die urſpruͤngliche Geſtalt
des
Gedichts
von der Nibelungen Noth.
bei Ferdinand Dümmler.
1.
Die Wolfiſchen Unterſuchungen über die urſprüngliche
Geſtalt der Homeriſchen Geſänge haben ſich theils durch
ihre innere, in den Hauptpunkten wenigſtens unangreifbare
Beweiskraft, theils durch die Anwendung auf andere Werke
der älteſten Griechiſchen Poeſie ſo kräftig bewährt, daß
nun ſchon, wo ſich bei anderen Völkern an Gedichten aus
uralter Zeit derſelbe räthſelhafte, wahrhaft epiſche Cha-
rakter zeigt, die Vermuthung rege gemacht oder wenig-
ſtens eine ſtrenge Unterſuchung unerläßlich wird, ob ſie
vielleicht auf eine ähnliche Art, wie jene, entſtanden und
erſt allmählig zu ihrer letzten feſten Geſtalt gediehen ſein
mögen.
So wurde ich auf eine gleiche Unterſuchung geleitet,
die von jenen, aus denen ſie gefloſſen iſt, Beſtätigung
hofft, ſo wie ſie hingegen ſelbſt durch ihre Ausführung
jene noch mehr zu bekräftigen und wo möglich zum Theil
noch zu ihrer genaueren Beſtimmung ein Weniges beizu-
tragen wünſcht. Ich glaube nämlich und werde in dem
Folgenden zu beweiſen ſuchen, daß unſer ſo genanntes
A 2
[4] Nibelungenlied, oder beſtimmter, die Geſtalt deſſelben,
in der wir es, aus dem Anfange des dreizehnten Jahr-
hunderts uns überliefert, leſen, aus einer noch jetzt er-
kennbaren Zuſammenſetzung einzelner romanzenartiger Lie-
der entſtanden ſei.
Wenn dieſe Behauptung nicht neu erſcheinen möchte,
weil einige von den Männern, die ſich mit ſo regem Eifer
der Kenntniß und Erforſchung altdeutſcher Dichtung ge-
widmet, eben dieſelbe oder doch manche ihr auffallend
ähnliche aufgeſtellt haben: 1) ſo würde dies theils eine ge-
nauere mehr ins Einzelne gehende Erörterung nicht aus-
ſchließen; theils ſcheint es auch, daß zu ihrer rechten Feſt-
ſtellung und Begründung mehrere zwar verwandte und
ſich überall berührende Fragen, deren jede aber dennoch
in einen anderen Kreis eingeſchloſſen iſt, beſtimmter, als
bisher geſchehen zu ſein ſcheint, von einander getrennt
werden müſſen.
Man hat ſich mi[t] Recht beſtrebt, von der einen Seite
her das Geſchichtliche, aus dem Sage und Lied allmählig
gebildet worden, zu erforſchen; man hat in anderer Bezie-
hung angefangen, dem Zuſammenhange und der Ausbil-
dung der Sage, und der Dichtung mit ihr, nachzuſpüren.
Durch die Verbindung beider Unterſuchungen iſt ſchon ein
Bedeutendes für die Geſchichte der Sage und des ganzen
Deutſchen Liederkreiſes gewonnen. Von dieſer möchte ich
nun aber einmahl die Geſchichte dieſes einzelnen Gedichts
von der Nibelungen Noth abſondern; und wenn die frü-
heren Forſchungen meiſtens auf die Geſchichte des ganzen
Sagenkreiſes gerichtet waren, oder, wo ſie auf dieſes Werk
insbeſondere bezogen wurden, dennoch immer mehr die
Bildungsgeſchichte aller in dieſe Reihe gehörigen Lieder
[5] trafen, ſo iſt dagegen meine oben aufgeſtellte Behauptung
nur in Beziehung auf dieſes Gedicht gemeint, und ſoll in
dem Folgenden auch einzig und allein durch dieſes durch-
geführt werden.
2.
Dabei mag nun die Frage fürs erſte ausgeſetzt blei-
ben, deren Beantwortung großentheils ſelbſt erſt von dem
Erfolg unſerer Forſchungen abhangen wird, ob das Ge-
dicht in ſeiner jetzigen oder einer ihr ſehr ähnlichen frühe-
ren Geſtalt ein künſtliches ſei, oder ein Volkslied, 2) und
im letzteren Falle vielmehr aus Volksliedern zuſammenge-
fügt. Bei den Homeriſchen Geſängen iſt dieſe Frage eben-
falls zur Sprache gekommen und ein bedeutender Theil des
Beweiſes eben darauf gebaut worden. Aber bei dieſen
war ausgemacht, daß ſie von Sängern und Rhapſoden
geſungen worden: dagegen, wie gewiß es ſein mag, daß ein
Theil der Lieder, die unſerem Deutſchen Sagenkreiſe ange-
hören, bis ins ſiebzehnte Jahrhundert hinein im Munde
des Volkes lebte, ſo iſt doch gerade von unſerem Liede
noch durch kein beſtimmtes Zeugniß bewieſen, daß es je-
mahls unter das Volk gekommen, und am wenigſten, daß
es in ſeiner gegenwärtigen Geſtalt je nicht bloß geleſen,
ſondern geſungen ſei. 3).
Auch ſcheint in der That auf den erſten Blick in der
ganzen Geſtalt und Darſtellung des Gedichts gar ſehr Vie-
les der Behauptung, daß es aus mehreren Liedern zuſam-
mengefügt ſei, zu widerſprechen; ſehr Vieles deutet, ſo
lange man ſich nicht verbunden hält, einen ſpäteren Über-
arbeiter und Ordner anzunehmen, auf einen einzigen Ver-
faſſer des ganzen Werkes, der ſich mit demſelben überall
[6] einem beſtimmten Zeitalter anweiſet. Denn der Sprache
zuvörderſt iſt doch ganz deutlich durch und durch der Stem-
pel der Jahrzehende auf der Gränze des zwölften und drei-
zehnten Jahrhunderts aufgedrückt, wiewohl noch hin und
wieder auch beſonders einige Freiheiten der Wortfügung
auf eine etwas frühere Zeit hinzudeuten ſcheinen. Fer-
ner führt uns in eben jene Jahre die ausgezeichnete Rein-
heit der Reime, 4) die im zwölften Jahrhundert bis auf
Heinrich von Veldig niemand erreicht hatte; denn dieſer
Dichter, der nach dem Ausdruck Gottfrieds von Straßburg
das erſte Reis in deutſcher Zunge impfte, hat zuerſt das
bis dahin allgemeine Schwanken zwiſchen Reim und Aſ-
ſonanz durch ſeine ſtrengen Reime faſt ganz aufgehoben.
Eine Eigenthümlichkeit aber eben dieſer Reime in unſerem
Liede ſcheint eben ſo deutlich auf einen einzigen Dichter
des ganzen Werkes hinzuweiſen; ich meine die ſehr be-
merkliche Armuth, die ſich überall in einer oft lange fort-
geſetzten Wiederhohlung derſelben Reime und Reimwörter
offenbart 5). Dann iſt ja aber die Darſtellung gewiß im
Ganzen ſich gleich genug; überall jedes in ſeiner Erſchei-
nung rein ohne Schmuck dargeſtellt; überall dieſelben Be-
ſchreibungen, beſonders der Kleidung; dieſelben Andeutun-
gen des Zukünftigen, bald das Nähere, eben ſo oft auch
den endlichen Schluß des Ganzen verkündigend. Dieſes
Ganze ſelbſt gibt ſich als Eins: dem Dichter iſt Kriemhil-
dens Rache an Siegfrieds Mördern und der Untergang der
anderen, die ſie mit ſich ins Verderben reißen; ihm iſt in
höherem Sinne die Idee des Schickſals, das immer Leid
auf Freude muß folgen laſſen, 6) das Bewegende und
Treibende des ganzen Werkes. Ja auch der Name des
Ganzen, der Nibelungen Noth, obwohl ihm hätte
ein paſſenderer mögen gegeben werden, 7) deutet beſtimmt
[7] auf den Endpunkt, nach dem alles Übrige hinſtrebt, den
Tod der Burgundiſchen Könige mit ihren Magen und
Mannen 8). Gegen dies alles möchte ich noch nicht die
Kürze, das Abgebrochene und Springende in einigen Thei-
len der Erzählung, wovon ſpäterhin die Rede ſein wird,
in Anſchlag bringen, noch weniger aber die größere Run-
dung, Glätte und Beweglichkeit der Darſtellung in man-
chen Abſchnitten der erſteren und in der ganzen letzteren
Hälfte des Gedichts, die ich beim Leſen immer weit leb-
hafter zu fühlen glaube, als ich ſie einem beſtimmten Geg-
ner meiner Meinung klar und überzeugend zu beweiſen
mich unterſtehen würde.
Vielmehr ſcheint es ſicherer, vor allen in dem Gedichte
ſelbſt zu forſchen, wo ſich vielleicht noch Spuren der Zu-
ſammenfügung möchten nachweiſen laſſen; und es wird
dabei wohl am bequemſten ſein, die Stellen, die ſich bloß
als Zuſätze verrathen, mit den anderen zu vermiſchen, in
denen beſtimmte Beweiſe der Zuſammenfügung größerer
Lieder zu finden ſind. Denn beides wird ja doch gewiß
öfter zuſammentreffen, und wenn wir nur beides in jedem
Falle genau unterſcheiden, daraus auch für die Unterſu-
chung kein weiterer Schade erwachſen können. Hier-
bei mag es uns aber vergönnt ſein, von dem zweiten
Theile des Gedichts, in dem Burgund mit Ungarn in Ver-
bindung kommt, auszugehen, weil man in demſelben leich-
ter zu auffallenden Reſultaten gelangt, theils wegen der
Beſchaffenheit der Erzählung ſelbſt, theils auch durch ein
anderweitiges äußeres Zeugniß, das uns bald, aber eigent-
lich nur für dieſen letzteren Theil des Werkes, zu Hülfe
kommen wird.
[8]
3.
Und da mögen denn zuvörderſt einige Perſonen der
Fabel auftreten, deren Erwähnung ſich hin und wieder noch
in der jetzigen Geſtalt des Liedes als ſpäter eingeſchoben er-
kennen läßt.
Zunächſt möchte man auf den Markgrafen Rüdiger
von Bechlaren fallen, der erſt im zehnten Jahrhundert ge-
lebt und mithin, wie auch A. W. Schlegel ſchon be-
merkt, auf die Bildung der Sage einen erweislichen Ein-
fluß gehabt hat. Er iſt aber ſo eng in die zweite Hälfte
unſerer Nibelungenfabel verwebt, daß ſich in dem Liede
keine deutliche Spur einer Einfügung mehr nachweiſen laſ-
ſen möchte. Dagegen kommt ſein Zeitgenoſſe, Biſchof Pil-
grin von Paſſau, der im Jahr 991 ſtarb, wiewohl er Utens
Bruder ſein ſoll, doch in dem ganzen Liede nur ſelten und
auf ſolche Art vor, daß er für unſere Unterſuchung bedeu-
tend und wichtig wird.
Als Kriemhild zu Etzel reiſt, kommt ſie durch Baiern;
da noch ein kloſter ſtat,
Und da daz In mit fluzze in du̓ Tůnowe gat,
In der ſtat ze Pazzowe ſaz ein biſchof.
Es iſt der Biſchof Pilgrin, der ihr entgegen reitet. Sie
bleibt eine Nacht in der Stadt, wohl empfangen von den
Kaufleuten, und reiſt von da in Rüdigers Land. Dies
wird in fünf Strophen (Z. 5193 — 5212) erzählt. Als
Kriemhild Rüdigers Gemahlinn ſieht, reitet ſie ihr näher
und läßt ſich vom Pferde heben. Dennoch findet Ecke-
wart, Kriemhildens Ritter, und der Biſchof, von dem nicht
erzählt war, daß er von Paſſau mitgeritten, nöthig Kriem-
hilden zu der Markgräfinn zu weiſen (Z. 5261 — 5264):
[9]
Den biſchof ſach man wiſen ſiner ſweſter kint,
In und Eckewarten, zů Gotelinde ſint.
Da wart vil michel grüzen an der ſelben ſtunt.
Do kuſte du̓ ellende an der Gotelinde munt.
Am dritten Tage reiſt Kriemhild von Bechlaren weiter;
und als ſie endlich nach Mautern kommt, wird der lange
vergeſſene Biſchof auch wieder erwähnt (Z. 5333 — 5336):
Der biſchof minnerliche von ſiner niftel ſchiet;
Daz ſi ſich wol gehabte, wie vaſt er ir daz riet!
Und daz ſi ir ere koͧfte, als Helke het getan.
Hei, waz ſi grozer eren ſit da zen Hu̓nen gewan!
Ferner, Wärbel und Swemmel, Etzels Fiedeler, die
nach Burgund geſandt ſind, um die Könige einzuladen,
kommen unterwegs, nachdem ſie von Vechlaren gegangen
ſind, auch zu dem Biſchof (Z. 5721 — 5728):
E daz die boten komen vol durch Beierlant,
Wœrbel der vil ſnelle den gůten biſchof vant.
Der Dichter hat aber wenig Nachricht davon:
Waz er do ſinen fru̓nden ze Rine hin enbot,
Daz iſt mir nicht gewizzen;
er gibt ihnen Geſchenke, und ſagt, er wünſche ſehr ſeine
Schweſterſöhne bei ſich zu ſehen. Und nun fängt die fol-
gende Strophe höchſt auffallend an:
Welhe wege ſi füren ze Rine durch du̓ lant,
Des kan ich niht beſcheiden.
Denn bei Kriemhildens Reiſe wird ja auch wenigſtens zwi-
ſchen der Donau und Worms kein Ort genannt; und Rü-
diger reiſte, eben wie jene (Z. 5733), in zwölf Tagen von
Bechlaren nach Worms (Z. 4713), und es wurde von ihm
[10] nur geſagt (Z. 4711), er ſei durch der Baiern Land gerit-
ten: wozu alſo hier die Entſchuldigung, wenn ſogar Paſſau
erwähnt war? Noch auffallender iſt aber, daß Rüdiger,
der doch nach der zuerſt angeführten Stelle (Z. 5261 f.)
den Biſchof kannte, nicht nach Paſſau kam; denn wenn er
auch Eile hatte, Wärbel und Swemmel beendigten ja,
trotz ihrem Aufenthalte in Paſſau, die Reiſe zum Rheine
eben wie er in zwölf Tagen. Endlich aber wird die letzte
Stelle auch dunkel durch die Erwähnung des Biſchofs,
weil nun nicht mehr recht klar bleibt, daß Etzels Boten in
zwölf Tagen nicht von Paſſau, ſondern von Bechlaren
nach Worms kamen.
Wenn nun aus dem bisher Angedeuteten wahrſchein-
lich wird, daß die erwähnten neun Strophen eingeſchoben
ſind, ſo muß dies wohl auch von einer anderen (Z. 5993
— 5996) angenommen werden, in der Wärbel und Swem-
mel auf der Rückreiſe allen Freunden und auch Pilgrin
die baldige Ankunft der Burgunden melden, und eben ſo
von den dreien noch übrigen bei der Reiſe der Burgunden
ſelbſt (Z. 6525 — 6536), wenn ſie auch keine Widerſprüche
oder Unſchicklichkeiten enthalten, obwohl bei den letzten in
einer ſonſt ſehr ausführlichen Aventüre die Kürze der Er-
zählung gerade da, wo der Biſchof mit ſeinen Neffen zu-
ſammen kommt, beſonders auffallen muß. Die den letzten
vorhergehende Strophe ſchloß demnach wahrſcheinlich:
Si wurden wol enpfangen da ze Bechelaren
ſint,
was denn natürlich, ſobald die Strophen von Pilgrin ein-
geſchoben wurden, ſo, wie wir es jetzt leſen, verändert
werden mußte: »da ze Pazzoͧwe ſint.« In den anderen
Stellen iſt aber eine ſolche Änderung nicht einmahl nö-
[11] thig; nirgend werden Sinn und Zuſammenhang durch die
Auslaſſung jener Strophen geſtört.
4.
Weit bedeutender, als der Biſchof Pilgrin, greift Vol-
ker, der Fiedler, in die Vegebenheiten der letzten Aventüren
ein, über die ſeine doppelte Natur des Helden und Spiel-
manns eine wunderbarzauberiſche poetiſche Heiterkeit aus-
breitet. Er wird ſchon in dem erſten Abſchnitte unſeres
Werkes unter den Vaſallen der Burgundiſchen Könige ge-
nannt:
Volker von Alzeie, mit ganzem ellen wol be-
wart.
Nachher iſt der Fiedler, der kühne Spielmann Volker in
dem Kriege gegen die Sachſen und Dänen Bannerführer.
Dann wird er auf lange Zeit vergeſſen, bis er endlich
beim Empfange Rüdigers, der für Etzel um Kriemhilden
warb, mit Gere, Giſelher und Dankwart wieder zum Vor-
ſchein kommt, ohne daß dabei mehr als ſein Name ge-
nannt wird (Z. 4465 — 4468). Es wird ſich ſpäterhin
zeigen, daß eben ſolche Strophen, in denen plötzlich meh-
rere der Burgundiſchen Mannen, gleichſam nur um ſie
doch auch wieder zu erwähnen, genannt werden, ſich eben
dadurch als eingeſchoben verrathen: für jetzt mag dieſe
Stelle, als wenig bedeutend, immer ihr altes Recht be-
haupten.
Aber nun ferner, wo Günther auf Hagens Rath
Recken und Knechte verſammelt, um in Ungarn vor Kriem-
hildens Rache ſicher zu ſein, kommen Hagen und Dank-
wart mit achtzig Recken, Volker mit dreißig ſeiner Man-
nen. Die ganze Stelle lautet alſo (Z. 5913 — 5924):
[12]
Do hiez von Tronege Hagene Dankwart den
brůder ſin
Ir beider recken ahzec füren an den Rin.
Die komen ritterliche; harnaſch und gewant
Fůrten die vil ſnellen in daz Gu̓ntheres lant.
Do kom der küne Volker, ein edel ſpileman,
Zů der hovereiſe mit drizec ſiner man.
Die heten ſölich gewœte, ez möht’ ein ku̓nic getragen.
Daz er zen Hu̓nen wolde, daz hiez er Gu̓nthere
ſagen.
Nun weiter, als wenn wir ihn gar noch nicht kennten:
Wer der Volker wœre, daz wil ich u̓ch wizzen lan:
Er was ein edel herre; im was oͧch undertan
Vil der gůten recken in Burgondenlant;
Durch daz er videln konde, was er der ſpilman genant.
Dieſe Strophen ſind höchſt merkwürdig, und es ergibt
ſich aus ihnen für unſere Frage Mehreres. Von den drei-
tauſend Helden, die aus Günthers Lande auf ſein Gebot
zuſammen kamen (Z. 5907), hatte Hagen tauſend ausge-
wählt (Z. 5903. 5925); Hagen und Dankwart brachten acht-
zig Recken, Volker dreißig. Als ſie von Worms wegge-
hen, kleidet Günther ſeine Mannen, ſechzig und tauſend,
und neuntauſend Knechte (Z. 6042 f.). Hagen ſetzt über
die Donau wohl tauſend Ritter hehr, dazu ſeine Recken,
und noch neuntauſend Knechte (Z. 6305 ff.). Bei Rüdiger
ſollen beherbergt werden ſechzig ſchnelle Recken und tau-
ſend Ritter gut, nebſt neuntauſend Knechten (Z. 6603 f.).
Bei Etzel gehen mit den Königen zu Hofe
Ir edeln ingeſindes tuſent küner man;
Daru̓ber ſehzec recken, die waren mit in komen,
Die het’ in ſinem lande der küne Hagene genomen.
[13]
(Z. 7246 ff.) Günthers Geſinde, nicht das edele, ſondern
die Knechte wurden ſchon früher mit Dankwart in die Her-
berge geſchickt (Z. 6959 ff.). Hier wurden hernach erſt
fünfhundert erſchlagen (Z. 7805), und endlich alle neuntau-
ſend Knechte (Z. 7818), und
Von dieſen und Hagens Mannen (Z. 6411) wurden ſchon
unterwegs in der Schlacht, die der Nachtrab den Baier-
fürſten lieferte, vier verloren (Z. 6489). Von des Königs
Degen lebten, nachdem Krlemhilde das Haus angezündet
hatte, noch ſechs Hundert kühner Mann (Z. 8599). Nach
der Schlacht mit Dietrichs Mannen,
(Z. 9309). In dieſer Zählung nun finden ſich bedeutende Schwie-
rigkeiten. Hagens und Dankwarts achtzig Mann kommen
nur in der Stelle vor, die uns auf dieſe Unterſuchung lei-
tete. Einigemahl werden Günthern tauſend Mann und
ſechzig Recken gegeben; wo Hagens und Dankwarts Recken
beſonders erwähnt werden, da bekommt der König nur
tauſend; und in der einen Stelle (Z. 7248) iſt es ganz deut-
lich, daß die ſechzig Recken Hagens Mannen ſind:
Hagens und Dankwarts Mannen brauchten aber in der
Stelle, wo das Heer zuſammen kommt, eben ſo wenig ge-
nannt zu werden, als der Dichter dies dort von den neun-
tauſend Knechten nöthig fand. Es ſcheint alſo die ganze
Strophe von Hagens und Dankwarts achtzig Recken ein-
geſchoben, oder doch zum wenigſten die Zahl achtzig, in
der die Handſchriften übereinſtimmen, unrichtig zu ſein.
Die folgende aber, worin Volker mit dreißig Mann kommt,
[14] um mit nach Hünenland zu fahren, iſt ſicher erſt ſpäter
eingefügt; die armen Leute, die weiterhin gar nicht mehr
vorkommen, müßten denn, ihrer Abſicht zuwider, ſtatt mit-
zugehen, am Rheine geblieben ſein. Endlich aber bringt
uns die letzte von jenen Strophen:
auf eine ſichere Spur, woher dieſe Einfügungen kommen.
Las ihr Verfaſſer, wie wir, die früheren Aventüren, ſo
hätte er Volkern, den wir genugſam kennen, nicht auf
dieſe Art eingeführt. Er mußte dies aber thun, weil er
nachher Volkern häufig erwähnt fand, ohne daß irgendwo
geſagt wurde, wer er war. Anderswoher und ſelbſt durch
die Sage kannte er ihn ſchwerlich weiter, weil er uns nicht
einmahl erzählt, daß er Herr von Alzeie war.
5.
Und ſo finde ich, daß bis dahin, wo Volker einen nä-
heren Antheil an den Begebenheiten nimmt, alle Stellen,
in denen er erwähnt wird, entweder offenbar eingeſchoben
oder doch vollkommen überflüſſig ſind. Es wird ſchon nö-
thig ſein, ſie einzeln durchzugehen und an jeder die Wahr-
heit dieſes Satzes beſonders zu zeigen.
Die nächſte (Z. 5953 — 5960) iſt die, wo Etzels Bo-
ten, Wärbel und Swemmel, denen Günther vor dem Ab-
ſchiede, wenn ſie wollten, Frau Brünhilden zu ſehen er-
laubte, durch Volker davon abgehalten und auf morgen
vertröſtet werden. Dann heißt es ganz kurz:
Er handelt hier wohl in ſeinem Charakter, der ſich ſpäter
entwickelt, als Hagens und alſo auch als Brünhildens
[15] Freund: aber es iſt doch wunderbar auffallend, daß der
eben erſt Eingeführte jetzt auf einmahl ſchon ſo mächtig
mit einſpricht.
Kriemhild fragt die rückkehrenden Boten, wer von ih-
ren Verwandten aus Burgund kommen werde. Sie erklä-
ren, die drei Könige würden kommen; wer noch mit
ihnen, könnten ſie nicht ſagen:
Es iſt wunderbar genug, daß ſie ihn gerade nennen, und
nicht einmahl Hagen, nach dem die Königinn beſtimmt ge-
fragt hatte. Späterhin aber wird ſich uns noch etwas
anderes zeigen, das dieſe ganze Stelle (Z. 6009 — 6024)
verdächtig macht.
6.
Auf der Reiſe der Burgunden nach Ungarn wird Vol-
ker, ehe ſie nach Bechlaren kommen, noch einigemahle er-
wähnt.
Die erſte Stelle iſt gar ſehr verworren, theils eben
durch Volkers Erwähnung, theils durch andere noch bedeu-
tendere Interpolationen, wie ſich dies ſogleich ergeben
wird, wenn wir den Inhalt der dazu gehörigen Strophen
verfolgen (Z. 6301 — 6384). Hagen läßt Gold und Klei-
der in das Schiff tragen, dann ſetzt er alle nach und nach
über. Dabei wird des Königs Kapellan ins Waſſer ge-
worfen und rettet ſich nur mit Mühe. Als ſie das Schiff
entladen und ihre Sachen herausgenommen, ſchlägt es
Hagen in Stücken und wirft es in die Flut. Dankwart
fragt, wie es nun bei der Rückreiſe werden ſolle;
[16]
Er ſagt ihnen aber nicht, was er von den Meerweibern
erfahren, ſondern
Do ſprach der helt von Tronege: ich tůn iz uf
den wan,
Ob wir an dirre reiſe deheinen zagen han,
Der uns entrinnen welle durch zœgeliche not,
Der můz an diſem wage doch liden ſchamelichen tot.
Dann folgt eine Strophe von Volker:
Si fůrten mit in einen uz Burgondenlant,
Einen helt ze ſinen handen, der was Volker genant;
Der redete ſpœheliche allen ſinen můt:
Swaz ie begie der Hagene, daz duhte den videlœre gůt.
Ihre Roſſe waren bereitet, ihre Saumthiere beladen. Sie
hatten auf der Reiſe noch kein bedeutendes Unglück erlit-
ten, bis auf den Kapellan; der mußte zu Fuß wieder zum
Rheine wandern. Da ſie nun alle ans Ufer gekommen
waren (vorher hatten ſie ſchon alles wieder zum Weiter-
reiſen in Stand geſetzt), fragte der König:
Wer ſol uns durch daz lant
Die rehten wege wiſen, daz wir niht irre varn?
Do ſprach der ſtarke Volker: daz ſol ich eine bewarn.
Nun heißt es ferner ohne Übergang:
Nu enthaltet u̓ch, ſprach Hagene, ritter unde
kneht;
Man ſol fru̓nden volgen; ja dunket ez mich reht.
Vil ungefügu̓ mœre du̓ tůn ich u̓ bekant:
Wir en kumen nimmer wider in der Bu̓rgonden lant.
Darauf erzählt er ihnen, was ihm die Meerweiber geſagt,
und wie er die Wahrheit ihrer Ausſage an dem Kapellan
habe prüfen wollen.
Das
[17]
Das Verworrene dieſer Erzählung fällt auf den erſten
Blick in die Augen, ſo daß es dafür keines Beweiſes, ſon-
dern nur der Verſicherung bedarf, daß eben die zweite
Hälfte unſeres Gedichts von dieſem Fehler, bis auf wenige
Stellen, ſonſt gänzlich frei iſt.
Die erſte Strophe von Volker zeigt deutlich einen
neuen Verſuch, den Fiedler in das Gedicht einzuführen.
Was in dem Folgenden von ihm geſagt iſt, läßt ſich kaum
recht begreifen. Hagen kannte ja die Wege, ſo daß ſie
keines andern Führers bedurften. Außer den Stellen, die
ſich auf Hagens früheren Aufenthalt bei Etzel beziehen,
heißt es auch ſchon auf eben dieſer Reiſe, da ſie durch
Oſterfranken gehen:
(Z. 6111.) Ja Kriemhilde hatte den Boten gerade dies als
den Grund angegeben, warum Hagen mit zu ihr kom-
men müßte (Z. 5690):
Und ob von Tronege Hagene welle dort beſtan,
Wer ſi danne ſolde wiſen durch du̓ lant.
Dem ſint die wege von kinde her zen Hu̓nen wol be-
kant.
Und dennoch kannte ſie auch Volkern recht wohl; in der
7093 Zeile ſagt ſie zu den Hüniſchen Recken:
Swie ſtark und ſwie küne von Tronege Hagen ſi,
Noch iſt er verre ſterker, der im da ſitzet bi,
Volker der videlœre, der iſt ein u̓bel man.
Jane ſult ir die helde niht ſo lihte beſtan.
Aber auch einige andere Strophen in dieſer Stelle
ſind mir ſehr verdächtig, eben der ſchon angedeuteten Ver-
B
[18] worrenheit wegen. Die Probe, die Hagen an dem Kapel-
lan nimmt, möchte ich gern ganz, als eine ſpätere
Ausbildung, wegſchaffen. Dann müßte zuerſt eine oder
auch zwei Strophen in der Erzählung von den Meerwei-
bern (Z. 6177 — 6184) ausfallen, worin auf Hagens Fra-
ge, wie es möglich ſei, daß ſie alle in Hünenland den Tod
leiden ſollten, und nach der Ankündigung, daß ſie ihm
darauf die Sache deutlicher geſagt haben, doch nur zum
zweitenmahle der Untergang aller im Allgemeinen ver-
kündigt und der Kapellan ausgenommen wird. In unſe-
rer Stelle aber würde erſt (Z. 6305 — 6308) erzählt, wie
Hagen alle übers Waſſer gebracht;
dann weiter (Z. 6337 — 6344), ohne Erwähnung des Ka-
pellans:
Do ſi daz ſchif entlůden, und gar getrůgen dan
Swaz daruſſe heten der drier ku̓nige man,
Hagen ſlůc ez ze ſtucken ꝛc.
Sodann fragt Dankwart: wenn wir nun wieder an den
Rhein fahren, wie ſollen wir überkommen?
Und darauf gleich die hier angekündigte Rede Hagens
(Z. 6361):
In dieſer und der folgenden Strophe (Z. 6361 — 6368)
kündigt er ihnen ihr Schickſal an, und bittet ſie ſich zu
waffnen. Die nächſte (Z. 6369 — 6372), worin er erzählt,
warum er den Kapellan habe ertränken wollen, bliebe wie-
der weg, und dann hieße es gleich (Z. 6373):
[19]
Do flugen diſu̓ mœre von ſchare ze ſchar;
Des wurden ſnelle helde vor leide miſſevar,
Do ſi begonden ſorgen uf den herten tot
An dirre hoveteiſe; des gie in wœrliche not.
Doch möchte vielleicht auch dieſe Strophe mit der nächſten
(Z. 6373 — 6780) wieder von einer ſpäteren ausmah-
lenden Hand ſein. Wenigſtens iſt in der letzteren gleich
wieder eine neue Verwirrung:
Da ze Möringen ſi waren u̓berkomen,
Da dem Elſen vergen der lip was benomen.
Das ſieht aus, wie eine geographiſche Anmerkung. Es
heißt weiter:
Do ſprach aber Hagene: ſit daz ich viende han
Verdienet uf der ſtrazen, wir werden ſicherlich beſtan.
Warum ſpricht er aber, zum zweitenmahl? Noch dazu
ſagt er ihnen hier, was er vorher ſchon, ohne daß ſie es
verſtehen konnten, mit der hinzugefügten Warnung ſich zu
waffnen, geſagt hat:
Nu rat’ ich, waz man tů,
Daz ir u̓ch waffent, helde; ir ſult u̓ch wol bewarn,
Wir han hie ſtarke viende, daz wir gewœrliche varn.
Nach der Abſicht des erſten Dichters dieſes Liedes ſetzte er
wohl gleich hinzu, was jetzt erſt nach drei Strophen folgt
(Z. 6381 ff.):
Ich ſlůc den Elſen 10) vergen hu̓te morgen frů;
Si wizzen wol du̓ mœre. nu grifet, helde, zů,
Ob Gelfrat und Elſe hu̓te hie beſte
Unſer ingeſinde, daz iz in ſchœdelich erge.
Auf dieſe Art, glaube ich, kann eine noch erkennbare
ältere Geſtalt dieſes Abſchnittes hergeſtellt werden. Indeß
B 2
[20] mag immerhin ein Theil dieſer Herſtellung als Hypotheſe
auf ſich beruhen: es kommt uns hier hauptſächlich nur auf
Volker an.
7.
Acht Verſe darauf (Z. 6389 — 6396) wiederhohlt Gi-
ſelher ſehr unnöthig Günthers Frage noch einmahl:
Wer ſol daz geſinde wiſen u̓ber lant?
Si ſprachen: daz tů Volker; dem iſt hie wol bekant
Stic unde ſtraze; der küne ſpileman.
Da waffnet er ſich und bindet ein rothes Zeichen an ſei-
nen Schaft. Gegen dieſe Erzählung iſt wieder, wie gegen
die vorige, einzuwenden, daß man neben Hagen keinen
weiteren Führer mehr nöthig hatte. Wenn aber wahr iſt,
was Göttling aus dieſer rothen Fahne und einigen ande-
ren Umſtänden vermuthet, 11) daß die Nibelungen Gibel-
linen ſeien, ſo gibt ſich eben darin auch dieſe Stelle als
eine ſpätere zu erkennen.
Einmahl noch kurz darauf, wie Gelfraten und Elſen
die Schlacht geliefert iſt, kommen wieder zwei Strophen
von Volker, in denen ſeine Erwähnung zum allerwenig-
ſten müſſig iſt (Z. 6501 — 6508). Das ſtreitmüde Ge-
ſinde fragt ſeinen Führer Dankwart, wie lange ſie reiten
ſollen;
Do ſprach der küne Dankwart: wir mugen niht her-
berge han.
In der erſten dieſer beiden Strophen fährt er noch fort:
[21]
Da läßt Volker, der des Geſindes pflag, (der übrigen, die
nicht geſtritten hatten,) den Marſchall auch fragen, wo ſie
die Nacht ruhen ſollen:
Do ſprach der küne Dankwart: ine kans niht
geſagen;
Wir en mu̓gen niht gerůwen, e iz beginne tagen.
Swa wirz danne finden, da legen uns an ein gras.
Do ſi du̓ mœre horten, wie leit in ſumelichen was!
Dieſe Strophe mag wohl echt und alt ſein, wenn auch die
erſten Worte, Do ſprach der küne Dankwart, viel-
leicht interpoliert ſind; die vorhergehende (Z. 6501 — 6504)
aber verräth ſich in jeder Zeile als Einſchaltung. Damit
Volker verherrlicht werde, muß das übrige Geſinde, das
vor und nach der Überfahrt über die Donau geruhet, auch
über Müdigkeit klagen, und Dankwart ihm wieder die
nämliche Antwort geben. Daß ſie am Morgen ruhen ſol-
len, ſagt er, wenn jene Strophe ſtehen bleibt, nur den
Übrigen und nicht ſeinem Geſinde, dem dieſe Nachricht weit
tröſtlicher und nöthiger war.
Von dem Theile der Erzählung an, wo die Burgun-
den nach Bechlaren zu Rüdiger kommen, werden ſich
ſchwerlich mehr Stellen von Volker finden, in denen klei-
nere Interpolationen beſtimmt könnten nachgewieſen wer-
den. Er tritt ſeitdem ſo förmlich mit den andern in die
Reihe, daß man ſelten ihn allein, ſondern höchſtens größere
Stücke, in denen er mithandelt, wird ausſcheiden können.
Und ſo will ich es auch nur als eine nicht ſtrenger-
weisliche Muthmaßung geben, daß ein ritterlicher Sän-
ger, einer der Diaſkeuaſten unſerer Lieder, auch in den
folgenden Geſängen ſein Augenmerk beſonders auf ihn ge-
richtet und ihn in einigen gerade der ſchönſten Stellen
[22] durch ein ausgeführteres Lob faſt zu ſehr über die anderen
könne erhöhet haben 12).
8.
Es bleibt uns noch eine andere Unterſuchung derſelben
Art zu führen übrig, nämlich ob auch noch jetzt Spuren in
dem Liede anzutreffen ſind, daß die Stadt Wien, die erſt
im Jahre 1162 erbaut worden, nur durch eine ſpätere
Überarbeitung, wie auch ſchon A. W. Schlegel angenom-
men, in dem Gedichte ihre Stelle gefunden habe.
Wien wird überhaupt nur zweimahl erwähnt. Zuerſt,
ehe Rüdiger, um Kriemhilden für Etzel zu werben, von
Ungarn abreiſt, läßt er ſich Kleider von Wien kommen.
Dies wird in der folgenden Strophe erzählt (Z. 4661):
Rüdeger von Ungern in ſiben tagen reit;
Des was der ku̓nic Etzel fro und gemeit.
Da zer ſtat ze Wiene bereite man in wat;
Done moht’ er ſiner reiſe do niht langer haben rat.
Dann wird uns weiter geſagt, wie ihn Gotelinde und ihre
Tochter zu Bechlaren erwarteten, worauf die Erzählung
alſo weiter fortgeht (Z. 4669):
E daz der edel Rüdeger ze Bechelaren reit,
Uz der ſtat ze Wiene do waren in ir kleit
Rehte volleclichen uf den ſoͧmen komen;
Die fůren in der maze, daz in wart wenic iht ge-
nomen.
Do ſi ze Bechelaren komen in du̓ ſtat,
Die ſinen reisgeſellen herbergen do bat
Der wirt vil minnecliche ꝛc.
[23]
Ob er die Kleider vor ſeiner Abreiſe von Etzels Burg oder
erſt auf der Reiſe bekommen, iſt nicht deutlich, 13) und,
wie man wohl ſieht, durch die Erwähnung Wiens alles et-
was in Unordnung und Verwirrung gerathen, ſo daß ſelbſt
nicht mehr klar iſt, ob Rüdiger nach ſieben Tagen abge-
reiſt oder in ſieben Tagen nach Bechlaren gekommen ſei,
und erſt die Klage völligen Aufſchluß darüber gibt, in der
(Z. 4428) Dieterich am ſiebenten Morgen in Bechlaren an-
langt. Wie viel aber in dieſer Stelle neu ſei, und ob
nicht hier vielleicht etwas Neues an die Stelle des Alten
geſetzt worden, wage ich nicht zu entſcheiden.
Eben dies muß ich von der anderen Stelle ſagen, wo
Etzel ſein Beilager mit Kriemhilden zu Wien hält. Hier
wird Wien dreimahl (Z. 5458. 5475. 5513.) namentlich an-
geführt. Man wird ohne Zweifel annehmen müſſen, daß
auch hier Einiges eingefügt ſei: doch wüßte ich keine
ſichere Spur der Interpolation anzugeben 14).
Es können vielleicht einſt noch mehrere den bisher ge-
führten ähnliche Unterſuchungen angeſtellt werden, wenn
es ſich wird möglich machen laſſen, die Unterſchiede der
Sitten in dem Zeitraum zwiſchen dem zehnten und drei-
zehnten Jahrhundert genau zu erkennen; denn vermuthlich
werden ſich aus einer ſolchen Vergleichung noch manche
neuere Zuſätze in unſerem Liede ergeben. Man hat auch
die Stellen, die ſich auf das Chriſtenthum beziehen, ſpäte-
rer Zeit zuſchreiben wollen: allein ich habe nirgend ein
ein Zeichen gefunden, woran ſie ſich als neuer eingefügt
erkennen ließen, obwohl es wahr iſt, daß nirgend 15) das
Chriſtliche hervortritt und auch nach der Beſchaffenheit
der Fabel nicht oft und nicht ſehr bedeutend hervortreten
kann 16).
[24]
9.
Aber es iſt Zeit, auf einige andere Punkte aufmerk-
ſam zu machen, durch deren Betrachtung, wie ich hoffe,
unſere Unterſuchung wieder um einige Schritte weiter ge-
führt werden ſoll. Denn wenn die bisher durchgegange-
nen Stücke nur als eingefügt anzunehmen ſind, ſo zeigen
ſich nun auch eben in bedeutenden Punkten der Erzählung
einige beſtimmte Anfänge einzelner Lieder, die aus der
Zeit, wo die Begebenheiten zwar wohl durch die Sage,
aber noch nicht durch die Form eines einzigen Epos ver-
knüpft waren, nachher in das letztere mit übergegan-
gen ſind.
Dahin gehört in der zweiten Hälfte, von der wir noch
immer allein reden, gleich der Anfang (Z. 4585):
Daz was in einen ziten, do froͧ Helke erſtarp,
Und daz der ku̓nic Etzel umb ein’ ander froͧwen warp,
Do rieten ſine fru̓nde in der Burgonden lant
Z’ einer ſtolzen witewen, du̓ was froͧ Kriemhilt ge-
nant.
Etzel läßt ſich darauf noch mehr von Kriemhild und ihren
Brüdern erzählen, das der Dichter, dem man nicht die
Künſte unſerer nachgeahmten Heldengedichte zuſchreiben
darf, ſchwerlich ſo würde vorgetragen haben, wenn er
nicht auch uns erſt mit jenen Perſonen bekannt machen
wollte.
Eine Stelle derſelben Art (Z. 5705 ff.). Etzel hat ſeine
Boten nach Worms abgeſchickt; wir wiſſen ſchon alle Um-
ſtände, alles was ihnen beſtellt iſt. Die Erzählung von
ihrer Fahrt, die urſprünglich einzeln ſtand, hebt an:
[25]
Die boten dannen fůren uzer Hu̓nenlant
Zů den Burgonden, dar waren ſi geſant,
Nach drien edeln ku̓nigen und oͧch nach ir man;
Si ſolden komen Etzele. des man do gahen began.
Wir ſind gewohnt dergleichen Anfänge mitten in der
Erzählung gerade für eine epiſche Manier zu halten: al-
lein man muß geſtehen, daß dieſe Anſicht eben auch nur
aus den Homeriſchen Geſängen genommen iſt, in denen ge-
rade daſſelbe neue Anheben und ein neues Einführen ſchon
bekannter Perſonen am Anfang der einzelnen Lieder ſehr
gewöhnlich iſt 17).
Und ſo müſſen wir eben dahin auch die Stelle rech-
nen (Z. 6581 ff.), wo Eckewart Günthern verſprochen hat,
ihn und die Seinen bei Rüdiger anzumelden, und nach
der Erzählung davon ganz wie von vorn angefangen
wird:
Man ſach ze Bechelaren ilen einen degen;
Selbe erkande in Rüdger; er ſprach: uf diſen wegen
Dort her gahet Eckewart, ein Kriemhilde man.
Er wande, daz die viende im leide heten getan 18).
Den Beweis, daß hier ein neues von dem vorigen unab-
hängiges Lied anhebe, verſtärkt noch ferner der Umſtand,
daß gerade in dem Folgenden und ſelbſt ſchon in Ecke-
warts Bothſchaft auch Volker in die Reihe der übrigen
tritt, mit deſſen Erwähnung in dem Vorigen es, wie oben
gezeigt worden, ſeine eigene Bewandtniß hat, und der ſelbſt
da, wo man Eckewart ſchlafend gefunden, noch nicht ge-
nannt wurde.
Aber auch eben dieſe zunächſt vorhergehende Erzäh-
lung von Eckewart zieht unſere Aufmerkſamkeit insbeſon-
[26] dere auf ſich. Es wird darin ſo fragmentariſch, wie nicht
leicht in einer anderen Stelle unſeres Gedichts, erwähnt,
daß Eckewart, von dem man nicht begreift, wie er dahin
kam, 19) auf Rüdigers Mark ſchlafend gefunden wurde;
worauf ihm Hagen ſein Schwert abnahm, das ihm die
Burgunden wieder gaben und darauf von ihm zu Rüdiger
eingeladen wurden. Dabei iſt auffallend, daß Eckewart,
den wir aus dem erſten Theile noch recht wohl kennen
und im zweiten ungern vermiſſen, hier wieder als eine
neue Perſon vorgeführt wird:
die Burgunden ihn auch nicht weiter zu kennen ſcheinen,
ob er gleich klagt:
und auch zu erkennen gibt, daß er wohl wiſſe, wer ſie
ſeien:
Doch ru̓wet mich vil ſere zen Hu̓nen u̓wer vart.
Ir ſlůget Siveride, man iſt u̓ hie gehaz.
Ich bin daher der Meinung, daß einer unſerer Diaſkeu-
aſten, der aber die erſten Geſänge wenigſtens nicht voll-
ſtändig kannte, 20) hier das vorhergehende Lied fand,
das nach den vorher angeſtellten Unterſuchungen mit der
Zeile (6526) ſchloß:
welches er mit dem Folgenden (Z. 6581 ff.),
durch jene Erzählung, bei der er eine andere Sage 21)
vorausſetzte, in Verbindung zu bringen verſuchte.
Endlich iſt noch an dieſer Stelle bemerkenswerth, daß
[27] Eckewart die Burgunden warnt, und ihnen ſagt: man iſt
u̓ hie gehaz. Der Verfaſſer las alſo oder beachtete we-
nigſtens nicht, daß ſpäterhin angenommen wird, es ſei ih-
nen davon noch nichts bekannt. Dietrichen, heißt es (Z.
6911 ff.), war ihre Reiſe leid;
Er fragt:
iſt u̓ daz niht bekant?
Kriemhilt noch ſere weinet den helt von Nibelunge-
lant.
worauf Günther antwortet:
Wie ſol ich mich behüten? ſprach der ku̓nic her.
Etzel uns boten ſande, (wes ſol ich fragen mer?)
Daz wir zůz’ im ſolden riten her inz lant;
Oͧch hat uns menigu̓ mœre min ſweſter Kriemhilt ge-
ſant.
Darauf erſt ſagt Dieterich Günthern und Gernoten heimlich
die Sache genauer.
10.
An die zuletzt bemerkten Widerſprüche mögen ſich nun
noch ein Paar andere anſchließen, und zwar zuerſt die
Stelle, wo Kriemhild den Boten beſonders aufträgt ihre
Brüder und Hagen von ihr zu grüßen und einzuladen
(Z. 5652. 5666 — 5696). Damit übereinſtimmend heißt es
in einer eben angeführten Zeile:
Oͧch hat uns menigu̓ mœre min ſweſter Kriemhilt ge-
ſant.
Hingegen in dem nächſtfolgenden Liede (denn als verſchie-
[28] den von dem vorhergehenden haben wir es ſchon an ſei-
nem Anfange erkannt) beſtellen die Boten zu Worms
nichts von der Königinn insbeſondere, Hagen wird eigent-
lich gar nicht einmahl mit eingeladen. Und mit dieſer Er-
zählung, nicht aber mit der erſteren, verträgt ſich wieder
was Kriemhild zu Hagen ſagt (Z. 7169):
Her Hagene, wer hat nach u̓ geſant,
Daz ir getorſtet riten her in dizze lant,
Unde ir daz wol erkandet, waz ir mir habt getan?
Hetet ir gůte ſinne, ir ſoldet ez billiche lan.
und was er ihr antwortet:
Nach mir ſande niemen, ſprach do Hagene;
Man ladete her ze lande drie degene;
Die heizent mine herren, und bin ich ir man;
In deheiner hovereiſe bin ich ſelten hinder in beſtan.
Es wird ſich ſpäterhin zeigen, daß alle die Lieder, in de-
nen dieſe Stellen enthalten ſind, auch nach anderen Kenn-
zeichen als verſchieden und urſprünglich einzelnſtehend an-
genommen werden müſſen.
Damit aber die Kritik ja nicht übermüthig werde, ſoll
hier ſogleich eine andere Stelle angeführt werden (Z. 6009
— 6024), in der ſie ſich bei reiflicher Überlegung endlich
doch beſcheiden muß, zweifelhaft zu laſſen, ob der darin
enthaltene Widerſpruch bloß auf Rechnung des Dichters
komme, der ein anderes Lied nicht kannte, oder hingegen
die ganze Stelle als ein ſpäter eingefügtes Stück anzuſe-
hen ſei; auf die letztere Seite wird ſie ſich vielleicht mehr
hinneigen dürfen, weil darin wieder Volker der Spielmann
erwähnt wird. Die Königinn fragt nämlich die zurückge-
kehrten Boten, welche ihrer Verwandten zur Hochzeit kommen
[29] würden, und was Hagen dazu geſagt habe. Sie ant-
worten:
Der kom zer ſprache an einem morgen frů;
Lu̓tzel gůter ſpru̓che reder’ er derzů,
Do ſi du̓ reiſe lobten her in Hu̓nenlant;
Daz was dem grimmen Hagene gar zem tode ge-
nant.
Ez kument u̓wer brůder, die ku̓nige alle dri,
In herlichem můte; wer mer damite ſi,
Der mœre ich endeclichen wizzen nine kan.
Ez lobte mit in riten Volker der küne ſpileman.
Vergleicht man nun damit die vorhergehende Erzählung,
die nach meiner Meinung in demſelben Liede enthalten iſt,
ſo findet man darin nicht, daß Günther und die Seinen
ſich gerade an einem Morgen früh zum Rath verſammelt,
daß aber Wärbel und Swemmel nicht wohl wiſſen konn-
ten, was Hagen dabei geſagt hatte, weil ſie über ſieben
Tage wieder zum Könige beſchieden waren und bis dahin
in der Herberge blieben.
Nun mag aber eine andere Stelle erwähnt werden, in
der keinesweges ein Widerſpruch, ſondern eine unnöthige
und deshalb eben ſo verdächtige Wiederhohlung zu finden
iſt. In dem Liede, bei dem wir uns ſo eben aufhielten,
wirft in der Berathung über die Reiſe (Z. 5865 — 5872)
Giſelher dem Hagen vor, er widerrathe die Reiſe, weil er
ſich ſchuldig wiſſe; worauf dieſer zornig erwidert, man
werde wohl ſehen, daß niemand mit größerem Muthe mit
ihnen reiſe. Zum klaren Beweis nun, daß wir da, wo
wir die Abreiſe der Burgunden erzählt leſen, uns in einem
anderen Liede, welches das vorhergehende nicht als be-
kannt vorausſetzte, befinden, 22) kommt hier die ganze
[30] Geſchichte noch einmahl (Z. 6051 ff.). Hagen verſpottet
Utens Traum: wir mögen immer freudig in Etzels Land
reiſen.
Hagen riet, du̓ reiſe, iedoch geroͧ ez in ſit.
Er het’ ez widerraten, wan daz Gernot
Mit ungefügen worten im alſo miſſebot.
Er mant’ in Sivrides, froͧn Kriemhilden man;
Er ſprach: davon wil Hagene du̓ grozen hovereiſe
lan.
Do ſprach von Tronege Hagene: durch vorhte
ich niene tů.
Swenne ir gebietet, helde, ſo ſult ir grifen zů;
Ja rit’ ich mit u̓ gerne in Etzelen lant.
Sit wart von im verhoͧwen vil manic helm unde rant.
11.
Wir ſtellen abſichtlich mancherlei Erſcheinungen zuſam-
men, um zu zeigen, aus wie vielen einzelnen ganz ver-
ſchiedenen Punkten ſich der Urſprung unſeres Gedichtes er-
kennen laſſe. Deshalb ſoll hier gleich von einer Stelle ge-
redet werden, die uns wieder auf eine andere Seite der
Unterſuchung weiſt. Als alles zur Reiſe fertig war, heißt
es (Z. 6045),
Do trůc man du̓ gereite ze Wormez u̓ber den
hof.
Do ſprach da von Spire ein alter biſchof
Zů der ſchönen Ůten: unſer fru̓nde wellent varn
Gegen der hochgezite; Got müz’ ir ere da bewarn!
Der eigentliche Sinn dieſer Stelle iſt unverſtändlich; doch
läßt ſich vermuthen, daß der alte Biſchof von Speier, der
[31] nicht weiter vorkommt, Unglück ahnte und ſie warnen
wollte. Wenigſtens ſcheint dies daraus zu erhellen, daß
unmittelbar da auf Ute ihren Kindern erzählt, wie ihr von
dem Tode aller Vögel in dieſem Lande geträumet habe.
Es iſt wohl erlaubt anzunehmen, daß wir hier nur ein
Bruchſtück, einen halbverlorenen Nachklang des alten Lie-
des haben, zumahl wenn ſich dies noch von anderen Stel-
len zeigen ließe.
Dergleichen finden wir aber, wie ich glaube, in der
Erzählung von Hagens Geſpräch mit den Meerweibern
und der darauf folgenden Ermordung des Schiffers. Die
Meerweiber verſprachen ihm, wenn er ihre Kleider heraus-
geben wollte, ſein Schickſal in Hünenland zu ſagen (Z. 6160).
Des er do hin z’ in gerte, vil wol beſcheideten ſi im
daz.
Nach der Erzählung aber begehrte und fragte er nichts.
Ferner, der Schiffer drohet Hagen, wenn er nicht wieder
aus dem Schiffe trete (Z. 6248):
So liebe dir ſi ze lebene, ſo trit vil balde uz an den
ſant.
Es iſt auch nachher deutlich, daß Hagen bei ihm im Schiffe
ſtand: wie er aber hineinſprang, wurde nicht erzählt; und
dieſe Auslaſſung ziemt der epiſchen Breite unſeres Liedes nicht.
Weiter wird zwar erzählt, daß Hagen dem Schiffer das
Haupt abgeſchlagen und es auf den Grund, nämlich des
Fluſſes, geworfen (Z. 6262): aber aus dem Folgenden (Z.
6278), wo Günther und die Übrigen nur das Blut im
Schiffe fließen ſehen, iſt klar, daß er den ganzen Leib des
Schiffers hinausgeſchafft habe.
Hierbei iſt nun merkwürdig, daß die drei Däniſchen
[32] Lieder von Grimil[d]s Rache, die in ſo vielen Punkten mit
unſerer Fabel zuſammenſtimmen, wenigſtens einen Theil
gerade jener Lücken in unſerer Erzählung ausfüllen. In
allen dreien fragt Haagen das Meerweib, wie es ihm ge-
hen werde, wenn er nach Hven zu ſeiner Schweſter Gri-
mild komme. In dem erſten ſchlägt er dem Meerweibe,
in dem dritten aber dem Vergen das Haupt ab, und wirft
es ins Meer; worauf er ihm dann den Rumpf nachſendet,
damit ſich beide auf dem Grunde zuſammen finden mögen.
Dagegen erſchlägt er in dem erſten und dritten dieſer Lie-
der den Fährmann aus Grimm, weil er ihn nicht überfah-
ren will, dagegen in unſerem Liede, wo der Verge Hagen zu-
erſt angreift, die Sache beſſer und vollſtändiger dargeſtellt iſt.
So wie hier aus der Vergleichung dieſer Kiœmpeviſer,
ergibt ſich noch manches der Art, beſonders aus der Vil-
kinaſaga, ſelbſt zum Theil vielleicht für die Geſchichte der
einzelnen Lieder unſeres Werkes. Wir enthalten uns aber
hier dergleichen anzuführen, weil dabei doch immer zwei-
felhaft iſt, ob wir über die Bildung unſerer noch vorhan-
denen Geſänge oder über die Geſtalt der Sage in anderen
Liedern einen Aufſchluß gewonnen haben.
12.
Vielmehr wollen wir uns jetzt nach einem beſtimmte-
ren Zeugniſſe für unſer Werk umſehen, das, wenn ich nicht
ſehr irre, die bisher aus einigen Theilen des Liedes ſelbſt
erwieſene Behauptung zur hiſtoriſchen Gewißheit bringen
ſoll. Dieſes Zeugniß finden wir in der bekannten Fort-
ſetzung der Nibelungennoth, dem Mähre von der Klage.
Um aber zu erforſchen, ob das Zeugniß dieſes Gedichts
auch
[33] auch wirklich unſere Nibelungennoth treffe, wird es nöthig
ſein zu unterſuchen, was der Dichter ſelbſt von ſeiner
Quelle für Nachricht gibt.
Als den letzten Urſprung ſeiner Erzählung gibt er am
Schluß ein Mähre an, das auf Befehl des Biſchofs Pil-
grin ſein Schreiber, Meiſter Konrad, nach den Erzählun-
gen des Hüniſchen Fiedelets Swemmel, geprüft, das heißt,
bereitet 23) und in Lateiniſchen Buchſtaben geſchrieben 24).
Was den Inhalt dieſes Werkes betrifft, ſo las man
darin,
Wiez ergangen wœre
— — — — — — —
Von der alreſten ſtunde,
Wiez ſich hůb und oͧch began,
Unde wiez ende gewan
Umbe der gůten knehte not,
Und wie ſi alle gelagen tot;
oder, wie es in einer anderen Stelle (Z. 3705 ff.) heißt:
Die ſtu̓rme und der recken not,
Und wie ſi ſin beliben tot.
Ferner nennt er es (Z. 17) ein viel altes Mähre, und
berichtet (Z. 12), es ſei von alten Stunden her viel währ-
lich geſagt; noch deutlicher am Schluß, gleich nach der Er-
zählung von Konrads Arbeit:
Getihtet man ez ſit hat
Dicke in Tu̓tſcher zungen; 25)
Die alten mit den jungen
Erkennent wol daz mœre.
Im Anfange erwähnt er nun aber auch ein einzelnes
Deutſches Gedicht:
C
[34]
Diz alte mœre
Bat ein tihtœre
An ein bůch ſchriben;
Des en kund’ ez niht beliben,
Ez en ſi oͧch noch davon bekant,
Wie die von Burgondenlant
Bi ir ziten und bi ir tagen
Mit eren heten ſich betragen.
So lautet die Stelle in der Sanct-Galler Handſchrift: 26)
die erſte Hohenemſer weicht nicht allein in den letzten
Worten ab, ſondern wiederhohlt in den erſten auch nur
das Zeugniß von dem Lateiniſchen Buche:
Dizze vil alte mœre
Het’ ein ſchribœre
Wilen an ein bůch geſchriben,
Latine; des n’ iſt ez niht beliben ꝛc.
wonach es ſcheinen möchte, der Dichter der Klage habe
ſelbſt das Lateiniſche Werk geleſen. Dagegen führt er ſelbſt,
dem wir doch mehr als dem Hohenemſer Überarbeiter glau-
ben müſſen, dieſes niemahls beſtimmt an, wohl aber kom-
men bei ihm ein Paar nicht darauf paſſende Ausdrücke
vor (Z. 84):
und (Z. 4529):
Uns ſeit der tihtœre,
Der uns tihte diz mœre 27).
In anderen Stellen ſagt er (Z. 56), wie am Anfange und
Ende:
dann (Z. 291), auch wieder wie dort:
[35]
auch mit einem neuen Ausdrucke für den Dichter (Z.
1774):
Der meiſter ſagt, daz ungelogen
Sin diſu̓ mœre;
und abermahl (Z. 88):
Der rede meiſter hiez daz
Oͧch tihten an dem mœre; 28)
und wieder (Z. 583):
Ferner (Z. 35):
dann (Z. 68) ſogar in der Mehrzahl:
Als uns iſt geſaget ſit,
Und iſt uns von den bůchen kunt,
aus übergroßer Genauigkeit, die verſchiedenen Exemplare
anzudeuten, deren er und die anderen ſich bedienten. Ein-
mahl auch (Z. 29):
und anderswo (Z. 2405), zur Erklärung davon:
Ein teil ich u̓ der nenne,
Die ich von ſage bekenne,
Wand ſi angeſchriben ſint.
In den übrigen Stellen heißt es nur: wie wir oft
vernommen haben, das iſt uns, oder iſt euch wohl be-
kannt, und was dem ähnlich iſt; womit der Dichter denn
zum Theil wohl auf die Sage deuten mag 29): wenig-
ſtens aber fand er ſie ſeinem Buche gleichlautend; ſonſt
C 2
[36] würde er nach ſeiner Genauigkeit die falſchen Sagen ge-
wiß widerlegt haben 30). Eben dieſe Genauigkeit kommt
uns aber bei unſeren Unterſuchungen ſehr zu Statten, ſo
wie ſeine Weitläuftigkeit; durch beide ſind wir ſicher ge-
ſtellt, daß er nichts irgend Bedeutendes geändert und
nichts, das für ſein Gedicht paſſen konnte, unerwähnt habe
vorbeigehen laſſen. Wagt er doch nicht einmahl, die Gold-
ſtickerei an der ſeidenen Decke an Herrats Sattel, den
Helke zuvor geritten, aus eigener Phantaſie zu beſchreiben
(Z. 4353):
Jane kan ich u̓ beſunder
Niht geſagen daz wunder,
Wie dem werke wœre.
13.
Um ſo wichtiger iſt es denn, das Verhältniß des Buches,
dem der Dichter der Klage folgte, zu unſerem Nibelungen-
liede genau zu erforſchen.
Nach ſeiner Ausſage wurde darin die Familie der
Burgundiſchen Könige eben ſo wie in den Nibelungen an-
gegeben, ferner Siegfrieds Ältern gerade wie dort, ſeine
Ermordung durch Hagen, wie Etzel die Burgunden einge-
laden und freundlich empfangen, wie viele bei ihm in Hü-
nenland das Leben verloren. Außerdem begriff das Mähre
aber auch alles in der Klage Enthaltene, das der Dichter
der letzteren ſich zur weiteren Ausführung wählte. Denn
auf das ausdrückliche Zeugniß des Meiſters dieſes Mähres
erzählt er (Z. 1774), wie die Frauen den Todten die Rie-
men aufgeſchnitten, ſtatt ihnen die Kleider auszuziehen;
und am Ende (Z. 4529) berichtet er, der Dichter, der uns
[37] dies Mähre dichtete, erzähle, er habe gern ſchreiben wol-
len, was endlich mit Etzel geworden ſei, wenn er es nur
in der Welt von jemand hätte erfahren können. Daraus
erhellet alſo, daß das Werk nicht unſere Nibelungennoth,
ſondern wenigſtens am Ende weit vollſtändiger war.
Daß es aber auch nicht unſer Gedicht, etwa nur mit
dem Anhange eines Liedes, einer Aventüre von der Klage
31), geweſen, ergibt ſich ſchon daraus, daß die Grundan-
ſicht unſerer Nibelungen, Freude und Leid, nirgend er-
wähnt wird, womit der Dichter Etzeln und die übrigen,
die ſo viele Troſtgründe aufſuchen, ſich gewiß wenigſtens
einmahl würde haben beruhigen laſſen, wenn ſie ihm das
Gedicht an die Hand gegeben hätte. Hingegen findet ſich
zwar auch der Gedanke, daß um Siegfrieds Tod ſo man-
cher kühne Mann ſein Leben habe laſſen müſſen (Z. 1422.
4000); und Brünhild beklagt ſelbſt, daß ſie Kriemhilden
je geſehen, die ihr mit Rede den Muth erzürnt, wodurch
Siegfried das Leben verloren (Z. 4174):
Davon ich nu den ſchaden han.
Ir wart ir freude von mir benomen:
Daz iſt oͧch mir nu leider komen
Heim mit grozen ru̓wen:
aber es kommt daneben eine andere unſerem Gedichte völ-
lig fremde Anſicht zum Vorſchein, daß dies große Unglück,
welches die Burgunden getroffen, die Strafe für eine alte
Schuld und zwar für den Kriemhilden geraubten Nibelun-
genhort geweſen (Z. 263. 1426 — 1438. 226 — 231). Wenn
aber dieſe vielleicht dem Verfaſſer der Klage ſelbſt ange-
hört, ſo ſchreibt dieſer dafür dem früheren Dichter aus-
drücklich eine andere den Nibelungen nicht minder unbe-
[38] kannte zu, durch welche Kriemhildens That ſollte ent-
ſchuldigt werden (Z. 583):
Des bůches meiſter ſprach daz e:
Dem getru̓wen tůt untru̓we we.
Sit ſi durch tru̓we tot beleip,
Und ſi groz tru̓we darzů treip,
Daz ſi in tru̓wen vlos ir leben,
So hat uns Got den troſt gegeben:
Swes lip mit tru̓wen ende nimt,
Daz der zům himeltiche zimt.
14.
Deſſenungeachtet unterſtehe ich mich zu behaupten, und
es ſoll ſich durch die nachfolgende Vergleichung ergeben,
daß der Verfaſſer der Klage einen großen Theil der Ni-
belungennoth vor ſich hatte. Jetzt mag nur auf die be-
merkbare Gleichheit einiger Gedanken und Ausdrücke in
beiden Gedichten aufmerkſam gemacht werden.
In der Klage werden (Z. 32), wo der Dichter eben
als bekannt angegeben, daß ihr Land Burgund hieß, nun
aus dem Buche genannt,
nämlich Dankrat und Ute. In den Nibelungen (Z. 25):
Ein richu̓ ku̓neginne, froͧ Ůte ir můter hiez;
Ir vater der hiez Dankrat, der in du̓ erbe liez.
Ferner ſoll den Leſern oft geſagt ſein (Z. 106),
Wie froͧ Kriemhilt ſit geſaz
Zen Hu̓nen, als frö Helke e.
[39]
Eben ſo in den Nibelungen (Z. 5548):
Hei, wie gewaltecliche ſi ſit an Helken ſtat geſaz!
Der Verfaſſer der Klage fährt fort (Z. 108):
Doch tœt ir z’ allen ziten we,
Daz ſi ellende hiez.
In den Nibelungen klagt ſie Etzeln (Z. 5628):
Ich höre min die lu̓te niwan fu̓r ellende jehen.
Nach beiden Erzählungen kann ſie ſich nicht tröſten (Kla-
ge 151);
Swie dicke daz geſchœhe,
Daz Kriemhilt vor ir ſœhe
Zwelf ku̓nege under krone ſtan,
Die ir waren undertan
Mit dienſt, ſwie ſi gerůchte
Und ſiz an ſi verſůchte.
(Nibelungen Z. 5577):
Nu het ſi wol erkunnen, daz ir niemen widerſtůnt,
Alſo noch fu̓rſtenwibe ku̓niges recken tůnt,
Und daz ſi alle zite zwelf ku̓nige vor ir ſach.
Auch in der folgenden Stelle iſt die Ähnlichkeit nicht zu
verkennen. Klage Z. 164.:
Jane kunde ir beider kunne
Den willen niht erwenden,
Sine hete mit ir henden,
Ob ſi mohte ſin ein man,
Ir ſchaden, als ich mich verſtan,
Errochen manigu̓ ſtunde.
In den Nibelungen ſagt ſie, obwohl mit anderer Bezie-
hung (Z. 5679):
[40]
Die Hu̓nen wellent wœnen, deich ane fru̓nde ſi.
Ob ich ein ritter wœre, ich köm’ in etwenne bi.
Der König Etzel klagt laut (Kl. 681):
Als ob man hort’ ein wiſenthorn,
Dem edeln fu̓rſten wolgeborn
Du̓ ſtimme uz ſime munde
Erdoz in der ſtunde,
Do er ſo ſere klagete,
Daz davon erwagete
Beidu̓ tu̓rne und palas.
Ganz daſſelbe ſagen die Nibelungen von Dietrich (Z.
8025):
Mit kraft begonde růfen der degen uzerkorn,
Daz ſin ſtimme erlute, alſam ein wiſenteshorn,
Und daz du̓ burc vil wite von ſiner kraft erdoz.
Ferner von dem Fiedler in der Klage (Z. 1555):
Durch daz er videln kunde,
Daz volk in z’ aller ſtunde
Hiez niwan einen ſpileman.
Dies iſt die Stelle in den Nibelungen, die wir oben als
eingeſchoben bezeichneten 32) (Z. 5924):
Durch daz er videln konde, was er der ſpilman ge-
nant.
So ſtimmen wieder beide Gedichte in einem Umſtande bis
auf den Ausdruck zuſammen, (Kl. 1812):
Daz blůt allenthalben volz
Durch du̓ rigelloch hernider.
(Nib. 8406):
Daz blůt allenthalben durch du̓ löcher vloz,
Und da zen rigelſteinen, von den toten man.
[41]
Und ſo finden wir Rüdigern in der Klage mit demſelben
Beiſatze geehrt (Z. 2334):
Do trůc man Rüdegere,
Vater aller tugende,
den ihm die Nibelungen gaben (Z. 8916):
15.
Ich will es gern zugeſtehen, daß durch die wörtliche
Übereinſtimmung beider Lieder in dieſer und anderen Stel-
len meine Behauptung von dem näheren Zuſammenhange
beider nicht erwieſen und noch gar nicht dadurch ihr Ver-
hältniß zu einander ins Licht geſetzt werde: aber es ſei er-
laubt, dennoch jetzt die Vergleichung, aus der ſich das
Wahre erſt ergeben kann, ſo anzuſtellen, daß es ſchon als
gewonnen angeſehen und ſogleich wieder zur weiteren Er-
forſchung der Geſchichte unſeres Liedes angewandt werde;
wodurch die Unterſuchung, bei der ich nun freilich meine
Leſer mit nicht mehr als Gegner denken darf, erfreu-
licher und zugleich die doppelte Forſchung, ich hoffe ohne
Nachtheil, in eine einzige umgewandelt wird.
Hier zeigt ſich nun zunächſt, daß die Beziehungen der
Klage auf die Lieder des zweiten Theils, bei dem wir fürs
erſte noch immer ſtehen bleiben, erſt von der Stelle an,
wo Etzel die Burgunden empfängt, beſtimmter werden und
auf einzelne Punkte gehen. Dort wird nämlich, nachdem
die Burgunden ins Land gekommen, ſehr auffallend hin-
zugeſetzt (Z. 226):
Daz Kriemhilden golt rot
Si heten ze Rine lazen,
[42]
woduurch ohne Zweifel Kriemhildens feindlicher Gruß an
Hagen bezeichnet wird; ſie fragte ihn dabei, wohin er den
Hort der Nibelungen gethan (Z. 6984):
In der Klage wird darauf ſogleich weiter erzählt (Z.
232 — 237), wie Etzel mit Züchten gegen die Fürſten ge-
gangen ſei und ſie freundlich aufgenommen. Nach den
Nibelungen ſind die Burgunden auf Volkers Rath zu Hofe
geritten, dann iſt das Geſinde in die Herberge gebracht;
hierauf folgte der eben erwähnte Gruß Kriemhildens, die
ſie noch draußen empfing, und als ſie entdeckte, daß Die-
terich die Fremden gewarnt, voller Scham und Zorn ſich
eilig entfernte. Nun wird ferner berichtet, wie Diete-
rich und Hagen mit einander darüber redeten, und Etzel
(in der Teichoſkopie unſeres Liedes) ſich nach Hagen erkun-
digte; bis endlich Hagen und Volker von ihren Herren
weiter ab gingen, und vor Kriemhildens Saal mit bloßen
Schwertern auf einer Bank ſitzend die Königinn und vier-
hundert Recken empfingen, die nach einem neuen Wort-
wechſel, ohne den Kampf zu wagen, wieder gingen. So-
dann geht Volker mit Hagen wieder zu den Königen, die
noch immer draußen ſtanden, und räth ihnen zu Hofe zu
gehen. Dies geſchieht, Etzel ſpringt vom Seſſel, als er ſie
kommen ſieht, und grüßt ſie ſo freundlich, daß
Wenn nun bei dieſer Erzählung in die Augen fällt,
daß die Könige viel zu lange auf dem Hofe ſtehen blei-
ben, ſo gibt der Umſtand, daß die Klage nichts von
dem zweimahl darin berührten früheren Aufenthalt Ha-
gens bei Etzel erwähnt, einen ſicheren Beweis, daß der
[43] Dichter dieſen ganzen Abſchnitt nicht kannte, und alſo die
Erzählung von der Zeile (7021) an, wo ſich Dieterich und
Hagen bei Handen fingen, bis (Z. 7237) wo Dieterich
Günthern an die Hand nahm, ein anderes hier eingeſcho-
benes Lied ausmache, das denn mit dem folgenden durch
die Wiederhohlung von Volkers Rath, und durch die Er-
zählung (Z. 7221 — 7236), daß die Könige, die nach dem
Vorhergehenden (Z. 6945) ſchon längſt zu Hofe gegangen
waren, ſo lange draußen in großem Empfange geſtanden,
in eine leidliche Verbindung gebracht wurde.
Nach dem Empfange der Burgunden wird in den Ni-
belungen die Anmerkung gemacht, daß ſie am Abend vor
Sonnenwende zu Etzel gekommen ſeien, und dann erzählt,
wie man zu Tiſche ging. Nach der Klage dagegen ſchei-
nen ſie vor Mittag gekommen zu ſein; denn ſie weiß wie-
der von den folgenden Begebenheiten (Z. 7305 — 7636)
nichts. Nach den Nibelungen nämlich gehen ſie jetzt zu
Bette; Kriemhildens Recken, abgeſandt ſie im Schlaf zu
ermorden, fliehen zum zweitenmahle vor Hagen und Vol-
ker, die die Wache übernommen haben; dann am Morgen
der Kirchgang, der Buhurd und der Tod des ſchönen jun-
gen Hünen durch Volkers Grimm und Übermuth; Etzel
hat Mühe die Hünen zu beruhigen und ſeine Gäſte zu
Tiſche zu bringen.
Von allem dieſem findet ſich, wie geſagt, in der Klage
nichts, obgleich der Verfaſſer derſelben, wenn er dieſen Ab-
ſchnitt kannte, kaum vermeiden konnte, wenigſtens den Tod
des jungen Hünen zu erwähnen, mit dem die Feindſelig-
keiten ihren erſten Anfang nahmen. Er gibt aber mehr-
mahl Blödelin und der Burgunden Knechte als die erſten
an, die gefallen ſeien (Z. 337. 2625. 4014.).
[44]
16.
Nun finden wir nach beiden Gedichten Etzel mit den
Fremden bei Tiſche; Kriemhild bittet Dieterich vergebens
ihm zu helfen. In der Klage (Z. 1414 f.) erzählt dies
Hildebrand Etzeln. Darauf wendet ſie ſich an Blödel, dem
ſie Nudungs Land und Nudungs Braut verheißt; er ver-
ſpricht ſie zu rächen, und ſie geht wieder hinein an den
Tiſch 34). Nach der Klage that es Blödel der Königinn
zu Liebe, um ihr Leid zu rächen (Z. 330 — 337. 976 —
987. 1410 f.); eine kleine Verſchiedenheit, die ſchwerlich
von einigem Belang iſt.
Darauf läßt die Königinn, um auf eine andere Art
Zank zu ſtiften, den kleinen Ortlieb bringen. Etzel bittet
die Fremden, ihn mit zu nehmen, damit er »nach dem
ku̓nne gewahſe.« Hagen ſchilt ihn, und meint, er ſehe
ſo nach Tod aus; das that dem Könige und den Übrigen
weh. Der Verfaſſer der Klage ſcheint auch dieſe Erzäh-
lung vorauszuſetzen; denn auch nach ihm wird das Kind
hernach bei Tiſche ermordet, und Etzel klagt, als er den
erſchlagenen Gernot ſieht (Z. 2081 — 2092): Wenn dieſer
Held lebte, ſo wäre mein Sohn nach denen von Burgun-
denland gerathen.
Indeſſen geht Blödel mit ſeinen Recken zu der Her-
berge, wo Dankwart mit den Knechten eben zu Tiſche ſaß.
Der Knechte waren nach beiden Erzählungen neuntauſend
(Kl. 2624). Blödelin kam nach den Nibelungen (Z. 7758)
mit tauſend Halsbergen; dennoch führte er früher (Z.
7553) dreitauſend Mann zu dem Buhurd, und ſo ſagt
auch hier die Klage (Z. 329): Blödel verlor an Freunden
und Magen
[45]
Nach beiden Liedern wurde Blödel von Dankwart, nach
der Klage aber, wie es ſcheint, auch alle neuntauſend
Knechte von Blödels Recken erſchlagen (ang. St.), nach den
Nibelungen (Z. 7803) dagegen nur fünfhundert oder mehr,
weshalb hier auch wohl aus Blödels dreitauſend Recken
nur tauſend gemacht ſind. Dann ſtanden aber aus eige-
nem Antriebe zweitauſend oder noch mehr Hüniſche Recken
auf, die das Geſinde vollends erſchlugen und denen Dank-
wart kaum entging. Dies erzählt wieder die Klage nicht:
doch wird gleich nach Blödels Erwähnung (Z. 341 — 365)
geſagt, der Herzog Hermann, ein Fürſt aus Pohlen und
Sigeher von Wlachen hätten willig Kriemhildens Leid ge-
rächt; ſie brachten zweitauſend Ritter, Walther aus Tür-
kei zwölfhundert Mann, die alle dort ihr Leben ließen;
dahingegen alle dieſe Namen in den Nibelungen gar
nicht vorkommen.
So ergänzen ſich hier beide Gedichte wechſelſeitig, und
es wird daraus wahrſcheinlich, daß der Verfaſſer der Klage
ſtatt unſerer 32ſten Aventüre ein anderes Lied las, von je-
ner etwa eben ſo verſchieden, wie die drei Däniſchen Lieder
von Grimhilds Rache unter einander.
17.
In dem Folgenden (Nibel. Z. 7877 — 8120) iſt nun
wieder die genaueſte Übereinſtimmung. Dankwart bringt
auch nach der Klage ſein Mähre zu Hofe, Hagen ſchlägt
Ortlieb im Angeſichte des Königs das Haupt ab (Z. 1468
— 1473. 923 — 925. 4019 f.). Nur der Nebenumſtand
fehlt, daß des Kindes Haupt Kriemhilden in den Schoß
ſprang (Nibel. Z. 7923). Bedeutender möchte ſein, daß
der Tod des Magezogen und Wärbels abgeſchlagene
[46] Hand (Nibel. Z. 7925 — 7940) nicht erwähnt wird;
Etzels Klage über ſie hätte uns der Dichter ſchwerlich er-
laſſen 35).
Darauf erzählen beide weiter, daß die drei Könige ſo-
gleich mitgeſtritten (Kl. 4023 f.) und der Kampf allgemein
geworden; nur daß in den Nibelungen noch vollſtändiger
berichtet wird, wie Dankwart und Volker die Thür be-
ſetzten. Dann bittet Kriemhild Dieterich um Hülfe, und
wird auf ſein Rufen mit Etzel, der Königinn und Rüdiger
hinausgelaſſen. Auch dies erwähnt die Klage (Z. 4052. 4058):
In vil angeſtlicher zite
Wart geſcheiden noch herdan
Her Dieterich und ſine man.
— — — — — — —
Rüdeger der helt mœre
Lie oͧch beliben den haz.
Volkers Tapferkeit wird von Freund und Feind gelobt;
die Klage ſagt von ihm einſtimmend (Z. 340):
Dem man ie grozer eren jach
Vor den andern beſunder.
Die übrigen Hünen, die noch in dem Saale bleiben,
werden erſchlagen, und die Burgunden ruhen nach dem
Kampf aus.
Hier folgen nun in den Nibelungen (Z. 8121 — 8160)
zehn Strophen, die dem Verfaſſer der Klage vermuthlich
unbekannt waren. Es wird darin erzählt, wie man auf
Giſelhers Rath die Todten aus dem Saale geworfen, wo-
bei Volker noch einen Hüniſchen Markgrafen erſchießt und
dadurch die Übrigen weit fort treibt. Hiervon wird nicht
nur in der Klage gar nichts erwähnt, ſondern auch der
[47] kleine Ortlieb (Z. 922) darin, in dem Haufe, ohne Haupt
gefunden.
Alsdann ſagt Hagen zu Etzel, es zieme wohl einem
Könige, vor den andern zu ſtreiten; worauf Etzel ſeinen
Schild faßt, von Kriemhilden aber zurückgehalten wird.
Eben ſo erzählt Swemmel in der Klage (Z. 3442 ff.):
Und hete man den ku̓nec rich,
Etzeln, zů dem ſtrite lan,
Wir müſen in oͧch verloren han.
Kriemhilde, von Hagen verſpottet, bietet einen Schild voll
Goldes für Hagens Haupt. Die Klage gibt den Helden,
die nun auſſtanden, wieder nur die edlere Abſicht, der
Frau und des Königs Leid zu rächen; ſie thaten, heißt es
(Z. 396 ff.), was er gebot.
18.
In den nächſten Kämpfen Irings, Irnfrieds und Ha-
warts mit den Burgunden 36) findet ſich wieder eine große
Übereinſtimmung beider Lieder, mit wenigen Verſchieden-
heiten; einige Strophen in den Nibelungen werden ſich
als ſpäter eingefügt erkennen laſſen.
Zuvörderſt ſagt uns der Dichter der Klage (Z. 366 —
412), daß jene drei Helden vor dem Kaiſer zu Etzel geflo-
hen, daß Irnfried zuvor Landgraf von Thüringen, Hawart
König von Dänemark, und Markgraf Iring ſein Mann ge-
weſen; und vielleicht mochte er alles dies, das in den Ni-
belungen nicht ſo vollſtändig erzählt wird, in ſeinem Liede
ausführlicher finden.
Hawart, Iring und Irnfried hatten nach der Klage
(Z. 413 — 415) dreiunddreißighundert Mann: nach den
[48] Nibelungen (Z. 8219 — 8374. vgl. 7547) kommen ſie wohl
mit tauſend Mann, und noch beſtimmter (Z. 8401) mit
tauſend und vieren.
Zunächſt erwähnt nun die Klage nicht, was uns in
den Nibelungen (Z. 8253 — 8296), deren Erzählung hier
überhaupt ſehr vollſtändig und eine der ſchönſten des gan-
zen Liedes iſt, berichtet wird, wie Iring zuerſt, nachdem er
Hagen, Volker, Günther und Gernot vergebens ange-
griffen, vier Knechte tödtet, dafür aber von Giſelher, wie-
wohl ohne Wunde, zur Erde niedergeſchlagen wird. Er
ſprang auf (Z. 8295),
Do lief er uz dem huſe, da er aber Hagen vant,
Und ſlůg im ſlege grimme mit ſiner ellenthafter hant.
Hier verräth ſich die Überarbeitung; denn Hagen war ja
im Hauſe oder doch auf der Treppe (ſ. Z. 8211 f.).
Nun folgt Irings Kampf mit Hagen, wobei Hagen
verwundet wird; dies erwähnt auch die Klage (Z. 1176 f.).
Dennoch muß Iring fliehen; und auch das wird in der
Klage berührt (Z. 1173).
Jetzt wieder ein neuer Zuſatz (Z. 8305 — 8348):
Iring, von Hagen verfolgt, kommt geſund zu den Seinen
und empfängt Kriemhildens Dank. Von Hagen zu neuem
Kampfe gereizt, läßt er ſich wieder waffnen; Hagen läuft
ihm entgegen, die Stiege hinab, und verwundet ihn mit
dem Schwerte.
An dieſe Umſtände, die in der Klage fehlen, ſchließt
ſich eben ſo gut, wie an das Borhergehende, daß Hagene
nun einen Ger aufnahm und Iring damit in den Kopf
ſchoß.
[49] ſchoß. Eben dies erzählt auch die Klage (Z. 1171. 423),
und weil ſie noch hinzuſetzt, Etzel habe Iring mit dreißig
ſeiner Mannen (Z. 1224), die nach den Nibelungen erſt
ſpäter erſchlagen wurden, vor dem Hauſe gefunden, wo
ihn Hagen erſchoß, ſo erhellt daraus, daß in den Nibelun-
gen die nächſten Umſtände (Z. 8353 — 8372) wieder dem
Umarbeiter gehören: wie Iring mit der langen Gerſtange,
die ihm vom Haupte ragte, zu den Dänen flieht und ſter-
bend Kriemhilden nicht weinen heißt.
Nun ſpringen Irnfried und Hawart mit tauſend
Mann vor das Gadem 37); Irnfried verwundet Volkern,
Volker erſchlägt den Landgrafen. Das letzte wenigſtens er-
zählt auch die Klage (Z. 419 — 422). Hawarten, ſagt ſie
weiter (Z. 433), den ſchlug Dankwart. Nach den Nibe-
lungen that es Hagen; und dieſer Unterſchied mag immer-
hin für ein Verſehen gelten 38). Die Dänen und Thü-
ringer dringen nun in den Saal. Von Volker, der ſie
nach den Nibelungen hineinlaſſen hieß, wird in der Klage
ebenfalls beſonders geredet (Z. 416):
Der wart von Volkeres hant
Alſo maniger ſint erſlagen,
Daz manz ze wunder wol mac ſagen.
Darauf ruhen die Burgunden abermahl, der König und
alle klagen laut.
19.
Die folgende Aventüre hat nun wieder der Verfaſſer
der Klage nicht gekannt. Das Lied hebt mit einem neuen
Kampf an, der bis zur Nacht währt. Darauf folgt die
Bemerkung, die große Schlacht ſei auf Sonnenwende ge-
D
[50] liefert worden. Weiter bitten die Fremden in der Nacht
vergebens um Frieden; Kriemhild wehrt den Hünen, die
die Gäſte zum Kampf aus dem Saal laſſen wollen; end-
lich, wie man ihr Hagen als Geiſel verweigert, läßt ſie
das Haus an vier Ecken anzünden; es wird uns erzählt,
wie ſie ſich vor dem Feuer zu ſchützen ſuchen, und die
Durſtigen endlich auf Hagens Rath das Blut der Gefalle-
nen trinken. Am Morgen leben noch ſechshundert; gegen
die wagen es noch einmahl zwölfhundert Mann, die Kriem-
hildens Gut verdienen und thun wollen, was ihnen der
König gebot 39); und auch dieſe müſſen ſämmtlich von
der Burgunden Hand ſterben.
Es befremdet ſchon, von dem allen in unſerem Ge-
dichte weiter nichts wiederzufinden: aber den Dichter der
Klage müßten wir gar nicht kennen, wenn wir nicht glau-
ben ſollten, daß er faſt auf jeden Punkt dieſer Erzählung
mehr als einmahl hätte zurückkommen müſſen. Es iſt frei-
lich wahr, er erwähnt das Verbrennen des Saales ein-
mahl (Z. 641):
Daz hus was verbrunnen gar
Ob der vil herlichen ſchar,
Die durch ſtrit kom darin.
Aber eben daraus, daß er es nur einmahl im Vorbeigehen
berührt, wird gewiß, daß er die Beziehung darauf in dem
Liede, das er vor ſich hatte, nicht verſtand.
20.
Dagegen las er gewiß das Lied von Rüdiger und ſei-
nem Tode (Nibel. 8641 ff.), ſo wie alle die folgenden.
[51] Doch darf man ſchwerlich annehmen, daß er irgend eins
davon nicht in einer bloß ſehr ähnlichen, ſondern ganz in
derſelben Geſtalt gekannt habe, wie ſie, in kleineren Um-
ſtänden oftmals abweichend, in vielen andern aber mehr
ausgebildet und ausgeſchmückt, in unſere Nibelungennoth
aufgenommen wurden. Es wird leicht ſein, ſich hiervon
zu überzeugen, wenn wir angeben, was die Klage von die-
ſem letzten Abſchnitte erwähnt, und dabei nur auf einige
bedeutendere Auslaſſungen aufmerkſam machen, die Abwei-
chungen aber deſto genauer anzeigen; wodurch ſich zugleich
ergeben wird, daß auch dieſe Aventüren, wie wir ſie jetzt
leſen, nicht von einem einzigen Dichter verfaßt, ſondern
nur durch den Ordner ohne durchgängige Hebung aller
Widerſprüche zuſammengeſtellt worden ſind.
Von den nächſten Begebenheiten erzählt nun die Klage
nur die folgenden: wie Kriemhild Rüdiger ſo lange bat,
bis er die Degen mit Streite beſtehen mußte (Z. 4070 —
4073). Gernots Schwert, ein Geſchenk von Rüdiger, wird
beſchrieben (Z. 2061 — 2075). Der Schild aber, den Rü-
diger jetzt Hagen gab, für den, welchen er bis dahin trug
(ein Geſchenk Gotelindens), wird eben ſo wenig erwähnt,
als die Armbänder von Gotelinden, die Volker trug; nicht
einmahl, daß Hagen und Volker ſich des Streites gegen
Rüdiger begaben. Nach beiden Gedichten erſchlagen ſich
Gernot und Rüdiger wechſelsweiſe. In den Nibelungen
(Z. 8983) ſchlägt Rüdiger Gernoten durch den Helm: Etzel
findet ihn dagegen in der Klage (Z. 2040)
So ſere verſchroten
Mit einer verchwunden;
Gein den bru̓ſten unden
Was ſi wol ellen wit geſlagen.
D 2
[52]
Über beider Tod zürnt in den Nibelungen Hagen.
Dann folgt eine Strophe, die nach dem Zuſammenhange
der Rede noch Hagens Worte enthält (Z. 9001):
O we mines brůder, der tot iſt hie gefrumt!
Waz mir der leiden mœre z’ allen ziten kumt!
Oͧch můz mich immer ru̓wen der edel Rüdeger;
Der ſchade iſt beidenthalben und du̓ vil grözlichen ſer.
Aus dieſer Stelle ſcheint alſo zu folgen, daß wenige Verſe
nachher (Z. 9009), wo Günther, Giſelher, Hagen, Dank-
wart und Volker an die Stelle hingehen, wo Gernot und
Rüdiger erſchlagen liegen, ein neues Lied anfange, das
vorhergehende aber Dankwarts Tod ſchon vorausſetze;
wie denn auch in der Klage (Z. 1579) nicht erzählt wird,
wer Dankwart erſchlug, obgleich er nach ihr (Z. 1627 —
1657) ſpäter noch einen von Dieterichs Mannen tödtete,
nämlich Wolfbrand, und nach einem anderen Liede in den
Nibelungen (Z. 9273) von Helfrichs Hand fiel. In dem
vorhergenden Liede wurde zwar Dankwart auch noch er-
wähnt, eben unter denen, die gegen Rüdiger ſtritten; aber
auch nur in dem vorhergehenden, denn offenbar zeigt
doch dieſe Strophe (Z. 8965) den Anfang eines Liedes:
Vil wol zeigete Rüdiger, daz er was ſtark genůc,
Küne und wol gewaffent; hei, waz er helde ſlůc!
Daz ſach ein Burgonde, zornes gie im not;
Davon begunde nahen des edeln Rüdegeres tot.
Das Lied, welches wir hier zuerſt von den anderen
trennen mußten (Z. 9009 — 9116), gibt ſich auch durch ei-
nen anderen Umſtand, der darin enthalten iſt, als verſchie-
den von den übrigen zu erkennen. Die Burgunden ruhen
wieder aus, ſo daß die Königinn ſchon glaubt, Rüdiger
habe ſich mit den Feinden verſöhnt: da ſtraft ſie Volker
[53] Lügen und läßt Rüdiger vor den König tragen. Dahin-
gegen ſagt Volker nachher (Z. 9174 f.), als Dieterichs
Mannen Rüdigers Leichnam fordern, ſie ſollen ihn aus
dem Hauſe hohlen, wo er liegt,
Noch mehr: in der letzten Stelle verlangt Hildebrand den
Leichnam von den Burgunden auf Dieterichs Geheiß (Z.
9156 ff.). Dieterich hatte ihm in dem eben ausgezeichneten
Liede nichts dergleichen aufgetragen, ſondern er bat (Z.
9099 f.):
Hildebranden zů den geſten gan,
Daz er an in erfu̓nde, waz da wœre getan;
und in dem folgenden Liede 40). als Hildebrand wieder-
kommt und Rüdigers Tod meldet, ſagt er (Z. 9369):
Endlich ſagt Wolfhart, Dieterichs Mann, eben wo ſie mit
den Fremden über Rüdigers Leichnam rechten (Z. 9179 f.):
Getörſt’ ich vor minem herren, ſo kömet irs in
not;
Des müzen wir ez lazen, wand’ er uns ſtriten hie
verbot.
Daſſelbe Verbot Dietrichs erwähnt die Klage (Z. 4082 f.),
und Dieterich ſelbſt ſagt in den Nibelungen (Z. 9356) zu
Hildebrand, als er zurückkommt:
Ich wœne, ir mit den geſten zem huſe habt geſtri-
ten;
Ich verbot ez u̓ ſo ſere, ir het ez billiche vermiten.
Dennoch kommt auch hiervon in jenem Liede nichts vor;
und als ſich Dieterichs Mannen rüſten, um mit Hildebrand
zu gehen, verbietet er es ihnen nicht; ja es iſt nicht ein-
[54] mahl deutlich, ob von Dieterich oder von Hildebrand ge-
ſagt wird (Z. 9112):
und (Z. 9116):
21.
Aber es iſt Zeit zu der Klage zurückzukehren, die an-
ſtatt der Strophe, welche uns auf die letzten Unterſuchungen
führte, nicht Hagens, ſondern Giſelhers Klage um Rüdiger
erwähnt (Z. 474):
Giſelher der here
Den heizblůtigen bach
Ungerne fliezen ſach
An den ſelben ſtunden
Von Rüdegeres wunden.
Ferner wird (Z. 464) einſtimmig mit den Nibelungen (Z.
9008. 6852) erzählt, alle fünfhundert Mann Rüdigers ſeien
erſchlagen, obgleich ſich doch nachher (Z. 2799) noch ſieben
finden, die auch (Z. 3079) mit Swemmel heim nach Bech-
laren geſandt werden.
Um Rüdigers Tod, heißt es weiter (Z. 4078 — 4086),
haßten die Berner die Fremden und wollten ſogleich Rü-
diger rächen; doch hatte es Dieterich ſeinen Recken ſehr
verboten. Da war Wolfhart ſo grämlich, daß er den
Streit nicht laſſen wollte, ohne die Burgunden zu beſte-
hen. Von einem Punkte dieſer Erzählung iſt ſchon die
Rede geweſen; das Übrige iſt zu kurz, um etwas für un-
ſere Unterſuchung daraus zu ſchließen. Von dem, was in
[55] den Nibelungen folgt, wie Dieterichs Recken gegen die
Burgunden anſtürmen, die Kämpfenden aber noch immer
geſchieden werden, weiß auch der Verfaſſer der Klage.
Denn wenn es in unſerem Liede (Z. 9209 ff.) heißt:
Do geſpranc zů Hagenen meiſter Hildebrant;
Du̓ ſwert man hort’ erklingen an ir beider hant ꝛc.
Die wurden do geſcheiden in des ſturmes not;
Daz taten die von Berne, als in ir kraft gebot;
ſo ſagt Hildebrand dagegen ſelbſt in der Klage (Z. 1498),
aber von Volker:
Er ſlůc mir einen nitſlac
Uf die minen ringe,
Daz der min gedinge
Zem lebene was vil kleine;
Er beſtůnt mich aleine.
— — — — — — —
Het mich geſcheiden nicht herdan
Helfrich, daz wil ich u̓ ſagen,
So hete Volker mich erſlagen.
Dann tödtet Volker den Sigeſtab, den Hildebrand an
Volkern rächt (Z. 1269 — 1271. 1543 — 1546. 1674 — 1676),
Von wem Dankwart fiel, wird (Z. 1579) nicht geſagt. Er
ſchlug mehr als »Hagene viere« 41) (Z. 1588); Volker er-
ſchlug wohl zwölf von Dieterichs Mannen (Z. 1537), Gün-
ther dreißig oder mehr (Z. 1992); Dieterichs Recken waren
überhaupt ſechshundert (Z. 321). Die letzte Angabe ſtimmt
mit zwei früheren Stellen der Nibelungen (Z. 7529. 8060),
die übrigen fehlen. Giſelhers und Volkers Wechſelmord
erkennen beide Gedichte an. Von Dietrichs Recken nennen
die Nibelungen außer den ſchon erwähnten noch Ritſchart,
Gerbart, Wolfwin, Helfrich, Wichart und Wolfbrand;
[56] wer jeden tödtete, erfahren wir nicht. Nach der Klage
(Z. 1627 ff.) wurde Wolfbrand von Dankwart erſchlagen,
Wolfwin, Nitiger und Gerbart von Giſelher, endlich Wig-
nand, Sigeher und Wichart von Günther. Hagen ſchlug
Hildebrand eine Wunde durch die Ringe 42) außen vor
dem Gadem, Hildebrand entrann (Z. 1273 — 1278). In
den Nibelungen (Z. 9358) erzählt Hildebrand Dietrichen,
die Wunde habe er von Hagen in dem Gadem empfangen.
22.
Das ſagen wieder beide Lieder ausdrücklich: eh’ es
Dieterich befand, lebte keiner mehr als Hildebrand, Gün-
ther und Hagen; Hildebrand brachte Dieterich die Nach-
richt, mit einer Wunde von Hagen (Kl. 4037 ff.). Diete-
rich war ſehr betrübt, weil ſein Schade an Magen und
Mannen ſo traurig war (Z. 4100). Er ging nun zu
Günther und Hagen. Dieterich ſelbſt erzählt (Z. 1255):
Ich en weiz oͧch, wes ich engalt,
Daz mich Hagene beſchalt
Zů allem mime ſere,
Daz ich ez niht mere
Vor laſter kunde vertragen;
welches wohl auf die Stelle in unſeren Liedern geht, wo
ſich Hagen entſchuldigt (Z. 9446):
Ez giengen zů diſem huſe u̓wer degene,
Gewaffent wol ze flize, mit einer ſchar ſo breit;
Mich dunket, daz du̓ mœre u̓ niht rehte ſin geſeit.
Dieterich erzählt weiter, wie er Güuthern gebeten, Frieden
zu machen und ſich ihm als Geiſel zu ergeben, er wolle
ihn geſund an den Rhein bringen; Hagen habe keinen
[57] Frieden gewollt. Hiermit ſtimmt der Nibelungen Noth
vollkommen überein. Nur den Grund, den Hagen nach
Dieterichs Bericht angab: weil Giſelher und Gernot todt
wären und Hildebrand Volkern erſchlagen, oder wie es in
einer anderen Stelle (Z. 4110 f.) heißt, weil ſie vor Leide
nach den anderen nicht leben wollten — dieſen Grund
kennt unſer Lied nicht, vielmehr wird der in der Klage (Z.
1288) Günthern zugeſchriebene,
Do het’ er des gedingen,
Ern lieze niemen hie geneſen,
hier noch deutlicher ausgeſprochen, indem Hagen ſchon als
er Dieterich kommt ſieht, ſich vermißt, er wage ihn recht
wohl zu beſtehen;
Man ſol daz hu̓te kieſen, wem man des beſten muge
jehen.
Nach der Klage nun ſtreitet Dieterich nicht, wie in
den Nibelungen, zuerſt mit Hagen, ſondern mit Günther,
der ihn, obgleich müde, als ein Degen beſtand (Z. 4114
f.). Dreimahl von Günther niedergeſchlagen (Z. 1292 —
1295) — ein Umſtand, den die Nibelungen nicht erwäh-
nen, — zwingt ihn Dieterich zuletzt mit Schwertſchlägen,
und gewinnt ihn zum Geiſel (Z. 4116 f.), indem er ihn
bindet, »mit einer verchwunden« (Z. 1296 — 1299). Da-
nach beſtand ihn Hagen zu derſelben Zeit (Z. 4120 ff.);
auch ihn band Dieterich (Z. 803 — 805) und überantwor-
tete beide der Königinn (Z. 4126 f.). Er vermuthetr nicht,
daß Kriemhild Günthern würde tödten laſſen (Z. 1300 —
1303). Nach den Nibelungen bringt er ihr jeden beſon-
ders, und Hagen ſchlägt ihm zuvor noch eine Wunde, die
war tief und lang (Z. 9516). Was ſie dann noch mit Ha-
[58] gen über den Schatz ſprach, davon erfahren wir in der
Klage nichts. Sie ließ beide hinführen und rächte ſich furcht-
bar: Günthern ließ ſie den Kopf abhauen, Hagen ſchlug
ſie ſelbſt mit einem Schwertſchlag; darum erſchlug Hilde-
brand ſie, den Held zu rächen, ohne Noth (Z. 4128 —
4135. 798 — 809). Als das Etzel ſah, da entſtand allge-
meiner Jammer (Z. 537 f.). Dieſen Zuſatz fand der Dich-
ter noch in dem Liede, das unſerer letzten Aventüre ent-
ſprach.
Darauf folgte ein Schluß, dem jetzigen ſehr ähnlich
(Z. 548 ff.):
Ez was nu allez daz getan,
Daz da ze tůne was;
Sit der neheiner da genas,
Die da getorſten wappen tragen.
Die lagen als daz vihe erſlagen
Und gevallen in daz blůt;
Damite beſwœret was der můt
Den, die mit freuden wanden leben.
Du̓ gabe was in da gegeben,
Daz man da anders niht en pflac,
Beidu̓ naht unde tac,
Nu̓wan weinens unde klagen ꝛc.
Sogar die Zeile unſeres Liedes war, wie man ſieht, ſchon
darin angedeutet:
freilich aber nicht die folgende, die gewiß unſerem Ordner
eigen iſt:
[59]
Und daß überhaupt der Schluß mit dem unſerigen nicht
genau ſtimmte, beweiſt unſere Zeile:
denn nach der Klage ſchlug Hildebrand Kriemhilden das
Haupt ab (Z. 855):
Do man ſi geleite uf den re,
Der fu̓rſte het’ ir hoͧbet e
Zů dem libe dan getragen.
23.
Aus der bisher angeſtellten Vergleichung ergibt ſich,
wie es mir ſcheint, ſehr beſtimmt, daß der Verfaſſer der
Klage viele von den Liedern der letzten Hälfte unſerer Ni-
belungen in einer, dem Inhalte nach wenigſtens, im Gan-
zen nur ſelten abweichenden, bald mehr, bald weniger voll-
ſtändigen Geſtalt vor ſich hatte, hingegen einige andere
auch wieder gar nicht kannte.
Ein Umſtand muß hier aber noch berührt werden, auf
den die Klage mehrere mahle zurückkommt, ohne daß ſich
in unſerem Liede etwas davon findet, obgleich die erſte
von den Stellen, worin ſich die Klage darauf bezieht, noth-
wendig auch in unſerem Gedichte vorkommen mußte, wenn
es nicht vollſtändigere und mangelhaftere Überlieferungen
der einzelnen Lieder gab, und der Verfaſſer der Klage
hier etwas mehr las als der Ordner unſeres Gedichtes.
In der Stelle, die ich meine, (Z. 1394 ff.) ſagt Hilde-
brand:
Ez weiz oͧch wol der herre min,
Daz ſi Hagen, den einen man,
Geſcheiden hete gern herdan;
[60] Do kundes leider niht geſchehen.
Wir horten ſi des beide jehen.
Daz ir vil leit wœre,
Ob iemen deheinu̓ ſwœre
Von ir ſchulde ſolde han,
Nu̓wan der einige man;
Daz hete ſi gerne gebroͧwen.
Dieterich und Hildebrand hörten das ohne Zweifel von ihr,
als ſie Dieterich zuerſt um Rath und Hülfe bat. Die Ni-
belungen (Z. 7648) laſſen ſie aber auch nur darum bitten,
ohne jene beſtimmte Äußerung, daß ſie die übrigen, außer
Hagen, wollte geſchont haben. Ja ſpäterhin, wo ſie um
Frieden bitten, antwortet ſie (Z. 8509):
Ine mac u̓ niht genaden, ungenade ich han;
Mir hat von Tronege Hagene ſo grozu̓ leit getan;
Ez iſt vil unverſünet, du̓ wil’ ich han den lip.
Ir müzetes alle engelten, ſprach daz Etzelen
wip.
Dagegen heißt es in der Klage an einem anderen Orte
(Z. 622 — 640): Sie hatte es nicht ſo gemeint, ſie wollte
gern, daß nur der eine Mann getödtet würde; damit hätte
ihr Schmerz und Zorn eine Ende gehabt; da wollten ihn
ſeine Herren und Mage nicht erſchlagen laſſen, ſo ließ ſie
es gehen wie es wollte. Und abermahl (Z. 2098 — 2105):
Kiemhild hätte Hagen wohl von den drei Königen aus-
geſchieden; nur geht Weibesſinn ſelten weiter als eine
Spanne. Dieſer Gedanke, der in der Klage noch öfter
wiederhohlt wird, iſt, wie geſagt, den Nibelungen fremd.
Denn daß er doch dreimahl in der erſten Hohenemſer Hand-
ſchrift, und ſelbſt an der zuerſt angeführten Stelle (Z. 7653
— 7660, ferner Z. 7385 — 7388. 8441 — 8444) vorkommt,
[61] das wird niemand wundern, der da weiß, was es mit die-
ſer Handſchrift für eine Bewandtniß habe.
24.
Nun bleibt noch übrig zu unterſuchen, welche Aventü-
ren vor dem Punkte, von dem wir die Vergleichung aus-
führten, der Verfaſſer der Klage möge gekannt haben.
Da zeigt ſich zuvörderſt ſchon aus der oben angeführten
Gleichheit einiger Ausdrücke, daß er den Abſchnitt kannte
(etwa von Z. 5533 an, bis 5704), in dem erzählt wird, wie
Kriemhild nach Ungarn kam, ihr Leid zu rächen dachte
und Etzeln bewog die Burgunden einzuladen, wie der Kö-
nig Boten von Land zu Land ſendete, und durch ſie zu
ſeiner Hochzeit bat und gebot. Er fand im Anfange des
Liedes vermuthlich mehr von den Königstöchtern, die Helke
erzogen hatte. Wir leſen (Z. 5535) nur:
dagegen erwähnt er (Z. 2396 — 2449) aus hoher Könige
Geſchlecht
Wol ſehs und ahzec meide,
Die froͧwe Helke het’ erzogen,
von denen er einige nennt, die er angeſchrieben gefunden,
denn aller Namen ſeien nicht bekannt. Weiter erzählt er
(Z. 116 — 215): das Geſinde diente ihr mit eben ſolcher
Ehrfurcht, wie zuvor Frau Helken; ſie hatte täglich Rittet-
ſchaft vor ſich. Dennoch weinten immer ihres Herzens Augen.
Endlich da ſie die große Gewalt in den Hüniſchen Reichen
gewonnen, brachte ſie es dahin, daß ſie auf Rache ſann.
Sie hatte ſich aller Freuden begeben, wiewohl ſie täglich
[62] zwölf gekrönte Könige in ihrem Dienſte ſah. Es iſt be-
kannt, daß Etzel viel Fürſten zu einer Hochzeit in ſein
Land geladen, auf Kriemhildens Bitte.
Do was du̓ froͧwe alſo wis,
Daz ſiz mit liſten ſo anvie,
Daz ſi der niht beliben lie,
Die ſi z’ ir hochzit gerne ſach,
Den da vil leide ſit geſchach.
Es fällt in die Augen, daß dieſe Erzählung bis auf einige
Auslaſſungen, deren Grund theils in dem Dichter der
Klage ſelbſt, theils aber auch in ſeiner Quelle liegen mochte
43), genau und faſt wörtlich mit der in den Nibelungen
übereinſtimmt.
Um ſo gewiſſer ſcheint es mir denn, daß er höchſtens
eine kurze Nachricht von Swemmels und Wärbels Rück-
kehr und dem Folgenden, ausgeführte Lieder aber von der
Reiſe der Boten nach Worms, und was während ihres
Aufenthaltes daſelbſt vorging, wie von der Reiſe der Bur-
gunden ſelbſt, nicht geleſen habe. Zwar erwähnt er Giſel-
hers Verlobung mit Rüdigers Tochter, die er Dietlinde
nennt, und ſogar den mit den Nibelungen doch nicht ganz
genau ſtimmenden Umſtand, daß Volker dazu gerathen
(Z. 1996 ff.), ja ſelbſt des Küchenmeiſters Rumold Rath,
daß die Könige zu Worms bleiben möchten (Z. 4253);
endlich kennt auch nach ihm Brünhildens Geſinde den
Swemmel, der am Ende der Klage wiederum nach Worms
geſandt wird (Z. 3755. 3808). Aber dafür weiß er auch
gar nichts von den übrigen Begebenheiten aus dieſer Zeit
zu ſagen; Swemmel findet Rumold nicht einmahl als Reichs-
verweſer 44); ſo daß man alſo wohl annehmen muß, er habe
jene Nachrichten, die auch zum Theil in den letzten Liedern
[63] unſeres Werkes vorkommen, beiläufig aus anderen Stellen
erfahren, zumahl er an einem Orte ganz beſtimmt eine
Beziehung auf die Reiſe der Burgunden ſelber nicht ver-
ſtand. Bei Swemmels und ſeiner Gefährten Reiſe nach
Worms heißt es nämlich (Z. 3727):
Do ſi uf in Beiern quamen,
Und ſi daz wunder da vernamen,
Daz zen Hu̓nen was geſchehen,
Genůge under in begunden jehen:
Got von himele ſis gelobt,
Daz her Hagene hat vertobt!
Sie verbreiten ſich noch lange in allgemeinen Ausdrücken
über Hagens Übermuth, ohne beſtimmt auf den Punkt zu
kommen, der eigentlich ihre Freude erregte, daß nämlich
Hagen für den Schaden geſtraft ſei, den er ihnen auf der
Hinreiſe gethan.
25.
Wenn wir nun auch das durchgehen, was in der Klage
von den früheren Schickſalen Kriemhildens und ihrer Ver-
wandten vorkommt, ſo wird daraus klar werden, daß der
Dichter nicht den erſten Theil unſeres Liedes, ſondern nur
einen kurzen hin und wieder auch abweichenden Auszug
der Geſchichte deſſelben vor ſich hatte.
Zuerſt fand er ohne Zweifel eine der unſerigen ziem-
lich gleichlautende Nachricht von den Königen zu Worms
und ihren Mannen. Aus dem Buche nennt er Dankrat
und Ute als Kriemhildens Ältern; die Namen ihrer Brü-
der ſeien bekannt. Außer den Mannen Günthers, die mit
nach Ungarn reiſten, kennt er Rumold und den Schen-
[64] ken Sindolt (Z. 3968 ff.), und erzählt von Volker (Z.
1522 ff.):
Er hete bi Rine daz lant
Mit Gu̓nthere beſezzen;
Der helt vil vermezzen
Was von Alzeie erboren.
Dagegen kommen Ortwin, Gere, Hunold und Eckewart
nirgend vor, zum klaren Beweis, daß die erſte Aventüre,
bei den verſchiedenen Bearbeitungen, nach dem Umfange
des Inhalts anders ausgeführt war.
Ferner wird berichtet, Kriemhild habe Siegfried ge-
heirathet; ihm ſchreibe das Mähre große Tugenden zu,
daß er demüthig und Falſches leer, bei allen beliebt, ſehr
ſtark, kühn und wohlgethan geweſen. Es iſt uns geſagt
und aus den Büchern bekannt, daß ſein Vater Siegmund,
König zu Santen, ſeine Mutter Siegelinde hieß. Er
wurde nachher aus Haß und Neid, durch anderer Recken
Übermuth, von Kriemhildens nächſten Verwandten ermor-
det, weil die »vil eregerende« Kriemhild Brünhilden den
Muth mit Rede erzürnt hatte; Brünhild benahm ihr ihre
Freude, was ſie nachher oft bereuete 45) (Z. 4170 ff.).
Günther rieth, daß Siegfried ſterben müßte (Z. 504 f.).
Hagen erſchlug ihn, und nahm Kriemhilden nachher auch
ihr Gut und bot ihr zu allen Zeiten viel Schmach zu ih-
rem großen Schaden (Z. 4235 — 4247). Der Nibelungen
Hort 46), ihre Morgengabe, war ſo viel, daß er nicht klei-
ner wurde, wie viel man auch davon hingab. Nach Sieg-
frieds Tode kam ihr der Schatz nach Worms. Als ſie ihn
in ihre Gewalt nahm und in ihre Kammer bringen hieß,
da ließen ihre Brüder es Hagen, »mit ſchanden, laſter-
liche,« hingehen, daß er ihr den Hort raubte; er verſenkte
ihn
[65] ihn all in den Rhein (Z. 1360 — 1379). Auch Brünhil-
dens Sohn, der nach den Nibelungen Siegfried hieß,
kommt am Ende der Klage vor, und wird zuletzt zum Kö-
nig gekrönt. Wie aber
der ku̓nic ſit geſaz,
Und wie lang’ er krone mohte tragen,
Daz kan ich niemen geſagen;
Du̓ mære ſuln uns noch komen.
(Z. 4292 ff.). Ute wohnte nach der Klage (Z. 3908 ff.)
zu Lorſe 47), von wo ſie nach Worms eilte, als Swem-
mel kam.
Als Kriemhild nach Siegfrieds Ermordung verwitt-
wet ward, brachte ſie der Schmerz ſo weit, daß ſie ſich
alle Freuden verſagte, und vor Klagen kaum das Leben
behielt. Nachher ward ſie Etzels Weib;
Durch rache můſte ſi daz tůn,
Und durch deheinu̓ minne niht,
Als uns du̓ aventu̓re giht.
(Z. 83 ff.) Auch dies hieß der Rede Meiſter in dem Mähre
dichten, wie reich der König Etzel geweſen: täglich hatte er
zwölf Könige unter ſich; die dienten ihm mit Ehren 48). End-
lich iſt uns auch bekannt und oft geſagt, daß der König
zuvor ein tugendhaftes Weib hatte, die Helke hieß, und
daß Kriemhild in Hünenland herrſchte, wie Frau Helke
zuvor gethan.
So findet ſich in der ganzen Klage nirgend eine Spur
von Siegfrieds früheren Thaten, ſeiner Unverwundbarkeit-
den Nibelungen und der Tarnkappe 49), oder wie Brün-
hild zweimahl dadurch bezwungen wurde, daß Günther
E
[66] die Gebärde und Siegfried die Werke hatte: lauter Um-
ſtände, die der Verfaſſer der Klage gewiß nicht überging,
wenn ihm in ſeinem Buche etwas Beſtimmtes davon wäre
überliefert worden. Ja man darf wohl annehmen, daß
er bei ſeiner übrigen Weitläuftigkeit und dem Beſtreben,
überall neue Umſtände des Jammers zuſammenzutreiben,
uns den kleinen Günther, Siegfrieds Sohn, den Kriemhild
in Niederland gelaſſen, ſchwerlich würde geſchenkt haben.
26.
Ich müßte mich ſehr irren, oder es iſt durch die bisher
geführten Unterſuchungen nun nicht nur unſere Haupt-
frage ſchon großentheils ins Klare gebracht, ſondern auch
ein Bedeutendes für die Geſchichte der Ribelungenlieder
überhaupt gewonnen. Wir haben eine Anzahl interpolier-
ter Stellen und einzelner Lieder in der letzten Hälfte des
Gedichts nachgewieſen; wir haben gezeigt, wie an manchen
Liedern drei bis vier verſchiedene Hände gearbeitet; es hat
ſich neben der unſerigen eine andere Reihe theils derſelben
theils anderer Lied[er gef]unden, die durch eine Einleitung,
welche den Inhalt unſerer erſten Aventüren in der Kürze
angab, verbunden waren. Ob dieſe andere Sammlung auch
ſchon der Nibelungen Noth hieß, oder dieſe letztere Auf-
ſchrift nur allein unſerer Sammlung zukommt, läßt ſich aus
dem Umſtande, daß die Burgunden in der Klage nicht
Nibelungen heißen, wohl nicht ausmachen 50). Die Ver-
bindung der Lieder war darin auf das ohne Zweifel
am Anfange oder Ende als Quelle erwähnte, entweder
erdichtete oder wirklich vorhandene Lateiniſche Buch von
Pilgrims Schreiber, Meiſter Konrad, bezogen, wie denn
auch die Verwandtſchaft Pilgrims mit den Burgunden
darin ſchon eben ſo, wie in unſeren Liedern, angegeben
[67] wurde. Daß aber auch dieſes Gedicht, das der Ver-
faſſer der Klage vor ſich hatte, eine Sammlung mehrerr
Lieder, und insbeſondere der Erzähler der Geſchichte, die
den eigentlichen Inhalt der Klage ausmacht, von denen
der vorigen Aventüren verſchieden war, erhellt daraus,
daß da, wo die Deutſche Sage überhaupt ſchloß, und der
Ordner unſeres Werkes, in dem nie Beziehungen auf ſpä-
tere Begebenheiten genommen werden, uns ſagt:
jene andere Sammlung, wie ſchon gezeigt worden, eben-
falls einen Schluß hatte, und der Verfaſſer der Aventüre
von der Klage ſich auf Umſtände bezog, die der Dichter
des Mähres von der Klage nicht fand, wie die Schlacht,
welche Hagen den Baiern lieferte, und das Verbrennen des
Saales.
27.
Nun wird es, um unſeren Beweis ganz vollſtän-
dig zu führen, nur noch nöthig ſein, daß wir auch die
erſte Hälfte unſeres Gedichtes durchgehen, damit ſich zeige,
ob auch dieſe aus mehreren Liedern zuſammengefügt oder
von einem Dichter in der gegenwärtigen Geſtalt verfaßt
ſei. Dabei muß denn vorausgeſagt werden, daß bei dem
Abgange eines Gedichts, das in eben ſo nahem Verhält-
niſſe zu dem erſten Theile, wie die Klage zu dem zweiten,
ſtände, hier dieſe Seite der Unterſuchung ganz verſchwinden
und deshalb auch ohne Zweifel Manches völlig im Dunkeln
bleiben muß. Dagegen zeigt aber hier ſich überall we-
niger Ausgebildetes und ein ſtrengeres Beibehalten der al-
ten Form; weshalb in dieſem Theile auch auf anſchei-
nend kleine Punkte weit mehr gebaut und vielleicht ſogar
E 2
[68] noch mehr ins Einzelne gehende Reſultate, als in der
zweiten Hälfte des Gedichts, können gewonnen werden.
Ja es zeigt ſich auch hier ganz unerwartet ein ſehr
nahe liegendes Zeugniß, wenigſtens für Einiges, das un-
ſere Frage zunächſt betrifft, und, wo es auch dieſe nicht
genau berührt, doch immer für die Geſchichte unſeres Lie-
des. Ich meine die jetzt in München befindliche zweite
Hohenemſer Handſchrift deſſelben, deren Vergleichung auch
in der zweiten Hälfte, wo ihre Lesarten noch unbe-
kannt ſind, vielleicht eine neue Seite für unſere Unter-
ſuchung darbieten möchte. Es iſt ausgemacht, daß die
erſte Hohenemſer Handſchrift das Gedicht in einer augen-
genſcheinlich ſpäteren, beſonders in vielen Punkten gemil-
derten Überarbeitung liefert 51). Und wenn ich nun ſage,
daß, wie dieſe Handſchrift eine ſpätere, ſo die andere eine
frühere Recenſion unſeres Liedes enthalte, das in der
Sanct-Galliſchen, mag die Handſchrift ſelbſt jünger oder
älter, als die zweite Hohenemſer ſein 52), in der höchſten
Blüthe ſteht und den Grad der Vollkommenheit, den ge-
rade jenes Zeitalter der damahligen Geſtalt des Liedes ge-
ben konnte, erreicht hat: ſo ſoll das, denke ich, niemand
wundern, der bei der Vergleichung beider in den mannig-
faltigen Änderungen und Zuſätzen der Sanct-Galler Hand-
ſchrift eine meiſtentheils abſichtliche künſtliche weitere Aus-
bildung der noch weniger glatten und geſchmückten Form
in der anderen erkannt hat 53).
Dabei iſt nun aber ſehr auffallend und bemerkens-
werth, daß man keineswegs überall in der Sanct-Galler
Handſchrift, ſondern nur in einigen Aventüren ſehr viele,
in anderen nur wenige und in manchen gar keine neue
[69] Strophen findet; woraus denn doch zum allerwenigſten er-
hellt, daß der geſchickte Urheber der Sanct-Galler Recen-
ſion einen Unterſchied zwiſchen jenen Liedern bemerkte, von
denen er einige vieler Veränderungen und Zuſätze, andere
nur einer geringen Nachhülfe bedürftig glaubte. Wenn
nun gerade dieſelben Lieder auch an anderen Kennzeichen,
mit denen Inhalt oder Darſtellung behaftet wären, ſich
von den übrigen verſchieden zeigten, ſo möchte ſich auch
daraus Manches für die weitere Erörterung unſerer Frage
ergeben. Es ſei erlaubt, hier in Voraus das Reſultat
anzuzeigen, daß gerade in den Liedern, welche in der
Sanct-Galler Recenſion keinen bedeutenden neuen Zu-
wachs erhalten haben, ſich am häufigſten die Hand des
früheren Ordners, deſſen Arbeit uns das Hohenemſer Ma-
nuſcript liefert, zu erkennen iſt, und daß insbeſondere, um
gleich etwas ganz Einzelnes anzuführen, alle Strophen
mit inneren Reimen theils dem Ordner, theils dem Sanct-
Galler Verbeſſerer, aber nie der urſprünglichen Geſtalt un-
ſerer Lieder angehören.
Aber es wird beſſer ſein, auch hier die einzelnen
Theile des Gedichts durchzuſehen und überall auf die in-
neren Merkmahle, wie auf die Punkte, zu denen uns
die Vergleichung jener Handſchriften führt, aufmerkſam zu
machen.
28.
Zunächſt geben ſich die erſten Strophen ſogleich als eine
beſonders für die jetzige Geſtalt des Gedichts verfertigte
Einleitung kund, der man darum, weil wir gerade alle
ſpäterhin vorkommende Perſonen und keine mehr noch
[70] weniger darin verzeichnet finden, eben kein höheres Alter,
als jener zuſchreiben darf. Die Erwähnung dieſer Perſo-
nen iſt überhaupt einer der wichtigſten Punkte der Unter-
ſuchung; überall zeigt ſich das Beſtreben, die, welche in
einzelnen Liedern handelnd auftreten, auch in die anderen
einzuführen. Daß der Sanct-Galler Recenſion die erſte
Strophe fehlt, die alle übrigen anerkennen, mag immerhin
bloßer Zufall ſein; die dritte,
wurde wohl mit feinem Gefühl abſichtlich weggelaſſen,
als in den erſten Anfang des Gedichtes nicht paſſend, wo
noch keine Theilnahme für eine einzelne Perſon erweckt,
ſondern die Hörer nur mit allen bekannt und auf ihr end-
liches Schickſal aufmerkſam gemacht werden ſollten.
Der nun folgende Traum Kriemhildens iſt gewiß nicht
von dem Dichter unſeres Liedes erfunden, da ſich noch eine
mythiſche Beziehung darauf anderweit nachweiſen läßt 54).
Dennoch möchte ich den Abſchnitt, wenn er auch aus ei-
nem älteren Liede genommen wurde, in dieſer ſchönen
Form, ſo zart gehalten in jeder Zeile, nur dem Dichter zu-
ſchreiben, dem wir die letzte Geſtalt des Ganzen ver-
danken; wofür auch die in einer Strophe ganz durchge-
führten Mittelreime 55) und der am Ende des Gedichts
wiederhohlte Gedanke, daß Freude zuletzt immer Leid
gebe, zu ſprechen ſcheinen. Der Sanct-Galliſche Ver-
beſſerer fand in dieſem Liede nur Weniges zu ändern,
das er mit großer Geſchicklichkeit beſſer und gefälliger
einrichtete 56).
[71]
29.
Dagegen iſt nun unverkennbar der folgende Abſchnitt
von Siegfrieds Jugend und Fahrt nach Burgund in ei-
nem weit älteren Stile keck und ſchroff gearbeitet. Das
Lied gibt ſich auch ſelbſt als ein einzelnes durch einen ei-
genen Anfang und Schluß (Z. 565 — 568), durch eine neue
Einführung Kriemhildens (Z. 185 — 200), endlich darin,
daß es in Burgund nur Günther, Gernot, Hagen und Ort-
win, aber nicht Giſelher und die Übrigen kennt. Eine an-
deren Liedern ſehr geläufige Manier der Erzählung zeigt
ſich nur in einer Stelle (Z. 81):
die ich gerade deshalb gern dem Ordner zuſchreiben möchte,
wie ſie denn auch der Beſorger der Sanct-Galler Recen-
ſion als ein fremdes Stück ausſtieß. Hingegen findet ſich
eine ganz eigenthümliche Manier des Ausdrucks in zwei
Zeilen von Ortwin (Z. 334. 486):
Rich unde küne moht’ er vil wol ſin 57).
Er mohte Hagenen ſweſterſun von Tronege vil wol
ſin.
Die Beziehungen auf Künftiges gehen überall nur bis auf
Siegfrieds Vermählung mit Kriemhilden (Z. 188. 196. 200.
525), wenn auch der Schluß auf ſein ſpäteres Schickſal
deutet:
Das ahnungsvolle Weinen bei Siegfrieds Abſchied von
Xanten (Z. 285 — 292) ſcheint hier, eben weil es ſonſt
noch öfter vorkommt, und ſich die Stelle durch einen Mit-
telreim auszeichnet, ein Zuſatz des Ordners zu ſein, dem
überhaupt in dieſem Abſchnitte, wo der Sanct-Galler
[72] Kritiker nur wenig zuzuſetzen und zu ändern nöthig
hielt, ſehr vieles wird müſſen zugeſchrieben werden.
Die bedeutendſte Änderung war denn wohl die, daß
er höchſtwahrſcheinlich aus zwei Liedern eins machte, und,
wie man eben daraus, daß wir es noch zu erkennen im
Stande ſind, ſchließen kann, bei der Verbindung ein we-
nig ungeſchickt verfuhr. Wir erkennen es aber daran, daß
man nach der jetzigen. Darſtellung zu der Meinung ver-
führt wird, daß Siegfrieds Reiſe nach Burgund ſeine erſte
Ausfahrt geweſen, einer Meinung, die mit dem ganzen
Mythus unvereinbar ſtreiten würde. Das eine Lied, mit
dem Anfange (Z. 93):
In ſinen beſten ziten, bi ſinen jungen tagen
Man mohte michel wunder von Siveride ſagen ꝛc.
enthielt die Beſchreibung der Feierlichkeiten bei Siegfrieds
Schwertnahme, bis auf den Punkt, wo er ſich weigert, bei
ſeines Vaters Leben die Krone zu tragen (bis Z. 180). In
dieſem Liede erſtrecken ſich die Andeutungen der Zukunft
nur bis auf ſein reiferes Alter, wo ihn die Weiber liebten
und ſeines Vaters Lande mit ſeinen Tugenden geziert wur-
den (Z. 96. 98). Die oben angezeigten weiteren Bezie-
hungen finden ſich dagegen in dem anderen Liede, worin
nach einer kurzen Erzählung von Siegfrieds Ältern und
Wohnort vorbedeutend geſagt wird (Z. 88):
Durch ſines libes ſterke er reit in menigu̓ lant;
Hei, waz er ſneller degene ſit zen Burgonden vant!
An dieſe Einleitung ſchließt ſich der Bericht von ſeiner
Fahrt nach Burgund (Z. 185):
Den herren müten ſelten deheinu̓ herzenleit,
Er horte ſagen mœre, wie ein ſchönu̓ meit
[73] Wœre in Burgonden, ze wunſche wolgetan,
Von der er ſit vil freuden und oͧch arbeit gewan.
In dieſem zweiten Liede aber iſt, des Ungewiſſeren
nicht zu erwähnen, außer einer Strophe mit inneren Rei-
men, die dem Ordner eigen iſt (Z. 469 — 472), wie mich
dünkt, auch Hagens ganze lange Erzählung von Siegfrieds
früheren Thaten (Z. 357 — 412), während welcher Sieg-
fried auf dem Hofe warten muß, wenn ſie nicht gar zu
dem erſten dieſer zwei Lieder gehört, doch wenigſtens ein
nur loſe angeknüpftes fremdes Stück, wie dies die Kürze
in der Nachricht von Siegfrieds Unverwundbarkeit (Z.
409 — 412), und das unrichtige Präteritum bei der Er-
wähnung des Schwertes (Z. 389: daz hiez Balmunc) noch
weiter zu beſtätigen ſcheint. Endlich iſt auch am Schluß
die Erzählung von Siegfrieds und Kriemhildens Liebe, wo-
bei ſie nur ihn, er aber ſie nicht ſah (Z. 545 — 564),
zu ſehr ausgeführt und viel zu weich für dieſes Lied, als
daß man nicht leicht auch darin eine ſpätere ausmahlende
Hand erkennte.
30.
In dem nächſtfolgenden Liede von dem Kriege mit den
Dänen und Sachſen zeigen ſich nun wirklich ſolche Ankün-
digungen, wie die in dem vorhergehenden ausgezeichnete:
Z. 573, »Die wil ich u̓ nennen;« Z. 745, »Ich ſag’ u̓,
wer der wœre.« Den Schluß des Liedes und zugleich den
einzigen Bezug auf die Zukunft enthalten die Zeilen (1053
— 1056):
Durch der ſchönen willen gedaht’ er noch beſtan,
Ob er ſi geſehen möhte. ſit wart ez getan;
[74] Wol nach ſinem willen wart im du̓ magt bekant.
Sit reit er fröliche in daz Sigmundes lant.
Von dem voranſtehenden Liede ſondert ſich dieſes durch
ein neues Vorführen Siegfrieds (Z. 626). Giſelher wird
auch hier noch nicht genannt, ſondern nur Günther und
Gernot. Und nun mag es wunderlich ſcheinen, wenn ich
alle Strophen, in denen Hagen, Ortwin, Dankwart, Vol-
ker, Sindolt und Hunold vorkommen, für ſpäter einge-
ſchoben erkläre; ich will auch gern zugeben, daß weder die
Erwähnung dieſer Männer 59), noch die Mittelreime, noch
die öfter wiederhohlten Formeln: da mußten Helden ſter-
ben, da wurden viel Helmbänder zerhauen, da that er
noch mehr Schaden, des Tages wurden viel gute Ritter
getödtet u. ſ. w. — daß jeder dieſer Umſtände für ſich al-
lein keine Stelle verdächtig machen könnte: wenn aber der-
gleichen immer in gewiſſen Strophen zuſammenkommt, ſo
wird es doch wahrſcheinlich, daß in dieſem Liede, dem die
Sanct-Galler Handſchrift keine neue Strophen hinzu-
fügt, jene gerade auf die Rechnung des Diaſkeuaſten
kommen 60).
Hingegen eignet ſich die ganze folgende Erzählung, wie
Siegfried Kriemhilden zuerſt ſah, (Z. 1057 — 1236) durch
breitere Darſtellung und größere Zierlichkeit, die ſich be-
ſonders in ausgeführteren Bildern und der Erzählung von
Siegfrieds minniglichen Gedanken, dann in ſeiner ritter-
lichen Unterhaltung mit Kriemhilden zeigt 61), einem weit
ſpäteren Zeitalter an; und eben dieſes auffallend Jün-
gere des Liedes heißt uns bei der 1237 Zeile ein neues
anfangen, in dem die Darſtellung bei weitem gedräng-
ter und manchmahl überkurz iſt, obgleich auch in dieſem
ſchon Giſelher vorkommt, auf deſſen Rath Siegfried noch
[75] länger in Burgund bleibt. Anfang und Ende ſind vor-
trefflich:
Freude unde wunne, vil grözlichen ſchal
Sach man allertœgelich vor Gu̓ntheres ſal ꝛc.
und:
Wan daz in twang ir minne, du̓ gab im dicke not;
Darumbe ſit der küne lar vil jœmerliche tot.
31.
Nach einer Übergangsſtrophe mit einem Mittelreime
(Z. 1313 — 1316) folgt ein ſehr verſchiedenes Lied von
Brünhild:
Ez was ein ku̓neginne geſezzen u̓ber ſe ꝛc.
Daz gehorte bi dem Rine ein ritter wolgetan ꝛc.
(Z. 1326). Es zeichnet ſich durch ein häufiges Hervortreten
des Dichters und Anreden an die Hörer aus. Von Albe-
rich, dem Zwerg, und der Gewinnung der Tarnkappe wird
als von noch unbekannten Dingen erzählt (Z. 1359), über-
all aber Siegfrieds frühere Bekanntſchaft mit Brünhild
vorausgeſetzt (Z. 1334 — 1340. 2605). Sehr oft weiſt der
Dichter auf ſpätere Begebenheiten, wie Kriemhild Sieg-
frieds Weib geworden, daß Siegfried nachher Leid von
ſeiner Bemühung hatte, daß die Frauen ſich entzweiten
und Günther Siegfrieds Dienſte vergaß. Höchſt merk-
würdig iſt aber in dieſem Liede, daß Dankwart hier eine
der Hauptperſonen iſt, dagegen er in den übrigen nur bei-
läufig erwähnt wird und alſo vielleicht von ſpäterer Hand
in dieſelben eingeführt iſt. In dem zweiten Theile des
Gedichts ſagt er nämlich (Z. 7771) ſelbſt zu Blödelin:
[76]
Ich was ein wenic kindelin, do Sivrit vlos den
lip.
Außer den vier Geſellen, die zuſammen nach Island fuh-
ren, erwähnt das Lied auch Gernot und Giſelher 62).
Übrigens mag ſich, bis auf weniges Einzelne 63), die
urſprüngliche Geſtalt des ganzen Liedes ſchon erkennen
laſſen, wenn man die vielen Zuſätze der Sanct-Galler
Handſchrift wegläßt 64). Nur möchte ich einen größeren
Abſchnitt (Z. 1921 — 2060) nebſt zweien ihm anhängenden
Strophen (Z. 2333 — 2336. 2401 — 2404), in denen
Siegfrieds Fahrt zu den Nibelungen erzählt und dieſe
ſelbſt erwähnt werden, gern aus dem Liede ausſcheiden,
ſchon weil ſie der Manier des Übrigen nicht gleichen und
in der Sanct-Galler Handſchrift nicht weiter ausgeführt
worden ſind.
Und ſo ſcheint es mir auch, daß der Abſchnitt, wie
Siegfried Brünhilden für Günthern bezwang, von dem
Vorigen müſſe geſchieden werden. Das Lied von Brün-
hilden endigt:
Der ku̓nic beite kume, daz man von tiſche gie;
Du̓ ſchonen Bru̓nhilde man do komen lie,
Und oͧch froͧn Kriemhilde, bedu̓ an ir gemach;
Hei, waz man ſneller degene vor den ku̓neginnen
ſach!
Und nun hebt hier ein neues Lied an, mehr ausgebildet
und nicht in der Manier des vorhergehenden (Z. 2657):
Sivrit der herre vil minneclichen ſaz
Bi ſinem ſchönen wibe, mit freuden, ane haz ꝛc.
Zuletzt kommt auch hier noch (Z. 2765 — 2768) eine
[77] Strophe von den Nibelungen, die ich wieder dem Ordner
zuſchreibe. Der Schluß (Z. 2772) lautet:
So endete ſich du̓ hochzit; ez ſchiet von dannen ma-
nic degen;
oder nach der Sanct-Galler Handſchrift: »Daz wolde
Gu̓nther der degen.«
In der folgenden Aventüre, in der die Darſtellung
wieder ſehr kurz und wenig geſchmückt iſt, nehmen Sieg-
fried und Kriemhilde von Worms Abſchied und reiſen nach
Niederland. Der Verfaſſer findet nöthig uns noch mit
Xanten bekannt zu machen (Z. 2847):
Unze daz ſi komen z’ einer burge wit,
Du̓ was geheizen Santen, da ſi krone trůgen ſit.
Eine Strophe (Z. 2857 — 2860), in der uns, im Gegen-
ſatze mit der Pracht des Feſtes zu Worms, geſagt wird,
nie habe man den Helden beſſer Gewand gegeben als bei
Siegmund, und eine frühere (Z. 2793 — 2796), die eben-
falls Kriemhildens Herrlichkeit zu Xanten weiter ausführt,
ſo wie eine ſpätere (Z. 2889 — 2892) von der Erziehung
des jungen Siegfried, gehören der Sanct-Galler Recen-
ſion: an die erſte ſchließt ſich eine andere (Z. 2861 —
2864), die Kriemhildens und ihres Geſindes Pracht be-
ſchreibt und ſich mit ihren inneren Reimen dem Ordner
aneignet. Außer den drei Königen erwähnt das Lied Ha-
gen und Ortwin, und vorzüglich noch Eckewart. Es zeich-
net ſich durch die oft wiederhohlte Redensart aus: Das
war ihm lieb, als ers erfuhr, und dergl. (Z. 2776. 2780.
2785. 2828. 2838. 2868. 2876). Übrigens beweiſt es auch,
daß wir vorher ganz richtig die Nibelungen aus dem Liede
von Brünhild ausgeſondert haben; denn indem der Ver-
[78] faſſer dieſe tauſend Mann bei der Abreiſe von Worms
nicht erwähnt, erklärt er, daß er ſie ſich in dieſer Ver-
bindung nicht dachte.
32.
Ganz unvereinbar mit dieſem Liede iſt nun aber das
folgende (von Z. 2909 an), worin die vom Rhein geſand-
ten Boten Siegfried mit Kriemhilden und ſelbſt Sieg-
mund, der doch noch einmahl (Z. 3057) König von Nie-
derland heißt, in Nibelungenland antreffen, oder noch be-
ſtimmter (Z. 2970):
Ze Nibelunges bu̓rge, dar waren ſi geſant,
Ze Norwœge in der marke, da funden ſi den degen.
Dahin kommen die Boten (Z. 2969) in drei Wochen 65)
geritten, alſo vermuthlich zu Lande; Siegfried, Kriemhild
und Siegmund reiten mit ihrem Gefolge gegen den Rhein
von Nibelungenland. Nach Siegfrieds Tode reitet Sieg-
mund mit den Nibelungen von Worms an den Rhein 66)
und ſetzt nicht über, ſondern ſcheint den Strom entlang
reiſen zu wollen, obgleich der Dichter (Z. 4409) ſagt:
Endlich aber hohlen nur ſiebzig Verſe nachher Giſelher
und Gernot den Schatz aus Nibelungenland. Er wird
von dem Berge, worin er verborgen lag, »zů dem ſewe«
das iſt, aufs Meer, in die Schiffe gebracht;
Den fůrt man uf den unden unz ze berge an den
Rin 67).
(Z. 4500). Danach fährt man alſo von Worms den Rhein
hinunter ins Meer und von da nach Nibelungenland.
Nun zeigt ſich aber außer dieſem Widerſpruche eine neue
Schwierigkeit; denn es möchte nicht leicht ſein, den Berg
[79] am Rheine zu zeigen, von dem man nun den Schatz auf
zwölf Ganzwagen, die vier Tage und Nächte täglich drei-
mahl gingen 68), nach Worms brachte. Dieſe Verſchieden-
heit der Geographie beweiſt nun, denke ich, nicht nur wie-
der die Zuſammenfügung unſeres Gedichts aus mehreren
Liedern, ſondern die eben bemerkte Unbekanntſchaft mit der
Gegend bei Worms zeigt auch, daß, wiewohl erweislich
von Siegfried und Kriemhildens Rache beinah in ganz
Deutſchland geſungen wurde, dennoch unſere Lieder mit A.
W. Schlegel nur dem ſüdlichen Theile zuzuſchreiben ſind.
Was die ebenfalls von Schlegel bemerkte Verwechſelung
des Wasgaus mit dem Odenwalde betrifft, ſo kann man
auch dieſe nicht läugnen 69), ſondern höchſtens ſagen, daß
zwar in dem Liede, worin die Jagd angekündigt wird,
der Waskenwald genannt ſei, in dem von jenem verſchie-
denen aber, das die Jagd ſelbſt erzählt, nur ein tiefer
Wald jenſeit des Rheines 70).
33.
Aber wir kehren zu dem Liede zurück, in dem Günther
Siegfried und Kriemhilden durch den Markgrafen Gere
einladen läßt. Ich mag nicht mit Gewißheit behaupten,
daß es ſchon mit den Worten Hagens ſchließe, worin er
von Siegfried ſagt:
Hort der Nibelunge beſlozzen hat ſin hant;
Hei, ſold’ er kumen ie mer in der Bu̓rgonden lant!
Wenigſtens aber ſcheint mir ſicher, daß die nächſten Stro-
phen (Z. 3113 ff.) wenn nicht ein ganz eingeſchobener Über-
gang, doch wenigſtens zum Theil ſpäter eingefügt ſind,
um Sindolt, Ortwin und Rumold wieder in ihren Ge-
ſchäften für die folgende Hochzeit zu zeigen.
[80]
In der ſehr ausgeführten Erzählung von Siegfrieds
und Kriemhildens Empfang zu Worms, die wieder manche
Hindeutungen auf die Zukunft enthält, iſt gewiß ſehr vie-
les von dem Ordner, zum Beiſpiel (Z. 3197 — 3200) die
beſondere Erwähnung Hagens und Ortwins bei dem
Kampfſpiele, aus einer früheren kürzeren Stelle (Z. 1240)
entlehnt, und der Marſchall Dankwart, der (Z. 3213 —
3216) des Geſindes pflegt.
Noch weit mehr ausgebildet, in einer breiten und
edeln Manier gearbeitet, iſt der nächſte Abſchnitt (Z. 3269
— 3464) von der Königinnen Zank. Ganz verſchieden da-
von zeigt ſich der folgende, worin Günther und die Übri-
gen Siegfried den Tod ſchwören. Er fängt mit der allge-
meinen Sentenz an:
(Z. 3465) und endigt:
Von zweier frowen bagen wart vil manic helt ver-
lorn.
Die ganze Erzählung aber iſt ſehr wenig ausgeführt, mangel-
haft, trocken und durchaus nicht mit Liebe noch nach friſchle-
bendiger Sage gedichtet, ſo daß vermuthlich alles ſammt dem
inneren Reime, Z. 3469 f., dem Ordner gehört 71). Über-
all gibt ſich der Dichter Mühe, jeden einzelnen etwas re-
den zu laſſen, wobei beſonders Gernot in ein übeles zwei-
deutiges Licht geſtellt wird.
Sehr vortheilhaft zeichnet ſich dagegen die Erzählung
(Z. 3521 — 3676) aus, wie Kriemhild Hagen entdeckte, an
welcher Stelle Siegfried verwundbar ſei. Das Lied un-
terſcheidet ſich von einigen anderen dadurch, daß es Sieg-
fried
[81] fried den Held von Niederland nennt, und überall auf den
Tod deſſelben, einmahl auch (Z. 3540) auf das nachherige
Verderben der Burgunden hinweiſt, und durchweg auf die
große Untreue, die man an Siegfried begangen, aufmerk-
ſam macht. Am Ende kommt die ſchon erwähnte Stelle
vom Waskenwalde.
34.
Noch weit vortrefflicher, aber auch hin wieder ohne
Zweifel ſehr ausgeſchmückt iſt die nächſte Darſtellung der
Jagd und der Ermordung Siegfrieds. Wir begnügen
uns auch hier nur einiges Eigenthümliche des Liedes aus-
zuzeichnen und die Aufmerkſamkeit auf einige Einſchie-
bungen zu lenken, bei denen ſich eher zur Gewißheit kom-
men läßt. Der Anfang konnte nicht leicht ſchöner ſein (Z.
3677):
Gu̓nther unde Hagene, die recken vil balt,
Lobten mit untru̓wen ein pirſen in den walt.
Mit ir ſcharfen geren ſi wolden jagen ſwin,
Beren unde wiſende; waz möhte küners geſin?
So auch der Schluß (Z. 4021 — 4024):
Do erbiten ſi der nahte und fůren u̓ber Rin,
Von helden kunde nimmer wirs gejaget ſin.
Ein tier, daz ſi ſlůgen, daz weinten edlu̓ kint;
Ja můſen ſin engelten vil gůte wigande ſint.
Die übrigen Beziehungen auf Künftiges: Wäre es wohl
verendet, ſo hatten ſie fröhlichen Tag; der Rath war vie-
len zu Sorgen gethan; nachher ward er von ſchönen
Frauen beweint. Dagegen iſt zuerſt alles, was (Z. 3631
— 3720) von Siegfrieds Abſchied von Kriemhilden erzählt
F
[82] wird, eingeſchoben. Nach dieſer eingeſchalteten Erzählung
ritt Siegfried mit Günther und Hagen: hernach (Z. 3728)
kommt auch Siegfried auf den Wert, und das wird dem
Könige gemeldet. In dem ausgezeichneten Stücke wird er-
zählt, daß auf Brünhildens Rath Siegfrieden das Leben an
einem Brunnen genommen, Giſelher und Gernot aber nicht
mit auf die Jagd gegangen ſeien. Von Kriemhilden heißt
es (Z. 3716):
Ferner folgen noch ein Paar Strophen, die in der Hohen-
emſer Handſchrift fehlen (Z. 3773 — 3776. 3793 — 3796),
dann noch einige (Z. 3817 — 3840), die ſich durch weitläuf-
tige Beſchreibungen und dabei durch Anreden an die Zu-
hörer auszeichnen. So oft in dem Folgenden die Untreue
Hagens und Günthers getadelt wird, glaube ich einge-
fügte Strophen zu bemerken (Z. 3869 — 3872. 3877 —
3884. 3893 — 3900. 3937 — 3940). Zweimahl (Z. 3869. 3885.)
ſtören ſie den Zuſammenhang; das drittemahl (Z. 3893 ff.)
enthalten ſie faſt nur müſſige Wiederhohlungen; zuletzt iſt
nach der 3936 Zeile, in der vermuthlich urſprünglich ſtand,
daß Hagen Siegfrieden ſchoß, nun in der folgenden Strophe
ſehr unpaſſend die weitere Ausführung im Bezug auf eine
frühere Erzählung eingefügt, Hagen habe ihn durch ein
Kreuz am Gewande geſchoſſen. Einmahl ſcheint es faſt,
als wenn ſie noch immer (wie Z. 3917) ohne Kleider in
weißen Hemden geweſen; und wenn ſie ſich auch etwa
wieder angekleidet hatten, wie denn nachher (Z. 4037)
Siegfrieds Kleid von Blut ganz naß war, und man end-
lich (Z. 4118) ſeinen ſchönen Leib aus den Kleidern ziehen
mußte: ſo hatte ja Kriemhild das verborgene Kreuz (Z.
3629) in das Kleid genäht, das er auf der Scheinheerfahrt
trug, auf welcher es ſich auch Hagen (Z. 3644 f.) genau
[83] anſah. um ſich die Stelle zu merken; jetzt aber trug Sieg-
fried ein anderes, das vorher (Z. 3821 ff.) beſchriebene
Jagdkleid.
Das folgende Lied. von dem Anfange (Z. 4025),
Von grozer u̓bermüte mu̓get ir horen ſagen,
Und von eislicher rache ꝛc.
bis zu dem Ende der Klage über Siegfrieds Tod (Z. 4304)
fortlaufend, iſt ſehr ausführlich; doch laſſen ſich nur we-
nige Strophen an kleinen Widerſprüchen und Reimen (Z.
4045 — 4056. 4101 — 4104. 4265 — 4268) als eingefügt
erkennen; eine (Z. 4249 — 4252) gehört der Sanct-Galler
Recenſion an. Die Manieren des Liedes: Da hatte Hagen
Brünhildens Zorn gerächt (Z. 4078); Siegmunden ſagte
ſein Herz, was ihm geſchehen war (Z. 4069); Niemand
könnte euch all den Jammer vollkommen erzählen (Z.
4157).
Hingegen mögen in das nächſte Lied, das (Z. 4416)
ſchließt:
wohl Ute und Gernot (Z. 4337 — 4344) eingeſchoben ſein.
Am Ende aber ſind drei Strophen (Z. 4397 — 4408) ge-
wiß neueren Urſprungs. Hier begleiten Giſelher und Ger-
not den König Siegmund, der vorher, um nach Nibelun-
genland zu reiſen, ohne Geleit an den Rhein ritt, heim —
nach Niederland; und dennoch heißt es in dem Folgenden:
Endlich der letzte Abſchnitt des erſten Theiles, keiner der
beſonders hervortretenden, enthält eine gute, kurze, unge-
F 2
[84] ſchmückte Erzählung. Die Manieren ſind: Nun mögt ihr
von dem Horte Wunder hören ſagen (Z. 4501); Hagen
meinte von dem Schatze noch Vortheil zu ziehen, das
konnte nicht geſchehen (Z. 4564); nachher rächte ſich wohl
mit Kraft des kühnen Siegfrieds Weib (Z. 4436). In die-
ſem Liede kommt auch wieder die Tarnkappe vor. Zwei
Strophen (Z. 4549 — 4552. 4573 — 4576), die das nur
kurz erzählte Verſenken des Schatzes in den Rhein erklä-
ren ſollen, aber den Zuſammenhang nur verwirren und
dunkel machen, ſind leicht als eingeſchaltet zu erkennen;
eine andere (Z. 4469 — 4472) verräth ſich durch den in-
neren Reim.
35.
So kehren wir endlich von unſerer langen Reiſe durch
das Gedicht zurück, wobei, wie ich hoffe, nun der Beweis
für unſeren Hauptſatz als vollſtändig geführt angeſehen
werden kann: auf vollſtändige Nachweiſung der Verände-
rungen jedes Liedes machen wir keinen Anſpruch, deren
man ſich ſelbſt dann noch nicht vergewiſſert halten dürf-
te, wenn auch alle erkennbaren Änderungen genau und
vollſtändig gezeigt wären. Uns iſt genug, wenn die eigene
Angabe des Ordners unſerer Lieder, der erzählen wollte,
was uns Großes in alten Mähren geſagt ſei, durch ſichere
Anzeigen in der dermahligen Geſtalt des Gedichtes iſt be-
währt worden.
Wir fügen noch hinzu, daß ſelbſt das ſpätere Fortle-
ben einzelner Lieder, die wenigſtens dem Inhalte nach mit
Theilen unſeres Gedichts zuſammenfielen, aus beſtimmten
Zeugniſſen kann erwieſen werden. Für norddeutſche Ge-
[85] ſänge zeugt die Niflungaſaga, wo ſie berichtet, was in
Deutſchen Liedern, »i Thydverſkum kvœdum«, geſungen ſei
72). Der Marner, ein Schwabe, und Hugo von Trim-
berg, der bei Bamberg lebte, erwähnen als Vorwürfe ver-
ſchiedener Gedichte, »wen Kriemhilt verriet 73), und Kriem-
hilden mort, Sigfrides tot, der Nibelungen hort.« Der
Verfaſſer des Liedes vom hürninen Seifried 74) verweiſt
nicht eigentlich auf unſere Nibelungennoth 75), ſondern auf
ein Gedicht, das nur einen Theil der Geſchichte umfaßte:
Die drei brüder Kriemhilde, wer weiter hören wöll,
So wil ich im hie weiſen, wo er das finden ſöll.
Der les Seifrides hochzeit; ſo wirt er des bericht,
Wie es die acht jar gienge. hie hat ein end das dicht.
Aus der Thüringiſchen Chronik des Joh. Rothe, der in
die Mitte des funfzehnten Jahrhunderts fällt, wird die
für unſere Unterſuchung allzu unbeſtimmte Angabe aufge-
führt, man habe damahls noch Geſänge von dem ſtarken
Sifrid, von Hagin und Kunehild (Kriemhild) gehabt 76).
Hingegen kenne ich nur Ein ausdrückliches Zeugniß für
unſere Nibelungennoth; die augenſcheinliche Nachahmung
in dem Anfange des Liedes von der Rabenſchlacht, wovon
die hierher gehörigen Zeilen alſo lauten 77):
Welt ir von alten meren
Wunder horen ſagen,
Von recken lobeberen,
So ſolt ir gern dazů dagen.
— — — — — — —
Dem tet er wol geliche,
Als mir iſt geſeit;
Dem herren Dietriche
Frumt’ er manig ſtarke leit
[86] Mit wůſte und mit brande
In ſinem eigen lande.
Nu ſolt ir hören gerne
Von grozer arbeit,
Wie der vogt von Berne
Sit gerach ſine leit
An Ermrichen dem ungetru̓wen.
Waz er begie, daz kam im ſit zů ru̓wen.
Nu horet michel wunder
Singen unde ſagen,
Und merket alle beſunder,
Sich hebt weinen und klagen
Und jamer alſo ſtarke,
Der geſchach uf Romiſcher marke.
Denn wenn Wolfram von Eſchenbach im Parzifal er-
wähnt, was Rumold
ku̓ner Gu̓nthere riet,
Do er von Wormez gein den Hiůnen ſchiet.
und noch beſtimmter ſagt, den Rath gebe
ein koch
Den künen Nibelungen,
Die ſich unbetwungen
Uzhůben 78), da man an in rach,
Daz Sivride davor geſchach,
ſo iſt zwar darin die Geſtalt der Fabel, welche der Nibe-
lungen Noth und die Klage gibt, unverkennbar; aber wer
will entſcheiden, ob Eſchenbach, deſſen Parzifal in die er-
ſten Jahre des dreizehnten Jahrhunderts fällt, ſchon un-
ſere oder eine andere 79) Sammlung oder auch nur ein-
zelne Volkslieder kannte? 80)
[87]
36.
Und nun ſei es erlaubt, zum Schluß noch eine Frage zu
berühren, deren Beanwortung die Kritik ſich niemahls an-
maßen darf: vielmehr wird ſie ſich verbunden halten, was
auch bei den Unterſuchungen über den Hamer vielleicht
mit Recht konnte gefordert werden, deutlich und be-
ſtimmt zu erklären, daß jene Frage jetzt durchaus keiner
Löſung mehr fähig ſei. Es iſt nämlich die gemeint, ob
bei der Zuſammenfügung unſerer wie der Homeriſchen Lie-
der die Diaſkeuaſten Zuſammenhang und Folge nach ei-
nem vorhandenen, wenn auch kürzeren Gedichte, das aber
den ganzen Inhalt der Geſchichte befaßte, oder nur nach
Anleitung der Sage beſtimmten.
Bei den mannigfaltigverſchiedenen Verbindungen, in
die einzelne Theile unſerer Nibelungengeſchichte in anderen
und anderen Geſtalten der Sage geſetzt worden ſind, muß
man endlich den, welcher Kriemhildens Rache an Sieg-
frieds Ermordung durch Hagen und ihren Bruder Günther
geknüpft, für den eigentlichen Dichter des Deutſchen Epos
erklären. Wenn aber gefragt wird, nicht was jeden wahr-
ſcheinlich dünke, ſondern was ſich ſtreng erweiſen laſſe,
wer will dann zu beſtimmen wagen, ob ſich in einem ein-
zelnen größeren Gedichte, oder nur in der Sage, wenn
auch nur eines Theiles von Deutſchland, die weniger bei
jener Verbindung weſentlichen Umſtände zuſammengefun-
den und in dieſem Sinne, nach Grimms freilich ſehr wun-
derlichem Ausdrucke das Nibelungenlied ſich unbewußt ſel-
ber gedichtet habe, oder von Einem Dichter geſchaffen ſei?
Eben ſo wenig mag es aber auszumachen ſein, ob die Ho-
meriſchen Lieder nach einem urſprünglichen Gedichte ge-
[88] ordnet, ja vielleicht möglicher Weiſe zum Theil als Ab-
ſchnitte eines Jedermann bekannten größeren Gedichts geſun-
gen ſeien, oder ob die einfache Fabel der Odyſſee und die nicht
mehr zuſammengeſetzte der Ilias 81) nur durch die Sage
ſich neben den einzelnen Liedern erhalten habe. Wir wol-
len die Völker glücklich preiſen, in denen Sage und Volks-
geſang ſich zu ſolchen großen poetiſchen Bildungen geſtal-
teten, und den Dichtern danken, die den Zorn des Achilles
und Odyſſeus Rückkehr, und den tragiſchen Wechſel von
Freude und Leid in Kriemhildens Geſchichte, in ſo herrli-
chen Werken verewigten, daß noch ſpäte Jahrhunderte ſich
an ihnen erfreuen und kräftigen mögen.
[[89]]
Anmerkungen.
[91]
[95]
[96]
[101]
[103]
[107]
[110]
[111]
[]
Appendix A Verbeſſerungen.
S. 6, Z. 27 reißen, S. 9, Z. 3 michel wichen Z. 19
Waz er do ſinen fru̓nden hin ze Rine enbot, S. 12, Z. 8
tragen. S. 20, Z. 7 ingeſinde Z. 8 iſt ez hie S. 21, Z. 8
ſu̓melichen S. 22, Z. 16 im S. 25, Z. 20 heten leide Z. 24
Botſchaft S. 26, Z. 18 Sivriden, S. 32, Z. 19 Bildung
S. 41, Z. 9 dieſen S. 42, Z. 1 wodurch S. 48, Z 27 Ha-
gen S. 53, Z. 1 Rüdigern S. 56, Z. 3 v. u. Günthern
S. 60, Z. 25 Kriemhild S. 67, Z. 2 mehrerer S. 81. Z. 8
hin und wieder S. 87, Z. 7 v. u. wenigen S. 91, Z. 5 v.
u. unterwarf und die ihm den Schatz bewahrten; S. 92,
Z. 17 verloren.
[][][]
welches ſie ſich einmahl von Homer oder ſonſt einem
Dichter gemacht, dem Verſtande zu Liebe aufzugeben.
Schrift S. 34, in der zweiten S. 36 und 37), nach
welcher die Nibelungen Unverzagte, ni bilun-
nane ſein ſollen, von bilinnancessare, iſt ſprach-
widrig. Theils kann die verneinende Partikel ni,
ſpäter en, nicht bei dem Particip ſtehen; theils wird
bei dieſer Ableitung ein Theil der Namensendung zu
der Wurzel des Wortes gezogen; denn die letzten
Buchſtaben ung enthalten ohne Zweifel die mittlere
der drei nordiſchen Bezeichnungen der Geſchlechts-
namen, ingr, u̓ngr, lingr. (S. Raſks Veiled-
ning til der Islandſke eller gamle Nordiſke Sprog,
S. 160 f.), Deutſch ing, ung, ling.
wobei die letzte Zeile immer eine Hebung (man muß
nicht ſagen, zwei Sylben) mehr als die übrigen hat,
wurde erſt, bis auf einige Nachläſſigkeiten des Ab-
ſchreibers, vollkommen in der Recenſion der Sanct-
Galler Handſchrift durchgeſetzt.
vielleicht ein ganz anderer. Aus dem alten Fornyr-
dalag von acht Halbzeilen, jede mit zwei Hebungen,
wurde die Art von Ru̓nhenda, welche ſich bloß durch
Reime in den Halbverſen, nur zwei für ein ganzes
Geſetz, vom Fornyrdalag unterſcheidet (John Olaf-
ſen om Nordens gamle Digtekonſt S. 69 §. 40); aus
dieſer die beſonders ſpäter gewöhnliche Ru̓nhenda,
doppelt ſo lang als jene, mit acht Halbzeil n von
vier Reimbuchſtaben und vier Reimen, wovon jeder
nur einmahl gebunden wird (Olafſen daſ. §. 38. 39).
Die Däniſche Strophe von zwei Zeilen macht ein
Viertel dieſer Ru̓nhenda, die Hälfte jenes Fornycda-
lag aus. Was ich zwei Hebungen nenne, heißt bei
Olafſen vier lange Sylben, womit er jedoch nichts
anderes meint, nach ſeiner eigenen Erklärung S.
192.
Grimm Aventins Worte auf demſelben 250 Blatte
nicht angeführt: »Es ſein viel alter Reimen und
Meiſtergeſäng bei uns vorhanden, von ihm (Atzeln)
gemacht.«
Gibelinen, Rudolſtadt 1816, S. 40 ff. ſagt, ſcheint mit mei-
ner Behauptung freilich geradezu im Widerſpruche zu ſte-
hen *). Wenn er aber meint, jeder fühle, wie das Lied in
Einem Geiſt und Sinn in Einer Zeit entſtanden ſei, ſo
glaube ich dagegen auch nur, daß das Gedicht nicht bloß
von Einem Dichter geordnet worden, ſondern die einzelnen
Lieder ſelbſt in der jetzigen Ausbildung, wo nicht ſämmt-
lich, doch meiſtentheils nur einem einzigen Jahrhundert,
dem zwölften, angehören.
ich die ſeit mehreren Jahren in Schwang gekommenen
wunderlichen Vorſtellungen von Volksliedern und ihrer
[90] Entſtehung theilen, über die A. W. Schlegel neulich klar
und ſcharf geſprochen hat.
So ſingent uns die blinden.
Das Sifrid hürnein wœre ꝛc.
zwar allerdings auf Volksgeſang zu deuten; aber es iſt
doch zweifelhaft, ob ſie ſich eben auf unſer Lied oder auf
den Hornſiegfried beziehe.
warn auf geſworn reimt, in einer Strophe, welche die
zweite Hohenemſer Handſchrift nicht kennt. Außerdem iſt
bemerkenswerth, daß Z. 6961 f. bevalch auf marſchalch
gereimt iſt, welches ſonſt marſchalk heißt. Einmahl, Z.
2621 f, ſteht noch jetzt durch des Herausgebers Schuld
lieht und niht ſtatt nieht. Für frum aber auf ſun
iſt Z. 507 und 7728 frun zu leſen; denn ſo ſagte man,
wie troͧn und boͧn und dergleichen mehr; auch kommt
anderwärts ſogar vor, er gefrunte. Hingegen zeichnet
ſich unſer Gedicht von anderen aus durch die dreiſylbigen
Reime Hagene, ze ſagene, ze tragene, erſla-
gene, denen folgende gleich, das heißt, auch für dreiſyl-
big gerechnet werden: Ůten, gůten, Ůte, gůte, hů-
ben, ůben, trüge, ſlüge, wœren, mœren, ge-
namen, quamen, ſolde, wolde ꝛc. Noch auffallen-
der ſind die bloß auf einen kurzen Vocal reimenden Ha-
gene, degene, menige, gademe. Doch findet ſich
dieſe letzte Reimart einmahl in der Klage Z. 1275 f. Ha-
gene und gademe, und im Parzifal die Reime we, e,
re, ſne auf Cundrie und Itonie.
liedern bald nicht nur beſtimmte Wendungen und Re-
densarten, ſondern ſelbſt einzelne immer wiederkehrende
Reime feſtſetzen. So wiederhohlen ſich in den Däniſchen
Volksliedern ſtets die Reime: Ö, Mö, döe, Blöd,
röd, Gaard, Maard, Bord, Ord, Jord, ind,
Skind ꝛc.
Liebe und Leid, in unſerem Sinne, deuten die beiden Zei-
len des Gedichts an:
Wie liebe mit leide ze jungeſt lonen kan.
Als ie du̓ liebe leide z’allerjungeſte git.
In der erſten bezieht ſich Kriemhild auf ihrer Mutter
Worte:
der letzteren Hälfte gab, ſchickt ſich wohl für das Ganze.
Mit Recht lobt von der Hagen auch die Aufſchrift der
Münchner Membran: »Daz iſt daz Bůch Chreimhil-
den.«. Hingegen iſt der jetzt gewöhnliche Name, der Ni-
belungen Lied, für das gegenwärtige Gedicht gar nicht
paſſend, in dem, wie es ſcheint, immer die Beſitzer des
Schatzes Nibelungen genannt werden. Wenigſtens hei-
ßen ſo im Anfange nur die Könige von Nibelungenland,
denen Siegfried den Hort abgewann, darauf ihre Man-
nen, die er ſich unterwarf; und erſt ſpäter, nachdem der
Schatz nach Worms gekommen und Kriemhilden geraubt
iſt, die Burgunden. Die erſte Hälfte wäre mithin, im
Sinne unſeres Ordners, einem Liede von den Nibe-
lungen ganz fremd; und eben ſo wenig kommt derſelben
[92] der Name zu, den von der Hagen für ſie erfunden, der
Nibelungen Hochfahrt. Übrigens, wenn jener unrich-
tige Name, der Nibelungen Lied, auch durch Fouques
Corona unſterblich werden ſollte, in der ein Geſang mit
der Zeile anhebt:
ſo würde man dennoch wohlthun, ihn baldmöglichſt abzu-
ſchaffen, ſchon weil er allein aus der Überarbeitung in der
erſten Hohenemſer Handſchrift gekommen iſt, und immer
an die Reimerei erinnert, mit der das Gedicht in dieſer
Handſchrift beſchloſſen wird.
Zeile ausgeſprochene:
Si erſturben ſit jœmerliche von zweier edeln froͧwen
nit.
Auch in anderen Stellen, wie Z. 3520:
Von zweier froͧwen bagen wart vil manic helt ver-
loren.
Wenn man aber unſer Lied ein großes Trauerſpiel genannt
hat, das, von einer übereilten Plauderei zu einer
immer furchtbarern Unthat rieſengroß anwachſend, jeder
Unbill ihre Beſtrafung auf dem Fuße nachfolgen laſſe, ſo
ſcheint man eben durch dieſe Anſicht aus dem großen
Schickſalsſpiele ein moraliſches Familiendrama gemacht zu
haben. Dem Liede ſelbſt iſt dieſe Beziehung ganz fremd.
Nur mit Hindeutung auf Siegfrieds Tod heißt es (Z.
2735) von ihm, als er Brünhilden Ring und Gürtel ge-
nommen:
[93] Und was jener Anſicht noch am nächſten kommt, das fin-
det ſich nur in der bekanntlich ſtark überarbeiteten erſten
Hohenemſer Handſchrift, Z. 2751:
Diz kleinot er ir daheime doch ze jungeſt gap;
Daz frumte vil der degene mitſamt im ſelben in daz
grap.
nen tauſend und ſechzig Mann zugeſchrieben werden, ſo
mußte nicht in ſinem, ſondern in ir lande ſtehen.
gemäß: »den ſelben vergen.«
belungenliede, S. 36 ff. Auch die Scheide an Siegfrieds
Schwert Balmung war nach Z. 7158 »ein borte rot;«
und in dem Liede von der Rabenſchlacht heißt es (v. d.
Hagens Grundriß S. 75):
Sifrid von Niderlande
Der zogete darnach;
Einen vanen rot in der hande
Man den fu̓rſten fůren ſach.
Dieſe Abzeichen muß man doch wohl für ſpäter halten,
wenn auch ſelbſt, wie nun Göttling in ſeiner neueſten
Schrift behauptet, Nibelungen und Gibellinen urſprünglich
nur Ein Name wäre. Dies iſt aber keineswegs erwieſen,
ob ich gleich gern glauben will, was Göttling auch nicht
ſtreng genug gezeigt hat, daß der Streit Gibelliniſcher und
Welfiſcher Dichter im zwölften und dreizehnten Jahrhun-
dert auf die Bildung und Darſtellung der Heldenfabel ei-
nen bedeutenden und merklichen Einfluß gehabt. Am min-
[94] deſten iſt aber zu glauben, was er S. 34 ſagt, daß
dem Dichter (nach unſerer Anſicht, dem Ordner) des Ni-
belungenliedes die Bedeutung des Namens der Nibelun-
gen als Gibellinen recht lebendig geweſen. Dagegen
ſpricht ſchon der ſchwankende Gebrauch dieſes Namens
ſelbſt (ſ. Anmerk. 7) und die Dunkelheit welche durchaus
über Nibelungenland und den Königen von Nibelungen-
land waltet *).
8073 — 8116. 8145 — 8160. 8577 — 8588. 8917 — 8936.
ders interpungiert:
E daz der edel Rüdeger ze Bechelaren reit
Uz der ſtat ze Wiene, do waren in ir kleit
Rehte volleclichen uf den ſoͧmen komen.
5464 eingeſchoben ſeien, Z. 5475 aber und 5513 urſprüng-
lich Tulna für Wiene geſtanden.
wie ſich nachher zeigen wird, in einer anderen Sammlung
der Nibelungengeſänge fehlte.
die Brüder Grimm zu Hildebrand und Hadubrand S. 44
bemerkt haben, daß in der Vilkinaſaga an den Stellen,
wo ſich das Chriſtenthum in den Nibelungen zeigt, nichts
davon vorkommt; zumahl die Vilkinaſaga nicht durchaus
nach Deutſchen Gedichten, ſondern großentheils nur nach
Deutſcher Sage, in der freilich manche Nebenumſtände
wegfallen mußten, verfaßt iſt. Wie das Chriſtenthum
übrigens gewiſſermaßen ſogar im Gegenſatz zu den Nibe-
lungen ſtehe, zeigt Göttling in der öfter angeführten Schrift.
Eine von ihm S. 65 erwähnte Stelle ſteht ganz einzeln da
und gehört auch nur der Hohenemſer Umarbeitung an, Z.
9277:
Swie vil von manigen landen geſamnet wœre
dar,
Vil fu̓rſten krefterliche gegen ir kleinen ſchar,
Wœren die Kriftenlu̓te wider ſi niht geweſen,
Si wœren mit ir ellen vor allen heiden wol gene-
ſen.
hunderts finden wir oft dergleichen, wo es nun ſchon eine
nachgeahmte Manier iſt; eben ſo vermuthlich auch ſchon
in einem neueren Stücke (Z. 2657 — 2772) unſerer Ni-
belungen, Z. 2748. Verſchieden iſt das mehrmahlige An-
heben in vielen Volksliedern, wo dadurch verſchiedene Per-
ſonen, die im Fortgange der Erzählung zuſammentreffen,
in einen Gegenſatz gebracht werden.
Bodmer, wie wohl mit dieſen Zeilen ein Gedicht anfangen
konnte.
merer auf Etzels Burg.
ſelbſt mag immer ſchon eine noch neuere Änderung ſein.
in unſerem treuen Eckewart überall verborgen liegen, oder
wenigſtens ein Gibelliniſches Gegenſtück zu ihm ſein mag,
wie umgekehrt Ilſan zu Hagen ein Guelfiſches, nach Gött-
ling.
Z. 6100; die Strophe Z. 6037 — 6040 iſt eingeſchoben,
um den Übergang zu machen. In eben dieſem Liede wird
Z. 6081 Rumold als unbekannt eingeführt, wodurch es ſich
wiederum von dem vorhergehenden ſcheidet; ſ. Z. 5873 ff.
Nibelungen. Wie von der Hagen, nach dem Wörterbuche
bei ſeiner neueſten Ausgabe, in den Zeilen 267 und 1072
(und alſo auch in der ihnen gleichen 1442) neben der
Bedeutung des Bereitens auch die des Anpaſſens gefun-
den, iſt ſchwer zu begreifen. Die bekannte Bodmeriſche
Erklärung, in der Vorrede zu Chriemhilden Rache, ließe
ſich durch eine Stelle in Gottfrieds Triſtan rechtfertigen,
S. 35 a:
Und als ich die rede pru̓fen kan
An worten eines andern man.
Die
[97] Die von uns angenommene (vgl. Docen im Muſeum f. Altd.
Litt. u. Kunſt i. S. 463) beſtätigt Wolfram von Eſchen-
bach, wenn er im Parzifal S. 81 c entweder von ſich oder
von Kiot von Provenz ſagt:
Ze machenne nam diz mœre ein man,
Der aventu̓re pru̓ven kan.
Ein ganz ähnlicher Sprachgebrauch findet ſich ebenda-
ſelbſt:
Eine wile zů ſinen handen
Sol nu dize aventu̓re han
Der werdeerkande Gawan.
Du̓ pru̓vet manegen ane haz
Derneben oder fu̓r im baz,
Den des mœres herren Parcival.
und S. 105 a, wo Eſchenbach zu Frau Aventüre ſpricht:
Nu pru̓vet uns die ſelben zal,
Waz von ſinen henden ſi geſchehen.
Eben daraus erklärt ſich, was wir in den Nibelungen Z.
9042 leſen:
Ez en ku̓nde dehein ſchribœre geprieven noch geſagen
Du̓ manige ungebœre von wibe und oͧch von man.
Denn dieſes geprieven leitet von der Hagen unrichtig
von Brief ab, ſtatt es mit der Münchner Handſchrift
durch gepru̓fen zu erklären, wie ja auch in der Stelle
der Klage die Sanct-Galler Handſchrift nach Hagens
Grundriß S. 83 priven hat, nämlich ſtatt privven.
auch möglich, daß Pilgrin die Erzählung erſt Lateiniſch
aus Swemmels Munde hätte ſchreiben laſſen, worauf denn
G
[98] nachher erſt ſein Schreiber Konrad das Mähre danach be-
reitete.
Handſchrift herzuſtellen, womit der Streit über Konrad
endlich gehoben iſt. S. von der Hagens Grundriß S. 83.
ten der Sanct-Galler und Münchner Handſchriften für die
Klage iſt uns der Herausgeber ſchuldig geblieben; er hat
ſie zu unſerem Bedauern abermahls auf den zweiten Band
verſchoben. Nach den Lesarten jener Handſchriften wird
in dieſer ganzen Unterſuchung manches Einzelne vielleicht
anders beſtimmt werden müſſen.
Z. 17 ff. nach der Sanct-Galler Lesart, ſ. Anmerk. 28)
auf das Werk Konrads paſſen, wenn man annehmen woll-
te, daß es ein Lateiniſches Gedicht, wie das von Walther,
geweſen. Daß aber der Verfaſſer der Klage nicht ein ſol-
ches, ſondern ein Deutſches Gedicht las, zeigt die weiter-
hin angegebene wörtliche Übereinſtimmung mehrerer Stel-
len in der Klage und den Nibelungen. Das Versmaß des
Deutſchen Werkes war wohl ohne Zweifel die Strophe,
welche nachher immer dieſem ganzen Fabelkreiſe eigen ge-
blieben iſt *). Weitere Unterſuchungen müſſen lehren, wel-
[99] che Ausdehnung der Gebrauch derſelben überhaupt gehabt.
Alle Däniſchen Lieder, die ſich auf den Deutſchen Fabelkreis
beziehen, ſind in der vierzeiligen Strophe gedichtet, welche
der Hälfte unſerer Deutſchen entſpricht *); und merkwür-
dig iſt, daß gerade den der Deutſchen Sage am nächſte-
henden Liedern von Grimild, Hildebrand und Mönch Al-
ſing das ſonſt gewöhnlichen Omqvœd (Refrain) mangelt.
Dieſelben Verſe von ſieben Hebungen mit dem Ruhepunkt
in der vierten finden ſich auch bei Spaniern und Neu-
griechen.
fried von Straßburg nennt im Triſtan S. 1 b den Tho-
mas von Britannien »der aventu̓re meiſter, der
an Brituniſchen bůchen las
Aller der lantherren leben,
Und ez uns ze kunde hat geben.«
S. Docen im Muſeum f. Altd. Litt. u. Kunſt i. S. 462.
G 2
[100] Dagegen heißt Wolfram von Eſchenbach ſeinen Helden
Parzifal der Aventüre Herrn, und S. 105 a beider, ſein
und der Aventüre Herrn; von Schianatulander ſagt er
in den Bruchſtücken des echten Titurels, Strophe 34: »Er
wirt dirre aventu̓re herre.« Eben ſo wenig als Pilgrin
iſt aber auch dieſer Meiſter der Rede der Schreiber Kon-
rad, der ſelbſt ſchrieb und nicht dictierte, ſondern es muß
ein anderer Dichter gemeint ſein.
Lieder damahls Gegner fanden, die von den Dichtern ſag-
ten, was Eſchenbach den Sängern von Siegfrieds Unver-
wundbarkeit vorwarf:
ſcheint er zweimahl hinzudeuten, Z. 14 und 800 f.
wohl bekannt, daß Kriemhildens Brüder, deren Namen ſie
wohl wüßten, mit ihr in Burgund gelebt; ihre Ältern wolle
er nennen, damit man ihre Namen erfahren möge, wie ſie
das Buch angebe.
paſſende Überſchrift hat die erſte Hohenemſer Handſchrift.
worin ſie vorkam. Ich mag nicht enſcheiden, welche von
den verſchiedenen Annahmen, durch die der Widerſpruch
gehoben werden kann, die richtige ſein möge.
emſer und in der Münchner Handſchrift; die Sanct-Galler
hat: »Vater maniger tugende.«
neue Lieder anfangen. Bei der letzteren wird es durch die
Vergleichung der Klage wahrſcheinlich. Die Zeilen 7705
— 7716 und 7753 — 7756 übergehen wir, wie alle übrige
der Bearbeitung in der erſten Hohenemſer Handſchrift ei-
genthümliche, die zum Glücke nun in von der Hagens
neuer Ausgabe durch vorgeſetzte Sternchen ausgezeich-
net ſind.
und in den Aventüren der Nibelungen, die der Dichter
der Klage las, nur noch einmahl (Z. 5665) in einem Ab-
ſchnitte vor, den er vermuthlich anders und weiter ausge-
führt vorfand.
8161 fing das Lied von Iring an, und endigt vermuthlich
mit Z. 8408. Dann ſind wohl die Zeilen 8409 — 8436
eingeſchoben, oder fehlten doch in dem Exemplare, das der
Dichter der Klage vor ſich hatte. Von Z. 8437 an folgt
ſodann ein neues Lied.
bei ſeiner neuen Ausgabe das Wort gadem männlich.
Es iſt ſchon bei Ottfried und überall geſchlechtlos. Hier
Z. 8376: »fu̓r daz gadem;« Z. 2427: »in ein vil witez
gadem;« Parzifal S. 59 b: »Manegez er der gadem er-
lief.«
erſten Schlacht, die Z. 8120 endet, erſt wieder (Z. 8430.
8526) in der Nacht bei den Friedensunterhandlungen (in
einem Abſchnitte, den die Klage nicht kennt), und nachher
[102] nicht eher, als bei Rüdigers Tode Z. 8963 vorkommt.
Überhaupt iſt Dankwart eine Perſon, der es nicht gelingt,
ſich recht feſt in die Fabel einzufügen.
Z. 8619 und 8425; in der Klage öfter, ſelbſt einmahl, Z.
4068, mit dem Zuſatze:
Etzel bat und gebot,
Daz man rœche ſin kint.
bach ſagt oft: »min eines dri,« für: drei wie ich.
wolgetan.«
Verſe angezeigt werden, die in dieſem Abſchnitte ſpäter
eingefügt ſcheinen. Es ſind die Z. 5561 — 5576. 5585 —
5596. 5605 — 5608. Hingegen las der Verfaſſer der Klage
ſtatt unſerer Z. 5665 — 5696 etwas Deutlicheres und Aus-
führlicheres.
ſein Rath den die Klage kennt, ſtanden in verſchiedenen
Liedern. S. Anmerk. 22.
»Daz hat mich ſit gerowen.«
Die Steine werden eben ſo wenig als die Wünſchelruthe
und Hehlkappe erwähnt.
rede zu Chriemhilden Rache S. vii aus dem ungedruckten
Theile der erſten Hohenemſer Handſchrift, Kriemhild habe
nach Siegfrieds Tode bei ihrer Mutter im Kloſter gelebt.
In derſelben Handſchrift iſt nach J. Grimm, in den alt-
deutſchen Wäldern ii. S. 180, eine Nachricht von Sieg-
frieds Beiſetzung im Lorſer Münſter enthalten.
der erſten Hohenemſer Handſchrift, nicht von Etzel, ſon-
dern in einer oben angeführten Stelle nur von Kriemhil-
den erzählt.
net das Wort Kappe nicht nur noch jetzt in mehreren
Germaniſchen Sprachen, ſondern die Bedeutung iſt auch
in früheren und unſerem Gedichte gleichzeitigen Schriften
nachzuweiſen. Nur ſo laſſen ſich die Zeilen 1740 und 1942
erklären. Am wenigſten darf man an eine Ähnlichkeit mit
Fortunatus Hütlein denken; und es iſt kaum zu glauben,
daß man im Ernſt aus der Tarnhut, wie ſie öfters heißt,
einen Hut gemacht, da es doch leicht genug war, darin
den Gebrauch des Wortes Haut zu erkennen, welchen das
Däniſche Skind, das ehemahls für Kaabe gebraucht
wurde, beſtätigt.
lungen und Gibelinen S. 66) weiter bauen dürfen, ſo
folgt nur daraus, daß der Verfaſſer des Mähres von der
Klage ein Welfe war; und mich dünkt, in dem ganzen
Werke läßt ſich wirklich der Mönch gar nicht verkennen.
Hingegen war der Dichter der Aventüre von der Klage in
der anderen Sammlung wohl ein Gibellin, weil er auf die
[104] unglückliche Schlacht Gelfrats anſpielte. Ob aber die
ganze Sammlung eine Welfiſche oder Gibelliniſche war,
müſſen wir wohl zweifelhaft laſſen. Merkwürdig iſt, daß
der Welfe Wolfram von Eſchenbach im Parzifal S. 102 a,
wo er Rumolds Rath erwähnt, Günther und die Nibelun-
gen nennt.
ſten Ausgabe S. viii ff. xxiii.
N. 51.), von der Hagen behauptet (Vorr. S. xxv) auf
Bodmers Zeugniß das letztere.
chung ſcheut, dem würde ſie durch eine erſt nach dieſen
Unterſuchungen mögliche kritiſche Ausgabe der Nibelungen-
noth, die wir freilich nicht auf gutes Glück Jedem anver-
trauen möchten, erleichtert werden. Ein kritiſcher Heraus-
geber müßte die Lesarten der drei wichtigſten Handſchrif-
ten genau kennen, und zu erforſchen ſuchen, wieviel, ſelbſt
in Sprache und Versbau, in jeder nur dem Abſchreiber
zuzurechnen ſei. Dann würden dem berichtigten Sanct-
Galler Text die Abweichungen der älteren Recenſion in
der zweiten, und der Überarbeitung in der erſten Hohen-
emſer Handſchrift, endlich aber die Angabe der Schreib-
fehler und der ausgezeichneten Schreibung mancher Wör-
ter in allen dieſen Handſchriften folgen müſſen. Die we-
niger wichtigen Lesarten der ſpäteren Münchner Hand-
ſchrift ließen ſich wohl überall bei denen der älteren ein-
ſchalten; und mit einer anderen, von der ſeit Kurzem gar
dunkele Gerüchte umlaufen, wird es ſich wohl eben ſo ver-
halten. Erſt in einer ſolchen Zuſammenſtellung würde ſich
[105] die Geſchichte unſerer Liederſammlung vollkommen zeigen,
und zugleich die jetzt herrſchenden ſchwankenden und höchſt-
unkritiſchen Meinungen darüber vernichtet werden.
Günther und Hagen, erwürgt wird, ſo hatten nach der
Vilkinaſaga Kap. 164. 165. Gunnar und Högni Adler in
ihren Wapen.
nur noch Z. 417 ff., in einer Strophe, die nur die Sanct-
Galler aber nicht die zweite Hohenemſer Handſchrift hat;
in den beiden anderen ſind ſie häufiger.
nicht paſſenden Mittelreim fort, den er dafür einer ande-
ren Strophe gab, Z. 69. 70. Die 60 Zeile,
Daz ich ſol von manne nimmer gewinnen deheine not,
veränderte er:
Daz ich von mannes minne ſol gewinnen nimmer not.
Z. 72, wo es wie 64 »gůten ritters« hieß, wechſelte er ab
mit »künen recken,« u. ſ. w.
urtheilen, die Stelle ſelbſt noch in der neueſten Ausgabe
ganz wunderbar mißverſtanden.
417 — 424. Kritiker mag er wohl genannt werden, in
der Bedeutung der Homeriſchen.
hang, und ein andermahl (Z. 954) iſt, vermuthlich aus
[106] Verſehen, Rumold ſtatt Volkers unter den Streitenden mit
aufgefuhrt.
wegfallen: 605 — 620. 661 — 664. 689 — 708. 721 —
728. 733 — 736. 773 — 776. 785 — 820. 837 — 840.
849 — 852. 857 — 872. 889 — 892. 925 — 956. 969 —
976. Zwiſchen Z. 901 und 908 iſt vermuthlich auch der
urſprüngliche Text erweitert und verändert.
ſchien dem Sanct-Galler Kritiker wohl allzu ritterlich;
darum ſetzte er:
die die Hohenemſer Handſchrift noch nicht kennt, Z. 2341
— 2348; eben ſo erſcheinen zwei andere, in welchen Sin-
dolt, Hunold, Rumold und Ortwin, alle auf einmahl, er-
wähnt werden, Z. 2265 — 2272, erſt in der Sanct-Galler
Recenſion; die Stelle von Ortwin, Z. 2169 — 2172, ge-
hört wohl dem Ordner.
durch Mittelreime verrathen. Die Stelle Z. 1465 dagegen
kommt nicht in Betracht, weil der Reim erſt in der Sanct-
Galler Handſchrift hinzugekommen iſt.
Verſehen in der Hohenemſer Handſchrift (oder gar nur in
dem Mülleriſchen Abdruck?) zu fehlen.
Morgen nach Worms.
2255: »uf den ſant.«
für »ze berge (aufwärts) unz an den Rin,« iſt ſprachwi-
drig. Auch folgt ja Z. 4503: »von dem berge dan.«
meint werden, zeigt eine andere Stelle, Z. 378.
gelten. Denn daß der Wert, auf dem gejagt wurde, eine
Rheininſel ſei, widerlegt ſich, obwohl das Wort ſonſt auch
eine Inſel bedeutet, aus Z. 3888, wo Siegfried ſagt, man
hätte ihnen näher an den Rhein ſollen geſiedelt haben,
damit ſie trinken könnten. Wolfram von Eſchenbach ſagt
im Titurel, Kap. 24:
Wer auf dem Reine ſich erdürſten lieſſe,
Man zalt’ in zů den ſwachen,
Die in ſelber lebent zů widerdrieſſe.
U̓ber Rin kann weder Z. 3721 noch 4021 auf dem
Rheine bedeuten. »Wormez u̓ber Rin« ſagt der Dichter
in einer von Göttling angeführten Stelle, Z. 2827, weil
er ſelbſt nicht auf dem linken Rheinufer wohnte. Auch die
Lesart der erſten Hohenemſer Handſchrift in der 703 Zeile,
»von Wormez an den Rin« ſtatt »u̓ber Rin,« beweiſt
nichts für Göttling; denn hier iſt an den Rin zu erklä-
ren wie Z. 4393. S. Anmerk. 66.
Hypotheſe annehmen dürfen, nach welcher (außer dem Trans-
[108] port der Eßwaaren) die Helden ſelbſt viermahl überfuhren;
einmahl, als ſie ſich auf der Rheininſel verſammelten, dann
zurück zur Jagd in den Wasgau, zum Eſſen kam man wieder
auf die Inſel, Siegfried mit dem Bären am Sattel, endlich
fuhren ſie mit Siegfrieds Leichnam wieder nach Worms;
da doch das ſehr ausführliche Lied nur zwei Überfahrten
erwähnt. Übrigens iſt jetzt bekannt, daß die zweite Ho-
henemſer Handſchrift ſtatt des Waskenwaldes wirklich
den Odenwald gibt und noch eine merkwürdige Nach-
richt von dem Orte, wo Siegfried erſchlagen worden, hin-
zufügt. In welchem Sinne meint aber J. Grimm (altdeut.
Wälder ii. S. 180) bei dieſem Irrthum, der auf alle Fälle
nur auf eine Namensverwechſelung der beiden Wälder
hinausläuft, daß ſich auch die Lesart Waſichenwald
poetiſch vertheidigen laſſe?
den Abſchnitt von Kriemhildens Traum und doch zugleich
auch dieſe Erzählung zuſchreiben. Dort war es leicht eine
ſchöne Sage edel und zart darzuſtellen, hier mußte der
Vollſtändigkeit wegen eine Erzählung eingeſchoben werden,
die der Volksgeſang als unnöthig hatte fallen laſſen.
den Norden verpflanzt wurde, ſo ſind mit anderen Liedern
von den ſogenannten Bernerhelden auch die von Grim-
hilds Rache ohne Zweifel aus norddeutſchen Geſängen,
die ſich höher hinauf zogen, entſtanden, urſprünglich viel-
leicht, wie das Hildebrandslied, bloß überſetzt, dann aber
einheimiſch geworden und, wie die drei noch vorhandenen
zeigen, auf mancherlei Art umgeſungen.
[109] Handſchrift der Minneſingerſammlung, und nicht verſriet,
wie Bodmer zweimahl hat drucken laſſen. Übrigens ſind
die Stellen ſelbſt in W. Grimms höchſt verdienſtlicher Zu-
ſammenſtellung der Zeugniſſe über die Deutſche Helden-
ſage, im erſten Bande der Altdeutſchen Wälder, nachge-
wieſen.
linen S. 66) ebenfalls einem Gibellinendichter angehört,
das von der Ravennaſchlacht hingegen (S. 93) einem Wel-
fiſchen. Vergl. Anmerk. 50.
es iſt nur von den acht Jahren vor Siegfrieds Tode
die Rede, und außerdem, daß die Begebenheiten ſelbſt
nicht ſo wie in den Nibelungen erzählt werden, und alſo
die Epiſode von Siegfrieds früheren Thaten wohl in dem
Exemplar, das der Dichter des Hürninen Siegfrieds las,
gefehlt haben müßte, ſcheint auch die eben vorhergegangene
Erwähnung des Odenwaldes auf ein anderes Gedicht
zu deuten, in welchem derſelbe beſtimmter genannt wurde,
und aus dem vermuthlich erſt die genauere Angabe darüber
(ſ. Altdeut. Wälder ii. S. 180) in die erſte Hohenemſer
Handſchrift gekommen iſt. Übrigens bezieht ſich das Volks-
buch vom gehörnten Siegfried nicht auf Siegfrieds
Hochzeit, ſondern auf eine Geſchichte von Siegfrieds
Sohn Löwhardus. »Derſelbe, heißt es, hat auch nach ſei-
nes Vaters Tode in ſeinen blühenden Jahren manches
Abenteuer und große Gefahr ausgeſtanden, hat mit dem
Sultan und dem König von Babylonia Krieg geführt und
endlich des Königs von Sicilien Tochter zur Gemahlinn
bekommen; welches in einer anderen Hiſtorie zu leſen iſt.«
ganz anders ausgebildete Sage, wie denn dies von den
Liedern gewiß iſt, welche zu Aventins Zeit in Baiern von
Grimhild geſungen wurden. Denn nach Bl. 250 b der
Deutſchen Ausgabe *) war dieſe Grimhild König Gün-
thers aus Thüringen Tochter und Atzels Gemahlinn. Vergl.
Altd. Wälder i. S. 261.
tic. i. S. 173 f.
anderen Liede, das die Burgunden mehrmahl Nibelun-
gen nennt, Z. 6101 heißt:
tigkeit hat, eine Gibelliniſche. S. Anmerk. 50.
auch aus dieſem Zeugniß Eſchenbachs und vielleicht ſelbſt
aus dem Umſtande, daß die Sanct-Galler Handſchrift ne-
ben Eſchenbachs Parzifal und Wilhelm dem Heiligen und
Strickers Karl dem Großen auch der Nibelungen Noth
mit der Klage enthält, wohl noch etwas über das Vater-
land der Geſtaltung der Sage, die ſich in dieſen Werken
zeigt, ſchließen laſſen.
derauftreten nach ſeinem Zorne und Patroklus Tode noth-
wendig folgen, und der Griechiſche Sinn konnte Hektors
Beſtattung eben ſo wenig in dieſem Gedichte entbehren,
als die des Ajax in dem Trauerſpiele des Sophokles.
- License
-
CC-BY-4.0
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- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Lachmann, Karl. Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn07.0