[][][][][][][[I]]
Zweite Abtheilung:

Die Poeten.

[[II]][[III]]
Das junge Europa.


Novelle


Zweiter Band.


Leipzig: ,1833.
BeiOtto Wigand.
[[IV]][[V]]

Inhalt.


  • Seite
  • 18. Hyppolit an Conſtantin  1
    Valerius an Conſtantin  1
  • 19. Camilla an Ludovico  36
  • 20. Hyppolit an Julia  39
  • 21. Valerius an Conſtantin  41
  • 22. Julia an ihre Mutter  48
  • 23. Valerius an Conſtantin  59
  • 24. Hyppolit an Conſtantin  62
  • 25. Conſtantin an Valerius  70
  • 26. Camilla an Alberta  81
  • 27. Hyppolit an Conſtantin  83
  • 28. Valerius an Conſtantin  93
  • 29. Hyppolit an Conſtantin  100
  • 30. Julia an ihre Mutter  103
  • 31. Alberta an Camilla  105
  • 32. Leopold an Valerius  109
  • 33. Camilla an Alberta  118
  • 34. Valerius an William  122
  • Seite
  • 35. Hyppolit an Valerius  143
  • 36. Valerius an Conſtantin  149
  • 37. Camilla an Valerius  161
  • 38. William an Valerius  166
  • 39. Conſtantin an Valerius  169
  • 40. Camilla an Valerius  182
  • 41. Valerius an Conſtantin  185
  • 42. Der Oberſt Kicki an den Grafen von Topf  192
[[1]]

18.
Hyppolit an Constantin.

Mein Pferd — mein Pferd — a horse a horse,
a kingdom for a horse
— ja ſo hab' ich geſchrien,
und bin hinuntergeſtürzt, um fortzujagen nach Paris —
lache mich aus, ſchmähe mich, ſchlage mich, daß ich
nur bis an's Portal des Schloſſes kam: Julia ſtieg
aus dem Reiſewagen, und ſah mich neugierig an mit
ihren großen Augen, und das große Auge der Welt¬
geſchichte ſchlug ſeine Wimpern für mich zu, und ich
blieb hier und glühe in Liebesfieber, wie es meine Seele
nie gekannt. Vergieb mir, ich reiche dem Valer die
Feder, er mag weiter ſchreiben. Ich kann es nicht.

Valerius an Constantin.

Ich habe ſie geleſen jene Worte, Freund, „Sie
haben den König verjagt, weil er die Charte gebrochen,“
II. 1[2] ich babe ſie gehört und mein zitternder Mund hat ſie
mir hundertmal zum Hören vorgeſagt, daß die Eisrinde
an meinem Herzen ſpringen und meine liebende Seele,
die alles Hoffen verlernt, daran glauben möchte, es gebe
noch Recht und Gerechtigkeit in der Welt, und der
Freund der Menſchen brauche nicht mit gebrochenem
Herzen zu ſterben. O Berg, der auf meiner Seele
laſtete, wie hoch flogſt du auf, o du ſchlimmes Jahr¬
hundert, wie hatteſt du dich verpuppt, daß ſelbſt deine
liebendſten Söhne dein Angeſicht nicht mehr erkannten.
Hätte ich doch einen Franzoſen bei der Hand, daß ich
ihn küſſen, drücken und wieder küſſen könnte. Alſo
wieder dieſes leichtblütige Volk mußte es ſein, das zum
zweiten Male die Riegel der Entwickelungsgeſchichte hin¬
wegſtoßen mußte von der finſtern Zeit, auf daß Licht
hereinbreche, ſtrahlendes Licht. O mein Vaterland mit
deinen Philiſtern, nur diesmal nicht wieder den ab¬
ſcheulichen Undank, jene Pförtner der Weltgeſchichte,
jene roſenrothen Franken nicht anerkennen zu wollen.
Ach Conſtantin, Conſtantin, ich habe mich gefreut wie
ein Knabe, den man eingeſperrt hatte, und nun hin¬
ausließ in den Sonnenſchein; wie einen unnützen
Wanderſtab warf ich alle Rückſicht, alle Beſonnenheit
[3] von mir, fiel dem Grafen um den Hals — wir ſa¬
ßen bei Tiſch, als Dein Brief ankam — küßte ſeine
Tochter zwei-, dreimal, küßte Camilla fünf-, ſechsmal,
riß das Fenſter auf und ſchrie in den Himmel: „Jetzt;
blauer Bogen, behalte Deine Sonne, auf der Erde iſt
die Freiheit eingekehrt,“ und den kleinen Leopold hob
ich hoch in die Höhe und drückte ihn dann an meine
Bruſt, und zerquetſchte ihm faſt den kleinen Schädel
und rief: „Nun Junge, ſing' mir Freiheitslieder“ —
ach ich war ein Kind, es war die glücklichſte Stunde
meines Lebens. Und Dir, Conſtantin, vergeb' ich alle
dummen Streiche und ſchlimmen Dinge für Deine
Schmarre auf der Wange, und glücklich biſt Du ja nun
auch geworden, es mag kommen was da wolle, Du
haſt ja bluten, das Leben wagen dürfen für unſern
Glauben.


Laß' mich ſchweigen, laß' mich ſchweigen, Freund,
ich werde kindiſch. Ich werde Dir von unſerm kleinen
Ameiſentreiben hier erzählen, um mich zu ſammeln.
Wenn's nur gehen wird. Ich bin ganz aus dem Gleiſe
und möchte hinaus in die Welt, um zu helfen am
neuen Bau der großen Weltkirche. Die Verhältniſſe
begannen eben in ihrer Unordnung ſich ein wenig zu
1*[4] ordnen, als — ach ich kann jetzt nicht, die Völker tanzen
Arm in Arm auf dem Papier herum, ſtatt der Liebes¬
paare, die es ſollen. Morgen, morgen — morgen iſt
ja auch Freiheit, ich muß mich erſt an das Glück, was
wie ein Gewitter gekommen iſt, gewöhnen. Morgen,
übermorgen von unſern kleinen Liebesgeſchichten; ich
will Parodien von jener begonnenen großen daraus
machen, dann wird's am erſten gehn. O Gott, iſt
denn dieſe roſenfarbne Welt dieſelbe, die noch geſtern
aſchgrau war, ſoweit ich die Blicke ſandte, und Du
kleiner Vogel, der ſich auf mein Fenſter ſetzt, kommſt
Du aus dem ſchönen Frankreich, flogſt Du vielleicht
über Paris in den letzten Julitagen, haſt Du jenes
bunte Stück der neuen Welt ſchon geſehen? Vöglein,
willſt Du Zucker, bleib ruhig, ich taſte Deine Freiheit
nicht an, ſolch' ein Frevler bin ich nicht — nicht wahr,
die Freiheit iſt das Höchſte, da fliegt er fort und lacht
mich aus. Bravo, mein Vöglein. Wärſt Du doch
ein Kutſcher, Vogel! — Conſtantin, Du ſiehſt, ich
werde kindiſch, ich muß aufhören. In den Fluß will
ich mich werfen, meine Gluth zu kühlen, mit den
Wellen zu ringen. Mein Körper zuckt nach Thätig¬
keit, ich muß ihn ermüden, ſonſt bringt er mich um. —

[5]

Nichts davon heute. Wie meine heiligſte Liebe
will ich es einſchließen in mein Herz. Von Grünſchloß
aber will ich erzählen, es wird wie ein grünes Idyll
in Dein rothes Epos treten.


Du erinnerſt Dich, daß mir der Graf Topf räth¬
ſelhaft war. Ich glaube jetzt etwas mehr auf dem
Reinen mit ihm zu ſein. Vor einiger Zeit kam ein
Graf Fips hier an, ein Ohrfeigengeſicht, offenbar um
des Grafen Tochter Alberta zu freien. Ich ſchrieb nach
der Stadt einem jungen Manne aus den ſogenannten
vornehmen Ständen, der ſich immer ſehr freundſchaft¬
lich gegen mich bewieſen hatte, und bat um Auskunft
über dieſen Herrn Fips, und was man von unſerm
Grafen ſage. Der junge Adlige ſchrieb ſehr unbefan¬
gen und wie es ſchien, ſehr genau unterrichtet. Fips
ſucht eine reiche Frau; außer dieſem Wünſchen ſei nichts
an ihm: das war leicht glaublich. Das Urtheil über
den Grafen klingt bizarr, iſt aber ſo mit richtigen De¬
tails unterſtützt, und paßt im höheren Stile wirklich
zu dieſer originellen Figur.


[6]

„Graf Topf“ — ſagt der Briefſteller, — „iſt von
Jugend auf ein Mann der Mode geweſen, aber im¬
mer der neueſten, ſo daß er ſeinen Umgebungen im¬
mer voraus war, und darum ſtets wunderlich erſchien.
Als die Mode aufkam, nach Italien zu reiſen, ging
er auf mehrere Jahre hin, und errichtete in Florenz ein
glänzendes Haus für alle Künſtler, die bei ihm wohn¬
ten und lebten; er war bald eine Behörde der dortigen
Kunſt. — Als die Franzoſen vertrieben waren, und
Alles gegen ſie ſchimpfte, war er der erſte Napoleons¬
poet, und vertheidigte ihn gegen alle Welt. Zur Zeit
der europäiſchen Congreſſe begann die Ariſtokratie ein
neues übermüthiges Leben, ihr Muſter war Graf Topf,
der ſchon ein halbes Jahr vorher in der Reſidenz den
grand seigneur ſpielte, von dem man damals glaubte,
er ruinire ſich aus eitel Hochmuth. Damals lebten
ab und zu in ſeinem Hauſe die bedeutendſten Schrift¬
ſteller der Reaction. Hr. von Haller war viel will¬
kommen, Kotzebue ſehr wohl aufgenommen, Hr. von
Stourdza hatte ſein Abſteigequartier beim Grafen Topf
und Frau von Krüdener trank alle Tage Thee bei
ihm, und ſegnete die Theegeſellſchaft. Nur die Turn¬
zeit, das altteutſch gebundene Geſangbuch der Reaction,
[7] hat er beinahe verpaßt. Das allzu Demokratiſche daran
mochte ihn eine Zeitlang abgehalten haben, ſich damit
einzulaſſen, und wahrſcheinlich hoffte er, die Richtung
werde bald vorübergehen. Dennoch erinnern ſich noch
ſehr Viele lebhaft, daß er einer durchziehenden Tur¬
nerbande ein großes altteutſches Mahl gerüſtet, und
weil er nicht ſchnell genug einen teutſchen Rock bei
der Hand gehabt, mit bloßem Halſe und halb entblö߬
ter Bruſt dem alten Jahn gegenüber im Schlafrock prä¬
ſidirt habe. Man erinnert ſich noch eines lebhaften
Streites, den er mit jenem geführt, ob Kaſtavien eine
ächte teutſche Frucht ſeien. Jahn verneinte es zürnend,
und warf eine große hölzerne Schüſſel, — denn Topf
that nichts halb, und alles Geſchirr war antik — voll
Kaſtanien an die Erde, obwohl ſeine Turner ſich ein
wenig opponirten, weil ihnen die ſchmackhaften Maro¬
nen behagten. „Eicheln, Topf, wuchſen im Teutobur¬
ger Walde, Eicheln, nicht aber dieſe welſchen überal¬
pigen Gewächſe, mit denen wahrſcheinlich Hannibal
ſeine Truppen zu Capua verweichelte. Thu mir nicht
ein Gleiches mit meinen jungen Söhnen Teuts, Topf,
ich beſchwöre Dich bei Hertha's weißen Roſſen.“ Der
Graf argumentirte eine Zeitlang mit dem Nibelungen¬
[8] liede, dann gab er gerührt nach, und umarmte Jahn
mit den Worten: „So retten wir Teutſchland vor aus¬
ländiſchem Tand. — Jahn, keine Kaſtanien!“


„Als der ſpaniſche Korteskrieg ausbrach, hatte er
ſich wahrſcheinlich mit dem engliſchen Unterhauſe in Rap¬
port geſetzt, kurz mehrere Tage vorher, eh' Canning zu
St. Stephan ſich erhob und ſeinen liberalen Donner
über Europa ſchleuderte, hielt der Graf Topf bei einem
Gaſtmahl eine ähnliche Rede, und ward ſo lange für
verrückt gehalten, bis die Zeitungen aus England anka¬
men. Lang vor der Schlacht bei Navarin war er der
renommirteſte Philhellene im ganzen Lande, und theilte
oft engliſche Griechenlieder mit, welche ihm ſein Speci¬
aliſſimus Lord Byron geſchickt haben ſollte. Noch ehe
der Kaiſer Nicolaus daran dachte, den Verdienſtadel ge¬
gen den Erbadel zu erheben, vertheidigte er mit ſteigen¬
der Beredſamkeit dieſe Idee und focht gegen die Türken
und gegen den Halbmond, eh' die ruſſiſchen Truppen
dazu kommandirt wurden. Seine unverkennbare Abſicht
iſt immer dahin gegangen, den weitſehenden Politiker,
den Mann der modernſten Bildung zu ſpielen: man
weiß nicht, ob er je ein wichtiges Staatsamt geſucht,
oder nur den Titel eines Gonfaloniere der Zeit erſtrebt;
[9] aber trotz ſeiner extremen Handelsweiſe, die ihn oft vor¬
übergehend lächerlich gemacht hat, ſteht er in dem Rufe
großer Klugheit, und alle Welt iſt der Meinung, daß er
ſich jetzt mit jungen Geiſtern Ihrer Art umgiebt, da¬
mit er der Zeit vorausgehoben werde. Nach dem, was
jetzt in Frankreich vorgefallen, ſcheint es ihm wirklich
wieder gelungen zu ſein, denn ich kenne ja Ihre libe¬
rale Richtung, die wahrſcheinlich auch Ihre Freunde
theilen. Man ſpricht neben der Julirevolution nur vom
Grafen Topf und ſeinem hiſtoriſchen Treffer, und Sie
werden wahrſcheinlich bald mehrere der hieſigen Notabi¬
litäten auf Grünſchloß ſehen, welche das Terrain recog¬
nosciren wollen. Das wird des Grafen größte Freude
ſein. Sein Vermögen iſt zwar durch ſeine kühne Art
zu leben ein Wenig erſchüttert, aber noch keinesweges
zerrüttet, und er wird bei der Vermählung ſeiner Tochter
keiner andern Rückſicht folgen, als ſie dem hiſtoriſch mo¬
dernſten Manne zu geben. Stand, Vermögen wird gar
nicht in Betracht kommen, ſchon weil es jetzt Mode
wird, die ſogenannten geiſtigen Vorzüge im Gegenſatz
zu den herkömmlichen allein zu beachten. Von dieſer
Seite alſo, werther Freund, ſteht Ihnen gar nichts im
Wege, wenn Sie Abſichten auf die ſchöne Alberta ha¬
[10] ben — davon iſt man jetzt nach den Julitagen allge¬
mein überzeugt, daß Graf Fips nicht reüſſirt.“ —


So viel aus jenem Briefe. Denke Dir nun den
Grafen als einen Fünfziger, als einen Mann von den
feinſten Sitten, dem gebildetſten, artigſten Betragen, der
in allen Dingen Kenntniſſe, und für Alles große Em¬
pfänglichkeit beſitzt. Es iſt wahr, ſein Wiſſen iſt meiſt
oberflächlich; er hat die Klaſſiker geleſen aber nicht
empfunden, er kokettirt mit den Griechen und ein
abgeſchmackter hohler Römer läuft ihm hie und da da¬
zwiſchen; er hat Geſchichte ſtudirt, weil er ſie aber oft
an ſo verſchiedenen Fäden aufgereiht hat, ſo ſind ſeine
Anſichten verworren geworden. Er hat von allen Re¬
ligionsphiloſophemen genippt, iſt abwechſelnd Atheiſt,
Deiſt, Proteſtant, Quäker und Pantheiſt geweſen und
wie alle extreme Geiſter, die in der eignen Poſitivität
keinen Haltpunkt finden, am Ende romaniſcher Katholik
geworden, der aber noch immer mit Aufmerkſamkeit Re¬
ligionsgeſpräche anhört. Sein Aeußeres iſt imponirend.
Von hohem ſtarken Wuchſe hat ſein Gang jene adlige
Gemeſſenheit und Sicherheit, die wir noch in unſrer
frühen Jugend ſo oft an den damaligen Grafen und
Baronen geſehen. Die Geberden, Geſticulationen, Be¬
[11] wegungen ſind weit, breit, aber ſicher gerundet. Du
ſiehſt, wie viel auf den erſten Tanzmeiſter ankommt,
denn ich bin überzeugt, daß ſich der Graf viel Mühe
gegeben hat, die modernen, kürzeren Bewegungen zu
erlernen. Natürlich geht er ganz modiſch gekleidet.
Sein lockiges Haar iſt noch voll und dicht, wie das ei¬
nes Jünglings, aber ſchneeweiß. Das giebt dem gan¬
zen Geſichte, welches ſich ebenfalls durch einen ſehr wei¬
ßen Teint auszeichnet, etwas Geiſterartiges, und die un¬
ſtäten ſchwarzen Augen irren wie heimathlos umher.
Der Schnitt des Geſichts iſt edel; eine Römernaſe er¬
höht dieſen Eindruck. Nur der etwas breite eingeknif¬
fene Mund und der untere Theil des Kopfes deutet dar¬
auf hin, daß der Mann ſchon viel gelebt habe. Die
Faltenlinien von den Naſenflügeln aus drängen die un¬
tere Wange tief hinab nach dem Kinn. Dieſer untere
Kopf hängt nur, und hat die Spannkraft verloren; er
iſt das Bild ſeiner Charakterloſigkeit. Er redet faſt alle
Sprachen und dem Anſchein nach alle gut, wenigſtens
verſichert es Hyppolit vom Spaniſchen, William vom
Engliſchen, Leopold vom Italieniſchen und ich höre es am
Franzöſiſchen, das er keineswegs ſo altmodiſch wie die
meiſten unſerer Ariſtokraten redet, die wie der junge
[12] Anacharſis plappern. Eins iſt überaus liebenswürdig
an ihm: ſein Sinn für jede Art von Poeſie. Der
Mann verdaut mehr Verſe in einem Niederſitzen als ich
einen ganzen Monat lang im Stande bin zu verbrau¬
chen, und hört Raiſonnements über Poeterei an, bis der
Raiſonneur heiſer iſt. Ich glaube, er hat viel geliebt;
er koſtet das kleinſte Lied durch und durch und hat wirk¬
lich ein ſo ausgebildetes Gefühl dafür, daß ihm nicht
die kleinſte Andeutung oder Beziehung entgeht. Dies
iſt denn auch das ſchöne Band, welches ihm ſeine Toch¬
ter feſt am Herzen erhält. Ich glaube wirklich nicht,
daß er ihrer Neigung nur im Entfernteſten in den Weg
treten würde, ſie müßte denn auf einen ganz veralteten
jungen Mann fallen. Aber ich habe nichts als Beſorg¬
niß mit der ſchönen Alberta. Seit einiger Zeit neigte
ſie ſich offenbar mit großer Vorliebe zum alterthümlichen
William, dieſem altengliſchen Stockjobber, wie Ihr ihn
zu nennen beliebt. Ich glaube, ſein gläubiges Chriſten¬
thum feſſelte die weiche furchtſame Seele. Da kam Hyp¬
polit, das reizende böſe Geſchick der Weiber, und nun
iſt die Verwirrung vollſtändig. Es iſt eine ſehr ſchlimme
Sache mit Hyppolit. Wie oft hab' ich es ihm vorge¬
ſtellt, daß es gar kein Rechtsverhältniß ſei, in das er
[13] ſich Frauenzimmern gegenüber begebe. Er geht jede Ver¬
bindung ein, ohne von ſeiner Seite auch nur irgend
etwas Andres zu gewähren, als daß er genießt, ſo lange
es ſeine Laune ſo will. Auf meinen ernſten Tadel und
meine eben ſo ernſte Verſicherung, daß ich ihn einſper¬
ren laſſen würde, hätte ich Gewalt über ihn, erwiderte
er lachend, daß er nie von einem Frauenzimmer Liebe
verlangt, noch irgend einer mehr als augenblickliche Nei¬
gung verſprochen habe. Es ſei ein rechtliches Contrakts¬
verhältniß; daß man von der andern Seite oft mehr
präſumire, wäre nicht ſeine Schuld. Was ſoll ich
mit ihm anfangen? Soll ich ihn der Polizei anzei¬
gen? Die betrachtet blos die moraliſch Buckligen,
Lahmen ꝛc.; ſie iſt nur für äußere Uebel da, die jeder
andere Menſch auch ſieht; ſoll ich ihm unaufhörlich
Steckbriefe ſchreiben und ſeine Umgebungen vor ihm
warnen, wie ein Gensd'armes mit blanker Klinge neben
ihm herreiten? Wenn ich ihn nur überzeugen könnte,
daß er unter unſern bürgerlichen Konſtellationen Unrecht
habe, daß man dem Verbande einer Geſellſchaft Vieler¬
lei, ſo auch dieſes zum Opfer bringen müßte. So lange
das Verhältniß zwiſchen Mann und Weib noch nicht
anders geordnet iſt als wie jetzt in das traurige Ein¬
[14] mal Eins der Ehe, ſo lange erfordert die Verpflichtung ge¬
gen die neben mir Stehenden meine Aufmerkſamkeit, Scho¬
nung, Vorſicht, ja Entſagung; Hyppolit kennt aber nur
Verpflichtungen gegen ſich, darum iſt er eigentlich für kei¬
nen civiliſirten Staat zu brauchen. Die perſönliche Frei¬
heit iſt bei meiner Theorie durchaus nicht gefährdet, aber
die Freiheit ſieht, nur die Schrankenloſigkeit iſt blind.
Das Weib, was gleich mir die Ehe nur für eine Krücke
der tauſend Schwachen, nur für ein leider noch immer
nothwendiges Hülfsmittel der Geſellſchaft anſieht, das
Weib, was ſich ſtark genug fühlt, die äußeren Nach¬
theile der Geſellſchaft zu ertragen, ſobald dieſe den Be¬
trug gegen ſich entdeckt — dies Weib ergiebt ſich mir
mit Freiheit, und ſie freut ſich oder leidet wie ein ſelbſt¬
ſtändig freies Weſen, jenachdem unſere Verbindung
Freude oder Leid bringt; dies Weib ſuch' ich zu gewin¬
nen, ſobald ſie mein Intereſſe für ſich erregt. Aber
den Galeerenſclaven von Freiheit und Genuß zu reden,
iſt grauſam: ein Weib, was in den gewöhnlichen Ban¬
den der Geſellſchaft Nothwendigkeit ſieht, Befriedigung,
Genüge findet, in Oppoſition gegen ſie alſo zu Grunde
gehen müßte, ein ſolches Weib an ſich reißen und doch
ihre Anſichten vom bürgerlichen Leben nicht annehmen
[15] wollen — das iſt Laſter. Und in ſolchem Falle iſt
Hyppolit. Die Welt um ihn lebt im rechtlichen Frie¬
denszuſtande, er aber zieht umher wie ein außerrechtlich
erobernder Krieger, das iſt eine unverſchämte Bevorzu¬
gung des Individuums gleich dem Abſolutismus, die ich
verabſcheue, und doch kann ich mich nicht zu dem phili¬
ſterhaften Handwerk entſchließen, Alberta, ſeine ſichre
Beute, vor dem Unglück, was ihrer harrt, zu warnen.
Weiß ich denn auch, ob das Mädchen nicht glücklich iſt,
wenn ſie nur eine heiße Stunde unter den Strahlen ihrer
Liebesſonne ruht? Wie iſt ſie glücklich, wenn ſie ihn nur
ſieht, träumeriſch geht ſie mit uns umher, lächelt ſchmerz¬
lich, ſpricht wenig, und iſt innig, weich wie ein Blu¬
menblatt. Mit allen Waffengattungen iſt die Liebe in
ihr ſanftes Herz gezogen, und hat Alles zum Kriegs¬
ſtande ausgerüſtet: wenn der Feind der Liebeshinderniſſe
in unſern Geſprächen zum Vorſchein kommt, da hebt ſie
das ſchöne Köpfchen plötzlich muthig, und ihr Türken¬
bund, den ſie um den Kopf trägt, wirft ſich in den
Nacken und ſie fordert kühn alle Welt heraus. Alle Scheu
iſt von ihr gewichen in ſolchen Momenten. In einem
ähnlichen Geſpräche redete ich ihr in dieſen Tagen —
wir promenirten in einem entfernten Theile des Gartens
[16] — aus vollem Herzen und mit inniger Ueberzeugung
von der Freiheit jeder Art. Sie horchte mir mit ge¬
ſenktem Haupe zu, plötzlich blieb ſie ſtehen, ſah mich
mit den rührenden Blicken eines Engels, dem das Ge¬
fühl die Bruſt ſprengen will, lange und innig an, faßte
auf einmal mein Geſicht in ihre beiden Hände, legte
das Köpfchen auf meine Bruſt und ſprach: „Sie ſind
ein guter Mann“ — dann flog ſie ſchüchtern wie ein
Reh von dannen. Wenn Hyppolit mit ihr ſprach, ſo
ſchauerte ſie in Liebesluſt; ich hab immer gefürchtet,
ſie werde ihm einmal öffentlich um den Hals fallen.
Graf Fips läßt immer neue Kravatten und Fracks aus
der Stadt kommen, ich glaube aber, er fängt allmäh¬
lig an zu verzweifeln, wenigſtens ſpricht er ſchon ſehr
lange von der Abreiſe. Er iſt in einer ſehr üblen Stel¬
lung, und ich bewundre aufrichtig die Schaafsgeduld die¬
ſes Menſchen, dies Treiben mehrere Wochen mit anzu¬
ſehen. Uns bürgerliches Pack verachtet er natürlich im
Grunde ſeines Herzens und in Verzweiflung richtet er
hie und da das Geſpräch an den legitimen William,
das iſt der einzige Knopf ſeines Rocks, auf den er ſich
verlaſſen kann. Der Graf ſucht das Geſpräch immer
allgemein zu machen, und das liebt Graf Fips nicht;
[17] die Unterhaltungen, welche er mit den Damen anknüpft,
ſchnappen auch ſtets in großer Geſchwindigkeit ab; bei
Hyppolit muß er befürchten, gar keine Antwort zu be¬
kommen. Leopold, den er manchmal gern zum Beſten
haben möchte, verwickelt ihn in poetiſche Geſpräche, aus
denen er keinen Ausweg findet; mich hat er nie recht
leiden mögen, nach einem neulichen Geſpräch über Adel,
feine Manieren ꝛc., was ich Dir ſpäter mittheilen werde,
haßt er mich unzweifelhaft entſchieden; er läuft wie ein
verlorner Gedanke aus vergangner Zeit unter lauter
fremden Büchern herum, rückt ſeine Brille, zupft den
braunen Frack in die Taille, iſt ein Laffe — das ſind
ſeine Vergnügen. Seit wir ein demokratiſches Treiben
bei Tiſch vorgeſchlagen haben, iſt er ganz ſprachlos.
Man aß früher an langer Tafel, und in den Sitzen
herrſchte eine Art Rangordnung. Wir ſtellten dem Gra¬
fen vor, daß alles Schöne und Große rund ſei, alle
Ecken würden heutiges Tages abgeſchliffen — den Tag
drauf ſpeiſ'ten wir an einem runden Tiſche und ſetzten
uns, wie's eben kommt. Der Graf hat ſich nur aus¬
bedungen, daß ich immer neben ihm ſitze, und da wir
immer zuſammenſchwatzen, ſo ſitzt Camilla faſt immer
zu meiner andern Seite, ſie müßte denn böſe auf mich
[18] ſein. Sie iſt ein ſehr liebenswürdiges Weſen, hat viel
Verſtand, faßt ſehr ſchnell und iſt munter über und
über. Du weißt, wie ich das liebe. Sie ſtellt ſich zwar,
als ſchnelle ſie die Gefühle mit dem Finger fort, ich
glaube aber aus einzelnen Gewitterſchlägen ihres Weſens
ſchließen zu können, daß ſie der tiefſten Leidenſchaft fä¬
hig iſt, da ſie zu den verſchloſſnen Gemüthern gehört —
verſtehe mich recht: zu denen, welche alle Thüren des
Weſens offen halten, die innerſte Herzensthür aber nur
allein unter Thränen der ſchönſten Freude oder des tief¬
ſten Leids öffnen, ſonſt aber ſo verſtellen, daß man gar
keine Thür ahnen, und Alles an ihnen zu wiſſen glau¬
ben möchte. Da ſie ein ſolch verſtocktes Gemüth iſt,
ſo wird ſie einſt unendlich reicher als tauſend Andre be¬
glücken können, aber auch unendlich glücklicher oder un¬
glücklicher ſein. Alle innerſten Herzenskräfte harren näm¬
lich noch ungeſchwächt ihrer Befreiung. Sie iſt hoch
und ſehr ſchön gewachſen und hat ein äußerſt liebreiches
Geſicht, lächelnde ſchalkhafte Augen, eine zierliche Stumpf¬
naſe, einen kleinen üppigen Mund, der viel ſchwatzt
und lacht und blendend weiße Zähne zeigt. Ihr volles
lichtbraunes Haar flattert in zurückgeſtrichenen Locken in
einen vollen, feiſten, ſchneeweißen Nacken, der wie zum
[19] Köpfen gemacht iſt. Ich nenne ſie darum oft Ludwigs
Frau, und erkläre ihren öftern Eigenſinn und ihre Hart¬
näckigkeit daher. Das thu' ich oft, weil ſie mich dabei
immer auf den Mund ſchlägt. Wie ein bunter Vogel
geht ſie gekleidet; ich habe ſie mehrmals darüber ver¬
höhnt und bin deshalb von ihr ausgelacht worden, weil
ich ſo wenig Farbenſchönheit und Farbenverhältniſſe be¬
griffe. Und ſie hat den Sieg davon getragen, hat ſich
mehrmals einfarbig gekleidet, und ich habe zugeſtehen
müſſen, daß es nicht zu ihrem bunten Weſen paſſe.


Noch an jenem Abende, wo Alberta ſo erregt war,
daß ſie mich faſt mit ihrem Geliebten verwechſelte, fand
ſie ſich mit Hyppolit zurecht. Ich ſah zufällig der Scene
zu, es war wirklich ein artiges Bild. Neben dem gro¬
ßen Saale, wo wir oft ſind, iſt nur durch eine Glas¬
thür getrennt und mehrere Stufen tiefer das Gewächs¬
haus, wo ein Theil der Orangerie ſteht, der nicht Raum
genug vor dem Schloſſe haben oder vielleicht die teut¬
ſche Luft gar nicht vertragen mag. Ich ſuchte Camilla,
die ſich nirgends ſehen ließ — der Saal war leer; ich
gehe bis an die Glasthür und ſehe in der Tiefe der
ſüdlichen Bäume Alberta ſinnend und träumend die
Hände in den Schooß gelegt unter einem Feigenbaume
[20] ſitzen. Sie ſah wie Precioſa aus, die mit gebrochnem
Herzen nachſinnt, ob ihr wohl Alonſo aus Madrid nach¬
folgen werde. Da öffnet ſich die Thür an der andern
Seite der Orangerie und einen Fandango ſingend kommt
Hyppolit herangeſtürmt. Wie im Traum ſpringt das
Mädchen auf und hebt die Arme. — Hyppolit, den
nichts überraſcht, faßt ihre Hände, ſie ſinkt ihm an die
Bruſt und umſchlingt ihn; er hebt mit beiden Händen
ihren Kopf in die Höhe und küßt ſie. Die fremden
Bäume und ich hinter der Glasthür, wir ſahen ſtill zu;
mal' es aus das Bild.

Der Graf holte mich geſtern vom Schreiben zum
Spazirengehen ab. Ich bin ſehr verdrießlich, Freund,
über all die Dinge, die ſich hier zuſammenfädeln; es
iſt lächerlich, daß ich ſie Dir erzähle, der Du auf dem
Markte der Welt Dich herumbewegſt. Aber ich denke,
dieſer Mikrokosmus ſoll Dich doch unterhalten, ich fürchte
er wird nur zu bald ſehr intereſſant. Der Graf war
ſo unſicher, er fühlte ſo hin und her nach Dieſem und
Jenem an mir und Hyppolit, daß ich nicht weiß, wie
ich Dir's beſchreiben ſoll. Mir ward ganz heiß dabei,
— es wurde alles ſo heirathlich, ſo bürgerlich ernſthaft,
[21] daß mir bald kein Zweifel blieb, der Graf wolle unſerm
Weibertreiben ans Leben gehn. Ich konnte nicht klar
heraustreten mit meinen Antworten, weil er es mit ſei¬
nen Fragen nicht that, und ich ſolchergeſtalt leicht eine
Betiſe begehen konnte; indeß ließ ich ihn doch nicht un¬
deutlich merken, wie dieſe ganze Wendung der Fahrt
nicht in meinen Kram paſſe, mir ſogar ſehr unangenehm
ſei. Die Welt iſt doch wahrhaftig eine ſo große Hei¬
rathskanzlei, daß man nur in ein Haus treten darf,
worin ein weibliches Weſen wohnt, um beim Heraus¬
gehn Heirathsfragezeichen auf dem Rücken zu haben.
Wird nicht alle Geſelligkeit dadurch zu Grunde gerichtet!
Sieh unſer Schloß an, wie iſt alles durch dieſe ver¬
zweifelte Einzäunung zerriſſen, zertheilt! Graf Fips
reiſ't ſchon ſeit 14 Tagen ab, und ärgert ſich alle Tage
dreimal, daß er noch da iſt und beſchließt 10 Mal, mor¬
gen werde er reiſen und immer nur ein Mal, daß er
noch einen Tag warten wolle. Wenn die Sonne auf¬
geht, da iſt die Erde unſchuldig und der unglückliche
Liebhaber hofft das Beſte — dieſer Fips iſt ein Maul¬
affe, aber er fühlt ſeinen traurigen Schmerz, einen Korb
am Frackſchoß zu tragen, ſo gut wie Einer. Was ihm
an Gefühl zur Empfängniß dieſes Schmerzes fehlt, das
[22] erſetzt die Eitelkeit; ich glaube, er wartet blos, weil er
ſich fürchtet, leer in der Stadt anzukommen. Leopold's
leichter Sinn iſt ſogar gebrochen, er hinkt wie ein lah¬
mes Füllen hinaus in's Feld; man iſt ihm zu ernſt¬
haft geworden, ſein Scherz erſchrickt vor den verkauf¬
ten oder verſchenkten Augen, die keinen Blick für ihn
haben. Für ihn iſt mir zwar am wenigſten bange;
er iſt mir der Flußreiher in der Fabel, er naſcht am
Beſten herum, bis ihn der Liebeshunger drängt, mit ei¬
nem Gründling vorlieb zu nehmen. Ich höre, er hat
ſich beim Paſtor und Förſter bekannt gemacht, und er
tändelt wahrſcheinlich bereits von der Waldmaid zum
Gotteslämmchen. Aber William iſt mir ein Gräuel,
ſeine eigne philiſterhafte Abſonderungswuth rächt ſich
fürchterlich an ihm: weil er Alles, die ganze reiche ſchön
Welt zu Zwei und Zwei abſchachteln möchte wie in
eine traurige dumpfe Arche Noäh, ſo iſt er nun ſelbſt
ein verlaßnes, troſtloſes Weſen. Seit ſich Alberta ſo
entſchieden mit allen Kräften zu Hyppolit wendete, iſt
dieſer William ein wahrer Cromwell, der Alles maltrai¬
tiren möchte. Er iſt ingrimmig, grob, ungezogen, ja
boshaft wie ein verwöhnter Knabe. Er ärgert Alles. Das
iſt nun jene chriſtliche Liebe, welche der Mann auf der
[23] Lippe trug. Weil er keine Freiheit kannte im Glauben
und Gefühl, ſo weiß er nun auch keine zu geſtatten.
Er iſt auch in der Eiferſucht Fanatiker und Schwärmer;
er iſt ſehr unangenehm. Es iſt kein Schmerz in ihm, ſon¬
dern Grimm. Ich ſelbſt bin aus meiner Ruhe aufge¬
ſtört, weil ich die fröhliche Camilla täglich mit verwein¬
ten Augen ſehe, weil ich kein heitres Wort mehr von ihren
Lippen höre, weil mich das gute Mädchen innig dauert,
und ich durchaus nicht weiß was ihr fehlt. Sollte
das unglückliche Mädchen etwa auch den Mörder Hyp¬
polit lieben?! Nun ſieh, was ſind das für Dinge,
was iſt das für unnütze Verwirrniß, die das Leben un¬
klar, unerquicklich macht. Ach, ich bin ärgerlich! Als
gäb' es auf der Welt keine andern Beziehungen mehr
als zwiſchen Mann und Weib! Ich bin der traurigen
Camilla ſelbſt ſo gut geworden, daß ich in mir ſelbſt
Verwirrung fürchte. Und nun führt das Geſchick die
Gräfin Julia hieher, und das Haus wird ein Tollhaus.
Ich will die Sache erſt noch etwas reifen laſſen, eh' ich
Dir breiter davon ſpreche. Wir geben uns alle mögliche
Mühe, wichtige, ſpannende, ja verletzende Geſpräche über
allgemeine Gegenſtände auf's Tapet zu bringen, ſobald
wir bei Tiſch oder beim Thee alle verſammelt ſind, da
[24] mit die große Spannung und Zerriſſenheit der Geſell¬
ſchaft zugedeckt werde. Höre eines derſelben.


William behauptet in ſeinem Grimm, daß die
häusliche Einrichtung in den höheren Bürgerhäuſern be¬
quemer ſei, als in den meiſten ſogenannten vornehmen,
adlichen Häuſern; der Adel wohne oft ſchöner, aber ſelten
ſo gut als der wohlhabende Bürgerliche. Fips nahm
die plump angefangene Sache eben ſo plump auf, und
reizte mich, ſie fortzuführen. Ich ſagte, der Vornehme
kenne die häuslichen, kleineren, faſt trivial ausſehenden
Bequemlichkeiten im Leben ſelten — er wohne vielleicht
in der brillanteſten Stube, aber es ſei in der ganzen
Stube kein wollüſtiger Winkel, wo er ſich im Körper
oder Faulheitsdrange ganz ausſtrecken könne, es ſeien
ſo viel Herrlichkeiten aufgehäuft, daß er etwas zu zer¬
ſchlagen fürchte, es fehle das Lauſchige, Behagliche der
Wohnung, eine Hauptblüthe der Kultur, die Horaziſche
Vermiſchung des Nützlichen mit dem Angenehmen, des
Angenehmen mit dem Schönen, die Hauptſumme all
dieſer Dinge: das Bequeme gehe den ſogenannten Vor¬
nehmen meiſt ab. Sie leben ewig im Frack — war
ich keck genug zuzuſetzen — ſie gehen auch zu Hauſe
in kurzen ſeidnen Strümpfen umher, mit denen man
[25] keinen Sprung wagen darf, ohne fürchten zu müſſen,
daß ſie platzen. Und das kommt daher, weil Alles
an ihnen auf die Oberfläche, auf die Erſcheinung
berechnet iſt; ſie ſchätzen Alles nach dem, wie es in
die Augen fällt, wie es ſcheint, niemals nach dem
wie es iſt; daher ihr oberflächliches Wiſſen, daher die
hiſtoriſche Erſcheinung, daß faſt alle geſellſchaftlichen
und ſonſtigen Entdeckungen von der nicht vornehmen
Klaſſe ausgegangen ſind. Daher ihr Wohnen, ihre
Kleider, Formen, die ſogenannten ſeinen Manieren —
es iſt Alles heller Sonnenſchein auf einer Schneeflur;
es ſieht Alles glatt, weiß, glänzend, ja ſchimmernd aus,
und iſt doch unerquicklich, kalt und unbequem. Es
fehlt in dieſem Ganzen das Innerliche, das Herz. Sie
bringen’s, wenn es hoch kommt, bis zum Geiſt, nim¬
mer bis zur Seele; das liegt am ganzen Zuſchnitt:
ſie wollen von Jugend auf glänzen, nicht aber wärmen.
Hyppolit ſetzte hinzu, daß die eigentlich vornehmen Leute
nur die Staffage der Welt ſeien, und daß darum die
Ausnahmen unter ihnen, welche tiefer gehen und fühlen
und ausfühlen wollen, meiſt unglücklich würden. Al¬
berta ſchrack zuſammen, und ſah den Sprecher, mit einem
Blick ſchneidenden Schmerzes an. Fips machte ein
II. 2[26] verächtliches Geſicht und ſagte gar nichts. Der Graf
aber ſchien ebenfalls verletzt zu ſein und meinte, das
ganze Raiſonnement ſei ſehr einſeitig, und das Ganze
ſei von einem Winkel aus angeſehen. Es wäre viel¬
leicht etwas daran richtig, wenn man die hiſtoriſche
Stellung das Adels, dem der Angriff doch unzweifel¬
haft gelte, auf eben dieſe Weiſe darthun könne. Der
Adel, nahm Hyppolit das Wort, hatte eine in der
ganzen Conſtruktion der Geſellſchaft begründete Stellung,
er war ein integrirender, lebendiger Theil des Staats¬
lebens, mit einem Worte, er war Leben, als es nur
Herren und Sklaven gab. Die herrſchende Klaſſe, die
aus den Anführern oder den Kriegern oder den Ero¬
berern beſtand — denn nur das Schwert war das Kri¬
terium — wurde der Adel, ſie geſtatteten Einem, Fürſt
zu ſein, und hielten ihn nur ſoweit in Zaum, daß er
ihrer Theilnahme am Herrenrechte nicht zu nahe trete.
Allmählig machten ſich aber die Sklaven durch ihre
heranwachſende Maſſe, durch Erfindungen, durch Gelehr¬
ſamkeit geltend, das Schwert reichte nicht mehr ganz
aus; da ſprach der Adel die Vergangenheit um Hülfe
an, er erfand die Stammbäume, die Ahnen; an die
Stelle des Schwertrechts trat das hiſtoriſche. Der
[27] Verzug des größeren Beſitzes machte es ihm noch lange
Zeit möglich, eine höhere Klaſſe zu repräſentiren. Der
ſpeculative Geiſt des Bürgers riß nach und nach einen
großen Theil dieſes Beſitzes an ſich, die Gelehrſamkeit
wurde immer flüſſiger, man fing an, die Beſtandtheile
der Geſellſchaft zu prüfen, der Adel war genöthigt zu
glänzen, weil ſein Kern verdorrt war. Alle höheren
Thätigkeiten des Menſchen drängten ſich allmählig in
einen Früchteknoten zuſammen, es entſtand die Bildung
und ſie ſtürzte den Adel, weil ſie das Kriterium des
Schwertes und der Ahnen vernichtete. Die Allgemein¬
heit ward vernünftig und es wurde ein lächerlicher Be¬
griff, auf eine höhere Stellung in der Geſellſchaft An¬
ſprüche zu machen, weil es die Vorfahren gethan.


Aber mein Gott, begann Graf Fips, es muß
doch ein Unterſchied exiſtiren. Er erhielt lange keine
Antwort, weil Jeder lachte. Das Geſpräch ſchien ab¬
gebrochen und der kleine Leopold knüpfte es ſpaßhaft
mit einer Antwort für Fips wieder an. Allerdings,
ſagte er, ein Unterſchied zwiſchen Klugen und Dummen,
und der exiſtirt noch. Der Graf Topf ſchwieg. Wil¬
liam aber erhob ſeine Stentorſtimme und vertheidigte
das Mittel der Erinnerungen, was Tauſende aufreize,
2*[28] beſſer zu ſein, als ſie ohne ſelbiges ſein würden. Er
ſei nicht eben für den Adel, aber wenn man ſolches
Verhöhnen alles Herkommens und hiſtoriſchen Rechtes
zugäbe, ſo bräche das jakobiniſche Vernunftrecht unheil¬
voll über alles herein und nichts ſtünde mehr ſicher.
Ich erwiderte ihm, daß nichts beſtehen ſolle, was nicht
vernünftig ſei, daß darüber kein Zweifel mehr obwalte,
und man nur über die Art und den Weg, alten Schutt
wegzuräumen uneins wäre. Die gemäßigten Reformer
wollten kein Privatrecht verletzen, um allgemeines Recht
zu erzeugen. Der Adel ſelbſt aber ſei nicht einmal
ein Privatrecht, ſondern nur ein uſurpirter Titel einer
alten Gewalt, die Gewalt ſei aber geſtürzt und ein
König ohne Land ſei ein Narr, wenn er ſich noch
König nennen und von Hofceremonien umräuchern laſſe.
Der Adel ſei für wahnſinnig zu erklären — fuhr Hyp¬
polit fort — wenn er noch in Generalsuniform ein¬
hergehen wolle, während er längſt mit der großen Men¬
ge in Reih' und Glied marſchiren müßte. „Wollen
Sie nicht „ſchwach“ ſagen?“ ſchaltete Graf Topf ein.


Du ſiehſt, wie gereizt das Geſpräch wurde. Ich
verſuchte einzulenken, und mich auf den Anfangspunkt
der Unterhaltung, den Mangel des bequemen warmen
[29] Lebens beziehend, ſetzte ich hinzu: Es iſt aber auf der
andern Seite etwas, was der Adel aus ſeiner Herrſcher¬
zeit behalten hat, und was wir ihm immer noch nicht
haben gleich thun können, das iſt die leichte Art zu
leben. Er lebt geflügelter, freier, weil er ſich hoch ge¬
ſtellt glaubt, ſeine Geſchäfte ſind ihm Nebenſache, der
Genuß des Lebens aber Hauptſache. Er weiß mehr
zu genießen, weil er mehr ſucht. Die Mühen der Jahr¬
hunderte, durch welche wir bis hieher gekommen ſind,
laſten noch lähmend auf unſern Schwingen. Der Adel
hat keine Mühen gekannt, drum iſt ſein Weſen leichter,
drum verfällt er nicht in den Irrthum, das Geſchäft
für den Zweck anzuſehen, wie es z. B. unſer Kauf¬
mann thut. Unſer höherer Bürgerſtand lebt bequemer,
weil er von Jugend her immer noch eine Flügelthür
ſeines Herzens offen ſtehen hat und innerlich zu voll
iſt, um blos auf das Aeußere zu ſehen; er erbt kein
Anſehn, muß alſo ſein Reiſegeld verdienen — aber der
Adel lebt leichter, weil er von Jugend auf ſorglos iſt.
Er kennt unſre Hypochondrie, die Krankheit der Mühe,
nicht. Indeß, der Sieg iſt ſchon lang erkämpft, und die
Noth des Kampfes wird bald vergeſſen ſein, dann er¬
werben wir auch dieſen Vorzug, dann wird der Adel
[30] nicht nur getadelt, er wird verlacht werden, wie jeder
banquerotte Kaufmann, der noch nach Goldſtücken rechnet.


Aber der Menſchen Sinn trachtet nach Bevorzu¬
gung — hub Graf Topf an — nur das moraliſche
Streben bändigt ihn; unter den Siegern über die
hiſtoriſche Klaſſe bildet ſich wieder eine Ariſtokratie, die
Phaſen der Geſchichte ſind nur ein Wechſel der herr¬
ſchenden Klaſſen, aber kein Aufhören derſelben; der
neue Feind iſt die Geldariſtokratie und wahrlich, meine
Herren, ſie iſt noch platter und proſaiſcher, ſie hat nicht
einen Funken von Poeſie, und grade das Extrem des
Adels, das troſtloſe Geſchäft, ſchwingt ſich im Gewande
der Induſtrie auf den Thron, mir ſchaudert vor dieſer
neuen, blos rechnenden Herrſchaft, wo die Herzen nichts
mehr gelten.


Ich gab ihm Recht und geſtand zu, daß wir
ſehr auf der Hut ſein müßten, uns den Sieg nicht ſteh¬
len zu laſſen, den Sieg der Bildung. Immer aber,
fuhr ich fort, iſt das doch ein großer Schritt weiter,
wenn der Erbariſtokratismus geſtürzt iſt, und wir viel¬
leicht leider beim Geldariſtokratismus angekommen ſind,
ſo ekelhaft dieſer auch ſein mag. Die nächſte Morgen¬
röthe kann mir das Geld, einige Jahre können mir

[31] die Gelehrſamkeit, das Wiſſen bringen — keine Ewig¬
keit, kein Gott kann mir eine Vergangenheit, lächerliche
Ahnen geben, wie ſie der Adel verlangt. Und darin
liegt das Fundament zukünftiger Zeit, die vielleicht jetzt
in Frankreich beginnt. Alle Wege müſſen offen ſein zu
Allem — nicht unbedingte Gleichheit, aber unbedingt
gleiche Befugniß zu Allem, das iſt die Looſung des
neuen Jahrhunderts.


Erbt nicht der Sohn des Millionärs auch die
Million? warf abgehend von meinem Schlußſatze der
Graf ein. Hyppolit antwortete für mich: Er kann ſie
morgen ganz oder zum Theil verlieren, und ſein Nach¬
bar kann ſie gewonnen haben. Sie können Ihre Ah¬
nen nicht verlieren, kein Nachbar kann ſie gewinnen,
darin ruht der Widerſpruch mit der neuen Theorie: Al¬
les muß für Alle erreichbar ſein.


Graf Fips meinte, ich hätte der feinen Manieren
mit erwähnt, die würden nach dieſen barbariſchen An¬
ſichten ganz zu Grunde gehn. Ich erwiderte ihm, daß
ich die feinen Manieren allerdings für ein Produkt der
Civiliſation anſähe, daß ich aber keinesweges an ihren
Untergang ohne den Adel glaubte. Manches von dem,
fuhr ich fort, was Sie, Herr Graf v. Fips, ſo nennen,
[32] dürfte allerdings verloren gehn; Manches von dem,
was der Adel darunter verſteht, der aber nur eine
Frucht mit ſchöner Schaale will, die ihren Zweck durch
ihr Ausſehen erreicht habe, nimmer aber geöffnet zu
werden brauche — die eigentlichen feinen Manieren
ſind ein Ergebniß der höchſten Kultur, und die meiſten
feinen Leute kennen ſie nicht, weil ſie eben nicht culti¬
virt genug ſind. Es handelt ſich dabei natürlich nicht
um ein Kompliment oder dieſe und jene Floskel, das
iſt nichts als Tournüre, die durch einige Uebung wie
das Tanzen von Jedem erlernt werden kann, und er¬
lernt werden ſoll, denn ſie iſt die Bedingung des Er¬
ſcheinens, und das Erſcheinen ſoll ſchön ſein. Es han¬
delt ſich aber um das höchſte geiſtige Verſtändniß und
um die ſchönſte und gewandteſte und geeignetſte Erſchei¬
nung des Geiſtigen, es handelt ſich darum, wie die
wiſſenſchaftliche Bildung ſchön und ſauber gekleidet in
Geſellſchaft geht, und in paſſendem harmoniſchem Koſtüm
und Ton auftritt — das iſt die Blüthe der Kultur,
das iſt die feinſte Manier. Es iſt Sache des Kunſt¬
ſinns und einer durchaus nicht verwerflichen Aeſthetik,
der auch ich huldige, daß auch die äußere Erſcheinung
angenehm gerundet ꝛc. ſei; der Tölpel verletzt mein
[33] äſthetiſches Gefühl, der gewandte Weltmann erfriſcht es,
ſchon darum, weil jede Sicherheit im Zuſchauenden
oder Mitbetheiligten Sicherheit erzeugt. Aber Alles das
iſt ja nur Blatt und Blüthe der Kultur, die Frucht,
der Kern, bleibt ewig die Hauptſache, und des Tölpels
ſchönes gediegenes Wort wird mich immer erquicken,
des Weltmannes fades Geſchwätz wird mich anekeln, weil
der gebildete Menſch eben nicht wie die Ziege von
Blättern leben kann, ſondern Früchte braucht. Es ſtellt
ſich alſo dar, wie die Anbeter der feinen Manieren
oben auf dem Schaum des Fleiſchtopfes ſchwimmen,
den man abhebt und zur Erde wirft, nachdem er den
Koch einige Sekunden durch die Gewißheit erfreut hat,
das Fleiſch beginne gar zu werden. Sie künden Kul¬
tur an, ſind aber keine. Dies Scheinen und Sein,
Aeußere und Innere iſt der durchlaufende unterſchei¬
dende Typus des ſogenannten Vornehmen und Ge¬
bildeten. Es kommt dem ſogenannten feinen Menſchen
nicht im Geringſten darauf an, die geiſtigen Intereſſen
einer Geſellſchaft vor den Kopf zu ſtoßen, wenn er
das nur mit einem zierlichen Komplimente thut —
man ſpreche das Wichtigſte, erzähle, leſe das Inter¬
eſſanteſte: ein geſellſchaftliches Unding, was ſich eben
[34] ereignet, bricht es ab, ſtört, und kein Menſch mit fei¬
nen Manieren fragt, welcher Gedanke, welche Folgerung
unterbrochen worden ſei — darum weil dieſe Manieren
ihnen nur der Form, nicht der Gedanken halber da ſind;
der Gedanke erzeugt bei ihnen nicht die Form, ſondern
die Form den Gedanken. Darum iſt ihr Gipfel die
Förmlichkeit, und nur die Auserwählten werden das,
was die Römer formosi nannten, äußerlich ſchön, mehr
aber nicht. Jedermann aber weiß, daß Roms größte
Männer nicht die formosi geweſen ſind.


Das iſt z. B. gute feine Manier, um Ihnen
durch ein Beiſpiel anzudeuten, was ich darunter ver¬
ſtehe: dem Andern durch alle Schlangenwindungen des
Gedankenproceſſes zu folgen, wo er ſtrauchelt ihm die
Hand zu reichen, wo er eilt und fliegt, nachzueilen,
nachzufliegen und wenn's wirklich geflogen iſt und man
artig ſein will, dies bemerken — alle geiſtigen oder
ſonſtigen Intereſſen des Anderen zu den eignen machen
und mit Theilnahme verfolgen, der geiſtigen oder mo¬
raliſchen Atmosphäre, die um ihn iſt, ungetheilte Auf¬
merkſamkeit ſchenken — da kann manches Aeußere, eine
herab gefallene Nadel, ein Zwirnknäul ꝛc. überſehen wer¬
den: wenn man dem Beſten des Menſchen ſich anſchmiegt,
[35] ſo hat man die beſten Manieren, alles Andere iſt an¬
genehme Zugabe. Wird es aber zur Hauptſache ge¬
macht — ſetzte Hyppolit — Leerheit, Abgeſchmackt¬
heit, Unkultur, und die feinen Perſonen, die ſich im¬
mer und nur darin wohlbefinden können, dürfen nicht
zu unſern gebildeten Ständen gezählt werden, weil ſie
von Bildung nichts wiſſen und an hohlen Spielereien,
an Firlefanz und Puppenkram genug haben. Und mei¬
nen Sie denn, daß jene feinen Manieren ein Prä¬
rogativ des Adels ſeien? Nicht einmal die letztern ſind
es, und wir haben ſolcher bürgerlichen Affen genug.
Es iſt eine lächerliche Schwäche von uns, daß wir den
arroganten Titel „Adel“ noch immer geſtatten, daß
wir ihn ſelbſt in unſerer Polemik noch immer gebrauchen;
man nenne es „Junkerei“ oder ähnlich.


Man war ſtill, wir hatten zu heftig geſprochen; ich
fürchte, unſere hieſige Geſellſchaft iſt der Auflöſung nahe.


Ich ſehe durch meine Glasthür Camilla einſam
wandeln — leb' wohl für heute, ich will ernſtlich zu
erfahren verſuchen, welcher Kummer das liebe Mädchen
drückt, ich habe ſie ſehr gern. Leb' wohl!


[36]

19.
Camilla an Ludovico.

Ich habe Unrecht gegen Sie, Ihre gegen mich ge¬
richteten Vorwürfe ſind gerecht. Aber ehrlich und offen
will ich gegen Sie bleiben; Sie haben mir Ihre Liebe
und Hand angetragen, Sie haben mich damals über¬
raſcht, ich war ein unerfahren Ding; ich wußte nicht,
was ich verſprach. Warum mußten Sie aber auch ſo
lang' von mir bleiben; warum kamen Sie nicht, wie
Sie verſprachen, dies Frühjahr! Wie viel Schmerz
wäre mir erſpart worden. Ich habe die Treue gegen
Sie gebrochen. Ihr Verlobungsring liegt im Kaſten.
Fürchten Sie nicht die Nachricht eines Exceſſes, es gilt
nur die Treue meines Herzens. Valerius, ein Poet,
kam zu uns, er warb um Niemand, lebte ruhig, harm¬
los, dem Anſchein nach ohne Wunſch, ohne Verlangen
nach irgend etwas an unſrer Seite und gewann ſich
ſomit das, was er nicht ſuchte, unſre Theilnahme.
Ich hatte ihn gern, und nur zuweilen dämmerte die Ver¬
muthung in mir auf, daß er Ihnen gefährlich werden
[37] könnte. — Erlauben Sie mir dies Wort; Ihr letzter
Brief berechtigt mich noch dazu. Aber ich ſchüttelte
lächelnd den Gedanken von den leichten Schwingen mei¬
nes Weſens; ich hoffte nichts als einen lieben, zuver¬
läßigen Freund in ihm zu gewinnen. Sein unwandel¬
barer Gleichmuth beſtärkte mich darin. Wie ein Blitz¬
ſtrahl traf mich das Wetter. Vor einiger Zeit ſuch' ich
ihn und Alberta, die im Garten promenirten. Ich biege
um eine hohe Cypreſſenreihe und ſehe in der Tiefe des
Gartens zwiſchen Bäumen eine Gruppe, die mich erſtarren
machte, und mir eine traurige Gewißheit über mein In¬
neres brachte. Alberta ruht an der Bruſt des Valerius.
Heiße Thränen ſtürzten aus meinen Augen, ich fühlte,
daß ich Ihnen untreu geworden, daß ich jenen unglück¬
ſeligen Mann liebte. Keine Macht der Erde würde dies
Geſtändniß über meine Lippen gebracht haben; Ihnen
bin ich's ſchuldig. Vergeben Sie mir, vergeſſen Sie
mich. Denken Sie mit Theilnahme an unſer grünes
Schloß, wo außer meinem Leid ein breites Feld von
Trauer ſprießt.


„Ein Jüngling liebt ein Mädchen,

Das hat einen Andern erwählt;

Der Andre liebt eine Andre,

Und hat ſich mit dieſer vermählt.“
[38]

Der Stifter meines Unheils wird ſelbſt unglücklich:
Alberta liebt ſeinen Freund Hyppolit, ach und ich fürchte,
dieſer liebt die ſchöne Gärfin Julia, die vor Kurzem
hier angekommen iſt. Das Unglück hat ſich hier einge¬
niſtet. Grüßen Sie innigſt Ihre Schweſter, o daß ich
mein Leid in Ihren Buſen weinen könnte.


Die Bitte, mir nicht zu antworten, darf ich wohl
nicht erſt ausſprechen. Vergeben Sie mir!


Camilla.

[39]

20.
Hyppolit an Julia.

Wir ſind in einem Hauſe und ich muß das todte
geſchriebene Wort an Sie richten, dem warmen leben¬
digen geſtatten Sie keinen Zugang. Warum verſchließen
Sie ſich in Ihrem Zimmer, warum nehmen Sie mir
meinen Tag, das Licht ihrer Augen? Iſt es meine
Schuld, daß ich Sie ſpäter geſehen als die gute Al¬
berta? Ich habe ein heißes glühendes Herz, mein Fräu¬
lein, ich ſchwöre es Ihnen, ich will, ich werde Ihr
kaltes Gemüth erwärmen; nur Ihre Hand reichen Sie
mir, durch die Fingerſpitzen will ich mein Leben bis zu
Ihrem Herzen treiben. Nie habe ich einem Weibe meine
Liebe erklärt, Ihnen, Julia, ſage ich, daß ich vergehe
in Liebesſehnſucht nach Dir. Du biſt meine Sonne,
mein Mond, der ganze geſtirnte Himmel meiner Wün¬
ſche, meine Erde, meine Welt, meine ganze Hoffnung
auf Seligkeit. Antworten Sie mir, meine ganze Seele
fleht, antworten Sie mir gütig, öffnen Sie Ihre Zim¬
mer, ich muß Sie ſehen, ich verſchmachte in dieſer
Wüſte. Ihr Anblick iſt mir die erfriſchende Quelle; ich
[40] renne mir den Kopf ein in dieſer Nacht. Sie ſind
mein Licht, o leuchten Sie mit dem Meere des Lichts
in Ihren Augen. Ich zünde das Schloß an, um Sie
aus den Flammen zu tragen, Sie in Dampf und Gluth
zu küſſen. — Weib, was mich unterjocht, ich liebe
Dich
Julia, Du weißt nicht was das heißt. Antworte
mir, erſcheine! —


[41]

21.
Valerius an Constantin.

Warum ſchreibſt Du keine Zeile, Menſch? Lebſt
Du nicht mehr? Ich muß alle Stärke des Gemüths
zuſammennehmen, um in dieſem Drange der Dinge feſt
zu ſtehen. Sollte Dir ein Unglück begegnet ſein, laß
es uns bald wiſſen; ich will zu Dir kommen, Du haſt
ja für die Freiheit gefochten, für das einzige Unwan¬
delbare im Leben. Hier iſt viel Unheil. Camilla weicht
mir aus, ſteht mir nicht Rede. Das thut mir unend¬
lich weh. Alberta liegt krank, Hyppolit hat ihr das
Herz gebrochen, der Südländer iſt raſſelnd in ihm
aufgeſprungen, er raſ't in Liebe für die ſchöne Julia.
Dieſe flieht ihn wie ein Reh den Wolf, und hält ſich
mehrere Tage in ihren Zimmern verſchloſſen. Heut kam
ſie zu Tiſch; im Augenblick als wir uns ſetzten, fuhr
die Fürſtin Conſtantie vor. Nun iſt die Verwirrung
vollſtändig. Hyppolit ſchäumt wie ein Eber, ich habe
meine Noth, ihn in civiliſirten Schranken zu halten.
Wäre dieſer Menſch ohne Bildung, man ſähe die Tha¬
ten eines blutigen Barbaren. Der Graf iſt äußerſt nie¬
dergeſchlagen und ſprach heute wehmüthige rührende
Worte mit mir. „Ich bin alt geworden — ſagte er
[42] — und kann der Zeit nicht mehr voraus, ſie übereilt
und mordet mich und mein armes Kind.“

Eben erhalte ich eine Ausforderung von unbekannter
Hand. Es werden da ſo viel Nichtswürdigkeiten auf
mich gehäuft, daß ich ein entſetzlicher Verbrecher ſein
muß. Es iſt doch unangenehm, auch nur für einen ein¬
zigen Menſchen ein ſolcher Gegenſtand des Abſcheus zu
ſein. Ich ſinne hin und her, weil mir der Gedanke
aufſteigt, die Handſchrift ſchon irgendwo geſehn zu haben.
Ich kann's nicht ausſinnen. Alle Anſchuldigungen ſind
indeß ſo unklar, unbeſtimmt ausgedrückt, daß ich durch¬
aus nicht genau weiß, welcher Uebelthat ich angeklagt
werde. Weiber ſcheinen dabei betheiligt zu ſein; es iſt
alſo wohl ein eiferſüchtiger oder Ritterdienſt thuender
Mann. Und ſomit iſt die Sache vielleicht ein Mißver¬
ſtändniß, denn ich wüßte doch wahrlich nicht, wem ich
der Weiber halber etwas gethan haben ſollte. Der gute
Mann verlangt keine Antwort, ſondern wird ſich in Kur¬
zem ſelbſt melden. Soll ich offenherzig ſein? Die Sache
iſt mir unangenehm, ich habe es neuerdings immer ge¬
fürchtet, in eine Duellangelegenheit verwickelt zu werden,
weil ich den fatalen Kampf meiner geſunden Anſicht
[43] mit meiner ſchwächlichen Empfindſamkeit vorausſah. Das
Duell iſt mir verhaßt, und wenn ich an die ſogenann¬
ten Skandäler auf der Univerſität zurückdenke, ſo kom¬
men auch alle die Harlekinaden mit, aus deren bunten
Lappen das ganze Studentenleben beſtand, und jene
Paukereien erſcheinen mir wie ein ernſthaftes Spiel,
bei dem leicht ein Unglück geſchieht. Wenn man aber
die Harlekinsjacke ausgezogen hat, ſoll man auch das
Spielen laſſen. Ich würde es von Staatswegen Nie¬
mand verbieten, weil es eine Beſchränkung der per¬
ſönlichen Freiheit wäre, und weil es wirklich Verhältniſſe
giebt, von deren feinen Linien das bürgerliche Recht
keine Kenntniß haben kann, da es ſeiner Natur nach
al fresco gemalt ſein muß. Ich kann es Niemand
wehren, an den Vortheilen der Civiliſation keinen An¬
theil nehmen zu wollen, ſobald er einen Andern, der das
will, nicht ſtört. Wenn alſo ihrer zwei außer dem Ge¬
ſetze begriffen ſein und ihre Angelegenheit durch Degen
oder Kugel ſchlichten wollen, ſo ſoll man ſie gewähren
laſſen. Aber man betrachte jedes Duell mit alſo mi߬
trauiſchen Augen, als man es noch immer mit günſti¬
gen thut. Man geſtatte Jedem, es unbeſchadet ſeiner
äußern Ehre zurückzuweiſen; man blamire, verlache dieſe
[44] mittelalterliche Courage, das Vorrecht von Studenten
und Soldaten, die es in Ermangelung eines beſſeren
Kerns zum Mittelpunkte ihres Lebens gemacht haben,
bei denen man keiner andern Eigenſchaft bedarf, um für
vollkommen zu gelten. Die beſten Männer der Welt¬
geſchichte dürften leichtlich nichts taugen, wenn man die¬
ſen Duellmaaßſtab bei ihnen anlegen wollte, und doch
iſt es Mode geworden, ſelbigen Maaßſtab an uns Alle
anzulegen. Sind wir nicht wie die Kinder? Wenn
ſich einer vor Dummheiten nicht fürchtet, ſo iſt er ein
tüchtiger Mann, vor Klugheiten aber Furcht zu haben,
ein Dummkopf zu ſein, das thut der Ehre nichts.
Ich habe mich auf der Univerſität geſchlagen, weil —
nun ja, weil ich Student war; ich werde mich wahr¬
ſcheinlich jetzt wieder ſchlagen, weil ich ſchwach bin, oder
wenigſtens nicht den Muth habe, allein ſtark zu ſein.
Aber ich will mich beſſern, ich will mich an das Schreck¬
bild gewöhnen, für feig zu gelten; es gehört ja doch wahr¬
lich mehr Muth dazu, ihm ins Angeſicht zu ſehn als
einer ſchmalen Kugelmündung. Wenn meine Beſſerung
nicht ſo ſchnell von Statten geht, daß ich ſchon meinen
jetzigen Ausfoderer heimſchicke, ſo ſoll er doch der letzte
ſein, mit dem ich dieſe Narrheit treibe. Laß mich Dir's
[45] geſtehen, daß meine Schwäche durch meine Umgebung
geſteigert wird: der Adel ſieht ſeinen Duellmuth für eine
Prärogative an, womit er ſeine andern Prärogativen
verdiene; wenn ich ihm den Unſinn des Duells noch
ſo klar beweiſe, ſo zuckt er doch die Achſel und ſchwappt
ſich auf den Bauch und ſpricht: „Man ſieht's doch
gleich“ ꝛc. — Unter den Indianern mußt Du erſt an
den Götzen, welchen ſie verehren, geglaubt haben, eh'
Du ihnen beweiſen kannſt, daß der Götze ein Götze ſei.
Ich will noch einmal mich gläubig ſtellen, und dann
auf offnem Markte das Götzenbild zertrümmern. Es iſt
ja doch gar zu lächerlich, jedem Laffen preisgegeben zu
ſein, ſei's auch nur den Zeitpunkt betreffend, in welchem
ich ihm zu Dienſt ſein muß. Man beſchäftigt ſich mit
den höchſten Intereſſen der Menſchheit und iſt den al¬
ten Reſten der Blutrache, dem fauſtrechtlichen Larifari
unterworfen; man predigt auf der Kanzel und ſündigt
hinter der Kirche. Der Krieg im Allgemeinen bleibt
immer noch ein Akt der Barbarei, welcher wegen der
Verſchiedenartigkeit der Stufen, auf denen die Völker
ſtehen, noch immer nicht abgeſchafft werden kann; aber
den Krieg im Kleinen ſollten wir doch wahrlich däm¬
pfen können. Es iſt eine eben ſo große Dummheit,
[46] als wenn man den Kriegerſtand den übrigen voran¬
ſtellt, ſtatt ihn nachzuſetzen: er iſt ein leider noch
immer nothwendiges Inſtrument für ein Uebel, was
durch Kultur immer geringer wird, ein Inſtrument was
man mit Bedauern und Mitleid anſehen ſollte, weil es
der redende Beweis unſerer Unkultur iſt. Iſt es wohl
ſchon Jemand eingefallen, die Kanone mit Verehrung
anzuſehen, weil man damit eine Maſſe Menſchen nieder¬
ſchießen kann? Aber es iſt der alte Reſt der Erobe¬
rung, des Lehnweſens, der Barbarei, wo nur das gel¬
ten konnte, was große phyſiſche Gewalt entwickelte,
was Furcht einflößte. Die Kultur beginnt mit Zer¬
ſtören: man haut Wälder nieder, tödtet die wilden
Thiere — wollen wir denn immer im Beginn der
Kultur ſtehen bleiben und die barbariſchen Schutzmittel
unſrer Staaten, die Kriegsheere vorn hin ſtellen; je
höher der Kulturzuſtand eines Staates iſt, deſto tiefer
tritt der rohe Krieg in den Schatten, deſto mehr ver¬
ſchwindet dieſer rohe Muth, der den Profeſſions-Duel¬
lanten nöthig iſt. Man lehre die Jugend, den Tod
nicht zu fürchten, aber man lehre es auf eine civili¬
ſirtere Weiſe. —


Die Fürſtin hat viel Gefolge mitgebracht. Es iſt
[47] ein buntes feſtliches Treiben hier eingekehrt, es geht
Alles geputzt, und doch iſt Niemand vergnügt — wir
leben auf einem Todtenacker, den man mit bunten
Blumen beworfen hat. Hyppolit ſteht knirſchend wie
ein Todesengel da und iſt vernichtend in Wort, Blick
und Geberde. Ich habe ihn nie ſo beißend witzig,
verſtändig, vornehm geſehen. Die kecke Fürſtin richtet
oft das Wort an ihn, er wirft Dolche ſtatt Worte zu¬
rück. Geſtern fragte ſie ihn nach Desdemona. Mit
einer fürchterlichen Kälte erwiderte er: Eine Schlange
hat ihr Leben vergiftet und ſie von dem Ort vertrieben,
wo ſie glücklich war — jetzt iſt ſie wahnſinnig. Con¬
ſtantie erbleichte. Ich fragte ihn ſpäter, ob es gräßliche
Erfindung ſeines Grimmes ſei. Nichts weiter, erwie¬
derte er, und reichte mir einen Brief. Er war aus
Wien und von Desdemona angefangen; ſie ſchrieb mit
herzzerreißender Sehnſucht, ihre Liebe ſtand auf einer
Höhe, vor der ich ſelbſt ſchwindelte — die Fortſetzung
war von einer uns unbekannten Dame, welche Hyppo¬
lit mittheilte, daß Desdemona in ein hitziges Fieber
verfallen ſei, und daß die Aerzte für ihr Leben und für
ihren Verſtand Alles beſorgten. Möge es Dir beſſer
ergehen als uns. Leb wohl.


[48]

22.
Julia an ihre Mutter.

Wie es mir geht, meine liebe, liebe Mutter? Gut —
ſchlecht — die Worte paſſen nicht dafür; unglaublich
wunderlich. Für Augenblicke fühl' ich mich beſeligt, ich
ſchwimme in Blüthendüften, und dann kommt wieder
ein langer Tag unausſprechlicher Angſt, kindiſcher Ver¬
zweiflung. So leiten die Dichter gewöhnlich ein, wenn
ſie ein verliebtes Mädchen einführen wollen; ich weiß,
wie oft Papa darüber lachte, aber hier iſt es doch ein
wenig anders. Ein junger Mann, von aller Welt
kurz Hyppolit genannt — er ſoll der Sohn eines ſpa¬
niſchen Grand ſein — macht mir auf eine beiſpielloſe
Weiſe den Hof. Sein ſtürmiſches Weſen, mit dem er
mich übereilte, hat mich tödtlich erſchreckt; was ich von
der Fürſtin Conſtantie, die ſeit einigen Tagen hier iſt,
vernehme, was ich an der unglücklichen Alberta ſehe,
die ihn glühend liebt, und plötzlich von ihm verlaſſen iſt,
flößt mir ein Grauen vor dem Menſchen ein. Und da¬
bei iſt er zauberhaft ſchön, beredt, liebenswürdig —
ach meine liebe Mutter! dafür iſt der Ausdruck erfun¬
den: er iſt ein gefährlicher Menſch. Wenn Alles wahr
[49] iſt, was man vereinzelt von ihm hört, ſo iſt er ein ſol¬
cher Ausbund von Laſterhaftigkeit, eine ſolche Größe
von Untugend, daß man verſucht wird ihn zu bewun¬
dern. Er weiß z. B. um Albertas heftige Neigung
für ihn, er hat ſie hingenommen wie ein angenehm
Geſchenk und vom Tage meiner Ankunft an nicht die
mindeſte Notiz mehr davon gezeigt. Meinſt Du nun
aber, daß er in ihrer Gegenwart befangen, auch nur
im Mindeſten befangen wäre? Gott bewahre; er un¬
terhält ſich harmlos, als ob gar nichts vorgefallen ſei.
Mich verfolgt er mit den feurigſten Verſicherungen ſei¬
ner Liebe; aber ſelbſt in ſeinen Bitten liegt etwas Wil¬
des, Herausforderndes. Der Himmel weiß, was die
Fürſtin gegen ihn hatte, ſie nahm in der erſten Zeit
ihres Hierſeins unglaublich leidenſchaftlich Partei gegen
ihn, ſie war immer ſo erregt, wenn ſie von ihm ſprach,
daß ich eine Zeitlang glaubte, ſie habe eine glühende
Neigung in die Livrée des Haſſes gekleidet — es war
ein auffallender Anblick, dieſe ſtolze gewaltige Frau und
den imponirenden Hyppolit einander gegenüber ſitzen zu
ſehen: Conſtantie ſah ihm vornehm, feſt, ſtarr in die
Augen, als erzähle ſie ihm eine Geſchichte von ſeiner
eignen Nichtswürdigkeit; er gab die Blicke ſprühend zu¬
II. 3[50] rück, und warf einen ganzen blitzenden Wolkenhimmel
mit lauter Zerſtörung und Verachtung in ihre Augen,
der verächtlich heruntergezogene Mund ſprach die Er¬
läuterung jener fürchterlichen Blicke. So oft er den
Namen Desdemona ausſprach, war der Stolz der Für¬
ſtin gebrochen, ihre Schlacht verloren — es iſt unver¬
kennbar, daß ſich die beiden Leute gekannt, und viel¬
fache Beziehungen zu einander haben. Conſtantie iſt
heftig, leidenſchaftlich, ſogar rachſüchtig, weil ſie nicht
nur eitel, ſondern ſtolz iſt — ſollte es ihr vielleicht mit
Hyppolit wie der armen Alberta ergangen ſein! Ich
will doch genau Acht haben, oder Hyppolit ſelbſt ein¬
mal fragen — erinnerſt Du Dich nicht, liebe Mutter,
wie verwegen ſie vorigen Winter in Berlin über der¬
gleichen Dinge ſprach, wenn ſie des Donnerstags in
unſere kleineren Geſellſchaften kam. Ich habe mich im¬
mer vor ihrer Art zu lieben gefürchtet; ihre Neigungen
ſind ein glühender Sirokko, und ſie paßt eigentlich ganz
zu Hyppolit. Die gute Alberta hat einige Tage un¬
ausſprechlich gelitten, jedoch es ſcheint mir wie eine hitzige
Krankheit mit Heftigkeit, aber ſchnell vorübergehen zu
wollen. Ihr zum Glück und uns Allen zur Freude
iſt ein Herr Valerius hier, der auf Alle den wohlthä¬
[51] tigſten Einfluß ausübt. Er iſt der einzige, mit dem
Hyppolit in ſeiner jetzigen Leidenſchaft, die aus aller¬
lei Ingredienzien zuſammengeſetzt iſt, redet. Ich glaube,
Hyppolit haßt die Fürſtin ebenſo, wie er mich zu lieben
glaubt, und wenn ich dem Manne heute ſagte, ich
liebe ihn, ſo theilte ich wahrſcheinlich in einigen Wo¬
chen das Schickſal ſeiner Verlaſſenen — ich will aber
mein Schickſal mit Niemand theilen, ich will mich
durch nichts hinreißen, übereilen laſſen, ich will nicht
dieſen Gefühlsaufwand, dieſe Stürme, dieſe Unebenheiten,
dies unerſprießliche Geräuſch. Liebe Mutter, ich bin
meines Vaters Tochter, ſchilt mir nicht dies mein Weſen.
Es macht dieſe innere Ordnung nur mein Glück. Könnteſt
Du Dich mit mir hier umſehen, wie die Neigungen, Lei¬
denſchaften, Verhältniſſe bunt durch einander liegen, wie
in einem ungeordneten Zimmer, Du würdeſt mit mir da¬
vor zurückſchrecken. Solche Unklarheit, Verworrenheit
meiner inneren Dinge iſt immer ein Unglück für mich,
das mich zu Tode hetzte wie ein Geſpenſt. Darum lobte ich
den Herrn Valer; faſt Alle lehnen ſich an ihn, weil er al¬
lein feſt zu ſtehen ſcheint. Es iſt, als ob er mit Alberta in
magnetiſchem Rapport ſtände, ſo wie er zu ihr tritt, ſchließt
ſich die Blume ihres Schmerzes mit ihren Thränen, und
3 *[52] das liebe Mädchen iſt mild, ſanft, ja manchmal ſogar
heiter. Er ſpricht ſehr ſchön, nicht ſo glänzend wie
Hyppolit, aber eindringlicher, gediegener; alle ſeine Ei¬
genſchaften ſind nicht ſo blendend wie bei dieſem, aber
alle ſind ſichrer, feſter, abgemachter. Ich liebe das
ſehr. Auch Graf Topf iſt ihm ſehr zugethan, und die
Fürſtin, welche ihn anfänglich ignorirte, weil er etwas
ſparſam in den Annäherungs- und Höfllichkeitsformen
iſt, geizt jetzt förmlich mit ſeinen Geſprächen. Er ſchafft
uns die einzigen heimlichen Abendſtunden: wir ſitzen
auf der Plattform des Schloſſes unter dem Zelte, ſehen
auf der einen Seite nach den fernen Bergen, auf der
andern nach der nahen Stadt und dem Fluſſesſpiegel,
der zu ihr hinzieht; Hyppolit raſtet ſelten lange dabei,
ſondern ſtürmt meiſt zu Pferd durch die Ebene und Va¬
lerius bringt uns in das liebenswürdigſte Geſchwätz.
Er hat zwar eigentlich ſelbſt abſcheuliche Grundſätze
über Ehe, Staat und Menſchen, aber er verſteht es,
das Wildeſte geordnet vorzutragen, intereſſant, wünſchens¬
werth zu machen; die freien Dinge, welche Conſtantie
äußert, ſind eigentlich bei weitem nicht ſo arg als die
ſeinen, und doch klingen ſie mir ſo viel gräulicher. Es
kommt vielleicht daher, weil ſie mir unweiblich dünken.
[53] Die Fürſtin vertheidigt zum Beiſpiel den Genuß aller
Vergnügungen, auch wenn ſie nach unſern bürgerlichen
Anſichten zu den verbotnen gehören. Sie hält z. B.
die Ehe nur für eine Form, welche der äußeren Dinge
wegen da ſei, und namentlich den materiellen Beſitz
des Weibes ſichere. Es wird mir unheimlich, wenn
ich eine verheirathete Frau ſo ſprechen höre — wenn
dergleichen verwirklicht werden ſollte, ſo müßte ja ein
troſtloſes Durcheinander entſtehen. Valer, welcher die
Frauen ſelbſtſtändiger geſtellt ſehen will, und wunderlich
genug von den neuen verwirrenden Zeitbewegungen Viel
für uns erwartet, opponirte der Fürſtin in vielen Din¬
gen. Er machte ſie darauf aufmerkſam, wie gerade
jetzt das äußere Leben der Frauen in der Luft ſchwebe,
wenn ſie ihren einzigen Haltpunkt, die Ehe, aufgäben;
wie nur die ſtärkſten und edelſten Weiber einen Ueber¬
gang zu beſſerem freierem Geſellſchaftsleben dadurch bil¬
den könnten, daß ſie ſich der Ehe nicht unterwürfen,
die neuen Begriffe aber auf alle Weiſe unterſtützten,
weil nach der politiſchen Revolution die ſociale vor den
Thoren läge, durch welche das Weib eine geſellſchaft¬
liche Stellung erlangen würde. Das Chriſtenthum
habe das Weib nur zur Hälfte frei gemacht, ſie müſſe
[45[54]] es ganz werden; der jetzige Durchgangspunkt aber bringe
wie jedes Ringen nach neuen Zuſtänden, wie alles
Halbe ſehr viel Unglück, und die Frauen müßten ſehr
auf ihrer Hut ſein, da die öffentliche Meinung noch
keinesweges ſo weit gebracht ſei, Toleranz gegen ſie zu
üben. Die alten Verhältniſſe ſeien wie die alte Kirche
in Auflöſung begriffen, die Rettung ſei nahe, aber
die Gefahr doppelt groß. Ich ſchreibe Dir dieſe Dinge
aus meinem treuen Gedächtniß; ich verſtehe wenig oder
gar nichts davon, und ſie würden mich wie alles Aen¬
dern beunruhigen, ſähen ſie nicht in dem Vortrage Va¬
lers ſo abgemacht aus. Die Fürſtin proteſtirte feurig
dagegen. Sie gab die eigentliche Auflöſung der Ehe
und Kirche in den höheren Ständen zu, fand die Auf¬
löſung vernünftig, verlangte aber das Beibehalten der
alten Formen, welche die Gebildeten ſchützten und doch
nicht beengten, der großen Maſſe aber nothwendig ſeien.
Valer nannte das lächelnd Ariſtokratismus und gebrauchte
den garſtigen Ausdruck, daß auf dieſe Weiſe die Welt
verfaule. Geſchwüre müſſe man aufſchneiden, auch
wenn es ſchmerze. Fi, — wie häßlich klingt das und
doch fällt es mir jetzt erſt auf; im Munde des Man¬
nes klang's nicht ſo. Herr William, einer der hieſigen
[55] Gäſte, vertheidigte hart und unduldſam das Beſtehende,
und tadelte beide Anſichten, ſie ſeien unchriſtlich und
darum unſittlich, löſ'ten das Fundament der Civiliſation,
und untergrüben die Grundprincipien der Geſellſchaft;
ſie ſeien die Ausgeburt des menſchlichen Dünkels, wel¬
cher die Gottheit ſpielen und die ewigen Geſetze um¬
ändern wolle. Die Menſchen hätten zu hundert Malen
verſucht, das Chriſtenthum abzuſchaffen und ſeien im¬
mer zu Schanden geworden; ihm verdankten wir alle
Art von Bildung und es heiße auf die Barbarei zu¬
rückdrängen, wenn man dergleichen Auflöſung predige —
menſchlicher Verſtand ordne keine Welt, der göttliche
ſei [uns] in Chriſto zu Hülfe gekommen, und es heiße
Gott läſtern, wenn man ſeine eignen Inſtitutionen ver¬
beſſern wolle. Valer nahm das Geſpräch gegen ihn
auf; ich kann Dir's nicht wiederholen, weil es für
mich zu gelehrt wurde. Die Fürſtin lud Beide ein, in
einigen Wochen auf ihrem Luſtſchloß einzukehren, wo
ſich einen Monat hindurch viel Geſellſchaft zuſammen¬
fände. Es ſei ein Geſundbrunnen in der Nähe, wel¬
cher Valers nicht ganz feſter Geſundheit ſehr zuträglich
ſein werde. Alberta ſah aufmerkſam und faſt ängſtlich
drein und horchte. William nahm die Einladung ſehr
[56] dankbar an, Valer ſchlug ſie aus. Die Fürſtin war
verletzt. Alberta ſchien erfreut; wir trennten uns. — —
So eben iſt der Graf aus der Stadt zurückgekommen,
und hat die wunderliche, aber wie er meint, zuverläſſige
Nachricht mitgebracht, daß ſich unter den hieſigen Poe¬
ten ein verkappter Prinz aus einem ſehr vornehmen
Hauſe befinde. Du kannſt denken, welche Neugier dieſe
Nachricht erregte; die Meinungen waren alle dafür, es
könne nur Hyppolit oder Valerius ſein. Natürlich dauerte
es auch nicht lange, daß Beide aus dem Fragen, Zi¬
ſcheln, Ausholen erfuhren, um was es ſich handle.
Hyppolit ſchlug ein tolles Gelächter auf, und verlangte
unanſtändig, man ſolle ſeinen Vater nicht verunglim¬
pfen, der ein Mauleſeltreiber in Catalonien ſei. Va¬
lerius lachte ebenfalls und erklärte mit liebenswürdiger
Offenheit, daß ſein Vater ein ſchlichter Landgeiſtlicher
mit 400 Thlr. Gehalt wäre und noch ſechs Prinzen
außer ihm und zwei Prinzeſſinnen auferzogen habe.
Die Geſellſchaft war durch dieſe Erklärungen verſtimmt,
und die Fürſtin fragte piquirt Valerius, ob es ihm ſo
unangenehm ſei, für einen Prinzen gehalten zu werden.
Der abſcheuliche Menſch antwortete ſehr ernſthaft „Ja.“
Auf William rieth wunderlich genug Niemand, und ob¬
[57] wohl man die Vermuthung bei Hyppolit und Valerius
noch keinesweges aufgab, ſo ging doch nun Alles auf
den ſogenannten Provençalen Herrn Leopold über. Die¬
ſer kleine hübſche Mann iſt ſehr wenig auf dem Schloſſe
zu ſehen, er ſtreift in der Umgegend umher und ſoll
lauter demokratiſche Liebſchaften anknüpfen. Seine
Freunde wußten nichts über ſein Herkommen und dem
einfältigen Valerius fiel es erſt jetzt ein, daß er ſchon
früher einmal von Leopold ſelbſt etwas Aehnliches ge¬
hört, es aber vergeſſen habe. — —


— — Wir ſaßen eben Nachmittags im Garten,
als der Kleine von ſeinen Streifereien ankam. Er hat
wirklich ſo etwas Appartes an ſich, und iſt ſo fein und
niedlich, als ſei er in Purpurwindeln gewickelt geweſen.
Man fragte ihn; er that verlegen, läugnete nicht direkt,
gab nicht eben zu — kurz beſtätigte Alles in dem vor¬
gefaßten Glauben, und hat nun den immerwährenden
Spott von Hyppolit, den Scherz von Valer zu erdul¬
den. Jener nennt ihn nicht mehr anders als „Kleine
Excellenz!“ Was mich anbetrifft, ich glaube der Prinz
ſteckt anderswo. O Mutter, rath mir, hilf; Hyppolit
überſtrömt mich mit feuriger Liebe; zuweilen komme ich
mir wie die glückliche Omphale vor, zu deren Füßen Her¬
[58] cules ruht, und zuweilen wieder wie die unglückliche
Proſerpina, welche der Gott der Unterwelt bedroht, und
vom Lichte der Sonne hinwegreißen will.


O wie ſchmerzhaft iſt mir dieſe Unſicherheit, dieſe
Verwirrung, welche die Männer anrichten! Unſre fröh¬
liche muntre Camilla iſt— der Himmel weiß wodurch —
vollſtändig umgewandelt. Sie iſt ſtill wie das Grab,
und iſt wenig unter uns.


Eben erhalte ich einen Brief vom Vater aus Pa¬
ris — ich werde Dir ihn beilegen — Adieu, tauſend¬
mal Adieu, meine liebe zärtliche Mutter.


[59]

23.
Valerius an Constantin.

Alſo wirklich krank biſt Du, gemüthskrank? Krank
an Deinem neuen Frankreich — ich glaube Du haſt
Recht mit Deiner Krankheit; ſie wollen Euer heißes
Juliblut confisciren. Schreib' mir nur nicht ſo karg
darüber — mehr, mehr, auch wenn es Wermuth iſt.


Heut Abend iſt plötzlich mein Gegner hier ange¬
kommen; er kennt den Grafen und hat ihn unterrichtet.
Eben war dieſer bei mir, ſehr ernſthaft und feierlich ge¬
ſtimmt; von ſeiner ſonſtigen Wärme gegen mich keine
Spur. Was muß der Menſch für Dinge ihm geſagt
haben! Ich ging mein Leben durch und fand durchaus
keinen Anhaltspunkt. Deshalb verſicherte ich dem Gra¬
fen, es müßte nothwendig ein Irrthum ſein. Mit
wunderlicher Beſtimmtheit verſicherte mir dieſer, es ſei
keiner, und der Fremde habe den triftigſten Grund mich
zu fordern. Natürlich erklärte ich, daß vom Duell keine
Rede ſein könne, bevor ich von der Urſache unterrichtet
und mit dem Narren, der Perſon, welche mich durch¬
aus todtſchießen wolle, bekannt gemacht ſei. — Auf
des Grafen Bitte, nicht darnach zu fragen, auf ſeine
[60] heilige Verſicherung, daß Alles in vollgültiger Richtig¬
keit ſei, habe ich mich zu der wunderlichen Farce ent¬
ſchließen müſſen, ein Duell mit Jemand einzugehen, den
ich nicht kenne, deſſen Vorwürfe und Zornesgründe mir
unbekannt ſind. Morgen früh werden ſich zwei Leute
im Park ſchießen. Der Eine tritt wie eine Sache, wie
ein Pfahl ans Ziel hin, der Andre aber wird, Gott
weiß, weſſen Ehre durch einen Schuß auf dieſen Pfahl
reinigen. O Welt, mit wie viel Fratzenbildern biſt du
eingezäunt!


Begegnet mir etwas Menſchliches, ſo bedaure die
Enkel, daß ihnen ein Kämpfer für ihre Freiheit gefallen
iſt, beneide die jetzt Herrſchenden, daß ſie einen unver¬
ſöhnlichen Feind ihrer Herrſchaft weniger haben. Ich
habe nur ein großes Intereſſe auf dieſer Welt, das iſt
die Freiheit, nur weil ich noch für ſie ſterben kann,
würd' ich ungern im Fratzenkampfe untergehen. — —


Eben höre ich mit tiefem Schmerz, daß Camilla
bei Ankunft des Fremden außer ſich gerathen iſt, ſich
eingeſchloſſen, gepackt und ſo eben den Reiſewagen be¬
ſtellt hat. Der Wagen rollt vor das Schloß — lautes
Geräuſch auf der Flur, der Treppe. — —


Ich ging an die Thür und hörte eine fremde Stimme
[61] neben Camilla's; ich durfte nicht hin; es war offenbar
der Fremde, und dem Grafen hatte ich verſprechen müſſen,
ihm auszuweichen. — Alberta ſprach weinend dazwiſchen;
ſie waren im Hausflur, ich eilte an mein Fenſter, Lich¬
ter und Laternen erhellten den Raum vor dem Schloſſe,
Camilla ging eilig auf den Wagen zu, wehrte mit
der Hand Alle zurück, ſprang in den Wagen, und
flog davon.


Das Schloß iſt einſam für mich, ich bin dem
Mädchen ſehr gut geweſen. Die Löſung der Räthſel
muß ich erwarten.


[62]

24.
Hyppolit an Constantin.

Der Teufel iſt los und es gilt den ernſthaften Ver¬
ſuch, ob wir ihn nicht beſiegen können. Ein Weib,
das ich nicht gewinnen kann, ein Freund, deſſen Herz¬
blut unnützerweiſe ſtrömt. Valerius ſchoß ſich heut Mor¬
gen mit einem Fremden, der verlarvt auf der Menſur
erſchien, und dem Graf Topf ſehr ernſthaft ſekundirte.
Sie ſchoſſen ſich auf Barriere. Valer war vollkommen
paſſiv dabei, blieb unverrückt auf ſeinem Platze ſtehen,
und machte keine Miene anzugreifen. Deſto eiliger
avancirte der Gegner. Als Valer die blutigſte Abſicht
nicht mehr verkennen mochte, regte ſich ihm die Galle
auch, er trat einen Schritt vor und drückte ab,
im nämlichen Augenblick that's der Gegner auch —
Blitz und Knall von beiden Seiten, Beide ſtürzen zu¬
ſammen. Kaum fing ich meinen armen Freund noch
in den Armen auf. Das Blut ſtürzte aus der oberen
rechten Bruſt. Eh' ich ihn noch ins Haus bringen konnte,
hatte ſich der Gegner aufgerafft, er war nur von einem
Streifſchuß am Schlaf betäubt geweſen und kam ohne
[63] Maske zu uns heran. Valer, der nicht einen Augen¬
blick die Beſinnung verlor, ſchien ihn ſogleich zu erken¬
nen und machte — ſprechen konnte er nicht — eine
unwillige Bewegung mit der Hand zum Zeichen, daß
er ihm aus den Augen gehen möge. Der Narr konnte
aber ſein Komödienſpiel nicht laſſen und fing an zu
deklamiren, er ſei Clara's Bruder, und Valer habe ſeine
Schweſter unglücklich gemacht, ein Brief, den er bei
ſeiner Schweſter gefunden, habe es ihm verrathen — —
Es wurde mir zu Viel, und ich drängte ihn mit Schul¬
ter und Arm von meinem Freunde weg, ihn bedeutend,
daß Epiloge vor einem ſchwer Verwundeten überflüſſig
ſeien, und daß ich ihm mit meiner Sekundantenkugel
den Weg zeigen würde, wenn er ſich nicht ſchleunig
davon mache. Dem Grafen ſagte ich einige harte
Worte wegen dieſes unziemlichen Betragens, er zog den
Mann mit dem gelben Italienergeſicht fort. Ich trug
Valer auf ſein Zimmer; es war ſehr früh am Tage.
Niemand ſtörte mich. Der Graf hatte ſchon den
Abend vorher nach einem Arzte geſchickt, der ward her¬
beigeholt, und unterſuchte die Wunde. Die Kugel war
dicht unter der Schulter hineingegangen und ſaß noch
drinn. Der malitiöſe Schuft hatte wenig Pulver genom¬

[64] men. Valer hatte noch kein Wort geſprochen; wir leg¬
ten ihn ſo, daß er es bequemer hatte, und er forderte
plötzlich den zögernden Arzt auf, raſch ans Werk zu
gehn, die Kugel herauszuziehen und ihm rund und baar
zu ſagen, ob es das Leben koſte, und wie lang' es dau¬
ern könne. Der Arzt ſchien ein Tölpel zu ſein, machte
dem armen Valer unſägliche Schmerzen, eh' er die Ku¬
gel faſſen und herausbringen konnte, und zuckte dann,
nochmals befragt, unſicher die Achſeln. Ich ſtieß den
Narren weg, nahm die Unterſuchungswerkzeuge, und
forſchte ſorgfältig, wie weit die Kugel gedrungen. Ich
habe ja doch nicht umſonſt mit Cuvier am menſchlichen
Körper die Lebensſtrömungen aufgeſucht. Mein Beſcheid
war etwas tröſtlicher. „Es iſt Gefahr da, Valer, ſie
kann aber abgewendet werden, wenn Du mehrere Tage
ohne äußerliche und innere Bewegung ſtill ruheſt.“
— „„Ich danke Dir, — ſagte er — berichte dem
Manne noch, daß er ſeine fanatiſche Wuth aufgeben
und verſichert ſein möge, er ſei im Irrthum über mich
und ſeine Schweſter““ — „Ich will lieber dem Hans¬
wurſt den Hals brechen“ — Valer machte lächelnd eine
mißbilligende Bewegung; ich ging zum Grafen. Das
ganze Haus war aufgeweckt und voll Beſorgniß, die
[65] arme Alberta, das gutmüthige Kind, hatte verweinte
Augen, auch Gräfin Julia war da, und das ſchlimme
Weib hat mich noch nie ſo angelegentlich um etwas
gebeten als hier um Nachricht über Valer; ſelbſt die
Fürſtin hatte ſich eingefunden, und ſtellte ſich beſorgt um
unſern Freund. Der Graf begegnete mir, und war auf
dem Wege zu uns; der gute alte Mann hatte geweint,
und war in Todesangſt um ſeinen Liebling, dem er
bereits im Herzen alles Mißtrauen abgebeten, was etwa
die Anklage des Fremden erregt haben mochte. Ich
theilte ihm Valers Auftrag mit; der Fremde war ſchon
fort, er iſt Camillas Verlobter, und iſt ſeiner entflohe¬
nen Braut nachgeeilt. Gott weiß, was der flüchtigen
Camilla durch den Sinn gegangen iſt. Es hat mich
gerührt wie alle Domeſtiken, ſchluchzend herankammen,
um zu fragen, ob der gute Herr Valerius auch am
Leben bleiben werde. Es iſt mir immer bewunderns¬
werth an Valers eigentlich ſo vornehmem Weſen geblie¬
ben, wie demokratiſch er die unter ihm Stehenden zu
behandeln und dadurch zu feſſeln weiß. Es iſt nicht
die niedrige Volksſchmeichelei, die ich eben ſo haſſe wie
das Speichellecken eines Hofraths, es iſt das vertrau¬
liche Zugeſtändniß, der Andre habe dieſelben Anſprüche
[66] wie er und nur die Mittel ſelbige geltend zu machen
ſeien verſchieden, was dem Valerius ſo viel Herzen un¬
ter der Volksmaſſe gewinnt. Es wäre entſetzlich, wenn
der Tod ſeine Krallen in das ſchöne Herz ſchlüge. Ich
habe Valer ſehr lieb. Selbſt ein allzu ſanguiniſcher Menſch
brauche ich wechſelnde Wogen und Stürme, aber mein
Auge ruht aus auf meines Freundes Spiegelfläche des
innern Meeres. Ich bin gewiß, daß es ihm unſäglich
viel koſten mag, ſo ruhig und geordnet zu ſein, die Ge¬
danken, die oft ſo wild und toll ſind gleich den blut¬
dürſtigen Thieren der Wüſte, alſo gezähmt zu haben,
daß ſie wie ſtolze civiliſirte Löwen und Panther vor
ſeinen Wagen einhergehen, ich bin überzeugt, daß es
ſeine beſten Kräfte verzehrt, die umfaſſendſte Revolution
im Buſen zu tragen und doch der Humanität keinen
Augenblick zu vergeſſen. — Seine Gefahr hat das
Unglaubliche vermocht: ſie hat eine Pauſe in meiner
Leidenſchaft zu Julia hervorgebracht, ich darf und will
jetzt nicht an das Weib denken, nach dem mein ganzes
Weſen ſich breitet, wie der Sturmwind über die Fläche,
die er bedecken, durchdringen, mit ſich fortreißen möchte.
Es iſt nicht die gewöhnliche Koketterie in mir, daß mich
ihr Widerſtand doppelt reize; ich habe immer despotiſch
[67] geliebt und nie darnach gefragt, wie der Gegenſtand
meiner jedesmaligen Neigung mein Ich in ſich aufnahm,
wenn ich mich ihm näherte, ich weiß, daß Valerius
Recht hat, wenn er mich den fürchterlichſten Egoiſten
der Liebe und darum unmoraliſch nennt — aber ich
weiß auch, daß ich dieſe ſchöne Julia mit den ſchwim¬
menden Herzensaugen mit der ganzen im Morgenthau
der Jugend lüſtern hin und her ſchwankenden Geſtalt
verfolgen werde durch alle Zonen, bis dies weiche We¬
ſen meinen ſtraffen Gliedern ſich anſchmiegt in Begeg¬
nung und Wolluſt. Ich werde — — nicht doch, ich
werde nichts thun, bis Valers Gefahr abgewendet oder —
beendet iſt. Es würde mich ein Todtenfieber ſchütteln,
wenn mir der liebe Mann von meinem Feinde, dem
Tode, entriſſen würde. Ihr ſeid alle Trabanten, er iſt
ein Planet mit eignem Lichte; ich bin ſein Komet.
Sein Anblick, ein Wort aus ſeinem Munde, eine Zeile
von ſeiner Hand ſind mein Polaſtern auf meiner gro¬
ßen Seereiſe, ich würde mich den Wogen überlaſſen,
ginge mir dieſer Stern unter. — —


— Er liegt ſtill wie ein griechiſcher Philoſoph mit
ſeinen Schmerzen da. William lieſ't ihm des Aſchylus
Prometheus vor; ſein Zuſtand iſt ſehr bedenklich; wenn ich
[68] der Furcht in meinem Herzen den Zugang geſtatten wollte,
lieber Conſtantin, ſo würd' ich fürchten, das ſchöne
Herz Valers werde heut' Nacht ſtill ſtehen — — Leo¬
pold weint an ſeinem Bett ſtill in ſich hinein, Valers
Hand ruht auf des Kleinen Lockenkopf, er ſieht nichts
von den Thränen. Ich war eben unten im Geſellſchafts¬
ſaale — es war Alles verſammelt; außer der Fürſtin
ſprach man nur leiſe, es war wie in der Kirche. Zum
erſten Male ſeit Julias Ankunft, wo ich ſie nicht mehr
küſſen konnte, kam heute Alberta zu mir, als ich ein¬
trat; das arme Kind ſah recht blaß aus: ich konnte
ihr nicht helfen, ich konnte ihr auch nichts Tröſtliches
von Valer ſagen. Auch Julia forſchte ängſtlich und in
der Haſt des Fragens ergriff ſie zum erſten Male meine
Hand! Aber Valer rann durch alle meine Adern, ich
fühlte nichts im erſten Augenblicke — der Augenblick
war kurz, das Blut ward wieder mein; da floh die
Hand feig aus dem Kampfe. Die Fürſtin thut ver¬
ſtändig theilnehmend, das iſt mir ſehr widerwärtig. Graf
Fips, der wie ein Stück Holz dabei ſteht, iſt mir an¬
genehmer. Alberta hatte die Kühnheit, ihren Vater um
die Erlaubniß zu bitten, mit ihm den Kranken beſuchen
zu dürfen. Er hat es ihr zum Abende zugeſagt. Ich
[69] habe es nicht verweigert, weil ich nicht glaube, daß es
den Valerius aufregen werde; ſeine Clara würd' ich
nicht zu ihm laſſen. „Des Abends ſieht ein Sterben¬
der beſſer aus als beim Sonnenſchein — das helle Le¬
ben des Tages contraſtirt zu grauenhaft mit dem her¬
anziehenden Tode; es iſt natürlicher des Nachts zu ſter¬
ben.“ —


Dieſe Worte des Grafen fielen wie Grabgeläut
in unſre Herzen — wir waren erſtarrt. Ich haſſe
das Glockengeläut, ich haſſe die Raben, ich haſſe den
Tod. Es wär' eine Dummheit der Natur, wenn ſie
den Valerius ſterben ließe.


[70]

25.
Constantin an Valerius.

Ich weiß es Freund, Du wirſt außer Dir ſein
über meinen Brief, Du wirſt mich dumm, albern, ver¬
rückt nennen. Vergieb mir meine Albernheit, ich will
wenigſtens wahr ſein, und Dir alles geben, was ſich
mir durch den Kopf bewegt. Ich fühl' es daß ich auf
einer Grenzlinie angekommen bin und plötzlich ein an¬
drer Menſch werde, ich fühl' es, daß Dir dieſer neue
Menſch weniger behagen wird als der alte mit ſeinen
Fehlern. Aber geſtatte mir, daß ich Euch allmählig Al¬
les, was ſich in mir bewegt, darlege. Daß ich viel¬
leicht mehrere Monate nur rhapſodiſch zu ſchreiben im
Stande bin, kann Euch nicht wundern, wo ſoll ich
die Ordnung hernehmen, da ich eben in eine Kriſis
trete, die nach Ordnung lechzt. Die Welt mit ihrer
Unordnung iſt mir plötzlich auf die Bruſt gefallen, ich
will ſie allmählig herunterwerfen, Gott weiß, was mir
dann übrig bleibt. Ob ich reicher oder ärmer werde!
Wenn auch ärmer, ich will aufräumen. Ich glaube
Dir ſchon einmal etwas Aehnliches geſchrieben zu haben,
es iſt nicht daſſelbe geweſen, was ich jetzt denke, viel¬
[71] leicht iſt das jetzige gerade der Antipode von dem Frü¬
heren, vielleicht war Jenes Abenddämmerung, vielleicht
iſt dies Reaktion und Jenes war Revolution. Beide
müſſen Schutt wegſchaffen, aber wahr bin ich immer
bei meiner armen Seele.


Ueber der Menſchheit vergißt man jetzt gewöhnlich
die Menſchen und in dieſer Zeit der Brände, Kanonen
und glühenden Reden iſt es doch erbärmlich kalt. Die
Idee iſt eine ganz ſchöne Sache, für faſt Alle zu groß
und ſie bleibt immer nur Idee Vermählt ſie ſich nicht
mit dem Individuum, mit der Geſtalt, ſo iſt ſie ſo
gut wie nicht da geweſen. Ach und das traurige er¬
bärmliche Pathos. Da beſtrafen nun die Franzoſen
den Meineid ihres Königs — gut, obgleich ſchlimm,
ſie betragen ſich eine Weile vernünftig — ſehr gut.
Nun kommen die allgemeinen Redensarten liberté,
gloire etc. heran. Wer für dieſe hundsföttiſche gloire
Leben und Glück von Generationen opfert, jeder noch
ſo ruhmgekrönte Eroberer iſt als ſolcher (unbeſchadet ſei¬
ner übrigen Größe) gebrandmarkt und ehrlos. Ich will
nicht hitzig werden, darum hör' ich auf, ich will nicht
gemein und wüthend werden, darum ſchweig ich von
der Journaliſtik. Gott, wenn ſie doch erſt ſo ſchlecht
[72] wäre, daß Keiner mehr von ihr wiſſen wollte; aber
nein, dazu müßte ſie ſehr gut werden.


Ja, in den erſten Tagen des Auguſt war ich noch
außer mir, als die Lafittſche Parthei für den Herzog
von Orleans warb, ich habe mit den Volksmaſſen das
Stadthaus umlagert und mich heiſer nach der Repu¬
blik geſchrien, ich habe neben Dubourg geſtanden, als
er dem neuen Könige drohte, es werde ihm eben ſo
gehen wie dem ſchlechten zehnten Karl, wenn er ſeinen
Eid breche, ich habe die geballte Fauſt in dem Augen¬
blick gegen Ludwig Philipp erhoben, ich habe mit Dir
durch die Straßen geſchrien, „man hat unſre Revolu¬
tion confiscirt,“ ich habe mich und die Welt ermor¬
den, in die Luft ſprengen wollen, hätt' ich nur Pul¬
ver genug gehabt. —


Darauf verfiel ich in ein hitziges Fieber und nach
mehreren Wochen fand ich meine Beſinnung und mich
im Hotel Dieu wieder. Als ich wieder auf den Bei¬
nen war, fand ich Paris in Ordnung. Ich dachte
Viel über die Ordnung nach, und bin lange Zeit ſehr
kleinlaut geweſen.


Es iſt wirklich ein großes Ding um die Ordnung,
mein Freund. Als kleiner Bube hatte ich einen Holz¬
[73] kaſten, wo kleine Quadrate und Dreiecke geſchickt in
einander gepaßt waren; mein größerer Bruder ver¬
ſtand das Zuſammenſetzen, aber er ging immer ſehr
vorſichtig zu Werke, wenn er die Theile auseinander
nahm, ich wollte es ihm nachmachen und ſtürzte den
Kaſten um, aber ich kam nicht zu Stande und mußte
ihn zu Hülfe rufen; allein da Alles durcheinander ge¬
geworfen war, koſtete es ihn viel Zeit und Mühe, und
er ſchalt mich ſehr aus. Mit dem Umſtürzen des Holz¬
kaſtens iſt man ſehr eilig.


Ich befinde mich übrigens im Ganzen hier recht
wohl — in einem fremden Orte erträgt man ſeinen
Jammer leichter als in dem, der die hiſtoriſche Ent¬
wicklung dieſes Jammers mit angeſehen hat. Man
kann in einem neuen Rocke nicht ſo traurig ſein wie
in einem alten. Ich habe meinen alten, blutigen Kit¬
tel ausgezogen und fühle mich viel leichter und freier.
Die Welt ſpricht von ihrer Univerſalrevolution, und daß
die Lutheriſche Revolution ihren Wendepunkt erreicht
habe, und ich habe indeß meine Special-Umwälzung
vollendet; ich glaube, Ihr werdet nicht ermangeln aus
dieſem äußeren Wechſel Vielerlei zu ſchließen. Hört,
ſeit Monaten bin ich in die Nähe keines Weibes mehr
II. 4[74] gekommen, die Haare werden nicht mehr à la Caracalla
geſtrichen, ſeit langer Zeit bin ich nicht mehr trunken
geweſen. Jetzt habe ich ſogar das Waſſertrinken gelernt,
ſeit kurzer Zeit rauche ich keinen Tabak mehr. Demnach
iſt die Titulatur Falſtaff antiquirt und gänzlich unpaſ¬
ſend geworden. Mit dieſen alten Gewohnheiten iſt auch
das vollblütige Phlegma von mir gewichen, und mir iſt
viel leichter dabei. Es iſt wirklich ein großer Unter¬
ſchied, ob einem Bier und Wein oder Blut in den
Adern fließt. Ich tummle mich jetzt mitunter in den
wahnſinnigſten Reimereien und nicht blos der Reimerei
wegen; mein früheres Schimpfen auf die bloße Form
kommt mir jetzt platt vor, auch die bloße Form iſt ein
Leben und ihre Seelenfäden ſind dem geübteſten Auge
ſichtbar. Man muß das Auge üben. Früher ſagte
ich: all' dieſe Künſteleien haben nicht das geringſte Ver¬
dienſt; ja ſie ſind nicht einmal mühſam, acht Tage Ue¬
bung und man macht Verſe wie ein Blutigel. Es iſt
wahr, ich habe es bald gelernt; aber ich glaube nicht,
daß es mir in meinem früheren Materialismus ſo leicht
geworden wäre; man muß eine geiſtigere Sauberkeit
dazu mitbringen.


Ich höre jetzt viel Muſik. Daß Werdende, ſich
[75] Bewegende iſt das Muſikaliſche in uns, weil man es
in ſeinem Zuſammenhange nicht überblicken kann; dar¬
um, Freund, ſind Revolutionen etwas ſo ſehr Gewag¬
tes, dem man ſich nur in äußerſter Nothwendigkeit hin¬
geben darf; das Gewordene, Abgemachte, Plaſtiſche iſt
als ein außer uns Liegendes immer in der Vergangen¬
heit. Man überſieht es und kann leichter der Sache
Herr werden. Das iſt der Vorzug der Stabilität und
der vorſichtigen Reformen. Jene iſt das Plaſtiſche der
Weltgeſchichte, die Muſik iſt ihre Revolution. Daher
der Zwieſpalt in unſerm Innern, der uns abwechſelnd
zu dem Muſikaliſchen und Plaſtiſchen hinzieht, wo wir
dann bei dem einen Bewegung, bei dem andern Ruhe
gleich unangenehm vermiſſen. Das Vermittelnde iſt die
Liebe und die Poeſie. Ich will dichten und lieben; die
Muſik betäubt mich, macht mich wirr. In Liebe und
Poeſie iſt gerade das Geiſtigſte, die Idee, zugleich das
Plaſtiſche, was wir uns in jedem Augenblicke deutlich
vorhalten können, während das mehr Materielle, die
Form, in der beide ſich äußern, das Muſikaliſche iſt, ſo
daß wir zugleich Ruhe und Bewegung genießen.


So bin ich auch mit meinen religiöſen Anſichten
jetzt unzufrieden. Man ſieht es ſolchen Byron-ratio¬
4 *[76] naliſtiſchen Anſichten auf 100 Meilen an, in welcher
Unbehaglichkeit ſie empfangen worden ſind. Ich habe
mich nun lange genug mit ſolchem Zeuge gequält: aber
was iſt das [Ende] vom Liede? Man kann nun einmal
alles Religiöſe und dahin Gehörige nicht ins Reine
bringen, und was hätte man auch davon, wenn man
es könnte? Eine Wiſſenſchaft mehr und eine Welt von
Gefühlen weniger. Und wir müſſen in dieſer Blüthen
und Kraut zerſtörenden Giftzeit mit den Gefühlen wahr¬
lich ſparſam umgehen. Du ſiehſt nun, und wirſt näch¬
ſtens ſchreiben, Conſtantin iſt unter die Frommen ge¬
gangen und bekommt nächſtens ein Bisthum in par¬
tibus infidelium
. Nein, Mann, dem iſt nicht ſo;
aber ich ſuche mir jetzt fortwährend negirend alles Po¬
ſitive hervor, was ſich irgend in honetter Geſellſchaft
präſentiren kann. Ich habe den feſten Entſchluß ge¬
faßt, das Leben ſchön zu finden und ſchon giebt es
Stunden, wo ich es ganz erträglich finde. Ich kenne
weder das Chriſtenthum noch eine andere Religion ſo
genau wie Du, genau genug, um ordentlich darüber
urtheilen zu können, aber ſoviel mir als Religionsdi¬
lettanten ſcheint, iſt das Chriſtenthum eine dauerhaft
gearbeitete Lehre, die uns Beide wohl überleben wird,
[77] ſelbſt wenn Du dagegen zu Felde zögeſt. Mit der Bi¬
bel geht es mir — ſo weit ich ſie kenne, — auch
wunderlich. Als ein heiliges Buch, das an ſich Ver¬
ehrung fordert, konnte ich ſie lange nicht leiden, denn
ein Buch, meinte ich, bleibe doch ein Buch und könne
durch ein Buch in den Sand geſtreckt werden; aber als
epiſches Gedicht ſteht ſie mir unnennbar hoch und
iſt mir außerordentlich lieb. „Da kam ein König in
Aegypten auf, der wußte nichts von Joſeph.“ —
Kann das Verſchlungenwerden durch die Zeit rührender
ausgedrückt werden?


— Manche Stunden giebt es indeß noch, Freund,
wo ich mir ſelbſt mit meinen überaus vernünftigen An¬
ſichten wie ein bei der Gewerbſchule angeſtellter Regie¬
rungsrath vorkomme. Ich habe an meinen Vater um
Verſöhnung und Vergebung geſchrieben, und denke meine
juriſtiſche Carrière wieder aufzunehmen. Meine Tollhei¬
ten in Paris kennt bei mir zu Lande Niemand.


Was Einem wohl das ſtete Ringen, Leſen, Den¬
ken, Recenſiren, Recenſirtwerden nützt? — eben daß
man ringt, denkt, lieſ't ꝛc. — daß man etwas zu
thun hat, ſowie das gemähte Gras wieder wächſt, um
wieder gemäht zu werden. Was verſtehſt Du unter
[78] einer zeitgemäßen Religion? Die Religion einer jeden
Zeit iſt die zeitgemäße. Du raiſonnirſt über die Pfaf¬
fen, die ſich ſo gemächlich in ihrem alten Dachsbau
bewegen und willſt doch am Ende einen neuen dito
anlegen. Sowie man über Religion ſpricht und ſchreibt,
kommt gewiß etwas Verkehrtes heraus, was dem Spre¬
chenden oder Schreibenden fremd iſt; es geht einem wie
der Kaſſandra, aber anders, die Worte werden im
Munde verdreht. Es iſt, als ſollte man dergleichen
nicht beſprechen wie die nächſte Wollſchur oder Weinleſe.
Wenn ich an einem ſchönen Tage oder auch in einem
anſtändigen trocknen Sturme mit offnem Rock ſpaziren
gehe, in ein friedliches Menſchenantlitz ſehe; wenn ich
eine tüchtige, nicht nach Knalleffekt haſchende Muſik höre,
ein duftiges Gemälde oder eine Statue mit reinen ſchö¬
nen Formen anblicke; wenn ich endlich eine recht lu¬
ſtige, ſich ganz gehen laſſende Geſellſchaft ſehe: da weiß
ich ſo klar mit und in dem Himmel Beſcheid, daß es
eine wahre Freude iſt. Sowie ich dagegen noch ſo ge¬
ſammelt, durchgeſehen und verbeſſert von Gott, Reli¬
gion ꝛc. ſpreche oder ſchreibe, flugs iſt eine Albernheit
mehr in der Welt. Auch mir war noch vor Kurzem das
Chriſtenthum als Conglomerat von Dogmen nichts mehr
[79] und nichts weniger werth als der Muhamedanismus ꝛc. —
aber das Gedicht, die Chriſtuslehre, und die zum Grunde
liegende Idee, die es hervorgerufen hat und neu belebt,
ſollen die nicht mehr als lumpige 18 Jahrhunderte ſich
halten können? Fragſt Du denn bei der Ilias, ob ſie
ein zeitgemäßes Epos ſei? Lieber Katholik, als in der
Religion Rationaliſt.


Laß mir nur etwas Zeit, ich werd' mich ſchon
finden; der alte und neue Menſch wirthſchaften noch
heftig in mir. Du achteſt ja jede Individualität, achte
auch vor der Hand meine taſtende. Und bildet ſich am
Ende auch eine Dir entgegengeſetzte heraus, gewähr'
mir nicht nur Gerechtigkeit, ich weiß, das wirſt Du
immer, ſondern auch Theilnahme. Es regen ſich aber
wieder Gedanken des alten Menſchen in mir, drum
werd' ich plötzlich ſo kleinlaut: ich kann ſie nicht un¬
terdrücken. „O wenn ich nicht gar zu vernünftig wäre,
ſo machte ich tolle Streiche.“ Es wäre gewiß recht
gut für mich, wenn ich mich eine Zeitlang des Den¬
kens enthielte. Es giebt in der That keine ſchädlichere
Erfindung. Da ſitzt man nun und konſtruirt und ab¬
ſtrahirt ſich ein Leben und einen Begriff von Dem und
Jenem, anſtatt zu leben und den Sachen herzhaft, ohne
[80] Skrupel, nahe zu treten. Wenn ich daran denke, wie
viele Freuden des Lebens man aus bloßer Grillenfän¬
gerei verſäumt, ſo möchte man ſich ohrfeigen. Leo¬
pold iſt eigentlich der einzige vernünftige Menſch, den
ich kenne.


Was iſt das nun für ein Brief aus Paris, wo
Europa's Zukunft kreiſet! Von Plaſtik, Muſik und
Theologie ſchrieb ich von hier. Iſt das nicht ächt teutſch?
Aber dies ächt Teutſche behagt eben dem Embryo mei¬
nes neuen Menſchen ſo ganz und gar.


Ich gehe viel in Geſellſchaft — was ich mit den
Menſchen jetzt mache? — was ſollte man auch mit vie¬
len Menſchen anfangen, wenn man ſie nicht wenigſtens
zum Studium benutzte. Ach, viel eitel bunt Muſika¬
liſches, wenig, ſehr wenig Plaſtiſches. Ich werde bald
nach Teutſchland kommen.


[81]

26.
Camilla an Alberta.

Um Gotteswillen iſt es wahr, iſt es wirklich, was
ich eben im Hauſe der Fürſtin vernommen — Ludovico
hat den Valerius erſchoſſen? O ich beſchwöre Dich,
fertige den Boten ſogleich wieder ab, damit ich heut'
noch Nachricht habe. Ich ſtehe zwiſchen lauter Grä¬
bern und will doch wiſſen, in welches ich ſpringen ſoll.
O Gott, meine Gute, ich kann nicht ſchreiben, weil ich
nicht ſehen kann vor dem Thränenſtrome. Nein, nein,
Gott wird ſeinen Liebling doch nicht von einem heißblü¬
tigen Tölpel ermorden laſſen, deſſen einzig Verdienſt
das heiße Blut iſt. Armes Mädchen, was magſt Du
leiden. Ach es iſt Unſinn! Der Mann, der noch ſo
viel in der Welt zu thun hat, kann nicht erſchoſſen ſein
von einem nutzloſen Menſchen. Iſt dieſer Narr doch
gar verrückt genug, mich hier auszukundſchaften und meine
Hand zu verlangen, während er mir auf die nächſte
Frage eingeſtehen muß, daß er Valerius niedergeſchoſſen,
und nicht wiſſe, ob er noch lebe. Und jenes Herz ſollte
ſtill ſtehen — o wozu klappern die tauſend unnützen
[82] dann noch weiter?! O Liebe, ſchreibe mir ſogleich! Lu¬
dovico iſt ſchon auf dem Wege nach Berlin, um mich
einzuholen — der Uebelthäter ſoll in den Wind fahren,
ich bleibe vor der Hand hier — und meine gute Alberta,
nicht wahr, Du ſchreibſt ſogleich — ach Gott, ich weiß
nicht was ich ſage, was ich will — ja, ja Gewißheit
nur, nichts weiter. —


[83]

27.
Hyppolit an Constantin.

Warum hat die Natur den Menſchen nicht größer
und ſtärker geſchaffen? Ueber Berge mag er ſtolpern
können, aber es iſt ein Jammer, daß er über jeden
Maulwurfshaufen fällt. Solch ein Wicht kann doch
eigentlich auch nicht ſchön ſein! Man ſollte keine Sta¬
tuen mehr machen, keine menſchlichen Figuren malen,
keine Heldengedichte und Dramata ſchreiben. Die ganze
Natur allein verdient ſo etwas, der einzelne Menſch aber
nicht. Nicht das kleine Herz dieſes Mädchens kann ich
erobern — o, der Menſch iſt ein Wicht und nichts weiter.


Valerius ſcheint die Hauptgefahr überſtanden zu
haben, indeſſen iſt er noch keineswegs gerettet. Iſt ſo
was in Arabien erhört worden? Wie barmherzige Sa¬
maritanerinnen ſitzen die Weiber um ſein Lager herum
und ſprechen und leſen ihm vor. Selbſt die ſtolze Kon¬
ſtantie fehlt nicht. Der Graf hat dem armen Kranken
einen weichen ſeidnen Patientenanzug geſchenkt, in die¬
ſem nun liegt Valer wie ein verwundeter Emir, dem
die verrückten Kreuzfahrer hart zugeſetzt, auf ſeiner Ot¬
[84] tomane und läßt die Houris um ſich tändeln. Ihm zu¬
nächſt ſitzt immer die ſenſitive Alberta, die meine Un¬
treu in ſeine ſchönen Augen verſenken zu wollen ſcheint.
Meinethalben, das weiche, weiße Kind kann mich nicht
anſehn und nur Valer's Nähe ſcheint ſie zu ſtärken.
Die Fürſtin übertrifft mich; ſo groß hab' ich die Ge¬
ſchicklichkeit noch nicht geſehen, kein Gedächtniß zu be¬
ſitzen. Nach jenem kurzen Wortwechſel über Desdemona
ſchien ſie lange Zeit ſehr bewegt zu ſein. Sie hat lau¬
ter ſtolze Laſter, aber auch ihre ebenbürtigen Gegner:
ſtolze Tugenden. Sie ſchien durch jene Nachricht von
Desdemona ſehr zu leiden und von William, deſſen Un¬
terwürfigkeit ihrem geſellſchaftlichen Sinne am bereit¬
willigſten entgegen kam, erfuhr ich, daß ſie durch ihn
die lebhafteſten Anſtalten in Wien treffe, Desdemonas
Wohl zu befördern. Der junge Pfaff ſagte mir das
triumphirend, und mit ſcharfen Andeutungen mich an¬
klagend. Ich wehrte ihm diesmal nicht: war ich ein
guter Menſch, ſo ließ ich jene heiße liebedurſtige Seele
nicht verſchmachten und allein ziehen. Aber ich bin nur
ein Menſch. Conſtantie läßt ſich oft ſtundenlang von
William chriſtliche Moral auseinanderſetzen und ſcheint
ſehr aufmerkſam zuzuhören; ſie ſtellt eine Art Exami¬
[85] natorium mit ihm an und legt ihm ſchwierige Fälle ror.
William iſt natürlich entzückt, ſeinen Kram ſo anzu¬
bringen und wird lächerlich hochmüthig; ſolche Geduld
iſt ihm lange Zeit von verſtändigen Leuten nicht gewor¬
den. Die Fürſtin ſchloß meiſt die Geſpräche damit, daß
ſie plötzlich kopfſchüttelnd, und lächelnd aufſtand, vor ſich
hinſprach: „Ja, ja, das ſind ſchlimme Dinge.“ Nur
das Lächeln ſah William nie und er fiel natürlich heut'
aus ſeines Himmels Wolken, als Konſtantie die Si¬
tzung mit den Worten aufhob: „Mein lieber Herr Wil¬
liam, das iſt lauter Büchermoral, die beſtaubt ausſieht
in dem Sonnenſchein, welcher in unſern modernen Zim¬
mern lagert. Unſre Menſchen ſind nicht mehr die Vor¬
derſätze zu Ihren Schlüſſen, die Dinge können alſo un¬
möglich zu einander paſſen. Es giebt eine Moral, die in
die Poren des leichtſinnigen Burſchen dringt; aber die holt
man nicht aus dem Grunde eines alten abgeſtandenen
Gewäſſers, man greift in die Fluthen, in welchen jener
leichtſinnige Burſch eben treibt; nicht in Syrien heilen
kluge Leute den Pariſer, ſondern in Paris. Ihr Zeug
iſt langweilig wie alles Unzeitige.“ — Beim Zeus, es
iſt ein verſtändig Weib, und der Blick, der mich in
dieſem Augenblicke aus ihren blitzenden Augen traf, er¬
[86] innerte mich an jene Nächte neben der Bibiliothek, an
jene Herrſcherblicke, mit denen ſie mich regierte. Sie
ſah, was in mir vorging, und wie ein ſchneller Wind¬
ſtoß flog jene nächtliche Liebe über unſre Augen und
Lippen. Wir hätten uns umarmt, wären wir allein
geweſen. William ſtand ſo zerſchmettert da, daß ich
ihn das erſte Mal in meinem Leben bedauert habe.
Die Fürſtin hatte am Fenſter geſeſſen, er vor ihr geſtan¬
den, Julia ſaß auf dem Sopha und hatte ein großes
Gemälde vor ſich, nach welchem ſie einen Teppich ſtickte.
Ich ſaß ihr gegenüber am Tiſch und erzählte ihr von
Spanien, von der Einſamkeit der öden Straßen, von
dem romantiſchen Zauber dieſes Alleinſeins und dergleichen;
ſie war freundlicher als gewöhnlich und ließ zuweilen
die Nadel ruhen, indem ſie forſchend auf mich hinſah.
Dies träumeriſche Zuhören gab ihr einen ſo rührend
unſchuldigen, harmloſen Ausdruck, daß ich gar zu gern
zu ihr geſprungen wäre. Ich wünſchte Konſtantien
und William zum Henker. Bald darauf ſchloß ſich das
Geſpräch, wie ich Dir erzählte. Die Fürſtin ging, und
gleich darauf auch William. Julia ward unruhig, und
machte Miene ihre Arbeit zuſammenzulegen und aufzu¬
brechen; ſie ſcheint wie etwas Unheimliches das Allein¬
[87] ſein mit mir zu fliehen. Ich ſprang zu ihr, drückte
ihre Hand an meine Lippen und bat, wirklich ſchmerz¬
lich erregt, ſo ſanft als ich konnte, ſie möge nicht ſo
hart gegen mich ſein, ſie möge mich nicht fliehen. Ei¬
nen Augenblick ſtand ſie unſchlüßig mit geſenktem Köpf¬
chen, ließ mir aber ihre Hand, dann ſah ſie auf, das
Waſſer ſtand ihr in den Augen, der alte Hyppolit er¬
wachte, ich wollte ſie in meine Arme ſchließen; ſie drückte
mir aber die warme kleine Hand in's Geſicht, ſchüttelte
weinend ihre Locken und ging nach der Thür. Wo
hätte ich ſonſt das Abweiſen eines Sturms ſo ohne
neuen Verſuch hingehen laſſen! Ich blieb ſtarr und trau¬
rig ſtehen. Und dies ſchien ſie zu ermuthigen. Sie
hatte ſchon die Thür in der Hand, als ſie mit ihrer
rührenden Stimme ſagte: „Wollen wir einen Gang
durch den Garten machen?“


Ich führte ſie in eine dunkle Kaſtanienallee, die
aus dem Garten in ein nahes Wäldchen führt. Sanft
und mild war ſie und ſprach mehr als gewöhnlich. Ich
faßte ihren Arm, um ſie zu führen; ſie bebte zuſammen,
als meine Hand ſie berührte. Mein ungeduldiges Herz
duldete den Zwang nicht länger, es drängte mich ſtür¬
miſch das blühende Mädchen zu umarmen. Ihre klare,
[88] durchſichtige Haut war durch die Bewegung auf den
Wangen geröthet; es war ein warmer Tag und ſie trug
ein leichtes weißes Kleid, ein dünnes rothes Flortüch¬
lein um den Hals, mit dem die Lüfte ſpielten, und was
nicht im Stande war, das ſchöne weiße Fleiſch der run¬
den Schultern und des jungen Buſens zu verhüllen.
Unter einem großen Platanusbaume, der einſam unter
den Kaſtanien ſtand, und ſeine breiten Aeſte wie ein
gefälliger Liebeshehler ausbreitete, hielt ich plötzlich im
Gehen inne, ſchlang meinen Arm um das heiße ſtrah¬
lende Mädchen — ſie wendete ſich nicht zu mir und
ich konnte nur ihre Seite an meinen glühenden Kör¬
per drängen. „Nicht ſo, Hyppolit,“ bat ſie innig.
Mein gerührtes Herz zerbrach die Sehnen meines Kör¬
pers, ich knickte zuſammen und mein Kopf ſank auf
ihre Schulter. Ich fühlte ihre Hand in meinen Haaren
und den Hauch eines Kußes auf meiner Stirn. „Leb
wohl, mein Freund,“ ſprach ſie und flog davon. An
die Platane gelehnt ſah ich ihr ſchmerzlich nach. Das
mag wohl etwas von Eurer ſentimentalen Liebe ſein,
was mir mit dieſem Mädchen gekommen iſt: ich wüßte
nicht, daß es mir je ſo ergangen wäre: meine Augen
ſtanden in Thränen.


[89]

Wie lange ich an dem Baume geſtanden hatte,
weiß ich nicht — Prinz Leopold kam aus dem Wäld¬
chen hergeſchlendert, und weckte mich durch ſeinen Geſang.
Es war eines jener leichtſinnigen teutſchen Liebesliedchen,
deren die Teutſchen ſo wenig, die Franzoſen ſo viel,
die Spanier gar keine haben, in denen Liebe und Liebchen
gutmüthig verſpottet werden. Sie ſind die Kritik eines
leichten Herzens. Er erzählte mir lachend, daß ihm der
Pfarrer und der Förſter ſo eben die Thür gewieſen.
Sie waren dahinter gekommen, daß er ein Liebesver¬
hältniß mit den Töchtern von Beiden zu gleicher Zeit
unterhielte. Der Pfarrer hatte dem Förſter und dieſer
dem Pfarrer vom zukünftigen Schwiegerſohne erzählt,
und am Ende hatte ſich's ergeben, daß ſie Beide den¬
ſelben meinten. Darauf hatte ihn der Förſter unſanft
unter mehrfachen Grobheiten und Flüchen, der Pfarrer
mit himmliſchem Schwefel drohend unter ſalbungsvoller
Rede jeder aus ſeinem Hauſe gewieſen. Er war näm¬
lich zuerſt bei letzterem geweſen und hatte ſich für ſolch
Finale raſch bei der Tochter des erſteren ſtärken wollen,
war aber aus dem Regen in die Traufe gekommen.
Dem groben Förſter hatte er mit ſeiner Prinzlichkeit ge¬
droht; das hatte aber den nur noch mehr ergrimmt.
[90] Hinter dem Hauſe indeß hatte ihm das gutmüthige För¬
ſterröschen zum Abend um neun noch ein Rendezvous
im Walde verſprochen, und als er auf dem Rückwege
bei der Kirche vorbeigekommen, hatte ihm Juditha, des
Pfarrers Töchterlein, einen Abſchied Abends um elf un¬
ter dem Sturmdach der Sakriſtei zugeſagt. Ich mußte
über unſern kleinen Detailhändler in der Liebe herzlich
lachen. Wenn übrigens der kleine Aff' nicht wirklich
der Sohn eines Prinzen iſt, ſo glaubt er doch gewiß
bald ſelbſt daran — aus lauter Poeſie. Es iſt Alles
an ihm Duft, Lüge, Traum, daß er am wenigſten dar¬
über Auskunft geben kann, was von ſeinen Verhält¬
niſſen richtig und wahr iſt. Ich glaube ihm nicht ei¬
nen Vorgang, den er mir erzählt; deshalb klag' ich ſei¬
nen lügenhaften Willen nicht an, er weiß es nicht beſ¬
ſer. Jeden Vorfall ſieht er mit tauſend dichteriſchen
Augen an, er kann nicht dafür, daß er unendlich viel
Dinge zu viel ſieht.. Er hat nicht eine Ader vom Hi¬
ſtoriker und ein paar Eimer Bluts zuviel vom Poeten.


Es iſt lächerlich, was ſich die Leute für Mühe ge¬
ben hinter das prinzliche Incognito zu kommen, ſelbſt
der Graf verleugnet ſeinen anticipirenden hiſtoriſchen Cha¬
rakter und intereſſirt ſich ſehr dafür. William iſt offen¬
[91] bar in der peinlichſten Verlegenheit, ob er ſeine frühere
fanatiſch ſittenrichterliche Rolle dem Kleinen gegenüber
mildern oder aufgeben ſoll, es freut mich aber an ihm,
er ſcheint doch ſoviel Stolz zu beſitzen, daß er ſich nicht
ganz dazu entſchließen kann. Er knurrt und grollt wie
ein Kettenhund, der aufgehört hat zu bellen. Fips iſt
ſehr reſpectvoll gegen den Kleinen und Konſtantie be¬
trachtet ihn ſo oft lächelnd, ſo ahnungsreich, ſarkaſtiſch
und doch komiſch gutmüthig lächelnd, als ſähe ſie tief
durch ein Gewebe — ſie iſt ein kluges Weib; Gott
weiß, was ſie hat, ich bin zu wenig neugierig, um
mich darum zu kümmern. Wäre die Sache aber wich¬
tiger als ſie's iſt, ſo könnte ſich das Tragiſche ereignen,
daß die in Frage ſtehende Perſon über das eigne Ich
keine zuverläßige Auskunft geben könnte; denn ich bin
feſt überzeugt, Dichtung und Wahrheit iſt in Leopold
über ſeinen Prinzen bereits ſo in einander gefloſſen, daß
er am wenigſten entſcheiden könnte, ob er ein Prinz ſei
oder nicht.


Die Fürſtin hat irgend etwas vor, will irgend
eine Komödie aufführen: ſie lacht den William aus und
protegirt ihn offenbar und hat ihn ernſthaft auf ihr
Schloß eingeladen; ſie lächelt ſpitzbübiſch über Leopold
[92] und will ihn ebenfalls mitnehmen; ſie achtet und ſcheut
Valerius und möchte ihn offenbar auch von der Par¬
tie haben. Ich glaube, ſie fürchtet am meiſten darum
für ſein Leben. Es iſt ein ſchwer zu ergründendes Weib.
An William will ſie ſich wahrſcheinlich einen gläubigen
verehrungsluſtigen Lamartine erziehen, der ſie in Oden
und Liedern preiſ't; daß er ein bedeutendes poetiſches
Talent iſt, hat ihr richtiger Takt längſt herausgefunden.
Und allerdings iſt er der Einzige, der ſich etwa noch
zum Hofſänger qualificirte. Sie behandelt ihn weg¬
werfend, und doch umſtrickt ſie ihn mit Aufmerkſamkeit,
während ſie Leopold wie ein Kind behandelt, das man
verhätſchelt. Ob alles dies, vor allem aber ihre innige
Theilnahme, die ſie dem Valer an den Tag legt, Op¬
poſitionsgeiſt gegen mich iſt, ich weiß es nicht: die
Frau weiß die Anfangsfäden ſo ſchlau zu verbergen, iſt
bizarr und affektirt Bizarrerien, ſo daß man ſchwer zur
richtigen Anſchauung kommt.


Du merkſt es wohl, daß ich aus Verzweiflung
ſchwatze — umſonſt hab' ich Julia geſucht, ſie entzieht
ſich mir gefliſſentlich. Ich werde Schickſalstragödien le¬
ſen, denn ich glaube faſt: das Schickſal der Liebe und
des Weibes will ſich rächen an mir durch dieſes ſchöne
[93] Mädchen. Sie iſt die erſte, der ich meine Liebe nach¬
trage wie ein Bettler dem hartherzigen Wanderer ſeine
Bitte — und ſie iſt's gerade, die mich verſchmäht.
Iſt mein Leben verdorrt, mein Blut vertrocknet, mein
Geiſt verſumpft? Wo liegt jenes Etwas, jener uner¬
klärliche Hauch der Sympathie, der das verbindende Mit¬
tel iſt zwiſchen den verſchiedenartigſten Weſen, der ſie
zuſammenzieht? Wo iſt jene Elfenbrücke, wo ſich des
Mannes und Weibes Gedanken im Mondſchein finden
und mit einander buhlen, eh' Mann und Weib die
klare Vorſtellung davon haben, und die dann zurückhüp¬
fen in die Tiefen der Herzen, ihre nächtlichen Geſchich¬
ten erzählen und die Liebe ſtiften wie ein Gedicht? O
ihr Elfenpoeten Julias und Hyppolits, wo ſeid ihr!


Sieh, es iſt ſoweit mit mir gekommen, daß ich
klarer, ſonnenheller Menſch dem Mondſcheingeheimniß
der ſentimentalen Liebe nachſpüre, daß ich ein blaſſer
Romantiker werde; wo ich früher nichts als das offne
Walten der beſten Kräfte ſah, die ſich nach Naturgeſetzen
anziehen, da ſuch' ich jetzt myſteriöſe Sympathie. Es
iſt weit mit mir gekommen. Ich bin wie ein über¬
ſchwenglicher Mediziner; wenn ſeine Therapie nicht mehr
ausreicht, da flüchtet er zu den ſympathetiſchen Be¬
[94] ſchwörungsformeln. Weißt Du keine für meine Julia?
O daß wir keinen Teufel mehr haben, dem ich mich
verſchreiben könnte für das liebreizende Mädchen! — —


Und doch muß ich über die lächerliche Scene, die
ſich neben mir begiebt, lachen. Valerius hat den Pro¬
vençalen an den Schreibtiſch citirt; um ihm einen Brief
an Dich zu dictiren; Leopold zappelt wie ein Böcklein,
und möchte gar zu gern fort, aber Valers Auge und
Wort feſſelt ihn, er iſt wie eine am Magnet hin und
herrückende Stecknadel, die gern entweichen möchte, er
ſieht pudelnärriſch aus.


[95]

28.
Valerius an Constantin.

Meine Kräfte ſind in dieſem Augenblick zu ge¬
ſchwächt, als daß ich Deinen Brief ſorgfältig einzeln und
umfaſſend beantworten könnte. Es iſt ein trüber Nebel¬
tag, den Du mir geſchickt, Freund. Jeder gewiſſenhafte
Menſch zweifelt zuweilen an den Wahrheiten, die ſein
Leben leiten und zuſammenhalten. Du biſt in einer be¬
denklichen Kriſis, und ich fürchte, die Jugend Deines
Geiſtes und Herzens geht darin zu Grunde; ich fürchte,
Du wirſt in Kurzem ein alter Mann ſein, die Jugend
irrt allerdings mehr als das Alter, aber ſie iſt Poeſie
und Leben; ein grüner Irrthum iſt ſchöner als ein ver¬
trocknetes richtiges Wort. Die Natur wechſelt, das Bild
bleibt unverändert — willſt Du den gemalten Frühling
dem natürlich knospenden und grünenden vorziehn, weil
jener unverändert derſelbe bleibt? All' ſolche Kriſen und
Reactionen kommen von einer mangelhaften Geſchichtsauf¬
faſſung, von der Minuten- und Tagsgeſchichte — jene Wiſ¬
ſenſchaft aller Wiſſenſchaften zählt aber nach Jahrhunderten.
Jeder große Mann bringt Tauſenden Tod, um Millionen
[96] Leben zu bereiten; der Haufen Todter, den der Kampf
einer neuen Zeit um Euch aufhäuft, verengt Euch die
Ausſicht, Ihr ſeht nur den blutigen Tag, nicht das
goldne Jahrhundert. In einem Worte ruht die Erſchei¬
nung ſo vieler Reactionen aus gutem Willen. Dies
Wort heißt „Vergeſſen, daß wir in einer kritiſchen Zeit
leben.“ Die Jugend, die keiner Ruhe bedarf, weil ſie
Leben genug beſitzt, fragt wenig darnach, was Dies oder
Jenes koſtet, ſie iſt für Revolution, weil ſie für Ab¬
wechſelung, für große Lebensentwicklung iſt. Wenn uns
die Jugend verläßt, ſo meinen wir, die Zeit müſſe eben¬
falls vollendet ſein; wir verlangen, daß die Zeit in eben
ſo kurzen Schritten gehe als ein Menſch, eben ſo ſchnell
mit ihrem Leben zu Ende ſei als wir. Der iſt der große
Hiſtoriker, der nicht nach dem Schlage des eignen Her¬
zens urtheilt, denn wie zeitig ſchlägt ein menſchliches
Herz matt, ſondern nach dem Herzſchlage der geſchicht¬
lichen Epoche. Das Jahrhundert kommt wie ein Wan¬
dersmann mit zerriſſenen, abgetragenen, ſchmutzigen Klei¬
dern an dem Orte an, wo es ſich neu kleiden, reinigen,
ſäubern, umgeſtalten ſoll — ein Kleidungsſtück nach dem
andern wird abgeworfen, der unkundige Menſch geht
vorüber, er hat es lebhaft gewünſcht, daß jener Wan¬
[97] derer ſich neu geſtalten ſoll; aber er ſieht die halb ent¬
kleidete ſchmutzige Figur, er entſetzt ſich davor, nennt
ſeinen Wunſch Frevel, verhüllt ſein Geſicht und läuft
heulend von dannen. Die Metamorphoſe geht unter¬
deß weiter, das Bad, — freilich oft mit Blut gefärbt,
ſo lange die Civiliſation noch eine halbkriegeriſche, ſo¬
mit halbbarbariſche iſt — wäſcht die letzten Flecken ab,
die neuen Gedanken flattern als neue Kleider umher,
die neue Zeit iſt vollendet und erſcheint auf den Märk¬
ten; aber jener Menſch, der vorüberging, glaubt immer
noch den Schmutz unter den neuen Gewändern verſteckt,
den er damals geſehen; ſein Herz iſt alt geworden, er
hat das Hoffen verlernt, er erkennt nicht mehr, was
ſchön iſt, denn ſein Blick iſt befangen — jener Menſch
iſt der Reaktionair aus gutem Willen.


Du haſt plötzlich vergeſſen, daß wir immitten ei¬
ner kritiſchen, zerſtörenden, umwandelnden Epoche ſind,
in drei Tagen haſt Du die Metamorphoſe vollendet ſehen
wollen — da dieſer Glaube Dich getäuſcht, wie er Dich
täuſchen mußte, denn nicht in einer Nacht blüht die
ganze Erde auf, läufſt Du heulend und Dein Geſicht
verhüllend von dannen. Dir ſpukt die Tages- und
Wochengeſchichte im Kopf und die Weltgeſchichte Deines
II. 5[98] Herzens haſt Du vergeſſen, die in Jahren, Jahrzehnden
und Jahrhunderten ſchreitet, weil Dein Herz plötzlich zu¬
ſammengeſchrumpft iſt.


Dieſe mangelhafte Geſellſchaftsanſchauung entreißt
unſerer ſich wiedergebährenden Zeit manch braven Mann,
ſeine Kraft reicht nicht aus für den fortwährenden Un¬
terſuchungs- und Anklageſtand, die Eitelkeit überkommt
ihn und erklärt lieber das Ganze für einen Irrthum,
als ſich für ſchwach. Der nur wird ein großer Feld¬
herr, der die Maſſen zu beurtheilen verſteht, der nur
ein großer Hiſtoriker, der die Zeitmaſſen in ſeinem Geiſte
aufzunehmen und zu beherrſchen vermag. Wenn Na¬
poleon an der Brücke von Lodi tauſend von ſeinen Gre¬
nadieren ſchonte, ſo drang das freiheitsmörderiſche
Oeſterreich vielleicht nach Frankreich und Millionen wur¬
den um die Freiheit gebracht, welche in Frankreich auf¬
wuchs für die Welt. Jahrzehnte des alten Jammers
kehrten wieder.


Da das Handgemenge um die Freiheit begonnen
hat, alle Triebe, Begriffe, Wiſſenſchaften, Künſte in
dieſes Handgemenge verwickelt ſind, ſchreiſt Du mit
ſchwacher Stimme „Ordnung — Ordnung,“ und weil
es nichts hilft, wirfſt Du Dich weinend an den Bo¬
[99] den. Kämpfe — der Kampf iſt zur Kriegszeit der
nächſte Weg zur Ordnung.


Ermannſt Du Dich nicht, erreichſt Du nicht die
Höhe des hiſtoriſchen Ueberblicks, wo die kleinen Stö¬
rungen verſchwinden, Freund, ſo biſt Du in Kurzem
von der neuen Zeit geſchieden, ſo biſt Du bald eine
Mumie.


Alſo Kopf in die Höhe, helle Augen und nun
laß ſauſen und brauſen: was rechteſt Du mit der Na¬
tur, wenn Du eben während des Sturmwindes aus¬
gehſt und doch verlangſt, Dein Rock ſolle keine Falten
werfen, Deine romantiſche Figur ſolle nicht zerſtört wer¬
den — es iſt nun einmal Sturmwindszeit und die iſt
nicht vorüber, wenn die Kalender mit den königlichen
Stempeln nichts davon wiſſen. — Ade Conſtantin —
Dein Valer.


Schreiber Dieſes, der Prinz Zerbino aus der Provence,
ſchickt Dir ein ganzes Füllhorn Grüße und Ent¬
ſchuldigungen, daß er ſeine Hand hat leihen müſſen
zu ſo herben Dingen.


5 *[100]

29.
Hyppolit an Constantin.

Jag' Deine Augen Carrière durch dieſe Zeilen.
Sobald Du am Ende biſt, eil' an die Thore nach Teutſch¬
land zu, gieb Aufträge, beſchreibe, unterrichte, verſprich
Belohnungen — thu Alles, um der Gräfin Julia, wenig¬
ſtens ihrer Wohnung, wenigſtens der Nachricht habhaft
zu werden, ob ſie in Paris iſt oder nicht. Dieſer Brief
kommt auf dem kürzeſten Wege zu Dir, er reiſ't gewiß
ſchneller als eine Dame. Vor einer Stunde iſt Julia
abgereiſ't; ich trat nach jenem thörichten Geſchwätz Leo¬
polds, wobei wir vielfach ſtehen geblieben waren, ge¬
lacht, kurz die Zeit vertrödelt hatten, in den Schloßhof,
und hoffte Julien verſchämt aber liebevoll im Geſellſchatfs¬
ſaale zu finden — da fliegt Juliens Reiſewagen über
die jenſeitige Brücke, die vier Pferde wiehern wie hohn¬
lachend und ziehen die Beute im geſtreckten Trabe von
dannen — alle Muskeln ſchwellen mir, ich ſtarre wie
ein zürnendes Steinbild hin, tauſend Leidenſchaften dro¬
hen mich zu zerſprengen — da wendet ſich ein Kopf
aus dem Wagen; ich erkenne Julien, ſie winkt Abſchied
[101] mit dem Taſchentuche. Da wird der Stein lebendig,
ich fliege in den Stall, zum Satteln iſt keine Zeit,
werfe meinem Pferde den Zaum über, ſpringe auf und
jage ventre à terre der davon eilenden Beute nach —
am nächſten Dorfe erreiche ich glücklich den Wagen, ich
ruf den Kutſchern Halt zu, ſie erhalten aus dem Wagen
Gegenbefehl, Julia, die mich erblickt hat, ertheilt den
Gegenbefehl, mein Pferd droht unter mir zuſammenzu¬
ſtürzen. Ich wollte in den Wagen ſpringen, mit ge¬
rungenen Händen bat ſie mich, abzulaſſen, zurückzukeh¬
ren. Ihr Geſicht ſchwamm in Thränen, ſie ſchien im¬
merwährend geweint zu haben — Hyppolite, toute
mon ame Vous prie de me faire partir, Vous m'as¬
sassinez en m'empêchant
— das geſchah alles noch
im Trabe, ich ſchrie dem erſten Kutſcher zu, ich er¬
würgte ihn wenn er nicht Schritt führe — er that's
Julie, mon ange, pourquoi ça?“ Sie reichte mir die
Hand aus dem Wagen, ſie war glühend heiß und bebte.
Ich drückte ſie an meine Lippen. „Vous me tuez, si
vous ne retournez pas
!“ — Ach, das ſagte ſie mit
einem Blick, der mit ſeiner Rührung den Himmel ge¬
ſpalten hätte. Ich hielt mein Pferd ſtill und blieb zu¬
rück. Da warfen die Kutſcher ihre Pferde in Galopp —
[102] meine Wuth erwachte, ich wollte die Schufte ermorden
und jagte nach. Julia erhob ſich händeringend im Wagen,
neben ihr ſtürzte mein Pferd zuſammen, ich hörte Ju¬
liens Schrei und Haltrufen, aber mein Stolz hob mich
unter dem Leibe meines Pferdes in die Höhe; ich winkte
ihr, fortzufahren — ſie fuhr. Ich weiß nicht, wie ich
zurückgekommen bin. Thu wie ich Dich gebeten, bald
ſiehſt Du mich ſelbſt.


[103]

30.
Julia an ihre Mutter.

Du hatteſt Recht Mutter, als Du mir riethſt mei¬
nen Aufenthalt in Grünſchloß abzukürzen, Hyppolit würde
mein Unglück ſein. Er iſt der ſchönſte, gewaltigſte Mann,
den ich [geſehen], wäre ich länger geblieben, ſo hätte er
mich überwältigt, ob ich ihn deshalb je geliebt hätte,
weiß ich nicht.


Geſtern bin ich abgereiſ't, weil es die höchſte Zeit
war, ich gehe zum Vater nach Paris und ſchreibe Dir
dies Billet aus dem erſten Nachtlager. Morgen mehr,
liebe Mutter, ich bin todtmüde. Faſt eine Stunde lang
bin ich im Wagen ohnmächtig geweſen — Hyppolit kam
wie ein zürnender Gott hinter dem Wagen her und
wollte mich halten. Ach Mutter, was hab' ich gelitten
dabei. Ich gab ihm meine Hand, unendliche Wolluſt
jagte ſein Kuß darauf durch meine Sinne, aber mir
war's, als hielt mich ein wilder Geiſt. Mein Mädchen,
die etwas von unſern Geſprächen verſtanden hatte, gab
den Kutſchern ein Zeichen, der Wagen flog davon,
Hyppolit ſchrie auf, daß es mir Mark und Bein erbe¬
[104] ben machte, er jagte uns nach, das Pferd brach unter
ihm zuſammen und ſtürzte auf ihn — Mutter, ich war
zertrümmert, ſchrie Halt, wollte aus dem Wagen —
ach — meine Kräfte hatten mich verlaſſen, ich war
bewußtlos zurückgefallen, das Mädchen hatte fortfahren
laſſen. Sie erzählte mir, Hyppolit habe unverletzt ge¬
ſchienen, habe ſelbſt uns fortgewinkt, ſei aufgeſtanden
und habe uns lange mit untergeſchlagenen Armen da¬
ſtehend nachgeſehen.


Ach, es war ſehr traurig, liebe Mutter, und ich
werde wohl lange nicht froh werden.


[105]

31.
Alberta an Camilla.

Ach, daß Du nicht mehr bei mir biſt, meine arme
geliebte Camilla! O wie wollt' ich Dich küſſen! Du
wunderſt Dich, daß ich nicht traurig bin, weil Du
von der Fürſtin gehört haſt, Julia ſei fort, und Hyp¬
polit ſei ihr ſpornſtreichs nachgereiſ't. Nein, meine
Liebe, ich bin gar nicht traurig, ich bin recht ſtill, aber
recht ruhig, ja ſogar glücklich. Der ganze Schwarm
iſt fortgeflogen; Du weißt, daß Conſtantie William und
Leopold mitgenommen hat, Graf Fips iſt ein ſtummer
Mann, wir haben nur den lieben kranken Valerius hier,
und der iſt mehr werth als Alle.


Man ſagt mir, ich ſei in Hyppolit verliebt ge¬
weſen, und er hätte mich ſehr unglücklich gemacht: das
Erſte mag wohl wahr ſein, ich glaube, es iſt auch das
rechte Wort getroffen. Geliebt? Ach, nein, berauſcht —,
o bitte, erlaß' mir das Zergliedern, Du weißt, ich kann
das nicht, ich liebe das bewußtloſe, ungeprüfte Hin¬
träumen, ich frage nicht viel. Valerius nennt mich
drum immer die romantiſche Dame, und hat mir ver¬
ſprochen mit mir nach Paris zu reiſen, und mich mit
[106] den dortigen Romantikern Victor Hugo, Janin und
wie ſie heißen mögen, bekannt zu machen. Ja, ja,
das hat er mir verſprochen. Und ſie würden mich ſehr
lieben, ſagt er, der gute Mann. Geſtern hat er mir
Victor Hugo's Hernani vorgeleſen — ach, wenn ich
doch ſo lieben könnte wie Donna Sol, ſterben könnt'
ich gewiß ſo für meinen Hernani. Aber Hernani gleicht
in vieler Wildheit zu ſehr dem Hyppolit, es iſt in Bei¬
den zu tolles ſpaniſches Blut. Ich habe Valerius ge¬
beten, mir einen ſanftern Hernani, einen teutſchen zu
ſchreiben. Er lachte, als ich's ihm ſagte, daß die Teut¬
ſchen am liebenswürdigſten wären. Der Vater hat uns
verſprochen, daß wir drei, er, Valerius und ich im
Spätherbſt nach Paris reiſen würden. Papa iſt viel
weicher als ſonſt, aber nicht mehr recht luſtig. Du
fehlſt ihm, meine liebe Camilla, o komm und mach'
uns munter mit Deiner guten Laune. Wenn Du bald
kommſt, kannſt Du auch mit reiſen. Valerius hat
heut' viel zu ſchön für Dich gebeten und der Vater
nickte ſtill mit dem Kopfe und ſah ſo unbeſchreiblich
gut dabei aus. Ach Gott ja, Du warſt in der letzten
Zeit gar nicht mehr vergnügt, das fällt mir erſt ein.
Gieb doch Deinen garſtigen Ludovico auf. Dem Herrn
[107] Valerius darf man gar nicht davon ſprechen, ſonſt wird
er gleich betrübt.


Die Fürſtin wollt' ihn gar zu gern mitnehmen;
der Vater ſagte uns, ſie hätte ſich einen Scherz aus¬
geſonnen, die jungen Leute mit ihren neuen Anſichten
in den großen Geſellſchaften auftreten zu laſſen, welche
ſich jetzt auf ihrem Luſtſchloſſe verſammeln werden. Sie
verſpräche ſich an dieſem Turnier mit den alten Rittern
ſehr viel Spaß, aber William und Leopold hälfen ihr
eigentlich nicht viel, jener weil er zu fromm und
legitim, dieſer, weil er zu luftig, unſicher und nach¬
giebig ſei. Beide würden ihr nur mit Poeſie aushel¬
fen können; nur wenn Valerius mitkäme, ſei auf vor¬
theilhaften Kampf zu rechnen. Da er es beſtimmt aus¬
ſchlug, ſo hat er wenigſtens verſprechen müſſen, feind¬
liche Briefe hinzuſchreiben, welche die ganze Geſellſchaft
beſprechen, und bekämpfend durch den Sekretär William
beantworten würden. Es iſt gar nicht hübſch von
Conſtantien, daß ſie unſerm kranken Freunde ſo viel zu
ſchaffen machen will — er ſoll ruhen, und geh'ts nach
mir, ſo ſchreibt er keine Zeile.


Aber das Ein und Alles meines Briefs iſt: Kom¬
me — komme morgen, Herr Valerius bittet auch ſchön,
[108] und der Vater auch. Es iſt jetzt ja hübſch ſtill und
heimlich auf Grünſchloß, es wird Dir ſehr behagen.
Valerius darf noch nicht viel gehen, und da ſitzen wir
faſt den ganzen Tag auf der Terraſſe unter den Aka¬
zien und ſchwatzen und leſen und treiben Allerlei. Herr
Valerius trägt den Arm im Tuch und ſieht noch blaſſer
aus als ſonſt, aber viel ſanfter, freundlicher, milder.
Komm nur, komm, er will uns Geſchichten erzählen,
wenn Du da biſt — hörſt Du? Komm! Jetzt küß' ich
Dich eins-zwei-dreimal und bin Deine zärtliche


Alberta.

[109]

32.
Leopold an Valerius.

„Im wunderſchönen Monat Mai

Als alle Knoſpen ſprangen,

Da iſt in meinem Herzen

Die Liebe aufgegangen.
Im wunderſchönen Monat Mai

Als alle Vögel ſangen,

Da hab' ich ihr geſtanden

Mein Sehnen und Verlangen.“

Es iſt zwar September und die Früchte fallen,
aber um ſo beſſer, die Vöglein ſingen noch, die Natur
iſt noch ſchön, eine üppige Frau voll Lebensluſt, Saft
und Liebe. Weißt Du noch, wie der Präſident in Ka¬
bale und Liebe ſich ſpreizt und feierlich die größte
Hälfte des Mords auf den überſcharf geſchliffenen Be¬
griff des Malitiöſen, ſeinen Todten-Wurm wälzt und
weißt Du's noch, nun ſo lache nicht: ich wälze, wenn
auch minder feierlich, einen Theil meines bunten Lebens
auf Deine Verantwortung. Sonſt flog ich unbewußt
umher und ſtahl, jetzt thu' ich's ſyſtematiſcher, ſeit ich
einmal ein Stück Deines Syſtems gehört. Wenn ich
[110] ſündige, ſo geſchieht's zum Theil mit auf Deine Rech¬
nung und das iſt mein Troſt. Erinnerſt Du Dich
noch jener Worte; wir ſaßen an der Promenade, ein
Roué ſtrich vorüber, an ſeinem Arm hing ein reizendes
Mädchen. Der Mann ſah glücklich in die grünen Baum¬
zweige, zwiſchen denen der Sonnenſtrahl hin- und her¬
hüpfte und man ſah es ihm an, wie ſein ganzes We¬
ſen auf ſolchen wollüſtigen Sonnenſtrahlen hinſchaukelte,
Freund Valerius, da nahmſt Du das Wort und ſprachſt
wie folgt: „Warum ſcheltet Ihr den Mann, es iſt ſehr
möglich, daß er kein Scheltwort verdient. Die Natur
iſt überſchwenglich reich, und doch ſind die meiſten
Menſchen arm — es iſt auch eine Sünde arm zu ſein.
Warum verſchließt Ihr die tauſend Thore des Genuſſes,
die Ihr öffnen könnt. Es iſt auch eine Tugend, über¬
ſchwenglich zu genießen. Verſteht Ihr das ganze Trei¬
ben der Zeit, den Demokratismus, der immer höher
und höher ſein leuchtendes Haupt hebt? Statt tauſend
Menſchen will er Millionen beglücken — das iſt ſein
Gegenſatz zum Ariſtokratismus. Nehmt den Strahl
dieſes leuchtenden Kopfes in Euch auf, ſeht, hört und
fühlt ſtatt aus fünf Organen aus tauſend und Ihr
werdet glücklicher und ſomit tugendhafter ſein. Nicht
[111] zum Verbieten hat die Natur ſo unſäglich viel Freude
ausgeſtreut. Es iſt ein Fortſchritt der Kultur, man¬
nigfach glücklich zu ſein; was man einen Roué nennt,
das iſt oft der tüchtigſte Menſch, der civiliſirteſte Mann,
der die Natur mit hellerem Blick umarmt als die plum¬
pen ſogenannten tugendhaften Philiſter, deren Verdienſt
darin beſteht, die meiſten Freuden [nicht] zu kennen, ja
zu fliehen. Geht fort mit Eurer bleichen negativen
Tugend. Ihr treibt den unnatürlichſten Prozeß, ſtatt
mehr und mehr Fähigkeiten in Euch zu ſchaffen; je
größer der Reichthum rings um Euch wird, trachtet
Ihr nur darauf jene Reichthümer zu zerſtören, damit
Eure Armuth nicht an den Tag kommt. Ihr ſeid die
traurigſten Revolutionairs. Weil es ein Paris, über¬
haupt große Städte, großes, reich bewegtes Leben,
neue Ideen, tauſenderlei Neues giebt, was noch nicht
in dem A B C Büchlein Eurer Moral und Fähigkeit
ſteht, habt Ihr nichts Eiligeres zu thun als all' die
Dinge zu verdammen. Wer nur die gewaltige Man¬
nigfaltigkeit des neuen geſellſchaftlichen Lebens, das
bunte Vielerlei der großen Städte, das verſchiedenartig
gewordene Weſen der Modeweiber zu genießen verſteht,
den will ich preiſen, der iſt würdig des großen Reich¬
[112] thums der Kultur, der iſt ein Mann der Zeit, und der
Mann der Zeit iſt tugendhaft. Ihr ſeid abgeſchmackt
mit den Vorwürfen des wilden, tollen, ausſchweifenden
Lebens, die Ihr aus lauter Neid und Schwäche Jedem
anhängt, der zu genießen verſteht. Mein Mann iſt der,
welcher die große göttliche Demokratie unſrer Tage in allen
Theilen der Geſellſchaft in ſich aufzunehmen verſteht, wer
Kunſt, Wiſſenſchaft, Geſelligkeit, Weib, die ſogenannte
Natur ganz und gar lieben kann, der iſt der reifſte
Studioſus unſrer Tage und er kann dem Herrgott zu¬
jauchzen, daß er ſeine Welt durch und durch begrif¬
fen habe.“


„Darum ärgern mich auch unſre Romane ſo ſehr.
Sie ſind wunderbar hinter der Zeit zurückgeblieben
und das Weſentliche unſeres beſten Romans, des Wil¬
helm Meiſter, die Veilfältigkeit haben ſie nicht verſtan¬
den. Unſre Romanhelden lieben meiſt auch wie der
mittelalterliche Minnenarr. Für einen einzigen Gegen¬
ſtand lebt und ſtirbt er und iſt für alles Andre blind.
Es heißt die Natur zuſammenſchnüren und die große
Geſellſchaft in Kämmerchen abtheilen. Jede Bildung
fängt allerdings vom Individuum an und die vervoll¬
kommneten Einzelverhältniſſe bereiten die allgemeine Aus¬
[113] bildung vor. Aber wir können doch nicht ewig blos
anfangen. Ich bitte Euch, Ihr Leute, macht Euch
reicher.“


Sieh, was für ein aufmerkſamer Zuhörer ich ge¬
weſen bin. Deine Worte erſchloſſen mir damals eine
neue Welt, und ich ſchrieb ſie mir wie eine Apologie
meines Treibens auf. Was giebt es Schöneres, als
das eigne Treiben, was aus unſrem unklaren Drange
hervorgeht, plötzlich geordnet, ſyſtematiſch gerechtfertigt
und empfohlen aus dem Munde eines edlen Mannes
dargeſtellt zu hören! Ich lebte damals wie heut', näm¬
lich bunt; jedem Menſchen aber, der verſchieden von
ſeinen Umgebungen lebt, kommt zuweilen der Gewiſſens¬
zweifel, ob er nicht Unrecht habe neben der großen
Menge, die doch in geordneten religiöſen und ſtaatlichen
Verhältniſſen ſich bewege, die doch am Ende als All¬
gemeinheit eine richtigere Einſicht habe. Meine Zwei¬
fel zerſtoben vor Deinen Worten. Ich hatte vorher,
wo ich Genuß fand, genoſſen, unbekümmert um alles
Uebrige; jetzt ſuchte ich mehr als je die Abwechslung
und Mannigfaltigkeit. Ich hielt mein bewegtes Innere
für gerechtfertigt. Auf dem fürſtlichen Schloſſe hier
hat ſich mir ein Luſtgarten mit orientaliſchem Farben¬
[114] ſchmelz geöffnet. Der Fürſtin dichte ich alle Tage ein
Sonnett und beim Thee leſ' ich es vor, der Prinzeſſin
Amelie ſing' ich tauſend Liebeslieder — ich bin wie
der Singvogel in duftenden Zweigen. Weiß der wohl,
wie viel er ſingt? O die Welt hat tauſend und aber
tauſend Augen, und aus jedem einzelnen ſieht Liebe und
Schönheit. Könnteſt Du nur in das ſchwärmeriſche
meiner himmliſchen Amelie ſehen, alle Lieder aller pro¬
vençaliſchen Dichter ruhen darin — aber nein, ich
ſollte ſeit Grünſchloß ſcheu geworden ſein vor Dir und
Hyppolit — habt Ihr mich nicht dort aus allen mei¬
nen klingenden Wäldern vertrieben? Es iſt mir erſt
jetzt eingefallen, nachdem mich William darauf auf¬
merkſam gemacht. William iſt nebenbei ſehr elend, ich
fürchte, er liebt die Fürſtin, aber er läßt ſich gewiß
eher kreuzigen, als daß er zu ihr oder ſonſt Jemand
ein Wort davon ſagt. Die Grundſätze, ach die ſchwer¬
fälligen Grundſätze. Er ſcheint ſehr zu leiden und
Dich haßt er förmlich, weil die Fürſtin oft mit In¬
tereſſe und Achtung von Dir ſpricht. Im beiliegenden
Briefe, den er der Geſellſchaft vorgetragen, beginnt er
die Polemik mit Dir — ich habe nicht recht aufgepaßt,
ich glaube meiſt über Theologie. Die Fürſtin ſtachelt
[115] ihn dazu und er läßt ſich wohl größtentheils darum in
einen Kampf mit Dir ein, weil ihm die Fürſtin eine
Niederlage phrophezeiht und ihn der Ehrgeiz ſticht. Ant¬
worte mir bald. Der Kampf ſoll öffentlich geführt
werden; ich werde unterdeß eine einaktige Tragödie ſchrei¬
ben, wo unſer moderner Heinrich von Ofterdingen, dem
der Blick der neuen thüringiſchen Fürſtin Grundſätze
und Blick verwirrt hat, ein trauriges Ende nimmt.
Aber unſre Wartburg iſt doch ſchöner als jene Eiſe¬
nacher, und daß ich Liebespſalme meiner Amelie ſinge,
ſtatt aus dem Hebräiſchen Davidiſche zu überſetzen, iſt
auch nicht mein Schade.


Prinzeſſin Amelie iſt die nordiſche Sakontala, ſie
ſchimmert im goldnen Duft, ſie ſpricht ſüß wie die
Peri, ihr Auge iſt der Stern der heiligen drei Könige,
ſie iſt anzuſchauen in ihren erhobenen Weſen wie die
Ceder auf dem Libanon. Das iſt mein Pſalter. Ame¬
lie iſt eine reizend verkörperte Romantik, ſie wiegt ſich
auf Tönen, ſie ſchwebt auf Akkorden. Lache nicht wie¬
der über meine Ueberſchwenglichkeit. Wir waren uns
in fliegenden Geſprächen begegnet, meine Lieder flogen
aus meinem Fenſter in den Garten, wo ſie träumend
hin und her ging; meine Lieder klangen des Abends
[116] aus ihrem Zimmer und die Guitarre fragte ſchelmiſch,
ob ſie recht gekleidet gingen. Es war ein ſonniger Sonn¬
tagsmorgen, die Landleute gingen geputzt zur Kirche; ich
ſchaukelte mich auf den zauberhaften Reimen der Schö¬
pfung. Da ſchlüpft Amelie vor meinen Augen in den
Garten, ich hörte die Thür des Pavillons öffnen. Ich
ging, ich flog hinunter und ſah aus dem Gebüſch durch
die Fenſter des Gartenhauſes. Sie ſtand an einen
Pfeiler gelehnt, hielt ein Buch in der Hand, las ab¬
wechſelnd und ſah in den Himmel. Ich kannte den
Einband; es waren Ludovico Tieks Gedichte. Amelie
trug ein roſenrothes Kleid, ihre langen blonden Locken
fielen à l'enfant wie des Sonnengottes Strahlen auf
die Schulter, eine Lilie ſah mit unſchuldigem Auge aus
ihnen hervor. Die Prinzeſſin iſt ſchlank und leicht wie
eine Gazelle, ihre Haut iſt weiß wie Federgewölk, ihr
Mund ſüß und klein wie ein Liebeswort, und die ſchma¬
len Lippen bebten, als ſpräche ſie einen beflügelten Vers
in die Lüfte. Ich ſprang zu ihr, ſtürzte zu ihren Fü¬
ßen, bedeckte mit Küſſen die kleine Hand, weinte vor
Liebe, umfaßte ihre Knie und drückte meinen Kopf dar¬
an. Ich weiß nicht wie es weiter geſchah, ihre Hand
fühlt' ich an meiner Wange, ſie lag bald an mei¬
[117] ner Bruſt, und wir ſprachen von Tiek und Liebe.
Wir dichten und küſſen täglich und die Welt iſt wun¬
derſchön.


Schreiben kann ich nicht mehr — der Himmel
ſende Dir Glück; die Fürſtin ſprach heut ſchalkhaft von
einer nahen Hochzeit.


[118]

33.
Camilla an Alberta.

Ich ſoll zu Euch kommen? Ach Du gutes harm¬
loſes Kind weißt nicht, was Du bitteſt und doch, wenn
ich wirklich ein ſtarkes Mädchen bin; ſo ſiehſt Du mich
bald. Ach, ich weiß nicht wohin ich ſoll, und Grün¬
ſchloß iſt ſo ſchön, ſo verführeriſch ſchön. Hätt' ich
nur einen ſo jungen, fügſamen Charakter wie Du, meine
Liebe. Ich habe ein hartes garſtiges Herz. Aber hier
auf dem Schloſſe der Fürſtin halte ich's nicht mehr aus
vor Langerweile. William ſchmachtet für die Fürſtin und
bemerkt es nicht, wie ihn ihr Schwager ſchnöde, ja un¬
würdig, verächtlich und abgeſchmackt behandelt — o
wie würde Valers Zorn donnern, wenn er dies mit an¬
ſähe. Der Prinz gewordene Leopold ſpielt eine wunder¬
liche Rolle hier. Man behandelt ihn mit aller Aus¬
zeichnung, die ſeinem neuen Stande zukommt, und
doch weiß Niemand, wie er eigentlich heißt, und doch
hüpft ein ſo gefährlicher Spott auf den Lippen der Für¬
ſtin herum, wenn ſie mit dem „verzauberten Prinzen“
ſpricht, daß ich wirklich nicht weiß, was ich dazu ſa¬
[119] gen ſoll. So erregt mir das ernſthafte Liebesverhältniß,
was ſich zwiſchen Leopold und der Prinzeſſin Amelie ge¬
bildet hat, eine Art geſpenſtigen Grauens. Ich fürchte,
Canſtantie haßt die Prinzeſſin. Die klare, in Göthe
poetiſche Frau iſt der gerade Gegenſatz alles Nebelhaften,
unklar Romantiſchen. Unſre Freunde würden ſagen:
ſie iſt griechiſch, plaſtiſch und Gott weiß was, die
Prinzeſſin aber oſſianiſch, mittelalterlich, chriſtlich. Es
iſt mehr, es iſt ein wunderlich Weſen, dieſe Amelie.
Wenn man noch keinen Begriff von einer Mondſchein¬
prinzeſſin hat, ſo muß man ſie anſehn, aber feineren,
durchſichtigeren Teint habe ich nie erblickt, weicheres,
ſchöneres Organ nie gehört — ich kann mich nur von
dem Gedanken nicht losmachen, daß all' ſolche toll ro¬
mantiſche Perſonen ſchwachköpfig ſind. Du weißt, daß
das Haus, woher ſie ſtammt, ſehr vornehm, aber ſehr
arm iſt. Bei all ihrer Schwärmerei hat Amelie doch
gegen alle niedrigern Stände einen Stolz, ja Hochmuth,
daß ich mich oft innerlich erbittert gefühlt habe, wenn
ich es ſah. Das iſt Alles ſo ganz anders bei der Für¬
ſtin. Nur der Schwager derſelben paßt zu Amelie —
es iſt ein garſtiger Menſch, hinter deſſen Hofton eine
grinſende Rohheit zu lauern ſcheint. Er giebt ſich den
[120] Anſchein, als zeichne er mich aus, Ach mir iſt ſo un¬
heimlich unter all den Larven, und daß ſie mich zum
Theil an Grünſchloß erinnern, iſt mir doppelt ſchmerz¬
haft — ich will nichts von Euch Lieben hören, wenn
ich nicht bei Euch ſein kann. Ach, Ihr mögt in Eu¬
rem Frieden recht glücklich ſein, Ihr guten Leute. Nach
Paris ſoll ich mit Euch reiſen? Ach ich möchte wohl,
aber — ach liebe Alberta, es iſt nicht alles gut in der
Welt. Wenn ich recht ſtark oder recht ſchwach werde,
ſo bin ich bald in Grünſchloß. Geſtern hab' ich einen
ſehr lieben Brief von Ludovico's Schweſter erhalten.
Sie muß ein ſehr liebenswürdiges Weſen ſein, und
bittet mich um Nachricht über ihren Bruder, der ſie
plötzlich verlaſſen hat, ohne daß ſie den Grund ſeiner
Abreiſe weiß. Wie geht es mit Valers Geſundheit?
Wie iſt der Himmel doch ſo gut, daß er das Unglück
abgewendet. — —


Ich werde wohl bald kommen, ich ſehne mich ſehr
nach Euch und doch, liebe Alberta, iſt es eine große Thor¬
heit, wenn ich zu Euch gehe. Glaub' mir's, ich bin
recht übel daran. Hatte mir nicht die Fürſtin mit ih¬
rem klaren Geiſte ſo Manches von den Verhältniſſen
auf Grünſchloß in einem andern Lichte dargeſtellt als
[121] es mir erſchienen war, ich wäre noch übler daran und
käme nicht zu Euch, verzehrte ſich auch mein Herz in
Sehnſucht. Frag mich nicht, was das für Räth¬
ſel ſind, frag mich nicht, gutes Kind! Wenn einmal
meine gute Laune wieder bei mir einkehren ſollte, dann
werde ich Dir davon erzählen, recht viel erzählen.


Tauſend Grüße für Euch Alle und nun Ade —
Ade! —


II. 6[122]

34.
Valerius an William.

Ich bin eben wenig aufgelegt, Deine theologiſchen
Bedenklichkeiten zu erwidern, auch müßte es in einem Tone
geſchehen, der mir für Eure bunte Geſellſchaft gar nicht
paſſend erſcheint. Einige Briefe Conſtantins aus frü¬
herer Zeit über dieſen Gegenſtand geſchrieben finden ſich
eben bei mir vor; die werden viel beſſer für Euren Kreis
paſſen und ich werde nur hie und da einige Notizen
einſtreuen. Warne in meinem Namen den Leopold vor
dummen Streichen. Er hat mir vor Kurzem eine Reihen¬
folge Meinungen von mir citirt, wo ich die Mannig¬
faltigkeiten des Lebens empfehle, in ſeinen Händen dürf¬
ten ſie ſich aber leicht in Anpreiſungen eines rückſichts¬
loſen Leichtſinnes, ja einer gefährlichen Lüderlichkeit
verwandeln.


Gewöhne Dir doch die verzweifelten Parentheſen ab,
mache lieber kleine ſelbſtſtändige Sätze daraus — ein
kleiner, wenig wiſſender und ſomit wenig ſagender, aber
in ſich geſchloſſener, abgerundeter Menſch iſt in ſeiner
Ganzheit doch mehr werth als ſolch ein geſchmeidiges
[123] Hofſchränzchen, was ſich überall anſchmiegt, anhängt
und ſomit auch überall Raum findet. Dieſe Inſtru¬
mente ſind gerade ſo, wie das, was mit Dir viele
Teutſche über den Adel ſagen: ſie trennen nicht, ſie ver¬
binden nicht, ſie nippen wie Fiſche vom Angelhaken;
ſie reden ſich vor, daß ſie was wollten und wollen nichts;
ſie erblaſſen des Todes, wenn man ihnen die hinten
und vorn einſchließenden, den Rücken deckenden Haken
und Klammern nimmt, wenn ſie frei und ſelbſt Stürmen
und Sonnenſchein preisgegeben daſtehn ſollen. In einer
proviſoriſchen Zeit ſprecht leiſe, halbe Worte; in einer zerſtö¬
renden und ſchaffenden ganze, verſtändliche, rückhaltsloſe.
Auch das Wort iſt emancipirt; neben der Gleichheit der
Menſchen ſoll auch die Gleichheit der Gedanken gehen;
der Kleine ſoll ſich nicht ſchämen und fürchten, unge¬
ſchützt vor den Großen hinzutreten. Die furchtſamen
Parentheſen ſind eine ganz teutſche Manier, keine andere
Sprache quält ſich ſo damit, weil alle andre Völker
mehr perſönlichen Stolz haben und hatten als wir: Ci¬
cero iſt vielleicht auszunehmen, der nur Muth hatte
Muth zu zeigen, nicht aber welchen zu haben. Laß nun
Conſtantin reden.


„Die Sünde des Selbſtmords iſt mir ſpaßhaft. Wozu
6*[124] ſind alle die Fähigkeiten da, mit jedem Tritte dem We¬
ſen dahier ein Ende zu machen, wenn wir's nicht dür¬
fen? „„Eben da ruht's““— ſagen dieſe ſogenannten
frommen Leute — „„Euer feier Wille iſt nicht be¬
ſchränkt, nun zeigt, daß Ihr ihn zum Guten brauchen
könnt; bezeigt Euch dankbar gegen den Schöpfer für
das Geſchenk des Lebens, was er Euch gegeben —
eben dieſe Gelegenheiten und Möglichkeiten ſind der Prüf¬
ſtein; fallt nicht über ſie und wohl Euch dann.““


„Ueber dieſe Prüfſteine und Prüfſteine“ als ob
uns der liebe Gott nur hergeſetzt, um ſich die Zeit mit
uns zu vertreiben in lauter Prüfen. Die Theologen ge¬
fallen ſich ſo überaus im Lehren — da müſſen wir denn
immer Schüler ſein, die unter dem dräuenden Haſelnu߬
ſtock examinirt werden; der Karzer iſt die Hölle und
das Heraufrücken über den Nachbar der Himmel. Daß
die Leute dem Einen nichts Gutes gewähren können ohne
dem Andern weh zu thun — wenn ſie doch Lection
nähmen bei der Natur. Aber ſie ſind eben die Lehrer,
deren es ſo viele giebt, die nicht für die Straße die
friſche Luft und den Sonnenſchein lehren, ſondern nur
für die Schulſtube. Wer ſagt uns denn, daß uns der
Herrgott wie die Schulbuben behandelt? — Wahrlich es
[125] kann nichts die Hypochondrie ſo befördern als dieſe Theo¬
rieen; das mit tauſend Zungen zu predigende und zu
preiſende Gute, was Chriſtus gebracht und durch ſeinen
Tod beſiegelt hat, iſt durch die Handwerker entſtellt wor¬
den. Sein Opfer, wodurch er einen unſchätzbaren Schatz
von Wahrheiten beglaubigt und der Welt ans Herz gelegt
hat, dieſes Opfer iſt zu einer erdrückenden Kreuz- und
Wundertheorie verdreht worden. Man muß ſich ſchä¬
men, wenn man einen Zeiſig luſtig zwitſchern hört — die
ganze Erde iſt durch die ſchwarzblütigen Leute zu einem
Sarge eingeſegnet worden; Sonne, Mond und Sterne
ſind Todtenfackeln, der Himmel iſt ein großes ſchwarzes
Leichentuch, die Menſchen ſind lauter Todte oder Todes¬
reife und tragen alle Leid. Es ſchickt ſich nicht zu la¬
chen, wenn man an Gott denkt — o Du fröhlicher
Gott, der ſo viel Freude ausgegoſſen. Das nennen ſie
Chriſtenthum. Großer Chriſtus, was würdeſt du zur
Ausgeburt deiner menſchenfreundlichen Gedanken ſagen!
Was richten die Menſchen für Unglück an. Die Pfaf¬
fen ſind die blutigen Cordeliers der Franzoſen, welche
das ſchönſte innere Leben nicht einmal wie jene kurz und
ſchnell guillotiniren, ſondern langſam vergiften durch
Angſt und Furcht. Mit der Muttermilch wird der trübe
[126] Glaube eingeſogen, ſpäter eingedroht und eingeprügelt,
wie jener Knecht Ruprecht wird der Schöpfer gemacht,
nichts als Furcht und Furcht und Demuth wird gepre¬
digt — nur die unverſiegbare, unzerſtörliche Quelle der
geiſtigen Geſundheit des Menſchen, nur die Herrſchluſt
der Stärkeren hat die Menſchen noch bisher in einer
halb aufrechten Stellung erhalten und ſie nur theilweiſe
zu Quäkern, Herrnhuthern und dergleichen zuſammen¬
knicken laſſen. Die lebendige Natur in ihrer Lebendig¬
keit entwickelt lauter Freude, aber wir ſollen uns nur
„unter Furcht und Zittern“ freuen, weil es einſt welt¬
beherrſchende Römer gegeben hat, die die Welt in ſtraf¬
fen Zügeln hielten, weil es einmal ausgeartete Juden
gab, weil einſt der trefflichſte Mann zwiſchen dem ga¬
liläiſchen und todten Meer auf das unwürdigſte und
tödtlichſte verfolgt wurde, weil man vor ſo vielen Jahr¬
hunderten ſo furchtſam gedacht oder die Menſchen ſo
furchtſam geſtempelt hat.“


„Was iſt denn das für ein Geſchenk, was mir
keine Freude macht? Welch ein unwürdiger Gedanke
von der göttlichen Gerechtigkeit, daß uns etwas aufge¬
drängt werde, was uns nicht gefällt! Was ſchwatzt
Ihr denn vom freien Willen und rühmt Euch deſſen,
[127] wenn Ihr ihn nicht gebrauchen dürfet. „Was man
nicht nützt, iſt eine ſchwere Laſt.“


„Gerade das iſt die Spitze von geiſtiger Freiheit,
das Ende ſeines Daſeins in Händen zu haben, das iſt
der deutlichſte Beweis, den uns die Gottheit gegeben,
daß ſie uns nicht zum Jammer hergeſetzt — Prüfung
und Prüfung iſt ein gottloſer Gedanke, wenn er auch
nicht unlogiſch iſt, — denn was ſoll denn geprüft wer¬
den? — Die Kräfte, die uns Gott gegeben? — Kennt
er die nicht? Oder, wie wir ſie verbraucht? Ja wohl!
Aber ſo verbraucht ſie denn auch, nehmt ſie nicht ge¬
fangen. Errichtet ein Tribunal in Eurem Herzen, das
iſt das gerechteſte; denkt und lernt ſo viel Ihr könnt,
damit das Tribunal möglichſt weiſe werde. Tann lauſcht
ſeinem Urtheile und folgt ihm. Ihr werdet einſt ſicher
damit beſtehen, denn es iſt auf den ſicherſten Rechts¬
grund baſirt. Ihr werdet nach Geſetzen gerichtet, die
Ihr gekannt, die Ihr für die beſten gehalten, denen Ihr
Euch gefügt habt.“


„Ihr kommt nicht zu Stande mit Eurer despo¬
tiſchen Objektivität; jede einzelne [Subjektivität] appellirt
nach der menſchlichen Konſtruktion zuerſt an ihr eignes
Objekt und akkommodirt ſich nur, ſoweit es geht, Eu¬
[128] rem Geſetz. — Die Menſchen können alle Schuhe brau¬
chen, aber nicht alle einen Schuh.“


„Die Pfaffen haben noch mehr Unglück in die
Welt gebracht als die Ariſtokraten; dieſe drückten uns
zu Boden, aber das Sonnenlicht konnten ſie uns nicht
nehmen; jene verhüllten die Sonne mit einem ſchwar¬
zen Tuche, worauf ſie den Kreuzestod malten. Die be¬
ſten Pfaffen waren die ſchlimmſten, weil ſie an ſich ſelbſt
glaubten. Sie werden in eine ſolche Klugheit hinein¬
geredet, da ſie immer gebend vor der Welt ſtehn — ein
abſcheulicher Dünkel kann gar nicht ausbleiben. Sie
haben die Schlüſſel zum Himmel und zur Hölle, und
die Thürſteher ſind immer ſchlimmer als die Hausherrn.
Es iſt gar nicht mehr die Rede vom Empfangen bei
ihnen, ſie ſind meiſt alte Weiber — oder ſie halten
doch Alles, was man Ihnen ſagt, für Nebenſache, denn
was alles Andre überflüßig macht, glauben ſie doch
zu haben.“


„Der jämmerlichſte Dorfpfaff, der 40 Jahr die Welt
und was ſie geboren, jenſeit ſeiner nächſten Berge nicht ge¬
ſehen, bedauert den geſcheidteſten Mann, der hie und da
über Dinge ſprechen will, die über Eſſen und Trinken gehn.
— Iſt es nicht zum Verzweifeln, wenn ich neben ſolch
[129] einen Manne von den beſchränkteſten Verſtandeskräften
ſtehe, dem ich mich geiſtig überlegen fühle, und deſſen
thieriſche blinde Keckheit und Zuverſicht ich ſehe — für
den Mann mag's gut ſein, für die, welche neben und
unter ihm ſtehen, vielleicht auch noch; für ſeine Pfarr¬
kinder, die tüchtigere Geiſtesfähigkeiten haben, iſt es ein
Jammer, denn die drückt er mit theologiſchem Daum¬
drücken zu ſich hinunter.


„Die Pfaffen halten die Bildung eben ſo auf, wie
ein ſchlechter Weg das Reiſen.“


„Es wird nicht leicht Jemand die unendlichen Seg¬
nungen, die das Chriſtenthum der Erde gebracht, die
jede poſitive Religion mehr oder minder der Geſellſchaft
ſich erſt entwickelnder Menſchen bringt, ſo preiſen als
ich; aber ſobald man nicht eine tägliche Perfectibilität
dieſer Lehren annimmt, ſobald man ihren Dienſt nicht
auf grenzenloſe Freiheit gründet, unterläßt man das Gute,
zerſtört man das Beſte, ſo lange trägt ihr Segen an den
Schwingen unendlich viel Elend. Jene Freiheit muß
viel größer ſein, als die je zu erlangende politiſche, denn
der menſchliche Geiſt hat keine Grenzen und kann ſich
zu keiner ſtaatlichen Beſchränkung verſtehen.“


„Was wiſſen wir denn gewiß? Unſere Geiſtesthätig¬
[130] keiten ſind wie das Wild im umzäunten Gehege, Alles
iſt nur beziehungsweiſe, Alles von Hecken, Gräben,
Zäunen eingeſchloſſen. — Wie viel kann denn ohne
Einſchränkung, ohne Ausnahme für alle Zeiten und Län¬
der geboten und verboten werden? Die ſteifſten Gramma¬
tiker reden mir das Wort; ſie ſagen: keine Regel iſt
ohne Ausnahme.“


„Gerade daß man die Religion wie die meiſten
Wiſſenſchaften zur Zunft gemacht, gerade das hat die
zünftigen Theologen jeder Confeſſion, grade das hat die
Handwerker geſchaffen, und jedes Handwerk will einen
goldnen Boden haben. Klappern gehört zum Hand¬
werk. Nun thut das Volk, als ſei es abonnirt in die
Vorleſungen, die der Herrgott alle Sonntag Morgen
lieſ't. Das hat die aufgeblähten Pfaffen hervorgebracht,
die mit ihrem Katechismus alle Welt auslachen, und
ſich über allem Verſtande dünken; „denn wir haben in
ihm,“ ſagen ſie, „den göttlichen Verſtand“ — und
weil der eifrige, fromme, aber geſunde Paulus einmal
durchdrungen von der menſchlichen Schwäche, von der
engen Begrenzung unſeres Vermögens geſagt hat: „All
unſer Wiſſen iſt Stückwerk“ — da ſchreien ſie: „Be¬
tet und ſingt, denn Ihr ſeid verworfene Kreaturen, die
[131] nicht werth ſind, daß ſie die Sonne beſcheint — bei
uns allein iſt Wahrheit und Leben und draußen, außer¬
halb der Kirchthüre, auf der grünen Erde Finſterniß und
Schatten des Todes.“


„Sie ſind wie die von einem böſen Geiſt Beſeſſe¬
nen — es wird und muß eine Zeit kommen, wo ihre
dummen Teufel ebenfalls in Gergeſenerſäue fahren.“


„Es muß die poſitive Religion vervollkommnet wer¬
den können, wenn ſie Nutzen haben ſoll — kann man
denn etwa leugnen, daß ein Dritttheil unſerer jetzigen
Welt ein andres Chriſtenthum als das der Pfaffen braucht?
Sowie es zumeiſt jetzt gelehrt wird, hat es nur Einfluß
auf die wenigen Gläubigen, die ſich für blind halten
und einen Stab wollen — thut Wunder, ſagt ihnen,
daß ſie ſehen und ſie werden ſehen. Mit dieſer aufge¬
ſtellten Perfectibilität hört auch das Pfaffenthum auf,
denn es tritt dann der Theologe in die Reihe aller
übrigen, die ſich dem Kriterium beugen, was uns das
höchſte iſt, weil es kein andres giebt, welches uns ſa¬
gen könnte, was das Höchſte ſei. Die Vernunft aber
iſt jenes Kriterium, unter welchem am Ende alle Par¬
teien fechten, nur daß die Einen ihr Banner entfal¬
ten, die Andern es zuſammengewickelt einhertragen. Was
[132] iſts, wenn der ſogenannte Supranaturaliſt ſagt: Ich
muß eine unmittelbare Offenbarung ſtatuiren, denn die
Gottheit offenbart ſich oft unmittelbar; ich weiß nicht,
warum der Baum grün iſt, warum die Erde Gewächſe
treibt ꝛc. — Darum muß ich annehmen, Gott offen¬
bare ſich unmittelbar.“


„Kommt der Mann nur dadurch zu dieſen Anſich¬
ten, daß er ſeine Schlafmütze auf den Baum oder auf
die Erde wirft? Nein, durch den Gebrauch ſeiner Ver¬
nunft — nenne ihn aber einen Rationaliſten und er
wirft Dir die Schlafmütze ins Geſicht. Vernünftig wol¬
len die Leute durchaus nicht heißen. Ach, die Faul¬
heit iſt aber die Erbſünde; hundert mal haben ſie an¬
gefangen zu gehen in der Kirchengeſchichte, nach einer
kurzen Weile waren ſie müde und wurden eben ſo ſtarre
Wegweiſer wie die Andern. So hat's der Proteſtan¬
tismus gemacht: er erſtarrte bald in Lutheranismus und
Clavinismus; ſo macht es der Rationalismus ebenfalls;
weil Wegſcheider, Paulus oder Röhr da oder dort ſte¬
hen geblieben ſind, da iſt die Sache fertig. Es iſt eine
ekelhafte Faulheit!“


„Uebrigens iſt der Streit mit den Rationaliſten
ſchon lange veraltet; Pietismus und Myſticismus ha¬
[133] ben unterdeß wieder einmal zu Berlin und ſonſt wo de¬
bütirt, und die Naturphiloſophie hat ſich mehr oder
minder hie und da dreingemengt. Ich habe gar nichts
gegen dieſe transſcendenten Fahrten des modernen Odyſ¬
ſeus, es werden alle höheren Thätigkeiten in Trab ge¬
ſetzt — irrt, fahrt, ſucht. Meinethalben mag der neue
Odyſſeus jetzt mit einer verliebten Inſulanerin ſchwär¬
men und der Phantaſie den Zügel ſchießen laſſen,
bald mit den Phäaken verſtändig reden, bald materiell
gegen die Freier agiren. Es ſcheint noch etwas bunt,
karnevalartig in der Philoſophie herzugehen; es ſtürzen
ſich eine Menge Kriterien kopfüber in einen Strom
von Himmelsüberfluß oder Naturerguß und jedes ſchwimmt
nach Kräften. Iſt das Schwimmen vergnüglich, giebts
gar am Ende ein grünendes Ufer — immerzu, ſchwim¬
men Sie, meine Herren, wir ſchwimmen Alle und ſu¬
chen mit Gefahr des Columbus das Richtige — ach,
wir finden leider kein Amerika, nicht einmal den Be¬
weis der Richtigkeit unſerer Speculation, das grüne
Guanahani!“


„So lange nicht einer von den Philoſophen unter
den Zeitungsanzeigern in der Beilage bekannt ma¬
chen kann:
[134]„Unterzeichneter hat mit letzter Poſt direct von
Herrgott et Comp. aus dem Himmel herunter
das Einzigrichtige in beſter Qualität bezogen,
und empfiehlt es ſeinen geehrten Kunden zu den
billigſten Preiſen ꝛc.“ —


ſo lange wollen wir unſern Tadel zurückhalten, ja un¬
ſer Lob ſogar austheilen, wenn auf mancherlei Weiſe
nach der Erkenntniß geſtrebt wird.“


„Ich bin kein Naturphiloſoph im gebräuchlichen
Sinne des Worts, obwohl ich die Natur anbete und
ſie für den Brunnen aller Brunnen halte, obwohl ich
eine Jahrhundert reiche Ernte von den Saamenkörnern der
Knospen und Blüthen dieſer Philoſophie erwarte. Ich
haſſe die religiöſe Fühlerei, die Gefühlsſchwärmerei, wozu
ſie im Praktiſchen häufig führt — — aber ich bin
tolerant; am meiſten begebe ich mich alles Verdammens,
wenn ich des Menſchen beſte innere Thätigkeit vorn
im Zuge und redlich betheiligt ſehe.


„Mein Rationalismus, den ſelbſt Du, Valerius,
öfters angreifſt und platt, leer zu nennen beliebſt, iſt
etwa Folgendes: die Vernunft zeigt mir, daß ſich in
Natur und Welt alles nach gewiſſen Geſetzen und Re¬
geln entwickle, die ich entweder erkenne oder nicht er¬
[135] kenne, aber auch unerkannt vorausſetzen darf und muß —
ich weiß nicht, welche Kraft die Blüthe aufſprengt, aber
ich weiß, daß eine Kraft dazu nöthig iſt — ich ſehe
Alles nach ſolcher Ordnung ſich entwickeln, und wenn
ich die Geſetze auch nicht wie das Landrecht in Para¬
graphen getheilt habe, ſo habe ich doch einen Begriff
vom Geſetzesgange. — Darum nun, weil ich die Gott¬
heit überall in gewiſſen beſtimmten Kreiſen und Ge¬
ſetzen in der Natur wirken ſehe, ſtatuire ich kein plötz¬
liches unvorbereitetes gewaltſames Herausſchreiten wie
die Erſcheinung eines leiblichen Sohnes Gottes, der
auf Erden überall, wo er hinkäme, die gewöhnlichen
Geſetze vermöge ſeiner Ueberirdiſchkeit aufhöbe. Wie
willſt Du denn dem Moslem ꝛc. daſſelbe Recht ſtrei¬
tig machen?“


„Es iſt wirklich ein tiefer ſchwerer Jammer, wenn
man viele der beſten Köpfe auf den theologiſchen und
halbtheologiſchen Lehrſtühlen ſitzen ſieht und bedenkt,
daß ſie ſich ihr ganzes Leben hindurch mit des Kaiſers
Bart beſchäftigen. Sie leben in einer Camera ob¬
scura
und wehe dem, der daran rütteln oder hinein¬
leuchten wollte. Es iſt ein großes Reich, umſchloſſen
wie von der chineſiſchen Mauer von Terminologien
[136] und Technologien, die ſeit den erſten Kirchenvätern errichtet
wurden; das 1800 Jahre alte Buch, um deſſen Sinn
ſie ſich herumquälen, iſt das unveränderliche Staats¬
grundgeſetz und innerhalb dieſer Mauer hetzen ſich die
Leute trotz Reformationen und Revolutionen zu Tode.
Heraus können ſie nicht, denn draußen liegt die pro¬
fane Natur — große Weltſeele vergieb ihrer Dumm¬
heit die Blasphemie, deine ewigen Güter in heilige und
profane zu theilen, Alles iſt Tempel, Alles biſt Du, es
giebt kein Draußen, nur die Privilegirten haben ein
Profanes. Voltaire ſagte einſt von andern Bevorzug¬
ten, ſie ſeien einſt mit Sporen an den Füßen und
ihre Unterthanen mit Sätteln auf dem Rücken zur
Welt gekommen; wir haben immer noch jene todten¬
bleiche Klaſſe, die mit Bibelſprüchen bedruckt und mit
ſalbungsreichen Phraſen im Munde auf dieſer Welt er¬
ſchienen ſind.“


„Es iſt wirklich ein Zauberkreis, in dem man eine
Klaſſe von Menſchen, die ſich profeſſionsmäßig mit Se¬
ligmachen und Verdammen beſchäftigte, eingeſperrt hat,
aus dem ſie nicht herauskönnen. Und es iſt eben ſo
ſchlimm, wenn ſich ſo viele von den Leuten Rationa¬
liſten nennen, denn ſie haben die ratio dem Handwerk
[137] vermiethet; ſie ſind wie der Eſel in der Mühle, der im
Kreiſe herumgehend ein Rad bewegt. Der höchſte und
beſte Grundſatz dieſer Leute iſt: „Erkläre auf die ein¬
fachſte und beſte Art, wie es die Hermeneutik bei
den ſogenannten profanen Schriftſtellern lehrt, die hei¬
lige Schrift und das Reſultat dieſer Erklärung ſei
Deine Religion“ und daneben ſagen ſie mir, der Stif¬
ter jener Religion ſei ein vortrefflicher Menſch, aber
nur ein Menſch geweſen und dieſer Menſch ſoll nun
eine Glaubens- und Sittenlehre gegeben haben, die
nach 1800 Jahren ganz andern Ländern, nachdem alle
geſellſchaftlichen Verhältniſſe zehnmal umgeſtürzt und um¬
geändert worden ſind, noch unverändert gelten ſoll!
Daher die Erſcheinung, daß der gebildete Theil der Welt,
welcher nicht von der Theologie lebt, überall eine eigne
Sittenlehre hat, und von ſogenannten Sündern wim¬
melt; daher die wunderbare Stellung, welche der Theo¬
loge unbefangenen Leuten gegenüber einnimmt; daher
der Glaube, die Theologie ſei blos da, um dem Volke
etwas vorzumachen, ihm etwas zu thun zu geben.“


„Die geſellſchaftlichen Verhältniſſe und die mora¬
liſchen Anforderungen müſſen Eins das Andere bedingen,
Eins in dem Andern aufgehen: ſo wenig wie ich ver¬
[138] langen kann, daß ſich unſere heutige Geſellſchaft mit
einem Geſetzbuche Solons oder Lykurgs glücklich fühlen
ſoll, ſo wenig kann ich die unantaſtbare Stabilität ver¬
alteter Moralgeſetze verlangen. Die Vorbedingungen
ſind verändert, und die Folgerungen ſollten noch jenen
gemäß beſtehen? Alle unſere Philoſophen ſind leider,
nachdem man ſie getauft und konfirmirt hat, in der
Väter Glauben vollkommen hineinerzogen worden; die
Wenigen, welche ſich vom Autoritätseinfluße frei erhal¬
ten haben, werden überſchrien von der Menge — all'
unſere Wiſſenſchaft iſt kirchlich infizirt. Daher ſind un¬
ſere Moralprincipien neuerer Geburt immer nur Ab¬
drücke der früheren Platte geworden. Die ſogenannten
Indifferenten haben nicht den Muth zu glauben und
nicht den zu prüfen. Dahinein gehören faſt alle Leute
der höheren Bildung; daher das Geſchrei der Pfaffen
über die wechſelnde Gleichgültigkeit in religiöſen Din¬
gen. Aus dem Mißverhältniß der Anforderungen und
Gewährleiſtungen entſpringt ſie und wird nur mit die¬
ſem gehoben. Daher auch die Erſcheinung, daß Leute
mit unruhigerem Blute und geringerer Geiſtes- und
Seelenſtärke, die eines Haltpunktes bedurften, das ge¬
waltige Auseinandergehen der herrſchend gewordenen Le¬
[139] bensanſichten und der vorgepredigten deutlich vor Augen
ſahen, nach den äußerſten Zipfeln griffen und um ja
das Gute zu thun, des Guten zu viel thaten und mit
geſchloſſenem Auge und plapperndem Munde hineinſchrit¬
ten in die Nacht des Myſticismus. Derſelbe Grund, der
den Indifferentismus erzeugte, ſchuf auch die Pietiſterei,
ſowie der Winter hier Eis und Schnee, dort Re¬
gen bringt.“


„Gebt den Leuten Führer mit, welche unſere Spra¬
chen, unſere Länder kennen, dann werden ſie nicht ſo
oder ſo irre gehen, unſere jungen alten Pfaffen ſprechen
hebräiſch oder ſonſt ein unverſtändlich todtes Idiom;
laßt ſie mehr nach der Mode zuſchneiden, laßt ſie Fran¬
zöſiſch und Engliſch lernen, moderniſirt ſie. Die Mode
ſteckt nicht blos im Schnitt des Kleides, dies iſt nur
einer ihrer zufälligen Ausdrücke, ſie iſt die ewig junge
Kraft des menſchlichen Herzens, der Trieb der Welt¬
geſchichte, welcher die Erdkugel und mit ihr die Civili¬
ſation bewegt.“


„Dies ſind Skizzen. Ich bin ein armer Balladen¬
dichter, ſonſt nichts. Sieh den Katholicismus an: wie
ein geſtürzter, aber nicht gebeugter König ging er ein¬
her; er ſprach nicht um Theilnahme an aber er fand
[140] und erregte ſie, mit urſprünglicher Hoheit, der man nie
das Angelernte anſieht, verrichtete er nach wie vor ſein
Amt; die Poeten beſtach er mit himmliſchem Golde —
er iſt der uralte Abſolutismus. Ein rüſtiger Jüngling,
der noch nichts hat, aber Alles erwerben will und das
Meiſte entbehren kann, ein platter Cyniker trat der
Proteſtantismus auf, ward altklug, verſchrumpfte.“


ꝛc. ꝛc.


Soviel aus dem Briefe Conſtantins. Ich habe
Manches weggeſtrichen, weil es für Euren Kreis zu
bunt, zu ausſchweifend war; daß ich die Meinung des
Briefes in vielen Dingen theile, weißt Du. Meine
eigne Richtung iſt es im Grunde aber nicht. Das
Princip, welches wie das Blut durch alle meine Anſich¬
ten rollt, iſt die Freiheit. Ich will ſie auch in reli¬
giöſen Dingen. Man ſoll mir und Allen geſtatten,
zu glauben was ich will — wer einen Teufel braucht,
der ſoll ihn haben. Ihn beglückt der Teufel und die
Sünde. Ich haſſe das Schematiſiren, das Zuſammen¬
drücken der Menſchen zu einem Knäuel. Bildet das
Volk, damit es keines Popanzes mehr bedarf — Euren
theologiſchen Weg mißbillige auch ich. Auf ihm kommt
das Volk zu keiner geiſtigen Freiheit. Bildet das Ge¬
[141] fühl, das Bedürfniß, die Atmosphäre des Rechtes aus,
das Recht ſei der Menſchen Religion, der Glaube ſei
frei und dem Einzelnen angehörig. Auf jenes Funda¬
ment gründet die Sicherheit des Zuſammenlebens im
Staate, die Rechtlichkeit, die Geſetzlichkeit ſei der Aus¬
druck der Religion. Conſtantin hat Recht, wenn er
Eure Theologie anklagt; ſie iſt ſtockig und verſteht nichts
von der Zeit. Den Glauben ſelbſt anbelangend iſt
Conſtantin ſich ſelbſt wohl nicht recht klar. Er ſpricht
viel von der nüchternen Religionsmathematik der Ratio¬
naliſten. Sie ſind wichtig geworden zur Läuterung wie
die Jakobiner; aber ſie ſind nicht blos furchtſam wie
er mit Recht ſagt, ſie ſind auch platt, weil ſie eitel
und egoiſtiſch mit ihrem bischen Vernunft Alles ab¬
machen wollen. Die Poeſie jedes Menſchen ſei ſein
Glaube. Gebt ſie frei, entledigt ſie der Feſſeln, jeder
Menſch iſt poetiſch; die Pfaffen hindern nur die Ent¬
wicklung, weil ſie durch objective Mährchen die ſchaf¬
fenden Thätigkeiten der Menſchen einengen.


Aus den Staaten und ihrer Konſtruktion iſt jedes
religiöſe Element verſchwunden; der Königsglaube, die
Obrigkeitsreligion, wie ſie gelehrt ward, exiſtiren nicht
mehr, man frägt nicht mehr nach der höheren Einſetzung
[142] dabei, man frägt nach dem Nutzen, nach den Rechts¬
verhältniſſen; der Staat iſt kein göttliches Inſtitut mehr,
er iſt eins der Klugheit, des Verſtandes, des daraus
fließenden gegenſeitigen Vortheils — was ſollen alſo
die religiöſen Bedingniſſe? Fragt Niemand nach dem
Katechismus, fragt ihn nach ſeinem Rechts-Breve, laßt
Jeden zu im Staate, ſo Juden als Heiden. Frei iſt die
Kunſt — die Poeſie ſoll es auch ſein, und mein Him¬
mel und meine Hölle ſind das Werk meiner Poeſie. —
Lebe wohl, warne Leopold; ich glaube, er iſt wieder auf
dem Wege, dumme Streiche zu machen. Willſt Du
einen Rath von mir annehmen, ſo verlaſſe ſchleunigſt
den Kreis, in welchem Du Dich jetzt befindeſt.


[143]

35.
Hyppolit an Valerius.

Verachtete ich nicht die Troſtloſigkeit, Freund, ich
wäre troſtlos. Haßte ich nicht die Reue, dieſe Schul¬
denmacherin bei der Zukunft, die unnützerweiſe Geld
für die Vergangenheit leiht, ich finge an Manches
zu bereuen.


Ich trete in den Speiſeſaal und ſetze mich. Ein
leiſer Schrei meiner Nachbarin läßt mich genau in das
halbverhüllte Geſicht ſehen — es iſt Julia, die auf¬
ſtehen und davon eilen will. Ich faſſe krampfhaft ihre
Hand und halte ſie feſt, ſie kann nicht fort, ohne gro¬
ßes Aufſehen vor der zahlreichen Geſellſchaft zu verur¬
ſachen. Der Himmel weiß, was ich ihr in Gluth und
Wuth der Liebe Alles zuflüſterte, ſie bebte wie ein Es¬
penblatt, ihre Bruſt ſchlug hoch, das Geſicht brannte
in Schaam und Feuer. Da fielen ihre weinenden Au¬
gen wie fußfällig in die meinen, ſie bat, wie eine Sün¬
derin ihren Beichtiger um Hoffnung für die Seligkeit
bitten mag, ich möge ſie laſſen. Noch eh' ich zu etwas
entſchloſſen war, erſtarrte ihre Hand in der meinen, ſie
[144] lehnte ſich an die Rückſeite des Stuhls und war ohn¬
mächtig. Ihre Augen blieben offen, kein Menſch au¬
ßer mir kannte ihren Zuſtand. Die Kellner präſentir¬
ten ihr die Speiſen, ich dankte ſtatt ihrer. Mein wil¬
der Menſch hatte Luſt, ſich über das Ereigniß zu freuen,
und wollte eben die unwohl gewordene Dame auf ihr
Zimmer bringen laſſen, um die wieder lebendige in
ihrer Schwäche zu erobern. Der alte ſtolze Hyppolit
ſchämt ſich dieſes jämmerlichen Gedankens, aber die
Liebe hat die alte Kraft zermalmt. In dem Augen¬
blicke tritt ein Kellner zu mir und berichtet, daß eine
Dame, welche im Hauſe wohne, meinen Namen er¬
fahren und mich fragen laſſe, ob ich derſelbe ſei, wel¬
cher die Schauſpielerin Desdemona gekannt habe. Dieſe
liege krank in ſelbigem Hotel darnieder, und wünſche
ſehnlich mich zu ſprechen. In eine verödete Gegend
meines Herzens ſchlug dieſer Blitz, und entzündete ſie
von einem Ende zum andern. Julia hatte ſich erholt,
ich führte ſie aus dem Saale, küßte ſie auf das ge¬
brochene Auge und flog davon, Desdemonas Zim¬
mer ſuchend.


O was erlebte ich! Mein geſtähltes Innere bog
ſich wie ein Baumzweig. Bleich, ein Bild des zerſtö¬
[145] renden Totes, lag das einſt ſo ſchöne Weib auf dem
Lager. Die langen ſchwarzen Flechten hingen aufgelöſt
über Geſicht und Schultern und das weiße Nachtkleid
herunter, die weichen Züge des Antlitzes waren ſpitz
und ſchmerzhaft geworden; der Mund, ſonſt lieblich wie
ein Liebeslied, war vrrzogen, nur das Auge mit ſeiner
ewigen Liebe war derſelbe Stern geblieben, der nur bei
heranbrechendem Tageslichte matter ſchien. Sie ſprach
nichts, als ich eintrat, es ſchien ſie gar nicht zu über¬
raſchen; als ich an ihr Bett trat, nickte ſie kaum merk¬
lich mit dem Haupte und lispelte: „Nicht wahr, Hyp¬
polit, es kann mir doch Niemand wehren Dich zu lie¬
ben?“ Die heißen Thränen — ja Freund, es waren
heiße Thränen aus dem Kern meines Herzens — ſtürz¬
ten aus meinen Augen [auf] ihre abgemagerte Hand:
„Biſt ja heut ſo lang bei der Fürſtin geweſen“ —
ſagte ſie weiter, ein zweiſchneidig Schwerdt wühlte in
meinem Innern — „Du haſt mich heut nicht geſehen
und ich habe die Desdemona gut geſpielt, ſo wie Du
michs gelehrt.“ Ich fühlte einen krampfhaften Druck
in meiner Hand, ſie holte tief Athem, der Mund war
wieder Liebe und lächelte, das Auge ſtrahlte alte Glück¬
ſeligkeit, ich hörte noch leiſe, ganz leiſe die Worte: „Ach
II. 7[146] wie lieb ich Dich“ — und Desdemona war todt.
Lange ſtand ich unbeweglich, ich war auch todt. Des
Kindes Stimme, was an der Erde ſpielte, und plötz¬
lich über ſein Spiel aufjauchzte, erweckte mich. Die er¬
ſtarrte Hand Desdemonas hielt die meine feſt umklam¬
mert, ich konnte nicht los und wollte der Todten durch
das Aufbrechen keine Schmerzen machen. Ich blieb noch
lange ſtehen und ſuchte mit der freien Hand in all
meinen Taſchen herum, um eine Waffe zu finden. Ich
wollte bei meinem Weibe bleiben. Meine Taſchen wa¬
ren leer. Da mußte ich das Gräßlichſte thun und
meine Hand gewaltſam von der todten Liebe befreien.
Langſam ging ich nach der Thür. Das kleine Mädchen
ſah mich lächelnd an und bat mich, mit ihr zu ſpielen.
Lange ſtand ich noch an der Thür und ſah nach der
lieben Leiche; dann ging ich und ſchloß die Thür leiſe;
ich wollte mein Weib nicht ſtören. Dieſes zuſchlagende
Schloß trennte mich von meiner innigſten Vergangen¬
heit. Ich ging langſam den Saal entlang und ſah
nur in weiter Ferne, was dicht um mich her vorging.
Damen in Reiſekleidern ſchlüpften an mir vorüber —
es mochte Julia und ihr Mädchen ſein — ich beach¬
tete ſie nicht. Man erzählte mir ſpäter, daß ich mich
[147] an die Hansthür geſtellt und der fortfahrenden Julia
ſtarr zugeſehen, auf ihre an mich gerichteten Worte
nichts erwidert habe. Es war die erſte Todtenſtunde
meines Lebens und ich denke mit Grauſen daran —
der Tod iſt ein garſtig Scheuſal, er iſt der baare hä߬
liche Gegenſatz des Schönen. Es war ein trüber Re¬
gentag geweſen, als ich noch an der Hausthür des
Hotels ſtand, brach plötzlich die Nachmittagsſonne die
Wolken und leuchtete mir in das ſtarre Auge. Da wich
mein Feind, der Tod, aus allen meinen Gliedern, ich
fühlte wieder lebendig Blut in mir, meine Sehnen
ſpannten ſich, ich war auferſtanden. Es fiel mir al¬
les Lebendige, was ich geſehn, wieder ein. Juliens Ab¬
reiſe und ihre Schönheit — ich rief nach Pferden. Was
kümmert mich der Tod! Was ſind die Menſchen dumm,
mit dieſem abſcheulichen Zuſtande noch Gepränge und
Aufſehn vorzunehmen. Der geſtorbene Menſch iſt eine
Sache, man bringe ſie bei Seit ſo ſchnell als möglich.
Wer ſich mit einem Leichnam beſchäftigen kann, die
Seele mag ihm noch ſo lieb geweſen ſein, iſt ein ver¬
härtetes unäſthetiſches Leichenweib, ein Handwerks-Tod¬
tengräber. Ich will lieber ſelbſt ſterben als ſterben ſehn.
Ich ſchreibe dies in einem andern Gaſthofe und warte
7*[148] auf Pferde. Die bunte Baſtei mit ihrem Sonnenſchein
liegt vor meinem offnen Fenſter; es iſt aller Tod in
mir überwunden, die Vergangenheit der vorigen Stunde
liegt in tiefem, weit entferntem Nebel hinter mir. Mein
Leben iſt wieder lebendig — der Wagen fährt vor —
Ade, mein Freund, ich fliege nach Paris, um Julien
zu erobern. Ich werde ſie erobern, müßt' ich ihr nach¬
jagen durch alle Zonen. Soll ich auch noch die Sen¬
timentalität lieben, dieſe Krücke der Schwäche, der Re¬
genſchirm beim Gewitterregen, der das furchtſame Ge¬
ſicht vor Donner und Blitz verſteckt, dies Liebäugeln
mit dem Tode! Bin ich hier um zu ſterben oder um
zu leben? Iſt die Sonne, weil ſie täglich einmal un¬
tergeht, zum Untergehen da? O Ihr täglich ſterbenden
Menſchen mit Eurer Romantik und wie Ihr die Fratze
nennt, Blut und Wärme ſuch' ich, ich ſuche Liebe und
Julien — und damit Gott befohlen, Freund.


[149]

56.
Valerius an Constantin.

Hyppolit iſt auf der Reiſe nach Paris, ihm kann
ich nicht ſchreiben, Du wirſt wohl in Deiner begonne¬
nen Metamorphoſe noch ſo viel Gedächtniß übrig be¬
halten haben, daß Du ein wenig Intereſſe an mir und
meinen Angelegenheiten nimmſt; ich will nichts über
Staat und Kirche ſchreiben, mein Herz drängt mich
aber zur Mittheilung, ich muß ſprechen, muß ſchwätzen,
höre mir zu. Sie iſt wieder gekommen, Camilla näm¬
lich. Erröthend trat ſie mir entgegen, ein ganzer Mor¬
genhimmel von Schaamhaftigkeit glänzte auf ihrem lieb¬
reichen Geſichte: damals wußte ich nicht warum, jetzt
weiß ich's. Ich war ſpaziren geritten als ſie ankam;
der Himmel war blau, die Sonne, das Auge Gottes
auf dieſer Erde, wärmend und freundlich in milder
Liebe, die Lerchen ſangen ihre jauchzenden Stoßtöne der
Freude, die Bäume mit Früchten beladen ſahen wie
glückliche Mütter freundlich drein in die helle Welt, ich
ſchaukelte mich auf dem Pferde in geſunder fröhlicher
Empfängniß all dieſer Freuden, die der Schöpfer Allen,
[150] auch den Aermſten freigebig ſchenkt, die Weltgeſchichte
ging roſenfarbig an mir vorüber, ich hoffte das Beſte
für die ſtrebenden Menſchen. In dieſer Stimmung ritt
ich langſam in den Schloßhof. Auf den Stufen vor
dem Schloſſe ſah ich zwei Damen ſtehen und die eine,
ich erkannte Alberta am weißen leuchtendem Gewande —
mir mit dem Tuche winken. Camilla war die andre,
ſie war eben angekommen. In meine glückſelige Seele
fiel ihr verſchämter Blick wie ein tiefſinniger Liebesge¬
danke Byrons, die ruhige Freude in mir, die wie ein
glücklicher Vogel in den Baumzweigen ſaß, erhob plötz¬
lich die Schwingen und flatterte jubelnd in die Höhe,
die ruhige Freude in meinem Innern erhob ſich zu ei¬
nem Jauchzen über namenloſes Glück. Ich ſah plötz¬
lich, daß ich Camilla liebte. Sie reichte mir ihre ſchöne,
weiße Hand, ich drückte ſie innig an meine zuckende
Lippe, ich ſah aus meinem Glück heraus ihr tief in
die feuchten glänzenden Augen bis ins Herz hinein,
unſre Hände vermählten ſich, und die harmloſe Alberta
freute ſich unſrer Freude. Wir gingen in den Garten
und ſpielten wie die glücklichen Kinder. Camilla war
weich, innig und warm wie ein Maiabend und ihr Auge
hing wie ein küßender Engel an meinen Blicken; ſie
[151] war nicht wie ſonſt munter und ausgelaſſen, ſie lachte
nicht, aber ſie ſah wie ein Engel aus, der ſich freut.
Nur wenn mein Glück mitunter aufjauchzte, ſprang
ihr ſonſtiges hüpfendes Temperament aus ihr hervor:
die Augen blitzten, alle Züge des Geſichts jubelten, alle
Glieder hoben ſich zum ſchwebenden Tanze, ſie begann
ein fröhliches Lied, und tänzelte eine Strecke hin. Ich
konnte ihr nicht ſagen, was mir das Herz bewegte,
denn Alberta ging nicht von unſrer Seite. Wir ſchwärm¬
ten alſo in romantiſcher Ungewißheit den halben Tag in
Garten und Wald umher, unſre Blicke ſprachen von
vollem Herzen, von ſüßem Glücke, unſre Lippen bar¬
gen die Schönheit der Welt. Hie und da ſchien mir
ein Schatten über Camillas Angeſicht zu fliegen, wenn
ich mit Alberta tändelte, und mit dem lieben kindlichen
Weſen koſende Worte wechſelte.


Der Graf iſt in der letzten Zeit unſrer Einſam¬
keit wieder aufgelebt; an die Stelle des langweiligen
Fips, der endlich ſeine diplomatiſchen Beſtrebungen auf¬
gegeben und ſeine Lenden gegürtet hat, iſt ſein bunter
Marſchall der Laune, Camilla, getreten. Wir leben wie
die Engel, und wollen in einigen Monaten nach Pa¬
ris kommen. Die romantiſche Ungewißheit mit Camilla
[152] hat ſich in die reizendſte Klarheit aufgelöſt. Wir ſa¬
ßen in den erſten Tagen ihrer Ankunft auf der Plat¬
form unter dem Zelt, deſſen Seitenwände wir aufge¬
ſchlagen hatten. Es war gegen Abend, der Himmel roth,
die Erde duftete in Wolluſt. Ich ſah glücklich ins
Land hinein und ſtand mit untergeſchlagenen Armen
neben Camilla, welche die Gegend zeichnete. Alberta
ſtand auf der andern Seite und ſang, den Kopf an
die Säule des Zeltes hinauslehend, ſang ein Wanderlied
des lieben Wilhelm Müller. Camilla ſah von Zeit zu Zeit
auf und hing ihre innigen Blicke an mein freudeſtrah¬
lendes Auge. Es küßten ſich unſre Seelen. Die Nach¬
tigall ſchlug in Albertas Geſang. Auf einmal kehrte
ſich dieſe um, küßte Camilla, reichte mir die Hand und
ſprang hinweg um zu muſiciren — der Geſang, ſagte
ſie, ſei ihr zu wenig, ſie müſſe die Töne, die in ihr
herumwogten, ausſtrömen. Ich ſetzte mich neben Ca¬
milla und ſah bald auf ihre Zeichnung, bald in ihr
Auge. Ich fühlte es, daß ich im Begriff ſtand, unſern
Dämmernebel zu zerreißen. Der Mann iſt darin im¬
mer plumper als das Weib, er trachtet in ſeiner Nüch¬
ternheit mehr nach beſtimmten Formen, er iſt griechiſcher,
das Weib romantiſcher, chriſtlicher. Das reine Weib
[153] liebt Jahrelang ohne Worte, der Mann nicht ſo viel
Monate. „Camilla,“ ſprach ich leiſe — ſie ahnete,
was kommen würde und bebte zuſammen. „Valerius,“
fragte ſie kaum hörbar zurück. Der Bleiſtift fiel ihr
aus der Hand, ſie neigte ſich darnach und die Fülle
ihrer Haare fiel ihr über die Wange, Schultern und
Buſen. Ich ergriff ihre Hand, führte ſie an meinen
Mund, und ſah ihr bewegt in die Augen. Sie er¬
widerte den Druck meiner Hand nicht, aber die Thrä¬
nen ſtanden ihr im Auge, und als ich meinen Kopf an
ihre Schulter in die herunter wallenden Locken drückte,
da zog ſie die Hand aus der meinen und ich fühlte den
weichen runden Arm um meinen Nacken und ihre Thräne
fiel auf meine Stirn. Ich ſah in ihr ſeliges Geſicht,
und ſagte leiſe: „Camilla, ich liebe Dich.“ Ihr leiſes
Weinen ging in Schluchzen über und ihr Antlitz an
meinem Haupte verbergend vernahm nur mein nahes
Ohr die kaum hörbaren Worte: „Ich liebe Dich un¬
ſäglich.“ Da ſprang ich auf, hob ihr Geſicht in die
Höhe, küßte ihr die Thränen vom Auge [und] drückte die
weiche nachgiebige Geſtalt feſt an mein Herz. Sie lä¬
chelte jetzt wie ein Engel, und wir küßten uns und
freuten uns unſrer Liebe. Aller frühere Uebermuth,
[154] dieſer reizende vielfarbige Knabe, kam mit dieſem Ge¬
ſtändniſſe wieder über ſie. Blöde und beſcheiden vor¬
her, war ſie nun toll und ausgelaſſen. Aber rührend
klagte ſie mir, was ſie damals gelitten, als ſie Alberta
im Garten an meiner Bruſt geſehen habe; mit neuen
Thränen geſtand ſie, daß ſie deshalb hinwegereiſ't und
ſie ſah mich unſicher, ſchwankend, halb ungläubig von
der Seite an, als ich ihr die Verſicherung gab, ſie ſei im
größten Irrthume geweſen, und es habe zwiſchen mir
und Alberta nie etwas Andres als ein freundſchafliches
Verhältniß beſtanden. Endlich hielt ſie mir den Mund
zu und ſagte: ich glaube Dir, aber ſei kein roher Mann
und laß Alberta nie etwas von unſerem Uebereinkom¬
men in Liebe und Zärtlichkeit wiſſen — hörſt Du?“
Ich verſprachs mit Freuden. Durch die vielen Hinder¬
niſſe unſrer bürgerlichen Geſellſchaft, durch die Polizei
und die Strafgerichte, durch die Unſicherheit unſeres gan¬
zen Lebens, die Ungewißheit des nahen oder fernen To¬
des ſind wir ſo furchtſame Weſen geworden, daß wir
das Schönſte, was wir beſitzen, oft dann ſchon gefähr¬
det glauben, ſobald es nicht mehr unſer Geheimniß iſt.
Die herzdurchdringende Liebe will keine andre Wohnung
als das Herz, ſie flieht und haßt die Märkte — ſo iſt
[155] ihre Jugend. Sie gleicht dem jungen Bürger in der
hoch und dumpfgebauten Reichsſtadt, er ſchleicht aus
dem ſtrahlendſten Sonnenſchein, der vor den Thoren
üppig ſeine Arme um die Erde ſchlägt, aus der lebendi¬
gen Menſchenmenge, die ſich laut des Daſeins freut,
auf das düſtre Stübchen ſeines Mädchens, und oben
in der dunklen Einſamkeit ſind Beide froh, daß nicht
Sonnenſchein noch Menſchenwoge zu ihnen dringt. Dies
äußerlich ariſtokratiſche Abſonderungsweſen iſt aller jun¬
gen Liebe eigen. Ich freute mich noch aus vielen an¬
dern Gründen über Camillas Vorſchlag. Iſt doch
meine öffentliche Liebe Sünde gegen Clara. Fragſt
Du mich, warum ich mein Clärchen nicht ſuche, da ich
doch erfahren, ſie ſei noch frei, und harre wahrſcheinlich
ihres alten Geliebten, ſo kann ich Dir nicht viel Tröſt¬
liches für die meiſten Leute erwidern. Der Liebesharm
iſt eine ſüße Krankheit, die mit dem ſchönſten Schmerz
beglückt und mit reiferer Geſundheit endet. Der teut¬
ſche Liebesharm iſt ein chroniſches Uebel, was Jüng¬
ling und Mann entnervt. Man muß gegen ihn käm¬
pfen. Ich will nicht treu ſein, weil ich die Treue
zumeiſt für eine Sünde gegen unſern fort- und fort¬
rückenden Planeten und das, was drauf und dran iſt,
[156] halte. Treue iſt ein Schutzmittel für ſchwache, nicht
ausreichende Kräfte; die Kräfte ſollen aber am Ende
ſtark werden. So lange man dieſe Krücken der Liebe
nicht fortwirft, lernt man nicht ſelbſtſtändig lieben.
Auch die Liebe verläßt ſich in jener ſogenannten Tu¬
gend auf das Herkommen und ruht aus auf einem her¬
gebrachten Privilegium, ſtatt auf eigner, unverſiegbarer
Kraft zu beſtehen. Es iſt ein Traditionsgut, wie jedes
andre auch, die Länge der Zeit iſt das Verdienſt, nicht
die Größe oder Schönheit der Sache. Alle die tauſend
gebrochnen Herzen, alle die langweiligen verdroſſenen
Ehen ſind die Kinder der Treue. Jedes ſchwindſüchtige
Mädchen, jeder jämmerliche Jüngling verläßt ſich auf
ihren Schutz, wenn es ihr oder ihm gelungen, in einer
ſchwachen Stunde eine Eroberung zu machen. Die
Treue iſt das große Gängelband der menſchlichen Faul¬
heit und Schwäche, ſie iſt auch die Poeſie der Kraft¬
loſigkeit und ein „getreuer Eckard“ unſrer Tage, wie
Du ihn einſt vorhatteſt, iſt eine Sünde wider den Geiſt
der Zeit und der Geiſt der Zeit iſt der Zeit heiliger
Geiſt. Wenn der König von Gottes Gnaden ſich auf
Herkommen und angeſtammte Treue beruft, und darin
ſtatt in der Vortrefflichkeit ſeiner Regierung die Noth¬
[157] wendigkeit derſelben finden läßt, ſo iſt dieß die ſteife
Lehre von der Treue. Nur was Blut hat, ſoll le¬
ben, nicht was nach Leben ausſieht; iſt Deines Lebens
Blut in Deiner alten Liebe zu finden, dann ſei treu,
dann iſt Deine Liebe jung. Dies iſt die ſchöne
Lehre von der Beſtändigkeit, die dann eine Tugend iſt,
wenn die äußeren Verhältniſſe mit den inneren harmo¬
niren. So iſt die Ehe nur ein Damm gegen den
Strom der Geſelligkeit; wißt ihr auf freiere Weiſe den
Strom zu leiten, ſo braucht Ihr keine Dämme. Wenn
erſt Tauſende nichts mehr dem Herkommen zu Liebe thun,
ſo iſt das Lebenselement des Herkommens, ſeine Un¬
zweifelhaftigkeit, vernichtet, und eine neue Welt nähert
ſich im Sturmſchritt. Es geht Alles Hand in Hand,
die Geſetze ſind eine große Kette: trennt ein Glied und
die andern klirren ebenfalls auseinander. Es hat keine
Zeit gegeben, wo mehr und mehr die Jugend ihrer
eignen Kraft vertrauend die Ruhebänke des Staates,
die Aemter der ſtillen Gewäſſer, wo keine Welle ſteigt
und fällt, ſo mit dem Rücken anſieht, und dieſe Faul¬
plätze dem jungen Alter überläßt, was keine eigne Kraft
in ſich ſpürt und in dem Schooße der hergebrachten
Ordnungskraft Schutz ſucht. Die neuen Staaten ma¬
[158] chen nach eben dieſen Grundſätzen die Aemter beweglich,
nur die Kraft behält ſie, dem Herkommen zahlt man kei¬
nen Deut — Alles gilt nur durch das, was es iſt,
nicht was es war oder heißt. Soll es mit den Aemtern
der Liebe nicht eben ſo werden? Daſſelbe Geſchrei, was
ſich gegen Aufhebung von Ehe und Treue jetzt erheben
wird, erhob ſich gegen den wechſelnden Staatsdienſt in
den neu conſtuirten Staaten. — Fülle vom Leben bringt
allerdings auch oft ſchnellen Tod; man wird neue Ge¬
ſetze für jenes geſellſchaftliche Verhältniß erfinden, wie
man ſie für dieſe gefunden, denn auch die Freiheit hat
ihre Geſetze. Aber ſie müſſen ſich in allen Theilen er¬
weitern, darin ruht das unbehagliche Drängen des jun¬
gen Geſchlechts. Der Furchtſame mag davor erſchrecken,
den Muthigen gehört die Welt. Was man nicht er¬
werben kann, fürchtet man am meiſten zu verlieren;
wer die Kraft in ſich fühlt, bangt vor keinem Verluſt,
und nur die Kraft ſoll herrſchen, nicht das Herkommen.


Dies und manches Andere ſprach ich in ſtillen
Stunden zu Camilla. Sie hörte aufmerkſam zu, ſchmählte
oft, es ſei ihr zu hoch, nöthigte mich deutlicher zu ſpre¬
chen, nickte lächelnd, daß ſie mich verſtünde, weinte
dann, daß ſie mich verlieren werde und lachte wieder,
[159] daß ſie mich jetzt habe. Ich glaub' es gern, daß Du
Recht haſt, denn ich glaub' Dir Alles“ — ſagte ſie —
„Du ſollſt mich nicht heirathen, wenn Du nicht willſt,
das Heirathen iſt auch wirklich nicht hübſch, es iſt wirk¬
lich philiſterhaft. Ich will bei Dir bleiben, ſo lange
Du mich magſt, und magſt Du mich nicht mehr — nun
— nun ſo will ich die Vergangenheit noch einmal al¬
lein leben und doch glücklich ſterben.“ Sie war einen
Augenblick traurig, und wir küßten uns heiß und leiden¬
ſchaftlich, dann trocknete ſie ſich die Augen, fuhr mit
der Hand über die Stirn und durch die Luft, als wollte
ſie ſchlimme Geſtalten hinwegjagen und ſprach dann
fröhlich weiter: „Wie es mich reizt, die große Revo¬
lution mit beginnen, mit bezahlen zu helfen; wie ich
mich freuen werde, wenn die Leute mich anklagen und
doch beneiden werden, daß ich frei und feſſellos ein
ſchönes Liebesleben mit Dir führe. Meine guten Eltern
ſind todt, ihnen mach' ich keine Sorge durch dies neue
ungewöhnliche, darum verdammte Leben; mein Vermögen
reicht hin nach den Wünſchen unſeres Herzens zu ver¬
kehren, und nicht wahr, ſo ſchnell und ſogleich wird
Dir nicht eine Andre beſſer gefallen, mein lieber Valer
— — in Paris bleiben wir zurück, wenn der Graf
[160] heimkehrt und wir fragen um nichts als daß wir ein¬
ander gehören.“ Das gute Kind iſt ein Engel und
ich bin überaus glücklich; ihre unverfälſchte Seele, wel¬
che der Frohſinn vor allen Flecken bewahrt hat, ſchleicht
mit liebenswürdiger Zudringlichkeit in alle Ritzen mei¬
nes Herzens und niſtet ſich feſt — o es iſt eine freie
göttliche Liebe, von der die Heirathskandidaten keine Ah¬
nung haben. — Bald erfährſt Du mehr, ſchreib bald,
ob Hyppolit angekommen iſt.


[161]

37.
Camilla an Valerius.

Es iſt ſehr garſtig, ſehr garſtig und ungezogen von
Dir, daß Du Deine dummen Stadtgeſchäfte nicht ſchnel¬
ler abmachſt und länger, als Dir erlaubt war, ausbleibſt.
Alberta ängſtigt ſich um Dich, das thu' ich zwar nicht:
Du biſt ja ein ſtarker Mann, der im gewöhnlichen Le¬
bensgange den harten Nacken nicht brechen wird; aber
komm Herz, Seele, Gedanke meines Lebens, ich lechze
nach Deinem Auge, nach dem Druck Deiner Hand; hätte
ich nur eine Wange von Dir da, um mein heiß Ge¬
ſicht darauf zu drücken. Bis geſtern Abend war ich doch
eigentlich ſehr heiter, ich ſaß lange auf Deinem Zimmer,
naſchte in Deinen Papieren herum und ſang Deine Lie¬
der; ich fand es ſogar ſchön, Dich einmal nicht zu ha¬
ben, um zu ſehen, wie viel mir fehle, um meiner Schwäche
zu trotzen und allein zu leben. Die gute Alberta war
viel trauriger, und ſprach immerwährend mit einiger Sehn¬
ſucht von Dir. Als der Abend kam, gingen wir Dir
entgegen, die Weiber, nicht die Hexen erwarteten den
Makbeth auf der Haide, — er kam nicht. Da brach
alle Gluth und Leidenſchaft, über welche mich die Ruhe des
[162] Tages ſo ſehr getäuſcht hatte, wie ein Orkan aus mir
heraus, ich mußte bitterlich weinen — o bitte, ſchilt
mich nicht, ich dachte, Du wollteſt nicht wiederkommen,
— dumme ſchwarze Abendgedanken, fremd in meinem
Blute. Heut' iſt's viel beſſer, ich bin wieder munter
und heiter und denke: „kommt er nicht heute, ſo kommt
er doch bald.“ Aber höre, zu lang treib mir's nicht,
bin ich denn dazu auf der Welt, um getrennt von Dir
zu leben?


Vergiß nicht, mir hochrothes Band zu kaufen, ſonſt
mußt Du noch oft ſchelten über meine verblichnen Bän¬
der, und Du haſt Recht, ſie ſind matt und häßlich wie
blonde Augenbrauen auf einem brünetten Geſicht. Ich
habe mir auch ausgeſonnen, wie ich Dich viel hübſcher küſſen
will — Du ſollſt nur ſehen, aber laß Dir Dein Bärtchen
nicht abſchneiden, bitte, bitte. Vergiß mir das Zeichen¬
papier nicht, ich muß Dein kühnes Byrongeſicht malen.
Deine Formen ſind nicht ſo ſchön, aber es fliegt Dir
dieſelbe Freiheitsmelancholie um die Augenwinkel, es iſt
derſelbe ſchöne Liebesmund, auf dem die großen Worte
und die ſüßen Küſſe ruhn, mit denen er die ſchönen
Italienerinnen beſtach.


Wenn Dir doch der Bote mit dieſem Briefe ſchon
[163] unterwegs begegnete. Wärſt Du nicht Du, der überaus
zuverläßige Valer, Dein Wegbleiben, Deine Kameraden,
von denen ich Dir gleich erzählen werde, machten mir
große Angſt. Wie wild, unbändig, ſchonungslos be¬
trug ſich in allen Verhältniſſen Hyppolit und nun höre,
was uns die Fürſtin ſchreibt. Leopold hat die Prin¬
zeſſin Amelie wirklich heirathen wollen; am Ende hat
man doch natürlich ſichere und beſtimmte Dokumente
über ſeine Herkunft und ſeine ſonſtigen Verhältniſſe be¬
gehrt, er hat ein unlösbares Incognito vorgeſchützt, die
Fürſtin hat wunderlich genug ſeine Partie genommen
und es hat den folgenden Tag zur Hochzeit kommen ſol¬
len, da der ſchwache Fürſt keine weitern Einwendungen
gemacht. Das ganze Schloß glänzt des Abends im
Kerzenſchein eines ſtrahlenden Polterabends, Park und
Büſche blitzen Liebeslichter, die geladene und frei herbei¬
ſtrömende Menge erfüllt die Gänge, der glückliche Prinz
Leopold, ſeine ätheriſche Braut am Arme, hüpft populär
durch die Maſſen und lächelt äußerſt glücklich. Er ſpricht
im Vorübergehn mit den Bauern von Volksrechten und
Freiheit und Gleichheit, der Volksjubel wird immer grö¬
ßer, ein wüthendes Geſchrei läßt den volksfreundlichen
Erbprinzen leben, verlangt ihn zu ſehen, trägt ihn auf
[164] den Schultern einher. Prinz Leopold hat ſeiner Prinzeſ¬
ſin Braut geſagt, ſo hätten's die alten Minnefürſten
zur Zeit der Romantik getrieben, und beſtellt eine Trag¬
bahre für die romantiſche Dame, damit ſie Theil nehme
an dem Triumphzuge. Vom Balkon aus ſieht der Hof
zu und die Fürſtin lächelt ſehr — ſo ſchreibt ſie ſelbſt.
Da kommt ihr Schwager an, und zerſtört dräuend
die demokratiſche Herrlichkeit. Er ruft Leopold bei Seite
und ſpricht lange mit ihm. Dieſer kommt zu ſeiner
Braut zurück, ſpricht viel von den Thränen der Roman¬
tik, erbittet ſich von William eine Summe Geldes,
um die Bauern damit zu beglücken und verſchwindet.
Dem zu Fuß Fortwandernden iſt ein Bauer begegnet,
der fahrende Prinz hat ihm erzählt, er ginge erſt nach
Belgien um für die Volksſouverainetät zu fechten; erſt
wenn dieſe errungen ſei, dürfe man der Liebe Freuden
pflegen. Prinzeſſin Amelie hat erklärt, Ohnmachten ſeien
zu modern, ſie werde ſich nicht damit befaſſen; ſie trägt
das Haar aufgelöſt und ſingt am offnen Fenſter des
Nachts Lieder von Tiek und Novalis; ſie ißt nur ein
Gericht und kleidet ſich aſchgrau, übrigens iſt ſie wohl.
Die Fürſtin ſetzt hinzu, Viele würden die Sache einen
Skandal nennen, auch Herr Valerius, und das Ganze
[165] würde Waſſer auf Deine Mühle ſein. Uebrigens mö¬
geſt Du ſie doch beſuchen, ſie wolle mit Dir darüber
ſprechen. Ich hoffe, das wirſt Du bleiben laſſen. Es
iſt ein ſtolzes, herrſch- und rachſüchtiges Weib, Du magſt
mir's glauben, und ich fürchte ſehr, ſie hat dies Alles
abſichtlich angezettelt. — —


Eben kommt eine ſchreckliche Nachricht an. Wil¬
liam hat des Abends auf dem Korridor den Schwager
der Fürſtin mit einem Dolchſtich niedergeworfen, iſt
in die Zimmer der Fürſtin wie wahnſinnig gedrungen
und erſt bei ihrem Hülferufen entflohen. Er wird auf
das Lebhafteſte verfolgt; zu dem Ende kam die Nachricht
mit einem Kurier hier an. Ach, wenn er nur Dir nicht
begegnet! O eile, eile zu uns, mir bangt für Dich bei
ſo grauenvollen Nachrichten.


[166]

38.
William an Valerius.

Ich baue auf Deine Redlichkeit und vertraue mich
Dir an. Die Verfolgung iſt mir auf der Ferſe, ich habe
große Noth, ihr zu entrinnen, thu alles Mögliche, ſie
auf falſche Spur zu leiten, verbreite, ich ſei nach Oeſter¬
reich geflohen. In dieſem Augenblicke darf ich mich nicht
weiter wagen, ſondern muß mich verborgen halten. Erſt
wenn die falſchen Nachrichten zu wirken anfangen, hoffe
ich über die Belgiſche Grenze zu entkommen. Mein
ganzes Innere iſt aufgelöſt, ich frage mich nach keiner
Rechenſchaft, denn ich kann mir keine [geben]. Mein Ge¬
wiſſen iſt verloren, keine Autorität vermag mich frei zu
ſprechen; nun ſo rolle denn das Rad dem Abgrunde zu.
Daß ich die Fürſtin mit glühendem Verlangen liebte,
wird Dir wohl ſchon klar geworden ſein. Lange kämpf¬
ten meine Grundſätze hartnäckig gegen mein Fleiſch.
Ich hätte geſiegt, wäre ich nicht durch die freundlichen
Worte und Blicke des ſchönen Weibes verführt worden.
Ich ſtand auf dem Punkte abzureiſen und empfahl mich
ihr; ſie reichte mir die weiche Hand zum Kuße, ſtrich
[167] mir das Haar von der Stirn und fragte, was mich
drängte. Ich konnte nicht fort, die Sünde war aus¬
gebildet in meinem Herzen, ich vermochte es nicht mehr,
mich vor meinem Gewiſſen zu rechtfertigen. Ich ſchlug
mein Gewiſſen todt und wollte genießen. Jener un¬
heimliche Schwager ſtellte ſich mir entgegen; er fiel als
erſtes Opfer eines Menſchen, der die Bande der Ordnung
in ſich zerriſſen hat. Schweig, ſchweig, ich erkenne es
an, daß Du mir gegenüber jetzt im Rechte biſt. Es
iſt Ordnung in Dir, wenn auch eine Ordnung, die ich
verabſcheue. Ich ſelbſt geh' zu Grunde, aber mein
Syſtem bleibt unerſchüttert; ich bin außer ihm. Alle
jene Begierden, welche die Geſetze meiner Religion in
ſtarren Banden hielten, ſind raſſelnd aufgeſprungen, ha¬
ben ſich meiner bemächtigt, ſeit ich jenen Fehltritt be¬
gangen. Ein Stein iſt herausgeriſſen, es ſtürzt das
ganze Gebäude über mir zuſammen; ich muß rennen
und rennen, um dieſem Geſchick zu entgehn. Die Hölle
hohnlacht, aber ſie ſoll wenigſtens einen glänzenden Fang
gemacht haben; ich habe mich verloren, aber die Luſt
will ich gewinnen. Zurück führt kein Weg, der Him¬
mel geht am Abgrunde hin, ein falſcher Tritt iſt hin¬
reichend. Ich bin gefallen und will mich der neuen
[168] Geſellſchaft würdig machen. Früher lohnte meine Tu¬
gend die äußerſten Entbehrungen, Entbehrungen ohne
dieſen Gegendruck ſind kindiſche Schwäche — die Tu¬
gend iſt verloren nun denn, ſo jag' ich nach dem Genuß.
Ihr habt viel Schuld an meinem Unglück; wer die
Verlängnung der Religion ſtets neben ſich ſieht, wird
matt in ſeinen Dogmen. Ihr unſeligen Volksverführer
habt meinen beſten Theil auf Eurem Gewiſſen.


[169]

39.
Constantin an Valerius.

Du ſchreibſt mir nicht, Freund, weil Du wahrſchein¬
lich mir und meiner Sinnesänderung zürnſt. Warum
läſſeſt Du Dir die Gelegenheit entgehen, auf eine Kriſis
einzuwirken, und in einer ſolchen befind' ich mich doch
zuverläßig. Rette an mir was zu retten iſt, ich fühle,
wie mir Alles unter den Händen verſchwindet; ich fange
an, den Schickſalstragödien zu glauben, es denkt und
löſ't ein fremder Geiſt in mir. Du gehörſt ja doch ſonſt
nicht zu der platt republicaniſchen Partei, Du warſt ja,
wahrhaftig ſo war's, oft genug mein Gegner; Du ge¬
ſtatteſt ja Entwickelungsgang, Modification ꝛc. — Sollte
denn an mir gar nichts mehr zu brauchen ſein? Hyp¬
polit iſt da und trägt mir eigentlich auf, an Dich zu
ſchreiben, er ſelbſt ſchreibt keine Zeile: entweder tobt er
herum oder liegt ſtarr ausgeſtreckt da und ſchweigt.
Meine politiſche Sinnesänderung, die ich ihm mittheilte,
nahm er mit tödtlichem Schweigen auf; es erkältete, ja
entſetzte mich durch und durch, als er mit untergeſchla¬
genen Armen vor mir ſtehend mit den ſchwarzen tief¬
II. 8[170] brennenden Augen bis in das Innerſte meiner Seele
hineinſah; — die Verachtung ſprang lachend um ſeine
Mundwinkel; er ſprach kein Wort. „Willſt Du mir
nicht etwas darüber ſagen? — Wofür habe ich Euch
Freunde? „Hyppolit, ſprich doch!“ „„Du biſt ein ſchwa¬
cher Menſch, ein teutſcher Wicht, der mit Träumen buhlt
und vor dem Sonnenlicht bleich wird — wäre nicht
Valer unter Euch geweſen, mich reute der Zeit, die
ich in Euren Kreiſen verbracht — ſprich mir nicht wie¬
der davon!““ Damit ging er hinweg. Es iſt ein
beiſpielloſer Uebermuth ſolches Ausländers, ich war ſehr
zornig und machte mir durch viele Worte Luft. Als
er am andern Morgen erſt heimkam, wiederholte ich ihm
allen Zorn, alle Vorwürfe. Lange ſchien er gar nicht
zuzuhören, endlich warf er einen raſchen unwilligen Blick
auf mich, und warf die ganz fremde Frage dazwiſchen,
ob ich ihm für den Abend ein Billet zum Geſandten¬
balle verſchaffen könne. Sein Liebeselend, das auf dem
blaſſen Geſicht umherirrt, ließ mich abſtehen von mei¬
ner Polemik; ich fragte theilnehmend, wie ſeine Sachen
mit Julien ſtänden. Mit vieler Mühe habe ich folgen¬
den Thatbeſtand ermittelt, denn man muß ihm wie
ein Kriminaliſt das Wichtigſte abfragen, da er kaum
[171] mit drei Worten antwortet, nie aber erzählt. Er iſt
früher hier eingetroffen als Julia, und erfuhr es bald,
daß ſie erſt erwartet werde. Wie eine Bildſäule ſtand
er nun Tag und Nacht vor der Barriere, welche ſie
aller Wahrſcheinlichkeit nach paſſiren mußte. Sie kam
des Nachts, ſein Falkenauge erkannte ſie, er ſprang
hinten auf den Wagen und fuhr mit in das Hotel,
öffnete den Schlag, hob ſie heraus. Heftig drückte er
ſie an ſich, da erkannte ſie ihn und wollte rufen. Er
verhinderte ſie daran und bat, ihm Zutritt zu ihrem
Hauſe zu geſtatten. Sie verneint es entſchieden. „Wohl,“
ſagt er, ſie loslaſſend, „ich ſpreche Sie mindeſtens
5 Minuten allnächtlich um 12 Uhr auf dem Korridor
des erſten Stocks oder ich zünde das Haus an und er¬
morde Sie ſammt Ihrem Vater.“


Das Alles war das Werk von zwei Minuten;
als man nach ihr rief, war er verſchwunden geweſen.
Was iſt dieſem wilden unciviliſirten Menſchen nicht Al¬
les zuzutrauen; könnte er's, er würfe die Erde dem Monde
an den Kopf um einer Liebesgrille halber. Das Mäd¬
chen konnte ihn arretiren laſſen, wenn er kam; aber
ſo antiromantiſch ſind unſere Mädchen nicht. Und iſt
es nicht ſüß, ſo toll geliebt zu werden? Er hat ſie
8 *[172] mehrmals geſprochen, ſie hat geweint und ihn beſchworen,
ſie ungeſtört zu laſſen. Thränen fruchten ſonſt nichts bei
ihm; aber er liebt Julien grenzenlos, er iſt ſchon über
eine Woche lang nicht mehr hingegangen. Ich will
ihm zu Willen ſein, meine berliner Bekanntſchaft er¬
neuern und bei Juliens Vater meine Aufwartung machen.
Hoffentlich bekomme ich auf dieſe Weiſe Karten zu dem
großen Balle. Es macht auch mir Freude, das ſchöne
Mädchen wieder zu ſehen. —

Das wird eine bunte Wirthſchaft. Ich wurde ge¬
meldet und angenommen. Julia iſt wirklich ſehr ſchön
und liebenswürdig. Sie ſaß noch in Haustoillette am
Fenſter und las. Ein leichtes weißes Morgenkleid mit
fliegenden Aermeln, die um den ſchönen vollen Arm ſpiel¬
ten, umflog poetiſch die ſchönen Glieder; die dunkeln
Locken hüpften wie damals auf den Schultern. Sie war
herzlich freundlich gegen mich und behandelte mich mit
aufgeſchloßner, liebevoller Seele wie einen alten Bekann¬
ten, mir vorwerfend, daß ich erſt ſo ſpät nach ihr frage.
Wie warm und heimathlich thut das meiner erſtarrten
Bruſt — was iſt doch die Weltgeſchichte trocken ohne
den Odem der Weiber Du haſt Recht, Freund, die Welt
[173] ohne Weiber iſt ein Rechenexempel, oder eine langweilge
Schulſtube. Ich trat mit ihr ins offne Fenſter und
ſah in die lebendige Rue Honoré! — Das war ein
ganz ander Paris, wie es ſich in ihren Augen wieder¬
ſpiegelte, von ihren Lippen wieder zu mir kam. Noch
will ihr die tolle Stadt nicht behagen, es geht ihr
Alles ſo wüſt und regellos durcheinander; „ich bin
ein kleiner Pedant, ſagte ſie, wo ich die Regel nicht
entdecken kann, da wird mir unruhig zu Muth; ich habe
mich zum teutſchen Gott der ſchönen Ordnung und
Harmonie, zu Göthe geflüchtet und ſeine Iphigenia,
ſeinen Taſſo geleſen, um mir Ruhe zu verſchaffen vor
dem Getümmel.“


Liebenswürdiges Mädchen, wie harmoniſch klang
das in das Streben meines jetzigen Weſens. Ich ſprach
freudeglühend davon, wie angenehm es mich überraſche,
in den hüpfenden Jugendjahren ſolche Beſonnenheit zu
finden, ſie lächelte und meinte, Du habeſt ſie oft des¬
halb geneckt und eine junge Matrone genannt. „Aber
— fuhr ſie fort — hat das Weib bei ſeiner ſchönen un¬
betheiligten Stellung in der geſellſchaftlichen Stellung et¬
was Paſſenderes zu erwählen als das Princip der Ord¬
nung, der Einfachheit und Ruhe? Einfachheit und Ruhe
[174] ſind die Elemente der Schönheit und dieſe ſoll ja un¬
ſer Streben, unſer Endziel ſein. Der Mann ſchafft,
zeugt, producirt, wir reproduciren, wir ordnen das Ge¬
ſchaffne. Ich halte es für thöricht, wenn eine Frau
nicht wie Göthe allen unerquicklichen Lärm, alle Unruh,
ja allen Wechſel fern von ſich hält, ſelbſt mit Aufopfe¬
rung des Reizes; die Empfänglichkeit wird durch große
Gaben verwöhnt, die feinen Organe, welche ſonſt bei
den kleinſten Luftſtrömungen beben, werden abge¬
ſtumpft. Ich halte aber darum auch Göthe für eine
neue Art Halbgott, d. h. ich glaube, das Beſte des
Weibes war in ihm aufgenommen und durch ſeine edle
Männlichkeit verherrlicht, gehoben. Zum plumpen Han¬
deln würde er nie getaugt haben.“ — Dabei ſpielte
die kleine fleiſchige Hand, die ſich weich ſenkend an den
ſchönen Arm ſchließt, mit den Blättern des Taſſo und
das Auge ruhte auf mir wie das der ſchönen Prinzeſſin
Leonore. Ich fühlte Taſſo's Vergehen in mir und hätte
ſie gern umarmt, wenigſtens die ſchönſte Hand und den
verführeriſchen Arm geküßt. In ihre Ideen eingehend
beſchrieb ich ihr meine Entwicklung und die allmählige
Reaktion, wie Du es nennen magſt — das freute ſie
ſehr und ſie erwähnte mehrmal, warum Du mit Deiner
[175] Mäßigung, ſauberen Klarheit, Deinem geläuterten Schön¬
heitsſinn nicht eben dahin kommen könneſt. Sie bat
mich, bald wiederzukommen und ihren Vater kennen zu
lernen, der ſich ſehr freuen würde, einem ſolchen Gange
der politiſchen Ausbildung zuzuhören. Ich nannte Hyp¬
polits Namen; ſie entfärbte ſich und Thränen traten ihr
in die Augen. Ich bat, ihn mitbringen zu dürfen. Sie
ſchwankte, mein Mitwiſſen errieth ſie mit weiblichem
Takte ſogleich — das gab ein heimliches Band zwiſchen
uns, was uns ſchnell einander näher brachte. Sie
war verlegen, zupfte an den Bändern, ſah auf die Erde,
faltete auf dem Schooß die kleinen Hände und ſah ſtarr
in ihre Verſchlingung. Endlich hob ſie langſam den
Kopf, ſah mich wehmüthig an und ſagte bittend: Laſ¬
ſen Sie ihn nie allein kommen, ich fürchte mich vor
ihm. Dies Vertrauen überwältigte mich, ich ergriff
ihre Hand und küßte ſie ſchnell; ſie zog ſie ſo ſchnell
als es die Artigkeit geſtattet, hinweg, ſtand auf und
empfahl ſich mir. Ein Gang in die Pairskammer
hielt mich ein wenig auf. — Zu Haus angekommen
fand ich ſchon Billets für uns zum Balle für den
Abend. Hyppolit ſah ſchmerzlich drein, als ich ihm
Alles erzählte.

[176]

Nun, wir ſind da geweſen und werden wohl ſchwer¬
lich wieder zuſammen hingehen. Es war ein glänzender
Ball. Alle Notabilitäten vom jungen Frankreich waren
da. Lafitte mit dem regelmäßigen ehrlichen Geſichte und
der unveränderlich feſtgeordneten Friſur ſpielte als Pre¬
mier eine fein franzöſiſche artige Rolle. Seinen Be¬
ſtrebungen verdankt Ludwig Philipp das königliche Bett
im Palais royal, er hat all ſein Vermögen gegen die
alten Bourbonen in die Schanzen geſchlagen, er iſt ein
klaſſiſch braver Mann, das geſtehen ſeine Feinde zu.
Aber Alles an ihm iſt claſſiſch, nicht ein Zug, nicht
eine Falte im Geſicht iſt romantiſch. Seine Gefällig¬
keit, Artigkeit iſt ſo abgemacht, daß nichts ſie aus dem
Gleiſe bringen kann; er würde den ruſſiſchen Geſandten,
den ſchneeweißen Kriecher Pozzo di Borgo, mit dem er
den Abend über viel ſprach, mit eben der Galanterie,
die flammendſte Kriegserklärung übergeben, als er ihm
jetzt eine Prieſe Tabak anbot. Das Geſicht iſt die ſtei¬
nerne glatte Galanterie, ein Kopf aus Louis des Vier¬
zehnten zierlichen Epoche und darunter ein Herz der
jüngſten franzöſiſchen Jugend. Er unterhielt ſich viel
mit Julia und er iſt allerdings ganz der Mann für ſie
[177] — ich glaube, wenn ihn heute ein freches Tribunal mit
den ſchreiendſten Ungerechtigkeiten zum Tode verurtheilte,
er würde ſich höflich vertheidigen. In den wildeſten Kam¬
merdebatten, mit den inſolenteſten Gegnern bleibt der
Mann artig, verbindlich — es iſt eine Klaſſicitität,
die mich ſogar erſtarren macht. Julie war entzückt von
ihm und ſagte ihm dies ziemlich deutlich — ich ſtand
daneben; wenn er ſich doch nur ein wenig mehr als
die Form erheiſchte, gefreut hätte, er iſt der glatte und
doch endlos tiefe See. Und doch haben wenig Länder
Männer, auf welche ſie ſo ſtolz ſein können als Frank¬
reich auf Lafitte. Unweit davon ſaß der Alte von Drü¬
ben, der Friedensnapoleon, der langweiligſte, einför¬
migſte Freiheitsmann La Fayette, der ſchlechteſte Mar¬
quis der alten, der beſte Bürger der neuen Zeit. Der
Mann iſt mir ſehr im Wege, weil ich ihn gern auf
das Härteſte tadelte und doch ſo unbegrenzt achten muß.
Er iſt auch ein Klaſſiker mit ſeiner unwandelbaren Frei¬
heitsidee, der Klaſſiker der romantiſch franzöſiſchen Re¬
volution; nur ſeine unverwüſtliche Jugend giebt ihm
einen romantiſchen Anſtrich. So nimmt er in der po¬
litiſchen Welt Frankreichs mit derſelben Unſterblichkeit
denſelben Platz ein, welchen Göthe im teutſchen literari¬
[178] ſchen Staate behauptet: es ſind beides Klaſſiker mit
ein wenig romantiſchem Odem. Ich bin begierig, wer
der Erde zuerſt den Tribut des Todes wird zahlen müſ¬
ſen. Die Natur iſt ſparſam mit ſolchen Leuten und
da es ihr leichter zu werden ſcheint, gute Herzen als gute
Köpfe zu ſchaffen, ſo wird wohl Göthe länger leben
und dadurch bekunden, daß er wichtiger für die Menſch¬
heit ſei als La Fayette. Dieſer letztere iſt mir zu platt
praktiſch und ſein Amerikanismus iſt doch eigentlich eine
Armuth. So ſieht auch ſein Kopf aus, nüchtern, pro¬
ſaiſch amerikaniſch. Es iſt kein Geiſt in dem formlos
gutmüthigen Geſichte, nicht ein Zug thatkräftigen Ver¬
ſtandes. Aber ſeine Manieren würden Dich entzücken:
alle Feinheit des franzöſiſchen Styls, alle liebenswür¬
dige Artigkeit iſt darin, und doch nimmt ihnen jene de¬
mokratiſche Bonhommie, jene amerikaniſche Gleichſtellung
von Hoch und Niedrig, jene Poeſie der Gleichheit aus
dem neunziger Jahren doch nimmt ihm dieſe allen Bei¬
ſatz von Künſtlichkeit, von Geckenhaftigkeit, was man
namentlich bei alten Leuten ſo oft findet. Das iſt La
Faytte’s Poeſie: er hat in abſtrakte Begriffe, ja in kon¬
ventionelle Formen Blut und warmes Leben gebracht;
er iſt nicht die abſtrakte Lehre von Freiheit und Civi¬
[179] liſation, ſondern ihr Menſch. Julia liebt ihn gar nicht,
und ſah, am Arme ihres Vaters hängend, der neben
ihm ſtand, nicht eben wohlwollend auf den alten Käm¬
pen. Aber ſeine Humanität überwältigte ſie bald und
ſie geſtand mir, daß ſie ſich die Revolution nie ſo ſauber,
geordnet und ſanft habe denken können, als ſie ſich in
zwei ihrer Koryphäen Lafitte und La Fayette ausdrücke.
Hyppolit ſtand dabei und erzählte von den Freiheitskrie¬
gen in Südamerika, denen er eine Zeitlang beigewohnt.
Lafitte glich mit feiner Hand alle Unebenheit aus, welche
Hyppolits Feuereifer in einem diplomatiſchen Kreiſe zu
wiederholten Malen erzeugte. La Fayette lächelte und ein
großer breitſchulteriger Mann, der mit untergeſchlagenen
Armen dabei ſtand und ſein großes blitzendes Auge ſte¬
chend herumjagte im Kreiſe, warf einige giftige polemiſche
Worte hinein. Hyppolit nahm ſie auf und es gab hin
und her mehrere ſchnellblitzende und donnernde Gewitter¬
ſchläge. La Fayette beſprach mit freundlichen Worten den
Sturm. Es handelte ſich zumeiſt um die ſpaniſchen Ver¬
hältniſſe, auf die man von Südamerika aus gekommen war.
Hyppolit nahm glühend die Parthei der ſpaniſchen Com¬
muneros; jener breitſchultrige Mann, Caſimir Perier war
es, griff die Cortescharte auf das heftigſte an und nannte
[180] ſie eine ausſchweifende — Hyppolits Zornader ſchwoll
hoch auf. — Ich habe Ihnen den Contretanz zugeſagt,
der eben beginnt, ſagte die friedliebende Julia zu ihm
und entführte den Kampfluſtigen. Perier ſah ernſt und
faſt zürnend darein. Er hat ein von Verſtand und
Denken durchwühltes Geſicht. Ich ging in den Tanz¬
ſaal und betrachtete mir die Jugend Frankreichs. Mein
Blick fiel bald auf Hyppolit und Julia, ſie tanzten
nachläſſig, Hyppolit ſprach eifrig, ſah ſehr erhitzt aus.
Ich trat näher hinzu und ſah, wie er ihre Hand krampf¬
haft feſthielt. Der Tanz war zu Ende, er ließ ſie nicht
los und begleitete ſie nach einem Nebenzimmer, oder
vielmehr ſchien ſie nothgedrungen ihn zu begleiten. Ein
unausſprechlich bittender Blick von ihr traf mich, ich
folgte ihnen. Hyppolit eilte mit ſeiner Beute durch die
von Gäſten angefüllten Zimmer nach den entlegneren
leeren. Mich bemerkte er nicht, mit dem Rücken ge¬
gen mich hielt er in einem leeren Gemach inne, um¬
faßte Julien und beſchwor ſie mit herzzerreißender Stimme,
den innigſten Worten, ſeine Liebe nicht ferner zu ver¬
ſchmähen; er werde ſanft und mild ſein, er liebe ſie bis
zur Raſerei. — — Julia weinte heftig, Hyppolit ließ
ſie los und küßte ſie auf das feuchte Auge, ſie ſchauerte
[181] zuſammen, ſtreckte die Arme nach mir aus, taumelte
die wenigen Schritte bis zu mir und fiel ohnmächtig in
meine Arme. —


Da näherte ſich Geräuſch aus dem angrenzenden
Zimmer, Hyppolit ſah mich mit einem unbeſchreiblichen
Blicke an, und griff nach Julien, um ſie hinwegzutra¬
gen; ich bat ihn herzlich, es nicht zu thun, lieber eiligſt
die Thür zu verriegeln — „Nein,“ ſagte er hart, da
wollte ich ſelbſt die Ohnmächtige ins nächſte Gemach
retten. In dem Augenblicke ging die Thür auf, Ju¬
liens Vater trat ein. — Heut' iſt Julia nicht mehr in
Paris; Hyppolit hat kein Wort mit mir geſprochen und
iſt verſchwunden; ſeinen Hut und Mantel hat mein
Diener aus der Seine gefiſcht. Juliens Vater ſchickt
eben nach mir. Lebe wohl, ich komme in dieſen Ta¬
gen nach Teutſchland, um eine Anſtellung zu ſuchen.


[182]

40.
Camilla an Valerius.

Daß die dummen Polen auch gerade jetzt ihre Re¬
volution anfangen mußten, während Du in der Stadt
wareſt — von hier hätte ich Dich gewiß nicht fortge¬
laſſen, nach den neueſten Vorfällen zu fragen. Ich wün¬
ſche den lieben Leuten alles Gute, ich glaube Dir's gern,
daß ſie ein himmelſchreiendes Recht haben, aber ich
wünſche mir auch meinen Liebhaber.


Haſt Du noch nicht genug Nachrichten, wirſt Du
nicht bald kommen? Ach ich bin wirklich ſchon recht
böſe auf Dich: das Wetter wird immer rauher, man
kann beinah nicht mehr aus dem Hauſe, die Lan¬
geweile und Sehnſucht wird immer größer und noch
dazu die Angſt — ja wohl die Angſt. Höre nur!
Geſtern kam ein Reiſewagen, und brachte mir eine liebe
alte Freundin, das wäre ja doch nur etwas, worüber ich
mich freuen könnte; ja doch, ich freute mich ſehr, aber
nicht lange. Denke nur, als wir zum erſten ruhigen
Geſpräche kamen, da ſah aus jedem Auge, jedem Zuge
des Geſichts, Dein Blick, Dein Geiſt, die Worte wa¬
[183] reu Dein, ſo müßteſt Du ſprechen, wärſt Du ein Weib;
der Rede- und Tonfall ganz wie bei Dir, das ganze
Weſen, der ganze Luftkreis der des Valerius — Mann,
ich entſetzte mich, wärſt Du verheirathet, es müßte dies
Deine Frau ſein. Ich theilte dies Alles meiner Freun¬
din mit, ſie lächelte. Wie bin ich erſchrocken, als ſie
mir ſagte, daß ſie Dich kenne. O bleib jetzt, komm
nicht, ich fürchte mich vor Unglück, wenn Du jetzt
kommſt. Ach nein, wenn ſie Dich beglücken könnte,
komm, komm, ich würde ſo gern für Dein Glück ſter¬
ben. Als Du mir von Deiner erſten Liebe erzählteſt,
da war ich ſo ſchmerzhaft erregt und doch ſo überaus
ſelig in dem Gedanken, wenn ich ſie Dir wieder in den
Arm legen und mein ſeligweinend Geſicht zwiſchen eure
an einander gedrückten Schultern ſchmiegen könnte. Du
haſt Recht, die Liebe iſt mehr als der Beſitz einer ein¬
zigen Perſon, ſie iſt eine ganze Atmosphäre von Wohl
wollen und viel hat darin Raum. Wenn ich Dich nur
nicht ſo viel geküßt hätte, das iſt ſo ſchlimm, jetzt wird
es mir doch viel ſchwerer werden, Dich am Herzen einer
Andern zu ſehen. Du glaubſt aber nicht, um wie viel
lieber ich Dich habe wegen Deiner offnen Ehrlichkeit,
daß Du mir gleich beim erſten Kuſſe ſagteſt, Dein Herz
[184] ſei nicht mehr jungfräulich, Du hätteſt Liebe gewährt
und genoſſen und liebteſt noch und würdeſt noch geliebt.
Ich kann klagen und weinen, wenn man Dich mir
heute entführte, aber nicht über Dich und das iſt ſehr
lieb und ſchön. Du bleibſt ewig mein unwandelbarer
Stern, Du biſt der ehrliche Palmerio. Komm, komm,
Du Licht meiner Augen, ich will nur Deine Geſtalt
ſehen, das gleichgültigſte Wort Deiner lieben, lieben
Stimme hören und glücklich, ſehr glücklich ſein. Komm! —
Ich lege Dir einen Brief von Conſtantin und einen
von der Fürſtin bei — was will denn die gefährliche
Frau von Dir? Ach, Du machſt mir recht viel Sorge.
Die gute Alberta iſt ſo ſtill und traurig, daß Du nicht
da biſt, ſie ſitzt fortwährend am Fenſter, und wenn
ein Reiter kommt, jubelt ſie, und wenn Du's nicht
biſt, kommt ihr das Waſſer in die Augen. Ach, Du
biſt ein Böſewicht. Auch der Graf iſt ſo ſtill und noch
ſanfter als ſonſt; auch er ſcheint Kummer zu haben.
Eile, uns froh zu machen!


[185]

41.
Valerius an Constantin.

Ich lege Dir Williams Brief bei; ſteh, wohin
der einſeitige Fanatismus führt. Wo jeder Gedanke
von Freiheit fehlt, da giebt es nur Höhen und Tiefen,
ſchmale Wege, jähe Abgründe; nur die Freiheit ebnet
die Welt ſo wunderbar, daß Alles gefahrlos gehen und
ſpringen kann. Man kann irren mit der Freiheit,
aber an jedem neuen Morgen kann man ſich zurecht
finden. Der abſolutiſtiſche religiöſe oder politiſche Glaube
kennt keinen Irrthum, er kennt nur Sünde und die
Sünde gebiert den Tod, ſagt er ſelbſt. William iſt
das Opfer des Abſolutismus, Leopold wird der Spiel¬
ball der Geſetzloſigkeit — er iſt im belgiſchen Heere
Compagnie-Chirurgus, wie ich eben erfahren und ſpielt
eine abgeriſſene kümmerliche Rolle, und nur die un¬
geheuren, titanenartigen Kräfte erhalten oben auf der
Lebenswoge den zügelloſen Hyppolit; nur ſein rieſen¬
hafter Geiſt läßt ihn beſtehen mit ſeiner unbändigen, die
Civiliſation überſpringenden Freiheit. Du ſcheinſt ihn
für todt zu halten, das iſt er gewiß nicht; ein ſolcher
[186] Romancharakter lebt noch lange in der Wildheit und
wird einſt, wenn ſeine beſtialiſche Kraft an den Schran¬
ken der Bildung gebrochen iſt, der Anführer eines frei¬
heitsbedürftigen Volkes. Seine Subjectivität muß erſt
zertrümmert werden, eh' er nützen kann. Jetzt iſt er
im Stadium des Danton und nur die gefährliche Zeit
fehlt, daß er ſich wie jener auszeichne. Aber dieſer
ſubjective Danton wird guillotinirt werden, und ſeine
geläuterte Objectvität wird einſt mit der neuen Gironde
unſerer Tage lehren. Er wird einſt der hinreißende
neue Vergniaud werden. Es iſt ein merkwürdiger Wen¬
depunkt in unſerem Leben eingetreten. Ich gehe mor¬
gen nach Warſchau, um für das heilige Recht eines
Volkes gegen die Tyrannen zu fechten. Ich liebe das
polniſche Volk nicht eben ſehr, aber für ſeine Sache
will ich bluten und ſterben. Dies aſiatiſche Element
einer Herrſcher- und einer Sklavenkaſte, das ſie noch
immer nicht ernſtlich bekämpft haben, iſt mir ſehr zu¬
wider. Es iſt allerdings nicht der gewöhnliche Begriff
der Ariſtokratie, die man ihnen meiſthin zum Vorwurf
macht, es iſt eine demokratiſche Ariſtokratie, welche die
Stufen unter ſich wenig beachtet und eine große Gleich¬
heit unter ſich eingeführt hat; aber ich würde lieber
[187] eine ariſtokratiſche Demokratie ſehen. Ihre ernſtlichen
Annäherungen an eine allgemeine demokratiſche Civili¬
ſation ſind ſehr träge, wenn man ſelbſt die Abſicht der
Beſten, welche die Charte vom 3. Mai entworfen,
wenn man die Selbſtſtändigkeit ihrer bisherigen Unter¬
jochungsperiode abrechnet. Es iſt noch viel roh Aſia¬
tiſches an ihnen, aber ihre überwältigende Poeſie der
Vaterlandsliebe, dieſes Käthchen von Heilbronn in ei¬
nem ganzen Volke, iſt zauberhaft, ihr Kampf iſt der
reinſte und edelſte, der gefochten werden kann. Drum
will ich hin, morgen ſchon, aus Folgendem.


Ich kehre aus der Stadt zurück, finde weiblichen
Beſuch auf dem Schloſſe, trete ins Zimmer: an der
Hand Camilla's tritt mir Clara entgegen. Freude,
Ueberraſchung, Schrecken, Beſorgniß preſſen mir den
Namen Clara aus — ich ſehe den Blitzſtrahl in die
ſchlanke Palme Camilla zündend einſchlagen. Das liebe
Kind ward bleich, das Waſſer ſchoß ihr in die Augen,
aber ſie lächelte wie ein Engel. Clara war ſanft und
lieb. Mein Entſchluß war ſchnell gefaßt: ich kündigte
ihnen meine morgende Abreiſe an. Die guten Weſen
haben mich alle ſo lieb, daß jedes nun zu ſehr mit
[188] ſich beſchäftigt war, als daß es auf die andern hätte
Acht haben können. Einen Augenblick war ich durch
einen Zufall, der die Andern auseinander ſprengte, mit
Clara allein. — „Willſt Du mir nicht Morgen ſchenken,
lieber Valer, ich will ſonſt weiter nichts von Dir.“
Die Rührung überwältigte mich, weinend fiel ich ihr
um den Hals, ſie bedeckte mein Geſicht mit ihren war¬
men Händen, küßte mich nur auf das Auge und ſprach:
„Du guter Junge — ich will nichts von Dir, als
Dich einmal ſehen.“


Ich wäre untröſtlich, erführe dieſer Engel meiner
Poeſie, daß ich noch Andre liebte und küßte. — Als
Alberta zurückkam, eilte ich fort, um Camilla zu ſu¬
chen. Sie kam mir wie ein Kind ſanftlächelnd ent¬
gegen, gab mir ihre Hand und fragte nur: „Sie iſt
es?“ — Sie iſt's, antwortete ich und erregt in allen
Fibern meiner Seele wollt' ich das liebenswürdigſte
Mädchen an mein Herz drücken. Sie hielt mir die
Hand vor den Mund und ſagte: „Bitte, bitte, nein —
Du armer reicher Mann.“ — Willſt Du mir meinen
Reichthum laſſen? — „Ob ich will?“ — Laß Clara
nichts von unſrer Liebe ahnen. „Wie kannſt Du bit¬
ten, was ſich von ſelbſt verſteht; ich bin doch glücklich.„
[189] Nun war ich ausgelaſſen luſtig — Liebe, was biſt
du reich, und die ungeſchickten Menſchen machen dich
ſo dürftig, weil ſie egoiſtiſch, jämmerlich egoiſtiſch ſind.
Ich ſagte Camilla, daß ich den andern Tag noch da
bleiben würde. „Es iſt recht ſchlimm, daß Du gehſt,
wir werden Alle vor Sehnſucht ſterben.“


Es war ein ſeliger Tag, den ich von allen Sei¬
ten in Liebe gehüllt verlebte. Meine neuen Ideen,
die Camilla zur Sprache brachte, weil ſie unſer Lebens¬
odem geworden ſind, waren für Clara neu; meine al¬
ten, deren Clara erwähnte, waren's für Camilla, Al¬
berta flog wie ein Schmetterling zwiſchen uns. Ich
habe einen Tag in Indien gelebt, wir haben unſer
Herzblut ausgetauſcht. Allein konnt' ich, durft' ich mit
keiner ſein, allen Abſchied verbat ich mir ſogleich; wir
ſaßen bis tief in die Nacht beiſammen, nur den guten
Grafen küßte ich im Vorſaale herzlich ab, nahm Reiſe¬
geld von ihm an, verſprach zu ſchreiben und, wenn
mich keine Kugel träfe, bald wieder zu kommen. Der
liebe Mann weinte und ſegnete mich wie ein Vater. —
Ich hatte mir mein Pferd ſatteln laſſen, brachte meine
lieben Zuhörerinnen in ein erhebendes Geſpräch über
ein weites reiches Leben nach dem Tode, über ſeinen
[190] Vorgeſchmack, die Freiheit, und die Opfer, die wir ihr
bringen müßten. — Der erhobene Menſch trägt alles
Leid noch einmal ſo leicht; das Herz beſitzt unglaub¬
liche Kräfte, man muß ſie nur wecken. Wir glühten
Alle von Begeiſterung für das Edle und Große und
die Mädchen wären alle mitgeſtorben, wenn es des
Todes bedurft hätte. Da ging ich hinaus, ſetzte mich
auf's Pferd, ritt unter das Fenſter und rief. Sie
öffneten haſtig, in vollem Lichte ſtanden ſie beide, meines
Herzens Arme. Alberta mußte zufällig eben das Zimmer
verlaſſen haben. Der Mond ſchien auf mein thränen¬
weiches Geſicht. Ade, meine Liebe, ſprach ich, in ei¬
ner freieren Welt wieder. Fort ritt ich, und ſah nur
noch, wie ſich die lieben Mädchen in die Arme fielen.
Taugt mein Dichten und Trachten nicht für dieſe ge¬
ſellſchaftliche Welt, ſo wird mich wohl eine ruſſiſche
Kugel treffen. Ade Teutſchland, vielleicht ſeh' ich dich
nie wieder. Kommſt Du her, wie Du ſchreibſt, ſo ſuche
die Bekanntſchaft der Fürſtin, und ſage ihr, wenn ich
am Leben bliebe, würde ich ihr einſt antworten. Sie
hat mir einen wunderbar klugen Brief über William,
Hyppolit, Leopold und alle dieſe betreffenden Verhältniſſe
geſchrieben. Man darf ſie nicht nach dem gewöhnli¬
[191] chen Maaßſtabe meſſen, ſie iſt ein merkwürdig Weib,
die vielleicht durch allzuſpitze Klugheit ſich und andre
verderbt. Ich ſchreibe Dir dies in Breslau — lebe
wohl, ich reiſe. Halte Dein Herz munter, Freund, laß
es nicht vertrocknen.


[192]

42.
Der Oberst Kicki an den Grafen
von Topf.

Ihrem Verlangen gemäß, ſehr geehrter Herr, hab'
ich mich nach Herrn Valerius überall erkundigen laſſen,
kann Ihnen aber leider nur einen unvollſtändigen trau¬
rig klingenden Bericht mittheilen. Die ihn umgebenden
Reiter haben ihn bis Nachmittags ungefähr 2 Uhr tap¬
fer bei Grochow kämpfen ſehen, nach dem großen Ka¬
vallerieangriff der Ruſſen iſt er vermißt worden. Noch
weiß Niemand was ihm widerfahren, freilich iſt es das
Wahrſcheinlichſte, daß er gefallen, es waren der Tod¬
ten ſo viele, der Feind drang bis auf unſere Stellun¬
gen, es iſt faſt unmöglich, das Schickſal eines Einzel¬
nen zu ermitteln.


Geſtatten Sie mir, Herr Graf, die Verſicherung
vorzüglicher Hochachtung, mit der ich die Ehre habe
zu ſein ꝛc. ꝛc. —

[][][]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 2. Das junge Europa. Das junge Europa. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn18.0