und
Gertrud.
bey George Jakob Decker,1781.
[][]
Vorrede.
Leſer!
Dieſe Bogen ſind die hiſtoriſche Grund-
lage eines Verſuchs, dem Volk einige ihm
wichtige Wahrheiten auf eine Art zu ſa-
gen, die ihm in Kopf und ans Herz ge-
hen ſollte.
Ich ſuchte ſowohl das gegenwaͤrtige
Hiſtoriſche als das folgende Belehrende
auf die moͤglichſt ſorgfaͤltige Nachahmung
der Natur, und auf die einfache Darle-
gung deſſen, was allenthalben ſchon da
iſt, zu gruͤnden.
Ich habe mich in dem, was ich hier
erzaͤhle, und was ich auf der Bahn ei-
nes thaͤtigen Lebens meiſtens ſelbſt geſehn
)( 2und
[]Vorrede.
und gehoͤrt habe, ſo gar gehuͤtet, nicht
einmal meine eigene Meynung hinzuzuſe-
tzen, zu dem, was ich ſah und hoͤrte,
daß das Volk ſelber empfindet, urtheilt,
glaubt, redt und verſucht.
Und nun wird es ſich zeigen; Sind mei-
ne Erfahrungen wahr, und gebe ich ſie,
wie ich ſie empfangen habe, und wie mein
Endzweck iſt, ſo werden ſie bey allen denen,
welche die Sachen, die ich erzaͤhle, ſelber
taͤglich vor Augen ſehn, Eingang finden.
Sind ſie aber unrichtig, ſind ſie das Werk
meiner Einbildungen und der Tand mei-
ner eigenen Meynungen, ſo werden ſie,
wie andere Sonntagspredigten, am Mon-
tag erſchwinden.
Ich ſage nichts weiter, ſondern ich
fuͤge nur noch zwo Betrachtungen bey,
welche meine Grundſaͤtze uͤber die Art eines
weiſen Volksunterrichts, ins Licht zu ſe-
tzen geſchickt ſcheinen.
Die
[]Vorrede.
Die erſte iſt aus einem Buche un-
ſers ſeligen Luthers, deſſen Feder in je-
der Zeile Menſchlichkeit, Volkskenntniß
und Volksunterricht athmet. Sie lau-
tet alſo:
„Die heilige Schrift meynt es auch da-
„rum ſo gut mit uns, daß ſie nicht bloß
„mit den groſſen Thaten der heiligen Maͤn-
„ner rumpler, ſondern uns auch ihre
„kleinſten Worte an Tag giebt, und ſo
„den innern Grund ihres Herzens uns
„aufſchließt.“
Die zweyte iſt aus einem juͤdiſchen
Rabiner, und lautet nach einer lateini-
ſchen Ueberſetzung alſo:
„Es waren unter den Voͤlkern der Hei-
„den, die rings umher und um das Erb-
„theil Abrahams wohnen, Maͤnner voll
„Weisheit, die weit und breit auf der
„Erde ihres gleichen nicht hatten; dieſe
)( 3„ſpra-
[]Vorrede.
„ſprachen: Laſſet uns zu den Koͤnigen und
„zu ihren Gewaltigen gehn, und ſie leh-
„ren, die Voͤlker auf Erden gluͤcklich
„machen.
„Und die weiſen Maͤnner giengen hin-
„aus, und lernten die Sprache des Hau-
„ſes der Koͤnige und ihrer Gewaltigen,
„und redeten mit den Koͤnigen und mit
„ihren Gewaltigen in ihrer Sprache.
„Und die Koͤnige und die Gewaltigen
„lobten die weiſen Maͤnner, und gaben
„ihnen Gold und Seide und Weyrauch,
„thaten aber gegen die Voͤlker wie vor-
„hin. Und die weiſen Maͤnner wurden
„von dem Gold und der Seide und dem
„Weyrauch blind, und ſahen nicht mehr,
„daß die Koͤnige und ihre Gewaltigen un-
„weiſe und thoͤricht handeln, an allem
„Volk, das auf Erden lebt.
„Aber ein Mann aus unſerm Volk
„beſchalt die Weiſen der Heiden, gab
„dem
[]Vorrede
„dem Bettler am Weg ſeine Hand, fuͤhrte
„das Kind des Dieben, und den Suͤnder,
„und den Verbannten in ſeine Huͤtte, gruͤß-
„te die Zoller, und die Kriegsknechte, und
„die Samariter, wie ſeine Bruͤder, die
„aus ſeinem Stamme ſind.
„Und ſein Thun, und ſeine Armuth,
„und ſein Ausharren in ſeiner Liebe ge-
„gen alle Menſchen gewann ihm das Herz
„des Volks, daß es auf ihn traute, als
„auf ſeinen Vater. Und als der Mann
„aus Iſrael ſah, daß alles Volk auf ihn
„traute, als auf ſeinen Vater, lehrte er
„das Volk, worinn ſein wahres Wohl
„beſtehe; und das Volk hoͤrte ſeine Stim-
„me, und die Fuͤrſten hoͤrten die Stimme
„des Volks.
Das iſt die Stelle des Rabiners, zu
der ich kein einiges Wort hinzuſetze.
Und jezt, ehe ihr aus meiner Stille
geht, liebe Blaͤtter! an die Orte, wo die
)( 4Winde
[]Vorrede.
Winde blaſen, und die Stuͤrme brauſen,
an die Orte, wo kein Friede iſt —
Nur noch diß Wort, liebe Blaͤtter!
moͤge es euch vor boͤſen Stuͤrmen bewah-
ren!
Ich habe keinen Theil an allem Streit
der Menſchen uͤber ihre Meynungen; aber
das, was ſie fromm und brav und treu
und bider machen, was Liebe Gottes und
Liebe des Naͤchſten in ihr Herz, und was
Gluͤck und Segen in ihr Haus bringen
kann, das, meyne ich, ſey, auſſer allem
Streit, uns allen und fuͤr uns alle in un-
ſere Herzen gelegt.
Den 25. Hornung 1781.
Der Verfaſſer.
[]
Innhalt.
- Blatt.
§.. 1. Ein herzguter Mann, der aber doch
Weib und Kinder hoͤchſt ungluͤcklich
macht 3 - — 2. Eine Frau, die Entſchluͤſſe nimmt,
und ausfuͤhrt, und die einen Herrn
findet, der ein Vaterherz hat 9 - — 3. Ein Unmenſch erſcheint 17
- — 4. Er iſt bey ſeines gleichen; und da iſt’s
wo man Schelmen kennen lernt 22 - — 5. Er findet ſeinen Meiſter 27
- — 6. Wahrhafte Bauerngeſpraͤche 34
- — 7. Er faͤngt eine Vogtsarbeit an 45
- — 8. Wenn man die Raͤder ſchmiert, ſo
geht der Wagen 50 - — 9. Von den Rechten im Land 53
- — 10. Des Scheerers Hund ſaͤuft Waſſer
zur Unzeit, und verderbt dem Herrn
Untervogt ein Spiel, das recht gut
ſtand 57 - — 11. Wohl uͤberlegte Schelmenprojecte 64
- — 12. Hanshaltungsfreuden 70
- Innhalt.
Blatt.
§. 13. Beweis, daß Gertrud ihrem Manne
lieb war 73 - — 14. Niedriger Eigennutz 84
- — 15. Der klugen Gans entfaͤllt ein Ey;
oder eine Dummheit, die ein Glas
Wein koſtet 88 - — 16. Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt
ein Sterbbett 91 - — 17. Die kranke Frau handelt vortrefflich 97
- — 18. Ein armer Knab bittet ab, daß er
Erdaͤpfel geſtohlen hat, und die Kran-
ke ſtirbt 105 - — 19. Guter Muth troͤſtet, heitert auf und
hilft; Kummerhaftigkeit aber plagt
nur 110 - — 20. Dummer, zeitverderbender Vorwitz
hat den Mann zum Muͤßiggang ver-
fuͤhrt 113 - — 21. Undank und Neid 115
- — 22. Die Qualen des Meyneids laſſen ſich
nicht mit ſpitzfuͤndigen Kuͤnſten er-
ſticken 117 - — 23. Ein Heuchler, und eine leidende Frau 125
- — 24. Ein reines, froͤhliches und dankbares
Herz 130 - — 25. Wie Schelmen mit einander reden 132
- Innhalt.
Blatt.
§. 26. Hochmuth in Armuth und Elend
fuͤhrt zu den unnatuͤrlichſten abſcheu-
lichſten Thaten 134 - — 27. Fleiß und Arbeitſamkeit, ohne ein
dankbares und mitleidiges Herz 138 - — 28. Der Abend vor einem Feſttage in ei-
nes Vogts Hauſe, der wirthet 144 - — 29. Fortſetzung, wie Schelmen mit ein-
ander reden und handeln 150 - — 30. Fortſetzung, wie Schelmen mit ein-
ander reden und handeln, auf eine
andere Manier 157 - — 31. Der Abend vor einem Feſttage, im
Hauſe einer rechtſchaffenen Mutter 166 - — 32. Die Freuden der Gebetsſtunde 168
- — 33. Die Ernſthaftigkeit der Gebetsſtun-
de 170 - — 34. So ein Unterricht wird verſtanden
und geht an’s Herz, aber es giebt
ihn eine Mutter 173 - — 35. Ein Samſtagsabendgebet 177
- — 36. Noch mehr Mutterlehren. Reine
Andacht und Emporhebung der See-
le zu Gott 182 - — 37. Sie bringen einem armen Mann ei-
ne Erbsbruͤhe 187 - Innhalt.
Blatt.
§. 38. Die reine ſtille Groͤſſe eines wohl-
thaͤtigen Herzens 190 - — 39. Eine Predigt 194
- — 40. Ein Beweis, daß die Predigt gut war.
Item, vom Wiſſen und Irrthum;
und von dem, was heiſſe, den Armen
druͤcken 204 - — 41. Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer
Unfug an 215 - — 42. Zugabe zur Morgenpredigt 218
- — 43. Die Bauern im Wirthshauſe wer-
den beunruhiget 219 - — 44. Geſchichte eines Menſchenherzens,
waͤhrend dem H. Nachtmahl 222 - — 45. Die Frau ſagt ihrem Manne groſſe
Wahrheiten; aber viele Jahre zu
ſpaͤth 225 - — 46. Selbſtgeſpraͤch eines Manns, der mit
ſeinem Nachdenken ungluͤcklich weit
koͤmmt 228 - — 47. Haͤusliche Sonntagsfreuden 231
- — 48. Etwas von der Suͤnde 236
- — 49. Kindercharacter und Kinderlehren 238
- — 50. Unarten und boͤſe Gewohnheiten ver-
derben dem Menſchen auch die ange-
nehmen Stunden, in denen er etwas
Gutes thut 245 - Innhalt.
Blatt.
§. 51. Es kann keinem Menſchen in Sinn
kommen, was fuͤr gute Folgen auch
die kleinſte gute Handlung haben
kann 248 - — 52. Am Morgen ſehr fruͤh iſt viel zu ſpaͤth
fuͤr das, was man am Abend vorher
haͤtte thun ſollen 250 - — 53. Je mehr der Menſch fehlerhaft iſt, deſto
unverſchaͤmter begegnet er denen, die
auch fehlen 252 - — 54. Armer Leute unnoͤthige Arbeit 254
- — 55. Ein Heuchler macht ſich einen Schel-
men zum Freund 255 - — 56. Es wird Ernſt; der Vogt muß nicht
mehr Wirth ſeyn 260 - — 57. Wie er ſich gebehrdet 262
- — 58. Wer bey ihm war 264
- — 59. Aufloͤſung eines Zweifels 265
- — 60. Eine Ausſchweifung 266
- — 61. Der alte Mann leert ſein Herz aus 268
- — 62. Das Entſetzen der Gewiſſensunruhe 272
- — 63. Daß man mit Liebe und mit Theil-
nehmung der gaͤnzlichen Kopfsver-
wirrung angſtvoller Menſchen vor-
kommen koͤnne 273 - — 64. Ein Pfarrer, der eine Gewiſſensfache
behandelt 274 - Innhalt.
Blatt.
§. 65. Daß es auch beym niedrigſten Volk
eine Delicateſſe gebe, ſelbſt bey der
Annahme von Wohlthaten, um die
ſie bitten 280 - — 66. Ein Foͤrſter, der keine Geſpenſter
glaubt 282 - — 67. Ein Mann, den es geluͤſtet, einen
Markſtein zu verſetzen, moͤchte auch
gern die Geſpenſter nicht glauben,
und er darf nicht 285 - — 68. Die untergehende Sonne und ein ver-
lorner armer Tropf 287 - — 69. Wie man ſeyn muß, wenn man mit
den Leuten etwas ausrichten will 288 - — 70. Ein Mann, der ein Schelm iſt und
ein Dieb, handelt edelmuͤthig, und
des Maͤurers Frau iſt weiſe 289 - — 71. Die Hauptauftritte naͤhern ſich 294
- — 72. Die letzte Hoffnung verlaͤßt de[n] Vogt 297
- — 73. Er macht ſich an den Markſtein 298
- — 74. Die Nacht betruͤgt Beſoffene und
Schelmen, die in der Angſt ſind,
am ſtaͤrkſten 299 - — 75. Das Dorf koͤmmt in Bewegung 301
- — 76. Der Pfarrer koͤmmt ins Wirthshaus 305
- — 77. Seelſorgerarbeit 306
- Innhalt.
Blatt.
§. 78. Zween Briefe vom Pfarrer, an
Arner 315 - — 79. Des Huͤnertraͤgers Bericht 319
- — 80. Des Junkers Antwortſchreiben an
den Pfarrer 322 - — 81. Ein guter Kuͤher 325
- — 82. Ein Gutſcher, dem ſeines Junkers
Sohn lieb iſt 327 - — 83. Ein Edelmann bey ſeinen Arbeits-
leuten 329 - — 84. Ein Junker und ein Pfarrer, die bey-
de ein gleich gutes Herz haben, kom-
men zuſammen 330 - — 85. Des Junkers Herz gegen ſeinen feh-
lenden Vogt 331 - — 86. Der Pfarrer zeigt abermal ſein gu-
tes Herz 333 - — 87. Vom guten Muth und von Ge-
ſpenſtern 335 - — 88. Von Geſpenſtern, in einem andern
Thon 343 - — 89. Ein Urtheil 347
- — 90. Vortrag Hartknopfs, des Ehegau-
mers 350 - — 91. Des Junkers Antwort 353
- — 92. Rede des Huͤnertraͤgers an die Ge-
meinde 357 - Innhalt.
Blatt.
§. 93. Daß die Armen bey dieſem Luſtſpiel
gewinnen 361 - — 94. Der Junker dankt dem Pfarrer 363
- — 95. Der Junker bittet einen armen Mann,
dem ſein Großvater Unrecht gethan
hatte, um Verzeihung 366 - — 96. Reine Herzensguͤte eines armen
Manns, gegen ſeinen Feind 369 - — 97. Seine Dankbarkeit gegen ſeinen edeln
Herrn 372 - — 98. Auftritte, die an’s Herz gehen ſollen 373
- — 99. Eine angenehme Ausſicht 378
- — 100. Des Huͤnertraͤgers Lohn 378
Lienhard
und
Gertrud.
A
[[2]][[3]]
§. 1.
Ein herzguter Mann, der aber doch
Weib und Kind hoͤchſt ungluͤcklich
macht.
Es wohnt in Bonnal ein Maͤurer. *) Er heißt
Lienhard — und ſeine Frau Gertrud. Er hat
ſieben Kinder und ein gutes Verdienſt. — Aber
er hat den Fehler, daß er ſich im Wirthshaus oft
verfuͤhren laͤßt. Wann er da anſitzt, ſo handelt er
wie ein Unſinniger; — und es ſind in unſerm Dorf
ſchlaue abgefeimte Burſche, die darauf losgehen,
A 2und
[4] und daraus leben, daß ſie den Ehrlichern und Ein-
faͤltigern auflauern, und ihnen bey jedem Anlaß
das Geld aus der Taſche locken. Dieſe kannten den
guten Lienhard, und verfuͤhrten ihn oft beym Trunk
noch zum Spiel, und raubten ihm ſo den Lohn
ſeines Schweiſſes. Aber allemal, wenn das am
Abend geſchehen war, reuete es Lienharden am Mor-
gen — und es gieng ihm ans Herz, wenn er Ger-
trud und ſeine Kinder Brod mangeln ſah, daß er
zitterte, weinte, ſeine Augen niederſchlug, und ſeine
Thraͤnen verbarg.
Gertrud iſt die beſte Frau im Dorf — aber
ſie und ihre bluͤhenden Kinder waren in Gefahr,
ihres Vaters und ihrer Huͤtte beraubt, getrennt,
verſchupft ins aͤuſſerſte Elend zu ſinken, weil
Lienhard den Wein nicht meiden konnte.
Gertrud ſah die nahe Gefahr, und war da-
von in ihrem Innerſten durchdrungen. Wenn ſie
Gras von ihrer Wieſe holte, wenn ſie Heu von
ihrer Buͤhne nahm, wenn ſie die Milch in ihren
reinlichen Becken beſorgte; ach! bey allem, bey
allem aͤngſtigte ſie immer der Gedanke — daß ihre
Wieſe, ihr Heuſtock und ihre halbe Huͤtte ihnen
bald werden entriſſen werden, und wenn ihre
Kinder um ſie her ſtunden, und ſich an ihren
Schoos draͤngten, ſo war ihre Wehmuth immer
noch groͤßer; Allemal floſſen dann Thraͤnen uͤber
ihre Wangen.
Bis
[5]
Bis jezt konnte ſie zwar ihr ſtilles Weinen vor
den Kindern verbergen; aber am Mitwochen vor
der letzten Oſtern — da ihr Mann auch gar zu lang
nicht heim kam, war ihr Schmerz zu maͤchtig, und
die Kinder bemerkten ihre Thraͤnen. Ach Mutter!
riefen ſie alle aus einem Munde, du weineſt, und
draͤngten ſich enger an ihren Schoos. Angſt und
Sorge zeigten ſich in jeder Geberde. — Banges
Schluchſen, tiefes, niedergeſchlagenes Staunen, und
ſtille Thraͤnen umringten die Mutter, und ſelbſt der
Saͤugling auf ihrem Arme verrieth ein bisher ihm
fremdes Schmerzengefuͤhl. Sein erſter Ausdruck
von Sorge und von Angſt — Sein ſtarres Auge,
das zum erſtenmale ohne Laͤcheln hart und ſteif und
bang nach ihr blickte — alles dieſes brach ihr gaͤnz-
lich das Herz. Ihre Klagen brachen jezt in lau-
tem Schreyen aus, und alle Kinder und der Saͤug-
ling weinten mit der Mutter, und es war ein ent-
ſetzliches Jammergeſchrey, als eben Lienhard die
Thuͤre eroͤffnete.
Gertrud lag mit ihrem Antlitz auf ihrem Bethe;
hoͤrte das Oeffnen der Thuͤre nicht, und ſah nicht
den kommenden Vater — Auch die Kinder wur-
den ſeiner nicht gewahr — Sie ſahn nur die jam-
mernde Mutter — und hiengen an ihren Armen,
an ihrem Hals und an ihren Kleidern. So fand
ſie Lienhard.
A 3Gott
[6]
Gott im Himmel ſieht die Thraͤnen der Elen-
den — und ſetzt ihrem Jammer ein Ziel.
Gertrud fand in ihren Thraͤnen Gottes Erbar-
men! — Gottes Erbarmen fuͤhrte den Lienhard zu
dieſem Anblick, der ſeine Seele durchdrang, —
daß ſeine Glieder bebeten. Todesblaͤſſe ſtieg in
ſein Antlitz — und ſchnell und gebrochen konnte er
kaum ſagen — Herr JEſus! was iſt das? Da
erſt ſah ihn die Mutter, da erſt ſahn ihn die Kin-
der, und der laute Ausbruch der Klage verlohr
ſich — O Mutter! der Vater iſt da! riefen die
Kinder aus einem Munde; und ſelbſt der Saͤugling
weinte nicht mehr —
So wie wenn ein Waldbach oder eine verhee-
rende Flamme nun nachlaͤßt — ſo verliert ſich auch
das wilde Entſetzen, und wird ſtille, bedaͤchtliche
Sorge. —
Gertrud liebte den Lienhard — und ſeine Ge-
genwart war ihr auch im tiefſten Jammer Erqui-
ckung — und auch Lienharden verließ jezt das erſte
bange Entſetzen —
Was iſt, Gertrud! ſagte er zu ihr, dieſer er-
ſchreckliche Jammer, in dem ich dich antraf?
O mein Lieber! erwiederte Gertrud — finſtre
Sorgen umhuͤllen mein Herz — und wenn du weg
biſt, ſo nagt mich mein Kummer noch tiefer —
Gertrud, erwiederte Lienhard, ich weiß, was du
weineſt — ich Elender!
Da
[7]
Da entfernte Gertrud ihre Kinder, und Lien-
hard huͤllte ſein Antlitz in ihren Schoos, und konnte
nicht reden! —
Auch Gertrud ſchwieg eine Weile — und lehnte
ſich in ſtiller Wehmuth an ihren Mann, der im-
mer mehr weinte und ſchluchzte, und ſich aͤngſtigte
auf ihrem Schooſſe.
Indeſſen ſammelte Gertrud alle ihre Staͤrke,
und faßte Muth, nun an ihn zu dringen, daß er
ſeine Kinder nicht ferner dieſem Ungluͤck und Elend
ausſetzte.
Gertrud war fromm — und glaubte an Gott —
und ehe ſie redete, betete ſie ſtill fuͤr ihren Mann
und fuͤr ihre Kinder, und ihr Herz war ſichtbar-
lich heiterer; da ſagte ſie:
Lienhard trau auf Gottes Erbarmen, und faſſe
doch Muth — ganz recht zu thun —
O Gertrud, Gertrud! — ſagte Lienhard, und
weinte, und ſeine Thraͤnen floſſen in Stroͤmen —
O mein Lieber! faſſe Muth, ſagte Gertrud,
und glaube an deinen Vater im Himmel, ſo wird
alles wieder beſſer gehen. Es gehet mir ans Herz,
daß ich dich weinen mache. Mein Lieber! — ich
wollte dir gern jeden Kummer verſchweigen, — du
weiſſeſt, an deiner Seite ſaͤttigt mich Waſſer und
Brod, und die ſtille Mitternachtsſtunde iſt mir
viel und oft frohe Arbeitsſtunde, — fuͤr dich und
meine Kinder. Aber, mein Lieber! wenn ich dir
A 4meine
[8] meine Sorgen verhehlte — daß ich mich noch einſt
von dir und dieſen Lieben trennen muͤßte — ſo waͤr
ich nicht Mutter an meinen Kindern — und an dir
waͤr ich nicht treu — O Theurer! Noch ſind un-
ſere Kinder voll Dank und Liebe gegen uns — aber,
mein Lienhard! wenn wir nicht Eltern bleiben —
ſo wird ihre Liebe und ihre gute Herzlichkeit, auf
die ich alles baue, nothwendig verlohren gehn muͤſ-
ſen — und dann denke, o Lieber! denk auch, wie
dir ſeyn muͤßte, wenn dein Niclas einſt keine Huͤtte
mehr haͤtte! und Knecht ſeyn muͤßte — Er, der
jezo ſchon ſo gern von Freyheit und eigenem
Heerde redt — Lienhard — wenn er und alle die
Lieben — durch unſern Fehler arm gemacht,
einſt in ihrem Herzen uns nicht mehr dank-
ten — ſondern weinten ob uns, ihren Eltern —
koͤnnteſt du leben, Lienhard! und ſehen, wie dein
Niclas, dein Jonas, wie dein Liſeli (Lise) und dein
Annelj, (Enne) *) o Gott! verſchupft, an fremden
Tiſchen Brod ſuchen muͤßten — ich wuͤrde ſterben,
wenn
[9] wenn ich das ſehen muͤßte — ſo ſagte Gertrud —
und Thraͤnen floſſen von ihren Wangen —
Und Lienhard weinte nicht minder — Was ſoll
ich thun? — ich Ungluͤcklicher! was kann ich ma-
chen? — ich bin noch elender als du weiſſeſt — O
Gertrud! Gertrud! Dann ſchwieg er wieder, rang
ſeine Haͤnde und weinte lautes Entſetzen —
O Lieber! verzage nicht an Gottes Erbarmen —
o Theurer! was es auch ſeyn mag — rede — daß
wir uns helfen und rathen —
§. 2.
Eine Frau, die Entſchluͤſſe nimmt, aus-
fuͤhrt, und einen Herrn findet, der ein
Vaterherz hat —
O Gertrud, Gertrud! es bricht mir das Herz,
dir mein Elend zu ſagen — und deine Sorgen zu
vergroͤßern — und doch muß ich es thun.
Ich bin Hummel, dem Vogt *), noch dreyßig
Gulden ſchuldig — und der iſt ein Hund, und kein
A 5Menſch
[10] Menſch gegen die, ſo ihm ſchuldig ſind — Ach!
daß ich ihn in meinem Leben nie geſehn haͤtte —
Wenn ich nicht bey ihm einkehre, ſo droht er mir
mit den Rechten — und wenn ich einkehre, ſo iſt
der Lohn meines Schweiſſes und meiner Arbeit in
ſeinen Klauen. — Das, Gertrud, das iſt die Quelle
unſers Elends. —
O Lieber! ſagte hierauf Gertrud, darfſt du nicht
zu Arner, dem Landesvater, gehen? Du weißſt,
wie alle Wittwen und Waiſen ſich ſeiner ruͤhmen —
O Lieber, ich denke, er wuͤrde dir Rath und Schutz
gewaͤhren gegen dieſem Mann —
O Gertrud! erwiederte Lienhard — ich kann
nicht — ich darf nicht — was wollte ich gegen
dem Vogt ſagen? — der tauſenderley anbringt und
kuͤhn iſt — und ſchlau und hundert Helfers-Helfer
und Wege hat, einen armen Mann vor der Obrig-
keit zu verſchreyen, daß man ihn nicht anhoͤrt.
Gertrud. O Lieber! ich habe noch mit keiner
Obrigkeit geredt — Aber wenn Noth und Elend
mich zu ihr fuͤhreten, ich weiß, ich wuͤrde die Wahr-
heit gerade gegen jedermann ſagen koͤnnen. — O
Theurer! fuͤrchte dir nicht — denke an mich und
deine Kinder, und gehe —
O Gertrud! ſagte Lienhard — ich kann nicht —
ich darf nicht — ich bin nicht unſchuldig — Der
Vogt wird ſich kaltbluͤtig aufs ganze Dorf berufen —
daß ich ein liederlicher Tropf bin — O Gertrud! ich
bin
[11] bin nicht unſchuldig — was will ich ſagen? Nie-
mand wird ihn fuͤr den Kopf ſtoſſen — und ausſa-
gen, daß er mich zu allem verleitet hat — O Ger-
trud! koͤnnt ich’s! doͤrft ich’s! wie gerne wollt
ich’s! Aber thaͤt ich’s und mißlung’s, denk, wie
wuͤrde er ſich raͤchen.
Gertrud. Aber auch wenn du ſchweigſt, rich-
tet er dich unausweichlich zu Grunde. Lienhard,
denk an deine Kinder und gehe — dieſe Unruhe
unſers Herzens muß enden — gehe oder ich gehe.
Lienhard. — O Gertrud! ich darf nicht!
Darfſt du’s, ach Gott! Gertrud! ach Gott!
darfſt du’s, ſo gehe ſchnell hin zu Arner — und
ſag ihm alles —
Ja, ich will gehen, ſagt Gertrud — und ſchlief
keine Stunde in der Nacht — aber ſie betete in der
ſchlafloſen Nacht — und ward immer ſtaͤrker und
entſchloſſener, zu gehen zu Arner, dem Herrn des
Orts —
Und am fruͤhen Morgen nahm ſie den Saͤug-
ling, der wie eine Roſe bluͤhete, und gieng zwo
Stunden weit zum Schloſſe des Junkers.
Arner ſaß eben bey ſeiner Linde, vor der Pforte
des Schloſſes, als Gertrud ſich ihm nahete — Er
ſah ſie — er ſahe den Saͤugling auf ihrem Arme —
und Wehmuth und Leiden und getrocknete Zaͤhren
auf ihrem Antlitz —
Was
[12]
Was willſt du, meine Tochter? wer biſt du?
ſagte er ſo liebreich, daß ſie Muth faſſete zu re-
den —
Ich bin Gertrud, ſagte ſie — das Weib des
Maͤurer Lienhards von Bonnal.
Du biſt ein braves Weib, ſagte Arner. Ich
habe deine Kind vor allen andern im Dorf aus-
gezeichnet — Sie ſind ſittſamer und beſcheidener
als alle uͤbrigen Kinder, und ſie ſcheinen beſſer ge-
naͤhrt — und doch, hoͤre ich, ſeyd ihr ſehr arm —
Was willſt du, meine Tochter?
O Gnaͤdiger Herr! mein Mann iſt laͤngſt dem
Vogt Hummel dreyßig Gulden ſchuldig — und das
iſt ein harter Mann — Er verfuͤhrt ihn zum Spiel
und zu aller Verſchwendung — Und da er ihn fuͤrch-
ten muß, ſo darf er ſein Wirthshaus nicht mei-
den; wenn er ſchon faſt alle Tage ſein Verdienſt
und das Brod ſeiner Kinder darinn zuruͤck laſſen
muß. Gnaͤdiger Herr! es ſind ſieben unerzogene Kin-
der. Und ohne Huͤlf und ohne Rath gegen den Vogt
iſt’s unmoͤglich, daß wir nicht an Bettelſtab gera-
then; Und ich weiß, daß Sie ſich der Wittwen
und der Waiſen erbarmen, und darum durfte ich
es wagen, zu Ihnen zu gehn, und Ihnen unſer
Ungluͤck zu ſagen. Ich habe aller meiner Kinder
Spargeld bey mir — in der Abſicht, es Ihnen zu
hinterlegen, damit ich Sie bitten doͤrfe, Verfuͤgun-
gen zu treffen, daß der Vogt meinen Mann, bis
er
[13] er bezahlt ſeyn wird, nicht mehr draͤngen und pla-
gen doͤrfe —
Arner hatte laͤngſt einen Verdacht auf Hum̃el —
Er erkannte ſogleich die Wahrheit dieſer Klage,
und die Weisheit der Bitte — Er nahm eine Schale
Thee, die vor ihm ſtund, und ſagte: Du biſt nuͤch-
tern, Gertrud? Trink dieſen Thee, und gieb dei-
nem ſchoͤnen Kind von dieſer Milch.
Erroͤthend ſtand Gertrud da — Dieſe Vater-
guͤte gieng ihr ans Herz, daß ſie ihre Thraͤnen nicht
halten konnte —
Und Arner ließ ſie jezt die Thaten des Vogts
und ſeiner Mitgeſellen und die Noth und die Sor-
gen vieler Jahre erzaͤhlen; hoͤrte aufmerkſam zu,
und einmal fragte er ſie — Wie haſt du, Gertrud!
das Spargeld deiner Kinder retten koͤnnen in aller
dieſer Noth?
Da antwortete Gertrud — Das war wohl
ſchwer, Gnaͤdiger Herr! aber es mußte mir ſeyn,
als ob das Geld nicht mein waͤre, als ob es ein
Sterbender mir auf ſeinem Todbethe gegeben haͤtte,
daß ich es ſeinen Kindern aufbehalten ſollte. So,
faſt ganz ſo ſah ich es an — Wenn ich zu Zeiten
in der dringendſten Noth den Kindern Brod dar-
aus kaufen mußte, ſo ruhete ich nicht, bis ich mit
Nachtarbeit wieder ſo viel nebenhin erſpart und den
Kindern wieder erſtattet haͤtte.
War
[14]
War das allemal wieder moͤglich — Gertrud?
fragt Arner —
O Gnaͤdiger Herr! wenn der Menſch ſich et-
was veſt vornimmt — ſo iſt ihm mehr moͤglich,
als man glaubt — und Gott hilft im aͤuſſerſten
Elend — wenn man redlich fuͤr Noth und Brod
arbeitet — Gnaͤdiger Herr! mehr, als Sie es in
ihrer Herrlichkeit glauben und begreifen koͤnnen.
Arner war durch und durch von der Unſchuld
und von der Tugend dieſes Weibes geruͤhrt —
fragte aber immer noch mehr — und ſagte: Ger-
trud, wo haſt du dieſes Spargeld?
Da legte Gertrud ſieben reinliche Paͤckgen auf
Arners Tiſch — und bey jedem Paͤckgen lag ein
Zedel, von wem alles waͤre — und wenn Gertrud
etwas davon genommen hatte — ſo ſtand es aufge-
ſchrieben — und wie ſie es wieder zugelegt haͤtte.
Arner las dieſe Zedel aufmerkſam durch —
Gertrud ſah’s und erroͤthete. Ich habe dieſe
Papiere wegnehmen ſollen, Gnaͤdiger Herr!
Arner laͤchelte — und las fort — aber Ger-
trud ſtand beſchaͤmt da, und ſichtbarlich pochte ihr
Herz ob dieſen Zedeln —; denn ſie war beſchei-
den — und demuͤthig — und graͤmte ſich auch uͤber
den mindeſten Anſchein von Eitelkeit —
Arner ſah ihre Unruhe, daß ſie die Zedel nicht
beyſeits gelegt hatte, und er fuͤhlte die reine Hoͤhe
der Unſchuld, die beſchaͤmt da ſteht, wenn ihre
Tu-
[15] Tugend und ihre Weisheit bemerkt wird, — und
beſchloß dem Weib mehr, als es bat, und
hoffete, Gnade zu erweiſen; dann er fuͤhlte ihren
Werth — und daß unter Tauſenden kein Weib ihr
gleich kaͤme. Er legte jezt einem jeden Paͤckgen et-
was bey, und ſagte: — Bring deinen Kindern ihr
Spargeld wieder, Gertrud! — und ich lege aus
meiner Boͤrſe dreyßig Gulden beyſeits fuͤr den
Vogt — bis er bezahlt iſt. — Gehe nun heim, Ger-
trud — morgen werde ich ohne dis in dein Dorf
kommen; und da werde ich dir Ruhe ſchaffen vor
dem Hummel.
Gertrud konnte vor Freuden nicht reden —
Kaum brachte ſie ſtammelnd ein gebrochenes ſchluch-
zendes “Gott lohne es ihnen, Gnaͤdiger Herr!„
hervor; Und nun gieng ſie mit ihrem Saͤugling
und mit ihrem Troſt in ihres Mannes Arme —
Sie eilete — betete — und dankte Gott auf dem
langen Wege — und weinte Thraͤnen des Danks
und der Hoffnung, bis ſie in ihrer Huͤtte war.
Lienhard ſah ſie kommen — und ſah den Troſt
ihres Herzens — in ihren Augen — Biſt du ſchon
wieder da? rief er ihr entgegen — es iſt dir wol
gegangen bey Arner —
Wie weißſt du’s ſchon, ſagte Gertrud? Ich ſehe
dir’s an, du Gute! du kanſt dich nicht verſtellen —
Das kann ich nicht, ſagte Gertrud, und ich
moͤcht es nicht — wenn ich’s auch koͤnnte, dir die
gute
[16] gute Botſchaft einen Augenblick vorenthalten, Lien-
hard! Da erzaͤhlte ſie ihm die Guͤte des Vater
Arners, wie er ihren Worten glaubte — und wie
er ihr Huͤlfe verſprach — Denn gab ſie den Kin-
dern des Arners Geſchenke und kuͤßte ein jedes waͤr-
mer und heiterer als es ſchon lange geſchehen war,
und ſagte ihnen: Betet alle Tage, daß es Arner wohl
gehe, Kinder — wie ihr betet, daß es mir und dem
Vater wohl gehe! Arner ſorgt, daß es allen Leu-
ten im Lande wohl gehe — er ſorgt, daß es euch
wohl gehe — und wann ihr brav, verſtaͤndig und
arbeitſam ſeyn werdet — ſo werdet ihr ihm lieb
ſeyn, wie ihr mir und dem Vater lieb ſeyd.
Von dieſer Zeit an beteten die Kinder des
Maͤurers, wenn ſie am Morgen und am Abend fuͤr
ihren Vater und Mutter beteten, auch fuͤr Arner,
den Vater des Landes. —
Gertrud und Lienhard faßten nun neue Ent-
ſchluͤſſe fuͤr die Ordnung ihres Hauſes und fuͤr die
Bildung ihrer Kinder zu allem Guten — und die-
ſer Tag war ihnen ein ſeliger Feſttag. — Lien-
hards Muth ſtaͤrkte ſich wieder, und am Abend
machte Gertrud ihm ein Eſſen, das er liebte —
und ſie freueten ſich beyde des kommenden Morgens
der Huͤlfe Arners — und der Guͤte ihres Vaters. —
Auch Arner ſehnete ſich nach dem kommenden
Morgen — eine That zu thun — wie er tauſende
that, um ſeinem Daſeyn einen Werth zu geben. —
§. 3.
[17]
§. 3.
Ein Unmenſch erſcheint.
Und da am gleichen Abend ſein Vogt zu ihm kam,
nach ſeinen Befehlen zu fragen, ſagte er ihm: —
Ich werde morgen ſelbſt nach Bonnal kommen:
Ich will einmal den Bau der Kirche in Ordnung
haben — Der Untervogt aber antwortete: Gnaͤdi-
ger Herr! Hat Euer Gnaden Schloßmaͤurer jezt
Zeit? Nein, erwiederte Arner; aber es iſt in dei-
nem Dorf ein Maͤurer Lienhard, dem ich dieſes
Verdienſt gern goͤnne. Warum haſt du mir ihn
noch nie zu einer Arbeit empfohlen?
Der Vogt buͤckte ſich tief und ſagte: Ich haͤt-
te den armen Maͤurer nicht empfehlen duͤrfen zu
Euer Herrlichkeit Gebaͤuden.
Arner. Iſt er ein braver Mann, Vogt? daß
ich auf ihn gehn kann —
Vogt. Ja, Ihr Gnaden koͤnnen ſich auf ihn
verlaſſen, er iſt nur gar zu treuherzig.
Arner. Man ſagt, er habe ein braves Weib!
iſt ſie keine Schwaͤtzerinn? fragte hierauf Arner mit
Nachdruck.
Nein, ſagte der Vogt; ſie iſt wahrlich eine
arbeitſame ſtille Frau.
BGut,
[18]
Gut, ſagte Arner! ſey morgen um neun Uhr
auf dem Kirchhof — Ich werde dich daſelbſt an-
treffen —
Da gieng der Vogt fort; ganz erfreut uͤber
dieſe Rede; denn er dachte bey ſich ſelber, das iſt
eine neue Milchkuh in meinen Stall, und ſann
ſchon auf Raͤnke, dem Maͤurer das Geld, das
er bey dieſem Bau verdienen moͤchte, abzulocken;
und ſchnell eilte er heim und nach des Maͤurers
kleiner Huͤtte.
Es war ſchon dunkel, als er mit Ungeſtuͤm
anpochte.
Lienhard und Gertrud ſaſſen noch beym Tiſche.
Noch ſtuhnd der Reſt ihres Eſſens vor ihnen.
Lienhard aber erkannte die Stimme des neidiſchen
Vogts. Er erſchrack und ſchob das Eſſen in einen
Winkel.
Gertrud ermunterte ihn zwar, daß er ſich nicht
fuͤrchten, und daß er ſich auf Arner vertrauen ſoll-
te. Dennoch wurd er todtblaß, als er dem Vogt
die Thuͤre oͤffnete. Dieſer roch ſchnell wie ein
gieriger Hund das verborgene Nachteſſen; that
aber doch freundlich und ſagte — nur laͤchelnd —
Ihr laßt euch recht wohl ſeyn, ihr Leute; ſo
endlich iſt’s leicht ohne das Wirthshaus zu ſeyn;
nicht wahr, Lienhard?
Dieſer ſchlug die Augen nieder und ſchwieg;
aber Gertrud war kuͤhner — und ſagte; Was be-
fihlt
[19] fihlt dann der Herr Vogt — Es iſt ganz ſonderbar,
daß er einem ſo ſchlechten Haus naͤher, als ans
Fenſter kommt —
Hummel verbarg ſeinen Zorn, laͤchelte, und
ſagte: Es iſt wahr, ich haͤtte eine ſo gute Kuͤche
hier nicht erwartet; ſonſt haͤtte ich vielleicht mehr
zugeſprochen.
Das erbitterte Gertrud. Vogt! antwortete ſie
ihm, du riechſt unſer Nachteſſen, und miß-
goͤnſt es uns; du ſollteſt dich ſchaͤmen, einem armen
Mann ein Nachteſſen, das er liebt und vielleicht im
Jahr nicht dreymal hat, zu verbittern. — Es iſt
nicht ſo boͤs gemeynt, antwortete der Vogt, im-
mer noch laͤchelnd. Eine Weile darauf aber ſetzte
er etwas ernſthafter hinzu: Du biſt gar zu trotzig,
Gertrud; das ſteht armen Leuten nicht wohl an.
Du ſollteſt wol denken, ihr gienget mich vielleicht
auch etwas an; — doch ich will jezt nicht hievon
anfangen. Ich bin deinem Mann immer gut;
und wenn ich ihm dienen kann, ſo thue ich’s;
darvon kann ich Proben geben.
Gertrud. Vogt! — Mein Mann wird alle
Tage in deinem Wirthshaus zum Spiel und zum
Trunke verfuͤhrt — und denn muß ich daheim mit
meinen Kindern alles moͤgliche Elend erdulden;
das iſt der Dienſt, den wir von dir zu ruͤhmen
haben.
B 2Hum-
[20]
Hummel. Du thuſt mir Unrecht, Gertrud!
Es iſt wahr, dein Mann iſt etwas liederlich;
Ich habe es ihm auch ſchon geſagt, aber in
meinem Wirthshauſe muß ich in Gottes Namen
einem jeden, der’s will, Eſſen und Trinken geben; —
das thut ja jedermann —
Gertrud. Ja — aber nicht jedermann drohet
einem ungluͤcklichen armen Mann mit den Rechten,
wann er nicht alle Jahre ſeine Schuld wieder
doppelt groß macht.
Nun konnte ſich der Vogt nicht mehr halten;
mit Wuth fuhr er den Lienhard an —
Biſt du ſo ein Geſell Lienhard, daß du ſolches
von mir redeſt? — Muß ich noch in meinen Bart
hinein hoͤren, wie ihr Lumpenvolk mich alten Mann
um Ehr und guten Namen bringen wollt? — Hab’
ich nicht jeweilen vor Vorgeſetzten mit dir gerech-
net? gut, daß deine Zedel fein alle noch bey mir
und in meinen Handen ſind — Willt du mir et-
wan gar meine Anforderung laͤugnen, Lienhard? —
Es iſt ganz nicht die Rede hievon — ſagte
Lienhard: Gertrud ſucht nur, daß ich ferner nicht
neue Schulden mache —
Der Vogt beſann ſich ſchon wieder, milderte
den Ton und ſagte: Das iſt endlich nicht ſo gar
uͤbel, doch biſt du der Mann — ſie wird dich nicht
wollen in ein Bockshorn hineinſchieben —
Ger-
[21]
Gertrud. Nichts weniger, Vogt! ich moͤch-
te ihn gern aus dem Bockshorn, darinn er ſteckt,
heraus bringen — und das iſt dein Buch, Vogt,
und ſeine ſchoͤnen Zedel —
Hummel. Er hat mich nur zu bezahlen; ſo
iſt er augenblicklich aus dieſem Bockshorn, wie
du’s heiſſeſt —
Gertrud. Das wird er wohl thun koͤnnen —
wenn er nichts Neues mehr macht —
Hummel. Du biſt ſtolz, Gertrud — es wird
ſich zeigen — Gelt Gertrud, du willſt lieber mit
deinem Mann daheim allein broͤſelen *), als ihm
ein Glas Wein bey mir goͤnnen.
Gertrud. Du biſt niedertraͤchtig, Vogt! aber
deine Rede thut mir nicht weh.
Hummel konnte dieſe Sprache nicht laͤnger
aushalten. Er empfand, daß etwas vorgefallen
ſeyn mußte, das dieſes Weib ſo kuͤhn machte.
Darum durfte er nicht ſeinen Muth kuͤhlen, und
nahm Abſchied.
Haſt du ſonſt was zu befehlen, ſagte Ger-
trud.
Nichts, wenn’s ſo gemeynt iſt, antwortete
Hummel.
Wie gemeynt? erwiederte Gertrud laͤchelnd —
und ſah ihm ſteif ins Geſicht. Das verwirrte den
B 3Vogt
[22] Vogt noch mehr, daß er ſich nicht zu geberden
wußte.
Er gieng jezt — und brummete bey ſich ſelbſt
die Treppe hinunter, was doch das ſeyn moͤchte.
Dem Lienhard war zwar nicht wol bey der
Sache; aber dem Vogt noch viel weniger.
§. 4.
Er iſt bey ſeines gleichen; und da iſt’s wo
man Schelmen kennen lernt. —
Es war jezt faſt Mitternacht, und doch war er
kaum heim, ſo ſandte er noch zu zweyen von
Lienhards Nachbaren, daß ſie des Augenblicks zu
ihm kaͤmen.
Sie waren ſchon im Bette, als er nach ihnen
ſchickte; aber doch ſaͤumeten ſie ſich nicht. Sie
ſtuhnden auf und giengen in der finſtern Nacht zu
ihm hin.
Und er fragte uͤber alles, was Lienhard und
Gertrud ſeit einigen Tagen gethan haͤtten. Da
ſie ihm aber nicht gleich etwas ſagen konnten,
das ihm Licht gab, ſtieß er ſeine Wuth gegen
ſie aus.
Ihr
[23]
Ihr Hunde! was man von euch will, iſt
immer nichts mit euch ausgerichtet. Wofuͤr muß
ich immer euer Narr ſeyn? Wenn ihr Holz frevelt,
und ganze Fuder raubet — ſo muß ich nichts wiſ-
ſen — wenn ihr in den Schloßtriften waidet —
und alle Zaͤune wegtraget, ſo muß ich ſchweigen.
Du Buller! mehr als ein Drittheil von deiner
Waiſenrechnung war falſch — und — ich ſchwieg —
meynſt du, das Bißchen verſchimmelt Heu ſtelle
mich zufrieden? — es iſt noch nicht verjaͤhrt —
Und du Kruͤel! deine halbe Matte gehoͤrt dei-
nes Bruders Kindern. Du alter Dieb! — was
habe ich von dir, daß ich dich nicht dem Henker
uͤberlaſſe, dem du gehoͤrſt? —
Dieſes Gerede machte den Nachbaren bang.
Was koͤnnen wir thun? was koͤnnen wir machen —
Herr Untervogt — weder Tag noch Nacht iſt uns
zu viel — zu thun, was du uns heiſſeſt.
Ihr Hunde! ihr koͤnnt nichts, ihr wißt
nichts. Ich bin auſſer mir vor Wuth. Ich muß
wiſſen, was des Maͤurers Geſindel dieſe Woche
gehabt hat — was hinder dieſem Pochen ſteckt —
ſo wuͤthete er —
Indeſſen beſann ſich Kruͤel. Halt, Vogt —
ich glaub, ich koͤnne dienen, erſt faͤllt mir’s ein —
Gertrud war heute bis Mittag uͤber Feld — und
am Abend hat ihr Liſelj beym Brunnen den Schloß-
herrn ſehr geruͤhmt — gewiß war ſie im Schloß —
B 4am
[24] am Abend vorher war ein Geheul in ihrer Stube —
aber Niemand weiß warum. Heute ſind ſie alle
ganz beſonders froͤlich.
Der Vogt war nun uͤberzeuget, daß Gertrud
im Schloß geweſen waͤre. Zorn und Unruhe
wuͤtheten nun noch gewaltiger in ſeiner Seele.
Er ſtieß greuliche Fluͤche aus, ſchimpfte mit
abſcheulichen Worten auf Arner, der alles Bettel-
geſindel anhoͤrte, und Lienhard und Gertrud ſchwur
er Rache ernſtlich empfinden zu machen. Doch
muͤßt ihr ſchweigen, Nachbaren — ich will mit dem
Geſindel freundlich thun, bis es reif iſt. Forſchet
fleißig nach, was ſie thun, und bringt mir Nach-
richt. Ich will euer Mann ſeyn, wo es noͤthig
ſeyn wird.
Da nahm er noch Buller beyſeits, und ſagte —
Weißſt du nichts von den geſtohlenen Blumenge-
ſchirren? Man ſah dich vorgeſtern uͤber den Gren-
zen, mit einem geladenen Eſel; was hatteſt du zu
fuͤhren?
Buller erſchrack — ich - - ich — hatte — Nu!
nu! ſprach der Vogt — ſey mir treu! ich bin dir
Mann, wo es die Noth erheiſcht.
Da giengen die Nachbaren fort. Der Morgen
aber war ſchon nahe —
Und Hummel waͤlzte ſich noch eine Stunde auf
ſeinem Lager, ſtaunte, ſann auf Rache, knirſch-
te oft im wilden Schlummer mit den Zaͤhnen,
und
[25] und ſtampfte mit ſeinen Fuͤſſen — bis der helle Tag
ihn aus dem Bette trieb.
Er beſchloß jezt noch einmal Lienharden zu ſe-
hen, ſich zu uͤberwinden und ihm zu ſagen, daß
er ihn Arnern zum Kirchbau empfohlen haͤtte. Er
raffte alle ſeine Kraͤfte zum Heuchel zuſammen,
und gieng zu ihm hin.
Gertrud und Lienhard hatten dieſe Nacht ſanf-
ter geruht, als es ihnen ſeit langem nicht geſchehn
war. Und ſie beteten am heitern Morgen um den
Segen dieſes Tages. Sie hofften auf die nahe Huͤlfe
vom Vater Arner. Dieſe Hoffnung breitete See-
lenruhe und ungewohnte wonnevolle Heiterkeit uͤber
ſie aus.
So fand ſie Hummel. Er ſah’s — und es
gieng dem Satan an’s Herz, daß ſein Zorn noch
mehr entbrannte; aber er war ſeiner ſelbſt maͤch-
tig, wuͤnſchete ihnen freundlich einen guten Mor-
gen, und ſagte: Lienhard! wir waren geſtern
unfreundlich gegen einander; das muß nicht ſo
ſeyn. Ich habe dir etwas Gutes zu ſagen. Ich
kam eben vom Gnaͤdigen Herrn; er redete vom
Kirchbau, und fragte auch dir nach. Ich ſag-
te, daß du den Bau wohl machen koͤnnteſt; und
ich denke, er werde ihn dir geben. Sieh, ſo kann
man einander dienen, — man muß ſich nie ſo leicht
aufbringen laſſen.
B 5Er
[26]
Lienhard. Er ſoll ja den Bau dem Schloß-
maͤurer verdungen haben, das haſt du laͤngſt an
der Gemeind geſagt.
Hummel. Ich hab’s geglaubt, aber es iſt
nicht; der Schloßmaͤurer hat nur ein Koſten-
verzeichniß gemacht, und du kannſt leicht denken,
er habe ſich ſelber nicht vergeſſen. Wenn du ihn
nach dieſem Ueberſchlag erhalteſt, ſo verdieneſt du
Geld wie Laub. — Lienert — da ſiehſt du jezt, ob
ich’s gut mit dir meyne —
Der Maͤurer war von der Hoffnung des Baus
uͤbernommen und dankte ihm herzlich.
Aber Gertrud ſah, wie der Vogt vom erſtick-
ten Zorn blaß war — und wie hinder ſeinem Laͤcheln
verbiſſener Grimm verborgen lag; und ſie freuete
ſich gar nicht. Indeſſen gieng der Vogt weg, und
im Gehen ſagte er noch: Innert einer Stunde
wird Arner kommen, und Lienhards Liſe, die an der
Seite ihres Vaters ſtand, ſagte zum Vogt: wir
wiſſens ſchon ſeit geſtern.
Hummel erſchrack zwar ob dieſem Wort,
aber er that doch nicht als ob er’s hoͤrte —
Und Gertrud, die wohl ſah, daß der Vogt dem
Geld, ſo beym Kirchbau zu verdienen waͤre, auf-
lauerte, war hieruͤber ſehr unruhig.
§. 5.
[27]
§. 5.
Er findet ſeinen Meiſter.
Indeſſen kam Arner auf den Kirchhof; und
viel Volk aus dem Dorfe ſammelte ſich um ihn
her — den guten Herrn zu ſehen.
Seyd ihr ſo muͤßig, oder iſt’s Feyertag, daß
ihr alle ſo Zeit habt, hier herumzuſchwaͤrmen?
ſagte der Vogt zu einigen, die ihm zu nahe ſtuhn-
den; denn er verhuͤtete immer, daß Niemand ver-
nehme, was er fuͤr Befehle erhielte —
Aber Arner bemerkte es, und ſagt laut: Vogt!
Ich habe es gern, daß meine Kinder auf dem Kirch-
hof bleiben, und ſelbſt hoͤren, wie ich es mit dem
Bau haben will; warum jagſt du ſie fort?
Tief bis an die Erde kruͤmmte ſich Hummel,
und rief den Nachbaren alſobald laut; Kommt
doch wieder zuruͤck, Ihr Gnaden mag euch wohl
dulden —
Arner. Haſt du die Schatzung vom Kirchbau
geſehen?
Vogt. Ja, Gnaͤdiger Herr!
Arner. Glaubſt du, Lienhard koͤnne den Bau
um dieſen Preis gut und dauerhaft machen?
Ja, Gnaͤdiger Herr! antwortete der Vogt laut;
und ſehr leiſe ſetzte er hinzu, ich denke, da er
im
[28] im Dorfe wohnt — koͤnnte er es vielleicht noch et-
was weniges wolfeiler uͤbernehmen.
Arner aber antwortete ganz laut. So viel ich
dem Schloßmaͤurer haͤtte geben muͤſſen, ſo viel
gebe ich auch dieſem. Laß ihn rufen, und ſorge,
daß alles, was aus dem Wald und aus den Ma-
gazinen dem Schloßmaͤurer zukommen ſollte, auch
dieſem ausgeliefert werde.
Lienhard war e [...] wenige Minuten ehe Arner
ihn rufen lieſſe [i]ns obere Dorf gegangen; und
Gertrud entſchloß ſich alſobald mit dem Boten ſelbſt
auf den Kirchhof zu gehn, und Arnern ihre Sor-
gen zu entdecken.
Als aber der Vogt Gertrud und nicht Lienhard
mit dem Boten zuruͤck kommen ſah, wurde er
todtblaß —
Arner bemerkt es und fragte ihn; wo fehlt’s
Herr Untervogt —
Vogt. Nichts, Gnaͤdiger Herr! gar nichts,
doch ich habe dieſe Nacht nicht wohl geſchlafen —
Man ſah dir faſt ſo was an, ſagte Arner, und
ſah ihm ſteif in die rothen Augen, kehrte ſich
denn zu Gertrud, gruͤßte ſie freundlich, und ſag-
te: Iſt dein Mann nicht da? doch es iſt gleich
viel, du muſt ihm nur ſagen, daß er zu mir
komme. Ich will ihm dieſen Kirchenbau anver-
trauen —
Ger-
[29]
Gertrud ſtand eine Weile ſprachlos da, und
durfte vor ſo viel Volk faſt nicht reden.
Arner. Warum redeſt du nicht, Gertrud?
Ich will deinem Mann den Bau ſo geben, wie
ihn der Schloßmaͤnrer wuͤrde uͤbernommen haben.
Das ſollte dich freuen, Gertrud —
Gertrud hatte ſich wieder erholt — und ſagte
jezt: Gnaͤdiger Herr! die Kirche iſt ſo nahe am
Wirthshaus —
Alles Volk fieng an zu lachen — und da die
meiſten ihr Lachen vor dem Vogt verbergen woll-
ten, kehrten ſie ſich von ihm weg gerade gegen
Arner.
Der Vogt aber, der wohl ſah, daß dieſer al-
les bemerkt haͤtte, ſtand jezt entruͤſtet auf, ſtellte ſich
gegen Gertrud und ſprach: Was haſt du gegen
mein Wirthshaus?
Schnell aber unterbrach Arner den Vogt und
ſagte; Geht dieſe Rede dich an, Untervogt! daß
du darein redeſt? Dann wandte er ſich wie-
der zu Gertrud und ſagte: Was iſt das? Warum
ſteht dir die Kirche zu nahe am Wirthshaus?
Gertrud. Gnaͤdiger Herr! Mein Mann iſt
beym Wein leicht zu verfuͤhren, und wenn er taͤg-
lich ſo nahe am Wirthshaus arbeiten muß; ach
Gott! ach Gott! ich fuͤrchte, er halte die Verſu-
chung nicht aus.
Arner.
[30]
Arner. Kann er denn das Wirthshaus nicht
meiden, wenn’s ihm ſo gefaͤhrlich iſt?
Gertrud. Gnaͤdiger Herr! Bey der heiſſen
Arbeit duͤrſtet man oft, und wenn denn immer
Saufgeſellſchaft vor ſeinen Augen auf jede Art mit
Freundlichkeit und mit Spotten, mit Weinkaͤufen
und mit Wetten ihn zulocken wird; ach Gott!
ach Gott! wie wird er’s aushalten koͤnnen. Und
wenn er denn nur ein wenig wieder Neues ſchuldig
wird: ſo iſt er wieder angebunden. Gnaͤdiger
Herr! Wenn Sie doch wuͤßten, wie ein einziger
Abend in ſolchen Haͤuſern arme Leute ins Joch und
in Schlingen bringen kann, wo es faſt unmoͤglich
iſt, ſich wieder heraus zu wickeln.
Arner. Ich weiß es, Gertrud — und ich bin
entruͤſtet uͤber das, was du mir geſtern ſagteſt;
da vor deinen Augen und vor allem Volk will ich
dir zeigen, daß ich arme Leute nicht will druͤcken
und draͤngen laſſen.
Sogleich wandte er ſich gegen dem Vogt, und
ſagte ihm mit einer Stimme voll Ernſt und mit
einem Blicke, der durch Mark und Beine drang;
Vogt! iſt’s wahr, daß die armen Leute in dei-
nem Hauſe gedraͤngt, verfuͤhrt, und vervortheilt
werden?
Betaͤubt und blaß, wie der Tod, antwortete
der Vogt; In meinem Leben, Gnaͤdiger Herr!
iſt mir nie ſo etwas begegnet; und ſo lang ich
lebe
[31] lebe und Vogt bin, ſagt er, wiſcht den Schweiß
von der Stirne — huſtet — raͤuſpert — faͤngt wie-
der an — Es iſt erſchrecklich — —
Arner. Du biſt unruhig, Vogt! Die Frage
iſt einfaͤltig. Iſt’s wahr, daß du arme Leute draͤn-
geſt, in Verwirrungen bringeſt, und ihnen in dei-
nem Wirthshauſe Fallſtricke legeſt, die ihre Haus-
haltungen ungluͤcklich machen?
Vogt. Nein, gewiß nicht, Gnaͤdiger Herr!
Das iſt der Lohn, wenn man Lumpenleuten dient;
ich haͤtte es vorher denken ſollen. Man hat alle-
mal einen ſolchen Dank, anſtatt der Bezahlung.
Arner. Mache dir vor die Bezahlung keine
Sorge; es iſt nur die Frage, ob dieſes Weib
luͤge.
Vogt. Ja gewiß, Gnaͤdiger Herr! ich will
es tauſendfach beweiſen.
Arner. Es iſt genug am einfachen, Vogt!
Aber nimm dich in Acht. Du ſagteſt geſtern,
Gertrud ſey eine brave, ſtille, arbeitſame Frau und
gar keine Schwaͤtzerinn.
Ich weiß nicht — ich ‒ ‒ ‒ ich ‒ ‒ ‒ beſinne ‒ ‒ ‒
Sie haben mich ‒ ‒ ‒ ich habe ſie ‒ ‒ ‒ ich habe ſie ‒ ‒
dafuͤr angeſehen — ſagte der keichende Vogt —
Arner. Du biſt auf eine Art unruhig, Vogt!
daß man jezt nicht mit dir reden kann; es iſt am
beſten, ich erkundige mich gerade da bey dieſen da
ſtehenden Nachbaren. Und ſogleich wandte er ſich
zu
[32] zu zween alten Maͤnnern, die ſtill und aufmerkſam
und ernſthaft da ſtuhnden, und ſagte ihnen: Iſt’s
wahr, liebe Nachbaren! Werden die Leute in eu-
rem Wirthshaus ſo zum Boͤſen verfuͤhrt und ge-
druͤckt? Die Maͤnner ſahn ſich einer den andern
an, und durften nicht reden.
Aber Arner ermunterte ſie liebreich. Fuͤrchtet
euch nicht. Sagt mir gerade zu die reine Wahr-
heit.
Es iſt mehr als zu wahr, Gnaͤdiger Herr! aber
was wollen wir arme Leute gegen den Vogt kla-
gen? ſagte endlich der aͤltere, doch ſo leiſe, daß
es nur Arner verſtehn konnte.
Es iſt genug, alter Mann! ſagte Arner, und
wandte ſich denn wieder zum Vogt.
Ich bin eigentlich jezt nicht da, um dieſe Klage
zu unterſuchen; aber gewiß iſt es, daß ich [mei]ne
Armen vor aller Bedruͤckung will ſicher haben,
und ſchon laͤngſt dachte ich, daß kein Vogt Wirth
ſeyn ſollte. Ich will aber das bis Montag ver-
ſchieben — Gertrud! ſage deinem Mann, daß er
zu mir komme, und ſey du wegen den Wirths-
hausgefahren ſeinethalben jezt nur ruhig.
Da nahm Arner noch einige Geſchaͤfte vor, und
als er ſie vollendet hatte, gieng er noch in den na-
hen Wald — und es war ſpaͤth, da er heim fuhr —
Auch der Vogt, der ihm in den Wald folgen mußte,
kam erſt des Nachts wieder heim in ſein Dorf.
Als
[33]
Als dieſer jezt ſeinem Hauſe nahe war, und nur
kein Licht in ſeiner Stube ſah, auch keine Men-
ſchenſtimme darinn hoͤrte, ahndete ihm Boͤſes;
denn ſonſt war alle Abende das Haus voll — und
alle Fenſter von den Lichtern, die auf allen Tiſchen
ſtanden, erheitert, und das Gelerm der Saufenden
toͤnte in der Stille der Nacht immer, daß man’s
zu unterſt an der Gaſſe noch hoͤrte, obgleich die
Gaſſe lang iſt, und des Vogts Haus zu oberſt da-
ran ſteht.
Ueber dieſer ungewoͤhnlichen Stille war der
Vogt ſehr erſchrocken. Er oͤffnete mit wilder Un-
geſtuͤmheit die Thuͤre, und ſagte: Was iſt das?
was iſt das? daß kein Menſch hier iſt.
Sein Weib heulete in einem Winkel. O
Mann! biſt du wieder da. Mein Gott! was iſt
vor ein Ungluͤck begegnet! Es iſt ein Jubilieren
im Dorf von deinen Feinden, und kein Menſch
wagt mehr auch nur ein Glas Wein bey uns zu
trinken. Alles ſagt, du ſeyſt aus dem Wald nach
Arnburg gefuͤhrt worden.
Wie ein gefangenes wildes Schwein in ſeinen
Stricken ſchnaubet, ſeinen Rachen oͤffnet, ſeine
Augen rollt, und Wuth grunzet; ſo wuͤthete
jezt Hummel, ſtampfte und tobte, ſann auf
Rache gegen Arner, und raſete, uͤber den
Edeln. Denn redte er mit ſich ſelbſt: So koͤmmt
das Land um ſeine Rechte. Er will mir das
CWirths-
[34] Wirthsrecht rauben, und den Schild in der Herr-
ſchaft allein aushaͤngen. Bey Mannsgedenken ha-
ben alle Voͤgte gewirthet. Alle Haͤndel giengen
durch unſere Haͤnde. Dieſer laͤuft jezt allenthal-
ben ſelbſt nach, und fraͤgelt jeden Floh aus,
wie ein Dorfſchulmeiſter. Daher trotzet jezt jeder
Bub einem Gerichtsmann und ſagt daß er ſelbſt mit
Arner reden koͤnne. So koͤmmt das Gericht um
alles Anſehn und wir ſitzen und ſchweigen, wie
andere Schurken. Da er ſo an uns alle alte Lan-
desrechte kraͤnkt und beugt.
So verdrehte der alte Schelm die guten und
weiſen Thaten des edeln Herrn bey ſich ſelbſt,
ſchnaubte und ſann auf Rache, bis er entſchlief.
§. 6.
Wahrhafte Bauerngeſpraͤche.
Am Morgen aber war er fruͤhe auf, und ſang
und pfiff unter dem Fenſter, auf daß man glaube,
er ſey wegen dem, ſo geſtern vorgefallen war, ganz
unbeſorgt.
Aber Fritz, ſein Nachbar, rief ihm uͤber die
Gaſſe: Haſt du ſchon ſo fruͤhe Gaͤſte, daß es ſo
luſtig geht? und laͤchelte bey ſich ſelbſt.
Sie
[35]
Sie werden ſchon kommen, Fritz! — Hopſaſa
und Heiſaſa, Zwetſchgen ſind nicht Feigen, ſagt
der Vogt, ſtreckt das Brenntsglas zum Fenſter
hinaus, und ruft: Willſt eins Beſcheid thun,
Fritz?
Es iſt mir noch zu fruͤh, antwortete Fritz, ich
will warten, bis mehr Geſellſchaft da iſt.
Du biſt immer der alte Schalk, ſagte der
Vogt; aber glaub’s, der geſtrige Spaß wird
nicht ſo uͤbel ausſchlagen. Es fliegt kein Voͤgelein
ſo hoch, es laͤßt ſich wieder nieder.
Ich weiß nicht, antwortete Fritz. Der Vo-
gel, den ich meyne, hat ſich lange nicht herunter
gelaſſen. Aber wir reden vielleicht nicht vom glei-
chen Vogel. Willſt’s mithalten, Vogt! man ruft
zur Morgenſuppe, und hiemit ſchob Fritz das
Fenſter zu.
Das iſt kurz abgebunden, murrete der Vogt
bey ſich ſelbſt, und ſchuͤttelte den Kopf, daß Haar
und Backen zitterten. Ich werde, denk’ ich, des
Teufels Arbeit haben, bis das geſtrige Henkerszeug
den Leuten allen wieder aus dem Kopf ſeyn wird;
So ſagt er zu ſich ſelber, ſchenkt ſich ein — trinkt —
ſagt denn wieder — Muth gefaßt! Kommt Zeit!
Kommt Rath! Heute iſt’s Samſtag, die Kaͤlber
laſſen ſich ſcheeren, ich gehe ins Barthaus, da
gibt ſich um ein Glas Wein eins nach dem an-
C 2dern.
[36] dern. Die Bauern glauben mir immer eher zehen,
als dem Pfarrer ein halbes.
So ſagt der Vogt zu ſich ſelber, und dann zur
Frau: Fuͤll mir die Saublatter mit Tabak; —
aber nicht von meinem, nur vom Stinker,
er iſt gut fuͤr die Purſche. Und wenn des
Scheerers Bub Wein holt, ſo gib ihm vom drey-
mal geſchwefelten, und thue in jede Maas ein halb
Glas Brennts.
Er gieng fort. Aber auf der Gaſſe, noch nahe
beym Hauſe, beſann er ſich wieder, kehrte zu-
ruͤck und ſagte der Frau; Es koͤnnten Schelme
mitſaufen. Ich muß mich in Acht nehmen.
Schick mir vom gelbgeſottenen Waſſer, wenn ich
La Cote *) fordern laſſe, und bring das ſelber.
Drauf gieng er wieder fort.
Aber ehe er noch im Barthaus war, unter der
Linde beym Schulhaus, trift er Nickel Spitz und
Jogli Rubel an. Wohinaus ſo im Sonnabend-
Habit, Herr Untervogt! fragte Nickel Spitz —
Vogt. Ich muß den Bart herunter haben —
Nickel. Das iſt ſonderbar, daß du am Sam-
ſtag Morgen ſchon Zeit haſt —
Vogt. Es iſt wahr, es iſt nicht ſo das Jahr
durch —
Nickel.
[37]
Nickel. Nein. Einmal ſeit langem kamſt du
immer Sonntags zwiſchen der Morgenpredigt zum
Scheerer.
Vogt. Ja; ein paar mal.
Nickel. Ja — ein paar mal, die letzten.
Da der Pfarrer dir deinen Hund aus der Kirche
jagen ließ, ſeitdem kamſt du ihm nicht viel mehr
ins Gehaͤge.
Vogt. Du biſt ein Narr, Nickel, daß du ſo
was reden magſt. Man muß eſſen und vergeſ-
ſen. Die Hundsjagd iſt mir laͤngſt aus dem
Kopf.
Nickel. Ich moͤchte mich nicht drauf verlaſ-
ſen, wenn ich Pfarrer waͤre.
Vogt. Du biſt nicht klug, Nickel. Warum
das nicht? Aber kommt in die Stube, es gibt
wohl etwan einen Weinkauf oder ſonſt kurze Zeit —
Nickel. Du wuͤrdeſt dem Scheerer aufwar-
ten, wenn er in ſeinem Haus einen Weinkauf trin-
ken lieſſe. *)
Vogt. Ich bin nicht halb ſo eigennuͤtzig.
Man will mir ja das Wirthſchaftsrecht ganz neh-
men. Aber, Nickel! wir ſind noch nicht da; der,
den ich meyne, hat noch aufs wenigſte ſechs Wo-
chen und drey Tage Arbeit, eh er’s bekoͤmmt —
C 3Nickel.
[38]
Nickel. Ich glaub es ſelbſt. Doch iſt’s im-
mer nicht die beſte Ordnung fuͤr dich, daß der
junge Herr ſeines Großvaters Glauben changirt
hat.
Vogt. Ja, er hat einmal nicht voͤllig des
Großvaters Glauben.
Nickel. Ich traue faſt, er ſey in keinem
Punkt und in keinem Artikel von allen Zwoͤlfen
mit dem Alten des gleichen Glaubens.
Vogt. Es kann ſeyn. Aber der Alte war
mir in ſeinem Glauben ein anderer Mann.
Nickel. Ich denk’s wohl. Der erſte Arti-
kel ſeines Glaubens hieß: Ich glaube an dich, mei-
nen Vogt —
Vogt. Das iſt luſtig. Aber wie hieß denn
der andere?
Nickel. Was weiß ich grad jezt. Ich denk,
er hieß: Ich glaub guſſer dir, meinem Vogt, kei-
nem Menſchen kein Wort.
Vogt. Du ſollteſt Pfarrer werden, Nickel,
du wuͤrdeſt den Catechismus nicht blos erklaͤren;
du wuͤrdeſt noch einen aufſetzen.
Nickel. Das wuͤrde man mir wohl nicht zulaſ-
ſen. Thaͤt’ ich’s, ich wuͤrde ihn machen ſo deutſch und
ſo klar, daß ihn die Kinder ohne den Pfarrer ver-
ſtuͤhnden; und denn wuͤrde er ja natuͤrlich nichts nuͤtze
ſeyn.
Vogt.
[39]
Vogt. Wir wollen beym Alten bleiben, Ni-
ckel! Es iſt mir mit dem Catechismus wie mit
etwas anderm. Es koͤmmt nie nichts beſſers hin-
ten nach.
Nickel. Das iſt ſo ein Spruͤchwort, das manch-
mal wahr iſt, und manchmal nicht. Fuͤr dich,
ſcheint’s, trift’s dismal ein mit dem neuen Junker —
Vogt. Es wird erſt fuͤr andere nachkommen;
wenn ihr ordentlich wartet. Und fuͤr mich fuͤrchte
ich mich nicht ſo uͤbel vor dieſem neuen Herrn.
Es findet jeder ſeinen Meiſter.
Nickel. Das iſt wahr. Doch iſt deine alte
Zeit mit dem vorigen Sommer *) unter dem Bo-
den —
Vogt. Nickel! Ich habe ſie doch einmal ge-
habt; ſuche ſie ein anderer jezt auch.
Nickel. Das iſt wahr, du haſt ſie gehabt,
und ſie war recht gut. Aber wie haͤtt’s koͤnnen
fehlen; der Schreiber, der Weibel und der Vi-
carj waren dir ſchuldig.
Vogt. Man redte mir das nach; aber es
war drum nicht wahr.
Nickel. Du magſt jezt auch das ſagen; du
C 4haͤt-
[40] hatteſt ja mit ein Paaren oͤffentlich Haͤndel, daß
das Geld nicht wieder zuruͤck kommen wollte.
Vogt. Du Narr, du weißſt auch gar noch
alles!
Nickel. Noch viel mehr, als das, weiß ich
noch. Ich weiß noch, wie du mit des Rudis
Vater gedroͤlt — und wie ich dich da neben dem
Hundſtall unter den Strohwellen auf dem Bauch
liegend vor des Rudis Fenſtern antraf. Sein An-
wald war eben bey ihm; bis um zwey Uhr am
Morgen horchteſt du auf deinem Bauch, was in der
Stube geredt wurde. Ich hatte eben die Nacht-
wache — und eine ganze Woche war mir der Wein
frey bey dir, daß ich ſchwiege.
Vogt. Du biſt ein Ketzer; daß du das ſagſt,
es iſt kein Wort wahr, und du wuͤrdeſt ſchoͤn ſte-
hen, wenn du’s beweiſen muͤßteſt.
Nickel. Vom beweiſen iſt jezt nicht die Rede,
aber ob’s wahr ſey, weißſt du wohl.
Vogt. Es iſt gut, daß du’s einſteckſt *) —
Nickel. Der Teufel gab dir das in Sinn,
unter dem Stroh in tiefer Nacht zu horchen;
du hoͤrteſt alle Worte, und hatteſt da gut mit dem
Schreiber deine eigene Ausſage zu verdrehen.
Vogt. Was du auch redeſt?
Nickel. Was ich auch rede? Haͤtte der Schrei-
ber nicht vor der Audienz deine Ausſage veraͤndert,
ſo
[41] ſo haͤtte der Rudj ſeine Matte noch, und der Wuͤſt
und der Keibacker haͤtten den ſchoͤnen Eyd nicht
thun muͤſſen.
Vogt. Ja — Du verſteheſt den Handel wie
der Schulmeiſter Hebraͤiſch.
Nickel. Wenn ich ihn nicht verſtuͤhnde, ich
haͤtte ihn von dir gelernt. Mehr als zwanzigmal
lachteſt du mit mir ob deinem gehorſamen Diener
dem Herrn Schreiber.
Vogt. Ja! das wohl; aber das, was du ſagſt,
that er doch nicht. Sonſt iſt’s wahr: er war
ein ſchlauer Teufel. Troͤſt Gott ſeine Seele —
es wird nun zehn Jahr auf Michaelis, ſeit dem er
unter dem Boden iſt.
Nickel. Seit dem er hinabgefahren iſt zur
Hoͤllen — wollteſt du ſagen.
Vogt. Das iſt nicht recht. Von den Tod-
ten unter dem Boden muß man nichts Boͤſes ſa-
gen.
Nickel. Du haſt recht — ſonſt wuͤrde ich er-
zaͤhlen, wie er bey Noͤppis Kindern geſchrieben
hat.
Vogt. Er wird dir auf dem Todbett gebeich-
tet haben! daß du alles ſo wohl weißſt.
Nickel. Einmal weiß ich’s.
Vogt. Das beſte iſt, daß ich den Handel ge-
wonnen habe, wenn du wuͤßteſt, daß ich den Han-
del verlohren haͤtte, denn waͤr’s mir leid.
C 5Nickel.
[42]
Nickel. Nein! ich weiß wohl, daß du den
Handel gewonnen haſt; aber auch wie!
Vogt. Vielleicht, vielleicht nicht.
Nickel. Behuͤte Gott alle Menſchen, die arm
ſind vor der Feder.
Vogt. Du haſt recht. Es ſollten nur Ehren-
leute und wohlhabende Maͤnner ſchreiben duͤrfen,
vor Audienz. Das waͤr gewiß gut; aber es waͤre
noch mehr gut, Nickel! Was machen? man muß
eben mit allem zufrieden ſeyn, wie es iſt.
Nickel. Vogt; dein weiſer Spruch da mah-
net mich an eine Fabel die ich von einem Pilgrim
hoͤrte. Es war einer aus dem Elſaß. Er er-
zaͤhlte vor einem ganzen Tiſch Leute: Es habe
ein Einſiedler in einem Fabelbuch die ganze Welt
abgemahlt, und er koͤnne das Buch faſt aus-
wendig. Da baten wir ihn, er ſolle uns auch ei-
ne von dieſen Fabeln erzaͤhlen, und da erzaͤhlte
er uns eben die, an die du mich mahneſt.
Vogt. Nun was iſt ſie denn, du Plauderer? —
Nickel. Sie heißt — ich kann ſie zum Gluͤck
noch —
“Es klagte und jammerte das Schaf, daß
„der Wolf, der Fuchs, der Hund und der Metz-
„ger es ſo ſchrecklich quaͤlten — Ein Fuchs, der
„eben vor dem Stall ſtuhnd, hoͤrte die Klage —
„und ſagte zum Schaf: Man muß immer zufrie-
„den ſeyn mit der weiſen Ordnung, die in der Welt
„iſt —
[43] „iſt — wenn es anders waͤre — ſo wuͤrde es ge-
„wiß noch ſchlimmer ſeyn.„
“Das laͤßt ſich hoͤren, antwortete das Schaf,
„wenn der Stall zu iſt — aber wenn er offen waͤ-
„re — ſo wuͤrde es denn doch auch keine Wahr-
„heit fuͤr mich ſeyn.„
“Es iſt freylich gut, daß Woͤlfe, Fuͤchſe und
„Raubthiere da ſeyn — aber es iſt auch gut, daß
„man die Schafſtaͤlle ordentlich zumache — und
„daß die guten ſchwachen Thiere gute Hirten und
„Schutzhunde haben, gegen die Raubthiere.„
“Behuͤte mir Gott meine Huͤtte, ſetzte der
„Pilger hinzu. Es gibt eben allenthalben viel
„Raubthiere und wenig gute Hirten *) — Heili-
„ger Gott! du weiſſeſt, warum es ſo iſt; wir
„muͤſſen ſchweigen. Seine Cameraden ſetzten
„hinzu: Ja wir muͤſſen wohl ſchweigen — und
„denn — Heilige Mutter Gottes! bitte fuͤr uns
„jezt und in der Stunde unſers Abſterbens, Amen.„
Es ruͤhrete uns alle, wie die Pilger ſo herzlich
redeten, und wir konnten einmahl jezt nicht den
Narren treiben, wie ſonſt ob ihrem Heilige Mut-
ter Gottes bitte fuͤr uns.
Vogt. Ja das H. Mutter Gottes gehoͤrt auch
zu einer ſo herzlichen Schafsmeynung, nach wel-
cher
[44] cher aber Woͤlfe und Fuͤchſe und alle Thiere von
der Art Hunger crepieren muͤßten —
Nickel. Es waͤre eben auch kein Schade —
Vogt. Weißſt du das ſo gewiß? —
Nickel. Nein. Ich bin ein Narr — ſie
muͤßten nicht Hunger crepieren; ſie wuͤrden noch
immer Aaſe und Gewild finden, und das gehoͤrt
ihnen, und nicht zahmes Vieh — das mit Muͤhe
und Koſten erzogen und gehuͤtet werden muß.
Vogt. So lieſſeſt du ſie doch auch nicht ganz
Hunger crepieren, das iſt noch viel fuͤr einen Freund
der zahmen Thiere. Aber es friert mich; komm
in die Stube.
Nickel. Ich kann nicht; ich muß weiters.
Vogt. Nun ſo behuͤt euch Gott, Nachbaren!
Auf Wiederſehen — (Er geht ab)
Rubel und Nickel ſtehen noch eine Weile, und
Rubel ſagt zum Nickel: Du haſt ihm Geſalzenes
aufgeſtellt.
Nickel. Ich wollte, es waͤre noch dazu ge-
pfeffert geweſen, daß es ihn bis morgen auf der
Zunge brennte.
Rubel. Du wuͤrdeſt vor acht Tagen nicht ſo
mit ihm geredt haben.
Nickel. Und er wuͤrde vor acht Tagen nicht
alſo geantwortet haben —
Rubel. Das iſt auch wahr. Er iſt zahm
geworden wie mein Hund, als er das erſtemal das
Nasband trug.
[45]
Nickel. Wann die Maas voll iſt, ſo uͤber-
laͤuft ſie — das war noch immer bey einem jeden
wahr, und wird es auch beym Vogt werden —
Rubel. Behuͤte Gott einen vor Aemtern; Ich
moͤchte nicht Vogt ſeyn mit ſeinen zween Hoͤfen —
Nickel. Aber wenn dir jemand einen halben
anboͤte und den Vogtsdienſt dazu, was wuͤrdeſt du
machen?
Rubel. Du Narr! —
Nickel. Du Geſcheider! was wuͤrdeſt du ma-
chen? Gelt, du wuͤrdeſt dem, der dir ihn anboͤte,
geſchwind einſchlagen, das Tuch mit den zwo
Farben um dich wickeln, und denn Vogt ſeyn —
Rubel. Meynſt du’s ſo? —
Nickel. Ja ich meyn’s ſo —
Rubel. Wir ſchwaͤtzen die Zeit weg — B’huͤ-
te Gott, Nickel —
Nickel. B’huͤte Gott, Rubel —
§. 7.
Er faͤngt eine Vogtsarbeit an.
Da der Vogt jezt in die Scheerſtube kam —
gruͤßte er den Scheerer und die Frau und die Nach-
baren — ohne Huſten und ehe er ſich ſetzte. Sonſt
huſtete und raͤuſperte er ſich aͤllemal vorher, und
warf
[46] warf denn ſein Gott gruͤß euch erſt dar, wenn er
ausgeſpien und ſich geſetzt hatte —
Die Bauern antworteten mit Laͤcheln, und ſetz-
ten ihre Kappen viel ſchneller wieder auf den Kopf,
als ſie ſonſt thaten, wenn der Herr Untervogt ſie
gegruͤßt hatte. Er aber fieng alſobald das Ge-
ſpraͤch an.
Immer gute Loſung, Meiſter Scheerer! ſagt
er; und ſo viel Arbeit, daß mich wundert, wie
ihr das alles nur ſo mit zwo Haͤnden machen koͤnnt.
Der Scheerer war ſonſt ein ſtiller Mann, der
auf ſolche Worte nicht gern antwortete. Aber
der Vogt hatte ihn jezt etliche Monate hinter ein-
ander und das allemal am Sonntag am Morgen
zwiſchen der Predigt mit ſolchen Stichelreden ver-
druͤßlich gemacht; und wie’s denn geht, er wollte
einmal jezt auch antworten, und ſagte:
Herr Untervogt! Es ſollte euch nicht wun-
dern, wie man mit zwo Haͤnden viel arbeiten und
doch wenig verdienen koͤnne. Aber wie man mit
beyden Haͤnden nichts thun, und darbey viel Geld
verdienen koͤnne: das ſollte euch wundern.
Vogt. Ja, das iſt wahr, Scheerer! Du
ſollteſt es auch probieren. Die Kunſt iſt — Man
legt die Haͤnde auf eine Art und Gattung zuſam-
men, wie’s recht iſt — Denn regnet es Geld zum
Dach hinein —
Der
[47]
Der Scheerer wagte noch eins und ſagte:
Nein, Vogt, man wickelt ſie wohl unter den
zweyfarbigten Mantel, und ſagt die drey Worte:
Es iſt ſo, bey meinem Eyd es iſt ſo — und bey
gutem Anlaß ſtreckt man kraͤftig drey Finger hinauf,
zween hinab — abrakadabra — und die Saͤcke
ſtrotzen von Geld —
Das machte den Vogt toll, und er antwor-
tete: Du koͤnnteſt zaubern, Scheerer! Aber das iſt
nicht anders. Leute von deinem Handwerk muͤſſen
nothwendig auch Zauber- und Henkerskuͤnſte ver-
ſtehen.
Das war jezt freylich dem guten Scheerer zu
rund, und es hat ihn uͤbel gereuet, daß er ſich mit
dem Vogt eingelaſſen. Er ſchwieg auch, ließ
den andern reden, und ſeifte mausſtill den Mann
ein, der ihm ſaß.
Der Vogt aber fuhr tuͤchtig fort, und ſagte:
Der Scheerer iſt ein ausgemachter Herr! er darf
unſer einem wohl nicht antworten. Er traͤgt ja
Spitzhoſen — Stadtſchuhe — und am Sonntag
Manſchetten. Er hat Haͤnde ſo zart, wie ein Jun-
ker — und Waden, wie ein Stadtſchreiber.
Die Bauern liebten den Scheerer, hatten das
auch ſchon gehoͤrt — und lachten nicht uͤber des
Vogts Witz.
Nur der junge Gallj, der eben ſaß, mußte uͤber
die Stadtſchreiberwaden lachen; denn er kam eben
aus
[48] aus der Kanzley, wo der Spaß mit den Waden
juſt eintraf. Aber der Scheerer, dem er ſich unter
dem Meſſer bewegte, ſchnitt ihn in die obere Lippe.
Das machte die Bauern unwillig, daß alle die
Koͤpfe ſchuͤttelten.
Und der alte Ulj nahm die Tabakspfeife aus
dem Munde, und ſagte;
Vogt! es iſt gar nicht recht, daß du da dem
Scheerer Moleſt3 macheſt.
Und da die andern ſahn, daß der alte Ulj ſich
nicht ſcheute, und das laut ſagte, murreten ſie auch
lauter, und ſagten;
Der Gallj blutet! Ja wir koͤnnen ſo dem Schee-
rer nicht anſitzen.
Es iſt mir leid, ſagte der Vogt, ich will den
Schaden wieder gut machen.
Bub! hol drey Flaſchen Wein vom guten, der
heilt Wunden, ohne daß man ihn warm macht.
Sobald der Vogt vom Wein redte, verlohr ſich
das ernſte Murren der Bauern. Einige trauten zwar
nicht, daß es Ernſt gelte.
Aber Lenk, der in einer Ecke ſaß, loͤste ihnen
das Raͤthſel auf, und ſagte
Des Vogts Wein hat geſtern auf dem Kirch-
hof ſo abgeſchlagen.
Der Vogt aber nahm jezt ſeinen Seckel voll
Tabak, und legte ihn auf den Tiſch.
Und
[49]
Und Chriſten, der Staͤndliſaͤnger *), forderte
ihm zuerſt eine Pfeife voll ab.
Er gab ſie. Da ſtuhnden immer mehrere her-
bey; und die Stube war bald voll Rauch vom
Stinktabak. Der Vogt aber rauchte vom beſ-
ſern.
Indeſſen waren der Scheerer und die Nach-
baren immer noch ſtill, und machten gar nicht viel
Weſens. Das ſchien dem Meiſter Urias nicht
gut. Er gieng die Stube hinauf und hinunter,
und drehete den Zeigfinger uͤber die Naſe, wie
er es immer macht, wenn ihm ſein Krummes nicht
grad gehen will.
Es iſt verteufelt kalt in der Stube, ſo in der
Kaͤlte richte ich nichts aus, ſagt er zu ſich ſel-
ber, geht aus der Stube, gibt der Magd einen
Kreuzer, daß ſie ſtaͤrker einheize; und es war bald
warm in der Stube —
§. 8.
D
[50]
§. 8.
Wenn man die Raͤder ſchmiert, ſo geht
der Wagen.
Indeſſen koͤmmt der geſchwefelte Wein. Glaͤſer,
Glaͤſer her, Meiſter Scheerer; ruft der Vogt.
Und Frau und Junge bringen bald Glaͤſer’s genug.
Die Nachbaren naͤhern ſich ſaͤmtlich den Wein-
kruͤgen, und der Vogt ſchenkt ihnen ein.
Jezt ſind der alte Ulj und alle Nachbaren wie-
der zufrieden.
Und des jungen Gallis Wunde iſt ja nicht der
Rede werth. Waͤre der Narr nur ſtill geſeſſen,
ſo wuͤrde ihn der Scheerer nicht geſchnitten haben.
Nach und nach geht jezt einem jeden das Maul
auf, und lautes Saufgewuͤhl erhebt ſich.
Alles lobt wieder den Vogt, und der Maͤurer
Lienhard iſt jezt am vordern Tiſch ein Schlingel,
und am hindern ein Bettler.
Da erzaͤhlt der eine, wie er ſich alle Tage voll
foff, und jezt den Heiligen mache, und der an-
dere, wie er wohl merke, warum die ſchoͤne Ger-
trud, und nicht der Maͤurer, zum jungen Herrn
ins Schloß gegangen ſey; und wieder ein anderer,
wie ihm dieſe Nacht von der Naſe getraͤumt habe,
die
[51] die der Vogt dem Maͤurer nach Verdienen bald
drehen werde.
Wie ein garſtiger Vogel den Schnabel in
Sumpf ſteckt, und ſich von faͤulendem Koth naͤhrt,
ſo labete Hummel bey dem Gerede der Nachba-
ren ſein arges Herz.
Doch miſchet’ er ſich ſehr bedachtſam und ernſt-
haft in das verworrene Gewuͤhl dieſer Saͤufer und
Schwaͤtzer.
Nachbar Richter! ſagt er und reicht ihm das
Glas dar, das er annimmt: Ihr waret ja ſelber
bey der letzten Rechnung, und noch ein beeydig-
ter Mann. Ihr wiſſet, daß mir damals der Maͤu-
rer dreyßig Gulden ſchuldig geblieben iſt. Nun
iſt’s ſchon ein halbes Jahr; und er hat mir noch
keinen Heller bezahlt. — Ich habe auch ihm das
Geld nicht einmal gefordert, und ihm kein boͤſes
Wort gegeben, und doch kann es leicht kom-
men, ich verliere die Schuld bis auf den letzten
Heller.
Das verſteht ſich, ſchwuren die Bauern. Du
wirſt keinen! Heller mehr von deinem Geld ſehen,
und ſchenkten ſich ein.
Der Vogt aber nahm aus ſeinem Sackkalen-
der die Handſchrift des Maͤurers, legte ſie auf den
Tiſch, und ſagte; Da koͤnnet ihr ſehen, ob’s
wahr iſt.
D 2Die
[52]
Die Bauern beguckten die Handſchrift, als ob
ſie leſen koͤnnten, und ſprachen: Das iſt ein Schur-
ke, der Maͤurer.
Und Chriſten, der Staͤndliſaͤnger, der bis jezt
viel und ſtillſchweigend herunter geſchluckt hatte,
wiſcht mit dem Rockermel das Maul ab, ſteht auf,
hebt ſein Glas in die Hoͤhe, und ruft:
Es lebe der Herr Untervogt! und alle Calfack-
ter muͤſſen verrecken, ſo ruft er, trinkt aus, hebt
das Glas wieder dem dar, der einſchenkt, trinkt
wieder aus, und ſingt:
§. 9.
[53]
§. 9.
Von den Rechten im Land.
Nicht ſo laͤrmend, Chriſten! ſagte der Vogt;
das nuͤtzt nichts. Es waͤre mir leid, wenn dem
Maͤurer ein Ungluͤck begegnete. Ich verzeihe es
ihm gerne. Er hat’s aus Armuth gethan. Aber
das iſt ſchlimm, daß keine Rechte mehr im Land
ſicher ſind.
Die Nachbaren horchten ſteif, als er von den
Rechten im Land redte. Etliche ſtellten ſo gar die
Glaͤſer beyſeits, da ſie vom Rechten im Land hoͤ-
reten, und horchten.
Ich bin ein alter Mann, Nachbaren! und mir
kann nicht viel dran liegen. Ich habe keine Kin-
der, und mit mir iſt’s ans. Aber ihr habt
Jungens — Nachbaren! Euch muß an euern Rech-
ten viel gelegen ſeyn.
Ja. Unſere Rechte! riefen die Bauern. Ihr
ſeyd unſer Vogt. Vergebt kein Haar von unſern
Rechten.
Vogt. Ja, Nachbaren! Es iſt mit dem
Wirthsrecht eine Gemeindſache, und ein theures
Recht um das Wirthsrecht; wir muͤſſen uns weh-
ren.
D 3Etliche
[54]
Etliche wenige Bauern ſchuͤttelten die Koͤpfe,
und ſagten einander leiſe ins Ohr.
Er hat der Gemeind nie nichts nachgefragt.
Jezt will er die Gemeind in den Koth hinein zie-
hen, in dem er ſteckt.
Aber die mehrern laͤrmten immer ſtaͤrker, ſtuͤrm-
ten und ſchwuren und fluchten, daß ihnen grad uͤber-
morgen Gemeind ſeyn muͤſſe.
Die Verſtaͤndigern ſchwiegen, und ſagten nur
ganz ſtill unter einander. Wir wollen denn ſehen,
wenn ihnen der Wein aus dem Kopf ſeyn wird.
Indeſſen trank der Vogt bedaͤchtlich immer von
ſeinem geſottenen Waſſer, und fuhr fort, die er-
hitzten Nachbaren wegen ihren Landesrechten in
Sorgen zu ſetzen.
Ihr wißt alle, ſagt’ er zu ihnen, wie unſer
Altvater Ruͤpplj vor zweyhundert Jahren mit dem
grauſamen Ahnherrn dieſes Junkers zu kaͤmpfen
hatte —
Dieſer alte Ruͤpplj *) (mein Grosvater hat es
mir tauſendmal erzaͤhlt) hatte zu ſeinem liebſten
Spruͤch-
[55] Spruͤchwort — Wenn die Junker den Bettlern im
Dorf hoͤfelen, (gute Worte geben) ſo helf Gott den
Bauern. Sie thun das nur, damit ſie die Bauern
entzweyen, und denn allein Meiſter ſeyn. Nach-
baren! wir muͤſſen immer nur die Narren im Spiel
ſeyn.
Bauern. Nichts iſt gewiſſer. Wir muͤſſen
immer nur die Narren im Spiel ſeyn.
Vogt. Ja, Nac[hb]aren! Wenn eure Gerichts-
maͤnner nichts mehr zu bedeuten haben, dann ha-
bet ihrs gerade wie die Soldaten, denen der Hin-
derhut abgeſchnitten iſt. Der neue Junker iſt fein
und liſtig wie der Teufel. Es ſaͤhe ihm’s kein
Menſch an, und gewiß giebt er ohne gute Gruͤn-
de keinem Menſchen kein gutes Wort. Wenn ihr
nur das Halbe wuͤßtet, was ich, ich wuͤrde denn
nicht noͤthig haben zu reden. Aber ihr ſeyd doch auch
nicht Stocknarren. Ihr werdet wohl etwas merken,
und auf eurer Hut ſeyn.
Aebj, mit dem es der Vogt abgeredt, und dem
er ein Zeichen gegeben hatte, antwortete ihm:
Meynſt du, Vogt! wir merken den Griff nicht.
Er will das Wirthsrecht ins Schloß ziehen.
Vogt. Merkt ihr etwas.
D 4Bauern.
[56]
Bauern. Ja, bey Gott. Aber wir leiden
es nicht. Unſere Kinder ſollen ein Wirthshaus ha-
ben, das frey iſt, wie wir’s jezt haben.
Aebj. Er koͤnnt uns im Schloß die Maas
Wein fuͤr einen Ducaten verkaufen. Und wir wuͤr-
den Schelmen an unſern Kindern ſeyn.
Vogt. Das iſt auch zu viel geredt, Aebj[!]
Auf einen Ducaten kann er die Maas Wein doch
nicht bringen.
Aebj. Ja, ja. Schmied und Wagner
ſchlagen auf, daß es ein Grauſen iſt, und ſelber
das Holz iſt zehnmal theurer als vor fuͤnfzig Jah-
ren. Was kannſt du ſagen, Vogt, ſo wie al-
les im Zwang iſt, muß alles ſo ſteigen. Was
kannſt du ſagen, wie hoch die Maas Wein noch
kommen koͤnnte, wenn das Schloß allein ausſchen-
ken duͤrfte. Er iſt jezt ſchon teufelstheuer wegen
dem Umgeld.
Vogt. Es iſt ſo; es iſt in allem immer mehr
Zwang und Hinderniß, und das vertheuert alles.
Ja, ja, wenn wir’s leiden, ſagten die Bauern-
laͤrmten, ſoffen und drohten. Das Geſpraͤch wurd
endlich wildes Gewuͤhl eines tobenden Geſindels,
das ich nicht weiter beſchreiben kann.
§. 10.
[57]
§. 10.
Des Scheerers Hund ſauft Waſſer zur
Unzeit, und verderbt dem Herrn Un-
tervogt ein Spiel, das recht gut ſtand.
Die meiſten waren ſchon tuͤchtig beſoffen. Chri-
ſten, der Staͤndliſaͤnger, der neben dem Vogt ſaß,
am ſtaͤrkſten. Dieſer ſchrie einsmals: Laßt mich
hervor. Der Vogt und die Nachbaren ſtuhnden
auf, und machten ihm Platz. Aber er ſchwankte
uͤber den Tiſch, und ſtieß des Vogts Waſſerkrug
um. Erſchrocken wiſcht dieſer, ſo geſchwind er kann,
das verſchuͤttete Waſſer vom Tiſch ab, damit Nie-
mand das Verſchuͤttete auffaſſe, und den Betrug
merke. Aber des Scheerers Hund, der unter
dem Tiſche war, war durſtig, lappete das ver-
ſchuͤttete Waſſer vom Boden, und ungluͤcklicher
Weiſe ſah es ein Nachbar, der wehmuͤthig nach
dem guten Wein unter dem Tiſche hinab guckte,
daß Hector ihn aufleckte. Er rief dem Vogt; Wun-
der und Zeichen, Vogt! ſeit wenn ſaufen die Hunde
Wein?
Du Narr! ſeit langem, antwortet der Vogt, und
winkt ihm mit der Hand und mit dem Kopf, und
D 5ſtoßt
[58] ſtoßt ihn mit den Fuͤſſen unter dem Tiſch, daß er
doch ſchweige. Auch dem Hund giebt er einen Stoß,
daß er anderswo hingehe. Aber der verſtuhnd den
Befehl nicht, denn er gehoͤrte dem Scheerer; er
gab Laut, murrete, und leckte denn ferner das ver-
ſchuͤttete Waſſer vom Boden. Der Herr Unter-
vogt aber erblaßte uͤber dieſem Saufen des Hunds;
denn es guckten immer mehrere Nachbaren unter
den Tiſch. Man ſtieß bald in allen Ecken die Koͤpfe
zuſammen, und zeigte auf den Hund. Des Schee-
rers Frau nahm jezt ſogar die Scherben des ver-
brochenen Kruges vom Boden auf und an die Naſe;
und da ſie nach Waſſer rochen, ſchuͤttelte ſie maͤch-
tig den Kopf, und ſagte laut:
„ Das iſt nicht ſchoͤn! „
Nach und nach murmelten die Bauern an al-
len Ecken: Darhinter ſteckt was.
Und der Scheerer ſagte dem Vogt unter die
Naſe: Vogt! dem ſchoͤner Wein iſt geſottenes
Waſſer.
Iſt das wahr? riefen die Bauern. Was Teu-
fels iſt das, Vogt! warum ſaufeſt du Waſſer? —
Betroffen antwortete der Vogt: Es iſt mir nicht
recht wohl; Ich muß mir ſchonen.
Aber die Bauern glaubten die Antwort nicht —
und links und rechts murmelte je laͤnger je mehr
alles; Es geht hier nicht recht zu.
Ueber
[59]
Ueber das klagten jezt noch einige, es ſchwindle
ihnen von dem Weine, den ſie getrunken haͤtten,
und dis ſollte von ſo wenigem nicht ſeyn.
Die zween Vornehmſten aber, die da waren
ſtuhnden auf, gaben dem Scheerer den Lohn, ſpra-
chen: Behuͤte Gott, Nachbaren, und giengen gegen
der Stubenthuͤre.
So einsmals, ihr Herren, warum ſo eins-
mals aus der Geſellſchaft, rief ihnen der Vogt.
Wir haben ſonſt zu thun, antworteten die Maͤn-
ner und giengen fort.
Der Scheerer begleitete ſie auſſer der Stube,
und ſagte zu ihnen; Ich wollte lieber, der Vogt
waͤre gegangen. Das iſt kein Stuͤcklein, bey dem
er’s gut meynt, weder mit dem Wein noch mit
dem Waſſer.
Wir glauben’s auch nicht; ſonſt wuͤrden wir
noch da ſitzen, antworteten die Maͤnner.
Scheerer. Und dieſes Saufgewuͤhl kann ich
nicht leiden —
Die Maͤnner. Du haſt auch keine Urſache —
und du koͤnnteſt noch in Ungelegenheit kommen.
Wenn ich dich waͤre, ſetzte der Aeltere hinzu, ich
braͤche ſelber ab.
Ich darf nicht wohl, antwortete der Scheerer.
Es iſt nicht mehr die alte Zeit, und du biſt
doch in deiner Stube etwann noch Meiſter, ſag-
ten die Maͤnner.
Ich
[60]
Ich will euch folgen, ſagte der Scheerer, und
gieng wieder in die Stube.
Wo fehlt’s dieſen Herren, Scheerer? daß ſie ſo
einsmals aufbrechen? fragte der Vogt.
Und der Scheerer antwortete. Es iſt mir eben
wie ihnen; ſo ein Gewuͤhl iſt nicht artig, und
mein Haus iſt gar nicht dafuͤr.
Vogt. A ha — iſt das die Meynung.
Scheerer. Ja wahrlich, Herr Untervogt! ich
habe gern eine ruhige Stube.
Dieſer Streit aber gefiel den Ehrengaͤſten ni [...]
wohl.
Wir wollen ſtiller ſeyn, ſagte der Eine.
Wir wollen recht thun, ſagte der Andere.
Immer gut Freund ſeyn iſt Meiſter, ein Drit-
ter.
Vogt! noch einen Krug — ſagte Chriſten —
Ha, Nachbaren! ich habe auch eine Stube;
wir koͤnnen den Herrn Scheerer gar wohl in Ruhe
laſſen, ſagte der Vogt.
Das wird mir lieb ſeyn, antwortete der Schee-
rer.
Aber die Gemeindſache iſt vergeſſen, und das
theure Wirthsrecht, Nachbaren! ſagte noch durſtig
Aebj der aͤltere.
Mir nach, wer nicht falſch iſt, rief drohend
der Vogt, murrete Donner und Wetter, blickte
wild umher, ſagte zu Niemand, behuͤte Gott, und
ſchlug
[61] ſchlug die Thuͤr hinder ſich zu, daß die Stube
zitterte —
Das iſt unverſchaͤmt, ſagte der Scheerer.
Ja es iſt unverſchaͤmt, ſagten viele Bauern.
Das iſt nicht richtig, ſagte der juͤngere Meyer,
ich einmal gehe nicht ins Vogts Haus —
Ich auch nicht, antwortete Lauͤpj —
Nein, der Teufel, ich auch nicht, ich denke
an geſtern Morgen, ſagte der Renold. Ich ſtuhnd
zunaͤchſt bey ihm und bey Arner, und ich ſah
wohl, wie es gemeynt war.
Die Nachbaren ſahn ſich einer den andern an,
was ſie thun wollten; aber die meiſten ſetzten ſich
wieder und blieben.
Nur Aebj und Chriſten und noch ein paar Lum-
pen nahmen des Vogts leere Flaſchen ab dem Ti-
ſche unter den Arm, und giengen ihm nach.
Dieſer aber ſah jezt aus ſeinem Fenſter nach
der Gaſſe, die ins Scheerers Haus fuͤhrte, und als
ihm lange Niemand nachkam: wurd er uͤber ſich
ſelber zornig.
Daß ich ein Ochs bin, ein lahmer Ochs. Es
iſt bald Mittag, und ich habe nichts ausgerichtet.
Der Wein iſt geſoffen, und jezt lachen ſie mich
noch aus. Ich habe mit ihnen gepaperlet wie
ein Kind, das noch ſaͤugt, und mich herabgelaſ-
ſen wie einer ihres gleichen. Ja wenn ich’s mit
dieſen Hundskerls im Ernſt gut meynte; wenn
das,
[62] das, was der Gemeinde nutzlich iſt, auch mir lieb
und recht waͤre, oder wenn ich mich zuletzt, nur
aͤuſſerlich mehr geſtellt haͤtte, als ob ich’s gut mit
ihr meyne; denn waͤre es angegangen. So eine
Gemeinde tanzt im Augenblick nach eines Geſchei-
den Pfeife, wenn ſie denkt, daß man es gut
meyne. Aber die Zeiten waren gar zu gut fuͤr
mich. Unter dem Alten fragte ich der Gemeind
oder einem Geißbock ungefehr gleich viel nach. So
lang ich Vogt bin, war’s meine Luſt und meine
Freude ſie immer nur zu narren, zu beſchimpfen
und zu meiſtern, und eigentlich hab ich gut im
Sinn es noch ferner zu thun. Aber darum muß
und ſoll ich ſie auch tuͤchtig drey Schritt vom Leib
halten; das Haͤndedruͤcken, das Herablaſſen, das
mit jedermann Rath halten und freundlich thun,
wie ein aller Leute Schwager, geht nicht mehr
an, wenn man einen zu wohl kennt. Unſer einer
muß ſtill und allein fuͤr ſich handeln, nur die Leute
brauchen, die er kennt, und die Gemeind, Gemeind
ſeyn laſſen. Ein Hirt berathet ſich nicht mit den
Ochſen; und doch war ich heut Narrs genug
und wollte es thun.
Indeſſen kamen die Maͤnner mit den leeren
Flaſchen.
Seyd ihr allein — wollten die Hunde nicht mit?
fragte der Vogt —
Nein, kein Menſch, antwortete Aebj.
Und
[63]
Und der Vogt; Daran liegt viel.
Chriſten. Ja, recht viel, ich denk’s auch.
Vogt. Doch moͤcht ich gern wiſſen, was ſie
jezt mit einander ſchwaͤtzen und rathen. Chriſten
geh und ſuche noch mehr Flaſchen.
Chriſten. Es ſind keine mehr da.
Vogt. Du Narr, das iſt gleich viel. Geh
nur und ſuche. Wenn du nichts find’ſt, ſo laß
dich ſcheeren oder laß zu Ader, und wart und
horch auf alles, was ſie erzaͤhlen: Ueberbringſt du
mir vieles, ſo ſauf ich mit dir bis an den Mor-
gen.
Und du Loͤlj, du muſt zu des Maͤurers aͤltern
Geſellen — dem Joſeph gehn; aber ſieh daß dich
Niemand merke. Du muſt ihm ſagen, daß er zu
mir komme in der Mittagsſtunde.
Noch ein Glas Wein auf den Weg. Mich
duͤrſtet — ſagt Loͤlj — ich will dann laufen wie
ein Jagdhund, und im Blitz wieder da ſeyn.
Gut, ſagte der Vogt, und gab ihnen noch ei-
nen auf den Weg.
Da giengen dieſe, und die Voͤgtin ſtellte den
zween andern auch Wein dar zum trinken.
§. 11.
[64]
§. 11.
Wohl uͤberlegte Schelmenprojecte.
Der Vogt aber gieng ſtaunend in ſeine Neben-
ſtube, und rathſchlagte mit ſich ſelber, wenn Jo-
ſeph kommen werde, wie er’s anſtellen wolle.
Falſch iſt er, darauf kann ich zaͤhlen; und
ſchlau wie der Teufel. Es ſtehn viel Thaler, die
er verſoffen, auf ſeines Meiſters Rechnung — aber
mein Begehren iſt rund. Er wird ſich fuͤrchten,
und mir nicht trauen. ‒ ‒ ‒ Es laͤutet ſchon
Mittag. Ich will ihm bis zehn Thaler bieten
innert drey Wochen faͤllt der ganze Beſtich *) vom
Thurn herunter, wenn er thut was ich will.
Zehn Thaler ſollen mich nicht reuen, ſagt der
Vogt — und da er ſo mit ſich ſelber redt, kommt
Loͤlj und hinder ihm Joſeph — ſie kamen nicht
mit einander, damit man deſto weniger Ver-
dacht ſchoͤpfe.
Gott gruͤß dich, Joſeph; weiß dein Meiſter
nicht, daß du hier biſt?
Der Joſeph antwortete: Er iſt noch im Schloß,
aber er wird auf den Mittag wieder kommen, wenn
ich nur um ein Uhr wieder auf der Arbeit ſeyn
werde, ſo wird er nichts merken.
Gut
[65]
Gut — Ich habe mit dir zu reden, Joſeph!
Wir muͤſſen allein ſeyn, ſagte der Vogt, fuͤhrte
ihn in die hintere Stube, ſchloß die Thuͤre zu, und
ſtieß den einen Riegel.
Es ſtuhnden Schweinenfleiſch, Wuͤrſte, Wein
und Brod auf dem Tiſche. Der Vogt nahm zween
Stuͤhle, ſtellte ſie zum Tiſch, und ſagte zu Jo-
ſeph;
Du verſaͤumeſt dein Mittageſſen, halt’s mit und
ſetze dich.
Das laͤßt ſich thun, antwortete Joſeph, ſetzte
ſich hin, und fragte den Vogt: Herr Vogt! ſag
er, was will er, ich bin zu ſeinen Dienſten —
Der Vogt antwortete: Auf dein gut Wohlſeyn,
Joſeph! trink eins; und denn wiederum; verſuch
dieſe Wuͤrſte, ſie ſollen gut ſeyn. Warum greifſt
du nicht zu? Du haſt ja ſonſt theure Zeit genug
bey deinem Meiſter.
Joſeph. Das wohl — Aber es wird doch jezt
beſſer kommen; wenn er Schloßarbeit kriegt.
Vogt. Du biſt ein Narr, Joſeph! Du ſoll-
teſt dir wohl einbilden, wie lange das gehn moͤchte.
Ich wollt’s ihm gerne goͤnnen; aber er iſt nicht
der Mann zu ſo etwas. Er hat auch noch nie ein
Hauptgebaͤude gehabt; aber er verlaͤßt ſich auf dich,
Joſeph.
Joſeph. Das kann ſeyn — Es iſt ſo was.
EVogt.
[66]
Vogt. Ich hab’ es mir wohl eingebildet, und
darum mit dir reden wollen. Du koͤnnteſt mir ei-
nen groſſen Gefallen thun.
Joſeph. Ich bin zur Aufwart, Herr Unter-
vogt! Auf ſein gut Wohlſeyn. (Er trinkt.)
Es ſoll dir gelten, Maͤurer! ſagt der Vogt,
und legt ihm wieder Wuͤrſte vor, und faͤhrt fort:
Es waͤre mir lieb, daß das Fundament der Kirch-
mauer von gehauenen Steinen aus dem Schwendi-
bruch geſetzt wuͤrde.
Joſeph. Potz Blitz, Herr Vogt! das geht
nicht an; er verſteht das jezunder nicht. Dieſer
Stein iſt hierzu nicht gut, und zum Fundament
taugt er gar nicht.
Vogt. O der Stein iſt nicht ſo ſchlimm; ich
habe ihn ſchon gar zu viel brauchen geſehn. Er
iſt, bey Gott! gut, Joſeph! Und mir geſchaͤhe
ein groſſer Gefallen, wenn dieſe Steingrube wieder
eroͤffnet wuͤrde.
Joſeph. Vogt! es geht nicht an.
Vogt. Ich will dankbar ſeyn fuͤr den Dienſt,
Joſeph!
Joſeph. Die Mauer iſt innert ſechs Jahren
faul, wenn ſie aus dieſem Stein gemacht wird.
Vogt. Ach, ich mag von dieſem nichts hoͤ-
ren; das ſind Narretheyen.
Joſeph. Bey Gott, es iſt wahr. Es ſind
am Fundament zwo Miſtſtaͤtte und ein ewiger Ab-
lauf
[67] lauf von Staͤllen. Der Stein wird abfaulen wie
ein tannenes Bret.
Vogt. Und denn zuletzt, was fragſt du dar-
nach, ob die Mauer in zehn Jahren noch gut iſt.
Du wirſt fuͤrchten, der Schloßherr vermoͤge als-
dann keine neue mehr. Thuſt du, was ich ſage, ſo
haſt du ein groſſes, recht groſſes Trinkgeld zu er-
warten.
Joſeph. Das iſt wohl gut; aber wenn der
Junker es ſelber merkte, daß der Stein nichts nuͤtze
iſt?
Vogt. Wie ſollte er das verſtehn? davon iſt
keine Rede.
Joſeph. Er weiß in gewiſſen Sachen viel
mehr, als man glauben ſollte; du kennſt ihn aber
beſſer als ich.
Vogt. Ach! das verſteht er nicht.
Joſeph. Ich glaub’s zuletzt ſelbſt nicht. Der
Stein iſt dem Anſehen nach ſehr ſchoͤn, und zu an-
derer Arbeit vortrefflich gut.
Vogt. Gieb mir deine Hand darauf, daß der
Meiſter die Steine aus dieſem Bruche nehmen
muß. Thut er’s, ſo kriegſt du fuͤnf Thaler Trink-
geld.
Joſeph. Das iſt viel, wenn ich’s nur ſchon
haͤtte.
Vogt. Es iſt mir, bey Gott! Ernſt. Ich
zahle dir fuͤnf Thaler, wenn er’s thut.
E 2Joſeph.
[68]
Joſeph. Nun, da hat er mein Wort, Herr
Vogt. (Er ſtreckt ihm die Hand dar, und ver-
ſpricht ihm’s in die Hand) Es ſoll ſo ſeyn, Herr
Vogt! Wie geredt; was ſcheer ich mich um den
Herrn im Schloß.
Vogt. Noch ein Wort, Joſeph. Ich habe
ein Saͤckchen voll Zeugs von einem Herrn aus
der Apothek. Es ſoll gut ſeyn, daß der Beſtich
an den Mauern halte, wie Eyſen, wenn man’s un-
ter den Kalch miſcht. Aber wie es iſt mit dieſen
Spitzhoͤslerkuͤnſten *). Man darf ihnen eben nicht
ganz trauen. Ich moͤchte es lieber an einem frem-
den Bau als an meinem eigenen verſuchen.
Joſeph. Das kann ich ſchon. Ich will’s an
eines Nachbaren Ecken probieren.
Vogt. Das an einem Ecken probieren, ſo im
Kleinen, iſt nie nichts nutze. Man irret ſich dabey,
wenn’s geraͤth, und wenn’s fehlt. Man darf nie
trauen, und iſt nie ſicher, wie’s denn im Groſſen
koͤmmt. Ich moͤchte es am ganzen Kirchthurn pro-
bieren, Joſeph! iſt das nicht moͤglich?
Joſeph. Braucht’s viel ſolcher Waar unter
den Kalch?
Vogt. Ich glaub auf ein Faͤßlein nur ein
Paar Pfunde.
Joſeph.
[69]
Joſeph. Dann iſt’s gar leicht.
Vogt. Willſt du mir’s thun?
Joſeph. Ja freylich.
Vogt. Und ſchweigen, wenn’s fehlt?
Joſeph. Es kann nicht uͤbel fehlen, und na-
tuͤrlich ſchweigt man.
Vogt. Du holeſt die Waar allemal bey mir
ab, wenn du ſie brauchſt, und ein Glas Wein
dazu.
Joſeph. Ich werde nicht ermangeln, Herr
Untervogt! Aber ich muß fort. Es hat Ein Uhr
geſchlagen. (Er nimmt das Glas) Zur ſchuldigen
Dankbarkeit, Herr Untervogt!
Vogt. Du haſt nichts zu danken. Wenn du
Wort halteſt, ſo kriegſt du fuͤnf Thaler.
Es ſoll nicht fehlen, Herr Untervogt! ſagt Jo-
ſeph, ſteht auf, ſtellt ſeinen Stuhl in einen Ecken,
und ſagt dann: Es muß ſeyn, Herr Untervogt!
ſchuldigen Dank; und trinkt jezt das letzte.
Vogt. Nun, wenn es ſeyn muß, ſo behuͤt
Gott, Joſeph! Es bleibt bey der Abrede.
Da gieng Joſeph, und ſagte im Gehen zu ſich
ſelber: Das iſt ein ſonderbares Begehren mit den
Steinen, und noch ſonderbarer mit der Waar in
Kalch. Man probiert ſo etwas nicht am ganzen
Kirchthurn. Aber einmal das Trinkgeld ſoll mir
jezt nicht entwiſchen. Das meyn’ ich, ſey richtig,
ich mag’s denn thun oder nicht.
E 3Das
[70]
Das iſt gut gegangen, recht gut, ſagte der
Vogt zu ſich ſelber; beſſer als ich geglaubt habe,
und noch um den halben Preis. Ich haͤtte ihm
zehn Thaler verſprochen wie fuͤnfe, wenn er den
Handel verſtanden haͤtte. Wie’s mich freut, daß
der Handel in Ordnung iſt! Nein, nein! man
muß den Muth nie fallen laſſen. Waͤr’ nur auch
die Mauer ſchon auſſer dem Boden! Geduld! Am
Montag brechen ſie ſchon Steine dazu. — O du
guter Maurer! Deine Frau hat dir ein boͤſes Freſ-
ſen gekochet, und du meynſt, du ſitzeſt oben auf dem
Thron.
§. 12.
Haushaltungsfreuden.
Der Maͤurer Lienhard, der am Morgen fruͤh ins
Schloß gegangen war, war nun auch wieder zu-
ruͤck und bey ſeiner Frau.
Dieſe hatte geeilt, ihre Samſtagsarbeit zu vollen-
den, ehe ihr Mann wieder zuruͤck kaͤme. Sie hatte
die Kinder gekaͤmmt, ihnen die Haare geflochten,
ihre Kleider durchgeſehn, die kleine Stube gereiniget,
und waͤhrend der Arbeit ihre Lieben ein Lied ge-
lehrt —
Das
[][]
Das muͤßt ihr dem lieben Vater ſingen, wenn
er heimkommen wird, ſagte ſie den Kindern, und
die Kinder lernten gern, was den Vater freuen
wuͤrde, wenn er heim kaͤme.
Mitten in ihrer Arbeit, ohne Muͤh’, ohne Ver-
ſaͤumniß, ohne Buch ſangen ſie es der Mutter nach,
bis ſie es konnten.
Und da der Vater jezt heim kam, gruͤßte ihn
die Mutter, und ſang dann, und alle Kinder ſan-
gen mit ihr.
Eine Thraͤne ſchoß Lienhard ins Auge, da die
Mutter und die Kinder alle ſo heiter und ruhig ihm
entgegen ſangen.
Daß euch Gott ſegne, ihr Lieben! daß dich
Gott ſegne, du Liebe! ſagte er mit inniger Bewe-
gung zu ihnen.
E 4Lieber!
[72]
Lieber! antwortete Gertrud; Die Erde iſt ein
Himmel, wenn man Friede ſucht, recht thut und
wenig wuͤnſcht.
Lienhard. Wenn ich eine Stunde dieſen Him-
mel des Lebens, den Frieden im Herzen genieſſen
werde, ſo haſt du mir ihn gegeben. Bis in Tod
will ich dir danken, daß du mich retteteſt, und
dieſe Kinder werden’s dir danken, wenn du einſt ge-
ſtorben ſeyn wirſt. O Kinder! thut doch immer recht,
und folget eurer Mutter, ſo wird’s euch wohl gehen.
Gertrud. Du biſt och auch gar herzlich heute.
Lienhard. Es iſt mir auch gut gegangen bey
Arner.
Gertrud. Ach, Gott Lob, mein Lieber!
Lienhard. Das iſt doch auch ein Mann, der
ſeines Gleichen nicht hat. Frau! daß ich doch auch
ſo ein Kind war, und nicht zu ihm gehn durfte.
Gertrud. Daß wir immer auch ſo hintennach
klug werden, mein Lieber! Aber erzaͤhle du mir
auch, wie es dir bey ihm gegangen iſt.
(Sie ſetzt ſich neben ihn hin, nimmt einen Strumpf
zum Stricken in die Hand, und er ſagt hierauf
zu ihr:)
§. 13.
[73]
§. 13.
Beweis, daß Gertrud ihrem Manne lieb
war.
Wenn du dich ſo ſetzeſt, wie am Sonntag
Abends zu deiner Bibel, ſo werde ich dir wohl viel
erzaͤhlen muͤſſen.
Gertrud. Alles, alles, du Lieber! muſt du
mir erzaͤhlen.
Lienhard. Ja, ich werde jezt noch alles ſo
wiſſen; aber aha, mein Drutſchelj! es iſt Sam-
ſtag, du haſt nicht ſo gar lang Zeit.
Gertrud lacht. Thu deine Augen auf.
Lienhard ſieht ſich um. Aha! Biſt du ſchon
fertig?
Liſe. (zwiſchen ein) Sie hat recht geeilt, Va-
ter! Ich und Enne, wir halfen ihr aufraͤumen.
Iſt das nicht recht?
Wohl! Es iſt mehr als recht, antwortete der
Vater.
Aber fang jezt einmal an zu erzaͤhlen, ſagte Ger-
trud.
Und Lienhard: Arner frng mich ſogar mei-
nes Vaters Namen und die Gaſſe, wo ich wohne,
und das Numero meines Hauſes.
E 5Ger-
[74]
Gertrud. O, du erzaͤhleſt nicht recht, Lien-
hard! ich weiß, er hat nicht ſo angefangen.
Lienhard. Warum das nicht, du Schnabel!
wie denn anders?
Gertrud. Du haſt ihn zu erſt gegruͤßt, und
er hat dann gedankt. Wie habt ihr das gemacht?
Lienhard. Du Hexli! du haſt doch recht; ich
habe nicht von vornen angefangen.
Gertrud. Gelt, Lienj!
Lienhard. Nun, er frug mich, ſo bald er
mich ſah, ob ich ihn nicht mehr fuͤrchtete? Ich buͤckte
mich ſo tief und ſo gut ich konnte, und ſagte: Ver-
zeih er mir, Gnaͤdiger Herr! Er lachte, und ließ
mir gleich einen Krug Wein vorſetzen.
Gertrud. Nun, das iſt doch wirklich ein ganz
andrer Anfang. Warſt du fein bald fertig mit
dem Krug? Ohne Zweifel.
Lienhard. Nein, Frau. Ich that ſo zuͤchtig,
wie eine Braut, und ich wollte ihn nicht anruͤhren;
Aber er verſtuhnd’s anders. Ich weiß wohl, daß
du den Wein auch kenneſt, ſchenk dir nur ein, ſagte
er. Ich that ſachte, was er ſagte, trank eins
auf ſein Wohlſeyn; Aber er ſah mich ſo ſteif an,
daß mir das Glas am Mund zitterte.
Gertrud. Das gute Gewiſſen, Lienj! das
kam dir eben jezt in die Finger; aber du haſt dich
doch wieder vom Schrecken erholt?
Lien-
[75]
Lienhard. Ja, und das recht bald. Er war
gar liebreich, und ſagte: Es iſt ganz natuͤrlich, daß
ein Mann, der ſtark arbeitet, gern ein Glas Wein
trinkt. Es iſt ihm auch wohl zu goͤnnen; aber das
iſt ein Ungluͤck, wenn einer, anſtatt ſich mit einem
Glas Wein zu erquicken, beym Wein ein Narr wird,
und nicht mehr an Weib und Kind denkt, und an
ſeine alten Tage: Das iſt ein Ungluͤck, Lienhard!
Frau! Es gieng mir ein Stich ins Herz, als
er das ſagte. Doch faßte ich mich und antwor-
tete:
Ich waͤre in ſo ungluͤckliche Umſtaͤnde verwickelt
geweſen, daß ich mir in Gottes Namen nicht mehr
zu helfen gewußt haͤtte; Und ich haͤtte, weiß Gott,
in der Zeit kein Glas Wein mit einem freudigen
Herzen getrunken.
Gertrud. Haſt du doch das herausbringen koͤn-
nen?
Lienhard. Wenn er nicht ſo liebreich gewe-
ſen waͤre, ich haͤtt’ es gewiß nicht gekonnt.
Gertrud. Was ſagte er noch weiter?
Lienhard. Es ſey ein Ungluͤck, daß die mei-
ſten Armen in ihrer Noth mit Leuten anbinden,
die ſie fliehen ſollten, wie die Peſt. Ich mußte
einmal jezt ſeufzen. Ich glaube, er merkte es, denn
er fuhr wie mitleidig fort:
Wenn man es den guten Leuten nur auch bey-
bringen koͤnnte, ehe ſie es mit ihrem Schaden ler-
nen.
[76] nen. Der Arme iſt ſchon halb errettet, wenn er
nur keinem Blutſauger unter die Klauen faͤllt.
Bald hernach fieng er wieder an und ſagte: Es
geht mir ans Herz, wenn ich denke, wie viel Arme
ſich oft im abſcheulichſten Elend aufzehren, und
nicht den Verſtand und das Herz haben, ihre
Umſtaͤnde an einem Ort zu entdecken, wo man
ihnen herzlich gerne helfen wuͤrde, wenn man
nur auch recht wuͤßte, wie ſich die Sachen ver-
halten. Es iſt vor Gott nicht zu verantworten,
wie du dich Jahr und Tag vom Vogt haſt herum-
ſchleppen laſſen, und wie du Weib und Kind ſo
in Unruhe und Gefahr ſetzen konnteſt, ohne auch
nur ein einzig mal mich um Rath und Huͤlfe zu
bitten. Maͤurer! denke nur auch, wenn deine
Frau nicht mehr Herz und Verſtand gehabt haͤtte,
als du, wo es am Ende mit deinen Sachen hinaus
gelaufen waͤre.
Gertrud. Das alles hat er geſagt, ehe er
dem Hausnumero nachgefragt hat?
Lienhard. Du hoͤrſt es ja wohl.
Gertrud. Du haſt mir’s mit Fleiß nicht ſagen
wollen; Du!
Lienhard. Es waͤre, denk ich wohl, das ge-
ſcheideſte geweſen. Du wirſt mir ſonſt noch gar
zu ſtolz, daß du ſo viel Herz gehabt haſt.
Gertrud. Meinſt du’s, Hausmeiſter? Ja,
ja einmal auf dieſen Streich werde ich mir etwas
einbilden,
[77] einbilden, ſo lang ich leben werde, und ſo lang er
uns wohl thun wird. Aber was ſagte Arner
noch weiter?
Lienhard. Er nahm mich wegen dem Bau
ins Examen. Es war gut, daß ich noch nicht
alles vergeſſen hatte. Ich mußte ihm alles
beym Klafter ausrechnen — und die Fuhren von
Kalch und Sand und Steinen auf’s Puͤnktgen aus-
ſpitzen.
Gertrud. Biſt du um keine Nulle verirrt im
Rechnen.
Lienhard. Nein das mal nicht, du Liebe.
Gertrud. Gott Lob!
Lienhard. Ja wohl Gott Lob.
Gertrud. Iſt jezt alles in der Ordnung?
Lienhard. Ja, recht ſchoͤn iſt’s in der Ord-
nung. — Rathe, wie viel hat er mir vorgeſchoſ-
ſen? (Er klingelt mit den Thalern im Sack) und
ſagt: Gelt es iſt lang, daß ich nicht ſo geklingelt
habe?
Gertrud ſeufzt.
Lienhard. Seufze du jezt nicht, du Liebe!
wir wollen hauſen und ſparen, und wir werden
jezt gewiß nicht mehr in die alte Noth kommen.
Gertrud. Ja. Gott im Himmel hat uns
geholfen.
Lienhard. Und noch mehr Leuten im Dorf
mit uns. Denk! er hat zehn arme Hausvaͤter,
die
[78] die gewiß alle ſehr in der Noth waren, zu Tag-
loͤhnern bey dieſem Bau angenommen, und er
giebt jedem des Tags 25 Kreutzer — Du Liebe!
du haͤtteſt ſehn ſollen, mit was fuͤr Sorgfalt er
die Leute ausgewaͤhlt hat.
Gertrud. O, ſag mir doch das recht!
Lienhard. Ja, wenn ich’s jezt noch ſo wuͤßte.
Gertrud. Beſinne dich ein wenig.
Lienhard. Nun denn: Er fragte allen ar-
men Hausvaͤtern nach; wie viel Kinder ſie haͤtten,
wie groß dieſe waͤren; was fuͤr Verdienſt und
Huͤlfe ſie haͤtten. Dann ſuchte er die Verdienſt-
loſeſten und die, welche am meiſten unerzogene
Kinder hatten, daraus, und ſagte zweymal zu mir:
Wenn du jemand kennſt, der, wie du, im Drucke
iſt: ſo ſag es mir. Ich nannte vor allen aus den
Huͤbel Rudj, und der hat jezt fuͤr ein Jahr gewiß
Verdienſt.
Gertrud. Es iſt brav, daß du dem Rudj deine
Erdaͤpfel nicht haſt entgelten laſſen.
Lienhard. Ich koͤnnte keinem Armen nichts
nachtragen, Frau! und dieſe Haushaltung iſt
erſchrecklich elend. Ich habe den Rudelj erſt vor
ein paar Tagen wieder bey der Grube angetrof-
fen; und ich that als ob ich ihn nicht ſaͤhe. Es
gieng mir ans Herz; er ſieht aus wie Theurung und
Hunger, und wir hatten doch in Gottes Namen
zuletzt noch immer zu eſſen.
Gertrud.
[79]
Gertrud. Das iſt wohl gut, du Lieber! aber
ſtehlen hilft nicht im Elend; und der Arme
der’s thut, koͤmmt dadurch nur gedoppelt in die
Noth.
Lienhard. Freylich; aber beym nagenden
Hunger Eßwaaren vor ſich ſehen, und wiſſen,
wie viel davon in den Gruben verfaulen muß, und
wie ſelber alles Vieh davon genug hat, und ſie
dann doch liegen laſſen und ſie nicht anruͤhren: O,
Liebe! wie viel braucht’s dazu!
Gertrud. Es iſt gewiß ſchwer; aber gewiß
muß der Arme es koͤnnen, oder er iſt unausweich-
lich hoͤchſt ungluͤcklich.
Lienhard. O Liebe! wer wuͤrde in ſeinem
Fall es thun? Wer will’s von ihm fordern?
Gertrud. Gott! der’s vom Armen fordert,
giebt ihm Kraft es zu thun, und bildet ihn durch
den Zwang, durch die Noth, und durch die
vielen Leiden ſeiner Umſtaͤnde, zu der groſſen
Ueberwindung, zu der er aufgefordert iſt. Glaube
mir, Lienert! Gott hilft dem Armen ſo im Ver-
borgenen, und giebt ihm Staͤrke und Verſtand
zu tragen, zu leiden und auszuhalten, was ſchier
unglaͤublich ſcheint. Wenn’s denn durchgeſtritten,
wenn das gute Gewiſſen bewahrt iſt, Lienert! denn
iſt ihm himmelwohl; viel beſſer als allen, die
nicht Anlaß hatten, ſo viel zu uͤberwinden.
Lienhard.
[80]
Lienhard. Ich weiß es, Gertrud! an dir
weiß ich’s. Ich bin auch nicht blind. Ich ſah
es oft, wie du in der groͤſſeſten Noth auf Gott
trauteſt und zufrieden warſt: aber wenig Men-
ſchen ſind im Elend wie du, und viele ſind, wie
ich, bey dem Drang der Noth und des Elends
ſehr ſchwach; darum denke ich immer, man ſollte
mehr thun, um allen Armen Arbeit und Brod zu
verſchaffen. Ich glaube ſie wuͤrden denn alle auch
beſſer ſeyn, als ſie in der Verwirrung ihrer Roth
und ihres vielen Jammers jezo ſind.
Gertrud. O Lieber! Das iſt bey weitem
nicht ſo; wenn es nichts als Arbeit und Verdienſt
brauchte, die Armen gluͤcklich zu machen: ſo wuͤrde
bald geholfen ſeyn. Aber das iſt nicht ſo; bey
Reichen und bey Armen muß das Herz in Ord-
nung ſeyn, wenn ſie gluͤcklich ſeyn ſollen. Und
zu dieſem Zweck kommen die weit mehrern Men-
ſchen eher durch Roth und Sorgen, als durch
Ruhe und Freuden; Gott wuͤrde uns ſonſt wohl
gerne lauter Freude goͤnnen. Da aber die Men-
ſchen Gluͤck und Ruhe und Freuden nur alsdenn
ertragen koͤnnen, wenn ihr Herz zu vielen Ue-
berwindungen gebildet, ſtandhaft, ſtark, ge-
dultig und weiſe iſt, ſo iſt offenbar nothwendig,
daß viel Elend und Roth in der Welt ſeyn muß;
denn ohne das koͤmmt bey wenigen Menſchen das
Herz in Ordnung und zur innern Ruhe. Und wo
das
[81] das mangelt, ſo iſts gleich viel, der Menſch mag
Arbeit haben oder nicht; er mag Ueberfluß haben
oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er
will, und ſteckt alle Tage im Wirthshauſe. Da-
bey aber iſt er nicht gluͤcklicher als der arme Waͤch-
ter, der’s nicht hat; und ob er gleich auch alle
Tage duͤrſtet, dennoch nur dann und wann ein
Glas Wein in ſeinem Winkel findet. Lienhard
ſeufzte, und Gertrud ſchwieg auch eine Weile, dann
ſagte ſie: Haſt du auch nachgeſehen, ob die Geſellen
arbeiten? Ich muß dir ſagen, der Joſeph iſt heute
wieder ins Wirthshaus geſchlichen.
Lienhard. Das iſt verdrießlich! Gewiß hat
ihn der Vogt kommen laſſen. Er hat ſich eben gar
ſonderbarlich aufgefuͤhrt. Ich bin, ehe ich heim
kam, bey ihnen auf der Arbeit geweſen, und wenn
er eben aus dem Wirthshaus gekommen iſt: ſo
macht mir das, was er geſagt hat, Unruhe; es
iſt denn nicht aus ſeinem Hafen.
Gertrud. Was iſt’s denn?
Lienhard. Er ſagte: der Stein aus dem
Schwendibruch waͤre ſo vortrefflich zur Kirch-
mauer, und da ich ihm antwortete, die groſſen
Feldkieſel, die in Menge nahe da herum laͤgen,
waͤren viel beſſer, ſagte er; ich woll immer ein
Narr bleiben und meine Sachen nie recht anſtellen.
Die Mauer werde von den Schwendiſteinen viel
ſchoͤner und anſehnlicher werden. Ich dachte eben,
Fer
[82] er ſage das ſo aus guter Meynung. Doch hat er ſo
ploͤtzlich von dem Stein angefangen, daß es mich
ſchon da ſonderbar duͤnkte; und wenn er beym Vogt
geweſen iſt, ſo ſteckt gewiß etwas darhinter. Der
Schwendiſtein iſt muͤrb und ſandigt, und zu dieſer
Arbeit gar nichts nuͤtze. Wenn das eine Fuchsfalle
waͤre?
Gertrud. Joſeph iſt nicht durch und durch
gut. Nimm dich in Acht.
Lienbard. Da fangen ſie mich nicht. Der
Junker will keine Sandſteine an der Mauer haben.
Gertrud. Warum das?
Lienhard. Er ſagte, weil um [...] an der
Mauer Miſtſtellen und Ablaͤufe von Staͤllen waͤ-
ren: ſo wuͤrde der Sandſtein faulen, und vom
Salpeter angefreſſen werden.
Gertrud. Iſt das wahr?
Lienhard. Ja; Ich habe ſelbſt einmal in der
Fremde an einem Gebaͤude gearbeitet, da man
das ganze Fundament, das von Sandſteinen war,
wieder hat wegnehmen muͤſſen.
Gertrud. Daß er das ſo verſteht?
Lienhard. Es verwunderte mich ſelber, aber
er verſtehts vollkommen. Er fragte mich auch,
wo der beſte Sand ſey. Ich ſagte: im Schachen
bey der untern Muͤhlin.
Das iſt ſehr weit zu fuͤhren und Berg an,
antwortete er: man muß Leute und Vieh ſchonen.
Weiſſeſt
[83] Weiſſeſt du keinen, der naͤher waͤre? Ich ſagte, es
ſey gerad oben an der Kirche ſehr reines Sand im
Mattenbuͤhl; aber es ſey eigenthuͤmliches Land:
man muͤßte die Grube zahlen, und koͤnnte nicht
anders als durch Matten fahren, wo man einen
Abtrag wuͤrde thun muͤſſen. Das ſchadet nichts,
antwortete er, es iſt beſſer, als Sand aus dem
Schachen herauf holen. Ja ich muß dir noch et-
was erzaͤhlen.
Eben da er vom Sand redete, meldete der
Knecht den Junker von Oberhofen. Ich glaubte,
ich muͤßte jezt ſagen, ich wollte ihn nicht aufhalten
und ein andermal kommen. Er lachte und ſagte:
Nein, Maͤurer! ich mache gern eine Arbeit aus,
und erſt wenn ich fertig bin, ſehe in dann, wer
weiter etwas mit mir wolle. Du kommſt mir
eben recht mit deinem Abſchied nehmen. Es ge-
hoͤrt zu deiner alten Ordnung, die aufhoͤren muß,
ſo liederlich bey jedem Anlaß Geſchaͤffte und Arbeit
liegen zu laſſen.
Ich kratzete hinter den Ohren, Frau! haͤtte
ich nur auch mit meinem ein andermal kommen
geſchwiegen.
Es hat dir auch etwas gehoͤrt, ſagte Gertrud,
und eben rief jemand vor der Thuͤre Holaho! Iſt
Niemand daheim?
F 2§. 14.
[84]
§. 14.
Niedriger Eigennutz.
Der Maͤurer machte die Thuͤre auf, und die
Schnabergritte, des Siegriſten Sohnsfrau, und
des Vogts Bruders ſel. Tochter, kam in die Stube.
Nachdem ſie den Maͤurer und die Frau gegruͤßt,
dabey aber den Mund nur ein klein wenig aufge-
than hatte, ſagte ſie zu ihm:
Du wirſt wohl jezt nicht mehr unſern ſchlech-
ten Ofen beſtreichen wollen? Lienhard!
Lienhard. Warum denn das nicht, Frau
Nachbarinn? fehlt etwas daran?
Gritte. Nein, jezt gar nicht; ich wollte nur
in der Zeit fragen, damit ich in der Noth wiſſe,
woran ich ſey.
Lienhard. Du biſt ſo ſorgfaͤltig, Grittlj! es
haͤtte aber uͤbel fehlen koͤnnen.
Gritte. Ja, die Zeiten aͤndern ſich, und mit
ihnen die Leute auch.
Lienhard. Das iſt wohl wahr: aber Leute
zum Ofen beſtreichen findet man doch immer.
Gritte. Das iſt eben der Vortheil.
Gertrud, die bis jezt ſo geſchwiegen hatte, nimmt
das Brodmeſſer von der Wand, und ſchneidet von
einem altgebachenen Rokkenbrod ein zur Nachtſuppe.
Das
[85]
Das iſt ſchwarz Brod, ſagt Gritte. Es giebt
aber jezt bald beſſers, da dein Mann Herr Schloß-
maͤurer geworden iſt.
Du biſt naͤrriſch, Gritte! Ich will Gott dan-
ken, wenn ich mein Lebtag genug ſolches habe,
ſagte Gertrud.
Und Gritte: Weiß Brod iſt doch beſſer, und
wie ſollt’s fehlen? Du wirſt noch Frau Unter-
voͤgtinn, und dann dein Mann vielleicht Herr Un-
tervogt; aber es wuͤrde uns dabey uͤbel gehen.
Lienhard. Was willſt du mit dem Sticheln?
Ich habe das nicht gern; gerade heraus iſt Meiſter,
wenn man was hat, das man ſagen darf.
Gritte. Ha, Maͤurer, das darf ich, wenn’s
ſeyn muß. Mein Mann iſt doch auch des Siegri-
ſten Tochtermann, und es iſt, ſo lange die Kirche
ſteht, nie erhoͤrt worden, daß, wenn es Arbeit
daran gegeben hat, des Siegriſten ſeine Leute nicht
den Vorzug gehabt haͤtten.
Lienhard. Und jezt was weiters?
Gritte. Ja, und jezt, eben jezt hat der Un-
tervogt einen Zedel im Haus, darinn mehr als
ein Dutzend der groͤßſten Lumpen aus dem Dorf
als Arbeiter bey dem Kirchbau aufgezeichnet ſind,
und von des Siegriſten Leuten ſteht kein Wort da-
rinn.
Lienhard. Aber Frau Nachbarinn, was geht
das mich an? Hab’ ich den Zedel geſchrieben?
F 3Gritte.
[86]
Gritte. Nein, geſchrieben haſt du ihn nicht;
aber, ich denk wohl, angegeben.
Lienhard. Das waͤr wohl viel, wenn ich dem
Junker ſeine Zedel angeben muͤßte.
Gritte. Ha, einmal weiß man, daß du alle
Tage im Schloß ſteckſt, und gerad heute wieder
dort warſt. Und wenn du auch berichtet haͤtteſt,
wie es vor dieſem geweſen iſt, ſo waͤr es beym
Alten geblieben.
Lienhard. Du gehſt an den Waͤnden, Gritte,
wenn du das glaubſt. Arner iſt nicht der Mann,
der beym Alten bleibt, wenn er glaubt, er koͤnn’s
mit dem Neuen beſſer machen.
Gritte. Man ſieht’s —
Lienhard. Und zu dem wollte er mit dem
Verdienſt den Armen und Nothleidenden aufhelfen.
Gritte. Ja eben will er nur Lumpen- und
Bettelgeſindel aufhelfen.
Lienhard. Es ſind nicht alle Arme Geſindel,
Gritte; Man muß [ni]e ſo reden. Es weiß keiner,
wie’s ihm gehn wird, bis er unter den Boden kom-
men wird.
Gritte. Eben das iſt’s. Es muß ein jeder fuͤr
ſein Stuͤck Brod ſorgen; und darum thut’s uns
auch weh, daß man unſer ſo gar vergeſſen hat.
Lienhard. Ach Gritte! Das iſt jezt was an-
ders. Du haſt ſchoͤne Guͤter, und iſſeſt bey dei-
nem Vater, und dieſer hat das beſte Verdienſt im
Dorf
[87] Dorf und du mußſt nicht, wie unſere Armen, fuͤr
das taͤgliche Brod ſorgen.
Gritte. Du magſt jezt ſagen, was du willſt.
Es thut einem jeden weh, wenn er glaubt, es ge-
hoͤre ihm etwas, und wenn es ihm dann ein an-
derer Hund vor dem Maul wegfrißt.
Lienhard. Spare die Hunde, Grittli, wenn
du von Menſchen redeſt, ſonſt findeſt du einſt einen,
der dich beißt. Und wenn du glaubſt, das Ver-
dienſt gehoͤre dir, ſo biſt du jung und ſtark, und ſo
haſt du gute Fuͤſſe und ein gutes Mundſtuͤck; du
kannſt alſo deine Sache ſelbſt an Ort und Stelle
hintragen und anbringen, wo man dir zu deinem
Recht verhelfen kann.
Gritte. Groſſen Dank, Herr Maͤurer! fuͤr
den ſchoͤnen Rath.
Lienhard. Ich kann keinen beſſern geben.
Gritte. Es giebt etwan auch wieder Gelegen-
heit, den Dienſt zu erwiedern — Leb wohl, Lie-
nert! —
Lienhard. Leb auch wohl, Gritte! Ich kann
dir nicht beſſer helfen.
Gritte geht fort, und Lienhard zu ſeinen Ge-
ſellen.
F 4§. 15.
[88]
§. 15.
Der klugen Gans entfaͤllt ein Ey; oder
eine Dummheit, die ein Glas Wein
koſtet.
Dieſer war heute am Morgen nicht ſo bald aus
dem Schloß weg, ſo ſandte Arner den Zedel, in
dem er die Tagloͤhner aufgeſchrieben hatte, durch
den Harſchier Flink dem Vogt, mit dem Befehl,
es ihnen anzuzeigen. Der Harſchier brachte den
Befehl dem Vogt noch Vormittag; aber bisher
waren ſonſt alle Briefe, die aus dem Schloß an
ihn kamen, uͤberſchrieben: “An den ehrſamen und
beſcheidenen, meinen lieben und getreuen Vogt
Hummel in Bonnal„ und auf dieſem ſtand nur:
An den Vogt Hummel in Bonnal.
Was denkt der verdammte Spritzer, der Schloß-
ſchreiber, daß er mir den Tittel nicht giebt, wie
er mir gehoͤrt, ſagte der Vogt, ſo bald er den Brief
in die Hand nahm, zu Flink, der ihn uͤberbrachte.
Der Harſchier aber antwortete: Beſinn dich,
Vogt! was du redeſt. Der Junker hat den Brief
ſelbſt uͤberſchrieben.
Vogt. Das iſt nicht wahr. Ich kenne die
Hand des gepuderten Bettelbuben, des Schreibers.
Flink
[89]
Flink ſchuͤttelte den Kopf und ſagte; Das iſt
herzhaft. Ich ſah mit meinen Augen, daß der
Junker ihn uͤberſchrieb; ich ſtand neben ihm in
der Stube, als er’s that.
Vogt. So hab ich mich denn verdammt ge-
irrt, Flink! Das Wort iſt mir ſo entfahren —
Vergiß es, und komm, trink ein Glas Wein mit
mir in der Stube.
Nimm dich ein andermal in Acht, Vogt! Ich
mache nicht gern Ungelegenheit, ſonſt koͤnnte das
geben, ſagt Flink — geht mit dem Vogt in die
Stube, ſtellt das kurze Gewehr ab, in einen Ecken,
laͤßt ſich eins belieben, und geht dann wieder fort.
Da machte der Vogt den Brief auf, las ihn
und ſagte:
Das ſind ja alles lauter Lumpen und Bettler,
vom erſten bis zum letzten. Donner! wie das denn
auch geht. Von meinen Leuten kein einziger, als
der Schabenmichel! Nicht einmal einen Tagloͤh-
ner kann ich ihm mehr aufſalzen. Und jezt ſoll ich
es ihnen heute noch anſagen; das iſt ſchwere Ar-
beit fuͤr mich. Aber ich will’s thun. Es iſt noch
nicht aller Tage Abend. Gerade jezt will ich’s an-
ſagen, und ihnen rathen, am Montag ins Schloß
zu gehn, dem Junker zu danken. Er kennt von den
Purſchen nicht einen. Es fehlt nicht, der Maͤurer hat
ſie ihm alle angerathen. Wenn ſie denn am Montag
ins Schloß kommen, und ſo alle miteinander zerriſ-
F 5ſen
[90] ſen wie Hergeloffene — der eine ohne Schuh, der
andre ohne Hut, vor dem Erbherren da ſtehn; es
nimmt mich Wunder, ob es dann nichts geben
wird, das mir in meinen Kram dient. So rath-
ſchlagt er mit ſich ſelber, kleidet ſich an, und nimmt
dann wieder den Zedel zur Hand, um zu ſehen, wie
einer dem andern in der Naͤhe wohne, damit er
den Weg nicht zweymal gehn muͤſſe.
Der Huͤbelrudj war zwar nicht der naͤchſte;
aber er gieng, ſeit dem er ſeinem Vater die Brun-
nenmatte abgerechtiget hatte, nicht mehr gern in
ſein Haus; denn es ſtiegen ihm allemal allerhand
Gedanken auf, wenn er die armen Leute darinn ſah.
Ich will zuerſt geſchwind zu dem Pack, ſagt er,
und gieng alſobald hin fuͤr das Fenſter.
§. 16.
[91]
§. 16.
Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt ein
Sterbbett.
Der Huͤbelrudi ſaß eben bey ſeinen vier Kin-
dern. Vor drey Monaten war ihm ſeine Frau ge-
ſtorben, und jezt lag ſeine Mutter ſterbend auf ei-
nem Strohſack, und ſagte zu Rudi;
Suche mir doch Nachmittag etwas Laub in
meine Decke, ich friere.
O Mutter! ſo bald das Feuer im Ofen ver-
loſchen ſeyn wird, will ich gehen.
Die Mutter. Haſt du auch noch Holz, Rudi?
Ich denke wohl, nein; du kannſt nicht in den
Wald von mir und den Kindern weg. O Rudi!
ach, ich bin dir zur Laſt —
Rudi. O Mutter, Mutter! ſag doch das
nicht, du biſt mir nicht zur Laſt. Mein Gott!
mein Gott! Koͤnnte ich dir nur auch, was du noͤ-
thig haſt, geben. — Du duͤrſteſt, du hungerſt, und
klagſt nicht. Das geht mir ans Herz, Mutter!
Die Mutter. Graͤme dich nicht, Rudi! Mei-
ne Schmerzen ſind, Gott Lob! nicht groß; und Gott
wird bald helfen, und mein Segen wird dir loh-
nen, was du mir thuſt.
Rudj.
[92]
Rudi. O Mutter! Noch nie that mir meine
Armuth ſo weh, als jezt, da ich dir nichts geben
und nichts thun kann. Ach Gott! ſo krank und
elend leideſt du, und traͤgſt du meinen Mangel —
Die Mutter. Wenn man ſeinem Ende nahe
iſt, ſo braucht man wenig mehr auf Erden, und
was man braucht, gibt der Vater im Himmel. Ich
danke ihm, Rudi; er ſtaͤrkt mich in meiner nahen
Stunde.
Rudi. (in Thraͤnen) Meynſt du denn, Mut-
ter! du erholeſt dich nicht wieder?
Die Mutter. Nein, Rudi! Gewiß nicht.
Rudi. O mein Gott!
Die Mutter. Troͤſte dich, Rudi! Ich gehe
ins beſſere Leben.
Rudi. (ſchluchzend) O Gott!
Die Mutter. Troͤſte dich, Rudi! Du warſt
die Freude meiner Jugend, und der Troſt meines
Alters. Und nun danke ich Gott! Deine Haͤnde
werden jezt bald meine Augen ſchlieſſen. Dann
werde ich zu Gott kommen, und ich will fuͤr dich
beten, und es wird dir wohl gehen ewiglich. Denk
an mich, Rudi. Alles Leiden und aller Jammer
dieſes Lebens, wenn ſie uͤberſtanden ſind, machen
einem nur wohl. Mich troͤſtet und mir iſt wie heilig
alles, was ich uͤberſtanden habe, ſo gut als alle Luſt
und Freude des Lebens. Ich danke Gott, fuͤr dieſe
frohe Erquickung der Tage meiner Kindheit; aber
wenn
[93] wenn die Frucht des Lebens im Herbſt reifet, und
wenn der Baum ſich zum Schlafe des Winters ent-
blaͤttert: dann iſt das Leiden des Lebens ihm hei-
lig, und die Freuden des Lebens ſind ihm nur ein
Traum. Denk an mich, Rudi! Es wird dir wohl
gehen bey allem deinem Leiden.
Rudi. O Mutter! Liebe Mutter!
Die Mutter. Aber jezt noch eins, Rudi.
Rudi. Was? Mutter!
Die Mutter. Es liegt mir ſeit geſtern, wie
ein Stein, auf dem Herzen. Ich muß dir’s ſagen.
Rudi. Was iſt’s denn, liebe Mutter?
Die Mutter. Ich ſah geſtern, daß ſich der
Rudeli hinter meinem Bette verſteckte, und gebra-
tene Erdaͤpfel aus ſeinem Sack aß. Er gab auch
ſeinen Geſchwiſtern, und auch ſie aſſen verſtohlen.
Rudi! Dieſe Erdaͤpfel ſind nicht unſer; ſonſt wuͤrde
der Junge ſie auf den Tiſch geworfen, und ſeinen
Geſchwiſtern laut gerufen haben, ach! er wuͤrde
auch mir einen gebracht haben, wie ers tauſendmal
that. Es gieng mir allemal ans Herz, wenn er ſo
mit etwas auf den Haͤnden zu mir ſprang, und ſo
herzlich zu mir ſagte: Iß auch, Großmutter! O Ru-
di! wenn dieſer Herzensjunge ein Dieb werden ſollte.
O Rudi! wie mir dieſer Gedanke ſeit geſtern ſo
ſchwer macht! Wo iſt er? Bring mir ihn, ich
will mit ihm reden.
Rudi.
[94]
Rudi. O ich Elender! (Er laͤuft geſchwind,
ſucht den Knaben und bringt ihn der Mutter an’s
Bett).
Die Mutter ſetzt ſich muͤhſelig zum letztenmal
auf, kehrt ſich gegen den Knaben, nimmt ſeine
beyden Haͤnde in ihre Arme und ſenkt das ſchwache
ſterbende Haupt hinab auf den Knaben.
Der Kleine weint laut — Großmutter! Was
willſt du? Du ſtirbſt doch nicht — ach ſtirb doch
nicht, Großmutter!
Sie antwortet gebrochen, Ja Rudeli! ich werde
gewiß bald ſterben.
Jeſus! ach mein Gott! ſtirb doch nicht Groß-
mutter, ſagt der Kleine.
Die Kranke verliert den Athem und muß ſich
niederlegen.
Der Knab und ſein Vater zerflieſſen in Thraͤ-
nen —
Sie erholt ſich aber bald wieder und ſagt: Es
iſt mir ſchon wieder beſſer, da ich jezt liege —
Und der Rudeli! Du ſtirbſt doch jezt nicht
mehr, Großmutter!
Die Mutter. Thu doch nicht ſo, du Lieber!
ich ſterbe ja gern; und werde denn auch zu einem
lieben Vater kommen. Wenn du wuͤßteſt, Rudeli!
wie es mich freut, daß ich bald zu ihm kommen
ſoll, du wuͤrdeſt dich nicht ſo betruͤben.
Rudeli.
[95]
Rudeli. Ich will mit dir ſterben, Großmut-
ter, wenn du ſtirbſt.
Die Mutter. Nein, Rudeli! du wirſt nicht
mit mir ſterben, du wirſt, will’s Gott, noch lang
leben und brav werden; und wenn einſt dein Vater
alt und ſchwach ſeyn wird, ſeine Huͤlfe und ſein
Troſt ſeyn. Gelt Rudeli! du willſt ihm folgen,
und brav werden und recht thun. Verſprich mir’s,
du Lieber!
Rudeli. Ja, Großmutter! ich will gewiß recht
thun und ihm folgen.
Die Mutter. Rudelj! Der Vater im Him-
mel, zu dem ich jezt bald kommen werde, ſieht
und hoͤrt alles, was wir thun und was wir ver-
ſprechen! Gelt Rudelj, du weißſt das? und du
glaubſt es.
Rudeli. Ja, Großmutter! ich weiß es, und
glaube es.
Die Mutter. Aber warum haſt du denn doch
geſtern hinter meinem Bette verſtohlen Erdaͤpfel ge-
geſſen?
Rudeli. Verzeih mir’s doch, Großmutter!
ich will’s nicht mehr thun. Verzeih mir’s doch,
ich will’s gewiß nicht mehr thun. Großmutter!
Die Mutter. Haſt du ſie geſtohlen?
Rudeli. (Schluchzend) j. j. ja, Großmutter!
Die Mutter. Wem haſt du ſie geſtohlen?
Rudeli. Dem Maͤu-Maͤu-Maͤurer.
Die
[96]
Die Mutter. Du mußſt zu ihm gehen, Ru-
deli! und ihn bitten, daß er dir verzeihe.
Rudeli. Großmutter! um Gottes willen, ich
darf nicht!
Die Mutter. Du mußſt, Rudeli! damit du
es ein andermal nicht mehr thuſt. Ohne Wider-
rede mußſt du gehen! und um Gottes willen, mein
Lieber! wenn dich ſchon hungert, nimm doch nichts
mehr. Gott verlaͤßt niemand; er gibt allemal
wieder — O Rudeli! wenn dich ſchon hungert;
wenn du ſchon nichts haſt und nichts weißſt, traue
auf deinen lieben Gott, und ſtihl nicht mehr.
Rudeli. Großmutter, Großmutter! ich will
gewiß nicht mehr ſtehlen; wenn mich ſchon hun-
gert; ich will nicht mehr ſtehlen.
Die Mutter. Nun ſo ſegne dich denn mein
Gott! auf den ich hoffe — und er bewahre dich
du Lieber! Sie druͤckt ihn an ihr Herz, weinet
und ſagt dann: Du mußſt jezt zum Maͤurer gehen
und ihn um Verzeihung bitten. Rudi! gehe doch
auch mit ihm — und ſag des Maͤurers, daß auch ich
ſie um Verzeihung bitte, und daß es mir leid ſey,
daß ich ihnen die Erdaͤpfel nicht zuruͤck geben koͤnne —
ſage ihnen ich wollte Gott fuͤr ſie bitten, daß er
ihnen ihr Uebriges ſegne — Es thut mir ſo wehe —
Sie haben das Ihrige auch ſo noͤthig — und wenn die
Frau nicht ſo Tag und Nacht arbeitete, ſie koͤnn-
tens bey ihrer groſſen Haushaltung faſt nicht er-
machen.
[97] machen. Rudi! du arbeiteſt ihm gern ein paar
Tage dafuͤr, daß er das Seinige wieder erhalte.
Rudi. Ach mein Gott! von Herzen gern,
meine liebe Mutter!
Da er eben das ſagte, klopfte der Vogt ans
Fenſter.
§. 17.
Die kranke Frau handelt vortrefflich.
Und die Kranke erkannte ihn an ſeinem Huſten,
und ſagte: O Gott! Rudi! Es iſt der Vogt! Ge-
wiß ſind das Brod und der Anken, wovon du mir
Suppen kocheſt, noch nicht bezahlt.
Rudi. Um Gottes willen, bekuͤmmere dich nicht,
Mutter! Es iſt nichts daran gelegen. Ich will
ihm arbeiten und in der Ernde ſchneiden, was
er will.
Ach! er wartet dir nicht, ſagt die Mutter, und
der Rudi geht aus der Stube zum Vogt.
Die Kranke aber ſeufzet bey ſich ſelber, und
ſagt —
Seit unſerm Handel, Gott verzeih ihn dem
armen verblendeten Tropf! iſt mir immer ein
Stich in’s Herz gegangen, wenn ich ihn ſah —
GAch
[98] Ach Gott! und in meiner nahen Stunde muß er
noch vor mein Fenſter kommen und huſten — Es
iſt Gottes Wille, daß ich ihm ganz, daß ich ihm
jezt verzeihe, und den letzten Groll uͤberwinde, und
fuͤr ſeine Seele bete. Ich will es thun.
Gott du leiteteſt den Handel! Verzeih ihm.
Vater im Himmel! Verzeih ihm. Sie hoͤrt jezt
den Vogt laut reden, erſchrickt und ſagt:
Ach Gott, er iſt zornig! O du armer Rudi!
Du kommſt um meinetwillen unter ſeine Haͤnde.
Sie hoͤrt ihn noch einmal reden, und ſinkt in
Ohnmacht.
Der Rudeli ſpringt aus der Stube zum Va-
ter und ruft ihm: Vater! Komm doch, komm
doch! die Großmutter iſt glaub ich todt.
Der Rudi antwortete: Herr Jeſus! Vogt ich
muß in die Stube.
Und der Vogt: Ja es thut Noth; das Un-
gluͤck wird gar groß ſeyn, wenn die Hexe einmal
todt ſeyn wird.
Der Rudi hoͤrte nicht, was er ſagte, und war
ſchnell in der Stube.
Die Kranke erholte ſich bald wieder, und wie
ſie die Augen oͤffnete, ſagte ſie: Er war zornig,
Rudi? Er will dir gewiß nicht warten.
Rudi. Nein Mutter! es iſt etwas recht Gu-
tes. Aber haſt du dich auch wieder recht er-
holet?
Ja,
[99]
Ja, ſagt die Mutter! ſieht ihn ernſthaft und
wehmuͤthig an. Was Gutes kann dieſer bringen?
Was ſagſt du? willſt du mich troͤſten, und allein
leiden? Er hat dir gedrohet!
Rudi. Nein, weiß Gott, Mutter! er hat
mir angeſagt, ich ſey Tagloͤhner beym Kirchbau;
und der Junker zahle einem des Tags 25 Kreuzer.
Die Mutter. Herr Gott! iſt das auch wahr?
Rudi. Ja gewiß, Mutter! und es iſt da
mehr als fuͤr ein ganzes Jahr Arbeit.
Die Mutter. Nun ich ſterbe leichter, Rudi!
Du biſt gut, mein lieber Gott. Sey doch bis an
ihr Ende ihr guter Gott! Und Rudi, glaub’s doch
ewig veſt:
Sie ſchwieg jezt eine Weile; dann ſagte ſie
wieder:
Ich glaube, es ſey mit mir aus — Mein Athem
nimmt alle Augenblicke ab — Wir muͤſſen ſcheiden,
Rudi, ich will Abſchied nehmen.
Der Rudi bebt, zittert, nimmt ſeine Kappe
ab, faͤllt auf ſeine Knie, vor dem Bette ſeiner
Mutter, faltet ſeine Haͤnde, hebt ſeine Augen gen
Himmel, und kann vor Thraͤnen und Schluch-
zen nicht reden.
Dann ſagt die Mutter: Faſſe Muth, Rudi!
zu hoffen auf’s ewige Leben, wo wir uns wieder
G 2ſehn
[100] ſehn werden. Der Tod iſt ein Augenblick, der
voruͤber geht; ich fuͤrchte ihn nicht. Ich weiß,
daß mein Erloͤſer lebt, und daß er, mein Erret-
ter, wird uͤber meinen Staub ſtehen; und nach-
dem ſich meine Haut wiederum wird uͤber das
Gebein gezogen haben; alsdann werde ich in mei-
nem Fleiſch Gott ſehen. Meine Augen werden
ihn ſehen, und nicht eines andern.
Der Rudi hatte ſich jezt wieder erholt, und
ſagte: ſo gieb mir deinen Segen Mutter! Will’s
Gott komme ich dir auch bald nach, ins ewige
Leben.
Und dann die Mutter:
Erhoͤre mich, Vater im Himmel! und gieb
deinen Segen meinem Kind — meinem Kind, dem
Einigen, ſo du mir gegeben haſt, und das mir ſo
innig lieb iſt — Rudi! mein Gott und mein Er-
loͤſer ſey mit dir; und wie er Iſaak und Jacob um
ihres Vaters Abrahams willen Gutes gethan hat,
ach! ſo moͤge er auch, um meines Segens wil-
len, dir Gutes thun die Fuͤlle; daß dein Herz ſich
wieder erfreue und frohlocke, und ſeinen Namen
preiſe.
Hoͤre mich jezt, Rudi! und thue, was ich ſage.
Lehre deine Kinder Ordnung und Fleiß, daß ſie in
der Armuth nicht verlegen, unordentlich und lie-
derlich werden. Lehre ſie auf Gott im Himmel
trauen und bauen, und Geſchwiſter an einander blei-
ben
[101] ben in Freude und Leid: ſo wird’s ihnen auch in
ihrer Armuth wohlgehen.
Verzeihe auch dem Vogt, und wenn ich todt
und begraben ſeyn werde, ſo geh zu ihm hin, und
ſage ihm: ich ſey mit einem verſoͤhnten Herze gegen
ihn geſtorben; Und wenn Gott meine Bitte er-
hoͤre, ſo werde es ihm wohlgehen, und er werde
noch zur Erkenntniß ſeiner ſelbſt kommen, ehe er
von hinnen ſcheiden werde.
Nach einer Weile ſagte dann die Mutter wieder:
Rudi! Gieb mir meine zwo Bibeln, mein Gebetbuch
und eine Schrift, die unter meinem Halstuch in
einem Schaͤchtelchen liegt.
Und Rudi ſtand von ſeinen Knien auf, und
brachte alles der Mutter.
Da ſagte ſie: Bring mir jezt auch die Kinder
alle. Er brachte ſie vom Tiſch, wo ſie ſaſſen und
weinten, zu ihrem Bett.
Und auch dieſe fielen auf ihre Knie vor dem
Bette der Mutter.
Da ſagte ſie zu ihnen: Weinet nicht ſo, ihr
Lieben! Euer Vater im Himmel wird euch er-
halten, und euch ſegnen. Ihr waret mir lieb,
ihr Theuern! und es thut mir weh, daß ich euch
ſo arm und ohne eine Mutter verlaſſen muß. —
Aber hoffet auf Gott, und trauet auf ihn in allem,
was euch begegnen wird; ſo werdet ihr an ihm
G 3immer
[102] immer mehr als Vaterhuͤlfe und Muttertreue fin-
den. Denket an mich, ihr Lieben! ich hinterlaſſe
euch zwar nichts; aber ihr waret mir lieb, und ich
weiß, daß ich euch auch lieb bin.
Da meine Bibeln und mein Gebetbuch, ſind
faſt alles, was ich noch habe; aber haltet es nicht
gering, Kinder! Es war in meinem ſchweren Le-
ben mir tauſendmal Troſt und Erquickung. Laſ-
ſet Gottes Wort euch euern Troſt ſeyn, Kinder!
und euere Freude; und liebet einander, und helfet
und rathet einander, ſo lang ihr leben werdet;
und ſeyd aufrichtig, treu, liebreich und gefaͤllig
gegen alle Menſchen, ſo wird’s euch wohl gehen
im Leben.
Und du, Rudi! behalte dem Betheli die groͤſ-
ſere, und dem Rudeli die kleinere Bibel; und
dem Kleinen die zwey Betbuͤcher zum Angedenken
von mir.
Ach, dir habe ich keines, Rudi! Aber du haſt
keines noͤthig: du vergiſſeſt meiner nicht.
Dann ruft ſie noch einmal dem Rudeli: Gieb
mir deine Hand, du Lieber! Gelt, du nimmſt doch
niemand nichts mehr?
Nein doch auch, Großmutter! glaub mir’s
doch auch: ich werde gewiß niemand nichts neh-
men, ſagte der Rudeli, mit heiſſen Thraͤnen.
Nun ich will dir’s glauben, und zu Gott fuͤr dich
beten, ſagte die Mutter. Sieh Lieber! da geb ich
deinem
[103] deinem Vater ein Papier, das mir der Herr Pfar-
rer gab, bey dem ich diente. Wenn du aͤlter ſeyn
wirſt: ſo lies es, und denk an mich, und ſey fromm
und treu.
Es war ein Zeugniß von dem verſtorbenen Pfar-
rer in Eichſtaͤtten, daß die kranke Cathrine zehn Jahre
bey ihm gedienet, und ihm ſo zu ſagen geholfen
haͤtte, ſeine Kinder erziehen, nachdem ſeine Frau
ihm geſtorben war; daß der Cathrine alles anver-
traut geweſen ſey, und daß ſie alles wohl ſo ſorg-
faͤltig als ſeine Frau ſel. regiert habe. Der Pfar-
rer dankt ihr darum, und ſagt: daß ſie wie eine
Mutter an ſeinen Kindern gehandelt habe; und
daß er in ſeinem Leben nicht vergeſſen werde,
was ſie in ſeinem Witwenſtand an ihm gethan
habe. Sie hatte auch wirklich ein betraͤchtli-
ches Stuͤck Geld in dieſem Dienſt erworben, und
ſolches ihrem ſel. Mann an die Matte gege-
ben, die der Vogt ihnen hernach wieder abproceſ-
ſiert hat.
Nachdem ſie dem Rudi dieſes Papier gegeben
hatte, ſagte ſie ferner — Es ſind noch zwey gute
Hemder da. Gieb mir keines von dieſen ins Grab;
das, ſo ich trage, iſt recht.
Und meinen Rock und meine zwey Fuͤrtuͤcher
laſſe, ſo bald ich todt ſeyn werde, den Kindern ver-
ſchneiden.
G 4Und
[104]
Und dann ſagte ſie bald darauf: Siehe doch ſorg-
faͤltig zum Betheli, Rudi! es iſt wieder ſo fluͤßig.
Halte die Kinder doch immer rein mit Waſchen und
Strehlen, und ſuche ihnen doch alle Jahr Ehren-
preis und Hollunder *), ihr Gebluͤt zu verbeſſern; ſie
ſind ſo verderbt. Wenn du’s immer kannſt, ſo thue
doch ihnen eine Geiß zu den Sommer durch, das
Bethelj kann ſie jezt huͤten — Du dauerſt mich,
daß du ſo alleine biſt; aber faſſe Muth, und thue,
was du kannſt. Der Verdienſt an dem Kirchbau
erleichtert dich jezt auch wieder — Ich danke Gott
auch fuͤr dieſes.
Die Mutter ſchwieg jezt — und der Vater und
die Kinder blieben noch eine Weile auf ihren Knien,
und der Vater und die Kinder beteten alle Gebete,
die ſie konnten. Dann ſtuhnden ſie auf von ihren
Knien, und Rudi ſagt zu der Mutter:
Mutter! ich will dir jezt auch das Laub in die
Decke holen.
Sie antwortete: Das hat jezt nicht Eil, Rudi!
Es iſt, Gott Lob! jezt waͤrmer in der Stube; Und
du mußſt mit dem Kleinen jezt zum Maͤurer.
Und der Rudi winkt dem Betheli aus der Stube,
und ſagt: Gieb auf die Großmutter acht, wenn ihr
etwas begegnet, ſo ſchick das Anneli mir nach; ich
werde bey des Maͤurers ſeyn.
§. 18.
[105]
§. 18.
Ein armer Knab bittet ab, daß er Erdaͤp-
fel geſtohlen hat, und die Kranke ſtirbt.
Und nahm dann den Kleinen an die Hand, und
gieng mit ihm.
Gertrud war allein bey Hauſe, als ſie kamen,
und ſah bald, daß der Vater und der Knab Thraͤ-
nen in den Augen hatten.
Was willſt du, Nachbar Rudi? Warum wei-
neſt du? warum weint der Kleine? fragte ſie lieb-
reich, und bot dem Kleinen die Hand.
Ach, Gertrud! Ich bin in einem Ungluͤck, ant-
wortete Rudi — Ich muß zu dir kommen, weil
der Rudeli euch etliche mal aus eurer Grube Erd-
aͤpfel genommen hat. Die Großmutter hat’s geſtern
gemerkt, und er hat’s ihr bekennt — Verzeih es
uns, Gertrud!
Die Großmutter iſt auf dem Todbett. Ach,
mein Gott! ſie hat ſo eben Abſchied bey uns ge-
nommen. Ich weiß vor Angſt und Sorge nicht,
was ich ſage. Gertrud! Sie laͤßt dich auch um
Verzeihung bitten.
Es iſt mir leid, ich kann ſie dir jezt nicht zu-
ruͤck geben; aber ich will gern ein paar Tage kom-
G 5men
[106] men dafuͤr zu arbeiten. Verzeih’s uns! der Knabe
hat’s aus dringendem Hunger gethan.
Gertrud. Schweig einmal hievon, Rudi! —
Und du, lieber Kleiner! komm, verſprich mir, daß
du Niemand nichts mehr nehmen willſt. Sie kuͤßt
ihn, und ſagt: Du haſt eine brave Großmutter,
werde doch auch ſo fromm und brav wie ſie.
Rudeli. Verzeih’ mir, Frau! Ich will, weiß
Gott! nicht mehr ſtehlen.
Gertrud. Nein, Kind! thue es nicht mehr;
du weiſſeſt jezt noch nicht, wie elend und ungluͤcklich
alle Dieben werden. Thue es doch nicht mehr!
Und wenn dich hungert, komm lieber zu mir und
ſag’ es mir. Wenn ich kann, ich will dir etwas
geben.
Rudi. Ich danke Gott, daß ich jezt bey der
Kirche zu verdienen habe, und hoffe, der Hun-
ger werde ihn nun auch nicht mehr ſo bald zu ſo
etwas verleiten.
Gertrud. Es hat mich und meinen Mann ge-
freut, daß der Junker mit dem Verdienſt auch an
dich gedacht hat.
Rudi. Ach! es freuet mich, daß die Mutter
noch den Troſt erlebt hat. Sage doch deinem
Mann, ich wolle ihm ehrlich und treu arbeiten,
und fruͤh und ſpaͤt ſeyn; und ich wolle mir die
Erdaͤpfel doch auch herzlich gern am Lohn abziehen
laſſen.
Ger-
[107]
Gertrud. Von dem iſt keine Rede, Rudi!
Mein Mann thut das gewiß nicht. Wir ſind, Gott
Lob! durch den Bau jezt auch erleichtert. Rudi!
Ich will mit dir zu deiner Mutter gehn, wenn es
ſo ſchlimm iſt.
Sie fuͤllt dem Rudeli ſeinen Sack mit duͤrrem
Obst — ſagt ihm noch einmal: Du Lieber! nimm
doch Niemand nichts mehr; und geht dann mit
dem Rudi zu ſeiner Mutter.
Und als er unter einem Nußbaum Laub zuſam-
men las, die Decke ihres Betts beſſer zu fuͤllen,
half ihm Gertrud Laub aufſammeln, und dann eil-
ten ſie zu ihr hin.
Gertrud gruͤßte die Kranke, nahm ihre Hand-
und weinte.
Du weineſt, Gertrud! ſagte die Großmutter;
wir ſollten weinen. Haſt du uns verziehen?
Gertrud. Ach! was verziehen. Cathrine!
Eure Noth geht mir zu Herzen, und noch mehr
deine Guͤte und deine Sorgfalt. Gott wird deine
Treue und deine Sorgfalt gewiß noch an den Dei-
nigen ſegnen, du Gute!
Cathrine. Haſt du uns verziehen, Gertrud?
Gertrud. Schweig doch hievon, Cathrine! Ich
wollte, ich koͤnnte dich in etwas in deiner Krank-
heit erleichtern.
Cathrine. Du biſt gut, Gertrud! Ich danke
dir; aber Gott wird bald helfen — Rudeli! Haſt
du
[108] du ſie um Verzeihung gebeten? Hat ſie’s dir ver-
ziehen?
Rudeli. Ja, Großmutter! ſieh doch, wie gut
ſie iſt. (Er zeigt ihr den Sack voll duͤrr Obst.)
Wie ich ſchlummere, ſagte die Großmutter.
Haſt du ſie auch recht um Verzeihung gebeten?
Rudeli. Ja, Großmutter! Es war mir ge-
wiß Ernſt.
Cathrine. Es uͤbernimmt mich ein Schlummer,
und es dunkelt vor meinen Augen — Ich muß ei-
len, Gertrud! ſagte ſie leiſe und gebrochen — Ich
wollte dich doch noch etwas bitten; aber darf ich?
Dieſes ungluͤckliche Kind hat dir geſtohlen — darf
ich dich doch noch bitten, Gertrud — wenn — —
ich — — todt ſeyn — — — dieſen armen — — ver-
laſſe--nen Kindern — — ſie ſind ſo verlaſſen — —
Sie ſtreckt die Hand aus — (die Augen ſind ſchon
zu) darf ich — — hoffen — — folg ihr — — —
Rud — — — Sie verſchied, ohne ausreden zu
koͤnnen.
Der Rudi glaubte, ſie ſey nur entſchlafen, und
ſagte den Kindern: Rede keines kein Wort; ſie
ſchlaͤft; wenn ſie ſich auch wieder erholte!
Gertrud aber vermuthete, daß es der Tod ſey,
und ſagt es dem Rudi.
Wie jezt dieſer und wie alle Kleinen die Haͤnde
zuſammen ſchlugen und troſtlos waren, das kann ich
nicht beſchreiben — Leſer — Laß mich ſchweigen und
wei-
[109] weinen, denn es geht mir an’s Herz — wie die
Menſchheit im Staube der Erden zur Unſterblichkeit
reifet, und wie ſie im Prunk und Tand der Erden
unreif verwelket.
Wege doch, Menſchheit! wege doch den Werth
des Lebens auf dem Todbette des Menſchen — und
du, der du den Armen verachteſt, bemitleideſt, und
nicht kenneſt — ſage mir, ob der alſo ſterben kann,
der ungluͤcklich gelebt hat? Aber ich ſchweige; ich
will euch nicht lehren, Menſchen! Ich haͤtte nur
diß gern, daß ihr ſelber die Augen aufthaͤtet, und
ſelbſt umſaͤhet, wo Gluͤck und Ungluͤck, Segen und
Unſegen in der Welt iſt.
Gertrud troͤſtete den armen Rudi, und ſagte
ihm noch den letzten Wunſch der edeln Mutter,
den er in ſeinem Jammer nicht gehoͤrt hatte.
Der Rudi nimmt treuherzig ihre Hand — Wie
mich die liebe Mutter reuet! wie ſie ſo gut war!
Gertrud! gelt, du willſt auch an ihre Bitte den-
ken?
Gertrud. Ich muͤßte ein Herz haben wie ein
Stein, wenn ich’s vergeſſen koͤnnte. Ich will an
deinen Kindern thun, was ich kann.
Rudi. Ach! Gott wird dir’s vergelten, was
du an uns thun wirſt.
Gertrud kehret ſich gegen das Fenſter, wiſcht
ihre Thraͤnen vom Angeſicht, hebt ihre Augen gen
Himmel, ſeufzet, nimmt dann den Rudeli und ſeine
Ge-
[110] Geſchwiſter, eins nach dem andern mit warmen
Thraͤnen, beſorgt die Todte zum Grabe, und geht
erſt, nachdem ſie alles, was noͤthig war, gethan
hatte, wieder in ihre Huͤtte.
§. 19.
Guter Muth troͤſtet, heitert auf und hilft;
Kummerhaftigkeit aber plagt nur.
Der Untervogt, der zuerſt zu Rudi gegangen war,
gieng von ihm weg zu den uͤbrigen Tagloͤhnern,
und zuerſt zu Jogli Baͤr. Dieſer ſpaltete eben
Holz, ſang und pfiff beym Scheitſtock; als er aber
den Vogt ſah, machte er groſſe Augen: Wenn du
Geld willſt, Vogt! ſo iſt nichts da.
Vogt. Du ſingſt und pfeifſt ja wie die Voͤ-
gel im Hanfſamen; wie koͤnnt’s dir am Geld feh-
len?
Baͤr. Wenn Heulen Brod gaͤbe, ich wuͤrde nicht
pfeifen; aber im Ernſt, was willſt du?
Vogt. Nichts, als dir ſagen, du ſeyſt Hand-
langer beym Kirchbau, und habeſt des Tags fuͤnf
und zwanzig Krenzer.
Baͤr. Iſt das auch wahr?
Vogt.
[111]
Vogt. Im Ernſt. Du ſollſt am Montag ins
Schloß kommen.
Wenn’s Ernſt iſt, ſo ſag ich ſchuldigen Dank,
Herr Untervogt! da ſieheſt du jezt, warum ich heute
ſingen und pfeifen mag. Lachend gieng der Vogt
von ihm weg, und ſagte im Gehen: Keine Stunde
in meinem Leben iſt mir ſo wohl als dieſem Bett-
ler.
Der Baͤr aber gieng in ſeine Stube zu ſeinem
Weib. Ha, nur immer gutes Muths! Unſer lie-
ber Herr Gott meynt’s immer noch gut, Frau!
ich bin Tagloͤhner am Kirchbau.
Frau. Ja, es wird lange gehen, bis es an
dich kommen wird. Du haſt immer den Sack voll
Troſt; aber nie Brod.
Baͤr. Das Brod ſoll nicht fehlen, wenn ich
einſt den Taglohn haben werde.
Frau. Aber der Taglohn kann fehlen.
Baͤr. Nein, mein Sack nicht. Arner zahlt
die Tagloͤhner brav; das wird nicht fehlen.
Frau. Spaſſeſt du; oder iſt’s wahr mit dem
Bau?
Baͤr Der Vogt kommt ſo eben und ſagte: Ich
muͤſſe am Montag mit den Tagloͤhnern, die an
der Kirche arbeiten, ins Schloß; alſo kann’s doch
nicht wohl fehlen.
Frau. Das waͤr doch auch. Gott Lob! wenn
ich einſt eine ruhige Stunde hoffen koͤnnte.
Baͤr.
[112]
Baͤr. Du ſollt deren noch recht viele haben;
ich freue mich wie ein Kind darauf. Du biſt denn
auch nicht mehr boͤs, wenn ich munter und luſtig
heim komme; ich will dir den Wochenlohn alle-
mal bis auf den Kreuzer heimbringen, ſo bald ich
ihn haben werde. Es wuͤrde mich nicht mehr freuen
zu leben, wenn ich nicht hoffen duͤrfte, es werde auch
noch eine Zeit kommen, in der du mit Freuden
denken werdeſt, du habeſt doch einen braven Mann.
Wenn ſchon dein Guͤttlein in meinen armen Haͤnden
ſo ſtark abgenommen hat. Verzeih mir’s, wills
Gott bring ich noch was rechtes davon wieder ein.
Frau. Dein guter Muth machet mir Freu-
de; aber ich denke und fuͤrchte doch immer, es ſey
Liederlichkeit.
Baͤr. Was verſaͤume ich dann? oder was
verthue ich!
Frau. Ich ſage das eben nicht: aber es iſt
dir nie ſchwer, wenn ſchon kein Brod da iſt.
Baͤr. Aber kommt denn Brod, wenn ich mich
graͤme?
Frau. Ich kann’s in Gottes Namen nicht
aͤndern, mir iſt einmal immer ſchwer.
Baͤr. Faſſe Muth, Frau! und muntre dich
auf, es wird dir wohl auch wieder leichter werden.
Frau. Ja, jezt haſt du auch keinen ganzen
Rock am Montag ins Schloß.
Baͤr.
[113]
Baͤr. O, ſo gehe ich mit dem Halben. Du
haſt immer Sorgen, ſagte er: gieng ſodann wieder
zu ſeinem Scheitſtock, und ſpaltete Holz, bis es
dunkel wurd.
Von dieſem weg geht der Vogt zu Laͤupi, der
war nicht bey Hauſe; da ſagte er es dem Huͤgli,
ſeinem Nachbar, und gieng dann zu Hans Lee-
mann.
§. 20.
Dummer, zeitverderbender Vorwitz,
hat den Mann zum Muͤſſiggang ver-
fuͤhrt.
Er ſtuhnd vor ſeiner Hausthuͤre, gaffte umher;
ſah den Vogt von ferne, ſagte zu ſich ſelber:
Da gibt’s was Neues, und rief ihm: Wo hinaus,
Herr Untervogt! ſo nahe auf mich zu?
Vogt. So gar zu dir ſelber, Leemann.
Leemann. Das waͤr mir viel Ehre, Vogt!
aber ſage doch: was macht des Maͤurers Frau?
Thut ſie ihren Mund noch ſo weit auf, wie vor-
geſtern auf dem Kirchhof; das war eine Hexe,
Vogt!
HVogt.
[114]
Vogt. Du kannſt ſo was ſagen, du! Du biſt
jezt Handlanger bey ihrem Mann.
Leemann. Weiſſeſt ſonſt nichts Neues? daß
du ſo mit dem kommſt.
Vogt. Nein, es iſt mir Ernſt; und ich komme
auf Befehl aus dem Schloß, es dir anzuſagen.
Leemann. Wie komm’ ich zu dieſer Ehre?
Herr Untervogt!
Vogt. Es duͤnkt mich im Schlaf.
Leemann. Ich werde wohl darob erwachen,
wenn’s wahr iſt. Um welche Zeit muß man an
die Arbeit?
Vogt. Ich denk’, am Morgen.
Leemann. Und am Abend denkſt du auch
wieder davon. Wie viel ſind unſer, Herr Unter-
vogt!
Vogt. Es ſind zehen.
Leemann. Sag mir doch, es wundert mich,
welche?
Der Vogt ſagt ihm einen nach dem andern daher.
Zwiſchen ein fragt Leemann mehr als von
zwanzigen; der nicht, der auch nicht? Ich ver-
ſaͤume mich, ſagte endlich der Vogt, und geht
weiter.
§. 21.
[115]
§. 21.
Undank und Neid.
Von ihm weg, geht der Vogt zu Joͤgli Lenk.
Dieſer lag auf der Ofenbank, er rauchte ſeine Pfeife;
die Frau ſpinnte, und fuͤnf halb nackende Kinder
lagen auf dem Ofen.
Der Vogt ſagt ihm kurz den Bericht. Lenk
nimmt die Pfeife aus dem [Munde], und antwor-
tet: Das iſt wohl viel, daß auch einmal etwas
Gutes an mich kommt. Sonſt war ich, ſo lang
ich lebe, vor allem Guten ſicher.
Vogt. Lenk! eben noch viel Leute, denk ich,
mit dir.
Lenk. Iſt mein Bruder auch unter den Tag-
loͤhnern?
Vogt. Nein.
Lenk. Wer ſind die andern.
Der Vogt nennet ſie.
Lenk. Mein Bruder iſt doch ein viel beſſerer
Arbeiter, als der Rudi, der Baͤr und der Marxt;
vom Kriecher mag ich nicht reden. Es iſt bey Gott
auſſer mir kein einziger, unter allen zehen, nur
ein halb ſo guter Arbeiter, als er. Vogt! koͤnn-
teſt du nicht machen, daß er auch kommen muͤßte.
H 2Ich
[116]
Ich weiß nicht, ſagt der Vogt: bricht das Ge-
ſpraͤch ab, und geht.
Die Frau bey der Kunkel ſchwieg ſo lange der
Vogt da war; aber das Geſpraͤch that ihr im Her-
zen weh; und ſo bald der Vogt fort war, ſagte ſie
dem Mann.
Du biſt undankbar gegen Gott und Menſchen.
Da dir Gott in der tiefſten Noth Huͤlfe und Rath
zeigt, verleumdeſt du deine Nachbaren, denen
Gott eben das Gute thut, das er dir thun will.
Lenk. Ich werde meinen Batzen verdienen
muͤſſen, und ihn eben nicht umſonſt bekommen.
Frau. Aber bis jezt hatteſt du gar nichts zu
verdienen.
Lenk. Aber auch keine Muͤhe!
Frau. Und deine Kinder kein Brod.
Lenk. Aber ich, was hatte ich mehr als ihr?
ſagte der Limmel. Die Frau ſchwieg, und weinte
bittere Thraͤnen.
§. 22.
[117]
§. 22.
Die Qualen des Meyneids laſſen ſich
nicht mit ſpitzfuͤndigen Kuͤnſten er-
ſticken.
Vom Lenk weg, geht der Vogt zum Kriecher,
und trifft im Dahingehen unverſehens den Hans
Wuͤſt an.
Wenn er ihn von ferne geſehn haͤtte, ſo wuͤrde
er ihm ausgewichen ſeyn; denn ſeit des Rudi Han-
del klopfte dem Vogt und dem Wuͤſt beyden das
Herz, wo ſie einander antrafen; aber unverſehens
ſtieß der Vogt am Ecken von der Seitenſtraſſe beym
untern Brunn hart auf dieſen an.
Biſt du’s, ſagte der Vogt? und ja, ich bin’s,
antwortete Wuͤſt.
Vogt. Warum kommſt du nicht mehr zu mir?
und denkeſt auch gar nicht an das Geld, das ich dir
geliehen habe.
Wuͤſt. Ich habe jezt kein Geld. Und wenn
ich zuruͤck denke, ſo fuͤrchte ich, es ſey nur zu
theuer bezahlt, dein Geld.
Vogt. Du redeteſt doch nicht ſo, da ich dir’s
gab, Wuͤſt! und ſo iſt doch boͤs dienen.
H 3Wuͤſt.
[118]
Wuͤſt. Ja, dienen, das iſt etwas: aber die-
nen, daß einem hernach auf Gottes Erdboden keine
Stunde mehr wohl iſt, das iſt etwas anders.
Vogt. Rede nicht ſo, Wuͤſt! Du haſt nichts
ausgeſagt, als was wahr iſt.
Wuͤſt. Du ſagſt freylich das immer: Aber
immer iſt mir in meinem Herzen, ich habe falſch
geſchworen.
Vogt. Das iſt nicht wahr, Wuͤſt! es iſt auf
meine Seele nicht wahr. Du beſchwureſt nur, was
dir vorgeleſen wurde, und das war unverfaͤnglich
geſchrieben. Ich habe dir’s mehr als hundertmal
vorgeleſen, und du ſahſt es ein, wie ich, und ſag-
teſt mir allemal: ja, dazu kann ich ſchwoͤren!
War das nicht ehrlich und gerade zu? Was willſt
du jezt mit deinem hinten nach Graͤmen? Aber es
iſt dir nur um die Schuld; du denkeſt, wenn du ſo
redeſt, ich warte dir noch laͤnger.
Wuͤſt. Nein, Vogt! da irreſt du. Wenn ich
das Geld haͤtte, ſo wuͤrde ich es dir in dieſem Au-
genblick hinwerfen, damit ich dich nicht wieder
ſehe; denn mein Herz klopft mir, ſo oft ich dich
erblicke.
Du biſt ein Narr, ſagte der Vogt: aber auch
ihm klopfte das Herz.
Wuͤſt. Ich ſah es auch lang an, wie du
vorſagteſt; aber es gefiel mir doch grad im An-
fange
[119] fange nicht; daß es mich duͤnkte, der Junker habe ſo
geredt, als ob er’s anders verſtanden haͤtte.
Vogt. Es geht dich ganz und gar nichts an,
was der Junker muͤndlich geredt hat. Du ſchwurſt
nur auf den Zedel, den man dir vorlas.
Wuͤſt. Aber er hat doch darauf geurteilt, wie
er ihn muͤndlich verſtanden hat.
Vogt. Wenn der Junker ein Narr war, ſo
ſehe er zu, was geht das dich an? Er hatte ja den
Zedel vor ſich. Und wenn er ihm nicht deutlich
geweſen waͤre, ſo haͤtte er ihn ja anders ſchreiben
laſſen koͤnnen.
Wuͤſt. Ich weiß wohl, daß du mir es alle-
mal wieder ausreden kannſt. Aber das macht mir
nicht wohl im Herzen; und auf die Communion iſt
mir immer gar zu entſetzlich, daß ich verſinken moͤchte.
Vogt! O, daß ich dir nie ſchuldig geweſen waͤre!
O, daß ich dich nie gekannt haͤtte, oder daß ich ge-
ſtorben waͤre am Tage, ehe ich den Eid that.
Vogt. Aber um Gottes willen, Wuͤſt!
Quaͤle dich nicht ſo; es iſt Narrheit. Denke doch
nur auch allen Umſtaͤnden nach; wir giengen be-
daͤchtlich; in deiner Gegenwart fragte ich den Vi-
cari, deutlich und klar: Muß dann der Wuͤſt et-
was anders beſchwoͤren, als im Zedel ſteht? ſagt
es ihm doch, er verſteht es nicht recht. Weiſſeſt
du noch, was er geantwortet?
Wuͤſt. Ja, aber dann iſt’s — —
H 4Vogt.
[120]
Vogt. Ha, er ſagte doch mit ausdruͤcklichen
Worten: Der Wuͤſt muß kein Haar mehr beſchwoͤ-
ren, als im Zedel ſteht. Sagte er nicht genau
dieſe Worte?
Wuͤſt. Ja, aber dann iſt’s, wann er das ge-
ſagt hat!
Vogt. Was aber dann iſt’s? Iſt dir das auch
nicht genug!
Wuͤſt. Nein, Vogt! ich will nur heraus re-
den, es muß doch ſeyn. Der Vicari war dir
ſchuldig, wie ich; und du weiſſeſt, was er fuͤr ein
Held war, und wie er allen Huren nachzog. Es
mag mich alſo wenig troͤſten, was ſo ein leichtſinni-
ger Tropf zu mir ſagte.
Vogt. Sein Leben geht dich nichts an; aber
die Lehre verſtuhnd er doch: das weiſſeſt du.
Wuͤſt. Nein, ich weiß das nicht: aber das
weiß ich, daß er nichts taugte.
Vogt. Aber das geht dich nichts an.
Wuͤſt. Ha, es iſt mit dem ſo; wenn ich
einen Menſchen in einem Stuͤck als ſehr ſchlimm
und gottlos kenne, ſo darf ich ihm in allem andern
eben auch nicht viel Gutes zutrauen. Deshalben
fuͤrchte ich, der Taugenichts, dein Herr Vicari, habe
mich eingeſchlaͤfert, und das wuͤrde mich denn doch
ſo etwas angehn.
Vogt. Laße dieſe Gedanken fahren, Wuͤſt!
Du ſchwurſt auf nichts, als was wahr war.
Wuͤſt.
[121]
Wuͤſt. Ich dachte lang auch ſo: aber es iſt
aus; ich kann mein Herz nicht mehr bedoͤhren.
Der arme Rudi! wo ich gehe und ſtehe, ſehe ich
ihn vor mir. Der arme Rudi! wie er im Elend
und Hunger und Mangel gegen mich zu Gott
ſeufzet. O! o ſeine Kinder, ſie ſerben, ſind gelb,
krumm und ſchwarz, wie Zigeuner. Sie waren
ſchoͤn und bluͤheten wie Engel, und mein Eid
brachte ſie um ihre Matte.
Vogt. Ich hatte Recht, es war, wie ich ſagte:
und jezt hat der Rudi Arbeit am Kirchbau, daß er
auch wieder zurecht kommt.
Wuͤſt. Was geht das mich an: haͤtte ich nicht
geſchworen, mir wuͤrde gleich viel ſeyn, ob der Rudi
reich waͤre, oder ein Bettler.
Vogt. Laß dich doch das nicht anfechten!
ich hatte Recht.
Wuͤſt. Nicht anfechten? — Ja, Vogt! Haͤtte
ich ihm ſein Haus erbrochen, und all ſein Gut
geſtohlen, es wuͤrde mir noch beſſer zu Muthe ſeyn.
O, Vogt! daß ich das gethan habe. O, o! Es iſt
wieder bald heilige Zeit! O, waͤr ich doch tauſend
Klafter unter dem Boden!
Vogt. Um Gottes willen, Wuͤſt! thue doch
nicht ſo auf der offenen Straſſe vor den Leuten,
wenn’s auch jemand hoͤrte! Du plageſt dich mit
deiner Dummheit: Alles, was du ſchwurſt, iſt
wahr!
H 5Wuͤſt.
[122]
Wuͤſt. Dummheit hin, und Dummheit her.
Haͤtte ich nicht geſchworen, ſo haͤtte der Rudi noch
ſeine Matte.
Vogt. Aber du haſt ſie ihm doch nicht ab-
geſprochen, und mir haſt du ſie nicht zuerkannt?
Was geht’s alſo in’s Teufels Namen zuletzt dich
an, wem die Matte ſey.
Wuͤſt. Nichts geht’s mich an, wem die Mat-
ten ſey; aber daß ich falſch geſchworen habe, das
geht mich leider, Gott erbarm, an.
Vogt. Aber das iſt nicht wahr, du haſt nicht
falſch geſchworen; das, worauf du ſchwurſt, war
wahr.
Wuͤſt. Aber das iſt nur verdreht: ich ſagte
dem Junker nicht, wie ich die Schrift verſtuhnd;
und er verſtuhnde ſie anders, du magſt ſagen,
was du willſt. Ich weiß! ich empfinde es in mir
ſelber. Ich war ein Judas und ein Verraͤther;
und mein Eid, Worte hin und Worte her, war
Meyneid.
Vogt. Du dauerſt mich, Wuͤſt! mit deinem
Unverſtand; aber du biſt krank: du ſiehſt ja aus,
wie wenn du aus dem Grabe kaͤmeſt; und wenn’s
einem nicht wohl iſt, ſo ſieht man alles anders an,
als es iſt. Beruhige dich, Wuͤſt! Komm mit mix
heim, und trink ein Glas Wein mit mir!
Wuͤſt. Ich mag nicht, Vogt! mich erquickt
nichts mehr auf Erden.
Vogt.
[123]
Vogt. Beruhige dich, Wuͤſt! Schlag es doch
jezt aus dem Kopf, und vergiß es, bis du wieder
geſund ſeyn wirſt. Du wirſt dann wohl wieder
ſehn, daß ich Recht habe: und ich will dir deine Hand-
ſchrift zerreiſſen, es macht dich vielleicht auch
ruhiger.
Wuͤſt. Nein, Vogt! Behalte die Handſchrift.
Sollte ich vor Hunger mein Fleiſch freſſen, ſo
werde ich dir die Schuld bezahlen. Ich will kein
Blutgeld auf meine Seele. Haſt du mich betro-
gen, hat mich der Vicari eingeſchlaͤfert, ſo wird
vielleicht Gott noch mir verzeihen; ich meynte nicht,
daß es ſo kommen wuͤrde.
Vogt. Nimm dieſe Handſchrift, Wuͤſt! ſieh,
ich zerreiſſe ſie vor deinen Augen, und ich nehme
es auf mich, daß ich Recht hatte. Sey doch ruhig!
Wuͤſt. Nimm auf dich, was du willſt, Vogt!
ich werde dir die Schuld zahlen. Uebermorgen ver-
kauf ich meinen Sonntagsrock, und werde dir die
Schuld zahlen.
Vogt. Beſinne dich eines Beſſern, du irreſt
dich in Gottes Namen; aber ich muß einmal
weiter.
Wuͤſt. Gott Lob! daß du gehſt; bliebeſt du
laͤnger, ich wuͤrde auſſer mir ſelber kommen vor
deinen Augen.
Vogt. Beruhige dich, Wuͤſt, in Gottes Namen!
Sie giengen jetzt von einander.
Der
[124]
Der Vogt aber, da er allein war, mußte, ſo
ſehr er auch nicht wollte, doch bey ſich ſelber auch
ſeufzen, und ſagte: daß mir jezt auch das noch
hat begegnen muͤſſen; ich hatte doch heut ſonſt
genug.
Er verhaͤrtete ſich aber bald wieder, und ſagte
dann weiter:
Der arme Schelm dauert mich, wie er ſich
plagt! Aber er hat nicht Recht, es geht ihn nichts
an, wie ihn der Richter verſtanden hat. Der Teufel
moͤchte Eide ſchwoͤren, wenn man den Sinn ſo
genau und ſo ſcharf heraus klauben wollte. Ich
weiß auch, wie andere Leute, und eben die, ſo das
am beſten verſtehn muͤſſen, den Eid nach ihren
Auslegungen nehmen, und ruhig ſind; wo ein jeder
anderer armer Schelm, der wie der Wuͤſt denkt,
meynen muͤßte, er ſaͤhe mit ſeinen Augen Sonnen-
klar daß ſie ihn verdrehen; und doch wollte ich, ich
haͤtte dieſe Gedanken jezt aus dem Kopf, ſie ma-
chen mich verdruͤßlich. Ich will zuruͤck und ein
Glas Wein trinken. So ſagte er, und that treulich,
was er geſagt hatte.
§. 23.
[125]
§. 23.
Ein Heuchler, und eine leidende Frau.
Er gieng ſodann zum Felix Kriecher. Das war
ein Kerl, der immer umher gieng, wie die Gedult
ſelbſt, wenn ſie im tiefſten Leiden ſchmachtet. Vor
dem Scheerer, dem Vogt und dem Muͤller, und
vor einem jeden Fremden buͤckte er ſich ſo tief als
vor dem Pfarrer! und dieſem gieng er in alle Wo-
chenpredigten und in alle Singſtunden am Sonntag
Abends. Dafuͤr erhielt er aber auch, dann und
wann, ein Glas Wein, und durfte er zuweilen, wenn
er recht ſpaͤth kam, und nahe genug zuſtuhnde, auch
zum Nachteſſen bleiben. Mit den Pietiſten im Dorf
aber kam er nicht zurecht, ob ers gleich ſorgfaͤltig
verſuchte; denn er wollte um ihrentwillen es mit
den andern auch nicht verderben. Und das geht bey
den Pietiſten nicht an; Sie leidens nicht an ihren
Schuͤlern, daß ſie auf beyden Achſeln tragen;
und ſo ward er, trotz allem Anſchein von De-
muth, trotz aller ausgelernten Heuchlerkunſt, und
trotz ſeines geiſtlichen Hochmuths, welches ſonſt
alles bey den Pietiſten gar wohl empfiehlt, ausge-
ſchloſſen.
Neben
[126]
Neben dieſen aͤuſſerlichen und oͤffentlich bekann-
ten Eigenſchaften, hatte er auch noch einige andre,
zwar nur zum ſtillen Gebrauch ſeines haͤuslichen
Lebens; aber doch muß ich ſie auch erzehlen.
Er war mit ſeiner Frau und mit ſeinen Kin-
dern ein Teufel. In der aͤuſſerſten Armuth wuͤn-
ſchet er immer etwas Gutes zu eſſen: und wenn
er’s dann nicht hatte, ſo lag ihm alles nicht recht;
bald waren die Kinder nicht recht gekaͤmmt, bald
nicht recht gewaſchen, und ſo tauſenderley; und
wenn er nichts fand zum Zanken, ſo ſah ihn etwan
das Kleine vierteljaͤhrige ſauer an, dann gab er
ihm tuͤchtig auf die kleinen Haͤnde, daß es Reſpect
lerne.
Du biſt ein Narr! ſagte ihm einſt bey einem
ſolchen Anlaſſe die Frau: und ſie hatte freylich Recht,
und nicht mehr als die reine Wahrheit geredt;
aber er ſtieſſe ſie mit den Fuͤſſen; ſie wollte ent-
fliehn, und fiel unter der Thuͤre zwey Loͤcher in
den Kopf. Ob dieſen Loͤchern iſt der Nachbar er-
ſchrocken, denn er dachte weislich in ſeinem Sinn:
der zerſchlagene Kopf koͤnne ſein Leben ruchtbar
machen.
Und wie alle Heuchler im Schrecken ſich bie-
gen, und ſchmiegen und kruͤmmen, ſo kruͤmmte und
ſchmiegte ſich damals auch Kriecher; er bat die
Frau auf ſeinen Knien, und um tauſend Gotts-
willen,
[127] willen, zwar nicht, daß ſie es ihm verzeihe, ſondern
nur, daß ſie es Niemand ſage.
Sie that es, und litte gedultig die Schmer-
zen einer ſtarken Verwundung, und ſagte zum
Scheerer und zu den Nachbaren, ſie ſey von der
Buͤhne gefallen; dieſe glaubten ihr zwar nicht alle,
und ach! die gute Frau! ſie haͤtte es vorher denken
ſollen. Kein Heuchler war je dankbar, kein Heuch-
ler haͤlt ſein Wort, ſie haͤtte ihm alſo nicht glau-
ben ſollen. Doch was ſage ich! ſie hatte das
alles wohl gewußt, aber dabey an ihre Kinder ge-
dacht, und empfunden, daß Niemand als Gott ſein
Herz aͤndern koͤnne, und daß alſo alles Gerede unter
den Leuten umſonſt ſeyn wuͤrde; die brave Frau!
Ach! daß ſie nicht gluͤcklicher iſt — O! daß ihr Herz
alle Tage Kraͤnkungen von ihm leiden muß.
Sie ſchweigt und betet zu Gott, und dankt
ihm fuͤr die Pruͤfungen der Leiden.
O Ewigkeit! wenn du einſt enthuͤlleſt die
Wege Gottes! und den Segen der Menſchen, die
Gott durch Leiden, Elend und Jammer, ſo in
ihrem Innern Staͤrke, Gedult und Weisheit leh-
ret. O Ewigkeit! wie wirſt du die Gepruͤfte
erhoͤhen, die du hier ſo erniedriget haſt!
Kriecher hatte das Loch im Kopf vergeſſen, faſt
ehe als es wieder geheilet war, und er iſt immer
der gleiche. Er kraͤnkt und plagt die Frau ohne
Urſach und Anlaß, alle Tage, und er verbittert ihr
das
[128] das Leben. Eine Viertelſtunde ehe der Vogt kam,
hatte die Katze die Oellampe vom Ofen herunter
geworfen, und ein paar Tropfen giengen verloh-
ren. Du Laſter! haͤtteſt du ſie beſſer verſorgt,
ſagte er mit ſeiner gewoͤhnten Wuth zur Frau; du
kannſt jezt im Finſtern ſitzen, und das Feuer mit
Kuͤhkoth anzuͤnden, du Hornvieh!
Die Frau antwortete kein Wort; aber haͤufig
floſſen die Thraͤnen von ihren Wangen, und die
Kinder in allen Ecken weinten wie die Mutter.
So eben klopfte der Vogt an.
Schweigt doch! um aller Liebe willen, ſchweigt
doch! Was will’s geben, der Vogt iſt vor der
Thuͤre, ſagt Kriecher; wiſcht den Kindern mit
ſeinem Schnupftuch geſchwind die Thraͤnen vom
Backen; droht ihnen; Wenn eines nur noch much-
zet, ſo ſehet zu, wie ich’s zerhauen werde; oͤffnet dann
dem Vogt die Thuͤre, buͤckt ſich, und fragt ihn:
was habt ihr zu befehlen, Herr Untervogt? Der
Vogt ſagt ihm kurz den Bericht.
Kriecher aber, der bey der Thuͤre die Ohren
ſpitzt, und Niemand mehr weinen hoͤrt, antwortet
dem Vogt: kommt doch in die Stube, Herr Un-
tervogt! ich will’s doch auch geſchwind meiner lie-
ben Frau ſagen, wie ein groſſes Gluͤck mir wider-
fahre. Der Vogt geht mit ihm in die Stube,
und Kriecher ſagt ſeiner Frau:
Der
[129]
Der Herr Untervogt bringt mir eben die gluͤck-
liche Botſchaft, daß ich an dem Kirchbau Antheil
habe, und das iſt eine groſſe Gnade, fuͤr die ich
nicht genug danken kann.
Die Frau antwortet: Ich danke Gott! (Ein
Seufzer entfaͤhrt ihr.)
Vogt. Fehlt deiner Frau etwas?
Kriecher. Es iſt ihr leider die Zeit her nicht
gar wohl, Herr Untervogt!
Seitwerts blickt er zornig und drohend gegen
die Frau.
Vogt. Ich muß wieder gehen. Gute Beſſe-
rung, Frau!
Frau. Behuͤt euch Gott, Herr Untervogt!
Kriecher. Seyd doch auch ſo gut und danket
dem Gnaͤdigen Herrn in meinem Namen fuͤr dieſe
Gnade, wenn ich beten darf, Herr Untervogt!
Vogt. Du kannſt es ſelber thun.
Kriecher. Ihr habt auch Recht, Herr Unter-
vogt! Es war unverſchaͤmt von mir, daß ich euch
drum bat. Ich will naͤchſter Tagen expreß ins
Schloß gehn; es iſt meine Schuldigkeit.
Vogt. Am Montag Morgens gehn die an-
dern alle, und ich denke, du werdeſt wohl mitgehn
koͤnnen.
Kriecher. Natuͤrlich, Herr Untervogt! Ja
freylich. Ich wußte es nur nicht, daß ſie auch
giengen.
JVogt.
[130]
Vogt. Behuͤt euch Gott, Kriecher!
Kriecher. Ich ſag euch ſchuldigen Dank, Herr
Untervogt!
Vogt. Du haſt mir nichts zu danken. (Er
geht.) Und ſagt im Gehn zu ſich ſelbſt: Wenn der
nicht den Teufel im Schild fuͤhrt, ſo treugt mich
denn alles. Vielleicht waͤre das ein Mann, wie ich
einen brauchte gegen den Maͤurer; aber wer will
einem Heuchler trauen. Ich will den Schabenmi-
chel lieber, der iſt gerade zu ein Schelm.
§. 24.
Ein reines, froͤhliches und dankbares
Herz.
Vom Kriecher weg kommt der Vogt zu Aebi,
dem juͤngern. Als dieſer hoͤrte, was ihm begegnete,
jauchzte er vor Freuden, und ſprang auf, wie ein
junges Rind am erſten Fruͤhlingstage auf der Weide
aufſpringt — Das will ich jezt auch meiner Frau
ſagen, daß ſie ſich recht freue.
Ich warte bis morgen; es ſind juſt morgen acht
Jahre, daß ſie mich nahm. Es war Joſephstag,
ich weiß es noch, wie wenn’s geſtern waͤre. Wir
haben ſeitdem manche ſaure, aber auch m[an]che
[...]ohe
[131] frohe Stunde gehabt. Gott ſey Lob und Dank fuͤr
alles. Aber ja morgen, ſo bald ſie erwachen wird,
will ich’s ihr dann ſagen — Waͤr’s doch ſchon mor-
gen! Es iſt mir, ich ſehe es jezt ſchon, wie ſie weinen
und lachen wird durch einander, und wie ſie ihre Lie-
ben und mich in ihrer Freude an’s Herz druͤcken wird.
Ach! waͤr’s doch ſchon morgen! Ich toͤde das eine
Huhn ihr zur Freude, und koch es, ohne daß ſie’s
merkt, in der Suppe; Es freut ſie dann doch, wenn
es ſie ſchon reuet. Nein, ich mache mir kein Gewiſ-
ſen davor, es iſt fuͤr dieſe Freude nicht Suͤnde —
Ich thue es und toͤde es. Den ganzen Tag bleib
ich daheim, und freue mich mit ihr und mit
den Kindern — Nein, ich gehe mit ihr zur Kirche
und zum Nachtmahl. Jauchzen und freuen wollen
wir uns, und dem lieben Gott danken, daß er ſo
gut iſt — So redte der juͤngere Aebi in der Freude
ſeines Herzens uͤber des Vogts gute Botſchaft mit
ſich ſelber, und konnte vor Sehnſucht den Morgen
faſt nicht erleben, und that dann, was er eben ge-
ſagt hatte.
J 2§. 25.
[132]
§. 25.
Wie Schelmen mit einander reden.
Vom Aebi weg gieng der Vogt zum Schaben-
michel. Dieſer ſieht ihn von ferne; winkt ihm
in einen Ecken hinter das Haus, und fragt ihn:
Was Teufels haſt du?
Vogt. Etwas Luſtiges.
Michel. Ja du biſt der Kerl, den man ſchickt
zu Hochzeiten, zum Tanz, und zum Luſtigmachen
einzuladen.
Vogt. Es iſt einmal nichts Trauriges.
Michel. Was denn?
Vogt. Du ſeyſt in eine neue Geſellſchaft
gekommen.
Michel. Mit wem denn einmal, und warum?
Vogt. Mit dem Huͤbelrudi, mit dem Lenk,
mit dem Leemann, mit dem Kriecher, und mit
dem Marx auf der Reuͤti.
Michel. Du Narr! Was ſoll ich mit dieſen?
Vogt. Aufbauen und ausbutzen das Haus
des Herrn in Bonnal und ſeine Mauern am Kirch-
hof.
Michel. In Ernſt?
Vogt. Bey Gott!
Michel.
[133]
Michel. Aber wer hat hiezu die Blinden und
die Lahmen auserſehn?
Vogt. Mein Wohledelgebohrner, der Wohl-
weiſe und Geſtrenge Junker.
Michel. Iſt er ein Narr?
Vogt. Was weiß ich.
Michel. Es hat einmal das Anſehen.
Vogt. Vielleicht iſt es nicht das ſchlimmſte,
daß er ſo iſt, leicht Holz iſt gut drehen, aber ich
muß fort. Komme dieſen Abend zu mir, ich muß
mit dir reden.
Michel. Ich will nicht fehlen. — Zu wem
geht jezt die Reiſe?
Vogt. Auf die Reuͤti zum Marx.
Michel. Das iſt ein Kerl zur Arbeit. Man
muß von Sinnen ſeyn, ſo einen anzuſtellen. Ich
glaube nicht, daß der bey Jahr und Tag einen Karft
oder Schaufel in der Hand gehabt habe; und er
iſt auf der einen Seite halb lahm.
Vogt. Was macht das? Komme du auf den
Abend richtig zu mir. — Jezt gieng der Vogt von
ihm weg zum Marx auf der Reuͤti.
J 3§. 26.
[134]
§. 26.
Hochmuth in Armuth und Elend fuͤhrt
zu den unnatuͤrlichſten abſcheulichſten
Thaten.
Dieſer war vor Zeiten wohlhabend und hatte Han-
delſchaft getrieben; aber jezt war er ſchon laͤngſt ver-
gantet, und lebte faſt gaͤnzlich vom Allmoſen des
Pfarrers und einiger bemittelter Verwandten, die
er hatte.
In allem ſeinem Elend aber blieb er immer
gleich hochmuͤthig, und verbarg er den dringenden
Mangel und Hunger ſeines Hauſes, auſſert da,
wo er bettelte, allenthalben, wie er konnte und
mochte.
Dieſer, als er den Vogt ſah, erſchrack heftig,
aber er ward darum nicht blaß, denn er war ohne
das ſchon todtgelb. Er nahm ſchnell die umher
liegenden Lumpen, und ſchob ſie unter die Decke
des Betts. Befahl den faſt nackenden Kindern,
auf der Stell ſich in die Kammer zu verbergen —
Herr Jeſus! ſagen die Kinder, es ſchneyet und
regnet ja hinein — hoͤre doch, wie’s ſtuͤrmt, Vater!
es iſt ja kein Fenſter mehr in der Kammer.
Geht, ihr gottloſen Kinder! wie ihr mich ſo
toll machet. Meynt ihr, es ſey euch nicht noͤthig,
daß
[135] daß ihr euer Fleiſch kreuzigen lernet. — Es iſt
nicht auszuſtehn, Vater! ſagen die Kinder.
Es wird ja nicht lang waͤhren, ihr Ketzern, geht
doch, ſagt der Vater — ſtoßt ſie hinein, ſchließt die
Thuͤre, und ruft dann dem Vogt in die Stube.
Dieſer ſagte ihm den Bericht. Der Marx
aber dankt dem Vogt, und fragt: Bin ich Auf-
ſeher unter dieſen Leuten?
Was denkſt du, Marx? antwortete der Vogt.
Nein, Arbeiter biſt du, wie die andern.
Marx. So! Herr Untervogt!
Vogt. Es ſteht dir frey; wenn du etwann
allenfalls die Arbeit nicht willſt.
Marx. Ich bin freylich ſonſt ſolcher Ar-
beit nicht gewohnt. Aber weil’s das Schloß
und den Herrn Pfarrer antrifft, ſo darf ich wohl
nicht anders, und will ich ſie annehmen.
Vogt. Es wird ſie gar freuen, und ich denke
faſt, der Junker werde mich noch einmal zu dir
ſchicken, dir zu danken.
Marx. Ha! ich meyn’s eben nicht ſo; aber
insgemein moͤchte ich doch nicht bey Jedermann
tagloͤhnen.
Vogt. Du haſt ſonſt Brod!
Marx. Gott Lob! noch immer.
Vogt. Ich weiß wohl; aber wo ſind deine
Kinder?
J 4Marx.
[136]
Marx. Bey meiner Frauen ſel. Schweſter,
ſie eſſen da zu Mittag.
Vogt. Es war mir, ich hoͤrte eben in der Kam-
mer Kinder ſchreyen.
Marx. Es iſt kein einziges bey Hauſe.
Der Vogt hoͤrt das Geſchrey noch einmal,
oͤffnet ohne Complimenten die Kammerthuͤre, ſieht
die faſt nackenden Kinder, von Wind, Regen und
Schnee, die in die Kammer hinein ſtuͤrmen, zit-
ternd und ſchlotternd, daß ſie faſt nicht reden konn-
ten, und ſagt dann:
Eſſen deine Kinder da zu Mittag, Marx? —
Du biſt ein Hund und ein Heuchler, und du haſt das
um deines verdammten Hochmuths willen ſchon
mehr ſo gemacht.
Marx. Um Gottes willen! ſag es doch Nie-
mand, bring mir’s doch nicht aus, Vogt! Um
Gottes willen! unter der Sonne waͤre kein un-
gluͤcklicherer Menſch als ich, wenn’s mir auskaͤme.
Vogt. Biſt du denn auch von Sinnen? Auch
jetzo ſagſt du nicht einmal, daß ſie aus dem Hunds-
ſtall heraus kommen ſollen. Sieheſt du denn auch
nicht, daß ſie braun und blau ſind vor Frieren?
So wuͤrde ich einmal meinen Budel nicht ein-
ſperren.
Marx. Kommet jezt nur heraus; aber Vogt!
um Gottes willen! ſag’s doch Niemand.
Vogt.
[137]
Vogt. Und du ſpielſt denn noch beym Pfar-
rer den Frommen —
Marx. Um Gottes willen! ſag’s doch Nie-
mand.
Vogt. Das iſt doch huͤndiſch — du Heiliger,
ja du Ketzer! Hoͤrſt du, das biſt du, ein Ketzer! Denn
ſo macht es kein Menſch. Du haſt dem Pfaffen
den Schlaghandel die vorige Woche auch erzaͤhlt.
Kein Menſch als du. Du giengſt eben um 12 Uhr,
da es geſchah, von einer frommen Freſſeten heim,
und neben meinem Haus vorbey.
Marx. Nein, um Gottes willen! glaub doch
das nicht. Gott im Himmel weiß, daß es nicht
wahr iſt.
Vogt. Darfſt du auch das ſagen!
Marx. Weiß Gott, es iſt nicht wahr. Vogt!
ich wollte, daß ich nicht mehr hier vom Platze kaͤ-
me, wenn’s wahr iſt.
Vogt. Marx! darfſt du das, was du jezt
ſagſt, vor meinen Augen dem Pfarrer unter die
Naſe ſagen? Ich weiß mehr, als du glaubſt.
Der Marx ſtotterte — ich weiß — ich moͤch-
te — ich ha — — habe nicht davon angefangen.
So einen Hund und einen Luͤgner, wie du biſt,
habe ich in meinem Leben keinen geſehen. Wir
kennen jezt einander, ſagte der Vogt, gieng und
erzaͤhlte alles in eben der Stunde des Pfarrers Koͤ-
chinn, die ſich denn faſt zu Tode lachte ob dem from-
J 5men
[138] men Iſraeliten ab der Reuͤti, und heilig verſprach
es dem Pfarrer getreulich zu uͤberbringen. Der
Vogt aber freute ſich in ſeinem Herzen, daß hof-
fentlich der Pfarrer dem wuͤſten Ketzer das Wochen-
brod jezt nicht mehr geben wuͤrde; worinn er ſich
aber groͤblich irrte, denn der Pfarrer hatte ihm
bis jezt das Brod wahrlich nicht um ſeiner Tugend,
ſondern um ſeines Hungers willen gegeben.
§. 27.
Fleiß und Arbeitſamkeit, ohne ein dank-
bares und mitleidiges Herz.
Vom Marx weg gieng der Vogt nun endlich
zum letſten. Dieſes war der Kienaſt, ein kraͤnk-
licher Mann. Er gieng zwar erſt gegen die fuͤnf-
zig; aber Armuth und Sorgen hatten ihn gar
abgeſchwaͤcht, und heute war er beſonders in einem
erſchrecklichen Kummer.
Seine aͤlteſte Tochter hatte geſtern in der Stadt
Dienſte genommen, und zeigte dann heute dem Va-
ter den Dingpfenning, woruͤber der arme Mann
gewaltig erſchrocken war.
Seine Frau, die noch kindete, war eben jezt naͤ-
hig, und das Suſanneli war unter den Kindern das
einzige,
[139] einzige, das der Haushaltung Huͤlfe leiſten konnte,
jezt aber ſollte es in 14 Tagen den Dienſt an-
treten.
Der Vater bat es mit weinenden Augen, und
um Gottes willen, es ſolle das Haftgeld wieder zu-
ruͤck geben, und bey ihm bleiben, bis nach der
Mutter Kindbette.
Ich will nicht, antwortete die Tochter; wo
finde ich denn gleich wieder einen andern Dienſt?
wenn ich dieſen aufſage.
Der Vater. Ich will nach der Kindbette ſelbſt
mit dir in die Stadt gehn, und dir helfen einen an-
dern ſuchen; bleib doch nur ſo lange.
Die Tochter. Es geht ein halbes Jahr,
Vater! bis zum andern Ziel, und der Dienſt, den
ich jezt habe, iſt gut. Wer kann wiſſen, wie dann
der ſeyn werde, den du mir willſt ſuchen helfen. Und
kurzum, ich warte nicht bis auf das andere Ziel.
Der Vater. Du weiſſeſt doch, Suſan-
neli! daß ich auch alles an dir gethan habe, was
ich immer konnte. Denke doch auch an deine
juͤngern Jahre, und verlaſſe mich jezt nicht in mei-
ner Noth.
Die Tochter. Willſt du mir denn vor meinem
Gluͤck ſeyn? Vater!
Der Vater. Ach! es iſt nicht dein Gluͤck,
daß du deine armen Eltern in dieſen Umſtaͤnden ver-
laſſeſt; thue es doch nicht, Suſanneli! ich bitte
dich
[140] dich. Meine Frau hat noch ein ſchoͤnes Fuͤrtuch,
es iſt das letſte, und es iſt ihr lieb; ſie hat es von
ihrer ſel. Gotten zum Seelgeraͤth (Todesandenken):
aber ſie muß es dir nach der Kindbette geben,
wenn du nur bleibeſt.
Die Tochter. Ich mag nichts, weder von
euern Lumpen, noch von euerer Hoffart. Ich kann
das und beſſers ſelber verdienen. Es iſt einmal
Zeit, daß ich fuͤr mich ſelber ſorge. Wenn ich noch
zehn Jahre bey euch bliebe, ich wuͤrde nicht zu Bett
und Kaſten kommen.
Der Vater. Es wird doch auch nicht alles
auf dieſes halbe Jahr ankommen — Ich will dich
nach der Kindbette dann gewiß nicht mehr verſaͤu-
men. Bleib doch nur noch dieſe wenigen Wochen.
Nein, ich thue es nicht, Vater! antwortete
die Tochter — Kehrt ſich um, und laͤuft fort zu ei-
ner Nachbarinn.
Der Vater ſteht jezt da! niedergeſchlagen von
ſeinen Sorgen und von ſeinem Kummer, und ſagt
zu ſich ſelber: Wie will ich mir in dieſem Un-
gluͤck helfen — Wie will ich’s nur meiner armen
Frau anbringen, die Hiobsbotſchaft? Ich bin
doch ein elender Tropf, daß ich mit dieſem Kind
ſo gefehlt habe. Es arbeitet ſo braf, dacht ich
immer, und verzieh ihm dann alles. Meine
Frau ſagte mir hundertmal: Es iſt ſo frech und ſo
grob gegen ſeinen Eltern, und was es ſeinen Ge-
ſchwi-
[141] ſchwiſtern thun und zeigen muß, das thut und zei-
get es ihnen alles ſo haͤßig, ſo unartig, und ſo
ganz ohne Anmuth und Liebe, daß keines nichts
von ihm lernt. — — Es arbeitet doch braf, viel-
leicht ſind die andern auch Schuld, man muß ihm
etwas verzeihen, war immer meine Antwort. —
Jezt habe ich dieſes Arbeiten; ich haͤtte es doch
denken ſollen, wenn bey einem Menſchen das Herz
einmal hart iſt, ſo iſt’s aus, was er auch ſonſt
Gutes hat, man kann nicht mehr auf ihn zaͤhlen.
Aber, wenn ich’s nur auch meiner Frau ſchon
geſagt haͤtte; wie wird ſie doch thun!
Da der Mann ſo mit ihm ſelber redte, ſtuhnd
der Vogt neben ihm zu, und er ſah ihn nicht ein-
mal.
Was darfſt du denn deiner Frau nicht ſagen,
Kienaſt? fragt ihn jezt dieſer.
Der Kienaſt ſieht auf, erblickt den Vogt, und
ſagt: Biſt du da, Vogt? Ich ſah dich nicht —
Ha, was darf ich meiner Frau nicht ſagen? Das
Suſanneli hat in der Stadt Dienſte genommen,
und wir haͤtten’s jezt auch ſo noͤthig! Aber ich
haͤtte faſt vergeſſen zu fragen, was willſt du bey
mir?
Vogt. Es kann dir vielleicht ein Troſt ſeyn,
was ich bringe, weil’s mit dem Suſanneli ſo iſt.
Kienaſt. Das waͤr wohl ein Gluͤck in meiner
Noth.
Vogt.
[142]
Vogt. Du haſt Arbeit an dem Kirchbau, und
alle Tage 25 Kreuzer Taglohn; damit kannſt du
dir in allweg helfen.
Kienaſt. Herr Gott im Himmel! darf ich dieſe
Huͤlfe hoffen?
Vogt. Ja, ja Kienaſt! Es iſt gewiß, wie ich
ſage.
Kienaſt. Nun ſo ſey Gott gelobt und ihm
gedankt. (Es wird ihm bloͤd, ſeine Glieder zit-
tern.) Ich muß niederſitzen, dieſe Freude hat
mich ſo uͤbernommen auf mein Schrecken. Er
ſetzt ſich auf einen nahen Holzſtock, und lehnet ſich
an die Wand des Hauſes, daß er nicht ſinke.
Der Vogt ſagte: Du magſt wenig erleiden.
Und der Kienaſt: Ich bin noch nuͤchtern.
So ſpaͤth, erwiederte der Vogt, und gieng ſei-
nes Weges fort.
Die arme Frau in der Stube ſah, daß der
Vogt bey ihrem Mann war, und jammerte entſetz-
lich: Das iſt ein Ungluͤck! Mein Mann iſt heute
den ganzen Tag wie verwirrt, und weiß nicht, was
er thut; und eben jezt ſah ich das Suſanneli bey
der Nachbarinn beyde Haͤnde zerwerfen, als wenn
es vor Verdruß auſſer ſich waͤre, und jezt noch der
Vogt! Was iſt doch fuͤr ein Ungluͤck obhanden?
Es iſt keine geplagtere Frau unter der Sonne.
Schon ſo weit in vierzig, und noch alle Jahr ein
Kind, und Sorgen und Mangel und Angſt um
mich
[143] mich her — So graͤmte ſich die arme Frau in der
Stube — Der Mann aber hatte ſich indeſſen wie-
der erholt, und kam mit einem ſo heitern und
freudigen Geſicht hinein zu ſeiner Lieben, als er
ſeit Jahren nicht hatte.
Du thuſt froͤlich! Meynſt du, ich wiſſe nicht,
daß der Vogt da war? ſagte die Frau.
Und er antwortete: Wie vom Himmel herab
iſt er gekommen zu unſerm Troſt!
Iſt das moͤglich? erwiederte die Frau.
Kienaſt. Setze dich nieder, Frau! ich muß
dir Gutes erzaͤhlen — Da ſagte er ihr, was eben
mit dem Suſanneli begegnet, und wie er in einer
groſſen Herzensangſt geweſen waͤre, und wie ihm,
Gott Lob! jezt gaͤnzlich aus der Noth geholfen ſey.
Da aß er die Suppe, die er in der Angſt zu
Mittag hatte ſtehn laſſen; und er und die Frau
weineten heiſſe Thraͤnen des Danks und der Freude
gegen Gott, der ihnen alſo geholfen in ihrer Roth.
Und ſie lieſſen das Suſanneli noch deſſelbigen
Tags gehen in ſeinen Stadtdienſt, wie es wollte.
§. 28.
[144]
§. 28.
Der Abend vor einem Feſttage in eines
Vogts Hauſe, der wirthet.
Nun eilte der Vogt von ſeinem Laufen ermuͤdet
und durſtig wieder heim, es war ſchon ſehr ſpaͤth;
und der Kienaſt wohnete beynahe eine Stunde
vom Dorf weg auf dem Berg.
Allenthalben hatte er heute durch ſeine Geſellen
ſchon verkuͤndet, daß er uͤber den geſtrigen Vorfall
gar nicht erſchrocken, und bey einem Jahre nie ſo
luſtig und munter geweſen waͤre, wie heute.
Das machte denn, daß auf den Abend etliche
wieder Muth faßten, und ſich ſtill dem Wirths-
hauſe zuſchlichen.
Da es dunkelte, kamen immer noch mehrere,
und zu Nacht gegen den Sieben waren die Tiſche
alle wieder faſt eben ſo voll, als gewoͤhnlich.
So geht es, wenn ein Jaͤger im Heuet von
einem Kirſchbaum einen Vogel herunter ſchießt, ſo
fliegt die Schaar der Voͤgel, die Kirſchen fraß,
erſchrocken und ſchnell vom Baum weg, und alle
die Voͤgel kreiſchen vor der Gefahr. Aber nach ei-
ner Weile ſetzt ſich ſchon wieder einer, im Anfange
nur einer, an den Baum; und ſieht er dann den
Jaͤ-
[145] Jaͤger nicht mehr, ſo pfeift er, nicht das Gekreiſch
des erſchreckten Vogels. Er pfeift dann den mun-
tern Laut der Freßluſt bey der nahen Speiſe.
Auf den Ruf des kuͤhnern Freſſers ruͤcken dann
die forchtſamern auch wieder an; und alle freſſen
Kirſchen, als ob der Jaͤger keinen erſchoſſen haͤtte.
So war es und kam es, daß die Stube jezt
wieder voll war von Nachbaren, die geſtern und
heute Vormittags ſich noch nicht getrauten zu kom-
men.
Bey allem Boͤſen, und ſelbſt bey Schelmentha-
ten wird alles munter und muthig, wenn viel Volks
bey einander iſt, und wenn die, ſo den Ton geben,
herzhaft und frech ſind; und da das in den Wirths-
haͤuſern nie fehlt, ſo iſt unſtreitig, daß ſie das ge-
meine Volk zu allen Bosheiten und zu allen ſchlim-
men Streichen frech und leichtſinnig genug zu bil-
den und zu ſtimmen weit beſſer eingerichtet ſind,
als es die armen einfaͤltigen Schulen ſind, die Men-
ſchen zu einem braven, ſtillen, wirthſchaftlichen Leben
zu bilden. Aber zur Hiſtorie.
Die Nachbaren im Wirthshauſe waren jezt alle
wieder des Vogts Freunde, denn ſie ſaſſen bey ſei-
nem Wein. Da ſprach der eine, wie der Vogt
ein Mann ſey, und wie ihn bey Gott! noch keiner
gemeiſtert habe. Ein andrer, wie Arner ein Kind
ſey, und wie der Vogt ſeinen Großvater in Ord-
nung gehalten habe. Ein andrer, wie es vor Gott
Kim
[146] im Himmel nicht recht und am juͤngſten und letz-
ten Tage nicht zu verantworten ſey, daß er dem ar-
men Gemeindlein das Wirthsrecht abſtehlen wolle,
das es doch ſeit Noahs und Abrahams Zeiten be-
ſeſſen haͤtte. Dann wieder ein andrer, wie er
es beym Donner! doch noch nicht habe, und wie
er’s vor allen Tenfeln erzwingen wolle — daß
morgen ſchon darwider Gemeind ſeyn muͤſſe. Dann
erzaͤhlt wieder ein andrer, wie es mit dem gar nicht
ſo noth thue, und wie der Vogt ſeine Feinde alle
immer ſo ſchoͤn in die Grube gebracht habe, und
wie er jezt weder mit dem Gnaͤdigen Herrn, noch
mit dem Bettler, dem Maͤurer, eine neue Mode
anfangen werde. — So ſchwatzten die Maͤnner
und ſoffen.
Die Voͤgtinn lachte mit unter, trug einen Krug
nach dem andern auf den Tiſch, und zeichnete alle
richtig an die Tafel in der Nebenſtube mit ihrer
Kreide.
Indeſſen kam der Vogt, und es freute ihn in
ſeinem Herzen, daß er die Tiſche alle wieder ſo be-
ſetzt fand mit ſeinen Lumpen.
Das iſt brav, ihr Herren! daß ihr mich nicht
verlaſſet, ſagte er zu ihnen.
Du biſt uns noch nicht feil, antworteten die
Bauern, und tranken mit Laͤrmen und Bruͤllen auf
ſeine Geſundheit.
Der
[147]
Der Laͤrm iſt groß, Nachbaren! Man muß oh-
ne Aergerniß leben, ſagte der Vogt; es iſt heiliger
Abend.
Mache die Fenſterlaͤden zu, Frau! und loͤſche
die Lichter gegen der Gaſſe — Es iſt beſſer, wir
gehen in die hintere Stube, Nachbaren! Iſt’s warm
dort, Frau?
Frau. Ja, ich habe daran gedacht, und ein-
heitzen laſſen.
Vogt. Gut. Nehmet alles vom Tiſch in
die hintere Stube.
Da nahmen die Frau und die Nachbaren Glaͤ-
ſer, Flaſchen, Brod, Kaͤs, Meſſer und Teller und
Karten und Wuͤrfel, und trugen alles in die hin-
tere Stube, in deren man, geſchaͤhe auch ein
Mord, auf der Gaſſe nichts hoͤrt.
Da ſind wir jezt ſicher vor Schelmen, die vor
den Fenſtern horchen, und vor den heiligen Knech-
ten *) des Schwarzen.
Aber ich bin durſtig wie ein Jagdhund, Wein
her!
Die Frau bringt ihn.
K 2Und
[148]
Und Chriſten fragt alſobald: Iſt das vom heu-
tigen, Vogt! den des Scheerers Hund. mitſaͤuft?
Vogt. Ja, ſo ein Narr bin ich wieder.
Chriſten. Was hatteſt du wohl fuͤr eine Teu-
felsabſicht dabey?
Vogt. Bey Gott! keine. Es war ein bloſſer
Narreneinfall. Ich war noch nuͤchtern, und wollte
nicht ſaufen.
Chriſten. Pfeif das dem Scheitſtock, vielleicht
glaubt er’s, ich mag nicht.
Vogt. Warum nicht?
Chriſten. Warum nicht? Weil dein Wein,
den wir ſoffen, auch nach Schwefel roch wie die Peſt?
Vogt. Wer ſagt das?
Chriſten. Ich, Meiſter Urias! Ich merkte es
nicht in der Stube; aber da ich den leeren Krug
heim trug, roch es mir noch in die Naſe, daß
es mich faſt zuruͤck ſchlug — Alles und alles zuſam-
men genommen, ſo iſt einmal ziemlich am Tage,
daß du mit Gunſt etwas geſucht haſt.
Vogt. Ich weiß ſo wenig, was fuͤr Wein
die Frau geſchickt hat, als ein Kind in der Wie-
ge. — Mit deinen Einbildungen, du Narr!
Chriſten. Aber du weißſt doch auch noch, daß
du eine ſchoͤne Predigt von den Rechten im Lande
gehalten haſt? Du haſt das, denk ich, auch ſo aus
unbedachtem Muthe gethan, wie man eine Priſe
Tabak nimmt.
Vogt.
[149]
Vogt. Schweig jezt, Chriſten! Das beſte
waͤr, ich lieſſe dich brav zerpruͤgeln, daß du
mir den Krug umgeleert haſt. Aber ich muß jezt
wiſſen, wie es heute beym Scheerer gegangen iſt,
da ich fort war.
Chriſten. Aber das Verſprechen, Vogt?
Vogt. Was fuͤr ein Verſprechen?
Chriſten. Daß ich weinfrey ſeyn ſoll bis am
Morgen, wenn ich was Rechts wiſſe.
Vogt. Wenn du denn aber nichts weißſt,
willſt du doch ſaufen?
Chriſten. Ja, nichts wiſſen; nur Wein her,
und hoͤr dann.
Der Vogt gibt ihm, ſitzt zu ihm hin, und Chri-
ſten erzaͤhlt jezt, was er weiß und was er nicht
weiß. Einſt machte er es ſo bunt, daß es der Vogt
merkte. Luͤg doch auch ſo, du Hund! daß man
es nicht mit Haͤnden greift, ſagte er.
Nein, bey Gott! antwortete Chriſten, ſo wahr
ich ein Suͤnder bin, es fehlt kein Haar und kein Punct
an dem, was ich ſage.
Nun denn, ſagte der Vogt, der jezt doch ge-
nug hatte, der Schabenmichel iſt eben gekommen,
ich muß etwas mit ihm reden, und geht dann an
den andern Tiſch, wo dieſer ſaß, klopft ihm auf
die Achſel und ſagt:
K 3§. 29.
[150]
§. 29.
Fortſetzung, wie Schelmen mit einander
reden und handeln.
Biſt du auch unter den Suͤndern? Ich dachte,
du ſeyſt, ſeit deinem Beruf an die Kirchmauer, auf
einmal heilig geworden, ſo wie unſer Metzger,
als er einſt eine Woche fuͤr den Siegriſt Mittag
laͤuten mußte.
Michel. Nein, Vogt! Meine Bekehrung geht
nicht ſo blitzſchnell; aber wenn’s einmal angeht,
ſo laſſe ich dann nicht nach.
Vogt. Ich moͤchte dann dein Beichtiger ſeyn,
Michel!
Michel. Ich mag dich aber nicht hiezu.
Vogt. Warum das?
Michel. Du wuͤrdeſt mir die Suͤnden wohl
doppelt machen mit deiner heiligen Kreiden.
Vogt. Waͤre dir das nicht recht?
Michel. Nein, Vogt! Ich will einen Beich-
tiger haben, der die Suͤnden verzeiht und nachlaͤßt,
und nicht einen, der ſie aufkreidet.
Vogt. Ich kann auch Suͤnden verzeihen und
nachlaſſen.
Michel.
[151]
Michel. Suͤnden aus deinem Buche?
Vogt. Freylich! Oft und viel muß ichs lei-
der; aber beſſer iſt’s, man halte ſich, daß ich’s
gern thue.
Michel. Kann man das, Herr Untervogt?
Vogt. Wir wollen ſehn. (Er winkt ihm.)
Sie gehn mit einander an’s kleine Tiſchlein am
Ecken beym Ofen.
Und der Vogt ſagt: Es iſt gut, daß du da
diſt, es kann dein Gluͤck ſeyn.
Michel. Ich habe Gluͤck noͤthig.
Vogt. Ich glaub es; aber wenn du dich an-
ſchickſt, ſo fehlt’s nicht, du machſt Geld auf dei-
nem Poſten.
Michel. Aber wie muß ich das anſtellen?
Vogt. Du mußſt dich bey dem Maͤurer ein-
ſchmeicheln, und recht hungrig und arm thun.
Michel. Das kann ich ohne Luͤgen.
Vogt. Du mußſt dann viel und oft deinen
Kindern dein Abendbrod geben, damit ſie glauben,
du habeſt ein Herz ſo weich, wie zerlaſſene But-
ter, und die Kinder muͤſſen dir baarfuß und zer-
lumpt nachlaufen.
Michel. Auch das iſt nicht ſchwer.
Vogt. Und dann, wenn du unter allen zehen
der Liebſte ſeyn wirſt, erſt dann wird deine rechte
Arbeit angehn.
Michel. Und was iſt denn die?
K 4Vogt.
[152]
Vogt. Alles zu thun, was bey dem Bau
Streit und Verdacht anzetteln, was die Arbeit in
Unordnung bringen, und was die Tagloͤhner und
den Meiſter dem Junker erleiden kann.
Michel. Das mag jezt wohl ein Bißchen ein
ſchwerers Stuͤcklein ſeyn.
Vogt. Aber es iſt ſo auch ein Stuͤcklein, da-
bey du Geld verdienen kannſt.
Michel. Ohne dieſe Hoffnung koͤnnte wohl ein
Geſcheider dieſe Wegweiſung geben; aber nur ein
Narr koͤnnte ſie annehmen.
Vogt. Das verſteht ſich, daß du Geld dabey
verdienen mußſt.
Michel. Zween Thaler Handgeld, Herr Un-
tervogt! das muß baar voraus bezahlt ſeyn, ſonſt
ding ich nicht in dieſen Krieg.
Vogt. Du wirſt alle Tage unverſchaͤmter,
Michel! Du verdienſt bey der Arbeit, die ich dir
zeige, Geld mit Muͤßiggehen, und du willſt denn
noch, ich ſoll dir den Lohn geben, daß du den gu-
ten Rath annimmſt.
Michel. Ich mag nichts hoͤren. Du willſt,
daß ich in deinem Dienſt den Schelmen mache,
und ich will’s thun, und treu ſeyn und herzhaft;
aber Handgeld und Dingpfenning, zween Thaler
und keinen Kreuzer minder, das muß heraus, ſonſt
ſtehe du ſelber hin, Vogt!
Vogt.
[153]
Vogt. Du Hund! du weißſt, wo du zwingen
kannſt; da ſind die zween Thaler.
Michel. Nun iſt’s in der Ordnung, Meiſter!
jezt nur befohlen.
Vogt. Ich denke, ſo etwann in der Nacht Ge-
ruͤſtſtangen abbrechen, und mit einem Schlag ein
Paar Kirchenfenſter von oben herunter ſpalten, das
ſey dir ein leichtes; und daß Seiler und Kaͤrſte
und was Kleines herum liegt, bey einem ſolchen
Ehrenanlaß verſchwinden muͤſſen, das verſteht ſich
von ſelbſt.
Michel. Natuͤrlich.
Vogt. Und dann in einer dunkeln Racht die
Geruͤſtbreter alle den Huͤgel hinab in Fluß tragen,
daß ſie weiter nach Holland fahren, das iſt auch
nicht ſchwer.
Michel. Nichts weniger; das kann ich voll-
kommen. Ich haͤnge ein groſſes weiſſes Hemd mit-
ten auf den Kirchhof an eine Stange, daß der
Waͤchter und die Frau Nachbarinn, wenn ſie ein
Gepolter hoͤren, das Geſpenſt ſehen, ſich ſegnen,
und mir vom Leib bleiben.
Vogt. Du loſer Ketzer du! was fuͤr ein
Einfall!
Michel. Ich thue es gewiß; es bewahrt vor
dem Halseiſen.
Vogt. Ja, aber das muß noch ſeyn; wenn
Zeichnungen, Rechnungen und Plaͤne, die dem
K 5Jun-
[154] Junker gehoͤren, etwann umher liegen, die mußſt
du ordentlich hintragen, wo ſie kein Hund ſucht,
und des Nachts dann abholen zum Einheizen.
Michel. Ganz wohl, Herr Untervogt!
Vogt. Auch mußſt du es ſo einfaͤdeln, daß
deine ehrende Geſellſchaft im Herrndienſt ſich recht
wohl ſeyn laſſe, daß ſie liederlich arbeite, und beſon-
ders, daß, wenn der Junker oder Jemand aus dem
Schloß koͤmmt, die Lumpenordnung am groͤſſeſten
ſey — Und daß du dann auch dieſen winken mußſt,
wie ſchoͤn es gehe, verſteht ſich.
Michel. Ich will alles probieren, und ich ver-
ſteh jezt ganz wohl, was du eigentlich willſt.
Vogt. Aber vor allem aus iſt’s wahrlich noͤ-
thig, daß du und ich Feinde werden.
Michel. Auch das verſteht ſich.
Vogt. Wir wollen damit gerade jezt anfan-
gen. Es koͤnnten Mamelucken da ſeyn, und er-
zaͤhlen, wie wir hier in Eintracht in dieſem Ecken
Rath gehalten haben.
Michel. Du haſt Recht.
Vogt. Trink noch ein Paar Glaͤſer, dann thue
ich dergleichen, als ob ich mit dir rechnen wollte,
und du laͤugneſt mir etwas. Ich fange Laͤrm an;
Du ſchmaͤlſt [a]uch, und wir ſtoſſen dich zur Thuͤre
hinaus.
Michel. Das iſt gut ausgedacht. (Er ſaͤuft
ge-
[155] geſchwind den Krug aus, und ſagt dann zum Vogt:
Fang jezt nur an.)
Der Vogt murmelt von der Rechnung, und
ſagt etwas vernemlich: Nun einmal den Gulden
hab ich nicht erhalten.
Michel. Beſinn dich, Vogt!
Vogt. Ich weiß in Gottes Namen nichts da-
von. Er ruft ſeiner Frau: Frau! haſt du die vo-
rige Woche einen Gulden vom Michel erhalten?
Die Frau. Behuͤt uns Gott! Keinen Kreu-
zer.
Vogt. Das iſt wunderlich — Gieb mir den
Rodel. (Sie bringt ihn.)
Der Vogt liest — Da iſt Montag — nichts
von dir — Dienſtag — nichts von dir — Da iſt
Mitwochen — — Am Mitwochen, ſagteſt du ja,
war es.
Michel. Ja.
Vogt. Da iſt Mitwochen — ſiehe da, es iſt
nichts von dir — Und auch Donnerſtag, Freytag
und Samſtag, es iſt kein Wort da von dem Gulden.
Michel. Das iſt vom Teufel; ich hab ihn
doch bezahlt.
Vogt. Sachte, ſachte, Herr Nachbar! Ich
ſchreibe alles auf.
Michel. Was hab ich von deinem Auſſchrei-
ben, Vogt? Ich habe den Gulden bezahlt.
Vogt. Das iſt nicht wahr, Michel!
Michel.
[156]
Michel. Ein Schelm ſagt, ich hab ihn nicht
bezahlt.
Vogt. Was ſagſt du, ungehaͤngter Spitzbub?
Etliche Bauern ſtehn auf: Er hat den Vogt
geſcholten, wir habens gehoͤrt.
Michel. Es iſt nicht wahr; aber ich habe den
Gulden bezahlt.
Bauern. Was ſagſt du, Schelm! du habſt
ihn nicht geſcholten? Wir haben’s alle gehoͤrt.
Vogt. Werft mir den Hund aus der Stube.
Michel. (Mit dem Meſſer in der Hand) Wer
mich anruͤhrt, der ſehe zu —
Vogt. Nehmt ihm das Meſſer.
Sie nehmen ihm das Meſſer, ſtoſſen ihn zur
Thuͤr hinaus, und kommen dann wieder.
Vogt. Es iſt gut, daß er fort iſt; er war
nur ein Spion vom Maͤurer.
Bauern. Bey Gott! das war er. Es iſt gut,
daß der Schelm fort iſt.
§. 30.
[157]
§. 30.
Fortſetzung, wie Schelmen mit einander
reden und handeln, auf eine andere
Manier.
Wein her, Frau Voͤgtinn! Vogt! wir ſaufen auf
die Erndte hin; eine Garbe vom Zehenden fuͤr
die Maß.
Vogt. Ihr wollt mich bald bezahlen.
Bauern. Nicht ſo bald, aber deſto ſchwerer.
Der Vogt ſetzt ſich zu ihnen, und ſanft auch
mit ihnen nach Herzensluſt, auf den kuͤnftigen Zehn-
den.
Nun ſind alle Maͤuler offen, ein wildes Ge-
wuͤhl von Fluchen und Schwoͤren, von Zotten und
Poſſen, von Schimpfen und Trotzen, erhebt ſich
an allen Tiſchen. Sie erzaͤhlen von Hurereyen und
Diebſtaͤlen, von Schlaghaͤndeln und Scheltworten,
von Schulden, die ſie luſtig gelaͤugnet, von Pro-
ceſſen, die ſie mit feinen Streichen gewonnen haͤtten,
von Bosheiten und Unſinn — davon das meiſte er-
logen, viel aber, leider Gott erbarm! wahr
war; wie ſie den alten Arner in Holz und Feld
und Zehnden beſtohlen haͤtten; auch wie ihre Weiber
jezt
[158] jezt bey den Kindern Truͤbſal blieſen, wie die eine
das Betbuch naͤhme — die andere einen Krug Wein
in Spreuer oder in Strohſack verberge; auch
von ihren Buben und Maͤdchen, wie eines dem
Vater helfe die Mutter betriegen, und ein anderes
der Mutter helfe den Vater erwiſchen; und wie ſie
es als Buben auch ſo gemacht haͤtten und noch viel
ſchlimmer. Dann kamen ſie auf den armen Uli, der
uͤber etlichen ſolchen Narrenpoſſen ertappt worden,
und elendiglich umgekommen waͤre, am Galgen;
wie er aber andaͤchtig gebetet haͤtte, und gewiß
ſelig geſtorben waͤre; nachdem er, wie man wohl wiſ-
ſe, nicht das Halbe bekennet habe, aber doch um
des unchniſtlichen Pfarrers willen haͤtte ins Gras
beiſſen muͤſſen.
Sie waren eben an dieſer Geſchichte und an des
Pfarrers Bosheit, als die Voͤgtinn ihrem Mann
winkte, daß er heraus kaͤme.
Wart, bis die Geſchichte mit dem Gehaͤngten
voruͤber iſt, war ſeine Antwort. Sie aber ſagt’ ihm
leiſe ins Ohr: Der Joſeph iſt da. Er antworte-
te: Verſteck ihn, ich will bald kommen.
Der Joſeph hatte ſich in die Kuͤche geſchlichen.
Es war aber ſo viel Volk im Haus, daß die Voͤg-
tiun befuͤrchtete, man ſehe ihn da.
Sie loͤſchte das Licht aus, und ſagte ihm:
Joſeph! ziehe deine Schuhe ab, und ſchleich mir
nach
[159] nach in die untere Stube, der Mann kommt hin-
unter.
Der Joſeph nahm ſeine Schuhe in die Hand
und folgte ihr nach auf den Zehen in die untere
Stube.
Und es gieng nicht lange, ſo kam der Vogt auch,
und fragte ihn:
Was willſt du noch ſo ſpaͤth, Joſeph?
Joſeph. Nicht viel. Ich will dir nur ſa-
gen: Es ſey mit den Steinen recht gut in der
Ordnung.
Vogt. Das freut mich, Joſeph!
Joſeph. Der Meiſter redte heute von der
Mauer, und ſchwatzte da, daß die nahen Kieſel
und Feldſteine recht gut waͤren. Ich ſagte ihm
aber gerade zu, daß er ein Narr ſey und ſeine Sa-
chen nie recht anſtellen wolle. Die Mauer werde
vom Schwendiſtein ſo ſchoͤn und glatt werden wie ein
Teller. Er ſagte kein Wort dagegen, und ich fuhr
fort: Wenn er nicht Schwendiſteine nehme, ſo
ſtoſſe er ſein Gluͤck mit Fuͤſſen von ſich.
Vogt. Hat er ſich dazu entſchloſſen?
Joſeph. Ja freylich; das war im Augen-
blick richtig. Am Montag werden wir den Bruch
angreifen.
Vogt. Die Tagloͤhner muͤſſen ja am Montag
ins Schloß.
Joſeph.
[160]
Joſeph. Sie werden zu Mittag ſchon wieder
zuruͤck und mit der Waar in dem Kalch ſeyn. Das hat
ſeine Richtigkeit, wie wenn’s ſchon drinnen waͤre.
Vogt. Das iſt recht und gut; wenn’s doch
nur ſchon gemacht waͤre. Dein Trinkgeld liegt
ſchon parat, Joſeph!
Joſeph. Ich haͤtte es eben jezt recht noͤthig,
Vogt!
Vogt. Komm nur am Montag, wenn ihr
den Bruch angefangen haben werdet; es liegt parat.
Joſeph. Meynſt du, ich halte nicht Wort?
Vogt. Wohl, Joſeph! ich traue dir.
Joſeph. So gieb mir doch gerade jetzo drey
Thaler — auf unſere Abrede — Ich wollte gern
morgen meine neuen Stiefel beym Schuſter abho-
len; es iſt mein Namenstag, und ich mag jezt dem
Meiſter kein Geld fordern.
Vogt. Ich kann jezt nicht wohl. Komme
doch am Montag Abend.
Joſeph. Da ſehe ich, wie du mir traueſt.
Man mag wohl etwas verſprechen, aber halten,
das iſt was anders! Ich glaubte auf dein Trink-
geld zaͤhlen zu doͤrfen, Herr Untervogt!
Vogt. Meiner Seele! ich gieb es dir.
Joſeph. Ich ſeh’s ja —
Vogt. Es iſt am Montag auch noch Zeit.
Joſeph. Vogt! du zeigeſt mir, daß man’s
mit Haͤnden greifen kann, daß du mir nicht trauſt.
Alſo
[161] Alſo darf ich auch ſagen, wie’s mir iſt: Wird der
Steinbruch einmal angegriffen ſeyn, ſo wirſt du
mir kein gut Wort mehr geben.
Vogt. Das iſt doch unverſchaͤmt, Joſeph!
ich werde dir gewiß Wort halten.
Joſeph. Ich mag nichts hoͤren, wenn’s nicht
jezt ſeyn kann, ſo iſt alles [au]s.
Vogt. Kannſt du es jezt nicht mit zween Tha-
lern machen?
Joſeph. Nein, ich muß drey haben; aber
dann kannſt du auch auf mich zaͤhlen, in allem.
Vogt. Ich will’s endlich thun, aber du halteſt
dann mir doch dein Wort?
Joſeph. Wenn ich dich dann anfuͤhre, ſo ſage,
wo du willſt, ich ſey der groͤſte Schelm und Dieb
auf der Erden.
Der Vogt rief jezt der Frau, und ſagt’ ihr:
Gieb dem Joſeph drey Thaler.
Die Frau nimmt ihn beyſeits, und ſagt ihm:
Thue doch das nicht.
Vogt. Rede mir nichts ein. Thue, was ich
ſage.
Frau. Sey doch doch kein Narr; du biſt be-
ſoffen, es wird dich morgen reuen.
Vogt. Rede mir kein Wort ein. Drey Tha-
ler im Augenblick — hoͤrſt du, was ich ſage?
Die Frau ſeufzt, holt die Thaler, wirft ſie dem
Vogt dar. Dieſer giebt ſie dem Joſeph, und
Lſagt
[162] ſagt noch einmal: Du wirſt mich doch nicht an-
fuͤhren wollen?
Behuͤte mich Gott davor! Was denkſt du auch,
Vogt? antwortete Joſeph — geht, zaͤhlt auſſer der
Thuͤre noch einmal ſeine drey Thaler, und ſagt
zu ſich ſelbſt:
Nun iſt mein Lohn zwiſchen den Fingern, und
da iſt er ſicherer, als in des Vogts Kiſten. Er iſt
ein alter Schelm, und ich will nicht ſein Narr
ſeyn. Nehm jezt meinethalben der Meiſter Kieſel-
oder Blauſtein.
Die Voͤgtinn heulete vor Zorn auf der Herd-
ſtaͤtte in der Kuͤche; und gieng nicht mehr in die
Stube bis nach Mitternacht.
Auch dem Vogt ahndete, ſo bald er fort war,
daß er ſich uͤbereilt haͤtte; aber er vergaß es bald
wieder bey der Geſellſchaft. Der Graͤuel der San-
fenden dauerte bis nach Mitternacht.
Endlich kam die Voͤgtinn aus der Kuͤche, und
ſagte: Es iſt Zeit, es iſt einmal Zeit aufzubrechen,
es geht gegen dem Morgen, und iſt heiliger Abend.
Heiliger Abend! ſagten die Kerls, ſtreckten ſich,
gaͤhnten, ſoffen aus, und ſtuhnden nach und nach
auf.
Jezt taumelten, wankten ſie allenthalben um-
her, hielten ſich an Tiſchen und Waͤnden, und
kamen mit Muͤhe zum Hauſe hinaus.
Gehe
[163]
Geht doch ein jeder allein, und macht kein
Gewuͤhl, ſagte ihnen die Voͤgtinn, ſonſt kriegen der
Pfarrer und ſein Chorgericht Strafen.
Nein, es iſt beſſer, wir verſaufen das Geld,
antworteten die Maͤnner.
Und die Voͤgtinn: Wenn ihr den Waͤchter an-
trefft, ſo ſaget ihm, es ſtehe ein Glas Wein und
ein Stuͤck Brod fuͤr ihn da.
Und ſie waren kaum fort, ſo erſchien der Waͤch-
ter vor den Fenſtern des Wirthshauſes, und rief:
Wollt ihr hoͤren, was ich euch will ſagen,
Die Glock und die hat Ein Uhr g’ſchlagen.
Ein Uhr g’ſchlagen.
Die Voͤgtinn verſtuhnd den Ruf, bracht ihm
den Wein, und bat, daß er doch dem Pfarrer
nicht ſage, wie lange ſie gewirthet habe.
Und nun half ſie noch dem ſchlummernden
Beſoffenen aus den Schuhen und Struͤmpfen —
— — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — —
L 2Und
[164]
Und ſie brummte noch von Joſephs Thalern,
und von der Dummheit ihres Manns; er aber
ſchlummerte, ſchnarchte, wußte nicht, was er that.
Endlich kamen beyde am heiligen Abend zur Ruhe.
Und
[165]
Und nun, Gott Lob! ich habe jezt eine Weile
nichts mehr von ihnen zu erzaͤhlen. Ich kehre zu-
ruͤck zu Lienhard und Gertrud — Wie das eine
Welt iſt! Bald ſteht neben einem Hundsſtall ein
Garten, und auf einer Wieſe iſt bald ſtinkender
Unrath, bald herrliches, [m]ilchreiches Futter.
Ja, es iſt wunderlich auf der Welt! Selbſt
die ſchoͤnen Wieſen geben ohne den Unrath, den
wir darauf ſchuͤtten, kein Futter.
L 2§. 31.
[166]
§. 31.
Der Abend vor einem Feſttage, im Hauſe
einer rechtſchaffenen Mutter.
Gertrud war noch allein bey ihren Kindern. Die
Vorfaͤlle der Woche und der morndrige feſtliche
Morgen erfuͤllten ihr Herz. In ſich ſelbſt geſchloſ-
ſ [...]n und ſtill bereitete ſie das Nachteſſen, nahm ih-
rem Mann und den Kindern und ſich ſelber ihre
Sonntagskleider aus dem Kaſten, und bereitete al-
les auf morgen, damit denn am heiligen Tage ſie
nichts mehr zerſtreue. Und da ſie ihre Geſchaͤfte
vollendet hatte, ſetzte ſie ſich mit ihren Lieben an
Tiſch, um mit ihnen zu beten.
Es war alle Samſtage ihre Gewohnheit, den
Kindern in der Abendgebetſtunde ihre Fehler und
auch die Vorfaͤlle der Woche, die ihnen wichtig
und erbaulich ſeyn konnten, ans Herz zu legen.
Und heute war ſie beſonders eingedenk der Guͤte
Gottes gegen ſie in dieſer Woche, und wollte die-
ſen Vorfall, ſo gut ihr moͤglich war, den jungen
Herzen tief einpraͤgen, daß er ihnen unvergeßlich
bliebe.
Die Kinder ſaſſen ſtill um ſie her, falteten ihre
Haͤnde zum Gebet, und die Mutter redte mit ihnen.
Ich
[167]
Ich habe euch etwas Gutes zu ſagen, Kinder!
Der liebe Vater hat in dieſer Woche eine gute Ar-
beit bekommen, an deren ſein Verdienſt viel beſſer
iſt, als an dem, was er ſonſt thun muß — Kin-
der! wir duͤrfen hoffen, daß wir in Zukunft das
taͤgliche Brod mit weniger Sorgen und Kummer
haben werden.
Danket, Kinder! dem lieben Gott, daß er ſo
gut gegen uns iſt; und denket fleißig an die alte
Zeit, wo ich euch jeden Mundvoll Brod mit Angſt
und Sorgen abtheilen mußte. Es that mir da ſo
manchmal im Herzen weh, daß ich euch ſo oft und
viel nicht genug geben konnte; aber der liebe Gott
im Himmel wußte ſchon, daß er helfen wollte, und
daß es beſſer fuͤr euch ſey, meine Lieben! daß ihr
zur Armuth, zur Geduld, und zur Ueberwindung
der Geluͤſte gezogen wuͤrdet, als daß ihr Ueber-
fluß haͤttet. Denn der Menſch, der alles hat,
was er will, wird gar zu gern leichtſinnig, ver-
gißt ſeines Gottes, und thut nicht das, was ihm
ſelbſt das nuͤtzlichſte und beſte iſt. Denkt doch, ſo
lang ihr leben werdet, Kinder! an dieſe Armuth,
und an alle Noth und Sorgen, die wir hatten —
und wenn es jezt beſſer geht, Kinder! ſo denkt an
die, ſo Mangel leiden, ſo wie ihr Mangel leiden
mußtet. Vergeſſet nie, wie Hunger und Mangel
ein Elend ſind, auf daß ihr mitleidig werdet gegen
dem Armen. Und wenn ihr einen Mundvoll uͤber-
L 4fluͤßiges
[168] fluͤßiges habt, es ihm gern gebet — Nicht wahr,
Kinder! ihr wollt es gern thun?
O ja, Mutter! gewiß gerne — ſagten alle Kin-
der.
§. 32.
Die Freuden der Gebetsſtunde.
Mutter.
Niclas! wen kenneſt du, der am meiſten Hunger
leiden muß?
Niclas. Mutter! den Rudeli. Du warſt
geſtern bey ſeinem Vater, der muß ſchier Hun-
ger ſterben; er iſſet Gras ab dem Boden.
Mutter. Wollteſt du ihm gern dann und
wann dein Abendbrod geben?
Niclas. O ja, Mutter! darf ich gerad mor-
gen.
Mutter. Ja, du darfſt es.
Niclas. Das freuet mich!
Mutter. Und du, Liſe! wem wollteſt du
dann und wann dein Abendbrod geben?
Liſe. Ich beſinne mich jezt nicht gerade, wem
ich’s am liebſten gaͤbe.
Mutter. Kommt dir denn kein Kind in Sinn,
das Hunger leiden muß?
Liſe.
[169]
Liſe. Wohl freylich, Mutter!
Mutter. Warum weißſt du denn nicht, wem
du’s geben willſt? Du haſt immer ſo kluges Be-
denken, Liſe!
Liſe. Ich weiß es jezt auch, Mutter!
Mutter. Wem denn?
Liſe. Des Reuͤtimarxen Beteli — Ich ſah es
heute auf des Vogts Miſt verdorbene Erdaͤpfel her-
ausſuchen.
Niclas. Ja, Mutter! ich ſah es auch, und
ſuchte in allen meinen Saͤcken, aber ich fand keinen
Mundvoll Brod mehr — haͤtte ich’s nur auch ei-
ne Viertelſtunde laͤnger geſpart.
Die Mutter fragte jezt eben das auch die andern
Kinder — und ſie hatten alle eine herzinnige Freude
daruͤber, daß ſie morgen ihr Abendbrod armen Kin-
dern geben ſollten.
Die Mutter ließ ſie eine Weile dieſe Freude
genieſſen — dann ſagte ſie zu ihnen: Kinder! es iſt
jezt genug hievon — Denket jezt auch daran, wie
unſer Gnaͤdige Herr euch ſo ſchoͤne Geſchenke ge-
macht hat.
Ja unſere ſchoͤnen Batzen — willſt du ſie uns
doch zeigen, Mutter? ſagten die Kinder.
Hernach, nach dem Beten, ſagte die Mutter.
Die Kinder jauchzeten vor Freuden.
L 5§. 33.
[170]
§. 33.
Die Ernſthaftigkeit der Gebetsſtunde.
Ihr laͤrmet, Kinder! ſagte die Mutter. Wenn
euch etwas Gutes begegnet, ſo denket doch bey al-
lem an Gott, der uns alles giebt. Wenn ihr das
thut, Kinder! ſo werdet ihr in keiner Freude wild
und ungeſtuͤmm ſeyn. Ich bin gern ſelber mit euch
froͤlich, ihr Lieben! aber wenn man in Freude und
Leid ungeſtuͤmm und heftig iſt, ſo verlieret man die
ſtille Gleichmuͤthigkeit und Ruhe ſeines Herzens.
Und wenn der Menſch kein ſtilles, ruhiges und heiteres
Herz hat, ſo iſt ihm nicht wohl. Darum muß er
Gott vor Augen haben. Die Gebetsſtunde des
Abends und Morgens iſt darfuͤr, daß ihr das nie
vergeſſet. Denn, wenn der Menſch Gott dankt
oder betet, ſo iſt er in ſeinen Freuden nie ausge-
laſſen und in ſeinen Sorgen nie ohne Troſt. Aber
darum, Kinder! muß der Menſch, beſonders in ſei-
ner Gebetsſtunde, ſuchen ruhig und heiter zu ſeyn —
Sehet, Kinder! wenn ihr dem Vater recht danket
fuͤr etwas, ſo jauchzet und laͤrmet ihr nicht — Ihr
fallet ihm ſtill und mit wenig Worten um den
Hals; und wenn’s euch recht zu Herzen gehet, ſo
ſteigen euch Thraͤnen in die Augen — Sehet, Kin-
der!
[171] der! ſo iſt’s auch gegen Gott! Wen̄’s euch [...]cht freuet,
was er euch Gutes thut, und wenn es euch recht
im Herzen iſt zu danken, ſo machet ihr gewiß nicht
viel Geſchreyes und Geredes — aber Thraͤnen kom-
men euch in die Augen, daß der Vater im Himmel ſo
gut iſt — Sehet, Kinder! dafuͤr iſt alles Beten,
daß einem das Herz im Leib gegen Gott und Men-
ſchen immer dankbar bleibe; und wenn man recht
betet, ſo thut man auch Recht, und wird Gott
und Menſchen lieb in ſeinem ganzen Leben.
Niclas. Auch dem Gnaͤdigen Herrn werden
wir recht lieb, wenn wir Recht thun, ſagteſt du
geſtern.
Mutter. Ja, Kinder! es iſt ein recht guter
und frommer Herr! Gott lohne ihm alles was er
an uns thut. Wenn du ihm einſt nur recht lieb
wirſt, Niclas!
Niclas. Ich will ihm thun, was er will;
wie dir und dem Vater will ich ihm thun, was er
will, weil er ſo gut iſt.
Mutter. Das iſt brav, Niclas! denk nur im-
mer ſo, ſo wirſt du ihm gewiß lieb werden.
Niclas. Wenn ich nur auch einmal mit ihm
reden duͤrfte.
Mutter. Was wollteſt du mit ihm reden?
Niclas. Ich wollte ihm danken fuͤr den ſchoͤ-
nen Batzen.
Anneli. Duͤrfteſt du ihm danken?
Niclas.
[172]
Niclas. Warum das nicht?
Anneli. Ich duͤrft’s nicht.
Liſe. Ich auch nicht.
Mutter. Warum duͤrftet ihr das nicht, Kin-
der?
Liſe. Ich muͤßte lachen —
Mutter. Was lachen? Liſe! und noch vor-
aus ſagen, daß du nicht anders als laͤppiſch thun
koͤnnteſt. Wenn du nicht viel Thorheiten im Kopf
haͤtteſt, es koͤnnte dir an ſo etwas kein Sinn kom-
men.
Anneli. Ich muͤßte nicht lachen, laber ich
wuͤrde mich fuͤrchten.
Mutter. Er wuͤrde dich bey der Hand nehmen,
Anneli! und wuͤrde auf dich herab laͤcheln, wie der
Vater, wenn er recht gut mit dir iſt. Dann wuͤr-
deſt du dich doch nicht mehr fuͤrchten, Anneli!
Anneli. Nein — dann nicht.
Jonas. Und ich dann auch nicht.
§. 34.
[173]
§. 34.
So ein Unterricht wird verſtanden und
geht an’s Herz, aber es giebt ihn ei-
ne Mutter.
Mutter.
Aber ihr Lieben! wie iſt’s in dieſer Woche mit
dem Rechtthun gegangen?
Die Kinder ſehen eines das andere an, und
ſchweigen.
Mutter. Anneli! thateſt du Recht in dieſer
Woche?
Anneli. Nein Mutter! du weißſt es wohl mit
dem Bruͤderlein.
Mutter. Anneli! es haͤtte dem Kind etwas
begegnen koͤnnen; es ſind ſchon Kinder, die man ſo
allein gelaſſen hat, erſtickt. Und uͤber das, denk nur,
wie’s dir waͤre, wenn man dich in eine Kammer
einſperrte, und dich da hungern und duͤrſten und
ſchreyen lieſſe. Die kleinen Kinder werden auch
zornig, und ſchreyen, wenn man ſie lang ohne
Huͤlfe laͤßt, ſo entſetzlich, daß ſie fuͤr ihr ganzes
Leben elend werden koͤnnen. — Anneli! ſo duͤ [...][f]te
ich, weiß Gott! keinen Augenblick mehr ruhig vom
Hauſe
[174] Hauſe weg, wenn ich fuͤrchten muͤßte, du haͤtteſt
zu dem Kind nicht recht Sorge.
Anneli. Glaube mir’s doch, Mutter! ich will
gewiß nicht mehr von ihm weggehn.
Mutter. Ich wills zum lieben Gott hoffen,
du werdeſt mich nicht mehr ſo in Schrecken ſetzen.
Und, Niclas! wie iſts dir in dieſer Woche ge-
gangen?
Niclas. Ich weiß nichts Boͤſes.
Mutter. Denkſt du nicht mehr dran, daß
du am Montag das Gruͤteli umgeſtoſſen haſt?
Niclas. Ich hab’s nicht mit Fleiß gethan,
Mutter!
Mutter. Wenn du es noch gar mit Fleiß ge-
than haͤtteſt, ſchaͤmeſt du dich nicht, das zu ſagen?
Niclas. Es iſt mir leid! Ich will’s nicht
mehr thun, Mutter!
Mutter. Wenn du einmal groß ſeyn, und ſo,
wie jezt, nicht Achtung geben wirſt, was um und an
dir iſt, ſo wirſt du es mit deinem g[r]oſſen Schaden
lernen muͤſſen. Schon unter den Knaben kommen
die Unbedachtſamen immer in Haͤndel und Streit —
und ſo muß ich fuͤrchten, mein lieber Niclas! daß
du dir mit deinem unbedachtſamen Weſen viel Un-
gluͤck und Sorgen auf den Hals ziehen werdeſt.
Niclas. Ich will gewiß Acht geben, Mutter!
Mutter. Thue es doch, mein Lieber! und
glaub
[175] glaub mir, dieſes unbedachtſame Weſen wuͤrde dich
gewiß ungluͤcklich machen.
Niclas. Liebe, liebe Mutter! ich weiß es und
ich glaub es, und ich will gewiß Acht geben.
Mutter. Und du, Liſe! wie haſt du dich in
dieſer Woche aufgefuͤhrt?
Liſe. Ich weiß einmal nichts anders dieſe
Woche, Mutter!
Mutter. Gewiß nicht?
Liſe. Nein einmal, Mutter! ſo viel ich mich
beſinne; ich wollte es ſonſt gern ſagen, Mutter!
Mutter. Daß du immer, auch wenn du nichts
weißſt, mit ſo viel Worten antworteſt, als ein an-
ders, wenn es recht viel zu ſagen hat.
Liſe. Was habe ich jezt denn auch geſagt, Mut-
ter?
Mutter. Eben nichts, und doch viel geant-
wortet. Es iſt das, was wir dir tauſendmal ſchon
ſagten, du ſeyſt nicht beſcheiden, du beſinneſt dich
uͤber nichts, was du reden ſollſt, und muͤſſeſt doch
immer geredt haben — Was hatteſt du gerad vor-
geſtern dem Untervogt zu ſagen, du wiſſeſt, daß
Arner bald kommen werde?
Liſe. Es iſt mir leid, Mutter!
Mutter. Wir haben’s dir ſchon ſo oft geſagt,
daß du nicht in alles, was dich nicht angeht, re-
den ſollſt, inſonderheit vor fremden Leuten; und
doch thuſt du es immerfort — Wenn jezt dein Va-
ter
[176] ter es nicht haͤtte ſagen duͤrfen, daß er es ſchon
wiſſe, und wenn er ſo Verdruß von deinem Ge-
ſchwaͤtze gehabt haͤtte?
Liſe. Es wuͤrde mir ſehr leid ſeyn; aber weder
du noch er haben doch kein Wort geſagt, daß es
Niemand wiſſen ſoll.
Mutter. Ja, ich will’s dem Vater ſagen,
wenn er heim koͤmmt. Wir muͤſſen ſo zu al-
len Worten, die wir in der Stube reden, allemal
hinzuſetzen: Das darf jezt die Liſe ſagen bey den
Nachbaren, und beym Brunnen erzaͤhlen — aber
das nicht — und das nicht — und das wieder —
ſo weißſt du denn recht ordentlich und richtig, wo-
von du plappern darfſt.
Liſe. Verzeih mir doch, Mutter! Ich meynte
es auch nicht ſo.
Mutter. Man hat es dir fuͤr ein und allemal
geſagt, daß du in nichts, was dich nicht angeht,
plaudern ſollſt; aber es iſt vergeblich. Der Feh-
ler iſt dir nicht abzugewoͤhnen, als mit Ernſt, und
das erſtemal, daß ich dich wieder bey ſo unbeſon-
nenem Geſchwaͤtz antreffen werde, werde ich dich
mit der Ruthe abſtrafen.
Die Thraͤnen ſchoſſen der Liſe in die Augen, da
die Mutter von der Ruthe redte. Die Mutter ſah
es, und ſagte zu ihr: Liſe! die groͤßſten Ungluͤcke
entſtehen aus unvorſichtigem Geſchwaͤtze, und dieſer
Fehler muß dir abgewoͤhnt ſeyn.
So
[177]
So redte die Mutter mit allen, ſo gar mit dem
kleinen Gruͤtli: Du mußſt deine Suppe nicht mehr
ſo ungeſtuͤmm fordern, ſonſt laß ich dich ein ander
mal noch laͤnger warten, oder ich gebe ſie gar ei-
nem andern.
Nach allem dieſem beteten die Kinder ihre ge-
woͤhnten Abendgebete, und nach denſelben das Sam-
ſtagsgebet, das Gertrud ſie gelehrt hatte. Es lau-
tet alſo:
§. 35.
Ein Samſtagsabendgebet.
Lieber Vater im Himmel! Du biſt immer gut mit
den Menſchen auf Erden, und auch mit uns biſt
du immer gut, und giebſt uns alles, was wir noͤ-
thig haben. Ja, du giebſt uns Gutes zum Ue-
berfluß. Alles koͤmmt von dir — das Brod und
alles, was uns der liebe Vater und die liebe Mut-
ter geben, alles giebſt du ihnen, und ſie geben es
uns gern. Sie freuen ſich uͤber alles, was ſie uns
thun und geben koͤnnen, und ſagen uns, wir ſollen
es dir danken, daß ſie ſo gut mit uns ſind; ſie ſa-
gen uns, wenn ſie dich nicht kennten, und du ih-
nen nicht lieb waͤreſt, ſo waͤren auch wir ihnen nicht
Mſo
[178] ſo lieb, und ſie wuͤrden, wenn ſie dich nicht kenn-
ten und liebten, uns gar viel weniger Gutes thun
koͤnnen. Sie ſagen uns ferner, daß wir es dem
Heiland der Menſchen danken ſollen, daß ſie dich,
himmliſcher Vater! erkennen und lieben, und daß
alle Menſchen, welche dieſen lieben Heiland nicht
kennen und lieben, und nicht allem guten Rathe fol-
gen, den er den Menſchen auf Erden gegeben hat,
auch dich, himmliſcher Vater nicht ſo lieben, und
ihre Kinder nicht ſo fromm und ſorgfaͤltig erziehen,
als die, ſo dem Heiland der Welt glauben. Un-
ſer liebe Vater und die liebe Mutter erzaͤhlen uns
immer viel von dieſem lieben Jeſus, wie er es ſo
gut mit den Menſchen auf Erden gemeynt,
wie er, damit er alles thue, was er koͤnne,
die Menſchen zeitlich und ewig gluͤcklich zu machen,
ſein Leben in tauſendfachem Elend zugebracht ha-
be, und wie er endlich am Kreuze geſtorben ſey; wie
ihn Gott wieder vom Tode auferweckt habe, und
wie er jezt in der Herrlichkeit des Himmels zur
Rechten auf dem Throne Gottes, ſeines Vaters,
lebe, und noch jezt alle Menſchen auf Erden gleich
liebe und ſuche gluͤcklich und ſelig zu machen —
Es geht uns allemal an’s Herz, wenn wir von
dieſem lieben Jeſus hoͤren — wenn wir nur auch
lernen ſo leben, daß wir ihm lieb werden, und
daß wir einſt zu ihm kommen in den Himmel.
Lieber
[179]
Lieber Vater im Himmel! Wir arme Kinder,
die wir hier beyſammen ſitzen und beten, ſind Bruͤ-
der und Schweſtern; darum wollen wir immer
recht gut mit einander ſeyn, und einander nie nichts
zu leid thun, ſondern alles Gute, was wir koͤnnen
und moͤgen. Zu den Kleinen wollen wir Sorge
tragen mit aller Treue und mit allem Fleiß, daß
der liebe Vater und die liebe Mutter ohne Sorgen
ihrer Arbeit und ihrem Brode nachgehn koͤnnen;
das iſt das Einzige, ſo wir ihnen thun koͤnnen —
fuͤr alle Muͤhe und Sorgen und Ausgaben, die ſie
fuͤr uns haben. Vergilt ihnen, du Vater im Him-
mel! alles, was ſie an uns thun, und laß uns ih-
nen in allem, was ſie wollen, folgen, daß wir ih-
nen lieb bleiben bis an’s Ende ihres Lebens, da du
ſie von uns nehmen und belohnen wirſt fuͤr ihre
Treue, die ſie uns werden erwieſen haben.
Lieber himmliſcher Vater! Laß uns den mor-
genden heiligen Tag deiner Guͤte und der Liebe Jeſu
Chriſti, und auch alles deſſen, was uns unſer Va-
ter und unſere Mutter und alle Menſchen Gutes
thun, recht eingedenk ſeyn; damit wir gegen Gott
und Menſchen dankbar werden, und gehorſam, und
damit wir in der Liebe wandeln vor deinen Augen
unſer Lebenlang —
Hier mußte Niclas inne halten. Dann ſprach
Gertrud allemal, nach den Vorfaͤllen der Woche,
das weitere vor.
M 2Heute
[180]
Heute ſagte ſie ihnen: Wir danken dir, himm-
liſcher Vater! daß du unſern lieben Eltern in die-
ſer Woche die ſchweren Sorgen fuͤr ihr Brod und
fuͤr ihre Haushaltung erleichtert, und dem Vater
einen guten, eintraͤglichen Verdienſt gezeiget haſt.
Wir danken dir, daß unſere Obrigkeit mit wah-
rem Vaterherzen unſer Schutz, unſer Troſt und
unſere Huͤlfe in allem Elend und in aller Noth iſt.
Wir danken dir fuͤr die Gutthat unſers Gnaͤdigen
Herrn. Wir wollen, will’s Gott! aufwachſen, wie
zu deiner Ehre, alſo auch zu ſeinem Dienſt und
Wohlgefallen; denn er iſt uns, wie ein treuer Va-
ter.
Hierauf ſprach ſie der Liſe vor: Verzeih mir, o
mein Gott! meine alte Unart, und lehre mich, mei-
ne Zunge im Zaum halten — ſchweigen, wo ich
nicht reden ſoll, und behutſam und bedaͤchtlich ant-
worten, wo man mich fraget.
Sodann ſpricht ſie dem Niclas vor: Bewahre
mich, Vater im Himmel! doch in Zukunft vor mei-
nem haſtigen Weſen, und lehre mich, mich auch
in Acht nehmen, was ich mache, und wer um
und an mir ſey.
Dann dem Anneli: Es iſt mir leid, mein lie-
ber Gott! daß ich mein Bruͤderlein ſo leichtſinnig ver-
laſſen, und damit die liebe Mutter ſo in Schrecken
geſetzt habe. Ich will es in meinem Leben nicht mehr
thun, mein lieber Gott!
Und
[181]
Und nachdem die Mutter allen Kindern ſo vor-
geſprochen hatte, betete ſie ferner:
Dann betete Niclas das heilige Vater unſer.
Und dann Enne: Behuͤt mir, Gott! den lie-
ben Vater und die liebe Mutter und die lieben Ge-
ſchwiſter, auch unſern lieben Gnaͤdigen Herrn von
Arnheim, und alle guten lieben Menſchen auf Er-
den —
Und dann die Liſe:
Und dann die Mutter:
Der Herr laſſe ſein heiliges Angeſicht uͤber euch
leuchten, und ſey euch gnaͤdig!
Eine Weile noch ſaſſen die Kinder und die Mut-
ter in der ernſten Stille, die ein wahres Gebet al-
len Menſchen einfloͤſſen muß.
M 3§. 36.
[182]
§. 36.
Noch mehr Mutterlehren. Reine An-
dacht und Emporhebung der Seele
zu Gott.
Liſe unterbrach dieſe Stille — Du zeigeſt uns jezt
die neuen Batzen, ſagte ſie zur Mutter — Ja, ich
will ſie euch zeigen, antwortete die Mutter.
Aber, Liſe! du biſt immer das, ſo zuerſt
redet.
Niclas juckt jezt vom Ort auf, wo er ſaß, draͤngt
ſich hinter dem Gruͤtli hervor, daß er naͤher beym
Licht ſey, um die Batzen zu ſehen, und ſtoͤßt denn
das Kleine, daß es laut weint.
Da ſagte die Mutter: Niclas! es iſt nicht Recht;
in eben der Viertelſtunde verſprachſt du, ſorgfaͤlti-
ger zu ſeyn, und jezt thnſt du das.
Niclas. Ach Mutter! es iſt mir leid; ich
will’s in meinem Lebe nicht mehr thun.
Mutter. Das ſagteſt du eben jezt zu deinem
lieben Gott, und thatſt es wieder; es iſt dir nicht
Ernſt.
Niclas. Ach ja, Mutter! Es iſt mir gewiß
Ernſt. Verzeih mir, es iſt mir gewiß Ernſt und
recht leid.
Mut-
[183]
Mutter. Mir auch, du Lieber! Aber du denkſt
nicht daran, wenn ich dich nicht abſtrafe. Du
mußſt jezt ungeeſſen ins Bett. Sie ſagts, und fuͤhrt
den Knaben von den andern Kindern weg in ſeine
Kammer. Seine Geſchwiſter ſtanden alle traurig
in der Stube umher; es that ihnen weh, daß der
liebe Niclas nicht zu Nacht eſſen mußte.
Daß ihr euch doch nicht mit Liebe leiten laſſen
wollt, Kinder! ſagte ihnen die Mutter.
Laß ihn doch diesmal wieder heraus, ſagten die
Kinder.
Nein, meine Lieben! Seine Unvorſichtigkeit
muß ihm abgewoͤhnt werden, antwortete die Mutter.
So wollen wir jezt die Batzen nicht ſehn bis
morgen; er ſieht ſie denn mit uns, ſagte Enne.
Und die Mutter: Das iſt recht, Enne! Ja,
er muß ſie alsdann mit euch ſehn.
Jezt gab ſie noch den Kindern ihr Nachteſſen,
und gieng dann mit ihnen in ihre Kammer, wo
Niclas noch weinte.
Nimm dich doch ein andermal in Acht, lieber,
lieber Niclas! ſagte ihm die Mutter.
Und Niclas! Verzeih mir’s doch, meine liebe,
liebe Mutter! Verzeih mir’s doch, und kuͤſſe mich;
ich will gern nichts zu Nacht eſſen.
Da kuͤßte Gertrud ihren Niclas und eine heiſſe
Thraͤne floß auf ſein Antlitz, als ſie ihm ſagte:
O Niclas! Niclas! werde bedachtſam — Niclas
M 4mit
[184] mit beyden Haͤnden umſchlingt den Hals der Mut-
ter und ſagt: O Mutter! Mutter! verzeih mir.
Gertrud ſegnete noch ihre Kinder, und gieng
wieder in ihre Stube.
Jezt war ſie ganz allein — Eine kleine Lam-
pe leuchtete nur ſchwach in der Stube, und ihr
Herz war feyerlich ſtill, und ihre Stille war ein
Gebet, das unausſprechlich ohne Worte ihr Inner-
ſtes bewegte. Empfindung von Gott und von ſeiner
Guͤte! Gefuͤhl von der Hoffnung des ewigen Le-
bens, und von der innern Gluͤckſeligkeit der Men-
ſchen, die auf Gott im Himmel trauen und bauen;
alles dieſes bewegte ihr Herz, daß ſie hinſank auf
ihre Knie, und ein Strom von Thraͤnen floß ihre
Wangen herunter.
Schoͤn iſt die Thraͤne des Kinds, wenn es von
der Wohlthat des Vaters geruͤhrt ſchluchzend zu-
ruͤck ſieht, ſeine Wange trocknet, und ſich erholen
muß, ehe es den Dank ſeines Herzens ſtammeln
kann.
Schoͤn ſind die Thraͤnen des Niclas, die er in
dieſer Stunde weint, daß er die gute gute Mutter
erzuͤrnet hat, die ihm ſo lieb iſt.
Schoͤn ſind die Thraͤnen des Menſchen alle,
die er alſo aus gutem Kinderherzen weint. Der
Herr im Himmel ſieht herab auf das Schluchzen
ſeines Danks — und auf die Thraͤnen ſeiner Augen,
wenn er ihn lieb hat.
Der
[185]
Der Herr im Himmel ſah die Thraͤnen der
Gertrud, und hoͤrte das Schluchzen ihres Herzens,
und das Opfer ihres Danks war ein angenehmer
Geruch vor ihm.
Gertrud weinte lang vor dem Herrn ihrem
Gott, und ihre Augen waren noch naß, als ihr
Mann heim kam.
Warum weineſt du, Gertrud? Deine Augen
ſind roth und naß. Warum weineſt du heute,
Gertrud? fragte ſie Lienhard.
Gertrud antwortete: Mein Lieber! Es ſind
keine Thraͤnen von Kummer — fuͤrchte dich nicht —
Ich wollte Gott danken fuͤr dieſe Woche, da
ward mir das Herz zu voll, ich mußte hinſinken
auf meine Knie, ich konnte nicht reden — ich muß-
te nur weinen; aber es war mir, ich habe in mei-
nem Leben Gott nie ſo gedankt.
Du Liebe! antwortete Lienhard; wenn ich nur
auch mein Herz, wie du, ſo ſchnell empor [h]eben
und zu Thraͤnen bringen koͤnnte! Es iſt mir jezt
auch gewiß Ernſt recht zu thun, und gegen Gott
und Menſchen redlich und dankbar zu ſeyn; aber
es wird mir nie ſo, daß ich auf meine Knie fallen
und Thraͤnen vergieſſen moͤchte.
Gertrud. Wenn’s dir nur Ernſt iſt, recht zu
thun, ſo iſt alles andre gleich viel. Der eine hat
eine ſchwache Stimme, und der andre eine ſtarke;
daran liegt nichts. Nur wozu ſie ein jeder braucht,
M 5darauf
[186] darauf koͤmmt’s allein an — Mein Lieber! Thraͤ-
nen ſind nichts, und Kniefallen iſt nichts; aber der
Entſchluß, gegen Gott und Menſchen redlich und
dankbar zu ſeyn, das iſt alles. Daß der eine Menſch
weichmuͤthig, und daß der andre es weniger iſt, das
iſt eben ſo viel, als daß der eine Wurm ſchwaͤr-
faͤlliger und der andre leichter in dem Staube daher
ſchleicht. Wenn es dir nur Ernſt iſt, mein Lieber!
ſo wirſt du ihn finden. Ihn, der allen Menſchen
Vater iſt.
Lienhard ſenkt mit einer Thraͤne im Aug ſein
Haupt auf ihren Schooß, und ſie haͤlt ihr Ange-
ſicht in ſtiller Wehmuth uͤber das ſeine.
Sie bleiben eine Weile in dieſer Stellung ſtill,
ſtaunen — und ſchweigen.
Endlich ſagte Gertrud zu ihm: Willſt du nicht
zu Nacht eſſen?
Ich mag nicht, antwortete er. Mein Herz iſt
zu voll, ich koͤnnte jezt nicht eſſen.
Ich mag auch nicht, mein Lieber! erwiederte
ſie; aber weißſt du, was wir thun wollen — Ich
trage das Eſſen zu dem armen Rudi — Seine
Mutter iſt heute geſtorben.
§. 37.
[187]
§. 37.
Sie bringen einem armen Mann eine
Erbsbruͤhe.
Lienhard.Iſt ſie endlich ihres Elends los?
Gertrud. Ja, Gott Lob! aber du haͤtteſt ſie
ſollen ſterben ſehn; mein Lieber! Denk, ſie ent-
deckte an ihrem Todestag, daß ihr Rudeli uns
Erdaͤpfel geſtohlen haͤtte. Der Vater und der Knab
mußten zu mir kommen, und um Verzeihung bit-
ten. Sie ließ uns auch ausdruͤcklich in ihrem
Namen bitten, wir ſollten es ihr verzeihen, daß
ſie die Erdaͤpfel nicht zuruͤck geben koͤnne, und der
gute Rudi verſprach ſo herzlich, daß er es dir ab-
verdienen wolle — Denk, wie mir bey dem allem
war, mein Lieber! Ich lief zu der Sterbenden,
aber ich kann dir’s nicht erzaͤhlen; es iſt nicht aus-
zuſprechen, mit welcher Wehmuth, wie innig ge-
kraͤnkt ſie mich noch einmal fragte, ob ich’s ihnen
verziehen haͤtte; und da ſie ſah, daß mein Herz
geruͤhrt war, empfahl ſie mir ihre Kinder — wie
ſie das faſt nicht thun und faſt nicht wagen duͤrfte —
wie ſie es bis auf den letſten Augenblick verſpart,
und dann, da ſie empfand, daß ſie eilen muͤßte,
end-
[188] endlich es wagte, und mit einer Demuth und Liebe
gegen die Ihrigen that — und wie ſie mitten, indem
ſie es that, ausgeloͤſcht iſt, das iſt nicht auszu-
ſprechen und nicht zu erzaͤhlen.
Lienhard. Ich will mit dir zu ihnen gehn.
Gertrud. Ja, komme, wir wollen gehn.
Sie nimmt ihre Erbsbruͤhe und ſie gehen.
Da ſie kamen, ſaß der Rudi neben der Todten
auf ihrem Bett, weinte und ſeufzte, und der Klei-
ne rief dem Vater aus ſeiner Kammer und bat ihn
um Brod — Nein, nicht um Brod — um rohe
Wurzeln nur, oder was es waͤre.
Ach! ich habe nichts, gar nichts — um Got-
tes willen, ſchweig doch bis morgen; ich habe
nichts, ſagt ihm der Vater.
Und der Kleine: O! wie mich hungert, Va-
ter! ich kann nicht ſchlafen — O! wie mich hun-
gert, Vater!
O wie mich hungert! hoͤren ihn Lienhard und
Gertrud rufen, oͤffnen die Thuͤre, ſtellen das Eſſen
den Hungrigen dar, und ſagen zu ihnen: Eſſet
doch geſchwind, ehe es kalt iſt.
O Gott! ſagte der Rudi, was ihr an mir
thut. Rudeli, das ſind die Leute, denen du Erdaͤpfel
geſtohlen haſt; und auch ich habe davon geeſſen.
Gertrud. Schweig doch einmal hievon,
Rudi!
Rudi. Ich darf euch nicht anſehn, ſo geht’s
mir
[189] mir an’s Herz, daß wir euch das haben thun duͤr-
fen.
Lienhard. Iß doch jezt, Rudi!
Rudeli. Iß doch, Vater! wir wollen doch
eſſen, Vater!
Rudi. So bete eben.
Rudeli.
So betet der Knab, nimmt den Loͤffel, zittert,
weint und ißt.
So vergelt’s euch Gott zu tauſendmalen —
ſagt der Vater, ißt auch, und Thraͤnen fallen
uͤber ſeine Wangen in ſeine Speiſe.
Sie aſſen aber das Eſſen nicht auf, ſondern
ſtellten ein Blaͤttlein voll den Kindern beyſeits, die
ſchliefen, dann betete der Rudeli ab Tiſche:
Als nun der Rudi ihnen noch einmal danken
wollte, entfuhr ihm ein Seufzer —
§. 38.
[190]
§. 38.
Die reine ſtille Groͤſſe eines wohlthaͤtigen
Herzens.
Fehlt dir etwas, Rudi? Wenn’s etwas iſt, da
wir dir helfen koͤnnen, ſo ſag es, ſagten Lienhard
und Gertrud zu ihm.
Nein, es fehlt mir jezt nichts; ich dank euch,
antwortete der Rudi.
Aber ſichtbar erſtickt’ er das tiefe Seufzen des
Herzens, das immer empordringen wollte.
Mitleidig und traurig ſahen ihn Lienhard und
Gertrud an, und ſprachen: Du ſeufzeſt doch, und
man ſieht’s, dein Herz iſt uͤber etwas beklemmt.
Sag’s doch, ach ſag’s doch, Vater! ſie ſind ja
ſo gut, bittet ihn der Kleine.
Thu es doch, und ſag es, wenn wir helfen koͤn-
nen, bitten ihn Lienhard und Gertrud.
Darf ich’s! erwiederte der Arme; Ich habe
weder Schuh noch Struͤmpfe, und ſollte morgen
mit der Mutter zum Grabe, und uͤbermorgen in’s
Schloß gehn.
Lienhard. Daß du dich auch ſo graͤmen magſt
uͤber dieſes! Warum ſagteſt du doch das nicht auch
gerade
[191] gerade zu? Ich kann und will dir ja das gern
geben.
Rudi. Wirſt du mir, ach mein Gott! nach
allem, was vorgefallen iſt, auch glauben, daß ich
dir es unverſehrt und mit Dank wieder zuruͤck ge-
ben werde?
Lienhard. Schweig doch hievon, Rudi! Ich
glaub dir noch mehr als das; aber dein Elend und
deine Noth haben dich zu aͤngſtlich gemacht.
Gertrud. Ja, Rudi! Trau auf Gott und
Menſchen, ſo wird dir durchaus leichter ums Herz
werden, und du wirſt dir in allen Umſtaͤnden beſ-
ſer helfen koͤnnen.
Rudi. Ja, Gertrud! Ich ſollte wohl meinem
Vater im Himmel mehr trauen, und euch kann ich
nicht genug danken.
Lienhard. Rede nicht hievon, Rudi!
Gertrud. Ich moͤchte deine Mutter noch ſehen.
Sie gehn mit einer ſchwachen Lampe an ihr
Bett — und Gertrud und Lienhard und der Rudi
und der Kleine, alle mit Thraͤnen in den Augen —
ſtaunen in tiefem ſtillen Schweigen eine Weile ſie
an, decken ſie dann wieder zu, und nehmen faſt ohne
Worte herzlich Abſchied von einander.
Und im Heimgehn ſagte Lienhard zu Gertrud:
Es geht mir an’s Herz, welche Tiefe des Elends!
Nicht mehr in die Kirche gehn koͤnnen, nicht mehr um
Arbeit bitten, nicht mehr dafuͤr danken koͤnnen, weil
man
[192] man keine Kleider, nicht einmal Schuh und Struͤm-
pfe dazu hat.
Gertrud. Wenn der Mann nicht unſchuldig
an ſeinem Elend waͤre, er muͤßte verzweifeln.
Lienhard. Ja, Gertrud! er muͤßte verzwei-
feln; gewiß, er muͤßte verzweifeln, Gertrud! Wenn
ich meine Kinder ſo um Brod ſchreyen hoͤrte, und
keines haͤtte, und Schuld daran waͤre, Gertrud! ich
muͤßte verzweifeln; und ich war auf dem Weg zu
dieſem Elend.
Gertrud. Ja, wir ſind aus groſſen Gefahren
errettet.
Indem ſie ſo redten, kamen ſie neben dem
Wirthshaus vorbey, und das dumpfe Gewuͤhl der
Saͤufer und Praſſer ertoͤnte in ihren Ohren. Dem
Lienhard klopfte das Herz ſchon von ferne; aber
ein Schauer durchfuhr ihn und ein banges Ent-
ſetzen, als er ſich ihm naͤherte. Sanft und weh-
muͤthig ſah ihn Gertrud jezt an, und beſchaͤmt er-
wiederte Lienhard den wehmuͤthigen Anblick ſeiner
Gertrud, und ſagte:
O des herrlichen Abends an deiner Seite! und
wenn ich jezt auch hier geweſen waͤre! So ſagt er.
Die Wehmuth der Gertrud waͤchst jezt zu Thraͤ-
nen, und ſie hebt ihre Augen gen Himmel. Er
ſiehts — Thraͤnen ſteigen auch ihm in die Augen,
und gleiche Wehmuth in das Antlitz, wie ſeiner Ge-
liebten. Auch er hebt ſeine Augen gen Himmel,
und
[193] und beyde hefteten eine Weile ihr Antlitz auf den
ſchoͤnen Himmel. Sie ſahn mit wonnevollen Thraͤ-
nen den hellleuchtenden Mond an, und noch won-
nevollere innere Zufriedenheit verſicherte ſie, daß Gott
im Himmel die reinen und unſchuldigen Gefuͤhle ih-
rer Herzen guthieſſe.
Nach dieſer kleinen Verweilung giengen ſie in
ihre Huͤtte.
Alſobald ſuchte Gertrud Schuhe und Struͤm-
pfe fuͤr den Rudi, und Lienhard brachte ſie ihm
noch am gleichen Abend.
Da er wieder zuruͤck war, beteten ſie noch
ein Vorbereitungsgebet zum heiligen Nachtmahl,
und entſchliefen in gottſeligen Gedanken.
Am Morgen ſtuhnden [fiel] fruͤh auf, und freu-
ten ſich des Herrn, laſen die Leidensgeſchichte des
Heilands und die Einſetzung des heiligen Abend-
mahls, und lobten Gott in der fruͤhen Stunde vor
dem Aufgange der Sonne am heiligen Tage.
Dann weckten ſie ihre Kinder, warteten noch
ihr Morgengebet ab, und giengen zur Kirche.
Eine Viertelſtunde vor dem Zuſammenlaͤuten
ſtuhnd auch der Vogt auf. Er konnte den Schluͤſ-
ſel zum Kleiderkaſten nicht finden, fluchte Entſetzen
und Graͤuel, ſtieß den Kaſten auf mit dem Schuh,
kleidete ſich an, gieng zur Kirche, ſetzte ſich in
den erſten Stuhl des Chors, nahm den Hut
vor den Mund, blickte mit den Augen in alle
NEcken
[194] Ecken der Kirche, und betete zugleich unter dem
Hute.
Bald darauf kam auch der Pfarrer.
Da ſang die Gemeinde zwey Stuͤcke von dem
Paſſionslied: O Menſch! bewein’ dein Suͤnden
groß, und wie es weiter lautet.
Dann trat der Pfarrer auf die Kanzel, und
predigte und lehrte an dieſem Tage ſeine Gemeinde
alſo.
§. 39.
Eine Predigt.
Meine Kinder!
Wer den Herrn fuͤrchtet, und fromm und aufrich-
tig vor ſeinen Augen wandelt, der wandelt im Licht.
Aber wer des Herrn ſeines Gottes in ſeinem
Thun vergißt, der wandelt in der Finſterniß.
Darum laſſet euch nicht verfuͤhren, es iſt nur
einer gut, und der iſt euer Vater.
Warum laufet ihr in der Irre umher, und
tappet in der Finſterniß? Es iſt Niemand euer Va-
ter, als nur Gott.
Huͤtet euch vor den Menſchen, daß ihr von ih-
nen nicht Dinge lernt, die euerm Vater mißfallen.
Selig iſt der Menſch, deſſen Vater Gott iſt.
Selig
[195]
Selig iſt der Menſch, der ſich vor dem Boͤſen
fuͤrchtet, und der das Arge haſſet; denn es geht denen
nicht wohl, die Boͤſes thun, und der Arge ver-
ſtrickt ſich in ſeiner Argliſt.
Es geht denen nicht wohl, die ihren Naͤchſten
druͤcken und draͤngen. Nein, es geht dem Men-
ſchen nicht wohl, uͤber den der Arme zu Gott
ſchreyt.
Weh dem Elenden, der im Winter den Armen
ſpeiſet, und in der Ernde das Doppelte von ihm
wieder abnimmt.
Weh dem Gottloſen, der dem Armen im Som-
mer Wein aufdringt, und im Herbſt ihm zwey-
mal ſo viel wieder fordert.
Weh ihm, wenn er dem Armen ſein Stroh und
ſein Futter abdruͤckt, daß er ſein Land nicht mehr
bauen kann.
Weh ihm, wenn die Kinder des Armen um
ſeiner Hartherzigkeit willen Brod mangeln.
Weh dem Gottloſen, der den Armen Geld leiht,
daß ſie ſeine Knechte werden, ihm zu Gebote ſtehn,
ohne Lohn arbeiten, und doch zinſen muͤſſen.
Weh ihm, wenn ſie vor Gericht und Recht fuͤr
ihn ausſagen, falſches Zeugniß geben, und Meyn-
eide ſchwoͤren, daß er Recht hat.
Weh ihm, wenn er Boͤswichter in ſeinem Haus
verſammelt, und mit ihnen dem Gerechten auf-
lauert, ihn zu verfuͤhren, daß er auch werde wie
N 2ſie,
[196] ſie, und daß er ſeines Gottes, und ſeines Weibs, und
ſeiner Kinder vergeſſe, und verſchwende bey ihnen den
Lohn ſeiner Arbeit, auf den die Mutter ſamt den
Kindern hoffet.
Und weh auch dem Elenden, der ſich alſo von
dem Gottloſen verfuͤhren laͤßt, und in ſeinem Un-
ſinn verſchwendet das Geld, das in ſeiner Haushal-
tung noͤthig iſt.
Weh ihm, wenn ſein Weib uͤber ihn zu Gott
ſeufzt, daß ſie nicht Milch hat, den Saͤugling zu
naͤhren.
Weh ihm, wenn der Saͤugling um ſeines Sau-
fens willen ſerbet.
Weh ihm, wenn die Mutter uͤber ſeiner Kin-
der Brodmangel und uͤber unvernuͤnftig aufgebuͤr-
dete Arbeit weint.
Weh dem Elenden, der das Lehrgeld ſeiner
Soͤhne verſpielt; wenn ſein Alter kommen wird, wer-
den ſie zu ihm ſagen: Du warſt nicht unſer Vater,
du lehrteſt uns nicht Brod verdienen, womit koͤnnen
wir dir helfen?
Weh denen, die mit Luͤgen umgehen, und das
Krumme gerad und das Gerade krumm machen,
denn ſie werden zu Schanden werden.
Weh euch, wenn ihr der Wittwe Aecker und des
Waiſen Haus zu wohlfeil gekauft habt, weh euch!
denn der Wittwe und des Waiſen Vater iſt euer Herr,
und
[197] und die Armen und die Wittwen und die Waiſen
ſind ihm lieb, und ihr ſeyd ihm ein Graͤuel und
ein Abſcheu, darum, daß ihr boͤs ſeyd und hart
mit den Armen.
Weh euch, die ihr euer Haus voll habt von
dem, was nicht euer iſt.
Ob ihr gleich jauchzet beym Saufen des Weins,
der in den Reben des Armen gewachſen iſt.
Ob ihr gleich lachet, wenn elende hungernde
Menſchen ihr Korn mit Seufzen in eure Saͤcke
ausſchuͤtten.
Ob ihr gleich ſpoͤttelt und ſcherzet, wenn euer
Unterdruͤckte ſich vor euch wie ein Wurm windet,
und den zehnten Theil eures Raubs von euch wie-
der um Gottes willen auf Borg bittet; ob ihr
euch gleich gegen alles das verhaͤrtet, ſo iſt es euch
doch keine Stunde wohl in eurem Herzen.
Nein, es iſt dem Menſchen nicht wohl auf Got-
tes Erdboden, der den Armen ausſaugt.
Moͤg er ſeyn, wer er will, moͤg er uͤber alle
Gefahr, uͤber alle Verantwortung und uͤber alle
Strafe auf der Erde hinaus ſeyn.
Moͤg er ſo gar Richter im Lande ſeyn, und
Elende, die beſſer, als er, ſind, mit ſeiner Hand
gefangen nehmen und mit ſeinem Munde anklagen.
Moͤg er ſo gar ſitzen und richten ſelber uͤber ſie,
auf Leben und Tod, und ſprechen das Urtheil auf
Schwerdt und Rad.
N 3Er
[198]
Er iſt ſchlimmer als ſie.
Wer den Armen aus Uebermuth druͤckt, und
elenden Leuten Fallſtricke legt, und die Haͤuſer der
Wittwen ausſaugt — der iſt ſchlimmer, als Diebe
und Moͤrder, deren Lohn der Tod iſt.
Darum iſt dem Menſchen auf Erden, der das
thut, auch keine Stunde wohl in ſeinem Herzen.
Er irret auf Gottes Erdboden umher, belaſtet
mit dem Fluche des Brudermoͤrders, der ſeinem
Herzen keine Ruhe laͤßt.
Er irret umher, und will und ſucht immer die
Schrecken ſeines Inwendigen vor ſich ſelber zu ver-
bergen.
will er ſich ſelbſt die Zeit, die ihm zur Laſt iſt,
vertreiben.
Aber er wird die Stimme ſeines Gewiſſens nicht
immer erſticken, er wird dem Schrecken des Herrn
nicht immer entgehen koͤnnen; Es wird ihn uͤber-
fallen, wie ein Gewaffneter, und ihr werdet ihn
ſehn zittern und zagen, wie einen Gefangenen,
dem der Tod droht.
Aber
[199]
Aber ſelig iſt der Menſch, der keinen Theil hat
an ſeinem Thun.
Selig iſt der Menſch, der nicht Schuld iſt an
der Armuth eines ſeiner Nebenmenſchen.
Selig iſt der Menſch, der von keinem Armen
Gaben oder Gewinn in ſeiner Hand hat.
Selig ſeyd ihr, wenn euer Mund rein iſt von
harten Worten, und euer. Aug von harten Bli-
cken.
Selig ſeyd ihr, wenn der Arme euch ſegnet,
und wenn Wittwen und Waiſen Thraͤnen des Danks
uͤber euch zu Gott weinen.
Selig iſt der Menſch, der in der Liebe wan-
delt vor dem Herrn ſeinem Gott, und vor allem
ſeinem Volk.
Selig ſeyd ihr, ihr Frommen! Kommet und
freuet euch beym Mahl des Herrn der Liebe.
Der Herr, euer Gott, iſt euer Vater. Die
Pfaͤnder der Liebe aus ſeiner Hand werden euch er-
quicken, und das Heil eures Herzens wird wachſen,
weil eure Liebe gegen Gott, euern Vater, und ge-
gen die Menſchen, eure Bruͤder, wachſen und ſtark
werden wird.
Aber ihr, die ihr ohne Liebe wandelt, und in
euerm Thun nicht achtet, daß Gott euer Vater iſt, daß
eure Nebenmenſchen Kinder eures Gottes ſind, und daß
der Arme euer Bruder iſt, ihr Gottloſen! was thut
N 4ihr
[200] ihr hier? Ihr, die ihr morgen wieder wie geſtern
den Armen druͤcken und draͤngen werdet! was thut
ihr hier? Wollet ihr das Brod des Herrn eſſen,
und ſeinen Kelch trinken, und ſagen: daß ihr ein
Leib und ein Herz, ein Geiſt und eine Seele mit
euern Bruͤdern ſeyd?
Verlaſſet doch dieſe Vorhoͤfe, und meidet das
Mahl der Liebe! Bleibet, bleibet von hinnen —
daß der Arme nicht beym Mahl des Herrn uͤber eu-
erm Anblick erblaſſe, und daß er in der Stunde ſeiner
Erquickung nicht denken muͤſſe, ihr werdet ihn mor-
gen erwuͤrgen. Goͤnnet, ach! goͤnnet ihm doch dieſe
Stunde des Friedens, daß er Ruhe habe vor euch,
und euch nicht ſehe.
Denn der Arme zittert vor euch, und dem
Waiſen klopfet das Herz, wo ihr um den Weg
ſeyd.
Aber warum rede ich mit euch? Ich ver-
ſchwende umſonſt meine Worte. Ihr geht nicht
von da weg, wo ihr Menſchen kraͤnken koͤnnet; wo
ihr ſie vor euch zitternd und angſtvoll ſehet, da iſt
euch wohl, und ihr meynet, es muͤſſe, wie ihr,
Niemand Ruhe haben in ſeinem Herzen.
Aber ihr irret euch; ſiehe, ich wende mich von
euch weg, als ob ihr nicht da waͤret.
Und ihr Arme und Gedruͤckte in meiner Ge-
meinde, wendet euch von ihnen weg, als ob ihr ſie
nicht ſaͤhet, als ob ſie nicht da waͤren.
Der
[201]
Glaubet und trauet auf ihn; und die Frucht
eurer Truͤbſal und eurer Leiden wird euch zum
Segen werden.
Glaubet und trauet dem Herrn euerm Gott,
und fuͤrchtet euch nicht vor den Gottloſen; aber
huͤtet euch vor ihnen, geduldet euch lieber, traget
lieber allen Mangel, leidet lieber Schaden, als
daß ihr Huͤlfe bey dem Hartherzigen ſuchet; denn
die Worte eines harten Mannes ſind Luͤgen, und
ſeine Huͤlfe iſt eine Lockſpeiſe, womit er den Armen
fange, daß er ihn toͤde. Darum fliehet den Gott-
loſen, wenn er euch laͤchelnd gruͤſſet, wenn er ſei-
ne Hand euch bietet und die eure ſchuͤttelt und
druͤcket. Wenn er euch alle ſeine Huͤlfe antraͤgt,
ſo fliehet, denn der Gottloſe verſtrickt den Armen.
Fliehet vor ihm, und bindet nicht mit ihm an;
aber fuͤrchtet ihn nicht, wenn ihr ihn ſehet ſtehen
feſt und groß — wie die hohe Eiche feſt und groß!
fuͤrchtet ihn nicht.
Gehet hin, ihr Lieben! in euern Wald, an
den Ort, wo die hohen alten Eichen ſtanden, und
und ſehet, wie die kleinen Baͤume, die unter ihrem
Schatten ſerbten, jezt zugenommen haben, wie ſie
gruͤnen und bluͤhen. Die Sonne ſcheint jezt wie-
der auf die jungen Baͤume, und der Tau des Him-
N 5mels
[202] mels faͤllt auf ſie in ſeiner Kraft, und die groſſen
weiten Wurzeln der Eiche, die alle Nahrung aus
der Erde ſogen, faulen jezt und geben den jungen
Baͤumen Nahrung, die im Schatten der Eiche
ſerbten.
Darum hoffet auf den Herrn, denn ſeine Huͤlfe
mangelt denen nie, die auf ihn hoffen.
Der Tag des Herrn wird uͤber den Gottloſen
kommen, und an demſelben Tage wird er, wenn
er den Unterdruͤckten und Elenden anſehen wird,
heulen und ſprechen: Waͤr ich wie dieſer einer!
Darum trauet auf den Herrn, ihr Betruͤbten
und Unterdruͤckten! und freuet euch, daß ihr den
Herrn erkennet, der das Mahl der Liebe eingeſetzt
hat.
Denn durch die Liebe tragt ihr der Erde Lei-
den, wie einen Schatz von dem Herrn, und unter
euern Laſten wachſen eure Kraͤfte und euer Segen.
Darum freuet euch, daß ihr den Herrn der
Liebe erkennet, denn ohne Liebe wuͤrdet ihr erlie-
gen, und werden wie die Gottloſen, die euch pla-
gen und betriegen.
Lobpreiſet den Herrn der Liebe, daß er das
Abendmahl eingeſetzt, und unter ſeinen Millionen
auch euch zu ſeinem heiligen Geheimniß berufen hat!
Lobpreiſet den Herrn!
Die Offenbarung der Liebe iſt die Erloͤſung
der Welt!
Liebe
[203]
Liebe iſt das Band, das den Erdkreis verbindet.
Liebe iſt das Band, das Gott und Menſchen
verbindet.
Ohne Liebe iſt der Menſch ohne Gott; und ohne
Gott und ohne Liebe was iſt der Menſch?
Doͤrft ihr’s ſagen?
Doͤrft ihr’s ausſprechen?
Doͤrft ihr’s denken?
Was der Menſch iſt ohne Gott und ohne Liebe.
Ich darf’s nicht ſagen.
Ich kann’s nicht ausſprechen.
Nicht Menſch.
Unmenſch iſt der Menſch ohne Gott und ohne
Liebe.
Darum freuet euch, daß ihr den Herrn der
Liebe erkennet, der den Erdkreis von der Unmenſch-
lichkeit zur Liebe, von der Finſterniß zum Licht, und
vom Tod zum ewigen Leben berufen hat!
Und noch einmal ſage ich euch: Freuet euch,
daß ihr den Herrn erkennet, und betet fuͤr alle die
ſo ihn nicht erkennen, daß ſie zur Erkenntniß der
Wahrheit und zu eurer Freude gelangen.
Meine Kinder! kommet zum heiligen Mahl
euers Herrn — Amen!
Nachdem der Pfarrer dieſes geſagt, und faſt
eine Stunde ſeine Gemeinde chriſtlich gelehret hatte,
betete er mit ihnen, und die ganze Gemeinde nahm
das Nachtmahl des Herrn. Der Vogt Hummel
aber
[204] aber dienete zu beym Nachtmahl des Herrn; und
nachdem alles Volk dem Herrn gedankt hatte, ſangen
ſie wieder ein Lied, und der Pfarrer ſegnete die
Gemeinde; und ein jeder gieng in ſeine Huͤtte.
§. 40.
Ein Beweis, daß die Predigt gut war.
Item, vom Wiſſen und Irrthum;
und von dem, was heiſſe, den Armen
druͤcken.
Der Vogt Hummel aber ergrimmte uͤber die Rede
des Pfarrers, die er uͤber den Gottloſen gehalten
hatte, in ſeinem Herzen; und am Tage des
Herrn, den die ganze Gemeinde in ſtiller Feyer hei-
ligte, tobte und wuͤtete er, ſchimpfte und redte er
graͤuliche Dinge uͤber den Pfarrer.
So bald er vom Tiſch des Herrn heim gieng,
ſandte er ſogleich zu den gottloſen Geſellen ſeines
Lebens, daß ſie geſchwind zu ihm kamen. Dieſe
waren bald da, und fuͤhrten mit dem Vogt laſter-
hafte, leichtfertige Reden uͤber den Pfarrer und
uͤber ſeine chriſtliche Predigt.
Der Vogt fieng zuerſt an: Ich kann das ver-
dammte Schimpfen und Sticheln nicht leiden.
Es
[205]
Es iſt auch nicht Recht, es iſt Suͤnde, beſon-
ders an einem heiligen Tage iſt es Suͤnde, daß er’s
thut, ſagte Aebi.
Und der Vogt: Er weiß es, der Boͤſewicht,
daß ich es nicht leiden kann; aber deſto mehr thut
er’s. Es muß ihm ein rechtes Wohlleben ſeyn,
wenn er die Leute mit ſeinem Predigen, und mit
ſeinem Verdrehen alles deſſen, was er nicht ver-
ſteht, und was ihn nichts angeht, recht in Zorn
und Wuth bringen kann.
Aebi. Einmal der liebe Heiland und die Evan-
geliſten und die Apoſtel im neuen Teſtament haben
Niemand geſchimpft.
Chriſten. Das mußſt du nicht ſagen, ſie ha-
ben auch geſchimpft, und noch mehr als der Pfarrer.
Aebi. Das iſt nicht wahr, Chriſten!
Chriſten. Du biſt ein Narr, Aebi! Ihr blin-
den Fuͤhrer, ihr Schlangen, ihr Ottergezuͤchte, und
ſo tauſenderley. Du verſtehſt die Bibel, Aebi!
Bauern. Ja, Aebi! es iſt wahr, ſie haben
auch geſchimpft.
Chriſten. Ja, aber Rechtshaͤndel! die ſie nicht
verſtanden, und Rechnungsſachen, die vor der Ober-
keit ausgemacht und in der Ordnung ſind, ahndeten
ſie doch nicht; und zu dem, es waren andre Leute,
die das wohl durften.
Bauern. Es verſteht ſich, es waren andre
Leute.
Chriſten.
[206]
Chriſten. Ja, es mußten wohl andre Leute
ſeyn, denn ſonſt haͤtten ſie es nicht duͤrfen; den-
ket, wie ſie es machten — Einſt einem Annas — ja
Annas hieß er — und hinten nach auch ſeiner
Frauen; nur daß ſie eine Luͤge ſagten, ſind ſie zu
Boden gefallen, und waren todt.
Bauern. Iſt das auch wahr, um einer Luͤge
willen?
Chriſten. Ja, ſo wahr ich lebe, und da vor
euch ſtehe.
Aebi. Es iſt doch ſchoͤn, wenn man die Bi-
bel verſteht.
Chriſten. Ich dank’s meinem Vater unter dem
Boden; er war leider, Gott erbarm! eben nichts
Sonderbares. Er hat uns unſer ganzes Muttergut
durchgebracht, bis auf den letzten Heller; und das
koͤnnte ich noch wohl verſchmerzen, haͤtte er ſich nur
nicht mit dem gehaͤngten Uli ſo eingelaſſen! ſo etwas
traͤgt man Kind und Kindskindern nach; aber leſen
konnte er in der Bibel, trotz einem Pfarrer, und das
mußten wir auch koͤnnen; er ließ es keinem nach.
Aebi. Es hat mich tauſendmal gewundert, wie
er auch ſo ein Schlimmling hat ſeyn koͤnnen, da er
doch ſo viel wußte.
Bauern. Ja, es iſt freylich wunderlich, ſo
viel er wußte.
Joſt. (Ein Fremder, der eben im Wirthshaus
iſt.) Ich muß nur lachen, Nachbaren! daß ihr euch
hier-
[207] hieruͤber verwundert. Wenn vieles Wiſſen die Leute
braf machen wuͤrde, ſo waͤren ja eure Anwaͤlde und
eure Troͤler, und eure Voͤgte und euere Richter,
mit Reſpect zu melden, immer die Braͤfſten.
Bauern. Ja, es iſt ſo, Nachbar! es iſt ſo.
Joſt. Glaubet es nur, Nachbaren! Es iſt zwi-
ſchen Wiſſen und Thun ein himmelweiter Unter-
ſchied. Wer aus dem Wiſſen allein ſein Handwerk
macht, der hat wahrlich groß Acht zu geben, daß
er das Thun nicht verlerne.
Bauern. Ja, Nachbar! es iſt ſo, was einer
nicht treibt, das verlernt er.
Joſt. Natuͤrlich, und wenn einer den Muͤßig-
gang treibt, ſo wird er nichts nuͤtze. Und ſo geht’s
denen, die ſich aus Muͤßiggang und langer Zeit
aufs Fraͤgeln und Schwatzen legen, ſie werden nichts
nuͤtze. Gebt nur Acht, die meiſten dieſer Purſche alle,
die immer bald Kalender und bald Bibelhiſtorien,
und bald die alten und bald die neuen Mandate in der
Hand oder im Mund haben, ſind Tagdieben. —
Wenn man mit ihnen etwas, das Hausordnung
Kinderzucht, Gewinn und Gewerb antrifft, reden
will, wenn ſie Rath geben ſollen, wie dieſes oder
jenes, das jezt nothwendig iſt, anzugreifen waͤre; ſo
ſtehn ſie da, wie Tropfen, und wiſſen nichts, und
koͤnnen nichts. Nur da, wo man muͤßig iſt, in
Wirthshaͤuſern, auf Tanzplaͤtzen, bey dem Sonn-
und Feyertagsgeſchwatzen — da wollen ſie ſich dann
zeigen;
[208] zeigen; ſie bringen aber Quackſalbereyen, Dumm-
heiten und Geſchichten an, an denen hinten und
vornen nichts wahr iſt. Und doch iſt’s weit und
breit eingeriſſen, daß ganze Stuben voll brafe
Bauern bey Stunden ſo einem Großmaul, das ih-
nen eine Luͤge nach der andern aufbindet, zuhoͤ-
ren koͤnnen.
Aebi. Es iſt bey meiner Seel ſo, wie der
Nachbar da ſagt; und, Chriſten! er hat deinen
Vater durch und durch abgemahlt. Vollkommen ſo
hatten wir’s mit ihm. Dumm war er in allem,
was Holz und Feld, Vieh und Futter, Dreſchen
und Pfluͤgen, und alles dergleichen antraf, wie ein
Ochs, und zu allem, was er angreifen ſollte, traͤg
wie ein Hammel — Aber im Wirthshaus und bey
den Kirchſtaͤnden *), bey Lichtſtubeten und auf den
Gemeindplaͤtzen redte er, wie ein Weiſer aus Mor-
genland — bald vom Doctor Fauſt, bald vom Herrn
Chriſtus, bald von der Hexe von Endor, oder deren
von Hirzau, und bald von den Stiergefechten in
Maſtricht und dem Pferdrennen in Londen — So
toll und dumm er alles machte, und ſo handgreif-
lich er Luͤgen aufband, ſo hoͤrte man ihm den-
noch immer gern zu, bis er faſt gehenkt wurde,
da
[209] da hat endlich ſein Credit mit dem Erzaͤhlen ab-
genommen.
Joſt. Das iſt ziemlich ſpaͤt.
Aebi. Ja, wir waren lang Narren, und zahl-
ten ihm manchen guten Krug Wein fuͤr lautre
Luͤgen.
Joſt. Ich denke, es waͤre ihm beſſer geweſen,
ihr haͤttet ihm keinen bezahlt.
Aebi. Bey Gott! Ich glaube ſelbſt, wenn wir
ihm keinen bezahlt haͤtten, ſo waͤre er nicht unter
den Galgen gekommen, er haͤtte alsdann arbeiten
muͤſſen.
Joſt. So iſt ihm eure Gutherzigkeit eben uͤbel
bekommen.
Bauern. Ja wohl, in Gottes Namen.
Joſt. Es iſt ein verflucht verfuͤhreriſches Ding
um das muͤßiggaͤngeriſche Hiſtoͤrlein-Aufſuchen und
Hiſtoͤrlein-Erzaͤhlen, und gar heillos, die Bibel in
dieſen Narrenzeitvertreib hineinzuziehen.
Leupi. Mein Vater hat mich einſt tuͤchtig ge-
pruͤgelt, da ich ſo uͤber einem Hiſtoͤrlein, ich glau-
be, es war auch aus der Bibel, vergeſſen, das
Vieh ab der Weyde zu holen.
Joſt. Er hatte auch Recht. Thun, was in
der Bibel ſteht, iſt unſer Einem ſeine Sache, und
davon erzaͤhlen, des Pfarrers — Die Bibel iſt
ein Mandat, ein Befehl, und was wuͤrde der
Commandant zu dir ſagen, wenn er einen Befehl
Oins
[210] ins Dorf ſchickte, man ſollte Fuhren in die Veſtung
thun, und du dann, anſtatt in den Wald zu fah-
ren, und zu laden, dich ins Wirthshaus ſetzteſt,
den Befehl zur Hand naͤhmeſt, ihn ablaͤſeſt, und
den Nachbaren bey deinem Glas Wein bis auf den
Abend erklaͤrteſt, was er ausweiſe und wolle.
Aebi. Ha! was wuͤrd er mir ſagen? Alle
Schand und Spott wuͤrd er mir ſagen, und mich
ins Loch werfen laſſen, daß ich ihn fuͤr einen Nar-
ren gehalten habe.
Joſt. Und juſt das ſind die Leute auch werth,
die aus lauter M[uͤßi]ggang, und damit ſie im Wirths-
haus Hiſtoͤrlein erzaͤhlen koͤnnen, in der Bibel leſen.
Chriſten. Ja; aber man muß doch darinn
leſen, damit man den rechten Weg nicht verfehle.
Joſt. Das verſteht ſich; aber die, ſo bey allen
Stauden ſtill ſtehen, und von allen Brunnen und
Markſteinen und Kreuzen, die ſie auf dem Weg
antreffen, Geſchwaͤtz treiben, ſind nicht die, welche
auf dem Weg fort wandeln wollen.*)
Aebi. Aber wie iſt denn das, Nachbar? Man
ſagt ſonſt, man trage an nichts zu ſchwer, das
man
[211] man wiſſe; aber es duͤnkt mich, man koͤnne am
Vielwiſſen auch zu ſchwer tragen.
Joſt. Ja freylich, Nachbar! Man traͤgt an
allem zu ſchwer, was einen an etwas beſſerm und
nothwendigerm verſaͤumt. Man muß alles nur wiſ-
ſen um des Thuns willen. Und wenn man ſich
darauf legt, um des Schwaͤtzens willen viel wiſſen
zu wollen, ſo wird man gewiß nichts nuͤtze.
Es iſt mit dem Wiſſen und Thun, wie mit ei-
nem Handwerk. Ein Schuhmacher, z. E. muß
arbeiten, das iſt ſeine Hauptſache; er muß aber
auch das Leder kennen und ſeinen Einkauf verſte-
hen, das iſt das Mittel, durch welches er in ſei-
nem Handwerk wohl faͤhrt, und ſo iſt’s in allem.
Ausuͤben und Thun iſt fuͤr alle Menſchen immer
die Hauptſache. Wiſſen und Verſtehn iſt das Mit-
tel, durch welches ſie in ihrer Hauptſache wohl
fahren.
O 2Aber
[212]
Aber darum muß ſich auch alles Wiſſen des
Menſchen bey einem jeden nach dem richten, was
er auszuuͤben und zu thun hat, oder was fuͤr ihn
die Hauptſache iſt.
Aebi. Jezt fang ich’s bald an zu merken —
Wenn man den Kopf mit zu vielem und fremdem
voll hat, ſo hat man ihn nicht bey ſeiner Arbeit
und bey dem, was allemal am noͤthigſten iſt.
Joſt. Eben das iſt’s. Gedanken und Kopf ſoll-
ten einem jeden bey dem ſeyn, was ihn am naͤch-
ſten angeht. Einmal ich mach’s ſo. — Ich habe
keine Waſſermatten, darum liegt es mir nicht ſchwer
im Kopf, wie man waͤſſern muß, und bis ich eige-
nes Gehoͤlze habe, ſtaune ich gewiß nicht mit Muͤhe
nach, wie man es am beſten beſorge. Aber meine
Gillenbehaͤlter ſind mir wohl im Kopf, weil ſie meine
magern Matten fett machen — So wuͤrde es in al-
len Ecken gut gehn, wenn ein jeder das Seine recht
im Kopf haͤtte. Man koͤmmt immer fruͤh genug zum
Vielwiſſen, wenn man lernt recht wiſſen, und recht
wiſſen lernt man nie, wenn man nicht in der Naͤhe
bey dem Seinigen und bey dem Thun anfaͤngt.
Auf den Fuß koͤmmt das Wiſſen in ſeiner Ord-
nung in den Kopf. Und man koͤmmt gewiß weit
im Leben, wenn man ſo anfaͤngt; aber beym muͤſ-
ſigen Schwatzen und von Kalenderhiſtorien oder an-
dern Traͤumen aus den Wolken und aus dem Mond
lernt man gewiß nichts als liederlich werden.
Aebi.
[213]
Aebi. Man faͤngt das in der Schul an.
Waͤhrend dem ganzen Geſpraͤch ſtuhnde der
Vogt am Ofen, ſtaunte, waͤrmte ſich, hoͤrte kaum,
was ſie ſagten, und ſprach nur wenig und ganz ver-
wirrt in das, ſo ſie redten. Er vergaß ſo gar den
Wein bey ſeinem Staunen, darum waͤhrete auch das
Geſpraͤch mit dem Aebi und dem Fremden ſo lange.
Vielleicht aber hat er ſeinen Kram nicht gerne aus-
geleert, bis der Fremde ausgetrunken hatte, und
fort war — Denn er fieng da endlich auf einmal
damit an, und ſagte ihnen, als ob er’s bey ſei-
nem langen Staunen auswendig gelernt haͤtte, her-
unter.
Der Pfarrer koͤmmt immer mit dem, daß man
die Armen druͤcke. Wenn das, was er die Armen
druͤcken heißt, Niemand thaͤte, ſo waͤren, mich ſoll
der Teufel holen, wenn es nicht ſo iſt, gar keine
Arme in der Welt; aber wo ich mich umſehe, vom
Fuͤrſten an bis zum Nachtwaͤchter, von der erſten
Landeskam̄er [bi]s zur lezten Dorfgemeinde, ſucht Alles
ſeinen Vorthen, und druͤckt jedes gegen das, das ihm
im Weg ſteht. Der alte Pfarrer hat ſelbſt Wein aus-
geſchenkt, wie ich, und Heu und Korn und Haber ſo
wohlfeil an die Zahlung genommen, als ich’s im-
mer bekomme. Es druͤckt in der Welt Alles den
Niedern, ich muß mich auch druͤcken laſſen. Wer
etwas hat, oder zu etwas kommen will, der muß
druͤcken, oder er muß das Seine wegſchenken und
O 3betteln.
[214] betteln. Wenn der Pfarrer die Armen kennte wie
ich, er wuͤrde nicht ſo viel Kummer fuͤr ſie haben;
aber es iſt ihm nicht um die Armen. Er will nur
ſchimpfen, und die Leute hinter einander richten und
irre machen. Ja, die Armen ſind Purſche, wenn
ich zehn Schelmen noͤthig habe, ſo finde ich Eilfe
unter den Armen. *) Ich wollte wohl gerne, man
braͤchte mir mein Einkommen auch alle Fronfaſten
richtig ins Haus; ich wuͤrde zuletzt wohl auch ler-
nen, es fromm und andaͤchtig abnehmen. Aber
in meinem Gewerb, auf einem Wirthshaus und
auf Bauernhoͤfen, wo alles auf den Heller muß
ausgeſpitzt ſeyn, und wo man einen auch in allen
Ecken rupft — da hat’s eine andre Bewandtnis.
Ich wette, wer da gegen Tagloͤhner und Arme nach-
ſichtig und weichmuͤthig handeln wollte, der wuͤrde
um Haab und Gut kommen — Das ſind allenthal-
ben Schelmen — So redte der Vogt, und verdrehte
ſich ſelber in ſeinem Herzen die Stimme ſeines Ge-
wiſſens, die ihn unruhig machte, und ihm laut
ſagte, daß der Pfarrer Recht habe, und daß er der
Mann ſey, der allen Armen im Dorf den Schweiß
und das Blut unter den Naͤgeln hervor druͤcke.
Aber wie er auch mit ſich ſelber kuͤnſtelte, ſo war
ihm doch nicht wohl. Angſt und Sorgen quaͤlten
ihn
[215] ihn ſichtbar. Er gieng in ſeiner Unruhe beklemmt
die Stube hinauf und hinunter.
Alsdann ſagte er wieder: Ich bin ſo erbittert
uͤber des Pfarrers Predigt, daß ich nicht weiß, was
ich thue; und es iſt mir ſonſt nicht wohl. Iſt’s auch
ſo kalt, Nachbaren? Es friert mich immer, ſeit-
dem ich daheim bin.
Nein, ſagten die Nachbaren, es iſt nicht kalt;
aber man ſah dir’s in der Kirche ſchon an, daß
dir nicht wohl iſt; du ſahſt todtblaß aus.
Vogt. Sahe man mir’s an? ja es war mir
ſchon da wunderlich — ich kriege das Fieber — es
iſt mir ſo bloͤd — ich muß ſaufen — wir wollen
in die hintere Stube gehn waͤhrend der Predigt.
§. 41.
Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Un-
fug an.
Aber der Ehegaumer *), der an’s Vogts Gaſſe
wohnte, und den Aebi, den Chriſten und die an-
dern Lumpen zwiſchen der Predigt ins Wirthshaus
gehn ſah, aͤrgerte ſich in ſeinem Herzen, und ge-
O 4dachte
[216] dachte in dieſer Stunde an ſeinen Eid, den er ge-
ſchworen hatte, Acht zu geben auf allen Unfug
und auf alles gottloſe Weſen, und ſolches dem
Pfarrer anzuzeigen. Und der Ehegaumer beſtellte
einen ehrbaren Mann, daß er Acht geben ſollte auf
dieſe Purſche, ob ſie vor der Predigt wieder aus
dem Wirthshaus heim giengen oder nicht? Und da
es bald zuſammen laͤuten wollte, und noch Nie-
mand wieder heraus kam, gieng er zum Pfarrer,
und ſagt’ ihm, was er geſehen und wie er den
Samuel Treu beſtellt haͤtte, Acht zu geben.
Der Pfarrer aber erſchrack uͤber dieſen Bericht;
ſeufzete ſtill bey ſich ſelber, und redete nicht viel.
Da dachte der Ehegaumer, der Herr! Pfar-
rer ſtudiere noch an ſeiner Predigt, und redete
bey ſeinem Glas Wein auch minder, als er ſonſt
gewoͤhnt war.
Endlich als der Pfarrer eben in die Kirche ge-
hen wollte, kam der Samuel, und der Ehegaumer
ſagte zu ihm:
Du kannſt jezt dem Wohlehrwuͤrdigen Herrn
Pfarrer alles ſelber erzaͤhlen.
Da ſagte der Samuel: Gott gruͤß euch, Wohl-
ehrwuͤrdiger Herr Pfarrer!
Der Pfarrer dankt’ ihm, und ſagte: Sind denn
die Leute noch nicht wieder heim?
Samuel. Nein, Herr Pfarrer! ich gieng
von dem Augenblick an, da mich der Ehegaumer be-
ſtellte,
[217] ſtellte, immer um das Wirthshaus herum, und es
iſt kein Menſch, auſſer die Voͤgtinn, die in der
Kirche iſt, zum Haus heraus gegangen.
Pfarrer. Sie ſind alſo noch alle ganz gewiß
im Wirthshauſe?
Samuel. Ja, Herr Pfarrer! ganz gewiß.
Ehegaumer. Da ſeht ihr jezt, Wohlehr-
wuͤrdiger Herr Pfarrer! daß ich mich nicht geirrt
habe, und daß ich es habe anzeigen muͤſſen.
Pfarrer. Es iſt ein Ungluͤck, daß an einem
heiligen Tage ſolche Sachen einem Zeit und Ruhe
rauben muͤſſen.
Ehegaumer. Was wir thaten, Wohlehr-
wuͤrdiger Herr Pfarrer! war unſre theure Pflicht.
Pfarrer. Ich weiß es, und ich danke euch fuͤr
eure Sorgfalt; aber Nachbaren! vergeſſet doch ob ei-
ner kleinen leichten Pflicht die ſchwaͤrern und groͤſſern
nicht. Acht auf uns ſelber zu haben, und uͤber
unſere eigene Herzen zu wachen, iſt immer die erſte
und wichtigſte Pflicht des Menſchen. Darum iſt es
allemal ein Ungluͤck, wenn ſolche boͤſe Sachen ei-
nem Menſchen Zerſtreuungen veranlaſſen.
Nach einer Weile ſagte er dann wieder:
Nein, es iſt doch nicht laͤnger auszuſtehn, die-
ſes graͤnzenloſe Unweſen — und mit aller Nachſicht
wird es immer nur aͤrger.
Und darauf gieng er mit dieſen Maͤnnern zur
Kirche.
O 5§. 42.
[218]
§. 42.
Zugabe zur Morgenpredigt.
Es folgeten ihm aber in der Leidensgeſchichte
die Worte:
Und da Judas den Biſſen genommen hatte,
fuhr der Satan in ſein Herz, u. ſ. w.
Und er redete mit ſeiner Gemeinde uͤber die
ganze Geſchichte des Verraͤthers — Und er kam
in einen groſſen Eifer, alſo daß er mit den Haͤn-
den ſtark auf das Kanzelbrett ſchlug, welches er
ſonſt bey Jahren nicht gethan hatte.
Und er ſagte: daß alle die, ſo vom Nacht-
mahl des Herrn zum Spiel und Saufen weglaufen,
nicht um ein Haar beſſer waͤren als Judas; und
daß ihr Ende ſeyn wuͤrde, wie das Ende des Ver-
raͤthers.
Und die Leute in der Kirche fiengen an zu ſtau-
nen und nachzuſinnen, was doch der groſſe Eifer
des Pfarrers bedeute?
Da und dort ſtieß man die Koͤpfe zuſammen,
und murmelte umher: der Vogt habe ſein Haus
voll von ſeinen Lumpen.
Und bald warf alles links und rechts die Augen
auf ſeinen leeren Kirchſtuhl und auf die Voͤgtinn.
Dieſe
[219]
Dieſe merkte es — zitterte — ſchlug die Augen
nieder — durfte keinen Menſchen mehr anſehn —
und lief im Anfang des Singens zur Kirche hin-
aus.
Da ſie aber das that, ward das Gerede erſt
noch groͤſſer, daß man auch mit den Fingern auf
ſie zeigte; und es ſtuhnden in den hinterſten Wei-
berſtuͤhlen einige ſogar auf die Baͤnke, ſie zu ſehn,
und das Geſang ſelbſt mißthoͤnte ob dem Gemuͤrmel.
§. 43.
Die Bauern im Wirthshauſe werden be-
unruhiget.
Sie aber lief, ſo ſchnell ſie vermochte, heim.
Und als ſie in die Stube kam, warf ſie das
Kirchenbuch im Zorn mitten unter die Flaſchen
und Glaͤſer, und fieng an uͤberlaut zu heulen.
Der Vogt und die Nachbaren fragten: Was
iſt das?
Voͤgtinn. Ihr ſolltet’s wohl wiſſen — Es iſt
nicht Recht, daß ihr an einem heiligen Tage hier
ſaufet.
Vogt. Iſt’s nur das? ſo iſt’s wenig.
Bauern. Und das erſtemal, daß du daruͤber
heulſt!
Vogt.
[220]
Vogt. Ich glaubte auf’s wenigſte, du habeſt
den Geldſeckel verloren.
Voͤgtinn. Treib jezt noch den Narren; wenn
du in der Kirche geweſen waͤrſt, du wuͤrdeſt nicht
narren.
Vogt. Was iſt’s denn? Heul doch nicht ſo,
und rede; Was iſt’s denn?
Voͤgtinn. Der Pfarrer muß vernommen haben,
daß deine Herren da ſaufen waͤhrend der Predigt.
Vogt. Das waͤre verflucht!
Voͤgtinn. Er weiß es gewiß.
Vogt. Welcher Satan kann es ihm jezt ſchon
geſagt haben?
Voͤgtinn. Welcher Satan, du Narr! Sie
kommen ja mit ihren Tabakspfeifen uͤber die Straſ-
ſe und nicht zum Camin hinab ins Haus; und
dann noch ordentlich neben des Ehegaumers Haus
vorbey. Jezt hat der Pfarrer gethan, daß es nicht
auszuſprechen iſt; und alle Leute haben mit den Fin-
gern auf mich gezeigt.
Vogt. Das iſt abermal ein verdammtes Stuͤck,
das mir ſo ein Satan angerichtet hat!
Voͤgtinn. Warum mußtet ihr eben heut kom-
men — ihr Saufhuͤnde — Ihr wußtet wohl, daß
es nicht Recht iſt.
Bauern. Wir ſind nicht Schuld; er hat uns
einen Boten geſchickt.
Voͤgtinn. Iſt das wahr?
Bauern.
[221]
Bauern. Ja, ja!
Vogt. Es war mir ſo wunderlich als es mir
ſeyn konnte; und unausſtehlich allein zu ſeyn.
Voͤgtinn. Das iſt gleich viel. Aber Nach-
baren! geht doch ſo ſchnell ihr koͤnnet durch die
hintere Thuͤr heim, und machet, daß das Volk,
wenn es aus der Kirche kommt, einen jeden vor
ſeinem Hauſe antreffe; ſo koͤnnt ihr die Sache noch
bemaͤnteln. Man hat noch nicht vollends ausgeſun-
gen; aber gehet, es iſt doch Zeit.
Vogt. Ja, gehet — gehet — das iſt ein Abi-
gailsrath.
Die Bauern giengen.
Da erzaͤhlte die Frau ihm erſt recht, daß der
Pfarrer vom Judas geprediget haͤtte; wie der Teufel
ihm in ſein Herz gefahren waͤre — wie er ſich er-
haͤngt haͤtte, und wie die, ſo vom Nachtmahl weggien-
gen, zu ſaufen und zu ſpielen, ein gleiches Ende
nehmen wuͤrden. Er war ſo eifrig, ſagte die Frau,
daß er mit den Faͤuſten auf’s Kanzelbrett ſchluge,
und mir iſt ſchier geſchwunden und ohnmaͤchtig
worden.
Der Vogt aber erſchrack uͤber das, ſo die Frau
erzaͤhlte, ſo ſehr, daß er war wie ein Stummer,
und kein Wort antwortete. Aber ſchwaͤre tiefe
Seufzer thoͤnten jezt aus dem ſtolzen Munde, den
man Jahre lang nie ſo ſeufzen gehoͤrt hatte.
Seine
[222]
Seine Frau fragte ihn oft und viel: Warum
er ſo ſeufze?
Er antwortete ihr kein Wort. Aber mehr als
einmal ſagte er mit bangem Seufzen zu ſich ſel-
ber: Wohin kommt’s noch weiter! Wohin kommt’s
noch mit mir?
So gieng er jezt lang ſeufzend die Stube hin-
auf und himmter.
Endlich ſagt’ er zur Frauen: Bring mir ein
Jaſtpulver vom Scheerer, mein Gebluͤt wallet in
mir, und macht mich unruhig; ich will morgen
zu Ader laſſen, wenn’s auf das Pulver nicht beſ-
ſer wird.
Die Frau bracht ihm das Pulver; er nahm’s,
und eine Weile darauf ward ihm wirklich leichter.
§. 44.
Geſchichte eines Menſchenherzens, waͤh-
rend dem Nachtmahle.
Da erzaͤhlte er der Frauen, wie er heute mit
gutem verſoͤhnten Herzen zur Kirche gegangen waͤre,
wie er auch in ſeinem Stuhl Gott um Verzeihung
ſeiner Suͤnden gebeten haͤtte; aber da uͤber die Pre-
digt des Pfarrers toll geworden waͤre, und ſeither kei-
nen guten Gedanken mehr haͤtte haben koͤnnen. Auch
wie
[223] wie ihm erſchreckliche und graͤuliche Dinge waͤhrend
dem Nachtmahl zu Sinn gekommen waͤren. Ich
konnte, ſo ſagte er zur Frauen: ich konnte waͤhrend
dem Nachtmahl nicht beten und nicht ſeufzen. Mein
Herz war mir wie ein Stein — Und da mir der
Pfarrer das Brod gab, ſo ſah er mich an, daß es
nicht auszuſprechen war; nein! ich kann’s nicht aus-
ſprechen; aber auch nicht vergeſſen, wie er mich
anſah — Wenn ein Richter einen armen Suͤnder
dem Rad und dem Scheiterhaufen uͤbergiebt, und
eben uͤber ihn den Stab bricht; er kann ihn nicht
ſo anſehen. Vergeſſen kann ich’s nicht, wie er mich
anſah. Ein kalter Schweiß floß uͤber meine Stir-
ne, und meine Hand zitterte, da ich von ihm das
Brod nahm.
Und da ich’s geeſſen hatte, uͤbernahm mich ein
wuͤtender ſchrecklicher Zorn uͤber den Pfarrer, daß ich
mit meinen Zaͤhnen knirſchte, und ihn nicht mehr an-
ſehen durfte.
Frau! ein Abſcheulichers ſtieg mir dann nach
dem andern in’s Herz.
Ich erſchrack uͤber dieſen Gedanken, wie ich ob
groſſen Donnerſtrahlen erſchrecke; aber ich konnte
ihrer nicht los werden.
Ich zitterte vor dem Taufſteine, *) daß ich
den
[224] den Kelch vor Schauer und Entſetzen nicht veſt
hielt.
Da kam Joſeph in zerriſſenen Stiefeln, und
ſchlug ſeine Schelmenaugen vor mir zu Boden —
und meine drey Thaler! Wie’s mir durch Leib und
Seel ſchauerte, der Gedanke an meine drey Tha-
ler.
Dann kam Gertrud, hub ihre Augen gen Him-
mel, und dann auf den Kelch, als ob ſie mich
nicht ſaͤhe; als ob ich nicht da waͤre. Sie haſſet
und verflucht mich, und richtet mich zu Grunde;
und ſie konnte thun, als ob ſie mich nicht ſaͤhe; als
ob ich nicht da waͤre.
Dann kam der Maͤurer, ſah mich ſo weh-
muͤthig an, als ob er aus tiefem Herzensgrunde
zu mir ſagen wollte: Verzeih mir, Vogt! Er, der
mich, wenn er koͤnnte, an Galgen bringen wuͤrde.
Dann kam auch Schabenmichel, blaß und er-
ſchrocken wie ich, und zitterte wie ich. Denk,
Frau! wie mir bey dem allem zu Muthe war.
Ich fuͤrchtete immer, auch Hans Wuͤſt komme nach;
dann haͤtte ich’s nicht ausgehalten; der Kelch wuͤrde
mir aus der Hand gefallen; Ich ſelbſt, ich wuͤrde
gewiß zu Boden geſunken ſeyn; ich konnte mich faſt
nicht mehr auf den Fuͤſſen halten. Und als ich in
den Stuhl zuruͤck kam, uͤberfiel mich ein Zittern
in meinen Gliedern, daß ich beym Singen das
Buch nicht in den Haͤnden halten konnte.
Und
[225]
Und bey allem kam mir immer in Sinn:
Arner! Arner! iſt an allem dieſem Schuld; und
Zorn und Wuth und Rache tobeten in meinem
Herzen waͤhrend der Stunde meines Dienſtes.
Woran ich in meinem Leben nie dachte, das kam
mir waͤhrend dem Nachtmahl in Sinn. Ich
darf’s faſt nicht ſagen, es ſchauert mir, es nur zu
denken.
Es kam mir in Sinn: ich ſoll ihm den groſ-
ſen Markſtein auf dem Berg uͤber den Felſen hin-
unter ſtuͤrzen; es weiß den Markſtein Niemand
als ich.
§. 45.
Die Frau ſagt ihrem Manne groſſe Wahr-
heiten; aber viele Jahre zu ſpaͤth.
Die Voͤgtinn erſchrack uͤber dieſen Reden ihres
Manns heftig; ſie wußte aber nicht, was ſie ſagen
wollte, und ſchwieg, ſo lang er redete, ganz ſtill.
Auch eine Weile hernach ſchwiegen beyde. Endlich
aber fieng die Voͤgtinn wieder an und ſagte zu ihm:
Es iſt mir angſt und bang wegen allem, was du ge-
ſagt haſt. Du mußſt dieſen Geſellen entſagen, das
Ding geht nicht gut; und wir werden aͤlter.
PVogt.
[226]
Vogt. Du haſt durchaus Recht; aber es iſt
gar nicht leicht.
Voͤgtinn. Es mag ſchwer ſeyn oder nicht,
es muß ſeyn; ſie muͤſſen dir vom Hals.
Vogt. Du weiſſeſt wohl, wie viel mich an
ſie bindet, und was ſie wiſſen.
Voͤgtinn. Du weiſſeſt noch viel mehr von ih-
nen: ſie ſind Schelmen, und duͤrfen nichts ſagen;
du mußſt dich von ihnen losmachen.
Der Vogt ſeufzet; die Frau aber faͤhrt fort:
Sie freſſen und ſaufen immer bey dir, und zahlen
dich nicht. Und wenn du beſoffen biſt, ſo laſſeſt du
dich noch von ihnen anfuͤhren, wie ein Tropf —
Denk doch, um Gottes willen! nur wie es geſtern mit
dem Joſeph gegangen iſt: Ich habe dir, ach mein
Gott! wie gut hab ich’s gemeynt, rathen wollen,
aber wie biſt du mit mir umgegangen? Und ohne
das ſind auch geſtern zween Thaler aus deinem
Camiſolſack weiter ſpatziert, und ſind nicht einmal
aufgeſchrieben — Wie lang kann das noch gehn?
Wenn du bey deinen ſchlimmen Haͤndeln nachrechneſt,
was nebenhin gegangen iſt, ſo haſt du bey allem ver-
loren; und doch faͤhrſt du noch immer fort mit
dieſen Leuten, und oft und viel nur um deines
gottloſen Hochmuths willen. Bald muß dir ſo ein
Hund reden, was du willſt, und bald ein ande-
rer ſchweigen, wo du willſt; darfuͤr dann freſſen und
ſaufen ſie bey dir, und zum ſchoͤnen Dank, wenn
dich
[227] dich einer kann in eine Grube bringen und verra-
then, ſo thut er’s.
Ja vor Alters, da dich alles fuͤrchtete wie ein
Schwerdt, da konnteſt du die Purſche in Ordnung
halten; aber jezt biſt du ihrer nicht mehr Meiſter,
und zaͤhl darauf: du biſt ein verlorner Mann in dei-
nen alten Tagen, wenn du ihrer nicht muͤßig geheſt.
Es ſteht ſo ſchluͤpfrig um uns, als es nur kann;
ſo bald du weg biſt, lachen und narren die Knech-
te, arbeiten nicht, und wollen nur ſaufen — So
ſagte die Frau.
Der Vogt aber antwortete auf alles kein Wort,
ſondern ſaß ſtillſchweigend und ſtaunend vor ihr,
da ſie ſo redete. Endlich ſtand er auf und gieng
in den Garten, aus dem Garten in ſeine Brunnen-
matt, aus dieſer in Pferdſtall. Angſt und Sorgen
trieben ihn ſo umher; doch blieb er eine Weile im
Pferdſtall und redete da mit ſich ſelber.
P 2§. 46.
[228]
§. 46.
Selbſtgeſpraͤch eines Manns, der mit
ſeinem Nachdenken ungluͤcklich weit
koͤmmt.
Mehr als Recht hat die Frau; aber was will
ich machen? Ich kann nicht helfen; unmoͤglich
kann ich mir aus allem, worinn ich ſtecke, heraus
helfen. So ſagt er; flucht dann wieder auf Arner,
als ob dieſer ihm alles auf den Hals gezogen; und
dann auf den Pfarrer, daß er ihn auch noch in
der Kirche raſend gemacht haͤtte; dann kam er wie-
der auf den Markſtein, und ſprach: Ich verſetze ihn
nicht, den verwuͤnſchten Stein; aber wenn’s jemand
thaͤte, ſo wuͤrde der Junker um den dritten Theil
ſeiner Waldung kommen.
Sodann wieder: Das iſt ganz richtig, der achte
und neunte obrigkeitliche Markſtein wuͤrden ihm das
Stuͤck in gerader Linie wegſchneiden; aber behuͤte
mich Gott davor, ich verſetze keinen Markſtein.
Dann wieder: Wenn’s auch kein rechter Mark-
ſtein waͤre? er liegt da, wie ſeit der Suͤndfluth; er
hat keine Numer und kein Zeichen.
Dann gieng er in die Stube, nahm ſein Haus-
buch — rechnete — ſchrieb — blaͤtterte — that Pa-
piere von einander — legte ſie wieder zuſammen —
ver-
[229] vergaß, was er geleſen — ſuchte wieder, was er eben
geſchrieben hatte — legte dann das Buch wieder
in den Kaſten — gieng die Stube hinauf und hin-
unter — und dachte und redete immer mit ſich ſel-
ber vom Markſtein ganz ohne Schloßzeichen und
Numero. Sonſt iſt kein einziger Markſtein ohne
Zeichen. Was mir in Sinn koͤmmt: Ein alter Ar-
ner ſoll die obrigkeitliche Waldung ſo hart beſchnit-
ten haben; wenn es auch hier waͤre. Bey Gott! es
iſt hier! es iſt die unnatuͤrlichſte Kruͤmmung in die
obrigkeitlichen Grenzen hinein; bey zwo Stunden geht
ſie ſonſt in geraͤderer Linie als hier; und der Stein
hat kein Zeichen und die Scheidung keinen Graben.
Wenn die Waldung der Obrigkeit gehoͤrte, ich
thaͤte dann nicht Unrecht, ich waͤre treu am Landes-
herrn. Aber wenn ich mich irrte — Nein, ich verſetze
den Stein nicht. Ich muͤßte ihn umgraben, in
der finſtern Nacht muͤßte ich ihn einen ſtarken Stein-
wurf weit auf der Ebne fortruͤcken bis an den Fel-
ſen, und er iſt ſchwer. Er laͤßt ſich nicht verſenken,
wie eine Brunnquell. Am Tage wuͤrde man jeden
Karſtſtreich hoͤren, ſo nahe iſt er an der Landſtraſſe;
und zu Nacht — ich darf nicht. Ich wuͤrde vor je-
dem Geraͤuſch erſchrecken. Wenn ein Dachs daher
ſchliche, oder ein Reh aufſpraͤnge, es wuͤrde mir ohn-
maͤchtig bey der Arbeit werden. Und wer weiß, ob
nicht im Ernſt ein Geſpenſt mich uͤber der Arbeit
ergreifen koͤnnte. Es iſt wahrlich unſicher des Nachts
P 3um
[230] um die Markſteine, und es iſt beſſer, ich laſſe es
bleiben.
Dann wieder nach einer Weile:
Daß auch ſo viele Leute weder Hoͤlle noch Ge-
ſpenſter glauben! Der alte Schreiber glaubte von
allem kein Wort; und der Vicari — es iſt bey Gott!
nicht moͤglich, daß er etwas geglaubt hat; aber der
Schreiber, der ſagte es uͤberlaut und wohl hundert-
mal zu mir, wie mit meinem Hund, wie mit meinem
Roß, ſey es mit mir aus, wenn ich todt ſeyn werde.
Er glaubte das, fuͤrchtete ſich vor nichts, und that,
was er wollte. Wenn er auch Recht gehabt haͤtte,
wenn ich’s glauben koͤnnte, wenn ich’s hoffen duͤrfte,
wenn ich’s in mein Herz hinein bringen koͤnnte, daß
es wahr waͤre, bey der erſten Jagd wuͤrde ich hinter
den Gebuͤſchen Arnern auflauren und ihn todſchieſſen —
ich wuͤrde dem Pfaffen ſein Haus abbrennen; aber
es iſt vergebens, ich kann’s nicht glauben, ich darf’s
nicht hoffen — Es iſt nicht wahr! Narren ſind’s,
verirrte Narren, die es glauben, oder ſie thun nur
dergleichen.
Markſtein, Markſtein! ich verſetze dich nicht.
So redte der Mann, und zitterte, und konnte die-
ſer Gedanken nicht los werden.
Entſetzen durchfuhr ſein Innerſtes. Er wollte
ſich ſelbſt entfliehn, gieng auf die Straſſe, ſtuhnd
zum
[231] zum erſten beſten Nachbar, fragte ihn von Wetter
und vom Wind, und von den Schnecken, die im
Herbſt vor drey Jahren den Roggen verduͤnnert
hatten. Dann kam er nach einer Weile mit ein
Paar Durſtigen wieder in ſein Wirthshaus, gab
ihnen zu trinken, daß ſie blieben — nahm noch ein
Jaſtpulver vom Scheerer, und brachte ſo endlich
den Tag des Herrn zu Ende.
§. 47.
Haͤusliche Sonntagsfreuden.
Und nun verlaß ich dich eine Weile, Haus des
Entſetzens — Mein Herz war mir ſchwer, mein
Auge war finſter, meine Stirne umwoͤlkt, und
bang war’s mir im Buſen, uͤber deinen Graͤueln.
Nun verlaß ich dich eine Weile, Haus des Ent-
ſetzens!
Mein Auge erheitert ſich wieder, meine Stirne
entwoͤlkt ſich, und mein Buſen athmet wieder un-
beklommen und frey.
Ich naͤhere mich wieder einer Huͤtte, in welcher
Menſchlichkeit wohnt.
Da heut am Morgen der Lienhard und ſeine
Frau zur Kirche gegangen waren, ſaſſen ihre Kin-
der fromm und ſtill in der Wohnſtube beyſammen,
P 4bete-
[232] beteten, ſangen und wiederholten, was ſie in der
Woche gelernt hatten; denn ſie mußten ſolches alle
Sonntage des Abends der Gertrud wiederholen.
Liſe, das Aelteſte, mußte allemal waͤhrend der
Kirche das kleine Gruͤteli verſorgen, es aufnehmen,
es troͤcknen, ihm ſeinen Brey geben; und das iſt
immer der Liſe groͤßſte Sonntagsfreude, wenn ſie
allemal das Kleine ſo aufnimmt und ſpeist, ſo meynt
dann Liſe, ſie ſey auch ſchon groß. Wie ſie dann
die Mutter ſpielt, ihr nachaͤffet, das Kleine tau-
ſendmal herzt, ihm nickt und laͤchelt — Wie das
Kleine ihr wieder entgegen laͤchelt, ſeine Haͤnde zer-
wirft, und mit den Fuͤſſen zappelt auf ihrem Schooſſe;
wie es ſeine Liſe bald bey der Haube nimmt, bald
bey den kleinen Zoͤpfen, bald bey der Naſe; dann
wie es uͤber dem bunten Sonntagshalstuch J — aͤ
J — aͤ macht — dann wie Niclas und Enne ihm
J — aͤ antworten; wie dann das Kleine Kopf und
Augen herum dreht, den Ton ſucht, den Niclas
erblickt, und auch gegen ihn lacht — wie Niclas
dann zuſpringt und das lachende Schweſterlein her-
zet — wie dann Liſe den Vorzug will, und allem
aufbietet, daß das Liebe gegen ſie lache; Auch wie ſie
fuͤr es Sorge traͤgt, wie ſie ſeinem Weinen vorkoͤm̃t,
wie ſie ihm Freude macht, es bald in die Hoͤhe
hebt bis an die Buͤhne, bald wieder gleich luſtig
und ſorgfaͤltig hinunter laͤßt bis an den Boden —
wie dann das Gruͤteli bey dieſem Spiele jauchzet,
auch
[233] auch wie ſie Haͤnde und Kopf dem Kind in Spie-
gel hinein druͤckt, und dann endlich, wie es beym
Anblick der Mutter weit hinunter in die Gaſſe jauch-
zet — wie’s ihr entgegen nickt und laͤchelt —
wie’s ſeine beyden Haͤndchen nach ihr ausſtreckt, und
nach ihr haͤngend faſt uͤberwaͤlzet auf des Schwe-
ſterleins Arm — das alles iſt wahrlich ſchoͤn; Es iſt
die Morgenfveude der Kinder des Lienhards an den
Sonntagen und an den heiligen Feſten — und dieſe
Freuden frommer Kinder ſind wahrlich ſchoͤn vor
dem Herrn ihrem Gott. Er ſieht mit Wohlgefal-
len auf die Unſchuld der Kinder, wenn ſie ſich
alſo ihres Lebens freuen, und er ſegnet ſie, daß
es ihnen wohlgehe ihr Lebenlang, wenn ſie folgen
und recht thun.
Gertrud war heute mit ihren Kindern zufrieden;
ſie hatten alles in der Ordnung gethan, was ihnen
befohlen war.
Es iſt die groͤßſte Freude frommer Kinder auf
Erden, wenn Vater und Mutter mit ihnen zufrie-
den ſind.
Die Kinder der Gertrud hatten jezt dieſe Freu-
de, ſie draͤngten ſich an den Schooß ihrer Eltern,
riefen bald Vater, bald Mutter, ſuchten ihre Haͤn-
de, hielten ſich an ihren Armen, und ſprangen am
Arme des Vaters und am Arme der Mutter an ih-
ren Hals.
P 5Das
[234]
Das war dem Lienhard und der Gertrud ein
Labſal, am Feſttage des Herrn.
So lang ſie Mutter iſt, iſt es die Sonntags-
freude der Gertrud, die Freude uͤber ihre Kinder,
und uͤber ihre kindliche Sehnſucht nach Vater und
Mutter — darum ſind ihre Kinder auch fromm und
ſanft.
Lienhard weinte heute, daß er oft dieſe Freu-
den des Lebens ſich ſelber entriß.
Die haͤuslichen Freuden des Menſchen ſind die
ſchoͤnſten der Erden.
Und die Freude der Eltern uͤber ihre Kinder,
iſt die heiligſte Freude der Menſchheit. Sie macht
das Herz der Eltern fromm und gut. Sie hebt
die Menſchheit empor zu ihrem Vater im Himmel.
Darum ſegnet der Herr die Thraͤnen ſolcher Freu-
den, und lohnet den Menſchen jede Vatertreue und
jede Mutterſorge an ihren Kindern.
Aber der Gottloſe, der ſeine Kinder fuͤr nichts
achtet — der Gottloſe, dem ſie eine Laſt ſind, und
eine Buͤrde — der Gottloſe, der in der Woche
vor ihnen ſiiehet und am Sonntage ſich vor ihnen
verbirget — der Gottloſe, der Ruhe ſuchet vor ih-
rer Unſchuld und vor ihrer Freude, und der ſie nicht
leiden kann, bis ihre Unſchuld und ihre Freude dahin
iſt, bis ſie wie er gezogen ſind —
Der Gottloſe, der das thut, ſtoſſet den beſten
Segen der Erden weg von ſich mit Fuͤſſen. Er
wird
[235] wird auch keine Freude erleben an ſeinen Kindern,
und keine Ruhe finden vor ihnen — In der Freude
ihres Herzens redeten Lienhard und Gertrud mit
ihren Kindern am heiligen Feſttage, von dem gu-
ten Vater im Himmel und von dem Leiden ihres
Erloͤſers. Die Kinder hoͤrten ſtill und aufmerkſam
zu, und die Mittagsſtunde gieng ſchnell und frohe
voruͤber, wie die Stunde eines Hochzeitfeſtes.
Da laͤuteten die Glocken zuſammen, und Lien-
hard und Gertrud giengen nochmals zur Kirche.
Der Weg fuͤhrte ſie wieder bey des Vogts
Hauſe vorbey, und Lienhard ſagte zu Gertrud:
Der Vogt ſah dieſen Morgen in der Kirche er-
ſchrecklich aus; in meinem Leben ſah ich ihn nie
ſo. Der Schweiß tropfte von ſeiner Stirne, da
er zudienete; haſt du es nicht bemerkt, Gertrud?
Ich ſah, daß er zitterte, da er mir den Kelch gab.
Ich habe es nicht bemerkt, ſagte Gertrud.
Lienhard. Es gieng mir an’s Herz, wie der
Mann ausſahe. Haͤtte ich’s duͤrfen, Frau! ich
haͤtte ihm uͤberlaut zugerufen: Verzeih mir, Vogt!
Und wenn ich ihm mit etwas zeigen koͤnnte, daß
ich’s nicht boͤs meyne, ich wuͤrde es gerne thun.
Gertrud. Lohn dir Gott dein Herz, Lieber!
es iſt recht, wann du Anlaß haſt; aber des Rudis
hungernde Kinder und noch mehr ſchreyen Rache
uͤber den Mann, und er wird dieſer Rache ge-
wiß nicht entrinnen.
Lien-
[236]
Lienhard. Es geht mir an’s Herz, der Mann
iſt hoͤchſt ungluͤcklich. Ich ſah es ſchon lang mitten
im Laͤrm ſeines Hauſes, daß ihn nagende Unruhe
plagte.
Gertrud. Mein Lieber! wer von einem ſtil-
len eingezogenen frommen Leben ablaͤßt, dem kann’s
niemals wohl ſeyn in ſeinem Herzen.
Lienhard. Wenn ich je etwas in meinem Le-
ben deutlich erfahren und geſehen habe, ſo iſt es die-
ſes. Alles was immer die gewaltthaͤtigen Anhaͤnger
des Vogts in ſeinem Haus rathſchlagten, vornahmen,
erſchlichen oder erzwangen, alles machte ſie nie ei-
ne Stunde zufrieden und ruhig.
Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie zur Kirche,
und wurden da ſehr von dem Eifer geruͤhrt, mit
welchem der Pfarrer uͤber die Geſchichte des Ver-
raͤthers redete.
§. 48.
Etwas von der Suͤnde.
Gertrud hatte das Gemurmel, das in den Wei-
berſtuͤhlen allgemein war, des Vogts Haus ſey
ſchon wieder voll von ſeinen Lumpen, auch gehoͤrt,
und ſagte es nach der Kirche dem Lienhard. Die-
ſer antwortete: Ich kann’s doch faſt nicht glau-
ben —
[237] ben — waͤhrend der Kirche an einem heiligen
Tage.
Gertrud. Es iſt freylich erſchrecklich! aber
die Verwicklungen eines gottloſen Lebens fuͤhren zu
allem, auch zu dem abſcheulichſten!
Lienhard ſeufzt. Gertrud faͤhrt fort: Ich erin-
nere mich, ſo lang ich lebe, an das Bild, das
unſer Pfarrer ſelig uns von der Suͤnde machte,
da er uns das letzte Mal zum heiligen Nachtmahl
vorbereitete.
Er verglich ſie mit einem See, der beym an-
haltenden Regen nach und nach aufſchwellt. Das
Steigen des See’s, ſagte er, iſt immer unmerklich;
aber es nimmt doch alle Tage und alle Stunde zu.
Der See wird immer hoͤher und hoͤher, und die
Gefahr wird gleich groß, als wenn er ploͤtzlich und
mit Sturm ſo aufſchwellte.
Darum geht der Vernuͤnftige und Erfahrne im
Anfange zu den Wehren und Daͤmmen, ſie zu be-
ſichtigen, ob ſie dem Ausbruch zu ſteuren in Ordnung
ſind. Der Unerfahrne und der Unweiſe aber achten
das Steigen des See’s nicht, bis die Daͤmme zerriſ-
ſen, bis Felder und Wieſen verwuͤſtet ſind, und bis
die Sturmglocke dem Lande aufbietet, der Verhee-
rung zu wehren. So, ſagte er, ſey es mit der Suͤnde
und dem Verderben, das ſie anrichte.
Ich bin noch nicht alt, aber ich habe es doch
ſchon hundertmal erfahren, daß der redliche Seel-
ſorger
[238] ſorger Recht hatte; und daß ein jeder, der in
irgend einer Suͤnde anhaltend fortwandelt, ſein
Herz ſo verhaͤrtet, daß er das Steigen ihrer Graͤuel
nicht mehr achtet, bis Verheerung und Entſetzen
ihn aus dem Schlafe weckt.
§. 49.
Kindercharacter und Kinderlehren.
Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie aus der Kirche
wieder in ihre Huͤtte.
Und die Kinder alle liefen dem Vater und der
Mutter die Stiege hinunter entgegen; riefen und
baten, ſo bald ſie ſie ſahn: wir wollen doch ge-
ſchwind wiederholen, was wir dieſe Woche ge-
lernt haben; komme doch geſchwind, Mutter! daß
wir bald fertig werden.
Gertrud. Warum ſo eifrig heut, ihr Lieben?
warum thut es ſo noth?
Kinder. Ja, wir duͤrfen dann, Mutter, wenn
wir’s koͤnnen, mit dem Abendbrod, gelt, Mutter!
wir duͤrfen? Du haſt’s uns geſtern verſprochen.
Mutter. Ich will gern ſehn, wie ihr das
koͤnnt, was ihr gelernet habt.
Kinder. Aber wir duͤrfen alsdann, Mutter?
Mutter. Ja, wenn ihr fertig ſeyn werdet.
Die
[239]
Die Kinder freuten ſich herzlich, und wiederhol-
ten, was ſie in der Woche gelernt hatten, geſchwind
und gut.
Da gab die Mutter ihnen ihr Abendbrod und
zwo Schuͤſſeln Milch, von der ſie den Rahm nicht
abgenommen hatte, weil es Feſttag war.
Sie nahm jezt auch das Gruͤteli an ihre Bruſt,
und hoͤrte mit Herzensfreude zu, wie die Kinder
waͤhrend dem Eſſen eines dem andern erzaͤhlten, wem
ſie ihr Abendbrod geben wollten. Keines aß einen
Mundvoll von ſeinem Brod — Keines that ein
Broͤcklein davon in die Milch, ſondern alle aſſen
ſie darohne, und jedes freute ſich uͤber ſein Brod,
zeigte es dem andern, und jedes wollte, das ſeine
ſey das groͤßſte.
Jezt waren ſie fertig mit ihrer Milch — das
Brod lag noch neben der Mutter.
Niclas ſchlich zu ihr hin, nahm ihr die Hand
und ſagte: Du giebſt mir doch auch noch einen
Mundvoll Brod fuͤr mich, Mutter!
Mutter. Du haſt ja ſchon, Niclas!
Niclas. Ich muß es ja dem Rudeli geben.
Mutter. Ich habe dir’s nicht befohlen; du
darfſt es eſſen, wenn du willſt.
Niclas. Nein, ich will’s nicht eſſen; aber du
giebſt mir doch noch einen Mundvoll?
Mutter. Nein, gewiß nicht.
Niclas. Ae — warum nicht?
Mut-
[240]
Mutter. Damit du nicht meynſt, man muͤſſe
erſt, wenn man den Bauch voll hat, und nichts
mehr mag, an die Armen denken.
Niclas. Iſt’s darum, Mutter?
Mutter. Aber giebſt du es ihm jezt doch ganz?
Niclas. Ja, Mutter! gewiß, gewiß. Ich
weiß, er hungert entfetzlich — und wir eſſen um
ſechs Uhr zu Nacht.
Mutter. Und, Niclas! ich denke, er bekom-
me dann auch nichts.
Niclas. Ja, weiß Gott, Mutter! er bekoͤmmt
gewiß nichts zu Nacht.
Mutter. Ja, das Elend der Armen iſt groß,
und man muß grauſam und hart ſeyn, wenn man
nicht gern, was man kann, an ſich ſelbſt und an
ſeinem eignen Maul erſpart, ihnen ihre groſſe Noth
zu erleichtern.
Thraͤnen ſtehn dem Niclas in den Augen. Die
Mutter fraͤgt ſodann auch noch die andern Kinder:
Liſe! giebſt du deines auch ganz weg?
Liſe. Ja gewiß, Mutter!
Mutter. Und du, Enne! du auch?
Enne. Ja freylich, Mutter!
Mutter. Und du auch, Jonas?
Jonas. Das denk ich, Mutter!
Mutter. Nun das iſt braf, Kinder! Aber wie
wollt ihr es jezt auch anſtellen? — Es hat alles ſo
ſeine Ordnung; und wenn man’s noch ſo gut meynt,
ſo
[241] ſo kann man etwas doch unrecht anſtellen — Ni-
clas! wie willſt du’s machen mit dem Brod?
Niclas. Ich will laufen, was ich vermag,
und ihm rufen, dem Rudeli; ich ſteck es nur nicht
in Sack, daß er’s geſchwind kriege. Laß mich doch
jezt gehn, Mutter!
Mutter. Wart noch ein wenig, Niclas! Und
du, Liſe! wie willſt du es machen?
Liſe. Ich will’s nicht ſo machen, wie der Ni-
clas. Ich winke dem Betheli in eine Ecke; ich
verſtecke das Brod da unter meine Schuͤrze, und
ich gebe ihm’s, daß es Niemand ſiehet, nicht ein-
mal ſein Vater.
Mutter. Und du, Enne! wie willſt du’s machen?
Enne. Weiß ich’s, wie ich den Heireli an-
treffen werde? Ich werde es ihm geben, wie’s mir
kommen wird.
Mutter. Und du, Jonas! du kleiner Schelm,
du haſt Tuͤcke im Sinn, wie willſt du’s machen?
Jonas. In’s Maul ſtecke ich’s ihm, mein
Brod, Mutter! wie du mir’s machſt, wen du
luſtig biſt — Das Maul und die Augen zu, ſag ich
ihm; dann leg ichs ihm zwiſchen die Zaͤhne. Es
wird lachen, gelt, Mutter! es wird lachen.
Mutter. Das iſt alles recht, Kinder! aber ich
muß euch doch etwas ſagen: Ihr muͤßt das Brod
den Kindern ſtill und allein geben, daß es Niemand
ſehe, damit man nicht meyne, ihr wollet groß thun.
QNiclas.
[242]
Niclas. Potz tauſend, Mutter! ſo muß ich
mein Brod auch in Sack thun?
Mutter. Das verſteht ſich, Niclas!
Liſe. Ich habe mir das wohl eingebildet, Mut-
ter! und ſagte es vorher, ich wolle es nicht ſo ma-
chen.
Mutter. Du biſt immer das allerwitzigſte,
Liſe! Ich habe nur vergeſſen, dich dafuͤr zu ruͤh-
men; du thuſt alſo recht wohl, daß du mich ſelbſt
daran erinnerſt.
Liſe erroͤthete und ſchwieg; und die Mutter ſagte
zu den Kindern: Ihr koͤnnet jezt gehn; aber den-
ket an das, was ich euch geſagt habe — Die Kin-
der gehn.
Niclas laͤuft und ſpringt, was er vermag, zu
des Rudis Huͤtte hinunter; aber dieſer iſt nicht
auf der Gaſſe. Niclas huſtet ihm, raͤuſpert ſich —
ruft, aber vergebens, er koͤmmt nicht hinunter und
nicht ans Fenſter.
Niclas zu ſich ſelber: Was ſoll ich jezt machen?
Geh ich zu ihm in die Stube? Ja, ich muß es
ihm allein geben. Ich will doch hineingehn, und
ihm nur ſagen, er ſoll herauskommen auf die
Gaſſe.
Der Rudeli ſaß eben mit ſeinem Vater und mit
ſeinen Geſchwiſtern dey dem offenen Sarge der lie-
ben geſtorbenen Großmutter, die man in ein Paar
Stunden begraben ſollte — und der Vater und die
Kin-
[243] Kinder redeten alle mit Thraͤnen von der groſſen
Treue und Liebe, die die Verſtorbene ihnen im Leben
erzeigt hatte; ſie weinten uͤber ihrem letzten Kum-
mer wegen den Erdaͤpfeln, und verſprachen vor dem
offenen Sarg dem lieben Gott im Himmel, in kei-
ner Noth, auch wenn ſie noch ſo ſehr hungern wuͤr-
den, keinem Menſchen mehr etwas zu ſtehlen.
Eben jezt oͤffnet Niclas die Thuͤre — ſieht die
Geſtorbene — erſchrickt — und laͤuft wieder aus
der Stube.
Der Rudi aber, der ihn ſieht, denkt, der Lien-
hard wolle ihm etwas ſagen laſſen, laͤuft dem Kna-
ben nach, und fragt ihn, was er wolle? Nichts,
nichts, antwortete Niclas! nur zu dem Rudeli hab
ich wollen; aber er betet jezt.
Rudi. Das macht nichts, wenn du zu ihm
willſt.
Niclas. Laß ihn doch nur ein wenig zu mir
auf die Gaſſe.
Rudi. Es iſt ja ſo kalt, und er geht nicht gern
von der Großmutter weg. Komm doch zu ihm in
die Stube.
Niclas. Ich mag nicht hinein, Rudi! laß
ihn doch nur einen Augenblick zu mir herauskom-
men.
Ich mag’s wohl leiden, antwortete der Rudi,
und geht zuruͤck nach der Stube.
Q 2Niclas
[244]
Niclas geht ihm nach bis an die Thuͤre, und
ruft dem Rudeli: Komm doch einen Augenblick zu
mir heraus.
Rudeli. Ich mag jezt nicht auf die Gaſſe,
Niclas! Ich bin jezt lieber bey der Großmutter;
man nimmt ſie mir bald weg.
Niclas. Komm doch nur einen Augenblick.
Rudi. Geh doch und ſieh, was er will.
Der Rudeli geht hinaus. Der Niclas nimmt
ihn bey dem Arm und ſagt: Komm, ich muß dir
etwas ſagen — fuͤhrt ihn in eine Ecke, ſteckt ihm
ſein Brod geſchwind in den Sack, [und] laͤuft da-
von.
Der Rudeli dankt und ruft ihm nach: Dank
doch auch deinem Vater und deiner Mutter.
Niclas kehrt ſich um, deutet ihm mit den Haͤn-
den, daß er doch ſchweige, und ſagt: Es muß es
Niemand wiſſen; und laͤuft wie ein Pfeil davon.
§. 50.
[245]
§. 50.
Unarten und boͤſe Gewohnheiten verder-
ben dem Menſchen auch die angeneh-
men Stunden, in denen er etwas Gu-
tes thut.
Liſe geht indeſſen allgemach in ihrem Schritt ins
obere Dorf zu des Reutimarren Betheli. Dieſes
ſtuhnd eben am Fenſter. Liſe winkt ihm, und das
Betheli ſchleicht aus der Stube zu ihm heraus —
Der Vater aber, der es merkt, ſchleicht ihm nach,
und verſteckt ſich hinter das Tennthor.
Die Kinder vor dem Tennthor denken an kei-
nen Vater, und ſchwatzen nach Herzensluſt.
Liſe. Du, Betheli! ich habe dir da Brod.
Betheli. (Das zitternd die Hand darnach ſtreckt)
Du biſt gut, Liſe! Es hungert mich; aber warum
bringſt du mir jezt Brod?
Liſe. Weil du mir lieb biſt, Betheli! Wir
haben jezt genug Brod; mein Vater muß die Kirche
bauen.
Betheli. Meiner auch.
Liſe. Ja, aber deiner iſt nur Handlanger.
Betheli. Das iſt gleich viel, wenn’s nur Brod
giebt.
Q 3Liſe.
[246]
Liſe. Habt ihr groſſen Hunger leiden muͤſſen?
Betheli. Ach! wenns nur jezt beſſer wird.
Liſe. Was habt ihr zu Mittag gehabt?
Betheli. Ich darf dir’s nicht ſagen.
Liſe. Warum nicht?
Betheli. Wenn es der Vater vernaͤhme, er
wuͤrde mir —
Liſe. Ich wuͤrd’ es ihm gewiß gleich ſagen?
Das Betheli nimmt ein Stuͤck ungekochte weiſ-
ſe Ruben aus dem Sack, und ſagt: Da ſiehe — —
Liſe. Herr Jeſus! ſonſt nichts?
Betheli. Nein, weiß Gott! jezt ſchon zween
Tage.
Liſe. Und du darfſt es Niemand ſagen, und
Niemand nichts fordern?
Betheli. Ja, wenn er nur wuͤßte, was ich
dir geſagt habe, es wuͤrde mir zehn! —
Liſe. Iß doch das Brod, ehe du wieder hin-
ein mußſt.
Betheli. Ja, ich will; ich muß bald wieder
hinein, ſonſt fehlts — Es faͤngt an zu eſſen, und
eben oͤffnet der fromme Marx ab der Reuti das
kleinere Thuͤrlein der Tenne, und ſagt: Was iſſeſt
du da, mein Kind!
Sein Kind worget und ſchluckt ganz erſchrocken
uͤber dem lieben Vater den ungekauten Mundvoll
herunter, und ſagt: Nichts, nichts, Vater!
Marx.
[247]
Marx. Ja — nichts — wart nur — Und du,
Liſe — es iſt mir kein Gefallen, wenn man mei-
nen Kindern hinterrucks Brod giebt, damit ſie er-
zaͤhlen, was man im Hauſe eſſe oder trinke, und
dabey ſo gottlos luͤgen. Du gottloſes Betheli!
aſſen wir nicht einen Eyerkuchen zu Mittag?
Liſe zieht jezt ſo geſchwind wieder ab, als es
allgemach daher gekommen war.
Das Betheli aber nimmt der liebe Bater mit
wildem zornigem Blick am Arm in die Stube.
Und Liſe hoͤret es weit, weit vom Haus weg
noch ſchreyen —
Enne trifft den Heireli unter ſeiner Hausthuͤre
an, und ſagt ihm: Willſt du Brod?
Heireli. Ja, wenn du haſt. Enne giebt’s
ihm; er dankt und ißt, und Enne geht wieder fort.
Der Jonas ſchlich um des Schabenmichels
Haus herum, bis Baͤbeli ihn ſah, und herab kam.
Was machſt du da, Jonas? ſagte Baͤbeli.
Jonas. Ich moͤchte gern etwas Luſtiges ma-
chen.
Baͤbeli. Ich will mich mit dir luſtig machen,
Jonas!
Jonas. Willſt du thun, was ich will, Baͤ-
beli? es geht dann gewiß luſtig.
Baͤbeli. Was willſt du denn machen?
Jonas. Du mußſt s’Maul aufthun und die
Augen zu.
Q 4Baͤ-
[248]
Baͤbeli. Jaͤ, du thuſt mir etwas Garſtiges
in’s Maul.
Jonas. Nein, das thue ich dir nicht, Baͤbe-
li! meiner Treue! nicht.
Baͤbeli. Nu — — aber ſieh zu, wenn du
mich anfuͤhrſt. (Es thut das Maul auf und die
Augen nur halb zu.)
Jonas. Recht zu mit den Augen, ſonſt gilt’s
nicht.
Baͤbeli. Ja; Aber wenn du ein Schelm biſt?
(Es thut jezt die Augen ganz zu.)
Flugs ſchiebt ihm Jonas das Brod in’s Maul,
und laͤuft fort.
Das Baͤbeli nimmt das Brod aus dem Maul,
und ſagt: das iſt luſtig; ſitzt nieder und ißt.
§. 51.
Es kann keinem Menſchen in Sinn kom-
men, was fuͤr gute Folgen auch die
kleinſte gute Handlung haben kann.
Sein Vater Michel ſieht das Spiel der Kinder
vom Fenſter, und erkennt den Jonas des Lien-
hards; und es geht ihm ein Stich ins Herz.
Was ich fuͤr ein Satan bin! ſagt er zu ſich
ſelber. Ich verkaufe mich dem Vogt zum Verraͤ-
ther
[249] ther wider den Maͤurer, der mir Brod zeigt und
Verdienſt — und jezt muß ich noch ſehn, daß auch
dieſer Kleine ein Herz hat, wie ein Engel — Ich
thue dieſen Leuten nichts Boͤſes; der Vogt iſt mir
ſeit geſtern ein Graͤuel. Ich kann’s nicht vergeſſen,
wie er ausſah, da er mir den Kelch gab — So ſagte
der Mann, und blieb den ganzen Abend in ernſten
Betrachtungen uͤber ſein Leben bey Hauſe.
Die Kinder Lienhards waren jezt auch wieder
zuruͤck, erzaͤhlten dem Vater und der Mutter, wie’s
ihnen gegangen war, und waren ſehr munter. Liſe
allein war es nicht, zwang ſich aber froͤlich zu ſchei-
nen, und erzaͤhlte mit viel Worten, wie ſie das
Betheli ſo herzlich erfreut habe.
Es iſt dir gewiß etwas begegnet, ſagte Ger-
trud?
Nein, es iſt mir gewiß nichts begegnet, und es
hat ihm gewiß Freude gemacht, antwortete Liſe.
Die Mutter fragte jezt nicht weiter, ſondern
betete mit ihren Kindern, gab ihnen ihr Nachteſſen,
und begleitete ſie zur Ruhe.
Gertrud und Lienhard laſen noch eine Stunde
in ihrer Bibel, und redeten mit einander von dem,
was ſie laſen; und es war ihnen herzinniglich wohl
am Abend des heiligen Feſts.
Q 5§. 52.
[250]
§. 52.
Am Morgen ſehr fruͤh iſt viel zu ſpaͤt fuͤr
das, was man am Abend vorher haͤtte
thun ſollen.
Am Morgen aber ſehr fruͤh, ſo bald der Maͤurer
erwachte, hoͤrte er jemand ihm vor dem Fenſter
rufen.
Er ſtuhnd alſobald auf, und oͤffnete die Thuͤre.
Es war Flink, der Harſchier aus dem Schloß.
Er gruͤßte den Maͤurer und ſagte:
Maͤurer! ich habe dir ſchon geſtern den Befehl
bringen ſollen, daß man ungeſaͤumt heute mit dem
Steinbrechen anfangen ſoll.
Maͤurer. So viel ich gehoͤrt habe, hat der
Vogt die Arbeiter heute in’s Schloß gehn heiſſen;
doch es iſt noch fruͤh, ich denk, ſie werden noch
nicht fort ſeyn; ich will es ihnen ſagen.
Da rief er dem Lenk, der in der Naͤhe wohnte,
vor ſeinem Fenſter; aber es antwortete Niemand.
Nach einer Weile kam Killer, der mit ihm un-
ter einem Dache wohnt, hervor und ſagte: Der
Lenk iſt bey einer halben Stunde ſchon fort, mit
den andern ins Schloß. Der Vogt hat ihnen ge-
ſtern nach dem Nachteſſen noch ſagen laſſen, daß
ſie
[251] ſie unfehlbar vor den Vieren fort ſollen, weil er auf
den Mittag wieder daheim ſeyn muͤſſe.
Der Harſchier war ernſtlich betroffen uͤber dieſen
Bericht, und ſagte: Das iſt verflucht; aber was
iſt zu machen, erwiederte der Maͤurer?
Flink. Kann ich ſie vielleicht noch einholen?
Maͤurer. Auf des Martis Huͤgel ſieheſt du ih-
nen ja auf eine halbe Stunde nach; da kannſt du
ſie, nachdem der Wind geht, zuruͤckrufen, ſo
weit du ſie ſieheſt.
Dieſer ſaͤumt ſich jezt nicht, laͤuft ſchnell auf
den Huͤgel, ruft, pfeift und ſchreyt da, was er aus
dem Hals vermag; aber vergebens — Sie hoͤren
ihn nicht, gehn ihres Wegs fort, und ſind ihm
bald aus den Augen.
Der Vogt aber, der noch nicht ſo weit entfernt
war, hoͤrte das Rufen vom Huͤgel, kehrte ſich um,
das Gewehr des Harſchiers glaͤnzte im Morgen-
ſtrahl der Sonne, daß der Vogt ihn erkannte;
und es wunderte ihn, was der Harſchier wolle; er
gieng zuruͤck und der Harſchier ihm entgegen.
Dieſer erzaͤhlte ihm jezt, wie er geſtern bis zum
Sterben Kopfweh gehabt und verſaͤumt habe, dem
Maͤurer anzuſagen, daß man ſchon heute mit dem
Steinbrechen anfangen muͤſſe.
§. 53.
[252]
§. 53.
Je mehr der Menſch fehlerhaft iſt, je un-
verſchaͤmter begegnet er denen, die auch
fehlen.
Du vermaledeyter Schlingel! was du fuͤr Strei-
che macheſt; antwortete der Vogt.
Flink. Es wird ſo gar uͤbel nicht ſeyn. Wie
hab ich vom Teufel wiſſen koͤnnen, daß die Kerl
alle vor Tag zum Dorf hinaus fliegen werden —
Haſt du es ihnen befohlen?
Vogt. Ja eben, du Hund! Ich muß jezt viel-
leicht deinen Fehler ausfreſſen.
Flink. Ich werde auch kaum leer draus kom-
men.
Vogt. Es iſt verflucht —
Flink. Das war genau auch mein Wort, da
ich hoͤrte, daß ſie fort waͤren.
Vogt. Ich mag jezt nicht ſpaſſen, Schlingel!
Flink. Ich eben auch nicht; aber was ma-
chen?
Vogt. Du Narr! nachdenken.
Flink. Es iſt eine halbe Stunde zu ſpaͤt fuͤr
meinen Kopf.
Vogt.
[253]
Vogt. Wart, man muß nur nie verzagt ſeyn.
Es faͤllt mir etwas ein. Sag du nur keck und mit
Ernſt, du habeſt den Befehl am Abend der Frau
oder einem Kind des Maͤurers geſagt. Sie rich-
ten wider dich nichts aus, wenn du mit Ernſt da-
ran ſetzeſt.
Flink. Mit dem hab ich nichts zu thun; es
koͤnnte fehlen.
Vogt. Nein, es koͤnnte nicht fehlen, wenn du
daran ſetzteſt; aber bey mehrerm Nachdenken faͤllt
mir etwas ein, das noch beſſer iſt.
Flink. Was denn?
Vogt. Du mußſt zuruͤcklaufen zum Maͤurer,
dich graͤmen und jammern und ſagen: Es koͤnne
dir uͤbel gehn, daß du den Befehl verſaͤumt ha-
beſt; aber er koͤnne dir mit einem einzigen guten
Wort aus allem helfen, wenn er nur etwann ein-
mal dem Junker ſage, er habe den Zedel am Sonn-
tag empfangen, und aus Mißverſtand, da es hei-
liger Abend geweſen waͤre, es ihnen erſt heute
anſagen wollen — Das ſchadet dem Maͤurer kein
Haar, und thut er’s, ſo iſt vollkommen geholfen.
Flink. Du haſt Recht; ich glaube, das wuͤrde
angehn.
Vogt. Es fehlt gewiß nicht.
Flink. Ich muß gehen, ich habe noch Briefe;
aber ich will doch noch dieſen Morgen zum Maͤu-
rer hin. Behuͤt dich Gott, Vogt! (Er geht.)
Der
[254]
Der Vogt allein: Ich erzaͤhle es einmal jezt
ſo, wie abgeredt, im Schloß. Fehlts dann, ſo ſage
ich, der Harſchier hat mir’s ſo erzaͤhlt.
§. 54.
Armer Leute unnoͤthige Arbeit.
Indeſſen kamen die Tagloͤhner zum Schloß, ſetz-
ten ſich auf die Baͤnke bey der Scheune, und
warteten da, bis jemand ſie rufen, oder bis der
Vogt kommen wuͤrde, der ihnen verſprochen hatte,
alſobald nachzukommen. Als aber der Hausknecht
im Schloſſe ſie bey der Scheune ſah, gieng er zu
ihnen hinunter, und ſagte: Warum ſeyd ihr da,
Nachbaren? Unſer Herr glaubt, ihr ſeyd an der
Arbeit beym Kirchbau.
Die Maͤnner antworteten: Der Untervogt habe
ihnen befohlen, hieher zu kommen, dem Junker
fuͤr die Arbeit zu danken.
Das war nicht noͤthig, erwiederte Claus! Er
wird euch auch nicht viel darauf halten; aber ich
will euch melden.
Der Hausknecht meldete die Maͤnner. Der
Junker ließ ſie ſogleich vor ſich, und fragte ſie
freundlich, was ſie wollten?
Nach-
[255]
Nachdem ſie es geſagt, und mit Muͤhe und Ar-
beit etwas vom Danken wollen geſtammelt hat-
ten — ſagte der Junker: Wer hat euch befohlen, um
deswillen hieher zu kommen?
Der Untervogt! antworteten die Maͤnner, und
wollten noch einmal danken.
Das iſt wider meinen Willen geſchehen, ſagte
Arner! Geht jezt in Gottes Namen, und ſeyd
fleißig und treu, ſo freut’s mich, wenn der Ver-
dienſt dieſem oder jenem unter euch aufhelfen kann;
aber ſagt dem Meiſter: daß man noch heute mit
dem Steinbrechen anfangen muͤſſe.
Da giengen die Maͤnner wieder heim.
§. 55.
Ein Heuchler macht ſich einen Schelmen
zum Freund.
Und in ihrem Heimgehen ſagte einer zum andern:
Das iſt doch ein herzguter Herr — der junge
Junker.
Der alte waͤre es auch geweſen, wenn er nicht
auf hunderterley Arten betrogen und hintergangen
worden waͤre, ſagten die aͤltern Maͤnner alle aus
einem Munde.
Mein
[256]
Mein Vater hat’s mir tauſendmal geſagt, wie
er in der Jugend ſo geweſen, und es geblieben ſey,
bis er endlich ganz am Vogt den Narren gefreſ-
ſen hatte, ſagt Aebi.
Da war’s aus mit des Herrn Guͤte; ſie triefte
nur in’s Vogts Kiſten, und der fuͤhrte ihn wie ei-
nen pohlniſchen Baͤren am Seil, wohin er wollte,
ſagte Leemann.
Was er fuͤr ein Hund iſt, daß er uns jezt ſo
ohne Befehl im Feld herum ſprengt, und noch
dazu allein laͤßt! ſagt Lenk.
Das iſt ſo ſein Brauch, ſagte der Kienaſt;
aber ein Hundsbrauch, erwiederte der Lenk.
Ja, der Herr Untervogt iſt doch ein braver
Mann. Unſer einer kann eben nicht alles wiſſen,
was vorfaͤllt, antwortete der Kriecher faſt ſo laut,
als er konnte; denn er ſah, daß der Untervogt im
Hohlweg ſtill daher ſchlich, und nahe bey ihnen
war.
Der Teufel! du magſt ihn wohl ruͤhmen; ich
einmal ruͤhme jezt den Junker, ſagte Lenk auch
ganz laut, denn er ſah den Vogt nicht im Hohlwege.
Dieſer aber trittet eben, indem ers ſagte, auſſer
den Hag, gruͤßt die Nachbaren, und fragt dann den
Lenk: Warum ruͤhmſt du den Junker ſo maͤchtig?
Der Lenk antwortete betroffen: Ha, wir rede-
ten da mit einander, wie er ſo liebreich und freund-
lich war.
Das
[257]
Das war aber doch nicht alles, erwidert der
Vogt.
Ich weiß einmal nichts anders, ſagt Lenk.
Das iſt nicht ſchoͤn, Lenk! wenn man ſo ſei-
ner Worte zuruͤck geht, ſagt Kriecher, und faͤhrt
fort: Er war aber nicht allein, Herr Untervogt!
es murreten da etliche, daß ihr ſie ſo allein gelaſſen
haͤttet; ich ſagte aber: unſer einer koͤnne ja nicht wiſ-
ſen, was ſo einem Herrn allemal vorfaͤllt. Auf
dieſes hin ſagte einmal der Lenk: Ich moͤg wohl
den Vogt ruͤhmen; er einmal ruͤhme jezt den Jun-
ker.
Aha! es war alſo mit mir, daß du den Jun-
ker verglichen haſt, ſagt der Vogt, und lachte laut.
Er hat’s aber eben auch nicht ſo gemeynt, wie
man es ihm jezt aufnimmt, ſagen etliche Maͤnner,
ſchuͤtteln die Koͤpfe, und murren uͤber den Kriecher.
Es hat gar nichts zu bedeuten, und iſt nichts
Boͤſes; es iſt ein altes Sprichtwort: Deß Brod
ich eß, deß Lied ich ſing, ſagt der Vogt; druͤckt
dem Kriecher die Hand, redet aber nichts weiter
hiervon, ſondern fragt die Maͤnner: ob Arner zor-
nig geweſen waͤre?
Nein, antworteten die Maͤnner, gar nicht; er
ſagte nur: wir ſollten heim eilen, und ungeſaͤumt
noch heute an die Arbeit gehn.
Sagt das dem Maͤurer, und es habe mit dem
Mißverſtand nichts zu bedeuten; ich laſſe ihn gruͤſ-
Rſen,
[258] ſen, ſagte ihnen der Vogt, gieng ſeines Wegs,
und auch die Maͤnner giengen den Ihrigen.
Der Harſchier aber war ſchon laͤngſt bey dem
Maͤurer, und bat ihn und flehete, er ſollte doch ſa-
gen: er habe den Befehl am Sonntag erhalten.
Der Maͤurer wollte dem Vogt und dem Har-
ſchier gern gefaͤllig ſeyn, und redte mit ſeiner
Frau.
Ich fuͤrchte alles, was krumm iſt, antwortete
die Frau; und ich wette, der Vogt hat ſich jezt ſchon
darmit entſchuldiget. Mich duͤnkt, wenn der Jun-
ker dich fraͤgt, ſo muͤſſeſt du ihm die Warheit ſa-
gen; wenn aber, wie es ſeyn kann, der Sach Nie-
mand mehr nachfragt, ſo koͤnnſt du es gelten laſ-
ſen, wie ſie es machen, indem das Niemand wei-
ters nichts ſchadt.
Lienhard ſagte darauf dem Harſchier ſeine
Meynung auf dieſen Fuß.
Indeſſen kamen die Maͤnner von Arnburg zu-
ruͤck.
Ihr ſeyd geſchwind wieder da, ſagte ihnen der
Maͤurer. Sie antworteten: Wir haͤtten den Gang
uͤberall erſparen koͤnnen.
Lienhard. War er erzoͤrnt uͤber dieſem Ver-
ſehen?
Die Maͤnner. Nein, gar nicht. Er war gar
freundlich und liebreich, und er ſagte uns, daß wir
heim eilen und noch heut an die Arbeit gehn ſollen.
Flink.
[259]
Flink. Da ſiehſt du jezt ſelbſt, daß es fuͤr
dich nichts zu bedeuten hat. Fuͤr mich iſt es et-
was ganz anders; und auch fuͤr den Vogt.
Ja, bey Anlaß des Vogts, unterbricht ſie der
ehrliche Huͤbelrudi, wir haͤttens faſt vergeſſen: er
laſſe dich gruͤſſen, und es habe mit dem Mißver-
ſtaͤndniß gar nichts zu bedeuten.
Lienhard. Iſt er ſchon beym Junker gewe-
ſen, da ihr ihn antrafet?
Die Maͤnner. Nein, wir trafen ihn auf dem
Weg zu ihm an.
Lienhard. Er weiß alſo nichts, als was ihr
ihm ſagtet; und was ich jezt auch weiß.
Die Maͤnner. Es kann nicht wohl anders
ſeyn.
Flink. Du bleibſt doch bey deinem Verſprechen?
Der Maͤurer. Ja, aber ganz wie ich’s ge-
ſagt habe.
Jezt befahl der Maͤurer den Maͤnnern, noch
bey Zeiten bey der Arbeit zu ſeyn, und ruͤſtete noch
einige Werkzeuge; und, nachdem er geeſſen hatte,
gieng er mit den Maͤnnern das erſtemal an ſeine
Arbeit. Wolle ſie dir Gott ſegnen, ſagte ihm Ger-
trud, da er gieng — Wolle ſie ihm Gott ſegnen,
muß ich einmal auch ſagen, da er geht.
R 2§. 56.
[260]
§. 56.
Es wird Ernſt; der Vogt muß nicht mehr
Wirth ſeyn.
Da der Vogt ins Schloß kam, ließ ihn Arner
lang warten; endlich kam er heraus auf die Laube,
und fragte ihn, mit Unwillen: Was iſt das? wa-
rum machteſt du heut die Leute alle ins Schloß
kommen, ohne Befehl?
Ich glaubte, es waͤre meine Pflicht, den Maͤn-
nern zu rathen, Euer Gnaden fuͤr die Arbeit zu
danken, antwortete der Vogt.
Und Arner erwiderte: deine Pflicht iſt zu thun,
was mir und meinen Herrſchaftsleuten nuͤtzlich iſt,
und was ich dir befehle; aber gar nicht arme Leu-
te im Feld herum zu ſprengen, und ſie Complimen-
ten zu lernen, die nichts nuͤtzen, und die ich nicht
ſuche! Das aber, warum ich dich habe hieher
kommen laſſen, iſt dir zu ſagen: daß ich die Vogts-
ſtelle nicht laͤnger in einem Wirthshauſe laſſe.
Der Vogt erblaßte, zitterte, und wußte nicht,
was er antworten wollte; denn er erwartete nichts
weniger als einen ſo ploͤtzlichen Entſchluß.
Arner redte fort: Ich will dir die Wahl laſſen,
welches von beyden du lieber bleiben willſt; aber
in
[261] in vierzehn Tagen will ich deinen Entſchluß wiſ-
ſen.
Der Vogt hatte ſich in etwas wieder erholt,
und dankte ſtammelnd fuͤr die Bedenkzeit.
Arner erwiderte: Ich uͤbereile Niemand gern,
und ich ſuche dich nicht zu unterdruͤcken, alter Mann!
aber dieſe zween Berufe ſchicken ſich nicht zuſam-
men.
Dieſe Guͤte Arners machte dem Vogt Muth.
Er antwortete: Es haben doch bisher alle Voͤgte
Ihrer Herrſchaft gewirthet, und in allen Landen
unſers Fuͤrſten iſt das ein gemeines.
Arner aber war kurz, und ſagt: Du haſt jezt
meine Meynung gehoͤrt — nimmt dann den Sack-
kalender — und ſagt ferner: Heute iſt der 20ſte
Merz, und in vierzehn Tagen wird der 3ten Aprill
ſeyn, alſo auf den 3ten Aprill erwarte ich deine Ant-
wort, weiter habe ich dermalen nichts zu ſagen —
Arner zeichnete noch den Tag in ſeinen Kalender,
und gieng in ſeine Stube.
R 3§. 57.
[262]
§. 57.
Wie er ſich gebehrdet.
Bang und beklemmt in ſeinem Herzen, gieng
der Vogt auch fort. Dieſer Schlag hatte ihn ſo
verwirrt, daß er die Leute, neben denen er durch
die Laube und die Stiege hinunter vorbey gieng,
nicht ſah und nicht kannte. So, faſt ſeiner ſelber
nicht bewußt, kam er bis unten an die Schloßhalde
zum alten dichtſtaͤmmigen Nußbaum, da ſteht er
dann wieder ſtill, und ſagt zu ſich ſelber: Ich muß
Athem holen — wie mir das Herz klopft — ich
weiß nicht, wo mir der Kopf ſteht — ohne einzu-
treten in eine Klage — ohne etwas auf mich zu
beweiſen — bloß weil’s ihm ſo beliebt — — —
ſoll ich nicht Vogt ſeyn oder nicht Wirth — — —
das iſt uͤber alle Grenzen — — — kann er mich
dazu zwingen — ich glaub’s nicht — — — Den
Mantel kann er mir ohne Klage nicht nehmen —
und das Wirthrecht iſt gekauft — aber wenn er
ſucht — wenn er oͤffentlich Klage ſucht, er findet
was er will — Von allen den verdammten Buben,
denen ich diente, iſt mir keiner, kein einziger treu. *)
Was ſoll ich jezt machen — vierzehn Tage iſt end-
lich
[263] lich immer etwas — — Oft hab ich viel in ſo
viel Zeit in Ordnung gebracht — wenn mir nur
der Muth nicht faͤllt — alles kommt nur von dem
Maͤurer — kann ich den verderben, ſo fehlts nicht,
ich finde Auswege aus allem —
Aber wie mir ſo ſchwach und bloͤde iſt. Er nim̃t
eine Brandteweinflaſche aus dem Sack, kehrt ſich
gegen dem Schatten des Baums, braucht ſein Haus-
mittel, und trinkt einen Schoppen auf einmal her-
unter. Einen Dieben oder einen Moͤrder, dem
Steckbriefe nachjagen, erquickt der erſte Trunk Waſ-
ſer, den er auf dem erlaufenen Boden der Frey-
heit trinkt, nicht ſtaͤrker als die Brandtsflaſche den
Vogt bey ſeinen Raͤnken erquickt. Er fuͤhlt ſich
jezt wieder beſſer, und mit ſeinen Kraͤften waͤchst
auch wieder der Muth des Verbrechers. Das hat
mich maͤchtig erfriſcht, ſagt er zu ſich ſelber, und
ſtellt ſich wieder wie ein Mann, der Herz hat, und
den Kopf hoch traͤgt. Vor einer Weile, ſagt er,
glaubte ich eben noch, ſie werden mich vor dem
Abendbrod freſſen, jezt iſt mir wieder, als ob ich
das Maͤurerlein, und ſelber den Arner da, den Gnaͤ-
digen Buben, mit dem kleinen Finger zuſammen
druͤcke, daß ſie jauchzen wie ſolche, die man be[y]
den Ohren in die Hoͤhe zieht.
Gut war’s, daß ich meine Flaſche nicht ver-
geſſen habe; aber was ich auch fuͤr ein Kerl waͤre,
ohne ſie.
R 4So
[264]
So redte der Vogt mit ſich ſelber. Das Schre-
cken war nun voͤllig ſeinem Zorn, ſeinem Stolz,
und ſeiner Brandtsflaſche gewichen.
Er gieng wieder ſo hochmuͤthig und ſo feindſe-
lig einher, als er je that.
Er nickte den Leuten auf dem Feld, die ihn
gruͤßten, vogtrichterlich ſtolz, nur ſo ein klein we-
nig zu. Er trug ſeinen knorrichten Stock ſo
gebieteriſch hoch in der Hand, als ob er im
Land mehr zu befehlen habe, als zehn Arner; er
haͤngte ſein Maul, wie eine alte Stutte, und mach-
te Augen ſo groß und ſo rund, man ſagt bey uns,
wie ein Pflugsraͤdli.
So gieng der Tropf einher, zu einer Zeit, da
er ſo wenig Urſach hatte.
§. 58.
Wer bey ihm war.
Neben ihm gieng ſein groſſer Tuͤrk, ein Hund,
der auf einen Wink des Vogts die groſſen weiſſen
Zaͤhne gegen Jedermann zeigte; auf einen andern
aber ſeinen Mann auf Leib und Leben packte. Die-
ſer groſſe Tuͤrk, der weit und breit das Schrecken
des armen lumpigten Mannes ſo gut war, als ſein
Meiſter das Schrecken aller armen gedruͤckten Miet-
linge
[265] linge und Schuldner in der ganzen Herrſchaft iſt.
Dieſer gewa[l] [...]ge Tuͤrk gieng neben dem Vogt gleich
gravitaͤtiſch daher; aber ich darf nicht ſagen, was
mir in dem Maul iſt. — Doch iſt ganz gewiß, daß
der Vogt, der entſetzlich wuͤtend war, einmal jezt in
ſeinem Angeſicht mit dem Hund etwas gleiches
hatte.
§. 59.
Aufloͤſung eines Zweifels.*)
Aber daß der Vogt nach dem geſtrigen Jammer
und nach dem heutigen Schrecken jezt dennoch ſo
ſtolz thut, das wundert vielleicht einen einfaͤltigen
Fraͤgler; ein geſcheider Landmann merkets von
ſelbſt. Der Hochmuth plagt einen nie ſtaͤrker, als
wenn man im Koth ſteckt. So lang alles gut geht,
und Niemand in Zweifel zieht, daß man oben am
Bret iſt, ſo thut Niemand ſo gar dick; aber dann,
wenn links und rechts der Schadenfroh ausſtreut,
es ſtehe nicht wie vor altem — dann regt ſich das
Blut, ſchaͤumt und wallt auf, wie heiſſe Butter
im Keſſel — und das war eben der Fall des Vogts.
R 5Alſo
[266] Alſo iſt es ganz natuͤrlich und auch den Einfaͤl-
tigſten begreiflich, daß er, da [...] ſich unten an
der Schloßhalden vom Schrecken wieder erholt
hatte, ſo ſtolz habe thun koͤnnen, als ich geſagt
habe. Zu dem hatte er dieſe Nacht auf ſeine zwey
Pulver, und da er wenig getrunken hatte, auſſer-
ordentlich wohl geſchlafen, und heut am Morgen
den Kopf von den Schrecken und Sorgen des vo-
rigen Tags zimlich leer gehabt.
Ich erzaͤhle die Sachen, wie ſie geſchehen, und
wie ſie mir zu Ohren gekommen ſind; aber ich koͤnnte
und moͤchte bey weitem nicht allemal auf unnuͤtze
Fragen ſo Antwort geben, wie jezt.
§. 60.
Eine Ausſchweifung.
Freylich waͤre es beſſer geweſen, er haͤtte ſeine
Brenntsflaſche am Nußbaum, unter dem er ſtuhnd,
zerſchlagen, und waͤre zuruͤckgegangen zu ſeinem
Herrn, ihm ſeine Umſtaͤnde zu entdecken; ihm zu ſa-
gen, daß er nicht reich ſey, ſondern den Vogtsdienſt
und das Wirthsrecht um der Schulden willen, darinn
er ſtecke, nothwendig habe, und ihn um Gnad und
Barmherzigkeit zu bitten; ich weiß, Arner haͤtte den
alten Mann in dieſen Umſtaͤnden nicht verſtoſſen.
Aber
[267]
Aber eben das iſt das Ungluͤck der Gottloſen;
ihre Laſter bringen ſie um allen Verſtand, daß ſie
in ihren wichtigſten Angelegenheiten wie blind werden,
und daß ſie wie unſinnig zu ihrem Verderben handeln;
da hingegen die guten redlichen Menſchen, die ein
einfaͤltiges und unſchuldiges Herz haben, im Un-
gluͤck ihren Verſtand gar viel beſſer behalten, und
ſich daher auch gemeiniglich in den Zufaͤllen des
Lebens weit leichter helfen und rathen koͤnnen, als
die Gottloſen.
Sie demuͤthigen ſich im Ungluͤck, ſie beten ihre
Fehler ab — ſie richten in der Noth ihre Augen
nach der Hand, die allenthalben gegen das Elend
der Menſchen, welche mit reinem Herzen Huͤlfe ſu-
chen, ſich ausſtreckt.
Der Friede Gottes, der alle Vernunft uͤber-
trifft, iſt ihnen Schutz und Leitſtern durch ihr Le-
ben, und ſie kommen immer ſo durch die Welt, daß
ſie am Ende Gott von Herzen danken.
Aber den Gottloſen fuͤhrt ſeine Gottloſigkeit aus
einer Tiefe in die andere.
Er braucht ſeinen Verſtand nie auf den geraden
Wegen der frommen Einfalt, Ruh und Gerechtig-
keit und Frieden zu ſuchen. — Er braucht ihn nur
zu den krummen Wegen der Bosheit, Jammer an-
zurichten, und Unruh zu ſtiften. Darum koͤmmt
er immer in Ungluͤck; in ſeiner Noth trotzt er dann.
Er laͤugnet im Fehler, er iſt hochmuͤthig im Elend.
Huͤlf
[268] Huͤlf und Rettung will er entweder erheucheln und
erliegen, oder erzwingen und erſtehlen. Er traut
auf ſeinen verwirrten wilden Sinn. Er ſtoͤßt die
Hand des Vaters, die ſich gegen ihn ausſtreckt,
von ſich; und wenn dieſer ihm zuruft: Beug dich,
mein Kind! — ich, dein Vater, ich bin der da
zuͤchtigt, und bin der da hilft, ich, dein Vater —
ſo verſpottet er die Stimme des Retters und ſagt:
Da mit meiner Hand und mit meinem Kopf will
ich mir helfen, wie ich will.
Darum iſt des Gottloſen Ende immer ſo tiefer
Jammer und ſo tiefes Elend.
§. 61.
Der alte Mann leert ſein Herz aus.
Ich bin jung geweſen und alt worden, und ich habe
mich viel und oft umgeſehn, wie es dem Frommen
und dem Gottloſen auch gehe. — Ich habe die Kna-
ben meines Dorfs mit mir aufwachſen geſehn —
Ich ſah ſie Maͤnner werden — Kinder und Kinds-
kinder zeugen; und nun hab ich die von meinem
Alter alle bis auf Sieben zum Grabe begleitet —
Gott! du weißſt meine Stunde, wenn ich meinen
Bruͤdern folgen ſoll — Meine Kraͤfte nehmen ab;
aber
[269] aber mein Auge harret deiner, o Herr! Unſer Le-
ben iſt wie eine Blume des Felds, die am Morgen
bluͤhet, am Abend aber verwelket. O Herr, un-
ſer Herrſcher! du biſt gnaͤdig und gut den Men-
ſchen, die auf dich trauen — darum hoffet meine
Seele auf dich; aber der Weg des Suͤnders
fuͤhrt zum Verderben. — Kinder meines Dorfs! o
ihr Lieben! laßt euch lehren, wie es dem Gottlo-
ſen geht, damit ihr fromm werdet. Ich habe Kin-
der geſehn, die ihren Eltern trotzten, und ihre Liebe
fuͤr nichts achteten — allen, allen iſt’s uͤbel gegan-
gen am Ende. Ich kannte des ungluͤcklichen Ulis
Vater — ich habe mit ihm unter einem Dache ge-
wohnt, und mit meinen Augen geſehn, wie der
gottloſe Sohn den armen Vater kraͤnkte und ſchimpf-
te — und in meinem Leben werde ich’s nicht ver-
geſſen, wie der alte arme Mann eine Stunde vor
ſeinem Tode uͤber ihn weinte. — Ich ſah den boͤ-
ſen Buben an ſeiner Begraͤbniß lachen — Kann
ihn Gott leben laſſen, dachte ich, den Boͤſewicht?
Was geſchah? Er nahm ein Weib, das hatte viel
Gut; und er war jezt im Dorf einer der Reichſten,
und gieng in ſeinem Stolz und in ſeiner Bosheit
einher, als ob Niemand im Himmel und Niemand
auf Erden uͤber ihm waͤre.
Ein Jahr gieng voruͤber, da ſah ich den ſtol-
zen Uli an ſeiner Frauen Begraͤbniß heulen und wei-
nen. Ihr Gut mußte er ihren Verwandten bis
auf
[270] auf den letzten Heller zuruͤckgeben. Er war ploͤtz-
lich wieder arm wie ein Bettler. In ſeiner Ar-
muth ſtahl er, und ihr wiſſet, welch ein Ende er ge-
nommen hat. Kinder! ſo ſah ich immer, daß das
Ende des Gottloſen Jammer und Schrecken iſt.
Ich ſah aber auch den tauſendfachen Segen
und Frieden in den ſtillen Huͤtten der Frommen —
Es iſt ihnen wohl bey dem, ſo ſie haben — Bey
wenigem iſt ihnen wohl, und bey vielem ſind ſie
genuͤgſam. Arbeit in ihren Haͤnden und Ruhe in
ihren Herzen, das iſt der Theil ihres Lebens — Sie
genieſſen froh das Ihrige, und begehren das nicht,
was ihrem Naͤchſten iſt. Der Hochmuth plagt ſie
nicht, und der Neid verbittert ihnen ihr Leben nicht;
darum ſind ſie immer froher und zufriedener und
mehrentheils auch geſuͤnder als die Gottloſen. Sie
haben auch des Lebens Nothwendigkeiten ſicherer
und ruhiger; denn ſie haben ihren Kopf und ihr
Herz nicht bey Bosheiten, ſondern bey ihrer Arbeit
und bey den Geliebten ihrer ſtillen Huͤtten. — So
iſt ihnen wohl im Leben. Gott im Himmel ſieht
herab auf ihre Sorge und auf ihren Kummer, und
hilft ihnen.
Kinder meines Dorfs! o ihr Lieben! Ich ſah
viele fromme Arme auf ihrem Todbette, und ich
habe nicht gefunden, daß Einer, ein Einziger von
allen, in dieſer Stunde ſich uͤber ſeine Armuth und
uͤber die Noth ſeines Lebens beklagt haͤtte. Alle,
alle
[271] alle dankten Gott fuͤr die tauſend Proben ſeiner Va-
terguͤte, die ſie in ihrem Leben genoſſen hatten.
O Kinder meines Dorfs! werdet doch fromm,
und bleibet einfaͤltig und unſchuldig — Ich habe
geſehn, wie das ſchlaue und argliſtige Weſen einen
Ausgang nimmt. — Hummel und ſeine Geſellen
waren weit ſchlauer, als alle andern; ſie wußten im-
mer tauſend Dinge, wovon uns andern nichts traͤum-
te. — Das machte ſie ſtolz, und ſie glaubten, der
Einfaͤltigere ſey nur darum in der Welt, daß er ihr
Narr waͤre. Sie fraſſen einige Zeit das Brod der
Wittwen und der Waiſen, und tobten und wuͤtheten
gegen die, ſo nicht ihre Knie bogen vor ihnen —
Aber ihr Ende hat ſich genaͤhert. Der Herr im
Himmel hoͤrte der Wittwen und der Waiſen Seuf-
zen — Er ſah die Thraͤnen der Muͤtter, die ſie
mit ihren Kindern weinten uͤber den gottloſen Bu-
ben, die ihre Maͤnner und Vaͤter verfuͤhrten und
draͤngten; und der Herr im Himmel half dem Un-
terdruͤckten und dem Waiſen, der keine Hoffnung
mehr hatte, zu ſeinem Rechte zu gelangen.
§. 62.
[272]
§. 62.
Das Entſetzen der Gewiſſensunruhe.
Als am Samſtag Abends Hans Wuͤſt vom Vogt
heim kam, quaͤlten ihn die Sorgen des Meyneids
noch tiefer, daß er auf dem Boden ſich waͤlzte und
heulte, wie ein Hund, dem ein erſchreckliches Grim-
men die Eingeweide zerreißt; ſo raſete er die Nacht
uͤber und den ganzen folgenden heiligen Tag —
raufte ſeine Haare ſich aus — ſchlug ſich mit Faͤu-
ſten bis aufs Blut — aß nichts und trank nichts,
lief wuͤthend umher, und ſagte: O, o des Ru-
dis Hausmatte! O, o ſeine Hausmatte, ſeine Haus-
matte! Es brennt auf meiner Seelen! — — Der
Satan, o, o! der leidige Satan iſt meiner maͤch-
tig — O weh mir! O weh meiner armen See-
len!
So gieng er wuͤthend umher, geplagt und ge-
quaͤlt von den Sorgen des Meyneids, und heulte
das Jammergeheul ſeiner entſetzlichen graͤulichen
Schrecken.
Abgemattet von den Qualen dieſer Sorgen,
konnte er endlich am Sonntag Nachts wieder ein-
ſchlafen.
Am
[273]
Am Morgen darauf war ihm wieder etwas
leichter, und er nahm den Entſchluß, ſeine Qualen
nicht mehr bey ſich zu behalten, ſondern alles
dem Pfarrer zu ſagen.
Er nahm auch ſeinen Sonntagsrock, und was
er ſonſt fand, und band alles in einen Buͤndel zu-
ſammen, damit er das Geld, das er dem Vogt
ſchuldig war, darauf entlehnen koͤnne.
Er nimmt jezt den Buͤndel, zittert, geht in
den Pfarrhof, ſteht da, will wieder fortlaufen,
ſteht wieder ſtill, wirft den Buͤndel in den Haus-
gang, und macht Gebehrden, wie ein Menſch, der
nicht bey Sinnen iſt.
§. 63.
Daß man mit Liebe und mit Theilnehmung
der gaͤnzlichen Kopfsverwirrung angſt-
voller Menſchen vorkommen koͤnne.
Der Pfarrer ſieht ihn in dieſem Zuſtande, geht
zu ihm hinunter, und ſagt ihm: Was iſt dir, Wuͤſt?
wo fehlt’s dir? Komm mit mir hinauf in die Stu-
be, wenn du etwas mit mir reden willſt.
Da gieng der Wuͤſt mit dem Pfarrer hinauf in
ſeine Stube.
SUnd
[274]
Und der Pfarrer war mit dem Wuͤſt ſo freund-
lich und ſo herzlich, als er nur konnte. Denn er
ſah ſeine Verwirrung und ſeine Angſt, und er hatte
das Gemurmel, daß er wegen ſeines Eids faſt ver-
zweifeln wollte, geſtern auch ſchon gehoͤrt.
Der Wuͤſt aber, da er ſah, wie liebreich und
freundlich der Pfarrer gegen ihn war, erholte ſich
nach und nach wieder und ſagte:
Wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Ich glaube,
ich habe einen falſchen Eid gethan, und verzweifle
faſt daruͤber. Ich kann es nicht mehr ertragen;
ich will gern alle Strafe, die ich verdient habe,
leiden, wenn ich nur auch noch Gnade und Barm-
herzigkeit von Gott hoffen darf.
§. 64.
Ein Pfarrer, der eine Gewiſſensſache be-
handelt.
Der Pfarrer antwortete: Wenn dir von Herzen
leid iſt uͤber deinen Fehler, ſo zweifle nicht an Got-
tes Erbarmen.
Wuͤſt. Darf ich, Herr Pfarrer! darf ich auch
bey dieſem meinem Fehler noch auf Gottes Erbar-
mung hoffen, und der Verzeihung der Suͤnden mich
getroͤſten?
Pfar-
[275]
Pfarrer. Wenn Gott einen Menſchen dahin
gebracht hat, daß er aufrichtige Buſſe thut, und im
Ernſt nach der Verzeihung ſeiner Suͤnden ſeufzet:
ſo hat er ihm den Weg zur Verzeihung und zur
Erhaltung aller geiſtlichen Gnaden ſchon gezeigt;
glaube das, Wuͤſt! Und wenn deine Buſſe dir auf-
richtig von Herzen geht, ſo zweifle nicht, ſie wird
Gott wohlgefaͤllig ſeyn.
Wuͤſt. Aber kann ich es auch wiſſen, daß
ſie ihm wohlgefaͤllig iſt?
Pfarrer. Du kannſt bey dir ſelber wahrlich
wohl wiſſen, wenn du mit Ernſt auf dich Achtung
giebſt, ob ſie aufrichtig iſt, und ganz von Herzen
geht, und wenn ſie aufrichtig iſt, ſo iſt ſie Gott ge-
faͤllig; das iſt das Einzige, was ich ſagen kann.
Siehe, Wuͤſt! wenn einer dem Nachbar den
Grund vom Acker weggepfluͤgt hat — und es reuet
ihn: er geht, ohne daß der Nachbar es weiß, ohne
daß er es fordert, fuͤr ſich ſelber und im Stillen,
pfluͤgt den Grund dem Nachbar wieder an ſeinen Acker,
und thut eher ein Uebriges, als zu wenig — ſo muß
ich denken, es ſey ihm Ernſt mit ſeiner Neue.
Giebt er ihm aber das Seinige nicht, oder nicht
ganz zuruͤck; braucht er im Zuruͤckgeben Vortheil;
ſorgt er nur, daß ihm der Diebſtahl nicht auskomme;
iſt ihm nur um ſich ſelbſt, und nicht um ſeinen Nach-
bar zu thun, dem er Unrecht gethan hat: ſo ſind
S 2ſeine
[276] ſeine Reue und ſein Zuruͤckpfluͤgen ein Tand, mit wel-
chem der Tropf ſich ſelber bethoͤret. Wuͤſt! wenn du
in deinem Herzen nichts ſucheſt, und nichts wuͤn-
ſcheſt, als daß aller Schade, den deine boͤſe That
verurſacht, und alles Aergerniß, das ſie ange-
richtet hat, aufhoͤre und wieder gut werde, und
daß dir Gott und Menſchen verzeihen; wenn du
nichts anders wuͤnſcheſt, wenn du von Herzen gern
alles leideſt und thuſt, um deinen Fehler ſo viel
moͤglich wieder gut zu machen: ſo iſt deine Buſſe
gewiß aufrichtig; und dann zweifle nicht, daß
ſie nicht Gott gefaͤllig ſey.
Wuͤſt. Herr Pfarrer! Ich will gern leiden
und thun, was ich auf Gottes Boden thun kann,
wenn mir nur dieſer Stein ab dem Herzen koͤmmt.
Wie er mich druͤckt, Herr Pfarrer! Wo ich geh
und ſteh, zittre ich uͤber dieſer Suͤnde.
Pfarrer. Fuͤrchte dich nicht! Gehe nur ein-
faͤltig, ger [...]de und redlich in deinem Ungluͤck zu
Werk, ſo wird’s dir gewiß leichter werden.
Wuͤſt. O, wenn ich nur das hoffen darf,
Herr Pfarrer!
Pfarrer. Fuͤrchte dich nicht! Trau auf Gott!
Er iſt der Gott des Suͤnders, der ihn ſucht. Thue
du nur, was du kannſt, gewiſſenhaft und redlich.
Das groͤßſte Ungluͤck, das aus deinem Eid entſtan-
den iſt, ſind die Umſtaͤnde des armen Rudis, der
da-
[277] dadurch in ein entſetzliches Elend gerathen iſt; aber
ich hoffe, der Junker werde, wenn du ihm die
Sache bekennen wirſt, dann ſelber helfen, daß der
Mann in ſeinem Elend getroͤſtet werden koͤnne.
Wuͤſt. Eben der arme Rudi, eben der iſt’s,
der mir immer auf dem Herzen liegt. Herr Pfar-
rer! meynet ihr, der Junker koͤnne ihm auch wie-
der zu ſeiner Matten helfen?
Pfarrer. Gewiß weiß ich’s nicht. Der Vogt
wird freylich alles, was er kann, anbringen, dein
jeziges Zeugniß verdaͤchtig zu machen; aber der
Junker wird hingegen auch alles thun, was er
kann, dem ungluͤcklichen Mann zu dem Seinigen
zu helfen.
Wuͤſt. Wenn es ihm nur auch geraͤth.
Pfarrer. Ich wuͤnſche es von Herzen, und
hoffe es wirklich; aber es mag auch dem Rudi
hierinn gehn, wie es will, ſo iſt es um deiner ſelbſt
und um der Ruhe deines Herzens willen gleich noth-
wendig, daß du alles dem Junker offenbareſt.
Wuͤſt. Ich will es ja gern thun, Herr Pfar-
rer!
Pfarrer. Es iſt der gerade Weg, und es freut
mich, daß du ihn ſo willig gehn willſt; er wird
dir Ruhe und Friede in dein Herz bringen — Aber
freylich wird dir das Bekenntniß Schimpf und
Schande und Gefaͤngniß und ſchweres Elend zu-
ziehen.
S 3Wuͤſt.
[278]
Wuͤſt. O Herr Pfarrer! das iſt alles nichts
gegen dem Schrecken der Verzweiflung und gegen der
Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht
mehr gnaͤdig ſeyn werde.
Pfarrer. Du ſiebſt die Sache in deinem Un-
gluͤck ſo redlich und vernuͤnftig an, daß ich wahre
Fr[eu]de daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir
ſo viel gute Gedanken und ſo viel Staͤrke zu guten
und rechtſchaffenen Entſchluͤſſen gegeben hat, daß er
dieſe Gnade dir ferner ſchenken wolle; ſo biſt du auf
einem recht guten Weg, und wirſt, will’s Gott! al-
les, was auf dich wartet, mit Demuth und mit Ge-
dult leicht ertragen koͤnnen. Und was dir immer
begegnen wird, ſo zeige mir dein Zutrauen ferner;
ich will dich gewiß nie verlaſſen.
Wuͤſt. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie ihr auch
ſo gut und liebreich ſeyd, mit einem ſo ſchweren
Suͤnder!
Pfarrer. Gott ſelber iſt in ſeinem Thun gegen
uns arme Menſchen nur Schonung und Liebe; und
ich wuͤrde wohl ein ungluͤcklicher Knecht meines gu-
ten Gottes und Herrn ſeyn, wenn ich, in welchem
Fall es immer waͤre, mit einem meiner fehlenden
Mitknechte zankte, haderte und ſchmaͤhlte.
So vaͤterlich redte der Pfarrer mit dem Wuͤſt,
der vor ihm in Thraͤnen zerfloß, und jezt lang nichts
ſagte.
Der Pfarrer ſchwieg auch eine Weile.
Der
[279]
Der Wuͤſt aber fieng wieder an, und ſagte:
Herr Pfarrer! ich habe noch etwas anzubringen.
Pfarrer. Was denn?
Wuͤſt. Ich bin ſeit dem Handel dem Vogt
noch acht Gulden ſchuldig. Er ſagte zwar vorge-
ſtern, er wolle die Handſchrift zerreiſſen; aber ich
will nicht, daß er mir etwas ſchenke, ich will ihn
bezahlen.
Pfarrer. Du haſt Recht; das muß unum-
gaͤnglich ſeyn, und noch ehe du Arnern die Sache
entdeckeſt.
Wuͤſt. Ich habe unten im Haus einen Buͤn-
del; es iſt mein Sonntagsrock und noch etwas da-
rinnen, das zuſammen wohl die acht Gulden werth
iſt. Ich muß in Gottes Namen die acht Gulden
entlehnen, und ich habe gedacht, ihr zuͤrnet es nicht,
wenn ich euch bitte, daß ihr mir ſie gegen dieſes
Pfand vorſtrecket.
Pfarrer. Ich nehme nie keine Sicherheit von
Jemand, und oft muß ich ſo etwas abſchlagen, ſo
weh es mir auch thut; aber in deinem Fall ſchlage
ich es nicht ab. Sogleich giebt er ihm das Geld,
und ſagt: Trag es alſobald zum Vogt hin, und
deinen Buͤndel, den nimm nur wieder mit dir
heim.
S 4§. 65.
[280]
§. 65.
Daß es auch beym niedrigſten Volk eine
Delicateſſe gebe, ſelbſt bey der Annah-
me von Wohlthaten, um die ſie bit-
ten.
Wuͤſt zitterte, da er dem Pfarrer das Geld ab-
nahm; dankte und ſagte: Aber den Buͤndel nehme
ich gewiß nicht heim, Herr Pfarrer!
Nun ſo laſſe ich ihn denn nachtragen, wenn
du ihn nicht gern ſelber nimmſt, erwiederte laͤchelnd
der Pfarrer.
Wuͤſt. Um Gottes willen, Herr Pfarrer! be-
haltet den Buͤndel, damit ihr fuͤr eure Sache
ſicher ſeyd.
Pfarrer. Das wird ſich ſchon geben, Wuͤſt!
bekuͤmmere dich jezt nicht hieruͤber, und denke viel-
mehr an das weit Wichtigere, das dir vorſteht.
Ich will heute noch dem Junker ſchreiben, und
du bringſt ihm dann morgen den Brief.
Wuͤſt. Ich danke euch, Herr Pfarrer! aber
um Gottes willen! behaltet den Buͤndel, ich darf
ſonſt das Geld nicht nehmen; weiß Gott! ich darf
nicht.
Pfarrer. Schweig jezt hievon; geh alſobald
mit dem Gelde zu dem Vogt, und komme morgen
etwann
[281] etwann um neun Uhr wieder zu mir; aber rede
mir kein Wort weiter vom Buͤndel.
Da gieng der Wuͤſt erleichtert und in ſeinem
Gewiſſen getroͤſtet, vom Pfarrer fort gerade in’s
Vogts Haus, und gab das Geld, da der Mann
nicht zu Hauſe war, der Frau.
Dieſe fragte ihn: Woher ſo viel Geld auf ein-
mal, Wuͤſt?
Niedergeſchlagen und kurz antwortete der Wuͤſt:
Ich habe es ſo gemacht, wie ich’s gekonnt habe;
Gott Lob! daß du es haſt.
Die Voͤgtinn erwiederte: Wir haben dich doch
noch nie darum genoͤthigt.
Wuͤſt. Ich weiß es wohl; aber es iſt viel-
leicht eben darum nichts deſto beſſer.
Voͤgtinn. Das iſt wunderlich geredt, Wuͤſt! wo
fehlt’s dir? Du biſt die Zeither gar nicht recht.
Wuͤſt. Ach Gott! du wirſt’s wohl erfahren;
aber zaͤhl doch das Geld; ich muß gehen.
Die Voͤgtinn zaͤhlt das Geld, und ſagt: Es iſt
richtig.
Wuͤſt. Nun, gieb es deinem Mann ordent-
lich. Behuͤt Gott, Frau Voͤgtinn
Voͤgtinn. Muß es ſeyn — ſo behuͤt auch
Gott, Wuͤſt!
S 5§. 66.
[282]
§. 66.
Ein Foͤrſter, der keine Geſpenſter glaubt.
Der Vogt hatte auf dem Ruͤckweg von Arnheim
im Hirzauer Wirthshaus eingekehrt; da trank
und prahlte er unter den Bauern. Er erzaͤhlte
ihnen von ſeinen gewonnenen Haͤndeln; von ſei-
ner Gewalt unter dem verſtorbenen Arner; wie er
unter ihm, und zwar er allein, alles Volk in Ord-
nung gehalten habe; und wie es jezt allenthalben eine
Lumpenordnung ſey. Dann gab er ſeinem Hund
das Ordinari, was ein wohlhabender Handwerks-
purſch, ohne den Wein, zu Mittag hat; ſpoͤttelte
uͤber einen armen Mann, dem ein Seufzer ent-
fuhr, als er die gute Suppe und das liebe Brod
dem Hund darſtellen ſah. Gelt, du wuͤrdeſt auch
ſo vorlieb nehmen, ſpricht er zum Armen — ſtreichelt
den Hund, und prahlt und ſaͤuft und pocht ſo
unter den Bauern bis auf den Abend.
Da kam der alte Foͤrſter vom Schloß, und
nahm im Vorbeygehn auch ein Glas Wein; und
der Vogt, der keinen Augenblick gern allein iſt,
ſagt zu ihm: Wir gehn mit einander heim.
Wenn du gleich kommſt, antwortete der Foͤr-
ſter; ich muß einer Spur nach.
Den
[283]
Den Augenblick, antwortet der Vogt; trinkt
aus — zahlt die Irte — und ſie giengen gleich
mit einander.
Da ſie jezt allein auf der Straſſe waren,
fragte der Vogt den Foͤrſter: ob es auch ſicher ſey
zu Nacht im Wald vor den Geſpenſtern.
Foͤrſter. Warum fragſt du mich das?
Vogt. Ha! weil’s mich wundert.
Foͤrſter. Du biſt ein alter Narr! ſchon
dreyßig Jahr Vogt, und ſolche Dummheiten fra-
gen! du ſollteſt dich ſchaͤmen.
Vogt. Nein, bey Gott! mit den Geſpenſtern
weiß ich nie recht, wie ich daran bin, ob ich ſie
glauben ſoll oder nicht? und doch hab ich auch
noch keines geſehen.
Foͤrſter. Nun, weil du mich ſo treuherzig
fraͤgſt, ſo will ich dir aus dem Wunder helfen —
Du zahlſt mir einſt eine Bouteille fuͤr meine Er-
klaͤrung.
Vogt. Gern zwey, wenn du ſie recht machſt.
Foͤrſter. Ich bin nun vierzig Jahre auf mei-
nem Poſten, und als ein Junge ſchon vom vierten
Jahre an von meinem Vater im Wald erzogen
worden. Dieſer erzaͤhlte den Bauern in den Wirths-
haͤuſern und in den Schenken immer von den vielen
Geſpenſtern und Schreckniſſen des Waldes; aber er
trieb nur mit ihnen den Narren; mit mir ver-
ſtuhnd er’s ganz anders: Ich ſollte Foͤrſter wer-
den,
[284] den, und alſo ſolcherley Zeugs weder glauben noch
fuͤrchten; deshalben nahm er mich zu Nacht, wenn
weder Mond noch Sterne ſchienen, wenn die
Stuͤrme braußten, auf Fronfaſten und Weyhnacht
in den Wald; wenn er dann ein Feuer oder einen
Schein ſah, oder ein Geraͤuſch hoͤrte, ſo mußte ich
mit ihm drauf los uͤber Stauden und Stoͤcke, uͤber
Graͤben und Suͤmpfe, und uͤber alle Kreuzwege
mußte ich mit ihm dem Geraͤuſch nach; und es
waren immer Zigeuner, Diebe und Bettler —
ſodann rief er ihnen mit ſeiner erſchrecklichen Stim-
me zu: Vom Platze, ihr Schelmen!
Und wenn’s ihrer zehn und zwanzig waren, ſie
ſtrichen ſich immer fort, und ſie lieſſen oft noch Haͤfen
und Pfannen und Braten zuruͤck, daß es eine Luſt
war. Oft war das Geraͤuſch auch nur Hochgewild,
das manchmal gar wunderbare Thoͤne von ſich giebt,
und die faulen, alten Holzſtaͤmme geben einen Schein,
und machen in der Nacht Geſtalten, die jedermann,
der nicht hinzu darf, in Schrecken ſetzen koͤnnen.
Und das iſt alles, was ich in meinem Leben
im Wald Unrichtiges gefunden habe; aber immer
wird’s mein Amtsvortheil ſeyn und bleiben, daß
meine Nachbaren ordentlich glauben, er ſey wohl
geſpickt mit Geſpenſtern und mit Teufeln; denn
ſiehe, unſer einer altet, und iſt froh, bey dunkeln
Naͤchten den Frevlern nicht nachlaufen zu muͤſſen.
§. 67.
[285]
§. 67.
Ein Mann, den es geluͤſtet, einen Markſtein
zu verſctzen, moͤchte auch gern die
Geſpenſter nicht glauben, und er darf
nicht.
So redete der Mann — Und ſie kamen indeſſen
an den Seitenweg, durch welchen der Foͤrſter in
Wald gieng; und der Vogt, der nunmehr allein
war, redete da mit ſich ſelber:
Er iſt vierzig Jahre lang Foͤrſter, und hat noch
kein Geſpenſt geſehen, und glaubt keines; und ich
bin ein Narr und glaube ſie, und darf nicht ein-
mal dran denken eine Viertelſtunde im Wald einen
Stein auszugraben. Wie ein Schelm und ein
Dieb nimmt er mir das Wirthsrecht, und der
Hundsſtein da auf dem Felſen iſt keine rechte
Mark; ich glaub’s nicht — Und wenn ſie es waͤre!
haͤtte er ein beſſeres Recht, als mein Wirthshaus?
So gewaltthaͤtig einem Mann ſein Eigenthum
rauben! Wer, als der Satan, hat ihm das ein-
geben koͤnnen? Und da er meinem Haus nicht
ſchont, ſo habe ich keinen Grund, ſeinem verdamm-
ten Kieſelſtein zu ſchonen; aber ich darf nicht.
Zu Nacht darf ich nicht auf den Platz, und am
Tage
[286] Tage kann’s wegen der Landesſtraſſe nicht ſeyn —
So redete er mit ſich ſelber; kam bald auf des
Meyers Huͤgel, der nahe am Dorfe liegt.
Er ſah die Maͤurer an den groſſen Feld-
ſteinen, die in der Ebne da herum liegen, arbei-
ten; denn es war noch nicht vollends ſechs Uhr.
Und er ergrimmte daruͤber bey ſich ſelber.
Alles, alles, was ich anſtelle und vornehme —
alles, alles fehlt mir — alles — — alles wird an
mir zum Schelmen — — Muß ich jezt noch ne-
ben dem verdammten Joſeph vorbeygehn — und
ſchweigen — Nein, ich kann’s nicht — neben ihm
vorbeygehn und ſchweigen kann ich nicht — Ich
will lieber hier warten, bis ſie heim gehn —
Er ſetzt ſich nieder; nach einer Weile ſteht er
wieder auf, und ſagt: Ich will, ich kann ihnen
auch hier nicht zuſehen — ich will auf die andre
Seite des Huͤgels gehn — O du verdammter
Joſeph —
Er ſteht auf, geht einige Schritte zuruͤck, hin-
ter den Huͤgel, und ſetzt ſich wieder.
§. 68.
[287]
§. 68.
Die untergehende Sonne und ein ver-
lorner armer Tropf.
Die Sonne gieng jezt eben unter, und ſchien
noch mit ihren letzten Strahlen auf die Seite der
Anhoͤhe, auf der er eben ſaß. Um ihn her war
das tiefere Feld; und unten am Huͤgel alles ſchon
im Schatten.
Sie gieng aber herrlich und ſchoͤn unter, ohne
Wind und ohne Gewoͤlke, Gottes Sonne; und der
Vogt, der in ihre letzten herrlichen Strahlen, die auf
ihn fielen, hinein ſah, ſagte zu ſich ſelber: Sie geht
doch ſchoͤn unter, und ſtaunte gegen ſie hin, bis
ſie hinter dem Berg war.
Jezt iſt alles im Schatten, und bald iſt’s Nacht.
O mein Herz! Schatten, Nacht und Grauſen iſt
um dich her; dir ſcheint keine Sonne. So
mußte er zu ſich ſelber ſagen, und wollte, oder er
wollte nicht, denn der Gedanke ſchauerte ihm durch
ſeine Seele, und er kirrete mit den Zaͤhnen — an-
ſtatt hinzufallen, und anzubeten den Herrn des
Himmels, der die Sonne aus der Nacht wieder
hervor ruft — anſtatt auf den Herrn zu hoffen,
der aus dem Staub errettet und aus den Tiefen
er-
[288] erloͤst, knirſchte er mit den Zaͤhnen. Da ſchlug
die Glocke in Bonnal ſechs Uhr; und die Maͤu-
rer giengen vom Feld heim, und der Vogt folgete
ihnen nach.
§. 69.
Wie man ſeyn muß, wenn man mit den
Leuten etwas ausrichten will.
Die meiſten Arbeiter des Maͤurers hatten ihn ſchon
an dieſem erſten Abend, an dem ſie bey ihm ſchaff-
ten, lieb gewonnen. Er arbeitete die ganze Zeit
mit ihnen, wie ſie, griff die ſchwerſten Steine ſel-
ber an, ſtuhnd in Koth und in Waſſer, wo es noͤthig
war, hinein, wie ein anderer, und noch vor ihnen.
Er zeigte ihnen, da ſie ganz ungeuͤbt in dieſer Ar-
beit waren, mit Liebe und Gedult, ihre Art und
Weiſe und ihre Vortheile, und ließ auch gegen die
Ungeſchickteſten keine Ungedult blicken; kein du Narr,
du Ochs entfuhr ihm gegen einen Einzigen, ob er
gleich hundertmal Anlaß und Gelegenheit dazu ge-
habt haͤtte.
Dieſe Gedult und dieſe beſcheidene Sorgfalt des
Meiſters und ſein Eifer, ſelber zu arbeiten, mach-
ten, daß alles ſehr wohl von ſtatten gieng.
§. 70.
[289]
§. 70.
Ein Mann, der ein Schelm iſt und ein
Dieb, handelt edelmuͤthig, und des
Maͤurers Frau iſt weiſe.
Michel, als einer der Staͤrkſten und Verſtaͤndigſten,
war den ganzen Abend an der Seite des Meiſters,
und ſah alle die herzliche Liebe und Guͤte, mit deren
dieſer auch gegen die Ungeſchickteſten handelte, und
Michel, der ein Schelm iſt und ein Dieb, gewann
den Lienhard lieb, dieſes geraden, redlichen Weſens
wegen, und es gieng Michel an’s Herz; gegen dieſen
brafen, rechtſchaffenen Mann wollte er kein Schelm
ſeyn.
Aber dem Kriecher und dem frommen Marx ab
der Reuti gefiel es ſchon nicht ſo wohl, daß er kei-
nen Unterſchied machte unter den Leuten, und ſo
gar auch mit dem Boͤſewicht, dem Michel, recht
freundlich waͤre. Auch Lenk ſchuͤttelte den Kopf
wohl hundertmal, und ſprach bey ſich ſelbſt: Er
iſt ein Narr; naͤhm er Leute, die arbeiten koͤnnen,
wie ich und mein Bruder, er wuͤrde nicht halb ſo
viel Muͤhe haben — Aber die mehrern, die er mit
Liebe und mit Gedult zur Arbeit anfuͤhrte, dankten ihm
von Herzensgrunde, und hie und da ſtiegen ſtille Seuf-
Tzer
[290] zer zum Vater der Menſchen empor, der alle Ge-
dult und alle Liebe, die ein Menſch ſeinem ſchwaͤ-
chern Bruder erweiſet, lohnt und ſegnet.
Michel konnte die boͤſe Abrede, die er am Sam-
ſtag m [...] dem Vogt gemacht hatte, nicht laͤnger auf
ſeinem Herzen tragen, und ſagte im Heimgehn zu
ſeinem Meiſter: Ich habe dir etwas zu ſagen; ich
will mit dir heimgehn; So komm denn, antwor-
tete Lienhard.
Da gieng er mit dem Meiſter in ſeine Huͤtte,
und erzaͤhlte ihm, wie der Vogt ihn am Sam-
ſtag zu Schelmenſtreichen gedungen, und wie er ihm
auf den ſchoͤnen Handel zween Thaler gegeben haͤtte.
Lienhard erſchrack; aber ſchwarz und gruͤn war’s
der Gertrud vor den Augen, uͤber der Erzaͤhlung.
Das iſt erſchrecklich, ſagte Lienhard. Ja, das
iſt wohl erſchrecklich, erwiederte Gertrud.
Laß dich jezt das nicht kuͤmmern, ich bitte dich,
Gertrud!
Laß dir das jezt keine Muͤhe machen, ich bitte
dich, Meiſter! ſagte Michel — Seht, gegen euch ver-
ſuͤndige ich mich gewiß nicht; darauf koͤnnt ihr zaͤhlen.
Lienhard. Ich danke dir, Michel! aber ich
hab es doch an dem Vogt auch nicht verdient.
Michel. Er iſt ein eingefleiſchter Teufel; die
Hoͤlle erfindet nicht, was er, wenn er auf Rache
denkt und raſet.
Lienhard. Es zittert alles an mir.
Ger-
[291]
Gertrud. Beynahe ward mir ohnmaͤchtig.
Michel. Seyd doch nicht Kinder, alles hat ja
ein Ende.
Gertrud und Lienhard. (Beyde auf einmal)
Gott Lob! Gott Lob!
Michel. Seht, ihr habt jezt das Ding, wie
ihr nur wollt. Wenn ihr wollt, ſo will ich den
Vogt auf dem Glauben laſſen, daß ich ihm treu
ſey, und gerad morgen oder uͤbermorgen vom Bau
Geſchirr wegnehmen, und ins Vogts Haus tragen.
Dann gehſt du in aller Stille zu Arner, nimmſt
einen Gewaltsſchein, alle Haͤuſer durchſuchen zu
duͤrfen; faͤngſt bey des Vogts ſeinem an — dringſt
ploͤtzlich in die Nebenkammer hinein, wo du es
gewiß finden wirſt; aber nimm das in Acht: Du
mußſt ploͤtzlich in dem Augenblick, in dem du den
Gewaltſchein zeigeſt, hineindringen, ſonſt iſt es ge-
fehlt. Sie ſind im Stande, ſie nehmen es dir un-
ter den Augen weg, ſteigen zum Fenſter hinein, oder
legen es unter die Decke des Betts. Wenn du dann
hoͤflich biſt, und da nicht nachſuchſt, ſo werden wir
in einem ſchoͤnen Handel ſeyn. — Ich denke aber
faſt, es iſt beſſer fuͤr dich, du ſchickſt Jemand an-
ders; es iſt kein Stuͤck Arbeit fuͤr dich.
Lienhard. Nein, Michel! das Stuͤck Arbeit
wuͤrde mir gewiß nicht gerathen.
Michel. Das iſt gleich viel; ich will dir ſchon
Jemand finden, der dieſe Arbeit recht mache.
T 2Ger-
[292]
Gertrud. Michel! ich denke, wir ſollten Go[t] [...]
danken, daß wir von der Gefahr, die uͤber uns
ſchwebte, jezt befreyt ſind, und nicht aus Rache
dafuͤr dem Vogt eine Falle legen.
Michel. Er verdient ſeinen Lohn; mache dir
daruͤber kein Bedenken.
Gertrud. Was er verdiene oder nicht ver-
diene, das iſt nicht unſere Sache zu urtheilen; aber
nicht Rache auszuuͤben, das iſt unſere Sache, und
der einzige gerade Weg, den wir in dieſem Falle
gehn koͤnnen.
Michel. Ich muß bekennen, du haſt Recht,
Gertrud! und es iſt viel, daß du dich ſo uͤberwin-
den kannſt; aber ja, du haſt Recht, er wird ſeinen
Lohn ſchon finden; und uͤberall los ſeyn, und
nichts mit ihm zu thun haben, iſt das beſte. Ich
will auch gerade zu mit ihm brechen, und ihm
ſeine zween Thaler zuruͤckgeben; jezt hab ich aber
nur noch anderthalben. Er nimmt ſie aus dem
Sack, legt ſie auf den Tiſch, zaͤhlt ſie, und
ſagt dann weiter: Ich weiß jezt nicht, ob ich ihm
die anderthalben allein bringen, oder ob ich auf
den Wochenlohn warten will, bis am Samſtag, da
ich dann alles bey einander haben werde?
Lienhard. Es macht mir gar nichts, dir den
halben Thaler jezt voraus zu bezahlen.
Michel. Ich bin herzlich froh, wenn es ſeyn
kann, daß ich dieſes Mannes noch heute los komme.
Ich
[293] Ich trag es ihm noch in dieſer Stunde ins Haus,
wenn ich’s habe. Meiſter! ſeit geſtern beym H. Nacht-
mahl lag es mir ſchon ſchwer auf dem Herzen, daß
ich ihm ſo boͤſe Sachen verſprochen hatte; a[u]f den
Abend kam noch dein Jonas, und gab meinem
Kinde ſein Abendbrod — und auch das machte, daß
es mir an’s Herz gieng, daß ich gegen dir ein Schelm
ſeyn wollte.
Ich habe dich nie recht gekannt, und nie viel
Umgang mit dir gehabt, Lienhard! aber heute habe
ich geſehn, daß du mit Gedult und mit Liebe Jeder-
mann helfen und rathen wollteſt; und ich meynte,
ich wuͤrde nicht ſelig ſterben koͤnnen, wenn ich einem
ſo brafen, treuen Menſchen das Gute mit Boͤſem
verguͤlte. (Er hat Thraͤnen in den Augen) Da
ſeht ihr, ob’s mir nicht Ernſt iſt.
Lienhard. Thue doch uͤberall Niemand nichts
Boͤſes mehr.
Michel. Will’s Gott! will ich dir folgen.
Gertrud. Es wird dir dann gewiß auch uͤber-
all wieder beſſer gehn.
Lienhard. Willſt du noch dieſen Abend zum
Vogt gehn?
Michel. Ja, wenn ich kann.
Der Maͤurer giebt ihm den halben Thaler und
ſagt: Bring ihn doch nicht in Zorn.
Gertrud. Sag ihm doch nicht, daß wir et-
was davon wiſſen.
T 3Michel.
[294]
Michel. Ich will ſo kurz ſeyn, als [...]nn;
aber den Augenblick geh ich, ſo iſt’s bald [...]ber.
Behuͤt Gott, Gertrud! Ich danke dir, Lienhard!
ſchlaft wohl.
Lienhard. Thu ihm auch alſo; Behuͤt Gott,
Michel! (Er geht ab.)
§. 71.
Die Hauptauftritte naͤhern ſich.
Als der Vogt heim kam, traf er ſeine Frau al-
lein in der Stube an. Er konnte alſo die Wuth
und den Zorn, den er den Tag uͤber geſammelt hatte,
nun ausleeren. Auf dem Feld, im Schloß und in
Hirzau, da war’s etwas anders. Unter den Leu-
ten zeigt ſo einer nicht leicht, wie’s ihm um’s Herz iſt.
Ungeſchickt, wie ein Schaͤferbub, wuͤrde man
ſagen, wuͤrde ein Vogt ſeyn, der das nicht koͤnnte;
und das hat man dem Hummel nie nachgeredt. Er
konnte ganze Tage hinunter ſchlucken, Zorn und
Neid, und Haß und Gram, und immer laͤcheln,
und ſchwatzen, und trinken; aber, wenn er heim
kam, und zum Gluͤck oder Ungluͤck die Wohnſtube
leer fand, alsdann ſtieß er die Wuth fuͤrchterlich
aus, die er unter den Leuten geſammelt hatte.
Seine
[295]
Seine Frau weinte in einer Ecke, und ſagte:
Um Gottes willen! thue doch nicht ſo; mit dieſem
Raſen bringſt du Arnern nur immer mehr auf. Er
ruht nicht, bis du dich zum Ziel legſt.
Er wird nicht ruhen, ich mag thun, was ich will;
er wird nicht ruhen, bis er mich zu Grunde gerichtet
haben wird. Ein Schelm, ein Dieb, ein Hund iſt
er; der Verfluchteſte unter allen Verfluchten, ſagte
der Mann.
Und die Frau: Herr Jeſus! um Gottes willen!
wie du redeſt, du biſt von Sinnen.
Vogt. Hab ich nicht Urſache? Weißſt du es
nicht? Er nimmt mir das Wirthsrecht oder den
Mantel innert vierzehn Tagen.
Voͤgtinn. Ich weiß es; aber um Gottes wil-
len! thue doch jezt nicht ſo. Das ganze Dorf
weiß es ſchon. Der Schloßſchreiber hat’s dem
Weibel geſagt, und dieſer hat’s allerorten ausge-
kramt. Ich wußte nichts bis auf den Abend, da
ich traͤnkte; da lachten die Leute auf beyden Sei-
ten der Gaſſe vor allen Haͤuſern, und die Margreth,
die auch traͤnkte, nahm mich beyſeits, und ſagte
mir das Ungluͤck. Und noch etwas: Hans Wuͤſt
hat die acht Gulden zuruͤckgebracht. Woher koͤmmt
jezt dieſer zu acht Gulden? Auch darhinder ſteckt
Arner. Ach Gott! ach Gott! allenthalben droht
ein Ungewitter — ſo ſagte die Frau.
Wie ein Donnerſchlag erſchreckte das Wort,
T 4Hans
[296] Hans Wuͤſt hat die acht Gulden zuruͤckgebracht, den
Bogt. Er ſtuhnd eine Weile, ſtarrte mit halbgeoͤff-
netem Mund die Frau an, und ſagte dann: Wo
iſt das Geld? Wo ſind die acht Gulden? Die
Frau ſtellt’s in einem zerbrochenen Trinkglas auf
den Tiſch. Der Vogt ſtarrt eine Weile das Geld
an, zaͤhlt’s nicht, und ſagt dann: Es iſt nicht aus
dem Schloß; der Junker giebt keine ungeſoͤnderten
Sorten.
Voͤgtinn. Ich bin froh, daß es nicht aus
dem Schloſſe iſt.
Vogt. Es ſteckt doch etwas darhinter; du haͤt-
teſt es ihm nicht abnehmen ſollen.
Voͤgtinn. Warum das?
Voͤgt. Ich haͤtte ihn ausforſchen moͤgen, wo-
her er’s habe.
Voͤgtinn. Ich habe wohl daran gedacht; aber
er wollte nicht warten, und ich glaube nicht, daß
du etwas heraus gebracht haͤtteſt. Er war ſo kurz
und abgebrochen, als man nur ſeyn kann.
Vogt. Es ſtuͤrmt alles auf mich los; ich weiß
nicht, wo mir der Kopf ſteht — Gieb mir zu trin-
ken — (ſie ſtellt ihm den Krug dar) und er geht
mit wilder Wuth die Stube hinauf und hinunter,
ſchnaufet, trinkt, und redt mit ſich ſelber: Ich
will den Maͤurer verderben, das iſt das erſte, ſo
ſeyn muß. Wenn’s mich hundert Thaler koſtet —
Der Michel muß ihn verderben; und dann will ich
auch
[297] auch hinter den Markſtein — ſo ſagt er, und eben
klopft Michel an. Wie im Schrecken juckt der Vogt
zuſammen, ſagt: Wer iſt da ſo ſpaͤt in der Nacht?
und eilt an’s Fenſter zu ſehn.
Mach auf, Vogt! ruft Michel.
§. 72.
Die letzte Hoffnung verlaͤßt den Vogt.
Wie mir der ſo eben recht koͤmmt, ſagt der Vogt,
eilt, oͤffnet die Thuͤre, gruͤßt Micheln, und ſagt: Will-
kommen, Michel! Was bringſt du guts Neues?
Michel. Nicht viel; ich will dir nur ſagen —
Vogt. Du wirſt nicht unter der Thuͤre reden
wollen? Ich gehe noch lang nicht ſchlafen. Komm
in die Stube.
Michel. Ich muß wieder heim, Vogt! Ich
will dir nur ſagen, daß mich der Handel vom Sam-
ſtag gereuet hat.
Vogt. Ja, bey Gott! das waͤre ſo eben recht.
Nein, der muß dich nicht gereuen — Wenn’s nicht
genug iſt, ich biete eher ein mehrers. Komm nur
in die Stube. Es fehlt nicht, wir werden des Han-
dels gewiß eins.
Michel. Um keinen Preis, Vogt! Da ſind
deine zween Thaler.
T 5Vogt.
[298]
Vogt. Ich nehme dir ſie jezt nicht ab, Mi-
chel! Treib nicht den Narren. Der Handel muß
dir nicht ſchaden, und wenn dir die zween Thaler
zu wenig ſind, ſo komm in die Stube.
Michel. Ich will weiter nichts hoͤren, Vogt!
da iſt dein Geld.
Vogt. Bey Gott! ich nehme dir’s jezt nicht
ab. Ich habe jezt geſchworen; du mußſt mit mir
in die Stube.
Michel. Das kann zuletzt wohl ſeyn. (Er geht
mit ihm.) Da bin ich nun in der Stube, und da
iſt dein Geld. (Er legt es auf den Tiſch.) Und
jezt behuͤt Gott, Vogt! und hiemit kehrte er ſich
um, und gieng fort.
§. 73.
Er macht ſich an den Markſtein.
Der Vogt ſtuhnd eine Weile ſtumm und ſprach-
los da, rollte ſeine Augen umher, ſchaͤumte zum
Munde aus, zitterte, ſtampfte, und rief dann:
Frau! gieb mir Brennt’s; es muß ſeyn, ich gehe.
Frau. Wohin, wohin willſt du in der ſtock-
finſtern Nacht?
Vogt. Ich geh — ich geh, und grabe den
Stein aus; gieb mir die Flaſche.
Frau.
[299]
Frau. Um Gottes willen! thue doch das nicht.
Vogt. Es muß ſeyn, es muß ſeyn; ich gehe.
Frau. Es iſt ſtockfinſter; es geht nach den
Zwoͤlfen, und in der Charwoche hat der Teufel
ſonſt viel Gewalt.
Vogt. Hat er das Roß, ſo nehm er den Zaum
auch. Gieb mir die Flaſche; ich gehe.
Schnell nimmt er Pickel und Schaufel und
Karſt auf die Achſel, und eilt im tiefen Dunkel der
Nacht auf den Berg, ſeinem Herrn den Markſtein
zu verſetzen.
Rauſch und Rache und Wuth machten ihn kuͤhn;
doch wo er ein Scheinholz erblickte, oder wo er ei-
nen Haaſen rauſchen hoͤrte, zitterte er, ſtand einen
Augenblick ſtill, und eilte dann wuͤthend weiter, bis
er endlich zum Markſtein kam. Er griff jezt ſchnell
zur Arbeit, hackte und ſchaufelte umher.
§. 74.
Die Nacht betruͤgt Beſoffene und Schel-
men, die in der Angſt ſind, am
ſtaͤrkſten.
Aber ploͤtzlich erſchreckt ihn ein Geraͤuſche. Ein
ſchwarzer Mann hinter dem Geſtraͤuche koͤm̃t auf ihn
zu. Um den Mann iſt’s hell in der finſtern Nacht,
und
[300] und Feuer brennt auf des Mannes Kopfe. Das
iſt der Teufel leibhaftig, fagt der Vogt flieht,
heult entſetzlich, und laͤßt Karſt und Pickel und
Schaufel, den Hut und die leere Brenntsflaſche
dahinten.
Es war Chriſtoff, der Huͤnertraͤger von Arn-
heim, der Eyer in Oberhofen, Lunkofen, Hirzau
und andern Orten aufgekauft hatte, und nun auf
ſeinem Heimweg begriffen war. Er trug auf ſei-
nem Korb das Fell von einer ſchwarzen Ziege, und
hatte eine Laterne daran haͤngen, um den Weg im
Finſtern zu finden. Dieſer Eyertraͤger erkannte die
Stimme des fliehenden Vogts; und da er dachte,
daß er gewiß etwas Boͤſes im Sinn haͤtte, er-
grimmte er bey ſich ſelber, und ſprach: Dem ver-
fluchten Buben will ich’s jezt machen! er meynt,
ich ſey der Teufel.
Schnell ſtellt er ſeinen Korb ab, nimmt Karſt
und Pickel und Schaufel und ſeinen mit Eiſen be-
ſchlagenen Botenſtock, bindet alles zuſammen, ſchleppt
es hinter ſich her uͤber den Felsweg hinunter, daß es
fuͤrchterlich raſſelte, laͤuft ſo dem Vogt nach, und
ruft mit hohler heulender Stimme: Oh — Ah —
Uh — Hummel — Oh — Ah — Uh — Du biſt
mein — Wa — art — Hu — Hummel — —
Der arme Vogt laͤuft, was er vermag, und
ſchreyt in ſeinem Laufen erbaͤrmlich: Mordio —
und helſio — Waͤchter! der Teufel nimmt mich.
Und
[301]
Und der Huͤnertraͤger immer hinten nach: Oh
— Ah — Uh — Vo — ogt — — Wa — art —
Vo — ogt! du biſt mein — Vo — o — ogt —
§. 75.
Das Dorf koͤmmt in Bewegung.
Der Waͤchter im Dorf hoͤrte das Laufen und
Rufen vom Berge, und verſtuhnd alle Worte; aber
er fuͤrchtete ſich, und klopfte einigen Nachbaxen am
Fenſter an.
Steht doch auf, Nachbaren! ſagt er zu ihnen;
und hoͤrt, wie es am Berge geht. Es iſt, als
wenn der Teufel den Vogt nehmen wollte — hoͤrt
doch, wie er Mordio und Helfio ruft! und er iſt
doch, weiß Gott! bey ſeiner Frau daheim; es iſt
keine zwo Stunden, ich hab ihn unter ſeinem Fen-
ſter geſehn.
Als ihrer etwan Zehn beyſammen waren, rie-
then ſie, ſie wollten alle mit einander mit dem
Windlicht und mit Gewehr wohl verſehen dem
Geraͤuſch entgegen gehn; aber friſch Brod, den
Pſalter, und das Teſtament mit in Sack nehmen,
daß ihnen der Teufel nichts anhaben koͤnne.
Die Maͤnner giengen, hielten aber noch zuerſt
bey des Vogts Haus ſtill, um zu ſehn, ob er da-
heim waͤre.
Die
[302]
Die Voͤgtinn wartete in Todesangſt, wie’s ihm
auf dem Berg gehn moͤchte; und da ſie den naͤcht-
lichen Laͤrm hoͤrte, und da die Maͤnner mit den Wind-
lichtern an ihrem Hauſe klopften, erſchrack ſie ent-
ſetzlich, und rief ihnen: Herr Jeſus! was wollt
ihr?
Dein Mann ſoll herunter kommen, ſagten die
Maͤnner.
Er iſt nicht bey Hauſe; aber, Herr Jeſus! was
iſt’s doch, warum ihr da ſeyd? ſagte die Frau.
Und die Maͤnner: Das iſt eben ſchlimm, wenn
er nicht daheim iſt — Horch, wie er Mordio und
Helfio ſchreyt, als wenn der Teufel ihm nach-
liefe.
Die Frau laͤuft jezt mit den Maͤnnern, wie un-
ſinnig, fort. Der Waͤchter fragte ſie unterwegs:
Was Teufels thut doch dein Mann jezt noch auf
dem Berg? Er war ja noch vor ein Paar Stun-
den bey Haus?
Sie antwortete kein Wort, ſondern heulete ent-
ſetzlich.
Auch des Vogts Hund heulete an ſeiner Ket-
te entſetzlich.
Als aber der Huͤnertraͤger das Volk, ſo dem
Vogt zu Huͤlfe eilte, ſich naͤhern ſah, und als er des
Vogts Hund ſo fuͤrchterlich heulen hoͤrte, kehrte er
um, und gieng ſo ſtill und ſo geſchwind, als er konnte,
wieder den Berg hinauf, zu ſeinem Korb, packte
ſeine
[303] ſeine Beute auf, und ſetzte dann ſeinen Weg
fort.
Kunz aber, der mit des Vogts Frau einige
Schritte voraus war, merkte, daß es eben nicht
der Teufel ſeyn moͤchte; faßt den heulenden Vogt
zimlich unſanft beym Arm, und ſagt ihm:
Was iſt das? Warum thuſt du auch ſo, du
Narr? O — — O — — laß mich — — O —
— Teufel laß mich — — ſagte der Vogt, der im
Schrecken nichts ſah und nichts hoͤrte.
Du Narr! ich bin Kunz, dein Nachbar; und
das iſt deine Frau, ſagte ihm dieſer.
Die andern Maͤnner ſahn zuerſt zimlich behut-
ſam umher, wo etwann der Teufel doch ſtecken
moͤchte; und der mit dem Windlicht zuͤndete ſorg-
faͤltig in die Hoͤhe und auf den Boden, und auf
alle vier Seiten; es ſteckte auch ein jeder ſeine rech-
te Hand in den linken Sack, zum neugebackenen
Brod, zum Teſtament und zum Pſalter — Da ſich
aber lange nichts zeigte, faßten ſie nach und nach
Muth, und einige wurden ſogar munter, und fien-
gen an den Vogt zu fragen: Hat der Teufel dich
mit den Klauen gekraͤuelt? oder mit den Fuͤſſen
getreten, daß du ſo bluteſt?
Andre aber ſprachen: Es iſt jezt nicht Zeit zu
ſpotten; wir haben ja alle die erſchreckliche Stim-
me gehoͤrt.
Kunz
[304]
Kunz aber ſagte: Und mir ahndet, ein Wild-
dieb, oder ein Harzer, habe den Vogt und uns
alle geaͤffet. Als ich ihm nahe kam, hoͤrte das
Geheul auf, und ein Menſch lief den Berg hinauf,
was er konnte. Es hat mich tauſendmal gereuet,
daß ich ihm nicht nachgelaufen bin; und wir waren
Narren, daß wir des Vogts Hund nicht mitgenom-
men haben.
Du biſt ein Narr, Kunz! das war in Ewig-
keit keine Menſchenſtimme. Es gieng durch Leib
und Seel; es drang durch Mark und Bein; und
ein mit Eiſen beladener Wagen raſſelt nicht ſo auf
der Bergſtraſſe, wie das geraſſelt hat.
Ich will euch nicht widerſprechen, Nachbaren!
Es ſchauerte mir auch, da ich es hoͤrte. Aber
doch laſſe ich mir nicht ausreden, daß ich Jemand
wieder den Berg hinauf laufen gehoͤrt habe.
Meynſt du, der Teufel koͤnne nicht auch laufen,
daß man ihn hoͤre? ſagten die Maͤnner.
Der Vogt aber hoͤrte von allem Gerede kein
Wort. Und da er daheim war, bat er die Maͤnner,
daß ſie doch dieſe Nacht bey ihm blieben; und ſie
blieben gar gern im Wirthshauſe.
§. 76.
[305]
§. 76.
Der Pfarrer koͤmmt ins Wirthshaus.
Indeſſen hatte der naͤchtliche Laͤrm alles im Dorfe
aufgeweckt. Auch im Pfarrhauſe ſtuhnd alles auf,
denn man vermuthete Ungluͤck.
Und da der Pfarrer nachfragen ließ, was fuͤr
ein Laͤrm ſey? bekam er erſchreckliche Berichte
uͤber den graͤulichen Vorfall.
Und der Pfarrer dachte: er wolle dieſes
Schrecken des Vogts, ſo dumm auch ſeine Urſache
ſey, benutzen, und gieng in der Nacht ins Wirths-
haus.
Blitzſchnell verſchwanden die Weinkruͤge von
allen Tiſchen, da er kam.
Die Bauern ſtuhnden auf, und ſagten: Will-
kommen, wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer!
Der Pfarrer dankte, und ſagte den Nachbaren:
Es iſt brav, daß ihr, wenn ein Ungluͤck begegnet,
ſo bereit und dienſtfertig ſeyd.
Aber wollt ihr mich jezt eine Weile bey dem
Vogt allein laſſen?
Bauern. Es iſt unſere Schuldigkeit, wohl-
ehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Wir wuͤnſchen euch
eine gluͤckſelige Nacht.
UPfar-
[306]
Pfarrer. Ein gleiches, ihr Nachbaren! Aber
ich muß euch noch bitten, daß ihr euch in Acht
nehmet, was ihr uͤber dieſen Vorfall erzaͤhlet. Es
iſt allemal unangenehm, wenn man groß Geſchrey
von einer Sache macht, und wenn darnach heraus
koͤmmt, daß nichts an der Sache ſey, oder et-
was ganz anders. Fuͤr jezt weiß einmal noch Nie-
mand, was eigentlich begegnet iſt, und ihr wiſſet doch,
Nachbaren! die Nacht treugt.
Es iſt ſo — wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer!
ſagten die Bauern inner der Thuͤre.
Und er iſt immer ſo ein Narr, und will nichts
glauben, ſagten ſie drauſſen.
§. 77.
Seelſorgerarbeit.
Der Pfarrer aber redte mit dem Vogt herzlich;
Untervogt! ich habe vernommen, daß dir etwas
begegnet iſt, und ich bin da, dir mit Troſt, ſo gut ich
kann, an die Hand zu gehen. Sage mir aufrich-
tig, was iſt dir eigentlich begegnet?
Vogt. Ich bin ein armer ungluͤcklicher Tropf,
der leidige Satan hat mich nehmen wollen.
Pfarrer. Wie ſo, Vogt! wo iſt dir das be-
gegnet?
Vogt.
[307]
Vogt. Oben auf dem Berge.
Pfarrer. Haſt du denn wirklich Jemand ge-
ſehen? Hat dich Jemand angegriffen?
Vogt. Ich ſah ihn — ich ſah ihn, wie er
auf mich zulief. — Es war ein groſſer ſchwarzer
Mann, und er hatte Feuer auf ſeinem Kopfe —
er iſt mir nachgelaufen bis unten an den Berg.
Pfarrer. Warum bluteſt du am Kopf?
Vogt. Ich bin im Herunterlaufen gefal-
len.
Pfarrer. Es hat dich alſo Niemand mit kei-
ner Hand angeruͤhrt?
Vogt. Nein, aber geſehen habe ich ihn mit
meinen Augen.
Pfarrer. Nun Vogt! wir wollen uns nicht
dabey aufhalten. Ich kann nicht begreifen, was
es eigentlich war. Es mag aber geweſen ſeyn, was
es will, ſo iſt es gleich viel; denn, Untervogt!
es iſt eine Ewigkeit, wo ohne einigen Zweifel
die Gottloſen in ſeine Klauen fallen werden; und
dieſe Ewigkeit und die Gefahr, nach deinem Tode
in ſeine Klauen zu fallen, ſollte dich bey deinem
Alter und bey deinem Leben freylich unruhig und
ſorgenvoll machen.
Vogt. O Herr Pfarrer! ich weiß vor Sor-
gen und Unruhe nicht, was ich thue. Um Gottes
willen! was kann, was ſoll ich machen, daß ich
U 2vom
[308] vom Teufel wieder los werde — bin ich nicht jezt
ſchon ganz in ſeiner Gewalt?
Pfarrer. Vogt! plage dich nicht mit Ge-
ſchwaͤtze und mit naͤrriſchen Worten. Du biſt bey
Sinn und Verſtand, und alſo ganz in deiner eige-
nen Gewalt; thue, was recht iſt, und was dir dein
Gewiſſen ſagt, daß du es Gott und Menſchen ſchul-
dig ſeyſt. Du wirſt alsdann bald merken, daß der
Teufel keine Gewalt uͤber dich hat.
Vogt. O Herr Pfarrer! was kann, was
muß ich denn thun, daß ich bey Gott wieder zu
Gnaden komme?
Pfarrer. Im Ernſt deine Fehler bereuen,
dich beſſern, und dein ungerechtes Gut wieder zu-
ruͤck geben.
Vogt. Man glaubt, ich ſey reich, Herr Pfar-
rer! aber ich bin’s weiß Gott nicht!
Pfarrer. Das iſt gleich viel, du haſt des
Rudis Matten mit Unrecht; und Wuͤſt und Kei-
bacher haben einen falſchen Eid gethan; ich weiß
es, und ich werde nicht ruhen, bis der Rudi wie-
der zu dem Seinigen gelangt ſeyn wird.
Vogt. O Herr Pfarrer! um Gottes willen!
habt Mitleiden mit mir.
Pfarrer. Das beſte Mitleiden, das man mit
dir haben kann, iſt dieſes: wenn man dich dahin
bringen kann, gegen Gott und Menſchen zu thun,
was du ſchuldig biſt.
Vogt.
[309]
Vogt. Ich will ja thun, was ihr wollt,
Herr Pfarrer!
Pfarrer. Willſt du dem Rudi ſeine Matte
wieder zuruͤck geben?
Vogt. Um Gottes willen! ja, Herr Pfarrer!
Pfarrer. Erkenneſt du alſo, daß du ſie mit
Unrecht beſitzeſt?
Vogt. In Gottes Namen! ja, Herr Pfar-
rer! ich muß es bekennen; aber ich komme an
den Bettelſtab, wenn ich ſie verliere.
Pfarrer. Vogt! es iſt beſſer betteln, als ar-
mer Leute Gut unrechtmaͤßig vorenthalten.
Der Vogt ſeufzet.
Pfarrer. Aber was thateſt du auch mitten
in der Nacht auf dem Berg?
Vogt. Um Gottes willen! fraget mich doch
das nicht, Herr Pfarrer! ich kann’s, ich darf’s
nicht ſagen; habt Mitleiden mit mir, ich bin ſonſt
verloren.
Pfarrer. Ich will dir nicht zumuthen, mir
etwas zu offenbaren, das du nicht willſt. Thuſt
du es gern, ſo will ich dir rathen wie ein Vater;
willſt du es nicht thun, in Gottes Namen! ſo iſt
es dann deine Schuld, wenn ich dir da, wo du es
vielleicht am noͤthigſten haͤtteſt, nicht rathen kann.
Aber da ich ohne deinen Willen von allem, was du
mir ſagen wirſt, nichts offenbaren werde, ſo kann
U 3ich
[310] ich doch nicht ſehn, was du dabey gewinneſt,
wenn du mir etwas verſchweigſt.
Vogt. Aber werdet ihr gewiß nichts wider
meinen Willen offenbar machen, es mag ſeyn was
es will?
Pfarrer. Nein, gewiß nicht, Vogt!
Vogt. So will ich’s euch in Gottes Namen
ſagen: Ich wollte dem Junker einen Markſtein ver-
ſetzen.
Pfarrer. Lieber Gott und mein Heiland!
warum auch dem guten lieben Junker?
Vogt. Ach! Er wollte mir das Wirthshaus
oder den Vogtsdienſt nehmen, das brachte mich in
Wuth.
Pfarrer. Du biſt doch ein ungluͤcklicher Tropf,
Vogt! er meynte es ſo wenig boͤſe. Er hat dir
noch einen Erſatz geben wollen, wenn du die Vogts-
ſtelle freywillig aufgeben wuͤrdeſt.
Vogt. Iſt das auch wahr, Herr Pfarrer?
Pfarrer. Ja, Vogt! ich kann dir es fuͤr ge-
wiß ſagen, denn ich habe es aus ſeinem Munde;
er hat am Samſtag Abend in ſeinem Berg gejagt,
und ich habe ihn auf dem Weg vom Reutihof,
wo ich bey der alten Frauen war, angetroffen;
da hat er mir ausdruͤcklich geſagt: Der junge
Meyer, den er zum Vogt machen wolle, muͤſſe dir,
damit du dich nicht zu beklagen habeſt, hundert Gul-
den jaͤhrlichen Erſatzes geben.
Vogt.
[311]
Vogt. Ach Gott! Herr Pfarrer! haͤtte ich
auch das gewußt, ich wuͤrde nicht in dieſes Un-
gluͤck gefallen ſeyn.
Pfarrer. Man muß Gott vertrauen; auch
wenn man noch nicht ſieht, wo ſeine Vaterguͤte
eigentlich hervor blicken will; und von einem guten
Herrn muß man Gutes hoffen, auch wenn man
noch nicht ſiehet, wie und worinn er ſein gutes
Herz offenbaren will. Das macht, daß man ihm
getreu und gewaͤrtig bleibt, und dardurch denn ſein
Herz in allen Faͤllen zum Mitleiden und zu aller
Vaterguͤte offen findet.
Vogt. Ach Gott! wie ein ungluͤcklicher Mann
ich bin! Haͤtte ich nur auch die Helfte von dieſem
gewußt.
Pfarrer. Das Geſchehene iſt jezt nicht mehr
zu aͤndern; aber was willſt du jezt thun, Vogt?
Vogt. Ich weiß es in Gottes Namen nicht;
das Bekenntniß bringt mich um’s Leben. Was
meynt ihr, Herr Pfarrer?
Pfarrer. Ich wiederhole, was ich dir eben
geſagt habe. Ich will dir kein Bekenntniß zumu-
then; das, was ich ſage, iſt ein bloſſer Rath —
aber meine Meynung iſt, der gerade Weg habe noch
Niemanden uͤbel ausgeſchlagen. Arner iſt barmher-
zig, und du biſt ſchuldig, thu jezt, was du willſt;
aber ich wuͤrde es auf ſeine Barmherzigkeit ankom̃en
laſſen. Ich ſehe wohl, daß der Schritt ſchwer iſt;
U 4aber
[312] aber es iſt auch ſchwer, ihm den Fehler zu ver-
ſchweigen, wenn du wahre Ruhe und Zufrieden-
heit fuͤr dein Herz ſucheſt.
Der Vogt ſeufzet, und redet nichts.
Der Pfarrer faͤhrt fort, und ſagt wieder: Thue
jezt in Gottes Namen, was du willſt, Vogt! ich
will dir nichts, zumuthen; aber je mehr ich es uͤber-
lege, deſto mehr duͤnkt mich, du fahreſt am beſten,
wenn du es auf Arners Barmherzigkeit ankommen
laſſeſt; denn ich muß dir doch auch ſagen, es koͤn-
ne nicht anders ſeyn, der Junker werde nachfor-
ſchen, warum du in dieſer ſpaͤthen Nachtzeit auf
der Straſſe geweſen ſeyſt?
Vogt. Herr Jeſus, Herr Pfarrer! was mir
in Sinn kommt. Ich habe Pickel und Schaufel
und Karſt, und was weiß ich noch, beym Mark-
ſtein gelaſſen, und er iſt ſchon halb umgegraben;
das kann alles ausbringen. Es uͤbernimmt mich
eine Angſt und ein Schrecken von wegen des Pi-
ckels und des Karſts, daß es entſetzlich iſt, Herr
Pfarrer!
Pfarrer. Wenn dich wegen dem armſeligen
Pickel und Karſt, die man ja leicht heut noch
vor Tag wegtragen und verbergen kann, eine ſolche
Angſt uͤbernimmt, Vogt! ſo denke doch, wie tau-
ſend ſolche Umſtaͤnde und Vorfaͤlle begegnen wer-
den und begegnen muͤſſen, wenn du ſchweigeſt, die
dir deine uͤbrigen Tage noch alle zu Tagen der groͤ-
ſten
[313] ſten Unruhe und der bitterſten fortdauernden Beſorg-
niſſe machen werden. — Ruhe fuͤr dein Herz wirſt
du nicht finden, Vogt! wenn du nicht bekenneſt.
Vogt. Und ich kann auch nicht bey Gott wie-
der zu Gnaden kommen, wenn ich ſchweige?
Pfarrer. Vogt! wenn du das ſelber denkeſt,
und ſelber ſorgeſt und fuͤrchteſt, und doch wie-
der die Stimme deines Gewiſſens, wider deine
eigne Ueberzeugung ſchweigeſt, wie koͤnnte es moͤg-
lich ſeyn, daß dieſes Thun Gott gefallen, und dir
ſeine Gnade wieder bringen koͤnnte?
Vogt. So muß ich’s denn bekennen?
Pfarrer. Gott wolle mit ſeiner Gnade bey
dir ſeyn, wenn du thuſt, was dein Gewiſſen dich
heiſſet.
Vogt. Ich will es bekennen.
Und da er dieſes geſagt hatte, betete der Pfar-
rer vor ihm alſo:
Preis und Dank und Anbetung, Vater im
Himmel! Du haſt deine Hand gegen ihn ausge-
ſtreckt, und ſie hat ihm Zorn und Entſetzen ge-
ſchienen, die Hand deiner Erbarmung und Liebe!
Aber ſie hat ſein Herz bewegt, daß er ſich nicht
mehr gegen die Stimme der Wahrheit verhaͤrtet,
wie er ſich lange, lange vor ihr verhaͤrtet hat.
Du, der du Schonung und Mitleiden und
Gnade biſt! Nimm das Opfer ſeines Bekenntniſ-
ſes gnaͤdig an, und zeuch deine Hand nicht ab von
U 5ihm.
[314] ihm. Vollende das Werk deiner Erbarmung, und
laß ihn wieder deinen Sohn, deinen Begnadigten
werden. O Vater im Himmel! der Menſchen
Leben auf Erden iſt Irrthum und Suͤnde! darum
biſt du gnaͤdig den armen Kindern der Menſchen,
und verzeiheſt ihnen Uebertretung und Suͤnde, wenn
ſie ſich beſſern.
Preis und Anbetung, Vater im Himmel! Du
haſt deine Hand gegen ihn ausgeſtreckt, daß er dich
ſuche; Du wirſt das Werk deiner Erbarmung
vollenden, und er wird dich finden, lobpreiſen dei-
nen Namen, und verkuͤndigen deine Gnade unter
ſeinen Bruͤdern. *)
Jezt war der Vogt durch und durch bewegt;
Thraͤnen floſſen von ſeinen Wangen.
O Gott! Herr Pfarrer! ich will es bekennen,
und thun, was man will. Ich will Ruhe ſuchen
fuͤr mein Herz, und Gottes Erbarmen.
Der Pfarrer redete noch eine Weile mit ihm,
troͤſtete ihn, und gieng dann wieder heim.
Es gieng aber ſchon gegen fuͤnf Uhr, da er
heim kam.
Und er ſchrieb alsbald an Arner. Der Brief,
den er geſtern geſchrieben, und der heutige, lauten
alſo:
§. 78.
[315]
§. 78.
Zween Briefe vom Pfarrer, an Arner.
Erſter Brief.
Der Ueberbringer dieſes, Hans Wuͤſt, hat mir
heut eine Sache geoffenbart, welche von ei-
ner Natur iſt, daß ich nicht umhin konnte, ihm
zu rathen, ſie Euer Gnaden als ſeinem Richter zu
entdecken — Er haͤlt nemlich in ſeinem Gewiſſen
darfuͤr, der Eid, den er und Keibacher vor
zehn Jahren in der Sache zwiſchen dem Huͤbelru-
di und dem Vogt geſchworen haben, ſey falſch.
Es iſt eine ſehr traurige Geſchichte, und es kommen
dabey ſehr bedenkliche Umſtaͤnde von dem verſtorbe-
nen Schloßſchreiber und von dem ungluͤcklichen Vi-
cari meines in Gott ruhenden Vorfahren ins Licht;
und mir ſchauert vor aller Aergerniß, ſo dieſes
Bekenntniß hervor bringen kann. Ich danke
aber wieder Gott, daß der Aermſte unter meinen
vielen Armen, der gedruͤckte leidende Rudi mit ſei-
ner ſchweren Haushaltung durch dieſes Bekennt-
niß wieder zu dem Seinigen kommen koͤnnte.
Die
[316] Die taͤglich ſteigende Bosheit des Vogts, und ſein
Muthwillen, der jezt auch ſogar die Feſte nicht
mehr ſchonet, machen mich glauben, die Zeit ſei-
ner Demuͤthigung ſey nahe. — Fuͤr den ungluͤck-
lichen armen Wuͤſt bitte ich demuͤthig und dringend
um alle Barmherzigkeit und um alle Gnade, welche
die Pflichten der Gerechtigkeit dem menſchenlieben-
den Herzen Euer Gnaden erlauben koͤnnen.
Meine liebe Frau empfiehlt ſich ihrer edelmuͤthi-
gen Gemahlinn, und meine Kinder ihren guten Fraͤu-
leins. Sie ſagen tauſendfachen Dank fuͤr die Blumen-
zwiebeln, mit denen Sie unſern Krautgarten verzie-
ren wollen. Gewiß werden ihnen meine Kinder mit
Fleiß abwarten; denn ihre Blumenfreude iſt un-
beſchreiblich.
Erlauben Sie, Hochedelgebohrner, Gnaͤdiger
Herr! daß ich mit pflichtſchuldiger Ergebenheit mich
nenne
Euer Wohledelgebohrnen Gnaden
Bonnal, den 20. Merz
1780.
gehorſamſten Diener,
Joachim Ernſt, Pfr.
Zwey-
[317]
Zweyter Brief.
Seit geſtern Abends, da ich Euer Gnaden in bey-
liegend ſchon verſiegeltem Schreiben den Vorfall
mit dem Hans Wuͤſt pflichtmaͤßig zu wiſſen thun
wollte, hat die alles leitende weiſe Vorſehung meine
Hoffnungen und meine Wuͤnſche fuͤr den Rudi, und
meine Vermuthungen gegen den Vogt, auf eine mir
jezt noch unbegreifliche und unerklaͤrbare Weiſe be-
ſtaͤtigt.
Es entſtuhnd in der Nacht ein allgemeiner
Laͤrm im Dorf, der ſo groß war, daß ich Un-
gluͤck vermuthete. Ich ließ nachfragen, was es
ſey, und ich erhielt den Bericht: Der Teufel wolle
den Vogt nehmen; er ſchreye erbaͤrmlich droben
am Berg um Huͤlfe, und alles Volk habe das
erſchreckliche Geraſſel des ihm nachlaufenden Teu-
fels gehoͤrt — Ich mußte ob dieſem Berichte, Gott
verzeih es mir, herzlich lachen. Es kamen aber im-
mer mehr Leute, die alle den graͤulichen Vorfall be-
ſtaͤtigten, und zuletzt berichteten: Der Vogt ſey
wirklich mit den Maͤnnern, die ihm zu Huͤlf geeilt
waͤren, wieder heim; aber ſo erbaͤrmlich vom leidigen
Satan herumgeſchleppt und zugerichtet worden,
daß er wahrſcheinlicher Weiſe ſterben werde.
Das alles war freylich keine Waar in meinen
Kram; aber was machen? Man muß die Welt
brau-
[318] brauchen, wie ſie iſt, weil man ſie nicht aͤndern
kann.
Ich dachte, es mag nun geweſen ſeyn, was
es will, ſo iſt der Vogt vielleicht jezt weich; ich
muß alſo die gelegene Zeit nicht verſaͤumen, und
gieng deshalben ſogleich zu ihm.
Ich fand ihn in einem erbaͤrmlichen Zuſtande.
Er glaubt ſteif und feſt, der Teufel hab ihn neh-
men wollen. Ich fragte zwar hin und her, um et-
wann auf eine Spur zu kommen; aber ich begreife
noch nichts von allem. Nur ſo viel iſt gewiß, daß
ihn Niemand angeruͤhrt hat, und daß ſeine Verwun-
dung am Kopf, die aber leicht iſt, von einem Falle
herruͤhrt. — Auch hat der Teufel, ſobald die Mann-
ſchaft anruͤckte, mit ſeinem Raſſeln und Heulen
nachgelaſſen — Aber es iſt Zeit zur Hauptſache
zu kommen.
Der Vogt war gedemuͤthigt, und bekannte mir
zwo abſcheuliche Thaten, die er mir freywillig er-
laubt, Euer Gnaden zu offenbaren.
Erſtlich: Es ſey wahr, was mir der Hans
Wuͤſt geſtern geklagt haͤtte; nemlich:
Er habe Ihren in Gott ruhenden Herrn Groß-
vater in dem Handel mit dem Rudi irre gefuͤhrt,
und die Matte ſey mit Unrecht in ſeiner Hand.
Zweytens: Er habe dieſe Nacht Euer Gnaden
einen Markſtein verſetzen wollen, und ſey wirklich
an dieſer Arbeit geweſen, als ihm der erſchreck-
liche Zufall begegnet ſey.
Ich
[319]
Ich bitte Euer Gnaden demuͤthig, um Scho-
nung und Barmherzigkeit auch fuͤr dieſen ungluͤck-
lichen Mann, der Gott Lob auch zur Demuth und
zur Reue zuruͤckzukommen ſcheint.
Da ſich die Umſtaͤnde alſo ſeit geſtern geaͤndert
haben, ſchick ich den Hans Wuͤſt nicht mit ſeinem
Brief, ſondern ich ſende beyde durch Wilhelm Aebi,
und ich erwarte, was Euer Gnaden hierinn fuͤr fernere
Befehle an mich werden gelangen laſſen. Womit
ich mit der vorzuͤglichſten Hochachtung verharre
Euer Hochedelgebohrnen und Gnaden
Bonnal, den 21. Merz
1780.
gehorſamſter Diener,
Joachim Ernſt, Pfr.
§. 79.
Des Huͤnertraͤgers Bericht.
Wilhelm Aebi eilte nun mit den Briefen auf Arn-
burg; aber Chriſtoff, der Huͤnertraͤger, war fruͤher
im Schloß, und erzaͤhlte dem Junker alles, was
begegnet war, der Laͤnge und der Breite nach.
Der Junker aber mußte auf ſeinem Lehnſtuhl
uͤber die Geſchichte, uͤber das Schrecken des Vogts
und uͤber das Oh — Ah — Uh — des Huͤnertraͤ-
gers lachen, daß er den Bauch mit beyden Haͤn-
den halten mußte.
Thereſe,
[320]
Thereſe, ſeine Gemahlinn, die im [N]ebenge-
mach noch in der Ruhe war, hoͤrte das laute Ge-
laͤchter und das Oh — Ah — Uh — des Huͤner-
traͤgers, und rief:
Carl! was iſt das? Komm doch herein, und
ſage mir, was es iſt.
Da ſagte der Junker zum Huͤnertraͤger: Meine
Frau will auch hoͤren, wie du den Teufel vorſtel-
len koͤnneſt; komm herein.
Und er gieng mit dem Huͤnertraͤger ins Schlaf-
zimmer ſeiner Gemahlinn.
Da erzaͤhlte dieſer wieder: wie er den Vogt bis
unten in’s Feld verfolgt haͤtte — wie ſeine Nachbaren
bey Dutzenden mit Spieſſen und Pru[ͤ]geln und Wind-
lichtern dem armen Vogt zu Huͤlf gekommen waͤren,
und wie er dann wieder ſtill den Berg hinauf ge-
ſchlichen ſey.
Thereſe und Carl lachten auf ihrem Bette wie
Kinder, und lieſſen den Huͤnertraͤger, ſo viel er woll-
te, von dem koͤſtlichen Wein des Junkers, der ſeit
geſtern noch da ſtuhnd, trinken. *) Hingegen ver-
bot
[321] bot ihm Arner, noch Niemand kein Wort von der
Sache zu erzaͤhlen.
Indeſſen langte Wilhelm Aebi mit des Pfarrers
Briefen an.
Arner las ſie, und die Geſchichte des Hans
Wuͤſts ruͤhrte ihn am meiſten. Die Unvorſichtigkeit
ſeines Großvaters, und das Ungluͤck des Rudis gien-
gen ihm zu Herzen; aber die weiſe Handlungsart
des Pfarrers freute ihn in der Seele.
Er gab die Briefe ſogleich ſeiner Thereſe, und
ſagte: Das iſt doch ein herrlicher Mann, mein Pfar-
rer in Bonnal. Menſchenfreundlicher und ſorgfaͤl-
tiger haͤtte er nicht handeln koͤnnen.
Thereſe las die Briefe, und ſagte: Das iſt
eine erſchreckliche Sache mit dem Wuͤſt! Du
mußſt dem Rudi wieder zu dem Seinigen helfen.
Saͤume doch nicht — und wenn der Vogt ſich
ſtraͤubt, die Matte zuruͤckzugeben, ſo wirf ihn in
alle Loͤcher. Er iſt ein Satan, dem du nicht ſcho-
nen mußſt.
Ich will ihn aufknuͤpfen laſſen, antwortete Arner.
Ach nein! du toͤdeſt Niemand, erwiederte The-
reſe.
Meynſt du, Thereſe? ſagte Carl, und laͤchelte.
Ja, ich meyn’s, ſagte Thereſe, und kuͤßte ih-
ren Carl.
Du wuͤrdeſt mich nicht mehr kuͤſſen, glaub ich,
wenn ich’s thaͤte, Thereſe! ſagte Carl.
XUnd
[322]
Und Thereſe laͤchelnd: Das denk ich.
Arner aber gieng in ſein Cabinet, und antwor-
tete dem Pfarrer.
§. 80.
Des Junkers Antwortſchreiben an den
Pfarrer.
Der Vorfall mit dem Vogt iſt mir eine Stunde
vor ihrem Schreiben durch den Teufel ſelbſt, der
den Vogt den Berg hinabjagte, geoffenbart wor-
den; und der iſt mein lieber Huͤnertraͤger, Chriſtoff,
den ſie wohl kennen. Ich erzaͤhle ihnen die ganze
Geſchichte, die recht luſtig iſt, noch heute; denn
ich komme zu ihnen, und will wegen dem Mark-
ſtein Gemeind halten laſſen, und zugleich will ich
mit meinen Bauern wegen ihrem Geſpenſterglau-
ben jezt eine Comoͤdie ſpielen — und ſie, mein lie-
ber Herr Pfarrer! muͤſſen auch mit mir in dieſe
Comoͤdie — Ich denke, ſie ſind noch nicht in vielen
geweſen, ſonſt wuͤrden ſie gewiß nicht ſo ſchuͤchtern,
aber vielleicht auch nicht ſo herzgut und ſo zufrie-
den ſeyn.
Ich
[323]
Ich ſende ihnen hier von meinem beſten Wein
zum herzlichen Gruß und Dank, daß ſie mir ſo
redlich und brav geholfen haben, meines lieben
Großvaters Fehler wieder gut zu machen.
Wir wollen dieſen Abend zu ſeinem Andenken
eins davon mit einander trinken. Mein lieber Herr
Pfarrer! er war doch ein braver Mann, wenn die
Schelmen ſchon ſo oft ſein gutes Herz und ſein Zu-
trauen gemißbraucht haben.
Ich danke ihnen, mein lieber Herr Pfarrer! fuͤr
ihre Muͤhe und fuͤr ihre Sorgfalt wegen dem Huͤbel-
rudi — Freylich will ich ihm helfen. Noch heute muß
er mit meinem lieben Großvater wieder zufrieden wer-
den, und, will’s Gott! in ſeinem Leben bey ſeinem
Andenken nicht mehr trauern. Es thut mir in
der Seele leid, daß er ſo ungluͤcklich geweſen iſt;
und ich will, auf was Weiſe ich kann, dafuͤr ſor-
gen, daß der Mann fuͤr ſein Leiden und fuͤr ſeinen
Kummer mit Freude und Ruhe wieder erquickt wer-
de. Wir ſind gewiß ſchuldig, die Fehler unſrer El-
tern wieder gut zu machen, ſo viel wir koͤnnen und
moͤgen. O es iſt nicht recht, Herr Pfarrer! daß
man behauptet, ein Richter ſey nie in keiner Ge-
fahr, und ſey nie keinen Erſatz ſchuldig. Ach Gott!
Herr Pfarrer! wie wenig kennt man den Menſchen,
wenn man nicht einſieht, daß alle Richter eben
durch Gefahr ihres Vermoͤgens nicht nur zur Ehr-
lichkeit, ſondern zur Sorgfalt und zur Anſtrengung
X 2aller
[324] aller Aufmerkſamkeit ſollten bewogen und angehalten
werden. — Aber was ich da vergebens ſchwatze.
Meine Frau und meine Kinder gruͤſſen ihre Ge-
liebte alle herzlich, und ſenden ihren Toͤchtern noch eine
Schachtel Blumenzeugs. Leben ſie wohl, mein lieber
Herr Pfarrer! und ſtuͤrmen ſie jezt nicht ſo in allen
Stuben herum, alles aufzuraͤumen, und Wuͤrſte und
Schinken zu ſieden, als ob ich vor lauter Hunger
bey ihnen einkehren wolle; ſonſt werde ich nicht wie-
der zu ihnen kommen, ſo lieb ſie mir ſind.
Ich danke ihnen noch einmal, mein lieber Herr
Pfarrer! und bin mit wahrer Zuneigung
Ihr
Arnburg den 21. Merz
1780.
aufrichtiger Freund,
Carl Arner
von Arnheim.
N. S. So eben ſagt mir meine Frau, ſie wolle
die Comoͤdie mit dem Huͤnertraͤger auch ſehn. Wir
kommen Ihnen alſo alle mit den Kindern und mit
dem groſſen Wagen auf den Hals.
[325]
§. 81.
Ein guter Kuͤher.
Da Arner den Wilhelm fortgeſchickt hatte, gieng
er in ſeinen Stall, waͤhlte unter ſeinen fuͤnfzig Kuͤ-
hen fuͤr den Huͤbelrudi eine aus, und ſagte zu
ſeinem Kuͤher:
Futtere mir dieſe Kuhe wohl, und ſag dem Bu-
ben, daß er ſie nach Bonnal fuͤhre, und in den
Pfrundſtall ſtelle, bis ich kommen werd[e].
Der Kuͤher aber antwortete ſeinem Herrn: Herr!
ich muß thun, was ihr mich heißt; aber es iſt un-
ter dieſen fuͤnfzigen allen keine, die mich ſo reuet.
Sie iſt noch ſo jung, ſo wohlgeſtalt und ſo ſchoͤn; ſie
koͤmmt mit der Milch in die beſte Zeit.
Du biſt braf, Kuͤher! daß dich die ſchoͤne Kuh
reut.
Mich aber freut es, daß ich’s getroffen habe —
Ich ſuchte eben die Schoͤnſte — Sie koͤmmt in ei-
nes armen Mannes Stall, Kuͤher! laß ſie dich nicht
reuen; ſie wird ihn auch freuen.
Kuͤher. Ach Herr! es iſt ewig Schade um die
Kuh — bey einem armen Mann wird ſie abfallen;
ſie wird mager und haͤßlich werden. O Herr! wenn
ich’s vernehme, daß ſie Mangel hat, ich lauf alle
Tage auf Bonnal, und bring ihr Salz und Brod
alle Saͤcke voll.
X 3Junker.
[326]
Junker. Du guter Kuͤher! der Mann be-
koͤmmt eine ſchoͤne Matte und Futter genug fuͤr
die Kuh.
Kuͤher. Nun, wenn es ihr nur auch wohl
geht, wenn ſie doch fort muß.
Junker. Sey nur zufrieden, Kuͤher! Es ſoll
ihr nich[t] fehlen.
Der Kuͤher futterte die Kuh, und ſeufzete
bey ſich ſelber, daß ſein Herr die ſchoͤnſte im Stall
wegſchenkte. Er nahm auch ſein Morgenbrod und
Salz, gab alles dem Fleck, und ſagte dann zum
Jungen:
Nimm deinen Sonntagsrock und ein ſauberes
Hemd; ſtrehle dich, und putze dir deine Schuhe,
du mußſt den Fleck nach Bonnal fuͤhren.
Und der Junge that, was der Kuͤher ihm ſagte,
und fuͤhrte die Kuh ab.
Arner ſann jezt eine Weile ſtill und ernſthaft
dem Urtheil nach, welches er uͤber den Vogt faͤllen
wollte. Wie ein Vater, wenn er ſeinen wilden,
ausartenden Knaben einſperrt und zuͤchtigt —
nichts ſucht, als das Wohl ſeines Kindes — wie
es dem Vater an’s Herz geht, daß er ſtrafen muß —
wie er lieber verſchonen und lieber belohnen
wuͤrde; wie er ſeine Wehmuth in ſeinen Stra-
fen ſo vaͤterlich aͤuſſert, und durch ſeine Liebe mit-
ten im Strafen ſeinen Kindern noch mehr, als durch
die Strafe ſelber, an’s Herz greift.
So,
[327]
So, dacht Arner, muß ich ſtrafen, wenn ich
will, daß meine Gerechtigkeitspflege Vaterhandlung
gegen meine Angehoͤrigen ſey.
Und in dieſen Geſinnungen faßte er ſein Urtheil
gegen den Vogt ab.
Indeſſen hatten ſeine Gemahlinn und ſeine Fraͤu-
leins geeilt, daß man fruͤher, als ſonſt, zu Mittag
aͤſſe.
§. 82.
Ein Gutſcher, dem ſeines Junkers Sohn
lieb iſt.
Und der kleine Carl, der ſchon mehr als zehnmal den
Gutſcher gebeten hatte, daß er den Wagen ſchnell fer-
tig halten ſollte, lief noch vom Eſſen in Stall, und
rief: Wir haben geeſſen, Franz! ſpann an, und
fahr geſchwind an’s Schloßthor.
Du luͤgſt, Junge! ſie haben noch nicht geeſ-
ſen; man klingelt ja eben zum Tiſche, ſagte Franz.
Carl. Was ſagſt du, ich luͤge? Das leid ich
nicht, du alter Schnurrbart!
Franz. Wart, Buͤbchen! ich will dich
Schnurrbarten lehren; darfuͤr flechte ich den Pfer-
den die Schwaͤnze und das Halshaar, und bind
ich ihnen die Baͤnder und die Roſen in’s Haar —
X 4dann
[328] dann geht es noch eine Stunde; und redſt du ein
Wort, ſo ſag ich zum Papa: Der Herodes hat das
Grimmen; ſieh, wie er den Kopf ſchuͤttelt — dann
laͤßt er die Rappen im Stall, nimmt den kleinern
Wagen, und du mußſt nicht mit.
Carl. Nein, Franz! Hoͤr doch auf, und flechte
die Schwaͤnze nicht; nimm doch keine Baͤnder —
Du biſt mir lieb, Franz! und ich will dir nicht
mehr Schnurrbart ſagen.
Franz. Du mußſt mich kuͤſſen, Carl! an mei-
nen Bart mußſt du mich kuͤſſen, ſonſt nimm ich
die Baͤnder und flechte.
Carl. Nein, nur doch das nicht, Franz!
Franz. Warum ſagſt du mir Schnurrbart?
Du mußſt mich kuͤſſen, ſonſt nehm ich die Baͤn-
der, und fahre nicht mit den Rappen.
Carl. Nun, wenn ich muß; aber du machſt
dann den W[a]gen doch geſchwind fertig?
Da legte Franz den Roßſtrigel ab, hub den
jungen Junker in die Hoͤhe, und dieſer kuͤßt’ ihn.
Franz druͤckt’ ihn herzlich und ſagt: Auch recht,
Buͤbli! eilte mit dem Wagen, und fuhr bald vor
das Schloßthor.
Da ſaß Arner mit ſeiner Gemahlinn und mit
ſeinen Kindern ein.
Und Carl bat den Papa: Darf ich doch zu
Franz auf den Bock ſitzen? es iſt ſo eng und ſo warm
im Wagen.
Mei-
[329]
Meinethalben, ſagt Arner, und ruft dem Franz:
Hab gut Sorg zu ihm.
§. 83.
Ein Edelmann bey ſeinen Arbeitsleuten.
Und Franz fuhr mit ſeinen muthigen Rappen gut
fort, und war bald auf der Ebne bey Bonnal,
wo die Maͤnner Steine brachen.
Da ſtieg Arner aus dem Wagen, nach ihrer
Arbeit zu ſehn; und er traf die Arbeiter alle einen Je-
den an ſeinem ſchicklichen Platz an.
Und der Steine waren fuͤr die Zeit, in welcher
ſie gearbeitet hatten, ſchon viele beyſammen.
Und Arner lobte die Ordnung und die gute An-
ſtalt bey ihrer Arbeit, alſo, daß auch die Einfaͤltigſten
merkten, daß es ihm nicht wuͤrde entgangen ſeyn,
wenn das geringſte nicht in Ordnung oder nur zum
Schein dargeſtellt worden waͤre.
Das freute den Lienhard, denn er dachte: Es
ſieht jezt ein Jeder ſelbſt, daß es nicht an mir ſteht,
Unordnung und Liederlichkeit zu dulden.
Arner fragte auch den Meiſter, welches der Huͤ-
belrudi ſey; und in eben dem Augenblick, da ihm
der Maͤurer ihn zeigte, waͤlzte der todtblaſſe und
X 5ſicht-
[330] ſichtbarlich ſchwache Rudi einen ſehr groſ[ſ]en Stein
mit dem Hebeiſen aus ſeinem Neſt. Schnell rief
Arner: Ueberluͤpft euch nicht, Nachbaren! und ſor-
get, daß keiner ungluͤcklich werde. Darauf befahl
er noch dem Meiſter, ihnen einen Abendtrunk zu
geben; und gieng weiter gegen Bonnal.
§. 84.
Ein Junker und ein Pfarrer, die beyde
ein gleich gutes Herz haben, kommen
zuſammen.
Er ſah bald den guten Pfarrer von Ferne ge-
gen ihn kommen.
Der Junker lief ſtark gegen dem Pfarrer, und
rief ihm zu: Sie haben ſich doch in dieſem Wetter
nicht bemuͤhen ſollen; es iſt nicht recht bey ihren
Beſchwaͤrden; und eilte dann heim mit ihm, in
ſeine Stube.
Und erzaͤhlte ihm die ganze Geſchichte mit dem
Huͤnertraͤger; dann ſagte er: Ich habe zimlich
Geſchaͤfte, Herr Pfarrer! ich will ſchnell daran,
damit wir noch ein paar Stunden ruhig Freude mit
einander haben koͤnnen.
Jezt ſandte er auch zu dem jungen Meyer,
und ließ ihm ſagen, daß er zu ihm komme, und
ſagte
[331] ſagte zum Pfarrer: Ich will vor allem aus
des Vogts Rechnungen und Buͤcher verſiegeln laſ-
ſen; denn ich will wiſſen, mit wem er in Rech-
nung ſtehe; und er muß ſie mit Jedermann vor
mir in Ordnung bringen.
Pfarrer. Dadurch werden ſie einen guten
Theil ihrer Angehoͤrigen ſehr nahe kennen lernen,
Gnaͤdiger Herr!
Junker. Und wie ich hoffe, auch Wege fin-
den, vieler haͤuslicher Verwirrung in dieſem Dorfe
ein Ende zu machen; wenn ich bey dieſem Anlaſ-
ſe Jedermann deutlich und einleuchtend machen kann,
wie ſich die Leute unwiederbringlich verderben,
wenn ſie mit ſolchen Wucherern, wie der Vogt iſt,
nur um einen Kreuzer anbinden. Es duͤnkt mich,
Herr Pfarrer! die Landesgeſetze thun zu wenig,
dieſem Landsverderben zu ſteuern.
Pfarrer. Keine Geſetzgebung kann das, Gnaͤ-
diger Herr! aber das Vaterherz eines Herrn.
§. 85.
Des Junkers Herz gegen ſeinen fehlen-
den Vogt.
Indeſſen kam der juͤngere Meyer, und der Junker
ſagte zu ihm: Meyer! ich bin im Fall meinen Vogt
zu
[332] zu entſetzen; aber ſo ſehr er ſich verfehlt hat, bewegen
mich doch einige Umſtaͤnde, daß ich wuͤnſche, ihm
ſo lange er lebt, noch etwas vom Einkommen ſeines
Dienſtes zukommen zu laſſen. Du biſt ein wohl-
habender Mann, Meyer! und ich denke, wenn ich
dich zum Vogt mache, du laſſeſt dem alten Mann
gern noch jaͤhrlich hundert Gulden vom Dienſte zu-
flieſſen.
Meyer. Wenn ſie mich zu dieſem Dienſte
tuͤchtig finden, Gnaͤdiger Herr! ſo will ich mich
hierinn, wie in allem andern, nach ihren Befeh-
len richten.
Junker. Nun, Meyer! ſo komme morgen zu
mir auf Arnburg, ich will dann dieſes Geſchaͤft in
Ordnung bringen. Jezt will ich dir nur ſagen: du
muͤſſeſt mit meinem Schreiber und mit dem Richter
Aebi dem Hummel alle ſeine Schriften und ſeine
Rechnungen beſiegeln. Ihr habt genau nachzu-
ſehn, daß von allen Papieren und Rechnungen
nichts unterſchlagen werde.
Da giengen der Meyer und der Herrſchafts-
ſchreiber, nahmen noch den Richter Aebi mit ſich,
und beſiegelten des Vogts Schriften.
Die Voͤgtinn aber gieng mit einem naſſen
Schwamm gegen die gekreidete Wandtafel; aber
der Meyer ſah es, hinderte ſie etwas durchzuſtrei-
chen, und ließ die gekreidete Tafel ſchnell ab-
ſchreiben.
Und
[333]
Und der Meyer, der Schreiber und der Richter
Aebi verwunderten ſich, als ſie auf der Tafel fan-
den[:] Samſtags den 18ten dieſes dem Joſeph des
Lienhards drey Thaler an Geld — Wofuͤr das,
fragten der Meyer, der Schreiber und Aebi, den
Vogt und die Voͤgtinn? aber ſie wolltens nicht
ſagen. Und da die Maͤnner mit der Abſchrift der
Wandtafel ins Pfarrhaus kamen, verwunderte ſich
der Junker ebenfalls uͤber dieſe drey Thaler, und
fragte die Maͤnner: Wiſſet ihr, fuͤr was das war?
Es wollte Niemand mit einer Antwort heraus-
ruͤcken, da wir fragten, antworteten die Maͤnner.
Ich will es bald heraus bringen, ſagte der
Junker. Wenn Flink und der Gefaͤngnißwaͤchter
da ſeyn werden, ſo ſagt ihnen: ſie ſollen den Vogt
und den Hans Wuͤſt hieher bringen.
§. 86.
Der Pfarrer zeigt abermal ſein gutes
Herz.
Der gute Pfarrer hatte das kaum gehoͤrt, ſo
ſchlich er ſich alſobald von der Geſellſchaft weg
ins Wirthshaus, und ſagte dem Vogt: Um Got-
tes willen! was iſt das mit den drey Thalern
an
[334] an Joſeph? du machſt dich doppelt ungluͤcklich,
wenn du’s nicht ſagſt; der Junker iſt zornig.
Da bekannte der Vogt dem Pfarrer mit Thraͤ-
nen alle Umſtaͤnde mit Joſeph und mit dem Gelde.
Und der Pfarrer eilte ſchnell wieder zu Arner,
und ſagte ihm alles, und wie wehmuͤthig der Vogt
es ihm geſtanden haͤtte. Er bat auch den Junker
noch einmal um Gnad und Barmherzigkeit fuͤr den
armen Mann.
Sorgen Sie nicht, Herr Pfarrer! Sie werden
mich gewiß menſchlich und mitleidend finden, ſagt
Arner.
Er ließ hierauf den Joſeph gebunden und ge-
fangen von der Arbeit wegnehmen, und ihn mit
dem Wuͤſt und dem Vogt herbringen.
Der Vogt zitterte wie ein Laub der großblaͤt-
terigten Aſpe. Der Wuͤſt ſchien in ſtiller Weh-
muth in ſich ſelbſt gekehrt, und von Herzen ge-
duldig.
Der Joſeph aber knirſchte mit den Zaͤhnen,
und ſagte zum Vogt: Du Donnersbub, du biſt an
[...]em ſchuldig!
Arner ließ die Gefangenen einen nach dem an-
dern in die untere Stube des Pfarrhauſes fuͤh-
ren, wo er ſie in Gegenwart des Meyers, des
Aebis, und des Weibels verhoͤrte.
Und nachdem der Schreiber alle ihre Ausſagen
von Wort zu Wort niedergeſchrieben, und ſie den
Ge-
[335] Gefangenen wieder vorgeleſen, dieſe ſie auch von
neuem wiederholt und beſtaͤtigt hatten, ließ er ſie alle
unter die Linde des Gemeindplatzes bringen, und
befahl, jezt an die Gemeinde zu laͤuten.
§. 87.
Vom guten Muth und von Geſpenſtern.
Vorher gieng der Junker noch ein paar Augenblicke
in die obere Stube zum Pfarrer, und ſagte: Ich
trinke noch eins, Herr Pfarrer! denn ich will gu-
tes Muths ſeyn an der Gemeind; das muß man
ſeyn, wenn man den Leuten etwas beybringen will.
Nichts iſt gewiſſer, ſagte der Pfarrer.
Und der Junker noͤthigte ihn, auch eins zu
trinken, und ſagte: Wenn nur auch einmal die
Geiſtlichen lernten ſo ganz ohne Umſchweif und
Ceremonie mit den Leuten umgehn, Herr Pfarrer!
So bald die Leute einen freudigen Muth, ein un-
gezwungenes offenes Weſen an einem ſehn, ſo ſind
ſie ſchon halb gewonnen.
Ach Junker! ſagte der Pfarrer: Eben das ſo
gerade hin, mit gutem Muth, mit freudigem un-
gezwungenem Weſen mit den Leuten umgehen,
daran werden wir auf tauſenderley Arten gehindert.
Junker.
[336]
Junker. Das iſt ein Ungluͤck fuͤr ihren
Stand, Herr Pfarrer! das ſehr weit langt.
Pfarrer. Sie haben ganz Recht, Junker!
Ungezwungener, treuherziger und offener ſollte Nie-
mand mit den Leuten umgehn koͤnnen, als die
Geiſtlichen. Sie ſollten Volksmaͤnner ſeyn, und
dazu gebildet werden; ſie ſollten den Leuten in den
Augen anſehn, was und wo ſie reden und ſchwei-
gen ſollen. Ihre Worte ſollten ſie ſparen, wie
Gold, und ſie hergeben wie nichts; ſo leicht, ſo
treffend und ſo menſchenfreundlich, wie ihr Meiſter!
Aber ach! ſie bilden ſich in andern Schulen, und
man muß Geduld haben, Junker! es ſind in allen
Staͤnden noch gleich viel Hinderniſſe fuͤr die liebe
Einfalt und fuͤr die Natur.
Junker. Es iſt ſo, man koͤmmt in allen
Staͤnden immer mehr von dem weg, was man
eigentlich darinn ſeyn ſollte; man muß oft und
viel Zeit, in der man wichtige Pflichten ſei-
nes Standes erfuͤllen ſollte, mit Ceremonien und
Comoͤdien zubringen; und es ſind wenige Menſchen,
die unter der Laſt der Etikettenformularen und
Pedantereyen das Gefuͤhl ihrer Pflichten und das
innere Weſen ihrer Beſtimmung ſo rein erhalten,
wie es ihnen gelungen iſt, mein lieber Herr Pfarrer!
Aber an ihrer Seite iſt’s mir Freude und Luſt,
die ſelige Beſtimmung meiner Vaterwuͤrde zu fuͤh-
len;
[337] len; auch will ich trachten, dieſe Beſtimmung mit
reinem Herzen zu erfuͤllen, und wie Sie, von al-
len Ceremonien und Gauckeleyen, die man mit den
Menſchen ſpielt, nur das mitmachen, was ich muß.
Pfarrer. Sie beſchaͤmen mich, Gnaͤdiger
Herr!
Junker. Ich fuͤhle, was ich ſage; aber es
wird bald laͤuten. Ich ſehne mich recht auf die
Comoͤdie an der Gemeind; dismal, glaube ich,
wolle ich ihnen etwas von ihrem Aberglauben aus-
treiben.
Pfarrer. Gott gebe! daß es Ihnen gelinge.
Dieſer Aberglaube iſt allem Guten, das man den
Leuten beybringen will, immer ſo viel und ſo ſtark
im Weg.
Junker. Ich fuͤhle es auch an meinem Orte,
wie oft und viel er ſie in ihren Angelegenheiten
dumm, furchtſam und verwirrt macht.
Pfarrer. Er giebt dem Kopf des Menſchen
einen krummen Schnitt, der alles, was er thut,
redt und urtheilt, verruͤckt; und was noch wett
wichtiger iſt, er verdirbt das Herz des Men-
ſchen, und floͤßt ihm eine ſtolze und rohe Haͤrte ein.
Junker. Ja, Herr Pfarrer! man kann die
reine Einfalt der Natur und die blinde Dumm-
heit des Aberglaubens nie genug unterſcheiden.
Pfarrer. Sie haben ganz Recht, Junker!
die unverdorbene Einfalt der Natur iſt empfaͤnglich
Yfuͤr
[338] fuͤr jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend;
ſie iſt wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit
des Aberglaubens aber iſt wie gegoſſenes Erz, keines
Eindrucks faͤhig, als durch Feuer und Flammen.
Und ich will jezt nur, Junker! da Sie von dieſem
Unterſchiede, der mir in meinem Berufe ſo wichtig
iſt, angefangen haben, einen Augenblick davon fort-
ſchwatzen.
Junker. Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer!
die Sache iſt mir eben ſo wichtig.
Pfarrer. Der Menſch in der unverdorbenen
Einfalt ſeiner Natur, weiß wenig; aber ſein Wiſ-
ſen iſt in Ordnung, ſeine Aufmerkſamkeit iſt feſt
und ſtark auf das gerichtet, was ihm verſtaͤndlich
und brauchbar iſt. Er bildet ſich nichts darauf ein,
etwas zu wiſſen, das er nicht verſteht und nicht
braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber
hat keine Ordnung in ihrem Wiſſen; ſie prahlt,
das zu wiſſen, was ſie nicht weiß und nicht ver-
ſteht; ſie maſſet ſich an, die Unordnung ihres
Wiſſens ſey goͤttliche Ordnung, und der vergaͤng-
liche Glanz ihrer Schaumblaſe ſey goͤttliche Weis-
heit und goͤttliches Licht.
Die Einfalt und die Unſchuld der Natur brauchen
alle Sinnen, urtheilen nicht unuͤberlegt, ſehen al-
les ruhig und bedaͤchtlich an, dulden Widerſpruch,
ſorgen und eifern fuͤr Beduͤrfniß und nicht fuͤr
Mey-
[339] Meynung, und wandeln ſanft und ſtill und
voll Liebe einher — Der Aberglaube aber ſetzt ſeine
Meynung gegen ſeine Sinnen und gegen aller Men-
ſchen Sinnen. Er findet nur Ruhe im Triumph ſei-
nes Eigenduͤnkels, und er ſtuͤrmt damit unſanft und
wild und hart durch ſein ganzes Leben.
Den Menſchen in ſeiner reinen Einfalt leiten
ſein unverdorbenes He[r]z, auf das er ſich immer ge-
troſt verlaſſen kann, und ſeine Sinnen, die er mit
Ruhe braucht. Den Aberglaͤubigen aber leitet ſeine
Meynung, welcher er ſein Herz, ſeine Sinnen, und
oft Gott, Vaterland, ſeinen Raͤchſten und ſich
ſelbſt aufopfert.
Junker. Das zeigt die Geſchichte auf allen
Blaͤttern; und auch ein kleines Maaß von Erfah-
rung und von Weltkenntniß uͤberzeugt einen jeden,
daß Hartherzigkeit und Aberglaube immer gepaart
gehn, und daß ſie nichts als ſchaͤdliche und bittere
Folgen mit ſich fuͤhren.
Pfarrer. Aus dieſem weſentlichen Unterſchied
der Einfalt des guten unentwickelten Menſchen,
und der Dummheit des Aberglaubens, erhellet,
Junker ! daß das beſte Mittel gegen dem Aber-
glauben zu wuͤrken, dieſer iſt:
“Den Wahrheitsunterricht in der Auferzie-
„hung des Volks auf das reine Gefuͤhl der ſanf-
„ten und guten Unſchuld und Liebe zu bauen, und
„die Kraft ihrer Aufmerkſamkeit auf nahe Ge-
Y 2„gen-
[340] „genſtaͤnde zu lenken, die ſie in ihren perſoͤnlichen
„Lagen intereßiren.„
Junker. Ich begreife Sie, Herr Pfarrer!
und ich finde, wie Sie, daß dadurch Aberglauben und
Vorurtheil ihren Stachel, ihre innere Schaͤdlich-
keit, ihre Uebereinſtimmung mit den Leidenſchaften
und Begierden eines boͤſen Herzens, und mit den
grundloſen Grillen der armſeligen Einbildung eines
muͤßigen ſpintiſirenden Wiſſens verlieren wuͤrden.
Und ſo waͤre der Reſt der Vorurtheile und
des Aberglaubens nur noch todtes Wort und
Schatten der Sache ohne inneres Gift, und er wuͤr-
de dann von ſelbſt fallen.
Pfarrer. So ſehe ich es einmal an, Jun-
ker! Ordnung, nahe Gegenſtaͤnde, und die ſanfte
Entwicklung der Menſchlichkeitstriebe muͤſſen die
Grundlagen des Volksunterrichts ſeyn, weil ſie un-
zweifelbar die Grundlagen der wahren menſchli-
chen Weisheit ſind.
Starke Aufmerkſamkeit auf Meynungen, und
auf entfe[rn]te Gegenſtaͤnde und ſchwache auf Pflicht
und auf That, und auf nahe Verhaͤltniſſe, iſt Unord-
nung im Weſen des menſchlichen Geiſtes.
Sie pflanzet Unwiſſenheit in unſern wichtigſten
Angelegenheiten, und dumme Vorliebe fuͤr Wiſ-
ſen und Kenntniß, die uns nicht angehn.
Und Rohheit und Haͤrte des Herzens ſind die na-
tuͤrlichen Folgen alles Stolzes und aller Praͤſumptio-
nen;
[341] nen; daher denn offenbar die Quelle des innern
Gifts des Aberglaubens und der Vorurtheile darinn
zu ſuchen iſt, daß beym Unterricht des Volks ſeine
Aufmerkſamkeit nicht feſt und ſtark auf Gegen-
ſtaͤnde gelenkt wird, die ſeine Perſonallage nahe
und wichtig intereßiren, und ſein Herz zu reiner
ſanfter Menſchlichkeit in allen Umſtaͤnden ſtim-
men.
Thaͤte man das mit Ernſt und Eifer, wie man
mit Ernſt und Eifer Meynungen einpraͤgt, ſo wuͤr-
de man den Aberglauben an ſeinen Wurzeln unter-
graben, und ihm alle ſeine Macht rauben —
Aber ich fuͤhle taͤglich mehr, wie weit wir in die-
ſer Arbeit noch zuruͤck ſind.
Junker. Es iſt in der Welt alles vergleichungs-
weis wahr oder nicht wahr. Es waren weit rohere
Zeiten, Zeiten, wo man Geſpenſter glauben oder
ein Ketzer ſeyn mußte; Zeiten, wo man alte
Frauen auf Verdacht und boshafte Klagen hin an
der Folter fragen mußte, was ſie mit dem Teufel
gehabt, oder Gefahr lief, ſeine Rechte und ſeinen Ge-
richtſtuhl zu verlieren.
Pfarrer. Das iſt Gott Lob vorbey; aber es
iſt noch viel des alten Sauerteigs uͤbrig.
Junker. Nur Muth gefaßt, Herr Pfarrer!
es faͤllt ein Stein nach dem andern vom Tempel
des Aberglaubens, wenn man nur auch ſo eifrig
Y 3an
[342] an Gottes Tempel aufbauete, als man an de[m] Tem-
pel des Aberglaubens hinunter reißt.
Pfarrer. Eben da fehlts, und eben das ſchwaͤcht
oder zernichtet meine Freude daruͤber, daß man
gegen den Aberglauben arbeitet; weil ich ſehe,
daß alle dieſe Leute gar nicht bekuͤmmert ſind,
das Heiligthum Gottes, die Religion, in ihrer
Kraft und in ihrer Staͤrke auf der Erde zu er-
halten.
Junker. Es iſt ſo; aber bey allen Revolutio-
nen will man im Anfang das Kind mit dem Bad
ausſchuͤtten. Man hatte Recht, den Tempel des
Herrn zu reinigen; aber man fuͤhlet jetzo ſchon,
daß man im Eifer ſeine Mauern zerſtoſſen hat, und
man wird zuruͤck kommen, und die Mauern wie-
der aufbauen.
Pfarrer. Ich hoffe es zu Gott, und ſehe es
mit meinen Augen, daß man anfaͤngt zu fuͤhlen,
daß die eingeriſſene Irreligioſitaͤt die menſchliche
Gluͤckſeligkeit unendlich untergraͤbt.
Junker. Indeſſen muͤſſen wir gehn, und ich
will einmal auch heute gegen den Aberglauben
ſtuͤrmen, und eure Geſpenſtercapelle zu Bonnal an-
greifen.
Pfarrer. Moͤge es Ihnen gelingen. Ich
habe es mit meinem Angreifen und mit meinem
Predigen dagegen noch nicht weit gebracht.
Junker.
[343]
Junker. Ich will’s nicht mit Worten verſu-
chen, Herr Pfarrer! Mein Huͤnertraͤger muß mit
ſeinem Korb und mit ſeiner Laterne, mit ſeinem
Karſt und mit ſeinem Pickel mir uͤberfluͤßige Worte
ſparen.
Pfarrer. Ich glaube im Ernſt, dieſer werde es
vortrefflich gut machen; denn es iſt gewiß, wenn
man ſolche Vorfaͤlle wohl zu benutzen weiß, ſo rich-
tet man dadurch in einem Augenblick mehr aus,
als mit allen Rednerkuͤnſten in einem halben Jahr-
hundert.
§. 88.
Von Geſpenſtern, in einem andern Thon.
Indeſſen waren die Bauern bald alle auf dem Ge-
meindplatz — Der geſtrige Vorfall und das Ge-
ruͤcht von den Gefangenen war die Urſache, daß ſie
haufenweiſe herzueilten. Die erſchreckliche Erſchei-
nung des Teufels hatte ſie innigſt bewegt — und
ſie hatten von Morgens fruͤhe an ſchon gerath-
ſchlagt, was unter dieſen Umſtaͤnden zu thun ſey,
und ſich entſchloſſen, es nicht mehr zu dulden,
daß der Pfarrer ſo unglaͤubig lehre und predige,
und alle Geſpenſter verlache. Sie riethen, ſie wol-
en den Ehegaumer Hartknopf angehn, daß er da-
Y 4fuͤr
[344] fuͤr einen Vortrag mache, an der Gemeinde; der
junge Meyer aber widerſetzte ſich und ſprach: Ich
mag nicht, daß der alte Geizhund, der ſeine Kin-
der verhungern laͤßt, und der allen ſchmutzigen Sup-
pen nachlaͤuft, fuͤr uns und fuͤr unſern Glauben
reden ſoll. Es iſt uns eine ewige Schande, wenn
wir den Heuchler anreden.
Die Bauern antworteten: Wir wiſſen wohl,
daß er ein Heuchler und ein Geizhund iſt, wir wiſ-
ſen auch, daß ſeine Dienſtmagd ein Laſter iſt, wie
er, und wie ſie mit einander leben. Es iſt wahr,
es luͤgt keiner von uns allen ſo frech, und keiner
pfluͤgt dem andern, wie er, uͤber die Mark, und kei-
ner putzt in der Ernde beyde Seiten der Furchen
aus, wie er; aber dann kann von uns auch keiner,
wie er, mit einem Pfarrer reden, oder eine geiſtli-
che Sache behaupten. Wenn du einen weißſt, der’s
nur halb kann, wie er, und es thun will, ſo iſt’s
gut; aber der Meyer wußte Niemand.
Alſo redeten die Maͤnner den Ehegaumer an,
und ſprachen: Du, Hartknopf! du biſt der Mann,
der einem Geiſtlichen Antwort geben kann, wie kei-
ner von uns allen; du mußſt, wenn der Junker
heute Gemeind halten wird, den Pfarrer verklagen
wegen ſeines Unglaubens, und einen Bettag begeh-
ren wegen der Erſcheinung des leidigen Satans.
Sie redten es aber dennoch nicht oͤffentlich mit ihm ab,
ſondern nur die Vornehmſten betrieben den Han-
del;
[345] del; denn der Pfarrer hatte unter den Armen viele
Freunde; aber den groͤſſern Bauern war er deſto
verhaßter, beſonders ſeit dem er ſich in einer Mor-
genpredigt erklaͤrt, es ſey nicht recht, daß ſie ſich
der Vertheilung eines elenden Waidgangs, welche
der Junker zum Vortheil der Armen betreibe, wi-
derſetzten.
Der Ehegaumer Hartknopf aber nahm den Ruf
an, und ſprach: Ihr berichtet mich zwar ſpaͤt,
doch will ich auf den Vortrag ſtudieren; und er
gieng von den Bauern weg in ſein Haus, und ſtu-
dierte den Vortrag vom Morgen bis an den Abend,
da es zur Gemeind laͤutete. Da aber jezt die Ver-
ſchwornen faſt alle bey einander waren, wunderten
ſie ſich, warum der Hartknopf nicht kaͤme, und
wußten nicht, wo es fehlte. Da ſagte ihnen Ni-
ckel Spitz: Es fehlt wahrlich nirgends, als daß er
wartet, bis ihr ihn abholet.
Was iſt zu machen, ſagten die Bauern, wir
muͤſſen dem Narren uns wohl unterziehen, ſonſt
koͤmmt er nicht.
Und ſie ſandten drey Richter, ihn abzuholen;
dieſe kamen dann bald wieder mit ihm zuruͤck.
Und der Ehegaumer gruͤßte die Bauern ſo gra-
vitaͤtiſch, wie ein Pfarrer, und verſicherte die Vor-
geſetzten und Verſchwornen, die um ihn herum
ſtuhnden, leis und bedenklich, er habe nun den Vor-
trag ſtudiert.
Y 5In-
[346]
Indeſſen gab Arner dem Huͤnertraͤger zum Zei-
chen, wenn er ein groſſes, weiſſes Schnupftuch
zum Sack herausziehe, ſo ſoll er dann kommen,
und ordentlich alles vortragen, und thun, wie ab-
geredt ſey.
Dann gieng er mit dem Pfarrer und mit dem
Schreiber an die Gemeinde.
Alles Volk ſtuhnd auf, und gruͤßte den Gnaͤ-
digen Herrn und den Wohlehrwuͤrdigen Herrn Pfar-
rer.
Arner dankte ihnen mit vaͤterlicher Guͤte, und
ſagte den Nachbaren: Sie ſollten ſich auf ihre Baͤn-
ke ſetzen, damit alles in der Ordnung gehe.
Thereſe aber und die Frau Pfarrerinn, auch
alle Kinder und Dienſte aus dem Schloß und aus
dem Pfarrhauſe ſtuhnden auf dem Kirchhof, von dem
man gerade hin auf den Gemeindplatz ſehn konnte.
Arner ließ jezt die Gefangenen einen nach dem
andern vorfuͤhren, und ihnen alles, was ſie ausge-
ſagt und bekannt hatten, oͤffentlich vorleſen.
Und nachdem ſie vor der Gemeinde das Vorge-
leſene beſtaͤtigt hatten, befahl er dem Vogt, ſein
Urtheil auf den Knien anzuhoͤren.
Und redte ihn dann alſo an.
[347]
§. 89.
Ein Urtheil.
Ungluͤcklicher Mann!
Es thut mir von Herzen weh, dir in deinen alten
Tagen die Strafen anzuthun, die auf Verbrechen,
wie die Deinigen ſind, folgen muͤſſen. Du haſt
den Tod verdient, nicht weil des Huͤbelrudis Matte
oder mein Markſtein eines Menſchen Leben werth
ſind; ſondern weil meyneidige Thaten und ein fre-
ches Raͤuberleben uͤber ein Land graͤnzenloſe Ge-
fahren und Ungluͤck bringen koͤnnen.
Der meyneidige Mann und der Raͤuber werden
Moͤrder beym Anlaß, und ſind Moͤrder im vielfa-
chen Sinn durch die Folgen der Verwirrung, des
Verdachts, des Jammers und des Elends, das ſie
anrichten.
Darum haſt du den Tod verdient. Ich ſchenke
zwar wegen deinem Alter, und weil du einen Theil
deiner Verbrechen gegen mich verſoͤnlich ausge-
uͤbt haſt, dir das Leben. — Deine Strafe aber iſt
dieſe:
Du ſollſt noch heute, in Begleitung aller Vor-
geſetzten, und wer ſonſt mitgehn will, zu meinem
Mark-
[348] Markſtein gebracht werden, um daſelbſt in Ketten
alles wieder in den vorigen Stand zu ſtellen.
Hierauf ſollſt du in das Dorfgefaͤngniß hier in
Bonnal gefuͤhrt werden; daſelbſt wird dein Herr
Pfarrer ganzer vierzehn Tage deinen Lebenslauf von
dir abfordern, damit man deutlich und klar finden
koͤnne, woher eigentlich dieſe groſſe Ruchloſigkeit und
dieſe Haͤrte deines Herzens entſprungen ſind. Und ich
ſelbſt werde alles Noͤthige vorkehren, den Umſtaͤnden
nachzuſpuͤren, welche dich zu deinen Verbrechen
verfuͤhrt haben, und welche auch andere von mei-
nen Angehoͤrigen in gleiches Ungluͤck bringen koͤnnten.
Am Sonntag uͤber vierzehn Tage wird ſodann
der Herr Pfarrer oͤffentlich vor der ganzen Gemein-
de die Geſchichte deines Lebenswandels, deiner haͤus-
lichen Unordnung, deiner Hartherzigkeit, deiner Ver-
drehung aller Eide und Pflichten, und deiner ſchoͤ-
nen Rechnungsart gegen Arme und Reiche umſtaͤnd-
lich, mit deinen eigenen Ausſagen bekraͤftigt, vor-
legen.
Und ich ſelbſt will gegenwaͤrtig ſeyn, und mit
dem Herrn Pfarrer alles vorkehren, was nur moͤg-
lich iſt, meine Angehoͤrigen in Zukunft vor ſolchen
Gefahren ſicher zu ſtellen, und ihnen gegen die Quel-
len und Grundurſachen des vielen haͤuslichen Elends,
das im Dorf iſt, Huͤlfe und Rath zu ſchaffen.
Und hiemit wollte ich dich denn gern entlaſſen;
und wenn meine Angehoͤrigen ſanft und wohlgezo-
gen
[349] gen genug waͤren, der Wahrheit und dem, was
ihr zeitliches und ewiges Heil betrifft, um ihrer ſelbſt
willen, und nicht um der elenden Furcht vor rohen,
grauſamen und eckelhaften Strafen, zu folgen; ſo
wuͤrde ich dich hiemit wirklich entlaſſen; aber bey
ſo vielen rohen, unbaͤndigen und ungeſitteten Leu-
ten, die noch unter uns wohnen, iſt’s noͤthig, daß
ich um dieſer willen noch beyfuͤge:
Der Scharfrichter werde dich morgen unter den
Galgen von Bonnal fuͤhren, dir daſelbſt deine rechte
Hand an einen Pfahl in die Hoͤhe binden, und dei-
ne drey erſten Finger mit unausloͤſchlicher, ſchwar-
zer Farbe anſtreichen.
Wobey aber mein ernſter Wille iſt, daß Nie-
mand mit Geſpoͤtt oder mit Gelaͤchter oder irgend ei-
niger Beſchimpfung dir dieſe Stunde deines Lei-
dens wider meinen Willen verbittere, ſondern alles
Volk ohne Geraͤuſch und ohne Gerede ſtill mit ent-
bloͤßtem Haupt zuſehn ſoll.
Den Hans Wuͤſt verurtheilte der Junker zu acht-
taͤgiger Gefaͤngnißſtrafe.
Und den Joſeph, als einen Fremden, ließ er
ſogleich aus ſeinem Gebiet fortfuͤhren, und ihm alle
Arbeit und das fernere Betreten ſeines Bodens bey
Zuchthausſtrafe verbieten.
Indeſſen hatte des Pfarrers Gevatter, Hans
Renold, ihm ganz in der Stille berichtet, was
die Bauern mit dem Ehegaumer vorhaͤtten, und wie
ſie
[350] ſie gewiß und unfehlbar ihn wegen ſeinem Unglau-
ben angreifen wuͤrden.
Der Pfarrer dankte dem Renold, und ſagte ihm
mit Laͤcheln: Er ſollte ohne S [...]gen ſeyn, es werde
ſo uͤbel nicht ablaufen.
Das iſt vortrefflich, ſagte der Junker, dem es
der Pfarrer geſagt hatte, daß ſie das Spiel ſelber
anfangen wollen; und indem er’s ſagte, ſtuhnd
der Ehegaumer auf, und ſprach:
§. 90.
Vortrag Hartknopfs, des Ehegaumers.
Gnaͤdiger Herr!
Iſt es auch erlaubt, im Namen der Bauern Eu-
rer getreuen Gemeinde Bonnal etwas anzubringen,
das eine Gewiſſensſache iſt?
Arner antwortete: Ich will hoͤren. Wer biſt
du? Was haſt du?
Der Ehegaumer antwortete: Ich bin Jakob
Chriſtoff Friedrich Hartknopf, der Ehegaumer
und Stillſtaͤnder von Bonnal, meines Alters 56
Jahre.
Und die Vorgeſetzten des Dorfs haben mich im
Namen der Gemeind erbeten und erwaͤhlt, daß ich
fuͤr
[351] fuͤr ſie, da ſie einmal in geiſtlichen Sachen nicht
erfahren und nicht beredt ſind, etwas vorbringe.
Arner. Nun dann, Ehegaumer Hartknopf!
zur Sache.
Da fieng der Ehegaumer abermal an: Gnaͤdi-
ger Herr! Wir haben von unſern Alten einen
Glauben, daß der Teufel und ſeine Geſpenſter dem
Menſchen oft und viel erſcheinen; und da einmal
jezt auf heute offenbar worden iſt, daß unſer al-
ter Glaube an die Geſpenſter wahr iſt, wie wir
denn alle keinen Augenblick daran zweifelten, ſo
haben wir in Gottes Namen die Freyheit nehmen
muͤſſen, unſerm Gnaͤdigen Herrn anzuzeigen: daß
einmal unſer Herr Pfarrer, Gott verzeih’s ihm,
nicht dieſes Glaubens iſt. — Wir wiſſen auch wohl,
daß ſelbſt Euer Gnaden, wegen den Geſpenſtern,
es mit dem Herrn Pfarrer halten — Da man aber
in Sachen des Glaubens Gott mehr gehorſamen
muß, als den Menſchen; ſo hoffen wir, Euer
Gnaden werden es uns in Unterthaͤnigkeit verzei-
hen, wann wir bitten, daß der Herr Pfarrer in
Zukunft, wegen dem Teufel, unſere Kinder auf
unſern alten Glauben lehre, und nichts mehr ge-
gen die Geſpenſter rede, die wir glauben und glau-
ben wollen. Auch wuͤnſchten wir, daß auf einen
nahen Sonntag ein Faſt- Bet- und Bußtag ge-
halten werden moͤchte, damit wir alle die uͤber-
hand nehmende Suͤnde des Unglaubens gegen die
Ge-
[352] Geſpenſter, im Staub und in der Aſche gnaͤdiglich,
und auf einen beſonders dazu angeſetzten Tag ab-
beten koͤnnen.
Der Junker und der Pfarrer konnten freylich
das Lachen ſchier gar nicht verbeiſſen, bis er fertig
war; doch hoͤrten ſie ihm mit aller Gedult zu.
Die Bauern aber freueten ſich in ihrem Her-
zen dieſer Rede; und ſie beſchloſſen, den theu-
ren Mann zu Hunderten heim zu begleiten, da ſie
ihn nur zu Dreyen abgeholt hatten. Auch ſtuhnden
ſie zu Dutzenden auf, und ſagten:
Gnaͤdiger Herr! das waͤre in Gottes Namen
unſer aller Meynung, was der Ehegaumer da
ſagt.
Den Armen aber, und allen denen, welchen der
Pfarrer lieb war, war es recht angſt und bang
fuͤr ihn; und da und dort ſagte noch einer zum
andern:
Waͤre er doch nur auch nicht ſo ungluͤcklich,
und glaubte auch was andere Leute — er iſt doch
ſonſt auch ſo brav; aber dieſe durften nicht reden,
ſo weh es ihnen that, daß ſeine Feinde jezt trium-
phierten.
[353]
§. 91.
Des Junkers Antwort.
Aber der Junker ſetzte den Hut auf, ſah et-
was ernſthaft umher, und ſagte: Nachbaren!
Ihr bra[uc]htet eben keinen Redner fuͤr dieſe Dohr-
heit — Die Sache ſelber und die Erſcheinung des
Teufels iſt Irrthum; und euer Herr Pfarrer iſt
einer der verſtaͤndigſten Geiſtlichen. Ihr ſolltet euch
ſchaͤmen, ihn ſo durch einen armen Tropf, wie
euer Ehegaumer da iſt, beſchimpfen zu wollen.
Haͤttet ihr gebuͤhrende Achtung fuͤr ſeine vernuͤnf-
tigen Lehren, ſo wuͤrdet ihr verſtaͤndiger werden,
euern alten Weiberglauben ablegen, und nicht al-
len vernuͤnftigen Leuten zum Trotze Meynungen
beybehalten wollen, die weder Haͤnde noch Fuͤſſe
haben.
Die Bauern redeten zu Dutzenden: Offenbar
iſt doch dieſe Nacht der Teufel dem Vogt erſchie-
nen, und hat ihn nehmen wollen.
Junker. Ihr ſeyd im Irrthum, Nachbaren!
und ihr werdet euch noch vor dem Nachteſſen eu-
rer Dummheit ſchaͤmen muͤſſen; aber ich hoffe,
ihr ſeyd doch auch nicht alle gleich verhaͤrtet in
Zeurer
[354] eurer Dohrheit — Meyer! biſt du auch der Mey-
nung: man duͤrfe es gar nicht mehr in Zweifel ziehen,
daß es wirklich der leidige Satan geweſen ſey, der
den Vogt auf dem Berg ſo erſchreckt hat?
Der junge Meyer antwortete: Was weiß ich,
Gnaͤdiger Herr!
Der Ehegaumer und viele Bauern ergrimmten
uͤber den Meyer, daß er alſo antwortete.
Und der Ehegaumer murrete hinter ſich uͤber
die Baͤnke zu: Wie du auch wider Wiſſen und
Gewiſſen redſt, Meyer! — Viele Bauern aber ſag-
ten: Wir haben doch alle die erſchreckliche Stimme
des leidigen Satans gehoͤrt.
Junker. Ich weiß wohl, daß ihr ein Geſchrey,
ein Gebruͤll und ein Geraſſel gehoͤrt habt; aber wie
koͤnnt ihr ſagen, daß das der Teufel geweſen ſey?
Kann es nicht ſeyn, daß ein Menſch oder mehrere
den Vogt, der zimlich zur Unzeit an dieſem Ort
war, haben erſchrecken wollen? Der Wald iſt
nie leer von Leuten, und die Straſſe iſt nahe, alſo
daß es eben ſo leicht Menſchen koͤnnen gethan ha-
ben, als der Teufel.
Bauern. Zehn und zwanzig Menſchen koͤnn-
ten zuſammen nicht ſo ein Geſchrey machen; und
wenn ſie da geweſen waͤren, Gnaͤdiger Herr! und
es gehoͤrt haͤtten, es kaͤme ihnen nicht in Sinn,
daß Menſchen ſo bruͤllen koͤnnten.
Junker.
[355]
Junker. Die Nacht treugt, Nachbaren! und
wenn man einmal im Schrecken iſt, ſo ſieht und hoͤrt
man alles doppelt.
Bauern. Es iſt nicht von dem zu reden, daß
wir uns irren; es iſt nicht moͤglich.
Junker. Ich aber ſage euch: Es iſt ganz
gewiß, daß ihr euch irret.
Bauern. Nein, Gnaͤdiger Herr! es iſt ganz
gewiß, daß wir uns nicht irren.
Junker. Ich meynte faſt, ich koͤnnte euch
beweiſen, daß ihr euch irret.
Bauern. Das moͤchten wir ſehen, Gnaͤdiger
Herr!
Junker. Es koͤnnte leicht etwas ſchwerer ſeyn,
als dieſes.
Bauern. Euer Gnaden ſcherzen.
Junker. Nein, ich ſcherze nicht. Wenn ihr
glaubet, ich koͤnne es nicht, ſo will ich es verſu-
chen; und wenn ihr die Gemeindwaide theilen wol-
let, Wort halten, und euch beweiſen, daß ein ein-
ziger Menſch das Gebruͤll und das Geraſſel alles
gemacht habe.
Bauern. Das iſt nicht moͤglich.
Junker. Wollt ihr es verſuchen?
Bauern. Ja, Junker! wir wollen es Wir
duͤrften zwo Gemeindwaiden an das fetzen, nicht
nur bloß eine, daß Sie das nicht koͤnnen.
Z 2Hierauf
[356]
Hierauf entſtuhnd ein Gemurmel. Einige Bauern
ſagten unter ſich: Man muß ſich doch in Acht neh-
men, was man verſpricht.
Andere Bauern auch unter ſich: Er kann das
ſo wenig beweiſen, als daß der Teufel in Himmel
koͤmmt.
Wieder andere Bauern auch unter ſich: Wir
haben nichts zu fuͤrchten; er muß hinten abziehen.
Wir wollen daran ſetzen; er kann’s nicht beweiſen.
Bauern. (Laut) Ja, Junker! wenn ihr wollt
Wort halten, ſo redet; wir ſind’s zufrieden, wenn
ihr das, was ihr geſagt habt, daß ein Menſch das
Gebruͤll, ſo wir geſtern gehoͤrt haben, gemacht ha-
be; wenn ihr das beweiſen koͤnnt, daß es bewieſen
iſt, und bewieſen heißt, ſo wollen wir die Gemeind-
waide theilen; aber ſonſt gewiß nicht.
Der Junker nimmt ein groſſes weiſſes Schnupf-
tuch, giebt dem Huͤnertraͤger das Zeichen, und ſagt
zu den Bauern: Nur eine Viertelſtunde Bedenkzeit.
Dieſe lachten in allen Ecken, und etliche riefen:
Bis morgen, Junker! wenn ihr wollt.
Der Junker antwortete auf dieſe Grobheit kein
Wort; aber die auf dem Kirchhof, als ſie den Huͤ-
nertraͤger gegen dem Gemeindplatz anruͤcken ſahn,
lachten, was ſie aus dem Halſe vermochten.
Es traͤumte aber den Bauern vom Boͤſen, als
ſie das laute Gelaͤchter hoͤrten, und den fremden
Mann
[357] Mann mit dem ſchwarzen Korb und mit der Laterne
anruͤcken ſahn.
Was iſt das fuͤr ein Narr, am hellen Tag mit
dem brennenden Licht? ſagten die Bauern.
Arner antwortete: Es iſt mein Huͤnertraͤger von
Arnheim, und rief ihm: Chriſtoff! was willſt du
hier?
Ich habe etwas anzubringen, Gnaͤdiger Herr!
antwortete Chriſtoff.
Das magſt du meinethalben, erwiederte Arner.
Da ſtellte der Huͤnertraͤger ſeinen Korb ab, und ſagte:
§. 92.
Rede des Huͤnertraͤgers an die Gemeinde.
Gnaͤdiger Herr! Wohlehrwuͤrdiger Herr
Pfarrer! und ihr Nachbaren!
Hier ſind der Pickel, der Karſt, die Schaufel, die
Brennt’sflaſche, die Tabackspfeife, und der groſſe
Wollhut euers Herrn Untervogts, das er alles in
ſeinem Schrecken beym Markſtein gelaſſen hat, als
ich ihn heute von ſeiner ſchoͤnen Arbeit weg den
Berg hinunter jagte.
Bauern. Wir ſollen jezt glauben, du habeſt
das Geſchrey gemacht? Das glauben wir heut und
Z 3mor-
[358] morgen nicht — Junker! der Beweis iſt nicht gut;
wir bitten um einen andern.
Junker. Wartet nur ein wenig; er hat ja
eine Laterne bey ſich, er kann euch vielleicht heiterer
zuͤnden — Und dann ſehr laut und ſehr ernſthaft:
Still — wenn’s euch lieb iſt, bis er ausgeredt hat.
Die Bauern ſchweigen gehorſamſt.
Der Huͤnertraͤger aber faͤhrt fort: Ihr ſeyd un-
hoͤflicher, als es im Land ſonſt der Gebrauch iſt;
warum laßt ihr mich nicht ausreden? Denkt an
den Huͤnertraͤger von Arnheim. Wenn ihr mich
nicht ganz hoͤret, ſo fehlt’s nicht, der kuͤnftige Ka-
lender wird von euch voll ſeyn; denn es iſt kein
Punkt und kein Duͤpflein davon wahr, daß der Teu-
fel dem Vogt erſchienen iſt. Ich hab ihn erſchreckt,
ich, der Huͤnertraͤger, ſo, wie ich da ſteh, mit die-
ſem Korb und mit dieſem neuen, ſchwarzen Geißfell,
das ich uͤber meinen Korb hatte, weil’s geſtern am
Morgen noch regnete, und dieſe Laterne hatte ich
vornen am Korb, juſt ſo, wie ihr mich kommen
ſahet. Ich fuͤllte ſie in Hirzau wohl mit Oel,
damit ſie gut zuͤnde; denn es war ſehr dunkel, und
der Weg iſt boͤs, wie ihr wohl wißt, auf der Hir-
zauer Seite. Um 11 Uhr war ich noch im Hir-
zauer Wirthshaus, das kann ich mit dem Wirth
und wohl mit zehn Maͤnnern beweiſen, die auch da
waren. Als ich auf die Hoͤhe vom Berg kam,
ſchlug es eben zwoͤlf Uhr in Bonnal, und da hoͤrte
ich,
[359] ich, wie der Vogt keinen halben Steinwurf weit
von der Landſtraſſe fluchte und arbeitete, und da ich
ihn an ſeiner Stimme und an ſeinem Huſten rich-
tig erkannte, wunderte es mich, was er da ſchaffe
in der Mitternachtsſtunde. Ich dachte faſt, er grabe
Schaͤtzen nach, und wenn ich eben recht komme, ſo
werde er mit mir theilen — Ich gieng alſo dem
Geraͤuſch nach — Aber es ſcheint, der Herr Un-
tervogt habe geſtern gegen ſeine Gewohnheit etwas
mehr, als noͤthig iſt, getrunken gehabt; denn er hielt
mich armen ſuͤndigen Menſchen, ſo bald er mich ſah,
fuͤr den leibhaftigen Teufel. Und da ich ſah, daß er
einen Markſtein in unſers Herrn Wald verſetzen woll-
te, dachte ich, nun er fuͤrchtet doch, was er verdient,
ich will ihm jezt die Hoͤlle warm machen. Ich band
ſchnell Karſt, Pickel und Schaufel und meinen Bo-
tenſtock zuſammen, ſchleppte das alles hinter mir
her den Felsweg hinunter, und rief dann, was ich
aus dem Hals vermochte: Oh — Ah — Uh —
Vo — ogt — Du biſt mein, Hu — ummel — —
und ich war nicht mehr einen Steinwurf weit
von euch weg, als ihr mit euerm Windlicht
langſam und ſtill dem Herrn Untervogt zu helfen
daher ſchlichet. Aber ich wollte die unſchuldigen
Maͤnner nicht ſo, wie den Vogt, mit meinem Ge-
bruͤll gar in der Naͤhe erſchrecken, hoͤrte damit auf,
und ſtieg wieder mit meiner Beute Berg an zu
meinem Korb, und gieng den geraden Weg heim.
Z 4Es
[360] Es war eine Viertelſtunde nach zwey Uhr, da mich
unſer Waͤchter antraf, und mich fragte: Was
traͤgſt du Bauerngeſchirr auf deinem Eyerkorb?
Ich weiß nicht mehr, was ich ihm geantwortet ha-
be, einmal die Wahrheit nicht; denn ich wollte
ſchweigen, bis ich ſie dem Junker erzaͤhlt haͤtte,
welches ich heut ſchon vor ſechs Uhr gethan habe.
Und nun, Nachbaren! wie koͤnnt ihr jezt finden,
daß ich zu dieſer Hiſtorie und zu dieſem Geſchirr
am Morgen vor Tag gekommen ſey, wenn das, was
ich euch ſage, nicht wahr iſt?
Einige Bauern kratzten hinter den Ohren, ei-
nige lachten.
Der Huͤnertraͤger fuhr fort: Wenn euch das
wieder begegnet, Nachbaren! ſo will ich dem Waͤch-
ter, den Vorgeſetzten und einer ganzen ehrſamen
Gemeind in Bonnal freundnachbarlich rathen, thut
ihm dann alſo: Laßt den groͤßſten Hund in euerm
Dorf ab der Ketten, ſo werdet ihr den Teufel bald
finden.
Der Huͤnertraͤger ſchweigt.
Es erhebt ſich ein allgemeines Gemurmel.
[361]
§. 93.
Daß die Armen bey dieſem Luſtſpiel ge-
gewinnen.
Einige Bauern.
Es iſt bey Gott! wie er geſagt hat; es treffen alle
Umſtaͤnde ein.
Andere Bauern. Was wir auch fuͤr Narren
waren!
Kunz. Nun, ich hab dem Schurken doch nach-
laufen wollen.
Einige Vorgeſetzten. Wenn wir nur die
gemeine Waid nicht hinein gezogen haͤtten.
Einige der Gemeinen. Hat er euch jezt mit
der Allment?
Die Reichen. Das iſt verflucht!
Die Armen. Das iſt Gott Lob!
Thereſe. Das Meiſterſtuͤck iſt die Gemeinwaid.
Pfarrerin. Alles iſt wahrlich ein Meiſterſtuͤck.
Der Ehegaumer. Moͤchten die Steine Blut
weinen; unſer Glaube iſt verloren. Elias! Elias!
Feuer vom Himmel.
Die Kinder auf dem Kirchhof. Oh — Ah
— Uh — du biſt mein, Vogt!
Der Pfarrer. So ſah ich noch nie in’s Volk
wirken.
Z 5Der
[362]
Der Vogt. Traͤum ich, oder wach ich? Al-
les war Irrthum, und ich muß unter den Galgen —
und ich kann nicht zuͤrnen; es tobet keine Rache in
mir, und ich muß unter den Galgen.
So redte ein jedes im allgemeinen Gemurmel
ſeine Sprache nach ſeiner Empfindung.
Nach einer Weile ſtand Arner auf, laͤchelte ge-
gen die Nachbaren, und ſagte: Wie iſt’s jezt mit
dem heiligen Bettag gegen die fuͤrchterliche Erſchei-
nung des Teufels auf dem Berg?
Recht thun,
und Gott lieben,
und Niemand fuͤrchten;
das iſt der einige, alte und wahre Glaube, und
eure Erſcheinungen und Geſpenſtergeſchichten ſind
Dummheiten, die euch Kopf und Herz verder-
ben.
Nun iſt doch endlich die Vertheilung euers elen-
den Waidgangs zu Stande gekommen, und ihr wer-
det in kurzen Jahren ſehn, wie das euch fuͤr Kinder
und Kindskinder ſo nuͤtzlich und ſo gut ausſchlagen
wird, und wie ich Urſach hatte, dieſe Sache ſo ei-
frig zu wuͤnſchen.
Ich habe befohlen, daß man euch einen Trunk
auf das Gemeindhaus bringen ſoll. Trinkt ihn auf
mein Wohlſeyn und auf das Wohlſeyn eurer vielen
Armen, die bey eurer Waidtheilung nichts mehr
be-
[363] bekommen, als ihr andern; aber fuͤr die es darum
ein Gluͤck iſt, weil ſie ſonſt nichts haben. Weiß
doch keiner von euch, wie es ſeinen Kindern und
Kindskindern noch gehn wird.
Da entließ Arner die Gemeinde, und rief dann
dem Huͤbelrudi, daß er nach einer Viertelſtunde zu
ihm in’s Pfarrhaus kommen ſoll.
Und dann giengen der Junker und der Pfarrer
zu den Frauen auf den Kirchhof, und von da mit
ihnen ins Pfarrhaus.
Der Pfarrer aber lobte Arnern, fuͤr die Weis-
heit und die Menſchlichkeit, mit welcher er an ſeinen
lieben Pfarrkindern gehandelt habe; und ſagte zu
ihm: Ich werde Sie nie weiter weder um Schonung
noch um Mitleiden gegen Jemand bitten, denn ihr
Vaterherz iſt wahrlich uͤber meine Bitten und uͤber
meine Lehren erhaben.
§. 94.
Der Junker dankt dem Pfarrer.
Der Junker aber antwortete dem Pfarrer: Ich
bitte Euch, beſchaͤmt mich nicht. Ich gehe ſo in
Einfalt meine Wege, und bin noch jung; will’s
Gott! werde ich’s noch beſſer lernen. Mich freut es
herzlich, wenn Ihr mit meinem Urtheil zufrieden
ſeyd;
[364] ſeyd; aber Ihr muͤßt nicht glauben, daß ich nicht
wiſſe, daß Ihr weit mehr gethan habt, als ich,
und daß eure Sorgfalt und eure Guͤte alles ſo in
Ordnung gebracht haben, daß mir nichts uͤbrig ge-
blieben iſt, als das Urtheil zu faͤllen.
Pfarrer. Gnaͤdiger Herr! Sie gehn zu weit
mit ihrer Guͤte.
Junker. Nein, Freund! es iſt nichts, als
was wahr iſt; und ich waͤre undankbar und un-
billich, wenn ich’s nicht erkennete. Ihr habt mit vie-
ler Muͤhe und mit vieler Klugheit euch beſtrebt,
meines lieben Großvaters unvorſichtiges Urtheil
aufzudecken, und ſeinen Folgen ein Ende zu ma-
chen. Es wird den ehrlichen guten Mann im
Himmel freuen, was Ihr gethan habt, und
daß das ſchlimme Ding endlich wieder gut wor-
den iſt; und gewiß wuͤrde er es mir nicht verzei-
hen, Herr Pfarrer! wenn ich dieſe eure Handlung
unbelohnt lieſſe. Nehmt den kleinen Zehnden, den
ich in euerm Dorf verpachtet habe, zum Zeichen
meines Danks an.
Und hiemit gab er ihm die geſiegelte Urkunde,
die in den dankvollſten Ausdruͤcken abgefaßt war, in
die Hand.
Thereſe ſtuhnd an der Seite Arners, und ſteckte
dem Pfarrer den ſchoͤnſten Blumenſtraus, der je in
einem Pfarrhaus geſehen worden war, in ſeine Hand.
Das
[365]
Das iſt zum Angedenken des beſten Großva-
ters, Herr Pfarrer! ſagte ſie. Und erſt am Mor-
gen darauf fand die Frau Pfarrerinn, daß der
Straus mit einer Schnur Perlen eingebunden war.
Der gute Pfarrer war uͤbernommen, hatte
Thraͤnen in den Augen, konnte aber nicht reden —
Machen ſie keine Worte, ſagte der Junker.
Ihr Herz waͤre eines Fuͤrſtenthums wuͤrdig,
ſagte endlich der Pfarrer.
Beſchaͤmt mich nicht, lieber Herr Pfarrer!
antwortete der Junker — Seyd mein Freund!
Hand in Hand wollen wir ſchlagen, unſere Leute
ſo gluͤcklich zu machen als wir koͤnnen. Ich will
Sie in Zukunft mehr ſehen, Herr Pfarrer! Und,
nicht wahr: Sie kommen auch mehr zu mir —
Mein Wagen ſtehet Ihnen zu Dienſten. Nehmet
ihn doch auch ohne Compliment an, wenn Ihr zu
mir kommen wollt.
[366]
§. 95.
Der Junker bittet einen armen Mann,
dem ſein Großvater Unrecht gethan hat-
te, um Verzeihung.
Indeſſen kam der Huͤbelrudi, und der Junker
ſtreckte dem armen Mann die Hand dar, und ſagte:
Rudi! mein Großvater hat dir Unrecht gethan,
und dir deine Matte abgeſprochen. Das war ein
Ungluͤck; der gute Herr iſt betrogen worden. Du
mußſt ihm das verzeihen und nicht nachtragen.
Der Rudi aber antwortete: Ach Gott, Junker!
ich wußte wohl, daß er nicht Schuld war.
Wareſt du nicht boͤſe auf ihn? ſagte der Jun-
ker.
Und der Rudi: Es that mir freylich bey mei-
ner Armuth, und inſonderheit im Anfange, oft
ſchmerzlich weh, daß ich die Matte nicht mehr
haͤtte; aber gegen meinen Gnaͤdigen Herrn habe
ich gewiß nie gezoͤrnt.
Junker. Iſt das auch aufrichtig wahr, Rudi?
Rudi. Ja gewiß, Gnaͤdiger Herr! Gott weiß,
daß es wahr iſt, und daß ich nie gegen ihn haͤt-
te zoͤrnen koͤnnen; ich wußte in meiner Seele wohl,
daß er nicht Schuld war. Was wollte er machen,
da
[367] da der Vogt falſche Zeugen fand, die einen Eid
gegen mich thaten? Der gute alte Gnaͤdige Herr
hat mir hernach, wo er mich ſah, Allmoſen ge-
geben; und auf alle Feſte ſandte er mir in meinem
Elend allemal Fleiſch, Wein und Brod — daß
ihm’s Gott lohne, dem alten lieben Gnaͤdigen
Herrn! wie oft er meine arme Haushaltung er-
quickt hat.
Der Rudi hatte Thraͤnen in den Augen, und
ſagte dann weiters: Ach Gott, Junker! wenn er
nur auch ſo allein mit uns geredt haͤtte, wie ihr,
es waͤre vieles, vieles nicht begegnet; aber die Blut-
ſauger waren immer, immer wo man ihn ſah,
um ihn her, und verdrehten alles.
Junker. Du mußſt jezt das vergeſſen, Rudi!
die Matte iſt wieder dein; ich habe den Vogt in
dem Protocoll durchſtreichen laſſen, und ich wuͤn-
ſche dir von Herzen Gluͤck dazu, Rudi!
Der Rudi zittert — ſtammelt — Ich kann euch
nicht danken, Gnaͤdiger Herr!
Der Junker antwortet: Du haſt mir nichts zu
danken, Rudi! die Matten iſt von Gott und Rechts-
wegen dein.
Jezt ſchlaͤgt der Rudi die Haͤnde zuſammen,
weint laut, und ſagt dann: O! meiner, meiner
Mutter Segen iſt uͤber mir! Schluchzet dann wie-
der, und ſagt: Gnaͤdiger Herr! ſie iſt am Frey-
tag
[368] tag geſtorben, und hat, ehe ſie ſtarb, zu [mir] ge-
ſagt: Es wird dir wohl gehen, Rudi! denk an
mich, Rudi! — O wie ſie mich reut, Imker!
meine liebe Mutter!
Der Junker und der Pfarrer hatten Thraͤnen
in den Augen, und der Junker ſagte: Du guter
frommer Rudi! Gottes Segen iſt wohl bey dir,
da du ſo fromm biſt.
Es iſt der Mutter Segen — Ach! der beſten,
froͤmmſten, gedultigſten Mutter Segen iſt es, Jun-
ker! ſagte der Rudi, und weinte fort.
Wie mich der Mann dauert, Herr Pfarrer!
daß er ſo lange das Seinige hat entbaͤhren muͤſſen;
ſagte der Junker zum Pfarrer.
Es iſt jezt uͤberſtanden, Junker! ſagte der Rudi,
und Leiden und Elend ſind Gottes Segen, wenn ſie
uͤberſtanden ſind. Aber ich kann euch nicht genug
danken fuͤr alles, fuͤr die Arbeit an der Kirche,
die meine Mutter an ihrem Todestage noch erquickt
und getroͤſtet hat, und dann fuͤr die Matte; ich
weiß nicht, was ich ſagen noch was ich thun ſoll,
Junker! Ach, wenn nur auch ſie, wenn nur auch
ſie das noch erlebt haͤtte!
Junker. Frommer Mann! ſie wird ſich dei-
nes Wohlſtands auch noch in der Ewigkeit freuen;
deine Wehmuth und deine fromme Liebe iſt mir ſo zu
Herzen gegangen, daß ich faſt vergeſſen haͤtte, daß
der
[369] der Vogt dir auch noch die Nuͤtzung deines Guts
und deine Koſten zu verguten ſchuldig ſey.
Pfarrer. Hieruͤber muß ich doch, Gnaͤdiger
Herr! dem Rudi etwas vorſtellen — der Vogt iſt
in ſehr klammen Umſtaͤnden. — Er iſt dir freylich
die Nuͤtzung und die Koſten ſchuldig, Rudi!
aber ich weiß, du haſt ſo viel Mitleiden, daß du
mit ihm nicht genau rechnen, und ihn in ſeinen
alten Tagen nicht ganz an Bettelſtab bringen wirſt.
Ich habe ihm in ſeinen traurigen Umſtaͤnden ver-
ſprochen, ſo viel ich koͤnne, fuͤr ihn um Barmher-
zigkeit und um Mitleiden zu bitten, und ich muß es
alſo auch gegen dich thun, Rudi! Erbarme dich
ſeiner in ſeinem Elend.
§. 96.
Reine Herzensguͤte eines armen Manns,
gegen ſeinen Feind.
Rudi.Von der Nuͤtzung iſt gar nicht zu reden,
Wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Und wenn der
Vogt arm wird, ich will mich nicht ruͤhme[n], aber
ich will gewiß auch thun, was recht iſt.
A aSeht,
[370]
Seht, Herr Pfarrer! die Matte traͤgt wohl
mehr als fuͤr drey Kuͤhe Futter; und wenn ich
zwo halten kann, ſo habe ich weiß Gott genug,
mehr als ich haͤtte wuͤnſchen duͤrfen, und ich will von
Herzen gern den Vogt, ſo lang er lebt, alle Jahre
fuͤr eine Kuhe Heu darab nehmen laſſen.
Pfarrer. Das iſt ſehr chriſtlich und brav,
Rudi! der liebe Gott wird dir das Uebrige ſegnen.
Arner. Das iſt wohl recht und ſchoͤn, Herr
Pfarrer; aber man muß den guten Mann jezt bey
Leibe nicht beym Wort nehmen; er iſt von ſeiner
Freude uͤbernommen. Rudi! ich lobe dein Aner-
bieten; aber du mußſt das Ding ein paar Tage
ruhig uͤberlegen, es iſt dann noch Zeit ſo etwas zu
verſprechen, wenn du ſicher biſt, daß es dich nicht
mehr gereuen werde.
Rudi. Ich bin ein armer Mann, Gnaͤdiger
Herr! aber gewiß nicht ſo, daß mich etwas ehrliches
gereuen ſollte, wenn ich’s verſprochen habe.
Pfarrer. Der Junker hat Recht, Rudi! es
iſt fuͤr einmal genug, wenn du dir eben nicht viel
fuͤr die Nuͤtzung verſprichſt. Wenn ſodann der Vogt
doch in Mangel kommen ſollte, und du die Sache
bey dir ſelber genugſam uͤberlegt haben wirſt, ſo
kannſt du ja immer noch thun, was du willſt.
Rudi. Ja gewiß, Herr Pfarrer! will ich thun,
was ich geſagt habe, wenn der Vogt arm wird.
Jun-
[371]
Junker. Nun, Rudi! ich moͤchte gern, daß
du heute recht freudig und wohl zu Muthe waͤreſt.
Willt du gern hier bey uns ein Glas Wein trin-
ken, oder gehſt du lieber heim zu deinen Kindern?
Ich habe dafuͤr geſorgt, daß du ein gutes Abend-
eſſen daheim findeſt.
Rudi. Ihr ſeyd auch gar zu guͤtig, Gnaͤdiger
Herr! aber ich ſollte heim zu meinen Kindern gehn,
ich habe Niemand bey ihnen. Ach! meine Frau
liegt im Grabe — und jezt meine Mutter auch!
Junker. Nun, ſo gehe in Gottes Namen
heim zu deinen Kindern — Unten im Pfrundſtall
iſt eine Kuhe, die ich dir ſchenke, damit du wie-
der mit meinem lieben Großvater, der dir Unrecht
gethan hat, zufrieden werdeſt, und damit du dich
heute mit deinen Kindern ſeines Andenkens freueſt —
Ich habe auch befohlen, daß man ein groſſes Fu-
der Heu ab des Vogts Buͤhne lade, denn es iſt
dein, du wirſt das Fuder gerade jezt bey deinem
Haus finden; und wenn dein Stall oder dein Haus
baufaͤllig ſind, ſo kannſt du das noͤthige Holz in
meinem Wald faͤllen laſſen.
[372]
§. 97.
Seine Dankbarkeit gegen ſeinen edeln
Herrn.
Der Rudi wußte nicht, was er ſagen wollte, ſo
hatte ihn dieſes alles uͤbernommen.
Und dieſe Verwirrung des Mannes, der kein
Wort hervor bringen konnte, freuete Arnern mehr,
als keine Dankſagung ihn haͤtte freuen koͤnnen.
Der Rudi ſtammelte zuletzt einige Worte von
Dank. Arner unterbrach ihn, und ſagte laͤchelnd:
Ich ſehe wohl, daß du dankeſt, Rudi! bietet ihm
ſodann noch einmal ſeine Hand, und ſagt weiter:
Gehe jezt, Rudi! fahre mit deiner Kuhe heim, und
zaͤhle darauf, wenn ich dir oder deiner Haushal-
tung euer Leben verſuͤſſen kann, ſo wird es mich
immer freuen es zu thun.
Da gieng der Rudi von Arnern weg, und
fuͤhrte die Kuhe heim.
[373]
§. 98.
Auftritte, die an’s Herz gehen ſollen.
Der Pfarrer, die Frauen und die Toͤchter, ge-
ruͤhrt von dieſem Auftritte, hatten Thraͤnen in
den Augen, und alles ſchwieg eine Weile ſtill, da
der Mann fort war.
Hierauf ſagt Thereſe: Was das fuͤr ein Abend
war, Junker! Gottes Erdboden iſt ſchoͤn, und die
ganze Natur bietet uns allenthalben Wonne und
Luſt an. — Aber das Entzuͤcken der Menſchlichkeit
iſt groͤſſer als alle Schoͤnheit der Erde. — Ja wahr-
lich, Geliebte! ſie iſt groͤſſer als alle Schoͤnheit
der Erde, ſagte der Junker.
Und der Pfarrer: Meine Thraͤnen danken Ihnen,
Junker! fuͤr alle herrliche Auftritte, die Sie uns vor
Augen gebracht haben. In meinem Leben, Junker!
empfand ich die innere Groͤſſe des menſchlichen Her-
zens nie reiner und edler, als bey dem Thun die-
ſes Mannes — Aber, Junker! man muß, man muß
in Gottes Namen die reine Hoͤhe des menſchlichen
Herzens beym armen Verlaſſenen und Elenden ſu-
chen.
Die Frau Pfarrerinn aber druͤckte die Kinder,
die alle Thraͤnen in ihren Augen hatten, an ihre
A a 3Bruſt,
[374] Bruſt, redete nichts, lehnte ihr Angeſicht hinab
auf die Kinder, und weinte wie ſie.
Nach einer Weile ſagten die Kinder zu ihr:
Wir wollen doch heute noch zu [...]nen armen Kin-
dern gehn; ſchicket doch unſer Abendeſſen dahin.
Und die Frau Pfarrerinn ſagte zu Arners Ge-
mahlinn: Gefaͤllts Ihnen, ſo gehen wir mit unſern
Kindern.
Sehr gerne, antwortete Thereſe. Und auch
der Junker und der Pfarrer ſagten: Sie wollten
mitgehn.
Arner hatte ein gebratenes Kalbsviertel in ſeinem
Wagen *) mitgebracht fuͤr die arme Haushaltung —
und die Frau Pfarrerinn hatte eine gute, dicke, fette
Suppe dazu kochen laſſen, und ſie hatte eben alles ab-
ſchicken wollen — jezt aber ſtellte ſie noch das Abend-
eſſen fuͤr ſie und die Kinder dazu, und Claus trug
alles in die Huͤtte des armen Manns. Alles Volk
aus dem Dorf, jung und alt, Weib und Mann,
und alle Kinder aus der Schul, ſtuhnden bey
des Rudis Huͤtten, und bey dem Heuwagen, und
bey der ſchoͤnen Kuhe.
Einen Augenblick nur hinter dem Claus kamen
der Junker und ſeine Gemahlinn, die Frau Pfarrerinn
und alle Kinder auch in die Stube, und fanden —
und
[375] und fanden — und ſahen — im ganzen Hauſe nichts,
als halbnackende Kinder — ſerbende — Hunger und
Mangel athmende Geſchoͤpfe.
Das gieng Arner von neuem an’s Herz, was
die Unvorſichtigkeit und die Schwaͤche eines Rich-
ters fuͤr Elend erzeugen.
Alles, alles war vom Elend des Hauſes bewegt.
Da ſagte Arner zu den Frauen: Dieſer Rudi will
jezt dem Vogt, der ihn zehn Jahre lang in dieſes
Elend, das ihr da ſeht, geſtuͤrzt hat, lebenslaͤnglich
noch den dritten Theil Heu ab ſeiner Matte verſichern.
Man muß das nicht leiden, ſagte Thereſe, ſchnell
und im Eifer uͤber dieſes tiefe Elend. Nein, das iſt
nicht auszuſtehn, daß der Mann bey ſeinen vielen
Kindern einen Heller des Seinigen dem gottloſen
Buben verſchenke.
Aber wollteſt du, Geliebte! wollteſt du dem
Lauf der Tugend und der Großmuth Schranken ſe-
tzen, die Gott durch Leiden und Elend auf dieſe reine
Hoͤhe gebracht hat — auf eine Hoͤhe, die ſo eben
dein Herz ſo ſehr bewegt, und zu Thraͤnen gebracht
hat? ſagte Arner.
Nein, nein! das will ich nicht, verſetzte Thereſe,
das will ich nicht. Verſchenk er alle ſeine Haabe,
wenn er’s kann. Einen ſolchen Menſchen verlaͤßt
Gott nicht.
Arner ſagte jezt zu dem Rudi: Gieb doch dei-
nen Kindern zu eſſen.
Der
[376]
Der Rudeli aber nimmt ſeinen Vater beym Arm,
und ſagt ihm in’s Ohr: Vater! ich bring doch der
Gertrud auch etwas — Ja, ſagt der Rudi; aber
wart nur.
Arner hatte das Wort Gertrud gehoͤrt, und fragte
den Rudi: Was ſagt der Kleine von Gertrud?
Da erzaͤhlte der Rudi dem Arner von den ge-
ſtohlenen Erdaͤpfeln — von dem Todbett ſeiner Mut-
ter — von der Guͤte des Lienhards und der Ger-
trud; und wie ſelbſt die Schuhe und Struͤmpfe, die
er trage, von ihnen ſeyn.
Dann ſetzte er hinzu: Gnaͤdiger Herr! der Tag
iſt mir ſo geſegnet; aber ich koͤnnte mit Freuden
keinen Mund voll eſſen, wenn ich dieſe Leute nicht
einladen duͤrfte.
Wie das Arner gelobt — wie dann die Frauen
die ſtillen Thaten einer armen Maͤurerinn — wie ſie
das erhabene Todbett der Cathrine mit Thraͤnen be-
wunderten — Wie dann der Rudeli mit klopfendem
Herzen zu Lienhard und Gertrud gelaufen, ſie ein-
zuladen — und wie dieſe mit ihren Kindern beſchaͤmt
mit niedergeſchlagenen Augen, nicht auf des Ru-
delis Bericht, ſondern auf Arners Befehl, der ſei-
nen Claus nachgeſchickt hatte, endlich kamen —
auch wie Carl fuͤr den Rudeli vom Papa, und
Emilie fuͤr Gritte und Liſe von der Mama Schuh
und Struͤmpfe und abgelegte Kleider erbaten — auch
wie
[377] wie ſie den armen Kindern von ihrem beſſern Eſſen
immer zulegten — auch wie Thereſe und die Frau
Pfarrerinn mit ihnen ſo liebreich waren; wie aber
dieſe erſt, da Gertrud kam, recht freudig wurden —
ihr alle zuliefen — ihre Haͤnde ſuchten — ihr zu-
laͤchelten, und ſich an ihren Schooß draͤngten —
alles das will ich mich huͤten, mit viel Worten zu
erzaͤhlen.
Arner und Thereſe ſtuhnden, ſo lang ſie konn-
ten, bey dieſem Schauſpiel der innigſten Ruͤhrung,
beym Anblick des erquickten und ganz geretteten
Elends. Endlich nahmen ſie mit Thraͤnen in den
Augen ſtillen Abſchied.
Und der Junker ſagte zum Gutſcher: Fahr eine
Weile nicht ſtark.
Die Frau Pfarrerinn aber ſuchte noch alles
uͤbergebliebene Eſſen zuſammen, und gab es den
Kindern.
Und Lienhard und Gertrud blieben noch beym
Rudi bis um acht Uhr, und waren von Herzen
froͤlich.
[378]
§. 99.
Eine angenehme Ausſicht.
Und nun iſt ſeit der vorigen Woche eine allgemeine
Rede in unſerm Dorf, Gertrud ſuche dem Rudi
des jungen Meyers Schweſter, die ihre beſte Freun-
dinn iſt, zur Frau.
Und da die Matte, die der Rudi nun wieder
hat, unter Bruͤdern zweytauſend Gulden werth iſt,
und auch der Junker, wie es heißt, ihrem Bruder
geſagt hat, es wuͤrde ihn freuen; ſo meynt einmal
Jedermann, es werde nicht fehlen, ſie nehme ihn.
Und dem Maͤurer geht es bey ſeinem Bau auch
gar gut; er iſt dem Junker taͤglich lieber.
§. 100.
Des Huͤnertraͤgers Lohn.
Auch der Huͤnertraͤger hatte noch ein Gluͤck. The-
reſe ſah ihn im Heimfahren aus dem Wagen, und
ſagte zu Arnern: Dieſer muß auch noch etwas haben.
Eigentlich iſt’s doch er, der mit ſeiner Nachtreiſe
alles in Ordnung gebracht hat.
Da
[379]
Da rief Arner dem Huͤnertraͤger, und ſagte:
Chriſtoff! meine Frau will nicht, daß du deine
Teufelsarbeit umſonſt gehabt habeſt; und gab ihm
ein Paar Thaler.
Der Huͤnertraͤger buͤckte ſich tief, und ſagte:
Gnaͤdiger Herr! Alſo wuͤnſchte ich mir alle die Tage
meines Lebens nur Teufelsarbeit.
Ja, ſagte Arner, wenn du verſichert biſt, daß
die Hunde allemal an den Ketten bleiben.
Das iſt auch wahr, Gnaͤdiger Herr! ſagte der
Huͤnertraͤger; und der Wagen fuhr fort.
ſchichte ein alter angeſehener Einwohner von
Bonnal redend eingefuͤhrt wird.
iſt in der Schweiz, und ihre Helden ſind Schwei-
zer. Man hat deshalben die ſchweizeriſchen Na-
men beybehalten, und ſo gar ſchweizeriſche Pro-
vincialworte, wie z. E. verſchupfen, welches
den Fall bedeutet, da ein Menſch von einem
Orte zum andern mit einer Art von Drucke und
von Verachtung verſtoſſen wird.
der Schulz im Dorfe iſt.
Wein.
nem Hauſe, als in dem ſeinen, bey keinem An-
laß Wein aus geſchenkt wuͤrde.
vater — Sein Vater war viele Jahre vorher
in einem Treffen in Preußiſchen Dienſten ge-
ſtorben —
gierung Ludwigs des XVI.
nal, und hatte gegen einen alten Erbherrn von
Arnheim ſich der Gemeind treulich angenom-
men, und Haab und Gut dran geſetzt, daß
das Dorf nicht einen Tag mehr Frohndienſte
tragen muͤſſe. Aber das Spruͤchwort, das
ihm
weiß kein Menſch mit Wahrheit, daß es Ruͤp-
plj in ſeinem Leben ein einziges mal geſagt haͤtte.
ren, weil ſie nicht groſſe weite Hoſen tragen wie
ſie. —
nung und Sorgen, immer ohne feſte innere Zu-
friedenheit umher getrieben zu werden.
Kraͤutern.
ſten, deren Pflicht es iſt, dem Pfarrer ſolche
naͤchtliche Ungebuͤhren anzuzeigen; und dieſer
iſt’s, den der gottloſe Vogt, nach einem wirklich
eingeriſſenen Ton, den Schwarzen nennt.
den Predigten und des Abends, leider Gott er-
barm! vor langer Zeit, Mann und Weib, jung
und alt, zuſammen ſtehn und ſchwatzen.
haftigkeit des Geſpraͤchs, an welchem ausgezeich-
nete Lumpen und Saͤufer Theil nehmen —
Aber es giebt Geſichtspunkte von Sachen, welche
dieſe
Augenblicke, wo ſie ſehr ernſthaft und, nach ih-
rer Art, ſehr naiv und ſehr richtig von allen Din-
gen reden und urtheilen; und man iſt ſehr irrig,
wenn man den liederlichen Bauer und Saͤufer
ſich immer als einen beſoffenen Trunkenbold,
ohne Verſtand und ohne Theilnehmung an ern-
ſten Sachen, vorſtellt — Er iſt nur alsdann ſo be-
ſchaffen, wenn er wirklich zu viel getrunken hat,
und das war jezt noch nicht der Fall.
fuͤr ſich ſelbſt ſchaffen, und ſich darum nicht brau-
chen laſſen.
in der Schweiz Kirchenaͤlteſte, die nebſt den Pfar-
rern auf die Handhabung von Religion, Sitten
und Ordnung zu wachen haben.
ſtein, und empfangen da vom Pfarrer das Brod,
und von den Dorfvorgeſetzten den Kelch.
uͤberſchreiben: Die Sorgfalt des Autors gegen
kunſtrichterliches Bedenken.
die Geſchichte von Hummels Gefangenſchaft und
Kirchenbuſſe liefern wolle.
Herr Jeſus! was denkſt du auch, Junker? Mar-
grithe! gieb doch Dienſtenwein — wuͤrde freylich
manche Graͤfinn gerufen haben. A. d. V.
Alles zu ſeiner Zeit; Wenn der Huͤnertraͤger
nur Huͤner bringt, warum ſollte man ihm vom be-
ſten Wein geben? Wer ſoll dann den ſchlechtern
trinken? Aber in gewiſſen Faͤllen kann auch der
Buͤrger thun und ſoll er thun, was der Graf mit
Rechte ſeinen Maͤgden verbietet. A. d. H.
muthet, daß es im Wagen geſtunken habe.
Hier ſtanden noch ein Paar Zeilen — Das iſt un-
flaͤtig, ſagte ein Knab von noch nicht zehn Jah-
ren, der ſie leſen hoͤrte. Ich umarmte ihn, und
ſtrich die Stelle durch. Juͤngling! wirſt du dein
reines Gefuͤhl und das ſanfte Erroͤthen deiner
Wan-
dir Freude machen im Alter; aber wirſt du dieſe
ſanfte Unſchuld deines Herzens der Kuͤhnheit dei-
nes anwachſenden Muths aufopfern — wird dein
blitzendes Auge einſt ſich nicht mehr niederſchla-
gen, nicht mehr Thraͤnen fallen laſſen; wird dei-
ne Wange nicht mehr erroͤthen, beym Anblick
deſſen, was unrecht und ſchaͤndlich iſt, Juͤngling!
dann wirſt du ob dieſer Stelle weinen, oder ſie
vielleicht nicht mehr werth achten, ſie zu leſen.
In dieſem Augenblick mußte mir natuͤrlich der
Gedanke auffallen: Wie weit darf ein ſittlicher
Schriftſteller das Laſter mahlen? Darf mein
Mund ausſprechen, was Hogarth und ** ge-
mahlt haben? Ausſprechen das Thun dieſer Men-
ſchen, die ich ohne Bedenken vom Pinſel und
vom Grabſtichel gemahlt ſehe? Mein Gefuͤhl beht
zuruͤcke, wenn ich’s in Worte bringe und aus-
ſpreche, das Thun dieſer Menſchen, und ich ſehe
mich um, ob mich Niemand hoͤre. Aber das
Bild des Mahlers ſeh ich hingelehnt am Arme des
Beſten, des Edelſten, und ſcheue mich nicht.
Die Zunge des Menſchen, ſein Mund, ſind
enger mit dem Gefuͤhl ſeines Herzens verbunden,
als ſeine Hand. Die Kunſt, die mit Hand und
Pin-
Tiefſte treffend enthuͤllet, entweihet das Herz nicht
mit der Gewalt, mit der es der Mund thut,
wenn er mit gleicher Kuͤhnheit das Laſter ent-
bloͤßt darſtellt.
Das iſt keine Lobrede fuͤr alle angebeteten Dich-
ter; aber es duͤnkt mich hingegen, beſonders in
einem Jahrhundert, wo es der allgemeine Ton
iſt, den Kopf mit Bildern des Muͤßiggangs, an-
ſtatt mit Berufs- und Geſchaͤftsſachen zu fuͤllen,
eine fuͤr das Menſchengeſchlecht hoͤchſt wichtige
Wahrheit.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Lienhard und Gertrud. Lienhard und Gertrud. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn0z.0