ewigen Welt, euch unbe-
greiflich waͤren; So glaubet doch, ich habe ſo viel
Hochachtung vor euch, daß ich euch deren Durch-
leſung nicht einmahl anmuthe.
Doch ich erinnere mich einer gantz beſondern
Pflicht, die ich den Augenblick, da ich dieſe Stelle
betreten, gegen euch abzutragen, ſo ſchuldig als wil-
lig bin. Jch bezeuge euch nemlich meine ungemei-
ne
[345](o)
ne Danck-Verpflichtung, daß ihr mich gewuͤr-
diget, eine eigene Lob Rede in eurer ſo anſehn-
lichen Geſellſchaft auf mich halten zu laſſen. Jch
hofe das Gluͤck zu haben, deſſen, der ſie gehal-
ten, anſichtig zu werden, aber das widrige Ver-
haͤngniß hat mir auch dieſesmahl einen Theil des
Vergnuͤgens durch deſſen Abweſenheit entzogen.
Jch ſehe nunmehro mit ſichtigen Augen, was ich
vorhin kaum glauben konnte, daß nicht bloß in klei-
nen, ſondern auch in groſſen wohlgeſtalten Leibern,
mit erhabenen Augen, ſtarcken Schultern, und mit
andern Vollkommenheiten begabten Coͤrpern, Gei-
ſter eurer Art wohnen koͤnnen. Sehe ich doch ſo gar
welche vor mir, die in der Welt viel Gewalt und
Hoheit haben, von denen ich nicht vermuthet, daß
ſie Mitglieder eurer Geſellſchaft ſeyn koͤnnten. Sce-
pter und Kleinodien ſind ja ſonſten nur der Schmuck,
und Ehren-Zeichen erhabener Perſonen, denen die
guͤtige Natur das Gluͤck zugedacht, uͤber andere zu
herrſchen, und erſtaune alſo, daß euer etzliche ſich
auch damit behaͤnget.
Zu meiner Rechten und Lincken ſehe auch anſehnliche
Leute in Trauer-Tracht, und wohlgeſteiften Kraͤgel-
gen, die mir ſcheinen denenjenigen in der Kleidung
nachahmen zu wollen, die bey mir nach aller Wahr-
heit im hohen Werth ſind. Waͤre ich aber das,
was ihr mich in eurer Lob-Schrift zu nennen belie-
bet, ſo wuͤrde ich mich nicht enthalten koͤnnen, eine
Reforme unter euch vorzunehmen, und zum Unter-
ſcheid eurer von den treuen und ehrwuͤrdigen
Bothen GOttes, euch eine andere Tracht zu beſtim-
men, die ſich beſſer vor euch ſchicket.
Y 5Billig
[336[346]](o)
Billig erſtaune ich auch, daß, da die Namen von
Rechts-Gelehrten, Raͤhten, Beyſitzern, Ad-
vocaten, Aertzten und Weltweiſen unter ſo vie-
len groſſen Geiſtern angetrofen werden, es euch doch
groͤßten theils beliebet hat, Maſquen davon anzu-
nehmen, und ich erkenne euch darinne vor Leute von
weit einſehendern Verſtande, als mich ſelbſt, weil
ich nicht zu begreifen vermag, wie dieſe eure an-
genommene Larven mit eurem wahren Ge-
muͤhts-Caracter in einiger Gleichheit ſtehen.
Noch mehr bewundere ich die Geſetze eurer Rede-
Kunſt, nach welcher es eꝛlaubet iſt, alles heraus zu
ſagen, was man denckt, auch eine ſo natuͤrliche und
ungezwungene Leibes-Stellung dabey anzuneh-
men, darinne ich es euch gar nicht gleich zu thun ver-
mag.
Jch ſehe hier welche ſo erbar ſitzen, die ich an an-
dern Orten habe in aͤuſerſter Leibes-Bewegung zu
einem groſſen Volck reden hoͤren. Ein groß Geſchrey,
ein Geklatſche mit den Haͤnden, ein oͤfteres Raͤuſpern
ſtehet einigen von euch recht angenehm. An andern
ſehe eine ſo groſſe Lebhaftigkeit mit ihren Zuhoͤrern zu
ſchertzen, daß ſie denen Haupt-Perſonen in einem
Luſt-Spiel gleichen, und reden dabey ſo leiſe, daß
man ihnen ſehr aufmerckſame Ohren geben muß, um
ſie nur zu verſtehen, und daß man ſchwoͤren ſollte, es
waͤren Statuen, wenn man nicht noch eine kleine
Bewegung an ihren Lippen wahrnaͤhme.
Wie ſoll ich mich aber anietzo gegen die verhalten,
die hinter mir theils ſtehen, theils ſitzen? Doch weil in
eurer Geſellſchaft einem nichts vor uͤbel genom-
men wird, ſo werdet ihr mir wohl erlauben, euch eine
Weile den Ruͤcken zuzukehꝛen, um ſolche zu beſchauen.
O
[347](o)
O was ſehe ich da voꝛ eine vermiſchte Schaar bey-
derley Geſchlechts, die ſich einer handfeſten Bered-
ſamkeit ruͤhmen! Jch ſehe eine groſſe Anzahl, die,
an ſtatt der Worte, mit zornigen Gebaͤrden und gela-
denem Gewehr alle Welt ſchweigen machen. Jch
ſehe eine Menge von Gerichts-Dienern, die eu-
re Leibwachten ſind, ſo daß mir faſt bange wird,
mich unter ſo ſtrengen Aufſehern zu befinden, die ſich
nach dem Winde derer, die ich um, wider, vor
mir und zur Seiten ſehe, genau richten. Aber wie
artig ſiehet nicht erſt die Wafen-Ruͤſtung derje-
nigen, die ihr in eurer Geſellſchaft erzuͤrnte Weibes-
Bilder nennet. Sie ſehen in Wahrheit ſo fuͤrch-
terlich aus, daß ich groſſen Fleiß tragen werde, ih-
ren Zorn mit keinem Worte gegen mich zu erregen.
Jndem ich aber meine Augen auf die Decke eu-
res Saals richte, entdecke ein beſonderes Kunſt-
Stuͤck, das ich billig, ob es gleich meinen Augen groſ-
ſe Gewalt thut, ſo ſtarr uͤber mich zu ſehen, in
naͤhern Augenſchein nehme. Jch bemercke daſelbſt,
daß ihr eure Geſetze ſehr hoch gehalten wiſſen wollet,
weil ihr ſie an einem ſo erhabenen Ort geſtellet.
Mit eurer guͤtigen Erlaubniß muß ich ſie mir doch al-
ſobald in meine Schreib-Tafel einzeichnen, damit
unterdeſſen meine durch beſtaͤndige Abwechſelung
der lincken und rechten Hand abgemuͤdeten Arme et-
was ausruhen, und der Hut, der durch ſein oft-
mahliges in die Luft heben ſo viel Luft in ſich ge-
zogen, mir nicht zu ſchwer werde. Daher ich ihn nun
nach den Geſetzen eurer Geſellſchaft gantz erbar unter
dem Arm nehme, mit dem Vorbehalt, daß ihr
daran ein Wahr-Zeichen abnehmen koͤnnet, daß
ich
[348](o)
ich bald alsdenn in der Rede aufhoͤren werde, wenn
ich ſolchen wieder unter dem Arm hervorziehe,
und in der Luft herumſtreichen werde.
Euer erſtes Geſetz, ſo viel ich vor dem Ne-
bel leſen kan, der von den moraliſchen Ausduͤn-
ſtungen eures Verſtandes entſtehet, lautet alſo:
Huͤte dich, bey Strafe, daß du dem Scharf-
Richter nicht in die Haͤnde falleſt, vor der heroi-
ſchen Beredſamkeit, ja nimm dis Wort, wel-
ches des Landes auf ewig verwieſen, nicht ein-
mahl in den Mund. O ihr gnaͤdigen kleinen Geiſter!
Wie ſo gar ſtreng iſt dis euer Geſetze, deſſen Grund
man doch nicht erfoꝛſchen darf, weil ihr einen blinden
Gehorſam fordert, und darnach nichts fraget, was
andere von euren Geſetzen dencken. Aber gewiß ich
habe es erfahren, daß ihr mit allem Ernſt uͤber ſol-
chem Geſetze haltet, indem ihr meine Sechs Deut-
ſche Reden durch einen Scharf-Richter den von
Vorhorn habet raͤdern und viertheilen laſſen; ſo
daß ich voraus ſehe, es werde allen meinen uͤbri-
gen Schriften, wenn ich dis Wort weiter brau-
chen ſolte, eben ſo ergehen, beſonders meiner Thuͤ-
ringiſchen Hiſtorie, als der ihr bereits das Leben
abgeſprochen habet.
Euer anderes Geſetze heiſſet: Trage keine Sor-
ge, wenn du gleich in der gewoͤhnlichſten Titula-
tur fehleſt. Das zeiget ohne Zweifel eine groſſe De
muth an, daß ihr ſo verſchwenderiſch ſeyd, andere
mit groſſen Titeln zu beehren, hingegen euch es ei-
nerley, ob man euch nenne Großmaͤchtige, Durch-
lauchte, Hochgebohrne, Wohlgebohrne, Hoch-Ed-
le und ſ. f. oder aber nur ſchlecht weg: Die klei-
nen
[349](o)
nen Geiſter: So werdet ihr mir denn auch jetzt
verzeihen, wenn ich euch nicht die rechte Titel gege-
ben. Denn wie ſolten ſich dergleichen groſſe Ti-
tel vor euch kleine Geiſter ſchicken, da ſie von
rechtswegen nur vor groſſe Geiſter gehoͤren. Doch
ich mercke, daß ihr denen, die hinter mir mit
Schwerdten und mit Stangen ſtehen, wincket.
Jhr werdet euch doch wohl nicht an meiner Perſon
vergreifen, und da ich jetzo nur als ein Gaſt bey euch
bin, nicht das Gaſt-Recht verletzen wollen? Um aber
allem Uebel vorzubauen, wo ihr vieleicht Feinde der
Critic waͤret, will ich gerne uͤber eure uͤbrige Geſetze
nicht raiſonniren, ſondern ſie zu meiner Nachricht
abſchreiben. Es heiſſet alſo euer drittes Geſetz, wo
ich anders recht leſe; Bleibe bey dem alten Schlen-
drian, und ob gleich die deutſche Sprache ihre
gantz eigentliche Regel hat, ſo binde dich doch an
die Regeln der Lateiniſchen und Griechiſchen Rede-
Kunſt eines Cicero und Demoſtenes.
Zum vierdten; Huͤte dich vor einem fruchtbah-
ren Vortrag nuͤtzlicher Wahrheiten, damit du
nicht die Weißheit verſchwendeſt, ſondern rede
lieber von einerley mit vielen gleichguͤltigen
Worten, ſolte auch aus dem, was du in wenig
Seiten ſagen koͤnnteſt, vier geſtopfte Bogen
gleich voll werden.
Fuͤnftens: Rede fein natuͤrlich, daß dich ein
jeder verſtehet. So! So! nun ſehe ich erſt,
warum euer juͤngſter Lob-Rednerpag. 58. auf ſo
natuͤrliche Weiſe mein Helden-Gedichte mit einem
Ochſen-Kaͤufer vergleichet, der aus dem Hin-
tertheil von der Guͤte urtheile; desgleichen in ei-
ner
[350](o)
ner Anmerckung: Ein Hunds . . . . . moquirt
ſich. Gewiß das iſt ungemein natuͤrlich geſprochen.
Sechſtens: Huͤte dich vor einer genauen Wahl
der Gedancken, vor einem richtigen Zuſammen-
hang der Urtheile, und vor einer Buͤndigkeit in den
Schluͤſſen; am meiſten aber vor ſolchen verborge-
nen Schoͤnheiten, die der Zuhoͤrer, vermittelſt ei-
nes ſtarcken Verſtandes, den ihm der Redner zu-
trauet, erſt heraus bringen muß; denn ſo wuͤrdeſt du
uns kleinen Geiſtern gantz unverſtaͤndlich ſeyn.
Rede aber auf noch ſo hochtrabende, befehleri-
ſche, (ſolten auch viel Fluͤche mit unterlaufen) ge-
ſchwaͤtzige, hoͤniſche, poͤbelhafte und un-
geſchlifene Art, ſo werden wir dich gleich
verſtehen.
Nun erkenne ich erſt, warum euer ſcharfſinni-
ger Redner in ſeiner auf mich gehaltenen Lob-Re-
de unter andern die ſchoͤnen Einfaͤlle angebracht:
Meine Beredſamkeit ſey maͤnnlich, denn ich ſey ein
Mann, und kein Weib. Desgleichen, daß er vor
Freuden auf einem Bein huͤpfen moͤchte, auch
es ſchon wuͤrcklich aufgehoben. Nicht minder: daß
ein Koͤnig, der in den Herzen ſeiner Unterthanen ruhet,
aus der Kutſchen ſteigen, und ſich auf ſolche la-
gern ſolte. Mein! wie handgreiflich ſcharfſin-
nig iſt das.
Jndem ich aber jetzo einen Blick nach eurem ſie-
benden Geſetz thue, ſo erſchroͤcke faſt uͤber eure
Kuͤhnheit daß ihr ſo frey urtheilen koͤnnet. Man
duͤrfte in Reden und Schriften uͤber die Religion,
die Heilige Schrift, hohe Haͤupter, beruͤhmte
Maͤnner, und ſeinem Nechſten, der einem
nichts
[351](o)
nichts zu leide gethan, herfahren, und je groͤ-
ber man es mache, je beſſer ſey es.
Nun bekomme ich alſo erſt den Schluͤſſel, warum
euer Luͤbeckiſcher Lob-Redner gleich im Vorbe-
richt ſeine Spoͤtterey mit der unſichtbahren Kir-
che treibet: Nun entſetze mich nicht ſo wohl vor
ſeinem Ausdruck, als Gemuͤth, daß er dem Ertz-
Spoͤtter Luciano nachſpottet: Paulus, als er
entzuͤckt worden, ſey ſo klug zuruͤck kommen, als
hingegangen, und habe die weite Reiſe ſparen koͤn-
nen. Nun begreife ich, warum er von der hoͤchſt-
ſeeligen Koͤnigin in Pohlen, ſaget: Es ſey un-
ſer Glaube wohl irrig, daß ſie in der Schaar ver-
klaͤrter Geiſter ſey. Nun verſtehe ich, was ſein
Ausdruck wolle: Man haͤtte die einem groſſen
Prinzen abgeloͤſete Zehe inSpirituslegen, und als
eineReliquie verwahren ſollen, desgleichen, da er
einer gantzen Academie einen Hochmuth beymiſſet,
und ſie Nacht-Eulen nennet, auch uͤber eines be-
ruͤhmten Theologi Hn. D.Rambachs Ausdruck,
daß er Johannem einen Schooß-Juͤnger des Hey-
landes genennet, dadurch ſpottet, daß er mich einen
Schooß-Juͤnger Jochens in Halle, welches kein
Menſch rahten kan, auf wen es gehe, benennet, da er
wohl gerade das Gegentheil ſagen wuͤrde,
wenn er wuͤſte, wie ich mit ihm ſtuͤnde. Nun wun-
dert mich endlich nicht, daß er auf meine erhaltene
Profeßion, und die hohenMiniſtros, deren Hul-
de ich ſolche, nechſt GOtt und Jhro Majeſtaͤt, zu ver-
dancken, mit ſo anzuͤglicher Beredſamkeit loßgehet.
So wenig er alſo verlangen kan, daß ich ihm vor
ſolche, nach aller anderer geſcheider Leute Urtheil, nur
eures
[352](o)
eures ausgenommen, aͤrgerliche und ſtrafwuͤrdi-
ge Ausdruͤcke Danck ſagen ſolle, da es vielmehr hoͤ-
hern Orts berichtet habe: So dancke ihm doch vor
diejenige luſtige Einfaͤlle, darinne er mir und an-
dern was zu lachen gemacht hat, und weil ein ſol-
cher Mann auf mancher Univerſitaͤt noch fehlet, der
einem was luſtiges und laͤcherliches vorma-
chen koͤnne, ſo wolte ihm faſt rathen, ſich dahin zu
wenden, zumahl wir ein und andern groſſenRailleur
ſeit nicht gar langer Zeit verlohren haben.
Was ich euch uͤbrigens, ihr wohlanſehnlichen
kleinen Geiſter, hierdurch in einem verſiegelten
Schreiben vertraue, nemlich meine voͤllige Beant-
wortung derjenigen Puncte, die noch einer Antwort
werth ſind, das uͤbergebet ihm eher nicht, als wenn
er wieder in eure Geſellſchaft koͤmmt. Solte er aber
auſſen bleiben, und meine Antwort gern gedruckt ſe-
hen wollen; ſo thut ihm zu wiſſen, daß, wo er vor ei-
nen rechtſchafenen Wiederſacher, und nicht vor
einen Pasquillanten, oder gar vor den, den er in ſei-
ner vierdten Anmerckung voͤllig auszuſprechen verbiſ-
ſen, angeſehen ſeyn wolle, er ſich mit Nahmen nen-
ne, ſonſt ich ihn nicht einmahl vor ein Mitglied
eurer Geſellſchaft weiter erkennen wuͤrde. Lebet
wohl! ihr kleinen Geiſter! lebet wohl!
Quas gerit ore minas? quanto premit omnia
faſtu?
Hic ne unquam privatus erit? . . . .’
Hoͤfliche
[353](o)
Hoͤfliche Antwort
des
Aelteſten der Geſellſchaft der
kleinen Geiſter,
auf des (S. T.)
Herrn Prof. Philippi
Antritts-Rede.
Veniſti tandem? tuaque exſpectata parenti
Vicit iter durum pietas? datur ora tueri
Nate, tua? \& notas audire \& reddere voces.’
Hochzuehrender Herr Profeſſor!
Ew. Hoch-Edelgeb. ploͤtzliche und unvermuthe-
te Ankunft iſt uns ſo erſchrecklich, als erfreu-
lich.
Das unverhofte Gluͤck einen Mann, den wir bis-
hero aus ſeinen unvergleichlichen, und vor uns ſo er-
baulichen Schriften zu kennen die Ehre gehabt, in
unſerer Verſammlung zu ſehen, und von Perſon ken-
Znen
[354](o)
nen zu lernen, muß uns nothwendig ein unausſpꝛechli-
ches Vergnuͤgē geben, weil es eine Sache iſt, die wir ſo
lange vergebens gewuͤnſchet haben. Allein das zorni-
ge Geſicht, die funckelnden, und gar nicht huldrei-
chen Augen, ſamt den uͤbrigen, von nichts, als Ra-
che, Grimm, Eyfer, Wut und Verzweifelung zeu-
genden Geberden, mit welchen Ew. Hoch-Edelgeb.
in unſere Verſammlung treten, ſetzen uns in die groͤſ-
ſeſte Verwirrung.
Wir wiſſen uns nicht darin zu finden, daß Ew.
Hoch-Edelgeb. ſo boͤſe thun, da wir doch Dieſelbe ſo
wenig beleidiget haben, daß wir vielmehr uns ruͤhmen
koͤnnen, eben diejenigen zu ſeyn, die vor Ew. Hoch-
Edelgeb. die groͤſſeſte Hochachtung hegen. Die Pro-
ben, ſo wir davon gegeben haben, liegen vor jedermans
Augen, und ſind ſo deutlich, daß es uns vermuthlich
niemand zum Hochmuth deuten wird, wenn wir ſa-
gen, daß wir von Ew. Hoch-Edelgeb. eine groͤſſere
Erkenntlichkeit vermuthet haͤtten. Eine hoͤfliche
Danckſagung war das wenigſte, das wir hoften.
Aber ſo muͤſſen wir, zu unſerer nicht geringen Be-
fremdung, erfahren, daß wir uns in unſerer Hofnung
betrogen haben.
Ew. Hoch-Edelgeb. Eintritt in unſere Verſamm-
lung ſiehet einem feindlichen Einbruch nicht ungleich.
“Iratus, Germane, venis . . . . . . . (1)
Sie ſchnauben mit Dreuen und Morden, und er-
regen dadurch in unſeren Hertzen ſo mancherley
Bewegungen des Schreckens, Schmertzens,
Furcht, Bangigkeit und Wehklagens,(2) daß
Leute,
[355](o)
Leute, denen die Urſache unſerer Beſtuͤrtzung und un-
ſeres Jammers unbekannt iſt, ſchweren ſolten, daß
uns unſere Landes-Mutter abgeſtorben ſey.
Meine ſaͤmmtlichen hier verſammleten Bruͤder
ſind, wie ich ihnen an ihren Augen angemercket
habe, dreymahl im Begrif geweſen, unſern lieben
Bruder, den von Boxhorn, zu verfluchen, weil er
durch ſeine zwar wohlgemeinte, aber von Ew.
Hoch-Edelgeb. ſo ungnaͤdig aufgenommene Lob-
Rede Ew. Hoch-Edelgeb. zu einem ſo fremden und
unfreundlichen Bezeigen gegen unſere Geſell-
ſchaft veranlaſſet hat, und es Ew. Hoch-Edelgeb. auf
den Knien abzubitten, daß unſere Geſellſchaft ſo nach-
laͤßig geweſen, und nicht vorhero reiflich uͤberleget, ob
das Verfahren des von Boxhorn Ew. Hoch-Edel-
geb. auch gefallen wuͤrde: Allein keiner von allen hat
ein Wort aus ſeiner beklemmten Bruſt hervorbrin-
gen koͤnnen. Sie ſind alle erſtarret, ſitzen mit niederge-
ſchlagenen Augen, und die Furcht vor dem Grimm
Ew. Hoch-Edelgeb. hat ihrer aller Zungen gelaͤhmet.
Was wuͤrde demnach daraus werden, wenn auch ich,
dem es oblieget, das Wort vor unſere Geſellſchaft zu
fuͤhren, durch den Donner der auſſerordentlichen
Beredſamkeit, mit welcher Ew. Hoch-Edelgeb. ge-
wohnt ſind Wunder zu thun, ſo ſtarck waͤre geruͤhret
worden? Wuͤrde nicht unſere Geſellſchaft die Unhoͤf-
lichkeit begehen, und Ew. Hoch-Edelgeb. ohne alle
Antwort von ſich laſſen muͤſſen?
Allein ſo bin ich, zu allem Gluͤcke, noch ſo viel bey
mir ſelbſt, daß ich meiner Pflicht ein Genuͤge thun,
Z 2und
[356](o)
und unſere Geſellſchaft von dem ſchimpflichen Ver-
dacht einer Grobheit ſichern kan. Jch habe die Re-
de Ew. Hoch-Edelgeb. mit Gelaſſenheit angehoͤret,
und die Vorzuͤge, die eine groſſe, und ſich auf eine
bey nahe funfzig-jaͤhrige Erfahrung gruͤnden-
de Erkenntniß der Natur der kleinen Geiſter, und
die daher entſtehende tiefe Einſicht in den Abgrund
der Verdienſte und Vortreflichkeiten, mit welchen
Ew. Hoch-Edelg. zur Zierde und zum Troſte unſerer
Geſellſchaft prangen, mir vor dem Reſt meiner Mit-
Bruͤder giebt, haben nicht zugegeben, daß die unbe-
ſchreibliche Freude, welche mir Ew. Hoch-Edelgeb.
Gegenwart verurſachet, durch die bedencklichen Aus-
druͤckungen, und das zornige Bezeigen, womit Ew.
Hoch-Edelgeb. alle meine hier verſammleten Bruͤder
ſo ſehr erſchrecket, geſtoͤret werden koͤnnen.
Jch ſchmecke die Suͤßigkeit dieſes entzuͤckenden
Vergnuͤgens ohne Miſchung der geringſten Bitter-
keit, und rechne dieſen Tag, an welchem Ew. Hoch-
Edelgeb. unſere Geſellſchaft mit dero hohen Ge-
genwart beehret, unter diejenigen Tage, die wir
vor andern zu mercken Urſache haben, und unter die
gluͤckſeligſten meines langen und muͤhſeeligen Lebens.
„Eximet curas . . . .(3)’
Jch will nun gerne ſterben, allerliebſter Philippi,
nachdem ich dein Angeſicht geſehen habe.
Und ach! was wolte ich darum geben, daß dieſe
gantze Verſammlung eben ſo geſinnet waͤre, und mit
mir erkennete, wie groſſe Urſache wir haben, uns zu
freuen!
[357](o)
freuen! Wohlan! dann, meine Bruͤder, erhohlet
euch von der Beſtuͤrtzung, in welche euch der unver-
muthete Uberfall, und die noch unvermuthetere Anre-
de des Hn. Pr. Philippi geſetzet hat. Erkennet die
Ehre, ſo euch dieſer groſſe Mann erweiſet, mit
ſchuldigem Danck, und macht euch derſelben, durch
ein unhoͤfliches Stillſchweigen, und durch eine un-
zeitige Traurigkeit nicht unwuͤrdig. Lernert von mir,
daß der heutige Tag ein Tag der Freude und Wonne
ſey. Frolocket, jauchtzet, jubiliret, und thut euch
guͤtlich.
„Pulſanda tellus: nunc Saliaribus
„Ornare pulvinar Deorum
„Tempus erat dapibus, Sodales.(4)’
Kehrt euch nicht daran, daß der Hr. Prof. Philippi
ſich grauſam gegen uns ſtellet. Habt ihr jemahlen
mich eures Vertrauens wuͤrdig gefchaͤtzet, ſo laſſet je-
tzo ein Zeichen derjenigen Zuverſicht von euch blicken,
die ihr meinen grauen Haaren, meiner Erfahrung,
meinen Einſichten, und den unzaͤhligen und wichtigen
Dienſten, ſo ich unſerer Geſellſchaft geleiſtet habe, oh-
ne Unbilligkeit nicht verſagen koͤnnet. Glaubet mir,
daß die Anrede des Hn. P. Philippi nichts in ſich faſ-
ſet, das mit den Abſichten, und dem Vortheil unſerer
Geſellſchaft ſtreitet. Sehet dieſelbe, ich bitte euch, mit
mir von der guten Seite an, und ſeyd verſichert, daß
alsdann eure ungereimte Furcht verſchwinden, und
eure Traurigkeit ſich in Freude verkehren wird.
Es kraͤncket euch, meine Bruͤder, daß der Hr. Pr.
Philippi, ein Mann, auf den ihr alle eure Hofnung
Z 3geſetzet
[358](o)
geſetzet habt, und deſſen Gewogenheit ihr vor eure groͤ-
ſte Gluͤckſeeligkeit achtet, euch ſo ſpoͤttiſch begegnet,
und ſo hoͤniſch anredet. Der Zorn, den er gegen den
von Boxhorn blicken laͤſſet, macht euch Sorge, weil
derſelbe nothwendig auf uns alle fallen muß, die wir
das Verfahren unſers Bruders billigen. Seine Dro-
hungen ſchrecken euch, und ihr ſeyd untroͤſtbar, daß
deꝛjenige, den ihr wohlbedaͤchtlich zu euꝛem Haupte er-
kohren habt, mit euch keine Gemeinſchaft haben will,
ſondern ſich, wider alles Vermuthen, und ungeachtet
aller Proben, die er von ſeiner Neigung zu unſerer Ge-
ſellſchaft gegeben hat, zu unſern Feinden ſchlaͤget, und
uns alſo gleichſam den Krieg ankuͤndiget.
Aber vergoͤnnet mir, wertheſte Bruͤder, daß ich
euch, wie es meine Pflicht erfordert, ohne Umſchweif
ſage, daß euer Urtheil von der Anrede des Hrn. Prof.
Philippi ſich auf eine Uebereilung gruͤndet, die auch
kleinē Geiſtern unanſtaͤndig iſt. Saget mir, iſt es nicht
unbillig, daß ihr auf einige kleine und faſt nicht zu
merckende Spoͤttereyen, auf einige Ausdruͤckun-
gen, aus welchen ein Unwille wider den von Boxhorn,
und eine Verachtung unſerer Geſellſchaft zu ſchlieſſen
iſt, mehr ſehet, als auf die gantze Einrichtung der Rede,
welche der Hr. Prof. Philippi bey ſeinem Eintritt in
unſere Verſammlung gehalten hat? Betrachtet, wo-
fern ihr eurem eigenẽ Vergnuͤgen nicht gram ſeyd, die-
ſe Rede in ihrem gantzen Zuſammenhang; ſo werden
euch die Verdienſte des Hn. Prof. Philippi ſtaͤrcker in
die Augen leuchten, als jemahls, und eben die Spoͤtte-
reyen und die harten, und veraͤchtlichen Ausdruͤckun-
gen, wider den von Boxhorn, und unſere Geſellſchaft
uͤberhaupt, alle die verdrießlichen Bewegungen von
Furcht,
[359](o)
Furcht, Angſt, Schrecken und Bekuͤmmerniß, die ihr
in eurem Hertzen empfindet, und ich aus eurem fin-
ſtern Geſichte leſen kan, ſtillen, und euch faͤhig machen,
dasjenige Vergnuͤgen, welches die Gegenwart des
Hn. Prof. Philippi allen, die es mit unſerer Geſell-
ſchaft redlich meinen, natuͤrlicher Weiſe geben muß,
in ſeiner groͤſten Reinigkeit zu koſten.
Wofern mich meine Augen nicht triegen, ſo neh-
me ich in den eurigen eine Veraͤnderung wahr, die
mich glauben macht, meine wohlgemeinte und pflicht-
maͤßige Erinnerung ſey nicht ohne Frucht geweſen.
Jhr erhebet eure Haͤupter, und laſſet die liebreich-
ſten Blicke auf das neue und wuͤrdige Haupt
unſer Geſellſchaft ſchieſſen, deſſen ſichtbaren Ge-
genwart wir heute erſt gewuͤrdiget werden. Eure Lip-
pen regen ſich auf eine ſo angenehme Art, daß ich nicht
anders dencken kan, als daß ihr bey euch ſelbſt den fro-
hen Ausruf des von Boxhorn murmelt, von welchen
uns noch die Ohren gellen. Jch bitte euch, thut eurem
Triebe keine Gewalt. Erhebet eure Stimme, und be-
willkommet den Hn. Prof. Philippi mit einem lauten
Freuden-Geſchrey. Alsdann werde ich erkennen, daß
euer Hertz rechtſchaffen ſey . . . . . (5)
Siehe, theurer Philippi, wie wir gegen dich geſinnet
ſind. Spotte, ſchilt, hoͤhne uns aus, ſo viel, und
lange es dir beliebt. Drohe, poltere, wuͤte, tobe, ver-
ſtelle deine Gebaͤrde, daß wir alle vor deinem Anblick
Z 4erſchrecken:
[360](o)
erſchrecken: du biſt uns darum doch lieb und werth.
Wir kennen dich beſſer, als du vielleicht ſelbſt. Wir
wiſſen, was du unſerer Geſellſchaft vor Ehre und
Vortheil bringeſt. Wir uͤberſehen daher alles, was
uns in deiner Rede anſtoͤßig ſcheinen koͤnnte, in Be-
tracht deiner groſſen Verdienſte. Unſere Ehrerbietung
gegen dich iſt viel zu groß, als daß wir uns uͤber die
Spoͤtteꝛeyen, mit welchen du uns wehe thun wilt, und
uͤber die bittern Ausdruͤcke, deren du dich gegen den
von Boxhorn, und uns alle bedieneſt, entruͤſten ſolten.
Du bezeigeſt dich in deinem Spotten, in deinem Zorn,
mit einem Worte in deiner gantzen Anrede, als ein
Ausbund und Muſter eines kleinen Geiſtes,
und die Freude, ſo dieſes unſerer Geſellſchaft verurſa-
chet, uͤberwieget allen Verdruß, den ich aus deinen
Spoͤttereyen und grimmigem Bezeigen anfangs ge-
ſchoͤpfet habe.
Deine Spoͤttereyen, groſſer Philippi, ſind in der
That ſo beſchafen, daß man, wenn man nicht wuͤſte
wer du waͤreſt, faſt dencken ſolte, ſie gingen dir nicht
von Hertzen. Es ſcheinet, du habeſt nicht ſo wohl die
Abſicht, uns durch deine ſpoͤttiſchen Ausdruͤckungen
zu kraͤncken, als mit uns, auf eine liebreiche Art, zu
ſchertzen. Du ſprichſt im Anfange deiner Rede: „Uns
„ſey ein Maaß von Verſtandes-Kraͤften gegeben, da-
„mit wir zufrieden ſeyn koͤnnten. Niemand mißgoͤn-
„ne uns unſere Gemuͤths-Gaben. Es wuͤrde wenig
„von uns geredet, und wenn man ia von uns rede, ſo
„ſage man bloß, daß wir kleine Geiſter waͤren. Und
„dieſes koͤnten wir nicht uͤbel nehmen, weil man uns
„den Nahmen gaͤbe, den wir vor die groͤſte Ehre achte-
„ten. Wir waͤren dir durch die, auf dich gehaltene,
Lob-
[361](o)
Lob-Rede, mit Hoͤflichkeit zuvorgekommen, und ha-„
beſt du es vor unrecht gehalten, daß man unſer ſo we-„
nig gedencke, und daher ſchon lange den Schluß ge-„
faſſet, in deinen Moraliſchen Bildniſſen von„
Perſonen und Sitten, Tugenden und La-„
ſtern uns eine beſondere Stelle zu geben; Da wir„
nun ſo viel Freude uͤber deine Schriften bezeuget, ſo„
ſey es dir lieb, daß du wenigſtens einer ſo zahlreichen„
Geſellſchaft damit dienen koͤnnen, und wolleſt du„
dich hiedurch verbinden, in deine unter Haͤnden ha-„
bende Anatomie des menſchlichen Verſtan-„
des ein eigen Capitel von unſern vortreflichen Ei-„
genſchaften, und allen, was zur Vollkommenheit„
der kleinen Geiſter gehoͤret, einzuruͤcken, und darin„
auch unſere gerechte Beſchwerden zu pruͤfen, daß die„
groſſen Geiſter ſich in ihren Begrifen nicht nach„
uns richten wollen u. ſ. w.‟
Dieſes ſoll geſpottet heiſſen. Aber, vortreflicher
Philippi, wir muͤſten ſehr empfindlich ſeyn, wenn
uns Spoͤttereyen dieſer Art beiſſen ſolten. Wir koͤn-
nen, was duſageſt, ſuͤglich nach dem Buchſtaben an-
nehmen. Wir ſind mit dem geringen Maaß von
Verſtands-Kraͤften, das uns gegeben iſt, voͤllig zu
frieden. Wir wiſſen, daß wir vor der Welt verach-
tet; Wir wiſſen, daß wir kleine Geiſter ſind. Wir
geben uns nicht hoͤher aus, und ich verſichere dich, daß
unſere Geſellſchaft es mit beſonderem Danck erken-
nen wird, wenn du ſo guͤtig ſeyn wilt, ihrer in deinen
Moraliſchen Bildniſſen, und in deiner Anato-
mie des menſchlichen Verſtandes, zwo Schrif-
ten, denen ſie mit Verlangen entgegen ſiehet, zu er-
wehnen, und den Eigenſinn, und verwehnten Ge-
Z 3ſchmack
[362](o)
ſchmack unſerer Feinde der groſſen Geiſter, zu beſtrei-
ten und zu daͤmpfen.
Deine Spoͤttereyen trefen uns alſo, wie du ſieheſt,
im geringſten nicht.
„Non es, crede mihi. . . . . .(6)’
Waͤreſt du kein kleiner Geiſt, ſo wolte ich ſagen, es
ſey dir, wie boͤſe du auch thuſt, kein Ernſt mit deinem
Angrif. Laͤßt es doch, als wolteſt du mit uns ſpielen,
weil du nur blind ſchieſſeſt, und mit einem ſtum-
pfen Speer auf uns loßrenneſt. Allein wir kennen
die Natur der kleinen Geiſter. Alle Glieder unſerer
Geſellſchaft haben unter andern wunderbaren Eigen-
ſchaften auch dieſe an ſich, daß ſie gerne ſpotten wol-
len, aber nicht damit fort kommen koͤnnen. Wann
wir einen Spaß machen, ſo lacht niemand. Das
macht, unſere Einfaͤlle haben das Ungluͤck, daß ſie
den meiſten abgeſchmackt ſcheinen, und unſere
Spoͤttereyen ſind allemahl kaltſinnig und ſtumpf.
„Obtuſum enim telum viri imbellis . .(7)’
Es hat dahero ſchon vor mehr als 1700 Jahren ein
groſſer Spoͤtter ſeiner Zeit, und abgeſagter Feind
unſerer Geſellſchaft, allen kleinen Geiſtern gerabten,
ſich des Spottens und Schertzens gaͤntzlich zu ent-
halten, weil es nicht ihr Werck ſey…
ſpricht er,
quo caret veſtra natio, in irridendis no-
bis nolitote conſumere: \& mehercule, ſi me au-
diatis,
[363](o)
diatis, ne experiamini quidem. Non decet; non
datum eſt, non poteſtis.(8)
Dieſer Rath iſt ſo boͤſe nicht, und wenn wir uns
entſchlieſſen koͤnnten, demſelben zu folgen, ſo wuͤrden
wir vieler Verdrießlichkeiten uͤberhoben ſeyn. Allein
es iſt Schade, daß er von unſern Feinden herruͤhret.
Sollen wir, unſern Verfolgern zu gefallen, eine Sa-
che verſchwoͤren, ohne welche wir nicht ſeyn wuͤrden,
was wir ſeyn muͤſſen, wenn wir der Gemaͤchlichkeiten
und der Vortheile theilhaftig ſeyn wollen, die mit dem
Caracter eines kleinen Geiſtes unaufloͤßlich verknuͤ-
pfet ſind? Dieſes wird nimmer geſchehen. Wir
ſind kleine Geiſter, und alſo nicht einmahl faͤhig, un-
ſere Maͤngel zu erkennen. Alle gute Rathſchlaͤge
halten wir vor Verfuͤhrung, und ein edler Eigen-
ſinn, der uns angebohren iſt, und welchen wir mit
dem Nahmen der Standhaftigkeit belegen, treibt uns
an, allezeit auf unſerm Kopf zu beſtehen, und unſern
Feinden nicht einen Finger breit nachzugeben. Wir
ſpotten alſo, und werden immer ſpotten, ob wir
gleich nicht dazu geſchickt ſind. Wer nicht lachen
will, der kan es bleiben laſſen. Es wird uns dieſes um
ſo viel lieber ſeyn, je mercklicher unſere Spoͤttereyen
dadurch von den Spoͤttereyen der groſſen Geiſter,
mit welchen wir, Gewiſſens halber, nicht die gering-
ſte Aehnlichkeit haben koͤnnen, unterſchieden werden.
Und koͤnnen wirs dann nicht machen wie du, theurer
Philippi, es in deinem Mathematiſchen Ver-
ſuch wider Wolfen gemacht haſt, und alleine uͤber
unſere Einfaͤlle lachen, daß uns der Bauch ſchuͤt-
tert? Laß es ſeyn, daß wir manchmahl keine Urſache
darzu
[364](o)
darzu haben. Muͤſſen nicht unſere Feinde ſelbſt beken-
nen, daß es uns wohl anſtehet, wann wir ohne Ur-
ſache lachen? Dieſes iſt, nach einem bekannten
Sprichwort, ein proprium quarti modi kleiner
Geiſter.
Lachet demnach, meine Bruͤder, lachet uͤberlaut,
wie es kleinen Geiſtern zuſtehet und gebuͤhret, ob ihr
gleich nicht wiſſet warum; damit dem Herrn Prof.
Philippi die viele und ſaure Muͤhe, welche ihn die arti-
gen Spoͤttereyen, mit welchen er uns angreifen wol-
len, gekoſtet haben, einiger maſſen belohnet werde.
Denn wenn ihr nicht lachen wollet, wer will es dann
thun (9)? Ja lache du ſelbſt mit, unvergleichlicher
Philippi, und ergetze dich mit uns uͤber die ſinnrei-
chen Einfaͤlle, die dich des Platzes, den unſere Ge-
ſellſchaft dir zugedacht hat, ſo wuͤrdig machen. Oder,
wofern dir dein Zorn dieſes nicht zulaͤſſet, ſo erkenne
doch wenigſtens aus unſerm Gelaͤchter, wie ange-
uehm es uns ſeyn muͤſſe, daß durch deine ſo vollkom-
men nach dem Geſchmack unſerer Geſellſchaft
eingerichtete Spoͤttereyen unſere, auf deine außeror-
dentliche Perſon gefallene, Wahl rechtfertigen
wollen.
Gewiß wir haͤtten die Ehre und Aufnahme unſerer
Geſellſchaft nicht beſſer befordern koͤnnen, als durch
dieſe ſo gluͤckliche Wahl. Denn ob du gleich, groſ-
ſer Philippi, dich desfals gar kaltſinnig und hoͤniſch
gegen uns bedanckeſt, uñ nicht undeutlich zu verſtehen
giebſt, daß du die Ehre, welche wir dir anbietẽ, vor eine
groſſe
[365](o)
groſſe Beſchimpfung halteſt; ſo wirſt du dadurch doch
nicht machen, daß wir unſere Wahl widerrufen. Wir
werden dich auch wider deinen Willen, als unſer
Haupt, verehren, und allezeit deine herrliche Schrif-
ten unſere Richtſchnur ſeyn laſſen. Der Unwille, und
die Verachtung, ſo du gegen uns bezeigeſt, macht uns
weder bange noch boͤſe. Wir leiden von dir, als un-
ſerm Ober-Haupt, alles, und hofen, du werdeſt
endlich erkennen, daß es dir nicht ſchimpflich ſey, den
vornehmſten Platz in einer Geſellſchaft zu bekleiden,
die aus ſo anſehnlichen Gliedern beſtehet.
Es ſind darinn Leute aus allen Staͤnden, Regen-
ten, Prieſter, Raͤthe, Rechtsgelehrte, Advocaten,
Aertzte, Weltweiſe, Soldaten, Edelleute, Buͤrger
und Bauren. Du ſcheineſt daran zu zweifeln, und
dir einzubilden, wir haͤtten nur die Larven ſolcher
Perſonen angenommen. Allein, mit aller Ehrer-
bietung zu reden, du irreſt dich, und giebſt eben durch
dieſen wunderbaren Zweifel, uñ durch eine ſo fal-
ſche Einbildung zu erkennen, daß du im hoͤchſten
Grad ein kleiner Geiſt biſt, indem du eine Sache in
Zweifel zieheſt, die auch unſere aͤrgſten Feinde ſich zu
leugnen ſchaͤmen. Denn wo iſt wohl der groſſe Geiſt
zu finden, der nicht willig zugeben ſolte, daß alle Ty-
rannen, und bloͤde Fuͤrſten, alle Poſtillanten,
alle Enthuſiaſtiſche und zanckſuͤchtige Geiſtli-
che, alle Rabuliſten und Zungendreſcher, alle
Quackſalber, alle Marcktſchreyer, alle alberne
Weltweiſe, und alle Pedanten zu unſerer Geſell-
ſchaft gehoͤren? Verliehren aber dieſe Leute, darum,
daß ſie Glieder unſerer Geſellſchaft ſind, und desfals
von unſern Feinden mit ſo ſchimpflichen Nahmen bele-
get
[366](o)
get werden, die Wuͤrde, welche ſie auſſeꝛ unſeꝛer Geſell-
ſchaft bekleiden, ſamt den ihnen zukommenden Titeln?
Sie bleiben darum eben ſo wohl Regenten, Prieſter,
Rechtsgelehrte, Advocaten, Aertzte und Weltweiſe,
als Du, ungeachtet wir dich zu unſerm Haupt erkoh-
ren haben, ein auſſerordentlicher Bekenner der
deutſchen Beredſamkeit auf der Univerſitaͤt Halle
bleibeſt, und bleiben wuͤrdeſt; wenn auch gleich der dir
allergnaͤdigſt geſchenckten Profeſſur der deutſchẽ Elo-
quentz, zu voͤlligeꝛ Vollkommenheit, eine alleꝛgnaͤ-
digſte Koͤnigliche Beſoldung nicht mehr fehlte (10).
Was wunderſt du dich dann, O wunderbarer
Philippi! daß unſere Geſellſchaft im Lehr-Wehr-
und Nehr-Stand die ihrigen hat? Zum wenigſten
deucht mich, du habeſt nicht Urſache daruͤber zu eꝛſtau-
nen, daß auch Weltweiſe und Advocaten unter uns
anzutrefen ſind, weil du ja ſelbſt als ein groſſer
Weltweiſer und immatriculirter Advocat
agendis
„Clarus . . . . . . . . .(11)’
unſerer Geſellſchaft den groͤſten Glantz giebſt. Wir
haͤtten vielmehr Urſache, uͤber deine Erſtaunung, und
die bedencklichen Ausdruͤckungen, mit welchen du die-
ſelbe an den Tag legeſt, zu erſtaunen, wenn wir nicht
wuͤſten, daß der Caracter eines kleinen Geiſtes
alles, was nur Verwunderungs- und Erſtaunens-
wuͤrdiges zu erdencken iſt, in ſich ſchlieſſet.
Wir
[367](o)
Wir wundern uns alſo nicht, daß du, wie du ſa-„
geſt, vorhin nicht glauben koͤnnen, das auch in groſ-„
ſen Leibern kleine Geiſter wohnen koͤnnten, und„
immer gemeinet haſt, Geiſter ſolcher Art fuͤnden ſich„
nur in kleinen Coͤrpern, biß du heute mit deinen„
ſichtlichen Augen das Gegentheil geſehen.‟ Deine
Gegenwart macht es uns gar begreiflich, wie es moͤg-
lich geweſen, daß du ſo lange in einem ſo mercklichen
Jrrthum ſtecken koͤnnen. Eine lebhafte Empfindung
der genauen Gleichheit zwiſchen deinem Coͤr-
per, und Geiſte hat dich verleitet, aus dem, was du
an dir ſelbſt wahrgenommen, eine allgemeine Regel
zu machen. Dieſes iſt eine Uebeꝛeilung, die wiꝛ dir leicht
zu gute halten, weil wir derſelbẽ alle unterworfen ſind.
Wir wundern uns auch nicht, daß du das groſſe„
Geſchrey, das Geklatſche mit den Haͤnden, die ſon-„
derbare Art mit den Zuhoͤrern zu ſchertzen, und die lei-„
ſe Stimme und Unbeweglichkeit,‟ ſo du an einigen
unſerer hier gegenwaͤrtigen Gleidern bemercket zu ha-
ben vorgiebſt, auf eine hoͤniſche Art tadelſt; da doch
alle dieſe Dinge kleinen Geiſtern wohl anſtehen. Wir
bemercken in dieſen Spoͤttereyen eine Unfoͤrmlichkeit,
die ſo ſonderbar iſt, daß es von undencklichen Jahren
her, niemand, als dem Haupt unſerer Geſellſchaft, ver-
goͤnnet geweſen, dieſelbe zu begehen.
Nur ſolten wir faſt vor Verwunderung auſſer uns
geſetzet werden, wenn wir hoͤren, daß du mit Zittern
und mit Zagen, mit einer klaͤglichen Stimme, und
mit einer blaſſen Todten-farbe anhebeſt zu klagen:
O! was ſehe ich da vor eine vermiſchte Schaar bey-„
derley Geſchlechts, die ſich einer handfeſten Bered-„
ſamkeit ruͤhmen. Jch ſehe eine groſſe Anzahl die an-„
ſtatt„
[368](o)
„ſtatt der Worte mit zornigen Geberden, und gelade-
„nen Gewehr alle Welt ſchweigen machen. Jch ſe-
„he eine Menge von Gerichts-Dienern, die eure
„Leib-Wachten ſind, ſo daß es mir faſt bange wird,
„mich unter ſo ſtrengen Aufſehern zu befinden, die ſich
„nach dem Winde derer, die ich um, wider, vor mir,
„und zur Seiten ſehe, genau richten. Aber wie artig
„ſiehet nicht erſt die Wafen-Ruͤſtung derjenigen,
„die ihr in eurer Geſellſchaft erzuͤrnete Weibes-
„Bilder nennet. Sie ſehen in Wahrheit ſo fuͤrchter-
„lich aus, daß ich groſſen Fleiß tragen werde, ihren
„Zorn mit keinem Worte gegen mich zu erregen.
Wir haͤtten Urſache zu erſtaunen, daß du dir ein-
bildeſt,‟ es ſtuͤnden Leute mit Schwerdtern und
„mit Stangen hinter dir, welchen wir winckten,
„ja gar zu beſorgen ſcheineſt, wir wolten uns an dei-
ner Perſon vergreifen. Denn, allerliebſter Phi-
lippi, wie koͤmmſt du zu ſolchen Gedancken? Jagt
etwan der Anblick einiger unſerer Schweſtern, die
hier gegenwaͤrtig ſind, dir eine ſolche Furcht ein? Jch
ſolte es nicht meinen; denn was koͤnnen dir ſo ſchwa-
che Werckzeuge thun? Ja ſieheſt du nicht aus ih-
ren huldreichen Augen, wie angenehm ihnen deine
Gegenwart iſt? Betrachte ſie recht, ſo wirſt du ſie
nicht vor erzuͤrnte Weibs-Bilder ſchelten, und ſa-
gen, daß ſie fuͤrchterlich ausſehen.
Siehe ſie einmahl recht an, ſo wirſt du befinden,
daß es eben ſo annehmliche Kinder ſind, als die
weiblichen Gliedmaſſen der Patriotiſchen Aſ-
ſemblée, deren Mitglied du biſt, und alle ſich eine
Ehre daraus machen werden, dir im Falle der Noth,
ihre geſchaͤftige Mitleidenheit zu bezeugen, und
wenn
[369](o)
wenn dir etwan, welches der Himmel verhuͤte, eine
Ohnmacht anwandeln ſolte, mit ihrem kraͤfti-
gen Balſam zu ſtaͤrcken. (12) Was ſetzt dich
dann ſo gar auſſer dir, daß du ſo aͤngſtlich thuſt, als
wenn du unter die Moͤrder gefallen waͤreſt?
Was ſchreyeſt du, als wenn dir ſchon das Meſſer
an die Kehle geſetzet ſey? Sage uns, werther Philip-
pi, wo ſind die Leute mit dem geladenen Gewehr, mit
den Spieſſen, Schwerdtern und Stangen? Wo iſt
die Menge der Gerichts-Diener, die du ſieheſt?
Wir ſehen nichts. Beſinne dich demnach, Oheroi-
ſcher Philippi, und aͤngſtige uns nicht ferner durch
ein ſo jaͤmmerliches Zetter-Geſchrey. Sey ge-
troſt und fuͤrchte dich nicht. Du biſt nirgends ſiche-
rer, als in unſerer Verſammlung, und befindeſt dich
unter Leuten, die dich alle recht zaͤrtlich lieben, und
vor dich, wenn es Noth thaͤte, mit Freuden ihr Leben
wagen wuͤrden.
Urtheile demnach ſelbſt, O erleuchteter Philip-
pi! wie laͤcherlich, daß ich ſo rede, deine Furcht uns
vorkommen wuͤrde, wenn wir faͤhig waͤren, bey dei-
nem Jammer, und wenn er auch nur eingebildet, zu
lachen. Gluͤcklich biſt du, werther Philippi, daß wir
alleine ſind. Was wuͤrde daraus werden, wenn un-
ſere Feinde ſehen ſolten, wie du dich geberdeſt? Wie
du ohne alle Urſache uns vor Moͤrder, und die zu
beyden Seiten ſitzenden annehmlichſten Kin-
der, deine Mit-Schweſtern, vor Furien anſie-
heſt? Wuͤrden ſie nicht uͤbele Gedancken von dir be-
kommen? Wuͤrden ſie nicht erbaͤrmlich mit dir um-
A aſpringen?
[370](o)
ſpringen? Jhres Spottens wuͤrde kein Ende ſeyn.
Ja, wofern ich ſie recht kenne, wuͤrden ſie gar die
Boßheit haben, dich mit dem Oreſtes zu verglei-
chen, und mit einer hoͤniſchen Mine ſagen:
Oreſtes
„Nil ſane fecit quod tu reprendere poſſes.
„Non Pyladen ferro violare, auſusve Sororem
„Electram: tantum maledicit utrique, vo-
cando
„Hanc furiam, huncaliud, jusſit quodſplen-
dida bilis.(13)’
Allein wir ſehen das, was dir in unſerer Verſamm-
lung begegnet, mit gantz andern Augen an. Wir
wundern uns eben ſo ſehr nicht daruͤber, und es ſey
ferne, daß wir daruͤber ſpotten ſolten. Wir wiſſen,
daß es ein Zufall iſt, dem kleine Geiſter unterworfen
ſind. Es lehret uns dieſes die Erfahrung, und es
haben es auch ſchon andere angemercket. Ein be-
ruͤhmter Franzoͤſiſcher Medicus ſagt an dem
Ort, da er der kleinen Geiſter ruͤhmlichſt erwehnet:
Sunt præterea qui ſe a latronibus continuo pu-
tant circumveniri, \& ſpoliari: Aliivero qui a li-
ctoribus ſe colligari, \& mox in carcerem conjiciendos
credunt. Alii ſe vivos à terra abſorberi \& deglu-
tiri jam tremuli exclamant: alii aliis imaginatio-
nibus, prout vitæ fuit inſtitutum, perturban-
tur.(14) Er meint der lapis lazuli, und helleborus
arte ſpagyrica præparatus, ut decet, waͤren bewehr-
te
[371](o)
te Mittel wider ſolche Zufaͤlle, und ſpricht:
\& Chirurgia ſanguinis misſione, \& hæmorrhoidum
apertione, aliisque manuum operationibus, ſuas
partes explebit(15).’
Allein ich weiß nicht, werther Philippi, ob dieſe
Mittel bey dir anſchlagen werden. Ein heiliges
Grauſen, ſo mich bey deiner Entzuͤckung uͤberfal-
len hat, macht mich glauben, daß dieſelbe einen hoͤhern
Urſprung habe, als die Kranckheit kleiner Geiſter,
von welcher der Frantzoͤſiſche Artzt redet. Deine Ge-
berden, deine Verdrehungen, die Schoͤnheit und
Wichtigkeit der Sachen, welche du vorbringeſt, zwin-
gen mich, deine Entzuͤckung vor uͤbernatuͤrlich zu hal-
ten. Die ſaͤmtlichen anweſenden Glieder unſerer Ge-
ſellſchaft ſind auf gleiche Weiſe geruͤhret worden, und
daher koͤmmt es, daß ſich niemand dich in deinem pa-
roxysmo anzugreifen, und dir huͤlfliche Haͤnde zu
bieten getrauet hat. Selbſt die unnatuͤrlichen
Verdrehungen deines ehrwuͤrdigen Haupts,
und deine ſtarren und unverwandt auf die
weiſſe Decke unſers Saals gerichteten Au-
gen, die gewiſſeſten Zeichen einer nahen Ohn-
macht, haben unſere annehmlichſten Schwe-
ſtern nicht bewegen koͤnnen, dir mit ihrem kraͤf-
tigen Balſam beyzuſpringen. Die Hofnung
etwas hohes, heroiſches und ſonderbares zu
hoͤren, hat ſie abgehalten, dich durch eine unzei-
tige Mitleidenheit wieder zu recht zu bringen.
Sie wiſſen, daß ein Menſch, ſo lange er bey ſich
A a 2ſelbſt
[372](o)
ſelbſt iſt, nichts uͤbermenſchliches reden kan. Da-
zu wird eine kleine Verruͤckung des Verſtandes
unumgaͤnglich erfodert. Non poteſt grande ali-
quid, ſagt Seneca, \& ſupra ceteros loqui, niſi mo-
ta mens. Cum vulgaria \& ſolita contempſit, in-
ſtinctuque ſacro ſurrexit excelſior, tunc demum
aliquid cecinit grandius ore mortali. Non poteſt
ſublime quicquam \& in arduo poſitum continge-
re, quamdiu apud ſe eſt. Deſciſcat oportet à ſo-
lito, \& efferatur, \& mordeat frænos, \& recto-
rem rapiat ſuum, eoque ferat, quo per ſe timuiſ-
ſet aſcendere(16). Und wuͤrdeſt du alſo, entzuͤck-
ter Philippi, wohl ſo herrliche Dinge an der De-
cke unſers Saals gewahr worden ſeyn, wenn nicht
deine, durch eine unſichtbare Gewalt angefeurte
Einbildungs-Kraft uͤber deine Sinnen und Ver-
nunft, die Oberhand bekommen haͤtte? Sie durch-
bricht die Schrancken, die dein erleuchteter Ver-
ſtand ihr ſonſt ſetzet, und reiſt ihren Fuͤhrer mit da-
hin. Sie ſtellet dir Dinge, die nicht ſind, ſo leb-
haft vor, als waͤren ſie da. Du bildeſt dir ein, auſ-
ſer dir dasjenige zu ſehen, das doch nur ein Geſchoͤ-
pfe deiner erhoͤheten Einbildungs-Kraft, und
auſſer deinem bewegten Gehirn, dem Sammel-
Platz aller Weißheit, nicht zu finden iſt.
Du erblickeſt an der Decke unſers Saals die Ge-
ſetze unſerer Geſellſchaft; da doch nicht ein
Buchſtab an derſelben zu ſehen iſt. Jch befuͤrchte
nicht, daß du mir dieſes leugnen werdeſt. Da du nu-
mehro wieder zu dir ſelbſt gekommen biſt, ſieheſt du
wohl,
[373](o)
wohl, daß an der Decke unſers Saals nichts, als die
Bildniſſe des Schutz-Gottes, und des Stif-
ters unſerer Geſellſchaft, des groſſen Pans,/ und
des phrygiſchen Koͤniges Midas, zu ſehen ſind.
Wir haben vor gut befunden, zwey Faͤcher der De-
cke unſers Saals mit dieſen erbaulichen Gemaͤhl-
den zu zieren, und wofern es uns erlaubt iſt, groſſer
Philippi, ſo werden wir dich dem allerdurchlauchtig-
ſten Stifter unſerer Geſellſchaft zur Seite ſetzen, weil
niemand demſelben in ſeinen Urtheilen naͤher koͤmmt,
als du. Noch zur Zeit aber ſind die uͤbrigen Faͤcher
der Decke unſers Saals weiß und leer, und es iſt uns
nimmer in den Sinn gekommen, dieſelbe mit un-
ſern Geſetzen auszufuͤllen.
Urtheile demnach ſelber, mit was vor Ehrfurcht wir
dich hier wachend traͤumen geſehen? Du haſt
Geſichter, O groſſer Mann! und bekraͤftigeſt uns
in den Gedancken, daß du den Geiſt der Weiſſa-
gung habeſt. Wie ſehr du auch, aus Beſcheiden-
heit, dieſe auſſerordentliche, und in dieſen letzten
Zeiten ſo ſeltene und verdaͤchtige Gabe verbir-
geſt, ſo haben wir doch in deinen Schriften einige
Spuren derſelben gefunden, und der heilige Kol-
ler, in welchen du hier vor unſern Augen gerathen,
uͤberfuͤhrt uns voͤllig, daß du ein Prophet biſt.
Denn, groſſer Philippi, waͤreſt du Meiſter von
dir ſelbſt geweſen, und waͤre nicht deine Zunge von
dem dich reiſſenden Geiſte regieret worden, ſo wuͤr-
deſt du unſtreitig menſchlich und verſtaͤndlich
mit uns geredet haben. Aber ſo blendet uns die Ma-
jeſtaͤt deines Vortrags ſo ſehr, daß wir nicht wiſſen
was du haben wilt. Du ſprichſt: Unſer erſtes Geſetz
A a 3laute
[374](o)
laute alſo: „Huͤte dich, bey Strafe, daß du dem
„Scharf-Richter nicht in die Haͤnde falleſt,
„vor der heroiſchen Beredſamkeit, ja nimm
„dis Wort, welches des Landes auf ewig
„verwieſen, nicht einmahl in den Mund.‟
Du ſcheineſt zu glauben, wir haͤtten, dieſem Geſe-
tze zu Folge, deine ſechs deutſche Reden durch un-
ſern Scharf-Richter, den von Boxhorn, raͤdern
und viertheilen laſſen: Ja du befuͤrchteſt, es werde
allen deinen uͤbrigen Schriften, inſonderheit deiner
Thuͤringiſchen Hiſtorie, als der wir bereits das
Leben abgeſprochen, eben ſo ergehen.
Alles dieſes iſt uns zu hoch, theurer Philippi, und
die Ehrerbietung, welche wir gegen dich hegen, laͤſſet
uns nicht zu, deine Worte nach dem Buchſtaben
zu verſtehen, ſondern befiehlt uns, zu glauben, daß
groſſe Geheimniſſe darunter verborgen ſind.
Denn iſt es moͤglich, daß du im Ernſt glauben kanſt,
wir waͤren Feinde der heroiſchen Beredſamkeit?
Jſt nicht die Lob-Rede des von Boxhorn eben ſo
wohl nach den Regeln einer heroiſchen Beredſamkeit
verfertiget, als deine ſechs deutſche Reden? Wer
zweifelt daran, da er es ja ſelbſt, nach deinem Bey-
ſpiel, auf dem Titel gar ſittſam geſaget hat? Wie
kanſt du ſagen, wir haͤtten deine ſechs deutſche
Reden raͤdern und viertheilen laſſen? Wie kanſt du
den von Boxhorn einen Scharf-Richter nennen?
Hat dieſer ehrliche Mann deine ſechs deutſche
Reden nicht nach Verdienſt gelobet? Jſt in ſeiner
gantzen Rede wohl ein Wort zu finden, das dich ver-
drieſſen koͤnnte? Jſt etwa deine Demuth ſo uͤber-
maͤßig, daß dich das Lob, welches man dir beyleget,
eben
[375](o)
eben ſo ſehr ſchmertzet, als wenn man dich aufs Rad
floͤchte? Oder ſteckt in dem Ehren-Titel, den du
dem von Boxhorn giebſt, ein ſtillſchweigendes
Bekaͤnntniß, daß du ein armer Suͤnder biſt?
Dieſes waͤre zu viel. Wir muͤſſen alſo glauben,
daß deine Worte anders zu verſtehen ſind, als ſie lau-
ten. Sie haben unſtreitig einen geheimen Sinn,
den wir ſo unfaͤhig ſind zu erreichen, als es uns ſchwer
faͤllt, zu begreifen, warum du vor deine Thuͤringi-
ſche Hiſtorie beſorgt biſt. Glaube mir, allerliebſter
Philippi, ob wir gleich alle deine auſſerordentli-
chen Schriften in hohem Werth halten, ſo iſt uns
doch deine Thuͤringiſche Hiſtorie die liebſte unter
allen. So vollkommen iſt ſie nach unſerm Geſchmack,
und ſo herrlich ſtimmet ſie mit unſern Regeln uͤberein.
Wir leſen taͤglich mit dem groͤſten Vergnuͤgen einige
Blaͤtter darinn, und wuͤrden denjenigen, der es
nicht thaͤte, ohne alle Gnade aus unſerer Geſellſchaft
ſtoſſen. Jch glaube nicht, daß eines unſerer Glie-
der uns jemahlen zu einem ſo harten Verfahren An-
laß geben werde. Ein Buch, das von Anfang biß
zu Ende mit ſo vielen Seltenheiten angefuͤllet iſt,
als deine Thuͤringiſche Hiſtorie, muß Geiſtern
unſerer Art nothwendig gefallen.
Jch will nichts erwehnen von der vortreflichen Zu-
eignungs-Schrift, in welcher ein jeder Abſatz vor
ſich ſelbſt in voͤlliger Vollkom̃enheit beſtehet, und
mit dem andern keine Verwandſchaft hat, und welche
ſo kuͤnſtlich gemacht iſt, daß man ſie, ohne daß ſie et-
was von ihrer Schoͤnheit verloͤhre, von hinten zu ſo
gut, als von vorne leſen kan. Wer uns kennet, der
weiß, wie hoch wir eine ſo beſondere und kuͤnſt-
A a 4liche
[376](o)
liche Schreib-Art halten. Nur bitte ich dich, unver-
gleichlicher Philippi, bedencke einmahl, wie ſehr
uns die Anmerckungen, die du mit Recht auser-
leſen nenneſt, vergnuͤgen muͤſſen? Was meineſtu
wohl, wie uns zu Muthe ſey, wenn wir ſehen, daß du ſo
ſorgfaͤltig anmerckeſt, daß man heutiges Tages
anſtatt Durchlauchtiger, Durchlauchtigſter
Fuͤrſt ſage(17); Daß du uns lehreſt, wie der Ti-
tel: Hochfuͤrſtl. Gnaden in Hochfuͤrſtl. Durch-
lauchtigkeit verwandelt, und nur noch den gefuͤr-
ſteten Reichs-Aebten beygeleget werde (18); ob
es gleich gewiß iſt, daß nicht nur die gefuͤrſteten
Aebte, ſondern alle Biſchoͤfe, die, ihrer Geburt nach,
keine Prinzen ſind, ſich damit behelfen muͤſſen; Daß
du die ſchaͤdliche Lehre unſerer Feinde, quod om-
nis majeſtas ſit ex pacto, ſo nachdruͤcklich widerle-
geſt, und gar andaͤchtig behaupteſt: quod majeſtas
ſit immediate à Deo(19), ohne zu bedencken, daß
dieſe heilſame Wahrheit von den meiſten vor eine
abgedroſchene Grille gehalten wird, und der ſeel.
Maſius, deſſen Gedaͤchtniß noch bey allen kleinen
Geiſtern im Seegen iſt, dieſelbe kaum mit Feur und
Schwerd wider die Spoͤtter retten koͤnnen? Dieſes
alles ſind Gedancken, ſo dir wohl anſtehen, und unſere
Hochachtung gegen dich ungemein vermehren.
Wie erfreuen uns nicht die ſcharfſinnigen Anmer-
ckungen; daß man von einem der ſich ſ. v. uͤbergiebt zu
ſagen pflege: Er ruft St. Ulrichen; oder: Er
appellirt
[377](o)
appellirt an St. Ulrichen(20); daß eine groſſe
Weißheit und Erfahrung noͤthig ſey, um das rechte
Maaß zwiſchen Gelindigkeit und Strenge zu trefen
(21); daß auch unter Bruͤdern oft Feindſchaft und
Rache ſey, und daß dieſes dem Natur-Recht gantz
entgegen (22)? Wie erquicket uns nicht die uner-
hoͤrte Etymologie des Worts: Spittal; da du
meineſt: Spittal ſolle wohl, ſeinem Urſprung nach, ſo
viel heiſſen, als: Speiſt alle(23)? Mit wie vie-
lem Vergnuͤgen lernen wir nicht von dir, daß auch der
Koͤnig von Preuſſen die groſſe Commißion uͤ-
ber Mecklenburg mit ſeinen Voͤlckern unterſtuͤtzet
(24)? Und daß unvermuthete Zufaͤlle, und der oft
ſchnell einbrechende Tod, auch ihren Eintrit in die
groͤſten Pallaͤſte nehmen; daß auch Helden an einem
Schlag-Fluß ſterben, und ein ſolches Ende, wenn
man anders wohl bereitet iſt, das beſte ſey(25)? Denn
ob es gleich eben nichts neues, daß die Groſſen die-
ſer Welt ſterben, wie andere Menſchen, ſo iſt es
doch ſehr erbaulich, daß du dieſes anmerckeſt, und
die Nachricht von preußiſchen Executions-
Truppen in Mecklenburg iſt vollkommen
neu, und wir konnten ſie von niemand, als dir er-
warten, weil du der eintzige biſt, dem es gegeben iſt,
auch ungeſchehene Dinge zu wiſſen.
A a 5Wie
[378](o)
Wie loͤblich iſt nicht der chriſtliche Eifer, den du
in unterſchiedenen Anmerckungen (26) wider den
Concubinat und die Vielweiberey bezeugeſt.
Gewiß, andaͤchtiger und keuſcher Philippi,
wir haͤtten einen ſolchen Glauben bey einem
Rechtsgelehrten, in dieſen verderbten Zeiten,
nicht geſuchet. Wir erfreuen uns alſo inniglich, daß
du dich durch das verfuͤhriſche Geſchwaͤtz der
unſchlachtigen und verkehrten Juriſten nicht
einnehmen laſſen, ſondern zum Troſt unſerer Ge-
ſellſchaft, die unterſchiedenen Begrife einer
Hure und Concubine, aus einer heiligen, und an
einem Juriſten ungewoͤhnlichen Einfalt, ſo
chriſtlich, oder wie unſere Feinde reden, ſo poſtil-
lantiſch vermengeſt, daß wir die ſichere Hofnung he-
gen, du werdeſt nicht nur viele gute Gemuͤther, wie ei-
nen Brand aus dem Feur reiſſen, ſondern auch an
jenem Tage viele Rechtsgelehrte, welche dir von
der boͤſen Welt weit vorgezogen werden, beſchaͤmen.
Dasjenige aber, was uns am meiſten an deinen
auserleſenen Anmerckungen behaget, iſt dieſes,
daß du deinen Huͤbner ſo wohl inne haſt, und dich,
wann es auf die Hiſtorie ankoͤmmt, nicht mit den
abgenuͤtzten Lumpen alter Troͤſter behaͤngeſt,
ſondern auch die aͤlteſten Geſchichte mit den neue-
ſten und friſcheſten Urkunden belegeſt, die eben
darum am allerglaubwuͤrdigſten ſind, weil die-
jenigen, von welchen du ſelbige entlehneſt, mit ſo viel
mehrerm Fug vor unpartheyiſch gehalten werden
koͤn-
[379](o)
koͤnnen, je weiter ſie von den Zeiten, da die alten Be-
gebenheiten ſich zugetragen haben, entfernet, und
von den Afecten, die den Bericht der Alten ver-
daͤchtig machen, frey ſind.
Eine gegruͤndete Furcht, deiner Beſcheidenheit zu
nahe zu treten, verbietet mir, groſſer Philippi, mich
weiter in die Betrachtung der auſſerordentlichen
Eigenſchaften deiner Anmerckungen zu vertiefen.
Jch uͤbergehe alſo eine groſſe Menge der darinn
vorkommenden Schoͤnheiten mit Stillſchweigen,
und ſage nur noch kuͤrtzlich, daß wir deine Thuͤrin-
giſche Hiſtorie unter diejenigen Schriften zehlen,
die unſerer Geſellſchaft die meiſte Ehre bringen, und
daß die beyden Glieder unſerer Geſellſchaft, die
ſich neulich durch ihre vortreflichen Anmerckungen
uͤber die Paßion, und uͤber die Geſchichte von
der Zerſtoͤhrung der Stadt Jeruſalem beruͤhmt
gemacht haben, gegen dich vor Kinder in der ed-
len und kleinen Geiſtern anſtaͤndigen Schreib-
Art zu achten ſind.
Es iſt uns demnach unbegreiflich, wie du auf die
Gedancken gerathen koͤnnen, wir haͤtten deiner Thuͤ-
ringiſchen Hiſtorie das Leben abgeſprochen. Sie
ſoll leben, theurer Philippi, und zu ewigen Zeiten eine
Zierde unſers Buͤcher-Vorraths, und ein Vorwurf
unſerer Bewunderung ſeyn. Die tiefe Einſicht,
die du in die Vortreflichkeit deiner eigenen
Schriften haſt, wird dich uͤberzeugen, daß dieſes
keine Complimente ſind, und wir haben alſo die groͤ-
ſte Urſache von der Welt, alles was du von unſerm
erſten Geſetze ſageſt, deine Klagen uͤber den von
Boxhorn, und deine Sorge vor deine Thuͤringi-
ſche
[380](o)
ſche Hiſtorie vor Fruͤchte deiner Entzuͤckung
zu halten.
Eben dieſes ſage ich von dem andern Geſetze, ſo
du an der Decke unſers Saals findeſt. “Trage kei-
„ne Sorge, heiſt es, wenn du gleich in der ge-
„woͤhnlichen Titulatur fehleſt. Wir koͤnnen
dich, werther Philippi, auf unſere Ehre verſichern, daß
wir nicht wiſſen, was du mit dieſen Worten haben
wilt. Du redeſt uns gar zu myſtiſch: Wer kan es er-
reichen? Ja ich mag dich nicht einmahl um eine deut-
liche Erklaͤrung bitten. Vieleicht iſt es dir ſelbſt un-
moͤglich, die hohen Worte auszulegen, welche in der
heiligen Verwirrung, ohne alles Zuthun dei-
nes Verſtandes, aus deinem prophetiſchen
Munde gegangen ſind.
Und was ſoll ich alſo von dem dritten Geſetze un-
ſerer Geſellſchaft, das du im Geiſte geſehen haſt, ſa-
gen? Auch dieſes koͤnnen wir, ohne die Ehrerbietung,
ſo wir dir ſchuldig ſind, zu verletzen, nicht nach dem
Buchſtaben verſtehen. Wir koͤnnen uns unmoͤglich
einbilden, daß du uns in dem Verdacht habeſt, als
ſuchten wir in der Nachahmung eines Cicero und
Demoſtenes unſern Ruhm. Du weiſt, mein lieber
Philippi, daß dieſe blinden Heiden zu ihren Zeiten
abgeſagte Feinde unſerer Geſellſchaft, und ihre Schrif-
ten jederzeit ein Greuel in unſern Augen geweſen ſind.
Wie hat es nicht unſere Geſellſchaft geſchmertzet, daß
gewiße Veraͤchter unſerer Anſtalten, den vermale-
deyeten und Grund-boͤſen Geſchmack der Heiden, die
von GOTT nicht wiſſen, in die chriſtliche Be-
redſamkeit einfuͤhren wollen? Und wie haben wir
uns hergegen nicht gefreuet, daß du, O ſtreitbarer
Philippi,
[381](o)
Philippi, vor dem Riß getreten, und dich durch
deine vortrefliche Schriften dem einreiſſenden Ver-
derben entgegen geſtellet haſt? Wie kanſt du uns
dann Schuld geben, wir hielten den Cicero und De-
moſtenes hoch? Jch bin verſichert, groſſer Philippi,
daß du eine beſſere Meinung von uns haſt, und ſolte
dahero faſt auf die Gedancken gerathen, du wolleſt ge
rade das Gegentheil von dem, das du ſageſt, ver-
ſtanden wiſſen, und nur ſo viel ſagen, daß unſere Fein-
de thoͤrigt handeln, wenn ſie, obgleich die deutſche
Sprache ihre eigene Regeln hat; doch verlangen, man
ſolle ſich nach den Regeln der lateiniſchen und grie-
chiſchen Rede-Kunſt eines Cicero und Demoſtenes
richten.
Auf ſolche Art wuͤrde unſer drittes Geſetz, nach
deinem Sinn, folgender Geſtalt lauten muͤſſen: Bin-
de dich nicht an die Regeln der lateiniſchen
und griechiſchen Rede-Kunſt eines Cicero
und Demoſtenes, denn die deutſche Sprache
hat ihre eigene Regeln.
Dieſes waͤre ein Geſetz vor uns, und der Schluß,
auf welchen ſich daſſelbe gruͤndet, wuͤrde uns als klei-
nen Geiſtern wohl anſtehen, weil in ſelbigem die
Sprach-und Rede-Kunſt ſo artig mit einander
vermenget ſind, und nicht undeutlich zu verſtehen ge-
geben wird, daß es eine lateiniſche, eine griechiſche
und eine deutſche Beredſamkeit gebe, die weſent-
lich von einander unterſchieden; welches gewiß unſern
Feinden eben ſo wunderlich vorkommen wuͤrde, als
wenn man ihnen von einem lateiniſchen, griechiſchen
und deutſchen Ein mahleins vorſagen wolte.
Allein,
[382](o)
Allein, groſſer Mann, eine heilige Ehrfurcht,
haͤlt mich von einer vorwitzigen Ausgruͤbelung
deiner heiligen und verborgenen Abſichten zuruͤ-
cke. Jch weiß, daß nichts, als die Unbegreiflichkeit
und Dunckelheit die Reden ſolcher Propheren,
als du, ſchaͤtzbar macht: Und es waͤre eine ſtrafbare
Verwegenheit, wenn ich mich unterfangen wolte, dei-
ne Weiſſagungen ihrer groͤſten Annehmlichkeit zu
berauben. Du weiſt am beſten, theurer Philippi, ob
wir die hohen Geheimniſſe, die in deinen Wor-
ten verborgen liegen, faſſen koͤnnen, oder nicht, und
wirſt alſo ſchon wiſſen, wann es Zeit iſt, uns mit ei-
nem groͤſſern Lichte zu begnadigen.
Jch ſehe, meine Bruͤder, die Ungedult, mit wel-
cher ihr dieſe frohe Stunde erwartet, aus euren Au-
gen hervor leuchten. Allein gebt euch zufrieden, und
freuet euch, daß der Hr. Prof. Philippi in ſeiner Ent-
zuͤckung nicht durchgaͤngig gleich hoch und dun-
ckel geredet hat. Er wird gegen das Ende derſelben
immer verſtaͤndlicher.
cutus(27).’
Redet er nicht, indem er die uͤbrigen, ihm im Geſich-
te vorkommenden Geſetze unſerer Geſellſchaft von der
ledigen Decke unſers Saals ablieſet, ſo deutlich und
umſtaͤndlich von unſerer Soꝛgfalt in Veꝛmeidung
eines fruchtbaren Vortrags nuͤtzlicheꝛ Wahr-
heiten, von unſerer Bemuͤhung fein natuͤrlich zu
reden, von unſerm Verbot einer genauen Wahl
der Gedancken, eines richtigen Zuſammen-
hangs
[383](o)
hangs der Urheile, und einer Buͤndigkeit in den
Schluͤſſen, und endlich von der Ruͤhnheit, mit
welcher wir uͤber alles, was in der Welt heilig und
ehrwuͤrdig iſt, herfahren, als wenn er viele Jahre
unter uns zugebracht haͤtte? Dieſe Erkaͤnntniß unſe-
rer Verfaſſung, welche du, theurer Philippi, von dir
blicken laͤſſet, erfuͤllet unſere Hertzen mit einer unaus-
ſprechlichen Freude. Denn es iſt unmoͤglich, aller-
liebſter Philippi, daß du eine Geſellſchaft haſſen koͤnn-
teſt, deren Hochachtung gegen dich ſo groß iſt, daß ſie
durch ihre Geſetze alle ihre Glieder zur Nachahmung
deiner auſſerordentlichen Schreib-Art verbin-
det. Bedencke aber einmahl, koͤnnen die vier letzten
Geſetze, die du im Geiſte geſehen haſt, und die wir vor
die unſern erkennen, wohl einen andern Endzweck ha-
ben? Sind ſie nicht aus deinen, uns ſo lieben, Schrif-
ten genommen?
Es ſcheinet faſt, theurer Philippi, als wenn du die-
ſes erkenneteſt. Denn du tadelſt nicht ein einziges,
und wenn du vorgiebſt, du erſchreckeſt bey Erbli-
ckung unſers Geſetzes, welches, nach deiner Rechnung,
das ſiebende iſt, uͤber unſere Kuͤhnheit; ſo glauben
wir, dieſes Erſchrecken ſey mehr eine Frucht deiner,
auch wider deinen Willen ſich in dir regenden, Nei-
gung zu uns, deinen dir ſo aͤhnlichen Bruͤdern, als
ein Zeichen, daß dir unſere Kuͤhnheit mißfalle.
Es iſt dieſes nicht zu vermuthen von einem Manne,
der mit Fug unter die kuͤhneſten und verwegen-
ſten Scribenten ſeiner Zeit gerechnecht werden kan.
Mit was vor Dreiſtigkeit, haſt du nicht, hertzhaf-
ter Philippi, dem Churhauſe Sachſen die Stifter
Mer-
[384](o)
Merſeburg und Naumburg abgeſprochen (28)?
Wie verwegen haſt du nicht, an einen gewiſſen Ort,
vor einer ſchon verſtorbenen groſſen Printzeßin, und
was noch mehr zu bewundern, von der noch lebenden
Hertzogin von K-nd-l geredet (29)? Und haben
nicht viel Groſſe bey dem Lotterey-Weſen in
Sachſen mit ihrem Schaden erfahren, daß auch die
angeſehenſten Maͤnner vor deiner Feder nicht ſicher
ſind, wenn dein gerechter Zorn erſt an zu brennen
faͤngt?
Wir folgen deinem Exempel, heldenmuͤthiger
und kuͤhner Philippi, und ſcheuen uns vor nichts.
Unſer Wahlſpruch iſt:
dignum
„Si vis eſſe aliquis . . . . . . (30).’
Laß es ſeyn, daß man unſere Kuͤhnheit beſtrafet; Wir
leiden allemahl unſchuldig. Man werfe uns in den
Kercker: Wir wiſſen uns groß damit. Wir ſind
ſo ſehr von dem Reſt der Menſchen unterſchieden, daß
wir das, was andere Schande nennen, vor unſere
groͤſte Ehre achten. Es koͤmmt nur darauf an, wie
man eine Sache anſiehet. Empfangen wir, was un-
ſere Thaten, nach dem Urtheil unſerer Verfolger,
werth ſind, ſo ſind wir Maͤrryrer der Wahrheit;
Legt man unſere Fuͤſſe in den Stock; ſo troͤſten wir
uns damit, daß ein dergleichen Gefaͤngniß, daß ei-
ner nicht um Miſſethat willen, ſondern aus unver-
ſchul-
[385](o)
ſchuldetem Haß der Maͤchtigen, ausſtehet, mehr edie
Seelen betroffen habe (31). Wir ſind nimmer
Delinquenten und Miſſethaͤter, ſondern Staats-
Gefangene und Koͤnigliche Arreſtanten(32),
und unſer Kercker iſt uns ein Pathmus.
Sey demnach unſertwegen unbeſorget, werther
Philippi. Unſere Kuͤhnheit wird uns ſo wenig ſcha-
den, als dir die deinige: Und haben wir desfals An-
fechtung, ſo haben wir auch von dir gelernet, ſolche
Fatalitaͤten zu uͤberſtehen, und uns, nach deinem
Beyſpiel, zu troͤſten. Beſeufze vielmehr unſer Ver-
haͤngniß, daß wir ſelten Gelegenheit haben unſere
Standhaftigkeit in ſolchen Faͤllen zu beweiſen. Wir
gaͤben oͤfters viel darum, daß unſere Schriften ver-
boten, und wir zur Verantwortung gezogen wuͤrden.
Denn jenes wuͤrde den Abgang unſerer Wercke, der
ordentlicher Weiſe ſehr ſchlecht iſt, befoͤrdern, und die-
ſes ein Zeichen ſeyn, daß man unſere Stiche gefuͤhlet.
Allein es wird uns ſo gut nicht. Man achtet uns nicht
einmahl ſo viel, daß man ſich um uns, und unſere
Schriften bekuͤmmert. Du wirſt aus eigener Er-
fahtung wiſſen, groſſer Philippi, daß ich die Wahr-
heit ſage. Hat man deiner Thuͤringiſchen Hiſto-
rie, einer Schrift, die ſo viel bedenckliches in ſich faſ-
ſet, in Sachſen wohl die Ehre gethan, daß man ſie
confiſciret? Man hat ſich geſtellet, als waͤre ſie nicht
in der Welt, und dieſes unvergleichliche Werck
wuͤrde unſtreitig ſchon guten Theils von den Motten
verzehret, oder wohl gar den Weg aller, nach dem
B bGe-
[386](o)
Geſchmack unſerer Geſellſchaft verfertigten, Schrif-
ten, gegangen, und niemahls zum Vorſchein gekom-
men ſeyn, wenn nicht unſer lieber Bruder, der von
Boxhorn, den Lohn von GOTT genommen
haͤtte, deſſelben in der auf dich gehaltenen Lob-Re-
de, zu erwehnen, und alſo, zugleich mit deinen
ſechs deutſchen Reden, aus dem Staube hervor
zu ziehen.
Jch bin verſichert, werther Philippi, du ſieheſt al-
le dieſe Wahrheiten tiefer ein, als ich, und weiſt beſſer,
als ich es dir ſagen kan, wie noͤthig Geiſtern unſerer
Art diejenige Kuͤhnheit iſt, die du vor gefaͤhrlich haͤltſt.
Jndeſſen erkennen wir aus deiner ſo liebreichen Be-
ſorgniß, die Groͤſſe deiner zu uns tragenden Liebe, von
welcher du uns auch mitten in deinem Zorn ſo
deutliche Proben giebeſt. Wir ſind dir davor unend-
lich verbunden, und preiſen die Gnade unſers Schutz-
Gottes des groſſen Pans, daß es ihm gefallen, dei-
nen, ohne unſer Verſchulden, wider uns entbrannten
Grimm durch eine Entzuͤckung zu brechen, und dir
in einem Geſichte unſere Geſetze ſehen zu laſſen, aus
welchen eine ſo genaue Aehnlichkeit zwiſchen dei-
nem und unſerm Geiſte hervorleuchtet, daß, wo-
fern du nicht von Stein biſt, dein Hertz dadurch
nothwendig geruͤhret, und wieder zu uns gewandt
werden muß.
Vergoͤnne uns, groſſer Philippi, daß wir uns
mit dieſer angenehmen Hofnung ſchmeicheln. O wie
vortheilhaft wird deine Gewogenheit uñ Fꝛeundſchaft
unſerer Geſellſchaft ſeyn? Was wird es ihr nicht vor
Ehre bringen, daß unter uns ein Propher aufgeſtan-
den? Und wie werden ſich unſere Feinde aͤrgern, wann
ſie
[387](o)
ſie unſere Geſellſchaft unter dem Schirm eines Haup-
tes von ſo auſſerordentlichen Verdienſten bluͤ-
hen, und an Ruhm und Anſehen wachſen ſehen? Alle
ihre Bemuͤhung, uns zu ſchaden, wird ins kuͤnftige
vergebens ſeyn. Wollen ſie ofenbahre Gewalt ge-
brauchen, ſo wird es ihnen gehen, wie den Rieſen, die
den Himmel ſtuͤrmten, und auch der grimmigſte An-
grif ihnen nichts, als die traurige Ehre, von dem
Strahl der heroiſchen Beredſamkeit unſers Ju-
piters zerſchmettert zu werden, zu wege bringen.
Wollen ſie uns durch Liſt ſtuͤrtzen, ſo wird deine
Vorſicht, und Weißheit ihre geheimeſten Anſchlaͤ-
ge zu nichte machen. Du wirſt ihnen, nach der Gabe,
die dir gegeben iſt, in das innerſte ihrer Hertzen ſehen,
und vorher wiſſen, was ſie dencken, und nicht den-
cken. Denn was iſt dir wohl, O du Seher! verbor-
gen? Du ſieheſt vorher, was kuͤnftig geſchehen wird,
und weiſt was in dem Rath der Goͤtter beſchloſ-
ſen iſt.
Was bißher kein Menſch gewuſt, ja was nicht
einmahl den Engeln im Himmel bekannt ge-
weſen, das iſt dir ofenbahret. Du weiſt, groſſer
Prophet wann der juͤngſte Tag kommen wird.
Du haſt uns vor nicht langer Zeit verkuͤndiget:
Daß die Welt 6000. Jahr biß zum Untergan-„
ge Babels, und des groſſen Antichriſts, eines„
atheiſtiſchen Koͤniges, ſo viertehalb Jahr„
vor dem Einbruch des Welt-Gerichts tyranniſi-„
ren wird, ſtehen werde: daß die Tage, durch ei-„
ne ſonderbare Veraͤnderung, ſo an der Sonne„
noch geſchehen wird, verkuͤrtzet werden ſollen,„
B 2und„
[388](o)
„und daß ſich in Zeit von 53 Jahren, wer es erleben
„ſolte, die allerwunderbarſten Begebenheiten,
„und erſchroͤcklichſten Gerichte noch zutragen
„werden (33).
Wie troͤſtlich muß der ſeufzenden Creatur dieſe
Weiſſagung nicht ſeyn, aus welcher ſie lernet, daß
ihre Erloͤſung ſo nahe iſt? Und verdienteſt du nicht, o
Mann GOttes! daß man dir Altaͤre aufrichtete?
Deine Demuht laͤſſt dieſes zwar nicht zu: Allein das
ſolt du mir doch nicht wehren, daß ich die Gnade,
die in dir iſt, verehre, und deine Einſicht in das
Kuͤnftige bewundere.
Jch muß der Spoͤtter lachen, die, nach ihrer Naſe-
Weisheit, dich vor einen philoſophiſchen En-
thuſiaſten halten, und es nicht verdauen koͤnnen,
daß du deine beſondere Einſicht in die Materien,
welche du in deinem mathematiſchen Verſuch
abgehandelt haſt, und die Erkaͤnntniß der Unmoͤg-
lichkeit einer ewigen Welt vor einen, dir un-
verdient geſchenckten, Strahl des ewigen
Lichts ausgegeben (34); daß du den, dir vor die
herrliche Ausfuͤhrung ſo wichtiger Wahrheiten
gebuͤhrenden Ruhm, nicht dir, ſondern der Gnade,
die in dir iſt, zugeſchrieben (35), und endlich gar
zum Schluß mit aufgehabenen Haͤnden GOtt
geprieſen, daß er das, was du in deiner Schrift wi-
der Wolfen vorgetragen, den Weiſen und Klu-
gen verborgen, und dir, als einem Unmuͤndigen,
offen-
[389](o)
offenbahret, ja die Beweiſe in dieſer Sache dir ſelbſt
in den Mund geleget habe (36).
Dieſe Elende ſtehen in dem Wahn, es ſey eine„
ſcheinheilige Prahlerey, und ein andaͤchtiger„
Mißbrauch des goͤttlichen Nahmens, wann du„
dich einer goͤttlichen Eingebung ruͤhmeſt.„
Man koͤnne, ſprechen ſie, zur Noth aus natuͤr-
lichen Kraͤften, und ohne eine beſondere Er-„
leuchtung begreifen, daß das, was nothwen-„
dig einen Anfang gehabt haben muß, nicht al-„
lezeit geweſen, und folglich nicht ewig ſeyn koͤn-„
ne. Es ſey daher nicht zu glauben, daß die goͤtt-„
liche Vorſicht dich in dieſem Zeit-Raum er-„
wecket habe, etwas zu beweiſen, daran niemand„
zweifelt, und dich zu einer ſo unnoͤthigen Arbeit„
mit einer beſondern Einſicht begabet habe, die„
andere nicht gehabt. Es ſey folglich deine Danck-„
ſagung laͤcherlich, und komme nicht viel beſſer her-„
aus, als wenn du zum Beſchluß deiner Schrift„
GOTT auch davor dancken wollen, daß er dir„
Kraͤfte verliehen, in waͤhrendem Schreiben dei-„
ne Sand-Buͤchſe von deinem Dinten-Faß zu„
unterſcheiden. Man muͤſſe ſich wundern, daß du„
dich nicht entſehen, deine Einſichten einer Ein-„
blaſung zu zuſchreiben, da du doch ſelber geſtuͤn-„
deſt, daß die Unmoͤglichkeit einer ewigen„
Welt dir gleich in die Augen geſtrahlet, ſo bald„
du nur die Begrife des ewigen, ſelbſtſtaͤndi-„
gen, nothwendigen, unterwuͤrfigen u. ſ. w.„
mit einander verglichen, ja es vor eine ſehr begreif-„
liche Sache hielteſt, daß die Welt nicht ewig ſeyn„
B b 3koͤnne„
[390](o)
„koͤnne (37). Ueberdem waͤre dein Mathemati-
„ſcher Verſuch ſo beſchafen, daß man einen ſehr
„uͤblen Begrif von der goͤttlichen Weißheit haben
„muͤſte, wenn man glauben wolte, daß ſie an den
„darinn vorkommenden Gedancken einigen Antheil
„haͤtte; Und ſey es alſo eben nicht gar ehrerbietig,
„daß du GOtt Schuld gaͤbeſt, er habe dir Gedan-
„cken eingefloͤſſet, deren ſich viele kluge Leute
„ſchaͤmen wuͤrden. Sie wenigſtens, fahren ſie
„fort, moͤchten nicht, daß man ihnen nachredete,
„ſie haͤtten die Worte des Herrn Wolfs: Thur
„Herr Budde dieſes dem Thomas von Aqvi-
„no, einem engliſchen Lehrer, was will er
„mir nicht thun? ſo verſtanden, als wenn Herr
„Wolf ſagen wollen: Jſt Thomas Aqvinas ein
„engliſcher Lehrer, wie vielmehr bin ichs
„(38). Sie wuͤrden es vor eine Beſchimpfung ach-
„ten, wenn man von ihnen ſagen wolte, ſie glaub-
„ten, daß GOttzornig ſey, wann es donnert,
„und daß der Blitz nur die Gottloſen traͤfe
„(39); oder ſie waͤren ſo uͤbel in ihrem Gehirne ver-
„wahret, daß ſie nicht begreifen koͤnnten, wie es
„moͤglich ſey, daß GOtt, der die Kraft etwas
„zu wuͤrcken von Ewigkeit beſeſſen, von E-
„wigkeit etwas habe wuͤrcken koͤnnen, da ſie
„doch ſo gar glaubten, es ſey moͤglich, daß mehr, als
„ein GOtt ſey.(40). Da nun dein mathemati-
„ſcher Verſuch voll von ſolchen Einfaͤllen; ſo ſey
„es mehr als laͤcherlich, daß du ſo deutliche
Merck-
[391](o)
Merckmahle eines duncklen Verſtandes vor„
zuruͤckprallende Strahlen des dich beſchei-„
nenden goͤttlichen Lichts ausgaͤbeſt, und wer-„
deſt du mit deiner vorgegebenen Einbiaſung und„
Erleuchtung um ſo viel weniger Glauben finden,„
je ſchwerer es zu begreifen, warum der Geiſt, der dir„
ſo wunderliche Gedancken eingegeben, nicht„
ſo viel Liebe vor dir gehabt, daß er dir dein barbari-„
ſchesEpiſtolium(41), welches du, als ein da-„
mahliger Juͤngling(42) an den Hrn. Wolf„
geſchrieben, corrigiret, oder wenigſtens dich an-„
getrieben, daſſelbe nochmahl incudi conſcii tui„
(43) zu unterwerfen; ſondern dich daſſelbe in dem„
jaͤmmerlichen Zuſtande, worinn es jetzo vor al-„
ler Welt Augen liegt, drucken laſſen, gerade als„
wenn es noͤthig, jederman zu uͤberfuͤhren, daß du„
kein beſſerer Lateiner, als deutſcher Redner„
ſeyſt; ja daß er gar ſo neidiſch geweſen, daß er dir„
dasjenige vorenthalten, welches dir doch zu wiſſen„
hoͤchſtnoͤthig geweſen, nemlich, daß niemand zu„
finden, der den Jrrthum hege, welchen du in deinem-„
Mathematiſchen Verſuch widerleget haſt. Du„
ſaͤheſt alſo eine Wind-Muͤhle vor einen Rieſen„
an, und dieſes habe Don Qvixot, ohne allen„
auſſerordentlichen Beyſtand von oben,„
bloß aus natuͤrlichen Kraͤften auch gethan.„
B b 4Es
[392](o)
Es ſey demnach . . . . . . Doch mich
eckelt ſchon vor dieſem Geſchwaͤtz. Jch uͤbergehe den
groͤſten Theil der giftigen Spoͤttereyen, welche dieſe
Ungluͤckſeelige wider deinen Mathematiſchen
Verſuch uͤberhaupt, und inſonderheit wider den an-
daͤchtigen und demuͤhtigen Beſchluß deſſelben
ausſtoſſen, mit Stillſchweigen. Die Reden ſolcher
Leute irren mich nicht. Jch bin verſichert, ſie wuͤrden
anders urtheilen, wenn der Neid, und die Vorur-
theile, mit welchen ſie alle Schriften kleiner Gei-
ſter leſen, ihnen zugelaſſen haͤtten, diejenige Stelle dei-
nes Mathematiſchen Verſuchs, aus welcher der
dir geſchenckte Strahl des ewigen Lichts ſo
helle hervorleuchtet, mit gehoͤriger Aufmerckſamkeit
anzuſehen.
Jch habe dieſe Stelle gefunden, begeiſterter Phi-
lippi. Jch erkenne, daß du Urſache haſt, dich einer
hohen Ofenbahrung in Demuth zu ruͤhmen, und eh-
re dich als einen Propheten, der alle Propheten, die
unſere Geſellſchaft ſeit ihrer Stiftung gehabt hat,
weit uͤbertrift. Es iſt bekannt, erleuchteter und be-
ſtrahlter Mann, daß der Trieb zu weiſſagen bey
kleinen Geiſtern nicht ſelten iſt. Nicht nur die neuen
Propheren, deren Lohn in dieſen verderbten Zeiten
ſehr ſchlecht iſt, ſondern auch die Zauberer in Egyp-
ten, alle Wahrſager, Zeichendeuter, Sternſe-
her, Chaldaͤer, ja auch diejenigen juͤdiſchen Pro-
pheten, von denen in der Bibel nicht viel gutes ge-
ſagt wird, gehoͤren zu uns. Jch will alle dieſe vortref-
lichen Maͤnner, denen unſere Geſellſchaft ſo vieles
zu dancken hat, nicht verachten: Allein was ſind ſie
gegen dich? Wie groß auch ihre Verdienſte geweſen
ſind,
[393](o)
ſind, ſo hat es ihnen doch an derjenigen Klugheit ge-
fehlet, die Du, O groſſer Prophet! in deinen Weiſ-
ſagungen bezeigeſt.
Nur von denen zu reden, die ſich, wie du, unterfan-
gen haben, den Tag des juͤnſten Gerichts vorher
zu verkuͤndigen, ſo haben ſie nicht die Vorſicht ge-
brauchet, die zu einem ſo wichtigen Unternehmen er-
foꝛdert wird. Sie haben allemahl ein gewiſſes Jahꝛ
beſtimmet, und alſo, wo nicht bey ihrem Leben den
Verdruß; doch wenigſtens nach ihrem Tode die
Schande gehabt, daß man geſagt ſie haͤtten gelogen.
Ob es nun gleich bey allen vernuͤnftigen Leuten aus-
gemacht iſt, daß es eine Einfalt, nach dem Ausgange
von einer Sache zu urtheilen, und folglich eine Pro-
phezeihung, die nicht erfuͤllet wird, eben ſo wenig
aufhoͤret, eine wahre vollſtaͤndige Prophezei-
hung zu ſeyn, als eine nach den Regeln der Artz-
ney-Kunſt verfertigte Purgantz, die aus gewiſſen
Urſachen ihre Wuͤrckung nicht hat, aufhoͤret eine
Purgantz zu ſeyn: Auch unſere Feinde ſelbſt ihren
Jonas darum nicht vor einen falſchen Propheten
halten, weil der Untergang der Stadt Ninive,
welchen er vorher verkuͤndiget hatte nicht erfolget iſt:
So haſt du doch wohl gethan, werther Philippi, daß
du dem Laͤſterer nicht Raum gegeben; ſondern
den Einfaͤltigen alle Gelegenheit beſchnitten, das
Maul, nach ihrer loͤblichen Weiſe, uͤber dich und deine
Weiſſagung zu reiſſen, wenn ſie, wie es leicht geſche-
hen kan, entweder zu fruͤhe, oder gar nicht erfuͤllet
werden ſolte.
Auf die Art, wie du es machſt, biſt du ſicher, es mag
kommen wie es will. Bricht der juͤngſte Tag ein,
noch ehe die 53 jaͤhrige Fꝛiſt, die du der Welt zur Buſ-
B 5ſe
[394](o)
ſe gegeben haſt, zu Ende laͤuft, ſo verliehreſt du nichts
dabey. Denn qui poteſt majus, poteſt etiam mi-
nus, und alle kluge Leute werden alſo erkennen, daß,
da du auf 53. Jahr hinausſehen koͤnnen, es dir ein
leichtes geweſen ſeyn wuͤrde, das, was in einer kuͤrtzern
Zeit geſchehen ſollen, und nicht ſo weit entfernet war,
vorher zu wiſſen, wenn die Schaͤrfe deines geiſtli-
chen Geſichts nicht ſo uͤbergroß geweſen. Sie
werden dich demnach vor einen ſo viel groͤſſern Pro-
pheten halten, je weiter ſich deine Einſicht in das
Kuͤnftige erſtrecket. Geſetzt aber, deine 53. Jahr lie-
fen zu Ende, und der juͤngſte Tag bliebe aus. Was
fragſt du darnach? Drey und funfzig Jahr iſt eine
lange Zeit, in welcher ſich vieles zutragen kan. Vie-
leicht erlebeſt du das Ende derſelben nicht, und nach
deinem Tode hoͤreſt du nicht, was man von deiner
Weiſſagung ſagt. Und was waͤre es dann, wenn du
gleich das 1785te Jahr uͤberlebteſt? Jch glaube
wohl, die Einfaͤltigen wuͤrden dich, als einen falſchen
Propheten auslachen, wenn der juͤngſte Tag nicht
kaͤme: Allein koͤnnteſt du dieſe Troͤpfe nicht leicht zu
Schanden machen? Du haſt ja nicht geſagt, daß der
juͤngſte Tag eben im 1785ten Jahr kommen werde.
Du ſagſt nur uͤberhaupt, die Welt werde noch 53.
Jahr ſtehen; Und haſt du alſo nicht vollkom̃ene Frey-
heit, im Falle der Noth, zu ſagen, du habeſt nicht von
gemeinen, ſondern von prophetiſchen Jahren ge-
redet. Dieſe Ausflucht kan nicht nur bey deinem
Leben deine Ehre retten; ſondern muß auch nach dei-
nem Tode in alle Ewigkeit gelten, und du wirſt
folglich den Ruhm eines Propheten mit dir ins Grab
nehmen, und die Ehre haben, daß deine Weiſſagun-
gen
[395](o)
gen von unſern ſpaͤteſten Nachkommen vor wahr ge-
halten werden.
Wie kluͤglich iſt es demnach von dir gehandelt, groſ-
ſer Philippi, daß du die gemeine und plumpe Art,
den juͤngſten Tag vorher zu verkuͤndigen, verlaſſen, uñ
durch eine prophetiſche Zweydeutigkeit deine
Ehre in Sicherheit geſetzet haſt. Das heiſſe ich nach
der Kunſt weiſſagen. Wer wolte dich daher nicht be-
wundern, theurer Philippi? Wer muß nicht uͤber die
Beſcheidenheit erſtaunen, mit welcher du die
wichtige Nachricht von der Zeit des juͤngſten
Gerichts, die du unſtreitig von guter Hand haſt, vor-
bringeſt? Du ſprichſt nicht trotziglich: So ſpricht
der HErr. Sondern du ſageſt mit einer Sittſam-
keit, die man nicht leicht bey einem andern Prophe-
ten finden wird: Du wolleſt deine Meinung nie-
manden aufdringen. Dieſe Beſcheidenheit, groſſeꝛ
Mann, muß nothwendig deine Weiſſagungen bey
edlen Gemuͤthern, die ſich nicht leicht mit Gewalt
zu einer Meinung zwingen laſſen, hoͤchſt beliebt ma-
chen, und kan dir auch, wenn allenfals die Erfuͤllung
deiner Prophezeihung nicht zur beſtimmten Zeit erfol-
gen ſolte, eben ſo groſſe Dienſte thun, als die Zweydeu-
tigkeit, der du dich befliſſen.
Es kan zwar wohl ſeyn, daß einige daher, daß du
deine Meinung nur vor hoͤchſt wahrſcheinlich
ausgiebſt, Anlaß nehmen zu glauben, du ſeyeſt kein
Prophet: Allein kluge Leute ſehen wohl, daß dieſes
uͤbel geſchloſſen, und daß du ohne Ofenbahrung
die hohe Wahrſcheinlichkeit deiner Meinung
nicht einſehen koͤnnen; Weil es unmoͤglich iſt, zu be-
greifen, wie ein ſich ſelbſt gelaſſener Menſch,
ohne
[396](o)
ohne auſſerordentliche Erleuchtung mehr
Wahrſcheinlichkeit darinn finden koͤnne, daß der
juͤngſte Tag um 53. Jahr kommen, als daß er heute,
morgen, oder uͤber hundert, tauſend, oder zehntauſend
Jahr einbrechen werde. Denn eines iſt ſo gewiß, und
ungewiß, wahrſcheinlich und unwahrſcheinlich, als
das andere.
Du biſt und bleibeſt alſo, O Wunder-Mann!
ein groſſer Prophet, und wir haben die wichtigſten Ur-
ſachen von der Welt, auf dich unſer Vertrauen zu ſe-
tzen, und feſte zu hofen, du werdeſt den Hochmuth un-
ſerer Feinde daͤmpfen, und dieſe loſe Veraͤchter unſerer
Geſellſchaft unter unſere Fuͤſſe treten, in kurtzen. Und
wie wird mir? Jſt es doch, als wenn deine Gegen-
wart eben ſo anſteckend, als die Verdrehungen ei-
nes entzuͤckten Quaͤckers. Jndem ich dich anſehe,
groſſer Philippi, und mit den Augen meines Ge-
muͤths deinen prophetiſchen Geiſt betrachte,
werde ich bey nahe ſelbſt ein Prophet.
„Et Tibrim multo ſpumantem ſanguine
cerno(44).’
Jch ſehe dich im Geiſte mit eiſernen Hoͤrnern einher-
treten, und die verfluchte Rotte unſerer Widerſa-
cher zerſtoſſen. Euge Philippe! pulchre Philippe!
percute ſceleſtos. Percuſſiſti, vulneraſti, inter-
feciſti. So recht! O Held! da liegen ſie bey Hau-
fen. Wehe euch ihr groſſen Geiſter! Wehe euch!
Euer Untergang iſt nahe. Die Wuͤnſche unſerer Vaͤ-
ter ſind erfuͤllet. Wir duͤrfen nicht mehr ſeufzen:
„Exo-
[397](o)
„Qui face Dardanios, ferroque ſequare
colonos(45)’
Unſer Raͤcher iſt da. Heulet ihr ungluͤckſeeligen
Verfolger kleiner Geiſter! Er koͤmmt euch zu ver-
derben. Wie wolt ihr ſeinem Zorn entfliehen? Er
wird euch in ſeinem Grimm aufreiben, eure Aecker
verwuͤſten, eure Wohnungen mit Feuer verbren-
nen, und es wird kein Retten da ſeyn.
Dieſes und noch ein mehrers verſprechen wir uns
von dir, tapferer Philippi, und das um ſo viel
mehr, je herrlicher der Anfang iſt, den du ſchon ge-
machthaſt. Du haſt dich, ſo oft du dich, ſeit dem du ge-
ſchrieben, in eine Diſciplin gewaget haſt, nicht an-
ders geſtellet, als wenn du in Feindes Land waͤreſt.
Du haſtniedergeriſſen, verwuͤſtet, geſenget und ge-
brennet, ohne alles Erbarmen. Noch neulich haſt du in
der Chronologie ſo haußgehalten, daß unſere Feinde
in hundert Jahren nicht werden ausbeſſern koͤn-
nen, was du verdorben haſt (46). Fahre ſo fort, aus-
erwehlter Philippi, und raͤche deine bißher be-
draͤngten und verfolgten Bruͤder. Erfreue uns,
ſo bald es moͤglich iſt, mit deiner Anatomie des
menſchlichen Verſtandes(47), und mache
durch dieſe herrliche Schrift, das feſte Neſt der
Vernunft-Lehre, aus welchem unſere Feinde
uns ſo vielen Dampf anthun, dem Erdboden
gleich.
Es
[398](o)
Es wird nicht noͤthig ſeyn, daß ich dich zu Vollfuͤh-
rung eines ſo wichtigen Wercks, durch weitlaͤuftiges
Zureden, aufmuntere. Dein Eyfer vor die Ehre und
Aufnahme unſerer Geſellſchaft, iſt faſt groͤſſer, als wir
wuͤnſchen. Du bedarfſt mehr eines Zuͤgels als der
Spornen, groſſer Philippi: Und ich bitte dich, im
Nahmen unſerer Geſellſchaft, deine Hitze zu maͤßigen.
Es ſteigt dieſelbe manch mahl ſo hoch, daß du alles
niedermachſt, was dir vorkommt, und kaum im
Stande biſt, Freund und Feind zu unterſchei-
den. Unſer lieber Bruder, der von Boxhorn, hat es,
deucht mich, erfahren, daß es beſſer einem Baͤren zu
begegnen dem die Jungen geraubt ſind, als dir, O
Held! wann du auszeuchſt zum Streit, und dein
gereitzter Grimm dich Freund und Feinden ſchreck-
lich macht. Du ſiehſt ihn im Eyfer vor deinen Feind
an; Du koͤmmeſt mit Ungeſtuͤm, ihn aufzuſuchen,
und wer weiß, wie es ihm ergangen waͤre, wenn du ihn
gefunden haͤtteſt?
Jſt es moͤglich, erzuͤrnter Held, ſo begreife dich.
Wuͤte nicht ferner|gegen einen Unſchuldigen, der
das Gluͤck hat dem Mitbruder, und einer deiner
groͤſten Verehrer zu ſeyn. Schuͤtte deinen
Grimm aus auf unſere Feinde, und ſchone unſer.
Warum wollen wir, allerliebſter Philippi, uns,
zur groͤſten Freude unſerer Widerſacher, unterein-
ander aufreiben?
lum(48)’
O!
[399](o)
O! was wolte ich darum geben, daß der Herr von
Boxhorn gegenwaͤrtig waͤre, und ſich ſelbſt gegen dich
rechtfertigen koͤnnte! Aber da dieſes nun nicht ſeyn
kan, ſo erfordert meine Pflicht, einen abweſenden
Bruder zu vertreten. Wir haben ihn in wichtigen
Angelegenheiten verſchicket, und es waͤre unbillig,
daß ſeine Abweſenheit ihm zur Laſt gereichen ſolte. Er-
laube mir demnach, groſſer Mann, daß ich dir einen
Jrrthum benehme, der dich zu Thaten verleiten koͤnn-
te, deren Folgen dir und unſerer Geſellſchaft gleich
nachtheilig ſeyn wuͤrden.
Du bildeſt dir ein, theurer Philippi, der von Box-
horn habe die ſtrafbare Abſicht gehabt, deiner zu ſpot-
ten, und desfals ſeinen Nahmen verſchwiegen. Aber
iſt es moͤglich, daß du dieſes im Ernſt glaubeſt? Jch
ſolte es nimmer dencken. Denn biſt du wohljemah-
len mehr gelobet worden, als in der Rede, welche der
von Boxhorn in unſerer Geſellſchaft, dir zu Ehren, ge-
halten? Jch glaube wohl, demuͤthiger Philippi,
daß die Lob-Spruͤche, welche er dir beygeleget, deine
Beſcheidenheit verletzet haben: und es ſtehet dir wohl
an, und macht dich um ſo viel groͤſſer, daß du dich
derſelben unwuͤrdig ſchaͤtzeſt, und ſie von dir ableh-
neſt. Nur moͤchte ich wuͤnſchen, daß du dieſes letz-
te mit wenigerm Ungeſtuͤm, und mehrerer Hoͤf-
lichkeit gethan haͤtteſt..
Jch ſage dieſes nicht in der Abſicht, dich zu mei-
ſtern, groſſer Mann: Denn wer bin ich, daß ich
mich dieſes unterſtehen ſolte? Jch vor meine Perſon,
erkenne aus deinem ſonderbaren Verfahren die
Ueberſchwenglichkeit deiner Demuth: Aber ich
fuͤrchte, unſere Feinde werden daſſelbe mit andern Au-
gen
[400](o)
gen anſehen, und die Art, mit welcher du das dir bey-
gelegte Lob ablehneſt, vor baͤuriſch, und vor ein Zei-
chen halten, daß du nicht zu leben wiſſeſt: Und
mich deucht, du haͤtteſt ohne Verletzung deines
Gewiſſens dich etwas manierlicher geberden,
und ſolche Urtheile vermeiden koͤnnen. Du waͤ-
reſt darum doch wohl geblieben, wer du biſt, und
wuͤrdeſt es auch unſtreitig gethan haben, wenn du
nur bedacht haͤtteſt, daß, wie es deine Pflicht
iſt, maͤßiglich von dir ſelbſt zu halten, und das
Lob, das man dir ertheilet, nicht ohne Compli-
mente anzunehmen, alſo unſere Schuldigkeit
erfordere, die Tugend zu ehren, wo wir ſie fin-
den, und ſo auſſerordentlichen Verdienſten, als
die deinigen ſind, denjenigen Tribut zu zahlen, der
ihnen von Rechtswegen zukoͤmmt. Waͤre dir dieſes
eingefallen, ſo wuͤrdeſt du, wie ſauer es deiner De-
muth angekommen, groſſe Lob-Spruͤche ohne
Widerrede zu verſchlucken, doch gefunden haben,
du habeſt keine Urſache auf denjenigen, der dir die-
ſelbe beygeleget, zu zuͤrnen, und ihm vor ſeinen gu-
ten Willen mit Schelt Worten zu dancken.
Der Herr von Boxhorn verdiente dieſes um ſo
viel weniger, je deutlicher die Zeichen ſind, die er von
ſeiner Aufrichtigkeit gegeben hat. Er hat, glau-
be mir, groſſer Philippi, nicht die geringſte Abſicht
gehabt, dir, nach Art der boͤſen Welt zu ſchmei-
cheln, oder durch ſeine Lobes-Erhebungen deiner
zu ſpotten. Du weiſt, ja ſelber, daß er nichts als
die Wahrheit von dir geſagt, und dir kein Lob bey-
geleget hat, ohne durch eine oder mehr Stellen, dei-
ner ſechs deutſchen Reden zu erweiſen, daß es dir
zukom-
[401](o)
zukomme. Urtheile hieraus, ob aus der Verſchwei-
gung ſeines Nahmens etwas tuͤckiſches und
boͤſes zu ſchlieſſen. Sey verſichert, daß dasjenige,
ſo ihm bewogen hat, ſeinen Nahmen der auf dich ge-
haltenen Lob-Rede nicht vordrucken zu laſſen, nichts
anders geweſen, als eben die Demuth, die Urſache
iſt, daß du dieſe Lob-Rede ſo uͤbel aufgenommen, und
die Furcht, man moͤchte ihn, wenn er ſich nennete, vor
einen Menſchen halten, der dich aus unlautern und
eigennuͤtzigen Abſichten, nicht aber ohne Hofnung
einiger Danckſagung und Belohnung lobe.
Wie wird es alſo den ehrlichen Manne nicht ſchmer-
tzen, wann er hoͤren wird, daß du ihm die Verſchwei-
gung ſeines Nahmens ſo uͤbel auslegeſt, und ihn des-
fals vor einen Pasquillanten und \& cetera geſchol-
ten haſt? Gewiß, er wird daruͤber um ſo viel empfindli-
cher ſeyn, je unſchuldiger er ſich in ſeinem Gewiſſen
weiß: Und ich kan ohne Grauſen nicht daran geden-
cken, was wir hier vor ein Spectackel erleben wuͤr
den, wenn er zugegen waͤre. Die Schelt-Worte
mit welchen du ihn, ohne Urſache, angreifeſt, ſind ſo
beſchafen, daß kein rechtſchaffener Mann ſie leicht
verdauen kan, und ſein Stand und ſeine Geburt
wuͤrden ihn alſo verbinden, einen ſo groſſen
Schimpf mit deinem Blute abzuwaſchen. Er iſt
ein gebohrner Edelmann, und du, als ein Doctor
Juris, haſt auch jura nobilium, und kanſt, wenn es
dir beliebt, die Leute auf Degen und Piſtolen aus-
fordern. (*) Bedencke demnach allerliebſter Phi-
lippi, wozu dich dein Eyfer verleitet? Der Herr von
Boxhorn iſt ungemein hitzig, und wuͤrden wir alſo,
C cwenn
[402](o)
wenn es das Gluͤck nicht ſo ſonderbar gefuͤget haͤtte,
daß er eben jetzo abweſend, nicht Gefahr laufen, an die-
ſem frohen Tage zwey der wuͤrdigſten Glieder unſe-
rer Geſellſchaft auf einmahl einzubuͤſſen? Oder, wel-
ches faſt eben ſo arg, das gute Verſtaͤndniß zwi-
ſchen dir, und dem Hrn. von Boxhorn, ſo zur Aufnah-
me unſerer Geſellſchaft unumgaͤnglich noͤthig iſt, auf
ewig geſtoͤret zu ſehen? Noch ſind wir vor dieſem Un-
gluͤck nicht gaͤntzlich ſicher: Denn was will daraus
werden, wann dem Herrn von Boxhorn zu Ohren
koͤmmt, was du ihm vor ſchoͤne Ehren-Titel beyge-
leget haſt? Von mir ſoll ers gewiß nicht erfahren. Jch
werde ihm auch, werther Philippi, dein verſiegeltes
Hand-Schreiben noch vor der Hand nicht zuſchi-
cken, weil ich beſorge, es moͤchten gleichfals Anzuͤg-
lichkeiten darinn ſeyn, die zu einem Streit, zwiſchen
euch beyden, Anlaß geben moͤchten, von welchem nie-
mand mehr Schaden haben wuͤrde, als unſere loͤbli-
che Geſellſchaft: Und ich habe das Vertrauen zu
unſern hier gegenwaͤrtigen Mit-Bruͤdern, ſie werden
gleichfals reinen Mund halten.
Wann der Herr von Boxhorn, nach Verlauf ei-
niger Jahre, denn ſo lange wird ſeine Geſandſchaft
wohl waͤhren, wieder in unſerer Verſammlung er-
ſcheinet, werden wir ihm das, was heute hier vorge-
gangen, fuͤglicher beybringen koͤnnen. Er wird ſich
alsdann nicht ſo ſehr uͤber dein Schelten entruͤſten,
als uͤber deinen wunderlichen Eyfer, und die
Muͤhe, ſo wir gehabt haben, dich auf andere Gedan-
cken zu bringen, lachen: Und wird er dann ja end-
lich boͤſe, ſo wird er doch nicht um einer alten und
verjaͤhrten Beleidigung, Haͤndel mit dir anfan-
gen;
[403](o)
gen; ſondern ſich, durch unſer Zureden, beſaͤnf-
tigen laſſen.
Wie hitzig er auch iſt; ſo kan ich ihm doch ruͤhm-
lich nachſagen, daß er den Vorſtellungen ſeiner
Freunde Raum giebt. Jch erinnere mich, daß er ein-
mahl um ein paar lumpen Ohrfeigen ſo boͤſe wur-
de, daß er von Leder ziehen wolte: Er zog auch
wuͤrcklich den Degen halb aus, aber auf mein Zu-
reden machte er es wie der Achilles, und ſteckte ihn
ſaͤuberlich wieder in die Scheide (*)
. . . . [...]
. . . . . . . .
. . . . In argenteo manubrio tenebat
manum gravem
Rurſus autem vaginæ impulit magnum en-
ſem, nec fuit inobediens
Verbo Minervæ . . . . . . . (49)
Es iſt alſo bey mir noch nicht alle Hofnung ver-
ſchwunden, groſſer Philippi, allen Weiterungen
zwiſchen dir, und dem Herrn von Boxhorn,
vorzubeugen, und dich gaͤntzlich mit ihm auszu-
ſoͤhnen. Jndeſſen wirſt du mir erlauben, dir zu
ſagen, daß ich dieſer Muͤhe gerne uͤberhoben gewe-
ſen waͤre und viel darum geben wolte, daß du un-
ſern Bruder, den von Boxhorn nicht ſo hart ange-
griffen haͤtteſt. Er hat es nicht um dich verdienet, und
C c 2ich
[404](o)
ich muß geſtehen, daß ich noch nicht begreiffen kan,
wie dich ſein wohlgemeintes Lob ſo ſehr auſſer dir
ſetzen koͤnnen. Jch ſage dieſes nicht um dir deine Uber-
eilung zu verweiſen. Glaube nicht, daß der unver-
diente Haß, den du auf den von Boxhorn geworffen
haſt, die Hochachtung, ſo wir gegen dich begen, ſchmaͤ-
lere. Je weniger Vernunft wir in deinem Verfah-
ren bemercken, je hoͤher ſchaͤtzen wir dich. Dein
Schelten, dein Wuͤten, dein Toben uͤberfuͤhꝛt uns voͤl-
lig, daß wir kein wuͤrdiger Haupt als dich erweh-
len koͤnnen. Wie muß es uns alſo nicht erqvicken, daß
du mit einer ſo maͤnnlichen und heroiſchen Unbe-
ſcheidenheit von dem Herrn von Boxhorn verlan-
geſt, er ſolle ſeinen Nahmen nennen, ob du gleich ſchon
vorher weiſt, wie er heiſſe, und wo er ſich aufhalte?
Wir lernen immer mehr und mehr daraus, was wir
vor einen Mann an dir haben. Wir ſehen, daß es
eine Thorheit ſey, ſich vor einem Propheten verber-
gen wollen, der alles weiß, und unſere Ehrerbie-
tung gegen dich, wird dadurch immer groͤſſer.
Wer haͤtte es dencken ſollen, O! allwiſſender
Philippi, daß du den Herrn von Boxhorn ſo genau
kenneteſt? Aber dir iſt nichts verborgen. Du weiſt
ſeinen Nahmen, du weiſt den Ort ſeines Auffent-
halts, und ich glaube, du wuͤrdeſt ihn gleich kennen,
wenn du ihn nur ſehen ſolteſt.
Proveniunt . . . . . . . . . (50).’
Man ſiehet leicht, daß du ohne Offenbahrung den
Nahmen deines ungenannten Anbeters nicht er-
fahren,
[405](o)
fahren, und ihn unſern luͤbeckiſchen Lob-Redner
nennen koͤnnen, und du kanſt glauben, daß wir
demjenigen Geiſte, der dich zu dieſer Erkaͤnntniß
gebracht hat ungemein verbunden ſind; ob er dir
gleich nicht alles entdecket hat. Denn du muſt nicht
meinen, werther Philippi, daß der Herr von Box-
horn wuͤrcklich in der Stadt Luͤbeck wohnet.
Dieſes iſt ihm ſo wenig, als andern kleinen Gei-
ſtern erlaubt. Alle die ſich in Luͤbeck oͤffentlich zu
unſerer Geſellſchaft bekennen, muͤſſen auſſer der
Stadt, vor einem gewiſſen Thor in gewiſſen klei-
nen Haͤuſern(51) wohnen, und werden faſt als
Gefangene gehalten. So begegnet man uns in
Luͤbeck! Das macht, unſere Feinde ſind daſelbſt
zu maͤchtig, und wir haben es noch als eine ſonder-
bare Gnade anzuſehen, daß man uns die Ehre
thut, und uns mit den Juden in eine Claſſe ſetzet.
Denn gleichwie man nur einen Juden in Luͤbeck
duldet, ſo duldet man auch nur oͤffentlich einen
kleinen Geiſt, und dieſer ehrliche Mann findet
doch lange nicht ſo viel Schutz, wider Unrecht und
Verſpottung, als der unglaͤubige Mauſchel.
Unter Chriſten iſt dieſes was unerhoͤrtes, und . .
. . Doch ich maͤßige meinen Eyfer, und erin-
nere dieſes nur darum, weil der Geiſt, der dir, es
ſey nun muͤndlich, im Traum oder in einem Ge-
ſichte geſchehen, die Nachricht gegeben hat, daß
der Herr von Boxhorn in Luͤbeck ſey, dir dieſe Um-
ſtaͤnde, ich weiß nicht warum, verſchwiegen hat, und
unſerer Geſellſchaft ſo wohl, als dem Herrn von
Boxhorn ſehr viel daran gelegen iſt daß du von
C c 3der
[406](o)
der Wahrheit und Unbetrieglichkeit deiner gehabten
Offenbahrung, aufs kraͤftigſte uͤberzeuget werdeſt.
Du biſt es nunmehro vollenkommen, theurer Phi-
lippi, das weiß ich. Vergoͤnne uns demnach, O!
vortreflicher Mann, daß wir dich, theils als einen
Propheten, bewundern, theils daruͤber frohlocken,
daß du, auf eine, unſern Geſetzen ſo gemaͤſſe Art, von
dem von Boxhorn, ohne alle Urſache, verlangeſt,
er ſolle ſich mit Nahmen nennen. Die Freude, die
wir uͤber eine ſo ſeltſame Auffuͤhrung empfinden,
iſt um ſo viel gerechter, je gewiſſer wir vermuthen koͤn-
nen, daß deine wunderliche Forderung den Herrn
von Boxhorn bewegen werde, die Schelt-Worte,
mit welchen ſie begleitet, in Gelaſſenheit zu verſchlu-
cken. Es iſt dieſem wuͤrdigen Mitgliede unſerer
Geſellſchaft die Ehre ſeiner Mutter weit lieber, als
ſeine eigene. Wie kan er dann einem Manne etwas uͤ-
bel nehmen, der eben durch die Art, mit welcher er auf
ihn loßziehet, unſere Geſellſchaft verherrlichet? Er
wird es nicht thun, groſſer Philippi, ſondern die her-
ben Ausdruͤckungen, der du dich in deinem Grim̃,
gegen ihn, bedienet haſt, und welche ihn, wenn ſie ihm
gleich jetzo, auſſer dem Zuſammenhang, ſolten vorge-
tragen werden, zum Zorn reitzen, und zu verzweifelten
Unternehmungen unſtreitig verleiten wuͤrden, als ei-
nen kraͤftigen Bewegungs-Grund anſehen, dich
als ſeinen werthen Mit-Bruder zu lieben, und als
ein wuͤrdiges Ober-Haupt zu ehren.
Glaube nicht, groſſer Philippi, daß er von einem
ſo heilſamen Vorſatz werde abwendig gemachet wer-
den, wenn er hoͤren ſolte, daß du die hoͤchſt aͤrgerliche
und ſtrafwuͤrdige Ausdruͤcke, ſo du in ſeiner
Lob-
[407](o)
Lob-Rede angetroffen, hoͤhern Orts berichtet.
Solche Drohungen ſchrecken ihn nicht, und er wuͤr-
de ſich in dem Fall mit den herrlichen Worten eines
pygmaͤiſchen Weltweiſens troͤſten, deſſen Schrif-
ten wir vor nicht langer Zeit in einem alten Kra-
nichs-Neſt gefunden haben (52), und in aller
Gelaſſenheit ſagen: Jch bin unter GOTT, und“
deſſen ſeiner Gewalt. Jch ſcheue die Gewalt der„
Groſſen, die den HERRN fuͤrchten. Die an-„
dern habe ich nicht Urſache zu ſcheuen: Denn ſie ſte-„
hen ſelbſt unter der Gewalt eines erzuͤrnten Richters.„
Meine Schrift betrefend, ſo ſtehet darinn entweder„
Wahrheit oder Jrrthum. Jſt es Wahrheit, ſo„
bleibt auch dieconfiſcirte Wahrheit doch„
Wahrheit. Jſt es Jrrthum, ſo gehet auch hier„
der Verſtand und ein deutlicher Beweiß uͤber alle„
Gewalt.” (*)
Ja wenn er die Beſchuldigungen, durch welche du
ihn hoͤhern Orts anzuſchwaͤrtzen ſucheſt, recht anſe-
hen wird, ſo wird er befinden, daß es deutliche Kenn-
zeichen derjenigen ſeltenen Gemuͤths-Beſchafen-
C c 4heit,
[408](o)
heit ſind, welche wir von unſerm Haupte unum-
gaͤnglich erfordern, und ſich in ſeiner Seelen freuen,
daß eben er derjenige ſeyn muͤſſen, an deſſen Lobrede
du dein Meiſter-Stuͤck in der Kunſt, eine Schrift,
wider welche man mit Vernunft nichts aufzubringen
weiß, nachdruͤcklich zu widerlegen, mit allgemei-
nem Beyfall unſerer Geſellſchaft abgeleget haſt.
Und eben die Betrachtung dieſes Meiſter-
Stuͤcks, ſetzt uns faſt auſſer uns. Wie genau, unver-
gleichlicher Mann, ſtimmet daſſelbe nicht mit den Ge-
ſetzen unſerer Geſellſchaft uͤberein! Und wie wuͤrdig
macht es dich nicht derjenigen Stelle in unſerer Ge-
ſellſchaft, welche wir uns erkuͤhnet haben, dir einmuͤ-
thiglich anzubieten! Man ſiehet deutlich aus den Kla-
gen und Beſchwerden, welche du gegen den von Box-
horn fuͤhreſt, daß du mit einer bedachtſamen Le-
ſung und genauen Erwegung der Lob-Rede, die
er auf dich gehalten hat, die edle Zeit, nach Art unſerer
Feinde, nicht verdorben, ſondern daß du, da dir dieſe
Lob-Rede beym erſten Anblick bedencklich geſchienen,
ſo gleich in dich gekehret biſt, um durch eine leb-
hafte Vorſtellung deiner unendlich groſſen
Verdienſte, und durch eine tiefſinnige Betrach-
tung des eingebildeten Frevels, deines vermein-
ten Widerſachers, in denjenigen Eyfer zu gerathen,
der unentbehrlich iſt, wenn man doppeltſehen, und
in einer Schrift Fehler entdecken will, die nirgends
zu finden ſind. So machen es alle Geiſter unſerer
Art, werther Philippi, und wir muͤſſen bekennen,
daß du in dieſem Stuͤcke alle deine Bruͤder weit
uͤbertrifft. Wir preiſen dich desfals gluͤcklich, vor-
treflicher Mann, und werden uns beſtreben, deinem
Bey-
[409](o)
Beyſpiel zu folgen. Was haͤtteſt du machen wollen,
groſſer Philippi, wenn du in derjenigen Gelaſſenheit
geblieben waͤreſt, mit welcher ſich unſere Feinde groß
wiſſen? Haͤtteſt du wohl das geringſte wider die Lob-
Rede des von Boxborn ſagen koͤnnen, wenn du dich
nicht, nach den Regeln unſerer Geſellſchaft, des Ge-
brauchs deines Verſtandes auf eine Zeitlang ge-
aͤuſſert, und die Wut, in der du dich befunden, deine
Vernunft in gebuͤhrenden Schrancken gehal-
ten, und ſie verhindert haͤtte, dich in deinem wich-
tigen Unternehmen durch ihre verdrießlichen
Vorſtellungen zu beunruhigen? Aber da nun ein
gerechter Eyfer ſich deiner Sinnen bemeiſtert,
und deine Vernunft gefeſſelt hat, ſo hat deine er-
hitzte Einbildungskraft freye Haͤnde, und du ſie-
heſt in der Lob-Rede des von Boxhorn die ungeheu-
reſten Thorheiten, aͤrgerliche Reden, ſtrafbare
Ausdruͤckungen, Religions-Spoͤttereyen,
und ich weiß nicht was vor Greuel.
Du bildeſt dir ein, der Herr von Boxhorn ha-
be dein Helden-Gedicht vor einen Ochſen-Kaͤu-
fer geſcholten; obgleich ein jeder, der leſen kan,
wohl ſiehet, daß er nur diejenigen, die von der
Guͤte eines Verſes aus dem Reim urtheilen,
mit dem Ochſen-Kaͤufern verglichen. Du ta-
delſt an dem Herrn von Boxhorn diejenigen Ge-
berden, in welchen er dir nachgeahmet, z. E.
daß er auf einem Beine gehuͤpfet. Du wirfſt
ihm als eine Thorheit vor, daß er geſagt, der Koͤ-
nig muͤſſe aus der Kutſche ſteigen, wenn er ſich
auf die Hertzen ſeiner Unterthanen lagern
wolle; Da doch dieſes nichts, als eine unge-
C c 5zwun-
[410](o)
zwungene folge, aus deinen heroiſchen Re-
den, iſt. Du meineſt, der Herr von Boxhorn trei-
be ſein Geſpoͤtte mit der unſichtbaren Kirche,
und der Entzuͤckung des Apoſtels Paulus;
ungeachtet es der Augenſchein giebt, daß ihm dieſes
nimmer in den Sinn gekommen ſey. Du ſprichſt
ohne Scheu: Er ſage von der Koͤnigin in Pohlen:
Es ſey unſer Glaube wohl irrig, daß Sie in der
Schaar verklaͤrter Geiſter ſey; da er doch nichts
mehr ſagt, als: deine Meinung, daß die Freude
der Seligen durch die Ankunft der Koͤnigin ver-
mehret worden, ſtreite mit den gemeinen
Meinungen der Chriſten. Du ſchreibſt die Spoͤt-
tereyen unſerer Feinde uͤber die Stelle, in welcher
du von der Zehe des verſtorbenen Koͤnigs von Poh-
len ſo ſonderbar geredet haſt, auf die Rechnung
deines und unſers Bruders. Du verdenckeſt es
dieſem Eyferer vor deine Ehre, daß er der Aca-
demie, auf welcher du lehreſt, eines Hochmuhts
beſchuldiget, und deine jetzigen Collegen Nachteu-
len nennet; da doch niemand beſſer weiß, als du, was
du vor ein geringes Lichtlein in den Augen dieſer
Stoltzen biſt, und wie unfaͤhig dieſe grimmigen
Feinde aller kleinen Geiſter ſind, deine Vortreflich-
keiten zu erkeñen. Du macheſt dir die wunderlich-
ſten Gedancken von der Welt, von derjenigen Stel-
le der Lob-Rede des Herrn von Boxhorn, in welcher er
ſagt: Man ſolte faſt ſchweren, du waͤreſt ein
Schooß-Juͤnger des Knechts GOttes Jochen
in Halle, und bildeſt dir, ich weiß nicht warum, ein,
der Herr von Boxhorn wolle durch den Ausdruck von
Schooß-Juͤnger des Herrn Rambachs ſpotten,
der,
[411](o)
der, wie du ſagſt, Johannem einen Schooß-Juͤn-
ger Chriſtus genennet. Gerade, als wenn es moͤg-
lich ſey, daß ein kleiner Geiſt von ſo entſetzlicher
Dummheit zu finden, der uͤber einen ſo gewoͤhnli-
chen Titel des Evangeliſten Johannes ſpotten,
und es dem Hrn. Rambach verdencken koͤnne, daß
er den Evangeliſten Johannes damit beleget; ob
es gleich unſtreitig, daß der Herr Rambach ſo we-
nig, als du, und ich, Urheber von dieſer Benennung
iſt. Du ſieheſt nicht, daß der Herr von Boxhorn
keine andere Abſicht gehabt habe, als dem Herrn D.
Langen den Titel zu geben, den ihm ſein wuͤrdiger
Schwieger-Sohn in dem erbaulichen Denck-
mahl der Liebe beyleget, welches er ſeiner verſtor-
benen Ehegattin aufgerichtet, und mit welchem er
unſerer Geſellſchaft, die ihm ſonſt wenig gutes zu-
trauet, eine ſo unverhofte Freude gemacht hat.
Du ſtelleſt dir endlich gar den Herrn von Boxhorn
als einen Poſſenreiſſer, und luſtige Perſon vor.
Du raͤthſt ihm gantz hoͤniſch, er ſolle ſich nach man-
cher Univerſitaͤt wenden, da dergleichen Leute feh-
len, und kanſt dich nicht enthalten bey der Gelegen-
heit auf einige, ſchon an ihren Ort gegangene
Spoͤtter zu ſticheln, die vieleicht bey ihrem Leben
moͤgen verhindert haben, daß manche Univerſitaͤt
ſchon lange, nach dem Wunſch unſerer Geſellſchaft,
voͤllig zu einer Wohnung der Unmuͤndigen
(53) geworden, unter welchen du dich mit Recht
zehleſt. Dieſes gefaͤllt uns, groſſer Philippi,
und wir ſehen es als ein Zeichen deines Eyfers vor
das
[412](o)
das Beſte unſerer Geſellſchaft an, welche allen denen
feind iſt, die da ſitzen, da die Spoͤtter ſitzen, und
diejenigen vor ihre Freunde haͤlt, welche dieſe ſchaͤd-
liche und gefaͤhrliche Menſchen mit ihr haſſen
und verabſcheuen.
An dir, auserwehlter Philippi, haben wir nicht
nur einen ſo treuen Freund gefunden, ſondern die
Art, mit welcher du wider den von Boxhorn eyferſt,
uͤberfuͤhret uns voͤllig, daß du mehr, als ein Freund
unſerer Geſellſchaſt biſt; Du biſt unſer Bruder,
unſer Fleiſch und Blut, und wuͤrdig uͤber uns zu
herrſchen.
Komm demnach, Ounendlich kleiner Geiſt, und
nimm den Platz ein, der dir, als unſerm Haupte, ge-
buͤhret. Verſchmaͤhe nicht die Ehre, die unſere Geſell-
ſchaft durch mich dir antragen laͤſſet. Alle meine Bruͤ-
der flehen dich darum an. Sey unſer Koͤnig, und
errette uns von unſern Feinden. Wir unterwerfen
uns dir ohne alle Bedingung, und ich verſpreche
dir, im Nahmen unſerer gantzen Geſellſchaft, den ge-
naueſten Gehorſam.
Du ſchweigeſt groſſer Philippi. Erlaube uns dem-
nach, daß wir dein Stillſchweigen als eine Einwilli-
gung anſehen. Erlaube mir, deinem Knechte, daß
ich dich umarme, und durch den Kuß des Friedens
. . . . . . . . . . . . (54) . .
. . Du ſtoͤſſeſt mich zuruͤcke, ungnaͤdiger Phi-
lippi, und giebſt durch die zornigſten Geberden
mehr,
[413](o)
mehr, als zu deutlich zu erkennen, wie ſehr dir unſer
demuͤthiger Antrag zu wider ſey. Aber dadurch
wirſt du uns nicht vom Halſe loß. Du ſolt unſer
Koͤnig ſeyn: Du muſt unſer Koͤnig ſeyn, du magſt
wollen, oder nicht. Glaube nicht, daß die Verach-
tung, welche du gegen uns bezeigeſt, uns zum Zorn
reitzen, und bewegen werde, unſere Wahl zu wi-
derrufen, und dir die Thuͤre zu weiſen. Wir ken-
nen dich: Wir haben dich zu unſerm Ober-Haupt
erkohren: Dabey bleibt es. Du magſt noch ſo hart
darauf beſtehen, daß du kein kleiner Geiſt ſeyeſt;
Wir wiſſen doch wohl, was wir glauben ſollen. Dei-
ne Schriften bezeugen das Gegentheil, und
eben dieſer merckliche Mangel der Selbſt-Er-
kaͤnntniß macht dich in unſern Augen groß und
ehrwuͤrdig. Solche Leute ſuchen wir. Wundere
dich nicht daruͤber, werther Philippi; Wir ha-
ben Urſache dazu. Die kleinen Geiſter ſind,
dem Grad nach, eben ſo ſehr von einander unter-
ſchieden, als die Groſſen, und man kan ſie fuͤglich
in drey Claſſen theilen. Einige Glieder unſerer Ge-
ſellſchaft geben ſich vor kleine Geiſter aus, und ſind
es nicht: Einige geben ſich davor aus, und ſind
es auch. Einige hergegen ſind es, und wiſſen es
nicht. Die erſten machen uns eitel Verdruß und
Hertzeleid, und wir koͤnnen ſie nicht anders anſehen,
als falſche Bruͤder und heimliche Feinde. Die
andern ſind zwar gute ehrliche Leute, die unſerer
Geſellſchaft viele Dienſte thun: Aber es fehlt ihnen
an der Beſtaͤndigkeit. Eine Zeitlang halten ſie es
mit uns: Aber zur Zeit der Anfechtung fallen ſie
abe; Das macht der ungluͤckſeelige Reſt ihrer
ver-
[414](o)
verderbten Vernunft ſtellet ihnen die Vortheile,
wodurch unſere Feinde ſie zum Abfall locken, groͤſſer
vor, als ſie wuͤrcklich ſind. Sie kennen ſich: Sie
wiſſen, wer ſie ſind, und nehmen ſich die Verfol-
gungen, und die Drangſale, denen die kleinen Gei-
ſter unterworfen ſind, recht zu Hertzen. Sie ſuchen
denſelben zu entgehen, und haben oft ſo boͤſe Stun-
den, daß ſie diejenigen Maͤngel, in welchen un-
ſere Vollkommenheit beſtehet, als Maͤngel er-
kennen. Sie mercken, daß eben dieſe Maͤngel ſie
verhaſt und laͤcherlich machen. Sie fangen
an, mit ihnen ſelbſt nicht zu frieden zu ſeyn, und
die Furcht vor den Spoͤttern verleitet ſie zur
Heucheley. Sie bemuͤhen ſich unſern Feinden
zu gefallen, und legen unvermerckt eine Eigen-
ſchaft kleiner Geiſter nach der andern ab, biß ſie
endlich voͤllig zu Mammelucken werden. Unſere
Feinde ſagen dahero im Sprichwort: daß die
Erkaͤnntniß der Thorheit der Weißheit An-
fang ſey.
Die dritte Art der kleinen Geiſter hergegen iſt
die allerbeſte. Die macht den Kern unſerer Geſell-
ſchaft aus. Und dieſen Ruhm kan ihr auch der
Feind nicht rauben. Selbſt unſere Verfolger be-
kennen, daß derjenige der groͤſſeſte kleine Geiſt iſt,
der es nicht wiſſen will. Dieſe begluͤckten Gei-
ſter haben ihre verderbte Vernunft, mit welcher
Leute unſerer Art beſtaͤndig zu kaͤmpfen haben, voͤl-
lig unter die Fuͤſſe getreten, und ihre Einbil-
dungs-Kraft ſo ſehr erhoͤhet, daß ſie ſich ſelbſt vor
gantz andere Leute halten, als ſie ſind. Sie glau-
ben ſicherlich, ſie waͤren groſſe Geiſter, und bekuͤm-
mern
[415](o)
mern ſich alſo wenig, wie es den kleinen gehet. Es
iſt dahero unmoͤglich, daß der Jammer unſerer Ge
ſellſchaft ſie ruͤhren ſolte. Sie glauben, was uns
wiederfaͤhret, das gehe ſie nicht an; Weil ſie
nicht einmahl faͤhig ſind zu erkennen, daß ſie
zu uns gehoͤren. Was wuͤrde aus unſerer Geſell-
ſchaft werden, wenn ſie ſolche Glieder nicht haͤtte?
Wuͤrde ſie nicht in kurtzer Zeit untergehen? Denn
auf diejenigen, die nur einige Vermuthung, ge-
ſchweige dann eine voͤllige Uberzeugung haben, daß
ſie uns angehoͤren, koͤnnen wir uns nicht verlaſſen.
Und, wie groß auch meine Hochachtung gegen alle
meine hier verſammelten Bruͤder iſt; ſo bin ich doch
nicht gut davor, daß ſie ſtarck genug ſind, die
Verſuchungen ihrer verderbten Vernunft, die
noch zuweilen ſich in ihnen reget, zu uͤberwinden,
und den liſtigen Anlaͤufen unſerer Feinde zu wider-
ſtehen. Dazu wird eine mehr, als menſchliche,
Standhaftigkeit, und ein Heldenmuth erfor-
dert, den man nur bey denen findet, die ſich durch
die Beſiegung ihrer Vernunft diejenige Unem-
pfindlichkeit erworben haben, die wir bey dir in
einem ſo hohen Grad antreffen.
Wie kanſt du uns demnach verdencken, groſſer
Philippi, daß wir unſer Haupt aus der beſten Art
unſerer Mitbruͤder wehlen, und dich als den Beſten
unter den Beſten zu dieſer Wuͤrde erheben? Je
mehr du dich wegerſt, dieſe Ehre anzunehmen; Je
hoͤher du es empfindeſt, daß wir dich voꝛ einen kleinen
Geiſt anſehen, je mehr bekꝛaͤftigeſt du uns in deꝛ Mei-
nung, daß wir nicht beſſer wehlen koͤnnen. Beſorge
nicht, daß die Einbildung, du waͤreſt kein kleiner,
ſondern
[416](o)
ſondern ein groſſer Geiſt, unſere Hertzen von dir
abwendig machen werde. Wir laſſen dir dieſelbe um
ſo viel lieber, je groͤſſer die Vortheile ſind, die uns
daher zuwachſen koͤnnen. Wir ſehen es gerne,
daß du dich aͤuſſerlich, und mit Worten zu un-
ſern Feinden bekenneſt, wenn deine Schriften uns
nur von der unſichtbaren Gemeinſchaft, in wel-
cher du mit uns ſteheſt, uͤberzeugen, und nach dem
Geſchmack unſerer Geſellſchaft eingerichtet ſind.
Wir haben dahero nicht den geringſten Ver-
dacht wider dich geſchoͤpfet, als wir vernommen,
daß du deinen mathematiſchen Verſuch wider
Wolfen an einen unſerer Feinde (*), nach Engel-
land, geſchicket. Wir haben uns vielmehr dar-
uͤber gefreuet. Denn was wird dieſe Schrift nicht
vor eine Veraͤnderung verurſachen in einem Lande,
mit deſſen Einwohnern wir bißhero in einem beſtaͤn-
digen Kriege gelebet haben? Und haͤtteſt du es wohl
kluͤger anfangen koͤnnen, eine uns bißher ſo aufſaͤtzi-
ge Nation auf unſere Seite zu ziehen, als daß du
ihr, auf eine ſo liſtige Art, durch die Vermittelung
eines Feindes unſerer Geſellſchaft, ein Buch in die
Haͤnde ſpieleſt, welches ſie von einem andern nicht
wuͤrde angenommen haben, und ohne Frucht nicht
leſen kan? Jch geſtehe unſere Bruͤder in Bedlam
haben es dir uͤbel genommen, daß du an ſie nicht
gedacht, und ihnen nicht die Ehre gegoͤnnet haſt,
durch die Bekanntmachung deines mathemati-
ſchen Verſuchs in Engelland unſer Reich zu er-
weitern: Allein ſie haben endlich begriffen, daß der
Weg, den du erwehlet haſt, der beſte ſey, und wer-
den
[417](o)
den ſich durch die Verachtung, welche du gegen ſie
bezeiget, nicht abhalten laſſen, mit dem eheſten ein
Werck ins engliſche zu uͤberſetzen, das unſerer Ge-
ſellſchaft einen unglaublichen Vortheil, und dir ei-
nen unſterblichen Nahmen zuwege bringen wird.
Dieſer Entſchluß unſerer Freunde in Bedlam,
welchen ſie uns neulich bekannt gemacht haben, er-
freuet uns ungemein. Wir ſehen ſchon im Geiſte
das ſtoltze Engelland den Halß unter das Joch
unſerer Geſetze ſchmiegen, und dich, als einen neuen
Apoſtel der Britten, und andern Auguſtinus,
an. Der Pabſt wuͤrde uͤber die Wiedereinfuͤhrung
des Peters-Groſchen in Engelland keine groͤſſere
Freude empfinden, als diejenige iſt, welche uns bloß
die Hofnung verurſachet, daß dein mathemati-
ſcher Verſuch dieſe gluͤckſeelige Jnſel von der
entſetzlichen Menge unſerer Feinde ſaͤubern, und zu
dem Gehorſam unſerer Geſellſchaft bringen werde.
Wird dieſe Hofnung erfuͤllet, groſſer Philippi, ſo
ſolt du, wofern es anders deiner Demuth nicht zu-
wider iſt, Erneſtus Conqueſtor heiſſen.
Da nun deine Gemeinſchaft mit den Feinden
unſerer Geſellſchaft, und der Trotz, mit welchem
du dich, ohne alle Urſache, vor einen groſſen
Geiſt ausgiebſt, unſerer Geſellſchaft ſo erſprießlich,
ſo nuͤtzlich, ſo vortheilhaſt iſt: So kanſt du leicht
erachten, unvergleichlicher Mann, daß auch der ver-
trauteſte Umgang mit unſern Verfolgern, und der
groͤſſeſte Abſcheu, den du vor uns, deinen Bruͤ-
dern, bezeigen kanſt, uns nicht verhindern werde,
dich zu lieben, dich zu ehren, und dich vor eine Zier-
de und Stuͤtze unſerer Geſellſchaft zu halten.
D dTrage
[418](o)
Trage demnach kein Bedencken unſer Haupt zu
ſeyn. Du irreſt dich wofern du meineſt, daß unſere
Abſicht ſey, durch unſere auf dich gefallene Wahl,
deine Freyheit einzuſchraͤncken. Wir ſind zu frieden,
daß du vor, wie nach, mit Worren wider uns wuͤ-
teſt, und vor unſere Feinde die groͤſſeſte Hochachtung
blicken laͤſſeſt. Es iſt uns nicht zuwider, daß du, ſo
lange du lebeſt, ein Glied der deutſchen Geſell-
ſchaft in Leipzig bleibeſt. (*) Wir haben in al-
len gelehrten Geſellſchaften, die unſere Feinde zu un-
ſerm Verderben aufgerichtet haben, die unſern,
und wir wuͤrden es vor ein beſonderes Gluͤck ach-
ten, wenn du dich in alle dieſe Derſammlungen
unſerer Widerſacher einſchleichen, und, unter
der Larve eines groſſen Geiſtes, vor die Wohl-
farth der kleinen wachen koͤnnteſt.
Ver-
[419](o)
Verſuche es, theurer Philippi. Gewinne durch eine
kluge Verſtellung die Liebe unſerer Feinde. Du
kanſt dich nicht beſſer um uns verdient machen. Denn
wenn ſie dich erſt hochhalten, ſo koͤnnen ſie uns nicht
haſſen. Sie muͤſſen uns nothwendig, wofern ſie dich,
ihren vermeinten Freund, nicht mit treffen wollen,
vieles, welches ſie, auf ihre Sprache, Thorheir nen-
nen, hingehen laſſen, und wir koͤnnen alſo unter dei-
nem Schirm vor ihrer Verfolgung ſicher ſeyn, und
thun was wir wollen.
D d 2Wohl-
[420](o)
Wohlan! demnach, O! wuͤrdiges Haupt der
kleinen Geiſter! mache dich auf, und betriege un-
ſere Widerſacher.
. . dolus an virtus, quis in hoſte requirat(55)?
Wir wuͤnſchen dir Gluͤck zu einem ſo wichtigen Un-
ternehmen, und unſern Feinden verſinſterte Augen
ihres Verſtandes, damit ſie deinen Betrug nicht
mercken. Aber, unvergleichlicher Philippi, iſt es uns
erlaubt, dir unſere Meinung aufrichtig zu ſagen, ſo
zweifeln wir ſehr ander Erfuͤllung unſerer Wuͤnſche.
Wofern ich unſere Feinde recht kenne, ſo ſind ſie viel
zu liſtig, als daß ſie ſich von dir hintergehen laſſen ſol-
ten. Du biſt ihnen ſchon verdaͤchtig, und haſt es in
deinen bißherigen Schriften ſo arg gemacht, daß
man bereits an vielen Orten die gerechte Vermu-
thung hat, du ſeyſt ein kleiner Geiſt. Wie ſchwer
wird es dir demnach nicht fallen, dich ſo zu verſtellen,
daß unſere Feinde dich vor einen von ihrer Rotte hal-
ten? Verkappe dich, ſo ſtarck du wilt: Sie werden dich
doch kennen. Denn einem ſo vollkommen kleinem
Geiſte, als du biſt, iſt es unmoͤglich, ſeine Neigung zu
unſerer Geſellſchaft gaͤntzlich zu verbergen. Er laͤſſet
ſie auch wider ſeinen Willen, bey aller Gelegenheit,
blicken.
Wofern demnach unſer weniger Rath bey dir et-
was gilt, ſo gieb dir, allerliebſter Philippi, keine ver-
gebliche Muͤhe, unſere liſtige Feinde durch eine Ver-
ſtellung zu fangen, die uͤber dein Vermoͤgen iſt.
Bilde dir nicht ein, es ſey moͤglich, dieſe ſchlaue
Koͤpfe durch Liebkoſungen einzuſchlaͤfern. Sie
ſind gar zu mißtrauiſch, und gar zu wohl auf ihrer
Hut.
[421](o)
Hut. Sie ſind die Leute nicht, die ſich leicht etwas weiß
machen laſſen, und ſuͤſſen Worten mehr trauen,
als dem Augenſchein. Meine nicht, eine demuͤ-
thige Zueignungs-Schrift, eine ehrerbietige
Verſicherung, du ſucheſt ihnen allen nach zuah-
men, und einige gezwungene Spoͤttereyen wi-
der unſere Geſellſchaft waͤren hinlaͤngliche Mittel
ihre Gewogenheit zu gewinnen, und ihnen einzubil-
den, du waͤreſt wuͤrcklich ein groſſer Geiſt, und
Feind unſerer Anſtalten. So bald ſie deine Schrif-
tenleſen, ſo ſehen ſie wer du biſt; ſie verlachen dei-
ne Complimente, und halten dein Vorgeben, du
ſucheſt ihnen nachzuahmen, vor eine Beſchim-
pfung. Was kanſt du alſo von dieſen Leuten hof-
fen? Jſt dir zu rathen, theurer Philippi, ſo kehre
dich nicht weiter an ſie. Sie haben dich bißher noch
unter ſie geduldet: Aber wer weiß, was uͤber dich
verhenget iſt? Wie wenn ihre Gedult, der du ſo
lange gemißbrauchet haſt, zerriſſe? Komme ihnen zu-
vor, und zetreiß die Bande, die dich noch an ihre
Geſellſchaft heften. Jſt es dir nicht ruͤhmlicher, ſie zu
verlaſſen, als von ihnen mit Ungeſtuͤm ausgeſtoſſen
zu werden? Faſſe demnach ein Hertz, groſſer Mann,
und erklaͤre dich oͤfentlich wider eine Schaar loſer
Veraͤchter, die dich, wie fein ſie ſich auch aͤuſſerlich
ſtellen, in ihrem Hertzen verachten und haſſen.
Reiß die falſche Einbildung, daß du ein groſſer
Geiſt, und wir deine Feinde, mit Strumpf und
Stiel aus deiner Bruſt. Wirf einen Blick auf deine
Schriften, und halte ſie gegen die Geſetze unſerer Ge-
ſellſchaft, die in deinem Hertzen weit deutlicher, als an
der Decke unſers Saals geſchrieben ſtehen: So wirſt
D d 3du
[422](o)
du gewahr werden, daß du, mit gutem Gewiſſen,
dich nicht ferner grauſam gegen uns ſtellen koͤnneſt.
Du wirſt die Stunden bereuen, die du auſſer unſerer
ſtchtbaren Gemeinſchaft zugebracht haſt, und
dich nicht einen Augenblick bedencken, oͤfentlich in
eine Geſellſchaft zu treten, die deine Verdienſte beſſer
zu ſchaͤtzen weiß, als die groſſen Geiſter, denen es
niemand leicht recht machen kan. Du ſieheſt, wie un-
moͤglich es iſt, den Beyfall dieſer Hochmuͤthigen zu
gewinnen. Je eyferiger du darnach ſtrebeſt, je laͤ-
cherlicher wirſt du ihnen. Zeige ihnen demnach, daß
du auch ohne ihren Beyfall groß ſeyn kanſt. Wende
dich zu uns, deinen Verehrern, die bereit ſind, dich
mit ofenen Armen zu empfangen. Nim̃ den Poſten
ein, den wir dir anbieten, und ergreife die Gelegenheit,
in demſelben, dich, und unſere Geſellſchaft, wegen aller
Verachtung und Drangſale, ſo wir von unſern Fein-
den erlitten haben, mit Nachdruck zu raͤchen.
Erlaube uns, groſſer Philippi, daß wir dich, in
aller Demuth, noch einmahl darum anflehen. Er-
hoͤre unſere Bitte, und faſſe denjenigen heldenmuͤ-
thigen Entſchluß, der allein faͤhig iſt, den Ueber-
muth unſerer Widerſacher zu daͤmpfen, unſere Ge-
ſellſchaft aus ihrem Bedruck zu reiſſen, und deinen
Namen unſterblich zu machen.
„Vade age, \& ingentem factis fer ad æthera
Trojam(56).’
VII. Sottiſes
[[423]]
VII.
Sottiſes Champêtres
oder
Schuͤfer-Bedicht
des (Tit.)
Herrn Prof. Philippi,
ſeiner Seltenheit wegen
zum Druck befoͤrdert.
Richey.
Ja, ja! da ſeht Jhn nur fuͤr an:
Er mengt es ſchon, wie Kraut und Ruͤben,
Und wann Er etwa Zeug geſchrieben,
Daraus kein Menſch was machen kan;
So weiß Er ſich geſchwind zu rathen.
Er ſetzet kuͤhnlich hie und da
Das edle Woͤrtlein Aria,
So ſinds den Augenblick Cantaten.
Leipzig, 1733.
[[424]]
Vorbericht.
Eine lange Vorrede vor einer kleinen
Schrift ſtehet nicht wohl. Jch
will alſo den Leſer nicht lange aufhalten,
ſondern ſage nichts mehr als dieſes:
tet, vtrum
Minxerit in patrios cineres, an triſte
bidental
Moverit inceſtus. Certe furit.
Horatius de arte poëtica.’
Das uͤbrige zeiget der Jnhalt. Hiemit
GOtt befohlen!
1733.
Jn-
[[425]]
Jnhalt.
Clara iſt ein junges Frauenzimmer, dem die
Natur alles beygeleget, was gefallen und
reitzen kan. Sie lebte in einer Stadt an der Pleiſ-
ſe, die wegen ihrer Academie und Meſſe in und
auſſer Deutſchland beruͤhmt iſt. Placidus, der
Vater dieſer Schoͤnen, hatte allda der hoͤchſten
obrigkeitlichen Wuͤrde mit groſſem Ruhme vor-
geſtanden und ihr ein anſehnliches Erbtheil hinter-
laſſen. So viel Vorzuͤgen konnte es an einer
Menge von Anbetern nicht wohl fehlen, und un-
ter ſolchen befand ſich auch Briontes der Juͤn-
gere. Belebte Seelen ſind zur Empfindlichkeit
geneigt, und man begreifet ohne langes Nachden-
cken die Wunden, die Flammen, die Sehnſucht,
die Luͤſternheit, das Lechzen, die Ohnmacht, die
Bezauberung, oder wie man dasjenige nennen
will, was ihn bey dem Anblick einer ſo ausbuͤndi-
gen Geſtalt befallen. Er entdeckte den Verluſt ſei-
ner Freyheit der Mariane, einer ſinnreichen
Dichterin, deren vertrauten Brief-Wechſel er be-
D d 5reits
[426](o)
reits oͤfentlich als ein gantz beſonderes Gluͤck ge-
ruͤhmet. Jn dem andern Traum-Geſichte dieſes
Hirten-Gedichtes nennet er ſie Zedena, ſeine Ge-
bieterin Clarimene und ihren Vater den groſ-
ſen Pan. Nach einiger Zeit, die er in H. unweit
L. mit Ausfertigung bekannter Wercke zugebracht,
wird ihm von der Schaͤferin Zedena vorgeſchla-
gen, die Probe ſeiner deutſchen Beredſamkeit in
einer muͤndlichen Anwerbung abzulegen, zu wel-
chem Ende ſie eine Unterredung zwiſchen ihm und
ſeiner Grauſamen zu veranlaſſen verhofe. Brion-
tes eilet auf dieſe Einladung nach dem Orte ih-
res Aufenthalts, und, ſo bald er daſelbſt angelan-
get, mit einer ſehr behenden Geſchwindigkeit, nach
dem Zimmer der Zedena, allwo ſeine Geliebte
nebſt ihrer Mutter und andern eben einen Beſuch
abſtattete und die ſchoͤne Hand mit dem Carten-
Spiele beſchaͤftigte. Er ward ihr zur Seiten ge-
ſetzt und ach! er konnte kaum die mit mercklicher
Heftigkeit abwechſelnde Gemuͤths-Bewegungen
verhehlen, ſo in ſeinem Zunder-vollen Hertzen auf-
ſtiegen, da er dem Ziel ſeiner Wuͤnſche ſich ſo
unverhoft genaͤhert ſahe. Zwar erfolgte der
Aufbruch der Geſellſchaft viel zu zeitig fuͤr ihn,
doch hatte er noch den Troſt, ſeine entzuͤckende
Nachbarin die Treppe hinunter in die Kutſche
zu fuͤhren. Ein widriges Schickſahl wollte ihm
den lautren Genuß dieſer Freude nicht erlau-
ben. Die Liebe oder eine uͤbel gerathene Wen-
dung, oder auch ein unſichtbarer und neidiſcher
Gnome riſſe ihn aus dem Gleich-Gewicht,
und
[427](o)
und er waͤre bey nahe der Clarimene zu Fuͤſ-
ſen gefallen. Er rafte ſich aber bald wieder
auf, kuͤßte ihren Zeige-Finger zum Abſchiede,
und eilte (wie er ſchreibt) uͤber Stroh und
Heu nach Hauſe. Allda hieng er den Degen
an die Wand, das Gehencke uͤber den Degen
und den Hut uͤber beyde, ergrif Feder und
Papier und verfaſſte in der Nacht zwiſchen dem
26. und 27. Mertz 1732. gegenwaͤrtiges Ge-
dichte, welches er, unter einem zahlreichen Ge-
folge von Seufzern und Weſten-Winden, der
Zedena den folgenden Tag zuſchickte, mit
Bitte, es ſeiner Goͤttin zu uͤberreichen. Gleich-
wohl empfing er in kurtzer Zeit das ſchreckliche
Urtheil ſeiner Verſtoſſung faſt mit groſſem Ent-
ſetzen, doch nicht geringerer Ehrfurcht, als ein
Tuͤrckiſcher Baſſa die ſeidene Schnur, die ihn
hinrichten ſoll: bewundert aber noch itzo, daß
Clara ſo kraͤftigen Worten widerſtehen koͤnnen
und dem treflichen Poeten einen fuͤrnehmen Ca-
vallier vorgezogen, mit dem ſie in vergnuͤgter
Ehe lebet.
Der
[[428]]
Jedoch
[429](o)
Sie
[430](o)
Aria.
[431](o)
Die
[432](o)
Und
[433](o)
E eSo
[434](o)
Freund!
[435](o)
cken,
cken.
E e 2„Da
[436](o)
VIII.
[[437]]
VIII.
Eines
beruͤhmten
MEDICI
Glaubwuͤrdiger
Bericht
von dem
Buſtande,
in
welchem Er
den (S. T.)
Herrn Prof. Philippi
den 20ten Junii 1734.
angetroffen.
Merſeburg, 1734.
[438](o)
Vorrede.
Es iſt nicht noͤthig, daß ich dir gegen-
waͤrtige Schrift weitlaͤuftig an-
preiſe. Sie muß dir nothwendig
gefallen, weil ſie den Schwanen-Geſang
eines Mannes in ſich faſſet, der wenige
ſeines gleichen gehabt hat.
Die letzten Worte groſſer Maͤnner ſind
zu allen Zeiten ſorgfaͤltig aufgezeichnet
worden, und die Reden, welche der Herr
Prof. Philippi kurtz vor ſeinem Ende ge-
fuͤhret hat, ſind um ſo viel merckwuͤrdi-
ger, je weniger man von ihm dergleichen
vermuthet.
Der Medicus hat alſo wohl gethan,
daß er dieſelbe ſeinem Bericht einverlei-
bet, und ich bin noch mehr zu loben, daß
ich dieſen Bericht durch den Druck bekannt
mache.
Jch ſtifte dadurch ſehr viel gutes. Die
Klugen, die ſonſt immer die Bekehrung
des Herrn Prof. Philippi unter die un-
moͤglichen Dinge gezehlet haben, ſetze ich
in eine angenehme Beſtuͤrtzung, und ge-
be ihnen Gelegenheit, ſich uͤber die unver-
muthete Buſſe eines Suͤnders zu freuen,
von dem ſie geglaubet, daß er ſchon in dem
Stande
[439](o)
Stande der Verhaͤrtung ſtuͤnde: Und die
albernen Schreiber noͤthige ich, in ſich zu
gehen, und ſich an dem Exempel ihres
Goliaths zu ſpiegeln.
Sie koͤnnen daraus lernen, was vor
ein ſchweres Gericht uͤber diejenigen erge-
he, die keinen vernuͤnftigen Erinnerungen
Platz geben wollen, und alle gelinde Mit-
tel klug zu werden muthwillig verwerf-
fen. Der Herr Prof. Philippi hat vor
vielen ſeines gleichen das Gluͤck gehabt,
daß ihm ſein Elend auf eine ſonderbar deut-
liche, hoͤfliche und liebreiche Art von mit-
leidigen Perſonen, vorgeſtellet worden:
Aber er hat es nicht erkennen, noch beden-
cken wollen, was zu ſeinem Frieden diene.
Wie hat er ſich nicht in ſeiner tiefſten
Erniedrigung gebruͤſtet? Mit wie vieler
Frechheit hat er nicht der klugen Welt zu-
gemuthet, ihn, wieder den klaren Augen-
ſchein, vor einen groſſen Geiſt zu halten?
Mit wie unglaublicher Hartnaͤckigkeit hat
er nicht der liebreichen Bemuͤhung ſeiner
Bekehrer wiederſtrebet?
„Vinci dolentem crevit in Herculem.’
Und ſiehe! da er am aͤrgſten wuͤtet, und
ſeine Verfolger durch eine elende Schrift
E e 4uͤber
[440](o)
uͤber die andere zu uͤbertaͤuben ſuchet, fuͤgt
es der Himmel, daß ihm das Verſtaͤndniß
auf eine ſo gewaltſame Art geoͤfnet wird,
daß allen, die es hoͤren, die Ohren gellen
muͤſſen. Ein ſtumpfer Pruͤgel muß dasje-
nige moͤglich machen, woran bißhero ſo
viele ſpitzige Federn umſonſt gearbeitet ha-
ben, und ein eintziger Schlag ein Gewiſ-
ſen aufwecken, deſſen Schlummer auch
durch den Donner der ſchaͤrfſten Satyren
nicht geſtoͤret werden koͤnnen.
Dieſe Zuͤchtigung ſcheinet zu hart zu
ſeyn. Aber ein harter Sinn kan auf kei-
ne andere Art gebrochen, und ein wun-
derlicher Kopf durch keine andere als wun-
derliche Mittel zu recht gebracht werden.
Don Qvixot bekam durch ein hitziges Fie-
ber, ſo bey klugen Leuten eine Raſerey
wuͤrcket, ſeine Vernunft wieder, und es
giebt Aertzte, welche die verdorbene Ein-
bildungs-Kraft der Wahnſinnigen durch
nichts als Schlaͤge curiren.
Mich deucht, ein Menſch, der ſich oh-
ne Urſache, vor einen groſſen Geiſt haͤlt,
iſt nicht viel kluͤger, als einer der mit Ge-
walt ein irrender Ritter, oder der groſſe
Mogol ſeyn will; und ich kan alſo, das,
was dem Herrn Prof. Philippi begegnet
iſt,
[441](o)
iſt, vor nichts anders, als vor eine heil-
ſame Zuͤchtigung, und ſonderbare Gnade
halten.
Gluͤcklich iſt indeſſen derjenige, der einer
ſolchen Gnade nicht bedarf, ſondern bey Zei-
ten in ſich ſchlaͤget, und ſein Elend erkennet.
Jch bitte alle, die mit dem Herrn Profeſſor
Philippi in gleicher Verdamniß ſind, dieſes
wohl zu behertzigen. Sie koͤnnen aus den
letzten Klagen deſſelben lernen, was eine
ſpaͤte Buſſe vor eine mißliche und gefaͤhrli-
che Sache ſey. Wie nahe iſt der arme
Mann der Verzweifelung nicht geweſen?
Doch er hat ſich endlich noch ziemlich gefaſ-
ſet, und ein Ende genommen, das ſehr er-
baulich iſt.
Er ſtarb, wie der Medicus vermuthet,
den 21ten Junius, Abends um 6 Uhr 53
Minuten. Eine halbe Stunde vorher wie-
derhohlte er nochmahl das gethane Bekaͤñt-
niß von der Scheußlichkeit ſeiner Schriften,
bereuete mit Thraͤnen, daß er ſie gemacht,
und ließ alle diejenigen, die noch nicht ge-
druckt waren, vor ſeinen Augen verbren-
nen. Wie dieſes geſchehen war, rief er
gantz freudig: Nun will ich gerne ſter-
ben. Und ach! fuhr er ſeufzend fort,
E e 5was
[442](o)
was wolte ich darum geben, daß ich
meine ſchon gedruckten Schriften
eben ſo vernichten koͤnnte! Aber es
gehet leider! nicht an. Er wolte noch
mehr ſagen: Allein der Tod uͤbereilte ihn,
und machte ſeinen Klagen und ſeinem
Jammer ein Ende.
bra
Vitaque cum gemitu fugit indignata
ſub umbras.’
Eines
[443](o)
Eines
beruͤhmten
MEDICI
Glaubwuͤrdiger
Bericht
von dem Zuſtande,
in welchem er
den (S.T.)
Herrn Profeſſ. Philippi
den 20ten Junii 1734. angetroffen.
Da der Herr Prof. Philippi heute das Un-
gluͤck gehabt, von zwoen Perſonen, mit
welchen er in Haͤndel gerathen, ſehr uͤbel
zugerichtet zu werden, ward ich Endes Unterſchrie-
bener zu ihm gefordert, und verfuͤgte mich ſo gleich
nach ſeiner Behauſung.
Jch traf denſelben auf einem Ruhe-Bette, noch
in ſeinen Kleidern, und in einer tiefen Ohnmacht
liegend an. Sein Geſicht war gantz blutig, und
auf der lincken Backe erblickte ich fuͤnf blaue Strie-
men, die ich vor nichts anders, als vor Spuren
einer verwegenen Hand anſehen kunte.
Nach-
[444](o)
Nachdem man ihn durch einen kraͤftigen Bal-
ſam wieder zurecht gebracht hatte, richtete er ſich
in die Hoͤhe, und ſetzte ſich in die Stellung eines
Menſchen, der ſich erbrechen will: Allein es kam
nicht ſo weit; ſondern er ſpie nur ungefehr einen
guten Loͤffel voll Blut, und vier Zaͤhne aus, unter
welchen ſich auch derjenige befand, den man den
Bachanten Zahn nennet.
Jch ließ ihn darauf entkleiden, und fand ſeinen
Ruͤcken und die beyden Arme, uͤber und uͤber mit
Blut untergelaufen; doch war keine ſolutio con-
tinui, noch vielweniger eine toͤdliche Wunde vor-
handen, woraus ich ſchloß, daß diejenigen, wel-
chen der Herr Profeſſ. Philippi in die Haͤnde ge-
fallen war, denſelben nur trucken abgepruͤgelt
haͤtten.
Wie aber der Herr Profeſſor ungemein uͤber
das Haupt klagte, ſo beſahe ich es, und endeckte
darauf unterſchiedene Baͤulen, und in der Mitte
eine kleine Wunde, die gefaͤhrlicher war, als ich
anfangs glaubte. Denn ſo bald man dieſelbe nur an-
ruͤhrete, wandelte dem Herrn Prof. Philippi eine
Ohnmacht an, die laͤnger als eine viertel Stunde
daurete. Endlich ermunterte er ſich wieder, ſchlug
die Augen auf, und gab durch einen tiefgehohlten
Seufzer zu verſtehen, daß noch Leben in ihm ſey.
Jch frug ihn: Wie er ſich beyfuͤnde? Und erhielte
zur Antwort: Sehr ſchlecht. Jch that noch einige Fra-
gen an ihm: Allein er antwortete mir nicht ein
Wort, ſondern lag immer in tiefen Gedancken vor
ſich weg. Nach einigen Minuten ſahe er auf, druͤckte
mir die Hand, und ſagte mit matter Stimm: Ach!
wer
[445](o)
wer ſein Maul halten koͤnnte! Bin ich nicht ein Narr
geweſen, daß ich mich mit den Leuten abgegeben?
Was gieng es mich an, ob ‒ ‒ ‒ ‒ Ach! ich mag
nicht mehr daran gedencken. Da liege ich nun, und
kan weder Hand noch Fußregen. Ja wer weiß, ob
mir meine ungereimte Begierde von allen Dingen
ohne Nachdencken zu plaudern, nicht das Leben
koſten wird?
Jch fiel ihm in die Rede, und ſagte: Das haͤtte
nechſt goͤttlicher Huͤlfe, keine Noth. Keine Noth?
erwiederte er: Jch muß am beſten wiſſen, wie mir zu
Muthe iſt. Doch was iſt daran gelegen? Jch habe
wenig Freude in der Welt gehabt, und bin meines
Lebens ſo muͤde, daß es mir gleich viel iſt, ob ich heu-
te oder morgen ſterbe. Nur verdrießt es mich, daß
ich, durch meine eigene Schuld, ſo liederlich um
mein Leben komme, und mich die kurtze Zeit, die ich
in dieſem Jammerthal gewallet, nicht vernuͤnftiger
aufgefuͤhret habe.
Wie ich ihn darauf frug: Was dann in ſeiner
Auffuͤhrung thoͤrigtes waͤre, das ihn ſo beunruhigte?
Sahe er mich ſtarr an, und ſprach: Was? Habe
ich nicht geſchrieben? Ach! meine verfluchte
Schriften! Jhre Schriften, wandte ich ein, wer-
den machen, daß Sie auch nach Jhrem Tode leben.
Ja wohl, war ſeine Antwort; aber ſie werden auch
das Andencken meiner Thorheit verewigen, und das
iſt es eben, was mich quaͤlet. Jch ſuchte ihm dieſe
traurige Gedancken zu benehmen, und fieng an ſeine
Schriften zu loben: Allein er machte mir ein ſo ernſt-
haftes Geſichte, daß ich bald wieder aufhoͤrte. Mein
lieber Herr Doctor, ſprach Er, ſchertzen Sie nicht
zur
[446](o)
zur Unzeit mit mir. Jch befinde mich in einem Zuſtan-
de, da alle Complimente aufhoͤren muͤſſen, und es
waͤre eine Suͤnde, wenn Sie jetzo meiner ſpotten
wolten. Sie ſind viel zu chriſtlich dazu, daß weiß ich:
Aber ſind Sie dann der eintzige der ſo gluͤcklich gewe-
ſen iſt, daß ihm keine von meinen elenden Schriften zu
Geſichte gekommen? Jch kan mirs kaum einbilden.
Wie koͤnnen Sie dann aber mit gutem Gewiſſen
meine Schriften, ich will nicht ſagen, loben, ſondern
nur vor ertraͤglich halten? Wenn Sie meine ſechs
deutſche Reden geleſen haben, ſo werden Sie wiſ-
ſen, was ich vor ein poßirlicher Redner geweſen, und
wenn Sie ſich nur meines Helden-Gedichts auf
den Koͤnig von Pohlen erinnern, ſo werden Sie mir
geſtehen, daß ich den Nahmen eines unertraͤglichen
Reimers mit Recht verdiene. An meine thuͤringi-
ſche Hiſtorie mag ich nicht einmahl gedencken. Sie
wuͤrde unſtreitig die albernſte unter allen meinen
Schriften geweſen ſeyn, wenn ſie nur die letzte geblie-
ben waͤre. Aber ſo habe ich nach der Zeit noch weit
naͤrriſcher Zeug geſchrieben; und kan noch nicht be-
greifen, wie es moͤglich geweſen, daß ich meiner
Schmierſucht keine Grentzen geſetzet, da meine erſten
Schriften ſo uͤbel aufgenommen worden. Denn ſo
bald meine Reden, und mein Helden-Gedicht zum
Vorſchein kamen, erweckte GOtt chriſtliche Her-
tzen, die mir mein Elend vorſtelleten, und mich auf
den rechten Weg zu bringen ſuchten. Jch haͤtte dieſe
Zuͤchtigung mit Danck annehmen, und die Ruthe
kuͤſſen ſollen: Aber ich war gantz verſtockt, und hielte
alle die guten Erinnerungen, die man mir gab, vor
ehrenruͤhrige Beſchimpfungen. Jch leckte wieder den
Stachel,
[447](o)
Stachel, und ſuchte Himmel und Erde wieder meine
eingebildete Verfolger zu bewegen. Jch war gar ſo
verblendet, daß ich wieder dieſe ehrliche Leute ſchrieb:
Aber was half es mir? Niemand wolte mein Ge-
ſchmier verlegen, und das wenige, das ich ſelbſt davon
drucken ließ, vergroͤſſerte nur meine Schande, und
uͤberfuͤhrte alle Welt, daß meine Einfalt mit einer
ziemlichen Boßheit vergeſellſchaftet ſeyn. Wenn ich
mich bey ſo geſtalten Sachen aus Unmuth erhenckt
haͤtte, ſo haͤtte ich etwas gethan, woruͤber ſich niemand
wuͤrde gewundert haben: Allein ich war viel zu wohl
mit mir ſelbſt zu frieden, und geberdete mich ſo trotzig,
als wenn ich einer der geſchickteſten Scribenten mei-
ner Zeit geweſen waͤre.
Sagen Sie mir nun, habe ich nicht Urſache mich
in mein Hertze zu ſchaͤmen, daß ich mich ſo vorſetzlich
zu einem Liedlein in der gelehrten Weltgemacht? Jſt
meine Auffuͤhrung nicht naͤrriſch genug, mich zu be-
unruhigen? Und verdienen meine abgeſchmackten
Schriften nicht, daß ich ſie verfluche? Ja ich verflu-
che ſie, und wolte wuͤnſchen, daß ich niemahlen die
Feder angeſetzet haͤtte. Keine aber ſehe ich mit ſolchem
Abſcheu an, als die letzte, die ich herausgegeben. Die
macht mir den groͤßſten Kummer. Sie werden wiſſen,
Mein Herr Doctor, daß ich die Maximes de la Mar-
quiſe de Sablé ins Deutſche uͤberſetzet habe: Da ich
doch wenig oder gar kein Frantzoͤſiſch kan. Sie koͤn-
nen alſo leicht erachten, was ich vor Schnitzer ge-
macht, und wie meine Feinde lachen werden, wenn
ſie ſehen, daß ich, dem allen ungeachtet, verwegen
genug geweſen bin, der Frau von Ziegler zu Ehren
ſelbſt frantzoͤſiſche Verſe zu machen, die ſo voller Feh-
ler
[448](o)
ler ſind, daß man wohl ſehen kan, ich ſey meinem
Sprach-Meiſter zu zeitig entlaufen. Aber dieſes ſind
Kleinigkeiten. Haͤtte ich es bey der bloſſen Uberſetzung
bewenden laſſen, ſo waͤre es noch hingegangen, und
man wuͤrde mich gelobet haben, daß ich der gelehrten
Welt, die ich bißhero mit meinen eigenen Einfaͤllen
gequaͤlet, durch eine, ob wohl ſchlechte, Ueberſetzung
frembder und guter Gedancken dienen wollen. Denn
es iſt doch allemahl ruͤhmlicher ein mittelmaͤßiger
Uberſetzer, als ein unertraͤglicher Scribent zu ſeyn.
Allein ſo habe ich uͤber die ſchoͤnen Gedancken der
Marquiſe de Sablé eine Bruͤhe gemacht, welchen al-
len, die ſie koſten, einen Eckel erwecken muß. Die
366 Moraliſche Bildniſſe, womit ich die Lehren die-
ſer Dame erlaͤutern wollen, ſind im hoͤchſten Grad
ſcheußlich, und zeugen nicht nur von der Ungeſchick-
lichkeit meines Pinſels, ſondern auch von der Boß-
heit meines Hertzens. Denn ich habe in denſelben vie-
le ehrliche Leute, auf die abgeſchmackteſte Art ange-
grifen, und ſo gar meines eigenen Vaters nicht
verſchonet, der doch, auſſer dem, daß er mich ge-
zeuget, nichts ungeſchicktes gehandelt hat.
Meine Schreib-Art in dieſer Schrift uͤberhaupt
iſt recht auſſerordentlich laͤppiſch, ſcheußlich, und
manchmahl wie z. E. p. 223. voll unflaͤtiger Zwey-
deutigkeiten, deren ſich ein Schneider-Geſell ſchaͤ-
men wuͤrde, und vor welche ich jetzo erroͤthe. Jch
mag an die erdichteten Nahmen, mit welchen meine
Anmerckungen ausgeſpicket ſind, nicht gedencken.
Sie ſind gar zu abgeſchmackt. Nur bitte ich Sie,
die artige Abhandlung der Frage, wie man ſich zu
verhalten habe, wenn man einen Korb bekommen?
Und
[449](o)
Und die frantzoͤſiſche Unterredung mit dem ſo genann-
ten Fraͤulein von Frohenmuth, mit Bedacht
zu leſen. Jch glaube Sie werden alsdann geſtehen,
daß niemand, als ich, faͤhig geweſen, ſo erbaͤrmli-
che Gedancken zu haben, und dieſelbe ſo poßierlich
auszudruͤcken: Und dennoch bin ich ſo verblendet,
daß ich mir einbilde, ich braͤchte wichtige Sachen
vor, und gar ſo aufgeblaſen, daß ich die Unterre-
dung mit dem Fraͤulein von Frohenmuth, die
doch, was das Frantzoͤſiſche anlanget, im aͤuſſer-
ſten Grad barbariſch, und, ihrem Jnhalt nach,
kindiſch iſt, vor ein Nachfolgungs-wuͤrdiges Exem-
pel, was den guten Verſtand, und beredten Mund
betrift, ausgebe, und zum voraus denen trotze, wel-
che da, wie mir mein eigen Gewiſſen vorherſaget,
dieſes Gewaͤſche vor albern, und mich vor raſend
halten werden, daß ich es drucken laſſen.
Urtheilen Sie hieraus, ob man die Thorheit hoͤ-
her treiben koͤnne? Jch vor meine Perſon bin ver-
ſichert, daß ich mich in dieſer meiner letzten Schrift
gantz erſchoͤpfet habe, und nicht im Stande geweſen
ſeyn wuͤrde, weiter zu ſchwaͤrmen, und wenn ich
gleich nicht zur Erkaͤnntniß meines Elendes gekom-
men waͤre.
Aber, GOTT Lob! ich erkenne ietzo meine
Schwachheit, und bedaure nichts mehr, als daß
ich nicht Zeit habe, durch deutliche Proben meiner
Beſſerung, die Schande abzuwiſchen, die ich mir
durch meine Thorheiten zugezogen habe. Ach!
daß mir GOtt mein Leben ſo lange friſten wolte! Jch
gelobe hiemit heilig an, ein gantz anderer Menſch zu
werden. Jch wolte meine auſſerordentliche Pro-
F ffeſſur,
[450](o)
feſſur, die mir ohne das nichts eintraͤget, und der ich auch mit
Ehren nicht vorſtehen kan, und mit derſelben den naͤrriſchen
Hochmuth, wozu ſie mich verleitet hat, niederlegen, von
vorne zu ſtudiren anfangen, und mich, nechſt goͤttlicher Huͤl-
fe, in den Stand ſetzen, daß diejenigen, die ſich ſo viele Muͤ-
he gegeben haben, mich klug zu machen, Ehre und Freude an
mir erleben ſolten. Aber ich kan dieſes nicht hofen. Jch
ſuͤhle wohl, daß ich ſterben muß, und kan die wenigen Stun-
den, die ich etwa noch zu leben uͤbrig habe, nicht beſſer an-
wenden, als daß ich der gelehrten Welt den Verdruß, den
ich ihr durch meine Schriften erwecket habe, demuͤthig ab-
bitte, und denenjenigen, die mich desfalls freundlich be-
ſtrafet, den verbindlichſten Danck abſtatte. Sie, Mein
Herr Doctor, werden die Guͤte haben, und, nach meinem
Tode, von meiner Bekehrung zeugen. Sie koͤnnen glau-
ben, daß ſie aufrichtig iſt: Denn mein jetziger Zuſtand lei-
det keine Verſtellung. Er kehrete hierauf das Geſicht gegen
die Wand, und weinete bitterlich.
Wenn ich nun dieſe vernuͤnftigen Reden des Herrn Prof.
Philippi recht erwege, ſo muß ich ſie nothwendig vor ein ſehr
gefaͤhrliches Symptoma anſehen. Denn da es dem Herrn Prof.
Philippi bey geſunden Tagen niemahlen begegnet, daß er ze-
hen kluge Worte hinter einander geredet: Da Er ſonſt immer
von allen Sachen gantz anders als kluge Leute zu dencken ge-
wohnt, und daher der einzige geweſen, der, allen vernuͤnftigen
Menſchen zum Trotz, ſich vor einen groſſen Mann, und ſei-
ne Schriften vor unverbeſſerlich gehalten: Sokan ich daraus,
daß Er gantz vernuͤnftig geredet, und von ſich ſelbſt, und ſeinen
Schriften eben ſo geurtheilet, als bißher die gantze kluge, und
vernuͤnftige Welt gethan hat, nichts anders ſchlieſſen, als daß
durch den Schlag uͤber dem Kopf ſein Gehirn gantz umgekeh-
ret, und juſt in die Ordnung geſetzet worden, in welcher es
ſich bey Leuten von geſundem Verſtande befindet.
Bey einer ſo entſetzlichen Verruͤckung und Erſchuͤtterung
des Gehirnes kan der Hr. Prof. ohne Wunderwerck nicht uͤber
24 Stunden leben, und ich halte alſo den Schlag uͤber dem
Kopf, und die dadurch verurſachte Wunde vor toͤdlich. Ge-
geben Halle den 20ten Junius 1734.
H. B. M. D.
[[451]]
IX.
Beſcheidene
Beantwortung
der
Einwuͤrffe,
welche
einige Freunde
des
Herrn D. Joh. Ernſt Philippi,
weiland wohl-verdienten Profeſſors der deut-
ſchen Wohlredenheit zu Halle,
wieder
die Nachricht
von Deſſen Tode
gemacht haben.
Taſſo.
Andava combattendo ed era morto.
Halle, 1735.
Qvum ſemel occideris, \& de te ſplendi-
da Minos
Fecerit arbitria,
Non, Torquate, genus, non te, facundia,
non te
Reſtiruet pietas.’
[[453]]
Jch habe vor einigen Monathen einen
glaubwuͤrdigen Bericht eines beruͤhmten
Medici von dem Zuſtande, in welchem
er den Herrn Profeſſor Philippi den
20ſten Junius 1734. angetroffen, ans Licht geſtellet,
und in meinem Vorbericht gemeldet, daß der Herr
Prof. Philippi, wie der Medicus gemuthmaſſet, den
21ſten Junius, Abends um 6 Uhr 53 Minuten,
wuͤrcklich dieſes Zeitliche geſegnet.
Jch haͤtte mir nimmer eingebildet, daß ſich je-
mand unterſtehen wuͤrde, mir eine ſo bekannte und
ofenbahre Sache ſtreitig zu machen: Allein ich habe,
zu meiner nicht geringen Befremdung, erfahren muͤſ-
ſen, daß es wuͤrcklich ſo wunderliche Leute gebe, die
meine wahrhafte Nachricht von dem Tode des Hrn.
Prof. Philippi vor falſch, und den glaubwuͤrdigen
Bericht eines beruͤhmten Medici vor erdichtet, aus-
zuſchreyen das Hertz haben.
Es hat ſich nicht allein ein Ungenannter gefunden,
der eine Nachricht in die Hamburgiſchen B erichte
ruͤcken laſſen, darinn er behauptet, der Herr Prof.
Philippi ſey noch am Leben; ſondern es hat auch die
ſogenannte geheime Patriotiſche Aſſemblée eine ei-
gene Vertheidigungs-Schrift, oder ein ander weiti-
ges Bedencken an den Herrn Prof. Philippi, nebſt
zwoen Beylagen, drucken laſſen, und will die Welt
F f 3bere-
[454](o)
bereden, alles, was der beruͤhmte Medicus, und
ich, von des Herrn Prof. Philippi klaͤglichem Zu-
ſtande, und darauf erfolgtem Abſterben geſchrie-
ben haben, ſey falſch und erlogen.
Jch uͤberlaſſe dem Herrn D. B … ſeinen Be-
richt von dem Zuſtande, in welchem er den Herrn
Prof. Philippi angetrofen hat, wofern er es vor noͤ-
thig findet, zu rechtfertigen, und begnuͤge mich, nur
auf dasjenige zu antworten, wodurch man meine
Nachricht von dem Tode des Herrn Prof. Philippi
verdaͤchtig zu machen, geſuchet hat.
Jch bin zwar ſonſt ein Feind von allen Zaͤnckereyen,
und goͤnne einem jeden gerne ſeine Meinung. Jch
wuͤrde mir alſo nimmer die Muͤhe gegeben haben,
meinen Widerſprechern ein Wort zu antworten,
wenn dieſe hitzige Herren ſich nur in den Schrancken
des gemeinen Wohlſtandes gehalten, und mich nicht
auf eine, unter wohlerzogenen, und in einigem Anſe-
hen lebenden Leuten, unerhoͤrte Weiſe angegriffen
haͤtten. Jch habe Narren gekannt, die zu der Zeit,
als der vorige Koͤnig in Schweden vor Friedrichs-
Halle erſchoſſen wurde, aus einer unſinnigen Nei-
gung gegen dieſen Printzen, in langer Zeit nicht
glauben wollten, er ſey wuͤrcklich todt; ſondern alles,
was von ſeinem Tode geſaget, und geſchrieben wur-
de, vor falſch hielten: Aber dieſe Phantaſten gien-
gen doch nicht ſo weit, daß ſie diejenigen, ſo ande-
rer Meinung waren, als ſie, vor Laͤſterer und Ma-
jeſtaͤt-Schaͤnder gehalten haͤtten. Wenn demnach
meine Gegner nur halb ſo viel Vernunft gegen mich
gebraucht haͤtten, als dieſe Gecken; ſo wuͤrde ich
ihren ungereimten Widerſpruch ihrer, obgleich un-
ver-
[455](o)
vernuͤnftigen, Liebe zu einem verſtorbenen Freunde
zu gut gehalten haben. Aber ſo kan ich unmoͤglich
ſchweigen. Jhr Verfahren gegen mich iſt gar zu
grob und Ehren-ruͤhrig.
Der Ungenannte heiſſet mich in den Hamburgi-„
ſchen Berichten einen Nahmloſen Paſquillan-„
ten, und die geheime Patriotiſche Aſſemblée nen-„
net die von mir herausgegebene Schrift eine infame„
Charteque, und mich einen infamen Scribenten. Sie„
wirft mir, auf die unbeſcheidenſte Art, Unvernunft,„
kindiſche Erfindung, und boßhafte Wuth vor, und„
bietet mir, zu Reinigung meines verſchleimten Ge-„
hirns, einen gantzen Centner Nieſewurtz aus ihrer„
Apothecke und 10 Doſes von ihrem Hertz-ſtaͤrcken-„
den Gold-Pulver an, um mein laſterhaftes Ge-„
muͤth zu beſſern.‟
Wenn ich geſaget haͤtte, der Herr Prof. Philippi
habe ſeinen Vater ermordet, und ſeine Mutter ge-
nothzuͤchtiget: Wenn ich faͤlſchlich vorgegeben haͤt-
te, er ſey, um dieſer oder anderer Miſſethaten willen,
durch Schwerdt, Strang, Rad oder Feuer, auf eine
ſchimpfliche Art, vom Leben zum Tode gebracht wor-
den; ſo moͤchten die entſetzlichen Schelt-Worte,
welche die Freunde des Herrn Prof. Philippi gegen
mich ausgeſtoſſen haben, vielleicht einiger maſſen zu
entſchuldigen ſeyn: Allein, da mein gantzes Verbre-
chen darinn beſtehet, daß ich geſaget habe, der Herr
Prof. Philippi ſey auf ſeinem Bette, ſanft und ſelig,
mit den erbaulichſten Gedancken, eingeſchlafen;
So weiß ich gewiß, daß ein jedes ehrliebendes Ge-
muͤth, uͤber die Unbeſcheidenheit meiner Wi-
derſprecher, erſtaunen, und ſich von der Gemuͤths-
F f 4Be-
[456](o)
Beſchaffenheit derſelben einen gar ſchlechten Be-
grif machen wird.
Jch glaube nicht, daß, ſeit der Zeit es gebraͤuchlich
iſt, daß die Gelehrten gegen einander ſchreiben, je-
mahlen ein ehrlicher Mann, wegen einer Sache von
ſo weniger Erheblichkeit, auf eine ſo entſetzlich grim-
mige und plumpe Art angegrifen worden: Und es
koͤnnte mir alſo nicht verdacht werden, wenn ich mei-
nen Gegnern aus eben dem Ton antwortete: Allein,
es ſey ferne von mir, daß ich mich Leuten gleichſtellen
ſolte, deren Auffuͤhrung ſo ungeſchliffen, und nieder-
traͤchtig iſt. Der Abſcheu, mit welchem die gantze
vernuͤnftige Welt die Ehrenruͤhrigen Ausdruͤckun-
gen, die ſie gegen mich gebrauchet haben, nothwen-
dig anſehen muß, wird mich genugſam an ihnen raͤ-
chen, und ich kan ſie nicht aͤrger beſchaͤmen, als wenn
ich, mit aller Hoͤflichkeit und Gelaſſenheit, die Ur-
ſachen anzeige, warum ich glaube, daß ich die ſchimpf-
lichen Titel, nicht verdiene, womit es ihnen beliebet
hat, mich zu belegen.
Jch habe geſaget, der Herr Prof. Philippi ſey ge-
ſtorben. Dieſes leugnen meine Gegner, und ſagen,
der Herr Prof. Philippi lebe. Jch will ſetzen, ſie haͤt-
ten Recht: Aber wuͤrde dieſes genug ſeyn, mich zu ei-
nem Paſqvillanten, und infamen Scribenten zu
machen? Kan denn das, was ich von dem Herrn
Prof. Philippi geſaget habe, ſeiner Ehre nachtheilig
ſeyn?
Sterben iſt kein Schelmſtuͤck, ſondern eine der
natuͤrlichſten Pflichten eines Menſchen. Die ehr-
lichſten und tugendhafteſten Maͤnner koͤnnen ſich der-
ſelben nicht entbrechen, und haben ſie zu allen Zeiten
ſo
[457](o)
ſo wenig vor ſchimpflich gehalten, daß ſie vielmehr
den groͤſſeſten Theil ihres Lebens angewendet haben,
ſich zu deren Beobachtung geſchickt zu machen.
Schimpfet man demnach den Herrn Prof. Philippi,
wenn man ſagt, er ſey geſtorben, und an den Ort ge-
gangen.
Er waͤre nicht der erſte ehrliche Mann, dem dieſes be-
gegnet:
Abraham und die Propheten ſind geſtorben, und
bleiben darum doch wohl, wer ſie ſind.
Summus Ariſtoteles,
Plato, \& Euripides.’
Warum ſchilt man mich demnach fuͤr einen Pas-
qvillanten, und infamen Scribenten, weil ich geſa-
get, der Herr Prof. Philippi habe etwas gethan,
welches ſo viele groſſe Leute, denen er das Waſſer
nicht reichet, vor ihm gethan haben, und welches er,
wann er es noch nicht gethan, uͤber kurtz oder lang
doch einmahl thun muͤſte? Was ich, in meinem
Vorbericht zu dem mediciniſchen Bedencken, von
ſeinem Abſterben gemeldet habe, kan unmoͤglich ſei-
nen ehrlichen Nahmen beſchmitzen, da es, wie ich
verſichert bin, wahr iſt; Und ich glaube alſo um ſo
viel weniger, daß es ſeinen guten Leumund ſchmaͤlern
koͤnnte, und wenn es gleich, wie ſeine Freunde wol-
len, falſch waͤre. Lebt der Herr Prof. Philippi noch,
ſo iſt es deſto beſſer vor ihn, und deſto ſchlimmer vor
mich. Er kan mich auslachen, und ich wuͤrde die
Schande haben, daß ich gelogen. Daß ich aber dar-
F f 5um
[458](o)
um ein Paſquillant, und unehrlicher Scribent, ſeyn
wuͤrde, glaube ich nicht; ob gleich meine Herren Geg-
ner, aus einer laͤcherlichen Hochachtung gegen den
Herrn Prof. Philippi, mich ſo nennen.
Jch glaube, ſie werden, wenn ſie leſen, was ich
bisher geſchrieben, ſich ihrer Uebereilung ſchaͤmen, und
auf ein ander mahl behutſamer ſeyn. Jhr unanſtaͤndi-
ger Eifer, und das Geſchrey, welches ſie wider mich er-
reget haben, nuͤtzet zu nichts. Sie irren ſich, wofern
ſie meynen, den Herrn Prof. Philippi dadurch von
den Todten wieder aufzuwecken. Er iſt todt, und
wird wohl todt bleiben. Die eintzige Wuͤrckung, die
ihr Schmaͤhen haben kan, iſt dieſe, daß kluge Leute
daher Gelegenheit nehmen, zu muthmaſſen, ihre
Sache muͤſſe eben die beſte nicht ſeyn, weil ſie, nach
Art aller derer, denen es an guten Gruͤnden fehlet,
mit Schelt-Worten um ſich werfen: Und wer ſo
denckt, betriegt ſich nicht.
Meine Gegner, die ſich ſo unnuͤtze machen,
ſind nicht im Stande geweſen, ihrer verzweifelten
Sache auch nur den geringſten Schein zu geben.
Alles, was ſie gegen meine Nachricht von dem
Tode des Herrn Prof. Philippi vorbringen, be-
ſtehet in einem leeren, und unbeſcheidenen Wider-
ſpruch, oder in ſchaͤndlichen Sophiſtereyen.
Unſer gantze Streit koͤmmt darauf an, ob der
Herr Prof. Philippi todt ſey, oder nicht? Jch be-
haupte das erſte. Meine Gegner koͤnnen dieſes nicht
leiden, und faſſen daher den Entſchluß, mich zu wie-
derlegen. Wie es nun ein laͤcherliches Unternehmen
iſt, einem Menſchen, der ſeine Vernunft und Sinne
hat, etwas abzuſtreiten, davon er ſo gewiß, als von
ſeinem
[459](o)
ſeinem eigenen Seyn uͤberfuͤhret iſt: So iſt es kein
Wunder, daß ſie es auf eine laͤcherliche Art ausge-
fuͤhret haben, Sie begnuͤgen ſich, mir mit den aus-
erleſenſten Schelt-Worten zu ſagen, daß ich gelogen
habe. Jch bekenne, dieſe Art zu wiederlegen iſt kurtz
und gemaͤchlich: Aber ich glaube, ihr fehlt der Nach-
druck. Mein Ja muß allezeit zum wenigſten ſo viel
gelten, als ihr Nein; und es bleibt alſo, ihres Wi-
derſpruchs ungeachtet, noch immer die Frage uͤbrig,
ob ſie Recht haben, oder ich?
Jch will dieſe Frage nicht entſcheiden, weil ich par-
theyiſch bin. Esmag bey meinen Leſern ſtehen, ob ſie
lieber einem unbeſcholtenen Manne glauben wol-
len, der zeuget von dem, das er geſehen hat, und al-
lenfalls das, was er ſaget, nicht nur durch das Zeug-
niß einer gantzen Stadt; ſondern auch durch einen
Auszug aus dem Kirchen-Buche, auf die allerbuͤn-
digſte Art, zu erweiſen im Stande iſt: Oder, einer
elenden Rotte unbekannter Perſonen, die zwar grob
genug widerſprechen; aber nicht den geringſten
Grund ihres Widerſpruchs geben koͤnnen: Dabey
ihre Einfalt ſo mercklich verrathen, daß man Urfa-
che hat, zu zweifeln, ob ſie die Sache, woruͤber ſie
zu ſtreiten angefangen haben gruͤndlich verſtehen,
und ſo viel Boßheit bezeigen, daß man mit Haͤnden
greifen kan, daß nicht die Liebe zur Wahrheit; ſon-
dern ein bloſſer Frevel, und die boßhafte Abſicht, ih-
rem Naͤchſten wehe zu thun, ſie angetrieben hat, eine
Sache zu beſtreiten, von deren Wahrheit ſie ſelbſt ſo
gut uͤberfuͤhret ſind, als jemand in der Welt.
Solche Leute muͤſſen einen wunderlichen Begrif
von dem menſchlichen Geſchlecht haben, wofern ſie
glauben,
[460](o)
glauben, ihr Geſchwaͤtz ſey faͤhig, meine Nachricht
von dem Tode des Herrn Prof. Philippi bey Leuten
von geſundem Verſtande verdaͤchtig zu machen.
Daß ſie ſagen, ich ſey ein Feind des Herrn Prof.
Philippi, kan ihnen wenig helfen; weil es Grund-
falſch iſt. Gantz Halle weiß, in was fuͤr einem gu-
ten Vernehmen ich mit dem Herrn Prof. Philippi
geſtanden; und ich gebe der gantzen vernuͤnftigen
Welt zu bedencken, ob der ſeel. Mann mich wohl
in ſeinem Letzten wuͤrde haben zu ſich bitten, und die
vornehme Leid-tragende Familie zu ſeinem Begraͤb-
niß einladen laſſen, wenn ich ſein Feind geweſen
waͤre.
Jedoch, meine laͤcherlichen Gegner ſcheinen in
dem Wahn zu ſtehen, es ſey ein deutliches Zeichen
eines feindſeligen Gemuͤths, wenn man von einem
Menſchen ſaget, daß er geſtorben ſey. Jch moͤchte
ihnen alſo nicht ſagen, daß mein Vater todt iſt.
Sie wuͤrden mich gantz gewiß vor ein ungerathenes
Kind halten. Aber haſſen denn dieſe Herren alle
diejenigen, von denen ſie glauben, daß ſie geſtor-
ben ſind? Sind ſie Feinde der Patriarchen, Pro-
pheten und Apoſtel? Jch glaube es nicht. Muͤſſen
ſie aber nicht geſtehen, daß dieſe Maͤnner ſchon
laͤngſt den Weg alles Fleiſches gegangen ſind?
Jch ſehe vorher, meine Gegner werden hierwi-
der einwenden: „Sie hielten mich nicht vor einen
„Feind des Herrn Prof. Philippi, weil ich geſa-
„get, er ſey geſtorben; ſondern darum, weil meine
„Nachricht von ſeinem Tode erdichtet: Denn dar-
„aus koͤnne man ſchlieſſen, daß ich ſeinen Tod
„wuͤnſche:‟ Aber ich weiß auch, daß meine Leſer
uͤber
[461](o)
uͤber eine ſo elende Ausflucht lachen werden. Ge-
wiß meine Herren Gegner ſind die poßierlichſten
Leute von der Welt. Sie beweiſen die Falſchheit
meiner Nachricht von dem Tode des Herrn Prof.
Philippi daher, weil ich ſein Feind ſey. Und fraͤgt
man ſie, woher ſie dieſes wiſſen? ſo ſprechen ſie:
Es ſey daher klar, weil meine Nachricht von deſ-
ſen Tode erdichtet. Jch bekenne, dieſes iſt eine
Art zu ſchlieſſen, die Leute, welche muthwillig ſchwaͤr-
men wollen, ſonderlich wohl anſtehet: Aber ſie iſt
bey verſtaͤndigen Leuten in ſo ſchlechtem Ruf, daß
es ſich nicht der Muͤhe verlohnet, die Schwaͤche
derſelben zu zeigen. Meine Leſer ſehen vor ſich ſchon,
daß meine Widerſprecher nicht erwieſen haben, daß
ich des Herrn Prof. Philippi Feind ſey, und moͤ-
gen alſo urtheilen, ob man Urſache habe, mein
Zeugniß von dem Tode des Herrn Prof. Philippi
zu verwerfen?
Meine Gegner indeſſen moͤgen dencken was ſie
wollen. Jch habe keine ſo groſſe Einbildung von
meiner Geſchicklichkeit, daß ich mir die Hofnung
machen ſollte, Leute ihrer Art durch meine Vor-
ſtellungen, wie deutlich und nachdruͤcklich ſie auch
immer ſind, zur Erkenntniß ihres Unfugs zu brin-
gen. Sie moͤgen meinentwegen immer dabey
bleiben, daß ich des Herrn Prof. Philippi Tod
wuͤnſche, und folglich ſein Feind ſey. Genug, daß
mein Gewiſſen mich von dieſer Beſchuldigung frey
ſpricht.
Jch kan auf meine Ehre verſichern, daß es mir
niemahlen eingefallen, des Herrn Prof. Philippi
Tod zu wuͤnſchen. Was ſollte mich dazu bewe-
gen?
[462](o)
gen? Jch verlange weder ſein Erbe, noch ſein
Nachfolger im Amte zu ſeyn. Jch habe den
Herrn Prof. Philippi allemahl vor einen Mann
gehalten, der in der gelehrten Welt unentbehr-
lich iſt; und ich hofe, man wird mir die Ehre
thun, zu glauben, daß ich es mit der gelehrten
Welt viel zu gut meine, als daß ich den Tod ei-
nes Mannes wuͤnſchen ſollte, der ihr ſo manche
Luſt gemacht hat.
Geſetzt aber, ich haͤtte des Herrn Prof. Philip-
pi Tod gewuͤnſchet; folgt denn daraus nothwendig,
daß ich ſein Feind ſeyn muͤſſe? Der liebe ſeel. Mann
befand ſich in den letzten Jahren ſeines Lebens in ſo
verdrießlichen Umſtaͤnden, daß er ſich oft ſelbſt den
Tod wuͤnſchte. Jch kan es am beſten wiſſen, weil
er gegen mich ſein Hertz oft auszuſchuͤtten pflegte.
Jch glaube aber nicht, daß er es aus Feindſchaft
gegen ſich ſelbſt gethan hat: Denn ich kan verſi-
chern, daß er, dem allen ungeachtet, ſeine kleine
Perſon ungemein liebte. Warum ſollte man dann
nicht, ohne des Herrn Prof. Philippi Feind zu
ſeyn, etwas wuͤnſchen koͤnnen, ſo er ſelbſt gewuͤn-
ſchet hat? Haͤtten meine Gegner den ehrlichen Mann
auf ſeinem Sterbe-Bette geſehen, wie ich, ſo wuͤr-
den ſie mit mir glauben, das ein ſeeliges Ende das
eintzige geweſen, welches ſein beſter Freund ihm, mit
Vernunft, wuͤnſchen koͤnnen. Jch habe ihn unger-
ne verlohren: Aber, die Wahrheit zu ſagen, er iſt
wohl daran. Waͤre er gleich wieder geneſen, ſo
haͤtte er doch keine froͤliche Stunde mehr gehabt;
ſondern wuͤrde ſich, da durch den Schlag uͤber dem
Kopf ſeine, bis dahin im Schlaf gelegene, Ver-
nunft
[463](o)
nunft erwecket worden, beſtaͤndig mit denen ver-
drießlichen Gedancken haben plagen muͤſſen, mit
welchen er die letzten Stunden ſeines Lebens zuge-
bracht hat: Und kan man alſo von ihm ſagen, was
Cicero Tuſc. Quæſt. Lib. V. von dem Tyrannen
Dionyſius ſchreibt: Iis enim ſe adoleſcens im-
provida ætate irretierat erratis, eaque commi-
ſerat, ut ſalvus eſſe non poſſet, ſi ſanus eſſe cœ-
piſſet.
Man ſiehet hieraus, daß, wenn ich ’ gleich des
Herrn Prof. Philippi Tod gewuͤnſchet haͤtte, doch
daraus nicht zu ſchlieſſen ſey, daß ich | eine Feind-
ſchaft gegen ihm geheget habe. Wenn ich indeſ-
ſen meinen Gegnern gleich zugeben wolte, daß ich
ein Feind des Herrn Prof. Philippi ſey; So ſehe
ich doch nicht, was ihnen dieſes helffen wuͤrde. Al-
ler Vortheil, den ſie aus dieſem Bekaͤnntniß zie-
hen koͤnnten, waͤre dieſer, daß mein Zeugniß von
dem Tode des Herrn Prof. Philippi unguͤltig. Aber
ich moͤchte wiſſen, ob ſie dann geſchickter ſind, von
deſſen Leben zu zeugen? Bin ich ein verwerflicher
Zeuge, weil ich ſein Feind bin; So kan gewiß ihr
Zeugniß nicht von groſſem Gewichte ſeyn, weil ſie
ſeine Freunde ſind.
Die Menſchen ſind ſo geartet, daß ſie glauben,
was ſie wuͤnſchen; Und vieleicht bilden ſich meine
Gegner ein, der Herr Prof. Philippi lebe, weil
ſie es gerne ſaͤhen. Es iſt alſo eine ziemliche Unbe-
ſcheidenheit, daß ſie verlangen, man ſolle ihnen auf
ihr bloſſes Wort glauben, der Herr Prof. Phi-
lippi ſey nicht geſtorben: Sie ſind gewiß die Leu-
te nicht, von denen man eine zuverlaͤßige Nach-
richt
[464](o)
richt von dem Leben und Tode des Herrn Prof.
Philippi erwarten kan. Jhre Partheylichkeit liegt
gar zu klar am Tage, und ihr Widerſpruch kan
folglich meine Nachricht von dem Tode des Herrn
Prof. Philippi nicht verdaͤchtig machen: zumahl,
da meine Herren Gegner die Guͤte gehabt haben,
ihn ſo einzurichten, daß dieſelbe dadurch noch mehr
bekraͤftiget wird.
Jch habe nicht noͤthig zu meiner Vertheidigung
weiter ein Wort zu ſagen; ſondern bitte nur mei-
ne Leſer, das, was meine Gegner wider mich vor-
gebracht haben, mit einiger Aufmerckſamkeit zu
betrachten. Sie werden befinden, daß dieſe eyfri-
gen Freunde des Herrn Prof. Philippi es ſo gemacht
haben, wie alle, die eine boͤſe Sache vertheidigen.
Sie verkehren den ſtatum controverſiæ, und ſu-
chen ihre Leſer durch eine Sophiſterey zu blenden,
die ſo handgreiflich iſt, daß kein Kind dadurch be-
trogen werden kan. Jch verdencke ihnen dieſes
nicht. Jhre Verzweifelung entſchuldiget ſie hin-
laͤnglich. Was haͤtten ſie ſagen wollen, wenn ſie
es ſo nicht gemacht? Es laͤſſet anfangs, als wol-
ten ſie redlich mit mir kaͤmpfen. Sie ſtrafen mich
Luͤgen, ſchelten mich, und thun alles, was Leute
thun koͤnnen, die vor Eyfer nicht bey ſich ſelbſt
ſind. Aber endlich ſiehet man, daß der Endzweck
ihres gantzen Gewaͤſches kein anderer ſey, als zu
behaupten, der Herr Prof. Philippi ſey den 20ſten
Junius nicht geſtorben, und habe am 21ſten kei-
ne Haͤndel gehabt. Solte man nicht Blut dabey
weinen? Gewiß, ich bin erſtaunet, als ich dieſes
gewahr ward; und bin verſichert, daß alle meine
Leſer
[465](o)
Leſer eine ſo unerhoͤrte Verdrehung meiner Worte,
und eine ſo plumpe Sophiſterey mit mir verabſcheuen
werden.
Wer hat dann jemahlen geſagt, daß der Herr
Prof. Philippi den 20ſten Junius geſtorben ſey?
Jch habe es zum wenigſten nicht gethan. Warum
dichten mir dann meine Gegner einen Satz an, den
ich nimmer behauptet habe? Jſt es moͤglich, daß ſie
ſich einbilden koͤnnen, die Welt zu uͤberreden, ich
ſey toll genug zu ſagen, der Herr Prof. Philippi ſey
den 20ſten Junius von den Schlaͤgen geſtorben, die
er den 21ſten erſt bekommen ſollen? Habe ich nicht
gerade das Gegentheil geſaget? Den 20ſten Ju-
nius bekam der Herr Prof. Philippi die Schlaͤge;
den 21ſten ſtarb er. Das ſage ich. Sind meine
Gegner rechtſchaffene Leute, ſo fechten ſie dieſen
Satz an. Aber das Hertz haben ſie nicht. Sie ſol-
len ihn auch wohl in Ewigkeit ſtehen laſſen. Trotz
ſey ihnen geboten!
Was wird es ihnen alſo helffen, daß ſie ſich die
laͤcherliche Muͤhe gegeben haben, Dinge zu bewei-
ſen, die ihnen niemand zu leugnen begehret? Was
ſoll es heiſſen, daß ſie ſprechen: Der Herr Prof.
Philippi ſey vom 20ſten Junius bis dato geſund ge-
weſen, und den 30ſten Auguſt von Halle nach Goͤt-
tingen gereiſet? Jch glaube gerne, daß der Herr
Prof. Philippi den 20ſten Junius, bis des Nach-
mittags um 2 Uhr, da er in die ungluͤckſeligen Haͤn-
del gerieth, friſch und geſund geweſen iſt: Allein die
gantze vernuͤnftige Welt mag urtheilen, ob ein
Menſch, der den 21ſten Junius geſtorben iſt, bis
dato geſund ſeyn, und den 30ſten Auguſt von Halle
G gnach
[466](o)
nach Goͤttingen habe reiſen koͤnnen? Daß aber der
Herr Prof. Philippi wuͤrcklich an gemeldtem Tage
geſtorben ſey, iſt ein Satz, der dadurch auſſer al-
lem Streit geſetzet wird, daß meine Gegner ſich nicht
getrauet haben, demſelben zu widerſprechen?
Jch kan nicht leugnen, es gereichet mir zu einem
unausſprechlichen Vergnuͤgen, daß meine grimmi-
gen Gegner eben diejenigen ſeyn muͤſſen, die meiner
Nachricht von dem Tode des Herrn Prof. Philippi
durch ihren kindiſchen Widerſpruch den hoͤchſten
Grad der Wahrſcheinlichkeit geben, und alſo mei-
ne Ehre wieder ſich ſelbſt retten. Mich deucht, die
greulichen Laͤſter-Worte, welche ſie wieder mich
ausgeſtoſſen haben, ſind dadurch genug gebuͤſſet.
Gleichwie ich nun hoffe, daß ſie, wenn ſie meine
Schrift leſen, in ſich ſchlagen, und ihre Thorheit
bereuen werden; So hege ich auch zu meinen Leſern
das Vertrauen, ſie werden ſich durch den kahlen
Wiederſpruch eines Ungenannten, und durch das
elende Bedencken der geheimen Patriotiſchen Aſſem-
blée nicht verfuͤhren laſſen, die Richtigkeit meiner
Nachricht von dem Abſterben des Herrn Prof. Phi-
lippi in Zweifel zu ziehen. Die Schwachen indeſſen,
die ſich, uͤber Verhoffen, durch die Frechheit, mit
welcher man behauptet, der Herr Prof. Philippi
lebe, etwan noch abhalten laſſen moͤchten, meiner
Nachricht von deſſen Tode voͤlligen Glauben beyzu-
meſſen, erſuche ich, nachfolgendes zu bedencken.
Niemand thut umſonſt Boͤſes: Und wer luͤget,
luͤget alſo nicht ohne Urſache. Was mich aber bewe-
gen ſolte, eine falſche Zeitung von dem Tode des
Herrn Prof. Philippi auszuſprengen, das weiß ich
nicht
[467](o)
nicht. Jſt es alſo wahrſcheinlich, daß ich, ohne
Hofnung des geringſten Vortheils, eine Thorheit
ſolte begangen haben, die mir unſtreitig wenig Ehre
bringen wuͤrde? Wer mir eine ſolche Einfalt zu-
trauet, der muß mich gar nicht kennen. Jch bin viel zu
ehrliebend, als daß ich mich durch offenbare Luͤgen
bey der gantzen ehrbaren Welt veraͤchtlich machen
ſolte, und uͤberlaſſe allen meinen Leſern zu urtheilen,
ob ein Menſch, der ſo geſinnet iſt, wuͤrde vorgege-
ben haben, der Herr Prof. Philippi ſey geſtorben,
wenn dieſer beruͤhmte Lehrer noch lebte, und alſo im
Stande waͤre, ein ſo ungegruͤndetes Gedicht auf
das nachdruͤcklichſte zu wiederlegen? Und gewiß, es
wuͤrde mir uͤbel bekommen ſeyn, wenn ich die Frech-
heit gehabt haͤtte, noch bey ſeinem Leben eine ſolche
Nachricht von ſeinem Tode herauszugeben, als ich
jetzo, da er wuͤrcklich in die Ewigkeit gegangen iſt,
der Welt mitgetheilet habe. Wer den ſeel. Mann
gekannt hat, der weiß, daß er ſehr empfindlich und
hitzig war, und von der, mehr als menſchlichen,
Gedult ſeiner beyden Bruͤder, Montmaur und
Sievers, nicht das geringſte an ſich hatte. Er
ſchenckte ſeinen Feinden nichts, und ſo bald kam
nicht eine Schrift gegen ihn heraus, ſo war er mit
der Antwort fertig. Jſt es alſo glaublich, daß er,
wenn er noch lebte, meine Nachricht von ſeinem To-
de unbeantwortet gelaſſen haben wuͤrde? Jch will
hier nicht unterſuchen, wie weit ſein Zeugniß in ei-
ner Sache, die ihn ſo nahe angehet, gelten koͤnnte:
So viel iſt indeſſen, deucht mich, gewiß, daß, wenn
der Herr Prof. Philippi einmahl ſagte, daß er noch
im Leben, dieſes ein Einwurf wieder meine Nach-
G g 2richt
[468](o)
richt ſeyn wuͤrde, der nicht zu verachten waͤre, und
Leuten, die nicht gar geuͤbte Sinnen haben, und
von der wahren Beſchaffenheit der Sache nicht hin-
laͤnglich unterrichtet ſind, leicht zu einem Anſtoß ge-
reichen koͤnnte.
Aber ſo geberdet ſich der Herr Prof Philippi nicht
anders, als es der Zuſtand eines Menſchen, der
wahrhaftig geſtorben iſt, mit ſich bringet. Er ſagt
kein Wort; Und obgleich gantz Halle, und halb
Deutſchland, uͤber die Nachricht von ſeinem Abſter-
ben, in Bewegung koͤmmt; ſo ruͤhrt er ſich doch
nicht. Seine Freunde ſind ſo liebreich, und wollen
ihn durch den Lerm, den ſie wieder meine Nachricht
erregen, wieder aufwecken Er aber liegt ſtille, und
giebt nicht das geringſte Zeichen einiges Lebens, oder,
daß ihm ihre Bemuͤhung gefalle, von ſich.
Mich deucht, dieſe einem Verſtorbenen ſo wohl-
anſtaͤndige Auffuͤhrung des Herrn Prof. Philippi
beweiſet klaͤrlich, daß meine Nachricht von ſeinem
Tode wahr ſey; und iſt allein faͤhig, meinen unver-
ſchaͤmten Gegnern das Maul zu ſtopfen.
Jch weiß wohl, dieſe Herren haben in ihre Schrift
einen Brief eingeruͤcket, dender Herr Prof. Philip-
pi an ſie geſchrieben haben ſoll. Aber dieſer Brief iſt zu
nichts weniger geſchickt, als meine Nachricht umzu-
ſtoſſen. Es waͤre mir ein leichtes, zu ſagen, er ſey
von meinen Gegnern erdichtet; weil er nicht das ge-
ringſte von Anglicanen, Ackermanninnen, verſtorbe-
nen und noch lebenden Geliebten, geheimen Brief-
Wechſeln, Fraͤnckiſchen Rittern, und vornehmen
Fraͤulein, als den rechten Kennzeichen eines aͤchten
Philippiſchen Briefes, in ſich haͤlt: Allein ich will
es
[469](o)
es nicht thun, ſondern glauben, daß ſie zu ehrlich
ſind, einen ſolchen Betrug zu begehen. Der Brief
iſt mit ſo viel Vernunft und Gelaſſenheit geſchrieben,
als man von einem Menſchen, der mit dem Leibe
alle Eitelkeiten und Schwachheiten abgeleget hat,
vermuhten kan, und beweiſet alſo, wofern er, wie
ich nicht ſtreiten will, wuͤrcklich von dem Herrn Prof.
Philippi iſt, daß dieſer ehrliche Mann das ſterbliche
ſchon ausgezogen hat.
Jch glaube auch nicht, daß meine Gegner die Ab-
ſicht gehabt haben, mit dieſem Briefe die Falſchheit
meiner Nachricht von dem Tode des Herrn Prof.
Philippi zu beweiſen: Denn dieſes waͤre eine Einfalt,
die ich ihnen, wie ſchlecht es auch um ſie beſtellet iſt,
kaum zutraue. Eben aus dieſem Briefe iſt deutlich
zu erſehen, daß meine Nachricht von dem Tode des
Herrn Prof. Philippi wahr ſey. Der Herr Prof.
Philippi ſagt darinn mit keinem Worte, daß er noch
lebe. Jſt es aber zu glauben, daß er eine ſo ſchoͤne
Gelegenheit, mich zu Schanden zu machen, wuͤrde
haben vorbey gehen laſſen, wenn er ſich getrauet haͤt-
te, meiner Nachricht zu wiederſprechen? Er iſt
viel zu ehrlich dazu. Er ſpricht nicht, daß ſie falſch
ſey. Alles, was er thut, iſt dieſes, daß er ſie, nebſt
den Schriften gegen dieſelbe, der Patriotiſchen As-
ſemblée zuſchicket, und ſich ihr Bedencken daruͤber
ausbittet. Man ſiehet hieraus, daß der Herr Prof.
Philippi ſelbſt nicht weiß, ob er lebet, oder todt iſt.
Zeigt aber dieſe Ungewißheit, in welcher ein lebendi-
ger Menſch ſich unmoͤglich befinden kan, nicht deut-
lich genug, daß der Herr Profeſſ. Philippi wuͤrck-
lich geſtorben ſey? Denn, wer von ſich ſelbſt nichts
G g 3weiß,
[470](o)
weiß, und nicht mehr fuͤhlet, daß er lebet, der iſt
gantz gewiß todt. Daß aber der Herr Prof. Phi-
lippi ſich in einem ſolchem Zuſtande befinde, iſt da-
her klar, weil er ſich nicht getrauet, die Frage: Ob
er lebe, oder todt ſey? ſelbſt zu entſcheiden; ſondern
ſich ein Bedencken von andern daruͤber ausbittet.
Jch bedaure, daß er nicht zu mir gekommen iſt. Jch
haͤtte ihm aus dem Traum helfen koͤnnen: Denn ich
habe ihn ſterben, und ſeinen erblaßten Coͤrper in die
Gruſt ſencken ſehen, welches Dinge ſind, die er
unmoͤglich wiſſen kan. Diejenigen hergegen, zu
welchen er ſich gewendet hat, wiſſen von nichts, und
koͤnnen auch, natuͤrlicher Weiſe, von ſeinem Leben
nicht mehr wiſſen, als er ſelbſt: Und dennoch ſchaͤ-
men ſich dieſe Leute nicht zu behaupten, der Herr
Prof. Philippi lebe, ob gleich dieſer ehrliche Mann
aufrichtig bekennet, daß er ſelbſt nichts davon weiß.
Jſt es nicht eine entſetzliche Frechheit?
Jch ſollte nicht meinen, daß jemand ſo unver-
ſchaͤmt ſeyn werde, mir hier einzuwerfen: Der
Herr Prof. Philippi habe meine Nachricht von ſei-
nem Tode dadurch ſchon genug wiederleget, daß er
einen Brief geſchrieben; und alſo nicht noͤthig ge-
habt, zu ſagen, daß er lebe, und meine Nachricht
falſch ſey. Denn dieſer Einwurf wuͤrde gar zu elend
ſeyn. Jndeſſen, weil ich gewohnt bin, gruͤndlich zu
verfahren, und meinen Gegnern alle Ausfluͤchte zu
beſchneiden; ſo will ich mich die Muͤhe nicht verdrieſ-
ſen laſſen, mit wenigen darauf zu antworten. Jch
ſage demnach, daß es eben nicht nothwendig folge,
daß ein Menſch, der einen Brief geſchrieben hat,
noch lebe. Wir haben gantze Buͤcher von Briefen
der
[471](o)
der Todten an die Lebendigen. Die Letters from
the Dead to the Living, ſo Thomas Brown heraus
gegeben, ſind bekannt; und noch neulich hat der vori-
ge Koͤnig von Franckreich einen langen Brief an den
jetzigen geſchrieben, ohne daß darum jemand geſaget
hat, Ludwig der XIVte ſey von den Todten erſtan-
den, oder gar niemahls geſtorben.
Jch glaube, dieſes wird ſo wohl zu Ueberzeugung
meiner Leſer; als auch zu Beſchaͤmung meiner Wie-
derſacher genug ſeyn; und ich kan alſo die Feder ohne
Bedencken niederlegen. Denn was das Ding an-
langet, das zu Goͤttingen, unter der Geſtalt und
dem Nahmen des Herrn Prof. Philippi, herumge-
hen ſoll; ſo laſſe ich mich darauf nicht ein. Jch habe
deßfalls noch keine zulaͤngliche Nachricht eingezogen.
Daß es indeſſen der Herr Prof. Philippi ſelbſt nicht
ſeyn koͤnne, das hat wohl ſeine Richtigkeit: Denn
der iſt ſchon an dem Ort, unde negant, redire
quemquam.
Wenn ich aber meine unvorgreifliche Meinung
ſagen ſoll, ſo halte ich davor, daß der Teufel ſein Spiel
darunter habe; und glaube, daß, wer kein Atheiſte
oder Thomaſianer iſt, meine Meinung, wo nicht
vor wahrſcheinlich, doch vor erbaulich halten wird.
Was ſich mit dem bekannten Wagner zu Witten-
berg auf oͤffentlichem Marckte zugetragen hat, das iſt
frommen Chriſten aus der wahrhaftigen Hiſtorie
von D. Fauſt bekandt. Der Teufel iſt noch eben ſo
maͤchtig, als er damahls war; und mag vielleicht
ſeine Urſachen haben, warum er ſich jetzo, in der Ge-
ſtalt des Herrn Prof. Philippi, zu Goͤttingen ſehen
laͤſſet. Wer weiß, ob er nicht, als ein abgeſagter
G g 4Feind
[472](o)
Feind aller guten Anſtalten, der neuen Univerſitaͤt
dadurch einen Schandfleck anzuhaͤngen ſuchet?
Jch will dieſe Muthmaſſung zwar niemanden auf-
dringen; das glaube ich aber gantz gewiß, daß der
Philippi, der ietzo zu Goͤttingen zu ſehen ſeyn ſoll,
nicht der rechte Philippi, ſondern ſein Geſpenſt; und
alſo weit geſchickter iſt, meine Nachricht von dem
Tode des Herrn Prof. Philippi zu beſtaͤrcken, als
verdaͤchtig zu machen.
Hat jemand hieran noch einigen Zweifel, der war-
te nur noch eine kleine Zeit, ſo wird ſichs weiſen, ob
dieſes, in der Geſtalt des Herrn Prof. Philippi, zu
Goͤttingen umhergehende Geſpenſt nicht ploͤtzlich
verſchwinden, und einen Geſtanck hinter ſich laſſen
wird.
Diſparoiſſez donc, je Vous prie,
Et que le Ciel par ſa bonté
Comble de joye \& de ſanté
Vôtre defunte Seigneurie.’
X.
[[473]]
X.
Die
Vortreflichkeit,
und
Rohtwendigkeit
der
elenden
Scribenten
gruͤndlich erwieſen
von
Horatius
Dicam inſigne, recens, adhuc
Indictum ore alio . . . .
1736.
[[474]]
Vorbericht.
Jch finde vor noͤthig, meinen Leſern gleich
anfangs zu ſagen, daß ſie in meiner Schrift
lauter neue, und unerhoͤrte Sachen fin-
den werden. Jch ſage dieſes mit aller erſinnlichen
Sittſamkeit, und hofe, meine Leſer werden durch
den Augen-Schein uͤberfuͤhret werden, daß ich nicht
zu viel geredet habe.
Meine Abſicht iſt, die Ehre der ſo genannten elen-
den Scribenten wider ihre Laͤſterer zu retten, und
gruͤndlich zu erweiſen, daß dieſe Art der Schreiber
die vortreflichſte und unentbehrlich ſey. Es iſt die-
ſes ein wichtiges Unternehmen, welches mir unſaͤg-
liche Muͤhe koſten wird.
magnum
Quam ſit, \& anguſtis hunc addere rebus
honorem(1)’
Allein ich kan es unmoͤglich laͤnger uͤber mein Hertz
bringen, eine Art Menſchen huͤlfloß zu laſſen, zu
welcher ich, von Jugend auf, eine zaͤrtliche Nei-
gung bey mir geſpuͤret habe. Mein Hertz hat es
mir immer zugeſaget, daß ich einmahl keine gerin-
ge Figur unter den elenden Scribenten machen wuͤr-
de,
[475](o)
de, und dieſes giebt mir ein unſtreitiges Recht,
mich dieſer geplagten Leute anzunehmen, und die-
ſelbe ſo nachdruͤcklich, als es mir immer moͤglich
iſt, wider ihre Verfolger zu vertheidigen. Vor
mir hat hieran kein Menſch gedacht, und wofern
ich die Welt recht kenne, ſo wird ſich, wenn ich
meinen Mund nicht aufthue, wohl keiner des Scha-
dens Joſephs annehmen.
Man muß geſtehen, man will oder will nicht,
daß es in der Welt gantz verkehrt zugehe. Wenn
irgend ein wahrhaftig guter Scribent von unver-
ſtaͤndigen und neidiſchen Leuten angegriffen wird,
ſo findet ſich gleich ein tapferer Ritter, der vor ei-
nen ſolchen Mann einen Speer bricht: Aber dem
Jammer der elenden Scribenten ſiehet man mit
Lachen zu. Niemand eilet ihnen in ihrer Noth zu
Huͤlfe. Und es iſt doch gewiß, daß die elenden Scri-
benten, eben darum weil ſie elende Scribenten,
und ihre Verdienſte und Vollkommenheiten nicht
ſo ſichtbar ſind, einer Vertheidigung vor andern
beduͤrfen; Hergegen ein unſtreitig guter Scribent
durch ſeine eigene, und in die Sinnen fallende Ver-
dienſte wider den Angrif ſeiner Neider hinlaͤnglich
beſchuͤtzet wird. Solche Leute brauchen keiner
Vertheidigung, und Bayle wuͤrde doch wohl
Bayle bleiben, wenn man gleich einen eigenſinni-
gen Crouſaz, zu ſeiner eigenen Schande, wider ihn
wuͤten lieſſe.
Jndeſſen nimmt man ſich der guten Scriben-
ten an, und ſpottet der elenden, wenn ſie verfol-
get werden. Jch finde darinn keine Billigkeit:
Aber ich wundere mich doch uͤber dieſes unfoͤrm-
liche
[476](o)
liche Betragen der Gelehrten nicht. Jch weiß
dieſe Herren ſind gemaͤchlich; Und es koſtet un-
ſtreitig weit mehr Muͤhe, Dinge zu beweiſen, die
nicht den geringſten Schein der Wahrheit haben,
als gewiſſe und ofenbare Wahrheiten zu behaup-
ten. Es iſt alſo gar natuͤrlich, daß ſich viele fin-
den, die ſich Muͤhe geben, eine ofenbahre Unſchuld
zu vertheidigen; Kein einziger hergegen, der ſich
angelegen ſeyn laſſe, die unſichtbahre Vortreflich-
keit der elenden Scribenten ſichtbar zu machen.
Jenes iſt eine ſchlechte Kunſt; dieſes aber unge-
mein ſchwer.
Was iſt es dann Wunder, daß biß auf den
heutigen Tag noch niemand, zum Beſten der elen-
den Scribenten, die Feder angeſetzet hat? Die gu-
ten Scribenten, die am geſchickteſten dazu waͤren,
werden es nimmer thun. Der Neid laͤſſt es ih-
nen nicht zu. Sie ſind nur gut in Vergleichung
mit den ſchlechten: und alſo erfordert es ihr ei-
gener Vortheil, die elenden Scribenten immer
veraͤchtlicher, und ſich, durch deren Erniedrigung,
groß zu machen. Die elenden Scribenten ſelbſt
legen die Haͤnde in den Schooß, und laſſen alles
uͤber ſich ergehen, ohne einmahl zu muchſen.
Wer kan ihnen dann helfen? Warum ſind ſie
ſo traͤge, ihre eigene Ehre zu retten? Jch ſollte
nicht meinen, daß eine gewiſſe Schamhaftigkeit
ſie abhalte, den Beweiß ihrer Unſchuld und Vor-
treflichkeiten zu unternehmen. Jch geſtehe es iſt
derſelbe ſchwer, und erfordert eine ziemlich harte
Stirn: Allein die elenden Scribenten haben
wohl eher verzweifeltere Dinge unternommen,
ohne
[477](o)
ohne roth zu werden, und Saͤtze behauptet, die
der Vernunft ſchnurſtracks entgegen zu laufen ſchei-
nen. Es waͤre demnach eine unzeitige Bloͤdigkeit,
wenn Leute, die ſo oft die Graͤntzen der Scham-
haftigkeit uͤberſchritten haben, ſich ſchaͤmen wollten,
ſich wider ihre Verfolger zu vertheidigen, bloß dar-
um, weil es unvernuͤnftig und unmoͤglich ſcheinet.
Zum wenigſten ſind ſie, wenn es auf die Ehre ei-
nes jeden unter ihnen inſonderheit ankoͤmmt, ſo le-
cker nicht. Nichts iſt empfindlicher, rachgieriger,
und wuͤtender, als ein elender Scribent. Wie
groß, wie ſichtbahr, und augenſcheinlich der Fehler
auch iſt, den ein ſolcher Menſch begangen hat, ſo
wird er doch hartnaͤckigt vertheidiget, und Vernunft,
Billigkeit und Schamhaftigkeit mit Fuͤſſen getre-
ten. Nur die allgemeine Noth nimmt ſich keiner
zu Hertzen. Soll man ſich der annehmen, ſo iſt
man bloͤde und verzagt. Ein jeder ſorget nur vor ſich,
und daher geht es den elenden Scribenten nicht an-
ders, als den alten Britten, dum ſinguli pu-
gnant univerſi vincuntur(2).
Mir gehet dieſer verwirrte Zuſtand, in wel-
chem ſich meine Bruͤder befinden, ungemein na-
he: Und ich wollte, ich weiß nicht was, dar-
um ſchuldig ſeyn, wenn ich dieſes Uebel heben
koͤnnte. Jch will ſie zu dem Ende hiemit bruͤ-
derlich ermahnet, und bey den Ohren des Midas
beſchworen haben, auf eine genauere Verbindung
bedacht zu ſeyn. So lange wir nicht naͤher zu-
ſammen treten, und mit vereinigten Kraͤften un-
ſern
[478](o)
ſern Laͤſterern widerſtehen, ſo werden wir wohl,
biß ans Ende der Welt, in der Verachtung blei-
ben, worinn wir, durch unſere eigene Nachlaͤſſig-
keit, bey andern Gelehrten gerathen ſind. Es
iſt unmoͤglich, daß auch der elendeſte Scribent
eine ſo ofenbahre Wahrheit in Zweifel ziehen ſol-
te: Aber darum befuͤrchte ich doch, mein wohlge-
meinter Rath werde bey meinen Bruͤdern ſchlechten
Eingang finden. Denn, wofern ich die ſchlechten
Scribenten recht kenne, ſo ſtehen der, von mir
vorgeſchlagenen, genauern Verbindung faſt unuͤ-
berwindliche Schwierigkeiten im Wege. Soll ſie
vor ſich gehen, ſo muß unter den elenden Scri-
benten eine groͤſſere Einigkeit und Vertraulichkeit
eingefuͤhret werden. Wie iſt dieſes aber moͤglich,
ſo lange die elenden Scribenten einander nicht
recht kennen? Ja wie iſt es anzufangen, daß
ſie mit einander bekannt werden? Die elenden
Scribenten ſind zu allen Zeiten die Gegen-Fuͤſſer
der klugen geweſen. Da nun, wie Cicero gar
wohl ſaget, niemand, als ein weiſer Mann, er-
kennen kan, ob ein anderer weiſe ſey: Statue-
re quis ſit ſapiens vel maxime videtur eſſe
ſapientis(3): So folget unwidertreiblich, daß
ein elender Scribent gantz unfaͤhig ſey, ſeine
Bruͤder zu kennen. Jch geſtehe, es giebt elende
Scribenten, die manchmahl gar wohl erkennen,
daß dieſer oder jener ein elender Scribent ſey: Aber
dieſes ſtoͤſſt meinen Schluß nicht um: Genug, daß
ſie, uͤberhaupt zu reden, gantz wunderlich von dem
Werth
[479](o)
Werth der ihnen vorkommenden Schriften urthei-
len, und auch ſelbſt diejenigen, die ſie vor elende
Scribenten halten, nicht vor ihre Bruͤder erken-
nen. Denn dieſes koͤnnen ſie nicht thun, weil ſie
ſich ſelbſt nicht kennen. Nichts iſt gut oder ſchlecht,
als in Vergleichung mit einer andern Sache: Und
die boͤſen Scribenten ſind dem Grade nach, eben
ſo ſehr unterſchieden, als die guten. Es iſt alſo gar
natuͤrlich, daß ein jeder elender Scribent durch den
geringſten Vorzug, den er etwan vor einem andern
zu haben vermeinet, verfuͤhret wird, ſich ſelbſt unter
die guten zu zehlen. Der kleine, und faſt nicht zu
merckende Unterſcheid zwiſchen Philippi, und Ro-
digaſt, giebt dem erſten, wie er glaubt, Recht, zu
dencken, er ſey etwas, und uͤber einen Menſchen zu
lachen, der doch ſein Bruder iſt. Man kan nicht
leugnen, er kan dieſes mit eben dem Fug thun,
als einer, der einen andern in einer tiefen Gru-
be liegen ſiehet, dencken kan, er befinde ſich an
einem erhabenen Ort, ob er gleich nur auf ebener
Erde ſtehet. Und Philippi iſt nicht der eintzige,
der ſo dencket. Seine Bruͤder ſind alle ſo geſinnet.
Es ſcheinet die Natur habe zwiſchen den guten und
elenden Scribenten einen eben ſo mercklichen Unter-
ſcheid gemacht, als zwiſchen dem Menſchen und den
unvernuͤnftigen Thieren.
ram,
„Os homini ſublime dedit, cœlumque tueri
„Juſſit, \& erectos ad ſidera tollere vultus(4).’
Ein
[480](o)
Ein guter Scribent richtet allezeit ſeine Augen nach
dem Gipfel des Parnaſſes. Er bemuͤhet ſich, den-
ſelben zu erſteigen, und ſiehet mehr auf diejenigen,
die vor ihm her klettern, als auf diejenigen, wel-
che noch hinter ihm ſind. Ein elender Scribent
hergegen macht es gantz anders. Sein von Na-
tur ſchwerer Kopf erlaubt ihm nicht, einen Blick
nach den Hoͤhen zu thun, welche die guten Scri-
benten ſich zu erreichen beſtreben. Er ſchauet un-
ter ſich. Und weil er dann in den Suͤmpfen und
Abgruͤnden, mit welchen der Parnaß umgeben
iſt, eine unzaͤhlige Menge elender Creaturen er-
blicket, die unſtreitig noch niedriger ſtehen, als
er; ſo beluſtiget er ſich an dieſem Anblick, und
glaubt, er habe den Gipfel des Parnaſſes wuͤrck-
lich erſtiegen. Es iſt alſo nicht wohl moͤglich, daß
er diejenigen, die er unter ſich in den Tiefen wahr-
nimmt, vor ſeines gleichen halten ſolte. Die ge-
ringſte Kluft, die zwiſchen ihm und ſeinem nech-
ſten Nachbarn befeſtiget iſt, koͤmmt ihm, wegen
der natuͤrlichen Bloͤdigkeit ſeines Geſichts, uner-
meßlich vor, und macht ihn glauben, er ſey un-
endlich uͤber ihn erhaben.
Der Parnaß iſt juſt ſo beſchaffen, als die Leib-
nitziſche Pyramide der moͤglichen Welten (5).
Oberwerts hat er ein Ende, unterwerts nicht.
Folglich muß auch der elendeſte Scribent immer
noch Leute finden, mit denen es noch ſchlechter be-
ſtellet iſt, als mit ihm, und in deren Vergleichung
er Urſache hat, mit ſeinem Zuſtande vergnuͤgt zu
ſeyn. Jch geſtehe, dieſe ſuͤſſe Einbildung iſt der
Grund
[481](o)
Grund der Zufriedenheit, die einem jeden elenden
Scribenten ins beſondere ſein Leyd verſuͤſſet: Allein
ich behaupte, daß ſie dem gemeinen Beſten der
elenden Scribenten nachtheilig iſt, eben darum, weil
dadurch die Bekanntſchaft, die Einigkeit, und
das Vertrauen, welche unter den elenden Scriben-
ten herrſchen muͤſſen, fals ſie ſich ihrer Feinde er-
wehren wollen, gehindert, und geſchwaͤchet werden.
Jch wuͤnſche, daß meine werthen Bruͤder mit
mir erkennen, daß der Unterſcheid, der ſich zwi-
ſchen den elenden Scribenten befindet, nicht weſent-
lich ſey; Daß alle, die dem Gipfel des Parnaſſes
den Ruͤcken zukehren, und in die Tiefe ſchauen, wie
weit ſie auch von einander entfernet ſind, elende
Scribenten, und Bruͤder unter einander ſind;
Daß der Unrath, welchen die guten Scribenten,
die entweder ſchon den Gipfel des Parnaſſes erſtie-
gen haben, oder noch zu erſteigen trachten, zum
Zeit-Vertreib, auf die elenden Scribenten von ih-
rer Hoͤhe herabwerfen, diejenigen der elenden Scri-
benten, welche ihnen die nechſten ſind, ja ſo wohl,
und noch eher treffe, als diejenigen, die noch ſo
weit von ihnen entfernet ſind; und daß folglich ein
jeder elender Scribent verbunden ſey, ſich ſeines
Bruders, und wenn derſelbe gleich hundertmahl
elender iſt, als er, anzunehmen. Alsdann wuͤrde
es um unſere Sachen beſſer ſtehen. Wir wuͤrden
auf die allgemeine Sicherheit mit groͤſſerm Ernſt
bedacht ſeyn, und mit zuſammen geſetzten Kraͤften
unſern Feinden die Spitze bieten. Nichts, als un-
ſere Zaghaftigkeit, und heuchleriſche Verſtellung
hat unſere Feinde bißhero muthig gemacht. Noch
H hhat
[482](o)
hat keiner vor mir das Hertz gehabt, ungeſcheut zu
bekennen, er ſey ein elender Scribent; ſondern alle
meine Bruͤder, von dem vornehmſten an, biß auf
den geringſten, haben allezeit, ſo oft ſie angegrif-
fen worden, hoch betheuret, ſie waͤren gute Scri-
benten; Sie ſind ſo niedertraͤchtig geweſen, daß
ſie die Grund-Saͤtze der guten Scribenten, wider
welche ſie in allen Zeilen ihrer Schriften, offenbar
handeln, wider ihr Gewiſſen, als wahr haben gel-
ten laſſen: Und es iſt alſo kein Wunder, daß man
ſie ſo leicht zu Boden geſchlagen hat.
Jch ſchaͤme mich ſo oft ich daran gedencke, und
hoffe, meine Bruͤder werden, durch mein Bey-
ſpiel aufgemuntert, endlich auf andere Gedancken
kommen. Es iſt einmahl Zeit, daß wir die Lar-
ve abziehen, und uns in unſerm natuͤrlichen We-
ſen zeigen. Wozu nuͤtzet die Verſtellung? War-
um wollen wir ferner, durch eine unmoͤgliche Be-
maͤntelung unſerer Schwachheiten, und durch ei-
ne ſchaͤndliche Heucheley, uns bey unſern Wider-
ſachern noch veraͤchtlicher machen? Unſer Zuſtand
iſt, GOtt Lob! noch nicht ſo verzweifelt, daß wir
Urſache haben ſolten, mit den ungluͤckſeeligen Tro-
janern zu ſagen:
„Mutemus Clypeos, Danaumque inſignia
nobis
„Aptemus . . . . .
. . . .(6).
Was haben wir zu fuͤrchten? Sind wir nicht eben
ſo ſtreitbar, als unſere Feinde? Sind wir ihnen
nicht an Anzahl uͤberlegen?
Vix
[483](o)
bemus(7).’
Jch habe neulich nur ſo ungefehr einen Ueberſchlag
gemacht, und gefunden, daß wir drey viertheil von
der gelehrten Welt ausmachen. Wolte man gar
genau rechnen, ſo wuͤrde noch mehr herauskom-
men. Jch ſcheue mich alſo im geringſten nicht,
den guten Scribenten hiemit oͤfentlich den Krieg
anzukuͤndigen, und meine verfolgte Bruͤder wider
ſie zu vertheidigen. Jch werde ihnen nicht heu-
cheln; ſondern getroſt die Wahrheit ſagen. Jch
werde die Vortreflichkeit der elenden Scribenten in
ein ſo helles Licht ſetzen, daß ſich hinfort, wie ich
glaube, niemand wird geluͤſten laſſen, dieſe unver-
gleichliche Maͤnner zu beſchimpfen. Und die guten
Scribenten werden, fals ſie ſich ſelbſt nicht muth-
willig verblenden wollen, durch meine Schrift uͤber-
zeuget werden, daß nicht wir; ſondern ſie des rech-
ten Weges verfehlen, und daß es eine Thorheit ſey,
mit unſaͤglicher Muͤhe, auf dem rauhen Gipfel ei-
nes unfruchtbahren Berges, dasjenige Vergnugen
zu ſuchen, deſſen wir in den anmuthigen Thaͤlern,
und ſtillen Tiefen, woſelbſt wir unſere Wohnung
aufgeſchlagen haben, ohne alle Arbeit genieſſen.
Die guten Scribenten haben die Gewohnheit,
daß ſie allemahl eine richtige und vollſtaͤn-
dige Beſchreibung von derjenigen Sache
geben, die ſie abhandeln wollen, und aus dieſer
H h 2Beſchrei-
[484](o)
Beſchreibung alsdann die Schluͤſſe machen, die zu
ihrem Zwecke dienlich ſind. Sie wiſſen ſich recht
groß mit dieſem Verfahren, weil ſie glauben, daß,
auf ſolche Art, alle Zweydeutigkeit am beſten vermie-
den werde, und ihre Schriften denjenigen Grad
der Vollkommenheit erlangen, den ſie haben muͤſ-
ſen, wenn man ſie loben ſoll.
Jch will ihnen dieſe angenehme Einbildung ger-
ne laſſen: Aber ich glaube ihr eigen Gewiſſen wird
ihnen ſagen, daß ihre Art zu ſchreiben hoͤchſt muͤh-
ſam ſey, und ſie nicht nur vieler Freyheiten berau-
be; ſondern ihnen auch manche, zur Zeit der An-
fechtung unentbehrliche, Ausflucht beſchneide. Meine
vortrefliche Bruͤder zum wenigſten haben es zu al-
len Zeiten vor eine unertraͤgliche Laſt, und ſchaͤnd-
liche Sclaverey gehalten, daß ein Scribent alle-
mahl verbunden ſeyn ſollte, ſeinen Leſern deutlich zu
ſagen, was er haben wolle: Und ich haͤtte alſo,
wenn ich arg wolte, voͤllige Freyheit, nicht zu ſagen,
was ich durch einen elenden Scribenten verſtehe:
Allein weil ich beſorgen muß, daß unſere Wider-
ſacher daher Anlaß nehmen moͤchten, meine Schrift,
ihrer Gruͤndlichkeit und Vortreflichkeit ungeachtet,
bey der Welt, als ein verworrenes Gewaͤchſe, aus-
zuſchreyen: So will ich mich, dieſes mahl, meines
Rechts begeben, und eine Beſchreibung eines elen-
den Scribenten zum Grunde meiner Abhandlung
legen, mit welcher alle Welt zu frieden ſeyn wird.
Jch bitte aber meine Bruͤder um Vergebung, daß
ich dem loͤblichen Herkommen, welches bey uns ſo
viel gilt, als ein Geſetze, entgegen handele. Sie
koͤnnen glauben, daß ich mich, bloß zu ihrem Be-
ſten
[485](o)
ſten, ſo tief herunter laſſe, und ich verſpreche he[ili]g,
mich, in andern Faͤllen, ſo zu bezeigen, als es ei-
nem elenden Scribenten, von Rechts und Gewohn-
heits wegen, gebuͤhret. Jch ſchreite hierauf, ohne
fernere Weitlaͤuftigkeit, zur Sache ſelbſt.
Wer unter die guten Scribenten gerechnet ſeyn
will, der muß vernuͤnftig, ordentlich, und zierlich
ſchreiben: Jn deſſen Schriften alſo weder Ver-
nunft, noch Ordnung, noch Zierlichkeit anzutref-
fen iſt, der iſt ein elender Scribent.
Jch glaube nicht, daß jemand an dieſer Be-
ſchreibung was auszuſetzen haben wird; Sie muß
nothwendig allen meinen Leſern gefallen, und mich
in ihren Augen zu einem Wunder machen, weil
ich ſo ehrlich bin, und ungeſcheut bekenne, was mei-
ne Bruͤder bißhero ſo muͤhſam haben zu verbergen
geſuchet. Zwar ſehe ich vorher, daß unſere Ver-
folger uͤber meine Aufrichtigkeit lachen, und ſich ein-
bilden werden, es ſey unmoͤglich, nach einer ſo offen-
hertzigen Bekaͤnntniß, das geringſte zur Vertheidi-
gung der elenden Scribenten vorzubringen: Allein
ich bin auch verſichert, daß ihnen die Luſt zu lachen
wohl vergehen wird, wenn ich ihnen deutlich be-
weiſen werde, daß eben die Maͤngel, welche ſie den
elenden Scribenten vorwerfen, und welche ich nicht
zu leugnen begehre, meine Bruͤder, und mich, vor-
treflich, und unentberlich machen. Dieſer Be-
weiß wird ihnen durch die Seele gehen, und ihres
Spottens und Laͤſterns ein Ende machen. Zu dem
End nehme ich alles, was ſie uns, auch in der groͤ-
ſten Hitze ihres Eyfers, vorwerfen koͤnnen, vor wahr
und ausgemacht an.
H h 3Jch
[486](o)
Jch bekenne aufrichtig, daß die elenden Scriben-
ten ohne Vernunft ſchreiben. Dieſes iſt das ſchwe-
re Gebrechen, welches uns in den Augen unſerer
Feinde ſo laͤcherlich und veraͤchtlich macht. Aber
eben das Geſchrey, ſo die Veraͤchter elender Schrif-
ten daruͤber erregen, daß die elenden Scribenten
ihre Vernunft nicht gebrauchen, beweiſet die Un-
billigkeit dieſer Leute. Jch bitte meine Leſer, un-
partheyiſch zu urtheilen, ob es billig ſey, uns elen-
de Scribenten um eines Fehlers willen auszuhoͤh-
nen, den wir nicht nur mit unſern Feinden; ſon-
der mit dem gantzen menſchlichen Geſchlechte, ge-
mein haben? Laſſen ſich die Menſchen in ihren Hand-
lungen wohl von der Vernunft regieren? Folgen
ſie nicht allemahl den thoͤrigten Begierden ihres
Hertzens? Sie wollen gluͤcklich ſeyn: Sie wollen
vergnuͤgt und lange leben: Sie wiſſen auch gar
wohl, wie ſie es anfangen muͤſſen, wenn ſie dieſen
Zweck erlangen wollen. Aber dennoch machen ſie
ſich vorſetzlich ſelbſt ungluͤcklich, verkuͤrtzen ihr Le-
ben, und ſind ihnen ſelbſt die fruchtbarſte Quelle
alles Mißvergnuͤgens, welches ihnen daſſelbe ſaur
machet. Man kan alſo, ohne Verletzung der
Wahrheit, ſagen, daß die Menſchen ihre Ver-
nunft nicht gebrauchen. Dieſes iſt ein Satz, den
die Thorheiten, die Eitelkeiten, die Laſter, und der
Aberglaube, worinn das menſchliche Geſchlecht
verfallen iſt, hinlaͤnglich beweiſen. Die Schrif-
ten der Geſchicht-Schreiber, Poeten, und Welt-
Weiſen, ſind voll von Klagen uͤber dieſes Verder-
ben: Und man hat ſchon lange angemercket, daß,
wer recht vernuͤnftig handeln wolle, gerade das Ge-
gentheil
[487](o)
gentheil von demjenigen thun muͤſſe, was der groͤ-
ſte Haufe vornimmt. Der Vorſchlag iſt gegruͤn-
det; Aber es haben ſich doch zu allen Zeiten weni-
ge gefunden, die Luſt gehabt haͤtten, demſelben zu
folgen. Jch wundere mich daruͤber eben nicht;
Denn es wird dazu ein Eigenſinn erfordert, den
wenig Leute haben. Man muß ſehr wunderlich
ſeyn, und eine unertraͤgliche Einbildung von ſich ſelbſt
haben, wenn man ſich der gantzen Welt entgegen
ſetzen, und ſich bereden will, man ſey alleine klug,
und der Reſt des menſchlichen Geſchlechts raſe.
Wie kan man es alſo den elenden Scribenten
verargen, daß ſie ihre Vernunft nicht gebrauchen?
Sie koͤnnen es nicht thun, ohne die Ehrerbietung zu
verletzen, die man den groͤſten Haufen ſchuldig.
Jch wolte nichts ſagen, wenn die Vernunft im
menſchlichen Leben unentbehrlich waͤre: Aber ſo
ſehe ich nicht, wozu ſie nuͤtze.
Es iſt gar zu bekannt, daß die Weißheit, wodurch
die Welt regieret wird, ſehr geringe ſey. Parva
eſt ſapientia, qua regitur mundus. Es
koͤmmt alles auf die Vorſehung an. Wir ſehen,
daß die kluͤgſten Anſchlaͤge oft zuruͤcke gehen; un-
vernuͤnftige hergegen einen guten Fortgang haben,
zum deutlichen Beweiß, daß es wahr ſey, was der
Prediger ſagt: “Daß zum Laufen nicht hilft ſchnell„
ſeyn, zum Streit hilft nicht ſtarck ſeyn, zur Nah-„
rung hilft nicht geſchickt ſeyn, zum Reichthum hilft„
nicht klug ſeyn. Daß einer angenehm ſey, hilft„
nicht, daß er ein Ding wohl koͤnne, ſondern alles„
liegt es an der Zeit und Gluͤck (8).” Die taͤgli-
H h 4che
[488](o)
che Erfahrung kan auch einen jeden uͤberfuͤhren,
daß auch die wichtigſten Geſchaͤfte in der menſchli-
chen Geſellſchaft, ohne Vernunft verrichtet wer-
den koͤnnen. Salomon ſagt (9); daß der Unver-
ſtand unter den Gewaltigen ſehr gemein ſey, und
von ihren vornehmſten Bedienten ſpricht ein heid-
niſcher Poet:
„Rarus ... ferme ſenſus communis in
illa
„Fortuna . . . . . . . . . .
(10).
Dieſe Regel hat unſtreitig ihre Ausnahme: Aber
ſo viel iſt doch gewiß, daß nicht allemahl die kluͤg-
ſten am Ruder ſitzen. Wir ſind ſo gut, und
glauben es. Jhre Gewalt, die aͤuſſerliche Pracht,
und die ernſthaften und gravitaͤtiſchen Gebaͤrden,
wodurch ſie ſich ein Anſehen machen, pregen uns
eine beſondere Ehrerbietung ein, und verfuͤhren
uns, ſie vor weiſe zu halten, weil ſie groß ſind; Solten
wir aber dieſe Herren genauer kennen, ſo wuͤrden
wir inne werden, daß ihre Klugheit an dem gluͤck-
lichen Ausgang ihrer friedlichen und kriegeriſchen
Verrichtungen den geringſten Antheil habe, und
derſelbe guten theils dem Gluͤcke zuzuſchreiben ſey.
Es gereichet dieſes den Groſſen dieſer Welt ſo we-
nig zur Schande, daß man vielmehr daraus ihr
Vertrauen auf GOtt abnehmen, und es als den
einzigen Beweiß ihres Chriſtenthums anſehen kan.
Koͤnnen nun die Regenten, in Krieg- und Frie-
dens-
[489](o)
dens-Zeiten, ihr Amt ohne Vernunft, mit Ruhm,
fuͤhren, ſo koͤnnen es die Gottes-Gelehrten noch
weit fuͤglicher thun; weil ſie berufen ſind, die Welt
durch thoͤrigte Predigten ſeelig zu machen. Sie
haben mit Geheimniſſen zu thun, darinn ſich die
Vernunft nicht miſchen muß, und predigen einen
Glauben, dem dieſelbe, ohne Ausnahme, zu ge-
horchen verbunden iſt. Die Rechts-Gelehrte und
Advocaten gruͤnden ſich auf willkuͤhrliche Geſetze, und
einen hoͤchſtunvernuͤnftigen Schlendrian: Sie brau-
chen alſo der Vernunft ſo wenig, als die Aertzte,
die es in ihrer Kunſt gemeiniglich auf eine zweifel-
hafte Erfahrung, und auf ein ungewiſſes Gluͤck
ankommen laſſen, Urin beſehen, Recepte verſchrei-
ben, und zu frieden ſind, wenn ſie ihre Patienten,
canonicamente, e con tutti gli ordini(11) zur
Ruhe bringen. Die Welt-Weiſen ſcheinen der
Vernunft mehr benoͤthiget zu ſeyn: Allein ſie ha-
ben ſich, ohne Nachtheil ihrer Ehre, derſelben doch
allemahl wenig bedienet. Cicero ſagte ſchon zu ſei-
ner Zeit, es ſey keine Thorheit zu erdencken, die
nicht einer von denen Welt-Weiſen behauptet ha-
be (12): und heutiges Tages, da wir ſo ſchoͤne
Compendia Philoſophiæ haben, muͤſte einer ein
Narre ſeyn, wenn er ohne Noth ſeine Vernunft
abnutzen wolte. Hat er nur ſo viel Gedaͤchtniß,
daß er eines dieſer heilſamen Buͤcher auswendig
H h 5lernen
[490](o)
lernen kan, und Mauls genug, wieder her zu be-
ten, was er gelernet hat, ſo iſt er geborgen.
Da man nun ohne Vernunft gantze Voͤlcker
regieren, Laͤnder erobern, Schlachten gewinnen,
Seelen bekehren, Rechts-Haͤndel entſcheiden, Pil-
len drechſeln, Recepte verſchreiben, und ein Welt-
Weiſer ſeyn kan, ſo moͤchte ich wohl wiſſen, war-
um es dann nicht erlaubt ſeyn ſolte, ohne Ver-
nunft ein Buch zu ſchreiben? Es waͤre viel, wenn
die Vernunft zu einer Sache von ſo weniger Wich-
tigkeit unentbehrlich ſeyn ſolte, da man doch ohne
dieſelbe die groͤſten Thaten verrichten kan. Jch glau-
be es nicht, und halte es vor eine Himmel-ſchreyen-
de Unbilligkeit, daß man uns elenden Scribenten
eine Laſt auflegen will, die niemand mit einem Fin-
ger anzuruͤhren Luſt hat.
Wenn unſere Feinde es redlich mit der Ver-
nunft meinten, ſo wuͤrden ſie, ohne Unterſcheid,
wider alle diejenigen eyfern, welche ſich durch ihre
Thaten, als Veraͤchter derſelben bezeigen, und
nicht bloß uns arme Leute aus der unzaͤhligen Men-
ge dieſer Veraͤchter auskippen, um an uns ihren
Eyfer auszulaſſen. Allein ſo hat alle Welt die Frey-
heit, die Vernunft ſo geringe zu achten, als es ihr
beliebt; nur uns will man es nicht vergoͤnnen. Un-
vernuͤnftige Thaten laͤſſet man ungeahndet hinge-
hen; Aber eine unvernuͤnftige Schrift zu machen,
iſt eine unvergebliche Miſſethat. Auf eine ſolche
Schrift ſind alle Pfeile der guten Scribenten ge-
richtet, die ſich doch ſonſt, wie die Erfahrung leh-
ret, eben kein Gewiſſen machen, die Vernunft,
vor deren Ehre ſie eyfern, in ihrem Leben und Wan-
del
[491](o)
del aufs groͤbſte zu verletzen. Wo dieſes nicht
Muͤcken ſeigen, und Cameele verſchlucken iſt, ſo
weiß ichs nicht.
Jndeſſen haben wir eben nicht Urſache, uns uͤber
dieſe Unbilligkeit zu betruͤben. Denn eben dieſes
widerſinnige Betragen unſerer Feinde muß zu un-
ſerer Rechtfertigung dienen. Sie geben eines theils
dadurch zu erkennen, daß es nicht allemahl noͤthig
ſey, ſeine Vernunft zu gebrauchen, und koͤnnen al-
ſo unmoͤglich eine gute Urſache anfuͤhren, warum ſie
es von uns, als eine unumgaͤngliche Nothwendig-
keit, fordern: Und andern theils kan man daraus,
daß ſie zu Thorheiten von anderer Gattung, als
die unſern, ſtill ſchweigen, und, bey Gelegenheit,
dieſelbe mit machen, deutlich abnehmen, daß ihr ei-
gen Gewiſſen ihnen ſage, wie ſchaͤdlich es ſey, der
Vernunft in allen Stuͤcken zu folgen.
Einer, der das Ungluͤck hat, ſo weit zu verfal-
len, beraubet ſich ſelbſt alles Vergnuͤgens, deſſen
ein Menſch hier auf Erden genieſſen. kan. Denn
die tiefe Einſicht, welche er, durch einen unmaͤſſigen
Gebrauch ſeiner Vernunft, in den wahren Werth
aller irrdiſchen Dinge bekoͤmmt, benimmt ihm ge-
wiſſe Vorurtheile, ohne welche man nicht gluͤcklich
ſeyn kan. Montaigne ſagt (13): Une âme garan-“
tie de prejugé, a un merveilleux advancement„
vers la tranquillité;” und daher ſehen wir auch,
daß der Poͤbel, der ſich begnuͤget, alles nur von auſ-
ſen anzuſehen, mit dem gemeinen Lauf der Welt zu
frieden iſt, und die Muͤhſeeligkeit des menſchlichen
Lebens,
[492](o)
Lebens, woruͤber die Vernuͤnftler ſo hertzbrechend
ſeufzen, kaum empfindet. Zu dieſer gluͤcklichen
Zufriedenheit kan ein Menſch, der ſeiner Vernunft
Gehoͤr giebt, nicht gelangen. Die Eitelkeiten und
Thorheiten der Welt muͤſſen ihm nothwendig Ver-
druß und Eckel erwecken. Alle Ehre, aller Vor-
theil und alles Vergnuͤgen, ſo die Welt geben kan,
iſt in ſeinen Augen gar zu veraͤchtlich, als daß er
darnach trachten ſollte. Er ſpricht: Die Welt
vergeht mit ihrer Luſt. Die gantze Ordnung der
Natur iſt ihm zuwider. Er tadelt dieſelbe, und
zweifelt, ob die Natur muͤtterlich, oder als eine
Stief-Mutter mit uns gehandelt habe, parens me-
lior homini, an triſtior noverca fuerit(14)? Ja
ſeine Schwermuth und Verzweifelung ſteiget biß-
weilen ſo hoch, daß er behauptet; das beſte ſey,
gar nicht gebohren werden, oder doch bald wieder
ſterben (15).
Alle dieſe traurige Gedancken ruͤhren aus dem
Gebrauch der Vernunft her. Wie kann aber mit
dieſen Einfaͤllen die Gluͤckſeeligkeit beſtehen, nach
welcher alle Menſchen trachten? Mich deucht, die-
jenigen, die ein gluͤcklicher Mangel von Nachden-
cken vor ſolchen ſchwermuͤthigen Grillen ſichert, ha-
ben nicht Urſache, Leute zu beneiden, die mit einer
ſo verdrießlichen Weißheit begabet ſind.
Jch verlange zum wenigſten nicht an ihrer Stel-
le zu ſeyn; was ſie auch von ihrer Gluͤckſeeligkeit
ſchwatzen. Denn das Mittel, wodurch ſie gluͤck-
lich
[493](o)
lich werden wollen, iſt im hoͤchſten Grad laͤcherlich
Sie ſagen, man koͤnne nicht fuͤglicher und eher zur
Gemuͤhts-Ruhe, oder zu einer beſtaͤndigen Zufrie-
denheit gelangen, als wenn man ſich bemuͤhe, ſeine
Begierden einzuſchraͤncken, und zu daͤmpfen. Aber
koͤmmt dieſer Vorſchlag wohl viel kluger heraus,
als wenn ich einem, der Kopf-Schmertzen hat, ra-
then wollte, er ſolle ſich den Kopf abhauen laſſen?
Und koͤnnte man wohl beſſer von der Schaͤdlichkeit
der Vernunft uͤberfuͤhret werden, als wenn man
ſiehet, was ſie vor verzweifelte Lehren giebt?
Jch bitte meine Leſer, ſich mit mir das Elend,
und die Verwirrung vorzuſtellen, die nothwendig
erfolgen wuͤrden, wenn die Begierden gedaͤmpfet
waͤren, und die Vernunft freye Haͤnde haͤtte. Das
gantze menſchliche Geſchlecht wuͤrde dadurch in ei-
ne Art von Schlafſucht verfallen. Jch geſtehe, es
unterbliebe alsdann viel boͤſes: Allein es wuͤrde
auch wenig gutes ausgerichtet werden: Weil man
gar nichts thun wuͤrde. Si la raiſon dominoit ſur„
la terre, ſagt einer von unſern aͤrgſten Feinden,„
il ne s’y paſſeroit rien. On dit que les Pilotes„
craignent au dernier point ces mers pacifiques,„
où l’on ne peut naviger, \&qu’ils veulent du vent,„
au hazard d’avoir des tempêtes. Les paſſions„
ſont chez les hommes les vents qui ſont neces-„
ſaires pour mettre tout en mouvement, quoi-„
qu’ils cauſent ſouvent des orages(16).
Der Endzweck aller menſchlichen Handlungen
iſt Ehre, Vortheil und Luſt. Wenn der Menſch
ohne Ehrgeitz, Geldgeitz, und Wolluſt waͤre, ſo
wuͤrde
[494](o)
wuͤrde er ſtille ſitzen, und die Haͤnde in den Schooß
legen. Jch begreife alſo nicht, wie es moͤglich ſey,
daß kluge Leute ſich ſo groſſe Vortheile von dem
Siege der Vernunft uͤber die Afecten verſprechen
koͤnnen; da es doch ſo ofenbahr iſt: daß ohne die
Afecten nicht eine tugendhafte That verrichtet wer-
den kan? Montaigne nennet ſie mit Recht: des pi-
queures \& ſollicitations acheminans l’ame aux
actions vertueuſes(17), und ſcheuet ſich nicht, zu
behaupten, daß eben die Unordnung, welche die
Afecten in unſerm Verſtande anrichten, uns tugend-
haft mache. Par la dislocation que les paſſions ap-
portent à noſtre raiſon, nous devenons vertueux
(18).
Jch moͤchte wohl wiſſen, ob ſich, wenn die Be-
gierde nach Ehre und Reichthum von der Ver-
nunft unterdruͤcket, und gaͤntzlich aus der Men-
ſchen Hertzen ausgerottet waͤre, jemand finden
wuͤrde, der Luſt haͤtte, vor das Beſte des Staats,
und der Kirche zu wachen? Ob wohl jemand ſo
treuhertzig ſeyn wuͤrde, daß er ſein Leben vor ſein
Vaterland wagte? Ja ob wohl, welches zur Be-
ſchaͤmung unſerer Feinde das meiſte thut, die gu-
ten Scribenten ſich die Muͤhe geben wuͤrden, die
Welt durch ihre herrlichen Schriften zu erbauen?
Jch glaube es nicht, und bin, was die guten Scri-
benten inſonderheit anlanget, feſte verſichert, daß
ſie, wenn die Hofnung des Lobes ſie nicht zum
Schreiben reitzte, Zahnſtoͤcher aus ihren Federn
machen
[495](o)
machen, und wir nimmer das Vergnuͤgen haben
wuͤrden, eine Zeile von ihnen zu ſehen.
Und dennoch ſchaͤmen dieſe Leute ſich nicht, von
uns zu verlangen, daß wir die Vernunft gebrau-
chen ſollen, die ſie ſelbſt, ſo oft ſie ſchreiben, aus
den Augen ſetzen muͤſſen, die alle Tugend aufhe-
bet, allen tapfern, und zum Beſten des Staats,
und der Kirche noͤthigen Unternehmungen entgegen,
und gar ſo ſchaͤdlich iſt, daß man, ohne Gefahr zu
irren, ſagen kan, ſie wuͤrde, wenn ſie einmahl
uͤber die Afecten die Oberhand bekommen ſolte, die
allergefaͤhrlichſte Veraͤnderung, ſo jemahls in der
Welt geſchehen iſt, verurſachen, und das unterſte
zu oberſt kehren. Denn wenn die Menſchen ſich
nicht mehr von ihren Afecten regieren lieſſen, ſon-
dern bloß der Vernunft folgten, ſo waͤre es um die
Thorheiten geſchehen, denen wir eintzig und allein
unſere Verfaſſungen, und gute Ordnungen zu dan-
cken haben. So bald ein jeder ungezwungen thut,
was er zu thun ſchuldig iſt, und freywillig, wie es
die Vernunft erfordert, die Regeln der Gerechtig-
keit, der Ehrbarkeit, und des Wohlſtandes beob-
achtet, braucht man weder Strafe, noch Beloh-
nung, noch Ermahnung; folglich weder Regenten
noch Lehrer. Ein allgemeiner, und immerwaͤh-
render Gebrauch der Vernunft fuͤhrt einen beſtaͤn-
digen Frieden mit ſich und ſchlieſſet allen Krieg, al-
len Streit, und alle Uneinigkeit aus. Man braucht
alſo weder Soldaten, noch Richter, noch Advo-
caten. Faͤllt die Begierde nach Reichthum weg,
ſo liegt aller Handel und Wandel: Und wie viele
Menſchen ſind nicht in der Welt, die ſich bloß von
der
[496](o)
der Wolluſt, und dem thoͤrigten Hochmuth ande-
rer naͤhren? Alle dieſe ehrlichen Leute wuͤrden aber
an den Bettelſtab kommen, wenn das menſchli-
che Geſchlecht klug werden, und der Vernunft zu
folgen anfangen ſolte.
Mich deucht, es erhellet hieraus deutlich, daß
keine Republick bey dem Gebrauch der Vernunft
beſtehen koͤnne, und daß eine gaͤntzliche Daͤmpfung
der Affecten und Ablegung der Thorheit den Un-
terſcheid zwiſchen Obrigkeit und Unterthanen auf-
hebe, und alle Staͤnde der buͤrgerlichen Geſellſchaft
zu Grunde richte. Was ſoll man alſo von ſolchen
Leuten dencken, die ſo ſehr auf den Gebrauch der
Vernunft dringen? Laͤſt es doch nicht anders als
wenn ihnen alle Ordnung, und alle gute Verfaſſun-
gen zuwider ſind. Wolte man ihnen Gehoͤr geben,
und ſie rathen laſſen, ſo wuͤrden ſie uns in kurtzen
zu vollſtaͤndigen Hottentotten machen.
Jch ſage dieſes nicht um unſere Feinde, die gu-
ten Scribenten, in uͤbeln Ruf zu bringen, und ſie
als gefaͤhrliche und dem gemeinen Weſen ſchaͤdliche
Leute vorzuſtellen. Was ſie mir auch vor Bloͤſſe
geben, ſo ſey es doch ferne von mir, daß ich das
Unrecht, welches ſie uns elenden Scribenten zufuͤ-
gen, auf eine ſo grauſame Art raͤchen ſolte. Jch
bin gewiß von ihnen verſichert, daß ſie ſo boͤſe Ab-
ſichten nicht haben, und glaube, daß ſie vor den
entſetzlichen Folgen ihrer Lehre ſelbſt erſchrecken.
Sie wuͤrden am allerwenigſten ihre Rechnung da-
bey finden, wenn wir uns entſchlieſſen ſolten, un-
ſere Thorheiten abzulegen, und Hottentotten zu
werden. Denn die Hottentotten ſchreiben nicht, und
leſen
[497](o)
leſen keine Buͤcher, ſie moͤgen auch ſo gut geſchrieben
ſeyn, als ſie wollen. Und man koͤnnte alſo den guten
Scribenten keinen aͤrgern Poſſen thun, als wenn
man, wie ſie es haben wollen, die Vernunft aufs
hoͤchſte triebe. Jch glaube nicht, daß ſie dieſes
Ungluͤck jemahls erleben werden: Denn was man
auch von dem menſchlichen Geſchlecht ſagt, ſo ha-
be ich doch eine viel zu gute Meinung von demſel-
ben, als daß ich glauben ſolte, es werde ſo einfaͤl-
tig ſeyn, und ſich entſchlieſſen, klug zu werden, und
die Thorheiten abzulegen, bey denen es ſich alle-
mahl ſo wohl befunden hat. Wenn demnach auch
die Abſichten der guten Scribenten noch ſo boͤſe waͤ-
ren, ſo haͤtte man doch keine Urſache dawider zu
eyfern; weil nicht zu beſorgen iſt, daß die Welt ih-
rem verfuͤhriſchen Geſchwaͤtze Gehoͤr geben werden.
Meine Widerſacher koͤnnen alſo glauben, daß
alles, was ich bißher wider ſie geſchrieben habe,
nicht auf ihre Verunglimpfung ziele. Jch bin
zu frieden, wenn meine Leſer nur erkennen,
daß die Vernunft ſchaͤdlich ſey. Jch habe
dieſes, deucht mich klaͤrlich erwieſen, und getraue
es mir gegen unſere Feinde zu behaupten, wenn
ich auch gleich zugaͤbe, daß die buͤrgerliche Geſell-
ſchaft durch einen unmaͤſſigen Gebrauch der Ver-
nunft nicht aufgehoben werde. Denn es bleibt
doch allemahl gewiß, daß die Vernunft eine Ei-
genſchaft iſt, die einen Menſchen ſehr ungeſchickt
macht, ein Glied der buͤrgerlichen Geſellſchaft, und
der wahren Kirche zu ſeyn.
Ein Buͤrger muß gehorchen, und ein Chriſt
muß glauben. Wer ſeiner Vernunft nachhaͤnget,
J ider
[498](o)
der taugt zu beyden nicht. “Gens qui jugent,
„ſagt Montaigne (19), \& contre rollent leurs
„juges, ne s’y ſoûmettent jamais deuëment.
„Combien \& aux loix de la Religion, \& aux loix
„politiques, ſe trouvent plus dociles, \& aiſés à
„mener, les eſprits ſimples \& incurieux, que
„ces eſprits ſurveillans, \& pedagogues des cau-
„ſes divines \& humaines? Wie viel boͤſes kan
alſo die Vernunft in dem Staat, und der Kirche
nicht ſtiften? Wer uͤber die Befehle der Obrigkeit
gruͤbelt, und ſie vor dem Richter-Stuhl ſeiner
Vernunft ſtellet, muß ſie nothwendig ſchlecht
beobachten, wenn ſie ihm unvernuͤnftig ſcheinen.
Daher entſtehet dann ein Ungehorſam, und eine Wi-
derſpenſtigkeit gegen die Obrigkeit, die endlich zu
einer ofenbaren Rebellion ausſchlagen, und einen
gantzen Staat umkehren kan. Man kan alſo ſa-
gen, daß die Vernunft die eintzige Quelle aller Re-
bellionen ſey, und noch iſt kein Rebelle geweſen,
der nicht ſeinen Aufſtand dadurch zu beſchoͤnigen
geſuchet haͤtte, daß die Befehle ſeiner Obern unge-
recht, und folglich unvernuͤnftig waͤren.
Wer ſich zu klug duͤncket, ſeinen geiſtlichen Fuͤh-
rern einfaͤltiglich und blindlings zu folgen, der iſt
nicht geſchickt zum Reiche GOttes, geraͤth auf Jrr-
Wege, und verfaͤllt endlich in das abſcheuliche La-
ſter der Ketzerey: Und geſetzt, er verfaͤllt ſo weit
nicht, ſo iſt doch auch der geringſte Widerſpruch
einem Geiſtlichen verdrießlich: denn da dieſe ehr-
wuͤrdigen Perſonen von der Wahrheit ihrer Leh-
ren,
[499](o)
ren, und der Aufrichtigkeit, und Unſchuld ihrer
Abſichten uͤberzeuget ſind, ſo muß es ſie nothwen-
dig ſchmertzen, wenn man ſie mit vernuͤnftigen
Einwuͤrfen aͤngſtiget, und alles, was ſie ſagen,
meiſtert; Die Vernuͤnftler thun dieſes. Wie
uͤbel wuͤrden alſo unſere Lehrer nicht dran ſeyn,
wenn alle ihre Zuhoͤrer ihrer Vernunft zu vielen
Willen lieſſen? Sie wuͤrden mit Furcht und Zit-
tern die Cantzel betreten, und ihr Amt mit Seufzen
thun; welches uns doch nicht gut iſt.
Nicht allein aber die Geiſtlichen wuͤrden bey ei-
nem allgemeinen Gebrauch der Vernunft uͤbel fah-
ren; ſondern es wuͤrden auch andere Profeßionen
ihre Rechnung nicht dabey finden. Man bedencke
nur z. E. ob, wenn die Menſchen ihre Vernunft
allemahl zu Rathe zoͤgen, die Richter und Advoca-
ten wohl das liebe Brod haben wuͤrden? Ein jeder
wuͤrde lieber einen geringen Schaden leiden, und
ſich mit ſeinem Widerſacher in der Guͤte vertragen,
als ſich in einen langwierigen Proceß einlaſſen, der,
wie es die Erfahrung lehret, allemahl zum Verder-
ben beyder Partheyen gereichet.
Waͤren die Leute klug, ſo wuͤrden die Aertzte
ſchmal beiſſen muͤſſen.
„Si tout le monde avoit l’eſprit de ſe
conduire
„Remede \& Medecin ſeroit peu de ſaiſon
(20).
Ein Krancker wuͤrde ſeine Natur walten laſſen, und
mit Mſr. de Freſny(21) ſprechen: “Quand un„
J i 2ma-„
[500](o)
„malade laiſſe tout faire à la nature, il hazarde
„beaucoup: quand il laiſſe tout faire aux me-
„decins, il hazarde beaucoup auſſi: Mais ha-
„zard pour hazard, j’aimerois mieux me confier
„à la nature, car au moins on eſt ſûr, qu’elle agit
„de bonne foi, comme elle peut, \& qu’elle ne
„trouve pas ſon compte à faire durer les maladies.
Dieſe Gedancken ſind vernuͤnftig: aber wuͤrden
nicht die Aertzte, wenn alle Leute ſo daͤchten, ihren
Patienten, die ſie vorangeſchicket haben, in kurtzer
Zeit, vor Hunger, in jene Welt folgen muͤſſen?
Jch uͤberlaſſe meinen Leſern vor ſich ſelbſt nach-
zudencken, was andere Handthierungen, die ich
hier, Weitlaͤuftigkeit zu vermeiden, mit Still-
ſchweigen uͤbergehe, vor Vortheil von dem Ge-
brauch der Vernunft zu hofen haben? Und frage
nunmehr unſere Verfolger, ob der Mangel der Ver-
nunft, den ſie in unſern Schriften wahrnehmen, ein
ſolcher Haupt-Mangel ſey, daß wir desfalls ver-
dienten, ausgeziſchet zu werden? Und ob es nicht
vielmehr an uns zu loben ſey, daß wir eine Kraft der
menſchlichen Seele, die im gemeinen Leben nichts
nuͤtzet, in dem Staat, und in der Kirche ſo vielen
Unfug anrichtet, und alle gute Ordnungen und
Verfaſſungen aufhebet, ſo viel an uns iſt, zu un-
terdruͤcken bemuͤhet ſind? Laͤßt es ihnen ihre Hart-
naͤckigkeit, und eingebildete Weißheit nicht zu,
dieſe Frage ſo zu beantworten, als es die Wich-
tigkeit der Gruͤnde, mit welchen ich das Verfah-
ren meiner Bruͤder gerechtfertiget habe, zu erfor-
dern ſcheinet; So hofe ich doch, ſie werden ſich
eines beſſern beſinnen, wenn ich ihnen vorſtelle,
daß
[501](o)
daß wir elende Scribenten, wenn man unſere Schrif-
ten recht anſiehet, nichts mehr thun, als daß wir
einfaͤltiglich dem guten Rath folgen, den einige der
guten Scribenten, ſchon vor langer Zeit, der Welt
gegeben haben.
Einer der beſten Scribenten, den ich, zu Be-
ſchaͤmung meiner Widerſacher, ſchon oͤfters ange-
fuͤhret habe, ſagt ausdruͤcklich: Die Vernunft ſelbſt
erfordere, daß man dem menſchlichen Verſtande
ſo enge Graͤntzen ſetze, als nur immer moͤglich iſt.
nieres les plus contraintes qu’on peut(22).’
Er will, daß man dieſes auch in Anſehung der
Wiſſenſchaften, und folglich auch der Schriften
thun ſoll, in welchen man die Wiſſenſchaften vor-
traͤgt. “En l’eſtude, faͤhrt er fort, comme au„
reſte il lui faut compter \& regler les marches,„
il lui faut tailler par art les limites de ſa chaſſe„
(23). Ja er bekennet aufrichtig, daß die Vernunft
ein gefaͤhrliches Werckzeug in der Hand desjeni-
gen ſey, der ſich derſelben nicht mit Vernunft, das
iſt, ordentlich, und maͤßig zu gebrauchen weiß. „C’eſt„
un outrageux glaive à ſon poſſeſſeur mesme„
que l’ eſprit, à qui ne ſçait s’en armer ordonne-„
ment \& diſcretement(24).„ Und raͤth dahero,
man ſolle ſie, ſo viel als immer moͤglich iſt, im
Zaum halten. “Et n’y a, faͤhrt er fort, point de„
beſte, à qui il faille plus juſtement donner des„
orbieres pour tenir ſa veuë ſujette, \& contrain-„
J i 3te
[502](o)
„te devant ſes pas, \& la garder d’ extravaguer
„ny ca ny la, hors les ornieres que l’uſage \& les
„loix luy tracent(25).”
So wollen es unſere Feinde ſelbſt haben: So
machen wirs; Und machen es ihnen doch nicht recht.
Wir muͤſten aber ſehr einfaͤltig ſeyn, wenn wir, da
numehro ihr Eigenſinn, und ihr Unbilligkeit ſo klar
am Tage lieget, uns groß bekuͤmmern wollten, ob
ihnen unſere Auſfuͤhrung gefalle oder nicht. Laß
ſie ſagen, was ſie wollen. Wir koͤnnen mit dem
Zeugniß unſers Gewiſſens zu frieden ſeyn, welches
uns ſaget, daß wir auf dem rechten Wege ſind.
Und wie koͤnnte man auch ſicherer gehen, als wenn
man denen folget, die ihr Amt verbindet, vor die
Seelen zu ſorgen, und die alſo am geſchickteſten
ſind von den Kraͤften der Seele zu urtheilen, und
uns Regeln zu geben, wie dieſelben ohne Gefahr
gebrauchet werden koͤnnen? Dieſe Seelſorger nun
ſehen die Vernunft, eben wie Montaigne, als ein
wildes, unbaͤndiges, reiſſendes und gefaͤhrliches Thier
an, dem man Zaum und Gebiß ins Maul legen
muß, und mit welchem nicht auszukommen iſt, wo-
fern es nicht an einer ſtarcken Kette geſchloſſen wird.
Es iſt wahr, ſie ſind uͤber die Laͤnge dieſer Kette
ſehr uneinig: Allein darinn ſtimmen ſie doch alle
uͤberein, daß die Vernunft angeſchloſſen ſeyn muͤſſe.
Nur mit dieſem Unterſcheid.
Einige wollen, die Kette muͤſſe fein lang ſeyn,
damit die Vernunft, bey einer maͤßigen Freyheit,
ihre Bande deſto gedultiger trage. “Ein Ketten-
Hund,
[503](o)
Hund, ſprechen ſie, der gar zu kurtz angebunden„
iſt, giebt ſich ſo leicht nicht zu frieden, als einer,„
dem die Laͤnge der Kette, an welcher er liegt, die„
Freyheit laͤſſet, herumzugehen, und ſeine Gefan-„
genſchaft ertraͤglich macht. Er ſtellet ſich unge-„
baͤrdig, heult, ſchreyt, ſpringt, bemuͤhet ſich die„
Kette zu zerreiſſen, und haͤlt uͤbel Hauß, wenn er„
loß koͤmmt. Mit der Vernunft iſt es eben ſo,„
und hat man Exempel, daß ſie, wann man ſie„
gar zu kurtz gebunden gehabt, ihre Feſſel zerbrochen,„
alles, was ihr vorgekommen, niedergeriſſen hat,„
und ſo unbaͤndig geworden iſt, daß man ſie hernach„
nimmer wieder hat zaͤhmen koͤnnen.”
Andere hergegen behaupten; “Man muͤſſe die„
Vernunft ſo kurtz, als moͤglich, binden. Denn„
ſonſt ſey man nimmer vor derſelben ſicher, eben ſo„
wenig als vor einem Ketten-Hunde, der gar zu„
weit herumgehen kan. Es ſey wahr, die Ver-„
nunft liebe die Freyheit, und thue ſehr uͤbel, wenn„
ſie gar zu hart gefeſſelt ſey. Es ſey auch gefaͤhr-„
lich umgehen mit ihr, wenn ſie in der Wut loß„
kaͤme. Aber es ſey zu allem Rath. Man koͤnne ihr„
ja, im Falle der Noth, einen Knebel ins Maul ſtecken,„
ſo muͤſte ſie ihr Schreyen wohl laſſen; und ſie an„
allen Vieren ſo feſt binden, daß ſie ſich nicht ruͤh-„
ren koͤnnte, ſo waͤre es nicht moͤglich, daß ſie ſich„
loß riſſe. Ja die Vernunft ſey ſo gar ungedultig„
nicht, als man vorgaͤbe. Sie koͤnnten wenig-„
ſtens verſichern, daß ſie von der ihrigen, wie kurtz„
ſie auch angebunden ſey, ſo wenig beunruhiget wuͤr-„
den, daß ſie kaum merckten, daß ſie noch lebe.„
Sie berufen ſich desfalls auf ihre Reden und„
J i 4Schrif-
[504](o)
„Schriften, die ſo beſchafen ſind, daß man ſchwe-
„ren ſolte, ſie haͤtten keine Vernunft.
Jch bin viel zu wenig, zu entſcheiden, welche
Parthey recht hat. Es thut auch zu meinem Zweck
nichts, dieſes auszumachen. Denn die Kette, an
welche die Vernunft geleget werden muß, mag nun
lang oder kurtz ſeyn ſollen; ſo gewinnen wir elende
Scribenten allemahl dabey: Weil doch immer
ausgemacht bleibt, daß die Vernunft, und deren
Gebrauch nicht frey ſeyn muͤſſe, woraus gantz un-
gezwungen folget, daß es uns nicht koͤnne verar-
get werden, wenn wir eine ſo gefaͤhrliche Kraft
der Seele, ſo viel moͤglich, in ihren Schrancken
halten.
Wenn es mir indeſſen erlaubt iſt, meine un-
vorgreifliche Meynung zuſagen, ſo halte ich davor,
daß man dieſe Schrancken ſo enge machen muͤſſe,
als nur immer thulich iſt, und daß diejenigen der
Wahrheit am nechſten kommen, welche glauben,
man muͤſſe die Vernunft fein kurtz anſchlieſſen.
Jch bin auch verſichert, daß es nicht uͤbel gethan
ſeyn wuͤrde, wenn man ſie beſtaͤndig geknebelt, und
an allen vieren gebunden, liegen laſſen wolte. Ja,
wenn ich aufrichtig ſagen ſoll, wie mirs ums Her-
tze iſt, ſo halte ich davor, das ſicherſte ſey, ihr
das Genicke zu brechen; denn ſo koͤnnte ſie gar
nichts boͤſes mehr anrichten, und man waͤre aller
Muͤhe und Sorge auf einmahl loß.
Es hat mir dahero ſehr wohl gefallen, daß
mein vornehmer Goͤnner, und in Midas hertz-
lich geliebter Bruder, Philippi, den heroiſchen
Entſchluß gefaſſet hat, eine Anatomie des menſch-
lichen
[505](o)
lichen Verſtandes anzuſtellen. Das feindſeelige
Gemuͤth, welches er bißhero gegen die Vernunft
von ſich hat blicken laſſen, macht mich hofen, ſeine
Abſicht ſey, dieſelbe vom Leben zum Tode zu brin-
gen. Jch wuͤnſche, daß er bey ſeinem guten Vor-
haben bleiben moͤge (*): Denn da eine Anatomie
ohne Zerſchneidung nicht geſchehen kan, ſo muß die
Vernunft nothwendig drauf gehen, und ihm unter
den Haͤnden ſterben. Er wird alſo die Ehre ha-
ben, daß er ein Ungeheur gedaͤmpfet, welches bißhero
ſo vielen Schaden gethan hat, und dieſes wird ihm
weit ruͤhmlicher ſeyn, als wenn er, ich weiß nicht
wie viele, Rieſen erleget haͤtte. Er kan ſich nicht beſ-
ſer um das menſchliche Geſchlecht verdient ma-
chen, als wenn er daſſelbe zu demjenigen Grad
der Vollkommenheit verhilft, welchen er, durch
die Beſiegung und Daͤmpfung ſeiner Vernunft,
ſchon lange erreichet hat, und wir elende Scriben-
ten inſonderheit, werden ihn unendlich verbunden
ſeyn. Denn uns geſchicht, durch die Toͤdtung
der Vernunft der groͤſte Gefallen; weil wir ihrent-
wegen ſo viel leyden muͤſſen. O! wie gluͤcklich
waͤren wir, und die gantze Welt, wenn dieſes Un-
J i 5thier
[506](o)
thier vertilget wuͤrde! und kan man demnach die
Blindheit unſerer Feinde gnug beſeufzen, die ſo viel
Weſens aus einer Kraft unſerer Seele machen, die
nimmer das geringſte gutes, wohl aber unſaͤglich
viel boͤſes geſtiſtet hat?
Jch geſtehe, die Vernunft iſt eine Gabe GOt-
tes: Aber der Ausgang hat gewieſen, daß ſie ein
ſchaͤdliches Geſchenck geweſen iſt. Wenigſtens
haben ſich Leute gefunden, die geglaubt, es waͤre
beſſer, wenn uns GOtt die Vernunft nicht gege-
ben haͤtte. Haud ſcio, ſagt Cicero (26). an
melius fuerit, humano generi motum iſtum ce-
lerem cogitationis, acumen, ſolertiam, quam
rationem vocamus, quoniam peſtifera ſit mul-
tis, admodum paucis ſalutaris non dariomnino,
quam tam munifice, \& tam large dari. Er fuͤh-
ret dieſes noch weitlaͤuftiger aus: Und ich weiß
nicht, ob er groß Unrecht hat. Denn die Ver-
nunft hat dem Menſchen nimmer viel Vortheil ge-
bracht. Kaum war der erſte Menſch erſchaffen,
ſo verleitete ihn ſeine Vernunft zu derjenigen Suͤn-
de, wodurch er ſich und ſeine Nachkommen un-
gluͤcklich machte. Eva fieng an zu gruͤbeln, und
da war es um ſie, und um uns alle geſchehen. Sie
wuͤrde es wohl gelaſſen haben, wenn ſie entweder
keine Vernunft gehabt haͤtte, oder nur ſo geſinnet
geweſen waͤre, als ich und meine vortreflichen Bruͤ-
der. Und dennoch lachet man uns aus.
Nachdem die Vernunft in der Mutter aller Le-
bendigen den erſten Schnitzer begangen hat, iſt ſie
immer weiter verfallen, und unſere Feinde bekennen
ſelbſt,
[507](o)
ſelbſt, daß ſie durch den Fehltritt, wozu ſie unſere
Stamm-Mutter verleitet hat, im Grunde verderbet
worden iſt. Sie muß alſo, nach ihrem eigenen Geſtaͤnd-
niß, nichts nuͤtzen. Jch weiß wohl, unſere Feinde
ſagen, man muͤſſe ſich beſtreben, ſie auszubeſſern,
und wieder zu der erſten Vollkommenheit zu brin-
gen: Aber man hat nunmehro beynahe 6000. Jahr
daran curiret, und noch iſt niemand, der das Hertz
haͤtte, zu ſagen, daß die Mittel, die man gebrau-
chet hat, angeſchlagen haben, oder daß es ſich zur
Beſſerung anlaſſe. Jch gebe alſo einem jeden zu be-
dencken, ob es nicht kluͤger gehandelt ſey, wenn man
ſich an eine Eigenſchaft der Seele, die in einem ſo
verzweifeltem Zuſtande iſt, weiter nicht kehret, als
wenn man in alle Ewigkeit ſeine Schande daran cu-
riret, und unmoͤgliche Dinge moͤglich machen will?
Dieſes thun unſere Feinde: Aber ſehen denn
dieſe uͤberkluge Herren nicht, daß ſie wider den
Strohm ſchwimmen? Sie wollen die Vernunft
ausbeſſern, und zu ihrer urſpruͤnglichen Vollkom-
menheit bringen, das iſt; Sie wollen ihr wieder
zu derjenigen Herrſchaft verhelfen, welche ſie ehe-
deſſen uͤber die Begierden gehabt haben ſoll. Jch
will ſo hoͤflich ſeyn, und glauben, daß alles wahr
ſey, was man von dieſer Herrſchaft der Vernunft
uͤber die Affecten ſagt; ob es gleich unſern Feinden
ſehr ſchwer fallen wuͤrde, zu beweiſen, daß die
Vernunft, ſo lange Menſchen in der Welt gewe-
ſen ſind, nur einen einzigen actum poſſeſſionis
verrichtet habe: Aber unſere Feinde geben doch ſelbſt
zu, daß die Vernunft, durch ihre eigene Schuld
dieſe Herrſchaft verlohren habe. Sie iſt derſelben
ent-
[508](o)
entſetzet; weil ſie uͤbel regieret hat, und muß jetzo,
zur Strafe den Afecten gehorchen. So will es die
Natur haben. Was bemuͤhen ſich denn unſere
Feinde, die Vernunft, der Natur zum Trotz, wie-
der auf den Trohn zu ſetzen, von welchem ſie, ih-
res uͤbeln Verhaltens wegen, geſtoſſen worden?
Jch verſichere ſie, ihre Bemuͤhung iſt vergebens,
und wenn ſie die Vernunft ſelbſt fragen, ſo wird ſie
ihnen ſagen, daß ſie ſich nach der verlohrnen Hoheit
nicht ſehne, ſondern mit ihrem jetzigen Zuſtande
wohl zu frieden ſey, und das ſuͤſſe Joch der Afecten
mit Luſt trage. Denn die Vernunft ſiehet wohl,
daß ſie zum Regiment nicht tauge. Sie weiß
wohl, daß, wie ich ſchon oben erwieſen habe, al-
les in der Welt umgekehret werden wuͤrde, wenn
ſie die Oberhand bekommen ſolte. Und wenn ſie
denn gleich dieſes nicht erkennete, ſondern die laͤcher-
liche Bemuͤhung ihrer unbeſonnenen Verehrer bil-
ligte: So bleibt es doch allemahl wahr, daß es
ein ſtrafbarer Frevel ſey, wenn man die Natur
meiſtert, die doch eine ſo weiſe und liebreiche Mutter
iſt, und beſſer weiß, was zu unſerm Frieden die-
net, als wir ſelbſt.
Wenn demnach unſere Feinde, die guten Scri-
benten, nicht die eigenſinnigſten und wunderlich-
ſten Leute von der Welt waͤren, ſo wuͤrden ſie uns
nimmer die kindliche Ehrerbietung, welche wir ge-
gen die Natur hegen, zur Suͤnde deuten, und mit
der groͤſten Unbeſcheidenheit von uns verlangen,
mit ihnen wider die Natur zu murren. Sind ſie
denn juſt ſo geſinnet, als die boͤſen Geiſter, die ſich
ein Vergnuͤgen daraus machen, wenn ſie die Men-
ſchen
[509](o)
ſchen zur Suͤnde verleiten, und eben ſo ungluͤcklich
machen koͤnnen, als ſie ſelbſt ſind? Sie haben den
natuͤrlichen Brauch der Vernunft in den unnatuͤr-
lichen verkehret. Man laͤſſet ihnen ihren Willen:
Aber warum wollen ſie uns denn nicht erlauben,
nach unſerm Gewiſſen zu handeln? Warum rech-
nen ſie es uns als eine groſſe Thorheit an, daß
wir, wie es die Pflicht eines jeden vernuͤnftigen
Menſchen erfordert, mit der Ordnung der Natur
zu frieden ſind?
Denn darinn beſtehet eigentlich unſer Verbre-
chen. Wie gerne wir auch gaͤntzlich von der Ver-
nunft befreyet waͤren, ſo koͤnnen wir dieſelbe doch
nicht voͤllig daͤmpfen, und es ſcheinet eben ſo un-
moͤglich, gantz ohne Vernunft, als gantz ohne Suͤn-
de zu ſeyn. So lange wir mit dem Leibe dieſes
Todes umgeben ſind, werden wir uns wohl mit die-
ſer verdrießlichen Eigenſchaft ſchleppen muͤſſen. Wie
es indeſſen die Pflicht eines Chriſten erfordert, daß
er die Suͤnde nicht herrſchen laſſe; ſo muß auch ein
jeder Menſch ſich ſorgfaͤltig huͤten, daß er der Ver-
nunft nicht gar zu viele Gewalt uͤber ſeine Hand-
lungen einraͤume. Dieſes thun wir elende Scri-
benten, und bilden uns ein, das ſicherſte ſey, der
Natur zu folgen. Da nun die Vernunft ihr Fuͤr-
ſtenthum verlohren hat, und mit den Ketten der
Afecten gebunden iſt; So muß man ſie, will man
gute Dienſte von ihr haben, von dieſen Banden nicht
loß machen, ſondern immer in den Schrancken hal-
ten, welche die Natur derſelben geſetzet hat. Man
muß ſie alſo, wenn man ſie ja gebrauchen will, nur
als ein Werck-Zeug, zu Ausfuͤhrung ſeiner Abſich-
ten,
[510](o)
ten, gebrauchen: Denn da die Vernunft den Be-
gierden unterworfen iſt; Unſere Abſichten aber aus
unſern Begierden herflieſſen; So folget unwider-
treiblich daß die Vernunft ſich nach unſern Abſich-
ten richten muͤſſe; nicht aber wir in unſern Abſich-
ten nach der Vernunft uns zu richten verbunden
ſind.
So dencken wir elende Scribenten, ſo dencket
das gantze menſchliche Geſchlecht mit uns. Nur
einige mißvergnuͤgte, und eigenſinnige Koͤpfe wol-
len kluͤger ſeyn, als die gantze Welt, und lachen
uns aus, weil wir unſere Vernunft nicht nach ih-
rer Phantaſie gebrauchen. Aber laß ſie lachen.
Wir koͤnnen uns damit troͤſten, daß wir ihnen kei-
ne rechtmaͤſſige Urſache dazu geben. Wir ſehen
die Vernunft als ein Werckzeug an, und bedienen
uns derſelben bißweilen zu Erreichung unſerer Ab-
ſichten. Jſt dieſes uͤbel gehandelt, ſo weiß ich nicht,
was man von dem Verfahren unſerer Gottes-Ge-
lehrten ſagen ſoll, die in ihrer Kunſt die Vernunft
nicht anders, als ein Werck-Zeug gelten laſſen.
Sie brauchen dieſelbe, die Widerſprecher zu ſtrafen,
und zum Vortrag ihrer Lehren: Aber es ſey ferne
von ihnen, daß ſie ihren Eyfer wider die Ketzer,
und ihre Lehren nach der Vorſchrift der Vernunft
einrichten, und dem Urtheil derſelben unterwerfen
ſollten. O wie wohl thaͤten, unſere Feinde, wenn
ſie mit uns dem Beyſpiel dieſer ehrwuͤrdigen Maͤn-
ner folgten, und daraus lerneten, worinn eigentlich
der rechte Gebrauch der Vernunft beſtehe! Koͤn-
ten ſie ſich, ſo weit uͤberwinden, ſo wuͤrden ſie uns
den Mangel der Vernunft, den ſie in unſern Schriſ-
ten
[511](o)
ten bemercken, nicht mehr ſo hoch aufmutzen, und
ſich entſehen, uns ferner Schuld zu geben, wir
brauchten die Vernunft gar nicht. Wir brauchen
ſie: Aber auf unſere Weiſe, mit Maaſſe, in gehoͤri-
ger Ordnung, bloß zu Erreichung unſers End-
zwecks.
Wenn die Begierde beruͤhmt zu ſeyn uns zum
Schreiben reitzet, ſo ſagt uns unſere Vernunft, daß
wir ohne Feder, Dinte, und Papier unſern Zweck
nicht erreichen koͤnnen, und noch hat man kein
Exempel, daß ein elender Scribent ſich ein Gewiſ-
ſen gemacht habe, in dieſem Fall ſeiner Vernunft
zu folgen. Wir ſind ſo wunderlich nicht, daß wir
ſtatt der Feder die Miſt-Gabel ergreifen ſollten.
Wenn Sievers ſchreibt, ſo ſchreibt er mit Dinte,
und tunckt ſeine Feder nicht in Waſſer. Selbſt
Manzel (*) und Rodigaſt, die allerelendeſten Scri-
benten unſerer Zeit, verrichten ihre gelehrte Noth-
durft auf Papier. Jch thue es auch, und Philippi
weiß wohl, daß er ſeine herrlichen Wercke in die
Druckerey, und nicht zum Gewuͤrtz-Haͤndler ſchi-
cken, oder Fidibus davon machen muß, wofern er
will, daß die Welt ſich daran beluſtigen ſoll. Wie
koͤnte er dieſes aber wiſſen, wenn er ein Geluͤbde ge-
than haͤtte, der Vernunft in keinem Stuͤcke Gehoͤr
zu geben? Und wer ſiehet alſo nicht, daß die Ver-
nunft
[512](o)
nunft mehr Theil an unſern Schriften hat, als un-
ſere Feinde glauben? Waͤren wir ſo gar albern, als
unſere Feinde uns ausſchreyen, ſo wuͤrde die gelehr-
te Welt keine Zeile von unſern Haͤnden ſehen. Aber
ſo verachten wir die Vernunft ſo lange ſie ſich in
ihren Schrancken haͤlt, und als eine Dienerin un-
ſerer Begierden auffuͤhret, gar nicht. Wir fol-
gen ihr willig, wenn ſie uns einen Rath giebt,
der zu Befoͤrderung unſerer Abſichten dienet. So
bald ſie ſich aber ein mehrers herausnimmt, un-
ſern Begierden widerſpricht, und uͤber unſere Ab-
ſichten urtheilen will, ſo legen wir ihr ein ewiges
Stillſchweigen auf, und thun ihr allen erſinnli-
chen Verdruß an.
Wenn die Vernunft zu Philippi ſagt: Schicke
deine Schriften nach Hamburg, damit ſie daſelbſt
den Verleger finden, den du an denen Orten, da
man dich kennet, vergebens ſucheſt, ſo ſpricht er:
Wahrlich das iſt ein guter Rath, und thut was
die Vernunft haben will. Sagt ſie aber zu ihm:
Schreibe nicht; du taugſt nicht dazu: die Leute la-
chen dich nur aus: ſo wird er unwillig, haͤlt beyde
Ohren zu, und dencket, ſeine Vernunft ſey von ſei-
nen Feinden beſtochen. Sie ſoll ſich, wie man
ſagt, neulich die Freyheit genommen haben, ihm
dieſes plumpe Compliment zu machen: Aber er hat
ſie ſo zugerichtet, daß ſie ins kuͤnftige ihr Maul
wohl halten wird. Du haſt wohl daran gethan,
allerliebſter Bruder, denn wie uͤbel wuͤrden wir
nicht daran ſeyn, wenn wir unſerer Vernunft, die
nur gemacht iſt zu gehorchen, eine Herrſchaft uͤber
unſere Begierden einraͤumen, und ihr geſtatten wol-
ten,
[513](o)
ten, von unſern Abſichten, und dem Werth unſe-
rer Schriften zu urtheilen?
Jch habe mich begnuͤget bißhero zu erweiſen,
daß der Vernunft dieſes nicht zukomme, und wir
alſo nichts laͤcherliches begehen, wenn wir dieſel-
be, bey Verfertigung unſerer Schriften nicht zu
Rathe ziehen. Aber ich will weiter gehen, und ge-
traue mir, zu behaupten, daß eben die Verachtung
der Vernunft, woraus unſere Feinde ein ſo groſſes
Verbrechen machen, der Grund unſerer Vortref-
lichkeit, und derjenigen Vorzuͤge ſey, die uns ſo weit
uͤber unſere Feinde erheben.
Ein ſehr altes ſcythiſches Sprichwort ſagt;
Daß es eine groͤſſere Kunſt ſey, aus einem ledigen,
als aus einem vollen Glaſe zu trincken: Und mich
deucht, daß alſo, wenn die Vernunft zu Verfer-
tigung einer Schrift ſo unumgaͤnglich noͤthig iſt,
als die guten Scribenten wollen, einer, der ohne
Vernunft ein Buch ſchreiben kan, weit vortrefli-
cher, und mehr zu bewundern iſt, als einer, der,
wenn er etwas zu Papier bringen will, allemahl
ſeine Vernunft zu Huͤlfe nehmen muß. Man muß
nicht meinen, daß die Buͤcher, die ohne Vernunft
geſchrieben werden, nicht ſo wohl gerathen, als
diejenigen, die mit Verſtand gemacht ſind. Denn
es giebt Buͤcher, die unſtreitig ohne Zuthun der
Vernunft verfertiget, und doch ſo wohl gerathen
ſind, daß ſelbſt unſere Feinde daruͤber erſtaunen.
Jſt es moͤglich, ſchreyen ſie gemeiniglich, daß ein
vernuͤnftiger Menſch dergleichen Zeug ſchreiben koͤn-
ne? Ja ich habe mit meinen Ohren gehoͤret, daß
einer, dem die hoͤchſt unvernuͤnftigen Gedancken
K keines
[514](o)
eines gewiſſen elenden Scribenten, uͤber den Spruch:
Viele ſind berufen ꝛc. zu Geſicht kamen, im Bey-
ſeyn vieler Leute, hoch betheurte, es ſey ihm, wenn
er auch Engels-Verſtand haͤtte, und ſein Leben
damit zu retten wuͤſte, unmoͤglich, ſo zu ſchreiben.
Unſere Feinde geſtehen alſo ſelbſt, daß einem Men-
ſchen, der ſeine Vernunft nicht gebrauchet, vieles
moͤglich ſey, welches ein vernuͤnftiger Menſch nicht
thun kan, und daß wir die beſondere Geſchicklich-
keit beſitzen, ohne Vernunft Thaten zu thun, wo-
zu ein mehr als engliſcher Verſtand erfordert wird.
Sie halten dieſes vor etwas ſchweres, ja vor eine
Sache, die ihnen ſchlechterdings unmoͤglich iſt.
Jch verſichere ſie aber, daß es uns nicht nur moͤg-
lich, ſondern gar etwas leichtes iſt, ohne Vernunft
gantz wunderbare Buͤcher zu ſchreiben. Solten
unſere Feinde wiſſen, wie geſchwinde wir mit un-
ſern Schriften fertig werden, und wie wenig Muͤ-
he und Nachdencken wir darauf wenden; ſo wuͤr-
den ſie erſt uͤber unſere Geſchicklichkeit erſtaunen;
Sie wuͤrden, von dem Glantz unſerer Vortreflich-
keit geruͤhret, vor uns niederfallen, und, ohne
Zeit-Verluſt, ihre Vernunft ins Meer werfen,
da es am tiefſten iſt.
Denn eben dieſe Vernunft iſt es, welche ihnen
ihre Arbeit ſo muͤhſam macht. Wir zaͤhmen ſie,
und legen ihr ein Gebiß ins Maul, und eben dar-
um wird uns unſere Arbeit ſo leichte. Unſere Fein-
de machen ſich ein Gewiſſen, den Regeln der ge-
ſunden Vernunft, die doch ſo ſchwer zu beobach-
ten ſind, entgegen zu handeln. Sie koͤnnen nicht
ſchreiben, wenn ſie nicht vorher dencken. Sie bil-
den
[515](o)
den ſich ein, ſie muͤſten die Sache, wovon ſie ſchrei-
ben wollen, aus dem Grunde verſtehen, und ver-
derben die edle Zeit mit der unnuͤtzen und laͤcherli-
chen Ueberlegung, ob ſie auch der Materie, wel-
che ſie abhandeln wollen, gewachſen ſind, bloß
darum, weil ein alter Grillenfaͤnger, der, aus vor-
ſetzlicher Boßheit, den Menſchen das Schreiben
ſchwer machen wollen, geſaget hat:
“Sumite materiam veſtris, qui ſcribitis,
æquam
“Viribus, \& verſate diu, quid ferre re-
cuſent.
“Quid valeant humeri . . . . . .
… (27).
Von allem dieſem Ungemach ſind wir frey. Wir
erkennen die Schaͤdlichkeit der Vernunft, und
kehren uns alſo wenig an ihre Regeln. Unſere
Abſicht iſt, ein Buch zu ſchreiben. Dieſen Zweck
erreichen wir, wenn wir ſo viel Papier, als dazu
noͤthig iſt, mit Buchſtaben bemahlen. Ob der
Sinn, der aus dieſen Buchſtaben heraus koͤmmt,
wenn man ſie zuſammen ſetzet, vernuͤnftig iſt, oder
nicht, daran iſt uns wenig gelegen. Wolten wir
alles nach der Vernunft abmeſſen, ſo muͤſten wir
dencken: Und das Dencken greift den Kopf an,
nimmt viel Zeit weg, und nuͤtzet doch, wenn man
die Wahrheit ſagen ſoll, nichts. So oft unſere
Feinde unſere Schriften leſen, ſprechen ſie: Der
Menſch kan nicht dencken; Und dennoch koͤnnen
ſie unmoͤglich leugnen, daß dieſer Menſch, der
nicht dencken kan, ein Buch geſchrieben habe; weil
Kk 2ſie
[516](o)
ſie es in Haͤnden haben. Sie muͤſſen alſo, ſie
moͤgen wollen oder nicht, geſtehen, daß man ſchrei-
ben koͤnne, ohne vorher zu dencken.
Wir thun es, und befinden uns wohl dabey.
Es iſt leichter, und natuͤrlicher, mit den Fingern
zu ſchreiben, als mit dem Kopf. Wer das letzte
thut, iſt einem Gauckler aͤhnlich, der auf dem
Kopfe tanzet. Dieſes moͤgen wir nicht von uns ge-
ſaget wiſſen, und brauchen alſo unſere Finger, wenn
wir ſchreiben, und nicht den Kopf. Wenn unſere
Feinde die Gemaͤchlichkeiten, welche dieſe Schreib-
Art mit ſich fuͤhret, einzuſehen faͤhig waͤren, ſo
wuͤrden ſie uns gewiß beneiden. Nur zweene ſind,
ſo viel mir wiſſend, ſo weit gekommen, daß ſie
dieſes erkannt haben, und haben daher kein Be-
dencken getragen, uns gluͤcklich zu preiſen, und den
guten Scribenten vorzuziehen. Der eine iſt ein
Englaͤnder, und beweiſet gar gruͤndlich, daß das
Dencken nichts nuͤtze, und derjenige, der ſich deſ-
ſelben gantz und gar enthaͤlt, nohtwendig am beſten
ſchreiben muͤſſe. Er ſpricht:
Here ſome would ſcratch their Heads, andtryWhat they should write, and How, andWhy.But I conceive, ſuch Folks are quite inMiſtakes in Theory of Writing.If once for Principle ’tis laidThat Thought is Trouble to the Head.I argue thus: The World agreesThat He writes well, who writes withEaſe.
Then
[517](o)Then He, by Seqval logical,Writes beſt, who never thinks at all(28)
Mich deucht dieſer Beweiß iſt unumſtoͤßlich. Der
andere iſt ein Franzoſe, und “O bienheureux Ecri-„
vains, rufet er aus, Mr. de Saumaiſe en Latin,„
\& Mr. de Scuderi en François! J’admire vôtre„
facilité, \& j’admire vôtre abondance. Vous„
pouvez écrire plus de Calepins, que moi d’ Al-„
manachs. Bienheureux, faͤhrt er fort, les Ecri-„
vains qui ſe contentent ſi facilement, qui ne„
travaillent que de la memoire \& des doigts,„
qui ſans choiſir écrivent tout ce qu’ils ſavent„
(29). Jſt es nicht ewig Schade um die ehrlichen
Maͤnner, daß ſie, da ſie ſo viele Erleuchtung hat-
ten, ſich nicht beſtrebet haben, uns gleich zu wer-
den? Sie haben uͤbel bey ſich gehandelt. Jch be-
klage ſie, und halte ſie, als Zeugen der Wahr-
heit, ungemein hoch. Solten ſie jetzund noch le-
Kk 3ben,
[518](o)
ben, da meine vortrefliche Schrift zum Vorſchein
koͤmmt, ſo wuͤrden ſie unſtreitig gantz umgekehret,
und neue Menſchen werden.
Jch kehre wieder zu meinem Zweck, und ſage,
daß wir, wenn wir ſchreiben wollen, die Pruͤfung
unſerer Kraͤfte, mit welcher ſich unſere Feinde quaͤ-
len, vor eben ſo unnuͤtz halten, als Vernunft und
Nachdencken. Wir brauchen ſo vieler Umſtaͤn-
de nicht. Wir haben die beſondere Gabe von der
Natur, daß wir ſchreiben koͤnnen, was wir nicht
gelernet haben, und von Sachen urtheilen koͤnnen,
die wir nicht verſtehen. Wir ſchreiben gantze Buͤ-
cher von der Moͤglichkeit einer ewigen Welt, und
handeln die ſchwerſten Fragen aus der Welt-Weiß-
heit, auf eine gantze eigene Weiſe, ab, ob wir gleich
nichts davon begreifen. Philippi kan unbeſehens
von den Schriften urtheilen, die vor und wider
die wolfiſche Philoſophie herausgekommen ſind.
Sievers, der kaum ſeinen Cathechiſmus weiß, iſt
doch geſchickt, andere zu lehren, was der ſeeligma-
chende Glaube ſey, und Rodigaſt kan die ungeheure-
ſten Wercke aus dem Lateiniſchen ins Deutſche uͤber-
ſetzen, ob er gleich weder Latein noch Deutſch beſte-
het, und niemand, ja vielleicht er ſelbſt nicht weiß,
was er vor eine Sprache redet. Haͤtte dieſes edle
Klee-Blat elender Scribenten ſich lange beſinnen,
und ſeine Kraͤfte unterſuchen wollen, ehe es die Fe-
der anſetzte, ſo will ich wetten, wir wuͤrden noch
nicht wiſſen, ob es in der Welt ſey. Allein wir
elende Scribenten ſind ſo mißtrauiſch gegen uns
ſelbſt nicht: Weil wir wiſſen, daß uns, auch bey
der groͤſten Schwachheit, alles moͤglich iſt.
Dieſe
[519](o)
Dieſe vortrefliche Eigenſchaft erhebet uns un-
endlich uͤber unſere Feinde. Ein guter Scribent
muß ſeine beſten Jahre mit einem verdrießlichen
Lernen verderben: Weil er die aberglaͤubige Einbil-
dung hat, man koͤnne ſonſt nicht ſchreiben. Wir
hergegen fangen gantz fruͤhe an zu ſchreiben, und
warten nicht biß die boͤſen Tage kommen, und die
Jahre herzu treten, da man ſagt: Sie gefallen mir
nicht. Wir koͤnnen gleich, ohne alle Vorberei-
tung, zum Wercke, ſchreiten, und ehe ein guter
Scribent mit der Einſammlung der Sachen fertig
iſt, die er zu ſeinem Zweck noͤthig achtet, haben wir
uns zehnmahl in Kupfer ſtechen laſſen, und den be-
ſten Platz in den Buch-Laͤden eingenommen. Ein
guter Scribent mag ſeine Zeit noch ſo wohl ange-
wandt und ſich zum Schreiben ſo geſchickt gemacht
haben, als er immer will, ſo wird er doch allezeit
geſtehen, daß einige Materien ihm zu hoch ſind,
und ſelbſt von denen, die er verſtehet, nicht ohne
vorhergegangene Ueberlegung und mit Furcht und
Zittern ſchreiben. Uns iſt keine Materie zu hoch.
Wir wiſſen alles, ob wir gleich nichts wiſſen. Wir
ſchreiben drauf loß und kehren uns an nichts. Und
daher hat die Welt von uns die beſten Dienſte.
Wir entdecken eine unſaͤgliche Menge der gefaͤhr-
lichſten Jrrthuͤmer, die unſere Feinde gemeiniglich
uͤberſehen, und das in Schriften, die wir nicht ge-
leſen haben, und die wir, wenn wir ſie leſen, kaum
verſtehen. Wir ſind die eyferigſten Vertheidiger
der Wahrheit, und ein Schrecken der Ketzer. Wir
entdecken ſie, wie ſehr ſie ſich auch verbergen: Und ob
wir gleich nicht wiſſen, was Ketzer und Ketzerey iſt;
Kk 4So
[520](o)
So kan uns doch keiner entwiſchen; weil wir wie
die Hunde, die das Capitolium bewacheten, den
ſicherſten Weg gehen (30), und alles, was uns
verdaͤchtig vorkoͤmmt, anbellen. Unſere Feinde ver-
dencken es uns, daß wir ſo oft einen unnuͤtzen Lerm
erregen. Sie wollen, daß man mit Behutſamkeit
und Verſtand eyfere: Aber eben dadurch verrathen
ſie ihre Schwaͤche, und geben uns das Zeugniß,
daß wir ohne Nachdencken und Verſtand eine der
wichtigſten Pflichten eines Wahrheit und Ord-
nung-liebenden Menſchen beobachten koͤnnen, wel-
ches gewiß nichts geringes iſt.
Alles, was ich bißher geſaget habe, iſt unſtreitig
und klar. Aber, da mir die Hartnaͤckigkeit und
Boßheit unſerer Feinde bekannt iſt, ſo ſehe ich vor-
her, daß ſie mit einem hoͤhniſchen Gelaͤchter ſagen
werden: „Sie machten uns unſere Vortreflichkeit
„nicht ſtreitig. Sie glaubten gerne, daß wir ohne
„Vernunft, ohne Nachdencken, und ohne vorher-
„gegangene Pruͤfung unſerer Kraͤfte ſchreiben koͤnn-
„ten. Allein unſere Schriften wuͤrden denn auch
„darnach. Wir haͤtten wenig Ehre davon. Nie-
„mand wolte ſie kaufen, niemand laͤſe ſie, und wer
„ſie laͤſe lachte daruͤber und ziſchte uns aus.‟ Die-
ſer Einwurf kan vielen erſchrecklich vorkommen;
Mir aber nicht. Denn ein elender Scribent kan
auch
[521](o)
auch gruͤndliche Einwuͤrfe mit Nachdruck wieder-
legen, und ſeinen Feinden zeigen, daß ſie Unrecht
haben, wenn er ihnen gleich zugiebt, ſie haͤtten
Recht. Jch ſehe dieſes als eine Kleinigkeit an,
und will es eben nicht mit unter unſere Vortreflich-
keiten zehlen. Ein billiger Leſer wird vor ſich ſchon
wiſſen, was er davon dencken ſoll. Jch darf mich
auch vor dieſes mahl ſo nicht angreifen, ſondern be-
gnuͤge mich, unſern Feinden mit aller Beſcheiden-
heit zu ſagen, daß ihr Einwurf nichts bedeute, und
alles, was ſie ſagen, grundfalſch ſey.
Wir ſind mit der Ehre, welche uns unſere Schrif-
ten bringen, wohl zu frieden. Sind wir nicht ſo
gluͤcklich, daß wir den Beyfall der guten Scri-
benten erhalten, ſo muͤſſen wir uns damit troͤſten,
daß es allezeit noch ſo billige Gemuͤther giebt, die
das veraͤchtliche Urtheil, welches die guten Scri-
benten von unſern Schriften faͤllen, vor verdaͤch-
tig halten, weil es von unſern Feinden herruͤhret,
und ſich dadurch nicht abſchrecken laſſen, unſere
Schriften zu leſen. Unſere Schriften moͤgen alſo
beſchaffen ſeyn, wie ſie wollen, ſo finden ſie doch
allemahl einen Verleger, Kaͤufer und Leſer.
“… ils trouvent pourtant quoiqu’onen puiſſe dire“Un Marchand pour les vendre, \& des Sots
Man frage nur die Buch-Haͤndler, ob nicht die
Poſtillen, Romane, Brief-Steller, poetiſche
Hand-Buͤcher, und Trichter, Reim-Regiſter,
Kk 5Nota-
[522](o)
Notariat-Kuͤnſte, Complimentir-Buͤchlein, der
Eulenſpiegel, und dergleichen ſchoͤne und nuͤtzliche
Wercke den beſten Abgang haben? Wie begierig
ſind nicht Happels und Menantes Schriften ge-
kauft worden? Und Uhſens wohl-informirter Red-
ner iſt wenigſtens neun mahl aufgeleget. Huͤb-
ners Oratorie hat eben das Gluͤck gehabt, und ich
muß mich alſo wundern, wie unſere Feinde ſo un-
verſchaͤmt ſeyn, und ſagen koͤnnen, daß niemand un-
ſere Schriften kaufen wolle, und das um ſo viel mehr,
weil ſie ſelbſt am hitzigſten darauf ſind, und nicht
allein unſere Schriften mit Luſt leſen, ſondern auch
durch ihre ſinnreiche Spoͤttereyen dieſelben bekannt,
und andere, ſie zu ſehen, begierig machen. Wir
haben alſo das Vergnuͤgen, daß ſelbſt unſere Fein-
de unſern Nahmen herrlich machen muͤſſen. Sol-
ten ſie ſich entſchlieſſen, uns in Ruhe zu laſſen, ſo
wuͤrde unſer Ruhm nicht halb ſo weit erſchallen.
Jndeſſen wuͤrde es uns doch niemahls an einer
Menge Verehrer, und Bewunderer gebrechen. Un-
ſere Schriften ſind ſo beſchaffen, daß ſie dem Poͤ-
bel nothwendig gefallen muͤſſen: weil ſie nach ſei-
nem Begrif eingerichtet ſind. Wir entfernen uns
nicht einen Finger breit von den gemeinen Vorur-
theilen. Wir verſteigen uns nicht zu hoch in un-
ſern Betrachtungen, ſondern halten uns herunter
zu dem Niedrigen. Dieſes macht unſere Wercke
dem groͤſten Haufen verſtaͤndlich, und erwirbt uns
ſeinen Beyfall. Die guten Scribenten ſind ſo gluͤck-
lich nicht. Jhre Schriften ſind den meiſten zu hoch:
weil ſie mit Vernunft gemacht ſind. Sie werden
alſo von wenigen geleſen, und von noch wenigern
gelobet:
[523](o)
gelobet: Weil niemand leicht an Sachen, die er
nicht verſtehet, Geſchmack findet.
que laudat quantum ſe poſſe ſperat imitari(32).’
Die guten Scribenten ſind naſeweiſe und wollen
alle Welt meiſtern. Sie tadeln die gemeinen
Thorheiten, und haben das Hertz, die Wahrheit
zu ſagen, die doch ſo bitter iſt. Dieſes ſetzt kein
gut Gebluͤt zwiſchen ihnen, und den meiſten ihrer
Leſer, und bringt ihnen keinen andern Vortheil,
als daß man ſie vor eigenſinnige Grillenfaͤnger haͤlt,
und auslachet.
“Hos populus ridet multumque toroſajuven-
tus
“Ingeminat tremulos naſo crispante cachin-
nos(33).
Ja man ſiehet ſie vor gefaͤhrliche, unruhige Koͤpfe
an, und haſſet ſie. Die guten Scribenten ſind
viel zu klug, als daß ſie dieſes nicht mercken ſolten.
Sie wiſſen es, und ſind ſich, wenn ſie ſich recht
beſinnen, ſelbſt desfals gram. Sie erkennen auch,
daß aller Haß, den der groͤſte Haufe gegen ſie, und
die Verachtung, welche er gegen ihre Schriften
blicken laͤſſet, bloß daher ruͤhret, weil ſie ihre Ver-
nunft, wider die Gewohnheit des menſchlichen Ge-
ſchlechts, gar zu ſehr gebrauchen, und es iſt kein
Zweifel, daß ſie, ins geheim, die Vernunft, als
eine Quelle ihres Ungluͤcks oft verfluchen. Cicero
wenigſtens hat gegen einen ſeiner beſten Freunde,
in Vertrauen, aufrichtig geſtanden, daß er was
darum
[524](o)
darum geben wolte, wenn er der ſeinen mit Ehren
loß waͤre. “Fama, ſpricht er (34), ingenii mihi
“eſt abjicienda; quod ſi poſſem, non recuſarem.”
Aber dennoch ſind ſie viel zu hallſtarrig und hoch-
muͤthig, als daß ſie ihr Elend oͤfentlich bekennen
ſolten.
Stellet man ihnen vor, wie groß die Menge de-
rerjenigen ſey, welche ſich an den Schriſten elen-
der Scribenten erquicken, und wie klein hergegen
das Haͤuflein derer, welche die ihrigen leſen; ſo
ſprechen ſie: “Sie bekuͤmmerten ſich um den Bey-
„fall des einfaͤltigen und ungelehrten Poͤbels wenig,
„und waͤren zu frieden, wenn auch nur ein oder
„zweene rechtſchaffen gelehrte Maͤnner von ihrer
„Arbeit ein gutes Urtheil faͤllten. Wenn von der
„Guͤte einer Schrift die Frage ſey, komme es auf
„die Mehrheit der Stimmen nicht an, und ſey es
„eben ein gewiſſes Kennzeichen der Stuͤmper, ſich
„auf den Beyfall des gemeinen Volcks, und der
„Ungelehrten zu berufen.
Es iſt ein Gluͤck vor die guten Scribenten, daß
ſie ſich ſelbſt ſo artig zu troͤſten wiſſen: Aber ich
befuͤrchte, dieſe Troſt-Gruͤnde werden, zur Zeit der
Anfechtung, den Stich nicht halten: Denn ſie
ſind von Hertzen ſchwach. Jch will nicht ſagen,
daß es ziemlich liederlich herauskoͤmmt, wenn die
guten Scribenten ſprechen, ſie bekuͤmmerten ſich
wenig darum, was die Leute von ihnen urtheilten:
Ehrliebende Gemuͤther ſind gantz anders geſinnet,
und ſuchen, ſo viel moͤglich, auch den geringſten zu
gefallen;
[525](o)
gefallen; Sondern ich will nur anmercken, daß es
ein unertraͤglicher Stoltz ſey, den Beyfall des Poͤ-
bels ſo geringe zu achten, und diejenigen vor Stuͤm-
per zu ſchelten, die ſich groß damit wiſſen. Die
guten Scribenten ſtehen unſtreitig in dem Wahn,
als wenn die Ungelehrten gantz und gar ungeſchickt
ſind, von ihren herrlichen Schriften zu urtheilen:
Aber ſie koͤnnten leicht inne werden, wie irrig die-
ſe Einbildung ſey, wenn ſie nur belieben wolten,
zu bedencken, daß insgemein davor gehalten wird,
ein Frauenzimmer koͤnne nicht ſo gut von der Schoͤn-
heit eines andern Frauenzimmers urtheilen, als
eine Manns-Perſon. Die Urſache iſt; weil ein
jedes ſich vor das ſchoͤnſte haͤlt, und andere neben
ſich verachtet. Die Gelehrten gleichen, in dieſem
Fall, den Weibern vollkommen, und es iſt kein
eintziger, wie elend es auch um ihn beſtellet iſt, der
ſich nicht in ſeinem Hertzen kluͤger duͤncken ſolte,
als alle ſeine Bruͤder. Es muß alſo nothwendig,
Haß und Neid, zwo Leidenſchaften, die vor an-
dern einem unpartheyiſchen Urtheil entgegen ſind,
unter den Gelehrten herrſchen. Die Ungelehrten
ſind von dieſen Afecten frey, und urtheilen folglich
unpartheyiſch von den Schriften, die ihnen vor-
kommen. Solte dann ihr Urtheil nicht hoͤher zu
ſchaͤtzen ſeyn, als das Urtheil einiger neidiſchen Ge-
lehrten, die nichts, als ihre eigene Arbeit hoch halten,
und, natuͤrlicher Weiſe, alles, was ſie nicht ge-
macht haben, tadeln muͤſſen? Mich deucht, wer
ſich dem Ausſpruch ſo unpartheyiſcher Richter nicht
unterwerfen will, der laͤſt ein ſchlechtes Vertrauen
zu ſeiner Sache von ſich blicken, und muß kein
gut Gewiſſen haben.
Die-
[526](o)
Dieſer Verdacht wird gehoben, wenn gleich
die guten Scribenten ſprechen wolten: Die Unge-
lehrten verſtuͤnden die Schriften der Gelehrten nicht,
und koͤnnten alſo nicht davon urtheilen. Denn die-
ſe Ausflucht wuͤrde ſich auf nichts gruͤnden, als auf
den laͤcherlichen Wahn, daß man allemahl die
Sache, von der man urtheilet, verſtehen muͤſſe.
Jch bilde mir ein, daß ich dieſe Grille ſchon uͤber-
fluͤſſig widerleget habe. Wir elende Scribenten
urtheilen von vielen Sachen, die wir nicht verſte-
hen: der Poͤbel kan die Kunſt auch; und ſind die
guten Scribenten ſo geſchickt nicht, ſo iſt es ein Un-
gluͤck vor ſie: Aber ſie werden ſo gut ſeyn, und
von der Faͤhigkeit anderer nicht nach ihrer eigenen
urtheilen. Jch ſolte nicht meinen, daß die guten
Scribenten mir einwerfen werden: Sie wuͤſten
wohl, daß es Leute gaͤbe, die verwegen genug waͤ-
ren von Sachen zu urtheilen, die ſie nicht verſte-
hen: Allein es muͤſte ſo nicht ſeyn: Denn dieſes
waͤre ein verzweifelter Satz, wodurch die Gelehr-
ten mit den geringſten und veraͤchtlichſten Hand-
wercks-Leuten in eine Claſſe wuͤrden geſetzet werden.
Bey dieſen muß niemand, als die Aelteſten einer
Zunft von der Arbeit eines jungen Meiſters urthei-
len. Die Gelehrten wiſſen von einer ſolchen Ver-
faſſung nichts, und es ware ihnen auch in der That
ſchimpflich, wenn ſie ſich Leuten gleich ſtellen wol-
ten, die in ihren Augen ſo veraͤchtlich ſind.
Da nun ein jeder, er mag es verſtehen oder nicht
von den Schriften der Gelehrten zu urtheilen
nicht nur geſchickt, ſondern auch befugt iſt, ſo moͤch-
te ich wohl wiſſen, was uns hindern ſolte, auf den
Bey-
[527](o)
Beyfall des groͤſten Haufens zu trotzen? Und ob
es nicht ein laͤcherlicher Hochmuht ſey, daß unſere
Feinde ſich ſo wenig darum bekuͤmmern? Dieſe
Leute muͤſſen gantz beſondere Creaturen ſeyn. Es
iſt kein Menſch, auſſer ſie, zu finden, der nicht
wuͤnſchen ſolte, von den meiſten gelobet zu werden.
Os populi meruiſſe? . . . . . . . . . (35)’
Dem vortrefllichen Redner Demoſthenes, den
unſere Feinde ſo hoch halten, thate es gewiß gantz
ſanfte, als eine geringe Frau zu Athen ihrer Freun-
din, doch ſo, daß er es hoͤrte, ins Ohr ſagte: Das
iſt der Demoſthenes (36): Und mein Freund Sie-
vers wuͤrde laͤngſt vor Kummer, wie ein Sche-
men, vergangen ſeyn, wenn nicht das Lob der al-
ten Weiber, und das guͤtige Urtheil der Karren-
Schieber, Laſt-Traͤger, und anderer ehrlichen
Maͤnner, Poͤbel-Volcks, ihn in ſeinem ſchweren
Leiden aufrichtete, und ſeine Gebeine fett machte.
Er hat Urſache, ſich groß damit zu wiſſen, und
ſich desfals einzubilden, er ſey ein ſtattlicher Scri-
bent, und die es anders ſagen, boßhafte Laͤſterer:
Denn wer wolte ſo vielen ehrlichen, und unpar-
theyiſchen Perſonen beyderley Geſchlechts nicht
glauben?
egre-
[528](o)
Non credam? . . . . . . . (37).’
Und muß man alſo nicht uͤber die Frechheit unſerer
Feinde erſtaunen, die ſich nicht ſcheuen, der uns
bewundernden Menge ins Angeſicht zu widerſpre-
chen, und, ob ſie gleich uͤberſtimmet ſind, dennoch
von der uͤbeln Meinung, welche ſie von uns hegen,
nichts fallen laſſen wollen?
Daß ſie ſprechen: Die Mehrheit der Stimmen
gelte in dieſem Falle nicht, kan gewiß ihr Verfah-
ren nicht rechtfertigen. So reden die Ketzer auch,
und haben doch Unrecht, weil ſie Ketzer, das iſt,
uͤberſtimmet ſind. Unſere Feinde muͤſſen gewiß
auch nicht reiner Lehre ſeyn; denn wie waͤre es ſonſt
moͤglich, daß ſie auf ſo gottloſe Gedancken verfie-
len? Wenn die Frage von der Guͤte einer Schrift,
oder von der Wahrheit eines Satzes iſt, ſo hat die
Mehrheit der Stimmen kein ſtatt, ſagen ſie: Heiſ-
ſet dieſes aber nicht offenbar der Kirche Chriſti, die
es zu allen Zeiten, in weit wichtigern Faͤllen, auf
die Mehrheit der Stimmen hat ankommen laſſen,
eine entſetzliche Thorheit und Ungerechtigkeit vor-
werfen? Es iſt ein Gluͤck vor uns, daß die heili-
gen Kirchen-Vaͤter kluͤger geweſen ſind. Haͤtten
unſere Feinde vor 13. oder 1400. Jahren gelebet,
und etwas zu ſagen gehabt, ſo waͤre kein einziges
Concilium gehalten worden, und die Ketzer wuͤrden
freye Haͤnde gehabt haben, den Weinberg der
chriſtlichen Kirche, nach Belieben, zu verwuͤſten.
Jch erſchrecke, wann ich daran gedencke, und
bitte
[529](o)
bitte unſere Widerſacher, in ſich zu gehen, und ein-
mahl zu erwegen, wohin ihr Haß gegen uns ſie ver-
leite. Sie ſehen wohl, daß ſie, ſo lange ſie ver-
nuͤnftig ſchreiben, den Beyfall des groͤſſeſten Hau-
fens nicht erlangen koͤnnen. Sie machen es alſo wie
der Fuchs in der Fabel, und verachten das, was ih-
nen nicht werden kan. Sie ſtoſſen in Unmuth,
Worte heraus, die erſchrecklich ſind, und machen
da durch ihren Geruch bey den unpartheyiſchen,
welche ſie, gar veraͤchtlich, den Poͤbel nennen, noch
ſtinckender. Jch bedaure ſie desfals, ob ich gleich
wohl weiß, daß ſie uͤber mein Mitleiden nur lachen
werden: Denn ich bin verſichert, es werde ſie ein-
mahl gereuen, daß ſie die Ehrerbietung, welche ſie
dem groͤſſeſten Haufen ſchuldig ſind, aus den Au-
gen geſetzet haben. Sie werden gewiß die Laͤſter-
Worte, die ſie wieder den Poͤbel reden, um ſo viel
ſchwerer zu verantworten haben, je beſſer ſie wiſſen,
daß die Stimme des Volcks ſo viel gelte, als die
Stimme GOttes. Vox populi, vox Dei. Und
uͤberdem muͤſſen ſie ſich nicht einbilden, daß die
Menge, die uns und unſern Schriften hold iſt, aus
lauter elenden, geringen und nichtswuͤrdigen Leu-
ten beſtehe. Sie koͤnnen glauben, daß ſich viele
vornehme und angeſehene Maͤnner aus allen Staͤn-
den darunter befinden: Denn GOtt giebt denen,
welche er, in ſeinem Zorn, groß machet, nicht alle-
mahl, mit der Wuͤrde, ſo viel Verſtand, als man
noͤthig hat, wenn man an guten Schriften ein Ver-
gnuͤgen finden will, und man hat ſchon lange ange-
mercket, daß diejenigen, welche die wichtigſten
Aemter verwalten, und die groͤſſeſten Ehren-Stel-
Lllen
[530](o)
len bekleiden, wie viel ſie auch ſonſt auf ſich halten,
doch gemeiniglich ſo beſcheiden geweſen ſind, daß ſie
ſich in ihren Urtheilen wenig oder gar nicht von dem
Poͤbel entfernet, ſondern ſich zu allen Zeiten nicht
ſo ſehr durch den guten Geſchmack, als durch die
Kleidung von demſelben zu unterſcheiden geſuchet
haben.
ſagt Sene-
“ca (38),
„ſordidiore, ſed ab hac turba quoque cultiore:
„Togis enim inter ſe iſti, non judiciis diſtant.’
Es iſt alſo eine unverantwortliche Grobheit, daß
unſere Feinde von dem Poͤbel ſo veraͤchtlich reden,
unter welchem ſich doch Leute befinden, denen ſie al-
le Ehrerbietung ſchuldig, und die im Stande ſind,
die Verachtung, welche man gegen ihr Urtheil be-
zeuget, mit Nachdruck zu raͤchen. Jch wuͤnſche
nicht, daß die guten Scribenten dieſes jemahls er-
fahren moͤgen: Aber es ſollte mir eine Freude ſeyn,
wenn dieſe Herren, durch meine gegruͤndete Vor-
ſtellungen endlich einmahl begriffen; daß unſere
Schriften den meiſten gefallen; daß der Beyfall des
groͤſten Haufens nicht zu verachten ſey; daß derje-
nige, der ſich darauf beruft, kein Stuͤmper iſt;
daß wir elende Scribenten mit Recht darauf tro-
tzen, und daß uns dieſer Beyfall des Poͤbels einen
groſſen Vorzug vor unſern Feinden giebt, und unſe-
re Vortreflichkeit eben ſo unſtreitig macht als der
Ausſpruch des Orakels die Weißheit des Socrates.
Jch habe dieſes handgreiflich erwieſen: Allein
was wirds helfen? So lange unſere Feinde noch
ſehen,
[531](o)
ſehen, daß viele elende Scribenten in der aͤuſſerſten
Verachtung leben, und ihre Schriften entweder
gar nicht abgehen, oder nur von Leuten gekauft
werden, die daruͤber lachen und ſpotten, werden ſie
immer dabey bleiben, daß eine Schrift, die ohne
Vernunft gemacht iſt, ihrem Urheber wenig Ehre
bringe. Nun koͤnnte ich zwar dieſes mit eben dem
Fug leugnen, als meine Bruͤder leugnen, daß ſie
elende Scribenten ſind: Allein ich mache mir ein
Gewiſſen, dem Augenſchein zu widerſprechen. Es
iſt leyder! mehr als zu wahr, daß viele meiner Bruͤ-
der von aller Muͤhe, die ſie auf ihre Schriften wen-
den, nicht ſo viel haben, daß auch nur ein einziger
ihre Arbeit lobe. Es iſt unſtreitig, daß eine gute
Anzahl elender Schriften nimmer des Tages Licht
ſiehet, und von denen Motten verzehret wird. Vie-
le brauchen die Buchhaͤndler zu Maculatur, und
einige haben gar das Ungluͤck, daß ſie, wenn
ſie kaum aus der Preſſe kommen, nach dem Ge-
wuͤrtz-Laden geſchickt werden.
. . . . in vicum vendentem thus \&
ordores,
Et piper, \& quicquid chartis amicitur
ineptis(39).
Aber dieſes widrige Schickſal elender Schriften,
an welchem ſich unſere Feinde aͤrgern, kan unmoͤg-
lich das, was ich von den Vorzuͤgen, und von der
Vortreflichkeit der elenden Scribenten geſchrie-
ben habe, umſtoſſen, und unwahr machen. Keine
Regel iſt ohne Ausnahme; Und wenn ich ſage, daß
Ll 2alles,
[532](o)
alles, was unvernuͤnftig iſt, dem Poͤbel am beſten
gefalle, ſo begehre ich nicht zu leugnen, daß nicht
bißweilen eine unvernuͤnftige Schrift von dem groͤ-
ſten Haufen anders, als es billig ſeyn ſolte, aufge-
nommen werde. Jch weiß wohl, was ſolchen
Schriften oͤfters zu begegnen pfleget. Aber alles,
was ihnen begegnet, ſind Ungluͤcks-Faͤlle, nach
welchen man, ohne Unbilligkeit, von ihrem inner-
lichen Werth nicht urtheilen kan, und woruͤber die
guten Scribenten ſich um ſo viel weniger zu kuͤtzeln
Urſache haben, je gewiſſer es iſt, daß ihre Schrif-
ten denſelben eben ſo wohl unterworfen ſind, als die
unſern. Es iſt noch eine groſſe Frage, ob mehr
ſchlechte, als gut Schriften verlohren gegangen?
Und mißbraucht man unſere Blaͤtter zu Pfeffer-
Teuten, ſo hat man wohl eher in den Schriften des
Livius Kaͤſe gewickelt.
Geſetzt aber, es wiederfuͤhre dieſes Ungluͤck un-
ſern Schriften nur allein. Geſetzt es fiele dadurch
alles, was ich von dem Vorzug, den die elenden
Scribenten, in Anſehung der Anzahl ihrer Bewun-
derer, vor den guten haben, bißhero geſchrieben,
gaͤntzlich uͤbern Haufen; So wuͤrde doch dadurch
der weſentlichen Vortreflichkeit meiner Bruͤder nicht
das geringſte abgehen; weil dieſelbe ſich nicht auf
die Gedancken, die andere von uns haben; ſon-
dern auf unſere eigene Empfindung, und auf die
gute Meinung, welche wir von uns ſelbſt hegen,
gruͤndet. Unſere Feinde betriegen ſich, wenn ſie
meinen, daß ich unſere Vortreflichkeit in dem Bey-
fall des groͤſten Haufens ſuche.
Was ich davon geſchrieben habe, das hat kei-
nen
[533](o)
nen andern Zweck, als ſie zu uͤberfuͤhren, daß der
Mangel der Vernunft uns nicht ſo veraͤchtlich ma-
che, als ſie ſich einbilden; ſondern uns vielmehr
die Hochachtung des uns gleichgeſinnten Poͤbels,
und folglich der meiſten Menſchen erwerbe. Aber
glauben ſie denn, daß wir ohne dieſe Hochachtung
nicht gluͤcklich ſeyn koͤnnen? Jch geſtehe, es iſt
eine angenehme Sache, von vielen gelobet zu wer-
den: Allein mich deucht, wir wuͤrden doch wohl
bleiben, wer wir ſind, wenn wir gleich von aller
Welt ausgeziſchet, und unſere Schriften von nie-
mand geleſen, oder von allen, die ſie leſen, geta-
delt wuͤrden. Der Mangel der Vernunft, der uns
das Schreiben ſo leicht, und unſere Schriften dem
Poͤbel ſo angenehm machet, wuͤrde uns auch, auf
dem Fall, Dienſte thun, wenn der Poͤbel ſich zu
unſern Feinden ſchluͤge, und wir wuͤrden in unſerm
Ungluͤck groͤſſer ſeyn, als bey gluͤcklichen Tagen.
Unſern Feinden kan dieſes nicht unglaublich vor-
kommen: denn ſie kennen unſere Großmuth, un-
ſere Gedult, unſere Gelaſſenheit. Wir haben ih-
nen, ſeit der Zeit, daß ſie uns geaͤngſtiget haben,
ſo viele ausnehmende Proben davon gegeben, daß
ſie daruͤber erſtaunet ſind. Was wuͤrden ſie alſo
nicht ſagen, wenn ſie ſehen ſolten, wie wenig wir
uns daraus machen wuͤrden, wenn gleich alle, die uns
ſonſt noch hochgehalten, mit ihnen auf uns loß
ſtuͤrmeten? Sie hielten es nicht aus, wenn ihnen
dergleichen begegnete, daß weiß ich wohl: Aber
ich kan verſichern, daß wir dieſes Ungluͤck, wie groß
es auch ſeyn mag, nicht einmahl empfinden wuͤrden.
Wie wenig Verſtand wir auch haben, ſo be-
Ll 3greifen
[534](o)
greifen wir doch, daß es naͤrriſch ſey, ſeine Gluͤck-
ſeligkeit in Dingen zu ſuchen, die auſſer uns ſind.
Unſer Wahl-Spruch iſt:
. . . . . . . . ne te quæſiveris
extra(40)
Und die Natur, die wohl vorhergeſehen hat, daß wir
wegen unſerer Schriften viele Anfechtungen haben
wuͤrden, hat uns dergeſtalt wider die Anlaͤufe unſe-
rer Feinde gewafnet, daß alle Pfeile der Spoͤtter,
wie ſpitzig, und ſcharf ſie auch ſind, uns nicht die ge-
ringſte ſchmertzhafte Empfindung verurſachen koͤn-
nen. Eine innerliche Empfindung unſerer Vollkom-
menheiten erſetzet den Mangel eines fremden Lobes,
mit welchem ſich unſere Feinde ſo groß wiſſen, und
troͤſtet uns kraͤftiglich, wann man unſer ſpottet.
“Ridentur mala qui componunt carmina:
verum
“Gaudent ſcribentes, \& ſe venerantur, \&
ultro
“Si taceas, laudant, quicquic ſcripſere bea-
ti(41)
Unſere Schriften fuͤhren alſo, wie die Tugend, ihre
Belohnung mit ſich, und wir haben nicht noͤthig,
den Lohn unſerer Arbeit von andern zu erwarten.
Ein gewiſſer Lehrer der Roͤmiſchen Kirche hat hier-
uͤber gar artige Gedancken. Er meint, GOtt be-
zeige ſich eben ſo gnaͤdig und gerecht gegen uns, als
gegen die Froͤſche. Denn wie er dieſen die Gnade
gebe, daß ſie ſich ſelbſt an ihrem, eben nicht gar
angenehmen, Geſang beluſtigten: So habe er es,
in
[535](o)
in Anſehung unſerer, ſo weißlich gefuͤget, daß wir,
da niemand unſere Verdienſte erkennen will, eine
ungemeine Zufriedenheit mit uns ſelbſt haͤtten.
Selon la juſtice, ſpricht er, tout travail honnê-„
te doit être recompenſé de louange ou de ſatis-„
faction. Quand les bons Eſprits font un ouvra-„
ge excellent, ils ſont recompenſés par les ap-„
plaudiſſemens du Public. Quand un pauvre„
Eſprit travaille beaucoup pour faire un mauvais„
ouvrage, il n’eſt pas juſte ni raiſonnable qu’il„
attende des louanges publiques; car elles ne„
lui ſont pas dûës: Mais à fin que ſes travaux„
ne demeurent pas ſans recompenſe, Dieu lui„
donne une ſatisfaction perſonelle, que perſon-„
ne ne lui peut envier ſans une injuſtice plus„
que barbare. Tout ainſi que Dieu qui eſt ju-„
ſte, donne de la ſatisfaction aux Grenouilles„
de leur chant: autrement le blâme public, joint„
à leur mécontentement, ſeroit ſuffiſant pour„
les reduire au deseſpoir(42).“
Leute, vor die der Himmel ſo ſonderlich geſor-
get hat, koͤnnen ſich leicht uͤber die Verachtung,
welche die boͤſe Welt gegen ſie bezeiget, zu frieden
geben, und unſere Feinde koͤnnen dahero, wofern
es ihnen beliebet, leicht die Urſache ergruͤnden, war-
um ihre Spoͤttereyen, durch welche ſie uns wehe
thun wollen, ſo fruchtloß ſind. Unſere Zufrieden-
heit mit uns ſelbſt macht ihre boßhafte Bemuͤhung
vergeblich: Und ich werde alſo nicht zu viel ſagen,
wenn ich behaupte, daß dieſelbe die groͤſſeſte unſe-
Ll 4rer
[536](o)
rer Vortreflichkeiten, und der Grund unſerer Gluͤck-
ſeeligkeit ſey.
So lange wir mit uns ſelbſt zu frieden ſind,
und an unſerer Arbeit ein Vergnuͤgen finden, wird
alles, was unſere Feinde gegen uns vornehmen,
viel zu wenig ſeyn, uns ungluͤcklich zu machen,
und unſere Gemuͤths-Ruhe zu ſtoͤhren. Cicero
nennet die Anhaͤnger des Epicurus gluͤcklich, und
giebt keine andere Urſache davon, als weil ſie ſich
es einbildeten. Sunt enim, ſpricht er (43), \&
boni viri, \&, quoniam ſibi ita videntur, beati.
Da wir nun eben dieſe Einbildung haben, ſo moͤchte
ich den ſehen, der uns den geringſten Verdruß erwe-
cken koͤnte. Ein elender Scribent iſt weit uͤber die Laͤ-
ſterungen und Spoͤttereyen ſeiner Neider erhaben.
“Celſior exſurgit pluviis, auditque ruentes
„Sub pedibus nimbos, \& rauca tonitrua cal-
cat(44).
Man ſtelle ihm ſeine Einfalt, ſeine Unwiſſenheit,
ſeine Thorheit, und Ungeſchicklichkeit ſo deutlich,
und lebhaft vor, als man immer will; Er wird
doch dabey bleiben, daß die Natur an ihm ihr
Meiſter-Stuͤck bewieſen habe, und ſich an ſeinen
Schriften, die andere ohne Eckel nicht leſen koͤn-
nen, auf ſeine eigene Hand beluſtigen.
Jch ſehe nicht, was wider einen ſolchen Men-
ſchen auszurichten iſt? Er iſt unuͤberwindlich, und
die guten Scribenten thun thoͤrigt, daß ſie ſich be-
muͤhen, ihn auf andere Gedancken zu bringen. Die
Klagen,
[537](o)
Klagen, welche die guten Scribenten uͤber unſere
Hartnaͤckigkeit fuͤhren, zeigen deutlich, daß ſie die
Eitelkeit ihres Beginnens ſelbſt erkennen. Sie
muͤſſen alſo auch wider ihren Willen geſtehen, daß
Leute, die ſo ſehr von ſich eingenommen ſind, daß
man ihnen auf keinerley Weiſe die ſuͤſſe Einbildung
von ihrer Vortreflichkeit, und die daher flieſſende
Zufriedenheit mit ihrem Zuſtande rauben kan, die
allergluͤckſeeligſten Creaturen ſind. Jſt es nun
nicht, wie der Pater Garaſſe ſagt, barbariſch ge-
handelt, wenn man ſeinem Neben-Chriſten ſein
Gluͤck nicht goͤnnet? Dieſesheiſſet die Boßheit aufs
hoͤchſte treiben; und unſere Feinde ſolten ſich alſo
ſchaͤmen, von uns zu verlangen, daß wir die Ver-
nunft gebrauchen ſollen. Es iſt dieſes ein Anſinnen, ſo
nicht hoͤflicher und chriſtlicher heraus koͤm̃t, als wenn
ich einen erſuchen wolte, er moͤchte doch ſo gut ſeyn,
und ſich von einem Felſen herabſtuͤrtzen; Und koͤnn-
ten unſere Feinde uns zu der Thorheit verleiten, ſo
waͤre es um uns geſchehen, und wuͤrden wir hin-
fort keine froͤhliche Stunde haben.
Denn mit dem Gebrauch der Vernunft kan die
Zufriedenheit, die uns ſo gluͤcklich macht, und uns
vor unſern Feinden einen ſo groſſen Vorzug giebt,
unmoͤglich beſtehen. So bald wir der Vernunft
zu viel Willen laſſen, nimmt ſie ſich Freyheiten
heraus, die unertraͤglich ſind. Sie hat die boͤſe
Gewohnheit, daß ſie allen, die ihr zu viel Gehoͤr
geben, den vermaledeyten Rath giebt, ſie ſolten
ſuchen, ſich ſelbſt kennen zu lernen. Das waͤre uns
elenden Scribenten eben Recht. Der Mangel der
Selbſt-Erkaͤnntniß iſt der einzige Grund unſerer
Ll 5Zu-
[538](o)
Zufriedenheit; Und wir muͤſten alſo weit naͤrriſcher
ſeyn, als unſere Feinde glauben, wenn wir nicht,
mit aller Macht, unſere Vernunft, die ſo verfuͤh-
riſch iſt, im Zaum hielten.
Wenn meine drey Freunde, Sievers, Philippi und
Rodigaſt, ſich ſelbſt kenneten, ſo waͤren ſie laͤngſt in
Verzweifelung gerathen, und haͤtten ſich vielleicht
ſchon ſelbſt Leid angethan. Aber ſo leben ſie noch,
und ſind luſtig und guter Dinge. Jhre Feinde
wundern ſich daruͤber; Aus keiner andern Urſache,
als weil ſie die Vortreflichkeiten und Vorzuͤge der
elenden Scribenten nicht gebuͤhrend einſehen. Haͤt-
ten ſie aber die Alten geleſen, ſo wuͤrde ihnen die
Unempfindlichkeit, und Zufriedenheit, welche die
erwehnten drey Maͤnner mitten in ihrem Ungluͤck,
eben wie Sadrach, Meſach, und Abed Nego in
dem feurigen Ofen, von ſich blicken laſſen, nicht die
geringſte Verwunderung verurſachen.
Plinius (45) hat ſchon lange angemercket, daß
die Eſel keine Laͤuſe haben: Und wem es gegeben
iſt, den heimlichen Sinn dieſer, nach dem Buch-
ſtaben ungegruͤndeten, Anmerckung zu faſſen, der
ſiehet wohl, daß Plinius nichts anders ſagen wol-
le, als daß ein elender Scribent von ſeinen Maͤn-
geln nicht die geringſte Empfindlichkeit habe. Jch
halte vor unnoͤthig, die Gruͤndlichkeit meiner my-
ſtiſchen Auslegung weitlaͤuftig zu beweiſen. Es
iſt gar zu bekannt, daß es eine alte Gewohnheit
iſt, von den elenden Scribenten unter dem Bilde ei-
nes Eſels zu reden, und da jedermann weiß, daß
die
[539](o)
die Erkenntniß unſerer Vergehungen, mit einem
Worte, daß Gewiſſen genennet wird; das Gewiſ-
ſen aber in dem Ruf iſt, daß es beiſſe, ſo iſt leicht
zu begreifen, was zwiſchen demſelben und einer Lauß
vor eine Aehnlichkeit ſey. Jch halte mich dabey
nicht auf; ſondern bitte nur meine Leſer mit mir zu
erwegen, was die vortrefliche Eigenſchaft, die wir,
wie Plinius zeuget, und die Erfahrung lehret, be-
ſitzen, vor Vortheile mit ſich fuͤhret.
Die Erkaͤnntniß der Fehler gebiehret Reue.
Die Reue iſt nichts anders, als eine Art von
Traurigkeit, und folglich ein verdrießlicher Afect.
Sie kan ohne Zerknirſchung, und ohne einen Ab-
ſcheu vor uns ſelbſt nicht begrifen werden. Sie
macht alſo einen Menſchen mißvergnuͤgt mit ſeinem
Zuſtande; Und wer mit ſeinem Zuſtande nicht zu
frieden iſt, kan nimmer gluͤcklich ſeyn. Unſere
Feinde empfinden mit ihrem Schaden, daß das,
was ich hier ſchreibe, die Wahrheit iſt. Je mehr
Verſtand ſie haben, je tiefer ſehen ſie ihre Fehler
ein, und dieſe verdrießliche Einſicht macht ihnen
das Leben rechtſchafen ſauer. Jch darf ihnen nicht
vorſtellen, mit wie vielen Schmertzen ſie ihre geiſt-
lichen Kinder empfangen, und zur Welt bringen.
Sie wiſſen es beſſer, als ich es ihnen ſagen kan:
Sie leugnen es auch nicht. Und wenn denn end-
lich ein guter Scribent von ſeiner gelehrten Buͤrde,
nach einer ſchweren Geburt, entbunden wird, ſo
iſt er nicht einmahl ſo gluͤcklich, als die Affen, die
ihre Jungen, ihrer Heßlichkeit ungeachtet, zaͤrtlich
lieben; ſondern er entdecket an den Kindern ſeines
Ver-
[540](o)
Verſtandes, wie ſchoͤn ſie auch ſind, ſo viele Ge-
brechen, daß er ſie kaum vor Augen ſchen mag.
“Et toûjours mécontent de ce qu’il vient de
faire
„Il plait à tout le monde, \& ne ſauroit ſe plai-
re(46).
Ein elender Scribent hergegen empfaͤngt die Luſt,
gebiehret ohne Schmertzen, und erdruͤcket ſeine
Jungen faſt vor Liebe, nicht anders als die Affen.
Man lache uͤber dieſe Auffuͤhrung, ſo viel man
will, ſo wird man doch nicht in Abrede ſeyn koͤn-
nen, daß ein elender Scribent weit gluͤcklicher ſey,
als ein guter. Es iſt nicht noͤthig, daß ich mir, die
Muͤhe gebe, dieſes, durch viele Gruͤnde, darzuthun.
Unſere Feinde ſind ſo billig, daß ſie es ſelbſt erken-
nen. Boileau beneidet den Pelletier.
Und Horatz ſagt ausdruͤcklich, er moͤchte lieber ein
elender Scribent ſeyn, und ſeine Fehler nicht er-
kennen; als einer der beſten und dabey mißvergnuͤgt
mit ſich ſelbſt ſeyn.
“Prætulerim ſcriptor delirus, inersque videri
„Dum mea delectent mala me, vel denique
fallant,
„Quam ſapere, \& ringi . . . . . .
. . . .(48).
Was brauchen wir weiter Zeugniß? Unſere Fein-
de ſelbſt machen uns unſere Vortreflichkeit, und
Gluͤckſeeligkeit nicht ſtreitig. Aber dennoch ſind
dieſe,
[541](o)
dieſe, mit ſo beſonderer Klugheit begabte, Crea-
turen, ſo verblendet, und ſo uͤbel berathen, daß ſie
die Selbſt-Erkaͤnntniß vor noͤthig halten. Meine
Leſer moͤgen urtheilen, ob ein ſo widerſinniges Be-
tragen mit der tiefen und aberglaͤubigen Ehrerbie-
tung, die guten Scribenten gegen die Vernunft
hegen, beſtehen koͤnne?
Jch weiß wohl, es mangelt den guten Scriben-
ten nimmer an Ausfluͤchten. Sie werden ſpre-
chen: Ob gleich die Erkaͤnntniß ihrer Fehler im
Anfange verdrießlich waͤre: So habe ſie doch eine
gute Wuͤrckung, und treibe ſie an, die erkannte
Fehler auszubeſſern, und nach der Vollkommenheit
zu trachten, die ein ſo unausſprechliches Vergnuͤ-
gen mit ſich fuͤhre, daß dadurch einem Scribenten
die, auf die Ausbeſſerung ſeiner Fehler gewandte,
Muͤhe mehr als doppelt belohnet wuͤrde. Aber
alles dieſes heiſt nichts geſagt.
Ein Scribent iſt ein Menſch, und muß alſo Feh-
ler haben. Wer ſich daruͤber nicht zu frieden ge-
ben kan, dem weiß ich keinen beſſern Rath, als daß er
ſeine Menſchheit ablege, und ſich entweder um eine
Stelle unter den Seraphinen bewerbe, oder gar
vergoͤttern laſſe. Jn dieſer Sterblichkeit nach ei-
ner Vollkommenheit trachten iſt laͤcherlich und ver-
gebens. Und wenn es denn ja moͤglich waͤre dieſe
eingebildete Vollkommenheit zu erlangen; ſo weiß
ich doch nicht, ob es der Muͤhe werth ſeyn wuͤrde,
desfalls ſeiner Natur Gewalt anzuthun, und ſich
mit einer verdrießlichen Ausbeſſerung einiger, der
Menſchheit ſo weſentlichen, Fehler zu quaͤlen? Und
ob man nicht auf eine gemaͤchlichere Art derjenigen
Vor-
[542](o)
Vortheile theilhaftig werden koͤnne, welche ſich un-
ſere Feinde von der Vollkommenheit, oder gaͤntzli-
chen Befreyung von allen Maͤngeln verſprechen?
Wofern ich nicht irre, ſo beſtehet aller Vortheil,
den die Vollkommenheit geben kan, in dem un-
ausſprechlichen Vergnuͤgen, deſſen ein Menſch, der
ſich keiner Fehler bewuſt iſt, nothwendig genieſſen
muß. Wir elende Scribenten ſind uns nun unſe-
rer Fehler nicht bewuſt; weil wir ſie nicht erken-
nen, und beſitzen alſo wuͤrcklich diejenige Gluͤckſeelig-
keit, nach welcher unſere Feinde mit ſo vieler Muͤhe
ringen. Jſt dieſes nicht gemaͤchlich? Und kan man
ſich wohl des Lachens enthalten, wenn man ſiehet,
wie wunderlich ſich die guten Scribenten gebaͤrden?
Sie kommen mir wahrlich nicht anders vor, als
der Koͤnig Pyrrhus, der ſich einbildete, er koͤnne
ſich mit ſeinen Freunden nicht recht luſtig machen,
wenn er nicht vorher Jtalien, Sicilien, Cartha-
go, und ich weiß nicht was vor Laͤnder mehr, be-
zwungen haͤtte. Man ſtellte ihm vor, er duͤrfe des-
falls nicht einen Fuß aus ſeinem Koͤnigreiche ſetzen,
und wenn unſere Feinde nur einmahl bedencken wol-
ten, wie vergnuͤgt wir unſer Leben zubringen, oh-
ne unſere Fehler zu erkennen, ſo wuͤrden ſie leicht
begreifen, daß die Muͤhe, welche ſie ſich geben, um
zu einem Gluͤcke zu gelangen, das in ihren Haͤnden
ſtehet, hoͤchſt unnuͤtze ſey. Jch ſage wenig: Denn
wenn man ihre Auffuͤhrung recht anſiehet, ſo iſt ſie
im hoͤchſten Grad laͤcherlich.
Sie ſuchen durch die Erkaͤnntniß ihrer Fehler
gluͤcklich zu werden: Da doch die Gluͤckſeeligkeit
darinn beſtehet, daß man ſich keiner Fehler bewuſt
iſt.
[543](o)
iſt. Kan man wohl wunderlicher zu Wercke gehen?
Sprechen ſie: Sie blieben bey der Erkaͤnntniß ihrer
Fehler nicht, ſtehen, ſondern bemuͤheten ſich, durch
die Ablegung derſelben, die Vollkommenheit zu er-
reichen, die allein einen Scribenten vergnuͤgt ma-
chen kan? So antworte ich: Daß es unmoͤglich ſey,
auf folche Art vergnuͤgt und gluͤcklich zu werden. Jch
berufe mich desfalls auf die Erfahrung. Waͤre es
moͤglich, ſo muͤſte die Zufriedenheit eines Scriben-
ten, der es in der Ausbeſſerung ſeiner Fehler weit ge-
bracht, und der Vollkommenheit ſehr nahe gekom-
men iſt, groͤſſer ſeyn, als eines andern, der es nicht
ſo hoch gebracht, und weiter von der Vollkommen-
heit entfernet iſt. Aber ſo ſehen wir taͤglich das Ge-
gentheil. Montaigne (49) ſagt; Es gehe den Ge-
lehrten wie den Aehren, die ſo lange aufrecht ſtehen,
und ſich bruͤſten, als ſie leer ſind; ſo bald ſie aber von
Koͤrnern ſchwer werden, das Haupt ſincken laſſen;
Und er hat Recht. Ein unvollkommener Scri-
bent iſt bey allen ſeinen Fehlern vergnuͤgt, und mit
ſich ſelbſt zu frieden. Je naͤher hergegen ein Scri-
bent der Vollkommenheit koͤmmt, je mehr Fehler
entdeckt er an ſich; je leckerer, je verdrießlicher, je
mißvergnuͤgter mit ſich ſelbſt wird er. Die Urſa-
che iſt dieſe, weil die Vollkommenheit, nach wel-
cher die guten Scribenten ſtreben, eine leere Ein-
bildung
[544](o)
bildung, und ein ſuͤſſer Traum gar zu hochmuͤthi-
ger Leute iſt. Die Beſcheidenſten unſerer Feinde
ſtimmen hierin mit mir uͤberein. Sie bekennen,
daß alle ihr Arbeit, ihr Wachen, ihr Leſen, ihr
Nachdencken ihnen keinen andern Vortheil gebracht
hat, als daß ſie ihre Schwachheit erkennen, und be-
greifen gelernet haben, daß unſer Wiſſen Stuͤck-
Werck ſey. Wie dieſe verdrießliche Entdeckung ge-
ſchickt ſey, einen Menſchen vergnuͤgt zu machen, das
begreife ich nicht. Jch halte vielmehr davor, daß,
natuͤrlicher Weiſe, die Verzweifelung ihr auf dem
Fuſſe folgen muͤſſe, und ein guter Scribent, wann
er ſich lange geqvaͤlet hat, ſtatt der Zufriedenheit, die
er ſuchet, nicht als einen ewigen Abſcheu vor ſich
ſelbſt, zur Belohnung ſeiner Muͤhe, erlangen koͤnne.
Wie eine ſchoͤne Gelegenheit haͤtte ich hier nicht,
unſere Feinde auszuhoͤhnen, und laͤcherlich zu ma-
chen? Jch koͤnnte uͤber ihre eingebildete Weißheit
ſpotten, und ihnen deutlich zeigen, daß ſie nichts
weniger, als weiſe ſind. Denn die vornehmſte
Eigenſchaft eines weiſen Mannes iſt die Zufrieden-
heit mit ſich ſelbſt.
ſagt Seneca (50),
dio ſui.’
Dieſe Vorruͤckung ihrer Thorheit wuͤrde
ihrem Hochmuth ſehr empfindlich ſeyn. Allein ich
will ihr Ungluͤck nicht groͤſſer machen. Sie ſind
ohne dem hoch genug betruͤbet. Jch bin zu frieden,
wenn nur meine Leſer erkennen, daß unſere Feinde,
die guten Scribenten, ſehr unvernuͤnftig handeln,
wann ſie uns den Mangel der Vernunft zur Suͤn-
de
[545](o)
de deuten, der doch die Quelle unſerer Vortreflich-
keiten iſt, und in uns eine Zufriedenheit wuͤrcket,
zu welcher auſſer uns, wenig Menſchen, in dieſem
Jammerthal, zu gelangen, das Gluͤck haben.
Jch bilde mir ein, dieſes mit ſtattlichen Gruͤn-
den uͤberfluͤßig erwieſen zu haben, und ſchreite da-
hero zu dem andern Haupt-Fehler elender Schriften,
der, wie unſere Feinde meinen, in dem Mangel
der Ordnung beſtehen ſoll. Da es mir leichter ge-
worden, als ich anfangs ſelbſt geglaubet habe, den
Mangel der Vernunft, den man uns vorwirft, zu
rechtfertigen; So wird es mir wenig Muͤhe koſten,
unſern Feinden zu zeigen, daß ſie gar keine Urſache
haben, unſere Schriften zu verachten, weil ſie eben
nicht allemahl die ordentlichſten ſind.
Die Ordnung im Schreiben iſt, wie jederman
geſtehet, willkuͤhrlich. Es iſt alſo kein Scribent
befugt, dem andern vorzuſchreiben, wie er ſein Buch
einrichten ſolle; eben ſo wenig, als ein Buͤrger das
Recht hat, ſeinen Nachbarn, uͤber die Einrichtung
ſeiner Haußhaltung zur Rede zu ſtellen. Da nun
dieſes unſtreitig iſt; ſo nehmen ſich unſere Feinde
zu viel heraus, wenn ſie ſich unterſtehen, uͤber die
Ordnung oder Unordnung unſerer Schriften zu rich-
ten. Jhr Urtheil kan in dieſem Fall nicht gelten,
ich will nicht ſagen, weil ſie partheyiſch ſind; ſon-
dern auch nur deßwegen; weil das, was man Ord-
nung nennet, etwas ſehr zweydeutiges und unge-
wiſſes iſt.
Die Uberforſcher (51) ſagen: Die Ordnung
Mmſey
[546](o)
ſey eine Uebereinſtimmung des Mannigfaltigen.
Dieſes Mannigfaltige kan auf vielerley Art, und
unzaͤhlige Mahl verſetzet werden, und es bleibt doch
allemahl eine gewiſſe Ubereinſtimmung in demſel-
ben uͤbrig. Da nun das Mannigfaltige auf un-
terſchiedliche Art uͤbereinſtimmen kan; ſo ſtehet es
bey einem jeden, was er vor eine Uebereinſtimmung
der andern vorziehen will, und keiner iſt befugt,
mich einer Unordnung zu beſchuldigen, wenn ich et-
wa das Mannigfaltige von einer andern Seite an-
geſehen habe, als er. Soll dieſes nicht wahr ſeyn;
So muͤſte in der Muſick nur eine eintzige Melodey
ſtatt haben. Denn die Melodey iſt nichts anders,
als eine harmonirende Menge unterſchiedener Toͤne.
Haͤtte nun in dem Mannigfaltigen nur eine einzige
Ubereinſtimmung ſtatt; So muͤſte auch in der Mu-
ſick nur eine einzige Harmonie unterſchiedener Toͤne
die rechte ſeyn, und alle andere Miſchungen dieſer
Toͤne uͤbel klingen. Dieſes iſt laͤcherlich. Folglich
kan ein jeder das Mannigfaltige, mit dem er zu thun
hat, mengen, wie er will, und diejenige Uberein-
ſtimmung deſſelben wehlen, die ihm die beſte ſcheinet.
Es waͤre viel, wenn bloß den elenden Scriben-
ten dieſes nicht frey ſtehen, und ein jeder Spoͤtter
berechtiget ſeyn ſolte, ihre Schriften vor unordent-
lich zu ſchelten, wenn ſie das Mannigfaltige, wor-
aus ſie beſtehen, nicht nach ſeiner Phantaſie ge-
miſchet haben. Die elenden Scribenten ſchreiben
Buͤcher: Ein Buch iſt eigentlich nichts, als eine
Menge mit Buchſtaben befchriebener Blaͤtter.
Wenn unter dieſen Buchſtaben eine Uebereinſtim-
mung iſt, ſo iſt das Buch, welches ſie ausmachen,
ein
[547](o)
ein ordentliches Buch. Unter den Buchſtaben iſt
eine Uebereinſtimmung, wenn ſie nur ſo zuſammen ge-
ſetzet ſind, daß verſtaͤndliche Worte herauskommen.
Dieſe Worte koͤnnen nun in allen Sprachen wie-
der unzaͤhlige Mahl verſetzet werden, ohne Nach-
theil der ſo noͤthigen Uebereinſtimmung des Man-
nigfaltigen; Und es ſtehet alſo in eines jeden Be-
lieben, wie er die Worte der Sprache, in welcher
er ſchreibt, untereinander mengen will. Da die-
ſes nun in eines jeden Freyheit ſtehet, ſo handelt
derjenige unvernuͤnftig, und tyranniſch, der ſich die
Macht zueignet, einen Scribenten, wegen dieſer
willkuͤhrlichen Vermengung der Worte, zur Ver-
antwortung zu ziehen: Wofern man nicht, wider
alle Vernunft behaupten will, es koͤnne die noͤthige
Uebereinſtimmung des Mannigfaltigen nur durch
eine einzige Art aller moͤglichen Wort-Miſchungen
erhalten werden, und folglich nur ein einziges or-
dentliches Buch in der Welt ſeyn.
Jch habe das Vertrauen zu unſern Feinden,
daß ſie ſich ſchaͤmen werden, ſo entſetzlich zu ſchwaͤr-
men. Aber mit was vor Fug koͤnnen ſie dann un-
ſere Schriften vor unordentlich ausſchreyen? Be-
ſtehen dieſe Schriften nicht aus verſtaͤndlichen Wor-
ten? Jch ſolte es meinen: Denn ſonſt wuͤrden ſie
doppelt unvernuͤnftig handeln, wenn ſie von der
Ordnung ſolcher Schriften urtheilen wolten, in
welchen ſie kein Wort verſtehen: Haben wir nicht
eben die Macht, die Worte nach unſerm Gutduͤn-
cken zu miſchen, die ſie haben? Und haͤtten wir
alſo nicht auch das Recht, ihre Schriften vor un-
ordentlich zu halten, wenn die Vermiſchung der
M m 2Wor-
[548](o)
Worte, die ſie erwaͤhlet, uns nicht anſtuͤnde?
Aber wir ſind ſo unbillig nicht. Wir laſſen einem
jeden ſeine Freyheit, und verlangen von unſern
Feinden ein gleiches.
Es iſt ſchwehrlich zu vermuthen, daß ſie uns
dieſe Gnade wiederfahren laſſen werden; Wie
gruͤndlich ich auch gezeiget habe, daß unſere For-
derung billig iſt. Denn ſie ſind gar zu ungerecht
und eigenſinnig. Jch will alſo dieſe Forderung
fahren laſſen, und ihnen, jedoch unſern Rechten
unverfaͤnglich, zugeben, daß in unſern Schriften
die groͤſte Unordnung herrſche. Mich deucht nicht,
daß dieſer Fehler ſo groß iſt, als ihn unſere Fein-
de machen, und ihre eigene Auffuͤhrung beſtaͤrcket
mich in dieſer Meinung. Es iſt bey ihnen gar
nichts ſeltenes, daß ſie Schriften mit Luſt leſen,
und biß in den Himmel erheben, die doch gantz
unordentlich geſchrieben ſind. Wenn dieſe Schrif-
ten Leute zu Urhebern haben, denen ſie gewogen
ſind, ſo wiſſen ſie den Fehler, den ſie uns, als
eine greuliche Miſſethat anrechnen, nicht genug zu
preiſen. Sie nennen die Unordnung, die ſie in
ſolchen Schriften wahrnehmen, eine angenehme
Unordnung, und bewundern die Hoͤflichkeit des
Verfaſſers, der dem Eckel ſeiner Leſer ſo geſchickt
vorbeuget, und vor ihre Beluſtigung ſo ſehr ſorget,
daß er ſich oft mit ihnen von der ordentlichen Land-
Straſſe entfernet, und ſie in ſo luſtige Gegenden
und auf ſo angenehme Auen fuͤhret, daß ſie, vor
Luſt entzuͤckt, und vor Freude auſſer ſich, die Be-
ſchwerlichkeiten der Reiſe nicht mercken, und ſich
nicht nach der Herberge ſehnen. Wenn wir arme
Leute
[549](o)
Leute hergegen, aus gutem Hertzen, unſern Leſer
qveer Feld ein fuͤhren, und ihm eine Ehre anthun
wollen, ſo bekoͤmmt es uns eben ſo uͤbel, als wenn
der Eſel, nach dem Exempel des Huͤndgens, ſei-
nem Herren liebkoſen will. Man nennet unſere
Hoͤflichkeit eine Ausſchweifung, und uns elende
Schwaͤrmer, die nicht wiſſen, wo ſie zu Hauſe
ſind. Ob dieſes billig gehandelt ſey, weiß ich nicht;
das weiß ich, daß meine Leſer uͤber das ungerechte
Verfahren unſerer Feinde erſtaunen werden; Aber
ſie werden ſich noch mehr wundern, wenn ſie fol-
gendes zu bedencken belieben wollen.
Die Poeſie, welcher unſtreitig der Rang uͤber die
ungebundene Beredſamkeit gebuͤhret, hat nichts
vortreflichers, als die Ode und das Helden-Ge-
dicht. Jn beyden muß aber eine gewiſſe Unord-
nung herrſchen, wofern ſie gut ſeyn ſollen. Eine
Ode, in der man keine Fußſtapfen eines entzuͤck-
ten Geiſtes findet, taugt nicht viel. Sie muß
voller Ausſchweifungen ſeyn, und mit einer ange-
nehmen Verwirrung prangen. So bald hen-
gen ihre Strophen nicht, auf eine gemeine Weiſe,
ordentlich zuſammen, ſo wird ſie platt und abge-
ſchmackt. Ein Helden-Gedicht, in dem eine ge-
meine Hiſtoriſche Ordnung beobachtet worden,
wird ſeinem Urheber wenig Ehre bringen. Will
er, daß man ihn unter die Dichter zehle, ſo muß
er ſchwaͤrmen, und alles untereinander mengen.
Er kan anfangen wo er will, nur bey Leibe nicht
von vorne:
Sed per ambages, deorumque mi-
niſteria, \& fabuloſum ſententiarum tormentum
præcipitandus eſt liber ſpiritus; ut potius fu-
M m 3rentis
[550](o)
rentis animi vaticinatio appareat; quam religio-
ſæ orationis ſub teſtibus fides(52).
So reden unſere Feinde, und ſo machen ſie es
auch. Solten ſie ſich dann nicht ſchaͤmen, unſe-
re Schriften wegen einer Unordnung zu verachten,
die ſie ſelbſt zu den wichtigſten und groͤſſeſten Wer-
cken des menſchlichen Verſtandes ſo noͤthig halten?
Muͤſſen ſie nicht ſelbſt geſtehen, daß die Unordnung
unſerer Schriften uns von dem gemeinen Haufen
derer, die in ungebundener Rede ſchreiben, merck-
lich unterſcheide, und eine Eigenſchaft ſey, wodurch
unſere ungereimten Wercke der Ode und dem Hel-
den-Gedicht, welches unſtreitig die vollkommenſten
Geburten des menſchlichen Witzes ſind, ungemein
aͤhnlich werden? Jhre Unbilligkeit faͤllet ſo ſehr in
die Sinne, daß ich mich ſchaͤme, desfals ein Wort
mehr zu ſagen. Sie moͤgen ſehen, wie ſie ihr Ver-
fahren gegen Unpartheyiſche rechtfertigen.
Es wird ihnen dieſes um ſo viel ſchwerer fallen,
je offenbarer es iſt, daß unſere Schriften den ihri-
gen, was die Ordnung anlanget, nichts nachge-
ben. Man ſehe nur unſere Buͤcher an, und ſage
mir, ob ſie nicht eben ſo ausſehen, als diejenigen,
welche unſere Feinde machen. Der Anfang kommt
erſt; dann folgt das Mittel, und das Ende ſchlieſ-
ſet die Reihe. Jch habe noch nicht erlebet, daß
einer meiner Bruͤder ſein Buch mit einem andaͤch-
gen Soli Deo Gloria angefangen, und mit einem
glaͤubigen Quod Deus benè vertat, beſchloſſen;
Und biete unſern Feinden Trotz, mir einen nahm-
haft
[551](o)
haft zu machen, der ſich ſo weit vergangen habe.
Wie ſehr wir uns auch ſonſt von unſern Feinden
unterſcheiden, ſo richten wir doch unſere Buͤcher
eben ſo ein, als ſie. Sievers, mein wuͤrdiger
Bruder, von dem man ſagen kan, daß er der Ver-
nunft, und ihren unmaͤßigen Verehrern zum Poſ-
ſen geſchrieben, und Philippi der Streitbare, eine
Zierde, und Crone der elenden Schreiber, haben
Buͤchlein ausgehen laſſen, die ſo wohl eingerichtet
ſind, daß man, ehe man ſie lieſet, ſchweren ſolte,
ſie waͤren von guten Scribenten gemacht. Wann
man ſie aufmachet, ſo erblicket man zuerſt das lieb-
liche Antlitz des vortreflichen Verfaſſers, deſſen
Vor-und Zu-Nahmen, Vaterland, Alter und
Wuͤrde; oder ein ander wohl oder uͤbel ausgeſonne-
nes Kupfer: Dann koͤmmt die Vorrede eines be-
ruͤhmten Mannes, die das Lob des Verfaſſers in
ſich halten ſoll, ob ſie gleich bißweilen, wie es mei-
nem lieben Bruder Sievers wuͤrcklich begegnet iſt,
zu ſeiner Schande gereichet; oder eine demuͤthige Zu-
eignungs-Schrift. Hierauf folget die Vorrede des
Verfaſſers, und dann das Wercklein ſelbſt. Nach
dem Wercklein kommen die Regiſter, und zuletzt ein
Verzeichniß der Schriften des Verfaſſers. Das
weiſſe Blat, das dann noch folget, rechne ich nicht
mit; weil es der Buchbinder nur hinzu gethan hat.
Doch kan man auch daraus abnehmen, daß ein
elendes Buch einem guten ſo aͤhnlich ſiehet, als ein
Ey dem andern. Jſt nun aber eine beſſere Ordnung
zu erdencken, als diejenige, ſo meine beyden Bruͤder, die
ich eben jetzo genennet, in ihren Buͤchern beobachtet
haben? Und ſo machen wirs alle. Was wollen un-
ſere Feinde mehr?
M m 4Ueber
[552](o)
Ueber die Ordnung der Buchſtaben und Wor-
te in unſern Schriften laſſe ich mich mit ihnen nicht
ein: Denn ich habe ſchon oben aus der Meta-
phyſick erwieſen, daß es in eines jeden Belieben
ſtehe, wie er die Worte und Buchſtaben, die er
zu Verfertigung ſeiner Schrift gebrauchet, miſchen
wolle. Doch kan ich wohl ſo viel ſagen, daß wir, oh-
ne Ruhm zu melden, eben ſo gut, als unſere Fein-
de wiſſen, wo ein jeder Buchſtabe hingehoͤret.
Wann wir: Aber ſchreiben, ſo ſetzen wir das
A zuerſt, und das R zuletzt; Und ſo machen wir es
in allen andern Woͤrtern. Was die Ordnung
der Woͤrter unter ſich anlanget; ſo bilde ich mir ein,
wir thun genug, wenn wir ſie ſo ſetzen, daß, die
meiſte Zeit, ein Verſtand herauskoͤmmt. Koͤnnen
unſere Leſer unſern Sinn manchmahl nicht errei-
chen, ſo muͤſſen ſie es entweder ihrer Einfalt zuſchrei-
ben; oder dencken, daß wir ſelbſt nicht gewuſt, was
wir haben wollen: Und dann waͤre es eine Unbe-
ſcheidenheit, von uns zu verlangen, daß wir ſagen
ſollen, was wir nicht gewuſt haben.
Aus dieſem allen koͤnnte ich numehro den Schluß
machen, daß unſer Schriften ſo ordentlich geſchrie-
ben ſind, als es immer ſeyn kan; Wenn ich nicht
vorher ſaͤhe, daß unſere hallſtarrigen Feinde ſagen
werden, es ſey noch zu fruͤhe. Die Grillenfaͤnger
werden ſprechen: Es komme in einer Schrift haupt-
ſaͤchlich auf die Gedancken an: Wir aber daͤchten un-
gemein unordentlich, und unſere Gedancken kaͤmen
alle uͤber Kopf zu Papier. Dieſer Einwurfbedeu-
tet nichts, und iſt, mit aller Beſcheidenheit zu ſa-
gen, im hoͤchſten Grad elend. Jch koͤnnte nur dar-
auf
[553](o)
auf antworten: Es ſey, ihrem eigenen Geſtaͤnd-
niß nach, unmoͤglich, daß wir unordentlich daͤchten:
weil ſie ſagten, wir koͤnnten gar nicht dencken.
Denn quicquid non eſt ſimpliciter tale, illud
non eſt cum addito tale. Allein ich will ſie ſo
ſchimpflich nicht abfertigen. Jch bitte ſie nur, mir
zu ſagen, woher ſie dann wiſſen, daß die Gedan-
cken in unſern Schriften nicht in gehoͤriger Ord-
nung ſtehen? Sie koͤnnen ja unſere Gedancken nicht
ſehen; weil ſie unſichtbar ſind, und alſo nicht an-
ders, als nach den Zeichen, mit welchen wir ſie an-
deuten, von denſelben urtheilen. Dieſe Zeichen
ſind die Worte, aus welchen unſere Buͤcher zu-
ſammen geſetzet ſind. Da nun dieſe Worte, wie
ich ſchon gezeiget habe, ſo ordentlich von uns geſe-
tzet werden: Und uͤberdem kein Scribent dem an-
dern von der Art ſeiner Wort-Miſchung Rede und
Antwort zu geben verbunden iſt; So ſehe ich nicht,
wie die Gedancken, weche durch die Worte ange-
deutet werden, in unſern Schriften unordentlich
unter einander gemenget ſeyn koͤnnen, und was un-
ſere Feinde vor Recht haben, uͤber die von uns be-
liebte Ordnung, wenn ſie ihnen nicht anſtehet, zu
ſpotten.
Zwar muß ich bekennen, daß wir in der Wahl
unſerer Gedancken eben nicht ſonderlich lecker ſind.
Wir ſchreiben ſie hin, wie ſie uns einfallen. Aber
ich weiß auch, daß dieſes etwas ſehr gemaͤchliches,
und loͤbliches, ja ein klarer Beweiß unſerer Vor-
treflichkeit iſt. Jch verdencke es unſern Feinden
nicht, daß ſie, wann ſie ſchreiben wollen, ſich mit
einer aberglaͤubigen Wahl der ihnen beyfallenden
M m 5Gedan-
[554](o)
Gedancken qvaͤlen, und nicht ſchluͤſſig werden koͤn-
nen, welchen Einfall ſie zuerſt zu Papier bringen
wollen. Denn ihre Gedancken ſind nicht alle gleich
gut. Allein ſie werden dann auch ſo gut ſeyn,
und nicht von uns verlangen, daß wir uns eben
ſo quaͤlen ſollen. Wir haben dieſes nicht noͤthig:
Weil unſere Gedancken alle gleich gut ſind, und
alſo wenig daran gelegen iſt, welcher zuerſt oder zu-
letzt hingeſchrieben werde. Dieſes giebt uns einen
beſondern Vorzug vor unſern Feinden, und erleich-
tert uns die Geburt ungemein. Jn den Koͤpfen
der guten Scribenten gehet es nicht anders her,
als in dem Leibe der Rebecca. Die Gedancken
ſtoſſen ſich darinn, wie die Kinder in dem Bauche
dieſer Ertz-Mutter. Ja das Gedrenge der Gedan-
cken, von denen immer einer eher als der andere her-
aus will, iſt ſo groß in dem Gehirn dieſer Ungluͤck-
ſeeligen, daß es nicht zu verwundern waͤre, wenn vie-
le in der Geburt darauf giengen, wie die Thamar.
Wir haben dergleichen Zufaͤlle nicht zu beſor-
gen. Unſere Gedancken ſind einander vollkommen
gleich. Sie leben in Friede, und ſtreiten ſich nicht
um den Rang. Sie drengen ſich nicht, ſondern
gehen ohne alle Ceremonie, wie ſie die Reihe trift,
aus Mutter-Leibe hervor. Soll dieſes eine Unord-
nung heiſſen, ſo muͤſſen unſere Feinde glauben, daß,
auſſer den oͤfentlichen Proceſſionen, keine Ordnung
zu finden, und z. E. in einer Geſellſchaft recht guter
Freunde nichts als Verwirrung und Unordnung
anzutrefen ſey. Sie werden ſo wunderlich nicht
ſeyn, daß ſie dieſes ſagen: Warum aber bilden ſie
ſich dann ein, daß unſere Schriften darum unor-
dentlich
[555](o)
dentlich ſind, weil wir keine Rang-Ordnung unter
unſern Gedancken eingefuͤhret haben? Da unſere
Gedancken alle gleich gut ſind, ſo kan es unſern
Schriften nicht an Ordnung gebrechen, und wenn
wir die Gedancken noch ſo wunderlich durch einan-
der werfen. Ja unſere Schriften werden dadurch
um ſo viel kuͤnſtlicher. Man ſehe ſie von vorne,
von der Seite, oder von hinten zu an; So wird
man allezeit eine Ordnung darinn finden; Und da-
her ſagen unſere Feinde ſelbſt, man koͤnne ſie, ohne
Gefahr ſich zu verwirren, von hinten zu ſo gut, als
von vorne leſen. Sie haben Recht: Aber es ſtehet
ihnen ſehr uͤbel, daß ſie dem ungeachtet doch uͤber
die Unordnung unſerer Schriften klagen. Wer
meine Gruͤnde, mit welchen ich die Ungereimtheit
dieſer Klagen dargethan habe, gebuͤhrend einſiehet,
wird mit Haͤnden greifen, wie unmoͤglich es ſey,
daß ſich die geringſte Unordnung in unſern Schrif-
ten einſchleiche. Denn da unſere Gedancken ein-
ander vollkommen gleich: So kan es nicht fehlen,
es muß eine Uebereinſtimmung unter ihnen ſeyn,
ſie moͤgen auch gemenget ſeyn, wie ſie wollen. Ja
ich bin gut davor, daß, wenn man die Schriften
meiner beyden Freunde, Sievers und Philippi in
Stuͤcke zerhacken, die Stuͤcke in einen Hut ſchuͤtten,
und, nachdem man ſie vorher wohl umgeruͤttelt,
von einem 7 jaͤhrigen Knaben blindlings heraus-
ziehen laſſen wollte, ein Werck zum Vorſchein
kommen wuͤrde, das, wo nicht beſſer doch allemahl
ſo gut ſeyn wuͤrde, als alles, was dieſe beyden
Maͤnner jemahls geſchrieben haben. Die Urſache
iſt aus dem vorigen klar.
Nachdem
[556](o)
Nachdem ich alſo nunmehro auch den ungegruͤn-
deten Vorwurf einer erdichteten Unordnung von
den elenden Scribenten ſo gruͤndlich und vortreflich
abgelehnet habe, ſo gehe ich, mit einer, einem elen-
den Schreiber anſtaͤndigen, Zufriedenheit weiter,
und beleuchte dasjenige, was die guten Scribenten
wider unſere Schreib-Art einzuwenden haben.
Da die guten Leute in allen Stuͤcken ſo lecker,
und von ſo verwehntem Geſchmacke ſind, ſo iſt
es nicht zu verwundern, daß ihnen unſere Schreib-
Art nicht zierlich genug iſt. Sie ruͤmpfen die
Naſe, wann ſie unſere Schriften leſen, und
druͤcken ihren Eckel durch die bitterſten Worte
aus. Sie klagen, unſere ſcheußliche Schreib-
Art verurſache ihnen ein Bauch-Grimmen, und
gebaͤrden ſich ſo uͤbel, daß man faſt davor erſchre-
cken ſollte. Allein ich kenne dieſe Herren, und
muß ihres Eckels und ihrer Verdrehungen lachen.
Jch glaube auch, daß alle diejenigen, die mir
die Ehre thun, meine Schrift biß hieher zu
leſen, ſchon begreifen werden, daß dieſe Zaͤrtlich-
keit unſere Feinde mehr ſchaͤnde, als uns der Vor-
wurf, denn ſie uns machen, und wenn er gleich
noch ſo gegruͤndet waͤre.
Ein weiſer Mann befleißiget ſich in allen Din-
gen der Maͤßigkeit, und ſiehet alſo die gar zu groſſe
Bemuͤhung, zierlich zu ſchreiben, vor eine Schwach-
heit an, die ſich vor ihn nicht ſchicket. Unſere
Vorfahren, die alten Teutſchen, waren gewiß
gantz andere Leute, als wir, und ihre Tugenden
ſetzen ſelbſt diejenigen in Verwunderung, die am
weiteſten von der Vollkommenheit unſerer Vaͤter
abge-
[557](o)
abgewichen. Man ſehe aber die Schreib-Art die-
ſer vortreflichen Maͤnner an. Wie ungekuͤnſtelt,
wie rauh iſt ſie nicht. Und dieſes aus keiner an-
dern Urſache, als weil ihre Sitten von aller Uep-
pigkeit, und Zaͤrtlichkeit entfernet waren:
minibus fuit oratio, qualis vita(53).’
Wenn wir dahero ſonſt nicht wuͤſten, wie ſehr
wir aus der Art geſchlagen ſind, ſo koͤnnte man es,
zur Noth, aus der muͤhſamen Kuͤnſtelung in der
Schreib-Art abnehmen, die zu unſern Zeiten ley-
der! ſo ſehr uͤberhand genommen hat. Denn dieſes
iſt, nach des Seneca Anmerckung, ein ſicheres
Kennzeichen eines verdorbenen Staats.
plina, ſpricht er (54), civitatis laboravit; \& ſe
in delicias dedit, argumentum eſt luxuriæ pu-
blicæ, orationis laſcivia.’
Er ſetzt eine Urſache
hinzu, die gewiß buͤndig iſt.
faͤhrt
er fort,
ille ſanus eſt, ſi compoſitus, gravis, temperans,
ingenium quoque ſiccum ac ſobrium eſt.’
Das
Zeugniß eines Mannes, der ſelbſt ſo zierlich ge-
ſchrieben hat, muß nothwendig bey unſern Wi-
derſachern viel gelten, und ich hofe alſo, ſie wer-
den ſich dadurch bewegen laſſen, ins kuͤnftige von
unſerer unzierlichen und trockenen Schreib-Art et-
was milder zu urtheilen.
Dieſes um ſo viel eher von ihnen zu erhalten,
will ich ihnen nachfolgende Stelle aus ihrem Se-
neca zur Ueberlegung mittheilen, aus welcher ſie
lernen koͤnnen, wie wenig ein Mann, deſſen Ur-
theil
[558](o)
theil ſie ſo viel trauen, auf die Zierlichkeit, um
deren Mangel ihnen unſere Schreib-Art ſo ſcheuß-
lich vorkommt, gehalten hat.
ſagt er (55),
litam, ſcito animum quoque non minus puſil-
lis occupatum. Magnus ille remiſſius loquitur
\& ſecurius: quæcumque dicit plus habent fidu-
ciæ, quam curæ. Noſti complures juvenes,
barba \& coma nitidos, de capſula totos: nihil
ab illis ſperaveris forte, nihil ſolidum. Oratio
vultus animi eſt, ſi circum tonſa eſt, \& fucata,
\& manufacta, oſtendit illum quoque non eſſe
ſincerum, \& habere aliquid fracti. Non eſt
ornamentum virile, concinnitas.’
Guͤldene
Worte! Jſt es nicht, als wenn der vortrefliche
Seneca den Vorſatz gehabt haͤtte, uns wider un-
ſere unbillige Verfolger zu vertheidigen? Er hat
es ſo nachdruͤcklich gethan, daß ich es nicht beſſer
zu machen weiß. Unſere Feinde koͤnnen von ihm
lernen, wie eitel und weibiſch ihre Bemuͤhung, und
wie unanſtaͤndig einem rechtſchafenen Mann eine
zierliche Schreib-Art ſey. Sie werden demnach
ſo guͤtig ſeyn, und die Unzierlichkeit der unſrigen
nicht weiter verachten. Wir haben es ihnen ſo oft
geſagt, daß wir maͤnnlich ſchreiben, und nun hoͤ-
ren ſie von einem Scribenten, denn ſie gewiß kei-
ner Partheylichkeit beſchuldigen koͤnnen, daß eine
maͤnnliche Schreib-Art keinen Zierrath leide. Wenn
ſie dadurch nicht bekehret werden, ſo iſt alle Hof-
nung an ihnen verlohren.
Sie
[559](o)
Sie irren ſich, wofern ſie ſich einbilden, daß un-
ſere Schreib-Art durch den Mangel der Zierlichkeit
alle Annehmlichkeit verliehre, und aufhoͤre ſchoͤn
zu ſeyn. Sie findet doch ihre Liebhaber, und iſt
um ſo viel ſchoͤner, je natuͤrlicher und ungekuͤnſtel-
ter ſie iſt. Ein geputztes und geſchmincktes Geſicht
faͤllt ſehr in die Augen: Aber das ſind die rechten
Schoͤnheiten, die auch ungeputzt gefallen. Die
Schoͤnheit unſerer Schreib-Art hat dieſe Eigen-
ſchaft. Unſer Styl iſt auch bey ſeiner natuͤrlichen
Scheußlichkeit ſchoͤn. Er iſt, wie die Moͤpſe,
(56): Und wir wuͤrden ihn
verderben, wenn wir daran kuͤnſteln wolten.
Ja wenn wir gleich dieſes thaͤten, ſo waͤre doch
noch Gefahr dabey, ob wir es unſern Feinden zu
Danck machen wuͤrden. Wir ſind mit dieſen ei-
genſinnigen Leuten uͤbel daran. Schreiben wir
natuͤrlich, und maͤnnlich, ſo iſt es ihnen nicht recht:
Schreiben wir zierlich und kuͤnſtlich, ſo lachen ſie
uns aus. Diejenigen aus unſerm Mittel, welche
man die boͤſen Poeten nennet, erfahren es taͤglich.
Dieſe zierliche Herrenputzen ſich ungemein heraus,
weil ſie ſo oft zur Hochzeit gehen. Jhre Schriften
ſind praͤchtig geſchmuͤcket, und eine jede Zeile der-
ſelben pranget mit Gold, Silber, und Ertz, da-
zu auch Edelgeſtein. Sie gleichen dem Wagen
des Phoͤbus.
“Aureus axis erat, temo aureus, aurea
ſummæ
“Curvatura rotæ; radiorum argenteus ordo,
“Per
[560](o)
“Per juga chryſolithi, poſitæque ex ordine
gemmæ
“Clara repercuſſo reddebant lumina Phœ-
bo(57).
Und wer ſie mit glaͤubigen Augen anſiehet, der
findet darinn einen Vorſchmack des neuen Jeruſa-
lems. Aber, dem allen ungeachtet, kommen ſie
unſern Feinden eben ſo laͤcherlich vor, als die Pre-
cieuſes ridicules beym Moliere. Und ſo hoͤniſch
dieſe wunderliche Leute denenjenigen meiner Bruͤ-
der, die, wie ich, in ungebundener Rede ſchreiben,
ihre unzierliche Schreib-Art vorwerfen, ſo uͤbel ſind
ſie mit der Zierlichkeit meiner lieben Bruͤder, der
boͤſen Poeten, zu frieden. Es iſt ein Elend anzu-
ſehen, wie ſie mit dieſen armen Leuten, die gewiß
keine Koſten ſparen, ihre Leſer zu vergnuͤgen, hauß-
halten. Sie laſſen ihnen nicht vor einen Heller
Ehre, und haben dieſe praͤchtige Schreiber ſo weit
herunter gebracht, daß man kaum glauben ſollte,
ſie ſtammten in gerader Linie von dem Koͤnige Mi-
das, glorwuͤrdigſten Andenckens, her, wenn nicht
ihre hohe Abkunft dadurch auſſer allen Streit geſetzt
wuͤrde, daß alles, was ſie anruͤhren, Gold wird.
Da ſich nun unſere Feinde ſo ofenbahr in ihren
Urtheilen widerſprechen, ſo verdienen ſie nicht, daß
man ſich groß an ſie kehre. Sie wiſſen nicht was
ſie haben wollen. Bald ſchreiben wir ihnen zu zier-
lich; bald nicht zierlich genug. Es iſt uns alſo
nicht zu verdencken, wenn wir ſie immerhin ſchwa-
tzen laſſen, und feſte dabey bleiben, daß es eine
Thor-
[561](o)
Thorheit ſey, zierlich zu ſchreiben, wenn man keine
Verſe macht. Denn ich begehre kein Joch auf
meiner Bruͤder, der boͤſen Poeten, Haͤlſe zu legen,
oder ihrer Verſchwendung Ziel und Maaſſe zu ſe-
tzen. Dieſe Herren koͤnnen mit den Schaͤtzen,
welche ihnen nicht ſauer zu verdienen, haußhalten,
als ſie wollen. Je reichlicher und freygebiger ſie
ihre Koſtbarkeiten ausſpenden, je lieber iſt es mir.
Jch ſage nur, daß ich, und meines gleichen elende
Scribenten beſſer thun, wenn wir uns der gekuͤn-
ſtelten und zierlichen Schreib-Art, in welcher un-
ſere Feinde ihr Vergnuͤgen ſuchen, gaͤntzlich ent-
halten.
Denn gewiß die gar zu aͤngſtliche Sorgfalt,
mit welcher die guten Scribenten ihre Worte aus-
ſuchen, und ihre Schriften ſchmuͤcken, ſtehet einem
weiſen Mann, der ſich mit Kleinigkeiten nicht auf-
haͤlt, gantz und gar nicht an; Und inſonderheit hat
ein elender Scribent nicht noͤthig, daß er ſich ſo
viele Muͤhe giebt. Wir koͤnnen ohnedem gluͤcklich
ſeyn. Sind wir nur großmuͤthig, und kehren uns
an der Leute Reden nicht: Sind wir nur mit uns
ſelbſt zu frieden, und duͤncken uns groß, eben dar-
um, weil wir Eigenſchaften beſitzen, die andern
laͤcherlich vorkommen: Bilden wir uns nur ein,
daß wir um ſo viel gelehrter ſind, je weniger Luſt
wir haben, etwas zu lernen; So iſt unſere Gluͤck-
ſeeligkeit feſte genug gegruͤndet. Seneca, der uns
ſehr genau gekannt haben muß, ſagt es ausdruͤck-
lich. Ad hanc, ſpricht er (58), tam ſolidam
N nfeli-
[562](o)
felicitatem, quam tempeſtas nulla concutiat,
non perducent te apté verba contexta, \& ora-
tio fluens leniter. Eant ut volent, dum animo
compoſitio ſua conſtet, dum ſit magnus, \&
opinionum ſecurus, \& ob ipſa, quæ aliis diſpli-
cent, ſibi placens: qui profectum ſuum vita
æſtimet, \& tantum ſcire ſe judicet, quantum
non cupit, quantum non timet.
Seneca faſſet in dieſen Worten alles, was ich
von den Vortreflichkeiten der elenden Scribenten,
und von ihrer Gluͤckſeeligkeit geſagt habe, kuͤrtzlich
zuſammen. Es iſt glaublich, daß der ehrliche
Mann das Elend der guten Scribenten erkannt,
und, ob es ihm ſelbſt gleich unmoͤglich geweſen, ſich
aus demſelben herauszureiſſen, doch wenigſtens
ſeinen Freund, an den er ſchreibt, vor Schaden
warnen, und ihm den rechten Weg zur wahren
Gluͤckſeeligkeit eines Scribenten zeigen wollen.
Dieſes iſt auch meine Abſicht in Anſehung unſe-
rer Widerſacher, und ich bilde mir ein, daß ich die-
ſelbe wohl ausgefuͤhret habe. Jch habe gruͤndlich
gezeiget, daß die Maͤngel, welche die guten Scri-
benten in unſern Schriften entdecken, uns nicht
ſchimpflich ſind. Ja ich habe eben aus dieſen Maͤn-
geln unſere Vortreflichkeiten ſo ungezwungen her-
geleitet, daß wer mein Buͤchlein lieſet daruͤber er-
ſtaunen muß.
Es wird mir dahero etwas gar leichtes ſeyn, die
Nothwendigkeit der elenden Scribenten, meinem
Verſprechen gemaͤß, eben ſo gruͤndlich, als ihre
Vortreflichkeit, zu behaupten. Jch will es mit we-
nigen thun, und frage unſere Feinde, ob die Buch-
Hand-
[563](o)
Handlung und Druckerey nicht ehrliche, und dem
gemeinen Weſen nuͤtzliche Handthierungen ſind.
Sie koͤnnen nicht anders als Ja antworten. Sie
muͤſſen alſo auch geſtehen, daß diejenigen, welche
eine ſo nuͤtzliche Profeßion treiben, Leute ſind, die
verdienen, daß man ihnen alles gutes goͤnne, und
ihre Nahrung befordere. Jch moͤchte aber gerne
wiſſen, was die armen Buch-Fuͤhrer und Buch-
Drucker wohl anfangen wolten, wenn keine elende
Scribenten in der Welt waͤren? Wir ſind diejeni-
gen, die ihnen am meiſten zu verdienen geben: Von
uns leben ſie, und muͤſten alſo betteln gehen, wenn
wir aufhoͤren ſolten zu ſchreiben. Von den Wer-
cken der guten Scribenten wuͤrden ſie das liebe
Brod nicht haben. Jch will ſetzen, es ſind in
Deutſchland nur 6000. Perſonen, die von der
Druckerey und Buch-Handlung leben. Nun neh-
me man die Verzeichniſſe der neuen Buͤcher, die alle
Meſſe herauskommen, nur von 10 Jahren her, und
mache den Ueberſchlag, wie viel gute darunter ſind.
Jch habe es gethan, und, nach einer genauen Aus-
rechnung, gefunden, daß, ein Jahr ins andere gerech-
net, ohngefehr drey gute Buͤcher des Jahrs zum
Vorſchein kommen. Was iſt das aber unter ſo
viele? Und wuͤrde alſo nicht eine groſſe Menge ehr-
licher Leute Hungers ſterben muͤſſen, wenn die elen-
den Scribenten, nach dem Wunſch unſerer Fein-
de, vom Erd-Boden vertilget waͤren?
Den Tag ſollen ſie nimmer erleben: Aber man
ſiehet doch daraus, was unſere Verfolger vor boͤſe,
ſchaͤdliche Leute, und wie liebloß ſie gegen ihren
Nechſten ſind. Doch wie kan man von den guten
N n 2Scri-
[564](o)
Scribenten verlangen, daß ſie ihren Naͤchſten lie-
ben ſollen, da ſie ſich ſelbſt nicht lieben? Sie kennen
ihren eigenen Vortheil nicht. Sie wollen uns aus-
rotten: Allein wie uͤbel wuͤrden ſie nicht daran ſeyn,
wenn ſie ihren boßhaften Zweck erreichen ſolten?
Wir machen ihnen durch unſere Schriften ſo man-
che froͤliche Stunde; woran wolten ſie ſich dann
wohl beluſtigen, wenn wir nicht ſchrieben? Das
Vergnuͤgen, deſſen ſie in dieſer Welt genieſſen, ha-
ben ſie einzig und allein uns zu dancken. Ja ſie wuͤr-
den nicht ſeyn, was ſie ſind, wenn wir nicht waͤren.
Man nennet ſie jetzund gute Scribenten: Aber muͤ-
ſten ſie dieſen Ehren-Titel nicht fahren laſſen, wenn
es keine ſchlechte gaͤbe? Dieſes waͤre ſchon arg ge-
nug: Aber der Untergang der elenden und laͤcherli-
chen Schreiber wuͤrde noch weit mehr boͤſes nach
ſich ziehen.
Unſere Feinde ſind reich an luſtigen und ſinnrei-
chen Einfaͤllen. Sie ſpotten gerne, und wir ſind
diejenigen, die ihnen Gelegenheit geben, ihre Ein-
faͤlle an den Mann zu bringen, und ihre Tadelſucht
zu vergnuͤgen. Wie wuͤrde es demnach um ihre Ge-
ſundheit ſtehen, wenn ſie uns nicht haͤtten? Wo
wolten ſie mit ihren Einfaͤllen hin? Sie duͤrfen nicht
dencken, ich ſcherze: Denn es iſt kein Kinderſpiel
mit einem verhaltenen Spaß. Er verurſachet vie-
le Quaal, und ein verhaltener Wind iſt nicht ſo
gefaͤhrlich. Es iſt mir die Zeit meines Lebens
nur ein einziges mahl begegnet, daß ich einen Ein-
fall hatte, der vor einen Einfall eines boͤſen Scri-
benten noch ſo ziemlich ſinnreich war: Aber ich mu-
ſte ihn bey mir behalten; Und da weiß ich, wie mir
zu
[565](o)
zu Muthe geweſen. Jch wolte meinem aͤrgſten Fein-
de die Schmerzen nicht goͤnnen. Da nun ein einzi-
ger Spaß, den ich nicht zu rechter Zeit loß wurde,
mir ſo viel Ungemach verurſachen konnte; was
wuͤrden denn die guten Scribenten, die ſo fruchtbar
an artigen Einfaͤllen ſind, nicht vor Quaal empfin-
den, wenn wir ihnen nicht Gelegenheit gaͤben, ſich
zu erleichtern. Jhre Einfaͤlle brennen ihnen auf dem
Hertzen, und Ennius ſoll ſchon zu ſeiner Zeit geſagt
haben, daß ein weiſer Mann eher Feuer im Maul
halten, als einen ſinnreichen Einfall verſchweigen
koͤnnte:
dente opprimi, quam bona dicta teneat(59).’
Unſere Feinde wuͤrden alſo gantz gewiß berſten,
wenn wir nicht waͤren. Warum wuͤnſchen ſie denn
unſern Untergang, mit welchem der ihrige ſo genau
verknuͤpfet iſt?
Geſetzt aber, es waͤre moͤglich, daß ſie uns
uͤberlebten; ſo wuͤrde doch die gelehrte Welt wenig
gutes mehr von ihnen haben. Denn wir ſind eben
diejenigen, welche die ſinnreichſten und artigſten
Schriften, an welchen ſich die Welt ſo ſehr belu-
ſtiget, von ihnen heraus locken. Wo wolten
aber ſo viele ſtattliche Satyren herkommen, wenn
unſere Feinde niemand haͤtten, uͤber den ſie ſpot-
ten koͤnnten? Und was wuͤrde alſo die kluge Welt
nicht an uns verliehren? Es iſt wahr wir koͤnnen
ihr mit guten Schriften nicht aufwarten: Aber
die Alten haben ſchon angemercket, daß, obgleich
N n 3der
[566](o)
der Eſel eben nicht die beſte Stimme habe, und
zur Muſick gantz ungeſchickt ſey, man doch aus
ſeinen Knochen die ſchoͤnſten Floͤten machen koͤn-
ne (60). Und unſere Schriften, wie elend ſie
auch ſind, geben doch Anlaß zu vielen gruͤndlichen
Widerlegungen, und ſinnreichen Spott-Schrif-
ten, deren die gelehrte Welt nothwendig entbeh-
ren muͤſte, wenn niemand waͤre, der elend und
laͤcherlich ſchriebe.
Dieſes iſt der geringſte Vortheil den die Welt
von uns hat; weil er ſich eigentlich nur auf die
Gelehrten erſtrecket. Der Nutzen, den wir dem
ganzen menſchlichen Geſchlechte bringen, iſt wich-
tiger, und beweiſet unſere Nothwendigkeit noch
kraͤftiger. Wir ſind diejenigen, welche die Ver-
nunft, die der Ruhe des Staats und der Kirche
ſo nachtheilig iſt, mit Macht unterdruͤcken. Wir
ſind Beſchuͤtzer der gemeinen Meinungen, und der
Vorurtheile, die zu einem ruhigen, ſtillen, und
vergnuͤgten Leben ſo unentbehrlich ſind. Wir ver-
theidigen die vaͤterlichen Weiſen, und ſaubern
die Kirche von Ketzern. Es iſt wahr, unſere Fein-
de thun dieſes letzte auch: Aber ſehr ſelten, und
wann ſie es thun, ſo thun ſie es mit Vernunft;
Und das taugt nicht. Ohne uns wuͤrde es alſo
wunderlich in der Welt hergehen, und unſere Fein-
de alles umkehren. Wer haͤtte ſich wohl den ge-
faͤhr-
[567](o)
faͤhrlichen Neuerungen des Pufendorfs, Tho-
maſius, Leibnitzens, und ihrer Anhaͤnger wieder-
ſetzen wollen, wenn wir nicht vor den Riß getre-
ten waͤren? Und dieſes einzige iſt genug zu bewei-
ſen, wie nothwendig wir der Welt ſind. Unſere
Verdienſte ſind ſo groß, daß wir die Ehrerbie-
tung des gantzen menſchlichen Geſchlechts ver-
dienen: Allein niemand will ſie erkennen. Man
lohnt uns mit Undanck, und es iſt leider! ſchon
dahin gekommen, daß uͤber uns und unſere
Schriften lachen, vor ein ſicher Merckmahl ei-
nes ſcharfen Verſtandes gehalten wird. Wie
indeſſen den Frommen alles zum Beſten die-
nen muß, ſo hat auch unſer ſchweres Creutz,
welches niemand, als wir, zu ertragen faͤhig
iſt, ſeine Vortheile: Und mich deucht, es iſt
ungemein geſchickt, unſere Nothwendigkeit auſſer
Zweifel zu ſetzen.
Jch habe ſchon oft geſagt, daß unſere Feinde,
die guten Scribenten, weil ſie ihre Vernunft ge-
brauchen, mit dem, ſo in der Welt vorgehet,
ſchlecht zu frieden ſind. Sie entdecken allenthal-
ben Thorheiten, wenigſtens bilden ſie ſichs ein, und
es iſt ihnen unmoͤglich, daß ſie uͤber das, was ih-
nen thoͤrigt vorkoͤmmt, nicht lachen und ſpotten ſoll-
ten. Wenn ſie demnach keine elende Scribenten
haͤtten, an welchen ſie ihre Boßheit auslaſſen koͤnn-
ten, ſo wuͤrde kein ehrlicher Mann vor ihnen ſicher
ſeyn; Sie wuͤrden, weil ſie doch immer etwas zu
meiſtern haben muͤſſen, alles anfallen, was in der
Welt groß und ehrwuͤrdig iſt, und durch ihre Sa-
N n 4tyren
[568](o)
tyren den Staat und die Kirche beunruhigen. Wir
koͤnnen uns alſo ruͤhmen, daß wir unſere eigene
Wohlfahrt vor das gemeine Beſte aufopfern, und
ohne Prahlerey ſagen, daß wir einem Staat unent-
behrlich ſind.
Jch wuͤnſche von Hertzen, daß alle chriſtliche
Obrigkeiten das, was ich hier ſchreibe, in reifliche
Erwegung ziehen moͤgen, und flehe inſonderheit
Jhro Kaͤyſerl. Majeſtaͤt und alle Churfuͤrſten, Fuͤr-
ſten und Staͤnde des Heil. Roͤmiſchen Reichs de-
muͤthigſt an, hocherleucht zu ermeſſen, wie wuͤrdig
ſolche Leute ihres Schutzes ſind, die dem Staat
und der Kirche ſo lange zu einer Vormauer wider die
unruhige Schaar der Naſeweiſen gedienet haben.
Es waͤre, deucht mich, nach gerade Zeit, daß man
auf eine Vergeltung unſerer wichtigen Dienſte
gedaͤchte: Oder uns nur wenigſtens vor unſern Fein-
den einiger maſſen Ruhe ſchafte, und dieſen boͤſen
Leuten ein Gebiß ins Maul legte. Womit haben
wir es denn verdienet, daß man, da andere ehrliche
Leute wider die Laͤſterer Schutz finden, uns der
Willkuͤhr unſerer Verfolger uͤberlaͤſſet? Es dienet
dieſes zur Sicherheit anderer. Jch weiß es wohl.
Allein warum ſollen wir denn die Suͤnden unſerer
Mit-Buͤrger tragen? Jch finde darinn keine Billig-
keit, und zweifele nicht, daß meine gegruͤndete Vor-
ſtellungen die Wuͤrckung haben werden, die ich
wuͤnſche.
Sollten aber, uͤber Verhofen, die Groſſen dieſer
Welt durch das leidige Geſchwaͤtz unſerer Feinde
verfuͤhret, in dem Wahn ſtehen, unſer Jammer
ver-
[569](o)
verdiene nicht, daß ſie ihn zu Hertzen naͤhmen, und
das Verbrechen unſerer Feinde ſey eben ſo groß nicht,
daß es noͤthig, mit dem Schwerd darein zu ſchla-
gen; So wende ich mich zu denen, die das geiſtli-
che Schwerd fuͤhren, und erſuche ſie gantz erge-
benſt, wider das boßhafte Verfahren unſerer Fein-
de denjenigen Eyfer zu bezeugen, den ihr Amt von
ihnen erfordert. Jch verlange dieſes eben von den
klugen Geiſtlichen nicht. Denn dieſe Herren hal-
ten es, zu ihrer Schande oͤffentlich mit den Spoͤt-
tern. Sondern ich bin zu frieden, wenn nur die
tummen ihre Stimme, wie eine Poſaune, erheben,
und mit ihrer gewoͤhnlichen Beredſamkeit, wenig-
ſtens dem gemeinen Mann einblaͤuen wollen, daß
es eine groſſe Suͤnde ſey, uͤber laͤcherliche Dinge zu
lachen. Sie duͤrfen nicht dencken, daß es ſchwer,
ja gar unmoͤglich ſey, einen ſo albernen Satz zu be-
haupten. Sie koͤnnen glauben, daß der P. Girard
in einer Schrift, die man nach ſeinem Tode, unter
ſeinen Papieren gefunden, mit 666 wichtigen Gruͤn-
den dargethan hat, daß es eine weit groͤſſere Suͤn-
de ſey, eine Satyre zu ſchreiben, als bey ſeiner Koͤ-
chin zu ſchlafen. Und ich bin von ihrer Geſchick-
lichkeit ſo uͤberfuͤhret, daß ich feſtiglich glaube, ſie
koͤnnen wohl mehr, als das. Jch hofe demnach,
ſie werden die Guͤte haben, und wider unſere Fein-
de, die gewiß auch ihre Freunde nicht ſind, mit
dem Munde eben ſo tapfer, als ich mit der Feder
ſtreiten. Dieſes wird meiner Schrift den rechten
Nachdruck geben, und zu ihrer eigenen Sicherheit
gereichen.
N n 5Be-
[570](o)
Beſchluß.
Hiermit beurlaube ich mich von dem geneigten
Leſer, und ſchmeichele mir mit der angenehmen
Einbildung, es ſo gemacht zu haben, daß er mit
mir zufrieden ſeyn wird.
Von meinen Widerſachern kan ich mir dieſes
nicht verſprechen: Denn die muß, natuͤrlicher Wei-
ſe, ein ſo unvermutheter und ſcharfer Angrif in die
aͤuſſerſte Beſtuͤrtzung ſetzen. Es kan ihnen unmoͤg-
lich gefallen, daß ich ſie ſo gewaltig zu Boden ge-
ſchlagen habe. Wenn ſie waͤren wie andere Leu-
te, ſo wuͤrde dieſe Niederlage ſie zu Friedens-Ge-
dancken bringen: Allein da mir ihr harter Sinn,
und unbezwinglicher Helden-Muth bekannt iſt, ſo
kan ich dieſes ohne Thorheit nicht hofen. Doch
glaube ich, der Sieg, den ich in dieſer Schrift
uͤber ſie befochten habe, werde wenigſtens ſo viel
bey ihnen wuͤrcken, daß ſie, nur auf einige Mi-
nuten, einen Stillſtand der Waffen mit uns ein-
gehen, und meine Friedens-Vorſchlaͤge anhoͤren.
Jn dieſer Zuverſicht hebe ich meine Augen em-
por, und erſuche ſie aufs freundlichſte, dasjenige,
was ich, im Nahmen meiner Bruͤder, gegen ſie
vor-
[571](o)
vorgenommen habe, bloß als eine Nothwehr,
und nicht als ein Zeichen eines feindſeeligen
Gemuͤths anzuſehen. Jch verſichere ſie, daß wir
nichts als ihr Beſtes ſuchen, und unſere Ab-
ſicht keine andere ſey, als ſie zur Erkaͤnntniß
ihres Elendes zu bringen. Es ſchmertzet uns
ſehr, daß ſie mit ſo vieler Muͤhe nach einer
Vollkommenheit trachten, die unmoͤglich zu er-
halten iſt, und ſich durch dieſe laͤcherliche Bemuͤ-
hung immer weiter von der Zufriedenheit ent-
fernen, die uns ſo gluͤcklich macht.
Jch gebe ihnen zu bedencken, ob ſie nach der
Vernunft, die ſie ſo hoch achten, ohne Suͤnde
Leute haſſen koͤnnen, die ſo liebreich gegen ſie
geſinnet ſind; Und ob es nicht vor ſie ſo wohl,
als vor uns beſſer waͤre, wenn wir in Friede
mit einander lebten. Wir ſpinnen bey dem
ungluͤcklichem Kriege, in welchen wir verwickelt
find, beyderſeits keine Seide, und haben keinen
andern Vortheil davon, als daß die Ungelehrten
uns auslachen, und aus den Wahrheiten, die
wir uns einander ſagen, den ſchimpflichen Schluß
machen, daß alle Gelehrten nicht klug ſind.
Da nun dieſes Urtheil der ungelehrten Zuſchau-
er unſers Kampfs ſie mehr ſchmertzen muß,
als uns, die wir aufrichtig unſere Einfalt ge-
ſtehen; ſo waͤre es, nach meiner Meinung, wohl
von ihnen gehandelt, wenn ſie die Feindſeelig-
keiten einſtellten und Friede machten.
Wir,
[572](o)
Wir, unſers wenigen Orts, ſind geneigt da-
zu: Aber da wir uns nun in einem ſo gluͤck-
ſeeligen Zuſtande befinden, daß wir uns vor
hoͤchſt vollkommen halten, und glauben, wir
haͤtten noch Recht uͤbrig: So iſt es unmoͤglich,
daß wir den erſten Schritt thun. Ja wenn
es gleich moͤglich waͤre, ſo muͤſten wir doch
beſorgen, ſie moͤgten es als einen Eingrif in
ihre Rechte anſehen, und, wenn wir nachge-
ben wollten, uns in dem Verdacht haben,
wir hielten uns vor kluͤger, als ſie. Denn der
Kluͤgſte giebt allemahl nach. Es ſey ferne von
uns, daß wir ihnen zu dieſen Gedancken An-
laß geben ſollten. Dadurch wuͤrde die Verbit-
terung noch groͤſſer werden.
Wir haben, ob ſie gleich unſere Feinde ſind,
ſo viele Hochachtung gegen ſie, daß wir ihnen
die Ehre des Nachgebens nicht ſtreitig machen.
Und kaͤme uns ja die Luſt an, ihnen dieſelbe
zu rauben; So wuͤrde doch unſer natuͤrliches
Unvermoͤgen unſere thoͤrigte Bemuͤhung frucht-
loß machen. Denn wollten wir nachgeben, ſo
muͤſten wir zu ihnen hinauf ſteigen: Und dieſes
leidet unſer auſſerordentlich ſchwerer Kopf nicht.
Wir erwarten alſo von unſern Feinden, daß
ſie zu uns herunter kommen, und das von
Rechts wegen. Denn fallen iſt leichter als
ſteigen.
Facilis
[573](o)
. . . . Facilis diſcenſus aver-
ni;
At revocare gradum, ſuperasque eva-
dere ad auras
Hoc opus, hic labor eſt . . . .
(61)
Unſere Feinde brauchen nichts mehr, als daß ſie
den Kopfzwiſchen die Beine nehmen, und ſich der
natuͤrlichen Schwere ihrer Coͤrper, wie wir, uͤber-
laſſen.
Dieſes iſt der einzige Vorſchlag, den ich ihnen
thun kan. Nehmen ſie ihn an, ſo iſt ihr Gluͤck
gemacht. Der Fall, zu welchem ich ihnen ra-
the, wird ihnen vortheilhafter ſeyn, als ihr muͤh-
ſames Klettern. Dieſes bringet ihnen nichts,
als Mißvergnuͤgen; Durch den gluͤcklichen
Sturtz, zu welchem ich ſie aufmuntere, verſin-
cken ſie hergegen in ein unergruͤndliches Meer
der ſuͤſſeſten Zufriedenhett, und erreichen, ohne
Muͤhe, den Grad der Vollkommenheit, nach wel-
chem ſie auf eine verkehrte Art, und folglich verge-
bens trachten.
Verwerfen ſie aber meinen hoͤchſt billigen
Vorſchlag, ſo muß zwar alle Hofnung zum Frie-
den
[574](o)
den gaͤnzlich verſchwinden: Allein ich hofe doch,
daß der Glimpf, den ich in dieſer Schrift ge-
gen ſie gebrauchet habe, und die liebreiche Art,
mit welcher ich ihnen, ob ich gleich uͤber ſie
geſieget, den Frieden anbiete, ihren Grimm in et-
was mildern, und ſie uͤberzeugen werde, daß ſie
unrecht thun, wenn ſie ſo unſchuldige, ehrliche
und fromme Leutlein, als wir ſind, ſo heftig
verfolgen.
Erlange ich dieſes nur, ſo ſoll mich die Muͤ-
he, die ich auf dieſe Schrift gewendet habe,
nicht verdrieſſen: Weil ich alsdann verſichert
ſeyn kan, daß meine Bruͤder nicht ermangeln
werden, einem ſo tapfern Vertheidiger, als
ſie an mir haben, ihre Erkenntlichkeit zu
bezeigen.
XI.
[[575]]
XI.
Anmerckungen
in
Form eines Briefes
uͤber den
Abriß
eines neuen
Rechts der Natur,
welchen
der (S. T.) Hr. Prof. Mantzel
zu Roſtock
in einer kleinen Schrift,
die den Titul fuͤhret:
Primæ Lineæ Juris Naturæ
vere talis ſecundum ſanæ rationis
principia ductæ.
der Welt mitgetheilet.
Kiel 1735.
Mihi … unum ſatis erat, ita nobis ma-
jores noſtros tradidiſſe. Sed tu aucto-
ritates omnes contemnis, ratione pu-
gnas. Patere igitur rationem meam
cum tua ratione contendere.’
[[577]]
Neue Vorrede
des Verfaſſers.
Die Schrift von welcher ich in die-
ſer Vorrede handeln werde, iſt
zwar nicht ſatyriſch, als die vo-
rigen. Jch glaube aber nicht,
daß ſie darum dieſe Sammlung verunzie-
ren wird. Sie iſt wieder den Abriß eines
neuen Rechts der Natur gerichtet, den
der Hr. Prof. Mantzel zu Roſtock im Jahr
1726. unter dem Titel: Primæ lineæ ju-
ris naturæ veré talis ſecundum ſanæ ra-
tionis principia ductæ, ans Licht gabe.
So bald mir dieſe Schrift des Herrn
Mantzels zu Geſichte kam, entſchloß ich
mich, meine Gedancken daruͤber zu Pa-
pier zu bringen. Allein es blieb dabey, und
ich hatte derſelben faſt gantz vergeſſen, als
ſie mir im Jahr 1729. von ungefehr wie-
der in die Haͤnde fiel. Jch fand noch eben
O oſo
[578](o)
ſo viel daran auszuſetzen, als vor dem,
und machte Anmerckungen daruͤber, denen
ich die Form eines Briefes gab. Jch that
es bloß zum Zeitvertreib, und war nicht
geſonnen, dieſe Anmerckungen jemahls
druͤcken zu laſſen. Jch wuͤrde es auch nim-
mer gethan haben, wenn ich nicht im Jahr
1735. mit dem Hrn. Prof. Mantzel, bey
einer andern Gelegenheit, im Streit ge-
rathen waͤre.
Es ſchrieb dieſer Roſtockiſche Lehrer
im Anfange des gedachten Jahrs eine Di-
ſputation, die den Titel hatte: Diſſerta-
tio circularis januariana de Juris pruden-
tia ſalutis civium æternæ rationem ha-
bente. Er behauptete darinn einen Satz,
den ich, wie gottſeelig er auch ſcheinet, vor
Grund boͤſe und vor eine Quelle der ſchaͤd-
lichſten Unordnungen halte, und ich nahm
mir daher die Freyheit, dem Hrn. Man-
tzel einige Einwuͤrfe zu machen, welche
ich in das 22te Stuͤck der Niederſaͤch-
ſiſchen Nachrichten von 1735 ſetzen
ließ. Jch glaubte nicht, daß dem Hrn.
Prof. Mantzel dieſes zuwieder ſeyn wuͤr-
de, und das um ſo viel weniger, weil ich
mich aller Beſcheidenheit gegen ihn bedie-
net hatte. Allein ich betrog mich ſehr in
der
[579](o)
der guten Meinung, die ich von ihm hat-
te. Er muſte vielleicht in meinen Einwuͤr-
fen nicht die Demuth und Lehr-Begierde
finden, die er von den ſittſahmen Juͤnglin-
gen gewohnt war, die gedrungen ſind, ſich
von ihm uͤberwinden zu laſſen, und welche
er gemeiniglich ſpatzierend, mit einem Ma-
jeſtaͤtiſchen laͤcheln, zu Boden zu ſchlagen
pfleget: Vielleicht hatte ich ihm Dinge
vorgeſaget, die ſchwerer zu beantworten
waren, als die Dubiola, welche drey oder
vier arme Suͤnder, welche er ordentlicher
Weiſe mit vieler Behutſamkeit aus dem
kleinen Haͤuflein ſeiner Schuͤler zu Oppo-
nenten ausſuchet, mit Furcht und Zittern
von ihrem Zettel abgeleſen hatten. Das
verdroß ihm, und ſeine Empfindlichkeit
gieng ſo weit, daß er ſich bey dem Rath von
Hamburg uͤber den Verfaſſer der Nieder-
ſaͤchſiſchen Nachrichten beſchwerete. Waͤ-
re er vor Eifer nicht gantz auſſer ſich gewe-
ſen, ſo wuͤrde er wohl begrifen haben, daß
es eine Unbeſcheidenheit ſey, eine Obrig-
keit, die wichtigere Geſchaͤfte hat, mit ſol-
chen Kleinigkeiten zu behelligen, und ihr
zuzumuthen, daß ſie mit ihrem Schwerd
die Haͤndel eines armſeeligen und ſtoltzen
Scribenten ausmachen ſolle, die dieſer ſich
O o 2mit
[580](o)
mit ſeiner Feder nicht auszumachen ge-
trauet: Allein ſo glaubte er, man wuͤrde
ſeinen Jammer zu Hertzen nehmen. Jch
weiß nicht, was er vor Antwort bekom-
men hat; das weiß ich, daß alle Wirckung,
die ſeine Klagen hatten, dieſe war, daß
man den Verfaſſer der Niederſaͤchſiſchen
Nachrichten befragte: Ob er den Aufſatz,
uͤber welchen ſich der Hr. Prof. Manzel be-
ſchwerete, ſelbſt, oder ob ihn ein anderer
gemacht habe? Und ob er nicht wiſſe, wer
der Urheber ſey? Er antwortete. Der
Aufſatz ſey ihm zugeſchickt: Er wiſſe aber
nicht, wer ihn gemacht habe. Damit
war man zufrieden. Der Hr. Verfaſſer
der niederſaͤchſiſchen Nachrichten fuͤrchtete
ſich auch ſo wenig vor dem Hrn. Prof. Man-
zel, daß er ſich nicht ſcheuete, einen an-
dern Aufſatz, den ich in ſeinem Nahmen
verfertiget hatte, in das 27te Stuͤck ſeiner
Nachrichten zu ruͤcken, in welchem dem
Hrn. Prof. Manzel die Thorheit ſeines
Verfahrens deutlich genug vorgeworfen
wird.
Jch war inzwiſchen bey allen dieſen
Bewegungen, die ſich der Hr. Manzel gab,
gantz ſtille, und erwartete in aller Gelaſ-
ſenheit, was endlich daraus werden wuͤr-
de.
[581](o)
de. Jch ſuchte mich aber nicht zu verber-
gen; ſondern gab dem Hrn. Verfaſſer der
niederſaͤchſiſchen Nachrichten die Erlaub-
niß, meinen Nahmen zu nennen: Ja ich
freuete mich recht, als ich hoͤrete, daß der
Hr. Prof. Manzel einem gewiſſen Doctor
in Hamburg aufgetragen hatte, mich durch
Notarien zu beſchicken, und gar zu verkla-
gen; Allein meine Freude war vergeblich.
Es hat ſich weder Doctor noch Notarius
bey mir gemeldet. Jch glaube auch nicht,
daß der Hr. Prof. Manzel jemahlen gewil-
let geweſen iſt, die Sache ſo weit zu treiben.
Jndeſſen erhellete aus ſeiner Auffuͤh-
rung ſo viel, daß er nicht wiederleget ſeyn
wollte. Aus welchem Grunde er verlang-
te, in dieſem Falle etwas vor andern Ge-
lehrten voraus zu haben, das habe ich nim-
mer begreifen koͤnnen. Vieleicht hat er
gemeinet, man habe das Recht, gegen ihn
zu ſchreiben, verſeſſen; weil man ſich deſ-
ſelben in ſo langer Zeit nicht bedienet hatte.
Allein er haͤtte bedencken ſollen, daß die-
ſes Recht, juriſtiſch zu reden, eine res
meræ facultatis ſey, wieder welche keine
Verjaͤhrung Statt hat; ja daß es faſt un-
moͤglich geweſen, ſich deſſelben zu bedie-
nen; weil er, auf gewiſſe Maaſſe, clàm
O o 3ge-
[582](o)
geſchrieben hatte, und ſeine Schriften auſ-
ſer Roſtock nicht bekannt waren. Er hat-
te alſo die lange Ruhe, die er genoſſen hat-
te, bloß ſeiner Dunckelheit, und der ſchlech-
ten Figur zu dancken, die er in der gelehr-
ten Welt machte.
Es wuͤrde ihn auch niemand von den
andern Gelehrten ſo leicht darinn geſtoͤhret
haben, wenn ich mich nicht uͤber ihn her
gemacht haͤtte. Die Gelehrten ſind, wenn
ſie gegen andere ſchreiben, in der Wahl ih-
rer Gegner ungemein lecker. Sie ſchrei-
ben darum, daß ſie in der gelehrten Welt
beruͤhmt ſeyn wollen, und wehlen ſich da-
her gemeiniglich ſolche Gegner, die es ſchon
in einem ſo hohen Grad ſind, daß ſie auch
andere durch ihren Glantz erleuchten koͤn-
nen. Mit mir und meines gleichen ver-
haͤlt es ſich gantz anders. Wir ſehen die
gelehrte Welt in einer gewiſſen Entfernung
an, und koͤnnen ſo eigentlich nicht unter-
ſcheiden, was in derſelben groß oder klein
iſt. Jch verlange uͤber dem nicht beruͤhmt
zu ſeyn, und gebe nichts um einen Ruhm,
den ich meinem Feinde zu dancken habe.
Jch will lieber andere durch meine Wieder-
legung bekannt und beruͤhmt machen, als
durch die Wiederlegung groͤſſerer Maͤnner
be-
[583](o)
beruͤhmt werden. Mich deucht, ich habe
mehr Ehre davon, daß man meiner dun-
ckeln Gegner unbekannte Schriften um
meiner Wiederlegung willen, als daß man
meine Wiederlegung um der Schriften
willen meiner angeſehenen Gegner lieſet.
Jn dem erſten Fall erweiſe ich meinem
Nechſten eine Wohlthat, in dem andern
empfange ich ſie.
Der Hr. Prof. Manzel, dem ich eine
ſolche Wohlthat, durch meine Einwuͤrfe
gegen ſeine Diſputation, erwieſen hatte,
wuͤrde alſo weit vernuͤnftiger gehandelt ha-
ben, wenn er dieſes erkennet, und ſich nicht
auf eine ſo unanſtaͤndige Art entruͤſtet haͤt-
te. Allein ſo meinete er, es waͤre ein ſtraf-
bahrer Frevel, wenn man ſich die Freyheit
naͤhme, ihm zu wiederſprechen. Gerade,
als wenn er nicht irren koͤnnte, oder, wenn
er gleich irrete, jederman doch, aus Ehr-
furcht vor ihn, auch ſeine Jrrthuͤmer anzu-
beten, ſchuldig ſey.
Dieſer Stoltz verdroß mich, und mach-
te, daß ich meine Anmerckungen uͤber ſein
wunderliches Recht der Natur, der ich faſt
vergeſſen hatte, herausgab. Jch hoffte,
er wuͤrde daraus erkennen, wie viel ihm
noch fehle, ehe er die tiefe Ehrerbietung,
O o 4welche
[84[584]](o)
welche er zu fordern ſchien, verlangen koͤnn-
te; oder doch wenigſtens begreifen, daß man
ihn nicht ſonderlich fuͤrchte. Allein meine
Hofnung ſchlug fehl. Er blieb bey der gu-
ten Meinung, die er von ſich hatte, und ließ
eine Art von Manifeſt in daß 49te Stuͤck
der Hamburgiſchen Berichte von 1735
ruͤcken, in welchem er von meinen Anmer-
kungen aufs veraͤchtlichſte redete, mich ei-
nen luci fugam nennete, und ſich nicht un-
deutlich mercken ließ, er glaube, daß ich
aus Furcht meinen Nahmen verhehlet haͤt-
te. Jch benahm ihm dieſe vornehme Ein-
bildung durch eine kurze und nachdruͤckliche
Antwort auf ſein trotziges Manifeſt, wel-
che ich in das 54te Stuͤck der niederſ. Nach-
richten von 1735 ſetzen ließ. Dabey iſt es ge-
blieben, und ich habe mich weiter um den
Hr. Prof. Manzel nicht bekuͤmmert.
Weil ich mir vorgenommen habe, in
dieſer Vorrede meinen Leſern auch von mei-
ner Schrift gegen Jhn Rede und Antwort
zu geben, ſo habe ich ſeiner nothwendig er-
wehnen muͤſſen. Es iſt mir leid, daß ich
nicht ſo viel gutes von ihm habe ſagen koͤn-
nen, als ich wohl gewuͤnſchet haͤtte. Er
kan glauben, daß alles, was ich von ihm
geſaget habe, nicht den geringſten Haß ge-
gen
[585](o)
gen ſeine Perſon, ſondern bloß die Liebe zur
Wahrheit zum Grunde hat. Jch hege kei-
nen Wiederwillen gegen ihn, und wuͤnſche
nichts ſo ſehr, als Gelegenheit zu haben,
ihm zu dienen, und ihm wirckliche Proben
meiner Freundſchaft zu geben. Allein ſei-
ne Schriften gefallen mir nicht. Jch habe
dieſes mit den meiſten gemein, die ſie geleſen
haben. Nur unterſcheide ich mich darinn
von andern, daß ich aufrichtig ſage, was
ſie alle gedencken. Jch that es mit ſo vieler
Hoͤflichkeit, daß ich glaubte, der Hr. Prof.
Manzel wuͤrde meine Freyheit nicht uͤbel
nehmen. Jch redete ernſthaft mit ihm;
da ich hergegen mit andern, die vieleicht ge-
rechter waren, als er, nur meinen Muth-
willen trieb. Er ward aber dennoch boͤſe,
und geberdete ſich aͤrger, als alle meine an-
dern Gegner. Dieſe Auffuͤhrung kam mir
um ſo viel wunderlicher vor, je weniger ich
dem Hn. Prof. Manzel Gelegenheit dazu ge-
geben hatte. Sie war ſo unordentlich, und
einem Gelehrten ſo unanſtaͤndig, daß ich
mich nicht habe entbrechen koͤnnen, ihm in
dieſer Vorrede, ohne Heucheley, meine Mei-
nung daruͤber zu ſagen. Will er mir dieſes
uͤbel nehmen, ſo muß ich es geſchehen laſſen.
Jch werde zu frieden ſeyn, wenn er nur end-
O o 5lich
[586](o)
lich begreifet, was eine gar zu groſſe Em-
pfindlithkeit vor ſchlimme Folgen hat, oder
wenigſtens andere gar zu empfindliche Scri-
benten ſich an ſeinem Exempel ſpiegeln, und
einen beſcheidenen Wiederſpruch mit Ge-
duld ertragen lernen.
Von dem Jnhalt meiner Anmerkun-
gen uͤber das neue Recht der Natur des Hn.
Prof. Manzels muß ich noch etwas ſagen.
Jch weiß nicht, ob es viel oder wenig ſeyn
wird: Doch will ich es ſo kurtz machen, als
es mir immer moͤglich iſt.
Es hatte der Hr. Prof. Manzel ſein
Recht der Natur auf den Stand der Un-
ſchuld gegruͤndet, und ſich viele Muͤhe gege-
ben, aus der Vernunft zu beweiſen, daß
der erſte Menſch hoͤchſt vollkommen erſchaf-
fen worden: aber ſeine Vollkommenheit
durch einen gewaltſamen Zufall verlohren
habe. Seine Gruͤnde kamen mir ſehr
ſchwach vor. Jch wiederlegte ſie, und zeig-
te, daß die ihr ſelbſt gelaſſene Vernunft von
dem Stande der Unſchuld nichts wiſſe; ja
daß ihr derſelbe unbegreiflich, und der ge-
waltſame Zufall, durch welchen der erſte
Menſch um ſeine urſpruͤngliche Vollkom-
menheit gekommen ſeyn ſollte, gar unmoͤg-
lich vorkomme. Es ſcheinet alſo, als wenn
ich
[587](o)
ich den Stand der Unſchuld, und den Fall
des erſten Menſchen leugne. Gleichwie ich
mich aber deutlich genug erklaͤret habe, daß
meine Abſicht nicht ſey, das, was unſere
Kirche aus der Schrift davon lehret, in
Zweifel zu ziehen; So hofe ich, daß recht-
ſchafene Gottesgelehrte, welche die Blind-
heit und das Verderben der Vernunft ge-
buͤhrend einſehen, und wiſſen, wie noͤthig
es ſey, dieſelbe unter dem Glauben gefan-
gen zu nehmen, ſich an meiner Schrift nicht
aͤrgern werden. Sollten ſich, wie es zu
dieſen Demonſtrativiſchen Zeiten leicht ſeyn
kan, ſonſt einige finden, die es mir verargen,
daß ich die ſchoͤne Harmonie nicht einſehe
welche ſie ſich zwiſchen Vernunft und Ofen-
barung eingefuͤhret zu haben einbilden; So
bitte ich dieſe Herren, zu bedencken, daß die-
ſe hohe Einſicht nicht jedermans Ding ſey,
ſo wenig als der Glaube. Jch ruͤhme mich
keiner Philoſophie, durch welche ich auch
die Tiefe der Gottheit ergruͤnden koͤnnte,
und will lieber mit unſern reineſten Gottes-
gelehrten nicht ſehen, und doch glauben, als,
dieſen philoſophiſchen Chriſten zu gefallen,
ſagen, daß ich ſehe, was ich doch nicht ſehe.
Jch ſchaͤme mich dieſer Auffuͤhrung um
ſo viel weniger, weil der Hr. Probſt Rein-
beck
[588](o)
beck ſelbſt, wie ſehr er auch ſonſt bemuͤhet
iſt, der Religions-Wahrheiten, und den
Geheimniſſen unſers Glaubens den An-
ſtrich einer philoſophiſchen Gruͤndlichkeit
zu geben, nicht vor gut befunden hat, in
ſeinen Betrachtungen uͤber die Augsburgi-
ſche Confeßion, die Lehren von dem Stan-
de der Unſchuld, und dem Falle des erſten
Menſchen aus der Vernunft herzuleiten.
Er bekennet aufrichtig, daß die bloſſe Ver-
nunft nicht auf den rechten Grund kommen
koͤnne (1), und leget, wenn er vom Eben-
bilde GOttes, und vom Falle des erſten
Menſchen handelt, die Erzehlung Moſis
zum Grunde (2)
Jch weiß wohl, er ſaget, nach der gu-
ten Meinung, die er von der menſchlichen
Vernunft hat, an unterſchiedenen Orten
(3), daß die Vernunft nicht anders muth-
maſſen koͤnne, als daß GOtt den Menſchen
gut, und ohne ſuͤndliche Neigungen erſchaf-
fen habe; Daß ſie aus dem groſſen Verder-
ben des menſchlichen Geſchlechts nothwen-
dig ſchlieſſen muͤſſe, es ſey ein groſſer Ver-
fall
[589](o)
fall vorgegangen, und daß alles, was Mo-
ſes von der Herrſchaft des Menſchen uͤber
die Thiere ſagt, der Vernunft gemaͤß ſey.
Allein er wird mir erlauben, ihn zu ſagen,
daß er der Vernunft gar zu viel Ehre erwei-
ſet. Sie iſt ſo viel ich ſie kenne, nicht im
Stande, aus eigenen Kraͤften, zur Erkaͤnnt-
niß dieſer wichtigen Wahrheiten zu gelan-
gen: ja ſie iſt gar ſo blind und verkehrt, daß
ihr dieſe Wahrheiten, wenn man ſie ihr
aus der Ofenbahrung vortraͤgt, gantz un-
wahrſcheinlich vorkommen.
Sie ſiehet wohl, daß die Menſchen,
durch ihre unordentlichen Begierden, ſich
ſelbſt und andern ſchaden; Aber ſie haͤlt die-
ſe Unvollkommenheit des Menſchen vor ei-
ne Frucht der nothwendigen, und an ſich un-
ſchuldigen Neigungen, die ihm von der Na-
tur zu ſeiner Erhaltung eingepreget ſind,
und vor eine gantz natuͤrliche Folge ſeiner
Einſchraͤnkung (4). Sie ſiehet alſo das,
was Herr Reinbeck ein Verderben nennet,
als ein Ungemach an, wieder welches man
ſich,
[590](o)
ſich, eben ſo wohl, als wie der Hitze und
Kaͤlte, durch Kunſt verwahren muß, oh-
ne vor ſich darauf zu verfallen, daß man
vor Zeiten dieſer Muͤhe uͤberhoben gewe-
ſen ſey. Jch geſtehe, es waͤre beſſer, daß
man von dieſem Ungemache frey waͤre, und
die Vernunft erkennet es auch: Aber dar-
um glaubt ſie nicht, daß das menſchliche
Geſchlecht ſich jemahlen in einem ſo begluͤck-
ten Zuſtande befunden habe, ſo wenig, als
ſie ſich einbildet, daß die Erdkugel vor Al-
ters mit Canaͤlen, wie der Globus mit
Strichen, durchſchnitten geweſen, und
daß es in der gantzen Welt ausgeſehen ha-
be, als in Holland; obgleich dieſe Einrich-
tung unſtreitig beſſer iſt, als die ietzige.
Sie iſt viel zubeſcheiden, als daß ſie
von der Natur verlangen ſollte, ſich in ihren
Wirckungen noch der Phantaſie eigennuͤtzi-
ger Menſchen zu richten. Sie machet einen
Unterſcheid unter Natur und Kunſt, und
erwartet nicht von jener, was ihr nur dieſe
geben kan. Sie ſiehet, daß alle Wercke
der Natur roh ſind, und einer Ausarbei-
tung und Zubereitung beduͤrfen. Die Kunſt
muß der Natur zu Huͤlfe kommen, und der
Menſch wuͤrde ſich kuͤmmerlich behelfen
muͤſſen, wenn er mit dem, was die Natur
ihm
[591](o)
ihm fertig liefert, zufrieden ſeyn wollte. Er
hat alle Bequemlichkeiten dieſes Lebens ſei-
nem eigenen Witze und ſeiner Bemuͤhung
zu dancken. Die Natur giebt ihm den
Stof zu allem, was er noͤthig hat: Aber
Kleider und Haußgerath; Haͤuſer und Pal-
laͤſte wachſen doch nicht: Man muß ſie ma-
chen und bauen. Dieſes weiß die Ver-
nunft: Wie ſollte ſie demnach auf die Ge-
dancken gerathen, daß jemahlen eine Zeit
geweſen ſey, da die weiſen Leute gewach-
ſen, wie die Piltze? Es wuͤrde ihr nicht
ſchwerer fallen, zu glauben, daß die Natur
vor Zeiten Paſteten hervorgebracht habe.
Weißheit und Tugend ſind Fruͤchte der
Kunſt, des Nachdenckens uñ der Erfahrung.
Die Natur giebt uns die Faͤhigkeit dazu, und
weiter nichts. So dencket die Vernunft,
und iſt alſo weit von dem Muthmaſſungen
entfernet, die Hr. Reinbeck ihr beyleget.
Jch will indeſſen nicht leugnen, daß
Leute geweſen ſind, welche, ohne von un-
ſerer Bibel das geringſte zu wiſſen, von dem
Verderben des menſchlichen Geſchlechts
und deſſen Urſachen Muthmaſſungen ge-
habt haben, die mit der Geſchichte Moſes
uͤberein zu kommen ſcheinen. Allein ich bin
verſichert, daß man dieſe Muthmaſſungen
mehr
[592](o)
mehr gewiſſen Vorurtheilen und Ofenbah-
rungen, daran es in der Welt niemahlen ge-
fehlet hat, als der ſich ſelbſt gelaſſenen Ver-
nunft dieſer Leute zuſchreiben muͤſſe.
Die Scrupel uͤber das Verderben des
Menſchen, und die Muͤhe, die man ſich
giebt, die Urſache deſſelben auszugruͤbeln,
haben ihren Grund in dem Begrife, den
man ſich gemeiniglich von GOTT machet.
Man glaubt, GOTT regiere die Welt auf
menſchliche Weiſe, und ſehe die Fehler der
Menſchen als wahre Verbrechen an, die er,
Kraft ſeiner Gerechtigkeit, willkuͤhrlich ſtra-
fe. Da es nun aber unbillig zu ſeyn ſchei-
net, den Menſchen wegen einer Unvollkom-
menheit zu ſtrafen, die ihm angebohren iſt,
und bey welcher niemand zu kurtz koͤmmt,
als er ſelbſt: So ſpricht man: Der Menſch
ſey vollkommen von GOtt erſchafen wor-
den; habe ſich aber muthwillig, durch eine
Ubertretung, in das Verderben geſtuͤrzet, in
welchen er ſie ietzo befindet.
Es ſind dieſes alles unſtreitige Wahr-
heiten. Allein, gleichwie die Vernunft
vor ſich nicht im Stande iſt, zu erkennen,
daß GOtt die Fehler des Menſchen, als Uber-
tretungen ſeiner Geſetze, willkuͤrlich ſtrafen
werde: So wuͤrde man ihr auch zu nahe
thun,
[593](o)
thun, wenn man den Satz, durch welchen
man ſich bemuͤhet, dieſes Verfahren der
GOttheit zu rechtfertigen, auf ihre Rech-
nung ſchreiben wollte: Und dieſes um ſo viel
mehr, weil dieſelbe, ſo viel die Vernunft
davon verſtehet, einen wahren Wieder-
ſpruch in ſich faſſet. Denn nichts iſt ſo un-
begreiflich, als ein vollkommener Menſch,
ohne alle Neigung zur Suͤnde; der dennoch
muthwillig ſuͤndiget.
Jch habe dieſes in meinen Anmerckun-
gen deutlich gewieſen. Weil ich aber ſehe,
daß Hr. Reinbeck in den Gedancken ſtehet
(5), man koͤnne aus gewiſſen erdichteten
Umſtaͤnden, durch welche er die Luͤcken in
der Erzehlung Moſis ausfuͤllen will, wenn
man ſie gleich nicht als gewiß annehmen
wollte, wenigſtens ſo viel ſchlieſſen, daß es
ſehr wohl moͤglich geweſen, daß Eva, auch
im Stande der Unſchuld, auf die Art, als
er die Sache vorſtellet, habe irre gemacht
werden koͤnnen; ſo nehme ich mir die Frey-
heit, ihm zu ſagen, daß die Zuſaͤtze, durch
welche er die Erzehlung Moſis wahrſchein-
licher machen will, bey mir dieſe Wirckung
nicht gehabt haben.
P pEr
[594](o)
Er meinet (6): „Die Schlange habe
„mit der Eva, auf eine gantz unmoͤgliche
„Weiſe, von allerhand hohen Dingen zu re-
„den angefangen. Eva habe ſich daruͤber
„gewundert, und die Schlange gefraget;
„wie ſie zu dieſen Einſichten, und zu der
„Sprache gekommen ſey? die Schlange
„habe geantwortet: Sie habe von der
„Frucht des verbotenen Baumes gegeſſen,
„und dadurch ſey ihre Natur gantz veraͤn-
„dert, und ſie aus einem unvernuͤnftigen
„Thiere eine vernuͤnftige Creatur gewor-
„den. Da nun Eva, habe ſie hinzugeſe-
„tzet, ſchon eine vernuͤnftige Creatur ſey,
„ſo ſolle ſie es einmahl verſuchen, und auch
„von der Frucht dieſes Baumes eſſen, ſo
„wuͤrde ſie noch zu einer hoͤhern Stufe der
„Erkaͤnntniß gelangen. Eva habe darauf
„verſetzet: Dieſes ſey ihr von GOtt verbo-
„ten: Worauf die Schlange geſaget; das
„koͤnne ſie ſich nicht einbilden: Eva habe es
„ja nicht ſelbſt gehoͤret: Der Mann koͤnne
„vielleicht GOtt, oder ſie ihren Mann nicht
„verſtanden haben. Eva habe geantwortet:
„Sie und ihr Mann duͤrften von den Fruͤch-
„ten aller Baͤume eſſen: Aber nicht von
„der Frucht des Baumes mitten im Gar-
ten:
[595](o)
ten: Wenn ſie dieſes thaͤten, ſo muͤſten ſie„
ſterben. Darauf habe die Schlange geſa-„
get: Jhr werdet nicht ſterben. Uns Thie-„
ren hat GOtt das gruͤne Kraut zur Spei-„
ſe verordnet. Jch habe dieſe Ordnung uͤ-„
berſchritten, und lebe doch noch, und bin„
gluͤcklicher, als vorher. Dadurch ſey Eva„
bewogen worden, von dem Baum zu eſ-„
ſen, um zu mehrer Klugheit zu gelangen,„
und GOtt gleich zu werden.‟
Es bleibt aber meiner Vernunft noch
immer unbegreiflich; Wie Eva, bey aller
ihrer Weißheit, ſo einfaͤltig ſeyn koͤnnen,
daß ſie ſich mit einem Thiere in eine Unterre-
dung eingelaſſen von dem ſie verſichert war;
daß es nicht ſprechen konnte! Wir, die wir
uns einer ſo hohen Weißheit nicht ruͤhmen
koͤnnen, mercken gleich, daß der Teufel durch
die Schlange geredet habe, obgleich Moſes
nicht ein Wort davon ſagt. Wie iſt es moͤg-
lich geweſen, daß Eva dieſes nicht gemercket
hat? Sie hat unſtreitig gewuſt, daß ein
Teufel waͤre: Sie hat gewuſt, daß es ein boͤ-
ſer und liſtiger Geiſt ſey, der dem Menſchen
ſein Gluͤck mißgoͤnne, und mit dem ſie ſich
alſo ohne Gefahr nicht einlaſſen koͤnne. Es
iſt nicht glaublich, daß der guͤtige GOtt den
erſten Menſchen eine, ihnen ſo unumgaͤng-
P p 2lich
[596](o)
lich noͤthige, Wahrheit ſollte verborgen ha-
ben. Warum macht alſo Eva, die ſonſt
eine ſo gute Chriſtin war, kein Creutz vor
ſich, und geht davon? Sie thut es nicht.
Aber iſt es moͤglich, daß ſie die laͤppiſche Ur-
ſache, welche ihr die Schlange von ihrer un-
gewoͤhnlichen Weißheit giebt, vor wahr-
ſcheinlich genug gehalten habe, ihr Glauben
beyzumeſſen? Sie kannte ja die Natur der
Thiere, und wuſte alſo, daß es unmoͤglich
ſey, daß aus einer unvernuͤnftigen Beſtie ei-
ne verſtaͤndige Creatur wuͤrde. Jſt es moͤg-
lich, daß der kahle Scrupel, welchen die
Schlange der Eva wieder das Goͤttliche
Verbot beyzubringen ſucht, dieſe gute Frau
ſo irre gemacht haben koͤnne? Laß es ſeyn,
daß GOtt dem Adam noch vor der Erſchaf-
fung der Eva verboten habe von dem Baum
mitten im Garten zu eſſen: Jſt es darum
glaublich, daß Eva von dieſem Verbot nicht
eben ſo ſtarck uͤberzeuget geweſen ſey, als
ihr Mann: Es ſey nun, daß ſie es nur von
dieſen oder von GOtt ſelbſt gehoͤret habe?
Kan man ohne Suͤnde gedencken, daß Gott
juſt die Eva am ſchlechteſten wieder den An-
grif des Teufels gewafnet habe; da er doch
vorher wuſte, daß der Verſucher ſich eben
an das Weib machen wuͤrde? Wann end-
lich
[597](o)
lich die Schlange die Eva, durch ihr Exem-
pel, zur Ubertretung des goͤttlichen Verbots
zu verfuͤhren ſucht, und ihr ſagt, ſie habe
die von GOtt gemachte Ordnung uͤber-
ſchritten, und ſey doch nicht geſtorben; So
weiß ich nicht, wie die mit ſo ausnehmender
Weißheit ausgeruͤſtete Eva dadurch habe
verfuͤhret werden koͤnnen? Wuſte ſie dann
nicht, daß die Schlange, als ein Thier, von
der Ordnung, die GOtt, in Anſehung der
Nahrung ſeiner Geſchoͤpfe, gemacht hatte,
nicht die geringſte Wiſſenſchaft haben konn-
te? Wuſte ſie nicht, daß die Thiere, weil ſie
keinem Geſetze unterworfen ſind, nicht ſuͤn-
digen, und folglich nicht geſtraft werden
koͤnnen? und daß es ſich mit ihr, als mit einer
Freyheit begabten Creatur gantz anders
verhalte? Wo bleibt die Weißheit, die man
ſonſt dem erſten Menſchen beyleget, wenn
man dieſes von ihr glaubt? Ja wo bleibt ſie,
wenn man ihr nachredet, ſie habe noch kluͤ-
ger, als ſie war, und GOtt gleich werden
wollen? die erſten Menſchen waren voll-
kommen gluͤcklich: Sie waren folglich auch
vollkommen mit dem Grad ihrer Weißheit
zufrieden. Wie konnte demnach in Eva
eine Begierde entſtehen, kluͤger zu werden?
Es iſt dieſes eben ſo unmoͤglich, als daß ſie
P p 3ſollte
[598](o)
ſollte getrachtet haben, GOtt gleich zu wer-
den. Sie hatte eine viel zu groſſe Erkaͤnnt-
niß GOttes, als daß man dieſes, mit Grun-
de, von ihr muthmaſſen koͤnnte. Jſt ſie
aber dennoch auf dieſe Thorheit verfallen,
ſo wird man der Vernunft nicht verdencken,
daß ſie alles, was man ſonſt von den hohen
Einſichten, und von der vortreflichen Er-
kaͤnntniß des erſten Menſchen ſagt, vor
falſch und erdichtet haͤlt.
Man ſiehet demnach, daß die Zuſaͤtze
des Herrn Reinbecks den Fall des erſten
Menſchen nicht wahrſcheinlicher machen,
als die Complimente, welche der Ertzbiſchof
von Vienne, Alcimus Avitus der Schlan-
ge in den Mund leget (*), und daß die Ver-
nunft
[599](o)
nunft, was man ihr auch vor gute Worte
giebt, dennoch dabey bleibet, daß der Fall ei-
ner ſo vollkommenen, weiſen und heiligen
Creatur, als der erſte Menſch geweſen ſeyn
ſoll, einen Wiederſpruch in ſich faſſet, und
unmoͤglich iſt.
Die Herrſchaft uͤber die Thiere, die man
dem erſten Menſchen beyleget, will ihr eben
ſo wenig in den Kopf. Sie glaubt, daß
man durch die Wunder-Dinge, welche man
davon erzehlet, das Paradiß dem Lande
der Fabeln gleich machet, und Herr Rein-
beck trauet ihr zu viel zu, wenn er meinet,
daß ſie wieder die unglaublichen Folgen, die
P p 4man
(*)
[600](o)
man aus der kurtzen Erzehlung Moſis zie-
het, nichts zu erinnern habe.
Er nimmt (7) die ofenbahr hyperboli-
ſche Beſchreibung die Jeſaias in ſeinem
XIten Capitel von einer gluͤckſeeligen Zeit
machet, welche, wenn man ſeine Weiſſa-
gung nach dem Buchſtaben verſtehet, nie-
mahlen geweſen iſt, noch ſeyn wird, in ei-
gentlichem Verſtande, und findet darinn ei-
ne Abbildung des Standes der Unſchuld,
und der Herrſchaft des Menſchen uͤber die
Creaturen. Jch kan mir aber kaum ein-
bilden, daß er von der Vernunft verlan-
gen wird, eine Abbildung vor wahrſchein-
lich zu halten, durch welche die erſte Welt,
ohne alle Urſache, in ein Schlaraffen-Land
verwandelt wird. Jch will eben nicht ſa-
gen, daß es ſchlechterdings unmoͤglich ſey,
daß alle Thiere, wie dieſe wunderbare Ab-
bildung des Standes der Unſchuld vor aus-
ſetzet und Hr. Reinbeck auch behauptet (8),
anfangs alle zahm geweſen: Allein eine
Sache wird dadurch nicht gleich glaubwuͤr-
dig, daß ſie nicht ſchlechterdings unmoͤg-
lich iſt. Die Mythologie iſt voll von Din-
gen, die man nicht vor ſchlechterdings un-
moͤg-
[601](o)
moͤglich halten kan: Aber, iſt darum das,
was davon fabuliret wird, der Vernunft
gemaͤß und wahrſcheinlich.
Jch habe in meinen Anmerckungen wie-
der den Hrn. Prof. Manzel eine ziemlich
gute Urſache von dem Unterſcheide der wil-
den und zahmen Thiere gegeben. Allein
jezo moͤchte ich doch lieber ſagen, daß alle
Thiere, ja der Menſch ſelbſt, urſpruͤnglich
wild geweſen. Dieſes ſtimmet mit mei-
ner Vernunft um ſo viel beſſer uͤberein, je
deutlicher ſie bemercket, daß alles, was
die Natur hervor bringet, wild iſt. Ein
Weinſtock, der nicht gepfleget wird, traͤgt
Heerlinge: Die Fruͤchte der Baͤume, die
wild wachſen, ſind unſchmackhaft und
wiederlich. Der Menſch muß ihnen, durch
ſeine Wartung, Kunſt und Pflege, zu Huͤl-
fe kommen. Mit den Thieren verhaͤlt es
ſich nicht anders. Sie lieben von Natur
ihre Freyheit, und haſſen den Zwang.
Will der Menſch Dienſte von ihnen haben,
ſo muß er ſie, durch Kunſt, baͤndigen und
abrichten. Spricht man, es ſey dieſes im
Stande der Unſchuld nicht noͤthig geweſen:
So muß man auch behaupten, daß der Un-
terſcheid unter Natur und Kunſt im Stan-
de der Unſchuld keine Statt gehabt habe;
P p 5Wel-
[602](o)
Welches ein Satz iſt, der uns bald dahin
bringen wird, daß wir glauben, die Voͤ-
gel haͤtten im Stande der Unſchuld ſchoͤne
Arien und geiſtliche Geſaͤnge gepfifen;
die Pferde waͤren wohl zugeritten geweſen,
und die Hunde haͤtten alle Kuͤnſte, die wir
ihnen nun mit Muͤhe beybringen muͤſſen,
mit auf die Welt gebracht. Denn alles
dieſes iſt der Vernunft eben ſo gemaͤß, als
der buchſtaͤbliche Sinn der Weiſſagung
Jeſaias, in welcher Herr Reinbeck ein
Bild des Standes der Unſchuld findet.
Jch zweifle ſehr, daß dieſer beruͤhmte
Mann luſt habe, ſo weit zu gehen: Allein,
da er einmahl vorausſetzet, daß die Herr-
ſchaft, welche GOtt dem Menſchen uͤber
die Thiere gegeben, hauptſaͤchlich das Ver-
gnuͤgen deſſelben zum Endzweck gehabt ha-
be; ſo muß es ihm nicht ſauer ankommen,
zu glauben, daß die Thiere im Stande der
Unſchuld von Natur abgerichtet geweſen;
Und dieſes um ſo viel mehr, weil ſonſt nicht
abzuſehen iſt, wie es moͤglich geweſen, daß
ſie, wie er davor haͤlt, dem Menſchen, auf
ſeinen Winck, und auf ſein Wort, willi-
gen Gehorſahm geleiſtet.
Dieſer willige Geſorſahm ſetzet eine Ge-
ſchicklichkeit voraus, welche heutiges Ta-
ges
[603](o)
ges auch unſern zahmeſten Thieren fehlet,
und welche um ſo viel unglaublicher wird,
je groͤſſer man ſie nothwendig machen muß,
wenn man die Herrſchaft des Menſchen
uͤber die Thiere behaupten will. Hr. Rein-
beck ſagt z. E. (9) „Adam habe durch ſei-
„ne ihm anerſchaffene Herrſchaft verweh-
„ren koͤnnen, daß der Raupen die frucht-
„baren Baͤume nicht verderbet, und die
„Heuſchrecken und Feldmaͤuſe die Frucht
„auf dem Felde nicht weggefreſſen haͤtten.
„Er ſiehet dieſes als einen Vorzug an, der
„den Adam weit uͤber alle unſere heutige
„Potentaten erhebet. Und darinn hat er
gantz Recht. Allein, ob das, was er ſagt,
der Vernunft gemaͤß ſey, das weiß ich
nicht. Meine Vernunft wenigſtens findet
vieles daran auszuſetzen.
Herr Reinbeck ſagt (10): „GOtt habe
„vor dem Fall eine Eintheilung der Spei-
„ſen fuͤr Menſchen und Vieh gemacht, und
„jenen das Kraut, das ſich beſaamet, und
„die fruchtbaren Baͤume, dieſem aber das
„uͤbrige gruͤne Kraut zur Speiſe verordnet.
Nun moͤchte ich wiſſen, ob die Thiere dieſe
von GOtt, in Anſehung der Nahrung,
zum
[604](o)
zum beſten des Menſchen, gemachte Ord-
nung allezeit genau beobachtet haben, oder
nicht? Jſt es das erſte; ſo haben ſie es ge-
than, entweder weil ſie von Natur an den,
zu des Menſchen Nahrung beſtimmten,
Dingen keinen Geſchmack gefunden: oder
ſie haben die Begierde, auch von dieſen
Dingen zu eſſen, beſieget und gedaͤmpfet.
Auf den erſten Fall wuͤrde der Menſch nim-
mer mit den Raupen, Heuſchrecken und
Feldmaͤuſen das geringſte zu theilen, und
keine Gelegenheit gehabt haben, ſeine Herr-
ſchaft uͤber dieſelbe, auf die Art, als Herr
Reinbeck meint, zu beweiſen. Hoͤchſtens
wuͤrde ſeine Herrſchaft uͤber dieſelbe unge-
fehr ſo viel bedeutet haben, als diejenige,
Kraft welcher wir noch heutiges Tages den
Hunden verwehren, Heu und Stroh zu
freſſen. Haben ſie aber ihre Begierde nach
der, vor den Menſchen ausgeſetzten Speiſe
beſieget; ſo iſt es entweder darum geſche-
hen, weil ſie die goͤttliche Verordnung nicht
uͤberſchreiten moͤgen; oder ſie haben es aus
Ehrerbietung gegen den Menſchen gethan.
Jenes ſetzt bey den Thieren Freyheit, Ge-
wiſſen und Gottesfurcht; und dieſes einen
ſo hohen Grad der Erkaͤnntniß voraus, daß
die Vernunft daruͤber erſtaunen muß. Man
muß
[605](o)
muß nothwendig ſagen, daß z. E. die Rau-
pe, ein Thier, welches Herr Reinbeck ſo
einfaͤltig beſchreibt (11), daß man Urſache
hat, zu zweifeln, ob es von ſich ſelbſt et-
was wiſſe, gewuſt habe, daß ein Thier in
der Welt ſey, welches der Menſch heiſſe:
Daß dieſer Menſch ein Herr der andern
Thiere ſey, und daß kein Thier an demjeni-
gen, was ſein Beherrſcher ſich zur Speiſe
ausgeſetzet habe, ſich vergreifen muͤſſe. Ja
man muß behaupten, daß eine Raupe, eine
Heuſchrecke, eine Feldmauß die Faͤhigkeit
gehabt habe, das, was dem Menſchen zur
Speiſe beſtimmet, von der Nahrung der
Thiere zu unterſcheiden.
Da nun aber dieſes alles unglaublich iſt,
und die Herrſchaft des Menſchen uͤber die
Thiere unnuͤtze macht: So kan ich mir nicht
einbilden, daß Herr Reinbeck ſagen wer-
de; die Thiere haͤtten die Ordnung, wel-
che GOtt, in Anſehung der Speiſe, ge-
macht hatte, allezeit genau beobachtet. Er
muß alſo ſagen; die Thiere haͤtten ihrem
Triebe, von allen Dingen, daran ſie einen
Geſchmack fanden, ohne Unterſcheid, zu
eſſen, gefolget, und die goͤttliche Ordnung,
die ihnen unbekannt war, vielfaͤltig uͤber-
ſchrit-
[606](o)
ſchritten: Allein der Menſch habe, Kraft
der ihm anerſchafenen Herrſchaft uͤber die
Thiere, dieſem Eingrife durch ein bloſſes
Verbot vorbeugen und ſteuren koͤnnen.
Jch bekenne, dieſes waͤre ein herrliches
Vorrecht geweſen: Aber es iſt, zu allem
Ungluͤck, ſo groß, daß es unbegreiflich wird.
Jch will nicht ſagen, daß Herr Reinbeck,
ſo bald er den Thieren einen Trieb beyleget,
auch von den Dingen zu eſſen, die zur Spei-
ſe des Menſchen beſtimmet waren, dasje-
nige umſtoͤſſet, was er von der goͤttlichen
Eintheilung der Speiſen ſchreibet. Denn
daß GOtt von einer Creatur, die keinen
Verſtand und freien Willen hat, etwas
verlangen, und derſelben doch einen Trieb
laſſen ſollte, ſeiner Abſicht entgegen zu han-
deln, das ſind Dinge, die nicht mit einan-
der beſtehen koͤnnen. Eine ſolche Creatur
muß nothwendig ihrem Triebe folgen, und
iſt gantz und gar unfaͤhig, ſich nach Regeln
zu richten, von welchen ſie nichts weiß. Jch
will auch nicht ſagen, daß es, wenn die Thie-
re die, von GOtt, in Anſehung der Speiſe,
gemachte Ordnung uͤberſchritten haben,
nicht wahr ſeyn koͤnne, daß ſie, wie Herr
Reinbeck meint, ſich nicht unterſtehen duͤr-
fen, dasjenige, was ihre Herren ſich zur
Speiſe
[607](o)
Speiſe ausſetzeten anzutaſten: Sondern
ich frage nur; durch was vor Kuͤnſte der
Menſch die Raupen von ſeinen Baͤumen,
und die Heuſchrecken und Feldmaͤuſe von
ſeinem Acker vertrieben habe? Ein Winck,
ein einziges Wort war, nach des Hrn. Rein-
becks Meinung, genug dazu. Aber ſahen
dann die Raupen allemahl dieſen Winck?
hoͤreten ſie dieſes Wort? Wuſten ſie, daß
man mit ihnen redete? Verſtanden ſie die
Sprache des Menſchen? Begrifen ſie, was
er von ihnen haben wollte? Urtheilten ſie,
daß ſie ſchuldig waͤren, ihm, als ihrem
Herrn, zu gehorchen? Jch glaube nicht,
daß man dieſes ſagen wird: Wie kan man
aber, ohne dieſes alles vorauszuſetzen, den
willigen Gehorſahm der Raupen begrei-
fen.
Jch befuͤchte nicht, daß Hr. Reinbeck mir
hier einwerfen wird: „Es ſey nicht noͤthig,„
das man, um den Gehorſahm der Rau-„
pen begreiflich zu machen, ihnen eine ſo„
groſſe Erkaͤnntniß, und eine Uberlegung„
zuſchreibe, der ſie nicht faͤhig zu ſeyn ſchei-„
nen. Die Thiere thaͤten weit wunderbarer„
Dinge ohne Verſtand, und ohne Schluͤſ-„
ſe zu machen: Und es ſey alſo genug, daß„
man ſage, GOtt habe die Maſchine der„
Thiere
[608](o)
„Thiere ſo eingerichtet gehabt, daß ſie, auf
„den Winck des Menſchen thun und laſſen
„muͤſſen, was er ihnen befohlen, oder ver-
„boten habe‟. Denn dieſes kan er nicht
thun, ohne eine vorher beſtimmte Har-
monie zwiſchen dem Willen des Menſchen
und dem Coͤper der Thiere zu behaupten,
und alſo einen Satz der Wolfiſchen Philoſo-
phie, den er nicht annimmt, hoͤher zu trei-
ben, als Hr. Wolf ſelbſt. Uberdem iſt Hr.
Reinbeck auch viel zu ſcharfſinnig, als daß
er nicht einſehen ſolte, daß unter den ordent-
lichen Handlungen der Thiere, und unter
dem willigen Gehorſahm, den ſie dem erſten
Menſchen geleiſtet haben ſollen, ein groſſer
Unterſcheid ſey. Die ordentlichen Hand-
lungen verrichten die Thiere ohne Ver-
nunft, und ohne Uberlegung: Denn ſie
ſind ihrer Natur und ihren Begierden ge-
maͤß. Aber wenn ſie ihrer Natur Gewalt
anthun ſollen, ſo verhaͤlt es ſich gantz anders.
Die Verrichtung ſolcher Thaten, die ihnen
zuwieder und unnatuͤrlich, und die Unter-
laſſung anderer, die ihnen angenehm, und
ihren natuͤrlichen Triebe gemaͤß ſind, hat
allemahl eine gewiſſe Erkaͤnntniß und
Furcht zum Grunde. Die Furcht aber iſt
keinem Thiere angebohren. Sie gruͤndet
ſich
[609](o)
ſich auf eine unangenehme Erfahrung, wel-
che die Natur nicht geben kan.
Man muß alſo den Raupen nicht nur die
Faͤhigkeit beylegen, den Willen des Menſchē
aus ſeinen Worten zu erkennen; ſondern ih-
nen auch die Kraͤfte zuſchreiben, aus Ehr-
furcht gegen ihren Herrn, ihre natuͤrlichſte
und vieleicht eintzige Neigung zu bezwingen.
Thut man dieſes nicht, ſo wird das Verbot
des erſten Menſchen eben ſo unkraͤftig und
laͤcherlich, als das Geſchrey unſerer Kna-
ben, die im Sommer hinter den Schmet-
terlingen herlaufen, und ſie mit hoͤflichen
Worten zu bereden ſuchen, daß ſie ſich ſe-
tzen, und von ihnen greifen laſſen ſollen:
Und thut man es, ſo wird alles, was man
von der Herrſchaft des Menſchen uͤber die
Thiere ſaget, eben ſo wahrſcheinlich, als die
Fabeln, die man von den Unterredungen
des Heil. Franciſcus mit ſeiner Gevatterin
der Ameiſe und der Schwalbe, in dem be-
kannten Libro conformitatum lieſet.
Was ich von den Raupen geſaget habe,
das ſage ich auch von den Heuſchrecken und
Feldmaͤuſen. Die Geſchicklichkeit zu gehor-
chen, ohne welche alles Befehlen vergeblich
iſt, fehlte ihnen ſo wohl, als den Raupen.
Jnſonderheit begreife ich nicht, wie der erſte
QqMenſch
[610](o)
Menſch den Feldmaͤuſen ſeinen Willen be-
kannt gemacht habe; weil dieſe Thiere in
der Erde wohnen, und ſich ſelten ſprechen
laſſen. Aber vieleicht ſagt man, er habe,
Kraft der ihm anerſchafenen Herrſchaft,
dieſes Ungeziefer zwingeu koͤnnen, vor ihm
zu erſcheinen, und es alsdann aus ſeinem
Gebiete verbannet: welches eine Kunſt iſt,
die unſere Ratzenfaͤnger mit ihm gemein zu
haben glauben.
Jch will daruͤber mit niemand ſtreiten;
ſondern frage nur noch; wozu dann dem
Menſchen eine ſo ausſchweifende Zauber-
Gewalt (12) uͤber die Thiere genuͤtzet habe?
Herr Reinbeck meint (13): Die Herrſchaft
des Menſchen uͤber die Thiere habe zu des
Menſchen
[611](o)
Menſchen Sicherheit, Beqvemlichkeit und
Vergnuͤgen gedienet. Aber genieſſen wir
dieſer Vortheile nicht noch heutiges Tages
ohne dieſe Herrſchaft? Wir wiſſen uns
ſchon Sicherheit zu ſchaffen: Es fehlet uns
nicht an Thieren die uns die Arbeit erleich-
tern, und diejenigen, die wir nur zu unſerer
Beluſtigung um uns haben, die werden uns
aus allen Ecken der Welt in Uberfluß zuge-
fuͤhret. Es iſt wahr, wir haben nicht mehr
das Hertz, uns in die Tiefe des Meers zu wa-
gen, und mit den Wallfiſchen zu ſpielen;
Allein, zu allem Gluͤcke haben wir mit dem
hohen Grad der Geſchicklichkeit zu ſchwim-
men, und auf den Grund zu tauchen, wel-
che Hr. Reinbeck dem erſten Menſchen zu-
ſchreibet (14), auch die Luſt zu dieſer Art
des Zeitvertreibes verlohren. Jch beken-
ne, der Menſch haͤtte im Stande der Un-
ſchuld mit Loͤwen und Tiegern fahren koͤn-
nen, als die Cybele und Bacchus: Eva
wuͤrde keine Floͤhe gehabt, und keine Fliege
ſich an Adams Naſe gewaget haben: Allein
das ſind Beqvemlichkeiten, die kein ver-
nuͤnftiger Menſch begehret, und folglich iſt
es der Vernunft nicht gemaͤß, daß man den-
cket, der erſte Menſch habe nicht gluͤcklich
Qq 2ſeyn
[612](o)
ſeyn koͤnnen, wenn er nicht als ein Syba-
rit gelebet. Es ſcheinet ſich nicht mit der
Ernſthaftigkeit der Natur zu reimen, daß
ſie mit dem Menſchen dergeſtalt ſolte geſpie-
let haben. Und hat ſie es gethan; ſo iſt es
kein Wunder, daß nicht viel gutes aus ihm
geworden iſt. Man hat ihn in der Jugend
verzaͤrtelt. Aber die Natur iſt unſchuldig
in dieſem Stuͤcke. Sie iſt eine weiſe Mut-
ter, die keine Afen-Liebe zu ihren Kindern
traͤget. Sie hat ſie von jeher hart genug
gehalten.
Doch macht ſie es nicht ſo arg, daß man
Urſache haͤtte, ſie vor eigenſinnig zu halten,
und zu glauben, es ſey ihr zuwider, daß ei-
ne Creatur ſich der andern zu ihrer Erhal-
tung bediene. Es ſcheinet, als wenn Herr
Reinbeck ſo ungleiche Gedancken von ihr he-
ge. „Was uͤbrigens, ſpricht er (15), Mo-
„ſes von der dem erſten Menſchen anver-
„trauten Herrſchaft uͤber die Creaturen
„meldet, ſolches iſt der Vernuft nicht allein
„gleichfalls gemaͤß, ſondern es wuͤrden auch
„die Menſchen ſich immer befahren muͤſſen,
„daß ſie vor GOtt, in einem und dem an-
„dern Stuͤck, als unbefugte Eigenthuͤmer
„dieſer und jener Creatur moͤchten angeſe-
„hen werden, wenn es anders ſeyn ſollte.
Denn
[613](o)
Denn da man GOtt unſtreitig vor den„
rechten Eigenthums-Herrn aller Creatu-„
ren halten muß; ſo wuͤrde daraus, daß„
GOtt den erſten Menſchen auf dem Erd-„
boden geſetzet, noch nicht ſchlechterdings„
folgen, daß denn auch der Menſch ſich aller„
Creaturen auf demſelben ohne Unter-„
ſcheid gebrauchen duͤrfen, wenn nicht die„
Verguͤnſtigung von Seiten GOttes mit„
Gewißheit zum Grunde geleget werden„
koͤnnte.‟
Er haͤlt alſo die Herrſchaft des Menſchen
uͤber die Creaturen, von welcher Moſes re-
det, zur Beruhigung unſers Gewiſſens
vor unumgaͤnglich noͤthig. Er glaubt, wir
wuͤrden, ohne Furcht und Zittern, kein
Huhn ſchlachten koͤnnen, wenn wir nicht
die Verguͤnſtung von Seiten GOttes ge-
wiß waͤren. Aber ich bekenne, dieſes iſt
mir zu hoch. Mich deucht, die Vernunft
iſt gar nicht geſchickt, uns ein ſo enges Ge-
wiſſen zu geben, und kein Volck unter der
Sonne wird jemahlen, ſo lange es GOtt
nicht mit Caſuiſten heimſuchet, auf ſolche
Scrupel verfallen. Waͤre dieſes nicht, ſo
muͤſten die Hottentotten ſchon lange vor
Hunger geſtorben ſeyn, oder vor Unruhe
Qq 3ihres
[614](o)
ihres Gewiſſens nicht zu bleiben wiſſen; wo-
von doch die Reiſe-Beſchreibungen nichts
melden. Allein, ſo iſt, zu allem Gluͤcke
vor die armen Hottentotten, eſſen, was
einem ſchmeckt, und was man am bequem-
ſten haben kan, eine Sache von ſo dringen-
der Nothwendigkeit, daß man nicht lange
Zeit hat, zu uͤberlegen, ob ſie recht oder
unrecht ſey. Ein ſich ſelbſt gelaſſener Menſch
wird auch, wenn er ja eine ſolche Uberle-
gung anſtellet, mit aller ſeiner Vernunft
nichts mehr herausbringen, als daß das
Recht einer jeden lebendigen Creatur auf
alles, was ſie zu ihrer Nahrung und Erhal-
tung dienlich erachtet, ſich ſo weit erſtrecke,
als ihre Macht, und ſich nicht die geringſte
Sorge machen, daß ihn GOtt wegen des
Gebrauchs der Creaturen zur Verantwor-
tung ziehen werde. Denn was er ſich auch
etwan von dem oͤberſten Weſen vor Begri-
fe machet, ſo wird er ſich doch nimmer ein-
bilden koͤnnen, daß daſſelbe dem Menſchen
die Sorge vor ſeine Erhaltung, ſeine na-
tuͤrlichen Begierden, und die Kraͤfte, die-
ſe Begierden zu vergnuͤgen, umſonſt ein-
gepflanzet und gegeben habe, und ſo eigen-
ſinnig ſey, daß es nicht leiden koͤnne, daß
der Menſch thue, was er nicht laſſen kan,
wofern
[615](o)
wofern er leben will. Er ſchlieſſet demnach,
daß GOtt ihm den Gebrauch der Creatu-
ten frey gegeben habe, und bedarf nicht,
daß er durch eine beſondere Ofenbahrung
von dieſer Verguͤnſtigung vergewiſſert
werde.
Es iſt auch unmoͤglich, daß er auf die Ge-
dancken gerathe, dieſe Verguͤnſtigung er-
ſtrecke ſich nicht auf alle Creaturen ohne
Unterſcheid. Denn dieſes wuͤrde eben ſo
viel ſeyn, als wenn er glauben wollte, es
ſey ihm der Gebrauch aller Creaturen ohne
Unterſcheid verboten, weil er, ohne Ofen-
bahrung unmoͤglich errathen koͤnnte, was
es vor Creaturen ſind, deren Gebrauch ihm
von GOtt nicht vergoͤnnet, und folglich ſich
entweder, wenn er ſicher gehen wollte, al-
ler enthalten, und tod hungern, oder,
wenn er ſich nur einer einzigen bediente,
nothwendig ſuͤndigen muͤſte. Jch geſtehe,
wenn die Vernunft den Menſchen auf ſol-
che Grillen fuͤhrete, ſo waͤre ſie die aller-
ſchaͤdlichſte Gabe, die ihm GOtt, in ſeinem
Zorn geben koͤnnen: Allein, ſo glaube ich
nicht, daß ſie jemahlen einen Menſchen ver-
leiten wird, ſich einzubilden, daß GOTT
dem Menſchen, durch eine heimliche Aus-
nahme einiger Creaturen, ein ſo gefaͤhrli-
Qq 4ches
[616](o)
ches Fallſtrick geleget habe. Ein ſolches
Verfahren waͤre ſo tuͤckiſch, daß man es, oh-
ne Suͤnde, von GOtt nicht vermuthen kan.
Man muß alſo ſagen, daß ein ſich ſelbſt
gelaſſener Menſch nicht anders gedencken
kan, als daß das Recht, ſich aller Creaturen,
nach Belieben, zu bedienen, ihm angeboh-
ren ſey; obgleich Herr Reinbeck anderer
Meinung iſt. Er ſpricht: „Es folge dar-
„aus, daß GOtt den erſten Menſchen auf
„den Erdboden geſetzet, noch nicht ſchlech-
„terdings, daß denn auch der Menſch ſich
„aller Creaturen auf demſelben ohne Un-
„terſcheid gebrauchen duͤrfe. Die Urſache
iſt, weil man GOtt unſtreitig vor den rech-
ten Eigenthums-Herrn aller Creaturen er-
kennen muͤſſe. Jch bekenne, dieſes hat ei-
nigen Schein; Denn was einem andern
zugehoͤret, deſſen kan ich mich, ohne ſeine
Erlaubniß, nicht anmaſſen. Aber eben
daher wuͤrde ſchlechterdings folgen, daß
der Menſch ſich keiner einzigen Creatur ge-
brauchen duͤrfe. Da nun Herr Reinbeck
ſich nicht getrauet hat, dieſen Schluß zu
machen, ſo ſiehet man, daß ſein Argument
zu viel, und folglich nichts beweiſet.
Uberdem iſt es ein gantz unphiloſophiſcher
Ausdruck, wenn Hr. Reinbeck GOtt den
rechten
[617](o)
rechten Eigenthums-Herrn aller Creatu-
ren nennet. Eigenthum iſt eine menſchli-
che Erfindung, die Noth und Geitz zum
Grunde hat. Da nun GOtt von beiden
frey iſt, ſo kan man ihn auch kein eigentlich
ſo genanntes Eigenthum zuſchreiben. GOtt
verlanget nicht Dinge vor ſich allein zu be-
ſitzen, deren er nicht bedarf, und das mit
Ausſchlieſſung ſeiner Geſchoͤpfe, die ohne
dieſe Dinge nicht leben koͤnnen. Die Urſa-
che, warum wir Menſchen andre von dem
Gebrauch unſers Eigenthums ausſchlieſ-
ſen, iſt dieſe; weil uns dadurch etwas ab-
gehet, und wir Gefahr laufen endlich ſelbſt
Mangel zu leiden. GOtt darf dieſes Letz-
te nicht beſorgen, und ſein Eigenthum iſt
ſo beſchafen, daß es auch durch den unum-
ſchraͤnckteſten Gebrauch nicht verringert
werden kan. Ja es iſt von ſo beſonderer
Art, daß eben der ſcheinbare Abgang, den
es leidet, das meiſte zu ſeiner Erhaltung
beytraͤget. Denn das Eigenthum GOt-
tes beſtehet aus den Creaturen, die er er-
ſchafen hat. Will nun GOtt ſein Eigen-
thum erhalten, ſo muß er ſeine Creaturen
erhalten. Dieſe koͤnnen aber nicht erhal-
ten werden, wofern es einer jeden nicht er-
laubet iſt, ſich anderer, die zu ihrer Nah-
Qq 5rung
[618](o)
rung und Erhaltung dienlich ſind, zu ge-
brauchen. GOtt muß alſo einer jeden Crea-
tur den Gebrauch der andern frey geben.
Der Gebrauch der Creaturen iſt nichts an-
ders, als der Gebrauch des goͤttlichen Ei-
genthums. Da nun dieſer Gebrauch, ob
er gleich den Untergang vieler Creaturen
mit ſich fuͤhret, dennoch zur Erhaltung der
Creaturen noͤthig iſt; ſo iſt auch der ſchein-
bare Abgang den GOtt an ſeinem Eigen-
thum leidet, eine Sache, ohne welche daſ-
ſelbe nicht erhalten werden kan.
Man ſiehet alſo, daß aus dem Satz, daß
GOtt der rechte Eigenthums-Herr aller
Creaturen iſt, nicht folge, was Herr
Reinbeck daraus erzwingen will. Man
ſiehet, daß es mit dem Eigenthum GOttes
eine gantz andere Bewandniß habe, als
mit einem menſchlichem Eigenthum, und
daß folglich GOtt, wenn man ihn ja einen
Eigenthums-Herrn nennen will, ein gantz
uneigentlicher Eigenthums-Herr ſey:
Weil er das Seine Preiß gegeben hat, und
Preiß geben muß, wofern er nicht in kurtzen
um alles kommen will.
Doch alles dieſes thut eigentlich nichts zu
meinem Zweck. Meine Abſicht war nur,
anzumercken, daß Herr Reinbeck hier einen
gantz
[619](o)
gantz andern Begrif von der Herrſchaft des
Menſchen uͤber die Creaturen giebt, als in
den Willen ſeiner Betrachtungen, die ich
ſchon unterſuchet habe. Hier iſt ſie nichts,
als die Erlaubniß, ſich der Creaturen zu
gebrauchen: Und darinn bin ich voͤllig mit
dem Herrn Reinbeck einig. Jch gebe ihm
gerne zu, daß, wenn Moſes nichts anders
ſagen wollen, alles, was er von der Herr-
ſchaft des Menſchen uͤber die Creaturen
ſagt, der Vernunft ſo gemaͤß ſey, daß alle
Welt es wuͤrde geglaubet haben, und wenn
er es gleich nicht geſaget haͤtte.
Scimus, \& hoc nobis non altius in-
ſeret Ammon ‒(16)
Aber es wundert mich, warum Herr
Reinbeck entweder bey dieſem vernuͤnftigen
Begrif von der Herrſchaft des Menſchen
uͤber die Creaturen nicht geblieben iſt, oder,
wenn er dieſen Begrif vor unzulaͤnglich ge-
halten, dennoch denſelben an dem Orte zum
Grunde geleget hat, da er die Unglaͤubigen
uͤberreden will, daß alles, was die Ofen-
bahrung lehret, der Vernunft gemaͤß ſey.
Jch kan aus dieſem Verfahren nichts an-
ders ſchlieſſen, als daß er ſich nicht ge-
trauet hat, die unbegreiflichen Dinge, die
er
[620](o)
er uns hernach von der Herrſchaft des Men-
ſchen uͤber die Creaturen erzehlet, vor ver-
nuͤnftig auszugeben, und daher, aus theo-
logiſcher Klugheit, an dem Orte da er die
Ofenbahrung von ihrer ſchoͤnen Seite zei-
get, die Unglaͤubigen durch ſo harte und un-
verdaͤuliche Wahrheiten nicht erſchrecken
wollen. Die Unglaͤubigen werden ſagen,
Herr Reinbeck handele alſo nicht aufrichtig
mit ihnen, ſondern ſuche durch eine falſche
Vorſtellung ihren Beyfall zu erſchleichen:
Aber ich ſage nur, daß Hr. Reinbeck durch
dieſe Auffuͤhrung die Einwuͤrfe, die ich ihm
mache, ſchon zum voraus ſtillſchweigend vor
gruͤndlich erklaͤret hat.
Zuletzt moͤchte ich noch wohl wiſſen,
warum der Menſch die ihm anerſchaffene
Herrſchaft uͤber die Thiere nicht noch habe?
Jch weiß wohl, man ſaget, er habe ſie durch
den Suͤndenfall verlohren: Allein damit
bin ich nicht zufrieden. Jch will nicht
ſagen, daß die Vernunft der Moͤglichkeit
dieſes Falles, der den Verluſt dieſer Herr-
ſchaft nach ſich gezogen haben ſoll, nicht be-
greifet: Sondern ich frage nur; wie es
moͤglich geweſen, daß dieſer Fall eine ſo un-
glaubliche Folge gehabt? Es gruͤndet ſich die
Herrſchaft des Menſchen uͤber die Thiere
nicht
[621](o)
nicht auf eine gewiſſe Eigenſchaft des Men-
ſchen; ſondern auf die zahme Natur der Thie-
re. Es muͤſte alſo duꝛch den Fall des Menſchen
auch die Natur der Thiere geaͤndert ſeyn.
Wer kan das faſſen? Der Wolf wohnte
bey den Laͤmmern, und die Loͤwen ſpielten
mit den Kaͤlbern in groͤſter Eintracht und
Vertraulichkeit: Aber auf einmahl faͤhrt
der Wolf zu, und friſſt das Lamm, und der
Loͤwe zerreiſſet das Kalb: Und warum
das? Aus keiner andern Urſache, als weil
der Menſch von einem Apfel gegeſſen hatte.
Dieſes iſt der Vernunft zu hoch.
Es iſt leicht geſagt, daß GOtt die Natur
der Thiere geaͤndert habe, um den Menſchen
zu ſtrafen, und ihn der Herrſchafft uͤber die
Thiere, und der daraus flieſſenden Bequem-
lichkeiten zu berauben: Aber der Beweiß
iſt ſchwer. Die Vernunft kan ſich in eine
Strafe nicht finden, die nur die Unſchuldi-
gen trift, und welche der Suͤnder nicht fuͤh-
let. Was kan das Schaaf davor, daß A-
dam geſuͤndiget hat? Warum muß es des-
falls ein Raub des Wolfes ſeyn?
de deloque
Innocuum . . . . . . ? (17)’
Der
[622](o)
Der Ochſe hat gewiß nicht vom verbote-
nen Baum gegeſſen: Und dennoch friſſt ihn
der Loͤwe. Der Menſch indeſſen, der al-
lein geſuͤndiget hat, empfindet von alle dem
Ungemach, das mit der Veraͤnderung der
Natur der Thiere verknuͤpfet iſt, nichts.
GOtt hat ihn, ſagt man, dadurch ſtrafen,
und ſeiner Herrſchaft uͤber die Thiere berau-
ben wollen: Aber er weiß ſeine Herrſchaft
ſchon zu behaupten. Die nuͤtzlichſten unter
den Thieren ſind ihm entweder getreu ver-
blieben, oder er hat ſie auch wieder unter
ſein Joch gebracht; und die uͤbrigen, die
wuͤrcklich wild bleiben, die fuͤrchten ihn, in
der That, noch mehr, als er ſie. Sie ſind
froh, wenn ſie nur Friede haben koͤnnen.
Allein der Menſch laͤſſet ihnen keine Ruhe.
Fallere \& effugere eſt triumphus(18).’
Er findet in ihrer Verfolgung ein unaus-
ſprechliches Vergnuͤgen, deſſen er noth-
wendig entbehren muͤſte, wenn dieſe Thie-
re nicht wild waͤren. Man kan alſo mit
Wahrheit ſagen, daß der Menſch die Jagd,
die Koͤnigliche Luſt, bloß ſeiner Ubertretung
zu dancken hat. Was ihm eine Strafe
ſeyn
[623](o)
ſeyn ſolte, daß muß ſeine Gluͤckſeeligkeit
vermehren. Er jagt,
Iratis . . . . . . . . (19).’
Wenn man dieſes recht bedencket, ſo weiß
ich nicht, ob man die gaͤntzliche Umkehrung
der Natur der Thiere, durch welche der
Menſch um ſeine Herrſchaft uͤber dieſelbe
gekommen ſeyn ſoll, als eine Strafe anſe-
hen, und vor eine Folge des Falles halten
kan? Es bleibt alſo noch immer die Frage
uͤbrig: Warum der Menſch die Herrſchaft
uͤber die Thiere, die er urſpruͤnglich gehabt
haben ſoll, nicht noch habe? Jch glaube
nicht, daß man ſie ſo bald beantworten
wird.
Es iſt auch, die Wahrheit zu ſagen, nicht
noͤthig. Einem Chriſten, der von der
Wahrheit und Goͤttlichkeit der Heil. Schrift
uͤberzeuget iſt, liegt wenig daran, ob die
Einwuͤrfe, welche die Vernunft wider die
Glaubens-Lehren macht, gehoben werden,
oder nicht. Sein Glaube ſtehet dennoch
feſte; und wenn er alles gedultig angehoͤ-
ret hat, was ihm ſeine Vernunft wieder die
Moͤglichkeit des Falles, und von der Un-
wahr-
[624](o)
wahrſcheinlichkeit der Herrſchaft des Men-
ſchen uͤber die Thiere, in ſo ferne ſie in den
Worten Moſis gegruͤndet iſt, vorſchwatzet;
ſo macht er den Schluß; Es muͤſſe der Fall
moͤglich ſeyn, weil er wuͤrcklich geſchehen iſt,
und alles, was Moſes von der Herrſchaft
des Menſchen uͤber die Thiere ſagt, wahr
ſeyn, eben darum, weil es Moſes ſagt.
So habe ich es in meiner Schrift wieder
den Hrn. Prof. Manzel gemacht, und ich
bin auch noch der Meinung, daß dieſes das
beſte iſt, was man thun kan. Jch ſtreite
alſo mit dem Hrn. Reinbeck nicht daruͤber:
Ob der Menſch gefallen, und das, was
Moſes von deſſen Herrſchaft uͤber die Thie-
re ſagt, wahr iſt? Sondern nur uͤber die
Frage: Ob die Vernunft die Moͤglichkeit
des Falles erkennen, und das, was Moſes
von der Herrſchaft des Menſchen uͤber die
Thiere ſagt, in dem Sinn, welchen man
gemeiniglich ſeinen Worten giebt, ver-
dauen koͤnne? Beides hatte ich in meiner
Schrift gegen den Hrn. Prof. Manzel ge-
leugnet. Da ich nun ſehe, daß Hr. Rein-
beck es mehr mit meinem Gegner, als mit
mir haͤlt; ſo habe ich vor noͤthig erachtet,
zu verhindern, daß der Hr. Prof. Manzel
ſich auf den Beyfall eines ſo beruͤhmten
Man-
[625](o)
Mannes nicht zu viel einbilde. Die Ein-
wuͤrfe, die ich wieder einige Stellen der
vortreflichen Betrachtungen des Hrn. Rein-
becks uͤber die Augsburgiſche Confeßion ma-
che, ruͤhren alſo nicht aus einem Kuͤtzel her,
einem Manne zu wiederſprechen, deſſen
groſſe Gaben ich verehre, und deſſen Schrif-
ten ich mit Luſt und Nutzen leſe: ſondern
bloß aus einer unſchuldigen Begierde einen
Satz zu behaupten, den ich vor wahr halte.
Jch beſorge auch gar nicht, daß der Herr
Probſt Reinbeck meine Freyheit uͤbel neh-
men werde. Er kan verſichert ſeyn, daß
dieſelbe der beſondern Hochachtung die ich
vor ihn hege, nicht den geringſten Eintrag
thut, und allen falls meinen Widerſpruch
als eine Schutz-Schrift wieder diejenigen
anſehen, die ihm Schuld geben, daß er
der Vernunft, zum Nachtheil der Theolo-
gie, zu viel einraͤume.
Wenn ſich uͤbrigens der Hr. Prof. Man-
zel uͤber den Beyfall des Hrn. Reinbecks ge-
freuet hat, ſo hat er Urſache ſich zu betruͤ-
ben, daß dieſer beruͤhmte Mann nicht in
allen Stuͤcken ſeiner Meinung iſt. Jn un-
ſerm Streit uͤber die Frage: Ob der Menſch
im Stande der Unſchuld auch im Beyſchla-
R rfe
[626](o)
fe eine Luſt wuͤrde empfunden haben? haͤlt
er es ofenbahr mit mir. Jch will ſeine Wor-
te hieher ſetzen; nicht ſo wohl, dem Hrn.
Prof. Manzel zu kraͤncken, als zur Beſchaͤ-
mung der Heuchler, die es mir etwan ver-
dencken moͤchten, daß ich von einer ſo kuͤtzeli-
chen Materie ſo weitlaͤuftig und frey ge-
handelt habe.
„Es laͤſſet ſich zwar, ſpricht Hr. Rein-
„beck (20) von dem, was im Stande der
„Unſchuld bey dem Gebrauch des Ehe-
„Standes fuͤr Empfindlichkeiten ſich wuͤr-
„den gefunden haben, nicht ſo voͤllig reden;
„ſo ſind auch ſehr viele Menſchen ſo geartet,
„daß wenn in Sachen des Ehe-Standes,
„zu Rettung der Ehre des Schoͤpfers, und
„ſeiner Stiftung etwas beygebracht wird,
„ſie ſich anſtellen, als ob ſie uͤberaus zar-
„te Ohren haͤtten, und leicht geaͤrgert
„werden koͤnnten, ob ſie ſchon ſonſt die
„groͤbeſten Sau-Zoten von den ofenbah-
„reſten Wercken des Fleiſches unterein-
„ander vertragen koͤnnen. Man will
„aber nur dabey zu bedencken geben, daß,
„uͤberhaupt von Empfindlichkeiten zu re-
den,
[627](o)
den, nicht alle angenehme Empfindun-„
gen an ſich ſelbſt ſuͤndlich ſind; ſondern„
daß dieſelbe der Schoͤpfer ſelbſt in die„
Natur, durch die Einrichtung, theils„
der ſinnlichen Gliedmaſſen, theils auch„
der ſichtbaren Creaturen auſſer dem„
Menſchen, geleget habe. Man neh-„
me zum Exempel den Genuß der Spei-„
ſe, und des Trancks. Wer kan mit„
Grunde behaupten, daß die Annehm-„
lichkeit bey dem Eſſen und Trincken an„
ſich ſelbſt ſolte ſuͤndlich ſeyn? Sie wuͤr-„
de ſich ja auch im Stande der Unſchuld„
gefunden haben, indem Moſes aus-„
druͤcklich bezeuget, daß GOtt der HErr„
aus der Erden allerley Baͤume habe„
aufwachſen laſſen, luſtig anzuſehen,„
und gut zu eſſen 1 Buch Moſe Cap.„
2. v. 9. die Suͤndlichkeit ſtecket nicht„
in dem, was von der Einrichtung des„
Schoͤpfers, die in der Natur geſche-„
hen iſt, herruͤhret; ſondern, wenn„
man darunter wieder die Abſicht des„
Schoͤpfers handelt, an den bloſſen„
Sinnlichkeiten hangen bleibet, die See-„
le dadurch verſchlimmert, den Ver-„
ſtand verdunckelt, den Willen verkeh-„
R r 2ret,
[628](o)
„ret, und alſo auſſer den Schrancken
„gehet. Geſchiehet dieſes letztere, ſo iſt
„Eſſen und Trincken eben auch ſuͤnd-
„lich; geſchiehet es nicht, ſo ſaget der
„Apoſtel Paulus, daß man auch zur
„Ehre GOttes eſſen und trincken koͤn-
„ne 1 Cor. 10. v. 31. Man mache die
„Zueignung auf den Gebrauch des
„Ehe-Standes, ſo wird man, wenn
„man will, ſchon finden, was unver-
„werflich, und was zu verwerfen
„ſey.
Die Heuchler finden in dieſer Stel-
le ihre Abfertigung, und ich habe al-
ſo nicht Urſache, mich vor ihrer Cenſur
zu fuͤrchten.
Vorrede
[[629]]
Vorrede des Herausgebers.
Jch theile dir die Widerlegung einer Schrift
mit, die nunmehro beynahe ſchon 10
Jahre ruhig und unangefochten in den
Buchlaͤden gelegen. Du wirſt dich un-
ſtreitig daruͤber wundern, und nicht begreifen koͤn-
nen, was ein ſo ſeltſames Verfahren vor Urſachen
habe. Wiſſe demnach, daß die Widerlegung, die
ich dir zu uͤberliefern die Ehre habe, aͤlter iſt, als du
vielleicht glaubeſt. Sie iſt wuͤrcklich im Jahr 1726,
ſo bald die Schrift, wider welche ſie gerichtetiſt, zum
Vorſchein gekommen war, auf Veranlaſſung eines
gelehrten Meklenburgiſchen Cavaliers, zu Papier
gebracht. Da aber weder dieſer gelehrte Edelmann,
noch der Verfaſſer jemahlen die Abſicht gehabt, die-
ſelbe drucken zu laſſen, ſo wuͤrde ſie wohl nimmer des
Tages Licht geſehen haben, wenn ſie mir nicht neulich
von ungefehr in die Haͤnde gefallen waͤre. Jch hat-
te die Schrift des Hrn. Prof. Manzels geleſen, und
der in ſelbiger verſprochenen weitern Ausfuͤhrung ei-
nes gantz neuen Rechts der Natur mit Schmerzen
entgegen geſehen. Jch faſſete dahero ſo gleich den Ent-
ſchluß, die mir ſo unverhoft zu Handen gekommene
Anmerckungen uͤber dieſelbe ans Licht zu ſtellen, was
auch diejenigen, welche dieſe Anmerkungen der Welt
ſo lange vorenthalten, dazu ſagen moͤchten; und ich
bilde mir ein, ich thue nicht uͤbel, daß ich meinen Vor-
ſatz ins Werck richte.
Meiner Meinung nach hat ſich der Verfaſſer der
Widerlegung ſeiner Arbeit nicht zu ſchaͤmen, und der
H. Prof. Manzel keine Urſache, es uͤbel zu nehmen, daß
R r 3eine
[630](o)
eine Schrift gegen ihn gedruckt wird, die ihm zu aller-
hand erbaulichen Betrachtungen Anlaß geben kan.
Es hat der Hr. Prof. Manzel in der Vorrede zu ſeiner
Schrift alle Gelehrten erſuchet, ihm von ſeinem neuen
und wahren Recht der Natur ihre Meinung zu ſagen.
Niemand hat ſich bißher die Muͤhe geben wollen, und
dadurch, glaube ich, iſt der Hr. Prof. Manzel abge-
haltẽ worden, ſein neues Recht der Natur weiter aus-
zufuͤhren. Jch hoffe demnach, es werde ihm ſehr an-
genehm ſeyn, endlich einmahl zu erfahren, was andere
von ſeiner Schrift dencken. Zwar muß ich geſtehen,
der Verfaſſer der Anmerkungen, die ich jetzo zum
Druck befordere, iſt mit dem Hrn. Prof. Manzel in
den wenigſten Stuͤcken einig, und ſchreibt ziemlich
frey: Allein Hr. Prof. Mnnzel weiß zu leben, und hat
bey aller Welt den Ruhm, daß er einen hoͤflichen und
beſcheidenen Widerſpruch gar wohl vertragen koͤnne.
Wer recht oder unrecht habe, will ich nicht entſchei-
den. Jch uͤberlaſſe es dem geneigten Leſer, und da-
mit derſelbe deſto beſſer von der Sache urtheilen koͤn-
ne, habe ich vor dienlich erachtet, die Schrift des Hrn.
Prof. Manzels, welche, ob ſie ſchon wenig Kaͤufer ge-
funden hat, dennoch durch allerhand Zufaͤlle, denen
Schriften ſolcher Art unterworfen ſind, faſt gantz un-
ſichtbar geworden war, der Wiederlegung anzuhaͤn-
gen. Die Urſachen, warum ſie nicht ins Teutſche uͤber-
ſetzt, wird der geneigte Leſer beym durchblaͤttern ſelbſt
finden.
Uebrigens kan ich leicht gedencken, daß jederman, und inſon-
derheit der Hr. Prof. Manzel, begierig ſeyn wird, zu wiſſen,
wer ſein Widerſacher ſey. Allein es iſt mir nicht erlaubt ſeinen
Nahmen zu nennen. Jch habe ſo ſchon genug zu verantworten,
daß ich ſeine Arbeit ohne ſein Vorwiſſen, und wider ſeinen Wil-
len drucken laſſe. Gehabe dich wohl, Geneigter Leſer!
Hoch
[631](o)
Hochwohlgebohrner ꝛc.
Jch bin Ew. Hochwohlgeb. ſehr verbunden,
daß Sie mir die Schrift des Hrn. Prof.
Manzels haben ſchicken wollen, von wel-
cher Sie neulich erwehnten: Allein es gefaͤllt mir
nicht, daß Sie meine Meinung von derſelben zu wiſ-
ſen verlangen. Ew. Howohlgeb. ſind weit geſchickter,
als ich, von der Staͤrcke und Schwaͤche einer ſolchen
Schrift, und ich viel zu wenig von der Arbeit des Hn.
Mantzels zu urtheilen. Jndeſſen, da ich beſorgen muß,
Ew. Hochwohlgeb. moͤchten dieſe Entſchuldigung
nicht gelten laſſen, und meine Beſcheidenheit vor
verſtellet halten: So habe ich Dero Befehl gehorſa-
men, und meine wenigen Gedancken von dem neuen
Recht der Natur des Hrn. Manzels zu Papier brin-
gen wollen.
Ew. Hochwohlgeb. moͤgen urtheilen, ob ich den
Sinn des Hrn. Manzels allemahl recht getrofen ha-
be. Jch weiß es nicht, und geſtehe gerne, daß ich mich
in das neue Recht der Natur, ſo derſelbe einfuͤhren
will, noch nicht zufinden weiß. Jch leſe zwar in der
Vorrede, daß ſeine Abſicht ſey, der Verwirrung vor-
zubeugen: welche aus vielen Uꝛſachen, die Er nahmhaft
machet, im Rechte der Natur entſtehet: Jch bekenne
auch, daß dieſes ein Vorhaben ſey, das unſtreitig
Lob verdienet: Allein, zu geſchweigen, daß mancher
dencken moͤchte, die Verwirrung des Rechts der Na-
tur ſey ſo gar groß nicht mehr, nachdem man ange-
fangen, ohne Abſicht auf einiges Menſchen Anſehen,
bloß aus der allgemeinen menſchlichen Natur, die na-
tuͤrlichen Geſetze herzuleiten, und die Regeln der Ge-
R r 4rech-
[632](o)
rechtigkeit, des Wohlſtandes und der innerlichen Tu-
gend ſorgfaͤltig von einander zu unterſcheiden: So
weiß ich nicht, ob es dem Herrn Manzel mit der Ver-
beſſerung derjenigen Wiſſenſchaft, die wir das Recht
der Natur nennen, ein Ernſt ſey: indem er dieſelbe faſt
gar verwirft, und des Nahmens, welchen ſie bißhero
gefuͤhret hat, unwuͤrdig ſchaͤtzet. „His hactenus poſi-
„tis, ſagt er §. 9. ſatis eluceſcit, communiter tracta-
„tum jus naturale, quod ſcilicet accommodatur ad
„præſentem mundi ſtatum, abuſiue ita appellari.
Man kan, wofern ich nicht irre, hieraus abnehmẽ, daß
der Hr. Prof. Manzel gantz ein anderes Jus Naturæ,
als bißhero gebraͤuchlich geweſen iſt, im Sinne habe,
und nichts weniger, als den compilatoribus ſyſte-
matum \& compendiorum Juris naturæ, wie er die-
jenigen, die vom Rechte der Natur geſchrieben haben,
gar veraͤchtlich nennet, mit ſeinen Einſichten auf den
rechten Weg zu helfen gewillet ſey.
Nun will ich zwar nicht unterſuchen, ob dieſes neue
Recht der Natur, welches der Hr. Prof. dem alten
vorziehet, ſo ſehr von demſelben unterſchieden ſey. Ew.
Hochwohlgeb. moͤgen ſelbſt urtheilen, ob die Beſchrei-
bung, die der Hr. Prof. §. 8. von dem wahren Recht
der Natur giebt, ſich nicht gar wohl auf unſer altes Jus
Naturæ paſſe. Noch weniger will ich hart darauf
dringen, daß es unmoͤglich andere Regeln der Gerech-
tigkeit, als die bißhero im Gebrauch geweſen ſind, ge-
ben koͤñe, und daß alſo die diſtinction inter æquum
ſiue naturale in ſenſu vulgari, \& inter id quod juris
naturæ vere talis in primis fundamentis eſt, wel-
che der Hr. Prof. §. 11. machet, nicht viel beſſer her-
aus komme, als wenn einer inter calidum in ſenſu
vulgari
[633](o)
vulgari \& inter id quod calidum eſt ſecundum
Phyſicam vere talem \& paradiſiacam in primis
fundamentis einen Unterſcheid machen wolte: Nur
moͤchte ich wiſſen, was dann ein Recht der Natur, das
nicht auf unſern Zuſtand gerichtet iſt, vor Nutzen ha-
be? Wenn der Hr. Prof. Manzel in einem Collegio
Juris publici die LL. XII. Tabb. zum Grunde legen
wolte, ſo wuͤrde auch der einfaͤltigſte von ſeinen Zuhoͤ-
rern uͤber ihn lachen: Warum aber will er dann eine
Wiſſenſchaft, die unſere Gluͤckſeeligkeit zum End-
zweck hat, auf einen Stand der Unſchuld gruͤnden, von
welchem die Vernunft nichts weiß, und der von un-
ſerm ietzigen Zuſtande, nach ſeiner Meinung, noch
mehr unterſchieden iſt, als der Zuſtand der alten Roͤ-
mer von der jetzigen Verfaſſung des deutſchen Rei-
ches? So machte es Alberti zu Leipzig: Aber er legte
wenig Ehre ein: Und dieſes haͤtte dem Hn. Pr. Manzel
eine Warnung ſeyn koͤnnen. Zwar ſagt der Hr. Prof.
Manzel § 12. daß er es mit dieſem paradiſiſchen Welt-
weiſen nicht halte; Allein Strimeſius, welchem der
Hr. Manzel zu folgen ſcheinet, hat nicht mehr Gehoͤr
gefunden, als der gute Alberti, ob er gleich den Stand
der Unſchuld nicht aus der Schrift, ſondern aus der
Vernunft und den Heidniſchen Poeten herleitete. Es
koͤmmt nicht darauf an, ob man den Stand der Un-
ſchuld aus der Bibel, oder aus dem Ovidius beweiſet,
die Frage iſt, ob derſelbe geſchickt ſey, einen guten
Grund des Rechts der Natur abzugeben?
Und wenn ich ja dieſen begluͤckten Zuſtand der erſten
Menſchen zum Grunde des Rechts der Natur legen
wolte, ſo moͤchte ich ihn doch lieber nach Anleitung der
Schriften Moſes, als nach der Vernunft betrachten.
R r 5Denn
[634](o)
Denn die Vernunft weiß von dem Stande der Un-
ſchuld nichts, und irret der Hr. Prof. nicht, wenn er
ſagt; er ſehe ſchon vorher, was er ſich vor eine Laſt auf-
lege, indem er ſich unterſtuͤnde, denſelben aus der ſich
ſelbſt gelaſſenen Vernunft zu erweiſen. Er haͤtte dem-
nach, meines Erachtens, beſſer gethan, wenn er ſich
nicht eines ſo ſchweren Beweiſes unterfangen haͤtte,
der, wenn er gleich noch ſo wohl gerathen waͤre, in der
Weltweisheit nicht den geringſten Nutzen ſchafen
kan. Nun aber werden Ew. Hochwohlgeb. wenn
Sie die Gruͤnde, durch welche der Hr. Prof. ſeinen
Stand der Unſchuld aus der Vernunft beweiſen will,
genau betrachten, wohl ſehen, daß ſein Beweiß un-
gemein ſchwach ſey. Es iſt ein Jammer anzuſehen,
wie er ſich drehet: Und doch muß er oft zu der Schrift
ſeine Zuflucht nehmen. Jch will das, was er ſchreibt
etwas genauer beleuchten.
Vorher aber muß ich Ew. Hochwohlgeb. bitten,
mich nicht vor einen Ketzer zu halten, wenn Sie in die-
ſer meiner Unteꝛſuchung etwan einige Dinge antꝛefen,
die mit den gemeinen Lehren von dem Zuſtande der er-
ſten Menſchen nicht uͤbereinſtimmen. Sie werden ſo
guͤtig ſeyn, und mir die Freyheit goͤnnen, die ſich der
Hr. Prof. Manzel heraus genommen hat. Er dichtet,
er abſtrahirt von der Ofenbahrung, und ſagt uns,
was ihm, nach ſeiner Vernunft, von dem Stande
der Unſchuld duͤncket. Jch mache es eben ſo: auſſer
daß ich nicht dichte, ſondern nur ſeine Fictiones ver-
werfe. Wir ſind beyde orthodox, ob wir gleich et-
was ſagen, das mit den Meinungen unſerer Gottes-
Gelehrten ſtreitet.
Nachdem ich alſo allem ungleichen Verdacht vor-
gebeu-
[635](o)
gebeuget habe, ſo ſchreite ich zum Haupt-Wercke und
folge dem Hrn. Prof. Manzel auf dem Fuſſe nach.
Seine Abſicht iſt, aus der Vernunft zu beweiſen,
daß die Menſchen nicht in dem Zuſtande leben, in
welchem ſie von GOtt erſchaffen ſind. Er ſetzet zu
dem Ende (§. 20.) zum Grunde, „daß GOtt, als das„
allervollkommenſte Weſen nichts als vollkomme-„
ne, ja hoͤchſt vollkommene Dinge erſchafen koͤnnen:„
und auch, wie aus allen Dingen um, neben, unter„
und uͤber uns zu ſehen, nichts, als was hoͤchſt voll-„
kommen, erſchafen habe. Da nun der Menſch aber„
unter allen erſchaffenen Dingen allein in dem groͤß-„
ſten Elende und in der erbaͤrmlichſten Unvollkom-„
menheit lebet, meint er berechtiget zu ſeyn, daraus zu„
folgern, daß der Menſch ſeine erſte Vollkommenheit„
durch einen gewaltſamen Zufall (caſu violento)„
verlohren habe.‟
Ew. Hochwohlgeb. ſehen, daß ich dieſes erſte Ar-
gument des Hrn. Prof. Manzels ſo kraͤftig vortra-
ge, als es mir moͤglich; ob ich mich gleich an ſeine
Worte und die Art ſeines Vortrages nicht binde.
Damit Sie nun die Nichtigkeit deſſelben deſto beſſer
begreifen moͤgen, will ich einige Anmerckungen
daruͤber machen.
I. Die erſte ſoll dieſe ſeyn: Daß es noch eine groſ-
ſe Frage iſt, ob aus der Vollkommenheit GOttes fol-
ge, daß GOtt nur vollkommene Dinge erſchafen
koͤnne. Jch glaube es nicht. Denn, wenn GOtt et-
was ſchafet, ſo macht er keine Goͤtter; ſondern Creatu-
ren Jch dencke nicht, daß der Hr. Prof. dieſes leugnen
wird. Er muß alſo auch geſtehen, daß einer Creatur
nothwendig etwas fehlen muß, von dem, das in der
Gott-
[636](o)
Gottheit anzutrefen iſt. Wem etwas fehlet, der iſt
nicht hoͤchſt vollkommen (perfectiſſimus); folglich iſt
eine Creatur, ihrem Weſen nach, unvollkommen.
II. Aus dieſer Anmerckung flieſſet eine andere;
daß es, nemlich, ſehr uͤbel geſchloſſen iſt, wann man
aus der Unvollkommenheit einer Creatur Anlaß
nimmt zu muthmaſſen, es muͤſſe dieſelbe durch einen
ſonderlichen Zufall ihre urſpruͤngliche Vollkommen-
heit verlohren haben. Die Unvollkommenheit iſt eine
Eigenſchaft der Creatur, die aus ihrem Weſen flieſ-
ſet. Wenn ſie vollkommen waͤre, ſo wuͤrde unter ihr
und dem Schoͤpfer kein Unterſcheid ſeyn. Dieſer al-
lein iſt vollkommen. Das iſt: Er kennet, was Raum,
Zeit, Macht und Wiſſen anlanget, keine Graͤntzen.
Hergegen iſt die Ausdehnung, die Daurung, Macht
und Erkaͤnntniß aller Creaturen in gewiſſen Schran-
cken eingeſchloſſen. Je enger dieſelben ſind, je unvoll-
kommener iſt eine Creatur. Ueberhaupt aber ſind
dieſe Einſchraͤnckungen, die das Weſen einer Crea-
tur erfordert, der Grund aller Unvollkommenheiten,
welche wir an den erſchafenen Dingen wahrneh-
men. Wenn demnach eine Creatur unvollkommen
iſt, ſo befindet ſie ſich in dem Zuſtande, darinn ſie, ih-
rem Weſen nach, ſeyn muß. Die Groͤſſe der Unvoll-
kommenheit, ſo wir an einigen Creaturen wahrneh-
men, darf uns nicht ſtutzen machen. Wir haben nicht
Urſache zu dencken, das Verderben einer gewiſſen Art
von Geſchoͤpfen ſey gar zu groß, als daß es aus dem
erſten Zuſtande derſelben flieſſen koͤnne. Denn, da
einmahl ausgemacht iſt, daß die Einſchraͤnckungen
der Creaturen dieſelbe unvollkommen machen; die-
ſe Einſchraͤnckungen aber ihre Grade haben; ſo folget,
daß
[637](o)
daß auch die aus dieſen Einſchraͤnckungen entſtehen-
de Unvollkommenheit bald groͤſſer, bald kleiner ſeyn
muͤſſe. Sie kan aber nimmer ſo groß ſeyn, daß man die
Urſache, warum ſie vorhanden, auſſer der nothwendi-
gen Einſchraͤnckung, in welcher die Creatur erſchaf-
fen worden, zu ſuchen noͤthig habe.
III. Hiernechſt deucht mich, daß es dem Hrn.
Manzel, wenn ich ihm ja die Folge, wieder welche ich
bißher geſtritten habe, zugeben wolte, ſchwer, ja
unmoͤglich fallen wuͤrde, eine vernuͤnftige Urſache
von dem Elende und der Unvollkommenheit des
Menſchen zu geben, er ſpricht: Was ſeinen Urſprung
von einem hoͤchſt-vollkommenen Weſen hat, das
muß ſelbſt hoͤchſt vollkommen ſeyn. Allein, ſage ich,
der Menſch iſt es nicht. Woher koͤmmt das? Hr.
Manzel antwortet: Er hat ſeine Vollkommenheit
durch einen Zufall verlohren. Dieſe Antwort kan
ich nicht vor hinlaͤnglich halten, ſo lange mir die
Moͤglichkeit dieſes Zufalles nicht gezeiget wird.
Wenn der Hr. Prof. ſich nicht anheiſchig gemacht
haͤtte, den Stand der Unſchuld aus der Vernunft zu
beweiſen, ſo koͤnnte er ſich nur auf die Schrift berufen,
und ſagen, der Verluſt unſerer urſpruͤnglichen Voll-
kommenheit muͤſſe moͤglich ſeyn, weil wir ihn erlitten.
Ab eſſe ad poſſe valet conſequentia. Allein das darf
er nicht thun. Was will er alſo machen? Die Ver-
nunft ſagt, daß der Menſch, wenn er hoͤchſt vollkom-
men erſchafen worden, auch hoͤchſt vollkommen blei-
ben muͤſſen. Denn ſie findet weder in dem Men-
ſchen, noch auſſer demſelben etwas, das eine ſolche
Veraͤnderung, als der Hr. Manzel geſchehen zu ſeyn
vorgiebt, haͤtte verurſachen koͤnnen. Nicht in dem
Men-
[638](o)
Menſchen: denn da der Menſch in der hoͤchſten Voll-
kommenheit erſchafen war; ſo hat er unmoͤglich einen
Trieb zum Boͤſen und ein Verlangen, ſeinen Zuſtand
zu aͤndern, haben koͤnnen. Folglich hat er ſeine Voll-
kommenheit ſo lange behalten muͤſſen, biß ihn eine
hoͤhere Hand derſelben beraubet: Oder biß er durch ei-
nen gewaltſamen Zufall (caſu violento), wie der Hr.
Manzel redet, dieſelbe verlohren.
Aber auch dieſes iſt unbegreiflich. Denn wer ſol-
te den Menſchen wohl wieder ſeinen Willen aus ſei-
nem vollkommenen Zuſtand in das Elend, in welchem
er ſich jetzo befindet, geſetzet haben? Niemand hat es
thun koͤnnen, als derjenige, der ihn erſchafen hat: A-
ber iſt es wohl erlaubt, dieſes auch nur zu gedencken?
GOtt, der den Menſchen in der groͤßten Vollkom-
menheit erſchaffen, hat gewollt, daß er vollkommen
ſeyn und bleiben ſolte.
Was GOtt will, das muß geſchehen. Folglich
kan auch kein unvermutheter, gewaltſamer Zufall den
Menſchen um ſeine Unſchuld und Vollkommenheit
gebracht haben. Denn da GOtt erſtlich gewollt,
daß der Menſch vollkommen bleiben ſolte: So muß er
auch die Zufaͤlle ſo geordnet haben, daß ſie ſeinem
Endzweck nicht entgegen.
Den alten Drachen, den Teuffel und Satanas
kan der Hr. Prof. Manzel hier nicht einmiſchen. Den
kennet die Vernunft nicht. Sie weiß nicht ob eine ſo
boßhafte Creatur vorhanden iſt. Und fraͤgt wer dann,
da doch alles von GOtt hoͤchſt vollkommen erſchaf-
fen worden, dieſen Verfuͤhrer verfuͤhret? oder durch
was vor einen gewaltſamen Zufall dieſer ſeine Voll-
kommenheit verlohren hat?
Ja
[639](o)
Ja wenn ſie auch gleich ſo boͤſe Geiſter, als dieje-
nigen, die wir Teufel nennen, kennete, ſo wuͤrde ſie
doch nicht verdauen koͤnnen, daß dieſelbe, wieder den
Willen des allmaͤchtigen GOttes, den Menſchen ge-
waltſamer Weiſe ſeine Vollkommenheit ſolten be-
raubet haben.
Sie findet darinn eine doppelte Unfoͤrmlichkeit.
Einmahl, daß eine Creatur maͤchtiger ſeyn ſolle, als
ihr Schoͤpfer: und zum andern, daß dem Menſchen
etwas gewaltſamer Weiſe ſolle entwandt ſeyn, wel-
ches er nicht anders, als mit Willen hat verliehren
koͤnnen.
Die Vollkommenheit, ſo der erſte Menſch verloh-
ren haben ſoll, war keine Sache, die man ihm mit Ge-
walt nehmen konnte. Sie ſteckte vornemlich in der
Seele, und was noch mehr iſt, in dem Willen ſelbſt.
Dieſer muſte verdorben werden. Wie aber? Durch
aͤuſſerliche Gewalt? Das geht nicht an. Voluntas
non poteſt cogi. Durch Verfuͤhrung und liebrei-
chen Zwang? Aber ſo waͤre der Caſus, wie der Herr
Manzel will, nicht violentus; ſo waͤre der Menſch
nicht vollkommen geweſen. Denn es iſt ausgemacht,
daß, auch bey unſerm ietzigen Verderben, der Teufel
uns nicht verfuͤhren kan, ohne ſich unſerer Schwach-
heit zu bedienen. Er verfuͤhret niemand, als der ver-
fuͤhret ſeyn will. Wer ihm wiederſtehet vor dem
fleucht er. Der Menſch in ſeiner Vollkommenheit hat
dieſes letzte mit weit groͤſſerm Nachdruck, als wir in
unſerer ietzigen Schwachheit thun koͤnnen, und die
Luſt verfuͤhret zu werden, ſammt allen den Neigungen,
deren ſich der Teufel bedienet, uns zu beruͤcken, fan-
den ſich bey ihm nicht. Wie hat er dann verfuͤhret
werden koͤnnen?
Ew.
[640](o)
Ew. Hochwohlgeb. erſehen aus dieſem allen, daß
das Argument des Hn. Manzels noch viel zu ſchwach
iſt, die urſpruͤngliche Vollkommenheit des menſchli-
chen Geſchlechts zu erweiſen. Jch ſchreite demnach zu
„dem folgenden, welches §. 21. alſo lautet: „Ein jeder
„Geſetzgeber muß dahin ſehen, daß ſeine Gebote die
„Kraͤfte derjenigen, welchen er ſie giebet, nicht uͤbeꝛſtei-
„gen, und muß kein Geſetze geben, das ſeine Untertha-
„nen nicht vollkommen zu halten vermoͤgend ſind.
„Macht er es anders, ſo iſt er ein Tyrann. Nun iſt aus-
„gemacht, daß GOTT die Geſetze der Natur in un-
„ſer Hertz geſchrieben; Wir aber halten ſie nicht, wie
„die klaͤgliche Erfahrung lehret: Folglich leben wir
„nicht in dem Zuſtande, in welchem wir, nach der Ab-
„ſicht GOttes, leben ſolten.
Hier muß ich vor allen Dingen Ew. Hochwohl-
geb. ſagen, daß dieſes Argument gar nicht ſo eingerich-
tet iſt, als es ſeyn ſolte. Die Frage iſt nicht, ob die Men-
ſchen die natuͤrlichen Geſetze beobachten; ſondern, ob
ſie faͤhig ſind, dieſelbe zu halten? Daß die meiſten Men-
ſchen dawider handeln, iſt unſtreitig: Aber dieſes thut
zu des Hrn. Manzels Endzweck nichts. Der haͤtte ſa-
gen ſollen der Menſch waͤre gar nicht in Stande, die
Geſetze der Natur zu halten: So haͤtte er daher folgern
koͤnnen, daß der Menſch ſich einmahl in einem andern
Zuſtande befunden habe. Wie er ſeine Sachen vor-
gebracht hat, heißt alles, was er ſaget, nichts.
Dieſes koͤnnte zu Abfertigung dieſes andern Argu-
ments genug ſeyn: Allein da mir die Hoͤflichkeit zu
glauben befiehlt, daß der Hr. Prof. Manzel beſſer und
ordentlicher gedacht hat, als er geſchrieben: So will ich
ſeinem Schluß die rechte Form geben, und alsdann ſe-
hen,
[641](o)
hen, ob derſelbe den Stand der Unſchuld, aus welchem
der Menſch gefallen ſeyn ſoll, zu beweiſen tuͤchtig iſt.
„Der Menſch, will der Hr. Prof. Manzel ver-„
muthlich ſagen, iſt ſo gar verderbet, daß er nicht im„
Stande iſt, die Geſetze der Natur zu beobachten.„
Es iſt aber nicht zu glauben, daß ſie ihm von GOtt„
wuͤrden gegeben ſeyn, wenn er nicht, zu der Zeit, als„
ſie ihm gegeben wurden, die Kraͤfte gehabt haͤtte, ſie„
zu halten: Folglich muß er dieſe Kraͤfte nothwendig„
verlohren haben, und befindet ſich alſo in einem an-„
dern Zuſtande, als derjenige war, in welchem er„
von GOtt erſchafen.
Dieſes lieſſe ſich, deucht mich, hoͤren, wenn
nur erſt ausgemacht waͤre, daß der Menſch nicht im
Stande iſt, die Geſetze der Natur zu halten. Die
Erfahrung giebt es leyder zwar, daß die meiſten
Menſchen nicht erkennen wollen, was zu ihrem Frie-
den dienet, ſondern ihren thoͤrigten Begierden lie-
ber, als der Einrede der geſunden Vernunft, oder,
welches einerley iſt, den Geſetzen der Natur folgen:
Allein, da es doch zu allen Zeiten einige, wiewohl ge-
gen die Menge der Thoren zu rechnen, ſehr wenige ge-
geben hat, welche die Regeln der Gerechtigkeit und
des Wohlſtandes nicht allein genau beobachtet; ſon-
dern auch ihre Begierden ſo gebaͤndiget haben, daß
dieſelbe die Ruhe ihres Gemuͤths nicht mercklich ſtoͤh-
ren koͤnnen: So deucht mich, daß man, mit Beſtande
der Wahrheit, nicht ſagen koͤnne, die Menſchen uͤber-
haupt waͤren gantz und gar untuͤchtig die Geſetze der
Natur zu halten. Das eintzige Exempel des vortref-
lichen Socrates wuͤrde einem, der dieſes behaupten
wolte, zeigen, daß er zu hart rede: Denn, da man
Sswohl
[642](o)
wohl nicht leicht ſagen wird, daß dieſer groſſe Welt-
weiſe aus einer Maſſa præſervata entſproſſen, ſo bleibt
es wohl gewiß, daß dasjenige, was dem Socrates
moͤglich geweſen iſt, andern auch nicht ſchlechter-
dings unmoͤglich ſey. Werden demnach gleich die
natuͤrlichen Geſetze nicht von allen Menſchen aufs
genaueſte beobachtet; ſo kan uns dieſes doch nicht
bewegen, zu ſchlieſſen, wir waͤren nicht in dem Stan-
de, in welchem wir waren, als die Geſetze entſtun-
den, das iſt, als wir erſchafen wurden. Genug, daß
wir ſie halten koͤnnen, wenn wir nur wollen.
Will aber der Herr Prof. Mantzel den faſt allge-
meinen Mangel dieſes Willens als eine Unvollkom-
menheit anfehen, die, wenn ſie ſich bey dem erſten
Menſchen gefunden haͤtte, GOtt wuͤrde abgehalten
haben, die Geſetze der Natur zu geben, und daher den
Schluß machen, daß der erſte Menſch von derſelben
frey geweſen ſey, und eine beſtaͤndige Neigung zum
Guten gehabt habe: So muß er wiſſen, daß dieſes
ſehr uͤbel geſchloſſen ſey. Die geſunde Vernunft ſtim-
met nicht damit uͤberein. Die ſagt, daß die Geſetze
ein Zeichen unſerer Unvollkommenheit ſind, und daß
dem Gerechten kein Geſetz gegeben iſt, weil er freywil-
lig thut, was recht iſt: Und dieſes letzte bekraͤftiget
auch die Schrift. Mich deucht alſo, GOtt wuͤrde
uns niemahlen gewiſſe Geſetze vorgeſchrieben haben,
wenn wir ſo heilige, unſchuldige, und vollkommene
Creaturen geweſen waͤren, als der Herr Mantzel aus
den erſten Menſchen machen will. Wo zu ſollen einer
Creatur, die hoͤchſt vollkommen iſt, ihren wahren
Nutzen voͤllig erkennet, nicht die geringſte Begierde
hat nach ſolchen Dingen, die ihrem Nutzen entgegen
ſind,
[643](o)
ſind, und alſo unmoͤglich andeꝛs, als heilig und gerecht
leben kan, die beſten Geſetze nuͤtzen? Ein Stein der in
die Hoͤhe geworfen worden, bedarf keiner Ermah-
nung, oder Anweiſung, daß und wie er herunterfallen
ſolle. So nothwendig es nun abeꝛ iſt, daß ein in die Luft
geworfener Stein herunter faͤllt, ſo nothwendig iſt es
auch, daß eine vollkommene, und in rechtſchafener Ge-
rechtigkeit und Heiligkeit erſchafene, Creatur alles
thut, was noͤthig iſt, ſie in dieſer Vollkommenheit,
Heiligkeit und Gerechtigkeit zu erhalten. Dieſes flieſ-
ſet aus ihrem Weſen, und ſie wuͤrde nicht vollkommen
ſeyn, wenn ſie nicht auch die Faͤhigkeit haͤtte, ſich in
ihrem begluͤckten Stande zu erhalten. Jch ſehe nicht,
warum GOtt einer ſolchen Creatur Geſetze vorſchrei-
ben ſolte? Geſetze verbieten das Boͤſe, und befehlen
das Gute. Das Gute thut eine vollkommene Creatur
von ſich ſelbſt: und ihr das Boͤſe unterſagen, wuͤrde
eben ſo viel ſeyn, als ſie vor unvollkom̃en halten; weil
ein ſolches Verboth nothwendig aus einer Beyſorge
herruͤhren muͤſte, daß die vollkom̃ene Creatur das Boͤ-
ſe dem Guten vorziehen moͤchte. Eine Creatur aber,
von welcher man dieſes veꝛmuthet, iſt unvollkommen.
Und vor unvollkommene Creaturen gehoͤren ei-
gentlich die Geſetze. Die Starcken beduͤrfen des Artz-
tes nicht, ſondern die Krancken. Wir ſind alle geiſtli-
cher Weiſe kranck. Was iſt es dann Wunder, daß
uns GOtt die Geſetze der Natur, als eine heilſame
Artzney vorgeſchrieben? Waͤren wir von Natur ſo be-
ſchafen, als es die Regeln der geſunden Vernunft er-
fordern, ſo beduͤrften wir keine Geſetze, die unſerm ver-
kehrten Willen gewiſſe Schrancken ſetzen, und keiner
Anleitung zur Erkenntniß unſers wahren Nutzens.
Ss 2Die
[644](o)
Die Geſetze der Natur ſchicken ſich alſo gar wohl zu
unſerer Unvollkommenheit, und es iſt nicht noͤthig,
zu ſagen, wir waͤren zu der Zeit, als ſie uns gegeben
ſind, hoͤchſt weiſe und vollkommen geweſen.
Aber hat alſo GOtt nicht tyranniſch mit uns ge-
handelt, daß er uns Geſetze gegeben, die unſern Nei-
gungen ſo ſehr entgegen ſind, daß es uns ſchwer, ja
faſt unmoͤglich faͤllt, dieſelbe zu halten?
Dieſes iſt der Scrupel, den ſich der Hr. Prof. Man-
zel macht, und der ihn bewogen hat, um GOTT
von den Verdacht einer Grauſamkeit zu befreyen, den
Schluß zu machen, der Menſch muͤſſe ſich zu der Zeit,
als GOtt die Geſetze der Natur gegeben, in einem beſ-
ſern und vollkommenern Zuſtande, als ietzo, befunden
haben. Allein dieſer Scrupel wird ſich bald verlieh-
ren, wenn man nur die Geſetze der Natur ein wenig
genauer anſiehet.
Es iſt gewiß, wenn die Geſetze der Natur will-
kuͤhrliche Verordnungen waͤren, kraft welcher GOtt
dem Menſchen an ſich gleichguͤltige, und zum wah-
ren Wohlſeyn der Menſchen nichts beytragende
Dinge verboͤte und befoͤhle, ſo waͤre es freylich eine
Art einer Tyranney, mit denſelben eine Creatur zu
beſchweren, die entweder gar nicht, oder doch we-
nigſtens nicht ohne groſſe Schwierigkeit, dieſelbe
zu halten vermoͤgend iſt. Allein ſo ſind die Geſetze
der Natur nicht beſchafen. Es beſtehen dieſelbe
nicht in willkuͤhrlichen Verordnungen, auf deren
Uebertretung willkuͤhrliche, und nicht aus den Thaten
der Menſchen ſelbſt flieſſende Strafen geſetzet ſind.
Sie ſind nichts, als eine Einſicht in die Folgen unſerer
Handlungen, und ſind uns nicht gegeben, weil wir
voll-
[645](o)
vollkommen erſchaffen worden, ſondern nur den Un-
vollkommenheiten zum Gegengewicht zu dienen, die
aus unſerer Einſchraͤnckung, und unſerm Zuſammen-
hang mit den uͤbrigen Creaturen entſtehen.
Solte alſo GOtt wohl einer Tyranney beſchuldi-
get werden koͤnnen, daß er uns, als ein liebreicher Va-
ter vor Schaden warnet? Jch ſolte es nicht dencken.
Laß es ſeyn, daß die meiſten Menſchen ihren wahren
Nutzen aus den Augen ſetzen, und ſich in Ungluͤck ſtuͤr-
tzen: Die Geſetze der Natur bleiben darum doch eine
Wohlthat GOttes, und machen den Menſchen, der
ſie entweder aus Schwachheit, oder Boßheit nicht
haͤlt, nicht ungluͤcklicher, als er ſeyn wuͤrde, wenn ſie
GOtt nicht in ſein Hertz gepraͤget haͤtte.
Der Hr. Prof. Manzel hat alſo keine Urſache, zu
ſchlieſſen, daß wir hoͤchſt vollkommen geweſen ſind,
als GOtt uns die Geſetze der Natur gegeben hat.
Meinen nun aber Ew. Hochwohlgeb. daß der
Hr. Prof. mit dieſem Begrif von den Geſetzen der
Natur nicht zufrieden ſeyn; ſondern vieles dagegen
einzuwenden haben wuͤrde: So will ich eben ſo hart
darauf nicht dringen. Ja ich will ihm zulaſſen,
daß die Geſetze der Natur, die er meinentwegen
vor eigentliche Geſetze halten mag, nur Creaturen,
die hoͤchſt vollkommen ſind, gegeben werden koͤn-
nen. Jch will ihm zu geſtehen, daß wir ſie ietzo
nicht halten koͤnnen: Allein er wird mir dann auch
eine Frage zu gute halten. Sie iſt nicht ſchwer
zu beantworten.
. . . . . . . . Minimum eſt quod ſcire laboro.
Er kan nur ja oder nein ſagen. Jch moͤchte ger-
ne wiſſen, ob die Geſetze der Natur, die GOtt dem
Ss 3erſten
[646](o)
erſten Menſchen in ſeiner Vollkommenheit gegeben,
hat, und die wir ietzo, wie der Hr. Manzel will, nicht
mehr halten koͤnnen, uns noch verbinden oder nicht?
Antwortet er nein: So muß man alle Syſtemata Juris
Naturæ zum Gewuͤrtz-Kramer ſchicken, und nimmer-
mehr von Recht und Billigkeit reden, ſondern nach
ſeinen Luͤſten leben. Der Hr. Prof. Manzel wird auch
keine gute Urſache geben koͤnnen, warum er ſein
Werckgen geſchrieben, und warum er ſich bemuͤhet
hat, die edle Wiſſenſchaft des Rechts der Natur auf
einen beſſern Fuß zu ſetzen.
Da es nun aber nicht glaublich iſt, daß er ſo ant-
worten wird, ſo muß er ſagen, die Geſetze der Natur
verbinden uns noch, ob wir gleich nicht mehr im
Stande ſind, dieſelbe zu halten. Mit was vor Grun-
de kan er aber dieſes ſagen, da er ſelbſt meinet es ſey
eine Tyranney, jemanden Geſetze zu geben, die er
nicht halten kan?
Jch kan zwar leicht dencken, daß er ſich, um
vor dieſem Einwurf ſicher zu ſeyn, unter die Canonen
der Kirche retiriren, und mit der Lehre von der Erb-
Suͤnde, als mit einem Schilde wafnen wird: Allein
Ew. Hochwohlgeb. ſehen wohl, daß dieſes einem
Weltweiſen, der aus der bloſſen Vernunft von dem
Stande der Unſchuld handeln will, nicht ſonder-
lich wohl anſtehet.
Die Vernunft weiß von keiner Erb-Suͤnde, von
keinen Kindern des Zorns. Sie begreift wohl, daß,
wenn der erſte Menſch aus ſeineꝛ Vollkommenheit ge-
fallen iſt, die aus dieſem Fall in ſeiner Natur entſtan-
dene Verſchlimmerung auf ſeine Nachkommen habe
koͤnnen foꝛtgepflantzet weꝛden. Sie begꝛeift aber nicht,
wie
[647](o)
wie dieſen Nachkommen des erſten Menſchen die an-
gebohrne Unart, als ein Verbrechen, koͤnne zugerech-
net werden. Es iſt nicht unſere Schuld, daß wir boͤſe
gebohren werden, und folglich, wegen unſerer ange-
bohrnen Schwachheit, die Geſetze nicht halten koͤn-
nen, welche dem erſten Menſchen gegeben worden,
der in vollkommener Gerechtigkeit und Heiligkeit
erſchafen war. Wer uns darum ſtrafet, der begehet
eine Ungerechtigkeit, und die wird gar ſchlecht bemaͤn-
telt, wenn man ſpricht: Wir haͤtten die Kraͤfte ge-
habt, denen Geſetzen, welche uns gegeben worden, die
gebuͤhrende Folge zu leiſten; wir haͤtten aber dieſe
Kraͤfte durch unſer eigen Verſehen verſchertzet. Denn
nicht der Hr. Prof. Manzel und ich, oder ſonſt irgend
einer von allen ietzo lebenden Menſchen, haben vom
verbotenen Baum gegeſſen. Warum ſollen wir dann
die unordentliche Luſt unſerer erſten Eltern buͤſſen?
Womit haben wir verdienet, daß uns durch unmoͤg-
lich zu haltende Geſetze eine Laſt aufgelegt wird, die
uns zu ſchwer iſt? GOtt haͤtte unſere erſte Eltern nach
Belieben, wegen Uebertretung der Geſetze, welche ſie,
durch ihr Verſehen, nicht halten konnten, zuͤchtigen
koͤnnen: Uns aber muß er, falls er will, daß wir ihm
gehorchen ſollen, Geſetze geben, die mit dem Zuſtan-
de uͤbereinkommen, in welchem wir uns ietzo befin-
den, und die wir vermoͤgend ſind zu halten. Unmoͤgli-
che Dinge muß er nicht von uns fordern, ſonſt dencken
wir von ihm, was wir von einem Menſchen dencken
wuͤrden, der einen Lahmen mit Schlaͤgen zwingen
wolte, ein Menut zu tantzen, unter dem Vor-
wande, der Ur-Elter-Vater dieſes Kruͤppels ſey
ein geſchickter Taͤntzer geweſen; habe ſich aber,
Ss 4durch
[648](o)
durch ſeine Unmaͤßigkeit, eine Kranckheit zugezogen,
die hernach auf alle ſeine Nachkommen geerbet ſey.
Und was braucht es viel Redens? daß ein Sohn
die Miſſethat des Vaters nicht tragen ſolle, iſt ein
Satz, der ſo feſt in der Vernunft gegruͤndet iſt, als er
klar in der Bibel ſtehet. Folglich iſt es nach der Ver-
nunft, eine ausgemachte Sache, daß wir nicht verdie-
nen, mit Geſetzen beſchweret zu werden, die wir darum
nicht halten koͤnnen, weil unſere erſten Eltern die Kraͤf-
te verlohren haben, welche dazu erfordert werden.
Ew. Hochwohlgeb. ſehen hieraus, daß es nicht
wahr ſeyn koͤnne, daß wir nicht im Stande ſind, die
Geſetze der Natur zu halten, weil daraus die unge-
reimte Folge flieſſet, daß entweder die Geſetze der Na-
tur uns nicht mehr verbinden, oder daß auch GOtt
ungerecht mit uns verfahꝛe, wenn er uns wegen Ueber-
tretung derſelben ſtrafet. Da nun aber der Hr. Man-
zel ſich auf dieſen falſchen Satz gruͤndet, ſo faͤllt alles,
was er ſaget, uͤbern Haufen, nachdem ich den Grund
umgeſtoſſen habe. Mich deucht, ich kan alſo mit gutem
Gewiſſen zu dem dritten Argument des Hrn Prof.
Manzels ſchreiten, und ſehen ob es mehr, als die bey-
den vorigen, beweiſet.
„Ferner, ſpricht er (§. 22.), beweiſet dieſes (daß
„wir nemlich in einem verdorbenen Zuſtande leben)
„der beſtaͤndige Streit des Fleiſches und des Geiſtes,
„welchen auch ſelbſt die Heiden gefuͤhlet, beſeufzet,
„und nicht GOtt; ſondern ein boͤſes principium vor
„deſſelben Urſache gehalten haben.
Jch mercke hierbey an
I. Daß es nicht Regelmaͤßig geredet iſt, wann der
Hr. Prof. Manzel den Streit zwiſchen der geſunden
Vernunft,
[649](o)
Vernunft, und den thoͤrigten Begierden des Men-
ſchen einen Streit des Fleiſches und des Geiſtes (lu-
ctam carnis \& ſpiritus) nennet. Dieſe Redens-
Art iſt den Gottesgelehrten eigen, und ich moͤchte die-
ſelbe nicht ſo entheiligen. Derjenige Streit, von wel-
chem der Hr. Manzel redet, heiſſet, wie bekannt, pug-
na rationis \& appetitus ſenſitivi.
II. Daß dieſer Streit, den wir in uns ſpuͤren, er
mag nun heiſſen wie er will, wohl beweiſe, daß wir
unvollkommen und ungluͤcklich ſind; indem wir Be-
gierden haben, die dem Verlangen, ſo wir uͤberhaupt
haben, lange und gluͤcklich zu leben, gerade entgegen
laufen: Aber daß noch nicht daraus folge, der erſte
Menſch ſey anders beſchafen geweſen. Und dieſe mei-
ne Anmerckung muß um ſo viel eher gelten, weil ich
ſchon gewieſen habe, daß, da das Weſen einer Creatur
erfordert, daß ſie unvollkommen ſey, die Unvollkom-
menheit, die wir ietzo an uns haben, uns nicht Recht
gebe, zu ſchlieſſen, wir waͤren vor dieſen anders ge-
macht geweſen.
III. Daß es wenig zur Sache thut, ob die Heyden
dieſen Streit gefuͤhlet, und einem boͤſen principio zu-
geſchrieben, oder nicht. Jch weiß wohl, daß einige
das Verderben der menſchlichen Natur, als die
Strafe eines, in einer andern Welt begangenen, Ver-
brechens angeſehen: Allein dieſes beweiſet noch nicht,
daß alſo wuͤrcklich eine gewaltſame Veraͤnderung in
der Natur des Menſchen vorgegangen ſey.
Die Heiden bemuͤheten ſich, den Urſprung der Un-
vollkommenheit und des Boͤſen in dem Menſchen zu
erklaͤren, und erdichteten, zu dem Ende, eben wie der
Hr. Manzel, einen Stand der Unſchuld, nach ihrer
S s 5Art.
[650](o)
Art. Sie hatten davon ſo wenig Gewißheit aus der
Vernunft, als er: Allein ſie meinten auf die Art die Eh-
re der GOttheit zu retten, der man es als einen Man-
gel der Macht, oder Guͤte auslegte, daß ſie ſo unvoll-
kommene und elende Creaturen hervorgebracht. Die
Seelen der Menſchen haben ſich, ſagten ſie, ehe ſie in
die Leiber verbannet worden, verſuͤndiget, und darum
hat ſie GOtt zur Strafe an die Materie geknuͤpfet.
Ein Heide aber, der auf ſolche Art alle Scrupel he-
ben wolte, war leicht zu wiederlegen. Man konn-
te ihn nur fragen, ob die Seelen, vor ihrer Ver-
bannung in die Leiber, vollkommen oder unvollkom-
men geweſen? Sagte er: Sie waren vollkommen;
So konnte man fragen: Warum ſuͤndigten ſie
dann? Sagte er: ſie waren es nicht. So blieb der
Scrupel da, den er, durch ſein Gedichte, heben
wolte, nemlich woher die Unvollkommenheit in dem
Menſchen entſtanden?
Ew. Hochwohlgeb. ſehen alſo, daß der Fall, wel-
chen die Heiden erdichtet, ein elender Behelff iſt, von
der Unvollkommenheit des Menſchen eine Urſache zu
geben: und daß folglich der Hr. Prof. Manzel in den
Meinungen dieſer Leute wenig Troſt finden koͤnne,
und wenn er ſich auch gleich auf dasjenige berufen
haͤtte, was ich eben von dem Glauben der Heiden er-
wehnet habe. Nun aber thut er dieſes nicht einmahl;
ſondern begnuͤgt ſich nur anzumeꝛcken, daß die Heiden
den Streit des Fleiſches und des Geiſtes gefuͤhlet, und
einem boͤſen principio zugeſchrieben haben: Und die-
ſes hat wenig zu bedeuten. Denn eines theils iſt es kein
Wunder, daß diejenigen unter den Heiden, welche
zwey principia glaubten, die Unvollkom̃enheit in dem
Men-
[651](o)
Menſchen dem Boͤſen zuſchreiben: und andern theils
iſt es falſch, daß die Heiden uͤberhaupt den Streit
des Fleiſches und des Geiſtes einem boͤſen princi-
pio zugeſchrieben haben. Alle diejenigen, welche
nicht zwey principia glaubten, gaben ihren Goͤt-
tern Schuld, daß ſie ſie zu Laſtern reitzeten: Und es
iſt bekannt, daß faſt keine Untugend zu erdencken iſt,
die nicht ihren eigenen Patron unter den Goͤttern ge-
habt haͤtte. Die Heiden meinten alſo, daß von den
Goͤttern, die ihnen das Gute gaben, auch das Boͤſe
herruͤhre, und bildeten ſich, wann ſie von ihren Be-
gierden zu etwas getrieben wurden, deſſen Unbillig-
keit und Schaͤdlichkeit ſie wohl erkannten, feſte ein,
dieſer Trieb ſey goͤttlich. So erklaͤrte die Medea
ihre unbaͤndige Liebe zu dem Jaſon, deren Unver-
nunft ſie ſelbſt wohl erkannte.
„Et luctata diu, poſtquam ratione furorem
„Vincere non poterat; Fruſtra Medea re-
pugnas
„Neſcio quis DEVS obſtat, ait …(1)’
Mr. Bayle ſagt (2) die Heiden haͤtten dieſe goͤttli-
che Reitzung zum Boͤſen als eine Strafe einer vorher-
gegangenen Uebertretung angeſehen, und vergleicht
die Begrife, welche ſie gehabt, mit dem, ſo unſere Got-
tes-Gelehrten vom Verluſt des freyen Willens durch
den Fall, und der Entziehung der Gnade GOttes leh-
ren. Aber auch dieſes kan dem Hn. Prof. Manzel we-
nig helfen: Denn, wie ſehr auch die Grillen der Heiden
mit
[652](o)
mit den Lehren unſerer Gottesgelehrten uͤbereinſtim-
men, ſo bleibt es doch noch eine Frage, ob es vernuͤnf-
tig ſey, zu glauben, daß GOtt eine Creatur, wie grob
ſie ſich auch an ihm verſuͤndiget, immermehr zur Suͤn-
de reitzen ſolle: Dieſe Erklaͤrung des Streites, den
wir in uns fuͤhlen, iſt, meiner Meynung nach,
nicht weit her, und man findet auch unter den Heyden
ſelbſt einige, denen ſie nicht gefallen hat. Wann die
Phaͤdra beym Seneca (3) ihre raſende Liebe gegen
ihren Stief-Sohn mit einem Goͤttlichen Triebe be-
maͤnteln will, und ſpricht
„Vera eſſe Nutrix: ſed furor cogit ſequi
„Pejora. Vadit animus in præceps ſciens,
„Remeatquefruſtra ſana conſilia appetens.
„. . . . .
„. . . . .
„. . . . .
„Quod ratio poſcit, vincit ac regnat furor
„Potensque tota mente dominatur DEUS.’
So wird ihr gar vernuͤnftig geantwortet, ſie irre ſich
ſehr, wenn ſie meine, Gott reitze ſie zu der Thorheit ih-
ren Sohn zu lieben. Dieſe Einbildung ſey eine Erfin-
dung liederlicher Gemuͤther ꝛc.
„Deum eſſe amorem, turpiter vitio favens
„Finxit libido: quoque liberior foret,
„Titulum furori NUMINIS FALSI addidit
„. . . . .
„. . . . .
„Vana
[653](o)
„Vana iſta demens animus aſcivit ſibi
„Venerisque numen finxit, atque arcus Dei.
Ob nun gleich die Heiden die Unvollkommenheit des
Menſchen erkannt, und, da ſie ſich in den Streit der
geſunden Vernunft mit den thoͤrigten Begierden des
Hertzens nicht finden koͤnnen, einen Deum ex Machi
na zu Aufloͤſung dieſes Raͤtzels gebrauchet haben
So hilft doch dem Hn. Manzel ihr Exempel nichts.
Sein Stand der Unſchuld, ſein Fall wird dadurch
nicht wahrſcheinlicher: Und wenn ſie auch, wie er will,
eine Art von alten Drachen gekannt haͤtten: Denn
es wuͤrde noch die Frage uͤbrig bleiben, ob ſie wohl ge-
ſchloſſen. Was will er aber alſo ſich auf die Heiden be-
rufen, da ich gewieſen, daß ſie den innerlichen Streit,
den wir fuͤhlen, als etwas Goͤttliches angeſehen ha-
ben? Wie kan er ſagen, die Heiden haͤtten die luctam
carnis \& Spiritus erkannt? Der Hr. Mantzel ſiehet
dieſen Streit als ein Zeichen unſers Verderbens an:
Das thaten, aber die Heiden nicht; die hielten einen
erzuͤrneten GOtt vor den Urheber deſſelben, und mu-
ſten alſo die einheimiſche Unruhe, welche ſie fuͤhlten,
mehr vor ein Zeichen des Eigenſinnes ihrer Goͤtter,
als vor ein Zeichen ihrer eigenen Unvollkommenheit
anſehen. Sie konnten unmoͤglich daraus folgern, daß
in der menſchlichen Natur eine Veraͤnderung vorge-
gangen ſey, aus welcher dieſer innerliche Krieg der
Vernunft und Begierden herruͤhre. Mr. Bayle iſt
am angezogenen Ort anderer Meynung, und meint
die Heiden haͤtten von dem Fall, und dem daraus er-
folgten Verluſt des freyen Willens etwas gerochen:
Allein mich deucht ich wolte mit leichter Muͤhe das
Gegentheil darthun, wenn ich nicht beſorgte Ew.
Hoch-
[654](o)
Hochwohlgeb. durch meine Weitlaͤuftigkeit ver-
drießlich zu fallen.
Jch wende mich alſo zu dem folgenden Argument
des Hrn. Prof. Manzels, welches er (§. 23.) von der
guͤldenen Zeit hernimmt, von welcher die Heiden ſo
viel geſchwatzet haben. Jch glaube es muß ihm recht
gefreuet haben, als er geſehen, daß das Seculum aure-
um der Heiden und ſein Stand der Unſchuld einan-
der ſo aͤhnlich ſehen; weil dieſes wenigſtens ein Zei-
chen iſt, daß man aus der Vernunft den Stand der
Unſchuld erkennen koͤnne. Allein, ob ich ihm gleich den
Einwurf nicht machen will, den er (§. 24.) ſchon
zum voraus beantwortet hat, ſo weiß ich doch nicht, ob
das, was die heidniſchen Poeten von der guͤldnen Zeit
geſungen haben, ſeine Sache gut machen kan. Jch
glaube dieſes um ſo viel weniger, weil der Hr. Prof.
Manzel ſelbſt geſtehet, ſie haͤtten es erdichtet (quæ illi
ipſi gentiles de aureo FINXERUNT ſeculo). Mich
deucht, wenn das was Ovidius von der guͤldnen Zeit
ſchreibet, erdichtet iſt, ſo kan das, was der Hr. Prof.
von dem Stande der Unſchuld ſagt, auch nicht weit
her ſeyn, weil das beſte, ſo er vorbringt nichts anders
iſt, als was Ovidius ſchreibt. Jndeſſen haͤtte der Hr.
Prof. beſſer gethan, weñ er nicht weiter gegangen waͤ-
re, als die Heiden. Dieſe gute Leute wuſten aus der Hi-
ſtorie und Tradition, konntens auch zur Noth aus der
Vernunft wohl wiſſen, daß die Liderlichkeit, Schwel-
gerey, der Geitz, der Hochmuth und andere Laſter in
den aͤltern Zeiten nicht ſo groß geweſen, als ſie dieſe
Laſter zu ihren Zeiten ſahen, und daß die Alten alſo, ge-
gen ihre Nachkommen zu rechnen, vor weiſe und hei-
lige Leute zu halten. Aber daraus ſchloſſen ſie nicht, daß
die
[655](o)
die Alten nicht eben die Neigungen gehabt, die wir ha-
ben: Sie legten ihnen darum nicht eine allen menſch-
lichen Witz uͤberſteigende Vollkommenheit bey, die
in folgenden Zeiten, ich weiß nicht durch was vor ei-
nen gewaltſamen Zufall, verlohren gegangen. Und
haͤtten ſie es gethan, ſo haͤtten ſie, wie der Hr. Prof.
Manzel, unrichtig geſchloſſen.
Es iſt nicht ſchwer zu begreifen, daß der erſte
Menſch nebſt ſeiner Gehuͤlfin, einen Augenblick nach
feiner Erſchafung, nicht ſo laſterhaft ſeyn koͤnnen als
wir. Er ſuchte, wie andere Thiere ſeine Nahrung,
und nahm vorlieb mit dem, ſo ihm zuerſt vorkam. Er
hatte noch nichts geſchmecket, das ſeinen Gaumen ge-
kuͤtzelt, und ihn verleiten koͤnnen, lecker zu werden. Er
war alſo maͤßig, und zu frieden, wenn er nur ſeinen
Hunger und Durſt ſtillen konnte. Eine ſolche Crea-
tur brauchte wenig, und konnte alſo nicht verlangen,
viel zu beſitzen, der Geitz plagte ſie nicht, und, da ſie
auſſer einer Republick lebte, ſo war ſie auch von
Hochmuth frey.
Allein, waren darum die erſten Menſchen, ihrem
Weſen nach, vollkommner, als wir? Jch ſolte es nicht
meinen. Eine ſolche Vollkommenheit, eine ſolche
Unſchuld finden wir noch bey vielen wilden Voͤlckern,
und nehmen ſie ſelbſt an unſern Kindern, und an vielen
Land-Leuten wahr. Gleich wie nun aber die Tugend
und Unſchuld dieſer Leute ſich auf ihre gluͤckſeelige
Unwiſſenheit gruͤndet: So kan man auch die Un-
ſchuld der erſten Menſchen aus eben dieſem Grun-
de herleiten.
Die
[656](o)
Die Erfahrung hat es auch gegeben, daß die er-
ſten Menſchen nur aus Einfalt tugendhaft geweſen:
Denn ſo bald ſie die Welt nur etwas beſſer kennen
gelernet, und die Dinge ſo unſere Sinne beluſtigen
gekoſtet hatten; waren ſie nicht mehr mit dem, was
der Erdboden trug, zufrieden: Sie kuͤnſtelten an die-
ſen Dingen, und begnuͤgten ſich nicht mehr mit der
Stillung ihres Hungers und der Loͤſchung ihres
Durſtes, ſondern ſuchten ihren Geſchmack zu kuͤ-
tzeln. Sie wurden lecker, und fiengen folglich an
mehr noͤthig zu haben, als ihre Nothdurft erforder-
te, und daher entſtand die Begierde viel zu beſitzen.
Aus dieſer Begierde entſtand, da ihre Anzahl ver-
mehret wurde, Zanck und Streit; und dieſe Unei-
nigkeit gab Gelegenheit zu Aufrichtung gewiſſer Ge-
ſellſchaften, theils, um andere deſto leichter zu unter-
druͤcken, theils, um ſich beſſer zu wehren. Die Auf-
richtung der Republicken fuͤhrte eine Ordnung, und
einen Unterſcheid unter Obrigkeit und Unterthanen
ein: Und aus dieſer Ungleichheit muſte nothwendig
der Ehrgeitz entſtehen.
Auf ſolche Art verſchwand die erſte Unſchuld in ei-
nem Theil des Erdbodens eher, als in dem andern.
Die alten Deutſchen erhielten ſich laͤnger darinn, als
die Griechen und Roͤmer, und in den Laͤndern, die
den Alten unbekannt geweſen, ſind gantze Voͤlcker
in der gluͤckſeeligen Unwiſſenheit der erſten Menſchen
geblieben, biß wir ſie entdecket, und durch unſer boͤſes
Exempel verfuͤhret haben.
Hieraus aber iſt klar, daß die erſten Menſchen
keine ſonderliche Vollkommenheit an ſich gehabt ha-
ben, die ſie durch einen gewaltſamen Zufall verloh-
ren
[657](o)
ren haͤtten. Man ſiehet leicht, daß es gar nothwen-
dig geweſen, daß eine ſolche Creatur, als der Menſch
anfaͤnglich war, mit der Zeit aͤrger geworden, ſo wie
ſich nach und nach die urſpruͤngliche Unwiſſenheit, als
der Grund ſeiner Unſchuld, verlohren. Die erſten
Menſchen hatten alle Faͤhigkeit, ſo zu werden, als
wir ietzo ſind. Die zu ihrer Erhaltung noͤthige Be-
gierden, welche ſie hatten, waren hinlaͤnglich, oh-
ne allen gewaltſamen Zufall, die Veraͤnderung,
die wir an den Menſchen wahrnehmen, zu verur-
ſachen. Daß ſie gleich anfangs ihre Begierden
nicht mißbrauchten, das machte ihre Dummheit:
Sie enthielten ſich vieler Fehler und Laſter, die
wir begehen, nicht, wegen ihrer groſſer Heiligkeit,
ſondern weil ſie dieſelbe nicht zu begehen wuſten.
Und dieſes iſt die Urſache, warum Seneca den
erſten Menſchen den Titel weiſer Leute ſtreitig macht.
„Sed, ſagt er: (4)
rit, \& carens fraude, non fuere ſapientes.„
. . . . . Non tamen negauerim fuiſſe„
alti Spiritus viros, \&, ut ita dicam, à Diis„
recentes. . . . Quid ergo? Ignorantia re-„
rum innocentes erant. Multum autem intereſt,„
utrum peccare aliquis nolit an neſciat.„’
Jch bin mit dem, was Seneca ſagt, voͤllig zufrie-
den, und will dem Hrn. Prof. Manzel, wenn er den
Stand der Unſchuld eben ſo erklaͤret, gerne einraͤu-
men, daß man denſelben aus der Vernunft erkennen
koͤnne. Aber da er ſich einen Menſchen dichtet, der
ohne alle Schwachheiten, und mit einer unbegreifli-
chen Weißheit und Heiligkeit begabet geweſen: So
T tmuß
[658](o)
muß man ihm ſagen, daß die Vernunft ein ſolches
Geſchoͤpfe nicht kenne. Sie ſtellet ſich die erſten Men-
ſchen als unſere Kinder vor; dieſe laſſen in dem Anfan-
ge ihres Lebens nicht ſo viele Boßheit von ſich ſpuͤren,
als erwachſene Leute; desfalls aber ſagen wir nicht
daß ſie vollkommen ſind. Und die Folge giebt es auch,
daß ſie es nicht ſind. So bald ſie ſich ſelbſt erſt recht
fuͤhlen, laſſen ſie ihre angebohrne Unart blicken, und
dieſe waͤchſt mit den Jahren. So gieng es nun auch
mit den erſten Menſchen. Sie ſuͤndigten, wie ich ſchon
geſagt, aus Einfalt nicht, und werden gewiß nicht
lange in dieſer heilſamen Einfalt geblieben ſeyn.
Wir haben von den erſten Zeiten ſchlechte Nach-
richten: Allein aus dem wenigen, ſo uns die Hiſtorie
von den alleraͤlteſten Zeiten lehret, koͤnnen wir, ohne
groſſe Kunſt, ſehen, daß nichts neues unter der Son-
nen geſchiehet, und ſich von je her unter den Menſchen
gute und boͤſe gefunden haben. Der Menſch iſt, von
der Zeit ſeiner Schoͤpfung an, immer ein Menſch, das
iſt: ein naͤrriſches Thier geweſen.
Unſere Stamm-Mutter, Eva, begieng, kurtz nach
ihrer Schoͤpfung, da ſie ſich noch in ihrer Unſchuld be-
fand, eine That, von welcher ich mir, in dieſen letzten
Zeiten, ein Kind von einem nuꝛ mittel maͤßig guten Ge-
muͤthe, durch die bloſſe Furcht der Ruthe abzuhalten
getraue. Jch weiß nicht, ob dieſe traurige Begebenheit
uns, ſo lange wir ſie nach der bloſſen Vernunft be-
trachten, einen groſſen Begrif von der Vollkommen-
heit der erſten Menſchen geben kan. Was wuͤrde,
ſpricht die Vernunft, die gute Eva nicht vor Fehltritte
begehen, wenn ſie mit aller Unſchuld in der jetzigen
Welt lebte? Die Verfuͤhrung iſt heutiges Tages weit
groͤſ-
[659](o)
groͤſſer als vor dieſem, und es iſt glaublich, das Adam
wenig froͤhlige Stunden in ſeinem Ehe-Stande wuͤr-
de gehabt haben, wenn ſeine Gemahlin, die ſo wenig
Meiſter von ſich ſelbſt war, den Verſuchungen un-
terworfen geweſen waͤre die ietzo eine junge Dame an
einem Hofe, da es nur etwas luſtig hergehet, auszu-
ſtehen hat. Jhre Auffuͤhrung machet, daß man ihr
wenig Gutes zutrauen kan:
„Bien fait de corps \& d’eſprit agreable
„Elle aima mieux, pour ſ’en faire conter,
„Prêſter l’oreille aux fleuretes du Diable,
„Qve d’ eſtre femme \& ne pas coquetter.(5)’
Jch weiß wohl, daß dieſes nur ein poetiſcher Ein-
fall iſt: Allein, die Wahrheit zu ſagen, das, was Eva
im Paradieß gethan hat, ihre groſſe Neugierigkeit,
und ihr unordentlicher Appetit, den ſelbſt die Dro-
hungen ihres Schoͤpfers, von deſſen Macht und
Wahrhaftigkeit ſie mehr als zu viel uͤberzeuget
war, nicht maͤßigen konnten, macht, daß ich be-
fuͤrchte, ſie wuͤrde, wenn man ſie mit aller ihrer Heilig-
keit und Vollkommenheit, ſo wie ſie von GOtt aus
der Ribbe des ſchlafenden Adams verfertiget wor-
den, in die Umſtaͤnde, darinn ſich eine junge Hof-Da-
me befindet, ſetzen koͤnnte, ſich ſo auffuͤhren, daß die
Vertheidiger ihrer unbegreiflichen Vollkommenheit
nichts, als Schimpf von ihr haben wurden: Wenig-
ſtens wuͤrde ſie es nicht beſſer machen, als unſer, in
Suͤnden empfangen und gebohrnes, Frauenzimmer.
Jndeſſen thun wir ihr die Ehre, und glauben, ſie habe
Tugenden und Vollkommenheiten beſeſſen, die nach-
T t 2mahls
[660](o)
mahls verlohren gegangen. Und dieſes iſt kein Wun-
der. Das Alterthum hat etwas an ſich, das in uns
eine Art einer Ehrerbietung erwecket, die uns an-
treibt, auch die Fehler deſſelben zu uͤberſehen. Wenn
wir demnach ſehen, daß in alten Zeiten Laſter, ſo bey
uns nicht ſeltſam ſind, entweder gar nicht, oder gar
ſelten begangen worden: So gerathen wir in Ver-
wunderung, und bilden uns ein, die Menſchen, die zu
den Zeiten gelebet haben, muͤſſen gantz andere Thiere
geweſen ſeyn, als wir. Aber wir betriegen uns ſehr:
Wie loͤblich auch ihr Wandel war, ſo waren ſie doch
Menſchen, wie wir. Daß uns der Unterſcheid zwi-
ſchen uns und ihnen ſo groß vorkoͤmt, das macht, daß
wir unſere Thorheiten vor Augen ſehen, und diejeni-
gen, welche die Alten begangen haben, entweder gar
nicht wiſſen, oder doch, aus Ehrerbietung gegen das
Alterthum, nicht ſo hoch aufmutzen, als die Fehler des
mit uns lebenden Nechſten.
Jch gebe Ew. Hochwohlgeb. zu bedencken, ob es
nicht wahrſcheinlich, daß alles, was die Heiden von
der guͤldenen Zeit geſchrieben haben, mehr aus einer
uͤbermaͤßigen Ehrerbietung gegen das Alterthum,
als aus der geſunden Vernunft hergefloſſen ſey, und
ob alſo der Hr. Prof. Manzel durch dieſe Einfaͤlle der
heidniſchen Poeten etwas beweiſen koͤnne? Jch
zw eifele an dem letzten um ſo viel mehr, weil ſelbſt
die heidniſchen Poeten von dem Stande der Unſchuld
des Hrn. Manzels nichts wiſſen, und vielleicht das,
was ſie von der guͤldnen Zeit geſchrieben, ſelbſt nicht
geglaubet haben. Sie bedienten ſich in dieſem Stuͤ-
cke der Freyheit, die ihnen Horatz gegeben hat:
aber welcher er ſich doch ſelbſt, in Anſehung der
guͤld-
[661](o)
guͤldnen Zeit, nicht bedienen wollen. Weil er
ausdruͤcklich ſchreibt:
„Mutum \& turpe pecus, glandem atque cu-
bilia propter
„Unguibus \& pugnis, dein fuſtibus atque
ita porro
„Pugnabant armis, quæ poſt fabricaverat
uſus:
„Donec verba, quibus voces ſenſusque no-
tarent
„Nominaque invenêre: dehinc abſiſtere
bello
„Oppida cœperunt munire, \& ponere leges,
„Ne quis fur eſſet, neu latro, neu quis ad-
ulter. (6)’
Und wenn dann gleich alle heidniſche Poeten ich
weiß nicht was vor abentheurliche Dinge von der
guͤldnen Zeit geſchrieben, und feſtiglich gelaubet haͤt-
ten: So wuͤrde doch daraus nicht folgen, daß die ſich
ſelbſt gelaſſene Vernunft uns zur Erkaͤnntniß des
Standes der Unſchuld fuͤhren koͤnne. Die heidniſchen
Weltweiſen und Geſchicht-Schreiber redeten von
dem Zuſtande der erſten Menſchen gantz anders. Ew.
Hochwohlgeb. koͤnnen dieſes aus der Stelle des Se-
neca, welche ich ſchon angefuͤhret habe, und aus dem
Diodorus Siculus (7) deutlich ſehen.
Der Hr. Prof. Manzel faͤhrt indeſſen fort, ſeinen
Stand der Unſchuld §. 25. auf folgende Art zubewei-
T t 3ſen.
[662](o)
ſen. „Der Menſch ſpricht er, iſt die vortreflichſte
„Creatur: Er iſt aber ietzo das elendeſte unter allen
„Thieren. Es iſt nicht zu glauben, daß dieſes von
„GOtt alſo verordnet ſey: Folglich muß ſich etwas
„begeben haben, wodurch der Menſch die ihm aner-
„ſchafene Vortreflichkeit verlohren, und ſich den
„Zorn ſeines Schoͤpfers zugezogen hat.
Jch dencke nicht, daß ich dieſem Schluſſe etwas
von ſeiner Kraft benommen, ob ich gleich die Worte
des Hrn. Prof. nicht behalten habe. Allein, wie ſehr
ich mich auch bemuͤhet habe, etwas darinne anzu-
trefen, das mich bewegen koͤnnte, meine Gedancken
zu aͤndern, ſo habe ich doch nichts buͤndiges darinne
finden koͤnnen: Jch bekenne, es laͤuft wieder die Ver-
nunft, daß GOtt dasjenige Geſchoͤpfe, welches das
vortreflichſte unter allen ſeyn ſollen, zu dem aller groͤß-
ſten Elende ſolte verdammet haben. Aber wer hat
uns dann geſagt, daß wir nothwendig das allervor-
treflichſte Geſchoͤpfe haben ſeyn ſollen? Dieſer Satz,
auf welchen der Hr. Prof. ſeinen gantzen Beweiß
gruͤndet, haͤtte verdienet, erwieſen zu werden. So lan-
ge das nicht geſchiehet, halte ich mich berechtiget, die
Einbildung von unſerer Vortreflichkeit vor eine
Frucht unſers Hochmuths, und folglich vor ein Zei-
chen unſerer Unvollkommenheit anzuſehen.
Die Vernunft ſaget uns, daß GOtt alle ſeine
Geſchoͤpfe gleich werth halte, und vor ſie alle ſo ge-
ſorget habe, daß ſie, nach dem Maaß einer Creatur,
alle gluͤcklich ſeyn koͤnnen. Jch finde in dem Menſchen
nichts, das mich bewegen koͤnnte, zu glauben, GOtt
muͤſſe in Anſehung ſeiner eine Ausnahme machen.
Ja, da ich ſehe, daß der Menſch, wie der Hr. Man-
zel
[663](o)
zel ſagt, ſo gar elend iſt, ſo wolte ich lieber den
Schluß machen, GOtt habe in Anſehung ſeiner ei-
ne Ausnahme gemacht, die klaͤrlich weiſet, daß er
nicht das vortreflichſte Geſchoͤpfe ſeyn ſollen.
Denn die Vortreflichkeit eines Dinges erſehe ich
aus deſſen Eigenſchaften. Diejenige Creatur nun,
welche die vortreflichſte unter allen ſeyn ſoll, die muß
die andern an Macht, Daurung, Verſtand, Tu-
gend, oder auch an kuͤnſtlicher Bildung uͤbertrefen.
Wenn ich den Menſchen noch ſo viel betrachte, ſo
finde ich nicht, daß man dieſes von ihm ſagen koͤnne.
Seine Kraͤfte erſtrecken ſich nicht gar weit, und
die meiſten Thiere haben keine Urſache, ihn zu benei-
den. Was die Daurung anlanget, ſo iſt es ofen-
bahr, daß viele Creaturen weit laͤnger dauren, als
der Menſch. Mit ſeiner Weißheit, und mit ſeinem
Verſtande bruͤſtet ſich der Menſch zwar ſehr: Allein
auch die Thiere haben die Faͤhigkeit, ihren wahren
Vortheil zu kennen, und bedienen ſich derſelben beſ-
ſer, als der Menſch. Daß ſie nicht ſo tiefſinnige
Schluͤſſe machen, und abſtrahiren koͤnnen, das iſt
mehr ein Zeichen, daß ſie vortreflicher ſind, als der
Menſch, als daß es den Vorzug, den wir fuͤr ihnen
haben, beweiſen ſolte. Mit einem Blick, ohne weitlaͤuf-
tige Schluͤſſe, nuͤtzliche Warheiten erkennen, iſt eine
groͤſſere Vollkom̃enheit, als mit groſſer Muͤhe aus ei-
nigen bekañten Saͤtzen unbekañte herleiten. Ein Mu-
ſicus, der, ohne darauf zu dencken, die ſchwerſten Stuͤ-
cke wegſpielet, hat unſtreitig den Vorzug vor einem
Lehrling, der ſich den Kopf daruͤber zerbricht. Unnuͤtze
aber, oder wohl gar ſchaͤdliche Warheiten nicht eꝛken-
nen, iſt ſo wenig ein Fehler, daruͤber ſich die Thiere zu
T t 4be-
[664](o)
betruͤben haͤtten, als es eine Vortreflichkeit unſerer
Natur anzeiget, daß wir ſie in dieſer Art der Er-
kaͤnntniß uͤbertrefen.
Mit unſerer Tugend iſt es ſo beſchafen, daß es
wohl beſſer diente. Jch habe noch niemahlen gehoͤ-
ret, daß man unſere Heiligkeit und Unſchuld als einen
Beweiß unſers Vorzuges vor andern Creaturen
gebrauchet hat. Wir ſtellen uns wenigſtens die
Thiere eher zum Muſter vor, als daß wir ihnen ra-
then ſolten unſerm Beyſpiel zu folgen. Und was
dann endlich den kuͤnſtlichen Bau unſers Coͤrpers
betrift, ſo iſt kein Thiergen in der Welt, deſſen Bil-
dung uns nicht ja ſo viel Gelegenheit geben ſolte, die
unendliche Weißheit des Schoͤpfers zu bewundern,
als unſer Coͤrper.
Da nun der Menſch nichts an ſich hat, woraus
man ſchlieſſen koͤnnte, daß er das vortreflichſte Thier
ſeyn ſollen; man aber von den Abſichten GOttes
nicht wohl anders, als aus dem Erfolg urtheilen kan:
So moͤchte ich wohl wiſſen, woher dann der Hr. Pr.
Manzel erfahren habe, daß der Menſch das aller-
vortreflichſte Thier ſeyn ſollen. A priori und aus
der Vernunft kan er es unmoͤglich wiſſen: Da er
aber dennoch dieſen Satz, alſo ausgemacht, voraus
ſetzet, ſo miſcht er fremde Begrife in die Weltweiß-
heit, und dieſes heiſſet nicht philoſophiren.
Wenn ich an jemand anders, als an Ew. Hoch-
Wohlgeb. ſchriebe, ſo wuͤrde ich beſorgen man moͤch-
te mir einwerfen: Jch thaͤte uͤbel, daß ich den Men-
ſchen in ſeinem verdorbenen Zuſtande betrachten;
man muͤſte von der Abſicht GOttes in Erſchafung
des Menſchen nach der urſpruͤnglichen Vollkommen-
heit
[665](o)
heit deſſelben urtheilen. Aber Ew. Hochwohlg. ſind
nicht ſo unerfahren in der Vernunft-Lehre, daß Sie
nicht ſehen ſolten, daß derjenige, der mir dieſen Ein-
wurf zu machen ſich unterſtehen wolte, denjenigen lo-
gicaliſchen Schnitzer begehen wuͤrde, den man Cir-
culum nennet. Denn der Herr Prof. Manzel ſetzt
voraus, daß der Menſch die allervortreflichſte Crea-
tur ſeyn ſollen, und ſucht daher zu beweiſen, er muͤſſe
ſich ehedeſſen in einem vollkommenern und gluͤckſeli-
gern Zuſtande befunden haben. Er kan demnach,
ohne unertraͤglich zu ſchlieſſen, dieſen vollkommenen
Zuſtand nicht zum Grunde legen, wenn er beweiſen
will, daß der Menſch das allervortreflichſte Thier
ſeyn ſollen. Denn wer wolte uͤber einen ſo ungereim-
ten Schluß nicht lachen? Der Menſch muß in ei-
nem vollkommenen Zuſtande erſchafen ſeyn, weil er
das allervortreflichſte Geſchoͤpfe ſeyn ſollen, und der
Menſch hat das allervortreflichſte Thier ſeyn ſollen,
weil er vollkommen erſchafen worden.
Da es nun alſo noch ſehr zweifelhaft iſt, ob der
Menſch das vortreflichſte Thier ſeyn ſollen; ſo ſiehet
man klar, daß der Herr Manzel viel zu fruͤhe aus un-
ſerm Elende eine Veraͤnderung unſers urſpruͤnglichen
Zuſtandes ſchlieſſet. Wer ſagt uns, daß der Menſch
nicht ſo ſeyn ſollen, wie er iſt? Die Vernunft nicht.
Die begreift wohl, daß es ein Hochmuth iſt, ſich uͤber
die andern Geſchoͤpfe zu erheben, da uns doch viel-
mehr die Empfindung unſers Elendes die Beſchei-
denheit lehren ſolte.
Es iſt ein Gluͤck vor uns, daß die Thiere nicht
wiſſen, was wir vor ſchoͤne Sachen von unſerer Vor-
treflichkeit ſchwatzen. Wuͤrden ſie uns nicht ausla-
T t 5chen,
[666](o)
chen, wenn ſie wuͤſten, wie wir armſeelige Creatu-
ren uns, bey allem unſerm Elende, bruͤſten?
Allein ſo ſichert uns einer von unſern Vorzuͤgen
auch vor dieſem Schimpf. Solus homo eſt riſibi-
lis. Jndeſſen iſt es gewiß, daß wir ſehr uͤbel fahren
wuͤrden, wenn wir mit ihnen uͤber unſere Vortreflich-
keit diſputiren ſolten. Der Hr. Prof. Manzel inſon-
derheit wuͤrde wenig Ehre einlegen: Denn der iſt
ſchon ſo weit, daß er unſere Vortreflichkeit aus dem
Verluſt derſelben beweiſet: Weil es unſtreitig iſt,
daß man das was man verlohren hat, einmahl ge-
habt haben muͤſſe. Jch finde dieſes eben ſo artig,
als die Ausflucht jenes Edelmanns, der ſeinen Adel
beweiſen ſolte
RAISON
„Que ſa famille \& ſa maiſon
„Eſtoient plus vieilles que Grenoble.
„Il confeſſoit qu’entre ſes mains
„Pour juſtifier ſa naiſſance
„Il n’auoit point de parchemins:
„Mais il diſoit pour ſa defenſe.
„Que par la haine de Noé
„Avec qui ſa famille eût certain demêlé
„Ses titres en manquant de refuge
„Perirent tous dans le Deluge.(8)’
Da nun unſere Sachen in einem ſo verzweifelten
Stande ſind, ſo waͤre es, meineꝛ Meinung nach, beſſer,
wenn wir alle vornehme Gedancken fahren lieſſen,
und uns nicht mehr einbildeten, wir wuͤrden von der
Natur
[667](o)
Natur nicht ſtandesmaͤßig gehalten. Wir ſind elend.
Das iſt wahr; Aber laßt uns dieſes Elend durch et-
was anders, als durch ſuͤſſe Traͤume von einer verlohr-
nen Vortreflichkeit, zu verſuſſen ſuchen. Wir thun
kluͤger, wenn wir mit unſerm Zuſtande zufrieden ſind,
und uns bemuͤhen, denſelben ſo ertraͤglich zu ma-
chen, als es moͤglich iſt.
Es iſt kein Thier in der Welt, daß nicht mit eben
ſo gutem Grunde, als wir, das vortreflichſte zu ſeyn
verlangen, und alſo ſein Elend, darinn es ſich befin-
det, als etwas auſſerordentliches, und aus einem
Verſehen ſeiner Vorfahren herruͤhrendes, anſehen
koͤnnte. Auch die Thiere haben ihre Noth; und
wenn ſonſt nichts waͤre, daruͤber ſie ſich zu beklagen,
und allerhand Gedancken zu machen Urſache haͤtten,
ſo waͤre es gewiß die Grauſamkeit des Menſchen,
und alles, das Boͤſe, ſo ſie von dieſem artigen Thiere
erdulden muͤſſen.
Sie koͤnnten alſo alles dasjenige, was der Herr
Prof. Manzel zum Beweiß der urſpruͤnglichen Vol-
lenkommenheit und Gluͤckſeeligkeit des Menſchen
vorgebracht hat, vor ſich anfuͤhren. Jch glaube
wohl, wir wuͤrden ſie auslachen: Allein womit wol-
ten wir ſie wiederlegen? Gewiß nicht aus der Ver-
nunft. Die iſt nicht vor uns. Sie ſiehet unſere
Vortreflikeit nicht, wofern ſie nicht das Vergroͤſ-
ſerungs-Glaß eines thoͤrichten Hochmuths gebrau-
chet.
Es wuͤrde laͤcherlich ſeyn, wenn wir unſere Zu-
flucht zur Ofenbahrung nehmen, und ihnen darinn
unſere Vorzuͤge weiſen wolten. Denn dieſes wuͤrde
bey den Thieren wenig verfangen. Sie wuͤrden un-
ſere
[668](o)
ſere Ofenbahrung, weil ſie von Menſchen geſchrie-
ben iſt, als partheyiſch verwerfen, und uns eben das
antworten, was der Loͤwe in der Fabel ſagte, als er
ſahe, daß die Menſchen ſich uͤber ein Gemaͤhlde kuͤtzel-
ten, welches einen Loͤwen vorſtellete, der von einem ein-
tzigen Menſchen zur Erden geworfen war.
„On vous donne ici la victoire:
„Mais l’ouvrier vous a deçus,
„Il avoit liberté de feindre
„Avec plus de raiſon nous aurions le deſſus
„Si mes confreres ſavoient peindre.(9)’
Von Menſchen haben wir eine ſolche Antwort nicht
zu beſorgen, und alſo thun wir wohl, wenn wir in
Beweiſung unſerer Vortreflichkeit und Vorzuͤge
vor andern Thieren, des Standes der Unſchuld u. d. g.
uns bloß auf das feſte prophetiſche Wort gruͤnden,
und nicht, wie der Hr. Prof. Manzel, von dieſen
Dingen nach der bloſſen Vernunft reden. Die
weiß davon wenig, oder gar nichts, und iſt geſchick-
ter, uns Scrupel zu machen, als auf den rechten
Weg zu bringen.
Darum kan ſie ſich auch gar nicht darinn finden,
wann der Hr. Prof. Manzel (§. 26. 27.) fortfaͤhret,
ſeinen Stand der Unſchuld durch eine Betrachtung
derjenigen Dinge zu erweiſen, die zu des Menſchen
Erhaltung dienen.
„Er meint, da alles, was hauptſaͤchlich dem
„Menſchen zur Nahrung dienet, nicht ohne muͤhſa-
„me
[669](o)
me Bearbeitung der Erde hervorgebracht wird, und„
ohne dieſe Arbeit und Muͤhe des Menſchen bald ver-„
gehen wuͤrde: Hergegn diejenigen Dinge, damit„
ſich die Thiere naͤhren, von ſelbſten wachſen: So„
ſey es glaublich, daß eine Veraͤnderung in der Natur„
vorgegangen, und alſo dem Menſchen die Arbeit,„
die er zu ſeiner Erhaltung anwenden muß, als ei-„
ne Strafe auferleget ſey.„
Er verſteht durch die, zur Erhaltung des Men-„
ſchen unumgaͤnglich noͤthige, Dinge, das Korn, als,„
Weitzen, Rocken, Gerſten, Habern, Erbſen,„
Linſen, Bohnen u. d. g. Er beweiſet aus der Ofen-„
bahrung, daß alle dieſe Dinge anfangs ohne einiges„
Zuthun des Menſchen gewachſen: Und macht daher„
den Schluß, daß ſich etwas gewaltſames zugetra-„
gen habe, (violentum aliquod accidiſſe), wodurch„
GOtt bewogen worden, ſeinen Seegen einiger„
maſſen zuruͤckzunehmen.„
Jch muß bekennen, der Hr. Prof. Manzel weiß
ſeine Voͤlcker wohl zuſtellen: Er ſtellet die beſten
an die Spitze. Diejenigen Argumente, die ich
ſchon wiederleget habe, lieſſen ſich noch einiger
maſſen hoͤren: Aber das, welches ich eben angefuͤh-
ret habe, iſt ſehr ſchwach, und hat alſo verdienet,
poſt principia geſtellet zu werden.
Ew. Hochwohlgeb. ſehen, daß der Herr Prof.
Manzel ſelbſt nicht viel Gutes von der Kraft ſeines
Beweiſes vermuthet. Er verzweifelt, und ſucht Troſt
in GOttes Wort. Er thut wohl daran: Aber er
philoſophirt ſchlecht, und aͤndert ſein Vorhaben, den
Stand der Unſchuld aus der Vernunft zu beweiſen.
Und dieſes allein koͤnnte mich der Muͤhe uͤberheben die
Schwaͤche
[670](o)
Schwaͤche ſeines Schluſſes Ew. Hochwohlgeb.
weitlaͤuftig darzuthun: Allein ich kan mich nicht
enthalten von der groſſen Menge der Gedancken,
die mir dabey einfallen, Ew. Hochwohlgeb. nur die
erſten die beſten zu eroͤfnen. Damit ich mich nicht
verirre, will ich das, was ich dencke, in gewiſſe An-
merckungen einſchlieſſen.
I. Jſt es falſch, daß dasjenige, welches zur Erhal-
tung unſers Lebens unumgaͤnlich noͤthig iſt, nicht von
ſich ſelbſt wachſe, und die Thiere in dieſem Stuͤcke et-
was voraus haben. Denn wenn wirs ſo gut haben
wollen, als die Thiere, ſo duͤrfen wir keine weitere Muͤ-
he anwenden uns zu ernaͤhren, als ſie.
„inimica natura, ut cum omnibus aliis anima-
„libus facilem actum vitæ daret, homo ſolus
„non poſſet ſine tot artibus vivere. Nihil ho-
„rum ab illa nobis imperatum eſt, nihil ægre
„quærendum, ut poſſit vita produci. Ad pa-
„rata nati ſumus, nos omnia nobis difficilia
„facilium faſtidio fecimus.(10)’
II. Wenn aus der Muͤhe, ſo eine Creatur zu ihrer
Erhaltung ſich machen muß, eine Veraͤnderung in
der Natur zu ſchlieſſen, ſo koͤnnen die Thiere, eben wie
wir, ſprechen, ſie haͤtten ihr vorige Unſchuld verlohren.
Denn obgleich dieſelbe weder ſaͤen noch pfluͤgen, ſo
muͤſſen ſie doch ihre Nahrung nicht ohne groſſe Muͤhe
ſuchen, und koͤnnen ſie in harten Wintern kaum fin-
den; ſo gar, daß ſie oft Hungers ſterben muͤſten,
wenn nicht der Menſch ihnen zu der Zeit, wiewohl
nicht aus Liebe zu ſeinen Mit-Geſchoͤpfen, ihr Futter
gaͤbe.
[671](o)
gaͤbe. Die Thiere haben aber unſtreitig nicht geſuͤn-
diget; und daß ſie GOtt das Verſehen des erſten
Menſchen entgelten laſſen ſolte, das iſt etwas, eine
Sache, die meinen Witz uͤberſteiget.
III. Jſt es falſch, daß der Menſch ſich ohne die-
jenigen Fruͤchte, die wir Korn nennen, nicht behelfen
koͤnne. Dieſes iſt ein Vorurtheil, welches daher
entſtanden, weil ietzo das Brodt eine allgemeine Nah-
rung iſt, der ſich jederman, vom Koͤnig an biß auf den
Bettler bedienet. Es iſt alſo bey gegenwaͤrtigen Um-
ſtaͤnden ſehr noͤthig. Gleichwie uns aber dieſe Noth-
wendigkeit nicht bewegen kan, den Einfaͤltigen nach-
zuahmen, die kein Stuͤckgen Brodt ohne Grauſen
auf die Erde fallen ſehen koͤnnen, und daſſelbe mit ei-
ner aberglaͤubigen, laͤcherlichen Ehrerbietung aufhe-
ben: So ſolten wir, die wir Philoſophi ſeyn wollen,
auch nicht ſo einfaͤltig ſeyn, und ſagen, man koͤnne
ohne Brodt nicht leben.
Der Menſch lebet nicht allein vom Brodt, hat
Chriſtus geſagt, und unſere Kinder betens noch
taͤglich vor Tiſche. Man hat Leute in der Wild-
niß gefunden, die nimmer Brodt gekoſtet, und
doch gelebet haben: und wie viele Voͤlcker gibt es
nicht, denen der Gebrauch des Brodts unbekannt iſt?
Es giebt in Africa Leute, die nichts eſſen, als das
Fleiſch der Cameele, und nichts trincken, als das
geſchmoltzene Fett dieſer Thiere: Und von den Groͤn-
laͤndern und andern Voͤlckern in dem nordlichen
America iſt es gar zu bekannt, daß die gedoͤrreten,
oder halb verfaulten Fiſche ihre eintzige Nahrung
ſind.
Da wir nun das Korn hauptſaͤchlich zur Verfer-
tigung
[672](o)
tigung des Brodts gebrauchen: So kan es, da das
Brodt nicht unumgaͤnglich zu unſerer Erhaltung noͤ-
thig iſt, auch ſo gar nothwendig nicht ſeyn. Wenn
uns demnach die Bearbeitung des Ackers ſo ſauer
wird, ſo koͤnnen wir uns desfalls uͤber niemand be-
ſchweren, als uͤber uns ſelbſt. Es iſt unſer freyer Wille.
Wer nicht Luſt dazu hat, der kan Eicheln freſſen: Die-
ſe Frucht bedarf keiner Wartung. Jſt nun aber das
Korn ſo nothwendig nicht, ſo duͤrfen wir aus der Ar-
beit, die uns daſſelbe koſtet, nicht ſchlieſſen, es ſey auf
die Natur ein Fluch geleget.
IV. Jſt es falſch, daß das Korn, wenn es auch
gleich zu unſerer Erhaltung noch ſo noͤthig waͤre, dar-
um ohne unſere Bemuͤhung wachſen muͤſſe. Jch
muß bekennen, wenn alle Menſchen, ſo dencken, als
der Hr. Prof. Manzel, ſo iſt der Menſch ein gemaͤch-
lich Thier. Er hat vornehme Gedancken. Er
will nicht arbeiten. Faſt ſolte ich dadurch bewo-
gen werden, zu glauben, er ſey von ſo hoher Ab-
kunft, als er ſich ausgiebt. Der Geiſt ſeiner ſee-
ligen und begluͤckten Vorfahren, die zur Beherr-
ſchung des Erdbodens erſchafen waren, regt ſich
noch in ihm. Es iſt ihm, ſpricht er, in der Wiege
nicht vorgeſungen, daß es ihm ſo gehen werde. A-
ber, ohne Schertz, iſt es nicht laͤcherlich, daß wir
von aller Muͤhe befreyet ſeyn wollen, und die Noth-
wendigkeit der Arbeit, dadurch wir uns dasjenige
verſchafen, was wir zu unſers Leibes Nahrung und
Nothdurft gebrauchen, als eine Entziehung des
Goͤttlichen Seegens anſehen? Da wir ſo geſinnet
ſind, ſo wuͤrden wir nicht zu frieden ſeyn, wenn auch
gleich Weitzen und Rocken wie das Graß wuͤchſen.
Denn
[673](o)
Denn ſo wie der Rocken waͤchſt koͤnnen wir ihn doch
nicht eſſen. Er muß gemaͤhet, gedroſchen, ge-
mahlen, das daraus verfertigte Meel mit Waſſer
vermiſchet, und durch das Feuer gar, und alſo zu
unſerer Nahrung geſchickt gemacht werden.
Mich deucht dieſe Arbeit iſt nicht weniger muͤh-
ſam, als diejenige, welche zur Beſtellung des Ackers
erfordert wird. Gibt demnach dieſe uns Fug und
Recht zu ſchlieſſen, daß unſere erſten Eltern in dem
Stande ihrer Vollkommenheit davon frey geweſen:
So ſehe ich nicht, was mich hindern ſolte, zu ſagen,
wenn wir in dieſem begluͤckten Zuſtande geblieben,
ſo wuͤrden wir auch von der Nothmendigkeit, das
Korn einzuſammlen, zu dreſchen, zu mahlen, und
zu unſerm Gebrauch geſchickt zu machen, nichts ge-
wuſt haben. Und folglich haͤtte der Hr. Prof. eben
ſo groſſe Urſache aus der muͤhſamen Einſammlung,
und Zubereitung des Korns zu ſchlieſſen, im Stan-
de der Unſchuld wuͤrde das Meel, entweder gantz
fertig vom Himmel gefallen ſeyn, oder wie Sand
auf der Erden gelegen haben, als Er hat, zu muth-
maſſen, das Korn wuͤrde im Stande der Unſchuld
ohne alle Bemuͤhung des Menſchen gewachſen ſeyn.
Aus ſeinem Satze folget mehr, als dieſes. Ja er
leydet nicht einmahl, daß er mit dem ſchon fertigen
Meel zufrieden iſt. Denn geſetzt, wir fuͤnden nun das
Meel ſo haͤufig, als den Sand, wuͤrden wir deſſelben
nicht bald uͤberdruͤßig werden? Wuͤrden wir nicht
auf andere Dinge, die nicht ſo gemein ſind, verfallen,
und uns einbilden, wir haͤtten dieſelbe zu unſerer Er-
haltung noͤthig? So bald es nun einige Muͤhe koſte-
te, dieſelbe zu erlangen, wuͤrden wir eben ſo hertz-
U ubrechend
[674](o)
brechend daruͤber ſeufzen, als jetzo daruͤber, daß wir
des Pfluͤgens nicht uͤberhoben ſeyn koͤnnen, und, nach
unſerer Weißheit, ſchlieſſen, vor Zeiten ſey es nicht al-
ſo geweſen, unſere erſten Eltern haͤtten alles, was wir
mit Muͤhe ſuchen, ohne alle Bemuͤhung haben koͤnnen.
Dieſe Einbildung iſt faͤhig uns das Gehirn zu ver-
ruͤcken. Sie kan uns dahin bringen, daß wir uns
einbilden, im Paradieß haͤtte es warme Semmel ge-
regnet, oder es waͤren im Stande der Unſchuld dem er-
ſten Menſchen die Tauben gebraten ins Maul geflo-
gen. Ja wir koͤnnen ſo weit verfallen, daß wir, weil
das Kauen und Schlucken auch muͤhſam und oft ge-
faͤhrlich iſt, gar dencken, unſere erſten Eltern waͤren
auch dieſer Muͤhe uͤberhoben geweſen.
Jch koͤnnte dieſe Folgen noch weiter treiben: Al-
lein Ew. Hochwohlgeb. ſehen ſchon, daß des Hrn.
Mantzels Satz unrichtig iſt, und daß ſein Argument
nichts beweiſet, weil es zu viel beweiſet. Es macht
aus dem Paradiß ein Schlarafen-Land, un veritable
païs de Cocagne, ubi porci cocti ambulant.
Tous les mardys y ſont des mardys gras
De ces mardys l’année eſt compoſée:
Cailles y vont dans le plat dix à dix,
Et perdreaux tendres comme zosée:
Le fruit y pleut, ſi que c’eſt choſe aiſée
De le cueillir ſe baiſſant ſeulement
Poiſſons en beurre y nagent largement
Fleuves y ſont du meilleur vin d’Espagne
. . . . . . . . . . . . (11)
V. Bitte ich Ew. Hochwohlgeb. ſich nicht ein-
zubilden, ich handle unbillig mit dem Hn. Manzel, daß
ich
[675](o)
ich ſo ungereimte Folgen aus ſeinem Satze ziehe. Der
Hr. Prof. ſelbſt, wenn er meinen Brief leſen ſolte,
wuͤrde nichts dagegen zu ſagen haben. Denn da Er
uͤberhaupt ſagt, das Korn wuͤrde nicht ohne groſſe
Arbeit und ſauren Schweiß, aus der gepfluͤgten Er-
de hervorgebracht non ſine maximo labore \& ſu-
dore è terra aratris præparata producuntur: So
kan er unmoͤglich diejenige Muͤhe, welche uns die Ein-
ſammlung und Zubereitung des Korns machet, aus-
geſchloſſen haben; und das um ſo viel mehr, weil er
ſo gar des Pfluͤgens nicht vergiſſet, welches doch bey
weiten nicht ſo muͤhſam, als das Maͤhen, Dreſchen
u.d.g. indem es gꝛoͤßſten Theils auf das Vieh ankoͤm̃t.
Er muß alſo nothwendig ſagen, daß auch die muͤhſa-
me Einſammlung und Zubereitung des Korns in dem
Stande der Unſchuld eine unbekannte Sache gewe-
ſen ſeyn wuͤrde.
Wenn ich nun ſage, es waͤren warme Semmel
vom Himmel gefallen oder gewiſſe dienſtbare Geiſter
beſtellet geweſen, dem heiligen und vollkommenen
Menſchen dieſe Muͤhe abzunehmen, das Korn zu maͤ-
hen, zu dreſchen, zu mahlen, ja wohl gar das aus
dem Meel verfertigte Brey dem Menſchen ins Maul
zu ſtreichen, ſo ſage ich etwas, das mit des Hrn.
Mantzels Saͤtzen gar wohl uͤbereinſtimmet.
Spricht er nun, wie Er dann endlich thut, der
Menſch habe das Korn, ohne das geringſte Unge-
mach, mit Luſt maͤhen, dreſchen und mahlen koͤnnen
(licet aliqualem ſuam adhibuiſſet operam homo,
tamen citra incommoditatem id factum fuiſſet
(§. 27.). So ſage ich: Gehet das an, ſo hat der
Menſch auch den Acker duͤngen, pfluͤgen, beſaͤen und
U u 2egen
[676](o)
egen koͤnnen mit eben der Luſt. Wir koͤnnen alſo der
gantzen Betrachtung des Hrn. Prof. taͤglich entbeh-
ren. Es iſt nicht noͤhtig, daß manſagt, es ſey mit dem
Wachſen des Korns eine Veraͤnderung vorgegangē.
VI. Jch habe geſagt, daß es uͤbel ſtehe, daß der
Hr. Prof. ſeine Zuflucht zur Ofenbahrung genom-
men, da Er geſehen, daß Er ſonſt nicht fortkommen
wuͤrde. Nun will ich noch hinzuthun, daß auch die
Ofenbahrung ihn wieder meine Einwuͤrfe nicht ſiche-
re. Jch gebe ihm zu, daß das Korn nicht ausgeſchloſ-
ſen werde, wann GOtt ſagt: Die Erde laſſe aufge-
hen Graß und Kraut, das ſich beſaame u.ſ.w. Was
wird aber dann daraus? Daß die Erde nun vor ſich
kein Korn mehr hervorbringet, beweiſet nicht, daß
ſich etwas gewaltſames begeben habe, weswegen
GOtt ſeinen Seegen einiger maſſen zuruͤck genom-
men. Violentum aliquod accidiſſe, propter quod
Deus benedictionem hanc ſuam aliquantulum
retractaverit (§. 27.) Dieſes war nicht mehr noͤthig,
weil GOtt den hervorzubringenden Gewaͤchſen ſchon
die Kraft beygeleget hatte, ſich durch den Saamen
fortzupflantzen.
Was macht ſich dann der Hr. Prof. vor Scru-
pel? Ja, ſpricht Er, die Erde bringt doch vor ſich
kein Korn mehr hervor. Jch antworte: Sie ſoll
nicht, und kan auch nicht. Nicht darum, weil ſie
verflucht iſt; ſondern eines theils, weil, da GOtt dem
Korn die Kraft gegeben, ſich zu beſaamen. Eine Her-
vorbringung deſſelben ohne Saamen unnoͤthig, und
andern theils, weil es, da die Menſchen das Getreyde
vom Felde wegnehmen, und alſo die natuͤrliche Fort-
pflantzung verhindern, unmoͤglich iſt, daß der
Saa-
[677](o)
Saame, ohne menſchliche Bemuͤhung, in die Erde
komme, und aufgehe.
Wenn die Menſchen ſich des Korns zu ihrer Nah-
rung nicht bedienten, ſo wuͤrde der Saame, wann er
ſeine Reife erlanget, auf die Erde fallen, und Frucht
bringen, ohne alle Bemuͤhung der Menſchen: Und daß
dieſes nicht im Stande der Unſchuld allein moͤglich ge-
weſen, iſt daher klar, weil man auch noch heutiges Ta-
ges ſiehet, daß auch an Oertern Korn waͤchſet, da kei-
nes geſaͤet iſt; ſondern da nur von ungefehr einige Koͤr-
ner niedergefallen ſind. Man hat Exempel von gan-
tzen Aeckern, welche, weil man das darauf gewachſene
Korn nicht eingeſammlet, ſondern auf die Erde fallen
laſſen, das folgende Jahr, ohne daß ſie beſaͤet worden,
reichlich Frucht getragen haben.
Was findet alſo der Hr. Prof. ſonderliches an
dem Korn, daher er eine gewaltſame Veraͤnderung
in der Natur muthmaſſen koͤnnte? Es wuͤrde im
Stande der Unſchuld eben ſo gegangen ſeyn, falls der
Menſch ſich des Getreydes ſo haͤufig bedienet haͤtte,
als ietzo: Und man verſuche es nur mit allen andern
Gewaͤchſen, die durch ihren Saamen fortgepflan-
tzet werden (welches ich dann von allen, das gemei-
ne Graß etwan ausgenommen, glaube) und ver-
hindere, daß nicht das geringſte von dem Saamen
auf die Erde falle, ſo wird man finden, daß es, wie
das Korn, ohne menſchliche Huͤlfe nicht wieder
hervor komme.
VII. Da man alſo eine natuͤrliche Urſache geben
kan, warum das Korn auf die Art, als wir ietzo ſehen,
fortgepflantzet werden muß; ſo iſt es nicht noͤthig, die-
ſelbe in einem Fluch, der auf die Erde haften ſoll, zu
U u 3ſuchen.
[678](o)
ſuchen. Jch habe wohl geleſen, was von dieſem Fluch
in der Bibel ſtehet; Aber das gehoͤrt hier nicht her.
Die Vernunft ſagt uns, daß nach der Ordnung, die
GOtt in die Natur geleget hat, Dorn und Diſtel,
Weitzen und Rocken gleich nothwendig wachſen.
Sie findet in der Hervorbringung dieſer Dinge
nichts, wesfalls ſie jene vor eine Folge eines Goͤttli-
chen Fluches, und dieſe als Spuren eines ſonderlichen
Seegens anſehen ſolte. Sie glaubt nicht, daß,
wenn dieſer eigene Seegen fehlet, der Acker nichts
als Dorn und Diſtel tragen werde. Sie haͤlt ſol-
che Gedancken einem Poeten, und zwar einem chriſt-
lichen Poeten, zu gute, und wundert ſich nicht
wann er ſingt:
Allein ſie verlanget von einem Weltweiſen, der ſich
anheiſchig gemacht hat, nach der bloſſen Vernunft zu
reden, daß er ſich ſolcher Saͤtze enthalte, und begreife,
daß, nach der Einrichtung der Welt, Unkraut und
Weitzen, Diſtel und Rocken gleich nothwendig wach-
ſen, und die Natur ſich in Hervorbringung der Dinge,
ſo wir nuͤtzlich nennen, keine neue Unkoſten und Muͤhe
mache. Der Unterſcheid, den wir unter nuͤtzlichen und
unnuͤtzen Gewaͤchſen machen, hat bey GOTT keine
Statt. Jhm ſind alle ſeine Geſchoͤpfe gleich lieb:
Vor ihm ſind ſie alle gleich gut. Er haͤlt nicht mehr
auf Rocken, als auf Dornen: Er hat keinen groͤſſern
Gefallen an Tuberoſen, als an Kuh-Blumen. Er
bringt
[679](o)
bringt alle dieſe Dinge in gleicher Abſicht hervor, das
iſt, ſeine Allmacht und Weißheit zu beweiſen, und
ſeine Geſchoͤpfe, die eine Empfindung von Luſt und
Schmertzen haben, gluͤcklich zu machen.
Keine Sache iſt ſo geringe, die nicht etwas dazu
beytragen ſolte, und die man alſo, an ſich, unnuͤtze und
ſchaͤdlich nennen koͤnnte. Allein der Menſch iſt ſo ſtoltz,
daß er nur dasjenige, was ihm vortheilhaft iſt, vor
noͤthig haͤlt. Gerade, als wenn GOtt, bey Erſchaf-
fung der Welt, nur auf ihn allein geſehen haͤtte. Die-
ſe Einbildung kan ihm auch die Empfindung ſeines
groſſen Elendes nicht benehmen. Er erkennet wohl,
daß die Natur mit ihm nicht beſſer, als mit andern
Creaturen umgehe, und aus ihm nicht mehr Wercks
mache, als aus dem geringſten Wurm: Aber er
bleibt doch bey ſeinen fuͤnf Augen.
„Cependant à le voir plein de vapeurs le-
geres
„Soi-même ſe bercer de ſes propres chi-
meres
„Lui ſeul de la Nature eſt la baſe \& l’appui
„Et le dixiéme Ciel ne tourne que pour
lui.(12)
Hiemit endige ich meine Anmerckungen, und wende
mich zu dem, was folget.
Der Hr. Prof. will noch zum Ueberfluß, mit einer
angeſtelleten Betrachtung der Abſicht GOttes in Er-
ſchafung der Welt, beweiſen, daß wir nicht mehr in
dem begluͤckten Stande leben, zu welchem uns GOtt
U u 4be-
[680](o)
beſtimmet hat. Zu dem Ende ſchreibt er (§. 28.)
„Es ſey ofenbahr, daß die Welt nicht von Ewigkeit
„geweſen, ſondern in der Zeit gemacht ſey: Daß dieſel-
„be hauptſaͤchlich erſchafen, zur Ofenbahrung der
„goͤttlichen Allmacht, und daß, damit etwas ſeyn
„moͤchte, das dieſe Allmacht bewundern koͤnnte, zu-
„gleich der Menſch erſchafen, und mit einer vernuͤnfti-
„gen Seele begabet worden: Es ſey auch ferner un-
„ſtreitig, daß die Welt mit eben der Abwechſelung
„der vier Jahrs-Zeiten, mit eben dem Unterſcheid
„von Hitze und Froſt, nach Beſchafenheit der Cli-
„matum, wie wir ſie ietzo ſehen, erſchafen ſey, und
„zwar ſo, daß ſie allenthalben als ein vollſtaͤndiges
„Paradiß eingerichtet.
Ew. Hochwohlgeb. ſehen, daß mir von allem, was
der Hr. Prof. Manzel vorbringet, nichts, als der letzte
Punct angehet. Jch muß unterſuchen, ob es recht ge-
ſchloſſen iſt: Die Welt hat ein ſchoͤnes Paradiß ſeyn
ſollen: Sie iſt es aber nicht: Darum hat ſie durch ei-
nen gewaltſamen Zufall ihre paradiſiſchen Eigen-
ſchaften verlohren. Jch glaube es nicht, ſo lange der
Hr. Prof. nicht bewieſen hat, daß die Abſicht GOttes
geweſen ſey, ein ſolches Prieſter Johannes-Land, da
die Gaͤnſe gebraten gehen, als der Hr. Prof. durch
ſein Paradiß verſtehet, zu erſchafen.
Ew. Hochwohlgeb. dencken nicht, daß der Hr.
Prof. dieſes ſchon (§. 30.) gethan habe. Denn ich
habe wieder dieſem Beweiß zweyerley zu erinnern.
Erſtlich, daß er aus der Ofenbahrung genommen iſt,
welche hier nicht gilt: und zum andern, daß, wenn
man auch dem Hrn. Prof. dieſes zu gute halten
wolte, er ſich dennoch auf die Ofenbahrung
nicht
[681](o)
nicht berufen koͤnne, weil er derſelben §. 29. ſchon
platt wiederſprochen.
Denn ob gleich Moſes ausdruͤcklich ſagt, daß
GOtt, nach der Schoͤpfung, einen Ort erwehlet, und
daſelbſt einen ſchoͤnen Garten gepflantzet habe, wel-
chen wir dann das Paradiß zu nennen pflegen; So
ſagt doch der Hr. Manzel: „Wer die Sache recht
„uͤberlegte, wuͤrde ſich nimmer einbilden koͤnnen, daß
„der Platz an dem Euphrat allein das Paradiß ſeyn
„ſollen; ſondern ſich vielmehr unter dieſem Nahmen
„nur den begluͤckten Theil des Erdbodens vorſtellen,
„in welchem der erſte Menſch ſich aufgehalten hat,
„ohne dem Reſt der Erde ſeine paradiſiſchen Eigen-
„ſchaften abzuſprechen.
Er glaubt alſo, daß der, von GOtt zum Garten
auserſehene, Platz nichts an ſich gehabt hat, wo-
durch er von der uͤbrigen Erde unterſchieden geweſen:
Da doch Moſes deutlich ſaget, daß GOtt dieſen
Ort ſonderlich zum Vergnuͤgen und Nutzen der
Menſchen eingerichtet. Mich deucht alſo, daß die-
ſer Garten Annehmlichkeiten gehabt hat, welche den
uͤbrigen Theilen des Erdbodens gefehlet: Welches
dann unter andern auch daher klar iſt, weil der
Menſch hernach zur Strafe, aus dieſem begluͤck-
ten Aufenthalt verſtoſſen, und in einer ſchlechtern
Gegend zu wohnen, verdammet worden.
Da nun der Hr. Prof. Manzel das moſaiſche Pa-
radieß in der That leugnet; die heilige Schrift aber
von den paradiſiſchen Eigenſchaften des gantzen Erd-
bodens, worauf er ſich gruͤndet, nichts weiß; ſo
ſehen Ew. Hochwohlgeb. daß in der Ofenbahrung
nichts enthalten iſt, ſo ihm Troſt geben koͤnnte.
U u 5Ew.
[682](o)
Ew. Hochwohlgeb. meinen nicht, daß dieſes ein
liſtiger Fund vor mir ſey, durch welchen ich mich von
der Muͤhe loßwickeln will, den Beweiß des Hrn.
Manzels zu vernichten. Wenn Sie die Sache genau
anſehen, werden Sie das, was ich ſage, gegruͤndet
finden.
Der Hr. Prof. Manzel ſagt: die gantze Erde hat
ein Paradiß ſeyn ſollen. Dieſen Satz will er bewei-
ſen; und, wie nun das Wort Paradieß ſchon an-
zeiget, daß der Hr. Prof. ſeine Begrife aus der Ofen-
bahrung entlehnet, ſo nimmt er auch dahin ſeine Zu-
flucht, und ſpricht: Das Paradiß, von welchem Mo-
ſes ſchreibt, waͤre viel zu klein geweſen, wenn der
Menſch im Stande der Unſchuld geblieben. Da
nun aber dieſes GOttes Abſicht geweſen iſt, ſo hat
die gantze Erde ein Paradiß ſeyn muͤſſen.
Ew. Hochwohlgeb. ſehen wohl, daß dieſes Argu-
ment wieder Moſen etwas gelten kan: Nicht aber
wieder mich, der ich, wie es der Hr. Prof. haben wol-
len, von der Ofenbahrung abſtrahire, oder wieder ei-
nen andern, der gar keine Ofenbahrung glaubt.
Er kan auch um ſo viel weniger verlangen, daß ich,
oder ein anderer uns mit dieſem Argument abſpeiſen
laſſen, und wenigſtens aus der Ofenbahrung ſo viel
annehmen ſollen, daß dem Menſchen eine groͤſſere
Herrlichkeit zugedacht geweſen, als er wuͤrcklich be-
ſitzet: Weil er ſich ſelbſt kein Gewiſſen gemacht dem,
was Moſes ſagt, zu wiederſprechen.
Weil nun der Hr. Prof. Mantzel ſeinen Satz, daß
die gantze Welt ein Paradieß ſeyn ſollen, weder durch
die Schrift, noch aus der Vernunft erwieſen hat, ſo
bin ich berechtiget, denſelben zu verwerfen, und ſein
Argu-
[683](o)
Argument, das er darauf gebauet hat, platt umzukeh-
ren. Wenn die Erde, ſage ich demnach, hat ein ſchoͤ-
nes Paradiß ſeyn ſollen, ſo muͤſte ſie es auch ſeyn: Sie
iſt es aber nicht. Ergo. Wolte man hier auf ant-
worten: Es habe ſich etwas begeben, welches GOtt
bewogen, ſeine Abſicht zu aͤndern; ſo wuͤrd ich ſagen,
daß dieſer Zufall, wodurch GOtt ſoll bewogen wor-
den ſeyn, ſich zu bedencken, die Veraͤnderung, welche
die Erde erlitten haben ſoll, nicht beweiſen kan, weil
man ja eben aus dieſer Veraͤnderung beweiſen will,
daß er ſich zugetragen hat.
Jch koͤnnte weiter gehen: Allein ich will zum Ueber-
fluß noch anmercken, daß es, nach des Hrn. Manzels
eigenen Saͤtzen, nicht wahr ſeyn koͤnne, daß die Erde
veraͤndert ſey, und ihre paradiſiſchen Eigenſchaften
verlohren habe. Er ſagt ja (§. 28.) „die Erde ſey, wie
„wir ſie ietzo ſehen, mit der Abwechſelung der Jahrs-
„Zeiten, mit den unterſchiedenen Himmels-Gegen-
„den, und den hieraus flieſſenden ungleichen Graden
„von Hitze und Kaͤlte erſchafen worden. Er ſagt. §. 31.
„Alle Laͤnder koͤñten ein Paradiß abgeben, wenn nur,
„kurtz zu ſagen, die Menſchen der Himmels-Gegend
„unter welcher ſie leben, gewohnt, und mit dem, was
„ihr Erdboden traͤgt, zufrieden waͤren.
Wird nun nichts anders zu einem Paradiß erfor-
dert, ſo iſt die Erde noch was ſie geweſen ſeyn ſoll. Die
Kaͤlte in Nova Zembla benimmt dieſer Jnſel ihre
paradiſiſchen Eigenſchaften nicht; So wenig als die
Hitze der Wuͤſten Saara die ihrigen raubet: Und ein
Groͤnlaͤnder, der mit ſeinen verfaulten Fiſchen und
mit ſeinem ſtinckenden Trahn zufrieden, lebt ſo wohl
im Paradiß als ein Jtaliaͤner, der unter der beſten
Him-
[684](o)
Himmels-Gegend vor der Welt die niedlichſten
Speiſen iſſet, und den koͤſtlichſten Wein trincket.
Jch ſehe vorher, daß Ew. Hochwohlgeb. dencken
werden, ich handele nicht aufrichtig mit dem Hrn.
Manzel, weil ich die vornehmſte Eigenſchaft, wel-
che, nach ſeiner Meinung, zu einem aͤchten und voll-
ſtaͤndigen Paradiß erfordert wird, ausgelaſſen habe.
Jch muß alſo, zu Rettung meiner Ehre, noch ein
paar Anmerckungen machen, die ich nicht zu ma-
chen gedachte.
I. Jch geſtehe, ich habe vergeſſen zu ſagen, daß
der Hr. Prof. Manzel, wie kurtz vorher, alſo auch
hier, verlanget, ein Paradiß muͤſſe das, was ietzo nicht
ohne groſſe und muͤhſahme Arbeit waͤchſet, von ſich
ſelbſt hervorbringen. Jch kan aber verſichern, daß
es nicht darum geſchehen iſt, weil ich beſorget, meine
gantze Anmerckung moͤchte uͤbern Haufen fallen.
Die ſtehet feſte, ohngeachtet dieſer Bedingung.
Denn ich ſetze voraus, daß der Hr. Prof. durch die
Dinge, welche die Erde von ſich ſelbſt hervorbringen
ſoll, nichts mehr verſteht, als was zur Erhaltung des
Menſchen noͤthig iſt. Dieſes thut aber die Erde noch.
Der Hr. Prof. ſtehet zwar in dem Wahn, die Men-
ſchen koͤnnten ſich ohne Korn nicht behelfen, und die-
ſes wachſe nicht ohne unſer Zuthun: Allein ich habe
ſchon gewieſen, daß er darinne irre.
Ueberdem ſchraͤnckt der Hr. Prof. ſeine Forderung
ſelbſt dergeſtalt ein, daß ſie mir nicht entgegen iſt; denn
nachdem er geſagt hat, “die Erde muͤſſe alles, warum
„wir uns ietzo ſo viele Muͤhe machen, von ſich ſelbſt
„hervorbringen, ſetzt er hinzu: modo attendamus in-
„colarum temperamenta iisque convenientia,
und
[685](o)
„und ſagt, es ſes ein gewiſſes Zeichen, daß die Din-
„ge, welche in einem Lande, nach dem Laufe der Na-
„tur, nicht wachſen, ſondern mit vieler Kunſt gepflan-
„tzet, und anders wo hergeholet werden muͤſſen, den
„Einwohnern dieſes Landes, wo nicht ſchaͤdlich, doch
„auch nicht ſonderlich nuͤtzlich ſind. Folglich benimmt
es der Erden ihre paradiſiſchen Eigenſchaften nicht,
wann ſie etwann kein Korn traͤgt, und die Dinge nicht
von ſich ſelbſt hervorbringet, die wir durch groſſe Ar-
beit wachſen machen. Sie iſt nicht ſchuldig, um den
herrlichen Nahmen eines Paradiſes zu verdienen,
diejenigen Dinge, die uns Muͤhe koſten, ohne un-
ſer Zuthun zu tragen: Wir ſind vielmehr, wann dieſe
Dinge nicht bey uns, wie das Graß, wachſen, verbun-
den, zu ſchlieſſen, ſie wuͤrden uns, wo nicht ſchaͤdlich,
doch nicht gar geſund ſeyn, und unſere Arbeit einzuſtel-
len. So will es der Hr. Prof. haben, und daraus,
deucht mich, folget ungezwungen, daß nach ſeinen ei-
genen Lehren, die Welt noch ein vollkommenes Para-
diß, und alſo nicht veraͤndert ſey.
II. Hiernechſt bitte ich Ew. Hochwohlgeb. wohl
zu mercken, daß der H. Prof. Manzel nicht alle Ar-
beit und Bemuͤhung der Menſchen, der Natur in Her-
vorbringung nuͤtzlicher Dinge zu helfen, aus ſeinem
Paradiſe verbanne: Er will nur, die Arbeit ſoll mit
Luſt geſchehen. Es koͤmmt alſo gar nicht darauf an, ob
die Muͤhe an ſich groß oder klein iſt; Denn ſo wahr
dasjenige iſt, was der Clitipho beym Terentius ſagt:
„Quam invitus facias . . . . .(12)’
ſo
[686](o)
ſo unſtreitig iſt auch das gemeine Sprichwort:
Wenn demnach auch gleich die Erde ſo beſchafen
waͤre, daß wir nicht einmahl, um unſern Hunger zu
ſtillen, Eicheln und wilde Aepfel, und, zu Loͤſchung
unſers Durſtes, Waſſer finden koͤnnten, ohne eine Be-
muͤhung, die ungleich groͤſſer, als diejenige iſt, welche
der Ackerbau erfordert, ſo koͤnnte ſie doch, nach des Hn.
Prof. Manzels Meinung, ein Paradieß genennet
werden, wenn nur der Menſch dieſe Arbeit mit Luſt
verrichtete. Da nun, wann dieſes nicht geſchicht,
die Schuld dem Menſchen, und nicht der Erde bey-
zumeſſen iſt: So ſiehet man klaͤrlich, daß die Erde, dar-
um, daß ſie nicht alles, was wir brauchen, ohne unſere
Bemuͤhung hervorbringet, auch nach des Hrn. Man-
zels Meinung nicht aufhoͤre, ein Paradiß zu ſeyn, wie
ſie, nach der Abſicht GOttes hat ſeyn ſollen. Daß
wir in dieſem Paradiſe nicht vergnuͤgter leben, als wir
thun, das haben wir niemand, als uns ſelbſt zu dan-
cken. Laß es ſeyn, daß wir vor dieſem vergnuͤgter ge-
weſen: Die Urſache, daß wir ietzo ſo vielem Verdruß
unterworfen ſind, iſt nicht in einer Veraͤnderung der
Erde zu ſuchen: Es muͤſte auf ſolchen Fall unſere eige-
ne Natur veraͤndert ſeyn. Dieſes glaubt der Hr.
Pr. Manzel: Allein ich weiß nicht, ob er dieſe in uns
vorgegangene Veraͤnderung durch eine Verſchlim-
merung der Erde, die er noch nicht bewieſen hat, und
die ſelbſt mit ſeinen eigenen Saͤtzen ſtreitet, beweiſen
kan?
Der Hr. Prof. Manzel fuͤgt den Gruͤnden,
von welchen ich bißhero gehandelt habe, noch einige
andere
[687](o)
andere bey; die aber nicht von gleicher Staͤrcke ſeyn
muͤſſen; weil der Hr. Prof. ſagt; ein jeder abſonder-
lich beweiſe nicht viel; aber zuſammen genommen,
waͤren ſie nicht ſonder Kraft. Ew. Hochwohlg moͤgen
urtheilen, ob viel beſonders daran ſeyn koͤnne, da der
Hr. Prof. ſelbſt, ſie denen vorigen, die doch von Her-
tzen ſchlecht waren, nicht einmahl gleich achtet. Jndeſ-
ſen will ich doch ſehen was dieſe neuen Argumente zu
bedeuten haben.
Das erſte in der Ordnung iſt hergenommen von
dem Unterſcheid der wilden und zahmen Thiere. „Es
„ſey nicht glaublich, meint der Hr. Prof. (§. 33.) daß
„derſelbe von Anfang der Welt her geweſen ſey; ſon-
„dern es ſey vielmehr zu glauben, daß GOtt in der
„Schoͤpfung den Thieren einerley Natur gegeben
„habe: Daher dann zu ſchlieſſen, daß der jetzige Unter-
„ſcheid aus Noth und menſchlicher Kunſt entſtanden
„ſey, damit der Menſch, nachdem er die allgemeine und
„unumſchraͤnckte Herrſchaft uͤber die Thiere verloh-
„ren; doch die zahm gemachten zu ſeinem Gebrauche
„fertig haͤtte. Dieſes alles, faͤhrt er (§. 34.) fort, wuͤr-
„de noch mehr beſtaͤrcket durch die Betrachtung der
„wilden und zahmen Thiere; denn man fuͤnde alle
„Arten der zahmen Thiere auch unter den wilden, zum
„deutlichen Zeichen, daß ſie durch Kunſt aus denſel-
„ben hergeleitet ſind.
Jch habe hiebey vieles zu erinnern: doch will ich
nur folgendes anmercken.
I. Wenn der Hr. Prof. Manzel mit dieſer Be-
trachtung der zahmen und wilden Thiere etwas haͤtte
beweiſen wollen, ſo waͤre es noͤthig geweſen, uns die
Urſachen zu melden, warum es ihm unglaublich vor-
koͤmmt,
[688](o)
koͤmmt, daß der Unterſcheid unter dieſen Thieren ſo
alt als die Welt ſey: oder warum er vor wahrſchein-
lich haͤlt, daß GOtt den Thieren nothwendig einerley
Natur gegeben haben muͤſſe. Er muß dieſes nicht, als
eine unſtreitige Wahrheit, vorausſetzen.
II. Haͤtte der Hr. Prof. ſich deutlicher erklaͤren
muͤſſen, was er durch ſeine Gleichheit der Natur
(una æqualique natura) verſtehe? Will er, daß
GOtt den Thieren gleiche Eigenſchaften, gleiche
Neigungen, eine gleiche Geſtalt ſolle gegeben, und
einerley Nahrung verordnet haben, ſo begehrt er et-
was, das im hoͤchſten Grad ungereimt iſt: indem die-
ſes eben ſo viel heiſſen wuͤrde, als wenn man ſagen
wolte, GOtt habe nicht ſo vielerley Arten von Thie-
ren erſchafen ſollen. Denn Thiere von unterſchiede-
ner Art haben eine unterſchiedene Natur. Will er
aber nur ſo viel ſagen, GOtt habe die Thiere entwe-
der alle wild, oder alle zahm erſchafen muͤſſen, ſo be-
geht er eine vollſtaͤndige petitionem principii, wann
er daher ſchlieſſet, der Unterſcheid unter wilden und
zahmen Thieren koͤnne nicht von GOtt ſeyn.
III. GOtt hat ſeine Geſchoͤpfe dergeſtalt verviel-
faͤltiget, daß man die Arten derſelben kaum alle zaͤh-
len kan. Man darf ſich alſo nicht wundern, daß die
Thiere hiervon nicht ausgenommen ſind. Jch glaube
auch nicht, daß der Hr. Prof. Mantzel ſich an den
vielen unterſchiedenen Arten der Thiere ſtoͤſſet: Allein,
warum koͤmmt ihm dann der geringe Unterſcheid un-
ter den wilden und zahmen Thieren ſo wunderlich
vor, daß Er ſelbigen lieber vor eine Folge eines gewalt-
ſamen Zufalles, als vor eine, aus der unterſchiedenen
Natur der Thiere flieſſende, Sache anſehen will?
Man
[689](o)
Man iſt nicht ſchuldig dem Hrn. Manzel von dem
Unterſcheide der wilden und zahmen Thiere die ge-
ringſte Urſache zu geben. Die Scrupel, die er ſich
daruͤber macht, kommen nicht viel beſſer heraus, als
wenn einer ſich den Kopf zerbrechen wolte, warum
doch die Schwalbe ihr Neſt an den Haͤuſern, und der
Adler ſemes, wie die Schrift redet, auf dem Felſen
baue? Man begnuͤgt ſich, in dieſem Fall, zu ſagen,
die Natur dieſer Thiere bringe es ſo mit ſich: Und es
iſt kein Zweifel, daß der Hr. Prof. eben ſo antworten
wuͤrde. Er koͤnnte es alſo nicht uͤbel nehmen, wenn
man ihm, auf eben die Art, durch alle ſeine tiefſin-
nigen Gedancken uͤber den Unterſcheid der wilden und
zahmen Thiere einen Strich machte. Allein ich glau-
be nicht, daß man dieſes noͤthig habe, wann eine
Erklaͤrung des Unterſcheides unter denen wilden und
zahmen Thieren gefordert wird.
Man kan, deucht mich, mit der groͤßſten Wahr-
ſcheinlichkeit ſagen, daß ein jedes Thier, nach der
Beſchafenheit ſeiner Natur, diejenige Nahrung
ſuche, welche ihm die geſundeſte iſt. Dieſe Nah-
rung finden einige in der Wildniß, andere fuͤglicher,
wenn ſie ſich zu dem Menſchen halten. Dieſe nen-
net man zahme, iene wilde Thiere.
Der beſtaͤndige Umgang der zahmen Thiere mit
dem Menſchen, nebſt dem Guten, welches ſie von
demſelben genieſſen, machet, daß ſie nicht vor ihm
fliehen: Und da dieienigen Thiere, welche ihre Nah-
rung auf dem Felde ſuchen, eines theils den Men-
ſchen ſelten ſehen, und andern theils von ihm verfol-
get werden, ſo iſt es kein Wunder, daß ſie denſel-
ben, theils, als ein ihnen ungewohntes, theils
X xaber,
[690](o)
aber, als ein gefaͤhrliches Thier fliehen. Zu geſchwei-
gen, daß viele wilde Thiere ſo geartet ſind, daß der
Menſch keine groſſe Urſache hat, ſich nach ihrer Ge-
ſellſchaft zu ſehnen, und alſo dieſelbe ja ſo ſehr, als
ſie ihn, meidet.
Gleich wie nun die Gewohnheit leicht zur andern
Natur wird, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß dieje-
nigen Thiere, welche wir wild nennen, ſo ſchwer von
ihrer Lebens-Art abzubringen ſind, und ihre Frey-
heit ſo hertzlich lieben: Hergegen die zahmen den
Menſchen ungerne und ſelten verlaſſen. Jndeſſen, da
die Liebe dieſer letzten Art Thiere zu dem Menſchen
ſich auf die Wohlthaten, die ſie von ihm empfangen;
der Abſcheu aber vor der Geſellſchaft des Menſchen,
den wir an den wilden Thieren wahrnehmen, ſich
theils auf die Verfolgung, ſo ſie von ihm ausſtehen,
theils darauf gruͤndet, daß ſie ſeiner nicht beduͤrfen;
So begreift man auch leicht, woher es komme, daß,
wann der Menſch ſeine Gutthaͤtigkeit gegen die zah-
men, und die Verfolgung der wilden Thieren ein-
ſtellet, und ihnen Gutes thut, jene wild, und die-
ſe zahm werden.
Hieraus folget aber nun, daß der Unterſcheid un-
ter den wilden und zahmen Thieren nicht ſo groß ſey,
daß er uns bedencklich fallen, oder Anlaß geben koͤn-
ne, zu dencken, er gruͤnde ſich auf eine gewaltſame
Veraͤnderung der Natur. Man kan mit Haͤnden
greifen, daß er eine natuͤrliche Folge der unterſchiede-
nen Natur der Thiere iſt. Da nun auch im Stande
der Unſchuld unterſchiedene Arten von Thieren wuͤr-
den geweſen ſeyn, ſo iſt kein Zweifel, daß, wenn auch
der Menſch nicht geſuͤndiget haͤtte, ſich einige Thie-
re
[691](o)
re wuͤrden zu ihm gehalten, einige aber ſeinen Um-
gang gemieden haben.
IV. Wann ich demnach erwege, was doch wohl
den Hrn. Prof. Manzel bewogen habe, zu ſagen, es
ſey nicht glaublich, daß GOtt in der Schoͤpfung die-
ſen Unterſcheid unter zahmen und wilden Thieren ge-
macht habe, ſo finde ich, daß es nicht eine aus
dieſem Unterſcheid flieſſende, ungereimte, und der Na-
tur der Dinge zuwieder laufende Folge ſey. Die Er-
de und die gantze Welt bleibt wohl ein Werck, deſſen
ſich die GOttheit nicht zu ſchaͤmen hat; es ſey nun
daß alle Thiere wild oder zahm, oder einige zahm, an-
dere wild erſchafen. Der Scrupel, den der Hr. Pr. ſich
machet, ruͤhret aus unterſchiedenen Vorurtheilen her.
Er bildet ſich ein, alles, was in der Welt iſt, ſey um
des Menſchen willen erſchafen: Er glaubt der Menſch
muͤſſe alles, was er braucht, ohne ſonderliche Muͤhe
bekommen koͤnnen. Daher hat er geſchloſſen GOtt,
habe dem Menſchen eine unumſchraͤnckte Herrſchaft
uͤber die Thiere gegeben, und dieſen ich weiß nicht was
vor eine tiefe Ehrerbietung gegen ihren Herrn einge-
praͤget. Sie konnten alſo unmoͤglich wild ſeyn: Da
man es aber nun anders befindet, ſo iſt es kein Wun-
der, daß der Hr. Prof. aus dem heutigen Unterſcheid
unter wilden und zahmen Thieren eine groſſe Veraͤn-
derung in der Natur muthmaſſet. Wenn man aber
nun zeiget, daß diejenigen Saͤtze, auf welche dieſe
Muthmaſſung ſich gruͤndet, falſch ſind, ſo verliehrt
das Argument des Hrn. Prof. alle ſeine Kraft. Jch
halte dieſes vor etwas gar leichtes.
V. Denn der Satz, daß alles um des Menſchen
Willen erſchafen ſey, iſt unerweißlich. Jch finde
X x 2nichts
[692](o)
nichts an dem Menſchen, das mich bewegen koͤnnte,
dieſes zu glauben: Und die Vernunft haͤlt dieſe Ein-
bildung vor einen Stoltz der unertraͤglich iſt. Die
groͤßſten Weltweiſen haben allemahl daruͤber gela-
chet. „Non nos cauſa mundo ſumus, ſagt Seneca
„(13)hiemem æſtatemqve referendi: ſuas iſta
„leges habent, quibus divina exercentur. Nimis
„nos ſuſpicimus ſi digni nobis videmur propter
„quos tanta moveantur. Niemand hat aber mehr
wieder dieſe laͤcherliche Einbildung geeifert, als der
vortrefliche Montaigne, „qu’il me faſſe entendre,
„ſagt er (14)par l’effort de ſon diſcours ſur
„quels fondemens il a baſty ces grands advanta-
„ges, qu’il penſe avoir ſur les autres creatures.
„Qui luy a perſuadé, que ce branle admirable
„de la voûte celeſte, la lumi ere éternelle de ces
„flambeaux roulans ſi fierement ſur ſa teſte, les
„mouvemens eſpouvantables de ceſte mer infi-
„nie, ſoyent eſtablis \& ſe continuent tant de
„ſiecles pour ſa commodité \& pour ſon ſervice?
„Eſt-il poſſible de rien imaginer ſi ridicule, que
„ceſte miſerable \& chetive Creature qui n’eſt
„pas ſeulement maiſtreſſe de ſoy, expoſée aux
„offenſes de toutes choſes, ſe die maiſtreſſe
„\& emperiere de l’ Univers? du quel il n’eſt pas
„en ſa puiſſance de cognoiſtre la moindre par-
„tie, tant s’en faut de le commander? Et ce pri-
„vilege qu’il s’attribuë d’eſtre le ſeul en ce
„grand baſtiment qui ait la ſuffiſance d’en re-
cog-
[693](o)
cognoiſtre la beauté \& les pieces, ſeul qui en„
puiſſe rendre grace à l’architecte, \&, tenir„
compte de la recepte \& miſe du monde, qui„
luy a ſeellé ce privilege? qu’il nous monſtre„
lettres de ceſte belle \& grande charge. Ont„
elles eſté octroyées en faveur des ſages ſeule-„
ment? Elles ne touchent guere des gens. Les„
fols \& les meſchans ſont ils dignes de faveurs„
ſi extraordinaires? \& eſtant la pire piece du„
monde, d’eſtre preferé à tout le reſte? en croi-„
rons nous cettuy là? Quorum igitur cauſa quis„
dixerit effectum eſſe mundum? Eorum ſcili-„
cet animalium, quæ ratione utuntur. Hi„
ſunt Dii \& homines, quibus porfectó nihil„
eſt melius (Cicero de Nat. Deorum Lib. 2.)„
Nous n’ aurons jamais aſſez bafoué l’impuden-„
ce de cet accouplage. Mais pauvret qu’a-il„
en ſoy digne d’un tel advantage?„
Wann Ew. Hochwohlgeb. wollen, ſo koͤnnen
Sie bey Mr. Bayle (15) noch mehr unaufloͤßliche
Einwuͤrfe wieder dieſes Vorurtheil antrefen, durch
welches ſich der Hr. Prof. Manzel hat verfuͤhren
laſſen.
VI. Ueberdem waͤre es inſonderheit noch eine Fra-
ge, ob die Thiere zu des Menſchen Nahrung beſtim-
met ſind? Man zancket ſich noch, ob die Menſchen vor
der Suͤndfluth Fleiſch gegeſſen haben? Es iſt alſo um
ſo viel mehr zweifelhaft, ob ſie es im Stande der Un-
ſchuld gethan haben wuͤrden. Mir koͤmmt es nicht
wahrſcheinlich vor, weil ich nicht begreife, was eine
X x 3ſo
[694](o)
ſo vollkommene und heilige Creatur, als der erſte
Menſch geweſen ſeyn ſoll, an der Ermordung der ar-
men Thiere vor Veꝛgnuͤgen ſolte gefunden haben. Jch
bin zwar keine Pythagoraͤer, und geſtehe gerne, daß
ich lieber einen gebratenen Capaun, als trocken Brodt
eſſe: Aber ich glaube doch, daß es unſerer Geſundheit
weit zutraͤglicher ſeyn wuͤrde, wenn wir kein Fleiſch
aͤſſen. Jch kan nicht leugnen daß mir die Auffuͤh-
rung der Bramanen in Jndien weit ertraͤglicher vor-
koͤmmt, als der Unſinn unſerer Jaͤger. Wer viel
mit Blut umgehet, wird blutgierig, und wer ſich erſt
angewoͤhnet hat, die Thiere ohne Erbarmen zu mor-
den, und zu quaͤlen, dem kan mit der Zeit die Luſt
ankommen, es mit Menſchen eben ſo zu machen.
Derjenige Weltweiſe, der wie uns Seneca (16)
berichtet, davor gehalten hat, „crudelitatis fieri
„conſuetudinem, ubi in voluptatem adducta
„eſſet laceratio, hat demnach ſehr vernuͤnftig gere-
der. Und es iſt glaublich daß die erſten Menſchen,
nach ihrer groſſen Weißheit, eben ſolche Gedancken
gehabt, und ſich vor eine ſo boͤſe Gewohnheit gehuͤ-
tet haben. Es war alſo nicht noͤthig, daß die Thiere
von Natur ſo zahm waren, daß ſie der Menſch greifen
konnte wann er wolte. Er bedurfte ihrer nicht.
VII. Geſetzt aber er haͤtte ihrer bedurft: War es
darum noͤthig, daß alle Thiere gantz zahm waren? Jch
habe ſchon gewieſen, daß es ungereimt ſey zu glauben,
der erſte Menſch habe, diejenigen Dinge, die ihm zur
Nahrung dienen, ohne alle Bemuͤhung haben koͤn-
nen. Es iſt alſo ofenbahr, daß es ſeiner Ehre nicht zu
nahe
[695](o)
nahe geweſen, ein Thier, das er eſſen wollte, zu fangen.
Wer hieran zweifelt, der haͤngt ſeiner Phantaſie noch
mehr nach, als der bekannte Cyrano-Bergerac in ſei-
ner Voyage de la Lune. Denn ob dieſer Scribent
gleich dichtet, die Lerchen waͤren gebraten auf die Erde
fallen, ſo giebt er doch zu verſtehen, daß man ſie erſt
ſchieſſen muͤſſen.
voulois une douzaine d’allouëttes. …„
à peine eus-je rêpondu qu’ouy, que le chaſ-„
ſeur dechargea un coup de feu \& vingt ou„
trente allouettes tomberent à nos pieds toutes„
roſties.”(17)’
Einer aber, der von keinen wilden Thie-
ren im Stande der Unſchuld wiſſen will, kan mit ge-
bratenen Lerchen nicht zu frieden ſeyn: Sein erſter
Menſch iſt noch nicht gluͤcklich genug, ſo lange er nach
denſelben gehen, und ſie ſchieſſen muß. Es ſtehet dem-
nach ein ſolcher in groſſer Gefahr, endlich gar auf die
Thorheit zu verfallen, daß Er glaubt, die Lerchen, Ha-
ſen, Rebhuͤner u. d. g. waͤren dem erſten Menſchen ge-
ſpickt und gebraten ins Maul geflogen.
VIII. Was der Hr. Prof. Mantzel von der un-
umſchraͤnckten Herrſchaft des Menſchen uͤber die
Thiere allhier einmiſchet, das verdienet faſt keiner An-
merckung, weil es aus der Ofenbahrung entlehnet iſt.
Aber ich moͤchte doch wohl wiſſen, ob der Hr. Prof. ſich
recht im Ernſt bereden koͤnne, daß dieſe Herrſchaft,
auch nach dem Begrife, den uns die Jnveſtitur-Acte,
welche wir beym Moſes finden, davon giebt, mit dem
Unterſcheid unter wilden und zahmen Thieren nicht
beſtehen koͤnne? Jch zweifele daran um ſo vielmehr,
X x 4weil
[696](o)
weil er ſelbſt (§. 51.) da er uns lehret, wie ſich der
Menſch im Stande der Unſchuld wuͤrde genehret
baben, ſagt, der Menſch wuͤrde, Kraft ſeiner
Herrſchaft uͤber die Thiere, wilde Thiere, Voͤ-
gel und Fiſche gefangen und gegeſſen haben jure
dominii occuparunt FERAS, volucres \& piſ-
ces. Fera heißt aber in meinem Donat ein wil-
des Thier.
Geſetzt nun er vertraͤgt ſich mit ihm ſelbſt, und
bleibt bey der Meinung, die ich ihm kaum zutraue, ſo
muß er glauben, daß Jhro menſchliche Majeſtaͤt in
dem Stande ihrer Vollkommenheit ihre vierfuͤßige
Unterthanen ſo weißlich zu regieren, und dergeſtalt in
Ordnung zu halten gewuſt, daß, wie der Prophet
ſagt, die Woͤlfe bey den Laͤmmern geweidet, und die
Pardel bey den Boͤcken gelegen: Ein kleiner Knabe
Kaͤlber, junge Loͤwen und Maſt-Vieh mit einander
getrieben: daß Kuͤhe und Loͤwen an einer Weide ge-
gangen, ihre Jungen bey einander gelegen, und Loͤwen
Stroh gefreſſen, wie die Ochſen (18).
Er muß glauben, daß GOTT den Thieren
nicht die geringſte Begierde, ihr Leben zu erhalten, und
aͤuſſerliche Gewalt und Nachſtellung zu fliehen, einge-
preget habe; ſondern daß die Voͤgel ſich mit Haͤnden
greifen laſſen, oder der Menſch, wann er Luſt bekom-
men einen gebratenen Haſen zu eſſen, nur, et-
wan wie die Laplaͤnder es mit ihren Renn-Thieren
machen, in ein Horn ſtoſſen duͤrfen, worauf dann ſo
gleich eine Menge dieſer furchtſamen Creaturen herzu
gelaufen, aus welcher ſich der Menſch die fetteſten
aus-
[697](o)
ausſuchen koͤnnen. Er muß glauben daß die Katze im
Paradiß nicht gemauſet, und alle Raub-Voͤgel und
Thiere aller erſt nach dem Fall dieſe, andern Geſchoͤp-
fen ſo nachtheilige, Natur bekommen haben.
Er muß glauben, daß der Baͤr ihm das Fell habe
uͤber die Ohren ziehen laſſen, ohne einmahl zu brum-
men, und der Loͤwe nicht einmahl die Zaͤhne gewieſen,
wann ſein allergnaͤdigſter Koͤnig und Herr ihm, zum
Zeitvertreib, den Bart gerupfet. Kan er nun dieſes al-
les verdauen, ſo muß man ſeinen Magen bewundern,
und ich begehre mit ihm nichts zu thun zu haben. Jch
halte ihn vor unuͤberwindlich.
IX. Noch eins. Es iſt bekannt, daß man heuti-
ges Tages dem Menſchen noch eine Herrſchaft uͤber
die Thiere beyleget: und zwar nicht ohne allen
Grund; denn diejenigen, welche dieſes thun, haben
Spruͤche aus der Bibel vor ſich. Der Menſch war
ſchon lange gefallen, als GOtt zu Noah und den Sei-
nen ſagte: Euer Furcht und Schrecken ſey uͤber alle
Thiere, und eine gute Zeit hernach eignete der Koͤnig
David dem Menſchen eine Herrſchaft uͤber die Thie-
re zu, die gewiß nicht groͤſſer ſeyn kan. (19) Jch glaube
nicht daß deꝛ Koͤnig David, und diejenigen, welche ſich
auf ihn berufen, von dem Unterſcheid der wilden und
zahmen Thiere nichts ſolten gewuſt haben. Man muß
alſo geſtehen, daß dieſer Unterſcheid die Herrſchaft, ſo
dem Menſchen uͤber die Thiere zukoͤmmt, nicht auf-
hebe.
Will man mir nun hier einwerfen, der Unter-
ſcheid unter den wilden und zahmen Thieren hebe
U u 5zwar
[698](o)
zwar die Herrſchaft des Menſchen uͤber dieſelbe nicht
gaͤntzlich auf; ſchmaͤlere ſie aber doch mercklich: und
ſey alſo der Hr. Prof. Mantzel gar wohl befugt, aus
dieſem Unterſcheid eine Veraͤnderung des urſpruͤngli-
chen Zuſtandes der Menſchen zu muhtmaſſen. So
antworte ich, daß, wenn ich das, was GOtt zu Noah
geſagt, und die Worte Davids gegen diejenigen hal-
te, mit welchen GOtt dem erſten Menſchen die Herr-
ſchaft uͤber die Thiere aufgetragen hat, ich nicht finde,
daß dieſelbe von mehrerm Nachdruck ſind, als das,
was nach dem Fall von dieſer Herrſchaft geſagt wor-
den.
X. Hieraus ſchlieſſe ich nun ferner, daß wir die
Herrſchaft, die uns GOtt in der Schoͤpfung uͤber die
Thiere gegeben hat, noch haben. Gleich wie nun aber
unſere Herrſchaft nicht weit her, und ſchon ſo viele
tauſend Jahr mit dem Unterſcheid unter wilden und
zahmen Thieren gar wohl beſtanden iſt: So kan man
dieſes auch von der Herrſchaft, die Adam gehabt hat,
mit allem Rechte ſagen.
Unſere Herrſchaft uͤber die Thiere beſtehet, wie es
die Erfahrung giebt, in nichts anders, als in der
Macht, uns derſelben, nach Belieben, zu bedienen:
den Thieren aber ihr Recht unbenommen, ſich, nach
ihrem beſten Vermoͤgen, vor unſern Nachſtellung zu
huͤten und wieder Gewalt zu wehren. Jch ſolte nicht
meinen, daß in der Welt ein Menſch zu finden ſey, der
mir dieſes wiederſtreiten ſolte. Es iſt glaublich, daß
alle diejegen, welche dem Menſchen nach dem Falle ei-
ne Herrſchaft uͤber die Thiere beylegen, nichts anders,
als die ietzt gemeldte Befugniß dadurch verſtehen:
Haben dieſe Herren hoͤhere Begrife von unſerer Ma-
jeſtaͤt,
[699](o)
jeſtaͤt, ſo ſolte es mir ihrentwegen leyd ſeyn. So
bald ſie unſere Herrſchaft vor eine eigentliche und
wahre Herrſchaft uͤber die Thiere halten, ſo frage ich,
„L’ours a peur du paſſant ou le paſſant de
l’ours
„Et ſi ſur un Edict des Paſtres de Nubie
„Les Lions de Barca vuideroient la Ly-
bie (20).’
Wer dieſe Frage nicht mit einem deutlichen Ja be-
antworten kan, und doch von unſerer Herrſchaft uͤber
die Thiere ich weiß nicht was vor ſieben Sachen
ſchwatzet, der verdienet, daß man ihn ausziſchet. Und
vor dieſem Schimpf kan ihn kein Spruch aus der Bi-
bel ſichern. Jch geſtehe wir werden in der Schrift Her-
ren der Thiere genennet: Allein die Ehrerbietung, wel-
che wir den von GOttes Geiſt getriebenen Maͤnnern
ſchuldig ſind, verbindet uns ihre Worte ſo zu erklaͤ-
ren, daß dieſelbe dem klaren Augenſchein und der Er-
fahrung nicht entgegen. Thun wir dieſes nicht, ſo ge-
ben wir den Unglaͤubigen Gelegenheit, uͤber uns und
unſere Bibel zu lachen.
Jch glaube demnach, daß in den Stellen der
Schrift, in welchen dem Menſchen eine Herrſchaft
uͤber die Thiere beygeleget wird, eine Hypeꝛbole ſtecke,
und nichts anders durch dieſe Herrſchaft verſtanden
werde, als die Freyheit, die Thiere zu unſerm Nutzen zu
gebrauchen; doch mit dem Bedinge, wenn wir ihrer
maͤchtig werden koͤnnen. Wer andere Gedancken hat,
der
[700](o)
wiederſpricht der Erfahrung. Denn es iſt gar zu
ofenbahr, daß die Thiere den Menſchen ſchlecht eh-
ren; Sie kehren ſich wenig an ihn. Die Gewalt,
die wir uͤber ſie haben, die haben ſie uͤber uns. Der
Haaſe laͤuft vor uns, und wir vor dem Loͤwen: Wir
eſſen die Schafe, uns, frißt Wolf, Baͤr und Tieger;
und dieſe maͤchtigen und grimmigen Thiere fuͤrchten
wir ja ſo ſehr, als die ſchwaͤchern Thiere uns. Wuͤr-
den demnach dieſe, uns an Macht ſo ſehr uͤberlegene,
Thiere uns, wenn ſie koͤnnten, nicht von Hertzen
auslachen, wenn ihnen die hochmuͤthigen Einfaͤlle,
womit wir uns beluſtigen, bekannt waͤren.
Und in der That iſt es laͤcherlich, daß ein ſo ohn-
maͤchtiges Thier, als der Menſch iſt, ſich mit derglei-
chen ſuͤſſen Einbildungen ſchmeichelt. Bald iſt des
Seufzens uͤber unſer Elend kein Ende, bald kennen
wir uns ſelbſt nicht, und thun gantz majeſtaͤtiſch.
Jch finde darinne keine Vernunft, und begebe mich
gerne des Theils, ſo mir von der eingebildeten Herr-
ſchaft uͤber die Thiere zu kommen kan.
Jch ſage mit dem Pariſiſchen Medico Guillau-
me Lami
„Pour moy à mon égard je n’ay
„aucune part à l’Empire que l’homme pretend
„ſur l’Univers. Les Chiens me mordent, ſi
„je n’y prend garde; je n’oſe paſſer un bois
„quand je ſçay qu’il y a des loups, à peine me
„croy-je en ſeurete quand je voydes Lions en-
„chainez. Les boeufs meſmes dans les rues
„de Paris me donnent de la crainte, \& pour
„les laiſſer paſſer je me range fort prompte-
„ment dans une boutique. En hyver je trem-
„ble quand je n’ay point de feu. En Eſté je
„brûle,
[701](o)
brûle, ſi je ne cherche l’ombre \& le ſrais.„
En un mot je trouve qve le Ciel, les Ele-„
mens, \& les animaux, loin de m’obeïr me„
font la guerre. Je penſe meſme qu’ils ne„
ſont gueres plus ſoûmis à Meſſieurs nos An-„
tagoniſtes, \& je voudrois par curioſité voir„
un de ces Docteurs avec ſes pompeux orne-„
mens au milieu de cinq ou ſix matins bien„
animez, à qvi il oppoſeroit ſon ſuperbe titre„
de Roy. Je prendrois plaiſir à remarquer„
dans cette conjoncture le reſpect qu’ils au-„
roient pour ſa Majeſté(21).„
Wer dieſe Worte des Frantzoͤſiſchen Medici
wohl uͤberleget, der wird deutlich begreifen, daß ſie
nichts als unſtreitige Wahrheiten in ſich faſſen, und
daß es alſo noͤthig ſey, die Schrift-Stellen, in welchen
dem Menſchen eine Herrſchaft uͤber die andern Thie-
re zugeeignet wird, ſo zu erklaͤren, als ich ſchon geſagt
habe. Thut man nun dieſes in Anſehung der Stellen,
in welchen der Menſch nach dem Fall ein Herr der
Thiere genennet wird, ſo darf man ſich auch kein Ge-
wiſſen machen, die Worte, mit welchen GOtt dem
Menſchen vor dem Fall eine Herrſchaft uͤber die Thie-
re gegeben hat, eben ſo zu verſtehen, und zu glauben,
Adam habe die unbegreifliche Hoheit, die wir ihm
beylegen, nicht gehabt, ſondern ſich mit der Frey-
heit, die Thiere zu fangen und zu eſſen begnuͤgen
muͤſſen.
Dieſe Freyheit aber haben wir noch; die wird
uns durch den Unterſcheid unter wilden und zahmen
Thie-
[702](o)
Thieren nicht beſchnitten. Folglich hat er auch zu
den Zeiten Adams Statt haben koͤnnen; und wir
thun uͤbel, wenn wir uns darum, daß einige Thiere
wild, und andere zahm ſind, einbilden, unſer Zuſtand,
und die Natur der Thiere ſey durch einen gewaltſa-
men Zufall veraͤndert.
Ew. Hochwohlgeb. verzeihen mir daß ich ſo weit-
laͤuftig geweſen bin: Jch will mich beſſern, und
von dem folgenden Argument mit kurtzem meine
Meinung ſagen.
„Der Hr. Prof. Manzel ſagt (§. 35.) der Unter-
„ſcheid, den man in Anſehung der Statur unter den
„Menſchen wahr nimmt, ſey auch kein ſchlechter
„Beweiß (haud leue argumentum) unſerer ver-
„lohrnen Herrlichkeit: indem kaum zu zuglauben
„ſey, daß GOttes Abſicht in der erſten Schoͤpfung
„nicht ſolte geweſen ſeyn, daß die Menſchen an
„Bildung und Laͤnge einander gleich waͤren (for-
„ma, figura \& ſtatura æquales eſſent futuri).
Jch habe verſprochen meine Meinung von die-
ſem Argument zu ſagen: Allein die Hochachtung,
welche ich gegen den Hrn. Prof. Manzel hege, ver-
bietet mir Ew. Hochwohlgeb. zu melden, was ich
dabey dencke. Nur moͤchte ich wiſſen, ob der Hr.
Prof. wohl meinet, daß, es viel zu unſerer Voll-
kommenheit beytragen wuͤrde, wenn ſein und mein
Bart von einer Farbe, und er etwan zwey oder
drey Finger breit kuͤrtzer, oder ich ſo viel laͤnger waͤ-
re. Jch glaube, er meint, GOtt ſey in Verferti-
gung der erſten Menſchen eben ſo lecker geweſen,
als unſere Fuͤrſten in ihren Werbungen, welche
wollen, daß alle ihre Soldaten von gleicher Laͤnge ſeyn
ſollen.
[703](o)
ſollen. Man muͤſte ſich auf ſolchen Fall huͤten, dieſe
ein wenig gar zu genaue Beobachtung der Ordnung
als unnuͤtze anzuſehen. Unſere Printzen tragen auch in
dieſem Stuͤck das Bild der Gottheit an ſich. GOtt
aber und die Natur thun, wie bekannt, nichts un-
noͤthiges. Jedoch ich eile zu dem was folget.
Der Menſch, meint der Hr. Manzel (§. 36.)„
ſey ſo vielen Kranckheiten unterworſen, und verfalle„
nicht ſelten in ſelbige ohne alle ſeine Schuld, ja ſehr„
oft durch ein ſehr geringes Verſehen, welches er doch„
nicht anders als aus dem Erfolg, und das kaum er-„
kennen koͤnne. Ja, was das allerklaͤglichſte, ſo koͤnne„
er, ſich ſelbſt gelaſſen, keine Mittel wieder ſeine„
Kranckheiten finden; da hergegen die Thiere in ihrer„
Freyheit gar ſelten kranckten, oder wenn ſie ja ge-„
waltſamer Weiſe verletzet wuͤrden, ſich bald, nach An-„
leitung ihrer Natur, zu helfen wuͤſten. Von unſern„
Afecten, faͤhrt er fort, wolle er nicht einmahl erweh„
nen: doch waͤren ſie ein deutliches Zeichen unſerer Un-„
gluͤckſeeligkeit, indem es nicht in unſerm Vermoͤgen„
ſey, dieſelbe zu baͤndigen.„
Wenn Ew. Hochwohlgeb. ſich erinnern, was
ich bey demjenigen Argument, welches der Hr. Prof.
Manzel (§. 25.) von dem Elende des Menſchen herge-
nommen, angemercket habe, ſo werden ſie ſchon vor-
her ſehen, daß ich hier nicht viel mehr zu erinnern ha-
be. Was der Hr. Manzel hier ſchreibt, das hat ſchon
ſeine Abfertigung. Denn, wenn aus dem Elende
des Menſchen uͤberhaupt nicht zu ſchlieſſen iſt, daß er
vor dieſem vollkommener und gluͤcklicher geweſen,
ſo kan auch die Betrachtung der Kranckheiten in-
ſonderheit uns nicht bewegen, dieſes zu dencken.
Jn-
[704](o)
Jndeſſen, da ich mir in dieſen wiederhohlten Klagen
uͤber das menſchliche Elend einige ungegruͤndete Saͤ-
tze, welche ich noch nicht wiederleget habe, zu erbli-
cken einbilde, ſo will mit Ew. Hochwohlgeb. Erlaub-
nis, noch folgendes hinzuſetzen.
I. Heißt es nichts, wann der Hr. Prof., um das
menſchliche Elend einer Strafe aͤhnlicher zu machen,
ſagt; der Menſch falle oͤfters ohne ſeine Schuld in
Kranckheiten. Jch weiß wohl daß er hierinn ſo gar
unrecht nicht hat. Denn die anſteckenden Seuchen,
als Peſt, Flecken-Fieber, Pocken, Maſern u. ſ. w.
ſind Kranckheiten, die wir uns durch unſere Schuld
nicht zuziehen: Allein dieſe Kranckheiten ſind es nicht,
die uns ungluͤcklicher machen, als die Thiere. Auch
die Schafe haben ihre Pocken, und die Kuͤhe ſterben
auch an einer Art von Peſt.
Man kan alſo aus dieſen Kranckheiten nicht
ſchlieſſen, es muͤſſe ſich was ſonderliches zugetragen
haben, wesfalls uns GOtt ſo zuͤchtige: Eben ſo
wenig als man aus den Kranckheiten der Schafe
und Kuͤhe ſchlieſſet, daß die erſten Thiere dieſer Art,
durch eine Uebertretung, ihre urſpruͤngliche Gluͤck-
ſeeligkeit verlohren haben.
Es muß demnach der Hr. Prof. das, was er
ſagt, von Kranckheiten wahr machen, die uns eigen
ſind, und unſern Zuſtand elender machen, als den Zu-
ſtand der Thiere. Und dieſes halte ich vor unmoͤg-
lich. Denn ich bin verſichert, daß die vielen
Kranckheiten, denen wir unterworfen, nichts, als
Fruͤchte unſerer Unmaͤßigkeit und anderer Laſter,
nicht aber ein Zeichen ſind, daß unſere Natur durch
einen gewaltſamen Zufall veraͤndert worden. Je
hoͤher
[705](o)
hoͤher wir in das Alterthum hinauf ſteigen, je weni-
ger Kranckheiten finden wir, und die Hiſtorie lehret
uns, daß dieſe ſich bey allen Voͤlckern eingefunden
und gemehret haben, nachdem die Schwelgerey und
Unmaͤßigkeit eingeriſſen und gewachſen iſt. So lan-
ge die Menſchen ihre Natur folgten, und nicht mehr
aſſen und trancken, als dieſe erforderte, hatten ſie
nicht Urſache, ſich uͤber ihren Zuſtand zu beſchweren:
Aber da ſie anfingen lecker zu werden, und mehr
ihren Geſchmack zu vergnuͤgen, als ihren Hunger
zu ſtillen ſuchten, verdarben ſie ihre Geſundheit,
und
„Terris incubuit cohors.(22)’
Die aſiatiſchen Voͤlcker empfanden die Folgen die-
ſer Thorheit eher, als die Europaͤer, und unter dieſen
waren die Griechen ſchon lange in das Elend verfal-
len, welches ausder Unmaͤßigkeit entſtehet, als die Roͤ-
mer anfiengen, ihren und der aſiatiſchen Voͤlcker Sit-
ten nachzuahmen, und, nebſt andern Kuͤnſten, auch die
Kunſt, ſich durch ein unmaͤßiges Leben ungeſund zu
machen, zu erlernen.
Unſere Vorfahren haben ſich noch laͤnger, als die
Roͤmer in ihrer alten Unſchuld erhalten, und waren
alſo auch viel geſunder, als wir. Es iſt noch nicht uͤber
tauſend Jahr, daß ein Medicus in Deutſchland
ſchmal wuͤrde haben beiſſen muͤſſen; uñ vieleicht wuͤr-
den wiꝛ deꝛ Aeꝛtzte noch eben ſo wohl, als damahls ent-
rahten koͤnnen, wenn nicht die ſo genannten Seelen-
Aertzte, nebſt ihrem Catechismus, auch die, biß dahin
uns unbekannte, Laſter der Chriſten bey uns eingefuͤh-
Y yret,
[706](o)
ret, und alſo den Aertzten Gelegenheit gegeben haͤtten,
auch bey uns etwas zu verdienen. Seit dem wir an
unſern Seelen geneſen, ſind wir an unſern Leibern
kranck worden. Und dieſe Kranckheiten, denen wir un-
terworfen ſind, ſind nichts anders, als ſupplicia lu-
xuriæ, wie ſie Seneca (23) nennet. Wir haben nicht
Urſache, dieſelbe einer in unſerer Natur vorgegange-
nen Veraͤndeꝛung zuzuſchꝛeiben: Man kan uͤberhaupt
von den Menſchen ſagen, was Seneca am angezoge-
nen Ort von den Weibern inſonderheit ſchreibt: Non
mutata fæminarum natura ſed vita eſt. Noch weni-
ger darf man ſich uͤber die Menge derſelben verwun-
dern. „Innumerabiles eſſe morbos non miraberis:
„coquos numera ſagt eben der Seneca, der ſchon
vorher geſagt hatte: Multos morbos multa fercula
fecerunt.
Wer ſich im Eſſen und Trincken der Maͤßigkeit
befleißiget, und ſich vor Gram und Eyfer huͤtet, der
wird nicht noͤthig haben, die Thiere zu beneiden, und
uͤber viele und ſchmertzhafte Kranckheiten zu klagen.
Und daß dieſes wahr ſey, das empfinden viele Voͤl-
cker, die wir wild und barbariſch nennen. Die Hotten-
totten und wilden in Canada erreichen ein hohes Al-
ter, und wiſſen von keinen Kranckheiten, die ſie nicht,
ohne groſſe Weitlaͤuftigkeit, durch Hunger, oder ſonſt
vertreiben koͤnnten. Selbſt bey uns giebt es die taͤgli-
che Erfahrung, daß diejenigen Leute, welche ihre Ar-
muth zur Maͤßigkeit und Arbeit noͤthiget, von allen
Kranckheiten der Reichen, oder der Faullentzer nichts
wiſſen, und, wenn ſie kranck werden, ſich durch die ein-
faͤltig-
[707](o)
faͤltigſten Hauß-Mittel, mit nicht viel mehr Muͤhe,
als die Thiere, helfen. Man ſehe unſere Bauren
und Tageloͤhner nur an, ſo wird man befinden, daß
ich die Wahrheit ſage. Wir erſtaunen uͤber die
ſtarcke Natur dieſer Leute, wann wir ſehen, wie
wenig ſie ſich in Kranckheiten, die wir vor die
gefaͤhrlichſten halten, in acht nehmen, und
dieſelbe doch oͤfterer uͤberſtehen, als Leute von
unſerer Art.
Ein wenig Wein von der Apothecke gehohlet iſt
dem Bauren ſo gut, als die beſte Tinctur, die ein Do-
ctor verordnen kan. Jhre Wunden achten ſie ſo we-
nig, daß es ſchon ſehr viel iſt, wenn ſie dieſelbe mit ih-
rem eigenen Waſſer, oder etwan mit Eßig oder
Brandte-Wein auswaſchen, und etwas von alten
Lumpen darum binden. Gemeiniglich muͤſſen dieſelbe
von ſich ſelbſt zutrocknen, und wenn ſie auch ſo groß,
daß der Hr. Prof. Manzel und ich in ſolchem Fall
zum Wund-Artzt unſere Zuflucht nehmen muͤſten.
Der Bauer hat eine beſſere Haut zu heilen als wir.
Er weiß es, und bedauret dahero, wenn er ſich etwan
mit einem Beil verletzet hat, mehr ſeinen Schuh oder
Stiefel, als ſeinen Fuß.
Aus dieſem allem ſehen Ew. Hochwohlgeb. daß die
Kranckheiten, denen die meiſten Menſchen unter-
worfen ſind, nicht eine gewaltſame Veraͤnderung un-
ſerer Natur zum Grunde haben. Jch glaube die alten
Deutſchen waren ſo wenig im Stande der Unſchuld,
als die wilden Voͤlcker, und unſere Bauren es ie-
tzo ſind: Und doch ſehen wir, daß ſie, wie unſere
Bauren und die Wilden, von allem Ungemach frey
geweſen ſind, ſo wir, nach des Hrn. Manzels
Y y 2Mei-
[708](o)
Meinung, darum empfinden, weil unſere erſte Eltern
ihꝛe Vollkommenheit veꝛſchertzet haben. Mich deucht,
man kan daraus ſchlieſſen, daß die Kranckheiten
nicht ſonderlich geſchickt ſind, dasjenige zu beweiſen,
was der Hr. Prof. damit beweiſen will.
II. Eben dieſes ſage ich von den Afecten, worauf
ſich der Hr. Prof. Mantzel berufet. Die Afecten
ſind zu unſerer Erhaltung noͤthig; und ein Menſch
ohne Afecten oder Begierden wuͤrde einem Klotz nicht
unaͤhnlich ſeyn. Das Veꝛlangen gemaͤchlich zu leben,
genug zu haben, und von andern geehret zu werden, iſt
ſo natuͤrlich, als die Begierde, ſeinen Hunger zu ſtillen,
und ſeinen Durſt zu loͤſchen. Es iſt dahero nicht zu
muthmaſſen, daß GOtt den Menſchen ohne dieſe
Neigungen erſchafen habe.
Soll dieſes nicht wahr ſeyn, ſo geſtehe ich gerne,
daß ich von dem erſten Menſchen mir keinen Begrif
machen kan. Denn wann ich die Natur des Men-
ſchen betrachte, ſo ſcheinen mir dieſe Neigungen ſo
nohtwendig aus ſeinem Weſen zu flieſſen, als die
Ruͤnde aus dem Weſen eines Zirckels. Ein Zirckel,
der nicht rund iſt, iſt kein Zirckel, und ein Menſch ohne
alle Afecten kan wohl etwas, aber nicht dasjenige
Thier ſeyn, welches wir unter dieſem Nahmen ver-
ſtehen.
Der Menſch, wofern er leben ſoll, muß das Ange-
nehme begehren, und das Unangenehme fliehen. Dieſe
Eigenſchaft aber iſt die Quelle aller der Neigungen
unſers Gemuͤthes, die wir unter dem Nahmen der
Afecten begreifen. Daß der Menſch dieſelbe zu ſeinem
Schaden gebrauchet, das iſt gewiß eine Unvollkom-
menheit: Aber nicht eine ſolche Schwachheit, die
nicht
[709](o)
nicht aus ſeiner urſpruͤnglichen Beſchafenheit, ſon-
dern aus einem gewaltſamen Zufall, herruͤhren koͤnn-
te. Ein Thier, das mit einem Verlangen nach Luſt,
und mit einem Abſcheu vor Verachtung und Man-
gel begabet iſt, kan leicht dieſes Verlangen, und dieſen
Abſcheu ſo hoch treiben, daß es ſich ſelbſt ſchadet.
Die Empfindung des Vergnuͤgens iſt eben darum,
weil ſie angenehm, ſehr verfuͤhriſch, und der Abſcheu
vor Verachtung und Mangel kan leicht in eine Be-
gierde nach Ehre und Reichthum verwandelt wer-
den. Dieſe Begierde iſt aber die Mutter aller Unge-
rechtigkeit und folglich alles Ungluͤcks, welches das
menſchliche Geſchlecht druͤcket. Man darf alſo die
Urſache dieſes Ungluͤcks nicht auſſer der Natur des
Menſchen ſuchen.
Alles nun was man wieder das, was ich hier ſage,
einwenden kan, iſt dieſes: Daß entweder der erſte
Menſch die Neigungen, welche ich als eine Quelle un-
ſers Verderbens anſehe, nicht an ſich, oder doch we-
nigſtens die Kraͤfte gehabt habe, dieſelbe in gebuͤhren-
den Schrancken zu halten.
Auf den erſten Einwurf wuͤrde ich antworten:
daß es auf ſolchen Fall unbegreiflich ſey, woher der
Menſch dieſe Neigungen bekommen. Sich ſelbſt
konnte er ſie ſo wenig, als ſeine Wuͤrcklichkeit geben:
Daß ſie ihm aber von dem, der ihn erſchafen, einge-
blaſen worden, kan einer, der mir dieſen Einwurf
macht, nicht ſagen: und von einem andern Dinge,
welches das Geſchoͤpfe der allerhoͤchſten Kraft haͤtte
aͤndern koͤnnen, iſt uns nichts bekannt.
Auf den andern Einwurf iſt dieſes meine Ant-
wort: Daß es nicht minderſchwer zu begreifen, wer
Y y 3dann
[710](o)
dann dem Menſchen dieſe Kraͤfte genommen habe.
Der Menſch iſt ſo erſchafen worden, daß die Erkaͤnnt-
niß ſeines wahren Nutzens ſeinen Begierden zum Ge-
gengewichte gedienet. Jch bekenne dieſes iſt ein herr-
licher Zuſtand: Aber ich begreife nicht, was den Men-
ſchen aus dieſem Gleichgewichte habe bringen koͤn-
nen. Warum iſt er nicht darinn geblieben? Er hat
entweder nicht gewolt, oder nicht gekonnt. Jſt es
das erſte, ſo muß er, weil man ohne einen Bewe-
gungs-Grund nichts wollen oder nicht wollen kan,
eine Neigung in ſich gehabthaben, welche dieſes Nicht
wollen in ihm gewuͤrcket; und dieſes zeigt ſchon eine
Ubermacht der Afecten an. Hat er nicht gekonnt,
ſo iſt es falſch, daß er die Kraͤfte gehabt hat, ſeine Be-
gierden im Zaum zu halten. Spricht man: Er hat
die Kraͤfte gehabt, aber auch zugleich die Freyheit, ſich
derſelben zu bedienen, oder nicht zu bedienen; ſo ſage
ich, daß dieſe Freyheit allen Unterſcheid zwiſchen uns
und dem erſten Menſchen aufhebet. Auch uns zwin-
gen unſere Begierden nicht nothwendig zu Thorhei-
ten. Wir haben noch das Vermoͤgen, dieſelbe ent-
weder durch eine vernuͤnftige Betrachtung unſers
wahren Beſtens, oder durch eine wiedrige Neigung
in ihren Schrancken zu halten.
Uberdem iſt man ſchuldig eine vernuͤnftige Urſa-
che zu geben, warum der erſte Menſch, wenn er eine
gleiche Freyheit gehabt hat, die ihm zu Zaͤhmung ſeiner
Begierden verliehene Kraͤfte zu gebrauchen, oder nicht
zu gebrauchen, dieſelbe lieber nicht gebrauchen, als ge-
brauchen wollen. Ohne Urſache hat er dieſes nicht
gewollt. Er hat es alſo gewollt, weil es ihm beſſer ge-
deucht, ſeinen Begierden zu folgen.
Dieſes
[711](o)
Dieſes zeigt aber, daß ſeine Begierden ſtaͤrcker
geweſen, als die Erkaͤnntniß ſeines wahren Nutzens.
Folglich iſt der erſte Menſch nicht vollkommener ge-
weſen, als wir. Er hat Neigungen gehabt, die ſeiner
Erkaͤnntniß entgegen gelaufen, und dieſe Neigungen
ſind ſo maͤchtig geweſen, daß ſein Verſtand, mit aller
ſeiner Weißheit, dieſelben nicht im Zaum halten koͤn-
nen. Denn, wenn dieſes nicht wahr iſt, ſo wuͤrde er
ſich von ihnen nimmer haben uͤberwaͤltigen laſſen.
Eva haͤtte nicht fallen koͤnnen, wenn der liebliche An-
blick verbotener Frucht, und die ſuͤſſe Vorſtellung
der Luſt, welche ſie ſich aus dem Genuß derſel-
ben verſprach, ihren Willen nicht ſtaͤrcker geruͤhret
haͤtte, als das goͤttliche Verbot, und die Erkaͤnntniß
der Schaͤdlichkeit dieſer Frucht.
Man ſiehet demnach, daß der Menſch nicht ohne
Afecten erſchafen; man ſiehet, daß dieſe Afecten im-
mer mit ſeinem Verſtande im Kriege begrifen gewe-
ſen, und daß dieſer in der alten Welt nicht mehr geſie-
get habe, als ietzo. Hieraus folget nun, daß die Afec-
ten und deren Uebermacht kein Zeichen unſers Falles,
oder einer Veraͤnderung unſers erſten Zuſtandes ſind.
Sie ſind Eigenſchaften unſers Weſens, und ohne ſie
wuͤrden wir nicht ſeyn, was wir ſeyn ſollen. Ein Thier
ohne Begierden will nichts und thut nichts, und iſt al-
ſo weder ſich noch andern nuͤtze. Jch weiß wohl, daß
die, aus dem Weſen des Menſchen ſo nothwendig
flieſſende, Afecten viel boͤſes anrichten koͤnnen: Aber
wenn ſie nicht da waͤren, ſo wuͤrde auch viel Gutes
nachbleiben. Sie ſind uns ſo noͤthig, als den See-
fahrenden der Wind, ob es gleich ausgemacht, daß
derſelbe ihnen oft ſehr nachtheilig iſt.
Y y 4Jch
[712](o)
Jch glaube Ew. Hochwohlgeb. werden aus demje-
nigen, ſo ich bißher geſchrieben, deutlich begreifen, daß
die drey Argumente, welche, zuſammen genommen,
ſo groſſe Dinge ausrichten ſolten, nichts beweiſen,
man mag nun ein jedes vor ſich, oder ſie alle zuſam-
men betrachten. Das folgende, welches §. 37. be-
„findlich, iſt nicht um ein Haar beſſer. Der Hr. Prof.
„Manzel meint, es ſey ein deutliches Zeichen unſers
„verdorbenen Zuſtandes, daß ein jeder etwas eigenes
„beſitzet. Man koͤnne, ſpricht er, ohne dem
„Schoͤpfer zu nahe zu treten, nicht ſagen, daß, GOtt
„dieſes Eigenthum, als die Quelle ſo vieler Laſter,
„gleich anfangs eingefuͤhret habe.
Man ſiehet wohl, daß der Hr. Prof. Manzel
meint, die erſten heiligen und vollkommenen Men-
ſchen haͤtten gelebet, als die erſten Chriſten. Dieſe
waren ein Hertz und eine Seele, und hatten ihre Guͤ-
ter gemein. Wenn dieſes wahr iſt, ſo iſt es freylich ein
Zeichen eines verdorbenen Zuſtandes, daß wir dieſe
Gemeinſchaft aufgehoben haben. Allein zu allem
Ungluͤck hat der Hr. Prof. Manzel dieſe erſte Ge-
meinſchaft aller Guͤter noch nicht bewieſen. Er ſetzt
alſo etwas voraus, das noch unausgemacht,
und in der That falſch iſt.
Denn wenn wir uns den Zuſtand der erſten Men-
ſchen recht vorſtellen, ſo findet ſichs, daß die Einfuͤh-
rung des Eigenthums nimmer eine Aufhebung der,
aus der erſten Vollkommenheit des Menſchen flieſſen-
den, Gemeinſchaft der Guͤter ſeyn koͤnne. Als die Erde
zu erſt mit Menſchen beſetzet ward, war weder Eigen-
thum noch Gemeinſchaft; ſondern die Dinge, welche
auf der Erde waren, gehoͤrten niemand: Sie waren
res
[713](o)
res nullius. Jn dieſem Zuſtande konnten die Sa-
chen unmoͤglich bleiben. Die Menſchen muſten ſich
derjenigen Dinge, ſo ihnen noͤthig waren, bedienen,
und alſo von denen Sachen, die bißhero niemand ge-
hoͤret hatten, einige zueignen. Weil nun ein jeder zu
allen Dingen gleich viel Recht hatte: es aber leicht
geſchehen konnte, und auch wohlunſtreitig geſchahe,
daß ihrer zwey einerley begehrten, ſo konnte es nim-
mer ohne Streit abgehen, ſo lange nicht ausgemacht
war, wem die Sache von rechtswegen zuſtaͤndig ſey.
Nun ſagte die geſunde Vernunft einem jeden, daß
man einem andern nicht thun muͤſſe, was man ſelbſt
nicht gerne hat. Daraus war leicht der Schluß zu
machen, daß eine jede Sache demjenigen zugehoͤren
muͤſſe, der ſich am erſten derſelben bemaͤchtiget. Denn
niemand hat es gerne, daß man ihm dasjenige aus
den Haͤnden reiſſet, was er ſich mit Recht zugeeignet
hat, und als das Seinige anſiehet.
Hieraus ſiehet man, daß das Eigenthum etwas
iſt, das nothwendig entſtehen muͤſſen, falls die
Menſchen nicht in einem beſtaͤndigen Krieg leben
wollen: Und irret ſich der Hr. Prof. ſehr, wann er
meint, das Eigenthum koͤnne nicht, nach der Ab-
ſicht GOttes, gleich zu Anfange der Welt entſtan-
den ſeyn, weil es eine Mutter ſo vieler Laſter, und
eine Quelle ſo vieles Ungluͤcks iſt. Jch habe ſonſt
immer gehoͤrt, daß die Gemeinſchaft eine Mutter
des Zancks ſey. Communio eſt mater litium. Her-
gegen ſagt man, es ſey noͤthig, daß feſt geſtellet ſey,
wem eine jede Sache zuſtaͤndig expedire Reipubli-
cæ ut dominia ſint certa. Und wenn dann gleich
das Eigenthum uͤble Folgen hat; ſo iſt doch gewiß,
Y y 5daß
[714](o)
daß der allgemeine und immerwaͤhrende Krieg, der
dadurch vermieden wird, weit erſchrecklicher iſt, als
alles das Boͤſe, ſo aus der Einfuͤhrung des Eigen-
thums entſtehen kan.
Wolte nun gleich der Hr. Prof. Manzel hierwie-
der einwerfen, eben der verderbliche Streit, dem man
durch die Einfuͤhrung des Eigenthums vorbeugen
muͤſſen, zeige an, daß dieſe Einfuͤhrung eine Noth
vorausſetze, aus welcher zu ſchlieſſen, daß der Menſch
ſeine Vollkommenheit verlohren habe: So wuͤrde
mirs doch an einer Antwort nicht gebrechen. Jch
wuͤrde ſagen; Es ſey zwar unſtreitig, daß die Ein-
ſuͤhrung des Eigenthums eine Unvollkommenheit des
Menſchen zum Grunde habe: indem es freylich beſ-
ſer ſeyn wuͤrde, wenn die Menſchen auf den Beſitz
vieler Dinge, die ſie nicht nothwendig gebrauchen,
nicht ſo erpicht waͤren, als ſie ſind; ſondern als ver-
traute Freunde, unter welchen, nach einem ſehr be-
kannten Sprichwort, alles gemein iſt, mit einan-
der lebten: Es ſey auch ſehr glaublich, daß die er-
ſten Menſchen in ihrer Einfalt und Unſchuld mit we-
nigem zufrieden geweſen, und ſich um den Beſitz der
Dinge, woruͤber wir ietzo ſtreiten, nicht mit einander
gezancket: Es ſey aber noch lange keine Folge, daß
die Unvollkommenheit, auf welche ſich die Nothwen-
digkeit des Eigenthums gruͤndet, mit dem urſpruͤng-
lichen Zuſtande des Menſchlichen Geſchlechts nicht
beſtehen koͤnne: oder daß es noͤthig ſey, zu ſagen, der
erſte Menſch ſey anfaͤnglich, kraft der ihm anerſchafe-
nen Gerechtigkeit und Heiligkeit, ein ſo friedſames
Thier geweſen, als er ſeyn muͤſte, wenn alle Dinge
gemein ſeyn ſolten.
Die
[715](o)
Die Unvollkommenheit iſt eine Eigenſchaft der
Creatur, wie ich ſchon bewieſen habe: und es iſt noth-
wendig, daß unter Creaturen, deren eine jede mit der
Begierde ſich zu erhalten, und, ohne Abſicht auf ih-
re Neben-Geſchoͤpfe, gluͤcklich zu machen, ausgeruͤ-
ſtet iſt, uͤber die hierzu dienlichen Dinge mit der Zeit
ein Streit entſtehe, der nicht anders, als durch einen
Vergleich, der den Beſitz der Dinge gewiß machet,
gehoben werden kan. Wir nehmen dieſen Streit auch
unter Creaturen wahr, die unſtreitig ihre Vollkom-
menheit, darinn ſie erſchafen ſind, nicht verlohren ha-
ben. Zweene Hunde an einem Beine vertragen ſich
ſelten: Niemand ſagt aber darum, daß der erſte Hund
eine Suͤnde begangen habe, daher dieſe Zanckſucht
ſeiner Nachkommen entſtanden ſey.
Und wenn dann gleich, wuͤrde ich ferner ſprechen,
die erſten Menſchen ſich nicht, wie wir ietzo, um den
Beſitz der Dinge gezancket, ſondern gleichſam alles
untereinander gemein gehabt haͤtten, ſo iſt doch dar-
um nicht zu behaupten, daß ſie eine Vollkommen-
heit beſeſſen haben, die nachhero veriohren gegangen.
Sie lebten in einer Einfalt, in welcher eine Creatur,
die ſo jung iſt, und keine Erfahrnng hat, leben muß:
Sie kannten den Gebrauch der meiſten Dinge nicht,
und wuſten nicht, was es ſey, vor den andern Morgen
zu ſorgen, weil ihnen das, was man Noth und Man-
gel heißt, noch unbekannt war. Jhrer waren ſo we-
nig, daß ſie nicht beſorgen durften, die Fruͤchte der Er-
de moͤchten nicht zureichen, ſie alle zu ernehren: Sie
kannten ſich alle, und lebten alſo in einer groͤſſern
Freundſchaft und Vertraulichkeit, als ietzo die Men-
ſchen leben koͤnnen. Man ſiehet leicht, daß dieſes al-
les
[716](o)
les Umſtaͤnde geweſen ſind, die nothwendig mit der
Zeit verſchwinden muͤſſen; und da nun ihre Ver-
gnuͤglichkeit und Friedfertigkeit ſich auf dieſe Um-
ſtaͤnde gegruͤndet hat; ſo iſt gleichfals klar, daß dieſe
herrliche Eigenſchaften ſich nothwendig verliehren,
und ſo wie die Welt ſich gemehret, und, zu ihrem eige-
nen Schaden, kluͤger worden, Gierigkeit und Zanck
entſtehen muͤſſen.
Die Wahrheit deſſen, was ich ſage, faͤllt, deucht
mich, ſo ſehr in die Sinne, daß ich nicht einmahl
vor noͤthig halte, mich auf die wilden Voͤlcker zu be-
rufen, unter welchen der Streit demeo \& tuo, ſo ſel-
ten iſt, als er immer in der erſten Welt geweſen ſeyn
mag. Zum deutlichen Beweiß, daß die Einfuͤhrung
des Eigenthums nicht aus dem Verluſt einer erdich-
teten Vollkommenheit herruͤhre: indem es noch
Voͤlcker giebt, die ſo leben als der Hr. Prof. Manzel
meint, daß die erſten Menſchen gelebet haben.
Wann nun Ew. Hochwohlgeb. aus dem, was ich
bißher geſchriebẽ habe, ſehen, wie wenig die Vernunft
von der urſpruͤnglichen Vollkommenheit des Men-
ſchen wiſſe, aus welcher der Hr. Prof. Manzel ſein ei-
gentlich ſo genanntes Recht der Natur herleiten will,
ſo werden Sie ſich unſtreitig wundern, daß ſich der
Hr. Pr. kein Gewiſſen macht (§. 38.) zu ſagen, er habe
mit unumſtoͤßlichen Gruͤnden dargethan, daß der
Menſch dieſe Vollkommenheit verlohren habe, und
in einem Zuſtande lebe, der von dem Zuſtande, in
welchem ſich der erſte Menſch befunden, gantz unter-
ſchieden iſt.
Denn ob man ihm zwar leicht zugeben kan, daß
die erſten Menſchen nicht ſo arg geweſen ſind, als wir;
ſo
[717](o)
ſo folget doch nicht daraus, daß ihre Unſchuld ſich auf
eine Vollkommenheit ihrer Natur gegruͤndet habe,
die hernach durch einen gewaltſamen Zufall verloh-
ren. Jch habe gewieſen, daß ſie dieſelbe gewiſſen Um-
ſtaͤnden zu dancken gehabt, die ſich nohtwendig ver-
liehren muͤſſen. Daß wir demnach ietzo in einem an-
dern Zuſtande leben, als unſere erſte Eltern, das iſt ein
Zeichen, daß ſich die Umſtaͤnde geaͤndert haben; nicht
aber, daß durch ein Verſehen derſelben eine Veraͤnde-
rung in unſerer Natur vorgegangen ſey. Dieſes haͤtte
der Hr. Prof. Manzel beweiſen ſollen: Da er es nun
nicht gethan hat, ſo faͤllt ſein gantz Syſtema Juris Na-
turæ verè talis uͤbern Haufen; ſeine gantze Beſchrei-
bung des Zuſtandes, in welchem der erſte Menſch ſich
befunden haben ſoll, faſſet Dinge in ſich, davon die
Vernunft nichts weiß: Sie ſiehet einer platoniſchen
Republick ſehr aͤhnlich, und iſt alſo gar nicht geſchickt,
ein Eckſtein des Rechts der Natur zu ſeyn.
Der Hr. Prof. Manzel haͤtte alſo, der Muͤhe uͤber-
hoben ſeyn koͤnnen, welche er auf die Einrichtung ſei-
ner Novæ, oder vielmehr Antiquæ Atlantidis gewen-
det hat, und wuͤrde mich inſonderheit ihm ſehr verbun-
den haben, wenn er nur mit ein paar Worten gemel-
det haͤtte, warum Er davor haͤlt, daß es noͤthig ſey, die
Augen auf den verlohrnen Stand der Unſchuld zu
richten, und aus demſelben die Saͤtze des wahren
Rechts der Natur herzuleiten. Je mehr ich darauf
ſinne, je weniger begreife ich, was ihn bewogen, die
Verbeſſerung des Rechts der Natur auf dieſe Art
anzugreifen.
Er verdenckt es ja (§. 12.) dem ſeel. Alberti, daß er
den
[718](o)
den Stand der Unſchuld, ſo wie er uns in der Schrift
beſchrieben wird, zum Grunde des Rechts der Natur
geleget hat: Vielleicht weil nicht alle Menſchen die
Schrift annehmen, oder weil es uͤbel ſtehet, die Ofen-
bahrung in die Weltweißheit zu mengen: Aber war-
um legt er dann in ſeinem Siſtemate Juris Naturæ
ſeine eigene, und guten Theils unwahrſcheinliche,
Muthmaſſungen zum Grunde? Mich deucht, der un-
ſtreitig wahre Bericht eines von GOTT getriebenen
Mannes iſt allen, auch den wahrſcheinlichſten Einfaͤl-
len, die wir, nach unſerer Vernunft, vom Zuſtande des
erſten Menſchen haben koͤnnen, weit vorzuziehen.
Wird er gleich von den Heyden nicht als goͤttlich
angenommen, ſo gilt er doch bey Chriſten: Da her-
gegen die Vernunft eines Chriſten ſo wohl, als eines
Heiden und Tuͤrcken wieder die Muthmaſſungen des
Hn. Manzels ſehr vieles einzuwenden hat. Haͤlt er
aber darum die albertiſche Methode vor ungereimt,
weil dadurch die Ofenbahrung in die Weltweißheit
gemiſchet wird, ſo haͤtte er ſich dieſer Vermi-
ſchung auch enthalten ſollen. Allein wie oft faſſet er
nicht die Hoͤrner des Altars?
Es mag indeſſen der Hr. Prof. Manzel von dem
guten Alberti ſo weit entfernet ſeyn, als er immer will:
Er mag ſeinen Stand der Unſchuld aus der Schrift
oder aus der Vernunft erweiſen: So ſehe ich doch
nicht, was er in dem Stande der Unſchuld vor ein be-
ſonders Jus Naturæ finden will, oder was uns dieſes
Jus Naturæ, falls er eines findet, helfen ſoll. Jch will
hier nicht wiederhohlen, was ich ſchon von dem Zu-
ſtande des erſten Menſchen geſchrieben habe. Jch ha-
be gewieſen, daß derſelbe von unſerm heutigen
Zuſtan-
[719](o)
Zuſtande durch nichts, als einige, die Natur des
Menſchen nicht angehende, Umſtaͤnde unterſchieden
geweſen. Daraus folget, daß ihre Grund-Saͤtze
des Rechts der Natur eben diejenigen geweſen ſind,
die wir noch haben.
Allein, ich will darauf nicht ſo ſehr dringen. Der
Hr. Prof. mag apodicticé, wie er ſich ruͤhmet, aus
der Vernunft bewieſen haben, daß der erſte Menſch in
einer groͤſſern Vollkommenheit gelebet habe, als wir:
Das wird er mir doch zugeben, daß dieſe vollkom-
mene, heilige, unſchuldige Creatur eine Begierde ge-
habt, lange und gluͤcklich zu leben. Hieraus flieſſet
nun, daß der erſte Menſch geglaubet hat, er ſey ſchul-
dig dasjenige zu thun, was zu ſeiner Erhaltung und
Gluͤckſeeligkeit noͤthig. Dieſes iſt aber der Grund-
Satz des Rechts der Natur, und die Quelle aller
moraliſchen Wahrheiten.
Ew. Hochwohlgeb. ſehen alſo, daß der erſte
Menſch ſo wenig ein eigenes Jus Naturæ, als ein von
dem unſern unterſchiedenes Einmal eins haben koͤn-
nen. Er mag ſo vollkommen geweſen ſeyn, als er will;
ſo bleiben doch die moraliſchen Wahrheiten ſo wohl,
als die Natur der Zahlen, ewig und unveraͤnderlich.
Jch weiß wohl, daß die Schluͤſſe, welche der erſte
Menſch, zu ſeiner Nothdurft, aus den allgemeinen
moraliſchen Wahrheiten gezogen hat, nicht eben
diejenigen ſeyn koͤnnen, die wir, nach den Um-
ſtaͤnden, in welchen wir uns befinden, daraus zie-
hen; wenn ſein Zuſtand von dem unſerm ſo ſehr
unterſchieden geweſen iſt, als der Herr Prof. vor-
giebt: Allein auch die Pflichten der Eltern
ſind von den Pflichten der Kinder unterſchie-
den,
[720](o)
den, und der Herr muß aus dem Grund-Satz des
Rechts der Natur gantz andere Folgen ziehen, als der
Knecht. Wer hat ihm aber jemahlen traͤumen laſſen,
daß die Eltern, und Herren ein ander Jus Naturæ
haͤtten, als die Kinder und Knechte?
Die unterſchiedene Anwendung einer Regel ver-
aͤndert die Natur derſelben nicht. Jch kan nach einem
Linial, perpendicular und horizontal Linien ziehen.
Die Linien ſind unterſchieden, aber das Linial bleibt
unveraͤndert. Mit den allgemeinen Grund-Saͤtzen
des natuͤrlichen Rechts verhaͤlt es ſich nicht anders:
Sie bleiben unwandelbahr, ob gleich ihre Anwen-
dung nach den Umſtaͤnden ſich aͤndert.
Der Hr. Prof. Manzel wird alſo aus dem erſten
Zuſtande des Menſchen kein beſonderes Recht der
Natur erzwingen koͤnnen, wie ſauer er ſichs auch wer-
den laͤſſet. Die Betrachtung dieſes gluͤckſeeligen
Zuſtandes, welche er anſtellet, gehoͤret nicht zum
Recht der Natur: Sie kan nichts zur Verbeſſerung
dieſer edlen Wiſſenſchaft beytragen, und iſt, wenns
hoch kommt, nichts, als eine kleine Einleitung in die
paradiſiſchen Alterthuͤmer. Nun wuͤrde man Ur-
ſache haben, ihm vor die genommene Muͤhe zu dan-
cken, wenn er nur was gewiſſes und gruͤndliches, oder
wenigſtens nur wahrſcheinliches vorgebracht haͤtte:
Allein ſo giebt es der Augenſchein, daß faſt alles, was
er ſagt, ungegruͤndet und unwahrſcheinlich, und zum
wenigſten aus der bloſſen Vernunft nicht zu erweiſen
ſey.
Wenn Ew. Hochwohlgeb. nur das, was ich
ſchon von dem Stande der Unſchuld geſchrieben habe,
mit Bedacht leſen, ſo werden Sie mir dieſes leicht
glauben:
[721](o)
glauben: Allein ich will noch zum Ueberfluß die Abbil-
dung des erſten Menſchen unterſuchen, aus welcher
der Hr. Prof. Manzel die Grund Saͤtze ſeines wah-
ren und aͤchten Juris Naturæ herleiten will, und ſolte
mein Brief gleich noch einmahl ſo lang werden, als
er ſchon iſt Jch frage wenig darnach, ob Jhnen meine
Weitlaͤuftigkeit angenehm, oder zu wieder iſt. Denn
gefaͤllt ſie Jhnen, ſo iſt es mir lieb: Gefaͤllt ſie Jhnen
nicht, ſo werde ich mich auch nicht ſonderlich graͤmen;
weil ich dadurch Ew. Hochwohlgeb. abhalte, mich
auf ein andermahl, nach dem Rechte, ſo Jhnen unſere
Freundſchaft giebt, zu einer ſolchen Arbeit zu verdam-
men, als Sie mir ietzo auferlegt haben. Jch ſchreite,
zur Sache.
„Der Hr. Prof. Manzel ſagt §. 40. Die erſten„
Menſchen haͤtten einen reinen Verſtand (intellec-„
tus fuit purus) und eine vollkommene Erkaͤnntniß„
der natuͤrlichen und moraliſchen Dingen gehabt.„
Dieſer Verſtand und dieſe Erkaͤnntniß waͤre bey al-„
len Menſchen gleich geweſen (in omnibus indivi-„
duis accuraté æqualis): Doch mit dem Unter-„
ſcheid, ob einer ſeine Jahre erreichet gehabt, oder„
nicht. Denn von der erſten Zeit nach der Geburth an„
habe ſich freylich der Verſtand ſchon ſehen laſſen,„
und zwar in dem Gꝛad, als zu der damahligen Erhal-„
tung des Menſchen noͤthig geweſen (imo in eo gra-„
du, qualis ad conſervationem pro tempore neceſ.„
ſarius fuit): Mit den Jahren aber ſey er ſtaͤrcker„
worden. Die Alten haͤtten auch in dieſem Stuͤcke vor„
den Jungen den Vorzug gehabt, daß ſie durch die„
Erfahrung, und vieleicht auch durch Ofen-„
bahrungen, eine groͤſſere Wiſſenſchaft erlanget
Z z(quod
[722](o)
„(quod experientia \& factis, quorum memoria ip-
ſis conſtitit, imo forte reuelatione magis inclarue-
runt).
Jch habe hiebey folgendes zu erinnern.
I. Hr. Prof. Manzel eignet den erſten Men-
ſchen einen reinen Verſtand zu. Ein reiner Verſtand
(intellectus purus) iſt von den Sinnen und der
Einbildungs-Kraft gaͤntzlich abgeſondert. Er findet
ſich alſo nur bey Leuten, die eine deutliche Erkaͤnntniß
aller Dinge beſitzen, und mit nichts, als allgemeinen
Begrifen zu thun haben. Da man nun zu allgemei-
nen Begrifen nicht anders, als durch die Betrach-
tung eintzeler Dinge gelangen kan: So folget, daß
der erſte Menſch nicht mit einem reinen Verſtand er-
ſchafen worden.
Dieſer Einwurflaͤßt ſich nicht, wie man vieleicht
dencken moͤchte, durch den Unterſcheid unter dem
Menſchen vor, und nach dem Fall, heben: Denn, zu ge-
ſchweigen daß dieſer Fall noch nicht erwieſen, ſo iſt es
noch nicht ausgemacht, ob es vor dem Fall moͤglicher
geweſen, als nach demſelben, einer Creatur, die nie-
mahlen eintzele Dinge geſehen, oder empfunden hat,
allgemeine Begrife mitzutheilen. Jch kan die
Moͤglichkeit dieſer Mittheilung nicht begreifen.
Denn entweder muͤſte GOtt dem erſten Menſchen
die allgemeinen Begrife gleich Anfangs eingepreget,
und ſeinen Verſtand ſo eingerichtet haben, daß er
nichts anders als lauter Univerſalia dencken koͤn-
nen: Oder er muͤſte ihm die allgemeinen Begrife nach
ſeiner Schoͤpfung ofenbahret haben. Beydes gehet
nicht an.
Denn haͤtte GOtt den Verſtand des Menſchen
ſo,
[723](o)
ſo, wie ich ſage, eingerichtet; ſo haͤtte er denſelben nicht
an die Materie knuͤpfen, und den Menſchen mit den
Sinnen und der Einbildungs-Kraft begaben durfen.
Folglich waͤre der erſte Menſch kein Menſch, ſondern
ein bloſſer Geiſt geweſen. Durch eine beſondere Of-
fenbahrung koͤnnen auch die allgemeine Begrife in
dem Menſchen nicht entſtanden ſeyn: Weil alle Ofen-
bahrung eine Faͤhigkeit dieſelbe zu verſtehen, in demje-
nigen, dem ſie geſchiehet, zum Grunde hat. Durch die
Ofenbahrung allgemeiner Begrife kan ich aber in
dem Veꝛſtande eines Menſchen, der niemahlen eintzele
Dinge geſehen, und betrachtet hat, nicht den gering-
ſten Begrif erwecken. Folglich wuͤrde eine ſolche Of-
fenbahrung unnuͤtze ſeyn; weil ſie demjenigen, der da-
durch unterrichtet werden ſoll, unverſtaͤndlich. Glau-
ben Ew. Hochwohlgeb., daß GOtt, durch ſeine All-
macht, einem blind gebohrnen einen klaren und deut-
lichen Begrif der Farben mittheilen koͤnne? Jch den-
cke es nicht: Oder Sie muͤſſen auch glauben, GOtt
koͤnne machen, daß wir den Schall riechen, und durch
das Gehoͤr Teufels-Dreck von Ambra unterſcheiden
koͤnnen.
Da es nun unbegreiflich iſt, wie eine aus Geiſt und
Materie beſtehende Creatur, anders, als ietzo zu allge-
meinen Begrifen gelangen koͤnne; unbegreifliche Saͤ-
tze aber in der Welt-Weißheit keinen Platz finden, es
ſey dann, daß die Erfahrung uns noͤthige, eine Sache,
die wir nicht begreifen, als wahr anzunehmen: So
handelt der Hr. Prof. Manzel nicht, als ein Weltwei-
ſer, wañ er in einer philoſophiſchen Schrift einen un-
begreiflichen Satz als eine unſtreitige Wahrheit vor-
ausſetzet, von deſſen Wahrheit er durch die Erfah-
rung nicht uͤberſuͤhret iſt.
Z z 2II.
[724](o)
II. Spricht nun der Hr. Prof. Manzel; der er-
ſte Menſch habe freylich dieſen reinen Verſtand nicht
mit auf die Welt gebracht, ſondern, wie wir ietzo,
durch den Gebrauch ſeiner Sinnen ſich einen Begrif
der eintzelen Dinge, und, aus deren Zuſammenhal-
tung, allgemeine zu wege bringen muͤſſen: Allein er ha-
be doch eine beſondere Faͤhigkeit gehabt, ſeinen Ver-
ſtand von dem Joche der Sinnen, und der Einbil-
dungs-Kraft loß zureiſſen: So frage ich ihn: Ob dann
der Unterſcheid unter uns, und dem erſten Menſchen
ſo groß iſt, als er ihn machet? Ob der erſte Menſch
alſo nicht in eben ſo groſſer Gefahr geweſen, zu irren,
als wir? Ob alſo der Menſch ſo vollkommen erſchaf-
fen worden, als der Hr. Prof. vorgiebt? Ob der Hr.
Prof. ſich wohl getraue, dieſe Faͤhigkeit, welche er dem
erſten Menſchen beyleget, aus der Vernunft darzu-
thun? Ob es wohl glaublich, daß GOtt den erſten
Menſchen mit einer ſonderlichen Faͤhigkeit, ſeinen
Verſtand von aller Gemeinſchaft mit den Sinnen
und der Einbildungs-Kraft abzuſondern, erſchafen
habe; da doch augenſcheinlich iſt, daß eine ſolche Rei-
nigkeit des Verſtandes gar nichts zu unſerer wahren
Gluͤckſeeligkeit beytragen kan? Ob Er wohl glaube,
daß der erſte Menſch zu einer Zeit, da er genug zu thun
hatte, die eintzelen Dinge kennen zu lernen, ſich um
allgemeine Begrife bekuͤmmert habe? Ob es nicht
vielmehꝛ eine Schwachheit, als eine Vollkommenheit
anzeige, wenn man ſich mehr um ſubtile und unnuͤtze
Grillen, als um einfaͤltige, und dabey heilſame War-
heiten bekuͤmmert? Und ob es alſo nicht glaublicher
ſey, daß der Menſch in dem Stande der Unſchuld mit
klaren Begrifen zufrieden geweſen, als daß er ſich um
eine
[725](o)
eine metaphyſiſche Deutlichkeit derſelben den Kopf
zerbrochen habe?
III. Der Hr. Prof. Manzel legt den erſten
Menſchen eine vollkommene Erkaͤnntniß aller na-
tuͤrlichen und moraliſchen Dinge bey. Dieſes aber
deucht mich ein Satz zu ſeyn, der eben ſo unbe-
greiflich iſt, als daß ſie einen reinen Verſtand ſol-
ten gehabt haben.
Jch habe ſchon gewieſen, daß der erſte Menſch kei-
nen andern Weg gehabt, zur Erkaͤnntniß zu gelan-
gen, als wir. Nihil eſt in intellectu, quod non antea
fuerit in ſenſu iſt ein Satz, der zu allen Zeiten wahr
geweſen. Es hat alſo der erſte Menſch nichts kennen
koͤnnen, als was er geſehen, und wohl betrachtet hatte.
Da es nun unmoͤglich iſt, daß der erſte Menſch alle
Geſchoͤpfe auf einmahl ſehen und betrachten koͤnnen;
Und hergegen ſehr wahrſcheinlich, daß ihm noch viele
Dinge unbekannt ſeyn wuͤrden, wenn er gleich noch
lebte; ſo hat er unmoͤglich eine vollkommene Erkaͤnnt-
niß aller natuͤrlichen Dinge haben koͤnnen.
Zu dem iſt es ſehr glaublich, daß ſich der erſte
Menſch um eine ſo weitlaͤuſtige Wiſſenſchaft keine
ſonderliche Muͤhe gegeben habe. Man ſtelle ſich ein-
mahl den Zuſtand einer Creatur vor, die, ohne zu wiſ-
ſen, wie ihr geſchicht, ſich ploͤtzlich unter einer Menge
von Dingen ſiehet, deren jedes ihr neu und unbekannt
iſt, und ſage mir dann, ob man wohl anders dencken
koͤnne, als daß dieſe Creatur das gantze Welt Gebaͤu-
de, wie die Kuh das neue Thor, angeſehen habe. Der
Hunger und der Durſt machten, daß ſie endlich zu-
grif, und nach dem Trieb, der ihr gegeben war, einige
von den ihr voꝛkommenden Dingen zu ihrer Nahrung
Z z 3ge-
[726](o)
gebrauchte. Es iſt gar wahrſcheinlich, daß dieſe Sa-
chen unter allen natuͤrlichen Dingen die erſten gewe-
ſen ſind, die der Menſch hat kennen gelernet: Aber
doch nicht weiter, als daß er gewuſt, wozu ſie nuͤtze.
Jch glaube auch nicht, daß er ſich den Kopf uͤber ihren
Urſprung, und uͤber ihre innerliche Beſchafenheit zer-
brochen habe; Und um die Erkaͤñtniß der andern Din-
ge hat er ſich gar nicht bekuͤmmert. Man kan, deucht
mich, von ihm eben das ſagen, was Ennius beym Ci-
cero (24) von Epicurus ſagt:
optimum judicat, cœli palatum non ſuſpexit:’
Denn es iſt vermuthlich eine gute Zeit, nach der Er-
ſchafung der Welt, verſtrichen, ehe der Menſch ſein os
ſublime, womit er ſich breit macht, zu den Sternen er-
hoben hat, um ihre Natur zu erforſchen. Es war ihm
gleich viel, ob die Sonne, oder die Erde umgieng. Er
war zu frieden, daß ihm jene Licht und Waͤrme,
und dieſe die noͤthigen Lebens Mittel gab. Er war
alſo ein ſchlechter Sternkuͤndiger, und ich glaube,
der Hr. Prof. Manzel wuͤrde ſelbſt uͤber die Einfalt
des erſten Menſchen lachen, wenn er wuͤſte, was der-
ſelbe ſich vor kindiſche Begrife von allen Dingen
gemacht hat.
Man thut demnach kluͤger, wenn man es den Rab-
binen uͤberlaͤſſet, von ihrem Adam die unglaublich-
ſten Dinge zu erzehlen. Dieſen ſtehet es wohl an,
wenn ſie vorgeben, Adam habe auch die Engel an
Wiſſenſchaft uͤbertrofen, und dieſe weiſe Creaturen,
die anfaͤnglich, da GOtt ſie uͤber die Erſchafung des
Menſchen zu Rathe gezogen, gar veraͤchtlich von dem-
ſelben
[727](o)
ſelben geredet, einmahl heßlich beſchaͤmet; indem er
alle Thiere mit ihrem rechten Nahmen zu nennen ge-
wuſt; welches den Engeln unmoͤglich geweſen; Ja
die Frage, wie dann er ſelbſt, und GOtt heiſſe
gar fein beantwortet, und dieſen letzten Jehovah
betittelt. (25)
Wir Chriſten lachen uͤber ſolche Fratzen, weil
uns unſere Vernunft ſo wohl, als die Ofenbahrung
nichts von dieſer unglaublichen Weißheit des erſten
Menſchen lehret. Selbſt in der Ofenbahrung fin-
den wir Spuren ſeiner Einfalt. Denn ſo berichtet uns
Moſes, daß Adam, nachdem er vom verbotenen
Baum gegeſſen, ſo dumm geweſen, daß er ſich mit ſei-
ner Even vor GOtt verſtecken wollen. Er muß alſo
ſaubere Begrife von der GOttheit gehabt haben.
Jch ſehe vorher, daß Ew. Hochwohlgeb. den-
cken werden, dieſes ſey nach dem Fall geſchehen, und
man muͤſſe ſich demnach uͤber dieſe Einfalt nicht wun-
dern, weil der Menſch durch den Fall ſeine ihm aner-
ſchafene Weißheit verlohren. Um Jhnen nun die-
ſen Scrupel zu benehmen, ſo mache ich folgende An-
merckung.
IV. Es iſt unbegreiflich, wie der erſte Menſch,
falls er mit ſo vollkommener Weißheit ausgeruͤſtet
geweſen, dieſe Weißheit durch eine Uebertretung
eines goͤttlichen Geſetzes habe verliehren koͤnnen. Es
muͤſte dieſer Verluſt entweder eine Folge der Ueber-
tretung, oder eine willkuͤhrliche Strafe des erzuͤrne-
ten GOttes ſeyn.
Das erſte wolte ich glauben, wenn ich nur ein
Z z 4Ver-
[728](o)
Verbrechen erdencken koͤnnte, das eine ſolche Veraͤn-
derung in dem menſchlichen Verſtande zu wuͤrcken
faͤhig waͤre. Wir koͤnnen durch unſer Verſehen die
Kraͤfte unſers Coͤrpers ſchwaͤchen; wir koͤnnen unſern
Willen verderben, und zu allerhand Laſtern gewoͤh-
nen; wiꝛ koͤnnen auch durch eine unordentliche Lebens-
Art die Kraͤfte unſers Verſtandes ſo weit unterdru-
cken, daß wir dieſelbe nicht mehr ſo, als vor dem ge-
brauchen koͤnnen: Allein daß durch ein eintziges Ver-
ſehen die Begrife, die wir von allen Dingen haben,
gaͤntzlich ſolten koͤnnen ausgeloͤſchet werden, und das
ploͤtzlich, das iſt etwas, ſo ich nicht verſtehe.
Was ich einmahl vollkommen weiß, das kan ich
unmoͤglich in einem Augenblick vergeſſen, und wenn
ich gleich wolte. Meine Begierden koͤnnen meine
Vernunft dergeſtalt benebeln, daß ich zu der Zeit,
wann ſie am unbaͤndigſten ſind, nichts erkennen kan,
als was mit ihnen uͤberein koͤmmet: Aber ſie verwir-
ren mein Gehirn niemahlen dergeſtalt, daß ich auch
diejenige Erkaͤnntniß, die ihnen nicht entgegen iſt,
verliehren ſolte.
Man mache demnach das Verbrechen des erſten
Menſchen ſo groß, als man immer will: Man gebe
ihm eine Boßheit Schuld, die noch ſo entſetzlich iſt, ſo
wird man doch dadurch nicht begꝛeiflich machen, war-
um er z. e. in einem Augenblick ſolte vergeſſen haben,
woher es komme, daß der Magnet das Eiſen an ſich
ziehet. Dieſe Erkaͤnntniß, welche er nach der Mei-
nung des Hrn. Prof. Manzels gehabt haben muß,
haͤtte gar fuͤglich mit der groͤßſten Boßheit beſtehen
koͤnnen.
Wir ſehen daß Geiſtliche huren und ſaufen: des-
falls
[729](o)
falls aber vergeſſen ſie ihren Koͤnig nicht: Sie werden
dadurch nicht ungeſchickter, aufs ſchaͤrfſte wieder die
Ketzer zu diſputiren. Es kan kommen daß ein Prie-
ſter, weil er etwan den Rauſch noch nicht voͤllig aus-
geſchlafen hat, das unrechte Evangelium ablieſet: A-
ber niemahlen wird er voͤllig vergeſſen, welches Evan-
gelium auf dieſen und welches auf jenen Sonntag zu
erklaͤren verordnet iſt. Ein Rechen-Meiſter kan ſich
voll ſaufen, und zu der Zeit, wann er beſofen iſt, die
aͤrgſten Schnitzer machen. Aber er vergißt darum
ſein Einmahl eins nicht. Der erſte Menſch aber hat
durch den ſchaͤdlichen Apfel-Biß auch die Wiſſen-
ſchaft der Algebra, einer Weißheit, die auch in boß-
hafte Seelen koͤmmt, verlohren. Wer es faſſen mag,
der faſſe es.
Jch begreife nicht, wie dieſes ohne ein Wunder-
werck hat geſchehen koͤnnen. Darum aber moͤchte
ich doch nicht ſagen, daß der Verluſt unſerer aner-
ſchafenen Weißheit eine Goͤttliche Strafe ſey. Denn
es iſt nicht wahrſcheinlich, daß GOTT dem gefalle-
nen Menſchen, dem er, wie grauſam er ſich auch ſtelle-
te, dennoch immer ziemlich gewogen blieb, die Er-
kaͤnntniß ſo vieler nuͤtzlichen Wahrheiten, ja die heil-
ſamſten Begrife von der Gottheit ſelbſt, ohne welche
niemand gluͤcklich werden kan, ſolte genommen ha-
ben. Seine Gerechtigkeit erforderte Rache, und trieb
ihn an den Menſchen zu ſtrafen: Aber ſeine Guͤte und
Weißheit hieß ihn doch auch mit dieſer Strafe mehr
des Menſchen Beſſerung, als deſſen Verderben zu ſu-
chen. Dieſes aber waͤre nicht geſchehen, wenn GOtt
den Menſchen der vollkom̃nen Erkaͤnntniß nuͤtzlicher
und ſchaͤdlicher Dinge, ja des Weſens und Willen
Z z 5GOt-
[730](o)
GOttes ſelbſt, mit Gewalt beraubet, und ihn alſo
in die ſchaͤdlichſte Unwiſſenheit geſetzet haͤtte. Wer
dieſes mit den Eigenſchaften eines hoͤchſt-gerechten,
guͤtigen und weiſen Weſens reimen kan, der muß
ſehr kuͤnſtlich ſeyn.
Jch getraue es mir nicht, und will daher lieber
ſagen, daß, wenn der Menſch die unbegreifliche
Weißheit, welche man ihm beyleget, vor dem Fall
gehabt haͤtte, GOtt ihm dieſelbe auch nach dem Fall
wohl wuͤrde gelaſſen haben.
Eben dieſes kan ich mit noch mehrerm Fug von
der Erkaͤnntniß der moraliſchen Wahrheiten ſagen:
weil ſie die nuͤtzlichſte iſt. Wiewohl ich nicht begreife,
was eine Ereatur, die ihrer Natur nach, das nuͤtzli-
che begehret, und das, was ihr ſchaͤdlich iſt, fliehet,
auſſer dieſem natuͤrlichen Trieb, vor ſonderbahre mo-
raliſche Weißheit habe beſitzen koͤnnen.
V. Der Hr. Prof. Manzel ſagt ferner der reine
und vollkommene Verſtand der erſten Menſchen, ſey
bey allen vollkom̃en gleich geweſen. Er ſchlieſſet recht:
Denn der GOtt, der, wie wir ſchon von ihm gelernet
haben, in Kleinigkeiten, und z. E. in der aͤuſſerlichen
Bildung und Statur des Menſchen die genaueſte
Gleichheit beobachtet hat, der wird in wichtigern
Dingen nicht weniger auf eine Gleichheit geſehen ha-
ben: Allein er wiederſpricht ſich gleich, und ſtoͤſſet nicht
allein das, was er hier ſagt, ſondern auch das ſchoͤne
Argument, das er von der ungleichen Statur der
Menſchen hergenommen hat, uͤbern Haufen, wann
er fortfaͤhret, und ſchreibt; es ſey zwiſchen dem Ver-
ſtande der Kinder und erwachſenen Leute, der Alten
und der Jungen ein Unterſcheid geweſen. Mich deucht,
er
[731](o)
er hebt dadurch die Gleichheit unter ſeinen vollkom-
menen Geſchoͤpfen auf: Denn ein Verſtand, der in
Anſehung des Alters inæqualis iſt, der kan nicht in
omnibus individuis accuratè æqualis ſeyn: Weil
ein kleines und junges individuum auch ein indivi-
duum iſt. Doch ich will mich bey dieſem Wieder-
ſpruch nicht aufhalten. Nur moͤchte ich wiſſen, was
den Hrn Prof. bewogen hat, unter Alten und Jun-
gen, Kindern und Erwachſenen, in Anſehung der
Wiſſenſchaft, einen Unterſcheid zu zugeben. Jſt es
ihm etwan unbegreiflich vorgekommen, wie ein neu-
gebohrnes Kind ſo groſſe Weißheit beſitzen koͤnnen,
als er dem erſten Menſchen beyleget? Allein ſo haͤtte er
auch bedencken ſollen, daß es nicht weniger unbegreif-
lich, wie der erſte Menſch gleich nach ſeiner Schoͤpfung
ſo klug ſeyn koͤnnen, als er ihn machet. Jch finde unter
dem erſten Menſchen, und ſeinem erſtgebohrnen Sohn
keinen Unterſcheid, als in Anſehung der Groͤſſe des Coͤr-
pers. Den Verſtand, welchen man alſo jenem beyle-
get den kan man dieſem nicht abſprechen. Das Ge-
wicht des Coͤrpers thut zur Vollkommenheit unſers
Verſtandes nichts: Und wenn der erſte Menſch gleich,
wie die Talmudiſten vorgeben, ſo groß geweſen waͤre,
daß er von einem Ende der Welt biß zum andern ge-
reichet: (26) So wird er doch dadurch nicht ge-
ſchickter, als ſein Sohn eine vollkommmene Wiſ-
ſenſchaft aller Dinge zu haben. Sie waren beyde
jung und fremde in der Welt. GOtt, wenn er
vollkommene Menſchen machen wollen, hat
keine Urſache gehabt, den Sohn unvollkomme-
ner zu machen, als den Vater: Und es iſt auch
nicht glaublich, daß er die erſte Frucht der Len-
den
[732](o)
den des erſten Menſchen ſo gleich dergeſtalt wird ha-
ben aus der Art ſchlagen laſſen, als der Hr. Prof. Man-
zel meint. Nach dem Begrif, den er von den Kin-
dern der erſten Menſchen hat, iſt unter denſelben und
den unſrigen gar kein Unterſcheid. Wer kan das a-
ber glauben, wenn er des Hrn. Prof. Schrift geleſen?
Ja wer wird ſich nicht vielmehr einbilden, daß, wenn
der erſte Menſch ſo heilig, ſo unſchuldig, ſo vollkom-
men erſchafen geweſen, dieſe Heiligkeit, Unſchuld und
Vollkommenheit auf ſeine Erben und Erbnehmen
eben ſo wohl, als nach dem Fall das Verderben wuͤr-
de fortgepflantzet ſeyn? Denn wenn man dieſes nicht
glaubet, ſo iſt es ofenbahr, daß die anerſchafene Voll-
kommenheit des erſten Menſchen nach und nach, oh-
ne allen gewaltſamen Zufall, von ſich ſelbſt verſchwin-
den muͤſſen, und kaum biß ins dritte und vierdte Glied
dauren koͤnnen.
Jch halte vor unnoͤthig, Ew. Hochwohlgeb. die
Wahrheiten dieſer Folge weitlaͤuftig darzuthun;
ich ſage nur, daß der Hr. Prof. Manzel ſeine Ge-
dancken nicht wohl zuſammen haͤnget, und durch
den Unterſcheid, welchen er unter Kindern und er-
wachſenen Perſonen im Stande der Unſchuld zu-
laͤßt, ſelbſt ein Loch in ſeinem Syſtemate machet.
Dieſes wird noch klaͤrer, wenn man erweget,
daß er ſagt, die Alten haͤtten die Jungen an Er-
fahrung uͤbertrofen. Denn daraus kan man ſe-
hen, daß er glaubt, die erſten Menſchen waͤren
durch die Erfahrunng klug geworden. Von den
Jungen iſt dieſes ausgemacht, und da die Alten
auch einmahl iung geweſen, ſo iſt kein Zweifel, daß
eine Zeit geweſen, da ihnen noch vieles gemangelt.
Wie
[733](o)
Wie kan dieſes aber mit der vollkommenen Er-
kaͤnntniß aller Dinge beſtehen, die der erſte Menſch
beſeſſen haben ſoll.
Auch wir werden durch die Erfahrung klug.
Wo bleibt alſo der Unterſcheid zwiſchen uns und
unſern erſten Eltern? Der Hr. Prof. Manzel hebt
ihn ſelbſt auf. Jſt dieſes ſeine Abſicht nicht, ſo
muß er die Erfahrung weg laſſen: Die nutzet einer
Creatur nichts, die, von dem erſten Augenblick ih-
res Lebens an, alle Dinge vollkommen kennet, und
mehr weiß, als das gantze menſchliche Geſchlecht,
zuſammen genommen, in vielen hundert Jahren ler-
nen kan. So bald er die Erfahrung zum Grund
der Erkaͤnntniß macht, die der erſte Menſch gehabt
haben ſoll, zernichtet er den hohen Begrif, den er
uns von der vollkommenen Weißheit deſſelben ge-
ben wollen, und gibt mir Fug und Macht zu ſchlieſ-
ſen, daß wir heutiges Tages kluͤger ſind, als unſe-
re erſten Eltern, weil unſere Erfahrung unſtreitig
groͤſſer iſt, als die ihrige.
Die moraliſche Wiſſenſchaft des Menſchen,“
faͤhrt der Hr. Manzel (§. 41.) fort, beſtund darinn,„
daß er daß Gute allein kannte, und in dem Gu-„
ten allein ſeine edle Freyheit, dieſes oder jenes zu„
thun, brauchte. (In moralibus notitiam ha-„
buerunt ſolius boni \& in ſpecie ſola boni gene-„
roſum exercuerunt arbitrium hoc vel illud agen-„
di).” Er habe auch gewuſt, daß er, ſo bald er„
von dieſer Richtſchnur ſeiner Vollkommenheit ab-
wiche, (quod ſimul ac normam hanc ſuæ per-
fectionis relinquerent) ſich in Ungluͤck ſtuͤrtzen
wuͤrde (malum ipſos eſſet in vaſurum).
Hier
[734](o)
Hier begreife ich nicht, wie der Menſch, der alle
Dinge ſo vollkommen gekannt hat, daß er das Nuͤtz-
liche von dem Schaͤdlichen genau unterſcheiden koͤn-
nen doch nur das Gute allein koͤnne gekannt haben.
Der Hr. Manzel kan dieſes um ſo viel weniger ſagen,
weil er ſelbſt (§. 48.) dem Menſchen die Erkaͤnntniß,
und zwar eine vollkommene Erkaͤnntniß des Guten
und des Boͤſen (perfectam boni \& mali cognitio-
nem) ausdruͤcklich beyleget. Und wie haͤtte der
Menſch auch ſonſt wiſſen koͤnnen, daß ihm, wenn er
dieſes oder jenes thaͤte, etwas Boͤſes wiederfahren
wuͤrde? Er hat alſo auch das Boͤſe gekannt. Aber
woher? Durch einen natuͤrlichen Trieb, als etwan
die Thiere, oder durch die Erfahrung? Hat er durch
einen natuͤrlichen Trieb das Gute von dem Boͤſen un-
terſchieden, ſo faͤllt der reine Verſtand, und die tiefe me-
taphyſiſche Wiſſenſchaft weg, welche ihm der Hr.
Prof. Manzel beylegt. Es wuͤrde auch daraus fol-
gen, daß der Menſch ohne alles Nachdencken Gutes
gethan habe, welches, wie der Hr. Manzel meinet,
einer vollkommenen und vernuͤnftigen Creaturunan-
ſtaͤndig iſt. Hat aber der erſte Menſch durch die Er-
fahrung die Erkaͤnntniß des Boͤſen erlanger, ſo darf
man ſeine Weißheit nicht bewundern, weil man
klaͤrlich ſiehet, daß er, wie die Kinder und Narren,
durch Schaden klug werden muͤſſen. Er hat ſich
erſt gebrannt, ehe er gewuſt, daß man dem Feuer nicht
zu nahe kommen muͤſſe, und alles ſo lange vor gut und
unſchaͤdlich gehalten, biß er entweder die ſchaͤdliche
Wuͤrckung gewiſſer Dinge, und die uͤbeln Folgen ge-
wiſſer Thaten ſelbſt geſpuͤret, oder von andern, welche
dieſelbe erfahren, kennen gelernet.
Doch
[735](o)
Doch ich entferne mich zu weit von meinem Zweck.
Jch wolte nur anmercken, daß der Hr. Prof. Manzel
ſich ſelbſt wiederſpricht, wann er dem Menſchen die
Erkaͤnntniß des Boͤſen, welche er ihm hier abſpricht,
an einem andern Ort zugeſtehet. Weiter habe ich
nichts zu ſagen. Der Menſch mag anfaͤnglich be-
ſchafen geweſen ſeyn, wie er will. Mir liegt wenig
daran: Nur bin ich begierig zu wiſſen, wie eine Crea-
tur, die ſo beſchafen iſt, als der Hr. Prof. Manzel den
erſten Menſchen abbildet, habe fallen, und ihre Voll-
kommenheit verliehren koͤnnen.
Der Hr. Prof. verſucht es (§. 42.), ob er uns die-
ſe traurige Begebenheit aus der bloſſen Vernunft
begreiflich machen koͤnne: Allein was er ſagt das ver-
gnuͤget mich nicht. „Er meint der Verluſt der Gluͤck-„
ſeeligkeit, in welche der erſte Menſch anfaͤnglich gele-„
bet, ruͤhre daher, daß der Menſch unglaͤubig wor-„
den (quod incredulitate laborare inceperint) und,„
nachdem er ſeinem oberſten Beherrſcher den Gehor-„
ſam aufgekuͤndiget, ſich zum Boͤſen gewendet habe„
u. ſ. w.
Daß dieſes leere Worte ſind, mit welchen der Hr.
Prof. nichts ſaget, koͤnnen Ew. Hochwohlgeb. nicht
beſſer begreifen, als wenn Sie dasjenige anzuſehen be-
lieben, was der Hr. Prof. (§. 44. und 45.) ſchreibt.
Da nun, heißt es, der Menſch ſo beſchafen war (ich„
glaube ſo viel ſoll das mir unbekannte Latein: Sic„
conſtituta igitur ſituatione hominis, heiſſen) ſo„
konnte nur eine einige Art des Gewiſſens, nemlich„
conſcientia recta, nimmer aber eine Unwiſſenheit„
des Rechts, oder ein Jrrthum in denen Dingen, die„
ſein Thun und Laſſen betrafen, bey ihm Statt haben.„
Ueber-
[736](o)
„Ueberdem, ſo lauten ſeine Worte, (§. 45.)
„war der Menſch von vielen Dingen, die uns ietzo
„mit Gewalt zum Boͤſen trieben, frey; wie z. E. von
„den Afecten: Denn die Liebe war rein, und nur auf
„das Gute gerichtet, und begrif unter ſich einen un-
„gezwungenen Abſcheu des Boͤſen (ſub ſe compre-
„hendens contrarii auerſationem non coactam)
„u. ſ. w.
Ew. Howohlgeb. ſehen, daß derjenige, der mir
erklaͤren will, wie ein ſo beſchafener Menſch um ſei-
ne Vollkommenheit gekommen ſey, eine dunckele Sa-
che noch dunckeler macht, wenn er ſpricht; Ein Un-
glaube, eine vorſetzliche Wiederſpenſtigkeit gegen
GOTT ſey die Urſache dieſes Verluſtes.
Wie kan ein Zweifel, oder gar ein Unglaube in
dem Gemuͤthe eines Menſchen entſtehen, der nicht nur
die Natur aller Dinge vollkommen kennet, und das
Nuͤtzliche von dem, ſo ſchaͤdlich iſt, genau zu unterſchei-
den weiß; ſondern auch nicht die geringſte Begierde
hat, die ihn zwingen koͤnnte, wider ſeine Erkaͤnntniß zu
handeln? Wie kan eine Creatur ſich zum Boͤſen wen-
den, welche weiß was Recht und unrecht iſt, in mo-
raliſchen Dingen nicht irren kan, ja einen natuͤrlichen
Abſcheu vor dem Boͤſen heget? Jſt es wohl zu begrei-
fen, daß eine ſolche Creatur ihrem Schoͤpfer den Ge-
horſam habe verſagen koͤnnen, der ihr nichts gebieten,
oder verbieten kan, deſſen Nutzen und Schaͤdlichkeit
ihr unbekannt waͤre? Und ſolte ſie wohl, wenn ihr der-
jenige, von deſſen Wahrhaftigkeit, und Allmacht ſie
ſo gewiß, als von ihrem eigenen Seyn uͤberfuͤhret iſt,
auch die gleichguͤltigſten Dinge anbefoͤhle oder unter-
ſagte, faͤhig ſeyn, an der Gerechtigkeit ſolcher Befehle
zu
[737](o)
zu zweifeln, oder die darauf geſetzten Strafen in den
Wind zu ſchlagen?
Jch glaube dieſes um ſo viel weniger, weil man
heutiges Tages, da das menſchliche Geſchlecht ſo gar
im Argen liegt, noch hundert vor einen findet, welche
auf das bloſſe Verbot eines Medici, zu dem ſie zwar
ein Vertrauen haben, aber doch lange nicht von der
Gewißheit ſeiner Kunſt, und von der Wahrheit des-
ienigen, was er ſaget, ſo ſtarck, als der erſte Menſch
von der Untrieglichkeit ſeines Schoͤpfers uͤberfuͤhret
ſind, ſich derer Speiſen enthalten, die ihnen ſonſt die
liebſten ſind: Ja ich glaube, daß man in der gantzen
Welt nicht einen Menſchen finden wird, der nicht
auch dem elendeſten Quackſalber, zu dem er nicht die
geringſte Zuverſicht heget, willig gehorchen ſolte,
wenn ihm derſelbe eine Speiſe verboͤte, zu welcher er
nicht nur keine Luſt hat, ſondern die er auch von Na-
tur verabſcheuet: Aber der erſte Menſch, die heilige,
die vollkommene Creatur, die ohne alle boͤſe Begier-
den, und mit einem natuͤrlichen Haß wieder das Boͤ-
ſe gewafnet iſt, uͤbertritt das Gebot eines GOttes,
dem er nach der Erkaͤnntniß, die er von ihm hatte,
nothwendig Glauben zuſtellen, und ſich vor deſſen
Zorn fuͤrchten muſte: und, was das meiſte iſt, ſo thut
er dieſes ohne von der geringſten, dieſer Erkaͤnntniß
und dieſem Gebote zuwieder laufenden, Begierde
dazu genoͤthiget zu werden.
Wie dieſes mit einander beſtehen koͤnne, kan ich,
mir ſelbſt gelaſſen, nicht begreifen, und muß bekennen,
daß die Vernunft, die dem Hr. Prof. Manzel ſo unbe-
greifliche Dinge lehret, von gar beſonderer Art ſeyn
muͤſſe. Meine Vernunft ſperret ſich dawieder, und
A a aſagt
[738](o)
ſagt mir, wenn ich ihr weiſen will, wie man den Fall
des erſten Menſchen mit ſeiner Vollkommenheit
reimen muͤſſe, Zeug vor, das ich nicht einmahl
nachſagen mag. Das beſcheidenſte, was ſie ſagt,
iſt dieſes, daß der erſte Menſch, wenn er ſo beſchaf-
fen geweſen, als der Hr. Manzel ſagt, nicht fallen
koͤnnen; wenn er aber geſuͤndiget hat, nicht voll-
kommen erſchafen ſey.
Sie glaubt alſo nicht, daß es dem Hrn. Prof.
etwas helfen koͤnne, wenn er (§. 43.), um die Moͤg-
lichkeit des Falles zu behaupten, ſagt: „Wenn der
„Menſch ſo erſchafen worden, daß er nothwendig
„Gutes thun muͤſſen, ſo haͤtte keine Moralitaͤt ſtatt
„haben koͤnnen. Da der Hr. Prof. ſpricht ſie, dieſes
gewuſt hat, ſo haͤtte er nicht ſagen ſollen, der Menſch
ſey vollkommen erſchafen: Jndem die Faͤhigkeit zu
ſuͤndigen eine nicht geringe Unvollkommenheit iſt, die
ſolche Begierden in dem erſten Menſchen zum Grun-
de haben muß, die mit ſeiner Vollkommenheit ſtrei-
ten, und allen Unterſcheid zwiſchen ihm und uns
nothwendig aufheben.
Jch habe ſchon oben etwas von dieſer Materie ein-
flieſſen laſſen: Wenn Ew. Hochwohlgeb. ſich deſſen
erinnern, ſo werden Sie ſchon ſehen, daß es unnoͤthig
ſey, ſich mit dem Hrn. Manzel (§. 48.) zu bekuͤm-
mern: nach was vor einer Regel und Richtſchnur die
erſten Menſchen gelebet haben? Eine vollkommene
Creatur, die das Gute und Boͤſe vollkommen kennet,
vollkommen weiß, was GOtt haben will, und nicht
die geringſte Begierde zum Boͤſen hat, die braucht kei-
ner Regel. Jhr natuͤrlicher Trieb iſt ihr ſtatt aller
Geſetze: Und dieſes geſtehet der Hr. Prof. faſt ſelbſt,
wenn
[739](o)
wenn Er ſagt: Die vollkommene Erkaͤnntniß des
Guten, Boͤſen, und des Goͤttlichen Willens ſey die
Regel geweſen, nach welcher die erſten Menſchen ihr
Thun und Laſſen eingerichtet.
Was er von den goͤttlichen Ofenbahrungen hinzu-
ſetzet, das faͤllt von ſich ſelbſt weg. Denn was ſoll
GOtt einer Creatur ofenbahren, die alles weiß, was
ſie wiſſen ſoll, uñ bey nahe eben ſo klug iſt, als er ſelbſt?
Der Hr. Prof. Manzel handelt (§. 50. 51.)
von der Nahrung des erſten Menſchen. Jch finde da-
bey nichts anzumercken, weil ich ſchon oben von dieſer
Sache ſo wohl, als von dem Paradiß, oder von der
terra omnia in ſuperlatiuo producente, wie der Hr.
Manzel redet, Ew. Hochwohlgeb. meine Meinung
geſagt habe.
Vor die Kleidung des erſten Menſchen darf der
Hr. Prof. nicht ſorgen, wie er (§. 52.) thut. Unſere
Haut iſt geſchickt genug, Hitze und Kaͤlte zu ertragen.
Auch nach dem Fall behelfen ſich gantze Voͤlcker oh-
ne Kleider. Es waͤre alſo nichts beſonders, wenn es
der erſte Menſch auch gethan haͤtte (27)
Von dem Tode des erſten Menſchen, von wel-
chem der Hr. Manzel (§ 53. 54.) handelt, iſt nicht
noͤthig, viel zu ſagen. Es verſteht ſich, daß der erſte
Menſch hat ſterben muͤſſen, wie wir. Die Vernunft
haͤlt den Tod nicht vor der Suͤnden Sold; ſondern
vor eine nothwendige Folge unſerer Beſchafenheit:
ohne desfalls den Geiſtlichen ein Compliment zu
machen.
Jch gehe demnach weiter, und bitte Ew. Hoch-
A a a 2wohlgeb.
[740](o)
wohlgeb. dasjenige wohl zu betrachten, was der Hr.
Prof. Manzel von den Pflichten des erſten Menſchen
gegen GOtt, gegen ſich ſelbſt, und gegen andere Men-
ſchen ſagt. Sie koͤnnen daraus lernen, daß der Hr.
Prof. nach ſeinen eigenen Grund-Saͤtzen, kein be-
ſonders Recht der Natur im Stande der Unſchuld
ſuchen koͤnne.
„Die Pflichten gegen GOtt, ſagt Er (§. 55.)
„beſtanden in einem immerwaͤhrenden Lobe GOttes,
„in einer vollkommenen Liebe gegen ihn, in einer ge-
„nauen Beobachtung ſeiner Gebote, und in einer
„Uebergebung in ſeinen Willen, und in ſeine weiſe
„Vorſehung.
Jch glaube nicht, daß in dieſen Pflichten durch den
Fall eine Veraͤnderung entſtanden ſey.
„Die Pflichten des erſten Menſchen gegen ſich
„ſelbſt, beſtanden, wie der Hr. Prof. (§. 57.) ſagt,
„in der Erhaltung ſeines Lebens und ſeiner Gluͤckſee-
„ligkeit.
Hierinn aber beſtehen auch die Pflichten gegen
uns ſelbſt noch heutiges Tages.
Die Pflichten des erſten Menſchen gegen andere
faßten, auch nach der Beſchreibung, die uns der Hr.
Prof. (58. 59.) davon giebt, nichts in ſich, wodurch
ſie von den heutigen Pflichten gegen den Nechſten
unterſchieden wuͤrden: Sie verbanden den erſten
Menſchen zu Beobachtung der Gleichheit zwiſchen
ihm und andern Menſchen, und gruͤndeten ſich auf
einen Satz, der wohl niemahlen aus der Mode
kommen wird.
Ew. Hochwohlgeb. mercken wohl, daß ich von
dem bekannten: Quod tibi non vis fieri alteri ne
feceris,
[741](o)
feceris, rede. Da nun dieſes noch in dieſen letzten
Zeiten der Grund-Satz des Rechts der Natur iſt,
ſo weiß ich nicht, wo der Hr. Prof. Manzel ſein Jus
Naturæ veré tale finden will: Jm Stande der Un-
ſchuld ſuchet er es vergebens. Denn die erſten Men-
ſchen hatten, wie er ſelbſt bekennet, keine andere
Grund-Saͤtze, als wir: Haben ſie dieſelbe nicht
auf die Faͤlle appliciret, die wir dadurch entſcheiden,
ſo iſt es zwar ein Zeichen, daß dieſe Faͤlle ſich noch nicht
zugetragen gehabt, oder, nach den damahligen Um-
ſtaͤnden, nicht begeben koͤnnen: Allein es macht kei-
nen weſentlichen Unterſcheid unter ihren und unſern
Grund-Saͤtzen. Die Grund-Saͤtze des Rechts
der Natur ſind unveraͤnderlich, wie ich ſchon oben
erwieſen habe.
Es heißt alſo nichts, wann der Hr. Prof. (§. 60.
61.) ſich die Muͤhe giebt, weitlaͤuftig anzumercken,
„daß in dem Stande der Unſchuld keine Beleidi-„
gung, keine Erſetzung des verurſachten Schadens,„
kein Streit uͤber den Beſitz der Dinge, keine Pacta„
und Contracte Platz gehabt u.ſ.w. Man glaubt ihm„
dieſes leicht zu, wenn er ſeinen Stand der Unſchuld
erſt erwieſen hat; Allein es iſt ofenbahr, daß daraus
kein beſonders, und in dem Stande der Unſchuld nur
allein ſtatt habendes Recht der Natur flieſſet. Die
Grund-Saͤtze des Rechts der Natur bleiben einerley,
vor und nach dem Fall, der Unterſcheid betrift nur ei-
nige Neben-Umſtaͤnde, in Anſehung welcher auch heu-
tiges Tages viele Voͤlcker nicht uͤbereinkommen, die
doch, wie niemand zweifelt, alle ein Jus Naturæ ha-
ben. Die Hottentotten z. E., und alle wilde Voͤlcker
leben in einer groͤſſern Einfalt und Unſchuld als wir,
A a a 3es
[742](o)
es fehlet ihnen alſo an Gelegenheit, die allgemeinen
Saͤtze des Rechts der Natur auf die Art, als es bey
uns geſchicht, zu appliciren: Allein darum hat noch
niemand geſagt, daß ſie ein ander Jus Naturæ,
haͤtten, als wir.
Es iſt nicht noͤthig, daß ich mich weiter hierbey
aufhalte. Ew. Hochwohlgeb. ſehen ſchon, daß das
Jus Naturæ vere tale des Hrn. Prof. Manzels nicht
von unſerm gemeinen Rechte der Natur, mit welchem
wir uns nun eine ziemliche Zeit beholfen haben, un-
terſchieden ſey.
Ehe ich aber weiter gehe muß ich Ew. Hochwohl-
geb. noch ſagen, daß ich in der gantzen Schrift des
Hrn. Prof. Manzels nichs ſo artig finde, als die Ent-
ſcheidung der Frage: Vtrum teſtamenta ſint juris
naturæ (§. 61). Der Hr. Prof. beantwortet die-
ſelbe mit nein: Weil man im Stande der Unſchuld,
als in welchem, wie der Hr. Prof. Manzel meint,
keiner etwas eigenes hatte, nimmer ein Teſtament
gemacht haben wuͤrde. Allein ich weiß nicht, ob
der Hr. Prof. mit dieſer Entſcheidung groſſe Ehre ein-
legen wird. Denn wann man fraͤgt: Vtrum teſta-
menta ſint juris naturæ? ſo will man wiſſen, ob die
Regeln der Gerechtigkeit erfordern, daß der letzte
Wille eines Sterbenden guͤltig ſey? Man fraͤgt aber
nicht, ob man im Stande der Unſchuld ein Teſtament
gemacht haben wuͤrde? Das begehrt niemand zu
wiſſen. Es iſt alſo laͤcherlich, wenn man dieſe Frage
aus demjenigen beantworten will, was die Menſchen,
wann ſie, in ihrer urſpruͤnglichen Unſchuld geblieben
waͤren, entweder gethan, oder nicht gethan haben
wuͤrden.
Wenn
[743](o)
Wenn der Hr. Prof. in der weitern Ausfuͤhrung
dieſes Entwurfes eines neuen Rechts der Natur ſo
fortfahren will, die in dieſer Wiſſenſchaft vorkom̃ende
Fragen und Streitigkeiten zu entſcheiden; ſo erleben
wir noch den Tag, daß auf einer, und vielleicht der ein-
tzigen, recht orthodoxen Academie gelehret wird, die
Haltung der Contracte ſey nicht Juris Naturæ. Denn
es iſt gewiß, daß man im Stande der Unſchuld ſo we-
nig einen Contract geſchloſſen, als ein Teſtament ge-
macht haben wuͤrde. Was wird aber dieſes nicht
vor ein Aergerniß geben? Jch weiß wohl, daß es ſo
boͤſe nicht gemeinet iſt: Allein ich begreife nicht, was
uns ein ſo unnuͤtzes Wort-Spiel in der Weltweiß-
heit vor Troſt geben ſoll.
Jch wende mich zu dem was folget. „Was die„
Fortpflantzung des menſchlichen Geſchlechts anlan-„
get, ſagt der Hr. Prof. (§. 62), ſo glaube ich, daß„
dieſelbe aufs einfaͤltigſte geſchehen ſey (ſimpliciſſi-„
mèillam factam fuiſſe perſuadeor), das iſt, daß„
die Pflicht deꝛ Maͤnner geweſen, die zu dieſem Handel„
geſchickte, noch nicht ſchwangeꝛe, und nicht mehr ſaͤu-„
gende Weiber zu ſchwaͤngern: Welches dann zwar„
nach dem Trieb der Natur; aber doch unter der Auf-„
ſicht der Vernunft (dirigente ratione) ohne alle boͤ-„
ſe Bewegungen (ſine tamen motibus prauis) ge-„
ſchehen ſeyn wuͤrde; nicht anders, als wir an den„
Thieren ſehen, welche ſich zu gewiſſen Zeiten paaren,„
und die uͤbrige Zeit ſich mit dem Weꝛcke der Zeugung„
keine vergebliche Muͤhe machen (nihil in id negoti-„
um fruſtra impendunt): Daher dann auch die„
Meinung derer nicht zu verachten iſt, welche davor„
halten, daß die Thiere, wañ ſie ſich mit einander gat-„
ten, kein Vergnuͤgen empfinden.
Man
[744](o)
Man ſiehet aus dem Beſchluß, daß der Hr. Prof.
Manzel meint, der Menſch wuͤrde im Stande der
Unſchuld nicht die geringſte Wolluſt im Beyſchlafe
empfunden haben. Nun weiß ich wohl, daß er der er-
ſte nicht iſt, der ſich dieſes eingebildet hat: Er hat den
heil. Auguſtinus zum Vorgaͤnger.
ſagt
„dieſer Kirchen-Vater (28)
„radiſo) vt cætera cuncta ſervirent. Ita geni-
„tale arvum vas in hoc opus creatum ſeminaret
„vt nunc terram manus. Er ſpricht weiter: Se-
„minaret igitur prolem vir, ſuſciperet fœmi-
„na, genitalibus membris, quando id opus
„eſſet, \& quantum opus eſſet, voluntate mo-
„tis, non libidine concitatis(29).’
Jch glaube aber, dem allen ungeachtet, daß ſo wohl
der heil. Auguſtinus, als der Hr. Prof. Manzel etwas
ſagen, das ihnen zu behaupten unmoͤglich iſt.
Denn da es einmahl unſtreitig iſt, daß, nach un-
ſerer ietzigen Leibes-Beſchafenheit, die angenehme
Empfindung, die Mann und Weib im Beyſchlafe
ſpuͤren, nothwendig iſt: Jch aber nicht glaube, daß der
Hr. Prof. Manzel ſagen wird, daß der Coͤrper des er-
ſten Menſchen von den unſern unterſchieden geweſen
ſey: So ſehe ich nicht, woher man beweiſen will, daß
der erſte Menſch, bey einem von dem heutigen nicht
unterſchiedenen Gebrauch ſeiner Geburths-Glieder,
nicht eine gleiche Luſt empfunden habe.
Es iſt mir unmoͤglich zu begreifen, was, falls der
erſte Menſch von dieſer Luſt nichts gewuſt hat, denſel-
ben
[745](o)
ben bewegen koͤnnen, ſeine, zur Fortpflantzung des
menſchlichen Geſchlechts dienende, Gliedmaſſen,
nach der Abſicht ſeines Schoͤpfers, ſo zu Hervorbrin-
gung ſeines gleichen anzuwenden. Wer hatte ihm ge-
ſagt, daß wenn er dieſe Gliedmaſſen auf eine gewiſſe
Art gebrauchte, ein ihm aͤhnliches Thier, nach Ver-
lauf einer gewiſſen Zeit, zum Vorſchein kommen wuͤr-
de? Man mag ſeinen Verſtand noch einmahl ſo groß
machen, als der Hr. Prof. Manzel gethan hat, ſo wird
man doch nicht begreiflich machen, wie es moͤglich ge-
weſen ſey, daß er durch denſelben zur Erkaͤnntniß die-
ſer Wahrheit gekommen.
Eine Ofenbahrung in dieſem Fall vorzuwenden,
wuͤrde laͤcherlich, und der Vollkommenheit des erſten
Menſchen nachtheilig ſeyn. Denn was waͤre es nicht
vor eine elende, dumme Creatur, die zu den noͤthigſten
und natuͤrlichſten Verrichtungen allemahl einer An-
leitung ihres Schoͤpfers beduͤrfte? Ein Maͤdgen
von 12. Jahren iſt in dieſen letzten Zeiten weit kluͤger.
Es iſt alſo noͤthig geweſen, daß der erſte Menſch einen
innerlichen Trieb in ſich geſpuͤret habe, ſeine Ge-
buhrts-Glieder ſo, und nicht anders zu gebrauchen:
Er muß ſich aus dieſem Gebrauch eine ſonderliche
Luſt verſprochen haben: Er muß dieſe Luſt wuͤrcklich
empfunden haben, denn ſonſt haͤtte er den Gebrauch
nicht wiederhohlet.
Man ſiehet alſo, daß, wenn gleich, wie der heil. Au-
guſtinus ſagt, die Gebuhrts-Glieder durch den Wil-
len beweget worden; dennoch dieſer Wille erſt
durch etwas anders in dem Menſchen habe gewuͤr-
cketwerden muͤſſen. Denn es iſt unbegreiflich wie der
Menſch ſonſt auf eine Handlung verfallen koͤnnen,
A a a 5die,
[746](o)
die, ohne ihre Folgen betrachtet, naͤrriſch., und,
von der Luſt abgeſondert, eckelhaft iſt. Es iſt
vielmehr zu glauben, daß, wenn GOtt nicht dem
Menſchen
„Die Hertz-erquickenden Vermehrungs-Triebe
eingepflantzet, und die That, durch welche dieſe Trie-
be vergnuͤget werden, mit einer ſeltſam-ſuͤſſen Luſt ver-
knuͤpfet haͤtte, die Mutter aller Lebendigen ihre Jung-
frauſchaft mit ins Grab genommen, und alſo weder
der Hr. Prof. Manzel ſeine Diſſertation, noch ich die-
ſen Brief geſchrieben haben wuͤrden.
Da nun die Luſt, welche der Menſch im Beyſchla-
fe empfindet, zur Fortpflantzung des menſchlichen Ge-
ſchlechts ſo nothwendig iſt, ſo moͤchte ich wohl wiſſen,
warum man die Empfindung derſelben unter diejeni-
gen Dinge rechnet, davon der Menſch im Stande ſei-
ner Vollkommenheit frey ſeyn muͤſſen. Diejenigen,
welche dieſes behaupten, glauben vermuhtlich, daß
der erſte Menſch Hunger und Durſt empfunden: Sie
glauben, daß der Menſch ſich dieſer verdrießlichen Em-
pfindungen zu entledigen geſucht; und folglich, in dem
er ſie duꝛch Speiſe und Tꝛanck vertꝛieben, eine Luſt em-
pfunden habe: Sie werden vermuthlich auch nicht
leugnen, daß die erſten Menſchen ſchmecken koͤnnen.
Folglich ſind einige Dinge ihrem Geſchmack ange-
nehm andere verdrießlich geweſen; Es iſt alſo gar
glaublich, daß ihnen jene, wenn ſie dieſelbe gekoſtet, ei-
ne Luſt, und dieſe eine wiedrige Empfindung erwecket
haben. Weꝛ wolte ihnen dieſes abeꝛ zur Suͤnde deutẽ?
Nicht alles, was der Menſch genieſſet, wird in ſein
Weſen verwandelt. Es bleibt alſo in dem Coͤrper et-
was unnuͤtzes uͤbrig, das demſelben nur zur Laſt iſt.
Der
[747](o)
Der Menſch ſucht ſich dieſer Laſt zu entledigen, und
dieſe Entledigung, iſt ſo nothwendig mit einer Art ei-
nes Vergnuͤgens vergeſellſchaftet, als es nohtwendig
iſt, daß ſie geſchiehet. Jch glaube nicht, daß man dieſen
Auswurf des Ueberfluͤßigen als eine, dem erſten Men-
ſchen unanſtaͤndige, Sache anſehen, und lieber glau-
ben wird, quod ſolide natus ſit: Er konnte es ge-
wiß nicht ausſchwitzen, und wer andere Gedancken
vom ihm hat, der eꝛweiſet ihm eine ſchlechte Ehre. Der
Hr. Prof. Manzel hat ihm ſchon (§. 57.) den
Schweiß abgeſprochen. Jch will hofen, daß er
nicht weiter gehet: denn ſonſt wuͤrde er endlich ſeinen
vollkommenen Menſchen demjenigen aͤhnlich ma-
chen, von welchem Catullus (30) ſagt:
„A te ſudor abeſt, abeſt ſaliva
„Mucusque \& mala pituita naſi.
„Hancad muditiem adde mundiorem,
„Quod culus tibi purior ſalillo eſt,
„Nec toto decies cacas in anno.’
Man muß alſo geſtehen, daß auch der erſte
Menſch das Ueberfluͤßige ausgeworfen habe. Da
nun dieſer Auswurf allemahl mit einer gewiſſen Luſt
verknuͤpfet iſt, die auch der erſte Menſch, ohne Nach-
theil ſeiner Heiligkeit, empfinden koͤnnen; ſo weiß ich
nicht warum man in Anſehung desjenigen excre-
menti, wodurch das menſchliche Geſchlecht fortge-
pflantzet wird, eine Ausnahme macht, und die mit der
Auswerfung deſſelben verknuͤpfte Luſt einen motum
parvum nennet, der dem erſten Menſchen unanſtaͤn-
dig geweſen.
Jſt
[748](o)
Jſt nun aber die, aus dieſer Auswerfung herruͤh-
rende Luſt, eine Sache, die nicht wieder die Heiligkeit
des erſten Menſchen laͤuft, ſo kan man es auch ſeiner
Gehuͤlfin nicht vedencken, wenn ſie das, zur Vermeh-
rung des menſchlichen Geſchlechts dienende, excre-
mentum ihres Mannes mit eben der Luſt angenom-
men hat, mit welcher er es auswarf. Man kan dieſes
mit ſo viel wenigeren Recht thun; weil man ihr ja
wohl nimmer verargen wird, daß ſie ihren Hunger
und Durſt mit Luſt geſtillet. Jch ſolte nicht meinen
daß die Begierde nach Speiſe und Tranck heiliger
und zulaͤßiger ſey, als das Verlangen nach dem Saa
men des Mannes. Man muß demnach, wofern man
behaupten will, daß die erſten Menſchen bey Verrich-
tung der, zur Fortpflantzung des menſchlichen Ge-
ſchlechts noͤthigen Arbeit, nicht die geringſte Luſt em-
pfunden haben, nothwendig ſagen, der Menſch habe
gar keine Luſt empfunden, wie auch die aͤuſſerlichen
Dinge ſeine Sinne, geruͤhret. Dieſes iſt eine Grille
der Schwaͤrmer.
„Jn dem Paradiſiſchen Stand der Unſchuld, ſchreibt
„Dippel, haͤtte der Menſch von der Frucht der aͤuſſern
„Welt gegeſſen, und dieſelbe in das Weſen ſeines Na-
„tur-Geiſtes verwandelt, ohne die geringſte An-
„nehmlichkeit, oder Befleckung ſeines freyen Gei-
„ſtes, der allezeit in der unausſprechlichen Liebe GOt-
„tes ſich weidete, und, in dieſem ſteten Gefuͤhl der
„himmliſchen Luſt, das aͤuſſere Natur-Reich gaͤntzlich
„unter ſich goubernirte, daß ihn gar nichts aus dem-
„ſelben an ſich ziehen konte. Wie hievon diejenige,
„welche die Kraͤfte der zukuͤnſtigen Welt im Vor-
„ſchmack gefuͤhlet, koͤnnen einen richtigen Begrif
„faſſen,
[749](o)
faſſen, dann in dergleichen Zuſtand, alle Annehm-„
lichkeiten der Creaturen, und der irrdiſchen Luſt, ver-„
ſchwunden iſt, als waͤre ſie niemahlen da geweſen.„
Jn ſolchem Zuſtande waͤre es gleichfalls dem Para-„
diſchen Menſchen moͤglich geweſen, ſich zu ver-„
mehren und fortzupflantzen, dem aͤuſſern und„
inneren Menſchen nach, ohne die geringſte Gefangen-„
ſchaft ſeiner imagination an der aͤuſſern Welt, und„
deren ſinnliche Luͤſte: Dann wie das Eſſen und ſeine„
Nahrung aus der aͤuſſern Natur, ohne herabſteigen-„
de Luſt und Begierde des Geiſtes, haͤtte ſtatt gefun-„
den, alſo haͤtte auch in dieſem Stuͤck die aͤuſſere Na-„
tur den freyen Geiſt nicht herabziehen, oder an die„
Jrrdigkeit binden koͤnnen. Summa ſeine Seele und„
auch ſein Geiſt, ſtunden gegen die aͤuſſere Natur„
gantzindifferent,wuſten wuͤrcklich nicht was„
in derſelben boͤß, oder gut, angenehm oder uͤ-„
bel ſchmeckte; denn wie das Boͤſe noch nicht ofen-„
bar war, ſo kunte auch noch keine anziehende, oder ge-„
fangen nehmende Idee von einem ſcheinbaren oder„
wahrhaften Guth ſtatt finden; auch keine reflexion„
der ſich umſehenden und bekuͤmmernden Vernunft,„
und ſo ware der Menſch in ſeinem Paradiſiſchen„
Stande kein vernuͤnftiges Thier, ſondern eine„
intellectualiſche Creatur, die alles, ohne Syllogiſ-„
mo gegenwaͤrtig beſaſſe und einſahe, was ſie ſehen„
ſolte (31).„
Was der Hr. Prof. Manzel lehret, das koͤmmt
mit dieſen dippeliſchen Einfaͤllen ungemein wohl
uͤberein,
[750](o)
uͤberein, und wenn ich ein Geiſtlicher waͤre, ſo haͤt-
te ich hier die ſchoͤnſte Gelegenheit, ihn zu verketzern:
Allein ich thue es nicht, ſondern bitte nur Ew.
Hochwohlgeb., zu bedencken, wohin Leute, die ſol-
che Dinge lehren, endlich verfallen muͤſſen.
Sie bringen den erſten Menſchen um ſeine fuͤnf
Sinne, und muͤſſen ſagen, Wermuth habe ihm ge-
ſchmeckt wie Honig, und Honig wie Wermuth:
Er ſey nicht im Stande geweſen, den Geruch eines
Aaſes von dem Geruch der Violen zu unterſchei-
den, und was dergleichen Fratzen mehr ſind.
Hat nun der Menſch, ſeiner uͤber groſſen Heilig-
keit wegen, keine angenehme Empfindung haben
koͤnnen, ſo wird er auch unſtreitig von keinem
Schmertz gewuſt haben; oder GOtt muͤſte ihn ge-
wiß in ſeinem Zorn erſchafen haben. Es hat alſo
der erſte Menſch gar keine Empfindung gehabt; ſon-
dern ſich in einer immerwaͤhrenden Entzuͤckung be-
funden, und nicht gewuſt, ob er in oder auſſer dem
Leibe ſey. Es iſt ſein Gluͤck geweſen, daß er gefal-
len iſt; denn ſonſt ſehe ich nicht, wie er ſich mit eben
ſo einem Coͤrper, als wir haben, ohne das uns ſo
noͤthige Gefuͤhl von Luſt und Schmertz haͤtte erhal-
ten koͤnnen.
Jener Weltweiſe war ſo ſehr in ſeinen Gedan-
cken vertiefet, daß er ſich, ohne es zu mercken, ſeinen
Fuß verbrannte. Endlich kam der Wurm zu ſich
ſelbſt. Aber der erſte Menſch des Hrn. Mantzels,
das wunderliche Thier, haͤtte mit Haut und Haar ver-
brennen koͤnnen, ehe er es ſelbſt gewuſt. Er war ohne
Gefuͤhl, und kannte alſo die Kraft des Feuers nicht.
Wie haͤtte er ſich dann davor in acht nehmen koͤnnen?
Er
[751](o)
Er war zu dumm dazu, und ein weit naͤrriſcher Ge-
ſchoͤpfe, als jener Phantaſte von Argos.
„Qui ſe credebat miros audire tragœdos.
Von dieſem ſagt doch Horatz noch, daß er ſich,
bey aller ſeiner Thorheit, vor Schaden in acht neh-
men koͤnnen.
tem (32).’
Wem dieſe Vergleichung nicht gefaͤllt, der muß von
dem erſten Menſchen menſchlich reden. Man erweiſet
ihm wenig Ehꝛe, wann man ihm alle Empfindung von
Luſt und Schmertzen abſpricht: Dieſes muß man aber
thun ſo bald man ſaget, er habe in dem Beyſchlaf
nicht das geringſte Vergnuͤgen geſchmecket. Denn
ich ſehe nicht, was dieſes Vergnuͤgen beſonders an ſich
habe, das uns bewegen koͤnnte, daſſelbe als eine,
dem erſten Menſchen unanſtaͤndige, Sache zu ver-
dammen.
Jch weiß wohl, daß dieſe Luſt uns zu thoͤrigten und
ſchaͤdlichen Thaten verleiten kan, und daß es daher noͤ-
thig iſt, ſich derſelben maͤßig, und mit Vernunft zu be-
dienen, darum aber wird die Empfindung derſelben,
an ſich, nicht boͤſe. Nur das iſt eine Thorheit, wenn
wir uns durch ihre Suͤßigkeit verfuͤhren laſſen entwe-
der die Geſetze zu uͤbertreten, oder, durch einen unmaͤßi-
gen Genuß derſelben unſerer Geſundheit zu ſchaden.
Die geſunde Vernunft lehret einen ieden, daß die
Luſt, welche mit dem Wercke der Zeugung verbun-
den iſt, nicht das Haupt-Werck ſey, auf welches
wir in Verrichtung deſſelben allein zu ſehen haben.
Es iſt leicht zu erkennen, daß die Fortpflantzung
unſers Geſchlechts die Urſache ſey, warum der
Bey-
[752](o)
Beyſchlaf mit einem ſo empfindlichen Vergnuͤgen
verknuͤpfet iſt: Und die Erfahrung ſoll es geben daß
dieſes Vergnuͤgen groͤßſten Theils in der Einbildung
beſtehe, und in der That ſo groß nicht ſey, als wir es
uns vorſtellen.
Dieſe Betrachtungen koͤnnen uns der Maͤßigkeit
erinnern, und uns antreiben den Lehren zu folgen, wel-
„che der weiſe Montaigne allen Maͤnnern giebt.
„ſont,’
ſagt er (33)
„quent tant qu’on veut leurs pieces à garçonner,
„à mediciner la honte le deffend. Je veux donc
„de leur part apprendre cecy aux maris, s’il
„s’en trouve encore qui y ſont trop acharnez:
„c’eſt que les plaiſirs meſmes qu’ils ont à l’ac-
„cointance de leurs femmes ſont reprouvez ſi
„la moderation n’y eſt pas obſervée, \& qu’il y a
„de quoy faillir en licence \& debordement en
„ce ſuject-là comme en un ſuject illegitime.
„Ces encheriſſemens deshontez, que la cha-
„leur premiere nous ſuggere en ce jeu, ſont
„non indecemment ſeulement, mais domma-
„geablement employez envers nos femmes.
„Qv’elles apprennent l’impudence au moins
„d’une autre main. Elles ſont touſiours aſſez
„eſveillées pour noſtre beſoin. . . . . .
„C’eſt tine religieuſe liaiſon \& devote que le
„mariage: Voila pour quoy le plaiſir qu’on en
„tire, ce doit eſtre un plaiſir retenu, ſerieux \&
„meslé à quelque ſeverité, ce doit eſtre une
„volupté aucunement prudente \& conſcien-
„tieuſe.’
Aber
[753](o)
Aber ſie koͤnnen uns nicht bereden, daß es eine Suͤn-
de ſey, wenn Mann und Weib zu der Zeit, wann ſie
einander ehelich beywohnen, die, mit dieſer angeneh-
men Bemuͤhung unzertrennlich verknuͤpfte, Luſt em-
pfinden: oder daß es noͤthig, mit ſolcher Kaltſinnigkeit
an der Fortpflantzung des menſchlichen Geſchlechts zu
arbeiten, daß man waͤhrender Zeit ſeinen Pſalter her-
beten koͤnne „inter ipſum debiti naturalis egerium„
aliquid ruminare Pſalmorum(34).‟
Man kan kecklich die Einſaͤlle desjenigen Rabbi,
als ungereimt, verlachen, welcher von den Eheleuten
verlanget, ſie ſolten bey Verrichtung des ehelichen
Wercks nichts, als heilige Gedancken haben, uñ nicht
auf die Kuͤhlung ihrer Brunſt; ſondern eintzig und al-
lein auf die Erfuͤllung des Goͤttlichen Willens ihr Ab-
ſehen richten.
in quell’iſtante alli piaceri, ma ſolo per adem.„
pir il voler divino ...... ambidoi„
devono penſar in quell’inſtante que queſto„
non lo fanno per il lor giovamento, è adempir„
il lor appetiti carnali, ma ſolo per mantenir il„
precetto ...... ogn’huomo da„
bene ſa quello, che deve penſar in quell’in-„
ſtante, perche ſi deve penſar ſolo à penſieri„
ſanti è pii(35).„’
Dieſe Forderung ſind unbillig, und laufen wieder
die geſunde Vernunft, welche uns befiehlt nichts oben
B b bhin,
[754](o)
hin, ſondern mit Bedacht zu thun. Hoc age, heißt
es in allen unſern Verrichtungen. Warum ſoll
dann dieſe, ſo natuͤrliche, und zur Fortpflantzung des
menſchlichen Geſchlechts ſo noͤthige, Handlung von
dieſer allgemeinen Regel ausgenommen ſeyn? Mir
koͤm̃t dieſes ſehr heuchleriſch vor, und moͤchte ich wohl
wiſſen, ob die Herren, die eine ſo groſſe Heiligkeit,
oder vielmehr Unempfindlichkeit von dem Menſchen
verlangen, ſich wohl zum ehlichen Leben wuͤrden be-
quemet haben, wann der Beyſchlaf kein groͤſſer Ver-
gnuͤgen, als z. E. das Dreſchen gaͤbe: oder ob ſie durch
nichts, als eine Chriſtliche Betrachtungen des Creſei-
te \& multiplicamini angereitzet werden, ihre Wei-
ber zu erkennen?
Jch glaube ſie werden gerne geftehen, daß ſie ihren
Schatz in irrdiſchen Gefaͤſſen tragen. Aber ſie haben
nicht Urſache, ſich ihrer Geſundheit zu ſchaͤmen. Es iſt
eben ſo erlaubt, im Beyſchlaf eine Luſt zu empfinden,
als ſich mit Speiſe und Tranck zu er quicken. Die Luſt,
ſo wir empfinden, wann wir unſern Hunger und
Durſt ſtillen, kan Folgen haben, die eben ſo ſchaͤdlich
ſind, als diejenigen, welche aus einer unmaͤßigen Pfle-
gung der Liebe entſtehen. Darum aber hat noch kein
Moraliſte geſaget, es ſey ſuͤndlich, die Speiſe, die man
genieſſet, zu ſchmecken, und ſich an deren Geſchmack,
wann er angenehm iſt, zu beluſtigen. Unſere rei-
neſten und eyferigſten Gottesgelehrte erlauben uns
das poculum hilaritatis, und treiben es manch-
mahl ſelbſt ſo hoch, als es angehen will. Wie koͤnn-
ten ſie aber dieſes thun, wenn die Empfindung einer
Luſt, deren Mißbrauch ſchaͤdlich iſt, an ſich eine
Suͤnde waͤre?
Jch
[755](o)
Jch tadele ſie desfals nicht; ſondern lobe ſie viel-
mehr. Sie wuͤrden, wenn ſie ſtrengere Lehren gaͤ-
ben, wenig Gehoͤr finden; es muͤſte dann bey melan
coliſchen und ſcheinheiligen Gemuͤthern ſeyn, die et-
wan ſo geſinnet ſind, als der bekannte Mr. Paſcal
(36). Und was wuͤrden ſie alſo nicht vor Seufzer
auf ſich laden, wenn ſie die Empfindung der Luſt im
Beyſchlafe, als eine ſuͤndliche Sache, als einen mo-
tum pravum, den Glaͤubigen unterſagen wolten?
Die gantze Welt wuͤrde ſich einer ſo harten Lehre
wiederſetzen, und auch die Froͤmmſten wuͤrden mit
den Apoſteln ſprechen: Stehet die Sache eines Man-
nes mit ſeinem Weibe alſo, ſo iſts nicht gut ehelich
werden (37).
Ein Mann, der ſich durch dieſe heuchleriſche Lehre
zu einer heiligen Kaltſinnigkeit in Verrichtung des
ehelichen Wercks verfuͤhren laſſen wolte, wuͤrde bey
ſeiner Hauß Ehre ſchlechten Danck verdienen; und
die Gemahlin eines Gelehrten z.E. wuͤrde es ſehr uͤbel
nehmen, wenn ihr Ehe-Herr ſie mit eben der Gelaſſen-
heit careßiren wolte, mit welcher er in ſeinem Corpore
Juris blaͤttert. Ein Schneider kan ſeine Nehe-Na-
del einfaͤdeln, und dabey ein Morgen-Lied anſtimmen;
Wolte er aber mit ſo heiligen Gedancken ſein Ehe-
Bett beſchreiten, und bey derjenigen Arbeit, zu wel-
cher daſſelbe gewidmet iſt, gleichfals ſeine Stimme
zum Lobe GOttes erheben; So zweifele ich nicht,
daß ſeine Frau ihn erinnern wuͤrde, daß, wie der
Prediger ſagt, ein jegliches ſeine Zeit, und
B b b 2alles
[756](o)
alles Fuͤrnehmen unter dem Himmel ſeine Stunde
habe.
Auch den Maͤnnern wuͤrde es nicht gefallen,
wenn ihre Weiber ſich aller Empfindung und Bezeu-
gung eines Vergnuͤgens enthalten wolten, zu der Zeit,
wann ſie ſich alle Muͤhe geben, denſelben ihre Liebe
aufs nachdruͤcklichſte zu bezeugen. Wie viele wuͤrden
nicht ihre Weiber eben ſo unwillig anfahren, als
Martial das Seinige?
„Non ego ſum Curius, non Numa, non
Tatius.’
Und mit dieſem Poeten klagen:
Nec digitis, tanquam thura merumqve
pares. (38)’
Jndeſſen glaube ich nicht, daß es, bey ietzigen Umſtaͤn-
den, dazu kommen wird. Das Frauenzimmer wenig-
ſtens wird ſich wohl fuͤr dem Vorwurf einer Unem-
pfindlichkeit huͤten, und wenn auch der Hr. Prof.
Manzel noch ſo klar darthun ſolte, daß diejenige Da-
me, von welcher wir alle herſtammen, gantz fuͤhlloß
geweſen. Er mag die Gluͤckſeeligkeit und Vollkom-
menheit dieſer Dame noch ſo ſehr herausſtreichen;
So wird doch unſer Frauenzimmer lieber demjeni-
gen, als einem Meiſter in ſeiner Kunſt, Glauben zu
ſtellen, welcher ſagt:
„Quo pariter debentfæmina virq; frui(39).’
Und
[757](o)
Und es unſerer Stamm-Mutter noch in der Erde
dancken, daß ſie ſich und ihre Nachkommen von einer
ſo verdꝛießlichen Vollkommenheit entledigen wollen.
Der Hr. Prof. Manzel nun, und alle diejenigen,
die mit ihm, ſo hohe Begrife von der Heiligkeit un-
ſerer erſten Eltern haben, koͤnnen dieſes dem weibli-
chen Geſchlecht nicht zu einer ſonderlichen Suͤnde
deuten, ſo lange ſie nicht eydlich dargethan haben, daß
ſie nur einmahl wenigſtens in ihrem Leben den Ver-
luſt der Vollkommenheit, von welcher hier die Rede
iſt, aufrichtig und von Grund des Hertzens beſeufzet
haben. Jch weiß nicht, ob ſie ſich dazu verſtehen wer-
den. Das weiß ich aber, daß der Heil. Auguſtinus, wo-
fern ich ihn recht kenne, es nimmer mit gutem Gewiſ-
ſen wuͤrde haben thun koͤnnen. Dieſer groſſe Kirchen-
Vater war, wie bekannt, ſo verliebter Natur, daß er,
wann er GOtt um die Gabe der Keuſchheit anꝛief, ſich
allemahl dabey ausbedung, GOtt moͤchte ſie ihm
doch ja nicht zu zeitig geben. „Da mihi, ſagt er, ca-
„ſtitatem \& continentiam, ſed noli modo. Denn
ihm war bange, GOtt moͤchte kein Ehren-Wort
verſtehen; ſondern gleich Ernſt daraus machen. „Ti-
„mebam enim ne me cito exaudires, \& citò
„ſanares à morbo concupiſcentiæ(40). Es iſt
ſehr glaublich, daß einem der ſo geſinnet, mit der Wie-
derherſtellung der verlohrnen Vollkommenheit, die
dem Frauenzimmer ſo beſchweꝛlich ſeyn wuͤꝛde, gleich-
falls wenig gedienet geweſen waͤre; und daß der heil.
Auguſtinus, wann er die Unempfindlichkeit des erſten
Menſchen in Anſehung des Beyſchlafes mit den ſuͤſ-
B b b 3ſen
[758](o)
ſen Folgen des Falles verglichen, ein andaͤchtiges: O
felix culpa! welches die Roͤmiſche Kirche bey einer an-
dern Gelegenheit ſinget, in ſeinem Hertzen angeſtim-
met habe.
Ew. Hochwohlgeb. muͤſſen nicht meinen, daß die-
ſes alles den Hrn. Manzel nicht angehe; indem Er ja
nicht ſo ſtrenge moraliſiret, als der Rabbi, den ich an-
gefuͤhret habe. Es gehet ihn unſtreitig an, weil Er die
Luſt, ſo der Menſch heutiges Tages in dem Beyſchlafe
empfindet, motum pravum nennet, und folglich vor
unerlaubet haͤlt. Da ich nun gewieſen habe, daß dieſe
Luſt gantz und gar unſchuldig, und eine natuͤꝛliche und
nohtwendige Folge unſers Weſens iſt, welches durch
den Fall nicht veraͤndert worden, ſo folget, daß der Hr.
Prof. Manzel keine Urſache gehabt, zu ſagen, die erſten
Menſchen haͤtten ſich ohne Empfindung aller Luſt ge-
paaret (ſine motibus pravis) Dieſe Luſt iſt kein mo-
tus pravus, und kan von dem Wercke der Zeugung ſo
wenig abgeſondert werdẽ, als die Naͤſſe vom Waſſer.
Jch ſetze voraus, daß es mit der Fortpflantzung des
menſchlichen Geſchlechts im Stande der Unſchuld e-
ben ſo zugegangen ſey, als ietzo. Sagt man aber mit
einigen Schwaͤrmern, der erſte Menſch habe ſich im
Stande der Unſchuld auf eine geiſtliche Art fortpflan-
tzen koͤñen, und der Unterſcheid zwiſchen Mann und
Weib ſey eine Folge des Falles; ſo habe ich verlohren;
ſo wird die Luſt, die aus der Vereinigung der beyden
Geſchlechter entſtehet, eine ſuͤndliche Schwachheit,
ein motus pravus. Es ſcheinet nicht, daß deꝛ Hꝛ. Man-
zel ſich dieſes kauderwelſchen Gewaͤſches theilhaf-
tig machen wolle. Denn er merckt (§. 63.) als etwas
beſonders an, daß die erſten Menſchen ſich auf eben die
Art
[759](o)
Art fortgepflantzet haͤtten, als wir (quod ratio pro-
pagandi cum moderna una fuerit eademque).
Wie will er alſo dasjenige, ſo er motus pravos nennet
von dem Beyſchlafe abſondern? Womit will er be-
weiſen, daß der erſte Menſch ſeine Frau auf eben die
Weiſe, als es heutiges Tages gebraͤuchlich iſt, er-
kannt, und doch keine Luſt empfunden habe? Wer
will ihm das glauben? Jſt er aber ſo kuͤnſtlich, daß er
dieſes beweiſen kan, ſo will ich gerne das, was er ſagt,
vor ein gar beſonderes Wunder halten: Sonſt aber
begreife ich nicht, warum der Hr. Prof. die Aehnlich-
keit der Art der Fortpflantzung vor und nach dem
Fall unter die beſondern Raritaͤten (ſingularia)
rechnet, die bey dem erſten Menſchen zu bemercken
ſind.
Die andere Anmerckung, welcher der Hr. Prof.
Manzel hier machet iſt dieſe: „daß die eꝛſten Menſchen
nicht wie das Vieh gelebet, und ſich ohne alle Ord-„
nung durch einander gepaaret, (quod non vagos„
exercuerint concubitus); ſondern daß ein jeglicher„
ſein eigen Weib, und eine jegliche ihren eigenen„
Mann gehat habe (quod unus uni ſe junxerit, e-„
amque ſibi ſoli habuerit ſociam). Denn, meint er,„
weil die Liebe des erſten Menſchen vernuͤnftig gewe-„
ſen, und die Kinder eine ziemliche Zeit gebꝛauchet haͤt-„
ten, ehe ſie ſich ſelbſt helfen koͤnnen (donec fieret per-„
fecta proles): So waͤre ein gewiſſer Vater noͤhtig„
geweſen, um ſich ſeines Kindes anzunehmen; weil„
ſonſt die Laſt der Erziehung auf die Mutter allein„
gefallen ſeyn wuͤrde.„
Dieſes heißt alles nichts. Mich deucht die Gemein-
ſchaft deꝛ Weibeꝛ hat in dem Stande deꝛ Unſchuld des
Bb b 4Hrn.
[760](o)
des Hrn. Manzels ſo gut ſtatt, als in der Republick
des goͤttlichen Plato. Jch begreife gantz deutlich, daß
dieſe Gemeinſchaft, unter vollkommenen Menſchen,
nicht die geringſte uͤble Folge haben koͤnne, ja faſt
nothwendig ſey. Denn vollkommene Menſchen le-
ben in einer vollkommenen Freundſchaft. Eine voll-
kommene Freundſchaft erfordert eine vollkommene
Gemeinſchaft aller Dinge: Eine vollkommene Ge-
meinſchaft aller Dinge wuͤrde nicht vollkommen
ſeyn, wenn die Weiber davon ausgenommen.
Dieſe Gemeinſchaft nun kan keinen Unfug und
Streit anrichten, weil ſie eine vollkommene Freund-
ſchaft zum Grunde hat. Daß wir jetzo die Gemein-
ſchaft der Weiber als einen Greuel, und eine, der allge-
meinen Ruhe nachtheilige, Sache anſehen, und das
mit Recht, das ruͤhrt aus unſerer Eyferſucht her. (*)
Dieſes
[761](o)
Dieſes iſt aber ein Afect, den der Hr. Manzel ſeinen
vollkommenen Menſchen nicht beylegen kan, ohne ſie
eben ſo naͤrriſch zu machen, als wir ſind. Da man nun
nothwendig den erſten Menſchen alle Schwachheiten
abſprechen, und ſagen muß, ſie haͤtten ſich alle hertzlich
geliebet und einer des andern Gluͤckſeligkeit und Ver-
gnuͤgen zu befordern geſuchet: So iſt es ſehr unnoͤ-
thig, daß der Hr. Prof. vor die armen Kinder im
Stande der Unſchuld ſorget, und befuͤrchtet ſie wuͤr-
den nicht, wie es billig ſeyn ſollen, erzogen worden
ſeyn, wenn kein gewiſſer Vater vorhanden geweſen
waͤre. Dieſe Gewißheit war unter ſo vollkommenen
B b b 5Leu-
(*)
[762](o)
Leuten, die ſich alle ſo hertzlich liebten, nicht noͤthig,
und, die Kinder wuͤrden Leute genug gefunden haben,
die ſich ihrer angenommen.
Folglich hat der Hr. Prof. Manzel keinen zurei-
chenden Grund angegeben, warum er die Gemein-
ſchaft der Weiber, oder den vagum concubitum aus
ſeinem Stande der Unſchuld verbannet.
Laßt uns hoͤren wie es mit der Vielweiberey ſtehet.
„Jch habe, ſpricht der Hr. Prof. (§. 64.), gar merck-
„lich geſagt, daß ein Mann und ein Weib ſich zuſam-
„men gehalten haͤtten, daher dann zu ſehen iſt, daß die
„Vielweiberey im Stande der Unſchuld nicht gewe-
„ſen ſey, noch ſeyn koͤnnen, weil GOtt nur zweyerley
„Geſchlechte, und von einem jeden Geſchlechte gleich
„viel Perſonen erſchafen hatte, daß es alſo unmoͤglich
„gewſen, zwey Weiber zu haben. Wie ich in meiner
„Diſputation de Polygamia weitlaͤuftiger ausge-
„fuͤhret habe.
Hier ſehe ich wohl, daß wenn ein jeglicher ſein eigen
Weib, und eine jegliche ihren eigenen Mann gehabt
hat, die Vielweiberey im Stande der Unſchuld nicht
Platz haben koͤnnen. Jch glaube auch wohl, daß dieſes
nicht anders habe ſeyn koͤnnen, wenn GOtt die Maͤn-
ner und Weiber in gleicher Anzahl erſchafen, und ei-
nem jeden Paar einen ſonderlichen Trieb, ſich zuſam-
men zu halten, eingepreget hat: Allein ich begreife
nicht, wie es moͤglich ſey, dieſe gleiche Anzahl der Maͤn-
ner und Weiber zu erweiſen. Der Hr. Pr. Manzel ſagt
zwar, er habe dieſes in einer beſondern Diſputation
gethan, die ich nicht geſehen habe, aber ich glaube es
nicht. Der Hr. Prof. hat die Gewohnheit, daß er die
Woͤrter demonſtrare, demonſtratio und derglei-
chen
[763](o)
chen in einem ſehr uneigentlichen Verſtand nimmt.
Jch bin der Meynung, daß dieſer Beweiß, den er vor-
giebt, eben ſo unmoͤglich, als es unmoͤglich iſt, aus-
zumachen, ob mehr Haare, oder mehr Augen in der
Welt ſind, und ob die Anzahl der Augen und Haare
gerade oder ungerade ſey?
Jch wolte alſo dem Hrn. Prof. wenn ich die Ehre
haͤtte mit ihm bekannt zu ſeyn, unmaßgeblich rathen,
ſich nicht eine Laſt aufzulegen, die ihm zu ſchwer iſt;
ſondern, wenn ihn jemand fragen ſolte, woher er dann
beweiſen wolle, daß GOtt die Maͤnner und Weiber
in gleicher Anzahl erſchafen, aufrichtig zu antworten;
es muͤſten eben ſo viel Maͤnner, als Weiber anfaͤng-
lich erſchafen ſeyn, weil ſonſt die Vielweiberey im
Stande der Unſchuld Statt gehabt: dieſes aber wol-
le er nicht haben. Wenn er ſo antwortete, ſo wuͤrde es
eine Unbeſcheidenheit ſeyn, ihn weiter zu aͤngſtigen.
Denn wer kan ihm das Recht ſtreitig machen, ſein
Utopien ſo einzurichten, als er es gut findet?
Kraft eben dieſes ihm unſtreitig zuſtehenden Rechts
hat er auch, wie er (§. 65.) thut, die Ehen unter Bruͤ-
dern und Schweſtern in ſeinem Reiche verbieten koͤn-
nen. Denn ich ſehe auch dieſe Verordnung als einen
Macht-Spruch an, der ſeinen Grund eintzig und al-
lein in dem Willen des Geſetzgebers hat. Weil der
Hr. Prof. Manzel von den Ehen zwiſchen Bruder und
Schweſter nichts wiſſen will, ſo richtet er ſeinẽ Stand
der Unſchuld ſo ein, daß dieſe Ehen unmoͤglich ſeyn
muͤſſen. Jch habe dawider nichts zu ſagen: Doch kan
ich Ew. Hochwohlg. nicht bergen, daß ich mir getraue
die Moͤglichkeit dieſer Ehen gar wohl zu beweiſen, der
Hr. Manzel mag auch ſeine Sachen noch ſo kuͤnſtlich
ein-
[764](o)
einrichten. Jch halte vor unnoͤthig Ew. Hochwohl-
gebohrnen hievon eine Probe zu geben: Sie ſehen
wohl, daß ich mich nicht zu viel vermeſſe.
Jch mag auch uͤber dem hier nicht weitlaͤuftiger
ſeyn, weil mir leicht ein Wort entfallen koͤnnte, wo-
durch ich mich an dieſem Beweiß, von der Unmoͤglich-
keit der Ehen unter Geſchwiſter, verſuͤndigen moͤchte.
Der Hr. Prof. Manzel iſt ſo beſcheiden, und geſtehet
daß ſeine Demonſtration ſehr ſchwer hincket (mul-
tum claudicare). Sie wiſſen, daß man mit gebrechli-
chen und preßhaften Perſonen ein Mitleiden haben,
und ihrer bey Leibe nicht ſpotten muß. Warum ſolte
ein gebrechlicher Schluß nicht eben dieſes Mitleydens
wuͤrdig ſeyn?
So viel deucht mich, kan ich ohne Suͤnde ſagen, daß
die Frage: Ob es nach dem Recht der Natur erlaubt
ſey, ſeine Schweſter zu heyrathen? nicht wohl beant-
wortet wird, wenn man ſpricht; Es ſey unmoͤglich ge-
weſen, im Stande der Unſchuld ſeine Schweſter zum
Weibe zu nehmen. Denn dieſes will man nicht wiſ-
ſen: Sondern die Frage von der Rechtmaͤßigkeit die-
ſer Ehen ſetzt die Moͤglich keit derſelben voraus. Folg-
lich iſt der Hr. Prof. Manzel, der ein Jus Naturæ ve-
re tale ſchreiben will, ſchuldig, uns zu berichten, was
in dieſem Falle Rechtens geweſen, wenn er ſich im
Stande der Unſchuld begeben haͤtte.
Eben dieſes ſage ich von dem, was der Hr. Prof.
(§. 66.) von den Ehen zwiſchen Eltern und Kindern
ſchreibt. Er beweiſet nicht, daß ſie an ſich ſuͤndlich ſind,
ſondern er ordnet nur, nach der unumſchraͤnckten Ge-
walt, die ihm niemand abſprechen kan, die Sachen
in ſeinem Stande der Unſchuld ſo, daß ſie keine
Statt
[765](o)
Statt haben koͤnnen. „Er ſpricht: Eltern und Kin-„
der konnten einander unmoͤglich heyrathen, weil der„
Vater nimmer ein Wittwer geworden waͤre, und„
alſo, da er ſchon eine Frau hatte, ſeine Tochter nicht„
zum Weibe nehmen konnte.
Er glaubt alſo, daß die Eheleute einander nimmer
uͤberlebet haͤtten, ſondern zugleich geſtorben waͤren:
Gerade als die gute alte Baucis und ihr Philemon
„.. pia Baucis anus parilique ætate Philemon.
Dieſes fromme Paar wuſte ſich von den Goͤttern
nichts beſſers auszubitten, als daß es zugleich ſterben
moͤchte.
quam
„Buſta meæ videam; neu ſim tumulandus
ab illa (41)’
Was Philemon als eine Gnade gebeten hat, das
iſt in dem Stande der Unſchuld, nach des Hrn. Man-
zels Meinung, etwas natuͤrliches geweſen. Dieſes iſt
nun aber ein verzweifelter Satz, welcher nicht eher den
geringſten Grad der Wahrſcheinlichkeit erreichet,
als biß der Hr. Prof. erwieſen hat, daß die Ehe-Leute
auch zugleich gebohren worden: oder, wenn ſie nicht
zugleich gebohren, eine Urſache giebt, warum der
juͤngſte Ehegatte mit dem aͤltern zugleich ſterben muͤſ-
ſen. Denn die Regeln der Ordnung ſcheinen zu erfor-
dern, daß GOtt in dem Stande der Unſchuld einem
Menſchen kein laͤnger oder kuͤrtzer Ziel geſetzet, als
dem andern. Es haben alſo Leute, die zugleich geſtor-
ben ſind, auch zugleich gebohren ſeyn muͤſſen: Oder
wenn die Frau etwan aͤlter geweſen iſt, als der Mann,
ſo
[766](o)
ſo hat ſie eher ſterben muͤſſen, als der Mann. Die Ca-
ravane, mit welcher ſie gen Himmel gieng, trat ihre
Reiſe eher an, als diejenige, mit welcher der Mann ge-
hen muſte. Es muß demnach Wittwer und Witti-
ben im Stande der Unſchuld gegeben haben, wofern
der Hr. Prof. nicht darthut, daß Mann und Weib
allemahl in einem Augenblick gebohren worden.
Doch er kan auch ſagen, wenn gleich dem Manne
ſeine Frau abgeſtorben, ſo koͤnne es ſich doch wohl alle-
mahl ſo gefuͤget haben, daß juſt zu der Zeit keine von
ſeinen Toͤchtern, falls er welche gehabt, mannbahr
oder unverheyrathet geweſen.
Dieſes waͤre nun zwar eben ſo unbegreiflich und un-
wahrſcheinlich, als daß Mann und Weib zugleich ge-
bohren und geſtorben, und alſo die Menſchen in der
ſchoͤnſten Ordnung, paarweiſe, gen Himmel gefahren:
Allein wer wolte von dem Hn. Prof. etwas gewiſſers
und gruͤndlichers verlangen? Ein Gedichte iſt gut ge-
nug, wenn es nur nicht gar unmoͤglich iſt.
Die Unmoͤglichkeit aber alles deſſen, was der Hr.
Prof. hier ſaget, getraue ich mir ſo wenig zu beweiſen,
als ich die erſtaunende Ordnung, welche der Hr. Prof.
vorausſetzet, zu begreifen faͤhig bin. Wer Zeit uͤbrig
hat, deꝛ kan ſich nuꝛ die Muͤhe geben, und nachrechnen,
was ſich etwan unter 4 oder 5 Paar Menſchen vor
Faͤlle begeben koͤnnen, in einer Zeit von 100 Jahren.
Jch glaube ihm wird gruͤn und gelbe vor den Augen
werden. Er wird mit Haͤnden greifen, daß der Stand
der Unſchuld des Hn. Manzels allen menſchliche Witz
uͤberſteiget. Wider ſolche Dinge kan nun kein Menſch
mit Vernunft Einwuͤrfe machen. Die Finſterniß, in
welcher der Hr. Pr. wandelt, iſt ſo dicke, daß einer, der
ihn
[767](o)
ihn angreifen wolte, nicht wiſſen wuͤrde, wo er ihn
wahrnehmen ſolte. Sie ſcheidet ihn von ſeinen Wi-
derſachern, als die Wolcken-Seule die Kinder Jſrael
von den Egyptiern. Mir grauet im Dunckeln: daher
will ich ihn nicht weiter verfolgen.
Ueberdem ſetzt auch der Hr. Prof. ſeine Betrach-
tungen nicht weiter fort. Er ſpricht, das uͤbrige, was
noch von den verbotenen Graden zu erinnern waͤre,
laſſe ſich eben ſo leicht aus der Natur herleiten. Jch
glaube ihm dieſes gerne zu, wenn man, wie er, ſich zum
Herren dieſer Natur macht, und dieſelbe nach ſeiner
Phantaſie einrichtet.
„Auſſer dieſem, ſpricht der Hr. Prof. (§. 67.) ge-„
hoͤre nichts ins Jus Naturæ vere tale: Und daher„
wuͤrde klar, daß man heutiges Tages aus dieſem„
wahren Recht der Natur vieles ſehr ungereimt und„
gezwungen auf unſern ietzigen Zuſtand ziehe, da man„
doch gantz anders verfahren muͤſte. Man muͤſte,„
nemlich, die Welt, und die darinn befindliche Men-„
ſchen, ſo wie ſie ietzo ſind, wohl betrachten, und aus ih-„
rem ietzigen Zuſtand urtheilen, was zur Erhaltung„
der allgemeinen und beſondern Gluͤckſeeligkeit„
noͤthig ſey. Und dieſe Betrachtung heiſſe das Voͤlcker„
Recht, und uneigentlich (abuſive) Jus Naturale,„
nemlich ein natuͤrliches, billiges Recht u. ſ. w.„
Ew. Hochwohlgeb. duͤrfen nicht befuͤrchten, daß
ich dieſe Worte des Hrn. Prof. angefuͤhret habe um
nach meiner boͤſen Gewohnheit, ohne Ende daruͤber
zu ſchwatzen. Jch will es kurtz machen, und nur an-
mercken, daß der Hr. Prof. durch das, was er hier ſagt,
ſeine gantze Schrift vor unnuͤtz erklaͤret.
Er
[768](o)
Er will das Recht der Natur ausbeſſern. Er will
die darinn vorkommenden Streitigkeiten ſchlichten:
Er ſchreibt zu dem Ende ein Jus Naturæ veré tale.
Und nun koͤmmt er und ſagt; es waͤre eine Thorheit
aus dieſem Jure Naturæ vere tali etwas auf unſern
ietzigen Zuſtand zu appliciren. Warum hat er uns
dann dieſes Jus Naturæ vere tale ſo muͤhſam erklaͤ-
ret? Warum muthet er denen, die gelehrter, als er
ſind, zu, daß ſie weiter uͤber dieſes Jus Naturæ veré
tale, von welchem er uns, vor der Hand, nur einen
groben Abriß mitgetheilet hat, meditiren ſollen? Was
ſoll es uns vor Troſt geben, daß wir wiſſen, was der
erſte Menſch gemacht hat? Die Erkaͤnntniß des Zu-
ſtandes, in welchem ſich unſere erſte Eltern befunden
haben, tꝛaͤgt nichts zu unſerer Wohlfahrt bey; ſondern
dieſe wird, nach dem eigenen Geſtaͤndniß des Hrn.
Manzels, beſſer durch eine vernuͤnftige Betrachtung
unſers ietzigen Zuſtandes befordert: Alle, die bishero
das Jus Naturæ gelehret haben, (Alberti und Stri-
meſius ausgenommen) legen dieſe Betrachtung zum
Grunde; Und alſo iſt es ſehr unnoͤthig, daß der Hr.
Prof. daruͤber eyfert, daß man aus ſeinem aͤchten Ju-
re Naturæ Saͤtze borge; da man doch die menſchli-
che Natur, wie ſie nun iſt, anſehen ſolte.
Gefaͤllt es ihm aber nicht, die auf dieſe vernuͤnftige
Betrachtung der menſchlichen Natur, wie ſie ietzo iſt,
erbauete Wiſſenſchaft, ein Recht der Natur zu nen-
nen: So kan man ihm ſeinen Willen laſſen: Er nen-
ne ſie wie er will: Nur ſey er ſo gut, und verſchone
uns mit ſeinem Jure Naturæ vere tali. Das kan
uns nichts helfen. Der Hr. Prof. aͤfet uns damit.
Er ſtellet ſich, als wenn er uns in das innerſte des
Rechts
[769](o)
Rechts der Natur (intimaque juris naturæ pene-
tralia, wie er in der Vorrede (p.4.) ſchreibt,) fuͤhren
wolle. Er fordert alle Gelehrten auf, das, was er ge-
ſchrieben, zu uͤberlegen, und ihre Gedancken daruͤber
zu eroͤfnen, damit man endlich zu einer Gewißheit ge-
lange, und viele, ſonſt unſterbliche, Streitigkeiten ihre
Endſchaft erreichen moͤchten. Wer dieſes lieſet, der
dencket, der Hr. Prof. Manzel wolle diejenige Wiſſen-
ſchaft, die wir insgemein das Recht der Natur nen-
nen, auf einen andern Fuß ſetzen, und zu einer groͤſſern
Gewißheit bringen: Denn dieſe Wiſſenſchaft muß es
unſtreitig ſeyn, uͤber deren Verwirrung er in der Vor-
rede klagt: Weil, ehe ſeine primæ lineæ Juris naturæ
verè talis zum Vorſchein gekom̃en ſind, niemand an
ſein Jus Naturæ vere tale gedacht hat. Allein der Aus-
gang giebt es, daß dis dem Hr. Prof. niemahlen in den
Sinn gekommen ſey. Er gedencket des Juris Naturæ,
womit wir uns bißher beholfen haben, in ſeiner gan-
tzen Schrift kaum zweymahl, und ſagt nichts mehr
von demſelben, als, daß es nicht das rechte Jus Natu-
ræ ſey. Er beſſert und bauet alſo nicht; ſondern er reiſ-
ſet nieder. Er verwirft unſer altes Jus Naturæ, und
bringt ein gantz neues zum Vorſchein: Doch will er
nicht, daß wir uns nach demſelben richten ſollen: Er er-
laubt uns bey dem alten zu bleiben: Nur meint eꝛ, man
muͤſſe es nicht ein Recht der Natur; ſondern ein natuͤr-
liches Recht nennen. Eine wichtige Anmerckung, die
wohl wehrt iſt, daß die gantze Schaar der Gelehrten
derſelben weiter nachſinne!
Ew. Hochwohlgeb. ſehen aus dieſem allem, daß deꝛ
Hr. Prof. Manzel durch ſeine Diſſertation nicht das
geringſte zur Verbeſſerung derjenigen Wiſſenſchaft,
C c cbey-
[770](o)
beygetragen habe, die alle Welt mit dem Nahmen des
Rechts der Natur beleget. Er laͤſſet alles wie es iſt,
biß auf den Nahmen; und theilet der gelehrten Welt,
unter dem Titel eines Juris Naturæ vere talis, eine
Beſchreibung des Zuſtandes unſerer erſten Eltern
mit, die einem Roman aͤhnlicher iſt, als einer philoſo-
phiſchen Schrift. Was ſein Abſehen geweſen ſey, iſt
mir unmoͤglich zu errathen. Hat er, wie er ſagt, das
Recht der Natur, oder das natuͤrliche Recht ausbeſ-
ſern wollen, ſo muß man bekennen, daß er ſein Vor-
haben ſchlecht ausgefuͤhret habe.
Der Hr. Prof. wird alſo wohl thun, wenn er von ſei-
ner Diſſertatiuncula nicht mehr haͤlt, als ſich gebuͤh-
ret, und es nicht uͤbel nim̃t, weñ man ſie als einen klei-
nen Roman anſiehet. Thut er das, ſo kan man nicht
mehr ſagen, daß er damit habe zu Hauſe bleiben ſollen:
Denn wer will ihm befehlen, was er ſchreiben ſoll?
Jndeſſen mag der Hr. Prof. von ſeiner Arbeit den-
cken, was er will. Ew. Hochwohlgeb. werden hofent-
lich aus den Einwuͤrfen, welche ich dawider gemacht
habe, ſehen, daß der Hr. Prof. Manzel, wie er (§. 68.)
nach ſeiner Beſcheidenheit, ſelbſt geſtehet, nicht in allen
Stuͤcken die Wahrheit getrofen habe; ſondern daß
noch ſehr vieles an ſeiner Schrift auszuſetzen ſey.
Dieſes iſt der Endzweck meines langen Briefes, und
wenn ich denſelben erreiche, ſo bin ich zufrieden.
Jch ſolte nicht meinen, daß die beyden Argumente,
mir daran hinderlich fallen koͤnnten, die der Hr. Prof.
(§. 57.) noch zu den andern hinzu thut, durch welche er
ſeinen Stand der Unſchuld hat erweiſen wollen; Und
halte daher vor unnoͤthig, mich bey denſelben laͤnger
aufzuhalten. Es iſt Zeit, daß ich einmahl aufhoͤre.
Doch
[771](o)
Doch kan ich dieſen Brief nicht ſchlieſſen, ohne vor-
her Ew. Hochwohlg. nochmahl zu bitten, das, was ich
ſchreibe, nicht anders aufzunehmen, als es gemeinet
iſt. Meine Einwuͤrfe wider den Stand der Unſchuld,
den der Hr. Manzel beweiſen wollen, gehen nicht da-
hin, daß ich das, was uns von dem Zuſtande des erſten
Menſchen ofenbahret worden, in Zweifel ziehen, oder
gar leugnen wolte. Jch weiß wohl, was man den
Schriften Moſis vor Ehrerbietung ſchuldig iſt. Mei-
ne Abſicht iſt nur, zu weiſen, daß unſere Vernunft
nichts von dem Stande der Unſchuld wiſſe, und daß
es alſo ein verwegenes Unternehmen ſey, daß der Hr.
Manzel denſelben aus der bloſſen Vernunft beweiſen
wollen. Und dieſe Verwegenheit muß einem noch groͤſ-
fer vorkommen, wenn man bedencket, daß ſelbſt Mo-
ſes von den meiſten unbegreiflichen Dingen, wie der
Hr. Pr. von dem Stande der Unſchuld lehret, nicht ein
Wort erwehne. Der Bericht dieſes heiligen Schrei-
bers von dem urſpruͤnglichen Zuſtande, und Fall des
erſten Menſchen iſt ſo beſchafen, daß man Muͤhe hat,
ſich einen rechten Begrif von dieſen Dingen zu ma-
chen, und es haben ſchon gelehrtere Leute, als der Hr.
Prof. Manzel, und ich, angemercket, daß man gar
wahrſcheinlich aus der Erzehlung Moſis ſchlieſſen
koͤnne, es habe der goͤttlichen Weißheit nicht gefallen,
uns eine umſtaͤndliche Nachricht von dem Zuſtande
unſerer erſten Eltern mitzutheilen (42).
C c c 2War-
[772](o)
Warum wollte man dann in Dingen gruͤbeln, welche
GOtt uns zu ofenbahren nicht vor noͤthig erachtet habe? Mo-
ſes ſagt uns, GOTT habe den Menſchen nach ſeinem Bilde
erſchaſen: Er habe ihn in einen ſchoͤnen Garten geſetzet: Der
Menſch habe von der Frucht eines Baumes gegeſſen, welche
ihm von GOtt zu eſſen verboten: Und ſey desfals aus dem
ſchoͤnen Garten vertrieben worden. Damit muͤſſen wir zufrie-
den ſeyn, und uns nicht einbilden, mehr zu wiſſen, als Moſes.
Weil ſich nun der Hr. Prof. Manzel unterſtanden hat, von
der Erzehlung Moſis abzugehen, und uns aus der Vernunft
mehr zu lehren, als dieſer groſſe Prophet uns geſagt hat: So
war es noͤthig, zu zeigen, daß unſere Vernunft in den Sachen
blind ſey, und nicht einmahl den Stand der Unſchuld begrei-
fen, geſchweige vor ſich erkennen koͤnne: und daß es alſo eine
unnuͤtze Arbeit ſey, von ſolchen Sachen zu philoſophiren. Die-
ſes iſt meine Abſicht, welche Ew. Hochwohlgeb. unmoͤglich
werden tadeln koͤnnen.
Uebrigens wird es mir eine ſonderliche Freude ſeyn, bald zu
vernehmen, wie Ew. Hochwohlgeb. moine Gedancken uͤber die
Schrift des Hn. Manzels gefallen habe. Jch habe ſie auf De-
ro Befehl zu Papier gebracht, um Jhnen auch dadurch zu zei-
gen, mit wie vielem Eyfer ich ſey
Schwerin den 30 November
1726.
gehorſamſter Diener
E. v. W.
(42)
[[773]]
ERN. JOH. FRID. MANTZELII,
JURIS ET PHIL. DOCT. AC MORALIUM
PROFESS. ORD. IN ACADEMIA
ROSTOCH.
PRIMÆ LINEÆ
JURIS NATURÆ
VERE TALIS.
SECUNDUM
SANÆ RATIONIS PRINCIPIA
DUCTÆ.
ROSTOCHII,
APUD GEORG. LUD. FRITSCHIUM.
1726.
SOBRIE
PHILOSOPHANTIBUS.
[[775]]
PRÆFATIO.
In ea reſervati ſumus tempora, ubi e-
quidem juris naturæ nobiliſſimæ do-
ctrinæ multi haud infimæ caveæ viri
ingenia \& operam ſuam impendunt; aſt in-
ſimul experimur, multitudinem de eame-
ditantium id efficere, ut dignum hinc inde
eidem non ſtatuatur pretium: Mox etenim
Logomachiæ, circa definitionem \& prin-
cipium hujus juris; Mox confuſio rationis
\& Juris Naturæ; mox indiſcreta oppoſitio
J. N. \& Decalogi, ſeu J. N. per naturam
\& ſcripturam exhibiti; Mox non rite fa-
cta diſtinctio Juris Naturæ \& Gentium;
Mox denique præjudicia ex Jure Civili
hauſta, tædioſam confuſam \& ſpretam
reddunt hanc doctrinam.
Ego dulcedine ejus captus, diu mul-
tumque meditatus ſum, annon forte via
poſſit inveniri per quam omnes incertitu-
C c c 4di-
[776](o)
dines effugere, \& ad vera intimaque juris
naturæ penetralia pervenire detur; tanta
autem mentem meam detinuit fluctuatio,
ut fere deſperaverim: Ne tamen qualia-
cunque mea cogitata mihi ſoli habeam,
publico ea communicare decrevi.
Non vero ea hoc faciam perſuaſione,
ac ſi jam credam, me aliquid ſcribere o-
mni exceptione majus; ſed ut potius ex-
periar, in quantum hæ meæ theſes vel
calculum eruditorum mereri queant,
vel quousque contraſentientes me in re-
ctiorem viam ducere valeant.
Rogito itaque, ut illi, quibus ſupra
vulgus ſapere datum eſt, ſcripta mediten-
tur, ſuasque obſervationes placide expo-
nant: Forte enim ea ratione ad certitudi-
nem quandam deveniemus, \& multis liti-
bus, alias immortalibus, definitiva fere-
tur ſententia. Faxit DEUS T. O M. ut
ducamur in omnem veritatem, \& ut cor-
data intentio ſuo non careat fructu.
TRA-
[[777]]
TRACTATIO.
§. I.
Neminem ſobrie de aliqua doctrina medi-
tari poſſe, niſi qui genuinam ejus defi-
nitionem præſupponit, omnes ſaniores
mecum confiteri, confido. Quo magis igi-
tur intricata eſt doctrina juris naturæ, eo ſol-
licitius de ejus definitione circumſpiciendum
erit.
§. 2. Quantum igitur, ſepoſitis omnibus
præjudiciis, hactenus mihi invenire licuit, ju-
ris naturæ vere talis definitio ex ſequenti fluit
conceptu: DEUS T. O. M. conſentientibus
omnibus qui inſani non ſunt, Auctor, crea-
tor, fons \& origo omnium rerum eſt; aſt non
ſolum creator, ſed etiam providus eſt conſer-
vator, quod ipſum ex omnium rerum natura-
lium admirabili connexione \& propagatione
liquido apparet, adeo ut lapis \& beſtia eſſet,
qui vel in fædiſſimum Atheiſmum delabi, vel
ſtatuere vellet, primum creatorem res creatas
amplius non curare.
§. 3. Hanc creationem, hanc providentiam,
homini, ceu præſtantiſſimæ creaturarum, iti-
dem propriam eſſe, nullus inficias ire poterit;
C c c 5Im-
[778](o)
Immo, quod majus eſt, ommnis docet circum-
ſtantia, huic homini ſingulares a creatore tribu-
tas eſſe prærogativas, \& quidem potiſſimum in
eo, quod anima rationali eundem præditum eſſe
voluerit ſummus Monarcha.
§. 4. Conſtat porro, hanc animam rationa-
lem homini eapropter datam eſſe, ut non ſolis
motibus naturalibus ad ſui conſervationem
urgeretur; ſe ut potiſſimum intellectu ſum-
mum Creatorem agnoſceret, eundemque ad-
miraretur, \& quoad ſe ipſum habita diſtin-
ctione boni \& mali id eligeret, quod ſalutare,
quodque noxium vitaret.
§. 5. In eo enim omnis Moralitatis princi-
pium conſtituere fas eſt; quod Deus homi-
nem, qua intellectum, voluntatem \& appe-
titum ſenſitivum prefecerit, ac viribus iſtis,
qua originem effectum ac finem fere divinis
inſtruxerit dotibus, ut in ſola ſpecie boni libe-
rum ſuum exerceret arbitrium, non quidem
uniformiter, æqualiter \& identitate quadam
ratiociniorum actionumque atque ſic fatali ne-
ceſſitate abs una ad alterum raptus, ſed po-
tius, quoad objecta id tulerunt, egregia ac
planiſſima libertate, in ſpecie boni ſagaciter
ac ſanctiſſime dinſtingueret, prudentiſſime ſe-
ligeret, ac juxta dictamen rectæ rationis, quic-
quid meditando ac agendo abſolverat, in pra-
xin \& applicationem ſemper felicem \& perpe-
tim glorioſam duceret; nam ſi Deus homi-
nem ita diſpoſuiſſet, ut uniformiter agere tan-
tum potuiſſet, non unquam bene vel male
eundem
[779](o)
eundem egiſſe ipſe Deus judicaturus fuiſſet.
Aſt de hac materia infra.
§. 6. Rebus itaque ſic ſtantibus prona fluit
neceſſitate, Deum præter inclinationes natu-
rales, quas homines cum brutis communes
habent, normam aliquam mentibus eorun-
dem indidiſſe, ſecundum quam vitam ſuam
inſtituere debebant.
§. 7. Et hæc ipſa norma verum eſt jus natu-
ræ, quod eapropter explicatius ita deſcriben-
dum: JUS NATURÆ vere tale est norma illa,
quam Deus creator hominibus mediante anima ra-
tionali patefecit, ſecundumque quam vivere illi debe-
bant eligendo bona vitandoque male ad conſervan-
dam felicitatem.
§. 8. Abſit autem ut ſtatuam homines hodie
adhuc vivere in primo illo ſtatu, in quo Deus
ipſos vivere voluit; Contrarium enim firmiter
teneo, \& in ſubſequentibus perſpicue ſola etiam
ex ratione demonſtrabo.
§. 9. His hactenus poſitis ſatis eluceſcit,
communiter tractatum jus naturale, quod ſci-
licet accommodatur ad præſentem mundi ſta-
tum, abuſive ita appellari: Ita enim res com-
parata eſt quod utique illi compilatores ſyſte-
matum \& Compendiorum Juris naturæ lauda-
bilem præſtiterint operam, dum abſtrahendo
ab omni lege civili ſolo rationis ductu expo-
ſuerunt juſtitiam \& æquitatem in omnibus
actionibus humanis obſervandam.
§. 10. Imo, non ſum contrarius, quod cer-
to reſpectu illa elaborata poſſint dici jus natu-
rale,
[780](o)
rale, ſi ſcilicet [...] naturale accipitur pro Syno-
nymo æqui bonique. Sic ex gr. recte dici-
mus, naturale eſſe, ut debitor ſolvat debitum,
ut Commodatarius reſtituat rem commoda-
tam, ut conductor præſtet locarium \&c. Es
iſt natuͤrlich, daß der Schuldner bezahle \&c.
§. 11. Hæc dicta probe penſitans inſignem
agnoſcet diſtinctionem inter id quod æquum
ſive naturale in ſenſu vulgari eſt, \& inter id
quod juris naturæ vere talis in primis funda-
mentis eſt. Quapropter deſcriptioni datæ §. 7.
addet \& inſeret vocabula. In ſtatu ſuo per-
fectionis.
§. 12. Bene hic prævideo, quantum jam
in me ſuſcipiam onus probandi, quod ſcilicet
citra revelationem ex ſola Philoſophia ſibi re-
licta demonſtrari queat, hominem conſtitu-
tum fuiſſe in ſtatu a præſenti longe alieno
\& multo feliciori; niſi enim hoc fecerim e-
jusdem culpæ cum VALENTINO ALBERTI,
Theologo olim Lipſienſi, reum me facerem, qui
ſcilicet ſtatum integritatis in Sacra Scriptura
enarratum in terminis terminantibus ſuæ do-
ctrinæ Juris naturæ ceu fundamentum ſuppo-
ſuit, \& rex reliquis ruderibus imaginis divinæ
ſuum Jus naturæ conſarcinavit, a quo tamen
longe me diſſentire ſerio profiteor.
§. 13. Præſtandum igitur id ipſum erit, quod
promitto, imo illud præſtabo, modo paucis
genuinum omnium jurium conceptum præ-
mittam, quo cuilibet, etiam eorum alias igna-
ro,
[781](o)
ro, conſtet, quæ ſpeciebus jurium interſit di-
ſtinctio.
§. 14. Liceat autem ab inferioribus incipe-
re ſpeciebus \& ita pergere ad ſupremam,
quam jus naturæ vere tale merito appellamus,
\& circa quam præſens verſabitur meditatio.
§. 15. JUS CIVILE itaque est norma illa,
quam quilibet principes in ſuo diſtincto territorio
ſuis præſcribit ſubditis, ut pro ſtatus ratione omnia
feliciter peragantur: perpetuo tamen præſuppoſi-
tis præceptis Juris vere naturalis, \& veritatibus
moralibus.
§. 16. JUS Gentium est norma illa univerſa-
lis ſecundum quam Gentes in genere actiones ſuas
dirigunt ad conſequendam felicitatem. Vel clarius:
Est dictamen rectæ rationis de eo, quod fieri vel non
fieri debet ad acquirendum bonum \& evitandum ma-
lum publicum privatumque: Et in eo ſenſu Jus
Gentium Synonymum eſt cum Jure Æquo \&
vulgariter ſic dicto naturali.
§. 17. JUS DIVINUM eſt norma illa, quam
DEUS in verbo ſuo revelato hominibus patefecit
eum in finem ut ſe incertis quibusdam capitibus
imbecillitate intellectus excuſare nequeant. Imo
in eo hæret genuinus conceptus diverſitatis
Juris vere naturalis \& divini, quod DEUS,
ceu Legiſlator totius Reipublicæ humanæ, in
prima creatione mundi accommodaverit Le-
ges naturæ ad illum ſtatum, in quo citra pec-
catum formale cives vivere poterant; Quod
autem exiſtente defectione, ob motus pecca-
minoſos, varia poſitive prohibuerit, quæ an-
tea
[782](o)
tea in ſolo materiali mala non erant, jam au-
tem ob accedens formale pro ſua ſapientia,
Deus tolerare non potuit.
§. 18. Tandem autem JUS NATURÆ vere
tale est illa norma, quam DEUS in prima felici-
tate conſtitutis hominibus indidit, ut ſecundum
illam vitam ſuam dirigerent ad conſervandam ſta-
tus ſui perfectionem. Hincque fruſtra disquiri-
tur de eo quod Juris naturæ eſt nec ne, niſi
ad hunc ſtatum perfectionis oculi tendantur,
\& genuinæ propoſitiones inde eliciantur.
§. 19. His dictis abſtrahendo ab omni reve-
latione ex ſola ratione ducenda erunt argu-
menta probantia, homines jamjam non vive-
re in ſtatu illo, in quo Deus ipſos vivere vo-
luit, ſed in ſtatu hypothetico, \& penitus cor-
rupto. Sunt autem ea ſequentia:
§. 20. DEUS omnium rerum creator ſine
dubio eſſentia ſua eſt perfectiſſimus, ideoque
non niſi perfecta \& perfectiſſima creare po-
tuit; imo in omnibus naturalibus, quæ infra,
circa, \& ſupra nos obſervamus, ſummam ad-
miramur perfectionem, ſolo excepto homi-
ne, qui, licet qua eſſentiam ſuam, ſpeciem
non mutet \& verus homo, vel in ipſo ſtatu
imperfecto ſit ac maneat, in commercio ta-
men cum hominibus omni triſtiori modo ex-
peritur, quod anima ſua, qua intellectum vo-
luntatemque, ſenſus item \& affectus, mille-
nis vicibus ſit afflicta, in deterius verſa, imo
irremedibili ferme morbo ſubacta, ut inſimul
corpus etiam caſibus millenis triſtioribus, fa-
tis
[783](o)
tis \& morbis ſubjiciatur. Unde concluditur,
hunc hominem non ita creatum eſſe, ſed per-
fectionem primam caſu violento amiſſam eſ-
ſe. Ut taceamus, hominem in puris natura-
libus relictum beſtiam eſſe omnium fædiſſi-
mam infeliciſſimamque.
§. 21. Hanc meditationem excipit ſequens:
Omnis legislator tenetur ſubditis ſuis tales
præſcribere leges, quas illi examuſſim ſerva-
re poſſunt, niſi enim hoc ſecerit, tyranni no-
tam non evadit, qui leges publicat ſupra vi-
res civium, eum in finem, ut in transgreſſo-
res ſævire queat. Jam autem citra dubium,
Deus legum naturalium ſive principiorum no-
biſcum natorum autor eſt, voluitque, ut \&
ſui cultus \& conſervatio propria \& abſtinen-
tia a læſione proximi perfecte obſervaretur:
Docente autem flebili experientia contrarium,
illa emergit concluſio: Homines præſentes
non vivere in illo ſtatu, in quo ex intentione
ſummi legislatoris vivere debebant, ſed longe
alienos illos eſſe.
§. 22. Porro id ipſum demonſtrat perpetua
illa lucta carnis \& Spiritus, quam ceu ſatis
deplorandam ipſimet gentiles agnoverunt,
confitentes, hanc luctam non eſſe a DEO T.
O. M. ſed principio malo, utut Diaboli, quem
revelatio in terminis novit, nullam habuerint
notitiam.
§. 23. Quibuscum jungenda erunt illa, quæ
illi ipſi gentiles de aureo finxerunt ſeculo,
quo durante nimirum nec morbi nec inimici-
tiæ
[784](o)
tiæ nec alia fuiſſe mala enarrant, noviora tem-
pora ceu Ænea \& ferrea damnantes deflentes-
que. Audiamus omnium ad inſtar Ovidium
Lib. I. Metamorphoſeos Fabula III. ita canen-
tem:
Et
[785](o)
§. 24. Et quamvis forte objici poſſet Gen-
tiles hanc meditationem hauſiſſe ex traditio-
ne \& communicatione cum Judæis; non ta-
men deficiunt, quæ reponi queant, vel ad
probandam impoſſibilitatem communicatio-
nis, vel ad demonſtrandum, hæc meditantes
ſcriptores ſuis ſolis inhærere penſitationibus;
Quin, ſi \& vel maxime habuerunt id qua do-
ctrinam pleniorem a Judæis aliqui; Eo ipſo
tamen nihil aliud efficitur, quam quod ſan-
cta revelatio ipſum illud etiam Jus Naturæ
docuerit, atque ſic, quod imperfectius agno-
verant, ipſo Sacro Codice magis illuſtratum
ſit.
§. 25. Imo non opus eſt, ut hæc tam lon-
ge petamus; conſideremus modo præſentem
noſtrum ſtatum, in quo hominis miſeria tan-
ta eſt, ut ejus conditio quoad labores, vi-
ctum \& amictum longe miſerabilior ſit omni
conditione brutorum, quippe quæ in diem
vivunt citra curas \& defectus, nec unquam,
ſi ſuæ linquantur libertati, fame vel alio malo
pereunt. Quis autem jam adeo obeſæ naris
eſſet, ut diceret hominem eſſe præſtantiſſimam
D d dcrea-
[786](o)
creaturarum, quas philoſophia novit, inſi-
mulque diceret, illum ipſum hominem eſſe
omnium creaturarum miſerrimam: Talia e-
nim Contradictoria de DEO ſapientiſſimo,
hæc ita diſponente, efferre, ſcandaloſum \&
nefas eſſe defendo. Et quod dictu inſipidum
eſſet: Bruta in ſuis ſpeciebus vivere tranquil-
le \& pacifice, homines autem ſe invicem læ-
dere, infeſtare, \& mordere divinæ providentiæ
adſcribendum eſſe.
§. 26. Hanc deductionem mirum in mo-
dum ſublevat conſideratio fructuum hominis
conſervationi primario inſervientium, quippe
qui non ſine maximo labore \& ſudore e ter-
ra aratris præparata producuntur, imo qui,
niſi illo labore propagarentur, brevi tempo-
ris lapſu penitus exſtirpati eſſent. Cum con-
tra omnia naturalia brutis inſervientia ultro,
citra humanam curam, in perpetua ſerie \&
connexione propagentur, continuentur.
§. 27. Satis, ut credo, quilibet angnoſcit,
me fructuum nomine indigitare frumentum
ſtricte ſic dictum, ſcilicet triticum, ſiliginem,
hordeum, avenam, piſa, lentes, fabas \& his
ſimilia. De his autem ſpeciebus certo per-
ſuaſus ſum, quod, (liceat jam in ſubſidium
vocare creationis hiſtoriam) comprehenſæ ſint
ſub illa benedictione: Die Erde laſſe aufge-
hen Gras und Kraut, daß ſich beſaame \&c.
Et dum jamjam terra per ſe illas non produ-
cat, clarum redditur, violentum aliquod ac-
cidiſſe, propter quod Deus benedictionem
hanc
[787](o)
hanc ſuam aliquantulum retractaverit; liceat
iterum hiſtoriam primam conferre, ubi inve-
nimus hanc maledictionem: Verflucht ſey der
Acker um deinet (ſcil. Adams) willen, h. e. quo-
ad portionem tuam, in den proventibus, die dir
hauptſaͤchlich nuͤtze ſind, mit Kummer ſolt du dich
darauf nehren dein Lebenlang; Jm Schweiß dei-
nes Angeſichtes ſolt du dein Brod eſſen: Et licet
aliqualem ſuam adhibuiſſet operam homo, ta-
men citra incommoditatem id factum fuiſſet,
\& non ſecus ac videmus amœni horti culto-
rem inſigni cum delectatione, licet non ſine
opera, circa ſua verſari.
§. 28. Sufficerent equidem hæc dicta argu-
menta, juvabit tamen \& plura huc facientia
referre, quorſum haud immerito numerari
poteſt, meditatio de fine creati mundi. Sic
etenim in aprico eſt, hunc mundum non ab
æterno exiſtere, ſed in tempore factum eſſe:
Factum eundem eſſe primario in argumentum
glorioſæ potentiæ divinæ, \& ut aliquid eſſet
hanc potentiam admiraturum, factum ſimul
eſſe hominem, anima rationali præditum, vi
cujus Majeſtatem Creatoris agnoſcere \& cele-
brare poſſit: Factum porro mundum eſſe in
eadem temperatura quatuor anni temporum,
frigoris \& caloris, ut \& Climatum qualis
jamjam illa eſt, \& quidem ita, ut ubique
perfectiſſimus inhabitatoribus ſiſteretur para-
diſus.
§. 29. Nam qui ſobrie meditatur, non, ut
credo, ſibi imaginari poteſt, illum ſolam re-
D d d 2gionem
[788](o)
gionem Aſiaticam ad Euphratem ſitam Paradi-
ſum futuram; ſed potius concipiet, illam par-
tem felicem terræ, in qua primi homines con-
ſtituti, fuiſſe, teſtante revelatione, in Aſia,
non denegata aliis orbis partibus qualitate pa-
radiſiaca.
§. 30. Abſtraham compendii gratia a Philo-
ſophia ſibi relicta, \& ſequar hiſtoriam crea-
tionis biblicam: Sic invenio: Adamus \& Eva
erant in Paradiſo: Genus humanum per illos
propagandum erat, ita, ut univerſus eorundem
ſemine impleretur mundus: Ex intentione Dei
nunquam lapſurum erat genus humanum:
Nam illud ipſum viribus omnibus ſufficientis-
ſimis, tam in commercio cum Deo, quam in
commercio cum hominibus, erat inſtructum,
ut ſe adverſus quamcunque inquinationem \&
prævaricationem omnium ſanctiſſime \& inte-
gerrime tueri poſſet. Conſequenter omnis
multitudo hominum pari felicitate beanda e-
rat: Paradiſus Aſiaticus illi ſuſtentandæ non
ſuffeciſſet, imo ea ratione, ſi nimirum forte
id fieri potuiſſet, maxima pars mundi fruſtra
creata eſſet: Hinc fluit firmiſſima propoſitio:
Totum mundum ea intentione a Deo factum
eſſe, ut perfectiſſimus in omnibus oris eſſet
paradiſus.
§. 31. Imo nil obſtat quin ſtatuam, quasli-
bet provincias ſua ratione paradiſum repræſen-
tare poſſe, ſi ſcilicet ea ultro, minimum labo-
re delectabili ac gratioſo, producat, quæ jam
ſudori-
[789](o)
ſudorifero labore eliciuntur, modo attenda-
mus incolarum temperamenta iisque conve-
nientia: Certo enim eſt indicio, ea, quæ in hac
vel illa regione ordine naturæ non proveniunt,
ſed vel multo artificio plantantur, vel aliunde
aſportantur, iſtius Climatis incolis ſi non no-
civa forte tamen nec tam proficua eſſe, quip-
pe quos contentos eſle decet illis fructibus,
qui ſuo ſub tractu cœli naturaliter, adhibita li-
cet manu humana, progerminant.
§. 32, Facile quilibet ſubolfacere poterit,
cur hæc dixerim, nimirum ut prona conſe-
quentia concluderem: Hodie homines non vi-
vere in eo felicitatis ſtatu, in quo Deus ipſos ex
prima ſua intentione vivere voluit, ſed penitus
ipſos in ſtatum deteriorem delapſos eſſe.
§. 33. Patitur materiæ dignitas, ut plura cu-
mulem argumenta, quæ licet ſeparatim ſumpta
non omnem evincant veritatem, conjunctim ta-
men conſiderata non ſine pondere erunt.
Aſpiciatur igitur diſtinctio inter animalia fe-
ra \& manſueta: An quis unquam ſibi imaginari
poteſt, Deum Creatorem in prima creatione e-
andem ſtabiliviſſe? \& annon potius ſobrie rem
perpendens judicabit: In prima origine rerum
Deum omnia animalia in una æqualique conſti-
tuiſſe natura; unde concludendum, præſen-
tem differentiam neceſſitate urgente ex artificio
humano ortam eſſe, quo ſcilicet homo domi-
nio univerſali \& abſoluto in bruta privatus, ha-
beret in manſuefactis, quæ ſuo prompte inſer-
viant uſui.
D d d 3§. 34.
[790](o)
§. 34. Et hæc cogitantem penitus perſuadebit
facta inductio animalium, quæ nunc dicimus
manſueta, quippe quæ in omnibus ſpeciebus
ita ſunt comparata, ut inter fera certæ inveni-
antur claſſes, ex quibus illa arte derivata eſſe
apparet. Quæ autem forte moveri poſſunt in
contrarium argumenta, tanta non ſunt, ut me
de ponte propellant.
§. 35. Primas autem lineas me hic ducturum
eſſe, promiſi, quapropter licet hæc uberius de-
duci queant, tamen progredior ad ſequentia.
Sic itaque haud leve etiam ducitur argu-
mentum a diverſitate ſtaturæ humanæ: Vix
etenim credibile videtur, Deum in prima crea-
tione aliter diſpoſuiſſe, quam quod homines
forma, figura, \& ſtatura æquales eſſent futuri:
Unde ſequeretur concluſio, modernam inæ-
qualitatem in robore corporis, membrorum-
que haud æquam in omnibus proportionem
imperfectionis haud contemnendum eſſe in-
dicium.
§. 36. De incommoditatibus noſtræ huma-
nitatis ſuperius equidem quædam dicta ſunt, aſt
liceat hic ſpeciatim de morbis \& ægritudinibus
tam corporis quam animi humani paululum
diſſerere. Miſerrime enim conſtitutus eſt ho-
mo, dum omni tempore periculo morborum
ſubjectus eſt, imo in ipſos illos incidit haud
raro præter omnem culpam ſuam, \& multoties
ex culpa leviſſima, \& quam non niſi a poſte-
riori, imo tunc vix quidem agnoſcere poteſt.
Et
[791](o)
Et quod omnium calamitoſiſſimum, ſibi reli-
ctus digna non poteſt mali invenire remedia.
Contra bruta ſuæ libertati commiſſa vel nun-
quam in morbos incidunt, vel ſi forte incide-
rint, violento illis illato malo, promtiſſima, di-
ctante natura, adhibent medicamina. Ne quid
fuſe dicam de affectibus animi ceu infenſiſſi-
mis ſanitatis \& vitæ noſtræ latronibus, quos in-
dubitatos habemus teſtes, infelicitatem no-
ſtram in haud mediocri conſtitutam eſſe gradu,
dum nimirum eorundem moderamen ſupra
tenuitatem noſtram poſitum eſt.
§. 37. Non equidem deficerent plura his jun-
genda argumenta, verum, cum hactenus al-
lata tanti roboris eſſe putem, ut contraſenti-
entes convincere queant, illis nulla addam,
præter famoſiſſimam illam conſiderationem di-
ſtinctionis dominiorum, quippe quam diſtin-
ctionem non a natura eſſe, ſed indicium fa-
cere argumentumque ſtatus corrupti philoſo-
phicum, ſaniores nobiſcum confirmant. Imo
ipſos hac in parte non falli, res ipſa loquitur,
quia citra injuriam ſtatui non poteſt, ſummum
creatorem in primordio rerum ejusmodi diſtin-
ctionem dominiorum ceu matrem tot Vitio-
rum \& fontem multæ miſeriæ, intendiſſe, ſtabi-
liviſſe.
§. 38. Quantum igitur jam videre licet, ipſa
ſana ratio conſentit, imo apodictice probat, præ-
ſentem ſtatum mundi quoad homines a primo
D d d 4eſſe
[792](o)
eſſe longe alienum deterioremque. Unde cer-
to fluit de jure naturæ vere tali meditantes
fruſtra conſiderare mundum præſentem, ſed
oculos dirigendos eſſe ad ſtatum amiſſum, quo
inde eliciantur vere juris naturæ propoſitiones.
Hoc negotium autem multis obnoxium eſſe
difficultatibus equidem prævideo, aſt nihilo-
minus pro virili illud ſuſcipiam.
§. 39. Præmittenda igitur erit brevis de-
lineatio ſtatus illius olim poſſeſſi, dicendum-
que, quantum per ratiocinationem mihi aſ-
ſequi licet, quibus in circumſtantiis felicis
ſeculi vixerint homines. NB. Neminem of-
fendat, quod ſolenniter rogito, me hic phi-
loſophice procedentem, ſtatum felicitatis
non adeo breviſſimo includere tempori, in-
deque fingere, ac ſi multi homines un-
quam eodem gaviſi fuiſſent. Quapropter
non plusquamperfecto Conjunctivi, ſed
perfecto Indicativi uti, cauſæ poſtulavit tra-
ctatio.
§. 40. Quoad itaque eſſentiales partes, ho-
mines conſtiterunt ex corpore \& anima, al-
tera ſcilicet harum partium materiali, altera
immateriali.
Immaterialis pars ſive anima duplici opera-
tione non ſecus ac hodie ſe exſeruit, hac ta-
men in ſituatione: Intellectus fuit purus, o-
mnium rerum \& naturalium \& moralium per-
fecte gnarus, imo in omnibus individuis accu-
rate æqualis, probe tamen facta hac diſtinctio-
ne,
[793](o)
ne, an ad perfectam quis perveniſſet ætatem, nec
ne; Tempore enim a nativitate primo intel-
lectus omnino ſe exſeruit, imo in eo gradu,
qualis ad conſervationem pro tempore neceſſa-
rius fuit, ſucceſſu autem ætatis majorem ſuam
vim exhibuit. Seniores autem Junioribus in
eo prævaluerunt, quod experientia \& factis,
quorum memoria ipſis conſtituit, imo forte re-
velatione, magis inclaruerunt.
§. 41. Et ut explicatius mentem prodamus:
In naturalibus, ſciverunt omnium rerum vir-
tutes, nocentiaque vitarunt, conducentia vero
apprehenderunt.
In moralibus notitiam habuerunt ſolius bo-
ni, \& in ſpecie ſola boni generoſum exercue-
runt arbitrium, hoc vel illud agendi, ſcive-
runt etiam hoc, quod ſimulac normam hanc
ſuæ perfectionis relinquerent, ac adverſus eam
prævaricarentur, malum ipſos eſſet invaſurum;
Conferatur commune dicterium: Homines an-
te lapſum ita comparati erant, ut poterant non pecca-
re non ita, ut non poterant peccare.
§. 42. Perfecta itaque ſpontaneitate, quæ in
ſola ſpecie boni exſerebatur, egerunt homines:
Et ſi jam, abſtrahendo ab omni hiſtoria Sacra,
philoſophari licet, felicitatis triſtis Cataſtrophe
exinde orta eſſe videtur, quod incredulitate la-
borare inceperint \& fide ac obſequio ſummo
Suo Imperanti denegatis, ad malum verſi ſint,
tunc enim curioſitas \& ſuperbia \& diffidentia
\& fluctuatio adverſus moralitatem actionum
hactenus omnino ſanctam, tum ad contraria
D d d 5mala
[794](o)
mala omnia laceſſitos, omnium turpiſſime \&
rebellibus motibus ineſcavit atque infelicitatem
introduxit non modo actus, ſed \& habitus
peccaminoſi.
§. 43. Stultiſſime autem a naſutilis quibus-
dam hic Deo aliquid imputatur; Si enim homi-
nes ita creaſſet, ut uniformiter \& neceſſario age-
re tantum potuiſſent, omnis plane exſpiraſſet
moralitas, quam tamen exiſtere oportebat, ſi
bene vel male aliquid gerendum, \& ſi gratia \&
laus ſecutura erat.
§. 44. Sic conſtituta igitur ſituatione hominis
non niſi unica conſcientiæ claſſis exſtitit, ſcili-
cet RECTÆ, quod ex §. 41. pateſcit: Igno-
rantia juris non adeſſe, \& error in moralibus
non ſubrepere potuit.
§. 45. Prætereaque multa quæ jam violen-
to modo hominem ad mala protrudunt \& im-
pellunt, ceſſarunt, veluti in affectibus: Amor
enim fuit purus \& ſolius boni, ſub ſe com-
prehendens contrarii averſationem non coa-
ctam: Gaudium ſe exſeruit ſereniſſimum de
iis, quæ vero gaudio digna: Triſtitia autem
nullas habuit partes, odioque nullus relictus
fuit locus in eo ſenſu, quo jam illud accipi-
mus.
§. 46. Sic porro temperamentorum diverſi-
tas huc reverri ſolita, tunc longe alia fuit: Ut-
ut enim pro diverſitate plagæ cœli homines ali-
ter \& aliter in materialibus diſpoſiti forte fue-
rint; tamen in ſpiritualibus quoad animum \&
ani-
[795](o)
animam nulla plane exſtitit diverſitas. Quod
ipſum dilucido poteſt eſſe argumento, adhuc in
ſtatu præſenti animam ita gubernare poſſe tem-
peramentum, ut minimum non neceſſitet ad male
agendum.
§. 47. Tandem nec conſuetudo nec ebrietas
ut entia rationis in illo ſtatu, ullius fuere mo-
menti: Imo nec metus nec coactionis emer-
ſere veſtigia.
§. 48. Hæc ſperamus pro rudi delineatione
conditionis humanæ ſufficiunt, modo adje-
cerim quæſtionem: An \& qua norma dire-
cti vitam vixerint homines? Ad quam bre-
viter reſpondendum: Sine norma ceſſaſſe mo-
ralitatem vid. §. 43. Conſtitiſſe autem candem
in perfecta boni \& mali cognitione, ut \& vo-
luntatis divinæ ſcientia, quam ſine dubio Deus
ipſe immediatis revelationibus declaravit \&
confirmavit.
§. 49. Hæc norma igitur omnibus ob oculos
verſata fuit pro virtute intellectus: Seniores
autem, ut multorum factorum memores juni-
oribus ea uberius ponderanda propinarunt.
§. 50. Subjungenda hic autem merito ve-
niunt aliqua, circa hominem neceſſario me-
ditanda, veluti de vitæ ejus ſubſidiis \& leva-
mentis, ut \& de morte. Quod itaque attinet
vitæ ſubſidia, adeo clarum eſſe credimus quam
quod clariſſimum: DEUM præſtantis hujus
creaturæ autorem noluiſſe, ut illa ſola miſe-
ram \& calamitoſam viveret vitam, ſed ut ſin-
gulariter
[796](o)
gulariter felix \& frugalis illam tranſigeret. Lo-
cavit itaque hunc hominem in paridiſum, hoc
eſt in mundum omnia in ſuperlativo produ-
centem, quæ ad cibum \& potum poterant es-
ſe neceſſaria. Conf. ea quæ ſuperius dicta
ſunt de paradiſo.
§. 51. Imo quid proprii ſibi aſſumſerint ho-
mines clariſſimum eſt, ſcilicet eas fructuum
ſpecies, quos hodie in noſtros uſus ſpecialis-
ſime, utut duro labore \& inſigni artificio con-
vertimus \& quæ tunc ultro, non ſecus ac aliæ
herbæ \& gramina in uſus beſtiarum, ſine
fere humana manu copioſiſſime \& ſufficienter
creverunt; Præterea etiam jure dominii occu-
parunt feras, volucres es piſces, levi in captu-
ram impenſa opera, horumque carnibus uſi
fuerunt.
§. 52. Et ut de corporis habitu \& tegumen-
tis paucula dicam, probabile ſatis eſt, bene-
ficam naturam hoc eſt DEI providentiam vel
hominum cutes adeo reddidiſſe duras, ut tem-
peſtatum fuerint patientes; vel etiam alia
ratione, ipſis pro prudentia aſſignaſſe alia
tegmina.
§. 53. Tandem ut de morte judicemus:
Multorum equidem eruditorum, potiſſimum
Theologorum, eſt ſententia, homines in ſta-
tu illo felicitatis mortem paſſos nunquam fu-
iſſe; Aſt contrarium videtur ob multas ratio-
nes verius: Quapropter ſtatuendum eſſe reor,
homines
[797](o)
homines illos felices creviſſe, adoleviſſe, ſine-
que impedimento morbi \& læſionis ad perfe-
ctam perveniſſe ætatem, in ea ſtetiſſe, tandem-
que juſto a Deo per naturam ſtatuto termino,
animaque vegetativa officia denegante, ani-
mam a corpore ſeparatam eſſe.
§. 54. Annon autem fortean DEO placue-
rit loco mortis homines effœtos in alium mutare
ſtatum, vel aliorſum totos transferre hoc ratio-
nis non eſt determinare, quippe quæ omni-
potentiæ divinæ limites non ponit, volunta-
temque ejus ſibi cognitam non eſſe confite-
tur. Indeque quod attinet ſtatum poſt hanc
vitam ignorantiam ſuam Philoſophia ingenue
prodit, hoc interea firmiter aſſerto, in vitæ
ordinariæ continuatione homines manere non
potuiſſe, pro hujus mundi capedine. Sed
dicta hæc ſunto ſalvis Theologorum ſen-
tentiis.
§. 55. Conſtituebam equidem in hactenus di-
ctis pro præſenti tempore acquieſcere \& ſpecia-
liorum tractationem poſtmodum communica-
re; Verum ne lectorem penitus in ſuſpenſo re-
linquam, juvabit primas officiorum hominis
duxiſſe lineas, quarum limatiorem efformatio-
nem in futuris promittimus meditationibus.
Quod itaque attinet
OFFICIA HOMINIS PERFECTI ERGA
DEUM,
Tribus illa ſunt exponenda, ſcilicet ea conſti-
tiſſe in perpetua celebratione Creatoris omni-
um
[798](o)
um rerum, \& providentis earum gubernatoris
\& conſervatoris: In gratiarum actione, laude \&
admiratione. In perfecto amore \& obſervantia
præceptorum divinorum, ſive per ſolam ratio-
nem, ſive per revelationem communicatorum:
In acquieſcentia in ſuprema directione \& provi-
dentia.
§. 56. Quibus autem ſignis externis hunc
cultum, declaraverint homines, hoc Philoſo-
phia determinare non audet; Utut ſacrificio-
rum oblationem \& uſum nullum fuiſſe decla-
ret. Confer. FRANTZII Schola Sacrificiorum
diſputat. 1. \& 2. Imo tantum ceu clariſſimum
ſtatui poteſt, ſpecialis conventus ad hunc cul-
tum peragendum adornatos fuiſſe.
§. 57. Quod concernit
OFFICIA HOMINIS ERGA SE IPSUM.
Unico illa comprehendi poſſunt commate, ſci-
licet eadem conſtitiſſe in conſervatione vitæ \&
felicitatis: Quæ conſervatio facillima fuit, pro
notitia omnium ſalubrium \& nocivorum. La-
borandum itaque fuit, ſed ſine ſudore \& absque
incommoditate.
§. 58. Propero atque devenio ad
OFFICIA HOMINIS ERGA ALIOS.
Æqualitate igitur omnimode inter homines
perfectos ſtante, ceſſarunt officia ſuperiorum
erga inferiores, nam utut aliquale directorium
ſeniorum in juniores admitti queat, non tamen
vel dominii vel ſubjectionis vera apparent ve-
ſtigia.
§. 59.
[799](o)
§. 59. Primarium igitur officium erga alios
in eo conſtitit, quod omnes ſeſe æqualiter
tractaverint, excepta patribus familias exhi-
benda ultronea reverentia.
§. 60. Læſiones verbis vel factis emergere
non potuerunt, vi ipſius obſervatæ æqualita-
tis \& ob perfectiſſimum amorem proximi:
Hisque ſtantibus nulla ad reſarcienda damna
fuit obligatio.
Circa poſſeſſiones rerum litigia non fue-
runt orta, in perfecta enim communione bo-
norum \& omnimoda vixerunt ſufficientia, ſo-
laque occupatio pro tempore neceſſariorum,
utilium \& jucundorum induxit dominium, ci-
tra tamen ullius, idem \& ſimile habentis, præ-
judicium.
§. 61. Pacta \& contractus celebrare non
debuerunt, niſi forte permutatione alter ab
altero occupata, ſua fecit; Utut ne hoc qui-
dem ſtatuere opus ſit, quia nemo plus neces-
ſario occupavit, \& cuilibet idem habere inte-
grum fuit.
Quotquot igitur jam dantur contractuum
\& pactorum ſpecies, ea tamen omnes ſtatus
ſunt hypothetici: Et his ſtantibus, nec do-
lus, nec metus, nec vis, in cenſum vene-
runt.
Imo ut ſpecialiſſimi quicquam dicamus in-
ſignis illa controverſia: Utrum teſtumenta ſint
juris
[800](o)
juris naturœ? hic finalem ſuam haber deciſionem
negativam.
§. 62. Propagationem generis humani quod
denique attinet, ſimpliciſſime factam illam fu-
iſſe perſuadeor, h. e. officia maſculorum fuis-
ſe, fœminas habiles \& nondum imprægnatas
nec amplius lactantes iterum imprægnare:
Quod ipſum equidem imperante natura, ſed
etiam dirigente ratione, ſine tamen motibus
pravis factum fuit, non ſecus ac in brutis ob-
ſervamus, quæ certis temporum ſtationibus
generationi ſtudent, alio autem tempore ni-
hil in id negotium fruſtra impendunt: Unde
non adeo contemnenda eſt eorum ſententia,
qui bruta nullam ex cohabitatione percipere
voluptatem contendunt.
§. 63. Hæc autem circa hominem perfectum
in negotio procreationis ceu vera \& ſingularia
obvenerunt:
Quod ratio propagandi cum moderna una
fuerit eademque.
Quod non vagos exercuerint concubitus,
ſed quod unus uni ſe junxerit, eamque ſibi
ſoli habuerit ſociam, quod inde eluceſcit,
quia amor humanus fuit rationalis, \& quia
multum temporis proles humana requirebat,
donec fieret perfecta; Ne igitur onus educan-
di in ſolam redundaret matrem, patrem opor-
tuit eſſe certum, qui prolis ſuæ haberet cu-
ram.
§. 64.
[801](o)
§. 64. Notanter dixi, uni unam junctam fu-
iſſe, unde pateſcit, Polygamiam in ſtatu juris
naturæ exulaſſe, \& quidem ipſa natura impe-
rante, ſiquidem DEUS duos tantummodo cre-
avit ſexus, \& in utroque ſexu individua nume-
ro æqualia, adeo ut impoſſibile fuerit duas ſi-
bi habere uxores. Videatur hoc fuſe demon-
ſtratum in Diſſertatione mea de Polygamia Sect. II.
§. 65. Ut autem plura memorem ſingularia,
ſtatim a pubertate maſculi \& fœminæ negotium
procreationis inchoarunt, non enim tunc opus
erat exſpectare, donec requiſitis etiam Oecono-
micis inſtructieſſent, quia omnibus omnia ſup-
petebant. Porro ſingulare fuit,
Quod Maritus non fuerit dominus uxoris, ſed
ſocius æqualis: Contrarium enim ſtatuere ejus-
dem eſt abſurditatis, ac ſi aſſeramus fœminas
eſſe homines ſubalternos, quarum anima ratio-
nalis equidem ſit, aſt gradu maſculina inferior.
Quod ſoror \& frater nunquam conjungi potue-
rint per naturalem connexionem; Nam pubere
fratre non dabatur ejus ſoror pubes, ſi ſcilicet
poſt eum nata; ſi autem ante eum nata iterum
eidem jungi non poterat, ſiquidem nec amplius
erat vacans duobus ſcilicet annis ante ipſum na-
ta. Verum videsne, L. B., hanc demonſtratio-
nem aliqua laborare obſcuritate, quam in præ-
ſentiarum ob brevitatem diſpellere non licet,
quoniam biceps ſub incudem vocanda eſt con-
troverſia, altera: quonam in momento ætatis
plena ſit collocanda pubertas? Altera, an in ſta-
E e etu
[802](o)
tu perfecto nati etiam fuiſſent gemelli? Verum
L. B. facile ſubolfacis hanc demonſtrationem,
quoad fratres \& ſorores multum claudicare; Et
qui non claudicaret. quia philoſophia ſibi reli-
cta non poteſt liquida dare hujus capitis argu-
menta prohibentia. Immo non opus eſt, ut
nos circa illud angamus, nam ſufficit Jure di-
vino inceſtuoſum eſſe iſtiusmodi concubitum,
h. e. mutato Reipublicæ humanæ ſtatu, DEUM
cohabitationem fratrum \& ſororum pro ſapien-
tia ſua prohibuiſſe, poſtquam ad procreationem
ſobolis in ſtatu perfecto materialiter tantum pe-
ractam, acceſſit formale pravæ libidinis \& laſci-
viæ. Conf. eà, quœ dicta ſunt ſupra, §. 17. Non
autem volo, ut hæc dicta extendantur ad Pa-
rentes \& liberos, ſiquidem circa eorundem co-
habitationem ſtant ea quæ §. ſequenti dicentur.
Ut taceam, quod ſingulare quid in ipſis perſo-
nis parentum \& liberorum huic negotio concu-
bitus contrarium certiſſime deprehendatur.
§. 66. Quæ hanc excipit demonſtratio, clarior
eſt: Quod ſcilicet parentes \& liberi nunquam
potuerint invicem evadere conjuges nunquam
enim Pater viduus factus fuiſſet, \& per conſe-
quens uni fœminæ jam junctus nunquam filiam
uxurem adſciſcere potuiſſet.
Prouti \& reliquia capita \& gradus vere prohi-
biti parili poſſunt ex natura deduci facilitate.
§. 67. Præter hæc nihil in cenſum juris natu-
ræ vere talis venire poteſt, utut dicta uberius
deduci queant, id quod mihi ſerio reſervo.
Tan-
[803](o)
Tantum igitur evidentiſſimum eſſe reor, in præ-
ſenti mundi ſtatu multa male \& obtorto collo
trahi ex iſto jure naturæ, cum tamen alia
via ſit incedendum, ſcilicet poſita generali
conſideratione mundi \& hominum quales
jamjam ſunt digne judicandum, quid jam
ad acquirendam \& conſervandam publicam
\& privatam ſalutem, quanta illa etiam in hac
miſeria eſſe unquam poteſt, ſit ſtatuendum:
Et hæc meditatio dicitur jus gentium vel abuſi-
ve jus naturale, ſcilicet: Ein natuͤrliches und bil-
liges Recht. Imo ex illa meditatione, quia non
omnibus datur penitius hæc intueri \& maxima
occurrit varietas pro diverſitate ſtatus rationis,
capiunt ſummi Imperantes occaſionem \& fun-
damenta juris poſiti ſive civilis, prouti ipſa Sa-
cra Scriptura \& leges inibi publicatæ firmo ſunt
indicio, homines jam non vivere in ſtatu pri-
mo, quia in illo lege iſtiusmodi poſitiva ſcri-
ptis \& tabulis comprehendenda non indiguis-
ſent. Quod ipſum argumentum ſuperioribus
accenſeri meretur, juncto hoc generali, quod
ipſa fluctuatio circa vera principia juſti, homi-
ni obrepens, ſit ſignum ſtatus imperfecti quia
lex in ſe perfecta eſt, in ſubjecto autem conci-
piente videretur eſſe imperfecta.
§. 68. His dictis itaqueacquieſco, \& promit-
to limatiorem juris gentium tractationem h. e.
deductionem ſobriam, quid ex ſola ratione,
oculum dirigente ad ſtatum præſentem, ju-
ſtum injuſtumve ſit.
E e e 2Tan-
[804](o)
Tandem repeto iterum iterumque id quod
ſupra dictum eſt, ſcilicet hanc diſſertationem
non ea propter evulgatam eſſe, ac putem me
in omnibus ultimam veritatis attigiſſe lineam,
ſed ut eruditioribus idem occaſionem, hanc
problematicam deductionem ſine felle ube-
rius meditandi.
XII.
[[805]]
XII.
Anhang
einiger
Auszuͤge
aus den
Reuen Zeitungen von gelehr-
ten Sachen,
dem
Hamburgiſchen Correſpondenten,
den
Hamburgiſchen Berichten,
und
Niederſaͤchſiſchen Nachrichten.
[[806]]
No. I.
Luͤbeck. Von da aus iſt uns folgender Aufſatz
zugeſendet worden, welchen wir woͤrtlich ein-
ruͤcken. Unſer Hr. Mag. Henr. Jacob Sievers hat
neulich: Die Geſchichte des Leidens und Sterbens,
der Auferſtehung und Himmelfahrt JEſu Chriſti
mit kurzen exegetiſchen Anmerckungen erlaͤutert, ans
Licht geſtellet. Das Werckchen beſtehet aus 12.
Bogen. Die Vorrede, der Text, die Hiſtorie von
der Zerſtoͤhrung Jeruſalem, das dreyfache Regiſter,
und das merckwuͤrdige Verzeichniß ſeiner bißhero
herausgegebenen Schriften fuͤllen den Raum von
10½ Bogen. Die Vorrede, welche von den Fein-
den und Freunden des Creutzes Chriſti handelt, iſt be-
weglich geſchrieben, und jeder frommer Chriſt, der
ſie mit Andacht lieſet, wird kein Bedencken tragen,
den Herrn Verfaſſer, wie Er inſtaͤndig bittet, in
ſein Gebeth zu ſchlieſſen und GOtt anzuflehen: daß
Er ihn mit Kraft ausruͤſten, und mit Gaben zieren
wolle. Die Anmerckungen ſind kurz, doch gelehrt
und brauchbar. Z. E. p. 30. bey dem Worte: Da-
heime, wird aus Bugenhagens erſten Niederſaͤchſi-
ſchen Ausgabe der Paßions-Hiſtorie, ſehr nuͤtzlich
angefuͤhret, daß es Platteutſch im Huſe heiſſe, wie
p. 33. zu den Worten: Er ſtincket ſchon, aus eben
dem Autore gruͤndlich gezeiget wird, daß es in der Nie-
derſaͤchſiſchen Sprache mit He ſtincket rede gegeben
werde: p. 39. wird Fuͤllen durch Valen erlaͤutert,
u. ſ. w.
[807](o)
u. ſ. w. und noch auf dem Blatte, wenn der Text ſa-
gete: Die Juͤnger brachten die Eſelin zu JEſu, leg-
ten ihre Kleider darauf, und ſatzten ihn darauf, wird
in einer feinen exegetiſchen Note ſehr ſcharfſinnig ge-
muhtmaſſet, daß es geſchehen: Damit Er deſto
ſanfter reiten moͤchte. Die Regiſter ſind ſehr voll-
ſtaͤndig, und kan inſonderheit das letztere denen, die
ſich die Niederſaͤchſiſche Sprache gelaͤufig machen
wollen, ſtatt eines Woͤrter-Buchs dienen. Bey
dem Verzeichniß ſeiner bißhero herausgegebenen
Schriften, dienet denen Kaͤufern zur Nachricht, daß
wenn ſie ſich das 19. und 20ſte Stuͤck anſchaften,
ſie die Wercke von Num. 5. biß 17. incluſiv. zu kauf-
fen nicht noͤthig haben: Jndem dieſe ſich zu jenen
beyden, als Theile zu dem Ganzen verhalten. Man
traͤgt indeſſen keinen Zweifel, es werde der Hr. Mag.
fortfahren, ſeiner lieben Vater-Stadt zum Ruhm,
der beruͤhmten Geſellchaft, deren Mitglied Er iſt,
zur Ehre, und ſeinen wehrten Eltern zum Troſt, die
Anzahl ſeiner Schriften zu vermehren.
No. II.
Luͤbeck. Von daraus iſt uns von Hrn. M. Sie-
vers eigener Hand folgendes zugeſendet worden. Er
beſchweret ſich uͤber die eingeſendete Recenſion ſeiner
Anmerckungen uͤber die Paßion. Wie wir uns
nun durch das Original desjenigen, was eingeſen-
det worden, rechtfertigen koͤnnen; ſo bitten wir uns
aus, uns mit dergleichen Aufſaͤtzen zu verſchonen,
die noch dazu nicht ſelten Unkoſten verurſachen. Wer
weiß aller Leute Umſtaͤnde; und alle Anzuͤglichkei-
ten fallen nicht ſo leicht in die Augen. Wenn ſich
E e e 4end-
[808](o)
endlich die Herren balgen muͤſſen, ſo muͤſſen ſie ſich
einen andern Kampf-Platz als unſere Zeitungen
ausleſen. Wir halten nichts von ſolchen Duellen.
M. Sievers laͤſſet ſich die anzuͤgliche Recenſion, ſei-
ner Anmerckungen uͤber die Paßion, welche ein boß-
haftiger und neidiſcher Menſch, dem Verfertiger
dieſes gelehrten Artickels zugeſandt, und die dem 30.
Stuͤck dieſer Zeitungen auf Verlangen eingeruͤcket
worden, ſo wenig anfechten, daß er ſchon aufs neue
herausgehen laſſen: Kurze Geiſtliche Andachten in
gebundener Rede uͤber einige Stuͤcke aus der Paßi-
on, welche mit Goͤttlicher Huͤlfe an denen Sonntaͤ-
gen Judica, Palmarum und am ſtillen Freytage in
der St. Marien-Kirche in Luͤbeck nach gehaltener
Rach mittags-Predigt muſicaliſch aufgeſuͤhret wer-
den ſollen. Jn 4to 2. Bogen. Dieſe Andachten be-
ſtehen aus 3. Poetiſchen Oratoriis, und handelt
das erſte von Judaͤ Verraͤtherey, das andere von
Petri Verlaͤugnung, das dritte von den Wunder-
wercken bey der Creutzigung Chriſti.
No. III.
Hamburg. Sollte es uns auch gleich etwa je-
mand verdencken, ſo fahren wir dem ohngeachtet fort,
abermahl einer Schrift zu erwehnen, die von dem
aufgeweckten Verſtande ihres Verfaſſers zeuget,
und den Titel hat: Der ſich ſelbſt entdeckende X. Y. Z.
oder L-c-s H-rm-n B-ckm-rsRev. miniſt. Cand.
aufrichtige Anzeige der Urſachen, die ihn bewogen,
die Geſchichte von der Zerſtoͤrung der Stadt Jeru-
ſalem mit kurtzen Anmerckungen zu erlaͤutern, und
dieſe Anmerckungen unter einem falſchen Nahmen
ans
[809](o)
ans Licht zu ſtellen, zur Beruhigung und zum Troſt
des (S. T.) Hn. Mag. Sievers, imgleichen zu
Rettung der Unſchuld ſeiner Abſichten wider aller-
hand ungleiche Urtheile und Deutungen zum Druck
befoͤrdert. 1733. in 8. von 3. Bogen. Schriften
von ſolcher Art, als die gegenwaͤrtige iſt, zu verfer-
tigen, ſind nur wenige geſchickt. Die Vorrede ſoll
der Verleger gemacht haben. Er giebt zu erkennen,
daß ihm ſchon vor einem halben Jahre das Manu-
ſcript davon zu Haͤnden gekommen ſey, und weil er,
nach vieler angewendeten Muͤhe, dennoch nicht er-
fahren koͤnnen, wer denn eigentlich unter dem X. Y.
Z. verborgen liege, ſo habe er daſſelbe, die Leſer, ſo
nicht murriſch ſind, damit zu beluſtigen, in oͤfentli-
chem Druck bekannt zu machen, nicht laͤnger an-
ſtehen wollen, indem er glaube, daß eine ſo wohlge-
ſezte Satyre der Welt nohtwendig gefallen muͤſſe:
und darin hat er, auch unſerer Meynnng nach, gantz
recht. Hierauf zeigt der Herr Verfaſſer im Vorbe-
richte, wie es die Liebe, die er ſich ſelbſt ſchuldig,
erfordert, die garſtigen Titel eines Spoͤtters und
Pasquillanten, die man ihm unſchuldiger Weiſe
beygelegt, von ſich abzulehnen und ſeine Ehre zu
retten, weil es ihm nicht gleichviel ſey, was die
Leute von ihm gedencken. Solches geſchiehet nun
in der Abhandlung ſelbſt gantz nachdruͤcklich. Vor-
nehmlich aber redet er mit dem Hrn. Mag. Sie-
vers ſowohl ohne Ernſt als im Ernſt. Die Pro-
ben ſeiner groſſen Gelehrſamkeit ſind geruͤhmt, und
zugleich dargethan worden, daß der Herr X. Y. Z.
des Herrn Mag. Sievers in den Anmerckungen
uͤber die Zerſtoͤhrung der Stadt Jeruſalem durchaus
E e e 5nicht
[810](o)
nicht geſpottet, ſondern ihn nach Wuͤrden gelobt,
auch deſſen Anmerckungen uͤber die Paßion ſich als
ein Muſter der Vortreflichkeit zur Nachahmung er-
kohren, und nichts geſagt habe, was ihm zur Beſchim-
pfung gereichen koͤnne. Gedachte Anmerckungen,
heißt es ferner, waͤren deßwegen unter einem verſtell-
ten Nahmen herausgekommen, um mit deſto meh-
rerer Sicherheit zu vernehmen, was kluge Leute
von des X. Y. Z. erſten Schrift urtheilen wuͤrden.
Daß man ſagt, er habe die Nachahmung gluͤcklich
getroffen, iſt ihm lieb zu vernehmen; denen aber
widerſpricht er kraͤftiglich, welche in der irrigen
Meynung ſtecken, man habe des Hrn. Mag. geſpot-
tet, und ihn durch dergleichen Lobes-Erhebungen
laͤcherlich zu machen geſucht. Der Hr. Mag. Sie-
vers muͤſſe, nach der theologiſchen Regel, von den
eigentlichen Worten eines Scribenten nicht abwei-
chen. Sey er auf das ihm gegebene Lob zornig, ſo
mache er ſich dadurch verdaͤchtig, und verachte ſeine
eigene Arbeit. Am angenehmſten iſt zu leſen, was
von des Herrn Mag. Sievers Predigten zu St. An-
nen in Luͤbeck erzehlet wird, wie er allda ſeine Zu-
hoͤrer in der tiefen Theologie unterrichte, daß ſie die
Gnoſticos, Valentinianer, und andere ſowohl alte
als neue Ketzer widerlegen koͤnnen. Eine andaͤchti-
ge Frau ſoll aus ſeinen Predigten einen ſolchen Ei-
fer gegen den Dippel geſchoͤpft haben, daß, als ſie
im Traum mit dieſem Ketzer zu thun gehabt, ihren
Mann unwiſſend in das rechte Auge geſchlagen,
daß es ihm braun und blau geworden. Endlich aber
wird dem Herrn Mag. Sievers im Ernſt vorgehal-
ten, wie unbedachtſam er in einer ſeiner Predigten
ge-
[811](o)
gehandelt, daß er nicht nur den Verfaſſer der An-
merckungen uͤber die Zerſtoͤrung der Stadt Jeruſa-
lem, ſondern auch den Drucker, die Verkaͤufer
und alle die ſie geleſen, verflucht, und in den Ab-
grund der Hoͤllen verdammet. Solches iſt auch
wohl die Haupt-Urſach der gegenwaͤrtigen Schrift
geweſen, um den Herrn Mag. zur Erkaͤnntniß ſei-
nes uͤblen Verfahrens zu bringen, indem ſein Bann,
aus Ermanglung der Ordination, noch nicht guͤl-
tig. Von dem oberhalb des Titels ſtehenden Nah-
men ſagt der Herr Verfaſſer, daß er ſich damit dem
Hrn. Mag. Sievers, als einem Manne, der ſeinen
Talmud ſo fertig, als ſeinen Abend-Seegen lieſet,
alleine kund geben wollen, indem er denſelben leicht-
lich auch im Teutſchen ohne puncta vocalia zu leſen
faͤhig ſey. Gantz zulezt werden diejenigen abgefer-
tigt, welche ſich etwa unterſtanden, von des Hrn.
Verfaſſers Schrift eine unbillige Cenſur zu ertheilen,
mit der angehaͤngten Warnung, daß dergleichen
nicht weiter geſchehen moͤge, den er ſey von Her-
tzen fromm, aber mache man ihn boͤſe, ſo tauge er
auch nicht viel.
No. IV.
Luͤbeck. Dem hieſigen Buchhaͤndler Schmidt
iſt eine auf 3 Bogen in 8. gedruckte Schrift zum
Verkauf uͤberſandt worden, unter dem Titel: Kur-
tze aber dabey deutliche und erbauliche Anmerckun-
gen uͤber die klaͤgliche Geſchichte von der jaͤmmerli-
chen Zerſtoͤrung der Stadt Jeruſalem, nach dem Ge-
ſchmack des (S. T.) Herrn. M. Heinrich Jacob Sie-
vers verfertiget, und als eine Zugabe zu deſſen An-
mer-
[812](o)
merckungen uͤber die Paßion ans Licht geſtellet von
X. Y. Z. Rev. Miniſt. Cand. Franckfurt und Leipzig.
1732. Der Verfaßer machet den Anſang mit einer
langen Vorrede zum Lobe des Hr. M. Sievers, er-
theilet darauf die Anmerckungen ſelbſt, als eine
Nachahmung der Sieveriſchen Schreib-Arten und
beſchlieſſet mit einer Entſchuldigung an den Leſer.
Wer dieſe Schrift mit den Sieveriſchen Anmerckun-
gen uͤber die Paßions, welche kuͤrtzlich in Luͤbeck her-
aus gekommmen ſind, zuſammen haͤlt, wird finden,
daß der Verfaſſer ſich uͤberall im Loben, Nachah-
men und Entſchuldigen als einen wahren Nachfolger
des beruͤhmten D. Swift aufgefuͤhret habe. Nur iſt
es Schade, daß ſeine Arbeit auch an Fehlern der Sie-
veriſchen einiger maſſen aͤhnlich geworden iſt; wie-
wohl ein verſtaͤndiger Leſer leicht bemercken kan, in
welcher von gedachten beyden Schriften die Fehler
dem Drucker, und in welcher ſie dem Verfaſſer bey-
zumeſſen ſind.
Leipzig. Es iſt alhier ein kleine Schrift von 3
Bogen in Octav zu haben, deren Aufſchrift dieſe iſt: Vi-
trea fracta, oder, des Ritters Robert Clifton Schrei-
ben an einen gelehrten Samojeden, betrefend die ſelt-
ſamen und nach dencklichen Figuren, welche derſelbe
den 13 Jan. ſt. v. an. 1732. auf einer gefrornen Fen-
ſter-Scheibe wahrgenom̃en, aus dem Engliſchen ins
Deutſche uͤberſetzt. Nebſt einem Kupfer, welches die
Figuren auf der gefrornen Fenſter-Scheibe vorſtellet.
Man ſiehet bald, daß dieſes eine wohl ausgeſonnene
Satyre auf einen oder mehrere Gelehrten iſt, welche,
zumahl in Unterſuchung der Natur bißweilen zuweit
gehen, und ſich ſo wohl dadurch, als durch eine nicht
genug
[813](o)
genug gezaͤhmte Ehrſucht verſtaͤndigen Leuten laͤcher-
lich machen. Die Erfindung iſt anmuthig, und die
Ausfuͤhrung koͤmmt ihr vollkommen gleich. Da-
her wird ſie alle Leſer, diejenigen aber noch mehr, ver-
gnuͤgen, welche vieleicht dazu den rechten Schluͤſſel
haben.
Roſtock. Von dar hat man uns folgende Nach-
richt allhier einzuruͤcken zugeſendet, demnach die neu-
lich gedruckte kleine Schrift: Vitrea Fracta ge-
nannt, nicht unbillig befuͤrchten laͤſſet, es werde der
Scoptiſche X. Y. Z. welcher mit dem Ritter Clifton
in einer Haut ſtecket, zu noch fernerer vermeintlichen
Beſchimpfung eines gewiſſen hochverdienten Gelehr-
ten: mit welchem er ſchon in den Anmerckungen uͤber
die Zerſtoͤrung Jeruſalems ſo unbarmhertzig umge-
ſprungen iſt, alle in dem dieſen Anmerckungen ange-
haͤngtem Catalogo edendorum ſpecificirte Spoͤtte-
reyen, wuͤrcklich mit der Zeit ans Licht ſtellen: Als iſt
ein genuiner Auditor und Reſpondens obwohlge-
dachten Polyhiſtoris, aus ſchuldiger Danckbarkeit ge-
gen ſeinen theuren Herrn Præceptorem und reſp.
Præſidem entſchloſſen, deſſen vorerwehnten verkapp-
ten Antagoniſten mit allen ſeinen Einblaͤſern vermit-
telſt eines wichtigen Wercks ad abſurdum zu brin-
gen. Man fuͤget hiemit den Titel deſſelben als einen
teſtem des weitlaͤuftigen Jnnhalts und angenehmen
Vortrages hinzu: Die zerbochene und wieder geflick-
te Fenſter-Scheibe, oder Sonnen-klarer Beweiß,
daß des Ritter Robert Clifton Schreiben an einen
gelehrten Samojeden keine Uberſetzung, ſondern ein
gegen die Spec. Cur. N. Viri cujusdam celeb. ge-
richtetes Sanglantes Original-Figmentum. aber
mit
[814](o)
mit mehr als 99. Unwahrheiten von deſſen Fatis und
Familie, wie uͤberhaupt mit unzaͤhligen vitiis Or-
tho-\& Typographicis beſtreuet ſey. Nebſt einer
neuen Methode, die Indifferentiſten aus den Kup-
fern ihrer Buͤcher zu erkennen, und einer vorlaͤufigen
Abfertigung aller Mocquerien, welche noch ins
kuͤnftige von giftigen Federn gegen den Herrn M. S.
geſchrieben werden duͤrften, koͤnnten oder moͤchten.
Alles mit Demonſtrationibus Mathematicarum
æmulis, quoad 99. Falſa aber groſſen Theils mit
Inſtrumentis Notarialibus erhaͤrtet von S**philo.
Man wird der Wahrheit zu Steuer dieſe Apologie
beſchleunigen, weil man ſichere Nachricht hat, daß
einige unbeſonnene Leute, die doch den guten Freund
beſſer kennen ſolten, nachdem ſie in des Cliftons
Schreiben von Makewind geleſen, anfangen, ihn
vor einen Mann dieſes Nahmens zu halten, alſo,
daß die vindicia ſeiner Studiorum Exegetico-Ho-
miletico-Polemico-Poetico-Medico-Litterario-
Curioſorum hoͤchſt erforderlich ſind.
No. V.
Halle. Der hieſige oͤfentliche Profeſſor der
teutſchen Beredſamkeit, Herr D.Joh. Ernſt Phi-
lippi, hat ein Helden-Gedicht drucken laſſen, das
er den eroͤfneten Tempel der Ehren und
Vorſehung, und die im Pallaſte der Gluͤck-
ſeeligkeit abgelegte Wuͤnſchebey dem hoͤchſt-
begluͤckten Antritt des Hohen 63ten Stu-
fen-Jahres Jhro Roͤnigl. Maj. in Pohlen
und Chur-Fuͤrſtl. Durchl. zu Sachſen, Frie-
dich des Groſſen, benennet, und zu deſſen oͤfent-
licher
[815](o)
licher Verleſung die Zuhoͤrer auf den verwichenen
12. May durch ein Programma von ihm eingeladen
worden, worinnen in Erwegung gezogen iſt; Daß
die wahre Ehre eine Frucht der Tugend, ſon-
derlich bey einem groſſen Printzen ſey. Das
Gedicht betraͤgt mit dem vorgeſetzten Jnhalt deſſel-
ben 3. Bogen, und das Programma 1. Bogen in
Fol. Man erſieht aus dieſem Gedichte, daß der
Herr Verfaſſer die alte gezwungene Art zu Poeti-
ſiren der neuern, flieſſenden und reinen vorgezogen,
und gleichſam zu verſtehen gegeben habe, als wenn
er die teutſche Poeſie auf den vorigen Fuß wiederum
zu ſetzen gedaͤchte. Ferner kan man aus dem Zu-
ſammenhalt des Gedichtes mit dem Programmate
erkennen, was doch auch bey einem eintzigen Men-
ſchen vor ein Unterſcheid zwiſchen der Poetiſchen und
Proſaiſchen Beredſamkeit ſich befinde. Die bey-
den Strophen, worinnen Pohlen gegen Teutſch-
land hitzige Worte ausſtoſſen ſoll, daruͤber es von
der Vorſehung einen Verweiß bekoͤmmt, moͤgen
zur Probe dienen:
Waͤrſt
[816](o)
Entkraͤftet meinen Geiſt, an ſtatt ihn aufzurichten. ꝛc.
Am Ende des Programmatis, wo er ſeine Lectio-
nes, die er zu halten gedenckt, anfuhrt, wird zu-
gleich gemeldet, daß er Mittwochs und Sonna-
bends
[817](o)
bends publice von 11. bis 12. Uhr uͤber die Stuͤcke
des Hamburgiſchen Patrioten leſen wolle. Alſo
hat man wohl gar mit der Zeit einen Commentari-
um daruͤber von ihm zu gewarten.
No. VI.
Hamburg. Jn hieſigen Buchlaͤden ſiehet man
eine Schrift liegen, die ſonder Zweifel auch allhier
gedruckt iſt, und die den Titel fuͤhrt: Briontes der
Juͤngere, oder Lob-Rede, auf den Hochedelgebohr-
nen und Hochgelahrten Herrn, Herrn D.Johann
Ernſt Philippi, oͤfentlichen Profeſſoren der deut-
ſchen Beredſamkeit auf der Univerſitaͤt Halle, wie
auch Chur-Saͤchſiſchen immatriculirten Advoca-
ten ꝛc. ꝛc. nach denen Regeln einer natuͤrlichen,
maͤnnlichen, und heroiſchen Beredſamkeit, ge-
halten in der Geſellſchaft der kleinen Geiſter in Deut-
ſchland, von einem unwuͤrdigen Mitgliede die-
ſer zahlreichen Geſellſchaft. 1732. in 8. von 4.
Bogen. Wer die reine und ungezwungene deutſche
Schreib-Art, ſamt der angebrachten luſtigen, oder
eigentlicher zu reden, Swiftiſchen Erfindung, in
dieſen Bogen beobachtet, und beydes mit den vor
kurtzer Zeit nach Siverſchen Geſchmack herausge-
kommenen Anmerckungen uͤber die Zerſtoͤrung der
Stadt Jeruſalem, wie auch des Cliftons Betrach-
tung der gefrornen Fenſter-Scheibe zuſammen haͤlt,
der wird auf die Gedancken verfallen, daß nur von
einem eintzigen der Herren kleinen Geiſter alles
dreyes entſprungenſey. Des Herrn Prof. Philip-
pi ſonderliche Beredſamkeit, die er in ſeinen ſechs ge-
druckten Reden zu erkennen gegeben, wird dermaſſen
F f fem-
[818](o)
empfindlich durchgeſtriegelt, daß, wie er ehemahls in
einer von ſeinen gehaltenen Reden gekuͤnſtelter Wei-
ſe ohnmaͤchtig worden, nunmehro bey Durchleſung
einer auf ihn gerichteten Lob-Rede, natuͤrlicher Wei-
ſe in eine tiefe Ohnmacht ſincken moͤchte. Es waͤre
kein Wunder, wenn er die Geſellſchaft der kleinen
Geiſter vor kleine aus England in Teutſchland an-
gekommene Geſpenſtrichen, oder ſonſt etwa vor
Riebezals-Kinder anſaͤhe, welche die neuen Gelehr-
ten, wenn ſie auch Profeſſores heiſſen, plagen wollen.
Und da des Herrn Philippi Reden eine ſolche ſatyri-
ſche Feuer Probe aushalten muͤſſen, wie wird es
nicht mit ſeiner Thuͤringiſchen Hiſtorie, die gewißlich
einer noch ſchaͤrfern Lauge wuͤrdig iſt, und deren loͤb-
liche Beurtheilung verſprochen wird, ausſehen?
Nur moͤchte ſich das beredete Mitglied der kleinen
Geiſter, von welchem die Philippiſche Lob-Rede her-
koͤmmt, dieſes laſſen ins Ohr geſagt ſeyn, daß es ſich
der Redens-Arten, die eine ſchlechte Ehrerbietung vor
die Schrift und Theologie an Tag legen, enthielte;
wie denn in gedachter Rede die Vergleichung der
Geſellſchaft kleiner Geiſter mit der unſichtbaren Kir-
che, abſonderlich die Erwehnung der Reiſe Pauli in
den dritten Himmel, ferner die Redens-Art von der
Auspluͤnderung des Pſalms und der Ofenbahrung,
ſamt noch einigen andern, wohl haͤtten wegbleiben
moͤgen. Denn dadurch wird dem Herrn Profeſſor
Philippi Gelegenheit gegeben, daß er ſtatt eine.
Danckſagungs-Rede vor ſein groſſes Lob, vielmehr
auf eine haͤßliche Straf-Predigt wird bedacht ſeyn,
die mit lautern Spoͤttern und Schrift Veraͤchtern
um ſichwirft.
No. VII.
[819](o)
No. VII.
Hamburg. Man ſiehet allhier eine Schrift
von vier Bogen unter folgendem Titul: Briontes
der Juͤngere, oder Lob-Rede auf den S. T. Hrn.
D. Joh. Ernſt Philippi, oͤfentlichen Prof. der
deutſchen Beredſamkeit auf der Univerſitaͤt Hal-
le ꝛc. ꝛc. nach denen Regeln einer natuͤrlichen,
maͤnnlichen und heroiſchen Beredſamkeit gehalten
in der Geſellſchaft der kleinen Geiſter in Deutſch-
land von einem unwuͤrdigen Mitgliede dieſer zahlrei-
chen Geſellſchaft. Es ſtehet wenigen Leſern zuzu-
trauen, daß ſie einen Gelehrten nicht kennen ſoll-
ten, den ſeine Thuͤringiſche Hiſtorie beruͤhmt, ſechs
deutſche Reden aber unſterblich gemachet. Eben
dieſe haben ihm dieſe wohlverdiente Lob-Rede zu-
gezogen, der es weder an Wahrheit noch Scharf-
ſinnigkeit fehlet, und die in der That ein Meiſter-
Stuͤck iſt. Des ungenannten Herrn Verfaſſers
Abſicht ſcheinet keine andere geweſen zu ſeyn, als
den juͤngern Briontes oder Herrn Prof. Philippi
zu der beſondern Unſterblichkeit zu verhelfen, wo-
zu ihm ſeine natuͤrliche, maͤnnliche und heroiſche
Beredſamkeit gnugſam berechtiget hat. Dennoch
ſind wir von des letztern Beſcheidenheit faſt verſi-
chert, er habe dieſe Lobes-Erhebungen geleſen, oh-
ne durch eine eintzige derſelben ſtoltz zu werden: Auch
widerſprechen wir hiemit oͤfentlich dem Geruͤchte,
welches Neider ſeiner ſich ausbreitenden Verdienſte
von ihm ausgeſprenget, daß er dieſe Lob-Rede ſelbſt
verfertiget. Wir ſind von dem Ungrund dieſer
Aufbuͤrdung uͤberzeuget. Wir haben eine zaͤrtliche
F f f 2Hoch-
[820](o)
Hochachtung fuͤr Se. Excellenz den Herrn Profeſſor:
wir ergetzen uns recht hertzlich an ſeinen Schriften,
ja duͤrften wir, zu ſeinem Ruhm und unſerer Belu-
ſtigung, etwas wuͤnſchen, ſo waͤre es, auch kuͤnf-
tighin die Proben ſeiner Faͤhigkeit in der Dicht-
Kunſt vermehret zu ſehen. Er iſt dem poetiſchen
Geiſte nach ſo ſtarck, als dem Leibe nach Ohnmach-
ten unterworfen: und wir erinnern uns der Stelle
des Plinius von einem kraͤncklichen Weiſen, dem
er par animo corpus anwuͤnſchte. Herr Briontes
der Juͤngere wuͤrde wohl thun, die Stunden, die er
auf die Beredſamkeit wendet, kuͤnſtig in doppelter
Maaße der deutſchen Poeſie zu wiedmen. Alsdann
wird ihm der Lorbeer nicht entſtehen, den er ſchon er-
eilen koͤnnen, wenn er etwas mehres, als ein Hel-
den-Gedicht in gebundener Rede aufgeſetzet. Jn die-
ſer angenehmen Hofnung koͤnnen wir uns kaum
entbrechen, ihm mit etwas veraͤnderten Worten
aus dem von Canitz dieſes zuzurufen:
No. VIII.
Ein gelehrter Medicus hat uns unlaͤngſt mit ei-
nem Schreiben beehret, aus dem wir in folgen-
dem
[821](o)
dem Auszuge eine neue Entdeckung in der Hei-
lungs-Wiſſenſchaft mitheilen wollen.
Hiernechſt (ſchreibt er) muß ich Ewr. Hoch-Edl.
etwas ſonderbahres melden, ſo ich in meiner hieſigen
Praxi medica neulich angemercket. Jn einen nah-
gelegenen Orte ward am 16. Febr. ein Cadidatus
Miniſterii durch vieles Predigen und Juden-Bekeh-
ren in allerhand ſchmertzliche Zufaͤlle geſtuͤrtzet, da er
ſich dann meiner Huͤlfe bediente. Zufoͤrderſt ſuchte
ich ſchlimmeren Folgen durch dienliche Artzeneyen
treulich vorzubeugen, die jedoch ſo wenig fruchteten,
daß vielmehr am 20. eine anhaltende Schlafloſig-
keit, oder [...] ſich einfand und ſeine Geneſung
ziemlich zu entfernen ſchien. Nun hatte aber der
Krancke am 25. von ſeinem Hauswirthe, einem Ge-
wuͤrtzhaͤndler und gar willfaͤhrigen Manne, des Hrn.
Profeſſors Philippi in Halle Helden-Gedicht auf
Se. Majeſtaͤt den Gottſeel. Koͤnig in Pholen, oder
den Tempel der Ehre und Vorſehung ſich reichen laſ-
ſen, ohne Zweifel ſein Gemuͤth etwas zu ergetzen; Und
ſiehe! die Natur half ſich ſelbſt auf eine wunderbahre
Art, da wohlzubereitete Opiata und Narcotica nicht
anſchlagen wollen. Der Patient fing an, mit einer
vernehmlichen Stimme ſeiner Waͤrterin dieſes Ge-
dicht vorzuleſen. Nach dieſer Frauen und anderer
gar eigentlichen Auſſage ſtieß ihm ein kurtzer Schau-
der zu, bey der andern Strophe der neunten Seite.
Bey Ausſprechung der lezten Sylbe dieſer beyden Zei-
len pag. 13.
F f f 3ließ
[822](o)
ließ er das Haupt ſincken, ſeufzte und gerieth in einen
ſanften und lieblichen Schlummer, der einige Stun-
den dauerte, ſich auch noch allezeit einſtellet, ſo oft er
dieſes heilſahme Werck lieſet, wodurch ich dann, da
ich dieſes ſchreibe, am 1. Mart. eine merckliche Beſſe-
rung geſpuͤret. Seine Wirthin, eine fromme Ma-
trone, verwahret nunmehro dieſes Gedicht, wovon
ſie zwantzig Exemplaria geſammlet, mit groͤſſerm
Fleiß, vermeint auch, dieſes Hauß Mittel habe wuͤrck-
lich in gleichen Umſtaͤnden bey ihrer eintzigen mann-
bahren Tochter ſchon von neuem ſeine Kraft bewie-
ſen.
Jch finde dieſen Caſum ungemein merckwuͤrdig,
und wuͤnſchte, daß die gelehrte Geſellſchaften in und
auſſer Deutſchland ſolchen gruͤndlich unterſuchen
moͤchten. Durch langes Wachen waren freylich
die ſubtile fluͤchtigen Lebens Geiſter des Krancken,
ſonderlich in parte cerebri corticali, in auſſerordent-
liche Bewegung geſetzet worden. Den erfolgten
Schlummer konnte demnach nichts befoͤrdern, ohne
zugleich jene zu maͤßigen und zu hemmen, (wie denn
Henricus Regius, der nebſt dem du Hamel die Hirn-
Nerven zum Subjecto des Schlafes machet, folglich
vom Williſio abgehet, ſelbigen gleichwohl durch eine
ſubſidentiam ſ. arctationem cerebri \& nervorum
erklaͤret:) wozu dann vor allen ein irrdiſches, grobes,
ver dickendes, und einſchlaͤferndes Weſen, oder die
von einem neoterico ſo genannte vis inſpiſſatoria er-
fodert wird. Da nun dieſe Kraft ſich mitten im Le-
ſen des oberwehnten Gedichtes geaͤuſſert, ſo moͤgen
andere ausmachen, ob ſie in ſelbigem verborgen ge-
weſen und dem Patienten, nachdem ſie deſſen Ge-
dancken
[823](o)
dancken auf eine beſondere geheime Weiſe geruͤhret,
ſo heilſam ſeyn koͤnnen. Wenigſtens bezeuget dieſe
wahrhafte, jedoch vielen unglaubliche Geſchichte,
daß die Seele einen ſehr groſſen Antheil an der Ge-
ſundheit, Kranckheit und Geneſung unſers Coͤr-
pers habe, welches, anderer zugeſchweigen, der be-
ruͤhmte Hofmann in der gruͤndlichen Anweiſung P.
l. Sect. IV. hinlaͤnglich ausgefuͤhret ꝛc. ꝛc. Jch ge-
dencke hievon mit mehrerem in meinen Centuriis ob-
ſervat. medicar. zu handeln.
No. IX.
Auszug eines Schreibens an den Verfaſſer
Niederſachſiſcher Nachrichten
vom 24. Maͤrtza. c.
Der neulich angefuͤhrte Caſus medicinalis, von
der kraͤftigen Wirckung einer deutſchen Poeſie des
Hrn. Prof. Philippi, hat mir ſehr wohl gefallen.
Laſſen Sie ſich doch, gegen ihre gefaßte Meynung,
bewegen, dieſes heilſamen Mannes noch einmahl zu
gedencken, und geben durch Einruͤckung meiner Ge-
dancken, wenn es nicht ferner geſchehen ſoll, dem
Eloquentz-Nagel den lezten Schlag auf den Kopf.
Es hat der Hr. Prof. neulich eine Schrift ausfliegen
laſſen, von 2. und einem halben Bogen in 8. welche
mein Diener in einer alten Kaͤſe-Bude gekauft, zum
Durchleſen mit nach Hauſe genommen, mir endlich
als was neues und laͤcherliches uͤberreicht hat, und
die ich Jhnen nunmehro ebenfalls zum Beſehen uͤber-
ſchicke. Setzen Sie doch ihren gantzen Titel hin,
weil er den voͤlligen Jnhalt ſo ſchoͤn fuͤr Augen legt.
(Da iſt er.) Wunderſeltſames Fuͤndel-Kind,
F f f 4wel-
[824](o)
welches mit einem gewiſſen Sendſchreiben an den
Verfaſſer des mathematiſchen Verſuchs von der Un-
moͤglichkeit einer ewigen Welt, in geheim abgeſchi-
cket, nunmehro aber mit einem Geburts Schein und
Frey-Brief, darinne die eigentliche Meynung Hrn.
Hof-Rath Wolfen von der Ewigkeit der Welt, wie
auch der verdorbene Geſchmack der kleinen Geiſter
lebendig fuͤrgeſtellt, nach ſeiner Heymath wieder ab-
gefertiget worden, von D.Johann Ernſt Philip-
pi.P. P. 1733. Es hat ſich auch bey mir, nach vol-
lendeter Durchleſung, eine heilſame Kraft dieſer
Schrift ereignet, indem ſie mich von einer dreytaͤgi-
gen Verſtopſung befreyet. Wie es zugegangen ſey,
mag ich ietzo nicht erzehlen. Genug, daß ich ſie als
ein gutes Mittel gegen das ſonſt ſo ſchwer zu vertrei-
bende malum hypochondriacum anſehe. Nur
dieſes iſt zu bedauren, daß ſich der Hr. Prof. durch
ſeine Arbeit des Thomaſianiſmi nunmehro gar zu
verdaͤchtig gemacht hat, wogegen er doch in der Lob-
rede auf ſeine heroiſche Beredſamkeit gantz wohlmey-
nend vertheidiget worden, indem er den angefuͤhr-
ten Brief, wie ehemals Thomaſius in ſeinen Mo-
naten des Peter Schippings Schrift, mit Anmer-
ckungen zu widerlegen, und dem Thomaſio nach-
zuahmen getrachtet. Jnzwiſchen iſt es wahr, daß
der Verfaſſer des Briefs das Bild der Dunckelheit
in dem Mathematiſchen Verſuche des Hrn Philip-
pi beſſer vorſtellen moͤgen. Mir iſt endlich auch eine
Anmerckung uͤber des Hrn. Proſeſſors, ſowohl iezt
angefuͤhrte, als uͤbrige Schriften, aus des Cicero
erſtem Buche ſeiner Tuſculaniſchen Fragen beygefal-
len: Fieri poteſt, ut recte quis ſentiat, \& id
quod
[825](o)
quod ſentit, recte eloqui non poſſit: ſed man-
dare quenquam literis cogitationes ſuas, qui
nec diſponere nec illuſtrare poſſit, nec dele-
ctatione aliqua allicere lectorem, hominis eſt
intemperanter abutentis \& otio \& literis. \&c.
No. X.
Leipzig. Allhier beluſtiget uns das Wunder-
ſeltzame Fuͤndel-Kind ꝛc. oder die neue Schrift un-
ſers galanten und gelehrten Nachbarn, des Herrn
Philippi zu Halle, die ihres beruͤhmten Verfaſſers
wegen billig anzupreiſen ſtehet. Ein Ungenannter
hatte an den Autorem des Mathematiſchen Verſu-
ches von der Unmoͤglichkeit einer ewigen Welt ins
geheim ein Schreiben im Nahmen der fuͤnf Sinne
abgeſchicket. Weil aber dieſer mit ſelbigen ſich in
keine Gemeinſchaft einzulaſſen geſonnen, ſo ſiehet
man ihre Zuſchrift mit 104. netten Anmerckungen
und einem ſinnreichen Poetiſchen Nachbericht, nach
Art der beliebten Leber-Reime, gruͤndlich abgeferti-
get. Der Urheber derſelben, den er bald Lobeſau,
bald Stockfiſch, bald aus ungemeiner Leutſeeligkeit
nach einem der groͤſſeſten Gelehrten benannt, wird
p. 8. unter die kleinen Geiſter geſteller, deren Abſicht
nicht iſt, in ſolchen Send-Schreiben Unterricht an-
zunehmen, ſondern die groſſen Genies, z. E. den
Herrn von Leibnitz, Thomaſius und Philippi zu ho-
femeiſtern. Wem dieſes Fuͤndel-Kind beyzulegen,
wiſſen wir nicht. Se. Excellentz, der Herr Doctor
und Proſeſſor, bezeuget p. 5. als ein geſchworner
Kayſerlicher Notarius, daß es kein Wechſel-Balg
ſey. Jedoch ſcheinet nur ihm, und ſonſt keinem eintzi-
F f f 5gen,
[826](o)
gen, dieſe Ausgeburt der Satyre Briontes ſo aͤhn-
lich, als ein Rabe dem andern, p. 4. Dieſes iſt gantz
falſch und unwahrſcheinlich. Wiewohl ein ſo klei-
ner Fehler verſtecket ſich hinter viele Schoͤnheiten
und man wird ſeiner kaum gewahr. Die ſpielende
Natur hat wuͤrcklich in den Haͤlliſchen Redner et-
was beſonders geleget. Durch die gehaͤufte Spoͤt-
tereyen, die aus beyden Saͤchſiſchen Crayſen auf ihn
zueilen, geraͤht er ſo wenig in gekuͤnſtelte oder wah-
re Ohnmachten, daß vielmehr eine jede Hetze ſeine
Kraͤfte augenſcheinlich verdoppelt und er vielleicht
unuͤberwindlich ſeyn wuͤrde, wenn er ſeinen Fein-
den noch laͤcherlicher ſchiene. Er erwartet daher
ſeiner Gegner in voller Ruͤſtung, kaͤmpfet mit ihnen
bis auf das allerletzte Serum ſeines Gehirnes, und
weiß auf eine ſchlaue Art ſeine Stacheln und Waf-
fen mit den ihrigen ſo wohl zu verwirren, daß dieſes
groſſe Genie wenigſtens ſtreitend erlieget wie
Der Rieſe, der vom Blitz erleget iſt, und ſelbſt
blitzet. Gvarini.
Er iſt zur Satyre gebohren und wir wuͤnſchen ihm,
nicht ſonder einigen Eigennutz, ein langes Leben.
Vielleicht moͤchte aber dieſer duͤrre Saͤugling nicht
die Jahre ſeines wuͤrdigen Pflege-Vaters errei-
chen, wann ein Liebhaber der Alten, der ſich durch
ſein Amt dazu berechtiget zu ſeyn glauben, und ſei-
nem eigenſinnigen Geſchmack nachhaͤngen doͤrfte,
den baldigen Untergang deſſelben befoͤrdern woll-
te: welches wir wuͤrcklich zu befuͤrchten haben.
Vitalis metuo; \& majorum ne quis amicus
Frigore te feriat. Hor. Sat. L. 2.’
No. XI.
[827](o)
No. XI.
Hamburg. Wer unter der Menge von neuen
gedruckten Sachen das ſcharfſinnige liebt, der leſe
folgende Schrift: Unpartheyiſche Unterſuchung der
Frage: Ob die bekannte Satyre, Briontes der juͤn-
gere, oder Lobrede auf den Herrn D.Joh. Ernſt
Philippi, Prof. der deutſchen Wohlredenheit auf
der Univerſitaͤt Halle, mit entſetzlichen Religions-
Spoͤttereyen angefuͤllet, und eine ſtrafbare Schrift
ſey? Bey welcher Gelegenheit zugleich augenſchein-
lich gezeiget wird, daß der Hr. Prof. Philippi die
Schrift: Gleiche Bruͤder, gleiche Kappen
ꝛc. unmoͤglich gemacht haben koͤnne. Leipzig. 1733.
in 8. von 9. Bogen. Ob der Herr Verfaſſer des
Briontes und ſein ietziger Vertheidiger in einem Lei-
be wohnen, oder ob man zwey Perſonen daraus
machen koͤnne? darum moͤgen ſich andre bekuͤmmern.
Was das uͤbrige betrift, ſo wird ein jeder unpar-
theyiſcher Leſer mit uns geſtehen muͤſſen, daß der
elende Schneider-Geſelle, welcher die ſogenannten
Kappen aus alten Lumpen zuſammengeflickt, auf
eine wohlverdiente Weiſe ſey gezwagt, auch deſſen
gemachte Vorwuͤrfe der Religions-Spoͤtterey, ver-
lezten Ehre u. d. g. ſehr nachdruͤcklich abgewieſen wor-
den, und das auf eine angenehme und beſondere Art,
die mit lauter nuͤtzlichen Regeln und Urtheilen unter-
menget iſt. Denn es ſind darinn zwar kurtz, aber
ſehr wohl, und nicht auf gemeine Art vorgeſtellt, was
eigentlich eine gute Satyre ſey, was darzu gehoͤret,
und was ſie vor Schickſalen unterworfen? ferner:
was eine Jronie erfodert, beym Unterſcheid eines
Gleich-
[828](o)
Gleichniſſes zu mercken? und endlich: wie noͤthig
und nuͤtzlich es ſey, die boͤſen Scribenten zu beſtra-
fen? Des Verfaſſers der Niederſaͤchſiſchen Nach-
richten wird auf der 10. Seite auch gedacht, und
deſſen bey Anfuͤhrung des Briontes gegebener Rath,
ſich der Bibliſchen und Theologiſchen Redens-Arten
in einer Satyre lieber zu enthalten, gebilligt, indem
es eingetroffen, daß der Kappen-Macher eben hier-
uͤber das meiſte Geſchrey angeſtimmt, und aller-
hand laͤſterliche Gloſſen ausgeheckt hat. Der
Wunſch des gedachten Verfaſſers war freylich kein
anderer, als daß den Spinnen die gaͤntzliche Macht,
ihren Gift auszulaſſen, moͤchte benommen ſeyn; und
wenn dergleichen Redens-Arten den Einfaͤltigen
Kappen-Schneider zur Flickerey nicht bewogen haͤt-
ten, ſo glaubt man, daß er mit ſeiner uͤbrigen Stuͤm-
perey wuͤrde zu Hauſe geblieben ſeyn. Solche Aus-
druͤcke moͤgen noch ſo unſchuldig ſeyn, und auf das
gruͤndlichſte vertheidigt werden, ſo iſt der Anſtoß
doch nicht zu vermeiden: tamen aliquid hæret; und
beſſer iſt doch beſſer. Eine gruͤndliche Satyre, die
davon ledig iſt, wird den Laͤſterungen und an-
dern Anfaͤllen ſo leicht nicht unterworfen ſeyn,
und ein Satyren-Schreiber kan allen andern
Argwohn eher, als die Religions-Spoͤtterey, von ſich
abweltzen. Dem Herrn Verfaſſer der unpartheyi-
ſchen Unterſuchung werden dieſe vielleicht uͤber-
fluͤßige, doch wohlmeynende Gedancken hofentlich
nicht entgegen ſeyn. Was ferner die Kappen anbe-
langt, ſo ſind ſie dem Verfaſſer Niederſ. Nachr. noch
nicht zu Geſichte gekommen, daß er ſagen koͤnte, wie
und auf was Weiſe man dasjenige, ſo wegen des
Herrn
[829](o)
Herrn Profeſſors Philippi zu verſchiedenen mahien
erinnert worden, angefochten habe. Es werden aber
gantz gewiß eben ſo elende Laͤppereyen ſeyn, als die-
jenigen, welche dem Kappenmacher in der unparthey-
iſchen Unterſuchung ſind unter Augen geſtellet wor-
den. Wißte auch der Verfaſſer Niederſ. Nachrich-
ten, worin etwa die gegen ihn gemachte Vorwuͤrfe
und Tedelungen beſtuͤnden, ſo naͤhme er ſich dennoch
nicht die Muͤhe, das geringſte darauf zu antworten,
nachdem in oftbenannter Unterſuchung den Kap-
pen der Staub und die Motten dermaſſen ausgeklop-
fet ſind, daß kein guter Faden mehr dran bleibt: Kurtz,
die Kappen ſind als eine durchgehends alberne, ein-
faͤltige und unvernuͤnftige, obwohl zuweilen boßhaf-
te Schrift, deutlich abgemahlt. Es wird auch daher
mit Recht gemuthmaſſet, und aus 14. Beweiß-
Gruͤnden dargethan, daß der Herr Profeſſor Philip-
pi ein ſolches Geſchmier unmoͤglich koͤnne aufgeſezt
haben, ſondern daß es von ſeinen aͤrgſten Feinden, ge-
gen die er ſeine Ehre retten muͤſſe, herruͤhre. Daß
ſolches wahr ſey, glaubt der Verfaſſer Niederſaͤchſ.
Nachrichten auch daher um deſto mehr, weil ihm der
Herr Profeſſor Philippi nur neulich einen gar ver-
nuͤnftigen und hoͤflichen Brief zugeſchickt und darin-
nen gemeldet hat: „er leſe dieſe Nachrichten mit Ver-
„gnuͤgen, und ob er wohl das Ungluͤck gehabt, darin
„etliche mahl angegrifen zu werden, ſo ſchlage ſol-
„ches in ihm die Begierde dennoch nicht nieder, des
„Verfaſſers Freundſchaft zu ſuchen, ſondern erwecke
„ſie vielmehr, indem er genugſame Urſache finde, es
„mit denen Herren Schrift Richtern nicht zu ver-
„derben ꝛc. Zugleich hat der Herr Prof. ſeine Ein-
lei-
[830](o)
leitung zu denjenigen Theilen der Gelehrſamkeit,
daruͤber er kuͤnftig Jahr aus Jahr ein zu leſen ent-
ſchloſſen, und welche 2. Bogen in 8. betraͤgt, mit-
geſandt, waraus genugſam erhellet, daß derſelbe kein
ſo ſchlechter Philoſoph, noch mehr aber ein guter Ju-
riſt ſeyn koͤnne. Auch den uͤbrigen und gehoͤrigen
Ruhm wird man dem Herrn Profeſſor niemahls
ſtreitig machen, oder ihm ferner Gelegenheit geben,
ſich zu beſchweren. Wie denn auch der Vertheidiger
des Briontes gezeiget, er ſey nicht ein Feind, ſondern
ein guter Freund des Herrn Profeſſors Philippi.
No. XII.
Leipzig. Die ſinnreiche Lob-Rede auf den oͤfent-
lichen Lehrer der deutſchen Beꝛedſamkeit in Halle, oder
Briontes der Juͤngere ꝛc. iſt mit allgemeinem Bey-
falle aufgenommen worden. Sie hat gewiſſe Her-
ren, die leſen und ſchreiben koͤnnen, in eine heimliche
Unruhe geſetzet. Jhnen hat mißfallen, daß dieſes
Werckchen ſo viel neues beſitzet und keine Copie iſt.
Sie haben in einer Schrift, der ſie, ohne wider den
Strom zu ſchwimmen, Witz und Schoͤnheit nicht
abſprechen durften, Spoͤttereyen der Religon und
ewiger Wahrheiten geſuchet. Dieſe Gewohnheit iſt zu
vortheilhaft, um jemahls zu verjaͤhren. Wer ſich
die Freyheit nimmt, dieſen oder jenen Virum Clariſ-
ſimum fuͤr ſich dencken zu laſſen, muß ſich nur zeitig
auf ſolche Urtheile gefaßt machen, die witzigen Koͤpfen
ſchwerer zu vermeiden, als zu wiederlegen ſind. Von
beyden iſt dieſe hieſelbſt herausgekommene Schutz-
Schrift eine Probe: Unpartheyiſche Unterſuchung
der Frage: Ob die bekannte Satyre, Briontes der
Juͤngere
[831](o)
Juͤngere, oder Lob-Rede auf den Herrn D. Joh. Ernſt
Philippi, Profeſſor der Deutſchen Wohlredenheit
auf der Univerſitaͤt Halle, mit entſetzlichen Religi-
ons-Spoͤttereyen angefuͤllet, und eine ſtrafbaere
Schrift ſey? Bey welcher Gelegenheit zugleich au-
genſcheinlich gezeiget wird, daß der Herr Profeſſor
Philippi die Schrift: Gleiche Bruͤder, gleiche Kap-
pen ꝛc. unmoͤglich gemacht haben koͤnne. Leipzig,
1733. 10. Bogen, in Octav. Eine gute Satyre
iſt das kraͤftigſte Heylungs-Mittel der Jnvaliden des
Parnaſſes. Sie erwecket unter ihnen eine allge-
meine Demuth und Ehrerbietung. Dieſe Wir-
ckung hatte auch Briontes der Juͤngere, den Herr
Profeſſor Philippi, der ein groſſer Kenner dieſer
Schriften iſt, fuͤr eine Satyre haͤlt. Er hat alſo,
nach deren reiflichen Unterſuchung, die Stimme
einer mitleidigen Vorſicht erkannt, die ihn ſeinen
Feinden nicht ganz uͤberantworten, noch verſtatten
will, daß kein Deutſcher ſich des Lachens enthal-
te, der den Namen Briontes hoͤret. Er iſt
uͤberzeuget, die Sicherheit eines Scribentens
ſey dem Hochmuth aͤhnlich, dieſer aber allemahl
ein Vorbote des Falles. Er hat ſich alſo nicht un-
geberdig geſtellet, nicht geſcholten oder getobet, wie
ein kleiner Geiſt gethan haben wuͤrde. Seine Fein-
de kraͤncket es daher nicht wenig, daß ſie ihm
nicht auch eine gewiſſe Seuche, die in der Schu-
le herrſchet, oder den pudorem malum vieler
Buͤcher-Schreiber vorwerfen koͤnnen, die nie ge-
ſtehen wollen, daß ſie gefehlet, und oft zehn Wer-
cke ſchreiben, um die Schwachheiten eines einzi-
gen zu verewigen. Unſer Freund, der Herr Pro-
feſſor
[832](o)
feſſor Philippi, iſt kein ſolches Gefaͤſſe der Schmier-
ſucht. Zwar hat ſich ein ſogenanntes Fuͤndel-Kind
und eine armſeelige Schrift: Gleiche Bruͤder,
gleiche Kappen, doch nur auf 24. Stunden, ſehen
laſſen: Dieſe Unterſuchung zeiget aber ausfuͤhrlich,
daß der Herr Profeſſor Philippi an dieſen Mißge-
buhrten nie Antheil gehabt. Er ſiehet auch mit
Freuden, wie ſein Gluͤcke ſteiget: wie wenig die
Verlaͤumdung ihm den Ruhm der Beſcheidenheit
und Selbſterkaͤnntniß durch Aufbuͤrdung ſolcher
Schriften entziehen koͤnne: wie die Lob-Rede Bri-
ontes, der allein er dieſen Ruhm zu dancken hat,
und wie ſonderlich er ſelbſt in dieſem neuen Wercke
auf eine ſo gruͤndliche Art vertheidiget worden, daß
er ſchwerlich wird entſcheiden koͤnnen, ob die Lob-
Rede, oder derſelben Schutz-Schrift, ſcharfſinni-
ger ſey?
No. XIII.
Hamburg. Von Leipzig iſt uns neulich eine
Schrift zugeſandt, die nachfolgenden Titul fuͤhret:
Stand- oder Antritts-Rede, welcher der (S. T.)
Herr D. Joh. Ernſt Philippi, oͤfentlicher Profeſſor
der Deutſchen Wohlredenheit zu Halle, den 21.
December 1732. in der Geſellſchaf der kleinen Gei-
ſter gehalten, ſammt der ihm darauf, im Namen
der ganzen Loͤbl. Geſellſchaft der kleinen Geiſter, von
dem (S. T.) Herrn B. G. R. S F. M. als Aelte-
ſten der Geſellſchaft, gewordenen hoͤflichen Antwort.
Auf Befehl und Koſten der Geſellſchaft der kleinen
Geiſter zum Druck befoͤrdert. Exſequias Philippo
qvoi commodum eſt ire, jam tempus eſt, ollus
de-
[833](o)
defertur. 1733. 5½. Bogen, in Octav. Wuͤſte
man, was wir vor ein herzliches Mitleiden mit
dem Herrn Prof. Philippi, und vor einen unuͤber-
windlichen Eckel gegen ſatyriſchen Schriften tra-
gen, ſo waͤren wir nimmer erſuchet worden, dieſer
beiſſenden Schrift zu gedencken. Es iſt wahr, wir
haben eine Zeit her unterſchiedenen Satyren einen
Platz in unſern Blaͤttern gegoͤnnet: Allein wir ha-
ben auch erfahren muͤſſen, daß uns dieſes von vie-
len Chriſtlichen Gemuͤthern verdacht worden, und
finden Urſache zu beſorgen, daß mancher dencke,
wir haͤtten einen Gefallen an der Frechheit gewiſſer
Spoͤtter, die ſeit einiger Zeit viele ſtattliche Scri-
benten ſo uͤbel und unverantwortlich handthieret,
daß es einen Stein in der Erden erbarmen moͤgte.
Wir wuͤrden alſo die uns zugeſchickte Stand-Rede
des Hrn. Prof. Philippi, und deren hoͤfliche Be-
antwortung bey uns niedergeleget haben, ohne ein
Wort davon zu ſagen, wenn wir nicht geſehen,
daß auf dem Titul dem Herrn Prof. Philippi zu
Grabe geſungen, und alle Welt eingeladen wor-
den, demſelben die letzte Ehre zu erweiſen. Wir
ſchlieſſen daraus, daß dieſes vermuthlich die letzte
Satyre wider dieſen beruͤhmten Mann ſeyn werde,
und haben alſo dieſe Gelegenheit nicht vorbey laſſen
wollen, unſern Leſern das Aergerniß demuͤthig ab-
zubitten, ſo das Lob, welches wir einigen Schrif-
ten dieſer Art beygeleget, ihnen etwan verurſachet.
Wir loben zwar die Scharfſinnigkeit eines Scri-
benten: aber wir nehmen keinen Theil an deſſen
Schaͤrfe. Ob wir demnach gleich bekennen muͤſſen,
daß die Antwort auf die Philippiſche Stand-Rede
G g gwohl
[834](o)
wohl geſchrieben, und voll ſinnreicher und artiger
Einfaͤlle iſt, ſo tadeln wir doch die Unbarmherzig-
keit des Verfaſſers, und billigen ſein liebloſes Ver-
ſahren nicht. Der Herr Prof. Philippi war dem
Parnaſſe ein Fremdling. Man hat ihn gewitziget,
und das war genug. Wie groß auch ſeine Fehler,
ſo hat er doch kein Verbrechen begangen, wesfalls
er verdiente, lebendig begraben zu werden. Doch
es iſt nun einmahl geſchehen. Wir indeſſen wuͤn-
ſchen dem Hrn. Prof. Philippi in der Gruft, worinn
man ihn geſencket, eine ſanfte Ruhe, und erſuchen
ſeinen unbarmherzigen Leichen-Bitter, dieſelbe nicht
zu ſtoͤren. Er hat Urſache die Aſche eines Mannes
zu ehren, der ihm ſo manche luſtige Stunde gemacht,
und wird wohl thun, wenn er ſich erinnert, was
man, nach einem bekannten Sprichwort, den
Todten und Abweſenden ſchuldig. Was den Hrn.
Prof. Philippi anlanget, ſo hofen wir, daß dieſer
lebendig-todte Redner die Perſon eines verſtorbenen
wohl ſpielen, und ſich nicht weiter ruͤhren werde.
Denn was will er anfangen? Es iſt aus mit ihm,
und das kluͤgſte, was er thun kan, dieſes, daß er
von der undanckbaren gelehrten Welt, die ſeine Ver-
dienſte nicht erkennen will, auf ewig Abſchied nimmt.
Denn ſie iſt ſein nicht werth. Alsdann werden die
Spoͤtter, die ſich bishero auf ſeine Unkoſten luſtig
gemacht, erſt inne werden, was ſie an ihm verloh-
ren. Die beſondere Neigung, ſo wir zu dem Hrn.
Prof. Philippi tragen, treibet uns an, ihm dieſen
wohlgemeynten Rath zu geben, und noch zu guter
letzt aus dem Calpurnius zuzurufen:
Frange
[835](o)
No. XIV.
Hamburg. Abermahl, und vielleicht auch zum
letzten mahl, iſt der Herr Doctor und Profeſſor
Philippi in Halle mit einer Rede, weil er dazu Ge-
legenheit gegeben, auf eine ſonderliche Weiſe, die
ihm eben ſo wenig, als einem Patienten das Schnei-
den, Brennen und Beitzen des Wund-Arztes gefal-
len kan, beehret worden, und welche man in hieſigen
Buchlaͤden antrift unter folgendem Titel: Stand-
oder Antrits-Rede, welche der (S. T.) Herr D.Joh.
Ernſt Philippi, oͤfentlicher Profeſſor der deut-
ſchen Wohlredenheit zu Halle, den 21. December
1732. in der Geſellſchaft der kleinen Geiſter gehal-
ten, ſamt der ihm darauf im Nahmen der gantzen
loͤbl. Geſellſchaft der kleinen Geiſter von dem (S. T.)
Herrn B. G. R. S. F. M. als aͤlteſten der Geſell-
ſchaft, gewordenen hoͤflichen Antwort. Auf Be-
fehl und Koſten der Geſellſchaft der kleinen Geiſter
zum Druck befoͤrdert. Eſequias Philippo qui
commodum eſt ire, jam tempus eſt, ollus defer-
tur. 1733. in 8 von 5. und einem halben Bogen.
Wer die ehemahlige Lob-Rede auf den Herrn Pro-
feſſor Philippi, Briontes der juͤngere genannt, wie
auch die Beweiß-Gruͤnde, daß der Herr Philippi
die Kappen nicht gemacht, geleſen, den koͤnnen wir
verſichern, daß ſolche beyde Schriften die obge-
G g g 2dach-
[836](o)
dachte in der ironiſchen Schreibart noch uͤbertrefe.
Wem ſeine Beredſamkeit ſolche abſcheuliche Ehre,
als dem Herrn Profeſſor Philippi, bringet, der
ſollte wuͤnſchen, daß doch niemals ein beredtes
Wort aus ſeinem Munde gegangen, oder aus ſei-
ner Feder gefloſſen waͤre. Wie die Vorrede des
Herrn Secretars der Geſellſchaft der kleinen Gei-
ſter, welcher ſich bloß mit den etwas fuͤrchterlich
lautenden Anfangs-Buchſtaben ſeines Nahmens
C. A. V. E. unterſchrieben, meldet, ſo iſt die Stand-
Rede des Herrn Philippi, worin er ſeinen Zorn
gegen die kleinen Geiſter ausgeſchuͤttet, da und
dort unter den Haͤnden der Leſer im Manuſcript
umgeſchweift, und hat eher keinen Verlaͤger finden
koͤnnen, biß ſich die Geſellſchaft der kleinen Geiſter,
nach vieler Ueberlegung und mit 777. Stimmen
gegen 365. entſchloſſen, dieſelbe ſamt der darauf er-
theilten Antwort ans Licht zu ſtellen. Die feuer-
ſpeyende Rede des Herrn Doctors Philippi traͤgt
kaum einen Bogen aus, da die kraͤftige Antwort
faſt gantzer 4. Bogen anfuͤllet. Hierin nun wer-
den die Qualitaͤten des Herrn Philippi ſo abge-
ſchildert, daß die Geſellſchaft geſtehen muß, er ſey
einer der vollkommenſten kleinen Geiſter, und ver-
diene, als der wuͤrdigſte unter den wuͤrdigen zum
Oberhaupt derſelben erkieſt zu werden, welche Eh-
re anzunehmen ſie ihn auch mit wehmuͤthigen Bit-
ten und Flehen noͤthigen. Hiernaͤchſt wird ſeine
Thuͤringiſche Hiſtorie als ein Werck geprieſen,
worin lauter unerhoͤrte Dinge ſtehen, die man
in andern Geſchichtſchreibern vergebens ſucht, und
wovon eine gute Reihe nach einander erzehlt ſtehet.
Ferner
[837](o)
Ferner wird aus deſſen Verſuch von der Unmoͤg-
lichkeit einer ewigen Welt, woſelbſt der Herr Phi-
lippi die Ankunft des juͤngſten Tages auf das 53te
Jahr ſezt, erwieſen, daß er ein wahrhafter Seher,
Prophet und wunderbarer Mann, und kein philo-
ſophiſcher Enthuſiaſt ſey, ja daß er nicht nach ge-
meiner und plumper Weiſe den juͤngſten Tag vor-
her verkuͤndiget, ſondern mit einer prophetiſchen
Zweydeutigkeit, woruͤber man ſich verwundern muͤſ-
ſe, ſeine Ehre in Sicherheit, geſetzt habe. Jn
Summa, es iſt dieſe dem Herrn Profeſſor Philip-
pi zur Antwort ertheilte Rede ein Zeugniß eines
aufgeweckten und in allen Stuͤcken geuͤbten Ver-
ſtandes, daß jeder, der ſie geleſen, wuͤnſchen wird,
es moͤge der Herr Autor, vermoͤge des Schluſſes
der Vorrede, ſeine Leſer bald wieder ſprechen.
Wir und viele andere wuͤnſchten, daß der Dip-
pel eine ſolche Muſterung paßiren muͤßte.
No. XV.
Leipzig. Allhier beluſtigen einige ſich an einer
Schrift von 1. Bogen, welche folgenden Titul
hat: Sottiſes Champêtres, oder Schaͤfer-Gedicht
des (Tit Herr Prof. Philippi, ſeiner Seltenheit
wegen zum Druck befoͤrdert. Leipzig 1733. in
Octav. Der Titel, die Vorrede, und der Jnhalt,
ſo dieſem Schaͤfer-Gedichte des Hn. Prof. Philippi
vorgeſetzet, geben klaͤrlich, daß die Feinde des Hn.
Prof. die Herausgabe deſſelben beſorget. Jhre
Abſicht iſt unſtreitig die beſte nicht, und wir glau-
ben, daß der Danck, den ſie damit bey dem Herrn
Prof. Philippi ſo wohl, als bey unpartheyiſchen Le-
G g g 3ſern
[838](o)
ſern verdienen werden, ſehr ſchlecht ſeyn wird. Wir
wenigſtens, unſers geringen Orts, koͤnnen nicht
umhin, dieſen ungebetenen Herausgebern einer frem-
den Arbeit aufrichtig zu ſagen, daß uns die Muͤhe
und Unkoſten, ſo ſie ſich gemacht, ſehr unnuͤtze ſchei-
nen. Wer nur das Helden-Gedicht des Herrn
Prof. Philippi geleſen, der weiß ſchon, wieweit ſich
die Geſchicklichkeit dieſes beruͤhmten Lehrers in der
Poeſie erſtrecke, und lernet aus dem Schaͤfer-Ge-
dicht nichts neues. Meinen dieſe Herren aber, es
ſey der Welt daran gelegen, daß ſie wiſſe, daß die
Faͤhigkeit des Herrn Prof. Philippi in allen Arten
der Gedichte gleich, und ſeine Schaͤfer-Gedichte
mit eben ſo viel Seltenheiten prangen, als ſein Hel-
den-Gedicht; So muͤſſen wir ihnen ſagen, daß ihr
Verfahren im hoͤchſten Grad liebloß, weil ihnen un-
ſtreitig bekannt ſeyn muß, wie uͤbel der Herr Prof.
Philippi mit ſeinem Helden-Gedichte angekommen,
und wie wenig die jetzige boͤſe Welt geſchickt ſey, die
Vorrreflichkeit der Gedichte dieſes unermuͤndeten
Poeten gebuͤhrend einzuſehen. Jhr Vorſatz iſt alſo
nothwendig, dem Herr Prof. Philippi durch die
Herausgebung ſeines Schaͤfer-Gedichts einen Ver-
druß zu machen, den die auſſerordentliche Hoͤflichkeit,
ſo er durch die Verbergung deſſelben gegen die un-
danckbare Welt bezeiget, nicht verdienet. Wir koͤn-
nen dieſes nicht billigen, und wie wir das widrige
Verhaͤngniß des Herrn Prof. Philippi beklagen, ſo
hoffen wir auch, es werde derſelbe bey ſo gefaͤhrlichen
und treuloſen Zeiten die Stunden, ſo ihm die Verfer-
tigung der herrlichen Schriften, durch welche er
ſich die gelehrte Welt ſo ſehr verbindet, uͤbrig laͤſ-
ſet,
[839](o)
ſet, hinfuͤhro anwenden, diejenigen Perſonen mit
denen er ſich in einen vertrauten Brief-Wechſel
einlaͤſſet, und denen er ſeine geheimeſten Angele-
genheiten vertrauet, genauer und beſſer kennen zu
lernen.
No. XVI.
Hamburg. Ohnlaͤngſt iſt von einem Ungenann-
ten an einige hieſige Buchhaͤndler eine Schrift von
2. Bogen in Quart, genannt: Sottiſes galantes
\&c. eingeſchicket worden. Der Verfaſſer derſelben,
welcher ſich auf dem Titul Carl Guſtav Freyherr
von Frohenmuth genennet, hat die Abſicht, die
Ehre des Hrn. Prof. Philippi wider dieienigen zu
retten, die dieſen Haͤlliſchen Redner durch die Her-
ausgebung ſeines Schaͤfer-Gedichts, ſeiner Mey-
nung nach, beſchimpfet haben. Er meynet, ein ge-
wiſſer Lehrer der hohen Schulen in Leipzig ſey derje-
nige, der dem Herrn Prof. Philippi dieſen Streich
geſpielet, und dieſer Verdacht verleitet ihn ſo weit,
daß er Dinge vorbringet, die ſeine Schrift zu einem
foͤrmlichen Pasqvill, ihn der Strafe, welche auf
Schriften ſolcher Art geſetzet, wuͤrdig, und das ſelt-
ſame Schaͤfer-Gedicht des Hrn. Prof. Philippi doch
nicht um ein Haar beſſer machen. Es ſey ferne von
uns, daß wir dieſes Blatt durch Wiederholung der
greßlichen und Ehrenruͤhrigen Auflagen, durch wel-
che der ungluͤckſeelige Verfaſſer dieſes Pasquills den
guten Leumund eines ehrlichen Mannes auf eine ra-
ſende Art kraͤncken wollen, beſudeln ſollten. Wir
machen uns ein Gewiſſen daraus, und ſind verſi-
chert, daß alle Ehrliebende Gemuͤther, und der
G g g 4Hr.
[840](o)
Hr. Prof. Philippi ſelbſt das ſtrafbare Beginnen ei-
nes ſo Ehrvergeſſenen Pasquillanten mit uns ver-
abſcheuen werden. Se. Freyherrl. Excellentz wer-
den nicht ungnaͤdig nehmen, daß wir unſere Ge-
dancken ſo ofenhertzig ſagen; wir ſagen noch viel zu
wenig, und muͤſten eine heroiſche und auſſerordent-
liche Beredſamkeit beſitzen, wenn wir die Boßheit,
Dummheit und Raſerey, ſo aus allen Zeilen der ſo ge-
nannten Sottiſes galantes hervorleuchtet, nach dem
Leben vorſtellen wollten. Wir halten dieſes auch
vor unnoͤthig, und wuͤrden dieſer boßhaften Schand-
Schrift gar nicht einmahl die Ehre gethan haben, ih-
rer zu erwehnen, wenn nicht der Elende, ſo dieſelbe
zu ſeiner eigenen Schande verfertiget, ſo frech und
unverſchaͤmt geweſen waͤre, uns, durch die Ueberſen-
dung eines Exemplars von ſeiner abgeſchmackten
und laͤſterlichen Schrift, dazu aufzumuntern, und
in denen elenden Verſen, mit welchen er dieſelbe be-
ſchlieſſet, ausdruͤcklich zu bitten, ihm ſeinen Theil zu
geben. Er thut dieſes letztere auf eine Art, die eben
nicht gar edel und freyherrlich herauskoͤmmt; indem
er uns Nahmen beyleget, die auch aus dem Munde
des Poͤbels uͤbel klingen. Einige Vorwitzige haben
hieraus, und weil ſie eine groſſe Aehnlichkeit, in An-
ſehung der Schreib-Art, zwiſchen dem Fuͤndel-Kin-
de und dieſem Pasquill bemercket zu haben vermey-
nen, ſchlieſſen wollen, daß der Hr. Prof. Philippi
ſelbſt der Urheber dieſer galanten Thorheiten ſey. Al-
lein wir halten dieſes vor unmoͤglich. Solte der Hr.
Prof. Philippi, dem wir unſere Hochachtung bey
aller Gelegenheit ſpuͤhren laſſen, und der uns noch
neulich in einer hoͤflichen Zuſchrift ſeine Freundſchaft,
davor
[841](o)
davor wir uns bedancken, angetragen, itzo ſo un-
freundlich gegen uns verfahren, uns vor der Naſe
braviren, und ohne Noth muthwillig wider ſich ha-
ben reitzen koͤnnen? Wenn wir uͤberdem erwegen,
daß der Hr. Prof. ein Lehrer der Rechte, und daß
ihm folglich nicht unbekannt ſey, wie ſehr der Ver-
faſſer eines ſolchen Pasquills ſich der Gefahr einer
empfindlichen Leibes-Strafe ausſetze; So muͤſſen
wir allen Verdacht, ſo ſcheinbar er auch ſeyn mag,
fahren laſſen. Wir wuͤnſchen uͤbrigens Se. neuge-
backene Freyherrliche Excellentz von Frohenmuth,
dem wahren Namen nach, kennen zu lernen; nicht
eben um Rache an ihm zu uͤben oder uͤben zu ſehen,
ſondern damit, wenn der rechte Thaͤter bekannt
wird, die Unſchuld aus dem Verdacht kommen
moͤge. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß es mit der
Zeit geſchehen, und der Freyherr von Frohenmuth
ſich alsdann in einen Chevalier de la triſte Figure
verwandelt ſehen werde.
No. XVII.
Leipzig. Hier ſiehet man: Abgeſtrafter Vor-
witz eines unbeſonnenen Critici, das iſt: Nach-
druͤckliche Erinnerung an den Herrn Prof. Philip-
pi in Halle, doch einmahl vernuͤnftiger und kluͤger
von gelehrten und anſehnlichen Perſonen zu urthei-
len. Wobey ſonderlich ſeine letzte Schrift Ma-
them. Verſuch von der Unmoͤglichkeit einer ewi-
gen Welt in gebundener Rede erwogen wird von
einem ihm wohlbekannten Weiſſenfelſer. Frey-
ſtadt, 1733. Der Verfaſſer dieſer Schrift ſtehet
in dem Wahn, der Mathematiſche Verſuch des
G g g 5Hrn.
[842](o)
Hrn. Prof. Philippi ſey eine Schmaͤh-Schrift, in
welcher derſelbe ſich nicht nur an dem Hrn. Hof-
Rath Wolf, ſondern auch an GOtt, und diejeni-
gen, die, wie er p. 14. Not. k. redet, in dem Haͤl-
liſchen Wayſenhauſe an dem Wercke des HErrn
arbeiten, groͤblich verſuͤndiget. Er haͤlt ſich daher
in ſeinem Gewiſſen verbunden, den Vorwitz des
Hrn. Prof. Philippi mit Ernſt zu beſtrafen. Zu
dem Ende hat er einen gantzen Bogen mit Deut-
ſchen Verſen bemackelt, in welchen er dem Herrn
Prof. Philippi vermeinten Unverſtand, Eigen-Lie-
be, Schmaͤh-Sucht und dergleichen Fehler, auf
eine ziemlich plumpe Art vorwirft. Was ſich
nicht in Reime zwingen laſſen wollen, hat er in ge-
wiſſe Anmerckungen eingeſchloſſen, und dieſe unge-
bundene Anmerckungen ſind eben ſo ungereimt, als
der gereimte Text, den ſie erlaͤutern ſollen. Aus
beyden leuchtet die eigene Schwaͤche des Verfaſſers
ſo deutlich hervor, daß man leicht ſiehet, wie er
gar nicht gebohren, andern Leuten die ihrige zu
zeigen. Niemand hat jemahlen den Titul eines
unbeſonnenen Critici beſſer verdienet, als eben er,
und es muͤſte viel ſeyn, wenn ſein Vorwitz unbe-
ſtraft bleiben ſolte. Der gute Herr Grimaldo, ſo
nennet ſich der Verfaſſer in ſeinem letzten Verſe,
wird ſein Ungluͤck nicht uͤberſehen, wo ſein verderb-
tes Prieſterthum, ſo er p. 15. Not. l. eheſtens ans
Licht zu ſtellen verſpricht, nicht beſſer geraͤth, als
ſeine nachdruͤckliche Erinnerung an den Hrn. Prof.
Philippi, und wir rathen ihm wohlmeinentlich,
ſowol mit dieſem Buͤchlein zu Hauſe zu bleiben, als
auch die gelehrte Welt mit ferneren Straf-Predig-
ten
[843](o)
ten gegen den Herrn Prof. Philippi zu verſchonen.
Er hat keinen Beruf dazu. Er iſt zu jung, und
taugt nicht zum richten. Es laſſen ſich dieſes alle
diejenigen geſagt ſeyn, die vielleicht bey einem glei-
chem Unvermoͤgen, einen gleichen Kuͤtzel, ſich an
den Herrn Prof. Philippi zu reiben, bey ſich ſpuͤ-
ren. Es iſt ein Elend, daß nunmehro ein jeder
Stuͤmper an dem Herrn Prof. Philippi zum Rit-
ter werden will. Kaum hat der Verſaſſer des
Briontes den erſten Schlag gethan, ſo faͤllt dem
Herrn Prof. Pilippi eine gantze Schaar von Wi-
derſachern auf den Hals, und es will nach gerade
dieſem ehrlichen Mann nicht viel anders gehen,
als einem ungluͤckſeeligen Chevalier d’ Induſtrie,
der auf einen Jahr-Marckt uͤber den Gebrauch ſei-
ner verbotenen Kunſt ertappet, und durch das Ge-
ſchrey der Umſtehenden dem weltlichen Arm einer
muthwilligen Jugend uͤbergeben worden. Wir koͤn-
nen nicht glauben, daß der Verfaſſer des Briontes
durch den liebreichen Backenſtreich, den er dem Hrn.
Pr. Philippi gegeben, ein ſolches Ungewitter wider
ihn erregen wollen. Die Abſicht dieſes Scribenten iſt
unſtreitig nicht geweſen, den Hrn. Prof. Philippi
durch ſeine Satyre dem Muthwillen ungezogener
Juͤnglinge Preiß zu geben, und wir zweifeln nicht,
er werde es mit Verdruß anſehen, daß der ſoge-
nannte Weiſſenfelſer dieſen Haͤlliſchen Redner auf
eine ſo grobe und muthwillige Art begegnet. Der
Herr Prof. Philippi indeſſen hat unſers Erachtens
keine Urſache, ſich uͤber das Verfahren dieſes Weiſ-
ſenfelſers zu aͤrgern. Er kan ſich vielmehr gluͤck-
lich ſchaͤtzen, daß ſo ſchlechte Helden gegen ihn zu
Felde
[844](o)
Felde ziehen. Es bringt ihm dieſes einen gewiſſen
und herrlichen Sieg, und uͤberdem die ſuͤſſe Hof-
nung zuwege, daß der gefaͤhrliche Verfaſſer des
Briontes ihn inskuͤnftige zufrieden laſſen, und ſich
ſchaͤmen werde in ſo unanſtaͤndiger Geſellſchaft wi-
der ihn zu kaͤmpfen.
No. XVIII.
Hamburg. Folgende Schrift eines zum Ba-
thos gebohrnen, und durch Uebung darin vollkom-
men gewordenen Redners und Poeten, iſt uns,
nach dem ſie viele Zeit auf Reiſen zugebracht, um ir-
gendwo unter die Preſſe zu kommen, und endlich,
was ſie geſucht, gefunden hat, zu Geſichte gekom-
men. Sie hat den Titul: Der Marqviſin von Sa-
blé hundert vernuͤnftige Maximen, mit 366. mora-
liſchen Bildniſſen erlaͤutert; ihrer Fuͤrtreflichkeit
wegen aus dem Franzoͤſiſchen uͤberſetzet, und mit ei-
ner Zuſchrift an Jhro Hochwohlgebohren, die Frau
von Ziegler, Kayſerl. gekroͤnte Poetin, und der Deut-
ſchen Geſellſchaft zu Leipzig Mitglied, begleitet, von
D. Johann Ernſt Philippi, der Deutſchen Wohl-
redenheit oͤfentlichen Lehrer zu Halle. Leipzig, 1734.
20. Bogen, in Octav. Wenn wir, unſerer bishe-
rigen Gewohnheit nach, mit dem Herrn Prof. Phi-
lippi ſcherzen wolten, ſo wuͤrden wir ſagen, daß ſeine
Ueberſetzung vortreflich wohl gerahten, daß die in
den Noten, Zuſaͤtzen, Erlaͤuterungen und Erinne-
rungen vorkommende ſo genannte moraliſche Bild-
niſſe ihres gleichen nicht haͤtten, und daß dasjenige,
was Theophraſte und Bruyere von der Art geſchrie-
ben, gegen ſeine Arbeit gehalten, laͤppiſch Zeug waͤ-
re.
[845](o)
re. Wolten wir im Ernſt, welches ſonſt noch nicht
geſchehen, mit ihm reden, ſo muͤſten wir bekennen,
daß er kein Franzoͤſiſch verſtehe, elend uͤberſetzt, und
in der ihm bishero gewoͤhnlichen abgeſchmackten
Schreib-Art ſich ſelbſt uͤbertrofen habe. Allein weil
wir von ihm nicht vermuthen koͤnnen, daß er Scherz
und Ernſt zu unterſcheiden wiſſe, und genug ſehen,
daß bey ihm beydes gleich uͤbel angewandt ſeyn wer-
de; ſo wollen wir auch keines von beyden gegen ihn
gebrauchen. Der ſeel. D. Luther unterrichtet uns,
wie man einen Scribenten, ſeines Schlages, begeg-
nen muͤſſe. Nach ſeiner Meynung verdienet er keinen
Spott, keine Zuͤchtigung, oder dergleichen etwas,
ſondern Mitleid und Erbarmung. „Denn,
„ſpricht er im II. Tom. Jen. p. 136. Wie ſolt ein
„arm Man thun, der gern ſchreiben wolt und kuͤnd
„nichts? Er muß je ſo firlefantzen und mit Worten
„umherſchweifen, daß die Leute dencken, er wolle
„ein Buch ſchreiben.
No. XIX.
Halle. Nachdem ein Ungenannter gegen den
Prof. und D. Philippi allhier, welcher am 30 Au-
guſt nach Goͤttingen gegangen, auch allda bereits
gluͤcklich angelanget, eine Schrift von 2 Bogen:
Wahrhafter Bericht ꝛc. herausgegeben, darinn
Er vorgiebt, als ob ein hieſiger beruͤhmter Me-
dicus H. B. (womit der Verfaſſer den Leſern weiß
machen wollen, als ob es von hieſigem Herrn D. Baſ-
ſen komme,) den Hrn. Doctor wegen harter Wun-
den, die Er in einer Schlaͤgerey bekommen haͤtte,
beſucht, ꝛc. So berichtet man hiedurch zu Steuer
der
[846](o)
der Wahrheit, daß alles erdichtet ſey, und der
Hr. Prof. Philippi vom 20ten Junii, da Er ſoll
toͤdtlich darnieder gelegen haben, biß zur Abreiſe
nicht nur geſund geweſen, ſondern auch das unge-
ſchliffene Vorbringen des nahmloſen Pasquillan-
ten durch alle, ſo dem Hrn. Prof. biß zur Abreiſe
geſprochen, wiederlegt werde.
No. XX.
Gleichfals iſt es auch der Herr von Ludewig,
der mit ſeinen Jntelligentz-Zettuln den Herrn D.
Philippi, (der zur erſten Sorte anfaͤnglich gedach-
ter Gelehrten gehoͤret) zu der feuerſpeyenden Schrift,
daß der ehrliche Cicero ein groſſer Windbeutel, Ra-
buliſt und Charletan geweſen ſey, verfuͤhrt hat, in-
dem jener dem Cicero ſolche Nahmen am erſten bey-
geleget, und dieſer, nach dem Geſtaͤndniß in ſeiner
Vorrede, ſolches windmacheriſche Angeben, aus-
ſuͤhren wollen. Wie der gute Herr Dr. Philippi
ſeine Sache ausgefuͤhret hat, ſolches iſt ihm gar
nachdruͤcklich in ihren Nachrichten gezeigt worden.
Mir kamen bey Erblickung des Titels die Gedan-
cken ein, daß die Worte: Hic Rhodus, hic ſalta!
ſich auf das Kupfer beziehen muͤſten, weil es ſcheint,
als wenn der Hr. D. Philippi ein Blaſebalg-Ballet
tantzen wollte. Doch er will kein Taͤntzer, ſondern
ein Haͤndler ſeyn. An ihrem Orte rufen die Puͤſter-
Haͤndler ihre Waare auf der Straſſe herum, und
tragen ſie unter dem Arm. Wenn aber Doctor
Philippi bey ihnen ſo aufgezogen kaͤme, wie er auf
dem Titel ſtehet, und daß die Baͤlge um ihn herum
floͤgen, er bekaͤme tauſendmahl groͤſſern Zulauf als
in
[847](o)
in Halle und Goͤttingen. Wir muͤſſen jetzo in H.
ſeiner maͤnnlichen und heroiſchen Beredſamkeit ent-
behren. Weil er auf eine gantz neue Art die Wind-
beuteleyen aus einer Rede des Cicero gezogen, und
derſelbe dadurch klaͤrlich erwieſen, daß er ſich auf das
Windmachen ſonderlich verſtehet, ſo waͤre es viel-
leicht nicht uneben, wenn ihm aufgetragen wuͤrde,
daß er auch aus den uͤbrigen Autoribus claſſicis die
darin ſteckende Windbeuteleyen zeigte, und ein O-
pus ventoſum ſchriebe, worin die Winde der Au-
torum claſſicorum geſammlet ſtuͤnden. Aber un-
ſer Wunſch wird wohl unter den piis deſideriis be-
ſtecken bleiben, ſintemahl mir eine neue Schrift von
der Gewißheit ſeines Todes, und daß er zu Goͤttin-
gen als ein Geſpenſte herum gehe, zu Geſichte ge-
kommen, mit der Ueberſchrift: Beſcheidene Be-
antwortung der Einwuͤrfe, welche einige Freunde des
Herrn D. Joh. Ernſt Philippi, weyland wohl-
verdienten Profeſſors der deutſchen Wohlredenheit
zu Halle, wider die Nachricht von deſſen Tode
gemacht haben. Halle. 1735. in 8. von 2 Bogen.
Plin. Poſt ſepulturam quoque viſorum exempla
ſunt. Gegen den ehemahligen Bericht eines Medici,
daß der Hr. Prof. Philippi den 21. Junius Abends
um 6 Uhr 53 Minuten wuͤrcklich dieſes Zeitliche ge-
ſegnet, haben einige Freunde deſſelben eine Schrift
herausgegeben, ſich ſeiner als die ſtrengſten Renom-
miſten mit Hauen, Stechen, Schlagen und Schel-
ten angenommen, den Bericht des Medici vor erlo-
gen und erdichtet ausgeſchrien, auch unter andern
unrichtigen Berichten des Herrn Kohls der Welt
mit Schmaͤhworten kund machen laſſen, der Herr
Pro-
[848](o)
Profeſſor Philippi lebe. Weil nun der Herr Ver-
faſſer des Berichts eines Medici gar zu grob und Eh-
renruͤhrig gemißhandelt worden, ſo hat er billig nicht
geſchrien, ſondern auf eine beſcheidene, angenehme
und ſowohl ernſt-als ſchertzhafte Weiſe ſeine Laͤſte-
rer widerlegt und gezeiget, daß der Herr Profeſſor
Philippi dennoch todt ſey, und daß ſeine Freunde den
Beweiß, er lebe, ſchlecht gefuͤhret. Man kan mit
Grund der Wahrheit ſagen, daß er ſeine grimmigen
und plumpen Laͤſterer zu Schanden und Spott ge-
macht, die ihn aͤrger tractirt, als wenn er geſagt haͤt-
te, der Herr Profeſſor Philippi habe ſeinen Vater
ermordet und ſeine Mutter genothzuͤchtigt, da er
doch nur geſchrieben, der Herr Prof. Philippi ſey
auf ſeinem Bette ſanft und ſeelig mit den erbaulich-
ſten Gedancken eingeſchlafen. Denn ſterben iſt ja
kein Schelmſtuͤck, und es ſind viel tauſend wackere
Leute vor ihm geſtorben. Es wird ferner gewieſen, 1)
daß es kein Beweiß ſey, wenn die unbekannte Rotte
der Freunde des Herrn Prof. Philippi bloß mit den
auserleſenſten Scheltworten ſage, er lebe! 2) Daß
der Autor des Berichts eines Medici kein Feind des
Herrn Prof. Philippi ſey, und aus keinem feindſeli-
gen Gemuͤthe der Welt eroͤfnet, daß Herr Prof.
Philippi todt ſey, indem er weder ſein Erbe noch ſein
Nachfolger im Amte zu ſeyn verlange; 3) daß es nicht
genug ſey, wenn Herr Prof. Philippi ſelbſt ſage, er
lebe, weil teſtis in propria cauſa nichts gilt; da er
doch kein Wort ſeines Lebens wegen bißanhero ge-
ſprochen; 4) daß der Brief, den er nach ſolcher Zeit
ſoll geſchrieben haben, auch nichts beweiſet, weil er
kan erdichtet ſeyn, und viele Briefe nach dem Tod
gelehr-
[849](o)
gelehrter Leute heraus kommen; 5) wenn es heiſſe,
Herr Prof. Philippi gienge zu Goͤttingen herum, ſo
iſt die Meynung des Herrn Verfaſſers, der Teufel
habe darunter ſein Spiel, es ſey des Herrn Prof.
Philippi Geſpenſte, das endlich verſchwinden und
einen Geſtanck hinter ſich laſſen werde. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Jch
kan Jhnen M. H. zum Beſchluß noch dieſes berich-
ten, daß ein Geſpraͤch im Reiche der Todten zwi-
ſchen dem Hrn. Prof. Philippi und Hrn. Doct. Ro-
digaſten bald werde aus der Preſſe kommen. Denn
der letztere gehoͤrt nun auch unter die Todten. Da-
durch iſt dieſes per ſubſcriptionem beruͤhmten Poly-
hiſtoris Corpus Juris caſuale ins Stecken gerathen.
Ein groſſer Verluſt zur Freude der Welt. Der Hr.
Rodigaſt wird ſich in der Ewigkeit uͤber des Herrn
Kohls Bericht hoͤchlich beſchweren, daß er die ge-
lehrte Welt vergeblich getroͤſtet, ihr das Maul auf-
geſperret, und vorgegeben, daß Herrn Rodigaſts
Doctoris und JCti Werck fertig und in allen Buch-
laͤden zu haben ſey. Jngleichen wird Hr. Prof. Phi-
lippi uͤber Herrn Kohls neulichen gelehrten Be-
richt von einem Bauren-Knecht, der einen
jungen Hund ausgeſpien, welcher in jener Welt
kund worden, ſeinen Argwohn empfindlich zu er-
kennen geben, indem er glaubt, man habe ſeiner
geſpottet, weil der Bauer-Knecht Philippi heißt.
Jch ſtelle es Jhnen frey M. H. ob Sie meine Ge-
dancken ihren gelehrten Nachrichten wollen beyfuͤ-
gen. Geſchiehet es, ſo warte ich bald mit meh-
rerm Beytrage auf ꝛc. ꝛc.
No. XXI.
Hamburg. Hier ſiehet man eine Schrift un-
H h hter
[850](o)
ter folgendem Titul: Cicero, ein groſſer Wind-
Beutel, Rabuliſt und Charletan; zur Probe aus
deſſen uͤberſetzter Schutz-Rede, die er vor den
Qvintius gegen den Naͤvius gehalten; klar erwie-
ſen von D. Johann Ernſt Philippi, Prof. der deut-
ſchen Beredſamkeit zu Halle. Sammt einem
doppelten Anhange, 1) dergleichen Bruͤder, glei-
cher Kappen, 2) von acht Vertheidigungs-Schrif-
ten gegen eben ſo viel Chartequen. Hic Rhodus,
hic ſalta! Halle, 1735. Jn Verlegung des Au-
toris, und in Leipzig in Commiſſion zu finden bey
Jacob Born, auf dem Nicolai Kirchhof, unter der
Fr. D. Schambergerin Hauſe, 1½. Alphab. in 8
Mit dem Bildnis des Autoris.
Erat autem Ceſtius, nullius quidem ingenii,
Ciceroni etiam infeſtus, quod illi non impune ceſſit.
Nam cum M. Tulius, filius Ciceronis, Aſiam
obtineret, homo qui nihil ex paterno ingenio
habuit præter urbanitatem, cœnabat apud eum
Ceſtius. M. Tullio \& natura memoriam dem-
pſerat, \& ebrietas, ſi quid ex ea ſupererat, ſub-
ducebat: ſubinde interrogabat: Quis ille voca-
retur, qui in imo recumberet? \& cum ſæpe ſub-
jectum nomen Ceſtii excidiſſet, noviſſime ſer-
vus, ut aliqua nota memoriam ejus faceret cer-
tiorem, interoganti domino, quis ille eſſet, qui
in imo recumberet? ait: Hic eſt Ceſtius, qui pa-
trem tuum negabat litteras ſciſſe, afferri protinus
flagra juſſit, \& Ciceronis, ut oportuit, de corio Ce-
ſtii ſatisfecit. Seneca Suaſor. VII.
No. XXII.
[851](o)
No. XXII.
Extracteines Schreibens aus Goͤttingen
vom 29. Jan. 1735.
Hamburg. Der Herr Prof. Philippi iſt noch
hier, und hat endlich ſeinen ſo lange verſprochenen
Tractat, Cicero ein groſſer Wind-Beutel, auf
ſeine eigene Koſten drucken laſſen. Der gantze Ti-
tel dieſes Wercks lautet alſo: Cicero,ein groſſer
Wind-Beutel, Rabuliſt, und Charlatan;
zur Probe aus deſſen uͤberſetzter Schutz-Re-
de, die er vor den Quintius gegen den Naͤ-
vius gehalten, klar erwieſen vonD.Johann
Ernſt Philippi, Prof. der teutſchen Beredſ.
zu Halle. Samt einem doppelten Anhange,
1) der gleichen Bruͤder, gleicher Kappen, 2)
von acht Vertheidigungs-Schriften, gegen
eben ſo viel Charrequen.Hic Rhodus, hic ſalta!
Halle. 1735. Jn Verlegung desAutoris,und
in Leipzig inCommiſſionzu finden bey Jacob
Born auf dem Nicolai Kirchhof, unter der
fr.D.Schambergerin Hauſe, anderthalb Al-
phab. in 8. Der Herr Prof. Philippi weiß ſich recht
groß mit dieſer Schrift, und er hat es auch Urſache.
Alles, was er bißhero geſchrieben, iſt vor nichts
dagegen zu achten. Jn der ziemlich langen Vorre-
de handelt er gar umſtaͤndlich von der Abſicht ſeiner
Schrift, und druͤcket in derſelben den Caracter eines
Wind-Beutels, Rabuliſten, und Charlatans vor-
treflich aus. Er beſchreibt den letzten, nach der le-
bendigen Erfahrung, ſo er in dieſem Stuͤcke hat,
gar nachdencklich folgendergeſtalt: „Ein Charle-„
H h h 2tan
[852](o)
„tan iſt ein gelehrter Gauckler, der bey ſeiner vorge-
„gebenen Wiſſenſchaft viel laͤcherliches an ſich hat,
„das er ſelbſt nicht davor erkennet (p. 35.) und ver-
„ſpricht p. 37. die Charlatanerie nach D. Swifts
„Lehr-Art in Form einer Wiſſenſchaft vorzutragen.‟
Es iſt zu wuͤnſchen, daß er ſein Verſprechen halten
moͤge; denn ſeine Lehr-Saͤtze von der Charlatanerie
werden vortreflich, und, in ihrem Geſchlechte,
eben ſo kraͤftig ſeyn, als die Lehren eines wiederge-
bohrnen Predigers, weil er ſie unſtreitig mit ſeinem
Exempel unterſtuͤtzen wird. Die Ueberſetzung der
Oration pro Quintio iſt eben ſo ſchoͤn, als diejeni-
ge, ſo er neulich von denen Maximen der Marquiſe
de Sablé herausgegeben. Der Herr Prof. Philip-
pi haͤlt es ſich vor ſchimpflich, einen Wortklauber
abzugeben, und, nach Art der gemeinen Ueberſetzer,
den Sinn ſeines Originals genau auszudruͤcken. Er
uͤberſetzet heroiſch und maͤnnlich, und daher findet
man in ſeiner Ueberſetzung unterſchiedene Stellen, die
zwar an ſich vortreflich, aber doch gantz was anders
ſagen, als Cicero ſagen wollen, und daher manchem
Anlaß geben koͤnnen, zu dencken, der Hr. Prof. Philip-
pi verſtehe kein Latein. Denn ſo uͤberſetzet er zum
Ex. p. 61. die Worte: ad me ventum eſt, qui, ut
ſumma haberem cetera, temporis quidem certe
vix ſatis habui, ut rem tantam, tot controver-
ſiis implicatam, poſſem cognoſcere, alſo: „und
„iſt alſo dieſe Sache an mich gekommen, der ich,
„nun andere wichtige Angelegenheiten ab-
„zuwatren, in Wahrheit kaum ſo viel Zeit uͤbrig
„gehabt u. ſ. w.‟ Da doch ein jeder leicht ſiehet,
daß Cicero mit den Worten: ut ſumma haberem
cetera,
[853](o)
cetera, nicht auf ſeine vielen Geſchaͤfte, ſondern
auf die eloquentiam und gratiam ziele, worinn,
wie er vorher ſchon geſagt, Naͤvius und ſein Advo-
cat Hortenſius ihm und ſeinem Clienten ſo ſehr uͤ-
berlegen. Mancher, der auch ſonſt eben kein Wort-
klauber iſt, wird ſich alſo kaum des Lachens enthal-
ten koͤnnen, wenn er ſiehet, daß der Herr Prof.
Philippi uͤber die ſo wunderbar uͤberſetzte Worte des
Cicero nachfolgende Anmerckung nacht: „Ut ſum-„
ma haberem cetera. Hierinne liegt eine Ruhm-„
ſucht. Denn Cicero will ſo viel ſagen, als: Se-„
het doch, wie ſehr ich mir alles uͤbrige angelegen„
ſeyn laſſe: Was wuͤrdet ihr euch alſo von mir ver-„
ſprechen koͤnnen, wenn ich nur genugſame Zeit ge-„
habt.‟ (not. 8.) Und p. 72. verdollmetſchet er
die eben nicht dunckele Worte des Cicero: Nam
qui ab aduleſcentulo quæſtum ſibi inſtituiſſet
ſine impendio, poſteaquam neſcio quid impendit,
\& in commune contulit, mediocri quæſtu con-
tentus eſſe non poterat, auf eine gar beſondere
Weiſe, alſo: „Denn da er als ein junger Kerl ohne„
Muͤhe ſich was erworben, nachher weiß nicht„
was vorgehabt, und in gemeiner Caſſe eingeleget„
ꝛc. und macht dabey die poßierliche Anmerckung:„
Cicero will ſagen: Der Narr hatte ich weiß nicht„
was vor Chimeren im Kopf: So verdreuſt es al-„
ſo dem Cicero, daß dieſer Wind-Beutel ſich durch„
ſeine Windbeuteley zum Hochmuth verleiten laſ-„
ſen, mithin ſtraft er an andern, was bey ihm ſelbſt,„
obwohl in einer andern Art der Windbeuteley,„
zutraf.‟ (not. 57.)
Einem Manne, der es ſo weit in der lateiniſchen
H h h 3Spra-
[854](o)
Sprache gebracht, muß es ungemein artig laſſen,
wenn er einen Criticum abgeben will. Der Herr
Prof. Philippi thut es: Aber auf eine gantz beſon-
dere Art. Er verbeſſert Stellen, die keine Ver-
beſſerung beduͤrfen, und wenn der Text verdorben
iſt, ſo macht er uͤbel aͤrger. Wenn Cicero ſpricht:
denuntiat (Alphenus) ſeſe procuratorem eſſe;
iſtum (Nævium), æquum eſſe famæ fortunisque
P. Quintii conſulere, \& adventum ejus exſpe-
ctare. Das iſt: Alphenus ſagt, er wolle den
Quintius vor Gericht vertreten, und Naͤvius muͤſ-
ſe den ehrlichen Mann nicht ſo gleich um Ehre
und Gut bringen, ſondern deſſen Ankunft erwar-
ten; ſo macht der Herr Prof. Philippi p. 86. fol-
gende critiſche Anmerckung: „Es iſt im Lateiniſchen
„wohl verdruckt: iſtum æquum eſſe famæ fortu-
„nisque conſulere. Daher muß es heiſſen: iſtius
„æquum \&c.‟ (not. 81.) durch welche Verbeſſe-
rung aber der gute Cicero zu einem roͤmiſchen Phi-
lippi gemacht wird: Wenn es hergegen gleich dar-
auf heißt: „Wenn er (Naͤvius) aber dieſes nicht
„thun wolte (nemlich des Quintius Ankunft erwar-
„ten); ſondern ſich feſt vorgenommen, den Quin-
„tius auf ſolche Art (nemlich durch die uͤbereilte
„und unrechtmaͤßige Verkaufung ſeiner Guͤter) da-
„hin zu bringen, daß er eingehen muͤſſe, was er (der
„Naͤvius) haben wolte, ſo wolle er (Alphenus) ihm
„weiter keine gute Worte geben, ſondern er (Naͤ-
„vius) koͤnne nur, wenn es ihm beliebte, zum Rich-
„ter wandern, da wolte er ihm ſchon zur Antwort
„kommen.‟ Quod ſi facere nolit, atque inhibu-
erit ejusmodi rationibus illum ad ſuas conditio-
nes
[855](o)
nes perducere, ſeſe nihil precari, \&, ſi quid
agere velit, judicio defendere: So ſieht der
Herr Prof. Philippi nicht, daß hier daß inhibue-
rit nichts heiſſe, und davor entweder imbiberit, o-
der inſtituerit geſetzt werden muͤſſe: Sondern macht
eine trotzige und lehrreiche Anmerckung: “Die No-„
tenſchreiber, ſpricht er, zermartern ſich uͤber das„
Wort inhibuerit ejusmodi rationibus illum ad„
ſuas conditiones perducere, und ſetzet einer ſo der„
andere ſo: Abeꝛ man muß nur ſehen, von wem die Re-„
de, nemlich: Si Nævius inhibuerit Procuratorem„
Alphenum, ne rationali modo Quintium diſpo-„
nere poſſet, ſe eum in jus vocare.” (not. 83.) Man
lernet hieraus zweyerley, 1) daß Alphenus den
Quintinum durch vernuͤnftige Vorſtellungen zum
Vergleich bringen wollen, wovon doch Cicero
nicht ein Wort ſaget, und 2) daß in jus vocare, und
judicio defendere einerley ſey, welches man ſonſt
nicht gewuſt. Man kan ſich alſo leicht vorſtellen, wie
ſchoͤn eine Ueberſetzung, die auf ſolche Gruͤnde gebau-
et, gerathen ſeyn muͤſſe, und darf ſich nicht wundern,
daß ein uͤber die gemeinen Notenſchreiber ſo weit er-
habener Criticus, als der Herr Prof. Philippi, oft
durch die kleineſten Druckfehler, die einen maͤßigen
Schul-Knaben kaum im Leſen aufhalten koͤnnen,
gantz irre gemacht werde. Jch finde davon zwey
klaͤgliche Exempel. Cicero ſpricht: „Naͤvius muͤſſe,
„wenn er als ein ehrlicher Mann leben wolle, vieles
„lernen, und ſich vieles abgewoͤhnen, welches beydes
„einem Manne von ſeinen Jahren ſchwer ankomme.‟
Si vult virorum bonorum inſtituto vivere, multa
oportet diſcat, atque dediſcat, quorum illi ætati
H h h 4utrum-
[856](o)
utrumque difficile eſt. Der Herr Prof. Philippi
lieſet vor utrumque, virumque; weil etwan das t
nicht recht ausgedruckt geweſen; und macht p. 123.
folgende Anmerckung: „Jn der Ausgabe der Reden
„Cicero vom Freigio, welche ich hier zum Grunde
„geleget, heißt es Tom. l. p. 31. quorum illi ætati
„virumque difficile eſt. Die Critici moͤgen ſich den
„Kopf zerbrechen, wie es heiſſen ſoll. Jch hoffe ſeine
„Gedancken errahten zu haben, die Worte moͤgen
„heiſſen, wie ſie immer wollen.‟Aber er hat ſie nicht
errahten, und folglich ſehr ſchlecht ausgedruͤcket.
Bald darauf hat der Herr Prof. Philippi das Un-
gluͤck, daß er ein c vor ein e anſiehet. Cicero ſagt:
Litteræ P. Quintii, totteſtes, (L. Albius, \& fami-
liares Albii \& Quintii), quibus omnibus cauſa
juſtiſſima, cur ſcire potuerint; nulla, cur mentian-
tur \&c. So viele Zeugen, die alle einen guten Grund
ihrer Wiſſenſchaft angeben koͤnnen, und nicht die
geringſte Urſache haben zu luͤgen u. ſ. w. Aber der
Herr Prof. Philippi lieſet vor ſcire, ſe ire, und brin-
get alſo Dinge in ſeine Ueberſetzung, die ſich weder
mit dem vorhergehenden noch folgenden reimen, und
dem Cicero nimmer in den Sinn gekommen. „Auch
„des Quintius eigene Briefe, heißt es p. 125. ſind
„ſo viel Zeugen, darinn die gerechteſte Urſache ent-
„halten, warum ſie haben die Reiſe vorneh-
„men koͤnnen; hingegen iſt keine vorhanden, als
„ob er ſich heimlich davon gemacht, und es
„anders vorgegeben ꝛc.‟ Er iſt damit noch nicht
zufrieden, ſondern macht eine Anmerckung, die alle
Leſer in Beſtuͤrtzung ſetzen wird. „Cur ſe ire potue-
„rint, ſagt er not. 233. iſt ein beſonderer Idiotiſmus
„im
[857](o)
im Lateiniſchen, der ſich nach den Worten im Teut-„
ſchen gar nicht ausdruͤcken laͤſſet, wenn man ſagen„
wolte: warum ſie ſich gehen koͤnnten.‟ Es legt der„
Herr Prof. Philippi durch dieſe Anmerckung ſeine
tiefe Einſicht in die lateiniſche Sprache eben ſo deut-
lich an den Tag, als er in ſeiner Ueberſetzung uͤber-
haupt ſeine Staͤrcke in der deutſchen gewieſen, um
welche er ſich auch nur dadurch unſterblich verdient
gemacht, daß er p. 149 das Wort: Dictator durch
Machtſprecher uͤberſetzet.
Jch komme auf die Anmerckungen, in welchen der
Herr Prof. Philippi dem Cicero ſeine Fehler zeigen
will. Sie ſind kurtz und nachdruͤcklich. Wenn ihm
eine Stelle in der Rede des Cicero nicht gefaͤllt, ſo
ſpricht er gerade weg: Das iſt ein Wind-Streich,
ein Luft-Streich, oratoriſcher Wind, ein Fehl-
Schluß, ein Rabuliſtiſch Stuͤckgen, ein Galimati-
as u.ſ.w. Er ruft: O Blendwerck! Blendwerck!
ſtellt ſich, als wenn ihm bey dem Geſchwaͤtz des Ci-
cero uͤbel wird, und ſchilt ihn vor einen Harlequin,
Wind-Beutel und Marcktſchreyer. Jch bekenne
dieſes iſt luſtig zu leſen: Nur iſt zu bedauren, daß oft
Religions-Spoͤttereyen mit unterlaufen. Jch rechne
dahin, wenn der Herr Prof. Philippi, um den Ci-
cero recht zu beſchimpfen, ſpricht: Er rede Catechis-
mus-und Cantzelmaͤßig (not. 23. 24. 123.) Wenn
er von der geiſtlichen Beredſamkeit uͤberhaupt ſehr
hoͤniſch urtheilet, und, um den uſum conſola-
torium laͤcherlich zu machen, ſagt, es ſey der
beſte Troſt, daß man daraus ſchlieſſen koͤnne,
die Predigt werde bald aus ſeyn (not. 114.
116. 163.) Wenn er auf dem Kupfer-Blatt,
H h h 5und
[858](o)
und ſonſt die Worte Chriſti: Der Wind blaͤſet, wo
er will ꝛc. ꝛc. und: Jhr irret und wiſſet die Schrift
nicht, freventlich mißbrauchet (not. 154. 342.)
Und wenn er endlich (not. 287.) mit denen Wor-
ten des Catechismus: Es bedeutet, daß der alte
Adam ꝛc. ꝛc. ſein Geſpoͤtte treibet, indem er auf die
Frage: Was bedeutets alſo? Antwortet: Es be-
deutet, daß der alte Cicero ꝛc. ꝛc. welches gewiß ſehr
profan klinget. Doch man muß dieſes vor was er-
traͤgliches halten an einem Manne, der in der Vor-
rede (p. 9. 10.) eine lange Stelle aus einem Athei-
ſtiſchen Manuſcript, deſſen Verfaſſer GOtt be-
kannt, ohne die geringſte Widerlegung anfuͤhret,
ja noch dazu wegen der ſchoͤnen Schreib-Art lobet,
und dabey beklaget, daß die Schwachheit und der
blinde Eifer vieler Leſer ihm nicht zulaſſe, die gan-
tze Handſchrift, die er ein Meiſter-Stuͤck nennet,
ans Tages-Licht zu ſtellen. (p. 11.) Ueberdem iſt
der Hr. Prof. Philippi ein Juriſte. Man koͤnte
dieſes, wenn man es auch ſonſt nicht wuͤſte, zur
Noth aus einigen Stellen ſeiner Anmerckungen
ſchlieſſen. Denn ſo wundert er ſich (not. 244.)
warum Naͤvius den Quintium nicht ex 1. ſi con-
tendat provociret, und ſpricht (not. 263.) Naͤ-
vius habe vor Notarien und Zeugen proteſtiret,
daß Quintius ausgetreten. Jch glaube wohl, daß
viele gemeine Rechts-Gelehrte uͤber dieſe Anmer-
ckungen ſpotten, und ſagen werden, es ſey laͤcherlich
zu glauben, daß man zu Rom Notarien gehabt, und
zu verlangen, daß Naͤvius ſeinen Gegner aus einem
Geſetze provociren ſollen, welches zu ſeiner Zeit noch
nicht verhanden geweſen, und in welchem die gemeine
praxis
[859](o)
praxis gar nicht gegruͤndet: Allein ich glaube auch,
daß der Hr. Prof. Philippi dieſe Spoͤtter ſchon ab-
fertigen wird. Er weiß ſeine Feinde ſchon zu putzen.
Selbſt in dieſen Anmerckungen, die nur bloß gegen
den Cicero gemacht zu ſeyn ſcheinen, verſetzt er ihnen
manchmahl eines, und das auf die ſcharfſinnigſte Art.
Zum Exempel not. 50. putzt er den Advocaten, der
in dem Proceſſe, welchen der Hr. Prof. Philippi mit
einem gewiſſen Manne in M., von dem er erſchreck-
lich gemißhandelt worden, gehabt, die diſtinction
unter Philippi vor dem Fall, und nach dem Fall an-
gebracht. Dieſer Advocat muß (not. 339.) noch-
mahls herhalten, woſelbſt auch der Hr. Prof. Phi-
lippi einer gewiſſen Regierung vom vierdten Rang,
wie er ſpricht, ſeine Ungnade ankuͤndiget, und ihr
nur noch eine kleine Friſt zur Buſſe giebt. Not.
225. hat der Herr Prof. Philippi mit einigen lieblo-
ſen Leuten zu thun, die ihm nicht ein paar Ellen Sam-
met und Atlas borgen, und nicht leihen wollen, da
ſie nichts zu hofen gehabt: Welches unchriſtlich:
Der Herr Prof. Philippi aber iſt hoͤflich, und ſagt
nur, das waͤren Grobians-Streiche. S. auch
not. 112. 203. 396. Jndeſſen muß man geſtehen,
daß er, wenn ihm ſeine Feinde zu maͤchtig, ſich in
ſeinem Eyfer kluͤglich zu maͤßigen wiſſe. Jch berufe
mich des falls auf not. 371. und 389. b. da er mit der
groͤſſeſten Behutſamkeit von einer gewiſſen Ruͤge-
Sache redet, und inſonderheit auf not. 275. wo-
ſelbſt er bey Gelegenheit der Worte des Cicero: Ta-
metſi nolo eam rem commemorando renovare,
cujus omnino rei memoriam omnem tolli fundi-
tus ac deleri arbitror oportere, in chriſtlicher Ge-
laſſen-
[860](o)
laſſenheit ſpricht: „Dies dencke ich auch bey einer ge-
„wiſſen Affaire, dabey ich nicht ſagen darf, daß
„mir zu viel geſchehen!‟ Was dieſes indeſſen vor ei-
ne Affaire ſey kan man einiger maſſen aus der 85 ten
Anmerckung ſchlieſſen, die alſo lautet: „Accepta
„inſigni injuria, wie jener, der einem groſſen Hrn.
„ein wohlgeſetzt Gedicht uͤberreichen wolte, und ihm
„dieſer davor ins Geſicht ſchlug.‟ Denn ob gleich
der Herr Prof. Philippi, damit niemand dencken
moͤge, er rede von ſich ſelber, ſagt, das Gedicht ſey
wohlgeſetzt geweſen; So ſieht man doch wohl, daß
er auf das bekannte, groſſe Ungluͤck ziele, ſo ihm im
vorigen Sommer begegnet. Er iſt desfalls wahr-
haftig zu beklagen: Allein gleichwie nichts in der
Welt ſo ſchlimm iſt, das nicht wozu gut waͤre, ſo
haben wir auch dieſem Ungluͤcke des Hrn. Prof. Phi-
lippi die wichtige Anmerckung zu dancken, daß die
Kopf-Stoͤſſe die gefaͤhrlichſten (not. 87.)
Viele ſchoͤne Anmerckungen, die der eben ange-
ſuͤhrten nichts nachgeben, uͤbergehe ich mit Still-
ſchweigen. Nur gedencke ich noch der 348ten;
weil ſie denjenigen, ſo der Herr Mag. Sievers
uͤber die Worte: Habt ihr nichts zu eſſen? Und ſein
Nachahmer uͤber das Wort: Rotten, gemacht ha-
ben, ſehr aͤhnlich, und der 265ten; weil ſie gleich-
falls erbaulich iſt. Jene lautet alſo: „Jam a ſuis pe-
„natibus præceps ejectus heiſt hier nicht, als ob die
„Hauß-Goͤtter ihn aus dem Guthe gejaget haͤtten:
„Denn die arme Teufel ruͤhrten ſich nicht; alſo iſts
„ſo viel, als daß er ſie mit dem Ruͤcken anſehen muͤſ-
„ſen.‟ Und dieſe: „Es lagen damahls die Mariani-
„ſche und Syllaniſche Parthey einander in den Haa-
ren.
[861](o)
ren. Jch gedencke dabey mit zwey Worten, daß„
in Teutſchland jetzo auch eine Marianiſche Parthey„
ſey, von dem Vornahmen einer gewiſſen vorneh-„
men Dame alſo benannt; zu ſolcher gehoͤrt auch die„
ſchertzhafte Geſellſchaft in Leipzig, wie auch die Ge-„
ſellſchaft der ſchoͤnen Puͤfgen, und die Boxhorniſche„
Bande. Jch gehoͤre zu keinen von dieſen dreyen.‟
Von des Lucius Philippus Beantwortung der Re-
de des Cicero ſage ich nichts mehr, als daß ſie denen
uͤbrigen Reden des Herrn Prof. Philippi vollkom-
men gleiche. Wenn man nicht wuͤſte, daß dieſer
beruͤhmte Redner Urheber davon ſey, ſo koͤnnte man
es aus dem Schluſſe derſelben deutlich abnehmen, als
welcher recht Philippiſch iſt. „Wie gut aber waͤre„
es, heißt es daſelbſt p. 223. wenn durch dero vielver-„
moͤgende Vermittelung, Hochanſehnlicher Herr„
Stadt-Richter, und Herren Beyſitzer, die Sache„
gaͤntzlich in Guͤte verglichen, und ſo fort abgethan„
werden koͤnnte: ſo wolten wir einander, als redliche„
Roͤmer, die Haͤnde geben, zuſammen nach Hauſe„
gehen, mit einander ein Freuden-Mahl an-„
ſtellen, und dabey die Geſundheit unter andern„
einander zubringen: Es lebe der Hr. Ober-Richter„
Aquilius, und deſſen Beyſitzer! Es lebe der gantze„
Roͤmiſche Rath! Es lebe die edele, die Roͤmiſche,„
die hoͤchſtſchaͤtzbare Freyheit!‟
Wer ſich die Muͤhe geben will, die Rede des Cice-
ro mit der Beantwortung zuſammen zu halten, wird
leicht ſehen, ob der Hr. Prof. Philippi Urſache ge-
habt, auf dieſen Roͤmiſchen Redner ſo entſetzlich loß-
zuziehen. Jch kenne hier Leute, die da glauben, er
habe daran ſehr uͤbel gethan. Und in der That
koͤmmt
[862](o)
koͤmmt es wunderlich heraus, daß der Hr. Prof.
Philippi ſich gegenden Cicero auflehnet, und einen
Redner, der ſeines gleichen ſchwerlich hat, zu einem
Wind-Beutel, Rabuliſten und Charlatan macht,
bloß darum, weil er ſeinem Clienten redlich gedienet,
und deſſen Noth, wie es ſeine Pflicht erforderte, leb-
haft, nach druͤcklich und beweglich vorgeſtellet. Al-
lein der Hr. Prof. Philippi muß doch ſeine Urſachen
gehabt haben, warum er den Cicero ſo herum genom-
men. Jch bilde mir ein, daß ich ſie errathen. Die
Rede des Cicero iſt ſehr ſatyriſch. Der Hr. Prof.
Philippi klagt faſt in allen Anmerckungen daruͤber.
Jſt dieſes nicht genug, den Hrn. Prof. Philippi
in Harniſch zu bringen? Sie wiſſen, mein Hr.,
wie barbariſch die Spoͤtter mit ihm umgegan-
gen. Sie wiſſen es um ſo viel beſſer, weil Sie ſelbſt
oft ſeiner nicht geſchonet. Was iſt demnach natuͤr-
licher, als daß der Hr. Prof. Philippi einen toͤdtli-
chen Haß gegen alle Spoͤtter heget, und da er mit
denen Lebendigen nicht auskommen kan, an denen
Todten Rache uͤbet? Er ſoll uͤberdem ſchon lange ei-
nen heimlichen Groll auf den Cicero gehabt haben,
weil er ſich einbildet, dieſer Roͤmer habe ihn in eini-
gen Stellen ſeiner Schriften angezapfet. So glaubt
er z. E. er ſey der homo ineptus \& loquax, ſed (ut ſi-
bi videtur) ita doctus, ut etiam magiſter alio-
rum eſſe poſſit, von welchem Cicero in Orat. pro
Flacco redet. Er bildet ſich ein Cicero meyne ihn,
wenn er in eben dieſer Oration ſchreibt: Habebat
rhetor iſte adoleſcentes quosdam locupletes, quos
dimidio redderet ſtultiores, quam acceperat, ubi
nihil poſſent diſcere, niſi ignorantiam litterarum,
und
[863](o)
und die Redens-Art: infatuare aliquem mercede
publica, der ſich Cicero Philip. 3tia bedienet, koͤnne
auf nichts anders zielen, als auf die beſondere Art,
mit welcher er ſeine auſſerordentliche Profeſſur ver-
waltet. Was ihn aber am meiſten wider den Cice-
ro erbittert, iſt die Stelle de Nat. Deor. Lib. I. da Ci-
cero ihn, wie er glaubt, hominem ſine arte, ſine
litteris, inſultantem in omnes, ſine acumineullo,
ſine autoritate, ſine lepore genennet. Da nun
Cicero ſich kein Gewiſſen gemacht, einen Menſchen
vor ſeiner Geburt, ſo grob und hoͤniſch durchzu-
ziehen, ſo muß ers auch haben, daß ihn der Herr
Profeſſor Philippi nach ſeinem Tode weitlich wie-
der ſtriegelt. Der doppelte Anhang faſſet eine
Widerlegung aller Gegner des Herrn Prof. Phi-
lippi in ſich, und Sie, mein Herr, bekommen
ihr Theil auch darinn. Viele der hieſigen Gelehr-
ten, die es mit dem Herrn Prof. Philippi gut mey-
nen, glauben, er habe beſſer gethan, wenn er ſeine
alten, ihm gar nicht ruͤhmlichen Haͤndel, einmahl
ruhen laſſen. Aber ich bin anderer Meynung. Eben
dieſer doppelte Anhang wird denen Feinden des
Herrn Prof. Philippi das Maul ſtopfen. Die
Schreib-Art, und die gantz eigene Art zu dencken und
zu ſchlieſſen, der ſich der Herr Prof. Philippi in dem-
ſelben bedienet, muß nohtwendig zu ſeiner kuͤnftigen
Sicherheit dienen, und ſeine Verfolger uͤberfuͤhren,
daß er unuͤberwindlich. Sie werden ſich alſo, wo ſie
nicht die einfaͤltigſten Leute von der Welt ſind, nicht
weiter die unnuͤtze Muͤhe geben, gegen den Herrn
Prof. Philippi zu ſchreiben, ſondern bedencken, was
Seneca Ep. 94. ſagt: Si quis furioſo præcepta det,
quomodo
[864](o)
quomodo loqui debeat, quomodo procedere, quo-
modo in publico ſe gcrere, quomodo in privato,
erit ipſo, quem monebit inſanior. Billis nigra
curanda eſt, \& ipſa furoris cauſa removenda. Jch
verbleibe ꝛc. ꝛc.
No. XXIII.
Daß es ein hoͤchſtgefaͤhrliches Ding ſey, ſich ei-
ner Sache anzumaſſen, welcher man nicht gewach-
ſen iſt, zeigt unter andern das Exempel des Herrn
Profeſſor Philippi, auf welchen, wegen ſeiner zu
leichte befundenen Faͤhigkeit alle Wetter zuſammen
zu ſchlagen ſcheinen. Denn kaum hatte derſelbe Zeit
gehabt in der Vortreflichkeit und Nothwen-
digkeit der elenden Scribenten, (einer Schrift,
welche, wegen ihrer ſinnreichen Erfindung und leb-
haften Ausfuͤhrung, denen mit ſo allgemeinem Bey-
falle aufgenommenen Schriften des beruͤhmten Dr.
Swifts im geringſten nichts bevor giebt) uͤber ſeine
armſeelige Gelehrſamkeit und erfolgte Fatalitaͤten
ſeine vielleicht zur Beſſerung (wo noch eine zu hofen
iſt) nicht undienliche Betrachtungen anzuſtellen; ſo
kommet ſchon wieder eine andre Schrift hervor, wel-
che mit dem guten Herrn Profeſſor nicht allzuſaͤuber-
lich verfaͤhret. Sein groͤſter Troſt in ſeinem Ungluͤ-
cke mag wohl ſreylich das Socios habuiſſe malorum
ſeyn; und wer weiß, ob nicht hin und wieder ſelbſt
noch Profeſſores (zum wenigſten einer gantz in der
Naͤhe) anzutrefen, welche mit dem Herrn Phi-
lippi um den Rang der Unvernunft und Prahle-
rey, abſonderlich in ausgegebnen Marckſchreyeri-
ſchen Zettuln, ſtreiten koͤnnten, wenn ſelbige nur,
bey
[865](o)
bey jetziger fuͤr dergleichen Leute ſo bedraͤngten Zei-
ten, das Haupt ohne Schande und Spott empor
heben duͤrften. Doch wir laſſen dieſes an ſeinen
Ort geſtellet ſeyn, und melden nur, daß der Titel
der erwehnten neulich herausgekommenen Schrift
folgender ſey: Wohlmeynender Rath, wel-
chen demS. T.HerrnD.Joh. Ernſt Philip-
pi, geweſenen oͤfentlichen auſſerordentli-
chen Lehrer der deutſchen Beredſamkeit auf
der Univerſitaͤt Halle; Jmgleichen Chur-
Saͤchſiſchen immatriculirten Advocaten,
als er nach unverhofter Geneſung ſich von
Halle wegbegab, in einem troͤſtlichen Send-
Schreiben ertheilet, deſſen aufrichtiger
Freund und Bruder, Thomas Marke-
wirſch,Carniolanus.Nuͤrnberg. 1734. in 8.
zwey Bogen. Der Verfaſſer iſt vor der Hand
noch unbekannt, ſo viel aber aus der Schrift er-
hellet, ein groſſer Goͤnner des beruͤhmten Neube-
riſchen Comoͤdianten-Truppes. Der wohlmey-
nende Rath beſtehet darinn, daß der Herr Prof.
den ihm ſo feindſeeligen Lehr-Stuhl verlaſſen, und
ſeine Geſchicklichkeit und Gaben unter dem Muͤlle-
riſchen Truppe, welcher in dieſer Schrift mit dem
Herrn Philippicauſam communem hat, auf
der Schaubuͤhne zu Befoͤrderung der Unvernunft
dem hoͤchſtunvernuͤnftigem Poͤbel zur Bewunde-
rung vor Augen legen moͤge. Wir erwarten, wo-
zu ſich bey ſo verzweifelten Umſtaͤnden der Herr
Philippi entſchlieſſen werde, glauben aber indeſ-
ſen, daß derſelbe ſeinen ruͤhmlichen Zweck, auch
J i ipoſt
[866](o)
poſt fata zu leben, ſchon ziemlicher maſſen er-
reichet habe.
No. XXIV.
Aus Dreßden iſt uns ein wunderlich Unterzeich-
nungs Project auf ein Juriſtiſches Werck zuge-
ſchickt worden, mit dem Erſuchen, deſſen auch in un-
ſern Nachrichten zu gedencken, weil dem 19jaͤhrigen
Polyhiſtori der es aufgeſetzt, viel daran gelegen ſey,
daß ſeine Ausgeburten des Verſtandes in der Welt
moͤgten ausgebreitet werden, und weil ſich die Leſer
daran beſonders erluſtigen koͤnnten. So mag denn
um der letzten Urſache willen der ſaubere Titel des
Wercks da ſtehen, welcher heißt: Teutſches Corpus
Juris Civilis Juſtinianeo Caſuale, worinnen aus
allen Paragraphis, welche das Corpus Juris Civilis,
vom Kaͤyſer Juſtiniano in Teutſchland eingefuͤhret,
in ſich begreifet, gleich der Caſus und des Geſetzge-
bers Meynung hierinnen abgefaſſet von D.Samu-
el Chriſtoph Rodigaſt,JC. erſter Theil uͤber die
Inſtitutiones, in Fol. Schon hieraus erkennet man
den ankommenden Gaſt in der gelehrten Welt. Er
prangt alsbald auf dem Titel mit einer neuen Erfin-
dung, daß Kaͤyſer Juſtinianus das Corpus Juris in
Deutſchland eingefuͤhret. Das hierauf folgende A-
vertiſſement klingt noch beſſer, und haͤngt kuͤrtzlich
ſo zuſammen: GOtt hat es vor gut befunden, daß
die erſchafenen Menſchen ſollen in Ordnung einher
wandeln, und darum haben ſie gleich nach der Schoͤp-
fung vom Moſes die Geſetz-Regeln empfangen; aber
das Volck gieng den heydniſchen Geſetzen nach, und
das Uebel beliebte GOtt durch kein ander Mittel zu
aͤndern,
[867](o)
aͤndern, als daß er ſeinen Sohn unter dem Auguſto
ließ gebohren werden, der die Summa des gantzen
Geſetzes ſeinen Juͤngern beygebracht, woraus wir
das N. T. bekommen; doch um groͤſſere Erkaͤnntniß
in der chriſtlichen Religion zu bekommen, habe
nach Conſtantini Zeiten der Theodoſius, weil es
an weltlichen Geſetzen noch ſehr gefehlet, den Co-
dicem Theodoſianum ans Licht geſtellt; hierauf
waͤren andere Kaͤyſer gefolgt, biß endlich der unuͤ-
berwindliche Kaͤyſer Juſtinianus das Corpus Juris
von ſeinen Rechts-Gelehrten in ein Buch faſſen laſ-
ſen, welches in unſerm deutſchen Reiche noch ge-
braͤuchlich ſey. Nachdem nun der Herr D. Rodi-
gaſt, JCtus, ſeine Hiſtoriam Juris in nuce von
der Erſchafung der Welt biß auf den Juſtinianum
alſo vorgeſtellt, ſo giebt er die Urſachen ſeines Vor-
nehmens zu erkennen, nemlich: Solches Corpus
Juris habe er zu meherrer Deutlichkeit angefangen
in einen neuen Guß zu bringen: es ſey nach allen § is
ſo beſchafen, daß es einer guten Handleitung noͤ-
thig habe; das Corpus Juris Gloſſatum ſey auch
vor erfahrne Koͤpfe nicht deutlich genug; hauptſaͤch-
lich aber, weil ſo viel Schul-Jungen, die kaum
recht exponiren koͤnnen, ihren Rectoribus, abſon-
derlich in kleinen Staͤdten, entlaufen, und alsdann
auf Univerſitaͤten, weil ſie kein lateiniſch koͤnnen,
nicht fortzukommen wiſſen, wolle er dieſen zum Be-
ſten das Corpus Juris in einem deutſchen Kleide laſ-
ſen ans Licht treten. Der Druck ſey angefangen;
man nehme weiß Papier und neue Littern; der erſte
Foliant werde 5 Alphabet ſtarck; man bezahle 1.
Thaler zum Voraus und den 2ten beym Empfang
J i i 2auf
[868](o)
auf der Oſter-Meſſe des kuͤnftigen Jahrs, damit er
keinen Schaden leide; biß auf Michaelis wuͤrden
die Præſcriptiones angenommen, und nicht mehre-
re Exemplare, als prænumerirt worden, gedruckt
werden. Der Herr Doctor JCtus iſt ſelbſt Verle-
ger, laͤßt aber bey allen Buchhaͤndlern die Subſcrip-
tiones annehmen. Wird dies nicht ein Werck
werden, noch vielmehr als Auli Apronii Reiſen,
zur Freude der Welt und ewigen Zeiten? Der Ab-
druck ſoll gewiß vor ſich gehen, wenn auch nur an-
derthalb Subſcriptiones einliefen, denn der Herr
Doctor JCtus, als ein ingenium præcociſſimum,
beſitze einen allzugroſſen Eifer ein lux mundi zu wer-
den, das ſo lange ſcheinen will, biß man es aus-
putzt; ſo ſey auch der Herr Rodigaſt aus Eingebung
eines prophetiſchen Geiſtes bedacht, einer zukuͤnfti-
gen Maculatur-Theurung durch die Auflage ſeines
Wercks vorzubauen.
No. XXV.
Dresden. Da das Corpus Juris Civilis de-
nen, die wenig oder gar kein Latein koͤnnen, und
doch Juriſten ſeyn wollen, ſehr dunckel und unver-
ſtaͤndlich iſt, ſo iſt Herr D. Samuel Chriſtoph Ro-
digaſt entſchloſſen, daſſelbe in deutſcher Sprache,
unter dem Titul: Deutſches Corpus Juris Civilis
Juſtinianeo-Caſuale, worin aus allen Paragra-
phis, welche das Corpus Juris Civilis von Kaͤy-
ſer Juſtiniano in Deutſchland eingefuͤhret, in ſich
begreifet, gleich der Caſus und des Geſetzgebers
Meynung hierinnen abgefaſſet, ans Licht zu ſtellen.
Er hat dieſes in einem Avertiſſement von einem
bereits
[869](o)
bereits im Druck habenden Corpore Juris Civilis
Juſtinianeo-Caſuali, ſo er doch per Subſcriptio-
nes erſt drucken laſſen will, der gelehrten Welt kund
gemacht. Mit denen Inſtitutionibus will er den
Anfang machen. Er wird einen jeden §. mit Caſi-
bus erlaͤutern, die Roͤmiſchen Gebraͤuche und Rech-
te mit beruͤhren, den heutigen Proceß, und was
noch in Deutſchland gebraͤuchlich, mit einſchieben,
und endlich lehren, was in einer jeden Sache vor
eine Klage muͤſſe angeſtellet werden. Er wird es
dabey nicht laſſen, ſondern, wofern es GOttes
Wille, das gantze Corpus Juris auf dieſe Art in
Deutſcher Sprache durchgehen, und uns alſo ein
Werck liefern, das, wie er ausdruͤcklich ſagt, fuͤr
Hohe und Niedrige, Gelehrte und Ungelehrte, Geiſt-
liche und Weltliche ſeyn wird. Wir wollen dem
Hrn. D. Rodigaſt hierinnen eben nicht widerſpre-
chen, doch muͤſſen wir bekennen, daß wir nicht faͤ-
hig, den Nutzen ſeiner Abſicht einzuſehen. Er will
die Stuͤmper erbauen, die kein Latein koͤnnen, und
ſo klug von Academien wieder herkommen, als ſie
hingegangen. Uns deucht aber, daß dieſe Armſee-
lige nicht verdienen, daß man ſich ihrentwegen ei-
ne Muͤhe gebe, die eben darum vergeblich ſeyn muß,
weil das Corpus Juris Leuten, die in der Vernunft-
Lehre, Moral und Politic Fremdlinge ſind, und
weder die Hiſtorie, noch Alterthuͤmer, noch Ver-
faſſung der Roͤmer wiſſen, in alle Ewigkeit unver-
ſtaͤndlich und ein Raͤtzel bleiben wird, und wenn
es gleich tauſendmahl ins deutſche uͤberſetzet. Es
wird alſo die Ueberſetzung des Hrn. D. Rodigaſt
dieſe Troͤpfe eben ſo klug machen, als jenem Eſel
J i i 3das
[870](o)
das Pſalter-Buch, ſo ihm Eulenſpiegel in die Krip-
pelegte, und, wenn es hoch koͤmmt, uns ſo viele ſtol-
tze Zungendreſcher, als die Poſtillen unnuͤtze Schwaͤ-
tzer, geben. Wir leugnen indeſſen nicht, daß das
Vorhaben des Herrn D. Rodigaſt ſeinen Nutzen
haben koͤnne, ob wir gleich nicht begreifen, worin-
nen er beſtehe: Aber wir beſorgen, daß ſich wenige
entſchlieſſen werden, den verlangten Vorſchuß zu
thun. Die meiſten werden ſich an dem Titul des
Wercks ſtoſſen, und nicht viel Gutes von denen
Anmerckungen eines Mannes verſprechen, der ſo
uͤbel berathen iſt, daß er ſich einbildet, Juſtinianus
habe das Corpus Juris in Deutſchland eingefuͤhret.
Das Avertiſſement wird ſie in dieſem Mißtrauen
ſtaͤrcken: Denn der Herr D. Rodigaſt giebt in dem-
ſelben einen ſehr magern Begrif von ſeiner Juriſti-
ſchen Weisheit. Er theilt uns einen ſo andaͤch-
tigen Abriß einer Hiſtorie der Rechte mit, daß es
laͤßt, als wolle er predigen, und was er vorbringt
koͤnnte mit Fug ein vollſtaͤndiger Auszug aus dem
Evangelio am erſten Weinacht-Tage heiſſen, wenn
er nicht ſchaͤndlich vergeſſen zu melden, daß, zu der
Zeit als Chriſtus gebohren, Cyrenius Land-Pfle-
ger in Syrien geweſen. Von der ſeligmachenden
Kraft, die er dem Geſetze Moſis beyleget, wollen
wir nichts erwehnen: Es muß dieſes nothwendig
vielen bedencklich vorkommen. Nur mercken wir
noch an, daß das Avertiſſement ſo verworren und
undeutſch geſchrieben, daß viele daher auf die Ge-
dancken kommen werden, der Herr D. Rodigaſt ſey
eben ſo ungeſchickt das Corpus Juris in gut Deutſch
zu uͤberſetzen, als daſſelbe mit nuͤtzlichen und gelehr-
ten
[871](o)
ten Anmerckungen zu erlaͤutern. Wir unſers Orts
haben eine beſſere Meynung von dieſem gelehrten
Mann. Wir wiſſen, daß die Menſchen in ihren
eigenen Sachen blind, und in fremden ſehr ſcharf-
ſichtig ſind, und zweifeln alſo nicht, der Herr D.
Rodigaſt werde fremde Gedancken weit zierlicher,
deutlicher und ordentlicher ausdruͤcken, als ſeine ei-
gene. Um alle Welt von dieſer Geſchicklichkeit zu
uͤberfuͤhren, waͤre es, unſers Erachtens nicht uͤbel ge-
than, wenn der Hr. D. Rodigaſt etwann den §. 3.
Inſt. Qui, \& ex quibus cauſis manumittere non
poſſunt zur Probe ins Deutſche zu uͤberſetzen be-
lieben wolte. Er koͤnnte bey der Gelegenheit uͤber
die Worte: Sæpe enim de facultatibus ſuis am-
plius, quam in his eſt, ſperant homines, eine
Chriſtliche Betrachtung anſtellen, die gewiß nicht
ohne Frucht ſeyn wuͤrde.
No. XXVI.
Hamburg. Es iſt neulich, wir wiſſen nicht wo,
eine Schrift von 4. Bogen in Quart herausgekom-
men, in welcher der Verfaſſer, der ſich Martin Al-
brecht nennet, unſer, wie er ſpricht, unverworrenes,
undeutſches, und Pferde-maͤßig getrofenes Raiſon-
nement uͤber des Hrn. D. Rodigaſts Deutſches
Corpus Juris Civilis Juſtinianeo-Caſuale, zu wie-
derlegen bemuͤhet iſt. Die Schreib-Art und gan-
ze Einrichtung dieſer laͤcherlichen Schrift zeiget
klaͤrlich, daß ſie ein Werck des Herrn D. Rodigaſts
ſey. Dieſer ehrliche Mann kan nicht leiden, daß
wir andere Gedancken von ſeiner Faͤhigkeit haben,
als er ſelbſt. Er hat ſich das Urtheil, ſo wir von
J i i 4ſeinem
[872](o)
ſeinem vorhabenden Deutſchen Corpore Juris ge-
faͤllet, zu ſchmerzlichem Gemuͤthe gezogen, und ge-
baͤrdet ſich desfalls ſo uͤbel und ungezogen, daß man
daruͤber erſtaunen muß. An ſeiner Geſchicklich-
keit zweifeln, iſt, nach ſeiner Meynung, ein Ver-
brechen, ſo den Tod verdienet. Er ſpricht uns auch
wuͤrcklich an unterſchiedenen Orten das Leben ab.
Er will uns erſaͤufen. Er will uns, wie die alten
Hexen, verbrannt wiſſen, und haben wir es nicht
anders als ein beſonderes Zeichen ſeiner Groß-
muth anzuſehen, daß er uns endlich ſo weit begna-
diget, daß uns nur unſere blasphematiſche Zunge
abgeſchnitten, und ein K. vor unſerer verwegenen
Stirn gebrannt werden ſoll. Wir wunderen uns
alſo gar nicht, daß er uns vor Unchriſten haͤlt,
und uns abtruͤnnige Julianer, wilde Saͤue, Hot-
tentotten und Mahomethaner nennet. Wir neh-
men ihm dieſes auch im geringſten nicht uͤbel, ſon-
dern ſagen ihm vielmer hiemit oͤfentlich Danck,
daß er uns und andern ein Lachen zubereiten wol-
len. Seine Unbeſcheidenheit ſoll uns nicht aus
unſerer Gelaſſenheit bringen, und es ſey ferne von
uns, daß wir ihn zuͤchtigen ſolten, wie er es verdie-
net. Wir halten ſeinem gerechten Schmerz et-
was zu gute, und beklagen von Herzen, daß er ſich
durch ſeinen Eyfer ſo weit verleiten laſſen, daß er
durch eine laͤcherliche Ehren-Rettung ſeine Schwaͤ-
che noch deutlicher zu Tage geleget, und durch die
derſelben angehaͤngte Probe ſeiner Arbeit, unſer
von ihm gefaͤlltes Urtheil bekraͤftiget. Wir ma-
chen uns ein Gewiſſen, ihm ſeine ſcheußliche und
barbariſche Schreib-Art vorzuhalten. Kein
Schnei-
[873](o)
Schneider-Geſelle kan elender ſchreiben, als er.
Er mag unſerntwegen immerhin glauben, daß Ju-
ſtinianus das Corpus Juris 600. Jahr nach ſeinem
Tode in Deutſchland eingefuͤhret, und der bekann-
te Irnerius, den er umtauft, und, aus Unwiſſen-
heit, den beruͤhmten Irenium nennet, daſſelbe 600.
Jahr vor ſeiner Gebuhrt, auf Befehl des Juſti-
nianus, zu erſt in Jtalien gelehret. Wir ſind nicht
beſtellet, ihn klug zu machen. Wir wollen ihm
auch nicht weiter abrathen, ſein Deutſches Corpus
Juris ans Licht zu ſtellen. Wir ſehen wohl, daß er
keinen guten Raht annehmen will, und, nach der
Beſchreibung, die Horatz von einem unbaͤrtigen
Juͤngling macht, monitoribus aſper iſt. Er meynt
wir beneiden ihn, und will uns und dem Teufel
zum Trotz, ſein Deutſches Corpus Juris herausge-
ben. Wir freuen uns uͤber dieſen Entſchluß; denn
die Probe, die er uns von ſeiner Arbeit mitgethei-
let, hat uns luͤſtern gemacht nach einem Wercke,
welches ſo viel zum Vergnuͤgen und zur Geſund-
heit des Menſchlichen Geſchlechts beytragen wird.
Wir ſchaͤmen uns faſt, daß wir ihm eine gute Er-
innerung gegeben, und er kan glauben, daß es
nimmer wuͤrde geſchehen ſeyn, wenn wir uns haͤt-
ten einbilden koͤnnen, daß es ſo gar elend um ihn
beſtellet ſey.
No. XXVII.
Es muß denen verkehrten Juriſten durch die See-
le gehen, wenn ſie ſehen, daß die geſchickteſten und
groͤſſeſten Maͤnner ihres Ordens an denen neuen,
verwegenen, aͤrgerlichen und gefaͤhrlichen Lehren,
J i i 5wo
[874](o)
wodurch ſie ſich in der Welt groß machen wollen,
keinen Theil nehmen. Gute Gemuͤther hergegen
freuen ſich daruͤber, und halten ſolche Rechtsge-
lehrte zwiefacher Ehren werth. Ein gottſeliger Ju-
riſte ſtiftet durch das Mißfallen, ſo er uͤber die boͤ-
ſen Lehren ſeiner unwuͤrdigen Bruͤder bezeuget,
mehr gutes, als alle Gottesgelehrte durch die gruͤnd-
lichſten Widerlegungen, und verdienet die Hoch-
achtung aller, die es mit der Wahrheit redlich mey-
nen. Man findet leyder! zu dieſen Zeiten nicht
viele ſolcher Juriſten: Aber es giebt doch noch im-
mer einige, die um ſo viel hoͤher zu ſchaͤtzen, je ſel-
tener ſie ſind. Wir haben vor noͤthig gefunden,
dieſen kleinen Eingang zu machen, da wir von der
Schrift eines Mannes reden wollen, den man mit
allem Fug unter die frommen und rechtſchafenen
Juriſten, deren Anzahl ſo klein iſt, rechnen kan.
Es iſt bekannt, daß einige neuere Rechtsgelehrte,
denen der loͤbliche Eyfer, welchen chriſtliche Obrig-
keiten vor die Erhaltung der reinen Lehre bezeugen,
ein Dorn im Auge war, ſo weit verfallen, daß
ſie gelehret, die Obrigkeit ſey nicht ſchuldig vor die
Seligkeit ihrer Unterthanen zu ſorgen. Dieſem
Jrrthum, durch welchen viele verfuͤhret, iſt von
denen reineſten Lehrern unſerer Kirche zwar beſtaͤn-
dig widerſprochen, nimmer aber iſt derſelbe ſo gruͤnd-
lich widerleget worden, als in einer academiſchen
Diſputation, die den Titel fuͤhret: Diſſertatio cir-
cularis januariana, de Jurisprudentia ſalutis ci-
vium æternæ rationem habente, Anno 1735.
d. XXIX. d. m. in Academia Roſtochienſi ven-
tilanda Præſide Academiæ Rectore Erneſto Joh.
Frid.
[875](o)
Frid. Manzel, Jur. \& Phil. Doct. Inſtit. Prof.
Ord. \& h. Fac. Jurid. Decano \& Reſpondente
Bernhardo Friderico Neucrantz Guſtrovienſi,
Jur. Cult. Roſtochii, typis Joh. Jacobi Ad-
leri, Sereniſſ. Principis \& Acad. Typographi,
in 4to 2 Bogen.
Der Hr. Verfaſſer iſt, wie man ſiehet, ein be-
ruͤhmter Lehrer der Roſtockiſchen Academie, der
mit der Rechtsgelehrfamkeit die Philoſophie, und
ſogenannten ſchoͤnen Wiſſenſchaften verbinde. Sei-
ner vielen Diſputationen nicht zu erwehnen, ſo hat
man ſchon von ihm eine Erlaͤuterung der Pandecten
aus der Bibel, primas lineas juris naturæ verè ta-
lis, eine Vernunft-Lehre, einen Verſuch, wie weit
man es in Ueberſetzung lateiniſcher Poeten bringen
koͤnne, und viele andere Schriften, aus welchen al-
len ein ſcharfer Verſtand, eine groſſe Gelehrſamkeit
und eine tiefe Einſicht in die wichtigſten Wahrheiten
hervorleuchtet.
Jn gegenwaͤrtiger Diſputation behauptet er, daß
die buͤrgerlichen Geſetze auch auf die ewige Seligkeit
der Menſchen ihre Abſicht richten, und dieſelbe zu
befordern ſuchen. Die Materie iſt reich und erbau-
lich, und erforderte juſt einen Mann, der zugleich
ein Theologus und Juriſte waͤre. Der Hr. Verfaſ-
ſer iſt ein ſolcher Mann. Erhat vor dieſem der Theo-
logie eyfrig obgelegen, und weiſet jetzo durch ſein
Exempel, daß aus denen, die ſich von der Theologie
zur Jurisprudentz wenden, die beſten Juriſten wer-
den. Es iſt nicht glaublich, daß ſolche Leute der
Fluch trefen werde, der auf diejenigen geleget iſt, ſo
die Hand vom Pflug ziehen. Das waͤre ein ſchlech-
ter
[876](o)
ter Danck vor die wichtigen Dienſte, ſo ſie der Kir-
che leiſten. Wenigſtens iſt es billig, daß in Anſe-
hung des Herrn Prof. Manzels eine Ausnahme ge-
machet werde.
„Nachdem er den gemeinen Wahn, daß die Ju-
„riſten boͤſe Chriſten, kuͤrtzlich widerleget, (poſit.
„1. 2.) beweiſet er auf die buͤndigſte Art, daß die
„Rechtsgelehrten auch vor die ewige Seligkeit der
„Menſchen ſorgen. Sie dringen, ſpricht er, (poſit.
„3.) auf das ſuum cuique, und wollen alſo auch,
„daß man die Pflichten gegen GOtt beobachte. Die
„Fuͤrſten, als Saͤug-Ammen und Pfleger der Kir-
„che, welches einer ihrer vornehmſten Titel, ſetzen
„Prieſter, und ſehen dahin, daß der Gottesdienſt
„zu der dazu beſtimmten Zeit gehalten, und der Sab-
„bath nicht entheiliget werde. (poſit. 4.) Sie haben
„auch Acht auf die Oerter und Gebaͤude, die zum
„Gottesdienſt gewiedmet ſind. Sie ſorgen vor die
„reine Lehre. Sie laſſen auf Concilien und Synodis
„die Wahrheit befeſtigen, und Libros Symbolicos,
„ohne welche keine Kirche beſtehen kan, verfertigen,
„damit nicht ein jeder ſich eine eigene Religion mache
„(ne quilibet pumilio proprium ſibi faciat ſyſte-
„ma): Und zeigen alſo durch den Gebrauch ihres
„Rechts in Kirchen-Sachen, wie lieb ihnen das
„Seelen-Heil ihrer Unterthanen ſey. (poſit. 5.)
„Er koͤnnte, ſagt hierauf der Hr. Verfaſſer (poſit.
„6.) unterſuchen, wie weit diejenigen recht haben,
„die da ſagen, daß die Jurisprudentz die ewige Se-
„ligkeit zum Endzweck habe, und zeigen, wie unbe-
„ſonnen diejenigen handeln, die dem Fuͤrſten eine
„gar zu groſſe Gewalt uͤber die Gewiſſen zuſchreiben:
Denn
[877](o)
Denn daß die Obrigkeit einige Gewalt daruͤber ha-„
be, wuͤrde kein Verſtaͤndiger laͤugnen; Allein er„
verſparet es auf eine andere Zeit. Nur, meynt er,„
(poſit. 7.) koͤnne er nicht umhin, die Fragen zu„
beruͤhren: Ob die Ketzerey ein Laſter? Und was in„
Anſehung der Atheiſterey Rechtens ſey? Was die„
erſte Frage betrift, ſo ſey zwar, ſpricht er, wenn„
alle Herrſchaft uͤber die Gewiſſen wegfalle, eine je-„
de Ketzerey uͤberhaupt kein Laſter, ſo die Ahndung„
der Obrigkeit verdiene, ſondern eine Sache, dar-„
uͤber das Urtheil GOtt allein zuſtehe: Aber daher„
folge nicht, daß ein jeder, ohne das Buͤrger-Recht„
zu verlieren, glauben koͤnne, was er wolle (quic-„
quid in mentem \& buccam venerit): Sondern„
eine jede Republick koͤnne durch ein Grund-Geſetz„
beſtimmen, was vor eine Religion gelten ſolle.„
Wer damit nicht zufrieden, muͤſſe in eine ſolche Re-„
publick nicht kommen, oder, wenn er nicht wolte„
hinaus geſtoſſen ſeyn, bey der angenommenen Leh-„
re bleiben. Dieſes flieſſe aus der Natur einer Ge-„
ſellſchaft, und die Obrigkeit, ſo Vermuthung vor„
ſich hat, ſuche die Seligkeit ihrer Unterthanen,„
wenn ſie keine fremde Religion leiden wolle.‟
„Was die andre Frage anlanget, ſo meynt der„
Herr Verfaſſer, die Atheiſterey ſey ein ſtrafbares„
Verbrechen, weil ſie kein Fehler des Ver-„
ſtandes, ſondern des Willens. Ein Atheiſte„
muß alſo, nach ſeiner Meynung, nicht bloß aus„
dem Lande gejagt, ſondern am Leben geſtraft wer-„
den, und wer anders dencket, ſagt er, iſt ein Feind„
GOttes. (poſit 8.) Hierauf thut der Herr Verfaſſer„
den chriſtlichen Wunſch, daß doch die buͤrgerlichen„
„Geſetze
[878](o)
„Geſetze kraͤftig genug ſeyn moͤgten, allen Laſtern zu
„ſteuren. Er meynt, wenn dieſes waͤre, ſo ſolten
„gewiß mehr Leute, als ietzo, auch wider ihren Wil-
„len (inviti quaſi,) in dieſer und jener Welt gluͤcklich
„ſeyn. Er geſtehet, daß das Amt der Rechtsgelehrten
„eigentlich nur ſey, dasjenige zu ſtrafen, wodurch
„die menſchliche Geſellſchaft ofenbahr beunruhiget,
„und die Ehre GOttes verletzet wird: Doch, meynt
„er, wenn ſie dieſes thaͤten, ſo machten ſie doch, daß
„viele aus Furcht der Strafe als gute Buͤrger lebten,
„und indem ſie bey der Gelegenheit (occaſionaliter)
„eine Liebe zur Tugend bekaͤmen, gleichſam bey der
„Hand zum Himmel geleitet wuͤrden. (poſit. 9.) Bey
„dieſer Gelegenheit beklagt der Herr Verfaſſer, daß
„die Materie de Infamia noch nicht recht ausgebeſ-
„ſert ſey. Jhm mißfaͤllt daran zweyerley: 1) Daß die
„Infamia facti heutiges Tages gantz aus der Mode
„komme. Er glaubt, wenn die Laſter, ſo dieſe Art
„der Schande wuͤrcken, nur beſſer geſtraft wuͤrden,
„ſo wuͤrden viele erſt gezwungen, hernach freywillig
„ihre Sitten aͤndern. 2) Daß die Infamia Juris zu
„weit gehe, und die Beſſerung unmoͤglich mache.
„(poſit. 10.) Jſt indeſſen die Lehre de Infamia man-
„gelhaft, ſo erſetzet die Jurisprudentia criminalis
„dieſen Mangel uͤberfluͤßig. Die gehet gantz und gar
„dahin, daß die Menſchen durch die Furcht der
„Strafe vom ewigen Verderben zuruͤck gehalten
„werden moͤgen. Die Sache braucht keines Bewei-
„ſes: Denn ein jeder weiß, daß von Jugend auf die
„Liebe zur Tugend durch die Furcht der Strafe in
„ihm erreget worden, und daß er dieſer Furcht, wo-
durch
[879](o)
durch er im Guten bekraͤftiget, ſeine Gluͤckſeeligkeit„
zu dancken habe. (poſit. 12.)‟
„Man ſiehet hieraus, daß die Juriſten vor die„
Seligkeit der Menſchen eine ungemeine Sorge tra-„
gen: Noch beſſer wird man aber davon uͤberfuͤhret„
werden, wenn man mit dem Herrn Verfaſſer be-„
dencket, wie loͤblich ſie die gar zu groſſe Gewalt, ſo„
die alten Roͤmer uͤber ihre Kinder und Knechte ge-„
habt, eingeſchraͤncket. (poſit. 13.) Wie ſorgfaͤltig„
ſie die Schwerenden vor dem Meineyd warnen. (po-„
ſit. 14.) Wie ſehr ſie, da man ohne Seelen-Gefahr„
nicht in immerwaͤhrendem Haß und beſtaͤndiger„
Unverſoͤhnlichkeit leben kan, die Jnjurien-Klagen„
zu mindern und abzukuͤrtzen bemuͤhet ſind. (poſit.„
15. 16.) Und wie behutſam ſie ſind, Leute zum„
Zeugniß zu laſſen, von denen zu vermuhten, daß ſie,„
aus Liebe zu einer der ſtreitenden Partheyen, falſch„
zeugen, und alſo einen Meineyd begehen moͤgten.„
(poſit. 17.) Jnſonderheit aber leuchtet die Seelen-„
Sorge der Juriſten aus ihrer Aufuͤhrung gegen die„
zum Tode verdammten Uebelthaͤter hervor. Sie„
verhuͤten, daß ein ſolcher durch eine gar zu harte und„
langſame Todes-Strafe nicht zur Verzweifelung„
gebracht werde, und geben ihnen Zeit, ſich zum To-„
de anzuſchicken. (poſit. 18.) Der Herr Verfaſſer„
berufet ſich, was den letzten Punct betrift 1) auf die„
Halßgerichts-Ordnung, und 2) auf das Exempel„
der Juriſten-Facultaͤt zu Roſtock, die alle ihre To-„
des-Urtheile folgendergeſtalt abfaſſet: Daß inqui-„
ſit, wenn er zur Erkaͤnntniß ſeiner Suͤnden gebracht,„
und mit dem Heil. Abendmahl verſehen, mit dem„
Schwerd \&c. vom Leben zum Tode zu bringen. Jn-„
deſſen,
[880](o)
„deſſen, ſetzt der Herr Verfaſſer hinzu, folge aus
„dieſer Formel nicht, daß es unrecht, einen Unbuß-
„fertigen hinrichten zu laſſen, und ſey es der Facul-
„taͤt erſchrecklich zu vernehmen geweſen, daß An.
„1732 ein leichtfertiger Vogel (quendam nebulo-
„nem) derſelben mißbrauchen wollen. Es ſey aber
„dieſer Bube, dem allen ungeachtet, ohne weitern
„Aufſchub, unbereitet abgethan worden, und das
„von Rechts wegen. (poſit. 19. 20.) Schließlich
„erweiſet der Herr Verfaſſer ſeinen Satz durch die
„geiſtlichen Strafen, die, wie er meynt, gantz me-
„diciniſch, und auf nichts, als die Rettung der See-
„len zielen, (poſit. 22.) und ſagt, er habe noch von
„unterſchiedenen Puncten handeln wollen, in wel-
„chen die Rechte die Seelen in Gefahr ſetzen, und al-
„ſo einer Ausbeſſerung benoͤthiget waͤren: Allein das
„moͤgten andere thun, die mehr Zeit haͤtten. Er
„wolle nur noch mit einem Worte erwehnen,
„daß, in Anſehung der Teſtamente, die Geſetze ſelbſt
„Urſache waͤren, quod quilibet non moriatur Jo-
„hannes Evangeliſta. (poſit. 23.)
Dieſes iſt der Jnhalt der Diſputation des Hrn.
Prof. Manzels, die gewiß alles Lobes werth iſt.
Der Hr. Prof. behauptet in ſelbiger einen Satz, der
in viele wichtige Wahrheiten einen groſſen Einfluß
hat, und alſo einer ſo gruͤndlichen Ausfuͤhrung vor
andern werth war. Jndeſſen wird, allem Anſe-
hen nach, der Herr Prof. Manzel bey denen boͤſen
Juriſten mit ſeiner Diſputation ſchlechten Danck
verdienen. Es ſoll, wie wir vernommen, Leute ge-
ben, die ſehr vieles wider dieſelbe einzuwenden haben.
„Der Hr. Prof. Manzel, ſollen ſie ſagen, hat ſehr
„unrichti-
[881](o)
unrichtige Begrife von der Natur der buͤrgerlichen„
Geſellſchaft, der Geſetze, und der Tugend. Er„
glaubt, daß man bey Aufrichtung der Republicken„
auch an die ewige Seeligkeit gedacht, daß„
die Geſetze zu Erlangung der Seeligkeit etwas„
beytragen koͤnne, und daß die Furcht der Strafe„
eine Liebe zur Tugend wuͤrcke. Dahero haͤlt er„
es vor ein loͤbliches und noͤthigs Werck, daß die„
Obrigkeit vor die Seeligkeit ihrer Unterthanen„
ſorget, und dieſelbe durch ihre Geſetze fromm zu ma-„
chen ſuchet. Er muß aber wiſſen, daß dieſes ein ir-„
riger Wahn, wie ſchoͤn er auch von auſſen gleißet.„
Der Endzweck der Buͤrgerlichen Geſellſchaft iſt„
nichts anders, als aͤuſſerliche Ruhe und Sicherheit,„
und folglich nur der unterſte Grad der zeitlichen„
Gluͤckſeeligkeit. Wenn die Obrigkeit, die ihr auf-„
getragene Macht zu Erhaltung dieſes Endzwecks„
anwendet, hat ſie ihrer Pflicht ein Genuͤge gethan.„
Sie iſt nicht beſtellet, das Seelen-Heyl ihrer Unter-„
thanen zu befordern. Dasjenige, ſo uns ſeelig macht,„
iſt der Glaube. Der Glaube beſtehet in Begrife.„
Begrife gehoͤren zum Verſtande, und der Verſtand„
iſt keinen Geſetzen unterworfen. Die Obrigkeit„
kan alſo den Glauben, ohne welchen es unmoͤglich„
iſt, GOtt zu gefallen, nicht in den Hertzen ihrer Un-„
terthanen wuͤrcken. Der iſt und bleibet eine Gabe„
GOttes, und koͤmmt aus der Predigt: Die O-„
brigkeit aber prediget nicht. Es iſt auch nicht zu„
vermuthen, daß der Hr. Prof. Manzel ſo wunder-„
liche Dinge von ihr verlange. Er will nur, wie„
man ſiehet, daß die Obrigkeit den Laſtern ſteure,„
und ihre Unterthanen durch die Furcht der Strafe„
K k k„von
[882](o)
„von ſolchen Thaten abhalte, die die Hoͤlle verdienen.
„Auf die Art, meynt er, muͤſten die Leute nothwen-
„dig in den Himmel kommen: Und er hat recht:
„Denn wo wolten ſie ſonſt wohl hin, wenn ſie nicht
„in die Hoͤlle kommen? Aber es iſt Schade, daß
„die Obrigkeit nicht verbunden, ſein Begehren zu
„erfuͤllen, weil er unmoͤgliche Dinge von ihr for-
„dert. Alles, was die Obrigkeit thun kan, iſt, das ſie
„die Verbrechen ſtraft, und durch ihre Geſetze die
„Unterthanen von Begehung aͤuſſerſt boͤſer, und der
„Ruhe des Staats nachtheiliger Thaten abhaͤlt.
„Diejenigen nun, die ſich aus Furcht der Strafe
„ſolcher Thaten enthalten, heiſſen gute Buͤrger:
„aber vom Himmelreich ſind ſie weit entfernet. Jhre
„Enthaltung vom Boͤſen hat nichts, als die Furcht
„der Strafe zum Grunde, und iſt alſo keine wahre
„Tugend. Die wahre Tugend hat einen hoͤhern
„Urſprung. Sie flieſſet aus dem Glauben, iſt ei-
„ne Wuͤrckung des Geiſtes GOttes, und wird
„durch Galgen und Rad ſchlecht befordert, was
„auch der Hr. Prof. Manzel von der Jurispruden-
„tia criminali vor hohe Begrife hat. Der Herr
„Prof. klagt ja (poſit. 9.) ſelbſt, daß die Buͤrger-
„lichen Geſetze nicht zureichend ſind alle Laſter aus-
„zurotten. Er geſtehet ja, daß nur das, ſo die
„Buͤrgerliche Geſellſchaft ofenbahr beunruhiget,
„eigentlich vor die Juriſten, oder vor die Obrigkeit
„gehoͤre. Wie iſt er denn ſo uͤbel berathen, daß
„er, dem allen ungeachtet, glaubt, es ſey moͤglich,
„die Leute wider ihren Willen ſeelig zu machen,
„und die Liebe zur Tugend koͤnne durch die Furcht
„der Strafe erwecket werden? Er iſt gewiß der
„eintzige
[883](o)
eintzige vernuͤnftige Mann der dieſes glaubt. War-„
um thut er (poſit. 10.) den Vorſchlag, die Obrig-„
keit ſolle, um die Infamiam facti, die ſie gar nicht„
angehet, aufrecht zu erhalten, auch wider die„
Laſter, die jetzo ungeſtraft begangen werden,„
heilſame Verordnungen machen? Glaubt er„
denn recht in Ernſt, daß die Laſter, Schwach-„
heiten und Fehler, ſo die aͤuſſerliche Ruhe nicht ſtoͤ-„
ren, und alſo, ihrer Natur nach, der Erkaͤnntniß„
des Richters nicht unterworfen, durch Straf-Ge-„
ſetze koͤnnen aus der Welt verbannet werden? Oder„
meynt er, daß, wenn gleich die Menſchen, aus„
Furcht der Strafe, dieſen Geſetzen aufs genaueſte„
nachlebten, dieſe aͤuſſerliche Enthaltung von ge-„
wiſſen Laſtern ſie ſeelig machen, und den Nahmen„
einer wahren Tugend verdienen werde? Die wah-„
re Tugend leidet keinen Zwang, und ſo bald hoͤrt„
ſie nicht auf freywillig zu ſeyn, ſo iſt ſie keine wahre„
Tugend mehr. Zwar meynt der Hr. Prof. Man-„
zel, die Obrigkeit koͤnne es ihren Unterthanen ſo na-„
helegen, und ſie mit Strafen ſo lange ſcheeren, daß„
ſie endlich aus Verdruß und Verzweifelung ſich„
entſchlieſſen muͤſſen, rechtſchafen fromm zu wer-„
den: (multi primum coacti, \& moxlubentes ali-„
am vitam aliosque mores eligerent) Aber man„
ſiehet wohl, daß er die menſchliche Natur nicht ken-„
net. So treuhertzig wird auch der kluͤgſte und„
ſtrengſte Regent ſeine Unterthanen nicht machen.„
Sie wiſſen ſchon andern Rath. Beſchneidet er ih-„
nen durch ſeine verdrießlichen Geſetze die Freyheit,„
ihren Luͤſten oͤfentlich nachzuhaͤngen, ſo thun ſie es„
heimlich. Und dieſes iſt nicht ſo beſchwerlich, als„
K k k 2„man
[884](o)
„man glaubt. Man gewinnet immer dabey. Jene
„Dame in Spanien wuͤnſchte, daß doch das Caffé-
„Trincken Suͤnde ſeyn moͤchte. (qu’il y eût un peu
„de peché à prendre du Caffé) Sie meynte, er
„wuͤrde ihr um ſo viel beſſer ſchmecken. Und ſie hat-
„te recht. Die Kenner behaupten, daß nichts ſo
„geſchickt ſey, eine Luſt recht empfindlich zu machen,
„als ein kleines Verbot, und Paulus ſagt ſelbſt: Jch
„wuſte nichts von der Luſt, wenn das Geſetz nicht
„geſaget, laß dich nicht geluͤſten. Da nun die Men-
„ſchen, wie die Erfahrung lehret, ſo geartet ſind,
„ſo kan die Obrigkeit auch durch die ſchaͤrfſten Geſetze
„wider die Laſter nichts zur Seeligkeit der Menſchen
„beytragen. Die Menſchen, wie fromm ſie ſich
„auch von auſſen ſtellen, bleiben doch Menſchen, und
„legen die boͤſen Neigungen, die ihnen ſo natuͤrlich,
„und GOtt ſo mißfaͤllig ſind, nicht ab, die Obrig-
„keit mag anfangen was ſie will. Warum verlangt
„man denn, daß die Obrigkeit ihre Unterthanen,
„der Natur zum Trotz, mit Gewalt ſeelig machen
„ſoll? Sie wird wenig ausrichten, wo ſie nicht die
„Kunſt erfindet, die Menſchen umzugieſſen. Durch
„ihr Geſetze wird ſie das menſchliche Hertz nimmer
„von allen ſuͤndlichen Begierden ſaͤubern. Sie mag
„noch ſo ernſtlich befehlen, daß ihre Unterthanen ihr
„Hertz von allen irrdiſchen Dingen abziehen, und
„nur nach dem trachten ſollen, das daroben iſt. Es
„bleibt darum doch wohl beym Alten, und ein ſolcher
„Befehl wuͤrde nicht viel kluͤger heraus kommen, als
„wenn ſie allen ihren Unterthanen bey willkuͤhrlicher
„Strafe verbieten wolte kranck zu ſeyn. Der Kay-
„ſer Claudius trieb ſeine Landes-vaͤterliche Vorſorge
ſo
[885](o)
ſo hoch, daß er durch ein eigen Edict ſeine Roͤmet„
anwieß, die Wein-Faͤſſer wohl zu verpichen, und„
ihnen kund machte, daß der Saft vom Taxus ein„
unvergleichlich Mittel wider den Schlangen-Biß„
waͤre. Man wird nicht leicht Regenten finden, die„
da Luſt haͤtten, dieſem bloͤden Printzen gleich zu„
werden: Aber ſo bald ſie die Graͤntzen ihres Amts„
uͤberſchreiten, und unnuͤtze und laͤcherliche Geſetze„
geben, ſind ſie es vollkommen. Diejenigen nun,„
ſo ihnen dieſes nachreden, erweiſen ihnen eine ſchlech-„
te Ehre. Der Herr Prof. Manzel thut es: Aber„
zu allem Gluͤcke beweiſet er nicht, was er ſagt, und„
hat die Geſetze, die ihm Anlaß dazu gegeben, nicht„
recht eingeſehen. Denn 1) das ſuum cuique,„
worauf die Juriſten dringen, gehet nur auf die„
Pflichten gegen andere Menſchen. Die Pflich-„
ten gegen GOTT koͤnnen darum nicht mit darun-„
ter begrifen ſeyn, weil ſie ſich auf die Begrife gruͤn-„
den, ſo die Menſchen ſich von dem Weſen und Wil-„
len GOttes machen. Dieſe Begrife ſind aber„
den Geſetzen nicht unterworfen, und folglich haben„
ſich die Juriſten, ſo ferne man ſie als Leute be-„
trachtet, die die Geſetze erklaͤren, um die daher„
flieſſende Pflichten nicht zu bekuͤmmern. 2) Das„
Jus circa Sacra hat mit der Seeligkeit der„
Menſchen nichts zu thun, ſondern gehet nur„
auf aͤuſſerliche Zucht und Ordnung. Hat„
die Obrigkeit manchmahl zu weit gegrifen, ſo taugt„
es nicht, und wird ſie die Seeligkeit der Menſchen„
ſchlecht dadurch beforderthaben. 3) Die Obrigkeit„
kan ihre gute Urſachen haben, warum ſie eine Lehre„
nicht dulden will: Aber verbietet ſie dieſelbe nur dar-„
K k k 3um,
[886](o)
„um, weil ſie falſch iſt, ſo mißbraucht ſie ihrer Ge-
„walt, und hilft niemand dadurch in den Himmel,
„obgleich der Herr Prof. Manzel meynt, die Obrig-
„keit habe in dieſem Fall die Vermuthung vor ſich,
„welches ein Satz iſt, der die Verfolgung der Hugo-
„notten in Franckreich rechtfertiget. 4) Obgleich die
„Atheiſterey, uͤberhaupt zu reden, kein Fehler des
„Willens, wie der Herr Prof. Manzel meynt, ſon-
„dern nur ein Jrrthum iſt: So kan doch die Obrig-
„keit einen Atheiſten, nach Befinden, auch am Le-
„ben ſtrafen: Aber wenn ſie es thut, ſo thut ſie es nicht
„aus einer Sorge vor die Seeligkeit ihrer Untertha-
„nen, ſondern aus andern Urſachen: Und thut ſie es
„nicht, ſo wird ſie dadurch keine Feindin GOttes. 5)
„Die gar zu groſſe Gewalt der Roͤmer uͤber das Le-
„ben ihrer Kinder und Knechte war ſchon einge-
„ſchraͤnckt, ehe die Kaͤyſer vor die Seeligkeit ihrer
„Unterthanen ſorgten. Wenigſtens glaube ich nicht,
„daß der Kayſer Antonius, auf welchen ſich der Hr.
„Prof. Manzel beruft, daran gedacht habe: Denn
„der war kein Chriſt. 6) Die Warnung vor dem
„Meineyd geſchicht nicht, um die Seele des Schwe-
„renden zu retten, ſondern nur zu verhindern, daß
„der Eyd, der ein Ende alles Haders iſt, nicht An-
„laß zu einem ungerechten Urtheil geben moͤge.
„Wenn ein Richter gleich in ſeinem Hertzen uͤber-
„fuͤhret iſt, daß einer falſch ſchweren werde, ſo kan er
„doch einem ſolchen, wenn er ſonſt nach denen Ge-
„ſetzen zum Eyde zu laſſen, und ſchweren will, das
„Schweren nicht verbieten. Er kan, als ein Chriſt,
„vor einen ſolchen beten, und ſich uͤber ſeine Boßheit
„betruͤben. Aber als Richter bekuͤmmert er ſich nicht,
wo
[887](o)
wo ſeine Seele bleibt. 7) Daß die Juriſten die„
Jnjurien-Klagen abzukuͤrtzen, zu mindern, und„
gar abzuſchafen bemuͤhet ſind, iſt darum loͤblich,„
weil die Leute dadurch von unnuͤtzen Proceſſen ab-„
gehalten werden, und ihr Geld behalten: Aber es„
nuͤtzet nicht zur Seeligkeit. Empfindlichkeit, Haß„
und Rachgierde werden dadurch nicht ausgerottet;„
vielmehr die Beleidigten, wenn ſie kein Gehoͤr beym„
Richter finden, zur Selbſt-Rache, und folglich zur„
Suͤnde gereitzet. 8) Daß gewiſſe Perſonen nicht„
zum Zeugniß gelaſſen werden, geſchicht darum,„
weil das Zeugniß ſolcher Leute, von welchen wahr-„
ſcheinlich zu vermuthen, daß ſie falſch zeugen wer-„
den, nichts zu Entdeckung der Wahrheit beytraͤget,„
und nichts beweiſet. Es iſt dieſes was altes, und„
gebraͤuchlich geweſen, ehe noch die Zeugen ihre Auſ-„
ſagen eydlich thaten, und alſo ehe man an die ewige„
Seeligkeit gedachte. 9) Daß man denen verdamm-„
ten Miſſethaͤtern Zeit laͤſſet, ſich zum Tode zu berei-„
ten, und dieſelbe nicht durch eine gar zu harte und„
langſame Todes-Art quaͤlet, geſchicht nicht aus ei-„
ner Sorge vor die Seeligkeit dieſer Leute, ſondern„
nur, um die Nachrede einer Grauſamkeit zu ver-„
meiden. Gar zu harte und unmenſchliche Todes-„
Strafen machen das Volck murren, und bewegen„
es zum Mitleiden gegen diejenigen, ſo damit beleget„
werden: Und was die Vorbereitung zum Tode an-„
langet, ſo wird ſie in der peinl. Halsgerichts-Ord-„
nung der Willkuͤhr des Verurtheilten lediglich uͤ-„
berlaſſen. Die Erinnerung an die Prieſter, was„
ſie einem ſolchen vorſagen ſollen, gehoͤret nicht zum„
Geſetz, ſondern ruͤhrt aus einer unnoͤthigen Vor-„
K k k 4„ſorge
[888](o)
„ſorge des Concipienten her. 10) Der Formul, der
„ſich die Juriſtiſche Facultaͤt zu Roſtock in ihrer To-
„des Urtheilen bedienet, zeiget klaͤrlich, daß die Glie-
„der dieſer Facultaͤt chriſtliche Juriſten ſind: Aber ſie
„beweiſet nicht, daß es noͤthig ein Todes-Urtheil mit
„ſo andaͤchtigen Clauſuln auszuzieren, die da, wie
„der Kerl, von dem der Herr Prof. Manzel redet,
„gar artig gewieſen, und er ſelbſt bekennet, nichts
„heiſſen. 11) Die ſogenannten geiſtlichen Stra-
„fen koͤnnen eine gar feine aͤuſſerliche Zucht ſeyn: Ob
„aber viele Seelen dadurch gerettet worden, iſt eine
„andere Frage u.ſ.w.
Dieſes ſind ohngefehr die Einwuͤrfe, die
uns wieder die Diſputation des Herrn Pro-
feſſor Mantzels zu Ohren gekommen ſind.
Wir wiſſen wohl, daß ſie wenig zu bedeu-
ten haben, und nichts als elende Sophiſte-
reyen ſind: Aber wir haben ſie doch anfuͤhren wol-
len, um dem Hrn. Prof. Gelegenheit zu geben, de-
nen Schwaͤtzern die ſich nicht ſchaͤmen ſolch Zeug
vorzubringen, das Maul zu ſtopfen. Es iſt ihm
dieſes ein leichtes, und wir wuͤnſchen, daß er es ſo
bald moͤglich thun moͤge. Er wird ſich die gelehrte
Welt ungemein dadurch verbinden. Aber was
waͤre es nicht vor eine herrliche Sache, wenn es
dem Hrn. Prof. Manzel gefallen wolte, die Kunſt
wie man die Leute wieder ihren Willen ſeelig ma-
chen koͤnne, in ein heller Licht zu ſetzen? Wir er-
ſuchen ihn hiemit, wo es ſeine Verrichtungen zu
laſſen, darauf bedacht zu ſeyn. Die Zeit von Ja-
cobi biß Bartholomaͤi, da doch vermuthlich in
Ro-
[889](o)
Roſtock nicht geleſen wird, waͤre, unſers Erachtens
ſehr bequem dazu.
Jn dem Programmate, welches der Hr. Prof.
Manzel zu dieſer Diſputation gemacht, handelt er,
wie Titel und Augenſchein weiſet, obiter de cura
\& ſtudio brevitatis.
Er beweiſet gruͤndlich, daß man nicht zu kurtz
und nicht zu weitlaͤuftig ſchreiben muͤſſe, und meldet
zum Beſchluß, daß die Roſtockiſche Academie be-
ſchloſſen, hinfort monathlich (menſtruatim) eine
Diſputationem Circularem halten zu laſſen. Der
Hr. Manzel, als jetziger Rector Magnificus hat
mit dem Jahre, den Anfang gemacht, und daher
heiſſet ſeine Diſputation auch Diſſertatio Januari-
ana. Wir koͤnnen hiebey nicht unerinnert laſſen,
daß es nicht noͤthig geweſen, das Wort Januari-
us in ein bey den Lateinern unerhoͤrtes adjecti-
vum zu verwandeln. Die Nahmen der Mo-
nathe ſind im Lateiniſchen ſchon adjectiva. Wir
hofen der Hr. Prof. werde dieſe Erinnerung nicht
uͤbel nehmen. Er wird finden, daß ſie gegruͤndet.
No. XXVIII.
Hamburg. Da wir mit vieler Befremdung ver-
nehmen muͤſſen, daß der Herr Prof. Manzel in
Roſtock es ſehr hoch empfunden, daß wir uns die
Freyheit genommen, einige wider ſeine neuliche Cir-
cular Diſputation gemachte Einwuͤrfe in das XXII.
Stuͤck unſerer Nachrichten einzuruͤcken: So haben
wir vor noͤthig erachtet ihn hiedurch nochmahl oͤfent-
lich zu verſichern, daß wir an gedachten Einwuͤrfen
keinen Theil nehmen. Wir hofen dieſe Erklaͤrung
K k k 5wer-
[890](o)
werde hinlaͤnglich ſeyn, den Herrn Prof. zu bewegen,
daß er ſeinen wider uns gefaßten Unwillen fahren
laſſe, und das um ſo vielmehr, weil wir nicht be-
greifen koͤnnen, was ihm die Bekanntmachung ei-
niger beſcheidenen Einwuͤrfe vor Schaden bringen
koͤnne. Stehet es doch bey ihm, dieſelbe aufs nach-
druͤcklichſte zu widerlegen: Unſere Blaͤtter ſind zu ſei-
nen Dienſten: Und, wenn er die Guͤte haben will
uns ſeine Antwort zuzuſchicken, ſo erbieten wir uns
dieſelben in unſere Nachrichten einzuruͤcken. Dieſer
Vorſchlag ſcheint uns billig zu ſeyn, und der Herr
Prof. wird wohl thun, wenn er denſelben annimmt.
Es iſt immer ruͤhmlicher auf Einwuͤrfe zu antworten,
als ſich uͤber den geringſten Widerſpruch zu entruͤ-
ſten, und die Welt iſt ſo arg, daß ſie, ſo bald ſie ſie-
het, daß einer boͤſe wird, urtheilet, er getraue ſich
nicht ſeine Sache mit Vernunft auszumachen.
No. XXIX.
Kiel. Man ſiehet allhier eine mit vieler Gelehr-
ſamkeit und Lebhaftigkeit abgefaſſete critiſche Schrift
unter dem Titel: Anmerckungen in Form eines
Briefs uͤber den Abriß eines Neuen Rechts
der Natur, welchen der (S. T.) Herr
Prof. Manzel zu Roſtock in einer kleinen
Schrift, die den Titel fuͤhret:Primæ Lineæ
Juris Naturæ vere talis ſecundum ſanæ rationis
principia ductæ,der Welt mitgetheilet. Kiel.
1735. in 8. 11 Bogen. Der ungenannte Her-
ausgeber dieſer Anmerckungen verſichert daß ſelbi-
ge ſchon bey nahe vor 10 Jahren auf Veranlaſ-
ſung eines gelehrten Mecklenburgiſchen Cavaliers
zu Papier gebracht, nachdem ſie ihm aber unver-
mu-
[891](o)
muthet in die Haͤnde gerathen, von ihme in der
Abſicht zum Druck befoͤrdert worden, damit der
Hr. Prof. Manzel die verſprochene weitere Aus-
fuͤhrung ſeines gantz neuen Rechts der Natur, wor-
auf man ſo lange gewartet, der Welt endlich mit-
theilen moͤchte. Wir wuͤrden dem G. L. gerne ei-
nen Auszug von dieſer Schrift geben, wenn die
Einrichtung derſelben ſolches erlaubte, und die oh-
nedem wenigen Blaͤtter nicht mit groͤſſerm Ver-
gnuͤgen in ihrem Zuſammenhange zu leſen waͤren.
Doch koͤnnen wir uns nicht entbrechen eine Stelle
anzufuͤhren, woraus des Hrn. Verfaſſers Urtheil
von des Hrn. Prof. Manzels Schrift, welche die-
ſem Wercke angehaͤnget iſt, ohnſchwer zu erſehen
ſeyn wird. Die eigenen Worte deſſelben lauten
wie folget: Er (Herr Manzel) will das Recht der
Natur ausbeſſern. Er will die darin vorkommen-
de Streitigkeiten ſchlichten: Er ſchreibt zu dem
Ende ein Jus Naturæ verè tale. Und nun koͤmmt
er und ſagt, es waͤre eine Thorheit aus dieſem Ju-
re Naturæ verè tali etwas auf unſern jetzigen Zu-
ſtand zu appliciren. Warum hat er uns denn die-
ſes Jus Nature verè tale ſo muͤhſam erklaͤret? War-
um muthet er denen, ſo gelehrter als er ſind, zu, daß
ſie weiter uͤber dieſes Jus Naturæ verè tale, von wel-
chem er uns vor der Hand nur einen groben Abriß
mitgetheilet, meditiren ſollen? Was ſoll es uns vor
Troſt geben, daß wir wiſſen, was der erſte Menſch
gemacht? Die Erkaͤntniß des Zuſtandes, in wel-
chem ſich unſere erſte Eltern befunden, traͤgt nichts
zu unſerer Wohlfarth bey, ſondern dieſe wird, nach
dem eigenen Geſtaͤndniß des Hrn. Manzels, beſſer
durch
[892](o)
durch eine vernuͤnftige Betrachtung unſers jetzigen
Zuſtandes befordert: Alle, ſo bißhero das Jus
Naturæ gelehret, haben, (Alberti und Strimeſi-
us ausgenommen) dieſe Betrachtung zum Grun-
de geleget: Und alſo iſt es ſehr unnoͤthig, daß der
Herr Prof. daruͤber eyfert, daß man aus ſeinem
aͤchten Jure Naturæ Saͤtze borge, da man doch
die menſchliche Natur, wie ſie nun iſt, anſehen
ſolte.
Gefaͤllt es ihm aber nicht die auf dieſe vernuͤnf-
tige Betrachtung der menſchlichen Natur, wie ſie
jetzo iſt, erbauete Wiſſenſchaft, ein Recht der
Natur zu nennen: So kan man ihm ſeinen Wil-
len laſſen: Er nenne ſie wie er will: Nur ſey er ſo
gut und verſchone uns mit ſeinem Jure Naturæ ve-
rè tali. Das kan uns nichts helfen. Der Herr
Prof. aͤffet uns damit.
Er ſtellet ſich als wenn er uns in das innerſte des
Rechts der Natur (intimaque juris naturæ pene-
tralia, wie er in der Vorrede (p. 4.) redet,) fuͤh-
ren wolle. Er fordert alle Gelehrten auf, das was
er geſchrieben zu uͤberlegen, und ihre Gedancken dar-
uͤber zu eroͤfnen, damit man endlich zu einer Gewiß-
heit komme und viele ſonſt unſterbliche Streitigkei-
ten ihre Endſchaft erreichen moͤgten. Wer dieſes
lieſet, der dencket, der Herr Profeſſor Manzel
wolle diejenige Wiſſenſchaft, die wir insge-
mein das Recht der Natur nennen, auf einen
andern Fuß ſetzen, und zu einer groͤſſern Ge-
wißheit bringen: Denn dieſe Wiſſenſchaft muß
es unſtreitig ſeyn, uͤber deren Verwirrung er in der
Vorrede klagt: Weil, ehe ſeine primæ lineæ Ju-
ris
[893](o)
ris naturæ verè talis zum Vorſchein gekommen, nie-
mand an ſein Jus naturæ verè tale gedacht. Allein
der Ausgang giebt es, daß dies dem Herrn Prof.
niemahlen in den Sinn gekommen. Er gedencket des
Juris Naturæ, womit wir uns bisher beholfen, in
ſeiner gantzen Schrift kaum zweymahl, und ſagt
nichts mehr von demſelben, als daß es nicht das rech-
te Jus Naturæ ſey. Er beſſert und bauet alſo nicht
ſondern reiſſet nieder. Er verwirft unſer altes Jus
Naturæ, und bringt ein gantz neues zum Vorſchein:
Doch will er nicht, daß wir uns nach demſelben rich-
ten ſollen: Er erlaubt uns bey dem alten zu bleiben:
Nur meynt er man muͤſſe es nicht ein Recht der Na-
tur ſondern ein natuͤrliches Recht nennen. Eine
wichtige Anmerckung, die wohl wehrt iſt, daß die
gantze Schaar der Gelehrten derſelben weiter nach-
ſinne!
No. XXX.
Auszug aus demXLIXten Stuͤcke der
Hamburgiſchen Berichte auf das
Jahr 1735.
Roſtock vom 12 Jun. Hieſelbſt ſiehet man
eine Schrift unter folgenden Titel: Anmerckungen
in Form eines Briefes uͤber den Abris eines neuen
Rechts der Natur, welchen der Hr. Prof. Manzel
zu Roſtock in einer kleinen Schrift, die den Titel
fuͤhret: Primæ lineæ juris naturæ verè talis ſecun-
dum principia ſanæ rationis der Welt mitgethei-
let, 8. Kiel 1735. 10. Bogen. Der hieſige Hr.
Prof. Manzel hat vor 10 Jahren obige Schrift
auf einem Bogen herausgegeben, welche der Autor
beſag-
[894](o)
beſagter Anmerckungen zuwiderlegen ſich Muͤhe
giebt. Er dichtet, als ſey dieſe Wiederlegung auf
Veranlaſſung eines Mecklenburgiſchen Edelmanns
ſchon vor 10 Jahren verfaſſet, und nun ohne Wiſſen
des Verfaſſers und des Edelmanns, an welchen
ſolche uͤberſandt worden, dem Druck von ihm uͤber-
geben. Ein ieder erſiehet aber leicht, daß der Her-
ausgeber auch der Verfaſſer, und die Schreibart
in der Vorrede eben dieſelbe ſey, welche der Ver-
faſſer in dem Wercke ſelbſt fuͤhret. Da nun der
Autor dieſer Anmerckungen ſich viele Muͤhe gege-
ben hat, ſeinen Nahmen zu verhehlen, auch daher
auf der Schrift einen Ort des Drucks ſetzen laſſen,
wo es eben ſo wenig, als hier zu Roſtock gedruckt
worden iſt, imgleichen auch in der Unterſchrift des
Briefes dem Leſer den blauen Dunſt vor die Au-
gen machen will, als waͤre dieſe Schrift Anno 1726
zu Schwerin verfaſſet worden, beydes aber, unge-
zweifelten Nachrichten zu folge unwahr, und von
dem Autore nur aus der Urſachen erſonnen wor
den iſt, um ſeine mit vielen Verkleinerungen und An-
zuͤglichkeiten angefuͤllte Schrift deſto freier bekannt
zu machen, oder wohl andern gelehrten Maͤnnern
zu Schwerin oder Dantzig ſolche anzubringen und
anzudichten; ſo wird man den Verfaſſer ſo lange
unter die luci fugas rechnen, und dieſe Schrift un-
beantwortet laſſen, biß der Verfaſſer oder Her-
ausgeber, welcher ſelbſt in der Vorrede ſetzet, daß
der Vater dieſes nahmloſen Kindes ſich nicht zu ſchaͤ-
men habe, ſeinen Nahmen genannt haben wird.
No. XXXI.
Hamburg. Nachgeſetzten Brief und Aufſatz
hat
[895](o)
hat man dieſen Blaͤttern einzuruͤcken um ſo weniger
Bedencken tragen duͤrfen, als ſolche nichts als bloß
eine Verantwortung auf dasjenige in ſich enthalten,
was der Herr Prof. Manzel in einem andern hieſi-
gen woͤchentlichen Blatte wider den Herausgeber
der Anmerckungen uͤber den Abriß eines neu-
en Rechts der Natur zu ſagen beliebet hat. Der
Jnhalt iſt folgender:
Jch habe vor einiger Zeit beygehenden Aufſatz dem
Hrn. Verfaſſer der Hamburgiſchen Berichte zuge-
ſchicket, und ihn erſuchet, ſolchen entweder ſeinen
Blaͤttern einzuverbleiben, oder ihnen zuzuſtellen, da
derſelbe nun, wie ich ſehe, keines von beyden gethan
hat: So nehme mir die Freyheit, ihnen dasjenige,
was ich gegen das trotzige Manifeſt des Herrn Man-
zels bekannt zu machen noͤthig finde, ſelbſt zuzuſen-
den, in der Hofnung, ſie werden kein Bedencken
tragen, es in ihre Nachrichten einzuruͤcken. Jch
werde ihnen vor ſolche Gefaͤlligkeit ſehr verbunden
ſeyn, und mich gluͤcklich ſchaͤtzen, wenn ich Gele-
genheit haben werde ihnen zu zeigen, daß ich ſey
Mein Herr
DERO
1735.
Ergebener Diener.
Da man aus dem 49ten Stuͤcke der Hamburgi-
ſchen Berichte des Herrn Kohls erſehen, daß der
Herr Prof. Manzel den Verfaſſer, der wider ſein
neues
[896](o)
neues Recht der Natur neulich herausgekommenen
Schrift, ſo lange unter die Lucifugas rechnen, und
ſeine Einwuͤrfe unbeantwortet laſſen will, biß er ſei-
nen Nahmen genannt haben wird; So hat man vor
noͤhtig erachtet demſelben, mit aller Ehrerbietung,
zu ſagen, daß er ſich ſehr irret, wenn er glaubet, ſein
Gegner ſcheue das Licht, und habe ſeinen Nahmen
aus Furcht verſchwiegen. Dieſe Einbildung koͤmmt
etwas vornehm heraus, und zeuget von einer ſchlech-
ten Erkenntlichkeit, vor die Muͤhe, die man ſich gege-
ben, den Herrn Prof. auf den rechten Weg zu brin-
gen. Der Herr Manzel kan verſichert ſeyn, daß der
Verfaſſer der Anmerckungen uͤber ſeinen Abriß eines
neuen Rechts der Natur ſich vor ihm im geringſten
nicht fuͤrchtet. Daß dieſelbe ohne ſeinen Nahmen
herausgekommen, iſt der Behutſamkeit des Heraus-
gebers zuzuſchreiben. Der Verfaſſer wuͤrde kein
Bedencken tragen ſich zu nennen, wenn er, als ein
Scribent bekannt ſeyn wolte. Er giebt aber um dieſe
elende Ehre nichts. Er hat ſeinen Brief nicht darum
geſchrieben daß er gedruckt werden ſolte, und gar kei-
ne Luſt einen Streit fortzuſetzen, von welchem er, er
falle auch aus wie er wolle, natuͤrlicher Weiſewenig
Ehre haben kan.
. . . . . nec habet victoria laudem.
Der Hr. Manzel ſiehet hieraus, warum der Ver-
faſſer ſich nicht genennet, und auch noch nicht nen-
nen will. Ob der Hr. Prof. ihm antwortet, oder
nicht, daran liegt ihm wenig. Man weiß wohl,
daß ihm das erſte unmoͤglich iſt, und raͤth ihm de-
ſto wohlmeynender bey dem Entſchluß nicht zu ant-
worten beſtaͤndig zu verharren. Dieſes iſt das
kluͤg-
[869[897]](o)
kluͤgſte, ſo der Hr. Manzel thun kan. Aber daß
er den Leuten weiß machen will, er koͤnne wohl ant-
worten, wenn er nur wolte, und wuͤrde es auch
thun, wenn er nur ſeines Gegners Nahmen wuͤſte,
iſt ein wenig zu viel. Wer will ihm das glauben?
Die Urſache, ſo er von ſeinem Stillſchweigen giebt,
iſt gewiß nicht weit her. Denn was liegt ihm
daran, wie ſein Widerſacher heiſſet? Antworte er,
wenn er was Kluges vorzubringen hat, und laß ihn
heiſſen wie er will. Allein er kan nicht, und thut alſo
wohl, daß er ſtill ſchweiget. Nur muß er nicht,
bey ſeiner Schwachheit, pochen, und groß thun.
Ein ſolcher Trotz, als er bezeuget, ſtehet ihm in der
That ſehr uͤbel an, macht ihn alles Mittleidens
unwuͤrdig, und reichet nicht zu, ſein Unvermoͤgen
vor den Augen kluger Leute zu verbergen. Der
Kunſt-Grif, deſſen ſich die angefochtenen und noth-
leidenden Scribenten von je her zu bedienen gewoh-
net ſind, ut, quæ dicendo refutare non poſſunt,
quaſi faſtidiendo calcent. (Quinctilianus inſtit.
Orat. L. V. Cap. 13.) iſt heutiges Tages gar zu bekañt.
No. XXXII.
Goͤttingen. Von dort aus hat eine unbekand-
te Hand uns drey Stuͤcke einer Schrift, die woͤ-
chentlich alle Donnerſtag daſelbſt ausgegeben wird,
uͤberſandt. Sie hat den Titul: Der Freydenker,
und betraͤgt jedesmahl einen halben Bogen in Qvart.
Es ſcheinet dieſer neue Sitten- oder Vernunft-Leh-
rer wohl durch nichts als den innerlichen Ruf, wel-
chen er im Magen fuͤhlet, zur Ausgabe dieſer Blaͤt-
ter bewogen zu ſeyn:
Horat. Lib. II. Ep. II.’
L l lDas
[870[898]](o)
Das Schoͤne und Erhabene in den Wiſſenſch af-
ten uͤberhaupt, das Heilſame und Brauchbare in
allen Staͤnden, der Wachsthum guter Kuͤnſte, der
Flor der Handlung, die Kunſt reich und gluͤckſee-
lig zu werden, ſammt denen richtig befundenen Vor-
ſchlaͤgen, allen Maͤngeln im gemeinen Weſen je
mehr und mehr abzuhelfen, ſoll, wie das erſte Blatt
verſpricht, der Vorwurf ſeiner Betrachtung ſeyn; al-
lein aus den beyden folgenden Blaͤttern ſollte man
faſt argwohnen, daß ihm dis Verſprechen ſchon ge-
reuet, wenigſtens findet man von allen dieſen ſchoͤ-
nen Sachen nichts darin. Das erſte Blat lobet
die Freyheit zu dencken, das andere ruͤhmet die Denck-
Freyheit und das dritte preiſet die freye Denckungs-
Kraft. Folgende troͤſtliche Denckſpruͤchlein koͤnnen
es zeigen. So ſtehet vor dem erſten Stuͤck:
Nun ſagt zwar Horatz:
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Citharœdus
Ridetur chorda qvi ſemper oberrat eadem.
Allein einem Freydencker iſt nichts unanſtaͤndig. Wir
glauben, er werde in den kuͤnftigen Stuͤcken von der
Art frey zu dencken, und von der freyen Art zu den-
cken, eben ſo gruͤndlich als in den gegenwaͤrtigen han-
deln, wo ihn nicht der Beytrag gelehrter und erfahr-
ner Maͤnner, auf den er, bey ſeinem Unvermoͤgen,
ſich und den Leſer im erſten Blatte vertroͤſtet, den
einmahl
[871[899]](o)
einmahl eingeſchlagenen Weg zu verlaſſen noͤthi-
get. Was vor ein Begrif eigentlich mit dem Wor-
te Freydencker oder Denckfreyheit verknuͤpft werden
ſolle, findet man nicht erklaͤret. Es bedingt ſich
der Freydencker nichts weiter aus, als daß man ihn
nicht vor einen Frey-Geiſt halten moͤge, welches
auch hofentlich geſchehen wird, daferne nur nicht
die im dritten Stuͤcke vorkommende Stelle, da er
die Wiederbringung aller Dinge lehret, ſolches hin-
dert. So viel ſonſt die Art zu dencken und zu ſchrei-
ben, die in dieſen Stuͤcken herrſchet, urtheilen laͤſ-
ſet, ſo kan der Freydencker nichts als einen Menſchen
bedeuten, der von dem Joche vernuͤnftiger Reguln
frey iſt, und ohne Abſicht und Ordnung dencket und
ſchreibet. Dieſe Erklaͤrung mag gelten, bis eine
richtigere gegeben worden. Bis dahin halten wir
die unſrige vor angenommen, und glauben, nach
derſelben berechtigt zu ſeyn, dem Freydencker ſeinen
Rang zu beſtimmen, welcher unmtttelbar uͤber die
Claſſe der elenden Scribenten iſt, die, wenn ſie ſchrei-
ben, gar nicht dencken. Und indeſſen allen Verdacht
der Partheylichkeit zu vermeiden, ſo kan man nicht
umhin, an dieſen Blaͤttern billig zu ruͤhmen, daß ſie
zwar auf ſchlechten Papier, doch mit groſſen Lettern
und anſehnlich breiten Rande weitlaͤuftig gedruckt,
und wie im erſten Stuͤck die erſte-Seite, ſo in beyden
andern die letzten Seiten faſt ganz ledig zu finden
ſind. Vortheile, die bey Schriften dieſer Art, in
der That vernuͤnftigen Leſern viel werth ſeyn muͤſſen.
No. XXXIII.
Hamburg. Man hat uns abermahl drey Stuͤ-
cke des Freydenckers zuzuſenden beliebet, deren Jnhalt
wir, ſo viel es die Menge derer etwas regellos durch
L l l 2einander
[872[900]](o)
einander laufenden Gedancken zulaͤßt, anzeigen wol-
len. Das vierdte Stuͤck enthaͤlt drey Briefe. Jm
erſten erzehlet Herr Duldreich ein Hiſtoͤrgen von ei-
nem atheiſtiſchen Papageyen, welches der Freyden-
cker mit einem etwas freygeiſtigem Urtheile begleitet.
Jm zweyten fraget Herr Gradezu, was der Freyden-
cker vor einen Beruf habe? Er antwortet hierauf,
aber, welches mit ſeiner Erlaubniß geſagt ſey, nicht
ſo gruͤndlich, als es von uns Num. 11. dieſer Zeitung
geſchehen. Der dritte Brief des Herrn Rechtliebs
bittet um Nachricht des Goͤttingiſchen Univerſitaͤts-
Weſens, welche nebſt der Anzeige, wie der mit ihm
zu fuͤhrende Briefwechſel beſchafen ſeyn und einge-
richtet werden ſolle, verſprochen wird. Auch dis
Stuͤck faſſet alſo, wie jeder ſiehet, wenig oder nichts
in ſich, was mit der im erſten Stuͤck vorgegebenen
Abſicht uͤbereinkomme. Jm fuͤnften Stuͤck ver-
ſpricht er den Mißbrauch der Freydenckerey in Be-
trachtung zu ziehen. Nach wenig Worten, die, wenn
man tief nachdenkt, dahin zu zielen ſcheinen, faͤngt er
aber an den richterlich-entſchiedenen Streit zu be-
ſchreiben, welchen er mit ſeiner zornigen Wirthin,
die er Frau Furia nennet, uͤber einige Kleinigkei-
ten gehabt, da ſie ihm die Aufwartung entzogen,
ein Geſchirr genommen, keine reine Vorhaͤnge
wieder geben wollen ꝛc. welches er unſittigliche Hand-
lungen nennet. Hierauf erinnert er ſich des erſt-
gedachten Mißbrauchs der Freydenckerey wieder,
giebt einige allgemeine Anmerckungen, worunter die-
ſe, daß ſie der Vernunft unterworfen ſeyn muͤſſe, wohl
die beſte, weil ſie ſonſt von der Thorheit oder Raſerey
nicht zu unterſcheiden, gleichwohl aber, welches wir
mit aller Beſcheidenheit erinnern, finden wir nicht,
daß
[873[901]](o)
daß der Herr Freydencker bey ſeinen Aufſaͤtzen ſich
durchgehends gar genau nach derſelben gerichtet.
Das ſechſte faͤngt mit einem Briefe des Hrn. Belfu-
meurs, Mitglieds der aufgeraͤumten Geſellſchaft,
an, der ihm vorwirft, er habe in den drey erſten Stuͤ-
cken gar zu ernſthaft zu moraliſiren angefangen,
und ihn bittet, eine Liſte der Materien, die erdas
gantze Jahr durch zu liefern gedencke, mitzutheilen.
Was den erſten Punct betrift, ſo erklaͤret er ſich dar-
auf etwas nachdencklich, und giebt ſodann eine Liſte
von 54. Materien, die im Freydencker nach und nach
ausgefuͤhret werden ſollen. Diejenigen, welche wir
darunter vor andern ausgearbeitet zu ſehen wuͤnſch-
ten, ſind, der Vorſchlag, ohne einzige Koſten in Zeit
von 15. Jahren eine Armee von mehr als 50000.
Mann auf die Beine zu bringen, das ſittliche und un-
ſittliche Studenten-Leben, das moraliſche Portrait
der liebenswuͤrdigen Anglicana, einer Braut des
Freydenkers, Merkwuͤrdigkeiten bey der neuen Goͤt-
tingiſchen Univerſitaͤt, aus einem daruͤber vom Anfange ge-
haltenen Tagebuche ꝛc. Warum das vierdte und fuͤnfte Stuͤck
allein von Patriotenſtadt datiret worden, wiſſen wir nicht, ſo
viel iſt uns gemeldet, daß dieſe Schrift zwar in Goͤttingen,
ohne Cenſur, zu Papier gebracht, aber zu Allendorf, einem
Orte im Heſſiſchen gedruckt werde. Wer der Verfaſſer ſey,
halten wir unnoͤthig zu ſagen, weil in gantz Deutſchland nur
ein Mann, auf den der Verdacht fallen kan. Jndeſſen koͤnnen
wir nicht unerinnert laſſen, daß der Verleger vieleicht beſſer
thun wuͤrde, wenn er dieſe Blaͤtter nicht ſo hoch, als er thut, in
Preiß hielte. Wer kan mit gutem Gewiſſen fuͤr ein Blatt die-
ſes Schlages 4. Pfennige geben?
No. XXXIV.
Hamburg. Von dem Freydencker ſind uns abermahl 3.
Stuͤcke zugeſandt. Dieſe Erſtlinge des gegenwaͤrtigen
Jahres haben in der That einen Vorzug vor denen vom vo-
L l l 3rigen.
[874[902]](o)
rigen. Nicht darin, daß ſie etwa Dinge in ſich faſſeten,
die vernuͤnftiger, nutzbarer, ſinn- oder lehrreicher waͤren,
als in denen vom vorigen Jahr vorkommen; ſondern weil
ſie noch mehr von dem Endzweck abgehen, den der Ver-
faſſer im erſten Stuͤck ſich vorgeſetzet zu haben vorgege-
ben. Der Jnhalt derſelben, den wir aufrichtig mitthei-
len, ſoll es zeigen. Jm ſiebenden Stuͤcke, welches das
erſte von dieſem Jahre, wird dem Leſer ein Neu-Jahres-
Wunſch verſprochen, aber nicht gegeben. Jm achten
werden zwo Fabeln erzehlet, die aber ſo beſchaffen ſind,
daß auch kein Aeſop noch Fontaine davon die Deutung zu
geben im Stande ſeyn wuͤrde. Das neunte erzehlet den
Zufall, da ein Schwermuͤthiger ſich ſelbſt Leyd gethan. Dis
ſoll der Jnhalt gedachter Stuͤcke freylich ſeyn, wie aber
ein Freydencker gantz anders verfaͤhret, als ein anderer ver-
nuͤnftiger Menſch, ſo kan der Leſer aus obigen kaum den
zwanzigſten Theil desjenigen erkennen, was wuͤrcklich darin
zu finden. Sollte man wohl gedencken, daß in dem ſie-
benden Stuͤck wuͤrde erzehlet ſeyn, wie alt der Freydencker,
und welcher Tag eigentlich ſein Gebuhrts-Tag? gleichwohl
berichtet er dis nicht nur von ſich, ſondern auch von ſeinem
Vater, und macht aus der Anmerckung, wie viel dieſer
aͤlter, als er, ſo viel beſonders, daß er es nicht mehr thun
koͤnnen, wenn er das Gegentheil behaupten wollen. Was
demjenigen begegnet, der in ſeinem Namen in Goͤttingen
das Reu-Jahr wuͤnſchen muͤſſen, moͤchte wohl kein Menſch
darin ſuchen, und dennoch wird er es finden, und zwar ſo
umſtaͤndlich, daß er Urſache haben wird zu ſagen, was ge-
hen mich die Kleinigkeiten an? was ſollen die Unflaͤtereyen?
Die Vorſchlaͤge durch den Poſtillion oder Nachtwaͤchter
die Neu-Jahrs-Wuͤnſche ablegen zu laſſen, ſind freylich
ſinnreich und neu; allein wir zweiffeln, ob ſie jemand
kluͤger halten werde, als den Schluß des ganzen ſiebenden
Stuͤckes. Denn weil der Freydencker am Neuen-Jahrs-
Tage eine Predigt gehoͤret, worin von dem Paradieſe gedacht
worden, ſo nimmt er daher Gelegenheit, ſeinen Leſern in
folgenden Worten den Neu-Jahrs-Wunſch, oder vielmehr
Neu-Jahrs-Geſchencke, doch nur, weil es hypothetice un-
moͤg-
[875[903]](o)
moͤglich, vel qvaſi zu ertheilen: „Ach! moͤchte Eden noch„
ſtehen, ich wollte gehen, eylen, rennen, und aus ſolchen„
einige der beſten Fruͤchte holen, mein Hertz zu einer Schaa-„
le nehmen, und in ſolche die geſammlete Fruͤchte mei-„
nem allergnaͤdigſten Koͤnige, Miniſtern, der loͤblichen„
Univerſitaͤt, E. Hochweiſen Rath, der geſammten Buͤr-„
gerſchafft, und allen meinen Leſern, ſo viel ich derer wuͤ-„
ſte uͤberreichen. O! ſtuͤnde annoch dieſer Garten Edens,„
ſo wuͤrde kein Neid, keine Schlange, ja nicht einmahl„
ein Cherub vorhanden ſeyn, die da verwehren koͤnten,„
Aepfel von dem Baume des Lebens abzubrechen, und„
von denen uͤbrigen unzaͤhligen Arten Fruͤchten eine Samm-„
lung der vornehmſten Gattungen anzuſtellen, meine„
Schaale damit anzufuͤllen, und zu ſagen: Hier uͤber-„
reiche ich ihnen, preißwuͤrdigſte Haͤupter, und auserwaͤhl-„
te Freunde, etwas von denen Fruͤchten der Unſterblichkeit!„
Sie gehoͤren zwar nicht mir allein zu, aber doch erlaubet„
die Herrlichkeit Edens, ſie zu brechen, zu ſammlen, und„
mit treuen Hertzen aufzutragen!‟ welche troͤſtliche Wor-
te er zu Anfang des Stuͤcks in folgende Reimlein gezwun-
gen:
Wenn ich an Edens Pracht und deſſen Fruͤchte dencke:
Holt’ ich ſehr gern daraus vor jeden ein Geſchencke!
Jn dem achten Stuͤcke kommt nun eben, auſſer denen Fa-
beln, deren Deutung GOtt, und vielleicht dem Verfaſſer,
bekandt, nichts vor; was aber bey dem neunten Stuͤck
noch merckwuͤrdig, verſparen wir bis kuͤnſtig anzumercken,
weil der Herr Freydencker ſein Urtheil uͤber den darin erzehl-
ten Zufall auch bis in eines der naͤchſt folgenden Stuͤcke
verſparet hat.
[[904]]
Appendix A ERRATA.
- P. 5. l. 7. vor wennde, l. wende
- p. 47. l. 23.==von ſcharffem Ver-
ſtande, l. von ſo ſcharffen ꝛc. - p. 63. l. 23==Geſtirnes: l. Ge-
hirnes. - p. 65. l. 16==ein, l. eine.
- ibid. l. 19==zu: l. zur.
- p. 69. l. 10==auf wunderlichere,
l. auf eine wunderlichere. - p. 102. l. 10==haben l. habe.
- p. 104. l. 8==haben, l. habe.
- p. 119. l. 30==konnte, l. koͤnnte.
- p. 124. l. 2. del.Die.
- p. 126. l. 3. vor: ers, l. es
- p. 131. l. 13.==kurtzer, l. kuͤrtzer
- p. 136. l. 1==Hic,l.Hi.
- p. 150. l. 11==wie ſchwer, l. vor
wie ſchwer. - p. 169. l. 21==vollenkommen, l.
vollkommen - p. 182. l. 22==die, l. dieſe.
- p. 183. l. 14==Bewunderudg,
l. Bewunderung. - p. 188. l. 23==wurderbaren, l.
wunderbaren. - p. 191. l. 25==dem, l. den.
- p. 192. l. 19==ihm, l. ihn.
- p. 209. l. 31==Supere,l.Superi.
- p. 214. l. 10==leſen, l. laͤſen.
- p. 219. l. 1==gringe, l. geringe.
- p. 224. l. 7==reud,l.rend.
- ibid. l. 11==68. ſetze 98.
- p. 262. l. 14==in, l. im.
- p. 269. l. 2==eine, l. einer.
- p. 321. l. 21==von, l. vom
- p. 333. l. 2==ſeinem: l. ſeinen
- p. 335. l. 23==zu: l. zum.
- p. 368. l. 6.==Winde, l. Wincke.
- p. 384. l. 2==einen, l. einem.
- p. 401. l. 12==Manne, l. Mann.
- p. 427. l. 15==mit groſſem, l. mit
ſo groſſem. - p. 447. l. 8==ſeyn: l. ſey.
- p. 448. l. 12==welchen, l. welche.
- p. 461. l. 9==Leute, l. Leuten.
- p. 474. l. 12==mir: l. mich.
- p. 487. l. 15==den, l. dem.
- p. 523. l. ult.==Perſias,l.Perſius.
- p. 526. l. 1. vor wird gehoben,
l. wird nicht gehoben. - p. 528. l. 18. vor kein, l. keine.
- p. 540. l. 5==die, l. mit.
- p. 541. l. 6 vor die, l. welche die
- p. 578. l. 9==im, l. in.
- p. 579. l. 4==von, l. an.
- ibid. l. 5==gedrungen, l. gedun-
gen. - ibid. l. 17==ihm, l. ihn.
- p. 588. l. 2==der, l. den.
- p. 589. l. 4==ihn, l. ihm.
- p. 590. l. 1==wie der, l. wider.
- ibid. l. 19==noch: l. nach.
- p. 591. l. 19==dem, l. den.
- p. 592. l. 22==welchen er ſie, l.
welchem er ſich - p. 593. l. 5==dieſelbe, l. derſelbe.
- p. 594. l. 2==unmoͤgliche, l. un-
gewoͤhnliche - ibid. l. 23. 24==nicht verſtanden,
l. nicht recht verſtanden. - p. 596. l. 23==dieſen, l. dieſem.
- p. 597. l. 16==mit einer, l. einer
mit. - p. 598. l. ult.==ut vere,l.utrere
- p. 607. l. 19==befuͤchte, l. be-
fuͤrchte. - p. 608. l. 7==Coͤper: l. Coͤrper.
- ibid. l. 25==ihren, l. ihrem.
- p. 612. l. 22==Vernuft, l. Ver-
nunft. - p. 613. l. 4==auf dem, l. auf den.
- ibid. l. 8==duͤrfen: l. duͤrfe.
- ibid. l. 18==Verguͤnſtung: l.
Verguͤnſtigung. - p. 617. l. 5==ihn: l. ihm.
- p. 618. l. 19==menſchlichem, l.
menſchlichen. - p. 619. l. 3==Willen, l. Stellen.
- p. 620. l. 22==der: l. die.
- p. 621. l. 26==deloque,l.doloque
- p. 626. l. 3==dem, l. den.
- p. 638. l. 21==erſtlich, l. ernſtlich.
- p. 639. l. 5.==ſeine, l. ſeiner.
- p. 647. l. 30.==Menut, l. Menuet.
- p. 658. l. 31.==aller Unſchuld,
l. aller ihrer Unſchuld. - p. 664. l. 30.==betrachten, l. be-
trachtete. - p. 671. l. 3. del.etwas.
- p. 674. l. 24. vorQvoſee, roſee.
- p. 676. l. 2.==taͤglich, l. fuͤglich.
Vorrede. - p. 45. l. 9.==vident, l. videnti.
- = = l. ult. Lib. IV. l. Lib. III.
[[905]][[906]][[907]][[908]]
1) Rede von dem Character der kleinen Redner,
als eine vorlaͤufige Abfertigung der Satyre Bri-
ontes; 2) Daß der Verſtand alle Gewalt uͤber-
trefe; 3) Der Character der Freygeiſterey und
wahrer Verdienſt ꝛc. 4) Von groſſen, mittelmaͤßi-
gen und kleinen Genies, beſonders von der Nieder-
traͤchtigkeit der kleinen Geiſter; 5) Send-Schrei-
ben wegen Guͤltigkeit der Woͤrter: Tuckmaͤuſer,
Saalbader, Charletan und Pedant ꝛc. 6) Die
großmuͤthige Verachtung, als eine erlaubte Noth-
wehre gegen unrechtmaͤßige Gewalt, Unverſtand
und Verlaͤumbdung; 7) die Bedaurung von Red-
lichgefinnten, als ein Bewegungs-Grund ſich mit
Pasquillanten in keine Streitſchriſten einzulaſſen.
Jn
reſpondenten von 1733. wird zwar geſagt, der
Hr. Prof. Philippi habe ſeine ſieben neuen Verſu-
che zu Hamburg unter die Preſſe gegeben. Allein
das war nur Schertz. Jn Hamburg wollte ſie nie-
mand haben. Man ſchickte ſie dem Hrn. Prof.
Philippi wieder, und ich weiß nicht, was er damit
gemacht hat. Jch glaube, er hat ſie untergeſteckt,
oder wenigſtens das vornehmſte daraus in der Vor-
rede zu ſeinem Windbeutel, und in ſeinen Mo-
raliſchen Biloniſſen, mit welchen er die Maxi-
mes de la Marquiſé de Sablé erlaͤutert hat, ange-
bracht.
in ſeiner Anleitung zur Hiſtorie der Leibnitz-
Wolfiſchen Philoſophiep. 951. 952. daß Phi-
lippi dieſe Schrift gemacht habe, und daß darinn
der mathematiſche Verſuch wider jederman verthei-
diget werde. Es iſt dieſes ein Fehler, den er nicht
wuͤrde begangen haben, wenn er ſich nur feſte an ſei-
nen, ihm ſo nuͤtzlichen Vorgaͤnger, den Hrn. Lu-
dovici, den er vor Augen gehabt zu haben ſcheinet,
gehalten haͤtte: Aber da er kluͤger ſeyn will, ſo ſagt
er etwas, das eben ſo wahr iſt, als daß, wie er
p. 134. meinet, die Socinianer kurtz nach dem Ni-
ceniſchen Concilio entſtanden.
468. p. 732.
die Offenbahrung Johannis geſchrieben hat: Welches
ich aber zu der Zeit, als ich dieſes ſchrieb, nicht wuſte.
nehmſten Pflichten eines Redners, ſeine Stimme,
nach Erforderung der Sachen, zu erheben und fal-
len zn laſſen. Jch bedaure, daß der geneigte Leſer
mich nicht gehoͤret hat. Jch kan Jhn verfichern,
daß ich es, ohne Ruhm zu melden recht artig machte.
H . . . . moquirt ſich! ziele. Jch habe
hier alſo gewieſen, daß man auch von unflaͤtigen
Dingen reden koͤnne, ohne ein unziemliches Wort
zu ſagen. Welches gewiß was ſchoͤnes iſt.
mit dem gantzen Leibe.
Leſer beliebe zu mercken, wie meine Beſtuͤrtzung
ſtufenweiſe zugenommen. Welches Kunſtſtuͤck um
ſo viel groͤſſer, je genauer es mit der Natur uͤber-
ein koͤmmt.
Hiſtorie des Hrn. Prof. Philippi noch nicht aus Licht ge-
treten; ich behalte mir alſo vor, das Lob dieſes vortref-
lichen Buches bey einer andern Gelegenheit unſerer Geſell-
ſchaft kund zu machen.
dem Herrn Prof. Philippi nachzuahmen geſuchet.
Siehe deſſen Sechs deutſche Reden p. 24. 25. Jch
erinnere dieſes darum, damit man das Lob, wel-
ches Gedancken ſolcher Art und ſo beſondere Ausdruͤ-
ckungen verdienen, nicht mir ertheile, ſondern dem
Herrn Philippi.
zu der dritten Rede p. 48.
vorgeſetzte Anmerckung p. 80.
empor, um den Affect, in welchem ich war, lebhaft
auszudruͤcken; welches Verfahren der geneigte Leſer
nicht vor ungereimt halten wird, wenn er ſich nur
erinnert, daß der Herr Prof. Philippi davor haͤlt,
es wuͤrde einen ungemeinen Eindruck geben, wenn
der Redner im Stande waͤre, durch die Kunſt eine
Ohnmacht, oder andern Hertzbrechenden Affect an-
zunehmen. S. ſeine Sechs deutſche Reden p. 25.
nen Leſern nicht zu, daß ſie es mir uͤbel nehmen, daß
ich ſo oft mit den Augen meiner Zuhoͤrer zu thun ha-
be. Ein Redner, der zu leben weiß, bedient ſich ſol-
cher Ausdruͤckungen, und ich muß bekennen, daß mei-
ne Hochachtung gegen den Herrn Profeſſor Philippi
um ein groſſes zugenommen, da ich geſehen, daß die-
ſer hoͤfliche Mann beſtaͤndig mit ſeinen Zuhoͤrern lieb-
aͤugelt, nicht anders, als wenn er ſeine Dulcineam
vor ſich haͤtte.
Reden p. 30. die Tugend auf ſolche Art angeredet,
ſo wird ſich der geneigte Leſer uͤber die Titel, ſo ich
der Beredſamkeit gebe, um ſo viel weniger wundern.
Mich deucht, man gehe nicht ſicherer, als wenn man
einem ſo groſſen Meiſter in der Beredſamkeit folget,
und ich halte die Bemuͤhung, dem Hrn. Prof. Philip-
pi nachzuahmen, vor die groͤſſeſte Zierde meiner
Rede.
wird Er ſo guͤtig ſeyn, und ſtatt der Ohren, ſeine
Augen brauchen, und meine Rede, die er nunmeh-
ro gedruckt leſen mag, eines geneigten Anblicks wuͤr-
digen.
des Leibes geſaget hatte, ſo naͤherte ich mich auf eine un-
gezwungene, jedoch ſittſame Art dem Fenſter, als in
welchem ich die Reden des Herrn Philippi, aus Ver-
ſehen,
daß ich nicht, als ich mich wieder nach meinem Platz
verfuͤgte, meinen Zuhoͤrern den Ruͤcken zukehrete.
Das wuͤrde wider die Hoͤflichkeit geweſen ſeyn. Jch
halte vor unnoͤthig, zu ſagen, wie ich dieſen Un-
ſtand vermieden: Geuͤbte Leſer koͤnnen dieſes ohne
mein Erinnern errathen.
ri, in hoc oratorio motu ſtatuque, Roſcii geſtum \& ve-
nuſtatem? Tamen nemo ſuaſerit ſtudioſis dicendi
adoleſcentibus in geſtu diſcendo hiſtrionum more ela-
borare. Und Lib. III. heiſt es: Omnes autem hos mo-
tus ſubſequi debet geſtus, non hic verba exprimens,
ſccnicus, ſed univerſam rem \& ſententiam, non de-
mon-
inflexione hac forti, ac virili, non ab ſcena \& hiſtrio-
nibus, ſed ab armis aut etiam a palæſtra.
Prof. Philippi p. 117. gar wohl anmercket, eine Ma-
terie iſt, die ſonſt wenig, oder gar nicht vorkommt.
le, welche von der heroiſchen Beredſamkeit keinen Be-
grif haben, dieſes dem Herrn Prof. als eine Schwach-
heit auslegen wollen.
finnreichen Gedichte, ſo unter dieſem Titel heraus
gekommen. Derjenige, ſo dieſe Sammlung beſor-
get, wuͤrde ſeinem Wercke keine geringe Zierde ge-
ben, wenn er auch dem Heldengedicht des Herrn
Prof. Philippi einen Platz in ſelbigem goͤnnen wolte.
ut videretur, ſed quia aliter non poterat.
hoch! mit ſolchem Eyfer, daß ich ihnen dreymahl win-
cken, und viermahl mit dem Fuß ſtampfen muſte, ehe
ſie aufhoͤren wolten. Der Leſer bliebe die philippiſche
Natuͤrlichkeit dieſer Stelle meiner Rede zu mercken.
Der Leſer wird ſo gut ſeyn, und hieraus abnehmen,
wie kraͤftig meine Beredſamkeit ſey.
Cap. IX. p. m. 103.
lippi p. 14. not. a.
not. 180. p. 155. not. 181.
keit einer ewigen Welt. p. 413.
Philippi vorkommende neue Redens-Art, davon
die einfaͤltigen Alten eben ſo, wenig gewuſt, als
von dem Wort: irrefraganeus.
bekommen.
ſeburg gemacht.
ſen herrlichen Fund gethan hat; Sie haͤlt ein ſo rares
Manuſcript vor ihren groͤſten Schatz, und wuͤrde
nicht ermangeln, daſſelbe, zum Beſten des menſchli-
chen Geſchlechts, heraus zu geben, wenn ſie nur ei-
nen Verleger bekommen koͤnnte: Aber ſo will es
niemand haben: Welches gewiß zu beklagen iſt.
nen ſieben neuen Verſuchen bedienet; aber dieſelbe
wieder ausgeſtrichen; doch ſo, daß ſie derjenige,
dem ſein Manuſcript in die Haͤnde fiel noch leſen
konnte.
Spoͤtter Gundling.
und wolte ihn umſaſſen: Aber er ſtieß mich von
ſich, ſteckte die Zunge aus, und bloͤckte mich an.
ſich der Freyheit, die wir ihm hier geben, zu bedienen,
ſondern den heldenmuͤthigen Entſchluß gefaſſet, in ei-
ner eigenen Rede, die mit dem eheſten das Licht ſehen
wird, von der deutſchen Geſellſchaft in Leipzig Abſchied
zu nehmen. Wir erkennen daraus, daß er es redlich mit
uns meine, und wie wir nicht zweifeln, daß dieſe Ab-
ſchieds-Rede allen rechtſchaffenen Gliedern unſerer Ge-
ſellſchaft zu unausſprechlichem Troſt gereichen werde,
ſo hofen wir auch, ſie werde gewiſſen Laͤſterern das
Maul ſtopfen, die ſich nicht entbloͤden, aus zuſprengen,
der Herr Prof. Philippi ſey niemahlen ein Mitglied der
deutſchen Geſellſchaft in Leipzig geweſen, ob er ſich
gleich davor ausgegeben hat. Es habe ſich zwar, dich-
ten dieſe Verwegene, der Herr Prof. Philippi um dieſe
Ehre ſehr beworben: Allein die deutſche Geſellſchaft
habe,
der, dem Untergang nahe geweſen, ſich doch nicht ent-
ſchlieſſen koͤnnen, ihn aufzunehmen, ſondern die Schan-
de, welche ſie aus der Aufnahme eines ſo ungeſchickten
Redners und albernen Reimers beſorget, vor erſchreckli-
cher gehalten als den Tod; und alſo mit einer mehr, als
roͤmiſchen Standhaftigkeit, lieber verderben, als ſich
durch ein ſo ſchimpfliches Mittel erhalten wollen. Alle
dieſe Luͤgen wird die Abſchieds-Rede, die der Hr. Prof.
Philippi unter Haͤnden hat, zu nichte machen Denn wer
will dem Hrn. Prof. Philippi, ob er gleich das Haupt
einer Geſellſchaft iſt, von deren Gliedern man alles ver-
muthen kan, die Thorheit zutrauen, daß er oͤffentlich von
einer Geſellſchaft Abſchied nehmen ſolte, zu der er nie-
mahlen gehoͤret? Wir widerſprechen alſo den Laͤſte-
rern des Herrn Prof. Philippi hiemit oͤfentlich, und
wuͤnſchen dieſem wuͤrdigem Haupte unſerer Geſellſchaft
nicht nur Muth und Kraͤfte zu Verfertigung ſeiner Ab-
ſchieds-Rede; ſondern auch, welches das Hauptwerck iſt,
einen Verleger zu der koͤſtlichen Arbeit, die er unter Haͤn-
den hat, und hoffen, daß endlich die verblendeten Buch-
fuͤhrer die Augen aufthun, und begreifen werden, wie
vortheilhaft ihnen der Verlag ſolcher Schriften noth-
wendig ſeyn muͤſſe, deren Abgang ſelbſt durch die Ver-
aͤchter derſelben, befordert wird.
tam abſurde dici poteſt, quod non dicatur ab ali-
quo Philoſophorune.
optimum cenſerent, aut quam ocyſſime aboleri.
Philippi verſprochen hat, das hat mein lieber
Bruder, Joh. Ambroſius Hillige, Meiſter der
freyen Kuͤnſte und Pfarrer zu Zſchaitz, in ſeiner
Anatomie der Seelen mit ſolchen Nachdruck ins
Werck gerichtet, daß, wer ſein Buͤchlein lieſet,
nothwendig bekennen muß, die Vernunft habe an
ihm ihren Mann gefunden, und ſey nimmer ſo
gemißhandelt worden.
Er hat ſich durch viele herrliche Schriften bekannt
gemacht, die niemand lieſet. Man kan ſie bey
Fritſchen in Roſtock, und ſonſt nirgends, zu hal-
ben und gantzen Pfunden, um ſehr civilen Preiß,
haben.
aluntur in Capitolio, ut ſignificent, ſi fures ve-
nerint. At fures internoſcere non poſſunt, ſigni-
ficant tamen ſi qui noctu in Capitolium venerint, \&
quia id eſt ſuſpieioſum, tametſi beſtiæ ſunt, tamen
in cam partem potius peccant, quæ eſt cautior.
… illo ſuſurro delectari ſe dicebat
aquam ferentis mulierculæ, ut mos in Græcia
eſt, inſuſurtantique alteri: Hic eſt ille De-
moſthenes.
p. 419.
aux gens veritablement ſçavans, ce qui advient
aux eſpics de bled, ils vont s’eslevant \& hauſſant
la teſte droite \& fiere, tant qu’ils ſont vuides;
mais quand ils ſont pleins \& groſſis de grain en
leur maturité, ils commencent à s’humiliet \&
baiſſer les cornes.
ſualium picte p. m. 206.
ut mirari ſubeat, animal craſſiſſimum, \& à
Mufica alieniſſimum, tamen oſſa tenuiſſima \&
maximó canora ſuppeditarc.
Betracht. §. 1.
Reinbeck aus der nothwendigen Einſchraͤnkung einer
Creatur ſehr gruͤndlich beweiſet, daß es GOtt un-
moͤglich geweſen ſey, den Menſchen ſo zu erſchaffen,
daß er nicht ſuͤndigen koͤnnen. Man ſiehet leicht,
was daraus folget.
Nec
Alcimus Avitus Lib. II.
Wann man die erſten Menſchen ſo dumm machet, ſo
wird, deucht mich, ihr Fall viel wahrſcheinlicher, als
wenn man ihnen, ich weiß nicht was vor eine hohe
Weißheit beyleget.
nach der Beſchreibung die Hr. Reinbeck in ſeiner
XVIten Betracht. §. 17. 18. von der Herrſchaft giebt,
kein Koͤnig in der Welt, ja GOtt ſelbſt nicht, ſon-
dern bloß die Feen, die ſchoͤne Meluſine, und der
Zauberer Merlin ſich einer wahren Herrſchaft ruͤh-
men koͤnnen. Er meinet eine eigentliche Herrſchaft
erfordere allezeit einen willigen Gehorſam und koͤn-
ne mit Furcht und Schrecken nicht beſtehen: Da
doch die Herrſchaft eigentlich in der Macht beſtehet,
andere zu zwingen, daß Sie ihren Willen dem meini-
gen unterwerfen und thun muͤſſen, was mir und
nicht was ihnen gutduͤncket. Jch habe nicht Zeit
dieſes weitlaͤuftiger auszufuͤhren. Die Sache iſt
auch an ſich klar genug.
fab. 10.
mete T. I. §. 56.
la Comete T. I. §. 60.
lohrnen Licht und Recht P. II. Cap. 5. p. 786. 787.
not. C.
70. 71. p. 41. 42. 43.
Mr. Bayle in den Nouvelles lettres de l’ auteur de la
Critique generale de l Hiſtorie du Calviniſme du P.
Maimbourg Lett. 17. von den Wirckungen und von
dem Nutzen der Eyferſucht ſagt. Es freuet mich, daß
unſere Gedancken ſo genau uͤbereinkommen, und ich
kan mich nicht enthalten, das, was ich hier von der
Gemeinſchaft der Weiber und von der Eyferſucht ſage,
mit den Worten dieſes vortreflichen Mannes zu erlaͤu-
tern, und zubeſtaͤrcken. Il faut ſe desabuſer, ſchreibt
er, une fois pour toutes de l’ opinion que l’on a, que
les homines ſe ſont conduits par les idées de la raiſon
daus l’établiſſement des Societez. S’ils avoient conſul-
té la raiſon, ils n’auroient pas fair ce qu’ils ont fait à l’
égard du Sexe. Ils auroient veu que pour n’avoir pas
tant de choſes à garder, il falloit faire une grande diffe-
rence entre la Poſſeſſion d’un champ ou d’une vigne, \&
la Poſſeſſion d’une femme, puiſqu’un champ eſt une
fruict ſans l’ôter à tous les autres, au lieu que les fem-
mes ſont comme l’arbre d’or de la Sibylle dont on pon-
voit arracher les branches ſans qu’il en Reſtaft moins
Primo avulſo non deficit alter
Aurcus, \& ſimili frondeſcit virga metallo.
Virg Ænerd 6.
Ainſi la raiſon euſt plûtoſt conſeillé la communauté des
femmes. Die Gemeinſchaft der Weiber iſt alſo der
Vernunft nicht entgegen, und allen Abſcheu den wir
vor dieſe Gemeinſchaft haben ruͤhrt aus unſerer Eyfer-
ſucht her. Mr. Bayle ſagt eben das, .... nôtre
raiſon ſchreibt er, n’eſtant pas propre à empêcher que
la communauté des femmes ne s’introduiſit dans le
monde, il a falu ſe ſervir d’une autre machine pour l’-
empêcher. Or cette machine n’eſt autre choſe que
ce ſentiment inquiet, \& rongeant que l’on appelle ja-
louſie, \& qui accompagne l’amour qu’on a pour une
femme. Cette paſſion tout à fait deraiſonelle a eſté
cauſe dés le commencement, qu’un homme qui de-
venoit amoureux d’une fille ſouhaitoit de l’auoir on
propre, parce qu’il ſentoit un grand de plaiſir de ce
qu’un autre la vouloit.
Juillet 1686 … de la maniere, heißt es daſelbſt,
que Moiſe raconte ce funeſte événement, il paroît
bien que ſon intention n’a pas été que nous ſçûſſions
comment, l’affaire s’étoit paſſée, \& cela ſeul doit per-
Moïſe a été ſous la direction particuliere du S. Eſprit.
En effet ſi Moïſe eût eté le maître de ſes expreſſions \&
de ſes penſées, il n’auroit jamais enveloppé d’une fa-
çon ſi étonnaute le recit d’une telle action; il en auroit
parlé d’un ſtile un peu plus humain, \& plus propre â
inſtruire la poſterité, mais une ſageſſe infinie le diri-
geoit de telle ſorte qu’il écrivoit non pas ſelon ſes vûës,
mais ſelon les deſſeins cachez de la Providence.
- License
-
CC-BY-4.0
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- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Liscow, Christian Ludwig. Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn1b.0